3
ARCHIV
FÜR
SLAVISCHE PHILOLOGIE.
UNTER MITWIRKUNG
VON
A. BRÜCOER, A. LESKIEN, W. NEHRING, F. FORTMATOV,,
BERLIN, LEIPZIG, BRESLAU, ST. PETERSBURG,
J. GEBAÜER, C. JIRECEK, ST. NOVAKOVIÖ, A. SOBOLEVSKIJ,
PRAG, WIEN, BELGRAD, ST. PETERSBURG. ,
HERAUSGEGEBEN
V. J A G I C.
ACHTUNDZWANZIGSTER BAND.
5308G7
BERLIN, V "^^'
WEIDMANNSCHE BÜCHHANDLUNG.
1906.
n
I
09-
t^ / -i> V
Inhalt.
Abhandlungen. Seite
Ein urslavisches Entnasalierungsgesetz, von Norbert Jokl . ... 1
Einige Streitfragen, c. 7 — 9, vonV. Jagic 17
Wortdeutungen, von Evald Li den 36
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Slovenischen, von J. M enc ej 40
Marko Bruere Desrivaux als ragusanisclier Dichter, von J. Nagy . . 52
Die böhmische Paraphrase der Distichen des Johannes Pinitianus zu
Petrarka's »De remediis utriusque fortuuae«, von Oskar Do-
nath '6
Volksetymologische Attribute des heil. Kyrikos, von Em. Kai uz -
niacki 84
Wann wurden die Reliquien des serbischen heil. Sava verbrannt?,
von Aleksa Ivic 90
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben, mit besonderer
Berücksichtigung des Gedichtes »Zähorovo loze« (Fortsetzung),
von Jaroslav Sutnar 94, 292
Cyrillo-Methodiana, eingeleitet von V. Jagic 161
I. Vita Cyrilli, von V. Lamanskij 162
II. Thesen zur Cyrillo-Methodianischen Frage, von A. Brück-
ner 186
III. Beiträge zur Quellenkritik der cyrillo-methodianischen Le-
genden, von Iv. Franko 229
Zur Frage nach dem Verhältnisse der Freisinger Denkmals zu einer
Homilie von Klemens, von W. Vondräk, mit Zusatz von V. J. 256
Bemerkungen zu Prof. Baudouin de Courtenay's »Kurzem Resume der
kasubischen Frage«, von Julius Koblischke 261
Die älteste böhmische Sprichwörtersammlung, von V. Flajshans .
Urkundliche Beiträge zur Biographie des Dichters Relkoviö, von
Aleksa Ivic 345
Nicolaus Krajacevic — Peter Petretiö, von Martin Hajnal .... 315
ProsperMerimee's Mystifikation kroatischer Volkslieder, von T. Ma-
tid (Fortsetzung folgt 321
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch,
von K. Strekelj 481
Polonica, von A. Brückner 539
Rumänische Beiträge zur slavischen Götterlehre, von M. Gaster . . 575
IV Inhalt.
Seite
Wer ist der Übersetzer der >Neunzelin serbischen Lieder< in Försters
Sängerfahrt?, von Stjepan Tropsch 584
Paul Ritter Vitezoviö, Beiträge zu seiner Biographie, von Fr.
Snopek 59.3
Badnak und Kolenda in den ungarischen Quellen, von Milan von
Sufflay 001
Einige Bemerkungen zu diesem Aufsatz, von Oskar Asböth tilO
Kritischer Anzeiger.
Ljapunov, Die Formen der altkirchenslav. Deklination, angez. von
V. Jagic 117
Hirt, Der ikavische Dialekt im Königreich Serbien, angez. von
A. Beliö 125
Brückner, Geschichte der russischen Literatur, angez. von Alexis
Wesselofsky 128
Brückner, Über Nikolaus Eej. Kritische Studien, angez. von W.
Nehring 139
Grabowski, Literarische Studien über das heutige Kroatien, angez.
von D. Prohaska 142
Lepki, Polnische Übersetzung des Igorliedes, angez. von Bohdan
Lewickyj 145
Wallner, Deutscher Urmythus in der tschechischen Ursage, angez.
von G. Ad. Thal • . . . 150
Sket, Chrestomathie der sloven. Literatur, angez. von Fr. Kidric . 152
Die serbokroatische Volkspoesie in der deutschen Literatur (Curcins
Werk), angez. von M. Murko 351
Zur slavischen Runenfrage (Leciejewski's Werk), angez. von V. Jagic 385
Anna Meyer, Russische Volksmärchen in deutscher Übersetzung,
angez. von G. PoHvka 392
Über die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der böhmischen
Literaturgeschichte, angez. von Oskar Donath 400
Zamotin, Romantik in der russ. Literatur, angez. von D. Prohaska 409
Mitrovic Studi sulla letteratura serbo-croata, angez. von J. Nagy . . 416
Nikoliö, II Serto della Montagna, angez. von J. Nagy 418
Wilpert, Le pitture della basilica primitiva di San demente, angez.
von M. Resetar 421
Ivanisevic, Polica ; Bratic i Dedic, Igre, angez. von M. Resetar . . 430
Kleinere lexikalische Hilfsmittel für die slavischen Sprachen, angez.
von V. Jagic 431
Die slavische Liturgie in Polen (anf Grund des Werkes von Szczes-
niak, einer Anz. von Ptaszycki und einer Abb. von Sobolevskij),
angez. von Fr. Kidric 614
Bartocha, Böhmisches an der Olmützer Hochschule, angez. von
Mil. Hysek 623
Inhalt. V
Seite
Kleine Mittheilungen.
Iloiua jaibu^apcKa — Posa janicarska, par St. Novakovic 158
Cech. kostel, von P. Kretschmer 159
Slavische Etymologien, I., von G. Iljinskij 160
Drawäno-Polabisches, von Julius K ob lischke 433
Das sogenannte Müller'sche Vaterunser — eine plumpe Mystifikation,
von Julius Koblischke 444
7 in skythischen Wörtern bei Herodot, von A. Sobolevskij . . . 449
Slavische Ftyraologien, II. — VI., von G. Iljinskij 451
napacnop-/7«^«(T7rooff, par St. Novakovic 463
Debrc et Kocejeva en Serbie, au sucl de la Save, par St. Nova-
koviö 464
Einige Lehnwörter im Kroatischen, von P. Skok 467
Zur serbokroatisch-protestantischen Literatur des XVI. Jahrhunderts,
von M. Resetar 468
Über die Provenienz der Kiever Blätter und der Prager Fragmente,
von W. Vondräk 472
Wie soll man I B. 4 — 5 der Prager glagolitischen Fragmente lesen?,
von B. Ljapunov 478
f Professor Anton Kaiina, von V.Jagic 480
Ein Brief Palacky's, von Aleksa Ivic 628
Serbische Volkslieder über den Abgang des heil. Sava zu den Mön-
chen, von Vladimir Corovid 629
i Alexander Nik.Wesselofsky, von V. Jagid 634
T Marin St. Drinov, von B. Ljapunov 637
f Martin Hajnal, von V. Ja gic 640
Sach-, Namen- und Wortregister, von A.Brückner 641
Ein urslaYisches Entnasaliemngsgesetz.
Dieser Lautwandel wird durch folgende Etymologien erwiesen:
1) ksl. blazm error, scandalum, hlaznh scandalum, russ. hlazenh
junger, leicht verführbarer Mensch, Spaßmacher, Spaßvogel, blaznh,
^/a2;^^^ Verführung, c. hläzen Y^a^xr^ Tor, Spaßmacher u. s. w. : ksl.
hlqsti., hlqdq errare, delirare, nugari, das also die gleichen Bedeu-
tungsnuancen wie hlazm im Ksl., bezw. in den modernen Slavinen
zeigt. Miklosich Lex. pal.-sl. S. 30 (zweifelnd im E. W. s. v.) und
Joh, Schmidt, Vocal.2, 117 stellen hlazm zu russ. i/ayoy starrköpfig.
— Als Grundform für hlazm u. s. w. hätten wir demnach *^blqd-zn-
anzusetzen. Was nun das q anbelangt, so besteht für ^hlqd-zn- wie
für hleßq an sich die Möglichkeit, es als e-\-n oder als sg. nasalis
souans, die konventionellermaßen mit n bezeichnet sei, aufzufassen
(Brugmann, Grdr. P, 390). Die folgende Darstellung wird nun
zeigen, daß die erste der beiden angeführten Möglichkeiten ent-
fällt, wir demnach hlazm) aus hlnd-zn- abzuleiten haben. Ebenso
wird sich uns eine Zwischenstufe zwischen n und <?, mit andern
Worten eine Vorstufe des <?, soweit es aus n entstanden ist, er-
geben. Das suffixale Element -zn~ in der angesetzten Form ist das-
selbe wie in hojaznh^ 6ajaznh^ ziznh u.s. w. Russ. hlaznh zeigt fakti-
tive Bedeutung, wie ja auch slov. bluditi (Miklosich, Gramm. 2,437)
transitiv, ksl. blqditi intransitiv ist.
2) russ. glaz^ das Auge: ksl. (/Iqdati, glqdSti videre, rw.ss.glja-
deth sehen. Neben glaz^ findet sich im russ. das gleichbedeutende
gljadelka. Matzenauer, Cizi slova S. 167 hält glazh für fremd und
zieht anord. glaezi heran, ähnlieh stellt es Nehring I. F. 4, 402 zu
mhd. glaren., während Zupitza K. Z. 37, 39S Urverwandtschaft
zwischen dem russ. und mhd. Wort annimmt. — Als Grundform
erhalten wir also glqd-z-. Den suffixalen Charakter des -;:- zeigt das
Nebeneinander der beiden gleichbedeutenden Denomiuativa russ.
Archiv für slavische Philologie. XXVUI. \
2 Norbert Jokl,
verchogljädnidath und verchor/läzith gaffen, Maulaffen feil haben;
verchof/lj'adnidatb gebildet wie nachUhniöath Kostgänger sein. —
Das Suffix -z- zeigt sicli auch in: russ. näslüz% sluz^ Aufwasser
neben nädüd^ slud%\ sluzy (Tver) eingefrorene Pfützen neben sludy
versumpfte Wiesen ; russ. gruz^ Last <a grqd-z- neben (jrusth Kum-
mer <Cgrqd-t-\ lit. f/rimsh), grimzdaü, ksl. grqznqti. Über das
Suffix in diesem slav. Worte sowie darüber, daß auch für das slav.
von einem *gremd- auszugehen sei, vgl. Zupitza, K. Z. 37, 398
gegen Walde, K. Z. 34, 518, der ein sl. greng- angesetzt hatte; fer-
ner kolozina = kolöda (Dalt), russ. rymzä der Greiner, Plärrer, rym~
zäth neben rymomih] russ. gohjä Zweig, c. haluz^ poln. galqd, gen.
-^zi. Weitere Beispiele für dieses Suffix werden wir im folgenden
kennen lernen.
3) Genau wie russ. gIaz^ erklärt sich das über die meisten slav.
Sprachen verbreitete laz- : p. iazy urbar gemachte Fläche, Sumpf-
fläche, c. laz Lehde, Bergfläche, slov. laz Neubruch, Rodeland, s.-kr.
laz [= kao mala nj'iva, mj'esfo, gdje je rmiogo sume isjedeiio], russ.
lazina lichte Stelle im Walde, klr. laz kleineWaldwiese, also <C.lqd-z- :
ksl. Iqdina terra inculta, russ. JJädä ein mit jungem Holz bewachse-
nes Feld, Neubruch, Rodeland, nasser Boden, Sumpffläche, c. ladem
lezeti brach liegen, slov. ledina, s.-kr. ledina ungeackertes Land;
deutsch Land. Die Stufe, die wir gemäß dem bei hlaznh Bemerk-
ten für das vorauszusetzende *led-z- anzunehmen haben, nämlich ^
findet sich auch im anord. lundr Hain, apr. lindan Tal.
4) ksl. naprashno subitus, praeceps, russ. napräsno unnütz, ver-
gebens, Nordrußl. unerwartet, plötzlich: ksl. napredativimüxxQ. Zur
Bedeutungsentwicklung ist zu vergleichen: russ. waÄ^J^om?» mit einem
Ansatz, Anlauf, plötzlich. Die Grundform ist sohin : *na-prnd-s-.
Dieser Fall stellt sich den vorigen an die Seite, da ja im Slav. die
Gruppen trnt- und trnt- den Lauten nach zusammenfielen. Zupitza,
K. Z. 36, 54 ff.
5) c. fMsiti (das Schwert) ziehen, zücken, schwingen, stoßen;
russ. täska das Ziehen, Schleppen, tazätb an den Haaren ziehen,
zausen : gr. teLvco , ai. tanoti dehnt, spannt, lit. tlsis der Zug, Fischzug,
also Grundform tt^-s. Miklosich, Et.W. S. 347 gibt als Bedeutung
für c. tasiti bloß »schwingen, stoßen« an. Eine Widerlegung dieser
Ansicht mit Belegstellen gibt Kott s. v. Cf übrigens auch schon
Jungmann bei dem Compos. vytasiti (5, 368) = vytähnouti heraus-
Ein urslavisches Entnasalierungsgesetz. 3
ziehen, tasamj = frhamj. Zur Bedeutungsentwicklung von tasiti
ist deutsch zücken, Intensivum zu ziehen zu vergleichen.
6) c. hasäk Sense, Rechensense: ksl. zeß^ Hnjq demetere, also
gt^-s-. Das Wort ist beweisend für die relative Chronologie unse-
res Lautwandels, der demnach vor die Zeit des ersten Palatalismus
fällt. Ebenso ist zu beurteilen
7) russ. gasätb ein Pferd tummeln, c. hasati sich herumtum-
meln, hasäk der Unbändige: \^^\. gnati, zenq pellere <^g/i-s-. Hie-
her gehört auch c. hastros Vogelscheuche <^ g?i-s-[t)-r-os- (mit
einem zwischen s- und r~ sufi". entwickelten t)\ Miklosich, Gramm. 2,
S. 85. — Dieselbe Funktion des 6-Determinativs wie in gasätb,
nämlich Verwendung zur Intensivbildung, sehen wir in c. dräsafi
ritzen: ksl. chrati, dera. (Miklosich, Gramm. 2, S. 475), in slov. />/a-
saü potenter ardere: ksl. planq (a. a. 0. S. 471), ferner in russ.
kromsäth zerstücken, zerfetzen: kromith abteilen. Von einem sol-
chen Verb ist auch für c. hasäk Sense auszugehen.
8) russ. (veraltet u. Westrußl.: Pavlovskij) pas^ ausgetretene
Spur (des Wildes) : Nordruss./j;a/mÄ& Spur, Fährte, penh Hasenspur,
pnuth^ pinäth einen Fußtritt geben, mit Füßen treten. Die ganze
Sippe gehört zu gr. yrarog, \i. pons, sl. 'pqt'b. pas^ geht also auf
pnt-s- zurück (das Suffix -s- wie in kqs^•. lit. kandü^ x\x%%. prus^
Wander-, Zugheuschrecke <iprqd-s- : pre^dati). Für die Erkenntnis
der Lautgestalt der nasalis son. im Slav. wichtig ist russ. pe7ih <C
pbnb. *p'bnh vereinigt sich mit dem aus den verwandten Sprachen
erschließbaren pnt- nur als pb7if-m, enthält demnach ein w-Suffix.
Die Assimilation des dentalen Verschlußlautes an das folgende n
(cf. ksl. povonh diluvium: vodo : vSnd, sdva) trat also hier ein, bevor
im slav. Nasalvocale entstanden. *pbnf-nh zu dem aus pjatnikb
erschließbaren *p^t-hn-, *p'bnt-bn- wie povonh <C povod-nb : povod-
hnh. Genau dieselbe Behandlung der Gruppe Vocal -j- ntn, ndn
wie penh zeigt c. promj rasch, ungestüm neben dem gleichbedeu-
tenden/^?7^f//i;y, also <i,prond-n-, ferner russ. kromj Haspel, Winde:
ksl. krqtiti, <i kront-n-^ cf. d. Winde, s.-kr. mtao Winde, endlich
magy. holony Tollkirsche, was auf ein slav. *blo7ib als Quelle weist
<^ hlond-n-. Der inlautende Vocal im c. und russ. zeigt, daß hier
niemals der Nasal q gestanden haben kann. Das inlautende b in
'^phnb lehrt nun, daß die von Pedersen, K. Z. 38, 32H vorgetragene
Ansicht, wonach ii im slav. direkt zu <■ geworden sei, zu moditizie-
4 Norbert Jokl,
ren ist: dem ? muß eine Stufe hn voraufgegaugen sein. Zuzustim-
men ist jedoch Pedersen, wenn er bestreitet, daß der lit. und der
slav. Reflex der nasalis son. von in als gemeinsamer Vorstufe aus-
gegangen seien. Denn in der Tat hätte in im slav. nur h ergeben
können, so %. B. im accus, sing, der i-Stämme, kosth. Hält man den
accus, kosth mit *phnh zusammen, so ergibt sich die Konsequenz,
daß in in n schwand, noch bevor idg. i zu i geworden war. Es fragt
sich noch, wie das erwähnte Verbum imuth mit pnt- zu vereinbaren
sei. jinuth ist natürlich Neubildung, wie tnuth gegenüber ksl. tqii^
c. iiti hauen ; die ursprüngliche Form ergibt sich noch aus dem
iterat. pinäth und aus ksl. zapqti impedire. Aber auch "^peti kann
nicht die lautgesetzliche Form sein ; wir erwarten vielmehr pqsti^
das auch tatsächlich im russ. zapjasth (neben dem analogischen
zapjath und zap?mth) vorliegt, jjqti ohne s erklärt sich daraus, daß
das Verbum im aor. mit peti spannen zusammenfiel : i>?(<)5- ; vom
aor. aus wurden dann Mose Formen neugebildet. Im Inf. zapjasth
konnte sich das s nach Fällen wie zehsti halten, anderseits auch
zur Bildung von kljasth für klj'ätb beitragen.
9) ksl. krasbm pulcher, formosus, kraahno adv. ornate, r. krasä
Schönheit, Zierde, Schmuck, russ. (usw.) krämyj schön, rot: ksl.
krqnqti deflectere, krqtiti torquere. Die Zugehörigkeit von krasa
und seiner Sippe zu krenqti zeigt sich in folgenden Bedeutungs-
parallelen: russ. krasith schmücken, zieren — krutä Einfassung,
Verzierung an Heiligenbildern, krutith neben drehen, winden auch
ankleiden, aufputzen, kruSeMöina das Weib, welches die junge
Frau nach der Trauung kämmt und ankleidet ; j!?o^Tasa Verzierung,
Putz, Schmuck, Brautschmuck — pokrutith nevestu die Braut zur
Trauung ausschmücken ; okräsa Schmuck, Ausschmückung — okrüta
Kleidung, Frauenkleid, Kopfputz, okrudäth umwinden, schmücken ;
skrasitb verzieren, ausschmücken, subst. ski^aso — akrutith auf-
putzen, ankleiden usw. Aus diesen Tatsachen soll nicht gefolgert
werden, daß zur Zeit der Bildung der erwähnten Komposita der
Zusammenhang zwischen krasä und krutith noch gefühlt wurde,
wohl aber erhalten wir einen Fingerzeig, wie krasa zu seiner Be-
deutung gelangt ist; die Bedeutungsentwicklung ist also ähnlich
wie in gr. otEcpw umgeben, umschließen, kränzen, zieren, schmücken.
So zeigt auch russ. vSneco : ksl. viti circumvolvere Kranz, Krone,
dann (ksl. Pavlovskij) Ehre, Zierde, wie krasa Übergang von
Ein urslaviscbes Entnasalierungsgesetz. 5
einer ursprünglich konkreten zur abstrakten Bedeutung. Die für
okrüta, skrutith^ krutith angeführte Bedeutung des Kleidens ver-
einigt sich gut mit der des Schmückens, wie eben deutsch
schmücken, mhd. smücken = kleiden, schmücken zeigt. Auch an die
Bedeutungsentwicklung von ^^\.Up^ aptus, decorus, s.-kr.Ze/? [lyep]
schön (»der sich anlegende, anschmiegende« Mikl. E. W. S. 178:
hpUiy c. Inouti usw.) sei hier erinnert. — Anders etymologisiert
krasa Bezzenberger K. Z. 22, 478 : anord. hrös Lob, Kuhm, welche
Erklärung aber den dargelegten Bedeutungsverhältnissen des Russ.
nicht gerecht wird. Dasselbe gilt von der Zusammenstellung mit
ai. krp Bild, lt. corpus. — Aus der Bedeutung schmücken konnte
sich über den Begriff des Schminken s auch leicht der der Röte er-
geben. Dazu ist zu vergleichen : lit. grazylas die Schminke : grazüs
schön. — Wenden wir uns nun der Lautgestalt der Gruppe zu, so
gehört krenqti <^ kr^fnqti zu ai. krnt-änü »sie drehen den Faden,
spinnen«. Die Frage, ob krnt oder krnt anzusetzen sei, ist wegen
des Zusammenfallens dieser Lautkomplexe im slav. für uns irrele-
vant (Näheres hierüber Zupitza, K. Z. 36, 54 ff.); auf jeden Fall
aber haben wir nach dem zu *p'hnh = russ. penh Bemerkten für
krasa von einem *krhnt-sa auszugehen. Da nun in krqnciti ur-
sprünglich die Gruppe ntn nach Vocal vorlag, so kann nach dem
Früheren in krenqti nicht die lautgesetzliche Form erblickt werden;
vielmehr wurde der inlautende Nasal aus Formen wie krqtati ver-
schleppt ; wir würden ein '^krtnqü erwarten. Sollte nicht ein Reflex
dieser Form in ksl. krinica olla, r. krinka irdener Topf, c. okrin
Napf, slov. krnica rundes Holzgefäß, Wasserwirbel (cf. r. krütenh
Wasserwirbel), Kesseltal, s.-kr. Krinßce (Flurname) vorliegen ? Zu
den Bedeutungen des slov. Wortes ist gr. dlvog rundes Gefäß,
Wasserwirbel, zur gem.-sl. Bedeutung rundes Gefäß c. okrouhUk
Milchnapf: kruh zu vergleichen. Gründe gegen die Annahme Mi-
klosichs, daß die Sippe aus lt. scrinium stamme, s. bei Matzenauer,
Cizi sl. S. 52. Wegen des inlautenden i gegenüber h von *krbnqti
vergleiche man klr. zahyn^ mjhyn Bug, ohynafy sa sich sputen
(Mikl. Gramm. 2, 466), r. (Nordr.) vygim Krümmung, ausgebogener
Gegenstand, s.-kr. näginjafi inclinare (a. a. 0. 2, 464) : ksl. g%nqti,
g^h-n-, also y gegenüber <&, ferner ksl. ididb fugax : hd-. '
10) russ. machmUh eilig wohin reisen, smachdtb, smachnüth
schnell hinlaufen, hingehen: ksl. mqti^ mhnq, russ. mjVdb kneten.
6 Norbert JokI,
treten, lit. minü^ minti treten, demnach <^mv-ch-^ rmn-ch-. Zur
Bedeutungsentwicklung ist zu vergleichen mhd. trotten = laufen,
Intensivum zu treten. Das ch- Determinativ hat also die Bedeutung,
die wir für 8- bei russ. gasäth, c. hasati (Nr. 7) kennen gelernt ha-
ben, machati schwingen neben majati ist von dem genannten Ver-
bum zu trennen.
1 1) russ. zapäska Frauenschürze. Das gleichbedeutende zapöm
zeigt deutlich den Zusammenhang mit peU spannen. Hierher ge-
hören ferner: russ. naötpah aufgeknöpft gegenüber c. odepnouti
aufknöpfen, russ. otpächh das Zurückschlagen; russ. naraspäiku
auf-, losgeknöpft, raspäika Aufschlagen der Kleider — cech. roze-
pwoM?!« aufknöpfen; russ. zapachnüth^ zapäcJiivath einen Schoß des
Kockes über den andern legen — c. zapnouti zuknöpfen, zuheften
(Pedersen, K. Z. 38, 345 bringt das genannte russ. Wort mit pa-
chäth pflügen in Zusammenhang, was begrifflich fern liegt) ; russ.
3a/)a5* der Einschlag usw. in zahlreichen andern Zusammensetzun-
gen, ferner das gem.-slav. pasmo Gebinde Garn, poln. auch Kette,
Reihe. Der Begriff des Bindens tritt auch in pqto hervor. Bisher
verband man pasmo mit deutsch Faser ^ ahd. faso.
1 2) russ. suräzina gute Ordnung, guter Fortgang, suräznyj an-
sehnlich, stattlich: ksl. rech <^rtid- (Pedersen, K. Z. 33, 53 und
K. Z. 38, 310); russ. suräzica der mit einem andern ein Paar aus-
machende Gegenstand (eigentlich der Gegenstand, der einem an-
dern »koordiniert«, ihm »zugeordnet« ist), ferner russ. rachoväthsja
übereinkommen, in den Bedingungen einig werden, cf. russ. rj'äda
Abmachung, Vertrag, srjäda (Novgorod) Abmachung, Übereinkunft,
zared^ (Miklos., Lex. Palaeosl.) pactum.
13) YM'^^. prazgä (veraltet. Nordrußland, Sreznevskij , Materialy,
s.v.) Pacht, Arreude: ksl. /»re^a intendere,iungere, sqprqg^ m^vim,
s.-kr. preg?iuti, demnach <Cprng-zga, prbtig-zga. Das Bild des Bin-
dens, Aneinanderfügens kehrt in Bezeichnungen vertragsmäßiger
Eechtsgeschäfte oft wieder, z.B. lat. obligatio, contractus, pactum^).
ij Das in Olonect übliche brozgd kann gegenüber den Zeugnissen des
aruss. und des heutigen Dialekts von Archangelsk für die Etymologie nicht
in Betracht kommen. Wegen des inlautenden o cf. Sobolevskij Opytx russk.
dial. S.32. Das anlautende b beruht wohl auf Anlehnung an hrdtb (cf. imacka
Pächterin).
Ein urslavisches Entnasalierungsgesetz. 7
14) russ. rachäth, racJmütb schleudern, werfen: ksl. vrMti
vrhgq, ai. vr;j\ vrnakti^ deutsch werfen (Kluge, E. W.^, S. 421,
Uhlenbeck, Got.W.,S.162) <^vrng-^ vrhng-s-nqti. Das inlautende a
des russ. Verbums weist also auf Nasalinfix auch im slav.; die Er-
setzung des Nasalinfixes durch das Nasalsuffix (c. vrhnouti, s.-kr.
vrgnuti^ russ. vergnüth) stimmt zu den in historische Zeit fallenden
Veränderungen: cf. ksl. sedq, Iqgq: c. sednu^ lehnu. Das anlautende
r von rachäih erklärt sich aus ursprünglichem vr nach Liden's Ge-
setz (Göteb. hogsk. Ärsskr. 5/4), wonach anlautendes vr im slav.
nicht geduldet wird. Hierher gehört auch slov. rahel locker, klr.
radial laxus, solutus, rahel verhält sich also zu r. racJmütb wie
r. rMc/<%' locker, mürbe: ruchniith umwerfen, umstürzen.
15) russ. Ä^ras^!) Schrecken: ksl. tresq, demnach Präpos. s + ^ms-
th^ trhns-ib, wie ja die Abstracta auf -ti- meistens Verbalbilduugen
sind und am häufigsten die Tiefstufe aufweisen. — Ebenso erklärt
sich ksl. usw. strac/n tremor, timor: russ. trj'achnüth = trjasii,
poln. natrzqchac (Kariowicz, Slownik gwar polsk. 3, 272). Daß sich
in den Denkmälern nur die Schreibung strachz und nicht etwa si-
traclvb findet, wird dieser Deutung wohl kaum entgegengehalten
werden dürfen. Hat ja doch auch das Ostromirsche Evangelium des
öfteren stvoriti, was nach dem von Leskien (J. A, 27, 13) zu der
analogen sehr häufigen Schreibung der Sav. kn. Bemerkten dahin
zu erklären ist, daß die Bedeutung des s^ hier völlig verblaßt war.
Nicht anders lag aber die Sache bei straclvh. Hiezu kommt noch,
daß durch den Lautwandel das Gefühl des Zusammenhanges mit
dem zugehörigen Verbum notwendig beeinträchtigt wurde, während
bei s^treßü neben trqsti die traditionelle Orthographie sich leichter
geltend machen konnte (cf. auch Jagic, J. A. 2, 221). Nebenbei sei
hier an strava Totenmahl (Jordanes, c. 49) erinnert, das bereits
äafairik. Über die Abkunft der Slaven S. 131 in die Präp. s ■\- traviti
zerlegt, demnach mit c. usw. strava Nahrung, Kost identifiziert
hatte. Cf. poln. potrawa^ c. otrava. Sollte dies auf so frühen
Schwund des ^ in dieser Stellung und Lautgruppe weisen ? Hin-
gegen ist noch bei Constant. Porphyrogen. NsoGov^rr} = 7ies7tpi
(also h in anderer Stellung und Lautgruppe) überliefert. — Anders
urteilt über strasth, sfrach^ Pedersen, L F. 5, 49 (lt. sträges).
16) Mehrere zujrfi gehörige Wörter:
a) ksl. najaznh praeceptum; zur Bedeutuugsentwickluug ist
8 Norbert Jokl,
das eben genanüte lt. Wort zu vergleichen, /ist hiattilgend wie in
ksl. nezajajn^ russ. vnezapno plötzlich : lt. opinor.
b) russ. (veraltet) bazlö Kehle, Schlund, Rachen: h.jicen Kehle,
Schlund, ßcmj gefräßig, poln. jqcy und jecy (S^ownik JQZ. polsk.
pod red. Kari^owicza II, 170), bei Liude hmx Jecy angenehm zu
essen, ohjecy vorax, daneben in gleicher Bedeutung ii\)(Aw. jency ,
dial.yecy (a. a. 0. 151). Das anlautende h von hazlö ist zu be-
urteilen wie russ. huhenind gebackener Schinken, c. (dial.) houzene
maso = uzene maso, c. hahniti se lammen (weitere Beispiele, Gebauer,
Hist. mluv. I, 424), ksl. hrqUa^ slov. harati^ slovak. hyskafi (Mali-
nowski, Prace fil. 3, 757), sämtlich aus der Präp. oh -\- Verbum.
Was endlich das Suffix in bazlö anbelangt, so stellt sich bazlö neben
najaznh mit ;^:;^-Suffix zu j'eti wie russ. kuzlö Schmiedearbeit neben
ksl., r. kuznh zu c. kuti^ p. kuc schmieden.
c) ksl. jazh stomachus, canalis, russ. Jaz^ (daneben iz^^ ezh)
Fischzaun, Fischwehr (quer durch den Fuß gezogen, um Fische zu
fangen), s.-kr. jäz Ableitkanal neben dem Wehr, slov. j'ez Damm,
big. j'az, c.j'ez Wehr, p. j'az, bei Linde auch j'es. Pedersen, K. Z.
38, 312 stellt jazh ebenso wiejazva foramen, vulnus wohl mit Recht
zu lit. aiztjfi aushöhlen, gibt jedoch die Möglichkeit der Vermischung
mit einer andern Sippe zu: lit. eie Feldrain; so auch schon Fortu-
natov J. A. 11, 101 und Bezzenberger, B.B. 23, 298, die auch noch
lett. efcha Rain, pr. asy heranziehen. Näher als diese baltische
Sippe, die sich mit sl. jaz in der Bedeutung keineswegs deckt, liegt
c.ßmka Fanggrube, Notdamm, Bedeutungen, die sich zu sämt-
lichen angeführten: Wehr, Damm, Kanal recht wohl fügen. Über
den Anlaut des aböhm. j'ez s. Gebauer, Hist. mluv. I, 96. Pol. jes
zeigt einen nach y(?c wiederhergestellten Nasal, läßt demnach er-
kennen, daß auch später noch unser Substantiv mit dem genannten
Verbum assoziiert wurde.
17) russ. ulaznyj in ulaznyj medh) Jungfernhonig, Glashonig,
der weiß und klar von selber aus den Waben fließt: ksl. ulij alveus,
russ. uUj Bienenstock usw. Die »nasalis sonans«, als deren Reflex
wir das a ansprechen, zeigt sich noch in pr. aulinis Stiefelschaft.
18) ksl. draziti irritare usw. siehe weiter unten.
Prüft man nun die Fälle, in denen e + s, z, ch vorliegt, so er-
geben sich mehrere Gruppen:
Ein urslavisches Entnasaliernngsgesetz. '9
I. ■^est^, densns : Ht. kimszfas, kemszü; jezykt lingua: lit.
lezüvisj pr. insuwis. vezati ligare: gr. lyyvg (Walde, K. Z. 31,
518 vqzati idg. wig)^ p. wiqz^ russ. vjaz^^ c. vaz Ulme: alb. vid, lit.
mnkszna^ demuach (/ (Pedersen, K.Z.36,335, Mikkola, B.B. 22,247),
p. klqsnqc^ c. klesati hinsinken: lit. klemsziöti ungeschickt gehen
(Mikl., E. W. S. 1 1 8). Während wir es also in den obigen Fällen
mit einem ursprünglichen 5, ;:; zu tun hatten, liegt in allen diesen
Beispielen deutlich ein palataler Guttural vor. Diese Tatsache läßt
darauf schließen, daß auch in nejesijtrb vultur, pelecanus, das zu
syU gestellt wird, ein gutturales h enthalten ist, ein weiterer Beleg
für den verschiedenen Ursprung von syt-o und deutsch «a^f«^, \\X. &otüs\
auch bisher wurden diese Wörter, wenn auch nicht allgemein, we-
gen des inlautenden Vokals auseinander gehalten, so Kluge, Et.
Wörterb.6, S.328, Vondrak, ksl. Gramm. S.55 (gr. iyy.vf.uov). An-
ders allerdings Geitler, Listy fil. 2, 272.
IL In andern Fällen entstand z erst auf slav. Boden (Baudouin
de Courtenay, I. F. 4, 45 ff.) : fezati obtrectare, rixari neben f^gafi
rixari, dosezati assequi neben dosesti, dosqgq ; Jeza morbus : lit.
engiu etwas mühsam tun, nuenkti abquälen. Hierher gehören auch
die Lehnwörter aus dem germ. wie kladezh, Jcbnqzt^ pänqzh^ sklf^zh.
III. In einer weitern Gruppe von Fällen ist q vor s, z, ch = ew.
Hierher gehören: ksl.meso, mezdro: gotmimz, Xsd.membrum'., trqsq:
lt. tremere^ ai. trasati. In diesem Verbum sind also 2 Stämme zu-
sammen geflossen (Persson, Wurzelerweiterung S. 153). 1Lq\. ple-
sati saltare: e zeigt noch pleskati plaudere, saltare. (Zupitza, K. Z.
36, 55 <Cplents: Ttlarayr] das Klatschen. xVnders G. Meyer, B. B.
14, 55, der das s des sl. Wortes auf palatales k zurückführt.) Ksl.
istqsknqti emacerari, isteskh emaceratus <^isfqg~sk-nqti, wozu
istqskh part. prät. IL ist. Der ursprüngliche Verbalstamm tritt noch
deutlich hervor in russ. istjaznöj ausgedehnt, langgestreckt, mager,
c. vytazek., vyfazetiec aufgeschossener Mensch, somit zu tegati. Das
dazu im Ablautverhältnis stehende tqga, p. tqga., c. touJui macht e
in istqsknqti ebenso wahrscheinlich wie russ. toskä <i tng-ska (Pe-
dersen, K. Z. 38, 395, Mikkola, B.B. 22, 254). Über den verschie-
denen Ursprung dieser Sippe und der oben (Nr. 5) behandelten:
Zupitza, BB. 25, 89. Ksl. rqsa inlus, s.-cr. 7'esa Kätzchen am
Baume, Lappen, Fetzen, dann Zäpfchen, Fransen; slov. resa Spitze
der Ähre, c. rasa Augenwimper, Falte am Kleide, HasclnußblUte,
10 Norbert Jokl,
Meergras, Seegras, p. rzqsa Augenwimper, Zirbel der Haselnuß.
Aus dem Slav. entlehnt sind alb. retskt Lappen, Fetzen, ngr. ^ivraa.
Daß wir es liier mit oi zu tun haben, zeigt deutlich russ. remhe,
remöh) Fetzen, Lap])en, romönhe Lappen, Lumpen, uröma Haufen,
Menge, Masse, Floßholz. Wurzelverwandt mit allen genannten
Wörtern und nur um das »Determinativ« hh erweitert ist rqhiti se-
care, rqh^ paunus, wie denn auch russ. rühiUe grobe Kleidung,
Lumpen, Fetzen mit rembe in der Bedeutung übereinstimmt. Man
vergleiche weiter russ. rjäsina Kniittel, Prügel <irem-s- mit ksl.
rqbh massula, klr. rubel j Stange, russ. rjasnuth einen derben
Schlag versetzen mit rubith fällen, hauen, dreinschlagen. Eine
Wurzel rem- ohne das genannte Determinativ zeigt auch das ger-
manische in deutsch lland^ ags. rima^ reoma. — Hierher gehört
ferner russ. rjäsa Schnur, Reihe. Zur Entwicklung der Bedeutung
Schnur aus dem Begriff des Hauens, Schiagens, Schneidens ist zu
vergleichen It.ßmbria, der an einem Gewebe gelassene Ketten-
faden, Faden, Troddel: j^w(/o, fernei' ßbra (Waide, Lat.Et.Wörterb.
S. 224, 221). Auch russ. rubäska zeigt im provinziellen Gebrauche
(am Kaspischen Meere) eine ähnliche Bedeutungsentwicklung:
Hauptleine und Schnur der Zugangel. Cf. auch russ. biöevka
Schnur, Bindfaden. Bei rjäsa konnte dann allerdings leicht Ver-
knüpfung mit rJad^ eintreten (r. nerjächa unsauberer Mensch : rj'ado^
c. nerest Unrat = neräd eind Analogiebildungen). Zu resa gehört
ferner s.-kr. ures fin Ragusa) der Schmuck. Bei der Erklärung
der Bedeutung hat man von der Bedeutung Franse auszugehen,
wie das mit ures gleichbedeutende näkit: Jcita Strauß, Buseben,
Quaste zeigt. Ähnlich erklärt sich russ. 7'jäs7io Geschmeide,
Halsschmuck, Halsband. Daß endlich auch russ. rjäsnyj dicht, in
dickten, vollen Trauben hängend hierher und nicht etwa zu rjado
gehört, zeigt die poln. Entsprechung rzesisty zahlreich, häufig,
dicht, deren Zugehörigkeit zu rzesa Augenwimper wohl keinem
Zweifel unterliegt.
lecJvb nach Ausweis von russ. Ij'achi, lit. lenkas wird sohin
gleichfalls als lend-cln aufzufassen sein.
In russ. drjazg^ 1) Auskehricht, Schutt, Schmutz, Fegsei,
2) Reisholz, 3) leeres Geschwätz, Geklatsch, Gezänk sind 2 Worte
zusammengeflossen, deren Scheidung wegen der vielfach in ein-
ander fließenden Bedeutungen nicht leicht ist. drjazg^ Reisholz
Ein urslavisches Entnasalierungsgesetz. 11
steht im Ablautverhältnis zu dem gleichbedeutenden dmzgh, was
also ursprünglich e?i wahrscheinlich macht und gehört zu drjagäth
zucken, zappeln; zur Bedeutungsentwicklung ist zu vergleichen
deutsch Reis: got. hrisjan beben, zittern (ähnlich ksl. 'oMth ramus:
cech. mti^ väti wehen, fächern). Aus dem Ksl. gehört hierher drezga
silva, aus dem apoln. drzazdiu (gen. sing, eines kollekt. Neutrums)
Reisig (Brückner, J. A. 11, 126; cf. auch Stownik j^z. polsk. p. red.
Karlowiczal, 570 sub drzqzdz). Eine semasiologische Parallele zur
Bedeutung des ksl. drqzga gegenüber der Bedeutung des russ. und
poln. Wortes bietet russ. golja Zweig, golie Reisig, c. hül Stock :
o.-l.-s. hoTa Wald. — Auch die Bedeutung Schutt vereinigt sich
gut mit der Bedeutung der raschen Bewegung, die für den zugrunde
liegenden Verbalstamm slav. dreng- anzunehmen ist. Vgl. deutsch
Schutt: ahd. scuten^ sciitten schütteln, schwingen. Zu derselben
Sippe gehören : russ. vdrug^ plötzlich (zur Bedeutung ist das oben
erwähnte napräsno und nahegorm zu vergleichen, ferner mähr.,
slovak. ü(5e7 jetzt, eigentlich augenblicklich zu büij regsam), ferner
ksl. drqg^ tignum, c. drouh^ drouk Hebebaum, Hebestange, Schlag-
baum, Klotz, russ. druJc^ Stange, Hebel, Heubaum, poln. drqg
Stange, Hebebaum, Klotz. Wir sehen also hier einen Wechsel von
g und k (die Bedeutungsentwicklung ist ähnlich der von c. Jmt).
Weiter russ. drjägva Morast (zur Bedeutung ist das gleichbedeu-
tende trjasina^ das zu trj'asti gehört, zu vergleichen), russ. drjagä
Krampf (eigentlich »das Zucken«), russ. (prov.) drj'anisöa Fieber
(cf. trjasüdka kaltes Fieber). Zu dem erwähnten drqk- stellt sich
a) ksl. drqditi vexare, affligere, lacessere, p. drqczyc quälen, peini-
gen, plagen, russ. drudith. Die Bedeutungsentwicklung ist dieselbe
wie in lt. vexare^ eigentlich stark bewegen, schütteln, erschüttern,
dann quälen usw. b) drqdenije fastidium. Die Bedeutuugsentwick-
lung von rascher Bewegung über »Furcht«, «Schrecken« zu »Ab-
scheu«, also wie in dem eben genannten deutschen Wort. Zu dieser
Sippe gehören auch die öfter behandelten Wörter : drqs[e)h moro-
sus, drqs^k^ tristis, drechh morosus, tristis, languidus, russ. drjäcldyj
hinfällig, altersschwach, gebrechlich, klr. drjachlyj zitternd. Be-
sonders deutlich zeigt sich die Grundbedeutung in der zuletzt ge-
nannten klr. Die o-Stufe zeigt aruss. druchh. Die ursprüngliche
Bedeutung von drqs(e)h schimmert in slov. dreseliti (Miklos.) irri-
tare hindurch, wo wir also dieselbe Bedeutungsentwicklung wie in
12 Norbert Jokl,
dem oben erwähnten drqMti vexare, lacessere sehen. Über dr^seh,
drechh hat zuletzt Pedersen, I. F. 5. 56, 57 gehandelt. Er stellt
die Wörter zu gr. ■S'Qaavg kühn. Dabei bleibt aber die lautliche
Schwierigkeit, daß das s der Gruppe nsl einmal sein s behält, das
andremal in ch übergehen läßt. Auch morphologisch ist drqseh,
drqchh neben drqs^kb bei Pedersens Erklärung nicht durchsichtig.
In der Tat sind dreß{e)h^ drqchh eigentlich participia praet. IL Der
verbale Charakter von drqcJih (adjektivisch gebraucht wie ksl.
smU^ audax : smSti andere, russ. unylyj verzagt, traurig) geht deut-
lich aus ksl. drechnovemje tristitia, ferner aus russ. drjächnuth hin-
fällig werden, vor Alter schwach werden, apoln. (Sophienbibel)
sdr^chn^cz [zdrecJm^c] verschmachten (Ogonowski, J. A. 4, 374)
hervor. Für drqsh werden wir von einem drqshiqti <C dre7ig-sk-nqti
auszugehen haben. Die Bildung dieses Verbums gegenüber russ.
drjagäth zucken entspricht genau dem bereits erwähnten istqshiqti
<C isteng-sk-nqti gegenüber tqgati. In drqsh also erhielt sich das s
wegen des nachfolgenden ^, welches k in drqski noch erhalten ist.
drqsh% ist ein mit *-suff. neben dem Verbalstamm stehendes Adjektiv
wie pleskb strepitus neben pleskati steht (ein formantischer Unter-
schied zwischen Adjektiv und Substantiv ist den idg. Sprachen
fremd), wie russ. läsyj schmeichlerisch: läsith^ p. lasy^ p. slizki
schlüpfrig: slizkac. Demnach wäre dresk^ und nicht drqs^k^ zu
schreiben. Die Schreibung ohne das erste ^ findet sich auch tat-
sächlich in Handschriften. • — Das ch von drqchh aber kann recht
wohl dadurch erklärt werden, daß wir ein *dreng-s-nqti zugrunde
legen. Das eine der beiden Verba zeigt also s^-Suffix, das andere
s-Suffix, was auch sonst bei Verben derselben Wurzel vorkommt.
Man vergleiche plesati, pleskati, <Cplent-s-, plet-sk-.
Auf Grund der bei drqHti, slov. dreseliti beobachteten Bedeu-
tungsentwicklungen wäre man versucht, auch ksl. drazditi in raz-
drazditi und draziti, c. drazditi und dräziti (Gebauer, Hist. mluv.
I, 400, 409), russ. draznith^ p. draznic^ slov. drasöiti und drastiti
zu derselben Wurzel zu stellen, wobei dann ein Ablautsverhältnis
anzunehmen, d. h. das a wie in den oben besprochenen Fällen zu
erklären wäre. Demnach: drng-, drhng- + verschiedenen s-Suf-
fixen (s-, zd-, -zn-^ -zt-) drazditi: slov. drasöiti = russ. dozdh: p.
deszcz. (Die Verba sind Denominative.) Eine Stütze findet diese
Ansicht in der Bedeutung, die russ. draznith nebst der schon an-
Ein urslavisches Entnasalierungsgesetz. 13
geführten hat : draznenie kupferstejna das Durchrühren des Kupfer-
steines, draznith mSdh das Kupfer einrühren. Hier zeigt sich noch
die ursprüngliche Bedeutung in (rasche) Bewegung setzen, wie denn
auch deutsch rühren^ ahd. ruoren in Bewegung setzen bedeutet.
Die Entwicklung der faktitiven Bedeutung von draznith gegenüber
der intransit. von drjagäth wie in hlaznith verführen: hleßti.
Nasallose Formen der allen bisher genannten Wörtern zu-
grunde liegenden Wurzel dreng (mit slav. d] sind dargestellt durch
russ. drogä Schwung: Lang-, Lenk-, Wagenbaum, Verbindungs-
stange der Vorder- und Hinterachse am Wagen, russ. drögnuth zit-
tern, beben; c. drhati beben und drkati sebou zucken; s.-kr. drkat
das Zittern, der Schauder. Somit kehrt auch hier der Wechsel von
g und k wieder, der bei den Formen mit Nasal beobachtet werden
konnte (s.-kr. drhat zeigt eine etwas abweichende Bildung, cf.
kroat. splahnuti :\&\. 2>lciknqti Geitler, ßad, 41, 181), lit. drugys
das Fieber; zur Bedeutung ist das oben angeführte r. drjanisca zu
vergleichen. In russ. drygäfh fand Übergang in die w-Reihe statt
wie bei russ. prygath •.prqg-.
Aus dem Germ, ist hierher zu stellen norw.-dän. dreng Stock,
Stütze, anord. (/re/i^r dicker Stamm, Stock (Johannson, K.Z. 36, 374),
aus dem Gr. rad-oQvaao), ravd^aqv^o)' hes. oeLo) (Meillet, M. S. L.
10, 279: l'element radical; dh + voyelle + r-). Dies beweist aber
für alle genannten mit d anlautenden slav. Wörter idg. dh als An-
laut. Wir haben somit für das Slav. von einer Basis dhrengh,
dhrenk, dhrgJi, dhrk auszugehen.
Hingegen gehört russ. drjazg% in der Bedeutung: leeres Ge-
schwätz, Klatscherei, Gezänk zu ksl. dhrati, derq reißen, schinden,
schlagen. Dies beweist die Parallele drjazgä zänkisches Wesen
neben dem gleichbedeutenden dradlivosth. Hierher auch drjazgä
schlagendes Wetter neben drjäpnja : drjäpath reißen, kratzen. Da
aber dhrati nach Ausweis von gr. öiqto idg. d im Anlaute hat, so
ist diese Sippe schon darum von der oben behandelten gänzlich
verschieden. Dazu kommt aber noch eine Verschiedenheit des In-
lauts. Denn das ja ist in russ. drjazg^ Gezänk, drjazgä schlagen-
des Wetter eben so wenig Reflex von q wie in dem ganz gleich ge-
bildeten russ. hrjäzgi leeres Geschwätz, Geklatsch, Zänkerei: ksl.
hrati^ borjq^ russ. boröth^ horjü kämpfen, streiten, welches Subst.
auch in der Bedeutung mit drjazgä tibereinstimmt. Der Bildung nach
14 Norbert Jokl,
ist nämlich drjaz(J^ Gezänk mit poln. droliazg Kleinigkeit (cf. russ.
drohjäzniki, Kurz-, Detailware, klr. ^n^/acio/t) zu vergleichen, drjazg^
steht neben dräka wie poln. drohiazg neben c. drobka. Allerdings
sieht Sobolevskij, Lekcii'', S. 71 in p. drohiazg altes S. Dagegen
vergleiche man aber die dazu angeführten russ. Wörter. Ob auch p.
drzazga Kienspan, Splitter, c. drizha Span hierher gehören, wofür
p. dranica Dachspan, Legschindel, c. dradka Leuchtspan, r. dra-
no^6epina Kienspan sprächen, oder mit Miklosich, E. W. sub tresk 1
als Doubletten von trzaska, triska mit tönend gewordenen Konso-
nanten anzusprechen sind, läßt sich wohl kaum mit Sicherheit
bestimmen. Wieder anders über drzazga Nehring, L F. 4, 399,
Anm. 3.
Ferner gehört hierher das von Miklosich, Lex. pal.-sl. und von
Amphilochius, Slovart izi. pandekta Autiocha auf Grund der russ.
Handschriften mit q geschriebene drqzgnqti vorare. Die Hand-
schriften, denen Miklosich und Amphilochius das Wort entnehmen,
verwechseln e und y«. Das Verb gehört zu drjazg-^ mittelbar also
zu drath. Die Bedeutungsentwicklung ist ähnlich wie in deutsch
zehren^ das eigentlich mit zerren identisch ist, in russ. lupith schä-
len, hauen, gierig essen, gr. daiio zerteilen, zerlegen, zerfleischen,
verzehren.
q vor s zeigen ferner ksl. chrqstzkz cartilago, chrestavbch, russ.
c^lrjas6^ Knorpel, chrjasto Knistern, Knacken, c. chrast Gerassel,
Geklirr usw. Den ursprünglichen e-Vokal zeigt deutlich lit. kremsle
Knorpel (Miklosich, E. W. S. 90, Pedersen, K. Z. 38, 394). Die
o-Stufe zeigen russ. chrusU Geknister, Knorpel, Reisig, c. chrust
Knorpel, Eeisig. grqznqti erklärt Zupitza, K. Z. 37, 398 wegen p.
grqdzidio Gesenke am Grundgarn und lit. grimstü^ praet. grimzdaü,
welches auf ein ursprüngliches praes. *gremdu weht, aus gremd-z-.
Eine ältere Ansicht (Prellwitz, E.Wi. 54, Petr, B.B.21, 215) knüpfte
an gr. ßqexo} an, sah also in sl. z palat. gh.
hrezdati, hrqznqti sonare vergleicht Nehring, L F. 4, 400 mit
lit. hrizgeti brummen, blöken, murren unter Annahme eines Wech-
sels von hrezd^ hrezg. Doch könnten auch lt. fremere, gr. ßgif-uo,
ahd. hreman herangezogen werden, p. brzmiec, das Bezzenberger,
B. B. 27, 183 zu den genannten Verben stellt, ist zu beurteilen wie
p. grzmiec (Miklosich, Gramm. 1, 522: Gruppe tret). t;f/-Deternii-
nativ wie mjazditi: Wurzel /a in 2^k^\. pr^jamh (Miklosich, E. W.
Ein urslavisches Entnasalierungsgesetz. 15
S. 99), ferner in russ. gromozdith aufschichten: s.-kr. gromoran
(Miklosich, Gramm. 2, 206). Eine andere Bildung ist hrekati\ mit
Ä-Suffix wie russ. zvjäkath klirren, klappern : zveneth klingen, klir-
ren. Da nun das Zeugnis der verwandten Sprachen auf e in dieser
Sippe hindeutet, p. hrzmiec hingegen brhm- voraussetzt, da weiter
aus Irhnzd- nach dem obigen hrazd- entstünde, so ergibt sich die
Schlußfolgerung, daß brezdati auf Wahrung des ursprünglichen
e-Vokals zur Zeit der oben besprochenen Entnasalierungsvorgänge
weist, ^.-kv. jezgra der Kern gehört zu aksl. /(^c/ro, welches Wort
nach Ausweis von ai. andam en enthält.
Nach all diesen Beobachtungen wird es wohl auch berechtigt
erscheinen, in pestb^ dessen e man bisher allgemein wegen lit. kicmste
als Reflex von Nasalis son. auffaßte, eyi anzusetzen. Das Wort
stimmt demnach in der Vokalstufe zu ai. panktis, das auf *penktis
oder penkstis zurückgehen kann (Saussure, M. S. L. 7, 93).
In eine Kategorie gehören ksl. d(^stb pars, prqslica fusus, s.-kr.
preslica (daneben auch prsljhi und presljen)^ russ. prjädica^ c. pre-
slice usw., ferner ksl. predo gradus, russ. prjäslo Teil eines Zaunes
zwischen zwei Pfosten, Pflasterquadrat, Spiudelwirtel, Stangen-
gerüst, Stockwerk, c. präslo Strecke, Gebiet, s.-kr. p>reslo Tal zwi-
schen zwei Bergen. (Im Akzente stimmen also die sl. Wörter unter-
einander nicht überein.) In allen diesen Fällen ist das s in der
Gruppe dt entstanden. Während nun Miklosich, E.W., S. 32 6esth auf
*^-ewc?-/«zurückführte(ähnlichFortunatov,J.A. 11,573) stellt gegen-
wärtig Baudouin de Courtenay, Prace fil. 3, 471, Solmsen, K. Z.
34, 547 und mit ihm Pedersen, Materyaiy i prace kom. j^z. I, 167
das Wort zu lit. kandü beißen, ksl. kqs^^ indem sie «? als Reflex von
Nasalis sonans fassen. Da nun auch preslo, preslica, die zu pri^dq
gehören, Nasalis sonans enthalten können, so könnte man zu der
Ansicht gelangen, daß die Behandlung der Nasalis sonans im Slav.
vor dem aus dentalem Verschlußlaut entstandenen s anders war als
die der Nasalis son. vor idg. s. Doch sind die genannten Fälle
keineswegs eindeutig. Denn dqsti kann tatsächlich auch e enthal-
ten: gr. a-/.sdc(pvvi.u; ebenso kann /»r^s/ec« in der Vokalstufe mit lit.
sprendziu übereinstimmen. Wegen c. nerest cf. S. 10.
Endlich seien noch die Aoriste wie pqs^^ mqsh, Jqsh hervor-
gehoben. Nach Ausweis von ksl. vh^^ lt. vexi, ai. a-väks-am haben
wir hier ein e anzusetzen, en auch in c. däsen, p. dziitslo Zahn-
16 Norbert JokI,
fleisch, Lange Voc. S. 55). Das q der Infinitive wie prqsti, trqsti,
in denen Lesl^ien, J.A. 5, 520, 527 Tiefstufe erblickt, ließe sich
leicht durch Systemzwang erklären. Doch vermutet Zupitza,
K. Z. 36, 69 im c^ Yon prqsti wegen des Akzents \^.-k.Y. presti-.pre-
dem e-Stufe.
Überblickt man das vorgeftihrte Material, so bleiben für die
oben besprochenen Beispiele eines Wechsels zwischen q und a nur
solche Fülle übrig, wo idg. «Nasalis sonans«, sl. hn zugrunde liegt
und slav. s, z einem idg. s, z entspricht.
Das Lautgesetz ist demnach zu formulieren:
Idg. t}, bezw. sl. 'b7i ging vor sl. 5, z, insofern diese
Laute idg. s, z entsprechen, ferner vor ch in a über.
Fragt man nun nach der Ratio dieses Lautwandels, so ist vor
allem hervorzuheben, daß er ein doppelt bedingter ist; denn weder
geht jedes sl. hn in a über, noch wird jeder Nasal vor 5, z, ch ent-
nasaliert. Pie Beseitigung des Nasals vor Spiranten, wie es die in
Rede stehenden sind, ist eine auch andern Sprachen wohlbekannte
Erscheinung. Man denke an Schweiz, gas = hochd. Gans, triche =
hochd. trinketi, an das altsächs., altfries., altnord. (Brugmann,
Grdr. I^, 807), das lt. und rom., das gr. Wenn nun der in der slav.
Vertretung der Nasalis son. enthaltene Vokal einerseits a ergab,
anderseits den nasalen Klang verlor, während dies bei ursprüng-
lichem e nicht der Fall war, so schließen wir daraus, daß der
im Reflex der Nasalis son. enthaltene Vokal eine velarere Aus-
sprache hatte als das ursprüngliche e. Dies stimmt gut zu der
in französischen Dialekten zu beobachtenden Erscheinung, daß ve-
lare Vokale der Entnasalierung viel leichter unterliegen als pala-
tale (Meyer-Lübke, Gramm, d. Rom. Spr. 1, 31ü), stimmt ferner
auch zu der physiologischen Natur solcher velaren Vokale. Czermak
zeigte nämlich (Sitzungsber. d. Wiener Ak., matb.-nat. KL, 24, 4 — 9,
28, 575 — 578), daß, wiewohl bei nicht nasaliert gesprochenen Vo-
kalen das Gaumensegel anliegt, die Höhe seines Standes und die
Dichtigkeit seines Verschlusses doch für die einzelnen Vokale ver-
schieden ist. Am höchsten steht das Velum und am dichtesten
schließt es bei e, weniger bei u, noch weniger bei o, e, am wenig-
sten dicht ist der Verschluß und am tiefsten steht das Velum bei a.
Praktisch gesprochen: Das a nähert sich seiner Natur nach am
meisten den nasalen Vokalen. (Dies zeigt sieh auch darin, daß
Ein urslaviBches Entnasalierungsgesetz. 17
näselnde Aussprache infolge habituellermaßen niclit absolut luft-
dichten Verschlusses des Gaumensegels am leichtesten bei a ein-
tritt.) Ist nun, wie dies vor Spiranten begreiflich ist, die Nasalie-
rung schwach, so konnte der in Rede stehende velare Vokal sehr
leicht mit a zusammenfallen, eben weil a einem solchen schwach
nasalierten velaren Vokal phonetisch nahe steht. So begreift man
also, daß gerade die beiden genannten Bedingungen zusammen zu
dem im obigen Gesetz ausgesprochenen Ergebnis führten.
Endlich wäre noch die Frage zu beantworten, warum ursprüng-
liches a -\- Nasal nicht analog behandelt wurde, sondern q ergab,
zumal ja, wie Kretschmer, J.A. 27,228 dargetan hat, auch für slav.
0 von a auszugehen ist. Dieser Einwand erledigt sich dahin, daß
offenbar a in der Stellung vor Nasal frühzeitig anders behandelt
wurde als in sonstiger Stellung, eine weitere Parallele zwischen
Slav. und Lett., welche Sprache entsprechend slav. o, a a, ä, für
a« aber 'u hat (Bielenstein I, 139).
Wien. Norbert Jokl.
Einige Streitfragen.'
7. Klassifikation des slavischen Verbums.
Es ist kein Zufall, sondern ein in Verhältnissen begründeter Kau-
salnexus, daß der Begründer der wissenschaftlichen Grammatik bei den
Slaven — Dobrovsky — ein geschulter Orientalist war, wenigstens
soweit für das wissenschaftliche Bibelstudium die Kenntnis des Hebräi-
schen und Syrischen schon im XVIII. Jahrhundert als unentbehrlich galt.
Will man wissen, worin sich seine Einsicht in den Organismus der
orientalischen Sprachen auf dem Gebiet der slav, Grammatik kund gab.
so braucht man nur das große Werk »Institntiones linguae Slavicae«
nachzuschlagen. Nach den vorausgeschickten orthographischen Bemer-
kungen folgt als erster Teil der Grammatik »de vocum formatione«
S. 79 — 458, ein ganz neuer Bestandteil der grammatischen Disziplin,
*) Vergl. Archiv XXIII, 113 ff.
Archiv für slavischo Philologie. XXVni. 2
18 V. Jagic,
der früher, so lange man sich auf Orthographie, Deklination, Konjuga-
tion, unflektierte Redeteile und Syntax beschränkte, ganz unbekannt war.
Nicht weniger als 178 Seiten dieser Lehre von »de vocum formatione«
sind den »Hyllabae radicales« gewidmet, die er in verschiedene Klassen
einteilt: I. Wurzeln aus reinen Vokalen oder aus Konsonant und Vokal.
IL Wurzeln aus zwei Konsonanten, in der Mitte Vokal, oder aus Vokal
und Konsonant. IIL Wurzeln aus drei und mehreren Konsonanten. Die
Konsonanten spielen, wie man sieht, die Hauptrolle, die Vokale sind
etwas Nebensächliches. Nach Konsonanten werden weiter die einzelnen
Wurzelklassen gruppiert, wobei schon wieder die Vokale wenig in Be-
tracht kommen. Darin spiegelt sich deutlich der orientalische Einfluß
auf die slav. Grammatik ab. Diese »orientalische« Vernachlässigung der
Vokale ließ natürlich die Bedeutung des Vokalismus nicht aufkommen.
Dobrovsky schreibt nicht nur ohne Vokale niis, mhs, aciis, miv (8. 83),
MKHs-Mye (S. 89), bei den Pronominalformen ma, mh, moh (S. S9) genügte
ihm das einfache m, ebenso ax bei äxh« (S. 94), kb bei ateaTH (S. 95) .
MK, TK, ex bei mkhs, TKns, exHs (S. lOS), Bp 6a np mh Mp pa Tp 3p acp
für die Ableitungen BpiTH öa^th np'LxH mii^th MpixH paixH xp^XH
sp^XH KpixH (S. 108 — 109), und p>K ^P tk 3a 'aüji cn qjl cc th für
pataxH ApaTH XKaxn s^axH ^AaTii cnaxH cjaxH ccaxH rnaxH. Wenn
er auch wußte, daß bo3hxh mit bcss, iianoä mit hhxh, hokoh mit noiiio
im Zusammenhange steht, so fragte er doch nicht weiter nach diesem
Vokalwechsel. Er wußte allerdings, daß in formatione verborum itera-
tivorum o zu a wird (S. 36): noHXH-iianaMXH, jroMHXii-jiaMaxH, noMors-
noiviaraxH, öo^s-öa^axH; er wußte, daß »in formandis iterativis etfacti-
tivis« ezuo wird: bbas-boahxh, Be3s-B03HXH, xeKS-xouHXH, und auch
H zu 0 »si sequitur h«: niio-HanoHXH, rniio-riiOHXH, selbst ti zu o, se-
quente b: KptTio-KpoB (S. 37). Der orientalische Einfluß, der im ganzen
sichtbar ist, wird nur einmal ausdrücklich erwähnt; Mope läßt Dobrovsky
aus MO aqua und »syllaba servili« pe entstanden sein, »si orientales
linguae consulantur«.
Durch diese Anlage des ganzen Werkes kam Dobrovsky nicht dazu
für die Deklination etwas Erhebliches zu leisten, weil er überall nur
Konsonanten berücksichtigte, dagegen gait ihm t gar nichts, und die
übrigen Vokale, die bei den consonantes serviles, d. h. bei den Suffixen
sich zeigen (z. B. bei h zählt er sie auf: an oh oyn hh bh hh ah), läßt
er in ihrem Wechsel »ab euphoniae legibus« abhängen (S. 266). Da-
gegen für die Konjugation gilt er, im Gegensatz zur Sterilität der
Einige Streitfragen. 1 9
Deklination, als der Begründer der Klassifikation nach dem Infinitiv
in sechs Klassen (Inst. 348 — 374). Auch hier konnte er sich auf Kon-
sonanten stützen (auf f des Infinitivs und den Konsonanten der Wurzel),
mußte aber doch auch dem vor -ti erscheinenden Vokal gerecht werden.
Manches machte ihm bei der vorgenommenen Klassifikation Schwierig-
keiten. Von den Verben wie a'^hth, jraHXH, ciMTH, xaHTH, ^laHTH,
KaHTH CA, CMHMTH CA, die cr in die fünfte Klasse einreihte, mußte er bei
der Zusammensetzung mit der Präposition solche, wie BOSA^TH-Boa^iio,
in die erste Klasse setzen, weil es im Aoriste lautet: bosa^, sa^i. Auch
Koyio, CHoyio, ö.irH)K), njioio, kjiiok) machten ihn stutzig, er rechnete sie
zur ersten Klasse, weil er die radikale Präsensform berücksichtigte.
Miklosich zählt bekanntlich ÖJiBsaTH, KJiLBaTH, kobeth zur fünften Klasse
(II. 454), doch Koy-, pio-, cHoy- auch zur ersten Klasse (II. 421). Die
nasalierten Infinitive waren Dobrovsky unverständlich, weil er den na-
salen Charakter des Vokals vor -ti nicht erkannt hatte: nns, tiis, skiis,
^Hj> und KjieHscA nannte er anomala formatio. unklar war ihm auch
o^eatAs und *meAS, das er wegen h^s von *me ablauten zu müssen
glaubte, obschon er den Zusammenhang zwischen msA- und xoahth er-
kannt hatte. Auch betrefi's der Verba psaxH, SBaxH, atBaxH, öpaxH,
npaxH, ApaTH, cpaxH, rnaxH, at^axH, cxcaxn drückte sich Dobrovsky
ganz vorsichtig aus, daß sie im Aorist und Infinitiv ein a einschalten
»formam quintam imitando«. Miklosich hat alle diese Verba unbedenk-
lich in die fünfte Klasse versetzt (II. 454). Man kann also sagen, daß
die Einteilung Dobrovsky's mehr Rücksicht auf Präsens nahm, als die
spätere Miklosich's.
Die Klassifikation Miklosich's kann als allgemein bekannt voraus-
gesetzt werden. Doch einiges zu ihrer Geschichte. Im Jahre 1850 (in
der Formenlehre der altsloven. Sprache) stellte er 6 Abteilungen der
I. Klasse auf: 1. x-a, 2. 3-c, 3. n-6-B, 4. K-r-x, 5. h-m, 6. a-ii-
i-oy-xj. Schon in der zweiten Auflage (1856, zugleich erste Auflage
der vergl. Grammatik) fügte er noch eine siebente Abteilung hinzu, 7 . Mp.
In der ersten Auflage (1850) hatte er Verba dieser Gruppe zur III. Klasse
gerechnet und daraus die erste Abteilung gemacht, während er ropiXH
als das Paradigma der zweiten und rpixH als das der dritten Abteilung
dieser Klasse aufstellte. Diese Lehre Miklosich's erscheint gegenüber
Dobrovsky insofern als Rückschritt, als dieser in Institutiones S. 353
MpK, xps, Kps doch zur I. Klasse rechnete und nur vom Infinitiv sagte,
er gehe nach der III. Klasse. Später hat Miklosich innerhalb der
2*
20 ^'• Jagiö,
7 Abteilungen der I. Klasse nur die Reihenfolge ein wenig geändert.
Das Paradigma xp wurde zum sechsten, und das frühere sechste öh zum
siebenten gemacht. II. Klasse blieb immer unverändert. III. Klasse
hatte, wie gesagt, ursprünglich drei Abteilungen Mp&, ropM» und rpia,
das letzte von M. in rp-t-Wi getrennt. Nachdem er jedoch die erste
Abteilung ausgeschieden und als siebentes Paradigma in die I. Klasse
eingereiht hatte — so als siebentes Paradigma steht Mpji noch in der
Formenlehre in Paradigmen 1874, erst 1S76 in der vergleichenden
Wortbildungalehre stellte er mit richtiger Konsequenz die Gruppe Mp als
das sechste Paradigma auf, d. h. 6 und 7 tauschten ihre Reihenfolge
— entfernte er auch das Beispiel rptim aus der III. Klasse, das er einst
rp-i-Mi getrennt hatte, und stellte es 1S56 zum sechsten (später sieben-
ten) Paradigma der I. Klasse neben öhth, nnxH usw. Das ist auch rich-
tig, denn das Verbum hat aktive Bedeutung (vergl. Supr. 399 rpiame m»).
Dafür scheint mir das Verbum 3p'£Mi wegen seiner passivneutralen Be-
deutung «reifen«, »reif werden« besser in die III. Klasse zu passen. Aller-
dings schreibt man es in den späteren Belegen (in den ältesten kommt das
Wort nicht vor) ohne schwachen Vokal zwischen 3 und p, aber das tut
nichts zur Sache, da auch sp^Tii (stp^THi -spHiun häufig so geschrieben
wird und doch rechnet man es zur III. 2-Klasse. Daß nicht alle Verba
der ni. 1-Klasse denominativ sein müssen, zeigt oacji^th, roHixH, ro-
BixH, H3Mi.acAaxH. Die IV. Klasse blieb unverändert. Die V, Klasse
hatte 1850 bei Miklosich nur zwei Abteilungen. Die erste umfaßte öpaxn-
öepA neben nHoaxH-numA, ebenso KJiaxH-KOJiMi oder öpaxn CÄ-6opMi cä
neben soBiii, acHA^i. Zur zweiten Abteilung gehörten A^jaim u. ä.
Schon 1856 machte er jedoch aus dieser Klasse vier Gruppen:
1. A^-^aMi, 2. nnuiiii, 3. 6ep£ii-)KeH&, 4. ßfim.. Die Verba KoaM»,
cxejiim, öoptt CA, nopMi wurden jetzt nicht mehr zur dritten, sondern
zur zweiten Abteilung gerechnet. Dafür schließt er K0BaxH-K0B& an
3'BBaxH an, während njroB&-xpoB& wegen des Infinitivs in der I. Klasse
bleiben.
Daß gegen diese Klassifikation Miklosich's und seiner Anhänger
vom Standpunkte des Präsens, um das es sich dort hauptsächlich han-
delt, sehr viel eingewendet werden kann, liegt klar auf der Hand. Es
gab auch sowohl verschiedene Verbesserungsversuche wie auch prinzi-
pielle Einwendungen. Einen kleinen Verbesserungsversuch machte schon
1856 Hattala, indem er in der II. Klasse zwei Gruppen unterschied:
minu^ trhnu, und in der III. Klasse drei Gruppen aufstellte: umitn
Einige Streitfragen. 21
(3. pers. pl. umSJi), horim^ drzim^]. Prinzipiellen Standpunkt nahm
gegen die Miklosich'sche Klassifikation Schleicher ein. Nachdem er be-
reits 1850 in der Zeitschrift für öst. Gymn. 10. Heft 726—749 den
Gegenstand besprochen hatte, führte er in seiner 1852 erschienenen alt-
kirchenslavischen Formenlehre die auf der Basis der Präsensbildung
beruhende Klassifikation so durch :
A. Primitiva. I. Klasse. Reiner Verbalstamm in Präsens: a) der-
selbe in allen Formen: nec/ii, njeT/L, rpeÖA, neK&, kjii.h&, c-iobä, Mp&;
b) der zweite Stamm auf a: öepA. II. Klasse. Präsens mittels/: a) der
zweite Stamm ist der reine Verbalstamm: ÖHa; b) der zweite Stamm
mit a: Koyim, njiiOK, öopa, nnmA, CMn^a, rji03KÄ&, njiaiA. III. Klasse.
Präsensstamm w?^: ABHriiÄ. B. Derivata. IV. Klasse durchgehends auf
-H : xBajiHTH. V. Klasse mit -i im zweiten Stamme : ropixH. VI. Klasse
im Präsens auf i mit J. VII. Klasse durchgehends im Präsens a m\ij.
VIII. Klasse auf ov- : KoynoBaTii. Dann folgt noch die bindevokallose
Konjugation.
Die Klassifikation Schleicher's hatte das Gute, daß sie fürs Präsens
von der Präsensbildung ausging. Allerdings konnte er nicht umhin
auch den zweiten, d. h. Infinitivstamm zu berücksichtigen. Obgleich er
meinte, seine Einteilung sei im ganzen und großen allgemein angenom-
men, war das faktisch wenigstens bei den slavischen Grammatikern
nicht der Fall. Leskien versuchte das Schleicher'sche Einteilungsprinzip
mit dem bei den slavischen Grammatikern üblichen Dobrovsky-Miklo-
sich'schen nicht gerade in Einklang zu bringen — das wäre ja unmög-
lich ■ — sondern sie etwas näher aneinander zu rücken. Das geschah in
folgender Weise, die man nur loben kann: Schleicher hatte die Präsens-
klasse mit nu (slav. no-ne) als UI. angesetzt, Leskien stellte die den
slav. Grammatikern geläufige IL Klasse wieder her. So fallen die I. in
IL Klasse nach beiden Klassifikationen, wenigstens zum großen Teil,
zusammen. Die Schleicher'sche IL Klasse umfaßte die Miklosich'sche
I. 7 und V. 2, bei Leskien gelangen diese Verba in die III. Klasse. Die
IV. Klasse bei Schleicher fiel mit der Miklosich'schen IV. Klasse zu-
sammen. Dagegen bildete er eine besondere V. Klasse aus den Verben
^) Prof. Gebauer stellt in seiner Historickä mluvnice III. 2 (1898) auch
bei II zwei Gruppen auf, und bei V unterscheidet er vier Gruppen, ganz nach
Miklosich, die dritte ist bei ihm durch hräti-heru und kovati-kiiju und die
vierte durch läti vertreten. Das Nebeneinandersetzeu in dieselbe Gruppe der
Paradigmen beru und kuju gefüllt mir nicht.
22 V. Jagic,
wie ropf.TH-ropHuiH (Miklosich III. 2), Leskien schlug diese Verba zur
IV. Klasse, als zweite Abteilung derselben, wegen der gleichen Bildungs-
art des Präsens mit der ersten Abteilung. Verba auf -iTH, die im Prä-
sens -t wahren, bildeten bei Schleicher eine besondere (VI.) Klasse.
Leskien stellt sie den tlbrigen mit j das Präsens bildenden Verben zur
Seite, und macht daraus eine sehr umfangreiche III. Klasse, die er in
zwei Gruppen einteilt: A. in primäre Verba, die im Präsens -je haben,
und B. in abgeleitete Verba. Zu III A gehören also: snaxH, hhth, nii-
caTH usw., zu III B A^JiaTH, oy.M-fcTH, KoynouaTH. Schleicher hatte aus
III B nach der Leskien'schen Einteilung nicht weniger als drei beson-
dere Klassen gemacht: VI cyMiH», VII A'^-^am., VIII KoynoyMi.
Man braucht der lieben Theorie nicht gerade alle Rücksichten auf
die Übersichtlichkeit zu opfern. Ich kann mich nicht befreunden mit
der Klassifikation, nach welcher nuTH-ntMi, nHcaTii-niiiiiA und Ä^jiaxH-
;itJiaiA in dieselbe Klasse eingereiht werden. Mir würde es besser zu-
sagen, in die Leskien'sche III. Klasse nur die Hälfte, d. h. die primären
Verba zu rechnen. Dagegen würde ich die andere Hälfte der dritten
Klasse, d. h. die abgeleiteten Verba in eine besondere V. Klasse ein-
reihen. Nicht bloß um die übliche Zahl von VI Klassen aufrecht zu hal-
ten, würde ich außerdem die Verba auf -oyiffi, -onaTH aus der V. Klasse
(oder nach Leskien III B) ausscheiden und sie in der bisher üblichen
Weise als besondere VI. Klasse aufstellen. Es sprechen dafür Er-
wägungen lautlicher Art. Einmal ist KoynoBaTH-KoynoyMi näher dem
Verbum a^hth-a'5&Mi, als dem Verbum A^.iaTii-^'Sjraffi, also zu den für
die V. Klasse reservierten Verben stimmt es nicht. Aber auch mit
;i;'£hth, jiaMTH u.s.w. haben Verba auf -OBaxH durch ihren offenkundig
denominativen Charakter nicht viel gemeinsames. Darnach würde das
Schema, unter Anlehnung an die Leskien'sche Klassifikation, so aus-
sehen.
Primäre Verba.
I. Klasse. Präsensstamm auf e-o:
A. Der zweite Stamm die reine Verbalwurzel :
. Be;i;/ti, n.ieT&; HeCit, bbsa; rpe6&, tcha; )khb&, n.Ji0BÄ; neKJi,
5Ker& ; a'bma, ntHrt ; Etp*, Mbpji.
B. Der zweite Stamm hat die thematische Erweiterung auf -a:
öepA-ötpaTH, ateiiiäi-nbHaTH, Kn^A-acMaTH, xiKA-TtKaxH, cscä-
C^CaXH, ptBÄ-p'LBaXH, SOBA-StBaXH.
Einige Streitfragen. 23
II. Klasse. Präsensstamm auf we-wo:
ÄBHrnemH, MHHemn, TLiiemn, ciXHemH etc. ; cTanemH (ohne cxa-
iiiIjTh), ^i'^Hemn (ohne a'^h&th).
III. Klasse. Präsensstamm auf /e.
A. Der zweite Stamm die reine Verbalwurzel :
a) Vokalisch: snaa-SHaxH, ni>Mi-nHTH, }s,iwi-ß,iTii, cnim-cniTH,
MKMi-MjHTH.
b) Konsonantisch: Mejiift-MJiiTH [*melti)^ KOJia-KJiaTH [^kolti),
6opMi CA-öpaxH {*borti) cä, atbiiffi-atATii.
B. Der zweite Stamm hat die thematische Erweiterung auf -a :
a) Vokalisch: KaMi-KaMTH, ^laMi— yaMTH, B^Mi-EiMTH, cia-ciMTH,
n.iiOMi-njitBaTH, ÖJiiOMi-övitBaTH.
b) Konsonantisch : a.i'i^/ii-a.T:xKaTH, BAacÄ-BÄsaxH, opa-opaTH,
nnuiÄ-nBcaTH, Kjienaa-K.3enaTH, 2CA3K;i;/!i-acAAaTH, mnT/ii-HCKaTH. Dazu
gehören auch viele abgeleitete Verba, bald denominativa, wie xpene-
xaxH (von xpenexxj-xpenemxA, bald deverbativa, wie CKaKaxH (von
CKO^IHXh), ABHSaXH (von ABHrHAXH).
IV. Klasse. Präsensstamm auf -/.
A. Der zweite Stamm auf -e (nach Palataleu -a) :
ö^AHuiH-ßx^tixH, ropumH-ropixH, jexumH-.iexixH, .leaciimu-.ie-
/KaXH, KpHyHmH-KpH^iaXH, ÖOHIUH CA-ÖOMXH CA.
Abgeleitete Verba.
B. Der zweite Stamm bleibt auf -i auslautend :
öoyAHmH-ÖoyAHXH, XBaJiHum-XBaJiHXH, cAAHmH-c&AHXH.
V, Klasse. Präsens auf -je, das sich an den vollen zweiten Stamm,
der auf ~a oder auf -e auslautet, anlehnt :
A. Der zweite Stamm auf -a auslautend :
A^jraiiii-AijiaxH, Konaa-KonaxH, 3HaMenaa-3iiaMeiiaxH.
B. Der zweite Stamm auf -i auslautend (nach Palatalen -a) :
atejiiiÄ - Keji'SxH, oyjröim-oyMixH, nHxiMi-niixtxH; sex^maMi-
BBTtmaxH, oÖHHmxaa-oöflHmxaxH.
VI. Klasse. Präsens auf -uj'e [-juje], der zweite Stamm -ovati
{-'evati) :
KoynoyMi-KoynoBaxH, ropiOMi-ropenaxH.
Die wenigen themavokallosen Verba können als Anhang zu diesen
VI Klassen behandelt werden.
24 V. Jagic,
Während der vorgelegte Entwurf sich an die Leskien'sche Eintei-
lung anlehnt, aber zugleich der üblichen Miklosich'schen Klassifikation
nahe zu bleiben trachtet — daher auch VI Klassen — , befolgt Von-
dräk die Miklosich'sche Einteilung, sucht sie aber noch konsequenter mit
Rücksicht auf den Infinitiv durchzuführen. Diese Konsequenz ist zwar
sehr lobenswert, allein darunter leidet doch das Präsens, um das es
sich zunächst handelt. Also Vondrjik beläßt öi.paTH, s-LBaTH wegen des
Infinitivs in der V. Klasse, wenn auch das ganze Präsens öepiL, 30bj.
zur I. Klasse hinstrebt. Dagegen versetzt er ko.jim., öopa ca, Mejiw»,
nopMi, actiiMi wieder wegen des Infinitivs in die I. Klasse, mag auch die
Präsensbildung auf -je diese Verba anderswohin ziehen. Das Präsens
KO.IIM, atBHRh, öopijR CA Steht doch näher den Verben 3Hat;^&, cTeüMi,
CTBiiMi, als dem Präsens öepm, sobä.
Mag die Klassifikation nach dem Infinitiv noch so praktisch schei-
nen, was zum Teil nur die Folge der Angewöhnung ist, vom Stand-
punkt der geschichtlichen Entwickelung gebührt dem slavischen Infinitiv
die Vorherrschaft über das Präsens ganz und gar nicht, weil man durch
die Vergleichung mit dem Litauischen leicht konstatiren kann, daß oft
in der slavischen Infinitivbildung neue thematische Erweiterungen auf
-a, zuweilen auch auf -i vorliegen. Das ist ein mit der Vorherrschaft
der vokalischen Stämme in der Deklination parallel laufender Hang der
Sprache. Man findet volle Übereinstimmung der beiden Sprachen in
kepti und neinxH {j^ekfi), in tepti (schmieren) und tsth (aus tepfi, auch
TencTii), zwischen witi und uxii, mirti und MpixH (näher eigentlich
mp'bth), mllszti und MJiicTH (näher wäre m.i%cth, vergl. das heutige
serbokroatische müsti). Allein im Litauischen steht der Infinitiv auf
älterem Standpunkt in solchen Beispielen, wie älkti gegenüber ajiKaxH,
ärti gegenüber opaxH, Z'cf/e gegenüber ötpaxH, j^jer^i gegenüber nLpaxH,
kqsti [kändu] gegenüber K&eaxH, jüsti gegenüber no-McaxH, läkti
gegenüber -lOKaxH, reszti gegenüber pisaxn, szökti gegenüber cKaKaxn,
hraükti gegenüber öpKoaxH, lieszti gegenüber jiHsaxH, mesti gegenüber
MBTaxH, riesti gegenüber pnxaxii, smükti gegenüber CMSKaxH, suvpti
gegenüber ep-iöaxH, sükti gegenüber coyKaxH, spiäuti gegenüber njib-
BaxH. Oder man vergleiche hekti gegenüber öiataxH (wir haben nur
no-ö5r-H/iTH, allerdings in einzelnen slav, Sprachen auch hiec-bieg^),
kläusti gegenüber cjnamaxH, werkti (auch wirkti) gegenüber warczec
(auch xoarknqc]^ kwepti [allerdings auch kivepeti) gegenüber KsniXH,
renktis [rengiüs] gegenüber *pA^axH (pAniiiiXH), id7'ti (werdu) gegen-
Einige Streitfragen. 25
über BtpiTH, iverstis {wercziüs) gegenüber BptTiTH cä, lipti gegenüber
jhniTH, persti gegenüber npi.A^TH, isz-wysti (allerdings auch weizdeti)
gegenüber BH^iiTH, gelsti gegenüber ac.Titx'^&TH, uz-mtkti gegenüber ml-
•/icaTH. Da fast bei keinem dieser Verba, die im Slavischen auf -axii
oder -']&TH den Infinitiv bilden, die infinitivische Stammerweiterung im
Präsens wiederkehrt (vergl. a-iiyeiuH, opiemn, öepemH, nepeiim, no-
MineuiH, jioqemH, piateuiH, CKa^iemii, upKineiuH, .inaceniH, MemTeuiH,
*pHinTemH (sloven. ridem), womit in den meisten Fällen das litauische
Präsens übereinstimmt: arm, berm, periü, reiiü, Iraukiü, lieziü, rie-
c~iü, vergl, noch icercziü : *ßphiuT/i>, perdziu : *npt2C.A^, so darf man
wohl behaupten, daß die slav. Infinitivthemen sekundäre Neubildungen
sind, in der Art der neuen Infinitive spiasiti für CLnacxH, boriti ae für
öpaxH CA, porifi für npaxH, crpiti oder crpati für yptxii (yptnÄ), u.s.w.
Die Überwucherung des slav. Infinitivs mit thematischen Neubildun-
gen sieht man auch an dem Infinitiv auf-H&xii, der keine Parallele im Li-
tauischen hat. Gewiß ist der litauische Infinitiv auf älterem Staudpunkte,
wenn er dirkti (praet. dirgau) gegenüber ^o.-ß^^'hva.äiTw^jimkti gegenüber
Ha-BtiKHAXH, saüsti gegenüber cixkäxh, sekti [senkü] gegenüber ca-
KUAxn, pa-bmti gegenüber bxs-ö^h&xh, szwhti gegenüber CBbH&XH
ioder aber cBLxixH), stekti [stegiu] gegenüber russ. sa-cxernyxt, minfi
\menü) gegenüber no-3iAHiXH (auch no-MtuiXH), uz-gesti gegenüber
racH&XH, grimsti (praet. grimzdaü) gegenüber rpASHAXH, lipti gegen-
über npn-.itHAXH U.S.W, bilden und gebrauchen kann. Ich kann mich
daher noch immer nicht trennen von meiner im Archiv VI. 288 vorge-
tragenen Ansicht, daß der Infinitiv auf -haxh im Slavischen eine Neu-
bildung sei — einer Ansicht, die Gebauer III. 2. 68 durch weitere
Analogien wie pyiouii (nach pnu oü&x pnou, statt ^«Ye), jmouti (nach
jmu o^Qxjmou, statty^7^), nadmouti (nach nadmu oder nadmoii^ statt
douti) stützen kann. Wenn die vergleichende Grammatik sich weigert
Analogieübertragungen zuzugeben, sobald sie in anderer Weise der Er-
scheinung einer Einzelsprache beikommen kann, so ist das ihr volles Recht.
Doch meines Wissens steht sie diesen slavischen Infinitiven gegenüber
ratlos da. Man wird doch nicht den Erklärungsversuch Pedersen's
(KZ. 38. 347) leicht annehmen wollen, der gelassen ein großes Wort
ausspricht, indem er zuerst ^ath (ATbMiii) aus *a'I>xh entstanden sein läßt
(als würde nicht die Analogie von üaxh, jkaxh, xäxh näher liegen, die
vom Präsens aim/i. gegenüber >KbM& von selbst zum Vokal ä führte) und
dann ebenso AßKrii/iiXii aus *Ai{nriri.xii. Zu allen diesen gewaltsamen
26 V. Jagic,
Konstruktionen wurde er durch die Partizipien auf -noBeH'B verleitet,
deren wegen er sich nicht mit der Zusammenstellung des slavischen
ÄBHrHA-;iBHrHeiiiH nur mit dem griech. y.auvio oder riuvo)^ lit. aum'i,
einü, gäurM^ giumi, szatmu, maunu u. ä. begnügt, sondern an die Pa-
rallele zur altindischen fünften Klasse denkt, d. h. noine aus "nu-nve
ableitet. Dafür werden allerdings die Formen AptsnoBent, kochobbh'b,
ripHKOCiionciix, OTTtpuHOBen'L etc. (Leskien Gr. 141) ins Feld geführt,
die schon in den ältesten Denkmälern vorkommen. Man kann auch
Verba wie MHiionaTH neben mhhath, AptSHOBaxH neben ^ptanATH an-
führen. Doch scheint mir alles das noch nicht zu beweisen, daß wir
alle Verba auf nojne von nu-nov-nte ableiten sollen. Es kann auch
ohne den bewußten Zusammenhang mit den uralten nau-nu-nv, die
Analogie nach oyMiBeiit, cüKp-iBeiit, THOBeiix, mtBeH-B, die selbst
ihrerseits Neubildungen waren neben oy-ji-HTi., cLKpiiTi., ^oyTt, mnxT.,
um sich gegriffen haben. Denn es ist doch zu beachten, daß weder die
nordwestslavischen noch südwestslavischen Sprachen derartige Parti-
zipien oder Substantiva verbalia kennen. Im Serbokroatischen haben
wir allerdings Neubildungen: dobivcfi (neben älterem dobit), odj'even
(neben älterem odj'et), satrven (neben älterem safrt), allein ein ;i,pL3iio-
BeHHie, npHKociioBeiiHK, AtxHOBeHHie u. ä. sind im Altserbischen fremde,
literarische Ausdrücke.
Bekanntlich nimmt die Präsensbildung auf no/ne in den modernen
slavischen Sprachen immer mehr Oberhand. Namentlich die perfektiven
Verba I. Klasse lieben den üebergang in die ne-K\a.sse zu bewerk-
stelligen. Statt CÄA&-CAAemH findet man sedmt-sednem-eef[,Ri,, darnach
dann teilweise schon im Infinitiv, c. sediiouti. Statt na;i;&-najeiuH sagt
man padnu-padnem^ c. schon im Infinitiv padnouti. Man sagt nur
pHsahnii-prisegnem^ c. schon im Infinitiv prisahnouti^ serbokr. priseci
und prisegnuti. Selbst imperfektivisch sagt man im Polnischen heute
nur rosne-rostiiesz-rosnqc statt des älteren roste-rosc. Ebenso nur
kwitnqc-kwitnie^ altpoln. kwüc (vergl. Flor. ps. 71. 16 kwiscz h^d^^
ib. 91. 12 kwiscz b(^dze). Für das alte BjiaeTH-BJiaA& c. nur nlädnouti-
vlädnu. Für alte, lafni (auch lehu)-lezes jetzt nur lehnouti- lehne i^
serbokr. legnem aber Inf. noch Zec^, so auch poln. legne neben lec. Für
jiÄKA-JiAmTH altböhm. leci-laku (auch leku)^ jetzt lehiouti-leknei^ poln.
leknq^ doch noch zlqkl sie. Für npAmxH-npArA altb. prieci-pralm
[prezes] jetzt zaprahnouti, südsl. zaprezes und zapregnes^ Inf. zapre.ci
und zupregnuti. Für c. zeci-zhu sagt man jetzt in der Zusammensetzung
Einige Streitfragen. 27
roznu (statt rozlmu)^ poln. ieV, zaiegl aber zazegne u.s.w. Erwähnens-
wert sind die Neubildungen topniec für topnqc^ pachniec füT pachncic,
zolhiieö für zolknqc wegen der intransitiv-passiven Bedeutung. Alle
diese Erscheinungen, die uns deutlich den Weg zeigen, auf welchem
sich die slavischen Sprachen bewegten, wobei deutlich der Infinitiv dem
Einfluß des Präsens unterliegt, sprechen für meine Deutung auch des
Infinitivs auf -häth, mag sie noch so einfach und natürlich sein, wes-
wegen sie auch nicht imponirt.
8. Nochmals das slavische Imperfektum.
Für den Ausdruck des Präteritums hat die kirchenslavische Sprache
von Be^Ä nicht weniger als vier verschiedene Formen: 1. Be^t-BeA^,
den sogenannten einfachen Aorist, 2. Bict-BicA, den ^-Aorist älterer
Bildung, 3. BeAOX'B-Be;i;omA, den s-cA-Aorist jüngerer Bildung, 4. bb-
Aiax'B-BeA^axÄ, das Imperfekt. Während man bbä'b und B^ct ganz
gut erklären kann, muß man BeAOxx als eine nach Vorbild von BSÄont-
BeAOMX eingetretene Neubildung BOAOxoB'S-BeAOxoM'B mit Erweiterung
des Themavokals o über alle Personen des Duals und Plurals auffassen,
so daß man neben einem Ai.Jax'B-A^jiaxoBi-A'fe-iacTa-AiJaxoMt-A'feJiaeTe-
Ä'^JiamÄ ein BeAOXT)-Be;i;oxoB§-BeÄOCTa-Be;ioxoM'L-Be;iocTe-Be;i;om5. be-
kam. Diese Neubildung setzt neben BSAt-Btci. schon die Aoriste, \\ie
Kpraxt-Ä^xx-^tBarH AXTB-oyMix'B-ropixx- xBajEHxt- ÄiJlaxt - KoynoBaxt
voraus. Die Vorliebe der slavischen Sprachen für die vokalisch aus-
lautenden Stämme schuf zu b'EcT) ein Be^iioxi., zu Bieoni ein Be^oxoBi, zu
BicoMi. ein Be;ioxoMX. Merkwürdig, die Sprache wollte für die 2. uud
3. Pers. sing, nicht nach der 1. Pers. sg. so fortsetzen: *BeAO *BeA0,
sondern blieb bei dem schon von Be;i,'i> vorhandenen neAe-Be^e. Daß
diese Formen dem einfachen Aorist angehören und nicht etwa als
vede-s-s und vede-s-t zu deuten sind, das zeigt das Nichtvorhandensein
der 2. u. 3. Pers. sing, von Bicx oder pix-L. Bezüglich des einfachen
Aoristes lese ich in der Abhandlung Vondrjik's in Bezzenberger's Bei-
trägen XXIX, S. 299, es könne »kein Zweifel darüber bestehen, daß im
Slavischen einmal der sogenannte einfache Aorist, wie z. B. BeATb-seAe
ursprünglich, so weit er von durativen Verben gebildet war, als ein In-
junktiv die Bedeutung des Imperfektums hatte«. Ich möchte diese an-
geblich keinem Zweifel unterliegende Behauptung dennoch stark be-
zweifeln, da ich wirklich keinen Grund einsehe, warum die Sprache bei
der Aufrechterhaltung derselben Form von der einmal vorhanden ge-
28 V. Jagic,
wesenen Funktion derselben als Imperfekt abgegangen wäre. Ja das Auf-
kommen neben der aor. Form MiCL noch des Aor. bgaoxx hätte noch mehr
die Sprache bezüglich der Form ße^i als Imperfekt bestärken sollen, wenn
das wirklich einmal so, wie es Prof. Vondnik wünscht, schon vorhan-
den gewesen wäre. Was sehen wir aber? Luc. 4. 0 steht bbac h für
den griechischen Aorist i]yayev avröv, Matth. 17. 16 entspricht dem
H IIB Movfii ero HCii,tjiHTM der griech. Aorist ovy. rjövvrjd-r]aüv. Ebenso
steht xeye für tÖQaiiBV Marc. 5. 6, Luc. 24. 12, xene Jo. 19. 1 für
eiiaoriytoaep. Das sieht mir nicht nach dem Rezepte Vondräk's ge-
macht, zumal man daneben als Doublette die Formen xicxe töoa^iov
Matth. 28. 8, b'£ca vjayop Luc. 4. 29, 22. 54, 23. 1 findet. Man wird
doch nicht der Sprache zumuten wollen, daß sie mit ihren Formen auf
der Leiter der Tempora bald nach oben, bald nach unten sich bewegte.
Wenn seAi» je ein Imperfekt gewesen wäre, so hätte die Sprache wegen
BicL und üeAoxx doppelten Grund gehabt, bei jener Funktion der
Form BSAt zu verbleiben. Die neue Form des Imperfektes, Be^^axTi-
BBA^xi., konnte nur gegenüber BicL und BeAOXx eine besondere Gel-
tung erhalten, und jene zwei Formen in der Aoristanwendung nur be-
stärken. Daß dieses neue Imperfektum auch der alten Form bba^ als
einstigem Imperfektum das Lebenslicht hätte ausblasen können, ist wohl
kaum anzunehmen.
Wie ist die Imperfektform BBAiax'L zu Stande gekommen? Ich
hatte in dem Anhang zu Codex Marianus an eine dem altind. Prekativ
entsprechende Bildung gedacht {deyäsam, dliei/äsam), also das Imper-
fekt für einen sibilantischen Optativ-Imperativ erklärt, wobei ich, um
den Parallelismus zum slavischen Imperativ-Optativ zu gewinnen, bei
dieser der Erklärung bedürftigen Form auf die Beispiele ans der alt-
kroatischen Sprache, wie mozecJn^ tececln^ ein großes Gewicht legte.
Auch die Anwendung des Imperfektes in den hypothetischen Sätzen
wurde zur Stütze der subjunktivischen Bedeutung des Imperfektes
herangezogen. Ich gestehe, die altkroatischen Formen mit c z vor -ixx
(statt 6-z] noch jetzt als eine rätselhafte Erscheinung nicht recht zu
verstehen. Aber die Priorität des altslovenischen Imperfektes ne^iaaxt,
Mo^aaxT) befürwortet die altböhmische Sprache, wo man pebiech^ ne-
moziechu (wenn man die Orthographie -zyeffe, -zyffe^ -zyechu richtig
mit z transskribirt) u.s. w. nachweisen kann; ebenso die ober- und
iiiederlausitzserbische Sprache, wo man mozach, cedech, pjedech findet
(Mucke § 261). Auch die subjunktive Anwendung gewisser Fälle des
Einige Streitfragen. 29
Imperfektes muß doch erst als eine weitere Ableitung aus der ursprüng-
lichen Bedeutung der Dauer in der Vergangenheit angesehen werden.
Ich habe daher meinen Versuch schon seit Jahren aufgegeben. In neuer
Zeit hat J. Horäk in Listy filologicke Bd. 29, S.232 — 23S in der Studie
»Ke stupnoväni ve slovanstine a litevstinetf auch mit dem slav, Imper-
fekt sich beschäftigt. Er geht von den Stämmen auf -e aus und meint,
BH^fe'B habe in Beziehung zu snacAA gleich die Bedeutung des Aoristes
erhalten, iiecixi. aber in Beziehung zu Hici., iiecoxi. sei als Imperfekt
aufgetreten. Später sei noch der Unterschied in der 2. u. 3. Pers. sing,
hinzugetreten, d. h. necixT. habe iiecj&me entwickelt, während bha^xt.
als Aor. bei BiiAfi blieb. Parallel zu neeixt, meint er, sei aus oyMiie
ein oyMiHX'L, aus A^-iaie ein A^JtaHxt geworden, die Form HeciMxi.
faßt er als spätere Analogiebildung auf. Prof. Vondräk, der auch dem
Imperfekt einen Erklärungsversuch in Bezz. Beitr. XXIX widmet,
nennt diese Erklärung Horäk's nicht recht wahrscheinlich. Er sagt,
»wir begreifen absolut nicht, warum gerade die Form nesScJn zu der
Bedeutung eines Imperfektums kam, trotzdem ihr ein echter Aorist vi-
däch%^ trhp&clvh zur Seite stand«. »Auch die thematische Flexion
tauche hier wie ein deus ex machina auf«. Ich bin mit der Erklärung
Horak's nicht ganz einverstanden, allein die Einwendungen Vondräk's
ließen sich nach meinem Dafürhalten leicht beseitigen. Ein bha'£tii
oder TpLH'iTH hat überhaupt zwei lautabstufende Themen, BHAt-BH^ii,
rphn^-Tpinn, also entsprechend den Aoristen ßtct-pfex wurden ganz
analog auch Aoriste: Bii^tx^, Tpfcnixi., A'^Jiaxt, xBajnixt gebildet.
Das Verbum iiecA hat aber im Infinitiv nee-, im Präsens iieco/e als
Stamm. Die Bildung eines dritten Stammes auf -Ii konnte also sehr gut
gegenüber irfecL und iiecoxi. die Bedeutung des Imperfektums anneh-
men. Auch von der thematischen Flexion auf -me, -meTa-mexe-xm
kann man angesichts der 1. Pers. dual, und 1. Pers. pl. auf coBi-xoBi,
coM'L-xoM'B doch nicht wie von einem deus ex machina sprechen ! Im
Gegenteil, ich halte dafür, daß uns Prof. Vondräk für seine Behauptung,
HeeixTE. sei ursprünglich Aorist gewesen, den Beweis schuldig geblieben
ist. Es ist keine sichere Beweisführung, von Verben so allgemeiner Be-
deutung wie 6ixTi-xoTix% auszugehen, aber selbst da bin ich zn an-
deren Resultaten gekommen als Prof. Vondräk, wovon weiter unten.
Dagegen für iiec'LxT^-BeA'üx'L eine ältere Aoristbedentung nachzuweisen,
ist Niemand im Stande, wenn man nicht etwa vom Altböhmischen aus-
gehen will; dann müßte man aber den Aorist necoxi.-BeAOX'i> zuerst
30 V. Jagiö,
fürs Altkirchenslaviscbe in Abrede stellen. Prof. Vondnik gebt also
von zwei nicbt erweislichen Bebauptungen aus: 1) daß BCÄt Imper-
fektum, 2) daß BeA'BxT, Aorist war. Er stellt die beiden Formen in
Correlation : ueAt Imperfekt : ueji.tx'h Aorist. Das nenne ich, bitte mich
zu entschuldigen, verkehrte Welt. Wo die ältesten feinfühligsten Denk-
mäler des Altslovenischen gerade umgekehrt neAi. als Aorist und se-
Ä^xt, eigentlich BeAiaxx (zwischen beiden Formen ist kein Bedeutungs-
unterschied nachweisbar) als Imperfekt fungieren lassen. Ich weiß, daß
Prof.Vondnik bei seinem »Aorist« BeAfei an *Bep.i als 2. und 3. Pers.
sing, denkt. Aber dadurch, daß er unerwiesene Behauptungen häuft,
werden sie nicht beweiskräftiger. Einen »Aorist« bga^xt. gibt es nicht,
die Form *Befl,i existiert überhaupt nicht.
Folgt man der Sprache nach ihren ältesten für uns erreichbaren
Belegen — und diese Methode halte ich für meinen Teil noch immer
für sicherer als willkürliche Aufstellung von nicht belegbaren Sprach-
formen mit Sternchen — , so nimmt man wahr, daß sie gerade bei glei-
chen Themen sehr fein den Aorist vom Imperfekt durch die Personal-
endungen unterscheidet. Ich will das durch Beispiele illustrieren. Von
dem Verbum öcji^th lautet öojtixx als Aorist für ^od-evrjaa Matth.
25. 36, öo.ii für rjaS^errjas Philipp. 2. 26. 27, dagegen ist öojiiame für
riod-EVEi angewendet Jo. 4. 46, 11. 2. Für den griech. Aorist XQ^^^^
eaxev liest man Marc. 2. 25 xpiöoBa, aber xpiöoBaame für xQeiav si-
X€V Jo. 2. 25. Den Aorist Irölf-irjoev übersetzte man cxMi Matth. 22. 46,
das Imperfektum IroX^a durch CLMiame Marc. 12. 34, Jo. 21. 12.
Für €iJ,aQTVQr]aev steht ciB^A^TejibeTBOBa (öfters so), für kfxaQrvQSi
CBB^A'^TejitcTBOBaaine Jo. 12. 17. Für rjyiovoav liest man cjiKuiauiA
Matth. 13, 15 und öfters, dagegen für 7]zovov cjrHmaax/ii Marc. 6. 55.
Ebenso für rj-aovoev cjuaiua Luc. 9. 7, für rj'/.ovev cJiKuiaauie Luc. 10. 39.
Von Verben, die nach unserem heutigen Sprachgefühl einfach dauernd
sind, führen aoristische Formen auch die Bedeutung der griechischen
Aoriste. Ich erwähnte bereits oben Be^e, Tene, Teqe, man vergl. noch
rtHafflÄ H Marc. 1.36 : '/.axeduo'^av, u.'feHHmÄ Matth. 27.9 : erifii^aavTOj
oyiiH CA Matth. 27. 57 : li^iad-rjxevoeVj cpaMH Matth. 22. 34 : icpif-tm-
asr, CBATH Jo. 10. 36 : fjylaaev. Das Verbum po^HTH ist immer als
po^H aoristisch eyevvrjoev, po^nmA eyevvrjoav, po^H cä kysvvrj-9-r], po-
ÄHUiA CA eyevvrid-riGav. Ebenso npocn fjTrjoaTO, npocHUiA STtrjQioTri-
oav. Vergl. noch njAca w^;(?Jcrc<ro Matth. 14. 6, oder Matth. 11. 17 :
nncKaxoMt, ne naAcacxe, n^iaKaxoMi., ne pHAacxe : rjvlr]aai^ev^ ovv.
Einige Streitfragen. 3 1
djQxrjf^aod-e, €d^Qrjvr]aaf.iev, ovv. h.öipaad-e. Ebenso Luc. 7. 32. Das
einfache iiece Matth. 14. 11 entspricht dem griechischen i]V£yK,ev. Für
edo^av lesen wir Jo. 11, 13 MmiiuA, und für €Öö-/.ovv Luc. 24. 37, Jo.
13. 29, Mi>Hiax&. Ebenso für tßalov y.lfiQOV Jo. 19.24 MexaniÄ atpi-
6hu und Luc. 23. 34 offenbar nach der stark verbreiteten Lesart eßa'K-
Xov Mexaaxiii atpiönm, Sav. knig. hat auch hier nach der Lesart eßalov
MexauiA. Für iKaleaev Luc. 14. 16 steht 3T.Ba, und Jo. 7.37 für £/.Qa-
Cev stBaame, Matth. 21.9 ey.oaCov 3'i.Baaxrü, Jo. 12, 13 i-/.qavyaLov
stBaaxÄ. Das griechische ed-avfiaasv ist ;;hbh cä Matth. 8. 10, Marc.
6. 6, 15. 44, Luc. 11. 38, so auch ;i;HBHmÄ cä e^avf.iaaav Matth. 9. 33,
21. 20, 22. 22, Luc. 2. 18, dagegen ÄHBjiiaxÄ cä lB,eTclriOGOvro Matth.
19. 25, Marc. 1. 22, 6. 2, 7. 37, 10, 26, e&avua^ov Marc. 5, 20, Luc.
4. 22, 9. 14 (mit var. id-av(.iaaav)^ Jo. 7. 15, i^ioxavxo Marc. 6, 51.
Auch die kürzere Form begegnet in derselben imperfektivischen Be-
deutung: AHBJIMX& CA l^s-/.lrioaovTO Matth, 7, 28, 22. 23, l^iaravro
Matth. 12. 23.
Aus diesen Beispielen, wobei lauter einfache Verba ohne Zusam-
mensetzung mit Präpositionen ausgewählt wurden, solche, die nach un-
serem heutigen Sprachgefühl als einfach dauernde Verba gelten, er-
sehen wir, daß mit wunderbarer Regelmäßigkeit die Aoristformen auch
im griechischen Text die Aoriste als Vorlage hatten, dagegen die Im-
perfektivformen auch im griechischen Text die Imperfekte. Wir kennen
jetzt schon zu gut die älteste Evangelienübersetzung, als daß wir be-
haupten dürften, diese Unterscheidung sei mechanisch vor sich ge-
gangen, ohne daß das Sprachgefühl des Übersetzers mitgespielt hätte.
Nein, den ersten Impuls gab ganz gewiß das Sprachgefühl, welches da-
mals dem Übersetzer für ijvey/.ev die einfache Form iiece als ausrei-
chend in die Feder diktierte. Ebenso wie es ihm für ad-a'Ouaoev das
einfache ahbh cä eingab. Diese Tatsachen, glaub' ich, müssen wir hoch-
achten. Sie beweisen, daß sich unser heutiges Sprachgefühl mit dem
alten nicht gerade immer deckt. Wenn aber alles das richtig ist, wenn
man diese Logik der Tatsachen zugeben muß, dann meine ich nicht irre
zu gehen, wenn ich der äußeren Form des Imperfektes großes Gewicht
beilege und sie nicht so ohne weiteres aus einer Analogiebildung her-
vorgegangen sein lasse. Ich kann mich daher mit der leichthin vorge-
tragenen Entstehungsgeschichte des Imperfektes nach Vondräk nie und
nimmer einverstanden erklären. Er sagt: »Die begriffliche Verwandt-
schaft führte eine formale Beeinflussung herbei. Nach ved^^ vede, vedc
32 V. Jagid,
wurde dSlacliij^ cUlci^ dUa zu ^Ulach^^ dUa^e^ delase umgeformt, so äaß
jetzt auch alle Formen des Singulars eine gleiche Anzahl von Silben
bekamen«. Wenn ich richtig verstehe, so will uns Prof. Vondräk glaub-
haft machen, daß das »Imperfektum« (!) Be^Tj-BeAe durch »begriffliche
Verwandtschaft« (I) auf ^ijiaxi-Ai-^a auch die formale Beeinflussung (?)
so ausgeübt habe, daß aus A^-^a nacli Be^e die Form A^-iame entstand.
Ich wäre begierig zu erfahren, auf wessen Zustimmung der Verfasser
bei einer so ganz und gar unwahrscheinlichen Kombination rechnet?
Daß eine Endung, wie -chq^ aus dem Imperfekt in den Aorist eindringen
kann, das findet Jedermann begreiflich. Sie war ja gegeben und
brauchte nur ihr Anwendungsbereich auszudehnen. Allein ein BBA'iame
aus BBAe durch »formale Beeinflussung« abzuleiten, das geht doch wohl
nicht. Solche Analogieübertragungen sind geradezu unerhört.
Prof. Vondräk gibt selbst zu, daß die ältesten, besterhaltenen
altkirchenslavischen Texte die Formen des Imperfektes BeA'^axi., A'fe-
itaaxt, xBajiHaxi. etc. entschieden bevorzugen, und doch ignoriert er
diese hochwichtige sprachliche Tatsache, seine Entstehungskombinatio-
nen zwingen ihn, von A'fe-aaxi>, also auch von BeA'Sxi) auszugehen, weil
er »das Imperfektum als einen ehemaligen Aorist auffaßt«. (Das sind
seine Worte.) Er läßt die Sprache mit den Formen ordentlich herum-
tanzen. Zuerst war milovach Aorist und Imperfekt, dann differenzirte
sich milovase als Imperfekt von milova als Aorist. Weiter heißt es so :
»Es mußte sich offenbar das Bestreben geltend machen, auch in den
ersten Personen einen formalen Unterschied zwischen den Imperfekt-
und Aoristformen herbeizuführen, wo sie sonst durch den Stamm nicht
auseinandergehalten wurden«. Also bei Hscixx war das nicht notwen-
dig, wohl aber bei milovacJa. Nun sieht er sich nach einem Vorbild
dafür um, um doch auch milovaach^ zu gewinnen. Dieses bieten ihm
die Imperfekte um^achb^ dSlaach^^ die er als »durch den Anschluß an
den Präsensstamm neu entstandene Formen« bezeichnet (S. 301/2),
während er früher (S. 300) sagte, daß »ursprünglich nicht der Präsens-
stamm zugrunde gelegt wurde«. Also ursprünglich nicht, nachher aber
doch, denn »das Bestreben, die Imperfektformen von jenen des Aoristes
genau zu scheiden, brachte es mit sich, daß «rstere allmählich auch vom
Präsensstamme gebildet wurden». Zu »Anknüpfungspunkten« rechnet
er nbHixi., das von ihm wegen leichterer Aussprechbarkeit aus *pnrdch-b
abgeleitet wird, so hören wir noch von solchen Formen (allerdings be-
sternten) wie mrrScJvh^ hrraclvb^ gnnaclvh. Nicht alles ist mir in dieser
Einige Streitfragen 33
Darstellung verständlich, aber so viel sehe ich, daß der Verf. umSach
aus umSjSch und selbst dilaacJn aus dUaj^ch^ ableitet, d. h. bei diesen
Verben von dem durch Dehnung erweiterten Präsensstamm ausgeht.
Ich gehe in Übereinstimmung mit den ältesten Sprachdenkmälern
des Altkirchenslavischen von dem Imperfektum Be^^axt, Heciaxi., ro-
piaxt, Ä^-iaax'i. aus. Die zusammengezogenen Formen bbä'Sx'l, Hecix-i,
ropfet, A^jaxT. sind leichter aus den längeren zu erklären, als das um-
gekehrte. Die Behauptung, daß das oberlausitzserbische njesech nicht
aus Heciax'B hätte entstehen können (S. 302), verstehe ich nicht, da
auch Mucke an eine solche Zusammenziehung denkt. Die Silbe -ach^
scheint mir beim Imperfektum sehr wesentlich zu sein und ich möchte
darin eine an den vorausgehenden, auf -i oder -a auslautenden Stamm
angelehnte und assimilierte präteritale Form des Verbums bcmb er-
blicken, also ungefähr etwas dem lateinischen eram nahe kommendes.
Diese Erklärung ist nicht neu, schon Job. Schmidt und A. Leskien haben
sie aufgestellt und vorgetragen. Ich möchte nur gerade mit Hinweis
auf das lateinische eram nicht von einem augmentierten *ech^ aus-
gehen, sondern von *ech^^ da ja auch aus Heet-ex'B, nnTa-ex'B, KoynoBa-
ext die assimilierten Formen Heciax'B, nnxaaxx, Koynosaax'L hervor-
gehen können. Der Stamm selbst, wenn er nicht im Infinitiv auf -a
ausgeht, wie bei 3iia-, A'l^.ia-, nfcca-, a'^&h-, Kpniia-, KoynoBa— , oder auf
-'L, wie bei CLuii-, oy>ii-, ropli-, mußte zu -'S, nach Vokalen zu -h, er-
weitert werden, also necli-, 6hh-, xeajiH-, d. h. 6hh ist ans öni, xBajiH
aus XBaJii'6 hervorgegangen. Was diesen thematischen Auslaut auf -e
oder -ä anbelangt, so haben schon andere auf die 3. Pers. sing, des
litauischen Präteritums suko (von sukti) und auf 7iesze, icedv, ede (von
neszti, westi, esfi) hingewiesen. Bei iieciax'B denkt man ebenso an
legeham, wie bei A'tJiaax'B an amä-bam^ bei c^A'^axT. an sedeham (vergl.
Brugmann's Grundriß § 899, II. 1267). Was sich hinter diesem Stamm
auf -e und -ä oder -Ja verbirgt — ein Nominalelement, ein Infinitiv ? — ,
das darf ich füglich der vergleichenden Grammatik überlassen, die bis-
jetzt nichts sicheres zu Wege gebracht hat. Ich will nur die Vorzüge
dieser Erklärung kurz berühren: 1) wird sie den beglaubigt älteren
Formen des Imperfektes gerecht; 2) ist sie nicht gezwungen, zu höchst
unwahrscheinlichen Analogieübertragungen Zuflucht zu nehmen;
3) braucht sie keine gewaltsamen Sprünge aus dem Imperfektum in den
Aorist und umgekehrt zu machen; 4) knüpft sie an das Litauische und
Lateinische in passender Weise an. Mau darf natürlich nicht auch
Archiv für slavisclie Philologie. XXVIII. 3
34 V. Jagid,
einen heikligen Punkt dieser Erklärung ganz mit Stillschweigen über-
gehen, ich meine die Annahme einer 5-Form des Präteritums von ecMh,
die im slavischen und selbst lituslavischen Sonderleben nicht nachgewie-
sen werden kann. Allein neben einem äsam, rja-rjv und eram darf man
ein *es^ (nachher *ech^)J *ese (nachher *eche-eSe) u.s.w. ohne große
Kühnheit der Phantasie als einmal vorhanden gewesen voraussetzen.
Es mag durch öiax'B-ö'Lame verdrängt worden sein, wie der Infinitiv
und das Futurum durch die Formen des Stammes fjii-{j7, verdrängt
worden sind. Bei ö'üxi.-öiax'L gehe ich selbstverständlich ebenfalls
von der Form Ö'feaxi aus, weil der echte Aorist ßtixt lautet. Daß
neben öiaxi. die zusammengezogene Form ö^xt. nach der Analogie der
Verba wie BHA'txTj-BHAi und BHA^axii-BHAiaine auch die kürzere,
aoristische, Konjugation annahm, das fällt am Ende nicht sehr auf, zu-
mal bei einem häufig gebrauchten Worte. Selbstverständlich geht dann
die Konjugation durch alle Personen und Zahlen doppelreihig fort, also:
öixt-öiaxi., öi-ßiame, öixoßii-öiaxoBi, öicTe-ö'SameTe, 6i&xoMX-
öiaxoM'L, 6imÄ-6'feax&. Prof.Vondräk erklärt nach seiner Kombination
t'^'K.T, für den Aorist, legt mehr Gewicht auf die zwei Beispiele (Luc. 13.
2, 4), wo dem öimA griechisch lyivovTO zur Seite steht, als auf die
sieben (nach Vostokov zum Ostrom. Evangelium) oder zehn Beispiele
(nach meinem Glossar zu Marianus), wo öimA nichts weiter ist als das
griechische rjoav. Die Form 6t für r/i/ wird öfters gebraucht in dem
Evangel. Text als öiame für dasselbe fiv. Für die 1. Pers. sing, rn^iriv
fand ich siebenmal ö^xt, nicht ein einziges ötaxi. Und doch ist im
Plural ö'feaxdi viel häufiger für iioav als öimA. Dieser Gebrauch bald
der längeren bald der kürzeren Form immer für dasselbe griechische
^v-i][-irjv-fjaav spricht doch nicht für die ursprüngliche aoristische und
imperfektivische Auseinanderhaltung der Formen.
Und zuletzt wie steht es mit dem Verbum xot^th? Ich finde es
für TJd-slep, zumal in den negativen Sätzen oux rjd-eXev regelmäßig
durch He xoTiame ausgedrückt: Matth. 18. 30, 27. 34, Marc. 7.24,
9. 30, Luc. 15. 28, 18. 4. 13, ebenso hb xoT^axA ovk ri&eXov Matth.
22. 3, aber auch positiv steht es für 7]&elev (vi. eCrjrsi) xoTiame h
oyÖHTH Marc. 6. 19, oitov 7]d-elsg HMoate xoTiame Jo. 21. 18, ov rji^e-
lov eroace xoT^axA Matth. 27. 15, oaor ij-9-eXov bjeko xoT^axA Jo.
6. 11, vergl. ib. 12, 7. 44, auch xot^xä für 7]S^sXov Jo. 16, 19. Bei
der Wiedergabe des griechischen Imperfektes e[,ieXlov steht ebenfalls
immer im Slavischen das Imperfekt. Man findet aber auch xoxi Marc.
Einige Streitfragen. 35
3. 13, 6. 48, aber da steht auch im Griechischen id-iXr^oeVy und Marc.
9. 13 für xoTiiuÄ steht in der griech. Lesart, die gewiß dem slavischen
Übersetzer als Vorlage diente, rjd^iXriaav.
9. Das Futurum des Stammes öh.
Allgemein ist es bekannt, daß die slavische Sprache uns sehr
schwache Spuren des 5-Futurums gerettet hat, während dasselbe Tem-
pus im Litauischen von allen Verben gebildet werden kann. Ich finde
in neuen Lehrbüchern die schwachen Reste des s-Futurums, die sich
nur in der Participialbildung erhalten haben, nicht richtig beurteilt.
Miklosich sagt (Vergl. Gramm. IIL 89): »In einigen Denkmälern finden
wir ein Partie, fut. in der Form öiamA ÖramAmTH, öumA mit der Be-
deutung ioöf-iBvog^ (.lü.Xtov, y€v6f.i€vog; 6'muA ist eigentlich bysjont,
woraus sich ein Indikativ ÖHm^, 6'HmemH, ÖHmext; ÖHmesi, öurneTa,
ÖHmexe ; öiameMt, 6'MuieTe, Ö'muiat'b erschließen läßtc Vondräk sagt
dasselbe (S. 2 1 1) Futurum hätte slavisch bysq 2. P. byiesh etc. lauten
müssen, erhalten habe sich nur das Participium 6'mmA. neutr. 6'umax-
mxere th (.isllor. Auch Leskien •* 8. 159 führt als den einzigen Rest
das Part. öiamA neutr. öiamÄiuTeie zb (jeXlop an. Alles das ist nun
aber nicht genau. In den Reden des Gregorius von Nanzianz finden wir
folgende Participformen : iOSy ani;e jih 6o Bapmim cä caMT> SHaMenmeMt
H ÖMmAmTG oyTBpLAHmn, 108«: Mtiii fl,Si-jK.h iiHiiimtHieie a 6oy
ÖMuiAmTere, 366;^: a ^poysHH 6 h m a m e e npiac^e oysiAima, 103 a:
aKK oynpaatiiAain;H len m^cto h hg TpiöoyamA ^jiojioöhm h ÖHmAu^H
roptmH OTT. TptniHHH, 76«: naue ate cb MHpi> npinoymaiomio na-
CTOAmHH Kt ÖTümAiniooyMoy, 87«: cb iiexoyAOM'L npycoMt o ö-h-
mAinHHuit, 358y: H:Ke OTt ösman^aaro niKa npHAxoMt. Diesen
Beispielen mit a oder a nach m stehen zwei gegenüber mit a: 354 (J:
iie aKii HC B'iA'i>uj,K) 6oy ÖKuiAmaro, 366/: aK-Bi ei. cAminiOTi ci,
ÖMUiAminiMH CÄme. Es fragt sich, ob die letzten Beispiele richtig
wiedergegeben sind, weil der Kodex sonst a und a nicht verwechselt.
Der Herausgeber erwähnt in seiner grammatischen Analyse (S.47) aus-
drücklich die Stellen 354^ und 366/ unter der Form des Wortes öu-
mAU],GTe, ohne von dem befremdenden Vokalwechsel auch nur ein Wort
zu sagen. Die Richtigkeit der Formen mit a (= russ. a) wird durch
die Parallelen, die sich aus Gregorius in dem Izbornik Svjatoslava vom
J. 1073 nachweisen lassen. Da lesen wir für gr. lOS« im Izborn.1073,
3*
36 V. Jagic, Einige Streitfragen.
151/152: MH§ Aa^Kfc ii^iHimBiieie a 6oy ötimaiuTeK und für gr. 108/
ib. 152/?: h ßiimamere oyxBbpMHuiH. So steht auch (nicht aus Gre-
gorius) im Izborn. 1073. 159/: Aa oy>Ke kahuom. bt. iieöximaiuTere
oöoy^niBtH CA cyM-L Hxt TT, >Ke KT) coymeMoy 6oy bt> HcxHHoy npise-
AOyTfc. Auch die fein geschriebene Mineja Putjatina gibt 4^^: öiimA-
uiTHM'B, die ganze Stelle lautet: napaK.3HTOBoy th öüaroA^Tb HrepeMHie
npHHMT) BT> ÖHinÄinTHMt TH ÖTäTHH np^AHBtiio naoyiH CA. An der
Richtigkeit der Partizipform öi.imA-ö'LimAuiTH kann nicht gezweifelt
werden. Dann muß aber das Futurum nach der 4. Klasse gehen,
also : ö-HiHÄ, ÖKmEmH, öhuihti., ÖHmnM'i, ökiuhtb, ö-MiuATt. Das
wird aufs genaueste bestätigt durch das litauische Futurum, wo wir
bekanntlich haben hüsiu-büs{i)-hüsiwa-büsita-hüsime-hüsite. Das
Litauische also und das Slavische stimmen auch in diesem Detail über-
ein. Dasselbe gilt auch für das Lettische, wo man ebenfalls Plur. bü-
sim, büsit sagt. V. J,
Wortdentungen.
1. Asl. sova 'noctua', serb. sova 'Eule, Waldkauz', slov. sova
'Nachteule', cech. sova, poln. sowa, sorb. sova, russ. sova 'Eule' ver-
binde ich mit abret. couann 'noctua', nbret. kaouen, kaouan F. 'hihou',
cymr. cuan F. 'an owl, rock owl'.
Aus dem Gallischen stammt spätlat. cavannus [cavanus] 'ulula':
tristis perspicua sit cum perdice cauannus Poet. lat. min, rec.
Baehrens V. 36219; cauani ulule aues Corp. gl. lat. V. 353, 39;
[ulula, ullucus] quam auem Galli cauannum nuncupant Schol.
Bern, in Buc. VIIL 55, s. Loewe Prodr, 416, Goetz Thes. gl. emend.
L 194, Holder Alt-celt. Sprachsch. L 872, Landgraf ALL. IX. 445.
Das Wort ist auch ins Roman, übergegangen : frz. cJiouan [chat-huant],
picard. cawan u.s.w. — Das Suffix ist echtkeltisch: vgl, mbret, goelann,
nbret. gwelan 'mouette', corn. guilan 'alcedo', cymr, gwylan F. 'a gull,
sea mew', air. foilenn 'alcedo' i).
1) Ob frz. milan 'Hühnergeier', span. milano, ■gort. mtlhano (zu lattnilvus]
dieses kelt. Vogelnamensufüx übernommen hat?
Wortdeutungen. 37
Slav. sova geht also auf idg. *kauä- zurück. — Damit verbindet
Hirt BB. XXIV. 252 ahd. hüwo M. 'Eule' (vgl. ahd. hüioila, hiuwila
F. 'ds.', mhd.ÄtWew, hiuweln 'heulen, schreien', ahd. hiuimlön 'jubeln').
Die Eule ist fast immer nach ihrem Geschrei benannt. Nun haben
bekanntlich schallnachahmende Lautkomplexe einen vielfach schwan-
kenden Lautbestand: so wechseln häufig r und /, Labial und Guttural,
Gutturale verschiedener Qualität u.s.w. ab, und zwar ziehen
sich derartige Varianten häufig durch mehrere Sprachfamilien hin-
durch 1). Wir haben es also mit uralten lautähnlichen Parallel wür-
ze In zu tun, welche in den Einzelsprachen oder bereits in proethnischer
Zeit sich vielfach gekreuzt und gegenseitig beeinflußt haben; in den
wenigsten Fällen werden die Variationen auf rein lautlichem Wege
(durch Dissimilationen, Assimilationen u.dgl.) zustande gekommen sein,
und zu lautgeschichtlichen Zwecken sollten derartige Wörter nur mit
der größten Vorsicht in Anspruch genommen werden, eine Regel, wo-
gegen nicht selten gefehlt wird.
So bestehen auch in unserem Falle Benennungen der Eule oder
anderer durch ihr Geschrei auffallenden Vögel, welche auf velarem /c
anlauten : lit. nakü-kova 'Nachteule' oder 'Nachtrabe', kövas 'Dohle',
köna und kovä 'Saatkrähe' 2), poln. kawa^ kaivka, slov., cech. kavka
'Dohle' (asl. Savüka^ serb. davka 'ds.') 3), vgl. ai. käuti 'schreit', asl.
kuj'ati 'murren' u. a.
Neben lit. kaukiü kaükti 'heulen', ai. köka- 'Wolf; eine Gansart'
u. a. steht lit. szaukiü szaükti 'schreien, laut rufen, nennen' mit anlauten-
dem k wie in slav. sova, weiterhin mit anderen Gutturalen arm. xausim
'spreche' aus *qhauk-, awnord. gaukr, ahd. gouh 'Kuckuck' und nhd.
gaukeln u. a. aus *gJiaug-, ferner gr. y.avyäouat 'prahlen' und noch
andere Varianten *].
1) Eine stattliche Sammlung einer bestimmten Art dergleichen Wörter
stellt Zupitza Germ. Gutt. 123 f. zusammen.
2) S. Leskien Bild. d. Nom. im Lit. 343.
3) Daneben bestehen Formen mit idg. g: kiruss. gai-a 'Krähe', ahd.,
mndd. kä, nnd. hauw 'Dohle'.
*) Unter solchen Umständen hat m. E. der Versuch Pedersen's KZ.
XXXIX. 335, arm. xausim und gr. xccv/cofjut näher zu verbinden, nur einen
sehr bedingten Wert. — Gewiß unrichtige Vermutungen über xausim bieten
V. Patrubäny Sprachwiss. Abh. II. 221, 235, Scheftelowitz BB. XXVIIL
282, 312.
38 Evald Liden,
2. AsI. zrmja 'Schlange', zrmji 'Drache', nsl. zmija F., zmij '^.
'Schlange, Drache, Lindwurm', auchzme?-; zmijnica 'Landschildkröte',
bulg. zumija 'Schlange', zme;' 'Drache', serb. zmija PI. zmij'e 'Schlange',
zniaj zmuj'a 'Drache'; cech. zmij M., zmije F. 'Natter', zmek 'Drache' ;
poln. zmija 'Natter' ; russ, zmej^ zmäjä zmijä zomija 'Schlange'.
Daran erinnert alb. demj'e Fem. 'Raupe' {h.dixTtiu' Kavalliotis),
dsmizs, dimi-ze (Deminutivformen von *defni) 'Fleischmade'.
Zur Bedeutungsverscliiedenheit vgl. got. waurms as. wurm nschw.
orm 'Schlange', aber nhd. wurm ndän. orm 'vermis'.
Das slav.Wort verbindet Hirt BB. XXIV. 255 mit dem idg.Namen
für Erde: asl. zemlj'a, lit. zeme, gr. yßm>^ xainai, alb. öe u.s.w., und
Gustav Meyer Etym. Wb. d. alb. Spr. 465, Pedersen KZ. XXXVL
335 sprechen dieselbe Ansicht betreffs des alb. Wortes aus. Bugge
BB. XVIII. 190 hält die alb. Dialektform vem für die ursprünglichere.
Die Übereinstimmung des slav. und des alb. Wortes scheint für Meyer's
Auffassung zu sprechen.
Die Namen bezeichnen wohl ursprünglich ^humilis^ y_d-ai.iaX6Q\
das Tier, das »auf seinem Bauch geht«, im Gegensatz zu den aufrecht
gehenden Tieren.
3. Lit. mita 1. 'Stecken zum Netzestricken (Mielcke); 2. ein
kleines Brettchen, das mit einer Schnur am Ende des Netzsackes be-
festigt ist, und durch seine Lage auf dem Wasser die Stelle des Netzes
anzeigt, Garnflügel' (Nesselmann); in letzterer Bedeutung auch mitas
(Mielcke) i).
Die eigentliche Bedeutung ist gewiß 'Stecken'. Das führt auf Ver-
wandtschaft mit lit. mUas 'Pfahl' 2), lett. mets M. 'Pfahl, Staken, Hopfen-,
Bohnenstange', me-t 'bepfählen', me-tüt ds., m'etne 'die Stützen auf
den Schlittensohlen', maidit 'Pfähle od. Maijen in die Erde stecken',
maide 'Stange, Angelrute', mail'i^ mailmi 'Zaunstecken', auch lett.
ml-tra^ mi-tra 'Buxbaum' (s. Liden IF. XVIII); 2d.may-uhha- 'Pflock',
me-tU-, me-dhi- M. 'Pfeiler, Pfosten', mi-t- F. 'Säule, Pfosten' zu
mi-nö-ti mi-mäy-a 'befestigt, errichtet'; npers. mex 'Pflock, Nagel',
oss. mex^ mix 'Pfahl' (iran. *mai-xa-, Hübschmann Pers. Stud. 99 f.);
— awnord. meiör M. (urgerm. *mai-pa- od. -da-) 'wachsender Baum;
1) Prellwitz Etym. Wb. 201 bringt das lit. Wort mit gx. ixixos 'Ein-
schlagfaden' zusammen, aber die Bedeutungen sind nicht zu vereinen.
2) Belegt bei Leskien Bild. d. Nomina im Lit. 535 f.
Wortdeutnngen. 39
Baumstamm, Stange, Galgen, Schlittenkufe'; — ir. mede 'Nacken', me-
thos 'Grenzmark' u.s.w., vgl. Uhlenbeck Altind. etym. Wb. 216, 231,
Fick Vergl. Wb. II*. 205 u. A.
Lit. mitas, mita stimmt mit ai. mi-tä- 'befestigt, errichtet u.s.w.'
formell überein.
Nebenbei fragt es sich, ob nicht cymr. mxjnaxcyd^ bret. minaoued,
mir. menad^ gäl. minidh 'Ahle, Pfrieme' (kelt. *minav-eto-) eigentlich
'Stecken' bedeutet und der fraglichen Wortsippe (vgl. besonders ai.
mi?iö-ti) anzureihen ist. Anders, begrifflich nicht überzeugend, Stokes
Fick Vergl. Wb. II 4. 216.
4. Lit. büde Fem. 'ein kleiner Wetzstein, der z. B. zum Schärfen
der Sense gebraucht wird' (Nesselm. 335, Kursch. LDWb. 61), auch
budis Fem. 'ds.' (Kursch.).
Es erinnert an nschwed. dial. (Upland) büda 'reiben' (awnord.
^bud-, s. Tiselius Svenska Landsmälen XVIII. 5 : 74).
Beide Wörter stehen, so viel ich weiß, vereinzelt da. Ich teile die
Zusammenstellung mit, um weitere Nachforschung anzuregen. — Es
wäre auch an sich möglich, daß das lit. Wort zu der bei von Friesen
De germ. mediagem. 89 ff. zusammengestellten Wortsippe gehören
könnte.
5. lAi. perple F. 'eine Art weißer Hafffische' (Nesselm. 286 nach
Ruhig und Mielcke), vgl. nhd. dial. perpel^ parpel^ porpel 'Alosa finta
Cuv.', 2iViQ,h. perdeVdiS.^ pardel 'ein kleiner Hering, eigentlich die Sprotte'
bei Frischbier Preuß. Wörterb. II. 121 f., 123, 132, 134 nach ver-
schiedenen Quellen. Daselbst werden als lit. Formen auch perpels und
perpele bezeugt.
Die vielleicht früheste Erwähnung des Wortes findet sich in dem
Werke des schwedischen Erzbischofs Olaus Magnus Historia de gen-
tibvs septentr. (Rom 1555), lib. XXI, cap. 50: » [piscem] quem commu-
niter Thrissam, .... Romani Lacciam appellant, ... talem etiam hoc anno
in Prussia circa mare (vt vocant) recens ... videlicet circa castra Balge &
Lockstede in maxima multitudine captum esse compertum habetur. Nam
horum piscium, quos Pruteni Porpel appellant, ... piscator quidem duo-
decim millia et sexcentos... mense Maio intra quatuordecim dies ... cepit«.
In welcher Sprache das Wort ursprünglich heimisch gewesen ist,
bleibt zu bestimmen.
Gotenburg (Schweden), im Nov. 1905. Evald Liden.
40
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Sloyenischen
(Praesens effectivum).
Der Einfluß des deutschen Sprachelementes auf das slovenische
zeigt sich nicht bloß im Wortschatze, der vorzugsweise in den Städten
voll von Germanismen ist, sondern auch in syntaktischer Hinsicht.
Diese syntaktischen Verderbnisse als etwas ursprüngliches, speciell
slovenisches gegenüber dem Slawischen wissenschaftlich zu verteidi-
gen, bemüht man sich umsonst. Sie sind zwar alt, kommen schon in
den Freisinger Denkmälern vor, man kann sie bei den protestantischen
Schriftstellern lesen und sie werden heutzutage in Schrift und Sprache
gebraucht, doch auch die Tradition kann einen Fehler nicht ent-
schuldigen.
Nur ein imperfektives Verbum kann bekanntlich im Slawischen
ein Präsens bilden. Ausnahmen im Aksl., Ob.- und Nied.-Laus. vgl.
Miklos. Synt. 777. Im Slovenischen dagegen gibt es eine lange Reihe
perfektiver Verba mit dieser Eigentümlichkeit. Als solche nennt man
vor allem folgende: J)pohvalim te, priporocim se, poklonim se, oblju-
bim, zahvalim se, zagotovim, zapovem, preklicem, prisezem, vkazem,
sklenem, zarotim te, odpovem se, izpovem se, obtozim se, pozdravim te,
povem, pustim, kupim, dam u. s. w. (ich belobe dich, empfehle mich,
verbeuge mich, verspreche, danke, versichere, gebiete, widerrufe,
schwöre, befehle, schließe, beschwöre dich, entsage mich, bekenne,
klage mich an, grüße dich, sage, lasse, kaufe, gebe u. s. w.)«. Alle
citirten Verba haben auch eine imperf. Form, so : hvalim te, priporo-
cam se, poklanjam se, obljubujem ^) neben obetam, zahvaljujem se, za-
gotavljam, zapovedujem u. s.w., doch diese Form bedeutet im Sloveni-
schen eine intensivere Dauer oder Iteration. Wer z. B. sagt priporocam
se, der hat dadurch seinen Empfehlungsakt nicht vollzogen, mit anderen
1) Diese Form ist nicht neu geschmiedet und dem Volke unbekannt
(Skrabec, Cvetje XVI. 8), sondern ist sowohl den sloven. Schriftstellern seit
Trubar, als auch dem Volke sehr gut bekannt und gebraucht. Daß »oblju-
blujem« richtiger wäre, ist zweifelhaft, da die Trennung der Verba der
VI. KI. in die denominativen und deverbativen nicht anzunehmen ist (vgl.
Jagid, Synt.).
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Slovenischen. 41
"Worten, er hat nur gesagt: »icli pflege mich zu empfehlenc, oder ähn-
liches. Dieses intensive oder iterative Gefühl beim Aussprechen eines
der citirten Verba hat sehr richtig betont der für die slov, Phonetik
hochverdiente Slavist P. §krabec in Cvetje XVI. 8— 10 ; VII, 2, XI. 1—3
und auch im Archiv XXV. 554 sq. erwähnt.
Schon in den Freisinger Denkmälern wird von dieser Art perf.
Verba das Präsens gebildet, es heißt darin : izpovede, poroco, zagla-
goljo, d. h. ich bekenne, ich empfehle, ich entsage mich. Ähnlich liest
man beim ersten slovenischen Schriftsteller Pr. Trubar : I. Cor. 14, 18
Gratias ago Deo meo — Jest zahualim muiga Boga, ebenso I. Cor. 1,14;
Job. 11, 41; Luc. 18, 11; ähnlich übersetzt Trubar confiteor gewöhn-
lich mit zahualim neben spoznam. Act. 20, 32 Et nunc commendo vos
Deo — lest uas izroöim Bogu. Marc. 1 1, 24 ego praecipio tibi, exi ab
eo — Jest tebi zapoueim^ de ti gres uun iz znega, ähnlich Joh. 15, 7 ;
Act. 16, 18; I. Cor. 7, 10. Joh. 16, 7. Sed ego veritatem dico vobis
expedit vobis, ut ego vadam — Ampag iest uom risnicno poueim . . .,
ähnlich Matth. 16, 18; Luc. 12, 4; Joh. 6, 53 u. s.w. Da dieses Verbum
in der Bibel unzählige Male vorkommt für das lat. dico, aksl. rjiaroJiMi,
serbokr. kazem, russ. roBopio u. s. w., ist es unmöglich, dabei an ein
Futurum zu denken (wie Navratil), obwohl der Inhalt der Aussage
einigermaßen als zukünftig gedacht werden kann ; das Fut. lautet bom
povedal, Rom. 16, 22 Saluto vos ego Tertius — Jest Tertius vom muio
sluzbo s/>OMe^m, ebenso I. Kor. 16, 21; Rom. 16, 1 Commendo autem
vobis Phoeben — Jest vom poroHm to Febo. u. s. w.
Den nämlichen Gebrauch der erwähnten perf. Verba finden wir bei
den Schriftstellern späterer Jahrhunderte bis zu den neuesten Zeiten.
Erst als sich besonders seit Levstik der slawische Einfluss auf die slo-
venische Sprache bemerkbar machte, begann man auch in diesem Punkte
andere Slawen nachzuahmen, und die imperf. Form im Präs. zu ge-
brauchen. Z.B. das von Stritar übersetzte und von der bibl. Gesellschaft
ausgegebene Neue Testament mit Psalmen bedient sich konsequent im
Präs. nur eines imperf. Verbums.
Doch die alte Schreibart fand und findet noch immer ihre Vertei-
diger, die nicht bloss auf die Unmöglichkeit des Gebrauches eines
imperf. Verbums statt des perf. in diesen Fällen hinweisen, sondern
auch bestrebt sind, den Gebrauch des imperf. Verbums wissenschaftlich
und logisch als unberechtigt zu beweisen.
Es möge zuerst die Frage aufgeworfen werden, welche perf. Verba
42 J- Mencej,
im Slov. haben die Eigentümlichkeit, das echte Präsens zu bilden.
Kopitar und nach ihm Metelko behaupten dasselbe von perf. Verben
tlberhaupt. Zu dieser Behauptung citirt der Erstere Verba wie: »stre-
lim, sköcim, vzdignem, vmerjem, zvözem, sturim,vjämem, verzem« u. s.w.
Man muss wohl zugeben, dass gerade die erwähnten Verba an sich
selbst sehr wenig Futurisches haben, jedoch echte Praesentia in unse-
rem Sinne sind sie nicht; sie bedeuten eigentlich nur eine präsentische
Potentialität oder Konditionalität. Kopitar übersetzt sie zwar: jjieh
schieße (einmal), springe, hebe, sterbe« u. s.w., doch diese deutsche
Übersetzung deckt sich keineswegs mit dem Sinne des slov. Verbums :
sköcira, vzdignem, zvezem, sturim, vjämem, verfem« heißt »ich bin
gegenwärtig im Stande zu . . ., ich kann . . .«; »vmerjem« heißt mehr
»bin bereit«. Über diesen eigentümlichen Sinn vieler perf. Verba im
Praes. spricht auch Miklosic nach Solar (Synt. 774, vgl. auch 776). Da
im Vorliegenden nur vom Präsenssinne die Rede sein soll, übergehen
wir diese auffallende Erscheinung.
Der Dichter und zugleich Grammatiker Val.Vodnik stand in Bezug
auf das Präs. des perf. Verbums auf dem deutschen Standpunkte. Seine
Ansicht charakterisirt genügend das Paradigma für das Präsens, wel-
ches er in seiner Grammatik (Pismenost pag. 129) aufgestellt hatte:
»ravno sdaj pridem is Gorize ino ti pernesem to pismo«. Navratil (Bei-
trag zum Studium des slav. Zeitwortes 1856) will jedem Präsens des
perf. Verbums im modernen Slov. einen futurischen Sinn zuschreiben.
Die oben erwähnten » Praesentia tf Kopitar's sind ihm Futura. Solar
(Gymnasialprogramm von Görz 1858, pag. 19) und nach ihm Miklosic
verwerfen den Gebrauch der perf. Verba für das Präsens im Slov. ; der
erstere will nur einige Ausnahmen haben, da er ähnliche Erscheinungen
schon im Griech. und Lat. findet. Diese Ausnahmen sind unter die
obigen Verba eingereiht (pohvalim, prisezem, povem u. s. w.). L. Pintar
(Lj. Zvon X) stellte, um einige syntaktische Verderbnisse zu rechtferti-
gen, ein Präsens mit » faktischer (t Bedeutung auf (vgl. V. Bezek's Ant-
wort Lj. Z. XI).
Skrabec hat jedoch den Präsensgebrauch der perf. Verba in den
erwähnten Nr. von Cvetje von neuem in Schutz genommen und gegen-
über seinen Vorgängern diesen Gebrauch auf bestimmte Verba und be-
stimmte Person beschränkt. Er behauptet: sobald die Tat mit dem
Aussprechen des Wortes auch vollzogen werden soll, möge das perf.
Verbüm oder die perf. Form desselben im Präsens angewendet werden.
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Slovenischen. 43
Wenn man sagt »ich danke«, hat man die Tat nicht bloß angekündigt,
sondern auch schon vollzogen, d. h. der Akt des Dankes erscheint hier-
mit als abgeschlossen, und beides, die Ankündigung und der Akt selbst,
fallen gleichsam in eins. Deshalb verlange die Logik wegen der Kürze
des Momentes, das perf. Verbum zu gebrauchen. »Djanja, ki se stori
z besedo, s ketero se imenuje, Herbig ne omenja; stari poganski Sloveni
ga najberz tudi niso poznali; ali dandanasnji se ga ne moremo ogniti.
Treba je torej, da se zagotovimo, kako ga je izrazati. Cerkvena slo-
venscina je izvolila, morehiü po vplivu gerskega vedno nedoversenega
sedanjika, nedoversene glagole, prim. eucholog. sinait. 67 b: ispovedaja,
68 b: otüricaja, 72 b: predaja i t. d. To velja tudi v hervascini, prim.
ritual: ja te odrjesujem (ego te absclvo) i t. d. Kedor zmirom le odve-
zuje, Bog ve, ali bo kedaj kaj odvezala. »Es ist nun sonderbar, daß
diesen momentanen Akt die meisten slawischen Sprachen durch Aus-
sprechen des Präsens eines imperfektiven Verbums vollziehen«.
Weiter bezeichnet Skrabee dieses Präsens der perf. Verba im Slo-
venischen als »Praesens effectivum«, da wir mit ihm die Tat auch
vollenden (»zversiti«) wollen, was uns bei der Anwendung des imperf.
Verbums nicht gelingt.
V
Zu dieser Auseinandersetzung Skrabee s soll nun bemerkt werden,
erstens, daß diese perf. Verba einen abstrakten Begriff haben müssen,
zweitens, können sie ausschließlich so in der ersten Person Praes. Ind.
gebraucht werden. Denn nur in der ersten Person kann der Akt mit
dem Aussprechen des Wortes auch vollzogen werden, ohne etwas Prä-
teritales oder Referirendes in sich zu enthalten. Man muß somit diese
zwei Punkte der Behauptung fest im Auge behalteu.
Skrabee meint endlich, »unsere Vorfahren hätten wahrscheinlich
in solchen Fällen nie imperf. Verba gebraucht«. Da der historische Be-
weis von größter Bedeutung ist, gehen wir gleich auf die Untersuchung
dieser seiner Meinung über.
Trubar, der sich oft eines perf. Verbums im Präs. bedient, wie
oben gezeigt worden ist, wendet auch in solchen Fällen das imperf.
Verbum an. I. Cor. 7, 28 Ego autem vobis parco — Jest vom pag za-
na&am (Wolf: perzanesem). II. Cor. 1, 23 Ego autem testem Deum in-
voco — Jest pag Jclidem na Buga kani pryci (Wolf: poklidejn). Rom.
3, 31 Absit! Sed legem statuimus — Nekarl Temuc mi to Postauo
terdimo (Wolf: poterdimo). Marc. 11, 71 nescio homiuem istum —
Jest ne znam tiga cloueka (Trubar braucht für »kennen — cognoscere«
44 J- Mencej,
nur znati, heutzutage ist ausschliesslich poznati imperf. ; Wolf: poznam).
Matth. 20, G3 Adiuro te per Deum vivum — Jest tebe zaklinam (Wolf:
zarotim). Joh. 20, 21 Sicut misit me pater, et ego mitto vos — Koker
ie ta Oca mene poslal, taku jest uas poHlem (Wolf: poiljem). Luc. 10, 3
ecce ego mitto vos sicut agnos — Jest uas poülem koker ta Jagneta
(Wolf: poUjem). I. Cor. 12, 3 Ideo notum vobis facio — Za tiga volo
vom daiem naznane (Wolf: na znanje dam), ähnlich II. Cor. 8, 1. Luc.
2, 10 ecce enim evangelizo vobis gaudium magnum — Pole, Jest ozna-
nuiem veliku Vesselie (Wolf: oznanim), I. Cor. 15, 51 Ecce mysterium
vobis dico — Pole, lest vom prauim eno skriuno rec (Wolf: povem),
ähnlich L Cor. 15, 50. Ebenso Rom. 1 1, 1 ; 11, 11 ; 12, 3; 15, 8 u.s.w.
Trubar: prauim, Wolf dagegen: redem. Rom. 11, 13 Trubar: gouorim,
Wolf: re6em. II. Cor. 8, 10 et consilium in hoc do — Inu vetim vom
suetuiem (Wolf: svet dam), Luc. 23, 46 Pater in manus tuas commendo
spiritum meum — Oca \Q&i poroöain mui Duh vtuie Roke (Wolf: per-
porocim) u. s. w.
Diese Beispiele zeigen, daß in Fällen, wo die Tat mit dem Aus-
sprechen des Wortes auch vollzogen wird, die Wolf 'sehe Bibel richtig das
perf. Verbum anwendet, daß Trubar jedoch, der 300 Jahre vorher die
Bibel übersetzt hat, das imperf. Verbum gebraucht. Wenn man heutzu-
tage anfragen würde, welche Redeweise klingt natürlicher — sloveni-
scher, die von Trubar oder die der Wolf'schen Bibel, so glaube ich,
wird sich die Mehrzahl für das letztere entscheiden. Wenn Trubar
schreibt: zanasam, zaklinam, po&ilem, fühlt man heutzutage wirklich
dasselbe wie im deutschen : ich pflege, ich bin gewohnt, ich bin jetzt
daran beschäftigt — zu schonen, zu beschwören, zu schicken. Gegen
den Satz »zjom daiem naznane'^. wendet Skrabec, der sich für »dam«
entscheidet, ein: »morebiti bi mu ta odgovoril« : »Saj se ne branim!«
(= ich wehre mich ja nicht). Auch in -Dporodam«. ist nicht das aus-
gedrückt, was man sich wünscht, denn »koliko casa bo Treba cakati,
da bo . . . doverseno«.
Nachdem wir zwei durch Jahrhunderte entfernte Schriftstücke nur
oberflächlich verglichen haben, entsteht die Frage, welches von beiden
das slovenische Sprachgefühl besser getroffen hat ? Trubar ist schwan-
kend in der Anwendung des imperf. oder perf. Verbums (Luc. 23, 46
poroöam, Rom. 16, 1 porodim). Die Wolf 'sehe Bibel entscheidet sich
konsequent für das letztere. Auch heutzutage würde man sich, ohne
Berücksichtigung des slawischen Standpunktes, für das letztere ent-
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Slovenischen. 45
acheiden. Trubar, der das imperf. Verbum noch fleißig gebraucht, bat
diese intensive oder iterative Dauer, welche uns heutzutage auffällt, be-
stimmt nicht oder wenigstens nicht so stark gefühlt. Diese Erscheinung
ist etwas secundäres.
Auch der ungarisch-slovenische Übersetzer des Neuen Testamentes
Stevan Küzmics steht in dieser Frage Trubar zur Seite. Nicht bloss
an diesen Stellen, wo Trubar das imperf. Verbum anwendet, stimmt er
mit ihm überein, sondern auch sonst gebraucht er als Extrem von der
Wolf'schen Bibel regelmäßig wie andere slawischen Übersetzer das
imperf. Verbum. An den früher citirten Stellen, wo Trubar sich eines
perf. Verbums bedient, heißt es bei Küzmics nur: vadlüjem, prepo-
räcsam, zapovidävam, velim, pravim, pozdrdviam, poräcsam. Nur
bei dam-dajem ist er schwankend ; er schreibt gewöhnlich hvälo däjem^
jedoch auch hvälo däm (so Joh. 11, 41), ebenso zapoved däm (Joh.
13, 34), razum (= Rat) däm (I. Cor. 7, 25).
Andere Bibelübersetzer nach Trubar, die von ihm mehr oder we-
niger abhängig waren, verwandeln an diesen Stellen nach und nach die
imperf. Form oder das imperf. Verbum in die perf. Ausdrucksweise, und
es ergibt sich aus dem Vergleiche, daß im Slovenischen das Bedürfnis,
sich mit dem perf. Verbum auszudrücken, seit Trubar's Zeiten immer
mehr zugenommen hat. Man wollte damit die Einmaligkeit der Hand-
lung betonen, die man in der imperf. Form nicht fand. Und so drückt
man sich heutzutage lieber mit der perf. Form aus, da die entsprechende
imperf. Form meist eine höhere Intensivität bedeutet. Von den Verben,
wo die letztere noch nicht ganz ausgebildet ist, hat man gleichsam zwei
Praesentia (in der ersten Person). Das Verhältnis derselben unter-
einander stimmt mit dem Verhältnisse des deutschen einfachen Verbums
zu seinem Kompositum überein. Wenn Pintar neben dem gewöhnlichen
Präsens ein Präsens mit »faktischer« Bedeutung aufstellt, entspricht
das vollkommen der Wahrheit, nur sollte er noch hinzufügen, daß das
letztere Präsens ein Germanismus ist: hvalim te (ich lobe dich über-
haupt), joo7iüa/«m te (ich belobe dich einmal jetzt), svarim te (ich mahne
dich), posvarim te (ermahne dich), klidem te (ich rufe dich\ poklidem te
(ieh rufe dich auf), ähnlich opominjam te (ich mahne dich überhaupt),
opomnim te (ich ermahne dich jetzt), ebenso ro^e'm-^aro^em (beschwöre),
vahim-povahim (lade ein), 6utim-ohdutim (empfinde), upayn-zaupam
(vertraue), morem-zamorem (vermöge), spom'mjam se-npomnbn sc (ge-
denke) u. s. w.
46 J. Mencej,
Es ist ganz ausgeschlossen, aus der sloven. Literaturgeschichte
eine ursprüngliche sloven. Eigenthümlichkeit gegenüber anderen slawi-
schen Sprachen zu konstatiren. Aus der Zunahme des Gebrauches des
perf. Verbums im Präs., dann aus Küzmics' Bibel ist jedoch ersichtlich,
daß die Slovenen in diesem Punkte einst mit anderen Slawen überein-
stimmten.
Mit der Meinung, dass nur die Intelligenz, nicht aber das sloven.
Volk so spreche, gesprochen und geschrieben habe, muß man sehr
distinguirt umgehen. Manches kommt wirklich beim Volke nicht vor,
z. B. ein zamorem (Trubar hat dafür premorem), es spricht immer nur mo-
rem ; oft kommt ihm die Redeweise in der ersten Person etwas schwer-
fällig vor, es versucht sich anders auszudrücken; statt zahvalim se ist
üblicher: hvala ti bodi oder Bog lonej; statt pozdravim te spricht man
lieber: zdrav ostani, Bog ti daj zdravja; statt prekolnem te sagt jeder:
preklet bodi u. s. w.
Eine große Mehrzahl der bis nun in der ersten Person des Präsens
gebrauchten perf. Verba ist aber im Volke so sehr eingewurzelt, daß
an irgend eine Aenderung durch Beeinflussung der Literatur unmöglich
zu denken ist.
Daß die Slovenen den Präsensgebrauch der perf. Verba dem deut-
schen Einflüsse zu verdanken haben, überzeugt man sich ferner am
besten, wenn man die Zahl solcher Verba möglichst erweitert. Diesem
Mißbrauche unterliegen mit geringer Ausnahme einheimischer Verba
lauter Germanismen, Slavismen oder neugeschmiedete Verba. Ich nenne
noch einige: zadrzim se (verhalte mich), predlozim (nur in abstr. Bed.,
lege vor), prekliöem (widerrufe), prepustim (überlasse), odstopim (nur
abstr. trete ab), poterdim (bestätige), zamerim (vermesse), dopadem
(gefalle), odpustim (entlasse), zaverzem (verwerfe), zastopim (verstehe),
spoznam (erkenne), zapustim (verlasse), sprevidim (sehe ein), odvezem
(nur abstr. entbinde), zavezetn (nur abstr. verbinde), izpovem se (be-
kenne), vknjizim (einverleibe), odstavim (nur abstr. setze ab), zanesem
se (verlasse mich), dopustim (lasse zu), predstavim (nur abstr. lege vor),
pozdravim ^) (begrüsse), poljuhim 2) (nur abstr. küsse), pozovem te (ich
1) Skrabec beruft sich sehr gerne auf dieses Verbum. Es ist Trubar
unbekannt, dafür schreibt er immer: sluzbo spoueidati. Rom. 16. Arg. »(Paul)
nakaterim Rymskim kershenikom Sdra[u?]ie . . . prossi, Tu ie koker mi Crainci
gouorimo, sluzbo spoueida«.
2) Beim Volke nur »kusniti« gebräuchlicb. So auch bei den sloven.
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Slovenischen. 47
rufe dich), ohjavim oder priobdim (veröflFentliche), opozorim (ermahne),
opazim (bemerke), priznam (bekenne), odklonim (nur abstr. ich lehne
ab), naznadim (ernenne), poklonim se (verbeuge mich), oprostim ti
(entschuldige dich) u. s. w.
Es sind meist Kulturwörter, an ihre sloven. » Ursprünglichkeit (f zu
denken, ist ausgeschlossen. Berücksichtigt man noch das Princip der
deutschen Syntax, wornach das zusammengesetzte Verbum, ohne den
Verbalstamm oder die Endung wegen der Präfigierung einer Änderung
zu unterziehen, das echte Präsens bilden kann (vgl. darüber auch Miklo-
sich Synt. pag. 289 nach Grimm), so ersieht man, daß das Slovenische
wenigstens in diesen Verba mit dem Deutschen übereinstimmt. Andere
slawische Sprachen, die auch nicht frei sind von Germanismen und
Latinismen, haben noch genug Stärke gehabt, dieselben in diesem
Punkte ihrer Syntax zu accommodiren, das slovenische Sprachgefühl,
insbesondere das der Intelligenz, verhielt sich jedoch einer fremden
Waare gegenüber zu passiv, um das zu vollführen. Der sloven. Über-
setzer übersetzt ein deutsches Wort wörtlich, d. i. den Präfix getrennt
vom Verbalstamme, und wenn er dann beides zusammensetzt, nimmt
er keine Änderung des Verbalstammes mehr vor, um das Verbum im-
perfektiv zu erhalten.
Nach der Analogie der Germanismen haben sich nicht bloß Sla-
vismen, die bekanntlich nur in der schönen Literatur leben, sondern
auch ein paar ursprünglich slovenische Verba gerichtet, — soweit man
von einer Ursprünglichkeit im Gegensatze zu einer fremden Provenienz
sprechen kann, so : vkazem^ zapovem^ prepovem^ prisezem^ opomnim^
pustim u. s.w. Bloß diese letzteren Verba für den Beweis einer sloven.
Eigentümlichkeit gegenüber anderen slaw. Sprachen heranzuziehen, ist
ungenügend. Es soll bemerkt werden, daß gerade diese Verba vor-
zugsweise in Befehl-, Schwur-, Gebets- und anderen Formeln vorkom-
men. Leute, die diese Formeln aus dem Deutschen übersetzt haben,
waren der sloven. Sprache nur oberflächlich mächtig. Die einmal falsch
gebrauchte perf. Form hat allmählich auch im Volke Eingang gefunden.
So erklären wir uns die Fehler in den Freisinger Denkmälern und den
fast regelmäßigen Gebrauch der perf. Form bei Trubar in zapoucim,
zahvalim, prise£em u. s. w.
Schriftstellern bis zur Mitte des vorigen Jahrh. Trubar bat »kusniti« oder
»pusati« = Bussen, Bussel oberdeutsch für Kuß.
48 J- Mencej,
Dieser Gebrauch hat sich jedoch nicht in allen Personen des Prä-
sens gleichmäßig ausgebreitet. Es ist schon oben betont worden, dass
Skrabec denselben nur für die erste Person als berechtigt und not-
wendig betrachtet, für die dritte Person verwirft er ihn als falsch (vgl.
Archiv 1. c). Beim Aussprechen der dritten Person liegt bekanntlich
immer auch etwas Präteritales und man kann diesen Moment nicht so
konstatieren, wie es in der ersten Person den Anschein hat. Statt der
dritten Pers. Praes. können wir uns meist auch des Perfekts bedienen.
Der Sinn verliert gar nichts, wenn man sagt statt: »ow ti odpusda
grehea oon ti Je odptistil grehea. Neben on ti odpuiöa grehe^ wo
imperf. Form steht, hört man aber auch im Sloven. nach Analogie der
ersten Person: on ti odpusti grehe^ ti mu odpustis grehe^ ebenso
plur., ohne daß dabei an eine Zukunft gedacht wird.
Wir teilen alle im Präsens gebrauchten perf. Verba in zwei Grup-
pen. Bei einigen Verba hat sich dieser Gebrauch in allen Personen
gleich ausgebreitet, wie: zameriti^ zadrzati se, obstati^ dopasti^ za-
stopiti^ pustiti^ sprevideti, zanesti se u. s. w. Diese Verba gelten nun
als imperf. Bei anderen Verba ist der Gebrauch schwankend. In der
ersten Person steht die perf. Form und das Verbum wird da deshalb
auch einigermaßen imperf. gefühlt, doch dieses Gefühl der Imperfek-
tivität ist noch nicht so stark, daß die perf. Form auch in anderen
Personen statt der imperfektiven verwendet werden könnte. Man spricht
heutzutage: zapovem^ zahvalim se, povem, oblj'ubim u.s.w., die imperf.
Form ist oft fast unmöglich anzuwenden, doch es stört einen nicht zu
sagen : on zapoveduj'e, on se zalivaljuje, pravi, obeta oder obljubuje
u. s. w. Bei der dritten Person fühlt man auch keine oder höchstens
eine sehr geringe Iteration. Oft ist man im Zweifel, wofür man sich
entscheiden soll: pozdravi oAqx pozd7'avlja^ naznani oder naznanja.
odpusti oder odpu^6a, obljubi oder obeta \\. s. w. Das Volk gebraucht
beides.
Zwischen der ersten und der dritten Person macht schon Trubar
einen Unterschied. Rom. XVI. 22: Saluto vos ego Tertius — Jest Ter-
tius vom muio sluzbo spoveim, aber bald darauf 23: Salutat vos Caius
— Vom sluzbo spoveida (statt spovei), 21: Vom sluzbo spouedaio (statt
spoueio), ähnlich I. Cor. XVI. 21: Jest Paulus vom sluzbo spoveim, doch
etwas oben 19: Te Cerque vom sluzbo spouedaio und ta Aquilas inu
Priscilla sluzbo spouedata (statt spouesta], 20: spouedaio.
So geht es bei Trubar weiter. Die dritte Person lautet bei ihm
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Slovenischen. 49
regelmäßig: zapoueida^ zahvaluie se, oblubuie, pravi {pove habe ich
nirgends gefunden) u. s. w.
Gegenüber Trubar und dem heutigen Sprachgebrauche liebt die
Wolf'sche Bibel auch in der dritten Person das perf. Verbum. An der
obigen Stelle, wo Trubar noch unterscheidet, schreibt diese Bibel nur :
pozdravim, pozdravi, pozdravita, pozdravij'o. Für das regelmäßige
pravi bei Trubar schreibt Wolf unzähligemal pove oder rede. Ähnlich
lesen wir schon vorher bei Vodnik: ta telegram pove, cesar ukaze, on
se zaroti u. s. w. Schon aus einem oberflächlichen Nachschlagen über-
zeugt man sich, daß unsere Schriftsteller im Anfange des vorigen Jahr-
hunderts zwischen einem perf. und imperf. Verbum oft fast keinen
Unterschied mehr machten. Das Neue Testament von Küzmics ist auch
in Bezug auf die zweite und dritte Person konsequent in der Anwendung
der imperf. Form.
Ebenso wie in diesem Präsens steht auch in dem Präsens, wo eine
Behauptung in der Vergangenheit ausgesprochen ist, aber infolge
schriftlicher oder mündlicher Überlieferung auch der Gegenwart ange-
hört, das imperf. Verbum einzig berechtigt. Den besten Beweis dafür
liefert uns Trubar, dem es eher an der Hand wäre, das perf. Verbum
zu gebrauchen, wenn er die Einmaligkeit der Handlung so in Betracht
gezogen hätte wie Pintar (Lj. Zvon 1. c). Gegen das eine Beispiel Pin-
tar's sprechen Hunderte bei Trubar (vgl. besonders Trubar's Vorreden
und Argumenta zu den Apostelbriefen). Das Praes. histor., welches
man mit diesem Präsens identifizieren will, ist sehr leicht zu unter-
scheiden.
Auch in den Sätzen mit allgemeiner Geltung, wo von einer Perfek-
tivität überhaupt nicht die Rede sein kann, da sie gleichsam ein Ver-
hältnis, eine Situation angeben, kann nur ein Imperfekt. Verbum im
Präsens stehen. Wenn man heutzutage schreibt pomeni statt pomenja,
za6ne statt zaöety'a, to se razloÖi statt razloöiije, to ohstoji statt oh~
stoj'a, razume se statt razumeva se u. s.w., kann man sich zwar auf die
Tradition berufen, denn schon Trubar schreibt so, jedoch diese fehler-
haften Formen wissenschaftlich in Schutz zu nehmen, ist verwerflich.
Denn sobald man diesen alten Verderbnissen zuliebe ein neues Princip
des Gebrauches der perf. und imperf. Verba aufstellt, müssen auch an-
dere richtige Formen, die bis jetzt im Volke und in der Schrift gut er-
halten sind, nach diesem Principe verdorben werden.
Zum Schlüsse kommen wir auf die Haupteiuwände Skrabec's gegen
Archiv für Blaviacho rhiloloßie. XXVlll. 4
50 J- Mencej,
den Gebrauch der imperf. Verba. Daß in den Fällen, wo der Akt mit
dem Aussprechen auch vollzogen wird, das perf. Verbum zu gebrauchen
ist, kann man erstens aus der Geschichte der sloven. Sprache nicht be-
weisen, zweitens weiß man nicht, in welche Rubrik die imperf. Verba
einzureihen sind, wo auch der Akt mit dem Worte abgeschlossen wird,
so: zelim (wünsche), prosim (bitte), vem (ich weiß), kesam se (ich be-
reue), Ijubim (ich liebe), tirjam oder zahtevam (ich verlange), ugovarjam
(nicht ugovorim, widerspreche), pogresam (nicht pogresim, vermisse),
prikrivam (nicht prikrijem, verheimliche) u.s.w., überhaupt abstrakte
Verba.
Wenn man zelim, da odides, und zapovem, da odides parallel stellt,
wird man doch nicht behaupten, daß darin ein anderer Unterschied
vorliegt als der, daß der eine Satz den Wunsch, der andere den Befehls-
akt vollzieht. Ein »effektives Präsens« müßte Skrabec entweder für
imperf. und perf. zugeben, oder beweisen, daß die oben genannten
Verba perfektiv sind.
Es ist somit nicht »sonderbar, daß diesen momentanen Akt die
meisten slawischen Sprachen durch Aussprechen des Präsens eines
imperfektiven Verbums vollziehen« (Arch. XXV. 555), denn dasselbe
geschieht außer in Germanismen, Slavismen und ein paar einheimischen
Verba auch im Slovenischen.
Auch das ist kein Einwand, daß man in den imperf. Formen eine
stark hervortretende intensive oder iterative Dauer fühlt, was man so
gerne betont. Man muß bedenken, daß pozdravim, zahvalim se, zapo-
vem, obljubim u. s. w. durch ihren langen falschen Gebrauch in der
ersten Pers. des Präs. gleichsam als imperf., spec. einfach durativ ge-
fühlt werden, und deswegen mußte die entsprechende längere Form
auf eine höhere Zeitdauerstufe erhoben werden, d. i. iterativ gefühlt
werden (vgl. darüber Jagic, Synt. I. H. 72 sq.). Wenn Skrabec meint,
andere Slawen denken nicht so logisch (!), vgl. Cvetje 1. c, so ist das
vom sloven. Standpunkte richtig. Man muß jedoch bedenken, daß bei
ihnen auch diese Störung der Zeitdauerstufe nicht vor sich gegangen ist
und dazu auch kein Grund vorhanden war. Dieses logische Denken im
Sloven. hört aber meistenteils schon bei der dritten Person auf.
Daß in pozdravim der Begrüßungsakt vollzogen wird, und in
pozdravljam nicht, ist leicht erklärlich. In jedem beliebigen Verbum
zeigt die iterative Form weniger Erfolg — soweit wir von diesem spre-
chen können — , als die entsprechende durative Form.
Zur Präsensfrage perfektiver Verba im Slovenischen. 51
, V
Als Praesentia effectiva bezeichnet Skrabec auch zwei echte Pu-
tura: Na to ti dam izrocim, posodim . . . und kupim (rus3. Bot-b a. Te6i
AaMt, Kynjuo). Der Willensakt bei kupim ist wirklich präsentisch, doch
gekauft hat der Betreffende gewiß noch nicht, wenn er nur dieses Wort
ausgesprochen hat. Übrigens haben wir bei diesen zwei Beispielen
zwei Dinge zu unterscheiden : den äußeren Akt und den denselben be-
gleitenden Akt des Aussprechens. Somit gehören diese Beispiele über-
haupt nicht in die Gruppe der Verba, von welchen oben die Rede war.
Mit dem Gebrauche des perf. Verbums im Präs. steht im Zusam-
menhange auch die Frage der heute allgemein geltenden Umschreibung
des Fut. der perf. Verba im Sloven. Diese hält Skrabec für ursprüng-
lich slawisch und stützt sich dabei auf den sloven. Gebrauch. Doch da-
gegen sprechen nicht bloß Trubar, seine nächsten Nachfolger, Küzmics
und einigermaßen auch das heutige Volk, sondern auch der falsche
Gebrauch der perf. Verba. Wenn dieselben in der Präsensform durch
den deutschen Einfluß immer mehr als echte Praesentia gefühlt wur-
den, so war die natürliche Folge, daß sie sich in demselben Verhält-
nisse zum Ausdrucke der Zukunft des gewöhnlichen Hilfsverbums bodem
bedienen mußten. Der Mißbrauch der perf. Verba kommt vorzugsweise
in der ersten Person und zwar bei den abstrakten Verba vor, die Um-
schreibung hat sich jedoch in allen Personen gleich ausgebreitet und
ging allmählich auf alle perf. Verba über (vgl. diesen allmählichen
Übergang bei den protest. Schriftstellern). Infolgedessen hat sich auch
in der Präsensform konkreter Verba, die auf diese Weise ihre Futur-
funktion einbüßte, mit der Zeit dieser auffallende konditionale Sinn
ausgebildet, den man heutzutage im Slovenischen als Aorist bezeichnet.
/. MenceJ.
4*
52
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter.
In der Zeit, als die kleine Republik Ragusa ihrem Ende entgegen-
ging, (im Jahre 1806, respektive 1808), sind in ihrer Literatur, neben
dem alten heimischen Typu?, wahrzunehmen Spuren von Einflüssen der
neueren Zeit, der fremden Literaturen und philosophischen Schulen, zu-
meist Frankreichs und Englands, welche selten direkt, aber sehr oft auf
dem Wege über Italien ihr zugebracht wurden. Ein ausgesprochener
Kampf gegen die Wirkung der alten heimischen Tradition kommt in
Ragusa gar nicht vor, aber ein Gegensatz im Leben und Streben läßt
sich ganz gut fühlen. Nicht nur nach dem Fall der Republik, sondern
schon am Anfang des XVIII. Jahrhunderts ist ein Dualismus in der An-
schauung der Welt und demnach auch in der Literatur erkennbar.
Dagegen mußte schon der Dichter Ignatius Gjorgjid seine Stimme er-
heben i), und später am Anfang des XIX. Jahrh. tadelt der lateinische
Dichter Junius Resti die Dummheit, die die Welt beherrscht, wie er selbst
sagt, und noch später, wie auch in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrh.
trachteten die Dichter und Schriftsteller, wie Antun Kaznacic, Antun
Kazali, Mato Vodopic und Medo Pucic den Erinnerungen an die Republik
und ihrer klassischen Literatur treu zu bleiben, was nicht nur der Inhalt
ihrer Schriften, sondern auch die äußere Form, zumeist die bekannte
Gewohnheit in lateinischer, italienischer und serbokroatischer Sprache
zu schreiben, zeigt. Auffallend ist es, daß sich im Kreise solcher Män-
ner auch der Dichter Marko Bruere Desrivaux befand, obwohl er
Sohn jenes Volkes war, das die Ragusaner der Freiheit beraubt hatte
und dessen Weltanschauung den Aristokraten als etwas verderbliches
erscheinen mußte.
Festhaltend an den Prämissen, daß das große Erdbeben vom
Jahre 1667, welches der Stadt Ragusa und ihrer Bevölkerung so viel
1) Die Stelle im Vorworte »Stiocu« der Mandaljena pokornica (Agramer
Ausgabe vom J. 1851, S.VII): ». . . all zasve to ne minü je, tko rece: da uzdi-
sanje Mandaljenino nije naravno, 1 da tko place nazbiij evoj grieh, nije moguö
ureseno bolovati« erinnert uns an diejenige französische Schule, die behaup-
tete, man dürfe nicht in Versen Klagen hervorbringen. Auf eine solche Auf-
fassung dieser Stelle hat mich Dr. Drag. Prohaska aufmerksam gemacht.
Marko Braere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 53
Schaden verursacht, die kleine Republik in tiefen ökonomischen Verfall
gebracht, auch den ersten Anfang eines Verfalles der Literatur bilde;
sowie, daß mit dem Ende des Freistaates auch die Literatur aufgehört
habe, und zuletzt, daß mit den Bewegungen von Vuk und Gaj die
neuere Literatur Ragusa's ihre locale Bedeutung verloren habe, liefern,
mit wenigen Ausnahmen 2), fast alle Arbeiten über die Literatur am
Ende des XVIII. und am Anfang des XIX. Jahrh. und über die Männer,
die daran teilgenommen haben, nur ein unklares Bild. Das gilt auch
für unseren Bruere, welchen fast alle unsere Literaturgeschichten be-
rücksichtigt haben. F. M. Appendini, sein Zeitgenosse, ist ihm dankbar
wegen der Hilfe beim Übersetzen aus dem Serbokroatischen in das
Italienische 3]. Safarik hat ihm als Literaten auch eine kurze Biographie
gewidmet*). Eine ziemlich ausführliche Biographie des Dichters und
eine ebenso genaue Analyse seiner poetischen Produkte lieferte der
Ragusaner Medo Pucic^). Das bildete die Grundlage für unsere bis-
herigen Kenntnisse, und dasselbe wurde immer und tiberall wiederholt
oder im Auszug mitgeteilt. Mir ist während meines kurzen Aufent-
haltes in Ragusa im September des Jahres 1904, durch die Güte des vor
kurzem verstorbenen Herrn Anton Fabris, Redakteur der belletristischen
Zeitschrift Srd und der politischen Zeitung Dubrovnik, eine Handschrift
zur Hand gekommen, deren Analyse ich zum Gegenstande meines Auf-
satzes nehme.
Sie bildet den ersten Theil eines großen Codex, dessen Inhalt sehr
verschiedenartig ist. Dort gibt es Abschriften aus ganzen älteren ge-
druckten Ausgaben, aus denjenigen des Martecchini in Ragusa, neben
den Sachen, die nie gedruckt erschienen sind. Von den ragusanischen
Schriftstellern ist eine ganze Reihe aus älterer und neuerer Zeit vertre-
ten, ohne Unterschied ob diese in lateinischer, italienischer oder serbo-
kroatischer Sprache geschrieben haben. Was die Schreiber anbelangt.
2) An das fleißige Studium dieser Periode der ragusanischen Literatur
hat eich in den letzten Jahren Dr. Ivan Kasumovic geworfen. Vgl. seine Auf-
sätze im Skolski vjesnik der bosnisch -herzegovinischen Landesregierung
Jahrgang 1900 und 1904, im Nastavni vjesnik von Agram Jahrg. 1902 und im
Vienac Jahrg. 1902.
3) Notizie istorico-critiche. Tomo II. S. 258.
*) Geschichte der südslawischen Literatur. II. S. 97.
'') Marko Bruere D6rivaux, pesnik slovinski u Dubrovniku im Almanach
Dubrovnik für das Jahr 1851, erschienen in Agram 1852.
54 J- Nagy,
so sieht man, daß dort mehrere Hände gearbeitet haben; hier und da
ist es notirt, daß eine oder andere Seite Autograph des Autors selbst
sei. Verschiedene Teile des Codex sind auch, der Zeit der Nieder-
schrift nach, verschieden. Manchmal steht das Jahr dabei, manchmal
wieder nur die gewöhnliche Bezeichnung »u raslika vremena«. Doch
der größte Teil dürfte in der ersten Hälfte des XIX. Jahrh. nieder-
geschrieben worden sein. Im ganzen ist der Codex sehr gut erhalten.
Der volle Titel unseres Teiles lautet:
Pjesni Raflike
spjevane
pö Marcu Bruere, Gradjaninu Dubrovackomu
i Consulu Franackomu
ü Travniku, ü Skadru od Arbanije, i ii
Tripoli, Gradu od Serie,
gdi primijnü godiscta 1822.
skuppjene ü red vremenä
pö Marcu Marinovichju, Grad: Dubruvackomu,
ki prilofgi fgivot, i
raflike svoje Pjesni u hvalu reccenoga Pjesnika
God: 1830.
Schon das einfache Nachschlagen in der Handschrift zeigt, daß
man mit zwei Teilen, mit einem sozusagen primären, und einem sekun-
dären zu tun hat. Man ersieht das leicht daraus, daß die Seiten
großentheils paginiert sind und dann, zwischen einzelnen schon pagi-
nierten (primären) Seiten, andere nicht paginierte (sekundäre) einge-
schoben wurden. Zu diesen letzteren gehören auch einige Autographen-
seiten desselben Marko Bruere. Alles das, was die paginierten Seiten
enthalten, findet man auch in einer Handschrift, die sich im Privatbesitze
von Prof. Resetar befindet und deren Titel lautet:
Poesie
lUiriche, Latine ed Italiane
composte
dal Signor Marco Bruere,
gia Console Generale di Francia
in Travnik, Albania, e Tripoli di S^.
Raccolte
da Marco Marinovich
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 55
e dedicate
all' lUustrissimo Signore
U Signor Jeremia Gaghicli
Consigliere Onorario di S. M. Imperatore
di tutte le Rufsie, suo Console a Ragufa, e
Cavaliere di S. Anna ^).
Der Schreiber dieser zwei Handschriften, Marko Marinovic, war
ein »gewissenhafter und fleißiger Copist und Sammler ragusinischer
Manuscripte«.
In der Erhebung Ragusa' s, in den Jahren 1813 — 1814, spielte er
eine sehr bedeutende Rolle, wie aus dem Gedenkbuche über dieses Er-
eignis des ragusanischen Patriciers Marchese Francesco Bona zu er-
sehen isf). Er hat auch zahlreiche Gelegenheitsgedichte in serbo-
kroatischer und italienischer Sprache abgefaßt, welche großenteils
ungedruckt in der Bibliothek des Franciscanerklosters in Ragusa und
bei Privaten aufbewahrt werden^). In seinen späteren Jahren hat er
mit Poesie und Prosa an der damals in Zara herausgegebenen Zeitschrift
»Zora dalmatinska« während ihrer ersten drei Jahre (1S44 — 1847) teil-
genommen 9). Er im Jahre 1871 in Ragusa gestorben.
Die citierten Titel der Handschriften erinnern an die Titel der
damaligen Ausgaben in Ragusa. Daß diese Sammlung von Gedichten
des M. Bruere bestimmt war im Druck zu erscheinen, erfahren wir aus
einem Briefe des M. Marinovic, welcher in Ragusa vom 2. November
1833 datirt und folgendermaßen adressiert ist:
Air Ulmo Signore
II Sig^. Jeremia Gaghich Console di S. 31. Imperatore di tutte le
Russie^ e Cavaliere delV Imperiale Ordine di S. Anna di Mussia,
6) Prof. Resetar hat die Güte gehabt, mir diese Handschrift zur Ver-
fügung zu stellen, weswegen es mir eine angenehme Pflicht ist, ihm meinen
Dank auszusprechen.
'^) Vgl. J. Gelcich, Ein Gedenkbuch der Erhebung Ragusas in den Jahren
1813—1814. Wien 1882 (Akademie).
8) Eine ziemlich kleine handschriftliche Sammlung der Gedichte des
Marko Marinovic, von ihm selbst niedergeschrieben, habe ich bei dem Herrn
Vicko Adamovic, dem Autor der Schrift »Grada za istoriju dubrovacke pe-
dagogije« und anderer kleineren historischen Monographien über die Um-
gebung von Ragusa, gesehen.
«) I. Jahrg. Nr. 10, 16, 23, 24, 40, 44, 53. II. Jahrg. Nr. 20. 22, 35, 38, 47,
48, 49. III. Jahrg. Nr. 6, 7, 8, 19, 21, 27, 31.
56 J. Nagy,
residente a Ragusa ^^). Derselbe befindet sich in den Handschriften
gleich an erster Stelle nach dem Citat aus dem Cap. III von Cicero's
»Somnium Scipionis: Omnibus qui Patriam conservarint, adiuverint,
auxerint, certum esse in coelo, ac definitum locum ubi beati aevo sempi-
terno fruantur.
Der Brief beginnt mit den gewöhnlichen Phrasen , dass der Name
eines Mannes, der dem Vaterlande und dem Volke wohlwollend war, bei
den Nachkommen unsterblich bleiben werde. So ein Mann war auch
der »illustre Cittadino Raguseo e Console Generale Francese Sig. Marco
Brufere«. Marinovi(5 nennt ihn »mio benefattore e liberatore« und erklärt
diese Benennungen dadurch, daß er erzählt, wie ihn M. Bruere, der
französischer Consul in Scutari war, im Jahre 1812 aus dem Kerker des
Ibraim Beg von Antivari befreite, als er, unter dem Verdacht, er erzähle
der englischen Regierung von Malta das Benehmen des Beg in den
Handelsfragen, eingekerkert wurde. M. Bruere führte seine philoso-
phischen Studien in Ragusa zu Ende und ward ein guter illyrischer
Dichter. Seine dichterische Begeisterung zeigte er »scrivendo in versi
lUirici a molti suoj amici distanti a Ragusa varie Epistole«. Diese Send-
schreiben mit den anderen lateinischen, italienischen und slavischen
Gedichten hat Marinovic in eine Sammlung zusammengestellt und wid-
met diese »Raccolta ossia una parte delle sue Poesie« dem Jeremia
Gagic, der ein ausgezeichneter Kenner der illyrischen Sprache sei »e fä
vedere in certo modo di essere degno Concittadino dei rinnomati letterati
Solaritsch, Obradovich etc., che tanto lustro aggiunsero coi loro talenti,
e cognizioni letterarie all' incivilimento dell' ora culta Nazione Serbica,
che gareggia trä le altre culte Nazioni dell' Illirio«. Der Consul Gagic
interessirte sich im allgemeinen für die klassischen Schriftsteller Ragusas
wie Palmotic, Gjorgjic, Sorkocevic, Cubranovic, Ranjina, Zlataric,
10) Diesem russischen Consul Jeremia Gagid hat ein anderer Mann dieser
Zeit, Nikola Androviö, ein Gedicht gewidmet, dessen Titel lautet: Per le
faustissime nozze del sig. Geremia Gaguitsch coUa sign. Eustachia Lucich. Ra-
gU8al826. Vgl. Kasumovid, Dubrovacki pjesnici u XIX vjeku prije ilirskoga
preporoda im bosn. herc. Skolski vjesnik Jahrg. 1904. Gagic korrespondirte
gerade in der Zeit, als ihm Marinovid den Brief adressierte, mit Safarik. Vgl.
J. Jirecek, Jedan list V. Stef. Karadzida i devet listova Jer. Gagica pok. P. J.
Safariku god. 1831—34 in den Starine XIV. B., S. 196—209. Diesen Gagid
erwähnt auch Safarik in der Geschichte der südslavischen Literatur III,
S. 359 ; eine ausführliche Biographie ist bei Milidevic im IToMeHiiK I. B., S. 88
bis 91 -zu finden.
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 57
Lukaric und besonders für Gundulic »il quäle da molti illustri letterati
viene onorato col titolo di Prmcipe de^ Poeti lllirici in premio d' un
tale Poema, che trä la Nazione Illirica tiensi nello stesso pregio, siccome
appresso i Greci l'Iliade d'Omero(f. Wichtig ist noch der Schluß des
Briefes, wo gesagt wird, daß sich Gagic viel abgab mit J)nella compila-
zione del bramato Parnaso Illirico^ colle Stampe del Martecchini, gia
annunziato col suo Manifeste de 2 Maggie 1826«. Sein Urteil über die
dichterische Fähigkeit des Bruere spricht Marinovic mit den Worten aus,
Bruere bleibe hinter den anderen slavischen Dichtern seiner Zeit gar
nicht zurück, da er die lateinische, italienische und serbokroatische
Poesie bis zu seinem Tode immer mit dem besten Erfolg gepflegt habe.
Der Brief endet mit einem großen Kompliment.
Also die Titel der Handschriften und der Inhalt des Briefes weisen
deutlich darauf hin, daß man in den Jahren 1830 — 1833 an eine Aus-
gabe von Bruere's Gedichten dachte, die aber nie zu Stande kam.
Bevor wir zu der, diesem Briefe nachfolgenden Biographie unseres
Dichters übergehen, wollen wir auf den französisch geschriebenen Be-
richt über den Tod des Renato Bruere, seines Vaters eingehen. Es ist
das ein Auszug aus einem besonderen, aus Ragusa am 5. August 1817 da-
tirten, Briefe, welcher sich in Nr. 225 des allgemeinen Moniteurs Frank-
reichs vom 12. September 1817 befand ^i). Das Blatt, auf welchem das
geschrieben ist, gehört zu denjenigen, welche wir als sekundär bezeich-
net haben. Mit Bedauern seien die Ragusaner verpflichtet, den Verlust
des Herrn Ritter Rene Charles Bruere Desrivaux, Mitglied der Ehren-
legion, ehemaligen Generalkonsul und Geschäftsträger Frankreichs in
Ragusa 12) anzuzeigen, der in der Nacht vom 2. auf den 3. August, im
Alter von 81 Jahren, verschieden sei. Dieser ehrenwerte Greis habe
die Hälfte seines langen Lebens in Ragusa verbracht und sei für den
kleinen Staat ein Schutzengel in mehreren verhängnisvollen Zeiten ge-
wesen. Es wird dann im kurzen sein Leben dargestellt. Renato Bruere
wurde in der Guierche (Departement d'Indre & Loire) am 5. Juli 173(3
") Extrait du No. 225 du Moniteur Universel de France. Paris Vendredi
12. Septciubre 1817.
12) R. Bruere führte den Titel »charg6 d'iiflfaires et commissaire genöral
des relations commerciales de hi Republique fran^aise ä Raguse«. \'^\. Kon-
stantin Jirecek, Poselstvi republiky dubrovnicke k cisarevne Katerinö II.
V. I. 1771 — 1775. V Pruze 1893 (Rozpravy ceske akadoraie. Kocnik II, trida
II, cislo 2), S. 79.
58 J- Nagy,
geboren. Im Alter von 14 Jahren trat er in die diplomatische Laufbahn
ein und folgte dem Marquis Havrinoourt in der Gesandtschaft vom
Nord als Gesandtschaftssekretär. Als Havrincourt starb, ersetzte er ihn
in der Eigenschaft eines Beauftragten Seiner Majestät in den Nieder-
landen und setzte daselbst die Funktionen drei Jahre fort, bis er durch
den Baron Breteuil ersetzt wurde. In dieser Zeit wurde er von Lud-
wig XV. zu jener kleinen Anzahl von Ehrenleuten des berühmten ge-
heimen Briefwechsels zugelassen. Während seiner Konsulartätigkeit
in Ragusa hatte er die Ehre, dort, als Bevollmächtigter Ludwig's XV.,
einen Handelsvertrag zwischen Frankreich und der Republik Ragusa
abzuschließen und zu unterzeichnen, bei welclier Gelegenheit er zum
Geschäftsträger S. M. in der erwähnten Residenz ernannt wurde. Zum
Schluß wird sein Leichenbegängniss beschrieben und der letzte Satz
dieses Schreibens lautet: »Herr Bruere Desrivaux hinterläßt einen ein-
zigen Sohn, der ebenso 30 Jahre hindurch in der Konsularlaufbahn
verwendet wurde, die er mit Ehre erfüllte, und es ist sehr vorteilhaft,
daß er bei uns bekannt ist durch die Leichtigkeit, mit welcher er spricht
und in mehreren Sprachen in Prosa und Reimen schreibt, unter anderm
der slavischen Sprache, welche er ebenso gründlich beherrscht, wie
jeder von uns«.
Der Ton, in welchem dieses Schreiben abgefaßt ist, entspricht
freilich der Rolle, welche der Vater des Dichters M. Bruere's in Ragusa
spielte, steht aber im direkten Gegensatz zu seinen Briefen, in welchen
er die Aristokratie der ragusanischen Republik feindselig behandeltes).
Die intimste Behandlung seitens der patricischen Familien benutzte er
natürlich im Interesse Frankreichs ^^). Über die Komplimente der
Ragusaner dagegen wundert man sich nicht. Man begegnet dieser Art
der diplomatischen Verhandlungen immer und besonders, wenn sie mit
den Franzosen zu tun hatten i^).
Wie gesagt, dem Briefe folgt eine y>Breve Necrologia del Sig'"'.
Marco Bruere^ giä Console ge)i^^. cli Francia in Scutari e Tripoli.
Scritta da Marco Marinovich di Ragusa a. Ich will hier eine Bio-
graphie des Dichters zusammenzustellen versuchen mit Hilfe der Notizen
13) J. K. Svrljuga, Prinosi k diplomatskim odnosajem Dubrovnika s
Franceskom. Starine XIV, S. 58—79.
1*) K. Jirecek, Op. cit. S. 69 und Kirchmayer, Das Ende des aristokra-
tischen Freistaates Ragusa. Zara 1900, S. 33.
15) Svrljuga Op. cit. S. 59—63.
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 59
des M. Marinovic, dem es angenehme Pflicht war, wie er selbst sagt,
das Leben und die Verdienste von solchen Männern, die sich dem Vater-
lande und der Menschheit gewidmet haben , den Nachkommen zu über-
liefern, wie das auch Plutarch mit seinen Viten gemacht habe.
Marko Bruere, geboren zu Lyon in Frankreich, stammte aus einer
achtbaren Familie ^^j. Seine ersten Studien begann er in einem CoUe-
gium von Marseille und setzte dieselben in dem CoUegium der Piaristen
von Ragusa fort, wo er auch seine philosophischen Studien zu Ende
führte. In Ragusa lernte er die lateinische, italienische und illyrische
Sprache, und fing an in allen drei zu schreiben. Im Jahre 1800 wurde
er zum französischen Konsul von Travnik in Bosnien ernannt. Aus
diesem »innospite luogo« schrieb er Episteln in illyrischen Versen an
manche Freunde in Ragusa; hier stellte er manche Spottgedichte und
Sonette in italienischer Sprache zusammen und übersetzte aus dem
Griechischen, Lateinischen und Illyrischen ins Italienische. Noch ist zu
erwähnen «un' Oda Latina dal medesimo composta pella nascita del
Re di Roma (Francesco Giusepe Carlo Napoleone) che venne dai dotti
lodata«. Außer der Poesie beschäftigte er sich auch mit Musik und
»spielte seine Zither wie Apollo«. Im allgemeinen »wollte er wie Epami-
nondas alles kennen, was einem guten Bürger von Nutzen sein könnte«.
In Travnik heiratete er eine junge Bosniakin und aus dieser Ehe ent-
stammten zwei Kinder. Da seine Frau bald starb, so heiratete er zum
zweiten Male : die zweite Frau war eine gewisse Mara Kisid, gebürtig
aus Breno, welche früher Dienstmädchen im Hause des Bruere war.
Endlich konnte er jenen »paese estero ed innospite« verlassen.
Das französische Ministerium ernannte ihn zum französischen General-
konsul von Scutari in Albanien. Hier ward er ein intimer Freund des
Pascha und hatte die Möglichkeit die Christen, welche in jenen Ort-
schaften Handel trieben, gegen die Albanesen in Schutz zu nehmen.
16) Auf die Notizen über den Vater des Dichters wollen wir nicht Rück-
sicht nehmen, da über ihn schon etwas gesagt wurde. Es wundert uns nicht,
wenn man hier auch darüber etwas hört, da der erwähnte französische Be-
richt zu den sekundären Blättern der Handschrift gehört. Es sei nur er-
wähnt, daß in der Uandschrift des Prof. Resetar, als das Todesjahr des Re-
nate Bruere, 1825 angegeben wird, aber das muß eine Verwechshing mit dem
Todesjahre des Dichters sein, da hier auch später, wo die Rede vom Tode
des Dichters ist, das Jahr nicht vollständig angegeben wird, sondern nur die
Ziflfern 182... uotirt sind.
60 J-Nagy,
Von dem neuen Herrscher Ludwig XVIII. wurde er im Jahre 1814
von Scutari nach Ragusa, als provisorischer Konsul von Franlireich ver-
setzt, aber bald nachher nach Frankreich berufen. Im Jahre 1825
wurde er wieder zum französischen Generalkonsul von Tripoli in Soria
eraannt, wo er auch in demselben Jahre starb. Bald nach ihm starb
auch seine Gattin. Sein Sohn Renato lebte in Frankreich und die Toch-
ter aus der ersten Ehe Namens Teresa , die mit dem Sohn des öster-
reichischen Konsuls in Albanien Tedeschini verheiratet war, starb
noch vor dem Tode des Vaters. Medo Pucic, in seinem erwähnten Auf-
satze (Dubrovnik für das Jahr 1851), sagt, daß eine Tochter aus der
zweiten Ehe mit dem Ragusaner Paulus Peric, der im Dienst des fran-
zösischen Königs Louis Philipp stand, verheiratet war.
So erzählt uns M. Marinovid die Biographie des Dichters! Aus
dieser »Necrologia« ist es wert, noch eine Stelle zu zitieren, die sich auf
diese Sammlung der Gedichte Bruere's von Marinovic bezieht, und fol-
gendermaßen lautet: »Egli coltivo la Poesia in queste tre lingue, non
senza oltimo successo avendo dato saggio di tali sue composizioni, che
per cura dello stesso Raccoglitore si sono conservate, e riunite in questo
libretto, con la dispiacenza perrö di non aver potuto comprendere tutte
quelle ch' il medesimo compose uegli ultimi anni della sua vita«. Mau
sieht, daß diese Sammlung unvollständig ist. Zum Schluß werde ich
darüber auch ein paar Worte sagen.
Nach dieser biographischen Einleitung, welche den besten Theil
der Handschrift bildet, kommen einige Gedichte, an M. Bruere von seinen
Zeitgenossen und Freunden gewidmet. An erster Stelle sind fünf Ge-
dichte, von dem Schreiber der Handschrift gelegentlich des Todes
Bruere's verfaßt, welche nur phraseologische Lobpreisungen, wie schon
aus den Überschriften zu ersehen ist, enthalten. Nur phraseologisch
sind auch die Anmerkungen, welche Marinovic einzelnen Gedichten
hinzugefügt hat. Im ersten Gedichte, überschrieben » U hvalu PriJ-
fvarsnoga Fjesnika^ % Gradjmiina Dubrovackoga Marca Bruere
Consula Franceskoga ü Tripoli od Serie Marca Marinovichja PJe-
san« erinnert sich der Dichter eines passierten Ereignisses bei Ibrahim
Beg und der Verdienste Bruere's für seine Befreiung, was wir schon
erwähnt haben. Es folgen jetzt zwei Gedichte » U smart recenoga
Bruera. Istoga Pjcsnikat^ welche -oNadgrohnizev. genannt werden
und dann eine y)Ode Anacreonticaa in italienischer Sprache mit dem-
selben Inhalt und Tendenz. In der langen Anmerkung dazu wird die.
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 61
Tugend Bruere's stark hervorgehoben. Noch sind sechs serbokroatische
Strophen, welche M. Marinovic für ein Porträt des Bruere gedichtet hat,
zu finden.
Die nächstfolgende Gruppe dieser Widmungsgedichte enthält drei
Epigramme des Junius Resti. Resti bezeugt dem Freund seine ewige
Freundschaft und schickt ihm als Dichter »ex Insula Media« eine »qua-
druplicem coronam scilicet ex haedera, laura, olea et myrto contextam«
als Symbole der Göttergaben von Laenaeus, Phoebus, Pallas und Venus.
Nach diesen Gedichten findet man die Bemerkung, daß M. Bruere dem
Resti »con l'inchiostro di China« ein Porträt gezeichnet und dieser ein
lateinisches Epigramm von vier Versen hinzugefügt habe.
Zuletzt preist den M, Bruere sein Zeitgenosse Urbanus Appendini,
Bruder des Historikers F. M. Appendini. Im Gedichte »Ad Marcum
Bruerium pro Gallicorum Imperaiore apud Alba?iiae Dij7iastam
negotiorum gestorerrm. fühlt sich Appendini verpflichtet, ihm zu danken,
weil er ihn als ausgezeichneten Dichter gepriesen hat. Da ihm aber
»non faciles favent Camaenae« so kann er nur seinem Wunsch Ausdruck
geben, daß Bruere's Sohn dem Vater ähnlich werde, zur Zierde ihm
und dem Vaterlande.
Der dritte Teil der Handschrift enthält die eigentlichen Gedichte
des M. Bruere in lateinischer, italienischer und serbokroatischer Sprache.
Wegen der vielen Nachträge findet man manchmal nebeneinander Ge-
dichte, die inhaltlich nicht zusammenfallen. Wir wollen dieselben nach
einigen Gruppen, mit Rücksicht auf den Inhalt, durchnehmen.
In die erste Gruppe sind Gedichte zu rechnen, deren Inhalt sich
auf das ragusanische Leben bezieht und, mit Ausnahme von einem
kleinen Faschingslied, alle in serbokroatischer Sprache geschrieben
sind. Schon bekannt sind die zwei Gedichte über die Zeremonien, welche
für die Dienstmädchen in Ragusa bestimmt waren, welche M. Bruere im
Jahre 1805 gedichtet hat. Das erste Gedicht ist überschrieben Cuppe
und das z^qMq Spravjenize^'^). Man muß hervorbeben, daß Bruöre
mit diesen Gedichten , nicht ein Bild der ragusanischen Familiensitten
i'') Cnpa oder cuniprelica war in Ragusa das Dienstmädchen vor der
sprava genannt, d. h. vor dem Fest, welches für das Mädchen, das im Hause
eines Herrn eine bestimmte Zeit im Dienst geblieben ist, veranstaltet wurde.
Ausführlicheres darüber kann man bei Vuk im Wörterbuch unter diesem
Schlagwort finden. Den Vuk korrigiert und erweitert in dieser Beziehung
Metlo Pucic in der Biographie des Marko Bruere.
62 J- Nagy,
liefern wollte, sondern nur die Meinungen und Wünsche der cupe und
spravljenice darzustellen trachtete. Dieselbe Tendenz hatte er im
nächstfolgenden Gedichte, Svjefdofnanzi betitelt, in welchem zwei
Landstreicher in der Nacht von ihren astronomischen und astrologischen
Kenntnissen erzählen. Diese drei Gedichte waren bestimmt im Fasching
bei den Maskeraden, für welche A. Kazna^ic (Dubrovnik für das Jahr
1868, S. 124) sagt, daß dieselben noch in seinen Jugendjahren in Mode
waren, von den Begleitern gesungen zu werden. Ein Faschingslied ist
noch V Arcolajo Canzonetta per Musica Composta dal Sig^. Bruere
a Ragusa nel Carnevale del 1810^ in welchem das Glück, die Zeit
und das Frauenherz mit einer Winde verglichen werden ^^j. Wie man
aus der Überschrift ersieht, war das kleine Gedicht auch bestimmt,
öffentlich, mit musikalischer Begleitung, gesungen zu werden.
Die zweite Gruppe bilden die Gelegenheitsgedichte und Send-
schreiben. Man kann beide Arten zusammenfassen, da dieselben, dem
Inhalt und der Form nach, von einander fast gar nicht verschieden sind.
Von den geistlichen Produkten Bruere's bilden sie den Hauptteil; für die-
selben wird sowohl die serbokroatische als auch die lateinische und italie-
nische Sprache angewendet. Das erste Gedicht ist: Gosparu Lovrj'enzu
Giromelli. Pjesan rafgovorna. JJ smart Ghiura Detorres Gljubo-
7nudrofnaoza^ i Ljecnika Duhr. Po Marku Bruere. 1802 betitelt;
mit diesem gibt der Dichter dem Freund den Rat, sich trösten zu
wollen. Desselben Inhalts ist das nächstfolgende lateinische Sapphicon
und im italienischen Sonett Paria il Sig^' . Dottore Lorenzo Giromella
bringt Bruere die Klage des Freundes zum Ausdruck. Außer diesem
Dr. Giromella, war ein Freund des M. Bruere in Ragusa auch der latei-
nische und italienische Dichter Andreas Altesti. An ihn hat er aus
Travnik zwei Sendschreiben in Versen, ein serbokroatisches und ein
italienisches, gerichtet. Beide gehören zu den längsten Gedichten
Bruere's; das erste enthält 96 Zehnsilber und das zweite 156 »versi
sciolti«. Was den Inhalt anbelangt, so erinnert sich der Dichter mit
Zufriedenheit der schönen Jugendjahre, welche er mit dem Freund in
Ragusa verbracht; er gratuliert ihm und seinen Eltern, daß er glücklich
von der Reise nach Hause zurückgekehrt, und wünscht ihm schließlich
Zufriedenheit und Genuß im ganzen Leben. Charakteristisch sind einige
Details der Gedichte, so besonders die Äußerungen über Bruere's
Aufenthalt in Travnik. Im serbokroatischen Sendschreiben sagt er:
IS) Arcolaio = die Winde.
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 63
S' tega fcjalim ghdje ii pustoj tamnosti
Od ne blaghe innostranne femglje
Dni prohode od moje mladosti,
Punni brighe, i faludne fceglje
und im italienischen :
Disgiunto io vivo
Da ogni a me caro objetto, in uiezzo a strane
Barbare genti, ed a pigliar costretto
Barbaro anch' io ed abito e costume.
Ragusa nennt er sein eigenes Vaterland, wo er im Kreise der Freunde
und besonders Feric's den Musen diente. Jetzt fühlt er den Unterschied
in dem Aufenthalt zwischen hier und dort, und sagt für Ragusa: Quel
suol che abbondonai, e che tant' amo e in vau sospiro ^^j ! Das italie-
nische Sendschreiben ist datiert in Travnik am 27. Juli 1795 und ver-
sorgt mit einem postscriptum, in welchem M. Bruere sagt, er habe dem
Freund den Brief in Versen geschrieben, obwohl der Ort, die Nachbar-
schaft und seine eigene schlechte Laune ganz anderes erfordern würden.
Er hoflft doch, die Verse werden dem Freund gefällig sein und ihn an-
regen, auch in Versen zu antworten. Zum Schluß bittet er den Altesti,
den Dichter Feric seinerseits zu grüßen. Dieses Sendschreiben wurde
dem Altesti nicht direkt, sondern durch den Vater Bruere's gesendet,
der dazu einen kurzen Brief in französischer Sprache, datiert aus Ragusa
am 2. August 1795, hinzugefügt hat. Was den Text anbelangt, so
findet man in dem serbokroatischen Sendschreiben in unserer Hand-
schrift vier Strophen mehr, als in derjenigen des Prof. Resetar. Das
italienische Sendschreiben wieder steht auf Seiten, die der Pagination
entbehren und, wie im allgemeinen gesagt, in der Handschrift des Prof,
Resetar findet man es nicht.
' Von den zeitgenössischen ragusanischen Literaten waren Bruere's
Freunde noch Peter Aleti und Anton Sorgo. An den ersten rich-
tete er zwei Sendschreiben; im ersten tadelt er ihn, weil er nach Paris
19) Ein Analogen zu diesen Äußerungen Bruere's über Travnik findet
man in der Korrespondenz des späteren französischen Konsuls daselbst Pierre
David. Wie M. Bruere, so stand auch dieser in sehr freundscliaftlichen Be-
ziehungen zu dem Pascha, aber von der Bevölkerung wurde er immer ge-
hasst. Vgl. Vjekoslav Jclaviö, Iz prepiske francuskog gcneralnog Konzulata
u Travniku u godinana 1807—1814 im Glasnik des bosn.-herceg. Landes-
museums, XVI. Jahrgang (1904), S. 267—283 u. 457-484.
64 J- Nagy,
abgereist sei, seine Vaterstadt Ragusa und seine ganze Habe hinter-
lassend ; im zweiten dagegen gibt er seinem Schmerz und seiner Sorge
Ausdruck, als Aleti aus Ragusa nach Italien vertrieben wurde. An
Anton Sorgo schrieb er sein Sendschreiben, als sich dieser für die Reise
nach Neapel vorbereitete. Er fragt ihn, warum er liagusa verlassen will?
Ist ihm das Vaterland zuwider geworden und will er in der Welt das
Bessere suchen, so möge er bedenken, daß es nirgends besser als im
eigenen Land sein kann, und daß man nirgends eine zweite Mutter oder
andere Schwestern finden werde. Liegt dagegen die Ursache seiner
Reise im Streben nach dem Wissen, so wünsche er ihm glückliche Reise
und daß er als ein Besserer und Nützlicherer zurückkehre.
Zu den Gelegenheitsgedichten Bru^re's kann man noch zwei latei-
nische hinzuzählen, die er gelegentlich eines für Ragusa großen Ereig-
nisses, d. h. als ein Schiff in Gravosa vom Stapel gelassen wurde, ge-
dichtet hat. In der Handschrift steht folgendes: Nel momento, che si
doveva varare dal cantiere di Gravosa; cio^ nel 1816 la nave Ragusa
distinta col nome di Bete, ossia del celebre antico Matematico Marino
de Ghetaldi di Ragusa, fnrono composti varj versi Latini, lUirici ed
Italiani, tra i quali i seguenti del Sig^ Maro Bruere, allora Console di
Francia a Ragusa«. In der Biographie des Ragusaners Faustino Gagli-
uffi (1765 — 1834), des bekannten Professors der Rechte an der Uni-
versität von Genua (Slovinac 1882, S. 234 — 236) wird erzählt, daß
auch er für diese Gelegenheit das Gedicht Navis Ragusea betitelt, ge-
dichtet habe, und daß sich dasselbe in einem Büchlein mit allen anderen
Gedichten, mit welchen die ragusanischen Literaten das neue Schiff
begrüßten, befinde. Das erste lateinische Gedicht Bruere's ist ein Epi-
gramm, und das zweite ein längeres Gedicht, nur Hendecasyllabi über-
schrieben. In beiden wird das Schiff als das schönste und beste der
illyrischen Küste dargestellt.
0 pulcherima navium, quot olim
Fuere lllyrica atque erunt in ora.
Wie in der besprochenen »Necrologia« erwähnt wird, lobten die
Gelehrten jene Gedichte, welche M. Bruere gelegentlich der Geburt des
Königs von Rom dichtete. Auf den paginierten Seiten 51 und 52 sind
vier italienische Sonette unter dem Titel Per la Nasdta del Re di
Homa zu finden, die aus einer gedruckten Ausgabe von Martecchini im
Jahre 1811, abgeschrieben wurden. Für den neuen König ist Bruere
sehr begeistert und demnach beginnt er das erste Sonett mit den Versen :
Marko Bru6re Desrivaux als ragusanischer Dichter. 65
Gloria alla nostra, alle altre genti pace
Nascendo arreca del mio sir la prole.
Während die ganze Welt wegen dieses Ereignisses jubelt, sinnt
England, das hier mit dem poetischen Namen Albion bezeichnet wird,
wie man Europa durch Zwietracht trennen könnte. Alles ist umsonst 1
Es gibt kein so barbarisches und fremdes Land mehr, das sich auf den
neuen Stern nicht ft-euen würde. Auch der Brite weiß es und sieht,
daß mau boshafte Absichten verlassen soll. Diese Grundidee spiegelt
sich in allen vier Sonetten wieder.
Wie früher M. Brufere einem Freund neben den serbokroatischen
und italienischen Gedichten auch ein lateinisches gewidmet hat, so hat
er auch jetzt gelegentlich der Geburt des Königs von Rom, ein lateini-
sches Sapphicon verfaßt. In der Handschrift des verstorbenen Fabris
ist das Gedicht nicht zu finden, aber wohl in derjenigen von Prof. Resetar
unter der langen Überschrift: In Regis Romae Natalibus Vates a
Populorum exultatione admonitus Gaudia Magni Napoleonis celt-
brare conatur sese Imparem confessus ad illius Heroica gesta digne
canenda. Der eigentliche Titel des Gedichtes lautet: Ad Ltjram Sap-
pliicon. Hier wird dem jungen König jedes mögliche Glück und alle
Tugenden prophezeit; mit ganz klassischen Ausdrücken wird er geprie-
sen und unter anderem heißt es, daß er ein Nacheiferer von Roniulus
und Numa sein werde.
Die Gelegenheitsdichtung bildete in der Zeit des M. Bruere den
Hauptteil der ragusanischen poetischen Produkte im allgemeinen und
deshalb wundert man sich nicht, wenn er dem Sohne Napoleons die er-
wähnten zwei Gedichte gewidmet hat. So ist es auch gar nicht auf-
fallend, wenn er Franz I. von Österreich mit einem lateinischen Sonett
(in der Handschrift Sonidus) begrüßt hat, da es bekannt ist, daß die
besten Dichter von Ragusa am Anfang des XIX. Jahrb. eine Sammlung
von eigenen Gedichten bei Martecchiui in Ragnsa herausgegeben hatten,
als I'ranz I. im Jahre 1818 ihre Stadt besuchte. Nach Kasumovic
(Vienac 1902, S. 443 — 444) war M. Bruere in dieser Sammlung gar
nicht vertreten und doch findet man in unserer Handschrift das er-
wähnte Sonett, in welchem der Kaiser größer als August, Trajan, Nerva
bezeichnet wird; der Dichter wendet sich am Schlüsse an den Kaiser
mit der Frage :
Quis nos esse tuos, te nostrum esse nogabit?
Ein Ganzes unter sich bilden vier italienische Sonette, die M. Bruöre
Archiv für slavischo Philologie. XXVIII. 5
66 J. Nagy,
gelegentlich des Falles der Republik Venedig gedichtet und die von ihm
selbst niedergeschrieben sind. Daß die Seiten der Handschrift, welche
diese Sonette enthalten, in der Tat Autographen des Bruere sind, er-
fahren wir aus einer Note, welche Marinovic einer Übersetzung Bruere's
aus dem Griechischen hinzufügte. Es heißt dort: Traduzione (V una
canzonetta Greco-volgare fatta da M. Bruere e trascritta di sua
propria mano. Ein graphischer Vergleich dieses Liedes mit den früheren
Sonetten zeigt, daß alle von einer Hand geschrieben sind. Was die
Gedankenreihen in denselben anbelangt, so sagt der Dichter im ersten
Sonette, überschrieben: In Occasione della Democratizzazione Del
Governo Veneto, accaduta nel 1797 Sotto gl auspicij delT Esercito
Francese Commandato dal Generale Bonaparte mit sehr trivialen
Ausdrücken, daß Venedig endlich, wie eine alte Dirne, gefallen sei.
Im zweiten, das einen Dialog zwischen Venedig und Bonaparte bildet,
spricht jenes, es könne nicht begreifen, wie Napoleon den Völkern die
Freiheit schenken und Venedig selbst von seinen Tyrannen nicht be-
freien wolle. Im dritten will Venedig dem General Bonaparte beweisen,
daß Adrias Tochter, die so lange Zeit ihre Selbständigkeit zu bewahren
imstande war, doch der Freiheit am würdigsten wäre. Zuletzt, im vier-
ten, bittet das venetianische Volk Bonaparte, es von seinen hundert
Unterdrückern befreien zu wollen. Der Inhalt dieser Sonette und ihr
Ton führt uns zu einem auffallenden Gedanken und zur Frage, wie
konnte ein Mann, der der Demokratisierung im französischen Sinne ganz
und gar ergeben war, in so großer Liebe bei den Ragusanern stehen,
wie das bei M. Bruere der Fall gewesen, oder wie kam er, der haupt-
sächlich in dem aristokratischen Ragusa erzogen war, dazu, das Ende
der ebenfalls aristokratischen Republik Venedig zu preisen ? Vielleicht
waren diese Sonette den damaligen Ragusanern gar nicht bekannt, da
wir auch dieselben im Autograph und in keiner Kopie besitzen. Von
anderer Seite ist wieder zu bemerken, daß Bruere seinem französischen
Patriotismus nicht untreu werden wollte, und daß man in allen seinen
literarischen Produkten gar keine Stelle finden kann, wo er sich der
glücklichen Zeiten der ragusanischen Republik erinnert. Wenn er ein-
mal dem Freund Sorgo gestanden hat, daß er nicht imstande sei,
französische Verse zu schreiben 20)^ so hat er sich anderseits eines armen
französischen Dichters im post scriptum zu dem italienischen Send-
20) Slovinac 1878, Nr. 14, S. 157.
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 67
schreiben an Andreas Altesti erinnert, der auch seinem Freund schmerz-
volle Verse gesendet hatte. Wenn er also kein französischer Literat
war, konnte er doch ein in der französischen Literatur belesener Mann
sein. Bei der Lektüre der Sonette, von welchen die Rede ist, denkt man
unwillkürlich an die Briefe des Vaters des Dichters !
Von den Gelegenheitsgedichten des M. Bruere sind noch drei latei-
nische Epigramme, die er für eine Villa der Edelleute Gozze und Basegli
von Canosa dichtete, zu erwähnen. Das erste befand sich auf einem,
zum Andenken des Besuches des Kaisers errichteten Obelisk, das zweite
am Eingangstor der Villa und das dritte auf einer der bekannten Pla-
tanen von Canosa. Der Inhalt entspricht der Tendenz!
Als dritte und letzte Gruppe der literarischen Tätigkeit Bruere's
sind auf Grund der Handschrift seine Übersetzungen aus dem Griechi-
schen, Lateinischen und Serbokroatischen ins Italienische zu besprechen.
Es ist bekannt, daß er sich mit dem Übersetzen aus Horaz, Properz,
CatuU, Martial und Plautus beschäftigte, aber davon ist in unserer Hand-
schrift nichts zu finden. Was das Griechische anbelangt, so übersetzte
er aus dem Vulgärgriechischen ein und dasselbe Gedicht ins Lateinische
und Italienische. In diesem wird die Liebe eines Jünglings zu zwei
jungen Schäferinnen dargestelft. Wichtig ist der Vergleich beider
Übersetzungen in metrischer Beziehung. Ein lateinisches Distichon
wird mit einer italienischen Quartine wiedergegeben. So z. B. gleich
am Anfang steht in der lateinischen Übersetzung:
Depereunt geminae me aequali ardere puellae,
Sorte ego sie parili cogor amare duas
und in der italienischen :
Per lue d' amor si struggono
Due vaghe pastorelle;
D' uguale ardor per eile
Struggendo auch' io mi vö.
In demselben metrischen Verhältnis steht die italienische Über-
setzung der Elegie De laudihiis Insulae Mediae von Junius Resti zum
Original, d. h. ein lateinisches Distichon von Resti wurde von Bruere
mit einer Quartine übersetzt. Was die Bezeichnung Elegie anbelangt,
so muß man bemerken, daß dieselbe nicht nach dem heutigen Begriff
zu fassen ist. Resti widmet seine lange Elegie 21) «Ad Clarissimum Virum
21) Dieselbe umfaßt 76 Distichen, beziehungsweise 76 Quartinen in der
Übersetzung von Bruere.
68 J- Nagy,
Michaelem Antonii de Sorgo Romae commorantem« und vergleicht den
Aufenthalt in Rom mit demjenigen auf der Insel Mezzo, und entzückt
von der Schönheit dieser Insel, will er dort nicht nur immer bis zum
Tode bleiben, sondern auch im Schöße derselben das eigene Grab fin-
den. Die Insel Mezzo (serbokroat. Lopud) gehörte einmal zum Terri-
torium der Republik von Ragusa. Dieselbe mit den zwei benachbarten
Inseln Giuppana (serbokroat. Sipan) und Calamotta (serbokroat. Kolo-
cep) bilden eine Gruppe von Inseln, die bei Plinius El afiten heißen.
Diese Bezeichnung kommt auch bei Resti, beziehungsweise Bruere, sehr
oft vor.
Was Bruere's Übersetzungen aus dem Serbokroatischen in das
Italienische anbelangt, so findet man in unserer Handschrift, wie auch
in derjenigen des Prof. Resetar, drei übersetzte Volkslieder, oder Lieder,
die bei Kacic vorkommen und mit Volksliedern verwechselt werden.
1. Das Lied über die Niederlage der Svaten des Stjepau, Sohn des
Dogen ; 2. Den Klaggesang von der edlen Frau des Asan-Aga; 3. das
Lied über König Radoslav. Die Übersetzung des ersten Liedes ist aus
Appendini's: Notizie istorico-critiche Bd. II. S. 258 — 262 abgeschrieben.
Appendiüi hat dieses Lied als Beispiel der Volkspoesie im Kapitel VI
dieses Bandes unter dem Titel »Poesia dei Dalmato-Slavi mediterranei«
angeführt und bemerkt darüber auf S. 258 folgendes: »Noi qui ripor-
tiamo una Popjevka, che ci ha gentilmente favorita colla traduzione in
versi sciolti il Sig. Marco Bruere, il qnale ha raccolto e tradotto in di-
versi metri quanto vi ha di migliore in questo genere. Verte essa sulla
strage degli Svatti (qnei, che sono deputati a condurre a casa le novelle
spose) di Stefano detto del Doge«. Der Behauptung Appendini's, daß
sich M. Bruere mit dem Übersetzen von Volksliedern eingehend be-
schäftigt habe, entspricht es, daß außer dem ersten noch das dritte
Lied, das sich in unserer Handschrift befindet, d. h. dasjenige über
König Radoslav, zu welchem hier bemerkt wird: »In questa Canzone,
con molta felicitä tradotta dal Bruere, si parla di due giovani Sarmate
insieme per amore azzuffatesi« von ihm übersetzt wurde. Eine Über-
setzung der Hasanaginica dürfte er aber nicht veranstaltet haben. Wenn
man den Text dieser Übersetzung in unserer Handschrift mit dem-
jenigen, der sich auf den Seiten 99 — 105 des ersten Bandes des Buches:
Viaggio in Dalmazia dell' Abate Alberto Fortis (Venedig 1774) befindet,
vergleicht, so sieht man, dass beide identisch und nur eine Arbeit sind,
da man als kleine Abweichungen betrachten kann, wenn in unserer
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 69
Handschrift ein Vers fehlt oder wenn man statt : trattienla bei Fortis,
in der Handschrift la trattiene; statt la giovine gentil wieder la gentil
giovine findet. Miklosich in seiner Abhandlung : Ȇber Goethe's Klag-
gesang von der edlen Frauen des Asan Aga((22j sagt, bei der Bespre-
chung des Textes von Fortis, auf S. 414 folgendes: »Der italienische
Naturforscher Abate Alberto Fortis (1741 bis 1803) schöpfte seinen
Text unzweifelhaft aus der angeführten Spalatiner Handschrift: der
slavischen Sprache unkundig, verdankte er die Übersetzung der Mit-
theilung halbgelehrter Eingebornencf. Man könnte vielleicht jetzt den-
ken, daß unser M. Bruere dem Fortis in dieser Beziehung Hilfe geleistet
habe, aber der einfache Grund, daß das Buch von Fortis im Jahre 1774
erschienen ist und M. Bruere damals noch nicht in Ragusa war (und vor
seiner Ankunft in dieser Stadt kann man doch bei ihm keine Kenntnis
der serbokroatischen Sprache und noch weniger der serbokroatischen
Volkspoesie voranssetzen) spricht dagegen. Wenn man den Umstand,
daß das Buch von Fortis den Titel »Viaggio in Dalmazia« führt und
Ragusa im Jahre 17 74, als Republik, mit Dalmatien nichts zu thun
hatte, bei Seite läßt, so kann man doch in einer Anmerkung zu der
Übersetzung der Hasanaginica , den Ausgangspunkt für die Meinung,
daß hier ein Irrtum von Seiten des Schreibers der Handschrift vor-
liege, finden. Es heißt nämlich dort: »Avvi poi di questa canzone la
traduzione Latina di D. Giorgio Ferrich, che si puo osservare a pag. 17
del Libretto delle Epistole, dirette al eh. Sig*'. Giov. Muller, Consigliere
Aulico, e Console della Repub. di Rag. a Vienna«. Hätte Marinovic das
Buch von Fortis, welches 24 Jahre vor dem Büchlein des Feric erschie-
nen ist, gekannt, hätte er hier auch die Übersetzung der Hasanaginica,
die sich in diesem Buche befindet, erwähnt. Er wird wahrscheinlich
eine Abschrift dieser Übersetzung aus dem Buche von Fortis gehabt
und demnach auch diese Übersetzung zu den anderen übersetzten
Volksliedern des M. Bruere gerechnet haben. Abschriften aus Fortis
sind noch in der Bibliothek des Franciskanerklosters in Ragusa zu finden.
Damit haben wir auch den Inhalt unserer Handschrift erschöpft.
Wie schon erwähnt, Marko Marinovic sagt auf zwei Stellen, daß hier
nur ein Teil der Poesien Bruöre's enthalten sei. Das kann man auch
ganz gut glauben, wenn man einfach den Katalog der Bücher und Hand-
22) Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien.
Bd. ein.
70 J- Nagy,
Schriften des Fra Inocenz (:üIi6^^], die sich jetzt in der Bibliothek des
Francisifanerklosters in Ragusa befinden, nachschlägt und dazu auf den
gedruckten Teil der poetischen Produkte Bruere's Rücksicht nimmt.
Nach demjenigen, was im Katalog der Bibliothek von Cjuiic notiert ist,
konnte man noch zu der Gruppe der Gelegenheitsgedichte nachtragen :
1. eine lateinische Ode »Ad Georgium Ferrichium«; 2. eine Sammlung
von serbokroatischen Gedichten unter dem Titel : Tamasne Piesni Slo-
wene u Dubrovniku po Marku Bruerevicu u Poklade lieta 1805 2*]; 3. Ad
Junium Resti Musicae artis obtrectatorem. Saphicon Marci Bruerii;
4. Epitaffio da porsi suUa pietra sepolcare di Giunio Resti, lateinisch
und italienisch; 5. Ad Junium Restium Rhacusanae Reipublicae Recto-
rem renunciatum ; 6. Elegia in mortem Benedicti Stay. Die beiden letz-
teren Gedichte wurden zuerst lateinisch geschrieben und dann in das
Italienische übersetzt. Weiter erfahren wir, in Bezug auf die Gruppe
der Übersetzungen Bruere's, aus demselben Katalog, daß er Stellen
und größere Partien aus Catull, Properz, Ovid und TibuU in das Serbo-
kroatische und einige lateinische Gedichte der Ragusaner Franz Stay
und Stephan Gradi in das Italienische übersetzte. Zuletzt wird daselbst
auf Seite 177 eine »Raccolta di poetici componimenti in lingue diverse
di M. Bruere Derivaux. Autografo dell' autore« erwähnt. Von allem
diesem Material konnte ich in der Bibliothek des Franciskanerklosters
nur zwei kleinere Sachen finden, da sich nur diese noch erhalten haben.
Zuerst die lateinische Ode : y>Ad Georgium Ferrichium Musis aeque
ac mihi dilectissimum virum»^ in welcher Bruere dem Freunde sagt,
daß er schon alt sei und er rät ihm seine Jugendjahre, solange die
Zeit es ihm erlaubt, gut zu benützen — also dasselbe was er ein anderes
Mal dem Altesti empfohlen hatte. Dann fand ich noch die italienische
Übersetzung der lateinischen Ode des Stephan Gradi: De Insulae
Jupanae amoenitate"^^].
23] Biblioteca di Fra Innocenzo Ciulich nella libreria de' R.R.F.P. Fran-
cescani di Ragusa. Zara 1860. Dalla Tipografia Governiale.
2*) Es sollten das die Gedichte: Cupe, Spravljenice und Zvjezdo-
znanci sein.
25) Diese Ode ist zu finden auf S. 398 einer Sammlung lateinischer Ge-
dichte aus dem XVII. Jahrb., deren Titel lautet: Septem illustrium virorum
poemata. Editio altera. Priori auctior et emendatior. Amstelodami. Apud
Danielem Elsevirium CIOIOCLXXII. Stephan Gradi kommt in dem Büchlein
an sechster Stelle vor.
Marko Bruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 71
Zur Ergänzung unserer Handschrift wollen wir noch auf das Ge-
druckte Rücksicht nehmen. Von den Gedichten Bruere's wurden vor
allem seine italienischen Sonette: Per la Nascita del He di Roma bei
Martecchini in Ragusa im Jahre 1811 herausgegeben. Im Jahre 1839
erschien bei demselben Martecchini ein Büchlein unter dem Titel: Ma-
runko^ Scpotna-PJescm Ignaz Bernarda Giorgi opatta Melitenshoga
Dubrovcianma^ dessen erster Theil den »Marunko« von J. Gjorgjic ent-
hält, der zweite die »Dervisiada« des Gjiman Gjorgjic und der dritte
die »Cupe« und «Spravljenice« von M. Bruere. Das erste von beiden
letzten Gedichten ist in der Ausgabe um zwei Strophen kürzer als in
der Handschrift und das zweite um eine; sonst wären keine bedeutende
Abweichungen zu erwähnen.
Zu der Biographie Bruere's fügte Medo Pucic noch eine ganze Reihe
von Gedichten desselben hinzu. Von demjenigen, was in der Handschrift
zu finden ist, werden hier die Sendschreiben an Peter und Andreas
Aleti, dann an Anton Sorgo gedruckt. In Bezug auf diese Ausgabe
muß man bemerken, daß Pucic die Gedichte zuerst ganz jekavisiert
(was bei Bruere nicht immer der Fall ist) wiedergeben und noch in
denselben eine Modernisirung durchführen wollte, wobei bei älteren
Ausdrücken Formen, Endungen und Wortstellungen ziemlich viel ge-
ändert wurde. Durch diesen »Dubrovnik« (1851) lernt man noch andere
Sendschreiben, welche der Dichter an die Gattin Mara und den Arzt
Grgurevic richtete, kennen und man findet noch eine ganze Reihe von
speciellen Gelegenheitsgedichten, die bis jetzt noch nicht erwähnt wur-
den, und mit dem Gesamtnamen Kolende bezeichnet werden. Was die
Kolende sind, wann, wo und wie dieselben vorgetragen wurden, ist all-
gemein bekannt und hier hat man nur noch nachzutragen, daß das eine
sehr beliebte Art von Gelegenheitsgedichten in Ragusa am Ende des
XVIII. und am Anfang des XIX. Jahrhunderts war, und daß man ge-
wöhnlich annimmt, M. Bruere habe in dieser Beziehung eine Verbesse-
rung durchgeführt, da er gegen den früheren raakkaronischen Gesang
aufgetreten v/ar. In seinem Fahrwasser bewegten sich noch zwei Männer
dieser Zeit, nämlich der sehr wenig bekannte Dichter Maro Zlatari(5 und
der jüngere Anton Kaznacic, welche den Kolenden einen nationalen und
lokalen Charakter gaben^^j Auf S. 55 — 57 desselben )iDubrovnik«
findet man noch eine im klassischen Metrum gedichtete serbokroatische
Slovinac 1878, Nr. 13, S. 144.
72 J- Nagy,
Satyra des M. Bruöre, deren Tendenz man schon nach den Einleitungs-
versen erfahren kann.
Ti koji dni trajas i noci knjige promecud,
Pomnjivo trazedi slovinskog naroda slave;
Bi r uzrok man' po sreci dokazati znao
S pivnice jer svako do glasovita Pregata
Slavne bi ee slatko Lärvatske odreko starine?
Jer cupah od zupskieh do najponosne vladike
Stidi sc svak jezik slovinski cisto govorit?
Wenn Ranjina und Gundulic sehen könnten, wie sich ihre Geburts-
stadt vom Slaventhum losgesagt hat, würden sie sich mit der linken
Hand bekreuzen. Aber man sagt, wenn auch die nationalen Sitten und
Gebräuche von ihrer Bedeutung verloren haben, daß daneben in der
Kultur ein mächtiger Fortschritt gemacht wurde. Auf diese Weise will
man alles Gute und Schlechte entschuldigen. Das wäre eins der interes-
santesten Gedichte Bruere's.
J. A. Kaznacic gab im »Dubrovnik« für das Jahr 1868 das Gedicht
Zvjezdoznanci heraus, und begleitete diese Ausgabe mit einer Darstel-
lung der ragusanischen Maskeraten. Die Ausgabe selbst nähert sich
mehr unserer Handschrift als jene von Medo Pucic, mit Ausnahme, daß
hier drei Strophen, in welchen der Dichter in das Triviale tibergeht,
ausgelassen sind.
Zuletzt brachte die ragusanische Zeitschrift »Slovinac« in ihrem
ersten Jahre (1878) neben der Biographie von M. Bruere, welche nur
dasjenige was 27 Jahre früher Pucic geschrieben hatte, wiedergibt, ein
Sendschreiben von Bruere an Anton Kaznacic gerichtet, als er ihm das
eigene Porträt zusandte, das nach einer Handschrift von Dr. Ivan
Kaznacic gedruckt wurde. In Bezug auf die Komoedie Bruere's VJera
iznenada, welche daselbst auch gedruckt wurde, scheint Pucic's Urteil :
»u njoj je svaki prizor smijesan, a ipak sve zajedno nece da razveseli
stioca; obrazac dubrovackoga zivota, a sve zajedno ne prestavlja dubro-
vacki zivot« richtig zu sein.
Mit Ausnahme des Buches »Voyage en Grece« (Paris 1820) des
französischen Konsuls von Janina Pouqueville, das ich nur dem Titel
nach kenne, in welchem auch von M. Bruere die Rede ist, ist es mir
nicht bekannt, daß sonst irgendwo in einer Monographie, oder in kür-
zeren Aufsätzen über ihn etwas geschrieben, oder in irgend welchen
Zeitschriften andere seine Gedichte herausgegeben wurden.
Marko ßruere Desrivaux als ragusanischer Dichter. 73
Der Absicht, über eine Handschrift zu referiren, entspricht es
nicht, den Dichter und seine literarische Leistungen einer näheren Prü-
fung zu unterziehen, doch darf man hervorheben, daß für die serbo-
kroatische Literatur- und Kulturgeschichte mehr sein Leben in Ragusa
und seine Beziehungen zu den Ragusanern seiner Zeit, als seine Ge-
dichte selbst wichtig sind. Man könnte erwarten, in ihm einen der auf-
geklärten Vertreter der modernen französischen Weltideen zu finden,
aber in der Tat ist dies nicht der Fall. Er dichtet wie auch die An-
deren, und unterscheidet sich in den literarischen Kreisen Ragusas von
diesen gar nicht; seine Zeitgenossen und Freunde loben ihn ohne wei-
teres und vergleichen ihn mit Homer, Horaz und anderen Vertretern
der klassischen Literatur. Statt uns aus Frankreich etwas Neues nach
Ragusa zu bringen, schickte er zu Weihnachten dem Freund Anton
Sorgo, der sich im Jahre 1820 in Paris befand und sich für die Errich-
tung eines Lehrstuhls der slavischen Philologie daselbst bemühte, und
er selbst sich damals dort auch befand, eine in serbokroatischer Sprache
und nach ragusanischer Art gedichtete Kolenda^'^), Am wichtigsten
wäre es doch für die Kenntnis des Charakters Bruere's, seine Privat-
briefe, wenn dieselben irgendwo vorhanden sind, zu prüfen. Diejenige
Sammlung von Briefen, die sich unter Nr. 1127 in der Bibliothek des
Franciskanerklosters in Ragusa befindet und auf S. 208 des Katalogs
der Bibliothek von Culic folgendermaßen beschrieben wird: »Un Fasci-
colo di Corrispondenze Epistolari autografe sopra argomenti letterarii
e scientifici, di diversi letterati, particolarmente Dalmati e Ragusei,
vissuti verso la fine del secolo XVHI e nella prima metä del XIX«
liefert uns in dieser Beziehung gar nichts.
Nachtrag.
Je öfter ich den Katalog der Bibliothek des Franciskanerklosters
von Ragusa (der gewesenen Bibliothek von Culic) in die Hände nahm,
desto mehr konnte ich mir die Meinung aneignen, daß man sich auf
sein Namensverzeichnis gar nicht verlassen kann. Als ich nun den
Katalog vom Anfang his zum Ende, Seite für Seite näher durchprüfte,
sah ich mich gezwungen, noch auf zwei kleine Büchlein Rücksicht zu
nehmen, in welchen vielleicht auch Gedichte von M. Bruere zu finden
wären. Meine Hofi'nung ging auch tat sächlich in Erfüllung.
2") Dubrovuik. 1851.
74 J- Nagy,
Die drei Gedichte auf den Tod des Arztes Detorres (vgl. S. 62)
wurden, mit Gedichten anderer Freunde desselben, in einer Sammlung,
die folgenden Titel hat, gedruckt : Versi in morte di Giorgio Detorres
Dottore in Filosofia e Medicina. Ragusa MDCCCII. Presse Antonio
Martechini. Das lateinische Gedicht ist auf S. 14 — 15, das italienische
auf S. 28 und das serbokroatische auf S. 48 — 49 zu finden.
Aber auch andere Gedichte Bruöre's wurden schon vor seinem
Tode gedruckt, so jene an Ghetaldi's Schiff Bete gewidmet (vgl. S. 64),
und zwar das Epigramm auf S. 14 der Sammlung: Nave Ragusea di-
stinta col nome del celebre antico matematico Marino Ghetaldi. Compo-
nimenti Latini, Italiani ed Illirici. Italia (sie!) IS 19. Hier hat das Ge-
dicht zwei Verse mehr als in der Handschrift. Was die Hendecasyllabi
anbelangt, so muß hervorgehoben werden, daß sie nicht von Bruere,
sondern von Chersa herstammen. In der Sammlung folgt dem erwähn-
ten Epigramm gleich Folgendes: »Antonii Steph. F. Chersa inter arca-
des Salimbi Magaridis Hendecasyllabi«, und dann »Ejusdem Hendeca-
syllabi«. Diese letzten sind jene, die Marinovic dem Bruere zugeschrie-
ben hat; es ist aber klar, daß sich jenes »Ejusdem« auf Chersa bezieht.
Zu den Freunden Bruere's kann man noch den P. Agic hinzurech-
nen. Von diesem finden wir auf S. 161, Nr. 661 des Kataloges der
Franciskanerbibliothek Folgendes notiert: Ad Marcum Bruyerium (sie!)
Elegiae tres auctore P. Agic. Accedit expositio carminum ad Pium
Papam VH et Cardinalem Carandinum. Diese Handschrift ist aber in
der Bibliothek nicht mehr zu finden, und deshalb muß man sich mit der
Anführung des Titels begnügen.
Wir wissen, daß Bruere noch den bekannten Gjuro Feric als
Freund bezeichnet (vgl. S. 63), und es sei hier auch darüber eine Notiz
angeführt. Nachdem Feric seine sieben Bücher von Epigrammen fertig
geschrieben hatte, setzte er folgende Widmung hinzu : « Ad Clarissimum
Virum Andream Altestium«, strich aber dann die letzten zwei Worte
durch und schrieb statt dieser »Marcum Bruerium«. Sobald die Sache
so geändert wurde, mußten auch die folgenden, am Ende der Widmung
sich begegnenden, Verse wegfallen, nämlich:
Da quaeso, ipai etenim tuae hoc sorori,
Gut carus puer est, placebit, atque
Ipse sie etiam magis placebo,
Qui jam illi placeo, et cui lila dotes
Ob tot egregias placet vicissim.
Scrip. Anno 1808.
Nachtrag.
75
Ich verdanke diese Notiz dem Freunde Stud. phil. Kolendic, bei dem
sich die Handschrift befindet.
Noch eine Notiz über Bruere's Sohn Renato (vgl. S. ^S6)\ Als ich
in einem Bande, wo eine große Anzahl von gedruckten Einzelblättern
zu finden ist (Katalog der Franciskanerbibliothek S. 300, Nr. 1881, der
neuen Pagination Nr. 714) nachschlug, fand ich das Programm eines
Festes, gedruckt in Ragusa bei Martechini im Jahre 1811, unter folgen-
dem Titel : Tributo di rispetto, e di omaggio presentato dagli allievi del
liceo-convitto di Ragusa a S. E. il Sig. Governatore generale delle pro-
vincie Ullriche .... in occasione della di lui venuto a Ragusa. An diesem
Fest nahm der junge Renato Bruöre aktiv teil, wie man aus folgender
Stelle ersehen kann : Dialoghi due in lingua Francese, coi quali il Sig.
Augusto Bellier, Tommaso Martellini, Renato Bruere, e Nicolö Ivich si
propongono di rendere omaggio al valore, alla sapienza, e alla bontä di
S. E. con dei sentimenti di ammirazione, di rispetto, di amore, e di ri-
conoscenza.
Noch etwas muß ich dem Freunde Kolendic verdanken, nämlich
eine Genealogie des Schreibers unserer Handschrift, die ich hier mitteilen
möchte, weil sie uns sichere Daten über sein Leben und seine Stellung
liefert, woraus es klar wird, wie er zu so vielen Handschriften und Bü-
chern kommen konnte:
Niko Marinovic, Capitaine
und Marija Terza Kiriko (Chirico)
des Vicko, vermählt in Raguse
den 12. December 17i)0.
Marko, Baldo, Ivan geb. in Ragiisa
den 31. Oktober 1792, gestorben da-
selbst am 13. März 1871. Am 25. Mai
heiratete er in Crna gora am Peljesac
das Dienstmädel Marija Radakovic.
Zuerst war er Gewerbsmann, dann
Diurnist beim Kroisgericht in Ragusa.
Vicko, Niko, Melko
geb. in Ragusa am
am 9. Juli 1795,
gestorben ?
Öalvator, Marija geb.
Baldo , Ivo in Ragusa am
geb. in Ra- 11. Sept. 1837,
gusa am 25. gest. in Ra-
Jänner 1836, gusa?
lebt noch.
Ich muß gestehen, daß es mich sehr gefreut hat, die Handschrift
vom verstorbenen Fabris zum eigenen Gebrauch bekommen zu haben.
Marko, Bal-
do, Ivo geb.
in Ragusa am
14.Märzl842,
gest. daselbst
am 13. Aug.
1842.
Katanca, Ma-
rijana geb. in
Ragusa am
27.Aug. 1843,
gest. daselbst
am 9. April
1844.
Marko, Bal-
do, Ivo geb.
in Ragusa am
21. Sept. 1848,
lebt?
76 J- Nagy, Nachtrag.
Jetzt bin ich sehr zufrieden, hervorheben zu können, daß dieselbe sich
in der Redaktion von Dubrovnik und Srd befindet, wo sie hoffentlich
jedem, der sie näher prüfen wollte, zur Verfügung stehen wird.
/. Nagy.
Die böhmische Paraphrase der Distichen des Johannes
Pinitianus zn Petrarka's »De remediis ntrius(ine
fortunae«.
Von Oskar Donath.
Es hat lange Zeit die Meinung geherrscht, daß die Disticha, die in
einigen Drucken der Schrift »Dialogus de remediis utriusque fortunae«
des Petrarka den einzelnen Kapiteln vorgesetzt wurden, das Werk Pe-
trarka's sind. Sie wurden wiederholt abgedruckt und prangen noch in
den neuesten italienischen Ausgaben von Petrarka's Schrift, als ob sie
einen integrierenden Bestandteil des Buches bildeten. Herr Wukadi-
novic weist in seiner Abhandlung (Arch. XXVI. 241) nach, daß diese
Verse von dem Augsburger Humanisten Pinitianus stammen und stützt
sich auf eine Äußerung des Petrarkaübersetzers Stephanus Vigilius in
der Dedikationsvorrede zu dem Werke »De remediis« (8. VIH), die da
lautet: »Es hat auch der eherwürdig hochgelert vnser getrewer lieber
Preceptor vnd herr Johan Pinitian hierinn sein fleyss nicht gespart, diss
kostlich Buch mit seine Versibus vn reyme zu zieren, hat eines jegk-
liche Capitels jnhalt kürtzlich zu latein vn teütsch verfasset «.
Es wird nicht uninteressant sein, über Pinitianus, der in der deut-
schen Literatur nicht zu den bekanntesten Persönlichkeiten gehört, etwas
Näheres zu erfahren.
Joannes Pinitianus, nicht Primitianus, wie Kassarus irrtümlich
behauptet, anders Joannes Kening Pinitianus genannt, wurde, wie aus
seinem Epitaphium zu ersehen ist, im Jahre 1478 geboren. Von ihm
selbst und von Kassarus erfahren wir, daß er mit dem Dichterkranze
gekrönt wurde.
Pinitian's Zeitgenosse Joannes Boeschenstein berichtet, daß er die
Würde eines Geistlichen bekleidet hatte. (Presbyteri quoque dignitate
conspicuum fuisse.) Daß er aber zum geistlichen Amte nicht sehr be-
(
Die böhm. Paraphrase der Distichen des Johannes Pinitianus etc. 77
fähigt war, sehen wir aus einer Anmerkung des jüngeren Paul v. Stetten
in seinen »Erläuterungen der Vorstellungen aus der Geschichte der
Stadt Augsburg« S. 95: »Um das Jahr 1515 war hier ein gelehrter Mann
Joannes Kening, genannt Pinitianus, der eine ordentliche Schule hielte
und die Jugend in Wissenschaften und Sprache unterrichtete, wiewohl
er dabei von schlechten Sitten gewesen sein soll«. Wir brau-
chen zwischen den beidenÄußerungen keinen Widerspruch anzunehmen.
Wenn wir die Literatur des XVI. Jahrh. näher kennen lernen, so
finden wir, daß schlechte Sitten kein hindernder Umstand waren, ein
geistliches Amt zu bekleiden. Die Sprichwörtersammlungen, Flug-
schriften und Volksbücher des XVI. Jahrh. zeigen uns, auf welcher
Moralstufe die Geistlichkeit damals stand. Wenn nun Pinitianus auch
zu solchen Geistlichen gehörte, dann macht uns doch der Inhalt seiner
von ascetischem Geiste strotzenden Verse stutzig. Auch dieser Umstand
ist nicht schwer zu erklären.
In Pinitian's Leben dürfte in den zwanziger Jahren des XVI. Jahrh.
(Pinitian hatte damals sein 40. Lebensjahr bereits lange überschritten)
ein Wandel eingetreten sein. Dafür spricht ein Brief an Veit Bild von
Ende August 1522. Dort heißt es: »Salve mi frater in evangelio dilec-
tissime«. Er wünsche mit Bild sich zu besprechen »de praeseutibus rebus
et evangelicis«. «Totus in litteris sacris versor; sordent profecto
omnia, quae antehac maximo in pretio mihi fuere«. Die letzten
Worte sprechen ganz entschieden für einen Wandel in der Lebensweise.
Das Ideal eines Humanisten, nämlich trilinguis zu sein, hat Pini-
tianus erreicht. Er war linguae latinao callentissimus, fore etiam grae-
cam, valde hebraicami). Wir haben dafür Beweise.
Wenn Pinitian, der liebenswürdige Grammatiker, dem Humanisten
Veit Bild im Jahre 1514 einen Lehrer im Griechischen in Aussicht
stellt 2), so ist anzunehmen, daß er sich selbst mit der griechischen
Sprache befaßte. Auch hebräisch hat Pinitian gelernt. Johann Kaiser
aus Ingolstadt, wo der berühmte Hebraist Johann Boeschenstciu als
Lehrer wirkte, versah Bild und dessen Freund Pinitian mit hebräischen
Büchern. Pinitian gibt in der Freude über den Besitz einer hebräischen
Grammatik der kühnen Hoffnung Ausdruck, daß er sich die Sprache
ohne Lehrer werde aneignen können. In einem Briefe, der in die
1) Bibliotheca Augustana S. 141.
-) Schröder: Zeitschrift des bist. Vereines Schwaben XX. 179 (Brief-
wechsel des Veit Bild).
78 Oskar Donath,
Wendezeit des Jahres 1513/1514 fällt, schreibt Pinitian an Bild, Kaiser
sei heute abgereist und habe Pinitian verschiedene Bücher gegeben,
darunter auch »introductorium in hebraeas litteras«. Er hoflfe sich die
Sprache ohne fremde Hilfe aneignen zu können. Pinilianus war ent-
schiedener Anhänger Luthers. Das beweisen uns mehrere Umstände.
1. Ein Buch in der Lyzealbibliothek zu Dillingen, enthaltend ver-
schiedene Schriften Luthers, trägt auf dem Vorsetzblatt die Eigentums-
bezeichnung: J. Pinitianus p. 1521. cal. Aug. Dass es eifrig gelesen
wurde, beweisen die zahlreichen Randbemerkungen Pinitian's^).
2. Er befaßt sich mit Dogmatik und fragt Bild, ob die Disputation
am Feste der heil. Katharina stattfinden werde.
3. Unsere Verse sind voll von lutherischer Mystik.
Sein Lebensberuf war das Lehramt. Er schreibt Bücher, nicht so
sehr nach Ruhm strebend, als um vielen zu nützen, hauptsächlich der
Jugend (»praecipue tenerae docilique aetati«). Seine Lehrtätigkeit
übte er in Augsburg aus und zwar schon im Jahre 1512, wie er in der
Widmung seines Werkes »Leben des streytbarsten Fürsten und Herrn
Georg Castrioten, genannt Scanderbeg« bemerkt. Bevor er nach Augs-
burg kam, lehrte er die lat. Sprache »Oeniponte, urbe Tyrolis, minime
ignobili«, also in Innsbruck.
Im Jahre 1542 gestorben, wurde er in Augsburg in der Kirche zu
St. Stefan begraben.
Auf seine Werke, deren poetischen Teil sein Biograph in Biblio-
theca Augustana mit den Worten »carmina Nostri (id est Pinitiani) ad-
hucdum exstantia loquuntur mire fluida, tersa, ingeniosa« lobt, will ich
mich nicht einlassen. Sie sind in Bibliotheca Augustana zitiert. Es ist
nur merkwürdig, daß die Verse, um die es sich uns handelt, dort nicht
angeführt werden. Wir begreifen diese Lücke, wenn wir bedenken, daß
die Verse früher allgemein dem Petrarka zugeschrieben wurden. Weller
zitiert in seinen Annalen der poetischen Nationalliteratur der Deutschen
(Bd. I. 435) unter »Petrarka«: »Zwei schöne newe und gar edle Trost-
büchlein in latein. Carmin und deutsche Reymen. Cöln 1573(f, worunter
er wohl nichts Anderes als eine Sonderausgabe der Verse Pinitians meint 2).
Es liegt der Gedanke nahe, sich um etwas Ähnliches, wie unsere
Verse sind, in der deutschen Literatur umzusehen. Da fallen uns vor
1) Schröder: Zeitschr. des bist. Vereines Schwaben X. 211. Der Huma-
nist Veit Bild.
2) Wukadinoviö: Archiv f. sl. Phil. XXVL 242.
Die böhm. Paraphrase der Distichen des Johannes Pinitianus etc. 79
allem die Disticha Catonis auf, die nicht nur technisch, sondern anch
inhaltlich mit unseren Versen tibereinstimmen. Diese Disticha Catonis
waren das Faktotum beim Unterrichte der Jugend, die aus ihnen die
Anfangsgründe der Grammatik, Poesie und Moral kennen lernte, sie
blieben meistens ein Lieblingsbuch auch noch der Erwachsenen. Selbst
nachdem im Reformationszeitalter der Jugendunterricht eine wesentliche
Umgestaltung erfahren hatte, und die Bedeutung des Kato fast ganz
zurücktrat, wirkte jene alte Tradition noch in so hohem Grade fort, daß
die Distichen bis tief ins XVIII. Jahrh. mit einer Verehrung betrachtet
wurden, der ihr wirklicher Gehalt keineswegs entsprach. Es scheint
wahrscheinlich, daß der Lehrer Pinitianus die Disticha Catonis sehr gut
kannte. Und so dürften die Verse Pinitian's von den Distichen des Kato
nicht unbeeinflußt geblieben worden sein.
Pinitianus ist, wie schon oben erwähnt, der Verfasser der lat.
Distichen und der mit diesem vielfach zugleich angeführten deutschen
Vierzeiler. Letztere wurden ins Holländische, Schwedische und Unga-
rische übersetzt.
Nun hat Herr Dr. Wukadinovic in der Prager Universitätsbibliothek
eine Reihe von böhmischen Vierzeilern (62 an der Zahlj gefunden, die
eine Paraphrase der Distichen von Pinitianus sind. Daß dem böhm.
Verfasser für seine Arbeit nebst den lat. Distichen auch ein Exemplar
mit den deutschen Vierzeilern vorgelegen hat, geht aus verschiedenen
Übereinstimmungen mit diesen, die durch die lat. Verse keine Begrün-
dung finden, ganz sicher hervor. Trotzdem läßt sich eine gewisse
Selbständigkeit nicht verkennen und manche Strophe benutzt weder die
Distichen noch die Vierzeiler als Vorlage.
Ich will nun die Strophen anführen, von denen man ganz sicher
behaupten kann, daß sie nicht den lat. Distichen, sondern den deut-
schen Vierzeilern nachgebildet sind.
Strophe 2) Hier hat der böhm. Verfasser gewiß in den deutschen
Text eingesehen, denn die ersten 2 Verse des böhmischen und die ersten
2 Verse des deutschen Textes decken sich.
Schön bleibt nit lag | schön fleucht
behend |
Schön nimpt von kleinem wee ein end.
Im lat. Text ist dieser Gedanke nur mit den Worten fragilis
forma« ausgedrückt.
Str. 5) Diese Strophe bietet uns einen wichtigen Anhaltspunkt für die
Krasu tiela hrdau Slycinost
Neduh hned obrati w Mrzkost
80 Oskar Donath,
Überzeugung, daß der böLm. Verfasser nebst der lateinischen auch die
deutsclie Vorlage vor sich hatte. Sowohl im böhm. als auch im deut-
schen Texte wird als Typus der Stärke Samson angeführt. (Im lat. Text
gar kein Name). Der deutsche Text führt auch noch Milo an. Der
Umstand, daß der böhm. Verfasser den antiken Namen Milo ausläßt
und den Bibelnamen Samson beibehält, spricht dafür, daß er kein Hu-
manist, sondern ein böhmischer I3ruder war.
Str. 10) So sehr der böhm. Text vom lat. abweicht, so sehr lehnt
er sich an den deutschen Text.
Ein grundtfest recbter Tugend ist
Demütigkeyt on argen list.
Zu rechter tugent gehört viel mü.
Grundt a ') Zaklad Prawe cztnosti
Skala gest poni;^enosti
Zlau nawyklost bdienim Stalym
Pr^emu^ess.
Str. 12) Für die Abhängigkeit des böhm. vom deutschen Texte
spricht nicht nur die große Ähnlichkeit des Inhaltes, sondern auch die
gemeinsame Steigerung der zweiten Hälfte gegenüber der ersten. Der
lat, Text entbehrt nicht nur die Steigerung, sondern ist auch inhaltlich
ganz verschieden.
Str. 1 5) Niekdy ma wlast bude -] w Nebi
Blaze kdo gl wiecinie zdiedi
Bey Gott ist unser vatterland
Sälig sey der | der soUichs fand.
Also fast wörtliche Übersetzung.
Str. 18) Bylby dnes mnohej na i^ywie | Der bringt darum der kranckheyt vyl
Kdyby se bj'l chowal Striydmie. | Und macht seim leben kurtzes zyl.
27) Die Situation ist im böhmischen und deutschen Text überein-
stimmend : f
Auprkem bieiy kzahubie 1 Der laufFt auch wol zum narrenzyl
Ten gen:^ Kostkam hledi kslu^bie | Der all sein freud hat inn dem spyl.
Str. 34) Pallacze domy prostranne 1 Hohe heuser | groß palläste. >
Ze tr^y noh priybytek ] sibenschühigs grab.
Wenn auch »sibenschuhig mit »ze trzy noh« wiedergegeben wird,
so ist jenes immer eher als Vorlage anzunehmen als das lateinische
»brevis urua«.
Das Wort »Pallacze« schreibt der Verfasser mit doppeltem l, weil
er eine deutsche Vorlage hatte, wo »Palläst«« mit doppeltem / geschrie-
ben wird.
Str. 35) Proti Smrti twrz na Skale 1 Vorm tod so mag nichts sicher sein.
Neobhagi ani krale. I i
1) u = Druckfehler. ^) bade = Druckfehler.
Die böhm. Paraphrase der Distichen des Johannes Pinitianus etc. 81
Der lat. Text enthält keinen ähnlichen Gedanken.
Str. 38) Napog w Nadobie hlynienny i Aus einem glaß und jrdin krüg
Nebegwa zgedem Smjsseny. \ Darein wirt selten gifft vermischt.
Den Gedanken: »Striybrne zlate pokaly
Mnohyho gsau hrdlo staly«
enthält nur der deutsche Text :
»Gold Silber glust der äugen ist«.
Der lat. Text hat nichts Ähnliches.
Str. 39) »Wzacztneho Kunstu« ist beeinflußt durch »großen ktinsten«'
nicht durch »acumina mentis«.
»Rzezba Kamene« ist offenbar die wörtliche Übersetzung von »stain-
schneyden«.
Str. 42) Einen sicheren Beweis der deutschen Vorlage bietet uns
diese Strophe.
Der lat. Text hat »E ligno sapiat non minus ipse cibus«.
Der deutsche Text: Aus holtz und erd schmeckt auch die speyß.
Der böhm. Text enthält etwas, was im lat. Text nicht, wohl aber
im deutschen Text enthalten ist: Tak Skwostne muzess mit hody z
Sproste Jilyniene nadoby.
Von »vasa fictilia« ist hier keine Rede.
Str. 44) Sepsaliys kdy jake Knihy
Ne hneds Doktor Loden wiry
steht entschieden den deutscheu Versen näher:
Was hilftts dich, daß vil bücher schreybst
Darbey ein ungelerter bleybst
als den lateinischen: Scriptorum tot sunt monumenta quot aurea coelo
Sydera.
Str. 48) »Sam czert v nich (Wognach) hody miwa« ist beeinflußt
durch den deutschen Vers «Kriegskinder seind des Teufi'els glid«.
Str. 57) Ciin czo wzem prosyte Zrno I Thü wie der saam in gleicher gstalt
Genä ti Sty dawa za gedno. | Der gibt für eins wol hundert falt.
An einer wörtlichen Übersetzung aus dem Deutschen ist hier
nicht zu zweifeln.
Str. 58) »Podniet« ist hier im prägnanten Sinne gebraucht (Gelegen-
heit, Anregung zu Ausschweifungen). Der böhm. Text kann dann nur
durch den deutschen beeinflußt sein.
Nemati wssak begt za podniet | Doch raitzens auch menschlich gemüt
To ciim gcst Buh okrassiil Swiet I Bey lust wirt keüscheyt übel bhüt.
Str. 60) Der böhm. Text kann nur aus dem deutschen entstanden
Archiv für slavische Philologie. XXVIII. g
82 Oskar Donath,
sein. Während der lat. Text »grandia animaliac enthält, führt der deutsche
Text diesen Ausdruclc aus in »Helff'ant und Camelthier<f. Dasselbe tut
der böhm. »slon a Welblaud«. Das ist kein Zufall, sondern Beeinflussung
des deutschen Textes.
Außer diesen inhaltlichen Übereinstimmungen sind zwischen den
deutschen und böhmischen Versen noch formale Übereinstimmungen,
welche unsere Behauptung vollends bestätigen.
Sowohl die deutschen als auch die böhmischen Verse bestehen aus
vier achtsilbigen Zeilen, die durch recht hinkende Reime aa bb gebun-
den sind.
Nachdem ich gezeigt habe, daß der böhm. Verfasser nicht nur die
lat. Distichen, sondern auch die deutschen Vierzeiler als Vorlage be-
nutzte, bleibt mir noch die Frage offen, wer war der Verfasser der böh-
mischen Verse, und in welche Zeit sind die Verse zu versetzen?
Was die erste Frage betrifft, so kommt entweder ein Humanist oder
ein böhmischer Bruder in Betracht.
Diese 2 Richtungen, nämlich der Humanismus und die Brüder-
unität, standen anfangs auf ganz entgegengesetztem Standpunkte. Das
Ideal der Humanisten war ein heidnisch-ästhetisches. Ihr Streben
ging dahin, durch hohe Gelehrsamkeit, durch antike oder klas-
sische Schönheit sich zu emancipieren. Das Ideal der böhmischen Brüder
war ein christlich-moralisches. Sie wollten aus ihrem eigenen
Innern, im Geiste der christlichen Liebe, Einfachheit, Demut
und Güte zu neuem Leben auferstehen, zur Religion des Herzens
zurückkehren und ein Gottesreich auf Erden gründen.
Trotzdem beide Richtungen nichts Gemeinsames zu haben scheinen,
haben sie sich doch im Laufe der Zeit genähert, ja sie sind sogar in den
gemeinsamen Reformationsbestrebungen einander begegnet. Die Namen
Blahoslav, Zerotin, Comenius bieten uns genügenden Beweis. In diese
Zeit des Begegnens beider Richtungen versetze ich unsere Verse.
Wenn wir sie nämlich näher betrachten, so sehen wir, daß sie
nicht von einem Humanisten, sondern von einem böhmischen Bruder,
der sich aber für die humanistischen Wissenschaften interessierte, wie
z. B. Blahoslav und Comenius, stammen.
Unser Verfasser steht ganz auf dem Programm der böhmischen
Brüder und bekämpft das Programm der Humanisten. Aus unseren
Versen weht ein christlich-moralischer und ascetischer Geist, der keinem
Humanisten eigen war.
Die böhm. Paraphrase der Distichen des Johannes Pinitianus etc. 83
Der böhmische Verfasser wettert gegen Gelehrtenstand, gegen Bü-
cher, was ein Humanist nicht getan hätte, da er auf seine Gelehrsamkeit
eingebildet war. Weiter bekämpft er das Leben bei Hofe und das sich
Bereichern bei Hofe. Ich möchte fast sagen, daß sich das gegen die
Humanisten richtet, die auf Fürstenhöfen lebten und sich von ihren
Fürstenherrn unterstützen ließen. (Bettelbriefe der Humanisten).
Der böhmische Verfasser ermahnt zur Frömmigkeit, Einfachheit
und Demut, welches Eigenschaften der böhmischen Brüder waren.
Schließlich spricht noch ein Umstand für die Autorschaft eines böhmischen
Bruders. In Strophe 5 führt Pinitianus als Typus der Kraft Milo und
Samson an. Wäre der böhmische Verfasser ein Humanist gewesen, er
hätte sicher den antiken Namen Milo beibehalten und Samson ausge-
lassen. Nachdem aber das Gegenteil geschehen ist, nachdem er den
antiken Namen ausließ und den biblischen beibehielt, ist es wahrschein-
lich, daß er ein böhmischer Bruder war.
Und nun kommen wir zur Zeitbestimmung unserer Verse. Herr
Dr. Wukadinovic behauptet (Arch. XXVI. S. 239): »Der Typus der
Schrift ist der der zweiten Hälfte des XVII. Jahrh. Da von derselben
Hand sich im weiteren Verlaufe noch andere Eintragungen vorfinden,
die das Datum 1670 tragen, wird man nicht fehlgehen, auch diese
Niederschrift in das Jahr 1670 oder kurz vorher anzusetzen.« Dieser
Meinung kann ich keinesfalls beistimmen. Wenn die Verse um 1670
niedergeschrieben wurden, brauchen sie ja in dieser Zeit nicht auch
verfaßt worden zu sein. Und daß sie abgeschrieben wurden, dafür
spricht ja der Umstand, daß sie sich in Reinschrift erhalten haben.
Unsere Verse sind nach dem Jahre 1539 (Ausgabe der Verse Pini-
tian's in der Petrarkaübersetzung vonVigilius) und vor dem Jahre 1620
(Schlacht am Weißen Berge) entstanden. Wir haben gezeigt, daß der
Verfasser ein böhmischer Brader war, der sich aber wie Blahoslav und
Comenius auch mit der humanistischen Wissenschaft beschäftigte. Er
lebte in der Zeit, wo sich die böhmischen Brüder dem Humanismus am
meisten näherten, also in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrh. Seine
Verse sind dann höchstens ins Ende des XVI. Jahrh. zu versetzen.
Wenn wir unsere Betrachtungen kurz resümieren wollen, so müssen
wir sagen : Die böhmischen Verse sind eine Paraphrase der Distichen.
Nicht selten aber nimmt der Verfasser die deutschen Vierzeiler als Vor-
lage. Die böhmischen Verse sind das Werk eines böhmischen Bruders
und fallen ins Ende des XVI. Jahrh,
g*
84
Volksetymologische Attribute des heil. Kyrikos.
Es ist schon längst erkannt worden i), daß die Volksetymologie
oder die Angleichung zweier, nur dem Klange und nicht auch dem Ety-
mon nach verwandter Wörter ein Faktor ist, mit dem die Volkskunde
unbedingt rechnen muß. So manche Erscheinung in Sprache, Über-
lieferung und Brauch dos Volkes, die sonst unverständlich bliebe, hört
es auf zu sein, sobald man sie von diesem Standpunkte aus betrachtet. In
besonders augenfälliger Weise tritt dies aber bei volksetymologischen
Attributen christlicher Heiliger zu Tage. Hier ein neuer und, wie ich
glaube, sehr instruktiver Beleg dafür.
Am 15. Juli a. St. wird von den Angehörigen der griechischen
Kirche das Andenken des Märtyrers Kyrikos gefeiert. Nun ist in der
Leidensgeschichte dieses Heiligen, der kanonischen 3) wie der apokry-
phen*), absolut nichts enthalten, was auf irgend eine Beziehung dessel-
ben zur Hühnerzucht hinwiese. Gleichwohl wird er von den kleinrussi-
schen Karpathenbewohnern, insbesondere aber von den Huzulen und
den Bojken, als der Schutzherr der Hühner verehrt. Selbstredend konnte
1) Ich verweise in dieser Hiusicht vor allem auf Förstemann, der den
Ausdruck »Volksetymologie« zuerst in Schwang gebracht hat, dann auf An-
dresen, Gubernatis, Sobotka, Kozier u. a.
2) Zwei derartige Beispiele, die Heiligen Valentin und Vincenz betref-
fend, hat bekanntlich schon Martin Luther in seinen »Decem praecepta,
Wittenbergensi praedicta populo« vorgeführt und das eigentümliche Ver-
hältnis, das zwischen den volkstümlichen Attributen dieser Heiligen und
deren Namen besteht, in durchaus richtiger Weise gewürdigt. Seit dieser
Zeit ist dank dem Aufschwünge, den die einschlägigen Studien inzwischen
genommen, unsere Kenntnis von derlei Beispielen erheblich bereichert wor-
den, und dürfte es gegenwärtig kaum eine nennenswertere folkloristische
Publikation geben, die nicht auch einige Beiträge dieser letzteren Art ent-
hielte. Eine recht hübsche Zusammenstellung von hierher gehörigen Bei-
spielen (allerdings nur den markanteren) ist übrigens auch in Kristoflfer Ny-
rop's »Ordenes Liv«, deutsche Übersetzung von Robert Vogt (Leipzig 1903),
S. 222—228 zu finden.
3) Sammt der einschlägigen Epistel des Bischofs von Ikonion Theodoros
abgedruckt in den Analecta Bolland. I, S. 194 ff.
*) Zu finden in den Acta SS. unter dem 16. Juni.
Volksetymologische Attribute des heil. Kyrikos. 85
er zu diesem Attribute nur im Wege der Volksetymologie gelangt sein.
Da nämlich griech. KvQi/.og in kirchenslavischer Umschrift KvpHKx
und im Volksmunde schlechtweg KypHKi, (spr. Kuryk) lautet, so war es
für die Volksetymologie, die bekanntlich ihre eigenen, von denen der
•wissenschaftlichen verschiedenen Wege wandelt, ein Leichtes, besagten
Namen in Zusammenhang mit Thema Koypi. (= Huhn) zu bringen. Im
selben Augenblicke, da dies geschehen war, war aber auch das betref-
fende Attribut fertig. Der hl. Kyrikos wurde seitdem als der Schutzherr
der Hühner angesehen, und steht gegenwärtig bei den kleinrussischen
Karpathenbewohnern allgemein der Brauch in Übung, sich seine Gunst
auf diese Weise zu sichern, daß man seinen Schützlingen am 15. Juli
allerlei Zärtlichkeiten erweist und ihnen besser und reichlicher zu essen
gibt als sonst. Allein auch abgesehen von dem 15. Juli, als dem spe-
5?iell dem hl. Kyrikos gewidmeten Tage, haben Hausfrauen, die Hühner
züchten, nach der Ansicht der kleinrussischen Karpathenbewohner die
Pflicht, denselben mit Liebe und Sorgfalt zu begegnen. Geschieht dies,
dann lohnt es der hl. Kyrikos dadurch, daß Hennen mehr als Hähne
aus den Eiern schlüpfen, daß Krankheiten und Unglücksfälle, zu denen
unter anderem auch der Raub durch Habichte und Geier gehört, von
den Hühnern ferngehalten werden u. s. w. Wird dagegen obige Pflicht
nicht eifrig genug geübt oder gar versäumt, dann gibt er seine Unzu-
friedenheit zunächst dadurch zu erkennen, daß Hähne in ungleich
größerer Zahl ausgebrütet werden als Hennen. Hilft auch das nicht,
dann läßt er die junge Brut überhaupt nicht aufkommen und verschont
durch Zulassung von Krankheiten und Unglücksfällen auch die etwa
vorhandenen älteren Bestände nicht. Im Falle besonders hartnäckiger
Pflichtversäumnis besitzt er außerdem die Befugnis, den Hennen das
Krähen zu gestatten. Dies ist aber etwas, wovor die betreuenden Volks-
schichten die größte Angst haben. Denn beginnt eine Henne zu krähen,
so hat das nach einem allgemein bei den Slaven, wie tatsächlich auch
bei ihren deutschen und rumänischen Nachbarn 2) verbreiteten Aber-
glauben die Bedeutung, daß jemand von den Hausgenossen sterben
werde. So viele Hennen krähen, so viele Sterbefälle stehen bevor. Wohl
1) Es besteht zwar daneben auch die Schreibung Kriqvxo^, doch setzen
sowohl das lat. Ci/ricus, als auch das kirchenslav. Kvpuici. mit Evidenz die
P'orm griech. KvQixog voraus.
2) Vgl. Zeitsclirift f. üsterr. Volkskunde II 250, III 213, VI 110, VIII 179
u.a. analoge Publikationen.
86 Kaluzniacki,
kann man dieser letzteren Gefahr mitunter in der Weise vorbeugen,
daß man der betreffenden Henne nach Durchführung eines eigens für
diesen Zweck vorgesehenen Verfahrens ^) entweder den Kopf oder den
Schweif abhaut, aber absolut verläßlich ist dieses Mittel keineswegs.
Sicherer nach der Ansicht der kleinrussischen Karpathenbewohner ist
es, wenn man den hl. Kyrikos gleichzeitig um Verzeihung bittet und
ihm verspricht, den Hühnern fortan die schuldige Sorgfalt nicht vorzu-
enthalten. Hat er die Überzeugung, daß das Versprechen gehalten
werden wird, dann kann er durch seine Fürsprache bei Gott bewirken,
daß die durch das Krähen der Hennen angekündigte Gefahr nicht
eintritt.
Wie man also sieht, hat sich die Volksetymologie in dem hier vor-
liegenden Falle als besonders fruchtbar erwiesen. Sie hat nicht nur ein
neues, in der hagiographischen Überlieferung ^j nicht begründetes Attri-
but veranlaßt, sondern damit auch Vorstellungen und Bräuche in Ver-
bindung gebracht, die sich zu einem vollständig ausgebildeten und in
sich abgerundeten Kyrikoskultus zusammenschließen. Vorkommnisse
des Hühnerlebens, günstige und schlimme, erscheinen unter ihrem Ein-
fluß als Äußerungen einer speziell dem hl. Kyrikos zustehenden
Machtbefugnis aufgefaßt, und haben diejenigen, denen es an dem Ge-
deihen ihrer Hühner, wie mittelbar auch an dem eigenen Wohlergehen
gelegen ist, kein anderes Mittel dies Ziel zu erreichen als nur, daß sie
sich bestreben, durch schonende und sorgfältige Behandlung seiner
Schützlinge das Wohlwollen dieses Heiligen zu verdienen.
Nun entsteht aber die Frage (und wer da weiß, daß derlei Fälle
gar nicht zu den seltenen gehören, wird die Berechtigung einer solchen
1) Dasselbe besteht darin, daß man die betreffende Henne zunächst
ihrer ganzen Länge nach ausstreckt und mit ihr sodann den Abstand, der
zwischen der Stirnwand und der Thürschwelle liegt, durchmißt. Kommt
hierbei der Kopf auf die Thürschwelle zu liegen, so haut man diesen, sonst
den Schweif ab.
2) Als ein weiterer Bestandteil dieser Überlieferung ist übrigens auch
das bereits von A. Ehrhard in Krumbacher's Gesch. der byzant. Litteratnr^,
S. 170 erwähnte Enkomion des Patriarchen von Konstantinopel Sisinios, so-
wie das Enkomion anzusehen, das nach K. Ch. Dukakis, Miya? Iv^a^aoiati];
nävxiav tüu ctyiwf etc. VII, S. 217, Anm. 1 von dem Rhetor Niketas verfaßt
worden ist. Es soll sowohl in der großen Laura, als auch in den Klöstern
Dionysiu und Vatopediu auf dem Berge Atbos vorhanden sein. Das zuletzt
ewähnte Enkomion beginnt: "üaneQ ovx 'iaii awexöixspoy zu Kvqlw etc.
Volksetymologische Attribute des heil. Kyrikos. 87
Frage nicht in Abrede stellen), ob der hl. Kyrikos nicht vielleicht an die
Stelle einer analogen heidnischen Gottheit getreten ist. Ich für meinen
Teil trage kein Bedenken, vorstehende Frage zu bejahen. Schon die
rein theoretische Erwägung, daß es kaum denkbar sei, daß ein derar
alter ^) und mit allerlei religiösen Bräuchen der Vergangenheit 2,, wie
der Gegenwart 3] auf das innigste verknüpfter Zweig der Hauswirtschaft
1) Quellenmäßig (vgl. die nächstfolg. Anmerk.) ist das Vorkommen des
Haushuhns bei den Slaven allerdings erst seit dem X. Jahrb. n. Chr. bezeugt.
Wenn aber bedacht wird, daß Spuren desselben im mittleren Europa sich
nach Jeitteles, Zur Gesch. des Haushuhns (Zoolog. Garten XIV, S. 58 flf.) bis
in das Zeitalter der Bronze zurückverfolgen lassen, so wird nicht bezweifelt
werden dürfen, daß dieses nützliche Tier auch bei den Slaven eines zumin-
dest eben so alten Datums sei. Mußte es doch, um von Iran aus, wo es nach
W. Geiger, Ostiränische Kultur im Altertum, S. 366 seit ältester Zeit zu
Hause ist, nach dem mittleren Europa zu gelangen, zuerst die von den Slaven
bewohnten Gebiete passirt haben. Daß aber das Haushuhn seinen Weg zu
den Slaven in der Tat von Iran aus nahm, beweist außer der geographischen
Lage insbesondere noch die auffällige Übereinstimmung, die zwischen der
slaviscben und der iranischen Benennung desselben besteht. Ein in neuerer
Zeit von G. A. Iljinskij, 0 HifeKoropux'B apxauaiiaxi h HOBOoöpaBOBaHiflxi npa-
cjaB. flBbiKa, S. 22 unternommener Versuch, slav. KoypA mit dem einheimischen
Sprachschatze zu erklären, ist meines Erachtens als verfehlt anzusehen.
2) Ich verweise vor allem auf die diesfalls in dem Berichte des Arabers
Ibn-Fadhlan (bei A. Harkavi S. 97 — 101), dann in dem Geschichtswerke des
Byzantiners Leon Diakonos (Corpus scriptornm bist, byz., ed. Bonn. XI, S. 149),
sowie in einer kirchenslav. Handschrift des Rumjancev-Museums in Moskau
(OnHcaHie pyccK. 11 cjiaB. pyKoniiceH PyiiscuuiiB. M — wa, S. 228) enthaltenen Be-
legstellen. Übrigens, auch der im Reiseberichte des afrikanischen Juden
Ibrähim-Ibn-Ya'küb (nachzusehen in den Memoiren der Petersb. A. d. W.,
hist.-philolog. Kl. III, Nr. 4, S. 59) erwähnte Umstand, wonach die Slaven da-
mals, d. h. im J. 965, den Genuß von jungen Hühnern aus Furcht vor Krank-
heiten gemieden hätten, dürfte bei der gänzlichen Unschädlichkeit dieser Art
von Nahrung eher einen rituellen als einen sanitären Beweggrund gehabt
haben. Ist es doch bekannt, daß auch die alten Inder, wie nicht minder die
Mysten der Demeter in Eleusis und die alten Brittannen sich des Genusses
von Hühnerfleisch enthielten, und war der Grund dieser Erscheinung in allen
drei Fällen ein ritueller.
3) Zu den bereits von J. Hanus im Bajeslovny kalendär slov., S. 39, 123,
129, 144, 156, 175, 185, 199, 214 u. 218 und außerdem von A. Athanasjev in
den no3T. B033ptui/i CiaBaiix iia npupo^y I 467 — 468, 518 — 525, II 107, 117 —
119, 259, III 465, 788 — 800 reichlichst zusammengetragenen Einzellieiten füge
ich hier noch die einschlägigen huzulisclien Bräuche, die B. Kozariscuk in der
Zeitschrift »liayKa« pro 1891, S. 86 ff. mitgeteilt hat, hiuzu. Der eine dieser
88 Kaluiniacki,
bei den heidnischen Slaven ohne eine besondere Schutzgottheit bestan-
den haben sollte, spricht eher für als gegen die Zulässigkeit obiger Be-
hauptung. Dazu kommt, daß in einigen Gegenden Rußlands und
namentlich im Gouvernement Kostroma*) sich bis heute der Brauch
erhalten hat, in Hühnerstallungen unter dem charakteristischen Namen
der Hühnergötter (Kurjacie bogi) Steine, auch förmliche Götzenbilder
aus Stein 2) zu dem Zwecke aufzuhängen, um hierdurch Krankheiten und
insbesondere die schadenfrohen Kikimoren von den Hühnern fernzu-
halten. Übrigens, auch der gegenwärtig allerdings aus der Übung
gekommene, aber seinerzeit 3) ziemlich stark verbreitete Brauch, an
gewissen Festtagen lebende Hähne in die Kirchen zu bringen, kann nur
den Sinn haben, daß es in der heidnischen Vorzeit der Slaven Gott-
heiten gegeben hat, denen der Hahn heilig war und von denen man
daher glaubte, daß sie es als eine ihnen erwiesene Huldigung empfan-
den, wenn man an den Stätten, wo sie verehrt wurden, in Begleitung
dieses ihres Symbols erschien *).
Bräuche besteht darin, daß man in ein neuerbautes Haus, bevor man in das-
selbe einzieht, für dreimal 24 Stunden eine schwarze Henne einsperrt. Hier-
durch glaubt man zu erreichen, daß das Haus von Schlangen, die hier offen-
bar als Symbole der bösen Dämone fnngiren, rein bleiben werde. Der andere
Brauch (vgl. diesbezüglich auch »Globus« LXXVI, S. 253) besteht dagegen in
nachstehender Procedur : Beginnt im Sommer die Dürre gefährlich zu wer-
den, dann wird mitten im Dorfe am Fluß-, bezw. Bachufer ein Hnhn ge-
schlachtet, sein Blut ins Wasser abgelassen und da hinein auch der Kopf
geworfen. Den Kadaver selbst übergibt man vorübergehenden Bettlern oder
man verscharrt ihn.
1) Vgl. Dal, IIocjioBimLi 1058, und Athanasjev, IIost. BoaspiHia etc. II 107
u. III 800.
2) ApxeMor. B§cthiiki> pro 1867, IV 186.
3) Man vergleiche diesbezüglich Krolmus, Staroceske povesti I, S. 379;
Grohmann, Abergl. und Gebräuche aus Böhmen u. Mähren Nr. 531; Hanus,
Bajeslovny kalendär slov. S. 175; Athanasjev, IToai. Bosapiniii I, S. 468 u.a.
*) Was dagegen jenes oben geschilderte Verfahren anbelangt, das man
gegen krähende Hennen zur Abwendung der durch dieses Phänomen ange-
kündigten Gefahren anwendet, so hat es mit der vorauszusetzenden einstigen
Hühnergottheit der Slaven schwerlich was gemein. Es ist vielmehr evident,
daß die Henne hier als Opfertier fungiert, welches in der heidnischen Vorzeit
der Slaven die Bestimmung hatte, auf die mythischen Repräsentanten der
Macht, zu deren grausamen Befugnissen es gehörte, Tod und Verderben über
die Menschen zu bringen, beschwichtigend zu wirken. Wohl hat der Mensch
— dies ist ungefähr der Sinn des Verfahrens — dadurch, daß er eine Gott-
I
Volksetymologische Attribute des heil. Kyrikos. gQ
So wären denn, wie zugegeben werden muß, Anhaltspunkte vor-
handen, die es höchst wahrscheinlich machen, daß der hl. Kyrikos,
dank seinem, für volksetymologische Deutung zugänglichen Namen, in
der Tat an die Stelle einer analogen heidnischen Gottheit getreten ist.
Welcher Art aber diese Gottheit gewesen ist, d. h. ob sie unter die
hervorragenderen Erscheinungen der slavo-russischen Götterwelt, wie
beispielsweise Perun^ oder unter die mythischen Vorstellungsgebilde
niederer Gattung, wie etwa der DomovoJ rangierte, — läßt sich bei dem
mangelhaften Zustande der in Betracht kommenden Behelfe mit Sicher-
heit nicht ermitteln. Die oben erwähnte Gepflogenheit der Bewohner
des Gebietes von Kostroma, welche an dem von den alten Italern ge-
übten Brauche, in ihren Ställen in einer eigens für diesen Zweck am
Hauptbalken angebrachten Nische^) das kleine Sitzbild der Epona
aufzustellen, eine sehr dankenswerte Parallele hat, würde freilich eher
der an zweiter Stelle erwähnten Eventualität das Wort reden. Mit
Rücksicht auf gewisse Nebenumstände darf man indeß auch die erst-
genannte Eventualität nicht ganz von sich weisen. Denn es ist Tat-
sache, die sowohl Kozariscuk^] als auch KaindP] in übereinstimmender
Weise bezeugen, daß zu den von den klein russischen Karpathenbewoh-
nern besonders verehrten Feuer-, beziehungsweise Donnerheiligen
(oo/mevi, hromovi a^jeti] außer dem hl. Gabriel, Prokopios, Onuphrios
u. a. auch der in Rede stehende Kyrikos gehört. Mehr als das, es be-
steht in jenen Gegenden außerdem die Gewohnheit, an dem dem letz-
teren Heiligen gewidmeten Tage sich aller Arbeit, zumal der im freien
Felde, zu enthalten, und wird diese Gewohnheit nach Kozaris6uk aus-
drücklich damit motiviert, daß an dem Tage der Blitz besonders ge-
fährlich sei und der Biß der Schlange heftiger und schädlicher wirke
als sonst.
heit kränkte, das Leben verwirkt, aber die Götter, die dem Reiche des Todes
vorstehen, können sich eventuell auch mit dem Leben eines Tieres begnügen
und den Menschen selbst von der Notwendigkeit zu sterben entheben. Im
Grunde genommen also ein hilastischer und nobstbci ein kathartischer Brauch.
1) Vgl. diesbezüglich Preller-Jordan, Rom. Mythologie II 227.
2) ..HayKa«pro 1891, S. 723.
3) »Festkalender der Rusnaken u. Huzulen« in den Mittheil, d.geograph.
Gesellschaft in Wien pro ISDö, S. 438.
Kaluzniacki.
90
Wann wurden die Ecliciuien des serbischen hl. Sava
verbrannt ?
Bis vor kurzem herrschte in der serbischen Geschichtschreibung
die Ansicht, daß die Reliquien des hl. Sava von Sinan-Pascha in Vracar
bei Belgrad verbrannt wurden. Aber im Jahre 1883 nahm diese Frage
der verstorbene serbische Historiker Archimandrit Ilarion Ruvarac vor
und kam zu einem anderen Resultate. Auf Seite 29 — 47 seines Werkes
»0 nehKHM naTpHJapcHMa oa MaKapnja ao Apcennjalll« (1557 — 1690j
befaßte er sich mit der obgenannten Frage und widerlegte die bis dahin
geltende Ansicht in folgender Weise:
1. In der Bibliothek des böhmischen Museums in Prag befindet
sich eine Schrift über das Datum, wann die Donaustädte in die Gewalt
der Türken gerieten und da steht es:
Bk AfTO A-3pß. (7102=1594) Kk A"'" ntp'cKaro u,dpa Kk-
3fTk CkICTk CßtTHTfAk GaRA Kk RtTaKk ßEAHKkl, O^BH MH'S
rp'Siu'HOiuiOY (o. c. p. 46, CnoMBHHK cpn. KpaA. aKa^;. Bd. III,
p. 105).
2. Wenn Sinan-Pascha den hl. Sava im J. 1595 hätte verbrennen
lassen, so würde er dies nach Eroberung von Raab (29. Sept. 1594)
getan haben, aber nach der Behauptung von Ruvarac kehrte das Heer
Sinans in diesem Jahre nicht nach Belgrad zurück, um zu überwintern,
wie es im Jahre 1593/4 tat, und Sinan war am Ende des Jahres 1594
und Anfang des Jahres 1595 überhaupt nicht in Belgrad.
3. Alle Quellen stimmen darin überein, daß Sinan-Pascha den
Befehl gab, den Körper des hl. Sava zu verbrennen. Dies konnte aber
keinesfalls 1595 geschehen, weil im April dieses Jahres Sinan-Pascha
nicht mehr Großvezier war, sondern Ferhad-Pascha, während der alte
Sinan noch Mitte Februar dieses Jahres nach Klein-Asien geschickt
wurde. Zum Beweise dafür beruft sich Ruvarac auf Hammer »Ge-
schichte des osmanischen Reiches« IV. 219 — 245, Zinkeisen III. 590 —
599 und Monumenta Hungar. bist. Scriptores vol. XVII.
Wann wurden die Reliquien des serbischen hl. Sava verbrannt? 9t
Alle diese Beweise führten Ruvarac dahin, seine Auseinander-
setzungen folgendermaßen zu schließen :
»Tejio CB. Gase na aanosecT CnHaH-IIaine o/tnemeHO je na bbjihkh
üexaK HS Man. Mn^ieineBa, h cna^eHO je na Bpaiapy koa Eeorpa^a
27. anpiiaa 1594. q. e. d.« (o. c. p. 47), d. h. auf Befehl Sinan-Paschas
seien die Reliquien des hl. Sava im J. 1594 am 27. April auf Vracar
bei Belgrad verbraunt worden.
Dank dem großen Ansehen Ruvarac' nahm die serbische
Historiographie seine Berichtigung sofort an und seit dieser Zeit galt
der 2 7. April 1594 als der Tag der Verbrennung der Reliquien des
hl. Sava. Und doch war die Beweisführung des unvergeßlichen Gelehr-
ten in diesem Falle keine richtige, wie man aus nachfolgender Darlegung
sich überzeugen wird.
Ad 1. Schon die zitierte Inschrift des Prager Museums erregt
Zweifel. Die Worte «Kb j^n'iH iiep'cKaro u,apa Bk3tTK KkiCTk CKf-
THTfAK Gaßa« drücken den historischen Wert dieser Inschrift stark
herab. Aber es gibt noch einen Umstand, der ihre vollkommene Kritik-
losigkeit beweist. Vor jenen Worten, die sich auf den hl. Sava beziehen,
sind dort die Daten angegeben, wann folgende Städte in die Hände der
Türken fielen: Belgrad, Peterwardein, Ofen, Temesvär, Sziget, Szegedin
und Becskerek. Beinahe bei allen hier angeführten Städten ist das
Eroberungsjahr falsch angegeben. So z. B. bei Ofen 7053 = 1545 statt
1541, bei Temesvär 7061 = 1553 statt 1552, bei Sziget 7072 = 1564
statt 1566, bei Szegedin 7080 = 1572 statt 1541 u. s. w. Diese In-
schrift also, welche übrigens einzig und allein die Verbrennung der
Reliquien des hl. Sava in das Jahr 1594 versetzt, kann und darf einem
Historiker nicht als Beweis dienen.
Ad 2. Es steht nicht fest, daß Sinan nach der Eroberung Raabs
nicht nach Belgrad gezogen sei. In den zeitgenössischen Bemerkungen,
die in der Sammlung Ludokiu de Hurmuzaki, »Documente privitöre la
storia Romanilor«, Volumul III, Bucuresci 1880 vorliegen, befindet sich
ein Brief, datiert aus Coscha vom 1. Martij, anno 1595, worin aus-
drücklich gesagt wird : »Da nun neulicher Zeit der Sinan Bassa von
Raab zu riegg auf griechischen Weißenburg gezogen . . . .« (S. 228) und
in demselben Werke bezeugen noch zwei Nachrichten die Gegenwart
Sinans in Belgrad, eine vom 25. Januar 1595 (S. 223) und andere vom
10. April 1595 (o. c. Vol. XII, S. 43).
92 Aleksa Ivic,
Ad 3. Sinan-Pascha wurde zwar Anfang März seiner Stellung als
Großvezier enthoben und an seine Stelle Ferhad-Pascha eingesetzt, aber
schon Anfang Juli stand Sinan an der Spitze der gesamten türkischen
Armee, während Ferhad »stranguliert« wurde (Hurmuzaki, Documente
XII, S. 56). Die Angabe Hammers dagegen, daß Sinan zur Zeit des
Vezierats Ferhads nach Klein-Asien verbannt worden sei, wird durch
keine zeitgenössische Quelle bestätigt. Ruvarac weist zwar auf Zinkeisen
und Decius Barovius in Mon. hung. hin, aber bei ihnen verlautet nichts
von einer Verbannung Sinans ; sie registrieren nur, er habe seine Stelle
dem Ferhad eingeräumt. Im Gegenteil, die zeitgenössischen Angaben,
gesammelt im erwähnten Werke von Hurmuzaki sprechen entschieden
gegen die Angabe Hammers. So z. B. in einer Schrift vom April 1595,
sagt man vom Sinan-Pascha, daß er »ordinato e fato condur gran
legniame in Alba Grecha per far il ponte sopra il Danubio, a poter
passare a questa banda con exercitti« (o. c. p. 43). Obwohl Sinan
während dieser 2 — 3 Monate das Großvezierat nicht innehatte, hatte
er trotzdem in jenen bewegten Zeiten großen Einfluß und große Macht.
Es konnte auch nicht anders sein, weil Sinan, der langjährige Groß-
vezier des türkischen Reiches, starke Verwandtschafts- und Freund-
schaftsverbindungen beim Hofe und im ganzen Reiche hatte und beim
Volke, Heer und auch beim neuen Sultan Mohammed III. sehr beliebt
war (»si cä fovoritul Sultanlui noü(f o. c. S. 36). Der beste Beweis da-
für ist die Tatsache, daß der Vezier Ferhad bald ermordet wurde und
an seine Stelle wieder der achtzigjährige Greis Sinan kam.
Alle verläßlichen und zeitgenössischen Quellen geben ein-
mütig an, daß Sinan-Pascha den Körper (die Reliquien) des hl. Sava
im Jahre 1595 verbrennen ließ. Hier führe ich einige wichtigere
Quellen an :
1. Die Doparter Annalen: Bh. Airo ;ir.3pr. (7103 = 1595)
ck^Kfroiuf MoiuTH cß6Taro GaßH apjCHtnHCKCtna cpecKaro. Gh-
HaHK nama HSh, luiaHacTHpa MHaEiusBE o^Hece o\' KOß46ro\'"
no3/\aujTfHO\" H cfc^^KErcuiE Ha BpasapoY khujc lie/\Hrpa;i,a
(CnoMeHHKin, p. 127).
2. Die Vrhobreznicer Annalen : Bh. A'kTO ^.spr. (7103= 1595)
OTHfCOliJf To^fPUH CKCTarO GaBOY H.3 MHAfmJKf, MlvCtU,a
luiäpTa .1. A*^""^? ü^utTh. Rtrw Otso^si» h ca^Keroiuf anpHaia
.K3. Ha RpaMapoy ko^«^ B'feaHrpaA^» (o. c. p. 153).
Wann wurden die Reliquien des serbischen hl. Sava verbrannt? 93
3. Die Koviljer Annalen: Bti A'Sto /r.3pr. (7103 = 1595) Ck-
H;croLii£ MOUJTH cBfTaro GaßH npKBaro ap\*'ifnHCKOYnd cpkK-
CKaro, GHHaHk nauia HSh. luioHacTHpa MHAfiufKa othic« oy
KOBMtroY nosAaiuTfHoy h ck^kc^ke Ha BpaMapjßOY ßwiuf BeaH-
rpa^a (0. c. p. 147).
Diesen Angaben unserer Annalen über jene Zeit können wir voll-
ständigen Glauben schenken. Ich verglich viele Angaben aus dem
XVI. Jahrhundert mit fremden Quellen und fand, daß die Ereignisse in
unseren Chroniken aufs Haar genau angegeben sind.
4. Der Zeitgenosse dieser Ereignisse, Patrijarch Paisije, schreibt
in der Vita des Garen Uros, daß Sinan-Pascha nach der Eroberung
Raabs die Reliquien des hl. Sava am 17. April 1595 verbrennen ließ.
Auch ein anderer Zeitgenosse, Ivan Tomko Mrnjavic, in der Biographie
des hl, Sava, gedruckt in Rom 1630, erwähnt, daß die Reliquien des
Heiligen im Jahre 1595 verbrannt wurden (Arkiv IX, S. 243). Und
noch ein dritter Zeitgenosse, Du Gange, schreibt in seinem Werke
Illyricum vetus et novum p. 54 vom hl. Sava: »quod monachus factus
assumpsit, summa religione colitur, cujus corpus palam comburi jussit
Bassa Sinamus a. 1595«.
Nach dem Auseinandergesetzten wiederhole ich, daß die Ansicht
des gelehrten serbischen Historikers Ilarion Ruvarac in dieser Frage
nicht richtig war. Sinan-Pascha ließ den Körper des hl. Sava am
27. April 1595 verbrennen.
Wien, den 21. Januar 1906. Aleksa Ivic.
94
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben,
mit besonderer Berücksichtigung des Gedichtes
»Zähofovo loze«.
Ein Beitrag zur Geschichte der neucechischea Prosodie und Metrik von
Jaroslav Sutnar.
(Fortsetzung.) *)
Aa. Erben's Yerse mit zweisilbigen Füßeu.
Falsche Wortbetonung.
Bei der Wortbetonung nach der Lehre Dobrovsky's wird nach
unsrem Dafürhalten jene Regel den größten Zweifel hervorgerufen haben,
der zufolge die meisten einsilbigen Präpositionen die Betonung der
nachfolgenden Wörter immer an sich reißen sollen. Man hat offenbar
nicht recht begreifen können, warum z. B. ein zweisilbiges und inhalts-
schweres Nomen : chrämu, lesa u. s. w. zu gunsten einer einsilbigen und
verhältnismäßig belanglosen Partikel : do, u u. s. w. die Betonung ein-
büßen müsse: do chrämu, u lesa u. s. w. Besonders unangenehm dürfte
man berührt gewesen sein, wenn auf diese Weise bei den von einsilbigen
Präpositionen abhängigen Wörtern eine natur- oder positionslange Silbe
der Betonung verlustig ging. Etwas Ähnliches bemerkte man auch
bei Nominal- und Verbal-Zusammensetzungen , worin ein größtenteils
wichtiges Wort seine Betonung zu gunsten der vorangehenden einsilbi-
gen Präposition oder Negationspartikel oder auch eines andern voran-
gehenden einsilbigen Wortes verlor. So hieß es: zäry, ciny u. s. w.
\_/ \y \y
und bränil, byla u. s. w., aber in den Zusammensetzungen: pozäry,
'^ v^ \y
zlociny u. s. w. und zabränil, nebyla u. s. w. Natürlich waren auch hier
namentlich diejenigen Fälle peinlich, worin der Verlust einer Betonung
die natur- oder positionslange erste Silbe eines solchen bedeutungsvollen
Wortes traf. Hielt man sich jedoch an die Regeln vom Verluste der
Betonung bei präpositionalen Verbindungen und bei Zusammensetzungen
*) Vergl. Archiv XXVII, S. 527—562.
I
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 95
wenigstens teilweise, glaubte man wiederum, die Betonung der erwähn-
ten Fälle auch auf die mit keiner Präposition verbundenen und nicht
\y ^
zusammengesetzten Wörter anwenden zu dürfen. Da pod bodäky, na
sätecek, nemilemu, zavolali u. s. w. betont werden sollte, so galt auch
die Betonung bodäky, sätecek, milemu, volali u. s. w. als zulässig.
Selbstverständlich schloß man sich dieser Ansicht am liebsten bei den
Wörtern an, wo die zweite Silbe eine Natur- oder Positionslänge besaß.
Solch ein Gedankengang dürfte mit der Zeit eine Reihe von »Grund-
sätzen« gezeitigt haben, welche wir folgendermaßen formulieren wollen:
I. Die einsilbigen Präpositionen brauchen nicht immer die Betonung
der nachfolgenden Wörter an sich zu reißen.
II. In mehrsilbigen zusammengesetzten Wörtern kann die erste
Silbe als erster Bestandteil der Zusammensetzung ihre Betonung an den
zweiten Bestandteil verlieren, aus dem das ganze Wort mittels einer
einsilbigen Präposition, Negationspartikel oder eines andern einsilbigen
Wortes zusammengesetzt ist.
III. In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe ihre Betonung
zu gnnsten der natur- oder positionslangen zweiten Silbe einbüßen, wenn
diese auch nicht die erste Silbe des zweiten Bestandteiles einer Zusam-
mensetzung bildet.
IV. In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe ihre Betonung
an die zweite Silbe verlieren, wenn diese auch nicht die erste Silbe des
zweiten Bestandteiles einer Zusammensetzung bildet und auch keine
Natur- oder Positionslänge enthält.
Damit wollen wir natürlich durchaus nicht gesagt haben, daß je-
mand unter den Zeitgenossen Erben's sich der eben besprochenen »Prin-
cipien« in einer so scharf ausgeprägten Form bewußt war ^6).
*^) Schon das Buch »Pocätkov6« zeigt uns zur Genüge, daß der von
uns oben skizzierte Gedankengang wirklich stattfand, und daß bei der An-
zweifelung der Betonungsgesetze nicht allein die Quantität im Spiele war,
wie das oflenbar unter dem allzngroßen Einflüsse der antiken Prosodie selbst
von dem sonst vorurteilsfreien Kräl angenommen wird. Dobrovsky hat näm-
lich nur bei »einfachen« Wörtern die Betonung auf der ersten Silbe als
»Stammsilbe« begründet und die Begründung derselben Betonung bei den
mit Präpositionen verbundenen und den zusammengesetzten Wörtern gänz-
lich unterlassen. (Denn niclit zu finden ist die von Ferd. Jokl in der Ab-
handlung »0 pi-izvuku slovanskom, zviästo ^esk^m« |Listy filologickö a
paedagogicke. Roc. dvanäcty (1885) 422 — 462] citiorte [436] Begründung,
96 Jaroslav Sutnar,
Allein wir werden bei unsrer Einteilung der von den Regeln Do-
brovsky's abweichenden Stellen in den Dichtungen Erben's — der
wenigstens nicht in dieser Form: ». . . Dobrovsky . . . naysli [u Pelcla, Grund-
sätze der böhiniselien Grammatik. 2. Aufl, Prag, 179S, § 84 (!)], ze v cesk^m
pHzvukoväni moznä je videti grammaticky smysl, protoze prvä siabika je
bud' kraenem slova, bud' praefixern [Jim (syntakticky) je zajiste i predlozka,
kterä ve vsech jazycich si' slovem na ni zävislym a ji ve smysle blize urce-
nym tvori jednotu «päd prcdlozkovy«] nienicim vyznam slova« . . .) Durch
diese Lücke wurde dann nur noch bestärkt der Zweifel an der Richtigkeit
der Betonungagesetze, welcher ohnehin von den präpositionalen Verbindungen
und den Znsammensetzungen in der schon oben geschilderten Weise seinen
Ausgang nahm. So drehen sich die bereits citierten Ausführungen der »Po-
cätkove« mit ihrem stellenweise wohl sehr verschwommenen Stil ohnedies nur
um diesen scheinbaren Widerspruch in den Regeln Dobrov.sky's, wobei die
Quantität ursprünglich in zweiter Reihe in Betracht kam und erst später nach
gänzlicher Verwerfung des Tonmasses als einzig zurückgebliebenes proso-
disches Princip den Ausschlag gab. Auch Saf;irik hielt gleich andern die
einsilbigen Präpositionen vor Nominibus in seinen accentuierenden Dichtun-
gen zuweilen für tonlos, wie das nachzulesen ist bei Kräl (L. f. Roc. 2U. [1893]
212. Roc. 21. [1894] 22). Die seitens der »Pocätkovö« zum Teil willkürlich
bestimmte Lehre bezüglich der mittelzeitigen Silben (nur in zusammenge-
setzten Wörtern ! : neben Ausnahme 1 noch zakvetly [69], weiter auch der
<y
präpositionale Kasus: do kviti [69], dagegen anderswo [43] wieder die Zu-
sammensetzung okrasa im Gegensatz zu dem präpositionalen Kasus o kräse?j
bot nach unserm Dafürhalten neben andern Faktoren den willkommenen
Anlaß zu verschiedenen Freiheiten in beiden Prosodien und half natürlich
später beim Hervorrufen einer fast gänzlichen Anarchie im Tonmaße mit.
Auch sonst gab es immer genug Theoretiker mit ähnlichen Zweifeln an der
Richtigkeit der Betonungsgesetze in Bezug auf die mit einer Präposition
verbundenen und die zusammengesetzten Wörter. (Nach Kräl [L. £ Roc. 20.
(1893) 422] sagt 1805 Vaclav Stach: ». . . Slova dvou slabik, maß-li krdtke
voJcdli/, museji ho [ton] preposicem jedne slabiky odevzdat : pred domem, za
lesem, od tebe, ze z.eme,jmdc: od krdvy, na vüli. [Stach tuto skanduje^— »-'] ...«
S. Hnevkovsky nähert sich 1820 — nach Kräl [L. f. Roc. 21. (1894) 166] — der
folfi^eniien Anschauung: ». . . v trojslabicuyeh slovich, jez slozena jsou s krät-
kymi pfeillozkami nebo cästicemi, po nichz näsleduji jedna nebo dve delky
(na pf. vyddrd, nelibi), alejen v »rhythmich«, t. j. metreeh starovekych, sia-
bika prvä mohla [by] se uzivati obojefne, t. j. brzo jako prizvucnä, brzo jako
nepfizvucnä . . . U slov troj[167]slabicnych . . . dlouhä bez veliköho näsili
sluchu muze prevziti prizvuk . . ,« Fr. Ray mann behauptet nach Kräl [L. f.
Roc. 21. (1894) 173] in demselben Jahre folgendes: ». . . [ja] jsem se nemohl o
tom presveiicit, proc by melo samo sebou krätke predslovce, na p. do, na, ze
etc., od pfirozeni dlouhou slabiku v krätkou promenit; u p. die pfizvuku eist
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 97
größern Übersichtlichkeit wegen — als Grundlage diese »Principien«
benützen, die ja damals ohnehin allen maßgebenden Dichtern weniger
se mä, do kouta, na pousti, zdaz prirozeneji nezni do kouta, na pousti? . . .«
J. Nejedly äußert sich 1830 nach den Worten Kräl's [L. f. Koc. 21. (1894) 248]
folgendermaßen: »Nekteri novejsi bäsuici za pricinou rozmanitosti uzivaji ve
versieh daktylskych i u dvou-a trojslabicnych, zvläste slozenych slov prvni
slabiky jakozto nepfizvucne, kdyz je krätkä a kdyz po ni näsleduje slabika
0 samohläsce dlouhö nebo dvojhläsce; meri tedy . . . vydd ]ako v^— , podävd,
dochdzi jako ^ . . . Je-li to sprävno, musi . . . jeste rozhodnouti pokusy
obratnych bäsniku.« Nach Kräl [L.f.Roc. 21. (1894) 264] behauptet 1853 Frant.
Cupr: "... sila posledni dlouhe slabiky predchäzejiciho viceslabicneho slovce
byvä tak vydatnä, ze casem i viceslabikove näsledujici slovo prvui proti pra-
vidlu skracuje [napotom ovsem druhou prodluzuje, treti opet skracuje atd.].
To se vsak deje od lepsich bäsniküv pouze tenkrat, kdyz toto viceslabicn6
näsledne slovo v prvni slabice prirozenou krätkost' [ac düraz] mä aneb ale-
spon s lehkymi cästicemi a nerozlucnyml predslovci atp. pocinä a kdyz ona
posledni slabika hodne silnä jest, n. pr. . . . velikä nehoda — ^ — ^ — ^ . . .
atp.«, worauf Kräl hinzufügt: »Take predlozky roz- vy- pa- pe- [?] ob- mohou
pry [die Cupra] i ve spojeni poklädati se za neprizvucne«; und Cupr führt
weiter aus: ». . . Nekdy se take staue, ze ti-eba i jednoslahicne metricky
silne slüvko cini prvni slabiku näsledujiciho viceslabicneho slova kiätkou
V tychz präve [265] uvedenych okolnostech. N. pir. mne roznitü — ^ — w, tvä
nemilost — ^ — ^u, worauf Kräl erwidert: »To neni docela nesprävn6, ale
melo se zrejme vytknouti, ze se tu prlzvuk slovny posunuje jen tehdy, kdyz
tato jednoslabicnä slova maji zvläste silny prizvuk vetny, pHzvuk recnicky.«
Endlich spricht nach Kräl [L. f. Roc. 23. (1896) 11] 1862 I. I. Kolär von der
»Silbenbetonung«, einem grammatischen Accent, den er näher bezeichnet mit
den Worten: »[Zaklädä se] na pravidelnem vyslovoväni sylab . . . kazdeho
slova die zäkona JeÄo vnitfni, korenne vyznamnosti«]. Außerdem verdient auch
Erwähnung, ja eigentlich sollte für unsern Fall hochinteressant sein, was
V. Flajshans in seiner Abhandlung »Ceskä kvantita« (L. f. Roc. 22. [1895]
66—90) von dem Altcechischcn zu berichten weiß: »[68] V XIL— Xlll.stoleti
. . . prvotny prizvuk [praslovansky ruznoniistny] . . . zacal pomalu ustupovati
prizvuku je<lnoinIstneinu a püvodno zajistc korenovemu: jeste v dobe staro-
ceske zastihujeme historickou fasi, kdy predlozky a negace hlavne u sloves
nemeiy jeste prizvuku, byiy proti nim v pomeru enklitik, kdy predpony jako
ne-, ni- byiy atona, . . . kdy se — jak näs staroceskä rhythmika uci — pH-
zvukovalo vyhradne jeste ... osidio atd.« . . . und ähnlich: »[78] Jeste v pra-
vopise nejstarsich paniätek staroceskych zastihujeme fasi jineho prizvuku
nez novoceskeho. Pi-edlozky byiy jeste casto enklitikami . . . [80] Totoz, co
feceno 0 predlozkäch, plati v mire daleko rozsählejsi 0 zäporkäch 7ie a ?ji. Ni
je ve 8tc. jeste vüboc atonon ve vete . . .jeste dlouho na pr. nev61e . . ., neräd
XVI. stol. . . . nemälo . . . Slozenä [slova maji] . . . zpravidia pHzvuk na druhc
Archiv für slavischo l'liilologie. XXVIII. 7
98 Jaroslav Sutnar,
oder mehr deutlich vorgeschwebt haben müssen. Bei der Bestimmung
der natürlich erst auf slavischem Boden zustande gekommenen Zusam-
mensetzungen hielten wir uns an Franz Miklosich (besonders: »Ver-
gleichende Grammatik der slavischen Sprachen« [Wien] Erster Band
[(Lautlehre) Zweite Ausgabe 1879] Zweiter Band [(Starambildungs-
lehre) 1875] Dritter Band [(Wortbildungslehre) Zweite Ausgabe 1876]
Vierter Band [(Syntax) Zweiter Abdruck 1883] und »Etymologisches
Wörterbuch der slavischen Sprachen «[Wien 18S(i]) und an JanGebauer
(hauptsächlich: »Historickä mluvnice jazyka ceskdho« [V Praze a ve
Vidni] DIU. [(Hläskoslovi) 1894] Dil III. [(Tvaroslovil I (Skloiioväni]
189Ü II (Öasovani) 1898] und: »Slovnik starocesky« [V Praze] Dill.
[1903]), welche jedoch in unsern Fällen von dem — unserm Dichter
gewiß recht gut bekannten — Wörterbuche J. Jungmann's (Slovnik
cesko-nemecky. V Praze 1835 — 1839) nur sehr selten abweichen.
Maßgebend bezüglich der Entscheidung über die Quantität einzelner
Silben war für uns die Schrift «Pocätkove«, die sich in dieser Hinsicht
— wenigstens ihren Hauptregeln nach — damals einer fast allgemeinen
Anerkennung erfreute. Unter die Beispiele mit langer zweiter Silbe
(und später bei den Versen mit dreisilbigen Füßen auch unter die Bei-
spiele mit langer dritter Silbe) reihen wir gleichfalls die Formen der so-
genannten zusammengesetzten Adjektiv-Deklination ein (vgl. Miklosich :
»Über die zusammengesetzte Deklination in den slavischen Sprachen«
[Sitzungsberichte d. phil.-hist. Kl. d. k. Akad. d. Wiss. (Wien). Acht-
undsechzigster Band (1871) 133 — 156] und Gebauer: »Hist. mluvnice
jaz. cesk.« Dillll./I532 — 564), da hier zwei Silben zweier verschie-
dener Wörter zu einer langen Silbe verschmolzen sind. Bei Anführung
der Belege wurde ebenfalls der Kontext nach Möglichkeit berücksichtigt,
soweit es natürlich der Versschluß oder eine durch Interpunktionszeichen
ausgedrückte Pause zuließ. Innerhalb der oben besprochenen vier Ab-
teilungen ordnen wir die Beispiele weiter darnach, ob sich dieselben im
Versschluß oder im Innenvers oder endlich im Versanfang befinden. Am
verläßlichsten ist wohl das Metrum im Versschluß, wo größtenteils noch
ein korrespondierender Reim den geringsten Zweifel über das Versmaß
verscheucht. Dagegen bietet die größte Unsicherheit gewöhnlich der
Versanfang, denn hier ist der Takt eigentlich erst im Entstehen be-
cästi slozeniny . . . zloräd . . .« (Diese Ansicht teilt jedoch neben andern auch
Gebauer nicht. [Vgl. Kräl (L. f. Roc. 20. [1893] 57)!])
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 99
griffen. Wir gehen nun überall in dieser Weise von den — über jeden
Zweifel erhabenen — ersten Belegen nach und nach bis zu den — am
meisten fraglichen — zweiten Belegen über, damit die — zum Zweck
einer gänzlichen Überzeugung — vollzählig angeführten und jetzt noch
übersichtlicher geordneten Unregelmäßigkeiten uns so zugleich mit
einer möglichst zweifellosen Sicherheit bei unsern Auseinandersetzungen
unterstützen sollen.
I.
Die einsilbigen Präpositionen brauchen nicht die Be-
tonung der nachfolgenden Wörter an sich zu reißen.
y ■^ \y
1. Versschluß: K. poznaly . . maticku po dechu, — ütechn
9,11; Pok. neustäle — däle — a ve skäle I 84, 87 88, 90, chvile —
stane . . jiz u eile. 187, 190, maminka — cinkä — vlozi dit^ti do klinka:
221 228 232, 222 230, 227, neohlizi — bllzi — stoji s nim prä ch"^zi.
236, 238, 241, lesu — a ve plesu IV 86, 87; S.k. tys se mnou, — mnou
99 133 169, 100 134 170; H. rüze — vozmi mne za müze. — 18, 20,
neboztik pod zemi, 43, kamenu — jl na jmenu 101, 103; Vod. pöci
mäs 0 dit^, IV 51 ; D. k. tomu — chodival k näm do domu 41 43, 44 ;
^ ^ \^ \y \^ \_/
Vest. stojice po boku, — toku 73, 75, reky — souzenä pred veky, 89,
91, a do prohlubeni — zavznönl — neni — zneni 165, 167, 169, 171 ;
\^ \y
C. h. a za stolem — kolem 9,11.
2. Innen vers: K. a do hrobu dana 1 ; Pok. zvouci lid do chrämu
pän^ I 8, pospichä do chrämu pän^ 26, po sträni k lesu 185, po sträni
V plesu 239, blaze tu pod zemi, 11 48, jakby tak od vökü stäla IV 27,
a na nädra tlaci 81 ; S. k. ruce na prsa slozenö 12, sestra do roka ne-
ziila 21, na zäspi krokü zvuk 60, ze-tö na blizku umrlec 94, ze-t6 na
blizku nestcsti 122, ji za nim jiz släbne krok 160, vez se zvonkem nad
strechou 191, skoc za uzlem pi'es tu zed 215, ja za tebou cestou 217,
skoSil do vysky sähii pet 222, jenom po bilem obleku 224, v ni^m na
prkne— 235, t^lu do hrobu ph'slusi 240, tu na dvöi'e : 242; Z. k. zatim
na vörnou mou pamtitku III 63, skocil na vrance, V 42, kazdy po jodnö
noze nese VI 14; S. d. pülnoc po stcdrem veceru III 14, klobouk na
stranu - 26; V. ni zdani 0 jejim duchu 62; L. co na I*ece dym 54;
7*
100 JaroBlav Sutnar,
V^st. a se stromu klesly 35, tehda na sv^tlo ze propasti 89, l^to za le-
■^ ^ '^ — ^y ^ \y
tem bez ustäni bezi 97, zima za zimou uhdni 98, tu pod nimi z rumu
143, urceno jiz od prvni chvile 145, na sträni pod zelenym borem 149,
vsak do chrämu branou chodi 181; 0. z. 140. aby .... jim na hlavu
spadlo 22,
3. Versanfang: K. veskrovnou ja t^ kytici zaväzu 17, do sirych
zeml cestu ti ukäzu 19; Pok. tut na blizku lesni sträne I 27, a ke
vchodu az pokroci 73, krok za krokem — 88 90, a do klina stribro sklädä
162, a ve potu, 189, a do klina zlato sklädä 205, a do klina rukou
sahne 218, a do klina opet sahne 225, div na miste neomdlela 265, a
ve hroznem plt-edtuseni II 9, jak po tom pahorku tekä 29, tu pod zemi
jsem 44, kdyz po svatö vsak ob^ti III 21, a do dlane celo sklopi 30, a
^'__<^ '^ \y \y \y
ve strachu a v nadeji IV 33 49, tu po jizbe se ohlizi 50, a ve zufanli-
vom spßchu 59 79, a ve strachu a ve plesu 87; S. k. na st^ne nizkö
■^ ■^ \y '^ 'w' v_/
svetnicky 5, do eiziny se obrätil 25, do ciziDy se ubiral 27, ve svete
sirem 40, u neho zivot jary kvet 50, bez neho vsak me mrzi svet 51,
na te jsem vzdycky myslila 69, za te se präve modlila 70, ve dne m6
■v^ <y v^ \y \y v^
oci tlaci sen 80, po sipkovi a po skali 125, pres vody, 152, na krku na
v/ \^ .^^ ■^ •^
te tkanicce 180, na poloumrtvou otoci 277, u syua sv^ho oroduj 279,
na boha ze jsi myslila 299; Pol. ze na tebe, 15 ; Z. k. na vran^m buj-
nem jede koni I 3, na vranem bujnöm jede koni II 3, za cizi - 32, na
\y ^ w ^ ■'~y
domov nezpomenes III 14, za nie jin^ho vsak nedävej IV 19 49 79, za
\j v^ \y \^ \_/ \y \j
nohy? 31, do lesa zpätky spechalo 37 67 102, za luce!? 61, za oci,
88, za oci!? 91, ke kolovrätku chute sedla V 13, od lesa k hradu poli
län VI 1, na vranem bujnem jedou koni 3; S. d. za smutnych zimnich
vecerü I 9, mne na mysli jineho II 1 5, snih na sede hlave 20, do ohne by
^ \y v^ \y •'^
ji k vüli sei III 6, na prvni zas by zapomnel 8, ve dvefich muzskä po-
stava 24, pro boha! 40, pred sebou cirou temnotu V 29 ; Vod, tarn na
zemi V hrobe III 32, tarn na zemi za kostelem 33, a ve vode pod
hrn^cky 51, a po treti buch buch IV 41, mne o tebe vetsi strach 52,
mräz po tele hrüzou bezi 70 ; V. pän u baby na porade 52 ; L. na jejim
hrobe , . kvete kvet 16, pied sluncem jistou ochranu ti dam 58, na nebi
slunce 75; D. k. tarn za branou nad vrsikem 36 38; Vest. na skäle
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 101
Krokuv . . hrad 58, pod hradem dole stavenicko 61, ve stnbroskvoucim
oblece 64, na prahu stäla 65, na ni co ditko spocine 92, za rekou musi
dosähnout' 148, na poii blize Bystiice 158, u mostu stäti spatnte 200;
S. 1. u sv6 maticky mni se vidM 18; P. v. ve srdci vdecn^m . . se ro-
dice 18, bez srdce byvä vzatd 23, ve srdce mnohä 37; 0. z. 140. a na
\y
kazd6 räno sbiraji se 4.
n.
In mehrsilbigen zusammengesetzten Wörtern kann die
erste Silbe als erster Bestandteil der Zusammensetzung
ihre Betonung an den zweiten Bestandteil verlieren, aus
dem das ganze Wort mittels einer einsilbigen Präposition,
Negationspartikel oder eines andern einsilbigen Wortes
zusammengesetzt ist.
1. Versschluß: K. po dechu- v nem majic ütechu, 9, 11, ve
v> \^ \^' _ V^
skrovnou ja t^ kytici zaväzu,— cestu ti ukäzu, 17, 19; Pok. kroky zpet
obraci, - vraci 139,40, oci . . si protir:i, - blize se ubirä: 49 77, 50 78,
ke vehodu az pokroci, - oci 73, 74, hladu — zde tolik t^ch pokladü!
133, 135, stojl - ki-izem se ozbroji, 142, 144, tam polozi; - zdali je
zas polozi? - bozi - slozi 147, 150, 153 163, 159, je prohlizi, - tizi
v^ \y
148, 149, rozestirä-s hromady nabirä, 160 203, 161 204, pacholete -
pacholätko jiz dvoulete; 170, 172, zas pospichä; - dychä 188, 189,
k diteti se nakloni, - zvoni 217,220, sahne - dva penize ven vytähne, -
zlata hrst vytähne, 218 225, 219, 226, v plesu - k lesu - lesü - stesti
sv6 ponesu, 239, 240, 246, 248, ve dne - tam pohledne. - 259, 261,
ach nebözi, - leXl 11 10, 14, vSje - tam se jiz nepeje. 15, 18, skala —
jakby . . zde nestäla. 25, 26, ji uchvati: - vräti 41, 42, sumi - ucho
'^ ,--^__ ._/ \^ \y
mi neporozumi. 45, 47, blaze — na mramorovö podlaze, 48, 50, mine —
\y ._ 'w' w' \^
z tydmi mesic se vyvine, III 1,3, dnove v tyden se obräti, — pläti 2, 4,
'■^ „ '~^' ■^ \^ ^^
zvoneckem pozvoni, - kloni 10, 12, tu osobu - dobu 13, 16, ze ne-
_^^^ ^ ^ \^ ^ ^ •^' ^-/
dyse — tise 1 7, 1 9, po svatö vsak oböti - vid^ti 21,23, bore se pomälu -
^' -— 'v^' ■^ \y
skulu 25, 27, blizi se znenahia, - skäly t6 dosähla. IV 18, 19, lekä -
vsak necekä, 28, 32, jeji - a v nadeji 31 54, 33 49, blizi - po jizbe se
\y \y \^ \^ ^- ^^
ohlizi. - aniz se ohii^i, - chyzi 48, 50, 85, 88, k nadräm je pritiskä, -
t02 Jaroslav Sutnar,
\y ^
blyskä 94, 90, aby dite si pohialo, - mälo - stälo 99, 101, 102; S. k.
nie aeboj ! — hoj 204,205; Pol. zpet pohlizi — pli'zi 33, 35; Z.k. zjasni-
^ \^ \^ \^ _
provodls dceru svou nevlastni II 38, 39, chvoj - neboj ! III 41, 42,
-^ _ ^^ v^ \y
V cestu - privitä matku i nevestu, 48, 49, na vernou mou pamätku - kolo-
\_y \y ^ >y-/ v_/ vy \y
vratku 63, 64, jej prodävej, - vsak nedavej, - ji prodävej, IV 18 78,
19 49 79, 48, prilozil - zas oXÜ, - zas o'zll; - poloXil 41 71, 42, 72
107, 106, CO pocit? — mit 96, 97, sestru jsi zabila, — zbavila — nevestu
V^ V^ V , '^ ^^
jsi zabila, - ucinila V 18, 19, 28, 29; S. d. kyvä - pod ledern ukryvä.
■^ \y
II 22, 24, pfi lun^ pochodni, - vodni 26, 28; H. zelela - pro sv(5ho
manzela: — jej doproväzela. veselä — noveho manzela. 5, 6, 8, 34, 36,
\^ \^ v^_^y v^ '^
tudy naposled 7, minul — pomalu zahynul. — mesic uplynul, 22, 24, 27,
cesta - a nevesta. 30, 32, nevesta v objeti 35, nevesto! 41, vsak ne-
\y '^ \_-' \y \^ w w \y .^
mizi: 59, na jeho pahorku 63, kdo2 iislysi, 71, nevolej, 77, pisen ukrutnä
79, nezaluj, 81, toci — at se mi rozskoci! - 82, 84, aneb mi zahoukej.
83, ji byti nemelo: - telo. 98, 100, lezeti - spocivä prokleti ! 102, 104;
\y \y ^-/ \y
Vod. stäni - ji cos pohani, II 17, 18, by mi . . zel nebylo lU 99, beda -
\^ \^ ^y -^
krev uaedä: IV 61, 62; V.jest-li nemoc ta zävada, -rada 21, 22, beda -
\y \y ^ ^~y
pani zabil jsem neveda, 93, 94; L. postekot — plot neplot: 25,26; D. k.
holoubätko to nebylo, — holoubätko to nebylo promenilo 11, 13,14:
\y v^ ^ ^ \y
Vest. oko . . slzou se zaleje, — prinäsim vetvici nadeje, 1, 3, pnouci -
okolo hradu kvetnati palouci - 57, 59, v hrobe - vstane . . v byvale
\^ \y \y •^ ^v — ^'
ozdobe, 125, 127, ore - zpivaje v pokoire: 157, 159, oräni pi-ekazil, -
•^ w ^
ky dabei . . . . co primrazil? 161, 163, do problubeni — zalostne za-
\y ■^ •^
vzneni: — neni — zneni 165, 167, 169, 171; S. 1. kam se tam ubirä, -
sirä 1, 3, slys opustenou: — zlou 6, 8, hilmä — ten si mne nevsimä — 9,
11; P. a m. vychovävä — te rovndho nie nestävä — 6, 7 ; A. s. i v ne-
snäzi — cloveka proväzi. — 6, 8, ze neviditelne 7 ; S. v. sedni - aj po-
hledni, 5, 7; P. v. spis piibyvä; - oci si zakryvä. - 10, 12; P. J.
\^ v_/ •^ ^/ ^~y ^\y
vpoli - byt V nevoli? 2,4, chtel bych nest okovy, 3, krov zapälim 19;
S. m. zmähä - cisti slova ta predrahä 17, 19 ; T. d. kezby . , näm loz-
v^ \_/ \y \_/_ \y \y \y
umel, - umel 7, 8, mileho - löte si priväbenöho, - zime si pripoutaneho.
14, 15, 16; 0. z. 45. tobe - slavnä v drahe sve ozdobe, 25, 27.
2. Innenvers: Pok. a sousedni viskou I 4, ve tmavem pahorku
Prosodischea und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 103
klinS 66, cim däl prichäzi zena 92, po tom pahorku tekä II 29, vehodu
jiz naiezti neni 39, a sousedni viskoa III 8, ana se s pahorku beie 24,
traplive opousti loze 40, a sousedni viskou IV 4, huhu! 62, po vehodu
pamätky nenl 74, celä v rozkosi plyne 95, i dozrälo hrobu V 6; S. k. ty
pocestne zvetHli 92, krizek utrh a zahodil 186, tvüj dach otravny jako
jed 202, a ukaz mi cestu 219, skokem preskocil ohradu 220, umrlce,
244 258, tu poznovu-256, kde zävora u dveri 263, umrlce! 272,
panna v umrlci komofe 295; Z. k. mä nevlastni mäti I 28, kdoby po-
\y \y \y vy \y
myslil jak-te ziv II 17, cot' poroucim ja 37, jsi podobna t^ III 43,
kräl vyhlizi z okna 47, panna nevesta samy smich 52, kdyz zasvital
osmy den 56, vstan m6 pachole, IV 16, jdi m6 pachole k polici 46,
pravou nev^stu jsi zabila V 28, abych uslysel jeste vice 34, panna ne-
\_/ y ^' "^ ^"^ ^-^
v^sta jako kvet VI 7 ; S. d. nikdo nemüze rozumet III 4, druhä priklekä
vedle ni 30; L. piikop neprikop - 26, podivnä k ni mS pudi moc 44,
\y ^ \y ^ \j \y , v^ — vy
nemeskej, 51, tut düveru mäm 57, jakoby tusil svou nehodu zlou 70,
\y \y \j >^ ^ \^
spatne manzelku jeho strezila 74, zhyn obludo, 76; Vest. tehda prinä-
sim vetvici 3, z nebet' prichäzi vesti duch 6, zäkon nezbytny ve vsem svete
\j .\j \y \y \y v^
stoji 7, svüj zaplati dluh 8, pevnö jsou osudu kroky 13, v sve pochovä
toky 15, a propustil voly 25, aby zaplatil stary dluh 46, ven povolä
voly 49, vidim pozäry a krvav^ boje 69, tuto spocivej, 79, smutne oseni
vzki'isi . . pi'ival 85, prv nez upHmnost ceskou 1 19, pak utuchly v Ce-
V ^ — '^ V V ^
chäch . . ctnosti 121, tehdäz uzrite zlatych casü riino 131, tehdäz vy-
ryje prijdouc . . svinc 141, tak urceno jiz od prvni clivile 145, darmo
nadeji kojite se 185; S. 1. pryc vyhäni, 10; C.h. pominul neveste smich
\y \y •■~y^ \y
14; 0, vei- bezpecne ji 10; P. v. ale v nest'a3tn«5m srdci se rodice 6;
P. J. v srdce nüz manzelce vrazim 14, kdo töz ucinit leni 17 23 ; cizinec
>>^ \j v^ \y sy v>
pHvIastni sobe 22; 0. z, 45. slovo . . z üst vychiizi v jevy 2, i zapooien
v däli 30, tv;i pokvete släva 36; 0. z. 140. od rukou ukrutnych muze
v^ __ >._/ ^ \y \y^
bezboznika 6, polökli jsou . . svä osidla na mne 9, stitem pokryvas
hlavu 14, nedävej bezboznym vztyciti se 19, aby jich zloSinstvi jim na
hlavu spadlo 22.
3, Versanfang: K. zeml'ela matka 1, poznaly ditky maticku 9.
\y ^y \y ^^ ■^ v^
poznaly ji 10, natrhal jsem te 15, ozdobne stuzkou ovinu 18; Pok. a
104 Jaroslav Sutnar,
V üvale ku potoku I 29, i zaphlvä rudoskvele 70, a zastinic dlani oci 74,
mni uzHti Jen v nebesku 101, kdo nevidel, 109, a dokud tu poklad stane
119, a zdali je za3 polo^i 150, 6 pi-ehroznöt to mämeni 276, tu nahore,
^^ ■^ \y v^ \^
III 9, üst k üamechu nerozhi-älo 50, pamätka dne IV 16, zpöt pohled-
•^ ^ \^ ^ _ \y '^ ^>
nouc podesena 69; S. k. potud se jesie nevrätil 26, zasej, 29, zpominej
na me 30, aneb zivot müj . . skrat' 49, pohnul se obraz 54, aneb ji-
nöho . . mäs 66, pockej Jen do dne 78, povez, 101 135, zahod je pryc
111 113, züstalo krve znameni 128, zahod jej pryc 148, pohrebni pisen
ski-ehoce 158, hoho! 182, zahod to, 185, netreba jich vic nezli dve
\^ '■^ \^ v-^ \y \y
210, pH'ehodil na hrob 213, zablesklo se jest 225, nenadäl se 227,
zavrzly dv6re 230, odstrc mi tarn tu zävoru 245, nedejz mne d'äblu 251,
zamhoui'il oci 255, natähnul üdy 269, umrly vstävä 275, nehodne jsem
\y \y \-/ \y
te prosila 280, v üzasu stäti züstanou 293, litrzek z novo kosile 297 ;
\^ ^ \y \y ^ .
Pol. i bodejz te srsen 14; Z. k. okolo lesa pole län I 1, vysla divcina
11, nevidel takö kräsy 12, prinesla vody 13, nemüze oci odvrc4titi 19,
nikohot' nevidim 27, zejtra se s dcerou . . vräti 29, okolo lesa pole län
II 1, vysla babice 11, hoho panäcku 16, kdoby pomyslil 17, nähodou
vcera zavolän 22, kdoby se nadäl 27, ale vsak radu 31, vykonej, 37,
zejtra, 38, provodis dceru 39, aby se nehneval III 12, vypichnem oci
v^ \y \j \^ \y \J
19, useknem knäty 24, objimej jeho . . telo 33, pohlizej na to . . celo
34, nenechävej jich podI6 tela 38, vychäzi s päny 48, privitä matku 49,
navrätim-li se 61, omladne nasi läsky kvet 62, zatim na vernou mou
pamätku 63, vzeslo ji nähle stesti moc IV 6, vezmi ten zlaty kolovrat
17, pachole v bräne sedelo 21 51 81, ale ja chci jej miti 32, pachole
nohy pi'ijalo 36, podej mi, 38 68 103, vezmi tu zlatou preslici 47, ale
ja ji chci miti 62, pachole ruce prijalo 66, netreba znäti otce 93, kdoby
ho hledal 94, pachole oci prijalo 101, mych poslednich slov V 5,
npred' mi z läsky . . nit 12, prisla jsi kräle osidit 17 37, nevlastnl sesti'u
jsi zabila 18, zahraj mi, 23 33, nevim, 24, nejsi tak, 32, abych usly-
^ \y \y \y ^
sei . . vice 34, ukradla jsi ji chote 39, kazdy po jedn6 noze nese VI 14 ;
S. d. i nahlednu v jezero II 33, nikdo nemüze rozumet III 4, pulnoc po
stedrdm veceru 14; H. slys rozumne slovo 16, co nebylo, 55, co neboz-
tik lezi 62, tu vyplyvä noha 89, vsak nelze kamenu 101; Vod. püjdu,
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 105
II 3, züstan dnes doma 6, nechod deerusko 8 12 16, nemä dceruska 17,
zavil-ilo se v hlubine 24, vyvalily se vlny 25, roztähnuly se v sfrä kola
26, vsak bezdeky Jen III 15, müj bezdecny synu 26, vsak ani se nena-
v_/ \y ^ \y \_/ \y ■^
däla 43, nie nezpivej, 65, sie ucinim rybou tebe 67, jenz pameti nemä
96, vsak poroucim, 111, sie pozemskä tvoje läska 115; V. snad nekterä
^ v^ •^ \y ^-\y
tebe zhojl 24, ac bezduehä na svdm loXi 39, pän ümysl jiny ehovä 48,
■•^ \y ^ \y \y \y . \y
jdi k potoku pod oborou 69, at neplace ubozätko 106, by nevzalo
zädne skody 110, az doroste hoch 111 ; L. umi-ela panna 1 3, nedävejte
\y '^ \y \y
mne ve vsi na hrbitov 5, poehovejte mne v pod-zeleny les 9, neminul
jeste . . rok 13, nepi'islo jeste . . do tri let 15, kazdöho divny pojal . .
\y \y " \y
zel 18, V kazdem se touhy plamen roznitil 20, pi-lkop uepi'ikop 26, ne-
spasi tebe 30, v zahrade sv6 chci tu lilii mit 39, opatnij mi ji 43,
opatroval ji jeden 45, pospichä sluha 48, pospes, 51, nezhyne vek tvüj
\y \y \y v/ ■'^
57, potreba velkä 68, oträvilajsi ziti m^ho kvet 83, bodejz i tobe zcer-
^' \y \y \y
nal . . svet 84 ; D. k. a potrhän je tvüj zhled 15, zabila jsem detatko 16 18,
\y \J \y ^\j ^, w
sve ubohe zrozenätko 19, bys nenasla mista v hrobe 59; Vest. tehda
prinäsim vetvici 3, zäkon nezbytny .... stoji 7, praotce slavnych voj-
\^' \-J 'v_/' \y \y ^
vodü 18, oblekli odev .... jemu 23, polozil rndlo 25, odkud jste vysli
26, aby pucilo v list 28, pojala voly 29, podnes ji znaci 30, vydala
\y \j ^ \y \y
troji . . prut 32, nevzkrisivse se po ten den 36, nastane doba 39, pri-
nesou blah^ ovoce 44, aby zaplatil . . dluh 46, Pi-emyslüv zavrzeny
•^ \y \y \y v^' ^
pluh 48, okolo hradu kvetnati palouci 59, polibila ji, 75, tiito spocivej
^^ ■^' \y \y \y
79, povstane novy . . svet 82, ponesou zase . . kvet 84, tehda na svetlo
\y v^ ^ \y \y \^ \_/
89, düvera ma vsak nepohnute lezi 99, nejeden nenavväti 102, prolomi
\j -^ \y ^ '^
pod sanemi 104, piibylo novych oudü 106, tehda Libuse 113, ukryl se
\y . \y 'v^ '^
kostel 123, odtekout' jednou 126, tehdäz uzHte .... räno 131, uschne
a zetlic padne 139, tehdiiz vyryje 141, posledni zbytky 142, zdali zvon
takö jiz je na sv6 pouti 153, zdali v cas eile dospeje 154, bodejz se i
\^' \^ '^ \y \y \y
s nim propadlo 164, zapadal prouikavy blas 166, nenaiikejte, 173, ro-
[zummysi se nestali 176, nezbudete svyeh psot 186, dokavad ye(^«oM
\y \y \y \^
chodfvati branou 187, nebude tvrdy . . lid 188, nemluvte marne 205,
v.^ \y \y ^y ^'
osudnö jesti znameni 208, s nadeji nie se nenoste 210; S. I. auiz je
jitro . . zvolalo 22; P. m. n. präh popclem posypejme SO; C. h. a ne-
106 Jaroslav Sutnar,
\_/ \y
v6sta Jen se smjila 3, host neznäny tu se vzal 10, s nevcstou trikrät
kolem 1 1, a nevesta bez pameti 23; A. s. mne nejvic to tesi 11 ; S. v.
v^ \^ \y Ky •^ ^\^
z nichz vynese detskö kosti 15; P. v. zähubu nese 3, nehledajit' jich v
mori 5, ale v nest'astndm srdci se rodice 0, dosti tech perel ve svete je
9, neubyvat' jich, 10, ejhle ted o Tvdm .... plese 29, nejsou to peiiy
32, ale jsou perly 33, pnjmiz ten vinek 39, düstojnä Tvöho .... cela
40; S. m. tmy pokryly pole 2, tu zasustne cos 7; Z. pnlitla 8 nebe 5,
v> \^ \y \y
pi-ilitla cernä . . vräna 9; T. d. nez opustim ja mil^ho 14; 0. z. 45. a
\y \^ ^ \y \y '^
V närodech tvä pokvete släva 36; 0. z. 140. jed ukryvajice v hloubi
srdce 3.
ni.
In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe ihre Be-
tonung zu gunsten der natur- oder positionslangen zweiten
Silbe einbüßen, wenn diese auch nicht die erste Silbe des
zweiten Bestandteiles einer Zusammensetzung bildet.
■^ \y
1. Versschluß: Pok. jako . . svit mesicka; — jakby zäpad to
\y \j \y \y
slunicka. I 69, 71, blesku - mnl uznti jen v nebeskul 100, 101, tim
■^ \y ^ \y ^ \y. \y
smelejsi: — v skrejsi 152, 154, bezic ve stranu protejsi: — je ji milejsi,
200, 201, CO to mä maminka! — cinkä — do klinka — co ti da maminkal
- hned se vräti zas maminka. 221, 222 230, 227, 228, 232, döt'ätko! -
pockej . . Jen drobätko. 233, 234, nejdou spat ocinka: — cinkä II 53,
55, vrouci — vizte slzy ty kanouci! IV 89, 91, za mrazu sedävä, — po-
vidävä V 10, 11 ; S. k. CO deläs? — znsis — mäs 64, 65, 66, co pravis^
- jiz 75, 76, mä milä? - usila 208, 209, hou - podej . . tu zivou! 272,
273 ; Pol. hie husar a kocärek i husärek 9, 1 1, hrisnici - Polednici !
26,28; Z. k. v milosti vasT! II 30, hedblv! 35, jako kdy prvd. IV 105;
H. objimej mileho, 45, träva — na doubku sedävä — sedävä, 65, 67, 69,
doubek - beloucky holoubek. 66, 68; Vod. siju si boticky - do vodicky
^ \^ \y \^
I 5, 6, pätek — siju si kabätek: 9, 10, k jezeru vzdy ji cos nuti, — po
chuti II 19, 20, m6 det'ätko, III 25, maly Vodnicku ! - na maticku 38,
40, muj synäcku 53, nevdala se tvä maticka 55, nemä . . zde radosti,
^ v^ ^ vy ^y
59, jake bylo by shledäni IV 3, pläce-li tv^ det'ätko 55; V. na kolebku
vloz det'ätko, - ubozätko 105, 106, doroste hoch malicky, - pistalicky
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 107
111, 112; D. k. zabila jsem det'ätko, - zrozenätko 16 18, 19; S. 1. pla-
kalo . . studenö perlicky, — sklonilo se na hrob sv6 maticky, 13, 15,
spalo sen radostny: — jeji to milostny: 17, 19, spalo sen tichounk^, —
vykopän mu hrobecek nizounky, 21, 23 ; P. a m. vinek - routa dodä a
barvinek. 10, 12; C. h. co bledne mä milenka? - Zdenka 17, 19; A. s.
V> \^ V V "^v— V ^
zlatä maticka, - andelicka 2, 4, andelickü - mily bozicku! 14, 16; P.v.
\y \y .V '^ '^
V nest'astnem srdci se rodice — lice — ve srdci vdecnöm . . se rodlce 6,
8 20, 18 ; S. m. na milenku — zasustne cos v okenku 5, 7 ; T. d. opustim
\y v^
ja milöho, — priväbenöho — pripoutanöbo 14, 15, 16.
^ ^^ \y
2. Innenvers: K. duse jeji se vrätila 6, v nem majic ütechu 11 ;
\y \y Ky ^-f'
Pohl, a zalostne place 1212, o peniz penizem zvoni 220; S. k. kdyz
\y v^ \-/ \y \y
slzicka upadla 15, vrat mi mileho z ciziny 46, aneb zivot müj nable
skrat' 49, mä p'ane^nko, 62 63 64 105 139 192 193 198, aneb jYnöbo v
srdci mäs 66, müj mily! 67, vitr buräci, 77, vitr buräcel jedine 88,
mrtvi s zivymi chodi 130, cistä svetnicka? 137, modrä svetelka laskuji
154, CO mäs v uzliku, 208, boze svaty! 250, vsecka kohouti druzina
\y \_/ \y \y \y \y
287; Z. k. otevi'te, II 8, hoho panäcku, 16, vstävej dcerusko! III l,
sestricko moje 6, pojd jiz Dornicko nase 11, maticko ! 16, sestHcko!
v-/ \^' ^ -^ ^^' ,
21, za nie jinöho vsak nedävej IV 19 49 79, zlaty kolovrat drzelo 22,
\y \y \y \y
kupte panicko! 28 58, jdete mamicko do komory 33 63, köz bych tu
pi-eslicku mela 54, vstante mamicko s lavice 56, vstante mamicko, 86,
mamicko! 96, kdyz byly tri nedele V 1, ta slova kräl uslysel 41, kde s
mä Dornicko! 44; Vod. ranicko panna vstala II 1, maticko, 3, ne-
, vy ^ \y \y \y \^
chod dcerusko k vode 8 12 16, hil6 saticky smutek taji 13, nemä dce-
ruska, 17, mä maticka zlatä III 35, matku svou obejme zase IV 6, mä
yy -^ \y v^ \y \y
maticko zlatä 11, matiSko zlatä 47 63; V. to malickö ditö 17, koma
vy \y y ^ ^ \y \y ^ vy
zui hodinka, 86; L. jasne slunecny svitne paprslek 55, i synäcka jcmu
povila 62, tu mu krälovsky posel nese list 64, tu mu zalostnä v üstrety
^ ^y \y \y . \y
jde vest 78; Vest. svö bodadio zarazil 27, zlatou kolöbku podaly 74, a
vy \y \y . \y ^y__^'
V bezednöm toku 75, v m6m otcovsköm dvoi'e 83, zlatä kolöbka vyplyne
•^^^\y \j v_/ \y ^\y
90, kdo znajice otcü . . ciny 197; S. 1. maticko! 5, tys pryc odesla, 7,
von dcerusku tvou 10, müj taticek, 11, mä maticko! 12, u sv6 maticky
mni se videti 18, mä devecko, 20; P. m. n. kvetnaty vitejme mäj 11;
1 08 Jaroslav Sutnar,
0. 3 düveiou pojim i€z nadoji 12, mysi mä pevnä-te jako skäla 13, P.v.
telo hynouci ozive 15, perly vdecnosti — 34; 8. m. to nebeskö oko 14;
\J V^ ^ '^ \J
T. d. kdyby müj miläcek prisel 1 ; 0. z. 140. od hada litöho, 7.
■^ _ '^
3. Versanfang: Pok. i hoH to jasnobele I 68, i vidouc to zena
zasne 72, strop rubiny vylo^eny 105, syn;icku! 180 215 229, dva pe-
nize ven vytabne 219, ji radosti srdce skäce 224, z t^ otcovskd stiechy
247, CO pani me budou ctiti 255, blas ticbounky vetrem sumi II 45, i
desi se - IV 32, 3trop rubiny vyloXeny 39, a hrüzou se celä trese 58 78,
ji V patäch ve vrchu kline 63, ji v pattich se bori GG, lodicko bozi po-
moz 67, 0 jake tu vzdavä 89, jak celä v rozkosi plyne 95; S. k. rodicky
\_/ \y '^
bozi 7, zelem se üädra zdvihaly 14, mela jsem, 23, zivot bych dala 24,
\^ \^ '^
tesii me, 28, prvni rok prädla hledivej 31, druhy rok plätno polivej 32,
treti kosile vysivej 33, niilöho z ciziny mi vrat'48, moznä, 58, moznä i-
\y \j \^ v^ \y
59, mesicek sviti 73, musim te za svou pojmouti 82, mesicek svitil 86,
V— ^— . v^— V.V
peknä noc, 95 129 165, mrtvl s zivymi chodi 130, cistä svetnicka 137,
züzi te, 147, modrä svetelka laskuji 154, jako kdyz s telem . . jdou 156,
\^ '^ v^, <^
hoste cekaji 177, bodä te — 184, üzkä a dlouhä . . jsou 190, divy a
hiozny je 201, uzlik ji vzal 212, skokem preskocil ohradu 220, skocil do
^ ■^ _ w , v^ __ w ^
vysky 222, jenom po bll^m obleku 224, stojit tu, 228, nizouckö dv^re
229, mesic listami seril 233, sumi a kolem klapaji 238, buräci z venci
243, vstävej, 244 258 272, sbirä se, 248, boze svaty 250, otevri mi
svou komoru 259, mrtvy se zdvihä 261, smihij se v bide 265, pädem
\y \^
se na zem povalil 289, zmizel dav, 291, räno kdyz lide . . jdou 292;
\y \^ \y . . \^' v^
Pol. ty cikäue, 4, nez kohout, 11, a vinouc je, 33; Z. k. zbloudil jsem
pri loveni I 9, divi se tenke 18, svobodna-li jest 21, spatnä je, II 36,
vstävej dcerusko III 1, v krälovskem hrade bude hoj 7, nizko mne, 9,
kterak dve zeny naklädaly 29, nyni se s panem krälem tes 31, ma-
micko, 36, v krälovskem hrade jej prodävej IV 18 78, zlaty kolovrat
drzelo 22, krälovna z okna vyhlizela 23 53 83, v krälovskem hrade ji
prodävej 48, zlaty kuzelik drzelo 82, üdiiv a oei ji zbavila V 19, jaky
^ w ^ v^
to kolovrätek mäs 21, chtela jsi kräle osidit 27, pravou nevestu jsi za-
bila, 28, sestra tvä v lese 38, skocil na vrance 42, jakou ted pisen bude
hrät VI 22; S. d. vernym ti muzem budu I 15, svatebnl sije kosile 19,
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 109
ty tajemny svätku II 2, a zlatousky na steau 11, ode vsi primo k jezeru
\y . ^ \y \^
III 16, jakö tarn vidls videni 20, klobouk na stranu 26, druhä pnklekä
30, jak6 ty vidls videni 32; H. nez mesic uplynul 27, jen kämen veliky
99; Vod. svit' mesicku, 13 7 11 15, sätecky sobe vyperu II 4, perly
jsem tobe vybirala 9, bile jsem tebe oblikala 10, v suknicku jako z. .pen
11, hi[6 saticky smutek taji 13, v perläch se slzy ukryvaji 14, prvni
sätecek namocila 21, tu slunecko nezahrivä III 5, dvür Vodniküv pro-
stranny 13, a zenuska jeho 23, ja zalobti hynu 28, ty radostne vyplnäs
29, müj maly Vodnicku 38, a druzicky - 48, bojim se vecera IV 12,
vrah jezerni nemä 23, kdy^ klekäni odzvonili 25, ach maticko ! 45, ach
maticko, 61, tim pläcem mi krev usedä 62, a telicko bez hlavy 72; V.
dve leta jsme spolu 7, ni zdani o jejim duchu 62, a z detatka v tüz ho-
dinu 95, dej prkönek narezati 103; L. jako kdyz uschne 2, srdöcko m6
by . . hynulo 8, srdecko moje bude plesati 12, mysll a mysli 35, vüni
ci touhou 36, divnä, 44, vstävej, 49, jasne slunecny svitne paprslek 55;
vy \y \y ^ ^v^
D. k. jen2 cbodlval k näm 44, a s tebou se tesival 45 ; Vest. z nebet' pri-
chäzi 6, plamen se k nebi temeni 10, jiste a pevne jsou 13, druhy zas
■W '^' ^
na svet vynese 16, vzdelaval zeme ürodu 20, druhö dva svadly 35,
zmohou se sire 42, vidim pozäry 69, ostry mec tebe probode 70, vidim
tvou bidix 71, zlatou kolebku podaly 74, z temneho luna 81, smutnö
^ ^ \y \^ -^
oseni vzkrisi . . prival 85, zlatä koldbka vyplyne 90, vzdychäväm: 105,
'^ _ \^ ^> ^ Ky
vstanon i mrtvi 112, rozerval litych väsni shon 120, novy les vitr zaseje
134, zjevi se zase 144, zlat6ho zvonu zalostne zavzneni 167, zlat^lio
zvonu uslysis 172, bujnymi sady . . otocenou 179, tisic let iislo 193,
svornosti ucil 194, moudreho slova . . zvuk 196, hlava zv^trala 201;
S. 1. devecka tvä to 6, perlicky jemu ocka stizily 14; P. m. n. müj va-
läsek utlkä 77 ; P. a m. te rovneho nie nestäva 7; C. h. svüj ^ivot bych
a to dal 12, ci lekä se pameti 18; A. s. ma zlata maticka 2, müj bo-
Jlöku mily 9, müj mily boJicku 16; S. v. holecku, 5, nä jabiicko ! 7 ;
?. v. proudi se hojne 7, kämen se pohne 14, vzäcnö to perly 21, perly
rdecnosti 34; P. J. a v horoucim zhynu hrobe 20; S. m. a hvezdicky,
15, ty hvezdicko luhü 35; 0. i. 45. chot krälovskä, 26, dci krälovskä,
0; 0. i. 140. ty stitem pokryväs hlavu 14.
110 Jaroslav Sutnar,
IV.
In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe ihre Be-
tonung an die zweite Silbe verlieren, wenn diese auch
nicht die erste Silbe des zweiten Bestandteiles einer Zu-
sammensetzung bildet und auch keineNatur- oder Positions-
länge enthält.
\^ w
1. Versschluß: K. mile — natrhal jsem tc na dävnö mohyle —
v^ \y ^y . \y
13, 15; Pok. kryje - zplvajl pasije. I 14, 16, konci se sklepeni: - neni
94, 97, mramorovö - hori dva ohhove; 108, 110, zpamatuje - v dusi
v^ ^y \y v^
svö rokuje: 129, 131, zlata - byla bych bohata, 136, 139, hrstku z t6
\^ \y ^ \y \y ■■^
hromadj' — tady 138, 141, zhresiti bych musela, — mela 156, 157, ka-
meni, — prehroznöt to mämeni ! 274, 276, leti — sträni ji videti, II 11,
\^ \y \y \y
12, od kostela - ta zmizela! 22, 24, hluboko! - oko 44, 46, obeti -
\y \y ' \y \^
temi buky ji videti, III 21, 23, mramorove - pbipolaji dva ohnov^: IV
42, 43 ; S. k. V tu dobü - ze hrobu - ke hrobu 95 165, 96, 166, pirec
- zdräv je tvüj otec? 101, 102, sv6 oci - otoei 276, 277; Z. k. v krä-
\y ^y \y
lovskem hrade! III 5, z ryziho zlata! IV 25, vec-tvüj otec? - 91, 92,
\y \^ V "^ '^
zabila - oci ji zbavila - V 18, 19; S. d. hluboko, - v oko II 34, 36,
'^ v_/ \y v^ ^ _
kryje - panenskä lilie! - ubohä Marie 1 IV 24, 26, 29, sije - hnije —
\y \y ^, \y \y
ubohä Marie! V 17, 19,20; H, okolo hrbitova - üvozovä - vdova 1 29,
\y \^ \_/ ^^
2, 4, plakala - den plakala, - hräla - smäla - namichala 3, 21, 38, 40,
\y \y v_/ \^
51, zelela — manzela — doproväzela — a veselä: 5, 6 36, 8, 34, jako
hodina; — vina 58, 60, tri roky minuly, 61, mezi vlnami 87, cesty pe-
siny 95, kämen veliky 99, nelze kamenu — na jmenu 101, 103, tezko
v^ «^ ^ ^^ \y
lezeti, - prokleti 102, 104; Vod. ja bych se rads videla III 31, muz
Ky . v^ \y \_/
zeleny - zastrceny IV 17, 19; V. v tüz hodinu - sirotinu 95, 96, kolö-
bati - bude je chovati. 107, 108; Vest. dospel . . jich jeden; - den 34,
\j \y
36, pod skalinou - kdyz se . . s veselou druzinou 101, 103, vidim horu
nad jine zvysenou — otocenou 177, 179, ciny - pul hrdiny 197, 199 ;
\y \y \y \J
A. s. mne likala 1, z tech mi dej jednoho, 15; S. m. ziitelnice — obraz
\y \y " \y \y
nadzemskö device, 49, 51, leti - jiz jen v noci Ize videti. 50, 52, bylo -
rosou te krmilo 53, 55.
2. Innenvers: Pok. s veze pak slyseti zvuky I 3, z kostela sly-
\
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. J H
seti peni 32 192, kde truhlice byla 269, a znovu se desi II 57, vetrem
\y '^ v^,^^^ ^ \y^—\y ^ ^
pak slyseti peni IV 10; S. k. tfeti kosile vysivej 33, ty kosile usijes 34,
jiz jsem kosile usila 36, nech modleni — 71, ten lüzenec z klokoci 145,
\y \-/ ^v^ ■^ ^ v> w
to kapradi zelenö 163, hostd cekaji, 177, skoc vesele pres tu zed' 199,
v^ \^ ^ ^ \^ \y ^ \y
mesic listami seril 233; Z. k. vysla divcina jako kvet 111, vysla ba-
v^ \y \y \^ \y
bice, II 11, tu sekeru nesete III 22, zlaty kiizelik drzelo IV 82; Vod,
y^— v^ V V '^— \^_W
prvni sätecek namocila II 21, lec tebe, III 60; L. chci tu lilii mit 39,
'^ \y \-/ ^ \^ \^ \y \^
pane muj! 49, ty hadice zlä 81; Vest. aby pucilo v list 28, a ovoce
\y \^ \^ \y
nesly 33, knezny Libuse kvetny sad 60, vidim pozäry a krvav^ boje
\y \y vy \^ \^
69, tehdä Libuse u veliköm pluku 113, hlava zvetrala i splächly ji
deste 201.
\-/ \^ \y^
3. Versanfang: K. siroty po ni züstaly 2, duse jeji se vratila 6,
\y \y •^ ^^ ^ v_/
mateil-douskou nazvaly 12, mateii-dousko 13, komu mäm tebe pri-
nesti 16; Pok. a zena se bere däle I 87, dva ohnovd tuto hofi 111, a
bylabychnejst'astnejsi 140, a zdarenim tim smelejsi 152, i zhresiti bych
^^ ^j w \y
musela 156, a k diteti se nakloni 217, ach diie! II 6, a znovu se zena
desi 40, ach beda mi! 61 III 42, co zdrzuje dnes ji IV 15, a zena se
•■^ v^ \y v^
toho lekä 28, a s oboji strany 41, a 2ena se s hiüzou blizi 48, ac da-
leko za ni skäla 84, to zlato, 98, lec dekujic bohu 104, räd starecek
povidävä V 11; S. k. videii pannu 10, klecela, 11, ruce na prsa slozenö
12, slzy ji z oci padaly 13, sestra de roka nezila 21, bratra mi koule
\^ \y ^ vy ^y \^
zabila 22, venecek z routy povijes 35, Maria, 44 52 282, lampa, 56,
prskla a zhasla 57, vitr buruci 77, byla noc, 85, vitr burjicel 88, vstä-
\^ \y \_/ \^ ^
vaji mitvi 96, nesu si kniXky 110, kni^ky ji vzal 115, skalami, 118,
'■^ v^^ ^y ^y \^
divokö feny stekaly 120, rü^enec s seboo vzala jsem 144, jako had tebe
otoci 146, rüXenec popad 149, ostHce divku 161, britvami reXe 162,
spöchaji Xivi 166, kriJek utrh 186, staveni stoji 189, veselot' u mne
205, masa dost - 206, kosile, 209, staveni skrovnö 232, staveni pevnö
234, hrobovych oblud . . pluk 237, telu do hiobu piislusi 240, beda, 24 1,
v^ \y y \y \y v-/ >^ v^
silnöji tluce 257, Maria panno 278, kokrhä kohout 285, vsecka kohouti
äruXina 287, panna v umrici komore 295, dobi-e ses, 298, bylo by co ty
,, ^^ ^y vy vv
kosile 304; Pol. vichfice podoba 24, jiX ztaliuje po nöm ruku 37; Z. k.
\^ —\y y v^_ w _ w \^ \^
i^esele podkovicky zvoni 14, hola hej 1 8, stydlivo sedla 11, divcinu
112 Jaroslav Sutnar,
k boku . . vine 23, vesele podkovicky zvoni II 4, hola! 8, nesu ti, 13,
pekne väs vitam 18, vysoko jai se podivala III 8, matko, 16, sestro, 21,
\y \y ^-^ \^
aekera dobiä 23, hory a doly zaplakaly 28, panna nevesta samy smich
\y w Wy \y
52, plesy a hudby bez ustäni 54, v hlubokö pustö krovine IV 1, nyncko
v_/__ y \^ _^^
ji hrozi 7, telo jiz chladne 8, beda t6 dob«; 9, staiecek nevidany vzal 12,
\^ "^ \y \^
«edivö vousy po kolena 13, jdete se matko pozeptat 26, kupte panicko
\y ^ V_/ \y Vy \_/
28 58, jdete mamicko 33 63, jakoby vzdycky bylo celo 44 74, presiici
V rukou drXelo 52, vstante mamicko 56 86, ptejte se, 57 87, mämo, 96,
jdete tarn zase 98, jediny mezi kolovraty V 8, presiici, 9, hledai a volal
^-y vy ^ \y v^
43, vesele podkovicky zvonI VI 4, panna nevesta jako kvet 7, hudby a
plesy bez ust:ini 9, z hlavy Jim oci vynaty 16, ruce i nohy utaty 17,
toho ted na se docekaly 19; h. d. v svetnici teplo I 2, devcata predou
4, rekne: 13, panny jak jarni rüze kvet III 2, jako co Väcslav ostävä
22, vsecko je mlhou zatmele 34, v svetnici teplo V2, devcata zase pre-
^v^ v_/ \y \y \^
dou 4; H. sla tudy, 3, neb tudy naposled 7, ty zädanö lice 50, co by-
valo, 56, rok jako hodina 58, tri roky minuly 61, tvä pisen ukrutnä 79,
a mezi vlnami 87, kde cesty pesiny 95, ji byti nemelo 98, tak tezko le-
^y ^y \^ v^
zeti 102; Vod. räno, II 1, prädlo si v uzel zaväzala 2, k jezeru vzdy ji
\y \y •^ \y
cos pohäni 18, k jezeru vXdy ji cos nuti 19, zeleny muzik zatleskal 28,
a place -li tve detatko IV 55, kdo leknuti vypravi 68, dve veci tu
vkrvilezi69; V.öpane müj, 33, co souzeno pri zrozenl 35, co Sudice
\y , \y \y
komu käze 37, a vrba at v zemi hnije 76, vzal sekeru na ramena 77, ö
beda mi, 93 ; L. skoda ji, 4, ptäckov^ mi tarn budou zpivati 11, lilie bilä
\y \y \y '^ \y ^^ v./
17, lilie vonnä 19^ halohou! 25 29, zdvizeno räme 31, räme mu kleslo
\y \^ \^ v^__
34, zivotem vrätkym . . zivoiim 53, rosa i pära 56, vdala se za nej 61,
\^ ^ \y \_/^, ^ \y .
smutne se loucil 69, jakoby tusil svou nehodu 70, spatne mu matka vüli
^ ^^ \y vy
plnila 73, spatne manzelku . . stiezila 74; D. k. a smiriti bozi bnev 25,
a zbourenou chladi krev 30, a draze te chovala 55; Vest. feka si hledä
H — "^ — V /
konce sveho 9, slyste a vezte 37 129 183, vlozte je pilne na pamet 38,
^-^ ^ v^ ■^ ^ \y \^
obe ty vetve 41, bujne se zastkvi 54, knezny Libuse . . sad 60, kneznina
läzen 62, patiila v mutny . . proud 66, cetla tarn slova 67, slyste a vezte
slota 77, siroke lipy 83, z noci se zrodi . . den 86, leto za letem ....
\^ ^ \y
bezi 97, zima za zimou uhäni 98, slyste a vezte . . zvest 110, vira i
y
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 113
^y Ky w \y \y
läska 122, borovi toto dospeje 136, vezte, 149 207, vysoky, 151,
\^ \y \y
z biäzdy se vymklo 162, hora ta dobre znäma 178, darmo nadejl kojite
w \y v-/ \y^ .
se 185, jimi se rädi chlubite 198, zpukrelö, 206, slyste a pilne vazte . .
w \-/ \~y
slova 209; S. 1, matko, 5, plakalo ditko studene perlicky 13; S.v. hluk
v.^ '^ v^ — \y vy
slyseti s praskotem 2; P. v. telo hynoucl ozive 15, vstupuji na svet 19,
Ky \y \y ^y ■^ .
perlovy vinek .... nese 30, perlovy vinek 31; Z. vsickni se lide roz-
\y \y ^y \y
plakali 1, snesla se k pani 6, zvala ji, 7, zvala ho, 11; T. d. müj sou-
zeny kdyby prisel 2, ni pecinek nechci 13; 0. z. 140. a rerave uhli je-
jich pokryvadlo 24.
In all diesen umfangreichen Rubriken stehen Trochäen und Jamben
neben einander, da sie bis auf den Unterschied im Anlaut als dasselbe
Metrum aufgefaßt werden dürfen. Hier finden wir nun unter den zu-
sammengesetzten Wörtern auch zwei- und dreifache Zusammensetzungen,
wo die erste Präposition u. s. w. als erste Silbe die Betonung an eine zweite
Präposition u. s. v/. als zweite Silbe mit Außerachtlassung des letzten
und wichtigsten Bestandteiles verliert. Das betrifft die Doppelzusam-
mensetzungen: do-pro-väzela, na-po-sled, ne-prf-kop, za-po-men, ne-
na-dal, ne-ne-chävej, ne-pri-slo, ne-na-sla, ne-na-nkejte, ne-u-byvat',
sowie das auch von der dreifachen Zusammensetzung: ne-po-roz-umi
gilt. Es werden in derartigen Fällen die Zusammensetzungen so behan-
delt, als würde eigentlich die zweite Präposition u. s. w. in Verbindung
mit den übrigen Bestandteilen schon den zweiten Bestandteil selbst
bilden. Wir geben übrigens in folgenden Zeilen eine kurze Übersicht
der in diese Rubriken einschlägigen Belege, woran noch ein paar Bemer-
kungen geknüpft werden sollen.
I. /. 3 Fälle mit einsilbiger Präposition und einsilbigem Nomen
(alle mit langer Silbe des Nomons, aber nicht rein quantitierend), 14 Fälle
Imit einsilbiger Präposition und zweisilbigem Nomen (darunter 5 mit
langer erster Silbe des Nomens, aber nur 2 rein quantitierend), 1 Fall
mit einsilbiger Präposition und viersilbigem Nomen (mit langer erster
Silbe des Nomens, aber nicht rein quantitierend); 2. 1 Fall mit einsilbiger
Präposition und einsilbigem Nomen (rein quantitierend), 37 Fälle mit
jinsilbiger Präposition und zweisilbigem Nomen (darunter 22 mit langer
jrster Silbe des Nomens, aber nur 2 rein quantitierend); 3. 9 Fälle (1 in
Trochäen und 8 in Jamben) mit einsilbiger Präposition und einsilbigem
Archiv für sl;ivischo PhiloloRie. XXVIII. g
1J4 Jaroslav Sutnar,
Nomen (darunter 7 mit langer Silbe des Nomens, aber nur 6 rein quan-
titierend), 72 Fälle (31 in Trochäen und 41 in Jamben) mit einsilbiger
Präposition und zweisilbigem Nomen (darunter 21 mit langer erster
Silbe des Nomens, aber nur 4 rein quantitierend), 3 Fälle (nur in Jam-
ben) mit einsilbiger Präposition und dreisilbigem Nomen (darunter 1 rein
quantitierend), 5 Fälle (2 in Trochäen und 3 in Jamben) mit einsilbiger
Präposition und viersilbigem Nomen (darunter 1 mit langer erster Silbe
des Nomens, aber nicht rein quantitierend).
II. 1. 7 Fälle mit zweisilbiger Zusammensetzung (darunter 3 rein
quantitierend), 105 Fälle mit dreisilbiger Zusammensetzung (darunter
53 mit langer zweiter Silbe, aber nur 19 rein quantitierend), 1 Fall mit
viersilbiger Zusammensetzung (rein quantitierend), 5 Fälle mit fünfsilbi-
ger Zusammensetzung (darunter 2 rein quantitierend); 2. 3 Fälle mit
zweisilbiger Zusammensetzung (darunter 1 rein quantitierend), 76 Fälle
mit dreisilbiger Zusammensetzung (darunter 52 mit langer zweiter Silbe,
aber nur 14 rein quantitierend); 3. 85 Fälle (G in Trochäen und 79 in
Jamben) mit zweisilbiger Zusammensetzung (darunter 53 mit langer
zweiter Silbe, aber nur 35 rein quantitierend), 128 Fälle (45 in Trochäen
und 83 in Jamben) mit dreisilbiger Zusammensetzung (darunter 57 mit
langer zweiter Silbe, aber nur 17 rein quantitierend), 14 Fälle (nur in
Jamben) mit viersilbiger Zusammensetzung (darunter 8 mit langer zwei-
ter Silbe, aber nur 2 rein quantitierend), 2 Fälle (1 in Trochäen und 1
in Jamben) mit ftinfsilbiger Zusammensetzung (darunter 1 mit langer
zweiter Silbe, aber nicht rein quantitierend).
III. /. 8 Fälle mit zweisilbigem Worte (darunter 7 rein quantitie-
rend), 47 Fälle mit dreisilbigem Worte (darunter 31 rein quantitierend),
l Fall mit viersilbigem Worte (nicht rein quantitierend); 2. 9 Fälle mit
zweisilbigem Worte (darunter 8 rein quantitierend), 77 Fälle mit drei-
silbigem Worte (darunter 36 rein quantitierend); 3. 118 Fälle (25 in
Trochäen und 93 in Jamben) mit zweisilbigem Worte (darunter 67 rein
quantitierend), 73 Fälle (41 in Trochäen und 32 in Jamben) mit drei-
silbigem Worte (darunter 29 rein quantitierend).
IV. 1. 8 Fälle mit zweisilbigem Worte, 45 Fälle mit dreisilbigem
Worte; 2. 4 Fälle mit zweisilbigem Worte, 27 Fälle mit dreisilbigem
Worte; 5. 116 Fälle (24 in Trochäen und 92 in Jamben) mit zweisilbi-
gem Worte, 89 Fälle (23 in Trochäen und 66 in Jamben) mit drei-
silbigem Worte.
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 115
Übersichtstabelle.
Wörter.
Zweisilbig.
Dreisilbig.
Viersilbig.
Fünf silbig.
I.
l.
3:3
14:5:2
1:1
2.
1:1:1
37:22:2
3.
9:7:6 (1+8)
72:21:4 (:il+4l)
3:1:1 (+3)
5:1 (2+3)
18:11:7 (1+8)
123:48:8 (31+41)
3:1:1 (+3;
6:2 (2+3)
II.
1.
7:3:3
105:53:19
1:1:1
5:2:2
2.
3:1:1
76:52:14
3.
85:53:35 (6+79)
128:57:17 (45+83)
14:8:2 (+14)
2:1 (1+1)
108:68:46 (7+87)
432:210:58 (76+124)
18:10:4 (+17)
13:5:2(3+4)
11.
1.
8:8:7
47:47:31
1:1
2.
9:9:8
77:77:36
3.
118:118:67 (25 + 93)
73:73:29 (41+32)
243:2it3: 128(32 + 180)
629:407:154(117+156)
19:11:4 (+17)
13:5:2(3+4)
[V.
1.
8
45
2.
4
27
3.
116 (24+92)
89 (23+66)
371:203:128(56+272)
790:407:154(140+222)
19:11:4 (+17)
13:5:2(3+4)
1193
Wie wir aus der vorstehenden Tabelle ganz deutlich ersehen, sind
leben einer sehr ansehnlichen Anzahl zweisilbiger Wörter weitaus am
tärksten die dreisilbigen Belege vertreten. Eine lange zweite Silbe
commt in den ersten zwei Abteilungen ziemlich häufig vor (ungefähr in
ler Hälfte der Belege), wogegen man natürlich die rein quantitierenden
E'örter in den ersten drei Abteilungen seltener findet (kaum in der
älfte der Belege mit langer zweiter Silbe). Die meisten Unregelmäßig-
eiten bieten sich uns im Verseingang dar, wo häufig die trochäischen
eihen mit steigendem Ivhytlimus und die jambischen Reihen mit fallen-
em Rhythmus anheben. Übrigens wird an Zahl der Abweichungen auch
er Trochäus durch den der cechischen Sprache weniger zuträglichen
8*
1 16 Jaroslav Sutnar, Prosodisches u. Metrisches bei Karel Jaromir Erben epi.
Jambus weit übertroffen (in Erben's Gedichten 1509 Trochäenverse
gegen 1004 Jambenverse), wie man es in dem für beide Versarten so
charakteristischen Versanfang verfolgen kann (im Jambus mehr als
doppelt so viel). Außerdem zeigen wohl die meisten Fälle bis auf ge-
ringe Ausnahmen'*'') zur Genüge, daß von irgend einer regelmäßigen
Beeinflussung dieser Belege durch ihre nächste Nachbarschaft im allge-
meinen kaum die Rede sein kann.
«) Ein besonders starker Einfluß auf die nachfolgenden Wörter scheint
den einsilbigen Pronominibus possessivis, demonstrativis, interrogativis
u. s.w., sowie den einsilbigen Adverbiis demonstrativis u.s.w. innezuwohnen.
(Beachtung verdient auch: pane muj! mit Rücksicht auf die ganz ähnlichen
Fälle später im Zühorovo loze.) Abgesehen von den bereits angeführten zwei
Bemerkungen Kräl's (bezüglich der tonlosen einsilbigen Präpositionen in
Anmerkung 8) und in Anmerkung 46) gelegentlich der Behauptung Cupr's)
gehören hieher Kräl's Worte über den sogenannten »Nachdruck« (L. f. Roc.
25. [1898] 38): »Tento düraz [pirizvuk vetuy, od obvykleho odchylny a proto
i silnejsi] byvä nekdy tak siluy, ze i slovny prizvuk slov, näsledujicicb po
slov6 düraznem, posinuje. Deje se to tehdy, jestlize dürazne slov o ie Jedno-
slabicne; slovo takove splyvä pak s näsledujicim slovem treba viceslabicnym
V jedinou skupinu, [39] a vedlejsi prizvuky teto skupiny ridi se pak . .. poctem
slabik cele skupiny. — Pronesu-li ve vete: »Ja slysim, ale vy neslysVte« slovo
vy se zvlästnim durazem, splyvaji slova »vy neslys7te« v jedinou skupinu,
majici miru - -^ ^ - '.^. Chceme-li zachovati hlavni prizvuk slova neslysite,
musime, abychom nabyli sily a casu k sesileni dechoveho proudu, po düraz-
nem yy uciniti malou pirestävku. Podobne je ve vetäch jinych, kde vyskytä
se jednoslabicn6 slovo silne dürazne:
Co povic/ali?
(_ v^ ^ _ w)
Zpomente sl na svä mlada leta.
(— ^ ^ —^)
Snad jeste ted' nebudete ??i?/slit?
( ■^ \j ^
Jak pak »iMzete vy odtud wekoho hnät?
(- ^ ^)
Plast' odnesl a ne Äobät.
J - ^ -^) ^ ^
— Takovych mer treba ovsem pH versoväni uzivati s opatrnosti, a to jen
tehdy, kdyz düraz je znacne silny a kdyz vskutku se Jim prizvuk slovny po-
sinuje.« (Ahnliches bei Kral [L. f. Roc. 23. (1896) 400] über den trochäischen
Vers: »Chräm opousti zhanobenä« und den jambischen: «a v blankyt roj
vychäzi hvezd« mit Nachdruck auf den Wörtern: »chrdma und »roja).
(Fortsetzung folgt.)
Kritischer Anzeiger.
B. M. JlanyHOBi.. $opMLi cKjoneHiH bi. cxapocjiOBflHCKOM'i. hsbik^.
I. CKJioiieHie HMen'B. O^ecca 1905. 8^ 70 (B. M. Ljapunov. Die
Formen der altkirchenslavischen Deklination. I. Die Deklination
des Nomens).
Diese kleine Monographie, aus den Universitätsvorlesungen in Odessa
hervorgegangen, wo der Verfasser das Fach der slavischen Philologie ver-
tritt, verdient mit einigen Worten besprochen zu werden. Sie stellt sich die
Aufgabe, die Kasusbildung des slavischen Nomens vom Standpunkte der
vergleichenden Grammatik zu beleuchten, wobei nicht bloß auf die seit Bopp
bis in unsere Tage gemachten oder versuchten Erklärungen, die der Verf.
fleißig studiert hat, Rücksicht genommen wird, sondern auch die den meisten
Sprachforschern nur sehr fragmentarisch zugänglichen Ansichten Fortuna-
tovB, dessen treuer Schüler und Anhänger der Verfasser ist, uns mitgeteilt
werden. Prof. Ljapunov registriert sozusagen von Jahr zu Jahr die von bor-
tunatov gegebenen Erklärungen, die ihm bald in lithographierten Heften,
bald in gedruckten, aber noch nicht herausgegebenen Bogen vorlagen. Den
Geist und die Methode der Fortunatovschen Forschung im Bereiche der ver-
gleichenden Grammatik hat er schon als sein Schüler sich anzueignen ge-
trachtet. In der vorliegenden Schrift gibt sich das schon äußerlich dadurch
kund, daß er im Gegensatz zu der heute üblichen Bezeichnung der kurzen
Vokale e, o, a, vom Standpunkt des altindischen Vokalisnius mit Fortunatov
immer von «, ä, a, ausgeht, daß er sehr häufig vom irrationalen Vokal spricht,
der mit » bezeichnet wird, daß er eine ganze Reihe von Vokalübergängen
nach der Lehre Fortunatovs in Anwendung bringt, deren Berechtigung wir
nach diesen bei verschiedenen Anlässen mitgeteilten Bruchstücken nicht in
der Lage sind zu kontrollieren. Ich wundere mich, aufrichtig gesagt, daß
Prof. Ljapunov nicht selbst das Bedürfnis gefühlt hat, bei solchen Aui-
zählunj^en von Lautübergäugen, die nicht zu den gewöhnlichen gehören, doch
ein Wort der Erklärung seinerseits hinzuzufügen. Das um so mehr, als er
hie und da ausdrücklich seinen Lehrer in einem gewissen Gegensatz zu den
»westeuropäischen« Vertretern des Faches zitiert. Man muß ja doch anneh-
men, daß er nicht urteillos die Ansichten seines Vorbildes anbetet, somlern
aus Überzeugung von ihrer Richtigkeit sich zu ihnen bekennt, folglich die
118 Kritischer Anzeiger.
BewetfgrUnde Fortunatovs kennt, während sie uns, aus dem Zusammenhange
lierausf^er'iBHen, vielfach nnveistündlich bleiben, ja den Eindruck einer Ge-
hoimlehre erzeuj;en. Prof. Ljapunov geht soweit, daß er einige Male selbst
die zu verschiedenen Zeiten in vi;r8chiedener Weise vorgebrachten P^rklärungen
Fortunatovs anführt, ohne die Gründe, die nicht immer einleuchtend sind, für
die geraachte oder vorgeschlagene Brichtigung hinzuzufügen. So macht die
Schrift nicht gerade den Eindruck einer lichtvollen Darstellung und man
muß sich bedenklich fragen, ob die Zuhörer in der Lage waren, einem solchen
Vortrag mit Verständnis zu folgen.
Ich kann selbstverständlich nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Das
Thema ist trotz der reichen Beteiligung vieler Sprachforscher wenig dank-
bar. Es ist nicht verlockend, sagt selbst ein solcher Virtuose wie Prof. Pe-
dersen, das Gebiet der Auslautsgesetze zu betreten, wo man immer viel Ge-
schrei und wenig Wolle findet (li.Z. 38. 321). Prof. Ljapunov bringt seiner-
seits wenig neues vor, drückt also den Preis des reichlich vorhandenen Vor-
rats nicht durch neue Angebote herab. Zumeist sind es die Erklärungen
seines Lehrers, denen er weitere Geltung zu verschaffen trachtet, so weit sie
nicht schon »im Westen« bekannt waren. So gleich bei der Erklärung des
Nominativs sing, der ^/o-Stämme besteht er auf dem »Gesetze« Fortunatovs,
das er in aller Kürze so veranschaulicht: o und od = slav. o, os und om =
slav. %. Mit diesem Gesetze, von dem jetzt auch Brugmann KVgr. S. 376,
Anm. 1 Gebrauch macht, muß man allerdings bei der nächsten Station halt
machen, d. h. alle Neutra a,iü om/on ausschließen, da sie mit ihrem o- Auslaut
der Analogie des Pronomens to folgen (Ljap. 6). Dasselbe gilt für den Nomi-
nativ-Akkusativ sing, der neutralen -es (-os)-Stämme, wo nach dem »Gesetze»
Fortunatovs sonst ebenfalls ein ■& hätte zum Vorschein kommen müssen (man
vergl. lat. genus neben lupus), wenn nicht die Kategorie des Genus im
Spiele gewesen wäre. Welche Rolle die Kategorie des Genus gerade in der
slavischen Deklination spielt, ist allgemein bekannt. Sie hat z. B. die mas-
kulinen b/i-Stämme in die weiche oder harte 7./o-Deklination getrieben, sie
hat die femininen Stämme auf -?w (für u = ü) und auf -r zum Teil der femi-
ninen b/i-, zum Teil der femininen «/ä-Stämme in einzelnen Kasus sich an-
schließen lassen, während die neutralen -n-, -s-, -^-Stämme von den neutralen
o/o-Stämmen angezogen wurden. Um sich der Kategorie des Genus unterzu-
ordnen, muß neben dem maskulinen put im SerDokr. das slovenische Wort
pot, um in der 5/<-Deklination verbleiben zu können, das Genus wechseln und
feminin werden. Nur darum übte das Pronomen to eine so starke Anziehungs-
kraft aus, weil ihm eben die Kategorie der Unterscheidung nach dem Genus
helfend zur Seite stand. Gegenüber dem Neutrum fxid^v-mädhu mußte bei uns
MQKh maskulin werden, ebenso schlüpften unsere Substantiva sapx, ABop-B
gegenüber öüqoi', forum nach dem Auslautsgesetz durch, büßten aber dafür
das Genus ein. Auf diese Weise hätte das Slavische ebenso wie das Litauische
nach dem lautgesetzlichen Vorgange das Neutrum verloren, wenn sich nicht
die Kategorie des Genus widersetzt und als mächtiger erwiesen hätte. Gerade
darum ist mir der große Gewinn des Fortunatovschen Gesetzes, wenn man sich
ausschließlich auf den Standpunkt der lautgesetzlichen Vorgänge stellt, sehr
I
*
Ljapunov, Die Formen der altkirchenslav. Deklination, angez. v. Jagid. 119
fraglich. Man muß ja, um es für on — z und os = z aufrecht zu halten, alle
Neutra ausschließen, so daß uro statt *iirx, cjiobo statt *cjioBt dem Vorbilde
des To sein Dasein verdankt. Wieviel bleibt da von dem Gesetze noch übrig?
In der Deklination hauptsHchlich der Nominativ sing, der maskulinen z/o-
Stämme, für die ja auch die maskulinen ^/w-Stämme bei der Bestimmung des
Nominativauslautes vorbildlich sein konnten, um auf diese Weise den Nomi-
nativ zu retten und nicht aus lautgesetzlichen Rücksichten in den Akkusativ
zu verfallen.
Für den Genetiv sing, auf -a der i/o- und o/o-Stämme, den man gewöhn-
lich als den Reflex des alten Ablativs auf -öd (altind. -ät) ansieht, macht auch
Ljap. auf die Abweichung des Litauischen mit o statt des erwarteten ü auf-
merksam. Daß er sich so leicht der Ansicht anschließt, die das Litauische u
je nach der Intonation bald ii bald a sein läßt (S. 9), nimmt mich Wunder.
Ich hätte geglaubt, daß unser -u in Kaana oder öep-a, ch nicht auf der bestimm-
ten Intonation beruht, sondern auf dem Übergang des ön in ün, während das
litauische akmü mit seinem ü auf ö zurückgeht, da das Litauische den Über-
gang von on in un und ön in ün im Auslaute nicht mitmacht. Auch andere
Sprachforscher nahmen an dem litauischen o statt des erwarteten ü Anstoß,
z. B. Pedersen möchte von äd ausgehen, »das latein. -öd ist eine leicht ver-
ständliche Analogiebildung« meint er KZ. 38. 404. Doch hat er damit wohl
nicht viele überzeugt, vergl. Sommer S. 375 Anm., Brugmann KVgr. S. 382
Anm. Ljapunov schließt sich auch hier seinem Lehrer an, der den lituslav.
Genitiv a/o mit dem altindischen, griechischen etc. echten Genitiv in Zusam-
menhang bringt. Freilich um unseren Auslaut a und lit. o mit -asi/a leichter
zusammenzustellen, nimmt Fortunatov zu einer Hypothese Zuflucht, er läßt
bei den Stämmen auf -o zwei Genitivsuffixe nebeneinander bestehen, mit
s: osjxi, ohne s: oio, so daß er Ivxoio vom ersten, i.vxov (aus Xvxoo) vom zwei-
ten Paradigma ableitet. Solche Annahmen ad hoc sind die starke Seite For-
tunatovs, die sich vielleicht in der Wirklichkeit als schwache Seite seiner
sonst sehr scharfen Unterscheidungen herausstellen. Selbst angenommen, daß
seine Hypothese vielen einleuchten wird, läuft die Ableitung unseres Genitivs
auf -a von einer angenommenen Urform -ojo keineswegs glatt.
Auch die Schwierigkeiten der Erklärung des Dativs sing, auf -oy der
^/o- und o/o-Stämme werden von Ljapunov unter den Fittigen Fortunatovs,
dem jetzt die Erklärung Pedersens sehr nahe kommt, behoben. An der Iden-
tität des slavischen Auslauts -oy mit dem litauischen -ui und selbstverständ-
lich mit dem griechischen -w festhaltend, erklärt Ljapunov mit Fortunatov
unsere tatsächliche Form durch diese Reihe von Übergängen: öt sei durch öm
zu öu, dieses zu ou geworden, und ou ergab natürlich den faktischen Auslaut
-oy (Ljap. S. 12). Pedersen weicht von dem eingeschlagenen Wege etwas ab,
aber steuert auf dasselbe Ziel los. Er setzt diese Etappen der Lautbewegung :
öi wurde zu üi, dann zu üii, dieses zu öii oder uu, und dieses zu ou — also -oy.
Das wird ein »vorwärts wirkender Umlaut« genannt (KZ. 38. 324/5). Gewiß ist
das Bestreben, den litauischen, slavischen und griechischen (weiter auch la-
teinischen) Dativ mit dem altindischeii (im Pronomen sichtbaren) äi zusam-
menzustellen, lobenswert, allein wenn Prof. Ljapunov das slavische -oy »eine
] 20 Kritischer Anzeiger.
regelmäßige phonetische Entwickelung des indoeurop. Diphthonges äi« nennt
■Ljap. S. 11), was man wohl von dem litauisclien ui sagen kann, wenn man
es durch Mi aus Ol abliütof, so hätte wahrscheinlich jeder seiner Zuhörer den
stillen Wunsch gehegt, für jene Keihe der lautlichen Übergänge einige Er-
läuterungen zu bekommen. Sind das alles lautgesetzliche Vorgänge, so war
es nicht schwer, sie durch Parallelen zu belegen. Damit, daß man diese an-
geblich »regelmäßige phonetische Entwickelung« aufs Papier setzt, ist so
lange nichts erklärt, bis man nicht einleuchtende lielege dafür womöglich
aus dem Bereiche der Sprache, in welcher man jene "Entwickelung« voraus-
setzt, beigebracht hat. Prof. Ljapunov war um so mehr verpflichtet, die .Sache
zu erläutern, als ja Fortunatov und Pedersen nicht ganz übereinstimmen.
Bis das nicht geschieht, darf man immerhin den slav. Dativus auf -oy zu den
casus dubii rechnen.
Beim Instrum. sing, auf -omb ergeht sich Prof. Ljapunov in langer
Erörterung darüber, ob -omb auf dem Stammesauslaute o der ?,/o-Stämme
beruht, er ist bereit, diese Annahme — zu verneinen. Dieser Verneinung
könnte ich nicht beistimmen. Die Instrumentalbildung mit -mb ist ja
nicht so jung, daß man nicht theoretisch öofomb von 6oro- und c'i.iin.MB von
c'MH'L- ableiten dürfte. Nichts hindert uns, glaub' ich, anzunehmen, daß im
Verlaufe der Zeit für die Mehrzahl der slavischen Sprachen (nordwestlichen
und östlichen) der Instrumentalis auf -t.mb von den ^/w-Stämmen ausgehend
eine Verallgemeinerung auch für die ^/o- und o/o-Stämme erfahren hat, wäh-
rend in den südslavischen Sprachen (Slovakisch gehört dazuj der Auslaut
-OMB der ^/o- und o/o-Stämme den den 7./M-Stämmen zukommenden Auslaut
verdrängte. Was speziell das Wort chh-b anbelangt, so darf man vielleicht
erinnern, daß es in den ältesten Evang. Texten keinen Genitiv CHHoy, nur
zwei sichere Dative cmhobh (neben viel zahlreicheren CHHoy) gibt. Im Psalter
71. 1 hat sin. und bon. ciaHoy, pog. und sof. chhobh. Eben darum, weil chh-b
so entschieden in einigen Kasus sing, zu den ^/o-Stämmen hinneigt, finde ich
nichts überzeugendes in der Annahme, daß das o des chuomb (oder Dat. plur.
CHHOMX) eine Analogieübertragung aus den Formen cxihobh, chhobg, c-huob-b sei.
Noch weniger gefällt mir die Annahme, daß die Endung -t-mb bei den ^/o-
Stämmen von dem Nominativ-Akkusativ auf -t. herrühre. Bei den Beispielen
auf -"BMB der o/o-Stämme, die ja ebenfalls vorkommen, ist eine solche Anleh-
nung ohnehin ausgeschlossen.
Bei dem Dualsuffix -Ma spricht Ljapunov (S. 16) von einer Neubildung
bezüglich des Vokals a. Diese angebliche Neubildung könnte aber doch sehr
alt sein, wenn man sich der fürs Iranische angesetzten uralten Parallelendung
Skui -bhyä erinnert (Brugm. KVGr. § 475).
Der Nominativus plur. der 7./o-Stämme beruht wohl auf einem i, das aus
bestimmten Gründen in u umlauten mußte. Die von Fortunatov-Ljapunov
zuletzt für beide i (i = e und i = oi] postulierte Aussprache ie könnte ich
nur von dem Zeitpunkte an gelten lassen, nachdem schon das einst diphthon-
gische und später monophthongisch gewordene i den bekannten sekundären
Palatalismus durchgeführt hatte. Denn eine schon vollzogene lautliche Gel-
tung ie hätte nicht u s c erzeugt. Also erst das vollzogene Resultat konnte
Ljapunov, Die Formen der altkirchenslav. Deklination, angez. v. Jagic. 121
unter bestimmten Gründen im absoluten Auslaute an die Stelle von ni si ci
die Lautgruppen uu, sh, ch eintreten lassen. Anders faßt die Sache, wenn ich
richtig verstehe, Pedersen KZ. 3S.32(J auf. Was nun den Grund des Umlautes
von -i im Auslaut des Nominativus plur. in -h betrifft, so stimme ich insofern
den neuesten Forschern, darunter auch Fortunatov und Ljapunov, bei, als
auch ich in der Qualität der Betonung, in der Intonation wie man sagen
könnte, den Grund des Unterschiedes zwischen -i und -h suche. Es handelt
sich selbstverständlich um die Auslautsstelluug. Ich lasse mich bei der Be-
JL ~
Stimmung der Intonation auf 4 = ot, d. h. ob steigend öl oder fallend öi ich
spreche davon im Sinne der griechischen und siavischen Betonung, die litaui-
sche lasse ich beiseite), von der griechischen Sprache und ihren Tatsachen
leiten, wobei ich die Übereinstimmung des griechischen Akuts auf langen
oder diphthongischen Silben mit dem serbokroatischen ' und des griechischen
Zirkumflexes ~ mit dem serbokroatischen ^ voraussetze. Vergleicht man nun
unseren Nominativ plur. i!.!n.mi, öosii mit dem griechischen Nominativ plur.
(priyoi^ O^Eoi neben olxoi, Srjfxoi und unseren Lokal sing. B.;n>ut, öost mit dem
griech. Lokal o'ixoi,, lad^/uol, so kommt man zu dem Schluß, daß der slavische
im Auslaut für oi stehende i-Vokal (statt i) der griechischen steigenden, und
der für oi im Auslaut stehende slavische i- Vokal der griechischen fallenden
Länge entspricht. Das ist nun freilich das gerade Gegenteil von dem, was
andere Sprachforscher und nach ihnen auch Ljapunov behauptet. Er sagt
ausdrücklich, nur jenes i habe sich im Siavischen erhalten, das eine »äjh-
TejBuaa Äojrora« (also steigende Intonation) hatte, dagegen aus der »npepti-
BHCTaa ÄOjroTa« (also fallenden Intonation) sei i entstanden (S. 19). Auch Pe-
dersen kommt (KZ. 38. 327) zu den von Ljapunov angenommenen Resultaten.
Für meine Auffassung scheinen mir neben dem oben angeführten Parallelis-
mus im griech. und slav. Nom. plur. noch zu spre hen die Parallelen ifuol : mh,
aoi: th; ferner der Dativ ;^«,M«t und die Infinitive tif/neyat, Jo^me»'«« verglichen
mit dem siavischen Dativ cuuobu gegenüber dem altindischen sündve, das
griech. toi und slav. tu. Daß eine fallende Länge aus § ein c macht, das zeigt
das böhmische vira gegenüber dem serbischen vjera (vergl. Berh. l^räva, böhm.
krdva und russ. Kopöna). Auch den Unterschied zwischen 6epu und 6epiTe,
abgesehen von der Auslautsstellung, möchte ich aus der einst steigenden Be-
tonung öeptre, sing. 6epii ableiten. Daß es nicht angelit, das griech. nya&oi
mit der russischen Neubildung Tt zusammenzustellen (so Pedersen KZ. 38.
327), das hat auch Ljapunov nicht übersehen (S. 53), der mit der Ansieht For-
tunatovs, nach welcher im Lokal sing, der ^|o- und o/o-Stämme und Dat. und
Lok. sing, der a/ä-Stämme die »Ä.iHTe.flBnafl« (d. h. steigende) Länge war, im
Dat. sing, der ■a/o- und o/o-Stämme, im Genitiv plur. aller Stämme und im Im-
perativ dagegen die »npopwiiHCTaa« (also fallende) Länge nichts anzufangen
weiß, sondern um Aufklärung bittet.
Die auch von Ljapunov zugegebene Identifizierung der Formen Marn,
Äinnu mit den litauischen Formen mote, dukic. fö. 20) ist mir doch nicht ein-
leuchtend; für ein i würden wir doch nur f., resp. nach Palatalen a erwarten,
also *MaTi, *Ä'imTa. Doch selbst zugegeben, daß hier wirklieh -u für das er-
wartete -i steht, 80 dürfen wir schon wegen nairJQ die steigende Intonation
122 Kritischer Anzeiger.
des i voraussetzen, also wäre auch hier der Ersatz des t durch -u ganz ent-
sprechend. Bekanntlich lautet auch der Vokativ von äxuith ebenso, wie der
Nominativ (vergl. Matth. 9. 22, Mark. 5. 31, Luk. 8. 48, Jo. 12. 15, Ps. 44. 11).
Vifllciclit ist die Form auch ursprünglich Vokativ gewesen?
Gonitivus plur. auf -j., dessen Endung sonst nicht wenig Schwierig-
keiten bereitet, wird vou Ljapunov mitllille der LautiibiTgänge, die er uns
nach den Vorscliriften seines Lehrers zeichnet, ganz glatt erklärt: m. ist un-
mittelbar aus ü, dieses aus dem nasalierten u fd. h. w), das letztere aus im
hervorgegangen, welches dank der Kürzung eines jeden langen
Vokals in geschlossener Silbe vor den Nasalkonsonanten oder
überhaupt in diphtliongischer Verbindung und im Diphthonge, aus ün ent-
standen ist, dessen ü aus ö mit fallender Länge im Auslaute und n aus m ab-
geleitet werden muß«. liier sind, wenn ich richtig ül)ersetzt habe, in einem
Atemzuge ganz bekannte Lautiibergänge mit sehr auffallenden und näherer
Erklärung bedürftigen zusammengeworfen. Denn daß -h auf ein ü, eventuell
auf ün zurückgeht, das weiß Jedermann; auch daß ün aus 6n hervorgeht, darf
als bekannt vorausgesetzt werden. Wo steht es aber, daß ein jeder langer
Vokal in geschlossener Silbe vor dem Nasalkonsonanten gekürzt wird?
Haben wir in KaMu, cm von gekürzten Vokalen zu reden? beruht /Kcha auf
gekürztem Vokal? liier steckt offenbar irgend ein Mißverständnis, das ich
nicht herausfinden kann. Wenn für alles Gesagte ein einfacher Hinweis auf
Fortunatovs Vergleichende Phonetik 1902, S. 219—220 (das Werk ist mir
nicht zugänglich, scheint überhaupt noch nicht erschienen zu sein?) hin-
reicht, wo wahrscheinlich alles so dargestellt ist, daß es von Prof. Ljapunov
als bewiesen angesehen wird, dann möchte ich fragen, wozu war es nötig,
noch Streitberg IF. I. 2S9 und Osthoff heranzuziehen, die neben öm auch
noch 6n als Genitivsuffix zugeben? Entweder oder. Ist die Existenz eines
uralten plur. Genitivsuffixes -oni erweislich, dann braucht man die Erklärung
Fortunatovs nicht. Kann man aber ohne Schwierigkeiten mit Fortunatov
unser x aus öm ableiten, um so besser. Dann sollte man überhaupt nichts
von der Endung -öm reden. Nur hätten wir erwartet, daß die Gleichstellung
unseres t mit griechischem -wj' und litauischem -ü nicht als etwas selbstver-
ständliches angesehen werde. Nach den serbokroatischen Neubildungen
könä, zeiiä kann man nur auf die Betonung der Ultima in den alten Genitiven
auf --h schließen. Sollte die Länge des ä dabei irgend eine Rolle spielen, dann
könnte man aus dem gedehnten x auf den fallenden Ton, d. h. auf die grie-
chische Intonation üif schließen. Doch ist alles das höchst unsicher. Für
mich bleibt auch dieser Kasus noch immer unaufgeklärt.
Den Akkusativ plur. der t,/o Stämme auf -u (nach den weichen Konso-
nanten auf -a) führt Prof. Ljapunov auf -o«s {-uns) zurück, von einer Dehnung
des Vokals sagt er nichts. Hätten wir nicht bei der Voraussetzung des -ons
ein -& (wie in der 3. Person plur. uä&), oder wenn s früher abfiel, ein -t er-
wartet? Ich finde das richtige bei Brugmann KVgr. § 362. 9 und das altind.
-an spricht entschieden für -5n, woraus über -ün unser -h hervorging. Bei -*ön
ergab sich früher ^eti als ö zu ü geworden war, daher M&acA, wie ntH, öbö,
numa. An dieser altbackenen Lehre halte ich noch immer fest.
Ljapunov, Die Formen der altkirchenslav. Deklination, angez. v. Jagid. 123
Der Instrumentalis plur. der ^|o- und o/o-Stämme wird auch von Lja-
punov mit dem altind. Auslaut -äts, weiter lit. -ais identifiziert, betreffs der
Einzelheiten folgt er der Erklärung Fortunatovs, die von -ähis ausgehend
ein lituslavisches -ois ansetzt, woraus das faktisch vorhandene litauische -ais
leicht zu erklären ist, für das Slavische aber diese Lautskala gegeben wird:
aus -ois wurde -wts, aus -uis wurde -uns, daraus -üs und der faktische Auslaut
-■H ist fertig. Prof. Ljapunov faßte hier einen bei ihm nicht erwarteten Mut
und macht die Bemerkung, daß die Annahme eines Überganges von o zu m
(d. h. -uis und -uns aus -ois) »der schwierigste Punkt der Erklärung« sei
(S.24J. Und doch bewegt sich in derselben Richtung, wenn auch auf anderen
Pfaden vorwärtsschreitend, die Erklärung Pedersens (KZ. 38. 325). Er geht
von -bis aus (wegen des altindischen -äis) und läßt dieses zu -M^s, weiter -üus
werden. Man muß bedauern, daß Ljapunov zu diesen zwei in Einzelheiten
abweichenden Erklärungen nicht Stellung genommen. Ich glaube, daß Pe-
dersen berechtigt war, sowohl beim Dativ sing, wie beim Instr. plur. von ö aus-
zugehen, weil dieser lange Vokal gegenüber dem zweiten Teil des Diph-
thonges -bis widerstandsfähiger war, als das bei der Annahme von -ois als
dem Ausgangspunkte der weiteren Entwickelung der Fall gewesen wäre.
Warum aber ein -bi (Dat. sing.) bei uns -oy, ein -bis (Instr. plur.) bei uns -la
ergab, das finde ich weder bei Fortunatov noch bei Pedersen befriedigend
erklärt. Die Intonation ist ja doch in beiden Fällen dieselbe — fallende.
Bei der o/e-Deklination werden sonst bekannte Sachen wiederholt, auf
die ich nicht einzugehen brauche, doch betreffs der sehr üblichen Formen des
Dativs Bpaiio, m&jkio, otbuio, die nach der üblichen Ansicht die stark ver-
nehmbare Weichheit der Silben —cn, -zu, -du ausdrücken sollten, wird uns
eine recht sonderbare Vermutung Fortunatovs vorgetragen, d. h. hier sei der
Laut u »wahrscheinlich ein eigenartiges m« gewesen (Ljap. 28). Aus der wei-
teren Auseinandersetzung hebe ich die Ansicht Ljapunovs, von der ich nicht
sicher sagen kann, ob sie sich auf Fortunatov stützt, heraus, nach welcher
der Akkus, plur. maää, kohl\ auf -iims und -ins zurückgeführt wird (S. 31).
Ich hätte gemeint, daß man diese Ansätze sehr gut entbehren kann.
Dagegen hätte ich erwartet, daß Prof. Ljapunov auf die Formen Dat.
sing. Hceui, Lok. sing. /Kcui, ÄA6f., Dual nom. akk. /Kciii, ce.ii näher eingehen
würde, um die Frage zu beantworten, warum die o-Stämme und a-Stämme
gleiche Auslautsvokale erzielt haben, während man doch im Altindischen ein
maskul. Lokal alt-e, feuiin. aSväyäm, maskul. Dativ ahäya, Dual fem. und
neutr. auf -e [kanye, üsye) vorfindet. Vergl. auch lit. mergai aber mergoje.
Pedersen sieht sich genötigt, den maskulinen Lokal ««uöt nach dem femininen
aceui sich richten zu lassen (KZ. 38. 326/7), weil ihm die Intonation öi bei dem
maskulinen Lokalis (oixot, la&^ol) nach seiner Theorie störend im Wege
steht. Ljapunov hat bei dem Lokal BJitui (S. 15/16) übersehen, dazu Stellung
zu nehmen. Daß er wegen der steigenden Intonation den i-Vokal gewahrt
sein läßt, stimmt zu der schon oben berührten Theorie (vergl. S. 33), während
Pedersen die Wahrung des i; bei den «/«-Stämmen im Lokal aus -äi erklärt,
was ich nur billigen kann. Nur das Neutrum dual. ccä\. würde mau nach
meiner Auffassung auf -h erwarten, weil hier allem Anschein nach eine stei-
124 Kritischer Anzeiger.
gendo Betonung anzusetzen ist. Ich erkläre auch U3t durch die Analogie der
femininen a/«-Stiiinine.
Der so achwierige Genitiv .sing, der a/ü-Siämuie: H^iina-ÄoyiuA geht bei
Ljapunov so gut wie leer aus. Es handelt sich einerseits um die phonetische
Erklärung der Form, anders'Mts um die Frage nach der semasiologischen
Übertragung einer Kasusform aus dem Plural in den Singular. Mein Sprach-
gefühl sträubt sich gegen die von Ljapunov gebilligte Annahme, daß die
Form des Nominativs-Akkusativs plur. für den Genitivus singul. sozusagen
im übertragenen Wirkungskreise verwendet wurde. Es ist zwar richtig, daß
auch im Litauischen gen. sing, auf-os mit dem nom. plur. auf-os, bald mit
bald ohne Betonungsgleichheit sich deckt. Aliein dieses Zusammenfallen i.<t
hier ebenso lautgosetzlich berechtigt, wie im Slavischen etwa gen. sing, mau: und
nom. plur. wne. Das ist doch etwas ganz anderes, als die Übertragung einer
Pluralform in den Singular für einen Kasus, wo sich kein Anlaß dazu findet.
Bekanntlich hat selbst der Nom. plur. der a/ä-Stärame auf -xi (-a) keine Exi-
stenzberechtigung als Nominativ, sondern nur als Akkusativ. Die Übernahme
der Funktion des Nominativs plur. durch den Akkusativ plur. hat in der Ge-
schichte der slavischen Sprachen viele Analogien, allein die Übertragung
dieses Nominativ-Akkusativs plur. in den Singular zur Übernahme der
Funktionen des Genitiv-Ablativs — das scheint mir ohne Analogie dazu-
stehen. Darum kann ich solchen Erklärungsversuchen, wie dem von Prof.
Zubaty (Archiv XV), nach welchem diese innere UnWahrscheinlichkeit wenig-
stens teilweise ferngehalten wird, meine Sympathie nicht versagen. Bekannt-
lich kommt dabei neben dem festsitzenden Genitiv yRCü-u für die weichen
Stämme außer «oyiuA noch die Form «oyiui in Betracht. In welcher Weise
Prof. Zubaty die Form auf -i als echten Genitiv, dem litauischen kati-s,
szwenles entsprechend zu erklären trachtete, setze ich als bekannt voraus.
Prof. Ljapunov gab sich nicht einmal die Mühe, etwas Stichhaltiges gegen
diese Erklärung vorzubringen (S.36). Ihm genügt es, die Formen jKCH'H-ÄoyiuA
als Genitive sing, ganz bei Seite zu schieben und nur von dem Akkusativ
plur. zu sprechen, und zwar hält er dafür, daß acenia unmittelbar auf -«s -uns.
dieses auf -ons zurückgehe, »das iirslavische -ons gehe aber im gegebenen
Falle nicht direkt auf indoeurop. -ans, sondern auf baltoslavische Neubildung
-uns zurück, das sich zu -ans kürzte«. Ein Muster der Deutlichkeit könnte
ich diese Erklärung nicht nennen. Ich begnüge mich damit, daß ich sage,
sowohl accHTü wie ÄoyiuA sind eigentlich Analogieübertragungen von den Ak-
kusativen der ■a/o-Stämme. Da jedoch neben aoyiuA auch die Form Äoyuii
belegt ist, und Fortunatov beide auf eine Quelle zurückführen möchte, so
will ich seine Erklärung, von welcher Ljapunov sagt, »die Ehre der genauen
linguistischen Erklärung dieser Formen (nämlich ÄoyiuA und Äoymi) gebühre
Fortunatov« hier nach Ljapuuovs Fassung anführen: »a in ÄoyiuA und mahca
ist unmittelbar aus if hervorgegangen, das man aus ü durch die Vermittlung
von ö, 5 gewann«, d. h. (ich glaube, jetzt fängt Ljapunovs Kommentar an
»hier kam ein nasaliertes i zum Vorschein, das in einigen Dialekten der ur-
slavischen Sprache in das nasalierte e, d. h. in a, in anderen in das reine t
überging«. Ich überlasse es den vergleichenden Sprachforschern, über diese
Ljapunov, Die Formen der altkirchenslav. Deklination, angez. v. Jagiö. 125
»linguistische Erklärung« ein Urteil zu sprechen; was ich vor vielen Jahren
betreffs der Formen auf -i als Parallelen oder Ersatz zu a gesagt habe (cf.
Archiv VI. 153), scheint mir durch alle diese »linguistischen Erklärungen"
noch immer nicht beseitigt zu sein.
Bezüjilich der Lokalforiuen auf -ox-b (S. 41) muß man dem Verfasser
recht geben, daß die altpolnischen Formen nicht auf phonetischem Wege,
sondern nur durch die Analogieübertragung (von -otn auf -och] erklärt werden
können. Allein das schließt nicht die Möglichkeit, ja geradezu die Wahr-
scheinlichkeit aus, daß in den ältesten altkirchenslav. Denkmälern die spo-
radisch begegnenden Formen auf -oxx doch nur auf phonetischem Wege aus
-'hTL'h hervorgegangen sind.
Der Nom. plur. koct« möchte Prof. Ljapunov nicht als Akkus, plur. auf-
fassen, was ich für das wahrsclieinlichste halte, sondern aus dem Nom. plur.
auf -ies ableiten. Da jedoch der altindische Nominativ auf -ayas, d. h. der
europäische Reflex davon -eies schon in unserem n&Ture vorliegt, so ziehe ich
vor, KOCTH für den Akk. plur. zu halten (Ljap. 44/5).
Es wäre noch manches zu dieser sehr gewissenhaft ins Einzelne ein-
gehenden, aber wenig Selbständigkeit verratenden Mono;iraphie zu sagen.
Ich muß jedoch abbrechen und nur zu S. 60 betreffs der Form .iioö-h den
Verfasser darauf aufmerksam machen, daß es jetzt nicht mehr angehe, sich
auf meine in Marianus S. 438 gemachte Darlegung zu beruft-n, da ich ja im
XXIV. Bande des Archivs S. 580 darüber gehandelt habe. Mir liegt nicht
viel daran, daß man sich auf meine seit Jahren in den Vorlesungen vertrete-
nen Ansichten über einzelne grammati:>che Fragen berufe, aber wenigstens
das im Archiv Gedruckte sollten slavische Philologen lesen und — soweit es
nötig ist, widerlegen, wenn sie es freilich der Widerlegung wert finden.
V.J.
H. Hirt. Der ikavische Dialekt im Königreich Serbien. S.A. aus
den Sitzungsberichten der K. Akademie der Wiss. phil.-hist. Kl.
B. CXLVI, V. Wien 1903. 56 S.
Es ist schon langeher bekannt, daß in einigen Gegenden Westserbiens,
nämlich entlang dem Drina-Fluß, dann im Uzicaer Ivreis, statt der üblichen
je, ije, e, für i i gebraucht wird. Auf dem Terrain selbst, wo uns diese in-
teressante Erscheinung der serbischen Dialekte begegnet, mit welcher mög-
licherweise auch andere Züge eines neuen, uns noch bis jetzt unbekannten
Dialekttypus in näherer Verbindung stehen, hat Prof. ilirt im Auftrage der
Wiener Akademie seine Forschungen angestellt, und seit einiger Zeit liegt vor
uns dies Büchlein als Resultatseiner Arbeit. Es hat einen etwas zu weitgreifen-
den Titel, als hätten wir wirklich mit einem einheitlichen Dialekt zu tun, doch
enthält es kaum mehr, als einige neue Belege für den erwähnten Übergang des
t. zuiin der Azbukovica und den angrenzenden Dörfern. Die Beisinele dieser
Art bilden den Mittelpunkt dieser Abhandlung (S. 12 — 22) und eigentlich das
wertvollste, was in derselben dargeboten ist. Aber auch diese ihre Seite ist
126 Kritischer Anzeiger.
ni'-ht einwandfrei. Die phonetische, insbesomlere aber die accentologische
Aufzeichnunf^ der Beispiele ist unvollkommen und ungenau, und zwar nicht
nur in diesem Teile der Abhandlung, sondern im ganzen Buche. Die Druck-
fehler, die in I"'iillo vorliariden sind, die Unzulän^^lichkeit und üngenauigkeit
der phonciischcn Wiedergabe;, die sich ebenso in dii;ser Arbeit kundmachen,
und endlich, uiüglicherweise, auch wirkliche Abweicliunj^en dicHer Dialekte
von den übrigen — gesellen siih zu einem überaus bunten Bild grammati-
scher Inkon.-<equenzen, die zweifelsohne in dieser Weise nirgends in den ser-
bischen Dialekten vorliegen. So schreibt Hirt: htjelo st. hijelo od. bijelo, d'i-
vojka st. divöjka, zapivämn st. zäpivämo, küdilja (oft) St. küdilja, ozltditi st. 02/^-
diti, r'ijeka st. rijeka, sv'ije6a st. svijeca, vrica st. vrica, n'ikäko st. nikäko,
nikoliko st. niknlikn, bdivämo st. odlvämo, vidi6emo st. vididemo, tijesiti st. tjeiiti,
tieme st. fjeme u. a. m. (s. auch unten).
Es scheint, daß Prof. Hirt kein Gefühl für die musikalische Seite der
serbischen Accente hat; sonst könnte man nicht erklären, warum er die mu-
sikalisch so ausgeprägten Unterschiede zwischen verschiedenen serbischen
Accenten der Quantität nach definiert. Daraus erklärt sich auch der Umstand,
daß in den Hirtschen Aufzeicimungen die üblichen kurzen Accente oft ver-
längert erscheinen: das verschiedene Tempo der Rede und andere wohlbe-
kannte Bedingungen, unter welchen die serbischen Accente zu stehen pflegen,
beeinflussen sie auch in Bezug auf ihre Quantität; das ist aber von neben-
sächlicher Bedeutung, da in diesen Fällen auch die langen Accente zu über-
langen werden. Das einzige, was hier fest bleibt, ist die musikalisch-expira-
torische Seite der Accente, die aber, wie gesagt, Prof. Hirt nicht genug
charakteristisch schien. Ebenfalls vermissen w ir bei H. die Längen nach dem
Hochton auch dort, wo sie auch in diesen Dialekten vorhanden sein sollten
(Beispiele s. unten).
Unter den angeführten ikavischen Beispielen finden wir auch solche,
die für den ikavischen Dialekt nicht genug charakteristisch zu sein scheinen,
da man sie ausnahmslos auch in dem jekavischen Dialekt gebraucht, der sich
aber bis zu dem ikavischen ausdehnt und ihm auch einige seiner andern Züge
überreicht. Z. B. dio, smijati se, stria, vidio, donio, tio, griota, sij'ati, samlio
u. a. m. (vgl. auch S. 12). Da in diesem Dialekt auch ekavische Formen vor-
kommen (S. 21 — 22), ist es begreiflich, warum hier neben den Formen mit
altem i (i, 's) auch solche mit e vorhanden sind: z. B. levada, lepa (S. Ui),
kuleba, koleko (S. 24) statt livada etc., so daß man für eine so einfache Erschei-
nung nicht so fernliegende und strittige phonetische Erklärung zu suchen
brauchte, wie es Hirt getan.
Noch eine Eigenschaft dieses Dialektes muß ich hervorheben, nämlich
} statt l vor dunklen Vokalen. Ob das die einzige Lage ist, wo dieser Laut
zum Vorschein kommt, wie es Prof. Hirt meint (S.20), möchte ich bezweifeln,
weil ich ihn bei den aus dem Drina-Gebiet eingewanderten Bauern des
Valjevo-Kreises auch vor andern Vokalen gehört habe. Das ist aber für die
Entstehung dieser Laute sehr wichtig.
Das übrige Material hat H. unter dem Titel »Zur Lautlehre (S. 22—37
und »Zur Flexionslehre« (S. 37 — 45) zusammengestellt; doch finde ich darin
Hirt, Der ikaviache Dialekt im Königreich Serbien, angez. von Beliö. 127
sehr wenig dessen, was für diesen Dialekt von Interesse und Belang wäre:
alles das kann man auch in andern serbischen Dialekten, ja sogar in der
Schriftsprache, finden.
Doch auf einen Punkt muß ich den Leser aufmerksam machen, nämlich
auf die Beispiele, die unter dem Vokalwechsel (S. 25) untergebracht sind. In
den meisten Fällen hat man wohl verschiedene Formen, die gar nichts mit
der Assimilation zu tun haben. Z. B.Jamciti und jemciti stellen jbmciti und
jemciti (mit e ausjeti) dar, Ijuhazan und Ijuhezan — serbische und serbisch-
rus8isch)kirchliche Form; daJje und dilje — zwei verschiedene Formen (vgl.
sloven. dtlj adv. «ohne Unterbrechung«), mavje und minje ebenso u.s. w.
S. 45 ist »Lexikalisches« mitgeteilt. Ich habe es sorgfältig durchge-
lesen, doch konnte ich nicht das Prinzip ausfindig machen, nach dem diese
meistens bekannten und von Vuk aufgenommenen Wörter, wie : ajcar, ojgir,
amha?-, aps, artijd, astctl u.s.w. hier angelührt worden sind. Unter den auf
neun Seiten aufgezeichneten Beispielen gibt es wohl kaum deren 20 — 25, die
in irgend welcher Weise interessant sind; doch muß ich auch diesbezüglich
einiges bemerken.
Neben (jajhuni habe ich auch gajhüni gehört ; ditic ist wohl unmöglich ;
dusema nicht gerade »Bank«, sondern »der in die Höhe gehobene und zur
Bank gemachte Teil des Fußbodens« oder manchmal auch »der Fußboden«
selbst; esajjun (wohl esäp'im) bei Vuk auch unter es-; zährlte accentuell un-
sicher, wohl eher zdbrSe oder auch zäbrde ; u zli cas wohl unrichtig st. it zll cas
(oder auch u zli cas, vgl. ü zö cas); mir ist tstäl (bei Hirt UtaC] als Adverb be-
kannt: nisam tstäl »ich habe keinen Appetit«; statt Jükli [jükli wäre wohl
besser) habe Ich jüklik oder ^uch. jukük gehört; kavästura (accentologisch
soll es eigentlich kavästura heißen) ist wohl das bekannte kaljustura oder ka-
lästura; kända = ka[n)[o\ii[o)da; kärde (d.h. kärde) nom. kdrda — Kosename
zu kardas; kackin — mir käckin bekannt; knkbsnjak (besser kokösnjäk) hat
nicht die Bedeutung wie kokosmjak, sondern »Hühnermist«; külaca — mir
nur külaca (bei Vuk ebenso) mit Bedeutung »Bauernhaus, ein einfaches Haus«
bekannt; loska wohl st. Töska; Ijüdi st. Ijüdi; nätuniat — ist nicht klar, ob es
nätunjati od.ev nacnrijati heißen soll; perda — m\x pcrda, Yuk ])c7-da bekannt;
pUska — mir pl'iska bekannt; pülic (bei Vuk auch so) liabe ich auch polic
sprechen gehört; poslänik »Lehrer« — dem Accent und der Bedeutung nach
zweifelhaft; rühina soll wohl ruhhia (bei Vuk ebenso) heißen; riuhiik wird
wohl rüdnik accentuiert vgl. Ortsname Rüdnik bei Vuk); säplak mir säpläk
(bei Vuk ebenso) bekannt; sedmica — wohl sedmica; »sevise« »ich habe ver-
gessen«— scheint mir mißverstanden zu sein; es ist kein Adverb, sondern
das Verbum vseviti se«, »seolm seu, mit der Bedeutung »ich erinnere mich«;
sokäk — wohl sdkäk; tähüt — mir ohne Länge [täbut) und mit der Bedeutung
»Sarg« bekannt; täoan — wohl täran; tiicno — gewöhnlicher iäcno; tez'nia
in der Bedeutung »der Hanf« nur tezina gebräuchlich; Ustica mir aber tesüca
(bei Vuk ebenso »Usüjca») bekannt; tomärati = tumärati; tükli — die Be-
deutung und der Accent?; dzäda — mir dzäda bekannt; ^ümär — nicht un-
möglich (vgl. nücäp in Macva st. tiücüp u. ähnl), mir aber (so auch bei Vuk'
nur sümär bekannt.
1 28 Kritischer Anzeiger.
Auch bei der Anj^abe anderer Wörter sind allerlei kleine Unrichtig-
keiten zu verzeichnen; doch mag auch das auKefilhrte genügen. DaHselbe
gilt auch von dem auf S. 55 gedruckten kleinen Texte: es gibt wohl F'ormen,
die accentologirtch grnau angeführt sind, doch ist auch dieser Text, streng
genonuiien, nicht zuverlässig.
Die Schwierigkeiten, mit welchen Prof. Hirt zu kämpfen hatte, waren
recht groß. Seine Ausdauer bewundern wir, sehen uns aber zugleich genötigt,
mit ßedaui'rn festzustellen, daß ihr die erzielten Resultate nicht entsprechen.
Der Ikavismus Westserbiens bleibt uns auch nach dieser Abhandlung
ebenso unklar wie vorher. Stellt er die letzten Übeneste eines ikavisch-
stokavischen Diakktes dar oder nicht? In welcher Beziehung steht er zu
den bosnischen ikavisch-stokavischen Dialekten, die noch immer die Mutter-
sprache der bosnischen oder hercegovinischen Katholiken und Mohammedaner
sind. Ist er in dieser Gegend alt oder neu? Alles das könnte man allerdings
nicht bloß auf Grund des sprachlichen Materials des Azbukovica- Kreises er-
klären; dazu müßte man sich auch nach dem Ikavismus anderer Gegenden
Serbiens [Jadar, Tamnava, Valje.vo- und Uzice-K.T&\ä u. and.) umsehen, dann
aber auch nach den alten Inschriftea und andern Denkmälern, den Ansiede-
lungsverhältnissen und der Provenienz der Bewohner derselben. Doch
müssen in erster Linie die sprachlichen Reste genau festgestellt und unter-
sucht werden.
Belgrad. A. Belic.
Geschichte der russischen Litteratur. Von Dr. A. Brückner, ord
Professor in Berlin. Leipzig, Amelang, 1905.
Das rege Interesse, hervorgerufen durch unsere neuere Literatur jen-
seits der Grenzen Rußlands, hat in der Wissenschaft des Westens nicht
wenige, den hervorragenden Vertretern unserer Literatur, die sich europäi-
schen Namen erobert haben, gewidmete Monographien erzeugt. Für einen
Gogol (dem im Jubiläumsjahre eine spezieile Studie in einer französischen
Dissertation zuteil wurde), einen Turgenjew, Dostojewskij, Leo Tolstoj, dann
(unter den Schriftstellern der neuesten Zeit) für Cechov und M.Gorki, fanden
sich Biographen, Kritiker und Kommentatoren. Doch im Gegensatz zu dieser
detaillierten und abgesonderten Behandlung einzelner Fragen ist auffallend
gering die Zahl allgemeiner literaturgeschichtlicher Übersichten, die vor dem
uneingeweihten größeren Publikum (für eine streng wissenschaftliche Be-
handlung ist die Zeit augenscheinlich noch nicht gekommen) das Bild der
schöpferischen Kraft des russischen Volkes, die zur jetzigen literarischen
Bewegung geführt hat, aufrollen würden, die sein Ureigentum bestimmen,
kulturelle Einflüsse, Erfolge des nationalen Selbstbewußtseins, den Zusam-
menhang der Literatur mit der Entwicklung des Gemeinwesens, die Bildung
von Schulen und Richtungen, die Evolution literarischer Gattungen, die
Wechselbeziehungen zwischen den Volks- und individuellen Elementen dar-
stellen, die Schriftsteller in richtigen Zusammenhang mit ihrer Zeit bringen
Brückner, Geschichte der russ. Litteratur, angez. von Wesselofsky. 129
und vor dem Leser eine lebendige, zusammenhängende, vergeistigte Chronik
des jahrhundertelangen Lebens entwerfen würden. Im Kreise der Leistungen
dieser Art konnten solche populäre Übersichten sich Bedeutung verschaffen,
wie das Buch von Alexander Reiiihold, die Arbeit eines eifrigen, dem Werke
ergebenen und viel belesenen Dilettanten; da erschienen auch die eilfertigen
Verallgemeinerungen eines K. Waliszewski; aus den acht öffentlichen, im
J. 1901 in Lowell Institute zu Boston gehaltenen Vorlesungen ging das zu
Anfang des Jahres 1905 erschienene Buch von P. Kropotkin »Ideals and
realities in russian literature« (jetzt auch in deutscher Übersetzung) hervor,
das nur flüchtig mit dem Altertum und selbst mit der Literatur des XVIII.
Jahrh. bekannt macht, um dafür eingehender das XIX. Jahrb. und die Cha-
rakteristik einzelner Schriftsteller (insbesondere Turgenjew's und Leo Tol-
stoj's) auszuarbeiten, und viele richtige und tiefsinnige Bemerkungen und
Beurteilungen zu bieten.
In den Kreis ähnlicher Arbeiten trat jetzt der neueste Band der Leip-
ziger Serie: »Die Litteraturen des Ostens in Einzeldarstellungen« ein. Die
wissenschaftliche Autorität des Berliner Slavisten, der die Lösung der Auf-
gabe übernommen, ließ natürlich erwarten, daß beim Studium der russischen
literaturgeschichtlichen Fragen, dieselben Eigenschaften zum Vorschein
kommen werden, die auch sein anderes Werk in der genannten Serie u. d. T.
»Geschichte der polnischen Litteratur« kennzeichnen — nämlich eingehende
Erforschung des Gegenstandes, Selbständigkeit und Tiefe des Urteils im
Zusammenhang mit dem Glanz und der Klarheit der Darstellung, die dem
Werke Prof. Brückners eine ehrenvolle Stelle in der im Westen nicht reichen
Literatur des Gegenstandes einräumen. Wissenschaftliche Objektivität,
frei von nationalen Vorurteilen und Voreingenommenheiten, stand außer
Frage, und die Tatsache selbst, daß die erste w'issenschaftliche und zu glei-
cher Zeit allgemein zugängliche Geschichte der russischen Literatur in den
literarischen Verkehr Europas gerade durch einen polnischen Gelehrten
eingeführt wird, kann besondere Anziehungskraft ausüben.
Aus den einleitenden Worten des ersten Kapitels (»die Anfänge«), in
welchem die große kulturelle und erzieherische Bedeutung der Literatur für
das russische Volk erörtert wird, nimmt man die nachsinnende Sympathie des
Verfassers für den Gegenstand wahr. Dieser Eindruck steigert sich, je weiter
der Verfasser das Wachstum und die Entwicklung des selbständigen natio-
nalen Schaffens verfolgt; als er aber zu Anfang des XX. Jahrhunderts die
schließlich sichergesrellte Bedeutung der russischen Litcraturströnning in
der Wcltkultur charakterisiert, da erscheint dies Mitgefülil als feierlicher
Schlußakkord in d(;r Äußerung, die den Abschluß des Buches bildet: die
Welt kann ihrer nicht mehr entbehren. Im Einklang mit diesem Verhältnis
des Verfassers zu seinem Werke steht nicht nur der große Umfang des ge-
gebenen Überblickes, der von den ersten Denkmälern bis zu den Erschei-
nungen des gestrigen Tages (nicht nur bis Öechov, sondern auch bis .Maxim
Gorkij und Leonid Andrejcv; reicht, sondern auch das Interesse für alle her-
vorragenden Erscheinungen der gesellschaftliclien Kraftentfaltung und die
Verurteilung der verderblichen Wirkung der Autokratie, Willkür und Be-
Archiv für sflavische rhilolojjie. XXVIII. ()
130 Kritischer Anzeiger.
drückung. Der Verfasser trachtet die Geschichte der psychischen Seite her-
vorragender Schriftsteller zu schreiben und nicht selten schafft er künst-
lerische Porträts. Er analysiert nacherzählend viele Werke und hinter den
von ihm gezeichneten Skizzen und Bildern steckt nicht geringe Gelehrsam-
keit, viel energische Arbeit. So ist im Stande zu schreiben nicht ein gleich-
giltiger, teilnahmsloser Chronist über das ihm fremde, nationale SchaflFen,
Bondern ein Freund und Mitempfinder desselben.
Das ist der allgemeine Eindruck, solange er sich nur auf die Konturen
und Ilauptumrisse beschränkt und der Schluß, der Epilog des Buches, krönt
ihn in würdiger Weise. Dieser Eindruck zieht an, lockt in die Tiefe der um-
fangreichen und an Fakten reichen Erzählung, beistimmt, den ganzen Weg
mit dem Umschauhaltenden Schritt für Schritt mitzumachen, mit ihm die
Mühe der erzielten Resultate, Detinitionen, und Charakteristiken zu teilen.
Doch in dem Maße, in welchem die von voller Sympathie getragene Analyse
dessen, was so harmonisch, ausdrucksvoll und farbenreich sich vor dem Leser
emporhebt, fortschreitet, beginnen auch die Unebenheiten, Lücken, strittige
Behauptungen aufzutauchen, — und immer augenscheinlicher zeigt sich die
Schwierigkeit, bei der Entfernung von den Quellen und Hilfsmitteln und
schließlich von dem Lande, inmitten dessen die behandelte Literatur entstand
und sich entwickelte, — eine erschöpfende Beherrschung des Gegenstandes
und unbedingte Genauigkeit der Darstellung zu erreichen.
Der Plan des Werkes von Prof. Brückner war augenscheinlich bedingt
durch die Notwendigkeit, der allgemeinen Verständlichkeit Opfer zu bringen;
dieses gestattete ihm nicht, in die Einzelheiten sich einzulassen, verhinderte
die Gleichheit und Harmonie zwischen den Abrissen einzelner Perioden, um so
die größte Vollständigkeit für die neueste zeitgenössische, in den Augen des
europäischen Lesers wichtigste Periode der Literatur aufzusparen. Dadurch
muß man manchen Mißstand, manche Lücke mit in Kauf nehmen. Der ein-
leitende Abschnitt, bis zum XVIIL Jahrh., ist besonders knapp und kurz ab-
getan. Übrigens macht der Verfasser selbst den Leser darauf aufmerksam,
daß er aus der alten russischen Literatur nur die wichtigsten Züge, «sprin-
gende Momente« herauszuheben gedenke. Wenn man sich auf diesen Stand-
punkt stellt, erwartet man natürlich eine feine Auswahl von Tatsachen,
grundlegenden Themen und Ideen, von Literatur- imd Gedanken-Richtungen,
als anschauliches Anzeichen eines stufenmäßigen literarischen Wachstums
der vorpetrinischen Epoche. Doch ist dieser Abriß eilig abgefaßt und wort-
karg. Unterwegs wird hie und da halt gemacht, so z. B. um eine derbe Ver-
dammung über das Werk von Cyrill und Method auszusprechen, oder um den
»angeborenen Anarchismus des russischen Volkes ^< und dessen Unfähigkeit,
»einen festen Staatsorganismus zn bilden«, hervorzuheben, während man sonst
an den wichtigen Erscheinungen vorbeieilt oder sie nur flüchtig berührt.
Die Volkspoesie verdiente unbedingt eine andere Charakteristik als
die, welche die ritiiellen Lieder, geistliche Verse, historische Lieder (ihrer
wird nur mit zwei, drei Worten gedacht), das Wesen der Spielleute und
Pilger, den Reichtum des Folklors beiseite lassend, nur bei den Bylinen
(epischen Liedern) verweilt, und dabei nur allgemeine und in dem Grade den
Brückner, Geschichte der russ. Litteratur, angez. von Wesselofsky. 131
in der Wissenschaft spruchreifen Urteilen ausweichende Mitteilungen macht,
daß ohne Rücksicht auf die Forschungen über den geschichtlichen Hinter-
grund des Heldentums, die Behauptung aufgestellt wird, die Hauptpersön-
lichkeiten des Epos seien in der Geschichte unbekannt, und angesichts zweier
an Resultaten reichen Schulen, die den orientalischen uud europäischen Ein-
fluß auf die Bylinen konstatiert haben, die Vermutung geäußert wird, hier
sei »vielleicht fremder Einfluß« gewesen. Aber auch für die bedeutenden
Leistungen des alten russ. Schrifttums wird bei der grausamen Knappheit des
Abrisses keine Ausnahme gemacht. Das Bittgesuch des Daniel »Zatocnik«,
wurde mit keinem Worte erwähnt, und von dem »Berichte vom Zuge Igors«
wurde eine so oberflächliche Charakteristik entworfen, daß hier weder die
künstlerische noch die ethnographische, weder die politische noch die pole-
mische Bedeutung des Denkmals im gehörigen Lichte zum Vorschein kommt.
Schon wegen der treffenden und lebhaften Schilderungen, die der Verf. im
Folgenden den Wechselbeziehungen zwischen der sozialen Bewegung und
der Literatur zuteil werden läßt, wäre es jedenfalls wünschenswert gewesen,
auf solche Vorboten aus dem entfernten Altertum hinzuweisen, wie der Be-
richt über Igors Zug oder das Bittgesuch des »Zatocnik«. Die Anzeichen
eines selbständigen religiösen Gedankens sind gleichfalls ungenügend be-
achtet. Das Auftauchen der Sekten wird ans Ende des XV. Jahrh. versetzt,
und mit der Lehre der » Judaisierenden« in Verbindung gebracht; ihre Vor-
gänger »Strigolniki« des XIV. Jahrb., deren religiös-soziale Lehren inmitten
der republikanischen Einrichtungen Novgorods sich entwickelt haben, ver-
mißt der Leser gänzlich. Überhaupt der so eigenartig im Grunde des alten
Schrifttums sich ausnehmende lokale Novgoroder Einschlag, der auf alles
was nur innerhalb der Grenzen »der Republik« geschah, sein Gepräge auf-
drückte, so auf Lied, Erzählung, Chronik, religiöse Bewegung, blieb ganz im
Schatten, und nachdem der Literaturhistoriker bemerkt, daß Novgorods An-
teil wenigstens an der Literatur ein »sehr bescheidener« gewesen sei, trat er
später von diesem Urteilsspruch nicht zurück.
Das XVI. Jahrb., als Zeit des Überganges, lenkt schon größere Auf-
merksamkeit des Verfassers auf sich, es gelingt ihm die erste einheitliche
Charakteristik zu entwerfen — das Bild Maxim Grek's zu zeichnen, doch
•neben diesem geschieht nicht mit einem Wort Erwähnung der aufopfernden
Persönlichkeit des ersten Druckers Iwan Fedorov, der von dem den Aposteln
der typographischen Kunst eigentümlichen Idealismus erfüllt war. Anderer-
seits, ungeachtet der Notwendigkeit, die konservative Richtung zu indivi-
dualisieren, wird dem Domostroj die Bedeutung eines Moralkodex der gan-
zen Periode, des ganzen Volkes zugeschrieben, und nicht als Ausdruck der
konservativen Meinungen eines Teiles der Nation betrachtet; das Denkmal
selbst aber, das die Mehrheit der Forscher dem Silvester zuschreibt, wird
hier mit dem Namen Adasev's in Verbindung gebracht. Noch einen raschen
Schritt vorwärts, und das XVII. Jahrhundert steht vor dem Verfasser mit
der für seinen Plan wesentlichen Aufgabe, die Vorbereitungen zur petrini-
schen Reform zu erforschen und die zunehmende Annäherung an das west-
liche Europa zu untersuchen. Von diesem Kapitel an wird das Werk au
9*
132 Kritischer Anzei^'cr.
Tatsachen reicher, die Äluilichkeit zwisclien der noch immer flüchtigen Auf-
nahme und dem tatsächlichen Gehalt der Periode nimmt sichtlich zu, doch
nebenbei findet man noch iiumer lue und da Lücken und nicht zu Ende aus-
gesprochene Gedanken. Eini^^e von ihnen beziehen sich auf spezielle Fragen,
daher sind sie von geringerer Wichtigkeit. So \verdt;n zu dieser Zeit nicht
nur »Schwanke" allein aus lioccaceio übersetzt, — das Prototyp des Shake-
Bpcareschen »(Jyuibeline", die Erzählung von dem Kaufmann Bernabo von
Genua mit ihrem stark dramatischen Sujet und die Novelle von Gismonda
und Guiskard passen nicht unter die.se Definition. In der Historie vom Frol
Skobejev ist die Episode, die dem Verfasser als «Don Juan «-Motiv vorkommt,
nicht nach Moskau »versetzt«, sondern spielt sich in der abgelegenen Pro-
vinz des Novgoroder Gebiets ab. Gänzlich unerwähnt blieben die Verhand.
hingen der ersten russischen Gesandtschaft nach Deutschland in Sachen des
Theaters und der Schauspieler, mit einem so hervorragenden Bühnenver-
treter wie Johann Veiten, der die Reform der deutschen 8chaul)iihne plante.
Die aus Anlaß der Maskeraden des Pseudodemetrius in Moskau ausge-
sprochene Meinung von der Feindschaft des russischen Volkes gegen die
Umkleidungeu und Vermummungen ist vollständig übertrieben, — dagegen
sollte erwähnt werden die weite Verbreitung der Fest- und Karnevalsspiele,
insbesondere aber verdienten Erwähnung die berühmten Novgoroder »Mas-
ken«, ihre grandiosen Aufzüge und Auffahrten auf den mit Vermummten
besetzten »Schiffen« durch die Gassen Novgorods u.s.w. Wichtiger sind jene
Lücken und Unebenheiten, durch die der Ideen-Gehalt der behandelten
Literaturperiode verkümmert wird. Die Bedeutung der Verkünder der gei-
stigen Wiedergeburt, die auf Grund der Neubelebung der Gesellschaft auf-
traten, ist viel zu deutlich mit den späteren Tatsachen gleicher Art verknüpft
— und Prof. Brückner berührte zwei hauptsächliche Vertreter. Doch wäh-
rend von der typischen Persönlichkeit Kotosichins eine ziemlich treue
Silhouette gegeben wird, wobei der Kauzler-Emii;rant den Namen eines Vor-
gängers Herzen's bekommt, bieten die dem Jurij Krizanic gewidmeten kaum
mehr als zwanzig Zeilen, wo von seinem Pauslavismus, seiner Neigung zur
Gelehrsamkeit und zu reformatorischen Ideen die Rede ist, einen nur ober-
flächlichen Begriff von einer der beachtungswertesten Persönlichkeiten des
alten Slaventums, mit seinem komplizierten geistigen Reichtum, der, man
sollte es glauben, durch die neueren Forschungen hinreichend erforscht wor-
den ist. Krizanic gegenüber hätte der Verfasser dasselbe Verfahren anwenden
können, das ihm bei der Charakteristik Maxim Grek's glückte (mit welchen
er ihn auch vergleicht) ; wenn Kotosichin bei ihm zum Vorgänger Herzen's
geworden ist, so konnte er (abgesehen von vielen anderen Rechtsansprüchen
auf Berücksichtigung) in der Tätigkeit des kroatischen Apostels der Auf-
klärung der Russen die ersten Vorboten der Ideen des Slavophilentums auf-
decken.
Mit der richtigen Beurteilung der petrinischen Reform als des Resultates
der vorhergehenden Bewegung in der Richtung der westlichen Kultur schließt
der der alten russischen Literatur gewidmete Abschnitt ab. Die »springenden
Momente«, bei denen der Verfasser länger zu verweilen vorgezogen hatte,
Brückner, Geschichte der russ. Litteratur, angez. von Wesselofsky, 133
trugen nicht dazu bei, um in kurzen, aber dennoch ausdrucksvollen und hell
beleuchteten Übergängen die Entfaltung der schöpferischen Kraft und der
Ideen, und die Hebung des Selbstbewußtseins im Zeitraum von Jahrhunderten
darzustellen. Eiligen Schrittes bewegte er sich vorwärts, und während dieses
forcierten Ganges blieb vieles im Schatten.
Das XVIII. Jahrhundert hat unvergleichbar stärker die Aufmerksam-
keit des Literaturhistorikers gefesselt. Das Bild wird vollständiger und um-
fangreicher; die Persönlichkeiten, Leistungen, Richtungen werden dem
Wesen nach studiert und beurteilt; das Tempo des Vortrages gestaltet sich
langsamer, der Hintergrund des Gemäldes und die aus demselben hervor-
tretenden Personen sind deutlicher geworden. Jedoch des Strittigen und
Ungenauen gibt es noch immer nicht wenig. Für die komplizierte, originelle
Persönlichkeit des Iwan Pososkov, bei welchem die konservativen Sorgen
nationalen und religiösen Charakters mit der aufrichtigen Ergebenheit an
die Aufklärung und Reform sich paarten, ist die Bezeichnung: »ein Mann
der guten alten Zeit« gänzlich unpassend. Seine scharfsichtigen ökonomi-
schen Ansichten, deren Anziehungskraft insbesondere darin besteht, daß er
den Wohlstand des Landes nicht in der Häufung der Reichtümer allein sieht,
sondern in kulturellen Gütern, in geregelter und gerechter Staataeinrichtung,
in humaner Gesetzgebung u.s.w., werden ausschließlich zu den Sorgen um
den Reichtum des Volkes herabgesetzt. Die tragische Lösung aber der
Schicksale dieses Schwärmers und Projektmachers, dessen Handschrift des
»Buches von Armut und Reichtum«, wo lügenhafte und schädliche Mitarbeiter
Peters entlarvt wurden, nach dem Tode des Zaren in die Hände der Feinde
des Verfassers geraten war und seine Verhaftung, Einkerkerung und den
Tod in der Festung verursachte — ist so unbestimmt dargestellt, daß sie
leicht als undankbare Vergeltung des Reorganisators selbst an einem von den
ihm herzlich ergebenen, aufgefaßt werden könnte. Die eigenartige Figur
eines solchen Verehrers der Gewissensfreiheit wie Tweritinov (nicht »Arzt«,
sondern nur ein belesener Aiiothekerlehrling war er) mit seiner protestanti-
schen Propaganda, huscht nur so vorbei und wurde nicht gewürdigt. Die
Persönlichkeit eines anderen typischen Vertreters der Volksenergie (solche
Persönlichkeiten sollten, glaub' ich, im Abriß insbesondere hervorgehoben
werden), des Begründers des regelmäßigen russischen Theaters, des Fedor
Woikov, ist blaß und flüchtig dargestellt, und jenes merkwürdige, den Ge-
schmack des Zuschauers verderbende Repertoir fremder Dramen, womit er
die neue Bühne zu beschenken trachtete — die besten Stücke von Moliere,
Lessing, Diderot u. a., — entspricht nicht dem harten Urteil: »alte Stücke«.
Wenn Inder Würdigung der kulturellen Bedeutung der Tätigkeit der Kaiserin
Katharina II. solche Gegensätze miteinander kämpfen, wie das Mißtrauen
bezüglich ihrer Aufrichtigkeit im Dienste des Fortschritts, und anderseits die
Äußerung, daß sie «ihrer ganzen Umgebung« gegenüber höher stand doch
nicht etwa der höfischen Umgebung? Das heißt also, sie wird über Männer
von solcher sittlichen Kraft, tiefer Überzeugung und Reinheit des Geistes
wie Radiscev oder Novikov gestellt . . .), so nehmen wir in der Beurteilung
und Verurteilung ihrer bedeutendsten Zeitgenossen nicht geringeres Schwan-
134 Kritischer Anzeiger,
ken wahr. »Dem Feinde der Sklaverei« Radiscev darf man nicht »Respekt
vor der Autokratie« zuschreiben und die Behauptung aufstellen, als ob in
diesem Charakterzug die Ursache seines Selbstmordes zu suchen sei — wäh-
rend er doch nach der Rückkehr aus seiner langen Verbannung immerhin als
unverbesserlicher Freidenker sich bewährte, mit seinem Radikalismus die
Mitglieder der Alexandrinischen Reorganisationskommission überraschte und
nur infolge eines hypochondrischen Anfalls, den er sich in Sibirien zuzog, die
Hand an sich legte. Sein leidenvolles Buch, das ein ganzes Programm der
humanen, liberalen Reformen enthält, wie die Befreiung der Bauern, die
Freiheit der Presse, und das die Grundlagen der Autokratie erschütterte,
kann man schwerlich »ein unschuldiges Buch« nennen, und einige Seiten
weiter behaupten: »Radiscev's Name bleibt unsterblich«. — Dem Vertreter
der entgegengesetzten russophilen Richtung, dem Fürsten Scerbatov, der den
Ruhm und die Sittlichkeit der alten Zeit verherrlichte, ist ebenfalls eine ihm
nicht zukommende Rolle zugedacht worden — und noch dazu an der Seite
einer Anhängerin der europäischen Kultur und Freundin der westeuropäi-
schen Philosophen, der Präsidentin der Akademie und aktiven Mitarbeiterin
an den Journalen, der Fürstin Daschkov. Sie beide sind dazu auserkoren,
um zwei typische vonwisinische Charaktere des runden Unwissens zu veran-
schaulichen (»Sie spielten die Prostakov und Skotinin, das heißt, die biedere
Moral der vorpetrinischen Zeit«)!
Auch dem Vonwisin selbst ist es nicht besser ergangen. Die Kathari-
nische Satire, in deren Bereiche eine der wichtigsten Stellen diesem Manne
unbedingt gebührt, traf nach der Meinung des Verfassers gar nicht die wunde
Stelle — so daß die dunklen Bilder der Leibeigenschaft im »Junker«, vor-
treffliche Dorfbriefe in Nowikovs »Maler«, scharf satirische Seiten bei Ra-
discev, — zu den unschuldigen Stilübungen über den schon längst abge-
urteilten und ohnmächtigen Gegner sich gestalten. Dabei fließen bei Vonwi-
sin die Bilder aus dem Leben in den Augen unseres Literaturhistorikers in
einem einseitig spottsüchtigen Kolorit zusammen, wie bei dem vortrefflichen
Komiker »taugen die Väter ebensowenig wie die Söhne«, — und auf diese
Weise geht der ganze Sinn einer für Vonwisin so wichtigen Gegenüberstellung
des neuen verdorbenen Geschlechtes gegenüber den älteren Vorgängern vom
Typus eines Starodum, Prawdin, Nelstecov, gänzlich verloren.
Noch einige Ungenauigkeiten. Einige der zweimal zehn Komödien S. Su-
marokvs verwandelten sich in Hunderte von Komödien; die travestierte
Aeneide von Kotlarewskij ist nicht im »Volksdialekt« abgefaßt, d.i. als wäre
sie im volkstümlichen großrussischen Dialekt geschrieben, sondern erschien
als erstes Werk der selbständigen kleinrussischen Literatur; Sternes
Einfluß auf Karamsin unterliegt absolut keinem Zweifel und ist von ihm
selber in den »Schriften des russischen Pilgers«, in Erzählungen u.s.w. be-
zeugt — und damit geht der Abschnitt der Literatur des XVIIL Jahrhunderts
zu Ende, in welchem gleichzeitig mit den angezeigten Mängeln richtige und
treffende Urteile und Charakteristiken, z.B. in der Schilderung des russischen
Freimaurertums, oder der Parallele zwischen der brüderlichen Einfachheit
bei Lopuchin und den Ideen Tolstoj's u.s.w. angedeutet werden.
Brückner, Geschichte der russ. Litteratur, angez. von Wesselofsky. 1 35
Der Literatur des XIX. Jahrhunderts als dem Vorboten und Prolog der
neuesten zeitgenössischen Literatur, die als Schwerpunkt des ganzen vom
Verfasser in Anspruch genommenen Grundrisses dient, ist eine noch wür-
digere Stellung eingeräumt, als den Tatsachen der aufklärerischen Periode.
Dieser Teil des Werkes ist ausführlicher und rfichhaltiger; einige spezielle
Fragen sind sorgfältig auf Grund neuer Arbeiten ausgeführt; allgemeine Be-
hauptungen sind weit weniger anfechtbar. — Doch die Einzelheiten lenken
auf sich die Aufmerksamkeit der Kritik, und man kann nicht umhin, auf sie
zu verweisen, wenn auch die Aufzählung derselben nicht gerade gering aus-
fallen wird.
Der Lehrer und Vorgänger Puschkin's, der sich in der Literatur unver-
gleichlich früher, als die ersten nur einigermaßen hervorragenden Leistungen
seines genialen Schülers erschienen, einen Namen erworben hatte, Batjuskov,
wird als Nachfolger Puschkins bezeichnet '»Puschkins Schule hatte auch
Batjuskov durchgemacht"). Der feurige Dichter- Bürger, ein Mann von
energischer Tat, der Dekabrist Eylejev, wird als Pessimist charakterisiert ;
auf »verweichlichtes Geschlecht der Slaven« wirkend, flößte er ihnen nicht
Kummer oder Verzweiflung ein, sondern bürgerlichen Mut und Selbstverleug-
nung. Der größere Teil des Lebens Gribojedov's, während dessen er im
diplomatischen Dienste in Persien oder Kaukasus verweilte, hat beim Ver-
fasser den Charakter einstweiliger »Aufträge« bekommen, mit welchen er
»nach dem Kaukasus, nach Tiflis, nach Teheran« geschickt wurde. Den Plan
der Komödie »Verstand schafft Leiden« faßte er nicht im Jahre 1816, sondern
zur Zeit seiner Universitätsstudien, das heißt, vor dem Jahre 1808. Cackij ist
nach der Piege gar kein Verwandter von Famusov, nur Sohn seines Freundes.
Gribojedov wurde niemals und von niemandem der Denunziation der Deka-
bristen beschuldigt. Die Bemerkung bezüglich der Krylovschen Fabel »Das
Pferd und der Reiter«, daß sie nicht gegen Dekabristen geschrieben sei —
wird gegenstandslos, wenn man bedenkt, daß die genannte Fabel in das Jahr
1814 gehört. Puschkin wurde nicht nach Odessa verbannt und nicht dort be-
gegnete er der Familie Rajevskij. Jekaterinoslaw, die Reise nach dem Kau-
kasus, in die Krym, das Leben in Bessarabien, d. h. im ganzen volle drei
Jahre, gingen seiner Transferierung nach Odessa voraus. Die Behauptung
des Verfassers, daß Puschkin die Benennung russischer Schriftsteller als
»unverdiente Kränkung« für seine Person betrachtete, daß er sich aus vollem
Herzen nach dem Kammerherrntitel sehnte (»heißersehnter Kammerherrn-
titcl«), daß er schließlich ... Verehrer von Knute unnd Zensur (!) wurde,
widersprechen der Wirklichkeit. Weder Pusclikins Genosse Baratinskij —
»Hamlet« — noch der einst populär gewesene Verfasser der gefühlvollen
Lieder: Nelcdinskij — Melezkij führten den Titel »Fürst«. Lermontov wurde
nicht von der Universität ausgeschlossen, die »Frau des Kassierers« ist nicht
auf einer Episode »seines Garnisonlebens in Tambov« begründet, weil er
niemals und nirgends iu einer großrussischen Provinz mit dem Regimente
stationierte. Lermontovs Mörder Martinov war kein Freund von ihm, diente
ihm nur als Ziel seiner Angriffe und Spötteleien.
In der Disposition der Biographie Gogols finden sich viele Ungenauig-
136 Kritischer Anzeiger.
keiten. Die Entbehrungen und Mißerfolge Gogols in Petersburg fanden nicht
»trotz aller erdenklichen Förderung durch Freunde und Gönner« statt, son-
dern vor diesen Förderungen seitens seiner Freunde, da er noch, niemandem
bekannt, den Kampf ums Dasein führte; seit der Annäherung aber an Pusch-
kin und Zukovskij änderte sich sein Los gänzlich. Der dem Puschkin zuge-
stoßene Vorfall, der als eine Quelle des »Revisor «-Themas diente, ereignete
sich nicht in Novgorod, sondern zur Zeit seiner Reise we^'-en Sauiuielns der
Materialien für die Geschichte Pugacevs. Der peinliche Eindruck nach der
ersten Aufführung »Revisors« wurde bei Gogol nicht dadurch hervorgerufen,
daß das Publikum den Zweck der Komödie nicht verstand und unaufhörlich
lachte, sondern dadurch, daß dieser Zweck sehr gut verstanden wurde und
als Ursache der Erbostheit gegen den Verfasser diente. »Heirat« ist kein
Einakter aus einer zugrundegegangenen Komödie, sondern ein unabhängiges
Stück in zwei Aufzügen. Von Rußland reiste Gogol nicht direkt nach Italien ;
der Aufenthalt am Rhein, sein Verweilen in der Schweiz, wo er die Arbeit an
»Toten Seelen« wieder aufgenommen, der in Paris zugebrachte Winter,
gingen seiner Ankunft in Italien voraus; nach Rom kam er ein Jahr nach
seiner Abreise aus Rußland. — Puschkin »erdachte« nicht den Einkauf der
»Toten Seelen« als Disposition für den Roman, sondern erzählte Gogol das
zufällig vernommene Gespräch zweier Affairisten und äußerte sich über die
Tauglichkeit eines derartigen Motivs zu einer sittenschildernden Erzählung.
Schließlich der quäl- und schmerzvolle Zustand Gogols in den letzten Jahren
seines Lebens, die Schwerfälligkeit bei der Arbeit am zweiten Bande der
»Toten Seelen«, welche durch verschiedene Angaben von ihm selbst bestätigt
wird, und der Umstand, daß er die Arbeit an dem genannten Roman mehr-
mals wieder aufnahm, und sozusagen in der Mitte des VS^ortes abbrach, alles
das läßt die Behauptung nicht aufkommen, daß der Tod ihn »scheinbar aus
frischestem Schaffen« hinwegraffte.
In eine Reihe mit diesen Unrichtigkeiten, die wie zufällig um den Kreis
der dem Gogol speziell gewidmeten Fragen sich gruppieren, muß man not-
wendig auch diejenigen stellen, die in anderen Kapiteln des Grundrisses der
neuen Literatur sich finden. Zu solchen gehört z. B. die Meinung, als ob
Bielinskij »mit Freuden« die literarische Tätigkeit und den philosophi-
schen Freundschaftskreis in Moskau verlassen hätte, um nach Petersburg zu
ziehen, während er in Wirklichkeit gebrochenen Herzens dorthin übersie-
delte, — als ob die Slavophilen an Cicikov des zweiten Bandes der toten
Seelen erinnerten, — als ob der Nihilismus in aristokratischen und officiellen
Salons nach dem Jahre 1840 seinen Ursprung genommen hätte, — als ob Ba-
zarov und Rudin Zeitgenossen wären, — als ob im Jahre 1852 die Bazarovs
schon existierten (während doch der demokratische Charakter des Pro-
testes keinem Zweifel unterliegt — und die grundlegende Idee des Nihilis-
mus, — Verbreitung der neuen Naturkunde und sozialer Doktrinen — direkt
mit dem Anfang der sechziger Jahre verbunden ist), — als ob Iwan Turgenjev
»Sänger« »des alten Rußlands vor der Emanzipation« gewesen wäre (eine
Behauptung, die von dem Verfasser selber kurz nachher, S. 333, widerlegt
wird), — als ob Herzen nach seiner Abreise nach England auf immer von
Brückner, Geschichte der russ. Litteratur, angez. von Wesselofsky. 137
liberalen Illusionen geheilt worden wäre, — als ob die Universitätsjugend
einstmals den Katkov himmelhoch gepriesen hätte u.s.w. —
Schwankungen und Unebenheiten in der Ausfiilirung des vorgefaßten
Planes schädigen bisweilen die Klarheit des Eindrucks und erschüttern die
Standhaftigkeit der formulierten Urteile. So z. B. in der Erforschung der
schöpferischen Tätigkeit Puschkins im Zusammenhang mit den Fakten aus
seinem Leben, geschieht der unmittelbare Übergang von seinen Jugend-
dichtungen zu den Erzeugnissen der reifen Periode, ohne Hinweis auf einen
so entscheidenden Moment, wie die Aussöhnung des Dichters mit den offi-
ciellen Einrichtungen, Kräftigung der Objektivität und des Dienstes der
reinen Kunst; nachdem die aus verschiedenen Lebensperioden des Dichters
in eine Masse zusammengeflossenen Werke, den Unterschied in der Richtung
und im Aufbau bloßlegten, wird der Rückzug in die Zeit des Kompromisses
gemacht, wodurch die Lücke in der Biograpiiie wieder ausgefüllt wird; durch
Vermeidung derselben hätte die anschauliche Konsequenz der Kunst- und
Ideenevolution Puschkins dargelegt werden können. In anderer Beziehung
beeinträchtigen das Bild die Widersprüche, die zwischen dem Endresultate
und den beiläufig geäußerten Ansichten über Tätigkeit oder Bedeutung dieses
oder jenes Schriftstellers fühlbar sind. Aus diesem Grunde hat, wie wir ge-
sehen haben, die Einheitlichkeit des Bildes Radiscevs viel eingebüßt, für den
sonst der Verfasser ein richtiges und mitempfindendes Urteil an den Tag legt.
Auch Puschkins Charakteristik konnte nicht umhin, darunter zu leiden, daß
nach der strengen Verurteilung seiner persönlichen Eigenschaften, seines
Ideenretrogradentums, ja sogar seiner moralischen Eigenschaften, zuletzt
dennoch das Resultat herauskommt, das dem Dichter eine hohe Stellung in
der Literatur zuteil werden läßt. Ebenso hat auch die Würdigung Turgenjevs
Einbuße erlitten: der Dichter wird zuerst unter die Sänger des vorreformier-
ten Rußlands versetzt, dann wird er des Kleinmuts beschuldigt, den er in
den Jahren 1876 — 77 an den Tag gelegt haben soll, es wird ihm die Fähigkeit
abgesprochen, Bedürfnisse der Zeit verstehen zu können, über seine »Dich-
tungen in Prosa« mit ihrem unzweifelhaften Anklang an diese Bedürfnisse,
wird sehr zurückhaltend geurteilt, und zum Schluß wird dennoch der Urteils-
spruch abgegeben, der an die Anerkennung der Verdinste Puschkins erinnert.
Doch neben ähnlichen Unebenheiten und ungeachtet der Ungenauig-
keiten, deren Beispiele soeben vorgeführt wurden, kann man nicht umhin, in
dem, der Literatur des XIX. Jahrhunderts gewidmeten Abschnitt ein her-
vorragendes, bedeutendes Stück der künstlerisch ausgeführten, psychologisch
feinen Charakteristiken der Schriftsteller und ihrer Werke, der Zeiciinungeu
verschiedener Momente aus dem Leben der Gesellschaft, die als Grundlage
der literarischen Bewegung dienten, zu erblicken und zu loben. Zu solchen
gehört z. B. in der Art abgesonderter Episoden die Charakteristik Lermon-
tovs, Studien über innere Geschichte Gogols, über Herzen, Cernysevskij und
seinen Roman «Wastun», über Dobroljubov, und insbesondere über Saltikov
und sein Zeitalter; die Undankbarkeit gegen den großen Satiriker von Seite
der ihm nächststchenden Generation ist mit großer Heftigkeit und Kraft dar-
gestellt.
138 Kritisclier Anzeiger.
Der feine Sinn des Verfassers für dieldeenentwickelung, für die sozialen
und kiinstlerisclicn Triebfedern, der sich in dem Maße der Annäherung eeiner
geschichtlichen Erzähiiing an die zeitgenössische Epoche immer stärker gel-
tend macht, verleiht d(!m letzten Abschnitt seines Haches größere Bedeutung
inf()l;;^e der Vollständigkeit der Darstell unj,', der 'JVeue des Grundtones, der
'rrefflichkeit und Aufrichtigkeit der Beurteilungen. Seine leitendige Cha-
rakteristik der Entfaltung der selbBtäiidigen Volkskraft in der Literatur der
neuesten Periode hat sich unendlich weit entfernt von der paradox lautenden
Behauptung noch am Anfang des Buches, als ob in Rußland jegliche litera-
rische Revolution »von Oben auf Befehl kommt«, — eine Behauptung, die dem
Verfasser schwer fiele, durch die Tatsachen zu beweisen (es müßte bewiesen
werden, daß die romantische Bewegung, der Byronismus, die Entwicklung der
naturalistischen Schule, und der siegreiche Fortschritt des Realismus, die
social-politische Richtung der sechziger Jahre, durch irgend einen Wink von
oben in Gang gesetzt worden waren). In dem kurzen Zeitraum zwischen der
Beendigung des Werkes und seiner Veröffentlichung blieb der mit der Frei-
heitsbewegung sympathisierende Verfasser hinter den rasch vorüberziehen-
den Ereignissen zurück; auf seine, ihm durch die Erfahrungen des Vergange-
nen eingeflößte zweifelnde Frage, ob nicht nach der zeitweiligen Anstrengung
die Volksenergie erschlaffen, ob nicht die Wellen der Bewegung von neuem
im Sande sich brechen und verlaufen werden, — gab das Leben eine die Er-
Erwartung übertreffende, alle Zweifel zerstreuende Antwort. Doch die leb-
hafte Literaturchronik führt den Leser jedenfalls bis zum letzten entschei-
denden Moment, bis vor die Türe der heranbrechenden revolutionären Pe-
riode, und hierdurch wird die Möglichkeit geboten, in der Mitte von kompli-
cierten Erscheinungen und Richtungen des heutigen Tages sich zurechtzu-
finden. (Einige kleine Ungenauigkeiten werden dabei von keinem Belang sein.)
Bei so lebendigfrischer Erzählung nehmen wir von diesem ersten literar-
historischen Versuch Abschied, der den doppelten Zweck, den der wissen-
schaftlichen Reife und AUzugänglichkeit für ein uneingeweihtes europäisches
Publikum vor Augen hatte, der große Studien erforderte, dem nicht geringe
Schwierigkeiten im Wege standen und der in wunderschöner Form erscheint
(die an die besseren Seiten der Darstellung bei Wilhelm Scherer erinnert).
Natürlich konnte die Aufgabe nicht auf einmal vollständig ausgeführt wer-
den; Fehler und Auslassungen beim ersten Versuch waren unvermeidlich.
Doch umgearbeitet im Geiste einer großen Proportionalität und Harmonie
zwischen der Behandlung des Altertums, der Neuzeit und der Gegenwart,
folglich die Hauptphasen der literarischen und socialen Evolution organisch
verfolgend, frei von zufällig eingeschlichenen Fehlern, ist das Buch Prof.
Brückners, das schon jetzt ein reges Interesse erweckt, bestimmt, in folgen-
den Ausgaben unbedingt eine hervorragende Stelle in der europäischen Lite-
ratur der Slavistik einzunehmen. Alexej Wesselofskij.
i
Brückner, Über Nikol. Rej, krit. Stud., angez. von Nehring. ] 39
Alexander Brückner, Mikolaj Rej studyum krytyczne. Krakau
1905, 418 SS. in 80 m.
Im laufenden Jahre gehen vier Jahrhunderte zu Ende, seitdem der erste
polnische Dichter Nikolaus Rej geboren wurde, einer der grüßten unter den
gleichzeitigen slavischen, der sicher auch den bedeutenden Geistern des
XVI. Jahrhunderts beigezählt werden kann. Die Krakauer Akademie der
Wissenschaften hat eine Jubiläumsfeier zu Ehren Rejs für das Ende des
laufenden Decembermonats angeordnet, welche durch so manches Werk ver-
herrlicht werden wird : in Warschau wird ein Sammelwerk vorbereitet i], in
welchem u. a. eine erschöpfende Monographie über Martin Bielski, einen äl-
teren Zeitgenossen Rejs, von J. Chrzanowski erscheinen soll, und gegenwärtig
ist das in der Überschrift genannte und im Auftrage der Krakauer Akademie
verfaßte Buch von A. Brückner erschienen.
Die Literatur über Nikolaus Rej ist schon zu einem namhaften Umfange
gediehen; das Meiste und Trefflichste hat Prof. Ptaszycki (über den Psalter,
den Wizerunek u. a.) vorgearbeitet; Brückner gibt eine Übersicht dieser Ar-
beiten, Monographien und synthetischen Lebensbildern von Siemienski an
bis zu dem trefflichen Buche von St. Windakiewicz (Mikolaj Rej, Krakau
1895); nichts ist in dieser prüfenden Übersicht vergessen, auch nicht das
sonst in Literaturgeschichten kaum noch erwähnte Büchlein von Bronislaw
Zawadzki, welches in der Tat über Belcikowski nicht hinausgeht, im Grunde
eine Analyse der Werke Rejs. Das Buch von Windakiewicz kann sicher als
das erste gelungene literarische Porträt Rejs bezeichnet werden. Ich könnte
getrost die warme Anerkennung wiederholen, welche ihm von Brückner
S. 16 f. mit Recht gezollt wird; es ist in der Tat eine recht gelungene Zeich-
nung des Schriftstellers Rej, in der knappen, gedrängten Form treffend und
eindrucksvoll, mag auch das Buch in seiner Voraussetzungslosigkeit die Mit-
wirkung und die Verdienste der Vorgänger nicht besonders hervortreten
lassen; richtig ist, daß der Verfasser sich durch »die Richtung der bisherigen
Studien« nicht zu binden brauchte, doch ungern vermißt man die Beleuchtung
der Quellen, aus denen unsere Nachrichten über Rej fließen, nicht einmal die
Biographie Rejs von seinem Freunde Andreas Trzecieski, die erste, auf der
alle Studien über Rej fußen, ist besonders genannt, sondern als bekannt
vorausgesetzt. Indeß muß hervorgehoben werden, daß der Verfasser tat-
sächlich Trzecieski zum Führer wählt, und auch die früheren Arbeiten über
Rej sorgfältig prüft und benutzt.
Das neue Werk Brückners macht die Arbeit von Windakiewicz durch-
aus nicht entbehrlich, es ist von einem anderen Standpunkt geschrieben und
auf ein anderes Ziel gerichtet: während Windakiewicz sich zur Aufgabe
macht, den Dichter Rej dem Leser näher zu bringen, indem er in mehreren
abgeschlossenen Bildern sein Temperament, sein ethisches Ideal, seine lite-
rarische Tendenz, sein Talent und seine Sprache zeigt, will Brückner uns in
1) Aus Äußerungen Brückners S. 403 und 415 ersehe ich, daß dieses
Sammelwerk schon erschienen ist.
140 Kritischer Anzeiger.
das Verständnis seiner Werlcc einführen, zeigt uns den Inhalt und den Wert
dersellien in meisterhaften Analysen, und indem er in dieser Wanderung
durch die Werke Kcjs zeigt, wie man sie lesen soll, hat er ein grundlegendes
Wcirk geschalTen, in welchem wir liej leljcndig und leibhaftig" vor uns zu
sehen glauben. Dieser eigenartige Dichter spricht hier in den umständlichen
Analysen seilest, mit seinen eigenen Gedanken, mit eigenen Worten und —
man verzeihe den Ausdruck — in eigener Manier zu uns. Durch diese Un-
mittelbarkeit worden wir direkt in die Schaffenssphäre des Dichters geführt.
Aber in diesem Gesamratbilde wird nicht nur Rej vorgeführt, sondern auch
das geistige Streben, Drängen und Schaffen der Zeit, in welcher Rej lebte.
Dabei treten überall zwei Momente in den Vordergrund, einerseits ein uni-
verseller Gesichtspunkt: es ist nichts vergessen, was jener denkwürdigen
Zeit den eigenartigen Stempel nufgedrückt hat, andererseits ist dieses Ge-
samtbild, welches ich mit einem musivischen Werke vergleichen möchte, be-
lebt durch neue Gedanken und Urteile, Streiflichter und Vergleichungen an
Stellen, welche irgend ein tertium comparatiouis bieten; überall sieht man
den weiten umfassenden Gesichtskreis des Verfassers.
Vor allem ist der urwüchsige, überschäumende Charakter des unge-
wöhnlichen, man möclite sagen impulsiven Mannes, der in seiner Ungebunden-
heit vor allem die persönliche Freiheit walten ließ und im übrigen sich um
nichts übermäßig kümmerte, aber auch heftig werden konnte, wenn die Sachen
nicht nach seinem Sinne gingen, in trefflicher Weise gezeichnet, vorbildlich
für den Schrii'tsteller. Rej nahm den Geist der Reformation der kalvinischen
Richtung,etwa in dem Sinne einer Verinnerlicliungdcs Christentums, sowie auch
die neue Weltanschauung jubelnd in sich auf und setzte sie sozusagen in Klein-
münze für sein Volk in nationaler Sprache um, in dem Bestreben, das durch
den menschlichen Geist Gewonnene, die »reine Lehre« von Gott und den Meu-
seheupflichten zum Gemeingut des polnischen Adels zu machen; das herrliche
Buch des Humanisten Palingenius »Zodiacus Vitae« bildete er nach eigener
Fa§on gemeinverständlich um, in d'-m Bestreben, die geläuterte Weltan-
schauung seineu Landsleuten zu vermitteln. Aber diese neuen Lehren und
Grundsätze kleidete er in mittelalterliche Formen, den modernen Geist ließ
er etwa die Sprache der Psalmen und der Bibel sprechen. Er erscheint uns
in dieser Beleuchtung durchaus als ein Anachronismus. In dieser Beziehung
ist der letzte Abschnitt des Buches »Ogölne uwagi« sehr beachtenswert: man
übersieht gern die Wiederholungen und hat einen wahren Genuß an der
Lebendigkeit und Trefflichkeit der Charakteristik Rejs als Mensch und
Schriftsteller.
Es ist schon bemerkt worden, daß das Werk über Rej mit Liebe und
Hingebung an den Gegenstand geschrieben ist, der Verfasser geht in ihm auf
und bringt seine Gedanken fast in der Sprache Rejs und seiner Zeitgenossen
zu Worte; die oft langen Zitate bringen dem Leser die Person des im spru-
delnden Wortschwall sich gefallenden Dichters in unmittelbare Nähe ; eigen-
artig nimmt sich dabei die dem Verfasser selbst eigene Knappheit der Dar-
stellung aus, in der manches, ja vieles nur angedeutet ist, für den Kenner
gewiß ausreichend. Darum bewahrt das Werk den streng wissenschaftlichen
Brückner, Über Nikol. Rej, krit. Stud., angez. von Nehring. 141
Charakter, trotz des Fehlens eines gelehrten Apparates von Fußnoten, Titel-
zitaten und Exkursen (in den sechs Beilagen sind einige treffliche Exkurse
z.B. über Entlehnungen aus Cicero und Seneca); an populären Bearbeitungen
und Kommentaren wird es wohl nicht fehlen.
Bei den lebendigen Schilderungen des polnischen Geisteslebens des
XVI. Jahrb. vermißt man ungern eine eingehendere Würdigung von Martin
Bielski, einem älteren Zeitgenossen Rejs, der doch ebenfalls ein Mitbegründer
der polnischen Literatur, ebenfalls ein Aufklärer und Lehrer seines Volkes
war, der aber durch gelegentliche abfällige Urteile des Verfassers in den
Schatten gedrängt wird.
Es ist auch schon hervorgehoben, daß die Persönlichkeit Rejs so sach-
gemäß und farbenreich gezeichnet ist, es hätten aber die S. 19 besonders ge-
nannten Abschnitte in der Postille und Zwierciadio, in denen Rej sich über
sich selbst äußert, wörtlich oder in gedrängter Wiederholung zitiert werden
können. Wir erfahren nicht einmal, wo Ks. Jiiszynski gegen die Postille
Rejs eiferte. — Daß das Lob auf Rejs Postille etwas überschwänglich aus-
gefallen ist, sei nur nebenher gesagt (sie ist sehr früh in Vergessenheit ge-
raten, weil sie so wenig salbungsvoll war), daß aber in dem Abschnitt über
Wizerunek die Charakteristik Rejs und seiner Neigungen besondere Be-
achtung gefunden hat statt in dem allgemeinen Kapitel VIII Ogölne uwagi,
entspricht der Symmetrie nicht. Übrigens sei hier nachgetragen, was offenbar
vergessen ist, daß der Name des Autors des Zodiacus vitae 1537, nämlich
Marcellus Palingenius, ein Anagramm ist, gebildet aus dem Namen des
Kryptoprotestanten Pier Angelo Manzolli, der auf dem Hofe Hercolos II. ge-
lebt hat. Wichtiger scheint mir die Unterlassungssünde zu sein, die darin
liegt, daß der Verfasser die V(;rse Trzecicskis von Rej »Hie noster est Dan-
tes« U.S.W, nicht erklärt hat; bekanntlich ist diese Stelle der einzige Hinweis
auf die Bekanntschaft Dantes in Polen in früherer Zeit, und meines Erachtens
hat sie Bezug auf den Umstand, daß Rej der erste war, welcher die nationale
Sprache in die Literatur einführte. Auf kleinere Unachtsamkeiten, wie z. B.
die Exemplificierung auf die treulose Frau Ilijas statt Svjatogors in russi-
schen byliny, ist kein Gewicht zu legen. — Es sei noch besonders auf den
Psalter Rejs hingewiesen. Es ist ein bleibender Gewinn, daß hier endgiltig
die Existenz dieses Psalters, von dem Trzecieski erzählt, der aber stets un-
findbar gewesen, außer Zweifel gesetzt ist. Dies hat Brückner nach dem
Vorgange Ptaszyckis schon in Literatura religijna w Polsce sredniowiecznej II
getan, wo er die Meldung Trzecieskis, man habe Rejs Psalter »gesungen«
(der Psalter ist in Prosa geschrieben), für einen Irrtum hielt, jetzt hält er das
Singen für möglich. Freilich ist diese Behauptung ohne Beweis und ohne
einen Versuch von überzeugender Begründung geblieben.
Über die Sprache Rejs spricht sich der Verfasser wiederholt aus. Bei
der Besprechung des Psalters führt er Psalm 18 an und ist von der Schön-
heit der Sprache entzückt: »co za cudowna proza, sagt er S. 49, piesci nasze
ucho«; S. 54 ist zu lesen: »nie tylko wierszem, ale i proz^ wbidal swietnie«.
In weiteren Kapiteln ist dieses Urteil sehr gemäßigt: in dem VIII. Abschnitt
»Ogölne uwagi« wird zwar gesagt, Niemand habe die grobe polnische Sprache
142 Kritischer Anzeiger.
80 glatt geformt (wypolerawalj, wie Kej, und diese wird für mustergiltig er-
klärt (wyborowa polszczyziiaj, aber fast unmittelbar darauf heißt es, daß
Rej in ungewöhnlicher Weise die Form vernaciilässigt, daß er Gedanken und
Reime zu sehr mechanisch behandelt habe, daß er mit Konjunktionen sich
nicht Rat wisse, daß er kunst- und geschmacklos, daß er überhaupt so
schrieb, wie er sprach und noch schlimmer. Ich glaube, daß der letzte Aus-
spruch das Richtige trifft, und ich habe genau dasselbe Urteil ausgesprochen
in einem Aufsatze über die polnische Sprache des XVI. Jahrh. 1900, wo ich
meinte, daß man Rej zu den Schöpfern und Meistern der polnischen Schrift-
sprache nicht zählen könne. Dabei bleibt das lobende Urteil über die Sprache
ReJB im Psalter und in der Postilie bestehen, wie ich meinen möchte, weil es
die entwickelte religiöse Sprache des XV. Jahrh. war. W. Nehring.
Tad. Stan. Grabowski: Wspötczesna Chorwacya, Studya lite-
rackie. I. Lwöw 1905. 8«. IX, 252.
So dringt die Kunde von der kulturellen Tätigkeit der Kroaten nach
geringem Zeiträume abermals zu den Polen '). Die lebhafte gegenseitige Sym-
pathie beider slavischen Stämme mag auf gewisser Wahlverwandtschaft be-
ruhen, denn zwischen dem »heutigen Kroatien« und den heutigen Polen gibt
es so manche Berührungspunkte. Der Kulturkampf hat hier und dort ähn-
liche Daseinsbedingungen. In solcher Einsicht mag auch dieses Werk ge-
schrieben worden sein. Es will »einen wertvollen Baustein zum Tempel einer
edleren und vernünftigeren Verbrüderung und zugleich eine Stufe höher zur
allgemein-menschlichen Vereinigung bilden« (Vorr. V). Dieser Standpunkt
ist denn auch durchwegs eingehalten; von allem wird da nur mit Liebe und
Verehrung gesprochen. Und das in lebhaft polnischer Weise: es gibt wohl
nichts Kroatisches über Gjalski, das so begeistert sprechen würde, wie das
der polnische Verfasser tut. Er versteht es, seinen literarisch wählerischen
Landsleuten die geringeren kroatischen Brüder in Sonntagskleidern vorzu-
stellen: er bespricht das »heutige Kroatien« nicht in aller Breite, Licht und
Schatten berücksichtigend, sondern beschränkt sich auf drei literarische Re-
präsentanten: S. Gjalski, S.Kranjceviö und I.Vojnovic. Im vorliegen-
den Bande ist nur Gjalski behandelt, über die zwei Letzteren soll demnächst
ein zweites Bändchen erscheinen. Der Autor kennt seinen Gegenstand aus un-
mittelbarer Erfahrung, denn er weilte selbst längere Zeit »in Dichters Lande«.
Er ist daher gut über den Zwiespalt zwischen den »Alten und Jungen« in der
kroat. Lit. (S. 6 ff.) unterrichtet und begreift die Lage objektiver als z. B.
J. Hranilovic in einem Aufsatze darüber, der vor zwei drei Jahren im üeTonuc
Mai. cpn. veröffentlicht wurde. Die Auflehnung gegen alle Regel a priori, die
Freisprechung des Individualismus, und der enge Anschluß an moderne
westliche Vorbilder (auch slavische) bilden die Charakteristik der Jungen, zu
1) Vergl. Archiv XXV. S.317.
Grabowski, Lit. Stud. über das heutige Kroazien, angez. von Prohaska. 143
denen auch Gjalski (S. 18) gerechnet wird. — Über ein reichhaltiges bio- und
bibliographisches Material hinweg, betreffend die Alten, gelangen wir zu dem
eigentlichen Gegenstande der Studie, zu Gjalski. Eine hübsche Phototypie
ersetzt jede persönliche Beschreibung: eine gebogene Nase, halbgesenkte
Augenlider, ausgeprägte Züge um den Mund, die hohe Stirn und der kurz
geschorene Schädel, alles das macht einen aristokratischen Eindruck, den
man auch aus der Biographie (Kap. I), welche bis zum Jahre 1898 aus einer
Autobiographie geschöpft wurde, gewinnt. Es ist zugleich eine typische
Dichterbiographie: mehrere politische Phasen, Mißerfolge im Staatsdienste,
schließlich Zurückgezogenheit und vorwiegend Landaufenthalt. Der Verf.
bemüht sich, den biographischen Perioden auch literarische Epochen anzu-
gleichen, und zwar unterscheidet er: eine romantisch-idealistische,
eine entschieden realistische und eine moderne Epoche in Gjalski's
Schaffen. Diese Dreiteilung ist etwas gezwungen, denn man kann ganz ge-
lassen erwidern, daß Gj. wohl gar keine Richtung ausgebildet hat. Beginnt
er doch auf Anregung Turgenjev's zu schreiben, er will also für einen Rea-
listen gelten, de facto ist er aber kein ruhiger Beobachter, sein lyrisch re-
flexives Wesen mengt sich ein . . ; beide Strömungen dieses Wollena und
Könnens erscheinen nur mit der Zeit ausgeprägter, individueller, und da-
her wieder der Schein des Modernismus. — Die Besprechung der Werke folgt
nun in chronologischer Reihenfolge nach bestimmten Gruppen. Man könnte
diese vereinfachen und eine Sonderung rein nach Inhaltsmomenten vorneh-
men, da die Chronologie des Entstehens von Gj.'s Werken keine sichere ist.
Ich hätte zusammen die Erzählungen lokalen Charakters (Zagorien) be-
sprochen, für sich als »problematische Naturen« J. Borislavid, Radmilovic
u. ähnl. behandelt und schließlich soziale und historische Erzählungen für
sich betrachtet. In solche Gruppen getrennt, hätte sich Gj.'s Realismus als
von dem Stoffe, nicht von der Entwicklungsperiode abhängig erwiesen. Die
Reihe eröffnen die frühesten Erzählungen aus Zagorien (Kap. II). Die
Poesie des lokalen zagorianischen Lebens wird hier treu dem poln. Leser
vermittelt. Das folgende Kapitel soll den psychologischen Prozess Gj.'s zum
Realismus hin erklären. Walka ducha behandelt den Faustroman Gj.'s
»Janko Borislavid«. Der Vergleich mit dem Goetheschen Faust ergibt dem
Verf. den vorauszusehenden Schluß, daß Gj.'s Borislavic eine slavische Seele
besitzt. Hier haben wir also den Glauben an die Racentheorie! Der ge-
schichtliche Standpunkt wird so unberücksichtigt gelassen; wenn man
nämlich Schiller mit Slovacki (S. 92 ff.) und Faust mit Borislavic bloß auf
den nationalen Charakter hin vergleicht, vergißt man einen viel tieferen
Gegensatz, den geschichtlichen, den zwischen Klassizismus und Romantik.
In dem mystischen, überwiegend empfindsamen Wesen Borislaviös sieht der
Verf. den Schwerpunkt von Gj.'s Unabhängigkeit gegenüber Goethe — und
darin läge das slavische? (S. 91 ff.). — Viel besser scheint mir das folgende
Kapitel «Von der Morgenröte zur — Nacht« (S. 97 IT.) geraten zu sein. Es
behandelt die historischen und sozialen Romane Gj.'s. In den letzteren tritt
der Realismus, wie ich meine, deshalb hervor, weil dies in der Natur der
Sujets — der Gegenwart — liegt. Klar und schwungvoll wird dem polnischen
] 44 Kritischer Anzeiger.
Publikum die illyrische Periode (nach »Osvit«) zu Gemüte {geführt. Mit dem
Realismus in den sozialen Studien Gj.'s nimmt auch ein f^ewisser Pessimis-
mus zu. In »Kfidmilovid« ist die Schopenhauerisclie Weltanschauung durch-
gedrungen. Der Held, ein Dichter und Idealist, erfährt in der Liebe wie in
der Arbeit Mißerfolge und geht im Wahnsinn zu Grunde. Hier wie bei Be-
sprechung anderer Stücke enthält sicli der Verf. zu sehr einer kritischen
Analyse und beschränkt sich mehr auf ein Reproduciren und Nachempfinden.
Wir verstehen das aus der oben ausgesprochenen Tendenz des Verf., ein
Werk der Liebe zu stiften. An dieser Stelle darf man jedoch auch ein Auge
für die Schwächen G.'s haben. Vor allem dünkt mir Gj. in diesen Werken
zu dogmatisch; sein Realismus leidet unter einer gewissen Tendenziosität.
Neben Scenen voll Leben viel Gezwungenes, Hypothetisches. Auf eine
enge kulturelle Basis, wie es die kroatische ist, verpflanzt er Ideen, denen
dieses beschränkte Leben keine adäquate Nahrung zuführen kann. So sind
Borislavid, Radmilovic, ja selbst Gjurgjica Agideva theoretischer, als dies
der fremde Leser in Erfahrung bringen kann. Auch in der Technik eine
Rückwirkung des Gekünstelten, der Dichter wirkt da mit starken Kon-
trasten. Besonders in Gjurgjica Agiceva ist diese Methode durchsichtig.
Auf eine Freude erfolgt gewiß ein Leid, in diesem eöektvollen Auf und Ab
geht seine Heldin mehr physisch als psychisch zu Grunde. Die Charaktere :
Engelsgüte und Lilienreinheit einerseits, Haß und Gemeinheit andererseits.
— In der sozialen Novelle treten diese Mängel nicht so sehr an den Tag. —
Das VI. Kapitel »Zwischen Himmel und Erde« beschäftigt sich mit den
spiritistischen Erzählungen Gj.'s. Diese Art von Produkten wird sehr
hübsch aus biographischen und literarischen Einflüssen erklärt, nur möchte
ich ersteres gegenüber dem letzteren betonen. — Das letzte Kapitel (VII.)
kehrt zum Ausgangspunkte zurück — »Von neuem Zagorien«! Der Verf.
hat dieser Rückkehr mir einen refrainartigen Charakter beigemessen — sie
bedeutet aber viel mehr! «Was man in der Jugend wünscht, hat man im
Alter die Fülle« kann man auch für Gjalski behaupten. In diesen späten
Produkten findet sich geradezu der Dichter selber. Die zu gründe gehende
adelige Welt Zagoriens hat in Gj. ihren lit. Repräsentanten gefunden. »Na
rodenoj grudi«, »Iz varmedjinskih dana« und »Diljem doma« werden sich
lebensfähiger erweisen, als J. Borislavic, Radmilovid und selbst »U noci«.
Diese Sachen sind Literatur, jene eine Konfession. Ich finde, daß die kroa-
tische Erzählung eine lokale, provinzielle Phase durchgemacht hat; vor-
treffliche slavonische, küstenländische, zagorische, bosnische Erzähler reihen
sich an Gjalski an. Gelungene Romane größeren Horizontes fehlen noch.
Im Buche T. Grabowski's sind eine Menge feiner Beobachtungen zer-
streut, die wert sind gelesen zu werden. Leider wird das Wesentliche seiner
Gedanken von einem synonymischen, rhetorischem und in Bildern schwelgen-
den Stile überwuchert. Es ist zu viel Licht und Farbe da und das Portrait
schimmert zum Nachteil der Plastik. Das tritt besonders im Resume
[Zakonczenie S. 238] hervor, der Verf. hat darin nicht das Beste und Wich-
tigste seiner Beobachtungen zusammengefaßt. In diesem Falle urteile man
also nicht nach dem Schlußworte ! — Der Verf. erinnert da wieder an den
Grabowski, Lit. Stud. über das heutige Kroazien, angez. von Prohaska. 145
Einfluß Turgenjev's, ich hätte hier lieber den Unterschied zu diesem Vor-
bilde beleuchtet, nicht etwa um zum Schluß einen großen Maßstab an den
Dichter zu legen, sondern um Präciseres über seine Eigenart zu gewinnen.
Schon im Stile ein großer Unterschied. Turgenjev ist viel kürzer, er er-
schöpft die Charakteristik gerne im Dialog und läßt der Reflexion nur ge-
ringen Raum übrig. Gj. schweigt geradezu in einer Breite des Schilderns
und stellt lange Btitraclitungen lyrischen Inhaltes an. Die Technik ist auch
eine andere: Gj. heftet an das Erscheinen seiner Gestalten zugleich die ge-
naueste Charakteristik — Turgenjev's Figuren werden erst in der Folge klar
und interessant. Es sieht oft aus bei Gj., als ob die Personen nur die Konse-
quenzen ihrer Charakteristik in verschiedenen Situationen ziehen würden.
(Es liegt darin etwas absichtlich Dramatisches, Unruhiges bei Gj.) Ideelle
Gegensätze lassen uns noch mehr (ij. erkennen: Turgenjev huldigt dem
Westen — Gj. dem Slavcntum. Gj. glaubt an eine slavische Seele, der er
gegenüber der germanischen gerne den Vorzug gibt. Leider findet der
Dichter für diese Idee keinen dankbaren Boden auf dem von deutscher Kul-
tur getränkten kroatischen Gebiete ! So sehr auch Gj. psychologisch vorgeht,
spielen doch äußere Motive bei ihm eine viel bedeutendere Rolle, als bei
Turgenjev. (Man vgl. hierin Nt zdanov mit Kadmilovic.) — Ein wesentlicher
Charakterzug Gj.'s ist ferner ein ausgesprochener Feminismus. Kein kroa-
tischer Erzähler weiß sich so in das weibliche Wesen zu vertiefen, wie
Gjalski. Die Begeisterung, mit welcher sein Held Radrailovic die individuelle
Schönheit seiner Geliebten in Worten verewigen will, ist eine persönlich
Gjalski'sche Saite. Seine Frauen sind denn auch viel tiefer und wahrer ge-
zeichnet als die Männer. — Was Gj.'s Pessimismus anbelangt, so stimme ich
dem Verf. darin bei, dass er diesen Zug nicht mehr, als es gelegentlich not-
wendig schien, hervorhob. Das Leben G.'s ist ein unausgesetztes Ringen
nach Kulturgütern gewesen — wo da der wahre Pessimismus ? — Dieses pol-
nische Buch wird dem erfahrungsreichen Idealisten zum Trost und zurGenug-
tuung dienen. Es ist aus Liebe zu ihm entstanden und wird Liebe für ihn
erzeugen. — Ich hoffe, daß der Verf. bald seinem Versprechen nachkommen
und seiner Nation ebenso interessant über I. Vojnovic und S. Kranjceviö
berichten wird. D. Prohaska.
Eine poln. Übersetzung des Igorliedes: »Cjiobo o njnbKy HropsBi«.
Im Programm des Gymnasiums zum hl. Jakob in Krakau erschien eine
neue polnische Übersetzung des berühmten altrussisclien Denkmals »Ciobo o
n.n>Ky IlropeBi« vom rutlienischen Dichter Bohdan Lepki. Die Übersetzung
liegt uns auch im Separatabdruek vor u. d.T. »Slowo o pulku Igora, przeloiyl
Bohdan Lepki« (Krakau 19().i).
Es mag schon gleich am Anfang bemerkt werden, daß der Ausdruck
»przeloiyl« d. h. »übersetzt« an dieser Stelle eigentlich unpassend ist, da es
sich hier 1) nicht um eine wortgetreue Übersetzung handelt, und 2) der Über-
Ai-cliiv für .«laviHche riiilologie. XXVIIl. 10
146 Kritischer Anzeiger.
setzer den Text in Versen, mitunter in verschiedenem Versmaß, wiederge-
geben hat.
Es gab Zeiten, wo das Denkmal auch bei den Polen Interesse fand und
schon im Jahre 1821 wagte sich Kyprian Godebski an die Cberaetzung des
Denkmals ins Polnische. Aber dieser Mann gehörte zu den hartnäckigsten
Skeptikern bezüglich der Echtheit unseres Denkmals, kein Wunder also, daß
er seiner nach der französischen Vorlage verfertigten Übersetzung die Über-
schrift setzte: »Wyprawa Igora na Potowcöw ,poema Alexandra Iwanowicza
Puszkina«*). Krasinskis Übersetzung vom J. 1856 erfreute sich ebenfalls
keines Erfolges und es bleibt noch die im J. 1833 geleistete Umdichtung des
»C-ioBo« von Bielowski übrig, die wenn auch die beste aller polnischen Über-
setzungen (natürlich handelt es sich hier um die versifizierten Übersetzungen)
gegenwärtig als veraltet angesehen werden muß. Von den Übersetzungen
neuerer Zeit in anderen Sprachen mag die russische von Longinow 2) und
die deutsche vonAbicht^) genannt werden. Die beiden letztgenannten Über-
setzer bestreben sich, das Denkmal in dem von ihnen entzifferten Metrum des
Originals zu übersetzen.
H. Lepki hat seiner Übersetzung eine Vorrede vorausgeschickt (»Od
tlomacza«. S. 1 — 7), wo er in kurzen Worten die Entdeckungsgeschichte des
Denkmals durch Musin -Puskin (1795) zusammenfaßt und der wichtigsten
Arbeiten auf diesem Gebiete gedenkt. Die obenerwähnten polnischen Über-
setzungen befriedigen ihn nicht, er habe sich bestrebt, die Übersetzung den
Ergebnissen der neueren Forschung anzupassen, und das Denkmal in der
Gestalt zu vermitteln, wie er es verstanden und empfunden habe. Nach
dieser Vorrede folgt die Übersetzung (S. 9—40) und zum Schluß merkwür-
digerweise »Uwagi wstepne« (»Einleitende Bemerkungen"), die wir gleich am
Anfang erwaitet hätten. S. 46 — 54 kommen noch »Objasnienia«, d. h. Erklä-
rungen zu einzelnen Stellen der Übersetzung. In den »Vorbemerkungen«
wird nach der Chronik die Geschichte des unglücklichen Heereszuges Igors
vom J. 1185 erzählt und dazu einige Bemerkungen über den unbekannten
Verfasser des Denkmals, die Zeit der Entstehung, den Dialekt und das Alter
der letzten Niederschrift hinzugefügt. Was den unbekannten Verfasser an-
belangt, so nimmt Lepki mit Weltmann an, er müsse ein Mann gewesen sein,
der in der Nähe des Fürsten lebte, ihn verehrte, und an dem Zuge teilnahm.
Doch die Annahme, daß der Dichter sich an dem Zuge beteiligte, ist nicht
notwendig. Der ganze Zug und die Schlachtschilderung wird nur in Haupt-
zügen gegeben und die Beschreibung von Igors Flucht ist wohl als Bild der
gestaltungsreichen Phantasie des Dichters anzusehen, ähnlich wie er Jaro-
slawnas Klage nachempfindet oder die Unterredung zwischen Gzak und
Koncak schildert. Richtig ist die Bemerkung Lepkis (S.42), daß es sich dem
Dichter nicht darum handelte, ein Bild der Greuel des Kampfes darzustellen
1) »Dziela wierszem i proza«. Warschau 1821. II. S. 308 flF.
2) »HcTop. HscjiiÄ. 0 nox. eis. KHasa Uropa CBSTociaBHia o. OÄCCca 1893.
Als Beilage.
3) »Das Lied von der Heeresschar Igors«. Leipzig 1895.
Lepki, Poln. Übersetzung des Igorliedes, angez. von Lewickyj. 147
oder die Polowcer in gehässiges Liebt zu setzen, sondern daß der unbekannte
Verfasser sich weit über die Parteikämpfe der Fürsten erhebt und die Liebe
zum unglücklichen Vaterlande ihm die hinreißend poetische Rede entlockt.
Die Entstehungszeit des Denkmals setzt Lepki — wie es gemeiniglich ge-
schieht — zwischen das Jahr 1185 und 1187, da in diesem Jahre Jaroslaw
Osmomysl starb, der im »Gjiobo« unter den lebenden Fürsten genannt wird. —
In Bezug auf den Dialekt des Denkmals beruft sich der neue Übersetzer auf
Polewoj und Maksimowic, die das Denkmal in » ukrainischem Dialekt« abgefaßt
wissen wollten. Doch weder Polewoj, noch Maksimovic, noch Lepki haben
uns den Beweis für diese Behauptung erbracht. Ja man könnte auch die ent-
gegengesetzte Behauptung aufstellen und sich bezüglich der Sprache des
Denkmals und deren nahen Zusammenhanges mit der großrussischen Volks-
poesie auf Kolosov, Smirnov und Barsov berufen! Und doch wird für die
Sache dadurch nichts gewonnen. Dagegen ist es richtig, daß der innerliche
Aufbau des Denkmals und der lyrisch-epische Ton seinen Wiederhall in den
kleinrussischen Dumen findet. Die letzte Niederschrift des Denkmals glaubt
Lepki in die zweite Hälfte des XVL Jahrh. — wie es Barsov tut — versetzen
zu müssen (S. 45).
Die Übersetzung zerfällt in XVI Abschnitte, und in jedem Abschnitt
ist das Versmaß dem Tone des Liedes angepaßt. Selbstverständlich war es
auf diese Weise unmöglich, eine wortgetreue Übersetzung zu liefern, und es
ist wirklich ein wichtiges Zeugnis für die Begabung des Übersetzers, wenn
er dort, wo er ein plus gegenüber dem Original gibt, nicht aus dem Geiste
und Niveau dieser alten Zeit herausfällt. Unglücklich gewählt ist nur das
Bild von der Überschwemmung des Flusses Stugna:
»0 bo Stuhna ju?. nie taka!
Sama ladajaka,
Lecz wchlon^wszy obce wody
Zalewa ogrody« (S. 35).
Abgesehen davon, daß im Original von überschwemmten Gärten keine
Rede ist und die Worte »zalewa ogrody« nur des Reimes wegen angewendet
zu sein scheinen, ist der Sinn des betreffenden Abschnittes unrichtig wieder-
gegeben. Mag die Stelle »Cxyriia xy^y crpyio uMia, noacpT.niH qyacH py^tu, u
CTpyrbi pocTpo iia Kycry. yuomy Khabk) PocTiic.3aBy aaTBopu ^uinpi, xCMHi
Cepasi. JlÄim.arcn Mani PocxuciaBa no yiioiim Khasu P.« (B^aÄUMipoBt ^pcBH.
Pycc.JIiiT. S. 42) noch so verschieden kommentiert werden — so ist es zweifel-
los, daß der Fluß Stuhna nur darum dem freundlichen Donec gegenüberge-
stellt wird, weil der Fürst Rostislaw darin ertrank. Und wenn Lepki weiter
dichtet: »Nawet Dniepr nasz ojciec stary,
»Zamknt}! brzegi, jary
»Dia nilodego Rostyslawa« . . .,
so wird den Sinn der Stelle nimand verstehen.
Am schwächsten ist dem Übersetzer Kapitel II geraten: Begegnung
Igors mit dem Bruder Wsewolod. Die Apostrophe an Bojan, die im Original
so ergreifend klingt, ist ganz matt ausgefallen. Die Stelle »0 Eoaue coJOBiw
CTaparo BpcMeuH« u.s.w. lautet in der Übersetzung folgem'ermaßen:
10*
148 Kritischer Anzeiger.
.... »0, wieszczy Bojanie,
»Slowikij wieköw minionych! Twej piesni
»Trzebaby tutaj. Ty po mysli drzewic,
»Swobodnie latasz, jak ptaszkowie Icini« u.s.w.
Der tapfere Fürst WsewohxJ flößt gleich bei der Begegnung dem durcii
da8 böse Zeichen der Öonnenfinsternis gebückten Igor kiiegerischen Mut ein,
indem er ihn anspricht: "Ojuiil Opan,, oähh'I' ciitri. CBtT.)iuH tbi Hropio, o6a
asi CBHTXCJaB^iuqa; ciÄJiaM, öparc cboii 6pT,3Hii komohh« u.s.w. Vergleichen
wir dagegen die Übersetzung, so ist die Munterkeit des Buj-Füreten in seiner
Rede nicht mehr zu finden:
"Ach Bracie niöj jedyny,
»Obydwaj przi'cie my, synowie Swi^toslawa!
»Kaz siodlad konie swe, bo luoje ci dru^.yny
»Jui opuscily Kursk. A wiedz, wojenna sprawa
»To jest rzemioslo ich . . .« (sie!) (S. 12),
Bekanntlich schlägt der Ton im alten Liede auf Schritt und Tritt um,
lyrische Stellen sind nicht selten zu finden — und in diesem liegt all die
Schönheit des Igorliedes. Da aber der Übersetzer jedes Kapitel in beson-
derem Versmaß übersetzt, so gehen oft die schönsten lyrischen Stellen in der
Übersetzung verloren. Daß hier das Versmaß so verhängnisvolle Ketten
dem Übersetzer angelegt hat, kann man sich leicht überzeugen, wenn man
gleich die Naturschilderungen oder Ausmalungen von Situationen zum Ver-
gleich heranzieht, wie sie sich prächtig in der Übersetzung ausnehmen. Die
Worte: »Toraa BtcrynK Hropt Khksl bt. 3.3aTi> cxpeMCHL h noixa no qiiCTOMy
no.510» — lesen wir in gelungener Übersetzung wiedergegeben:
»Slyszac to Igor, w strzemiona zlociste
»Wst^pil i ruszyl po polu rozlogiem.
»Byl wieczör. Slonce zacmione i mgliste
»Gaslo. Noc czarna westchnieniem ziowrogiem
»Budzila ptactwo« u.s.w. (S. 13).
Am schönsten ist die Übersetzung von Jaroslawnas Klage gelungen.
Die Klage und Schmerz nach dem gefangenen Fürsten-Gatten, dieses Ge-
misch von Liebe und Verehrung, finden wir in der neuen Übersetzung pracht-
voll zum Ausdruck gebracht. Jaroslawna (Igors Gattin) wendet sich an die
Sonne mit den Worten: »CBiTjroe h TpecBixjioe cjitHuel BciMt leiuio h RpacHO
cch: leMy rocnoÄnae npocipe ropaiioio cboh) Jiyqio Ha Jiaai bok? b-b nojii 6e3-
BOAH§ acaacseio HMt Jiyiu cinpHace, lyroio uait Ty.iii saiqe« (B.iiaÄHM. S. 39).
Lepki dichtet das um :
»Slonce, möj jasny, trzykroc jasny panie,
»Zrödlo ciepla piekny gospodynie !
»Pocö^ swoje gor^ce promieuie
»Skierowales na miejsce gdzie slawny
»Stai pulk mego m^fa?
»Poco rzeki i strumienie
»Wypites a w iolnierzach zbudziles pragnienie
»Tak, ie nie mieli sll chwycic ore^a?« (S. 33).
\
Lepki, Poln. Übersetzung des Igorliedes, angez. von Lewickyj. 149
Das Verhältnis der Übersetzung zum Original, wie man schon aus den
angeführten Stellen ersehen kann, ist sehr frei, daneben aber findet man Aus-
lassungen und Zusätze, mitunter ganz unbegründete und mit dem Texte in
keinem Zusammenhang stehende. So z.B. im Kapitel II (S. 11) läßt der Über-
setzer den Dichter sich mit den Worten an Bojan wenden: »Poradz ze mi
przecie, \ Jak mam Igora spiewac! Czy slowami: | »Hej, nie burza-i to po
szerokim swiecie | P^dzi sokoly — nie stadai gawronöw. . .« Das ist ein neuer
an die antiken Apostrophen erinnernder Zug gegen das einfache des Origi-
nals: »(EojiHC,) IliTH 61.1J10 nicB HropeBU xoro (Ojitra) BHyKy: »ne 6ypa cokojih«
U.S.W. Das gleiche findet man im dritten Kapitel (S. 13), wo der Übersetzer
den Div zu den Heiden rufen läßt: »Czujcie! Nieszczescie nie drzemie!« Im
Original findet sich davon kein Wort. Die raschen Übergänge, wie sie in un-
serem Denkmal so häufig zu finden sind, suchte der Übersetzer durch einge-
schaltete Sätze zu vermitteln oder die Sätze, die im Texte scheinbar ohne
Zusammenhang stehen, reiht er später an die durch den Inhalt verwandten
an. So wird z. B. Igors Angst und Unruhe vor der Flucht in kurzen Sätzen
geschildert: »Hrop cnurt, Hrop öähti,, Hrop Mi.icjiiio nosa MipHTB OTt se^HKaro
4oHy ao MaJioro iloHua. EoMonb e^ hojihohu. Osjiypx CBHcay« u.s.w. Lepki läßt
an dieser Stelle den Satz »komoiil et, nMHoqii« aus und schaltet ihn erst
später im engeren Zusammenhange ein :
»Pölnoc, cicho! Wtem gwizd jakis
»Cöz to za gwizdanie?
»Oto Owlör daje znaki,
»Ze czas wstawac, panie,
»Ze czas lostmvac ydi/z kon czeka
»Gotowy do drogi« (Kap. XIV, S. 34).
Eine recht schwere Arbeit bei der Übersetzung dieses in jeder Hinsicht
so interessanten Denkmals bildet die richtige Wiedergabe der sog. dunklen
Stellen. In der Einleitung sagt der neue Übersetzer, daß er getrachtet habe,
die neuesten Forschungen über das Denkmal seiner Übersetzung zunutze zu
machen. Doch aus den Literaturangaben ersieht man, daß er über Barsovs
Werk nicht hinausgegangen ist. Ja, was noch zu bedauern ist, das ist der
Umstand, daß dem Übersetzer kein anderer Text zu Gebote gestanden zu haben
scheint, als der von Ogonowski redigierte in seiner Ausgabe des Denkmals
vom Jahre 1876! Nun ist aber der wörtliche Abdruck des Textes aus der
ersten Ausgabe des Denkmals (vom J. 1800) bei Wladirairov in »npu.ioHceHiH<<
zu seiner »ilpcEnaa PyccKaa JIuTeiiaxypa KiescKaro nepio^a« (KicBi. 1901) leicht
zugänglich.
Was die sog. dunklen Stellen anbelangt, so ist darüber bei einer so
freien Übersetzung wie die von Lepki nicht viel zu sagen. So z. B. die dunkle
Stelle »u BT. Mopt norpysucTa 11 iiejiuKOO öyücrBO nojacTL \uhobii« übersetzt
Lepki ganz frei und setzt sich leicht über die schwierige Stelle hinweg: »Jui
pot^ga tonie w morzu, chan rosnie«. Gänzlich verfehlt ist auch die Über-
setzung der folgenden dunklen Stelle: «Pckx Eoaut 11 xoau na CBni-BCJiaBJiJi
nicTBopua cxaparo BpoMCiiu ii\)0CAa.Bji!i OjitroBa Koran« xoru« (Bjiaa. S. 44).
1 50 Kritischer Anzeiger.
Lepki — wahrscheinlich dem Ogonowski folgend — nimmt an, daß hier von
zwei Sängern die Rede sei und übersetzt:
»Rzekl niegdys Bojan wieszczy
»Do piewcy Swiatoblawa,
»Co spiewal stare cz isy Ole^a, Jaroslawa,
»A byl ksi^zecym druhem« (Kap. XVI, S. 39).
Doch ist hier nur von Bojan die Rede und jede andere Deutung (z. B.
von Longinov, Wladimirov) wäre besser als die vom Übersetzer gewählte.
Auch andere Freiheiten hat sich der Übersetzer erlaubt, die gänzlich unnütz
sind. So z.B. wenn es in dem Original heißt: »kojih Hropx coko.iom nojieri,
TOFÄa Bjypx bjt>komx noieic«, so war es ganz unnötig zu übersetzen: «Kiedy
Igor leci ptakiem | Owlor ko7mo goni« (Kap. XIV, S. .^5).
Obwohl in der Übersetzung <Lepkis an einigen Stellen Änderungen oder
Berichtigungen wünschenswert wären, so ist sie doch eine dankenswerte
Leistung, da sie heute gewiß die erste Stelle unter den Umdichtungen des
Denkmals in polnischer Sprache behaupten darf. — Bohdan Lewickyj.
Dr. Anton Wallner: Deutscher Urmythus in der tschechischen Ur-
sage. Laibach 1905. Kleinmayr und Gemberg. 3.5 S. [Sonderab-
druck aus dem Jahresbericht der St. 0. R. Laibach.]
Immer wieder verlockt die boshafte Sphinx »tschechischer Urmythus
und Ursage« neue Rätsellöser, denn immer noch sucht man nach dem Bei-
spiele Jakob Grimms in den Chronisten Böhmens nach (dem) uralten Mythen-
stoflf. Alle diese vergeblichen Versuche blieben erspart, wollte man nach
dem Vorgange Lipperts [Die tschechische Ursage und ihre Entstehung. Ge-
meinnützige Vorträge Nr. 41], der doch vom Verfasser benützt wurde, ohne
jede Romantik mit kritischem Blicke zunächst die Quellen prüfen. Eine Be-
rufung auf Palackys »Würdigung....« genügt nicht, ein klein wenig Umschau
in den Chronisten selbst ist schon förderlicher.
Der Autor vorliegenden Schriftchens [Text 33 Seiten] druckt zunächst
Rasmanns Übersetzung einer Partie der Thidrekssaga [S.3— 6], dann Koamas
lib. I, 10—12 [S. 8—11], und dazu Hajeks Version anno 863, 867, 868 [S. 13—
20] ab, behandelt hier Hajek, wie auch die übrigen Chronisten nach Kosmas
als brauchbare Quellen. Hajek zitiert er namentlich wegen dessen Angaben,
daß der böhmische Held Tyr, nach Wallner = Isung, eine Personifikation des
Winters, am 10. Mai fällt, eine Angabe, die auch von den beiden Gelehrten
Weleslawin und Lupacius ernst genommen werde! (S. 35). Wenn dieses
Datum sagenecht sei, was Wallner sehr gerne annehmen möchte, dann fiele
erst ein volles Licht auf den dreitägigen Kampf zwischen Hertnid und Nor-
dian etc. . . . Wallner hätte nur beachten müssen, wie skrupellos Hajek nicht
nur andere »historische Tatsachen« fälscht, sondern namentlich auch genaue
Daten über sein »Werk« verschwenderisch ausstreut, wie gedankenlos ein
Chronist vom andern abschreibt.
Wallner, Deutach. Urmythns in tschech. ürsage, angez. von Thal. 151
Und nun die Sagen selbst. In der Thidrekssaga wird König Hertnid im
Kampfe gegen Isung von Bertangenland durch das Löwen-, Bären- und
Drachenheer seiner Gemahlin Ostacia unterstützt, die von ihrer Stiefmutter
Hexenkünste erlernt hat. Nach dem Siege findet Hertnid sie todwund, er er-
kennt, daß sie ebenfalls als Drache am Kampfe teilgenommen, sie stirbt nach
drei Tagen mit geringem Nachruhm, als Hexe natürlich [Thidrekssaga
um 12 50!]. Hier möchte W. eine Parallele zur böhmischen Sage konstruieren
und motivieren, »weil sie gegen ihre Verwandten gekämpft hat«, doch seiner
Mythologie zuliebe gibt er diese Konjektur auf.
In der böhmischen Sage I. kündet Herzog Wlastislaw dem Pragerherzog
Neklan den Krieg an, befiehlt seinen Leuten, Raubvögel mitzunehmen;
W. sieht darin die Drachen der Ostacia, diesem Motiv stünden die böhmi-
schen Chronisten mit sichtlicher Befremdung gegenüber und versuchten
allerlei Deutungen (S. 32); Kosmas wendet sicherlich hier nur das alte antike
Motiv der vßQi^ an. II. Das ganze Heer geht zugrunde, nur einer entkam
(biblisches Motiv), es zu melden. Auf den Rat der Stiefmutter haut er dem
ersten Gegner die Ohren ab, flieht, findet zuhause sein Weib tot, die Ohren
fehlen ihr, ein altes Hexenmotiv; diese Frau entspricht nach W. der Ostacia.
III. Der Sieg der vormals feigen Prager wird durch ein Eselsopfer (hiefür
keine Parallele) und durch den Helden Tyr bewirkt, der in des feigen Herzogs
Neklan Rüstung kämpft und fällt, nach W. Seitenstück. Isung beruft seine
Freunde Thetleif und Fasold, gewaltige Kämpen, zu Hilfe. Die Parallele zu
Patroklos-Achilles liegt doch für Kosmas näher.
Ebensowenig besagen die übrigen Ähnlichkeiten, deren Fülle W. nicht
dem Zufall aufbürden mag, daß man zu dem Heereszug beiderseits ein Heer
rüstet, ein gewaltiges, daß beide Kriege mit Plündeiungen beginnen
[S. 22] etc.
Es handelt sich also in beiden Sagen um Hexenmotive, die doch sehr
verschieden sind, von einer Abhängigkeit der tschechischen Sage finde ich
keinen Beweis.
Jegliche Beweiskraft verlieren jedoch diese Parallelen, namentlich für
die mythologische Ausdeutung, wenn man sich die Entstehung der böhmi-
schen »Ursagen« betrachtet. Aus dem Namen »Dövin« wird, wie schon Lip-
pert darlegt, eine Mädchenburg, aus der Benennung Vysehrad eine höhere,
eine Männerburg erschlossen, Devin ist zerstört, folglich haben die Männer
der Mädchenherrachaft ein Ende gemacht. Wie? Das erzählt Kosmaa frei
nach dem Raube der Sabinierinnen, melir nicht, keinen Namen. Dalimil er-
zählt schon einen ganzen 7jährigen Krieg, mit einer Menge Namen und Epi-
soden, alles teils nach Ortsnamen erfunden, teils Variationen des Motivs der
trügerischen Frauengunst, sehr viel Nachbildung der Amazonensagen, My-
thologisches weder bei Dalimil, noch bei Kosmas, es liegt vielleicht im Na-
men, nicht in der Sage, die nur »gelehrte« Konstruktion ist.
Kosmas ist ferner ein Geistlicher, die Libusaasage, soweit er sie vot-
fand, und nicht etwa sell)st zusammensetzte, schmückt er mit antiken nnd
biblischen Motiven aus, eigentlich ist Libuasa für ihn eine Hexe. Auch hier
bildet die Grundlage die Deutung der topischen Bezeichnung, Tetin, Ka&in,
1 52 Kritischer Anzeiger.
Libuäin; das Motiv vom eisernen Tisch, der so vielfach Anlaß gab, Przemysl
gleich Perun = Donar zu setzen, findet sich erst bei Dalimil, kann wohl
schwerlich von Kosmas vergessen worden sein oder aus ungenauer Kenntnis
der Volkssage ersetzt worden sein, es ist ja auch nur eine Entlehnung des in
der Antike bewanderten Dalimil aus dem gelesensten Buche des Mittelalters
nach der Bibel, der Aeneis des Vergil, der Stelle, wo Aeneas die Prophe-
zeiung der Herrschaft erhält, sobald seine Gefährten vor Hunger die Tische
verzehren würden.
So ist endlich die ganze Tyrsage aus dem Namen »Turske pole« und
dem Grabhügel hergeleitet, wie Kosmas sagt: unde et hoc die nominatur
militis acerrimi bustum Tyri, dazu der Name des Neklan, als »unerprobt,
feig« gedeutet, antike, biblische, Hexenraotive dazu, und eine Sage ist fertig.
Somit geben die Berichte des Kosmas, und also noch viel weniger die
späteren phantasiebegabten Chronisten, durchaus nicht eine feste Handhabe
zu mythologischer Deutung, und bei der Thidrekssaga müßte ja auch die
Umwandlung des alten Sagengutes unter der Hand des christlich gesinnten
Bearbeiters in Rechnung gezogen werden.
Die kühnen Etymologien seien nebenher erwähnt.
Dr. Gust. Ad. Thal.
Dr. Jakob Sket, Slovenska slovstvena citanka za sedmi in osmi
razred srednjih sol. druga predelana izdaja. NaDunaju. V cesarski
kraljevi zalogi solskih knjig. 19u6. 482, 8^.
Als im Jahre 1893 Prof. Sket seine für die zwei letzten Klassen der
Mittelschulen bestimmte slovenische Chrestomathie mit einem Abrisse der
slov. Literatur das erste Mal in die Welt geschickt hatte, konnte er sich mit
Recht des Bewußtseins freuen, eine sehr bemerkbare Lücke im Unterrichte
des Slovenischen als Muttersprache ausgefüllt zu haben. Da die Slovenen
noch keine Literaturgeschichte hatten, war seinem Buche auch außerhalb des
Schulzimmers eine freundliche Aufnahme gesichert.
Unter diesem Eindrucke standen auch die Besprechungen des Buches.
Prof. V. Korun begrüßte es mit Freude in Erinnerung daran, daß er vordem
die literaturgeschichtlichen Notizen mit Mühe hatte sammeln und seinen
Schülern diktieren müssen, gab eine kurze Übersicht des Inhaltes — hegte
aber sonst keinen Wunsch (Popotnik, Glasilo »Zaveze slovenskih uciteljskih
drustev«. Marburg. XIV [1893], S. 233—234).
Auch Dr. Oblak begrüßte das Buch als eine mit Verständnis zusammen-
gesetzte Chrestomathie, hob aber auch seine Mängel hervor. Die Zergliede-
rung der Literaturepochen war ihm zu künstlich (Mittelalter VI. — XVI. Jahrh. ;
protestantische Periode 1550 — 1595; kath. Per. 1595 — 1765; Wiedergeburt
1765—1843: A. Übergangsperiode 1765—179.5, B. Per. Vodniks 1795—1830,
C. Per. Preserens 1830—1843; Per. d. Volksauf klärung 1843-1893), die Be-
sprechung von Levstik und Jurcic fand er zu wenig eingehend und tadelte
Sket, Sloven. Chrestomathie, angez. von Kidric. 153
mit Recht das gänzliche Fehlen des nationalen Erzählers Erjavec. Die Be-
urteilung Koseskis schien ihm zu panegyrisch und Vraz kam viel zu kurz
davon. Den älteren Teil wünschte sich Oblak weni^rer breit gegenüber dem
neueren. Für sein Festhalten an der pannonischen Hypothese bekommt Sket
einen Verweis, und schließlich notiert Oblak noch einige Unrichtigkeiten
unsere Zeitschrift XVI [1S94], S. 477—481).
Der »Ljubljanski Zvon« stellte zwar eine Anzeige in Aussicht (XIII
[1893], S. 442), vergaß aber darauf. Die slovenische Öffentlichkeit kümmerte
sich weiter nicht um das Buch ....
Die Chrestomathie liegt nun in zweiter nmgearbeiteter Auf läge vor. So
ist es auf dem Titelblatte zu lesen.
In der Tat aber sind die Änderungen sehr formeller Natur.
Die oft interessanten und inhaltsreichen Bemerkungen, welche früher
einen Anhang von S. 357 — 411 bildeten, haben einen passenderen Platz be-
kommen und sind auf diese Weise vielleicht dem früheren Schicksale ent-
gangen, als minderwertig von den Professoren nicht beachtet und von den
Schülern nicht gelesen zu werden. In der neuen Ausgabe stehen sie entweder
klein gedruckt unter dem Texte oder sind gar zu selbständigen Nummern
erhoben worden, wie die Auszüge aus Valvasor (96 — 101), die Abhandlung
über die Entwicklung der Passionsspiele bei den Slovenen, oder das wenige,
was Sket über Levstik, Jenko, Jurcic und Stritar zu sagen wußte und weiß.
Das Bestreben des Verfassers, auf Kosten der Schriftstellerei vor
Preseren die Zahl der Lesestücke aus Preseren und der neueren Literatur zu
vermehren, kann man nur billigen. So finde ich aus den Freisinger Denk-
mälern nur noch das erste Fragment abgedruckt und dann mit wenig Aus-
nahmen bis Preseren jeden Schriftsteller durch wenigere oder kürzere Bei-
spiele vertreten, als in der ersten Ausgabe. Hingegen kommt bei Preseren
unter anderem der ganze Sonettenkranz neu hinzu, Jurcic ist neu vertreten
durch vier Kapitel aus seinem Romane Rokovnjaci, Stritar durch den Essai
über Jurcic und ein Kapitel aus dem Romane Sodnikovi, Askerc durch einige
Beiner besten Gedichte; Dr. Tavcar, Janko Kersnik (Aus der Erzählung:
Ocetov greh) Janez Trdina (Vila in junak Petrovic, und etwas aus den
Hrvatski spomini), Fran Mesko (aus der Skizze: Cigancek. 1904), Oton Zu-
pancic (9 Gedichte) — alles das sind neue Erscheinungen der zweiten Aus-
gabe. Ein schweres Opfer hat Sket gebracht und sich von der bei uns noch
immer beliebten Einbildung vom pannonischen Ursprünge des Altkirchen-
slavischen verabschiedet (S. 22). Mit Rücksicht darauf, daß sich in seiner
»Staroslovenska citanka« für die 7. und 8. Gymnasialklasse noch immer die
pannonisclie Hypothese breit macht, hätte Prof. Sket hier seine Bekehrung
wohl etwas näher auseinandersetzen sollen.
Wenn ich noch hinzufüge, daß nach Kos die Regierungszeit Samos' statt
627 — 061 in die Jahre 623 — 6.')8, das erste Auftauchen des Namens Carniola
statt 73S ins Jahr ca. 670 versetzt wird (6), und daß die Namen der Kärntner
Wojwoden Vojnomir Ingo, Pribislav, Semika, Stojmir, Etgar (ibid.) in der
ersten Ausgabe nicht zu finden sind, so ist hiermit der Vorrat dessen, worin
sich die neue Ausgabe als eine Umarbeitung äußert, so ziemlich erschöpft.
J 54 Kritischer Anzeiger.
Prof. Sket hat es nicht für notwendig erachtet, seinen vor 12 Jahren
geachriebenen Abriß der slovenischen Literatur auch nur durch einen ein-
zigen neuen Strahl zu beleuclitcn, hat die berechtigten Wünsche Oblaks be-
züglich Kopitar, Levstik, Jurcic und Eijavec vollständig ignoriert, und ver-
kündet der Welt, daß er sein Buch umgearbeitet habe. Es kann doch nur
von einer kleinen Erweiterung die Rede sein, obwohl eine Umarbeitung so-
wohl möglich als auch notwendig gewesen wäre.
Deun während dieser letzten 12 Jahre hat man nicht einmal im Slo-
venenlande auf der ganzen Linie den Schlaf des Gerechten geschlafen. Seit-
dem ist die slov. Literaturgeschichte von Glaser erschienen, die zwar niclit
dem modernen Ideale einer Literaturgeschichte entspricht, aber doch eine
Menge Material bietet und dem Nachfolger bedeutend die Arbeit erleichtert.
Dr. Murko hat für den Slovnik naucny Otto's (sub Jihoslovaii6) in kurzen
Zügen den Gang der slovenischen Literatur gezeichnet und besonders den
fremden Einfluß hervorgehoben. In den slovenischen Zeitschriften wurde so
manche Frage slovenischer Literatur erörtert. Und ich kann wirklich nicht
verstehen, warum ein für das leichtgläubige Schülerpublikum bestimmtes
Buch solche Winke nicht verwerten dürfte ! Nicht alle haben ja im späteren
Leben Gelegenheit, Literaturgeschichte zu studieren, und das nach den An-
gaben des Schulbuches gezeichnete ßild wird bei so manchem durch kein
anders gefärbtes ersetzt! Daher sollte man glauben, daß sich der Verfasser
eines solchen Buches zur Aufgabe stellen werde, alle sicheren Resultate ein-
schlägiger Studien zu einem einheitlichen Bilde vereinigt in möglichst
kurzer, aber doch alles zum Verständnisse Notwendige enthaltender Form
wiederzugeben !
Die Scheidung der Literaten in solche, welche an üblicher Stelle mit
üblichen Lettern gewürdigt zu werden verdienen, und solche, die sich mit
einigen klein gedruckten Sätzen unter der Zeile begnügen müssen, acheint
mir nicht besonders passend. Man stelle nur folgende Parallele: der Verse-
schmied Koseski an üblicher Stelle (S. 282 — 287); die Dichter Gregorcic und
Askerc unter der Zeile (413 Anm. 1; 432 Anm. 1)! Ich wage es auch zu be-
haupten, daß es dem Zwecke des Buches nur nützen könnte, wenn der
literaturgeschichtliche Teil ganz von der Chrestomathie getrennt für sich ein
fortlaufendes Ganze bilden würde (jetzt wechseln literaturgeschichtliche
Notizen mit Lesestücken aus den betreffenden Schriftstellern), etwa in der
Form der Strucne dejiny literatury ceske, ein Hilfsbuch für Mittelschulen
und Lehrerbildungsanstalten, dessen ersten Teil Dr. Jaroslav Vlcek und Dr.
Emil Smetänka voriges Jahr im k. k. Schulbuchverlage zu Prag herausgaben.
Daß man aber auch in der von Sket bevorzugten Form seine Aufgabe ganz
anders lösen kann, als er es tat, davon kann er sich überzeugen, wenn er
etwas Aufmerksamkeit den Wypisy polskie dla klas wyiszych von St. Tar-
nowski und Josef Wöjcik (LT.) und St.Tarnowski und Fr. Prochnicki (ILT.),
Lemberg 1894 schenken will.
Prof. Sket hat es nicht verstanden, das meist von verschiedenen Literar-
historikern (Levec, Perusek, Lendovsek, Wiesthaler u.s.w.) stammende Mate-
rial gehörig abzurunden, das Zusammengehörige an einem Punkte zu ver-
Sket, Sloven. Chrestomathie, angez. von Kidric. I55
einigen und so dem Ganzen ein einheitliches Gepräge zu geben. Und so
kommt es, daß über den Volksschriftsteller und Pädagogen Bischof Slomsek
auf S. 256—263 ausführlich gesprochea wird, seine pädagogische Schrift-
stellerei aber auf S. 273 noch einmal behandelt werden muß. Über den Pfarrer
Volkmer wird auf S. 128 das Notwendige gesagt, auf S. 145 ist ein Lied aus
seiner »Basni in pesni« abgedruckt mit einer Anmerkung über die Ausgaben
seiner Lieder und auf der nächsten Seite folgt wieder eine Abhandlung
Slomseks »Über den berühmten Dichter der Wind. Bücheln und seine Zeit«
(146 — 148). Über Kopitar ist auf S. 151 und dann wieder auf S. 223 Anm. 1
etwas zu lesen. Die illyrische Bewegung wird an mehreren Stellen berührt
(S. 200, 246 Anm. 1, 247 Anm. 1, 249—251, 274, 309—310), aber eine klare
Vorstellung über ihre Entstehung und Bedeutung, über die Triebfedern und
Hemmnisse ihres Hinübergreifens auf den Stamm der Slovenen geht daraus
nicht hervor. Die Krainer huldigten ja einem Individualismus, dem gegen-
über sich auch der Name Slovene erst Geltung verschaflFen mußte, und der
Bewegung arbeiteten auf slovenischem Boden historische und politische Mo-
mente entgegen. Dies und Ahnliches wird aber nicht erwähnt. Ich bin über-
zeugt, daß jene, welche einst nach diesem Buche slovenische Literaturge-
schichte studierten, aber später nicht selbständige Studien machten, die
Tätigkeit eines Vraz, Trstenjak, Jarnik, Majar u.s.w. nie verstanden und nie
verstehen werden, wenn nicht zufällig ihr Professor mehr wußte als das Buch
und es ihnen auch sagte, was bei uns nicht immer zu geschehen pflegt.
Aber dem jungen Slovenen wird noch manches andere unverständlich
bleiben.
Er wird in der Schilderung der mittelalterlichen Periode erfahren, wie
groß das Ansehen der slovenischen Sprache gewesen sein soll, da die Kärnt-
ner Herzöge auf dem deutschen Reichstage in slovenischer Sprache sich ver-
teidigen durften und die Kärntner Ritter im Jahre 1227 Ulrich von Lichten-
stein mit den Worten: Buge was primi, gralwa Venus begrüßten, wird aber
umsonst eine Erklärung dafür suchen, wieso es kam, daß trotz dieses An-
sehens für die Pflege der slovenischen Sprache fast soviel wie nichts geschah.
Er wird hie und da im Buche von Schulen auf slovenischem Gebiete
hören, aber nie erfahren, wie jeweilig so ein Ding aussah, was man dort hörte
und lernen konnte.
Der Zusammenhang der Literatur des slovenischen Volkes mit der
Geistestätigkeit seiner Nachbarn wird ihm fast ganz unbekannt bleiben. Und
doch war es das italienische Vorbild, nach dem Ende des XVII. Jahrh. in
Laibach die Academia opcrosorum ins Leben gerufen wurde, die für diesmal
zwar bald einschlief, aber Endo des XVIII. Jahrh. aufs neue erweckt wurde
und ihre Erwecker zugleich die Erwecker der sloven. nationalen Literatur
waren. Der Einfluß Klopstocks auf den sympathischen Vertreter der Auf-
klärungsperiode Linhart und der Einfluß der deutschen Romantik auf Pre-
leren und seine Zeit findet im Buche Skets keinen Platz. Vergebens sucht
man darin den Namen eines Kollär, dessen Einfluß auf den Grazer Kreis sich
in den 30er Jahren bemerkbar machte, umsonst den eines Mickiewicz, mit
dem die polnischen Emigranten die Slovenen bekannt machten.
156 Kritischer Anzeiger.
Hier möge ein Schjittenbild unseres literarischen Unterrichtes erwähnt
werden! Für ein Schatteuhild halte ich es nämlich, daß jun;,'e Slovenen das
Gymnasium verlassen, ohne im literaturgeschiclitlichen Unterrichte aus ihrer
Muttersprache jemals nur die Namen der größten G(!istebheld''n anderer
Slaven gehört zu haben. Ich glaube, es wäre doch kein so großes Staatsver-
breclien, dies irgendwo in möglichster Iviirze anzudeuten, sei es zur lilustrie-
rung einzelner Perioden in der Form, wie Tarnowski und Wojcik die aus-
ländische Literatur im XVI. Jahrh. andeuteten (o. c. I. 183), sei es durch Auf-
nahme von Übersetzungen in die Chrestomathie, was besonders im Lesebuche
für die 5. und 6. Klasse geschehen könnte, wo einzelne Dichtungsgattungen
erklärt werden.
In der Abhandlung über die Passionsspiele (lOö ff.) vermisse ich die Er-
wähnung der Passionsspiele in slovenischer Sprache schon im Jahre 1700 zu
Maria Rast bei Marburg a/D., also 21 Jahre vor dem von iSket hervorgehobe-
nen Beispiele zu Bischolslack.
Es sollte im Buche das Faktum und die Zeitperiode angedeutet werden,
da die deutschen Komödiautt^n und die italienische Oper den Weg nach Lai-
bach fanden (XVII. Jahrh.). Liuhart, der sich um das slovenische Theater so
bedeutende Verdienste erwarb, liätte eine eingehendere Besprechung ver-
dient. Die Oberflächlichkeit aber und Unaufmerksamkeit, womit Sket die
slovenische dramatische Literatur behandelt, auf S. 278 fünf Namen auf-
zeichnet und von ihnen nur berichten kann, daß sie schöne Erfolge erzielt
hätten, ohne nur ein einziges Lesestück aus dem slovenischen Drama in seine
Chrestomathie aufzunehmen, verdient wohl, öffentlich gerügt zu werden.
Überhaupt behandelt Sket die Literaten nach Preseren viel zu stief-
mütterlich, ausgenommen Koseski. Erjavec wird man bald in England besscj.
kennen, als ihn nach Skets Meinung die slovenische Intelligenz zu kennen
braucht. Die rege literarische Tätigkeit des letzten Dezenniums (18!)3 — 1903)
wird auf S. 277 — 278 in 21 Zeilen behandelt und gesagt, in Poesie und Prosa
habe sich ein neuer Geist geltend gemacht, der aber nicht im heimatlichen
Boden wurzelt, sondern in der moderneu Strömung anderer Weltliteraturen.
Worin dieser fremde Geist sich äußere und ob diese slovenische Moderne
mit dem heimatlichen Boden wirklich nichts Gemeinsames habe als die
Sprache, darüber wird geschwiegen. Ich verlange nicht, daß die neueste
Literatur und die zum Teil noch lebenden Schriftsteller so ausführlich be-
handelt werden sollen wie die der früheren Perioden, aber mit solchen nichts-
sagenden Phrasen soll man die Jugend nicht füttern, unter welchen man sich
alles und nichts vorstellen kann, und gerecht soll man sein. Prof. Sket hätte
konsequent bleiben und sich von dem traditionellen Nichtanerkennen unserer
jüngeren Talente von Seiten der älteren slovenischen Professorengeneration
frei machen sollen, zumal wenn diese Talente schon im Grabe ruhen, wie die
beiden Dichter Mnrn-Aleksandrov und Kette; letzterer wird im Buche nur
genannt (278), Murn-Aleksandrov dazu noch mit einem Satze unter der Zeile
ausgezeichnet (468 Anm. 3), ohne daß Prof. Sket nur ein einziges von ihren
Gedichten der Aufnahme würdig erachtet hätte, obwohl einige zum Besten
gehören, das die slovenische Literatur stolz ihr Eigentum nennen kann.
Sket, Sloven. Chrestomathie, angez. von Kidric. 157
Ebenso hätte Sket neben Mesko und Zupancic auch für Ivan Cankar ein
Plätzchen finden sollen, denn wenn man die Literatur bis in ihre neuesten
Produkte verfolgt, muß man zufällig eben auch den anerkanntesten und in-
dividuellsten Schriftsteller der Gegenwart gebührend berücksichtigen. Der
sondeibare Umstand, daß einmal ein hypereifriger Bischof den ganzen Verlag
von Cankars Gedichten um klingende Münze gekauft und so konfisciert hat,
darf nicht in die Wagschale fallen. Cankar ist ja sehr fruchtbar und Sket
hätte gewiß etwas geeignetes finden können.
Bis auf die angeführten Lücken ist ja dieAuswahl der Lesestücke recht
glücklich getroffen. Dr. Tavcars juristische Abhandlung »über das Steuer-
buch und dessen zwei wichtige Eigentümlichkeiten« (418) ist zwar nicht das
charakteristischeste Erzeugnis seiner Feder, aber wie ich nachträglich aus
dem letzten Heft des Ljubljanski Zvon« (Jänner 1906; erfahre, hat das Mi-
nisterium selbst ein solches Stück verlangt.
Auf S. 5 vermisse ich die beiläufige Grenze zwischen Kroaten und Slo-
venen in Istrien. Das Fragment aus den Freisinger Denkmälern ist abge-
druckt in der Orthographie des Originales und in neuslovenischer Trans-
scriptioD. Doch wenn Prof. Sket die Schreibweise des Originales wiedergeben
will, darf er uiclit das dort zusammengeschriebene beliebig trennen, die Inter-
punktionen ganz nach dem heutigen Gebrauche setzen und die sogenannten
Accentzeichen bald anbringen bald auslassen. S. 3028 ist wohl sinic(s)tve und
nicht cinistve zu lesen. Voudräks Ausgabe der Freis. Denkmäler scheint
Sket nicht zu kennen. Da Sket die Werke der ältesten Schriftsteller durch-
wegs in der Original-Schreibweise abdruckt, und z. B. auch mylhost (= mi-
lost) und pustill unverändert läßt (S. 53), hätte er konsequent auch die Wie-
dergabe der slovenischen c- und c-Laute unverändert lassen sollen, zumal
diese den Protestanten die größten Schwierigkeiten bereiteten. Als letztes
slov. prot. Buch muß der Katechismus . . . Jansha Snoilfhika, Tübingen 1595
hervorgehoben werden. In Nestor pflegt man heutzutage nicht mehr jenen
Verfasser von Viten und der russ. Chronik bis 1113 zu sehen, wie anno dazu-
mal und bei Sket S. 181 Anm. 1, sondern möglicherweise einen Mitarbeiter
jener mehreren Mönche, als deren Produkt die sogen. Nestorsche Chronik
erscheint.
Es lag mir fern der Gedanke, die Verdienste Skets als des tätigsten
Herausgebers slovenischer Schulbücher zu schmälern. In dieser Hinsicht
kann er seinen Kollegen aus anderen Fächern ein nachahmenswertes Beispiel
^eben. Man soll vielmehr meine Sprache als einen im Namen vieler gegen
lie abtötende Manier des Unterrichtes aus unserer Literatur gerichteten
Protest betrachten ! Mit Jahreszahlen und Titeln vollgestopft schleppte man
ins vor den grünen Tisch der Prütungskommission, aber einen Einblick in
iie geistige Werkstätte unseres Volkes, in den Ideengang der Literatur ge-
währte uns das Buch Skets nicht, Professoren finden sich aber noch immer,
leren Unterricht im bequemen »von da — bis da« besteht. Und bei den
'. Stunden, die der slovenischen Sprache gegönnt sind, ist es oft auch nicht
.nders möglich. Fr. Kidrii.
Kleine Mittheilungen.
Iloma jaüHiapcKa — Poia Janidarska.
Le dictionnaire de Vuk St. Karadziö donne deux significations du mot
posa; ce serait une espece de cravate einßornes Haktuch, colloris getius; c'eat
aussi une espece de chale dont les Turcs entourent leur turban, ein schwarzer
mit Gold diirchicebter Turban, tiara nigra auro i?itexta. Le texte de Vuk se
tronve reproduit chez Ivekoviö et Broz; ils ajoutent seulement que le mot
est ötranger. Ivekovid et Broz citent aussi deux exemples, tires des chan-
sons de geste serbes, pour demontrer qu'il j avait deux especes de posa :
poSa stamholija, la posa de Constantinople et i^o^C' janicarska la posa des
janissaires.
hsi posa janicarska est mentionnee dans la littörature et dans les docu-
ments du commencement du XIX siecle. Dans les rapports verbaux de
rhonjme de confiance de Karageorges, le buljubasa Pierre Jokic, il est
question de \ü janicarska posa ä deux reprises; une premiere fois, en racon-
tant les cadeaux faits par Karageorges (avant 1804) au janissaire de son
viilage (soubacbe), Ibrahim, on parle d'une janicarska posa; et il en est
question une seconde fois, dans le rapport sur la mort d'un janissaire auquel
un insurge serbe a enlevö le pistolet et la janicarska posa '). Dans les mate-
riaux qu'on recueille ä TAcademie de Beigrade pour le dictionnaire du serbe
litteraire 2), on mentionne d'aprfes le livre Gr.Lazic Histoire Naturelle^ la
prise en 1792 sur le Cap de Bonne Esperauce d'un faucon avec une posa en
soie autour du cou. Dans un livre de V. Vrcevid *) on mentionne la posa
blanche que pouvaient porter seulement les ul6mas.
Nous devons citer aussi l'ouvrage d'un frangais, F. Beaujour, ancien
consul de France ä Salonique, intitule »Tableau du commerce de la Grece.
Paris 1800«. I, 422. En enumerant tout ce qui se fabrique en soie de Mace-
1) C. K.AKaAeMHJa, IV, MHJinheBHh Y).'K. UpH^aibe IXeipa JoKHha, 10 et 20.
2) Les mat6riaux ont et6 mis aimablement ä ma disposition parm.Mom-
cilo Ivaniö.
3) IIpocTa HapaBHa ucTopin. ByAHMi. 1836.
*) IToMaibe cpncKe HapoAHe CBeqaHOCiH. ITaH^^eBO, 1888.
Kleine Mittheilungen. 1 59
doine, on parle de »Xa. fabrication de pochs qui sont des especes de chäles dont
les jauissaires entourent leur turban«.
Pour terminer cette recherche lexicologique sur un mot appaitenant au
passe, qu'on doit considerer comme mort et faisant partie plutot des archivt'S
de la langue, nous pourrions en preciser le resultat ainsi:
La signification preiniere et originaire doit provenir de quelque mot
oriental, turc probablement, indiquant le chäle en soie (de couleur et epais-
seur variees) fait pour envelopper le chapeau — turban — des janissaires,
ulemas etc. Chaque ordre se distinguait par la couleur ou l'ornementation
Selon les prescriptions de l'etiquette turque pour la tenue.
Comme le meme chäle pourait etre employe en guise de cravate autour
du cou, cet usage preta au mot sa seconde insignification, presque oubliöe
autant que la premiere dans la langue courante.
Posa, en ce sens, devait signifier une cravate legere, comme un chäle
pli6, Sans forme precise et sans ressemblances avec celles qui se portent
actuellement.
Beigrade, le 17 dec. 1905. St. Novakoviö.
Cech. kos fei.
In Kuhns Zeitschr. XXXIX. 54.5 habe ich cech. kostel 'Kirche' = lat.
castellum zweifelnd aus der äußeren Ähnlichkeit der von einer Mauer um-
gebenen Kirche mit einem Schloß erklärt. Mein Kollege Rud. Much wies in-
dessen gelegentlich eines Vortrages, den ich auf dem Indogermanischen
Abend in Wien hielt, auf die wirklich nach Art von Kastellen gegen feind-
liche Angriffe befestigten mittelalterlichen Kirchen hin, die die cechische
Bezeichnung verständlich machen. Ich habe seitdem selbst die 1279 gegrün-
dete gotische Pfarrkirche von Eisenerz gesehen, die von starken Mauern und
Türmen mit Schießscharten umgeben ist. Auch das Blasienmünster in Ad-
mont ist mit einer von Schießscharten gekrönten Mauer befestigt. Inzwischen
hat H. Lewy K.Z. XL. 205 auch auf die Kirchenburgen Siebenbürgens hin-
gewiesen, wie es deren z.B. in Mediasch, Elisabethstadt, Ilararuden, Tartlau,
Broos, Grossau noch gibt. Der cechische Ausdruck setzt jedoch voraus, daß
ill solche Kirchenkastelle gerade in Böhmen besonders häufig gewesen sind.
t| Ich habe indessen nur ein einziges Beispiel dafür gefunden, die 1350 als
Pfarrkirche erwähnte Filialkirche des Heil.Martinus in Tozitz (Bezirk Selcan),
die nach lllävka's Topographie der histor. und Kunstd. im Kgr. Böhmen III
Prag 1899), S. 144 »auf einer Anhöhe inmitten des mit einem wehrhaften
Mauerring und mit einem teilweise noch erhaltenen Graben umgebenen Kirch-
hofes« steht. Es ist zu vermuten, daß es solcher befestigter Kirchen in Böh-
men noch mehrere gibt, die vielleicht bessere Kenner dieses Landes nach-
weisen können.
Wien. r. Kretschmvr.
] ()0 Kleine Mittheilungen.
Slavische Etymologien.
I.
Ural. *{>enh, *i>thih und *tSn/b.
Diesen dnn Worten wiumete in einem der letzten Hefte von Bezzen-
bergers »Beiträgen« (II.— III. Heft d. XXIX. B. [S. 14:5-178]) Dr. Voudräk
eine spezielle Untersuchiuig. Wodi-;r ist er mit Miklosich (EW.) einverstjinden,
der ohne weiteres die Formen tenb und serih aus stenb ableitet, noch mit Brug-
mann Gr. 2 546, der im Urslavischen doppelte Formen annimmt, nämlich
*skenb (woraus *senb) und skenb (woraus sthib). Herr Voiidräk weist mit vollem
Rechte darauf hin, daß der letzteren Etj'mologie nicht nur das Vorhanden-
sein von CT'kHt in den ältesten altkirchenslavisclien Denkmälern wider-
spricht, die in anderen Fällen die Gruppe .s/c in sc umwandein, sondern auch
der Übergang derselben Form im Westslavischen in sc (v. altksl. CHlvTATv
»solus« bei altcech. sciehly, poln. szczegöl). In Anbetracht alles dessen billigt
Herr Vondräk Brugmanns Etymologie von *senb, glaubt aber für *tenb einen
andern Ursprung annehmen zu müssen und erklärt *tenb phonetisch aus
*te/n-7ib (vev^\.*pomen-t7qti) nC>M'k»A'\TH). *s/enb ist dai;egen nach Vondräks
Meinung aus einer Kombination von *te/ib und *se)ib entstanden.
Selbst wenn diese Etymologie, phonetisch betrachtet, ganz richtig wäre,
auch dann hätte sie wenig Wahrscheinlichkeit für sich, weil ihr Verfasser
einige diesen Worten der Form wie der Bedeutung nach sehr nahestehende
Bildungen anderer idg. Sprachen außer Acht gelassen hat. Denn kaum ist
wohl zu bezweifeln, daß ursl. *stenb sich so zu *tenb verhält, wie z. B. altind.
stäyät »verborgen sein« zu altind. täyus »Dieb«, zend. täyis, altksl. TAKhy
TaTK, gr. TrjTKü), dor. Turäco »raube« Hirt, Ablaut § 77. Der Wechsel der
Gruppe st- und /- im Wortbegian im idg. gibt uns das Recht, für die einheit-
liche Herkunft von *stenb und *te7ib einzutreten, und der eventuelle Schwund
des nichtsilbenbildenden Elementes in Diphthongen vor Vokalen in derselben
Sprache erlaubt uns mit diesen Worten slav. TaTk und gr. tktkw in Ver-
gleich zu stellen. Interessant ist es, daß sich im Altindischen sogar die redu-
zierte Form der Wurzel *stüi\m Substantiv stenü-s »Dieb«, »Räuber« erhalten
hat, dessen Ähnlichkeit mit dem altksl. CTlvllk umsomehr auffällt, als das
letztere Wort gleichfalls eine Form masc. g. war.
Seine Hypothese sucht Vondräk durch den Hinweis auf slov. zatb»
»Sonnenuntergang«, slov. töna »Schatten« zu bekräftigen; doch ist nur das
große Interesse an seiner Hypothese schuld, daß er eine semasiologische
Schwierigkeit sieht in der Annäherung dieser Worte an sl. zatöniti »ins Was-
ser tauchen«, zatbn »lusel«, russ. tohs, die aus *topn- abzuleiten sind. Noch
problematischer ist Herrn Vondräks Etymologie des Wortes *telo aus Hemslo
»Spiegelung des Schattens«: ungeachtet äußerster Künstelung und Gesucht-
heit in Betreff der ihr zugelegten Bedeutung hat sie phonetische Schwierig-
keiten im Gefolge, da Hemslo im ursl. *t^slo, doch nicht telo lauten müßte.
Übrigens gibt Herr Vondräk im Nachtrage auf S. 248 diese Etymologie
selber auf. (Fortsetzung folgt.)
S t. P e t e r s b u r g. G. Iljinskij.
Cyrillo-Methodiana.
In neuerer Zeit ist eine Reihe von Betrachtungen kritischer Art
über die große kulturhistorische Frage, die an die Kamen Konstantin,
vulgo Kyrill, und Method geknüpft ist, erschienen. Unsere Zeitschrift
soll dieser Kritik nicht aus dem Wege gehen, wenn auch der Umfang
der Einzelforschungen nicht gestattet, sie vollinhaltlich dem Leser vor-
zulegen. Wir müssen uns mit den Auszügen und Resum^s, die wie ein
kurzer Rechenschaftsbericht aussehen, begnügen, die uns zum Teil von
den Verfassern selbst (Prof. Brückner, Dr. Franko) eingesendet, zum Teil
von der Redaktion (d. h. von mir) geliefert werden. Nach dem einmal,
vor beinahe hundert Jahren, von Dobrovsky dem Kopitar gegenüber
(die ja gerade in dieser Frage immer auseinandergingen) gemachten
Ausspruch »judicia sunt libera«, sollen auch hier alle Ansichten, mögen
sie uns gefallen oder nicht, frei zum Ausdrucke kommen. Es ist nicht
zu befürchten, daß die Wahrheit dadurch unterdrückt oder auf falsche
Bahnen gelenkt werden könnte. Der subjektive Hintergrund einzelner
Forscher vermag zwar den geschichtlichen Tatsachen verschiedene Be-
deutung und Tragweite beizumessen, doch solche Färbungen verblassen
mit der Zeit, das Wesentliche, die Materie bleibt. Ob man bei der Be-
urteilung eines weltgeschichtlichen Ereignisses gerade seinen persön-
lichen Stimmungen frei die Zügel schießen lassen soll, diese Frage
könnte, wie es einmal beim ersten Erscheinen der römischen Geschichte
Mommsens der» Fall war, auch jetzt angesichts der Einfalle und Kom-
binationen Lamansklj's oder Brückners aufgeworfen werden. Docli
weder hat die römische Geschichte Mommsens der Geschichtsforschung
zum Schaden gereicht, noch wird unsere große Frage durch die er-
wähnten Exkurse geschädigt. Im Gegenteil, es eröflfnen sich neue Ge-
sichtspunkte, die manchen bisher noch dunklen Winkel beleuchten oder
wenigstens das Vorhandensein desselben aufdecken, und der weiteren
Forschung fällt die Aufgabe zu, die laut werdenden Zweifel oder Be-
denken zu beseitigen. Ich wollte mir erlauben, hie und da eine kurze
Archiv für slavische Philologie. KXVIII 11
162 V. Jagiö,
Bemerkung unter dem Texte hinzuzufügen, doch unterließ ich es, um
nicht den Eindruck der Selbstüberhebung oder des Hanges nach Maß-
regelung fremder Urteile, die ich immer hochachte, hervorzurufen.
Selbstverständlich würde durch solche Bemerkungen nicht gleich die
Sache abgetan sein, da sie ja nur kurze Schlagworte oder Anspielungen
enthalten müßten, deren jede zu einer ganzen kritischen Abhandlung
anwachsen könnte. Ich zog es daher vor, meine Gegenbemerkungen
zu unterdrücken. V. J.
I. Tita Cyrilli.
Kritische Bemerkungen (Fortsetzung).
III.*)
(J. d. M. d. Aufkl. 1903, April, S. 359—374). Die Motive der
Reise Konstantins nach Cherson gleichen auffallend jenen der Mission
zu den Sarazenen. Den Zweck beider bildete eine religiöse Disputation.
Dort war die Zeit ungefähr bestimmt, hier wird sie nicht angegeben.
Nur zufällig erfahren wir auch das, daß Konstantin auf dieser Reise
den Bruder Methodios zum Begleiter hatte. Dieser soll den ausführ-
lichen Bericht Konstantins über seine Disputation mit den Chazaren
aus dem Griechischen ins Slavische tibersetzt haben. Aus dem Wortlaut
der Legende kann man aber folgern, daß der Verfasser der letzteren
jene Schrift selbst nicht näher gekannt hat. Wann fand nun die Über-
setzung Methods statt? In der Krym, auf dem Rückwege oder in Kon-
stantinopel? Doch wohl nicht auf der Fahrt nach Mähren. Übrigens
ist nirgends gesagt, daß Konstantin selbst alle die Gespräche mit den
Chazaren niedergeschrieben. Vielleicht ist auch die Notiz, daß die
Übersetzung von Methodios herrührt, eine spätere Einschaltung. Der
Verfasser der Legende legte auf die ganze Chazarenmission kein zu
großes Gewicht. Manches mag er von Methodios selbst gehört haben,
aber ohne alles richtig wiedergegeben zu haben. In der Erzählung von
* *) Der Anfang dieser Abhandlung ist im XXV. B. des Archivs S. 544 —
553 erschienen. Die Fortsetzung der sehr ausführlichen, noch immer nicht
zu Ende geführten Darstellung zwingt mich, aus Raumersparnis den weiteren
Verlauf der Beweisführung nur in kurzem Auszug mitzuteilen. Wer sich um
die Einzelheiten interessiert, wird sie leicht nach den genauen Angaben der
Bände und Seitenzahlen der russischen Zeitschrift im Original nachschlagen
können. F. J.
Cyrillo-Methodiana. 163"
der Erlernung der hebräischen Sprache, von der Begegnung Konstantins
mit einem Samaritaner und von der Entdeckung der Bücher mit »russi-
schen Buchstaben« spielt augenscheinlich ein Wunder mit. Wollte man
nämlich der Legende aufs Wort glauben, so hätte Konstantin in der
kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Cherson erlernen müssen : 1) hebräisch,
2) samaritanisch, 3) chazarisch, 4) russisch, d. h. skandinavisch, und
5) gotisch. Selbst der genialste Mensch ist nicht im Stande, alles das
im Verlaufe von einigen Wochen zu leisten. Das Chazarische, wovon
übrigens die Legende nicht ausdrücklich spricht, könnte Konstantin
allerdings schon in Konstantinopel erlernt haben. Betreffs des Hebräi-
schen meinte Malysevskij, daß es Konstantin ebenfalls schon von früher
her bekannt sein konnte (vergl. in TpyAW Kieß. Ayx. Akra. 1878 Juni-
heft: EnpeH BX I02KH0H Pocciii h Kießi). Es ist glaubhaft, daß Kon-
stantin in der Tat hebräisch und samaritanisch schon in Konstantinopel.
aus Gründen eines tieferen biblischen Studiums, gelernt hatte. Doch
was die Benutzung einer Grammatik oder des Lexikons des Hebräischen
im IX. Jahrh. anbelangt, waren Malysevskij und Bodjanskij falsch be-
raten. Die erste Grammatik kam erst im X. Jahrh. zustande Näheres
auf S. 367/9), Konstantin hätte also nur durch den persönlichen Verkehr
mit den Juden das Hebräische sich aneignen können. Das war bei dem
damaligen Antisemitismus nicht so leicht, und seit der Ankunft Kon-
stantins nach Konstantinopel reichte auch seine Zeit kaum aus, um
solche Studien zu treiben, da er gewiß schon damals, während seiner
Besuche bei der Mutter in Saloniki und bei dem Bruder Methodios zur
Zeit seiner weltlichen Amtstätigkeit, auf seine große slavische Mission
bedacht war, (Folgt eine Parallele aus dem Leben des heil. Origenes
und des heil.Hieronymus.) Der Legende ist also in diesem Punkte nicht
zu glauben. »Die Erlernung der hebräischen Sprache wurde von dem
Biographen an Cherson geknüpft, vielleicht darum, um sich und dem
Leser begreiflich zu machen, wieso Konstantin mit den Chazaren-
Hebräern disputieren und sich verständlich machen konnte. Wahr-
scheinlich glaubte der Verfasser der Legende, daß Konstantin in hebräi-
scher Sprache mit ihnen Gespräche führte. Unmittelbar nach der Er-
zählung von den hebräischen Studien Konstantins spricht die Vita auch
von einer samaritanisclien Handschrift, wahrscheinlich darum, weil ihr
die nachfolgende Mitteilung von der durch den Philosophen erfolgten
Entzifferung einer Inschrift auf einem Kelch vorschwebte. Diese In-
schrift war nämlich mit hebräischer und samaritanisoher Schrift ge-
1^4 V. Lamanskij,
schrieben. Niemand konnte sie entziffern und lesen. Der Philosoph las
sie als Kenner der hebräischen und samaritanischen Bücher. Von seiner
Vertrautheit mit diesen Sprachen war gerade darum schon vorher die
Rede, bei der Erwähnung seines Aufenthaltes in Cherson.
IV.
(Ib. S. 374 — 379). Es handelt sich um die Bedeutung der «russi-
schen« Schrift, in welcher angeblich ein Evangelium und Psalter ge-
schrieben und von Konstantin vorgefunden wurden. Die übliche Deu-
V
tung dieäer Benennung wird seit Safarik auf Waräger-Russen bezogen
und diese werden mit den Krymgoten identifiziert. Die Erklärung Va-
siljevskij's lautet zwar etwas anders, doch im wesentlichen kommt auch
sie auf dasselbe hinaus, d. h. man dachte an die bekannte Übersetzung
Vulfiia's.
V.
(Ib. S. 379 — 385). Die Abweichungen in den Ansichten zwischen
Golubinskij und Malysevskij einerseits und Vasiljevskij's andererseits
werden näher besprochen. Vasiljevskij glaubte, daß in der vorausge-
setzten griech. Vorlage der pannonischen Konstantinlegende statt der
»russischen« Schrift der Ausdruck »tauroskythisch« stand. Die Ansicht
Voronov's bezüglich der griech. Vorlage der Legende zurtickweisend,
lehnen wir auch die Benennung »tauroskythisch« ab. Die Wahrschein-
lichkeit einer Verwechselung der barbarischen Russen mit den in Kon-
stantinopel schon längst bekannt gewesenen orthodoxen Goten ist
äußerst gering. (Das wird näher ausgeführt.) Wenn der fern von der
Mündung der Donau lebende Walafrid Strabo (f 849) die Möglichkeit
hatte zu erfahren, daß bei den Goten der Gottesdienst in ihrer Sprache
verrichtet wurde, so mußte um so mehr Konstantin etwas davon wissen.
Möglicherweise trug er schon in Konstantinopel Sorge dafür, um die
gotische Übersetzung in die Hand zu bekommen, was ihm der gelehrte
Photios leicht verschaffen konnte, so daß er mit der gotischen Schrift
und Sprache schon vor seiner Reise nach Cherson bekannt werden
konnte.
VI.
(Journ. d. M. d. Aufkl. 1903, Mai, S. 136—142). Die Beweis-
führung betreffs der Asowschen und Pontischen Russen und ihrer angeb-
lichen nahen Verwandtschaft mit den Krymschen Goten wird einer
Cyrillo-Methodiana. Iß5
näheren Prüfung unterzogen, wobei die Darstellung Golubinskij's der
kritischen Betrachtung dieser Frage zugrunde gelegt wird. Alle von
Golubinskij angeführten arabischen Zeugnisse betreflfs einer Stadt
»Russiac am Don und betreffs des Schwarzen als russischen Meeres
datieren aus dem XI. — XIV. Jahrh., also aus einer Zeit, da man unter
Russland schon das slavische Land und das slavische Volk verstand.
Inzwischen wurde gerade das älteste und glaubwürdigste Zeugnis des
arabischen Schriftstellers Ibn-Chordad-be von Golubinskij außer Acht
gelassen. Aus diesem ergibt sich, daß er den Don für slavisch hielt :
»le Tanais le fleuve des Slaves«; er spricht von russischen Kauflenten
und fügt hinzu: »les Russes qui appartiennent aux peuples slaves se
rendent aux rögions les plus ^loignees de Qaklaba«. Das Schwarze
Meer nennt er dagegen öfters Chazarisches Meer (la mer des Khazares).
Diese Belege des Ibn-Chordad-be sprechen nicht zugunsten der An-
nahme Golubinskij's von einem besonderen Asowschen und Schwarz-
meer-Russland, das nicht lange vor 839 neben den Tetraskytben und
taurischen Goten sich niedergelassen hätte und mit diesen in eins zu-
sammengeflossen wäre, so daß man Gotisch auch Russisch und Russisch
auch Gotisch genannt hatte. »Eindringend in das Zeugnis eines so
nüchternen Mannes, wie es Ibn-Chordad-be war, kommen wir zu dem
Schlüsse, daß schon 846/7 einige Russen (d. h. Normannen) in unserem
Lande so fest ansässig erscheinen, daß sie sogar bilingues waren, neben
ihrer Muttersprache auch slavisch sprachen, und auf Grund dieser
Kenntnis bei den einflußreichen slavischen Eunuchen am Hofe Bagdads
Privilegien erlangten als Kauf leute. Dieser Umstand spricht dafür, daß
die Normannen nicht erst seit Rurik, sondern wohl schon viel früher bei
uns auftraten. Wenn das Auftreten Ruriks und die sogenannte Grün-
dung des russischen Staates nicht gerade in das Jahr 862 versetzt wer-
den muß, sondern auch beliebig früher, so ist es auch nicht notwendig
darauf zu bestehen, daß Askold oder eigentlich die Russen mit Askold
nicht schon vor 862 hätten Kijew besetzen können und daß die Kijewer
Russen nicht im Stande gewesen wären, sich zu dem Ausfall vom
18. Juni 860 vorzubereiten.«
VII.
(Ib. S. 142 — 150). Dieses ganze Kapitel ist den ältesten Beziehun-
gen der Ostslaven (späteren Russen) zu den Finnen, Litauern und Letten
und zugleich mit diesen zu den Normannen gewidmet und bezweckt.
166 V. Lamanskij,
dem Leser nahe zu legen, daß die Ostslaven viel früher, als man ge-
wöhnlich annimmt, schon an Handelsbeziehungen mit dem Orient und
dem Süden (Chazaren, Griechen) sich beteiligten.
VIII.
(Ib. S. 150 — 152). Früher, als man gewöhnlich annimmt, traten
die Ostslaven auch aus ihrer Stammeseinteilung heraus und vereinigten
sich mehrere Stämme zu einem staatlichen Ganzen. Vor den Normannen
waren die Chazaren daran beteiligt. Gardhariki ist als eine germanische
ümdeutung für das Chazarenland aufzufassen. Als Beweis dafür könnte
das sonst gänzliche Schweigen der nordischen Sagen betreflFs der Cha-
zaren angesehen werden.
IX.
(Ib. S. 152—154). Für die Annahme, daß der Überfall Konstan-
tinopels am 18. Juni 1860 nicht von den Russen der Halbinsel Krym
ausging, sondern aus dem Inneren Rußlands, aus der Kijewer Gegend,
zustande kam, werden neue, aus der den Griechen gegenüber verborge-
nen Lage des Kijewer Gebietes geschöpften Argumente gesucht.
X.
(Ib. S. 154 — 156). Über das Verhältnis der nordischen Sprache
zur gotischen (nach fremden Forschungen).
XI.
(Ib. S. 156 — 157). Weitere Betrachtungen über das Verhältnis
der Goten zu den Russen.
XII.
(Ib. S. 157 — 161). Dieses ganze Kapitel besteht aus Zitaten aus
dem Buche Hildebrand's: Das heidnische Zeitalter in Schweden, zur
Beleuchtung des Alters der nordischen Geschichte und der nordischen
Sagen.
xni.
(Ib. Juni, S. 350^ — 360). Da man im IX. und X. Jahrh. die Russen
nie mit den Goten der Krym verwechselte, so können auch unter den
russischen Buchstaben der Legende nicht die gotischen gemeint sein.
i
Cyrillo-Methodiana. 167
Aber auch die Annahme einer späteren Einschaltung dieser Stelle in
die Legende hat nicht viel für sich. Vielleicht ist das nur eine spä-
tere Umarbeitung einer an sich richtigen Tatsache, wovon weiter unten.
Früher noch etwas über die Chazaren und ihre einstige große Macht
(nach Grigorjev). »Wir würden uns nicht entschließen, die slavische
Legende von der chazarischen Gesandtschaft nach Byzanz mit der
Bitte, ihren Glaubensboten zu schicken, für glaubwürdig zu halten,
wenn nicht auch Gauderichs Zeugnis dafür vorhanden wäre. Im Zu-
sammenhange jedoch mit der Encyklika des Photios, in welcher von
der Bekehrung der Rhos zum Christentume die Rede ist, gewinnt die
Erzählung von der Gesandtschaft der Chazaren nach Konstantinopel
den Sinn, daß darunter die Russen Askolds zu verstehen sind, die nach
der vor Konstantinopel erlittenen Niederlage eine Gesandtschaft nach
Byzanz schickten, um Glaubensboten zu bekommen, die sie zum
Christentume bekehren könnten. Diese Glaubensboten waren Konstantin
und Methodios, sie gingen in das Chazarenland (darunter war das
Kijewerland inbegriffen) mit der schon fertig gestellten slavischen Über-
setzung. Unter den an der Gesandtschaft beteiligten Menschen fand
Konstantin den einen oder anderen slavisch sprechenden Russen, dem
er seine schon fertige Übersetzung des Evangeliums und Psalters vorlas.
Ein späterer Umarbeiter der Legende veränderte den ursprünglichen
Text derselben, indem er aus mährischem oder pannonischem Patriotis-
mus die Fabel von der Erfindung der Schrift und der Übersetzung des
Evangeliums erst um das J. 863, unmittelbar vor der mährischen Reise,
erdichtete. Um die Modifikation wahrscheinlich zu machen, mußte die
ursprüngliche Fassung, in welcher von dem seitens Konstantins mitge-
nommenen Evangelium und Psalter nach Chazarien die Rede war, so
umgeändert werden, daß der mährische oder panuonische Redaktor
f^anz tendenziös aus dem Russen ein mit russischer Schrift geschriebenes
Evangelium machte. Konstantin lag aber vermutlich viel daran, sich
zu überzeugen, inwieweit die slavische Sprache der makedonischen
Slaven, in welcher er die Übersetzung zustande brachte, den »chazari-
schen«, d. h. russischen Slaven verständlich war. Aus dem Gespräch
mit den Russen konnte er auch die lautlichen Eigentümlichkeiten der
russischen Sprache kennen lernen. »Auf diese Weise können die (in
der Legende erwähnten) russischen Buchstaben als Beweis dienen,
daß Konstantin der Philosoph und Methodios in das Chazarenland reisten
mit den Segnungen des Patriarchen Photios, d. h. zu jenen Russen, die
jßg V. Lamanskij,
kurz vorher auf Konstantinopel Überfälle machten und zuletzt einen
christlichen Glaubenslehrer von dort sich erbaten«.
Aus dem »Slovo« von der Auffindung der Reliquien des h.Klemens
und dem darin enthaltenen Datum 31 (23). Jänner 861 kann man er-
schließen, daß Konstantin und Method Ende Dezember oder Anfangs
Jänner 861 nach Krym gelangten. Die Voraussetzung Malysevskij's, daß
Konstantin drei oder zweieinhalb Jahre in Cherson zugebracht habe,
hält vor der Kritik nicht stand. Der erbitterte Gegner des Photio,s
Mitrophanes Metropolit von Smyma, der damals in Verbannung lebte,
hätte es nicht unterlassen, den Bibliothekar Roms, Anastasius, auf die-
sen Umstand aufmerksam zu machen, um daraus gegen Photios neue
Anschuldigungen zu schmieden, daß er einen ihm so nahe stehenden
Menschen, wie Konstantin, so lange Zeit in einem öden Orte sich auf-
zuhalten nötigte. Anastasius, der auch auf Photios nicht gut zu sprechen
war, hätte das gewiß weiter dem Bischof Gauderich mitgeteilt.
XIV.
(Ib. S. 361—369). Die Angabe Chrabr's über die Zeit der Er-
findung der slavischen Schrift ist nach der üblichen Berechnung mit
855 anzusetzen (d.h. nach Abzug von 6363 der üblichen byzantinischen
Zahl der Jahre 5508). Für diese Berechnung kann eine Wiener Hand-
schrift russischer Provenienz aus dem J. 1549 herangezogen werden, in
welcher die Abhandlung Chrabr's enthalten ist mit einem Zusatz bei der
Jahreszahl, der so lautet: »in den Zeiten des Kaisers Michael und seiner
Mutter Theodora«. Theodora war aber im September 856 schon ins
Kloster verbannt, folglich fällt die Schriftabfassung vor diese Zeit, also
855. In diesem, und fast in allen Texten Chrabr's wird Konstantin
heilig, Methodios aber bloß Bischof Mährens genannt. Soll das nicht
vielleicht bedeuten, daß zur Zeit der Abfassung der Apologie Chrabr's
Methodios entweder noch lebte oder die Nachricht von seinem Tode
Chrabr unbekannt geblieben war. In unserem (d. h. Wiener) Texte folgt
nach dem Namen des Kaisers Michael und der Kaiserin Theodora noch
der Zusatz, daß »diese zwei die Orthodoxie wiedereinsetzten und den
ersten Fastensonntag als solchen anordneten, 44 Jahre nach dem
7ten Konzil«. Da nicht das siebente, sondern das Konzil, in welchem
KvQiayir] oQd-odo^iag eingesetzt wurde, im Jahre 842 oder am 11. März
843 stattfand, so könnte die Jahreszahl 843 -j- 44 die Zeit der Abfassung
der Apologie 887 oder 886 enthalten. »Doch in einem einzigen Jahre
Cyrillo-Methodiana. 169
konnte Konstantin nicht alles leisten, darum bestimmen wir dafür die
Jahre 850 — 855. Man kann vermuten, daß er nach seiner Rückkehr
von der Mission zu den Sarazenen seine literarische Arbeit fortsetzte
und, z. B. den Apostolns, die Morgen- und Abendgebete und das Meß-
officium jetzt übersetzte für den Fall, daß das Evangelium und der
Psalter bereits früher fertig waren . . «
XV.
(Ib. S. 369 — 371). In einem bulgarischen Synodik steht nach der
Darstellung Drinov's unter dem Trnover Konzil des Jahres 1211 eine
Notiz, die »ewiges Angedenken« dem Konstantin zuruft, der unter
Kaiser Michael und der Kaiserin Theodora, die die Orthodoxie wieder
aufrichteten, die heil. Schrift aus dem Griechischen ins Bulgarische
übersetzte und das bulgarische Volk erleuchtete. Diese in die Notiz
über das Trnover Konzil eingeschaltete Erwähnung Konstantin's als
Erleuchters der Bulgaren zugleich mit der Erwähnung des Kaisers Mi-
chael und seiner Mutter Theodora kann auf alten Erinnerungen, die sich
in verschiedenen Klöstern erhalten haben, beruhen. Ein weiteres
Zeugnis dafür, daß Konstantin während der Mission zu den Chazaren
slavische Bücher schon mit sich hatte, kann man aus den Worten Gau-
derich's schöpfen, wonach Rostislav gehört hatte, quod factum fuerat a
Philosopho in provincia Cazarorum . . Wenn Rostislav und seine Mährer
nur von der mündlichen Predigt Konstantin's und Method's gehört
hätten, so würden sie keinen Anlaß gehabt haben, eine Gesandtschaft
nach Konstantinopel zu schicken, um einen Lehrer zu bekommen, der
sie selbstverständlich in den slavischen Büchern unterrichten sollte.
Die mährischen Slaven konnten aus ihren beständigen Beziehungen zu
den chazarischen Slaven leicht erfahren haben, daß die von Konstantin
mitgebrachten Bücher, wenn sie den chazarischeu Slaven verständlich
waren, auch ihnen, den Mährern, verständlich werden würden . . Wenn
aber die Nachricht von der Wirksamkeit Konstantin's bei den Chazaren
so bald zu Ohren Rostislav's kommen konnte, so muß man annehmen,
daß unser Apostel nicht in Bosphorus, nicht in Kafa, nicht in Sarkel,
sondern irgendwo mehr gegen Westen von Don und Donetz sich auf-
hielt. Könnten nicht die Griechen mit ihrer durch die von Chagan ge-
schickte chazarischo Mannschaft verstärkten Escorte am Donetz zu Schift'
und weiter am Ufer desselben bis zu irgend einer größeren Niederlassung
jenes Gebietes vorgedrungen sein, das später nebst dem Land der
170 V. Lamanskij,
Kijewer Poljanen, par excellence den Namen Rußland führte, d. h. in
das spätere Perojaslaver Fürstentum, wo vielleicht Askold selbst oder
seine Abgesandten mit ihnen zusammentrafen ? Fand nicht da irgendwo
die erste Bekehrung der Russen statt (wenn nicht geradezu in Kijew),
von welcher Photios spricht?
XVI.
(Ib. S. 371 — 382). Die Legende weiß allerdings von alledem nichts.
Dafür gibt sie ganz genau den Inhalt der Gespräche Konstantin's. Sehr
wahrscheinlich ist diese Episode nach einer slavischen Übersetzung
irgend eines noch unbekannten griechischen Traktats über die Disputa-
tionen mit den Sarazenen und Hebräern später in die Legende einge-
schaltet worden. In der ursprünglichen Redaktion der Legende, wenn
diese zu Ende des IX. oder Anfang des X.Jahrh. verfaßt wurde, können
solche Einschaltungen noch nicht vorgekommen sein. Freilich sagt die
Legende, daß diese Erzählung aus dem Referate Konstantin's in der
Übersetzung Method's im Auszug mitgeteilt sei. Doch kann ein merk-
licher Unterschied zwischen einzelnen Bestandteilen dieser Einschaltung
beobachtet werden. Die erste Erzählung trägt mehr einen literarischen
Charakter, erinnert an die später ins Slavische übersetzten Traktate
über die Disputationen mit den Hebräern und Mohammedanern. In der
Wirklichkeit zu Gast bei dem Chagan wären solche Disputationen kaum
angebracht und geziemend gewesen, da die griech. Gesandtschaft doch
auf die freundliche Stimmung seitens der Chazaren angewiesen war.
Die zweite Erzählung, wie es scheint stark gekürzt, versetzt uns in eine
ganz andere Atmosphäre, setzt eine andere Szene voraus. Hier werden
Gespräche irgendwo im Freien geführt, vielleicht am Ufer eines Flusses.
Hier bekennt sich der Chagan weder zu der hebräischen, noch zu der
mohammedanischen Konfession. So auch sein erster Ratgeber. Wir
werden in eine heidnische Gegend versetzt, wo gleichmäßig der hebräi-
sche wie der mohammedanische Glaube verkündet werden konnte. Das
könnte eine von den vielen ausgebreiteten Provinzen zwischen Don und
Dniepr, Dniestr und Bug gewesen sein, die schon damals von den später
als Russen bezeichneten Slaven besiedelt waren. Vom Ende des VII.
ibis zur Hälfte des IX. Jahrh. stand beinahe dieses ganze Gebiet in der
Gewalt der Chazaren, bei welchen neben der hebräischen die moham-
medanische Religion herrschte, zwei monotheistische Religionen, zwei
selbständige Kulturen, in mancher Beziehung überragend selbst die
Cyrillo-Methodiana. 171
mittelalterliche lateinische, zum Teil auch griechische Bildung. Eine
Menge von kufischen, auf russischem Boden, in Gotland und Schweden
gefundenen Münzen, weist auf die hohe Entwickelung des Handels und
auf den ausgebreiteten Einfluß der arabisch-mohammedanischen Kultur
hin. Die arabischen Kaufleute und die mohammedanischen Perser
werden sich der unter ihnen lebenden, zum Islam bekehrten Slaven bei
ihren Handelsbeziehungen mit den Slaven des Binnenlandes bedient
haben. Die von Vladimir erzählte Umschau und Auswahl unter den
verschiedenen Religionen kann auf die russischen Slaven seit dem Ende
des Vn. Jahrh. bis zur wirklichen Annahme des Christentums bezogen
werden. Dazu gesellte sich dann das unruhige normannische Element.
Bald erfolgte der plötzliche Überfall Konstantinopels und seine Folgen
(wird sehr ausführlich erzählt). Die rein psychologischen Erwägungen
bestimmen uns anzunehmen, daß bald nach der vor Konstantinopel er-
folgten Katastrophe die Waräger Askolds ihre von Photios erwähnte
Gesandtschaft nach Byzanz schickten. Das war eben jene von den Cha-
zaren ausgesandte Botschaft, die Gauderich in seinem Brief und auch
die slavische Legende erwähnt. Vielleicht kam Askold noch gar nicht
bis Kijew, als er schon nach Konstantinopel die Botschaft schickte.
Jeder Aufschub hätte einen Umschlag in der Stimmung verursachen
können. So dürfte die Botschaft schon zu Anfang November nach Kon-
stantinopel gelangt sein und in der zweiten Hälfte des Dezember mach-
ten sich die slavischen Apostel in der Begleitung der russischen Abge-
sandten auf die Reise nach der Krym und weiter.
Die Nichterwähnung der Russen in der Legende erklärt sich da-
raus, daß für die Griechen in Konstantinopel Gardhariki der Russen als
XataQr]xrj galt. Das Dnieprgebiet wurde zum Chazarenland gerechnet.
Gauderich aber verschwieg die Sache aus anderem Grunde. Ihm und
dem Verfasser der Legende war Photios als der vom Papst Nikolaus mit
Bann belegte Invasor ecclesiae, homo scelestissimus sehr verhaßt.
Darum übergingen sie die russische Episode von 860 bis 862 mit Still-
schweigen. Im XII. Jahrh. hat der russ. Mönch- Chronist diese erste
Bekehrung mit der zweiten verwechselt. Philosoph Konstantin erscheint
vor dem Fürsten Vladimir, dieser selbst knüpft angebliche Verbindungen
mit Photios an.
XYII.
(Ib. S. 382 — 388). Für die Beteiligung Konstantins an der Be-
kehrung der Russen wird auch ein zuerst von ßanduri, neuerdings von
1 72 V. Lamanskij,
Regel in vollem Umfang gefundener griechischer Bericht herangezogen, in
welchem Regeis Analyse das Durcheinanderwerfen dreier Erzählungen
entdeckte: die erste bezog sich auf die Bekehrung der Russen unter
Photios, die zweite auf die Bekehrung derselben unter Vladimir, die
dritte auf die Erfindung der slav. Schrift durch Konstantin. Bei dieser
Analyse Regeis stand ihm das eine hinderlich im Wege, daß die Zeit
der ersten Taufe der Russen in das Jahr 860 oder 867 gesetzt wurde.
Damals aber waren Konstantin und Methodios schon in Pannonien oder
auf dem Wege nach Rom oder vielleicht gar schon in Rom. Ganz anders
sieht die Sache aus, wenn man die erste Bekehrung in die Zeit Ende
860 bis 862 setzt.
XVIII.
(Ibid. Dezember. S. 370 — 375). Die von Photios herrtihrende Be-
schreibung d^r Grausamkeiten der Russen Askolds vor Konstantinopel
wird auch vom Papst Nikolaus I. in einem Briefe an den Kaiser Mi-
chael in. nebenbei berührt. Prof. de Boor bezieht in der Byz. Zeit-
schrift (Der Angriff der Rhos auf Byzanz) 1895. 460 — 461 eine darin
enthaltene Anspielung betreffs der Ereignisse vor Konstantinopel auf
die kretischen Araber, womit ich mich nicht einverstanden erklären
kann. Kunik hielt daran fest, daß das Sendschreiben des Papstes in
den ersten Tagen des Septembers 865 geschrieben wurde, als Antwort
auf ein Schreiben des Kaisers Michael, das der Papst zu Ende August
jenes Jahres erhalten hatte, während Askolds Russen nach der Berech-
nung Kuniks im Juni oder im Sommer 865 vor Konstantinopel erschienen
wären (Bull, de l'acad. imper. StPetersbourg. XXVIII. 1881. 436).
Kunik hatte nicht Recht mit seinen chronolog. Bestimmungen, wie das
die von Cumont (Anecdota Bruxellensia) gemachte Publikation gezeigt
hat. Ein zweites Zeugnis betreffs der Waräger-Russen gehört dem Ni-
ketas von Paphlagonien, dem Verfasser der Vita des Patriarchen Igna-
tios an (Migne 105, S. 213), worin der Raub- und Plünderungszug der
Rhos erwähnt wird, auch von einem Erdbeben (860 oder 861) und von
der Bekehrung der Bulgaren die Rede ist. »Seitdem wir wissen, daß
die Russen am 18. Juni 860 vor Konstantinopel waren und wenn das
im August begonnene Erdbeben, wovon Niketas von Paphlagonien be-
richtet, in das Jahr 860 und nicht 861 fällt, könnte dieses Naturereignis
einer der Hauptbeweggründe des Rückzugs der Russen gewesen sein,
d. h. der Rückzug hätte spätestens im September (nach der damaligen
Cyrillo-Methodiana. 173
Rechnung zu Anfang des Jahres 861) stattgefunden. Doch die Russen
waren kaum imstande, in den 1 1 Junitagen und im Verlaufe des Monats
Juli so viel Unheil anzustiften, so viel Raub und Plünderung zu ver-
richten. Und während des Elementarereignisses selbst würden sie kaum
ihr Handwerk fortgesetzt haben. Photios erwähnt in seinen Reden das
Erdbeben gar nicht. Wenn aber dieses 861 geschah, dann könnte der
Rtickzug vor August 861 geschehen sein. Bischof Porphyrius führt
aus einem griech. Synaxarium (in der Handschrift des Jahres 1249;
folgende Notiz unter dem 5. Juni an: »Erinnerung an die Befreiung
von dem Überfall der Heiden durch die Gebete der allerreinsten Jung-
frau Maria«. Wenn darunter die Befreiung von den Russen Askolds
gemeint ist, so daß der Rückzug auf Anfang Juni 861 fallen würde,
dann könnte die russische Gesandtschaft nach Konstantinopel betreffs
der Bekehrung in den August oder Anfang September fallen, d. h. nach
der byzantinischen Zeitrechnung in das Jahr 862. Die Abreise der
byz. Missionäre hätte im Oktober oder November 861 stattfinden können
und die Taufe selbst zu Anfang des Jahres 862«.
XIX.
(Ib. S. 376—380). Weitere Zeugnisse betreffs des Überfalls der
Askold'schen Russen auf Konstantinopel werden durchgenommen der
Fortsetzer des Georgius Hamartolus, Leo Grammaticus, Symeon
Magister).
XX.
(Ib. S. 380 — 391). Näheres Eingehen auf die Schilderung des
Überfalls der Russen auf Konstantinopel nach dem Werke Vasiljev's,
wobei die Frage über die Anwesenheit des Kaisers Michael in Kon-
stantinopel während der Bedrängnis einer kritischen Prüfung unter-
zogen wird.
XXI.
(Ib. S. 391 — 396). Besprechung der Ansicht De Boors über das-
selbe Ereignis mit Hervorhebung abweichender Auffassung, was den
Zeitpunkt der Bekehrung der Russen anbelangt. De Boor meint
nämlich, daß nicht sogleich, sondern nach Ablauf von mehreren Jahren
(etwa 6) die Russen sich entschlossen hätten, an die Griechen in Byzauz
eine Gesandtschaft zu schicken behufs ihrer Bekehrung zum Christen-
tume.
174 V. Lamanskij,
XXII.
(Ib. S. 396 — 399). Um zur chazarischen Mission Konstantins
zurückzukehren, für die Hypothese, daß die Gesandtschaft nicht von
den Chazaren, sondern von den Russen ausging, denselben von deren
Bekehrung Photios spricht, sprechen verschiedene Zeugnisse. 1. Das
erste ist negativer Art. Es ist keine Nachricht sonst von der Bekehrung
der Chazaren zum Christentum in dieser Zeit vorhanden. 2. Der Pa-
triarch Nikolaos Mystikos (901 — 7,911 — 15) erwähnt ausdrücklich,
daß Chazaren zuerst von ihm einen Bischof verlangten. 3. Photios in
seiner Encyklika vom J. 866 — 67 spricht von der Gesandtschaft der
Russen behufs ihrer Bekehrung zum Christentum. 4. Das Verzeichnis
der autokephalen Patriarchen und Metropoliten und ihrer Diözesen,
herausgegeben von De Boor (Notitiae episcopatuum) , verfaßt vor dem
7ten ökumenischen Konzil 788, wo eine gotische Eparchie mit mehreren
Bischöfen, darunter u Toj-iatägy^a (das russische Tmutarakan) erwähnt
wird. Wenn das alles vor den Zeiten des Photios vorhanden war, so
kann nicht erst unter Photios dorthin, d. h. in das Land der Chazaren,
ein Bischof geschickt worden sein, sondern anderswohin, d. h. in das
Gebiet der Askoldischen Russen.
XXIII.
(Ib. S. 399 — 405). Dank der Auffindung Cumonts wissen wir jetzt
den terminus a quo, es handelt sich nur um den terminus ad quem.
Wenn unsere oben gegebene Berechnung richtig wäre, wonach die bei-
den von Photios geschickten Glaubensboten (nach unserer Auffassung
Konstantin und Methodios) im Oktober — November 861 aus Konstanti-
nopel aufgebrochen wären, so würde das zur Auffindung der Reliquien des
hl. Klemens (im Januar 861) nicht stimmen Man muß also das Datum des
erwähnten Synaxars (5. Juni 861) aufgeben und sagen, daß die Belagerung
Konstantinopels nur 2 — 3 Monate dauerte und daß die Glaubensboten
zu den Russen schon anfangs Dezember 860 aufbrachen. Nach der
pannonischen Legende handelt es sich dabei freilich um die Chazaren.
Aber ist es wahrscheinlich, daß um dieselbe Zeit zwei Gesandtschaften
abgingen, die eine nach der Legende zu den Chazaren, die andere nach
Photios zu den Russen? Wenn aber Konstantin nicht zu den Chazaren,
sondern zu den Russen kam, warum erwähnt die Legende nichts davon?
»In den Jahren 867 — 868 sah Bischof Gauderich die Apostel Konstantin
und Methodios nebst ihren Schülern in Rom und zwischen ihnen kam
Cyrillo-Methodiana. 175
mittelbar oder unmittelbar ein tacitus consensus zustande, Rußland
nicht zu nennen, sondern die?en Namen durch den der Chazaren zu er-
setzen. Noch vor kurzem gehörte ja das Dnieprgebiet zu Chazarien und
die dem Chagan untergeordneten Slaven waren unter dem Namen Cha-
zaren bekannt. Der Umtausch des Namens Rußland durch Chazarien
war keine direkte Täuschung oder Lüge, das war nur eine diplomatische,
eine Zensurberichtigung per euphemiam. Die Bekehrung der Russen
war ja mit dem Namen des Photios aufs engste verknüpft. Wie man
Photios in Rom beurteilte, haben wir schon erwähnt (Papst Nikolaus j
13, Nov. 867). Die slav. Apostel hatten schon in Rom von dem Tode
Michaels III. (f 23. Sept. 867) erfahren und von dem Sturz des von
ihnen, namentlich von Konstantin hochverehrten Photios (25. Sept. 867).
Ende 867 oder Anfangs 868 kamen nach Rom Briefe des Kaisers Ba-
silios und des rehabilitierten Ignatios (Dez. 867). Die kaiserlichen Ge-
sandten hatten auch das Aktenbuch der Kirchensynode vom J. 867, in
welcher Papst Nikolaus verurteilt worden war, mit sich nach Rom ge-
bracht. Ein byzantinischer Ablegat, der Metropolit Joannes, warf vor
dem Papst Hadrian das Buch zu Boden und sprach: »du warst in Kon-
stantinopel verdammt, werde es auch in Rom . . .« Der andere Ablegat
sagte: »ich glaube, daß der Teufel darin steckt, der durch den Mund
seines Gesellen Photios sich erkühnte das zu sprechen, was er selbst
nicht den Mut hatte zu sagen«. Ob Konstantin, wenn er'^nicht schon tot
war, bei diesen Vorgängen anwesend war, das wissen wir nicht, doch
hätte er von dem Benehmen seiner Landsleute, der Ignatianer, Kunde
haben können. Diese Verhöhnung des Photios kann selbst seinen Tod
beschleunigt haben. Die Eröffnung der Synode (Juni 869) erlebte er
nicht. Es wird ausführlich erzählt, was auf der Synode vor sich ging.
Dabei spielte auch Gauderich eine Rolle, der mit Konstantin in Rom
bekannt geworden war. Er wußte, wie hoch Konstantin Photios
schätzte, . . er fühlte die schwierige Lage Konstantins in Rom. Er ver-
stand delikat zu sein . . . Der Wunsch, das begonnene Werk fortzu-
setzen, beseelte Konstantin, geduldig zu ertragen alle Niedrigkeiten
und Blödheiten seiner Landsleute und alle boshaften Verhöhnungen
ihres hochverehrten Photios seitens der Römer. So war es nicht Kon-
stantin, wohl aber seinem Bruder Methodios, der ihn um viele Jahre
überlebte, für lange Zeit beschieden, stumm zu sein vor der Ungerechtig-
keit, und nicht selten schweren Herzens unaufrichtig Achtung zu be-
zeugen und sich vor Machthabern zu beugen, die man nicht lieben, nicht
176 V. Lamanskij,
achten konnte«. Gauderich begriff diese Stimmung und zwischen ihnen
kam allmählich ein Einvernehmen zustande, bald etwas mit Stillschwei-
gen zu übergehen, bald es nicht mit offenen Worten auszusprechen.
Auch die Schüler der beiden Apostel, die griechische Bildung hatten,
waren in dieses freundschaftliche Verhältnis mit Gauderich eingeweiht
und begriffen die Situation. Doch die Schüler aus Mähren und Panno-
nien vermochten weder klar zu begreifen noch lebhaft zu fühlen die
tragische Lage ihrer Lehrer. Diese Beziehungen unserer Apostel und
ihrer Schüler zu Gauderich erklären am besten die Ähnlichkeit mancher
Stellen zwischen der Darstellung Gauderichs und der Konstantin-Le-
gende, welche gewiß ein mit griechischer Bildung ausgerüsteter Schüler
schrieb. Darum sind ungehörig und zwecklos alle Hypothesen darüber,
wer von wem entlehnt hat, ob der Verfasser der Konstantin-Legende
von Gauderich oder der letztere von dem slavischen Biographen dort,
wo ihre Erinnerungen von dem großen Manne so nahe zusammentreffen.
XXIV.
(Ib. Jännerheft 1904, S. 137 — 147). Wenn die über Konstantinopel
im Sommer 860 hergefallenen Russen nicht irgendwo am Schwarzen
Meere oder in Tmutarakan wohnten, sondern im Kijewer Rußland
Askolds, so waren sie nach den Worten des Photios von nun an Iv
V7tr]yt6b)V iavrovg y,ccl TtQO^evwv Ta^et, dvTi Tfjg Ttqh fiMQOv
•/.ad-' rj/xüv XsrjlaGlag -/.ai tov i^ieyalov Tol/x^fiazog dyaTtrjTwg
kY.y.araoTi]oavrEgj mit einem Bischof an der Spitze. Ist es aber rich-
tig, daß das Kijewer Rußland mit seinen Poljanen im J. 861 die Taufe
annahm, warum erzählt dann der älteste russische Chronist, der uns so
viele Daten über Oleg, Igor, Olga, Svjatoslav übermittelte, nichts da-
von? Als Antwort auf diesen Einwurf wird der Charakter der ältesten
russischen Cronik als einer offiziellen Darstellung der Begebenheiten im
Sinne der Gegner Askolds und Dirs, ganz nach dem Geschmack und
Wunsch Olegs und Igors bezeichnet. Das alles nämlich hat ein vor-
sichtiger Chronist, der Christ und Slave war, geschrieben. Auch jene
Überlieferung von der Einladung der Normannen mit den berühmten
Worten »Unser Land ist groß und reich, aber es herrscht keine Ord-
nung« rührt von einem offiziellen Schreiber her. Die ganze Erzählung
von dem Zug Olegs gegen Konstantinopel findet keinen Widerhall in
der byzantinischen Historiographie (beim Fortsetzer des Theophanes),
der Zug fand wohl statt, aber nicht so, wie er von dem offiziellen
Cyrillo-Methodiana. 177
Verfasser prunkbaft beschrieben ist, mit allerlei phantastischen Zutaten.
(Diese ganze Darstellung lautet im russ. Original viel ausführlicher).
XXV.
(Ib, S. 147 — 173). Unsere offizielle Chronik begann zu Ende des
IX. Jahrb., etwa zwanzig Jahre nach der ersten Einführung des Christen-
tums durch Konstantin und Methodios, auf Grund der im J. 855 ver-
faßten Schrift. In etwa zwanzig Jaliren vermochte die kleine bei zwei-
hundert Seelen zählende Gemeinde unter dem duldsamen Askold sich zu
entwickeln. Die Verträge der Rut:sen mit den Griechen, wo vom heid-
nischen und christlichen Glauben die Rede ist, lassen vermuten, daß die
christliche Gemeinde vorzüglich slavisch war. Wäre die daselbst er-
wähnte Elias-Kirche warägisch gewesen, etwa mit gotischem Gottes-
dienste, so würden auch die ältesten Nachrichten der Chronik entweder
gotisch oder wenigstens mit gotischen Buchstaben geschrieben worden
sein. Die Aufzeichnungen über Askold und Dir, über die Regierung
Olegs und Igors und die Verträge mit den Griechen bestätigen unsere
Auffassung von der in der Legende erwähnten Mission zu den Chazaren
und lassen vermuten, daß in der Periode von Anfang der 60 er Jahre
des IX. Jahrh. bis zur Mitte des X. Jahrb., von der ersten Bekehrung
zum Christentum unter Askold bis zur Taufe Olgas die Mehrzahl der
Christen Kijews aus Slaven bestand, d. h. aus den Besiegten und nicht
den Siegern. Die Konstantinlegende spricht von den Bekehrten als dem
einfältigen Volke mit Weibern und Kindern, diese kannten in der Tat
auch die Predigt in einer sehr nahe verwandten Sprache leichter ver-
stehen, als die Riissen-Waräger. In der ältesten offiziellen Dai Stellung
findet sich kein Wort des Bedauerns über den Untergang AskoKls und
Dirs. Das entspricht allerdings nicht der Siiiumung der äiteöieu Christen.
Das Stillschweigen über die Bekehrung zum Christentum und den
christlichen Bischof erklärt sich eben aus dem offiziellen Charakter der
ersten Aufzeichnungen, die ungefähr durch hundert Jahre unter der
Regierung der heidnischen Fürsten (Oleg, Igor, Svjatoslav, Vladimir bis
zur Bekehrung derselben) geführt wurden. Der Bischof und die ihn um-
gebenden Mönche, zum Teil Griechen, mußten im Interesse der Er-
haltung der christlichen Gemeinde zur Vorsicht in allen Äußerungen
raten. Folgt eine Charakteristik der ersten Fürsten von Oleg bis auf
Vladimir, unter welchem ein letzter Ansturm des Heidentums gegen das
Christentum stattfand, womit die gleichartigen Erscheinungen bei den
Archiv für slavisoh» Philologie. S:XVI1I. 12
1 78 V. Lamanskij,
Slaven Norddeutschlands in Zusammenbang gebracht werden. Den
Ausgangspunkt bildet die Erzählung von der Ermordung der zwei
warägischen Christen unter Vladimir und die Stimmung, die dieses
Ereignis bei Vladimir und Dobrynja erzeugt haben mag, die ihn zuletzt
zur Annahme des Christentums führte. Der an den Tag gelegte Eifer
zur Erhaltung des alten heidnischen Glaubens war für die damaligen
Zustände Russlands schon etwas unzeitgemäßes, verspätetes. Er kam,
man möchte es glauben, vom Westen her, entfacht durch den ausge-
brocheneu Phanatismus bei den Dänen und Oderslaven. Wie konnte
aber aus den um das J. 990 auf den Befehl des Fürsten getauften
Knaben nach einigen 30 — 40 Jahren in Rußland eine ganze Reihe von
bekannten und unbekannten Vertretern der christlichen Kultur und
Literatur hervorgehen : Abschreiber alter Handschriften, wie ein Upyr'
Lichoj (die kommentierte Prophetenübersetzung abgeschrieben 1047),
ein Diakonus Grigorius (Schreiber des Ostromir-Evangeliums 1057)?
In der Erzählung Nestors über Boris und Gleb (f 1015) wird von der
Lektüre Boris' der Legenden und Martyrien erzählt und in der Erzählung
Jakovs heißt es, er habe über das Martyrium des heil. Niketas (des
Goten) und heil. Wenzeslaus (des Böhmen) nachgedacht. Die letztge-
nannte Vita kam nach Rußland nicht aus Bulgarien, sondern wahr-
scheinlich aus Böhmen, vielleicht noch vor der Bekehrung zum Christen-
tum durch Vladimir. Vom Fürsten Jaroslav (f 1054) wird erzählt, daß
er Bücher liebte und selbst übersetzte. Man sagt, gleich nach der Ein-
führung des Christentums habe man mit der Belehrung des Volkes, Er-
bauung der Kirchen begonnen, es seien aus Griechenland und Bulgarien
geeignete Personen bestellt worden. Allein die Griechen waren der
slavischen Sprache nicht mächtig, die Bulgaren konnten selbst nicht
viele Lehrer liefern und das Andenken Svjatoslavs wird sie kaum nach
Rußland gelockt haben. Die Griechen konnten sich als höhere Hie-
rarchie, dann als Künstler, Lehrer der griechischen Sprache oder des
Kirchengesanges nützlich erweisen, ihre Einwirkung war auf die höheren
Gesellschaftskreise beschränkt. Für die Masse der Bevölkerung muß der
Einfluß von jenen russischen Slaven, die der alten christlichen Gemeinde
angehörten, ausgegangen sein. Die einfache, in reiner russischer
Sprache gegebene Darstellung des Erzbischofs Lukas ^idjata zeigt es,
daß es um die Mitte des XL Jahrb. in Rußland Menschen gab, die nicht
nur in kirchenslavischer Sprache, etwas russifiziert, sondern auch in der
Volkssprache frei sich auszudrücken verstanden. Das setzt aber eine
Cyrillo-Methodiana. \ 79
Reihe vorausgegangener Versuche voraus, das heißt nicht nur Väter,
sondern auch Großväter eines Upyr' Lichoj, oder des Abschreibers des
Ostromirschen Evangeliums, des Izbornik 1073, der Nowgoroder
Offizien-Menäen, und unserer ältesten zufällig erhaltenen SchriftsttUer.
eines Jakov, Nestor, Theodosios, Ilarion, Lukas ZiiJjata. Die Geläufig-
keit und Zuversicht in der Behandlung der Sprache dieser Schriftsteller
veranlaßt uns, den Anfang des russi chen Schrifttums nicht nur in den
Anfang des X., sondern selbst ans Eode des IX. Jahrb. zu setzen. Das
führt uns zu der Behauptung, daß schon bei der ersten Bekehrung
Rußlands (im J. 861) die slavische Schrift und der slavische Gottes-
dienst uns beigebracht wurden. Ohne slavischen Gottesdienst hätte das
Christentum nimmermehr einen so großen und schnellen Erfolg in Alt-
rußland haben können, während doch schon in der ersten Hälfte des
XL Jahrh. das Mönchtum stark verbreitet war. Man denke an die ersten
werktätigen Männer des Kijewer Höhlenklosters, an Antonius, der schon
vor 1050 nach Athos ging und dort geraume Zeit blieb, an Nikita, der
Theodosius um das Jahr 10 55 — 56 einkleidete, an Varlaam, der das
Studion-Kloster in Konstantinopel besuchte. Die Fürstin Olga, die
15 Jahre als Christin zubrachte (f 969), besuchte Konstautinopel schon
als Christin und stellte sich als solche dem Kaiser vor, auch ihre Reise-
begleitung wird aus Christen bestanden haben. Sie betete gewiß nicht
normannisch, sondern slavisch-russisch. Auch der gewaltsame Ver-
dränger Askolds und Dirs erkannte die slavisch-russische Sprache als
das offizielle Organ seines Fürstentums an. Die Verträge Olegs (907.
011), Igors (944 — 45) und Svjatoslavs mit den Griechen hatten zwei
offizielle Texte, den griechischen und den slavischen. Es folgt eine Be-
trachtung über die verhältnismäßig große Verbreitung der slavischen
Sprache damals in Konstantinopel und die nochmalige Betonung, daß
Rußland durch die von Photios geschickten Slavenapostel Konstantin
und Methodios das Christentum mit slavischem Gottesdienste bekam.
Wäre im J. 861 das Christentum nach Rußland in griechischer Sprache
eingedrungen, so würde kaum die unter Photios gegründete christliche
Gemeinde Wurzel gefaßt haben, deren Fortbestand durch die bekannten
Umstände unter Olcg, Igor und Olga bezeugt ist. Erst während der heid-
nischen Reaktion unter Vladimir mag ein Nachfolger des durch Photios
eingesetzten Bischofs aus Kijew (oder Perejaslavl) vertrieben worden
sein. Darauf mag sich auch die von Solovjev hervorgehobene Nachricht
der Nikonischen Chronik beziehen, nach welcher nach Cherson zu
12*
180 V. Lamanskij,
Vladimir ein Metropolit Michail kam, der die Leitung der neuen russi-
schen Kirche zu übernehmen hatte. Der Ausdruck neu wird nur im
Sinne der ganz neuen Umstände, unter welchen jetzt das Christentum
zur Geltung kam, aufzufassen sein. Folgen Betrachtungen über die aus
der Erklärung des Christentums als Staatskirche für die Reinheit seiner
Lehre und seiner Ideen sich ergebenden Resultate und als reine Re-
präsentanten der christlichen Ideen werden Konstantin und Methodios
hingestellt. »Sie fühlten die soziale Ohnmacht Byzanz' und setzten ihre
Hoffnungen auf die Wiedergeburt der morschen byzantinischen Welt
durch die Zuführung dem Christentum des frischen, munteren, zahl-
reichen slavischen Volksstammes, dessen Sprache und Sitten sie schon
von Jugend auf kennen gelernt hatten. Sie fanden eine mächtige Stütze
an dem Patriarchen Photios, einem Mann von großem Geist und starkem
Charakter, welcher das der christlichen Aufklärung drohende Unglück
von den zunehmenden Ansprüchen des römischen Bischofs auf Selbst-
herrschaft im Sinne eines römischen Autokrators und von dem Versuch,
den den europäischen Osten ausfüllenden slavischen Volksstamm in
derselben Weise seinem Einfluß und seiner Vormundschaft zu entziehen,
wie der von den romanischen und germanischen Völkern bevölkerte
Süden und Westen Europas schon längst gewohnt war, Rom noch von
heidnischen Zeiten her zu gehorchen, voraussah. Byzanz, die Regierung
und die Gesellschaft, namentlich aber das Mönchtum, das Photios seine
umfangreiche Bildung und seine nicht zunftmäßig-mönchische Richtung
nicht verzeihen konnte, wußten nicht und waren nicht imstande, Pho-
tios zu begreifen und zu würdigen. Um ihn zu beseitigen, gingen sie
auf ein Bündnis mit Rom ein und trugen auf diese Weise nicht wenig
zur Vernichtung des großen Werkes der slavischen Apostel und des
Photios in westslavischen Ländern bei«. Nur in Rußland ging das
große Werk des Patriarchen nicht zugrunde. Dank sei es den von ihm
geschickten Lehrern hat das von ihnen bei einem Handvoll von Men-
schen angepflanzte Christentum (861) Wurzel gefaßt und stufenweise,
wenn auch langsam, im Laufe von mehr als 120 Jahren sich entwickelt.
Wenn nachher, seit dem Auftreten Vladimirs und seines Oheims Do-
brynja, eine verhältnismäßig erfreuliche Blüte der jungen christlichen
Kultur, wie wir sie seit der Mitte des XI. Jahrh. in Rußland wahrneh-
men, eintrat, so muß das der vorausgegangenen, vernünftigen und freien
Einführung des Christentums zugeschrieben werden. »Mag auch die
Dankbarkeit des russ. Volkes einem Vladimir gegenüber ganz begreif-
Cyrillo-Methoäiana. Igl
lieh erscheinen, so weiß doch die Geschichte, daß nichts neues und
großes im Leben der Völiser plötzlich geschieht, am wenigsten auf Be-
fehl einer sei es noch so mächtigen Hand, sondern langsam sich vor-
bereitet, im Stillen wächst«.
XXVI.
(Ib. 1904 Aprilheft, S. 215—220). Die Sprache der Verträge mit
den Griechen vom J. 907 u. 911 und die annalistischen Aufzeichnungen
des IX. Jahrh. bezeugen die Anwesenheit in den Jahren des X. Jahrh.
einiger Christen in Kijew, die Slaven, aber mit der griechischen und
kirchenslavischen Sprache vertraut waren. Die zufällige Erwähnung
der Eliaskirche zur Zeit Igors spricht dafür, daß wenn nicht diese, so
eine andere Kirche in Kijev schon unter Oleg und Askold vorhanden
war. Über die Taufe der Russen unter dem Kaiser Michael III. und
Photios (861) haben wir vielleicht auch ein altrussisches Zeugnis in
einem Prolog der Rumjancovschen Bibliothek des XIII. — XIV. Jahrh,,
wo von einem aus Konstantinopel von Olga heimgebrachten Kreuze die
Rede ist, das »nun in Kijew in der heil. Sophia am Altar auf rechter
Seite stehe « : oöhobhca b% Poyin&cT^H 3eM.iH KptcTt 5; Ojihva 6jito-
BipHLie KHerHHH Mxpe CTocjiaBJe. Das Wort o6hobhca scheint auf
die frühere Bekehrung unter Photios anzuspielen. Noch einmal werden
dann die schon früher gemachten Kombinationen betreflfs der Deutung
der Legende im Sinne der Mission nicht zu den Chazaren, sondern
nach Kijew wiederholt, und selbst die Worte Gauderichs, in welchen
von der Danksagung seitens der Chazaren an den byzantinischen
Kaiser die Rede ist, mit der Äußerung des Photios beztlglich der Russen
in Zusammenhang gebracht.
XXVII.
(Ib. S. 220 — 231). Die bekannten Behauptungen Friedrichs be-
treflfs Konstantins sind zurückzuweisen. Die Verfassung der Schrift und
die Übersetzung gehören zusammen. Doch die Darstellung der Legende
von der späteren E^ntstehung der slav. Schrift ist eine mährische patrio-
tische Interpolation. Die Auktorität Safariks hat sie bei den Westslavcn
aufrecht gehalten, denen zuletzt auch einige Russen folgten. Schon vor
Dobrovsky stand Lequien, nachher Gorskij, Hilferding und Kunik der
Wahrheit nahe. Lequien verwickelte sich in Widersprüche dadurch,
daß er die sogenannte chazarische Mission Konstantins in die Regierungs-
182 V. Lamanekij,
zeit Basilios I. (867 — 886) und des zweiten Patriarchats des Ignatios
(867 — 878) versetzte. Darnach könnte Konstantin erst nach dem
23. Okt. 867 die Mission übernommen haben. Hilferding betonte we-
nigstens die Wichtigkeit des slavischen Elementes in der sogenannten
chazarischen Mission, weswegen sich an ihr Männer beteiligten, die sich
die Bekehrung der Slaven zum Ziel setzten. Er sah auch in der Über-
setzung der von Konstantin verfaßten Polemik gegen die Mohammeda-
ner und Juden bei den Chazaren, welche Methodios machte, ein Zeugnis
für das den Slaven, zumal aber auch den russischen, schon vor der
mährischen Reise gewidmete Interesse (vergl. seine Werke I. 307 — 312).
Auch Hilferding verwickelte sich in chronologische Schwierigkeiten da-
durch, daß er die chazarische Mission ins Jahr 858 und die erste Be-
kehrung der Russen in das Jahr 866 versetzte, die er eben darum der
Reihe nach als die zweite Bekehrung ansah. Recht hatte er aber darin,
daß er die legendäre Nachricht von der Abfassung der slavischen Schrift
erst unmittelbar vor der Reise nach Mähren verwarf. Gorskij gab Ein-
schaltung von späteren Zusätzen zu und rechnete dazu die Episode von
den Sprachstudien Konstantins in Cherson, »Das Hauptverdienst Hilfer-
dings besteht aber darin, daß er den Rückschritt unserer Wissenschaft,
seitdem sich äafarik im J. 1855 von seinen früheren, von Dobrovsky
vertretenen Ansichten lossagte, erkannte. Leider folgten Safarik nicht
nur die westslavischen (Miklosich, Racki, Jagic), sondern auch die
Mehrzahl der russischen Gelehrten (Bodjanskij, Voronov, Golubinskij,
Sreznevskij)«. Die Kritik Hilferdings gegen diese Schwenkung Safariks
(ib. S. 313 — 314) verleiht ihm einen Ehrenplatz in der Cyrillo-Metho-
dianischen Frage. Hätte er gewußt, daß der Überfall Askolds auf Kon-
stantinopel im Sommer 860, und daß die Mission zu den Chazaren erst
860 oder 861 stattfand, so würde schon er die Vermutung Lequiens,
daß die erste Bekehrung der Russen durch die Slavenapostel zustande
kam, sichergestellt und soweit nötig berichtigt haben. Nun kommt
Kunik an die Reihe, es wird eine Parallele zwischen ihm und Prof.
Brückner zu Ungunsten des letzteren gezogen und seine Ansicht betreffs
der ersten Tätigkeit der Slavenapostel an der Bregalnica nebst seiner
Abwehr der entgegengesetzten Ansichten Racki's und Miklosichs billi-
gend hervorgehoben.
XXVIII.
(Ib. S. 231 — 239). Jetzt wird die durch die Bestimmung, daß die
Russen am 18. Juni 860 vor Konstantinopel waren, geschaffene neue
Cyrillo-Methodiana. 1 83
Gruppierung und Beleuchtung der Tatsachen nochmals hervorgehoben
und darnach die frtiheren irrigen Ansichten Knniks und Gorskijs be-
richtigt. Die Notiz Gauderichs und die Erzählung der Legende von
der Begegnung mit einem Russen werden im Sinne der älteren Dniepr-
Poljanen zusammengestellt, und der nach der Legende laut gewordene
Wunsch Rostislavs, einen ähnlichen Lehrer für sein Volk zu bekommen,
auf die zu diesem gelangte Kunde von der Tätigkeit der Apostel bei
den Russen zurückgeführt. Da vor Oleg die Kijewer Gegend Chazarien
hieß und unter Askold sie Gardhariki benannt worden sein mag, so
haben vielleicht die Griechen durch volksetymologische Umdeutung aus
dem ihnen unbegreiflichen Namen »Chazarien« gemacht. Die Griechen
können aber auch später noch das mittlere Dnieprgebiet Chazarien ge-
nannt haben. Wenn sie im J. 860 von den gefangenen Russen den
Namen Gardhariki hörten, so konnten sie leicht diesen Namen mit ihrem
Xa^aQUTj identifizieren. Die Stelle der Legende von dem mit russischen
Buchstaben geschriebenen Evangelium ist insofern wichtig, als sie be-
weist, 1) daß die Evangelienlektionen schon 861 übersetzt waren, 2) daß
die Notiz Chrabrs betrefi's der Abfassungszeit der slav. Schrift (855)
und die Überlieferung von der Bregalnica kein Irrtum, keine Erfindung
ist, 3) daß die sogenannte Chazarische Mission in der Wirklichkeit eine
russische Mission war, und 4) daß die in der Legende gemachte Ein-
schaltung und Modifikation nicht später, als in der ersten Hälfte des
X. Jahrh. zustande kam. Derjenige, der von den russischen Buchstaben
des angeblich von Konstantin in der Krym aufgefundenen Evangeliums
schrieb, muß das Wort russisch als etwas fremdes, unverständliches
aufgefaßt haben. Vom Beginn des XL Jahrh. an wurden aber mit die-
sem Ausdruck schon Slaven bezeichnet. Die Stelle kann nur als spätere
Umarbeitung erklärt werden. In ursprünglicher Fassung mag von einem
der Abgesandten, mit welchen die Apostel die Reise unternahmen, die
Rede gewesen sein, der ein Slave aus dem Dnieprland war. Der Zweck
der Umarbeitung war, jede Anspielung auf Russen und darauf, daß
Konstantin zu den russischen Slaven als Missionär geschickt worden, zu
beseitigen. Diese nicht nach der Mitte des X. Jahrh. gemachte Um-
arbeitung wird weder von einem Ost- noch von einem Siidslaven her-
rühren, sondern einem mährischen Slaven angehören, demselben, der
auch die bekannte Fabel von der Erfindung der Schrift unmittelbar vor
der Abreise nach Mähren erdichtete. Diese einfältige Einschaltung
eines mährischen Patrioten dient als neuer wiclitisrer Beweis für die
1 84 V. Lamanskij,
Richtigkeit der von Lequien ausgesprochenen Vermutung, daß die
Slavenapostel nicht zu den Chazaren, sondern zu den Russen reisten.
Da die Mission in das Jahr 861 fiel, so war Photios und nicht etwa
Ignatios derjenige, der sie veranlaßte. Begreiflich wählte Photios den
Philosophen Konstantin dazu aus, dessen Lehrer und Freund er war,
den er als Kenner und Freund der Slaven, als Erfinder der slavischen
Schrift und Übersetzer des Evangeliums kannte, den er für den fähig-
sten für die Verbreitung des Christentums unter den Russen hielt. Nach
Hause zurückgekehrt erzählten die beiden Männer von dem unbekannten
Lande, und man kann mit Sicherheit behaupten, daß sie zu jenen schätz-
baren Nachrichten des Kaisers Konstantin Porphyrogenitus über Alt-
rußland den ersten Grund legten.
XXIX.
(Ib. 1904, Mai, S. 131—134). Gegen die Bedenken Gorskijs wird
die Errichtung des Episkopats in Rußland in Schutz genommen. Oleg
war zwar nicht selbst Christ, doch bediente er sich der einheimischen
Christen, die der kirchenslavischen Sprache mächtig waren. Die christ-
liche Gemeinde wird ihr Leben in Kijew auch während der späteren
Jahre nach Oleg und Igor bis Vladimir nicht unterbrochen haben.
XXX.
(Ib. S. 134 — -142). Von der Diatyposis des Kaisers Leo X. aus-
gehend, deren Analyse Gorskij früher gab als Geizer und De Boor, wird
die Nichterwähnung des russischen Bistums in derselben an der Hand
paralleler Erscheinungen als nicht beweisend gegen die Annahme eines
russischen Bistums schon im IX. Jahrh. ausführlich begründet. Es ist
auch von den Beziehungen Altrußlands zu Byzanz die Rede.
XXXI.
(Ib. S. 142—144). Die Nachrichten der Legende über die Rück-
kehr der beiden Apostel von ihrer chazarischen Missionsreise, nament-
lich der Vorgang mit der Eiche im Lande PhuUae werden einer ab-
fälligen Kritik unterzogen.
XXXII.
(Ib. S. 145 — 152). Das Kapitel behandelt die Stelle von dem an-
geblich Salomonischen Kelch mit der hebräischen und samaritanischen
Inschrift, es wird die Erklärung Prof. Pastrneks zur Stelle zitiert und ein
ausführliches Zitat aus der Londoner Encyclopaedia biblica IV. s. v.
Writing gegeben.
Cyrillo-Methodiana. 185
XXXIII.
(Ib. S. 152 — 159). Der angeblich Salomonische Kelch wird weiter
verfolgt, nirgends bei den mittelalterlichen Beschreibern der Sehens-
würdigkeiten Konstantinopels geschieht seiner Erwähnung, dagegen
wird in einer apokryphen Prophezeiung Salomons über Christus ein
Kelch erwähnt, samt samaritanischer und hebräischer Inschrift (ein sla-
vischer Text dieser apokryphen Erzählung wird hier mitgeteilt). Aus
einer solchen Erzählung mag der spätere Interpolator der Legende die
Biographie Konstantins ausgeschmückt haben. Die Interpolation steht
im offenbaren Zusammenhang mit den erzählten angeblichen Studien
Konstantins in der hebräischen Grammatik und einer samaritanischen
Handschrift in Cherson.
XXXIV.
(Ib. S. 159 — 168). Nach der Entzifferung der angeblichen In-
schriften auf dem Salomonischen Kelch durch Konstantin folgt in der
Legende die Erzählung von der Gesandtschaft Rostislavs au den Kaiser
Michail. In dieser halte ich die ganze Darstellung, angefangen von den
Worten »wenn sie Buchstaben haben in ihrer Sprache« für eine spätere
Einschaltung (bis zu dem Zitate aus dem Johannesevangelium inclusive).
Die dem Kaiser Michail in den Mund gelegten Worte, daß sein Vater
und Großvater nicht die Schrift bei den Slaven fanden, können nicht
von ihm herrühren, weil sein Großvater (Michail II.) und sein Vater
(Theophil) wütende Ikonoklasten waren. Dagegen wußte Rostislav
schon von dem slavischen Gottesdienste und verlangte eben darum die-
sen oder einen anderen Lehrer auch für sein Volk. Das wußten noch
früher die makedonischen, dann die thrakischen und mysischen Slaven.
Auch Kaiser Michail wußte es, da er in dem Antwortschreiben an
Rostislav ausdrücklich sagt, »daß in jenen Tagen dieses große Ereignis
(die Erfindung der slav. Schrift und slav. Übersetzung) zustande kam.
BX npi.BaM jiiTa« (d. h. während er von 842 bis 856/7 mit der Mutter
Theodora zusammen regierte). Die Antwort Michails sieht aus, als
wäre sie von Photlos abgefaßt gewesen. Die darin ausgesprochene
große Wertschätzung der slav. Schrift und der Übersetzung des Evan-
geliums spricht entschieden dagegen, daß erst jetzt das ganze Werk
Konstantins für die Slaven begonnen worden wäre. Man muß nur die
von uns als Interpolation angesehenen Worte ausschalten. Hätte Kon-
stantin erst ganz kurz vor der Abreise nach Mähren die Schrift abge-
186 V. Lamanskij,
faßt, so würde sich der Kaiser der LobeserhebuDgen enthalten haben
und auch die Legende würde nicht gleich nach seiner Ankunft in
Mähren von seinem, den gesammelten Schülern erteilten Unterricht er-
zählen. Nach der gewöhnlichen Version (der sogenannten pannonischen
Legende) hat Konstantin die Schrift in Konstantinopel abgefaßt, nach
einer anderen, die wir für älter und ihren mährischen Ursprung treuer
abspiegelnd halten (in der altruss. Chronik erhalten), machte er sich
erst in Mähren an diese Arbeit. Nach dieser Version wäre Konstantin
nach vollendeter Mission in Mähren nach Bulgarien heimgekehrt.
Offenbar erinnerte man sich im X. — XL Jahrb. in Mähren, daß Kon-
stantin in Bulgarien war, und da man ihn vor allem für sich haben
wollte, so schickte man ihn erst nachher nach Bulgarien i).
V. Lamanskij.
II. Thesen zur Cyrillo-Methodianischen Frage.
Erneutes Studium der einschlägigen Denkmäler hat zu Ergeb-
nissen und Auffassungen geführt, die den hergebrachten entgegenstehen.
Ohne auf irgendwelche Polemik und Diskussion einzugehen, mit der
ganze Bände gefüllt werden könnten, namentlich wenn alle Literatur
berücksichtigt werden sollte, begnüge ich mich mit dem Aufstellen und
Begründen von Thesen, die das Werk der Slavenapostel in einem etwas
neuen, hoffentlich wahrhafteren Lichte erscheinen lassen.
Folgendes wird behauptet:
L Die drei Legenden, die lateinische (die sog. italische) und die,
ursprünglich natürlich glagolitisch geschriebenen Vita Cyrilli und Me-
thodii sind das Werk eines einzigen Autors, Methods, mag er auch den
1) Soweit reicht die bisherige Auseinandersetzung Lamanskijs. Wir
bedauern, wegen Raummangel aus seiner allerdings sehr breit gehaltenen
und den Hauptgedanken, der darin kulminiert, daß die Mission Konstantins
zu den Chazaren in Wirklichkeit zu den Poljanen im Dnieprgebiet, zu den
Küssen Askolds stattgefunden habe, immer wieder zur Sprache bringenden
kritischen Studie nur einen ganz kurzen Auszug geben zu können. Vieles,
namentlich die ganz subjektiv gehaltenen Reflexionen des Verfassers über
die bisher dieser Frage gewidmeten Forschungen, wobei sein echt slavo-
philer, d. h. die Westslaven geringschätzender Standpunkt stark zum Aus-
druck kommt, mußten ganz mit Stillschweigen übergangen werden. Die
ganze Arbeit ist glänzend nach dem Grundsatz stat pro ratione voluntas
durchgeführt. V. J.
Cyrillo-Methodiana. 187
Inhalt der lateinischen Legende bloß diktiert haben und mögen die
letzten Sätze der Vita Methodii (Tod und Begräbnis) von einem Schüler
herrühren. Die drei Legenden repräsentieren somit nur eine einzige
Quelle und Auffassung.
IL Die drei Legenden sind somit vor der Vertreibung der Metho-
dianer entstanden, die Cyrillslegenden vor 879, die Vita Methodii ist
noch 885 abgeschlossen. Wir können alle drei mährische Legenden
benennen; der bisherige Terminus pannonisch, für die beiden slavi-
schen gebräuchlich, ist falsch.
III. Die drei Legenden, namentlich die beiden slavischen, sind
nicht etwa bloß hagiographische Denkmäler, in lehrhafter und frommer
Absicht, nur zur Erbauung der Schäfchen, zur Verherrlichung der
Heiligen, zum Preise des Herrn geschrieben, sondern sind ausgesprochene
Tendenzschriften, die Tatsachen unterschlagen oder erdichten, ganz
wie es ihre Tendenz erforderte, die dahin ging, die Neuerung, die Ein-
führung der slavischen Liturgie, von jeglichem Makel rein zu halten.
IV. Die in diesen Legenden vorkommenden Briefe und Reden,
Lobeserhebungen und Motivierungen des Kaisers, der Päpste u.s.w. sind
zu diesem Zwecke erdichtet oder ausgeschmückt.
V. Die Anerkennung der slavischen Liturgie durch Rom ist nur
einmal und zwar dem griechenfreundlichen, auch den Photius anerken-
nenden Johannes VIII. abgerungen worden. Eine ähnliche, angebliche
Rolle Hadrians II. ist fingiert.
VI. Den Angaben der Legenden sind zweierlei Schemata willkür-
lich zugrunde gelegt: das eine Schema für die Missionsreisen der Brü-
der unter Arabern, Chazaren, Mährern; das andere für ihre Reisen zu
Kaiser, König und Papst; beiderlei Schemata sind erfunden, um die
eigentlichen Beweggründe verschwinden zu lassen.
VII. Das blinde Vertrauen auf den bloßen Wortlaut der Legenden
hat zu den sonderbarsten Widersprüchen, zu handgreiflichsten, un-
glaublichsten Irrtümern verleitet; so hat man z. B. aus einem gottes-
fürchtigen, christlichen, deutschen König einen wilden, ungewaschenen
Magyarenhäuptling gemacht, Disputationen in Venedig erfunden, die
verunglückte Chazarenmission für die mährische Mission Anlaß werden
lassen u.s.w. Die Kritik muß diesen »Lügenden ;< gegentiber wieder zu
Ehren gebracht werden.
VIII. Cyrill's Bedeutung ist gegen die Method's hierbei überschätzt
worden; Cyrill z. B. hat selbst nur griechisch das geschrieben, was erst
1 88 A. Brückner,
sein Bruder ins Slavische tibersetzt hat; Cyrill hat zwar das Werk be-
gonnen, aber die oigentlicho und schwierigste Hauptarbeit leistete Method,
der eigentliche, unermüdliche, unerschrockene Vorkämpfer der slavi-
schen Liturgie, einer übrigens im Grunde ziemlich zwecklosen Sache.
IX. Beide Brüder waren Photianer und die unversöhnlichsten
Feinde Roms; namentlich Method haßte Rom, obwohl er ihm alles,
nicht nur seine erzbischöfliche Würde, sondern seine Freiheit, ja sein
Leben verdankte; Method zerriß auch die letzten ihn mit Rom verbin-
denden Fäden, verfluchte den römischen Glauben und ist dafür unter
römische Heilige aufgenommen worden.
X. Svetopeiks Verfahren gegen die Methodianer war ein weises,
gerechtes und mildes ; alle gegenteiligen Auslassungen sind tendenziöse
Entstellungen des Sachverhaltes.
XL Das Errichten einer griechischen Filiale fast im Herzen des
römischen Abendlandes war von vornherein zweck- und aussichtslos ;
dieses Werk mußte in Mähren scheitern, hat sich auch niemals einer
größeren Popularität in Mähren selbst zu erfreuen vermocht.
Xn. Die Zurückführung von Hus u. dgl. auf methodianische Ele-
mente, Anklänge oder Traditionen, wie sie noch heute von Phrasen-
dreschern beliebt wird, ist kindische Fabelei.
Ich habe nun die Wahrheit dieser Thesen zu erweisen, wobei ich
mich öfters kurz fassen kann, da ich zu Wissenden spreche.
I. Auf die widerspruchsvollen Annahmen über Zeit und Ent-
stehung, gegenseitiges Verhältnis, ursprüngliche Niederschrift u. dgl.
der einzelnen Legenden, brauche ich nicht einzugehen. Die Fülle und
Genauigkeit der Angaben erweist zur Genüge — ihr hohes Alter; die
vielen wörtlichen Übereinstimmungen — ihren gemeinsamen Ursprung,
der nur auf Method selbst zurückgeführt werden kann. Ich zitiere z. B.
nur einen Satz (der Bequemlichkeit halber nach der Ausgabe von Prof.
Pastrnek): coeperunt (fratres) ad correptionem diversorum errorum,
quos in populo illo (Moravico) repererant, falcem eloquiorum suorum
inducere sicque ahrasis et extirpatis de agro illo pestifero multifariis
vitiorum sentihus divini verbi gramina Seminare = vseze se (nämlich
diese errores) jako i trnij'e pos^k slovesnyim ognjem popali; gerade
die Legenden verwenden mit ausgesprochener Vorliebe Bilder des
Ackerbaulebens; man merkt, daß ihre Verfasser nicht in den Mauern
Konstantinopels auferwachsen sind, z. B. das bekannte az na lese pa-
daja, oder Vergleiche in den Argumentationen u.s. w. Die innigen Be-
4
Cyrillo-Methodiana. 189
Ziehungen zwischen der »italischen« und der Cyrillslegende sind längst
beobachtet worden; man wollte ja eine aus der anderen (aber wie und
wann?) schöpfen lassen — diese Beziehungen erklären sich am natür-
lichsten aus dem Umstand, daß Method eben die italische Legende, auf
Grund seiner Informationen, abfassen ließ, vielleicht den des Latein
kundigen Gorazd; er nahm sie dann bei seiner zweiten Romreise S79
mit und so kam sie nach Italien und verblieb daselbst; dies ist mir
wahrscheinlicher, als die Annahme, sie wäre schon S69 oder S70 in
Rom durch Method veranlaßt worden ; sie setzt nämlich den slavischen
Text voraus.
Die italische Legende war für die Römer bestimmt und daher
überging sie manches wichtigere mit Stillschweigen, rückte dafür an-
deres unwichtigere in den Vordergrund, gab unmögliche Motivierungen,
verwickelte sich in Widersprüche mit den m mährischen «t (slavischen)
Legenden; aber diese Eigentümlichkeiten und Widersprüche erklären
sich aus dem einfachen Grunde, daß beiderlei Vitae für ganz andere
Leser und Zwecke berechnet waren. Für die Römer rückte die italische
Legende die Aufündung der Klemensreliquien an die erste Stelle,
förmlich als ob dies der Lebenszweck Cyrills gewesen wäre; dafür ver-
schwieg sie wohlweislich die Einführung der slavischen Liturgie, das
eigentliche Lebenswerk, vollständig; sie spricht ja nur vorsichtig und
flüchtig von Cyrills Übersetzung des Evangeliums in die Landessprache,
denn daran allein konnte man in Rom keinerlei Anstoß nehmen, gab es
doch schon längst derartige Übersetzungen, altirische, althochdeutsche
u. s. w. auch in der abendländischen Kirche. Um das auffällige Auf-
tauchen der beiden Griechen mitten im römischen, als solchem stets un-
bedingt anerkannten Sprengel zu bemänteln, erfindet die italische Le-
gende nicht nur die Aufforderung und Gesandtschaft des Rostic nach
Byzanz, sondern motiviert noch dieselbe durch die Nachricht vom an-
geblichen Chazarenerfolge: audiens Rostislaus quod factum fuerat a
philosopho in provincia Cazarorum etc. liier wird uns ganz oflenkundig
ein Kindcrraärchen aufgebunden : zwischen Mähren und Chazarien,
zwischen der March und dem Kaspisee gab es keinerlei Verkehr; von
Chazaven hätten die Mährer gewiß nie etwas erfahren, außer etwa durch
jüdische Händler, die Sklaven handelnd auch von Mährern zu Cha-
zaren kamen ; diese Juden hätten sich wohl gehütet, etwas von etwaigen
Erfolgen der griechischen Mission vcrl;iutli:iren zu lassen. Zudem gab
es ja keinerlei Erfolge: die mit solchem Pomp angetretene Mission en-
1 90 A. Brückner,
digte ja mit einem totalen Fiasko ; ein paar getaufte Chazaren und los-
gelasseno Griechen ersetzten nicht die getäuschten Erwartungen auf
Bekehrung des Chagan und seines ganzen Volkes selbst. Mit richtigem
Blicke hat es Method gar nicht gewagt, diese so leichte Motivierung
des lateinischen in seine slavischen Texte aufzunehmen ; da hätten doch
die Mährer etwas ilmen ganz unbekanntes erfahren können; statt dessen
reichte ihm für sie das bogom ustim aus, womit sich die argwöhnische-
ren Römer nicht so leicht hätten abspeisen lassen. Im Vertrauen auf
das kurze Gedächtnis der Römer wagte dann die italische Legende noch
den Satz : daß der Papst die Brüder zu Bischöfen, ihre übrigen Schüler
zu Priestern und Diakonen weihen ließ ; denn zu dem päpstlichen Be-
grüßungsjubel stimmte schlecht das ärmliche Resultat, die Weihe bloß
dreier Priester und zweier Anagnosten.
II. Erst auf Kocels Bitte wurde Method auf den Sitz des h. Andro-
nikus geweiht, aber der Tätigkeit Methods inPannonien machte deutsche
Eifersucht und Herrschbegier ein rasches Ende; es folgte das Gericht
über Method vor König Ludwig, seine Einkerkerung, hierauf nach
dritthalb Jahren die Befreiung durch den Papst — aber nach Pannonien
ist Method nie zurückgekehrt, hat in Pannonien nie mehr kirchliche
Autorität ausgeübt. Der Papst mußte hierin offenbar nachgeben, Method
mit dem bloßen Titel eines pannonischen Erzbischofs — ich hätte bei-
nahe gesagt in partibus infidelium — sich begnügen. Wenn nun Mähren
vor 868 und nach 872 der ausschließliche Schauplatz der Tätigkeit
Cyrills und Methods war, so ist es doch die reinste Willkür, »pannonische«
Legenden, statt »mährischere, darüber berichten zu lassen. Wir wissen
ja, welche vorgefaßte Meinungen, seit Kopitars Zeiten, diesen unglück-
lichen Terminus eingeschmuggelt haben, aber bei dem offenkundigen
Irrtum zu verharren, wäre Eigensinn.
III. Der Grund, daß man die Legenden und ihre Angaben bisher
völlig falsch beurteilt hat, liegt darin, daß man die Tendenz derselben
völlig verkannte. Man hielt sie ja naiver Weise für hagiographische
Schriften , denen , bis auf das erbauliche und wundertätige Beiwerk,
ohneweiteres zu trauen wäre; man freute sich außerordentlich, als die
Papstbriefe des Britischen Museums die Angaben der Vita Methodii be-
stätigten — aber gleich bei dieser Bestätigung hätte man sich fragen
sollen, warum denn die Vita, statt die schlimme Wahrheit, wie wir sie
aus den Papstbriefen kennen, rückhaltslos zu enthüllen, die unwürdigen
Cyrillo-Methodiana. 191
Verfolgungen des Method zu brandmarken, wie sie es verdienten, die-
selben mit einem diplomatischen, nichtssagenden drbzas^ vertuschte.
Die slavischen Vitae — die lateinische schweigt sich ja über die
ganze Sache wohlweislich aus — haben den Zweck, die Schaffung der
slavischen Liturgie als ein gottgefälliges und rechtgläubiges Werk dar-
zustellen; ihre Tendenz geht dahin, jeglichen Makel von demselben
fernzuhalten, keinerlei Bedenken aufkommen zu lassen. Denn die Sache
war ja ganz neu, bisher nicht in der Kirche, bei den heiligen Vätern,
dagewesen, und da jegliche Neuerung in der Kirche, auch wo sie von
autoritativer Seite, z. B. vom Papst ausging, eo ipso schon eine Ketzerei,
ein Greuel war — solche Neuerungen brachten ja die beginnende Ent-
fremdung der beiden Kirchen zum Abschluß — , so mußte Method, da
Cyrill frühe starb, auf das ängstlichste bedacht sein, sein Werk über
jeglichen Zweifel, über jegliche Neuerungssucht, die der Grieche
schlimmer als die Pest fürchtete, erhaben werden zu lassen; der Zu-
stand der ungeteilten Kirche spiegelt sich dann darin wieder, daß Me-
thod nicht nur die Anerkennung Ostroms, sondern auch die Westroms
unumgänglich erschien. Daher mußte von dem Werke jegliches Zei-
chen persönlichen Eingreifens, Hervorrufens durch die Brüder selbst,
entfernt werden — die Mährer selbst mußten mit ihren Wünschen
kommen, von denen sie sich nie hätten träumen lassen können;
daher mußten in der Anerkennung desselben Kaiser und Pati'iarch,
Papst und König wetteifern. Die Legende erwähnt z. B. die zweite
(respektive dritte) Romreise des Method, vom Jahre 879, mit keinem
Sterbenswörtchen — mit gutem Grunde, denn wie schlecht hätte es
dieser ihrer Tendenz entsprochen, daß Method — wegen seiner Irr-
lehren vor Johannes VIIL zitiert war. Sie erwähnt auch nicht die
schlechte und unwürdige Behandlung Methods durch die deutschen
Bischöfe, damit auch so nicht ein Verdacht oder Makel auf denselben
falle. Sie hütete sich zu sagen, warum der Kaiser Method zürnte; dafür
erfand sie allerlei Briefe und Reden namentlich. Bei einem einzigen
Falle sind wir in der Lage, die Angaben der Vita mit einem echten
Briefe vergleichen zu können. In dem Streite mit dem römisch recht-
gläubigen Wiching trägt Method den Inhalt eines Briefes Johannes VIII.
vor (seine Legende nennt niemals Namen, diese setzen wir immer ein):
der Papst nennt darin Method seinen Bruder, heilig und rechtgläubig,
sein Tun ein apostolisches, wen er vcrllut ht, der sei verflucht u. s. w.
Im echten Briefe dos Johannes hat dagegen davon nichts gestanden.
192 A. Brückner,
aber Method hat Wiching, wie wir aus einwandsfreien Quellen, aus dem
Briefe Stephans und der Vita Clementis wissen, verflucht, und daher ist
dieser Passus in die Vita hineingeschmuggelt worden, um zu zeigen, wie
rechtmäßig, auf päpstliche Autorität hin, Method vorgegangen wäre,
aber wie der Papst darüber dachte, wissen wir allerdings besser, denn
von Stephan V. selbst. Diesen echten Brief des Johannes, allerdings
mit Erweiterungen, hatte aber unsere Vita schon einmal früher, als
Brief Iladrian II. gebracht; sie schwieg ja von der Piorareise S79, aber
das Resultat derselben, jener Brief an Svqtopeik von SSO, war ein zu
unschätzbarer Erfolg, als daß er hätte vorenthalten oder gar unter-
schlagen werden können. Daher wurde dieser (teilweise geänderte)
Brief Hadrian II. bereits zugeschoben, wobei dann aus dem echten
Briefe selbst wichtiges, z. B. die Zuerkennung lateinischer Messe, jedem
der es in Mähren wünschte, entfernt wurde, weil es in den Kram Me-
thods nicht paßte. Über die Auflehnung der lateinischen Prister in
Mähren gegen die slavische Liturgie gleiten die Vitae mit wenigen
Worten hinweg; es lag ja nicht in ihrem Interesse, die Schärfe, Leb-
haftigkeit und Dauer dieses Protestes ausführlich darzustellen. Nun
hatte Cyrill in einem schriftlichen Gutachten die Rechtgläubigkeit der
slavischen Liturgie, allerdings ganz vergeblich, zu erweisen versucht:
sein Bruder, der mit allen schriftlichen Leistungen des Philosophen viel
Aufhebens machte — er zitierte diese griechischen Schriften, z. B. die
Geschichte der Klemensauffindung, oder gab sogar ausführliche Proben
aus ihnen, wie aus den acht »Slovo« gegen die Juden und aus der eben
erwähnten Apologie — wollte uns dieses Slovo nicht vorenthalten, aber
wo sollte er es einreihen? In Mähren?, da tat er zu viel Ehre, legte zu
viel Gewicht den lateinisch-deutschen Gegnern bei, die möglichst igno-
riert werden sollten. In Rom? aber nach seiner Behauptung haben ja
Nikolaus I. und Hadrian II. aus reiner Freude über der Griechen Wirk-
samkeit (!!) sie dorthin berufen, nicht um sie sich verantworten zu
lassen. So entstand der Gedanke, lieber auf irgend einer anderen Reise-
etappe den Streit ausfechten zu lassen ; Venedig empfahl sich dafür
durch irgend einen zufälligen Umstand, weil man hier wirklich rasten
mußte oder sonst warum, und so kam in die Legende die Angabe von
den Bischöfen, Priestern und Mönchen, die hier wie Krähen auf den
Falken Cyrill stießen; was hat man nicht alles ersonnen, nur um die
eigentliche Veranlassung für diesen Streit zu eruieren — aber wir kön-
nen die Biographen beruhigen; in Venedig kümmerte sich keine Katze
Cyrillo-Methodiana. ] 93
um die slaviscbe Liturgie und niemand hat um dieselbe zu streiten sich
ereifert; und eher hätte alles andere auf dieser Welt, nur nicht dieses, die
Venetianer aus dem Häuschen gebracht ; vielleicht hat Cyrill in Venedig
nur die angeblichen Gründe, mit denen er in Mähren focht, zuerst zu
Papier gebracht; denn daß sie nur schriftlich, nicht mündlich, vorge-
bracht werden sollten, beweist schon das ellenlange Zitat aus dem
Korintherbriefe.
Wie vorsichtig, jeglichem Einwand von vornherein die Spitze ab-
brechend, der Text der Legenden von Method hergestellt wurde, lehren
andere Beispiele. In der Vita Methodii stellt bekanntlich der Kaiser
selbst den Thessaloniern das Zeugnis aus, daß sie alle cisto slov^nsky
besedujat. Ich habe an einer anderen Stelle, in der Beilage zur Mün-
chener Allgemeinen Zeitung vom 23. Juli d. J. (1903, in einem Artikel
»Die Wahrheit über die Slavenapostel«), angegeben, was von diesem
Zeugnis zu halten ist. Ich will hier nicht wiederholen, daß in der
griechischesten aller Städte einfach niemand slavisch gesprochen hat,
daß der Kaiser ebensogut über die Reinheit der chinesischen Sprache
hätte urteilen können, daß Method jedoch dieses Zeugnis unbedingt
brauchte, um den mit seinem mazedonischen Slavisch unzufriedenen
Mährern, die nicht einsehen konnten, warum sie z. B. nost statt noc
sagen sollten, die Spitze zu bieten mit der angeblichen kaiserlichen Ent-
scheidung, vor der sich ja die ganze orthodoxe Welt einfach zu beugen
hatte, nicht daran kritteln und mäkeln durfte.
Ebenso tendenziös erfunden ist z. B. die Angabe, daß die Mährer
um 873 alle deutschen Priester, die unter ihnen lebten, wegen ihrer
politischen Umtriebe verjagt hätten. Die deutschen Quellen handeln
gerade damals sehr ausführlich und eingehend über mährische Sachen;
ich erinnere nur an die Geschichten mit Slavomir und Sv(^topelk, an
die mährische Hochzeitsgeschichte und die Überrumpelung — sie hätten,
wenn sie auch sonst über die mährischen Interna schweigen, ein so auf-
sehenerregendes Ereignis gewiß aufzeichnen müssen; es hätte j:i
unzweifelhaft durch diesen Schritt das neue mährische Christentum in
deutschen Augen auf das bedenklichste erschüttert werden müssen.
Keine Spur davon; die Angabe der Vita ist erfunden oder ein verein-
zeltes Faktum ist absichtlich generalisiert worden. Ich habe in jenem
Artikel sogar die Vermutung ausgesprochen, daß Method mit dieser
Angabe von einer vermeintlichen Vertreibung der deutschen, d. i. de
lateinischen Priester, die Halsstarrigkeit der Mährer, die Notwendig-
Aiihiv für sLavischa l*liilolo^;io. XXVIll. 13
194 A. Brückner,
keit, ihnen entgegenzukommen, wenn man die Sache des Christentums
bei ihnen und ihren Nachbarn nicht gefährden wollte, vor Popst Jo-
hannes gebracht und damit seinen ofienbaren Ungehorsam, das sla-
vische Liturgieren betreffend, den eigenmächtigen Bruch seines eigenen
Versprechens, der offiziell festgestellt ist und den keine Interpretierkunst
der Welt beseitigen wird, zu erklären und zu entschuldigen versucht
hat. Daß lateinische Priester stets in Mähren verblieben sind, wissen
wir von der nächsten Umgebung des Svqtopeik und müssen wir aus der
Opposition erschließen, welche Methods Werk in Mähren selbst immer
gefunden hat und der es unterliegen sollte, als das Paar Augen ge-
schlossen wurde, welches über der slavischen Liturgie in Mähren
rastlos wachte.
Die von uns angedeutete Tendenz durchzieht nun wie ein roter
Faden beide mährische Legenden. Man lese ja nur die Einleitung zur
Vita Methodii. Wer hätte sich nicht an deren Übertreibungen gestoßen!
Alle Propheten, Abraham und Moses, alle Apostel, Väter, Heiligen
aufzurufen, mit ihnen Method wegen des bischen Slavisch (dasselbe hat
Ulfilas geleistet!) auf eine Stufe zu stellen — wäre einfach unbegreif-
lich, wenn nicht gerade durch diese Gleichstellung seine absolute Recht-
gläubigkeit erhärtet, die Rechtmäßigkeit der slavischen Liturgie über
alle Zweifel erhoben werden sollte. Auf die großen Ökumenischen Kon-
zile, die die Dogmen gegen die Häretiker verteidigt und erstritten
haben, läßt Gott den — Method folgen ! Oder man lese den angeblichen
Brief des Kaisers an Rostic über Cyrill und sein Werk. Man mag ja
byzantinische Überschwänglichkeiten noch so sehr in Rechnung ziehen,
aber daß der griechische Kaiser einem kleinen Barbarenhäuptling, der
ihm nie gefährlich werden konnte, die Ehre eines Vergleiches mit dem
großen Kaiser Konstantin, dessen Gewänder er selbst trug, antun sollte,
heißt unserer Leichtgläubigkeit doch allzuviel zumuten. Außerdem
spricht ja der Kaiser in diesem Briefe offenkundige Unwahrheiten: als
Orientale wußte er am besten, und Cyrill würde ihn selbst, falls es
nötig gewesen wäre, immer daran erinnert haben, wie viele Landes-
sprachen und Alphabete für die Liturgie im Oriente es gab, und nun
behauptet er auf einmal, ignorierend armenische, gotische und so viele
andere Schriften und Liturgien, daß Gott jetzt auch die slavische offen-
bart hätte, was nur in den ersten Jahren (der Christenheit) ge-
schehen wäre, auf daß die Slaven den großen Völkern (gemeint sind die
bekannten drei) beigezählt würden.
Cyrillo-Methodiana. 1 95
Wenn hier der orthodoxe Kaiser die slavische Liturgie, die ihm im
besten Falle arg zuwider war, in den siebenten Himmel erheben muß,
so bleibt auch der Papst nicht zurück und wir finden in dem angeblichen
Briefe Hadrians IL, d. h. in der VerballhornuDg des echten Briefes
Johannes VIU., einen Passus eingeschmuggelt, über den man in Rom
höchst erstaunt gewesen wäre. Dieser Passus L-t natürlich gegen
Wiching gemünzt: wenn unter euren Lehrern etwelche die slavische
Liturgie tadeln sollten, sollen sie gebannt sein, denn das sind Wölfe im
Schafsfell u. dgl.
Wir wiederholen: jede einzelne Angabe der Legenden muß auf
das cui bono untersucht und geprüft werden; nichts ist in diesen Le-
genden naiv, zufällig, gleichgiltig. Sogar das Herausstreichen Cyrills
wird erklärlich, durch das Bestreben, den Überlebenden zu entlasten,
die Initiative des Werkes auf den Toten abzuwälzen, der ja bei den
Römern selbst im Gerüche der Heiligkeit stand; dadurch hatte der
Lebende leichteres Spiel.
Jeglicher Verdacht persönlichen Hervortretens, Ruhmsucht u. dgl.
wurde entfernt, wenn es gelang, jegliche Spur der eigenen Initiative zu
verwischen, alles als das Walten der Vorsehung allein hinzustellen.
Jegliche der drei Missionen hat Cyrill allein eingefädelt — die Legende
behauptet jedesmal das entgegengesetzte; sie setzt ein Schema fest und
nach diesem führt sie die Missionen mit wörtlichen Wiederholungen
durch. Das Schema ist von rührender Naivität: die Araber, Chazaren,
Mährer haben, offenbar aus Langeweile, nichts gescheiteres zu tun, als
nach Byzanz um Glaubensboten und Belehrung zu schicken; bei den
Arabern, die über solches kindische Treiben erhaben waren, sogar in
den Augen der Slaven, wird die Sache ein bischeu anders gedreht, sie
fordern nämlich zur Disputation über die christliche Vielgötterei die
Griechen auf. Und immer ist guter Rat teuer, immer Konstantin der
einzige Grieche, der in dieser Not gegen die Andersgläubigen wie ein
zweiter Ilja von Murom gegen das Idolisce zu helfen weiß, mit den
Segenswünschen des Kaisers auszieht und die Mission erfolgreich durch-
führt. Was von der arabischen Mission zu halten ist, hat Prof. Lam:in-
skij, den doch niemand der Voreingenommenheit gegen Cyrill und sein
Werk zeihen wird, enthüllt — es hat einfach keine derartige Mission,
am wenigsten eine Aufforderung von Seiten der Araber selbst gegeben.
Genau ebenso verhält es sich mit den beiden anderen Missionen.
Sagt nicht bezüglich der Chazarenmission eher der lateinische Brief des
13*
196 A. Brückner,
Anastasius die Wahrheit (Constantinus philosophus a Michaele impera-
tore in Gazaram pro divino praedicando verbo directus) ? Die Chazaren
hatten ja in Konstantinopel alle möglichen Anliegen, Griechen mußten
ihnen ihre Festung bauen u. dgl. ; es konnte sich nun Konstantin, wie
er es bei den Arabern ^etan hatte, einer solchen Gesandtschaft an-
schließen und sein Glück auf eigene Faust versuchen — wie bei den
Arabern und im Grunde mit nicht besserem Erfolge. Natürlich leugnen
wir die Keise selbst nicht — wir haben sogar ihr eine ausschlaggebende
Bedeutung für die slavische Mission zugeschrieben, weil jetzt vielleicht
erst Cyrill die gewaltige Ausbreitung der Slavenwelt richtig erkannt
haben mag, mit Ostslaven im Heere des Chan zusammentreffend, von
Ostslaven als Tributpflichtigen des Chan erfahrend. Wir glauben nur
niemals, daß die Initiative zu dieser Reise von den Chazaren ausge-
gangen wäre, denen es nicht einfallen konnte, sich ihren Glauben aus
Byzanz, wie etwa die Ingenieure und Architekten, zu verschreiben: aber
in Byzanz mochte man die Festsetzung des Judaismus bei dem Freunde
und Bundesgenossen scheelen Auges sehen und versuchte einen Vorstoß
gegen denselben, der jedoch zu nichts geführt hat; die Chazaren ließen
sich durch theologische Scharmützel nicht aus ihrem Geleise bringen.
Hier erschöpfte dafür Cyrill, was er an antijüdischen Argumenten auf-
treiben konnte und siegte auf dem Papiere wenigstens auf der ganzen
Linie; der wichtigste Erfolg der Chazarenmission war auch nur ein
papierner, er gab nämlich das Modell ab für den angeblichen Glaubens-
streit vor Vladimir in der Chronik.
Und mit noch größerer Sicherheit können wir behaupten, daß es
den Mährern nie, auch nur im Traume, eingefallen ist, nach Konstanti-
nopel in Glaubenssachen sich zu wenden. Das Schema der Legende
ist hier wörtlich dasselbe, wie bei den Chazaren: die Chazaren baten
den Kaiser, trauend in fiele vestra ac veteri amicitia, ut dignaretur
mittere eruditum virum, qui eos fidem catholicam veraciter edoceret,
quoniam nunc ludaei^ modo Saraceni ad suam nos convertere moliun-
tur . . ignorantes ad quos nos transferamus. Die Mährer behaupten:
sat V ny vsli ucitelje iz Vlach i iz Grhk i iz Nemhc^ uceste ny razlic
a mij prosta 6ed . . posli maz, ize ny ispravit vsjaka pravda . . , ot vas
bo na vse strany vsegda dobr^J zahon ishodit — man sieht, die Mährer
urteilen ebenso kompetent und kühn über das wahre Christentum, wie
der Kaiser über das wahre Slavisch.
Hier hat sogar die Unbefangenheit unserer Forscher ein starkes
Cyrillo-Methodiana. 197
Leck erhalten; niemand glaubt an diese Motivierung und jedermann
unterschiebt dem Rostic politische Motive : er hätte eine von Rom und
den Deutschen unabhängige Landeskirche erstrebt und wandte sich
darum nach Konstantinopel. Aber das ist nur ein verzweifelter Ver-
such, das Märchen der Legende von der mährischen Gesandtschaft mit
den Forderungen der einfachsten Wahrscheinlichkeit auszusöhnen; der
Przemyslide Christian, der über das Cyrillmethodianische Werk gut
unterrichtet war und ihm die größte Sympathie entgegenbrachte, wußte
besser Bescheid, als er die Initiative des Rostic leugnete und einfach
Cyrill aus eigenem Antriebe nach Mähren (Pannonien überging er mit
Recht, noch hatte kein Kopitar sein Urteil benebeln und verwirren
können) kommen ließ.
Weder die Erklärung der Legenden (hier wiederholen sich alle
drei wörtlich; es war nicht ratsam, die Erfindung variiren zu lassen),
noch die Unterstellung der modernen Forscher treffen das Richtige. Die
Legenden treffen darum am Ziel vorbei, weil Rostic offenbar nicht von
den Griechen für sich und seine Slaven dasjenige verlangen oder er-
warten konnte, was die Griechen für ihre eigenen Slaven niemals unter-
nommen hätten; die Griechen, habe ich schon einmal ausgeführt, hatten
ftlr die Slaven unter ihnen nicht einmal das getan, was die Deutschen
bereits für die fremden Slaven geleistet hatten; die Deutschen, nicht
die Griechen, haben ja zu Cyrills slavischer Kirchenterminologie den
Grund gelegt. Hauck vermutet nicht ohne Grund, daß bereits ein Salz-
burger Erzbischof zu Zwecken der Mission slavisch erlernt hatte. Wie
konnte somit Rostic auch nur auf den Gedanken kommen, in Konstanti-
nopel zu suchen, was ihm dieses nie gewähren konnte? Lag es ihm
an Unterweisung in der eigenen Sprache, so mußte er junge Mährer in
Deutschland und Rom hierzu ausbilden lassen — ein anderer Weg stand
nicht offen. Wäre ihm aber der abenteuerliche Gedanke gekommen,
sich von der römischen Obödienz loszusagen, d. h. zu den bereits vor-
handenen Schwierigkeiten seiner Lage sich noch neue überflüssigerweise
zu schaffen, dafür die griechische aufzusuchen, etwa in Nachahmung
und auf Anregung seiner bulgarischen Nachbarn, die zwischen Rom
und Byzanz eine Zeit lang oszillierten, so war auch so für die Forde-
rung einer nationalen Kirche kein Platz: auch die Bulgaren forderten,
weder von Rom noch von Byzanz, eine nationale Kirche, eine natio-
nale Liturgie; sie forderten nur autonome Bischöfe, ja Patriarchen. Die
Unbedeutendheit des Auftretens der Brüder, ihre kleinen Anfänge, die
198 A. Brückner,
bei den Deutsehen keinen Widerhall wecken, lassen mich vermuten, daß
Christian Recht hat, daß die Mälirer selbst nichts unternommen haben,
daß Cyrill und Method im Gegenteil, aus eigener Initiative, vielleicht
von Pliotius angespornt, nach Mähren gezogen sind. Man beachte
nämlich folgenden Umstand. Nach den Legenden hat Cyrill erst die
Glagolica — nur von dieser kann vernünftigerweise die Rede sein —
erfunden, nachdem die mährische Gesandtschaft erschienen war und er
die naive Frage an den Kaiser gestellt hatte, ob denn diese Slaven ihre
eigene Schrift hätten, und als er das Gegenteil erfuhr — er wußte es
tausendmal besser, als der Kaiser, aber die Tendenz forderte die an-
gebliche Unwissenheit Cyrills — , erbetete er sich die Ofifenbarung der
Glagolica vom Himmel, und Lapotre ist so naiv gewesen, wirklich an-
zunehmen, daß Cyrill in einigen Tagen die Glagolica erfunden hätte !
Man braucht sie nur anzusehen, der Feinheit der Buchstabenbezeich-
nung, der Nuancen aller Laute nachzugehen — keine Sprache auf der
ganzen Welt besaß damals etwas ähnliches, es ist dies die glänzendste
sprachwissenschaftliche Leistung mehrerer Jahrhunderte — um zu er-
kennen, daß es sich nicht um ein Werk weniger Tage, plötzlicher Ein-
gebung handeln kann. Nicht die angebliche mährische Gesandtschaft hat
die Glagolica hervorgerufen — Lamanskij hat vollkommen recht, die
Glagolica war von Cyrill längst vor 863 fertiggestellt. Wäre sie nämlich
erst durch diese Gesandtschaft hervorgerufen, so hätten wir bestimmt
erwartet, daß Cyrill wenigstens irgend eine Rücksicht auf den west-
slavischen Dialekt, für den er doch wirken sollte, genommen hätte; statt
dessen ignoriert er ihn vollständig, als wäre das mazedonische Slavisch
die einzige Norm für alle Slaven; ein triftiger Beweis, daß er sein Al-
phabet und seine Übersetzung nicht erst für die Mährer, nicht erst auf
ihren Auftrag hin, unternommen hat ; daß Alphabet und Übersetzung
der Evangelien, ohne jeglichen Gedanken an Mährer und deren Bedürf-
nisse, nur aus der nächsten Umgebung und für diese entstanden sind.
Wie sind Cyrill und Method auf den Gedanken einer slavischen
Liturgie, vor jeglicher »Gesandtschaftcf, gekommen?
Cyrill, denn dem griechischen Mezzofanti und dem bedeutendsten
Philologen der Zeit gebührt das philologische Verdienst, war weder von
gewöhnlichem irdischen Ehrgeiz erfüllt, war kein Ämterjäger noch
Politiker: noch lockte ihn Wissenschaft, weltliche, heidnische wie theo-
logische um ihrer selbst willen; noch genügte es ihm, im aszetischen
Hinbrüten in der Klosterzelle zu versauern: dazu war er eine allzu
Cyrillo-Methodiana. 1 99
energische, kampfesfreudige Natur, die sogar die Gebrechen des Kör-
pers tiberwand. Er hatte nur einen Ehrgeiz, der Verbreitung seiner
alleinseligmachenden, orthodoxen, griechischen Kirche — nicht umsonst
war er Intimus des Photius — zu dienen. Aber ihr Spielraum war ein
sehr beschränkter geworden : in Asien und Afrika war für sie nur alles
noch zu verlieren, nichts mehr zu gewinnen — davon hatte sich Cyrill
schon bei seiner kleinasiatischen Escapade hinlänglich überzeugen kön-
nen; auch an der Grenze von Europa und Asien hatte sich die werbende
Kraft des Christentums nicht bewährt, bei den Chazaren, wo Juden zum
ersten und letzten Male triumphierten; so blieb nur Europa übrig, dessen
größeren Teil bereits Rom für immer okkupiert hatte, das sich nunmehr
anheischig machte, sogar alten mösischen und dakischen Boden Byzanz
vor der Nase wegzukapern. Die Einbußen, welche die griechische Kirche
erlitten hatte und immer noch erleiden sollte, konnten nur in Europa,
natürlich nicht bei Franken und Lateinern, sondern bei den — Slaven
wettgemacht werden; von der Ausdehnung der Slaven, nicht nur auf
dem Balkan, sondern nördlich und östlich der Donau, hatte Cyrill auch
auf der Chazarenreise sich unterrichten können; von Juden wird er
sicherste Kunde über die großen slavischen Flüsse, Elbe, Weichsel,
Dniepr, erlangt haben. Diese Slaven, von den Toren des heimischen
Saloniki an bis an die Nordmeere hinüber, konnten für die griechische
Kirche gewonnen werden, wenn man, nach dem Muster anderer orien-
talischer Kirchen, ihnen bot, was Rom nicht gewähren konnte, eine
Liturgie in heimischer Sprache.
Die Gründe, die Bibelzitate, welche sich Cyrill zusammensuchte,
um die Einführung slavischer Liturgie zu rechtfertigen, reichen nicht im
mindesten dazu aus. Es war nämlich ganz etwas anderes, zur Unter-
weisung des Volkes nach seiner Sprache zu greifen — das tat und ver-
langte Rom selbst; und etwas ganz anderes, in die Liturgie, die nur der
Priester vor sich hin verrichtete, an der die Gemeinde unbeteiligt war,
eine neue, unbekannte Sprache einzuführen. Gerade darnach verlangte
Cyrill, nach dem novum, das die römische universale Kirche niemals
zugeben konnte, das die ohnmächtige griechische Kirche im Orient still-
schweigend sich gefallen lassen mußte. Nur die slavische Liturgie, die
Rom nie gewähren würde, konnte die Slaven für Byzanz gewinnen.
Aber ebensogut wußte Cyrill, daß ihm niemals gestattet wäre, das
slavische Experiment etwa vor den Toren Salonichis oder Konstanti-
nopela zu erproben; der heil. Demetrius selbst hätte den Frevler ver-
200 A. Brückner.
jagt oder gelähmt. Weit weg von Konstanlinopel, ja sogar weit von Bul-
garien, mußte der erste Versuch gemacht werden. Aber es wäre un-
fruchtbar gewesen, damit zu ii gend einem ob.skuren, bis dato heidnischen
slavischen Stamm, zu Polanen oder Wislanen etwa, zu eilen; es mußte
eine autoritativere Stelle gefunden werden, eine Art organisierten Staates
mit einem respektableren Fürsten, die das Werk gutheißen und anneh-
men sollten; von ihnen konnte man sich Wirkung in die Ferne ver-
heißen. Und so kam Cyrill auf Rostic und Mähren, von denen er noch
in By/anz oder auf seinen Reisen erfahren haben kann. Daß die Mund-
art, die er seit früher Kindheit kannte — obwohl er die Brust der sla-
vischen Amme ausgeschlagen hatte, auch anderen slavischen Stämmen
verständlich bleiben könnte, hatte er unter Ostslaven erprobt, und daher
verblieb er bei ihr, verstand sich zu keinerlei Nachgeben anderweitigen,
z. B. mährischen Forderungen gegenüber; es brauchte ja das Idiom der
Kirchensprache nicht mit jedem Bauernidiom zusammenzufallen, das
wußte er vom griechischen, lateinischen u. s. w. her. Für seinen Ge-
danken, der römischen Kirche bei den Slaven Abbruch zu tun, fand er
williges Verständnis bei Photius, und mit den Segenswünschen von
Kaiser und Patriarch ausgestattet, machte er sich mit seinem Bruder
auf den Weg, nicht ohne kaiserliche Unterstützung. Über Bulgarien,
auf den Pfaden der Salzkarawanen, eilte man nach Mähren. Hier war
der Anfang schwer und langsam, aber die ungeahnte Neuheit frappierte;
gegen die lateinischen Priester trat er auf mit seiner slavischen Liturgie
— denn er las die Messe, nicht umsonst berichtete die Legende honorem
sacerdotii est adeptus; trat er auf mit seinem aszetischen Eifern gegen
jegliches Verletzen strikter Gesetze, gegen jegliche Laxheit in matri-
monialen und anderen Verhältnissen; so imponierte er durch seine
hohen Forderungen, denen sein eigener Lebenswandel wie der seiner
Gefährten sich anpaßte, durch seine Betonung des wahren Christentums,
durch die nationale Schrift und Sprache in Kirche und Schule — denn
bald vertraute man ihm Jünglinge und Knaben sogar zum Unterrichte an.
Bald wurden die lateinischen Priester der Eindringlinge gewahr, bald
merkten sie, hier wie in Pannonien, wie der Eindringling linguam latinam
doctrinamque romanam philosophice superducens, vilescere fecit populo
missas et evangelia ecclesiasticumque officium illorum qui hoc latine
celebraverunt. Sie erhoben Geschrei, woher diese unerhörte Neuerung, wo
die Autorität dafür, wer verbürge, ob nicht Ketzerei dahinter stecke; nie-
mals hätten sie auch nur einen slavischen Jünger der Griechen zum Priester
CyrlUo-Methodiana. 201
geweiht und bestritten ihnen jegliches Recht, in der fremden Diözese
aufzutreten. Ihre Anschuldigungen verhallten nicht ungehört; be-
unruhigt durch die fortwährenden Beschuldigungen der Ketzerei — die
die Griechen mit gleichen vergalten — , verlangte Rostic, dai^ sich die
Griechen mit päpstlicher, römischer Autorisation ihres Treibens ver-
sahen, sahen die Griechen selbst ein, daß ohne römische Approbation
ihrer Kirchensprache und Weihe ihrer Geistlichen auf die Dauer nicht
auszukommen wäre, und machten sich daher schweren Herzens auf den
Weg nach Rom; aber sie beeilten sich nicht übermäßig, benutzten gern
die Gelegenheit, um, deutschen Pfaden ausweichend, einen Umweg über
Pannonien und Venedig zu machen; in Pannonien hofften sie ja neuen
Spielraum für ihr Wirken zu finden und fanden bei Kocel noch viel
willigeres Gehör als bei Rostic. Unterdessen hatte die lateinische Geist-
lichkeit des Landes (Mähren) in Rom über die griechischen Eindring-
linge, die beim Landesherrn und Volk Zustimmung fanden, Klage er-
hoben und der beunruhigte Papst entbot die Griechen zu sich; sein
Brief traf wohl noch zusammen mit der Forderung des Rostic, aus Rom
das Zeugnis der Rechtgläubigkeit beizubringen.
So deute ich mir den Verlauf der Begebenheiten zwischen 863 und
868. Wie das Märchen von der mährischen Gesandtschaft entstehen
konnte, weiß ich nicht zu sagen; die Mährer hatten ja ganz andere,
näherliegende Sorgen, nicht um Byzanz, Chazaren oder Chinesen sich
zu kümmern; oder sollten Cyrill und Method, die ewigen Reisenden,
ihren mährischen Aufenthalt unterbrechend mit Mährern einmal nach
Konstantinopel gekommen sein (vizvratiste se iz Moravy)? Wir gehen
am sichersten, wenn wir die Gesandtschaft der Mährer nach dem Schema
der arabischen und chazarischen, schlankweg erfunden sein lassen.
Schon der Umstand, daß Mährer sich über verschiedene Lehren be-
klagen — das ging noch für Chazaren an, bei dem Wettstreit jüdischer,
arabischer, christlicher Missionäre, nicht jedoch für Mährer — läßt die
Gewagtheit der ganzen, anscheinend so plausiblen, Erzählung hervor-
treten, die erfunden werden mußte, um die persönliche Initiative der
Brüder verschwinden zu machen.
Wir greifen hier des Zusammenhanges wegen gleich zu anderen
Thesen hinüber.
Wie für die Missionen das Scliema, im Bureau würde man sagen,
der Schimmel A, so gilt für das Vorladen vor alle möglichen Persönlich-
keiten und Tribunale, das Schema B. Alle sind gleichmäßig entzückt.
202 A. Brückner,
wollen den Engel Gottes sehen, auch wenn sie ihn direkt der Ketzerei
beschuldigen und ilim mit dem Tode drohen! zelajq videti ja jako
angela bozija = valde laetus = velmi tebe zelaj^ videti dondeze jesi
na sem svotc i molitva tvoja priimem = vxsholo ji videti . . . pomeni
m^ V svotyih molitvah tvoih prisno. In Wirklichkeit lud sie Papst Ni-
kolaus I. und Johannes VIII. vor ihren Richterstuhl, damit sie wegen
schwerer Anschuldigung sich verantworten, und der Kaiser (Basilius)
zürnte wegen der slavischen Liturgie, die schon in Bulgarien griechi-
schen Besitzstand abzubröckeln drohte; in Mähren raunten sich aucli
zu Methods Gegner, die zahlreicher als seine Freunde waren, daß er
nicht mit heiler Haut die Reise zum Kaiser wagen könnte. Bei der
Deutung ihrer Reisen und ihrer Zielpunkte ist Dümmler ein ganz un-
glaublicher Irrtum passiert — allerdings ist noch viel unglaublicher,
daß dieses komische Mißverständnis anstandslos wiederholt wird.
Ich muß vorausschicken, daß die Vita Methodii nach echt griechi-
schem zeremoniösen Wesen, in den Titulaturen äußerst konsequent und
vorsichtig ist. Der eigene mährische Landesfürst Rostic sowohl wie der
ungleich mächtigere Svetopeik, ist ihr immer nur Fürst — knedz, nie
mehr, und mit vollem Recht, wie wir es ans der Geschichte wissen;
erst spät kam ein rex Svetopeik auf. Der griechische Herrscher heißt
ihr immer cesar; der deutsehe König immer kralj. Von dieser Nomen-
klatur weicht die Vita Methodii niemals ab. Daraus folgt mit absoluter
Sicherheit, daß der kralj, vor dem Method mit den Bischöfen disputierte,
der deutsche König, Ludwig der Deutsche, sein muß — wäre dies Sve-
topeik, so müßte es knedz heißen. Daraus folgt weiter, daß die Stelle,
(der Teufel) vi.zdvize srdce vragu MoravsJcago hralja nan s vsemi
jepiskupy, verdorben sein muß: gemeint ist nur, dem (deutschen) Könige,
und ich meine, in der Urschrift stand nur vizdvize srdce kralju;
vragu ist aus der vorigen Zeile hereingekommen, kralja dann verbessert
und moravskago hinzugefügt, ganz falsch, denn vorläufig ist gar nicht
von Mähren, nur von Pannonien die Rede; Method dürfte kaum schrei-
ben lassen: der Teufel regte auf das Herz dem Könige, dem Feinde
des pannonischen Fürsten (Kocel war ja Ludwigs Untertan) — es heißt
auch gleich darauf, rekse Koctlju. Aber wie auch die Verderbnis ent-
standen sein mag, sicher ist, daß der kralt selbst niemand anderer als
der deutsche König sein kann. Wie Bretholz das Gegenteil behaupten
konüte, ist unerfindlich — Svetopeik war damals noch gar nicht Herr-
3cher von Mähren ! Längst haben andere, Dümmler, Dudik u. s. w. den
Cyrillo-Methodiana. 203
»König« richtig bestimmt; wer wären dann die Bischöfe des Königs,
wenn dies Svetopeik hätte sein sollen ? Aber Dümmler hat dafür einen
anderen, noch viel unglaublicheren Schnitzer begangen; unglaublich,
wenn man bedenkt, daß das Studium des IX. Jahrh. sein hauptsächlich-
stes Lebenswerk war.
Im vorletzten Passus der Vita Methodii lesen wir von einem be-
deutsamen Zusammentreffen: prisbdsu ze na strany dunajskyjq kralju
({grskujemu vtshote ji videti etc. Nach dem obigen muß unter kralj
der Deutsche König verstanden werden; jeglicher Zweifel ist ausge-
schlossen. Der Inhalt des folgenden paßt dazu einzig : der König zürnt
ihm (dem Feinde der deutschen Bischöfe) und Methods Gegner oder
Freunde freuen sich über oder fürchten die Begegnung. Aber der
König nahm ihn auf, wie es einem Herrscher geziemt, unterhielt sich
mit ihm würdevoll, beschenkte ihn und empfahl sich seinen Gebeten.
Ein solcher, majestätisch auftretender Christ -König soll nun nach
Dümmler ein — ungarischer Hordenführer gewesen sein ! Gab es denn
vor 885 ungarische »Könige«? seit wann sind denn diese getauft?
solchen haaren Unsinn leistete sich Dümmler, felsenfest auf das »unga-
risch« der Vita bauend. In den mährischen Legenden ist ja von Ungarn
die Rede — aber jako vlcsky vyjaste, von Ungarn anderer Art, von
christlichen Königen, wissen weder die Legenden noch irgend eine an-
dere Quelle auf der Welt ! Der kralj agr'Lskij ist natürlich der deutsche
König; wie sonst immer, kann man annehmen, daß auch hier in der Ur-
schrift einfach prisbdsu na strany dunajskyjt; kralju es hieß; die Le-
genden meiden ja jegliche Namen. Ein Leser oder Kopist hat in seiner
Weisheit, als er strany dunajskyj^ las, den agr-iskij hinzukalkuliert.
Man könnte auch, aber dies ist gar nicht nötig, statt agrskij ein älteres
bavorskij vermuten. Karlmann hieß man mit Vorliebe den bairischen
König; im XL oder XII. Jahrh. ersetzte man dann das nunmehr unbe-
kannte bavorskij mit ugorskij. Doch reicht jene erste Vermutung voll-
ständig hin, im IX. Jahrh. gab es für Griechen und Slaven auf der
Welt nur einen kralj, wie nur einen c^sart und zahllose kn^dzi, und
aus dem IX. Jahrh. stammt ja unsere Vita. Es wird uns also nicht ein-
fallen, ungarischen heidnisch-tierischen Horden, vor Arpad, einen König
und noch dazu einen Christen aufzudisputieren. Dazu sind wir nicht
naiv genug. Hier führe ich alle Stellen aus der Vita an, die die eigenen
Landesfürsten nennen : Rostislav kn^dz slovonsk, Sv^toplk kn^dz s Mo-
ravljany, pogansk knc^dz, Mothod segnet cesarja i knt^dzia, oblast mo-
204 A. Brückner,
ravska — also bleibt für einen kralj moravskij oder ugorskij keine
Möglichkeit.
Da wir mm unzweifelhaft festgestellt haben, daß der unmögliche
»ungarische« König der deutsche ist, gewinnen wir einen hübschen Bei-
trag zur Charakteristik der Zeit und fragen unwillkürlich, läßt sich
nicht bestimmen, wann, mit welchem König Method an der Donau zu-
sammengetroffen ist? Ich glaube ja; nur ist der kralj des vorletzten
Passus nicht derselbe kralj, vor dem die Bischöfe über Method zu Ge-
richte gesessen haben. Die Legende spricht ja immer nur von cesar
und apostolik, obwohl Michael und Basilius, Nikolaus, Hadrian und
Johannes gemeint sind; ebenso sind es zwei Könige gewesen, Ludwig
der Deutsche und — wahrscheinlich Karlmann, wahrscheinlich im Jahre
877. Karlmann rüstete sich damals zu seinem italienischen Zuge, auf
dem ihn slavische Schaaren begleiteten, Dümmler meint Karantanen,
ich meine eher Mährer; um Sold standen Deutsche in mährischen,
Mährer in deutschen Diensten. 877 weilte Karlmann im Osten seines
Reiches und kann auch an die Donau gekommen sein und den Wunsch
geäußert haben, Method, von dem er als Gegner der Deutschen viel
gehört hatte, persönlich kennen zu lernen ; Karlmann war kein Barbar,
wie viele seiner Bischöfe es waren, und die Zusammenkunft verlief aufs
würdigste, für mich der beste Beweis, daß die Persönlichkeit des Method
eine achtunggebietende, imposante, wirkungsvolle war; als dieser per-
sönlichen Autorität sein Werk durch den Tod beraubt wurde, stürzte
dasselbe sofort zusammen, getragen offenbar durch die Macht der Person,
nicht durch inneren Wert noch die Zuneigung des Volkes. Allerdings
könnte man noch neben Karlmann an Arnulf denken : von der Intimität
Svetopelks mit Arnulf zeugte ja schon der Name des Lothringer-
königs (und Bastards Arnulfs) Zwentibald.
IV. Aus der vorherigen Darstellung ist bereits ersichtlich, wie viel
wir an der Echtheit der Schriftstücke und Reden, der Gesandtschaften
und Berufungen auszusetzen haben. Wir haben gesehen, wie Method
den Brief Johannes VIII. behandelte, ihn Hadrian II. zuschob, einen
wichtigen Passus ausließ, einen ganz anderen dafür einschmuggelte; als
Brief des Johannes eine Vollmacht für sein Anathema gelten ließ. Wir
beanstandeten das Schreiben Michaels an Rostic, seinen Ausspruch über
die Reinheit des salonischen Slavisch, die Briefe des Chagan, des Rostic
u. s. w. Bekanntlich ist die Frage der Fälschungen sehr umstritten,
gerade in unserem Archiv könnte ich auf lange Auseinandersetzungen
Cyrillo-Methodiana. 205
darüber verweisen. Wie ist man mit Wiching umgesprungen, was für
einen Roman hat z. B. Lapotre über den angeblichen Falsarius ausge-
sponnen — man glaubt ein Kapitel aus dem Ewigen Juden zu lesen.
Andere haben Johannes VUI. eines Doppelspieles angeklagt. Wieder
andere haben den Brief Stephan V. bestritten — als ob etwas echteres
auf der Welt zu finden wäre ! Alles zu Unrecht. Daß der Brief Stephans
echt war, hat seine Wirkung gezeigt; er setzt bereits den Tod Methods
voraus. Wiching brauchte nichts zu fälschen noch zu erfinden: der
Vertraute des Svetopelk kannte und besaß unfehlbar den Brief Jo-
hannes VIII. an Svetopelk von 879, worin sich Johannes sehr wunderte,
daß Method anders lehre, als er dem Papste gelobt hat; Wiching wird
wohl auch den Inhalt des gleichzeitigen päpstlichen Briefes an Method
selbst, mit dem ausdrücklichen Verbot der slavischen Liturgie und der
Beschuldigung von Irrlehren, durch Priester Johannes, den Vertrauten
Svetopetks, herausbekommen haben. Darauf sich stützend konnte er
ohne weiteres Method des Ungehorsams und der Irrlehren beschuldigen,
brauchte nicht erst päpstliche Briefe besonders zu fälschen, er ignorierte
einfach die spätere Entscheidung zugunsten des Method als eine er-
schlichene, und Method konnte wanken und zweifeln, ob denn der Papst
nicht hinter seinem Rücken Wichings Treiben begünstige. Das Vor-
zeigen dieses späteren Briefes wirkte nur vorübergehend ; Wiching ließ
nicht los von seinen Beschuldigungen, bis Method auf ihn den Bann-
strahl warf, und damit sich selbst und sein Werk aufs schwerste schä-
digte, wie die nächste Zukunft lehren sollte.
Ich glaube somit au keine Wichingschen Fälschungen, weil er
ihrer gar nicht bedurfte, auch ohne solche sein Ziel erreichte — hatte
doch Papst Johannes in jenem Briefe ganz allgemein die Rechtgläubig-
keit des Method ausgesprochen, war nicht auf die Einzelheiten, auf die
es wesentlich ankam (Fasten; Filioque) eingegangen — das holte erst
Stephan V. in einer für Methods Rechtgläubigkeit vernichtenden Weise
nach. Ja, der Brief des Johannes konnte Wiching selbst den Beweis
liefern, daß Method sich etwas anmaßte, was ihm gar nicht zustand,
nämlich den Bann über den Bischof auszusprechen, während er nur
über einfache Priester und Kleriker diese Macht hatte; noch unbe-
quemer für Method war der ausdrückliche Befehl des Papstes, nieman-
dem die lateinische Messe vorzuenthalten, wodurch die Autorität der
slavischen Liturgie in Frage gestellt wurde, ein peinliches Schwanken
sich einstellen mußte, das nur zu heilloser Verwirrung führen konnte.
206 A. Brückner,
V. Daß Papst Hadrian II. die slavische Liturgie feierlichst ge-
stattet und geweiht hätte, ist einfach unwahr. Das tiefe Schweigen der
italischen Legende über diesen Punkt ist sehr charakteristisch, ebenso
das ausdrückliche Verbot Johannes VIII. im Jahre S73. Wäre diese
Liturgie 869 so feierlich erlaubt gewesen, so wäre Johannes 873 und
879 bei den ausdrücklichen Verboten vielleicht irgendwie darauf zurück-
gekommen. Oder hätte man dies in Rom nach kaum vier Jahren so
vollständig vergessen? Ungleich eher konnte Stephan V. S85 die Er-
laubnis von 880 ignorieren, weil sie äußerst verklausuliert war, Jo-
hann VIII. mit halber Hand zurücknahm, was er eben mit voller ge-
spendet hatte (Forderung der Vorausschickung der lateinischen Lektio
und Nichtvorenthaltung der lateinischen Messe jedem Wünschenden),
Method diese Bedingungen vielleicht gar nicht gehalten hat, sodaß man
sich in Rom an nichts mehr gebunden fühlte und zu dem älteren Zu-
stand von 879 und 873 zurückgrifF — wobei allerdings Wiching auch
mit erdichteten Einzelheiten, z. B. dem angeblichen Schwur des Method,
nicht zurückhielt. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß die Brüder,
als Verehrer des h. Klemens in Rom feierlich empfangen, von der sla-
vischen Liturgie in Mähren möglichst wenig sprachen, in Allgemein-
heiten, nötiger Unterweisung des unwissenden Volkes u. dgl. sich be-
wegten ; erst die Klagen der deutschen Geistlichkeit, die immer lauter
erklangen, ließen Rom stutzig werden und mit dem Verbot der slavi-
schen Liturgie 873 vorgehen, das 879 erneuert werden sollte.
Statt dessen kam das unglaubliche, entgegengesetzte; Method
brachte triumphierend die päpstliche Autorisierung der slavischen Li-
turgie heim ; Rom hatte sein eigenes universale Prinzip unnütz preis-
gegeben, den Slaven eine unerhörte Konzession gemacht, die es Kelten
und Germanen verweigert hätte. Es muß Method viel Mühe gekostet
haben, dem widerstrebenden Papst diese Erlaubnis abzuringen. Die
Argumente, die er brauchte, sind zum Teil aus dem päpstlichen Briefe
selbst ersichtlich (die Textstellen stammen aus der Apologie des Cyrill.
die Berufung auf ähnlichen Brauch in anderen — natürlich orientali-
schen — Kirchen, das sicut in quibusdam ecclesiis fieri videtur, stammt
aus der Information des Method), zum Teil leicht hinzuzudenken. Den
Papst lockte vor allem die Aussicht, ein ganzes großes Land (mit der
Anwartschaft auf ein noch größeres) unmittelbar vom päpstlichen Stuhle
abhängig zu sehen ; der Fehlschlag mit Pannonien, das trotz der rö-
mischen Ansprüche deutsch verblieb, lehrte zur Genüge, wie prekär die
Cyrillo-Methodiana. 207
Anrechte des päpstlichen Stuhles waren, wie gering sie von den Macht-
habern geachtet wurden. Dazu zeigte Method, stark übertreibend, wie
die Slaven hartnäckig wären, wie man ihnen entgegenkommen müßte
(das Märchen von der Vertreibung der lateinischen Priester hätte hier
eingefügt werden können), wenn man nicht das Gedeihen der novella
plantatio gefährden wolle, wie Rücksicht auf die Nachbarn, die dann
desto leichter dem Christentume (und dem päpstlichen Stahl) zu gewin-
nen wären, andere Bedenken zurücktreten lassen müsse : dieses Argu-
mentes hatte sich ja schon Rostic in dem angeblichen Gesandtschafts-
schreiben nach Konstantinopel bedient — in etwas verdächtigem
apostolischen Eifer (es ist ihm einfach ein Argument Cyrills in den
Mund gelegt worden). Ja die Gründe waren billig wie Brombeeren, mau
könnte noch eine ganze Reihe nennen, die Method dem Papste vorge-
tragen haben mag: so habe ich z. B. die Rücksicht auf die slavischeu,
für Rom zu sichernden Bulgaren vollkommen aus dem Spiele gelassen
oder die Möglichkeit, daß Method selbst die slavische Liturgie nur als
ein zeitweiliges malum necessarium, für ein Übergangsstadium, hin-
stellte. Am entscheidendsten wirkte ein ganz anderes Motiv mit: die
sträfliche, leichtsinnige Connivenz des Papstes wegen der Griechen !
wie Photius, ist auch Methodius in Gnaden zugelassen worden und Me-
thodius hat sich dafür ebenso dankbar erwiesen, wie Photius! Stephan V.
erst räumte mit diesen Schwächen seines Vorgängers gründlich auf;
statt des weibischen Aufgebens römischer Prinzipien forderte der Mann,
allein richtig, die Durchführung derselben, und damit hatte sofort das
letzte Stündlein für das griechische Experiment in Mähren geschlagen;
Svc^'topeik zog nur die Konsequenz davon.
Bei den Thesen VI und VII brauche ich nicht besonders zu ver-
weilen: sie ergeben sich aus dem Vorhergehenden; ich brauchte nur
noch einmal zusammenzustellen, die Texte vergleichend, wie gleich-
förmig die Formeln für die Missionen und die Reisen zu den gekrönten
Häuptern lauten, aber jeder Leser der Legenden ist mit dieser Erschei-
nung vertraut. Ich weiß wohl, daß die drei Vitae keine historischen
Denkmäler darstellen, von denen wir genaueres (Daten, Namen, chro-
nologische Folge der Ereignisse) erwarten und verlangen könnten ; ich
weiß, daß die Vitae im hagiographischen Rahmen und Schema sich be-
wegen. Daher nennen sie mögliciist wenig Namen (Kaiser, König, Cha-
gan, Papst u.s.w. ganz allgemein); daher beachten sie nicht streng die
Chronologie (der Besuch des Method beim Deutschen König wird noch
208 A. Brückner,
nach der endgiltigen Abkehr vom Welttrubel und der Fortführung des
Übersetzungswerkes erzählt, obgleich er offenbar früher sich abspielte),
verkleinern die Intervalle von Zeit und Raum, generalisieren; daher
vor allem weisen sie überall auf göttliche Intervention : das langwierige
Werk Cyrills, die Glagolica, wird in einer Ilerabkunft göttlicher Inspi-
ration geboren, Gott hat die Mährer zu jener Gesandtschaft inspiriert,
in Gottes Hand ist das Herz des Kaisers gelegen. Folglich mußte die
persönliche Arbeit und Initiative der Brüder vollständig zurückgedrängt
werden ; folglich mußten diejenigen, die in Wahrung berechtigter In-
teressen, in der Verteidigung römischer Prinzipien, gegen die Brüder
auftraten, als Werkzeuge des staryj vrag gebrandmarkt werden; die
Verquickung von Hagiographie und Tendenz erleichterte ganz außer-
ordentlich die Arbeit des Biographen, der jeglichen weltlichen und per-
sönlichen Beweggrund auszuschalten vermochte und eine ganz einsei-
tige, vorurteilsvolle Darstellung als ein naives, unbefangenes, lauteres
Denkmal griechischer Wahrheitsliebe noch den neueren aufdisputiert
hat. Dem gegenüber machte ich einfach das Prinzip der Kritik, die
sich auch durch die salbungsvollste Darstellung nicht imponieren läßt,
geltend ; sind die Vitae nicht bloße Legenden, sondern auch Geschichts-
quellen, so müssen sie darnach behandelt werden. Ich raube nicht dem
Gläubigen das Recht, sich an dem Bilde gottesfürchtiger Männer und
ihrem Wirken zu erbauen; es würde mir aber nie einfallen, an Legen-
den der Heiligen Zustände des römischen Reiches oder römische Kaiser
studieren zu wollen, aber wo in Ermangelung anderer Quellen Legen-
den als historische Denkmäler sich einführen, müssen sie sich kritische,
zersetzende Analyse gefallen lassen; ich verlange nicht die Entfernung
Cyrills und Methods aus dem slavischen Pantheon oder dem römischen
Heiligenkalender, aber kein pretium alfectionis, kein Heiligenschein,
kein Respekt vor der Tradition darf uns hindern, der Wahrheit auf die
Spur zu kommen.
Auch bezüglich VIII kann ich mich kurz fassen. Ich habe keinen
Anstand genommen, die philologische Arbeit auf Cyrill zurückzuführen,
auf sein — gerade bei Griechen ganz außerordentliches, ganz außer-
gewöhnliches Sprachtalent, Sprachsinn, dessen vollständiges Fehlen
sonst die Griechen auszeichnet, seit Homer bis heute. Ebensowenig
möchte ich verkleinern das Verdienst der Brüder, doppelt groß auf
griechischem Boden, sich anzunehmen jezyka nasego (die Worte hat
ein Slave geschrieben, nicht Method noch Klemens) o niemie s^ ne be
I
Cyrillo-Methodiana. 209
niktoze nikolize popekl — obwohl ich über die Nützlichkeit der slavi-
schen Liturgie mein eigenes Urteil habe, das dem hergebrachten ent-
gegengesetzt ist. Als nun Cyrill zur SchaflFung einer liturgischen
Sprache für die Slaven, nach dem Beispiel orientalischer Kirchen,
heranging, mußte er, eben nach diesem Beispiel, sein neues Werk mit
dem Schaffen eines, wenn auch nur scheinbar selbständigen Alphabetes,
krönen — daher ersann er die Glagolica, die Cyrillica hätte für seine
Zwecke gar nicht ausgereicht. Koptische, syrische, armenische und an-
dere Beispiele, auf die er sich stets berief, verlangten gebieterisch eine
besondere, auf den ersten Blick schon unabhängige, eigene Schrift —
die gleichzeitigen Quellen, die einstimmig von den litteras sclaviniscas
(nicht graecas!) a Constantino repertas (und Johannes VUI. kannte
trefflich griechische Schrift) oder noviter (!) inventis sclavinis literis
(des Graecus Methodius) sprechen, lassen darüber keinen Zweifel auf-
kommen; eine These aufzustellen, daß Cyrill die glagolitische, nicht die
cyrillische Schrift erfunden hat, hieße heute offene Türen einrennen zu
wollen. Hier könnte ich jedoch auch das paläographische und pliilolo-
gische Gebiet abstreifen : bei der künstlichen Erfindung der Schrift ist
der Gedanke gar nicht abzuweisen, ob nicht der treffliche Kenner
orientalischer Alphabete, der Entzifferer altsamaritanischer Inschriften,
sich nicht auch in ihnen nach Material für sein Alphabet umgesehen
hat, wie er aus alten Zeiten das Zeichen für das a aufgeklaubt hat:
hierüber hat bereits unser Archiv berichtet. Ich möchte noch fragen, ob
die Regulierung der Halbvokale nicht auch etwas künstliches und sche-
matisches ist; ich bezweifele, daß der salonische Slave S60 ein zwei-
silbiges (oder meinetwegen anderthalbsilbiges) bogt gekannt hätte ; er
sprach es gewiß einsilbig aus, die Schreibung und Unterscheidung der
auslautenden und vieler inlautenden Halbvokale, z. B. vl^kt, tr-Lgt (die
unmögliche Stellung) ist vielleicht weniger auf eine phonetische, als auf
eine orthographische Eigentümlichkeit oder Marotte zurückzuführen,
wenn ich bedenke, daß es schon im V. oder VI. Jahrh. z. B. t.fruca,
nicht sutrava geheißen hat, doch liegt dies unserer eigentlichen Auf-
gabe fern; man könnte manches erklären aus einer sonst richtig be-
obachteten Vorliebe der Slaven für vokalischen Silbenschluß, die ver-
allgemeinert worden wäre sogar auf die Schreibung von Fromdwürtern,
wie olttart, das natürlich trotz der vier Vokalsilbeu nur zweisilbig ge-
lautet hat, u. dgl. m. (das ^ = ja u. a.).
Bei allen Verdiensten und Initiativen Cyrills darf die Wirksamkeit
Archiv für slavixclie IMiilologip. XXVlll. 14
210 A.Brückner,
Methods nicht unterschätzt werden, wie dies allgemein beliebt wird;
sogar bei der Festsetzung der Schrift und Übersetzung hatte ja Cyrill
Helfer, wie die Legende selbst es eingesteht. Ich habe schon hervor-
gehoben, daß Cyrill, abgesehen von dem Beginn der Übersetzung, nur
griechisch geschrieben hat, so die historiola und die Hymnen auf Kle-
raens, die Disputationen mit den Juden, vielleicht auch die Apologie
der slavischen Liturgie, das slovo gegen die Dreisprachler; daß der Zu-
schnitt des Cyrill, seiner Gedanken u. s. w., ein ausschließlich griechi-
scher war. Ich möchte daher fragen, ob der Gedanke einer slavischen
Liturgie nicht zuerst bei Method aufgetaucht ist, der von seiner Be-
schäftigung mit Slaven ungleich eher darauf kommen konnte, als der
dem Leben des Volkes entrücktere Askete. Daß dies in den Legenden
nicht hervorgekehrt wird, hat seinen guten Grund in der Bescheidenheit
des Method und seiner Bruderliebe, sowie in dem Umstände, daß Cyrills
Name, schon wegen der Klemensepisode (obwohl ich mir keine richtige
Vorstellung davon machen kann, wie die Brüder diese Reliquien be-
handelt haben mögen; ließen sich die Chersonianer dieselben so ohne-
weiteres entführen? wo blieb man damit in Konstantinopel?), bei den
Römern so trefflich augeschrieben war, das neue, verfängliche Werk so
trefflich empfahl. Method allein faßte somit den Gedanken, nur die Aus-
führung desselben vertraute er dem Philologen an ; er hätte die cyrillische
Liturgie nicht nur inspiriert, sondern er hat sie auch recht eigentlich
ins Leben eingeführt, sich dafür ganz eingesetzt und Zeit seines Lebens
erfolgreich verteidigt; daß der mit Prophetengabe bedachte gerade das
nächste und sicherste übersah, nicht ahnte, wie rasch und vollständig
in Mähren sein Werk entwurzelt werden sollte — ähnlich erging es
auch anderen Propheten.
IX. Für die prinzipielle, unversöhnliche Gegnerschaft der beiden
Photianer (die Legenden hüten sich, den Namen des Photius, außer ein-
mal en passant, auch nur auszusprechen, und doch nennt eine einwands-
freie Quelle Cyrill den fortissimus amicus des Photius !) gegen Rom lie-
fern die slavischen Legenden unzweideutige Beweise. Bekanntlich hat
z. B. Ginzl die Photianer zu ergebensten Römlingen umzumodeln ver-
sucht; es lohnt sich nicht, ihn zu widerlegen. Andere haben den Um-
stand der noch ungeteilten Kirche allzusehr ausgebeutet ; dieser Um-
stand wirkte eben nur darin, daß die Legenden den apostolicus noch
mit der schuldigen Hochachtung nennen, daß sie in ihm noch den
Nachfolger des wahren Petrus, nicht des Scheinpetrus, des Petrus
Cyrillo-Methodiana. 211
gagnivyj, anerkennen ; daß ihnen noch viel gelegen ist an der päpst-
lichen, römischen Anerkennung der Rechtgläiibigkeit Methods Man
bedenke zudem, daß Method persönlich dem Papste alles verdankte,
daß ohne des Papstes energisches Eingreifen nicht nur M«thod den
»schwäbischen« Kerker nie verlassen hätte, soudern auch die slavische
Liturgie nie auf die Beine gestellt worden wäre — alles doch Grund
genug, um von dem apostolicus nur mit den Worten höchster Verehrung
zu handeln! Aber gegen die Lateiner, d. h. gegen Rom, traten die
Griechen von den ersten Tagen ihrer mährischen Wirksamkeit rück-
sichtslos auf; sie zögerten nicht, auch mit den unmögliclisten \or dürfen
sie zu überhäufen und zu schmähen. Daß die Verteidigung des römi-
schen Standpunktes ihnen einfach Teufelswerk war, sagen sie in den
Legenden ganz unv erblümt. Daß die laxere Auffassung der kanonischen
Ehegebote, wie sie Römer Neophyten, namentlich Fürsten und Vor-
nehmen gegenüber, beobachteten, den asketischen Grieclien ein Greuel
war, nehmen wir auch als selbstverständlich hin ; aber wenn die Vita
Cyrilli den römischen Klerus manichäischen Lehren Vorschub zu leisten
beschuldigt, hört die Gemütlichkeit auf, und wenn sie behauptet, daß
der lateinische Klerus lehrte, der Mord eines Menschen würde durch
dreimonatliches Trinken aus einer Holzschale gesühnt, so ist das eine
unverschämte Lüge, welche nur beweist, welch Geistes Kind ihr Erfinder
ist, wie er von der römischen Geistlichkeit und ihrer Lehre dachte.
Manichäische Lehren fanden in Europa frühzeitigen Eingang; die
Lehre von dem guten und bösen Prinzip ist so verführerisch einfach,
erklärt alles so trefflich, daß sie dem Verständnis des Unmündigsten
entspricht. Auch nach Mähren kann ähnliches gekommen sein, die Er-
zählungen von dem Teufel-Schöpfer, den Schlangen, seinen Geschöpfen,
den Verdiensten (Sündenvergebung) des Veitilgers der Teufelsbrut:
solches kursierte im gemeinen Volk zumal , mit dem die Vertreter des
(aristokratisierenden) Katholicismus auch schon wegen geringer Sprach-
kenntnisse, sich ausnahmsweise nur berührten. Übrigens waren Cyrill
und Method gerade von ihren Balkanslaven her mit derlei Lehren ver-
traut und fanden nur in Mähren, wenn sie es nicht erfanden, gute Be-
kannte.
Mit dem ne branjachf^ JSrtv tvoriti po prvujemu obycaju hatte es
auch sein besonderes Bewenden. Wie jener Fabeln, achtete vielleicht
gar nicht recht die fremde, lateinische Geistlichkeit, wie es mit den
irtvy zuging; es mußten j;i die Haus- und Flurgölter bedacht werden,
14*
212 A.Brückner,
ebenso die Ahnen, und Pferdefleisch — das liebste den Göttern —
wurde immer noch verzehrt und von jedem Rinde u. s.w. kamen noch
die Stückchen an die alte heidnische Adresse. Daher enthielten sich
skrupulösere Leute aller festlichen Mahle, deren Zubereitung ihnen nicht
einwandsfrei war. Noch im Jahre 924 : dum plurimi ad immolandum
demoniis nefanda properarent sacrificia cibisque ex ipsis potibusque
simul inquinarentur, nunquam Venceslaus horum consenciens contami-
nabatur verum in cunctis se subtraxit occasione facta qualibet — wir
können uns vorstellen, wie es in der nächsten Nachbarschaft 864 zu-
ging. Und wiederum waren die Brüder von ihrer salonischen Umgebung
mit diesen Resten des Heidentumes vertrauter, also argwöhnischer, als
die fremden lateinischen Geistlichen, die oft gar nicht den Zusammen-
hang des Brauches ahnen mochten und gar nicht strafend eingriffen.
Und wenn gar Cyrill den Lateinern vorwarf als besttstije, daß nach
ihnen unter der Erde Großköpfe wohnten, so ist sein böser Wille offen-
kundig, der für Volksmärchen — schade, daß er nicht von psoglavci
gesprochen hat — die nichts ahnenden Lateiner verantwortlich machen
wollte. Die Deklamationen über die Humanität Cyrills und Methods,
dieser griechischen Rigoristen, die nichts »unkanonisches« den Menschen
gönnten, erleiden dadurch einen ungleich stärkeren Stoß, als die Repu-
tation der Römer.
So dachte Cyrill über die Lateiner; er starb ja auch mit einer
Verfluchung der trLJezycnaja jeres (pogubü). UndMethod? Wie dieser
über Rom dachte, wissen wir aus den einwandsfreiesten Quellen. Seinen
Diözesanen, Wiching, weil er den römischen Standpunkt vertrat, ver-
fluchte er und stieß ihn aus der Kirche, aber mit Wiching traf er die
Römer zugleich und den zu ihnen haltenden Svetopel:k; daher konnte
die spätere Tradition, noch bei Christian, von einer Verfluchung Sveto-
pelks und seines ganzen Landes durch Method und von den furchtbaren
Folgen dieses Fluches fabeln. Daher schrieb der empörte Stephan V.
an Svetopeik: anathema vero pro contemnenda catholica fide qui in-
dixit, in caput redundahit eins ! Die Römer schieden fortwährend und
mit Recht die notwendige Belehrung des Volkes in der Landessprache
von der Sprache des liturgierenden Priesters, zwei Sachen, die nichts
miteinander zu tun haben, die zweite ist für die Christianisierung des
Volkes ganz überflüssig ; ebenso konsequent warf Methodius beiderlei
absichtlich zusammen. Und schließlich streifte er ganz seine Maske
ab: er machte endgiltigeu Frieden mit Byzanz, reiste zu Kaiser und
Cyrillo-Methodiana. 213
Patriarch, überzeugte sie mit denselben Gründen, die er unlängst vor
Johannes VIII. debitiert hatte, von der Notwendigkeit der sprachlichen
Konzession, wenn man Rom aus dem Felde schlagen sollte, und siegte
auf der ganzen Linie; es überzeugten sich Kaiser und Patriarch, daß
ihr Argwohn unberechtigt, das Perhorreszieren slavischer Liturgie un-
begründet war; für den schwindenden griechischen Einfluß öffneten
sich ungeahnte Aussichten. Getrost konnte Method einen Priester und
Diakon mit slavischen Büchern in Konstantinopel zurücklassen; hier
war sein Spiel gewonnen. Und auf seinem Sterbelager zog er die Kon-
sequenz; er segnete — Kaiser, Fürst und Volk; er verwies Gorazd gar
nicht an den Stuhl des h. Petrus, vom apostolik kam nichts über seine
Lippen; Method war fertig mit Rom, aber Rom auch mit ihm; der
haereticus war endgiltig entlarvt und nur der Tod rettete ihn vor den
Konsequenzen, doch nicht seine Anhänger, die Griechen im römischen
Sprengel.
X. Die letzte Etappe des methodianischen Werkes in Mähren hat
zu den grundlosesten Verdächtigungen und Verunglimpfungen des großen
Sv^topelk geführt; ich verzichte hier auf den billigen Triumph, alle
diese Expektorationen dem verdienten Spott preiszugeben. Man ließ
sich von der Vita Clementis irreführen ; weil der erboste Methodianer
einen Kübel schmutzigster und gehässigster Vorwürfe über Svetopelk
ausschüttete, glaubte man ihm aufs Wort; sogar deutsche Historiker,
wie Dümmler, stimmten in den komischen Chorus ein ; man begreift
nicht, wie und wozu? Und doch schimmert durch die Anwürfe des
Biographen die einfache Größe des Fürsten durch : vergebens mahnt er
zu dem fratres habitare in unum ; er ist kein Theologe und will sich
keine Autorität in theologicis anmaßen ; aber er ist Fürst und verant-
wortlich für den Frieden im Lande und wird ihn erzwingen — dazu
fühlt er sich Mannes genug. Die streitenden Parteien, die Überzahl der
Römer und die Minorität der Gräkoslaven, bezichtigten sich gegenseitig
der Ketzerei; dem treuen Sohne der römischen Kirche war sein Weg
längst vorgezeichnet, aber er wollte nicht die gesetzlichen Normen, die
Prozeßformeln verletzen. Darum kam es zur Rcchtsverhandlung und
zur legitimen Entscheidung durch den Eid; wer die rechte römi.sche
Lehre bekenne, leiste darauf den Eid; einen solchen Eid konnten die
Methodianer, wenn sie sich noch so beeilt hätten, nie leisten ■ — der
Brief Stephan V. in Wichings Händen vertrat ja schon das Gottesurteil;
auf ihn sich berufend leistete Wiching den verlangten Eid ; die Metho-
214 A. Brückner,
dianer waren somit der Ketzerei überwieaen und mußten , da sie die-
selbe nicht Jibscliwören wollten, das Land verlassen, das sonst durch
sie in den verhaßten und gefürchteten Ruf der Ketzerei gebracht wor-
den wäre. Das ist der natürliche Hergang der Sache gewesen; so und
nicht anders mußte es kommen, wenn Svc^'topelk auf den Titel eines
filius carissimus Roms nicht leeren Anspruch erhob. Was hat nicht die
Vita Clementis daraus gemacht! wie schimpft sie über den Barbaren, in
Weiberlüste verstrickten, schmutzigen und verstockten, den Mahnungen
Methods unzugänglichen Verächter alles Heiligen — nun, das ist kein
Wunder, der unterliegende schimpft auf den gerechtesten Richter (vgl.
Libussa), Wunder nimmt nur, daß jemand dies einen Augenblick lang
glauben konnte.
Wir wollen gar nicht leugnen, daß es zu Konflikten zwischen zwei
herrischen Naturen, wie Method und Svetopeik es offenkundig waren,
seit jeher schon gekommen war; schon die Rigorosität des Griechen in
matrimonialen Angelegenheiten (beide Legenden bezeugen dies aus-
drücklich) entfremdete ihm Svetopeik, der zur milderen römischen Praxis
hielt — wir wissen, wie Rom noch viele Dezennien später, zumal bei
Neophyten, nicht ein, sondern manchmal beide Augen zudrückte. Es
mußte somit schon der asketische Rigorismus (die sogenannte Humanität)
des Methodius zu Zerwürfnissen führen. Dazu kam wichtigeres. Sveto-
peik war in der Verehrung des lateinischen Ritus und Dogmas aufge-
wachsen ; die griechisch-slavischen Neuerungen waren ihm unerwünscht ;
er scheint ja trotz Method an der lateinischen Messe festgehalten zu
haben , wie er auch Wiching nicht fallen ließ — daher mußte es zu
fortwährenden Reibungen mit Method kommen; Svetopeik konnte sich
von der Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit, Heiligkeit der slavischen
Liturgie und des griechischen Dogma wie Ritus durchaus nicht über-
zeugen. Als daher Method ganz offenkundig die hyiopatorische Häresie
verdammte, gegen römischen Fastenbrauch sich aussprach, die latei-
nische Liturgie geringschätzte, da war es nur der Respekt gegen den
greisen Erzbischof, gegen die Autorität seines tadellosen, heiligen
Lebenswandels, seines rastlosen Eifers, die ihn hinderte, gegen Method
energisch vorzugehen. Aber Method verließ immer offenkundiger den
römischen Standpunkt; seine Reise nach Konstantinopel gab seinen
Anklägern Recht und vielleicht hat nur der baldige Tod Methods Sve-
topeik verhindert, nach dem rechten zu sehen. An eine Bestätigung
Gorazds dachte er keinen Augenblick; er wartete nur noch eine kurze
Cyrillo-Methodiana. 215
Frist ab, um Rom (Stephan V.) das entscheidende Wort sprechen zu
lassen, und zog dann die Konsequenzen, ohne Übereilung, die Rechts-
normen wahrend — sein Verfahren ist einfach tadellos gewesen ; nur
ein Grieche konnte daran irgend etwas auszusetzen haben.
XI. Wie man nicht müde wurde, des großen Sv^topeik — seine
Größe bezeugen seine deutschen Feinde — Andenken Method zuliebe
zu verunglimpfen, so übertrieb man konsequent die Popularität und
Bedeutung der slavischen Liturgie in Mähren. Von dieser Popularität
ist aber herzlich wenig in den Quellen zu merken, das sieht man ja
schon dem Berichte der fanatischen Klemensbiographie an. Es regte
sich einfach in ganz Mähren keine einzige Hand zugunsten der Gräko-
slaven; der Fürst ist abwesend, und trotzdem denkt niemand daran,
ihnen beizuspringen; die fürstlichen Soldaten — unter ihnen gab es
auch gegen Sold dienende Deutsche — eskortierten sie (böse Zungen
könnten behaupten, um die Ketzer vor dem Unwillen der Mährer zu
schützen) zur Donau und ließen sie bald laufen — auch jetzt noch scheu
wie Diebe, auf heimlichen Pfaden eilen sie dem gelobten Lande, ihrem
Bulgarien, zu. Der prahlerische Grieche wagte es gar nicht, eine Re-
gung des Volkes zu ihren Gunsten zu verzeichnen, von Wehklagen über
ihren Abzug, tatkräftiger Hilfe u. dgl. zu fabeln. Und die Zahl dieser
Gräkoslaven? Der prahlerische Grieche gibt sie auf 200 an, was blut-
wenig ist nach über zwanzigjähriger Wirksamkeit, man vergleiche doch
damit die kolossalen Zahlen, deren sich auf kleinerem Territorium, kein
Erzbischof dazu, Klemens in Mazedonien in ungleich kürzerer Zeit
brüsten konnte.
Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, daß Svc^topeJk
und alle Mährer herzlich froh waren, als die Gräkoslaven das Land
verlassen hatten ; ja, sie wollten später an diese ganze Episode gar
nicht erinnert werden. So erkläre ich mir das absolute Schweigen der
deutschen Bischöfe über diesen Punkt in ihrem haßerfüllten Memorial
an Johannes X. vom J. 900. Die Mährer haben sich offenbar nur auf
Wiching berufen, verschwiegen das pannonische Erzbistum und den
Griechen — sonst hätten doch die Deutschen diesen Punkt aufgegriflFen.
reden sie doch von Wiching. Somit sehwiegen sich die Mährer wohl-
weislich darüber aus; ja, wer weiß, vielleicht hat es Wiching durchge-
setzt, daß die Leiche des ketzerischen Erzbischofs aus dem Dome wie-
der entfernt worden ist. Nicht in Mähren, nur in der Nachbarschaft,
zumal bei den Böhmen, verblieb das Andenken an den Schafl'er der
216 A. Brückner,
slavischen Liturgie; wie dankbar gedenkt seiner der Przemyslide
Christian; Slavniks Sohn verhielt sich dagegen ablehnend, gerade wie
der Mojmiride selbst. Über der Donau erst wuchs die Saat, die auf dem
römiach-mäbrischen Boden nicht recht keimen wollte, üppig auf — der
Anfang dazu wird schon bei Methode Lebzeiten gemacht worden sein,
obwohl seine Vita darüber schweigt — wir wüßten sonst nicht, warum
die vertriebenen Jünger nur den einen Wunsch, Bulgarien zu er-
reichen, hatten. Auf seinen Reisen (nach Byzanz etwa) mag der Erz-
bischof Gelegenheit gefunden haben, Propaganda für sein Werk zu
machen. In Mähren wurde er vergessen, in Rom gedachte man
seiner nur als des haereticus. Von der Cyrillslegende mußte eine
lateinische Fassung — sie mutet uns an, trotz ihrer Zusätze in gratiam
Romanorum, als eine gekürzte Übersetzung aus der slavischen Vita,
das ist vielleicht das Probestück des ucen dobr^ v latinskyj^ knigi, des
Gorazd — hergestellt werden, von der Vita Methodii war dies natürlich
nicht mehr nötig.
XIL Bei der letzten These kann ich mich am kürzesten fassen:
statt Gründe gibt es hier nur Phrasen zu bekämpfen. In Method
den unentwegten, unbeugsamen, starrsten Vertreter der Orthodoxie zu
erkennen und zu feiern — das ist selbstverständlich; Method eilt förm-
lich der Zeit voraus, eskomptiert schon das erst kommende Schisma,
ist noch mehr Photius als Photius selbst. Aber was das mit Hus oder
Humanität zu tun hätte, ist unerfindlich; mit demselben Rechte könnten
wir den Lehrer des Hus, Meister Wikleff oder Savonarola und Doktor
Luther als Metliodianer bezeichnen. Methodius ist unduldsamer Askete,
der blinden Gehorsam forderte, nirgends nachgab, dadurch sein eigenes
Werk schädigte, bei Sv^topetk und den Mährern, denen schon das eigen-
sinnige, rechthaberische Verharren am salonischen Slavisch nichts we-
niger als gefallen konnte. Es war dies ein urfrommer Mann, von muster-
haftem, heiligen Lebenswandel, aber solcher gab eä in Europa mehr;
er brachte nichts neues, bedeutete keinen Fortschritt, denn daß er eigen-
sinnig darauf bestand — nicht slavisch dem Volke exponere evangelia
et apostolum, was auch Rom unbedingt anpries — , sondern slavisch den
Priester liturgieren zulassen, bedeutete keinerlei Fortschritt; die Folge-
zeit hat ja gezeigt, was die slavische Liturgie den Slaven auch bringen
sollte: den Ausschluß von reicheren Bildungsquellen, die geistige Iso-
lierung. Den böhmischen Märtyrer lasse man hübsch aus dem Spiele:
Cyrillo-Methodiana. 217
er war nur auf römischem Boden möglich, unmöglich in der geistigen
Knechtschaft der Photius und Methodius.
Um meine Darstellung nicht übermäßig anschwellen zu lassen,
habe ich manche Einzelheit über den Weichselfürsten u. a. übergangen.
So dürfte auch die Szene jenes mährischen vece, wo der Papstbrief
(Johannes VIII.) verlesen wurde, weniger dramatisch verlaufen sein und
vor allem täuscht dabei die Legende über die Widerstandskraft der
Lateiner: die mgla, in der sie zerflossen sein sollten, verdichtete sich
ja umgehends zur Wetterwolke, deren Strahl Methods Werk zertrümmern
sollte. Statt solcher und anderer Einzelheiten verweise ich noch kurz
auf die neue kostbare Quelle, die aus dem Schutt von anderthalb Jahr-
hunderten durch Dr. Jos. Pekar uns wieder neu erschlossen ist, auf die
Wenzelslegende des Przemysliden Christian (Nejstarsi kronika ceskä.
Prag 1903, zum Teil Abdruck aus dem Öasopis historicky, 202 SS.).
Obwohl sie erst 993 verfaßt ist, ist sie ein sehr interessanter Widerhall
der böhmischen Vorliebe für das mährische Werk, widmet sie doch
diesem ihre ersten Abschnitte. Christian hat die Methodlegende nicht
mehr gekannt, wohl aber die des Cyrill, d. h. ihren Inhalt, von zweiter
oder dritter Hand her; es ist interessant, bei ihm das Anwachsen der
Sv^topeiksage zu konstatieren.
Methods Fluch muß doch eine mächtige Wirkung geübt haben,
flößte doch das Leben und Treiben des Erzbischofs großen Respekt
ein; das Volk muß in diesem Fluche ein Unglücksomen gesehen haben,
das man nur zu bald, in Mährens heilloser Zerstörung eingetroffen, er-
kannte. Später verschob sich das Objekt: das Land litt, folglich mußte
das Land (und sein dux vel rex) verflucht gewesen sein, also wegen sei-
ner Sünden; so entstand das Märchen von der Sündhaftigkeit des Svc-
topeJk, das schon Christian breit ausspinnt ; noch später ließ man dann
SvQtopelk selbst seine Sünden als Einsiedler abbüßen. Irrigerweise läßt
Christian die Bulgaren früher Christen geworden ^ein, als die Mährer:
warum, ist leicht einzusehen — weil der Grieche Cyrill bulgarische
Sprache und Schrift nach Mähren gebracht hätte. Die Angabe vom
Augustinus, unter dem (in römischen Zeiten) Mähren das Christentum
angenommen hätte, beruht auf einer Verwechslung der Markomannen
mit den Mährern, doch waren damals Legenden von zeitiger Einführung
des Christentumes in den verschiedensten Gegenden Deutschlands sehr
im Schwange. Die Erzählung, daß Rostic Gift ohne Schaden zu nehmen
getrunken hätte, ist vielleicht auch nur Reminiszenz aus der Cyrills-
218 A.Brückner,
legende. Als interessantestes bleibt nur die ungeheuchelte Sympathie,
mit der der Regensburger Zögling von der slavischen Liturgie handelt,
weil multe ex hoc anime Christo domino acquiruntur. Das Hauptgewicht
der Legende Christians liegt freilich auf böhmischem, nicht auf mähri-
schem Boden. A. Brüchier.
Nachtrag. Vorliegender Artikel war bereits im August 1903
niedergeschrieben. Seitdem folgten von mir einige eben darauf bezüg-
liche Publikationen in polnischer Sprache, im »PrzegU)d Polski « (Sep-
teraberheft 1903); in den »Roczniki« der Posener Gelehrten Gesellschaft
(Band XXX : Legendy o Cyrylu i Metodym wobec prawdy dziejowej) ; im
Feuilleton des «Slowo Polskie«. Meine Ausführungen stießen überall
auf den schärfsten und einmütigsten Widerspruch ; Jesuiten und Alt-
ruthenen, der Slavische Klub in Krakau und Agramer Zeitungen, über-
häuften mich mit Schmähungen und Verdächtigungen; in einem neuen
Feuilleton des »Slowo Polskie« habe ich die vorlautesten Schwätzer
etwas unsanfter auf die Finger geklopft. Die Gegner beachteten nämlich
nicht, daß es mir nur um die Wahrheit ging, daß mir aber völlig gleich-
giltig war, wo ich mit dieser Wahrheit Anstoß erregen würde, in Rom
oder Petersburg, in Krakau oder Moskau, in Prag oder Agram. Ein
volles Jahr ist seit meinem ersten Auftreten vergangen; von seiner
Richtigkeit habe ich mich nur immer mehr überzeugen können. Das-
selbe gewährt aber noch weitere, interessante Ausblicke, und ich will
hier noch einiges andeuten : mag es noch so problematisch oder phan-
tastisch erscheinen, es bringt jedenfalls völlig neue Gesichtspunkte
auch in Fragen, deren alle Möglichkeiten bereits erschöpft schienen.
Z. B. in der Frage der Alphabete.
Die unbedingtesten, überzeugtesten Verehrer der salonischen Brü-
der haben sich bekanntlich mit der Erfindung der Glagolica durch Kon-
stantin-Cyrill nie recht befreunden können ; sogar Prof. Lamanskij sagt
ohneweiteres (Izvestija 1901, VI, 4, 317): »wenn Cyrill die Glagolica
erfunden hat ... so hat er einen großen Fehler begangen; unsere tiefe
Verehrung des lichten, hellen, künstlerischen Geistes Konstantins läßt
nicht die Annahme zu (daß er die Glagolica erfunden hätte) . . . und es
macht dem Geiste und Geschmack der Ostslaven nur Ehre, daß sie die
Glagolica sich abgeschüttelt haben«. Prof. Lamanskij hat vollständig
Recht; dem Cyrill selbst war die Glagolica ebenso ein Greuel, wie dem
Nachtrag. 219
Petersburger Professor — er wählte sie, der Not gehorchend, nicht dem
eigenen Triebe, gezwungen und widerwillig.
Gewiß lag Cyrill viel daran, für die Slaven ein offenkundig grie-
chisches Alphabet, ohne die häßlichen und lästigen Verzerrungen und
Verschnörkelungen der Glagolica, zu schaffen; er hat auch vielleicht
das cyrillische Alphabet zuerst erfunden. Aber mit einem griechischen
Alphabet war auf römischem Boden, in Mähren, nichts anzufangen: der
Verdacht, daß man es zu tun habe mit einem Griechen, der die mähri-
schen und andere Slaven von Rom abspenstig machen und Byzanz zu-
führen wolle, hätte ja sofort die greifbarste Gestalt und Begründung
angenommen und den Erfolg des Unternehmens von vorn herein aufs
höchste gefährdet. Für die mährische Mission erfand daher Konstantin
die Glagolica — damit man das griechische Alphabet nicht erkenne !
denn erkennen und verwerfen war eins. Sehr richtig bekämpften daher
die lateinischen Geistlichen das Alphabet: die Schaffung dieser kultur-
feindlichen, die Slaven nur isolierenden Künstelei war vollkommen
zwecklos. Wäre Konstantin an dem Wohl der Mährer selbst etwas ge-
legen gewesen, so hätte er in ihrer und nicht in der salonischen
Sprache und in einem lateinischen, nicht in einem griechischen oder
verkünstelt-barbarischen Alphabet seine Schriften für sie verfaßt : aber
er verfolgte eben ganz andere Ziele. Nicht um das Wohl und Wehe
ging es dem Griechen; der Photianer wollte einen tödlichen Schlag
gegen Rom führen : diesem Rom, dem man das lUyricum abgenommen
hatte, das sich jetzt für Bulgariens Gewinnung rüstete, sollte an seiner
eigenen Schwelle, im Westen, das Wasser abgegraben werden; es sollte
um jeden Preis der mögliche Anfall der Slaven an das verhaßte Rom
verhindert werden. Zu diesem Zwecke ging man zu den Slaven mit
dem Köder der eigenen, slavischen, Schrift und Sprache, aber die
Sprache war die vor den Toren von Byzanz gesprochene und die Schrift
trotz ihres bizarren Typus nach gj-iechischem Muster zugeschnitten und
diese Sprache und namentlich Schrift sollte die endgiltige, uneiureiß-
bare Mauer bilden, sollte die Slaven von dem verhaßten Westen für
immer trennen. War die Sache in diesem Sinne später einmal entschie-
den, waren die Slaven griechische Anhänger, so konnte die Glagolica
auf dem jetzt gesicherten Terrain zugunsten der rein-griechischen Schrift
sogar wieder aufgegeben werden und vielleicht hat Method in diesem
Sinne den Kaiser und den Patriarchen beruhigt, wenn diese sich über-
haupt Skrupel machten, worauf die Andeutung des Biographen von
220 A. Brückner,
einem Zürnen des griechischen Kaisers und seiner Besänftigung zu
gehen scheint.
Die sonst ganz überflüssige Glagolica ist somit nur zu dem Zwecke
einer Täuschung Roms erfunden worden. Wie richtig Cyrill kombi-
nierte, bewies ja die Zukunft: nur die lateinischen Slaven haben die
Glagolica behalten und behalten müssen, die griechischen haben sie als
überflüssig, daher schädlich, frühe aufgegeben; die lateinischen durften
nicht das cyrillische Alphabet annehmen, sonst wären sie griechischer
Velleitäten überführt gewesen ; es rettete ihre besondere Liturgie die
Fremdartigkeit ihrer Schrift, die man schließlich auch einem Hierony-
mus in die Schuhe schieben konnte. Cyrill und Method waren eher
selbst Gegner der Glagolica, die ihnen nur als Feigenblatt für Roms
Augen galt ; betrachteten sie nur als notgedrungene Konzession, oder
Ausflucht vor Rom und seinem Argwohn ; als Method auf seinem Sterbe-
lager jegliche Beziehungen zu Rom trennte, kann er auch seine Schüler
auf die nunmehrige Überflüssigkeit der Glagolica hingewiesen haben.
Man wird mir entgegnen, diese Kombination sei unmöglich; da-
gegen streite, daß ja mindestens noch ein ganzes Jahrhundert nach
Methods Tode die Glagolica bei den griechischen Slaven sich nach-
weislich erhalten hat. Man vergißt dabei, daß durch die dreißigjährige
Übung die Glagolica bereits festen Fuß gefaßt hatte; daß nicht alle
Slaven bereit waren, sich unbedingt dem griechischen Einfluß mit Hän-
den und Füßen auszuliefern; daß einige von ihnen sogar mit schrift-
lichen Argumenten zugunsten der nun einmal lieb gewonnenen Schrift
gegen die griechische auftraten — so ist ja Chrabrs Schriftchen zu ver-
stehen, wie ganz richtig V. Pogorelov (Ivestija VI, 4, 1901, S. 340 —
345) erkannt hat: Chrabr verteidigt darin die glagolitische Schrift
gegen die cyrillische vor den Slaven selbst, denn nicht für die Griechen,
die der ganze Streit nichts anging, die nichts davon verstanden, war
seine Schrift bestimmt. Daß Chrabr nur an das glagolitische, nicht an
das cyrillische Alphabet (gegen alle früheren Erklärer) gedacht hat, hat
Pogorelov treflfend hervorgehoben.
Damit ergeben sich nun weitere Gesichtspunkte, z. B. für die Be-
urteilung der Notwendigkeit oder auch nur Nützlichkeit des griechi-
schen Alphabetes für die Slaven: ich brauche sie gar nicht anzudeuten,
um nicht noch mehr Anstoß und Widerspruch zu erregen ; ich versichere
nur den Leser, daß je schärfer er das Urteil gegen dieses Alphabet
formuliert, desto näher er an meine Auffassung herankommt.
Nachtrag. 22 1
Aber die Kreise lassen sich noch weiter ziehen. Für die Kirchen-
geschichte, für die Geschichte des großen Schisma, für die Frühe der
unvereinbaren Gegensätze, ergeben sich jetzt neue Gesichtspunkte. Als
Hergenröther seinen Photius schrieb, ahnte er nicht, daß er die gi-ava-
mina der Griechen gegen die Römer schon aus der Vita Cyrilli hätte
bereichern können ; nicht erst Photius oder Cerularius oder der biedere
Nestor (S. 70 ed. Miklosich) haben zum Teil ganz unsinnige Beschuldi-
gungen gegen die Römer vorgebracht, Cyrill ist ihnen darin mit leuch-
tendem Beispiel vorangegangen. Denn was anderes sind die Anklagen
gegen die lateinische Geistlichkeit im XV. Kap. der Vita Cyrilli ? Daß
sie von den veleglavi unter der Erde lehre, ist ein genau ebenso schö-
ner Vorwurf, wie die Verehrung der »mater' Erde« bei Nestor; als mich
Prof. Pastrnek fragte, was dies dreimonatliche Trinken aus Holz statt
aus Glas bedeute, suchte ich ganz umsonst nach ethnographischen Pa-
rallelen: das ist ja nichts weiter als die Verhöhnung des römischen, so
außerordentlich abgestuften Pönitentialwesens durch den Griechen, etwa
wie Nestor das spätere Indulgentienwesen verdammte (»prascajut ze
grechy na daru, jeze jest' zleje vsego«). So gewinnt die mährische
Episode eine ganz neue Bedeutung für die Kirchengeschichte Europas:
sie wäre ein wohldurchdachter, trefflich ausgeführter Vorstoß der grie-
chischen Kirche gegen Rom, ein Meisterstück des Photius vielleicht
eher als des Cyrill, der dann nur sein Werkzeug, Handlanger, gewesen
wäre; Rom ließ sich wirklich überrumpeln und täuschen, zumal der
schwächliche Johannes VHI., aber schließlich wurde die impostura ent-
deckt und Sv^topeik entledigte sich der lästigen Diener einer fremden
Kirche; was nicht im Westen, gelang ihnen im Osten, und die Slaven
haben die Kosten der griechisch-römisclien Rivalität bis heute zu be-
streiten. Daß man im Rom Leos XHI. die Zusammenhänge völlig ver-
kannt hat, ist nicht die einzige Täuschung, der man sich dort hinge-
geben hat: besser wußte es Bischof -Lubienski, als er 1644 an die
Kardinäle schrieb : sunt iidem omnino Graeci qui a saeculis toties sedi
apostolicae imposuerunt — et Slavis, würde ich hinzufügen.
Das ist meine Anschauung von der mährischen Mission, ihrem
eigentlichen Zweck und den sie begleitenden Umständen; daß ich den
diese Mission bekämpfenden lateinischen Geistlichen des IX. Jahrb.,
ihrer trij^zycznaja jeres' (die sich nicht so sehr gegen die Sprache, als
— und mit vollem Grunde — gegen die Schrift, eine zwecklose und
schädliche Neuerung, wandtel alles Recht zuspreche, Cyrill und Method
222 A. Brückner,
jegliches Recht abspreche, ist ohneweiteres ersichtlich. Wie lange ich
diese den heutigen Anschauungen diametral entgegengesetzte Meinung
allein vertreten werde, ob und wann ich Billigung kompetenter Be-
urteiler (an der grubaja (^ad' liegt mir gar nichts) finden werde, wird
die Zukunft lehren.
Berlin, 18. VI. 1904. A. Brückner.
Zweiter Nachtrag. Meine Thesen, vor zwei Jahren niederge-
schrieben, erfuhren teilweise Zurückweisung in dem Studium des Kra-
kauer Historikers, K. Potkanski, Konstantyn i Metodyusz, Krakau
1905, 145 S. 8". Die bisherige Armut der polnischen Literatur an ein-
schlägigen Werken erfährt durch diese höchst umsichtige und gewissen-
hafte, interessant geschriebene Arbeit eine wesentliche Bereicherung;
im Hauptteile gibt der Verfasser eine Art erschöpfenden Kommentars
zu dem Bericht der »Legenden« (wir vermeiden den Terminus »panno-
nische« als einen nur irreführenden), um im Schlußteil, von S. 120 an,
zu allgemeinen Erörterungen sich zu erheben. Der historische Hinter-
grund ist breit gezeichnet; einbezogen sind die gleichzeitigen Konflikte
des Papsttums mit dem deutschen Episkopate ; die finanzielle Abhängig-
keit der Päpste von deutschen Bischöfen, die auf die Entschlüsse der
Päpste so lähmend einwirkte ; die Tendenzen der abendländischen Kirche,
die auf das Monopol des Latein wie auf das Filioque hinzielten ; sogar
irische Verhältnisse werden verglichen; es ist dies, mit einem Worte,
eine sehr anregende und lesenswerte Schrift ; sie hält sich von jeglicher
Polemik fern, sucht nur durch die Macht der Tatsachen, wie sie sie
darlegt, zu wirken, erstrebt die größte Objektivität. Trotzdem ist der
Versuch, die herkömmliche Auffassung der Einzelheiten des merkwür-
digen geschichtlichen Vorganges, eines wahren unicum in der Weltge-
schichte, zu rechtfertigen, völlig mißlungen und meine Einwände da-
gegen bleiben zu Recht bestehen.
Der Grundfehler von Potkanski wie von der traditionellen Dar-
stellung besteht darin, daß die Angaben der Legenden nicht zuvor auf
ihre Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit geprüft, sondern als baare
Wirklichkeit genommen wurden, zu der man nur noch die Erklärung
nachzuliefern hätte. Sprach z. B. die Legende von einem »ungarischen
König«, so wurde nicht zuerst, wie die einfachste Kritik es erfordern
würde, nach der bloßen Möglichkeit eines christlichen ungarischen
Königs an der Mitteldonau um 880 gefragt, sondern Dümraler nahm
Zweiter Nachtrag. 223
diese Unmöglichkeit unbesehen hin und suchte nur, das unmögliche und
unsinnige irgendwie möglich zu machen. Oder gaben die Legenden an,
daß Rostislav Boten nach Konstantinopel in Glaubenssachen abgeschickt
hätte, so wurde wiederum nicht nach der bloßen Möglichkeit eines sol-
chen unerhörten Vorganges gefragt, sondern die Angabe wieder ohne-
weiteres als wahr unterstellt, und es blieb nur noch dem Historiker die
Aufgabe, eine plausible Erklärung des unerklärbaren nachzuliefern,
wobei man dann ruhig einem Manne des IX. Jahrh. Tendenzen des
XIX. Jahrh. unterschob. Und so verfuhr man auf Schritt und Tritt:
man glaubte ja den Legenden sogar eine Versicherung des griechischen
Kaisers, daß »die Saloniker insgesamt rein slavisch sprechen«, während
die Saloniker, ohne erst auf Basilius zu warten, eher selbst den Kaiser
ermordet hätten, als daß sie die Verunglimpfung ihrer griechischen Ge-
fühle ruhig hingenommen hätten. Doch wozu die Beispiele häufen, was
für Unmöglichkeiten in den Berichten der Legenden gläubigst hinge-
nommen wurden.
Rostislav hat niemals Boten nach Konstantinopel in Glaubens-
sachen hingeschickt. Strebte er, der noch keine politische Selbständig-
keit besaß, schon nach einer kirchlichen, so gab es für ihn nur einen
kurzen und geraden Weg, denselben, den Method S69, den Svetopelk I.
873, den Mojmir II. vor 900 gegangen sind: über die Köpfe der Deut-
schen hinweg und trotz aller ihrer Proteste mußte er sich an Rom direkt
wenden und sein Land als ein Patrimonium dem h. Petrus zu Füßen
legen. In Konstantinopel hätte er auch nicht die geringste, weder
materielle noch moralische, Hilfe finden können ; Rom hätte ihm wenig-
stens eine moralische gewährt. Freilich, besaß er keine politische Macht
und Selbständigkeit, so hätte ihm auch Roms Beistand nur wenig ge-
nützt; wir sehen dies an »Pannonien«. Nichts half die Intervention des
Papstes, noch seine angedrohten Bannsprüche : die Deutschen verlach-
ten einfach Johann VIII. und der panuonische Erzbischof durfte nie
wieder nach 870 Pannonien betreten, blieb in partibus infidelium, ein
bloßer Titularbischof, eben weil die Deutschen Pannonien als ihren Be-
sitz ansahen und keinen Einspruch des Papstes zuließen. Methodius
wurde von ihnen nur nach Mähren fortgelassen, aber die Deutschen
respektierten den archiepiscopus Maravensium, nicht so sehr aus Furcht
vor Rom, als aus Furcht vor dem Schwerte des Sv(^>topelk. Als aber
dieses Schwert wieder abgestumpft schien, reklamierten sie sofort auch
Mähren als ihr Besitztum und richteten jenes Schreiben von 900 an den
224 A. Brückner,
Papst, das man olineweiteres als Gipfel aller Frechheit bezeichnen
kann; bezeichneten sie doch vor dem Papste dessen autoritative Ver-
fügungen als widerrechtlich und nur durch Bestechung erschlichen, die
sie nie anerkennen würden !
Rostisluv hatte andere Sorgen, drückendere, näher liegendere, als
die um die Selbständigkeit seiner Kirche; der Vergleich mit dem Ver-
li;ilten des Boris, den F^tkanski wiederholt, paßt auf ihn in keinerlei
Weise; Boris war Heide, zudem ein mächtiger Herrscher, vor dem
Konstantinopel zitterte, und als er endlich das Christentum annehmen
sollte, war es nur zu natürlich, daß er einen Augenblick lang zwischen
Kom und Byzanz schwankte; Rostislav war dagegen deutscher Vasall
und Katholik bereits und hätte durch einen Abfall nach dem fernen und
ohnmächtigen Byzanz seine Stellung den Deutschen gegenüber nur noch
verschlechtern und schwächen können. Aber wie war ein Abfall nacli
Konstantinopel für ihn möglich, wenn sogar die beiden Griechen selbst
alsbald die Notwendigkeit einsahen, nach Rom zu gehen ! Dazu zwang
sie schon die lateinische Geistlichkeit in Mähren, die seit jeher im Lande
war und hier blieb. Die Legende behauptet zwar, die Mährer hätten
diese Geistlichen als Verräter vertrieben, aber, wie so oft, hat auch
diesmal die Legende nur ihren frommen Wunsch für die Wahrheit aus-
gegeben : wir kennen doch beim Namen lateinische Geistliche in Mähren
(Johannes, Wiching) und woher wären denn auf einmal nach 885 soviel
lateinische Geistliche nach Mähren gekommen, daß sie die Vertreibung
der Methodianer ohneweiteres durchzusetzen vermochten ? Diese latei-
nische Geistlichkeit verdächtigte dem Rostislav, wie nachher dem Sveto-
pelk, die Griechen als Ketzer, und wir können uns leicht denken, daß
bereits Rostislav die Griechen aus seinem Lande herauskomplimentierte:
sie mußten erst Roms Autorisierung beibringen, ehe er ihr Treiben
weiter duldete. Um dies zu erlangen, um den Vorwurf der Ketzerei
(und in diesem Punkte war das IX. Jahrh. sehr empfindlich) abzuwehren,
gingen die Brüder nolens volens nach Rom. Ihr Erfolg in Mähren war
ein höchst bescheidener : die Freilassung einiger hundert Sklaven, der
Unterricht einiger Jünglinge. Erst Kocel zeigte mehr Interesse für die
slavische Liturgie — er hatte freilich keine politischen Sorgen; aber
auch er verlangte römische Billigung.
Auch bei Hadrian II. erzielten die Brüder nur weniges. Wohl seg-
nete der Papst ihre Übersetzung des Evangeliums — dasselbe würde er
1905 auch getan haben, aber von einer Anerkennung einer slavischen
Zweiter Nachtrag. 225
Liturgie war keinerlei Rede gewesen; hätte man nämlich in Rom S68
diese zugestanden und schon 873 dieses Zugeständnis wieder ganz ver-
gessen, so hätte jedenfalls Method dem Paul von Ankona gegenüber auf
ein Zugeständnis Hadrians II. sich berufen müssen, und Johann VIII.
hätte auch darauf einzugehen gehabt; suchte er in der Urkunde von
880 nach allen möglichen Gründen, um die Erlaubnis der slavischen
Liturgie plausibel zu machen, Gründe, die ihm erst Method soufflierte
(z. B. das sicut in quibusdam ecclesiis fieri videtur, verglichen mit Vita
Constant. Gap. XVI) , so hätte er doch auch eine Erlaubnis Hadrians
nicht unerwähnt gelassen. Die Dürftigkeit dieser Erfolge reizte nun
Method zu einem weiteren Schritte, zum Vorschlage einer Wieder-
errichtung des pannonischen Erzbistums durch Rom. Mit Freuden ging
man in Rom darauf ein, boten sich doch glänzende Aussichten für einen
Zuwachs des Katholizismus, aber freilich, diese Wiedererrichtung schloß
noch keinerlei Erlaubnis zur slavischen Liturgie ein und der Papst ver-
bot dieselbe, als er von ihr durch die Deutschen erfuhr, aufs nachdrück-
lichste und zitierte den ungehorsamen Erzbischof, der längst aus einem
pannonischem zu einem mährischen geworden war, vor seinen Richter-
stuhl. Erst 880 erlangte endlich Method, wonach er bisher vergebens
gestrebt hatte, den letzten und größten Erfolg seines Lebens, die Ge-
stattung der slavischen Liturgie, ein unicum, das erste und letztemal in
diesem Umfang in denAnnalen der römischen Kirche; aber Johann VIII.
nahm wieder mit der andern Hand, was er mit der einen gegeben hatte:
denn nicht nur verlangte er die lateinischen Lektionen bei der slavi-
schen Messe, sondern befahl die ganze lateinische Messe, falls sie
Svctopeik und seine Großen sich wünschten. — Daß diese sie nun
wünschten, war selbstverständlich, sonst hätte diese Bestimmung keinen
Zweck, und wir kennen ja Sv^topelks Verhalten, das identisch war mit
dem des Rostislav — die traditionelle Darstellung konstruiert zu Un-
recht ein gegensätzliches Verhalten beider Fürsten ! ; es war dies selbst-
verständlich zu einer Zeit, die sogar über die Wirksamkeit eines Ge-
betes (geschweige denn der Messe !) in einer anderen als der lateini-
schen Sprache zweifelte, vgl. Potkanski a.a.O. Damit, mit dieser fakul-
tativen lateinischen Liturgie, war der konfessionelle Konflikt in Mähren
in Permanenz erklärt: Method, um die notwendige kirchliche Einheit
zu wahren, mußte gegen die lateinische Liturgie nach Kräften wirken,
sie zu verhindern trachten; die lateinischen Geistlichen verwirrten wie-
der das Volk, indem sie auf die Unwirksamkeit der slavischen Messe
Archiv für slavische Philologie. XXVIII. 15
226 A. Brückner,
hinwiesen ; wenn ich meine Phantasie nicht zügeln würde, könnte ich
sagen, daii Wiching, den ja der mißtrauische Papst dem Method als
Aufpasser zugesellt hatte, über Methods Befehdung der lateinischen
Messe nach Rom berichtete, worauf dann noch Johannes VIII. selbst die
slavische Liturgie endgiltig verboten und die lateinische für die einzig
berechtigte erklärt hätte (vergl. die Angabe im Commentatorium Ste-
phan V.) — aber das bleibt Phantasie, so lange ein solches Verbot nicht
zu finden ist. Das autoritative Einschreiten Stephan V. entschied endlich
den konfessionellen Streit; die Methodianer mußten das Land verlassen
— ohne das geringste Leidwesen der Mährer. Wenn somit von einem
Sehwanken Roms zu reden ist, so kann sich dies nur auf das Verhalten
des nachsichtigen, zu Kompromissen stets geneigten Johannes VIII. von
880 beziehen; dessen wertvolle Urkunde hat Method wohl gehütet, eine
Übersetzung davon mit ganz erheblichen, willkürlichen Einschiebungen
und Veränderungen angefertigt und die Urkunde unter Hadrians Auto-
rität gestellt, die sicherer zu sein schien, als die von Johannes VIII., der
ja selbst ebendieselbe slavische Liturgie schon einmal strikte verboten
hatte. Die Vergleichung der echten päpstlichen Urkunde mit der slavi-
schen Übersetzung, mit ihren Zusätzen und Verdrehungen (z. B. wem
und wofür der Kirchenbann angedroht wird), ihren Behauptungen (von
der Wendung auch nach Konstantinopel !) ist außerordentlich lehrreich,
enthüllt uns schonungslos die graeca fides.
Potkanski geht auf das weitere, nach dem Tode Methods, nicht
mehr ein; behandelt nicht einmal das bairische Schreiben von 900. Er
läßt sich auch nicht ein auf das Verhältnis der Legenden zu einander;
ich denke, daß Method die Vita Constantini verfaßte und aus dieser
Vita den lateinischen Auszug für Rom 879 herstellen ließ; für die Vita
Methodii hat er seinem künftigen Biographen (Clemens ?) eine Anleitung
gegeben, was etwa im Anfange zu berücksichtigen wäre, welches Schrei-
ben des Papstes und wo einzuschalten, was über andere Einzelheiten,
die weder Clemens noch Gorazd wissen konnten, zu sagen wäre, z. B.
über die Zusammenkunft mit dem »ungarischen« König oder mit Kaiser
Basilius, oder über den Streit mit den deutschen Bischöfen (wo die
Worte »meinen Method, der verschwitzt ist« erfunden sind, um die
Anekdote von dem Philosophen anknüpfen zu können). So entstammen
die drei Legenden einer einzigen Quelle und stellen ein einziges Zeugnis
dar — ihre gegenseitigen Widersprüche u. dgl. erklären sich aus den
verschiedenen Zwecken, die sie verfolgen. So schweigt z. B. der latei-
Zweiter Nachtrag. 227
nischeText wohlweislich von der feierlichen Anerkennung- der slavischen
Liturgie in Rom durch Hadrian II., der slavische wieder schweigt von
einem Eindruck der chazarischen Mission auf Rostislav u. s. w. Die
Eigenart der Vita Constantini, ihr Umfang namentlich gegentiber der
des Method, ist erklärlich durch das Ziel, das ihr Method setzte: es
sollte nämlich diese Vita nicht bloß hagiographischen Inhaltes sein; sie
sollte den einfachen, literaturlosen Slaven eine Art Kompendium der
Apologetik sein, sie lehren, wie man Einwänden der Sarazenen, Juden
und Katholiken zu begegnen habe. Am ausführlichsten wendet sie sich
gegen die Juden; an den Katholiken bekämpft sie nur die »Dreisprach-
lerei « und die laxere Handhabung der Ehegebote ; eine Ergänzung dazu
stellt der Anfang der Vita Methodii dar, wo überflüssigerweise die
sieben Kirchenversammlungen aufgezählt werden: was nach diesen
nämlich in der römischen Kirche neu aufkam (z. B. die Abstammung
des h. Geistes u. a), ist eo ipso null und nichtig, mit der heiligen Ortho-
doxie unverträglich. Was übrigens die chazarische Disputation betrifft,
glaube ich gar nicht, daß sie in Wirklichkeit stattgefunden hätte : Kon-
stantin wird vielleicht gar nicht weit über die chazarische Grenze ge-
kommen sein und nur zu literarischen Zwecken ein Colloquium mit den
Juden fingiert haben. Was mich zu dieser Annahme bewog, ist der
Umstand, daß der Aufenthalt in Cherson und der Krim mit charakte-
ristischem Detail ausgestattet ist, während alle Einzelheiten von Land
und Leuten ganz aufhören, sowie sich Konstantin in das Schiff setzte,
das ihn angeblich zu den Chazaren entführte : der Disput vor den Cha-
zaren gehört wie der Araberdisput, bloß der Literatur an. Zwang doch
vielleicht gerade der Überfall der ungarischen »Wölfe« Konstantin, von
der weiteren Mission abzustehen.
Auch anderes übergeht Potkanski völlig, z. B. das auffallende
Totschweigen der Salonischen Brüder durch die griechischen Quellen,
was doch mit ihrer angeblichen Rolle in Byzanz sich nicht leicht ver-
einen läßt ; der einzige Grieche, der wenigstens des Konstantin gedenkt
(ich sehe natürlich von den Kiemensiegenden ab), ist ja Mitrophan, der
dem Anastasius nur den Bericht des Konstantin selbst über die Auf-
findung des heil. Klemens wiederholt, also kein neuer, unabhängiger
Zeuge ist.
Es ändern somit die Ausführungen Potkanski's nichts an meinem
Beweise, daß die drei Legenden eine höchst einseitige und tendenziöse
Darstellung enthalten, der man nie trauen darf. Diese Legenden ver-
15*
228 A. I5rückner,
folgen nämlich nicht nur hagiographische Ziele, d. h. übertreiben die
Einzelheiten (gehört nicht auch hierher die Angabe tiber Methods Bibel-
werk ?), schieben alles auf göttliche Gnade und Erleuchtung, stellen die
Gegner, mögen sie noch so berechtigte Interessen verfechten, nur als
Werkzeuge des Teufels dar. Aber sie haben auch noch eine andere
Tendenz. Die beiden, jeder Neuerung aus dem Wege gehenden Griechen
empfanden das novum der slavischen Liturgie tief und setzten alles
daran, daß ja kein Zweifel an der Orthodoxie und Askese der Urheber
dieses novum aufkäme; die Legenden leugnen daher ständig jegliche
persönliche Initiative der Biüder, belassen sie stets in der Zelle und
beim Studium, und immer ist es die Welt, Kaiser, Patriarch, Papst
U.S.W., die sie ihrer Beschaulichkeit entreißt. Der konventionelle hagio-
graphische Stil wie diese spezielle Tendenz legen uns somit bei der Be-
nutzung der drei Legenden die größte Zurückhaltung auf, lassen sie
auf keinen Fall in eine Reihe mit Papstbriefen oder der Conversio Ca-
rantanorum treten; man erinnere sich nur z. B., wie die Vita Methodii
die letzte Romreise (879) und vor allem den Streit um die Liturgie
wohlüberlegt verschwiegen hat.
Meine Ausführungen treten dem genialen Plane und Werke der
Griechenbrüder in nichts zu nahe, lassen ihnen völlige Gerechtigkeit
widerfahren und entkleiden sie nur von allerlei romantischem Beiwerk.
Konstantin und Method sind gewiß Vertreter der geeinten, universalen
Kirche, nur verstehen sie darunter das Aufgehen Roms in den Bahnen
der Griechen und als statt dieses Aufgehens nur noch eine Verschärfung
der längst bestehenden, nicht erst durch Photius geschaffenen Gegen-
sätze eintrat, ging die Spaltung mitten durch das Slaventum und teilte
dieses in zwei einander fremde Welten, deren Entfremdung ebenso
heute noch, wie vor einem Jahrtausend, besteht.
Gerne räume ich ein, daß meine Ausführungen keine tatsächliche
Bereicherung unseres Wissens bedeuten, keinerlei historische oder
philologische Fakta beibringen, daß ich denselben Gegenstand nur
anders beleuchte und Schatten in die Lichtflächen hereinzeichue; man
kann mir vorwerfen, daß ich nur einer subjektiven Auffassung das
Wort rede, nur Gezanken und Kasuistik Vorschub leiste. Trotzdem
glaubte ich, nicht schweigen zu dürfen, meine Deutung der mährischen
(nicht: pannonischen) Legenden veröffentlichen zu müssen, da neben
meiner subjektiven Auffassung oder gerade infolge derselben die Inter-
pretation der Einzelheiten selbst mir wesentlich gefördert erschien : es
Cyrillo-Methodiana. 229
gibt in meiner Beleuchtung keine einzige undeutliche, auffällige, rätsel-
hafte Stelle in den Legenden mehr. Mit mehr Recht könnte man gegen
mich einen andern Vorwurf richten, daß ich nämlich statt einer zu-
sammenhängenden, systematischen Darstellung mit bloßen Aphorismen,
Fragmenten, Einzelheiten mich begnügt habe. Aber einmal konnte ich,
mit anderem beschäftigt, dieser Frage nur ab und zu Aufmerksamkeit
zuwenden, und dann widerstrebte mir, da ich keinerlei neue Quellen
gefunden habe, die Breittretung desselben, bis zum Überdrusse behan-
delten Gegenstandes ; meine Ausführungen, mögen sie sich auch viel-
fach wiederholen, zeichnet wenigstens eins, die Kürze, aus.
September 1905. A. Brüchier.
in. Beiti'äge zur Quellenkritik der cyrillo-metliodiauisclieu
Legenden.
I.
Zu den weiter unten dargelegten Ansichten bin ich auf einem Um-
wege gekommen. Im J. 1902 begann ich in den SanncKH HayK. Tob.
iitfeHH nieB^ieHKa die Publikation einer Arbeit über den gesamten Le-
gendenkomplex, der sich seit dem zweiten Jahrhundert der christlichen
Aera um die durchaus unhistorische Person des Klemens Romanus, des
dritten oder vierten Papstes nach dem Apostel Petrus gerankt hat.
Dieses Thema führte mich natürlich nach Chersouesus Taurica, wo das,
ebenfalls durchaus uuhistorische Martyrium des Klemens in einer ver-
hältnismäßig späten Zeit (noch Gregor von Tours weiß nichts von die-
sem Ort) lokalisiert wurde. Kategorische, wenn auch nicht näher
motivierte Versicherungen des Leo AUatius und seiner späteren Nach-
schreiber (Coteler u. A.), die bekannte Legende über das Wunder des
heil. Klemens mit einem Knaben, welcher von seineu Eltern im Grab-
tempel des Heiligen am Meeresgrunde zurückgelassen und dann vom
Wasser überflutet, nach Jahresfrist bei der wunderbaren Wasserebbe
lebend im Tempel wiedergefunden wurde, stamme von einem Ephraem
episcopus Chersonensis, veranlaßte mich, nach den Spuren dieses
Ephraem und weiter nach den Überresten des chersonesischen Schrift-
tums zu suchen. Die Notiz des AUatius erwies sich als pure Phantasie,
da jener Ephraem, welcher im IV. Jahrh. gelebt haben soll, gar keine
historische, sondern eine legeudarische Persönlichkeit ist, einer der
»sieben chersonesischen Heiligen und Märtyrer«, welcher dazu in Cher-
230 Iv. FraLko,
sonesus nach dem Wortlaut der Legende nie gewesen war. Nun zeigte
sich aber, daß wir in der Legende über diese chersonesischen Heiligen,
die sich in einem alten griechischen Codex Mosquensis erhalten hat und
sehr nachlässig in Bd. XI der 3anncKn OAeccKaro o6u[. hct. u ApemiocTeH
veröffentlicht wurde, höchst wahr.scheinlich ein Überbleibsel des cher-
sonesischen Schrifttums vor uns haben, da sich diese Legende als ein
im Interesse der Autokcphalie der Chersoneser Kirche gegenüber dem
Konstantinopeler Patriarchat (sie wird als eine jerusalemitische Grün-
dung aus dem IV. Jahrb. dargestellt) aus verschiedenen Quellen zu-
sammengestöppeltes Machwerk erweist; Fragmente davon, aber in einer
den Interessen des Patriarchats entsprechenden Umarbeitung, haben
sich in den Konstantinopeler Menologien des XII. — XIII. Jahrh. erhalten
und sind auch in die kirchenslavischen IIpojiorH hinübergegangen. Da
diese Legende nicht älter ist, als das VI. — VII. Jahrb., so kann auch
die, einem ihrer Helden, dem heil. Ephraem zugeschriebene griechische
Legende über das Wunder des heil. Klemens mit dem Knaben am
Meeresgrunde ') nicht älter, aber auch nicht viel jünger sein; das älteste
Zeugnis über ihre Existenz im Osten haben wir bei Klemens Velickij in
seiner bekannten IIoxBa.ia CBÄTOMoy KjHMeHToy PnMCKOMoy. Diese grie-
chische Legende, offenbar in Chersouesus geschrieben, wäre ein zweites
Überbleibsel des chersonesischen Schrifttums. Die Konstatierung, daß
ein solches Schrifttum in Chersonesus wirklich existierte und daß sich
Brocken davon teils in griechischen Texten, teils in kirchenslavischen
Übersetzungen bis auf unsere Zeit erhalten haben 2], scheint mir auch
für die weiteren Ausführungen nicht ohne Interesse zu sein.
Zu der Wiederauffindung des Körpers des heil. Klemens in Cher-
sonesus übergehend '^) , stieß ich vor Allem auf den folgenden kleinen,
in einem Peremysler Prologus aus dem XVI. Jahrh. gefundenen, in ge-
1) Ihr Prototyp ist übrigens lateinisch und kommt schon bei Gregor
von Tours vor, selbstverständlich ohne Lokalisation in Chersonesus.
2) Ein interessanter Brocken dieses Schrifttums, welcher nur in kirchen-
slaviscber Version auf uns gekommen ist, scheint mir die in die Vita der
heil. »öescpeöpcHHHKu« Kosmas und Damian eingeschobene Erzählung über
ein »Trinkerwunder in Korsunj« zu seiu, welcher ich eine spezielle Abhand-
lung gewidmet habe (oanucKU h. T. Im. lU.Bd. 44).
3) Beiläufig bemerkt, auch keine absolute Neuigkeit, da Körperteile des
heiU Klemens in Westeuropa schon im VI. Jahrh. bekannt waren. Gregor von
Tours erzählt ein hübsches Wunder, welches eine unbekannt woher gebrachte
Kippe dieses Heiligen in seinen Tagen in Lemovicinum bewirkt haben soll.
Cyrillo-Methodiana. 231
druckten IIpojtorH, so viel ich weiß, nicht vorkommenden kirchenslavi-
schen Text: Bt». toh:*;« A'"* np'bHCceHif iiioi|jem ctto
KAHMeHkTa kG rAC»\'BHHKi luiwpA KTv Kc>p^c;f»H'k. Bt».
l^pTßO MHKO^Opa SaTBCtpH C/!V rJIWp«, HA'tHif E'U\?f. UOl\lli
CTro KAHMEHTa KT». Kopco^"", " 0^^"'^"'^''»^ K*^ ^'^ ^'^ CTaro
cBoero, taKOJK nHUiCT. h n€^/^^(u kwk B£a'MH FtwpriH fnm».
Kopc;?vHCKKI HA« KT». KOCT/ÄHTHH Ppa^ H HBßllCTH RaTpiap^y.
H TT», nocaa c HHru! bi KAHpoc CTKia Gc^i/Ä. H npiHAOiu;^ ßiv
K'kp'c;^n, H TO\r cKKpaß'me c/ä kch aioAMf? h;i,c»uj;i^ Ha Kpaft
MOp/ft CT», 4''*'^^l^l^ H nlvCH'lUIH, HOAShMTH :Kf/\atlllOe CTkKpOKHUJf.
H H6 paCT/l^RH C/Ä HIUl BW^'*- BaUlEAU'^ ^^^ C/\HHA\ KTvC'k^i.OUj;*»
BTk Kopacak. a ktv noa^^HOniH btiCia hiui ck'St (U imopA h
raKH CA HIUI np'KBOE VAAßä, nOTOlUlJKf H BCS IUIOI4JH cTaro KaH-
MfHTa. H B'kseLiiiJ« A CTIH noAOH^Hiua BT». KOpacAh. H npH-
BC31UE A BT», rpa^ BT^aoM^ima bt^ paKS h noaojKHUi^^ btv u,pkbh
an'ATvT'KH. MaHEHiiiHM JKf airTopVi;?» luiHwra Bkiiij;r^ HW^eca:
ca'kniH nposp'Sm;!^, K'kcki nporHam;^ [ca] h ^poiuiiH h kat^hTh
3J\,pAE.H BKlUi;^ CO MABKk lUiaTBaiUlH CTPO KaHIUIfHTa 1).
Diese kleine Erzählung schien mir in mancher Hinsicht interessant
zu sein. Zuerst das sich daraus ergebende Datum. Es ist ja offenbar,
daß der unbekannte Verfasser das Ereignis in die Zeit des byzantinischen
Imperators Nikephor I. verlegt, welcher 802 — Sil regierte und am
*) Gedruckt in meiner Sammlung Anoicpio-u i jiörcHaii 3 {yKpaiHCBKHX py-
KonaciB, Bd. III, S. 312 — 313. Ich finde diese Erzählung soeben in einem an-
deren kirchenslavischen, aber viel älteren Prologus fim Lemberger Narodnyj
Dom, Handschriftensammlung des Domherrn Petrusevyc Nr. 69) und zwar
unmittelbar nach einer kurzen Passio Clementis, wo erzählt wird, derselbe
sei in Ancyra in die Stadtmauer lebendig vermauert worden, wurde dort von
den Gläubigen durch einen winzigen Spalt mit gekochten Weizenkörnern
genährt (woher auch die Koyria abgeleitet wird), und sei erst nach seinem
Tode aus der Vermauerung hervorgeholt imd ins Meer geworfen worden.
Eine merkwürdige Etappe in der Wanderung der Klemenslegende von Rom,
resp. Sardinien nach Osten, verursacht durch die Attraktion einer anderen
Legende über den Klcmens Ancyranus, den »meistgeprügelteu Märtyrer« —
sein Martyrium soll ja 28 Jahre gedauert haben. Siehe darüber mein soeben
erschienenes Buch Cbbhthh K^iumcht y Kopcyiii.
232 Iv. Franko,
26. Juli Sil in einer blutigen Schlacht mit den Bulgaren fiel. Als sein
Zeitgenosse wird der chersonesische Bischof Georgios genannt. Nun
wissen wir aber, daß ein chersonesischer Bischof Georgios auch in dem
Cjoßo iia irpeiieceiiie MOineJI npec;iaßiiaro K^iHMeiiTH sowie in der Itali-
schen Legende eine Rolle spielt; in der Vita Constantini wird der cher-
sonesische Erzbischof nicht genannt. Da aber, wie weiter dargelegt
werden soll, die Erzählung der Italischen Legende von dem ("./iobo
Ha npeiieceiiie (richtiger, von dessen griechischem Original^ abhängig
ist, so erschien es mir ganz natürlich, die obige Erzählung mit dem In-
halt des Cjiobo zu vergleichen. Leider ist dieses Ciobo, nur ans einer
einzigen späten Handschrift von Gorskij im J. 1856 zuerst im Mockbh-
THHHHx publiziert und dann 18 (»5 im Pogodinschen KiipHJUio-MeeoAiea-
CKiä CöopHnKt abgedruckt, in einer ziemlich wertlosen Gestalt auf uns
gekommen, und die von mir (nach dem Fingerzeig Golubinskijs) her-
beigezogene Abschrift eines älteren und etwas korrekteren Textes (siehe
3anHCKH n. T. iir. ILIeB^i. Bd. LX, S. 246 — 256) hat bei weitem nicht
einen tiberall klaren und lesbaren Text geliefert. Soviel aber scheint
mir aus meiner ziemlich eingehenden Untersuchung dieses Denkmals
(für die Details verweise ich auf den oben zitierten Band der BanHcioi)
hervorzugehen, 1) daß das Cjiobo na npeiieceme eine mühsame und
mangelhafte Übersetzung aus dem Griechischen ist; 2) daß wir darin
einen in Chersonesus gehaltenen Sermon, also wieder ein Stück cherso-
nesischen Schrifttums vor uns haben; 3) daß das C.iobo und die oben
zitierte Prologus-Erzählung von einem und demselben Ereignis, von
einem und demselben Georgios handeln und in den Worten des Cjiobo
»naif >Ke B'SpHaro nacTwpA r«vvprrd c''Hhkh$opwiuii^ CAaßHWM,
c . ,
Tc»r;i,a i^pTßiA ./^oKp-k h KpoTKO npiHMiiia KopMHAa rpa^\,CKaa«
keineswegs ein chersonesischer Proteuon oder Strategos Nikephor, son-
dern eben der in der Prologus-Erzählung genannte byzantinische Impe-
rator Nikephor I. zu verstehen ist, welcher hier ausdrücklich als i|,pTBie
npiHMiiia bezeichnet wird (das Wort rpa^CKaa wäre ein späteres An-
hängsel), während an einer anderen Stelle der chersonesische Strategos
ganz richtig KroAM»K6U,Tv KH<ASk rpa^CKKiH (op. cit. S. 252) tituliert
wird ; 4) daß die Prologus-Erzählung eine kurze und wieder im Interesse
des Konstantinopolitanischen Patriarchats gemachte Umarbeitung des
chersonesischen Sermo ist (siehe das kindische Anhängsel, Georgios
habe das Werk nicht selbst vollbracht, sondern zuerst den Segen des
Cyrillo-Methodiana. 233
Patriarchen dazu erbeten, und dieser habe ihm außer seinem Segen
noch den gesamten Klerus der Sophienkirche nach Chersonesus ge-
schickt, welcher Klerus übrigens in dem weiteren Verlauf des Ereig-
nisses keine Rolle spielt). Ist dies richtig, so stehen wir vor der ziem-
lich interessanten Tatsache : in Chersonesus gab es eine seit dem Anfang
des IX. Jahrh. populäre und schriftlich fixierte Tradition über die Auf-
findung und Übertragung des Körpers des heil. Klemens; diese Auf-
findung wurde auf Initiative eines uns dem Namen nach unbekannten
Priesters (seinen vermutlichen Namen werden wir später aus einer ganz
unverhofften Quelle erfahren) und unter Mitwirkung des chersonesischen
Bischofs Georgios bewerkstelligt und die gefundenen Reliquien wurden
in der Hauptkirche der Stadt beigesetzt. Mit Konstantin aus Thessalo-
nich hatte die Sache gar nichts gemein, da sie ja ein halbes Jahrhundert
vor seiner Anwesenheit in Chersonesus geschehen war.
Diesen Schlußfolgeruugen, welche, ich bekenne es offen, an einem
sehr dünnen Haar, an jener späten, vielleicht korrumpierten Pi'ologus-
Erzählung hängen, stellt sich nun die Autorität der Italischen Legende
entgegen, welche ausdrücklich sagt, Konstantin sei derjenige gewesen,
welcher den chersonesischen Metropoliten zur Auffindung des Körpers
des heil. Klemens bewogen habe. Und wenn auch die Autorität dieser
Legende in den letzten Decennien des XIX. Jahrh. nach den Analysen
des Voronov und Lavrovskij nicht allzu hoch angeschlagen werden
konnte, so erfuhr die Sache seit der Entdeckung des Prof. Friedrich in
München eine jähe Änderung ; es zeigte sich, daß hinter der Italischen
Legende die Autorität eines Zeitgenossen des heil. Konstantin, eines
hochgebildeten und hervorragenden Mannes steht, des Anastasius Biblio-
thekarius. Es zeigte sich, daß diese Legende größtenteils auf den von
ihm gesammelten, resp. aus dem Griechischen übersetzten Materialien
und auf seinem Brief an Gauderich von Velletri gegründet ist. Und
trotzdem wage ich zu behaupten, daß diese Autorität an dem von mir
aufgedeckten fadenscheinigen Tatbestande zerschellt.
Prüfen wir nun die Italische Legende auf ihre unmittelbare Quelle,
auf den Brief des Anastasius hin. (Ich zitiere nach der Ausgabe des Prof.
Pastruek). Kap. 1 lassen wir einstweilen bei Seite. Kap. 2 : Konstantins
Nachfragen unter den Chersonesern nach den Reliquien des Klemens
und die Schilderung des trostlosen Zustandes der Gegend. Die einzige
Quelle dieses Kapitels ist Kap. 2 des Briefes des Anastasius. Und was
sehen wir aus dem Vergleiche? In diesem Kapitel des Briefes wird
234 Iv. Franko,
eine Erzähhiug (storiola) des Konstantin selbst tiber Chersonesus zitiert.
Von sich selbst, von seinen Nachfragen nach den Reliquien sagt liier
Konstantin kein Wort; er sagt nur allgemein, daß das Wunder des
marini recessus bei dem Körper des beil. Klemens vor vielen Jahren
aufgehört hat und die Einwohner, von Barbareneinfällen geplagt, die
Arche und den Tempel ganz vergessen hatten. Nichts mehr ! Was
macht daraus der Verfasser der Ital. Legende? Er beginnt seine Er-
zählung mit den Nachforschungen des Konstantin, worüber er aus einer
anderen, uns einstweilen unbekannten Quelle etwas erfahren mußte,
behauptet dann schnellfertig, die Einwohner hätten ihm keine Kunde
geben können, weil sie «utpote non indigenae, sed diversis ex gentibus
advenae« waren — ein purer Unsinn, wenn man seine direkte Quelle,
die »storiola« des Konstantin vor Augen hat, wo ausdrücklich gesagt
wird, daß in Chersonesus von der alten Bevölkerung nur der Bischof
»cum non plurima plebe remansisset« und daß diese griechischen Ein-
wohner in den Mauern der Stadt nicht wie Bürger in ihrer Stadt, son-
dern wie Gefangene saßen. Hätte sich Konstantin bei diesen seinen
Landsleuten erkundigt, so hätte er von der alten Tradition doch etwas
erfahren müssen ; hat er sich aber mit Außerachtlassung seiner Lands-
leute, welche doch den alten Kern der Bevölkerung bildeten, nur an die
Fremdlinge und Barbaren gewendet, so war er mit Fleiß an die falsche
Adresse gegangen. Die Quelle dieses Unsinns sowie der Erzählung
über Konstantins erfolglose Nachfragen haben wir in Kap. 3 des Briefes
des Anastasius in der Erzählung, welche Metrophanes von Smyrna für
ihn geschrieben haben soll. Anastasius rekommandiert uns diesen Me-
trophanes als einen »virum sanctitate ac sapientia darum«, doch wer-
den wir gut tun, unser Urteil über seine Wahrheitsliebe erst nach der
Analyse seines Zeugnisses abzugeben. Dieser Metrophanes also, wel-
cher zur Zeit des (wahrscheinlich zweiten) Patriarchats des Photios
(876 — 886) einige Zeit in Chersonesus in der Verbannung lebte, will
dort erfahren haben, Konstantin habe unter den accolae (also Nach-
barn) der Stadt Chersonesus nach den Reliquien des heil. Klemens ge-
forscht und nichts erfahren können, was ganz richtig sein mag, da jene
accolae wirklich Ankömmlinge und Barbaren waren. Der Verfasser der
Legenda Italica machte aus den accolae — incolae, und der Unsinn
war fertig.
Kap. IIL Konstantin betet zu Gott, animiert den Metropoliten
Georgios und noch mehrere chersonesische Bürger zu Nachforschungen.
Cyrillo-Methodiana. 235
An einem bestimmten Tage begeben sie sich ans Meer und segeln zu
einer Insel, in qua videlicet aestimabant saneti corpus Martyris esse,
und nach einer Untersuchung des Ortes beginnen sie dort zu graben.
Als Quelle dieses Kapitels diente zum Teil wieder die Erzählung des
Metrophanes (Brief des Anastasius Kap. 3), aber nur zum Teil, da in
dieser Erzählung der Bischof von Chersonesus nicht genannt wird und
kein Metropolit ist, von eiuer Segelpartie nach einer Insel keine Rede
ist, im Gegenteil ganz ausdrücklich gesagt wird, die Leute, durch die
Erzählungen des Philosophen ermuntert, haben sich omnes ad illa lit-
tora fodienda geworfen. Woher nahm nun der Verfasser der Legenda
Italica die abweichenden Details ? Einen Fingerzeig gibt uns der Brief
des Anastasius (Kap. 4), welcher sagt, er besitze drei Dokumente, von
Konstantin selbst verfaßt, nämlich einen Hymnus auf den heil.Klemens,
den er aber aus dem Griechischen nicht zu übersetzen wagte, eine bre-
vem historiam und einen sermonem declamatorium, die er beide über-
setzte und seinem Brief an Gauderich beifügte. Die Texte dieser beiden
Übersetzungen sind uns separat nicht erhalten und wir können auf ihren
Inhalt nur aus jenen Details schließen, welche daraus in die It. Legende
übergingen und in den Kap. 2 und 3 des Briefes des Anastasius nicht
enthalten sind. Solche Details sind : der Name des Metropoliten von
Chersonesus Georgius (im Kap. 5 der Leg. It. wird aus diesem Per-
sonennamen vielleicht durch eine Corruptel des dem Anastasius vor-
liegenden griechischen Textes, Georgia oder Gloria metropolis gemacht),
sowie der Name des Nicephorus, welcher hier per nefas mit dem im
Cjobo na npeneceiiie ohne Namen erwähnten khäsb rpaACKLin identifi-
ziert wird. Hieher gehört weiter der ganze Inhalt der Kap. 4 und 5 der
Ital. Legende, also das Graben nach den Reliquien, das stufenweise
Auffinden der Gebeine, wobei zuerst eine Rippe, dann der Kopf, später
andere Glieder und zuletzt der Anker zum Vorschein kommen ; weiter
die feierliche Rückkehr in die Stadt, wobei der Bischof die Büchse mit
den Reliquien charakteristischerweise auf dem Kopfe trägt, das Ent-
gegenkommen des Stadtoberhauptes mit dem Gefolge, das Niederlegen
der Reliquien zuerst in der Vorstadtkirche des heil. Sozont und dann
das Übertragen in die Kirche des heil. Leontius. Alle diese Details
und in derselben Ordnung sind in dem Ciobo iia npeiiecenie enthalten,
dessen griechisches Original wir somit ganz sicher (natürlich verschie-
dene stilistische Abweichungen mit in den Kauf genommen) mit dem von
Anastasius erwähnten Sermo declamatorius identifizieren können. Für
236 Iv. Franko,
die brevis liistoria, welche von der von Anastasiud im Kap. 1 erwähn-
ten, von Konstantin aelbst verfaßten (oder nur mündlich erzählten)
Storiola, deren Inhalt im Kap. 2 dos Briefes wiedergegeben ist, offenbar
ganz verschieden war, und welche wir uns als eine kurzgefaßte Synaxar-
ErzJihlung, ähnlich der aus dem Peremysler Prologus, vorzustellen
haben, bleibt uns kein Detail, welches nicht im Ciobo iia npenecBHie
enthalten wäre. Entweder wies sie wirklich nichts Neues auf, oder
wurde vom Verfasser der Ital. Legende einfach ignoriert.
Der Vergleich der Ital. Legende mit dem Briefe des Anastasius
und dem Cjiobo iia npeiiecenie führt mich noch zu einer Vermutung
über die von Anastasius erwähnte, quasi von Konstantin verfaßte Hym-
nologie ad laudem dei et beati Clementis. Was Anastasius von dieser
Hymnologie sagt, daß von ihr «graecorum resonant scholae», ist ein
oflfenbarer Humbug: nirgends in dem griechischen Schrifttum ist eine
Spur dieser Konstantinischen Hymnologie geblieben. Aber auch für
diese windige Behauptung des Anastasius finden wir eine Grundlage im
Ojobo Ha npenecBHie: dort wird ja eine Hymnologie auf den heil. Kle-
mens einigemale zitiert und sogar ihre Stropheuzahl (mindestens 16)
angegeben; die Verlnutung liegt nahe, daß Anastasius von dieser
Hymnologie auch nichts mehr als jene Zitate im griechischen Original
des C.iOBO in den Händen hatte und darum auch mit gutem Fug auf
ihre Übersetzung verzichtete. Im CaoBO na npeneceme wird einigemale
ausdrücklich gesagt, der Initiator der Aufsuchung der Reliquien sei
auch der Verfasser des Sermons. Daß Anastasius diesen Verfasser mit
Konstantin identifizierte, wissen wir aus seinem Brief an Gauderich.
Auf welcher Grundlage tat er dies ? Daß er dies von Konstantin selbst
nicht erfahren hat, sehen wir aus seinen eigenen Worten in dem Briefe
an Gauderich, wo er von Konstantin sagt, dieser praedictus philosophus
fugiens arrogantiae notam habe nie von seinem Anteil an der Auffin-
dung der Reliquien erzählt. Aus dem Kontext des Kap. 3 des Briefes
scheint zu folgen, daß Metrophanes dem Anastasius auf dessen eifrige
Nachfragen den Konstantin als Verfasser des Sermo, der brevis historia
und des Hymnus angegeben hatte. Da aber Konstantin der Verfasser
des griechischen Originals des Cjiobo Ha npenecsHie schon aus dem
Grunde nicht sein konnte, weil dieser Sermo in Chersonesus eine ge-
raume Zeit nach der Auffindung der Reliquien, vielleicht an einem
Jahrestage des Ereignisses vorgetragen wurde, und Konstantin in Cher-
sonesus doch nicht so lange verweilte, so konnte er aus demselben
Cyrillo-Methodiana. 237
Grunde auch der Urheber der Auffindung der Reliquien nicht sein. Mit
anderen Worten, dank der unzweifelhaften und bekannten Tatsache,
diiß er mit seinem Bruder im J. 868 die Reliquien des heil. Klemens
nach Rom brachte, wurde die um ein halbes Jahrhundert ältere cherso-
nesische Lokallegende auf ihn übertragen und er zum Verfasser cher-
sonesischer Schriftstücke gemacht. Metrophanes, welchen Anastasius
während seines Aufenthaltes in Konstantinopel nach Klemens und Kon-
stantin ausfragte, wußte ihm von dem Letzteren nur seine persönlichen
(irrigen) Kombinationen, von dem Ersteren aber nicht selbstgesehene
Tatsachen, sondern den Inhalt und vielleicht auch die Texte der cher-
sonesi sehen schriftlichen Tradition mitzuteilen. Das wäre die ganze
Autorität dieses Zeitgenossen und Gewährsmannes der Ital. Legende.
Wie behandeln die pannonischen Legenden diese Details? Die
Vita Methodii weiß von Konstantins Verweilen in Chersonesus, von der
durch ihn bewirkten Auffindung der Reliquien und sogar von ihrer
Übertragung nach Rom gar nichts. Der chazarischen Mission Konstan-
tins wird einmal (Kap. 4) gedacht, aber in einer Weise, welche sehr ge-
eignet ist, unseren Verdacht zu erwecken. Am Schluß des Kap. 3 lesen
wir, Methodius habe sich in ein Kloster zurückgezogen, nocTpHr'k CA
CBA'tHE C/iV ß'K MpkHHÜ pHBIJ H B'K nOBHHOYlA CA nOKOpCMh.
ClvBp'KUJaiA BKCK HCnAlkHfa. nilkHHmkCKklH MHH'K, A K'kHHraY'i^
npHAEH^a. 4. üpHKJio^tmoy me ca BpiMBHH TaKOMoy h nocBJia i^icapb
no <i>Hjioco<i>a öpaxpa lero bi. Kosapu, ;i:a noKVTx n et coöomi na no-
moihl; 6iax/ii 6o xaMo aciiAOBe xptcTBHHLCKAMk Bip& BejiLMti xoy-
jrÄU];e. oh-l ata peKT>, mko roTOB^b lecMb 3a xptcTtHLCKAim Bip& oyM-
piTH. H He ocioyma ca, ho uibat» cjioyatH mko paö'L MtHtmio öpaxpoy
noBUHoyts. ca leivioy; et ate mojhtbohi a <i>Hjroeo<t>T> cjobbcm npinioace
H. H nocpaMHCTc. BH;i,'feß'k JKf L^'fccapk h naTpHapyTi noyi.BHr'K
l€rO ^\OGpT». Ha ROH^kH n;RTK, K'R.A.HIIIA H, JV,A BHUJ/^ H CB/ä-
THAH ap^HienHCKcyna Ha MkCTkHOie luiliCTC» u.s.w. Lesen wir
diese Worte mit Weglassung der von uns in gewöhnlicher Schrift wieder-
gegebenen Erzählung, so sehen wir, daß der Gedankenfaden nicht nur
nicht zerrissen, sondern geradezu klarer wird. Method, welcher bisher
eine hohe weltliche Stellung eingenommen hatte, tritt in ein Kloster ein,
erfüllt fleißig die Ordensregeln, vertieft sich in die Lektüre theologischer
Bücher. Der Kaiser und der Patriarch sehen bei ihm eine Neigung
zum geistlichen Stande und da sie aus früherer Zeit seine administrative
Fähigkeit kennen, wollen sie ihn zum Erzbischof weihen, worauf er
238 Iv. Franko.
aber nicht eingehen will. In dietien logischen Zu.sammenhang reißt die
Notiz über die cLazarische Mission Methods ganz abrupt ein. In einer
nicht näher bestimmten Zeit schickt der Kaiser Method zu den Cha-
zaren, damit er auf eine nicht näher bestimmte Weise seinem Bruder
dem Philosophen i) helfe. Ans der weiteren Erzählung sieht man gar
keine konkrete Grundlage für eine solche nachträgliche Mis-sion. Die
Behauptung, Method habe seinem jüngeren Bruder »wie ein Sklave ge-
dient«, ist zu allgemein und charakterisiert schablonenhaft Method als
Mönch, welcher das Gelübde der Demut und des Gehorsams abgelegt
hat, läßt sich aber nicht gut mit der Schilderung der Vita Constantini
reimen, wo ausdrücklich gesagt wird, Constantin sei zu den Chazaren
mit kaiserlicher Bedienung und Gefolge (skCTHO h,\h C'K u^'kcapk-
ckoIt^ noMOi|iKi2(\) geschickt worden, habe also Sklavendienste seines
Bruders nicht benötigt. Die weiteren Worte, daß zum Erfolg der Mis-
sion Method mit seinen Gebeten beigetragen habe, zeigen nur, daß der
Schreiber dieser Worte über den Anteil Methods an dieser Mission gar
nichts Konkretes zu sagen wußte. Und überhaupt ist der ganze logische
Bau dieser Notiz nichts weniger als glänzend. Nachdem der Verfasser
über die Aussendung Methods durch den Kaiser zu den Chazaren er-
zählt hatte, erinnert er sich plötzlich, daß sein Leser über die Mission
1) In seiner lateinischen Übersetzung der Vita Methodii gibt Miklosich
diese Stelle so wieder: »accersivit imperator philosophum fratrem eins, ut in
Kozaros eum assumeret secum in auxilium«, was aber unrichtig ist, da nocx^a
gar nicht accersivit (berief), sondern misit bedeutet, no *ii.ioco*a nicht einfach
durch philoäophum übersetzt werden kann, sondern höchstens ad philoso-
phum erfordert, u aber nicht einfaches und, sondern eum sei. Um den Wort-
laut »ut in Kozaros eum assumeret« herauszubringen, setzt Miklosich will-
kürlich ein Komma vor bt, Kosapia, wodurch ein unnatürlich gebauter Satzteil
herauskommt: bi Kosapiä Aa noiAxt i ci. coöohi — eine dem slavischen Sprach-
geiste ganz antipathische Wendung. Wenn man dem Texte keine Gewalt
antun will, so wird man sehen, daß bi> Kosapti zu nocBjra gehört, noaxt aber
eher acciperet, als assumeret bedeuten wird. Das heißt, die einfache, naive
Interpretation des Textes ergibt, daß der Kaiser Method erst dann nach Cha-
zarien schickte, als Konstantin bereits dort war, also eigentlich eine zweite
Gesandtschaft ausrüstete, eine Darstellung, welche vom historischen Stand-
punkt aus ganz in der Luft schwebt, und sogar vom Standpunkte der Vita Kon-
stantini, wo der friedliche und freundliche Charakter der Mission hervorge-
hoben wird, ganz überflüssig erscheint. Dies soll aber noch ein Grund mehr
sein, dieses Einschiebsel als unauthentisch, resp. als eine später in den Text
eingeschobene Glosse zu betrachten.
Cyrillo-Methodiana. 239
Konstantins und deren Zweck noch gar nichts weiß, und erläutert diese
kurz und ungenau : dort waren Juden, welche den christlichen Glauben
sehr verhöhnten. Der Verfasser grifif nur ein, und zwar gar nicht das
wichtigste Moment aus dem heraus, was in der Vita Constautini gesagt
ist, wobei er sich ein grobes Mißverständnis zu schulden kommen ließ,
denn wie konnten die Juden das Christentum verhöhnen in einem
Lande, wo es gar kein Christentum gab und wo dergleichen Verhöhnun-
gen eine Predigt vor tauben Ohren gewesen wären ? und stellte die
ganze Mission ganz falsch dar, als wäre ihr einziger Zweck gewesen —
die Juden zu überdisputieren und zu beschämen. Das Wichtigste —
die Bekehrung der Chazaren zum Christentum — erwähnt der Verf.
gar nicht. Und unmittelbar nach dieser Erläuterung des Zieles der
Mission, ohne eine vorhergehende Ansprache des Kaisers notiert zu
haben, läßt der Verf. den Method die ganz unpassenden Worte sagen,
er sei bereit für den christlichen Glauben zu sterben, obwohl die Mis-
sion nach der Schilderung der Vita Constautini ja einen ganz fried-
lichen, mehr ehrenvollen als gefährlichen Charakter hatte. Offenbar
sind diese Worte nur eine inepte Reproduktion der Worte Konstantins
in der Vita Const., er sei bereit auf eine solche Mission zu Fuß und
barfuß zu gehen. Ich meine hiermit bewiesen zu haben, daß der An-
fang des Kap. 4 der Vita Methodii bis zu den Worten KH;k,'SK'K JKe
H'Jicapk eine von späterer Hand gemachte Interpolation sei und daß
der ursprüngliche Verfasser dieser Vita von einem Anteil Methpds an
der chazarischen Mission Konstantins gar nichts gewußt hat. Den
Grund zur Interpolation, und, man kann sagen, auch ihren ganzen In-
halt gab eine Stelle im Kap. 12 der Vita Constantini, wo gesagt wird,
daß Konstantin auf seiner Rückkehr von Chazarien in eine wasserlose
Wüste kam, vom Durst gequält eine Salzwasserlache fand und pene Kl^
luie*C>^\Kio KpaTpo\j' CKOiemioy, er möge ihm von diesem Wasser rei-
chen; nachdem er davon geschöpft hatte, OKp'STfTa \x^ Ct\A,\K?i^, raKO
H Mt^voKkH;^, H CTOYA*"'^ (Pastmek 195). Diese Notiz war also für
den Interpolator ein Beweis, daß Method zusammen mit Konstantin an
derChazarenmission teilnahm, und da er ihm Wasser reichte, so machte
der Interpolator sogleich daraus den allgemeinen Satz : er diente ihm
wie ein Sklave. Unterdessen ist das ganze Kap. 12 der Vita Constantini
aus verschiedenen legendarischen Motiven zusammengeflickt mit der
Tendenz, aus Konstantin einen Wundertäter und Propheten zu machen,
und die historische Bedeutung dieses Kapitels ist fast gleich Null.
240 Iv. Franko,
Sogar die (Jberbringung der Klemensreliquien nach Rom, dieser
Glanzpunkt im Leben der beiden Brüder, wird in der Vita Methodii gar
nicht erwähnt. Das Kap. 6 dieser Vita, wo von der Komreise der Brü-
der erzählt wird, paßt mit seinen Anachronismen 'es ist Papst Nikolaus,
welcher die Brüder in Rom empfängt, ihr Werk belobt und ihre Wider-
sacher [die Lateiner] sogar verflucht) und seinen Widersprüchen gegen
die Vita Constantini (der Streit um die »trilingue Häresie« wird hier in
Rom, dort in Venedig geführt, das Bonmot HHAaTHHKH m TpHwaTvis-
HHKH, dort von Konstantin erfunden, wird hier dem Papst selbst in den
Mund gelegt; dort weihen zwei Bischöfe die slavischen Jünger zu
Priestern, hier nur einer und dazu ein Gegner der slavischen Kirchen-
sprache) sehr schlecht in den übrigen Text dieses bündig, aber durch-
gehends logisch und nüchtern geschriebenen Denkmals. Das Urteil des
Prof. Jagic (Zur Entstehungsgeschichte S. 15), es sehe so aus, als sei
zwischen Kap. 5 und 6 etwas ausgefallen, möchte ich dahin modifizieren,
das Kap. 6 sehe aus wie zusammengeflickte Fetzen einer ausführlicheren
Erzählung, wo an verschiedenen Stellen Phrasen oder ganze Sätze zu-
sammengestrichen wurden und daraus ein grammatisch zwar einwand-
freies, inhaltlich aber ganz haltloses Ganze gemacht wurde. Wie es aus
der Hand des Originalverfassers hervorging, wissen wir nicht; jeden-
falls sei konstatiert, daß die uns erhaltenen Überreste keine Erwähnung
der von beiden Brüdern nach Rom gebrachten Reliquien enthalten ^),
Man wird einwenden, dies sei dennoch der Fall, da ja in dem be-
kannten Papstbriefe Hadrians, welcher im 8. Kap. der Vita Methodii
steht, sich der Ausspruch über beide Brüder findet: KpOM'S KaHOHa
Hf CKTßOpHCTa HHM'kCCJKf, HT^ Kl%. HAUls. nßHJ{,<!'CTA H CBATa-
i€ro KaHluifHTa M0L|JH HEc;Ki|Ja (Pastrnek 228). Ich lasse die Frage
1) Es sei hier gleich erwähnt, daß auch das offenbar in Bulgarien, aber
bald nach Methods Tode geschriebene Cjioeo noxBajitHo na naMAii. crsMa oy-
^HiejieMa cjtoBincKoy ßs-HRoy (der Verfasser spricht von Mähren und Panno-
nien: b% sanaÄBHuxi. cTpaHaxt), dort wo die Wirksamkeit der beiden Brüder
ziemlich ausführlich charakterisiert wird (siehe die Moskauer ^Tenia: 1899,
Bd. 189, S. 134), weder die Auffindung der Klemensreliquien in Chersonesus
durch Konstantin, noch die Überführung derselben nach Rom durch beide
Brüder auch nur mit einem Worte gedacht wird. Dasselbe muß auch von
der dem Klemens zugeschriebenen IToxüajia ÖJiHceHHaaro oua nraero ii oy^HTCJiH
cioBiHCKaro Kupuj:a *H.ioco*a gesagt werden (vergl. Moskauer '^TeHifl 1895,
S. 34—38).
Cyrillo-Methodiana. 241
tiber die Echtheit oder Unechtheit dieses Briefes einstweilen bei Seite
und möchte nur hervorheben, daß der Text dieses Briefes ursprünglich
nicht zum Texte der Vita Methodii gehörte und gegenwärtig darin als
eine Interpolation späterer Hand steht. Noch mehr, der Verfasser der
Vita Methodii scheint mir einen Text des Hadrianbriefes vor sich ge-
habt zu haben, welcher von dem interpolierten wesentlich verschieden
war und dessen Inhalt er kurz skizzierte. Ich bitte folgende Worte,
welche jetzt als Rahmen des Kap. 8 der Vita Methodii teils am Anfang,
teils am Schluß desselben stehen, in einem Zusammenhang zu lesen:
Hoc'KAaB'k 7K.( Koi^iiAb KT». anocTOAHKOV npocH A\f«^OAt^ra
KAa^KtHaiero oY^HTtAra Haiufro, a** k" " »einoY OT'KnoycTHA'k.
H pfMf anOCTOAMKlk: »Hf TfE-t l€AHHOMO\' T'kK'KMO, HTv H
BkCbM'h, CTpaHamik TIvIUIT». CAOßÜHkCK'WHM'k CT^AKR H O^MH-
T6Ak OTT». Kora H OTTtk CBATAiero anocTOAA IlfTpa, npkKaierc»
HaCTOAkHHKa H KAKtM(APk>KkU,a l^lvCapkCTBkK» HfBeCkCKOy-
l€MO\|'«- npHhÄTk H;« H KoU^kAk Ck BfAHKOKR HkCTküR U.S.W. Die
von mir in Anführungszeichen gefaßten Sätze dürften wenn nicht ein
wort-, so doch gewiß ein sinngetreues Zitat aus dem ursprünglichen
Hadrianbriefe sein. Nach ihnen und vor dem npHi^ATTv steht gegen-
wärtig der interpolierte Brief mit der kurzen Einleitungsformel: h
HAfikcaB'k cnHCTOAHiiR Cki*, ein überflüssiges Anhängsel, da doch
das die vorhergehenden Worte des Papstes einleitende pfHf offenbar
dieselbe Bedeutung hat, da ja der Papst an den entfernten Kocel nicht
wirklich mündlich sprechen konnte. Meine Ansicht, daß der ausführ-
liche Hadrianbrief in seiner gegenwärtigen Form zum ursprünglichen
Texte der Vita Methodii nicht gehört hat, sondern erst nachträglich
interpoliert wurde, wird von der von verschiedenen Forschern erlangten
Überzeugung, er sei kein Authentikum, sondern ein Falsifikat, nur be-
kräftigt, wobei wir aber nicht gleich den Verfasser der Vita Methodii
als Fälscher zu brandmarken haben.
Zur Vita Constantini übergehend und uns an die Episode über den
Chersoneser Aufenhalt Konstantins sowie die Auffindung der Klemens-
reliquien wendend, können wir uns vor Allem einer gewissen Über-
raschung nicht erwehren. Diese Episode, welche in der Ital. Leg. so
ausführlich behandelt war, wird hier in 10 Zeilen abgemacht. Die Vita
beruft sich zwar auf irgend ein geschriebenes ORp'kTf Hki€, wahrschein-
lich auf eine Version des Ciobo na npeiieeeiiie, traut aber offenbar
dieser Relation nicht sehr, da sie in einigen wichtigen Einzelheiten da-
Archiv für slaviscliG Philologie. XXVIII. 16
242 Iv. Franko,
von abweicht. So sagt die Vita, entsprechend der älteren Legende über
das Martyrium des heil. Klemens und im Widerspruch zum C.tobo na
npenecenie und zur Italischen Legende, der heil. Klemens liege im
Meere und Konstantin hoffe h H3HtCTH hstv Mopid. Ebenso wider-
spricht die Vita Const. der Ital. Leg. noch in einem Detail : während
dort Konstantin in Chersonesus selbst nach den Reliquien zu forschen
beginnt und Niemand ihm etwas davon sagen kann, so daß er, ein
Fremder, auf Grund der Bücher und Schriften über chersonesische
Heiligtümer mehr weiß, als die Chersoneser selbst, ein Umstand, wel-
cher den Verfasser der Italischen Legende zu der absurden Behauptung
führte, diese Chersoneser seien gar keine Eingeborene, sondern fremde
Eindringlinge gewesen, — weiß die Vita Constantini über diese Nach-
forschungen Konstantins gar nichts. Im Gegenteil, sie sagt ganz aus-
drücklich, wenn auch ganz lakonisch, Konstantin habe in Cherso-
nesus gehört, die Reliquien seien da und lägen im Meere. Zweifellos
muß man dem Verfasser der Vita Constantini mehr Logik zuerkennen,
als dem Verf. der Leg. Italica. Leider wüßte dieser Verf. auch nicht
viel authentisches über dieses Ereignis und hatte außer einer Version
des Cjobo Ha npeHeceHie offenbar auch keine andere Quelle. Aus dieser
Version nahm er aber auch nicht viel: die Notiz davon, daß Konstantin
den Chersoneser Erzbischof und Klerus zum Anteil an der Suche nach
Reliquien beredete, die Erwähnung der Segelfahrt zu einem näher nicht
bestimmten Orte und die Erwähnung des Grabens. Dabei erwähnt der
Verf. der Vita gar nicht den CAa>KEHai€ro OTOKa, wo die Reliquien
angeblich vergraben waren, noch ihre teilweise Auffindung, noch den
Stadtfürsten, notiert nicht den Namen des Bischofs und schweigt von
den Festlichkeiten nach der Auffindung der Reliquien. Aus ausdrück-
lichen Andeutungen, die Reliquien lägen im Meere, sowie aus der un-
klaren Wendung : rdßHUJ^A C/Ä CB/ÄT'hi/Ä MOi|iH könnte man vermuten,
dem Verf. der Vita wäre eine andere Version der Legende bekannt, wo
die Wiederauffindung der Klemensreliquien mehr entsprechend den äl-
teren Legenden als eine wunderbare Erscheinung, ohne irgend ein
Graben dargestellt war, wie wir es in unserer Prologus-Erzählung
sehen i).
Aus dem Gesagten scheint mir noch eines zu folgen: die be-
' 1) Dieses Detail wird in der späteren, der sog. Mährischen Legende re-
produziert.
Cyrillo-Mothodiana. 243
treffenden Absätze der Vita Constantini sind unabhängig von der Ital.
Legende geschrieben, wenn sie auch häufig dieselbe Quelle benützen.
Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und die Behauptung wagen,
das Umgekehrte sei das Richtige, die Italische Legende sei von der Vita
Const. durchaus abhängig. Angesichts der von deutschen Gelehrten
hervorgehobenen Wichtigkeit der Italischen Legende, welche ja ein
Produkt der unmittelbaren Zeitgenossen Konstantins und Augenzeugen
seines Aufenthalts in Rom sein soll, scheint mir die Reihe der von mir
gemachten Beobachtungen, was man auch über ihre Richtigkeit zu sagen
haben wird, doch einiger Aufmerksamkeit wert zu sein.
Beginnen wir gleich mit dem IX. Kap. der Italischen Legende,
welche ja eben am ehesten alle Anzeichen der Augenzeugenschaft sein
sollte, und vergleichen wir sie mit Kap. XVII der Vita Constantini.
Sieht denn die Erzählung der Italischen Legende nicht aus wie ein
blasser und ziemlich flüchtiger Auszug aus der Vita ? Alle konkreten
Tatsachen, welche in diesem Kap. IX erwähnt werden, haben wir auch
im Kap. XVII der Vita — mit Ausnahme eines einzigen Details, welches
dazu phantastisch ist. Nur daß die Vita Const. solcher konkreten und
zweifellos authentischen Details weit mehr hat: Papst Hadrian geht
den Reliquien feierlich entgegen, bei denselben geschehen Wunder, ein
Kranker wird gesund und Besessene werden von Dämonen frei ; der
Papst weiht die slavischen Bücher in der Kirche der heil. Marie, welche
Fatni heißt; dann befiehlt er zwei Bischöfen, Formosus und Gauderich,
slavische Jünger zu weihen; bei ihrer Weihe wird die slavische Liturgie
in verschiedenen spezifizierten Kirchen gesungen; viele Römer und ein
Jude disputieren mit Konstantin. Lauter Details, welche wir am ehesten
von Gauderich oder Anastasius erwarten dürften und welche beweisen,
daß der Verf. dieses Kap. der Vita Const. entweder selbst Zeuge der
Ereignisse war, oder aus einer ihnen sehr nahen Quelle schöpfte. Da-
gegen macht das Kap. IX der Italischen Legende entschieden den Ein-
druck eines Auszuges, und das einzige Selbständige, was es bringt,
nämlich, daß Konstantin auch zum Bischof in Rom geweiht wurde, ist
aller Wahrscheinlichkeit nach falsch; weder Anastasius noch Gauderich
konnte dies geschrieben haben.
Ebenso gering ist der historische Wert aller anderen Zusätze des
Verfassers der Ital. Legende, besonders in der ersten Hälfte des Kap.I.
Aus dem Briefe des Anastasius wußte der Verfasser dieses Kapitels,
daß Konstantin in Saloniki geboren und Philosoph genannt wurde ;
IG*
244
Iv. Franko,
daran knüpft er aus Eigenem zwei Einzelheiten, welche beide unrichtig
sind: 1) er wurde Philosoph genannt Jjob mirabile ingenium'f, während
es ein offizieller Titel Konstantins als Lehrer an der hohen Schule in
Konstantinopel war, und 2) er wurde schon als erwachsener Jüngling
(cum adolevisset) von seinen Eltern nach Konstantinopel gebracht, wäh-
rend er nach der Vita Const. seinen Vater vor dem siebenten Lebens-
jahre verliert und im Alter von 14 Jahren von einem Logotheten nach
Konstantinopel berufen wird. Die Ital. Legende ist hier wirklich unab-
hängig von der slavischen Vita, doch verdient die Vita entschieden
mehr Glauben.
Woher nahm aber der Verf. der Italischen Legende den zweiten
Teil des L Kapitels? Prof, Friedrich erklärt das ganze L sowie die
von ihm weggelassenen Kap. X — XII als spätere Anhängsel an die ur-
sprüngliche Schrift Gauderichs. Götz verteidigt die Authentie des
Kap. I, nach meiner Meinung erfolgreich, aber wie bei Kap. IX, so
stellte er sich anch hier nicht die Frage, woher denn der Verf. der Ital.
Legende jene Details genommen hat, die ihm Anastasius nicht lieferte?
Gewiß, das Einfachste wäre zu denken, er habe ja als Zeitgenosse und
persönlicher Bekannter der Slavenlehrer von ihnen selbst oder von ihrer
Umgebung diese Einzelheiten erfahren. Leider steht einer solchen An-
nahme die Tatsache entgegen, daß aus Konstantins Erzählung in der
Ital. Legende nur dies verwertet ist, was in dem Briefe des Anastasius
vorkommt; wo aber der Verf. von jenen Spuren abweicht, schreibt er
lauter leere Phrasen oder Irrtümer, — und zweitens die Tatsache, daß
manche von diesen Zusätzen nur zu sehr ihre Abhängigkeit von einer
literarischen Quelle, und zwar von der slav. Vita Const. verraten. Wir
sahen dies bereits beim Kap. IX, sehen es auch hier bei der zweiten
Hälfte des ersten Kapitels. In dem Briefe des Anastasius oder eigent-
lich in der dort reproduzierten Erzählung des Metrophanes wurde von
der Gesandtschaft der Chazaren an Kaiser Michael nichts gesagt. Nun
bitte ich die Erzählung der Italischen Legende mit der ersten Hälfte des
Kap. VIII der Vita Constantini zu vergleichen — ich gebe hier beide
Texte lateinisch, damit die Ähnlichkeiten desto besser sichtbar werden :
Italische Legende.
Tunc temporis ad praefatum
imperatorem Cazarorum legati ve-
nerunt, orantes ac supplicantes, ut
Vita Constantini.
Venerunt autem legati ad im-
peratorem a Kozaris dicentes: A
principio unum Deum agnoscimus,
Cyrillo-Methodiana.
245
dignaretur mittere ad illos aliquem
eruditum virum, qui eos fidem
catholicam edoceret ; adjicientes
inter cetera, quoniam nunc Judaei
ad fidem suam, modo Saraceni ad
suam nos e contrario moliuntur.
Verum nos ignorantes, ad quos po-
tissimum nos transferamus, prop-
terea a summo et catholico Impera-
tore consilium quaerere nostrae
fidei ac salutis decrevimus, in fide
vestra ac veteri amicitia plurimum
confidentes. Tunc Imperator simul
cum Patriarclia consilio habito,
praefatum pMlosophum advocans
simul cum legatis illorum ac suis
honorificentissime transmisit illuc,
optime confidens de prudentia et
eloquentia ejus.
qui est super omnia, et eum vene-
ramur ad orientem, et mores nos-
tros alios turpes tenentes. Hebraei
vero suadent nobis, ut fidem eorum
et actiouem accipiamus; Saraceni
autem in aliam partem, pacem
oflferentes et munera multa, trabunt
nos ad suam fidem dicentes: Nostra
fides est melior (fide) omnium gen-
tium. Ideo mittimus ad vos, vete-
rem amicitiam et fidem servantes.
Gens enim magna cum sitis, impe-
rium a deo tenetis, et vestrum con-
silium exquirentes petimus virum in
literis eruditum a vobis, ut si refu-
taverit Hebraeos et Saracenos, ve-
stram fidem sequamur. Tunc quae-
sivit Imperator pbilosopbum, et
postquam invenit, communicavit ei
Kozarorum orationem u.s.w.
Wenn Dr. Götz die Originalität und Authentie des I. Kap. der
Ital. Leg. verteidigend schreibt: »denn gerade darin, daß diese biogra-
phischen Notizen kurz sind, nur Tatsächliches bringen und sich dadurch
eben von der Vita Constantini unterscheiden i), liegt eine Gewähr, daß
1) Wie gründlich das Urteil über die Kürze und Knappheit der Dar-
stelhmg der Ital. Leg. im Vergleich mit der Vita Const. ist, möge die folgende
Beobachtung zeigen. Im zweiten Teil des Kap. I der Ital. Leg. werden in
99 Worten folgende logische Tatsachen dargestellt: 1) Ankunft der Legaten,
2) ihre Bitte um einen Lehrer, 3) ihre Darstellung der religiösen Wirren in
Chazarien, 4) der Entschluß der Chazaren, sich auf den byz. Kaiser zu ver-
lassen, 5) Beratung des Kaisers mit dem Patriarchen, 6) Berufung des Philo-
sophen, 7) seine Aussendung, 8) des Kaisers Zuversicht, also durchschnittlich
12 Worte für eine (logische) Tatsache. Dagegen gibt der slavische Text der
ersten Hälfte der Vita Const. (bis zu den Worten: aöBie ace hath ca iatt.) in
196 Worten folgende logische Tatsachen: 1) Ankunft der Legaten, 2) ihre
Aussprache, 3) Schilderung ihres Volksglaubens, und zwar a) Monotheismus,
b) Anbetung gegen Osten, c) ekle Sitten; 4) religiöse Wirren, worunter a) die
Saracenen verlocken die Chazaren zu ihrem Glauben u. s. durch Geschenke
und b) sie halten ihren Glauben für den besten; 5) die Gesandtschaft der
246 Iv. Franko,
sie wohl von Gauderich selbst stammen können« (Slavenapostel 28), so
muß man doch fragen: gibt der Verf. der Ital. Legende mehr Tatsachen,
als die VitaConst. ? sind diese von ihm kürzer gegebenen Tatsachen auch
richtig gegeben oder nicht ? und schließlich sind sie in einer von der Vita
Const. unabhängigen Form gegeben ? Untersuchen wir nun in Hinsicht
auf diese Fragen beide Parallelstellen. In der VitaConst. charakterisieren
die chazarischen Gesandten vorerst ihren Glauben und geben zu erkennen,
daß er ihnen nicht ausreicht. Sie kommen zum griech. Kaiser mit der Bitte,
ihnen einen weisen Mann zu geben, welcher ihnen zeigen soll, welcher
von den beiden Glauben, der hebräische oder saracenische, besser ist,
und sind eventuell bereit, auch den dritten, den griechischen, anzuneh-
men, wenn er sich noch besser erweisen sollte. Sie bitten die Griechen
um Rat, weil ihnen die Größe ihres Imperiums imponiert und weil sie
sich dazu auch durch die alte Freundschaft vex'pflichtet glauben. Dies
ist eine wirklich logische Ansprache, gehalten im Geiste der Männer,
welche sich in ihrem kleinen Reiche dennoch selbständig fühlen und
noch auf keiner Seite engagiert sind. Und was sehen wir in der Ital.
Legende? Die chazarischen Gesandten kommen mit einer untertänigen
Bitte (orantes et supplicantes) ; sie haben schon im voraus beschlossen,
den katholischen Glauben anzunehmen, und bitten nur um einen Lehrer;
sie kommen zum griechischen Kaiser als zum höchsten und katholischen
Machthaber und anerkennen eo ipso seine Oberherrschaft; die Dispu-
tation mit den Juden und Saracenen ist eigentlich nur eine eitle For-
malität, denn die Chazaren haben bereits beschlossen, im griechischen
Glauben ihr Heil zu suchen. Wir sehen, mit etwas kürzeren Worten
vermochte der Verf. der Italischen Legende die Ansprache der Legaten
ganz falsch wiederzugeben und ihre Gesandtschaft in einem ganz
unmöglichen Lichte darzustellen. Und man sage doch nicht, der Verf.
der Ital. Legende habe sich auf irgend welche abweichende Relationen
Chazaren mit alter Freundschaft begründet, sowie dadurch 6) daß den By-
zantinern ihr Gott ein großes Reich gegeben hat, folglich ein großer Gott
sein muß ; 7) Bitte um einen Polemisten, 8) Versprechen den sieghaften Glau-
ben anzunehmen; 9) der Kaiser sucht den Philosophen, 10) legt ihm das An-
liegen der Chazaren dar, 11) ermuntert ihn dorthin zu gehen, 12) meint, Nie-
mand sonst könne dies besser tun; 13) Antwort des Philosophen, 14) er ist
bereit zu Fuß und barfuß zu gehen, 15) Replik des Kaisers, 16) die Gesandt-
schaft soll mit kaiserlichem Gefolge gehen. Also gerade zweimal so viel
Tatsachen mit fast derselben (genau bei der It. Leg. 12*375, hier 12-5) Durch-
schnittszahl der Worte für eine Tatsache.
Cyrillo-Methodiana. 247
über diese historische Tatsache gestützt. Die Tatsache der chazarischeu
Gesandtschaft vom J. 851 ist in der in beiden Legenden überlieferten
Form durchaus unhistorisch. Bitte mich nicht zu mißverstehen,
ich meine die überlieferte Erzählungsform und nicht den möglichen
historischen Kern. Chazarische Gesandte konnten wirklich im J. 851
in Konstantinopel anwesend sein, aber das, was beide Legenden ihnen
in den Mund legen, haben sie gewiß nicht gesprochen. Wir haben hier
mit keiner historischen Tatsache, sondern mit einem durchaus literari-
schen Erzeugnis, mit einer wandernden Legende zu tun. Orienta-
lische Literaturen aus dem VIII. — X. Jahrb., jener Zeit der großen
religiösen Krise, weisen eine Anzahl ähnlicher Legenden auf; die spä-
teste und meistbekannte dürfte die über den Kijever Fürsten Vladimir
den Gr. sein ^). Es ist sehr wenig wahrscheinlich, daß hier beide Verf.
unabhängig von einander eine allgemein bekannte historische Tatsache
erzählten; eine literarische Anleihe zugegeben, besteht m. E. kein
Zweifel darüber, daß der Verf. der Ital. Leg. die Relation der Vita vor
Augen hatte und dieselbe nach gutem journalistischen Brauch »gekürzt
und verschönt«, d. h. verhunzt hat. Das Umgekehrte ist ja ganz un-
zulässig 2).
Im Kap. II der Ital. Legende schöpft der Verf., wie wir gesehen
haben, aus dem Briefe des Anastasius und der darin eingeschalteten
Erzählung des Metrophanes. Bitte aber ein Detail zu merken. Metro-
phanes sagt, die Entdeckung der Klemensreliquien sei nicht mit einem
Schlag geschehen, sondern indem Konstantin Cersonam, quae Chaza-
rorum terrae vicina est, pergens ac rediens frequentaret. Ob dies ein
Echo wirklicher Tradition, oder eine persönliche Kombination des Me-
trophanes ist, jedenfalls ist die Kombination in Anbetracht der vielen
Nachforschungen Konstantins logisch gedacht und verrät auch einige
Lokalkenntnis. In der Ital. Legende wird diese logische Spur verlassen
und die Entdeckung der Reliquien vor die Reise nach Chazarien ge-
setzt. Warum ? Ich sehe keine andere Ursache als die, daß der Verf.
eine andere geschriebene Relation vor sich hatte, der er nicht zu wider-
1) Darüber sowie über einige orientalische Parallelen siehe M.Hrusev-
skij, Geschichte der Ukraine, Bd. I, deutsche Ausgabe, S. 629 — 630.
2) Noch ein kleines Detail möge angemerkt werden: die Bitte der Le-
gaten referierend sagt die Ital. Leg.: adjicientes inter cetera — ein untrüg-
liches Zeichen, daß der Verf. eine ausführlichere literarische Vorlage vor
Augen hatte.
248 Iv. Franko,
sprechen wagte, und welche die Sache geradeso darstellte. Und eine
solche Relation haben wir eben in Kap. VIII der Vita Const.
Die Vevgleichung der beiden Kelationen über den Chersoneser
Aufenthalt Konstantins ist auch sonst lehrreich für das Verhältnis bei-
der Quellen zu einander. Der längere Aufenthalt Konstantins in Cher-
sonesus wird in der Vita Const. ziemlich ausführlich und den historischen
Umständen entsprechend motiviert. Wir lesen da gleich von zwei Über-
fällen auf Chersonesus — von Chazaren und Ungarn, welche Konstantin
und das byzantinische Gefolge von Chersonesus abwenden mußte. Die
Wege waren also unsicher und die Gesandtschaft mußte in der befestig-
ten Stadt so lange sitzen, bis sich die Gegend beruhigt hatte. Diese
Zwangslage benützte Konstantin für Sprachstudien: soll er inChazarien
mit Juden disputieren, so vertieft er sich vor Allem in die Lektüre jüdi-
scher Bücher, wobei sich ihm eine Gelegenheit darbietet, sich auch mit
dem samaritanischen , bekanntlieh vom Aramäischen nicht allzu ent-
fernten Dialekt bekannt zu machen. Hier erscheint ihm eine Gelegen-
heit, auch die »russische« (Manche wollen — gotische) Schrift und
Sprache kennen zu lernen. Ohne uns in die Frage einzulassen, wie viel
historischen Kern diese Details enthalten, müssen wir doch sagen, daß
sie sehr entsprechend gewählt sind zur Charakteristik des lebhaften
Naturells und der Rastlosigkeit Konstantins, sowie sie auch die viel-
stämmige und vielsprachige Bevölkerung einer solchen Grenzstadt wie
Chersonesus sehr gut charakterisieren. Aus diesem ganzen lebensvollen
und farbensatten Bild ist in der Ital. Leg. nichts geblieben ; als einziges
Motiv des längeren Aufenthalts Konstantins in Chersonesus erscheint
der Wunsch, die chazarische Sprache zu erlernen. Wie gegenstandslos
dieses Motiv ist, sehen wir erst, wenn wir bedenken, daß Konstantin
am Hofe des chazarischen Kagans mit Juden und Saracenen jedenfalls
nicht in barbarischer chazarischer Sprache, sondern wahrscheinlich
griechisch disputierte, welches ja damals in ganz Vorderasien die Sprache
der Diplomatie und der Gelehrten und gewiss auch für chazarische
Machthaber verständlieh war.
Selbstverständlich ist die Sicherheit des Anastasius und des Verf.
der Ital. Legende, und nach ihnen auch der modernen Kritiker in Bezug
auf Konstantins Autorschaft des Cüobo hr npenecenie (richtig, seines
griechischen Originals) für uns sehr erschüttert. Wissen wir einmal,
daß der Chersoneser Bischof Georgius kein Zeitgenosse Konstantins,
sondern des Kaisers Nikephoros I. war und daß es in Chersonesus schon
Cyrillo-Methodiana.
249
vor Konstantin eine Legende über die wunderbare Auffindung der
Klemensreliquien gab, so wird uns mit einemmale klar, warum Kon-
stantin nacli dem Zeugnisse des Anastasius von diesem Ereignis fugiens
arrogantiae notam referre non passus est; er tat dies nicht aus tiber-
mäßiger Bescheidenheit, welche hier gar nicht am Platze gewesen
wäre ^), sondern er konnte als ehrlicher Mensch ein Werk nicht als das
seinige beanspruchen, welches er nicht vollbracht hatte.
Eine Stelle der Ital. Legende scheint dieses Käsonnement umstoßen
zu wollen : nicht Konstantin, wohl aber Methodius habe öffentlich ge-
sagt, sein Bruder habe diese Reliquien gefunden. So lesen wir im
Kap. XII der Ital. Legende, Methodius habe sich nach dem Tode seines
Bruders an den römischen Klerus mit der »kleinen Bitte« (petitiuncula)
gewendet, denselben in der Kirche des heil.Klemens zu bestatten, cuius
corpus multo suo labore ac studio repertum huc detulit Pastrnek 224).
Leider wird die Beweiskraft dieser Stelle dadurch aufgehoben, daß sie
offenbar wieder keine Aussage eines Angenzeugen, sondern eine Re-
produktion einer geschriebenen Vorlage, und zwar wieder derselben
Vita Const. ist, wie aus folgender Nebeneinanderstellung leicht zu er-
sehen ist :
Italische Legende XII.
Methodius . . . oravit iterum :
Obsecro vos, domini mei, quando-
quidem non est placitum vobis
meam petitiunculam adimplere, ut
in ecclesia B. Clementis, cuius
corpus multo suo labore ac studio
repertum huc detulit, recondatur.
Vita Constantini XVIIL
Dixit vero frater eius : Quia
me non audivistis, neque dedistis
mihi eum, si vobis placat, jaceat in
ecclesia sancti Clementis, quocum
etiam huc venit 2).
Also gerade die Worte »multo suo labore ac studio repertum«
finden sich in der Vorlage nicht und entpuppen sich als eine Kombi-
nation des Verf. der Ital. Legende selbst.
In der Erzählung von den Erfolgen der Mission Konstantins bei
den Chazaren weicht die Ital. Legende wieder von der Vita Const. ab —
*) Vergleiche den in damaligen Viten sehr oft gebrauchten Ausdruck :
Des Kaisers Geheimnis zu wahren ist gut, doch Gottes Wunder zu verhehlen
ist unklug.
-) Was wird wohl Herr Götz zu der Knappheit der Leg. Ital. im Ver-
gleich mit der Loquacität der Vita Const. bei dieser Stelle sagen?
250 Iv. Franko,
und wieder einmal ins Absurde hinein. Der Erfolg war gar nicht glän-
zend und der Verf. der Vita Const. versucht auch nicht, ihn zu beschö-
nigen; für den Verf. der Ital. Legende gibt es kein Zaudern, er sagt
geradewegs: »convertit omnes illos ab erroribus, quos tarn de Sarace-
norum, quam de Judaeorum perfidia retinebant«. Damit nicht genug,
läßt er sogar alle Chazaren »se ob eam rem imperio eins (des byzant.
Kaisers) semper subditos et fidelissimos de cetero velle manere«. Irgend
eine Tendenz einer Verherrlichung Konstantins in dieser Blague zu sehen
hieße ihr zu viel Ehre antun ; es ist nur die Inerz der Schablone, welche
die Feder des Verfassers geführt hat : es kostet nichts und klingt doch
gut. Sogar an Stellen, wo wir von dem Verf. der Ital. Leg., wenn es
Gauderich oder ein unter seiner Aufsicht Schreibender wäre, am meisten
lebendige, der Autopsie entnommene Züge erwarten müßten, also bei
der Schilderung der Übertragung der Klemensreliquien nach Rom,
sehen wir etwas ganz Anderes. Coeperunt interea, — lesen wir im
Kap. IX — ad praesentiam sanctarum reliquiarum per virtutem omni-
potentis Dei sanitates mirabiles fieri: ita ut quovis languore quilibet
oppressus fuisset, adoratis pretiosi martyris reliquiis sacrosanctis, proti-
nus salvaretur (Pastrnek 243). Für einen Bericht des Augenzeugen ist
diese Erzählung im vorhinein zu schablonenhaft und allgemein gehalten ;
kein Zweifel aber kann über ihren Charakter aufkommen, wenn wir die
analoge Erzählung der Vita Const. lesen: h aekie Koriv HoyA*^** npli-
CAAßHA CKTBOpH TOy : OCAaBAieHTi KO HAOB'tK'K TOy HCI^tAlv,
H HHH MliHOSH OTT^ paSAHHh.H'hJHY'k HfA^^Tv HCM^'kAHUJA C/Ä,
raKOHCC ndM£ H HA'bHKHHl^H XpHCTd HAfifK'KUM H CKATdlCrO
KAHMfHTd, RA'KHkLUHY'K H^li. H3EAEHIUA C/Ä. Auch hier ist die
Erzählung der Vita Constantini konkreter, ursprünglicher; leider dürfen
wir auch ihr nicht trauen : die von uns am Anfang dieses Artikels
zitierte kirchenslavische Prologus-Erzählung, welche wir als einen Aus-
zug aus der ursprünglichen Form der chersonesischen Legende über die
Auffindung der Klemensreliquien charakterisiert haben, hat auch einen
analogen Absatz, wo aber von den in Chersonesus und nicht in Rom
geschehenen Wundern erzählt wird: HAMCHiiiH jk« ArTi'pri';i; MHiura
BKiuj;i; Mto^Eca: CAl^nm npo3pt:uj;f>, B'bcki npopHdiu;^ [c/a] h
YPOMIH H BA'KH'm 3J^ßAß\i BhJLU;«; (0 MAKI^ MATBAMH CTPO KaH-
Mf HTA. Das kirchenslavische Cjiobo na npsHeceme in seiner jetzigen
Gestalt hat diesen Passus nicht, doch war er gewiß in seinem Prototyp
enthalten.
Cyrillo-Methodiana. 251
Und noch ein interessantes Detail. Als Beweis der großen Alter-
tümlichkeit der Ital. Leg. und ihrer Verfassung durch Gauderich oder
Johannes Levita wird gewöhnlich Leo Ostiensis, der Benediktinermönch
von Monte-Cassino, zitiert, welcher um das Jahr 1115 als Bischof starb
und in seiner verloren gegangenen Chronik angeblich die Ital. Legende
zitiert hat. Dies wird auf Grund späterer Schriftsteller behauptet,
nämlich Jacobus de Voragine, welcher in seiner Goldenen Legende im
Epilog zur Vita Clementis davon spricht, und Petrus de Natalibus, wel-
cher in seinem Catalogus Sanctorum sich auf Leo beruft. Merkwürdig
genug haben sich die bisherigen Forscher darauf beschränkt, nur die
Goldene Legende einzusehen, wo gesagt wird: »Leo Bischof von Ostia
erzählt, daß zu Zeiten des Imp. Michael ein Priester, welcher wegen
seiner Weisheit noch im jungen Alter den Namen Philosoph erhalten
hatte, nach Chersonesus kam und hier bei den Einwohnern dieses Lan-
des darnach forschte, was die Geschichte des heil. Klemens betriflft. Sie
antworteten ihm, sie wüßten nichts, da sie eher Fremdlinge als Einge-
borene seien. Denn wirklich hatte sich seit langer Zeit das Wunder
des Meeresabflusses nicht wiederholt, und in der Zeit, als es geschah,
gab es Barbareneinfälle, der Tempel wurde ruiniert und die Arche mit
dem Körper wurde durch Meereswellen überflutet für die Sünden der
Einwohner. Darüber verwundert, ging der Philosoph in eine kleine
Stadt, genannt Georgia, mit dem Bischof, Klerus und Volk, und begab
sich zu einer Insel, wo nach seiner Meinung der Körper des Märtyrers
lag, um dort die schätzbaren Überreste zu suchen. Man begann zu
graben unter Absingung von Hymnen und Gebeten, und Gott gab ihnen,
daß sie den Körper des heil. Klemens fanden sowie den Anker, mit dem
er ins Meer geworfen wurde, und alles nach Chersonesus brachten.
Später kam der Philosoph nach Rom mit dem Körper des heil. Klemens,
welcher viele Wunder bewirkte und mit Ehren in der Kirche beigesetzt
wurde, welche noch bis jetzt den Namen des Heiligen trägt(f.
Wer die freie Art des Jacobus, mit seinen Quellen umzuspringen,
kennt (und die Vergleichung obiger Erzählung mit der Ital. Leg., aus
der sie ja geschöpft sein soll, illustriert diese Art nur zu gut), sollte
doch auch in Bezug auf seine Berufung auf Leo Ostiensis etwas miß-
trauisch werden. Das Mißtrauen zeigt sich ganz berechtigt, wenn wir
mit dem obigen Zitat dies vergleichen, was Petrus de Natalibus aus Leo
erfahren haben will: »Leo Ostiensis tradit, quod tempore Michaelis im-
peratoris Constantinopolitani quidam Philippus sacerdos Chersonam
252 Iv. Franko,
veniens, de his, quae narrantur in historia S. Clementis, de maris ape-
ritione habitatores interrogavit. Qui nihil de hoc scire professi sunt, eo
quod advenae magis quam indigenae erant. Nam miraculum marini
recessus jam longe desierat et incursionibua barbarorum templum erat
destructum. Tunc assumpto episcopo Georgiae civitatis cum clero et
populo accesserunt ad insulam, in qua putabant esse martyris corpus.
Ubi divina revelatione fodientes corpus invenerunt et anchoram, cum
qua fuerat in marc projectum. Quod Chersonam reportantes ibidem se-
pelierunt. Tempore vero Nicolai papae corpus ipsum a sancto Cy-
rillo, Slavorum episcopo, inde sublatum et Romam delatum« ^).
Wie man auch diese Erzählung beurteilen mag, eines ist sicher:
ihr Verfasser hat die Italische Legende nicht vor Augen gehabt. Weder
die römische Translation unter Papst Nikolaus, noch den Cyrill Bischof
der Slaven, noch auch den Prieser Philipp, den Entdecker der Reliquien
in Chersonesus konnte er in der Ital. Leg. gefunden haben. Wir haben
hier offenbar eine nach Westen, speziell nach Monte Cassino verschla-
gene Spur einer neuen Abzweigung jener chersonesischen Legende vor
uns, deren andere Abzweigungen uns in dem C.iobo na npenecenie so-
wie in der Erzählung des Peremysler Prologus vorliegen. Nur daß wir
in dieser Abzweigung zufällig auf ganz verblaßtem Hintergrunde den
Namen des eigentlichen Entdeckers der Reliquien und Urhebers der
chersonesischen Legende finden. Priester Philippus, kein Chersoneser
von Geburt, aber dort in irgend einer Angelegenheit geschickt — viel-
leicht verschickt; Chersonesus war ja seit jeher ein beliebter Ver-
bannungsort. Der Name sagt uns zwar nichts, aber es ist doch ein
Name und klingt gar nicht wie Konstantin.
Was folgt aus diesen Bemerkungen für die Gesamtdarstellung des
Lebens und der Wirksamkeit der »Slavenapostel«? Ich möchte nichts
Voreiliges sagen. Noch ist ja das gesamte Material nicht durchforscht
und Manches noch zu entdecken. Sollten die Konstantinopeler Archive
auf die Geschichte der chersonesischen Kirche kein Licht werfen und
die Lebenszeit jenes Bischofs Georgius nicht näher bestimmen lassen?
Noch soll ja in der Bibliothek von Monte Cassino das ganze Buch über
Klemens von Johannes Levita in der Handschrift vorliegen (vergl. Cle-
mentinorum epitomae duo . . . cura Alb. Rd. Max Dressel, Lipsiae 1859,
*) Ich zitiere mangels des Catalogus aus Baronius, Annales eccle-
siastici, t. X, Venetiis 1711, S. 328.
Cyrillo-Methodiana. 253
S. 101) und zufällige Funde wie der von Prof. Friedrich gemachte sind
ja auch nicht ausgeschlossen. Auch die handschriftliche Überlieferung
der pannonischen Legenden ist noch nicht völlig erschöpft, und vielleicht
fällt auch von hier ein neuer Strahl auf den historischen Kern der Le-
genden. Was mir aus dem Vorhergehenden klar hervorzugehen scheint,
ist vor Allem, daß die Italische Legende als historische Quelle hinter
den Brief des Anastasius (mit oben gemachten Distinktionen seines
Quellenbestandes) und hinter beide pannonische Legenden zu setzen
ist 1). Angesichts der auch gegen die Vita Const. vielfach vorgebrachten
Bedenken erhebt sich die gedrängte, nüchterne Erzählung der Vita Me-
thodii (auch mit Beachtung der oben angedeuteten Vorsichtsmaßregeln)
in die erste Reihe der Quellen für die Darstellung unseres Gegenstandes.
Ihre Nachrichten, besonders wenn sie von einer anderen Quelle be-
stätigt werden, gewinnen für uns ein besonderes Gewicht. Was dies zu
bedeuten hat, möchte ich an zwei Beispielen spezifizieren. Erstens die
in ihren Zwecken und Erfolgen bisher so widersprechend beurteilte
j)Slavische Mission« vom J. 863. Wie hat man sich gequält, um aus
den Worten der Legenden Rastislavs große kirchenpolitische Pläne
herauszulesen — einzig und allein auf dieser Grundlage, weil in der
Vita Constantini steht, die Slaven haben um einen Bischof gebeten.
Weder die Vita Methodii, noch die Ital. Legende wissen hier etwas von
einem Bischof und auch in der Vita Const. kann dies Wort leicht eine
Glosse, ein späteres Einschiebsel sein. Dagegen sprechen alle drei Le-
genden einmütig davon, die Slaven hätten um einen Lehrer gebeten
und einen solchen erhalten, — dieser Gedanke aber konnte keinem
Forscher einleuchten. Ist er denn so absurd ? Wird er denn nicht durch
den weiteren Lauf der Erzählung auch in der Vita Const. bestätigt?
Enthält denn irgend eine Quelle auch nur die leiseste Andeutung da-
von, daß Konstantin unter den Slaven Jemanden vom Heidentum be-
kehrt oder getauft hat? Keine Spur. Sobald er nach Mähren kommt,
gibt man ihm Schüler zu unterrichten, dies ist alles. Von diesen
Schülern sollte nur ein geringer Teil zu Priestern geweiht werden, die
Anderen blieben offenbar im weltlichen Stande. Wie man sich dieses
Vorgehen mit sonstigen Taten und Plänen des Rastislav und Svjatopolk
1) Die von Prof. Friedrich und Götz eröfl'nete Diskussion über die Au-
thenticität ihrer einzelnen Teile ist ganz gegenstandslos, da sie ja im Ganzen
gar kein Werk Gauderichs ist.
254 Iv. Franko,
zusammenreimen muß, dies ist eine andere Frage, aber hier ist nur eine
Antwort möglich: forschen wir weiter.
Aber die Einführung der alavischen Sprache in die Liturgie! Das
ist ja doch ein kirchenpolitischer Schritt. So wird man mir einwenden.
Ganz richtig, ein kirchenpolitischer Schritt, und konnte nur von
einem Politiker, nicht aber von einem Theologen gemacht werden. Dem
selbstlosen, weitabgewandten und dem Wissen ergebenen Konstantin
diesen Gedanken in die Schuhe zu schieben, scheint mir ein völliges
Mißverstehen seiner Natur zu sein. Rastic oder Svjatopolk, einer von
ihnen hat diesen Gedanken gefaßt, vielleicht als die salonischen Brüder
bereits in Mähren waren; der Enthusiast Konstantin entbrannte für ihn,
kämpfte für ihn bis an sein Lehensende — ganz ohne politische Hinter-
gedanken, nur aus reinem Doktrinarismus. Methodius verhielt sich an-
fangs skeptisch, — dies kann man aus der Ermahnung herauslesen, die
ihm Konstantin auf seinem Sterbebette gibt, er möge das Werk unter
den Slaven nicht verlassen. Der Gedanke war gewiß in Mähren er-
wacht unter dem politischen Sturm und Drang und im Kopfe eines
Politikers, was Konstantin nie gewesen ist.
Zweitens: die Romreise und der venetianische Aufenthalt der Brü-
der. Wie viel vergebliche Mühe haben den Forschern diese Episoden
gekostet und doch ist es bisher nicht gelungen, aus einander wider-
sprechenden Relationen eine widerspruchslose Geschichte herauszu-
schälen. Wo bekamen die Brüder die Zitation zum Papste : in Mähren
(nach der Ital. Legende) oder in Venedig (nach der Vita Const.) ? Was
hatten sie überhaupt in Venedig zu schaffen ? Erschienen sie in Rom
als Angeklagte oder als Triumphatoren ? Dies sind nur einige aus den
verzwickten Fragen, welche uns die Quellen entgegenweisen. Ist das
oben Dargelegte richtig, sa haben wir vor Allem die Vita Methodii zu
Rate zu ziehen. Und da bemerken wir zugleich in dem Schlußsatz des
Kap. V eine bisher von den Forschern eben dank der Erzählung der
Vita Const. ganz außer Acht gelassene Notiz, die Brüder TpTs>rJl'K A'k-
TOMTi HlU'KAT^lUfy'K K'K3KpaTHCT6 CA H3 MopaKTÜ OYHtHHK'KI
HaOYHkiiia. Die einfachste Auslegung dieser Stelle ist doch nur die,
daß sie nach drei Jahren wieder nach Konstantinopel zurückkehrten.
Hier erst trifft sie offenbar die Botschaft des Papstes, von hier begeben
sie sich nach Rom, von hier — um es auch gelegentlich beizufügen —
und'.nicht von Chersonesus tragen sie nach Rom die Klemensreliquien,
nicht als ein Privatgeschenk Konstantins, sondern als ein Emblem irgend
Cyrillo-Methodiana. 255
einer großen politischen Aktion. Es sei ja äaran erinnert, daß zwischen
dem J. 863, da sie nach Mähren zogen, und sogar näher, zwischen dem
J. 866, da sie von Mähren zurückkehrten, und ihrer Ankunft in Rom im
Frühling des J. 868 sich in Konstantinopel solche Sachen ereigneten,
wie der Bruch des Photius mit Rom, die Ermordung des Bardas, dann
des Kaisers Michael, der Sturz des Photius und der Sieg der unions-
freundlichen Partei. Eine Manifestation dieses Sieges war eine Fest-
gesandtschaft nach Rom, mit welcher wahrscheinlich auch Konstantin
und Method nach Rom kamen. Dies würde uns den in den Legenden
geschilderten festlichen Empfang erklären. Die von der Vita Const. in
Venedig gesetzte Disputation mit den Trilinguisten dürfte in Wirklich-
keit ein Echo der in Rom bei der päpstlichen Kurie über diese und an-
dere einschlägige (bulgarische!) Fragen geführten Pertraktationen sein,
welche nicht unter dem Druck der theologischen Argumente, sondern
durch den Zwang politischer, uns vielleicht nur zum kleinsten Teil be-
kannter Verhältnisse zugunsten der slavischen Liturgie und der Autono-
mie der mährisch-pannonischen Kirche ausfielen. Die venetianische
Episode, nur von der Vita Const. allein überliefert und dazu noch offen-
bar einzig zu dem Zwecke, das Wissen und den Witz Konstantins hier
noch einmal glänzen zu lassen, muß von der historischen Tatsachen-
reihe gestrichen werden.
Hiermit habe ich die Reihe meiner Beobachtungen vorläufig er-
schöpft. Aus der Natur der von mir analysierten Quellen folgt, daß ich
den zweiten Teil der Vita Methodii (vom Kap. IX angefangen) in das
Bereich meiner Bemerkungen gar nicht miteinbezogen habe. Dies ist
eine anders geartete kritische Aufgabe.
Iv. Franko.
256
Zur Frage nach dem Verhältnisse des Freisinger
Denkmals zu einer Homilie von Klemens.
In meiner »Studie« (S. 5 — 18) suchte ich zu beweisen, daß Klemens
einen slav. Text, wie er — allerdings in ziemlich verstümmelter Form —
in den Freis. Denkmälern enthalten ist, bei der Abfassung seiner Ho-
milie benutzte. Prof. Jagic analysierte neuerdings diese Denkmäler
(A. f. sl. Phil. XXVII, S. 395—412) und kam zu dem Schluß, man könne
durchaus keine sicheren Beweise dafür anführen, daß Klemens gerade
den Text des Freis. Denkmals vor Augen gehabt oder bewußt aus ihm
geschöpft hat (S. 411). Ich prüfte noch einmal meine Deduktionen und
die gegen sie erhobenen Einwendungen und muß gestehen, daß ich lei-
der auch jetzt noch das Verhältnis der beiden Denkmäler nicht anders
beurteilen kann, als ich es in der » Studie (f getan habe. Es tut mir sehr
leid , daß ich mich da im Widerspruche zu meinem verehrten Meister
befinde, aber da ich ihn zu gut kenne und weiß, daß er stets die per-
sönliche Überzeugung eines anderen und überhaupt die wissenschaftliche
Selbständigkeit des Mannes achtete, was leider so selten anzutrefien ist
und was uns, seinen Schülern und Jüngern, stets ungemein impo-
nierte, so erlaube ich mir, hier meine gegenteilige Ansicht kurz zu be-
gründen.
Daß Klemens abhängig war vom slavischen Text, wie er etwa im
Freisinger Denkmal vorliegt, zeigt sich mir deutlich im folgenden. Im
Freisinger Denkmal heißt es : gemu he fiti^ ftarofii ne prigemlioki,
was bei Klemens lautet: leMO^" btüac ;khthi6 . . . crapocTH h«
npHI€MAhM|JE . . .
In den Freis. Denkmälern ist die Konstruktion ye5# mit dem Infi-
nitiv sehr beliebt und wiederholt sich hier häufig (vgl. meine »Studie«
S. 16); auch in dem von uns zitierten Texte ist sie am Platze und hat
den Sinn etwa »es wäre ihm beschieden, zuteil geworden, zu
leben«. Nun habe ich gezeigt, daß Klemens diese Konstruktion meidet
(S. 137 — 138). Sie kommt nur einmal in der Method-Legende und je
einmal in zwei Homilien vor (S. 146, 150). Seine Sprache stimmt da
Zur Frage nach d. Verhältnisse des Freis.Denkm. zu einer Hom. v.Klem. 257
merkwürdigerweise mit der ältesten Redaktion der aksl. Texte überein,
denn auch da finden wir sie nicht (erst in der Sav. kn. kommt sie einmal
vor). Da nun Klemens die Konstruktion wo möglich mied, machte er
z.\x.%jemu bylo ziti ein iCMoy KiviAO jkhthi€, allein das hat nicht mehr
den Sinn, den wir hier erwarten und der im Freis. Denkmal richtig
wiedergegeben ist. Sein Text heißt einfach »er hätte das Leben ge-
habt« (wie z. B. obydaj he igumenu, Ostr.), es soll aber heißen: ihm
wäre zuteil geworden u. dgl.
Dadurch aber, daß statt des Infinitivs ein Substantivura (>KHTHI€)
gesetzt wurde, ist auch das Partie. npHi€MAK»HJt hier nicht recht am
Platze, und Klemens hätte es aus eigenem gewiß nicht gesetzt, denn wir
haben eine parallele Stelle, auf die ich S. 137 aufmerksam mache und
die uns zeigt, welche Konstruktion Klemens selbständig gebrauchte.
Sie lautet: pO/KAi^uJC^V ^^ A*^^'^''^"''"*»^ K'kith h TorA*» MAOBlvMk-
CKOi€ A'^'^iP« Tpi^n-kTH AK>KO A<5Kpo /\K>BC» 3/\o. Hier erklärt also
das Ger. ^'^'^4^* näher den Infinitiv, wie es auch in dem Freisinger
Denkmal der Fall ist. Die Horailie {na krtsf.), aus welcher dieses Zitat
stammt, gehört zu den unzweifelhaften des Klemens.
Unter solchen Umständen ist natürlich auch die Übereinstimmung
zwischen starosti neprijemJJoci und crapocTH Hf npHi6MAHM|j£ sehr
bezeichnend und man kann mir hunderte von Phrasen mit npHHMATH
und den verschiedenen Objekten, die dabei möglich sind, aus den aksl.
Denkmälern zitieren: bei dieser Sachlage beweist es eben nicht viel.
Selbstverständlich ist auch sehr bezeichnend : ni slzna telese imoci und
HH CAbSHA TlvAA HMO^Mif. Auch das kann ich hier für keinen Zufall
halten.
Auf anderes glaube ich hier nicht näher eingehen zu müssen und
verweise einfach auf meine Arbeit. Ich behaupte also nach wie vor,
Klemens habe einen slav. Text, wie er uns im zweiten Freisinger Denk-
mal — allerdings verstümmelt, erhalten ist, bei der Abfassung seiner
Homilie benutzt oder er ist ihm wenigstens hiebei zu statten gekommen
etwa so, daß er ihn z. B. wiederholt gehört hatte und daß einzelnes in
seiner Erinnerung haften blieb. Es muß allerdings auffallen, daß er
hier Beichtgebete verwendete (S. 17), aber, wie ich eben darauf hin-
weise, zeigt sich überhaupt in seinen Schriften sehr stark der Einfluß
der Beichtgebete.
Daß die bewußte Homilie wirklich von Klemens herrührt, beweise
ich auf S. 20 — 22. Unter anderem hebe ich auf S. 21 ein Zitat hervor,
Archiv für slavieclie Philologie. XXVIII. 17
258 ^^- Vondräk,
das sich sonst auch bei Klemens wiederholt und von ihm eine spezifische
Modifikation erlitten hat, so daß uns dadurch auch in zweifelhaften
Fällen seine Autorschaft verraten wird. Es lautet: »u o\fKOH'i'f C/A
OTTv OI|'KHIia»A;i|IHY'»* T'ÜAA A A^V"'" "* MCrAUjIHM'k ... H'k
naMf oyKOHTf C/A . . . (U Toro oyKOH'i'f ca. Ich sah darin den
Reflex des Mattli. lü. 28. Nun meint Prof. Jagic 8. 410, daß allen
meinen Kombinationen die Spitze abgebrochen wird durch den Hinweis
auf eine andere Stelle, das ist Luk. 12. 45 (soll heißen: 12. 4 — 5), die
Klemens bei seinem Zitat vorschwebte. Daraus hätte er sowohl den
»bedeutsamen Zusatz« CH TOro 0\fKOHTe C/ä als auch die Worte oy-
KOHTC CA Hluioyi|Jdro K/\aCTK, die bei Matthäus nicht in dieser Form
ausgedrückt wären. Man könne daher nicht von der freien Benutzung
der Zitate bei Klemens sprechen. Aber im Gegenteil, meine Kombina-
tionen gewinnen jetzt erst recht an Beweiskraft. Das Zitat lautet näm-
lich bei Luk. 12. 4 — 5 folgendermaßen: Ht 0YK0HT6 ca OTT». oyKU-
Bau^LIJHY'k t'Sao h noTOlUlk Hf iuior;i;i|ieM'k ah^a mko cktko-
pHTH . . . oifKOHT« C/Ä HM;^i|iaaro KaacTK no oyKktHHH b^k-
Bp'kijJH K'K rfOH;s^ . . . (» Toro oykohtc C/ä. Man wird auf den
ersten Blick bemerken, daß hier bei Luk. von der A<^V^** überhaupt
nicht die Rede ist, die jedoch bei Matth. 10. 28 vorkommt i). Daher
habe ich eher an diese Stelle gedacht. Nun stellt sich aber durch die
freundliche Mitwirkung des Prof. Jagic heraus, daß Klemens zwei
Zitate, zwei Stellen des Evangelientextes zu einer verquickt hat und daß
er diese freiere Auffassung der Zitate konsequent zur Anwendung
bringt (man findet das ;i,Oif lua in allen von mir angeführten Citaten aus
Klemens). Es kommt also mitunter bei ihm auf eine kleine Konfusion
hinaus, aber wir wollen ihm beileibe nicht deshalb irgend welche Vor-
würfe machen, im Gegenteil, wir sind ihm sehr dankbar dafür, denn auf
diese Art hat er sehr viel dazu beigetragen, daß es uns jetzt ermöglicht
wird, seine Anonymität ein wenig zu lüften. Ich will hier nur beispiels-
weise anführen, daß es auch ein so spezifisch modifiziertes Zitat ist
(Matth. 11. 12), das wir in seiner Homilie na v^krhs. 15. 5, aber auch
in der Beichtordnung des Euchologium sin. 69 b, Z. 14 — 16 finden, so
daß es für mich einer der wichtigeren Gründe ist, die auch hier für die
1) Bei Matth. 10. 28 heißt es: H Hf 0\'KOHTe CA oyKHßaKRlIiHY'k
t'Kao h a^V^U''^ "* Mor;Ri[jk oyehth. bohts JKe ca naM« mo-
Zur Frage nach d. Verhältnisse des Freis, Denkm. zu einer Hom.v.Klem. 259
Autorschaft des Klemens sprechen (vgl. bei mir S. 35 — 36). Bei meinen
Studien habe ich überhaupt vor allem als maßgebende Kennzeichen des
klementinischen Stiles folgende aufgefaßt: 1) Wiederholung bestimmter
Zitate aus der heil. Schrift, insbesondere, wenn sie eine spezifische
Färbung aufweisen ; 2) Wiederholung derselben Gedanken, namentlich
wenn sich darin der Einfluß der Beichtgebete zeigt; 3) sprachliche
Eigentümlichkeiten, ein bestimmter Wortvorrat u. dgl., worüber ich
wieder bei mir nachzulesen bitte (allgemeine Charakteristik seiner
Schriften). So naiv bin ich nicht, daß ich glauben würde, wenn sich in
zwei Schriften derselbe Gedanke wiederholt, daß sie vom selben Autor
sein müßten.
Gern möchte ich hier auch auf die Frage nach der Autorschaft der
beiden sog. pannonischen Legenden näher eingehen, aber ich müßte
weiter ausholen ; das würde nun viel mehr Zeit erfordern und an der
fehlt es mir eben jetzt. Doch hoflfe ich noch nach Absolvierung anderer
Arbeiten darauf zurückkommen zu können. Hier will ich nur folgendes
bemerken. Als das wichtigste Moment bei dieser Frage sehe ich den
Zusammenhang der Methodlegende (bez. ihrer Einleitung) mit einer
Homilie, die offenbar auch Klemens geschrieben hat, den ich S. 142 —
150 nachgewiesen habe. Allein solche Arbeiten wie meine »Studie«
sind jetzt noch in der Slavistik undankbar. Man liest solche Sachen
nicht, man hat seine — fast möchte ich sagen — aprioristischen Kon-
struktionen, worin sich niemand stören lassen will. Ich will ja ihre
Berechtigung nicht leugnen, aber die tägliche Erfahrung zeigt uns, daß
solche Erwägungen allgemeinerer Art dadurch, daß neue Tatsachen
bekannt werden, auf dem Gebiete aller wissenschaftlichen Disziplinen
über den Haufen geworfen werden können. So würde wahrscheinlich
der von mir hervorgehobene Zusammenhang ganz unberücksichtigt
bleiben, wenn ich selbst nicht noch einmal darauf aufmerksam machen
möchte. Hier ist bei unserer Frage der Hebel anzusetzen, hier wird
man hoffentlich zum Ziele kommen. Freilich wäre es erwünscht, daß
sich ein größeres Interesse für unsere Frage zeige und daß sich mehr
befähigte Mitarbeiter melden möchten, insbesondere in Rußland. Was
sich aber dort meldet, ist nicht immer frei von gewissen störenden Vor-
urteilen. So las ich eine von Golubinskij herrührende Recension
meiner Arbeit (in den Izvi'stija), welche den dort herrschenden Stand-
punkt der Slavistik so recht illustriert. H. Golubinskij hat meine Vor-
rede gelesen, das muß ich konstatieren, wahrscheinlich auch die einzel-
17*
260 W. Vondräk, Zur Frage nach dem Verhältnisse des Freis. Denkmals etc.
nen Kapitelüberschriften, denn nur so ist er zu einem Kapitel gekom-
men, welches von dem Verhältnis des Klemens zur Glagolica handelt.
Als er nun hier las, daß Klemens ein Anhänger der älteren, ursprüng-
licheren Glagolica war, da bekam er Krampfanfälle und hat in diesem
Zustande Ansichten vorgebracht i), die nur ein mitleidiges Lächeln her-
vorrufen müßten, wenn sie nicht ein trauriges Symptom dafür wären,
in welchem Stadium sich die Slavistik heutzutage in Rußland, wo einst
ein Vostokov, Pogodin und and. wirkten, befindet. Solche Mitarbeiter
habe ich nun oben nicht im Sinne gehabt.
1) Zu seiner Entschuldigung muß allerdings hervorgehoben werden, daß
H. Golubinskij eigentlich kein Slavist ist, aber seine Anschauungen werden
von den dortigen Slavisten fast allgemein geteilt.
W. Vo7idräk.
Mein Zusatz. Ich habe in der langen Reihe der Beweise, die
zugunsten einer größeren Selbständigkeit Klemens' als des Verfassers
jener Homilie, die man seit Vostokov mit einem Freisinger Stück in
Zusammenhang bringt, sprechen sollen — der Redewendung »jemu be
ziti« allerdings etwas zu wenig Beachtung geschenkt. Mit Recht greift
Prof. Vondräk diesen einen Punkt heraus, bei dem ich richtiger einen
solchen unverkennbaren Parallelismus hätte zugeben sollen, wie bei der
Phrase «ni slzna telese imoci(c (Archiv XXVII. 400/1). Doch auch diese
zweite Parallele zwischen der Homilie und dem Freisinger Denkmal
ohne weiteres zugegeben, kann und muß ich noch immer an meiner
Voraussetzung »irgend einer dritten Vorlage« (ib. 396. 400) festhalten,
höchstens die Annahme des Vorhandengewesenseins dieser dritten Vor-
lage in slavischer Fassung (wovon ich S. 401 sprach) gewinnt dadurch
größere Wahrscheinlichkeit. Da nun jetzt auch Prof. Vondräk (oben
S. 257) nur von »einem slavischen Text, wie er uns im zweiten Frei-
singer Denkmal — allerdings verstümmelt — erhalten ist(f, spricht,
so ist in diesem Punkte die Verschiedenheit unserer Ansicht durchaus
nicht so groß. Einen Zusammenhang der beiden Texte leugnet keiner
von uns beiden , nur leite ich diesen auf wenige Stellen beschränkten
Zusammenhang von einer dritten Vorlage ab, die endlich und letzlrch
auch Prof. Vondräk insofern zugibt, als er ja das Freisinger Stück als
verstümmelt ansieht. Das Hauptgewicht meiner Beweisführung war die
V. Jagic, Mein Zusatz. 261
Ehrenrettung des Schriftstellers Klemens, den die Darstellung Vondräks
etwas zu niedrig geschätzt hatte. Das scheint mir selbst in den Augen
meines Herrn Kollegen doch einigermaßen gelungen zu sein. Damit
kann auch diese Meinungsdifferenz als abgeschlossen betrachtet werden.
Was die Person des Verfassers der Legenden oder Biographien über
Konstantin -Kyrill und Method anbelangt, darüber haben uns die
diesen Bemerkungen vorausgehenden Referate dreier Gelehrten so viel
neues eingebröckelt, daß es vielleicht gut sein wird, ein wenig abzii-
warten, um zu sehen, in welchem Umfange das neu Angebotene verdaut
werden kann. V. J.
Bemerkungen zn Prof. Bandouin de Courtenay's
»Kurzem Eesume der kasubisclien Frage«.
Die Ausführungen des um die Lösung der »kaschubischen Frage«
hochverdienten Sprachforschers sind geradezu epochemachend; gegen
§21 (Dreiteilung des «lechischen« Sprachgebietes) läßt sich wissen-
schaftlich nichts einwenden : Lorentz gegenüber wird mit vollem Rechte
an der Einheit des Kasubischen und Slovinzischen festgehalten, anderer-
seits aber Ramult's allzu kühne Zusammenfassung des Kasubischen und
Polabischen als »Pomoranisch« zurückgewiesen, Wohl scheint — wie
Prof. Baudouin de Courtenay selbst bemerkt — bereits K. Nitsch mit
manchem das Richtige getroffen zu haben, allein dadurch wird Prof.
Baud. d. Court. 's Verdienst nicht geschmälert: er hat uns endlich die
richtige Definition des Wortes »Pomoranisch« als »Strandpolnisch, See-
küstepolnisch« im Gegensatze zu »Festlandpolnisch oder Polnisch im
engeren Sinne« geboten, und die Sprachwissenschaft wird gut daran
tun, an den drei technischen Ausdrücken: Polnisch im engeren Sinne,
Pomoranisch, Polabisch endlich festzuhalten. Die Einführung der Be-
zeichnung »Ostseewendisch« (Mikkola) statt des schon längst einge-
bürgerten »Polabisch« ist durch nichts zu rechtfertigen. Nebenbei be-
262 Julius Koblischke,
merkt, muß auch gegen Mikkola's neueste Ansicht (Archiv 1904), das
Lüneburgisch-Weudische sei ein Grenzdialekt gegen das Sorbische, pro-
testiert werden : die Übereinstimmungen zwischen Drawänisch und
Sorbisch erklären sich einfach aus dem Charakter des ganzen pola-
bischen Sprachstammes, da eine direkte Berührung zwischen Dra-
wänen und Sorben, geographisch und historisch betrachtet, rein un-
möglich ist.
Einen breiten Raum nimmt im »Resumö" die gelegentlich ziemlich
scharfe Polemik ein, und zwar gegen das politische Alipolentum und
gegen Brückner's in verschiedenen Abhandlungen des Archivs vertrete-
nen Staudpunkt. Wer das chauvinistische Kesseltreiben gegen den
unabhängigen Forscher zu beobachten Gelegenheit hatte, wird die
Schärfe dieser Polemik begreiflich finden. Anders aber verhält es sich
mit den deutlieh gegen Brückner gerichteten Ausfällen. Brückner's
«Randglossen« sind an einzelnen Stellen wohl schwach, manches
in der Hitze des Gefechts allzu rasch abgegebene Urteil wird wohl
eingeschränkt werden müssen, aber ihren Wert haben sie bis heute
nicht verloren: auch sie haben zur Lösung der kasubischen Frage
ebenso wesentlich wie Baudouin's groß angelegtes »Resumö« bei-
getragen.
Im Folgenden sollen nur einzelne Punkte des »Resum^s« näher be-
leuchtet werden.
Eine Einschränkung verlangt zunächst die Behauptung (S. 372/73):
»Wenn man mit etymologisch dunkeln und bloß von den deutschen
Chronisten und Urkundenschreibern aufbewahrten Eigennamen ope-
riert, verfährt man unkritisch«. Bei der Erforschung des Altpomorani-
schen (das jetzige Kasubisch-Slovinzische verhält sich zum Altpomo-
ranischen genau so wie das Drawänische zum Polabischen, da das
Pomoranische und Polabische — eben die zwei Reste [Drawänisch —
Kasubisch — Slovinzisch] ausgenommen — ziemlich gleichzeitig bereits
um 1400 vollständig erloschen waren) sind wir ja ausschließlich auf
die Urkunden angewiesen, die uns nicht einen einzigen zusammen-
hängenden Satz, wohl aber eine große Menge von Eigennamen neben
vereinzelten Appellativen überliefert haben. Wie will denn überhaupt
die Sprachwissenschaft die Begriffe «Polabisch«, »Altpomoranisch« mit
Inhalt erfüllen? Kann es anders geschehen als durch ausschließliche
Ausbeutung der so verpönten Urkunden ? Prof. Baudouin de Court, hat
uns ja selbst mit seinem monumentalen Werke über die altpoln. Sprache
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court's »Kurzem Resume der kas. Frage«. 263
vor mehr als 30 Jahren den einzuschlagenden Weg gewiesen, ja im
»Resume« selbst verweist er auf die geographische Verbreitung der
Ortsnamen von der Form tart^ z. B. Naugard (Novogard), Stargard.
Leider ist die Ortsnamenforschung noch so unvollkommen, daß die
Philologie bisjetzt gar keinen Gewinn daraus ziehen konnte. Der erste
Versuch, das vielfach so spröde Urkundenmaterial philologisch zu ver-
werthen, ist gerade von Prof. Baud. de Court, im J. 1870 ausgegangen,
doch muß heute gerade das für die Erkenntnis der Verwandtschafts-
verhältnisse wichtige Kapitel, die Vergleichung des Altpoluischen mit
dem Polabischen, als zur Hälfte mißlungen betrachtet werden; wäre
damals bereits das Wesen des Polabischen richtig erfaßt worden, so
hätte die lechische Frage überhaupt nicht zum Gegenstande erbitterten
Streites werden können !
Kein gewissenhafter Forscher wird also auf diesem dunklen Ge-
biete die obligatorische Forderung des ürkundenstudiums verkennen;
worauf es nur ankommt, das ist die kritische Scheidung zwischen Ent-
stellungen, die vielfach in der niederdeutschen Aussprache begründet
sind, und wesentlichen Eigentümlichkeiten der Sprache selbst. Bau-
douin's Bemerkung ist übrigens wohl nur gegen das unvorsichtige
Operieren mit Eigennamen gerichtet, das gelegentlich in den »Rand-
glossen« wahrzunehmen ist. Hier sei ein Beispiel gegeben! Brückner
nimmt fürs Polabische sporadische Metathese der Formel tlot [glowa]
an und will auch bei tret (sorb.-lechisch : breg) vereinzelte Fälle von
Metathese wahrgenommen haben. Der großpoln. O.-N. Koldrqh (aus
Klodrqb^ heoh.. Kladruh) scheint diese Ansicht zu rechtfertigen; allein
bei näherer Betrachtung erweist sich die angebliche Metathese als
volksetymologische Anlehnung an kotdra (Decke, Mantel), wobei gewiss
auch der gleichfalls großpoln. O.-N. Szoldry einen gewissen Einfluß
ausübte. Wenn also schon das großpoln. Ortsnamenmaterial mit Vor-
sicht zu gebrauchen ist, wie muß es dann erst mit dem altpomorani-
schen, polabischen und sorbischen beschaffen sein, das durch die Ger-
manisierung so stark gelitten hat ? Dr. Hey (Die slav. Ansiedelungen in
Sachsen) hat auch für das sorbische Gebiet einige sichere Beispiele dieser
Metathese nachweisen können [Moldewitz aus Mlodovici)^ und er zieht aus
der Tatsache, daß der wirklichen sorb. Sprache eine solche Metathese
ganz und gar fremd ist, den einzig richtigen Schluß, dass dieser Wan-
del in der slav. Sprache selbst nie begründet war, sondern ausschließ-
lich dem deutschen Einflüsse zugeschrieben werden muß. In der Tat,
264 Julius Koblischke,
der Beweis läßt sich leicht erbringen ! Es handelt sich nämlich nur
um unbequeme Konsonantenverbindungen, die der deutseben Sprache
fehlen: ml-, wl-. Da der Deutsche ml- einfach nicht aussprechen
konnte, half er sich auf zweierlei Art: entweder wurde ml- zu hl (cf.
slav. Kostomlat, cech. Kostomlaty^) [Knochendrescher], germanisiert
bei Teplitz Kostenblatt, niedersorb. Kosomiot, german. Kossenhlatt,
poln. Kostomlot, jetzt germ. Kostenhlut), oder es trat die erwähnte
Metathese ein: Moldewitz (sorb. Mlodovici), Molstow in Pommern
[poTaox3LU.Mlodestowo). Auch durch Einschaltung eines e machte man
pie fremde Konsonantengruppe gefügiger : es sei hier auf die Wiedergabe
des drawänischen mläka durch melauka verwiesen. Aus Prevlaka"^)^
lechisch Pretloka, wurde im Lüneburgischen zunächst Priwelok,
woraus sich das jetzige Privelack entwickelt hat. Derselbe O.-N. kehrt
in Mecklenburg in der zweiten Form (Metathese) als Priwolk wieder !
Schließlich konnte wl- im deutschen Munde auch zu^ werden: z. B.
Wlotoioo : Flatoio. Noch ein zweiter Beleg sei gegeben für die Tat-
sache, daß erst im deutschen Munde die von Brückner mit unrecht der
slav. Sprache zugesprochene Metathese eingetreten ist : aus Wlostowo
(häufiger poln. O.-N., cech. Vlastov) entstand in der Altmark Wal-
stotve : der O.-N. findet sich auch sonst auf polab. Gebiete und lieferte
die durch Volksetymologie entstellten Eigennamen WalstafiF, Bahlstaff,
Wollstoff! Aber gerade in derselben Altmark findet sich im O.-N.
Wlasteiske (drawänischer Name für Arendsee : *idostiska) die echt-
slavische Form, selbstverständlich ohne Metathese ! Die draw. Sprach-
reste, die doch die wirkliche Volkssprache wiedergeben, bieten ebenso
wie das Polnische und Sorbische nicht ein einziges Beispiel der angeb-
lich slav. Metathese tlot zu tolt ! Sie ist eben rein-deutsches Produkt !
Leider hat Prof. Brückner auch die O.-N. Pritzwalk und Pasewalk
hierher gezogen ; trotzdem er neuerdings 3) mit apodiktischer Gewiß-
heit erklärt, mit volk Wolf hätten diese O.-N. nichts zu tun, im übrigen
aber über die Etymologie wohlweislich schweigt, ist es doch jedem Un-
befangenen klar, der die urkundl. Formen polab. Pristaivolh, sorb.
den Lautgesetzen entsprechend Pristaivelk, jetzt Priestählich, ferner
das häufige Vorkommen des O.-^.Prestavlky auf cech. Gebiete berück-
1) Der O.-N. Kostomlaty kommt im cech. Teile Böhmens häufig vor.
'2) Häufiger O.-N., Bezeichmmg der Überfahrt zwischen zwei Flüssen.
3) Cf. Deutsche Erde, Heft 1, 1905.
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court. 's »Kurzem Resume der kas. Frage«. 265
sichtigt, daß hier Zusammensetzungen mit volk (sorb. üelk) Wolf tat-
sächlich vorliegen: Prestavljc, Pozdovlk (weil urk. Posduwolk, Pos-
doicolk): zu letzterem cf. Pozdimir. Aber nicht nur die Urkunden
sprechen für volk Wolf, sondern auch die Tradition (Vita Vigberti über
Volk und seine Stadt Posduwolk) und das Stadtwappen ! Und bedeutet
schließlich die Autorität eines Hilferding, Beyersdorf, Baudouin de
Court, nichts, die alle Posduwolk als Pozdovolk erklären ? Infallibel —
Baudouin spricht ausdrücklich von einem Infallibilitätsglauben mancher
Forscher — ist niemand, besonders auf dem schwierigen Gebiete der
Ortsnamenforschung! Der Nachweis für die Existenz einer slav, Meta-
these tlot zu tolt ist von Brückner nach dem Gesagten nicht erbracht
worden, weil er überhaupt nicht erbracht werden kann, da die Erschei-
nung, ausschließlich auf ml-^ ivl- (also nicht wie im großpoln./l-o/c^m5!;
beschränkt, nur in der deutschen Aussprache begründet ist. Ebenso
sind analoge Erscheinungen der Form tret zu erklären : lechisch
drezpian- (jenseits der Plana Peene) wurde von den deutschen Ur-
kundenschreibern (Klerikern !), wenn sie genau sein wollten, durch die
noch annehmbare Schreibung zerezpan- (also mit Einschaltung des e
wie in mel- für ml-^ wel- für wl-) wiedergegeben: die Form circipan-,
auf die sich Brückner allein stützt, ist nichts anderes als eine Latinisie-
rung (Anlehnung an circa^ circi-ter)\
Ferner ist wohl zu beachten, daß neben 4 — 5 mal wiederkehren-
dem Predöhl (sl. Predoly oder Predolije) nur einmal Pevdöhl auf-
taucht: allein selbst dieser O.-N. lautet noch 1194, 1230 richtig Pre-
dole, womit der Beweis erbracht ist, daß die Metathese tatsächlich
erst im deutschen Munde eintrat.
Da nun einmal die Ortsnamenforschung zur Aufhellung sprach-
licher Prozesse beisteuern mußte, sei hier eine Antwort gegeben auf
Brückner's Excurs in der «Deutschen Erde« (Heft 1, 1005), der sozu-
sagen als Vermächtnis an alle Ortsnamenforscher (die jetzigen — »ihre
Vorgänger und Nachfolgercf) aufgefaßt werden muß. Prof. Brückner,
der Begründer der wissenschaftlichen Erforschung des polab. Ortsnamen-
materials, predigt jetzt Resignation : die Ortsnamen aus Personennamen
sieht er als minderwertig an und rät, auf ihre Deutung ganz zu ver-
zichten ; da ist doch die Frage erlaubt, ob er nicht selbst in der Deu-
tung von Mieszka, Lestkovid, Krak eine »Bereicherung« des slav.
Namenmaterials gesehen hat? Kann bei dieser Resignation die ohne-
dies ganz vernachlässigte Ortsnamenforschung überhaupt vorwärts-
266 Julius Kobliscbke,
schreiten? Soll das von Miklosich erst angefangene Werk nicht voll-
endet werden ? Prof. Brückner's fernere Bemerkung: »Diese Veröffent-
lichungen mehren sich fast in erschreckender Weise« ist wohl nicht als
ein allgemeines Verdammungsurteil aufzufassen — das wäre entschie-
den zu weit gegangen — , sondern Brückner wollte nur die oft kaum
glaublichen plumpen Mißgriffe der Forscher, die nota bene oft nicht
eine einzige slav. Sprache kennen, ein für allemal brandmarken; im
Interesse der Wissenschaft ist es jedoch erwünscht, daß noch mehr
Werke über polabische, pomoranische oder sorbische Ortsnamen er-
scheinen, da sie — mag die Deutung noch so elend sein — stets als
Sammlungen des Materials höchst willkommen sein müssen.
Doch gehen wir an der Hand des »Resumöscf zur Besprechung der
Eigentümlichkeiten der lechischen Sprachzweige über !
Da tritt uns zunächst die Frage der Palatalisation entgegen ; leider
hat hier Prof. Baudouin de Court, verschwiegen, wie es sich damit im
Polabischen verhielt. Die drawänischen Sprachdenkmäler belehren uns,
daß es in diesem Dialekte keine Erweichung der Konsonanten vor
palatalen Sonanten gab. Die bekannten 5 Fälle:
« : pjäs [pzsü]
-ja : vülja [volja)
jia (aus e) : siö?iu [siano]
\id
-Ju : Ij'äudi [Ij'udije)
jiq (aus <?) : diwjungte [devety).
\jung (aus ang)
kommen hier nicht in Betracht, da dies nicht die «Weichheit« des Pol-
nischen, Sorbischen und Großrussischen ist. Mit Recht hat sich Schlei-
cher — diese 5 Fälle selbstverständlich ausgenommen — gegen die
»Polonisierung des Polabischen« gesträubt, allein seine Meinung, erst
unter dem mächtigen Einflüsse des Deutschen sei Entpalatalisierung des
ne ie t'i etc. eingetreten, hat nichts für sich, da sich aus den Schrei-
bungen der Urkunden kein Beweis für die Palatalisation beibringen
läßt. Wenn wir bedenken, daß der großrussischen Weichheit die
kleinrussische Härte schroff gegenübersteht, ja sogar das Westslavische
in dieser Beziehung nicht ganz einheitlich vorgeht (cech. ne gegenüber
slovak. poln. sorb. we), so können wir auch fürs Altpolabische unbe-
denklich absolute Härte wie im Südslav. u. Kleinruss. annehmen : dafür
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Resume der kas. Frage«. 267
sprechen nicht nur Polanski's Ausführungen über die Entwickelungs-
bedingungen der Palatalisation (ein anschauliches Beispiel cech. te 7ie
gegenüber td tiS t'i ni], sondern auch das deutliche Streben des Drawä-
nischen, selbst berechtigte ursprüngliche Weichheit vor palatalen So-
nanten zu tilgen: aus vydanij'e vydanj'e wird voidöne [ne hart zu
sprechen, im Gegensatze zum kleinruss. ne in öuvanel), aus zerke (für
zemq) entsteht zimq zimang.
Die Annahme von Halbweichheit fürs Urslav. ist, wie Polanski mit
Recht bemerkt, ein bequemes Ausfluchtsmittel; die Gutturalen kommen
selbstverständlich nicht in Betracht, da diese Konsonanten, wie die
Übereinstimmung aller slav. Sprachen in diesem Punkte beweist, seit
jeher im Slavischen überhaupt, im Lechischen insbesondere, eine Son-
derstellung einnehmen, gegen palatale Sonanten ungemein empfindlich
sind. Daß im Ursl. die nichtgutturalen Konsonanten vor palatalen So-
nanten kaum anders als in den westeuropäischen Sprachen lauteten,
dafür scheinen folgende zwei Erwägungen zu sprechen :
Aus großruss. ti und kleinruss. ty kann sich fürs Urruss. nur ti
als Resultante ergeben, da ein Übergang von ti zu ty rein unmöglich
ist. — Neben chwala und Ijud [polje) gab es ein indifi'erentes, nach
westeuropäischer Art gesprochenes l in chvaliti: wenn hier das Pol-
nische, Sorbische und Großrussische chvaVi sprechen, so merkt man
unschwer, dass hier eine sekundäre Erscheinung, nämlich Zusammen-
fall des indifferenten li mit /;', vorliegen muß. Verfehlt wäre es daher,
fürs Urruss. clwaVit'i anzusetzen, da sich damit kleinruss. clivaiyty
(hier ist umgekehrt das indifferente / zu ^ geworden!) unmöglich in
Einklang bringen läßt. Wenn im Kleinrussischen sogar aus ^^oT/e pole
wurde, so beweist dies deutlich, dass es in der Sprache keine Verbin-
dung Te gab, sondern nur indifferentes /e, an das sich eben das verein-
zelt dastehende jjolj'e anschließen mußte. Mit dem indifferenten / zu-
gleich geschah dann die Weiterentwickelung des Wortes zm. pofe.
Ich ziehe also aus dem Gesagten die Schlußfolgerung: Das ver-
schiedene Verhalten (im Punkte der Palatalisation) der russischen
Sprachzweige berechtigt uns auch, eine ähnliche Spaltung innerhalb des
Lechischen anzunehmen; das Drawänische weist absolute Härte auf,
und da sich in einer Sprache wohl einzelne Laute, z.B. s z, entpalatali-
sieren lassen, niemals aber systematisch alle Konsonanten, so haben wir
schon fürs Altpolabische den Zustand des Drawänischen vorauszu-
setzen. Zwischen Kasubisch-Polnisch und Polabisch (Drawänisch) liegt
268 Julius Koblischke,
eine ungeheuere Kluft in dieser Beziehung, so daß wir es eigentlich
unbegreiflich finden müssen, wie Ramult gerade Polabisch und Pomo-
ranisch zu einer näheren Einheit gegenüber dem Polnischen zusammen-
schweißen wollte. Brückner's Zitat aus Krylov: slona-to ja ne pri-
metil bleibt darnach in Kraft.
Prof. Baudouin de Courtenay bemerkt: «Die kasubisch-polnische
Weiterentwickelung des ursl. r zu ar {tri zu tarf) wiederholt sich, aber
im Grunde genommen nur scheinbar, im Niederlausitzisch- Sorbischen".
Dazu wäre zu ergänzen, daß auch das Polabische in dieser Hinsicht
vollkommen mit dem Kasubo-Polnischen übereinstimmt. Wir haben es
mit einer gemein-lechischen Weiterentwickelung zu tun, die bisjetzt
noch nicht genügend Beachtung gefunden hat, da Schleicher den wahren
Sachverhalt nicht richtig erfaßt, durch seine Autorität aber alle For-
scher irregeführt hat. Bei Dr. Mucke findet sich zwar (Niedersorb.
Gramm. S. 123) ein Verweis auf das Polabische, allein Mucke's Rekon-
struktionen in seinen Szczatki j^zyka polabskiego zeigen klar, daß auch
er noch nicht zur richtigen Erkenntnis der wirklich vorliegenden Ver-
hältnisse gelangt ist. Ursl. frt auch im Polabischen = tarf, draw. fort.
Belege fürs Polabische ^) :
Zarneglowe (Vorpommern) \ poln. Carnogloicy,
Zarnewanz (Vorpomm., 2 mal in Mecklenbg.) / Carnowqs.
Sarnßecke (Lüneburg) = poln. [Zarnoseky) Zarnosieki.
Diese 2 Fälle, die eigentlich zu tri gehören {cf. russisch 6ern- zern-),
sind hier nur deshalb erwähnt, weil das Resultat von ursl. trt in diesem
Falle, nämlich nach ^j i, s, vollkommen mit dem Ergebnis von trt
übereinstimmen muß.
Karchoiv [Meckleuhg.) zum P.-N. /farcÄ, cech.krch, osorh. koi'ck
Linkhand : poln. Karclwxo.
Kargoio (Mecklenbg.) : poln. Kargöiv.
Karhow (Mecklenbg.) : poln. Karhoioo.
trt ist ferner ganz zu trt geworden in den 2 O.-N. (Mecklenbg.)
Tarnoio (poln. Tarnöw, Tarnomca etc.) und Twardulino, jetzt
Warlin (cf. poln. txoardy, sttdsl. P.-N. Tvrdilo, urk. Tverdiio],
Echtes trt liegt wieder vor in den O.-N. :
1) Die O.-N. sind aus Kühnel's Werken über Mecklenburg und das Wend-
land geschöpft.
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Eesume der kas. Frage«. 269
Warffalitz, Wardow : TVargalitz zum P.-N. Wargal (poln.
warga »Lippecf, daher war^a/ «Großlippiger« wie tcasal »Großbart«
zu wqs).
Wardow : P.-N. Warda = poln. war da »Linktatz«.
Im Drawänischen, dem organischen Fortsetzer des Altpolabischen,
muß natürlich dieselbe Weiterentwickelung auftreten, mit dem einzigen
Unterschiede, daß sich das a in tart zugleich mit allen sonstigen a in ü
verwandelt hat. Es war daher ein gewaltiger Irrtum Schleicher's,
wenn er görnak (polnisch garnek Topf) als *gärnak transskribierte,
da bereits im Altpolabischen in vollkommener Übereinstimmung mit
der ganzen lechischen Sprachgruppe garn-ük vorlag. Hier sei gleich
die Entwickelung des altpolab. Öarny angedeutet: die zu erwartende
Form corne findet sich tatsächlich bei allen Aufzeichnern, Schleicher's
c\irne ist also in doppelter Hinsicht falsch : ä hat keine Berechtigung
und die Erweichung findet nur eine scheinbare Stütze an einer Schrei-
bung Pfeffinger's: tschiurna. Alle übrigen Quellen bieten nur cörne
(ohne ^), und selbst Pfeffinger hat noch eine zweite Schreibung
tschoorne, die allein als die richtige angesehen werden muß; daß i
tatsächlich nur graphisch ist, beweist auch die Schreibweise tschiöra
für tschör a {(jöra-gora) bei demselben Aufzeichner. Eine Form dorn
ist schon deshalb unmöglich, weil nach z, i, d im Lechischen die Er-
weichung sozusagen im Zischlaute aufgeht: daher zqdlo (poln.) zundlü
(polab., ursl.ie(//o, woraus zunächst ziadlo^ dann zqdlo), tiocungl naöql
(er fing an, aus ursl. nadql).
Hierher gehört auch ein von Schleicher arg verkanntes Wort. Das
von Hennig überlieferte hvrs, harsch »eher« ist natürlich nicht prezde,
sondern der Comparativ zum gemein-lechischen harzo (polnisch jetzt
hardzo)^ *barze »rascher, früher, eher«, daher zu transskribieren durch
börz, börz.
Dem poln. smarkac (obersorb. smorkac] entspricht polab. -draw.
smarkat-smorkat^ das ja tatsächlich in der Wendung SMjad/ voismdrkat
(mit o geschrieben!) vorliegt.
Schließlich sei hier noch die einzig- mögliche Etymologie von
ivsiW. porg Bofist gegeben. Durch die Ähnlichkeit des Klanges ver-
leitet, stellten es die bisherigen Forscher ohne weiteres zu poln. pur-
chawka, parch^ ohsorh. ^^orchawa. Mucke rekonstruiert säuberlich
))porch oder pärcha, ohne zu beachten, daß Parum-Schulze nur g
schreibt. Die Worte des Parum-Schulze müssen uns den richtigen Weg
270 Julius Koblischke,
weisen : f>porg — wenn man darauf tritt, dann berstet es und spritzet
Dreck heraus«, d. h. der Bofist heißt im Draw. deshalb porg^ weil er
berstet . . .; bersten aber heißt draw. purgnot^ Nebenform pirgnqt,
po\Vi. pierzgncfc. Es liegt also ursl. j^r^- zu Grunde: wie nun aus
trn- tarn- [Tarnow gemeinlech.), aus twrd- poln. twardy fpolab.
nur im P.-N. Tioardula) wurde, ebenso trat in der Wortableitung
neben prg- perg- (Zeitwort) auch prg (Hauptwort), woraus sich eben
altpolab. pary, draw. porg entwickeln musste. Das draw. Wort für
Bofist steht also in keinem Zusammenhange mit purchawka^ parch
(Räude!), porchawa, seine eigentliche Bedeutung ist « Berstpflanze »
(zum Stamme prg- 2)rgnqH).
Es ergibt sich also, daß die Weiterentwickelung des t)^t zu tart
eine allgemein-lechische Erscheinung ist, und zwar ist sie nur diesem
Sprachstamme eigen, da, wie Prof. Band, de Court, richtig bemerkt, das
niedersorb. tart nur scheinbar hierher gehört : es ist erst eine sekundäre
Bildung für ursprüngliches tert.
Auch Punkt 6 erheischt eine nähere Ausführung: »Die Aufbe-
wahrung der Nasale ist gemein-lechisch, obgleich jedes Gebiet Eigen-
gestaltungen aufweist«. Das Polabische ist wieder recht konservativ,
es stimmt mit dem ursl. Zustand vollkommen überein bis auf zwei Pro-
zesse, die diesen Zustand etwas ändern. Der erste Prozeß, nämlich die
Steigerung des e zu iq [deveti : deviqty) muß in die urlech. Zeit zurück-
reichen, da diese Erscheinung auch dem Kasubisch-Polnischen eigen
ist. Der zweite Prozeß aber, der Ersatz des q durch e nach allen wei-
chen Lauten, ist spezifisch polabisch : pojangk (altpolab. pajek) gegen-
über ursl. pqjqk^ zimang [zemq aus zemq) gegenüber ursl. zemjq, plo-
zang [plade) gegenüber ursl. pla6q\ diese weiche Endung der Prima
Sglris und Tertia Pluralis wurde dann im Polab. (Draw.) auf alle Zeit-
wörter übertragen : eidang^ plitang {*idq, *pletq, aber durchaus nicht
identisch mit poln. ide pliote, dessen § — wie wir bald sehen werden —
tatsächlich auf « zurückgeht!).
Gegenüber dieser Einfachheit der Verhältnisse im Polabischen
müssen die polnischen Abweichungen vom ursl. Zustande als ziemlich
kompliziert bezeichnet werden. Für ursl. q finden wir bald q, bald e, und
nur der Umstand, daß e stets hart bleibt, deutet an, daß es sich tat-
sächlich um den Ersatz des urslav. q handelt. Quantitative und qualita-
tive, durch Accent oder Kontraktion (gelegentl. Ersatzdehnung)
bedingte Unterschiede des q liegen der poln. Vertheilung von q und ?
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Resumß der kas. Frage«, 27 1
zu Grunde. Die Dififerenzierung von kladq kladci (ursl. kladq kladqü)
beruht z. B. auf einer durch Ersatzdehnung kladq (aus kladqü^ dessen
ti bekanntlich im Westslav. abgefallen ist) hervorgerufenen Wert-
änderung des ursl. q\ als Resultat der Ersatzdehnung « stellt sich die
Bewahrung des q («schwerer« Laut) dar, gegenüber dem quantitativ
schwächeren q der 1. Sg., das durch eine andere Nuance des Nasal-
lautes, hartes q (» leichter (f Laut), wiedergegeben wird. Ähnlich ver-
hält es sich mit wodq — wodq^ wo wieder die Kontraktion vodojq ) vodq
die Bewahrung des q herbeigeführt hat. Das Polnische geht in dieser
Beziehung mit dem Cech, Hand in Hand, während das Polabische und
Sorbische quantitative und qualitative Unterschiede bei q getilgt haben,
da hier jedes q nur o {ung) resp. u ergibt.
Poln. Made vodq : cech. kladu^ vodu =
Poln. kladq vodq: cech. kladü kladou vodü vodou.
Dasselbe Verhältnis liegt auch vor in den Fällen, wo ohne Zweifel
die ursprüngliche Verschiedenheit des Accentes der maßgebende
Faktor war:
»Schwerer« Laut q, cech. ti, ou.
kqt — kout. dqhek — douhek.
krqzek — krouiek. mqka — mouka.
dqbrowa — doubrava. mqdry — moudry.
pajqk — pavouk. gqska — houska.
krqgly — okrouhly. sqd sqdu — soud.
Aus poln. gq^6, cech. JiouH und serb. gidta ergibt sich der Grund
der Erscheinung ; ursl. q war in den angeführten westsl. Wörtern be-
tont, und erst unter dem Einflüsse des Accentes traten die einander
wohl ähnlichen, aber durchaus nicht identischen Prozesse des Poln.
und Cech. ein ; das Polnische, das ja die Nasale bewahrt, deutete den
urspr. qualitativen Unterschied (betontes </, unbet. q) genau so an
wie den urspr. quantitativen [vodq vodq aus vodojq)^ nämlich durch
den «schweren« (a) und »leichten« [q) Laut; das Cechische, das den
Nasal durch u ersetzen mußte, andererseits aber den quantitativen
Unterschied von kladq kladq vodq, vodq vodq auch nach dem Ersätze des
Nasals durch u festhielt [vodu — vodü vodou, kladu — kladü kladoK),
deutete nun auch den qualitativen Unterschied zwischen q (betont) und
q (unbet.) durch ü [ou] und w an, genau so wie es bei kräoa — russ.
koröva, stokav. krilva gegenüber strana — russ. storonä verfährt.
272 Julius Koblischke,
Einige Beispiele für den »leichten« Laut <?, cech. u:
kqs — kus. kr(ipxj — krupy.
prqt — prut. pajqiijna — pwoudina (gegenüber paj'qk —
pavouk).
hqheti — buhen, pqp — pup (gegenüber /;r^/?/e — poupS).
glqboki — hluboky (die erste Silbe war schon im Ursl. unbe-
tont, cf. stokav. dübok, 6ak. dubok).
rqha — ruka, cf. russ. rukä, aber poln. rqdka, russ. rüdka.
Iqk — luk, geba — huba (Maul) etc.
Nur eine scheinbare Ausnahme bilden die Wörter dqh, krag, blqd,
golqh^ galqz, bqd (Gefäss), mqz, denen cech. u gegenübersteht : dub,
kru/i, blud, holiib, haluz, sud^ muz\ das Polnische bietet aber wieder
in vollkommener Übereinstimmung mit dem Cech. Gen. debu, kregu,
blqdu, golebia, gaiezi, sedu, mqza. Da cech. suk, sup = poln. sqk,
sqp (nicht *sqk, *sqp], ist es klar, daß es sich hier um einen ähnlichen
Wechsel wie bei tniöd — niiodu handelt: die genannten Wörter dqb,
krag etc. enden sämmtlich auf ursprüngl. tönende Konsonanten (J, g, d,
b, z, z) und der Nasal befindet sich stets in geschlossener Silbe. Wie
nun miod zu 7niöd wurde, so bekam auch der Nasal in der geschlossenen
auf ursprüngl. tönende Konsonanten ausgehenden Silbe einen höheren
Wert als in der offenen Silbe [golqbia sedu — miodu, liody) : daher
der »schwere« Laut q im Nominativ Sgl. Das cech.kolub, kruli ist da-
her das Ursprüngliche (cf. russisch gölul)), der polnische Wechsel go-
iqb — golqbia konnte sich erst entwickeln, nachdem ä und / gefallen
waren.
Wir sehen also das Polnische in der Frage des q ganz auf der
Seite des Cechischen, während das Polabische hier auf dem Stand-
punkte des Sorbischen steht; anders aber gestalten sich die Schicksale
von q'. da kommt die lechische Verwandtschaft wieder zur Geltung.
Auch bei e haben wir zwischen urspr. betontem e und unbetontem
zu unterscheiden :
I. devety ^) betontes e vor folgender Härte.
IL tqza^) jeti » q » » Weichheit.
IIL Jqzyk (cf. russ. jazyk) unbetontes e vor folgender Härte.
IV. devqü (cf. russ. devjati) « q » » Weichheit.
Cf. russ. devjdtyj. ~) tjdza.
Bemerk, zu Prof. Band, de Court.'s »Kurzem Resume der kas. Frage«. 273
Fürs Polabische fallen IL und IV. zusammen, d. h. das Polabische ver-
fährt hier konsequent wie bei «, wo ebenfalls ä und unbetontes q nicht
geschieden werden: das Polnische und Cechische beachtet aber den
Unterschied wohl. In I. und III. herrscht vollkommene Übereinstim-
mung zwischen Polnisch und Polabisch, aber auch das Cechische schließt
sich ähnlich wie bei q [pajqk — pavouk) ungemein eng an, die Fälle
sind analog.
Das Sorbische gehört zu I. nur durch den ausgestorbenen Sorauer
Dialekt (Jakubica). Betrachten wir nun die Entwickelung der einzelnen
Fälle ! Aus clevety wird zunächst durch Einfluß des Accentes ein de-
vHy (Dehnung), hierauf tritt 1) im Cech. Ersatz des Nasals durch ia
(eine aus eä iä hervorgegangene, durch den gutturalen Charakter der
folgenden Silbe bestimmte Lautgestalt) ein, daher *devjäty^ deväty\
2) im Lechischen eine ähnliche Spaltung des e ein, wie sie beim
nicht-nasalen e stattfindet.
Aus ursl. mesto wird im Lechischen miasto (dieselben Bedingungen
dieser Spaltung wie bei devety: Länge des e-Lautes (e) und folgende
Härte!), daher aus devety : deviqty. Selbstverständlich kann va.jqzyk
(in.) diese Spaltung nicht eintreten, weil hier die erste Hauptbedingung
nicht erfüllt ist, es fehlt die an den Accent geknüpfte Länge des
Nasals: daher richtig poln.ye^y^, cech. j'azyk (a kurz!). Wenn das
Drawänische trotzdem jqzik [Jungsik] bietet, so ist dies eine verhält-
nismäßig junge Analogiebildung nach Wörtern wie gljungdat (poln.
glqdac\ wjungzat (poln. wiqzac) etc., wo die Bedingungen des Wan-
dels gegeben waren; nach Verlegung des Accentes nach vorne: *jezyk
[ansj^zyk] trat dann wie in gledat — gljungdat auch Umformung zu
jüngzik ein. Auf die alte Betonung von westslaw. mqsö weisen poln,
miqso^ cech. mciso [a wieder kurz wie mjazyk)^ polab. mangsil [mqsö).
Der Sorauer Dialekt des Sorbischen bietet die Analogieform mjuso aus
*miqso nach gljudac wjuzad.
Beispiele: draw. siüante, poln. iwiqty, cech. svaty.
(= svqty) cf. russ. svjatöj.
dagegen fem. : sjunta (Analogiebildung nach Verlegung des Accentes,
poln. nur ^wiqta, cech. svatä)^ poln, swiqtek, cech. sväfek.
draw, sist disjungt (60), poln. szeic dziesiqt, cech. ^cdesäf.
draw. gljimgdat.! poln. gJqdac^ cech. hlidati (diflferenziert hledati] aus
hliädati ) hliedati.
Arcliiv für slaviscLe Philologie. XXVllI. 18
274 Julius Koblischke,
draw. wjungzatj poln. wiifzaö, cech. väzati.
draw. zungdlu (Accent verlegt), poln. zqdlo^ cech. Hello (aua iiädlo).
poln. iqdac, cech. zädati.
Die Fälle II. u. IV. sind nur fürs Polabische identisch: ein podl-ti
und dev^ti (vorslav. Betonung devetis, peniis) ergeben pücangt, di~
va7igt^ anders im Poln. und Cech. Im Poln. kann die Spaltung des q zu
iq in unbetonter Silbe nicht vor sich gehen : der Nasal bleibt wegen
der folgenden Weichheit 'er. dziewiqc pieö. Im Cech. tritt aus demselben
Grunde (wegen des palatalen Charakters der folgenden Silbe oder des
folgenden Lautes) nicht ia als Ersatz des Nasals auf, sondern te, daher
jpet^ devSt^ die nicht mit Gebauer als *pjat^ devjat aufzufassen sind.
Wenn nun ein solches durch folgende Weichheit bedingtes iq, cech. ^
betont war, wie in poöeti, vqze (er bindet), so verfuhren die Sprachen
genau so wie bei ä'. im Poln., das quantitative Unterschiede wenig be-
achtet, trat wieder die bekannte Scheidung zwischen «schwerem« und
»leichtem« Laut ein: m piqc iq urspr. unbetont, daher bleibt der leichte
Laut iq\ in poöeti aber muss iq erscheinen: podqc, viqze. Es ist so-
mit dieser Wandel des iq zu iq wohl zu scheiden von dem gemein-lech.
Wandel devqü : dev'qty (cech. deväty), wo gerade die Härte der folg.
Silbe die conditio sine qua non ist. Für den zweiten spezifisch poln.
Wandel bietet wieder das Cech. ein Analogen : im Cech. ergibt poöefi
veze zunächst poöieti vieze, die sich vom unbet. ie in pqU durch die
Länge des Nasals unterscheiden: daher jetzt ^0(5^7^ vize, Uze (poln.
ciqza). Poln. rqd rqdu (Regierung) = cech. räd rädu\ aber rqd rqdu
(Reihe) beruht eigentlich, wie das cech. fem. rada [a kurz) beweist, auf
^rqdü. Das Verhältnis zwischen rqd Nom. und rqdu ist genau dasselbe
wie in Mqdz ksiedza (cech. nur knez kn^ze)^ JastrqJj Jastrqbia, die alle
so zu erklären sind wie die analogen Fälle dqh debu, krqg kregu.
Prof. Baudouin de Court.'s Bemerkung: »Außerdem unterlag im
Kas., im Gegensatze zum Poln., der urslav. Nasalvokal q einer Spal-
tung . . .« verlangt eine Zurückführung aufs richtige Maß; es handelt
sich hier augenscheinlich um den kas. Wandel pryslc : prysegac\ weit
entfernt einen Gegensatz zum Poln. darzustellen, beruht die »Spaltung«
nur auf lautlicher Modifikation der zu Grunde liegenden allgemein-poln.
przysiqc — prysiqgac (aus iq wurde über iu[n)-i, aus iq — e\).
Schließlich sei noch hervorgehoben, daß die Entpalatalisierung des
e im- Kas. nicht mit dem polab. q auf die gleiche Stufe gestellt werden
kann, da dem polab. q der palatale Charakter {'q) überhaupt fremd war.
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Kesume der kas. Frage«. 275
In Punkt 7 ist die Rede von der »Spaltung« des e, e, t . Da diese
Bezeichnung leicht irreführen kann, empfiehlt es sich, den Ausdruck
»Spaltung« nur auf die zwei gemein-lech. Fälle e = e'a, e über e = iq
(Bedingung: Ton und folgende Härte) zu beschränken, da darin eine
wirkliche Zerlegung, Spaltung desselben Lautes, des einfachen oder
nasalen e, zum Ausdruck kommt. Die »Doppelform« e — 'o ist eine sehr
späte Erscheinung, da sie dem Polab. ganz fehlt (poln. kas. Iroza aus
hreza, Polab. nur hreza^ hrizaina] und erst im Altpoln. in der Ent-
wickelung begriflFen erscheint. Die wesentliche Bedingung dieses Um-
lautes (e — o) ist die Weichheit des e-Lautes, daher ist dieser Prozeß
auch im Sorb., Großruss. anzutreffen; dem Cech., dem weiches e ganz
fehlt, ist der Umlaut unbekannt; da nun auch das Polab. nicht die ge-
ringste Spur aufweist, so müssen wir darin wieder einen Beweis für die
absolute Härte des e erblicken.
Prof. Baud. de Court, hätte aber hervorheben müssen, daß die
Spaltung e — la (draw. e — ^o, nach- und zwischen tonig ia niiceidial
nemdel^ wäüjadun = vyjadäno] allen lech. Sprachzweigen eigen war.
Leider hat man bisher noch immer nicht klar erkannt, daß das Polab.
in der Behandlung des e mit dem Polnischen vollkommen übereinstimmt.
Dr.Kalina's Ausführungen (Slownik jezyka poiabskiego — Par. Schnitze)
über die Schicksale des ursl. e im Polab. sind im Prinzipe ganz verfehlt :
Dr. Kaiina, selbst ein guter Kenner des Bulgarischen, hat aus dem
Polab., einer lechischen Sprache, eigentlich einen bulgar. Dialekt ge-
macht, da er ganz verkennt, daß sich die Gutturalen und Labialen
gegenüber dem e im Polab. genau so verhalten wie im Polnischen :
wenn er wie einst Hilferding das clavak der draw. Sprachdenkmäler als
*6lovJak (cf. bulgar. orjacli^ -s?^«^) faßt, so ist das vom Standpunkte des
Polab. eigentlich eine sprachliche Ketzerei: das draw. clavak ist die
regelrechte Weiterbildung eines früheren clavelc, da es im Draw. das
Lautgesetz gab: »Nachtoniges e im Inlaute (und häufig auch im Aus-
laute) und nicht selten zwischen toniges e werden über ü zu a«.
Beisp.: clovek ) clavak vübasen [obcsen), jni zeimci {po zime).
Die Spaltung des e vor folgender Härte zu ia muß zu den ältesten
Lautprozessen des Lechischen überhaupt gerechnet werden : sie ist im
Vereine mit der analogen Wandlung des q zu iq [decajy) sozusagen die
wissenschaftlich unanfechtbare Grundlage der »lechischen« Theorie.
Aber auch die Doppelform fert — ^art, tart für ursl. trt ist dem
ganzen lech. Sprachgebiete eigen. Es ist ja auch nicht anders zu er-
18*
276 Julius Koblischke,
warten, da wir bereits die Gleichung tp. = tart auf dem ganzen Ge-
biete nachweisen konnten. Lange genug hat die Wissenschaft im
Finstern getappt, und noch im Archiv 1904 (Dr. Mucke — Sprachgrenzen
des Sorbischen) wird von Dr. Mucke allen Ernstes fürs Altpolab. *varch
gegenüber sorb. verch angesetzt : man hat sich eben noch immer nicht
von Schleicher emanzipiert, der wohl vieles richtig erfaßt, im einzelnen
aber ganz gewaltige Schnitzer begangen hat. Nach dem übereinstim-
menden Zeugnis der Urkunden und O.-N. lautete ursl. trt auch im
Polab. nur tei't (bei folgender Palatalität).
O.-N. Werben, Verhitz (poln. tvierzha, wierzbica),
O.-N. Ferch bei Potsdam,
Ferchesar [=■ Verchjezere) bei Brandenburg und Rathenow,
Ferchlippe (Altmark = Verchlipe)^
Werchau, Ferchau (Altm.),
urk. Werchlafi (Mecklenbg., identisch mit kas. O.-N. V'erchlas),
Verdien (Vorpommern) etc. etc., überall nur verch.
Der poln. Wechsel 6arny — 6ernic kehrt auch im Altpolab. wie-
der: Zernikow Schernikau = derniköio,
aber Zarnekoio = poln. O.-N. Carnkowo, Ort des Carnek^
neben Zernin Zernitz findet sich Zar rentin, urk. Zarneiin =
poln. Carnotino.
Erwähnt sei schließlich noch urk. 1272 Smerdele (jetzt Schmarl,
Mecklenburg), das sich mit dem poln. smierdziel vollkommen deckt.
Im Drawänischen hat sich aus diesem altpolab. er (= sorb. poln. 'er)
das sekundäre ar är entwickelt. Daß ar är (beachtenswert ist der
Umstand, daß die Quellen fast stets nur a ä schreiben, nie 6 wie in
cörne, görnak, hörz, gemein-lech. öarny, garnük, barzy) tatsächlich
auf älteres er zurückgeht, beweist :
1) loärdot (Lehnwort) aus deutsch, werd-en,
2) die Bewahrung des er als ir und selbst als er neben der ge-
wöhnlichen Umgestaltung zu är: neben värch, smärde, särsin (poln.
sersen), pärde (poln. 'pierdzi) finden wir dirze (poln. dzierzy), wirgne
(poln. wierzgnqc), pärgne und pirgne (poln. pierzgnqc), cärwene und
cerwene, cärkai [crky] und cerkweica. Es ist also vereinzelten
Wörtern gelungen, sich dem allgemeinen Wandel des er zu är, der
erst im Drawänischen eintrat, zu entziehen.
Zu diesem Wandel ist die Neigung deutscher (besonders nieder-
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Resume der kas. Frage«. 277
deutsclier) Dialekte, er in «?• übergehen zu lassen, am nächsten zu ver-
gleichen.
Schleicher hat es sich also sehr bequem gemacht mit der Darstel-
lung des ursl. trt durch *turt, da ttlrt erst aus älterem tert hervorge-
gangen ist: draw. värch^ altpolab. verch.
Aber noch weiter geht die Übereinstimmung zwischen Polabisch
und Polnisch-Kasubisch.
Wenn auf trt Härte folgte, konnte das Lechische zwei Wege ein-
schlagen ; entweder wurde die Weichheit des r ganz getilgt und damit
der Zusammenfall mit trt — tart herbeigeführt: Tarn-oic (polab. und
poln.) Tarneßtz (poln. Tarnowica) gegenüber tern [eiern], poln. ticardy
(aber twierdzic), polab. P.-N. Twardulam Tivardulino (1170, jetzt
Warlm in Mecklenbg.),
oder es wurde tart erweicht: tart\ Prof.Baudouin de Court, will
diese Wiedergabe des trt durch t!art nur dem Kasub. zuschreiben,
allein die Übereinstimmung des Polnischen und Polabischen in dem
Worte ziarno, zjornii (nur mit 6 geschrieben wie gornak, cörne,
börz) läßt keinen Zweifel an der allgemeinen Geltung des Lautgesetzes
zu : nicht nur für das Polabische und Urkasub. ist ziarno (kas. daraus
sekundäres zarno, da z nicht erweicht werden kann) anzusetzen, son-
dern auch fürs Polnische ist ziarno die organische Lautform. Wir
dürfen, wo Polnisch und Polabisch übereinstimmen, nicht eine Analogie-
bildung annehmen. Nach Prof. Baud. de Court, soll *zarno die echt-
polnische Form sein, die erst durch ziarnisty zu ziarno umgestaltet
worden sei. Das ist schon deshalb unmöglich, weil sich aus zrnisty
niemals *ziarmsty, sondern nur *ziernisty entwickeln kann (cf. cier-
nisty\ pierdziec, smierdziec stehen in jedem poln. Wörterbuche, was
soll also die Stelle heißen : »man behauptete, es konnten diese Wörter
nicht existieren«?); die Sache verhält sich also umgekehrt: nicht * ziar-
nisty hat ein nie bestandenes *zarno beeinflußt, sondern das orga-
nisch gebildete ziarno hat die organische Form ^ziernisty zu ziarnisty
umgestaltet. Auch piard (Subst.), piardnqc (Vb.) verhält sich z\xpier-
dziec wie ziarno zu *ziernisty, wie 6arn zu 6crnic. Prof. Brückner hat
recht, wenn er bemerkt, das Kasubische habe nur einige Beispiele tart
mehr, während das Poln. die gänzliche Entpalatalisierung vorziehe.
Das Polabische stimmt wieder genau zum Kasubischen : kas. vu-
Schleicher's Schreibung £arnü grundfalsch.
278 Julius Koblischke,
miarti — polab. eimiörte (dies die richtige von P, Schulze überlieferte
Form), kas. öivardi — polab. tjörde aus tvjorde (wieder 6 — nicht a !),
altpolab. *tvjardy^ kas. df'orti — polab. citjorte aus ^etvjar'ti. Das
Polnische bietet: marty, twardy^ <^töar^y (entpalatalisiert); dagegen
herrscht Übereinstimmung bei zpio: poln. ziarno^ kas. zarno (aus
ziarno) — polab. ziarno^ ziörnü.
Wir sehen also die i^ar^-Form in allen lechischen Sprachzweigen
reichlich vertreten; gerade dieser Umstand brachte es nun mit sich,
daß ihr noch ein weiteres Gebiet zugewiesen wurde, wo sie ursprüng-
lich keine Berechtigung hatte. Es soll nun die Frage nach dem so
heiß umstrittenen Ursprung der polab.-kasub. Formation gard^ draw.
natürlich görd (poln. grod) beantwortet werden.
Es ist zunächst als feststehende Tatsache anzusehen, daß dem
Polnischen eigentlich nur die Formel trot von allem Anfange au eigen
war: das ist die echte Metathese, die — wie Prof. Baudouin de Court,
bemerkt — nur durch die Tendenz, alle geschlossenen Silben zu be-
seitigen, hervorgerufen wurde; tort ward zu trot wie tolt : tlot^ telt :
tlet, tert : tret.
Wie verhalten sich nun dieser Metathese gegenüber die einzelnen
lechischen Sprachzweige ? Das Polnische steht ebenso wie das Sorbische
auf dem sozusagen korrekten Standpunkte :
herg : Ireg.
melko : mleko\ daneben aber findet sich, was wohl zu beachten
ist, sporadischer Zusammenfall des telt mit tolt : tlot, z. B. in der
Schriftsprache wlohe neben Inf. wlec.
golva : glowa.
gord : grod. Hier ist im Polnischen ebenfalls die gemeiu-slav.
Metathese durchgedrungen, diese Entwickelung können wir daher als
die organische bezeichnen. Nur ganz sporadisch tritt im Polnischen
Zusammenfall der Formel tort mit tart ein: das ist bestimmt der Fall
in dem nicht hinwegzuleugnenden Worte karw., das dem gesamten
polnischen Sprachgebiete im engeren Sinne angehört. Prof. Band,
de Court.'s Behauptung: »Kurz und gut, es lassen sich keine echt
polnischen Worte mit zart nennen« trifft also nicht zu. Wie haben
wir uns die Entwickelung dieses Wortes *koriü zu denken ? Es war ihm
wohl gelungen, sich der Metathese {^krotv) zu entziehen, vielleicht weil
die Sprache differenzieren wollte zwischen »Ochs« und /Kuh« {krowa),
aber bei der im Slavischen tief eingewurzelten Tendenz nach Beseitigung
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Resume der kas. Frage«. 279
der geschlossenen Silbe tort war auch die Duldung eines *korw absolut
ausgeschlossen: es mußte — das war der einzige Ausweg aus diesem
Dilemma — Anschluß an die ähnlich klingende, im Lechischen weit
verbreitete ^ar^-Formel eintreten : so war einerseits die Metathese um-
gangen und die unerträgliche tort-Form überhaupt beseitigt, anderer-
seits aber die ursprüngliche Lautfolge beibehalten : karto wie gemein-
lech. harzo^ garnuk^ tarn-. Es gibt überhaupt nur diese zwei Möglich-
keiten bei Beseitigung der geschlossenen Silbe tort: entweder Metathese,
wofür sich das Polnische gleich den meisten anderen slav. Sprachen
entschieden hat^), oder — was nur auf lechischem Gebiete eintreten
konnte — Zusammenfall der Form tort mit tart^^ im Poln. allerdings
nur sporadisch zu beobachten. Übrigens sei noch ein poln. O.-N.
angeführt, der gewiß auch hierher gehört. Für Charlupia (in Russ.
Polen) bietet uns das Altsorbische gerade die regelrechte poln.-sorb.
Form Chrolupe^ Chrolipe^ jetzt Krölpa in Thüringen. Mit dem alt-
sorb. O.-N. Kralup (jetzt Kralapp bei Rochlitz in Sachsen, cf. cech.
Kralupy «Schollenspalter«), dem auch im Poln. mit kra zusammenge-
setzte O.-N. entsprechen, hat Chrolupa natürlich nichts zu tun. Die
Form erscheint gesichert, mag auch die Bedeutung noch dunkel bleiben.
Auf polabischem Gebiete kehrt der poln. O.-N. Charlupa wieder in
urk. Garlop^i jetzt Garlippe^i Garlip (Altmark) : schon Hilferding hat
mit Recht diesen O.-N. mit dem poln. Charlupa identifiziert, wozu nun
auch der altsorb. O.-N. Chrolupa gezogen werden muß.
Doch wenden wir uns dem zweiten lech. Sprachgebiete zu, dem
Kasub.-Slovinzischen ! Mit dem Poln. stimmt das Pomoranische überein
in hreg und glowa ; anders schon steht es mit ielt : was im Poln. nur
sporadische Erscheinung war, nämlich der Zusammenfall von telt und
tolt^ ist hier schon ziemlich häufig anzutreflfen. Es wiederholt sich also
Ähnliches wie bei fm^t^ wofür das Poln. vereinzelt t'art [ziarno] neben
gewöhnl. tart [ttcardy] bietet, während das Kasubische eine Vorliebe
für iart besitzt: Sforti^ vumiarti etc. Die Beispiele für tlot statt tlet
sind: allgem.kas. mloc^ P^^c^ im Slovinz. noch mloko^i plova^ bei einem
Worte finden sich sogar beide Formen: mlod und mied. Sonst herrscht
aber auch im Kasub. die regelrechte tlet-Fovm: wir sehen bloß eine
Steigerung der sporadischen Erscheinungen des Polnischen. Genau so
') Das russische Polnoglasije kann nur als eine besondere Abart der
Metathese gefaßt werden.
280 Julius KobliBchke,
verhält es sich auch mit der heiß umstrittenen Formel tart für trot.
Was im Poln. ganz sporadisch ist {Karw, C/iarlupa], hat im Kas. eine
weite Ausbreitung erfahren, daneben aber besteht auch die gemein-poln.
Metathese ungeschwächt fort, denn Kasub. ist ja nur Strandpolnisch,
nicht eine streng abgeschlossene sprachliche Individualität : an eine
nachträgliche massenhafte Importierung polnischer Wörter mit der ti'ot-
Form, die noch dazu die gewöhnlichsten Begriffe des täglichen Lebens
bezeichnen, ist gar nicht zu denken. Wohl zu beachten ist auch, daß
wir neben Stargard und Beigard auch Stargrod und Belgrod^) ge-
schrieben finden; neben Vartislaus erscheint vereinzelt Vrotislac.
Es ist eben das charakteristische Merkmal des Kasub., daß es wohl
sporadische Erscheinungen des Polnischen steigert, niemals aber den
Zusammenhang mit dem Poln. verliert: daher tlot neben flet (charak-
teristisch mloö und mled)^ tart neben trot. Die Tendenz, das tauto-
syllabische [tort) or durch Metathese zu beseitigen, war eben auf pomo-
ranischem Gebiete nicht mehr so lebhaft als auf echt-polnischem; auf
polabischem Gebiete nun läßt sich diese Tendenz allerdings auch
nachweisen, sie ist ja etwas Allgemein-slavisches, aber die große Ent-
fernung brachte es mit sich, daß diese Tendenz hier äußerst schwach
war : die Sprache entschied sich für die zweite Möglichkeit, sie tilgte
das tautosyllabische or [tort] durch Einsetzung der allgemein-lechischen
^ar^-Form.
Wir erhalten also folgendes Schema :
trot und tart.
Polnisch : Kasubisch :
Ausschließliche Herrschaft der Form trot,
sporadisch tart : Kariv, Charlupa.
Polabisch:
Ausschließliche Herrschaft der Form tart,
sporadisch trot : hroda.
Ähnlich verhält es sich mit den Schicksalen von telt, während
bei tolt und tert [hreg, glowa, hreg) Übereinstimmung herrscht :
Polnisch : Kasubisch :
Au%%Q\A\QS>Y\Qla. tlet: mleko, wlec. \ .■, . , .t .
,. , ^ , ' ' > Üet und tiot.
sporadisch wiokq. )
*) Altpomoranische O.-N.
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Resume der kas. Frage«. 281
Polabiscli :
AuS3chließI. tlot^ draw. tlät : mlaka (cf. slovinz. mloko)
mlät
vläct
pläva pldvoy (poln. plewa).
Ferner ist noch zu vergleichen :
Polnisch :
Scheidung zwischen tlt und tl't.
t^t fast ausschließlich teU, weil ü poln. e : peiny, peik (Swietopelk)
nur ganz sporad. ü durch o wiedergeg. molwic ) möwic, pölk
(puik);
nur Wörter wie dlgi, stip weisen in Übereinstimmung mit Cechisch
und Niedersorbisch In auf: diugi, slup\
tl't = tili : lüilk, mildec.
Kasub.-Slovinzisch : Polabisch :
diugi, ship wie im Polnischen nur oi (a^),
sonst ol durchgeführt: poiny. daher dolg-stolp.
Neben wilk volk.
schon tcolk (d.h. Entpalatalisierung d. tVt).
Wir sehen also deutlich die vermittelnde Stellung des Kasubischen :
das Kasubische steigert sporadische Erscheinungen des Polnischen, das
Polabische wieder verallgemeinert diese »Kasubismen«. Das mitleidige
Lächeln der Forscher über die bereits von Prof. Baud, de Court, und
Ramuit ausgesprochene Hypothese, gard und garnek {*gord u. *grnük)
seien gleich weiterentwickelt, war berechtigt, so lange man in Schlei-
cher's falschen Bahnen wandelte und das hörz görnak smorkat fjörde
ziörnü der Quellen durch die grundfalschen (von dem monströsen p'ordz
sei ganz abgesehen!) gdrnak t'drde, sf7idrkat zarmi wiedergab, wäh-
rend in Wirklichkeit die konsequente Schreibweise der Quellen mit 6
auf die gemein-lech. Formen : barzo, garnük^ smarkati, tviardy, ziarfio
zurückführt. Es kann ja gar nicht anders sein: die draw. horz, gör/uik
(ursl. b^'z, gpiük) weisen dasselbe 6 aus altpolab. a auf wie görd (ursl.
*gord)j görch (urslav, *gorch), wörnö (urslav. *vorna)j die einst <7arc?
[Stargard Mecklenbg., Putgarden Rügen), warna (O.-N. Warnow).
garch lauteten.
Was also Prof. Baudouin de Court, mit der Bemerkung: »Warum
statt des polab. toi-t im Kasub. ausschließlich tart steht, ist bis jetzt
282 Julius Koblischke,
nicht klar« eigentlich meint, ist schwer zu ermitteln, da doch die Sache
ganz durchsichtig ist. »Polabisches fort^' gibt es gar nicht: im Alt-
polabischen gab es nur dasselbe tart wie im Kasubischen; im Drawä-
nischen mußte natürlich dieses tart zu to^^t werden. Prof. Baudouin de
Court, wird doch nicht etwa annehmen, «polab.« tort sei das urslav.
tort ? Die Bewahrung eines tort ist im Slavischen einfach unmöglich I
Die Argumentation des genannten Forschers ist aber noch in zwei
Fällen keine glückliche zu nennen, Prof. Brückner hatte in den Rand-
glossen mit vollem Rechte darauf hingewiesen, daß auch im Polabischen
neben ta7't die poln.-sorb. Form trot zu finden sei. Prof. Baudouin de
Court, spricht gleich wegwerfend von einem Misch-masch und ist bereit,
seine Vergangenheit zu verleugnen und die Partei der »Lautgesetzler«
zu ergreifen. Wie erklärte er aber einst selbst kropla aus altpoln.
krop'a'? »Die Tendenz, p' zu pl' zm verwandeln, wie im Süd-Ost-slav.,
bestand auch im Westslav., war aber zu schwach, um überall durch-
dringen zu können«. Dasselbe läßt sich von den polab. »Ausnahmen«
(z. B. hroda) sagen : Auch im Polab. bestand, wie im Slavischen über-
haupt, die Tendenz, das tautosyllabische or [tort) durch die Metathese
zu tilgen, sie war aber in dieser Sprache nur schwach entwickelt, wes-
halb sie eine sporadische Erscheinung blieb. — Prof. Baud, de Court,
muß also das alltägliche Wort hröda^) erst durch sorbischen Einfluß
erklären ! Eine sachliche, geographisch-historische Unmöglichkeit.
Wir können jetzt die Form trot auch im Polabischen gut belegen,
da uns die Arbeiten Kühnel's und Mucke's über das hannover. »Wend-
landcf neues Material bieten. Ich habe aber das ganze obodritisch-
Ijuticische Gebiet berücksichtigt: urslav. "^dorg erscheint als darg in:
Dargehell (= Dargohyl, O.-N. in Vorpommern).
Dargehand [■= Dargohqd^ jetzt Darhein Mecklenbg.).
Dargomysl urk. Mecklenbg.
Dargun (Mecklenbg. = Dargun wie Milun, Raduü).
Dargelin Vorpommern = altpoln. O.-N. DrogoUn.
drog ist zu belegen in: Dragovit^ Cealodrag^ Ceadrag (schon
von Brückner erwähnt).
1) Poln. broda, draw. ist nur bröda, nicht brüda zu schreiben, da ursl.
0 zu M (Weichstufe) oder ö (Hartstufe) wird, genau nach demselben Prinzipe,
das die Verteilung von e — ia regelt: büg [bog) — lekar, pcl [pol) — biöle
biaii/, siiböta [sohota] — liotü [Itato] — dewa cep.
Bemerk, zu Prof. Baud. de Court.'s »Kurzem Resume der kas. Frage«. 283
Im Lüneburgischen heißt ein Ort Dragalm = Drogany. auf
sorb. Gebiet ist dieser O.-N. ziemlich häufig.
Der Lüneburg. Flurname i)ra<7mn-Stücke will nichts anderes be-
sagen als »die Stücke bei dem eingegangenen Orte Dragimm = poln.
O.-N. Droginia (kirchensl. Dragyna).
Neben Dargola (in Dargelin) findet sich im Lüneburgischen Dra-
guhl (Draguhl's Feld).
Im Gau Semdici ^) gab es ein Droganiz (so ist das Di'ogauiz der
Urkunden zu lesen, mahi Drogavizl)^ noch jetzt Drogentz] ebenso
hieß und heißt ein Wald bei Eberswalde (Brandenbg.) : Droghenize^
Drogentz^ Drögenitz.
Neben Stargard, Naugart[en), Sagard^ Putgarten begegnet uns
Wiligrad (= Mecklenburg) und Potgrot [Podgrod^ jetzt Podegrund^
Altmark).
Wir haben also in dem überlieferten hröda (altpolab. broda) ein
polabisches Eigenprodukt, nicht einen importierten sorbischen Artikel
zu sehen.
Damit erscheint wohl die ganze ^ar^-Frage endgültig gelöst: der
Accent spielt hier keine Rolle und ebenso müssen alle Torbiörnsson-
Enzelin'schen Erklärungsversuche als zu gekünstelt, ja geradezu als
phantastisch energisch zurückgewiesen werden. Prof. Baud. de Court,
hat uns eine ausführliche Behandlung der »Kasubischen Frage« ver-
sprochen: möge er die hier vorgebrachten zwanglosen Bemerkungen
eines strengen kritischen Blickes würdigen !
1) Er lag an der Havel, wie schon Hilferding ermittelt hat; Brückner
wußte offenbar davon nichts, da er die Lage des Gaues nicht mit voller
Sicherheit bezeichnet.
Julius Kohlischke^
Realschulprof. Warnsdorf (Böhmen).
284
Die älteste böhmische Sprichwörtersammlung.
Es ist den Lesern des Archivs aus dem gründlichen Artikel
Brückners («Zur slavischen Pnrömiographie«, A.f. sl.Phil. XVIII, 193
bis 203) hinreichend bekannt, daß sich die ältere böhmische Literatur
eines verhältnismäßig großen und alten Reichtums an Sprichwörter-
sammlungen rühmen kann, daß aber die jetzigen Sammlungen fast alles
noch zu wünschen übrig lassen. Neuere böhmische Literatur kann
nicht nur kein solches monumentale Werk (wie es etwa für die Deutschen
Wander mit seinem riesigen Sprichwörterlexikon oder für die Rumänen
Zanne mit seinen bändereichen Proverbele Romänilor geleistet hat)
aufweisen, aber nicht einmal ein zuverlässiges Handbuch, wie es in
Adalbergs Ksiega przyslöw die Polen oder in Stechers Dictionnaire
des Spots die Wallonen besitzen, existiert heute in der böhmischen
Literatur. Celakovskys Mudroslovi bietet auch in der neuen Ausgabe
(s. über sie Brückner a.a.O.) nur ein kleines Bruchstück unserer Sprich-
wörtertradition, und zwar so unzuverlässig und fast ohne jede Quellen-
angabe, daß die Benützung dieses Handbuchs eher irreführt als aufklärt.
Es wäre müßig, den Wert einer kritischen Sprichwörtersammlung
allzulange zu schildern. Ich kann mich bloß mit dem Hinweis begnügen,
daß in neuerer altböhmischen Sprachforschung zuviel die Büchersprache
und Schreibertradition berücksichtigt wird, als die nie versiegende und
rein erhaltene Volkstradition. Ich kann nur die Fragen von der Wort-
folge, Satzgefüge, Enklise u. s. w. nennen, welche ohne eine solche
Sammlung gar nicht erörtert, geschweige denn gelöst werden können
(Bernekers bekanntes Buch mußte hier eben resultatlos die Segel strei-
chen). Zu einer solchen künftigen Sammlung will ich hier nur einen
kleinen Baustein liefern. —
Bis heute (siehe z. B. Vlcek's und Smetänka's Strucne dejiny lite-
ratury ceske, 1905,1,38) führt man in böhmischen Literaturgeschichten
die bekannte Sprichwörtersammlung Flaska's (in einer Handschrift der
zweiten Hälfte des XV. Jahrb. erhalten, 1826 von Palacky in Wittingau
gefunden, von ihm im Casopis Ceskeho Musea 1827, II, 62 — 70, heraus-
gegeben) als erste und zwar nur Volkstümliches bietende an. Und zwar
trotzdem schon Brückner im Archiv (a.a.O.), in den Krakauer Rozprawy
Die älteste böhmische Sprichwörtersammlung. 285
(Filol. XXII, XXIII), im Ateneum (1895, III, 160) u.s.w. hinlänglich
bewiesen hat, daß die Ansicht von der Priorität Flaska's wahrscheinlich
irrig ist, trotzdem schon Feifalik (in den Wiener Sitzungsberichten,
Phil.-hist. Kl. XXXII, 68S) unzweifelhafte Bücherweisheit in diesen
»rein volkstümlichen« Sprichwörtern nachgewiesen hat. Ich habe in
Öasopis Öesköho Musea (1905, 298 — 299) beide Einwendungen gegen
die hergebrachte Meinung wiederholt; jetzt kann ich — an der Hand
der Fingerzeige Brückners — die wirklich älteste böhmische Sprich-
wörtersammlung nachweisen und abdrucken.
Es ist bekannt, daß man schon in den ältesten böhmischen Versen
(z. B. in den Bruchstücken der Apostellegende, des Marienlebens, der
Passion u.s.w.) mit Recht Sprichwörter vermuten kann; in der Reim-
cbronik Dalimils sind sie verhältnismäßig am zahlreichsten und am
reinsten erhalten, während sich die Alexandreis mehr an die künstliche
Spruchdichtung anschmiegt. Aber die älteste, absichtlich nur Volks-
tümliches wählende, Sammlung der Volksweisheit und Volkslist gehört
doch erst der zweiten Hälfte des XIV. Jahrh. an.
Es hat schon Brückner in seinen soeben angeführten Studien mit
Recht die Anfänge der böhmischen Parömiographie an den Namen
Konrads von Halberstadt (etwa um das Jahr 1360) gekettet (S.
Rozprawy, filol., XXII, 46 — 50 und XXIII, 318). Er hat gezeigt, daß
dieser Mönch sein unvollendetes «Tripartitus moralium« (nur den ersten
Band »Poetarum et philosophorum dicta« finden wir in den Hdss.) haupt-
sächlich nach ähnlichem Handbuche Jeremias von Montagnone (etwa
um das Jahr 1300) zusammenstellte und daß in den böhmischen Hand-
schriften wahrscheinlich böhmische Sprichwörter hinzukamen. Dies
schloß er — wie richtig, werden wir gleich sehen — zuerst (in den
Rozpr. XXII, 50) aus sechs polonisierten Sprichwörtern, welche er in
zwei Krakauer Hdss. entdeckte, bekräftigte es durch weitere vier, wel-
che er in einer weiteren Hds. fand (Rozpr. XXUI, 318) und prophezeite
endlich (Ateneum, 1895, III, 160) wörtlich: ))Mysl9, ze w praskich od-
pisach dziela Konrada, ktorych dott\d nie widzialem — Czesi o tem
dziele nie wiedza nie — bqdzie przysiöw wi^cöj <f.
Seine Prophezeiung ist — allerdings erst nach einem Dezennium —
mehr als glänzend in Erfüllung gegangen. Die Prager Univers. -Biblio-
thek (s. J. Truhläi-, Catalogus codd. mss. latinorum . . I, 1905, S. 48
Nr. 130 und 229 Nr. 556) besitzt zwei Handschriften von Konrads Tri-
partitus: I C 37 (hier weiter als C zitiert) und III H 3 (als //"weiter);
286 V. Flajshans.
die erste aus dem Ende des XIV. Jahrh., die zweite anfangs des XV.
Jahrh. geschrieben. Beide Hdss. sind böhmischen Ursprungs (was von
der ersten auch der neue Catalogisator, Herr Gustos J. Truhlär, er-
kannte) — und in beiden finden wir (was bisher alle Benutzer und Be-
schreiber übersahen) nicht nur alle zehn Sprichwörter Brückners, son-
dern auch mehr als die doppelte Anzahl weiterer Sprichwörter. Beide
gehen auf eine gemeinsame Quelle zurück, beide eröffnen Perspektive
auf weitere in anderen Hdss. möglich zu findende Sprichwörter, beide
bieten uns also — wie Brückner richtig vorausgesehen hat — die
älteste böhmische Sprichwörtersammlung, etwa aus dem
dritten Viertel des XIV. Jahrhunderts.
Brückner fand zuerst sechs, später zehn Sprichwörter; die Hand-
schrift C bietet 26, die Hds. H 34, beide nahezu 40 Nummern. Von
diesen 40 Fällen kann man zwar ein Sprichwort (gyz toho nenye) als
eine bloße Glosse des späteren Abschreibers hinstellen, ein anderes
(sobye rzit lowka) wird bloß wiederholt; aber es bleiben immerhin
36 Sätze, welche die altböhmische Volkssprache etwa um die Hälfte
des XIV. Jahrh. so klar charakterisieren, wie kein anderes Dokument
(denn die böhmische Sprache in den Stadtbüchern, Urkunden und
Volksliedern ist erst späteren Datums). Nach dem, was hier gesagt
worden, ist uns in diesen 36 Sätzen nicht Alles erhalten, was in der
Prager Rezension Konrads vorkam; nach Polen sind sogar nur 10 ge-
kommen. Aber die Existenz dieser Sammlung ist doch außer allem
Zweifel,
Ich lasse nun die vollständige Sammlung nach Konrads Reihen-
folge und nach der älteren Hds. C (mit Ergänzungen und Varianten
von H) folgen ; bei jedem Sprichwort zitiere ich die älteren Belege. Die
Hds. C enthält unsern Tripartitus auf fol. l'a — 124^b; der Text ist un-
vollständig, von späterer Hand des XV. Jahrh. ergänzt (besonders auf
fol. 73—96). Sie gehörte im XVIH. Jahrh. dem Kloster Goldenkron,
aus welchem sie in die Clementina kam. Die Hds. H enthält unsern
Tripartitus zweimal: auf fol. 1 — 59 gekürzt, ohne böhmische Sprich-
wörter, auf fol. 60 — 221 ganz, aber unvollständig (nur bis »Uxoris
dileccio«). Beide Hdss. bieten die böhmischen Sprichwörter gewöhnlich
zu Ende der Absätze. Das Werk Konrads ist bekanntlich in alphabe-
tisch geordnete Sticliwörter (abicere — zelus) eingeteilt, in welchen be-
sonders' die Stellen der Klassiker und der Bibel häufig vorkommen; zum
Schluß dieser Artikel werden dann nach »Proverbium« die böhmischen
Die älteste böhmische Sprichwörtersammlung. 287
Sätze angeführt. Eine Null in Klammern zeigt, daß das Sprichwort in
der andern Hds. fehlt.
1. (C 12''a, H0) »Appetitus Tereneius in Andria: Quoniam
non potest fieri id, quod vis, id velis, quod possis ne yakz cJitye^ ale
yakz moliav. (sonst unbelegt).
2. (C 13'^a, H 74'') »Ars . . Secundum poetas . . Proverbium htoz
naywyecze z rzemefla vmye^ nayioyecze we pfi bywa« (in H naywy-
ecz; und z fehlt). Vgl. die Sammlung Srnec Nr. 336 «kdoz nejvice
remesl umi, nejspis ve psi byvä«.
3. (C 15^b; H0): »Adulator . . . Proverbium: Vendit oleum.
Postawuye maloivane hankyn (sonst unbelegt).
4. (C 29^a, H SP): »Certitudo .. Secundum poetas .. Plus valet
in manibus passer quam sub dubio grus lepy (jeden ptah lo ruku nezly
dwa leczycze lo czaff (in H ... letyecze . .). Vgl. Flaska 124: »Lepsi
ptäk V rnce nezli dva letiece«.
5. (C 0, H 9F): »Cura . . Secundum poetas . . . Plus alios quam
se quis nisi stultus amat Proverbium : Tak praivy foivka fobye rzyt
lowkan. S. unten Nr. 9; auch in zwei Krakauer Hdss. (bei Brückner
1. c); sonst unbelegt.
C. (C 41'^a, H ö?""): «Delectacio ... variacio ... Plus mellis habet
variata voluptas Proverbium A7ieb hy fye med przyegel (H: Ano . . .
przygyedl) (sonst unbelegt).
7. (C 4Pb, H 102'"): »Dicta ridiculosa .. Proverbium: Zagy-
eczyeho fkoku^ mramoroiceho olegye [d\ fwonoiueho zxouku \a k tomu
komaroweho fadld\ dohuda hudess zdraw [nebudely tebe nycz bolety] «
(in H fehlen die eingeklammerten Worte ; ebenso in den zwei Krakauer
Hdss.) (sonst unbelegt).
8. (C 42'a, H lOö"^) : »Diligencium absencia . . . Czo zuoczy,
io [take y^fmyßyii. (Worte in Klammern fehlen in II; . . iToczy . . H ;
sonst auch in einer polnischen Hds.). Vgl. IIus, 1415, in einem lateini-
schen Briefe: »Co s oci, to z mysli« (bei Palacky, Documenta Mg. J.
Hus . ., S. 102).
9. (C 0, H 105"^): )iDileccio . . . Plus alios quam se (quis) nisi
stultus amat. Proverbium: sobye rzit lowkau. S. oben Nr. 5.
10. (C 0, H lOG'): »Disciplina . . . Disco puer, dum tempus
habes, ne tempora perdes. Proverbium : vczfye a budcs knyczcm « (auch
in einer polnischen Hds.). Vgl. 'knihy hlubokych mudrcu': »uf se, aby
byl maudry« (in Casopis Cesköho Musea, 1S63, 75).
288 V. Flajshana,
11. (C0, H107''): »Disciplina.,.Disce puer, dum tempushabes,
dum sufficit etas. Proverbium yaks ffkragyeno aj'fyto^ tak muffy ze-
drano hyty<i (sonst unbelegt).
12. — 14. (C 37''a, H 110"^): Diviciarum utilitas . . . secundum
poetas. Proverbium :
Tat rzecz nefpomuoz^ penyez lepe muoz.
Ktoz nema penyez^ ten [ale] huhy gez.
Bez penyez na trh^ hez foly domuoio.
(Alle drei kommen auch in einer Krakauer Hds. vor). Sonst un-
belegt; nur das 14. hat eine Parallele bei Flaska 194: »bez penez na
trh, bez soli domöv« — wie schon Brückner bemerkte.
15. (C ST'^b, H IIP): »Diviciarum conservacio — Prover-
bium: Lecliczyecjye [gyeft\fwozu metaty nezly na icuoz klafty^^ (auch
in einer Krakauer Hds. ; statt klafty bietet H wkladaty, die Krakauer
Hds. mytaczy). Vgl. Flaska 72: kdy jeden na vöz naklädä a dva s
vozu, nebrzo ho nakladü.
16. (C SQ'^b, H 113'): ». . Donum . . De abstinencia . . Diogenes:
michi a sole; non obstes. Proverbium: stup my f plafftkun (auch in
einer polnischen Hds.; in H plaffczku, in der Dabröwka-Hds. placzku).
Sonst unbelegt.
17. (C 29^a, H 118"^): »Experiencia . . . Proverbium {Experto
crede Ruperto in H) Bywal ale nehude. Vgl. dasselbe Sprichwort in
einer Hds. des XV. Jahrh. der Prager Metropolitan-Domkapitelbiblio-
thek, sign. 0 LXXUI, fol. 172': Byval ale nebude.
18. (C 46% H 119'): »Fallere . . . Fallere fallentem de racione
potes Proverbium: wet melio czymz tymz(.(. Sonst unbelegt.
19. (C0, H 155^): »Loqui mala de aliis... Proverbium: zly zazik
(sie!) hlawye neprzyegea. Bei Flaska 169 unvollständig: jazyk hlave
nepreje.
20. (C 0, H 156'): »Loqui mala de aliis ... Quid invat ad surdas
si cantent plurimi aures. Proverbium: netrzeha we mlynye huftya.
Vgl. Flaska 209 : ve mlyne hudba neplati.
21. (C 0, H 156"^): »Ludus ... secundum poetas .. Sum nudus ut
passer, hoc fecit tasser et asser. Proverbium : ottecz fam hragye na-
czem mu ftrata na hagyed (man kann auch lesen 'na hagye'). Sonst
unbelegt und dunkel.
22. (C 83^, H 162^^): »Modus . . secundum poetas . . . modus est
Die älteste böhmische Sprichwörtersammlung. 289
certissima virtus. Proverbium: wffye whod dohroa. Ein wohlbekann-
tes Sprichwort; auch bei Flaska 17 5.
23. (C 75'', H 164''): «Morum coniectura . . secundum poetas . ,
Ex feda testa fetidus exit odor. Proverbium : Po runye pofnaty kuotyen
lin H .. kacze poznaty). Sinnverwandte Sprichwörter sind nicht selten;
in dieser Form jedoch unbelegt.
24. (C 76^b, H 0): «Miseria . . . Solacium est miseris socios ha-
bere penarum. Proverbium: Czyzye horze lydem Jmyechi.. Ein be-
kanntes Sprichwort; auch bei Flaska 50 (wörtlich).
25. (C 75''"a, H IGS""): »Multitudinis acceptabilitas . . Sed qua
non prosunt singula, multa iuvant. Proverbium: Pomalu, pomalu,
azffye naydev.. Sonst unbekannt.
26. (C Sl^'b, H 0): »Odium .. secundum Philosophos. Gyz toho
tienyea (vielleicht kein Sprichwort, nur ein Glossem des späteren Ab-
schreibers).
27. (C 82^a, H 169"^): »Obsequium . . . Obsequio removetur
amor. Proverbium: vmyefolkoioaty^'. Sonst unbelegt; sinnverwandte
neuere zahlreich.
28. (C 74^a, H 174^): «Ordo . . . certo procedit vestigio qui gra-
datim desiderio potitur accepto. Proverbium: znenahla rzadem gytya.
Sonst nicht belegt.
29. (C 84''a, H 175^): »Parentes . . secundum poetas. Prover-
bium: Qualis pater, talis filius nedaleko padne od yablonye yahlko(i.
Ein wohlbekanntes Sprichwort, auch in der Sammlung Öervenka's (und
Blahoslav; vor dem J. 1570) wörtlich (in Öasopis Öesk^ho Musea 1829,
IV. 62).
30. (C 0, H 177^): »Paupertas: Libertas pauperis haec est:
Pulsatus rogat et pugnis concisus adorat, ut liceat paucis cum dentibus
inde reverti Dyekuy panua (auch in einer Krakauer Hds. in der Va-
riante 'podzekuy panom'). Sonst unbekannt.
31. (C 96^b, H 18r): »Petere . . Vocis iusta petencium tribuat
efiectus. Proverbium: yakohy my darmo daU^ iin H: 'akomu darmo
dal nebe nechtyel). Sonst unbekannt.
32. (C 0, H 200'"): »Sacietas . . Dum satur est suculus, libens
cum gelnua ludit. Proverbium: Syte praffyc wyecJitem /ira^f. Dasselbe
Sprichwort wörtlich bei Flaska 213, mit kleinen Abweichungen sehr
bekannt.
33. (C 0, H 202^) : »Secretum . . . non bene secretum mulier tenet
Archiv für slavische Philologie. XXVJII. 19
290 ^- Flajshans,
ymmo revelat. Proverbium: yaJcohij hyrzicy dal dica haier zyev. Ein
bekanntes Spricliwort: 'jakoby birici gros dal' bei Srnec Nr. 8, Ko-
mensky Maudrost starych predkii (ed. Noväk) Nr. 169S u. s.w.
34. 35. (C 0, n 205''): »Sero . . . Proverbium Patella edificantur
turres. Proverbium: Pozdye Jiodye — vgela hodyenafklyczya. Das
erste ist wohlbekannt; schon in der Alexandreis (vgl. Gebauer, Slovnik
starocesky I. 443 s. hod)\ das zweite gänzlich unbekannt.
36. 37. (C 0, H 207'): «Societas . . . Consonus esto lupis, cum
quibus esse cupis Proverbium : S wlky wlczky wyczy. Aliud : Rowne
k rownemu^ zla zena chudemim. Beide Sprichwörter sind wohlbe-
kannt; das erste hat sich bis heute erhalten (s. die zahlreichen Belege
bei Jungmann, Slovnik V, 134, s. v. vik), das zweite schon bei Flaiska
97 in folgender Form: jedno k druh^mu, zlä zena chuddmu; komu se
dostane, vzdy jemu bieda bude.
38. (C 116'', H 21 P): »Tempus ... omnia fructificant, cum venit
apta dies. Proverbium: kdyz czeho cza/fa. Sinnverwandtes zahlreich;
in dieser Form unbelegt. —
Aus diesen, leider wenigen, Sätzen der Volksweisheit lassen sich
interessante Folgerungen ziehen. Es seien hier rasch nur einige
skizziert.
Das erste, was dem Leser auffällt, ist der rasche Wechsel der
Tradition ; fast die Hälfte dieser Trümmer ist uns unbekannt und schon
bei Flaska finden wir ein anderes Bild der Volksweisheit. Auch dies
bestätigt die bekannte Brücknersche Hypothese von dem Unvermögen
des Volkes, eine Tradition ohne schriftliche Fixierung zu bewahren und
unverändert weiterzutragen.
Das zweite, was ebenso auffällt, ist die frappante Übereinstimmung
der zweiten bekannten Hälfte unserer Sprichwörter mit der aus dem
folgenden Jahrhundert stammenden Sammlung Flaska's. Ich habe schon
für Flaska eine unbekannte Sammlung vorausgesetzt (in CCM. a. a. 0.) :
man kann jetzt getrost Konrad von Halberstadt zu den Quellen Flaska's
zählen. Neben Konrad hat er freilich auch die Bibel, den Alan, Dali-
mil U.S.W, ausgebeutet; aber Konrad war gewiß an erster Stelle. Kon-
rad ist also das erste Kettenglied der böhmischen Parömiographie ; mit
ihm fängt unsere Tradition an.
Außerdem fällt auch der Reichtum der Volkssprache gegenüber
der leeren Schriftsprache sehr auf. Um nur bei den Worten zu bleiben:
man würde es nicht glauben, daß in diesen paar Sätzen eine Reihe neuer
Die älteste böhmische Sprichwörtersammlung. 291
Wörter vorkommt, welche bei Gebauer, Slovnik starocesky, fehlen.
Die Wörter Hodhia^ byval (. . ale nebude), banky (postavovati), chudy
(= malus), lovka^ öimz-tymz u. s. w. würden wir in dem großen
Werke vergebens suchen \folkovati hat nur Belege aus dem XV. Jahrh. ;
fast alle bekannten Sprichwörter fehlen (so z. B. jabloü-jablko, biric-
halör U.S.W.). Für die Volkssprache des XIV. Jahrh. läßt uns also
Gebauers Werk im Stich; die so kernigen und farbigen Wörter und
Phrasen unseres Volkes kamen in den matten Übersetzungen und Nach-
ahmungen der Literaturwerke nicht vor . . .
Und noch eine Lehre kann man aus dieser kleinen Sammlung be-
herzigen. Ich habe schon in der Vorrede meiner 'Nejstarsi pamätky
jazyka i pisemnictvi ceskeho' (1903, 14 — 15) auf die Wichtigkeit des
Studiums der lateinischen Literatur für das Verständnis der altböhmi-
schen Texte hingewiesen und Brückners polnische Arbeiten als Muster
hingestellt. Aus unserer Sammlung kann in dieser Hinsicht Nummer 29
'Nedaleko padne od jablone jablko' als Schulbeispiel dienen.
Dieses Sprichwort zitiert nämlich Konrad als Volksgut gegenüber
dem lateinischen 'Qualis pater, talis filius'. Schon bei Hns finden wir
(Erbens Ausgabe, IL Bd., 322 : a ze jakyz otec, taciz synovö a küpiece
darmo nedadie . . und I, 24G : a jakyz otec, taciz synove: on jich ne-
tresce) die böhmische Übersetzung dieses lateinischen Sprichworts,
welche dann im XVI. Jahrh. in die böhmische und im XVUI. Jahrh. in
die polnische Schriftsprache (s. Adalberg s. v. ojciec) überging. Nun hat
K. Noväk in den Listy filologickö (1S89, XVI, 234—235) eine Samm-
lung aller böhmischen Sprichwörter bei Hus abgedruckt; er hat im
ganzen 15 gesammelt, darunter auch dieses. Aber es ist offenbar
falsch, zur Volkstradition künstliche Übersetzung lateinischer Sprich-
wörter zu rechnen: so beschaffen ist aber fast die Hälfte der Sammlung
— lauter gelehrte Imitation und Übersetzung aus dem Lateinischen, wie
die lateinischen Schriften Hus' ganz evident dartun. Dagegen fehlt in
der Sammlung Noväks die nicht unbeträchtliche Anzahl ganz sicher
volkstümlicher Sprichwörter, welche in den lateinischen Schriften Hus'
vorkommen — natürlich böhmisch. Eins aus seinen Briefen ('co s öci,
to z mysli') ist oben zitiert worden; andere finden wir in seiner Kepor-
tata ('neiiekaj hup, az preskocis'j, in den Bethlehem-Predigten ('strach,
by S(5 neosvetil', 'nodävi tebe crt za dva' u.s.w. Das vermeintliche alt-
böhmische Sprichwort 'jakyz otec, taciz synove' ist also zu tilgen —
volkstümlich war nur 'Nedaleko padne od jablone jablko', welches
19*
292 V. Flajshans, Die älteste bühmische Sprichwörtersammlung.
nach Konrad im XV. Jahrh. Herr Ctibor z Cimburka, im XVI. die
Sammler Cervenka und Srnec, im XVII. Komensky — und nach diesen
alle neueren Wörterbücher (so z. B. Jungmann I, 558 — 559 u. gabloü
gablko, Kott I, 594 u. s.w. — nur bei Gebauer fehlt es) und Sprich-
wörtersammlungen kennen (z. B. Liblinsky, Celakovsky u.s. w.). Da.«-
selbe Sprichwort finden wir schon Anfangs des XVII. Jahrh. im Polni-
schen bei Rysinski und dann in unzähligen Varianten (s. Adalberg,
Ksi^ga przystow 177 — 178): seine Varianten decken sich fast vollstän-
dig mit den böhmischen ; man wäre fast versucht, eine urwestslavische
gemeinsame Grundform zu erschließen, wenn nicht die nachhaltige
Warnung Brückners diese Neigung schon im Keime erstickte — und
wenn nicht eben Konrad von Halberstadt mit eben diesem böhmischen
Sprichworte nicht schon im XV. Jahrh. ein sehr beliebtes Erbauungs-
buch in Polen gewesen wäre. —
V. Flajihans.
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben,
mit besonderer Berücksichtigung des (jedichtes
»Zähofovo loze«.
Ein Beitrag zur Geschichte der neucechischen Prosodie und Metrik von
Jaroslav Sutnar.
(Fortsetzung.)*)
Ab. Erben's Yerse mit zweisilbigen Füßen.
Falsche Satzbetonung.
In diesen Zeilen kann natürlich von einer Satzbetonung nur inso-
fern die Rede sein, als hier ein einsilbiges Wort seine Betonung durch
die Satzstellung einbüßt (gleichwie bei der regelrechten Satzbetonung)
an ein zweites ein- oder mehrsilbiges Wort, welches meistens — ein
mehrsilbiges immer — vorangeht und weniger häufig — ein einsilbiges
*) Vergl. Archiv XXVII, S. 527—562; XXVIII, S. 94—116.
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 293
im jambischen oder trochäischen Versanfang oder auch im Innenvers
— nachfolgt. Das Bestimmen dieser falschen Satzbetonung müssen wir
in manchen Fällen als äußerst schwierig und bei aller Sorgfalt immer
doch mehr oder weniger subjektiv bezeichnen, aber wir suchten uns zu
helfen, indem wir bei den einschlägigen Belegen nach Möglichkeit den
Fingerzeigen Dobrovsky's bezüglich der Satzbetonung und dem Gehöre
selbst mit gebührender Berücksichtigung der ausführlichen Regeln
Kräl's (L. f. Roc. 25. [1S9S] 31-39) folgten. Besonders müssen
jedoch angeführt werden die von Dobrovsky (»Regeln f. d.
troch. Versart« 4.) mit Unrecht gutgeheißenen Unregelmäßig-
keiten mit zwei einsilbigen Wörtern von gleicher Wichtig-
keit (Muc, bij, oder auch: bij, muc): 1. Innenvers. Pok. mlc, mlc,
I 180 215 229, äch, ach, 213; S. k. buch, buch, 242 256 270; Z. k.
klop, klop, II 7; Vod. o pülnoci buch buch! IV 33, po treti buch buch!
41. 2. Versanfang. Pok. bTe hkd', 1221 228, ein ein! 222 230
II 55, a tresk, tresk! IV 62; Pol. bouch, bäc! 12, pojd , vem si ho 18;
Z. k. hola hej ! 18; Vod. buch buch! IV 20. (Dagegen wollen wir den
Gesetzen Dobrovsky^s gemäß als eine verhältnismäßig harmlose Licenz
gelten lassen die zahlreichen Fälle mit wichtigen einsilbigen Wörtern,
welche im jambischen Versanfang — und demzufolge auch stellenweise
im Innenvers nach einer Cäsur beziehungsweise Diäresis — ihre Be-
tonung angesichts der Betonung des folgenden mehrsilbigen Wortes
verlieren.) Die übrigen Belege werden in zwei Klassen eingeteilt, je
nachdem es lange oder kurze Silben sind, zu deren gunsten die wich-
tigen einsilbigen Wörter ihre Betonung mit Unrecht einbüßen. Inner-
halb dieser zwei Klassen wird wieder noch darauf Rücksicht genommen,
ob der Beleg im Innenvers oder im Versanfang steht, wodurch es zur
Bildung von zwei weitern Unterabteilungen kommt.
I.
Ein wichtiges einsilbiges Wort verliert seine Betonung
an eine lange Silbe.
^ ^'
1. Innenvers: Pok. klekne a klin rozestini I 100 203, lice a rty
zesinale III 18, po cely rok oplakane IV 55; S. k. prvni rok pradla
^ w ' ^ w
hledivej 31, druhy rok platno polivej 32, pöknä noc, 95 129 165, zmi-
zel dav, i zly jeji druh 291 ; Z. k. s sebou ten nüi böi'ete HI 17, ty jsi
294 Jaroslav Sutnar,
ten had, 27; Vest. druhe dva svadly 35, ostry mec tebe probode 70,
\_/ >^ ^ \-/ ^
novy les vitr zaseje 134, bodeji se i s nim propadlo 1G4, tisic let uslo
■^ ^, y
193; 0. i. 45. pomazal Buh uad tv6 soucasniky 24; 0. z. 140. i zly
jejich vüdce 20.
w ^ _ w w
2. Versanfang: Pok. a dnes velky pätek I 12, a hie! 17, a zde
\y >^ \y \^ \y ^
tolik tech pokladü 135, a jde, 145, a hie, 170, a kde sine II 24, a slysl
IV 1, ähb! 5 20 36 70 96, ä dnes velky pätek 8 ; S. k. jTz js^m kosile
usila 36, jiz jsem je v truhle sloSila 37, coz bych se biila 99 133, jak je
tvüj domek upraven 136; Pol. a hie, 19, tu slys: 41; Z. k. vsak jsem
ja ani netusila III 3, pojd jiz Dornicko 11, tes se s uim, 32, köz bych
<^ ^ ■^
ten kolovrätek mela 24, k^z bych ten kuzelicek mela 84 ; Vod. tu se
\^ ^ \^
s ni lävka prolomila II 22, a chces-li mne rybou miti III 93; L. tu mu
krälovsky posel nese list 64; D. k. a kde najdes . . kvetu 31 33; 0. z.
45. a rty tvoje milost . . dys! 8.
II.
Ein wichtiges einsilbiges Wort verliert seine Betonung
an eine kurze Silbe.
V — ^ / / ^
1. Innenvers: S. k. skoe a pojd a me doprovod 72, byla noc,
85, jako had tebe otoei 146, masa dost — 206; Pol. vüz i husärek 11 ;
L. i müj zhyne vek 56; Vest. a co rok roste 100; 0. budiz i ty stälä
15; 0. z. 45. slysizävTz, 29.
2. Versanfang: Pok. a tarn, I 65, a tak v dusi sv6 rokuje 131,
a ja byla bych bohata 139, jak se tu zena lekä II 27, co den zneji UI 7,
\^ ^ \^' \y ^
ach tot' se tak modli tise 19; S. k. ziv-li a zdräv 43, vrat mi mileho
46, skoc a pojd a me doprovod' 72, ze-te na bllzku umrlec 94, ziv-li
a zdräv je 102, jest-li mi postaciti chces 114, ze-te na blizku nestestl
122, nie se, 204, vsak jsi ty vzdy byl prede mnou 216, vsak jsi byl na-
pi-ed 217, skoc a ukaz mi cestu 219; Z. k. stroj se, III 6, mej se tu
dobre 58, jak se tam vedlo divcine IV 2, z nicbz se ji zivobytl lilo 4,
tak mi dal otec poruceni 89, pojd se mä pani posadit V 11, pak ho jiz
nikdo neuvidel VI 24; S. d. zdä mi se byti v kostele III 36, vsak mi se
— ^ y — ^
rozednlvä 38; Vod. a ja bych se rads videla III 31, a nie jsi mi po tu
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 295
\_/ \j \^'
dobn 75, co dis, 92 ; V. kde se ci nemoc rodi 55 ; L. chce mi sc na lov
\^' \-^
22 23, zdä mi se, 24 40, tu mu zalostnä v üstrety jde vest 78 ; D. k. a
\^^ _ \y ^, \y ^
CO minis uciniti 21 23, a co vzkäzes hochu 41 43, a co nechäs . . matce
V ^ — o V ^v — V
51 53; Vest. tu se muj vesti ozve blas 4, proc si je palcem zacpäväs
^■■■^ \^
190; P. V. vsak jsi je v srdce sam byl . . nasil 36; P. J. a ja chtel bych
nest okovy 3, a ja mäm jich jazyk tajit 9.
Unter den eben aufgezäblten Belegen finden wir — abgesehen von
den 2 Fällen mit vorangehendem dreisilbigen Wort iminnenversi
— durchgehends solche mit vorangehendem (8 + 5 mal im Innen-
vers und 19 + 15 mal im trochäischen Versanfang) oder nachfolgen-
dem (ausnahmslos: 12 -1- 28 mal im jambischen Versanfang, ausnahms-
weise: 3 mal im trochäischen Versanfang II und 1 mal im Innenvers II)
einsilbigen Wort oder mit einem — dem einsilbigen Worte
hier fast gleichzustellenden — vorangehenden zweisilbi-
gen Wort (nur im Innenvers 10 -|- 3 mal), wobei die einsilbigen Wörter
ihre Betonung in 20 + 31 Fällen an eine lange Silbe verlieren und nur
in 8 -|- 1 7 Fällen mit Hilfe der letztern reine Quantität erzielen. Die
meisten Unregelmäßigkeiten kommen natürlich wieder im Versanfang
vor: 31 -f- 46 gegen 20 + 9 im Innenvers. Man könnte freilich unter
diesen Abweichungen noch einiges — durch Annahme eines besonders
starken Nachdruckes — für korrekt erklären, aber diesem Nachdrucke
wichen wir — wegen seiner stellenweise ziemlich großen Unbestimmt-
heit — grundsätzlich aus. Überhaupt sieht man bei den Unregelmäßig-
keiten wenig von Rücksicht auf die Quantität der betreflfenden Silben.
Eher werden wir — durch Vergleichung der Gesamtzahl der Abwei-
chungen (106) mit der verhältnismäßig geringen Zahl der Belege in I
(51) — zu der Ansicht gelangen, daß dieselben ihre Existenz größten-
teils bloß einem blinden Zufall zu verdanken haben.
Ba. Erben's Verse mit dreisilbigen Füßen.
Falsche Wortbetonung.
Die dreisilbigen Versfüße kommen bei unserm Dich-
ter— abgesehen von den zweifüßigen Daktylen (vor Pausen
eigentlich Kreticis nach Kräl's Regeln [L. f. Roc. 25. (1898) 3S]) in der
P. m. n. 36—43 — nur in Verbindung mit zweisilbigen Vers-
füßen vor (ausnahmsweise ein Daktylus im Trochäenvers: Vod. 113'
296 Jaroslav Sutnar,
Anapäste in Jambenversen : Z. k. II 1 1 ; h. d. I 7 mit der Unregel-
mäßigkeit : blizouoko [IUI stedry den, V 3 1 mit den Abweichungen :
v-', ^^ ^> '■^" ^,, \^ ••^ ^ ^
straaiivou [IVj poznati [II] jistotu; Vest. 5: nechtejte ;II] väJiti [IV]
••^ . ^^ ^ ^ _ ^y
lehce reci moji, 17: videla [IV] jaem mu2e, 21 : prisli poslov^ [IV] od
^-^ \y v^ v_/
valnöho snemu, 57 : videla [IV]jsem8kälu, 63 : videla [IV]J3emkneznu,78,
■^ \u -^ ^y -^ ^^
93: videla [IV] jsem tebe, 117: videla [IV] jsem kostel, 118: slyseia
[IV] jsem jeho . . zvon), wobei die so zusammengesetzten
Verse noch ziemlich spärlich vertreten sind (außer den be-
reits erwähnten Versen noch: §. d. 1, 3, 5, G, 8, 10, 12, 14, 16, 18.
20, 21; III 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31,
33, 35, 37, 39; IV 5, 6, 12, 13, 19, 20, 27, 28; V 1, 3, 5, 6, 25, 26,
28, 30; P. m. n. [1, 2] 5, 7, 10 [12, 13] 15, 16, 18, 19, 20, 22, 24, 26,
27, 28, 29 [30, 31] 44, 45, 46 [48, 49] 54, 55, 56, 58, 59, 60, 61, 63,
65 [66, 67] 73, 74, 75, 76, 78, 79, 81, 83 [84, 85] 90, 92 [94, 95];
S. 13-16 == zusammen 102 Fälle). Auch hier kommen natürlich Un-
regelmäßigkeiten zum Vorschein, welche sich jedoch in zweierlei Rich-
tung bewegen. Die einen entsprechen vollkommen den in zweisilbigen
Versfüßen giltigen «Principien« mit dem Unterschiede, daß bei vier- und
mehrsilbigen Wörtern der unbetonten ersten Silbe statt der Trochäen
in den zweisilbigen Versfüßen hier ein Daktylus folgt. Auch die andern
verdanken ihr Sein denselben Beweggründen, die bei Entstehung der
besprochenen «Grundsätze« mitgewirkt haben. Aber sie sind eine
Eigentümlichkeit der Verse mit dreisilbigen Füßen, da hier überall zwei
tonlose Silben neben einer betonten stehen. In diesem zweiten Falle
verliert nämlich bei drei- und mehrsilbigen Wörtern die erste Silbe ihre
Betonung zu gunsten der dritten Silbe, mit denselben vier Abstufungen,
wie sonst die erste Silbe ihre Betonung an die zweite verliert. Fassen
wir nun die beiden Arten von Unregelmäßigkeiten zusammen, so können
wir die darin enthaltenen »Principien« folgendermaßen stilisieren:
I, Die einsilbigen Präpositionen brauchen nicht immer die Betonung
\^' \_/ v_/ \^ \^ -^
der folgenden Wörter an sich zu reißen (z.B. bez pnkladu, ve hlubinäch
u. 8. w.); gar nicht vertreten sind jedoch die — theoretisch gleichfalls
zulässigen — Fälle mit (tonlosen) zwei einsilbigen Präpositionen.
II. In den mittels einer einsilbigen Präposition, Negationspartikel
oder eines andern einsilbigen Wortes zusammengesetzten Wörtern kann
die erste Silbe als erster Bestandteil der Zusammensetzung ihre Betonung
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 297
\_/ \^v-/ \y v^ \_/
an den zweiten Bestandteil verlieren (z. B. zalövali, pohledeni u. s. w.),
was auch bei denselben Wörtern (selbstverständlich nur Nominibus) mit
vorangehender einsilbiger Präposition und den mit Hilfe zweier ein-
silbigen Präpositionen oder einer einsilbigen Präposition und einer
einsilbigen Negationspartikel u. s. w. oder eines zweisilbigen Wortes
zustande gekommenen Zusammensetzungen bezüglich der ersten zwei
Silben geschehen kann (z. B. na pokäni, po nemoci u.s.w. ; rozprostiral,
nerozumem u. s. w. ; obeznämil, okamzeni u.s.w.).
III. In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe (z, B. behävali
u. s. w.) oder die ersten zwei Silben (z. B. miloväni u. s. w.) ihre Beto-
nung an die natur- oder positionslange zweite beziehungsweise dritte
Silbe verlieren, wenn diese auch nicht die erste Silbe des zweiten be-
ziehungsweise dritten Bestandteiles einer Zusammensetzung bildet.
IV. In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe (z. B. protivila
u. s. w.) oder die ersten zwei Silben (z. B. uciteli u. s. w.) ihre Betonung
an die zweite beziehungsweise dritte Silbe verlieren, wenn diese auch
nicht die erste Silbe des zweiten beziehungsweise dritten Bestandteiles
einer Zusammensetzung bildet und auch keine Natur- oder Positions-
länge enthält.
Abgesehen von den oben angeführten Versen mit ausnahmsweise
vorkommendem dreisilbigen Fuße sowie den Zweifüßlern in der P. m.n.
36-43 ^mit der Unregelmäßigkeit: s oseni - mdmu poteseni [II] 41, 43)
und im S. 13—16 befinden sich fast alle Verse im Besitz einer dem Sinn
entsprechenden und häufig noch durch Interpunktionszeichen erhärteten
Diäresis, welche sich regelmäßig nach dem zweiten Versfuß einfindet.
Mit Ausnahme des siebenmal sich wiederholenden Verspaares : Mäjovä
nocl mäjova, noc! prvni majovd uoc ! bestehen diese Verse durch-
gehends aus vier akatalektischen oder katalektischen Füßen, wobei ein
Daktylus — mit oder ohne Auftakt — entweder im ersten oder im
dritten Versfuß oder auch in beiden zugleich den Trochäen im zweiten
und vierten Versfuße gegenübersteht. Die 45 Verse mit anakrusischem
oder nichtanakrusischem Daktylus im ersten und dritten sowie akata-
lektischem Trochäus im zweiten und vierten Fuße (§. d. I 1, 3, 12 ;
III und IV: alle daktylisch-trochäischen Verse; V 1, 3, 6, 20, 2S : P.
m. n. 24, 26, 27, 54, 56, 58, 60, 76, 78) werden durch die Diäresis in
zwei gleiche Hälften geteilt, von denen sich auch jede im Bedarfsfalle
298 Jaroslav Sutnar,
— gleich den zweifüßigen Daktylo-Trochäen im S. 13-16 — als ein
selbständiges Ganzes auffassen läßt. (In 24 Fällen stimmt die Inter-
punktion mit der Diäresis überein, und nur in 3 Fällen entspricht die
Diäresis dem Sinne nicht vollkommen). Deshalb und der größern Ein-
fachheit wegen haben wir auch nach der Diäresis im dritten Fuße die
Möglichkeit eines Auftaktes angenommen, obwohl man sonst den Vier-
füßler mit nichtanakrusischem Daktylus im ersten und anakrusischem
Daktylus im dritten Fuße ganz gut auch einen vierfüßigen Daktylus mit
trochäischem Ausgang nennen und den hier nicht vertretenen Vierfüßler
mit anakrusischem Daktylus im ersten und dritten Fuße sogar als
»überschüssigen« vierfüßigen Anapäst (vgl. Westphal [214]) mit jambi-
schem Anfange messen könnte. Verse mit Auftakt im ersten Fuße
kommen unter den Daktylo-Trochäen überhaupt nur in 7 Fällen (ö. d.
I 8, 10, 12, 14, 18; P. m. n. 18, 19) vor, wogegen der Auftakt im
dritten Fuße doch 13 mal (S. d, I 3; III 11, 15, 27; IV 5, 6, 12, 13,
20, 27, 28; V 3; P. m. n. 90) vertreten ist. Weiter müssen wir wohl
auch die ganz seltenen Fälle mit der dem Zusammenhange des Satzes
nicht ganz entsprechenden Diäresis entschuldigen, da solch ein kühnes
Enjambement zur Entstehungszeit unsrer Dichtungen sogar im Vers-
schlusse nicht als unmöglich galt. Schließlich sollen noch die
Unregelmäßigkeiten in den vierfüßigen Daktylo-Trochäen
mit nur einem Daktylus gleich hier oben aufgezählt wer-
den (1. Versschluß [mit Reim]: S. d. kolovrätku - jiz na krätku [I]
15 20,621; P. m.n. vence - sv^ milence [III] 62, 63. 2. Innenvers
a) vor der Diäresis: S.d. ejhle adventu [III] I 6, mllo-te devceti
[IV] 8, vsak jest adv"entu [III] 21, nezli budoücn'ost [III] V 30; P.m. n.
chvostata [IV] 18, smäcejte ve smole [I] 19, kazdy na poctu [I] 63, ve-
chet serednd [III] 65, sednu na chvoste [I] 74, a hej kominem [III] 7.^,
\y v^
vetvi mäjovych [IV] 81; b) nach der Diäresis: 0. 3. Versanfang:
S. d. milo[IV] -te devceti I 8, budiz [III] ty mi zinkou 14 ; P. m. n. smd-
cejte [III] ve smole 19), so daß dann zur systematischen Auf-
zählung der Unregelmäßigkeiten in den Vierfüßlern mit je
einem Daktylus in beiden Vershälften geschritten werden
kann. (Die Abweichungen im Innenvers werden hier zum Unterschiede
von denen bei den zweisilbigen Versfüßen noch in zwei Unterabteilungen
geteilt, je nachdem sie sich vor oder nach der Diäresis befinden.)
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 299
I.
Die einsilbigen Präpositionen brauchen nicht die Be-
tonung der folgenden Wörter an sich zu reißen.
V ^ V-'
1. Versschluß (mit Reim): S. d. kolovrätku — zase na krätku,
V 5, 6.
2. Innen vers a) vor der Diäresis : S.d.vseckot ve sveteV 26;
b) nach der Diäresis: S. d. od kostela z rana IV 5.
3. Versanfang: 0.
II.
In den mittels einer einsilbigen Präposition, Negations-
partikel oder eines andern einsilbigen Wortes zusammen-
gesetzten Wörtern kann die erste Silbe als erster Bestand-
teil der Zusammensetzung ihre Betonung an den zweiten
Bestandteil verlieren, was auch bei denselben Wörtern
(selbstverständlich nur Nominibus) mit vorangehender ein-
silbiger Präposition und den mit Hilfe zweier einsilbigen
Präpositionen oder einer einsilbigen Präposition und einer
einsilbigen Negationspartikel u. s. w. oder eines zweisilbigen
Wortes zustande gekommenen Zusammensetzungen bezüg-
lich der ersten zwei Silben geschehen kann.
V V-/ V^ 'w'
1. Versschluß (mit Reim): S. d. kolovrätku - jen na obnitku.
V25, 26.
2. Innenvers a) vor der Diäresis (mit Reim): P. m. n. a na
v-/ W
rozchäzku — läsku 56 ;
b) nach der Diäresis: S. d. okolo pastyre III 11, v osudne
\y_\y \y \j _ \y \y
t6 dobe IV 12, zaliväna rosou 27, podsecena kosou 28.
3. Versanfang: 0.
III.
In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe oder die.
ersten zwei Silben ihre Betonung an die natur- oder po-
sitionslange zweite beziehungsweise dritte Silbe verlieren,
wenn diese auch nicht die erste Silbe des zweiten be-
ziehungsweise dritten Bestandteiles einer Zusammen-
setzung bildet.
300 Jaroslav Sutnar,
1. Versschluß (mit Reim): S. d. sire - okolo pastyi-e, III 9, 11,
llcko - zlatö srdicko ! 17,19, temnö — co dostal ode mne- 25,27, mezi
bilymi nimi 37, 39, z riina — kvitim osypäna IV 5, G, svice — trouby
hiaho'irce'l9, 20.
2. Innenvers a) vor der Diäresis: S. d. jako ovecky III 11,
Hani^ko, 19, jsou to druzicky, 39, bilö driizicky, IV 19, bedoväni, 20,
vsak jest udventu V G ;
b) nach der Diäresis: S. d. starä podnmuje I 3, sve^i
\^ „ v^ _. \_/
stopu znäti III 15, kvitim osypäna IV G, domü vede k sobe 13, trouby
<y _
hlaholice 20, starä polehuje V 3.
3. Versanfang: 0.
IV.
In mehrsilbigen Wörtern kann die erste Silbe oder die
ersten zwei Silben ihre Betonung an die zweite be-
ziehungsweise dritte Silbe verlieren, wenn diese auch
nicht die erste Silbe des zweiten beziehungsweise dritten
Bestandteiles einer Zusammensetzung bildet und auch
keine Natur- oder Positionslänge enthält.
1. Versschluß (mit Reim): S. d. duje — starä podnmuje, I 1, 3,
\y \^ ^y\^ \y
bije - zlatä Marie! III 29, 31, duje - starä polehuje, V 1, 3; P. m, n.
^/ V-^ _ v^
na rozloucenl — me poteseni ! 54.
V y '^ V_/
2. Innen vers a) vor der Diäresis: S. d. prijde mlädenec I 12,
tak videla jej IV 12;
b) nach der Diäresis: 0.
3. Versanfang: 0.
In Übereinstimmung mit der geringen Anzahl der hieher gehörigen
Verse sind auch die Unregelmäßigkeiten spärlich vertreten, so daß sogar
in einigen Abteilungen kein einziger Beleg vorkommt. Auch bei Heran-
ziehung dieser Abweichungen haben wir natürlich den Zusammenhang
berücksichtigt, soweit es der Versschluß oder die Diäresis oder die
durch Interpunktionszeichen augedeuteten Pausen zugelassen haben.
(S. auch Anmerkung 47)!) Trotz der kleinen Anzahl der Unregel-
mäßigkeiten halten wir es doch mit Rücksicht auf die weitern Ausfüh-
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 30 1
rangen nicht für überflüssig, wenn im folgenden ein kurzer Überblick
über diese Belege gegeben wird.
1,1. 1 Fall mit einsilbiger Präposition und zweisilbigem Nomen
(mit langer erster Silbe des Nomens, aber nicht rein quantitierend);
2. a) 1 Fall mit einsilbiger Präposition und zweisilbigem Nomen (ohne
lange erste Silbe des Nomens), 2. b) 1 Fall mit einsilbiger Präposition
und dreisilbigem Nomen (mit langer erster Silbe des Nomens, aber nicht
rein quantitierend); 3. 0.
II. /. 1 Fall mit einsilbiger Präposition und dreisilbiger Zusammen-
setzung : mit Betonung auf d. zweiten Silbe des Nomens (rein quantitie-
rend); 2.a) 1 Fall mit einsilbiger Präposition und dreisilbiger Zusam-
mensetzung: mit Betonung auf d. zweiten Silbe des Nomens ^mit langer
zweiter Silbe, aber nicht rein quantitierend), 2. h) 2 Fälle mit dreisilbi-
ger Zusammensetzung und mit Betonung auf d. zweiten Silbe (darunter 1
mit langer zweiter Silbe, aber nicht rein quantitierend), 2 Fälle mit
viersilbiger Zusammensetzung und mit Betonung auf d. zweiten Silbe (da-
runter 1 mit langer zweiter Silbe, aber nicht rein quantitierend) ; 3. 0.
III. /. l Fall mit zweisilbigem Worte (rein quantitierend), 3 Fälle
mit dreisilbigem Wort und mit Betonung auf d. zweiten Silbe (darunter 1
rein quantitierend), 2 Fälle mit viersilbigem Wort und mit Betonung auf
d. dritten Silbe 'rein quantitierend); 2.a) 5 Fälle mit dreisilbigem Wort
und mit Betonung auf d. zweiten Silbe (darunter 4 rein quantitierend), l Fall
mit viersilbigem Wort und mit Betonung auf d. dritten Silbe (nicht rein
quantitierend), 2. h) 6 Fälle mit zweisilbigem Worte (darunter 1 rein
quantitierend); 3. 0.
IV. /. 1 Fall mit dreisilbigem Wort und mit Betonung auf d. zweiten
Silbe, 3 Fälle mit viersilbigem Wort und mit Betonung auf d. dritten Silbe ;
2.a) 2 Fälle mit dreisilbigem Worte: 1 mit Betonung auf d. zweiten und
1 auf d. dritten Silbe, 2.b) &\ 3. 0.
Die beigefügte Tabelle zeigt uns, daß hier im Gegensatz zu den
wenigen zweisilbigen Belegen nach der Diäresis (nur 1 mal im Vers-
schluß) am stärksten die dreisilbigen Wörter mit Betonung fast durch-
gehends auf der zweiten Silbe (nur 1 mal mit Betonung auf der dritten
vertreten sind. Die weniger zahlreichen viersilbigen Belege stehen zur
überwiegenden Mehrheit mit Betonung auf der dritten Silbe im Versschluß
oder vor der Diäresis und nur in wenigen Fällen mit Betonung auf
der zweiten Silbe nach der Diäresis — möglich auch im Versanfang — ,
302
Jaroslav Sutnar,
Übersichtstabelle.
Wörter.
Z
weisilbig.
Dreisilbig.
Viersi
Ibig.
I.
u.
/.
1:1 n+ ) 1
■2.a)
1 fl+ )
■2.b)
1:1
(1+ ) 1
3.
2:1 (2+ )
1:1
(1+ i
1.
1:1 :1
( +1)
2.a)
1:1
( +1)
2.b]
2:1 (24- )
2:1
(2+ )
3.
4:2 (4+ )
5:4:1
''H + 2j
III.
1.
1:1:1
3:3:1 (3+ )
2:2:2
( +2)
2.a)
5:5:4 (5+ )
1:1
( +1)
2.b)
6:6:4
3.
7:7:5
12:10:5 (12+ )
8:7:3
(3+5i
IV.
1.
1 (1+ )
3
1 +3,
2.a)
2 (1 + 1)
2.b)
3.
7:7:5
15:10:5 (14 + 1)
11:7:3
(3 + 8)
wie überhaupt in diesen Versen auf der einen Seite Versschluß und
Innenvers vor der Diäresis und auf der andern Seite wiederum Innen-
vers nach der Diäresis und Versanfang sich mehrfach ähneln. Auch
hier hat in den ersten zwei Klassen verhältnismäßig sehr oft die Länge
der betreffenden Silbe (natürlich mit geringerer Anzahl rein quantitie-
render Belege in den ersten drei Klassen) auf die Unregelmäßigkeiten
eingewirkt, unter denen die verhältnismäßig meisten (1 1 von den 13 Fällen
im ganzen) bei den anakrusischen Daktylen (nach der Diäresis im ganzen
12 und im Versanfang im ganzen 1) wegen ihres Auftaktes vorkommen.
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erbeo etc. 303
Bb. Erben's Terse mit dreisilbigen Füßen.
Falsche Satzbetonung.
In dieser Abteilung schließen sich bei den Versen mit dreisilbigen
Füßen den tonlosen einsilbigen Wörtern begreiflicherweise auch noch
tonlose zweisilbige Wörter an, wo man natürlich von einer Satzbetonung
auch nur insoweit reden kann, als diese Wörter gleichfalls ihre Betonung
an die unmittelbar vorangebenden (oder ausnahmsweise: nachfolgenden)
Silben gänzlich verlieren. Ursprünglich waren — unter Einfluß der
Quantitätslehre — diese Silben wohl lang, wogegen die zweisilbigen
Wörter selbst kurze Silben besaßen. Aber später ging man weiter, in-
dem man auch die Kürze der vorangehenden (oder ausnahmsweise: nach-
folgenden; Silben und lange Silben in dem zweisilbigen Worte zuließ ^^j.
Wir zählen zum Schluß wieder noch die Belege in den
Versen mit nur einem Daktylus auf (1. Zweite Vershälfte:
P.m.n. lec na tu chvili 45, at' bude zdrävo 92. 2. Erste Vershälfte:
S. d. ja tobe muzem I 16; P. m. n. a kolem ohne 16, tak jako stastnä
29, a hej kominem 75 [S.jsounase präva 14, kdos o ne s nämi 15]), und
die Unregelmäßigkeiten in den Daktylo-Trochäen mit zwei Daktylen
teilen wir im folgenden je nach der Länge oder Kürze der vorangehenden
(oder ausnahmsweise: nachfolgenden) Silbe in zwei Abteilungen, wobei
noch darauf Rücksicht genommen wird, ob sich dieselben in der ersten
oder in der zweiten Vershälfte befinden.
48) Nach KrsU (L.f.Roc. 20. [1893] 194, 197) will selbst Dobrovsky in der
ersten Auflage der Pelzel'schen Grammatik (wir haben sie nicht benützen
können) jene zweisilbigen Wörter als Pyrrhichien gelten lassen, bei denen
zwischen zwei kurzen Vokalen nur ein einziger Konsonant steht. Auch noch
in der zweiten Auflage derselben Sprachlehre (212) ist er nicht ganz abge-
neigt, «nach einer stark betonten Silbe einige zweisilbige Wörter als Pyrrhi-
chien zu gebrauchen'-. Außerdem ist auch interessant, was J. Nejedly in der
dritten verbesserten Ausgabe seiner »Praktischen böhmischen Grammatik
für Deutsche« (Prag 1821) sagt (320): »In daktylischen Versarten kann man
auch . . . zur Abwechslung des Verses die zweisilbigen Wörter, und bei mehr-
silbigen die ersten zwei Silben als Pyrrhichius . . . gebrauchen. Allein dies
muß mit der größten Behutsamkeit und Delikatesse geschehen, da es doch
nur immer eine poetische Freiheit . . . ist. Die Silben, die man als Pyrrhichius
gebrauchen will, dürfen nur einen, höchstens zwei Mitlaute zwischen ihren
geschärften [kurzen] Selbstlauten haben, und in der Aussprache gleichsam
dahin schlüpfen. Dergleichen sind : tobe, . . . otce . . .» (S. auch Kräl [L. f. roi.
21. (1894) 248] bezüglich der vierten Auflage desselben Buches!)
304 Jaroslav Sutnar,
I.
Ein wichtiges (ein- oder) zweisilbiges Wort verliert
seine Betonung an eine lange Silbe.
1. Zweite Vershälfte: B. d. mrnz v okna duje I 1, dve jmena
milä UI 1, vsech noci msiti 13, svezi stopu znati 15, vidim dv^re 23,
domü vede k sobe IV 13, mniz v okna duje V 1.
2. Erste Vershälfte: S.d. ach vidim domek 111 21, ach vidim,
33, vsak 16pe v mylne V 28; P. m. n. tak jako slunce 27, hej paui
matky 78.
II.
Ein wichtiges (ein- oder) zweisilbiges Wort verliert
seine Betonung an eine kurze Silbe.
1. Zweite Vershälfte: S.d. je mlhy mnoho 111 33, a mezi nimi
39; P. m. n. tu nasi läsku 56, co byla v mlädl 60.
2. Erste Vershälfte: S. d. tma jako v hrobe I 1, ta jedna kleci
in 17, a za ni hejsa IV 6; P. m, n. kdo ve sv^ sily 24.
Wir wollen wieder in einigen Worten eine Sichtung des uns hier
gebotenen Materials vornehmen. Die durchweg zweisilbigen Belege
kommen mit vorangehender langer Silbe 6 mal — und 1 mal mit folgen-
der langer Silbe — in der zweiten und 5 mal in der ersten Vershälfte
vor, aber es befindet sich unter ihnen nur ein einziger rein quantitieren-
der Fall: mit langer vorangehender Silbe und mit kurzen Silben des
zweisilbigen Wortes. Mit vorangehender kurzer Silbe finden sich in
den beiden Vershälften je 4 Belege 4^).
*9) Über die als Pyrrhichien zu messenden zweisilbigen Wörter sagt
Kräl in seinen Regeln (L. f. Eoc. 25. [1898] 37) folgendes: »Take slova dvoit-
slabicnd mohou nekdy temer docela tratiti pfizvuk, stoji-li pred slabikou
nebo za slabikou s prizvukem vetnym. Ale mohou to byti jen slova obsazne
mälo zävaznä a vice formälniho vyznamu : ano, ale, veru, nebo, tedy, tudy, zase,
bt/chom, byste a j.; na pr. Ja veru nevim. bli bychom radi . . . Ale on to
wechce. Veru Ärozne se wylis. ilfZcim; nebo wZcet je zZato. To aby cer< vzal.
Jd jenom nechci. — Po silnem prizvuku a pred pfizvukem rovnez silnym
mohou i jinä slova- arei ve vete nezävaznä- tratiti skoro svüj prizvuk: Jak
kräl tomu mohl jen rerit? Ja za to nemohu. Ty o ne westojis. — Tireba vsak
vzdy miti na pameti, ze Ize uzivati slova dvouslabicneho jako pyrrhichia jen
Prosodisches und Metrisches bei Karel Jaromir Erben etc. 305
Nach dieser Übersicht wollen wir uns endlich — ausgerüstet mit
den aus den übrigen Dichtungen Erben's abstrahierten prosodischen
und metrischen Regeln — unserm Gedichte Zähorovo loze zuwenden,
welches hier mit Bezeichnung des Metrums und mit prosodischer Ana-
lyse vollständig zum Abdruck gelangt, da wir es — zur bessern Kon-
trolle seitens der Leser über die Ausführungen im folgenden Abschnitt
— für unerläßlich hielten.
tehdy, kdy vskutku pfizvuk temer docela trati. Je to v pripadech iKdkych, a
zvläste na pocätku vety [38] jen slova velmi luälo obsaznä a stojici pred velmi
silnym prizvukem mozno tak meriti.« (S. auch Kräl: L. f. Eoc. 2(). [Ii9'6] 351.
352 u. s. w.!)
(Fortsetzung folgt.)
Urkundliche Beiträge zur Biographie des Dichters
Eelkovic.
Während meiner Beschäftigung in dem Wiener Hof-Kriegs- Archive
fand ich zufällig einige Notizen, die sich auf den serbokroatischen
Dichter Mathias Anton Relkovic beziehen. Ich sammelte diese Daten
und veröffentliche sie in der Hoffnung, daß sie etwas dazu beitragen
werden, um unsere geringen Kenntnisse über das Leben dieses bedeu-
tenden Mannes zu ergänzen.
Das Leben und die Werke Relkovic's waren wiederholt Gegenstand
der Forschungen und Studien der südslavischen Schriftsteller. Als
wichtigere Abhandlungen über sein Leben erwähne ich die folgenden :
Kratki ispis zivota privridnoga gospodina M. A. Relkovi(5a von Adam
Filipovic Heldentalski, in Versen, als Vorwort zur HI. Auflage »Satirs«
(Esseg 1822); Nesto o zivotu i knjiXevnom radu M. A. Relkovica von
B. P., als Beilage zu den gesammelten Werken des Dichters (Vinkovci
1875); Relkovi(^ u hrvatskoj knjizevnosti. Knjizevno povjesni ogled od
Ivana Milcetica (Vienac 1881); 0 knjizevnom radu M. A. Relkovica.
Literaturna studija von Tomo Malid (Vienac 1893); Nesto o Xivotu i
Archiv für slavischo Philologie. XXVIII. 20
306 Aleksa Ivid,
knjizevnom radu M. A. Relkovica von Martin Senekovi6 als Vorwort zur
IX. Auflage des »Satire (Zagreh ISO.")); Pisma lielkoviceva, prikupio
D. Bogdanovi(; (Vienac 1890); Matija Ant. Kelkovic, von D. Boranic
(Narodne Novine 1898); Zivot M. A. Relkovica von dr. Ivan Sercer
(Nastavni Vjestnik 1899). Schließlich sei noch des neuesten sorgfältig
ausgearbeiteten Beitrags »Marnja Auryii TejiKoiiuli« in der Abhandlung
»CpncKa KiiHJKeBHOCT oa BSJiHKe ceorte ao AocHTeja OöpaÄOBHha« von
Tihomir Ostojic (Karlowitz 190.")) gedacht.
Nach den Angaben der aufgezählten Werke wurde Kelkovic im
Jahre 1732 zu Svinjar in Slavonien geboren. Seine Schulbildung be-
gann er im Kloster Cernik, wohin er von seinem Vater, einem Gränz-
officier, gebracht wurde, als derselbe in den Krieg nach Italien zog.
Später setzte der junge Mathias seine Studien in Budim (Ofen) fort und
im 17. Jahre trat er in den Militärdienst. Anfangs diente er im Gra-
diskaner Regiment, wo er im Jahre 1750 Fähnrich wurde und als
solcher heiratete. Darauf wurde er zum Broder Regiment versetzt, mit
welchem er als Lieutenant im siebenjährigen Kriege teilnahm. In der
Schlacht bei Breslau (1757) wurde er vom Feinde gefangen genommen
und in die Stadt geführt. Infolge einer ungünstigen Schlacht war das
feindliche Heer Breslau zu räumen genötigt und die gefangen genom-
mene österreichische Miliz, darunter auch Relkovic, wurde freigelassen.
Nach der Schlacht bei Leiten nahmen die Preußen den Relkovic zum
zweitenmal gefangen und führten ihn nach Frankfurt a. 0. Da blieb
Relkovic längere Zeit, lernte auch die französische Sprache und studierte
das Leben des deutschen Volkes. Nach dem erfolgten Frieden tauschten
die Gegner ihre Gefangenen aus und so erlangte Relkovic wieder seine
Freiheit. Auch am späteren bayerischen Erbfolgekrieg im Jahre 17 78
und 1779 hatte er teilgenommen. In seinem Vaterland wechselte er die
Dienstposten häufig, indem er in Nemci, Samac, Bosnjaci und Babina
Greda gedient hatte. Gegen das Jahr 1785 wurde er als Hauptmann
pensioniert und allem Anscheine nach bei dieser Gelegenheit in den
Adelsstand mit dem Titel »von Ehrendorf« erhoben. Bei der Pensio-
nierung wollte er um den Majorstitel nicht einkommen, wie aus einem
Briefe ersichtlich ist, wo er schreibt: »Kad nisam postao majorom dok
sam mogao majoricirat, sto ce mi sada prazan titul«. Nachdem er pen-
sioniert wurde, zog er sammt der Frau nach Vinkovce und dort starb
er im Jahre 1798.
Unser Beitrag wird manchen Fehler in der so dargestellten Lebens-
Urkundliche Beiträge zur Biographie des Dichtere Relkovic. 307
beschreibung Relkovic's korrigieren und vielleicht einiges dazu bei-
tragen, um die Umstände nnd die Lage, in welcher der verdienstvolle
Autor ))Satir«-s gedichtet hatte, besser zu verstehen.
Mir ist nicht bekannt, wie der Vater Relkovic's geheißen hat. Allem
Anscheine nach wird es Stipo Relkovic sein, dessen Namen ich oft in
den Akten des Hof-Kriegs-Archivs gefunden habe. Dieser Stipo war
auch aus Svinjar in Slavonien und ist im Jahre 1750 wegen seiner
Verdienste im türkischen und «Welschenkriege« Hauptmann geworden.
Die Witwe dieses Stipo, Maria Relkovic, geborene Despacsevic, bittet
im Jahre 1773 um Pension. In dem Gesuche erwähnte sie, daß sie
einen Solm habe, der selbst schon ein Invalid sei {<6ö — 616).
In den Akten des Hof-Kriegs- Archivs werden auch die zwei Söhne
des Mathias erwähnt. Der eine war Pfarrer und Katechet in Vinkovci
und er hatte im Jahre 1 79S »einen größeren Cathechismus in die Illyrische
Landes Sprache« übersetzt (Nr. 224,ö) und im August 1800 J. wird
vom slavonischen General-Commando gemeldet, daß der Cathechismus
in 1000 Exemplaren gedruckt wurde. Der zweite Sohn Johann wird
einigemale in nachfolgenden Beiträgen erwähnt. Außerdem findet man
in den Akten auch eine Nachricht, nach welcher dieser Relkovic als
Unterlieutenant das Proviant veruntreut hätte, aus welchem Grunde er,
höchst wahrscheinlich, aus dem Militärdienste entlassen worden war.
1) Am 12. Juli 1758 wurde Unterlieutenant des Brooder Regiments,
Matho Relkovich, durch allerhöchste Entsclilleßunjj zum Oberlieutenaut er-
nannt. 61—323.
2) Vorschlags -Tema über eine bey dem Kay. Königl. Slavonischen
Brooder Gränitz Infanterie Regiment Waccant gewordene Haubtmanns
Charge als hierzu wird vorgeschlagen anstatt den zum Raupten vorgeschla-
genen Capit-Lieutenant Franz Flaig oberlieuteuant 1. Randes im Regiment
Mathias Relkovich. Er dient als oberlieutenaut seit 21, Julie 1758; 41 Jahre
alt, geboren in Slavonien zu Sviuiar, religion: Catholisch, Stand: verheura-
thet, 4 Kinder, Dienst Monathe und in welchen Chargen: als gemeiner 13, als
gefreiter 2, als corporal 10, als fähnrich 6, als Unterlieutenant 57, als ober-
lieuteuant 184 Monath, lebet von der gage. Natürliche Talente: ganz beson-
dere, redet Sprachen yilyrisch, teutsch, latein und französisch, hat Eyfer iin
Dienst: besonders vielen, Geschicklichkeit: im Exerciereu ganz besondere;
in der Adjustirung: besondere; in Dressirung seiner untergebenen: vortretf-
liche; im Dienst emsig, ferme, accurat, streng; in sonstige wissenschafft:
übersetzet sehr gut aus dem teutsch ins Illyrische, Companie tabel: im Re-
giment ja; mit der Artillerie Ja; Conduite: ein guter Wirth: ja; verdient das
Avancement: allerdings; unruhigen gemüths: gar nicht; Spieler: nein; dem
20*
308 Aleksa Ivic,
Trunk ergeben: nein. Esscg den 17. Deceuibris 1773, Freyh. von Mathesen.
Praes. auf Hof-Kriegs Rath am 24. Deceiabris 1773.
65—616.
3) Hochlöblich k. auch k. k. Hof-Kriegs-Rath! Die Anleitung zur bes-
seren Schafzucht, wovon Eine hochlüblichen Instanz diesoni General Cornanclo
untern 12*''" Decenibris vorigen Jahrs einige Exomplarien mitzutheilen ge-
ruhete, ist nunniehro von des Brooder Regiments Hauptmann v. Relkovich,
auch in die hiesige Landes Sprache übersezet worden; man ist hicrorths des
gehorsambsten Dafürhaltens, dass diese Übersezung einen grösseren Nuzen
schaffen, und mehrere zur Pflegung der Schaafe den Regimentern, als sammt-
lichen Commitaten einige Abdrucke mitgetheilet würden, als wenn selbe nur
mündlich, oder schriftlich den liebhabern einer besseren Schaafzucht bekannt
gemacht werden sollte.
Da der hiesige Buchdrucker für die Auflag und Druckung 500 Exem-
plarien 70 fl. verlanget, so daß ein Exemplare, welches 10 Bögen enthält,
nicht höcher als 81/4 ar, mithin ein Bogen nur 33/4 er. kosten würde.
So solle ich nur dero hocbgefüUige Entschlüssung in Unterthänigkeit
erbietten, ob die Druckuug sothaner übersezung, folglich auch die Bezahlung
des diessfäiligcn Betrags aus dem Proventen fundo gnädig verwilliget wer-
den wolle, womit ich in Einfester Unterthänigkeit ersterbe.
Eines Hochlöblichen k. und k. k. Hof Kriegs Raths unterthänig gehor-
samster Freyh. v. Mathesen, Esseg d. 5. Decembris 1775. — A tergo: Sclav.
General Commando dt. Essegg S^en Decemhris 1775 fraget sich an, ob nicht
gnädig verwilliget werden wolle, dass die von des Brooder Regiments Haupt-
mann Relkovich verfertigte Übersezung der untern 12t«'n Decembris vorigen
Jahrs anher mitgetheilten oeconomischen Schaafzucht in Druck geleget, und
dafür der Betrag aus den Proventen fundo mit 70 fl. bezahlet werden därfte.
— Praes. 13. Decembris 1775. — Dies wurde nach dem Vorschlag Liebenfels
verwilligt. 42, 86.
4) Hochlöblich -Kay: auch Kay: Königlicher Hof [Kriegs -Rath ! Da-
schon untern 22ten Juny 1770 geruhete Ein Hochlöblicher Hof-Kriegs-Rath
die von dem Landts-Buchhalter in Boheim Baul verfasste Anleitung zur Ver-
besserung der Schafzucht sowohl, als die derselben angehängte Weigandische
Tabaksbau- Abhandlung in teutscher Sprache zur erspriesslichen Nuzniessung
für hierlaufige graniz-Truppen mit dem Auftrag anhero zu senden, dass diese
Abhandlung in hiesiger Graniz übliche Landessprache durch ein capables
Subjectum übersezet in proportionirter Anzahl in Druck beförderet werden
sollen, und diessfälligen Auftrag untern 20tM Decembris 1775 zu erneuern.
Zur Erreichung der hohen Intention hat das General Commando Anno
1770 den nunmehrigen Brooder Regiments Capitaine Lieutenant Relkovich,
welcher zur selbigen Zeit den Caracteur eines Oberlieutn. begleitete, zu Über-
sezung der allerersteren Auflage als ein geschicktes Subjectum ausersehen;
man hat dahero denselben auch zur gegenwärtige verbesserten Übersezung
und Correctur, wovon Einem Hochlöblichen Hof-Kriegs-Rath J.Exemplarien
zur hohen Einsicht gehorsamst überstellet werden, als ein geprüften — der
Urkundliche Beiträge zur Biographie des Dichters Relkovic. 309
teutschen — und Landessprache wohl kündigen Mann neuerdings fürgewählet
und verwendet;
Wie nun gemelter Capitaine-Lieutenant: bey ersterer übersezung 40
und mit lezterer 41, zusammen 81. Tage zugebracht, so bittet er in gnädige
Betrachtung zu ziehen, dass er vom Regiment abwesend alle zweymal für
baares Geld gelebet, und anstatt der, nach gethaner seiner eigenen Schuldig-
keit geniessenden Ruhe, öfters auch bey der Nacht in dieser mühsamen
Translatirung gearbeitet, womit ihme die Caracteurmässigen Diurnen, wo
nicht ganz, doch wenigstens zur Halbscheide zugestanden werden möchten;
Das General Commando, welches ihme das zeugnüss beyleget, dass Er
in diesen beeden Arbeiten viele Mühe angewendet, unterleget dessen Gesuch
Einer hochlöblichen Instanz zur gnädigsten Eiitsclilüssung;
In tiefesten respect erlassend Eines üochlöblichen iKay: auch Kay:
Königl: Hof-Kriegs-Rath unterthänig-gehorsamste Freyh. v. Mathesen. Esseg
den 22.Martij 1776. — A torgo: Slavonisches General Commaudo etc. Esseg
den 22.Martij 1776. unterstüzet die Bitte des Brooder Regiments Haubtmann
Relkovich um Erfolglassung deren wegen übersezung der Buchhalter Bauli-
schen Schaf-Zucht und Tabackbau- Anleitung aus dem teutschen in die Illy-
rische Sprache, wovon Einem Hochlöblichen Hof-Kriegs-Rath von denen
bereits im Druck beförderten Exemplarien 4. Stücke zur hohen Einsicht bey-
geschlossen werden, durch 81. Tage ins verdienen gebrachten Caraeteurs-
mässigeu — wo nicht ganz doch halbscheidigen Diurnen. Praes. d. Gten April
1776. — Hof Kriegs Rath fasste den Beschluss, wodurch dem Relkovich ein
Praemium von 100 fl. aus dem Gräniz Extra Proventen verabfolget werde.
42, 36.
5) Slavonisches General Commando vom 7. hujus: begleitet das Ansuchen
des Brooder Regiments Hauptmann Relkovlz um Erlaubnis, die verwittibte
Hauptmanin Catharine Basslinovich ehligen zu dörfeu, mit der Anmerkung,
dass die Heuraths Caution zwar weder mit Geld, noch in Realien sicherge-
stellt werden könne, doch der Hauptmann von beeden so viel besitze, dass
nach Äusserung des Regiments die Witwe mit den Kindern in Communione
leben könne.
Bevor das General Commando zu dieser Ileurath die Bewilligung er-
theilet, wird die gerichtliche Fürmerkungs-Urkund der zu Esseg sicherge-
stellten Capitals Posten sowohl als auch ihrer zur Helfte beschehenen Cession
zur Heuraths Caution des Brooder Regiments Hauptmann Relkovich gewär-
tiget. — Dieser Beschluss wurde am 22. Jäner gefasst und an das Slavoni-
sche General Conunando expedirt. — Praes. 14. Januarii 1780.
Nr. 92.
6) Slavonisches General Commando vom 2J.Martii übersendet in Folge
Verordnung vom 22. Januar No. 92 die zur Ergänzung der Heuraths Caution
des Brooder Regiments Hauptmann Relkovich abverlangte gerichtlich vor-
gemerkte Obligation gr. 765 H. nebst dem Cessions Instrument, mit der weite-
ren Anfrage, ob nunmehro iiime Supplicanteu der Vcrohligungs Consens er-
theilet werden könne?
310 Alek-Balvid,
Hierzu wird die Bewilli{,^uiijj^ ertheilet id. ISt'» April 1780' und über die
von dem Ilaiiptiuann Kolkovich bcy dem Maurer Pollicr Matzkof zu Essej^g
anliegen habende 315 fi. die original Obligation nebst der Cession, ilann das
Intabulatione Instrument über die von dem Hauptmann zur Heuratiis Cautioa
bestimmte und gerichtlich fiirgemerckte Immobilien erwartet.
Nr. 603.
7) Am 21. Februar 1T78 wurde Capitain lieuthn. Relkovich durch aller-
höchste Entschliessung zum Hauptmann ernannt.
8) [SlavonischesBanat. General-Commando] Dt.QtenMärz 1785 unterleget
vorwortlich das Besuch des Brooder Rej^Muients Ilaujjtmanns Relkovics um
die Erhebung in den Adelstand mit dem Ehrenwort Ehrendorf. 5 Anlagen,
worunter 1 Wappen Entwurf.
Dieses Gesuch wird der Vereinigten B.O. Hof Kanzley und Kammer zur
Bedachtnehmung mitgetheilt. Erled. d. SOt^n Martij 785.
Nr. 560.
9) Vereinigte Politische und Cameral Hofstelle dt. Itfn April eröffnet,
es haben S"" Maytt. den Brooder Regiments Hauptmann Mathias Anton Rel-
kovich mit allen seinen Erben beederley Geschlechts in den Adelstand, mit
dem Ehrenworth von Ehrendorf zu erheben geruhet. — Erled. d. 31. Aug. 1785.
Nr. 1737.
10) Slavonisches Banat. General Commando dt. 14. Sept. 1785 unterleget
die superarbitriiungs Lista des zu einem Garnisons Regiment für tauglich
erkannten Brooder Regiments Hauptmann Relkovics mit der Bitte, denselben
dem Regiment baldest abnehmen lassen zu wollen, um statt seiner einen
anderen tauglichen officier vorschlagen zu können. 1. Anlaage.
Zu erwiedern, es werde auf die Abgebung dieses Hauptmanns zu einem
Garnisons Regiment bey Gelegenheit die Rucksicht genommen werden. —
Exped. an das Slavonische Bannat. Gränz General Commando. — Erled. d.
28."Sept. 1785. Nr. 1935.
11) Relkovich von Ehrendorf Hauptmann von dem Brooder Regiment
bittet, seine Standes Erhebung in der Slavonisch. Banat. gränze publicieren
zu lassen.
Die gebettene Publication wird durch das General Commando veran-
lasset. — Praes. 13ten octobris 1785. — Exped. an das Slavon. Banatische
General Commando. Erled. d. 19. Octobris 1785.
Nr. 2079.
12) Slavonisch-Banatisches Gränz General Commando sendet Super-
arbitrirungs Consignation der untauglichen Officieren. In seinem Beschlüsse
Hof-Kriegs-Rath an das General Commando stellt folgende Frage : Indessen
erscheint in diesen Superarbitrirungs Listen weder der Hauptmann Relko-
vich, noch der oberlieutn. Basslinovich, wovon doch der erstere vermög der
Conduite Listen wegen Körperlichen Gebreche zur Dienstleistung ganz un-
vermögend, und letzterer mit der hinfallenden Krankheit behaftet seyn soll.
Praes. 27. Martij 1786. Erled. 30. Martij.
Nr. 798.
Urkundliche Beiträge zur Biographie des Dichters Relkovic. 311
13) Slavonisch-Banatisches General Commando dt. 8ten April berichtet
auf den Befehl vom 30. Martij Nr. 798, dass über die im vorigen Jahr No. 1741
und 1935 eingesendete Snperarbitrirungs Listen der Brooder Regiments
Hauptmann Relkovich und oberlieutenant Basslinovich die Weisung ertheilet
worden seye, dass auf die Abgabe des ersteren zu einem Garnisons Regiment
bey Gelegenheit der Bedacht genommen werden würde, von der Abnahme
des lezteren aber es von selbsten abzukommen habe und haltet sieh bevor
die Superarbitrierungs Lista der nemlichen Regiments Oberlieutenant Br.
Seczujacz nachzutragen.
Wenn weder der Hauptmann Relkovich, noch der Oberlieutenant Basli-
novich ihrer Gebrechen halber als real Invalid angesehen werden können,
sind selbe noch bey dem Brooder Regiment allerdings beyzuhalten und nach
dem circular befahl vom 27t«i Martii nach ihren Eigenschaften zu Gränz
Dienst zu verwenden. Erled. d. 22. April 1786, exped. an das Slav. Banat.
General Commando. Nr. 9S5.
14j Slavonisch-Banatisches General Commando dt. 18. Sept. berichtet,
dass zwischen anderen auch Hauptmann Relkovich bey dem superarbitrio als
real Invalid befunden wurde.
Auf Grund dessen Hof Kriegs Rath fasste den Beschluss am 7.0ct. 1786
Relkovich zu pensioniren. Praes. 25. Sept.
Nr. 3012.
15) Relkovich jubilirter Hauptmann dt. 4ten August 1787 bittet um Be-
förderung seines bey Johann Palfy als Gemeiner 5 Jahr dienenden und
schon im Jahr ri84 zum k. k. ordin. vorgemerkten Sohns Johann Relkovich.
Das General Commando hat diesen jungen Relkovich bey nächster Ge-
legenheit zum k. k. Cadeten in Vorschlag zu bringen ; wovon auch der Sup-
plicirende Vater verständiget wird. Exped. an das slav. Banat. General
Commando und mittelst bescheid an den Hauptmann Relkovich. Erled.
22. Aug. 1787. Nr. 1857.
16) Mitrowsky Feldzeugmeister und Commandirender General in der
Slavonischen banatischen Gränze dt. Mitrowitz den 8tei Septembris 1790
berichtet auf den Befehl vom 28*^" elapsi sub No. 1108 dass von denen um
Verleihung des hungarischen Adels eingekommene officiers, als jubilierten
Oberlieutenant Lovrich, Hauptmann Relkovich, fähnricli Slivarich, Haupt-
mann Koperczanovich, oberlieutenant Igyanovich, Hauptmann Ignaz Csi-
vich, welche für ihre Verdienste pro Praeterito schon mit dem teutsch
erbländischen Adelstand belohnt worden sind, nur der Hauptmann Koper-
zanovich und der Oberlieutenant Igyanovich wegen ihrer neuerlichen Ver-
diensten auch zu überkommnung der hungarischen Adelschaft geegnet wären.
13 Anlaageu.
Die hieher mitgetheilten Bittschriften werden der U. S. Hof Kanzley mit
dem Bemerken remittiret, dass hierorts keine zureichende Beweggründe vor-
handen seyen, um für diese ofticicrs zu überkommnung des hungarischen
Adelstandes einzuschreiten. Erled. 25. Sept. 1790, exped. an die U. S. Hof
Kanzley. Nr. 1274.
312 Aleksalvid,
17) Hof-Krieg8-Rath dt. 5. juni 1792 fasste den Beschluss, mehrere pen-
sionirte Officiers, unter anderen den Hauptmann Relkovich, zu Garniaons
Regiment nach Italien zu schicken.
Nr. 1300.
18) Relkovitscli pensionirter Hauptmann vom Broodor Regiment von
Vinkovcze den 23t'n Juni 1792 verbittet die ihm sub Nr. l.iOO zugedachte
Übersezung zum 2ten garnisons Regiment nach Italien wegen aufhabenden
Leibes Gebrechen, jedoch, wenn er gleich wohlen dahin abgehen solte, so
bittet er um eine Zeit Frist, um sein Haus, und den wittiblichen Unterhalt in
Ordnung bringen zu können und ihn dann zu verständigen, wo, und bei wem
er sich in Italien zu melden habe.
Die Supl. wird dem Slavonisehen General Commando mit der Bemer-
ckung zugeschickt, dass, wenn sich die angegebene Umstände bestätigen, es
von der angeordneten übersezung dieses Officiers zum zweyten Regiment
wieder abkommen könne; worüber die Anzeyge gewärtiget würde, um wegen
anderweiter Besetzung der Hauptmanns Stelle bey gedachten Var. Regiment
die Verfügung trefen zu können. — Exped. an das Slav. General Commando
d. 7. Juli. Nr. l.jol.
19) Am 21. Juli 1792 berichtet Slavonisch-Banat. General Commando,
dass Relkovich für den Dienst gänzlich untauglich seye und Hof Kriegs Rath
am 31. Juli zog sein Beschluss zurück und den Relkovich auch weiters in
Pension Hess. Nr. 1627.
20) Jagosch Leopold pensionirter oberlieutenant und Caserne Verwalter
zu Theresien Stadt den 9teii August 1792 bittet nm Erlaubnis, seine Tochter
Katharina mit dem Unterleutn. Relkowiz von Jellachich Infanterie gegen
Verzichts Revers verheurathen zu därfen. 1 Anlage.
Zu bescheiden: ohne den Erlaag der normalmässig caution könne die
Heuraths Licenz nicht ertheilet werden.
Nr. 1763.
21) Slavonisches General Commando dt. Peterwardein am ISten März
1797 unterleget vorwortlich das mittelst des Broodev Cautons einbegleitet
wordene Gesuch des pensionirten Hauptmanns Relkovich von Ehreudorf um
Verleihung des Majors Characteurs ad Honores. 4 Anlaagen. Gesuch lautet :
Euer Majestät! Unterzeichneter fing im Jahre 1748 bei dem löbl. Gra-
discaner Regiment im M^en Jahre seines Altefs als Gemeiner zu dienen an,
wurde auf 16 Monaten Gefreyter, avancirte stuffenweise die untern Chargen,
bis er nach Verlauf 7 Jahren als Uuterlieutenant zu dem löbl. Brooder Regi-
ment kam; daselbst 4 Jahre 9 Monaten in dieser Charge, 15 Jahr 5 Monaten
als Oberlieutenant, 4 Jahr als Capitain, 10 Jahre als wirklicher Hauptmann,
dann seit seiner im Jahre 1786 erfolgten Jubilätiou, laut den Zeugniss A) bei
dem in Slavonien erreichtet wordenen Landes Defensious-Corps, bis zu des-
sen Disolvirung dienste leistete, dann wie Zeugniss B) beweist, bei der im
Lande gewütheten Pestsuche die Einrichtung und Direction der nächst Win-
koveze angelegten Coutumatz ganz auf sich gehabt, seit der Stillung dieses
Uibels das hiesige Districts Commanho führte und noch führet, welches ge-
Urkundliche Beiträge zur Biographie des Dichters Relkovic. 313
wiss wegen den häufigen unzähligen Geschäften mit seinen geringen Kräften
und hohen Alter in keinem Verhältnisse stehet; dennoch ist Unterzeichneter
in seinem itzigen 66. Alter nach zurückgelegten 49jährigen treuen Diensten,
die noch erübrigende Lebenszeit bis in seinem letzten Hauch aus allen Kräf-
ten zu dienen bereit; damit aber Er dereinst seinen Kindern die offenbare
Merkmale seiner sogestaltigen vieljährigen treuen Dienste zu ihrer Aneife-
rung vorstellen könne, bittet er Unterthänigst, womit Euer Majestät dem
Unterzeichneten in Rücksicht seiner 39 jährigen Dienste in der Wirklichkeit
und 10jährigen im Stande der Jubilation, den Tittel eines kay: königlichen
Majors allergnädigst zu ertheilen geruhen mögen. Winkovce am 3ten März
1797 allerunterthänigst treu gehorsamster Knecht Matthias Anton v. Relko-
vich, pensionirter Hauptmann bei Slavonischen Brooder Regiment.
A tergo : An seine Kais. König. Majestaet den Kaiser. Pensionirter
Hauptmann Relkovich vom Slavonischen Brooder Regiment bittet um einen
Majors Tittel.
Anlaage A) lautet:
Zeugniss. Kraft welcher Unterzeichneter auf geziemendes Ansuchen des
pensionirten Herrn Hauptmann v. Relkovich löbl: Brooder Regiments hiemit
bezeuget, dass derselbe während dem letzten Türkenkriege vom Anfang bis
zu den darauf erfolgten Frieden, als Deffensions Divisions Commandant am
Save-Cordon gedienet, und dabei seine Pflicht, wie es einem rechtschaffenem
Officiers zustehet, mit aller Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erfüllet habe.
Urkund dessen meine fertigung und Pettschatt. Winkovce den Sten Martij
1797 V. Gvozdanovich m. p. Pensionirter Major. /^%.
vV
Anlage B) lautet: ^ — /
Zeugniss. Als im Monathe Aug. 1795 in mehrern umliegenden Gegenden
eine Art Pestsuche zu wütheii anfieng, und das diesortige Cantons Commando
einen Cordon und Contumaz Station zur Verhüttung der weitem fortflanzung
dieses Uebels hier errichten lassen musste, ward in der, zu diesem Ende zu-
sammengesezt wordenen Coramission der auch Unterfertigter beyzuwohnen
hatte Herr Hauptmann v. Relkovich als ein bekanter, diensteifriger, emsiger
H. Officier zum Director dieser Contumaz, und des Cordons ernennt; da nun
Unterfertigter Augenzeuge dieses ganzen Geschäftes war, und vorzüglich
Gelegenheit hatte den Herrn Director durch die ganze dauer dieses Geschäf-
tes zu beobachten; So kann Unterzeichneter auch nicht umhin demselben
hiemit das untrügliche Zeugnüss eines für das Wohl des Landes ungemein
eifrigen, thätigen, um das allgemeine Beste sehr verdienten Herrn Officier
auf sein Ansuchen zu ertheilen. Zur Urkund dessen hat der Ansteller dieses
eigenhändig geschriebene, und gefertigte Zeugnüss mit seinem eigenen In-
aiegel bekräftiget. Vinkovcze den 3ton Februar 1797 Michael Felix, Erster
Auditor des löbl. Brooder Regiments.
Dasselbe Gesuch hat auch Brooder Canton und die Brigade des Gränz
General Commando empfohlen. Bericht der Brigade lautet:
314 Aleksa Ivid, Urkundliche Beiträge zur Biogr. des Dichters Relkovid.
Die Brigade, welche tag-täglich von dem ausserordontlicheu Diensteifer
dos 6G. Jahr alten und 49 Jahre gut und rechtschafFon Dienenden Herrn Haupt-
mann Relkovich v. Ehrendorf, welcher zur Stunde das hiesige Districts C'om-
mando mit allem Fleisa und Eifer führet, Aii^^enzei^ ist, muss auch gegen-
wärtige — von dem Cantons Commando uuter.slütztc Bitte beitretten, weil
hierunter weder ein Nachtheilichen allerhöchsten Aerario, noch dem Officiers
De Corps zugehet und die Absicht des im dienstjahren alt und grau geworde-
nen gedachten Herrn Hauptmann nur dahin gehet, dass seine zurücklassende
Familie von seinem auch in Jubilazions stände fortleistenden guten Diensten
überzeuget seyn möge, dass er fortan rechtschaffen gedienet habe, wedwegen
die Brigade Ein hohes Gränz General Commando um das mächtige Eürwort
bei Einem hochlüblichen Hof-Kriegs rath gehorsamst bittet, damit dieser
Mann auf seine wenige lebenstage mit seiner Bitte beglücket möge. Win-
kovze den 4. Merz 1797. la Abwesenheit des Herrn Generallen Brigadiers
Milutinovich, Obrist. Nr. 1199.
22) Allerunterthänigster Vortrag! Das slavonische General Kommando
hat beiliegendes an Euer Majestät gestelltes Gesuch des pensionirten Haupt-
manns Mathias Relkovich v. Ehrendorf um die Verleiliung des Majors titel ad
honores einbegleitet, von dem Brooder Kantons Kommando und von der Bri-
gade werden die langjährige gute Dienste dieses Hauptmann nücht nur be-
stättigt, sondern es wird auch derselbe besonders nachdrücklich anempfohlen ;
Der Hof-Kriegsrath erbitti t sieh dahero in Unterthänigkeit die allerhöchste
EntSchliessung, ob Euer Majestät diesem Gesuch zu willfahren geruhen
wollen, in Ermanglung eines Kriegspräsidenten, Graf Tige, Gen. der Cavalle-
rie, Wien, den 24. März 1797.
Allerhöchste Entschliessung lautet:
Da bei dem Hauptmann Relkovich keine besondere Beweggründe vor-
kommen, die für sein Gesuch das Wort sprechen, um ihm den Majorstitel zu
verleihen, welches nur in besonderen Fällen stattfinden kann; so kann dieses
sein Gesuch ihm nicht gewähret werden. Franz.
Nr. 1442.
23) Slavonisch-Banat. Appellations Gericht sub dt° 16. oct. 1798 sendet
an Hof-Kriegs Rath einen Bericht, in welchem unter anderen schreibt »Für
den am 22tpii Jäner a. c. im Brooder Kanton verstorbenen pensionirten
Hauptmann Mathias Relcovich v. Ehrendorf«.
Nr. 732.
Wien, den 8. XII. 1905. Aleksa Ivic.
J
315
Nikolaus Krajacevid — Peter Petretic.
(Ein Beitrag zur Geschichte der kajkroatischen Literatur.]
Krajacevic, auch Savtorius genannt, war ein ungemein tätiger
Jesuit, der durch seine schriftlichen Werke, besonders aber durch seine
Predigten wesentlich dazu beigetragen hat, daß in Kroatien die Refor-
mation erfolglos verbreitet wurde.
Was sein Leben anbelangt, ist uns kaum etwas näheres über ihn
bekannt. J. Stoeger erwähnt nicht einmal seinen Namen in seinem
Werke: Scriptores Provinciae Austriacae S. J. ab ejus origine ad nostra
usque tempora. Vienae 1856. In der Literaturgeschichte von Surmin
(Povjest kujizevuosti hrvatske i srpske 1898) ist ungefähr das nämliche
über Krajacevic, was sich über ihn in der Kukuljevic'schen Bibliografija
hrvatska l. findet. Kukuljevic und nach ihm auch Surmin erwähnen
zwei Werke von Krajacevic : Hasnovita knjizica und Manuale sodali-
tatis. Das Meiste finden wir noch über Kr. in dem Werke: »Bibliotheque
de la compagnie de Jdsus — Premiere Partie : Bibliographie par les
Peres Augustin et Aloys de Backer, Paris 1896« in welchem es Bd. VIL
S. 654 heißt: »Sartorius Nikolas ne ä Sissek 'Croatie) le 29 novembre
1582, entr(3 le 17 avril 1615, fut 23 ans prödicateur, recteur ä Agram,
penitencier ä Rome et mourut ä Agram le 9 mars 1653. Son veritable
nom serait Krajacic ou Krajacevic. 1) Manuale sodalitatis (Ex.croate)
Pozun 1639. 2) Knizica molitvena (Libellus precum et christianarum
exercitationum) Pozun 1639«. — So in dem erwähnten Buche. Das
Biographische in dieser Notiz wird jedenfalls richtig sein, aber von
der literarischen Tätigkeit war der Verfasser nicht gut informiert, was
wir schon auch daraus sehen können, daß er im IV. Bande seines Wer-
kes bei dem Namen Krajacevic über dessen Leben das nämliche sagt,
wie VIL 654, wogegen die Angabe in Bezug auf seine schriftstellerische
Tätigkeit mit der obigen Angabe nicht vollkommen übereinstimmt —
außerdem folgt hier noch eine kleine Bemerkung »Le P. Lempl, S. J. a
vu indiquer cette edition come la seconde. L'autenr signe ces deux
ouvrages: »»Jedan pop iz reda Jezuitanskoga«« c. a. d.«. —
Da ich während meiner Forschungen auf dem Gebiete der kaj-
kroatischen Literatur in Bezug auf Krajacevic's schriftstellerische
316 Martin llajnal,
Tätigkeit zu einer Ansicht gekommen bin, welche von der bisherigen
Auflassung wesentlich abweicht, will ich darüber einige Bemerkungen
hier folgen lassen. —
In der Bibliothek der südsl. Akad. befindet sich ein Buch (Sign. IV.
a. 18) mit folgendem Titel: «Molitvene Knjisicze Vfzcm Christusevem
V^rnem Szlovenfzkoga Jezika priztoyne i hafznovile — z dopuscsenjem
gornyeh drng(jcs obilneh pifzane i ftampane. Vu Posonc na MDCXL
Leto«. — In der Vorrede spricht der Verfasser des Buches darüber,
wie es nötig sei, daß man bete und zwar daß man richtig bete, de.ihalb
baten schon die Apostel den Herrn: Domine doce nos orare! Dieser
Umstand veranlaßte ihn, daß er als »duhovni Paztir«, was er schon
durch einige Jahre predigte und lehrte »cfizto Szlovenzkem jezikom
zpravil (Janusa Rucficsa Spanzke megy^ Orfaafkoga Vicefpana ztrof-
kom i pobofnum dareslivoztjum)«. — Das Werk selbst teilt der Verf. in
5 Teile ein; im 5-teu befinden sich die gewöhnlichen alltäglichen Ge-
bete, damit diese »djeca i profzti lyudi onak od recfi do recfi« und nicht
»poleg fzvoje glave nepravdenem i nefzlofnem zakonom« beten sollen;
am Ende gibt er auch einige Kirchenlieder, daß man sie »po Nedelye
te fzvetke i doma i vune i drugde gdegode mezto neefizteh i fzramotno
lyubezliveh popevkih« singen soll. Der Verfasser meint, daß sein Buch
»hafznovita« wird sein »vnogofele lyudem, mladem i ztarem« sogar
auch den Pfaffen, besonders jenen »ki vu Dijacfkom jezike nefzu glu-
boko gazili, nitifze vu fzvetom Pifzme vnogo potili«, wegen dieser hält
er auch für nötig die lateinischen Zitate zu übersetzen »da nikay ne
pacfe Szlovenzkomu pisfmu, ko tak ravuo tecfe, kak dabi nijedne Di-
jacfke recfi megy nyim nebilo«. — Die Vorrede endet so: «Bog te
zdrav derfi — Tvoy Brat i fzluga nedoztojen vu Gozponne Chriftufe,
Jeden Pop iz Reda Jezuitanzkoga«. —
Aus dem Buche selbst läßt sich nicht bestimmen, wer der Verfasser
desselben ist, denn weder auf dem Titelblatt oder in der Vorrede, noch
sonst irgendwo im Buche ist das angegeben. Daß aber der Verfasser
dieses Buches N. Krajacevic ist, das erfahren wir aus einem anderen
Buche, welches sich in der Universitätsbibliothek zu Agram (Sign. Sm.
14. E. 46) befindet; diesem Exemplar fehlt das gedruckte Titelblatt,
das geschriebene wieder lautet: »P. Mikloussa Krajachevicha redovnika
reda Jezuitanzkoga: Molitvene knjisicze vfzem Christusevem V^rnem
Szloyenszkoga jezika priztoyne i hasznovite — po M. B. redovnika Je-
zuiti znovich na hafzen zlovenskoga naroda pod stampom szkupa z
Nikolaus Krajacevic — Peter Petretic. 317
ovem fto prida naszlofene. Mjesto stampe? god. 1653?«*). — In der
Vorrede heißt es, daß Krajacevic schon ein ausgezeichnetes Gebetbuch
herausgegeben hat, deshalb wird man das jetzt auch für die Mitglieder der
in Agram von den Jezuiten gegründeten »bratouchina« gebrauchen, nur
wird man noch einen kleinen Teil dazugeben, die Regel des »na liafzen
i pomoch Horvatzkoga i Szlovenszkoga Orfzaga« gegründeten »bratou-
chinac, worin man »uzeuffi peldu iz Bratoucliine, koteroie Gofzpodin
Jurai Lippay Esztergomfzki Ersek bil pred tem toga vu Posonu podi-
gnul«. — Auch dieses Buch hat die nämliche Einteilung, wie das oben
von Krajacevic erwähnte »Molitvene knjisicze etc. « und abgerech-
net den I.Teil, worin die Regeln der Bruderschaft enthalten sind, stimmt
dieses ganze Buch von Wort zu Wort mit dem ersten überein, so d?.ß
das einfach eine zweite Ausgabe des ersten Buches ist, obzwar man auf
Grund des ersten Teiles gewohnt war, es als ein zweites, vom ersten
verschiedenes Werk unter dem Titel »Manuale sodalitatis« zu betrachten.
Aus dem bisher Gesagten ersehen wir also, daß Krajacevic ein
Werk geschrieben hat »Molitvene knjisicze .... 1640«, diesem hat
dann ein anderer Jesuit — Balthazar Milovac (?) — noch einen kleinen
Teil dazugegeben, und so vergrößert gab er das Werk von Krajacevic
zum zweitenmal im Jahre 1657 heraus, und diese zweite Ausgabe ist,
was die Literaturgeschichte unter dem Titel »Manuale sodalitatis« als
zweites Werk von Krajacevic betrachtete. —
Wir werden aber sehen, daß wir doch ein zweites Werk von Kra-
jacevic haben. Denn wie es sich herausstellen wird, spricht alles dafür,
daß wir das Werk, welches nach allgemeiner Auffassung als das Werk
von dem Agramer Bischof Peter Petretic gilt, Krajacevic zuzuschreiben
haben, so daß nach meiner Auffassung Peter Petretic aus dem Kreise
der kroatischen Schriftsteller einfach zu streichen ist, indem er nur ein
Werk geschrieben hat, und auch für dieses Werk läßt sich nachweisen,
*) Valjavec, der dieses Exemplar in der Hand hatte, meinte, daß dieser
Jesuit B.M.BalthazMr Milovac sei. — Wann diese zweite Ausgabe erschienen
ist, läßt sich mit IliU'o einer Kombination feststellen: sicher ist, daß sie vor
dem Jahre 165.'5 nicht erscheinen konnte, weil dieses Jahr als solches iu der
Vorrede erwähnt ist, wann die Bruderschaft {gegründet wurde. Da kommt
uns zu Hilfo der Kalender am Anfange des Buches; daraus ersehen wir, daß
jenes Jahr, als das Buch erschienen ist, z. B. der Frohuleichnamstag am 3 1 . Mai
fiel, aus anderen Kalendern wieder aus jener Zeit ersehen wir, daß zu jener
Zeit der Frohnleichnamstag am 31. Mai nur im Jahre 1657 war, daraus foIü;t
also, daß diese zweite Ausgabe 1057 erschienen ist. —
318 Martin Iliijnal,
daß er im ganzen nur soviel Verdienst bei der Entstehung des Werkes
hatte, daß er es auf eigene Kosten drucken ließ. —
Von dem Werke Petretic's befindet sich ein Exemplar auch in der
Agramer Universitätsbibliothek (Sign. Sm. 14. E. 36) mit folgendem
Titel: »Szveti evangeliomi, koteremi fzv^ta Czlrkva Zagrebecska Szlo-
venzka, okolu godifcsa po Nedelye te Szvetke live: z-iednem kratkem
catechifmusem za nevmetelne lyudi hafznovitem: Szvetloga i Vifzoko
poftuvanoga Gozpodina Gozpodina Petra Petreticsa bifkupa Zagra-
becskoga, Oblaztjiim i ztrolkom i fzlovenzkem fzlovom na fzvetlo vun
dani i ftampani. Z-dopufcsenyem Gornyeh vu Nemskom Gradcze. Na
jezero fsezt zto petdefzöt i pervo leto. Pri Ferencze Widmanstadiuse
ftampare(f. —
Die Vorrede des Werkes ist so eigentümlich stilisiert, daß man
sich vergebens bemüht herauszufinden , wer der Verfasser sei. Nach
der äußerlichen Form urteilend müßten wir denken, daß die Vorrede
(und auch das Werk) Petretic selbst geschrieben habe: es wird in erster
Person gesprochen und zwar sagt er, daß er Agramer Bischof geworden
»kotere ja nigdar niti izkal niti profzil nefzem, bojecsifze velike pazke
i truda Blskupzkoga na ovom Szvöte i racfuna ztrafsnoga na fzmertnom
vremene«, und weil er gesehen, daß auch andere Bischöfe sich so um
ihre Schafe sorgen, daß sie Katechismen schreiben, wie Robert Bellar-
min, oder wie das getan hat »jedan drugi gluboko vucfeni i vifzoko
müdri Bifkup i Arkibifkup Vugerzkoga orfzäga, imenom Pazman Peter,
vfzem fzerdczem felöcsi vekivecsnoga zvelicsenija Paztirom i Ovczam
fzvoje pazke podlofnem i preporucfeuem, je bil zpravil i ftampati vcfi-
nil Vugerzkem jezikom vifzoko vucfene i gluboko mudre Prodeke« —
deshalb sagt er weiter »Ja takäyfe hotevfsi pomocsi i kolikö
tolikö zlehkotiti vu Vafse takäyfe Paztirzke clazti i düfnozti, jefzem
zboga Vafz i za radi vafse potrebocse vcfinil (ne fzam po fzebe nego)
po drugeh gluboko vucl'eneh i vifzoko mudreh Redovneh Lyudeh i Paz-
tireh Czirkveneh; näypervlye Recsi fzveteh Evangeliomov (kiifzu vu
Szlovenzkom orfzage okolu godifcsa obicfni i navadni) iz Dijacfkoga te
Vugerzkoga textusa na nafse pravo Szlovenzko Zagrebecsko fzlovo
pravdenö (poleg moje ftime) prenesti; od recsi do recsi gde je bilo mo-
gucse, te je Szlovenfcsina prepustila«. — Dann bemerkt er noch: »Na-
zopet jefzem vcfinil k Recsem fzvetoga Evangelioma pridati nekotere Po-
pevke duhovne«, und zwar deshalb, damit «fze detcza obojega zpola i
drugi pobofni lyudi budu vucfili i popevali vu priliclneh meztäh i vre-
Nikolaus Krajacevic — Peter Petretic. 319
meneh navlaztitö po Nedelye te Szvetke meztö necfizteh te fzramotneh
popevkih«, außerdem »vcfinil poztaviti Molitve obcfinzke kerfcsänzke
vü to ime, da fze mala detcza i drugi preprozti neumetelni lyudi
vucse cfteti i moliti ove Molitve onak od recsi do recsi .... pokehdöb
vnogi nafsi Szlovenczi ove Moiitve cltu i mole vfzaki poleg fzvoje giave,
nefzlosnem i nepravdenem zakonom«. Dann weiterhin weist er darauf
hin, wem dieses Buch »hafznovita« sein werde und endet die Vorrede
mit den Worten: »Väfseh Milozteh Brat i Izluga vu Gozponne Chriftuse
Peter Petretics Biskup Zagrebecski«. —
Wie ich schon erwähnte, in dieser Vorrede ist nirgends ausdrück-
lich gesagt, wer der Verfasser des Werkes sei, und auf Grund dieser
Vorrede hält man doch für den Verfasser auch heute noch Petretic.
Man kann aber einige äußerliche Beweise liefern, um diese Ansicht zu
widerlegen und zu beweisen, daß nicht einmal die Vorrede Petretic
selbst geschrieben, sondern verfertigen ließ und dann einfach seinen
eigenen Namen unterschrieben habe. Solche Beweise sind: 1) daß Pe-
tretic, gebürtig aus Lika, nicht so vollkommen den kajkavischen Dialekt
beherrschen konnte; 2) die Orthographie des Werkes, worüber später
die Rede sein wird, und 3) eine Bemerkung eines anderen Jesuiten, der
ebenfalls schriftstellerisch tätig war, die Bemerkung, welche J. Habdelic
in seinem Werke «Pervi otcza naffega Adama greh i salosztno po nyem
vfze chlovechanszke natvre porvssenye« (V Nemskom Gradczv, Lato
1674) im 259-en Kapitel über Krajacevic macht*). — In diesem
Kapitel, »Pefzme od Lyubavi« betitelt, spricht Habdelic darüber, daß
man darf singen, aber nur heilige Lieder, deshalb sind solche in jeder
Sprache »i nafem fzlovenfzkem« verfertigt, der Verfasser war »poftu-
vani negda otac Mikula Sartorius ili Krajachevich«; diese Lieder
hat — sagt Habdelic — Krajacevic im Werke »Szveti Evangeliomi«
ausgegeben: «Od keh ovak on fzäm govori pag. 211: Ove popeuke
jefzu oude pofztaulyene vu to ime da fze popevaju ne lifztor u
czirkvah, po fzvetkeh, pod mel'ami ali na proceffiah od czirkve do
czirkve putujuchi nego i po delatneh vu ufzake feie mefzteh; rexi na
polyu kofzechi, orjiichi, fenyuchi. Na goriczah kopajuchi, kolechi
mefzto navadneh negdasnyeh fztareh poganfzkeh i fzramotneh popev-
kih«. Also nach Habdelic spricht im Werke «Szveti Evangeliomi«,
*) Auf diesen ZuaaramenbaDg habe ich schon kurz verwiesen im Archiv
XXVI, S. 595. Betreffs des Textes der Evangelien und Episteln vergl. Archiv
XXVII, S. 5S5, wornach weiter geforscht werden müßte. V. J.
320 Martin IlajnaJ,
Seite 211 . . Sartorius nhkmv. Wenn wir jetzt weiter das ganze Werk
nach dem Inhalte, dem Slil und mit Rücksicht auf die dem Krajacevic
charakteristischen Ausdrücke mit dem oben besprochenen Werke von
Krajaeevi(; vergleichen, werden wir einsehen müssen, daß nicht nur
Seite 211, sondern im ganzen Werke Sartorius "Czam« spricht. Schon
aus den kurzen Auszügen aus der Vorrede der beiden Werke läßt sich
gewissermaßen feststellen, daß beide Vorreden von dem nämlichen Ver-
fasser stammen. — Beide Werke machen schon auf den ersten Blick
den Eindruck, daß sie einander dem Stil und den vielen charakteristi-
schen Ausdrücken nach ungemein ähnlich sind, und wenn wir dann noch
die anderen zwei Argumente berücksichtigen, wird es nicht schwer
sein, ein entscheidendes Urteil in Bezug auf den Verfasser zu fällen.
Unter den äußerlichen Beweisen, mit welchen ich meine Ansicht
über den Verfasser dieses Werkes rechtfertigen will, ist ein nicht unbe-
deutender die Orthographie des Werkes. Am Ende des Werkes finden
wir ein Kapitel »Appendix ad declarandam editionem hujus Libelli
orthographicam«, aus welchem wir erfahren, daß ihn zur neuen Ortho-
graphie {rs für ch) »movit me auctoritas Eminentissimi quondam Cardinalis
et Archiepiscopi Strigonensis Petri Pazmanij, viri vere in omni doctrina-
rum genere eminentissimi, qui in suo doctissimo Sacrarum Concionum
tomo et saepius recuso Controversiarum Hodoego, Hungarico idiomate
confcripto, easdem CS unitas prioribus (nämlich: CH) melioris sonigratiä,
rejecto antiquo Hungaricorum scribendi modo«. — Das leitet der Verf.
mit Worten ein : »Quandoquidem nostra Natio Croatica et Sclavonica
nullas regulas Grammatieales atque orthographicas communes habet, sed
unusquisque pro suo sensu private varium incertumque scribendi modum
tenet: notum facio Posteris me in hoc et aliis prioribus posterioribusque
opusculis meis Sclavonicis ä vulgari Sclavonico Croaticoque orthogra-
phismo seu scribendi modo .... nonnihil receffiffe«. — Daraus erfahren
wir, daß der Verfasser des Werkes auch früher schon welche Bücher ge-
sehrieben hat (was wieder gegen Petretic spricht!) und daß er auch in
diesen früheren Werken der nämlichen Orthographie sich bediente, welche
Peter Päzmäny gebraucht hat. Wenn ich jetzt bemerke, daß vor dem
Werke »Szveti Evangeliomi« nur in einem einzigen Buche eine solche
Orthographie sich befindet, im Buche von Krajacevic »Molitvene knji-
sicze« — so wird jedermann einsehen, daß auch damit meine Ansicht
unterstützt wird, nämlich daß der Verfasser des Werkes »Szveti Evan-
geliomi« nicht Petretic, sondern Krajacevic war. — Aber Krajacevic
Nikolaus Krajacevic — Peter Petretic. 321
irrte sich, wenn er glaubte, ctaß er der erste sei, der die ungarische
Orthographie bei den Kroaten eingeführt hat, das ist nur soweit richtig,
daß bei den Ungarn statt ch zuerst Peter Päzmäny es schrieb und nach
ihm bediente sich des es auch Krajacevic; aber sonst hat schon J. Per-
gosic die charakteristischen Zeichen der ungarischen Orthographie in
seinem »Decretom etc. 1574« verwertet: cz v c, sz v 6-, eto v o, ?/ v ^,
y V i etc., wie er das im Werke von Blasius Weres (erschienen 15 6.5 in
Debrecen) gefunden, dessen Werk * er fast von Wort zu Wort übersetzt,
wie ich das in meiner Abhandlung »Madarski utjecaj na kajkavsku
knji^evnost« bewiesen habe.
[* Das Werk von Blasius Weres ist eine Übersetzung des »Tripartitum«
von St. Werbewczi, doch aber keine treue Übersetzung, indem Weres seinem
Zwecke gemäß sehr viele Paragraphen verkürzte, manche wieder umarbei-
tete. Das kroatische Werk von Pergosic ist keine Übersetzung des Wer-
bewczi'schen Textes, sondern eine ganz treue Übersetzung des Werkes von
Weres.]
(Budapest). Martin Hajnal.
Prosper Merimce's Mystifikation kroatischer Volkslieder.
Von T. Matic.
I.
Die ersten Jahre des XIX. Jahrhunderts sind durch die imposante
Erscheinung Bonapartes gekennzeichnet. Das durch ihn zu stände ge-
brachte französische Kaiserreich ließ im europäischen Leben Spuren, die
man Jahrzehnte hindurch sowohl im politischen als überhaupt im kultu-
rellen Leben Europas konstatieren kann. Je mehr man die darauf sich
beziehenden Studien vertieft, desto fester wird die Überzeugung, daß der
Einfluß der Napoleonscheu staatlichen Schöpfung auch in solche Sphären
hinübergreift, wo man ihn a priori kaum erwarten würde. Es konnte ja
anders auch nicht sein. Heute, weit entfernt von den Zeiten, wo man
sich von Sympathien oder Antipathien zu schroff auseinandergehen-
den Urteilen über Bonaparte hinreißen ließ, gibt man allgemein zu, daß
Napoleon eine Erscheinung ersten Ranges war, die das ganze öffent-
Archiv für slavische Philologie. XXVlll. 21
322 T. Matic,
liebe Leben des damaligen Europa beberrschte, und eine solche Er-
scheinung kann nicht über eine Nacht spurlos verschwinden. Wenn auch
von der ganzen Welt verlassen, ja zum großen Teile gehaßt, lebte Napo-
leon noch lange in seinen Werken, in den Folgen der von ihm geschaffenen
Zustände. Daß das erste Kaiserreich an der französischen Literatur
seiner Zeit nicht spurlos vorübergegangen, ist leicht zu verstehen. Bei
den Deutschen steht die ganze Literatur der Befreiungskriege in einem
untnittelbaren Zusammenhange mit der Geschichte der Napoleonsclien
Eroberungszüge. Auch die Slaven blieben selbstver.ständlich nicht un-
berührt, zumal im Süden ein Teil derselben — die südvpestlichen Kroaten
und Slovenen — nach dem Preßburger (1805) und noch mehr nach dem
Schönbrunner Frieden (1809) unter das Szepter des französischen Kaisers
gelangten. Durch diese Eroberungen wurden die Franzosen auf die süd-
slavischen Länder, an die man früher in Frankreich kaum dachte, auf-
merksam gemacht — es mag unser Land, welches für die gebildeten
Franzosen der damaligen Zeit schon als ein Stück Orients galt, eben
deswegen ein gewisses Interesse geweckt haben.
Auch im litei'arischen Leben des westlichen Europa vollzog sich in
den ersten Dezennien des XIX. Jhs. ein Umsturz: die neue romantische
Strömung feierte den Sieg über die s. g. klassische Literatur, die Be-
herrscherin der letzten Jahrhunderte. Die romantische Richtung kam
natürlich nicht unerwartet und plötzlich, sie wurde vielmehr in der zweiten
Hälfte des XVIII. Jhs. durch manche literarischen Erscheinungen an-
gekündigt. Abgesehen von den anderen Merkmalen der neuen Rich-
tung gehört wohl unzweifelhaft zu den charakteristischsten Zügen der
Romantik die Vorliebe für das Volkstümliche ohne Unterschied der Pro-
venienz — also sowohl für die Produkte der vorgeschrittenen Nationen
als auch für die geistigen Schöpfungen der in der Kultur zurückgeblie-
benen Völker. Ein Denkmal dieser Bestrebungen sind die Volkslieder
Herders. Aus dieser Vorliebe für das Volkstümliche und dem Wimsche,
einem in der Literatur längst vergessenen Volke ein ehrendes Denkmal
zu errichten, erklärt sich die bekannte Mystifikation Macphersons. Der
englische Dichter blieb nicht ohne Nachfolger: patriotisch gesinnt, ge-
dachte Hanka für sein Volk etwas ähnliches zu schaffen, und der Wunsch
wurde zu Tat.
Diese zwei Momente nun, die französische Eroberung »Illyi-iens«
und das dadurch für diese nach den Begriffen des damaligen Europa
halborientalischen Länder geweckte Interesse einerseits und andererseits
Prosper Mcrimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 323
die Vorliebe der damaligen literarischen Welt für das Volkstümliche und
die daraus entstandenen Mystifikationen — diese zwei Momente habe ich
besonders hervorheben wollen, denn wenn man das nicht außer acht läßt,
so werden uns einige mit der kroatischen Volkspoesie und Literatur-
geschichte überhaupt zusammenhängende Erscheinungen der damaligen
französischen Literatur als ein ganz natürliches Produkt ihrer Zeit er-
scheinen.
Vor Napoleon lassen sich in französisch geschriebenen Werken nur
hie und da schwache Spuren wahrnehmen, die auf das südslavische Volks-
leben hinweisen. Im Jahre 1778 wurde zu Bern eine französische Über-
setzung des Werkes Fortis' Viaggio in Dalmazia veröffentlicht, in
welcher auch die bekannte Lettre ä Mylord Comte de Bute sur les
mceurs des Morlaques und die Chanson sur la mort de Villustre epouse
d'Ascm-Aga enthalten sind*). Zehn Jahre später (17SS) erschien eine
der russischen Kaiserin Katharina II. gewidmete Erzählung aus dem
»morlakischen« Volksleben Les Morlaques von J. Wynne comtesse des
Ursins & Rosenberg. Unter den teils mündlichen teils schriftlichen Quellen,
deren sich die Schriftstellerin nach eigener Aussage bedient haben soll,
wird namentlich nur das Werk Fortis' erwähnt. Auf Grund einiger rein
äußerlichen, zum großen Teil Fortis entlehnten Momente konstruierte die
Gräfin unter dem Einflüsse der von Rousseau gepredigten Ideen von der
Rückkehr zur Natur eine ideale arkadische Morlakei, die uns durch ihre
Unnatürlichkeit und Abgeschmacktheit vielfach an die paatoralen Romane
des XVI. und XVII. Jhs. erinnert. In diesem Lande nun, wo die »jouis-
sances paisibles d'une vie conforme aux goüts de la nature« (p. 4) und
«une douce ^galit^ sociale« (p. 12) herrschen, wo in der Erziehung der
Kinder die Ideen des Emile zur Geltung kommen, schwärmt das Volk
für seine kriegerische Stammesgenossin, die Velika Catherina (Katharina
die Große). Die morlakischen Bauern glauben fest daran, daß sie die
Türken aus Europa vertreiben werde, uud verbeugen sich voll Begeiste-
rung und Ehrfurcht vor einer aus Stroh hergestellten und )^ä la morlaque«
gekleideten Statue der Kaiserin, die vom Morlaken Pervan in einem Walde
errichtet wurde. Die Darstellung der Schriftstellerin grenzt also bereits
1) In seiner Monographie Das serbische VoUcslied in der dcutsclun Literatur
(Leipzif? 1905) hebt Dr. 6urcin den Umstand hervor, daß die Berner franzö-
sische Übersetzung des Viai/f/io — trotzdem es auf dem Titelblatte »traduit
de ritalicn« heißt — doch hauptsächlich nacli der deutschen, ITTd erschiene-
nen Übersetzung desselben Werkes hergestellt wurde.
21*
324 T. .Alatic,
ans Komische In die Erzählung sind zehn »morlakische Volks-
lieder (f cingeHochten — alle in französischer Prosa ); wiedergegeben«.
Diese angeblichen Volkslieder passen vollkommen in den Ton der ganzen
Erzählung').
Wie bereits gesagt, datiert ein intensiveres Interesse der eigentlichen
französischen Literaten für unsere Volkspoesie und unser Volksleben erst
von der Napoleonschen Eroberung lUyriens, besonders seit der bekannte
französische Romantiker Charles Nodier als Redakteur die Leitung des
Laibacher Telegraphe ofßciel übernommen hatte. Mit Nodiers Tätig-
keit auf diesem Gebiete und mit den späteren Mystifikationen und Über-
setzungen unserer Volkslieder in der französischen Literatur befaßte sich in
der neueren Zeit Dr. Skerlicin CpncKH KitnaceBiiE r.iaciiHK [üpocnep
MepHMB II iLeroBa MHCTH<j>HKai];HJa epncKHX iiapo^iinx necama in C. k. r.
IV. 5; <I>paHi];yeKH poMaiiTn^iapH h cpncKa iiapo^iia noe3nja in C. k. r.
XII. 2 — 3 ; Joui je^HOM o »rycjiaiviacf IIpocnepaMepHMea in C. k. r. XII. 5].
In der vorliegenden Einleitung zum Gegenstande meiner eigentlichen Stu-
dien werde ich mich daher in bezug auf die von Dr. Skerlic behandelten
Momente etwas kürzer fassen, zugleich aber will ich zur Darstellung
Dr. Skerlics neue Beiträge liefern und auf einige Ungenauigkeiten in
seinen Aufsätzen aufmerksam machen.
Im Januar 1813 wird Nodier im TeUcjraplie ofßciel als »directeur
. . . Charge de la redaction du texte frangois« (p. 32) angegeben. In der
Nummer 29 des Telegraphe vom 11. April 1513 beginnt eine Serie von
Artikeln unter dem Titel Poesies illyriemies. Bereits im ersten Artikel
wird dem Wunsche Ausdruck gegeben, man möge die Produkte der illyri-
schen Muse sammeln und im Drucke erscheinen lassen: »Pourquoi un
homme instruit, spirituel et sensible ne s'occuperoit-il pas de recueillir
ces vieux monumens de la poesie illyrique et de les faire imprimer en
Corps? Ce seroit peut-etre le moyen de faire renaitre l'amour de cette
belle langue nationale, qui a aussi ses classiques et ses chefs-d'ceuvre. «
Dieser Wunsch wurde also eben in dem Jahre ausgesprochen, in welchem
Vuk Serbien verließ und sich nach Wien begab^ wo bald darauf seine
I) Hier die Titel der »Volkslieder <■: Chanson dePecirep. Histoire d'Anka.
Epithalame de Radomir aux noces de Jervaz. Epithalame de Dascia aux
nöces de Jervaz. Friere ä Timage de Catherina. Chanson de mort de Dabro-
mir. Chanson de la bienbeureuse Dianiza. Chanson de Tiescimir et Vukossava.
Chanson de mort pour le Starescina de Rostar. Chanson de la mort de
Jervaz.
Prosper Mörimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 325
Tätigkeit auf diesem Gebiete begann — denn daß unter den »vieux mo-
numens de la poesie illyi-iquec vor allem Volkslieder zu verstehen sind,
gebt aus dem Kontexte deutlich hervor. — Im zweiten und dritten Artikel
wird die X.alostna Piesanza Plemenite Asan-Agliinize besprochen.
Diese Analyse gewinnt an Interesse, wenn man sie mit der späteren von
Nodier stammenden Bearbeitung dieses Gedichtes vergleicht — worauf
wir später zurückkommen werden. — Der letzte (vierte) Artikel der
Poesies illyriennes (erschienen am 20. Juni 1813) enthält Übersetzung
eines Gedichtes von Ignat Dordic: Le ver luisanfA). Dies wäre somit die
erste von Nodier mitgeteilte Übersetzung eines kroatischen Gedichtes —
also gerade das Gegenteil von dem, was Dr. Skerlic annimmt (i)nocJieAH>a
ciOBSHCKa necMa Kojy je Ho^ije caonmTHo«), welchem dieses Gedieht
nur in der späteren Übersetzung Nodiers bekannt zu sein scheint. Sehr
interessant ist es aber, daß die in der Ausgabe der Werke Nodiers vom
Jahre 1832 enthaltene Übersetzung desselben Gedichtes von der im Tele-
graphe officiel mitgeteilten entschieden abweicht: das sind eigentlich
zwei Paraphrasen von I^ordics Zgoda l^viena. Bekanntlich wurde dieses
Gedicht von Dr. StuUi ins Italienische übersetzt und nebst dem Original-
texte in Appendinis Notizie iaforico-crificJie (II. 296) abgedruckt. Die
italienische Übersetzung unterscheidet sich schon in ihrer äußeren Form
vom Originale dadurch, daß sie in Strophen von sechs Achtsilbnern ver-
faßt ist, während Dordic durchwegs aus vier Achtsilbnern bestehende
Strophen anwendete. Es ist daher sehr leicht begreiflich, daß StuUi,
dessen Übersetzung überhaupt sehr frei ist, sich vielfach veranlaßt fand,
dem Original hie und da einen oder zwei Verse eigener Erfindung hinzu-
zufügen. Da sich diese Zusätze des italienischen Textes und dessen
Abweichungen vom Originale sowohl in dem im Telegraphe officiel
veröffentlichten Ver luisant als auch in der in späteren Ausgaben der
Werke Nodiers enthaltenen Luciole reflektieren, so unterliegt es keinem
Zweifel, daß die beiden französischen Übersetzungen von Bordics Zgoda
luvena auf die italienische Übersetzung Stullis zurückzuführen sind. So-
wohl T^er luiscmt als Luciole sind in Prosa geschrieben und in kleine
den Strophen des Originals bezw. der italienischen Übersetzung ent-
sprechende Absätze eingeteilt. In Luciole zerfielen sogar einzelne
Strophen des italienischen Textes (die fünfte und die sechste) in je zwei
1) In der Ausgabe Gaj's Pjesni razlike (Zagreb 185r.) das Gedicht Zgoda
luvena (auf der Seite 10].
326 T. Mutic,
Teile, sodaß diese Übersetzung gegenüber den 1 4 Strophen des Originals
und des italienischen Textes IG den Strophen entsprechende Absätze auf-
weist, während Ver luisant in dieser Beziehung der italienischen Über-
setzung treu folgt. Beide französische Texte sind frei nach der ohnehin
schon sehr freien Übersetzung Stullis übersetzt — wenn man sie daher
in Bezug auf die Treue der Wiedergabe direkt mit dem Originale ver-
gleicht, so kann das Resultat selbstverständlich kein befriedigendes sein.
Im Jahre IS 18 veröffentlichte Nodier anonym einen Koman angeb-
lich aus dem illyrischen Leben unter dem Titel Jean Shogar. Dieser
Roman steht mit dem südslavischen Leben eigentlich in keinem Zusammen-
hange, denn Jean Sbogar ist der Ende desXVIIL und Anfang des XIX. Jhs.
in der westeuropäischen Literatur so beliebte Mann, der, selbst mit der
Welt zerfallen, seiner Seelenstimmung in stürmerischer Weise Ausdruck
gibt und wie Schillers Karl Moor Räuberhauptmaun wird. Mit Illyrien
hat Nodier seinen Helden bloß in einen äußerlichen Zusammenhang da-
durch gebracht, daß Jean Sbogar, aus Spalato stammend, bei der unver-
dorbenen Bevölkerung Montenegros eine von der Welt weit entfernte
Zufluchtsstätte sucht und sich in Istrien, wo man die »gusle« hören kann,
als Räuberhauptmann niederläßt.
Drei Jahre später (1821) gab Nodier Smarra ou les Demons de la
nuit. So7iges romantiques^ traduits de Vesclavon du comte Maxime
Odin^ ein recht sonderbares Werk, heraus. Es enthält eigentlich Ge-
schichte eines Traumes: Lorenzo kommt nach Thessalien, wird dort von
den schauderhaftesten Gesichten geplagt, bis er endlich — von seiner
Gemahlin Lisidis aus dem Schlafe geweckt wird. Noch sonderbarer aber
ist die Vorrede, io welcher es unter anderem heißt: »L'ouvrage singulier
dont j'offre la traduction au public est moderne et meme recent. On l'at-
tribue generalement en lUyrie ä un noble Ragusain qui a cache son nom
sous celui du comte Maxime Odin, ä la tete de plusieurs poemes du meme
genre. Celui-ci, dont je dois la communication ä l'amitiö de M. le Cheva-
lier Födorovich Albinoni, n'etait point imprime lors de mon sejour dans
ces provinces. II l'a probablement ete depuis. — Smarra est le nom
primitif du mauvais esprit auquel les anciens rapportaient le triste ph^-
nomene du cauchemar. Le meme mot exprime encore la meme idee dans
la plupart des dialectes slaves « i). So hieß es in der ersten Ausgabe (1821).
^ 1) In Lovrich's Osservazioni sopra diversi pezzi del Viaggio in Dalmazia
del Signor abate Alb. Fortis (Venezia 1776) findet sich (p. 201) ein Kapitel be-
1,
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 327
Später (1832) warf Nodier seine Maske weg und gestand offen, daß er
der einzige Autor ist und die Autorschaft Maxime Odins ins Reich der
Fabel gehört. Ganz ungeniert nennt er seine Vorbilder (vor allen Apu-
läus) und bekennt, sein Werk habe keinen Erfolg gehabt, denn die fran-
zösischen Literaten seien schon im voraus gegen alle Produkte barbarischen
Ursprungs (in unserem Falle gegen das Werk eines angeblichen Ragusa-
ners) zu sehr eingenommen gewesen — sie hätten ja damals gar nicht
gewußt, daß Ragusa auf dem Gebiete der lateratur solche Fortschritte
aufweisen könne und daß es im XVIII. Jh. );le demier temple des muses
grecques et latines«/ gewesen sei.
Die Persönlichkeit des angeblichen »Chevalier Födorovich Albinoni«,
der Nodier das kroatische Original von Smarra mitgeteilt haben soll,
scheint eine reale Grundlage zu haben. Darunter wird der Autor des
Werkes Memorie per la storia della Dalmazia (Zara 1809) Giovanni
Kreglianovich Albinoni zu verstehen sein, der sein historisches Werk
über Dalmatien dem Vizekönig von Italien, Eugen Napoleon, gewidmet
hatte (cf. Valentinelli, Bibliogralia della Dalmazia e del Montenegro, Za-
gabria 1855, p. 10). Im Telegraphe ofßciel (Jhg. 1813, N. 15 u. 16)
erschien ein ziemlich ausführliches Referat über die Memorie Ki-egliano-
vichs — ein Beweis, daß Kreglianovich wenigstens literarisch Nodier
bekannt war. Inwieweit und ob Ki'eglianovich überhaupt am Zustande-
kommen von Smarra tatsächlich beteiligt war, entzieht sich unserer
Beurteilung. Die Behauptung Dr. Skerlics aber, nicht nur Fedorovieh
Albinoni, sondern sogar auch der von Nodier als Autor von Memoiren
über Dalmatien genannte Conte Kriglianovich seien aus der Luft gegi'iffen
(cf. Cpn. Kit. r.i. XU. 3. p. 849), ist entschieden unrichtig.
Im Anhange zu Smarra sind drei Gedichte abgedruckt, die Nodier
ebenfalls insgesamt für authentisch gelten lassen wollte, was wieder nicht
vollkommen den Tatsachen entspricht, denn während das zweite und das
dritte Gedicht wirklich — indirekt wenigstens — auf kroatische Originale
zurückzuführen sind, ist das erste von den drei Gedichten, Le bey Spa-
lafin^ eine Mystifikation. Nodier bezeichnet es als Dune de ces romances
nationales qui ne sout conservees que par la memoire des hommes. Celle-
ci est divisöe en tercets qui se chantent ordinairement ä deux voix
alternatives sur un air extremement monotone, mais que les Morlaques
titelt »Incubo o Smara«-, als morlakiscber Name wird aber nur »morra" au-
gegeben.
328 '!"• Matic.
n'cntendent pas sans pleurer«. In G!) solchen tercets (die natürlicb in
frauzösischc Prosa »übersetzt« wurden) wird vom liajduken Pervan er-
zählt, der Zetim, die Burg des alten Bey Spalatin, eroberte und dessen
Enkelin Iska gefangen nahm. Um das Mildchen vor Schande zu bewahren,
kam der alte Bey als Guslaspieler verkleidet vor die Burg und sang von
den Siegen des »fameux bey Skender«. Iska erkannte den Großvater an
der Stimme und kam zu ihm. Der Greis stieß dem Mädchen seinen Dolch
in die Brust. Selbst verwundet, fürchtete er den Tod nicht mehr, denn
er hatte seine Enkelin vor Schande gerettet. Die Kinder nahmen den
verwundeten Großvater mit und flohen vor den verfolgenden liajduken
in die neue Heimat Pago. Um seinen Kindern die Flucht nicht zu er-
schweren, warf sich der sterbende Greis ins Meer.
Das zweite Gedicht im Anhange zu -6'marrw, La femme iPAsa?i,
ist die bekannte Hascm-aginica, mit der ich mich später befassen werde,
und das dritte, La htciole, die schon erwähnte Ü))ersetzung von Bordics
Zgoda l,uvena.
Doch das bedeutendste Werk auf dem Gebiete der französischen
Mystifikationen unserer Volkslieder erschien anonym 1S27 zu Straßburg
unter dem Titel: La Guzla ou choix de poesies iUyriques recueillies
dans la DalmaUe, la Bosnie^ la Croafie et VHerzegovine'^). Der
Anonymus erzählt in der Vorrede, er habe in seiner Jugend lange in den
illyrischen Provinzen gelebt, und seine Mutter selbst sei eine Morlakin
aus Spalato gewesen. Mehrere Jahre hindurch habe er mehr illyi-isch als
italienisch gesprochen und, selbst ein großer Freund von Reisen, seine
freie Zeit dazu benutzt, das Land, in welchem er lebte, kennen zu lernen.
Von Triest bis Ragusa gebe es wenig Dörfer, Berge und Täler, die er
nicht besucht hätte — er habe sogar größere Ausflüge nach Bosnien und
in die Herzegovina unternommen, wo die illyrische Sprache am reinsten
sei, und dort habe er mehrere interessante Fragmente von alten Liedern
gefunden. Er selbst sei ein Italiener, schon lange aber wohne er in
Frankreich, so daß er französisch ziemlich leicht schreibe, aber als Frem-
der wohl wisse, daß sich sein französischer Stil durch keine Eleganz aus-
zeichne. Während seines Aufenthaltes in lUyrien habe er auch Volkslieder
gesammelt — und erzählt selbst, wie er später dazu gekommen sei, die-
1) Die Seitenzahlen der Zitate aus der Guzla sind nach der zu Paris ^Cal-
man L6vy) 1885 erschienenen Ausgabe der Werlve Merimees angegeben, der
Text wurde aber durchweg mit der ersten Ausgabe (1827) verglichen und an
abweichenden Stellen nach dem ursprünglichen Texte korrigiert.
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 329
selben herauszugeben: »Depuis, remarquant le gofct qui se repand tous
les Jours pour les ouvrages etrangers. et surtout pour ceux qui, par
leur forme meme, s'öloignent des chefs-d'ceuvre que nous sommes habituös
ii admirer, je songeai ä mon recueil de chansons illyriques. J'en fis quel-
ques traductions pour mes amis, et c'est d'apres leur avis que je me
basarde ä faire un choix dans ma collection et a le soumettre au juge-
ment du public« i). Die illyriscben Provinzen wolle er nicht beschreiben:
«Je m'imagine que les provinces illyriques^ qui ont ete longtemps sous
le gouvernementfran^ais^ sotit assez bien connues pour qu'il soit inutile
de faire precöder ce recueil d'une description geographique, politique,
etc. «2). Er beschränkte sich bloß darauf, in kurzen Zügen den Leser mit
den sla vischen »Barden«, ^tn joueurs de guzla^ bekannt zu machen.
Nach der Vorrede folgt eine ziemlich ausführliche Notice su?' Hya-
cinthe Maglanovich^ den Sänger der schönsten unter den Liedern unserer
Sammlung. Zu Zuonigrad geboren, sei Maglanovich im Alter von 8 Jahren
von Zigeunern nach Bosnien entführt und zum Islam bekehrt worden.
Unter den Muhamedanern habe er nicht lange ausgehalten; getauft von
einem Mönche, sei er mit ihm nach Sinj in Dalmatien entflohen und habe
sich in der neuen Heimat durch seine Lieder bekannt und beliebt gemacht.
Bald habe sich unser Sänger in ein Mädchen verliebt und, weil er Gegen-
liebe gefunden habe, den Sitten des Landes folgend die schöne Helene
Zlarinovich entführt. Bei dieser Gelegenheit aber habe er das Unglück
gehabt, seinen Rival zu erschießen, und sich deshalb vor der Rache der
mächtigen Verwandten des Ermordeten ins Gebirge flüchten müssen. Mit
seiner Frau habe er unter den Ilajduken mehrere Jahre zugebracht und
sich endlich mit der Familie in der Gegend Kotari in der Nähe des Dorfes
Smocovich'^) niedergelassen. Unser Sammler sei mit ihm 1816 zu Zara
bekannt geworden und im darauf folgenden Jahre als Gast in seinem
1) Guzla, p. 135. 2j Ib., p. i:56— i:i7.
3) Die in der Biographie Maglanovichs angegebenen Ortscliaften Livno,
Sin und Smokovic (in der Gegend Kotari in Norddalmatien, südlich von
Zara) passen in Jeder Beziehung ganz gut in den Rahmen der Erzählung.
Merkwürdigerweise gibt Dr. Skerlic in seinem Aufsatze Ilpocncp Älepime ii
iberoua MiiCTn*nKaiiuja cpiicKHX uapoÄimx uecaivia (in GpncKU KibUJKCBuu rjac-
iiiiK IV, 5) diese geographischen Daten vollkommen verkehrt an: Maglano-
vich sei von Livno nach Sen in Dalmatien entflohen und habe sich später
in der Nähe von Kotor niedergelassen. Im französischen Texte steht ganz
deutlich Scign (nicht Seign, wie es Dr. Skerlic zitiert, denn ein Sen gibt es
überhaupt nicht in Dalmatien) und »dans le Kotar pres de Smocovich«.
330 T. Matid,
Hause gewesen. Der alte Sänger habe ihm mit Guzlabegleitung mehrere
Balladen unserer Sammlung vorgetragen.
An dieser ganzen Geschichte vom Sammler und vom Sänger ist keine
einzige Silbe wahr, denn alle diese Gedichte — bis auf zwei, auf die wir
später zurückkommen werden — sind ein Produkt des bekannten franzo-
sischen Novellisten Prosper Mörimöe. Der Dichter konnte mit dem lite-
rarischen Erfolg seiner Mystifikation recht zufrieden sein. Aus der Vor-
rede zur zweiten Ausgabe der Guzla erfahren wir, daß Mi-rimöe «deux
mois apres la publication de la Guzlai vom englischen Staatsmann und
Schriftsteller John Bowring, der selbst im Jahre 1827 eine Sammlung
serbischer Volkslieder in englischer Übersetzung herausgegeben hatte,
einen Brief erhielt, in welchem ihn der Engländer bat, er möge ihm die
Verse des Originals seiner Guzla mitteilen: »M. Bowring, auteur d'une
anthologie slave, m'öcrivit pour me demander les vers originaux que
j'avais si bleu traduits« ^).
Gerade um diese Zeit arbeitete Gerhard an einer deutschen Über-
setzung serbischer Volkslieder. In der Vorrede zu seiner bekannten
Sammlung Wila. Serbische Volkslieder und Heldenm'drchen (Leipzig
1828) erzählt Gerhard selbst, sein Büchlein hätte schon im vorigen
Sommer (also 1827) erscheinen sollen^ sei aber durch mancherlei Zufälle
verspätet worden. «Einer davon — fährt er fort — kam indeß dem Werke
insofern zu gute, als er eine Bereicherung seines Inhaltes veranlaßte. Es
wurden nämlich dem Verfasser durch die Güte des Herrn Berger-Levrault
aus Straßburg, dessen persönliche Bekanntschaft er zu jener Zeit machte,
die ersten Aushängebogen des in seiner Verlagshandlung seitdem unter
dem Titel: La Guzla ^ ou le choix de poesies illyriques recueillies
dans la Dalmatie, la Bosnie, la Croatie et V Herzegoioine erschienenen
Werkchens mitgeteilt. Sein Inhalt zog ihn so sehr an, daß er sich auf
der Stelle entschloß, die von dem anonymen Herausgeber, einem gebornen
Italiener und nationalisierten Franzosen, im Lande selbst niedergeschrie-
benen und Wort für Wort in französischer Prosa überlieferten Lieder
rhythmisch zu übertragen. Vertraut mit dem Periodenbau serbischer
Rhythmik, ward ihm die Arbeit leicht, und so gab er sie als Anhang zu
dem zweiten Bande gegenwärtiger Sammlung mit Ausnahme der zuletzt
darin abgedruckten Trauerhallade von der edlen Gattin des Asan-
Aga. Wie hätte er auch wagen sollen, diese herrliche Dichtung einem
Meister nachzudichten ? (f
1) Guzla, p. 133.
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 33 1
Recht auffallend ist daher die Behauptung Dr. Skerlics, Merimee
hätte 1835 im Briefe an Sobolevskij die ganze Angelegenheit in bezug
auf Gerhard unrichtig dargestellt und zu Gunsten seiner M3^stifikation
übertrieben, denn Gerhard hätte sich zwar vorübergehend iiTeführen
lassen, doch von Goethe über den tatsächlichen Sachverhalt aufgeklärt,
diese unglückseligen Übersetzungen (»xe Hecpehiie upeEO^e« Cpn. kh>. rjr.
Xn. 5. p. 984) nie veröffentlicht. Die Wahrheit bezüglich der Über-
setzungen Gerhards war schon Miklosic bekannt und wurde auch von
Dr. Curcin ganz richtig hervorgehoben.
Während also Gerhard von dieser französischen Übersetzung der
angeblichen illyrischen Volkslieder so sehr entzückt war, daß er sie ins
Deutsche tibertrug und im II. Bande seiner TVüa veröffentlichte, erschien
noch in demselben Jahre (1828) über Guzla ein kurzes Referat Goethes
(Über Kunst und Altertum VI, 2), welches in einem ganz anderen Tone
geschrieben war. Sowohl hier als auch später (1830) in den Gesprächen
mit Eckermann hob Goethe den nicht zu bestreitenden poetischen Wert
dieser Gedichte hervor, doch das ganze Werk nennt er »eine beim ersten
Anblick auffallende, bei näherer Betrachtung aber problematische Er-
scheinung« .... und fährt weiter fort: ». . . . Wir wurden aufmerksam,
daß in dem Werke Guzla der Name Gazul verborgen liegt, und jene
verkappte, spanische, schauspielerische Zigeunerin kam uns in die Ge-
danken, die uns vor einiger Zeit so liebenswürdig zum Besten hatte ....
Es hat von jeher in der Kunst dieser fromme Betrug gegolten, daß, wenn
irgend etwas großen Beifall erhielt, man durch Fortsetzungen, zweite
Teile oder sonstig Angeschlossenes Aufsehen erregen, Zustimmung ge-
winnen wollte und dadurch ein erst getäuschtes Publikum zu einem höhe-
ren Grad von Kennerschaft erhob .... Herr Merimee wird es ims also
nicht verargen, wenn wir ihn als den Verfasser des Theaters der Clara
Gazul und der Guzla hiemit erklären imd sogar ersuchen, uns mit der-
gleichen eingeschwärzten Kindern, wenn es ihm irgend beliebt, aufs neue
zu ergötzen.«
Damit ist die Geschichte der Mystifikation Merimees nicht zu Ende
— es war ihr beschieden, in den Werken eines der größten slavisehcn
Dichter Spuren zu hinterlassen. In den Jahren 1832 — 1833 üborsetzte
Puskin aus der Guzla elf Balladen ins Russische und veröffentlichte die-
selben in seinen Il'Iiciin 3aiia;iiiuxTi cjiaBflUTt). Die Übersetzungen Puskius
bewegen sich frei, viel freier als die Gerhardschen ^). Doch der Glaube
1) Von den Balladen Merimees übersetzte Puskin: La vision de Tho-
332 T. Matid,
des russischen Diclitcrs an die Echtheit der von ihm übersetzten Gedichte
war bald erschüttert, und er bat S. A. Sobolevskij, er möge sich bei
Mörimöe .über den Ursprung der in der Guzla veröffentlichten Balladen
erkundigen. In einem zu Paris am IS. Januar 1835 geschriebenen, an
Sobolcvskij gerichteten Briefe') gestand Merimöe seinen literarischen Be-
trug ganz offen. «Je röpondrai candidement ä vos questions. La Guzla
a €i€ composöe par moi pour deux motifs, dont le premier 6tait de me
moquer de la couleur locale dans laquelle nous nous jetions ä plein coUier
vers l'an de gräce 1827. Pour vous rendre compte de l'autre motif, je
suis Obligo de vous conter une histoire. En cette m§me annöe 1827, un
de mes amis et moi nous avions formö le projet de faire un voyage en
Italie. Nous ötions devant une carte, tracant au crayon notre itineraire.
Arrivös ä Venise, sur la carte s'entend, et ennuyes des Anglais et des
Allemands, que nous rcncontrions, je proposai d'aller ä Trieste, puis de
lä ä Raguse. La proposition fut acceptöe, mais nous ötions fort l^gers
d'argeut et cette »douleur nompareille«, comme dit Rabelais, nous arretait
au milieu de nos plans. Je proposai alors d'ecrire d'avauce notre voyage,
de le vendre a un iibraire et d'employer le prix ä voir si nous nous ötions
beaucoup tromp6s. Je demandai pour ma part ä colliger les poösies po-
pulaires et ä les traduire; on me mit au defi, et le lendemain j'apportai ä
mon compagnon de voyage cinq ou six de ces traductions. Je passai
l'automne ä la campagne. On döjeunait ä midi et je me levais ä dix heures ;
quand j'avais fume un ou deux cigares, ne sachaut que faire, avant que
les femmes ne paraissent au salon, j'^crivais une ballade. II en rösulta
un petit volume, que je publiai en grand secret et qui mystifia deux ou
trois personnes .... Voilä mon histoire. Faites mes excuses ä M. Pouch-
kine. Je suis fier et honteux ä la fois de l'avoir attrappe. (f
mas II., roi de Bosnie — La Flamme de Perrussich — Le combat de Zenitza
Velika — La belle Helene — Le Morlaque <ä Venise (auch von Mickiewicz ins
Polnische übersetzt; den russischen und den polnischen Text dieser BaUade
druckte Kulakovskij in A. C. üyiuKunt bt. cüaBKucKuxi. nepeso^axt,
BapmaBa 1899, neben einander ab) — Les braves heyduques — Chant de mort
— Constantin Yacoubovich — Les Montenegrins — Jeannot — Le cheval de
Thomas IL Puskins Übersetzung der ersten l3 Verse der Hasan-aginica ist
nicht auf Merimees Guzla zurückzuführen. Über die Übersetzungen Puskins
aus der Guzla cf. IT. Ky.iaKOBCKii'r, CjiaBflucKie motubm bt, xBopiecTBi
Jlyi^KHHa (BapmaBa 1899) und IT. A. JlaBpoBt, IlyniKUHi. u cjaBHHc
(ÜÄedca 1900).
1) Abgedruckt in der Vorrede zu Puskins ITicHu sanaÄnLixt ciaBaHrb.
Prosper Merimee's Mystifikation Jsroat. Volkslieder. 333
In der zweiten Ausgabe der Guzla ^j machte Merimee aus seinem
Namen und dem Ursprünge der angeblichen Volkslieder kein Hehl. Da
wird die Entstehungsgeschichte der Guzla genau in derselben Weise er-
zählt wie in dem Briefe an Sobolevskij — zum großen Teil werden sogar
dieselben Ausdrücke, ja ganze Sätze wörtlich wiederholt, nur tritt hier
der ironische Ton, den man schon in dem erwähnten Briefe merkt, noch
stärker hervor. Ganz besonders wird da gegen die romantische couleur
lorule losgezogen. Die Opfer seiner Mystifikation werden nicht geschont:
Bowi'ing, Gerhard, Puskin — für alle hat Merimee eine ironische Bemer-
kung: »Les Allemands d^couvrent bien des choses, on le sait« sagt er
von der Gerhardschen Entdeckung der Verse des Originals in der franzö-
sischen Prosa, und die Übersetzung Puskins »peut se comparer ä Gil
Blas traduit en espagnol et aux heitres d\ine religieuse porttigaise
traduites en portugais.«^).
Filon sagt, M^rimöe habe in der zweiten Ausgabe »cinq poemes
concus dans le meme genre« hinzugefügt. Nach dem Vergleich der neueren
Ausgaben mit der ersten Ausgabe der Guzla wären das die Balladen:
Le fusil enchantö — Le ban de Croatie — L'heiduque mourant — die
in einer Marginalnote enthaltene Übersetzung eines griechischen Liedes
La jeune fiUe en enfer — und Milosch Kobilich^).
II.
Bevor wir zur Behandlung einzelner Punkte unserer Sammlung über-
gehen, wird es wohl ratsam sein, einen kurzen Überblick des ganzen
Werkes zu geben, um uns zuerst in seinem Inhalte zu orientieren. Die
ganze Sammlung enthält 32 größtenteils epische Gedichte, die alle ins-
gesamt — bis auf die zwei letzten — Produkte i\[6rimees sind und mit
der kroatischen Literatur in keinem direkten Zusammenhange stehen. Die
erwähnten zwei Gedichte kroatischen Ursprungs sind Triste ballade de
la noble epouse d^Asan-A(/a und Milosch Kobilich — also zwei von
denjenigen Gedichten, die durch die Vermittlung Fortis' in die Herder-
1) In seiner Monographie über Merimöe (Les grands 6crivains fran^ais,
Bd. 40, Paris 18i)8) gibt Aug. Filon als Jahr der zweiten Ausgabe der (iuzla
1842 an; Dr. Skerlic und Dr. Curcin zitieren das Jahr 1810. Mir war diese
Ausgabe nicht zugänglich.
^) GUizla, p. 13;!.
•') Cf. auch Skerlic in CpncKu kilu/kccuu r.iacuuK, XII/5, p. 983.
334 !'• Matid,
sehen Volkslieder kamen und zum erstenmal die Aufmerksamkeit des
westlichen Europa auf unsere Volkspoesie lenkten.
Die ganze Sauimlung Mcrimecs ist in Prosa »übersetzt« und es sind
fast alle Gedichte in kleine Abschnitte, die den Strophen des angeblichen
Originals entsprechen sollten, eingeteilt, was der äußeren Form der süd-
slavischen Volkspoesie keineswegs entsprechen würde.
An der Spitze der Sammlung steht das Gedicht Vauhepine de Ve-
liko (1) mit der einleitenden Strophe: »L'Aubepine de Veliko, par Ilya-
cintlie Maglanovich, natif de Zuonigrad, le plus habile des joueurs de
guzla. Pretez l'oreille« '). Der Bey Jean Veliko wird von seinen Feinden,
die aus dem Osten kamen, verfolgt; seine elf Söhne sind im Kampfe ge-
fallen, und mit dem jüngsten flüchtet sich der alte Bey über den Fluß
Mresvizza zu George Estivanich, der mit ihm als Symbol der Gastfreund-
schaft Salz und Brot ißt und seinen neugeborenen Sohn auf den Namen
Jean taufen läßt. Doch die Feinde begnügen sich nicht damit, daß der
Alte das Haus seiner Väter verlassen mußte, sie kommen mit einer Schar
ihrer Leute zu Estivanich und verlangen von ihm die Auslieferung Jeans
und seines Sohnes. Da George aber die heiligen Gesetze der Gastfreund-
schaft nicht verletzen will, wird er von ihnen getötet, und die P'einde
dringen in das Haus Estivanichs. Der alte Bey fällt unter ihren Säbel-
hieben ; sein Sohn wäre auch getötet worden, hätte die Frau Georges nicht
ihren kleinen Sohn Jean an die Stelle des Alexis Veliko den Feinden
unterschoben und so das eigene Kind geopfert, nur um den unter dem
Schutze der Gastfreundschaft stehenden Sohn Velikos zu retten. Zehn
Jahre später fragte einmal der junge Alexis seine Mutter (denn so nannte
er die Frau Estivanichs, Th^rese Gelin), was die »robes sanglantes sus-
pendues ä la muraille« zu bedeuten haben. »C'est la robe de ton pero,
Jean Veliko, qui n'est pas encore veng6; c'estlarobe de Jean Estivanich,
qui n'est pas venge, parce qu'il n'a pas laisse de fils«2j. Der junge Mann
war seit dem Tage in Gedanken vertieft — er kaufte Pulver zu Segna,
ging über Mresvizza, tötete die Feinde und kehrte voll Freude zu seiner
Pflegemutter zurück: «Enlevez, enlevez ces robes sanglantes! Les beys
de l'est sont morts. Jean et George sont venges. L'aub^pine de Veliko
a refleuri; sa tige ne perira pas!«^).
Nach diesem Gedichte folgt Lamort de Thomas II ^roi de Bosniei^).
Die Ungläubigen bringen den Kopf des jungen Etienne auf einer Lanze
1) Guzla, p. 145. 2) Ib. p. 153. 3) Ib. p. 154.
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 335
gepflanzt vor die Mauern der Stadt Kloutch, wo sein Vater Thomas 11.
belagert wird. Der König verfällt in Verzweiflung; es gibt für ihn keine
Hoffnung mehr, denn die Griechen und die »agreables ä Dieu« (in der
Anmerkung: »en illyrique bogou-mili«) haben ihn verraten. In einer schlaf-
losen Nacht dringt durch den Plafond ein Gespenst ins Zimmer des
Königs: es ist sein Vater Thomas, den er ermordet hat. »Quand cesse-
ras-tu de me persecuter?« fragt der Sohn, und der Geist antwortet:
»Quand tu te seras remis ä Mahomet.« und der König ging ins Zelt
Mahomets, lehnte den Islam ab, wurde lebendig geschunden, und aus
seiner Haut wurde ein Sattel gemacht.
Das darauf folgende Gedicht La viaion de Thomas 11^ roi de Bo6-
nie, par Hyacinthe Maglanovich (3) hängt inhaltlich mit dem voran-
gehenden innig zusammen. Voll Sorgen geht Thomas in seinem Zimmer
auf und ab. Alles um ihn herum schläft, er allein wacht und beobachtet
den Feind. In dieser Stille «la chouette seule pleure au-dessus de son
palais, parce qu'elle pr^voit que bientöt eile sera oblig^e de chercher une
autre demeure pour ses petits. « In der Kirche von Kloutch erschallen
Pauken und Trompeten — der König geht hin. Auf dem Boden liegen
Leichen, das Blut strömt wie im Herbst die Wildbäche vom Berge Pro-
logh: es ist das Blut der Christen, es sind die Leichen seiner Treuen. In
der Mitte sieht er Türken und Tartaren mit den Bogou-mili^ den Rene-
gaten. Vor dem Mahomet kniet Thomas I. und reicht seine Krone dem
Feinde des Christentums; es kniet vor dem Sultan auch der Verräter
Radivoi'. Mahomet nimmt die königliche Krone, zertritt sie mit den Füßen
und ernennt Radivoi zu seinem heglier-hey über Bosnien. Und der Ver-
räter »se prosterna, et il baisa la terre inondee de saug« — darauf wird
ihm ein Kaftan gegeben, der aus der Haut des bosnischen Königs gemacht
ist. Thomas fühlt schon die Hände der Ungläubigen, die ihn schinden;
er sieht schon Radivoi, der sich mit Freuden mit seiner Haut schmückt.
»Tu es juste, mon Dieu! tu punis un üls parricide; de mon corps dispose
ä ton grö, mais daigne prendre pitiö de mon äme, 6 divin J^sus!«^) Die
Vision verschwand, der König trat aus der Kirche, und da fiel die erste
Bombe — das Signal zum Angriff ....
Jje Morlaque ä Ve?dse (4) ist ein rührendes lyrisches Gedicht.
Dmitri war traurig, weil seine geliebte Prascovie ihm unti-eu geworden.
Ein ruse Dalmate redete ihm zu, in die reiche Lagunenstadt zu gehen;
1) Guzla, p. 164.
336 T. Matid,
dort würde er reich werden, dann könne er in die Heimat zurückkommen
und CS würde ihn wohl kein Mädchen zurückweisen. Der Morlak hat sich
überreden lassen und nun ist er unglücklich; ein unübervvindbares Heim-
weh überfällt ihn: »Les femmes se rient de moi quand je parle la langue
de raon pays, et ici les gens de nos montagnes ont oublic? la leur, aussi
bien que nos vieilles coutumes: je suis un arbre transplantc en ctö, je
s^che, je meurs.
Dans ma montagne, lorsque je rencontrais un homme, il me saluait
en riant, et me disait: «Dieu soit avec toi, fils d'Alexis!« Mais ici je ne
rencontre pas une figure amie, je suis comme une fourmi jet6e par la
brise au milieu d'un vaste etang. « i).
Chant de mort (5) wäre ein von Hyacinthe Maglanovich nach einem
von den Panduren erschossenen Hajduken improvisiertes Klagelied. Der
Sänger bittet den Toten, seinem verstorbenen Vater alles, was in ihrer
Familie nach dessen Tode vorkam, zu erzählen. Dreimal kehrt die refrain-
artige Strophe wieder: »Adieu, adieu, bon voyage! Cette nuit la lune est
dans son plein, on voit clair pour trouver son chemin, bon voyage!«
Seigneur Mercure (6) ist ein ziemlich umfangreiches Gedicht, wel-
ches den tragischen Tod eines von der Gattin betrogenen Helden erzählt.
Mercure muß in den Krieg gegen Ungläubige ziehen. Vor der Abreise gibt
er seiner Gattin Euphemie eine Ambraschnur: »Prends ce collier d'ambre;
si tu m'es fidele, il restera entier, si tu m'es infidele, le fil cassera et les
grains tomberont. « Nach drei Wochen kommt sein Verwandter Spiridion
Pietrovich mit der Nachricht, Mercure sei im Kampfe gefallen. In ihrer Ver-
zweiflung tröstet Spiridion die Witwe. »Le chien de Mercure hurlait apres
son maitre, et son cheval hennisait; mais sa femme Euphemie a s^che ses
larmes, et la meme nuit eile a dormi avec le traitre Spiridion. «2) — Der
König schickt Mercure mit einer Botschaft zur Königin nach Clissa. Beim
See von Cettina läßt sich Mercure nieder, um ein wenig auszuruhen. Auf
dem See liegt ein dichter Nebel, der aber bald verschwindet, und nun
sieht man auf dem Wasser Zwerge reiten: je näher sie dem Ufer kommen,
desto größer werden sie und endlich erreichen sie die Größe der Gebirgs-
bewohner von Douare. Einer von diesen fordert Mercure zum Zwei-
kampfe heraus, wird aber von ihm besiegt. »Mercure, Mercure, Mercui-e,
tu m'as vaincu, dit le fantome. Pour ma rancon, je veux te donner un
conseil: ne retourne pas dans ta maison, tu y trouverais la mort. «3).
') Guzla, p. 168. 2) Ib. p. 175. 3) Ib. p. 178.
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 337
In der Nacht reist er beim Mondschein weiter und kommt auf den
Friedhof von Poghosciami: da sieht er viel Leute um eine Leiche, deren
Kopf mit einem schwarzen Schleier bedeckt ist. Auf seine Frage ant-
wortet ihm der chiaoua, dies sei die Leiche des Seigneur Mercure. Nach
Hause gekommen, verlangt Mercure von seiner Frau die magische Ambra-
schnur — da diese aber gebrochen war, hatte die Frau eine ganz gleiche
anfertigen lassen, deren Körnchen vergiftet waren. Diese Schnur bringt
nun die Gattin und fordert Mercure auf, die Körnchen zu zählen, um
sich zu überzeugen, ob alle da sind. Mercure zählte, um aber leichter
zählen zu können, benetzte er von Zeit zu Zeit seine Finger mit Speichel
— »et le poison subtil se glissait ä travers sa peau. « Als er zum sechs-
undsechzigsten Körnchen kam, sank er entseelt zu Boden.
Les hraves heyduques (7) bezeichnet wieder M^rimee als eine Bal-
lade Maglanovichs, und zwar aus der Zeit, als er selbst ein Hajduk war.
Der alte Mladin Christich ist mit seiner Gattin Catherine und zwei Söhnen
von Feinden in einer Höhle umringt. Sie wollen lieber Hunger leiden als
den Feinden sich übergeben. Nach drei Tagen stirbt die Mutter; den
vierten Tag, als die Sonne das in den Ritzen der Steine angesammelte
Wasser auftrocknete, Avurde der ältere Sohn wahnsinnig und schaute auf
die Leiche der Mutter »avec des yeux comme ceux d'un loup qui voit un
agneau. (f Alexandre, der jüngere Bruder, öfihete sich mit seinem hanzar
eine Ader am Arme und sagte zum Bruder: )jBois mon sang, Christich,
et ne commets pas un crime.« Da erhebt sich der Alte: »Enfants, debout!
mieux vaut une balle que l'agonie de la faim.« Jeder tötete zehn Feinde,
jeder wurde von zehn Kugeln in die Brust getroffen.
Im Gegensatz zu diesem düsteren Gedichte singt in dem darauf folgen-
den Uamante de Dannisich (8) ein Mädchen von der Liebe, mit der es
Dannisich liebt. Eusebe, Wlodimer bringen ihr Geschenke, beide sind
schön, Dannisich aber ist ihr der liebste. «Eusebe m'a embrjissee, et j'ai
souri ; Wlodimer m'a embrassee, il avait l'haleiue douce comme la violette;
quand Dannisich m'embrasse, mon cceur tressaille de plaisir. « Dannisichs
Guzlaspiel, seine Lieder sind die schönsten — er soll unter ihr Fenster
kommen, mit ihm wird sie fliehen.
»Asseyez-vous autour de Jean Bietko, vous tous qui vouloz savoir
l'histoire lamentable de la ])elU' Helene et de Theodore Khonopka, son
mari. Jean Bietko est le meilleur joueur de guzla que vous ayez ontoudu
et que vous entendrez jamais« ^) — mit dieser selbstbewußten Einladung
1) Guzla, p. 187.
Archiv für slavist-ho l'liilologio. XXVlIi. 22
338 T. Matic,
fängt das näcljste Gedicht La belle Helene (9) an. Helene hat als
Mädchen den Ileiratsantrag Piero Stamatis verschmäht und Theodore
Khonopka geheiratet »parce que Theodore ^tait beau et que Piero (itait
laid et mcchant. « Einmal reiste ihr Oatte auf ein Jahr nach Venedig ab ;
da kam Piero zu Helene mit seinen Liebesanträgen, da er aber kein
Gehör fand, wollte er Gewalt anwenden. wHcilfene <3tait grande et folgte.
Bien lui prit d'etre grande et forte .... Stamati est tombö sur le dos. «
Der verschmähte Liebhaber will sich rächen und verabredet mit einem
Juden, was sie tun werden. Piero fand unter einem Grabsteine eine Kröte;
deren Kopf wird nun vom Juden mit Wasser begossen und die Kröte
selbst Jean getauft. »Alors ils ont lard(5 le crapaud avec la pointe de
leurs ataghans jusqu'a ce qu'un venin subtil sortit de toutes les piqüres ;
et ils ont recueilli ce venin dans une fiole et l'ont fait boire au crapaud.
Ensuite ils lui ont fait l(5cher un beau fruit.« i). Diese Frucht nun ließ
Stamati der schönen Helene schicken, als ob es ein Geschenk von seiner
Frau wäre. Nachdem Helene die Frucht gegessen hatte, war ihr so, als
ob sich in ihrem Bauche eine Schlange regte. Seit diesem Tage fing ihr
Bauch an, allmählich zu schwellen. Nach einem Jahr kam ihr Gatte von
Venedig zurück und, als er die angebliche Unti'eue seiner Gattin sah,
enthauptete er sie mit einem Säbelhiebe, obgleich sie ihm versicherte, sie
sei unschuldig. Das Kind der sündigen Liebe sei nicht schuld, es soll
leben, dachte Theodore Khonopka, öffnete den Bauch seiner Gattin und
fand eine Kröte. Jetzt sah er ein, was er getan, hob den Kopf der Frau
auf und küßte ihn .... »Soudain cette tete froide a rouvert les yeux,
ses levres ont tremble, et eile a dit: »Je suis innocente, mais des enchan-
teurs m'ont ensorcelee par vengeance avec un crapaud noir. Parce que
je suis restee fidele, Piero Stamati m'a jet6 un sort, aide par un mechant
juif qui habite dans la vallee des tombeaux.« Alors la tete a ferme les
yeux, sa langue s'est glacee, et jamais eile ne reparla«'-). Piero Stamati
und der Jude wurden vom Gatten getötet.
Maxime et Zoe ( 1 0) wird wieder als ein von Hyacinthe Maglanovich
herrührendes Gedicht bezeichnet. Jede Nacht kommt vor das Fenster der
schönen Zoe Jellavich ein unbekannter Jüngling, der zur Gusle seine Liebe
singt. Der Unbekannte läßt aber nie sein Gesicht sehen. Den Tag über
treibt er sich jagend im Walde umher und bringt abends seiner Geliebten
Steinbockhörner zum Geschenk: »Porte ces cornes avec toi, et puisse
1) Guzla, p. 190. 2) Ib. p. 195.
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 339
Marie te preserver du mauvais oeil!« Endlich fordert ihn das junge Mäd-
chen auf, mit ihr zu entfliehen — er möchte es gleich in der Nacht, sie
will es aber beim hellen Tag zur Zeit, als ihre Hausgenossen in der Kirche
sind. Auf einem weißen Ross kommt der Unbekannte; seine Stirne ist
mit einem Schleier bedeckt. Zoe flieht mit ihm ; er fragt sie, ob sie die
Hörner vom Steinbock mitgenommen habe. Sie verneint es und verlangt
von ihm, er soll doch den Schleier wegnehmen nnd sie anschauen. Er
sträubt sich dagegen, da sie aber hartnäckig bei ihrem Verlangen beharrt
und sich vom Roß hinunterstürzen will, wirft er den Schleier weg und
schaut sie an; ehe er sie aber umarmen konnte, fiel sie bewußtlos zu
Boden. Sein Blick war tötend, denn er hatte zwei Augäpfel in jedem
Auge, er hatte ein mauvais mil.
Das gleiche Grundmotiv behandelt auch das nächstfolgende Gedicht
Le mauvais mil (1 1). Ein Kind ist schwer krank, seine Mutter sitzt neben
ihm und singt ihm. Sie flucht dem bösen Fremden, der die Schönheit des
Kindes gelobt hat, denn dieses Lob hat auf das arme Kind einen Zauber
ausgeübt — jetzt ist es todkrank, und wenn der Fremde da wäre, so
würde sie ihn zwingen, auf die Stirne des Kindes zu spucken. So aber
ist sein Onkel nach Starigrad gefahren, um vom Grabe des Heiligen ein
wenig Erde zu bringen, und ihr Vetter, der Bischof, hat ihr eine Reliquie
gegeben, die wird sie um den Hals des Kindes hängen, und es wird genesen.
Dem Gedichte La flamme de Perrussich^ par Hyacinthe Magla-
novich (12) liegt der Gedanke des pohraiimsfvo (Wahlbrüderschaft) zu
Grunde. In der Kirche zu Perrussich sclilossen Janco Marnavich und
Cyi-ille Pervan den Bund des pobratimstvo. Später entstand bei einem
Festmahle ein Streit und Janco feuerte auf einen von seinen Feinden ab,
erschoß aber seinen pohratim Cyrille. Seit dem Tode des pohratim trieb
sich Janco ganz verwildert umher; endlich kam er in seine Heimat zurück
und begab sich in die Kirclie von Perrussich, avo er lauge bitter weinte.
Nach Hause gekommen, bat er in der Nacht dreimal seine Gattin zu
schauen, ob man in der Gegend von Perrussich etwas sehe. Zuerst sah
sie nichts, dann bemerkte sie im Nebel ein schwaches zitterndes Licht
und endlich sah sie ein helles Licht, das sich rasch ihrem Hause näherte.
Nach den ersten zwei Antworten betete Janco inbrünstig für die Seele
seines jiohratim^ nach der dritten fiel er tot zu Boden. Die mysteriöse
Flamme war ein Zeichen, daß die Seele des Verstorbenen anwesend war.
Das darauffolgende Lied HarcaroUc [\'.\) ist wirklich nichts anderes
als eine gewöhnliche BarcaroUe, ohne irgend was besonderes an sich zu
340 T. Matiö,
haben. Dagegen Le combat de Zenitza-Velika (14) ist zwar ein kleines
Oedicht, aber doch interessant wegen des von Mörim^e hervorgehobenen
Gegensatzes zwischen den Dalmatinern (den IJewohnern der Küste) und
den Morlaken aus dem Binnenlande. Der Bey BadivoT führte seine Hel-
den in den Kampf gegen Ungläubige. j\lit ihm zogen auch Dalmatiner
gegen den Feind des Christentums, sobald sie aber das herannahende
Heer des he(jlier-hey von Banialouka sahen, ließen »ces mis(;rables pol-
trons« den alten Radivoi im Stiche. Die Morlaken kämpften tapfer, aber
der Feind war weit überlegen an der Zahl. Kadivoi erlaubte seinen Hel-
den, sich zu retten, wer nur kann ; er selbst blieb mit zwanzig von seinen
Treuen am Schlachtfelde und ging mit ihnen zu Grunde.
La helle Sophie (15) ist eigentlich ein Hochzeitchor, in welchem
abwechselnd die svati (Hochzeitgäste), Sophie, ihr Bräutigam Bey de
Moina, ihr verlassener Liebhaber Nicöphore, junge Mädchen und
Jünglinge au die Reihe kommen. Sophie wurde dem jungen Nicephore
untreu und reichte dem alten, reichen Bey de Moina ihre Hand. Nice-
phore erschießt sich, und die schöne Sophie stirbt noch in der Brantnacht,
denn ihr Bräutigam ist ein Vampir.
Eine Vampir-Geschichte ist auch das folgende Gedicht Jeannot (16),
welches aber in einem ganz anderen Tone gehalten ist. Jeannot geht zur
Nachtzeit durch einen Friedhof — ■ da hört er etwas nagen und glaubt, es
sei ein Vampir, der in seinem Grabe fresse. Das einzige Mittel dagegen
ist, Erde von dem betreuenden Grabe zu essen; Jeannot bückt sich also
und will ein wenig Erde nehmen, da aber der Hund, der da an eiuem
Knochen nagte, glaubt, Jeannot wolle ihm sein Nachtmahl wegnehmen,
springt er auf ihn und beißt ihn in die Wade.
Improvisation cVHyacintJw Maglanovich (17) ist ein Lied, in
welchem der alte Sänger seine jungen Rivale zu einem Wettgesang auf-
fordert: er werde sie alle besiegen. »Qnand le vieux poete sera mort,
qui osera prendre sa guzla et en tirer des sons ? Non, l'on enterre un
guerrier avec son sabre : Maglanovich reposera sous la terre avec sa guzla
sur sa poitrine« ^).
Cotistantin Yacoicbovich (IS) führt uns wieder ins Reich der Ge-
spenster. Zu Constantin kommt ein junger verwundeter Krieger und
stirbt in seinem Hause; Constantin läßt ihn im Friedhofe begraben »sans
s'inquieter si la terre latine souffrirait daus son sein le cadavi-e d'un Grec
1) Guzla, p. 248.
J
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 341
schismatique«. Nach einer Woclie erkrankt das Kind Constantins; ein
heiliger Einsiedler kommt und bemerkt am Halse des kleinen Kranken
■einen roten Fleck, die Spur vom Zahne eines Vampirs. Man gräbt den
fremden Krieger aus und findet an seiner Leiche alle Zeichen eines
vukodlak: sein Bart und seine Nägel sind gewachsen, sein Mund blutet
und der ganze Sarg ist tiberschwemmt mit Blut. Man will ihn mit einem
Pfahl durchstechen, er schreit aber auf und entflieht in den Wald. Mit
dem Blut und der Erde aus seinem Grabe wird dem Kind der Hals ge-
rieben. Noch drei Abende nach einander kommt der Vampir: zuerst als
ein Riese, dann in der gewöhnlichen Menschengröße und zuletzt als ein
Zwerg, jedesmal aber wird er durch das Gebet des Einsiedlers vertrieben.
Die dritte Erscheinung ist zugleich die letzte — das Kind wird gesund.
Impromptu (19) ist ein einfaches, aber sehr anziehendes Lied, in
welchem die Schönheit eines Mädchens gepriesen wird. Nur ein paar Zeilen
enthält es, darum werde ich es, ohne etwas auszulassen, hier folgen lassen :
»La neige au sommet du Prolog n'est pas plus blanche que n'est ta gorge.
Un ciel sans nuage n'est pas plus bleu que ne sont tes yeux. L'or de ton
Collier est moins brillant que ne sont tes cheveux, et le duvet d'un jeime
cygne n'est pas plus doux au toucher. Quand tu ouvres la bouche, il me
semble voir des amandes sans leur peau. Heureux ton mari ! Puisses-tu
lui donner des fils qui te ressemblent« ^).
Le Vampire (20) verrät schon durch den Titel seinen Inhalt. In
einem Sumpfe liegt die Leiche des verdammten Venetianers, der Marie
verführt hat. Drei Tage liegt er schon tot, aber sein Körper ist noch
1) Guzla, p. 255. In Gerhard's deutscher Übersetzung lautet das Lied:
Schnee vom höchsten Prolokgipfel
Ist nicht weißer als dein Busen,
Und ein Himmel ohne Wolken
Blauer nicht als deine Augen.
Deiner Kette Gold erglänzet
Minder schön als deine Haare,
Und der Flaum des Jungen Schwanes
Ist nicht weicher anzufühlen.
Wenn du deine Lippen öffnest,
Seh ich Mandeln ohne Schalen.
0 wie glücklicli ist dein Gatte!
Möchtest du ihm Söhne schenken,
Söhne, die dir, IloUle, gloiciion!
(AV. Gerhard, Wihi. Leipzig 1828, v. II. p. 157.)
342 T. Matid,
nicht im Verwesen begriffen, an ihm zeigen sich vielmehr alle Zeichen
eines Vampirs. »Sa barbe a crü, ses ongles ont pouss^; les corbeaux
s'eloignent de lui avec effroi, tandis qu'ils s'attachent aux braves hey-
duques qui jonchent la terre autour de lui« i). Sein Mund l)lutet — jetzt
soll Marie kommen und sehen, wem zu Liebe sie ihrem Volke untreu ge-
worden — jetzt soll sie seinen bleichen, blutenden Mund küssen ....
La quereile de Lepa et de 'Tchernyeyor (21j ist angeblich dem
morlakischen Hajdukenleben entnommen. Lepa und Tchernyegor sind
echte llajduken: j)IIs prennent beaucoup d'objets precieux aux riches
faineants des villes; raais ils sont gönereux pour les joueurs de guzla,
comme les braves doivent l'eti'e; ils fönt I'aumone aux pauvi-es.«2) Ein-
mal fanden sie in einer erbeuteten Barke ein schönes Brokatkleid und
jeder von beiden wollte es für seine eigene Gemahlin haben; dadurch ent-
stand ein Streit, in welchem Tchernyegor den Pagen Lepas erschoß. In
dem darauf folgenden Handgemenge Avurden auf beiden Seiten viele Hel-
den getötet. Ein alter Joucur de guzla kam und sah das schauerliche
Bild — der Alte zerriß in kleine Stückchen das Brokatkleid. Die Gegner
gingen auseinander: Lepa dachte an die Rache, weil Tchernyegor seinen
Pagen erschossen hatte, und Tchernyegor wollte sich ebenfalls rächen,
weil er im Kampfe um einen Mann mehr verloren hatte als Lepa. Dieser
ging nun zu Nastasia, der Frau Tchernyegors, nahm sie gefangen nnd
verkaufte sie den Piraten, die sich zufälligerweise dort einfanden. Tcher-
nyegor war eben nicht zu Hause, weil er zu derselben Zeit um Yevekhi-
mia, die Frau Lepas, ging — er bot sie denselben Piraten um 600 Dukaten
an, sie wollten aber nicht so viel geben und sagten, sie hätten soeben um
500 Dukaten eine schönere Frau gekauft. Tchernyegor gibt Yevekhimia
um 500 Dukaten unter der Bedingung, man soll ihm diese gekaufte Frau
zeigen, und er erkennt in ihr seine eigene Gattin. Nun versöhnten sich
die beiden Hajduken, griffen mit ihren Helden die Piraten an und be-
freiten ihre Gattinnen, vergaßen aber den Piraten den Kaufpreis zurück- 1
zugeben.
Uamant en houteille (22) erinnert lebhaft an die Zaubereien der
Tausend und einen Nacht. Die schöne Khava von Trebigne will keinem
Manne ihre Liebe schenken, weil sie in einem Fläschchen ihren Geliebten
hat und dieser ihr alles erfüllt, was sie nur zu wünschen vermag. Der
Bischof erfuhr es, ließ dem Mädchen ihr Fläschchen nehmen, machte über
1) Guzla, p. 258. 2) Ib. p. 261.
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 343
demselben ein Kreuzzeichen und schlug mit einem Hammer darauf. Das
Fläschchen ging in Stücke, aber Blut spritzte aus ihm — Khava schrie
auf und verschied.
Cava- Ali le vampire (23) gehört auch in den Kreis der Gespenster.
Cara-Ali, von Basile Kaimis gastfreundlich aufgenommen, verführte dessen
Gattin Jum^li und entfloh mit ihr. Auf der Flucht wurde Ali vom ver-
folgenden Gatten erschossen; sterbend gab er Jumeli einen Koran. Wer
das Buch liest, wird reich und geliebt von Frauen, wer die Seite 66 auf-
schlägt, hat alle Geister in seiner Macht. Mit diesem Geschenke erbat
sich Jumeli Gnade von ihrem Gatten. Basile schlug das Buch auf, es er-
schien Cara-Ali als Gespenst, packte den Unglücklichen und biß ihn am
Halse — er ließ ihn erst dann frei, als seine Adern kein Blut mehr hatten.
Les pohratimi (24) ist eine Verherrlichung der Wahlbrüderschaft.
Jean Lubovich aus Trau und Cyrille Zborr aus Vorgoraz sind pobrafimi
geworden. Von Feinden bedroht schickte Cyrille einen Boten zu seinem
Freunde und Jean kam ihm zu Hilfe. Die Feinde wurden fortgejagt und
eine reiche Beute wurde den Wahlbrüdern zu teil. Alles teilten sie brü-
derlich, da war aber eine türkische Sklavin, und beide hatten sich in sie
verliebt. Als ihre Wahlbrüderschaft daran zu scheitern drohte, zogen
beide ihre hanzars und senkten sie zugleich in den Busen der Sklavin:
»Perisse l'infidele plutot que notre amitie!«^)
Hadagny (25) wäre ein Volkslied aus dem montenegrinischen Leben.
Zwei Stämme, Serral und Ostrowicz, bezogen einander mit Krieg. Die
junge Hcilfene vom Stamme Serral wurde von ihrem Vater gesendet, die
Lage des Feindes und seine Stärke zu erspähen. Hadagny, der jüngste
unter den Ostrowicz, bemerkte den Feind in der Finsternis und feuerte
ab. Man hörte einen Schrei, und der Vater Hadagnys erkannte an der
Stimme, daß es eine Frau war. Für einen Helden, ja sogar für seinen
ganzen Stamm ist es eine Schande, ein Weib aus dem feindlichen Lager
zu töten — und Hadagny hat es getan, aber was noch mehr ist, er hat
die erschossene Helene Serral geliebt. Seit dem unglücklichen Tage ver-
schwand er spurlos. — Nach langer Zeit kam ein schöner junger Mann
in die Gegend von Ostrowicz und erfuhr von einem Hirten das Unglück,
welches den Stamm seit der pjrmordung Hclenens verfolgt. Der alte
Bietko, als er den Untergang seines Stammes unvermeidlich vor sich sah,
stürzte sich von einem Felsen in den Abgrund. Als der fremde Jüngling
1) Guzla, p. 284.
344 T. Matic,
(las hörte, seufzte er tief und in v.'mcui Nu verschwand auch er im Ab-
grunde. Es war Iladagny.
Aus derselben Sphäre wäre auch das folgende (jedicht Les Monte-
negrins (26). Napoleon ist fest entschlossen, diese Leute, die sich er-
dreisten, ihm zu widerstehen, zu besiegen, und sendet seine Soldaten
gegen die Montenegriner. Doch die schlauen (iebirgsleute führen die
französischen Truppen irre, indem sie auf die Lanzen ihre roten Kappen
aufsetzen, selbst aber auf die Erde sich niederlegen. Die Franzosen
nehmen ihre Kappen als Ziel, so daß die Montenegi-iner ohne eigene
Gefahr auf die Feinde schießen können.
Zur bosnischen Gruppe (cf. 2 u. 3) gehört auch das Gedicht Le
cheval de Thomas II [21). Der König fragt sein Ross, warum es weine
und so traurig wiehere. Das Roß antwortet, es weine darum, weil ihm
der Ungläubige die silbernen Hufeisen, die goldenen Nägel und die sil-
bernen Glöcklein nehmen und aus der Haut des Königs von Bosnien für
dessen Roß einen Sattel machen soll.
In der ersten Ausgabe (1827) folgt auf das Gedicht Le cheval de
Thomas II gleich Triste hallade de la noble epouse d^ Asan-Aga.
Später aber wurden zwischen diese zwei Gedichte noch drei andere ein-
geschaltet. Das erste von diesen Le fusil enchante (28) ist zugleich das
letzte größere von Mörimee stammende Gedicht der ganzen Sammlung.
Der Bey Sawa hat ein Zaubergewehr, dessen Kugeln alle ohne Ausnahme
Tod bringen. Dawoiid, der schönste unter den Bosniaques, verstand es,
die Tochter Sawas, die schöne Nastasie, für sich und seine Liebe zu ge-
winnen. In einer Nacht sagte er ihr, die Hajduken hätten ihn, als er zu
ihr ging, angegriffen und nun würden sie wohl auf ihn lauern ; wenn er
das Zaubergewehr ihres Vaters hätte, würde er niemanden fürchten.
Ahnungslos stahl Nastasie das Gewehr und gab es dem Geliebten. Seit
der Nacht wartete sie vergebens auf den schönen Dawoüd. Da sie an die
Stelle des Zaubergewehrs das ganz ähnliche Gewehr Dawoüds. gestellt
hatte, bemerkte ihr Vater den Betrug nicht. Eines Tages drangen die
Ungläubigen in die Gegend Sawas ein und an ihrer Spitze war Dawoüd-
Aga. Der alte Bey zog gegen die Feinde ; im kritischen Momente versagte
sein Gewehr imd er wurde von Dawoüd erschossen. Man enthauptete ihn
und trug seinen Kopf auf einer Lanze umher. Nastasie sah es, aber sie
weinte nicht; sie zog die Rüstung ihres Bruders an und ging auf Dawoüd
los. Vom Zaubergewehr wurde auch sie nicht verschont, und einer von
den Ungläubigen brachte ihren Kopf zu Dawoüd. Der junge Aga er-
Prosper Merimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 345
kannte sie und brach in bittere Klagen aus. Das Zaubergewehr warf er
in den Brunnen von Vostina.
Es folgt jetzt ein Le ban de Croatie (29) betiteltes Gedicht, in
welchem von einem Banus erzählt wird, der auf dem linken Ohre taub
und auf dem rechten Auge blind war: mit dem linken Ohr hörte er die
Klagen der Vojvoden an und mit dem rechten Auge schaute er das Elend
des Volkes. Den reichen Humanay-Bey und den vowcode Zambolich ließ
der Banus enthaupten und nahm ihre Güter für sich. Ihre Geister aber
geben ihm keine Ruhe: jede Nacht kommen sie, verbeugen sich vor dem
Banus, und dann fallen ihre Köpfe auf den Teppich. Endlich forderten
sie einmal den Banus auf, er möge ihren Gruß erwidern. Zitternd erhob
sich der Banus, verbeugte sich — und sein Kopf rollte auch auf den
Teppich hinunter.
Vheyduque mourant (30) ist das letzte von den drei nachträglich
eingeschalteten Gedichten. Gabriel Zapol liegt im Sterben und bittet einen
weißen Adler, er möge seine leere Patrontasche zu seinem Bnider ti'agen,
damit er ihn räche und den Pandur Botzai töte. Das gestickte Tuch soll
der Adler zur schönen Khava tragen, sie möge den verstorbenen Geliebten
beweinen. Der Adler erfüllte den Wunsch des Sterbenden : seinen Bruder
George fand er von Branntwein betrunken imd seine geliebte Khava
feierte gerade ihre Vermählung mit Botzai.
Die von M^rim^e stammenden Balladen sind damit zu Ende, denn
sowohl die Triste hallade (31) als das in der späteren Ausgabe hinzu-
getretene Gedicht Milosch Kobilich (32) beruhen — wie es schon er-
wähnt wurde — in der Tat auf kroatischen Originalen. Da ich diesen
zwei Gedichten je ein besonderes Kapitel widmen werde, verzichte ich hier
auf alle weitere Bemerkungen.
III.
Giizla kann also nur als ein Produkt Merim(5cs gelten und nur als
solches darf sie in der Literaturgeschichte beurteilt werden. Von diesem
Standpunkte aus müssen wir dem Dichter unsere voUe Anerkennung
zollen. Einfach und vielfiich doch ergreifend schön gehören gerade diese
Gedichte zu den schönsten Produkten der Mdi'imöescheu Muse. Es ist
eine beachtenswerte Erscheinung, daß die Mystitikatoren sich selir oft
als begabte Dichter gezeigt haben, und wenn auch ihre AVerkc schon
längst niclit mehr für das gehalten werden, wofür sie ihre Autoren gelten
lassen wollton, so werden sie jedoch als Produkte moderner Dichter ge-
346 T. Matiö,
schätzt (Ossian, Koniglnhofer Handschrift . Dasselbe kann man auch
von Mdrimees (Juzla mit vollem Rechte sagen. Sowohl :ius dem Stile als
aus der Form (Prosa in kleine den Strophen des angeblichen Originals
entsprechende Abschnitte eingeteilt) ersieht man, dati Merimöe insbeson-
dere Nodier vor Augen schwebte. Wer aber nur oberlläddich die kroa-
tische Volkspocsie kennt, wird den Balladen der (Juzla auch bei einer
flüchtigen Lektüre den südslavischen volkstümlichen Charakter absprechen .
Doch das wird Merimee niemand leugnen, daß er den Ton, der in der
romantischen Zeit, insbesondere unter dem Einflüsse der nebelhaften Bal-
laden Ossians, eminent für volkstümlich galt, vorti-efflich getroß"en hatte.
Einige unter den Balladen Merimees sind in ihrer Schönheit einfach und
naiv — und heute noch, nachdem man die Volkspoesie der verschiedensten
Nationen einem eingehenden Studium unterzogen hat, gelten gerade die
Einfachheit und die Naivetät als die hervorragendsten Merkmale der
volkstümlichen Produkte.
Die Irreführung Bowrings, Gerhards und Puskins mag an und für
sich beachtenswert und interessant sein, doch meines Erachtens geht Filon
entschieden zu weit, wenn er in Bezug auf Puskin sagt: »Ce fait donne
a. reflechir. Lorsque le genie d'une grande race, represente par son poete
le plus illustre, se reconnait dans une manifestation littöraire, personne
n'a plus le droit de mepriser cette manifestation, pas meme celui qui en
est l'auteur«!). Der geniale russische Dichter war eben in dieser Be-
ziehung auch ein Kind seiner Zeit.
In der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Guzla spottete Merimee
selbst über seine Mystifikation und insbesondere über die couleur locale
seiner illyi'ischen Balladen. An diese Verurteilung der Guzla seitens des
Autors selbst dachte Filon, als er das eben zitierte Urteil über das Werk
Merimees fällte. Um das Jahr 1S40 hatte der Dichter die romantischen
Ideale seiner Jugend aufgegeben. Es kommt zwar nicht so selten vor,
daß die Menschen gerade über die Ideale ihrer Jugend lachen, es soll
aber bei Merimee noch etwas dagewesen sein, was ihn insbesondere ver-
anlaßte, den Bruch mit seiner literarischen Vergangenheit möglichst stark
hervortreten zu lassen — Filon weist auf Merimees Kandidaturen in der
Academie fr an gaise hin 2] .
Merimee kannte die kroatische Volkspoesie nicht. Wie er selbst im
Briefe an Sobolevskij und in der Vorrede zur zweiten Ausgabe gesteht,
>) Filou, o. c. 29. 2) Ib. 28.
Prosper M^rimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 347
war seine Hauptqiielle die bekannte Reisebeschreibimg des Abbe Fortis,
die im Jahre 17 74 unter dem Titel Viaggio in Dalmazia zu Venedig in
zwei Bänden erschien. In diesem Werke befaßte sich der Autor haupt-
sächlich mit den Sachen, die vom naturwissenschaftlichen Standpunkte
von Interesse sind, vergaß aber nicht das Land und die Leute, da er im
I. Bande (p. 43 — -105) ein verhältnismäßig treues und unparteiisches Bild
des Lebens unseres Volkes in der zweiten Hälfte des XVIII. Jhs. entwarf.
Es muß besonders hervorgehoben werden, daß Fortis, der selbst ein Ita-
liener, also ein Fremder war, sich von den Vorurteilen seiner Zeit über
die »wilden Morlakena nicht hinreißen ließ, denselben vielmehr energisch
entgegentrat und trachtete, frei von den Vorurteilen unsere dalmatinische
Landbevölkerung kennen zu lernen und das Wahrgenommene treu darzu-
stellen. Merimee hatte sich also — wohl ohne eigenes Verdienst — einen
guten Führer gewählt, beschränkte sich aber keineswegs auf das von
Fortis Gebotene, sondern ließ seiner Phantasie volle Freiheit: fügte so
manches Neue hinzu und gestaltete das Alte so um, daß man es stellen-
weise kaum wieder zu erkennen vermag.
Schon aus den Inhaltsangaben wird man wohl bemerkt haben, daß
die Personennamen der Guzla den Südslaven meistens fremd sind. Ein
paar Namen wurden dem Viaggio entnommen, folglich sind diese wirk-
lich kroatischen Ursprungs, z. B. Marnavich, Pervan, Janco usw. Auf-
fallend ist die Tatsache, daß unverhältnismäßig viele Namen an die üb-
lichen russischen Personennamen erinnern: Alexis, Fedor, Prascovie,
Dmitri, Spiridion, Pietrovich, Alexandre, Wlodimer, Nastasia usw. Es
kommt da einem unwillkürlich in den Sinn, daß Merimee mehrere Werke
Puskins, Gogoljs und Turgenevs ins Französische übersetzte; doch die
russischen Namen in der Guzla kann man damit nicht in Zusammenhang
bringen, weil die russischen Studien M6rim6es in eine viel spätere Zeit
fjillen, denn aus der Korrespondenz Merimees geht hervor, daß er erst
184S russisch zu lernen anfing. »J'apprends le russe« schreibt er im
Dezember 1S48 und fügt hinzu: ». . . . cela me servira peut-etre a parier
aux Cosaques dans les Tuileries«!). Fast ebenso zahlreich wie die russi-
schen sind andere Namen, die — sehr oft dunklen Ursprungs — manch-
mal recht sonderbar klingen: Stamati, MoTna, Valathiano, Ziani, Kaimis,
Chipila, Hadagny, Guntzar Wossieratsch, Delhi, Dawoüd, Botzai usw.
Sowohl die einen als die anderen Namen hat ]\[erimce ganz zufällig bald
1) Filon, o. c. 141.
348 T. Matid,
diesem bald jenem Buche entnommen, ohne darauf zu achten, ob diese
Namen iji «eine xillyrisclien» Balladen recht passen — so z. B. hat er in
dem Werke Balthasar Bekkers Le monde ciir/iante (Amsterdam 1G'J4)
eine Geistergeschichte gefunden, die sich in Polen 1597 zugetragen haben
solP) und in der ein weiblicher Käme Bietka \orkommt; oline Bedenken
macht Merimee daraus einen männlichen Kamen Bietko und gilit ihn al.s
Zunamen dem ill3a*ischen Sänger, von dem er angeblich die Ballade La
belle Helene gehört hätte. In Iladacpiy wieder wird ein alter Montene-
griner mit diesem Namen benannt. Die Personennamen zeigen uns also,
daß M(5nm6e sich keine Mühe gab, wenigstens dem Äußeren seiner Balla-
den einen wirklich »illyrischen« Charakter zu verleihen. Natürlich, bei
Fortis fand er der Natur des Viur/gio entsprechend nicht so viele Namen,
als er notwendig hatte, und nahm deswegen sein Gut, wo er es eben fand.
Nur so ist es begreiflich, daß seine Balladen, während sie in den Personen-
namen sich ganz frei bewegen, in den geographischen Benennungen und
der Lokalisation der Gedichte ziemlich genau sind. Fortis hat selbst-
verständlich die zum Zwecke der naturwissenschaftlichen Stndien bereisten
Gegenden in seinem Viaggio genau beschrieben und dem Werke sogar
zwei geographische Karten üalmatiens Ijeigegeben, sodaß M(5rim^e in
dieser Beziehung in gar keiner Verlegenheit war. Es kommen zwar einige
Namen, die ich weder auf den Karten Fortis noch sonst in den neueren
statistischen Publikationen und geographischen Spezialkarten konstatieren
konnte, ihre Zahl aber ist ganz klein: Tchaplissa (170; Caplina?), Jemizza
(ein Binnenfluß 176), Vrachina (237), Stavila(256), Vostina(300; Vostane
in der Gemeinde Sin?), Poghosciami (179; ich habe an Fortis" Pacostiane
unweit des Vrana-Sees gedacht, doch diese Annahme stimmt mit der sonst
geographisch genau angegebenen Reise des Seigneur Mercure im gleich-
namigen Gedichte nicht überein, denn nach derselben müßte sich dieses
Dorf Poghosciami irgendwo in der Nähe des Flusses Cetina in der Rich-
tung gegen Klis befinden). Sonst aber bewegte sich Merimee im Anschluß
an die geographischen Karten Fortis auf dem ihm selbst unbekannten
Boden ziemlich sicher. Eines ist aber in dieser Beziehung auffallend —
es gibt unter seinen Balladen auch solche, deren Handlung nicht in Dal-
matien vor sich geht, sondei-n in das benachbarte Kroatien und Bosnien
hinübergreift und somit den geographischen Rahmen des Werkes Fortis
überschreitet; so z. B. gleich das erste Gedicht Uauhepine de Veliko
1) Cf. Guzla, p. 271.
Prosper M^rimee's Mystifikation kroat. Volkslieder. 349
spielt in Kroatien und mit ein wenig Kombination kann man es ziemlich
genau zwischen Glina und Sen lokalisieren. Daraus aber folgt, daß
Merimee sich auch über Kroatien etwas genauer unterrichtet hatte, und
da wird er wohl die in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Guzla in
ganz allgemeinen Ausdrücken erwähnte, von einem Sektionschef im
französischen auswärtigen Ministerium verfaßte Statistik der illyrischen
Provinzen benützt haben. Meine Bemühungen, diese » statistique des an-
ciennes provinces illyriennes« ausfindig zu machen, blieben erfolglos ^j.
Was die Volkssitten und den Aberglauben anbelangt, da war natür-
lich wieder Fortis die Hauptquelle Merimees. Alles, was der italienische
Forscher über die Sitten der Morlaken und ihre Lebensweise erzählt, hat
Merimee ziemlich geschickt zu verwerten verstanden, nur hat er vielfach
manches — jedenfalls um seinen « illyrischen « Balladenein recht exotisches
Aussehen zu verleihen — übertrieben und mit seinen manchmal baroken
Zusätzen ausgeschmückt. Wenn der Dichter glaubte, daß irgend eine auf
die morlakischen Sitten sich beziehende Stelle der Guzla dem west-
europäischen Leser unklar sein könnte oder daß die betreffende Sitte
schon an und für sich verdiene, hervorgehoben und näher beschrieben zu
werden, so gab er darüber in besonderen am Ende des Gedichtes sich
befindenden Anmerkungen genaue Aufklärungen und sehr oft eine aus-
führliche Beschreibung der ganzen Sitte — selbstverständlich, immer
nach Fortis, sodaß er ihm öfters Wort für Wort folgt. Ich glaube, daß
die Irreführung Gerhards und Puskins eben darauf zurückzuführen ist,
daß Merimee die wirklich bestehenden Sitten und Gebräuche der Süd-
slaven mit den reellen geogi'aphischen Namen und den meistens doch
slavisch klingenden Personennamen zu verflechten verstand und dadurch
1) Im Briefe an Sobolevskij (1835) erwähnt Merimee als seine Quelle
neben dem Viacjgio Fortis' »une petite brocliure d'iin consul de France ä Ba-
nialouka. J'en ai oublie le titro, Tanalyse en serait facile. L'auteur cherche
a prouver que les Bosniaques sont de fiers oochous, et il eu donne d'assex
bonnes raisons. II cite par-ci par-lä quelques mots illyriques pour faire paradc
de son savoir (il en savait peut-Ctre autant que moi\ J'ai recueilli ces mots
avec soin et je les ai mis dans mes notes«. In seinem bereits zitierten Auf-
satze (CpncKH khjU>kcbhii r.aaci[UK IV, 5, pag. 364) weist Dr. Skerlic auf das 1S22
zu Paris erschienene Buch Voi/age en Bosnie dans les annees ISU7 et ISOS, pur
AmecUe Cltaumettc-Des-Fosses. In der Zeitschrift Zora (Mostar 1^98) referiert
Dr. M. Vesnic über eine in der Hofbibliotlick zu Koponhai}:on befindliche Ab-
schrift dieses Werkes und bezeichnet dessen Inlialt als interessant, ohne aber
etwas davon mitzuteilen. Mir war das AVcrk nicht zueräni'lich.
350 'i'- Matic,
dem ohnehin schon naiven Ton seiner Gedichte einen anscheinend süd-
slavischen volkstiimliclien Charakter verlieh. Denn sonst wäre es doch
auffallend, wie Uerliard, der doch vorher mit 8ima Milutinovic- ziemlich
viel aus den serbischen Volksliedern, dem liazgovor Karies und der
Serhijaulia Milutinovic^s übersetzt hatte, folglich auch die serbische oder
kroatische Volkspoesie kannte, sich dazu bätte verleiten lassen, nebst den
wirklich volkstümlichen Gedichten auch die Übersetzungen der lialladen
Mörimees in seiner Wila zu ver(iffentliclien.
In den Anmerkungen zum ersten Gedichte der Sammlung erwähnt
Mdrimöe die Rache und sagt, sie werde bei den Morlaken als eine heilige
Pflicht betrachtet, zitiert das Sprichwort: wKo ue ae osveti onnc ne po-
sveti« und fügt hinzu: »Osveta, en illyrique, signifie vengeance et sancti-
ficatioutf — alles bis auf die kleinsten Fehler treu nach Fortis (I. 60;
cf. Guzla 154 u. 263). Ganz so verhält es sich mit dem Mädchenraub
(otmica; Fortis 68, MMmöe 171), den Amuletten (zapis; F. 66, M. 174),
der sonderbaren Weise, wie die Panduren ihre Gefangenen ins Gefängnis
führen, indem sie ihnen die Hosen bis auf die Knie fallen lassen, damit
sie nicht entfliehen können (F. 54, M. 1S3). Die Hochzeitsbräuche und
überhaupt die gesellschaftliche Stellung der Frauen bei den Morlaken
sind ebenfalls nach Fortis dargestellt (F. 56, 67 — 6S, 74 — 76, 78, 80;
M. 184—185, 238—239, 242—243, 249). Sowohl in den Balladen
Merimdes als im Werke seines italienischen Meisters finden wir manche
Sitten, die heute — wenn sie vielleicht auch wo bestehen - — ■ doch wenig-
stens nicht so allgemein zu sein scheinen, wie es in der zweiten Hälfte
des XVni. Jhs. nach Fortis der Fall wäre. So sagt in der Ballade il/wa;/me
et Zoe das heiratslustige Mädchen: ». . . . il y a longtemps que je porte
des opanke; je veux avoir des pautoufles brodees« und der Dichter be-
merkt dazu: «Allusion ä la coutume qui oblige les filles ä porter cette
espece de chaussure grossiere avant leur mariage. Plus tard elles peuvent
avoir des pantoufles comme Celles des femmes turques«.^) Die Bemerkung
beruht natürlich auf Fortis ^j. Im Anschluß an die Ballade La ßamme
de Perrussich wird in einer ziemlich umfangreichen Anmerkung die
Wahlbrüderschaft geschildert (cf. Fortis 58), wobei unser Dichter die in
Viaggio nebenbei erwähnte Chiesa di Perrussich die Titelrolle spielen läßt.
1) Guzla, p. 203. -] Lovrich tritt in seinen Osservazioni dieser
Behauptung Fortis' ganz entschieden entgegen. A^on einem halbgebildeten
Manne hörte ich, diese Sitte bestehe in Konavli, doch Herr Vid Vuletic-
Vukasovic versicherte mir das Gegenteil.
(Fortsetzung folgt.)
Kritischer Anzeiger.
Die serbokroatische Volkspoesie in der deutsclien Literatur.
1) Dr. Milan Curciu, Das serbische Volkslied in der deutsehen
Literatur. Leipzig- 1905. 8». 220 S.
2} Peterostopni (srpski) trohej. Srpski Kiiizevni Glasnik
B. XV. Heft 6, 7, 8, S. 442—451, 527—531, 604—1)13. Bel-
grad 1905.
3) Camilla Lucerna, Die südslavische Ballade von Asan Agas
Gattin und ihre Nachbildung durch Goethe. Berlin 1905
(u. a. T. : Forschungen zur neueren Literaturgeschichte,
herausgeg. von Dr. Franz Muncker, XXVIII).
Ein ungemein anziehendes und dank-
bares Thema wählte sich Curcin zum
Gegenstände einer Wiener germanisti-
schen Dolitordissertation, welche deutlich
die Schule R. Heinzel's und J. Minor's
verrät und über das übliche Maß solcher
Arbeiten weit hinausgeht. Mit außer-
ordentlichem Fleiß und richtigem Ver-
ständnis sichtete und bearbeitete 6. die
umfangreiche deutsche Literatur über
die »morlackischen« Stücke in Herder's
»Volksliedern«, über das erste serbo-
kroatische Volkslied, das durch Goethe's
Nachbildung ein Bestandteil der Welt-
literatur geworden ist, über das unge-
wöhnliche Interesse, das die serbischen
Volkslieder in der Sammlung von Vuk
Karadzic in Deutschland, speziell bei
Jakob Grimm und Goethe erregton,
über die Übersetzungen des Frl. Talvj
und W. Gerhardts, die eine europäische Begeisterung für das serbische
Volkslied zur Folge hatten, und würdigt noch kurz die übrigen Übersetzer
in deutscher Sprache (Wesely, Goetze, L. A. Frank), Siegfried Kapper
und J. N. Vogl). Slavischen Philologen sei daher die zusammenfassende Ar-
beit C.'s, abgesehen von dem Interesse, das sie für sie besitzt, auch deshalb
/^^!^^^^^>^^^^
352 Kritischer Anzeiger.
empfohlen, weil sie daraus lernen können, wie die deutsche Literaturge-
Bchiclite gepflegt wird, ('.'.'s Darstellung zeigt auch, daß das Interesse für das
Volkslied der Kroaten und Herben in der zweiten Hälfte des XVIII. und in
der ersten desXIX.Jalirh.ini innigsten Zusaninienhang mit den europäischen
(ieistesströnuingen steht, während die Produkte der Volk-smuse von den Ein-
heimischen im Zeitalter der Aufklärung und sogar der Romantik vielfacli
gering geschätzt wurden, was des Kontrastes wegen mehr hervorgehoben zu
werden verdiente. Allerdings fand (^. in der deutschen Literatur auch viel
Verkehrtes vor (Unglaubliches haben z. B. der Redakteur der Ilerderscheu
Volkslieder in der Henipel'schen Ausgabe oder verschiedene Herausgeber
und Kommentatoren des Klaggesanges geleistet, vgl. besonders S. 3.'j, 84,,
was er als Serbe, der sich auch in der slavischen Literatur umgesehen hat,
berichtigen, vieles aber neu erklären konnte. An seiner Vermittlerrolle —
das sei gleich bemerkt — hat der Slavist allerdings sehr viel auszusetzen.
Wenn schon in C.'s Arbeit die Goethe-Philologie den Löwenanteil da-
vonträgt, so will die Monographie des Frl. Lucerna Lehrerin am Landcs-
Mädchenlyzeum zu Agrara) über Goethe's »Klaggesang von der edlen Frauen
des Asan Aga«, die J. Minor'« Anregung zu verdanken ist, nur »in dieses
entlegene Winkelchen« derselben »eine etwas größere Klarheit« hineintragen,
und die Verfasserin hegt die Hoffnung, »gleichzeitig einem edlen und mäch-
tigen poetischen Motiv zu seinem Recht auf Verständnis verholfen zu haben«.
Das ist ihr »mit Hilfe höchst schätzbarer Vorarbeiten« in der Tat gelungen'),
denn namentlich in Bezug auf die künstlerische Auffassung des »Klag-
gesanges«, für die sie auch in dem Agramer Ästhetiker Fr. Markovic einen
Führer hatte, übertrifft sie (vgl. namentlich die Kapitel über das Metrum, die
zusammenfassenden Bemerkungen über das Verhältnis der Nachbildung zur
Vorlage [S. 34 — 37], Erläuterung und Gliederung des Inhaltes) die Vorgänger
und hebt richtig hervor, daß das Lied sich von Anfang an deshalb einer solchen
Wertschätzung zu erfreuen hatte, weil es ein neues tragisches Motiv (2) und
»einen Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Gefühle« (42, enthielt. Ihre
feinsinnige Erläuterung des Inhaltes kommt zu dem Schluß (46): »So um-
schließt das Lied von der edlen Frau des Asan Aga nicht allein die Tragödie
des gebundenen Weibes, sondern auch die Tragödie des Mannes, der im
Widerspruch mit der herrschenden Sitte, von seinem Weibe nicht leidenden
Gehorsam, sondern tätige Liebe, nicht die Form, sondern die Seele begehrt«.
Mit der ersten selbständig erschienenen Arbeit (die »Izvestija« des Seminars
für slavische Philologie in Sophia für die J. 1904 und 190-5 bringen auch drei
Beiträge von zwei Studentinnen) hat diese Kroatin die südslavischen Frauen
in die slavische Philologie entschieden gut eingeführt.
Ich kann hier auf den Inhalt der beidea Schriften natürlich nur insoweit
1) Ungerecht ist das Urteil im »Savremenik« I. 307 — 309 und »Nastavni
Vjesnik« XIV. 539, wenn im Vergleich zu ihrer Schrift der »wissenschaftliche
Charakter« der Arbeit C.'s gerühmt wird, denn auch L. kann man ihn nicht
absprechen.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 353
eingehen, als sie die slaviscbe Philologie berühren i), und will meinen Bemer-
kungen auch verschiedene Ergänzungen hinzufügen.
Zur Entdeckungsgeschichte der südslavischen Nationalpoesie sei er-
wähnt, daß C. (38 — 39) und L. (58) allzu schüchtern darauf verweisen, daß der
Wiener Nachahmer Klopstocks, M. Denis, seine ersten Nachrichten über die
»illyrischen Barden« dem lateinischen Übersetzer 2j und Fortsetzer Kacic's,
Emerich Pavic (Descriptio . . . heroum Slavinorum seu Illyricorum, Budae
1764, Supplementum . . 1768) zu verdanken hat, denn eine andere als diese
aktuelle Quelle konnte er 1768 über die geschichtlichen Gesänge der gens
Illyrica nicht haben. Mit dem ragusanischen Lateindichter, dem Canonicus
P. Feric, trat jedoch Denis nicht sofort in Verbindung. Die von 6. in das
Jahr 1797 versetzte Ad clarissimum virum Michaelem Denisium Vindelicum
Georgii Ferrich Epistola, wird von Appendini, Ljubic und dem Biographen
Feric's, T. Chersa, in das Jahr 1798 (gedruckt in Wien) verlegt 3), ist aber bis-
her nur in einem Kagusaner Nachdruck vom J. 1824 bekannt, der mir in der
Agramer Universitätsbibliothek in die Hände kam, unterdessen aber bereits
von J.Kasumovic*) beschrieben worden ist. Daß wir es mit einem Nachdruck
zu tun haben, obwohl das nicht gesagt wird, folgt daraus, daß Denis 1800
und Ferid 1820 gestorben ist. Die Epistel scheint hauptsächlich den Zweck
zu verfolgen, das an Österreich (lene . . . Francisci Imperium S. 4) heimge-
fallene Dalmatien und sein Volk in Wien zu empfehlen; u. a. zählt er die be-
rühmtesten dalmatinischen Schriftsteller auf, zu denen er auch Mathias
Flaccius Iliyricus (aus Istrien!) zählt, rühmt seine »illyrische« Sprache, die
von den vier alten (!) Sprachen allein fortlebe, und entwickelt überhaupt sehr
viel »illyrischen« Patriotismus im Geiste M. Orbini's, Kacic's und anderer
Ragusaner und Dalmatiner, die ja dem Agramer Illyrismus längst vorange-
gangen sind; zuletzt umarmt er Denis und Müller (tui similis).
Der Übersetzer Ossians, von dessen Kuhm Feriö in einer Anmerkung
spricht, erfuhr daraus wenig über die illyrischen Barden. Viel mehr gab
Ferid in seiner bekannten Epistel an Joh. v. Müller (Ragusa 1798), der ihm
in einem Briefe vom 5. April 1796 (abgedruckt am Schluß S. 59 — 61) ent-
sprechende Fragen gestellt hatte. Über die darin lateinisch übersetzten
Volkslieder ist C. eine Abhandlung von Kasumovicö) entgangen. Die An-
regungen Müllers trugen aber noch weitere beachtenswerte Früchte. Eine
C. unbekannte, von L. aber nicht gehörig gewürdigte Ad clarissimum virum
1) Eine Besprechung der Arbeit Öurcin's vom germanistischen Stand-
punkt aus wird von mir im »Euphorion« erscheinen.
2) Vgl. darüber J. Forko im Programm der ORealschule in Esseg 1SS9.
3) Der Sachverhalt wird übrigens klar aus den Worten Chersa'a (Delhi
ita e delle opere di monsignore Giorgio Ferrich, Ragusa 1824, S.28!: In una
Cpistola i?idintta (adressiert) nel 1797 a Michel Denis, ed alliisiva al passag-
10, che in quell' anno aveafatto la Dalmazia . . . Questa epistola vuh la luce
>i Vienna Vaimo 1708.
•») Nastavni Vjesnik X. (1902), 573—577.
5) Skolski Vjesnik VIL 81 ff.
Archiv für slavische Philologie. XXVIII. 23
354 Kritischer Anzeiger.
Julium Bajamontium Spalatensem Georgii Ferrich Ragusini Epiatola ij (Ex-
cudobat Andreas Trevisan Ragusii 1709; außer diesem Druck in {^r.-8'J 21 S.
sah ich in der Ijibliotiiek der siidalaviachen Akademie in Agram noch einen
Ausschnitt mit derselben Epistel in kl. -8" imf 8. 07 — 88, woher?] bietet den
ersten und gar nicht üblen Vergleich der »illyrischen« Volkslieder mit —
Homer, also lange vor J. Grimm, Kopitar und S. Vater. Den Anstoß dazu gab
aber Bajamonti, Arzt, Komponist und Dichter in Spalato, in einer nur aus
dem Auszug bei Ferid bekannten .Schrift, worin er ausführte, daß sich die
Morlacken in den Gesängen Homers wiedererkennen würden, und dafür
nichts weniger als zwölf Gruppen von Vergleichen zum besten gab. Für uns
ist am wichtigsten die Tatsache, daß diesem Spalatiner bereits die Wolf 'sehe
Liedertheorie genau bekannt war 2), so daß er in diesem Sinne in den
ersten drei Punkten Homer mit den illyrischen Gesängen vergleicht: auch
sie wurden zuerst nicht aufgeschrieben, sondern nach alter löblicher Sitte,
die jetzt immer seltener wird, in Versammlungen und bei Gelagen von Blin-
den zu den Gusle oder simplice voce vorgetragen; von ihrem Dichter gibt es
keine Spur, man möchte glauben, daß alle von einein herrühren, so sind sie
einander ähnlich. Solche Dichter finden sich auch heute, wenn sie nur Stoff
haben: Kriege, Zweikämpfe, Mädchenraub u. s.w. Das besingen sie sofort
ex improviso nach alten Liedern, die sie auswendig lernen und für ihren
Gegenstand herrichten. Später fanden sich auch Gelehrte, die diese Gedichte
aufzuschreiben und herauszugeben begannen (er kennt Fortis, Lovric, offen-
bar wußte er auch von solchen Handschriften, wie es die Spalatiner mit
dem »Klaggesang« ist) ; doch da gibt es noch sehr viel zu tun, es ist kaum
ein löblicher Anfang gemacht worden. Ganz gut sind die Beobachtungen
über die epische Breite und die epitheta ornantia. In den weiteren neun
Punkten werden die Sitten und die Zustände der alten Griechen mit denen der
Morlacken verglichen. Bajamonti ist es jedoch nicht verborgen geblieben,
daß nicht allein die Morlacken solche Lieder haben, sondern auch nordische
Völker, und daß es auch Unterschiede zwischen den homerischen Zuständen
und denen der Morlacken gibt. Damit ist nun Feri<5, der sich zuerst auf seine
Epistel an Müller beruft, nicht einverstanden, verlangt von Bajamonti, er
möge seine Ausführungen näher begründen, und hält daran fest, daß die
Morlacken dem Heldenzeitalter am nächsten stehen und ihrer Väter Sitten
viel besser bewahrt haben als andere Völker. Er verlangt auch, daß diese
alten Sitten erhalten und durch fremdes Wesen nicht verdorben werden, so-
daß er sogar den Handel und Verkehr mit anderen Völkern ablehnt. Auch die
fremden Sprachen sollen nicht bevorzugt werden, aber morlackische Jüng-
linge sollen Latein und Griechisch lernen, damit Homer illyrico carmine
wiedergegeben werden kann, denn eine solche Übersetzung werde alle bis-
1) S. eine genaue Analyse von J. Kasumovid im Nastavni Vjesnik X.
451—458.
2] Vgl. auf S. 4 : . . adeo ut non unicua ipse,
At plures alii et diverso tempore cantus
Illos ediderint, qui uni tribuuntur Homero.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 355
herigen übertreffen. Zuletzt bittet der Ragusaner, dem oifenbar Volkslieder
nicht besonders zugänglich waren, den Spalatiner Bajamonti, er möge ihm
getreu aufgezeichnete veteres cantus ac carmina nostrae gentis senden, die
er von Freunden und Freundinnen, von Ammen und Mägden und von den
»Nymphen« auf dem Lande erhalten könne.
Man sieht daraus, daß Feric, einer der letzten Ausläufer des ragusani-
schen Humanismus, höhere Anschauungen von den Volksliedern und auch
einen besseren Willen hatte, sie der Nachwelt zu erhalten, als man nach sei-
nen bekannten lateinischen Übersetzungen der Sprichwörter und einzelner
Lieder erwarten könnte. Bajamonti und Feric müssen viel mehr als bisher
mit Ehren in der Geschichte der Auffindung des serbokroatischen Volks-
liedes genannt werden. Wenn noch 20 Jahre später ein Werk erschien
»II Morlachismo d' Omero«, so war das keine »wunderliche Frucht« (L. 60, 2).
Überhaupt ließe sich noch manches Zeugnis anführen, daß die Volks-
lieder im XVIIl. Jahrh. den einheimischen Gebildeten doch bekannt waren
und auch nachgeahmt wurden, vor allen in Gesängen, welche die Taten kroa-
tischer Grenzerregimenter und ihrer Führer in den Kriegen der Kaiserin Maria
Theresia und namentlich im Türkenkrieg Josef II. feierten (vgl. N. Andrid,
Iz ratnicke knjizevnosti hrvatske, Zagreb 1902).
Das ist wichtig, denn nur aus solchen fliegenden Blättern und Bro-
schüren (ich sah viele in der Agramer Universitäts- und in der Akademie-
Bibliothek) und aus den Erzählungen der Offiziere konnte Kopitar, der Ent-
decker Vuk Karadzic's, wissen, daß die »Serben und Kroaten« einen Lieder-
schatz haben, »wie vielleicht kein anderes Volk« (Brief an Musicki 1/11.1811).
Diese und eine ähnliche Äußerung Kopitar's aus dem J. 1811 (Kl. Schriften
140: »woran diese Serben und Kroaten so reich sind«), so wie das auf ihn
zurückgehende klassische Rundschreiben des Agramer Bischofs Verhovac,
der von seiner Geistlichkeit in Kroatien und Slavonien die Einsendung von
Volksliedern und anderen Erzeugnissen des Volksgeistes in demselben Jahre
(1813) verlangte, in dem Vuk Karadzic nach Wien kam, hätte Ö. (S. 97) er-
wähnen müssen.
Die schöne Monographie von Zivaljevlö über Kaciö (Letopis Mafice
Srpske kn. 171 — 174) scheint C. unbekannt geblieben zu sein, denn sonst
hätte er über den verdienstvollen kroatischen Mönch, aus dem die Ilerder'-
schen Übersetzungen der »morlackischen« Lieder entnommen sind, noch mehr
und besser sagen können') (falsch ist das Geburtsjahr 1G90, wahrscheinlich
1696, ja sogar 1702 kommt in Betracht; die Ausgabe des Razgovor von 1756
ist sichergestellt, aber auch noch nicht entdeckt); namentlich aber mußte
betont werden, daß seine Behandlung des Volksliedes dem Herder'schen Be-
griffe der »Nationalliedcr« nicht so fern stand wie der späteren romantischen
Auffassung der Erzeugnisse des Volksgeistes.
1) Wichtig ist eine Anmerkung auf S. 28: das von Theodor Vetter aus
einer Pariser Hs. im Archiv VI, 121 ff. veröffentlichte Lied über Milos Kobilic
und Vuk Brankovic ist einfach eine Abschrift aus Kaciö und die italienische
Übersetzung von Fortis !
%\*
356 Kritischer Anzeiger.
Mit O.'s verdienstvollen Erläuterungen zu Ilerder's Übersetzungen (29 —
37) kann man nicht immer einverstanden sein. Die »ugrischen« Ileldennamen
sind nicht erst bei den Dalmatinern und in Kroatien in das Volkslied einge-
drungen, »obwohl sie gar nicht (!; hineingehören «. In dieser Frage hätte sich
Ö. schon in den Ausführungen Soerenson's, den er ja kennt, über den »unga-
risch-serbischen Liederkreis« fArcliiv XV) Belehrung holen können. Übri-
gens sind ungarische Helden der Türkenkriege sogar zu den Slovenen, die
wirklich mit Ungarn nichts zu tun hatten, vorgedrungen. So wurde König
Mathias Corvinus auch bei den Slovenen im Görzer Gebiet schon um die Mitte
des XVI. Jahrh. als einer ihrer Nationalhelden besungen! Zenta ist bei Kacid
ebenso eine gelehrte Form wie servijanski. In »Radoslaus« ist der fehlende
V. 1(5 falsch übersetzt: »und das edle kroatische Reich", denn im Original
heißt es: Odbize nas Lika i Krbava, Flemenita hrvatska drzava, was doch
heißt: verloren sind uns gegangen Lika und Krbava, edler kroatischer Be-
sitz (drzava = possessio, provincia, regio, s. lljecnik der Agramer Akade-
mie). Die nach V. 47 fehlenden vier Verse hat Fortis nicht »mit Recht« als
»überflüssig« ausgelassen, denn solche Wiederholungen gehören doch zum
epischen Stil. »Eine gute Felsengöttin (33, auch 114) im Original Vila« gibt
keine richtige Vorstellung von Vila posestrima S Velebita visoke jjlmiine, so
daß »Felsengöttin« keine freie Erfindung Herder's, bezw. von Fortis ist.
Falsch ist die Erklärung von zemlja latinska und noch mehr die Bemer-
kung (33): »Ursprünglich bezeichneten die orthodoxen Serben damit die
Katholiken, d. h. die des lateinischen Glaubens, dann überhaupt Fremde und
Ausländer, entsprechend etwa dem »Barbar« des übrigen Europas. Da sie
unter Ausländern und Katholiken am meisten mit Venetianern zu tun hatten
und dabei nicht immer die besten Erfahrungen nachhause brachten, so
knüpfte sich bald an den Begriff auch eine nicht eben schmeichelhafte Be-
deutung: der Lateiner ist falsch, alles üble erwarte man von Lateinern. Die
Ragusaner, großenteils (früher doch alle!) Katholiken, als ihnen das Volks-
lied zukam, vermieden (!!) sorgfältig diese Benennung«.
Man kann von einem jungen Germanisten nicht verlangen, daß er z. B.
den Lyriker D. Ranina, der in den Fesseln einer Latinka schmachtete, und
andere Ragusaner gelesen habe, bei denen wie bei den Dalmatinern über-
haupt alle Italiener ohne Beigeschmack Latini genannt werden, was schon
vor der Trennung der beiden Kirchen der Fall gewesen sein dürfte, aber das
große Wörterbuch der südslavischen Akademie in Agram kann jedermann
einsehen. Ebenso ist es nicht »nur Zufall — des Mönches Kacic Neigung nach
Rom — daß der König nach Rom gelangt« (34); zwischen Dalmatien und Rom
bestanden doch die lebhaftesten Beziehungen, ähnliche Familienbande gab
es in der Tat zwischen den kroatischen Herrschern — das Gedicht bezieht
sich ja auf die alte kroatische Geschichte — und in Rom starb selbst die
letzte Königin von Bosnien. Ö. möge sich doch die vortreffliche Komödie
Dundo Maroje des Ragusaners Marin Driic (XVI. Jahrh.) ansehen, der Dal-
matiner verschiedener Städte mit ihren lokalen Dialekten in Rom zusammen-
kommen und sogar römische Wirte serbokroatisch radebrechen läßt. Man
kann eben nicht alle Volkslieder und ihre Nachahmungen vom serbisch-
Die aerbokroat. Volkspoesie iu der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 357
orthodoxen Standpunkt beurteilen! Die erwähnten Auslassungen Ö.'s sind
so recht bezeichnend für jenen serbischen Patriotismus, der ihm so häufig
den Blick trübt.
»Die schöne Dolmetscherin« heißt nicht Dragomana, sondern im Text
doch öfters Dragoman divojka, Po imenu Dragoman divojka (überdies ist
divojke Dragomana in der Überschrift ein deutlicher Genitiv!), wobei ein
Gattungsname (dragoman = Dolmetscher) zu einem Nomen proprium gewor-
den ist. Hier steht der deutsche Übersetzer W. Gerhard («Das Dragoman-
Mädchen«) höher als der serbische Philologe Ö. Die Ausführungen über die
Einführung eines neuen Motivs sind mir nicht ganz klar, aber jedenfalls sind
die Zweifel Ö.'s über die Echtheit dieses einzigen Volksliedes, das Herder
aus Kacic hatte (34 — 35), beachtenswert. Von Gra(h)ovo, »das zwischen
Herzegovina und Montenegro« liegt, ist in diesem Liede gewiß nicht die
Rede, sondern von einem dalmatinischen bei Sibenik (s. Vuk Karadzic Srp.
nar. pj. III^, Nr. 54) oder irgendwo weiter im Norden an der kroatisch-bosni-
schen Grenze, denn Mujstaj Beg aus der Lika ist der Hauptheld der moham-
medanischen Volkslieder aus dem nordwestlichen Bosnien; auch Soerensen
(Entstehung der kurzzeiligen serbokroatischen Liederdichtung, 56) verlegt es
nach Türkisch-Kroatien. Die V. 76 — 78 »Auf grünem Grase will, o Herr, ich
lieber mit dir stehen, Als mit Zekulo auf roter Seide« hat auch 6. nicht richtig
gedeutet, denn im Original steht doch u svili (= in Seide; daß es sich um
eine Art Jacke handelt, lehren V. 25— 26: Na nju metnu lipo obilizje. Tri
sadaka od svile crljene). Nach seiner Erklärung könnte W. da Fonsecca noch
weiter kommentiren: auf roter Seide = der Teppich bei Hochzeiten! Falsch
ist auch die Übersetzung des »echt Kacic'schen Verses« Gdi je Isus, lipa dika
moja mit: Wo bleibt Jesus, dein schöner Geliebter? dika heißt decus, bonos,
gloria (Rjecnik der Agramer Akademie IL 394), die metonymische Bedeutung
Geliebter ist aber nur aus der Backa belegt, aus der Heimat des Verfassers,
was zu seiner Entschuldigung bemerkt sein möge. Der Vers ist übrigens
ganz gut am Platze, da vom Abfall des Mädchens zum Mohammedanismus die
Rede ist, weshalb ihn Herder, wahrscheinlich schon Fortis, nicht »mit Recht«
weggelassen hat. Man kann entsprechende Parallelen auch aus Vuk Ka-
radzic's Srpske nar. pj. beibringen, z. B. V*. S. 123: Nocu kralja, neöu bana
Neg' Isusa milosnoga, S. 122: Bozja sluga, zarucnik Boije majke.
Ähnliche Flüchtigkeiten, Mängel und sogar grobe Fehler finden wir in
C.'s Übersetzung der Quelle des Goethe'schen »Klaggesanges« (Asan-Agi-
nica), wo doch besondere Sorgfalt geboten war. 6. will zwar durch möglichst
getreue Übersetzung, sogar durch Beibehaltung der Wortstellung, den Ger-
manisten die Vorlage Goethe's, die er ja gesehen hatte, zugänglich machen,
doch muß ich gestehen, daß sich L. mehr den Dank der Goethe-Forscher ver-
dienen wird, obwohl sie sich keinen solchen Zwang antut, denn sie stellt in
sehr übersichtlicher Weise nebeneinander: links das Original, eine wörtliche
Übersetzung, und Goethe's Text, rechts die italienische Übersetzung von
Fortis und die deutsche von Werthes, die eigentliche Quelle Goethe's; dazu
übersetzt L. nicht bloß verständlicher und schöner, sondern iu den meisten
Fällen auch richtiger. Ich will hier nur einiges hervorheben. C. geht iu dem
358 Kritischer Anzeiger.
Bestreben nach wörtlicher Übersetzung so weit, daß er kniga nicht mit Brief
sondern Buch wiedergibt (warum dagegen dvor mit Schloß?}, V. 81 cohu do
poljane — Tuchzeug bis zur Wiese (Loden bis zum Boden L.), V. 91 uput se
je s dusom rastavila — imterivcgs (!) ist sie von der Seele geschieden (mit eins
trennte sie sich von der Seele L.)- Dagegen übersetzt 0. stala V. lö, 41) trotz
des handschriftlichen stäla (sogar Fortis 41 stäla) und trotz der Erklärung
Miklosich's »für stajala aus stojala«: ist stehen geblieben (L. 41 blieb, 15 ist
. . gestanden). Trotz Miklosich und selbst Vuk übersetzt 0. die Imperfecta
gledaju, izhogiaju, govoriaju (V. 69 — 71, Vuk: gledahu, izhoöahu, govorahu) :
die zwei Tüchter . . schauen, die zwei Söhne . . entgegen kommen . . sprechen.
6. fordert aber die slavische Philologie auch direkt in die Schranken,
denn er schwört auf Vuk Karadzics Änderungen des Fortis'schen Textes,
obwohl derselbe unterdessen durch die Spalatiner Handschrift (herausg. von
Miklosich) an Authentizität gewonnen hat. Gegen Miklosich's und Jagiö's
Kritik beruft sich 6. (57) einfach auf Jakob Grimm's Urteil, der Vuk's Text
(vgl. jetzt Nar. pj. III'*, S. 513 ff.) als »genauer und besser« bezeichnet hat.
In diesen Fragen kann natürlich von Grimm's Kompetenz, namentlich heute,
keine Rede sein. Wie könnte man auch Vuk's Änderungen w ie V. 2 snijeg
für snjezi, V. 7 od Ijutijeh rana — u ranam Ijutimi, V. 11 poruci — poruca,
V. 21 aga — ago (widerspricht sogar der häufigen Verwendung des Vokativs
in den Volksliedern), V. 45 najvise — najvece (nicht bloß cakavisch, wie Vuk
meint, sondern auch bei ragusanischen Schriftstellern belegt), V. 61 nek ne
vidi — da ne vidi, V. 76 svata — svatov, V. 93 gledajuö sirote — sirota und
andere ähnliche rechtfertigen? Von der Verwischung des i für i sehe ich
dabei ganz ab. Daß sich Vuk nach unseren heutigen Begriffen unzulässige
Eingriffe erlaubt hat, unterliegt keinem Zweifel und es entsteht nur die
Frage, ob er in vielen Fällen so verfuhr, um einen nach seinem Gefühl ästhe-
tisch und sprachlich korrekten Text herzustellen.
Geradezu auf den Kopf stellt C. den wirklichen Sachverhalt mit der Be-
hauptung, » daß Eigentümlichkeiten des cakavischen Dialektes in den Text
erst später eingeführt worden«, daß sich Änderungen »die schriftgelehrten
Öakavcen, die nur wenig Begriff von den Volksliedern hatten, beim Abschrei-
ben erlaubt haben« (57), denn die ganze Sprachgeschichte beweist das Gegen-
teil: vom ersten kroatischen Grammatiker, dem auf der Insel Veglia ge-
bürtigen Jesuiten Bartholomäus Kasic (Cassius, Institutionum linguae lUyri-
cae libri duo — Romae 1604), also dem denkbar ausgesprochensten Cakavac
angefangen, suchen dalmatinische Lexikographen und Grammatiker, am
meisten aber viele Schriftsteller selbst, die schönste und reinste Sprache im
stokavischen Bosnien, so daß wir einen systematischen Rückgang des caka-
vischen Dialektes in der Volkssprache und in der Literatur beobachten kön-
nen i); im XVIII. Jahrh. kamen aber noch Rücksichten auf das früher als bei
den Serben russifizierte Kirchenslavische der kroatischen Glagoliten hinzu,
was von Fortis' Lehrern, Grubisic und Sovic (dieser hatte seine Jugend in
1 Eine Darstellung dieses Prozesses wäre eine schöne Arbeit für einen
vorurteilslosen Philologen.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez.v.Murko. 359
Rußland zugebracht) ausdrücklich bezeugt wird (L.59 — 60,63,64); von Soviö
wird uns überdies berichtet, daß ihm das Bosnische besser klingt als das
Küstenländische, das er für verdorben erklärt (L. 64). Diese gelehrten Freunde
Fortis' haben in der Tat das Lied auch zu jekavisieren gesucht, denn die
Spalatiner Hs. enthält allein in den ersten fünf Versen zwanzigmal den Laut
i, der Text bei Fortis nur zehnmal (vgl. L. 35). Und was sind das überhaupt
für cakavci, die im ganzen Lied das Hauptmerkmal ca gar nicht angebracht
haben? Überdies sind nach unseren heutigen linguistischen Begriffen ein ab-
geschlossener einheitlicher stokavischer und cakavischer Dialekt ein leerer
Wahn und alle Identifizierungen der Serben und Kroaten mit irgend welchen
dialektischen Merkmalen haben doch kläglichen Schiffbruch gelitten. Wie
viel höher als die Philologen des XIX. Jahrh. standen doch alle dalmatini-
schen und ragusanischen Schriftsteller, die sich trotz der ihnen ganz gut be-
kannten dialektischen Unterschiede als Angehörige einer Sprache betrach-
teten und dabei immer auch das weite Hinterland im Auge hatten ! C. und ihm
ähnliche Philologen bedenken gar nicht, daß sie mit ihren Theorien auf die
ragusanische Literatur ganz verzichten müßten, während diese trotz aller ihrer
Cakavismen bei den meisten doch Gnade zu finden scheint.
Ebenso ist es ganz verkehrt, wenn 6. aus denselben Gründen auch die
ursprüngliche Heimat des Klaggesanges nicht bei den »Morlacken« sucht,
sondern »tiefer in Bosnien . . dort, woher wir die schönsten Lieder haben«
(65). Gerade die geringe und zeitlich beschränkte Verbreitung des Liedes,
die auch (^. nicht leugnet, und die dialektischen Merkmale sprechen dafür,
daß es dort entstanden ist, wo sich die Handlung abspielt (um Imoski), also
im ikavisch-stokavischen Küstenlande von Makarskai), das ja in jener Zeit
auch türkisch war (Gornje Primorje von 1499 — 1646, Imoski wurde aber erst
1717 von den Venetianern erstürmt), wovon zu Fortis' Zeiten Spuren sichtbar
waren und noch heute sind. Wie sollte ein Gebiet, das einen Kaciö hervor-
gebracht hat, nicht auch eine solche Ballade lokalen Charakters geschaffen
haben? N. Petrovskij (0 couaucni/ixt Jlcrpa TcKTopoBuia, 158 — 159) hat noch
ein anderes wichtiges Zeugnis für die Blüte des Volksliedes um Makarska zu
Anfang des XVIII. Jahrh. ans Licht gezogen. 1727 erschien in Venedig zum
ersten Mal Pisna od pakla . . . koju . . slozi u Hrvatski jezik i pivanje Otac
F. Lovro iz Ljubuskoga2); dieser Franziskaner, der sein Werk »u Makar-
skoj« schrieb und überhaupt in Dalmatien wirkte, wollte durch sein »Lied
von der Hölle« die im Volke stark verbreiteten »pisne od Kraljevica Marka,
Muse Arbanasa, Relje Bosnjanina, od Vojske, junastva, kralja, kapitana i
ostali; takojer lipote Divojke, od Rujnoga Vina i od ostalih brczkoristnih
1) Der cakavische Dialekt beginnt nördlich von der Cetina (M. Resetar,
Archiv XIII, 179) und selbst da ist noch der südliche Teil von Poljica stoka-
visch (Fr. Ivanisevid, Zboruik za nar. zivot i obicaje VII, 247).
2) D. i. LovroSitoviö, Sohn eines Mohammedaners aus dem horzego-
vinischen Grenzort Ljubuski, der auch eine öfters aufgelegte Grammatica
latino-illyrica (1. Ausg. Venedig 1713) schrieb. Kukuljevic, Hrv. bibliografija
86, 149, Surmin, Povjest knjizevnosti 121.
360 Kritischer Anzeiger.
pisanä« verdrängen. Und Fortis selbst genoß noch die Gastfreundschaft eines
Vojvoden, der in seiner Jugend viele heroische Gesänge und Liebeslieder
verfaßt hatte (vgl. L. 62) ; zu beachten ist auch sein Zeugnis, daß der Mor-
lacke, besonders wenn er zur Nachtzeit über die wüsten Gebirge reist, »die
alten Taten der slavischen Ritter und Könige, oder irgend eine tragische
Geschichte« singt.
Alle diese Ausführungen Ö.'s, der überhaupt Daimatien und andere
westliche Gebiete von der schöpferischen Teilnahme am Volksliede aus-
schließen möchte (dagegen u. mehr), sind einfach eine stille Polemik gegen
Miklosich's Behauptung (Sitzungsberichte der Wiener Akademie, CHI. B.,
S.418 [SA. 8], daß Vuk »den Text von Fortis serbisiert« hat, und weiter:
»Daß das Lied den Serben von jeher als ein Volkslied bekannt gewesen sei,
ist eine grundlose Behauptung«. Statt einfach zu sagen, daß die ganze von
Miklosich selbst übrigens nie konsequent durchgeführte Theorie von einer
serbischen und (statt oder) kroatischen Sprache falsch ist, natürlich auch
Vuk's dem Volksbewußtsein widersprechende Beschränkung der Kroaten auf
die iakavci und kajkavci, und daß Vuk Karadzic den Text der Asan-Aginica
nur vukisiert hat, werden die nächstliegenden Tatsachen verkannt und
verdreht.
Deutsche und andere fremde Leser können sich wirklich nicht klar
werden, wie die »morlackischen« Liedernach der heutigen Terminologie zu
benennen sind i). Miklosichs Kroatismus setzt Ö. den Serbismus entgegen
und L. (66) meint: »Kroaten und Serben scheiden sich vor allem nach Reli-
gion, Dialekt und Schrift; bei den bosnischen und herzegowinischen Moham-
medanern verlaufen diese Unterschiede«. Wenn man die historischen und
faktischen Verhältnisse in Betracht zieht, so kommt man mit diesen Kriterien
absolut nicht aus ; beim Volkslied fällt überdies die Schrift weg und beim
mohammedanischen verwischt die Religion noch den augenscheinlichsten
Unterschied. Interessant ist es nur, wie L. dabei der durch Jahrhunderte aus-
gebildeten kroatischen Tradition folgt, die unter verschiedenen Namen immer
eine höhere Einheit vor Augen hatte, und wehmütig bemerkt (66) : » Im Hinblick
1) Hier muß ich mich selbst korrigieren, denn in der Wiener »Zeit« B.XX.
(1899), Nr. 256, S. 134 schrieb ich, daß man sich unter Morlacken »hauptsäch-
lich die orthodoxen Einwohner des Hochlandes von Zara bis zur Narenta vor-
zustellen hat«, da auch 6. (22) diese falsche Definition (»die größtenteils
orthodoxen Einwanderer Dalmatiens«) bringt. Fortis selbst verstand darun-
ter alle Bewohner des Festlandes (vgl. L. 65), unter denen die Orthodoxen
in bedeutender Minderzahl sind; sogar die Inselbewohner möchte er ihnen
zuzählen, wie das Kapitel »Verschiedenheit des Ursprunges der Morlacken,
derer, die an den Ufern, und derer, die auf den Inseln wohnen« zeigt. In der
Tat werden solche einen verächtlichen Beigeschmack habenden Namen, wie
morlak, vlah von der Bevölkerung verschieden gebraucht, z. B. von den In-
sulanern für die Uferbewohner, von diesen wieder für ihre Nachbarn im Ge-
birge U.S.W. Über den Ursprung des viel umstrittenen Namens Morlacken ist
jetzt zu vergleichen K. Jirecek, Die Romanen in den Städten Dalmatiens,
Denkschriften der Wiener Akademie XLVIII, 34 — 35.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 361
auf diese fließenden Grenzen bediene ich mich für die kroatische Dichtung
des einigenden Ausdruckes südslavisch und bedauere nur, daß der
schöne, alte und gute Name illyrisch sich auch in der Literatur nicht
durchzusetzen vermocht hat«. Der Ausdruck südslavisch ist bei einer so lo-
kalen Ballade am wenigsten angebracht und überhaupt irreführend, weil man
unter dem geographischen Begriff Südslaven nicht bloß Kroaten und Serben,
sondern auch Slovenen und Bulgaren versteht. Der auf gelehrter Kombi-
nation beruhende Name illyrisch war aber trotz seines Alters und seiner
Verbreitung in der Literatur nicht lebensfähig, umsomehr als die alten Illy-
rier keine Slaven waren.
L. und Ö. hätte in diesem Falle Jakob Grimm den Weg weisen können,
über dessen Vorrede zu Vuk Karadzics kleiner serb. Grammatik 6. (116)
sagt, daß daraus nicht bloß ein Deutscher, »sondern auch ein geschulter und
gebildeter Serbe noch heute sich Klarheit über den eigenen Stamm und die
eigene Sprache holen kann«. Fiat applicatio! In derselben Vorrede schreibt
J. Grimm, trotzdem es ihm selbst schien, daß es »keinen rühmlicheren Namen
für alle Südslaven« geben könne, als den serbischen, auf S. XX also: »A. For-
tis, der einige gefühlvolle morlachische (d. h. serbisch-kroati sehe)
Lieder bekannt machte«.
Viel besser sind die sachlichen Erläuterungen C.'s ausgefallen. Er hat
Recht mit der Behauptung, daß Miklosich und Geiger nicht genügend her-
vorgehoben haben, wie Goethe in der Tat »mit Ahnung des Rhythmus und
Beachtung der Wortstellung des Originals« übertrug (51 — 52, 78 zu V. 22), für
das Epitheton aber nicht das richtige Verständnis besaß (77). Ö. (89 — 90) und
L. (34—37) zeigen auch gut, wie Goethe dem Original näher gekommen ist.
Daß Goethe jedoch auch die Cäsur nach der vierten Silbe beachtet hätte (6.79),
die nur in fünf Versen fehle (Srp. kn. Glasnik XV, ü09), ist nicht wahrschein-
lich, denn man kann z. B. die zahlreichen Fälle, in denen sie nach dem Ar-
tikel vor seinem Substantivum fallen würde, nicht übersehen. Auch mit der
Ansicht, daß Goethe zuerst den »serbischen Trochäus« in die deutsche Lite-
ratur eingeführt habe und nicht Herder (ib. 610), dürfte er nicht Recht be-
halten, denn die an dem Gegenteil festhaltenden Ausführungen L.'s sind viel
überzeugender (16 — 18); damit hängt auch die Frage der Datierung der Über-
setzung, ob 1775 oder 1776, zusammen. Die viel erörterte Frage, wie Goethe
auf den trochäischen Rhythmus gekommen sei, suchte L. (19) durch Ver-
suche mit Personen, weiche des Slavischen unkundig waren, zu lösen, die
»aufs Natürlichste« zugunsten der Betonung auf der ersten Silbe ausgefallen
Bind. Ich möchte bemerken, daß nicht ich auf den Namen Asan-Aga im
Versschluß hingewiesen habe, denn das hat Bartsch getan, dagegen habe ich
hinzugefügt, daß es im Original Verse gibt, die nur aus zweisilbigen Wörtern
bestehen, und daß die Zahl der Verse mit überwiegend zweisilbigen Wörtern,
die ein Deutscher naturgemäß trochäisch liest, besonders groß ist").
Auch darin kann ich Ö. nicht zustimmen, daß der Aga die Kinder der
verstoßenen Gattin entgegengeschickt (64 — 65) und das Wiedersehen iu-
Chronik des Wiener Goethe- Vereins, XII. 51.
I
362 Kritischer Anzeiger.
szeniert habe (85, vgl. dagegen u. zwei derartige Lieder), halte aber nicht
mehr an der Behauptung fest, daß die Frau an die Beschenkung ihrer Waisen
im voraus gedacht habe; das Richtige dürfte L. (J 4) getroffen haben, daß
»das Hervortreten der Kinder für den Ilochzeitszug ein unvorhergesehener
Zwischenfall, für die Mutter aber geradezu furchtbar« ist. Nur geht L. in
ihrer Analyse zu weit, wenn sie zuletzt von einer »gebundenen, gebannten
Liebe« (sc. zum Manne) der unglücklichen Mutter spricht (46), welche nur das
Wiedersehen ihrer Waisen und der furchtbare, ungerechtfertigte Vorwurf,
daß sie für sie kein Gefühl habe, getötet hat (vgl. u. ähnliche Motive).
L. hätte auch hier ihrem Führer Fr. Markovic [Rad jugosl. akademije,
138. B., 182 — 184) folgen sollen, der den Charakter der Asan-Aginica konse-
quent folkloristisch erklärt und besonderes Gewicht auf den Schlußvers legt :
(sie starb) aus Trauer ihre Waisen schauend. Allerdings hat Goethe die
Katastrophe besonders verdunkelt, indem er Fortis' schlechte Übersetzung
noch verstärkte: als sie ihre Kinder vor sich fliehen (1) sah. Für die
mohammedanische Frau kann es nur Mutterliebe geben, Liebesgefühle für
den Mann müssen ihr vor der Welt fremd sein. Das pflichtgemäße Scham-
gefühl i), das zur Trennung der Gatten geführt hat, ist ja selbst bei den
christlichen Frauen üblich, wofür sich noch mehr Beispiele anführen lassen,
als bei L. (39 — 40). Ihr Schlußresultat von der »Tragödie des gebundenen
Weibes« (46) ist daher nur bis zu einem gewissen Grade richtig: »die Tra-
gödie des Mannes«, der gegen die Sitte tätige Liebe begehrt, bleibt da-
gegen wahr.
Bezüglich djevojka (= Mädchen), das als Bezeichnung für eine Mutter
von fünf Kindern Vuk, Miklosich und Jagic noch sonderbar vorkam, verweist
6. (82) darauf, daß der Ausdruck nur dort gebraucht wird, wo die verstoßene
Frau als Braut erscheint (darüber vgl. u.) und daß im Volke überhaupt die
Benennung Mädchen auch auf verheiratete Frauen übertragen wird. M. Stoj-
kovid aus Podgora bei Makarska, also aus der in Betracht kommenden
Gegend, der in meinem Seminar wertvolle Ergänzungen zu L.'s Schrift vor-
brachte, verweist darauf, daß im mittleren Dalmatien (Primorje, Vrgorac,
Imoski) divojka allgemein üblich für Mädchen und Braut ohne Altersunter-
schied sei ; für eine Frau wird es gebraucht in Mazuranic's Hrv. nar. pjesme,
101, Iskra, Zadar 1893, S. 124. Übrigens hat schon A. Pavid (Rad XLVII, 99)
daraufhingewiesen, daß in Nr. 5 der vor Miklosich veröffentlichten »Volks-
1) Aus einer herzegowinischen Stadt ist mir der Fall bekannt, daß die
junge Frau eines höheren mohammedanischen Beamten ihren Mann vom
Amte abzuholen begann, aber dadurch einen so großen Skandal hervorrief,
daß sie ihre Besuche bald aufgeben mußte. Wie sehr die Frauen in Bosnien
noch in der Furcht des Herrn erzogen sind, zeigt ein Vorfall, den ich auf
einer Station der Bahn Novi-Banjaluka beobachtete: die Ankunft des Zuges
erwarteten mehrere vornehme Mohammedaner, die Frau eines von ihnen
stand aber in einiger Entfernung mit dem Rücken gegen den Zug und rührte
sich auch nicht, als sich letzterer in Bewegung setzte. Das soll man im
übrigen Europa erleben !
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 363
epik der Kroaten« (Denkschriften XIX) die Frau des Milos Kobilovic djevojka
genannt wird (s. die V. 26, 43, 47, 72).
Gegen L. Zore und die Belgrader Ausgabe der Werke Vuk's vertritt 6.
SS, ähnlich L. 68) die offenkundige Eichtigkeit des Ausdruckes uboske haljine
= Waisenkleider; ebenso die weniger glaubwürdige Konjektur Vuk's noze
für das handschriftliche nozve und für das von Jagic vorgeschlagene mestve
sti — 87), für welches ich noch anführe: Dado(h) rodu mestve i papuce A.
Mangi, Zivot i obicaji Muslimana u Bosni i Hercegovini, 195); L. (68) plaidiert
für nazuvke. Unter uzinati versteht C. das Essen oder Mahl überhaupt, sein
Beispiel aus Jukid spricht für das Essen um die Mittagszeit. In solchen
Dingen sind jedenfalls Unterschiede nach den einzelnen Gegenden vorhanden.
Nach M. Stojkovic gibt es im mittleren Dalmatien drei Mahlzeiten (abgesehen
vom »zagristi« vor Beginn der Arbeit): rucak um 9 Uhr, uzina um 2 — 3 Uhr
und vecera. Ähnlich fällt wenigstens in manchen Gebieten der Hercegovina
das uzinane auf 2 Uhr Nachm. Beim V. 86 hätte sich 6. ohne Zaudern dafür
Liitscheiden sollen, daß srca argiaskoga auf das griech. xcüqiaTTjs zurückzu-
führen und nicht in rcljavoga (so namentlich L. 68 — 69) zu verbessern ist (vgl.
im akadem. Rjecnik horjadski, orjadski, horjaski, horjatski, orjatski, ho-
rjacki; schon die verschiedenen Formen weisen auf ein Fremdwort hin); die
Bedeutung haben Fortis und Goethe richtig erfaßt; »schlecht und feige«
L.45, auch in der Übersetzung V. 88) ist verfehlt, speziell feig trägt etwas
hiaein, wovon keine Rede sein kann.
Dem rätselhaften podkliuvaz (V. 59), das aber von Anfang richtig mit
Schleier übersetzt wurde, können wir heute schon beikommen. L. (67) verweist
auf duvak und puliduvak, A.Hangi (Zivot i obicaji Muslimana) führt an puhli
dnvak (1S3), alduvak, duvak (217, 221), Mehmed F. beg Kulinovid im Zbornik
za narodni zivot i obicaje duvak III, 147, pulliduvak [nasarani duvak, also
bunter Schleier) IV, 29. Vgl. überdies die Belege im akad. Rjecnik II. 907
darunter auch purli duvak). Auszugehen ist von podclavac der Spalatiner
8. (vgl. Miklosich 1. c, 29 [439]), das Fortis' Freunde in podkliuvaz veränder-
icu, wahrscheinlich mit Anlehnung an kljuvati, kljuv; auf mich wenigstens
machte die Verhüllung der Mohammedanerinnen in Mostar immer den Ein-
druck, als ob sie einen Schnabel oder eine Wäschklammer im Gesichte
I rügen. In dem handschriftlichen podcluvac braucht man nur c an Z zu
liicken und man hat das erwartete duvak; ähnlich wurde pod aus pul ver-
siliricben (der eine Strich von ii wurde umgekehrt mit l zu d) und mißdeutet;
(las einsilbige pul ist bezeugt durch pulcazi (L. 67) in Hrv. nar. pjesme, izd.
iMatica llrvatska, IV. 249, 309.
Die Verschleierung (zavijati) einer mohammedanischen Braut in Bos-
nien und Herzegowina beschreibt A. Ilangi (221) also: man nimmt eine sehr
l'idne, aber undurchsichtige weiße Leinwand und bedeckt mit ilir das Kinn,
den Mund und die Hälfte der Nase; diese Leinwand heißt ja*'»*«/«'. Darauf
nimmt man eine andere, etwas dickere und noch mehr weiße Leinwand, wirft
sie dem Mädchen über den kleinen Fes so, daß sie den Kopf, die Stirne, die
Ohren und einen sehr kleinen Teil der Nase bedeckt, das nennt man rcmher.
Zwischen dem cember und jasmak bleibt ein sehr kleiner Kaum, iu der Breite
364 Kritischer Anzeiger.
eines oder zweier Finger, so daß man hindurchschauen kann. Über den
Rücken bekommt sie dio f er edia, ein langesOberkieid fkajiUt, von schwarzem
oder grünem Loden, ähnlich einem Havelock mit Armein. Auf die feredza
wirft man ihr die haolija, eine weiße zottelige Leinwand, ungefähr 2 m lang,
bis zu Im breit, die man mit einer Stecknadel auf dem Kopfscheitel so be-
festigt, daß die Breite über die feredia herunterfällt und die Länge die
Schultern und Hände bedeckt. Darüber kommt der duvak oder aldu-
vak, eine große, sehr dünne und durchsichtige Leinwand. Auch der duvak
wird am Kopfe befestigt und das eine Ende vorn bis zum Gürtel, hinten aber
noch niedriger gebunden.
In ähnlicher Weise verhüllen sich aber auch die verheirateten Frauen,
wenn sie ausgehen, nur tragen sie keinen duvak auf dem Kopfe; der duvak
gebührt nur den Mädchen, wenn sie zur Vermählung ziehen
(ib. 222). So wird auch die Bitte der geschiedenen Frau an ihren Bräutigam
begreiflich, daß er einen langen puliduvak mitbringen möge, so erfährt auch
der Gebrauch des Ausdruckes djevojka nur in diesem Abschnitt (V. 56, .59,
64, 65) eine tiefere Begründung: die Frau will eben wie ein Mädchen behan-
delt werden (nach Hangi, o. c. 244 sind bei der Vermählung einer Witwe auch
dieselben Hochzeitsgebräuche üblich, doch über den duvak wird man sich
aus dieser und der obigen Nachricht nicht klar), damit sie ihre Waislein nicht
sehe, wenn sie am Hofe des Aga vorüberkommt. Natürlich muß der pulidu-
vak nicht als so durchsichtig gedacht werden, wie ihn Hangi schildert. In
dieser Hinsicht kann die Verschleierung früher viel strenger gewesen sein
(man vgl. die behördlichen Maßnahmen gegen das Überhandnehmen des
französischen Schleiers in den letzten Jahren in Konstantinopel), und Hangi
berichtet auch direkt (222), daß in früheren Jahren eine Mädchenbraut, die
zu Roß nach einem anderen Orte zog, eine peca, einen kleinen, durchsichti-
gen, sehr dünn gewebten Loden trug, damit der Raum zwischen jasmak und
öember ausgefüllt würde, so daß sie von weitem schwarze Augengläser zu
tragen schien; »heute hat das jedoch fast ganz aufgehört«.
Da alle folkloristischen Details für die Erklärung des Gedichtes von
Bedeutung sein können, will ich noch darauf verweisen, daß ein Mann, der
seine Frau entlassen hat, sofort wieder heiraten kann, seine Frau (pusöenica,
der Schriftsprache gemäß pustenica) aber erst nach Verlauf des Iddet, d. h.
nach vier Wochen und zehn Tagen, wie das auch für Witwen vorgeschrieben
ist (Hangi, 78). Für die vollständige Tadellosigkeit der Gattin Asan-Aga's
spricht auch der Umstand, daß ein Kadi, der Hüter des Gesetzes, um sie freit
(M. Stojkovic).
Da die Ballade von Asan-Aga's Gattin trotz eifrigem Suchen im Volke
nicht mehr gefunden wurde, ist die Frage wichtig, ob Beziehungen zu an-
deren Volksliedern vorhanden sind. Ö. (60) meint, das Gedicht stehe »ver-
einzelt, ohne naheverwandte Geschichten da«. Näher ist auf die Frage L.
(50—56) eingegangen. Auch sie fand kein Lied, das das Grundmotiv mit dem
unsrigen gemeinsam hätte. Dafür kommt der Name Asan-Aga's häufig vor
(weil mohammedanische Vornamen überhaupt nicht zahlreich sind, muß man
bemerken), doch die mit demselben verknüpften weiblichen Charaktere sind
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 365
sehr verschieden, so daß ich diese Parallelen als ganz belanglos erklären
muß; nur ein scheinbar ganz junges herzegowinisches Lied, das schon vom
gedruckten Klaggesang beeinflußt sein könnte, ist bedeutsam, weil man den
Schmerz der Mutterliebe aus ihm heraushört (mitgeteilt von Roda Roda in
Über Land und Meer 1904, I, 37). Für den berühmten Eingang bringt L. Pa-
rallelen, namentlich aus einem bulgarischen Lied; der Fundort desselben,
Kukus, durfte aber nicht mit einem Rufzeichen versehen werden, denn der
Ort existiert nördlich von Saloniki, links vom Vardar, so daß wir es mit einer
zweifellos bulgarischen Gegend zu tun haben.
So trostlos ist aber das Suchen nach Liedern mit ähnlichen Motiven
nicht, wie man meinen könnte. M. Stojkovic fand zwei ähnliche Lieder, in
denen der Mann, der seine Frau verstoßen hatte, Reue empfindet, beim
Wiederannäherungsversuch an die im Hochzeitszug befindliche Frau zurück-
gewiesen wird und an gebrochenem Herzen stirbt. In den Hrvatske narodne
zenske pjesme (muslimanske) von Mehmed Dzelaluddin Kurt hat Nr. 6 folgen-
den Inhalt: Ali-beg entläßt seine Frau, weil die Schwiegermutter sie ver-
leumdet, und der Untreue angeklagt hat. Die geschiedene Frau nimmt ihre
Habe und kehrt in ihr Haus zurück, wo sie drei Freier findet. Den Mann über-
fällt Reue und er schickt seine Kinder vor das Hoftor, damit sie die Mutter
um Rückkehr bitten; sie beschenkt die Kinder: dem dreijährigen Sohne gibt
sie Messer (vgl. Vuk's Konjektur noze) und Handschare, der siebenjährigen
Tochter Dukaten von ihrem Hals, und zieht weiter; die Tochter nimmt dem
Bruder die Messer, ersticht ihn und sich selbst, damit sie nicht ohne Mutter
als Waisen zurückbleiben müßten. Vor Schmerz stürzt Ali-beg zusammen.
Mit einem Fluch gegen seine Mutter schließt das Gedicht, in dem nur das
Alter der tragisch handelnden Tochter auffällig erscheint.
In der Iskra, Zadar 1893, S. 124 veröiTentlichte Abdulselam Beg Hras-
nica ein Volkslied unter dem Titel »Hasanaginica«. Diese verleugnet sich
so sehr, daß sie für ihren Mann eine zweite Frau freit. Einmal beleidigt sie
die zweite Frau, weil diese übermütig geworden war. Hasanaga schlägt und
entläßt sie mit ihrer Habe. Der Bruder führt die liebe Schwester nach
Hause. Sie heiratet Ali-pasa. Als sich der Hochzeitszug dem Hofe Hasan-
aga's nähert, steht dieser auf seiner Kuhi und sieht ihn. Als er vorüber-
zieht, nimmt Hasanaga seinen Sohn Mohammed, geht vor das Hoftor und
nüliert sich seiner Frau mit den Worten:
Cujes li me, moja vjerna Ijubo,
Evo tebi sina Muhameda,
Na poklon ti dvori i timari I
Doch er bietet ihr umsonst den Sohn und seine Habe an, sie will nicht
einmal einen Blick darauf werfen und treibt ihr Pferd an. Als Hasan-Aga
(lies sah, zersprang ilim das Herz. Das Lied zeichnet sich durch ähnliche
Prägnanz aus wie der Klaggesang; der angeführte Schluß umfußt nur vier
X'orse.
Zwei andere von M. Stojkovid herausgefundene Lieder besingen die
Mutterliebe, die im Klaggesang eine so wichtige Rolle spielt. Diese Lieder
sind: »Tesko se majka s cedom rastajo", Kolo IX. (Zagreb 1853), S. 63, und
366 Kritischer Anzeiger.
»Ljuba Malog Radojice« in Vuk Karadzid's Srp. nar. pj. I*, Nr. 739. Das bei
Senj (Zengg) aufgezeiclinete Lied im »Kolo« liat folgenden Inhalt: Der junge
Radojica beschwürt sterbend seine Frau, vor drei Jahren nicht zu heiraten,
bis ihr .Säugling aufgewachsen ist. Doch nacli der Reihe kommen die beiden
Brüder, die Mutter und zuletzt der Vater, um sie zur Heimkehr zu bewegen.
Alle fordert sie auf zu warten,
Dokle uspim siroticu moju.
Da ne vidi, kud mu ide majka,
Da ne strieija ocima za majkom.
Bei der Trennung bittet sie die beiden jungen Schwäger, ihre Waise
zu beschützen und nach drei Jahren nicht in Scharlach und Seide, sondern
ganz schwarz zu kleiden,
Da se znade da je sirotica,
Sirotica bez otca i majke.
Mit dem Vater und der Mutter tritt sie die Rückreise an, aber mitten im
dunklen Waldgebirge schreit sie auf und fragt die Mutter, wer ihre Waise
pflegen werde. Der Hinweis auf zwei Tanten des Kindes beruhigt sie nicht
und sie stirbt unter einer grünen Tanne. In der aus dem ekavischen Osten
stammenden Variante bei Vuk tröstet die Mutter die junge Witwe, daß eine
Tante und die Schwiegermutter für das Kind sorgen werden. Der zur Heim-
kehr einladende Vater fehlt. Die Frau wartet bis zum Sonnenuntergang,
stillt das Kind und schläfert es ein.
Da ne gleda, kud joj ode majka.
Da ne cezne ocima za majkom,
Da ne gleda, otkud <5e joj doci,
Otkud li ce slatke sise dati.
Die Schwäger fehlen. Zu Hause fragt die Frau nach einer Woche den
Mond um das Befinden des Kindes. Der Mond antwortet, daß es gut ver-
sorgt sei, aber sich nach ihrer Pflege sehne. Vor Schmerz schreit sie auf und
fällt tot zu Boden.
Ein Volkslied bei S. Mazuranic, Hrv. nar. pj. 119, gibt der Abneigung
des Volkes gegen die Wiederverheiratung — in diesem Falle eine erzwun-
gene — der Mutter kleiner Kinder Ausdruck, die sie also begleiten:
Cvile, placu nejake sirote :
»Sijaj, sunce, na cetiri strane,
AI ne sijaj, kud nam ide majka!«
Die beste und für die slavische Philologie wichtigste Partie in C.' sWerk
ist der zweite Teil, in dem das Aufblühen der Pflege des serbischen Volks-
liedes« »in der romantischen Zeit« zum ersten Mal eine auf reiches Quellen-
material gestützte zusammenfassende Darstellung erfährt. Im Vordergrunde
steht allerdings die Geschichte der Beschäftigung mit dem serbischen
Volksliede. Aus den herrlichen Recensionen Jakob Grimm's, der so feines
Verständnis für die poetischen Schönheiten des serbischen Volksliedes be-
wies und zu dessen Triumphzug durch Deutschland und die ganze gebildete
Welt den Anstoß gab, möchte man doch Näheres erfahren und auch eine
kritische Würdigung seiner Anschauungen beanspruchen. Nach C. (110)
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v.Murko. 367
hätten allerdings Jakob Grimm's Arbeiten über das serbische Volkslied als
Ergänzung zu Vuk's Tätigkeit »absolute Gültigkeit als Aussprüche
eines der besten Kenner der Sprache und Volksdichtung«. Der Germanist 6.
hätte uns gerade aufklären sollen, daß Jakob Grimm's mystische Ansichten
über die Entstehung der Volkspoesie und anderer Produkte des »Volks-
geistes«, speziell auch der Mythologie, unhaltbar sind, daß auch in Bezug auf
das deutsche Volkslied gegenüber dem Gelehrten Jakob Grimm der Dichter
Achim von Arnim im Recht geblieben ist und daß J. Grimm namentlich für
die sehr verdienstvolle Übersetzungstätigkeit der Romantik kein Verständnis
hatte, so daß wir uns in dieser Hinsicht auch bezüglich des serbischen
Volksliedes entschieden auf die Seite Goethes und des Frl. Talvj stellen
müssen: J. Grimm's Recensionen, mögen sie noch so schön und innig sein,
und seine wörtlichen Übersetzungen, die sogar irreführend sind (124), hätten
dem serbischen Volkslied nie jene allgemeine Teilnahme eingetragen, die es
gefunden hat. Gar sonderbar nimmt sich Ö.'s (117) Klage aus, daß eine »sehr
fruchtbare Beobachtung« J. Grimm's »von den slavischen Forschern nicht
genug ausgebeutet wurde, nämlich daß die Lieder manche Spuren altslavi-
schen Glaubens liefern«. Ein Historiker der slavischen Philologie muß im
Gegenteil ausrufen: Leider zu viel und allzu lange! C. hätte sich aus der
von ihm übrigens unvollständig angeführten Literatur (vor allem fehlt Mä-
chars Näkres slovanskeho bäjeslovi) Brückners »Mythologische Studien« im
»Archiv« (XIV. 161) näher ansehen sollen, denn da wäre er bezüglich des
slavischen Olymps wohl skeptischer geworden. Um übrigens 6. ein beson-
ders naheliegendes Beispiel anzuführen, verweise ich ihn auf die Abhand-
lungen Nodilo's »Religija Srba i Hrvata«, die nutzlos so viele Bände des
»Rad« der südslavischen Akademie« füllen. Auch brauclite er es nicht mehr
den Gelehrten zu überlassen, »wieweit sich die Geschichte oder Hypothese
mit der slavischen Heimat des Orpheus u.s.w. als haltbar, resp. unhaltbar er-
weisen wird« (109), denn dagegen verhielten sich die meisten Slavisten doch
von Anfang an ablehnend und definitiv sind darüber die Akten von L Sis-
manov (Archiv XXV) geschlossen worden.
Interessant ist es nur, daß sich Verkovic auch auf J. Grimm hätte be-
rufen können ! Auch die Charakterisierung des von einem mazedonischen
Lehrer betrogenen Mystifikators mit »ein gewisser Verkovic« (21) nimmt sich
im Munde eines Serben sonderbar aus gegenüber dem Manne, der aus Bosnien
stammte, sich im Agramer geistlichen Seminar seine Bildung und die Ideale
des Illyrismus aneignete und dann unter den Südslaven die erste größere und
gute Sammlung bulgarischer Volkslieder in Belgrad (1800) herausgab, seine
letzten Tage als bulgarischer Pensionär beschloss und in Sophia auf Staats-
kosten begraben wurde.
Viel Gutes und manches Verkehrte, auch Übersetzungen ganzer Lieder,
schreibt aber Ö. J. Grimm mit Unrecht zu, da er eine ausfülirlieho Recension
des zweiten Teils der ersten Wiener Ausgabe der Vuk'schen Volkslieder
(aus der »Wiener Allgemeinen Literaturzeitung« 1816, Nr. 2Ü, 21) für das
Eigentum J. Grimm's (in dessen »Kleineren Schriften« IV, 4.'{7 — 455) hält,
während sie Koi)itar gehört und von Miklosich tatsächlich auch in dessen
368 Kritischer Anzeiger.
»Kleinere Schriftena (347 — 300) aiif(,'enoinmen worden ist. Meine Klarstellung
im »Kuphorion« XI. (lOG — 120) ist für ihn zu 8|jät erschienen. Wie notwendig
sie war, zeigt an vielen Stellen gerade die Arbeit Ö.'s, der dieses Irrtums
wegen J.Grimm mit sich selbst in Widerspruch kommen läßt flü4, 100). Aller-
dings kann sich (!J. nur mit schwerem Herzen von J. Grimm trennen (100),
aber wir müßten froh sein, wenn wir in der Philologie das Richtige aus in-
neren Gründen immer so genau beweisen könnten, wie im vorliegenden Falle.
Überhaupt kommt Kopitar noch immer zu kurz, indem sein Einfluß auf den
Entwicklungsgang Vuk's und auf die slavistischen Studien zu wenig hervor-
gehoben wird: nicht bloß die Volksliedersammlung, sondern auch der Kampf
um die Volkssprache, die Grammatik und die erste Ausgabe des Lexikons
(1818), in dem so viel Belehrungen über das serbische Volkstum — dadurch
bildete es lange ein Unicum unter den Wörterbüchern — Unterkunft fanden,
die J. Grimm, der Wissenschaft überhaupt, und den Übersetzern des serbi-
schen Volksliedes zugute kamen, sind ohne Kopitar undenkbar, ebenso
J. Grimm's schöne und inhaltsreiche Vorrede zur »Kleinen serb. Grammatik«.
Hätte 6. Kopitar's »Kleinere Schriften«, auch die noch nicht gesammelten*),
deren Verzeichnis aber in J. Marn's Kopitarjeva Spomenica [110 — 111) zu
finden ist, studiert oder sich wenigstens in Lj. Stojanovi6's akademischer
Festrede über die grammatische und orthographische Tätigkeit Vuk Kara-
dzid's (Glas srpske kr. akademije, LV) Belehrung gesucht, so hätte er vieles
besser begriffen und vor allem einen argen Fehler vermieden: J.Grimm über-
setzte nicht die Grammatik von 1814 (111), sondern die aus dem Lexikon
(1818), zwischen denen ein gewaltiger Unterschied besteht. Über die Un-
brauchbarkeit der Übersetzung Tirol's für J. Grimm (114) sind wir auch von
Vuk Karadzic selbst (Gramaticki i polemicki spisi III. 121 — 122) unterrichtet.
Besonders fühlbar ist aber der Mangel, daß Ö. die große, inhaltsreiche und
viel benutzte Eecension, welche Kopitar der Leipziger Ausgabe der Volks-
lieder widmete und dabei zum zweiten Male J. Grimm in schönster Weise
ergänzte (Jahrbücher der Literatur, 1825, B. XXX. 159 — 274), nur in einer
Anmerkung (116) und in der Bibliographie erwähnt. Hier (S. 161) stehen
Kopitar's prophetische Worte, die auch von J. Grimm und Goethe variiert
wurden: »Durch Vuk's Wörterbuch und Grammatik und diese neue, in Or-
thographie mit dem Wörterbuch harmonierende Ausgabe der Lieder ist also
die serbische Literatur in Beispiel und Regel begründet; und wir können ihre
Fortentwicklung ruhig ihrer eigenen innewohnenden Lebenskraft überlas-
sen«. Es verdiente auch erwähnt zu werden, wie sehr der Ruhm der Volks-
lieder und namentlich die Teilnahme J. Grimm's und Goethe's Vuk Karadzid's
reformatorische Bestrebungen gefördert haben.
Da 6. J. Grimm's Aussprüchen über die serb. Volkspoesie »absolute
Gültigkeit« zuschreibt, so wird es begreiflich, daß er auch für Vuk Karadzid
kein Wort der Kritik findet. Beim Klaggesang sieht er zwar, daß man mit
Vuk's Einteilung der »Heldenepen« in mythologische, geschichtliche und le-
1) Es wäre eine Ehrenpflicht der slavischen Philologie diese Lücke bald
auszufüllen.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 369
gendenhafte nicht auskommt und daß diese Ballade besser unter die »Fa-
milienlieder« einzureihen wäre (58 — 59), aber dabei bleibt er stehen. Daß sich
auch die Einteilung in Frauen- und Männerlieder nicht bewährt, daß man
die mythologische Gruppe geradezu streichen kann, sei nur erwähnt. Für
die Unhaltbarkeit der Vuk'schen Anschauungen über die Volkslieder liefert
einen Beweis auch die Belgrader Ausgabe derselben, die von vier, bezw.
sechs 1) Bänden auf neun angewachsen ist, durch ihre zahlreichen Lieder, die
Vuk als von »schlechten Sängern« herrührend bei Seite gelegt hat. Für Vuk
waren dabei nicht bloß sprachliche, stilistische und ästhetische Rücksichten
maßgebend, sondern er nahm sogar am Inhalt Anstoß, wenn derselbe mit
» dem gesunden Menschenverstände « nicht in Einklang war. Klassisch ist seine
Begründung 2), daß ein von Steic herausgegebenes Lied von Kraljevic Marko
schlecht sei, weil der Held darin ein Gewehr trägt, was mit der Geschichte
und einem anderen Liede, dem zufolge Marko freiwillig die Welt verließ, als
das Gewehr aufkam, im Widerspruch stehe. Solche Strenge gegenüber Ana-
chronismen übte allerdings Vuk Karadzic selbst nicht immer, weil er zum
Glück mit dem historischen Hintergrund der Lieder zu wenig vertraut war.
Manche Schwächen Vuk's können jedoch gerade durch den Hinweis auf die
Anschauungen seiner Lehrer entschuldigt werden. So billigten Kopitar und
Grimm auch seine Herstellung sprachlich korrekter Texte, weil es sich darum
handelte, das Muster für eine aus dem Volke hervorgegangene Schriftsprache
im Gegensatz zum kirchenslavisch-russisch-serbischen Gemisch zu schaffen.
Dieser Zweck ist auch erreicht worden; im Vergleich damit haben allerdings
unsere heutigen Bedenken gegen seine Textbehandlung wenig zu bedeuten,
nur soll Vuk's Methode nicht verschwiegen werden.
Am besten sind 0. die Kapitel gelungen, in denen er das Interesse und
die besonders folgenreiche Teilnahme des alten Goethe für das serbische
Volkslied schildert, was ich ihm hoch anrechne, obgleich ihm die Goethe-
Philologie gründlich vorgearbeitet hatte. Zu den bekannten Artikeln Goethe's,
welche das serbische Volkslied betreffen, kommt ein neuer Aufsatz aus dem
J. 1824 unter dem Titel »Serbische Literatur«, der erst in den Lesarten der
Weimarer Ausgabe aus Goethe's Handschriften 1903 veröffentlicht worden
ist (127—129). Noch vor der Übersetzungstätigkeit Talvj's wollte Goethe in
seiner Zeitschrift »Über Kunst und Altertum« die Veröffentlichungen Vuk's
empfehlen und verweist auf J. Grimm's Recension, aus deren erstem Drittel
er einen längeren Auszug bringt. Mit Rücksicht auf die Teilnahme, die sein
Klaggesang gefunden hatte, fühlte er sich verpflichtet, »eine Sprache, die
uns nun durch Grammatik, Lexikon und so viel Mustergedichte zugänglich
geworden, dringender zu empfehlen«. Nur cum grano salis ist dagegen der
folgende Satz (12S) zu nehmen: »Nie hab" ich aufgehört, mich mit Geilichten
aus serbischen Dialekten bekannt zu machen, aus Übersetzungen freilich
1) In seiner Bibliographie übersieht 6. (213) das fünfte Buch der Hel-
denlieder (über die Kämpfe der Montenegriner), Wien 18G5, und die Frauen-
lieder aus der Herzegowina, Wien 1S6G.
2) Srp. nar. pj.IV.*XXXL
Arcliiv für slavische Philologie. XXVIII. 24
370 Kritischer Anzeiger.
nur, womit mich meine ungarischen Freunde versahen«. Unter den «ungari-
schen Freunden» sind aber nicht "Serben aus Ungarn, speziell Vuk (I; und
seine J'reunde« zu verstehen, sondern Jenenser protestantische Theologen,
und zwar Slovaken (vgl. S. 122, meinen Aufsatz im »Euphorion« XI. 115;.
Kopitar's Übersetzung der ersten Lieferung der serbischen Volkslieder, die
im Goethe-Archiv ruht, vordient eingesehen zu werden, wobei auch festge-
stellt werden könnte, ob die Widmung »eines Slavcn« von Kopitar selbst
herrührt oder Vuk von ihm diktiert wurde.
In einem auffallenden Gegensatz zur Vorliebe Ö.'s für J. Grimm steht
eine gewisse Abneigung gegen Talvj, gegen die »hochbegabte und durch
herrliche Charaktereigenschaften hervorragende Frau«, auf deren »im Ganzen
vortrefflichen Übersetzungen« lange Jahre »fast alle Kunde der gebildeten
Welt von den serbischen Volksliedern« beruhte, die bezüglich des serbischen
Volksgesanges »nach dem berühmten Sammler . . . das grüßte Verdienst für
sich in Anspruch nehmen darf«. So urteilte Miklosich (Über Goethe Klag-
gesang 52— 53 = Sitzungsberichte der phil.-hist.Klasse der Wiener Akademie
CHI. 462 — 463), doch O.'s ganze Darstellung lehnt sich dagegen auf. Miklo-
sich war wahrlich kein schöngeistiger — von der dort nur in Bruchstücken
veröffentlichten Korrespondenz Talvj's mußte ich ihm als Abschreiber man-
ches Stück abringen — und für das Frauenzimmerhafte, um mit J. Grimm zu
reden, begeisterter Philologe, aber er behält Recht, wenn er sich gegen Ko-
pitar, Vuk und J. Grimm auf ihre Seite stellt, wo wir auch Goethe und alle
Zeitgenossen finden, die sich aus ihren Übersetzungen für das serbische
Volkslied begeisterten. Ö. glaubt uns etwas ganz Neues zu sagen, wenn er
Talvj vorwirft, daß für ihre Beschäftigung mit dem serbischen Volkslied als
Hauptmoment der Wunsch in Betracht gekommen sei, eine Verbindung zwi-
schen ihr und Goethe herzustellen (132;; daraus machte sie ja selbst kein Ge-
heimnis, daß ihre Verehrung für Goethe sie zur Arbeit angeregt und sein In-
teresse an derselben sie zur Ausdauer ermuntert hat. Und wie viele Menschen
suchten sich Goethe zu nähern, die ihm keine derartige Gabe bringen konn-
ten! Übrigens war Goethe's Interesse für das serb. Volkslied nicht bloß für
Talvj, sondern auch für Männer wie Ranke maßgebend (185). Auch weicht
Talvj von ihren Grundsätzen nicht allzu sehr ab (133 — 134), wenn sie Goethe
auf seinen speziellen Wunsch (146) ein etwas frivoles Gedicht übersetzt hat.
Desgleichen darf man ihr nicht allzusehr »weibliche Ziererei« vorwerfen, wenn
man selbst hervorhebt , daß auch Vuk mit Rücksicht auf die Großherzogin
von Weimar im I. Buch der Leipziger Ausgabe mehr als 50 geplante Stücke
mit Zustimmung J. Grimm's ausgelassen hat (113). Bei aller Verehrung für
Goethe wahrte sie sich aber auch ihm gegenüber ihr selbständiges Urteil,
manchmal sogar sehr energisch (139, 142, 149, 150). Die allgemeine Charak-
teristik der Übersetzungstätigkeit Talvj's (157—160) ist ganz ansprechend,
aber es müßte bewiesen werden, wie sie die Übersetzungen der Brüder Grimm
(und Kopitar's !) benützt habe, worin sich der Mangel ihrer dichterischen
Begabung und das Handwerksmäßige ihrer Übersetzung zeige, und daß sie
J. Grimm »im großen ganzen nicht überboten habe«.
Dagegen kommt bei C. W.Gerhard zu seinem Recht (163 ff.), der bei
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, augez.v.Murko. 371
Goethe Talvj mit besonderem Erfolge ablöste und mit seiner »Wila« eine
gelungene Ergänzung zu ihren Übersetzungen lieferte, natürlich abgesehen
von seiner Übersetzung nicht volkstümlicher Stücke und der Mystifikation
Prosper Merime's, deren Geschichte für die Slavisten besonders interessant
ist, da ihm auch Mickiewicz und Puskin auf den Leim gegangen sind. Ich
möchte noch kurz hinzufügen, daß der abenteuerliche Phantast Sima Miluti-
novid nicht bloß Goethe mythologische Schnurren und sogar die Fabel, daß
sich »die Abstammung des Schwarzen Georg von dem unüberwundenen
Marko« werde nahezu mit historischer Gewißheit nachweisen lassen, aufge-
bunden, sondern auch W. Gerhard, dem er bei der Übersetzung behülflich
war, dazu verleitet hat, daß er in seine Vorrede Etymologien wie Sakontala
= zakon dala (!) aufnahm. Auf diese Weise konnte er in den serbischen
Volksliedern auch den Geist der alten Inder (über die Verwandtschaft der
nordischen und serbischen Mythologie vgl. 6. 175) wiederfinden. Also auch
durch Gerhard's Wila wurde die Phantasterei von der Herkunft der Slaven
aus Indien i) verbreitet !
Über den Erfolg der ersten Übersetzungen, namentlich der beiden Bände
des Frl. Talvj, hätte C. mehr berichten sollen. Die Namen der vorzüglichsten
Köpfe, welche in Berlin das serbische Volkslied mit Enthusiasmus aufnahmen
(155), sind sehr interessant (Hitzig, Raupach [W. Alexis] Häring, Streckfuß,
Stägemann, Houwald, Varnhagen, Fouqu6 etc., d. h. das ganze literarische
Berlin, das im romantischen Lager stand), nicht minder die Tatsache, »daß
strenge Juristen, die sonst die schöne Literatur ziemlich an den Nagel ge-
hängt haben, wie z. B. Savigny — sich innig mit ihnen befreundet haben und
sie wiederholt lesen« (Talvj's Brief an Kopitar vom 4. Nov. 1826). Vor allem
sollte aber der zahlreichen Recensionen gedacht werden, deren schnelles Er-
scheinen in den Literaturzeitungen 2) Talvj »fast unerhört« nennt, doch Ö. hat
nicht einmal die von W. Müller (sie steht in der Allgemeinen Literatur-Zei-
tung, Halle und Leipzig 1826, II, Bd., Nr. 117, Mai, S. 99— 103j herausgesucht,
derentwegen Talvj von Kopitar geneckt wurde. Die Meinung des Übersetzers
und Nachahmers der Griechenlieder über die serbische Volkspoesie wäre
doch im höchsten Grade interessant und Ö. hätte daraus ersehen, daß auch
dieser bedeutende Vertreter der Literatur gegen J. Grimm zugunsten Talvj's
polemisiert. Auch blieb es ihm nicht unbekannt, daß es noch in Greuz-
Kroatien und Dalmatien Lieder gebe, denn er hatte sich eben von Kopitar
belehren lassen, dessen vortreffliche Übersicht (in den Wiener Jahrbüchern)
er rühmt.
Die übrigen fünf Übersetzer des serb. Volksliedes in deutscher Sprache
oder wie 0. schreibt »in Deutschland« (vier waren Österreicher, darunter
Wesely ein Ccche mit nationalem Bewußtsein, Kapper schlug sich aber aus
der Gruppe der schriftstellernden böhmischen Juden zu den Cecheu, eiuer
') Vgl. meinen Artikel über die ersten Vcrgleicher des Sanskrit mit den
slavischen Sprachen, iiV/r/ jugosl. akademije, 132. Bd., S. 106, 107—110, 114 —
115; Deutsche EinHüssc auf die Anfänge der böhmidchen Romantik 49—51.
-) Mohr darüber im »Euphorion«.
24*
372 Kritischer Anzeiger.
Doutsch-Russc) verdienten immerliin eine genauere Würdigung und Charak-
terisierung, da sie zum Teil wenig bekannte Männer sind; über Wesely und
Goetze macht (!'. eigentlich nur bibliographische Angaben. Wesely, der seine
Arbeit vor Talvj fertig hatte, ist vom ästhetischen Standpunkt aus wohl der
schlechteste Übersetzer, den die serbische Volkspoesie gefuuden hat, aber
seine Vorrede zeigt richtiges Verständnis für den Gegenstand und verdient
Beachtung wegen seiner Nachrichten über das Fortleben des Volksliedes in
Slavonien (die Art des Vortrages schildert er aus eigener Anschauung,, Syr-
mien und Backa. Gewidmet war die Übersetzung dem bekannten serbischen
Mäzen »Sabbas Tökely, dem Beförderer der Kunst und Wissenschaft".
Bezüglich des russischen Staatsrates F. von Goetze verläßt sich 6,
blindlings auf das Urteil Talvj's, die ihm »ein höchst unbescheidenes Plagiat«
vorwirft. Die Sache steht jedoch nicht so einfach. Goetze lieferte eine von
der russischen Kritik als gelungen bezeichnete Übersetzung russischer
Volkslieder (Stimmen des russischen Volkes in Liedern, Stuttgart 1828),
dachte an eine Sammlung »Stimmen der slavischen Völker in Liedern«, ver-
kehrte 1819 tatsächlich mit Vuk Karadziö in Petersburg und erhielt von ihm
auch handschriftliches Material, denn in seinen »Serbischen Volksliedern«
steht ein Lied, das ich in Vuk's Werken nicht finden konnte, als ich mich
Vorjahren damit beschäftigte (derzeit war mir das Büchlein unzugänglich).
Es ist auch begreiflich, daß es ihm noch leichter fiel, sich in das Serbische
hineinzuleben, als Talvj, obgleich auch ihre russischen Kenntnisse größer
gewesen sein müssen, als sie vorgibt. Beim Vergleichen einiger Lieder in
der Übersetzung Talvj's und Goetze's kam ich zu keinem bestimmten Urteil ;
oft ist Goetze von Talvj in der Tat sehr abhängig, aber z. B. die Erbauung
Skadars übersetzt er V. 121 — 178 nach dem Grundtext, Talvj dagegen nach
einer Variante.
6. ist es entgangen, daß zu den ersten Übersetzern des serb. Volks-
liedes auch Anastasius Grün gehört; seine aus dem Jahre 1828 stammenden
Proben sind erst von F. v. Radics (Serbenlieder, Leipzig 1879) herausgegeben
worden, doch veröffentlichte A.Grün selbst einige Lieder im Horraayer'schen
»Taschenbuch für die vaterländische Geschichte«, so B.XXIX (1840), S. 418 —
425, vgl. B. XXXVI (1847), S.206. In Gerhard's Vorwort wird auch Herloß-
sohn als Übersetzer genannt.
Bei L. A. Frankl wäre nachzutragen , daß seine Einleitung und die
höchste Treue anstrebenden Übersetzungen deshalb so gut ausfallen konnten,
weil er im lebhaftesten Verkehr mit Vuk Karadzic und seiner Tochter »der
geistvollen Serbin« stand. Auch Miklosich gehörte zu dem Kreise.
Als der beste Übersetzer nach Talvj wird von Ö. mit Recht S. Kapper
erklärt. Er bereiste jedoch nicht bloß Serbien und Bosnien, sondern hielt sich
zuerst in Kroatien als Arzt in Karlstadt auf, wo er im Verkehr mit Drag. Kusljan,
Ivan Mazuraniö und I.Tkalac das Leben und die Literatur der Südslaven stu-
dierte i). Seinem Zyklus »Lazar der Serbenzar« und I.N. Vogl's Marko Kralje-
vits sind jedoch ähnliche Versuche von Serben selbst vorangegangen : Pesme
Ottüv Slovnik naucny XIII, 974.
^.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Marko. 373
Kralevica Marka, sovokuplene iz razliciti pesnarica, Pest 18361) (80, 135 S.,
erlebte bis 1857 acht Auflagen 2]) und I. J. pl. Novic, Lazarica ili boj na Ko-
sovu, Novi Sad 1847, doch sind beide Ausgaben nur Nachdrucke aus Vuk
Karadzic's Volksliedern 3), die aber immerhin -den beiden Übersetzern als
Vorlage gedient haben können.
Die Bemerkungen C.'s (190 ff.) gegen die Kontaminierungs- und Unifor-
inierungssucht der einzelnen Volkslieder, um daraus ein Volksepos zu schaf-
fen, verdienen Beifall. Nur sollte C. sich selbst treu bleiben und sich nicht
ein einheitliches Idealbild vom Kraljevic Marko bilden, an dem niemand
rütteln dürfte, denn er schlägt sich gar zu eifrig mit allen (Goethe, Talvj,
Gröber) herum, die an ihm etwas auszusetzen hatten. An den Namen und die
Persönlichkeit haben sich ja im Laufe der Jahrhunderte im weiten slavischen
Süden die verschiedenartigsten Motive geknüpft, so daß wir an Marko die
widersprechendsten Züge konstatieren können. Nach der neuesten Unter-
suchung von M. Chalanskij iCranu no cjraBHnoEiAiuiH) der russ. Akademie L
113 ff.) werden nicht weniger als neun Motive bloß mit dem Tode Marko's in
Zusammenhang gebracht. Übrigens informiert C. die wissenschaftliche Welt
auch liier ungenau, wenn er bloß von der »rührenden Liebe aller Serben für
ihren Marko« (140) spricht; sie ist ja nicht geringer bei den Kroaten 4) und
Bulgaren, und selbst zu den Slovenen sind Markolieder vorgedrungen; in den
»Hrvatske narodne pjesme« der »Matica hrvatska« ist ja der ganze U. Band
(Agram 1897j den Marko-Liedern gewidmet, in denen beachtenswerte Va-
rianten und neue Lieder vorkommen (vgl. die oben genannte Abhandlung
Chalanskij's), und in jüngster Zeit wurden wir auch von bulgarischer Seite
mit einer ähnlichen Publikation (samt Einleitung) beschenkt: V. Jurdanov,
KpajiH MapKO et. öi-irapcKara napOAua enuKa (B. I des CöopuuKt ua Et^irapcKOTO
Knu/KOBHO ÄpyacccTBO;, Sofija 1901. Vor allem hätte aber C. das dreibändige
""A'crk über Kraljevid Marko des Russen M. Chalanskij (lOacuocjiaBKHCKia cKa-
■sAiLifi 0 Kpa.;ieBiiqi MapKi, Warschau 1893 — 1895), das bedeutendste Werk
über die südslavische Volkspoesie, erwähnen müssen, umsomehr, als er die
kleinere Arbeit über den Kosovo-Zyklus zitiert. Trotz des ausführlichen
kritischen Referates von T. Maretic im »Rad« (132. Bd.) und der Anzeigen
Jaii:ic's im Archiv (XVL und XVIL) scheint das Werk bei den Südslaven den
vi>n Maretid erwarteten Umschwung im Studium ihrer Volkspoesie nicht
rocht herbeizuführen; für die Frage der internationalen Motive in der süd-
slavischen Volkspoesie hätte C. (vgl. 5 — 7) daraus sehr viel lernen können.
Für eine philologische und ästhetische Würdigung der deutschen Über-
setzungen serbokroatischer Volkslieder bleibt also noch manches zu tun.
1) Fehlt in St. Novakovic's Srpska bibliografija.
2) St.Ciszowski, Wisla VI (Warschau 1892), 31. Daß man die beste Über-
jiicht der serbokroatischen Folkloristik in einer polu. Zeitschrift suchen
miß, sei für C. und andere serb. und kroat. Ilausphilologeu auch augemerkt.
3) Ib. 35.
*) C. kann es doch nicht ont,i;-angen sein, daß selbst in Novi Sad und
'aucevo Nachdrucke von Markoliederu in lateinischer Schrift existieren.
374 Kritischer Anzeiger.
Vor allem wäre aber zu wünschen, daß ein genaues und übersichtliches In-
ventar der Übersetzungen wenigstens aller von Vuk Karadzid herausgegebe-
nen Volkslieder angelegt werde, denn abgesehen von dem Interesse, von
wem, wann und wie oft einzelne Lieder übersetzt worden sind, würde es
heute den westeuropäischen Folkloristen, welche in das Original nicht Ein-
sicht nehmen können, wesentliche Dienste für die Heranziehung des serbi-
schen Materials leisten. C. würde sich die wissenschaftliche Welt zum Dank
verpflichten, wenn er seine Arbeiten in dieser Hinsicht fortsetzte. Die Zeit
der romantischen Begeisterung für das Volkslied ist vorüber, doch in dem
ethnographisch vielfach so frischen slavischen Süden liegen sehr viele Schätze
für vergleichende Studien und auch für spezielle wissenschaftliche Erfor-
schung der Psyche und der geistigen Erzeugnisse der Südslaven, wofür sie
aber selbst viel mehr beitragen müssen. Die einschlägigen Arbeiten der Groß-
und Klein-Russen wie Veselovskij, Chalanskij, Dragomanov, I. Franko (von
den beiden letzteren im bulgarischen Sbornik za narodni umotvorenija), des
Böhmen J. Polivka u. a. liegen ja als lehrreiche Muster vor.
Ö. schlägt überhaupt einen falschen Ton an, wenn er klagt (118), daß
besonders die »wort- und formenreiche, bildsame und edle« serbische Sprache
unter den slavischen stiefmütterlich behandelt werde, »trotzdem sie der
Vater der historischen Sprachforschung so warm allen ans Herz legte«.
Erstens ist die serbische Sprache ein Teil der slavischen Linguistik, die auch
im Verhältnis zur vergleichenden Sjjrachforschung durchaus nicht »bisher
nur Anläufe zu verzeichnen« hat, zweitens ist aber gerade die serbische
Sprache vielfach Gegenstand von Spezialabhandlungen auch deutscher
Sprachforscher gewesen, namentlich wegen ihrer Betonung.
Ö. will überhaupt bezüglich aller möglichen Fragen der slavischen
Philologie seine eigene Meinung haben, wofür ihm die Begründung fehlt. So
behauptet er auch (202), Dobrovsky habe »den Wert des serbischen Volks-
liedes nicht ganz verkannt, wie es aus seinen Briefen zu ersehen ist«. Aus
welchen? Hier müssen wir besonders um wissenschaftliche Genauigkeit
bitten, denn die Stellung des Patriarchen der Slavistik, eines Auf klärungs-
menschen (er erwartete vom slavischen »Um« das Heil der Welt!), zur Volks-
poesie ist eine Frage von prinzipieller Wichtigkeit. Was wir jedoch darüber
wissen, ist in meinen »Deutschen Einflüssen auf die Anfänge der böhmischen
Romantik« (S. 22, dazu noch V. Jagic, Briefwechsel zwischen Dobrovsky und
Kopitar, S. 557 — 558, wo nicht bloß von »Gassenhauern«, sondern weniger
ein wandsfrei auch von »serbischen Bänkelsängern« die Rede ist) gesammelt;
dort konnte C. auch erfahren, daß uns Dobrovsky's Ausfall gegen den Kultus
mit den serbischen Volksliedern, den er nur aus zweiter Hand kennt, und
deshalb aus dem Serbischen ins Deutsche zurückübersetzt, Celakovsky i) '
überliefert hat. Von demselben Celakovsky ist auch eine »andere Sammlung«
von »Slovanske narodni pisne« (d. i. närodni pisne), die dem Forscher über
das serbische Volkslied in der romantischen Zeit schon bekannt sein sollte,
denn das sind »Stimmen der slavischen Völker in Liedern«, deren III. Band
1) Sebrane Listy, 199.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 375
(1827) überdies Vuk Karadziö gewidmet war, der mit dem böhmischen Ro-
mantiker 1823 und 1824 in Prag verkehrt hatte (s. meine Deutschen Ein-
flüsse 69}.
Ö. hat auch zur Frage der Entstehung des Volksliedes der Serben und
Kroaten und ihres Metrums, also zu einem der kompliziertesten Probleme
der slavischen Philologie, in seiner Art Stellung genommen. Wie der Klag-
gesang können seiner Meinung nach auch andere Volkslieder (v^l. S. 36) nur
tiefer in Bosnien und Serbien gesucht werden, Dalmatien habe »die toten und
gekünstelten 15 — 16-Silber« (112), die Dalmatiner erhielten »das Volkslied
mit dem Zehnsilber aus Bosnien und Serbien« und »versuchten sich dann
auch selbst an ihm« (79), Das ist auch der kurze Sinn seiner Geschichte des
Zehnsilbers im Srpski KnizevniGlasnikXV. 443flf., wo Ö. allerdings eine noch
entschiedenere Sprache führt: der deseterac drängte den längeren Genossen
zurück »u umetnicku pesmu, otkuda je upravo i dosao bio« 445). Ö. sieht,
daß von der Volkspoesie doch etwas den Kroaten überlassen werden muß,
und so opfert er ihnen die bugarstice und weicht von Miklosich nur insofern
ab, als er nicht zugeben kann, daß der »kroatische Vers« älter sei als der
Zehnsilber. Dafür wird er aber trotz Bogisic und Jagic, die mit guten Grün-
den beide Versarten den Kroaten und Serben zusprechen, zu einem Antipoden
des Prof. Pavid, dessen »patriotische Rücksichten« er beim Lob der kroati-
schen Volkslieder übel vermerkt (Das serbische Volkslied 112), und weiß den
größtenteils im südlichen Dalmatien aufgezeichneten bugarstice, trotzdem
sie Bogisid sogar cyrillisch umgeschrieben hat, nur Schlechtes nachzusagen:
sie pressen verschiedene Motive zusammen und vermengen sie, die historischen
serbischen Helden heißen bei ihnen »Ugri« und »ugarska gospoda« (C. möge
sich darüber von Historikern belehren lassen!), mythologische Motive kennen
sie nicht, weil die frommen Katholiken alles Gottlose vermeiden mußten, und
noch verschiedene andere Erscheinungen verraten mönchischen Einfluß; der
epische Stil ist in diesen Liedern im Vergleich zu »den echten Volksliedern«
ganz unvolkstümlich, sie verraten den Einfluß der westlichen Kultur (Ritter-
tum, Courtoiaie, feudale Elemente, was Bogisic hervorgehoben hat), offen-
kundig ist die Berührung der Kunstpoesie mit diesen »sogenannten Volks-
liedern«, während »vom deseterac das noch niemand gesagt hat« (449). Was
Bogisid nur vermutete, ist bereits seine feste Überzeugung, daß der 15 — 16-
Silber aus zwei trochäischen Achtsilbern der lateinischen Kirchenlieder ent-
standen sei.
Ich müßte eine ganze Ahhandlung schreiben, um alle diese so apodik-
tisch vorgetragenen Anschauungen, die sich wie eine Variation des Schlag-
wortes der russischen Slavophilen der vierziger Jahre des vorigen Jahrhun-
derts vom »ftiulen Westen« auf südslavischem Gebiete bei einem modernen
Germanisten sehr sonderbar ausnehmen, gehörig zu beleuchten und zu wider-
legen. Ich möchte ihm aber nur einige Tatsachen entgegenhalten. Das ver-
hältnismäßig hohe Alter der Laugzeile ist durch die älteste Aufzeichnung der
Volkslieder bei Hektorovid und durch Krizanid bezeugt, für den Zehnsilber
besitzen wir höchstens Ansätze bei Hektorovid (Ribanje V. 233 Mnjka mu
je lipo ime dila, V.235 Lipo ti je, brajo pogletlati im Wechsel mit S- und 9-sil-
376 Kritischer Anzeiger.
bigen Versen, die aber in der Originalausgabe in Langzeilen zusammenge-
zogen sind). Die Charakterisierung der langzeiligcn Gedichte srbskim naci-
nom bei Ilektoroviö, die einschlägigen Stellen aus Barakovic und Gundulic,
der Name bugarstica, pjesan bugarska bei Bogisid (75, 78, 52) sprechen doch
für die Herkunft aus dem Osten. Dem Umstände, daß Langzeiler in der
Poesie so vieler Völker das Ursprüngliche sind, will ich keine besondere Be-
deutung beimessen, aber es fällt ins Gewicht, daß Barakovic in seiner Vila
Slovinka (gedruckt 1013) die Achtsilber Halbzeilen (u poluredke) nennt fStari
pisci hrv. XVII, S.IX, XI). In der gesamten, so umfangreichen dalmatinisch-
ragusanischen Kunstdichtung gehören 15 — 16-Silber zur größten Seltt^nheit
und kommen meist nur in solchen Gedichten vor, die sieh stark an das Volks-
lied anlehnen, speziell in den Tanzliedern (pjesan od kola, D. Ranina SP.
XVIII, S. 157 — 160). Abgesehen von den von Bogisid veröffentlichten Lie-
dern wissen wir, daß die bugarstice im südlichen Dalraatien noch im XVII.
Jahrh. so «tot und gekünstelt« waren, daß ein Bochese, der spätere Erz-
bischof von Antivari, Zmajevid, vor seinem Abgang nach Kom (um 1640 — 42)
die höchste Leistung der ragusanischen Kunstpoesie, Gundulic's Epos »Os-
man«, teilweise aus Acht- in Sechzehnsilber umarbeitete. Ich muß auch fra-
gen, inwieweit sind die daselbst nicht viel später oder sogar gleichzeitig auf-
gezeichneten Lieder im Zehnsilber, welche mit den langzeiligen identisch
sind (ich lasse die Frage, welche das Original bilden, bei Seite), besser als die
vielgeschmähten bugarstice. Ö. bedenkt auch nicht, wie sehr er in sein eigenes
Fleisch schneidet, denn Vuk Karadzic hat namentlich später doch aus ver-
schiedenen Gegenden Dalmatiens epische, besonders aber viele lyrische Lie-
der aus Ragusa und seinem Territorium und aus den Bocche di Cattaro, ja
ganze Gruppen von Liedern nur aus diesem Gebiet gebracht (vgl. Nar. pj.
B. I und V). Durch welches Wunder haben sich nun die Kulturzustände und
die Psyche dieser Bevölkerung, die auch weiter unter abendländischem Ein-
fluß, speziell unter dem noch verstärkten der katholischen Geistlichkeit
blieb, so geändert, daß nach anderthalb Jahrhunderten dort so gute Lieder
gefunden werden konnten?
In rührender Unschuld weiß 6. nichts davon, daß gerade der Russe M.
Chalanskij, vor dem er doch Respekt hat, weil er »überall ohne Rückhalt dem
serbischen Volkslied vor allen slavischen die erste Stelle einräumt« (8), auch
sein Nationalheiligtum, den heroischen Zehnsilber, für ein Produkt »un-
mittelbar westeuropäischen Einflusses« erklärt und seine Wege seit der
Epoche der Kreuzzüge angedeutet hat (lOacuocjiaB. CKasaniH o Kpa.!ieBuq§
MapKi II. 246, III. 793—794). Derselben Anschauung huldigt der Bulgare
I. Sismanov, dessen Abhandlung »Das Lied vom toten Bruder in der Poesie
der Balkanvölker« (CöopHUKi. sa HapoÄHH yMOTEopenuH, Sophia, B. XIII u. XV,
in Betracht kommt speziell XV. 579 — 584) natürlich mit der übrigen Literatur
über den LenorenstofF erwähnt werden mußte i) und methodisch besonders
interessant ist, weil sie zeigt, wie man die verschlungenen Wege eines Volks-
1) 6. konnte sich darüber wenigstens aus dem Agramer akademischen
Zbornik za narodni zivot i obicaje juznih Slavena, IV. 151 — 160 unterrichten.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 377
liedes verfolgen soll. Dabei konnte sich Sismanov noch auf einen Russen,
den durch sein Werk über den LenorenstofF in der slavischen Volkspoesie
bekannten Prof. Sozonovic berufen. Als seinen ärgsten Gegner hätte sich
aber Ö. A. Soerensen etwas näher ansehen sollen, der schon in seinen Studien
im »Archiv«, namentlich aber in seiner Schrift »Entstehung der kurzzeiligen
serbokroatischen Liederdichtung im Küstenland« (Berlin 1895), in der viel
Lehrreiches steckt, obwohl ich nicht alles billige, die kurzzeilige Dichtung
aus der langzeiligen hervorgehen läßt (führt eigentlich nur einen Gedanken
Jagic's weiter) und der Blüte der bosnisch-herzegowiuischen Dichtung in der
zweiten Hälfte des XVIIL Jahrh. eine «küstenländische aus dem Anfang des
XVIIL Jahrb., deren Wurzeln aber ins XVII. zurückreichen«, meist als Quelle
vorausschickt.
Und damit das Maß voll werde, muß ich Ö. aufmerksam machen, daß
der schwedische Dichter und Literarhistoriker Alfred Jensen in seinem
vortrefflichen Werke »Gundulic und sein Osman« (Göteborg 19ü0) sehr fein an-
gedeutet hat (363 — 371), daß man über der lyrischen Schönheit der serbokroat.
Volkslieder ihre künstlerische Eigenart vergaß und sich gar nicht um ihre
Entstehung kümmerte. Wie die serbokroatischen Volkslieder am Anfange
des XIX. Jahrh. von Vuk Karadzic aufgezeichnet wurden, »sind sie nicht nur
die vielleicht schönsten Volkslieder der Weltliteratur, aber vor allem die un-
bestritten künstlerischesten«. Den Grund dafür sucht aber Jensen nicht etwa
in einer größeren poetischen Fähigkeit der Südslaven vor anderen Völkern,
sondern in unverkennbaren romanischen Einflüssen. L. Zima hat in seinem
scheinbar trockenen Werk »Figure u nasem narodnom pjesnistvu« für ihn
«nichts weniger als die ungemein wichtige Tatsache« bewiesen, »daß Reime,
AUitterationen, Wortspiele, Concetti's und die Blumensprache der Trouba-
doure der südslavischen Volkspoesie nicht fremd waren« (36-5;. Und zum Ge-
dichte »Mädchenurteil« (V. Karadzid S. nar. pj. I*. Nr. 548, eine Variante,
Nr. 549, stammt aus Ragusa !) bemerkt er (370), daß er es wagt, die ursprüng-
liche Echtheit dieses köstlichen Liedes [ein Jüngling, der drei Mädchen Blu-
men zertreten hat, macht ihrer Beratung, wie sie ihn strafen sollen, mit dem
Vorschlage, ihn »am schlimmen Baum, dem Mädchenhals i)« aufzuhängen, ein
Ende] in Zweifel zu ziehen; hier ist das nicht mehr die natürliche Naivität —
es ist Kunst und zwar eine recht hohe. Daß ein solches Lied wirklich po-
pulär werden konnte, zeugt aber vorteilhaft von dem feinen poetischen Ge-
Bchmack der südslavischen Landbevölkerung«.
Da wird die Vorliebe Goethe's für die lyrischen Lieder, mit deren ge-
fälligen Übersetzung ihn besonders W. Gerhard erfreute, begreiflich, ebenso
sein Vergleich mit der Lyrik der Franzosen, mit ihrem Hauptvertreter
Böranger, und die Meinung, »daß ein halbrohes Volk mit dem durchgeübtesten
gerade auf der Stufe der leichtfertigsten Lyrik zusammentrifft« (ItiS). Nur
steckte nicht soviel »allgemeine Woltpocsie« dahinter, sondern wenigstens
zum Teil die hohe Kultur der dalmatinischen Städte mit ihrer bedeutenden,
•) Mit denselben und ähnlichen Worten »flucht« ein Mätlchon dem Jüng-
ling vor der Mutter in V. Karadziö's S. nar. pj. l**. Nr. 531 und V. 354.
378 Kritischer Anzeiger.
von Italien beeinflußten Renaiastinceliteratur. Wenn schon die neugriechische
Volkspoesic auf eine Vermengung der griechischen voliistiimlichen Richtung
mit den romanischen Kulturelementen zurückgeführt wird fK. Dieterich, Ge-
schichte der byzantinischen und neugriechischen Literatur, 15.1 ff.), so ist das
in viel höherem Grade bezüglich der serbokroatischen und teilweise auch der
bulgarischen der Fall.
Wie in Italien waren auch in Ragusa und Dalmatien die Wechselwir-
kungen zwischen Volks- und Kunstpoesie viel stärker als man glaubt. Am
meisten werden noch die Spuren des Volksliedes in der Kunstpoesie zuge-
geben. Außerdem haben wir direkte interessante Zeugnisse für das Blühen
der Volkspoesie in den dalmatinischen Städten im XV. und XVI. Jahrh. Be-
sonders beachtenswert ist der Bericht des Humanisten I. Sisgoric (Georgius
Sisgoreus) in seiner Schrift De situ Illyriae et civitate Sibenici a. 14B7 (Grada
za povjest knizevnosti hrv.II. 10— 11), wo verschiedene Gattungen der Volks-
lyrik den höclisten klassischen Mustern gleichgestellt werden z. B.: amato-
rium Carmen ... quäle vix cultus TibuUus aut blandus Propertius aut lascivus
Licoridis Gallus, aut Lesbia Sappho decantaret). Nach Berichten an den
Senat von Venedig (S. Ljubid, iSa«^ XL, 141 — 144) war 1574 in Spalato una
piesma, welche der Unzufriedenheit mit einer Regierungsmaßregel Ausdruck
gab, sofort in aller Munde, und als wahrscheinlicher Verfasser wird ein poeta
e litterato Francesco Boctuli genannt, welcher litterato e filosofo auch die
unglückliche Liebe eines Mädchens aus angesehener christlicher Familie zu
einem schönen und reichen türkischen Jüngling besang; dieses Lied mit dem
Refrain Bidna Mare fand ebenfixlls starke Verbreitung. Über die Entstehung
der Volkslieder wußte man also im XVI. Jahrh. besser Bescheid als am An-
fang des XIX. ! Aus derselben Stadt wird 1547 berichtet, daß ein alter blin-
der Soldat, von seiner Tochter geführt, ein Marko-Lied saug, welches das
ganze Volk begleitete (ein unbeachtetes Detail), weil es Alle kannten.
Der Provveditore von Sebenico rühmt 1574 den Heldenmut seiner Unter-
tanen im Vergleich zur Feigheit der italienischen Scharen und erzählt von
Türken, die sich retteten und dann ihre Tapferkeit in ihrem Lande (d. h. in
der nächsten Nähe von Sebenico) im Liede feierten. Auch ein Spottgedicht
auf zwei Türken wird erwähnt, die von zwei Christenmädchen, welche sie
davongeschleppt hatten, kastriert wurden. Das lyrische und epische Volks-
lied hat also in Dalmatien eine lange beglaubigte Geschichte und man sieht,
wie zwischen Stadt und Land in dieser Hinsicht kein solcher Unterschied be-
stand wie im XIX. Jahrh.
Der Einfluß der Kunstdichtung auf das Volkslied ist bisher, trotzdem
in neuester Zeit auch mehrere halbstädtiscbe Sammlungen (aus Ragusa, Spa-
lato), in denen er besonders deutlich hervortritt, herausgegeben worden sind,
von Einheimischen fast gar nicht untersucht, ja nicht einmal für möglich ge-
halten worden, weil man allgemein im Banne der romantischen Anschauung
vom singenden Volk und der Originalität des Nationalgeistes steht. Einen
schönen Anfang hat jedoch in jüngster Zeit Kasandric in einer Analyse der
Liebeslieder von H. Lucic gemacht (Glas Matice Dalmatinske II. 391—392).
Icli will auf Einzelheiten nicht eingehen, sondern verweise nur darauf, daß
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, aDgez.v.Murko, 379
ein dankbares Material für solche Untersuchungen namentlich die von Vuk
Karadzic und Anderen gesammelten Lieder aus dem südlichen Dalmatien
bieten würden. Um nur ein argumentum ad hominem anzuführen : die zahl-
reichen schönen Lieder, in denen der Orangenbaum und andere Vertreter der
adriatischen Küstenflora eine so große Rolle spielen, sind natürlich nicht
irgendwo »tiefer in Bosnien« in den schluchtartigen Tälern der Bosna und
des Vrbas entstanden, von den Waldhöhen und schneebedeckten Bergen gar
nicht zu reden.
Mit diesen Anschauungen steht die Tatsache, daß viele epische Lieder,
namentlich aber Liederstoffe (das ist ein wichtiger Unterschied I) vom Osten
nach Westen gewandert sind, in keinem Widerspruch. Das epische Zeitalter
der Südslaven waren die Zeiten der Kämpfe mit den Türken, so daß selbst
die Slovenen denselben ihre schönsten Balladen verdanken. Der Kampfplatz
wurde im Laufe der Zeiten aus Altserbien und Mazedonien nach Donau-Serbien,
nach Ungarn und Slavonien, dann aber an die kroatischen und dalmatinischen
Grenzgebiete verlegt, seit dem Ende des XVIL Jahrh. tritt auch Montenegro
in den Vordergrund i), zu Anfang des XIX. Jahrh. brachten die Befreiungs-
kämpfe in Serbien neues Leben in die Volkspoesie, am meisten wurden aber
im Verlauf des XIX. Jahrh. die Kämpfe der Montenegriner besungen. Mit diesen
geschichtlichen Phasen ging auch die Entwicklung der Heldenlieder einher.
Die große Mehrzahl der aufgezeichneten Lieder stammt nun aus den
westlichen Gebieten 2), was besonders bei den letzten fünf Bänden der Bel-
grader Ausgabe der Volkslieder Vuk Karadziö's auffällt. Natürlich rechne
ich zu diesem Westen auch die westliche (nach der heutigen administrativen
Einteilung eigentlich die ganze) Herzegowina und ebenso das eigentliche
Montenegro 3) samt dem serbischen Gebiet von Skutari, die seit jeher unter
abendländischen Einflüssen standen, trotzdem die römische Kirche seit der
Verlegung des Schwergewichtes des serbischen Staates durch Stefan Ne-
1) In dem großen österreichisch-polnisch-venetianischen Türkenkrieg
seit 1683 stellte sich Montenegro, das bis dahin faktisch unter türkischer
Oberhoheit stand, auf die Seite der Venetianer und wurde dann erst selb-
ständig. Auf Grund der diese Ereignisse besingenden Volkslieder bildete
sich eine sagenhafte Geschichte Montenegros aus, welche Uarion Ruvarac in
seinen Montenegrina (1897 — 98, 2. Aufl. 1S99) zerstört hat. Das Werk sei
allen empfohlen, die sich für das Verhältnis des epischen Volksliedes zur Ge-
schichte interessieren. Lehrreich ist auch der heilige Zorn, den II. Ruvarac
auf sich geladen hat, weil er vor der svetiiia srpskih gusala (L. Tomanovic,
H. PyBapau u Montenegrina, S. 110) nicht Halt machte.
2) Vuk Karadziö (Srp.Nar.pj. I-*. XXXVI) selbst hat, bevor er Kroatier,
Dalmatien und Montenegro bereist hatte, schon angemerkt, daß die Helden-
Lieder in Serbien mit der Entfernung von der Donau gegen Bosnien und
Herzegowina immer besser werden, ebenso westlich von Syrmien über Sla-
vonien gegen Kroatien und Dalmatien immer mehr im Volke üblich simi.
3) Ich bemerke, daß der von den Montenegrinern besungene Zano
Grbljicic od Grblja [v^^l. über ihn Uarion Ruvarac, o. c. 78 ff.) seinen Vor-
namen in venetianisch-dialektischor Form führt (z für z).
380 Kritischer Anzeiger.
manja, der in der Gegend des heutigen Podgorica noch katholisch getauft
worden war, in das Binnenland, nacli Rascien, auch in der Küstenregion zu-
rückgegangen war. Ebenso stammt die Mehrzahl der epischen Lieder der
Mohammedaner aus dem nordwestlichen Bosnien oder aus der lange von den
Türken beherrschten Lika in Kroatien. Es handelt sich dabei gewöhnlich um
keine großen Kämpfe (z. B. gibt es auf mohammedanischer Seite kein Lied
über die Eroberung Bosniens), sondern um Plänkeleien an der Grenze, um
Streif- und Raubzüge, Entführungen von Mädchen und Frauen; die Kämpfe
der Montenegriner, von denen die Lieder melden, drehten sich oft um elende
Hirtenhütten auf den Almen. Daß nun solche Lieder auch nach dem Osten
wanderten, unterliegt keinem Zweifel. Schon Vuk Karadzic (Nar. pj. III*. 167)
ist es aufgefallen, daß von Ivo Senjanin (Ivo von Zengg) »in unserem ganzen
Volk« gesungen wird. Recht bezeichnend für die Wanderungen nach Süd-
osten ist der Umstand, daß in ijekavischen Gegenden aus Sen, senski Sijene
(neben Sene, das auch schon eine Umbildung ist) , Sijenanin, sijenski (1. c.
Nr. 26, 29) geworden ist. Da viele Lieder über diesen und andere Zengger
Helden eine ausgesprochene serbisch-orthodoxe Färbung i] verraten, so war
für mich trotz Bogisic's Urteil, daß Ivo Senjanin ein xut i'ioyr]v kroatischer
Held sei, doch überraschend das Zeugnis des Zengger Domkapitels über ihn
und seine Genossen: da Jesu dobri krstjani i katolici i Ijubili crkve i redov-
nike -). Wie es sich mit den viel besungenen Helden von Kotari (bei Zara)
verhält, weiß ich nicht und verweise nur auf die offiziellen Ausdrücke der
Venetianer Governatore della Nation Croata, idioma croato (dem Smiljanic
soll ein Schreiben darin mitgeteilt werden), auf I. Barakovid's Bezeichnungen
vlaski sin hrvatskoga jezika, cista hrvatska krv (für ganz Kotari) 3;. Weiter
für den Süden ist charakteristisch der Umstand, daß Kacic und Lovro iz Lju-
buskoga Franziskanergeistliche waren. Auf jeden Fall war in Dalmatien das
Verhältnis zwischen Orthodoxen und Katholiken auch damals nicht viel ver-
schieden vom heutigen (Orthodoxe I6O/0). Übrigens ist diese Frage neben-
sächlich. Die Türken machten keinen Unterschied zwischen kaurin, vlah,
vlase und ebenso fühlten sich die Christen als eine Einheit in diesen Kämpfen
und wurden als Raja von den Türken gründlich nivelliert, so daß die Unter-
schiede zwischen morgen- und abendländischer Kultur, soweit sie überhaupt
vorhanden waren, in den Hintergrund traten, was viel dazu beigetragen hat,
daß Serben und Kroaten auch eine ethnische, nicht bloß sprachliche, Einheit
geblieben sind.
1) Vgl. in Zenidba Iva Senanina (V.Karadzic, Nar.pj. III*, Nr. 26) V. 179,
234 dizu cetu na Srbina, V. 304 — 305 Da cuvaju strazu od Srbina, da Udbinu
Srbi ne haraju, in Nr. 31 verkündet den Tod desselben Helden protopop Ne-
dejko (V. 13), pricesti vinom crvenijem (V. 40, 44).
2) Vgl. A. Soerensen, Entstehung der kurzzeiligen serbokroatischen
Liederdichtung im Küstenlande, 72—73. Wahrscheinlich ist hierher auch
»das längste serbische Volkslied« zu stellen: Zenidba Senanin Tadije, Srpska
junacka najduza pjesma, isp. Milan Obradovic, Beograd 1891.
3) L. Jelic, Licki sandzakat, Narodni Koledar, Zadar 1898, S. 102—104.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 381
Auf die Frage, wo und wann der Zehnsilber entstanden und wie er zum
spezifischen heroischen Vers geworden ist, lege ich dabei nicht das Haupt-
gewicht. Chalanskij und Sismanov denken an ältere Zeiten, andere ungefähr
an das XVII. Jahrb., wobei aber betont werden muß, daß er zu Anfang des
XVIII. Jahrh. im mittleren Dalmatien bereits allgemein üblich war, wie das
Zeugnis des Lovro iz Ljubuskoga i) beweist. Auch das bleibt fraglich, ob
der Zehnsilber direkt aus dem Romanischen stammt, oder in den küstenlän-
dischen Gebieten aus dem in der Literatur lange fast alleinherrschenden
Zwülfsilber, wie er noch in den epischen Liedern der Kroaten in Ungarn fort-
lebt, entstanden ist (Soerensen), oder aus dem Achtsilber 4 -|- 4 mit Flick-
wörtern), wie Sismanov meint (1. c. 584), oder was besonders nahe liegt, aus
dem italienischen endecasillabo; den Weg würde im letzten Falle eine naive,
aber beachtenswerte Erklärung des Lovro iz Ljubuskoga andeuten, der be-
züglich seiner Verse, die nicht 10, sondern 11 Silben aufweisen, sagt: Tad
s prva jednu sillabu valja zgrist, to jest brzo reci^); i tako öe dobro ostale
sillabe izaci i otiöi. Man »beißt« also dem endecasillabo am Anfange eine
Silbe, sagen wir den Auftakt, weg und der deseterac mit trochäischem Rhyth-
mus ist fertig! Dazu würden auch die Accentverhältnisse, der allmähliche
Übergang von der jambisierenden Betonung der cakavischen Dialektengruppe
zur trochaisierenden der stokavischen stimmen. Mir ist es nur auffällig, daß
der endecasillabo in der dalmatinisch -ragusanischen Kunstdichtung nicht
häufig vorkommt; doch kann der Volksvcrs auch unabhängig davon entstan-
den sein und wurde in der Literatur ebenso selten, wenn auch häufiger, ange-
wendet wie der Langvers der bugarstice. Metrische Fragen gehören ja zu
den schwierigsten und gerade über den romanischen Zehnsilber gehen die
Meinungen auch weit auseinander.
In echt philologischer Weise hat man auch in dieser Frage das Schwer-
gewicht auf die Form und nicht auf den Inhalt gelegt. Die Hauptsache bleibt,
daß der ganze Westen des serbokroatischen Sprachgebietes im XVII. und
XVIII. Jahrh. eine reich blühende epische Dichtung hatte, welche hier ihren
künstlerischen und rhetorischen Charakter erhielt. Man vergleiche nur die-
jenigen epischen Lieder, deren Ursprung auf Mazedonien vor allem Kraljevic
Marko-Lieder!) und auf Altserbien hinweist: sie sind mager und trocken,
kommen aber der historischen Wahrheit am nächsten, dagegen sind ihre Fas-
sungen aus dem Westen im höchsten Grade künstlerisch (vgl. z. B. die Ana-
lyse des herrlichen Liedes Zenidba Vukasina bei Chalanskij, lOyKnoc.i. cnasa-
Hifl 0 Kpa^enn^ii MapKi I. 6 — 27). Auf diesem Gebiete kann die Forschung
ohne besondere Schwierigkeiten viel leisten; natürlich muß man auf die
1) Illyrici generis utriusque sexus populis solemnia sunt quaedam car-
mina syllabica dimensione dena, solita quaedam modulamina olementari com-
prehensione ligata . . . Vgl. N. Petrovskij, 0 00^1. II. roKiopomnia, 15'J.
2) In ähnlicher Weise »hüpfen« bekanntlich auch heute die Sänger über
Daktylen an Stelle von Trochäen hinweg, so daß der reine Zclinsilber durch-
aus nicht so Regel ist, wie man meint, bezw. in den gedruckten Sammlungen
vorgibt.
382 Kritischer Anzeiger.
Sichtung und Gruppierung des Materials, auf eine mügliclist genaue Topo-
graphie der Lieder und auf die Bewahrung ihrer dialektischen Merkmale
mehr Gewicht legen als bisher. Ich bemerke noch, daß die slavischen Be-
wohner der Adria vom kroatischen Küstenhinde angefangen das Fabulieren
lieben und besonders in manchen Gebieten wahre Gascogner unter den Süd-
slaven vorstellen. Dazu ist ihnen in vielen Gegenden ein Hang zu ritterlichem
Wesen und Aristokratismus eigen, was Bogisic speziell bezüglich der Bo-
chesen, der Russe Rovinskij aber über die Montenegriner hervorgehoben hat.
Ö. hat auch auf internationale Motive hingewiesen, welche die serbische
Volkspoesie mit dem Pentamerone, den Gesta Roraanorum und auch mit der
deutschen und germanischen Sage gemeinsam hat, meint aber wenigstens
bezüglich der germanischen, daß »eine mittelbare oder unmittelbare gegen-
seitige Beeinflussung dabei nur in den seltensten Fällen anzunehmen« sei. Ich
bin durchaus nicht ein bedingungsloser Anhänger der Wandertheorie (vgl.
darüber auf slavischer Seite das schöne Werk von J. PoHvka, Poliädkoslovne
Studie, Band X des Närodopisny Sbornik Ceskoslovansky, Prag 1904), aber be-
züglich der Südslaven hat sie viel mehr Geltung, als man häufig meint, speziell
bei ihnen selbst, weil ihre Literatur- und Kulturgeschichte noch im Argen liegt.
Ganz Dalmatien bildete ein Einfallstor für romanische Einflüsse, seitdem die
Kroaten und Serben bis zur Adria vorgedrungen sind, lange pendelten auch
die Serben zwischen Rom und Bj^zanz hin und her und selbst der konsoli-
dierte serbische Staat, in dem die Orthodoxie zur Staatsraison geworden war,
unterhielt rege Beziehungen zu Dalmatien (vgl. z. B. die Illustrationen im
Miroslavovo evangelije und die ältesten Bauwerke der serbischen Herrscher
trotz ihres byzantinischen Stils), noch mehr war aber das bei Bosnien und
Herzegowina der Fall; die Ragusaner Consuln (auch Finanzminister in Ser-
bien), Kauf leute, Zollpächter und Bergwerksbesitzer mit ihrem Gefolge weil-
ten nicht spurlos lange im Innern der Balkanländer (selbst in den Bibliothe-
ken von Sophia und Philippopel i) sind mir schon mehrfach Handschriften
aufgefallen, deren Sprache auf ragusanische Herkunft hinweist). Am wichtig-
sten ist aber die Tatsache, daß der größte Teil von Dalmatien jahrhunderte-
lang unter venetianischer Herrschaft stand und daß ganz Dalmatien eigent-
lich eine geistige Provinz Italiens bildete und speziell in den Zeiten des
Humanismus und der Renaissance die ganze damalige italienische Literatur
und Kultur aufnahm (auch selbst zu ihrer Bereicherung durch Gelehrte und
Dichter, durch Maler und Architekten beitrug) und auf diesem Grunde seine
eigene slavische Literatur schuf.
1) Vgl. die von K. Radcenko herausgegebenen apokryphen Texte Iloie-
Tue CBuexa, HsBicxiii otä. pyGCK. h3. u cjob. VIII. kh. 3, 349 — 352, und Enucxojiia
0 Hcaijii in den Jüxonucii ucTop.-<i>uji. 06m. npH Him. HoBop. yHiiB. X, Ojecca
1902 (S. 13 — 17 des SA.). Diese Texte vermehren die der cyrillischen Hand-
schrift von 1520 aus Ragusa (s. V. Jagid, Prilozi). Eine Fassung der Apo-
kalypse Pauli (J. Polivka, Starine XXI, 218—221) und einige noch nicht ver-
öffentlichte Texte der genannten Ragusaner Handschrift sind aus dem Italie-
nischen übersetzt.
Die serbokroat. Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez.v.Murko. 383
Man vergleiche nur ein Verzeichnis lateinischer und italienischer Bü-
cher, welche 1549 nach Ragusa zum Verkauf geschickt wurden (veröffentlicht
von K. Jirecek, Archiv XXI, 511 — 515). Da wird der Weg auch für ver-
schiedenartige mittelalterliche romantische Stoffe begreiflich, ganz abge-
sehen davon, daß Jongleure auch den Balkan besuchten und der deutsche
Spielmann auch in älteren südslavischen Texten vorkommt (Miklosich, Lex.
palaeoslov. s. v. mnuirBMaui,). Übrigens haben wir auch eine romantische
serbische Alexandersage, bei den kroatischen Glagoliten wurde die Sage vom
Trojanischen Krieg in abendländischer Fassung übersetzt, die dann ihren
Weg zu den Bulgaren und Russen fand, ja nach Russland kamen selbst
Tristan und Buovo d'Antona, der zu einem russischen Volksbuch (Bovä Ko-
rolevic) geworden ist, »iz serbskih knig«, die wir gar nicht kennen; ohne
Zweifel sind diese Übersetzungen in den westlichen Gebieten des serbokroa-
tischen Sprachgebietes entstanden ebenso wie die der »Sage vom indischen
Reich« (Epistel des Presbyter Johannes); eine Prosaübersetzung der Reali
di Francia ruht noch in der Franziskanerbibliothek in Ragusa. Um speziell
die verschiedenen kleinen heiteren Erzählungen, die Vuk Vrcevic im süd-
lichen Dalmatien und in den anliegenden Gebieten der Herzegowina und von
Montenegro gesammelt hat, richtig würdigen zu können, muß man den No-
vellino, Boccaccio's Decamerone und überhaupt die gesamte italienische
Novellenliteratur studieren. Auch in der Türkenzeit reichte der dalmatinische
Kultureinfluß weit hinein nach Bosnien und selbst nach Slavonien, da die
drei Länder lange eine Ordensprovinz der Franziskaner bildeten, welche für
die literarische Zusammengehörigkeit dieselbe Rolle spielte wie anderswo
die staatliche Gemeinschaft; diese Franziskaner druckten ihre Erbauungs-
bücher und Predigtsammlungen mit zahlreichen Beispielen aus manchem
Speculum, Fiore und ähnlichen Werken auch in cyrillischer Schrift, so daß sie
auch den Orthodoxen zugänglich waren.
Übrigens sind auch direkte mitteleuropäische Einflüsse selbst in Serbien
bezeugt, noch mehr kamen sie aber über Istrien und Kroatien auf den Balkan.
Sogar bei dem ersten Troubadour von Ragusa (Sisko Mencetic finden wir
zweimal frava der deutschen Minnesänger und im XVI. Jahrh. konnte sich
daselbst Mavro Vetranic über die Sauflust der deutschen Trompeter und
Pfeifer aus eigener Anschauung lustig machen (Stari pisci hrv. III. 24S— 250,
vgl. besonders die Ausdrücke: potrinkamo, trinkajuci. potriukati, se trinka).
Das bilikum (= Willkomm) und die deutschen Saufgebräuchc fanden also
ihren Weg nicht bloß bis nach Kroatien! Mir eröffnete in Bezug auf die
mitteleuropäischen Einflüsse meine Arbeit über das volkstümliche Haus der
Südslaven 1) ganz neue Gesichtspunkte: wenn man bis zu den Vasojevici in
der südöstlichen Ecke von Montenegro und bis nach Altserbien denselben
llaustypus findet wie in den Alpen, so gibt das über die Möglichkeit von
Kulturübertragungen viel zu denken.
1) Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, Bd. XXXV
'1905), S. 308—330; XXXVI (1900), S. 12—40, 92—129. Auch separat erschie-
nen im Verlage der genannten Gesellschaft.
384 Kritischer Anzeiger.
Für (las XVIII. Jalirli. und die erste Hälfte des XIX. ist noch hervorzu-
heben, daß sich das Kulturleben in Dalmatien überwiegend in italienischer
Sprache abspielte. Dazu bedenke man, daß die Dalmatiner als Kapitäne und
Matrosen alle Länder des mittelländischen Meeres und auch darüber hinaus
besuchten und italienisch sprachen. So blieben Stadt und Land fortwährend
im Zusammenhang mit der Kulturwelt. Wie sehr auch die materielle Kultur
von Italien beeinflußt wurde, zeigen auffallend unter anderem die schönen
Trachten, die aus den Städten auch auf das Land drangen. So urteilen Rei-
sende über die Mädchen aus der Umgebung von liagusa, daß sie sich so
niedlich ausnehmen, wie man sie im Theater zu sehen gewohnt ist, oder daß
sie sehr an die Mädchen von Venedig oder Spanien gemahnen. Natürlich hat
Ragusa nicht bloß Moden in seinem Territorium i) und darüber hinaus ver-
breitet, ebensowenig wie Frankreich im XVIII. und XIX. Jahrh.
Man kann alles das, was ich nur kurz angedeutet habe, nicht genug be-
tonen, damit sich die Forscher vom serbokroatischen Volkstum und speziell
auch von jenen serbischen Volksliedern, die durch Vuk Karadziö und die
deutsche Vermittlung in der gebildeten Welt bekannt geworden sind, ein
richtiges Bild machen. Man denkt bei serbisch zu viel an das heutige Serbien
und allenfalls noch an das Innere von Bosnien, ebenso wegen der Zugehörig-
keit zur griechischen Kirche allzustark an die Abhängigkeit vom byzantini-
schen Kulturkreis, was vielfach falsche Vorstellungen erweckt.
6. betont in seiner Einleitung, wie notwendig es bei der Behandlung
seines Gegenstandes sei, den Germanisten und Slavisten in Einklang zu
bringen. Meine Besprechung hat wohl gezeigt, daß er als Slavist versagt hat,
zum großen Teil deshalb, weil er sich unnötiger Weise an die verschieden-
artigsten und schwierigsten Probleme der slavischen Philologie heranwagt,
die man bloß mit jugendlichem Eifer und patriotischen Gefühlen nicht lösen
kann. Niemand verlangt speziell von einem Anfänger, was über seine Kraft
und Zeit hinausging; dafür hätte er in seinen eigentlichen Gegenstand vom
slavistischen Standpunkt tiefer eindringen, richtiger übersetzen und die
wissenschaftliche Welt genauer informieren sollen. Seine Darstellung könnte
allerdings den Anschein erwecken, daß die slavische Philologie bezüglich
des Volksliedes — denn nicht bloß vom serbischen kann die Rede sein —
über Jakob Grimm »nocht nicht weit hinausgekommen ist« (4). Dagegen
müssen wir uns doch verwahren, auch mit Rücksicht auf das serbische allein.
Übrigens steht C. mit seinen slavistischen Schwächen nicht vereinzelt da, er
ist vielmehr in mancher Hinsicht eine typische Erscheinung, die den ganzen
Jammer der kleinlichen südslavischen Verhältnisse offenbart. Ein Mann, der
einen der universellsten Germanisten zum Lehrer hatte, verkriecht sich in
das Schneckenhaus einer engherzigen serbischen Philologie und streckt seine
Fühler nicht einmal nach dem Agramer akademischen Wörterbuch aus
s. Latini, dika, drzava); ein Mann, der weiß, wie die deutsche Heldensage
' 1) So hat L. Kuba das Vorhandensein einer besonderen Leier (vijalo) nur
auf dem Territorium der Republik Ragusa konstatitrt. Slovansky Prehled.
VIII, 345.
I
Die serbokroat.Volkspoesie in der deutschen Literatur, angez. v. Murko. 385
wanderte (ebenso die russische und französische), hat für ähnliche Erschei-
nungen auf südslavischem Gebiete kein Verständnis und will sogar den
Kraljevic Marko zu einem exclusiven serbischen Helden stempeln; ein Mann,
der über die Großen der deutschen Literatur und Wissenschaft so tüchtig
schreibt, verliert auf heimischem Boden die nötige wissenschaftliche Euhe
und Objektivität, er kann eine politisch- und sogar religiös-nationale Be-
fangenheit und Eifersüchtelei nicht abstreifen und möchte auch auf dem Ge-
biete der Volkspoesie zwischen Serben und Kroaten Grenzsteine und Schran-
ken errichten, ohne zu wissen, wo und wie, weil das Volk vernünftiger war
und noch heute ist, als große Kreise der Intelligenz und sogar — Gott sei es
geklagt — der Philologen. Ich wäre glücklich, wenn meine ausführliche
Besprechung, die ein Beweis meiner Wertschätzung der Leistung 6. 's sein
soll, auch den Zweck erreicht hätte, ihn auf eine höhere Warte zu heben,
denn von seinem Wissen, Talent und Fleiß können wir gewiß noch manche
schöne Arbeit auf dem Gebiete der deutsch-slavischen Beziehungen erwarten.
Graz. 31. 3Iurko.
Zur slaTischen Runenfrage.
Dr. Jan Leciejewski. Runy i runiczne pomniki slowiaiiskie. Lwow
1906. 80. 207.
Nach einiger Pause taucht wieder eine der slavischen Kunenfrage ge-
widmete Schrift auf. Wer einigermaßen mit den Publikationen im Bereiche
der slavischen Altertumskunde vertraut ist, wird schon im voraus die Ver-
mutung wagen, daß diese Schrift von einem polnischen Gelehrten herrührt.
So merkwürdig sind die großen Fragen des slavischen Altertums unter die
einzelnen slavischen Völker verteilt. Die Runen, diese mystische Seite der
Altertumskunde, bilden den beliebten Tummelplatz des Scharfsinnes der
polnischen Gelehrten. Es genügt, auf einen Narbutt, Graf Potocki, Suro-
wiecki, Kucharski, Lelewel, Wolanski, Cybulski, Przyborowski, GrafPrzez-
dziecki, Szulc, Malecki, Piekosinski hinzuweisen, um die hauptsächlichsten
Vorgänger des Verfassers der oben zitierten neuesten Schrift auf diesem
Forschungsgebiete zusammenzuhaben. Prof. Leciejewski, ich will es gleich
heraussagen, überragt alle die genannten Vorgänger durch die Intensivität
des Studiums des Gegenstandes, mit voller Berücksichtigung der einschlägi-
gen Literatur. Seine Schrift ist eine im modernen Sinne gehaltene wissen-
schaftliche Monographie über die slavischen Runen, beruhend auf fleißigem
Studium und ausreichender Bekanntschaft der deutschen, dänisch-skandina-
vischen und englischen, mit Runen sich befassenden Literatur. Das große
Werk von George Stepliens war ihm eben so treuer Ratgeber, wie das allge-
mein bekannte Werk Wimmers in deutscher Übersetzung von Uoltzhausen,
seinen einleitenden Auseinandersetzungen zugrunde liegt. Ein wohltuender
Geist kritischer Nüchternheit beherrscht wenigstens den ganzen ersten Teil
der Schrift, der wesentlich referierend über die Runenfrago iin Allgouieineu
sich ergeht. So werden die Runen, soweit sie bei den Slaven bekannt waren.
Archiv für slavische Philologie. XXVIH. 25
386 Kritischer Anzeiger.
ohne weiteres als von den Germanen zu den Slaven gebracht aufgefaßt, im
Gegensätze zu den phantastischen Kombinationen des verstorbenen Kasimir
Szulc. Ihre Boltanntschaft wird hauptsächlich bei jenen Nordwestslaven als
sehr verbreitet gewesen angenommen, die mit den dänisch-skandinavischen
Ländern Grenznachbarn waren, also bei den Pommcrschen, Elbe- und Oder-
slavcn, speziell auch bei den Polen Großpolens. Wenn der Verfasser nicht
immer in den Grenzen dieser Grundauffassung bleibt, wenn er z. B. die be-
kannte Stelle Chrabr's, die vom Gebrauch der ipxnj und ])i3Ta spricht, für
die Vertrautheit auch der Südslaven mit den Runen als Beweis in Anspruch
nimmt, so möchte ich doch zur Vorsicht raten, da aus dem etwaigen Ge-
brauche gewisser Striche und Kerben zum Zählen oder Wahrsagen nicht
gleich die Bekanntschaft mit der Runenschrift abgeleitet werden kann. An
eine Verbreitung der Runen bei allen Slaven, etwa vor ihrer Bekehrung zum
Christentume, ist gewiß nicht zu glauben, selbst wenn man theoretisch zu-
geben kann, daß die Normannen oder Russen als Beherrscher der Slaven des
Ostens auch Runen gekannt haben. Durch diese ganz unbegründete Verall-
gemeinerung hat der Verfasser unnötiger Weise den guten Eindruck, den
sonst einzelne Teile seiner Schrift hervorbringen, stark beeinträchtigt. Den
guten Eindruck leite ich, abgesehen von der allgemeinen Einleitung, nament-
lich auch davon ab, daß er unter den angeblich mit slavischen Runen ver-
sehenen Gegenständen zunächst mehrere ausscheidet, die gar nichts Slavi-
Bches an sich haben oder zweifelhaften Ursprungs, ja geradezu Falsifikate
sind. Zu letzteren zählt er ohne Bedenken die noch jetzt in Neustrelitz auf-
bewahrten Steine und Götzenbilder mit den Runen, die selbst nach der ver-
suchten Verteidigung im Jahre 1850 durch Jan KolLär, der triumphierend
seiner Frau schrieb: »Alles staunt über die Wichtigkeit dieses Schatzes. Die
Eulen verkriechen sich nun« (vergl. den Vestnik der k.böhm. Akademie 1904,
Nr. 7), und nachdem später noch Kas. Szulc eine Lanze zur Verteidigung
ihrer Echtheit gebrochen (Posen 1876), doch von Malecki und mir (im V.Bde.
dieser Zeitschrift), wie ich glaube, endgiltig beseitigt worden sind. Daß sie
noch einmal Piekosinski, als «möglicherweise echt« in Schutz nahm, darf
eben so wenig Wunder nehmen, wie daß ein Boguslawski (Historya Slowian
II, S. 187 ff.) lieber einem Szulc und Piekosinski als einem angeblichen Ver-
treter der »Berlinisch-österreichischen Schule« (sie!) Glauben schenkt. Lecie-
j ewski tat wohl daran, daß er der Autorität Piekosinski'a, die in den Fragen der
Genealogie und Diplomatik groß sein mag, aber in der Runendeutung viel zu
wünschen übrig läßt, nicht nachgab. Leider blieb er auf dem halben Wege
stehen. Denn, wie wir gleich hören werden, in der Verteidigung der Echtheit
der Mikorzyner Steine steht er noch immer auf demselben Standpunkte wie
Szulc und Piekosinski.
Hier geht auch meine Zustimmung zu dem Werke Leciejewski's und
seiner Beweisführung zu Ende. Wo er einmal das angeblich slavische Runen-
gebiet betritt und den Scharfsinn seiner Deutungen leuchten läßt, kann ich
ihm leider nicht mehr mit gleicher Befriedigung, wie früher, folgen. Ich halte
es ja grundsätzlich nicht für ausgeschlossen, daß auf slavischem Boden ein-
zelne mit Runen beschriebene Gegenstände, wie z. B. Urnen oder auch Steine,
Leciejewßki, Zur slavischen Runenfrage, angez. von Jagic. 387
könnten vorhanden gewesen sein, sei es als Entlehnungen aus fremden Län-
dern, durch Verkehr und Handel von den Nachbarn zu den Slaven gebracht,
sei es selbst als einheimische, aber den fremden Vorbildern nachgemachte
Erzeugnisse. Allein um die eventuellen Gegenstände letzterer Art für sla-
visch zu erklären, dazu genügt noch nicht der Provenienznachweis, daß
nämlich die Gegenstände auf slavischem Boden gefunden worden sind. Es
muß noch irgend ein anderes untrügliches Merkmal hinzutreten. Vor allem
wäre es ausschlaggebend, wenn man unter Anwendung kritischer Vorsicht
betreffs der Echtheit, eine ohne jeden Zwang als echt slavisches Wort er-
kennbare Inschrift entziflfern und herauslesen könnte. Leider steht es damit
gerade nach dem Zeugnisse dieser letzten, den slavischen Runen gewidmeten
Forschung sehr traurig, um nicht zu sagen ganz verzweifelt. Bei aller Aner-
kennung der ehrlichen Mühe, die sich Prof.Leciejewski gab, um auf einzelnen
Objekten slavische Worte herauszubekommen, muß ich doch offen gestehen,
daß ich in keinem einzigen Punkte von seinen Erklärungsversuchen einen
befriedigenden Eindruck gewonnen habe, dagegen die von ihm zur Gewinnung
einer gewünschten slavischen Deutung angewendeten Mittel für ganz un-
statthaft halte. Ich will das an den hauptsächlichsten Objekten, die den
Gegenstand seiner Forschung und Deutung bilden, näher ausführen. Unter
Nr.29 ist beiLeciejewski einBrakteat ausWapno (imPosenschen) abgebildet,
mit welchem sich schon Müllenhoff beschäftigte und die auf demselben be-
findlichen fünf Runen von rechts nach links (mit umgedrehter Stellung ein-
zelner Runen) als SABAR las. Mit dem so gewonnenen Worte wußte er
freilich nichts anzufangen. Leciejewski möchte die Legende für die slavische
Sprache in Anspruch nehmen. Er faßt den ersten Buchstaben, das umge-
drehte ^, in der lautlichen Geltung eines Z auf; die zweite und vierte Rune
ist auch ihm das umgedrehte |s als A, die dritte Rune das umgedrehte ^, nur
die fünfte Rune ist unsicher, Müllenhofl' sah R, umgedreht als 51, ich könnte
auch ^ (umgedreht ^) zugeben. Leciejewski dagegen liest die letzte Rune
als P, also umgedreht aus ^ für W. So bekommt er freilich ZABAW, doch
auf Kosten der Wahrscheinlichkeit, da der Augenschein zeigt, daß die letzte
Figur der Rune unter ^ noch einen Strich hat. Aber auch das gewonnene Wort
flößt uns kein großes Vertrauen ein. Wir hätten doch ZABAWA erwartet.
Der Versuch, die auch in der polnischen Heraldik nachweisbare Familie
ZABAWA als Genit. sing, von einem Masculinum ZABAW abzuleiten, schei-
tert an der Übereinstimmung aller slavischen Sprachen in der femininen En-
dung ZABAWA. Eine Stelle in der serbischen Urkunde des XIII. Jahrb.,
wo in der Tat 3aR<\ßK steht (Mikl. Mon. serb. 28), kommt bei der sehr un-
regelmäßig gehandhabten Sprache jener Urkunde wenig in Betracht. Mir
ist also selbst dieser Brakteat, der noch am besten allen Anfechtungen wider-
steht, doch als Beweisstück für die Anwendung der Runen, im Dienste der
slavischen Sprache nicht so sicher, wie es nach der Darstellung Leciejewski's
den Anschein hat. Man darf auch nicht übersehen, daß die Runen dieses
echten Brakteata anders beschaffen sind, als die anderen vermeintlich sla-
vischen. Z. B. weder f5 noch ^ noch P begegnen in slavischen Runen.
Viel schwieriger und bedenklicher gestaltet sich die Frage bei einer silber-
388 Kritischer Anzeiger.
nen Medaille, die unter Nr. 30 u. 31 abgebildet ist. Dieses Stück soll man nach
dem Wortlaut LeciejewBki's einer Mitteilung Piekosinski's (Herold Polski I,
S. XXVI — XXXIVJ verdanken. Piekosinski las auf einer Seite der Medaille,
wo ein bartloser Kopf in sehr rohen Zügen abgebildet ist, die Runen 0DA
als MTliZ, gegenüber von oben nach unten folgen die Runen ^ ^ Ti '>jK, die
Piekosinski als BELOBK deutete. Auf der Rückseite, wo ein männlicher
Kopf (Schnurrbart!) mit einer Mütze versehen abgebildet ist, las Piekosinski
■;i'/lHT4'K = EASTAN und gegenüber (von oben nach untenj 51 KXi-T =
RKAST. Natürlich befriedigt diese Lesung Niemanden, das beweist aber
doch noch nicht, daß sie nicht so ziemlich richtig die einzelnen Runen wie-
dergibt. Ich muß freilich hinzufügen, was Prof. Leciejewski nicht mitteilt
(ob es bei Piekosinski steht, weiß ich nicht, da mir Herold polski nicht zur
Hand ist), daß wir es hier mit demselben Stücke zu tun haben, welches vor
etwa 35 Jahren bereits Przyborowski bekannt war und in seinen Augen keine
Gnade fand. Ich lese nämlich in der Monographie K. Szulc's, Autentycznosd
kamieni Mikorzynskich (Poznan 187G), auf S. 20 eine briefliche Äußerung
Przyborowski's vom 18. März 1873 an K. Szulc gerichtet folgenden Inhaltes:
»Kr6tky proces zrobilem z moneta, opatrzonjj runicznym napisem slowian-
skim, ktora si^ tutaj przed dworaa laty pojawila. Wydalem jej wezwany
takie swiadectwo, ie jej tu nikt nabyc nie chciai. Falszerstwo hyio hezczclne,
kaMy uzna, kto sie zastanowi nad napisem: Bielbog Eastan Talar. Bielbog
na monecie, i Talar runicznem pismem. Zdaje sie, iQ mikorzyfiskie slabo
lepsze od tej monety runicznej«. Ob man gerade »Talar« lesen soll oder
nicht, jedenfalls hätte sich Prof. Leciejewski eher die Frage von der Möglich-
keit der Fälschung vor Augen halten sollen, bevor er sich in seine äußerst
künstliche und im hohen Grade unwahrscheinliche Deutung dieses rohen
Stückes einließ. Die Runen sind doch zumeist weit von einander stehend
geschrieben, sie verraten sehr große Ähnlichkeit mit den Zeichen auf den
Prillwitzer Götzenbildern, und der Versuch einer künstlichen Erklärung
mit Anwendung der sogenannten ßinderunen, ja sogar noch der diakritischen
Zeichen, ist bei einem solchen Stück sehr schlecht angebracht. Die Runen
ODA, die Piekosinski als MThZ deutete, könnten mit größerem Rechte als
MDZ gelesen werden (übrigens kommen diese drei Runen auch auf einer der
Prillwitzer Figuren vor!), Leciejewski macht daraus M(a)6Y, wobei die Um-
deutung des D als C eine reine Willkürlichkeit des Verfassers ist. Auch /j^
als Y statt I für i ist wenigstens auffallend, nachdem wir aus der Darstellung
Wimmers erfahren, in welcher Weise ungefähr J^ zur Bedeutung von Y ge-
kommen ist. Aber noch willkürlicher ist die Erklärung der anderen Inschrift
auf derselben Seite. Die erste Rune X. ist eigentlich unter den skandinavi-
schen nicht nachweisbar, doch mit Recht hat Piekosinski darin das nicht
voll ausgeführte ^ erblickt, d. h. die übliche, nach Klüver gemachte Rune
für B. Was macht aber Leciejewski daraus? Er sucht darin die Figur < (eine
sehr alte Rune für C = K. die in diese neuartigen Zeichen nicht hineinpaßt),
und den kleinen Querstrich erklärt er als diakritisches Zeichen an K ange-
bracht, um aus K ein C zu machen. Den Runenschreiber denkt sich also
Leciejewski als einen tüchtigen vergleichenden Sprachforscher, der aus K
Leciejewski, Zur slavischen Runenfrage, angez. von Jagic. 3S9
durch kleine Wandlung C zu machen verstand ! Er war schon damals so klug,
den Laut c durch ein Zeichen auszudrücken, während noch heute die Polen
dafür ztvei Buchstaben verwenden! Ich staune überLeciejewski, daß er keinen
Anstand nahm einen solchen Einfall aufs Papier zu setzen und zu veröffent-
lichen. Nicht minder auffallend ist die Erklärung der nächstfolgenden Rune >J,
einer lieben Bekannten von Klüver, durch die Prillwitzer Götzenbilder verewigt
als E. Prof. Leciejewski ist freilich diese Verwandtschaft nicht angenehm,
er weicht ihr aus und sucht dem Zeichen anders beizukommen. Und zwar
auf eine durchaus nicht überzeugende Weise. Er stellt die Rune statt ihrer
offenbar geneigten Stellung aufrecht und bekommt dadurch Jungefähr; das
A in der Figur f (nach Wimmers Auffassung Vereinfachung des Zeichens
^), den unteren Querstrich faßt er dagegen schon wieder als diakritisches
Zeichen auf, wodurch die Rune für A eine nasalierte Funktion bekommen
sollte. Abgesehen davon, daß die von den Slaven angeblich viel gebrauch-
ten Runen (was ja gar nicht erwiesen ist) endlich und letzlich doch ein frem-
des Gut sind und darum der vermeintliche polnische Schreiber zur Unter-
scheidung des reinen und nasalierten A von dem germanischen Vorrat 'f für
a, ^ für ^ hätte Gebrauch machen können (Wimmer S. 201), möchte ich doch
den Verfasser fragen, welchen Gewinn er von dieser Deutung des Zeichens ^
als all erzielt hat? Glaubt er denn wirklich, daß es im VIII. oder IX. Jahrh.
in der polnischen Sprache eine Form caTalovck für das spätere czlowiek) ge-
geben hat? Die dritte Rune wird von allen Erklärern als h = L aufgefaßt.
Die vierte ebenfalls von Piekosinski und Leciejewski als 0, obwohl die Figur
auffallend ist, mindestens als umgedreht oder auf den Kopf gestellt ange-
sehen werden muß, d. h. ^ etwa statt des üblichen Zeichens ^, Der Fälscher
kann aber auch mit dem mißlungenen Zeichen einen Konsonanten (vielleicht
B?) gemeint haben. Denn die nächste Rune wäre nach den Zeichnungen, die
dem Fälscher in der LeleweTschen Polska wiekow srednich Poznan 1846,
Tafel zur S. 410) vorlagen, am natürlichsten als X für 0 aufzufassen. Das
verlangt auch der gewünschte Zusammenhang, denn die letzte Rune ist un-
streitig K für K — also das ganze lautet BEL(B)OK. Doch bei Leciejewski,
der dem BELBOK gern aus dem Wege gehen möchte, wird das Zeichen X
ganz anders erklärt. Er denkt schon wieder an eine Binderune, wobei er die
Bindung von fl = u oder v und -f* = E annmimt, ohne an das Unwahrschein-
liche einer solchen Erklärung Bedacht genommen zu haben. Wie er aus den
kaum sichtbaren vier Stummeln unter dem Kinne des Bildes die Runen für
D W C A , das er D(e)W(i)CA liest, herausbekommen hat, das überlasse ich
dem Leser in dem Buche selbst nachzusehen. Die zwar viel deutlicheren
Runeninschriften auf der Rückseite der Medaille, in denen Piekosinski
RKAST EASTON, Przyborowski EASTON TALAR las, erklärt Lecie-
jewski so, daß er flK von den übrigen drei Runen KJ-T trennt (ohne ein
sichtbares Trennungszeichen nachweisen zu können, eine gewisse Distanz
zwischen den ersten zwei und letzten drei Runen ist allerdings sichtbar\ und
die letzten drei Runen als WIT liest, wenn auch das erste Zoiclion f^ für W
recht auffallend ist, man würde vorziehen es als N zu lesen, und i erklärt
Lee. selbst für ungewöhnlich, nur '^ als T ist ganz üblich. Auf der linken
i
390 Kritischer Anzeiger.
Seite des männlichen Kopfes, wo zwei bisherige Erklärer EASTAN fanden,
will Leciejewski aus den ersten zwei Zeichen schon wieder eine Binderune
machen, ungefähr in der Figur "tji (ich würde vorziehen zwei selbötändige
Zeichen darin zu finden), und er liest sie SE. Allein selbst wenn man an eine
solche Ligatur glauben könnte, so wäre sie als ES zu lesen, da ja das ver-
meintliche f (E) auf der vorderen Seite des nächsten, nicht als S aussehen-
den Zeichens angebracht ist. In der Tat, bei Stephens, auf den sich Lee.
beruft, wird *> als ES gelesen. Wie kommt man also dazu, bei uns diese
angebliche Ligatur als SE zu deuten ? Natürlich nur dadurch, daß Leciejewski
mit Hinzuziehung der zwei Runeu von der anderen (rechten) Seite des
Kopfes, die ganze Runengruppe als KRSESTOW (also KRZESTOW) ent-
ziffern zu können glaubt. Der Leser ahnt schon, wie der Verfasser, wenn er
schon krzestow und wit herausgebracht hat, das letztere Wort ergänzen
wird. Natürlich zu witalidz! Ich vermag jedoch diesem »Kreuzritter« kein
Leben zu prognostizieren. Die ganze Medaille ist eben ein gefälschtes langes
Machwerk.
Ich übergehe die unter Nr. 32 abgebildete Figur (als Amulet), wo Prof.
Leciejewski seiner Phantasie sehr weiten Spielraum gelassen hat, um zu den
Mikorzyner Steinen überzugehen, die er zu meinem großen Erstaunen für
echt hält (abgebildet Fig. 33, vergl. schon im II. Bande unserer Zeitschrift
S. 391 — 2). Es ist mir unerfindlich, wie man den innigen Zusammenhang dieser
Steine mit den Priilwitzer Götzenbildern übersehen kann. Da hilft die ganze
ausführliche Auffindungsgeschichte, die uns ja schon Kazimierz Szulc 1876
geliefert (vergl. auch Archiv B. II, S. 386 — 8), gar nichts. Ähnliches wurde auch
seiner Zeit von der Königinhofer Handschrift erzählt. Auf beiden Steinen liest
man tendenziös das Wort HTlR, gewiß ist damit beidemale irgend etwas,
was mit dem Worte Mupt im Zusammenhang stehen soll, gemeint. Nur ja
nicht cxMpBTB ! Leciejewski möchte aber die beiden Worte verschiedenartig
auffassen. Die stark gebrochene Linie, die den oberen Teil der Rune R
bildet, will er auf dem Steine mit menschlicher Figur als r lesen ! Also schon
wieder ein diakritisches Zeichen ! ! Es sind aber alle drei R so ziemlich
gleichartig gebrochen und der Grund von dieser Gestalt liegt in der Zeich-
nung bei Lelewel, wo sowohl dieses R wie auch das für P auffallende und
sonst nicht nachweisbare M seinen Erklärungsgrund, d. h. seine unmittelbare
Vorlage findet. Prof. Leciejewski hätte diesen so offenkundigen, über jeden
Zweifel erhabenen, auf keine andere Weise erklärbaren Zusammenhang nicht
außer Acht lassen sollen. Freilich geht dann sein ganzes Bestreben, die Mi-
korzyner Steine als echt zu retten, in die Brüche. Sie sind auch unecht, ganz
so wie die Priilwitzer Götzenbilder, nur war dort Klüver, hier Lelewel die
unmittelbare Bezugsquelle. Wer verkennt den Zusammenhang zwischen der
Figur 8 auf der Tafel Lelewel's und derselben Figur auf dem Mikorzyner
Steine? Wer sieht nicht, daß die auf dem Mikorzyner Steine gemachten
Runen MR^ff^ ganz genau mit derZeichnung bei Lelewel übereinstimmen?
Darauf habe ich ja schon im Archiv II, S. 390 hingewiesen. Statt des un-
zweifelhaften (freilich gefälschten) PROWE und des ebenso unzweifelhaft
zu lesenden 4'4'iT als KMET muß Leciejewski, um den Verdacht der Fäl-
Leciejewski, Zur slavischen Kunenfrage, angez. von Jagic. 391
schung zu beseitigen, schon wieder zu dem System der Binderunen Zu-
flucht nehmen und aus M zwei Runen machen, // = S und | = I, wofür
nicht der geringste Anhaltspunkt oder Wahrscheinlichkeitsgrund vorliegt.
Ebenso ist ^ als 0 durch Lelewel's Zeichnung gesichert, wo in dem Worte
Prowe und dem darunter gezeichneten BELBOK zweimal dasselbe Zeichen
für 0 begegnet. Wie künstlich und fern liegend ist dem gegenüber die Deu-
tung Leciejewski's, daß ^kdieRuneTsei (die Rune für T steht ja das gerade ^
und nicht gesenkt wie hier) und der Querstrich soll E andeuten, er liest das
ganze Zeichen als ET. Daß auch O für W auf Lelewel's Vorlage beruht, wo
in dieser Gestalt die Rune öfters gezeichnet ist, während sonst f\ übliche Form
ist, davon kann sich jeder, der die Tafel Lelewel's in die Hand nimmt, ganz genau
überzeugen. Das Ganze liest Leciejewski SIRETW4 (d. h. ^ertw^ !). Natür-
lich gefällt Leciejewski auch KMET nicht, er zieht vor, auch bei diesen so
breit auseinander gehaltenen vier Runen mit lauter Ligaturen zu operieren.
Er geht beim Lesen von unten nach oben und dreht die Zeichen unbarmherzig
herum, bis er das Gewünschte herausbekommt. Die erste Rune (nach der
üblichen Deutung die letzte, d. h. "f , aus den Prillwitzer Gestalten als T be-
kannt) dreht er so, daß er LE bekommt (sie !), wobei doch wohl von der Lage
t für L auszugehen ist. Nun wie paßt dazu die nächste ganz bekannte Rune
^ , die er wieder so drehen muß, um ^ zu gewinnen, und der Querstrich, der
nach der wirklichen Zeichnung recht lang ist, gilt Leciejewski als diakriti-
f^ches Zeichen zu X = G, und zwar hat der gelehrte Runenschreiber dadurch
G zu DZ oder DZ gemacht ! Die Rune Y dreht er um zu ^, wodurch er das
oben besprochene Y bekommt, die letzte Rune ist ihm 'j^ = T, also das
Ganze liest er ledfyt (für das kirchenslavische jinyKST-h) ! Nicht minder will-
kürlich ist die für den anderen Stein vorgeschlagene Lesung. 7J^X4^i^
wollte der Fälscher unzweifelhaft als BOGDAN oder vielleicht BOGODAN
lesen (das letztere scheint mir übrigens nicht glaubhaft), während Leciejewski
durch eineReihe sehr künstlicher und unwahrscheinlicher Kombinationen dazu
gelangt, in den erwähnten Runen NOGO-ÖEC zu lesen. Die erste Rune ist
ihm nämlich 'j«, d.h. N, mit dem diakritischen unten angebrachten Querstrich,
wodurch N nach seinem Dafürhalten zu N wird, das Zeichen =^ identifiziert er
als 0 mit dem späteren ^ (Lelewel hat ^ als 0), X ist für G bekannt (auch
bei Lelewel), bei 4^ nimmt er die Bindung des D mit 0 an, dessen Anwesen-
lieit er in den zwei hinausragenden Strichen vermutet, die für D übliche
Rune ist ihm auch hier C, von 'I, das für A eigentlich in der Form -j üblich
ist, meint er, es bedeute E, ohne Gründe dafür zu haben, h. bedeutet ihm C
(das ist richtig, aber als C = K). Die hier unter dem Pferde stehenden
Runen liest er WOIU (er zieht U der Lesung N vor) und die sechs rechts
seitwärts befindlichen Runen liest er LUTEWOI, indem er im Zeichen f
statt des einfachen T abermals eine Binderune für TE erblickt. So lautet ihm
die ganze Inschrift: SMIRNOG-0-ÖIEC LUTEWOI WOIU S. Die kuriose
Form Smiriiogo versucht der Verfasser sogar zu verteidigen und zwar merk-
würdig genug durch den altpolu. Genitiv togo, Dativ tomu (S. 148) statt dos
üblichen tego, tomu. Er übersieht dabei die Kleinigkeit, daß togo, tonnt
regelrechte ältere Formen sind, die sehr früh aliordiuga den AnalogiebiUluu-
392 Kritischer Anzeiger.
gen tego-temu weichen mußten. Kann er dasselbe von Smirnogo behaupten?
Selbstverständlich ist auch das Adjektiv smirni statt smirny nicht nach-
weisbar.
So traurig ist es mit den »polnischen Runen« bestellt. Sie sind wohl
alle zusammen nicht einen Pfifferling wert. Dasselbe gilt wohl auch von dem
»böhmischen« Runenstein, den der phantastische Archäolog Wäclaw Krol-
mus 1852 entdeckt (im Jungbunzlauer Kreise) und 1857 beschrieben hat. Ich
weiß nicht, was wahres hinter diesem Phantasiestück steckt. Ilaben ihn im
Keller die Kartoffeln unkenntlich gemacht, wie Prof. Loci ejewski befürchtet?
Interessant ist das äußere Bild des Steines zu betrachten — offenbare Nach-
a,hmung einer cyrillischen Vignette, aus Ligaturen und in Stockwerken auf-
gelagerten Buchstaben bestehend! Ich wundere mich, daß Prof.Leciejewski,
der ja doch echte Runensteine wenigstens in treuen Abbildungen gesehen (z. B.
bei Stephens und Wimmer), diese für die Runen ganz abnorme Übereinander-
stellung nicht sogleich für höchst verdächtig erklärt hat. Ja, er gibt sich noch
die Mühe, den Unsinn zu entziffern, wobei er keinen Gott herausliest, sondern
etwas anderes, nicht minder Ergötzliches: KNEZE RADEK OBA KAM(e)-
NY UKUL SI VE S(lavu) BPATRUSI SV(e)MU SY(no)V(i).
Die mit großer Mühe unter Anwendung von allerlei möglichen und un-
möglichen Erklärungskünsten versuchte Rettung einiger Objekte mit Runen-
inschriften als echte slavische Runendenkmäler ist dem Verfasser leider
nicht gelungen. Nicht jeder Feldherr, der in den Krieg zieht, kehrt als
Sieger heim, ohne daß man deswegen seinen persönlichen Mut in Zweifel
ziehen darf. So erging es auch dem Verfasser dieser Schrift. Er hat mit
großem Mute den Kampf um die Echtheit der slavischen Runen aufgenom-
men, ohne nach meiner festen Überzeugung den Sieg davon getragen zu
haben. V. J.
Russische Volksmärchen. Gesammelt von Alexander N. Afanasjew.
Deutsch von Anna Meyer. Wien 1906. E.W.Stern. Verlag. S. 304.
Ein eigentümliches Geschick verfolgte Afanasjev's berühmte Märchen-
sammlung: trotzdem bereits 1831 von A.Dietrich eine Anzahl sogenannter
»Volksmärchen« aus Volksbüchern in die deutsche Literatur unter der Patro-
nanz eines Jakob Grimm eingeführt wurden, fand Afanasjev's Ausgabe der
russischen Volksmärchen bis in die neueste Zeit noch nicht Eingang, obgleich
sie sogar in die englische und französische Sprache tibersetzt wui'den. Nur
einiges wenige wurde aus diesen reichen Schätzen dem deutschen Publikum
mitgeteilt in den 60-er Jahren von A. Schiefner und von Gustave Chavannes.
Und obzwar bereits 1866 R. Köhler (vgl. nun Klein. Schriften I, 401) lebhaft
diesen Mangel bedauerte, schaffte noch lange Niemand eine Besserung. Erst
jetzt, nachdem bereits ein halbes Jahrhundert seit dem Erscheinen des ersten
Heftes dieser Sammlung verflossen ist, erschien eine größere Auswahl der-
selben in deutscher Übersetzung, die sich eigentlich als das erste Heft einer
vollständigen Ausgabe derselben in deutscher Sprache ankündigt.
i
Anna Meyer, Eussische Volksmärchen, angez. von PoHvka. 393
Bevor wir in die Besprechung dieser Übersetzung eingehen, sei gedacht
einer etwas älteren, an Zahl geringen Auswahl aus Afanasjev's Sammlung, die
in der Literatur so ziemlich unbemerkt geblieben ist. Als Beilage zum Jahres-
bericht des Städtischen Eealprogymnasiums zu Görlitz für Ostern 19ü3 er-
schien eine mit märchenwissenschaftlichen Anmerkungen eingeleitete Über-
setzung »Sechs russischer Volksmärchen« von Oberlehrer Dr. Max
Müller ;S. 61). Und zwar wurden hier übersetzt als Nr. 1 »Ein unbedachtes
Wort« = Afanasjev ij Nr. 126», als Nr. 2 »Geh hin — weiß nicht wohin, hol
das — weiß nicht was« = Afan. Nr. 122 ^, als Nr. 3 » Der Schatz « = Afan. Nr. 144,
als Nr. 4 »Von dem ungläubigen Mamai« = Afan. Nr. 182, als Nr. 5 »Prin-
zessin Kröte« = Afan. 150^, als Nr. 6 »Iwan Aschensohn« = Afan. Nr. 75. Zur
Übersetzung selbst ist nicht viel zu bemerken. Das Märchen Nr. 126 a hat auch
Anna Meyer übersetzt unter Nr. 42, S. 294 f., aber im Ganzen weniger gelungen,
wenn sie auch dem von Max Müller begangenen Fehler ausgewichen ist. Epo-
ciLiucB ÄOroH/iTL uxT. HeiucTLio »OiouiCMi), KpiiiaTX, uauiy ÄlBuuy ! « ill, 82)
übersetzte Herr Max Müller: Da machten sich die Bösen auf, sie einzuholen.
»Totschlagen (!) wollen wir«, so riefen sie, »unser Mädchen«. Frl. Meyer
hat diese Stelle ausgelassen, sie sagt bloß S. 298): »Die Teufel wollten ihnen
nachjagen«. In Nr. 6, S. 59 übersetzte H. Max Müller no;i;t moctomt, »unter
dem Fußboden«, freilicli im Vertrauen auf Afanasjev selbst, der das Wort in
der Anmerkung (I, 153) ausdrücklich mit noÄ-h glossierte. Es ist wohl kaum
möglich, wie sich ein so tapferer Held, der 3-, 6- und 12-köpfige Drachen
überwindet, unter einem Fußboden verstecken kann. Der Vergleich mit an-
deren Märchen und Versionen, wo dieses beliebte Motiv vorkommt, vgl.
Wollner's Anmerkung in Leskien & Brugmann's Litau. Volkslied. u.Märch. 557
(neuestens V. Tille Povidky na Valassku Nr. 12) zeigt, daß hier nur an eine
wirkliche Brücke zu denken ist. Vgl. z.B. bei Romanov Bi.iopyc.Cö.VI, S. 64:
ynaEX Äcpuöt . . . KyxapcKUHyiiy Ilsauy na nepBVio iioil na Kapasy^ii. uuu ki>
KaJiHHyByMy Mociy km ruauofi pa^^. Vgl. auch die Szene bei Afan. Nr. 7 7, S. 164,
Nr. 78, S. 168: npiixajiu ohu kx orneHnoü piKi, lepeai. piKy moctx JueauiTi), a
KpyroMt piKir orpoMHLifi jiici.. In diesem Walde schlug der Held Iwan der
Bauernsohn mit seinen Leuten das Zelt auf, diese hüten, ob nicht Jemand über
diesen Fluß kommt, Iwan hütet unter der Brücke. Vgl. E.Lemke Volkstüml. in
Ostpreußen II, 149. —
Anna Meyer übersetzte folgende Stücke aus Afanasjev's Sammlung Nr. 1
a und b (Nr. 1, Var. 1 u. 2), Nr. 2 c (Nr. 2), Nr. 6a (Nr.3), Nr. 8 (Nr. 5), Nr. 9 (Nr. 6;,
Nr. loa (Nr. 7), Nr. 11 (Nr. 8), Nr.l5 (Nr. 9), Nr. 36 (Nr. 10), Nr. 47 (Nr. II), Nr. 48
(Nr. 12), Nr. 50 (Nr. 13), Nr. 51 (Nr. 14), Nr. 52a (Nr. 15), Nr. 57 (Nr. 16), Nr. 58*
und '• (Nr. 18, Var. I u. II), Nr. 59 (Nr. 19), Nr. 611» (Nr. 20), Nr. 65 (Nr. 21;,
Nr. 66d (Nr. 22, A'ar. I , Nr. 67a (Nr. 23;, Nr. 70 (Nr. 24), Nr. 71 (Nr. 25),
Nr. 76 (Nr. 27), Nr. 81 (Nr. 28), Nr. 84a (Nr. 29), Nr. 85 (Nr. 30), Nr. 88 (Nr. 31),
Nr. 91 (Nr. 32), Nr. 92 (Nr. 33), Nr. 93 1> (Nr. 34), Nr. 95 (Nr. 35), Nr. 96 ,Nr. 36\
1) Wir zitieren die dritte unter der Redaktion von E. A. Gruzinskij er-
schienene Ausgabe 1897.
394 Kritischer Anzeiger.
Nr. 98 (Nr. 37), Nr. 100=^ (Nr. 38), Nr. 103a (Nr. 39), Nr. 104a (Nr. 40), Nr. 105»
(Nr. 41j, Nr. 126^ (Nr. 42), Nr. 181 (Nr. 43).
Außerdem wählte die Übersetzerin einige Nummern aus den in Afana-
ßjev's Anmerkungen mitgeteilten Varianten, so als Nr. 22, Var. 2 nahm sie die
aus dem Kreise Bobrov. Gouv. Voronez in der Anm. zu Nr. 66, 1, S. 107 mit-
geteilte Version; zu Nr. 24 führte sie die von Afan. I, 123 aus Chudjakov's
Sammlung entnommene Version an; unter Nr. 26 gibt sie nicht eine von Afa-
uasjev unter der Nr. 74 aus dem Volksmunde entnommene Erzählung, sondern
die in der Anm. zu diesem Märchen I, 149 aus der recht trüben Quelle der
Sammlung Bronicyn's geschöpfte Variante; auch unter Nr. 38 wählte sie nicht
die zweite volkstümliche Version zu Nr. 100, sondern die einem Volksbuche
entnommene Version 100 a, Nr. 16 findet sich nicht in Afanasjev's Samm-
lung, sondern ist Danilevskij's »Steppenmärchen« entnommen, wie aus Afa-
nasjev's Anm. zu Nr. 55, I, S. 76 zu ersehen ist. — Nr. 4 «Der kranke Löwe«
ist endlich überhaupt keine russische Fabel; die Übersetzerin wußte wohl
nicht, was sie sich vorstellen sollte, als sie »Chorutanskisches (üj Märchen«
unter dieselbe schrieb. Afanasjev führt diese Version in seinem Kommentar
(I, S. 20) ausdrücklich als aus der bekannten Märchensammlung des Valjavec
entnommen an. Frl. Meyer ahnte nicht, daß sie da eine kroatisch-slovenische
Fabel vor sich hatte. Ein sprachlicher Schnitzer ist auch, nebenbei bemerkt,
wenn die deutsche Übersetzerin Grodnensker Gouvern. S. 34 schreibt; sie
zeigt uns, daß sie mit der russischen Geographie nicht besonders vertraut ist.
Übrigens scheint sie eine besondere Vorliebe für russische Suffixe zu hegen,
so versuchte sie die in Nr. 98 (I, 246) vorkommenden Namen 3Miü SMiüBHix,
BopoTii. BopoHOBHix, KoKOTT. KoKOTOBHix mit Uhnlicheu Bildungen wie Drache
Drachenowitsch, Eabe Kabenowitsch , Hahn Hahnowitsch wiederzugeben
(S. 252).
An der Übersetzung des Frl. Anna Meyer wäre recht viel auszusetzen.
Sie hat sich wohl nicht in den deutschen Märchenstil eingelesen, denn sonst
hätte sie doch einigermaßen treffend den eigenartigen, wunderbar schönen
Stil und Ton des russischen Märchens wiedergegeben. Auch sonst hätte sie
sich an ähnliche Gestalten des deutschen und westeuropäischen Märchens
erinnert, und z. B. nicht den Heldennamen McÄBiaKo Nr. 81 mit Bärchen in
Nr. 28 übersetzt, noch die eigene russische Färbung des allgemein verbreiteten
Spruches »ich rieche, rieche Menschenfleisch« pyccKHM-B ayxoM'B naxHeii.
Nr. 58, Var. a, I, S. 60, Nr. 59, 1, S. 86 so recht geschmacklos übersetzt »da riecht
es nach Russen« (S. 60, 73) ähnlich S. 222, 223, da gekürzt caMt no PycH Jie-
Tajt, pyccKaro ayxa naxBata-icfl — oti> leöa pyccKUMt ayxoMT. h naxHCix
(I, 223) — »du flogst ja selbst über Rußland hin, daher riecht es nach Rus-
sen« (223). —
Es wäre vielleicht übertrieben, wenn man von einer Übersetzung fremder
Märchen eine ganz genaue, wortgetreue Wiedergabe des Originales fordern
würde, aber man muß unbedingt fordern, daß der Übersetzer einerseits treu
den Inhalt und die Form des Originals wiedergibt — auch das Märchen hat
seinen besonderen Stil, seine eigene Form — und wenn er auch nicht Wort
für Wort übersetzt, so doch andererseits keine groben Fehler sich zu Schulden
Anna Meyer, Russische Volksmärchen, angez. von Polivka. 395
kommen läßt, welche vielfach zu einem Mißverständnis ganzer Szenerien
führen kann. Leider ist auch von diesem Standpunkt aus die Übersetzung
des Frl. Anna Meyer durchaus nicht einwandfrei. Wir konnten zwar nicht
die Übersetzung von Anfang bis zu Ende Wort für Wort verfolgen, aber auch
bei unserem oberflächlichen Vergleich kamen wir auf einige recht grobe Ver-
stöße gegen das Original. In der russischen Version des Märchens vom wil-
den Mann, vom Eisenhans bei Grimm Nr. 136, Afanasjev Nr. 67, 1, S. 109 ff.
übersetzte sie MyacnKx-.iimiii S. 100 »Waldbauer«, was eine ganz falsche
Vorstellung bei des Russischen unkundigen Lesern hervorrufen muß. In
Nr. 91, Bd. I, S. 209 lesen wir bei Afan. »J[a, Ctua eme y co^waia CKpunna; bx
Äocyacce BpeMa oh-b na hcü paaiitiH nicHu urpa.zn., CKyKy par.roHiij'B ; das wurde
S. 184 übersetzt: »Auch eine Geige hatte er und während er wartete
spielte er ein Liedchen, um sich die Zeit zu vertreiben». In demselben Mär-
chen sagt der Teufel dem Soldaten, als er sich weigert, seine Geige mit des
Teufels Buche umzutauschen » y weHa laKaa KHura, kto hu nocMOTpuri,, bcakom
npouHxaiB cyMieii«; Frl. Meyer übersetzte das »wer mein Buch hat, kann
alles lesen, was er ansieht« (S. 185). Das Wort paxB übersetzte sie in Nr. 35,
S. 228 »Ritter«, S. 229 »Kämpfer«. Im Original lesen wir I, 234, Nr. 95: Suiobx,
ifuioBT), aact rJi.iiuTB, jIH/Khtb paTB-cii.aa naöuiaa. Johi. 11 cnpamuBaa: A xto
xyiauKa cctb acuBtiir, ck'i^ch, kto naöuBi. cioh» paTB? . ., dafür bei Frl. Meyer
228 f. Er ging immer geradeaus fort. Da fand er einen Ritter verwundet
am Boden liegen, den fragte er: »Wenn du noch lebst, sage mir, wer dich
schlug?« und mio yci xpH paxH naöiaiiJia AHacxaciH IIpeKpacHaH ib. S. 234
wurde übersetzt (S. 229) »den Anastasia die Wunderschöne alle drei Kämpfer
besiegt habe«. BaöymKa-saÄBopimKa-aruHumiia 11,270 (Nr. 181) wurde übersetzt
ganz in das prosaische Alltagsleben »Die alte böse Haushälterin« (S. 301). In
Nr. 120 ■'i bei Afan. wird erzählt, wie das Liebespaar aus dem Wasserpalast des
Teufels floh: sie gingen vom See weg immer rücklings, bis sie auf die große
Straße kamen. Als nun die Teufel ihnen nacheilten, konnten sie ihre Spuren
nicht finden »uixi cjitnoBt otx oaepa, Bci cjiiaBi BCRyx-B Bt boäv« (II, 82), es
gab keine Spuren vom See weg, sondern alle führten in das Wasser. Dr. Max
Müller übersetzte das ganz richtig, aber Frl. Meyer mißverstand vollständig
diese Szene und erzählte etwas ganz auderes, als wir bei Afan. lesen: auf ein-
mal war der See verschwunden und keine Spur des Wassers zurückgeblie-
ben (!) S. 298.
Den eigentümlichen Ton, die stilistische Färbung, die Phraseologie des
russischen Märchens vermissen wir fast durchgehends in dieser Übersetzung.
Alles klingt so entsetzlich trocken, schal und fahl, einen Satz wie mcuü ^ra
yxamiijia 3a xT; ropi.i 3a KpyxLiR, sa xt jif.ca na lüMiu.ie, 3a tT. cxo.nn 3a rycuuonBin
(I, 90, Nr. 61 'j) gut wiederzugeben, erfordert wie eine gründliche Kenntnis der
russischen, so eine meisterhafte Behandlung der deutschen Sprache. Unsere
Übersetzerin sagte hiefür » Jaga schleppt mich über steile Berge, durch dunkle
Wälder, über die Steppe hin . . (S. 83). Für hiikxo iic laiHexx, iio ivi.AaeT'i.. hukto
110 öepcxcji cKasaxr. (I, 151, Nr. 76) sagt sie ganz einfach »doch keiner konnte
ein Mittel sagen« (S. 137, Nr. 27). Dafür gelang ihr nicht übel, »cKopo cKasua cku-
396 Kritischer Anzeiger.
3LiBaeTCH, iie CKopo A^^-^o aIäüctch« wiederzugeben: »Rasch erzählt man, lang-
sam erlebt man« (S. 138 u. a.).
nie und da hat sie etwas ausgelassen, obwohl es nicht unwichtig war,
z. B. I, S.'Ji), Nr. 65 »uc no uyipy ouh Oliäh -jäoü ii?,AbMt; icaKt 6li hxt, H3BecTU,
Äa ÄO xyÄa äoboctk, ÄyMa.aa ona ii npasyMaja: CKHuy.iaci. TaKoä Jiacoä,
npuiiijia KT. iixT. MaTcpir a roBopuTt« — dafür lesen wir (S. 86): »Eine böse
Hexe konnte sie aber nicht leiden und überlegte, wie sie die beiden ins Un-
glück stürzen könnte. Deshalb ging sie zu der alten Fürstin und sprach-; der
echt märchenhafte Zug wurde einfach ausgelassen. An einer anderen Stelle
finden wir für Htoöt. Kt saBxpaMy cto Kyjieä ötjoapoii: nmcHmiLi 6u.io no
BcoMy 'iiicroMoy nojio pasöpocano (I, 263, Nr. 103 a) bei Frl. Meyer . . morgen
100 Maiskörner im freien Feld verstreuen zu lassen (S. 269).
Es sind auch verschiedene Unebenheiten in der Übersetzung vorhanden,
die von einer Unsicherheit der Übersetzerin zeugen, wie auch, daß keine letzte
Eevision Hand angelegt hat. So ist z. B. cji.iÄ3,jiu maroBt et ÄBaauaiL-nona-
ÄaoTC/T iiMX iia Bcrpiny nciucroii ayxx bt. qcjiOBiiecKOMt oopasi (I, 104, Nr. 66^)
übersetzt (S. 94): » Nach etwa zwanzig Schritten trafen sie einen unsaube-
ren Geist in menschlicher Gestalt«, später ist tot-e ace ne^ucxLiii richtiger
übersetzt (S. 95) »denselben Teufel«; HeHarjraaHyio Kpacoiy I, 220 ist
zweimal (S. 212, 213) übersetzt »eine unvergleichliche Schönheit", das dritte-
mal (S. 215) besser »die unvergleichliche Schönheit«. Nur aus mangelhafter
Korrektur ist erklärlich der Satz: »Der Rabe den Falk im Garten gefangen
nicht hat!« (S. 304) für »ue yMijia tbi Bopoua coKO.Ta bx casy coiiMaTB« (H, 271,
Nr. 181).
Für die vergleichenden Märchenforscher wäre es gewiß sehr erwünscht
gewesen, wenn ein ausführlicherer Auszug aus dem reichen Kommentar Afa-
nasjev's den einzelnen Nummern beigelegt worden wäre, natürlich ohne dessen
mythologisierenden Ausführungen, sowie Auszüge aus den nicht übersetzten
Varianten. Für die Stoffwissenschaft würden ja überhaupt bloße Regesten
genügen, wie sie z. B. Adolph Gerber in seinem Buche » Great Russian Animal
Tales« 1891 gegeben hat. Wer die russischen Märchen nach ihrem formalen
Charakter, nach ihrer Stilistik studieren will, muß notwendig zum Original
greifen, da ja keine fremde Sprache auch in der vollendetsten Übersetzung
alle ihre stilistischen Feinheiten wiedergeben kann. G. PoUvka.
rajrHu;tKO-pyciKi napo^Hi" npHnOBiAKH. Siöpas, ynopHAKyBaB i noHCHHB
/I^p. IßaH $paHKO. Tom nepinnä (A — Aith). y übbobI 1901 — 1905.
S. XXV + 600 (ExHor'pa*. SöipHHK HayK. tob. m. IIIeB^HKa t. X,
XII). (Volkssprichwörter der Ruthenen in Galizien. Gesammelt,
geordnet und erklärt von Dr. Iwan Franko I.)
In diesem Werke entsteht uns eine der großartigsten Sprichwörter-
sammlungen nicht bloß in den slavischen Literaturen ! Der nun beendete
I.Bd., der fünfte Teil des ganzen Werkes, enthält bereits an 10.000 Nummern.
Franko, Volkssprichwörter der Euthenen in Galizien, angez. v. Polivka. 397
Und alles Material, Sprichwörter, Eedensarten, Verwünschungen, Prognostica
u. ä. wurde bloß bei der ruthenischen Bevölkerung Galiziens gesammelt.
Dalj's berühmte Sprichwörtersammlung, welche Material aus dem ganzen
russischen Reich enthält, zählt an 30.000 Nummern. Die Sammlung slovaki-
Bcher Sprichwörter und Eedensarten von P.Zäturecky zählt nicht ganze 10.500
Nummern.
Dr. Iw. Franko schildert in der Einleitung die Entstehung seiner Samm-
lung und gibt damit zugleich ein Stück Autobiographie. Schon als Gymna-
siast sammelt er volkstümliches Material in seinem Geburtsort, Nahujevyci, in
der nächsten Umgebung, und bei den Bürgern der Stadt Drohobyc. Der spä-
tere eifrige politische Agitator vergißt nie die Aufgabe des Folkloristen, und
bei den Debatten ist immer der Bleistift bei der Hand, den Eednern aus den
Bauemkreisen entfliegende Sprichwörter und Eedensarten sogleich zu notie-
ren. Schon in der Hälfte der 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte er
eine ziemlich starke Sammlung aufgespeichert und bereitete sie zum Drucke
vor. Verschiedene Umstände vereitelten deren Veröffentlichung und der un-
ermüdliche Gelehrte faßte einen anderen Plan, nämlich die Herausgabe einer
allen Anforderungen der Wissenschaft entsprechenden Gesammtausgabe der
Sprichwörter der Euthenen Galiziens. Er stellte alle gedruckten Sammlungen
zusammen von der ersten in dem Anhange der ruthenischen Grammatik Le-
vickyj's aus dem J. 1834 an, und aus einer bedeutenden Anzahl handschrift-
licher Sammlungen. Deren Verzeichnis wird auf S. VH— X angeführt.
Wichtig war die Frage nach der Ordnung des Materials, um nicht bloß
den Anforderungen der Wissenschaft zu genügen , sondern auch die Orientie-
rung zu erleichtern. Ein so kolossales Material zu ordnen, daß es allen An-
sprüchen genügt, war gewiß harte Arbeit. Franko kam zu der Überzeugung,
daß die praktischeste Anordnung der Sprichwörter ihre alphabetische Zu-
sammenstellung ist, aber natürlich nicht nach dem Anfangsbuchstaben, son-
dern nach den wichtigsten, hauptsächlichsten Wörtern, nach Schlagwörtern,
und darin folgte er dem Beispiele des Wander'schen »Deutschen Sprich-
wörterlexikons«. Entschieden sprach er sich gegen die «philosophische < Zu-
sammenstellung aus, welche bei den slavischen Herausgebern (Cclakovsky,
Dalj, neuestens Zäturecky u. a.) besonders beliebt war. Freilich kann wieder
sich darin ein Widerspruch geltend machen, welches Wort als Schlagwort
■aufzufassen ist. So z. B. ist das Sprichwort nopoaciiuü ropiicut. apciiiuT a noB-
■HHii MOB'iuT S. 424 unter dem Schlagwort ropuouL angeführt. Nun braucht
■nicht bloß ein leerer Topf zu dröhnen, sondern ein leeres Faß dröhnt noch
(■mehr, ein solches wird S. 113 s. v. öonica angeführt »nopoHciia uoqKa ryuun., a
noBiia MOB'iiiTT. «, wie bei Celakovsky 42 »hhul pn'izdnä bccka, plnä ticha stoji«,
bei Zäturecky 48 »i)r:izdnä bocka najhorsie dudn:i«. Es ist also eigentlich die
Frage, ob das Gefäß leer oder voll ist, und so soll das Sprichwort vielleicht
Bher unter das Schlagwort nopo>Kiuiii gesetzt werden. Das Sprichwort pi'uioro
3.0ÄH HC iiaHocuT Icscu wir S. 249 unter dem Schlagwort »Bo,ia«, und doch liegt
las Schlagwort im Sieb und nicht im Wasser. Manchmal war sich der Heraus-
jeber selbst nicht klar, so reihte er z. B. «bo.iocö mu crajio iia ro.ioBi«, «bojioc
ropy nimoB« S. 253 unter dem Schlagwort »bo.ioc« ein, und »Bcia-io öu tu
,
398 Kritischer Anzeiger.
BOJioctii Ha rojiOBi« finden wir S. 279 unter dem Schlagworte »ECTaTii«. Doch
haben wir solche Beispiele sehr selten gefunden. In der Bestimmung eines
Wortes als Schlagwort wird gewiß bei jedem Herausgeber ein starkes subjek-
tives Gefühl zum Ausdruck kommen, und Dr. Franko ist sich recht wohl be-
wußt aller Schwierigkeiten, welche dieses Einteilungssystem bietet. Er betont
besonders, daß in manchen Sprichwörtern mehrere charakteristische Wörter
vorkommen. Daher verspricht er in seiner Vorrede, am Schlüsse seines Wer-
kes ein Register aller Schlagwörter beizulegen, welches dem Wander'schen
Werke fehlt, um nur die Benutzung seines Werkes künftigen Gelehrten zu
erleichtern.
Franko scheidet nicht in seinem Werke die eigentlichen Sprichwörter
von anderen Redensarten ab, er gibt alle, sogar Beschwörungsformeln, Be-
schimpfungen, Wetterregeln u. a. promiscue unter den betreffenden Schlag-
wörtern. Hier glaube ich, ist ein gewisser Mangel dieser so verdienstvollen
Sammlung nicht zu verkennen. Beschwörungsformeln, Wetterregeln u. ä.
wären gewiß sehr leicht in eigene Rubriken zu scheiden gewesen, und wäre
dem gelehrten Publikum ohne Zweifel viel willkommener gewesen. Wetter-
regeln und Wirtschaftsregeln findet man natürlich besonders unter den be-
treffenden Festtagen, Jahreszeiten u. a., z. B. öjiaroBimeHe S. 59, BejuKjieHB
S. 144, Nr. 4, BöCHa S. 152, BOBCÄöHHe S. 234 u. a., aber auch unter anderen
Schlagwörtern, z. B. öi'ö S. 35, Nr. 3 »6i6 ipeöa cihth b nicHUH Äeni., to b him
HC 6yae Myx«, 6y.ii.Ka S. 129 »aac 6y.ii.KH na Boai ctoht« bedeutet einen langen
Regen, Bopoöem. S. 258, Nr. 8 »hk Bopoöeni. Hane ca b BoBeÄeuiio b ÄOÖHiiaqiM
cjüKj BOÄH, TO ca Hanace xyÄOÖa äo Ips xpaBir« u. a. Es ist gewiß mißlich, wenn
der Forscher, welcher sich eben bloß mit dem Studium der im Volksleben
geltenden Wetterregeln beschäftigt, zu diesem Zwecke die ganze große
Sammlung durchlesen muß. Dasselbe gilt bei dem Studium der Beschwörungs-
formeln u. a.
Zum Unterschiede von anderen großen Sammlungen fügte Dr. Franko
iedem einzelnen Sprichworte u. s. f. erläuternde Anmerkungen bei, die oft
recht wertvolle volkskundliche Bemerkungen enthalten. So finden wir da Bei-
träge zur Kenntnis der Rechtsgebräuche, z. B. s. v. büit S. 213, zum Sprich-
worte nia ÄcpHOM pycBKa npiicara S. 545 ist bemerkt, daß in Grenzstreitig-
keiten die Leute mit einem Stück Rasen am Kopfe schwuren; S. 548 s.v. asBiH
Nr. 2 über den ehemals in Drohobyc gepflogenen Brauch, gefallene Mädchen
zu strafen. Zahlreich sind Anmerkungen über Aberglauben, z. B. Regenbogen
8. V. Becejima S. 149, Nr. 1, über den Wechselbalg S. 209, von der Macht des
Speichels, den bösen Geist zu vertreiben S. 210 s. v. BianeKaTHCK, über Zau-
bereien S. 211 f., über den Ursprung der Epilepsie S. 29 s. v. 6uth, über Mittel
gegen Tollsucht S. 259, Nr. 16, von Ertrunkenen und Selbstmördern S.259, von
Mitteln gegen Fieber S. 299 s. v. BienHxu, vom Hausgeist S. 375 s. v. roaosa-
Hent, von Hunger vertreibenden Steinen S. 404, Nr. 19, Mittel gegen Hagel-
schlag S. 442—443, über die Marter der ungetauften Kinder S. 569 u. m. a.
Sehr interessant sind die Beschwörungsformeln z. B. gegen Schlangenbiß
S. 307 s. V. raauHa, S. 438 s. v. rocxeiiB, S. 454 6oaa-c is rpoöy pyny EucTaBUB !,
welches auf dem verbreiteten Glauben beruht, daß das Kind, welches die
Franko, Volkssprichwörter der Ruthenen in Galizien, angez. v. Polfvka. 399
Eltern schlug, die Hand aus dem Grabe steckt. Interessant ist die Redensart :
B ripKuii gepen san^ia^em S. 330. Franko erblickt darin einen Rest des Brau-
ches, dem Leichnam in das Grab kleine, mit Thränen gefüllte Gefäßchen mit-
zugeben.
Weiter finden wir noch Sprüche, die mit Kinderspielen zusammenhängen,
und der Herausgeber beschreibt solche in den beigefügten Anmerkungen, z. B.
s. V. BuixaTu S. 172, Nr. 1, S. 351, Nr. 12, S.425, Nr. 20. Aus dem Alltagsleben,
so über Dreschen s. v. öutu S. 31, Nr. 46.
Recht häufig sind sprichwörtliche Redensarten, die auf allgemein be-
kannten Märchen, Sagen, Anekdoten beruhen, und diese gaben dem Heraus-
geber Anlaß zu eingehenden Bemerkungen, obzwar nicht überall, wo wir es
erwartet hätten. Vgl. s. v. 6apau S. 22, Nr. 2, s. v. 6iaa S. 47, Nr. 142, S. 49,
Nr. 167, S. 51, Nr. 200, s. v. Bor S. 78, Nr. 204, S. 86, Nr. 320, s. v. 6yru S. 131,
Nr. 5, s.v. B.iaÄiiKa S. 232, Nr. 1, s.v. BOJiOBuii S. 252, Nr. 1, s.v. BopoöeuL S. 257,
Nr. 2 : es gibt eine rumänische Sage vom hohen Alter des Sperlings, vgl. Revue
des trad. pop. YllI, 102, s. v. By^ByÄ (Wiedehopf) S. 293, Nr. 2; S, 294, Nr. 15
»no Bycax tckjo, b poTi cyxo 6iij:o« hätte bemerkt werden können, daß es eine
allgemein verbreitete Schlußformel des Märchens ist; mit der bekannten Anek-
dote von dem Dummkopf, der aus dem Kürbis einen Hasen ausbrütete u. ä.,
hängt der Spruch )i6oÄair Baii rapöya otmubcT« S. 321 zusammen; mit dem be-
kannten Schildbürgerstreiche von dem Messen des Brunnens u. ä. hängen die
Sprüche »rjiTöoKO ua ipii ryny.3ii«, »r./iyöoKO Ha nnri. x.iona« S. 340 zusammen
und Franko's Erklärung derselben ist kaum zutreffend ; mit der alten Schul-
anekdote, die ich in der Zs. f. österr. Vk. XI, 158 flf. untersuchte, hängen zu-
sammen die Sprüche »A awB^i rpa')Jii ak jijcrjjiu no ^oäi», »He CTaBaü na
rpaöjiT, 60 «icTaucni no qojii« S.442. Der auf S. 415 angeführte Spruch »roplBKa-
aiÄtqe HaciuBii« hängt gewiß mit der verbreiteten Sage zusammen, daß der
Branntwein vom Teufel erfunden wurde.
Stellenweise treffen wir in den Sprichwörtern Spuren historischer Tra-
ditionen, so von den Tatareneinfällen S. 381, wie auch aus der neueren Lokal-
geschichte, so schrieb sich tief in das Gedächtnis des Volkes die Tätigkeit
eines allzu eifrigen böhmischen Beamten, Namens Hrdlicka, ein, so daß sich
sogar ein Fluch »repj'üiKOBa (m tu iicBo.üii noöujia ! S. 323 bildete.
Interessant ist eine S.434 angeführte Charakteristik der slavischen Spra-
chen: Gott sprach zu Adam russisch, Adam zu Eva böhmisch, und der Teufel
zu Eva polnisch, wo also, wie Dr. Franko es erklärt, die russische Sprache als
klar, leicht verständlich, die böhmische als kurz und befehlerisch, die polni-
sche als einschmeichelnd betrachtet wird. Übrigens ist als Ursprungsort dieses
Sprichwortes Lemberg angegeben, und es wird kaum als echt volkstümlich
ungesehen werden können.
Wie unsere kurzen Bemerkungen zeigen, hat dieses Werk des Dr. Iw.
Franko einen sehr großen Wert nicht bloß für die Sprichwörterkunde, son-
dern auch für Jeden, der sich mit volkskuudlichen Studien üborhaui)t abgibt.
Wir hegen den lebhaftesten Wunsch, daß es dem unermüdlich tätigen Heraus-
geber ermöglicht wird, das Werk in Bälde zu Ende zu führen.
G. Tolicka.
400 Kritischer Anzeiger.
Über die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der
böhmischen Literaturgeschichte.
Ci6ne dSjiny Uteratury deske. Jako pomocnou knihu skolam
strednim a üstavüm ucitelskym sepsali Dr. Jaroslav Vlcek a
Dr. Emil Smeh'inka. Dil prvni: doba stara. V Praze 1905.
' C. K. skolni knihosklad.
Prehled dSßn Uteratury deske s düleziti^JHmi ukäzkami. Pro ob-
cliodni akademie a üstavy pribuzne upravil Fr. Mejsnar.
I. Doba staräj II. Doba stfedEi. Hradec Krälove 1905. Na-
kladem spisovatelovjm.
Vyhor z Uteratury öeske. Za citanku pro vyssi tridy skol strednich
upravil Dr. Jan V.Novak. Dil L, doba staroceska. S. 10 ukäz-
kami staroceskych rukopisü. V Praze nakladem ceskö gra-
ficke akc. spolecnosti »Unie« 1906.
Struöne dejiny Uteratury öeske sestavil Vaclav Stanek. V Olomouci
1906. Nakladem Prombergra.
Literatura öeskä devatenäcteJio stoleii. Dilu tretiho cast prvni. Od
K. H. Machy ke K. Havlickovi. Napsali : Josef Hanns, Jan
JakubeCj Jan Kabelik, Jaroslav Kamper, Arne Novak, Josef
Pekar, Zdenek Tobolka, Jaroslav Vlcek. V Praze 1905. Na-
kladem Jana Laichtera.
Die bühm. Literaturgeschichte befand sich mehrere Dezennien hindurch
in Stagnation. Die Literarhistoriker waren durch den Handschriftenstreit so
in Anspruch genommen, daß sie für ein Gebiet, welches außerhalb der Hand-
schriftenfrage lag, keine Muße fanden. In einer solchen Zeit konnte natürlich
kein größeres Werk entstehen. Mit Freuden können wir nun konstatieren,
daß sich die Verhältnisse in den letzten Jahren wesentlich gebessert haben.
Es sieht aus, als ob unsere Wissenschaft ihre Schleusen geöffnet hätte. In
Strömen kommen kleine und große, belanglose und bedeutungsvolle Aufsätze
zum Vorschein. Es fehlt aber auch nicht an monumentalen Werken ; und ein
solches liegt uns vor in dem 3. Bande der Liteiaturgeschichte des XIX. Jahrb.
Aber nicht nur für die höhere Wissenschaft wurde gesorgt. Man richtete
auch das Augenmerk auf die Schule und suchte den Schülern womöglich gute
Lehrbücher in die Hand zu geben. Das taten in letzter Zeit Vlcek und Sme-
tjxnka mit ihrem Grundriß der altböhm. Literatur, Mejsnar mit seiner Über-
sicht der altböhm. und mittelböhm. Literatur und in den allerletzten Tagen
J. V. Noväk mit seinem » Vybor z Uteratury staroceske«.
Das erstgenannte von diesen kleineren Werken besteht aus 3 Kapiteln.
Das I. Kapitel umfaßt die geistigen Produkte seit den ältesten Zeiten bis zur
ersten Hälfte des XIII. Jahrh. Das IL Kapitel (von Premysl Ottokar II. — Johann
V. Luxenburg, 1253—1346,1 und das III. Kapitel (von Karl IV. — Auftreten
Neueste Erschein, auf cl. Gebiete d. böhm.Literaturgesch., ang.v. Donath. 401
Hussens, 1346 — 1409) zerfällt inhaltlich in folgende' Abschnitte : IjEpik, 2;LyTik
und Drama, 3) Tendenzpoesie, 4j Dalimil, ö) Prosa. Das III. Kapitel macht im
5. Abschnitt noch 4 Unterabteilungen: a) Unterhaltungsprosa, bj Geschichte und
Keisebeschreibung, c; Erbauungsprosa, d) Kechtsprosa. Das Büchlein ist eine
sehr willkommene Ergänzung zu dem in der 6. Gymnasialklasse benützten »Vy-
bor z literatury ceske, doba starä« von Pelikan. Letzter enthält wohl Proben
aus verschiedenen Denkmälern ; die Proben sind aber nicht imstande, ein voll-
ständiges Bild des Denkmales zu geben. Das Buch von Vlcek und Smetunka
ergänzt nun jenes von Pelikan, indem es den vollen Inhalt eines jeden Denk-
males sehr ausführlich mitteilt. Wenn ein Denkmal Fragment ist, konstruieren
die Verfasser den Inhalt mit Hilfe der Vorlage. Der Vorzug des Buches be-
steht darin, daß 1) der historische und im historischen der stoffliche Faden
konsequent verfolgt wird, 2) daß es wegen des lebendigen und leicht faßlichen
Stiles sowie wegen der außerordentlichen Klarheit und Übersichtlichkeit die
Schüler fesseln muß, 3) daß es die Resultate der neuesten Forschung ver-
wertet, 4) daß der geringe Preis von 4uh das Buch leicht zugänglich macht.
Ein ungleiches Seitenstück des besprochenen Buches ist ebenfalls ein
Grundriß der böhm. Literatui- u. zw. der alten und mittleren Zeitperiode von
Fr. Mejsnar. Er besteht aus einer ganz kurzen literarhistorischen Übersicht
und aus Textproben, die mit einigen Biographien untermischt sind. Die literar-
historische Übersicht ist leider etwas trocken, so daß sie kaum die Schüler
anziehen dürfte. Ja ich befürchte noch mehr, daß nämlich das monotone Auf-
zählen der Dichter resp. ihrer Werke den Schülern das Studium der böhm.
Literatur verleiden wird. Es ist wohl wahr, daß sich der Verfasser den Lehr-
plan einer Handelsschule und ähnlicher Fachschulen vor Augen halten mußte,
der dem Lehrer der böhmischen Literatur nur eine geringe Zeit einräumt. Aber
gerade deshalb, weil sich die Schüler an den Handelsschulen nur wenige Stun-
den in der Woche mit Literaturgeschichte beschäftigen können, muß sie ihnen
so interessant als möglich vorgetragen werden. Das Buch hätte gewonnen,
wenn die Biographien, die in den Text eingestreut sind, in die Übersicht ge-
kommen wären. Auch hätte es nicht geschadet, wenn der Verfasser die Zahl
der Biographien noch um einige vergrößert hätte (z. B. Jan Hasistejnsky z
Lobkovic, Kchor Hruby z Jeleni, Vaclav Häjek z Libocan u. a.). Die Text-
proben sind glücklich gewählt, der Verfasser hätte aber zugunsten der literar-
historischen Übersicht so manches auslassen können.
Was die Einzelheiten betrifft, so ist meines Wissens Mejsnar der erste,
der als Geburtsjahr Hussens das Jahr 1373 oder 1375 annimmt. Es scheint
mir aber kein glücklicher Gedanke zu sein, das ai)odiktisch zu behaui)ton, was
seine Quelle, Flajshans, nur mutmaßlich ausgesprochen hat '!.
Ich möchte übrigens die Jalireszald 13(i!1, die sich auf ein Zeugnis dos
Kodizillus gründet und sowohl von Palacky als auch von Tomok augonommou
wurde, den mathematischen Kombinationen Flajshans' vorziehen. Sonst ist
1) Mistr Jan receny Hus z Husince, S. 15: S jistoton miizeme Hei Jen, ie
Hus se narodil mezi rokem 13()4— l.'j7G, suad r. 1373 nebo 137.").
Archiv für slavische Philologie. XXVUI. 2i)
I
402 Kritischer Anzeiger,
aber das Leben und Wirken Ilussens von Mejsnar sehr hübsch beschrieben.
Auch die Biographic Komcnsky's verdient Anerkennung.
Das 3. Schulbuch, eine altbühm. Anthologie von J. V. Noväk, soll an
Stelle des bisher in der 6. Gymnasialklasse benutzten Buches von Pelikan
treten. Ob es in der Lage sein wird, das letztere zu verdrängen, bleibt eine
Frage der Zeit. Der Vorzug des Buches von Noväk besteht in den sehr
schönen Faksimilien (Anfang von Kosmas' Kronik, Stitny's "Reci nedelni a
svätecni«, Judaslegende, das Neuhauser Fragment der Alexandreis u. a. m.),
die dem Buche beigefügt sind und die nicht nur den Forderungen des An-
schauungsunterrichtes nachkommen, sondern auch auf die Schüler sehr an-
regend wirken dürften. In der Wahl der Texte weicht Noväk sehr wenig von
Pelikan ab. Auf S. 157 — IGT befindet sich ein Kommentar, der den Schülern
die Lektüre der Texte erleichtern soll. Dafür ist aber das Wörterbuch bei-
weitem nicht so ausführlich wie bei Pelikan. Der Grundriß der altböhmischen
Grammatik hat eine starke Einbuße erhalten. Wohl sagt der Verfasser etwas
über die Entwicklung der böhmischen Sprache und über die altbühm. Ortho-
graphie (was bei Pelikan nicht vorhanden ist), dafür aber hat er die Lautlehre
zu stiefmütterlich (auf 21/2 Seiten) behandelt. Ich bezweifle, daß sich ein
Schüler wird daraus ein ungefähres Bild der altböhmischen Lautlehre machen
können.
Was die Transskription der Texte betrifft, so bemühte sich der Verfasser,
dem Original womöglich nahe zu kommen. Er verfiel aber dabei in das andere
Extrem, indem er offenbare Schreibfehler des altböhm. Schreibers aufnahm
(z. B. S. IG, V. 7 : sirdce, V. .53 : krrt). Auch die Konsequenz im Transskribieren
des V mit u (v morzi : u mori: und des iv mit v (w nyeczem : v necem) halte ich
für überflüssig, zumal es dadurch zu rhythmischen Störungen kommt (S. 16,
V. 25, V. 27).
S. 16, V. 10 fif. : »Smyslem nemohu dosieci:
kdez se clun u vodäch plazi,
a kdez had po skaläch lazi,
kdez orel vstüpi v oblaky;«
Hier ist nicht j)lazi, lazi (praes.), sondern plazi, lazi (aor.) anzunehmen. Der
Dichter der Alexandreis kann mit seinem Geiste nicht erfassen: wo der Kahn
auf dem Wasser /»Ar (da das geteilte Wasser wieder zusammenkam), wo die
Schlange auf dem Felsen kroch (da sie keine Spur zurückläßt). Im Falle einer
präsent. Auffassung würde der Erkenntnis nichts im Wege stehen. Übrigens
spricht auch vstüpi dafür, daß man plazi, lazi zu lesen hat, da sonst der Pa-
rallelismus gestört würde.
Nur der Vollständigkeit wegen erwähne ich noch ein 4. Buch literar-
historischen Inhaltes. »Strucne dejiny literatury ceske« von Vaclav Stanek 1
Umfassen die Zeitperiode ven den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart und
sind alphabetisch geordnet. Durch die Anordnung hat eo also eine Ähnlich-
keit mit Brünner's Lexikon deutscher Dichter (bei Reklam erschienen), mit
dem es aber einen Vergleich keineswegs aushält. Das Buch steht nicht auf
Neueste Erschein, auf d. Gebiete d. bühm. Literaturgesch., ang. v. Donath. 403
der Höhe der Zeit, da es nicht nur prinzipiell einen konservativen Standpunkt
einnimmt, sondern auch die Resultate der neuesten Forschung mißachtet. Zu
loben wäre höchstens das mit Fleiß gesammelte bibliographische Material.
Und nun kommen wir zur neuesten Errungenschaft der Literaturge-
schichte. Einen Wendepunkt in der böhmischen Poesie bildet K.H.Mächa, der
den Geist der byronischen Dichtung nach Böhmen verpflanzte und so die er-
starrte böhmische Muse zu neuem Leben erweckte. Mit ihm setzt der 3. Band
der »Literatura 19. stoleti« ein und umfaßt auf nicht weniger als T2ü Seiten
eine verhältnismäßig kleine Zeitepoche, nämlich bis K. Havlicek, also kaum
2 Dezennien. Der große Umfang hat seinen Grund in 2 Tatsachen: 1) Die
Redaktion hat einen Einwand Arne Noväk's berücksichtigt, den er anläßlich
der Rezension der ersten 2 Bände machte '■]. Noväk führt dort als Grund-
mangel au, daß den ersten zwei Bänden (besonders aber dem ersten Bande) jene
kulturelle und gesellschaftliche Atmosphäre abgehe, worin die moderne
Literaturwissenschaft so gerne ihre Bilder einrahmt. Und er stellt gleich ein.
Programm auf, um dem Übel im nächsten Bande vorzubeugen: »Es wäre«,
schreibt Noväk, «nicht nur ein breites Zeitgemälde, sondern auch gesell-
schaftliche Kleinmalerei zweckmäßig gewesen, die Ausmalung jener Klein-
städte, jenes Prag, jener Familie, welche Ort und Gegenstand dem Roman und
der dramatischen Produktion liehen». Nun wurde Noväk mit der Ausführung
seines Programms betraut und er rechtfertigte das in ihn gesetzte Vertrauen,
indem er im Kap. V den kulturellen Hintergrund der böhmischen Novellistik
in den 40er und 50er Jahren sehr scharfsinnig beschrieb. Noväk versieht auch
seine übrigen Abhandlungen mit kulturhistorischen Einleitungen und seine
Kollegen Kabelik und Vlcek beherzigten ebenfalls seine Worte. 2) Wenn wir
die Forderung Noväk's anerkennen und gegen die durch den 1 . Grund (kultur-
historische Einlagen) verursachte Breite nichts einzuwenden haben, so können
wir uns mit dem 2. Grunde der Breite, nämlich mit den häufigen überflüssi-
gen Wiederholungen, nicht einverstanden erklären. Sie treten in der Partie
über die böhmische Literatur in Mähren und in den Partien, die von zwei Ge-
lehrten behandelt wurden (wie z. B. das Kapitel über Palacky und EavHcek)
besonders kraß hervor. Da wäre es Sache der Redaktion gewesen, die Wie-
derholungen mit aller Energie hintanzuhalten.
Der Mangel an Symmetrie, der sich bereits in den ersten 2 Bänden gel-
tend machte, ist auch hier vorlianden. Diesem Übel ist eben schwer dort ab-
zuhelfen, wo so viele Mitarbeiter sind.
Das wären aber so ziemlich alle Mängel der Literatui-geschichte. Sie
verschwinden ganz, wenn wir uns auf der anderen Seite die enormen Vorzüge
vor Augen halten. Eine Masse von Material ist hier zusammengetragen und
bis ins kleinste Detail verarbeitet worden. E;^ wird nicht vorkommen, daß
wir irgend eine kulturelle oder literarische Erscheinung dieser Zoitperiode
Buchend, von der Literaturgosclüchte im Stiche gelassen werden. Die Kcdak-
tion wußte jeden Gelehrten auf den richtigen Ort zu stellen. Fast alle Mit-
1) Archiv für slav. Philologie XXVI. 4.54 f.
26*
404 Kritischer Anzeiger.
arbeiter haben über die von ihnen bearbeiteten Partien schon früher ein-
gehende Studien gemacht. Der Erfolg konnte unter solclien Umständen nicht
ausbleiben. Wie in den früheren Bänden so wird auch hier das Suchen durch
ein sehr fleißig angelegtes Kegister erleichtert. 44 Abbildungen bilden eine
schöne Zierde des Buches.
Im Kap. I schildert Kamper das traurige Leben Mächa's (4 — 19) i). Schon
in seiner frühesten Jugend wirkte auf ihn die düstere Umgebung des Wohn-
hauses, eine altertümliche Kirche, eine nahe Todtenkammer und finstere Lau-
ben (6). In seinen späteren Jahren war er Zeuge aller Hinrichtungen und
häufiger Gast des Kirchhofes (10). Er liebte unglücklich und gelangte zum
Ausspruche, er habe Ideale in Frauengestalt gesucht, habe aber Frauen in
idealen Gestalten gefunden (12). Unter ganz ungewöhnlichen Umständen
raffte den 26 jährigen Dichter der Tod hinweg (19). Die literarischen Einflüsse,
die auf Mächa wirkten, waren die deutschen Eitterromane, die romantische
Märchenwelt und Goethe (6—7). Sein nationales Bewußtsein wurde gestärkt
durch die Königinhofer Handschrift, durch die Dichtungen Kollär's, Celakov-
sky's, Hnevkovsky's und Kamaryt's (7 — 8). Am stärksten war der Einfluß
Byron's, den er aus den polnischen Romantikern kennen lernte (8—9). Kamper
hätte vielleicht die Einflüsse, die nebst Byron auf Mächa wirkten, etwas mehr
betonen sollen, wenigstens die böhmischen Dichter, von denen Kollär ganz
entschieden Mächa's kleinere Gedichte beeinflußte. Im 2. Teile des I.Kapitels
bespricht der Verfasser Mächa's »Mäj« (21 — 28), indem er sowohl auf die Vor-
züge (in der Komposition) als auch auf die Mängel (Armut in der Zahl des
Reimes, Unklarheit in den Situationen) hinweist (22, 24), ferner die kleinen
Gedichte Mächa's (28—30) und schließlich die Prosa (31—35).
Das nächste Kapitel »Jan Erazim Vocel jako bäsnik« some 7 Abschnitte
des III. Kapitels »Frant. Palacky v letech 1823 — 1848« stammt von dem geist-
reichen lind modernen Literarhistoriker Arne Noväk, der trotz seiner Jugend
ein vorzüglicher Kenner nicht nur der böhmischen, sondern auch der deut-
schen Literaturgeschichte ist. Die Qualität seiner Arbeiten hat unter der
immensen Produktivität, die er in letzter Zeit entfaltet, nicht zu leiden. Er
allein füllt ungefähr den vierten Teil des dritten Bandes der Literaturge-
schichte aus. Vocel's Biographie ist hier, abgesehen von der Biographie in
Riegers Lexikon, zum erstenmale abgefaßt. Über die Novellen, die Vocel in
deutscher Sprache verfaßte, und von denen die bedeutendsten »Der letzte
Orebit« und »Der Krystallograph« von ihm selbst ins Böhmische übersetzt
wurden, handelt Noväk auf Seite 41 — 43. Strenge geht der Verfasser zu Ge-
richt mit Vocels epischem Zyklus »Premyslovci« (44 — 50), »Meca kalich« (50 —
54) und »Labyrint slävy« (54 — 61).
Ein großes, in Monographien zerstreutes Material verarbeitete Noväk
mit Geschick in Kapitel III, wo er über Palacky's Aufenthalt in Prag und
seinen Verkehr in den vornehmsten Prager Kreisen (62 — 70), über seine ästhe-
tischen und philosophischen Studien (70 — 78) berichtet. Palacky's Name ist
1) Bedeutet die Seitenzahl.
A
Neueste Erschein, auf d. Gebiete d. böhm. Literaturgesch., ang.v. Donath. 405
mit der Geschichte der Gründung des Prager Museums enge verknüpft (83 —
S6;. Das Museum erfreute sich im Anfange keines besonderen Aufblühens.
Palacky wies bei einem Besuche im Hause Sternberg am 20. Dezember 1825
auf die Ursache der Stagnation hin ;86 und schlug zur Hebung des Museums
die Herausgabe von zwei Zeitschriften, einer böhmischen und einer deutschen,
vor (SS). Er selbst entwarf ein Programm der herauszugebenden Zeitschriften,
das bis heute erhalten ist. Durch dieses Progi-amm bewies Palacky, daß er
der fähigste Leiter der Zeitschriften wäre, und er wurde tatsächlich am 15./V.
1826 zum Redakteur beider Zeitschriften ernannt, welche Stellung er bis zum
Jahre 1838 bekleidete (90-9S).
Als Redakteur mußte Palacky häufig in die Sprachenfrage eingreifen
und wurde so auf das Gebiet der Sprachwissenschaft geführt (9S — 104i. Auch
seine kritischen Arbeiten (109 — 111) hängen mit der Redaktionsstellung zu-
sammen. Zu dem literarhistorischen Produkte »An- und Aussichten der böh-
mischen Literatur« (105 — 108) gab Kopitar den äußeren Anlaß. Daß Palacky
ein Meister in der literarhistorischen Monographie war, zeigte er in seiner
Studie "0 pranostikäch a kalendärich ceskych, zvläste v XVI stoleti« (108).
Mit der literarhistorischen Tätigkeit steht die herausgeberische im Zusammen-
hang (111 — 113). Sein organisatorisches Talent zeigte Palacky sowohl bei der
Gründung der »Matice ceskä« (114 — 1 18), als auch bei der Reorganisation der
«Ueenä spolecnost« und des Museums (118 — 121). Im letzten (achten) Ab-
schnitte des III. Kapitels (121 — 130) behandelt Pekar Palacky's historische
Vorbereitung und die Anfänge seiner historischen Tätigkeit.
Das IV. Kapitel "Rozvoj literatury ceske na Morave do roku 1848« ist
von dem vorzüglichen Kenner der böhmischen Literatur in Mähren, Jan Ka-
belik. Selbst ein Mährer, ging er mit Liebe und Hingebung an die Abfassung
dieses Kapitels, das eine eingefügte Monographie ist. Den Mangel eines lite-
rarischen Zentrums bezeichnet Kabelik als Hauptgrund, daß sich die Literatur
in Mähren nicht in dem Maße entwickelte wie in Böhmen (131 — 134). Sie reicht
aber sehr weit zurück, denn schon um die Mitte des X\TII. Jahrh. befindet
sich in Olmütz eine »societas incognitorum«, welche Auszüge aus gelehrten
Büchern der verschiedensten Gattungen herausgab (142). Noch in das XVin.
Jahrh. gehört die Tätigkeit des Historikers Magdoald Ziegelbauers (142) und
der Schriftsteller, welclie sich mit Vatcrlandskunde beschäftigten, wie Fry-
beck, Monse, Piter, Habrich, Schwoy, Pilar, Moravoc, Steinbach (142 — 146).
Sehr wohltuend wirkten auf dem Gebiete der Volkslekture Tomas Frycaj,
Hermann Agapit Galas und Jlatej Josef Sychra (147 — 154), ferner Alois Voj-
tech Scmbera (162—104) und Frant. Trnka (165). Letzterer nimmt nebst Vin-
cenc Zak Interesse für sich in Anspruch wegen seiner separatistischen Be-
strebungen (165—168). Wichtiger als die erwähnten Pcrsönliohkeiten ist
Frantisek Kläcel (168—179), ein Augustiner, der bereits im 27. Lebensjahre
Professor der Philosophie in Brunn war, wegen seiner freiheitlichen und
patriotischen Bestrebun,i;cn vom Katheder entfernt wurde (170). Sein an
Verlenindungen und Verfolgungen reiches Leben (171) beschloß er im J. 1882
in Amerika (172). Als Lyriker wandelt er in den Fußstapfen Klopstocks und
Kollars (172 — 174). Seine politischen und philosophischen Anschauungen cnt-
40 G Kritischer Anzeiger.
halten »Jahüdky ze slovanskych lesü« (175 — 176;, «Ferina Lissik« (170 — 177)
und »Biijky Bidpajovy« (177). Bedeutend ist Kläcel auch auf dem Gebiete
der Philosophie (1 TS— 179). Weit hinter Kläcel steht Vincenc Furch (18ü, und
der bekannte Sammler mährischer Volkslieder Frant. Susil (181 — 188).
Die beiden nächsten Kapitel, wieder von Arne Noväk, sind der böhmi-
schen Novellistik gewidmet. Das erste von ihnen: »Zivotni a kulturni pozadi
ceskc novellistiky let ctyricätych apadesätych (189 — 211 , das ich bereits ein-
mal erwähnte, bildet die Voraussetzung zu den Novellen von Rubes, Hajnis
und Fllipek (212 — 233), welche Männer gemeinsam den »Palecek« herausge-
geben haben (216 — 217).
Verhältnismäßig zu viel Raum wird von J. Hanus im VII. Kap. Jan Pra-
voslav Koubek und im VIII. Kap. Vaclav Bolemir Nebesky gewidmet. Über
beide hat Hanns bereits einmal gehandelt, und zwar über Koubek in der
»Ceskä Revue« 1904, über Nebesky in seinem Buche »Vaclav Bolemir Ne-
besky«, Prag 1896. Koubek (234—281) hat weder als Dichter noch als Gelehr-
ter Bedeutung. Sein Verdienst besteht 1) in der Förderung des cechischen
Polonophilentums, 2) in seiner Charakterfestigkeit, da er in der Zeit der ärgsten
Reaktion dem Patriotismus, der Freiheitsliebe und den fortschrittlichen Be-
strebungen treu blieb , 3) im Bahnbrechen der modernen, durch Mächa inspi-
rierten Poesie (234 — 236). Eine gewisse Ähnlichkeit mit Koubek hat Nebesky
(282 — 353). Er übertrifft ihn aber sowohl als Dichter wie auch als Gelehrter.
Als Dichter kommt er hauptsächlich in Betracht mit seinem lyrisch-epischen
Gedichte »Protichüdci«, wo er mit Mächa wetteifernd das Leben seiner eige-
nen Seele und ein Stück der Geschichte des menschlichen Geistes überhaupt
poetisch verkörpern will (301 — 305). Mit seinen literarhistorischen Arbeiten
aller Art (hauptsächlich aber Abhandlungen über altböhm. Texte) füllte er die
Hefte des Ö.C.M. (323—335, 342—346). Während seines Aufenthaltes in Wien
(310 — 322) schickte Nebesky zahlreiche Briefe für »Kvety« und »'Ceskä Vcela«,
die den ersten Versuch des böhmischen Feuilletons bilden (316). Aus seiner
Freundschaft mit Siegfried Kapper und David Kuh entwickelte sich die Be-
wegTing des Czechojudentums (319—322). Das Jahr 1848 riß ihn auf die
politische Laufbahn fort (335—337), aber nicht lange wandelte er auf ihr, denn
schon im Februar 1849 habilitierte er sich als Dozent für griechische Literatur
und Geschichte der böhmischen Poesie (338). Das größte Vertrauen wurde
Nebesky bekundet, als man ihn zum Redakteur der Musealzeitschrift, zum
Sekretär des Museums und der »Matice« sowie zum Kassier der Musealkassa
wählte (338). In die letzte Periode seines Lebens fällt die Übersetzungstätig-
keit aus dem Alt- und Neugriechischen, Spanischen und Finnischen (347 —
351). Sein Lebenswerk krönte er mit der » Geschichte des böhmischen Landes-
museums« (352).
Im Kapitel IX »Lyrika a didaktika v rukäch epigonü« begegnen wir
abermals Arne Noväk. Er hat sich hier der ebenso undankbaren als schwie-
rigen Aufgabe unterzogen, ganz vergessene Dichternamen an's Tageslicht
hervorzuziehen und sie in objektiver Weise zu beleuchten. Hierher gehören:
Jan Herzog, Jan Kociän, Vaclav Räb, Frant. Turinsky und Karel Symeon
Machäcek (357 — 363). Ferner handelt er über die Klostersentimentalität in
Neueste Erschein, auf cl. Gebiete d. böhm.Literaturgesch., ang. v. Donath. 407
der Poesie der Anna Pedälovä (364—366) und des Boleslav Jablonsky (366—
369). Die Bedeutung des letzteren liegt eigentlich in der philosophisch-didak-
tischen Gedichtsammlnng «Moudrost otcovskä« (369 — 374). Interessant ist
der Exkurs über> die böhmische Fabel zur Zeit der Wiedergeburt und ihre
Pflege durch Vincenc Zahradnik (374—378). Ganz offen zeigt uns Noväk, wie
sich später die Reaktionäre Vinaricky (378—388) und Stulc (388—390) der di-
daktischen Poesie zu Ausfällen gegen moderne, soziale, kulturelle und litera-
rische Bestrebungen bedienten.
Ein schönes Gesamtbild der slovakischen Literatur der 30er und 40er
.Jahre befindet sich im Kap. X von dem durch seine Monographie »Dejiny lite-
ratury slovenskej« wohl bekannten Jaroslav Vlcek. Der Verfasser bespricht
zuerst die literarischen Gesellschaften, aus denen die bedeutendsten Männer
der Slovakei hervorgingen (391 — 397); unter den Gesellschaften erfreuten sich
Ijesonderen Namens die Preßburger mit der Zeitschrift »Hronka« (397 — 403)
und die Leutschauer (Levoc) mit der »Jitrenka« (404—407). Der geistige
Führer der Preßburger Gesellschaft war Ludevit Stur (408 — 420) und nach
dessen im Jahre 1838 erfolgten Abreise aus Preßburg nach Halle ;432— 435)
BenjaminPravoslavCervenak ;421— 422; und Miloslav Hurban (422 — 432. Stiir
war als Mitglied der Preßburger Gesellschaft, die unter dem Einflüsse Kollär's
und Safai-ik's stand (397), anfangs gegen die Trennung der slovakischen
Sprache von der böhmischen. Als aber die Slovaken von der ungarischen
Regierung gemaßregelt wurden, verband er sich um die Wende des Jahres
1842/43 mit der Gegenpartei, deren Führer Bernolak war (4|0) und gab so die
Gemeinschaft mit Böhmen auf (439 — 4461. Wenn auch Stur unter seinen
Jüngern Anklang fand (442 — 444), so erweckte er doch bedeutenden Wider-
spruch bei KoUär (446—448), Safarik (448—451), Palkovic, Lanstjäk und
Launer (451—452). Gegen ihre Ausfälle wurde Stiir verteidigt von Hurbau
( 152—453) und Hodza (453—454). Die Leidenschaft des Kampfes beider Par-
teien legte sich, sobald es galt, gemeinsame slavische Interessen gegenüber
den Magyaren zu vertreten. Ein Überbleibsel dieses Streites war die Ver-
söhnung der protestantischen Slovaken mit den katholischen (455 — 456).
Wichtig für das geistige Leben in der Slovakei sind die publizistischen
Schöpfungen von Sti'ir (457 — 460) und Hurban 460—464). Dort konzentrierte
sich die Tätigkeit der slovakischen Dichter: Ondrej Slädkovic (464 — 476), Samo
C'halupka (477—481), Janko Kräl (481— 4S4), Jan Botto (484—489) und der
Novellisten, deren Hauptvertreter Jan Kalincäk ist (489 — 496).
Schwere Zeiten kamen über das Land Böhmen in den Jahren 1 *^4S und
1849. Die Revolution brachte wohl einen Schimmer von Freiheit mit sich.
IJmsomehr empfand man aber die Reaktion, die noch im J. 184S einsetzte.
Diese Zeitperiode und ihren Einfluß auf die böhmische Literatur behandelt
Tobolka in Kap. XI (502—537). Damals spielte nebst Palacky und Rieger
Karel Havlicek eine hervorragende Rolle. Seine Biographie und politische
Tätigkeit behandelt ebenfalls Tobolka in Kap. XII (539 — 670\ seine dichte-
rische Tätigkeit Jan Jakuljoc in Kap. XIII (670—720). Havlicek's Leben war
nicht eintönig. Den ersten Seoleukoullikt hatte er im Prager Alumnat zu be-
^<tehen. Durch die Lektüre Lamennais machten sich bei ihm antihierarchischo
408 KJitischer Anzeiger.
Ansichten geltend (549), was die Ausschließung aus dem Seminar zur Folge
hatte (550). Als er sich vergebens um eine Professur an einer Mittelschule
umgesehen hatte, bereitete er sich zur Schriftstellerei vor (550 — 552). Damals
wandte eich zufällig der Moskauer Professor Pogodin an Safarik wegen eines
ccchischen Erziehers und Safarik empfahl den jungen Havllcek (553). Sehr
ausführlich beschreibt nun Tobolka Havlicek's Reise nach Rußland, seinen
dortigen Aufenthalt und seine dortige Tätigkeit ;553— 577). Nach seiner Rück-
kehr aus Rußland war Havllcek Mitarbeiter der »Ceskä Vcela". Dort ver-
öffentlichte er die Kritik von Tyl's »Posledni Cech«, die ihn mit einem Schlage
berülimt machte (579—582). Sie war es, die ihm die Bahn zur Redaktion der
»Öeskä Vcela« und der »Prazske Noviny« ebnete (583 — 595). Als Politiker war
er sowohl praktisch (590—598) als auch publizistisch tätig. Er ist der Begrün-
der der ersten böhmischen unabhängigen Tageszeitung, der »Närodni No-
viny« (598 — 610). Als die «Närodni Noviny« im Jänner 1850 von der reaktio-
nären Regierung eingestellt wurden, gab er vom 8. Mai 1850 — 14. September
1851 in Kuttenberg zweimal wöchentlich seinen »Slovan« heraus, der in der
Zeit der drückendsten Verhältnisse als einziges Organ offen und energisch
seine Stimme gegen die Reaktion erhob (613 — 619). Natürlich konnte diese
Zeitung auch keinen langen Bestand haben. Das wußte Havlicek recht wohl.
Um für den Fall der Einstellung das Volk nicht ohne Lektüre zu lassen, faßte
er einzelne früher erschienene Kapitel aus den »Närodni Noviny« und dem
«Slovan« in Broschüren zusammen, die dann unter dem Titel »Duch Närodnich
Novin« und »Epistoly Kutnohorske« erschienen (620 — 624).
Die politischen Grundsätze (624 — 649) brachten Havlicek in Konflikt mit
der Regierung (649 — 652). Er wurde fortwährend zu Gericht zitiert ; trotzdem
er immer freigesprochen werden mußte und trotzdem sich die öffentliche Mei-
nung für ihn aussprach, wurde er doch am 16. Dezember 1851 nach Brixen
deportiert (656). Seine literarische Tätigkeit in Brixen bedeutet nicht viel,
denn er konnte sich zu keinem größeren Werke entschließen. Seinem Leiden
in Brixen (664 — 668) wurde erst ein Ende bereitet, als man ihm im J. 1855 die
Erlaubnis erteilte, in seine Heimat zurückzukehren. Nicht lange war es ihm
vergönnt, sich des Lebens in der Heimat zu erfreuen, denn schon im J. 1856
erlag er einer Lungentuberkulose (668).
Was Havlicek's dichterische Tätigkeit betrifft, so liegt seine Bedeutung
hauptsächich auf dem Gebiete des Epigramms (677 — 685). Der Verfasser
dieses Schlußkapitels, Jan Jakubec, nennt ihn ebenso den Typus des böhmi-
schen Witzes, wie Voltaire des französischen und Heine des jüdisch-deutschen
Witzes (678). Seine politischen Parodien wurden deshalb populär, weil er sie
den Volksliedermelodien anpaßte (698 — 699). Havlicek's größtes poetisches
Werk ist das rationalistisch-philosophische Gedicht »Krest sv. Vladimira«
(700—704). Die Geschichte seiner Deportation nach Brixen mit satirischen
Ausfällen auf die Politik Bach's enthalten die »^Tyrolske Elegie« ("06 — 709).
Zu erwähnen wären noch die Gedichte »Kräl Lavra« (709 — 711), »Zivot vecny«
und »Hrob« (711). Mit einer allgemeinen Charakteristik von Havlicek's Poesie
(712 — 720) findet dieser Teil der Literaturgeschichte seinen Abschluß.
Osliar Donath.
Zamotin, Romantik in der russ. Literatur, angez. von Prohaska. 409
H. II. BaMOTnil-B: 1) P0MaHTH3MX ÄBaÄD;aTtIX'B TO^OB'h XIX CTQjli-
TiH Bt pyccKoii jiHTepaTypi. Bapinasa 1903. 8*^. VIII, 377; XXVI. —
2) ÜHTepaTypuBifl 9noxH XlX-ro cxojiiTi;!. OiepKii no ncxopin pyccKOH
.iHTepaxypLi I— VI. BapmaBa 1906. 8». II, 123.
Diese beiden Schriften Zamotins bilden ein zusammenhängendes Ganze.
Die letztere führt das Thema »Die Eomantik der 20er Jahre des XIX. Jhs. in
der russischen Literatur« bis in seine weitesten Folgerungen fort und wieder-
holt für ein breiteres Publikum das bereits in der ersteren Dargelegte. Daher
dürfte es an diesem Orte nicht überflüssig erscheinen, das Versäumte nach-
zuholen und auch über das schon vor drei Jahren erschienene erste Werk des
Verfassers kurz zu berichten.
I.
Unter Romantik versteht der Verf. erstens jene literarische und soziale
Entwicklung Europas, die um die Wende des XVIIL und XIX. Jhs. vor sich
ging. Eine andere Bedeutung habe diese Bezeichnung nach Bjelinski, wenn
man sie im Allgemeinen auf alle Zeiten anwendet und darunter ein bestimmtes
Innenleben der Seele und des Herzens, gewisse idealistische Motive der Form
versteht. Zamotins Auffassung deckt sich also durchaus nicht mit der deutschen
Bezeichnung Romantische Schule, denn in den Rahmen der russischen Ro-
mantik fällt die ganze deutsche Literatur, die nach Gottsched mit dem Pseudo-
klassizismus, der dank dem französischen Einfluß auch in Rußland herrschte,
zerfiel und ihre eigenen Wege ging, also die ganze Epoche von Klopstock und
Lessing bis Goethe und Schiller. Es wäre nicht überflüssig gewesen, wenn dies
der Verf. der Klarheit wegen konstatiert hätte, da man im Westen mit der Ro-
mantik speziell andere Vorstellungen verknüpft. Und aus der Geschichte der
russ. Romantik sieht man auch, daß der Begriff durchaus schwankend war. Die
Gegner derselben beschrieben sie im Sinne Heines oder legten den Finger auf
das Verworrene, Verzerrte, Sturmunddrangartige an ihr. Erst nach vielen
Kämpfen und Mißverständnissen gelangt Nadezdin zu einer Erkenntnis von
einer neuen Poesie, die er durchaus nicht romantisch nennen will, die aber
von der berühmten Schlegelschen Definition der Romantik nicht wesentlich
abweicht.
Zamotins Verdienst besteht hauptsächlich darin, daß er die russischen
Journale der 2Uer Jahre heranzog und so eine eingehende Geschichte der
Aufnahme fremder, meist deutscher romantischer Einflüsse geben konnte. Es
handelt sich in seiner umfangreichen Studie um die Erschöpfung dieser Quellen
und daher ist hier mehr von der romantischen Theorie als der Dichtung jener Zeit
die Rede. Zufällig beschäftigte sich gleichzeitig mit demselben Material auch
N. Kozmin im >Kypir. mihi. iiap. npocn. l!)i>.{ Januar-März-ITeft, aber dieser gibt
bloß Auszüge, olme jode Gliedonmg nacli inneren Momenten, ohne jeden Ver-
such, eine Entwicklung im ganzen aufzuweisen. Eines scheint mir aber auch
Zamotin außer acht gelassen zu haben, er beschäftigt sich nicht genug mit der
Geschichte der Formen, der Metrik und des Stils, ein Kaintel, das in der
Romantik eine wichtige Rolle spielt. Die Bemerkungen hierüber unterlaufen
410 Kritischer Anzeiger.
nur episodenhaft, besonders hätte im Anschluß an die Schlegelsche Theorie
nach Goethes Wilhelm Meister, von dem gelegentlich gesprochen wird, die
Form des russisclien Romans, der zu dieser Zeit entstand, erörtert werden
können. Vielleicht widersprach einer solchen Beschäftigung die stramm ge-
gliederte Komposition des ganzen Werkes, das in geradezu dramatischer Ge-
schlossenheit die Schicksale der russischen Romantik vorführen will. Dem-
nach behandelt Kap. I die Vorboten der Romantik im XVIII. Jh. zur Zeit
Katharina II. — Kap. II. Deutsche romantische Einflüsse. — Kap. III. Fran-
zösische Einflüsse. — Kap. IV. Zwiespalt zwischen Romantikern und Klaesi-
zisten. Kap. V. Krisis und Ausweg. — Nicht so lebhaft ist der Stil des Verf.,
er spricht breit und behaglich, wiederholt und punktiert gerne.
Uns interessieren die deutschen Einflüsse. Sie sind zwar bereits bisher
oft von Zamotins Vorgängern berührt worden, sehr viel hat diesbezüglich
Pypin geleistet, aber mit dieser Gründlichkeit wie Zamotin ging noch niemand
zu Werke.
Zunächst sind es Ossian und Shakespeare, die den Weg über Deutschland
nach Rußland nahmen. Die Poesie Batjnskovs und Derzavins ist getränkt
mit ossianischen Stimmungen. Karamzin schreibt über Shakespeare nach
Lessing. In der Zeitschrift Korifej (1802 — 1807) wird der Name Goethes und
Schillers noch unsicher herangezogen.
Wichtiger war für den Anfang die Theorie Herders. Nach ihm spricht
Derzavin von einer Poesie aller Völker und nicht nur von jener der Griechen
und Römer (S. 65). In der Zs. Lyzeum (J. 1806; wird ein Bruchstück aus Les-
sings Laokoon mitgeteilt. Und im Jahre 1S09 erschien von Zukovskij eine
Abhandlung über den moralischen Gewinn von der Poesie nach Schillers
ästhetischen Briefen. Ferner bedient man sich der Vorschule Jean Pauls und
des Werkes der Frau v. Stael.
Mit der eigentlichen romantischen Doktrine wird das russische Publikum
erst durch die Zs. der 20er Jahre bekannt gemacht. Mnemosyne (1824 — 1825)
popularisiert die Philosophie Schellings und Okens, liefert Aufsätze über die
Naturphilosophie, über Kant, bringt Aphorismen. Im Jahre 1825 erscheint
von J. Galic ein Grundriß der schönen Wissenschaften, worin die deutsche
Romantik in kurzer Fassung zum Worte gelangt. Der Verf. hörte nämlich im
Ausland Schelling, Schlegel und kennt die Handbücher von Bouterwek, Ast und
Bachmann. Poetische Universalität und universeller Eklektizismus, die nach
Sevyrevs Meinung die Grundzüge deutschen Wesens sind, spielen hier als
Schlagworte eine Rolle gegenüber dem regelmäßigen, engherzigen Pseudoklas-
sizismus. In einem anderen Werke: »Geschichte der philosophischen Systeme«
legt Galic Schellings System des transzendentalen Idealismus aus, was jetzt
nach 25 Jahren in Rußland noch immer von starker Wirkung ist. Besonders
fruchtbar erwies sich 1. der Gedanke von der Freiheit des künstlerischen
Schaffens, als Ausdruck der höchsten moralischen Kraft und 2. der Gedanke
von dem göttlichen Wesen dieses Schaffens. In dieser Idee fand Puskins
reine Kunst ihre philosophische Begründung.
Das Zentralorgan der deutschen Romantik in Rußland war die Zs. Mos-
kovskij Vestnik (1827—1830). Dem Herausgeber P. Pogodin imponierte die
Zamotin, Eomantik in der russ. Literatur, angez. von Prohaska. 411
deutsche Allseitigkeit sehr. In seinem Journal wird viel Goethe übersetzt
(Aus Faust, Wilhelm Meister, Goetz vonBerlichingen'. Aus ihm lernt Pogodin
den richtigen Klassizismus vom Pseudoklassizismus unterscheiden. Auch
aus Schiller (Wallenstein; Maria Stuart , Tieck und Hofmann, und den theore-
tischen Schriften Schlegels wird hier übersetzt. Besprochen werden Herders
Ideen und die Werke Goethes. Sevyrjevs Erklärung der Helena in Faust hat
Goethes Beifall gefunden. 'Abgedr. hier aus Mosk. Vestnik 1S2'^. IX., S. 132'.
Interessant ist die Stellungnahme der russischen Kritik gegenüber der
Eomantik. N. Nadezdiu will sie nur für das Mittelalter gelten lassen, und
eine Wiederbelebung der mittelalterlichen Poesie sei ebenso Pseudoromantik,
wie die Nachahmung der antiken Welt Pseudoklassizismus ist. Sein Gegner
im Mosk. Vestn. glaubt hingegen, daß auch die neuere Poesie Byrons und
Goethes eine romantische genannt werden könne, sie sei weder Pseudoroman-
tik noch Blüte der Romantik, sondern eher ihr Abschluß (!). Gegensätze bilden
überhaupt nicht mehr klassisch und romantisch, sondern innerhalb der
neuen Dichtung idealistisch und realistisch. (Nach A. W. Schlegels
Berliner Vorlesungen). Klassizismus und Romantik seien keine begrifflichen,
sondern historische Gegensätze ; woraus ein wichtiger Schluß für die praktische
Anwendung derselben folgte: man studiere daher die klassische Literatur
unmittelbar und nicht durch die Brillen der Pseudoklassiker. — Mit der ro-
mantischen Poetik faßt auch die Form des Romans festen Boden.
Die konservativen Elemente versammelte um sich der Vestnik Evropy, ein
Journal von größter kultureller Bedeutung für Rußland, das heute liberale
Tendenzen vertritt. Man nahm hier die solide klassische Bildung gegen die
grüne Freiheit der Romantiker in Schutz und verwies mit Vorliebe auf die
klassische Literatur Frankreichs; man sah gerne in den Theorien der Ro-
mantiker das Dunkle, Ungereimte und erlaubte sich Ausfälle auf die abstrakte,
verschrobene deutsche Philosophie.
Charakteristisch ist der versöhnliche Ausgang des ganzen Streites. Der
j\Iann der Situation war der erwähnte junge Kritiker, der zu beiden Lagern
Beziehungen hatte und dessen Bildung ebenso klassisch als seine Gesinnung
romantisch war — gemeint ist N.Nadez diu. In seiner Dissertation De origine,
natura et fatis poeseos, quae Romantica audit M. lS3ü rechnet er mit beiden
Scliulen ab und öffnet den Ausblick auf eine neue Poesie. Nach einer ge-
schichtliclien Einleitung sucht er die Romantiker aus ihren Grundsätzen selbst
zu widerlegen. Natürlich greift er da die Auswüchse und Extremitäten der
Schule an und hält ihnen die reine romantische Doktrine vor. Er billigt die
freie Phantasie, die Begeisterung, die Natürlichkeit, erklärt eich ebenfalls für
das Prinzip Kunst für Kunst und die Anerkennung der gesetzgebenden Genia-
lität, da diese mit den ewigen Gesetzen der Natur immer übereinstimme. Daß
man gegen diese Grundsätze gesündigt habe, daran seien oft große auswärtige
Vorbilder schuld, besonders Byrons Naturalismus habe viele zur l'bertroibung
verleitet. Byron habe aus der lächelnden Cliaritiu der Poesie eine starre
Meduse gemacht, doch sei er aus seinem Milieu verständlich — was alter ent-
schuldige seine Nachahmer? Und schließlich kommt N. zum Begriff der neuen
Poesie: »Es scheint, daß uns (Russen) die Natur selbst zur Lösung der großen
412 Kritischer Anzeiger.
Aufgabe bestimmt hat — den polaren Gegensatz, der durch jene 'Richtungen,
Klassizismus und Romantik) entstand, in einer mittleren Vereinigung aufzu-
lösen, und zwar nicht durch mechanisches Zusammenschließen, sondern durch
eine innere dynamische Angliederung, durch ein Verwachsen, so daß alle
dunklen Widersprüche, aus denen schwere Verirrungen droliten, aufgehoben
würden, und der helle Tag des Friedens, der Ruhe und der Harmonie trium-
phire.« Das habe auch schon der große Genius Schillers vorausgeahnt, seine
Braut von Messina sei ein Präludium dieser Vereinigung. Auch Goethe möge
den Russen als aneiferndes Vorbild dienen, denn seine Iphigenie sei ein leben-
diges Beispiel, wie voll des antiken Geistes er war und wie meisterhaft
wieder er durch ihn seine Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen wußte. —
Und nun verlangt Nadezdin, daß sich die neue Poesie im russischen Geiste
vollziehen möge.
Bescheidener schrieb Rotcev in der klassizistischen Zs. Athenaeum. Er
beschäftigte sich mit dem gegenseitigen Verhältnis von klassisch und roman-
tisch und macht über Schillers Tragödien vortreif liehe Bemerkungen. Die Braut
von Messina sei eine gezwungene Vereinigung klassischer und romantischer
Formen, während Wilhelm Teil auch den Geist dieser Vereinigung repräsen-
tiere. Das Kolorit, das Plastische, der Stil, die Komposition sei hier klassisch,
die Freiheitsidee, der Idealismus romantisch. — Zamotin konstatiert angesichts
solcher Bestimmungen ein Schwanken der Zs. zwischen beiden Strömungen,
was ich nicht einsehe, da man die Ausführungen Rotcevs auch heute gelten
lassen kann. —
Nach dem Jahre 1830 tritt plötzlich ein Stillstand ein, die meisten Zeit-
schriften gehen ein. Nadezdin gründet eine eigene, den Teleskop, und behan-
delt die Romantik als einen überwundenen Standpunkt. Er entwirft allmählich
sein Programm der neuen Poesie. Sein oberster Grundsatz ist nun die Wahrheit,
und Gegenstand der Poesie ist das ganze grenzenlose Leben. Er verlangt die Ver-
einigung der Künste mit der Poesie, wie das bereits die deutsche Romantik tat.
Die gegenwärtige Poesie müsse aber besonders eine künstlerische Ver-
wirklichung des nationalen Lebens und Geistes sein. Jetzt spricht
bereits Hegels Philosophie mit und auch die nationale Bewegung vom Jahre
1812 her wird mit Verständnis gewürdigt. Die gewünschte Poesie des »natio-
nalen Lebens« ist inzwischen bereits entstanden. Bjelinski bespricht im
Teleskop — die Erzählungen Gogols. Er übernimmt hier die Idee seines
großen Lehrers und entdeckt die neue Poesie in concreto.
Von da an ist die deutsche Poesie abgetan, man vergißt sie und wagt es,
selbst Goethe in Heines Weise zu bemängeln. Man ironisiert die engroman-
tischen Manieren Hoffmanns. Nur vor der deutschen Universalität hat man
noch Respekt. Auch V. Hugo wird hierin bewundert. Unter Hegels Einfluß
gewinnt Bjelinski die oben erwähnte Definition der Romantik «als einer inneren
Welt der menschlichen Seele, als ein geheimnisvolles Leben des Herzens«,
einer Poesie, die überall und zu allen Zeiten möglich ist, wenn, nach Hegel,
die Idee über den Stoif Oberhand gewinnt. So schließt, wie Zamotin bemerkt,
die russische Romantik unter demselben Einflüsse, unter welchem sie entstan-
den ist — unter dem deutschen.
Zamotin, Romantik in der russ. Literatur, angez. von Prohaska. 413
Vergleicht man die russische Romantik mit der deutschen bezüglich ihres
Verlaufes, so ergibt sich ein Unterschied. Das, was in Deutschland allmählich
und stufenweise — Sturm und Drang, Klassizismus, RomantUc — hervor-
gebracht wurde, dringt in Rußland auf einmal ein. Daher ist die Geschichte
der Romantik hier komplizierter und verworrener. Ihre Entwicklung nimmt
hier einen entgegengesetzten Gang gegenüber der deutschen, was in der Natur
jeder Nachahmung liegt ; wie bei einer Kunstblume entsteht da erst der bunte
Kelch, aus den mannigfaltigsten und exotischesten Farben der Originale zu-
sammengesetzt, die Manierirtheit herrscht in der Form wie in der Theorie.
Allmählich bekommt diese Blume eine natürliche Form, sie setzt Blätter und
Wurzel an, es folgen Erörterungen über die wesentlichen Bestandteile der roman-
tischen Doktrine. Dann verwirft man sie, denn man gewann durch Studium
und Kämpfe die Einsicht, daß für die gewünschte Pflanze der Samen auf eige-
nem Boden gesät werden muß. Der Prozeß ist also ein \imgekehrter, allmählich
dringt man von oben in den Kern der Sache ein; die russische romantische
Doktrine verläuft in einer Analyse eines gegebenen Phänomens, die deutsche
ist die Synthese desselben gewesen. Und so gleicht wirklich diese Periode
einem krausköpfigen, ungestümen Jungen, wie sie Bjelinski nennt; wir sehen
nun aus Zamotins Darstellung, daß diesem Jungen die phantastische Fabel,
welche er aufgenommen, allmählich klar wird, er versteht ihren Sinn und ge-
wahrt plötzlich sein großes und weites Ziel. Nadezdins neue Poesie ist dieses
Ziel, seine Theorie das Fluidum, zu welchem man durch Analyse gelangte.
Dieser retrospektive Charakter des Gegenstandes kommt bei Zamotin nicht
recht zum Ausdruck, wie wir gesehen, baut er seine Darstellung ganz synthe-
tisch auf; um ungestört zum Ziele zu kommen, muß er daher hie und da Ver-
schiebungen und gezwungene Erklärungen machen, die bei einem näheren
Eingehen auf das Detail seines Werkes erst hervortreten würden.
Noch ein Zug ist für die russische Romantik der 20er Jahre charakte-
ristisch. Sie ist mehr negativer Art als die deutsche, der Kampf gegen das
Alte ist heftiger als die Arbeit für das Neue. Diese beginnt erst mit Bjelinski,
mit dem die Romantik schon überwunden ist. Auffallend und aus dem Ganzen
recht verständlich ist auch der Umstand, daß die Dichter dieser Zeit, besonders
aber Puskin sich wenig mit der Theorie abgeben. Für sie lag das Romantische
sozusagen in der Luft, sie gaben es fast unbewußt wieder.
II.
In seiner zweiten Schrift zieht der Verf. die Konsequenzen der Romantik
für die russische Literatur. Er will ihre Grundzüge im XIX. Jh. auf ursprüng-
lich romantische Embryen zurückfUliren. Seine Studie ist also eine skizzen-
hafte Biologie der romantischen Ideen im XIX. Jh. Man könnte seine Aus-
führungen durch Einwürfe anderer Art ebensosehr unterstützen als entkräften,
besonders wenn man seinen Ideen soziale und persönliche Motive au die Seite
stellen würde.
Der Verf. unterscheidet drei Hauptmomente in der Geschichte der neuen
russischen Literatur: die Romantik — den Realismus — den Natura-
lismus und schließlich die heutige Reaktion gegen letzteren. Und alle diese
414 Kritischer Anzeiger.
Strömungen sind latent in der Romantik enthalten, sie ist ihm ein Knäuel von
Fäden, die sich im XIX. Jh. abwickeln und ganze Richtungen abgeben 'S. 4 .
Besonders heute sei es notwendig, das Gedächtnis der Romantik neuzubeleben,
weil ihr Idealismus der heutigen Literatur nur frommen könne.
Der Realismus entwickele sich aus der Romantik, weil in deren Individua-
lismus seine Wurzel liegt: die Anerkennung des eigenen Ichs bringt auch die
Würdigung alles dessen mit sich, was den Menschen berührt, und die roman-
tische Poetik erlaubt wieder die größte Freilieit im künstlerischen Schaffen,
somit auch die Beschreibung des alltäglichen Lebens — den Realismus. Fr
bildet sich erst in Frankreich aus (Balsac, George Sand) , gelangt über Deutsch-
land — Jungdeutschland — in den 40 Jahren nach Rußland. Die Utilitarität
löst hier die deutsche metaphysische Philosophie ab. Ein weiterer Faktor des
Realismus ist der romantische Nationalismus. Die typ. Vertreter sind: Tur-
genjev, Goncarov, Ostrovskij, Dostojevskij und Tolstoj. Merkwürdig, daß
Gogol fehlt, denn gerade seine Dorfgeschichten — wie die Auerbachs in
Deutschland — übten großen Einfluß auf die Zeitgenossen, ja sie sind es
gerade, die den realistischen Sinn, die scharfe Beobachtung für das kleinliche
Alltägliche weckten.
Den Naturalismus faßt Zamotin als eine weitere Entwickelnngsstufe des
Realismus auf Er nimmt seinen Ausgangspunkt in Frankreich mit Zola und
Maupassant, dringt nach Deutschland und schafft allmählich eine pessimistische
allgemein europäische Stimmung. In Rußland findet er fruchtbaren Boden in
den eigentümlichen Verhältnissen einer deprimierten Gesellschaft, eines ge-
knechteten Volkes. Cechov und Boborykin sind die typischen Vertreter, der
eine zeichnete Gestalten von hamletischen, neurasthenischen Anlagen, der
andere Hochstapler, Aventuristen, Lebemänner. Diese Literatur entsteht in
den Jahren 70 — 90.
Interessant ist das Resümee des Verfassers. Diese drei Phasen der russ.
Literatur bezeichnet er durch drei homogene Schlagworte : die Romantik nennt
er Selbsterhebung, den Realismus Selbstanalyse, den Naturalismus
Selbsterniedrigung. Alle diese Momente seien Erscheinungsfolgen des
romantischen Idealismus einerseits und des Realismus andererseits. In der
Synthese dieser beiden Pole unserer seelischen Magnetlinie sieht
der Verf das Ideal der zukünftigen Kunst. Er fühlt bereits, wie in
Europa und Rußland immer stärker der Puls des Lebens schlage, wie überall
der Sinn zur Wahrung der realen und idealen Weltanschauung zunehme, man
beschäftige sich bereits intensiver mit den Problemen des Idealismus.
Die übrigen Kapitel bauen diesen skizzenhaften Grundriß aus ; der Verf.
beschäftigt sich eingehend mit der Entwicklung der Romantik. Das zweite
Kapitel weist jene Elemente auf, die zur Zeit Katharina IL aufkeimten und die
Romantik vorahnen lassen. Natürlich geschieht in dem Nachspüren des Verf.
nach den ersten Ansätzen neuer romantischer Tendenzen zur Zeit der Auf-
klärung mancher Mißgriflf. Es ist ja richtig z. B., daß Katarina IL bereits
Völkslieder in ihre Operetten aufnahm, daß sie historische Schauspiele
nach Shakespeare verfertigte, aber ihr eigenes Verhältnis zu diesen Neuerungen
kann durchaus nicht im Sinne der späteren Romantik gedeutet werden. Sie
Zamotin, Romantik in der russ. Literatur, angez. von Prohaska. 415
sab im Volksliede nicht das poetische, natürlichschöne, sondern das komische,
drollige Element — sie war auch hier Aufklärerin. In den historischen Dramen,
in denen vom historischen Milieu keine Spur zu finden ist, philosophieren die
altrussischen Fürsten über Volksbeglückung u. dgl. ; und die Technik Shake-
speares wurde nur darum angewendet, weil dies Ausstattungsstücke waren,
in denen der Szenenwechsel an und für sich notwendig erscheint. Außer dem
Szenenwechsel ist hier eben nichts nach Shakespeare. Diesen unromantischen
Charakter Katarinas hat der Verf. nicht gefühlt.
Im III. Kapitel beschäftigt sich der Verf. mit dem Vordringen des Indi-
vidualismus und Idealismus in Europa. Die Ausführungen schließen hier an
Brandes Hauptströmuugen an. In seinem Sinne wird » Werther «, »DieEäuber«,
Chateaubriands »Rene.< und die englische Eomantik herangezogen. Charak-
teristisch für diese Bewegung sei 1. die Persönlichkeit, 2. der Idealismus,
3. die Sehnsucht nach der ursprünglichen Natur.
Diese Strömung dringt nach Rußland unter Kaiser Alexander I. (Kap.IV.)
Eine Skizze der russischen Gesellschaft ist hier nach Pypins Monographie ent-
worfen. Die russische Poesie erobert jetzt neue Gebiete: den Orient, das Alter-
tum, die Volkspoesie, die Religion, die Wissenschaft und Psychologie.
Hübsch und selbständig ausgearbeitet ist das Kapitel über die roman-
tischen Elemente in der Poesie Zukovskijs, Puskins und Gogols Kap. V).
Zamotin las mit wahrem Verständnis ihre Werke und zeigt ihre romantische
Weltanschauung, ihr romantisches Verliältnis zu Kunst und Religion, ihre
Ansicliten über persönliche und soziale Glückseligkeit. Besonders gut fühlt
man Vorstudien des Verf. zu diesem Kapitel heraus, wo er über die »blaue
Blume « in Zukovskijs Poesie und Leben spricht, wo er den Idealismus an
Puskins Tatjana aufweist.
Das letzte Kapitel bringt in gedrängter Form die Ergebnisse des obigen
ausführlichen Werkes über die Romantik der zwanziger Jahre. Zum Schlüsse
dieses Kapitels gibt der Verf. in seiner soliden Weise noch einmal eine syste-
matische Übersicht der Hauptmomente der romantischen Theorie. Er macht
besonders auf die Punkte Eigentümlichkeit und Nationalität aufmerk-
sam, denn beide seien für die modenie Poesie von grundlegender Bedeutung.
Zu diesen Prinzipien werde die russische Literatm- immer und immer zurück-
kehren müssen, im reichen Schatze der Volkspoesie werde sie immer neue An-
regungen und Motive finden (S. Ou).
Auf diese Weise wiederholt eigentlicli Zamotin das Programm Xadozdins,
der ebenfalls einen mittleren Weg — wie hier der Verf. zwischen Idealismas
und Realismus — einschlug, um zur nationalen Kunst als dem liöchsten Ideal
zu gelangen.
Doch diesmal bedarf dasselbe Programm doch einer näheren Aus-
fühning, denn wir sehen, daß trotz dem nationalen Postulat Zamotins gerade
jene russischen Sciuiftstellcr zu Hause wie in der ganzen Welt den größton
Wert haben, die am wenigsten national und am meisten rein menschlich
fühlen und schreiben, die zu den "DiMikmiilcni der Volkspoesie ^< (S. I5:r in gar
keiner Tradition stehen (Gorkij und Tolstoj . Und so fasse ich die Denkweise
Zamotins als eine symptomatische Erscheinung auf. Es ist hier wieder der
416 Kritischer Anzeiger.
Ruf nach nrsprilnglicher Schlichtheit, nach der Volkspoesie laut geworden,
der jener romantischen Sehnsucht nach der Natur gleicht, und der ebenso wie
jene nach einer hochentwickelten literarischen Epoche kam, nach gi-oßer An-
spannung der geistigen Kräfte eintritt. Die Romantiker sj)rachen aber dabei
zugleich von einer Poesie in zweiter Potenz, sie wollten die traditionellen
Elemente im Sinne des zeitgemiißen Geschmackes ästhetisch gehoben und
neubelebt wissen. Vielleicht denkt auch Zamotin ähnlich? —
Seine Arbeit verdient seitens der ausländischen Literatur das grüßte In-
teresse, denn sie unternahm es, jenen allgemeinen Kreislauf von Ideen aufzu-
decken, der zwischen Europa und Rußland besteht und dem eine so seltsame,
originelle und große Literatur entsprungen ist, daß der Uneingeweihte ohne
solche historischen Nachweise kaum ihren genetischen Zusammenhang mit
den westeuropäischen Literaturen ahnt.
Zagreb. Dr. I). Prohaska.
Bartolomeo Mitrovic, Studi sulla letteratura serbo-croata. Firenze.
Bernardo Seeber libraio-editore. 1903. 8°. S. 118.
Obwohl die Italiener sehr oft an den Beispielen der Franzosen und
Deutschen Anlaß fanden, ihre Augen den reichen Produkten der neueren
russischen und polnischen Literatur zuzuwenden, gebührt doch der Verdienst,
beim lesenden Publikum das Interesse für diese zwei slavische Literaturen er-
weckt zu haben, in erster Linie ihnen selbst. Mit der serbokroatischen Lite-
ratur dagegen steht die Sache ganz anders. Soll diese über die Grenze des
eigenen Bodens heraustreten, so finden sich gleich bei den Kroaten und Serben
Männer, die bereit sind, den Italienern vor allen, im Kleide ihrer Sprache die
Früchte der eigenen Literatur zugänglich zu machen. So stand die Sache vor
Dezennien, so steht sie auch heutzutage und dementsprechend steht die Er-
scheinung eines Giovanni de Rubertis, der manche Gedichte des Medo Pucic
ins Italienische übersetzte, vereinzelt da.
Vielleicht mehr als das Interesse der Italiener für die serbokroatische
Literatur gab der Zustand am italienischen Hofe den Kroaten und Serben An-
laß, in den letzten Jahren an eine intensivere Verbreitung der Kenntnisse ihrer
Literatur in Italien zu denken. Tatsächlich kann man sich überzeugen, daß
die Arbeit nicht ohne Erfolg blieb. Die seit dem Jahre 1903 in Florenz er-
scheinende belletristische Zeitschrift »Nuova rassegna« schöpft das Material
für die Abteilung »Letterature straniere« zumeist aus unserer Literatm*: das
Verdienst dafür gebührt zuerst dem Autor der hier zui* Sprache kommenden
Schrift, nämlich dem Spalatiner Prof Bartolomeo Mitrovic.
Das Buch Mitrovic's ist bekanntlich nicht die erste italienisch geschriebene
Geschichte der serbokroatischen Literatur, aber bezüglich der Tendenz ist es
wohl von den Notizie Appendiuis und der Storia della letteratura slava von
Lucianovic zu unterscheiden, da sie bestimmt ist, die Italiener selbst in eine ganz
Mitrovic, Studi sulla lett. serbocroata, angez. von Nagy. 417
fremde Literatur einzuführen. Ein schönes Prinzip, das aber zur vollen Durch-
tiihrung nicht gelangte. Es darf zuerst der Titel des Buches »Studi« nicht zu
dem Gedanken führen, daß es sich hier um ein Bild der ganzen Literatur han-
delt. Nein, bloß die Stellung, die der Verfasser gegenüber dem Ganzen ein-
nimmt, ist damit bezeichnet. Er wollte sich in der Behandlung des Stoffes frei
bewegen und sich nach Belieben bei einer Partie mehr, bei der anderen weniger
aufhalten. So entstand auch die Einteilung des Stoffes in folgende drei Teile:
1 . Bild der serbokroatischen Literatur. 2. Montenegro in der serbokroatischen
Literaturgeschichte. 3. Über die serbokroatischen Volkslieder. Wenn man
auf den Umfang eines jeden von diesen Hauptteilen Rücksicht nimmt, wird
man sehen, daß dieselben in Bezug auf die Behandlung des Stoffes von einan-
der verschieden sind und, wenn man das ganze Buch durchliest, wird man sich
überzeugen, daß der erste Teil der schwäcliste ist. Es seien einige Beispiele
,'ingeführt. Auf S. 28 wird erzählt, wie die Eeformen Vuks den Sieg davon-
trugen, aber von Daniele und von dem an literarischen Produkten so frucht-
baren Jahre 1847 wird nicht ein Wort erwähnt. So wird auch die Stellung der
^'erfechter der illyrischen Bewegung gegenüber den anderen slavischen und
fremden Literaturen mit keinem Worte charakterisiert (S. 29). Die Zeitschrift
»Zora dalmatinska« wird wohl erwähnt (S. 30), aber Pucic, Kazali und Kaznacic
von ihr ganz getrennt (S. 39). Das VL Kapitel, nämlich dasjenige, in welchem
von Vraz, Trnski, Preradovic, Radicevic, Mazuraniö, Demeter u. a. die Rede
ist, ist sehr karg ausgefallen. Dort ist nur eine Anreihung von Namen und
l'iteln zu finden, aber keine allgemeine Charakteristik der verschiedenen Rich-
1 ungen und Beziehungen der Dichter zueinander, wobei man manchmal selbst
auch das Hauptsächlichste (wie z.B.Preradovics Oden «Bogu« und »Slavenstvu«)
übersah.
Aus dem Gesagten und vielen anderen Beispielen sieht man, daß der
Verf. über so Manches unklare Vorstellungen hat. So z. B. sagt er, daß sich
Vuk mit der Ausgabe glagolitischer Denkmäler beschäftigte (S. 12^; daß in
Uagusa zuerst das Kroatische und später das Serbische gesprochen wurde
(S. 13); daß Kacic die altdalmatinische Literatur mit der neuen serbischen ver-
einigt (S. 22); zwei Autoren einer seiner benutzten Quellen, nämlich Pypin und
Spasovic, vereinigt er zu einer Person (. . . osserva lo stesso Pypine-Spasovic
heißt es auf S. 81) usw.
Wenn im Buche manches Notwendige fehlt, so findet sich auch manches
I berflüssige. Dazu rechne ich die große Anzahl von allein stehenden Namen,
welche dem Verf. seine Quelle, nämlich Surmins Literaturgeschichte, zur Vor-
fügung stellte. Eine für die Italicner gescliriebcne Geschichte der serbokroat.
Literatur sollte zu den einheimischen Arbeiten in dem Verliiiltnis stehen, in
welchem sich die neueste russische Literaturgeschichte von Prof Brückner zu
dem benutzten Material befindet.
J. Nagy.
Archiv für slavische Philologie. XXVIII. 27
418 Kritischer Anzeiger.
II Serto della Montagna. Quadro storico del secolo XVII di P. Pe-
trovich-Njegus. Traduzione dal Serbo di Giovanni Nikolic. Fa-
briano, prem. Stab. tip. Gentile 1903. 8^ S. 175.
Wenn ein Freund der serbokroat. Literatur jetzt eine solche Übersetzung
des Gorski Vijenac zu Stande bringen will, daß sich in derselben, so gut wie
möglich, die Schönheiten und besonders die Züge der Eigentümliclikeiten des
Originals wiederspiegeln, so befindet er sich doch nicht in derselben Lage, in
der sich Kirste befand, als er mit seiner deutschen Übersetzung »des Berg-
kranzes« beschäftigt war. Kirste konnte freilich schon acht Ausgaben des
G. V. benutzen, aber kommentiert war die einzige von Ljubisa (Zaralb68), doch
auch diese ungenau und unvollständig; von den anderen waren zwei (Wien 1876
und Pancevo 1881) nur mit einem Anhang, in welchem einzelne Worte erklärt
wurden, versehen. Eine Übersetzung des ganzen Werkes gab es damals nicht,
sondern nur eine ungenaue italienische einzelner Teile desselben von G. Chiu-
dina (Cantidelpopoloslavo. Florenz 1878; Storia delMontenero. Spalato 1882j.
Nikolic dagegen fand ein ganz anderes Terrain vor : die zwei musterhaft kommen-
tierten Ausgaben von Prof. Resetar (Agram 1890, Belgrad 1892] konnten ihm
den serbischen Text ganz geläufig machen i) und die Literatur über den Dichter
und seine Werke konnte ihn daran mahnen, was auch in einer Übersetzung
nicht verloren gehen darf. Trotz alledem muß man sagen, daß, indem Kirste
auch den Serben und Kroaten den Weg zur richtigen Auffassung des genialen
Werkes zeigte, Nikolic auch bei den Italienern sehr wenig Interesse für die
Originalität Montenegros und seiner Literatur erwecken kann.
Bei Nikolic geht dem Gedichte selbst (S. 5 — IG), als Vorwort an den
Leser, eine ziemlich knappe Betrachtung über den Dichter und seinen G. V.
voraus, welche sich auf die Abhandlung Vulovics (Fojumftuua Ij stützt. Es ist
nicht zu billigen, daß auf einer Seite der Dichter als Herrscher seines Landes,
auf der anderen sein G. V. mit grellen Farben idealisiert wird und daß der
übrigen geistigen Produkte des Vladika und seiner Stellung in der neueren ser-
bischen Literatur nicht mit einem Worte gedacht wird. G. V. ist für Nikolic
wie für Vulovi6 eine Auswahl von lyrischen Blumen Montenegros und wie für
den zweiten necaia e&a necMaMa (S. 335) , so für den ersten »la Bibbia del popolo
montenegrino « (S. 13).
Vergleicht man die vorliegende Übersetzung, um sie näher zu kennen,
mit dem Original, so überzeugt man sich leicht, daß das sehr freie Übertragung
ist, in welcher einerseits vollständig oder teilweise unübersetzte Verse, Miß-
verständnisse im Inhalt und Sprache, nicht notwendige Erweiterungen verschie-
dener Stellen begegnen; andrerseits, daß dieselbe ein unklares Bild des Ori-
ginals bietet und sich um die Wiedergabe seiner Originalität gar nicht kümmert.
1) Prof. Resetar hat uns unlängst mit zwei anderen Ausgaben beschenkt,
einer bei Hartmann in Agram (19ü4) und einer anderen (1905) bei der kroatischen
Btichhandlung in Zara. Beiden liegt die Belgrader Ausgabe zu Grunde und die
kleinen Änderungen in der Einleitung haben ihren Grund darin, daß die Aus-
gaben für den westlichen Teil des Volkes bestimmt sind.
Nikolic, II serto della Montagna, angez. von Nagy. 419
Das alles wird uns zuerst durch den einfachen Umstand, daß das Original 2S19
iiud die Übersetzung 2702 Verse umfaßt, bestätigt. Ohne bestimmten Grund
liat also der Übersetzer 117 Verse unübersetzt gelassen. Wenn nur das wäre,
könnte man noch zufrieden sein, aber die Zahl der unübersetzten Verse ist
mehr als drei Mal so groß; so viel ich gesehen habe, sind etwa 3G0 V. in der
Übersetzling mit gar keinem Wort wiedergegeben und dabei wird die Widmung,
die auch hier, wie bei Kirste, unübersetzt geblieben ist, nicht mitgezählt. Auch
sonst ist die Übersetzung nicht vollständig; etwa 50 V. ungefähr werden nur
mit einem oder zwei Worten kurz angedeutet. Stellt man nun die Frage, was
für Verse es sind, von denen sich der Übersetzer fem hielt, so muß man ant-
worten, daß es nicht nur Stellen sind, die in der originellen Ausdrucksweise
einen Sinn haben (vgl. 38, 359, 433, 729, 1174 u. a.) oder, wie Sprichwörter
lauten (vgl. 306, 524, 525, 533, 538, 540 u. a.) oder Vergleiche ausdrücken ;vgl. 10,
]i)21, 1553, 1558 u. a.) und ähnliches, sondern auch solche Verse, durch die der
'iang der Erzählung fortgeführt wird (vgl. 1445—1505, 2599—2603, 2720—2729
u. a.), die man also auf keinen Fall auslassen durfte.
Sehr auffallend ist noch etwas, was ein gewissenhafter Übersetzer nicht
tun darf. Unser Übersetzer kürzte dann und wann den Text, indem er alles, was
ilim überflüssig schien, beiseite ließ. So z. B. verfuhr er dort, wo ein Vers den
im Vorhergehenden ausgesprochenen Gedanken näher präzisiert vgl. 146, 160,
1 69, 199,755 u. a.). Das tat er vielleicht, weil ihm die Übersetzungsarbeit irgend-
wolche Schwierigkeiten bereitete, auf keinen Fall aber durfte er die im Texte
vorkommenden prosaischen Stellen auslassen, und doch blieben von diesen 16
ganz, 22 teilweise unübersetzt. Bekanntlich haben diese Stellen in bezug auf den
G. V. eine ziemlich große Bedeutung, da in denselben die Handlung mehr als
iu den Gesprächen der Personen zum Ausdruck kommt. Auf S. 11 sagt der
Übersetzer: ». . . se a un dramma togliete Tazione e la tessitura drammatica —
( io che manca appunto al Gorski Vienaz — non vi i-esta altro che il contenuto
iiiico« und nach dieser Auffassung schien ihm vielleicht gerechtfertigt zu sein,
die Handlung noch mehr bei Seite zu schieben! Ich glaube, daß niemand mit
ihm in bezug auf diese Kürzung des Textes einverstanden sein kann, da er
eine vollständige Übersetzung zu stände bringen wollte und nicht das im
.lalire lb91 in Vidin erschienene, bulgarische: HaB^i^CHHe h3 FopcKifi Biueu-B
von Ivanov nachahmen.
Wenn man den Umfang des Originals und den der Übersetzung, ferner
die Anzahl der in der letzteren fehlenden Verse berücksichtigt, so sieht man,
daß uns der Übersetzer mit etwa 25ii Versen eigener l'hantasie beschenkt hat,
die aber nur angehäufte nicht notwendige Worte enthalten. Es seien dafür
mir zwei Beispiele angeführt! Orig. V. 9.j: ^a qucniMo scM.i.y oa iicKpcru? Über-
setzung S. 23 : Per ch' abbiano a purgar dalla fatale — Idra islamita la natia cou-
trada? Orig. V. 2013: Ccaum upaTax, cbu ccaum jeaiiaiui. Übersetzung S. 12b:
Sette e valenti a par dell' infelice — Omai domato dalla morte. Vgl. noch 22,
^46, 49, 81, 107, 360, 404, 475, 637, 709, 836, 1393, 1583, 1586, 1720, 1830, 2228,
2550, 2551, 2554, 2769, 2774 u. a.
Mit welcher Rücksicht auf die scrbokroat. Sprache und mit welcher Sorge
?lir die Genauigkeit in der Wiedergabe des sachlichen Inhaltes mau an der
420 Kritischer Anzeiger.
vorliegenden Übersetzung arbeitete, beweisen gerade jene Stellen, die sich
vom Originale am wenigsten entfernen. Es muß vor allem ins Auge fallen,
wie der Vers 15' übersetzt ist. Im Original lautet er: r.icAa jckom rpa^a cTpa-
liiiiuora und wenn man ihn selbst liest, oder noch besser, mit den nahe stehen-
den Versen zusammen nimmt, sieht man, daß dort vom Hagel und von keiner
Stadt die Rede ist; für unseren Übersetzer aber ist das eine Stadt Stravica.
Er übersetzt die Stelle auf S. '20: Fino a Stravizza, ove rigonfie appieno — A
vuotarsi cadeau. An dieses so störende Mißverständnis könnte man viele
andere Stellen anknüpfen, welche in der Übersetzung unrichtig oder untreu
wiedergegeben sind. Warum soll man z. B. im V. 15S4 EoKa mit Cattaro über-
setzen, wenn schon der V. 1612 zeigt, daß das unmöglich ist? Auch hier
sind wieder die prosaischen Notizen zu erwähnen, in welchen das Echte ver-
wischt wird.
Im Zusammenhang mit der Ungenauigkeit in der Wiedergabe einzelner
Stellen steht die Wahl der Ausdrücke. Der Ausdruck o/i, hckpcth (V. 95) ist
nicht passend mit Idra islamita zu übersetzen, da sich die Stelle nicht auf die
Türken, sondern auf die montenegrinischen Renegaten bezieht. Warum sagt
man quattrocento für nei ctothh (V. 111), famiglie für rjraBc (nach V. 197),
onore für aanoH (V. 200), inimico campo für CTanaK (V. 315) usw.? Solche Un-
genauigkeiten führen auch viele andere mit sich. Der Montenegriner stützt
seine Meinungen und Wünsche auf die Lehre seiner Religion, auf seine Ge-
wohnheiten und Übei'lieferungen und auf eine Moral, die ihm die Erfahrungen
des Alltagslebens zueigen machten und so wendet er in seinen Gesprächen Aus-
drücke und Redewendungen an, die seiner Weltanschauung entsprechen. Im
G. V. findet man so etwas auf Hunderten von Stellen, aber in dieser Über-
setzung nie. Folgende drei Beispiele mögen zeigen, daß der Übersetzer gar
keinen Unterschied machte, ob es ein Montenegriner oder ein Italiener aus
Florenz undSiena reden würde. Orig. V. 133 — 134: Häaa HCMa nyaco uu y Kora
— 3,0 y 6ora u y CBoje pyKe. Übersetzung S. 24: Sorgi adunque, con noi, sorgi,
e da forte, — In Dio fidando, a ravvivar ci guida — L'alta nostra speranza.
Orig. V. 1040: Hena KyMCTca öes KpiuTCHa KyivicTBa, Übersetzung S. 74: Anticri-
stiano nodo — Punto non tiene. Orig. V. 1912: s&KÄajia. ra nyuiKa upnoropcKa.
Übersetzung S. 122: Ferma ho fede perö, che un archibuso — Montenegrino
finirä quel tristo. Vgl. weiter V. 179—180, 184— 1S7, 310, 321, 368, 452, 457,
490, 613, 705, 848, 1016, 1206, 1264 u. a.
Für die Kololieder sagt der Übersetzer auf S. 12, daß dieselben an die
griechischen Tragödien erinnern und vielleicht aus dieser Auffassung glaubte
er dieselben nach seinem eigenen Geschmack übersetzen zu dürfen. Das erste
übersetzte er in Strophen zu sechs Elfsilbern, auch das dritte und sechste sind
in Reimen übersetzt. Alle zusammen, sei es, daß sie in Reimen übersetzt sind
oder nicht, nähern sich mehr den Finalen in den Opern Verdis oder Donizettis
als dem Originale von Njegus.
Als ich diese Übersetzung in die Hände nahm, faßte ich die Absicht, die-
selbe mit dem Originale so zu vergleichen, wie dies für Kirstes tT)ersetzung
Vulovic in der CaivioynpaBa 1886, Jagic im Archiv X und Resetar im Archiv XI
gemacht haben, aber dabei hätte ich nichts anderes tun können, als die Über-
Wilpert, Le pitture della basilica S. demente, angez, von Resetar. 421
Setzung neben das Original zu stellen; deshalb mußte ich mich mit diesen
einzelnen Bemerkungen begnügen. Jedem Kenner des G. V. ist es aus eigener
Ki'fahruüg bekannt, mit welchen Schwierigkeiten die Lektüre des Textes aus
einer unkommentierten Ausgabe verknüpft ist. Eine Übersetzung femer, die
mit gar keinen Erklärungsnoten versehen ist, wie diese Nikolics, kann man
a priori als verfehlt bezeichnen. J. Nugy.
Das Gral) und die Gral)insclirift des hl. Cyrill in Rom.
Wilpert Giuseppe, Le pitture della basilica primitiva di San Cle-
ineute. Rom 1906, 8*^, 61 S. mit 5 pbototypisclien Tafeln (S.A. aus
den Melanies d'Areheologie et d'Histoire publies par lEcole fran-
9aisedeRome, T.XXVI).*)
Als man einige Jahre vor der tausendjährigen Gedenkfeier des Todes
des hl. Cyrill in Rom in der Kirche des hl. Klemens, wo Cyrill bestattet wor-
den war, Ausgrabungen durchführte, um sein Grab zu finden, da entdeckte
man die nunmehr unterirdische ursprüngliche Kirche des hl. Klemens, über
welcher die gegenwärtig bestehende gebaut und im Mai 1128 eingeweiht
wurde. Bei dieser Gelegenheit fand man in der unterirdischen Kirche auch
einige Wandmalereien, die von dem bekannten Archäologen De Rossi mit
Cyrill und Method in Verbindung gebracht wurden, wobei er auch ein Grab,
das in unmittelbarer Nähe einiger dieser Malereien sich befand, vermutungs-
weise als die ursprüngliche Bestattungsstätte des hl. Cyrill bezeichnete. Die
von De Rossi gegebene Deutung dieser Malereien, sowie die von ihm nur ver-
mutungsweise ausgesprochene Meinung über das ursprüngliche Grab des
lil. Cyrill wurden fast von allen späteren Forschern in der Hauptsache an-
genommen, so daß nur im Detail der Erklärung Meinungsverschiedenheiten
auftraten. Die vorliegende wichtige Schrift, welche den bekannten Forseber
der altchristlichen Kunst und der Katakombenmalerei, den päpstlichen l'roto-
notar Josef Wilpert, zum Verfasser hat, weicht von der bisherigen allgemein
angenommenen Meinung stark ab und gelangt zu ganz anderen Resultaten
sowohl in Bezug auf die Deutung der Bilder, die auf Cyrill und Method be-
zogen wurden, als auch in Bezug auf die Stelle des Grabes Cyrills in der
u uterirdischen Kirclie.
Was zunächst das letztere anbelangt, so sucht W. nachzuweisen, daß
der Sarkophag Cyrills, bevor derselbe in die neue (oberirdische) Kirche iiber-
*) Ich bin Monsignorc J. Wilpert für die große Liebenswürdigkeit, mit
der er mich von seiner oben zitierten wiclitigen Studio in Kenntnis setzte
und ihre Besprechung in unserer Zeitschrift ermöglichte, zu großem Danke
verpflichtet. Die nachiblgende Besprechung Prof. Resetars referiert über den
wesentlichen Inhalt der Monograidiie, die, wie mir ihr Verfasser mitteilt, auch
in cechischer Übersetzung nächstens erscheinen wird. V. ./•
422 Kritischer Anzeiger.
tragen wurde, an einer Stelle der älteren (unterirdischen] Kirche sich befand,
die, genau unterhalb der betreffenden Stelle in der neuen Kirche liegend, unter
einer Wandmalerei sich befindet, die von ihm als die ursprüngliche Grab-
malerei und Grabinschrift Oyrills gedeutet wird. Das Bild war schon im
J. 1864 von De Rossi als eine Grabraalerei bezeichnet worden; da er aber die
ursprüngliche Bestattungsstätte Cyrills an einer anderen Stelle der Kirche
vermutete und jene Malerei sich nach ihm auf mehrere Verstorbene bezog,
so brachte er sie in keine weitere Verbindung mit dem Grabe Cyrills; trotz-
dem faßten sie die anderen Forscher als ein Votivbikl der beiden Brüder
aiif, ja Dr. L. Jelic ging so weit, in derselben ein Werk der angeblichen
Malerkunst Methods zu sehen! Die Unsicherheit in der Deutung des Bildes
rührt daher, daß man die Mühe sich nicht nahm, die unter demselben über fünf
Zeilen sich erstreckende Inschrift, welche gut zur Hälfte zerstört ist, zu ent-
ziffern ; W. konnte folgendes lesen :
Zeile 1 VS.VS...EX
»2 V.AC CESNRAS
» 3 NE SCTRV TVORV SOCI
«4 M DMN.RM QVIV.NT.RE<
»5 PECCATORI<REQV N. .Ä
Diese Fragmente der Inschrift ergänzt, bezw. erklärt W. folgendermaßen :
Z. 1 [ i]us[t]u8 [iud]ex.
» 2 [Deus pre'ces nostras
» 3 [exaudi . ut Cyrillus in tuo nomi'ne ^] sanctorum tuorum soci-
» 4 [etate laetetur. Per Jesum Christu^m dominum nostrum qui venturus est
» 5 [iterum. Lector die: Deus da Cyrillo] peccatori requiem aeternam. Amen.2)
Die Worte iustus iudex in der ersten Zeile faßt W. als die Schlußworte
des ersten Teiles der Inschrift auf, die nach ihm oberhalb des Bildes anfing
und in den Worten aus Timotheus 4, 7 bestand: "Bonum certamen certavi,
cursum consummavi, fidem servavi. In reliquo reposita est mihi corona iusti-
tiae, quam reddet mihi in illa die Dominus iustus iudex«. Man muß zugeben,
daß W. mit großem Scharfsinn aus den wenigen geretteten Worten und Buch-
staben eine recht annehmbare und dem verfügbaren Räume entsprechende
Grabinschrift rekonstruierte ; nur die zweite Zeile wollte es ihm nicht gelingen,
gehörig auszufüllen. Nichtsdestoweniger erscheint diese Rekonstruktion W/3
unsicher und man ist nicht gezwungen, sie gelten zu lassen. Von dem von ihm
vorausgesetzten oberen ersten Teile der Inschrift ist, glaube ich, kaum not-
wendig zu sprechen, denn in einer Grabinschrift konnte der iustus iudex, der
über den im Grabe Bestatteten zu richten hatte, in vielen und verschiedenen
Verbindungen erwähnt werden, so daß es nur eine zwar sehr scharfsinnige,
1) Oder [tua miseratio]ne.
2) Nach einer späteren Mitteilung ergänzt W. die beiden ersten Zeilen
folgendermaßen : [reddet . mihi . in illa die . dominus . iustus iudex | d(ominu)s
hominu^m) . reparator . benignus ac rector pre>es n(ost;ras. V. J. i
Wilpert, Le pitture della basilica S. demente, angez. von Resetar. 423
aber doch gewagte Vermutung bleibt, wenn man diese Worte gerade der er-
wähnten Stelle aus Timotheus entnimmt, wodurch dann auch die Notwendig-
keit der Annahme eines ersten Teiles der Inschrift oberhalb des Bildes, sowie
einer von W. selbst zugestandenen Änderung in der Wortfolge dieser Stelle
sich ergibt. Vielleicht gerade deswegen, weil W. bei iustiis iudpx den Schluß
des «ersten« Teiles der Inschrift ansetzt, ist es ihm auch nicht gelungen, unter
den mittelalterlichen christlichen Grabformeln eine solche zu finden, die es
ermöglicht hätte, die Worte iustus iudex mit precps nostras zu verbinden. Es
scheint aber überhaupt fraglich zu sein, ob die erste Zeile mit den Worten
in!ifus iudex abschließt, denn — insofern nach einer phototypischen, natürlich
stark verkleinerten Reproduktion über eine sehr beschädigte gemalte In-
schrift gesprochen werden kann. — möchte ich sagen, daß weder vor dem
ersten VS ein I, noch vor dem EX ein D sichtbar ist. Auf dem Originalbilde
könnte man vielleicht noch einige Buchstaben entziffern; so glaube ich in der
zweiten Zeile ungefähr an vierter Stelle nach AC ein ziemlich deutliches 0 zu
sehen; doch dadurch wird wenig an der Tatsache geändert, daß man aus der
sehr schlecht erhaltenen Inschrift gar nicht mit Sicherheit folgern kann, daß
dieselbe samt dem Bilde und dem einst darunter stehenden Sarkophage wirk-
lich dem hl. Cyrill gewidmet war. Das Einzige, was man mit ziemlicher
Sicherheit behaiipten kann, ist, daß die Inschrift eine Grabinschrift, und
zwar, wie W. wegen der deutlich lesbaren singularischen Form peccatori mit
Recht hervorhebt, für eine Person bestimmt war. Dafür aber, daß die In-
, ehrift doch wirklich auf Cyrill sich beziehen kann, spricht stark der Umstand,
daß auf dem nach W. gleichzeitigen Gemälde ein Mönch dargestellt ist, der
unter dem Schutze des hl. Andreas, des Schutzpatrons der Griechen, und dem-
jenigen des hl.Klemens steht, so daß man mit Recht in dem Mönche den hl. Cy-
rill sehen kann, der von Geburt ein Grieche war und die Reliquien des
hl. Klemens nach Rom zurückgebracht hatte. Das ist aber auch Alles, was
man für diese Annahme vorbringen kann, da die Inschrift leider gerade an der
Stelle, bezw. an den Stellen verwischt ist, wo der Name des Verstorbenen zu
losen war. Wenn aber W. (S. 37. :58) in Bezug auf die Inschrift dieses Gemäldes
;uich die Meinung vorbringt, sie sei von Cyrill selbst verfaßt, weil sonst Nie-
mand, nicht einmal sein Bruder, von ihm in so schlichten Worten gesi)rochen
und ihn einen peccnior genannt hätte, so glaube ich nicht, daß er damit auf
allgemeine Zustimmung rechnen kann. Wir Slavisten wenigstens hätten selbst-
verständlich vor allem erwartet und gewünscht, daß die ursprüngliche Grab-
inschrift des Slavenapostels auch in slavischer Sprache verfaßt worden wäre,
weil dadurch auch die Frage über das slavische Alphabet, dessen sich Cyrill
bediente, endgiltig und unwiderleglich gelöst worden wäre. Tatsächlicli stieg
in slavistischen Kreisen eine solche leise llotVnung auf. als die Tagosblättcr
die Nacliricht bracliten, es sei das ursprüngliche Grab und die ursprüngliche
Grabinschrift des hl. Cyrill entdeckt worden. Doch ist es immerhin sehr
liegreiflich, daß im lateinischen Rom auch für den Slavenapostel weder eine
slavische, noch eine griccliische, sondern oben nur eine lateinische Inschrift
verfaßt wurde. Soll sie aber wirklich Cyrill selbst diktiert haben? So, wie
sie geschrieben ist, nämlich in latciuisclier Sprache, wissen wir nicht, ob sie
I
424 Kritischer Anzeiger.
von Cyrill selbst herrührt, da wir ja nicht sagen können, ob und in welchem
Grade Cyrill überhaupt des Lateinischen mächtig war. Wenn wir dies zu-
geben, was olmcweiters für einen gelehrten Mann, wie es Cyrill war, auch
zugegeben werden kann, so scheint doch ein anderer Grund dagegen zu
sprechen, daß die Inschrift von dem bestatteten peccator selbst und nicht von
einem Anderen in seinem Namen verfaßt wurde, ich meine den Ausdruck
preces nostras der zweiten Zeile, der deutlich zeigt, daß es Mehrere sind,
die ihre Bitten für den verstorbenen Sünder zu Gott erheben. Warum sollte
aber eine schliclite Inschrift nicht auch von Method herrühren können? Er
war ja doch kein hochmütiger Mann, der auf der Grabinschrift seines Bruders
mit dessen apostolischem Wirken hätte prahlen wollen, an welchem er selbst
teilgenommen hatte und dessen Gelingen auch zu seinem eigenen Lobe ge-
reichte. Übrigens, seien wir aufrichtig, wissen wir denn, was eigentlich die
Inschrift enthielt, besonders wenn sie so umfangreich war, wie W. gerne an-
nehmen möchte?
Viel besser begründet erscheint mir die Erklärung, welche W. vom Ge-
mälde gibt. Er faßt es nämlich als ein Einzelgericht auf, in welchem über das
Loos des Bestatteten entschieden werden soll. Im Hintergrunde sitzt Christus,
ihm zur Rechten stehen der hl. Michael und der hl. Andreas, zui- Linken der
hl. Gabriel und der hl. Klemens ; mehr vorne stehen zur Rechten Christi ein
Priester, der auf dem entfalteten Manipel [mappa] den Kelch trägt, zur Linken
ein mit dunkler Paennla und der weißen tunica talaris bekleideter Mann mit
herabgelassener Rechte und einem Buche in der Linken, auf welchen der
Erzengel Gabriel seine Rechte schützend legt. Die Erklärung, welche W.
vom ganzen Bilde gibt, ist sehr natürlich: Christus hält Gericht über Cyi-ill,
für den die vier Heiligen als Fürsprecher auftreten, während der noch lebende
Method, der kurz vor dem Tode Cyrills die Priesterweihe erhalten hatte, für
den verstorbenen Bruder mit seinen Bitten bei der Darbringung der Messe
eintritt. Wenn das Bild wirklich Cyrill und Method darstellt, so könnte man
kaum eine ansprechendere Deutung desselben geben; ich sage aber wenn,
weil, wie wir gleich sehen werden, W. selbst uns gelehrt hat, in den Wand-
malereien der S. Klemens-Kirche nicht so ohne weiteres Darstellungen zu
sehen, die sich auf die beiden Brüder beziehen. Nur ein, vielleicht unwich-
tiges Detail erregt bei mir als Laien Anstoß. Wenn Christus über Cyrill
Urteil hält und Method für ihn betend eintritt, so würden wir eher erwarten,
daß die Beiden, zunächst aber Cyrill selbst vor dem Gott Richter knieen,
während W. ganz bestimmt behauptet, daß sie stehen, was auf der photo-
typischen Reproduktion nicht zu sehen ist; wenn sie aber wirklich stehen, so
muß hervorgehoben werden, daß ihre Figuren viel kleiner als diejenigen der
Heiligen gezeichnet sind. Man sollte ferner erwarten, daß Cyrill seine Hände
bittend zu Christus erhebe, während er mit der oifenen Rechten » eine Gebärde
macht, die — wie W. (S. 34) sagt — gut den Worten Bonum certamen certavi
etc. entspricht, welche im Anfange seiner Grabinschrift standen". Die Stellung
somit, welche der Künstler dem hl. Cyrill gegeben hat, entspricht nicht gut
der von W. angenommenen Situation, denn anstatt um die Gnade Gottes zu
flehen, weist er selbstbewußt auf sein Wirken hin; es wäre daher nicht über-
Wilpert, Le pittiire clella basilica S. demente, angez. von Eesetar. 425
riüssig gewesen, wenn W., um uns von der Eichtigkeit seiner Erklärung voll-
kommen zu überzeugen, auf Parallelen in der altchristlichen Kunst verwiesen
hätte, wo der Sünder vor Christus in einer solchen Stellung steht.
Wenn wir mm auch annehmen können, daß auf diesem Bilde die Slaven-
apostel dargestellt sind, so glaube ich dennoch nicht, daß wir zwei Porträts
derselben vor uns haben. Der Künstler, wohl ein Mönch des der S. Klemens-
Kirche beigegebenen Klosters, hatte vielleicht den Cyrill bei Lebzeiten
einige Male gesehen und Method dürfte ihm kaum zur Aufnahme gesessen
haben, deswegen kann ich der Meinung W.'s, daß das Bild Cyrills ,ein echtes
Porträt zu sein scheint (S. 3.5)' und daß die Züge Methods , einige Ähnlichkeit
mit dem Bruder zeigen (S. 36)', nicht beipflichten. Die Sache würde allerdings
ganz anders stehen, wenn man die von W. ausgesprochene Meinung annehmen
könnte, daß Cyrill ein Mönch gerade dieses Klosters geworden war; W. findet
dies »sehr wahrscheinlich« (S. 38) und ein »kostbares Zeichen« dafür findet er
iu dem Umstände, daß Cyrill in der Kirche desselben Klosters bestattet wurde
S. 50). Was das letztere anbetrifft, so braucht man wirklich nach keinem
zweiten Grunde zu suchen, weswegen Cyrill gerade in der St. Klemens-Kirche
bestattet wurde, sobald man weiß, daß er die Reliquien dieses Heiligen in
Cherson gefunden und nach Rom gebracht hatte; daß aber Cyrill in ein römi-
sches Kloster förmlicli als Ordensbruder eingetreten sei, scheint mir wenig
wahrscheinlich zu sein, denn dadurch hätte er auf jede weitere Tätigkeit als
Slavenapostel verzichtet und das von ihm begonnene Werk gerade in einem
Momente aufgegeben, wo er diesem am meisten notwendig war; und wenn er
seine Tätigkeit in Rom im J. 869 dennoch beschloß, so tat er es nicht aus
freien Stücken, sondern weil ein frühzeitiger Tod ihn dahinraffte. Ich glaube
daher, daß wir keinen Grund haben anzunehmen, daß Cyrill und sein treuer
Gefährte und Mitarbeiter Metliod in irgend welche nähere Beziehungen zu
dem St. Klemens-Kloster getreten seien. Es gibt dagegen wohl einen Um-
i^tand, der mich bestimmt zu glauben, daß der Maler die beiden Brüder auf
dem Bilde so darstellte, wie er sie sich dachte, ohne auf die tatsächlichen
Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Es fällt zunächst auf, daß Cyrill auf dem
Bilde als einfacher Mönch und nicht als Bischof, als welcher er starb, darge-
stellt ist; doch diesbezüglicli erinnert W. mit Reclit daran, daß auch die
l'äpste und der Bibliothekar Anastasius Cyrill nicht als Bischof bezeichnen,
wohl deswegen , weil er nur kurze Zeit vor seinem Tode Bischof war und
kaum in die Gelegenheit kam, bischöfliche Funktionen zu verrichten; übrigens
liabe er, als er Mönch wurde, ipso facto auf die bischöflichen Ehren verzichtet
(S. 42. 43); außerdem bemerkt W., die Darstellung eines Einzelgerichtes eigne
sich wenig, um die bischöflichen Insiguion zuröcluiu zu stellen S.l-Anm.. und
verweist auf IMiniatureu, wo Bischöfe ebenfalls als einfache Geistliche darge-
stellt sind (S. ;{."), Anm. 2). Wir können somit ruhig hinneiinien, daß Cyrill auf
dem Bilde nicht als Bischof erscheint, umsomehr muß es uns aber befremden,
daß Cyrill als römischer Mönch, daher mit der Tonsur (S. 38), Method aber
als römischer Priester, daher mit Tonsur und ohne Bart (S. 36), auf dem
Bilde erscheinen. Allerdings können wir bei der Si)ärlichkeit der Nacliricliten
über den Aufenthalt der beiden Brüder iu Rom, die Möglichkeit des Über-
426 Kritischer Anzeiger.
trittes der Slavenapostel zum römischen Ritus nicht ohne weiteres bestreiten,
tlocli wenn man bedenkt, daß sie als geborene Griechen von Haus aus dem
griechisclieu liitus augehörten und — was kaum bezweifelt werden kann —
letzteren auch in die von ihnen gegründete slavisch-christliche Kirche einführ-
ten, so ergibt sich von selbst die Unwahrscheinlichkeit eines solchen Über-
trittes, der von Rom hätte kaum gefordert werden können, da Rom nur in der
lateinischen Kirche an dem römischen Ritus festhielt und noch immer fest-
hält, wälirend es in anderssprachigen Kirchen einen vom römischen verschie-
denen Ritus immer duldete. Wenn somit auf dem Bilde die beiden Slaven-
apostel als römische Geistliche dargestellt sind, so beweist das nicht, daß
sie es auch tatsächlich waren, sondern nur, daß der Maler den Mönch Cyrill
und den Priester Method so darstellte, wie Mönche und Priester in Rom zu
seiner Zeit gewöhnlich ausschauten.
Ein zweites Bild der ursprünglichen St. Klemens-Kirche, welches von
Anfang an auf Cyrill bezogen wurde, ist die schöne Darstellung der Über-
führung des Körpers eines Heiligen. Leider fehlt auch hier der obere Teil der
Inschrift, so daß nur der untere erhalten ist, welcher lautet: »huc a Vaticano
fertur (nämlich corpus Sanrti ) pia pfa) Nicoiao imnis divinis q;uo)d aromati-
b(us) sepelivit", darunter in einer zweiten Zeile die Angabe, daß »Maria ma-
cellaria« das Bild verfertigen ließ. De Rossi sah in dieser Darstellung die
Überführung der Leiche des hl. Cyrill, die zuerst im Vatikan beigesetzt,
später aber in die St. Klemens-Kirche überführt worden sei. Mit einer ein-
zigen Ausnahme, die unberücksichtigt blieb [vielleicht deswegen, weil das be-
treffende Werk in englischer Sprache geschrieben war), wurde diese Erklä-
rung De Rossi's von allen späteren Forschern voUinhaltUich akzeptiert. Auf
S. 41 ff. widerlegt W. diese Ansicht auf eine ebenso einfache, wie schlagende
Weise: der auf der Bahre liegende Heilige trägt das pallmm sacrum, letzteres
tragen auf den Bildern des XL Jahrhunderts in San demente nur Päpste,
folglich ist dieser Heilige ein Papst, also unmöglich der hl. Cyrill, vielmehr
der hl. Klemens, dessen Körper, nachdem ihn die Slavenapostel im Vatikan
dem Papste Hadrian (in der Inschrift irrtümlich: Nikolaus) im Vatikane über-
geben hatten, von diesem in feierlichem Zuge in die nach dem Heiligen ge-
nannte Kirche überführt wurde. Wenn aber diese Konstatierung so einfach
und so notwendig ist , wie kommt es , daß — mit Ausnahme des Engländers
P. Mullooly — keiner der übrigen Forscher, auch ein De Rossi nicht, zu dem-
selben so zwingenden Resultate gelangte ? Oder hat erst W. konstatiert, daß
das pallium sacrmn — etwa zu dieser Zeit — ein ausschließlich den Päpsten
zukommendes Ornat sei? Auf einen Laien in der Geschichte des altchrist-
lichen Ornates muß diese grobe Mißdeutung des hierarchischen Standes des
aufgebahrten Heiligen einen merkwürdigen Eindruck machen, umsomehr, als
auf demselben Bilde unter den vielen Geistlichen nur der zweimal abgebildete
Papst, der die Überführung veranlaßte, beide Male mit demselben jmlUum
sacrum versehen ist, das den Heiligen auf der Bahre ziert. Doch es könnte
eine Erklärung auch dafür geben : drei von den Wandmalereien der ursprüng-
lichen St. Klemens-Kirche wurden bald nach ihrer Entdeckung zum großen
Teile restauriert, d. i. — wie dies W. an mehreren Stellen hei-vorhebt und be-
Wilpert, Le pitture della basilica S. demente, angez. von Resetar. 427
weist — verdorben, indem der ungeschickte oder leichtsinnige Restaurator
nicht selten ziemlich starke Änderungen sich erlaubte. Speziell auch das vor-
liegende Bild wurde in seiner oberen Hälfte ganz übermalt, wobei der Restau-
rator mehreres verdarb; so machte er aus dem einen der vier die Bahre
tragenden Diakonen eine Frau, die mit aufgelöstem Haar und verzweiflungs-
voll erhobenen Händen der Bahre nacheilt usw. ;S. 41). Wäre es nun nicht
möglich, daß der Restaui-ator aus Eigenem auch dem aufgebahrten Heiligen
das palliicm sacrum geschenkt hat? Es ist dies eine Vermutung, die noch mehr
an Wahrscheinlichkeit gewinnen würde, wenn der Restaurator unter der An-
leitung desselben P. MuUooly gearbeitet hat, der die sehr schlechten Kopien
dieser Wandmalereien anfertigen ließ und der schon im J. ISG!) die Ansicht
vertrat, daß dieses Bild die Überführung des Papstes Klemeus darstelle.
Jedenfalls würde uns diese Vermutung die recht auffallende Tatsache erklä-
ren, daß sogar ein De Rossi in dem aufgebahrten Heiligen einen Papst nicht
erkennen konnte. Wenn aber der aufgebahrte Heilige von Ursprung an das
Pallium sacrum hatte und wenn es richtig ist, daß dieses nur Päpste tragen
durften, so hat W. vollkommen Recht und wir müssen uns dazu bequemen, in
diesem Bilde die Überführung nicht des hl. Cyrill, sondern diejenige des
hl. Klemens zu sehen. Übrigens schwindet dadurch Cyrill von dem Bilde
nicht, denn dann ergibt sich von selbst die von W. gezogene Folgerung, daß
die beiden den Papst Nikolaus (d.i.Hadrian!) begleitenden Bischöfe die beiden
Slavenapostel sind, welche den Körper des hl. Klemens nach Rom gebracht
hatten. Allerdings war zur Zeit dieser Überführung nicht einmal Cyrill Bischof,
doch eine ganz genaue Kenntnis der Verhältnisse können wir von einem
Künstler aus dem Ende des XI. Jahrb., denn aus dieser Zeit stammt das Bild,
(S. 12), nicht verlangen; er, bezw. sein Gewährsmann, hatte ja in der Inschrift
auch Papst Nikolaus anstatt des Papstes Hadrian genannt; es ist daher
nicht zu verwundern, wenn er schon für diese Zeit nicht nur Cyrill, sondern
auch Method als Bischöfe darstellt. Cyrill hat außerdem das Beizeichen eines
Heiligen, nämlich den Nimbus, Method dagegen nicht, was nach W. soviel be-
deutet, daß am Ende des XI. Jahrh. Jletliod in Rom nocli nicht als Heiliger
verehrt wurde, obschon W. auch die Möglichkeit zugibt, daß auf dem Bilde in
seinem ursprünglichen Zustande auch Method den Nimbus haben konnte, den
dann der Restaurator einfach wegließ (S. 4;i).
Im Zusammenhange mit seiner Erklärung dieses Bildes gibt W. eine an-
dere Deutung einer Stelle der Legimda ifalica, aus welcher bis jetzt allgemein
gefolgert wurde, daß Cyrill zuerst im Vatikan und dann in der >St. KUnueus-
Kirche bestattet wurde; es ist dies die Stolle, wo bei der Boschreihung dos
feierlichen Leichenbogäiignisses Cyrills gesagt wird, daß "siiiiul cum locello
marmoroo, in quo pridom illuin pniedictus Papa 'Hadrianns 11.^ oondidorat,
posuerunt in monuraonto ad id praei)arato in basilica B. Clementis ad dexte-
ram partem altaris ipsius«. Nach W. soll sich der letzte Satz »posuerunt . . .«
auf die Übertragung des Sarkoiiliages Cyrills aus der alten in die neue St. Kle-
meus-Kirche Ende des XI. Jalirh. beziolion (S. -K», vgl. auch S. i^]. Mir or-
sclioint diese Deutung etwas kühn, denn, wenn dio Lci/nidd italica, wie auch
W. annimmt, zu Anfang dos XII. Jalirh. ihre Vollendung erhielt (nach W.
428 Kritischer Anzeiger.
von einem Mönche des St. Klcmens-Klosters, S. 5U), so hätte der Verfasser,
der vielleiclit ein Augenzeuge dieser zweiten Bestattung Cyrills sein konnte,
dieselbe als ein zu seiner Zeit stattgefundenes Ereignis hervorgehoben. Doch
da mir hier, wo ich diese Zeilen schreibe, jeder Behelf, zunächst die Legendu
italica selbst fehlt, so begnüge ich mich damit, diese Interpretation W.'s zu
erwähnen.
Wiilirend für die beiden bis jetzt besprochenen Bilder W. nur eine an-
dere Deutung der Darstellung, bezw. ihrer Widmung gab, sonst aber ihren
Zusammenhang mit den beiden Slavcnaposteln anerkannte, verhält er sich
zwei anderen Bildern gegenüber, die speziell auf Cyrill bezogen wurden, voll-
kommen ablehnend. Es ist dies zunächst ein Bild (S. 21 ff.), das einen thronen-
den Kaiser oder König zeigt, vor welchem eine mit dem Nimbus versehene
Person kniet; da neben letzterer in senkrechter Linie ACIRILL zu lesen ist,
so glaubte man allgemein, daß das Bild eine Szene aus dem Leben Cyrills dar-
stellt, und zwar zumeist seine Entsendung durch Kaiser Michael IIL zu den
Slaven. Von den bisherigen Forschern wurde aber nicht bemerkt, daß der
Heilige ganz neu gemalt ist, weil das ursprüngliche Bild wegen einer an der
Mauer vorgenommenen Arbeit sich von derselben losgelöst hatte und zu Boden
gefallen war; dabei ging das ursprüngliche Bild des Heiligen ganz in Stücke,
so daß es ganz von neuem gemalt werden mußte, und zwar von demselben unge-
schickten Künstler, der bei der Restaurierung auch die übrigen Bilder so sehr
beschädigte; von ihm rührt auch die gegenwärtige Inschrift ACIRILL her.
Zum Glück hat sich eine Kopie des ursprünglichen Bildes erhalten, die vor
der Vernichtung desselben gemacht wurde; allerdings war der Künstler, der
die Kopien dieses und der übrigeu Bilder auf Veranlassung des P. Mullooly
verfertigte, ein ganz schlechter Kopist, ein klassisches Beispiel von dessen
Unfähigkeit gibt W. auf S. 10 — 19, wo ein sehr verwischtes Bild des jüngsten
Gerichtes besprochen wird, aus welchem dieser Kopist Szenen aus dem Leben
der hl. Katharina und des jungen Tobias herauskoustruierte ! Doch da sowohl
das ueugemalte Bild als auch die Kopie des ursprünglichen Bildes die vor dem
Kaiser knieende Person mit einem breiten, mit Perlen und Edelsteinen gezier-
ten Kragen versehen zeigen, kann man ohneweiters annehmen, daß auch auf
dem ursprünglichen Bilde die knieende Person mit demselben Kragen ver-
sehen war. Und nun überrascht W. den in der altchristlichen Kunst unbe-
wanderten Leser mit einer zweiten, ebenso einfachen wie schlagenden Beweis-
führung: dieser breite, reichgestickte Kragen ercheint in der altchristlichen
Kunst schon im V., vielleicht IV. Jahrb., er wird aber nur von vornehmen
Frauen und Mädchen getragen, ergo ist die vor dem Kaiser knieende
Person eine Frau, somit unmöglich Cyrill ! Da müssen wir uns mit Verwun-
derung ein zweites Mal fragen : wie konnte ein De Rossi dies nicht wissen
oder nicht sehen? Item W. versichert uns, daß einen solchen Kragen nur
Frauen tragen, also müssen wir ihm glauben. Aber die Inschrift ACIRILL?
Zun^ichst konstatiert W., daß das zweite L von dem Künstler herrührt, der
das Bild neu malte; auf der Kopie des ursprünglichen Bildes steht nur
ACIRIL. Doch auch diese Lesart ist nicht sicher, denn De Rossi, der noch
das ursprüngliche Bild sah, sagt nach W. ;S. 23), daß nur die drei ersten
Wilpert, Le pitture della basilica S. demente, angez. von Eesetar. 429
Buchstaben «fast ganz», der vierte aber »halb venviacht war«, — ja, und der
fünfte und sechste, in welchem Zustande waren sie? Wurden sie von De Rossi
( rgünzt? Statt einer Auskunft darüber wird von W. die Vermutung ausge-
isprochen, »daß, wenn eine Kontrolle möglich wäre, es sich vielleicht heraus-
stellen würde, daß der erste Buchstabe A, nur ein Überbleibsel des Attributes
s'A, den Tatsachen entspricht«. So Herr Wilpert, da aber De Rossi auch
einige Übung in der Lesung altchristlicher Inschriften hatte, so sollte man
\ ielleicht die von ihm gegebene Lesart ACIRIL nicht so leichten Herzens
verwerfen. Dies tut aber W. und, unbekümmert um dieselbe, sieht er in dem
Bilde die vor Ahasver knieende Esther, welche ebenso als Heilige dargestellt
ist, wie in einem anderen Bilde derselben St. Klemens-Kirche der Prophet
Daniel mit dem Nimbus und der Bezeichnung SCS DANIHEL erscheint.
Wahr ist es immerhin, daß es W. gelungen ist, die Ansicht wahrscheinlich zu
machen, daß auf der Wand, wo sich dieses Bild befindet, nur einander ent-
sprechende Szenen aus dem Alten und Neuen Testamente abgebildet waren.
Nichtsdestoweniger ist die Frage von der Entstehung der Inschrift ACIRIL
noch nicht genügend erklärt, weswegen auch die ganze von W. für dieses Bild
vorgeschlagene Interpretation weniger überzeugend wirkt.
Nahe diesem Bilde, welches nach W. Ahasver und Esther darstellt, be-
findet sich ein nur zur Hälfte erhaltenes Bild eines Geistlichen, der einen (fast
uanz verwischten) Neophyten tauft; wegen der Nähe mit dem (angeblichen)
lülde des Cyrill vor Kaiser Michael III. sah De Rossi auch in diesem Bilde
( 'yrill, andere Method. Wilpert bedient sich auch hier seiner uns schon be-
Iviinnten Beweisführung (S. 26. 27): der Geistliche trägt das pulUum sacrum
und den campagns, folglich ist es ein Papst, und zwar der hl. Klemens, »der in
i.'llen Malereien der Basilik denselben Tj'pus aufweist (S. 26)«. Je einfacher
die Beweisführung, desto größer in uns die Verwundening, daß De Rossi das
Bild eines Papstes von demjenigen eines einfachen Mönches nicht zu unter-
scheiden vermochte! Übrigens nimmt für diese beiden zuletzt besprocheneu
ililder W. wegen der Form des pallinm sacrum an, daß sie in die Zeit gehören,
wo Cyrill nach Rom kam.
Aus dieser Übersicht des Inhaltes der Schrift W.'s ergibt sich zur Genüge
deren große Wichtigkeit speziell auch für uns Slavisten; wenn W. in allen
Punkten das Richtige getroffen hat, so müssen wir ihm danken, daß wir end-
lich die ursprüngliche Ruhestätte des «ersten Slavisten« und seine leider nur
sclir fragmentarisch erhaltene Grabinschrift, dann die richtige Bedeutung
einiger Bilder kennen gelernt haben, die zum 'J'eil falsch, zum Teil ungenau
auf ihn und seinen treuen Mitarbeiter bezogen wurden.
Cilli, den 24. Juli 1006. M. Resetar.
430 Kritischer Anzeiger.
Frano Ivanif^evic, Polica. Narodni zivoti obicaji, Agram 1903 —
19ü6, 8", 640 Seiten mit 1 geographischen Karte und 60 Bildern
(SA. aus dem ethnogra])hischen Zbornik der südslavisclien Akade-
mie, Band VIII— X).
Der Verfasser, selbst ein geborner Po|icaner und Pfarrer in seinem Ge-
burtsort Jesonice, hat in sehr ausführlicher und liebevoller Weise das Volks-
leben und die Volksbräuche in der ehemaligen »Republik« Pojica beschrie-
ben, die eigentlich eine unter der Oberherrschaft Venedigs stehende freie
Bauerngemeinde, südöstlich von Spalato in Dalmatien, war und sich bis zum
Untergange der Republik Venedig nach ihrem eigenen, in der philologischen
Welt bekannten Statute regierte. Da die kleine Gemeinde dank ihrer günsti-
gen natürlichen Lage (sie ist an den Abhängen des hohen Mosor-Gebirges
gelegen und von drei Seiten durch das Meer und den zwischen hohen Ufern
fließenden Cetina-Fluß begrenzt; und durch die Tapferkeit ihrer Bewohner
nie von den Türken unterw^orfen werden konnte, so blieb auch in ihr zumeist
die ursprüngliche, altkroatische Bevölkerung erhalten, wie dies schon an der
Sprache der Bevölkerung zu erkennen ist, die — trotzdem sie von allen Seiten
von reinen si!o-Sprechern umgeben ist, in dem zwischen dem Meere und dem
Mosor gelegenen Teile noch immer an ihrer alten cakavischen Mundart fest-
hält. Deswegen ist auch eine so eingehende ethnographische Darstellung der
Po|ica von großer Wichtigkeit, weil dies die einzige Gegend auf dem dalma-
tinischen Festlande ist, wo die altkroatische Bevölkerung sich ziemlich intakt
erhalten hat. Außerdem hat aber Iv. verstanden, seinen Gegenstand in sehr
anziehender Weise darzustellen : es ist keine trockene Darstellung des Volks-
lebens, so wie es ein fremder Beobachter sehen würde, Iv. sucht vielmehr
überall den Leser erkennen zu lassen, was das Volk dabei denkt und
fühlt; deswegen ist auch seine Ausdrucksweise eine recht volkstümliche: er
hat sich auch zum großen Teile die verschiedenen Volksgebräuche und Mo-
mente im Volksleben von Leuten aus dem Volke selbst erzählen lassen und
es ist ihre Darstellung, die er in trefflicher Weise nacherzählt. An geeigneten
Stellen wird der Text durch eine große Zahl von zumeist recht gelungenen
Bildern illustriert. Dagegen vermisse ich, speziell bei einer Schilderung der
Pojica, ein wenn noch so kurzgefaßtes Kapitel über die Geschichte dieser
auch in letzterer Beziehung so interessanten Gegend; Iv., der auch auf diesem
Gebiete schon gearbeitet hat, hätte dies leicht machen können. Etwas knapp
ist auch das Kapitel über die Sprache (S. 61 — 09) gehalten, immerhin finden
wir auch hier einige interessante Notizen, so z. B. daß auch hier im mehr
cakavischen Teile der Gegend langes e und o vor silbenschließendem Nasal
zu i-u wird [ijrin = J"'?«, zin = zen, jmlinta = puienta, ktui = ko/i, tobum =
iöböin), oder daß im Dat., Instr., Loc. pl. neben der gewöhnlichen Endung -in,
-an (für -im, -am), -ima nur als echte Dualendung vorkommt: ocima, usima,
prsima. Doch für den Dialektologen bildet das ganze Buch eine reiche Fund-
grube, denn es ist durchwegs im Po^icaner Dialekt geschrieben, und zwar, wie
Iv. auf S. 65 erklärt, nach der Mundart der mittleren Pojica, welche eine
Mittelstellung zwischen der ausgesprochen cakavischen unteren und der sto-
Ivanisevic, Po^ica; Bratic i Dedic, Igre, angez. von Resetar. 431
kavischen oberen Pojica einnimmt; da Iv. aber aus der unteren Pojica ge-
bürtig ist und dort noch immer lebt, so ist es fraglich, ob es ihm gelungen sei,
wirklich überall die von ihm gewählte Mundart richtig zu treffen; entschieden
sicherer und für philologische Zwecke wertvoller wäre es gewesen, wenn er
so geschrieben hätte, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Entschieden un-
richtig ist aber die auf S. 37G ausgesprochene Behauptung, daß die in der
Po^ica bis zum Anfange des XIX. Jahrh. übliche Schrift die glagolitische
gewesen sei, vielmehr war dies die cyrillische Kursive, die man heutzutage
gewöhnlich die »bosnische Cyrillschrift« nennt; glagolitisch geschrieben
waren nur die für den Kirchendienst notwendigen Bücher, weil es für die
Katholiken nur solche gab. Doch Iv. liat uns in seinem Werke so vieles
und so flott erzählt, daß man solche kleinere Mängel gerne verzeiht,
M.R.
T. A. EpaTHh H Ct. /I^eAHh, Hapo^He nrpe ca CHJe;ia h söopa y
ropüoj XepueroBHHii, Sarajevo 1906, gr.-8", 120 8. (SA. aus dem
Glasnik des Landesmuseums in Sarajevo, Band XVII!.)
Der Aufsatz enthält eine Beschreibung nebst guten Bildern) von Gesell-
schafts- und gymnastischen Spielen, welche in der oberen Hercegovina,
hauptsächlich in Gacko und Nevesine, zumeist während der langen Winter-
abende, gespielt werden. Nach einigen Bemerkungen über die Gelegenheiten,
wo gespielt wird (S. 1 — 5), sowie über die Spiele im Allgemeinen (S. 5 — 13),
von welchen nur die ersteren etwas neues bringen, folgt die Schilderang der
einzelnen Spiele, itnd zwar zunächst derjenigen, die an Winterabenden im
Zimmer gespielt werden (S. 13 — 73), dann derjenigen, die an Kirchweihtagen
U.8.W. im Freien geübt werden (S. 73 — 120). Unter den ersteren fällt die große
Zahl der Spiele auf, die eigentlich aus mehr oder weniger komischen, drama-
tiscli dargestellten Szenen bestehen, und bei welchen selbstverständlich viel-
fach auch recht schlüpfrige Scherze erlaubt sind. — Die Darstellung hätte
vielleicht etwas lebhafter sein können und am Schlüsse wäre ein Verzeichnis
der Spiele angezeigt gewesen. 31. Jt.
Kleinere lexikalische Hilf smittel für die slavischen Sprachen.
Neben den großen lexikalischen Leistungen, die innerhalb der einzelnen
slavischen Sprachen teils langsam fortschreiten (in Agram, Warschau, Prag,
Petersburg], teils erst geplant werden (Belgrad, Sofia, Prag), erheischt das
tägliche Leben, der gesteigerte Verkehr und die immer größere Bcrülirung
unter den Völkern verschiedener Zunge, die Fertigstellung von kleinereu oder
sogenannten Taschenwörterbüchern, deren Zweck es ist, den Bedarf des
Augenblicks zu befriedigen, die Lektüre gewöliuliciier moderner Texte in vor-
Hchiedcnen Sprachen zu ermögliclicn. In neuerer Zeit sind mehrere solche
Bücher erschienen, deren einige hier genannt werden sollen. So ist neben dem
432 Kritischer Anzeiger.
bekannten Taschenwörterbuch der böhmischen und deutschen Sprache von
Josef Kauk, dessen sechste Auflage im J. 18'.).j erschienen war, aus neuerer
Zeit zu erwälinen das im Verlage von Otto Iloltze's Nachfolger in Leipzig
erscliienene TascJicinvUrtcrhuch ehr hliliynisclien und deuinchen Sprache von Frnf.
Dr. I. V. Stcrzinr/er, in zwei Teilen zusammengebunden. Der erste, deutsch-
böhmische Text umfaßt 432, der zweite, böhmisch-deutsche Text 502 Seiten.
In demselben Verlage erschien bereits 1896 ein Taschenwörterbuch der böh-
mischen und englischen Sprache von Pro/. Dr. V.E.Mourek: Pocket dictionary
of tl>e Bohetniam and ünglish Lamjuages. Der erste Teil (bohemian-english)
umfaßt 482, der zweite (english-bohemian) 407 Seiten. Endlich erschien in
demselben Verlage neuestens (1906) ein Taschenwörterbuch der polnischen und
französischen Sprache, von Prof. Oskar Callier : Dictionnaire de poche Francais-
Polonais et Polonais-francais. Der erste, französisch-polnische Teil umfaßt
478, der zweite, polnisch-französische Teil ebenfalls 478 Seiten. Die Angabe
der Seitenzahlen zeigt, daß alle diese Ililfsmittel zo ziemlich nach gleichen
Grundsätzen und in gleichem Umfange ausgearbeitet sind. — lu V. Behr's
Verlag in Berlin ist in letzter Zeit das wohlbekannte Taschenwörterbuch
der polnischen und deutschen Sprache von Lukaszexcski und Mosbach neu
herausgegeben worden : Deutsch-polnisches und polnisch-deutsches Wörterbuch
zum Schul- und Handgebrauch . . . vollständig neu bearbeitet . . . von Dr. Ludomit
German (Berlin 1906). Der deutsch-polnische Teil umfaßt 886, der polnisch-
deutsche 1126 Seiten. Ein flüchtiger Vergleich dieser Ausgabe mit der in
meiner Bibliothek befindlichen vom J. 1865 zeigt in der Tat starke Bereiche-
rung des Wortvorrats und auch sonstige Verbesserungen. — Endlich hat das
Unternehmen Toussaint-Langenscheidt auch ein Taschenwörterbuch der
russischen und deutschen Sprache (mit Angabe der Aussprache nach dem pho-
netischen System der Methode Toussaint-Langenscheidt) von Karl Blattner
herausgegeben. Der erste mir vorliegende, russisch -deutsche Teil umfaßt
972 Seiten. Die genau sein wollende phonetische Transskription entfernt sich
allerdings sehr weit von den in den slavischen Sprachen üblichen Bezeich-
nungen. Man müßte von den Individuen, die nach dem Buche (35 Briefe nebst
Beilagen) Toussaint-Langenscheidts russisch gelernt haben, beurteilen, ob sich
diese phonetische Bezeichnungsweise der sehr schwierigen russischen Aus-
sprache bewährt. Dem Verfasser des Wörterbuches könnte man nahelegen,
daß wenn er schon für c sich entschlossen hat, er kein Verbrechen begangen
hätte, falls er auch s und z aufgenommen hätte. Sehr zu loben ist, daß die
Betonung bei den Verben neben der 1 ten auch die 2te Person sing, angibt.
Warum aber nicht bei den Substantiven die gleiche Berücksichtigung des
Genitivs stattfand, ist mir unerfindlich. V. J.
Kleine Mitteilungen.
Drawäno-Polabisches.
Priz »ohne«.
»Ohne« wird in den bekannten Denkmälern durch priz %\iedergegeben:
priz rungice (ohne Hsiiiö.;, prizmior- (ohne Maß;. Schleicher wollte den Bedeu-
tungswandel von prez [lech. prez} 'über — ohne' begreiflich machen, allein
seine Argumentation muß als verfehlt bezeichnet werden. »Ohne« hieß im
Altpolabischen ebenso wie in den übrigen slav. Sprachen bez; man vergleiche
die O.-N. Bisdede (== altpoln. Bezdiady] und Bisdamiz (= Bezdomici). Wie im
Neuslovenischen, trat aber bald Anlehnung des bez an crez und prez ein, so
daß bez durch die analoge Form brez verdrängt wurde, eine Erscheinung, die
auch im Altpolnischen gelegentlich beobachtet werden kann : O.-N. Bresmir =
Bezmir. Doch mit dieser neuen Form brez war erst recht der Anstoß zu einer
weiteren Entwickelung gegeben. Brez und prez berührten sich lautlich so
nahe, daß sie vom Volke jbeständig vei-wechselt wurden, bis schließlich die
Yormprez (in der Bedeutung »ohne«!) als alleiniger Sieger hervorging. Ken-
ner des polnisch-schlesischen Dialektes wissen, daß das Volk bez und przez
ganz willkürlich, wenn auch unbewußt, immer vertauscht; sehr interessant
ist in dieser Hinsicht die Geschichte des schlesischen Ortsnamens Przezchlebie:
um 1490 heißt er noch richtig Bezchlehic, die moderne Form Przezchlebie
beruht also auf der volkstümlichen Vertauschung des bez {brez) mit przez. Im
Drawänischen gibt es überhaupt kein bez mehr, hier hat wie im Schlesisch-
Polnischen prez {jjriz) vollkommen die Bedeutung »ohne« angenommen. Es
handelt sich also nicht um einen selbständigen Bedeutungswandel des prez,
wie Schleicher annahm, sondern um eine lautliche Angleichung und einen eben
dadurch herbeigeführten Zusammcnfall ursprünglich verschiedener Wörter.
Rüzplasteite = rozplaSfite.
In dem berühmten Tierliede Ki\tü mOs ninka baut finden wir den Impe-
rativ rüzplasteite (von Heunig wiedergegeben durch »schlagt auseinander").
Schleicher hat das polabische Wort mit dem russischen ritzplastiV (von plast)
»in Flächen zerlegen« identifiziert, allein seine Annahme ist unhaltbar. Das
Wort deckt sich genau mit dem polnischen rozplasdijc (von phtshi) »flach
machen, flach schlagen«; das gibt auch den richtigen Sinn der Stolle wieder
nicht um ein »Auseinandcrsclilageu« handelt es sich, sondern um ein "Flaeh-
Bchlagen des Podex«, damit ein Tisch für die 'riorgesellschaft bereitet worde.
Dem \)o\n.r()zplaHcijc entsprach im Altpolabischen rozpla.stlt, im Drawäiiischeu
müßte der Infinitiv rüzpldstit lauten. In der zweiten Person Iniperat. Tlur. /Vj;-
plaitite ist das a zwischentonig und widersteht daher uadi einem vielfach zu
Archiv für sliivischo Philologie. XXVIII. 28
434 Kleine Mitteilungen.
konstatierenden Lautgesetze ') dem Übergänge in o; wir haben also als regel-
rechte Entsprechung des rozjiluititc das vorliegende rlizplasteite aufzufassen.
Im Anschlüsse an dieses Wort mit k (poln. U) sei bemerkt, daß polabi-
sches st vor folgenden palatalen Vokalen selbstverständlich hart ist, nie eine
Erweicliung aufweist: sidleiste [sedliUe], wistareiöa aus älterem loisteraUu =
*wcsterica im jeMerica. Sobald aber gutturale Vokale folgen, wird k [at] genau
so erweicht wie im Cechischen: peistJolA-a coth. pistalka, sfjeiiko 'sfjäuhd)
altcech. siuka jetzt kika Hecht. Schleicher kannte dieses Lautgesetz nicht, da
er für das vonParum-Schulze überlieferte hrezdjdje »es tagt« eine unzutreffende
Erklärung gab. Das Wort ist abgeleitet vom Substantiv hrezg fpolabisch und
poln. briazg, hrzazg brzask) mittels der Endung -jati: hrhg + jati =■ br^zdati,
daher ganz richtig brezdjöje = briHdaje.
Über die Stelle ytglupzit tjarla.
Im Tierliede heißt es: Joz jis wiltje glupzit tjarl »ich bin ein sehr heim-
tückischer Kerl". Hilferding hat im guten Glauben an die Slavizität des
Wortes glupzit säuberlich ein *glupcit rekonstruiert, das sich doch sofort als
unslavische Bildung erkennen läßt! Die Endung -it liegt in Wirklichkeit hier
gar nicht vor, da das t von tjarl irrtümlicherweise doppelt geschrieben
wurde ; wir haben es mit einer falschen Silbenteilung zu tun, die uns ja häufig
in den Aufzeichnungen entgegentritt 2). Richtig ist bloß die Lesart: glupzi
tjarl. Ist aber glupzi slavisch? Können wir an Bewahrung des altpolabischen
Lautstandes gerade bei diesem Worte glup- im Ernste glauben? Glupi (dumm,
draw. auch mit der Bedeutung »jung«) ergibt die belegte Form glüupe^ das
sonderbare glupzi läßt sich absolut nicht mit den Lautgesetzen des Drawäni-
schen in Einklang bringen. Aber auch die Bedeutungen gläupe = dumm,
jung, glupzi = heimtückisch, hinterlistig sind einander diametral entgegen-
gesetzt, die eine Bedeutung läßt sich aus der anderen nicht ableiten: ein
»dummer« Mensch gilt überall in der Welt als synonym mit »gut«, niemals
aber mit »heimtückisch«. In der Tat sind die zwei Wörter streng von einan-
der zu sondern : der ganze Ausdruck glupzi tjarl ist nichts anderes als der
ohne große Veränderungen direkt aus dem Plattdeutschen in den wendischen
Jargon herübergenommene nglüj)^sche Kerl« (= heimtückischer Kerl). Glupzi
entspricht Laut für Laut dem niederdeutschen glup' seh : wir haben es ghip>si
zu lesen, das i (eigentlich ein zwischen e und i schwankender Laut c) der En-
dung ist nach dem Muster der slav. Adjektiva z. B. dilbre [dobry] angehängt.
Auch Brückner hatte die falsche Meinung, der niederdeutsche Ausdruck
ghip'sch glüpisch »heimtückisch« sei dem slav. glüp entlehnt: nach dem Ge-
sagten ist das unmöglich; dazu kommt aber noch ein positiver Beweis. Das
Wort findet sich in der Form glilpsk »heimtückisch« auch im Friesischen der
Insel Helgoland und damit ist dessen deutscher Ursprung sichergestellt.
Andere Verwechslungen von Deutsch und Slavisch.
V Wenn Hilferding und Brückner gelegentlich ein Wort für slavisch er-
klären, das sich bei näherer Untersuchung als deutsch entpuppt, so kann man
1) Cf. iipaden : eüpaden. ^) Cf. kam man = ka man.
Kleine Mitteilungen. 435
das noch begreiflich finden. Staunen muß man aber darüber, daß sogar
Schleicher sich solche Verwechslungen zu Schulden kommen ließ. Im Drawä-
nischen finden wir neben dem echt slav. Worte vömö (altpolab. varna) auch
ein röwan. Schleicher muß natürlich alle möglichen Verdrehungskünste an-
wenden, um r-öwan auf vornö zurückzuführen. Die nüchterne Wissenschaft
wird fragen: Warum soll sich die Sprache solchen Luxus mit Doubletten er-
lauben? Röwan hat in Wirklichkeit mit vörno-varna nichts zu tun, es ist viel-
mehr die lautgesetzliche Wiedergabe des niederdeutschen iJaven (hochdeutsch
= Rabe) : a wurde zu 0, die nachtonige Endung en zu an wie in tjüssan aus
Küssen, jetzt Kissen (Polster), niederdeutsches v = draw. iv.
Das zweite von Schleicher fälschlich für slavisch gehaltene Wort ist
stjütäl. Er sieht darin s + kottl, ohne zu bedenken, daß kottl im Drawänischen
nur tjütjal [helegtl) mit erweichtem ä lauten kann. Außerdem ist die Be-
deutung von stjütäl »Gefäß« mit »Kessel« gar nicht in Einklang zu bringen.
Wir haben es einfach mit dem altniederdeutschen sküttel (hochdeutsch Schüs-
sel, selbst wieder ein Lehnwort aus lateinisch scutellä] zu tun: aus sküttel
wird sfcütäl, stjütäl, natürlich ohne Ei'weichung. da /// auf die unbetonte
deutsche Endung -el zurückgeht.
Dr. Kaiina leitete draw. stäul auf sfol stöl zurück; allein dem wider-
spricht nicht nur die Bedeutung »Stuhl« [slav. stol müßte im Draw. slöl lauten,
ist aber vom Fremdwort deiskö aus disk ganz verdrängt worden], sondern
auch die Lautform : üit kann nur aut u zurückgehen, stäul ist nur die draw.
Umformung des deutschen StuJd {stül).
Doch der ärgste Mißgriff Schleichers war die Behauptung, das draw. De-
minutivsuffix -ka bei männlichen Substantiven (z. B. tonika »der kleine
Thurra, niederd. IWn») sei slavischen Ursprungs. Um die Slavizität des -ka
zu retten, beruft sich Schleicher auf russisch hutjuska, sorb. braska. Da über-
sieht er ganz, daß dies verkleinernde Koseformen sind, ihrem Ursprünge
nach also ganz verschieden sind von den Fällen, wo -ka unmittelbar an das
einfache Substantiv tritt. Eine weibliche Deminutivendung -ka bei männlichen
Substantiven ist für das slav. Sprachgefühl eine solche Ungeheaerlichkeit,
daß man billigerweise über das Schweigen zu Schleichers Erklärung staunen
muß. Hier sei endlich die Lösung dieses Rätsels gegeben!
Im Niederdeutschen lautet das dem hochdeutschen »chen« entsprechende
Verkleinerungssuffix »-kea, z. B. Reineke, Reinke, Hanske, Lifke (Leibchen,
Mieder). Die Drawäncn übernahmen nun bei ihrer allmählichen Germanisation
dieses beliebte niederdeutsche Suffix entweder unverändert in der Form -ke^)
oder in der auf die Nebenform -kin (z. B. nü[/elki/i] hindeutenden Nuance -ki.
Dr. Mucke kann sich dieses -ki, das noch heute ein charakteristisches Merk-
mal des »Wendisch-Platt« bildet, nicht erklären. Mit dem slav. -ka kann -ki
nichts zu tun haben, -ki ist nur das im drawänischen Munde etwas ver-
änderte allgemeine niederdeutsche -ke : hrUtki = Brötchen, putki = Pötke,
kleiner ,Pot' (Topf), lütki = niederdeutsch lütkc, Ufki = lifke Leibchen ; pol-
luitzki ist daher nicht ein slav. *^jo//c/.-«, sondern slav. ;jo/f/z {= polica) -^
1) Z. B. patinatz + ke bei Henuig (»Vögel chen«\
28*
436 BJeine Mitteilungen.
niederdeutsch -he^ draw. -ki: »kleine Poleiz« [Büchse,. Dr. Mucke mag sich
trösten, da ja aucli der große Schleicher das in den drawänischen Sprach-
denkmälern überlieferte ^ojanyaki allen Ernstes alsPlur. 2«_yVc/i(I rekonstruiert
hat, trotzdem die gewissenhaften Aufzeichner ausdrücklich den Singular »nas-
chen, kleiner Hase« anführen. Sojanyiiki ist eben rIhv. zojangc 'zajqc) -\- nieder-
deutsch-draw. kc-ki. Wie jmleitzki ist auch zojanijcki ein klassischer Beweis
für die Verquickung von Slavisch und Deutsch, für den allmählichen Über-
gang des draw. Jargons in das heutige »Wendisch-Platt«.
Als die Sprache aber noch mehr Kraft besaß, da begnügte sie sich nicht
mit der einfachen Übernahme des -ke als -h: und -ki, sondern gab dem nieder-
deutschen Suffixe wenigstens eine slavische Form, indem es dasselbe an das
slavische, aber nur für weibliche Wörter verwendete Deminutivsuffix -ka
[zenka zu zena) anschloß : -ke wurde also zu -ka und ging selbstverständlich
nach der weiblichen Deklinationsart i). So besitzen wir also das niederdeutsche
Lifke (Leibchen, Mieder) nicht nur in der noch heute üblichen Form Ufki, son-
dern auch (bei Parum-Schulze) in der slavischen Form lifka, Akkus, lißcung.
Der fremde Ursprung dieses -ka gibt sich aber schon dadurch zu erken-
nen, daß es eben an männliche Hauptwörter tritt : Ufnazu Uf{LQi\i], llanska
(niederdeutsch Hanske Häuschen; zu Hans, tornka iTorn = Turm), klitzka (zu
Klitz = Mütze), ramka (niederd. Ramke zu Rani »Schafbock <'), hutzka »schläf-
riger Mensch«, eigentlich »kleine Schlaf kammer« zu niederd. hutz etc. etc.
Interessant ist die Form wnucka »Wölfchen« : sie ist wohl aus dem slav.
wäucuJc (altpolab. volcok) gebildet, aber die Endung nahm ganz die Form des
niederd.-draw. ka [ke] an: toäucäk^ waucka.
Die Geschichte des niederdeutschen Suffixes -ke im Drawänischen, wo
es als -ke, -ki und -ka erscheint, ist gewiß geeignet, ein helles Licht auf das
Wesen dieses slavo-deutschen Jargons zu werfen.
Zum Schlüsse sei hier noch ein Irrtum Dr. Mucke's richtiggestellt. Das
noch jetzt im Dialekt des Wendlandes fortlebende dörjai (Schlagbaum, Tür)
ist nicht auf dviri (Tür) zurückzuführen, da letzteres, den Lautgesetzen des
Drawänischen entsprechend nur dcurai ergeben kann (Form belegt!;. Dörjai [d
und die Erweichung ist wohl zu beachten!) hat mit dvärai [dviri] nichts zu
tun: es ist ein Lehnwort aus dem Niederdeutschen und zwar mit dör door
(= Tor) zu identifizieren ^). Das fremde d wurde bewahrt wie in vielen anderen
Lehnwörtern (cf. kdma, hdlja) und im Plural •*ddr-y *ddr-ai die gerade bei
Wörtern fremden Ursprungs beliebte Erweichung vorgenommen: ddrjai (cf.
gloso glosj'o Glas).
Beeinflussung des Drawänischen durch das Deutsche.
Überhaupt war die Sprache der Drawänen vor ihrem Erlöschen schon
ganz vom deutschen Sprachgeiste beseelt. Die niederdeutschen Spracheigen-
tümlichkeiten wurden ohne weiteres auf das Slavische übertragen. Hier sei
nur auf zwei von Schleicher nicht festgestellte Tatsachen aufmerksam gemacht.
* 1) Genau dasselbe geschah im Niedersorb. Aus »Fäßchen« wird, faska,
aus »Mäßchen« maska (G. Mucke, Niedersorb. Gramm.).
2) Hennig gibt ausdrücklich an: Thor dorö, aber Thür dwaray.
Kleine Mitteilungen. 437
Bekanntlich unterscheidet das Niederdeutsche und mit ihm das Englische
den Dativ und Akkusativ der Pronomina gar nicht : Englisch I have him ich
habe ihn, I give him ich gebe ihm. Daher finden wir auch im Drawänischen
mdmejim = mamejemii statt momejig mame jego . Schleicher wußte sich mit
dem rätselhaften y»n nicht zu helfen, da er es doch nicht wagte, es zu jime =
iemljet siidslav. zu stellen. Wir können also auch den Dativ Jemw, draw. jV?n
in den Denkmälern belegen.
»Von« regiert mundartlich im Deutschen den 4. Fall; so lesen wir bei
Par.-Schulze: »etliche von die Wenden«. Derselbe Fehler wiederholt sich
dann im wendischen Jargon: ceiste wit griclie = *cisty vot grechy ganz wie
dialektisch »frei von die Sünden«.
Über das überlieferte Vaterunser.
Die plumpen Germanismen gestatten uns auch ein festes Urteil über das
wendische Vaterunser, von dem Dr. Mucke in den Szczatki behauptet, es reiche
noch in die katholisc e Zeit zurück. Zunächst eine historische Erwägung! In
der katholischen Zeit können wendische Gebete vorhanden gewesen sein, lei-
der ist davon nichts auf uns gekommen. Seit der Reformation aber ist, nach
dem ausdrücklichen Zeugnisse Hennigs, die wendische Sprache niemals in
Amt oder Kirche gebraucht worden. In der Kirche betete man bloß deutsch,
ein Bedürfnis nach einem wendischen Vaterunser war also in der protestanti-
schen Zeit gar nicht vorhanden. Sollte also das überlieferte Vaterunser wirk-
lich noch aus der katholischen Zeit stammen? Daran zu glauben, verbietet
schon die Form des überlieferten Gebetes: eine kirchlich autorisierte Über-
setzung aus der katholischen Zeit müßte ganz anders aussehen; die vorlie-
gende Übersetzung ist nicht nur ungenau (so fehlt z.B. »sondern «), unbeholfen
im höchsten Grade, sondern auch mit groben Germanismen überladen. Eine
Stelle beweist klar, daß die Übersetzung erst im XVII. Jahrh. mit Hilfe eines
alten Wenden, dem man den deutschen Text vorsagte, mühsam hergestellt
wurde. »Unser täglich Brot gib uns« wurde von dem Alten, der ein wendi-
sches Vaterunser natürlich gar nicht kannte, sklavisch übersetzt mit
nösü (geschrieben nosi) tcissedaneisna stjeiba doj — .
nosi [nösü] = Neutrum, da im Deutschen »unser Brot« (sächlich) vorliegt; nösü
(nosi) gebildet wie miß {miijü) == mnjd, analogische Form für organ. innje; cf.
tijijcimang = tvojojimo.
wissi'claneisna stjeiha: Nominativ statt des Akkusatives, da im Deutschen
beide Fälle zusammenfallen ('>unser Brot«).
Zur Form wissedaneisna (auch getrennt geschrieben tcisse darteistw) wäre
noch zu bemerken, daß hier nicht das organische dhüsna vorliegt, da dieses
nur dändsna ergeben könnte (cf. ovisny : wüirdsnc]; die Wandlung eines 1 zu
ei wäre unerhört! Wie schon die Schreibweise wisse daiifisna anzudeuten
scheint, haben wir BceinHussung des zusammengesetzten Adjektivs ^nsedi-
m.hia durch die pluralische Wendung visc dini (letzteres oigentl. Akkusat.):
draw. tviss6 dänäi »alle Tage« anzunehmen; es handelt sich also um eine
Kreuzung der Formen vUedlnUna : — dändsna
vts(J dini : tcisse ddndi, als deren Resultat eben das vor-
438 Kleine Mitteilungen.
liegende tvi.ssedanaisna ersclieinti). Auch das sächliche vUe liegt dem ersten
Teil dfs Kompositums nicht zugrunde, da es im Draw. stets in der analogi-
schen Form vtsd : wissü erscheint.
Wie ist gölumhj'e [djölumhge] aufzufassen ?
In den Quellen finden wir zu (jülumhäh ({jolqhiik Täubchen) als Plural rjö-
lumbgc, zu lesen (julumhje, angegeben. Schleicher bemerkt dazu: »die Schrei-
bung läßt zu viele Mijglichkciten der Deutung zu, daher sehe ich von dieser
Form ab«. Allein dieAufzeiclinung ist genau, daher nur eine einzige Deutung
möglich: die vorliegende Form ist zwar nicht der Nominativ Pluralis (der
mvi^iQ*(jülum'bci lauten!), wohl aber der Akkus. Plur., der ja häufig von den
Aufzeichnern für den Nomin. gesetzt wird. Golqhly = draw. (jölumhlhj =
(jüliimhtje; da nun häufig für dj tj einfaclij geschrieben wird [(ti.jöra = (jöra^
püjön = j:;M(/6'n : pocjon), so hat die Schreibweise gülumhje für rjölumbtje nichts
Befremdendes an sich.
Deklination der Verbalsubstantiva.
Große Schwierigkeiten bereiteten Schleicher die Verbalsubstantiva.
Über ihre Deklination hat er zwei verschiedene Ansichten geäußert: sein
Scharfblick führte ihn anfangs auf die richtige Fährte, leider entschied er sich
zuletzt für die falsche Auffassung. Hier sei die Sache endlich richtiggestellt!
Aus -anije, -enije wurde im Drawänischen zunächst -anje, -evje. Die von
Haus aus berechtigte Erweichung ging aber verloren, da vor den Palatallauten
e und i im Drawänischen kein jotierter Konsonant stehen darf; man vergleiche :
kirchenslav.yem()iV^, lechisch je?/ye, aber draw.ymae
» zemjq, polab. zemjp^ aber draw. zwir, zimang.
Somit erscheint als die lautgesetzliche Form des Nominativ- Akkusativs der
Verbalsubst. -6ne (aus -anje), -ine (aus -enje], die sich ja tatsächlich belegen
lassen [ßeutöne das Flöten). Bei Par.-Schulze, der bekanntlich den Auslaut
der slav. Wörter gern abwirft, z. B. glaw, sidleist für allein richtiges gläwa,
sidleiste, altpolab. glowa, sedliste, erscheint natürlich -one, -ine als -6n, -in.
Der Genetiv läßt sich ohne weiteres erschließen ; er mußte, je nach der
Betonung, -öyija oder -6nj6 lauten, da vor gutturalen Vokalen die berech-
tigte Erweichung wieder erscheint. Ebenso läßt sich der Instrumental mit
völliger Sicherheit erschließen: voidonjäm nach. püljam, nihisjäm.
Für den Dativ und Lokal gibt es im Gemeinslavischen zwei verschiedene
Formen: vydaniju und vydanii; im Drawänischen aber finden wir für beide
Fälle -önje oder -onja. Schleicher glaubte nach langem Schwanken darin die
Eeflexe von vydanju vydanii zu sehen, da im Draw. der unbetonte Auslaut
stets verflüchtigt werde.
Für den Dativ könnte man Schleichers Auffassung gelten lassen, ganz
unmöglich aber ist sie für den Lokal : aus vydanii, vydanji kann sich nach dem
oben genannten Lautgesetze nur *voidöne ohne Erweichung ergeben.
1) Die Richtigkeit der Ableitung wird bestätigt durch Hennigs zänäi
:mwie im Niedersorb. »die Ernte») und das davon abgeleitete Adj.~änam2e.'
Kleine Mitteilungen. 439
Die einzig-richtige Erklärung der draw. Formen ist die von Schleicher
selbst zuerst gegebene, ehe ihm unberechtigte Bedenken aufstießen. Im
Drawänischen des Verfalles fielen, wie Schleicher selbst nachgewiesen hat,
Dativ und Lokal der Neutra vollkommen zusammen: dune: ku d'äne, d'äna
(auslautendes unbetontes e wird sehr häufig zu a\], ebenso nö d'äne, d'äna.
voidöne [vydanije, vydanje) schließt sich nun analogisch den harten Stäm-
men an, doch beweist die vor dem </ auftretende Erweichung kä voidonje ganz
klar, daß hier eben keine organische Form vorliegt. Genau so verhält es
sich ja mit den männlichen weichen Stämmen : für urslav. na pqti tritt im
Drawänischen, wo die i-Stämme mit koni zusammenfallen, nach wa dvore die
analogische Form no pungtje ein, aber mit sekundärer Erweichung! Dadurch
wird eben auf den ursprünglichen Charakter des Stammes deutlich hinge-
wiesen. Nach kä d'äne d'äna, nö däne däna erhalten wir also die analogischen
Dativ-Lokalformen mit Erweichung :
kä voidonje oder voidönja
kä peifje oder peitja
vä peitje oder peitja.
Schleicher ließ sich durch diese erweichten Formen, die nur im Dativ-Lokal
begründet sind, auch zur Erweichung des Nominativs verleiten ; daß ein -öiie
als Nominativ mit den Lautgesetzen des Drawänischen unvereinbar ist, haben
wir bereits gezeigt.
a bei Pav.-Schulze = ai [oi aus urslav. y).
Der geniale Hilferding hat schon erkannt, daß Schulze für die betonte
Pluralendung ai oi aus y fast konsequent die Schreibung a gebraucht. Schlei-
cher und Dr. Kaiina haben leider Hilferdings Deutung nicht beachtet, ihre
Erklärungen sind abzuweisen. Wiederholtes aufmerksames Lesen der Schulze-
schen Handschrift und Vergleichungen mit den anderen Quollen überzeugen
aber jeden Unbefangenen von der Richtigkeit der Ansicht Hilferdings. Hier
seien aus der Unmenge bloß einige Beispiele herausgegriffen :
Schulze: cara — die andern Quellen: karoi {karai) aus *kHnj kry (Blut\
» sumha (ausdrückl. als PI. bezeichnet) — die and. Quellen: sumboi [sum-
bai) = zqbi/.
» tjöta = tjötai, tjütoi = koty (die Katze).
Pidjana (bei Schulze) für älteres püdjöna ist tatsächlich pihjüna) = poyony (zu
Singl. ^jMVyön = jjnyoii Trift;. In der Stelle tidje, zena, cite mine schwöret ist
zena also ganz bestimmt der Plural zenal zeny, worauf ja nicht nur das cite
{chcete), sondern auch die deutsche Übersetzung »Frauen« hinweisen.
An dieser Stelle sei die richtige Lesart des Wortes 'Toh/a angegeben. In
seiner Chronik spricht Schulze von der Ausbreitung der wendischen Flur-
namen: Arendsee, Sdhtvedel, f/lzen und Blekede seien die äußersten Hren/.-
punkte des Wendenlandes gewesen. Bei dieser Gelegenheit wird aucli der
Flurname Tohla angeführt. Dr. Kaiina, der zu seiner Zeit noch keine riditigo
Kenntnis der draw. Flurnamen besitzen konnte, las ToMa als täl=^iyl;
selbstverständlich dürfte diese Deutung niemanden befriedigen. Da wir nun
bereits zwei Sammlungen der draw. Flurnamen von Mucke und Kühnel be-
440 Kleine Mitteilungen.
sitzen, kann es uns nicht schwer fallen, das Tohla endlich richtig zu deuten.
Die Tennis steht — wie das so oft in den Aufzeichnungen der deutsch
sprechenden Sammler vorkommt — für die richtige slav. Media: wir haben
ddla zn lesen, und da nach Schulzes Schreibweise döla = döldi doloi, so er-
scheint dieses Wort als identisch mit dem so häufig auftretenden Flurnamen
Dolai, Dulai = doVi/, die Täler, die » Talstücke «. Noch heute wird bekannt-
lich das Wort dohl im Wendlande häufig gebraucht.
Über die eigenartige Bildung der Iterativa im Spätdrawänischen,
Die Zeitwörter ricat, z'äzat (verbrennen , vübortat (umdrehen, wenden),
plitöt (flechten) sind, wie schon Schleicher richtig vermutet hat, tatsächlich
Iterativa, befremden aber den Slavisten auf den ersten Blick durch ihre
sonderbare Form.
Im Altpolabischen lauteten diese Iterativa gewiß so wie im Gemein-
lechischen: rekati [ricati ist bloß südslavisch!), vohracat (poln. wracac,, zSgat,
pUatat (aus pltltai). Im Drawänischen standen sich nun gegenüber:
rice (aus rece; der weiche Stamm überall durchgeführt!) — *rekat
viibörte (cf. sorb. tvobroci, altpolab. voharti) — *vübrÖcat
z'äze (aus ztze) — — — *zegat, zegat
plite (aus plete) — — — *pli6tot.
Das Spätdrawänische hat nun diese gewaltigen Unterschiede zwischen dem
einfachen Verb und seinem Iterativum durch Formalausgleichung vollständig
getilgt: nach rece wurde das organ. *re/ca^ z\x ricat
» z'äze n » )) *zegat » z'äzat
» viibörte » « » *viibröcat » vübortat
» plite » » » *2^^^ötöt » plitöt.
Die Analogie spielt also hier wie in so vielen anderen Fällen eine be-
deutende Rolle. Hier sei gleich ein weiteres Beispiel gegeben !
Den Infinitiv voizinet (hinausjagen) konnte sich Schleicher nicht erklä-
ren. Das Organ. *voignat {— vygnati) sticht lautlich von seinem Präsens voi-
zine (= vyzene) so bedeutend ab, daß eine Neubildung bei dem geschwächten
Sprachbewußtsein der Drawänen fast unausbleiblich war :
nach züne (= zvotii], Infinitiv zünit [zcomti], wurde zu voizine (= vyzene)
der Infinitiv voizinet neu gebildet i). Übrigens haben wir den Stamm gna-
belegt in gnol [gnal).
Über die rätselhafte Endung -äf.
Die weiblichen Substantiva auf -y (z. B. raky Sarg, crlxy Kirche) haben
sich im Drawänischen besser behauptet als in den anderen slav. Sprachen:
räTcai od. räfjäu, cdrtjäu od. cärtjai etc. Daneben aber findet sich auch die in
den westslav. Sprachen übliche Ersetzung des Nominativs auf -?/ durch den
Akkus, auf -iivi, draw. äv, äf [dv, äf). Nun herrscht im Draw. gerade die
eigentümliche Gepflogenheit, die fremden Namen von Stoffen u. Werkzeugen
nach der weiblichen «/-Deklination gehen zu lassen: das deutsche «Kohl« er-
scheint also als köläu {*kol-y), und da sich die Endung -üu (aus -y) mit -äv, -äf
1) Selbst im Poln. finden sich die Neubildungen zenqc und sogar zenic
neben gnaö; im Obersorb. haben wir icobröceö (= tvohrotjat) statt icobräcac!
Kleine Mitteilungen. 441
aus -tiv'i) in dieselbe Funktion teilt, finden wir natürlich auch die Form köldf
verzeichnet. Schleicher wollte darin den Plural des Genitiv, partit. sehen,
allein seine Ansicht findet in den Tatsachen keine Stütze.
Diese weiblichen Substantiva, die im Nominativ bald -äu (-y), bald -äf
-üvi) hatten, gaben nun den Anstoß zu einer gewaltigen Analogieerscheinung.
Viele männliche Stoffnamen endigten auch im Draw. im Genetiv, part. sing,
auf -u (draw. -äu, : medü-mediiu. Dieses medäu fiel in seiner Form vollkommen
mit den weiblichen Substantiven rätjäu-*räkäv [raky-ral;nvT] zusammen, so
daß schließlich zu medätt, fälschlich als Nominativ aufgefaßt, die analogiache
Form medäf (belegt!) trat. Nun war der Stein im Rollen! Es bildete sich im
geschwächten Sprachbewußtsein die Vorstellung aus, daß zu jedem -äu aus
->i) auch die Nebenform -äf treten könne ; daher finden wir friedlich neben-
einander vdnäii = vünü »draußen« und vininf^ *vünüvi; dunäu = dnnü
»hinein«) und das analogische dänäf. Selbstverständlich trat zu hogü Dativ;
= hügäu, hüdjüu die Neubildung büdjdf^), worin die von hüdjüu herrührende
Erweichung beachtenswert ist. Der Dativ des Lehnwortes tjurl (aus KerV,
ursprünglich *tjärlUu = kerlü lautend, wiirde durch das analogische tjnrläf
ganz verdrängt; schon Hilferding hat mit seinem Scharfsinn erkannt, daß in
dem Satze zenajang tj arid f püdr äug [zena *J^ *kerl-uvi podrug) nur ein Dativ
vorliegen könne. Baudouin de Courtenay meinte wieder, hier sei ein Adjectiv.
possess. auf-orl'c anzunehmen. Schleicher sah ebenfalls einen Dativ in tjdrldf,
das er richtig als *tjdrl-un rekonstruierte, während Hilferding das -df dem
Dativ -ovi gleichsetzte. Heute können wir in die Sache volles Licht bringen.
Weder die Dativform auf -o vi noch die adjektiv. Form -ov liegt zugrunde, da
beide nur -Ute ergeben könnten; ci.Ljuchmv, häufiger poln. 0.-N.,draw. Ljäu-
chü{iv], geschrieben T/jäuchi, deutsch Lüchow, 3Icichaliiioe = 3Iichalotüy,
torJinwe = tnrk-oicy türkisch. Schleicher verlangte also mit Recht die An-
setzung der Dativform -df [uvi); leider beging er einen argen Schnitzer mit
der Behauptung, diese von ihm erschlossene Endung -üct, -dv sei der eigent-
liche, organische Dativ der -«-Deklination! Jeder Anfänger in der Indo-
germanistik weiß heute, daß dieser Fall gerade nur -ovi lauten muß; Sclilei-
chers Ansicht steht somit ohne Stütze da, es gibt überhaupt nur die einzige
Erklärung für -dv, nämlich daß es eine durch das äu-df der weibl. »/-Deklina-
tion hervorgerufene analogische Bildung ist.
Es sei ein Übersichtsschema dieses Entwickelungsganges gegeben :
Nom. rakäu [raky], daneben Akkus. *rakdv.
Darnach medätt (= mcdu), daher meddf.
» vanäu (= viinü), » vandf.
» danäii {= diinti], » dcmdf
» hügäu [= bogi(\ » büdj'df, daher auch tjarldf.
Was sind hräde und gräme ?
Das überlieferte hrade »er watet« geht nach Schleicher auf hrodi zurück.
Wieder ein Irrtum! Aus hrodi kann nur hrüde werden, wie der lüneburgische
Ist belegt!
442 Kleine Mitteilungen.
Flurname Brüdak = hrodiik, cech. poln. hrodek .^kleine Furt", klar beweist.
Über daa hrude gibt uns das Altcechische volle Aufklärung, das bekanntlich
für das organ. hrvde die nach cite cte gebildete Analogielbrm hrd<: aufweist.
Genau so verhält es sich im Draw. Nicht ein hrodi von hroditi liegt in unserem
Worte vor, sondern die nach cäte [cite] gebildete Form brade {*bnde für organ.
hrede, draw. *hride).
gräme, von den Aufzeichnem irrtümlich als Substantiv «Donner« über-
setzt, ist nicht grom, das nur (iriim lauten kann, sondern das Zeitwort (jrhni,
woraus eben Laut für Laut (irdmc entstehen muß. Daß ein Zeitwort durch
ein Substantiv und umgekehrt ein Substantiv durch ein Verb von den der
slav. Sprache ganz unkundigen Aufzeichnern übersetzt wird, ist eine gewohn-
liche Erscheinung.
Prositi — pra^ati im Drawänischen.
Schleicher sah in dem überlieferten [dcwka tn tllu) prüsal ein *prosil.
Nach den Lautgesetzen des Draw. könnte diese Form nur priisäl lauten, cf.
das belegte loan prüsi- [— prosi). Man hat ganz übersehen, daß in der Über-
setzung prösal ausdrücklich durch »gefraget« wiedergegeben ist. Dr. Kaiina
schwankt, ob er prosal als prosit oder prasal auffassen soll ; in Wirklichkeit
gibt es hier keinen Zweifel: »fragen« hieß im Draw. genau so wie im Sorb.
prasati, prösat, daher das Partizip prösal [^ jjrasal). Ebenso ist das ander-
wärts aufgezeichnete 2)r6sei »fragen« kein Imperativ *prosi (könnte nur *prüs
oder höchstens priise lauten), sondern entweder 3. Pers. Sing. Präs. ^rosaj-e
[prasaje] oder Imperat. prösaj [präsaj].
Warum loühe^ aber ivclbyich?
Urslav. 0 wird im Drawänischen entweder G oder ii, und zwar ist diese
Vertretung von denselben Bedingungen abhängig, die den Wechsel des ia
[io] — e herbeiführen: folgende Härte verlangt ö, folgende Weichheit «. Voraus-
gehendes rt' hindert bekanntlich diesen Prozeß : u-än, wäkü [oko, icoko); folgt
jedoch Weichheit, so verliert das ic seinen Einfluß:
würe aus tvürje, ivorje aber wärat, tv'ärac [ivorat, worac).
Aus 2üo5e kann nur wiihe werden; wenn Schleicher aus *icoMch die verzeich-
nete Form wäbyich »beiderlei« hervorgehen lassen will, so können wir ihm
nicht beistimmen. Wähyich beruht ani tvobojich (cf. oboje], woraus eben Laut
für Laut ivähüjich werden muß, das ä weist mit voller Bestimmtheit auf folgen-
den gutturalen Laut.
Beweis für den Wandel des altpolab. er (aus /) zu clr. \
Die Urkunden bieten uns als Vertreter des r stets er: O.-N. Smerdeh (cf. '
Smrdelje in Dalmatien, poln. smierdziel), Ferch, Ferchesar, Werchlaß, Verchen-
tin (identisch mit poln.-kas. Wiefchucin, das -e)itin nach Gutturalen ist nur
sekundär, die echt-slav. Form ist *Verchuti7i; cf. Techeniin, alt richtig Te-
chutin). Im Drawänischen ging nun dieses er in är über: smärde,vdrch, värba
etc. Die deutschen Lehnwörter bieten uns den sicheren Beweis für diesen
Wandel. Wem das Beispiel werden >> ivdrdöt nicht beweiskräftig genug er-
I
Kleine Mitteilungen. 443
scheint, der muß wohl jeden Einwand gegen das folgende Beispiel verstum-
men lassen: Das deutsche «Kerl« wurde zunächst in dieser Form übernom-
men, nur mußte, dem Lechischen entsprechend, das k vor dem palatalen
Laute erweicht werden: Ä'er/; daraus entwickelte sich später kjärl, tjarl.
Die Erweichung des k wäre rein unbegreiflich, wenn nicht kerl, sondern ein
dialekt. deutsches Karl zugrunde läge. Auch im Niedersorbischen beweisen
gerade die Wörter mit Guttural + r, daß die Formel tartin diesem Dialekte
erst aus tert entstanden ist: während im Polnischen und Polabischen seit
jeher nur skarh gesagt wurde, stellt sich das niedersorbische skjarb^) eben
wegen der Erweichung als sekundäre Form aus älterem skjerb [skerh) dar.
Vertretung des ^ im Polabischen.
Schleicher vermochte nicht zu ermitteln, warum das urslav. i bald durch
rt, bald durch ( a) ja ersetzt wird. Zu dün [dhn) verglich er das serbokroat. dan
und wollte überhaupt die Laute identifizieren. Da ist aber zu bedenken, daß
der serbokroat. Laut ein reines a ist, während der draw. Laut, ein Mittellaut
zwischen a und 0, nach dem Zeugnis der Urkunden und Ortsnamen auf o
zurückgeht. Der Halbvokal ü ist durch 0 vertreten z. B. in wosoj? (poln. osej)).
Auch die O.-N. Dolgemost, Tolstefanz (cech. O.-N. Tlustovous) sind als Be-
lege für ü aufzufassen. Der Wandel des alten o (aus u] zu ä hat nichts Be-
fremdendes an sich; wir wissen, daß yläica aus glowa entstanden ist: O.-N.
Lupeglowe [Liipeglowij, südsl.Name ie^po^/ai'), Zarneglowe [Carnoglowy], Glowe
auf Rügen; wie sich nun glowa und slowo verschieden entwickelten {gläwa-
slüwü}, ebenso gingen altpolab. slovo u. dolg später auseinander: slüicü-däug.
Das polab. ü ist also vom serbokroat. a seinem Ursprünge und seiner
Lautnuance nach verschieden. Aber noch ein weiterer wichtiger Unterschied
läßt sich feststellen. Während im Serbokroatischen i und n durch dasselbe a
ersetzt werden, also zusammenfallen, liegt im Polabischen das echt-lechische
Prinzip vor, daß ^ mit ü nur bei folgender Weichheit zusammenfällt: da-
her dün [dini], pän [pini], divärai [doiri]. Bei folgender Härte und unter dem
Tone wird i im Polabischen durch erweichtes ä (also Ja) ersetzt:
oril >• würjäl
koUl ^ kütjul
OVIS >• wüwjäs, mit Vereinfachung des tcj ]>y ivvj'äs, aber wihcäsue weU
ovtstny)
ptsü'^j)Jäs, ailiGT VluraX jnsl = pasa't , wie Hennig ganz richtig anführt.
Schleicher's Korrektur in *pjasai ist zu verwerfen.
Überhaupt bietet sich hier wieder im Niedersorbischeu eine Parallele:
liier geht 'e (aus t] vor folgender Härte und unter dem Tone in Ja über: es
stimmen also scheinbar 2) überein
niedersorb. pjas (aus p'es) — draw. pjäs.
') Im O.-N. Skjarhosc (ältere Form Skerbosr), aber poln. nur Skarhi'szcwo.
2) Die Geschichte des 'i im Altpolab. u. Draw. ist von mir in einem an-
deren Aufsätze beliandclt worden; ich betone nochmals, daß a und n dorn
Altpolab. ganz unbekannt sind.
444 Kleine Mitteilungen.
Das Gesetz der zwischentonigen Silbe.
Im Draw. wurden die zwischentonigen Silben anders behandelt als die
betonten und vortonigen. Die nachtonigen Silben teilen zumeist die Schick-
sale der zwischentonigen.
Zwischeutoniges a widersteht dem Übergange in 6:
üpaden'^ eüpaden, aber eupödäl [upadl mit sekundärem ü wie im Slovak.
upadol) ;
üzasen (zu uzasiti) ]>• eüzasen.
Die zwischentonigen e-Laute: e, ö (aus o] und e gehen sehr häufig in a über:
Itndtaroma = mäterina
Ipolab. wbsteri6a {2MB jesterida) QYgiht wistarei6a.
.. f na mori = no mürai = no inai'ai
\pogony = pügöndi = pug andi, bei Schulze natürlich püdjana geschrieben.
^1 ivohäsen = wühasen
(wungsaneica aus wqsSnica.
Warnsdorf. Julius KoUischke.
Das sogenannte Müller'sche Taterunser — eine plumpe
Mystifikation.
Es ist bekannt, daß die polabischen Sprachstudien infolge der mangel-
haften Aufzeichmingsweise der Denkmäler in argen Mißkredit gekommen
sind; es bedurfte erst der Anregung der Jablonowskischen Akademie, um das
geschwundene Interesse der Slavisten wieder auf die überlieferten Sprach-
denkmäler zu lenken. Es läßt sich leicht nachweisen, daß die Überlieferung
im ganzen besser ist als ihr Euf ; ein eingehendes, streng-kritisches Studium
der Aufzeichnungen wird die großen Verdienste Mithofs, Pfeffingers, Do-
meiers, Hennigs und Parum-Schulzes erst in das richtige Licht setzen. Alle
diese Sammlungen sind wertvoll und wurden auch von dem bekannten Arzt
Jugler bei Herstellung seines bis heute noch ungedruckten Wörterbuches zu
Rate gezogen.
Die Schmerzenskinder der Forscher sind aber zwei Aufzeichnungen ge-
ringeren Umfanges: das Wörterverzeichnis von Hiutz (aus d. Jahre 17S6) und
das »Wendische Vaterunser« samt »Wendischer Beichte« von Müller.
Hilferding, dem nur ein Fragment des Parum-Schulze'schen Wörter-
buches vorlag, konnte natürlich nicht wissen, daß das Wörterverzeichnis des
Sekretärs Hintz nur eine Abschrift aus dem Schulze'schen Originale i) war,
und schrieb daher diesem Denkmal eine Bedeutung zu, die ihm gar nicht zu-
kommt: er bezeichnete es als die letzte Aufzeichnung der »lebenden« Sprache,
was selbstverständlich ein gewaltiger Irrtum war. Um 17S6 konnte man, um
ein Wort Hennigs zu gebrauchen, selbst um Geld keinen Wenden mit seiner
1) Dieses ist jetzt nicht mehr vorhanden ; glücklicherweise besitzen wir
davon eine Abschrift, jetzt in der Ossolinskischen Bibliothek zu Lemberg.
Kleine Mitteilungen. 445
Sprache hören. Ebenso ist es, wie bereits der kritische Jugler ahnte, pure
Fabelei, daß um 1799 ein Landwirt namens Wan-atz^) noch das wendische
Vaterunser beten konnte.
Hilferdings Lrtum hinsichtlich der Hintze'schen Aufzeichnungen er-
scheint aber immerhin begreiflich und ist übrigens von geringerer Bedeutung.
Ganz anders verhält es sich aber mit den Müller'schen Sachen. Ich kann es
hier gleich aussprechen : In diesem Falle handelt es sich um eine dreiste, zy-
nische Mystifikation, der auf die Spur zu kommen, mir endlich gelungen ist.
Dieses famose «Wendische Vaterunser« samt »Wendischer Beichte« war
Jugler (um 1 809) noch unbekannt ; wir können getrost sagen, daß sein Spür-
sinn es aufgefunden hätte, wenn es zu jener Zeit überhaupt irgendwo existiert
hätte. Bezeichnenderweise erschien es erst im Jahre 18 22 im »Neuen Vater-
land. Archiv« (Lüneburg). Interessant ist die Art der Veröffentlichung:
Nachdem der »wendische« Text gegeben wird, bemerkt ein gewisser
Müller, er habe das wendische Vaterunser und die Beichte nach den Worten
seiner Großmutter Emerentia Wehlings aufgezeichnet, da ein Verwandter von
ihr der erste deutsche Prediger zu Bühlitz gewesen sei.
Nach dieser mit Müller gezeichneten Bemerkung ist zu lesen:
Dieser Müller war Bürgermeister in Lüchow (f 1755); unter seinem
Nachlasse befand sich auch das vorhergehende alte Manuskript. Mir ist das-
selbe im Jahre 1789 von dem Herrn Lieutenant Korff unter dem Wendischen
Landregimente, der zu Lüchow wohnte, geschenkt worden.
C. F. G. Hempel.
Doch besehen wir uns einmal dieses »wendische« Vaterunser. Es lautet:
Eyta nossi tang toy bist en Neby, Sjenta werde tija geyny, kommoja
tija Eitge, tija Wilja blyoye kock en Neby koick en Simea, nossi wisse dan-
neisna stjeiba dogeyra nöss däns, un schenkös nossi weineck, kock wy
Schenkot nossi weinecker, un bringoye nos en wienick wersücke, sseze die
sölva nus de ggreck, wiltiya blift to Eitge, ti Mocht un warchene Büsatz ni-
gangka un nirugnissa Amen.
Die sogen. »Beichte« ist, ein einziges Sätzchen [Tu Christe wirdje Ritzt]
ausgenommen, nur eine an einzelnen Stellen variierte Wiederholung des
Vaterunsers :
Eyta nossi tang toy bist en Nebj^ vyenta tija geyny, kommoja tija Eitje,
tija wilja blyoye kock en Neby, un schenkot nossi weineck, kock wy Schen-
ckot nossi weinecker, un brinyoya nos en niewick, Tu Christe wirdje Eitzt,
schenckot nossi weineck un brinyoye nos niem wersöcke ssetze die Solva in
dina warb fit Ty sy et blift to Eitge ti Mocht un warnche Büsatz un Nagangka
Tzu Jesu-Christ Amen.
Der Slavist, der die im allgemeinen vortreflfliche Überlieferung der
kirchenslavischen Denkmäler keunt, muß einem solchen Hokuspokus gegen-
über ratlos dastehen. Es sei daher der Humbug sogleich entlarvt !
Der Mann, der die Mit- und Nachwelt foppen wollt 0, — mag er nun
') Dieser Name, noch jetzt im »|Wendlando« häufig vorkommend, ist sla-
visch; ]\'arratz = tofi'rac = uwrac, cf. cech. Familienname Voräc.
446 Kleine Mitteilungen.
Müller, Korff oder ITempel heißen — hat diese famosen Sachen nicht nacli
den Worten eines »üroßiuütterchens" niedergeschrieben, sondern mit Uilfe
des Hennig'Bchen Wörterbuches (höchstwahrscheinlich nach der Platow-
Absclirift, da diese einige Jahre später in demselben »Neuen vaterl. Archiv«
abgedruckt wurde!) selber fabriziert. Das läßt sich in geradezu schlagender
Weise dartun.
Beweis.
Vater : Während die zwei echten Vaterunser (von Mithof u. Hennig) das
deutsche »Vater unser« durch Nos tvader (letzteres deutsch) wiedergeben,
bietet uns dieses Machwerk niclit nur die Nachsetzung des »unser« nach dem
Deutschen, sondern auch das Wort etjta für Vater, das eben bei Hennig neben
Ijöija und wader gleich an erster Stelle angegeben ist. Nebenbei bemerkt, ist
eyta kein slav. ota [otic), sondern niederdeutsch.
unser: Im Hennig'schen Wörterbuch ist es durch nös (mascul. 7ias) und
nössi (analogisches Neutrum *nasö nösü, cf. müj'ü = *mojö nach io) übersetzt.
Der Mystifikator hatte natürlich keine Ahnung von der Bedeutung des nossi
und setzte es einfach überall für das deutsche »unser«, »unsere«, »unseren«
ein; daher eyta nossi, nossi stjciba, nossi weineck, nossi weinecker.
der : Da haben wir wieder einen eklatanten Beweis der Fälschung. Bei
Hennig ist »der, die, das« durch tang, to, ti übersetzt. Dieses tang^ wofür
eigentlich ^e^njr zu lesen wäre (cf. tüng kriecht der Knecht, bei Schulze^)) er-
scheint natürlich auch in unserem Machwerke !
du : Wie bei Hennig toy.
bist: Dafür findet sich bei Hennig natürlich keine Übersetzung. Der
Mystifikator, den wir X. nennen wollen, war nun in Verlegenheit; doch da
man im »Wendlaude« vielfach unter »Wendisch« bloß das Plattdeutsche ver-
steht und das Hennig'sche Wörterbuch außerdem Plattdeutsches in Hülle und
Fülle bietet, nahm er kurz entschlossen seine Zuflucht zum Deutschen. Das
folgende »in« hätte er im Hennig'schen Wörterbuche auffinden können, aber
das Wörtchen schien ihm zu unbedeutend. Er übersetzte also »bist in« durch
»bist 6)1«.
Himmel : Während die echten Fassungen des Vaterunsers u-a nihisjeu
= wü *nehesju) aufweisen, konnte X. natürlich nur das von Hennig überlieferte
(unflektierte Neby an die Stelle setzen.
Heilig : Hennig hat sjimta, X. liest u als e, daher bei ihm sjenta, woraus
durch weitere Verballhornung in der »Beichte« vyenta wird!
dein : Wie bei Hennig tija.
Name : Hennig gibt gnmang und geirty an, aus letzterem hat X. durch
falsches Lesen geyny gemacht !
komme : X. schlug bei »kommen « nach und schrieb dann die von Hennig
gegebene Form kommoja (eigentlich 1. Pers. Sg. Präs. für komojang oder
3. Pers. Sg. Präs. für komoje, also »ich komme, er kommt«) genau ab!
Reich : Wieder ein äußerst interessanter Fall ! Eeich = regnum heißt nach
dem Ausweis der beiden echten Vaterunser ImDraw.rtZ; (aus dem Deutschen);
1) Ferner tungsame (derselbe) bei Hennig !
Kleine Mitteilungen. 447
Hennig hat nun dieses Reich = regnum, draw. rik in sein Wörterbuch nicht
aufgenommen, wohl aber das Eigenschaftswort »reich, ein Reicher«), was
durch Rüge (ebenfalls deutsch, aber mit slav. Endung *rili-y) übersetzt wird.
Der Mystifikator X. setzte daher in plumper Weise für Reich = regnum das
Hennig'sche Reich, ein Reicher =^ Ritge ein !
Wille : Hennig Willja, darnach X. Wilfa.
geschehe: Da X. kein »geschehen« fand, ersetzte er es durch das Hen-
nig'sche »bleiben = Bli/öye« (eigentlich »er bleibt«). X. schreibt ebenfalls
hlyoye, läßt nur den Akzent weg.
wie: Hennig und darnach X. hock; man beachte die Übereinstimmung
in der Schreibung mit ck !
als : Dafür bietet Hennig kack, X. las es fälschlich als koick !
Erde : Genau nach Hennig Simea ! !
täglicli : Genau wie Hennig wisse danneisna !
Brot : Nach Hennig genau stjeiba (Nominativ, während der Zusammen-
hang den Akkusativ verlangt; abgeschrieben.
gib : Heunig bietet unter »geben« die Form dogeim (= *daji mi gib mir!),
X. entstellt diese Form zu dogeyraW
uns: X. ersetzte es durch »unser", wofür Hennig eben nos an erster
Stelle bietet.
heute : Nach Hennig ddns.
vergib : X. suchte, da das Wort bei Hennig fehlt, das sinnverwandte
»schenken« nach. Die angeführte Form szenköt (Infinitiv!) setzte er einfach
ein; das scknikös ist nur ein Druckfehler, da dieselbe Stelle in der »Beichte«
und auch das zweimal vorkommende »wir vergeben« durch schenköt übersetzt
werden.
Schuld: Bei Hennig lesen wir: Schuld (debitum) daug, Schuld culpa)
Weineck (letzteres eigentlich loinnik Schuldner!). X. verstand das Lateinische,
darauf weisen übrigens auch das TuChriste und solva, und schrieb das iceinech
genau ab. Nach dem Muster des deutschen »Schuldig- er« bildete er ein
weineck- e r !
wir : Fehlt bei Hennig, daher durch plattdeutsches tvi wiedergegeben.
Die Bitte »und führe uns nicht in Versuchung« übersetzte er nur einmal
halbwegs verständlich: un hrinyoye nos niem (richtig zu lesen: ni en) icersöcke.
hri)iyoye, wofür er die beiden anderen Male hringoye, hrinyoya schreibt, ist
natürlich wieder aus Hennigs Würterbucli, das für »bringen« an zweiter Stelle
eben dieses hringoye (»er bringt«) bietet. Auch das ni geht zurück auf Hennigs
»nicht niv- ... (an erster Stelle). Sonst ließ er das »nicht" einfach weg, so daß
seine zwei anderen Übersetzungen der Bitte eigentlich das Gegenteil besagen
würden : un briugoye nos en wienick wersöcke !
un bringoya nos en niewick (verschrieb, f. wienick) !
Für »Versucliung« setzte er einmal loicnick und wersöcke (ganz plattd., lieißt
»ich versuclie«!), dann wieder ivienick allein, in der dritten endlich gebrauchte
er nur das yxücrsücke". Man sieht, der Mann liatte Sinn lür Abwechslung!
Wienick ist natürlich das obige tocineck, und zur Bildung des u-ersöcke
(deutsch, doch mit drawän. Anlaut w für v) gab ihm Hennigs »versuchen rrar-
448 Kleine Mitteilangen.
sikol« den Anstoß. — »sondern erlöse uns von dem Übel« war für X. eine zu
harte Nuß. Beim Blättern im Wörterbuche stieß er auf <- Entgegen i) = ssize«.
Dieses »entgegen« schien ihm dem »sondern« nahezukommen; daher sein
88eze\ Man beachte die Doppelschreibung des s !
die sülou, in der Beichte die Solva, ist nichts anderes als das drei Zeilen
unter dem -sseze stehende ilirsolsa (= iJerzal sq er hielt sich, enthielt sich ,
woraus X. teils durch Verlesen, teils unter dem Einfluß lateinischer Reminis-
cenzen die sölva, die Solva machte; die Anknüpfung an »solve, Sünden
absolv-ieren« lag ihm nahe, da er »Übel« durch »Sünde« ggrUck wiedergab;
dieses entspricht, von dem Schreibfehler ck für ch abgesehen, genau dem
Hennig'schcn ggrech. Die für Hennig charakteristische Schreibweise gg = g
kehrt also bei X. wieder!
de ist niederdeutscher Artikel, wil = hochdeutsch weil, hlift = hoch-
deutsch bleibt.
Die Artikel to, ti sind dem Wörterbuch entnommen: Hennig tang, to, ti.
Ebenso entsprechen sich:
X. 3föcht, Hennig »Macht und Gewalt = Mocht".
X. Warchene Büsatz, Hennig »Höchste Gott = Warchene Büsatz«, in
der ,Beichte' wamclie B. !
Doch nun kommt der kuriose Schluß :
nigangka un nirugnissa. Der gewissenhafte Hilferding, der das Hempel-
sche Machwerk abdi'uckte, bemerkte, daß er auch niragnissa statt nirugnissa
geschrieben gefunden habe, vermochte jedoch die Stelle nicht zu erklären.
Dr. Pfuhl in den »Pomniki Polobjan Slowjansciny« teilt diese wichtige An-
merkung Hilferdings mit, erklärt aber auch: »könc nigangka un nirugnissa
(besser niragnissa) njeda so zrozymjec«.
Auch zu diesem Eätsel bietet uns das Hennig'sche Wörterbuch den
Schlüssel. Der Mystifikator hat ganz willkürlich zwei Wörter aus seiner
Quelle hergesetzt.
Das jiigangka findet sich wieder unter dem Buchstaben F, U und zwar
als »unausstehlich = iii gang ka
woygarninja«.
Die von Hennig gegebene Übersetzung ist natürlich grundfalsch; wir haben
zu lesen: unaussprechbar = ni jang ka woygarninja = 7ie je kä *wygar-
njenj-e; über diese Form habe ich bereits in dem Aufsatze » Drawäno-Polabi-
sches« gehandelt. Das Zeitwort lautete im Altpolab. ivygamit, sorb. ivygronic
(ein Wort der tort-Foxml); im Drawän. laiitete der Infinitiv tvoygömit, das
Verbalsubstantiv %7/f/ßnyeHj7e bewahrt natürlich das zwischentonige a:
looy garnine. Doch kehren wir zum Mystifikator ziu'ück! Dieser begnügte sich
1) Hier liegt ohne Zweifel ein Irrtum Hennigs vor, wie öfter in seinem
Wörterbuche. Der befragte Wende (Janieschke aus Klenow) dachte beim
Wprte »entgegen« das Hennig mit einer Handbewegung begleitet haben
wird, an »hauen« und übersetzte es daher durch sece = stce.
Cf. zusammen : leissa [aus *piicanglai sq, -li sp\.
Die richtige Deutung dieses leissa rührt schon von Schleicher her.
Elleine Mitteilungen. 449
zu seinem edlen Zwecke mit ni gang ka, das Substantiv, das in der nächsten
Zeile stand, ließ er einfach weg !
Gleich in der Nähe dieses ni gang ka, nämlich 9 Zeilen weiter unten, fin-
den wir auch das geheimnisvolle nh-ngnissa [recte: niragnissa) wieder! Wir
lesen: »unbeweglich = 7nrag7i{ssa«. Etymon: deutsches regen, sich regen
(= sich bewegen); »er regt« würde wan ragne lauten, »er regt sich nicht« also
7ii ragni sq = *ne regne sf ; zum Wandel des deutschen e zu a cf. Esel : asal,
Krewet (hochdeutsch Kreiveß, jetzt Krebs) : Ki-awat, zum Wandel des e zu i
vor sf cf. eidisa = ide sf , kok eidisa vom ? : kak ide sf vam ?
Es erübrigt noch zu bemerken, daß in der »Beichte« lucus a non lu-
cendo!) das Ritzt auf das Hennig'sche «Andeuten = Ritzt<( (Etymon: *rect,
reci, cf. cech. riet] zurückgeht.
Damit ist die Beweiskette geschlossen und die plumpe Mystifi-
kation zur Evidenz nachgewiesen. Es freut mich aufrichtig, durch die Ent-
larvung dieses dreisten Schwindels den so verrufenen Polabicis wieder eine
etwas würdigere Stellung verleihen zu können.
Was schließlich die Person des Mystifikators anbelangt, so scheinen alle
Umstände auf Hempel zu weisen. Die lüneburgischen Lokalpatrioten, die die
plumpe Fopperei natürlich gar nicht merkten und ;man staune!) gerade dieses
sogen. Müller'sche Vaterunser mit immer neuen Fehlern in die Kirchenbücher
eintrugen, um eine Reliquie aus der Wendenzeit zu haben, mögen die Spur
des Mystifikators weiter verfolgen ! Julius Koblischke.
Nachtrag.
Weitere Nachforschungen ergaben, daß die zwei Machwerke bereits im
Jahre 17S9 vorhanden waren, wie Hempel berichtet. Er sorgte natürlich für
die weitere Verbreitung der Sachen und fand schon im Jahre 1794 einen
Mann, der in die Falle ging: es war dies der polnische Graf I. Potocki, der
das Vaterunser (Beichte) zugleich mit dem Hennig'schen Wörterbuch (Platow-
Abschrift) in seinem berüchtigten Werke Voyage daus la Basse-Saxe ab-
drucken ließ. Dieser erste Abdruck gewinnt dadurcli an Bedeutung für die
Feststellung der Mystifikation, der Text wäre in dieser Hinsicht noch zu unter-
suchen! Hempel selbst brachte erst im Jahre 1822 sein Machwerk zur Ver-
öffentlichung in dem schon genannten Archiv und zwar bezeichnenderweise
in einem Aufsatze : »Beiträge zur Kenntnis des hannoverschen Wendlandes«.
y in skythischen Wörtern bei Herodot.
Es ist bekannt, daß die Aufzeichner der Wörter einer unbekannten
Sprache sehr oft die ihnen fremden Laute mehr oder weniger ungenau, aber
mit einiger Konsequenz wiedergeben. Wir sind der Ansicht, daß auch Ucrodot
bei der Wiedergabe skythischcr Namen das der griechischen Sprache fremde y
häufig durch y ausdrückte.
rioQOi,'. Ohne uns in die Analyse der Worte Ilerodots einzulassen,
wollen wir bezüglich der Lage des herodoteischen Flusses f't(><)o>; nur die
Archiv für slaviscbo rhilologie. XXVlll. 29
I,
450 Kleine Mitteilungen.
neueste Ansicht des Forschers der sla vischen Altertümer, Prof. Niederle,
anführen. Er sagt: »ich schließe mich am liebsten der Ansicht jenerGelehrten
an, welche in Gerros einen östlichen Nebenfluß Dnieprs ... am eljesten Samara
erblicken« (Slov. Star. 170). Nehmen wir nun an, daß Uerodot j durch ;' wieder-
gab und zwischen den zwei q einen stummen Vokal « ausließ, so bekommen
wir als die skythisclie Form des Flußnamens jV/>-«r-, und das würde mit der alt-
russ. Benennung eines östlichen Nebenflusses des Dnicjjrs, etwas nördlicher
von Samara, in der Form Epi;.3i. übereinstimmen 'die Dissimilation der zwei
aufeinander folgenden ?--r in r-l ist allgemein bekannt,. Jetzt heißt der Fluß
Orel (Opcat).
Dieselbe Benennung A'^()0),- oder im Plural Fiqqoi führte eine Ürtlichkeit
am Dniepr: /^t^Qi fvy FtQ^ov xmqov If top reaaEQCixovTa Tj/ueQtwy n'f.öos iaxi
(IV. 53), Tr((pai d'f liöi' ßaailiwf h' rinQoial etat, i^ o o BonvaO^ivr^g iaxl nQoa-
nkoixög (IV. 71). Altrußland kannte einen Ort mit dem Namen Epe.iL, aller
Wahrscheinlichkeit nach auf dem Flusse Erel. Die russ. Chron. meldet unter
dem J. 1183 »Ha Micii napuuae.Mi.Mij Epc^L, ero/Kc Pyci> sobctb YroJiT.« (Hypat.
Chron.).
^Qyiu7T((<T(e, Name der skj'thischen Ovqavir] 'hpnodir?-, ist allem An-
scheine nach nichts anderes als ^aryäma-jyasa; vergl. awest. auru.ia-häzav
weißarmig, uyra-hüzav starkarmig (Bartholomae Altir. Wb. 191. 380), das grie-
chische homerische lev/.oiliyr, (als Epitheton Heras, i). Vergl. noch die altind.
Eigennamen Aryama-deva, Aryama-datta usw.
M^ymnaloi , der Name eines skythischen Volkes, bis zu welchem die
griechischen Kauf leute kamen, entspricht wahrscheinlich in seinem ersten Be-
standteil demselben aryama^ den zweiten Teil kann man mit awest. ;;«//ai-
Hüter, Schützer, Schirmer (Barthol. 888 zusammenstellen. Die Bedeutung
wäre: die schönen, edlen Beschützer. Man vergl. den Namen 'Aoiudarjoi [av-
f^oeg /tiovi'o(p&(i}.fjoi Herodot. IV. 13), als Aryam'a]-aspä, die Schönxossigen.
Der griechische Name KallmlSai (Herod. IV. 17) ist nui* griech. Übersetzung
dieser skythischen Benennung. Man vergleiche noch die Benennung der
mitten unter den Skythen ansässig gewesenen 'Euuoiei [oi ccyÖQoyvi^oi, rrju
l4(pQodmp' acpi liyovai /ucij^uxr^f dovvcci Herod. IV. 67) als An-äryä, d. h.
Nichtarier oder die Unedlen.
"Yqyig, ein Flußname, ein Nebenfluß von Don, läßt sich erklären mit
Hilfe des awestischen hurä (ein Getränke, kumys), altind. surä. Vergl. altruss.
Benennung eines Flusses im Fürstentum Cernigov Mo.io^Ha (Annal. s. a. 1169),
und neuruss. Molocnaja mündet in das Asowsche Meer) -).
Taqyixaog, der Name des mythischen Ahnherrn der Skythen (Herodot
IV. 5) erinnert im ersten Wortteil an den altind. Namen Daryaka (über den
zweiten Bestandteil vergl. Archiv XXVH. 242).
1) Daß pasa skythische Form des alten haza sei, darüber vergl. Archiv
XXVn. 242.
2) Herodot kennt einen in Maeotis mündenden Fluß Ivoyig. Einige
Herausgeber Herodotos ändern hier -voyig in 'YQyig.
Kleine Mittheilungen. 451
EnuQYun£iS-r]i, der Name eines skythischen Königs, enthält im ersten
Teil aller Wahrscheinlichkeit nach spärya- (vergl. den Eigenn. Inuoä-doy.os
neben dem Volksnamen ^luä-ö'oy.oC. Die Awestasprache kennt das Epitheton
spära-dasta- mit unbekannter Bedeutung. Der zweite Bestandteil des Namens
ist unzweifelhaft das awest. j)aiti = altind. pati-. A. SoboUvskij.
Slavische Etymologien.
n.*)
ürsl. *Jedro^ *j(^zdro^ *jezgro.
Das erstere Wort, welches in allen slavischen Sprachen die Bedeutung
»nucleus«, »testiculns«, »Kern«, »Hode« hat, wurde schon von Miklosich
(E.W.) mit dem altiud. awf/a- »Ei«, »Kern« in Verbindung gebracht. In der
Tat liegt die Bedeutung dieser Worte so nahe, daß vom semasiologischen
Standpunkte diese Etymologie kaum bestritten werden kann. Auch sprach-
lich kann sie nur wenig Zweifel erwecken, weil r nach d im Ai. zuweilen
ausfällt und in der Cerebralisieruug des letzteren seine Spur hinterläßt.
Vergl. ved. danda = gr. Sevö'noi'. Thumb, Handbuch § 122, t. Was an angeht,
so mag an mit der indogerm. Präp. *en »in« (gr. iV, lat. in, altlat. en, got. in,
lit. i-, in-) in Verbindung treten.
Wenn diese Etymologie richtig ist, so würde slav. und ai. das Wort »das,
was sich im Innern des Baumes befindet«, »das Baummark« bedeuten und so
auf das Beste dem Begriffe »Kefn« entsprechen. Darum müssen wir sie un-
serer Meinung nach der Etymologie Ficks Wb.3 1. 12 und Prellwitz' Et.Wb.
d. gr. Spr. 4 vorziehen, die sl. y^dro mit gr. adQos' »dick«, »dicht« und ai.
Sandra (in derselben Bedeutung) zusammenbringen, ohne die ganze Reihe der
damit verbundenen phonetischen Schwierigkeiten und Vergewaltigungen in
Betracht zu ziehen. Frei von dem letzteren Vorwurf ist der Vergleich Lidöns
(Studien zur altindischen und vergleichenden Sprachgeschichte 50 ff.); er
bringt unser Wort mit ved. ädri- »Stein«, »Felsen«, »Berg« und mit altir. ond
»Stein« zusammen, aber desto mehr Schwierigkeiten hat diese Etymologie in
semasiologischer Hinsicht : denn in keiner slavischen Sprache hat *jrdro die
Bedeutung »Stein«, und obgleich Lidon aus anderen Sprachen scliüne Pa-
rallelen einer ähnlichen Bedeutungsentwicklung vorführt (vergl. nhd. Stein
»Kern gewisser Früchte«, testiculus und andere), so bleibt doch immer noch
unverständlich, warum slav. *j{-dro die Bedeutung von »etwas Liegendem, im
Innern Verborgenen« haben soll. Dieser Maugel ist augenscheinlich auch für
Lid6n selbst, denn er spricht die Vermutung aus (ib. 57), daß i(ig. *n-dri zu-
nächst eine allgemeinere Bedeutung gehabt, etwa »gerundeter Körper« ; aber
dann muss er sich damit einverstanden erkliireu, daß das slavische Wort
richtiger und besser die Bedeutung gewahrt als altindisch oder altirisch.
Wenn dem so ist, so ist es nicht ausgeschlossen, daß die Bedeutung «Stein«
im altind. ddri- sich aus der Bedeutung «Baummark« entwickelte: das letz-
Vergl oben S. 160.
20*
452 Kleine Mitteilungen.
tere zeichnet sich bekanntlich durch ^roßo Festigkeit und Härte aus und
konnte darum metaphorisch leicht die Bedeutung »Stein-, »Felsena erhalten.
Was altind. cujdu- angeht, so bekämi)ft Lidcii ib. 82 ff. die Zusammenstellung
diesea Wortes mit »l.jrdro, für welche nach Miklosich noch Prcllwitz a. a. 0.,
Bugge IF. I. 442, Bartholomae IF. III. 175 und Wackernagel Alt. Gr.I, § 147,
151 eintraten. Lid6n geht in seiner Etymologie nicht von andd-, sondern von
der älteren Form ändä- aus. Die cerebrale Aussprache von -nd- ist seiner
Meinimg nach durch den Ausfall von / bedingt; als Urform nimmt er *ül-ndo-
an, die ihrerseits nach dem Ausfall von e und der Ersatzdehnung von o aus
*olend- entstanden. Die Wurzel öl- findet sich nach Lidens Ansicht im lett.
üla »Steinchen«, lit. tda »Fels«. Doch wie scharfsinnig auch diese Hypothese
sein mag, man kann sich damit nur sehr schwer einverstanden erklären, weil
sie erstens einen noch wenig untersuchten Faktor der Ursprache, wie die Syn-
kope mit Ersatzlänge, in Anwendung bringt; weil zweitens im gegebenen Falle
das ->?(Zo- allzu vereinzelt dasteht; drittens endlich weil altind. «//(/a- sein langes
ä unter dem Einflüsse der an Bedeutung der Präp. *en nahestehenden Präp. ä
(= idg. ü Br. KVGr. § 593) erhalten konnte. Eine andere Erklärung s. unten.
Überhaupt ist, so einfach im gegebenen Falle die Etymologie von Miklo-
sich ist, Lidens Etymologie kompliziert.
Neben dem substantivischen *jpdro ist in den slavischen Sprachen auch
das adj. *Jpdr'h in der Bedeutung »kräftig«, »stark«, »schnell« usw. gebräuch-
lich. Vergl. altksl. hÄ^piv »hurtig«, »schnell«, bulg. CÄ-Bpi. »dick«, »impo-
sant«, »ausgewachsen«, serb. jc;iap »dick«, »stark«, slov. j^drn »kernig«,
»schnell«, »hurtig«, cech. Jddrny »kernig«, »jierb«, »kräftig«, »markig«, obs.
jadrny »kiesig«, »steinig«, poln. jiidmy »kräftig«, »stark«, russ. Hapeatiii
»dick«, »groß«, »voll«, »gesund«, »stark«. Miklosich in seinem Et.Wb. und
unter seinem Einflüsse augenscheinlich auch Pletersnik halten ursl. *j(;drz in
der Bedeutung »stark« für etymologisch verschieden von *j^dri »schnell«,
wobei ersteres (wenigstens von Miklosich) auf eine mit dem ursl. *ji^dro ge-
meinsame Wurzel bezogen wird. Aber aus der Bedeutung » kräftig«, »stark«
konnte leicht auch die südslavische Bedeutung »schnell« hervorgehen, weil
ein starker Mensch gewöhnlich auch energisch und schnell zu sein pflegt.
Fast zu derselben Bedeutung kommt auf dem gleichen Wege auch das Adjekt.
däru-nä-s, das von däru- »ein Stück Baum« hergeleitet ist und das nicht nur
»hart«, »rauh«, »unwirsch«, »streng«, »unbarmherzig«, sondern atich »heftig,
intensiv«, »schmerzhaft«, »schrecklich, fürchterlich, grauenerregend« be-
deutet. Vergl. Osthoff Etymolog. Parerga 100 ff. Dagegen überschritt das
lat. robustus (bei rohur »Kernholz«) in seiner Bedeutung nicht die Grenze, auf
der westslavisch (ausschließlich) und südslavisch (teilweise) *J(dro »stark«
steht. Osthoff o. c. 71 ff.
Wenn aber dem so ist, so kann man von *j\-dr-o unmöglich auch das
altksl.adv. hÄ;\,po »rfi/i« abtrennen (Meillet Etudes 403), das ohneZweifel
eine Versteinerung des ersteren darstellt. Die etymologische Gleichheit der
beicien Worte wird besonders anschaulich in zusammengesetzten Worten:
lA;i,ponHCkU,k »Schnellschreiber« und S'kAOWi^l.p'k »citus ad malum«
Mikl. Lex. Paleosl.
Kleine Mitteilungen. 453
Aber neben dem adv. I/A^po findet sich in einigen altksl. Denkmälern
— allerdings späterer Redaktion — auch das adv. lAS^pO in ganz derselben
Bedeutung. Mikl. ib. Wohl kaum stimmt dieses Wort nur zufällig an Form
und Bedeutung mit dem ersten überein, und die volle Gleichsetzung stört nur
der Laut 3 nach hA. Woher dieses 3?
Obgleich wir die vorliegende Etymologie slav. *j(;dro und *j^drTj schon
in kürzerer Form in unserem Buche »Über einige Archaismen und Neubil-
dungen der urslav. Sprache« (Prag 1902), S. 13 — 14, aussprachen, war uns
doch damals und noch lange später die Beziehung von ksl. hÄ3^pO
zu diesen Wörtern nicht klar; und das Wort wäre uns vielleicht für immer
rätselhaft geblieben, wenn uns nicht unerwartet das Buch Herrn Endselin's
»JlaTMmcKio npe^-ioru« (Jurjew 1905) geholfen hätte. In diesem schönen
Buche gibt uns der Verfasser eine scharfsinnige Etymologie der lettischen
Präposition iz »in«, »auf« aus *in-z »in«: die Formen iz »in« und iz »auf« sind
aus %z in proklitischer Stellung verkürzt (S. 105). Nach Endselin's Meinung
(ib. S. 89) ist mit dieser Präp. *in-z auch lit. /«-.identisch, das »eine Zusam-
menrückung der Präp. in mit der Part. z{i)«. darstellt, die ihrerseits mit dem
bekannten Affix -zi, slav. Präpositionen in nächster Verwandtschaft steht,
z. B. *vi-s?,, */-z7., *ra-£ö, *he-zz usw. Diese Etymologie ist in der Tat sehr
wahrscheinlich: wenn aflf. -r-ö schon im Baltisch-slavischen sich mit einigen
Präpositionen verband, so konnte darunter auch leicht sich Präp. *n oder *en
befinden; als Ergebnis ihrer Verknüpfung mußte dann Präf. nz- erscheinen,
das im Slavischen nur *fz- lauten konnte. In der weiteren Entwicklung der
slavischen Sprachen verlor sich der selbständige Gebrauch des Präfixes fs,
und es erhielt sich nur in einzelnen zusammengesetzten Worten. Zur Anzahl
dieser Worte gehörte auch *j(zdro, das auf diese Weise sich von *jrdro nur
durch ein anderes (nämlich zusammengesetztes) Präfix unterscheidet. Nun
ist es sehr möglich, daß auch ai. ündä- aus *e»g-dro entstanden ist und daß
folglich ai. ädri- : ai. ündä- = slav-^fc^ro : jc^zdro. Vergl. Brandt ^on. saM, 78.
Man könnte uns in Betreff dieser Etymologien entgegnen, daß das adv.
jqzdro in seiner Bedeutung nicht mit dem Substantiv *ji;dro übereinstimme.
Aber wir sahen oben, daß als bindendes semasiologisches Glied zwischen den
beiden Worten im Altbulgarischen adj.^Vf/r'ö »stark«, »schnell« und adv. jVtfro
»schnell« erscheinen.
Übrigens kann man als Nebenbeweis für die Existenz des Subst. *j{zdro
im Urslavischen das bulg. learpo und serb. ^\x\t%t. jhepa »Kern« anführen. In
seiner Bedeutung fällt dieses Wort ganz und gar mit der Bedeutung von
*jidrn zusammen; es steht ihm dazu ganz nahe in seiner Form, und sogar 3
nachye kann uns jetzt keine Schwierigkeiten machen, da wir die Etymologie
von *jozdro wissen: je.w ist hier aus dem Präf. *{iz- = *ji;z- abzuleitcu. Aber
jetzt erhebt sich ein neues Rätsel, nämlich warum statt d in ji^^pa <• er-
scheint?
Miklosich war in seinem Etym. Wörterbuch augenscheinlich geneigt, es
phonetisch aus d zu erklären. Aber im Serbischen geht f) nach 3 niemals in g
über, was schon daraus ersichtlich ist, daß in keinem serbischen Denkmal
und in keinem serbischen Dialekte Formen anzutreffen sind, wie etwa z. B.
454 Kleine Mitteilungen.
*je3sumu zitdi jejdumu. Warum sollte denn gerade nur in dem Worte *j(^dro
d in g übergehen ?
Da wir also unmöglich *j^zgro aus *jp^zdro phonetisch erklären kijnnen,
bleibt uns nichts Anderes übrij^, als für -gra eine von -dro verschiedene
Herkunft anzunehmen. Ob man hier nicht dieselbe Wurzel erblicken kann,
die sich im altbulg. rp'KM'K »cfviouu^ »Gebüsch«, serb. rpM »Art Eiche«,
slov. grm »Strauch«, »Busch«, »Ilaselnußstaude«, »die grüne Stechpalme«,
bulg. rpiMOÄP'Bue »Dorn« verbirgt? Im bejahenden Falle wäre subst. *jfiz-
gro, das sich zudem in allen den Sprachen findet, in welchen wir *yrzmz an-
treffen, parallel mit *J{'dro und *jpzdro nicht nur seiner Bildung nach, sondern
auch nach Form und Bedeutung: alle drei Wörter würden in ihrer ersten
Bedeutung »das Baummark «, »Kern« (jwpo) bezeichnen.
Was die Form der Wurzeln *dro- und *gro- betrifft, so bietet die erstere
aller Wahrscheinlichkeit nach die Schwundstufe der zweisilbigen Wurzel
*dereu *dru. Die zur Familie dieser Wurzel gehörenden Glieder sind schon
von Osthoff in seinem Buche Etym. Parerga I. 138 — 145 betrachtet. Indem
wir den Leser in bezug auf Einzelheiten auf dieses Buch verweisen, heben
wir hier nur hervor, daß nach Osthoff unter anderm die Wurzel *dreu sich in
dem zweiten Bestandteil des griech. Subst. Jir-Joeo-j' (o. c. 145) birgt. Neben
der letzteren Form wird griech. Siv-S^tos und öty-d^ov gebraucht, deren -öqos
und -dQoy unserem -dro entspricht. Um -tFooi- und -iffioy aus -(foeof zu er-
klären, stellt Osthoff ziemlich künstliche, kühne und hauptsächlich über-
flüssige Hypothesen auf; denn idg. *drti konnte schon in der Ursprache sich
in -drom unter dem Einfluß der Stämme auf -o- verwandeln. Analog *dru
bildete sich auch wahrscheinlich *gro (slav. *j^zgro) aus der Schwundstufe
*gru der Wurzel *gercm. Und genau so wie Wurzel *dereu in Verbindung
mit dem Suffix -mo- gr. ^Qv/xd »Wald«, ai. drumd-s »Baum« und vielleicht
auch russ. äpom% »Waldschlucht«, »Reisig« (woher mittelst Volksetymologie
Äpe^Mt »apsMyiiä JiicB« Pogodin, CiiÄW KopHeM-ocHOB'B 257 — 258) — bildete
Wurzel *gereti das Substantiv gr^ni'b. Auf Grund einzelner Formen auf -m im
Altbulg. und Serb. zählt Meillet Etudes I. 427 sie zu den Stämmen auf -u-,
aber wie Leskien Handbuch"* § 57 bemerkt, konnten diese Formen unter dem
Einflüsse der Subst. auf -u entstehen.
Wurzel *gro- aus -gereii herleitend, möchten wir auf den vollen Paralle-
lismus oder sogar die volle Übereinstimmung der Bildung von *jQdro und
*j^zgro hinweisen. Aber es versteht sich von selbst, daß unsere Etymologie
auch dann nicht erschütter*-, würde, wenn Wurzel *gr% mit den Stämmen auf
-o oder -ä zu verbinden wäre. Im letzteren Falle könnte man sie mit dem
ursl. *gora in Verbindung bringen. Bekanntlich bedeutet dieses Wort in den
südslavischen Sprachen zum Teil, im Lit. aber [glre] ausschließlich »Wald«.
Gleich vielen andern Wörtern fem. g. auf -ä, konnte auch *gora zunächst
kollektive Bedeutung haben: »Mengen oder Massen von Bäumen«. Da aber
in Berggegenden die Abhänge und Felsen deckenden Wälder fast immer
einen scharfen Gegensatz zu den Tälern und Ebenen bilden, so konnte die
Bezeichnung »Wald« metany misch oder metaphorisch auf das übertragen
werden, was der »Wald« bedeckt, nämlich auf »Berge« und »Felsen«. Wenn
Kleine Mitteilungen. 455
dem so ist, wird es erklärlich, warum die Litauer, deren Land kein Bergland
ist, unser Wort nur in seiner ursprünglichen Bedeutung bewahrt haben.
m.
Ursl. *svhsth.
Wie Meillet Etudes 286 richtig bemerkte, ist dieses Wort, das »die
Schwester der Frau« bedeutet und durch altruss. cbbcti., serb. CBäcT, slov.
svast, poln. swieic belegt ist, nicht recht klar. Aber es ist nicht in seinem
Wurzelteile unklar, welchen die Forscher: JlaBpoECKiü Kopenuoc sna^eHie bx
iiasBauiflxt po;i;cTBa y ciaBHUi. 78, Mikl. Et. Wtb., Schrader IF. XVII. 22 und
andere schon längst mit dem pron. *siioi- zusammenbrachten; sondern im
Suffixe, wo Meillet I.e. dieses Wort zu den Substantiven mit Suffix -th bezieht,
zu denen er auch die zahlreichen slavischen Abstracta auf -5^6 rechnet, wie
z. B. G/XarOCTk, Y'KlTpctCTK, HHCTOCTK USW. Die Entstehung der letz-
teren erklärt er folgendermaßen : N. Akk. der Subst. auf -s- (z. B. solcher wie
*ü)ighos) erhielt analog den zahlreichen Abstracta auf -ti- deren Suffix zur
Verstärkung ihrer abstrakten Bedeutung. Von den Subst. *f/zos-<6 usw. wurde
dann das Suff, -stb abstrahiert, das schon im Urslavischen eine produktive
Bedeutung bekam.
Diese Hypothese ist jedoch sehr unwahrscheinlich: abgesehen schon
davon, daß sie ganz und gar nicht den Vokalismus -o- in der Mehrzahl un-
serer Subst. erklärt, — denn die s-Stämme im Ursl. haben gewöhnlich das
Suff, -es- und nicht -os-, — macht Meillet in seiner Hypothese zwei metho-
dologische Fehler. Meillet sagt allerdings die Wahrheit, wenn er betont, daß
die Substantiva auf -5^6 in den slav. Sprachen gewöhnlich abstrakte Bedeu-
tung haben, aber er fragt sich leider nicht, ob diese immer vorhanden war
oder (sei es auch schon in der idg. Zeit) aus einer andern, konkreteren Be-
deutung entstand. Denn aus der Geschichte des Gedankens wie aus der Ge-
schichte der Sprache ist es bekannt, daß die abstrakte Bedeutung in der
großen Mehrzahl der Fälle sich aus der konkreten entwickelt, und wo haben
wir die Garantie, daß im gegebenen Falle nicht dasselbe zutrifft? Zweitens
geht Meillet, um die Kategorie der Subst. auf -s('6 zu erklären, von einem
oder zwei Worten aus, in betreff derer man mit Sicherheit sagen kann, daß
sie im idg. wie die Stämme auf -os- dekliniert wurden. Doch ist die Zahl der
Subst. auf -5^6 in den slav. Sprachen so groß, daß es ungewiß bleibt, ob nicht
*qzosti> analog nach dem andern Subst. auf -stb gebildet ist. Und in solchem
Falle braucht *qzo- mit dem alten Stamme auf -os- nichts Gemeinsames zu
haben . . .
Von diesen beiden nietliodologischen Mängeln — dem Ignorieren der
allmählichen Bedeutungsevolution und der unkritischen Abtrennung eines
einzigen Wortes aus hundert anderen wie eines quasi altertümlichen (nämlich
*qzostb), ist gänzlich die Hypothese frei, nach welcher sich Suff, -stt, in ety-
mologischer Verwandtschaft mit der Verbahvurzel -st{/i)(i- »stohen« befindet :
auch in der Gegenwart haben die zalilreichou Subst. auf-s^. in ihrer Bedeutung
»einen Zustand« zugrunde liegend, und z. B. in meinem lebendigen Sprach-
gefühl bedeuten die Subst. *qzostb, *hlagostb, *dobljcstb usw. auch jetzt nicht
456 Kleine Mitteilungen.
nur »das Enge«, "Gute«, »Tapfere« in abstracto, als auch gerade den Zu-
H tand »dos Engen«, »der Güte«, «der Tapferkeit« usw. Es versteht sich von
selbst, daß ursprünglich SufF. -stb noch konkreter «das Stehen« ausdrückte;
daraus konnte sich leicht im Laufe der Zeit (vielleicht schon im idg., wenn
nicht z. B. lit. kelkcstis, ga'destis oder arm. aruest »ars«, arar/ast »Vorhang«
Neubildungen darstellen) zunächst »der Eigenschaftsznstand« und endlich
»die Eigenschaft überhaupt« entwickeln. Eine schöne Parallele einer der-
artigen BedeutungBentwicklung in einem Worte, gebildet mittelst eines
Suffixes derselben etymologischen Herkunft, zeigt das d. Trost, das nach der
neuesten Forschung (Osthoff Etym. Parerga 129) aus idg. *drou-stho- herzu-
leiten ist (vergl. npers. durust »gesund« aus dru-sth-o-s) und ursprünglich »im
Zustande eines Baumes befindlich« bedeutete. Außer Trost führt Osthoflf in
seinem Buche (130 u. ff.) auch andere nicht weniger deutliche Beispiele der-
selben Art an.
Aber wenn die konkrete Bedeutung in den Subst. auf -sti auch leicht in
die abstrakte überging, so konnte dieses doch nicht immer geschehen: in
einigen Worten, deren Wurzel mehr oder weniger isoliert war, konnte die
ursprüngliche konkrete Bedeutung sich bis heute erhalten. Ursl. *svhsth, wo
die Wurzel die Tiefstufe der pronominalen Wurzel *siioi- darstellt, stand
vereinsamt inmitten der Mehrzahl anderer Subst. mit Suff, -stb und Stamm
auf -0-. Daher konnte auch sein Suff, -stb sich auf der ursprünglichen Stufe
seiner Bedeutung erhalten, i^olglich bedeutete unser Wort anfänglich »die
in der Schwägerschaft befindliche«, also dasselbe, was jetzt das russ. Syno-
nym dieses Wortes » CBoaieHHua« bedeutet. Dieselbe Bedeutung hatte auch
ursl. *svestb (altruss. cbIctb, ceeh. svesf), das sich von *svbstb nur durch die
Hochstufe seiner Wurzel unterscheidet (vergl. lit. swal-nis, sicaJ-nius,
sioai-ne). Vergl. Brandt ^on. saiM. 159.
Ist diese Etymologie richtig, so würden ursl. *svbsfb und svestb in
ihrer Bildung sehr an urä]. *nevesta erinnern, dessen Etymologie (Archiv
XXIV. 227 — 228) ich auch jetzt trotz der Einwendungen, die man dagegen
erhob, für richtig halte. Die Bemerkung Pogodin's (CjiiÄBi KopHeä-ocHOB-B
218), daß meine Erklärung des Wortes als »in novo stans« Schwierigkeiten
semasiologischen Charakters hervorrufe, verwundert mich nicht wenig, weil
doch die Ehe im Leben des Weibes wohl bei allen Völkern und auf allen
Stufen der Kultur eine ungeheure soziale Bedeutung hatte. Die Etymologie
Pogodin's selbst (in demselben B. S. 220), der *iievesta in *nev-esia zerlegt, ist
nämlich sehr wenig wahrscheinlich, weil das Suff, -esta sicherlich eines sehr
jungen Ursprunges ist und man das einzige unzweifelhaft ursl. Wort *boUsth
(ksl. KOA'RCTk, montenegr. bölljest) wohl richtiger in *boIe-sfb (»Krankheits-
zustand«) zerlegt. Eine weit wichtigere Entgegnung erhob Jagic (Archiv
XXIV. 229), daß nämlich nach den Gesetzen der slav. Phonetik wir ein *)>o-
venia, nicht aber *nevesta zu erwarten hätten. Allein in den slav. Sprachen
gibt es einige Beispiele (russ. olon. HeBeHHtiii (»mager«, serb. HeBen »Todten-
bluihe« und einige andere, s. Pogodin, ib. 221), die beweisen, daß das Gesetz
vom Übergänge des Diphthongen eu in ou in den slav. Sprachen nicht unbe-
dingte Gültigkeit hatte, und sogar den Gedanken Meillet's (Recherches 86)
Kleine Mitteilungen. 457
rielitig erscheinen lassen, daß eii vor palataler Silbe bewahrt blieb. Was die
Bemerkung Jagic's angeht, warum wir im Shiv. nicht *7ievosta fänden, wie
wir *starosta haben, so ist auf diese Frage ebenso schwer zu antworten, wie
z. B. auf die Frage, warum wir statt 31\A'K-^k nicht *3'kA0-^li (wie
STiAO-Bb; finden.
"Wir haben endlich auch keinen Mangel an Parallelen zu unseren Ety-
mologien *svbstb und *nevesta. Ich verweise nur auf die allerdeutlichsten,
auf altksl. l/Ä3lv-CTH-ßTv aegrotus (Lex. Mikl.), wo l/Ä3li- augenscheinlich
den LI von IA3i\ morbus darstellt, und auf lat. caelestis = »in caelo stans«
Schmidt, Die Pluralbildungen 346).
IV.
Ursl. ^chbtHi.
Soweit uns bekannt, wurden zur Erklärung des % an Stelle des zu er-
wartenden 0 in diesem Worte, das in allen slavischen Sprachen ohne Aus-
nahme bekannt (vergl. altbulg. j("KUJTf(T'k) Supr., \"KUIT;s; ib., nbulg.
lUTX aus *x'BiuTib, serb. xTJeTu, cm, slov. htki, co, cech. hiiti, oberlaus, chcec,
poln. chciec, aruss. xTf,-n>), folgende Hypothesen vorgeschlagen:
1) -o konnte nach der Meinung einzelner Gelehrter schon in urslav. Zeit
aus dem unbetonten o entstehen. Diese Meinung vertritt z. B. Sobolevskij
(ilpeBHe-iiepKOBHocjiaB. mhiKi, 87), aber die andern analogischen Fälle, die er
zur Bekräftigung vorführt, sind alle fraglich ') und erklären in keinem Falle,
1) So können ursl. *t^(/da, k%gda und ähnliche Formen bei *togda, *kogda
auch anders erklärt werden. Vergl. unsere CioacHtia .Mici. 2 109 u. ff. — Ursl.
*k7,tefö bei *koton enthält in sich als Bestandteil das Pronomen (föu- (vergl.
lat. nter aus *qy:u-ter Sommer PTandbuch § 295) oder erhält sein % in Analogie
nach *k'oto. — Ursl. *koShm, das Sobolevskij mit ursl. casz aus *kes-o zu-
sammenstellt, kann auch anders erklärt werden. Vergl. Gjioaciiwfl Micx. 2 66. —
\Jr^\.*t-cp%tati faltbulg. TTvIlTiTaTH, nbulg. no-xxn-KaMX, slov. teptati, cech.
depfac, obl. teptac, poln. deptac, teptac bei ursl. topotati (nbulg. xonaBuiia, serb.
TonoiaTu, slov. topotati, russ. TonTaxB, klruss. xinxaxu ist nicht überzeugend
wegen des augenscheinlichen onomatopoetischen Ursprungs. Für den letz-
teren spricht auch die mannigfaltige Vokalisation der Wurzel einiger anderer
Wörter, die man unmöglich von den anderen treuueu kann : vergl. bulg. xo-
naBuua, lonaEima, xynaMX, slov. cepctati, ceptati, cepitati, poln. ifpac, iiipac,
klruss. lynoxB, «ynoxi,, xynKaxu. — Ursl. *pncb (cech. prec, poln. p>-ecz) bei
*procb (altbulg. npOHHH, russ. npoiiii) verhalten sich augenscheinlich in
ihren Stämmen zueinander wie *pro-s (gr. noös-) zu *pro igr. rjnö, lat. j>ro,
slav. ^jro usw.). — Ursl. *7n^?w^/^ bei got. manogs ist zweifelhaft 1) infolge der
Unklarheit seiner Etymologie und 2) infolge der Möglichkeit der Entlehnung
aus dem Got. »Die entlehnten Wörter«, wie Joh. Schmidt richtig bemerkte,
»oft ganz eigene verschlungene Wege gehen" (Zur l^ritik 30). — \Jivs,\.*)m,it(ijq
bei lit. mamje stellt vielleicht eine Art von Silbenassimilatiou dar: vergl. to-
hojq anst. teöojtf. — Altbulg. ^\,OK'KA'k'l'M muß wohl ,\,OliKA'kTH gelesen
werden, und in -KKA- hat man wohl die/Iicfstufe der Wurzel *uel zu sehen
(vergl. altind. iä/a/< »Wunsch« Meillet l^tudes 224). Endlich konnten ursl.
*vz, *v%n, s-o, s7,n, die Sobolevskij mit gr. «j-, ay lat. an, lit. san- zusammen-
stellt, Ursprünglich im Auslaute entstehen.
458 Kleine Mitteilungen.
warum denn nicht i auch z. L. in *(jorä, *codü, *nofi'iti und vielen andern auf-
tauchte.
2) 1, stellt in bezug auf o eine Ablauts-stufe dar. So denkt z. B. Leskien
in seinem Handbuch* § II, wo er *cJn,(eti mit *tzgda, *k-b(jda, *dzmq (bei *d(iti
= *domti), *ch)zrmiqti (bei *chroim], auf eine Reihe stellt. Den Wert der bei-
den ersteren Beispiele sahen wir schon oben. Was *dqti betrifft, so ist es
nicht aus *domti, sondern aus *di,mti herzuleiten; d. h. es kann in seiner
Wurzel den Stamm *di.-m- (vergl. dyrm Zubaty Arch. XVI, 31)2, enthalten, und
folglich braucht ■& in *d^7nq nicht als aus o entspringend zu erklären zu sein.
Dasselbe muß von *chr^nlnqti gesagt werden, wo -r^- ein dem Altbulgarischen
normales r sonans — die Tiefstufe der Wurzel *chro- darstellen kann.
3) ^ entstand aus einem besonderen idg. «irrationalen" Laute »a« —
welche Meinung Fortunatov in Xa^iaTrota 489 — 490 vertritt. Aber wenn wir
die Beispiele, wo wir an Stelle eines idg. e in den slavischen Sprachen ein '.
finden, die auch eine andere Geschichte als *choteti haben können, bei Seite
lassen, so finden wir in den slavischen Sprachen auch nicht die geringste zu-
verlässige Spur dieses (überdies ganz und gar hypothetischen) Lautes. Denn
die beiden Worte, auf die Fortunatov sich stützt, — *k%(jda und *ki,ter-h sind
für uns zufolge der schon dargelegten Gründe nicht überzeugend.
4) % in *ch-oteti wird durch »eine Schwächung« von q des \\vi\.*chqth
(vergl. poln. ch{'c, cech. chut') erklärt. Diese Meinung treffen wir bei Miklosich
in seinem Et.Wb. 88 an, und sie hat hier vielleicht, weil sie in einem Wörter-
buche ausgesprochen, einen völlig dogmatischen Charakter.
5) Diesen Mangel suchte Meillet M.S. L. VIII. 315 auszufüllen. Er nimmt
an, daß ursl. *chqib vom idg. *sonti~ (vergl. lat. sentiö) herzuleiten ist, ursl.
*cJroteti aber von idg. *snte- (vergl. ahd. sin], das etwa im Ursl. *cMnte- geben
mußte, da nach n nur ein Konsonant folgte. In dem Falle dagegen, wenn
nach n zwei Konsonanten folgten, wie in der Form *chnfjq, gab n ein o. Dann
fanden zwischen *c7(t.<e(!j und *c/;o/;V/ gegenseitige Ausgleichungen statt. Doch
ungeachtet dessen, daß ^7 im Ursl. nicht zwei Laute, sondern nur einen Laut
darstellte, daß also folglich *ehntjq nach Meillet's Theorie gleichfalls ch^tjq
hätte ergeben müssen, so bedarf schon allein das Gesetz des Überganges von
ursl. n klarere Beweise, als ursl. *s-hto, H-omk^, *og)ib, *vbton usw. Dasselbe
muß man über die gewöhnliche
6) Hypothese von Brandt /Ion. saM. 70 zu wiederholen.
7) Später zog Meillet M.S.L. IX. 153 eine nähere Parallele zum ursl.
*c7iqtb — näml. arm. xind, G. xndi, xndam »ich freue mich«, xndir »cerca«,
»questione«, xand, G. xandny oder xandi »ardente brama«. Mit dieser Ety-
mologie war Pedersen K.Z. XXXVIII. 388 einverstanden : ».r und ch sind aus
idg. kh entstanden, an und 7, vertreten nasalis sonans (und da -o vor einem
mouillierten Konsonanten steht, muß dieser Sonaut schon vorslavisch 2<-Fär-
bung gehabt haben); arm. xind und p. ch^c enthalten zwei verschiedene Voll-
stufen [e- und o-Stufe)«. Um ursl. *ch'bt- und *chot- aus vorsl. *chnt zu erklä-
ren, denkt sich Pedersen ein besonderes phonetisches Gesetz, kraft dessen
ein betontes vorsl. n im Urslavischen ^, ein unbetontes aber o ergab, a. a. 0.
397, Leider sind die Fakten, auf die Pedersen sein Gesetz stützt, in ihrer
Kleine Mitteilungen. 459
ITerleitung nicht unanfechtbar; wir führen außerdem die Worte Uhlenbecks
I.F. XVII. 9G an: «Wie chec-chqf sich zu choteti verhält, ist keineswegs so
selbstverständlich wie Pedersen annimmt, denn das t kann ja sehr gut
wurzelhaft sein, und abgesehen von dem Nasal könnte das Verhältnis von
*chqtb zu *clnteti ähnlich aufgefaßt werden, wie dasjenige von gall. avi- zu
lat. avere oder von ai. havi zu lat. cavere«.
8) Mit der Meinung Pedeisens deckte sich fast die Auffassung Vondräks
B.B. XXIX. 200—210; nur nimmt er im Widerspruch mit der Meinung Peder-
sens nicht an, daß 0 »der direkte Fortsetzer eines n« wäre, sondern hegt die
Vermutung, daß es aus betontem z (aus n] entstand. So war die ursprüngliche
Flexion unseres Verbums nach Vondräk folgende: l.p. *c7rofjq (serb. cw),
2.p. chöfjesb (russ. xoieiuL), S.p.chöfjeh, inf. ch^tet^. Leider beruht auch dieses
phonetische Gesetz auf Tatsachen, die noch nicht eine allgemeingültige Er-
klärung gefunden.
Wie verschieden auch an sich die vorliegenden Hypothesen seien, so
haben sie doch alle einen gemeinsamen Zug, nämlich das Bestreben, um
jeden Preis unser Wort auf ein phonetisches Gesetz zurückzuführen, das
gewöhnlich dabei ad hoc gebildet wird. Und zur Erreichung dieses Zieles
machten die Forscher zuweilen nicht einmal vor solchen Absurden halt, wie
es die Annahme ist, daß schon im Urslavischen ^ zuweilen in o überging
(vergl. die eben erst vorliegende Meinung Vondräks)! Aber unterdessen ver-
gessen im gegebenen Falle die Forscher ganz und gar die Tatsache, daß spo-
radische Abweichungen von den phonetischen Gesetzen nicht nur infolge
phonetischer Ursachen statthaben, sondern auch infolge psychologischer
Ursachen, d. h. des Einflusses des einen auf das andere Wort kraft einer
Laut- und semasiologischer Association. Und während in der Wissenschaft
ein ganzer embarras de richesses von phonetischen Erklärungen des Verbums
^cJroteti vorhanden ist, so ist doch bis jetzt, soweit es mir bekannt, noch
keine psychologische Erklärung ausgesprochen worden.
Denn man kann unterdessen auf ein Verbnm hinweisen, das in seinen
Lauten und in seiner Bildung dem Verb. *cJroteti so nahe kam, daß es auf
letzteres schon in vorslavischer Zeit einen bestimmten Einfluß ausüben
konnte. Dieses Verb ist *chytiti oder — wenn die Wurzel auf der Tiefstufe
stand — *cMtiti »rapere«, »prehendere«. Den letzteren Begriffen liegt der
Begriff eines starken Strebens, eines mehr oder minder mächtigen und ele-
mentaren Willensaktes zugrunde, d. h. ganz derselbe Begriff, der dem Verb
*chnteti zugrunde liegt (vergl. riiss. oxora »Wunsch« und »Jagd«). Folglich
konnte schon in urslavischcr Zeit der Austausch der beiden Verben unter
einer Kontamination vorsichgelien, deren Resultat auch das sl. Verb *ch-hteti
ist. Violleicht verdanken derselben Kontamination ihren Ursprung auch
folgende Formen, die Miklosich in seinem Et. Wörterb. unter der Rubrik der
Wurzel *cAo;(/:- anführt: \'KimTn"K ^YOIIITrr'K? im Psalter Mlndeno-
vid's, kleinruss. oxura = xnia, grruss. xlitji = xotji. Leider gibt Miklosich
nicht die Quelle an, woher or das letztere Wort schöpfte, und ohne diese
Bedingung können wir uns nicht völlig darauf verlassen, weil es leicht pho-
netisch aus xoTH in den »akasierenden« Dialekten entstehen konnte. Doch
460 Kleine Mittellungen.
dieses kann das von Miklosich nicht aufgenommene montcnegr. Adverb xuq
»Wunsch«, »Wille« ersetzen: Ja iicMaw xaq, Äajiiji^M: »icli habe keinen Ap-
petit« ; a iiH XH^ I »nicht im geringsten« (PoBiiucKift, Hopnoropia III. [1905] 683).
Die volle Gleichsetzung dieses Adverbs mit der Wurzel *ch%t- hindert nur
das -6- der erstcrcn, an dessen Stelle wir ein h zu erwarten hätten: *xuh.
Wenn es nicht infolge einer ungenauen Aufzeichnung Herrn PomiiKidii's hier
fehlt, 80 könnte man es vielleicht unter dem Einflüsse des ursl. SufT, -cb er-
klären: vergl. altcech. c/i<ie«l »Begierde« Gebaucr Slovnik starocesky.
V.
West- und südsl. *do-sti und *do-sta.
In den westslavischen Sprachen finden wir ein ziemlich interessantes
Adverb *closti »ziemlich«, »hinreichend«, »genug«; vergl. cech. dosti, nieder-
sorb. dosci, poln. dosci. Von den südslav. Sprachen ist es nur dem Slov. be-
kannt: dosti, woneben auch dosta (in gleicher Bedeutung) gebraucht wird, das
seinerseits ausnahmslos im Serb. und Bulg. sich findet.
Gewöhnlich, — vergl. z. B. Gebauer, Eist. ml. I. 1, 286, — erklärt man
diese Formen als »Verkürzungen« aus *do syti und *do syta. Und wirklich
trifft man in altcech. Denkmälern neben der Form dosti auch adv. do-sijti
(s. Gebauer, Slovnik starocesky), und in den zeitgenössischen polnischen
Dialekten kommt neben dem Adverb dosci auch adv. dosyc und dosi/ci vor
(Karlowicz, Slownik gwar polskich); im Altruss. gab es adv. ^OCKITH und
^OCKITk (CpesHüBCKiii, Mai.). Allein man könnte sich mit dieser Etymologie
nur in dem Falle zufriedengeben, wenn ihre Anhänger eine bestimmte pho-
netische oder morphologisch-psychologische Ursache einer derartigen »Ver-
kürzung« aufwiesen. Solange wir dieses nicht haben, hat diese Etymologie
nicht das Recht, eine »Erklärung« zu heißen in der eigentlichen Bedeutung
des Wortes, denn an Stelle des einen Unbekannten erhalten wir ein anderes
Rätsel, anstatt a; erhalten wir y: »die Schwierigkeit wird verschoben, aber
nicht gehoben!«
Prof. Brandt, JlonojiKiiTCÄhnhi}! saMiiaHifl 161, meint, daß die beiden Ad-
verbia: do-sti und do-sta im Verhältnisse des Ablautes zu dem adj. *syto
stehen (altbulg. CKITT\, neubulg. cur, serb. cum, slov. slt, cech. syty, obsorb.
syty, poln. syt, russ. chtt.): denn das letztere kann man wohl nicht von dem
lit.Adj. so^?/s »sättigend« trennen, demgot. söJ5s »Sättigung«, söpjafi »sättigen«
(Hirt Ablaut § 117), die, wie bekannt, von einer idg. Wurzel *s5ut- herzuleiten
sind. Und wenn ursl. *syt- als eine Schwundstufe dieser Wurzel erklärt
wird, so stellten ursl. *s^t^ und *s%tb (deren GG sich nach dieser Hypothese in
den adv. dosti und dosta erhalten haben würden), in diesem Falle die Tief-
ßtufe derselben Wurzel dar. Allein gegen eine derartige Hj-pothese könnte
man gleich zwei wichtige Einwendungen machen: 1) bis jetzt ist noch in
keiner Sprache die Stufe *süt- »sättigen« nachgewiesen, obgleich sie an und
für sich möglich wäre; 2) der stumme Vokal müßte in diesem Falle im cech.
Adv. dost', niederwend. dose, poln. dose in einen reinen übergehen, aber nicht
ausfallen.
Kleine Mitteilungen. 461
Man kann also nicht das fehlende y im adv. dosti und dosta phonetisch
hinreichend erklären. Aber vielleicht kann man leichter auf die psycholo-
gische Ursache des Schwundes von y in unseren Adverbien hinweisen?
Uns will es scheinen, daß auf unsere Adverbien das Zeitwort *dostati
»sufficere« und seine vielzähligen Bildungen Einfluß haben konnte 'altbulg.
^OCT^TH, nbulg. ÄOcxaTH, serb. ÄÖCTaxH, slov. dodati, cech. dostäti, ober-
sorb. dosfac, poln. dostac, russ. aocTaxLj. Einzelne Bildungen standen ganz
parallel den adv. do-syta und do-syti. Vergl. z. B. die 3. pers. des Aor. *dosta
und adv. do-syta; d. Inf. dostati und adv. do-syti; sup. *dostato, das altcech.
Subst. dostat (G. dostata) »Fülle, Überfluß« und das poln. dosyt; das russ. adv.
ÄO-CTaTB und west- u. siidal. dosta; russ. ÄOCxaTOKx, poln. dostatek und altruss.
ÄO-CLixoKi., poln. dosytek «Sattheit« usw. Bei der großen Ähnlichkeit der
Formen aller dieser Bildungen und bei der fast völligen Gleichheit ihrer Be-
deutungen konnten ihre Wurzeln leicht untereinander verwechselt werden,
und das wenn nicht in der ursl. Epoche, so doch schon in einer sehr alten
Epoche des getrennten Lebens der slavischen Sprachen.
Vom ursl. ^do-syti muß man altpoln. und dial. poln. *dosici, dosic trennen.
Obgleich letztere mit poln. dosyci und dosyc völlig gleichbedeutend sind, so
kann man ihr i doch nicht aus dem y dieser Formen herleiten. In Anbetracht
dessen muß man annehmen, daß dosici und dosie aus dusyci und dosyö gleich-
falls nicht phonetisch herzuleiten sind, sondern unter dem Einflüsse des D.
ethicus des reflexiven Pronomens si oder demonstr. pron. *sb Plus der be-
kannten Partikel *ti, *tb (poln. ci, c), in Bezug auf die vergl. unsere »Cjio'yKnbia.
MicxouMeiiiat', 25 — 26.
VI.
Mittelbulgarisch MkTOMOif = MflUOY-
In meiner Dissertation »GaoacHtia MicxonMCHia« (2. Aufl. Moskau 1905,
S. 56) wies ich unter anderm darauf hin, daß sich in einigen der ältesten
mittelbulgarischen Texte zusammengesetzte Formen des pron. MkTO finden.
So treffen wir im Evangelium Dobromiri des XII. Jahrb., das von Jagic be-
schrieben, den Gen. sing. HKTCrC» in dem Ausdruck Hk'roro pa^\,H ; in
(1; uiselben Denkmal finden wir deu L. sing. 0 HKTOMK, den man auch in der
Urkunde Johanns Asenj 1230 (unsere Ausgabe, S. 3), in derüicxBima d. J. 1334
(Lex. Mikl.), in den »CjioBa uaKa3axejii.iiun Hiroa« des XVI. Jahrb., die un-
längst von Prof. P. A. Lavrov (S. XXVI) herausgegeben wurden, aufweisen
kann; endlicli ist in einem Apostel d. XIV. Jahrh. der Sammlung Verkovic's
in der Kaiserl. ÖfFentl. Bibliothek von Prof. Lavrov (IlauopiiiiKi. KicBCKiü,
S. 06) die Form d. I. sing. CC> lUTHMK aus *C'K MkT'kMK nachgewiesen,
wo 'k unter serbischem Einflüsse durch i ersetzt ist (der »Apostel« ist in
, M.icedonien geschrieben). Der Umstand, daß solche Formen sich iu mehreren
I Denkmälern finden, widerlegt den Gedanken Jagic's (S. 64), daß etwa die
'Formen des Evangeliums Dobromiri einfache Schreibfehler darstellten. An-
(Irrcrseits konnten auch die Formen HUCOrO, MKCOMK auf die Bildung von
'iK'l'OrO, MKTtMUlK schon allein darum nicht einwirken, weil sie seibor
wdlil kaum um diese Zeit in lebender Sprache gebraucht wurden. Wenn man
462 Kleine Mitteilungen.
indessen beachtet, daß im Litauischen ganz analog d. pron. Hz'ttas «dieser«
dekliniert wird, so bleibt uns als einziger Ausweg nur übrig anzunehmen, daß
die Formen HK'l'OrO, Hk'l'OMK normale Deklinationsformen von HKTO
als eines zusammengesetzten Pronomens bieten, die Formen Hiro, HtMk
aber, etymologisch als Casus des pron. HK erscheinend, nur an Stelle der
erstercn adoptiert wurden, als diese in einem bestimmten Dialekt des Alt-
bulgarischen oder vielleicht sogar des Ursluvischen verschwanden.
Um von einem vollen Paradigma der ursprünglichen Deklination des
pron. HkTO reden zu können, fehlte uns nur die Form des D.siug. HkTOMOy.
Und jetzt können wir sie, glaube ich, im Kiewer Fragment des Slep-
censkij Apostel d. XII. Jahrh. nachweisen. Dieses Fragment war schon im
J. 1895 von Prof. Vladimirov in »Othctli HMnepaiopcKaro OömccxKa JTiouHxcjieii
ÄpuBiieft niicBMciiiiocTu« vom J. 1894 — 1895, S. 05 — 70, herausgegeben worden,
aber die äußerste Ungeuauigkeit und Nachlässigkeit dieser Ausgabe ' vergl.
Jagiö's Rez. Arch. XIX, 294) erlaubte uns nicht, ihr zu vertrauen. Erst im
Anfange des September 1905 konnten wir in Kiew das Kirchlich-Archäolo-
gische Museum besuchen, wo das Fragment aufbewahrt wird, und mit dem
Original die uns interessirende Steile vergleichen. Und wir fanden wirklich
auf d. 2. Bl. die Form HkTOlUloy in dem Satze (Rom. VIII. 24;: OX'nOKaUHf
:Kf RH,\Miiic» : HUCTTv oij'"'^'^^""* • ^''^^ ^'^ ^y\j^y\T'K kto h o\'no-
liafTT», : MIvTOMOY yKO. Im Christiuapoler Apostel d. XII. Jahrh. (ed.
A. Kalu^niacki, Vindobonae MDCCCXCVI, p. 124) lautet letzterer Satz etwas
anders: l€H;e KO KH^HTk KTO, HTO 0\'nOBai€Tk. So lautet sie auch
im ToüKOBtiH AnocTOJiT. d. J. 1220, der von Herrn G. Voskresenskij seiner kri-
tischen Ausgabe der »IIocjiaHia AnocTO.aa IlaBJia k-b PuMJHHaMT.« Ccpr. IIoc.
1892 (S. 138 — 139) zugrunde gelegt worden. In späteren Abschriften, wie
man dieses aus der Ausgabe Voskresenski's ersehen kann, findet man nur
folgende Varianten des letzteren Satzes: MTO H Ha^'S^TkCA oder HTC> H
OlfnOßatTk. Übrigens haben wir noch eine Variante: HHM'K Ha;k,1vfTk CA
(Voskresenski, ebenda), doch in keiner findet sich HkTO fllilOY, was uns das
Recht gäbe, unser HkTOIUlOy als einen Schreibfehler an Stelle von MkTO
CMOy zu erklären.
Die Variante des Slepcenskij-Apostels bedeutete also folglich »wozu
denn er vertraut«, und die Form nkTOIHOy gäbe uns die Möglichkeit, das
volle Paradigma der Deklination des pron. HkTO herzustellen:
N. HkTO
G. MkTcro
D. HkTO MOV
A. HkTO
I. HkTliMk
L. HkTOIUlk.
S t. P e t e r s b u r g. G. Iljinskij.
Kleine Mitteilungen. 463
üapacnop — UaqaGTioQcc.
La terminologie byzantine concernant las tenanciers des domaines de
l'ancien empire peut etre recberchee ou dans les sources documentales ou
dans l'usage du peuple qui a conserve une masse des choses ä travers les cinq
siecles de Tinvasion turque.
C'est cette derniere source qui nous a decouvert l'usage de parasjjor ou
paraspur, terme grec employe encore en bulgare et en serbe pour certains
droits ou redevances en usage chez les metayers ou autres tenanciers au centre
de la presqu ile de Balkan.
En faisant la description des departements cedes ä la Serbie par le Con-
grös de Berlin (1S78) M. G. Milicevid parle de l'ancien Systeme feodal qui y etait
exerce par les spahis turcs. Entre autres redevances habituellement exigees
des tenanciers des terres des spahis il y avait aussi la redevance de cultiver les
paraspurne /live. Sous ce terme on comprenait, d'apres les renseignements de
M. G. Milicevic, la redevance des colons de cultiver la terre seigneuriale que le
seigneur exploitait en propre regle et qui lui etait reservee, et de remettre la
r6colte au seigneur. Dans ce cas les colons de ces contrees payaient les rede-
vances convenues pour des terres ccdees ä eux et au lieu de i'ancienne angaria
ils etaient obliges de cultiver la terre du seigneur dite paraspurna, reservee
pour son propre usage *).
Quatre ans plus tard nous rencontrons le meme terme dans les conditions
agraires observees par le Dr K. J. Jirecek ä Custendil en Bulgarie. Le celebre
historien i*elate qu'on y nomme paraspor ou 2)araspur: dem Arbeiter als Teil
des Lohnes angewiesene Acker. C'est pourquoi on nomme parasponji »auf
fremdem Gut sich ernährenden Dorfbewohner« 2;.
On voit que les deux explications ne concordent pas l'une avec Tautre.
A la suite de mon dernier voyage (juillet 190-5) ä Skopie ;Uskub) en
Macedoine dont les impressions ont 6t6 publikes dans la Godisi'iica Nikole
6upi(5a XXV, on m'a envoyc un rapport tres detaille sur le domaine seigneu-
rial Bardovce (10 klm. de Skopie > Mes recherches siu- ce domaine et les im-
pressions de mon passage lä-bas se trouvent dans les cliapitres VII et VIII,
p. 32—46 de l'article Deuxjours ä Skopie dans la Godisnica XXV. Le rapport
trfes d6taille provient du eure serbe du village Bardovce Atanas Petrovic. natif
de Kuceviste (Skopska Crna Gora) , en mCme temps pretre serbe ä Skopje.
Les Colons du domaine de Bardovce (Serbes, chretiens) s'appellent ispol-
(/ije, les metayers. Ils ont le devoir d'ensemencer et recoltcr en gardant la
moitic des fruits: le seigle, le ble, l'orge et le ma'is. Pour reusemencemeut des
c6r6ales mentionnces on distribuait la semence, et apres la recolte et avant le
partage en deux on deduisait la quantite distribuee. Mais il etait i)ermi8 d'en-
semencer d'autres choses encore. Et ceci s'appelait /e^nrös^wr. Aujourd'hui
on emi)loie /e paraspur seulement pour le hostau (melons et pastöques et pour
les Icgumes qu'on ensemeuce habituellement auprcs des maisous. Et le pro-
1) M. G. Milidevic, KiicHCciniua Cpftuja. Homi K|>ajeru. Ecorpa.i 18^4,4.").
-) Cesty po Bulharsku. • Prag 1888, 130; das Fürstentum Bulgarien, Wien
1891,192.
464 Kleine Mitteilungen.
prictairc donne pour lo hosian un /mi7c {yolvi^ chenice; de terre, ^-a veut dire
autant qu'on peut ensemencer par un smik du bl6. Actuellement le sitiik a
Bardovcc auprrs de Skopje pese 10 ocquee turquos '.\2H'M kg.: i) II y a encore
un caa oi'i on dormo de la terre en parasjnir. C'est lorsque la femine d'un colon
ou d'un ouvrier accepte de faire la cuisine ou de pctrir ou cuire Ic paiu pour
les employcs du proprictaire; eile obtient comme recompense de la terre pour
j)araspur DU du ble.
C'est, comme nous voyons, la troisieme explication du parmpor qui me
parait la plus explicite et la plus conforme ä la signification du terme grec.
En rcalito les mots grecs n«()fcffTin()('( et 7i<ci>i((S7i()i)(ii^ ne significnt d'apres leur
composition qu'un ensemencement secondaire, aupres ou ä cot6 d'un autre.
Le dictionnaire Du Gange Glossarium mediae graecitatis connait seulement la
forme iiui^uanoQLu — peculium castrense. E. A. Sophocle Greek Lexicon of
the roman and byzantine periods, New York 1904 cite nuQccanogu («j-, ;;) et
explique: a sowing beside, mingling with. Les sources d'apres lesquelles il
donne son explication sont: Galenus A. D. 200. Charterius. Lutetiae 1679, et
aprüs: Sextus A. D. 20.5 Bekker, Berolini 1842. D^K. J. Jirecek cite le mot
oixofxoSonanäano^iov d'apres une lettre imperiale du commencement du XIII
si^cle, adressee au duc du theme twj/ Gqcc/./jgioji'. L'empereur y exhorte le
duc a agir aupres des colons du village MrjXa qui appartenait au monastere
TÜi' AifAßwv 'Iva &cdüjat xal xo oixofxo^onuoüßnoQop^]. On voit seulement
que c'est un tribut et il est impossible d'en dechiffrer le mode et la nature.
Dr K. J. Jirecek cite encore une nouvelle de l'empereur Tibere (-578 — 582) neol
nccQuanoQiTwi'. Malheureusement la nouvelle s'est perdue et ce n'est que le titre
qui nous en est reste. II est tres curieux de noter que Mortreuil, Histoire du
droit byzantin et du droit romain dans l'empire d'Orient, Paris 1842, I. 86 fait
mention de la meme nouvelle ne^l nanaanooiTwi' en ajoutant au lieu d'une
traduction le signe d'interrogation, tellement la chose lui etait inconnue.
Dans cette penurie des sources grecques on peut voir encore un
exemple comment les sources d'usage et de tradition orale, mOme parmi les
peuples heterogenes, peuvent etre utiles dans les recherches des questions epi-
neuses du passe byzantin.
1) Au moyen äge on mesurait de la meme fa§on par le modtus — mbtb.
2) Miklosich et J. Müller Acta et diplomata graeca IV, 182.
Beigrade, le 3 avril 1906. St. Novakovic.
Debrc et Koceleva en Serhie^ au sud de la Save.
Deux noms de villages dans le departement de Sabac, oü je suis ne, m'ont
intrigue depuis longtemps.
C'est, premierement, le village Debrc.
\ II se trouve ä mi-cbemin entre Sabac et Beigrade, en face de deux villages
de la Syrmie meridionale, Obrez et Kupinovo. La Save y d^crit une longue
courbe — kljuc — et parait avoir coule autrefois par une courbe encore plus
Kleine Mitteilungen. 465
prononc^e au nord et plus eloignee de la frontiere actuelle de la Serbie. A cette
epoque le pays circonscrit par la courbe otait situe sur la rive droite de la Save,
tandis qu'il se trouve actuellement sur la rive gauche. Le village de Debrc est
ä deux ou trois kilometres du rivage de la Save d'aujourd'hui, ä droite de la
Chaussee en allant de Sabac ä Beigrade. Vuk Karadzic, originaire aussi de
notre departement, notait dans son dictionnaire qaon trouve des restes d'une
liabitation humaine entre le village Debrc et la Save. La Save, seien Vuk, se
deplace sans cesse ä droite, abandonnant sa rive gauche. On voit sortir de la
terre des restes d'un ancien etablissement, des monnaies anciennes, des osse-
ments, des pieces de vases comme partout dans les ruines d'un chäteau delaisse.
La tradition est encore vivante dans le peuple qu'il y avait lä autrefois un
chäteau grec (rpiKu rpas). Vuk ajoute aussi que le premier historien serbe
J. Raid avait tort de placer le chäteau Ätöpmi. — Dahrac de Syrmie oü le roi
Dragutin Nemanic a st^journe apres son abdication) ä Dobrinci dans la SjTmie
actuelle, et se declarait en meme temps pour Debrc. En eflfet l'ancienne bio-
graphie de Dragutin, ccrite par l'archevGque Danilo dans la premiere moitie
duXIV siecle, mentionne ä plusieurs reprises cjiaBi.Htiu ÄBopi lero ii>Ke bb Cpisii,
MicTO peKOMO ^BÖptuB Ic palais magnifique en Syrmie, qu'on appelle JtilpmB).
La Syrmie s'etendait-elle au-delä de la Save? On doit repondre affinna-
tivement ä cette question. Depuis l'c'poque romaine on considerait que la
Syrmie englobait les deux rives de la Save toutes les fois qu'elles se trouvaient
reunies sous une mcme souverainete. On commenca de bonne heure ;i dis-
tinguer sous le nom de Macva la partie de la Syrmie situee sur la rive droite
de la Save. Ainsi l'archeveque Danilo, dans la biographie de Dragutin, ecrit:
BLCTaBB H HSe BB OÖ.üaCTB ÄpBHCaBBl CBOICrc, BB 3611.110 HapHuaRiMoyio Ma'IBBa lO/Ke
ÄajiB KMoy 6i TBCTB rero KpajiB oyrpBCKLi (edition Daniele, 2S). Mais plus loin,
le mcme pays est appele OpIiMB ou cpiMBCKa scmjim ä plusieurs reprises. On le
voit dans les belles pages sur la visite de la reine Simonide, la fille de l'em-
pereur Andronic, :i Beigrade (p. 97 — DS) oü l'on dit que lu reine fut saluöe ä
Beigrade par les delegucs du roi de Hongrie. On considerait donc Beigrade
comme ville limitrophe du royaume de Dragutin. C'est encore plus clair ä la
page 115, dans le recit de la guerre de Branicevo (au-delä de la Morava) qua
Dragutin a du faire avec l'aide de son fröre le roi Milutin. Les pays de Bosnie,
Usora et Soli, que Dragutin avait obtenus de son beau-pcre, sont mentionnes
comme se trouvant ü l'ouest de la Syrmie mcridionale ou Macva. sous l'autorite
de Dragutin. En racontant l'abdication de Dragutin, le biographe dit que
Dragutin s'est rendu de Dezevo (en Easka] en Macva, obtenue de son beau-pere
le roi de Hongrie. II est certain que le roi Dragutin n'a pu se rendre en dehors
de son domaine, et que MauBBa et CpiMB signifient la mcme proviuce: Macva
ayant peut-Otre une ctendue plus rcstreinto, limitce du cutc Nord par la Save,
la Syrmie embrassant le pays entier en-dccä aussi bien qu'au-dela de la Save.
U est mcme permis de supposer ([ue le domaine de Dragutin no ö'cteudait pas
sur la rive gauche de la Save. Bref, nous somiucs tout-ä-fait d'accord avec Vuk
que ^töpBui. de Danilo avait le memo emplacement que le Debrc d'aujourd'hui
et que les ruines dont on y trouve les traces provenaient du chäteau et du
palais de Dragutin.
Archiv für slavische Philologio. XXVIU. 30
466 Kleine Mitteilungen.
Mais ä prcsent vient pour nous la question principale.
^Lfipmi. de Danilo doit ctre prononce en serbe moderne J[aiC>i<a.u comme
le faisait aussi Vuk cn le transcrivant de teile faf;on en serbe. Le village, ce-
pendant, s'appclle /lefipu. Nous Tavons ainsi entendu appeler depuis notre
enfance. Comment expliquer une prononciation d'aprös un autre dialecte dang
un pays oü Ics lois de la phonologie serbe sont ob8ervt;es avec une rigourosite
parfaite? II nous semble qu'il n y a qu'une seule explication. Dulrc pro\ient
d'une autre tribu slave qui y s^journait auparavant et qui s'est transformee en
Serbes, ou doit dater, si c'est possible, d'une c'poque de la langue serbe oü une
teile modification phonologique etait encore possible. En tout cas nous nous
trouvons en presence d'une petrification d'un dialecte slave diffurent du serbe.
qui est restee intacte grace ä la constance des noms topographiques, constance
dont on trouve partout de nombreux exemples. On doit donc classer Lehre
comme tel, pour ne pas forcer ou falsifier les lois phouologiques du serbe. De
la mßme fagon en Albanie, en Epire, en Thessalie, en Hcllade et en Mort-e ou
en Koumanie et mCme en Hongrie, oü les Slaves ont disparu depuis longtemps,
une grande quantite de noms topographiques slaves est prononcee machinale-
ment, selon la loi de la conservation des noms topographiques, par des bouches
qui n'en comprennent pas une syllabe!
II y a mGme encore des noms qui rappellent par leur son quelque ancien
dialecte. C'est l'eglise Ohrid — OhridskaCrkva non loin de l'embouchure de la
riviere Dohrava, a l'endroit oü le dernier mamelon des montagnes se perd dans
les mar6cages de la Save. Comment sonnait le nom Dobrava au temps oü
^BöptuB recevait la forme phonologique de Debrc? On trouve encore une
Dobrava au nord de Kosovo, qui est citee dans le diplurae du roi Milutin au
couvent Banska non loin de Zvecan et de Mitro vica. Aujourd'hui. la /I l 6 p l x a b a
des redacteurs de Milutin sonne .JoöpaBai). C'est tres instructif comme coup
d'ceil dans l'histoire des dialectes et de leurs ü-ansformations.
* *
*
Une vingtaine de kilometres plus au sud, dans la mOme contree, on trouve
encore un vestige d'un dialecte qui n'est plus connu dans ces parages. C'est
le village Koce/eva, sur les contreforts de Vlasic. Le mot Koue.t se trouve
encore dans la langue serbo-croate. On pent le voir dans la notice de V. Jagic:
Zur Entstehungsgeschichte der kLrchenslavischen Sprache, Wien, 1900, S. 85.
II faut seulement ajouter que le mot n'est pas connu partout. Vuk, dans son
dictionnaire, en lui donnant la signification alumen-ahm, dit que le mot se
parle dans les parties meridionales de la langue, et ajoute qu'il y a un village
Koceleva dans le departement de Sabac. En citant le nom du village ä cette
place, il parait que Vuk a voulu suggerer que le mot a ete connu avec la meme ,
signification d'alun aussi en Serbie. En verite le mot Koye.t est ä present tout-
ä-fait inconnu en Serbie. Dans un autre livre, tres sür pour ces choses-lä, on
affirme que Koue.t signifiant l'alun se dit en Dalmatie*. Les geologues qui ont
1) rosHiuibuiia HuKO./ie Hynnha XXV, 177.
2) ]^0Ka IIonoBuh, üosHaBaHi poöe uJin Hayna o po6u iproBa^Kofi. Beorpas'Bj
1852, page 100.
Kleine Mitteilungen. 4ß7
explore Vlasic nous assurent qu'il n'y a aucune trace d'alun ni de sei dans les
couches calcaires et sablouneuses dont se composent les contreforts de Vlasic
sur lesquels Kocejeva est situee '; .
II ne reste donc qu'ä deduire le nom du village Koce^eva du nom per-
sonnel KoceJ pour lequel V. Jagic ajoute d'apres P. Budmani qu'on le ren-
contre encore ä Raguse. lei dans le bassin de la Save nous aurons plutot ä
taire avec quelquo Koce| pannonique. Dans ma collection de noms personnels
du bas moyen age CpncKu noMcuimu r.iaciiuK XLII le nom Koue.T> ne se recontre
Jamals. II n'y en avait nulle part dans les dyptiques dont on s'est servi pour
la collection des CpncKu noMeuumi. D'autres hypotheses pourraient se fonder
sur le feminin de la Kocejeva peut-Gtre Koceleva-vas) mais nous preferona
nous arreter ici.
Les evolutions ethnographiques, dans les cadres des tribus congcneres
surtout, pourraient donner Heu ;i une ctude des plus interessantes. Mais la vie
passe rapidement et ne nous laisse que quelques rares petrifications, süffisantes
pour piquer notre curiosite mais non pour expliquer les evolutions dont alles
sont les effets.
1) J. M. iKyjoBiih, Teojioruja Cpöujc. Eeorpaa 1893, I, p. 283—290.
St. Novakovic.
Einige Lehnwörter im Kroatischen.
1. zalacTtja «Siilze«,
In manchen Gegenden des kajkaviscben Sprachgebietes (ich habe es
auch bei den Ikavci in Sichelburg, Bezirk Jaska, gehört) und im kroatischen
Küstenlande hört man für Sülze neben ladetinu i) noch zalacUja. Auch Belo-
stenec Gazophyhicium II. 473 kennt das Wort. Das Wort ist venezianischen
Ursprungs. Boerio, Dizionario, verzeiclmet für schriftitalienisch gelatina
zeladia, zeladina (coUa z dolce). Der Übergang von venez. z^z ist gang und
gäbe, vgl. in Ragusa Rad LXV, S. 164 huziti, S. 163 htza, Rad CXVIII, S. 19
mazurana, S. \ß jrrzun. Doch e >> a macht Schwierigkeiten, da sonst das e
bleibt, vgl. cebüla »Zwiebel«, cedula in Sichelburg. Es könnte vielleicht ein
Einfluß von ladetina sein, aber auch eine Art Angleichung an das zweite a,
vgl. in Ragusa Rad LXV, S. 104 halancana > melauciana, und S. 105 salatar «<
serratojo '-).
2. grändav »ranzig«.
Dieses Wort, welches im kroat. Küstenlande (iräncljiv lautet, hörte ich
auch in Sichelburg; es hängt offenbar mit rancidus > venez. //ra;;:/^, wo-
1) Neben Jtladetina, ladetina hört man hie und da auch züljica, was auf
d. Sülze zurückgeht. Deutsches /geht reclit gerne in // über: Spiegel <^ ipe-
galj, Mehl <C mclja, Halbe (Knuj) <^ huljha (ein Maß für Flüssigkeiten) etc.
Der Ausgang des Wortes wurde durch das Suffix -ica verdeutlicht.
-) Vgl. in Ragusa galatina = Sülze (vgl. Rjecnik III. 93), was wahr-
scheinlich wegen des bewahrten (/ eine altdalmatischo Form ist.
30*
468 Kleine Mitteilungen.
neben auch ranzio vorkommt, zusammen. Boerio bezeichnet hier z als »aspra«.
An zy> 6 ist nicht zu denken. liier könnte man denselben P'all sehen wie in
(fvUan (welches Wort ich in Sichelburg hörte) sicher, was offenbar auf deutsch
(jewiß + das Suffix -Jan (vgl. Maretiö, Gramatika i stilistika, S. 305 b) zurück-
geht. In (jrancav kann also entweder das Suffix -jav 'vgl. Marotic, 1. c. e) an
(jranz- angehängt worden sein oder -av allein auf yranzi-, was dasselbe er-
geben hätte. Die ragusanische Form rankdiv Kad LXV, S. 102 zeigt das-
selbe Suffix wie grancljiv, stammt aber, wie das c'' > k zeigt, aus dem Alt-
dalmatischen her 1).
3. vadljati jj wetten«, vildlja »Wette (f.
In Bezug auf dieses Wort wird in Archiv XXVII, S. 583 auch auf deut-
sches »wetten« verwiesen. Unser Wort läßt aber auf eine viel ältere Stufe
schließen, da ihm offenbar eine unverschobene und nicht uuigelautete Form
zugrunde liegt; also kann man es nur mit got. [ga]ivadj6n vergleichen. Doch
im Vergleiche mit anderen Wörtern zeigt die Vokalisation manches auf-
fallende; wie sk'öda << scado (vgl. Vondräk, Altksl. Grammatik, S. 42) zeigt,
müßte man auch hier o erwarten. Zeigt dies Wort vielleicht nicht, daß das
germ. « in dieser Stellung eine andere Färbung hatte (weil ja ein y folgte]?
Vgl. übrigens auch värdati, livärdati »splihen«, wo allerdings die Möglichkeit
einer Entlehnung aus dem Venezianischen, wo bekanntlich das germ. w als v
bleibt, in Betracht kommt. — Auch das Subst. vädlja existiert -].
1) Man kann nicht annehmen, daß c in grancav dem tosk. rcmcido zuzu-
schreiben ist. Der schriftitalienische Einfluß hätte doch frtiher in der küsten-
ländischen Form grancljiv platzgreifen sollen !
2) ivadjön > vadijäti wurde mir durch romanische Formen frz. gage^ gager,
ital. gaggio, prov. gazi nahegelegt. Man könnte allerdings an das mittellatei-
nische vadium, welches auch auf wadi zurückgeht, denken, doch bezeichnet
vadium immer nur »Pfand«. — Wegen dj~^dlj könnte man allerdings nicht an
das so hohe Alter (aus dem Gotischen!) denken; eher vielleicht an das
mittellat. vadium, welches auch germ. Ursprungs ist.
P. Skok.
Zur serhokroatisch-protestantischen Literatur des X VI. Jahrh.
Im Jahrgang 1896, Nr. VI, des Anzeigers der philos.-histor. Klasse der
Wiener Akademie der Wissenschaften hat Jagic in dem Aufsatze «Ein vierter
bibliographischer Beitrag« neben der im J. 1564 gedruckten Übersetzung der
Propheten, welche er nach dem einzigen geretteten Exemplar im J. 1897 neu
herausgab, noch zwei kleinere slavisch-protestantische Werke kurz beschrie-
ben, von welchen ebenfalls nur je ein Exemplar (beide in der kgl. Hof biblio-
thek in Dresden) bekannt ist, nämlich die württembergische Kirchenordnung
(Czrikveni Ordinalicz) und die Apologie der Augsburgischen Konfession
[Bramha augusztanszke szpovedi], welche beide ebenfalls im J.1564 in Tübingen
mit lateinischen Lettern gedruckt wurden. Vor kurzem habe ich bei einem
Wiener Antiquar auch ein glagolitisches Exemplar des Crikveni ordinalic ge-
Kleine Mitteilungen. 469
sehen, dessen Existenz nach Schnurrer (S. 109) ohne weiteres vorausgesetzt
werden konnte, den aber Niemand Von den neueren Forschern bisjetzt ge-
sehen hatte. Ich habe das Buch, bevor es ins Ausland wanderte, auf kurze
Zeit in den Händen gehabt, so daß ich eine summarische Beschreibung dieses
neuentdeckten glagolitisch-protestantischen Unikums geben kann. Der Titel
lautet (in der usuellen cyrillischen Transskription:, wie folgt:
lIPHKB^B-iHH OPÄHHAJIHII, | KAKOCE BnPABOH KA-|To.!iH^acKou i),
XcxiiHCKOH IIpuKBH, | XpuecTBa EupTCMÖepcKora | Bce npase Boacie cjiy-jacöe
onpasjaio u | cjiyace. || Caai naHnpBO BixpBaxcKU f,3iiKi | npeoöpameH h miaMnaH. ||
SBürtcmbcrgifd^e .ttrcf)enorbmmg / in bie ] drabatifd^e Sprad) tierttert, önb | mit Gra*
batijd)en 58U(^l'taben | getrudt. || a. EaKopun e. | /Ipyrora ^yu^aMCUTa 3a ucTUHy
HUKTO-|pe HGMope uojioyRUTu, Hero obi Kii|nojo2teH ecx. HOXT. \n npo^. ||
B TyEHH^II.^*^7I^
Der Titel ist in einem architektonischen Rahmen eingefaßt und das
Format ist kl.-So (mit etwas über 14 cm Höhe und fast 9 cm Breite, jedoch ist
das sonst vorzüglich erhaltene Exemplar beschnitten, da es in neuester Zeit
eingebunden wurde). Dem Titelblatte folgen weitere 15 nicht numerierte,
dann 94 mit glagolitischen Lettern numerierte und dann noch einmal zwei
nicht numerierte Blätter, so daß das ganze Werk aus 1 1 2 Blatt besteht. Nach
dem (auf der Rückseite leeren) Titelblatte steht zunächst auf (nicht numer.)
fol. 2a— -a eine deutsche Vorrede: »58orreb | ?(n bte rcd)t Eriftlid)* en S3erfom<
lungen/bnb jre | Siener in ßrabaten« mit der Unterschrift (auf fol. 7-') : »(S.@e=
l^orfame Wiener/ 1 9tntoniug Satmata. | 8tep{]anu§ ^fterreic^cr. 1 @corg ^uritfi^itic^.",
worauf dieselbe Vorrede auf fol. T'j — l^y^ in serbokroatischer Sprache sich
wiederholt: nPE;irO-|BOP. | nPABOMY KPGTi'LHCKOMy 3E0Pnni-|my u
HHx cjiyacaöimKOM Bxp-|BaTCKOu Scm^ih. mit der Unterschrift (auf fol. 15^): Uox-
JIOJKHH cjiyre Baum. | Ahtohi ilaJiMaTHiii. | CxHnaiir HcTpuiui. | K)paH TOpnqiimt
H31 I BiiHoao^ia. Fol. 1 5'' ist leer, ebenso fol. 1 0'', während fol. 1 C-"^ unter ^ITOE
nOrPHinE-;HO BA TOH KHHrH. das Druckfehlerverzeichnis enthält. Auf
den numerierten Blättern 1—94 steht der eigentliche Text der Kirchenord-
nung, welcher auf Bl. 1^ mit den Worten anfängt: IIACIE-IÄVE IIAPEJBA |
OBora OpÄuiia^ÄHua. | OA HAYKA H. nPO-|ÄHKaiiii. und auf 61.94'' mit den Worten
schließt: rocnoAuuiEon Äau pacxe-inuc uyMiiOyKeiiie CBohoiiIlpuKBU. H [ly oxpauu
H ■^yuaH, paAH rociiOAu-|ua iiaiuera HCXTA b npaBOU | Bepu, ca Cbctum ily-|xoMi
AMEH. I Koiiam IXpiiKBliiiora | 0pÄUiia.3ima. | h <i> m r. Die letzten zwei nicht
numerierten Blätter enthalten auf den drei ersten Seiten (die vierte ist leer!) das
Inhaltsverzeichnis : PEriI(V|TAP IIJIII yKA3 | nOFJIABHTlIX M'LCT | ir
HayKOBi, Ka co nao-|F.oMi 0pÄiiiia.3iiuy | y^piKC.
Auf Grund der seinerzeit von Jagic gemachten Aufzeichnungen konnte
1) Mit einem unter den Buchstaben gesetzten Bogen habe ich die Liga-
turen bezeichnet. Einfache vertikale Striche bezeichnen das Endo einer Zeile,
doppelte dagegen den Schluß eines Absatzes. Die oborhall» der Linie sttehou-
den Zeichen stehen so im Original.
470 Kleine Mitteilungen.
ich konstatieren, daß der Text der beiden Ausgaben des OnUnalic wörtlich
übereinstimmt.
Aus der Vorrede ist folgender Satz wichtig (fol. 4*' ^der glagolit. Aus-
gabe]): »SBcil bann bcr gtümädjtifl ®ott bnnb 3Satter tinjcrä .^erren ^ei" ü^f)rifti/baä
l\t6)i feinet SBortt^ ünA) Ifi) ün^ (Irabatcn angcäünbet/.... '^\i meber ben Siirc^en»
orbnungcn / fo bei) ben (Sf]riftlid;en reformierten KirdEje | (fol. 5^) gebreüc^Uc^ 'önb
gIci(i)rt)ofI alle in ber Sub^tauä önb SBefen bncc^auf3 einig) bije erftölct Dnb in bie
Srabatiid)c ©prad) üerbotmetid)et/fo in bem §er{5ogt()umb SBürtcntberg/auc^ ben
ned)ft btnbltgenben gür[tentl)umb / Öraff önb .öerrfdjafften / 9{et(^ ünb gretiftetten
geljalten«, bezw. fol. 11'*: Ka^i xa^a EccMoryinn Uon u Oram FocnoMHa uamera
HCXTA OBy cbhtjiocti neroBa cJOBa TaKaiime npn uac XjjTaTOB (sicij cot Ea>K-
TaÄi/ .... EcTi Meio IIpiiKBenuMH opaHua.3Hmi (ku uoäu KpciiiucKux nonpaB.3eHHX
IIpuKBaxi oÖHiaH, HHiuxapi Maiic ecu Ea CyöcTaimuu ii iiayKy bäujig ecy paBHu u
eaHHii) obb HBBOJieHi, BixpBaTCKH fcHKB HC-i (fol. 1 23') TJiMaieHi, KOH yB.3aaainio
EHpxeMÖepcKOM TaKauiue no Bcyaa noju Khcsh h FocnoÄCTBa ffpa^am ecTi. Damit
man die Identität beider Ausgaben ersehe, gebe ich letztere Stelle auch aus
der lateinisch gedruckten Ausgabe wieder: »Kad' tada vßemoguchi Bog i
Otacz Goßpodina naffega Jßukrßta ovu ßvitloßt ßegova ßlova takaiffe pri naß
Hrvatov yeßt vasgal . . . Yeßt meyu Czrikvenimi ordinaliczi koi poli krßtian-
ßkih popravlenih Czrikvah obitsai niltarmane vßi va ßubßtanczij i nauku
vdilie yeßu ravni i yedini) ov izvolien i V hrvatßki yasik ißtkaatsen . . .«
In der kgl. Hofbibliothek in Dresden hat sich auch das einzige bekannte
Exemplar der slovenisch-protestantischen Kirchenordnung erhalten 'unter der
Signatur Litt.Belg. 10^), welche ebenfalls in Tübingen im Jahre 1564 gedruckt
wurde. Das Exemplar ist leider defekt : es fehlt das Titelblatt und das Vor-
wort, so daß der Text mit dem die drei letzten Blätter einnehmenden Register
175 Blatt Groß-Oktav umfaßt (vgl. eine kurze Notiz darüber von Dr. Fr. Vidic
im Laibacher Zvon vom J. 1S96, S. 514—515); aus dem erhaltenen ersten Blatt
ersieht man aber, daß diese Übersetzung den Titel Cerkouna ordnmga führte.
Es ist nun, wie sonst bei den südslavischen protestantischen Büchern,
möglich, daß für die serbokroatische Übersetzung auch die slovenische ver-
wendet wurde, wofür in diesem speziellen Falle schon die Form Ordinalic
sprechen würde, wenn sie, wie ich vermute, slovenischen Ursprunges ist; dann
aber müßte es eben in der slovenisch-protestantischen Literatur neben der
Cerkovna ordninga auch einen Ordinalic gegeben haben, denn die erstere ist
höchst wahrscheinlich ein ganz anderes Werk als letzterer. Schon der Unter-
schied im Umfange ist ein auffallender: der glagolitische Ordinalic zählt bloß
94 Blatt Klein-Oktav, mit 3 Seiten Register, während die slovenische Ordninga
172 Blatt mit 3 Blatt Register umfaßt; dann besteht letztere aus zwei Teilen
(auf Bl. 66 fängt der zweite Teil unter der Aufschrift an: TA DRVGI DELL
TE CERKOVNE ORDNINGE . . .), während der Ordinalic nur aus einem TeUe
besteht. Leider kann man nur den Anfang der beiden Texte vergleichen, da
Dr. Vidic nui- die ersten Sätze der Ordninga abschreiben konnte, und da er-
gibt es sich, daß tatsächlich dieser Anfang in beiden Werken ein ganz ver-
schiedener ist; man vergleiche mit dem im Zvon abgedruckten Text den fol-
Kleine Mitteilungen. 471
genden glagolitischen: BoacacTseHy Pu^t h HeöecKii HayKi npoÄiiKaTir, hh
u3H.!iOEiiiacKora aoMHUiJiemi nsanuro u HaiuacTo: Hero oäi caMora rocnoauHa
Bora nocraB^iHo h oa^yieno. Ecti TaKoe oai Bora laKo Äparo u bhofo iieHOBuxo
ÄpjKaHO II npouuHiHO, Äa e OBy c^yjKöy HiroBO Bi^ruiacxBO snoie^iy caMO sa^e^io:
IToTOMi lora Kaaa roau Aare^iOMi, ii home CBeiuMi üaTpuipxoMi u üpopoKOMi,
TaKoe CEOMy eÄHHopoeHOMy CHHy, TocnoÄHHy Hameiny H-(B1. l^jcyKpciy Kaai
q.iOBUKi nocia, u ly uciy AnycTOJioMi onpaBura napyin-ii u sanoBt^ajn ecii. —
Allerdings müssen die beiden Werke inhaltlich wenigstens zum Teil
übereinstimmen. Nach dem Register besteht der glagolitische Ordinalic aua
39 (weder im Register noch im Texte durch Ordnungszahlen bezeichneten)
Kapiteln, von welchen ich mir folgende notiert habe: 1. Oai nayKa h npoauKana
iia Kap. .a., 2. Oäi Cxora Xcia Ha KapxH .ä-, 3. Oäi HarJiora Xcia Ha Kap. .aci.,
4. Oäi KaiexHCMa. na Kap. .na., 5. BjxaÄaxejieMi OBora ÜBHia Ha Kapm .hb., 6. CyÄ-
HCMi. Ha KapiH .hb. ... 10. PoAHTCJiiMi ... 15. ^HBOHKaMi .... 20. KaTexHCMycr
.... 25. HaiHHi onmeHHxi Mo^iuTaBi h JteiaHHH .... 30. Oäi IIpiiKBiunxi cbht . .
. . 35. Ha^uHi KaKoce saKOHHHKii BupuKaBi cnpoBaiio . , . 37. KaKOce HMaio saKOH-
HUKU BiipHKBH Ha npeaHK.?tHHHH HaBHCTUT. Ha Ka. 38. Oä noxoenii u npn-
^loiumeni öojihukoe. ua Kap. O/K., 39. Haiiiii norpeöa. na Kap. n5. Insofern
dieses unvollständige Kapitelverzeichnis einen Vergleich mit den wenigen aus
der Ordninga angegebenen Kapitelaufschriften zuläßt, sieht man, daß der
Inhalt wenigstens zum Teil derselbe ist, denn Kap. 2o des Ordinalic erscheint
in der Ordninga auf Bl. 100 ff. als «Ta kratki Wirtemberski Catehismus«,
Kap. 25 auf Bl. 11" ff. als »Ordninga, koku sc imaio gmain lytanie, tu ie, mo-
lytue inu proshne. .. dopernashati«, Kap. 37 auf Bl. 130 ff. als »Ordninga, koku
se ty Sakoniki imaio poklyzati inu porozhiti« und Kap. 39 auf Bl. 163 ff. (eben-
falls als letztes?) als »Orduinga od tiga pogreba«.
*
* *
Sehr wenig bekannt ist auch die glagolitische Übersetzung von Dr. M.
Aulbers Predigten vom Hagel; doch Safarik (Gesch. der südslav. Lit, Bd. I,
5. 187, Nr. 84) war es wenigstens bekannt, daß ein Exemplar davon ebenfalls
in der kgl. Bibliothek zu Dresden vorhanden ist; Jagic hatte es gleichzeitig
mit den beiden im Eingange erwähnten Werken auf kurze Zeit in den Händen
und auf seinen Aufzeichnungen beruht folgende kurze Beschreibung: Das
Büclilein zählt nur 14 nicht numerierte Blätter in Klein-Quart, deren 29 zeilige
Kolumnen 15 — 15-0 cm hoch und 9-5 cm breit sind. Der Titel lautet: E^HA
KPAT|Ka cyMMa, iihkiix npo-|ÄiiKi oäi T.11C u oäi ^apnum kc ey npoÄUKano
B-|cTO.iiioMi Eapoiuy BapiCMÖcpcKe scMJii, Mnctua | anryoTa, ji^to no poucxBy
rocnoÄHua uaiuera | HCXA, i.*. m.6. H ho lOphio lOpHquuiy SBuuo-JÄOJia, Au-
■muy ilaj[Maiuny 11 Cxunauy Hcxpniuy, | ns HUMiuKora nucMa b xpBaxcioi iauKi
Oäi I pnqu äo pu'ui, Bopno ucx.iManenc : | u c xpBaxcKHMU cjo-'bh uixaMnaiio. || Sine
Sumä ctltd^er ^rc|btgcn bom .^agct tinb 58ut)olbcn/ | auf} bem Ieutfcf)cn in bie
Grobntifd)c | ©^rarf) üetbotnietjd)t, bnb mit | ISrobatifdjcn bud)fto=|ben getrucft. ||
472 Kleine Mitteilungen.
Hcaiii .HC. I Fähc Kajacy BiieBO.aaxi TaKO oim leöi iiiumy: iia Kaaa th uhxi CKa-
lUTHry yqiiiiii, laKO ouh Bxyraxi Banmo. || B TyEHIirH | h.^.u.b. — Auf der
Rückseite des Titelblattes steht zunächst : /lEBTEPO .hs. | Be.3HKo ciMCHa Ha
UHBy nociemi a Ma.JO }iaM-|jiaTHmi, KajH m. ciapu nociemi, Ty CÄaiii HaM-jaxiimt,
H npöil Nun folgt eine Xylographie : ein Engel mit einer Trompete aus den
Wolken schwebend bläst zur Stadt herab, und unterhalb derselben: MHXEÜ. e. |
Ilociciui, ajiii HcCyaemi accjii, h oai njioja BH-|uorj)ajOBi, ii yjiit ueuyjcmi yacinsajii,
pajH TBO-|hHxi rpHxoBi, H npoq. Jetzt beginnt mit Fol. 2 (mit der Signatur An)
der Text mit den Worten: OBora ITpopoKi EpcMHi ua acu. Kan. saMauii ue roBopu.
'^Ijiov.u^acKo cpÄHe ecii öaipno ii CTpani.z[iiBO : rao e aiope c^ynÄaMenia HsucKaiH?
Epece OBO sa BcarflaHHOM npaTiiKaHiio Mope JiaKo nosnaxH : KaKo obo ecii laKoe cam
EpeMHi Ha HiroBOMi B.5ameMi jijiky u npoauKe nodyiuarejnix noaua.ii, «a ^.iobu-
lacKo cpaae HeMope hu 3Jia hh ao6pa hocuth u Tpnixu. B cpumu ii KaÄahuM Äo6po
rpe, TaKO cy oxo-ie mhcjih, Äpsii ii ßaxpHH, a BHecpimu ii BcynpoTUBHOciii cy Äypn,
CTpaniJCHBH H noöHCHH: esaHi Kpaii hhxi HHKxope neiviope npiiMopaTH ii na ysaii
apHcaxH, Äpyra Kpax hnxi naKH HHKxope neMope sasoBOJiHO ÄBiirHyxH n TinmiH.
OsaKOBa MH AananiHH ffani 6yÄH Bory mh-io npeai oiHMa bhähmo. Ako naMi Hami
MH./IOCXHBII aoöpn FocnoÄUHi Eon aa, cäho poaoBHxo Jiixo : xano mh niroBy Mhjocti
H oxaqacKe Äapn, Ka BcaKou biicokh oxojih mhcj:u, b xamtHsy h öaxpHEO yauiBaMO u
HC MapHMO 3a TÄHaEora, hh sa oBora cia Focno^a. IIoxoäh jiti naioi ohi naci Kaaa-
roÄH 3Hen.!roÄHHMi JiixoMi na äomi, h sa naniuxi rpuxoBi bojh) aonycxn njioß.i na
Hamiixi HUBaxi u saci njioai seujii, Kne K^iroBuiacKOMy acuBJiiHiio u xpaHU no-
TpHöaHi, fla CKpo3u xjqy h xy/to BpuMi KongaHi u saxpeni öyae : xaKO Äpyrora hh
Meio HaMH, Hero jihcto nja^ii, xyaceHue, yöoucxBO Ha yöoHCiBO Bannio. Haie Kaja-
roÄH xaKoe K-iixBa u npaceraHie u obo gxo ecxi nauxye, aa | (Fol. All retro) Ha
rocnoÄHHH Eory u na niroBou Mujeocxubou noMomii 6e3y*aK),
M. Resetar.
Über die Provenienz der Kiever Blätter und der Prager
Fragmente.
(Zur Abwehr.)
Herr K. K. Grunskij schließt seine Publikation »Prazskie glagoli-
ceskie otryvki« St. Petersburg 1905 mit einer etwas unfreundlichen Notiz ab,
welche meine Arbeit »0 puvodu kijevskych listu a prazskych zlomku . . .«
V Praze 1904 betrifft und mich zwingt, gegen die dort vorgebrachte, teils
offene, teils versteckte Pauschalverdächtigung Stellung zu nehmen, obzwar
die auf diese Antwort verwendete Zeit viel besser anderweitig verwertet
werden könnte und die geneigten Leser dieser eminent wissenschaftlichen
Zeitschrift mehr auf Belehrung als Polemik reflektieren. Ich muß daher um
Entschuldigung bitten, wenn ich diesmal mit solchen Schlacken für die
Kleine Mitteilungen. 473
Wissenschaft und mit solcher Kost, die nicht einmal dadurch, daß man sie
ein wenig pfeffert, für den Leser verdaulicher gemacht werden kann, komme.
Herr Grunskij behauptet, daß meine Arbeit einige Details enthalte,
welche früher von ihm ausgesprochen worden wären. Meine Berufung auf
seine mündlichen Mitteilungen (sie!) wäre unvollständig und ungenau. Er
verweise insbesondere auf das 1. Heft seiner Arbeit über die Kiever Bl., das
1903 gedruckt und früher im Slav. Seminar der Wiener Universität vor-
gelesen wurde, und dann auf die folgenden Hefte 2 — 3, welche 1904 gedruckt
wurden. Das wären alle jenen Stellen, die hier in Betracht kommen. Auf das
weitere habe ich keinen Grund zu reagieren, denn es kennzeichnet selbst zur
Genüge den wissenschaftlichen Fond seines Autors. Man wird bemerken, daß
es nicht mehr ein in Schranken gehaltenes Gewehrgeknatter ist, sondern
H. Grunskij ist hier gleich mit seinem groben Geschütz aufgefahren.
Es muß allerdings konstatiert werden, daß sich einzelne Berührungs-
punkte in unseren Arbeiten konstatieren lassen und zwar dort, wo es sich um
die Feststellung einzelner Eigentümlichkeiten des in Betracht kommenden
Denkmals handelt. Ich muß gestehen, daß ich selbst ein wenig überrascht
war, als ich die mir jetzt erst vorliegende Arbeit Grunskij's — er hatte die
Güte, sie mir jetzt zu übersenden — las. Freilich, in der Erklärung der be-
treffenden Eigentümlichkeiten gehen wir auseinander, wie denn auch die
Resultate, zu denen wir kommen, fast diametral entgegengesetzt sind. Es
handelt sich nur um die betreffenden Details und da meint offenbar H. Grun-
skij, daß es keine andere Möglichkeit gäbe, als daß sie ihm entlehnt worden
sind. Hat er ja darüber vorgelesen, sein 1. Heft soll schon 1903 erschienen
sein, und dazu kommen noch seine »Mitteilungen«. Ich muß mir daher er-
lauben, auf diese näher einzugehen und die Genesis meiner Arbeit ein wenig
zu beleuchten.
Was die Konstatierung des Akzentes in den Freisinger
Denkmälern und Kiever Blättern anbelangt, so wird es mir
H. Grunskij gütigst zugestehen müssen, daß ich wenigstens
ihm gegenüber die Priorität in Anspruch nehme, weil er da-
rüber schon in meiner Ausgabe der Freisinger Denkmäler
(Prag 1896, S. 35 — 38) lesen kann. Ich glaube, damals dürfte sein erstes
Heft noch nicht erschienen sein, und bin selbst einigermaßen überrascht, daß
er in seiner Arbeit dieses Umstandcs keine Erwähnung tut, vielmehr meint,
daß er selbst zuerst auf die Akzente in den Kiever Blättern aufmerksam
gemacht hätte (l.IIeft, S.40 sagt er: »Na udarenija v K. C.bylo uze obrasceuo
vnimanie mnoju, a zatom g. Karinskim«). Ich bitte ihn nur gütigst in meiner
Ausgabe der Freisinger Denkm. S. 38 nachzulesen. Auch das, was er über
dieses Denkmal hinsichtlich des Akzentes (1. Heft, S. 54 — 56) sagt, läßt
nicht erkennen, zu welchen Resultaten ich schon in meiner Ausgabe kam,
obzwar ihm diese bekannt sein mußte, da er sie, wie ich jetzt bei ihm i^S. 56,
Anm. 1) lese, rezensiert hat. Übrigens fand es auch II. Kariuskij nicht der
Mühe wert, in seiner diesbezüglichen Abhandlung darauf zurückzukommen.
Ich würde selbstverständlich das alles stillscliweigond üborgohou, wenn nicht
H. Grunskij so sehr bemüht wäre, seine angeblichen Verdienste um die Er-
474 Kleine Mitteilungen.
forschung unseres Denkmals auf Kosten fremder Leistungen in den Vorder-
grund zu stellen. In meiner Ausgabe habe ich ferner konstatiert, daß es im
ersten Denkmal zweierlei Akzentzeichen gibt (S. 37), und daß in den Frei-
singer Denkmälern neben dem Akzente auch die Quantität bezeichnet
sei, daß aber dieser Unterschied nicht konsequent durchgeführt i8t(S. 36), und
ich bin nicht wenig überrascht, dieselben Gedanken nun bei Grunskij (Heft 1,
S. 55 f.) ohne Angabe der Quelle zn finden. An eine Quantitätsbezeichnung
in den Kiever Bl. dachte ich damals bei den verschiedenen Zeichen dieses
Denkmals auch schon. Ein miloslwy, vecbni), chstnügo, hlazenümu, dann tnqce-
mka, zakoHhuika u.s. w., was wir alles schon auf der ersten Seite des Denk-
mals finden, wird ja wohl auch bei andern, die sich mit diesem Denkmal auch
nur oberflächlich beschäftigt haben, den Gedanken angeregt haben, ob wir
es hier nicht mit Quantitätsbezeichnungeu zu tun haben. Woher sollte aber
dieselbe ihren Ursprung haben, da die anderen Zeichen für einen griechischen
Einfluß sprachen, ein Zusammenhang oder eine gewisse Verwandtschaft mit
den Freisinger Denkmälern dagegen noch nicht nachgewiesen werden konnte?
Ich meinte daher, daß das Zeichen " über y wahrscheinlich nur einen graphi-
schen Wert habe (S. 38, es ist merkwürdig, daß H. Grunskij dieselbe Ansicht
dann auch in einem Aufsatze vertrat, den er im 1. Heft, S. 44 zitiert), daß
nämlich die Laute nicht etwa diphthongisch zu lesen seien. In den übrigen
Fällen konnte ich noch nicht zu einem endgiltigen Resultate kommen; es war
damals noch nicht auf einen Umstand hingewiesen worden, der mich dann
meinem Ziele näher bringen sollte. Mit unseren Denkmälern beschäftigte ich
mich dann noch wiederholt (vgl. meine »Studie z oboru cksl. pis.«), aber spe-
ziell in der Akzent- und Quantitätsfrage kam ich nicht weiter.
Unterdessen erfuhr ich aus dem leider schon eingegangenen Vestnik
slov. fil. a Star. II, S. 38, daß in Rußland zwei Abhandlungen über den Akzent
in den Kiever Blättern erschienen sind, nämlich von Karinskij in den
Izvest. russ. jaz. und von Grunskij im Russ. fil. Vestnik. Diese war mir in
Wien nicht zugänglich und so war ich nur auf die kurze Inhaltsangabe im
Vestnik angewiesen. Daraus ersah ich, daß sich H. Grunskij auf Holzwegen
befindet. Vollends deprimiert war ich aber, als ich Karinskij's Abhandlung,
die mir hier zugänglich war, las. Ich sah es als meine Pflicht an, jetzt auch
ein Wort mitzureden und dafür zu sorgen, daß jene Frage, mit der ich mich
schon so lebhaft beschäftigt habe, wieder aus dem trostlosen Stadium, in
welches sie durch diese Abhandlungen geriet, herausgebracht werde.
Da kam H. Grunskij nach Wien und ich machte seine Bekanntschaft
bei Hofr. Jagic. Ich hörte hier zwar, daß er sich mit der Erforschung der
Kiever Blätter und, wenn ich nicht irre, auch der Prager Fragmente beschäf-
tige, aber aufrichtig gestanden, versprach ich mir nach der oben erwähnten
Probe nicht viel. Ich sah ihn dann häufig in der Handschriftenabteilung der
Hof bibliothek sitzen und benutzte einmal die Gelegenheit, um von ihm etwas
näheres über die erwähnte, mir nicht zugängliche Abhandlung zu erfahren.
Aus seiner Rede gewann ich den Eindruck, daß er an ihrem Inhalte nicht
mehr festhalte i). Er hatte vor sich die Kiever Blätter. Ich meinte, es wäre
1) So habe ich auch darüber berichtet (S. 6), und wenn H. Grunskij die
Kleine Mitteilungen. 475
wichtig zu konstatieren, ob die Bohemismen früher oder bei der letzten Ab-
schrift in das Denkmal gerieten (eine Frage, die ihm, wie ich sehe, nicht viel
Kopfzerbrechen machte, da er eigentlich Bohemismen darin nicht sehen will),
ob die Schrift auch einheitlich sei 'mir schien die erste Seite eine andere
Schrift zu enthalten). Da meinte er, daß die Schrift des ersten Schreibers bis
IIb, Z. 7 reiche. Hier mußte ich ihm Recht geben und habe mich auch später
von der Eichtigkeit dieser Ansicht überzeugt (vgl. in meiner Schrift »0 pü-
vodu Kievskych listu etc.« S. 5). Dagegen mußte ich mich ablehnend ver-
halten, wenn er in den Kiever Blättern, wie er zeigte, die Bezeichnung von
langen Akzenten sehen wollte. Wie ich nun aus seiner Arbeit ersehe, hat er
sich überhaupt nicht zu einer klaren Ansicht emporgearbeitet, was die be-
treffenden Zeichen in unserem Denkmal bedeuten sollen, denn einmal soll es
den langen Akzent, dann wieder vorwiegend die Länge kennzeichnen, dann
soll damit wieder auch nur der lange Akzent im Slavischen bezeichnet wer-
den (das alles kann man Heft 1, S. 44 finden). Diese Unklarheit ist zum Teil
dadurch veranlaßt, daß er nolens volens in den Zeichen den Reflex des
griech. Perispomenon erblicken muß i), wobei er also eigentlich mit Karin-
skij, den er so lebhaft bekämpft, dieselbe Ansicht vertritt. Das Gespräch
wurde auf ein praktisches Gebiet gelenkt, H. Grunskij ersuchte mich näm-
lich , ich möchte ihm durch meine Intervention einige Schriften von der
böhm. Akademie (es handelte sich, glaube ich, um meine eigenen dort er-
schienenen Schriften) verschaffen 2), wobei ich mich aus verschiedenen Grün-
den leider ablehnend verhalten mußte. Das war das ganze Gespräch, seine
ganzen »ustnyja soobscenija«. Für mich waren sie irrelevant, sie brachten
mich bei der Frage nach der Herkunft der Kiever Blätter nicht weiter. Daß
er über dieses Denkmal im Slav. Seminar vorgelesen hatte, erfahre ich jetzt
erst aus seiner Mitteilung, da ich ja mit diesen Vorlesungen nichts zu tun
hatte. Ich weiß auch nicht, in welche Zeit dieser Vortrag fiel, ob er schon
vor unserer Begegnung oder nach derselben stattfand. Sie selbst fand ent-
weder im Frühjahr oder im Sommer 1903 statt. Ebensowenig war mir be-
kannt, wann und ob überhaupt etwas über die Kiever Blätter weiter er-
scheinen werde. Wie gesagt, habe ich mir nicht viel versprochen, und daß
ich mich zum großen Teile nicht getäuscht habe, ersehe ich jetzt aus dem
Vorliegenden.
Im selben Sommer (1903) hatte ich einen Artikel über das Rheimser
Evang. für Ottos Slovnik naucny zu schreiben. Als ich dazu das Material zu-
Ausdrücke »unvollständig und ungenau a darauf bezieht, so kann ich nicht
dafür, denn aus seinen Worten konnte ich nicht klug werden und auch eine
halbwegs befriedigende Auskunft, die ich haben wollte, nicht erhalten.
1) Er beruft sich diesbezüglich darauf, daß unsere Zeiclien nicht über
die zweite Silbe hinaus gesetzt werden (S. 44), allein wir haben hier bqdom,
s/iiz/ji/ (oder haben die Halbvokale nach G. keine lautliche Geltung?) und
vollends mokosti. Dieser Einfluß, falls er auch hier wirklich in Betracht kom-
men sollte, wäre also erst sekundär. Sonst kann man den Eiufluß der griech.
(iraphik hier vielfach beobachten, was ja ganz natürlich ist.
'-) Die Mitglieder beziehen sie zu billigeren Preisen.
476 Kleine Mitteilungen.
sammenstellte und in meinen Sammlungen nach einem Facsimile suchte, stieß
ich wieder auf die photographische Reproduktion der Freis. Denkm., die ich
schon so oft in den Händen hatte. Wiederum zogen sie mich mächtig an,
ich las von Anfang an, ich kam auf der ersten Seite zum Worte vu?;/ und zu
milozHvt in der nächsten Zeile. Da wurde ich stutzig, ich sah, daß die Zei-
chen, namentlich beim letzten Worte, die Gestalt eines nach unten geöffneten
Halbbogens haben. Nun erinnerte ich mich, dass Jagiö dieses vues mit po-
clasb der Kicv. BI. verglichen hatte (Arch. f. sl. Phil. XX, S. 11). Ich sah im
Denkmal nach und fand, daß dieses ^o(/as& über dem a ebenfalls einen Halb-
bogen, der allerdings nach oben offen war, hatte; desgleichen fand ich auch
bei milostivy, nur daß hier der Halbbogen auch nach unten zu sich öffnete.
Ich fand noch einige andere Berührungspunkte zwischen den Kiever Blättern
und den Freis. Denkm., und da letztere hinsichtlich ihrer Graphik so stark
vom Deutschen beeinflußt sind, war es mir klar, daß auch das in zweifacher
Form auftretende Zeichen der Kiever Blätter desselben Ursprungs sei.
Welche Geltung konnte es haben? Es konnte hier nur die Periode vor Notker
(+ 1022) in Betracht kommen, wo nach der Graphik des Hrabanus maurus
mit dem Circumflex die Länge der betonten wie unbetonten Silben bezeichnet
wurde (vgl. »0 puvodu Kievskych listü etc.« S. 7, Anm. 5). Das betreffende
Zeichen der Kiever Blätter, das sporadisch auch in den Freisinger
Denkm. vorkommt, dient also nur dazu, um die Länge zu be-
zeichnen. Es handelte sich aber darum, was für eine Länge es sei. Böh-
misch war mir ausgeschlossen, andererseits konnte ich wegen der Form tu-
zitm nicht mehr zugeben, daß die Bohemismen erst bei der letzten Abschrift
in dieses Denkmal hineingerieten. So komplizierte sich diese Frage. Vieles
wies nach dem Süden. Schon als ich mich mit der Ausgabe des Glag. Cloz.
beschäftigte (oder bald darauf) schrieb ich Oblak, daß ich an Böhmen, an
böhm. Kolonien, bei den Kroaten denke und mit der Möglichkeit rechne, daß
bei dem Einfalle der Magyaren sich einzelne Teile (Kolonien) der Slovaken
(oder Böhmen) nach dem Süden zu den Kroaten flüchteten. Oblak mußte
natürlich in diesem Falle opponieren und er meinte, daß die Betreffenden
ihren Gegnern gerade in die Arme gelaufen wären. An einzelne Jünger der
Slavenapostel, die sich dahin geflüchtet hätten, dachte ich damals noch nicht.
Aber als ich meine »Studie z oboru cksl. pisemn.« schrieb, beschäftigten mich
auch die Bohemismen einzelner slav. Denkmäler intensiver und damals rech-
nete ich schon mit der Möglichkeit, daß vielleicht einzelne Böhmen als
Jünger der beiden Slavenapostel zu den Kroaten gerieten und hier jene Bohe-
mismen (Glag. Cloz., Mar., das Orig. des Psalt. sin.) verschuldet hätten. Und
nun wiesen auch die Kiever Bl. auf ein serb. Gebiet, und so nahm jetzt alles
mehr greifbare Formen an. Das ist die Genesis meiner Arbeit. Daß einzelne
Details in zwei Arbeiten, die sich mit demselben Denkmale beschäftigen,
gleich sein können, ist ja begreiflich. Ich habe Nachdruck daraufgelegt, daß
in den Kiever Blättern nur ni/ st. my vorkommt, und finde nun auch bei
Grunskij, daß er diese Tatsache hervorhebt. Daß )ii/ (od. eig. ni) auch im
Glag. Cloz, vorkommt, kann man aus Miklosichs Lex. pal. S. 457, unserer
immer noch unerschöpflichen Quelle, erfahren. Wie man oft zu demselben
{
Kleine Mitteilungen. 477
Eesultate gelangen kann, zeigt in unserem Falle z. B. die Erklärung des pjpm-
tikostie der Prager Fragmente. Ich erkläre es als durch Umlaut aus pftikostija
entstanden (S. 60—61) und finde nun auch eine analoge Erklärung bei Grun-
skij (Prazskie Glag. otr. S. 22), zum Glück in einer Arbeit, die nach dem Titel-
blatt 1904 erschien, wo also H. Grunskij eine Veranlassung zu Verdächti-
gungen nicht haben kann. Nach der fortlaufenden Zählung wäre es sein
4. Heft, und von dem spricht er gar nicht. Wann überhaupt sein 1. Heft, das
die Jahreszahl 1903 trägt, erschienen ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur soviel,
daß meine Arbeit über die Kiever Blätter im Sommer 1903 vor den Ferien
fertig war. Nach den Ferien schrieb ich noch die Partie über die Prager
Fragmente dazu und sandte das Manuskript noch im J. 1903 nach Prag.
Da ich mich nämlich damit um das Jubiläumshonorar bei der Kgl. Gesell-
schaft der Wissenschaft bewarb, mußte die Arbeit nach den Statuten vor
dem 1. Januar 1904 eingeliefert werden. Gegen Ende des Sommers 1904 ist
dann die Arbeit erschienen. Ich muß das alles hier ausdrücklich konstatie-
ren, weil H. Grunskij sogar auf sein 2. und 3. Heft, die 1904 erschienen sein
sollen, hinweist. Aus diesen feststehenden Tatsachen die weiteren Konse-
quenzen zu ziehen, überlasse ich den geneigten Lesern. Ich bedauere nur,
daß mir Herrn Grunskij's 1. Heft, als ich meine Abhandlung schrieb, nicht
vorlag 1), denn ich hätte wenigstens seine Leistungen entsprechend würdigen
können, wie ich es bei Karinskij getan habe. Mit einigen Worten möchte ich
es aber hier doch noch nachträglich tun. Seine ganze Arbeit macht über-
haupt einen merkwürdigen Eindruck: überall macht sich der Zug einer
kleinlichen Rechthaberei geltend, es wird nach rechts und links darauf los-
polemisiert, als ob das die höchste Aufgabe der Wissenschaft wäre. Selbst auch
gegen Safafik werden die kleinlichsten Vorwürfe in recht täppischer Weise
(S. 3) erhoben. Und welch ein Unterschied zwischen einem Safarik — und
einem Grunskij ! Als Safai-ik im J. 1857 die Prager Fragmente herausgab, da
kam er damals, obzwar eine ganze Reihe maßgebender Denkmäler noch nicht
bekannt war, doch zu einem bestimmten Resultate: die Fragmente konnten
nur bei den Böhmen oder Slovaken entstehen (S.59). Dieses Resultat können
pl wir heutzutage nur ein wenig modifizieren. Und zu welchem Resultat kommt
IL Grunskij? Zu gar keinem! Nachdem er den geduldigen Leser über Stock
und Stein gefülirt hat, überläßt er ihn schließlich in der grüßten Finsternis
seinem Schicksale. Eine Lösung oder wenigstens Erörterung jener wichtigen
Fragen, die bei den Prager Fragmenten in Betracht kommen müssen, finden
wir bei ihm — NB. in einer Ausgabe des Denkmals — nicht. Man muß uur
staunen, wie leicht das alles auf S. 26 abgetan wird. Noch schöner ist das
Resultat bei den Kiever Blättern. In dem »Zakljucenie« des 3. Heftes gesteht
IL Grunskij, nachdem er uns auf so und so viel Seiten bewiesen hat, daß er
nicht weiß, was mit den Kiever Blättern anzufangen, sein Unvermögen plötz-
lich mit den Worten: mi/ otkazycajenisja ot oprcdelenija ecjo (seil, panijutuika)
1) Da von dem 1. Hefte 11. Grunskij bei unserer Begegnung nichts er-
wähnte, so ist es offenbar erst nach dem Souinier 1903 ersciiienon, als ich also
schon mit meiner Arbeit über die Kiever Blätter fertig war.
478 Kleine Mitteilungen.
rodiny. Verwundert muß sich d;i der Leser fragen, ob er nicht bis hierher
gefoppt wurde. Wenn er es wenigstens gleich zu Anfang sagen würde ! Das
Resultat ist also traurig, das Material wußte H. Grunskij nicht entsprechend
zu bearbeiten. In der Tat, das ist keine Methode, das ist keine Wissenschaft,
das ist nur eine Sucht zu polemisieren, eine kleinliche Rechthaberei und eine
bedenkliche Armut an eigenen Gedanken.
Wien, den 24. Nov. 1905. W. Vondrdk.
Wie soll man I B. 4 — 5 der Pracjer glagolitischen Fragmente lesen ?
Diese Stelle kann man jetzt in cyrillischer Transskription nur so lesen:
nhÄH'kTHKOCTHf CTillv rphÄ|;i,'kT (hier findet sich im Pergament ein
längliches Loch, was phototypische und photographische Reproduktionen, die
sich in Beilagen zu den Werken Höfler — Safarik's, Vondrak's und Grunskij's
finden, ersichtlich machen, noch deutlicher sieht man es aber beim ersten Blick
auf die Handschrift selbst) i) KlUH nOHh.T'feM'K AYT»- CTT^H. Da gewiß
nach T an der jetzt fehlenden Stelle noch ein Buchstabe folgen mußte, so
waren die Herausgeber und Forscher des Denkmals bestrebt, diesen Buch-
staben zu erraten. Und da allen Forschern die Form rphÄ^liT als dritte
Person Sing. Indik. Präs., also als Prädikat zu flhÄHTHKOCTHS, worin sie i
aus U unter dem böhmischen Einfluß erklärten und eine Nominativform er-
kannten, zu gelten schien, so hielten sie diesen fehlenden Buchstaben für k
oder 1% (Safarik imd nach ihm Vondrak in der Ausgabe lasen rpiA^'kTk,
doch letzterer in seiner Abhandlung rpbÄ/l,1\T'K; Grunskij setzt nur rpMi-
A'kT, ohne die Lücke nach T auszufüllen). Aber um eine solche Lesart an-
zunehmen, waren sie genötigt, in dieser Form unregelmäßigen Gebrauch des
Buchstabens 'S statt ( vorauszusetzen, für den sich kein anderes Beispiel mehr
in diesem Denkmal angeben läßt. Prof. Vondräk (0 püvodu Kijevsk. 1. a Pr.
zl., 60) suchte sieh dieses 'S irgendwie zu erklären und brachte die bekannte
slovakische Aussprache ie statt e in einigen Formen Präs. Ind., z. B. vediem, in
Erinnerung, sogleich aber lehnte er diese Voraussetzung 2) mit Recht ab, weil
1) Dieses Loch war gewiß schon bei der Entdeckung des Denkmals im
Jahre 1755 da, wie uns dessen Ausgabe von Safarik — Höfler (1S57) deutlich
zeigt. Jetzt kann man keine Spur eines Buchstabens auch auf entsprechender
Stelle des Einbandes, an welchem das glagolitische Denkmal früher angeklebt
war, bemerken. Ich möchte hier meine herzlichste Dankbarkeit Herrn Kano-
nikus Dr.Ant. Podlaha äußern, dessen Freundlichkeit ich verpflichtet bin, daß
ich das berühmte glagolitische Denkmal in der Bibliothek des Prager metro-
politischen Kapitels ansehen konnte. Herrn Prof. Zubaty danke ich für die
freundliche Vermittlung.
2) Die Voraussetzung eines speziell slovakischen Einflusses könnte viel-
leicht eine frühere Meinung Oblak's (Archiv, B.XVIII) über mehr östliche, slo-
vakische Provenienz der Prager Fragmente bestätigen. Prof. Vondräk kommt
dagegen zu dem Schlüsse, daß sie innerhalb des Böhmischen im engen Sinne
geschrieben worden sind.
Kleine Mitteilungen. 479
wir sonst keine derartigen Beispiele finden, und weil auch die betreffende Er-
scheinung der slovakischen Sprache nicht sehr alt sein mag, daher erkannte
Prof. Vondräk hier nur einen Schreibfehler. Noch unwahrscheinlicher würde
die Voraussetzung, wenn eine solche von Jemandem gemacht worden wäre,
eines südrussischen 'S erscheinen, welches statt i in der Form der 3. Pers.
Sing. Präs. Ind. in manchen südrussischen (»galizisch-volynischen«) Denk-
mälern von Prof. Sobolevskij schon längst gefunden worden ist (')Oq:epKu hs-b
iicTopiH pyccKaro h3.« 1884, S.4, 8j. Sie wäre nur dann möglich, wenn wir noch
andere zweifellose Merkmale russischer Vorlage hier nachweisen könnten, und
zwar hatte Prof. Dr. V. Jagic eine bulgarisch-russische Vorlage für die Prager
glagol. Fragmente vorausgesetzt (Zur Entstehungsgeschichte der kirchenslav.
Spr., I. H., 57), doch wurde russischer Einfluß von Dr. Vondräk (0 puvodu,
51 — 52), wie es scheint, nicht ohne Grund verneint, worin dann auch V. Jagid
sein Recht anerkannt hat (Archiv f. sl. Phil. XXVII, 44())*): gewiß kann die
Vertretung von lA (A) durch 1? (= n und m und a in Prager Fragmenten
(XII. Jahrh.), wenn auch sie nicht ganz regelmäßig von dem Standpunkte der
jetzigen böhmischen Sprache vorgeht, als keine notwendig russische, son-
dern echt böhmische gelten; betreffs der Unregelmäßigkeit der Anwendung
vergl. Prager Gregoriusglossen, s. V. Jagic, Kirchenslavisch-böhmische Glossen
Saec. XI — XII, S. 33, Denkschr. der kais. Akad. B. L.
Was aber nötigt uns, hier 3. Pers. Sing. Präs. Ind., und nicht eine andere
Form zu suchen ? Es scheint mir nämlich sehr wahrscheinlich, daß hier 2. Pers.
PI. Imper. gewesen, d. b. daß nach T ein f geschrieben worden war. Diese
Voraussetzung, solange wir keine griechische Vorlage betreffender Stelle un-
seres Denkmals kennen, scheint mir nicht nur ebenso zulässig, wie die frühere,
zu sein, sondern sich auch auf einige kirchliche Lobgesänge, welche zwar
andere Festtage beti-effen, doch sich zum Vergleich sehr wohl eignen, zu
stützen. So hat Prof. A. P. Dobroklonskij in Odessa mich auf eine ähnliche
Redensart in dem bekannten Osternlobgesange: Uvuaiüaews r;uior.. 'lauTiQvy-
■O-wuEi' l(f.oi aufmerksam gemacht. Allerdings konnte er in den bekann-
ten, den Mittwoch der vierten Woche nach Ostern betreffenden griechischen
Texten verschiedener Klosterordnungen keinen entsprechenden oder ähnlichen
Lobgesang finden, sondern nur solche, welche eher zugunsten der Form der
3. Pers. Sing. Präs. Ind., wie eines Prädikats zum Namen des Festes, sprechen :
nÜQEOTiv i] fiBQoxi;; rjfxBQMv (^UMUTpieBCKifi, Onucauie JiUTypruqecKui'i. py-
Koniiceii ÄpeBHaro BocTOKa, t. I. Tvnix('c, S. 576, Energetische Klosterordnung
des XII. Jahrb.), nevTTjxoarij IcpiaT/jxet' (ibid. 575) u. dergl. ; dessenungeachtet
müssen wir schon angesichts des 'S die Richtigkeit der Lesart Safarik's, Srez-
*) Ich habe zwar wegen der Vorherrschaft des 1». halb und halb der An-
nahme Vondrük's zugestimmt, doch ist die Sache noch immer nicht siclior.
Denn solche Fälle wie Mp'kC'raKfHllf i;n1v und llOMhAAUl könnten sehr
gut auch Formen russischer Vorlage Rein. Die angeblicl» (■ccliisclien Umlauts-
formen auf -e (statt -Id) können auch Vokative sein. Ich will damit nur sagen,
daß über diesen Punkt die Diskussion noch nicht als abgeschlossen anzu-
sehen ist. } '. J.
480 Kleine Mitteilungen.
nevskij's, Vondnik's, Grunskij's bezweifeln und in rp»»Ä^\1vT< dagegen wört-
liche Übersetzung eines in den griechischen Lobgesängen so häufigen (^evte
annehmen, z. B. d'evie aya^/AiaaM/uEO-fc zw Kv()io) Antiphonie 3 in der Liturgie
am Mittwoch der vierten Woche nach Ostern, /[ii.MiiTpiciiCKiü, ib.,, dem in spä-
teren slavischen liturgischen Büchern npm^V'kT« (z. B. npm,\,1iTf
pOlfKaiUlH KKCriA'kllUH, TpKIKKCTKÖHMk
in Cod. slav. serb. XVIIL J. Nr. 13 der kaiserl. Hofbibliotliek, F. 127b, i28a),
in unseren gegenwärtigen, in kirchlichem Gebrauch befindlichen np"lH^\,HTf
(z. B. in einem, im Kijcver Hühlcnkloster im Jahre 1813 gedruckten, IlfHT'l"-
KOCTapVOH'k der Kirchenbibliothek der Universität in Odessa, S. 237, 254
und and.) entspriclit.
Die soeben vorgebrachte Textdeutung hat Jedenfalls wenigstens den
Vorzug, daß sie uns der Notwendigkeit, unregelmäßige Anwendung des 'S in
rphÄ/l,'kT(e) anzunehmen, enthebt.
Arosa, 9/22. VIIL 1906. B. Ljapunov.
]• Professor Anton Kalina.
Am 5. Mai dieses Jahres starb in Lemberg der dortige Vertreter der slavi-
schen Philologie, ein fleißiger Mitarbeiter an unserer Zeitschrift in ihren ersten
Jahrgängen, Professor Dr. Anton Kalina. Geboren im J. 1846 im Groß-
herzogtum Posen, studierte er an der Universität Berlin, promovierte 1872 in
Halle auf Grund der Dissertation : De fontibus apud veteres scriptores, qui
ad Sauromatarum res pertinent. Später besuchte er Prag, Belgrad und Peters-
burg. In unserer Zeitschrift sind von ihm Anecdota palaeopolonica (Bd. III
u. VI) und eine Abhandlung Über die Nasalvokale in den altpoln. Denkmälern
(Bd. IV) erschienen. Im J. 1878 habilitierte er sich in Lemberg und arbeitete
fleißig an verschiedenen meist sprachlichen Fragen innerhalb des Polnischen.
Das bedeutendste Werk in dieser Richtung war sein im J. 1883 erschienener
erster (und einziger) Band der Geschichte der polnischen Sprache. Die Aus-
sichten auf Erlangung einer Professur der Slavistik führten ihn dazu, sein
Forschungsgebiet zu erweitern. Mit einer Reiseunterstützung versehen, kam
er um diese Zeit nach Bulgarien, studierte dort die bulgarische Sprache und
gab in Folge davon später in den Krakauer Rozprawy Bd. XIV — XV (1891)
»Studien zur Geschichte der bulgarischen Sprache« heraus, deren kritische
Würdigung von Dr.Oblak im Archiv (B.XVII) herrührt. Wichtig ist auch seine
Publikation des Polabischen Wörterbuches von Parum Szulce (in den Roz-
prawy Serya II, t. III und VI, 1894). In späteren Jahren verlegte er sich ganz
auf die Ethnographie, gründete in Lemberg die Gesellschaft Towarzystwo
ludoznawcze, deren Seele er war. Er leitete auch das Organ derselben Gesell-
schaft «Lud« (bis zum J. 1905). Man rühmt seinen Eifer auch auf dem Gebiete
des mittleren und höheren Schulwesens in Galizien. Prof Kalina war ein sehr
fleißiger Arbeiter, doch in der Behandlung wissenschaftlicher Fragen mußte
man ihm Mangel an strenger Methode zum Vorwurf machen. Schon im
ly. Bande unserer Zeitschrift (S. 37) fand ich in dieser Beziehung an der Art der
Beweisführung Kalina's etwas auszusetzen. Doch diese Mängel sollen das
Gesamtbild des Mannes nicht trüben. V. J.
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen
Wörterbuch.
A. Einheimisches.
hedak.
Das serbokr. hedak bedeutet 'homo stultus, Tor'. Das Wort findet
sich nur beim Serben Dos. Obradovic; der Slavonier Blagojevic und der
Cakavac Mikulicic gebrauchen das Adjektiv bedast 'stultus', das jetzt im
Kajkavischen allgemein üblich ist und schon bei Belostenec und Jambresic
belegt ist. Kristianovic kennt auch ein hedariti 'schwärmen, vei-worrene
dunkle Vorstellungen zum Bestimmungsgrunde seiner Urteile und Hand-
lungen machen'. Daniele -wollte die beiden ersten Wörter im Rjecnik I.
220, 221 aus türk. bed 'schlecht, garstig' ableiten, welcher Ansicht
Miklosich (Türkisch I. 23) widerspricht, ohne seine alte Erklärung von
hMa (Lexicon palaeosl. s. v.) zu wiederholen oder zu verteidigen. Im
Archiv XIV. 516 wollte ich es mit ital. bedano 'dummer Mensch' in
Verbindung bringen. Das Wort ist indes kaum entlehnt. Daniele kam
zu seiner Ansicht, weil er das Wort in seinen Quellen überall mit c ge-
schrieben fand. Indes ist dies nur Zufall; denn die Schriftsteller, die es
bieten, sind eben keine — wenigstens keine konsequenten — ikavci oder
ijekavci. In derselben Bedeutung kennen das Wort auch die Slovenen;
sie behielten aber auch noch die ursprüngliche Bedeutung 'elender, armer
Mensch' : Naj bo tolar al petak, vse rad vzeme ti bedak (Slov. nar. pesmi
III. 5399); bei den Weißkrainern lautet es bedjak^ was für *bednjak
steht. Auch im Poln. bedeutet biedak nur 'czlowiek biodny, ubogi'. Der
Übergang von der Bedeutung 'elend, bedrängt, arm' in 'töricht, blöde' ist
unschwer begreiflich : von 'elend = arm an irdischen Gütern , darin
beschränkt' ist nur ein Schritt zu 'beschränkt überhaupt', dann namentlich
'beschränkt im Geiste, arm im Geiste, dumm, blöd'. Beachte das d. hlödi ,
I das ja ursprünglich auch nur 'schwach, kraftlos, gebrechlich', wofür man
|ja so oft auch 'elend' sagen hört, bedeutete (Kluge *' 49). Wir haben
also an der alten Ableitung Miklosichs von h(^da 'Not, Drangsal, Armut'.
das zu got. [ga)haidjau. 'drängen, nötigen' gestellt wird, festzuhalten.
Archiv für slavische Philologie. XXVIII. 31
482 K. §trekelj,
hurka.
Das slov. hurka 'die Posse, der Scherz'; burke uganjati 'Possen
reißen'; ie/rÄ-as^ 'possenhaft, schnackisch', iwr^a^e 'Possen reißen'. Da
das Wort wegen des Ausgangs -ka nicht auf ital. hurla 'Posse', burlare
'scherzen', burlesco 'scherzhaft, komisch' beruhen kann, stelle ich es zu
dessen Grundwort [hurla aus hurrula vom lat. hurra). Im Lat. bedeutet
hurrae gleichfalls 'läppisches Zeug, Possen', das reduplizierte hahurrus
ist 'stultus, ineptus', gr. ßaßvqrag- 6 TtaQcc^iioQog Hes. (Walde, Lat.
Et. Wtb. 76, 60). In der Bedeutung 'lärmen, brausen, tosen, murren,
murmeln' gehören die slavischen Verba burkati, hurknqc, hurczec, hur-
datt/y hurkathy burknuth, huröaih hingegen zu slav. hurja 'Sturm, Auf-
ruhr', lai.furOy gr. cpvQO) (Walde, o. c. 255).
denOy dhnjaky duÖ, dupe.
Im Osorb. und Nsorb. bedeutet deno 'Buchmagen, Kanzen der Rin-
der und Schafe'. Das Bulg. kennt nach Miklosich, Et. Wtb. 546 d^njak
(neben g^zno von cpza aus gqza^ serb. guz^ guznica) in der Bedeutung
'Leerdarm'. Im Slovenischen haben wir dänka neben denka 'Mastdarm;
Großwurst (Plunze) ; Schimpfwort für einen gefräßigen Menschen' ; dieses
ist als d^nka auch dem Bulg. bekannt ('kolbasa iz svinogo mjasa', Duv.).
Die zuerst genannten Wörter führt Miklosich, 1. c. auf ein *dhno zurück
und meint: »Vor n wird ein Konsonant ausgefallen sein, da sonst das
Wort dno lauten würde. « Der erste Teil dieser Vermutung ist wohl
richtig, deren Begündung aber kaum zutreffend, indem ja in dno (ksl.
dwio) nach allgemeiner Annahme gleichfalls ein Konsonant ausgefallen
ist, das Wort aber doch nicht deno lautet. Slov. danka neben denka
und bulg. d^nkay d^njak weisen entschieden auf einen Halbvokal nach d\
seine Bewahrung als e haben wir im Sorbischen dem Einfluß der Formen
mit einem zweiten Halbvokal nach n zuzuschreiben, indem auch in For-
men d^n -\- Vokal die Formen d^n^-y wo das erste ^ regelrecht zu e
ward, den Sieg davontrugen: deno verdankt demnach sein e dem gen.
pl. deti : *dim, dem *d^n^ko = denko, dem *d^n^kafy^ = denkaty
und ähnlichen Bildungen.
Es fragt sich nun, welcher Konsonant ist vor n ausgefallen ? Das
im Nsorb. neben deno vorkommende heno 'Magen des Rindes, vom
menschl. Magen nur im verächtlichen Sinne' (Zwahr) hilft uns für die
Erklärung des deno^ da es selbst dunkel ist, gar nichts; lautgesetzlich
kann ja heno nicht aus deno entstanden sein, sondern könnte nur einer
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 483
Volksetymologie sein Dasein verdanken ; vgl. prd. Bön^ Bän^ Bänen m.
'der Boden, oberes Zimmer, Vorratskammer' (der Buchmagen also gleich-
sam als Vorratskammer aufgefaßt?) oder plattd. hön^ bönne 'drinnen'. —
Betrachtet man die für 'Bauch', 'Magen', 'Darm' üblichen Bezeichnungen,
so findet man diese Körperteile vielfach mit demselben Namen belegt, ja,
häufig kommt ihnen noch die Bedeutung von 'After, Steiß' und von 'Mutter-
leib, Vagina' hinzu. So bedeutet '&Qxh6kx.kuljen 'Bauch, Magenwnrst (muß
daher früher auch Magen bedeutet haben) und Blinddarm' ; zu ai. kuksis
'Bauch, Mutterleib, Scheide' stellt man laX.cülus, gr.y.vTTaQog 'änus', y.v-
aög : Ttvytj und yvvai/.bg alöolov^ cymr. cwthe 'After, Mastdarm' ; des-
gleichen lat. hotulus 'Darm, Magenwurst, Wurst' zu ^.ßuvros' yvvaiy.bg
aiöolov, got. quipus 'Bauch, Mutterleib' . . . Wenn wir nun sehen, daß
'Bauch' mit Ausdrücken für 'Höhlung, Wölbung' bezeichnet wird (vgl. ai.
kuksis, das neben den angeführten Bedeutungen auch mit 'Höhlung'
tibersetzt wird, gr. y.vrraqog -/.vraQog 'Höhlung, Wölbung', ir. cuthe
'Grube'), so liegt es nahe, für unsere obigen Wörter von der 'höhlen' be-
deutenden idg. Wurzel *cl/tub- auszugehen, woraus wir als urslav. Form
*chhno mit der Bedeutung 'Höhlung, Vertiefung' (vgl. lit. dübe 'Grube,
Loch') erhalten. Die Ansicht Miklosichs, daß dem lit. dubiis 'tief und
hohl', dubti 'hohl werden' im Slavischen kein d^b- entspräche, wäre dem-
nach durch die obige Annahme {*d^no 'Bauch' aus *dhbno) als unrichtig
zurückzuweisen. Daß eine Form *d^bno (mit b) anzusetzen ist, zeigt uns
die auf der höheren Vokalstufe stehende slav. Bildung *dubb, die im
poln. dub vorliegt und außer 'Höhlung im Baume' auch 'podex' be-
deutet. Für unsere Annahme sprechen aber auch jene slav. Wörter, die
mit Tennis statt Media gebildet sind, ein Parallelismus, der häufig be-
obachtet werden kann : Wie im Germanischen (cf. Kluge " sub tief) haben
nämlich auch die Slaven eine Wzl. dhup, von welcher merkwürdiger-
weise gleichfalls Wörter gebildet sind, die ganz in unsere Kategorie
fallen : s. dupe 'After', p. klr. dupa 'Steiß', wr. kurdupyj für das r. kur-
guzyj. Man beachte endlich auch p. dno 'Gebärmutter'.
*D^no, dtcb, dupe gehören demnach zusammen und bedeuteten ur-
sprünglich 'die Höhlung'. Neben dem Neutrum *dino findet sich bisweilen
auch das Femininum *d^na, so im Klr., wo es (vgl. poln. dno) die Be-
deutung 'Gebärmutter' hat. Gewöhnlich bedeutet jedoch *dhna eine
Krankheit; so »asl.«; bei Megiser ist dna croatice (= kajk.) mit
'Darmgicht' übersetzt, poln. bedeutet dna 'Hüftweh' und 'Gicht' (letzteres
auch im Öech.) ; im Russ. ist dna (bei Dalb mit Fragezeichen versehen)
31*
484 K. Strekelj,
'Bandwurm'. Ich vermute nun, daß auch diese Bedeutung mit dem oben
besprocheneu *d^no zusammenhängt: die Krankheit ward nach dem
schmerzenden Körperteil benannt. "^Lh^no ward mit Rücksicht auf andere
feminine Bezeichnungen für 'podex', deren ja das Volk mehrere gleich-
zeitig zur Verfügung hat (poln. dupa^ zadnica^ rzyc . . .), gleichfalls zu
einem Femininum. Das poln. dna 'Hüftweh' weist nämlich noch auf eine
dort jetzt ungewöhnliche Bedeutung von'di.no', 'podex', hin : auch 'podex'
und 'Hüfte' werden vielfach vertauscht. Aus dem 'Hüftweh' konnte sich
dann die 'Gicht' entwickeln, zumal diese häufig mit Rheumatismus ver-
wechselt wird. Betreffs der Bedeutung 'Bandwurm' verweise ich auf die
lat. Bezeichnung der Darmgicht als verminatio eig. 'Würmerkrankheit'.
Das urslav. dubtio 'Höhlung' war wohl mit Ursache, daß sich das
aus ViY\äg.*b/tudhno (ai. bud/i?iäh, Isd.fundus etc.) 'Grund, Boden' ent-
wickelte urbaltischslav. *budno ihm assimilierte, d. h. eine Metathese der
zwei ersten Konsonanten eintreten ließ, weil sich die Bedeutungen wenig-
stens teilweise (z. B. bei einem Tal) deckten, vgl. Meillet, MSL. XH. 430.
Zu govSti.
Die richtige Etymologie des Wortes hat gegen Miklosich, der darin
ein Lehnwort aus dem ahd. gaioilijan 'sanctificare' sah, Brugmann Ber.
d. Sachs, Ges. der Wiss. 1889, 47) gegeben, der es zu \2X.fave0 stellt;
die weitere Literatur und Verwandtschaft siehe nun bei Walde, Lat. Et.
Wtb. 211. Uns interessiert hier das Wort wegen seiner Bedeutungen.
Nach dem Et. Wtb. Miklosichs pag. 75 sind es folgende: 1. 'verehren'
(aksl., r.), 2. 'fasten' (bulg., klr., r.), 3. 'willfahren, zu Willen sein'
(serbokr.), 4. 'pflegen, Nachsicht haben' (cech.); 5. 'günstig, dienlich
sein' (os.), 6. 'schwach, kraftlos werden' (serbokr.). Keine dieser Be-
deutungen ist indes ursprünglich, was schon deren meist abstraktes
Wesen zeigt. Ich glaube nun, daß auch beim \2X. faveo die gewöhnlich
an letzter Stelle angeführte, 'schweigen', die ursprüngliche ist; denn nur
aus ihr lassen sich mit einiger Ungezwungenheit die anderen ableiten,
nicht aber umgekehrt : schweigen = still sein -^ sich aus Respekt der
Rede enthalten -> ohne Rede seinen Beifall ausdrücken -> klatschen — >-
seine Gunst bezeigen -^ begünstigen, unterstützen. Von der gleichen Be-
deutung hat man auch im Slavischen auszugehen. Einerseits haben wir:
schweigen = nicht sprechen -> * durch Reden nicht quälen -> Nachsicht
haben -^ zu Willen sein ->- dienlich sein -> pflegen -> verehren, andrer-
seits aber : schweigen -^ sich der Rede enthalten -> sich enthalten über-
haupt — >> sich der Speise enthalten, fasten -^ kraftlos werden. Und
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 485
merkwürdigei-weise kommt das slav. Verbum noch heute in der urspiüng-
lichen Bedeutung vor. Die venezianer Slovenen kennen goveti in der Be-
deutung 'mürrisch schweigen', die Bulgaren aber in der Bedeutung 'nicht
sprechen" ; vgl. Arkiv za povj. jugosl. VIII. 26G f. im Lied » CjitHiiOBa a:e-
iiHTÖa na xyöaBA rpos^aHKiii«, abgedruckt aus Rakovskijs »Pokazalec«:
^eBATB Micen;« ;i;a roBinmi. *Ha CBenpa n Ha CBBKtpB/t, *Ha ntpBO
JHÖe B^HTiaHO* . . . A FposAanKH ca /^o^iiojio, *^eBÄTfc Mtcei^ii Aa ro-
Bin! *^JS. e rpo3AaHKa roBijia */^eBATt roAHHLi na CBeKpa, *Ha CBBKpa
H Ha CBeKi>pB&, *Ha nbpBO Jinöe GjvhwmMß . . ., wozu der kroat. Über-
setzer (?) die Bemerkung anfügte: > Pripovjedaju, da je nevjesta u staro
doba nosila bulu devet mjesecih, t. j. dok nije rodila, i za to doba je
govjela, t. j. nista nije govorila svekru i svekrvi. Ovaj obicaj se je sa-
cuvao i do danas na mnogih mjestih, t. j. da govjeju mlade bnlke nje-
koliko danah i to ne samo svekru i svekrvi, nego i svim ostalim, koji su
prisustvovali na svadbi, kao i kumu i kumici, koji moraju da ju zovu
u opredieljeno vrieme na »prosku« (prosnju) i da ju nadare cim god. I
to se zove, da nevjesta govjeje; a sa zenihom ne govori prvi vecer, dok
ju ne oprosti i ne podari cim; i ovaj podarak cuva ona kroz cieli svoj
zivot, kao kakovu svetu stvar«. Hätte Miklosich diese Bedeutung im
Auge behalten, so wäre er kaum je auf die Ableitung unseres Wortes
von ahd. gawilijan gekommen.
korh.
Das r. korh f. bedeutet 'Masern': ont v^ v kori 'er hat Masern',
horjücl>a\ korjuiki 'id.'; klr. kir^ gen. koru^ und kur 'id.'; poln. kör,
kor und kur, chör 'zarnice, odra, ospica, spchlice' ; im Polnischen hat
sich ö [u] aus dem nom. sg. in die übrigen Kasus verbreitet, während
rhör im Anlaut an chor, chortj 'krank' angelehnt ist. Schon Matzenauer
hat (Listy fil. VUI. 204) zu den slav. Wörtern lit. karas, pl. karai 'va-
riolae siccae, Stoinpocken' gezogen. — Korh, *kon gehört zur Wz.
*{s)qe7'- 'abschneiden, abtrennen, spalten', wovon mehrere 'Haut,
Feir bedeutende Wörter abgeleitet sind, z. B. lat. scortum, corium,
cortex, slav. kora 'Rinde', ahd. herdo 'vellus' (vgl. Walde, Et.Lat.Wtb.
!*9, 143). Die Masernkrankheit ist also als 'Ilautabtrennnng, Häutung'
zu deuten, worauf auch eiu anderer slav. Name dafür hinweist: poln. udra
;iu3 *o-\-dhra von der Wz. *dhr-, *der- (vgl. griech. öeg^ta, doga 'ab-
gezogene Haut') ; auch der Namo ospa, ospirc, OÄe/;;??V 6' u. s.w. bezeichnet
die Krankheit als eine solche, die die äußere Haut abschuppt, abblättert,
in dünnen Schichten ablöst: s^pc{ 'spargere'.
486 K. Strekelj,
Zu derselben Wurzel *{s)qer- 'schneiden, spalten, scheren' (gr.
yceiQtOj -/.aQfjrai^ lit. kertü 'haue scharf, ahd. scermi 'schneiden, ab-
schneiden') gehört r. korh f. in der Bedeutung 'Motte: molh, tlja': korh
vsö suby isportila. Die Motte ward als 'Schererin, Schneiderin' aufge-
faßt; vgl. serbokr. grizlica, grizalica 'Schabe' von gryzq 'beißen'. So-
wohl in der ersteren wie in dieser Bedeutung ist demnach korh ein
nomen actoris.
Von unseren Wörtern ist jedoch zu trennen r. koriy, gen. krja^ da
es einem *k^rh, c. ker 'Staude' entspricht, worüber die Ausführungen
Matzenauers (Listy fil. IX. 42) zu vergleichen sind.
koprvadlo.
Matzenauer, Cizi slova 214, knüpft das ac. koprvadlo 'poklicka,
Deckel' an ital. coprire 'bedecken'. Gebauer, Stc. slovnik II. 100, an lat.
cooperio^ cooperculum an. Kott hat schon im ersten Bande seines
Wörterbuchs das Richtige vermutet, indem er an Umstellung des ein-
heimischen ^o^ri/?;a(//o 'prikryvadlo, vlko, poklicka, Deckel' dachte. Ich
glaube, daß schon die unmögliche Ableitung von coprire, woher wir auf
keinem Wege zu koprvadlo gelangen können, diese Ansicht stützt. Die
Lautversetzung ist ja namentlich zwischen p und k sehr beliebt; den
umgekehrten Fall [kopr- wird pokr-) finden wir gar in drei slavischen
Sprachen bei demselben Worte bezeugt. Im Poln. ward nämlich altes
koprzytva 'Brennessel' allgemein zu pokrzywa^ ebenso in den Dialekten
Mährens [pokriva aus kopriva] und im resianischen Dialekt [pükryiva
für das sloven. kopriva^ kropiva). Daß man bei pokryvadlo-koprvadlo
an eine starke Beeinflussung des häufigen Präfixes ^jo- zu denken nicht
berechtigt ist, so daß dieses eine Umstellung verhindert haben müßte, zeigt
prikopa 'Graben', welches trotz der Häufigkeit des pH gleichwohl zu
kripopa umgestellt ward. Für die Ursprünglichkeit des pokryvadlo
spricht namentlich auch das gleichgebildete 7Jr«^r?/yac;?/o 'Decke, Deckel'.
Bezüglich des Schwundes des y, das man ja im Resultat der Umstellung
[*kopryvadlo) erwartet hätte, ist zu bemerken, daß auch in der Lautgruppe
tryt das y bisweilen eliminiert erscheint : trz7iiti-tryzniti^ mlnär-mlynär
(Gebauer, Hist.ml. I. § 220); es ist überdies nicht unwahrscheinlich, daß
Wörter wie koprnik^ koprka mit eingewirkt haben.
reber.
Das Wort reher 'Abhang eines Hügels oder Berges, Seite' ist im
Slovenischen meist feminin: na strmi rebri (Jurcic), v reber zeleno
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 487
(VolksL); daher demin. rebrica 'kleiner Abhang'. Doch erscheint es
auch masculin (gen. rebra) und, was besonders wichtig ist, neutral ge-
braucht [rehro^ besonders im Plural). Die dem Wort hänfig zugeschriebene
Bedeutung 'Anhöhe, Hügel' ist nicht ganz entsprechend; schon Belostenec
hat II. 458 bemerkt: »reber cliviis, collis, proprie sublimitas, 1. decli-
vitas collium«. Als 'Anhöhe, Hügel' ist es nur insoferne aufzufassen, als
damit nicht gerade die Erderhebnng mitsamt ihrer Spitze, als vielmehr
nur die Erderhöhung mit Rücksicht auf deren aufsteigende Seiten in Be-
tracht kommt. Auch im Kroatischen findet sich rebar m. in der Bedeu-
tung 'Talhang, Abhang, Talgehänge, Abfall, Seitenabfall des Berges',
rebrenica 'Halde = geneigte Seite eines Berges, Berghang' ; serb. rebriti
bedeutet 'auf Seitenwegen wandeln', d. h. auf Wegen, die im Berghang
verlaufen, da der Hauptweg gewöhnlich im Tale dahinzieht. Slov. rebren^
rebrna^ o bedeutet 'steil': tod je zelo rebrno; navkreber 'bergauf hat sein
Je von der Präposition kb : k rebri ; nachdem der Ausdruck k rebri als
Adverb zu kreber geworden (cf. die vielen -or aus -re [-ie]), ward ihm
zunächst die Präposition v^^ späterhin noch wa vorgesetzt. — Miklosich
vergleicht (Fdwörter 121, Et.Wtb.274) mit unserem Wort das österr.-d.
leber 'Grenzhtigel', das auf mhd. leiver 'Hügel, hügelartiger Aufwurf als
Grenzzeichen' (pl. zu le 'Hügel') zurückgeht. Nachdem indes das slavische
Wort, wie gezeigt wurde, nicht 'Hügel', sondern zunächst nur 'Berghang,
Abfall eines Berges oder Hügels' bedeutet, ist die Zusammenstellung un-
richtig, zumal wir die Bedeutungsentwicklung aus einem einheimischen
Wort unschwer erweisen können. Wir haben nämlich von rebro 'Rippe'
auszugehen; die Genusunterschiede traten nur infolge der Bedeutnngs-
diflferenzierung hervor und haben ihren Ausgangspunkt wohl im loc.
rebri^ rebrih^ der sowohl einem o-, wie einem {-Stamm zukommen
konnte. Daß der Begriff 'Rippe' über den Begriff 'Seite' in den von 'Ab-
liang' übergehen kann, zeigen uns hinlänglich die romanischen Sprachen:
ital. Costa bedeutet 'Rippe' (costola), 'Seite', dann 'Abhang (terreno in
pendio)' und 'Küste (riva del mare)'; ähnlich heißt friaul. cuesfe außer
'Kippe (costa, costola)' auch 'costa di mare' und 'lato di monte di
salita poco ripida'; das Deminutiv zum frz. cöte 'Rippe' cuteau (cö-
teau) bedeutet gleichfalls 'Abhang', dann 'Hügel' und rumän. cösiä
desgleichen neben 'Rippe' auch 'Seite, Flanke', und sodann auch 'Ab-
hang eines Berges' und 'Küste' (Tiktin 1.422); costi.süri 'Abhang
eines Berges'. Die Abhänge eines Berges werden also als dessen 'Seiten,
Flanken', als dessen 'Rippen' aufgefaßt.
488 K. Strekelj,
rysh.
Der slavische Name des Luchses rysh {rys, ris, risa, risev^ risva)
wird fast allgemein zu lit. lüszis, lett. lüsis, pr. luysis, ahd. luhs, gr. ).vy^
gestellt und an dessen Verwandtschaft mit ai. rürant- 'licht, hell' ge-
dacht, als ob der Luchs ein lichtes Fell hätte. Dem widerspricht aber
außer dieser Tatsache auch das slavische r (vgl. Pedersen, IF. V. 39,
Fick 4 L 540, Kluge ^ s. Luchs). Brandt meint in seinen Bemerkungen
zum Et.Wtb. Miklosichs (RFV. XXIV. 145), r sei hei-vorgegangen durch
eine Anlehnung an die slav. Wz. ^rtjk- [rykati 'brüllen'); aber von einem
»Brüllen, Heulen« des Luchses habe ich nirgends etwas gehört oder ge-
lesen, so daß man es als sein Charakteristiken hinstellen könnte. Was
Miklosich im Et.Wtb. darüber sagt (aus *ryksh)^ befriedigt noch weniger,
weil dann auch das s unerklärt bliebe. Außer dem r bietet aber hier auch
das y Schwierigkeiten, da es ja nicht auf dieselbe Stufe mit den eingangs
erwähnten Formen der verwandten Sprachen gestellt werden kann, wie-
wohl ich mir nicht verhehle, daß das Slavische hier seine eigenen Wege
gewandelt sein könne. Das im Cakav. in der Bedeutung 'Vampyr' vor-
kommende ris (Nemanid I. 8) hilft uns nichts, indem dies erst eine vom
blutdürstigen Luchs auf den blutsaugenden Vampyr übertragene, spätere
Benennung ist. Mit *luq- 'leuchten' (»von den leuchtenden Augen des
Tieres«) kann das Wort nicht zusammenhangen, weil wir mit Suff, sh- im
Slav. *lycJi'b und daraus *lyH erwarteten. All den aufgezählten Schwierig-
keiten kann man steuern, wenn man die Ansicht an eine Verwandtschaft
unseres Wortes mit den eingangs erwähnten Benennungen dieses Tieres
aufgibt und dessen Etymologie anderswo sucht. Ich glaube nämlich, daß
nicht ai. rüg- noch rukgäs 'hell' noch luq- [luceo] unserem Worte zugrunde
liege, sondern daß es auf der slav. Wurzel *rüd- (idg. *rüdh-) 'rot sein'
beruht; der Luchs hat ja in der Tat ein rötlichbraunes Fell mit unregel-
mäßigen dunklen Streifen. Von dieser Wurzel *r«c? haben wir auf der-
selben Lautstufe im Slavischen noch: s. risulja 'ein Kuhname (wohl
einer rötlichen Kuh)', c. rysy^ rysavy 'rötlich', p. rysaivy 'id.', alles ge-
bildet aus *rüdh-so-. Im Slav. war das Wort nicht bloß ein z'-Stamm,
sondern, wie risva, risev zeigt, auch ein w-Stamm.
socha.
Die Bedeutungen dieses Wortes gehen in den einzelnen slavischen
Sprachen stark auseinander. Sie lassen sich in folgenden Gruppen unter-
bringen :
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 489
I. a) 'Pfahl, Pfeiler, Säule, Pfosten, Stütze, Balken, Stange, Hebebaum,
Galgen' — im Aksl. ('/«o«^ vallus'), Bulg., Serbokr., Sloven.,
Ru3S. und Cech. ;
b) 'Strunk' — im Öech. ;
c) 'Götzenbild' — im Cech. (im Polnischen soll es in dieser Be-
deutung aus dem Cech. entlehnt sein, Archiv VI. 179) ;
d) 'Stab, Stecken, Stock, Knüttel' — im Aksl. ('^vlov fustis'),
Russ. (pösoch), Cech. {socko?-, sochürek);
II. 'Hakenpflug' — im Poln. und Russ., 'Pflugsech' im Poln., 'Balken
beim Pfluge' im Russ., 'Pflugsterz, Handhabe oder Rüster beim
Pflug' im Öech. ;
ni. 'Gabelförmiges Holz, Forkel, Zwiesel' — im Serbokr., Sloven.,
Cech., Poln. und Russischen.
Die richtige Etymologie wird sich nur durch Aufklärung der Entwick-
lung dieser drei Hauptbedeutungsgruppen finden lassen; wie verhalten
sie sich demnach zu einander?
Meringer geht (IF. XVII. 117) von der ersten Gruppe aus, woraus
sich zunächst die zweite und aus dieser die dritte entwickelt habe. Er
nimmt an, daß 5oc//a ursprünglich 'Pflock', d. i. der beschnittene Baum,
'Pfahl' bedeutet habe. »Das war auch der Urpflug. Als die Zoche
(= socha) mit ihrem doppelten Stachel auftrat, entstanden die anderen
Bedeutungen, die auf Gabelholz zurückgehen. Die selbstgeschnittenen,
spitzigen Stachel der Zoche wurden schneidend in ihrer Verwendung.«
Nach dieser Annahme war demnach der Hakenpflug (= die Zoche =
socha) zunächst 'der beschnittene Pfahl', dann erst ward daraus 'der
schneidende Pfahl', aus dem Passivum ein Aktivum; die Bedeutung
'Baumstamm, Pfahl' ist also das Prius, 'die Schneide' das Posterius.
Meringer könnte sich für seine Auffassung auf Ausdrücke wie d. Grab-
scheit, slov. drevo 'Pflug' berufen, wo jedenfalls 'das Gespaltene, Spalt-
bare' die Grundbedeutung ist, welche dann in die Bedeutung des 'Gra-
benden, des Pfluges' überging. Indes gibt es auch Fälle, wo das
entgegengesetzte der Fall ist: 'das grabende, aufreißende, die Erde auf-
kratzende *) Gerät' ward, weil Holz dazu verwendet ward, zu 'Pfahl,
Stamm, abgeschnittener Stamm, Klotz, Wurzelende'. Wir sehen dies
1) Das Pflügen ist noch jetzt in manchen Gegenden dos Balkans, beson-
ders auf Stellen, wo Schafherden ihren Standplatz hatten, nur ein Aufkratzen
der Erde mit dem primitiven IIakeni)flng.
490 K:. Strekelj,
z. B. bei slavischen, auf der Wurzel *rü- (ry-) beruhenden Aus-
drücken, indem ryh, rt/lo, rylhch^ rylica^ ryÖ 'Haue, Jäthacke, Stech-
schaufel — ligo, sarculum, vanga' — und 'Rüssel', außerdem aber
auch 'Stamm (cf. ^ech. : 100 ryluov na prkna üdelal), Stammstück, Stock,
Klotz, der untere Teil des Baumes' bedeutet. Hier kann wohl un-
möglich von der letzteren Bedeutung ausgegangen, kein Übergang vom
Passivum zum Aktivum gefunden werden, d. h. man kann nicht 'das
herausgegrabene, herausgewühlte' zum 'Grabscheit, Wühler, Wender'
stempeln. Ähnlich ist d. Stecken und Stange ursprünglich 'das Stechende',
und dann erst ist es zu 'Stock, Pfahl' geworden. Dasselbe gilt von gr.
;ja(>a^ 'Pfahl', das zu lat. /wrra 'Gabel, Galgen, Engpaß' gestellt wird
(Prellwitz, Gr. Etym. Wtb. 2 502) und mit got. gilpa 'Sichel', ai. haläs^
haläm 'Pflug (auch als Waffe)', arm. ßem 'furche, pflüge' verbunden
wird (von emer Wz. *y hei- 'schneiden', Walde, Lat.Et. Wtb. 255, Uhlen-
beck, PBrB. XXVII. 120 f.). Ist dem aber so, so behindert uns nichts,
auch bei socha-Zoche denselben Weg einzuschlagen und demnach nicht
von der passiven, sondern von der aktiven Bedeutung auszugehen, darin
also das 'Schneidende, Aufreißende, Kratzende, Grabende, Hauende'
zu suchen, woraus erst die Bedeutung 'der Pfahl, Stamm, Stange, Stock,
Klotz, Strunk, Säule' sich so entwickelte, wie bei ryh etc., weU zur Be-
reitung des schneidenden Gerätes Holzbestandteile von der Form eines
Pfahls, Stamms, Stamms mit Wurzel, Stamms mit zwei Wurzeln u.s.w. ver-
wendet wurden. Es ist uns demnach der Hakenpflug socha zunächst nur
»der schneidende«, wie es r. kosülja von kosä 'Sense' ist, mag nun dieses
auf die Wz. '^qes- 'kratzen, scharren' [desatii lit. kasyti 'kratzen' neben
kasü, kästi 'graben'), wovon wir kosa 'Haar' haben, oder auf der Wz.
*qop- 'schneiden, hacken, hauen, graben' {kopafi, skopiti. .) beruhen
(Grundform *(joj)iiä), was mir bei dem nicht leicht zu vermittelnden Be-
deutungsunterschied der sonst gleich betonten Wörter ('Haar' — 'Sense,
Schneide') wahrscheinlicher dünkt. Beti'achtet man die Formen des ür-
pfluges, wie sie Meriuger (IF.XVII. 129) sehr instruktiv zusammengestellt
h
hat, so sehen wir gleich bei der ersten Figur 7^,, daß diese einer
Haue und Sense formell nahe kommt: der Hauptteil des Gerätes ist der mit
a bezeichnete. Dieser ist beim Sensengerät [kosd] die eigentliche Sense;
doch wird jetzt auch das ganze Gerät samt dem Stiel und den Handhaben
mit dem, eigentlich nur dem schneidenden Teil (a) zukommenden Namen
benannt. Ähnliches muß schon sehr früh beim Urpflug der Fall gewesen
sein: der Teil a schneidet, gräbt die Erde, kratzt sie auf, er ist der
ä
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 491
eigentlich aktive Bestandteil; beide Teile, die Schneide a und der Balken
/;, bildeten zusammen das aqoxQov avxöyviov^ den Hakenpflug, wurden
aber, wie bei der Sense, zunächst nach dem Hauptteil socha-Zoche be-
nannt, zumal sie vielfach ein Stück bildeten. Erst später, als die socha
nach Hinzutreten der Sterze, des Sechs, der Pflugschar, der Griessäule,
des Pflugbrettes u. s.w. vervollkommnet ward und sohiik (russ.) 'Pflug-
schar, Pflugeisen, Sech' als der besser, gründlicher schneidende Be-
standteil die alte socha ^ die nun zum 'Haupt' [plaz) niedersank, ersetzt
hatte, ward ihr Name auch auf andere Teile des Pflugs übertragen, so
namentlich auf die Pflugsterze (die Handhaben) und den Balken (Grindel).
Die Verwendung des Namens des Hakenpfluges für die Handhaben konnte
um so leichter eintreten, als die ganze socha in ihrer ältesten Gestalt ja
die Form eines Knieholzes hatte und dieses also nach ihr eine Bezeichnung
erhielt. Indem in weiterer Entwicklung die Handhaben gleichfalls eine
Gabel, ein Knieholz bildeten, konnte der Name socha ganz gut auch auf sie
übergehen; doch glaube ich, daß diese Bezeichnung der Handhaben mit
socha eher deswegen eintrat, weil die Handhabe (ursprünglich ^ine) mit
d(n- socha gewöhnlich aus einem Stücke bestand, indem ein Stamm mit
zwei Wurzeln dazu verwendet ward. Nicht belanglos scheint dafür auch
d(>r Ausdruck r. razsöcha zu sein, dessen sloven. Betonung räzsoha
darauf hinweist, daß es ein Kompositum des Nomens socha mit raz und
nicht eine Ableitung von einem mit raz- präfixierten Verbum ist. Heute
unterscheidet sich razsöcha von socha als 'Zwiesel, Gabel' nicht, doch
muß sie einst die 'Nebensocha, Seitensocha' bedeutet haben, so daß sie
als jene Handhabe anzusehen ist, die mit der Socha nicht aus einem
Stück bestand, sondern daran erst befestigt ward. Ja im Russischen er-
setzte razsöcha geradezu die ursprüngliche sochä, indem dieser Name
für den ganzen Hakenpflug gebräuchlich ward. Diese letztere Verwen-
dung von socha ist zugleich der Grund für die spätere Einschränkung
des Wortes auf den Pflugbalken oder Grindel, indem dieser als der beim
Pflügen am meisten sichtbare Teil des Pfluges ziinächst auffiel. Vom
PUugbalken oder Zochenpfahl ward dann zuletzt der Begrifl' socha als
,'Pfahl, Balken, Stange, Pfeiler, Säule, Strunk, Stab, Stecken, Stock,
[Knüttel' abstrahiert; aus 'Pfahl, Balken' ist fernerhin einerseits 'Galgen',
jaudrerseits 'Götzenbild' geworden.
Meringer nimmt au, daß die Bedeutung 'Gabelholz, Zwiesel' erst zu
einer Zeit auftauchte, als die Zocho einen doppelten Stachel erhielt. Dies
trat aber wohl ziemlich spät ein, zu einer Zeit, wo socha bei den Slaven
492 K. Strekelj,
als 'Gabelholz' sicher schon allgemein verbreitet war, selbst dort, wo
man heute von einer Zoche nichts mehr weiß, weil sie dem vollkomme-
neren Pflug weichen mußte. Ich glaube daher, die Entwicklung der Be-
deutung 'Gabel' schon in eine viel frühere Zeit verlegen zu müssen, wo
die 'Zoche' nur einen Stachel hatte, also ein wirkliches, ganz primitives
uQOTQOv avtöyviop, ein Knieholz war. Diese Bedeutung reicht wie bei
IsLt.yurra 'zweizinkige Gabel' neben xcega^ 'Pfahl', got. gilpa 'Sichel',
ai. /lalds 'Pflug (auch Waffe)' schon in eine recht weite Zeit zurück.
Das Resultat meiner Auseinandersetzung fasse ich also kurz in die
Worte zusammen : S'ocha-Zoche ist zunächst das kratzende, schneidende,
hauende Ackergerät ; daraus entwickelte sich nach dessen uralter Form
einerseits die Bedeutung 'Gabelholz, Gabel', andrerseits 'Balken, Pfahl,
Pfeiler, Pflock, Säule', aus diesem wieder 'Strunk' und 'Götzenbild'.
Wenn aber socha 'das Kratzende, Schneidende, Hauende, die
Schneide', geradeso wie das dem x\i^'s,.kosülja 'Hakenpflug' zugi-unde lie-
genderes« ist, so muß es auf einen Verbalstamm zurückgehen, der 'kratzen,
schneiden' bedeutet. Ich habe, bevor ich noch Zupitza's Schrift «Die
germanischen Gutturale (( und die Abhandlung Uhlenbecks »Die Ver-
tretung der Tenues aspiratae im Slavischen« (IF. XVH. 93 f.) kannte,
worin als Grundform des slavischen Wortes *soksä (Zupitza o. c. 138,
Uhlenbeck o. c. 99) aufgestellt wird, selbständig an eine Grundform
^sdksä gedacht, wozu an. sax, ags. seax^ ahd. sahs 'Messer, Schwert'
und lat. saxum so genau wie möglich paßt ^). Aus *sdksä konnte im
Slavischen eben nichts anderes als socha hervorgehen; zudem stimmt
dazu auch die oben dargelegte ursprüngliche aktive Bedeutung des
Wortes. Sämtliche andere Ableitungen sind meines Erachtens zu-
rückzuweisen: Mit lit. szakäj ai. gäkha^ got. hölm kann das Wort
nicht in Verbindung stehen, weil das ch von socha dem entgegensteht
und das entsprechende slavische Wort mit n -Infix aksl. sakh 'Ast'
lautet (doch vgl. Foy, IF. VI. 324, wo an ai. ^amku 'Pfahl, Pflock', ir.
ffec aus kanquä gewiesen wird). Ebensowenig kann es aus dem gleichen
Grunde zu ai. gäscimi (Brugmann, VG. I. 444) 'schneide' gehören, wie
1) Vgl. Detter, Deutsches Wtb. XII: ^^sahs 'Messer . . ., das man direkt
mit saxum 'Fels' zusammenstellt. Beide Wörter sind mit secare 'schneiden'
verwandt; aber lat. saxum zu secare wird man wohl am besten vergleichen
mit \a,t.rüpes 'Fels' zu rumpere 'zerreißen', Riff zu anord. n/a 'spalten', Schere
'Klippe' zu schereil.«. — Vgl. auch slav. shala 'Fels, Stein, Abgrund' aus sqel-
'schneiden, spalten' (lat. süex).
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 493
schon Pedersen (IF. V. 49, 50) hervorgehoben hat. Aus ahd. suohha,
fiuohhili 'aratiuncula'' kann es gleichfalls nicht entlehnt sein, weil dieses
*suky ergeben hätte (cf. buky-buohha). Meringer will es (IF. XVII. 1 1 7 f.)
aus einem germ. *sayä erklären und zwar deswegen, weil es auch bei
den Romanen, im Französischen, ein soc 'Pflugschar', souche 'Stamm,
Wurzelende' gibt. Gegen diese Annahme könnte man nichts einwenden,
wenn das Germanische wirklich eine Grundform hätte, aus welcher so-
wohl das slavische wie das romanische Wort ableitbar wäre. Dies ist
aber nicht der Fall, vielmehr ist Meringer gezwungen, eine solche Grund-
form erst zu konstruieren, und zwar nicht bloß 6ine, sondern, was be-
sonders mißlich ist, deren zwei, die eine für die östlichen, die andere für
die westlichen Nachbarn der Germanen : für die ersteren ein *sayü^ für
die letzteren *socc (aus *sogn-). Von Entlehnung könnte man reden,
wenn sowohl socha als soc auf eine und dieselbe germ. Grundform sich
zurückführen ließen; dies trifft aber durchaus nicht zu, und aiLßerdem
fehlt ein Grund zu einer solchen Annahme. Diese braucht man, da sich
die Ablauts Verhältnisse ja auch ohne sie unschwer erklären lassen,
überhaupt nicht. Die Wurzel *seq- ist ja im Slavischen auch sonst
nicht unbekannt; wir haben neben sSkq z. B. osoka 'carex acuta', eig. 'das
Kratzende, Schneidende', vgl. ags. secg 'Rohr, Schilf, Ried', engl, sedge^
cjmr.hesq 'lesche', hesgen 'carex' (nach Fick-Stokes II. "* 202 von *seskä
'liinsen' aus *sekska). Ob das frz. soc^ souche wirklich nur durch An-
nahme einer Mischung des germ. *socc {*sog?i) mit kelt. kucc aus sukko
'Schweinsschnauze' erklärbar ist, dies entscheiden zu wollen maße ich
mir nicht an. Gleichwohl halte ich dafür, es sei natürlicher, für das frz.
Wort eher Entlehnung aus dem Keltischen anzunehmen, da man noch
jcitzt bret. souch 'soc' und neuir. soc als 'Pflugschar' und 'Schweins-
schnauze' hat; letztere Bedeutung ist nur eine Fortbildung der ersteren,
wie slov. rilec 'Schweinsschnauze' aus älterem rgh 'ligo'. Das ir. soc^
dt'ssen s im Anlaut vor sonantischen Vokalen wie im Gallischen erhalten
blieb, kann ganz gut zur Wz. *scq- (lat. secare 'hauen, spalten', aksl.
■•<ekq) gehören, so daß soc 'das die Erde durchschneidende, durchwüh-
lende' bedeutet. Die Entwicklung zu 'Pfahl, Stamm, Wurzelende' wäre
dann dieselbe wie im slav. ryh (frz. souche, catal. soca, davon sorur
einen Baum umhauen', ital. zocco 'Baumstumpf, frz. so"/e 'der Sockel
einer Statue'). Von Italien konnte sich das romanisiorte keltisolu' Wort
viel leichter zu den Griechen (/t,'ö)toi,') verbreiten, als von Deutschland
aus, wo es überhaupt nicht nachweisbar ist; für den Wog Jlber Italien
494 K- Strekelj,
spricht auch das rC und das x des griech. Wortes (cf. G. Meyer, Neugriech.
Stud. IV. 93). Auf die deutsche Form Zocke ist nämlich nichts zu geben.
Das vorausgesetzte Meringersche ^sayia müßte ja ein *Sache ergeben,
und in alter Zeit ist anlautendes s vor Vokalen im Deutschen nicht zu z
geworden, was geschehen sein müßte, wenn man griech. rUjy.og daraus
ableiten will, da ja in diesem Falle slav. Vermittlung auszuschließen wäre,
indem slav. s und ch im Griechischen nicht zu t'Q, resp. x wird. Das d. Zoche
ist vielmehr aus dem slav. socha entlehnt, wie Meringer nachträglich (IF.
XVIII. 279) zuzugeben geneigt ist und als Beispiel dafür d. Zobel aus
r. sohöl anführt. Die Beispiele lassen sich jedoch noch vermehren ; vor-
vokalisches, besonders anlautendes slavisches s finden wir als z im Deut-
schen noch: mhd. ziaimih, zisel aus r. susol^ suslik 'mus citellus', prd.
Wunzen, Wonzen aus poln. wqsy^ prd. Zock aus poln. r. suka 'Hündin',
Zant, Zander neb, Smider aus p. sedacz^ sqdecz^ gotsch. Zure 'Langwiede'
aus slov. sora (*szvora), ferner in zahlreichen Ortsnamen : Zauche, Zauch^
Zauchtal = Suha, Suhodol^ Zehiitz = Selnica, Zinsat = SSnoieth,
Zopoten, Zoputen = S'opota, Zell = Selo u.s.w.
Auf das cech. sochar 'Bildhauer' ist nicht zu viel Gewicht zu legen,
da es erst eine moderne Bildung zu socha ist. Dieses konnte zur Bedeu-
tung 'Figur, Statue' erst nachträglich aus der Bedeutung 'Pflock, Pfeiler'
gelangen, nachdem Götzenbilder vielfach mit Ausdi'ücken belegt wurden,
die 'Pflock, Balken, Stamm, Klotz' bedeuten und auf Wurzeln beruhen,
die die Begriffe 'beschneiden, behauen, bearbeiten, abmeißeln, abreiben'
in sich schließen. Der göttlich verehrte Pfahl wird ja wohl ursprünglich
wenig menschenähnlich gewesen sein, wie Meringer in seinen schönen
Studien über diese Dinge hervorhebt. Im Cakavischen ist sdha7' nur
'carnifex, der Galgenmeister, Scharfrichter' (Nemanic I. 30).
Das Resultat dieser Untersuchung ist : socha ist einheimisch und
entspricht einem ^saksä der idg. Grundsprache ; d. Zoche 'Hakenpflug',
mhd. zoche 'Knüttel, Prügel' ist aus dem Slavischen entlehnt.
struna.
Miklosich leitet struna 'Saite' von der bekannten ai. Wurzel gru-
'hören' ab, und schreibt ihm als Grundbedeutung »die tönende« zu. Diese
Etymologie hat als unmöglich — für das r von gru- haben die europäi-
achen Sprachen ein / — bereits R.Brandt (RFV. XXIV. 183) zurück-
gewiesen und das Wort mit lat. struo verknüpft, indem er als Grundform
*streugnä ansetzt, so daß er struna die 'ustroennaja (eingerichtete),
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 495
prilazennaja k instrumentn (dem Instrumente angepaßte) ili nalaSennaja,
strojnaja (gestimmte)' auffaßt. Sowohl Form als Bedeutung des Wortes
widersprechen einer solchen Annahme. Das g hat sich ja erst analogisch
ins lateinische Verbum struo, struxi hineinentwickelt (cf. Walde, Lat.
Et. Wtb. 602) und von struo 'bauen' aus 'übereinanderschichten' ist es
wohl nicht leicht zu 'stimmen' zu kommen, abgesehen davon, daß man
dabei ganz die moderne Saitenbehandlung im Sinne hat, was wohl kaum
angeht.
Meines Erachtens hat Miklosieh die andere, in einigen slavischen
Sprachen vorkommende Bedeutung von struna: slov. 'das lange Pferde-
haar', serbokr. 'das Haar, Roßhaar, Ziegenhaar' mit Unrecht bei Seite
gelassen und sie nur beim Worte struyija, das er abgesondert behandelt,
erwähnt. Zwischen struna und strunja besteht kein anderer Unterschied,
;ils daß beim letzteren für ä ein iß eingetreten ist, vielleicht weil es einst
lieben struna ein ^siranh f. gegeben hat. Beide Wörter sind demnach
identisch. Geht man nun von der Bedeutung 'Roßhaar, das lange Pferde-
liaar' aus, so entwickelt sich daraus für alte Zeiten die Bedeutung
'Saite' auf die natürlichste Weise : denn das lange Haar von Tieren gab
ja zunächst das Material zu Saiten her, wie dies noch heute bei den ser-
bischen Gusle stets der Fall ist, indem daran sowohl die Saite wie die
Bogensehne aus Roßschweifhaaren verfertigt ist. Saiten aus Gedärmen
sind erst eine spätere, wenn auch schon sehr alte Erfindung. Dem struna
kommt demnach ursprünglich gar nicht die Bedeutung 'Saite', sondern
nur die Bedeutung 'langes, steifes Haar', 'das starke Haar der Tiere, das
stiafl' herunterhängt oder starr emporragt' zu. Daher denn strunja im
Serbokroatischen als 'Borste, starkes Haar der Tiere, Ziegenwolle, Ziegen-
haar', strun^ strunjav als 'hären, haarig, borstig'. Unter dieser Voraus-
setzung läßt sich nun struna^ strunja auf urslav. *strupna (aus
*stroupnü) zurückführen, dessen Wurzelbestandteil, allerdings mit
andersstufigem Wurzelvokal, wir im ahd. strnhcn 'starr stehen, starren,
sträuben', mhd. strup{b) 'rauh emporstehend', mhd. strobeleltt 'struppig',
ulid. Gestrüpp wiederfinden, womit Kluge ^ 380 aksl. stnjnfii 'aspcri-
tas, varietas', str^p^thm> 'asper', sir7>in>fifi 'asperum reddcre', r. stro-
/)()th, ströpota 'Rauhigkeit, Krümmung', sfropfitih 'widerspänstig, störrig'
vergleicht. Das 0 der russischen Formen beruht auf ?< : stropot^ ist eine
Kontamination des nom. *strpof7> und dos Gas. obl. *,strapfa, *stroptu
etc.; ströpota kann nach stropoth oder auch aus einem ehemaligen Adj.
sfropi) aus *str^p^, femin. *strpa gebildet sein. Meine Zusauimenstollung
I
496 K. Strekelj,
von struna mit atrühen wird auch durch x-strop-b 'Schlinge' sowie durch
die Bedeutung 'Krümmung' und 'krumm', die wir beim r. ströpota^ stro-
potkij\ atropotlwy finden, gestützt: Schlingen werden ja mit Vorliebe
aus Pferdehaaren [struna^ iima) gemacht. In unserem Worte ist der
Schwund des Labials vor p ganz regelrecht. Die im Slovenischen dem
Adjektiv sirim, strunast zukommende Bedeutung 'mager, schmächtig,
schlank' scheint erst relativ jung zu sein : eig. 'dünn und lang wie ein
Pferdehaar'.
stvohj cvoh; dbol.
Das in einigen slavischen Sprachen gangbare Wort stvohj cvoh ist
meines Wissens bis jetzt noch nirgends aufgeklärt. Miklosich bezeichnet
es VG. II. 8 als dunkel, VG. I^. 70 aber vergleicht er damit lit. stülis
'Baumstamm'. Daniele denkt im Rjecnik I. 874 an die Wurzel stva von
stu 'stehen'. Würde dies angehen, so erwartete man für stvoh ein
*stvah, das aber nirgends vorkommt. Daß stvoh auf eine mit st- an-
lautende Wurzel für 'stehen' zurückgeht, ist indes offenbar, nur hat noch
niemand gezeigt, wie es daraus erwachsen ist.
Was bedeutet stvohj cvoh ? In altkirchenslav. Denkmälern ist es
nicht zu finden; was nämlich Miklosich im Et.Wtb. s.v. als »asl.« angibt,
ist nach den Zitaten des Lexicon pal.-sl. 883,1104 nur in einem serbischen
Kodex des XVI. Jahrb. , woraus es von Miklosich möglicherweise ganz
unrichtig mit 'folium' wiedergegeben wird (hb oöpiToxoy ch^cth nn^e-
coate TiKtMO ii;LB0.jtt TpaBoy cejitHoy : 'außer Schachtelhalmen, Feld-
gras', das zweite als Erklärung des ersteren), und in einem die Propheten
enthaltenden russ. Kodex des XV. Jahrh. an der Stelle Esaia 55, 13, wo
stvolije für 'Nessel, Urtica ■Kovvta.\ nach anderen für 'Dorne' steht. Im
Bulgarischen cvol^ cvoUe 'Halm, Stengel' {'stalk of grain' steblö, cvoH
bei Morse). — Im Serbokroatischen hat cvolika die Bedeutung: 1) Sten-
gel: stablo u prorasla crnoga luka, na kojemu je göre sjeme; 2) Schien-
bein : golijen, tibia ; 3j Pflanzenname : Schierling (cicuta, conium macula-
tum); in letzterer Bedeutung findet sich dafür auch cvölina^ wie denn
für cvolika 'Stengel' auch camöUka gesprochen wird: 'deblo, krupna
trava osobito od duvana i boba' (Rjecnik I. 152). Im Russischen kommt
stvohj stvoUna in folgenden Bedeutungen vor: 1) Röhre, röhrenartiger
Stengel, Schacht, 2) Stengel, Stamm, Baumstamm (rjiaBHBiH, Kopennoä
noöirt pacTBHta, Aopeea, cxeöejib, xjh.ict'b, JiicHHa, roJioMH, b^b koto-
poM^ ecTt nycTOTa jh6o eep;i;ii;eBHi];a), 3) Pflanzenname: Pastinaca,
Conium, Anthriscus. — Das cech. stvol ist in neuerer Zeit aus dem
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 497
Kussischen entlehnt; echt rechisch ist sthol (richtiger *zdhol)^ dessen Be-
deutung aber nicht ganz klar ist: 'jeleni koieni mä koren cerny a 4tbol
uslechtily' bei Kott III. 945, wo es zweifelnd mit strboul^ das mit 'Kraut,
Ivräutig' wiedergegeben wii'd, nach den dabei und beim gleiches be-
deutenden strbel stehenden Beispielen aber auch 'Trieb, Stengel' be-
deuten muß, wobei letzteres auch als 'knolliges, in die Höhe ragendes
il (irres Zeug' erklärt wird. — Zu merken ist endlich noch kroat, stevelj
Halm', das bei Filipovic gebucht ist. Das Slovenische kennt stvol in
it-r Bedeutung 'Röhre, bes. Pflanzenröhre', stvolika und cv>olina als
Wasserschierling' und cmolje [cmulje] in der Bedeutung 'Simse, juncus'.
Die Grundbedeutung des Wortes ist demnach oflfenbar 'röhrenförmi-
ger Stengel, Halm, Schaft, Stamm, Baumstamm'; daraus erst haben sich
die übrigen entwickelt, indem bei den damit bezeichneten Gegenständen
(Pflanzen) deren Stengel, Schaft, Stamm in hervorragendem Maße auf-
fällt. Ist dem aber so, dann steht unser Wort in engster Verwandtschaft
mit einem zweiten slavischen Wort von der Bedeutung 'Schaft, Stengel,
Stamm', d. i. mit sthblo^ sthbh^ von dem es meines Erachtens nur durch
das Suffix verschieden ist: sthblo = *st/nbh-lom, sibblb = *st/iibh-l7^oi>,
stcoh hingegen = *sthb-oh aus *stMbh-ol-os. Das kroat. stevelj ist
schwer zu beurteilen, da man nicht weiß, aus welcher Gegend Kroatiens
es stammt; mir scheint es kajkavisch zu sein und ich vermute daher, daß
sein e in stev- nach stehlo aus sthblo rekonstruiert sei, wo es wieder
nach dem gen. pl. sthbh = stebl in ein älteres *stblo, gen. sg. stbia
:dblOj zdbla etc.) übertragen ward. Diese Vermutung drängt sich mir
wegen des Ersatzes des b durch v auf, welcher sonst nicht begreiflich
wäre. Wir haben daher bei stvolb von der aus der Wurzel ^stlm- ge-
bildeten baltisch-slavischen Wurzel *stib- 'das starre, feststehende' aus-
zugehen, die wir im lett. stiba 'Rute, Stock' (cf. r. stcoh 'chystx = Gerte,
Hute'), stibt 'ohnmächtig, eig. stan* werden', stibät 'schwer gehen, hin-
ken', stibü 'strecken', lit. sfcbas 'Stock, Pfosten, Bildsäule, Halm' (siehe
Zubaty in den SB. der k. bühm. Ges. d. Wiss. 1895. XVI. 19) finden, im
Slavischen aber außer in Bildungen mit -/o, -lio auch in solchen mit -e/-,
0I-: *sthbeh^ *sthboh. Derartige Dubletten mit c und 0 im Suffixe sind
namentlich in Verbindung mit Liquiden nichts seltenes : vgl. c. mrtcola
tteben r. MepTBejii. 'cadaver', p. pierdola *qui pedit' neben J. prdel 'po-
iex', 3. prdelj 'Blutkraut'; p. modzel^ slov. mozel neben 0., slov. mozoJ
Schwiele'; aksl. (?) pipela 'sambuca' und pipola 'tibia'; slov. grbcla
rnd hrpela 'Buckel' und c. hrl)ol 'Höcker'; auch -('/- wechselt mit -0I-:
Archiv für slavische Philologie. XXVI II. 32
498 K. Strekelj,
Tßola. pierdziei-pierdoia, bulg. Bitola, Bitolja On., das auf ohitMh 'mo-
nasterium, deversorium^ zurückgeführt wird; für die ^-Suffixe verweise
ich auf die Dublette aksl. r. kofonji-koteryt, kroat. zuber-zubor^ das
Distributivsuffix ero-oro'. öetvero^ öetcoro u.s.w.
Als altslavische Bildungen haben wir demnach für stcol^ stevelj die
Formen *sfhbohj *äihbeh vorauszusetzen, die neben stiMo, sthbh müssen
gebraucht worden sein. Durch den Schwund des wurzelhaften Halbvokals
mußte, sobald im Anlaut die stimmlose Konsonanz st erhalten werden
wollte, das stimmhafte h eine Wandlung erfahren. Die Wahl lag nur zwi-
schen /; und V. Vor Vokalen wählte die Sprache meist das letztere, wie wir
es aus mehreren ähnlichen Prozessen ersehen, deren ich einige anführen
will: Aus b%6ela ward nsl. 6hbeJa^ 6'iela^ letzteres zwar so geschrieben,
in Wirklichkeit aber dzbela gesprochen. Wo jedoch diese Aussprache
nicht durchdrang, mußte h zvl o werden ; so spricht man in Cirkno 6mcla
'Biene', in einem Liede aus Luza im Pöllandertal in Oberkrain lese ich:
[roze] dajo öveJrum med. Aus ,si-bb<i für ^6/^ba 'Stube' ward im Osorb.
stwa^ stwica 'Beistube'; ähnlich haben wir im Slovenischen ^a;"Ä7«;a aus
d. Badstube 'Gebäude, in dem der Flachs vor dem Brechein geröstet wird,
es dient auch zum Waschen, als Backofen, sogar als Taglöhnerwohnung'
(Unger-Khull, Steir. Wortschatz 44) ; die Mittelformen sind *pa6tula^
pustuba, *pastba, '*pusfv<i und (mit j nach dem Akzente ") paj'sfva.
Ähnlich mußte b auch nach einzeln stehendem t zm. v werden, sobald das ■
Grundwort unverändert erhalten werden wollte: nsl. tatva für tafhbaA
tatvina für iafhOina. Für öbbam ist 6ram nur durch die Annahme er-
klärbar, daß zur Zeit, als denn auftrat, der Halbvokal schon verstummt
war und daß, wenn dhvan^ geschrieben wird, hierin Altes und Neues
vermischt ist : <5t)a//, övanja^ s. uzban^ zbun etc.; wenn cech. 6ber %'if\
schrieben wird, so ist dies nur etym. Schreibung statt dzber (aus dbbwb)^'
welche Neigung sogar Schreibungen wie t/xifi für das richtige dbäii her-i
vorbrachte; das Os. hat bei S regelrecht v dafür: dcor, överjen 'Zuber-j
Stange'.
Auf gleiche Weise wie in öoela, stioa^ pnjstxa^ 6van kam nun auchi
in sthbeh, stbboh das v auf: *sfveh^ stool. Das erstere erlitt dieii
Anlehnung an stehlo, das letztere konnte sein st in c wandeln. Dies ge^
schah, wie uns das serbokr. cublo^ caklo aus cblo^ cklo für sthblo^ sthklo]
•belehrt, nicht »izgubivsi t i promijenivsi s na c«, wie Daniele im Rjecnik
I. 152 meinte, sondern durch Vorwegnahme der ersten Explosiva, um den
schwer sprechbaren, unmittelbar folgenden zweifachen Verschluß, den des
.i
Vermiachte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 499
i und des ^, bzw. h [p) zu vermeiden ^). Das oben angeführte serbokr.
camolika und das slov. cmolj'e (aus cvolje) verdankt sein m der Neigung
des Slavisschen, für sü, sv^ et), 6v ein 6m, sm^ cm, dm eintreten zu las-
sen (vgl. nsl. 6mela aus övela, c. cmera 'podmäsli', slov. cmer aus cvera:
shDera, kr, cmara aus cvara : sJcvara, slov. cmila aus cvila, cmod aus
ii)nod, svod, c. smoudem = svoudem\ slov. cmela aus cveYa 'Winslerin'
U.3.W.). In camolika ist a parasitisch zwischen c und m eingeschoben, da
gewissen Dialekten die Gruppe C7?i unbeliebt ist, vgl. slov. dial. cemreka
für cmreka, smreka.
Wie bei sfbblo, *sthhica (vgl. Archiv XXVU. 6 1 ) auch die progressive
Assimilation eintreten kann, so daß wir c. zdblo, zblo^ kroat. zhica er-
halten, konnte ihr in gleicher Weise auch *stbboh unterliegen: *zdhol.
Daraus erkläre ich mir das slovakische dbol, dbolec 'Bienenstock', in-
dem in der Verbindung ze zdbolu, ze zdbolem (= *iz^ stbbola, Si sth-
holomh) das z des Substantivs als Auslaut der Präposition zes^ sez (= izo
und 67., vgl. auch slov. und bulg. s^s) aufgefaßt und dann nur dbol als Sub-
stantiv angesehen ward. Die Bedeutung des Wortes widerspricht unserer
Auffassung nicht, wenn man bedenkt, daß hohle Baumstämme als Bienen-
stöcke benutzt wurden (cf. nsl. bdenj).
^dapt.
j Russ. A'<5a/J2) 'Stutzer, Zierling', ^öäpith, idäpsivovatb 'prangen, Staat
' machen, paradieren', sdäplen/'e 'Luxus, Staat' ist meines Wissens bis jetzt
unerklärt. Miklosich hat im Lex. psl. 1135 aus Quellen, die alle jung
und russisch sind, mit st (statt id) noch angeführt: söapiti 'luxuriöse
vivere', söapljenije 'vestis elegans, pigritia, moUities' (pianstvo i scaple-
uie), Sdaplivo 'elegans', ^öapovstvo 'luxuria', s<)aphstvo 'elegautia, pi-
lAiitia', ^6apstvhn^k^ 'mollis' (aus den ksl. Lexicis der Akad., Alekseevs,
IJeryndas und Polykarps) ; im Et.Wtb. 3 12 b erwähnt er sub stav-2 noch
■srapliDyJ 'schwelgerisch' und sdapiti i drociti sja. — Aus 'Eleganz,
Staat, Luxus' konnte sich unschwer die Bedeutung 'moUities, pigritia'
entwickeln. Was ist aber die Etymologie und ursprüngliche Bedeutung
des Wortes, nachdem die Bedeutung 'Zierling, Luxus' ihm sicher nicht
i
1) Andrerseits berulit der Übergang des «, .v vor Spiranten in (\ c auf der
Neigung, mit einem Verscliluß anzufangen, bzw. denselben vorwegzunehmen,
wobei er dann doch noch wiederholt und erst in der Folge aufgegeben wird :
cvara aus skvara über *tskvnra, tsrara; vgl. d. dial. hiklaf 'Sklave' in Graz
gehört).
32*
500 K- StrekelJ,
von altersher anhaften kann? Wenn man sich gegenwärtig hält, daß r.
s6ap^ auch 'Anbau, Anhieb eines Baumes' bedeutet, so wird man kaum
diese Bedeutung bei Erklärung des Wortes bei Seite schieben dürfen; ja
ich glaube sogar, daß wir von ihr aus die Entwicklung der weiteren Be-
deutungen zu verfolgen haben. Etymologisch ist das Wort mit der Wurzel
*sqep- zu verknüpfen, die uns im griech. oyJ.TtaQov 'Beil' vorliegt, doch
müssen wir für unsere Wortform eine Dehnform dieser Wurzel, *sqep-^ an-
nehmen, aus welcher sich ^öajn regelrecht entwickeln mußte. Dieselbe
Wurzel finden wir in abgetönter Gestalt vor im slav. skop-iti 'verschnei-
den', lit. skapöti 'schaben, schnitzen', giiech. o/xtrcrio 'grabe, behacke',
got. shahan 'schaben, scharren, die Haare abschneiden' ; ohne anlauten-
des s begegnet sie uns im slav. kopati 'graben', gr. xo7Crw 'schlagen',
xö/rofi/or 'Mosserkeule', -AOTtig 'Messer', -/.OTtag 'beschnitten, gestutzt (von
Bäumen)'. Die ursprüngliche Bedeutung dieser Wurzel ist den angeführ-
ten Wörtern entsprechend als 'schlagen, hauen, hacken, schneiden' an-
zusetzen : daher r. s^ap^ 'der Anhieb, Anschnitt'. Wie d. Stutzer von
stutzen 'schneidend verkürzen, dem Objekt den rechten Schnitt, die ge-
hörige Fa9on geben . . ., so daß es die erforderliche oder gewünschte Art
des äußeren Erscheinens hat . . ., zunächst von der Tätigkeit des Baders,
dann verallgemeinert' (Sanders), so ist auch r. s6ap^ aus *sqep-os ein
'beschnittener, zugestutzter, geschnigelter Mensch', und wie d. stutzen
die Bedeutung von 'prangen, in Putz erscheinen, sich so bewegen' (San-
ders) annimmt, so auch r. sdapith^ das wohl ursprünglich 'zusehneiden,
zu einem scapt machen' bedeutet haben muß.
Wir haben demnach in s6ap% 'Anhieb' und söapo 'Stutzer' die gleiche
Wurzel und Bildung wie im aksl. stajyh, slov. s6ap^ serbokr. scap^ itap'i
U.S.W, 'baculus, Stab' (cf. Zubaty, Archiv f. sl. Phil. XVI. 414). Fassen]
wir also stap^ als den beschnittenen, behauenen Stamm, Pfahl — mitu
'Stamm, Pfahl' wechselt vielfach die Bedeutung 'Stab' ab — , dann braucht
man keineswegs mit Walde 550 (sub scamnum) an Entlehnung des slavi-
schen Wortes aus dem gr. oyifjjrrQov, Gy.i]jTiov zu denken, welche Ent-
lehnung in eine Zeit versetzt werden müßte, wo von einem Verkehr^
zwischen Griechen und Slaven keine Rede sein kann, während wir
andrerseits in einer späteren Periode nur *sfipi oder gar nur *skip^
hätten. Und wie sollte man dann r. söapo in der Bedeutung 'Anhieb'
ei'klären ?
Übrigens kennt das Slavische auch Ableitungen von der ungedehn-
ten Wurzel ^sqep-. Hierher zähle ich die sloven. Wörter s6ep m., söepa
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 50 t
f., sdepioa^ sdepeJc m., söepha f. 'Holzspan, Holzsplitter, Holzscheit';
v>iire e hier Vertreter des ft, so müßte man in Gegenden, wo diese Wörter
\orkommen, *sdap, *s6apa, ^sdapek, *s6apka erwarten; nachdem dies
nicht der Fall ist, haben wii* von e auszugehen. Das gleiche gilt vom
kroat. oStepak 'Hobelspan'. Für das Sloven. und Serbokroat. in diesen
Wörtern von *'scep- auszugehen, geht deswegen nicht an, weil wir in
diesen Sprachen gar kein altes, sicheres Beispiel für die Entwicklung des
.vre'- in s6e-, He- kennen, wie sie für das Cechische, Polnische und Russ.
Hiigenommen wird (cf. scegH — p. szczegoJ, r. scegolbnyj; ceriti — p.
szczerzyc, r. sceritb sja). Auch in den zuletzt genannten Sprachen wer-
den sicher nicht alle s6e^ stS auf sce- beruhen. Da bei alten, schlechten
(i träten das Abhauen mehr ein Abspalten als Abschneiden gewesen sein
muß, konnte die Sprache die Wurzel für 'hauen, schneiden' (*sqep-) von
icr für 'spalten' {*sqip-^ *sqoip-), welche auch 'kneipen, greifen' be-
leutet, nicht stets auseinanderhalten, und es muß daher ziemlich früh
niie Vermischung beider eingetreten sein, worauf kroat. scepati 'weg-
icbmen, entwenden', scepac 'Zange', slov. usdeniti 'kneipen', presdenjen
(■ingekerbt, gezwickt' hinweist, wo man nur scipati^ scipac, u^öänjeh^
resöänjen erwartete, was ja daneben vorkommt. Bei dieser Sachlage
st es schwer zu sagen, ob in r. sdepeth 'Staat, Putz, peinliche Sauber-
;rit, kleinliche Akkuratesse, Sorgfalt auf das Äußere, seitlicher Aus-
diuitt am Sarafan für die Tragbänder' durch Bildungen von sdep-
iis scep- beinflußt ist und eigentlich älteres iöap- repräsentiert, indem
l)i'rdies die meisten Ableitungen davon den Akzent nicht auf der Silbe
'Wy?- tragen [sdeptith, s^epet^nn^k^, sdepefilbfiyj, ^depetlwi/j, idepli-
>jj\ ^öepetUvosth^ Sdepetüm^ sdepetücha . . .) , oder ob wir hier eine
»bleitung von *sqep- (in der ungedehnten Form) haben.
idavyj.
Das russ. Havyj 'nichtig, eitel' ist aus *t^,sdaviij verkürzt, einer
vlileitung aus ti>s6a 'Leerheit', wovon iiöefa 'Eitelkeit' und cech. (^t^icy
nanis' herkommt. Schon des Sinnes wegen ist davon zu trennen r. iÖa-
11/ in der Bedeutung 'freigebig, üppig, luxuriös', welches mit altr. sdavh-
'do 'mollities, pigritia, lascivia', .sduübstcovatl 'pigrum, moUem esse' auf
5aya aus *6hdava von der Wz. *siq- 'harnen', aksl. *shcati beruht. Der
usdruck für 'Harn' {*shdara)^ welcher scharfe Salze und Säuren enthält,
ard zur Bezeichnung des Mineralwassers und einer scharfen Flüssig-
ffiÄeit überhaupt verwendet. Da nun letztere vielfach zur Erwoiclumg
502 K. Strekelj,
von Gegenständen, z. B. Häuten u. dgl. dient, ward S6ava zum Ausdruck
der Erweichung, Weichheit, zunächst im konkreten, dann auch im über-
tragenen, moralischen Sinne verwendet. Die Zugehörigkeit von r. Sdi
'Art saure Suppe' und Mava zu sw-aii hat schon Brandt im RFV. XXIV.
192 vermutet.
stekar.
Die Bewohner des Jauntales werden von den übrigen Slovenen
Kärntens, weil sie die Pronomina und Adverbia demonstrativa to, to^ fu,
teka (= tukaj) durch Ha^ sto, Hu, Heka ersetzen, mit Hekarji be-
zeichnet (Scheinigg, Obraz roz. nar. na Koroskem im Kres I. 1881.412);
dieses Hekanje greift nach Tominsek (Narecje v Bocni, Program. Gymn.
Krainburg 1903. 6) auch nach Steiermark in einen Teil der Sulzbacher
Alpen über. Wir haben hier abermals, wie bei Bojki, ein Beispiel
dafür, daß Bewohner ganzer Gegenden nach einem bei ihnen häufig ge-
brauchten Wörtlein oder einer sehr beliebten Ausdrucksweise benannt
werden. Unsere Uekarji führen ihren Namen vom Gebrauch des steka
für tuka her. Hier ist, wie in ta, to, ftt, ein den Nachbarn nicht mehr
verständliches *■ vorangetreten, das offenbar nur ein Überbleibsel eines
einst selbständigen Wortes ist. Ich sehe darin das im Slovenischen so
häufig gebrauchte vU aus vidis 'siehe', das ursprünglich nur fragend
('siehst du?'), mit der Zeit aber Imperativisch ('siehe') Avard. In der Pro-
klise ward aus vidis zunächst vis, daraus aber nach Schwund des / und
nach Bilabialisierung des v zunächst w§, wobei vor folgendem s das tv (wj
gleichfalls verstummen konnte. Auf dieselbe Stufe wie sta, sto, stu kann'
man letä, letö, letü aus glej-ta, gleJ~to, glej-tü stellen; nur konnte
dieses sowohl dem Pronomen ii) als om auch nachgestellt, am Karst
sogar verdoppelt werden : ta-le, to-le, tu-le, oni-le, ona-le, ono-le, ta-
le-le, to-le-le u.s.w. Unser sta, letä ist auf dieselbe Stufe zu stellen wie
lat. eccum aus ecce *]ium [hun-c] (Walde, Lat. Et.Wtb. 190).
toro/n, raztoropnyj.
Bereits Miklosich hat im Et.Wtb. 355, 359 das poln. stropic si^
'sich entsetzen', klr. foropit 'Schauder', gr. torpHh 'erschrecken', oio-
rop^ 'panischer Schrecken', potoro'p'b 'Bestürzung', welche Wörter er mit
terp-1 [utnpSti 'erstarren') als Ablautsformen verknüpft, richtig zu lat.
iorpeo, torpor gestellt (vgl. Fick I^ 444, Walde 631; bezüglich der
strple ovce 'gelte Schafe' und steriUs siehe den zweiten Absatz bei tor-
peo in Waldes Wtb.). Von diesen angeführtem Wörtern trennt Miklo-
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 503
sich mit Recht unter torp-3 das r. iorop^ 'Eile, Hast, Sturmwind', toro-
pitb 'beschleunigen', toropäth 'eilen', toroplivyj 'hastig, eilfertig', toro-
pyga 'eilfertiger Mensch', klr. toropiyvost 'Eile', auf ihre Etymologie
lilßt er sich aber nicht ein.
Diese Wörter beruhen auf einer Wurzel, die zwar lautlich identisch
ist mit der Wurzel von torpeo (Miklosichs torp-2)^ davon aber der Be-
deutung nach abweicht. Sie bieten nämlich den Ablaut einer Basis,
welche Hirt (Ablaut 585) in der Form terep- 'drehen' ansetzt und die in
gr. Teq7tiy.eqavvog 'fulmina torquens', TQe/tio 'wenden, drehen, lat. ire-
pit 'vertit', ai. fräpate 'schämt sich, wird verlegen', ion. tocittw 'wende'
vorliegt. Demnach ist a) r. torojn ursprünglich 'das Drehen, das Wen-
den', 'das sich drehende, der Wirbelsturm, der Sturmwind', b) toropith
ursprünglich 'machen, daß sich etwas drehe, wende', c) toropeth aber
'sich drehen, sich wenden'. Aus diesen ursprünglichen Bedeutungen ent-
wickelte sich sehr leicht aus a) die von 'Hast, EUe', aus b) die von 'in
Bewegung setzen, antreiben, beeilen', toropithsja 'sich sputen, hasten',
aus c) die von 'in Bewegung versetzt werden, sich sputen, eUen'. Wer eilt,
wendet sich schnell hin und her wie ein Kreisel. Daß der Begi'ifif 'flink,
schnell' mit Verben, die 'sich drehen, wenden' bedeuten, ausgedrückt
wird, sehen wir auch an anderen slavischen Wörtern. Zunächst r. pro-
rornyj 'flink, behend', das zur Wz. «er- 'biegen, drehen, krümmen' (wo-
von vert-^ lat. verto nur eine Variation ist, so daß vot^ nnd vrHta nicht
bloß der Bedeutung ['Sack'], sondern auch den Wurzeln nach aufs engste
verwandt sind). Das slov. okreten 'regsam, flink, gewandt' beruht auf
Icr slav. Wz. krqt-: ohrqnqti 'wenden, drehen'. Auch das c. rychly^
r. ryclilyj 'schnell', kh*. rychlyj 'beweglich', gehört mit p. ruc]i 'Be-
wegung' zur slav. Wurzel ruch-^ die zunächst 'wenden, umdrehen, um-
wenden', dann erst 'solvere, diruere' bedeutet: das 'Zerstören' ist wie
rijti 'wühlen' im Grunde genommen 'ein Umwenden, Umdrehen'. Diese
Beispiele stützen zur Genüge die semasiologische Entwicklung von torop-b
'Drehen, Wenden' in 'Hast, Eile'. Die gleiche Entwicklung trat bei der
Wz. des Wortes torop^ [^.\\.terp-) auch in anderen verwandten Spraclien
ein': ai. frpräs^ trpälas 'hastig', gr. EVTqäjcehxi 'beweglich' aus 'sich
leicht drehend'.
Die bei Miklosicli unter torp-1 angeführten Wörter pohi. roztropny
'klug' und r. 7-azforop>/yj a'mA, wie schon Brandt (RFV. XXIV. 200) be-
merkt hat, der auf aksl. rhytn, 'listig, klug' und serb. Jiitar 'schnell'
hinwies, von dem eben behandelten f<)ro/>7, 'Eile' aus der Basis fenp-
504 K." Strekelj,
'drehen' riiclit zu trennen. R. raztoropnyj bedeutet ja außer 'flink, be-
hend, geschwind' auch 'gewandt', woraus sich leicht 'klug' ableiten läßt.
Gerade die Bedeutung gewandt (von wenden^ mhd. wenten^ vgl. gr.
vcoXvTQOJtog 'vielgewandt, verschlagen, listig'] weist geradezu mit dem
Finger auf die angeführte Basis tercp-^ gr. cQtitio 'drehen, wenden' hin.
trag.
Im Altserbischen bedeutet trag~o 'posteri', jetzt 'vestigium Fußstapfe',
traga 'Tierrasse', natraga 'Anwuchs', natrazke 'räcklings', ostrag 'hin-
ten', straznj'i 'hinterer', traziti 'suchen'. Das Wort ist auch im Slov. und
Bulg. bekannt: ^loY.trag 'Spur', ^!röi^7^ 'investigare spüren' (Unterkrain),
bulg. traza 'spüren'. Das Kasub. kennt nach Mikl. Et.Wtb. 360 tragi
und tregi 'nazadb'. Diese letzteren Formen veranlaßten Miklosich, als
urslavische Grundform *tragü anzusetzen. Doch scheint mir gerade
deren Zweifachheit (mit a und e) dahinzuweisen, daß der Aufzeichner
des Wortes einen Laut gehört habe, der vielleicht weder a noch e ist.
Man beachte, daß im Slovinzischen a nur nach anlautendem alleinstehen-
den r zu e wird. Bei Ramuit fehlt das Wort überhaupt. Berka (Biskup-
ski) vergleicht (Prace fil. VII. 651) mhd. torugge 'zurück', doch bleibt es
unklar, ob nur als Parallele oder als Stammwort. Nehmen wir an, der
Aufschreiber habe trögi gehört, so würde es zu slovinz. drögi= p. drögi^
srögt==p.srögi so stimmen, daß man für *irag^ von *torgo auszugehen
hat. Ist jedoch ti'egi, tragi aus dem D. entlehnt [*torugge\ betreffs des
u cf. derny-durny, dregi-drugi)^ dann kommt es überhaupt nicht in Be-
tracht, und man kann für die südslav. Wörter gleichfalls ohne Bedenken
von torgh ausgehen. Ist dem aber so, dann stimmt zu unserem Worte
das nicht abgetönte lat. tergum 'Rücken', tergus 'Rückenleder, Haut,
Fell', gr. regcpog ateQcpog 'Fell, Leder, bes. die Rückenhaut der Tiere'
(Walde, Et.Wtb. 623); bezüglich des Übergangs der Bezeichnung eines
Körperteils in die des Leders, das aus der Haut auf diesem Körperteil ge-
wonnen wird, vgl. türk. sagre 'die Kruppe', dann auch 'gekörntes Leder,
Chagrin' (Miklosich im Archiv XI. HO f.). Die Grundbedeutung von
alav. trag^ ist demnach 'Rücken'; cf. natrazke 'rücklings'. Daraus ent-
wickelte sich die Bedeutung 'das was hinten ist', aus dieser 'der Nach-
wuchs, die Nachkommenschaft', andrerseits aber, weU man beim Spüren
einem nachgeht, ihm im Rücken ist, auch die Bedeutung 'spüren, Spur'.
Das alav. natrag entspricht daher der Bedeutung nach genau dem d. zu-
rück (von Rückest) und engl, back (zurück, Rücken).
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 505
umor.
Das serbokr. umor 'Müdigkeit, Ermüdimg, Erschöpfung', umoran
'müde, erschöpft', umoriti 'matten, abmatten, müde machen' wird im
Et. Wtb. nicht erklärt, obwohl dies der Bedeutung wegen hätte geschehen
sollen; mit mehreren licxikographen wird es nämlich mancher von umor
'Mord, Ermordung' trennen wollen, wiewohl dies nicht angeht. Auch
das Cech.-Slovak. kennt umoreny^ umoren 'abgeplagt, entkräftet' neben
'getötet' : cekala som, nespala som, cekala som po tri noci, pre teba sü
umorene moje oci (sind meine Augen müde). Im Sterbenmüssen und in
der völligen Erschöpfung liegt der Berührungspunkt beider Bedeutungen,
was wir übrigens auch im lat. enectus 'erschöpft' und eneciare 'um-
bringen, töten' von neco 'töten' sehen (Walde, Lat. Et. Wtb. 408); vgl.
auch den deutschen Ausdruck Hodmüde^ mordsmüde' . Im Deutschen
kann ich, von dieser letzteren Verbindung abgesehen, keine Anwendung
von Mo7'd, morden in der Bedeutung 'Ermüdung, ermüden' nachweisen;
merkwürdig ist daher c. umordovati 'sehr ermüden, abplagen', poln.
mordoivac 'müde machen, strapazieren,' umord 'Ermüdung', hez umordu
unermüdet, rastlos', umordoicac 'sehr ermüden, sehr müde machen', die
nit ihrem d ganz entschieden auf das d. mord hinweisen. Es scheint
jrst auf slavischem Boden, nachdem nach Entlehnung von 7nord für das
iinheimische moriii 'töten, morden' das aus dem entlehnten mord ab-
geleitete mordovati eingetreten war, auf dieses auch die alte Bedeutung
les slav. moriti 'ermüden' übergegangen zu sein.
r. verzti, verzith.
Das r. verzti^ verzith 'etwas lange Zeit, aber töricht tun oder sagen',
faseln, lügen'; 'phantasieren', wr. verzci, klr. verzty 'faseln' zieht Mi-
:losich im Et. Wtb. 383 a zur Wz. *Der-^ von der er das r. vru^ vrath
Dlauschen, schwatzen, lügen, faseln', vrum, vrah u.s.w. ableitet und
ie, wie Solmsen (Untersuchungen zur griech. Laut- und Verslehre 263 f.)
lar nachgewiesen hat, auch dem Subst. vradi, 'Arzt' und vraJca 'leeres
(Cschwätz' zugrunde liegt, so daß man daher im Aksl. die Schreibung
vhraH (wie auch *i>ed^lo, *tnet7>la . . .) erwarten würde. Trotz der
vhnlichkeit der Bedeutung ist Miklosichs Annahme nicht zu billigen, da
unerklärt bliebe und das Wort kaum dazu als «Wurzel Variation« von
Dcr [tiQio, verbum, wort . ..) aufgefaßt werden kann. Die russ. Wörter
eisen auf eine Wz. urslav. *üirz hin, und ich glaube nicht, daß mau
e von jenem *vhrz werde trennen müssen, das im r. ofccrzfi 'öffnen',
506 K. Strekelj,
aksl. -vrhzq, -vrhti 'binden', othtiristi 'öffnen, eig. losbinden' vorliegt.
Denn unsere Wörter passen ganz gut in die Gruppe von r. hä-verza^
kd-verza 'Ränke, Grübelei', kd-verzitt) 'Ränke schmieden, intrigieren',
kä-verznja 'Lüge, Klatscherei', das ja auch Miklosich selbst zu *vhrz-
(verz-1) stellt. Wenn wir nämlich sehen, daß der Russe für 'lügen, flun-
kern, faseln, Unsinn reden' auch das Verbum plesfi (es geschieht dies
auch bei andern Slaven, poln. plesc 'plauschen, salbadern, schwatzen,
närrisches Zeug reden', slov. plesti u.s.w.) gebraucht^ also ein Wort, das
eigentlich 'Hechten, schlingen, winden' bedeutet, so konnte dafür ebenso
leicht auch ein anderes Wort ähnlicher Bedeutung einti'eten, -vrhzcfy -vrisli,
das 'binden, verknüpfen' bedeutet; vgl. d. stricken 'in- oder aneinander
schlingen, flechten, knüpfen: einzelne Bäume eines Flosses oder ganze
Flöße aneinander stricken = sie mit einander verbinden' (Schmeller-
Frommann IL S09). Das Binden {-vrhti) ist ja nicht anders möglich, als
durch das Schlingen oder Winden des Bindemittels {pov?•az^). Wie nun
d. '■Hanke' von renken (faktitiv zu icrengan^ ringen) 'drehen, winden',
so ist kä-verza 'Ränke' von *vhrz- 'binden' abgeleitet: die Ränke sind
Schlingen, die einem gelegt werden, damit er sich darin verfange, daher
slov. kroat. mreze plesti^ slov. zapleta 'Verwicklung, Schlinge'; zapleie
delati 'intrigieren', zapletki 'die Intriguen'. Vgl. auch die deutschen
Ausdrücke 'etwas skiisspinnen, SLUzetfehi, Siuibinden\ Demnach gehört
r. verztij verzith 'faseln, lügen' zur Wurzel *vhrz-, got. ivruggö 'schlinge',
mhd. erwergen^ nhd. würgen^ ae. wriggmi 'drehen, pressen' , lit. verziü
'schnüre' (Zupitza 206), und russ. kä-verza ist dem d. Bank^ Ränke
sowohl der Wurzel wie der sinnlichen Entwicklung nach aufs engste
verwandt.
Auch das serbokr. uvrzti^ uvrzem 'einfädeln, einziehen, einfügen:
uvrzti konae u iglu' braucht nicht von Miklosichs verz-\ geti'ennt zu
werden. Die ursprüngliche Bedeutung ist 'den Zwirn in die Nadel ein-
knüpfen, ihn mit der Nadel verbinden', um damit zu nähen; der in die
Nadel eingezogene Faden bildet ja gleichfalls eine Art Schlinge, wenn
auch keine geschlossene.
vrveti, vreva.
Slov. vrvSti, vrvim 'wimmeln' : Ijudstvo vrvi 'concurrit populus',
vrvnja 'Gewimmel, Gedränge', vrvetäti 'hin- und herschweben (von
Schneeflocken)'; serbokr. vrviti 'schwärmen, wimmeln, wogen': snijeg
vrvi 'stöbern', vrvljeti 'wohin strömen', vrva 'Menschengewühl, Gewim-
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 507
mel, Gedränge, Schwärm', vreva 'Menschengewühl, Sturm, Tumult,
Lärm'; bulg. «rv/'a 'gehen', vinivSz 'Gang': vojska provri.velo, vr^volica
'Schwärm' — diese Wörter läßt Miklosich im Et.Wtb. 3S6, wo er für sie
von einer Grundform vei^v- auszugehen geneigt ist, unerklärt. Vergleicht
man die slov. Ausdrucksweise 'Ijudje so privreli od vseh strani = kamen
herbeigeströmt', 'voda je privrela = kam siedend, sprudelnd, wallend
hervor', 'Ijudje v7'o vkup = laufen, strömen zusammen', ^vr^ti = in
Menge und schnell sich hin und her bewegen', ^izvreti = entquellen,
hervordringen, hervorspringen' mit den obigen Anführungen und hält
dazu noch slov. vrvrati^ vrvrSti 'sprudeln, wallen: voda vre in vrvra v
loncu, iz zemlje', poln. ivrzec 'brausen, kochen, unruhig sein', lorzenie
mrowek 'das Gewimmel der Ameisen' u.s.w., so ist leicht ersichtlich, daß
die ersteren Wörter nichts anderes sind als Ableitungen von der redupli-
zierten Wurzel *ver- auf deren Reduktionsstufe, die auch im Präsens vor-
liegt: aksl. vhrjci, vbri^i ^sieden, wallen, in unruhiger Bewegung sein', nur
ist darin das ;• der nächsten Silbe durch das r der ersten dissimilatorisch
verdrängt worden. Es ergab demnach *vhrvhr-Stij III. Sgl. vhrvb7'-ih
zunächst *vrvbrM?\ ^•rvh7'^t^, welche Form im slov. vi'vrUi noch vorliegt;
daraus ward mit Verdi-ängung des zweiten r vrveft, vrvi, serhokr. vrvj'eti
(woraus mit epenthet. / trotz des sekundären Charakters der Lantgruppe
vrvJjeti) und vrviti. Von v7'vHi ist weiter abgeleitet vrvnja^ vrvetafi,
vr^vizJ vr^volica. Ähnlich ward sl, *vhrvwa zu vrvhra (erhalten in
vrvraii) und daraus vrva. Hingegen beruht vrSva nicht auf redupli-
ziertem ver-, da daraus nur *vrevera entstanden wäre; abgeleitet ist es
vielmelir nach der das ältere Iterativ -virati ersetzenden Neubildung vri-
vaii (gebildet zu vhrSti wie ogrSvaü zu grHt, veUcati zu veUti u.s.w.),
die namentlich durch das Aufkommen des neueren Präsens r7vw, vreS,
vre für älteres vhrjq^ vhrüi, virifh befördert ward (vgl. auch prem-pbrja,
zrem-zfcrja). Das i^oln. wrzawa mit a für das erwartete e (vor Labialen!)
ist wohl gleichfalls eine erst verhältnismäßig junge Bildung statt urzeiva^
wie rozdziazüuc aus rozdiaioa für rozdzieioa = *razzdüa\ hervorge-
rufen ist sie wahrscheinlich durch das Partizip ivrzai, wrza^a, wrzaio.
Mit \&i. ferveo, ei'e, fei'vo, ^re (Wz. *bheru-) lassen sich unsere
Wörter trotz der Ähnlichkeit der Bedeutung nicht verknüpfen, nußer daß
alte Assimilation des anlautenden h an das folgende ii im Slavischen an-
genommen würde; indes sprechen Formen wie vrvrafi, crvrdti entschie-
den für die obige Erklärung.
508 K- Strekelj,
15. Entlehntes.
barnast.
Belostenec übersetzt I. 593 das lat. fuscus mit *hkur, temen, siv,
suern, harnast^ vuoje färbe'. Im Kajkavischen kommt harna, harnülja
als Kuhname, harnek als Ochsenname vor (Valjavec im Rad 45, 41, 43,
46^ 13). — Das "Wort ist aus magy. harna 'braun, brunet' entlehnt, wel-
ches die Magyaren ihrerseits aus dem d. braun., mhd. orAn 'dunkelfarbig'
entnommen zu haben scheinen.
burlafi.
Das serbokr. burlati bedeutet 'heulen', burlikcmj'e 'Art heulenden
Weinens'; burijati 'kollern': burljaju mi crieva 'es kollert mir im Leibe,
der Bauch knurrt'. — Entlehnt aus dem Rom.: friaul. burlä 'romoreg-
giare, rimbombare, ululare; ruzzolare, muoversi rotolando' (Pirona s.v.).
Das ital. burlare 'rotolare, gettare via', altital. barullare 'rotolare' aus
*barrotulare 'in schlechter Weise hin- und herdrehen, kreiseln' (Körting ^
130, Nr. 1248) paßt nur für burijati. Beruht frl. burlä 'romoreggiare,
ululare' nicht auf [a)b-ululare? Ululare ergab bekanntlich urlare. Vgl.
burtati.
burtati.
Das serbokr. burtati bedeutet 'cornu petere, bosti rogom' : koza me
je burtala, iind 'nauseare, stuzivati se na moru' (Rjecnik I. 742). Das
erstere ist wohl aus dem Romanischen ; friaul. sburtä 'spingere, sospin-
gere, pignere: far forza di rimuovere da se, o di cacciare oltre checches-
sia; urtare, spignere incontro con impeto' (Pirona s. v.). Das frl. Wort
ist wohl als *ex-ab-urtare aufzufassen; urtare 'stoßen'. Vgl. burlati.
cafolet.
Das cech. cafolet m. (in der mährischen Walachei) 'kapesni satek,
Sacktuch' ist umstellt aus dem \t2\. fazzoletto 'Taschentuch' (cf. Kör-
tings 381, Nr. 3720).
cäkati.
Das cech. cäkati bedeutet 'uderiti, schlagen, stoßen, anfallen, an-
greifen, berennen, unvernünftig reden' ; cäkal = kdo cäkä. Das Wort
ist deutsch; vgl. zecken 'einen leichten Stoß geben, necken, reizen, joco
convellere' ; zecken 'di'etzen, reizen, lacesso' ; Vilmar, Kurhess. Idiot. 463 :
zacken, henneb. zuckern; cf. auch zicken 'mit schnellem, kurzen Stoß
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 509
berühren' ; gezicken einen oder an einen 'ihn leise berühren' (Schmeller-
Frommann IL 1081 — 1082).
cahk^ czanka.
Das cech. cank, canh m. bedeutet 'Gebiß (udidio), Brechzaum';
cankär 'udidlär Gebiß-, Zaummacher', cankovati 'das Gebiß anlegen';
poln. czanha ist 'drazek u munsztuka konskiego, Stange am Pferdezaum'.
KarJowicz, Wyrazy obc. poch. 1 1 1 vermutet darin eine Abkürzung aus
*(h^6anka von (hska^ was kaum richtig ist, weil es poln. in diesem
Falle *szczmika lauten müßte. Auch mit d. Zaum {zäm, zum, zoum)
hängt das Wort kaum zusammen, trotz der Ähnlichkeit der Bedeutung;
im Cech. würden wir ja dann sicher *caiiek^ *canek haben, wenn das k
erst auf slavischem Boden angetreten wäre. Ich sehe in unserem Wort
das d. Wort für Zacken, mit einem n erweitert, wie wii- solche Formen
in bair.-österr. Dialekten finden : bau*. Zanken, Zangken, 'Zacken, klei-
ner Zweig', Zainken, Zuenken 'id.'; steird. Zacke f. und Zanken. Es
ist also rank der Zacken am Gebiß, an dem der Zaum befestigt ist, dann
das Gebiß selbst, vgl. die Abbildungen des Gebisses (munsztuk) mit dem
Pferdezaumstangen bei Dorohostajski, Hippika albo ksiega o koniach
(Biblioteka polska 213), p. 131 f. Deutsches z konnte im Polnischen zu
6 [cz] werden; siehe Korbut, Prace filologiczne IV. 447.
carboch.
Das cech. carboch 'bricho nadut^, pandero, Wampen' ist wohl nichts
anderes als d. '^ Zärhauch, '^ Zehrbauch für Schmerbauch ; wie nämlich
für JVagenschmer 'Wagenschmiere' auch Wagenzehr gesagt wird, so
konnte auch in Schmerbauch das Bestimmungswort durch Zehr- ersetzt
werden; vgl. Zehr m. 'Theer' Vilmar, Kurhess. Idiot. 465 f., Schmeller-
Frommann 11. 1145.
carda, cdr, cära.
Das ceah. carcla m., 'clovek vesely, lustiger Kerl, Spaßvogel, Schlau-
kopf ist gebildet von carati, auch courati^ entlehnt aus d. zeren, bair.
zm'''n 'ziehen, reißen', das besonders auch in der übertragenen Bedeutung
gebraucht wird : einen zär''n oder an einem zärhi 'ihn reizen, necken, ihn
durch Spotten, auch wohl Bitten quälen'; einen abzlirren, auf zurren
(Schmeller-Frommann II. I14ü), 'ihn aufziehen', was ja der Possenreißer
gerne tut (vgl. das Wort skumpa in meiner Schrift »Zur slavischen Lohn-
wörterkunde, Denkschriften WAW. L«). — Ein anderes carda f. 'das
510 K. Strekelj,
Mädchen, das Mensch' ist wohl abgeleitet von cära 'Schlampe, Schmu-
del', dieses von cär 'Hader, Lumpen, Fetzen' aus d. Zar 'der RIß", dann
wohl auch 'das Zerrissene, lacinia', wie denn überhaupt Ausdrücke für
'Fetzen' häufig zur Bezeichnung unordentlicher Frauenzimmer angewandt
werden (vgl. meine zitierte Schrift I S snh ßaka^ siehe aber auch unten
cqdra). Von diesem carda haben wir weiter c. cardati 'cmyrati, pant-
schen'. — Andere cech. Ableitungen von carati ^reißen, ziehen, schlep-
pen, schlendern' sind: cäradka 'schlechte Hausfrau', cärovnire 'zenska
sem täm chodici, zadn^ho stanu nikde nemajici', sowie das augmentative
caragula 'starula starä (hepice)'. Zu cär in der Bedeutung 'Umschweif:
nedolati mnoho caru, k cemu tolik carü 'wozu so viele Umschweife ? ' ver-
gleiche das bair. sich zirren 'sich weigern, sich spreizen', niederd. türen
'zögern', sich tieren 'sich geberden, anstellen' bei Schmeller-Frommann
n. 1146, 1148.
cqdra.
Das poln. cqdra 'dziewczyna publiczna, Hure' ist wie c. cundra
'zenska nepekne spravenä', cunda 'necistä, spinavä zenska' aus magy.
condra 'Fetzen, Hure', woraus auch kajk. condrati Vagari', condranje
'vagatio' entlehnt ist. Bei magy. condra ist von der Bedeutung 'Fetzen'
als der ursprünglicheren auszugehen. Fraglich ist es freilich, ob das
Wort von Haus aus magy. ist; wir haben nämlich das slov. r ander m.,
candra f. 'Fetzen, der Zerlumpte, die Zerlumpte, unordentliches Frauen-
zimmer U.S.W.' nicht außer Acht zu lassen. Dieses hat allerdings schon
Matzenauer 1. s. 128 mit magy. cowt^ra, rowf/or verknüpft, aber Pletersnik
hat, zweifelnd zwar, doch nicht ohne Berechtigung das kärntd. zalder,
zader 'etwas Faserichtes' zur Vergleichung angezogen. Aus zalder
konnte, abgesehen davon, daß in Fremdwörtern vielfach unorganisches n
vor /", d sich einstellt, ganz gut rander hervorgehen; was die Bedeutungs-
entwicklung betrifft, ist der Übergang von 'faserig' zu 'zerrissen' leicht
begreiflich, wie denn Zader im Steirerdeutsch nicht bloß 'sehniges mit
Muskeln und Fett durchzogenes Stück Fleisch', sondern im Ennstal
geradezu 'zerrissenes Tuch, Fetzen' (Unger-KhuU 641) bedeutet, während
zaderef alleweil noch nur 'faserig' ist. Das magy. Wort, das zunächst
'Zerfasertes, Zerrissenes, Fetzen' bedeutet haben mochte, könnte also ganz
gut aus dem Deutschen stammen. Sache der Germanisten wäre es, das
d, Wort zu erklären. Andere slov. Formen des W^ortes sind cundra und
cendra. Trstenjak wollte in Novice 1880.71 das erstere davon mit d. Zun-
der in Verbindung bringen, das nach ihm 'Lappen' bedeuten soll, eine
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 511
Behauptung, die ich nirgends bestätigt finde und die nur aus dem Um-
stand zu erklären ist, daß häufig Lappen als Zunder benutzt werden.
ceniti.
Das cech. cetiiti zuby 'die Zähne fletschen', ceniti 'weinen' ist nicht
aus cetSti 'ringi' (cf. Miklosich, Et.Wtb. 299: sker-) entstellt, sondern
aus dem Deutschen entlehnt: bair. zennen, za7iiie?i '(von Teilen, die ge-
schlossen sein sollten, besonders vom Munde und seinem Gebisse) aus-
einanderstehen, hiare; sie auseinanderstehen machen: gaflen, hohnlachen,
grinsen; insonderheit: weinen', Schmeller-Frommann II. 1127.
di/j'a, dila.
Das ziemlich allgemein 'Brett' bedeutende Wort (slov. dilja, dila,
slovak. dil\ p. f/y/, dyle 'podtaga', klr. dyle, coli, defyna, ns. dela) wird
gewöhnlich (Miklosich, Et.Wtb. 46, Uhlenbeck im Archiv XV. 4S6) auf
ahd. dilla, dil, dilo 'Brett, Bretterwand, bretterner Fußboden' (womit
slav. thlo verwandt ist) zurückgeführt. An der Entlehnung von dilja aus
dem Germanischen ist sicher nicht zu zweifeln, entschieden muß man indes
der Annahme entgegentreten, daß das Wort bereits in so alter Zeit, in
ahd. Periode, von den Slaven, die es gebrauchen, aufgenommen worden
sei. Dagegen spricht vor allem das d im Polnischen und Nsorbischen,
welches bei einer Entlehnung vor dem XIII. Jahrh. vor folgendem Palatal-
vokal hätte erweicht werden müssen. Das W^ort kann zu den Slaven erst
nach dem XIII. Jahrh. gelangt sein. Gerade die Beibehaltung des d hat
die Wandlung des i in ij und daraus in e zur Folge gehabt.
frajati.
Das Wort frajät führt Milcetic in seiner Abhandlung » Cakavstina
kvarnerskih otoka« (Rad 121, 131) unter jenen an, die aus dem Deut-
schen entlehnt sind, weil man daselbst yV-o;' 'snubljenje', yW/yV/r 'Freier'
und frajut 'freien' gleichfalls gebraucht; es bedeutet indes auch 'trositi
bez potrebe' (unnütz vergeuden) und in dieser Bedeutung ist es dem Ital.
entnommen: triest./n«a 'baldoria, crapula, gozzoviglia, oTg\ii\ fraiada
'gozzovigliata', fruiar 'crapolare, gozzovigliare; far brigata; dilapi-
dare, dissipare, fondere, scialacquare, spargere, sperperare' (Koso-
vitz 2 ISO); iv\ü\\\. frajc [frage, fradaje) 'brigata, compagnia, uuione
di persone a fine di sollazzo e di gozzoviglia; gozzoviglia, pusigno, couvito
in brigata, e propriamcnte (luello che si fa dopo ceua'; frajä 'frater-
512 K. Strekelj,
nizzare, gozzovigliare, sgnazzare ne' cibi'. Das rom. Wort hat nichts mit
d. freien zu tun ; schon das frl. fradaje weist auf den Zusammenhang
mvi fratellus^ f rater hin (= confraternitas).
Zu goheJja^ gohela, gombela.
Dieses Wort, welches 'Radfelge', 'der Bogen über der Wiege' be-
deutet, habe ich bereits in meiner Schrift «Zur slav. Lehnwörterkunde«
20 als Entlehnung aus dem Roman, (istroit. gavej'a) erwiesen. Die dort
erwähnte Ableitung Ives aus *gaveUo ist aber wohl zurückzuweisen, wenn
man ptg. camha 'Radkrümmung, Felge' und rambaio 'krummbeinig'
(Gröber im Archiv f. lat. Lex. IL 432), sowie bret. camhef an rot 'cant
de roue' aus *kambitos 'Felge' (Stokes-Fick •* IL 7S) dazuhält.
Jiohtra, hidslra.
Ac. holstra^ hulstra f. wird erklärt mit 'pouzdro na pusku, Gewehr-
futteral' (Gebauer, Stc. slovnik I. 455); liohtra 'pouzdro na pistole, va-
gina, Pistolenhalfter', holstra k rucnicim 'Handgewehrfutteral' (Brandl,
Gloss. 519). Gebauer zitiert zum Wort noch aus Diefenbachs Glossar:
»cornicus = pharetra, arnbrustscheit, bogenkocher« und vergleicht nach
Kluge sub Halfter das niederl. halser (richtig halst er) 'Halfter, Strick'.
Im neueren Cechisch bedeutet holstra 'velikä buchta nadivanä povidly
nebo makem große mit Zwetschkenmus oder Mohn gefüllte Wuchtel'
(Kott VI. 329, nur aus Neu-Bydzov bezeugt). — Die zuletzt angeführte
Bedeutung — die man doch nicht aus so weiter Ferne, wie die Nieder-
lande es sind, erhalten haben kann und womit man ähnliche Benennungen
anderer Mehlspeisen wie c.tasky 'Taschen, Art Knödel', ksivt-i. Tascheln
oder slovak. poln. klr. r. jnrog, wahrscheinlich von pira, jjSra 'Beutel,
Tasche' (slovak. piroJty, pery neboli tas/d; poln. ph'z 'Tornister, Reise-
tasche': griech.-lat. 7rij(>a-pera) u.s.w. vergleichen möge — gibt uns
einen Fingerzeig an die Hand, daß das c. Wort auch in den anderen
Bedeutungen 'Futteral, Hülle, Köcher' gleicherweise dem Deutschen,
nicht aber entfernteren germanischen Sprachen, wo das Wort noch
heute vorkommt [näl.holster, engl, holster 'Fistolenhalfter', schw.hylster
'theca' u.s.w.) entlehnt sei, daß also holster einst auch im Deutschen be-
kannter gewesen sein muß. Schmeller-Frommann I. 1097 führt aus dem
nieders. Dönekenbok 199 Holdster für Holster in der Bedeutung 'Reise-
sack' an. Wie im ahd. hülst 'Decke, Hülle' vorkommt, so muß also einst,
nach dem cech. holstra zu schließen, auch holster, hulster f. tiefer in
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 513
Süddeutschland gesprochen worden sein. Dieses zu got. hulistr 'Hülle,
Decke' aufs genaueste stimmende Wort ist jedoch in Deutschland jetzt
durch liolfter^ hulfter ersetzt, wie denn schon frtih neben ahd. hülst
auch ahd. hulft^ hulaft erscheint. Das d. holsfer^ huhter konnte durch
Jiolfter^ hulfter^ dessen ursprüngliche Bedeutung 'Hülle, Köcher' natur-
gemäß erst in nhd. Periode zu 'Pistolenbehältnis am Sattel' geworden ist
(cf. KJuge*' sub Holfter), um so leichter verdrängt worden sein, als das
letztere an einem ähnlich lautenden Wort eine Stütze fand, das seinerseits
vielfach dem Einfluß von holster^ huhter- unterlag und davon ein at für
ft tibernahm. Es ist dies das Wort Halfter f., m. (ahd. halftra), das
uns mit s nicht bloß im ndl. hahtcr^ sondern auch auf hochd. Boden be-
gegnet, indem im Bairischen neben Halfter 'Hosenträger, brachiale' auch
Huhter f. (Schmeller-Frommann I. 1097), in Unterkärnten gar haschier
(Lexer 131) gesprochen wird, eine Form, die neben der Form Halfter
auch ins Slavische Eingang fand: ns. hal'ötra und halftra^ üov.asterztlj
neben uvsterzilj 'Hosenträger' (aus huhter [unterkämt, haschier^ und
Sil (nicht SeU^ wie Pletersnik meint ; cf. Kopitars Mitteilung bei Schmel-
1er 1. c.) und galtra [ydwtra) 'Halfter, capistrum'. Die Kreuzung bleibt
im Deutschen nicht dabei stehen, sondern das a von Halfter verdrängt
teilweise das o von Holfter, wenn der selteneren Schreibung Halfter
'Futteral' eine reale Aussprache zugeschrieben werden darf.
hona6, lionak.
Das 03. hona6^ honalc m. 'Hahn', honaöik 'Hähnchen' soll nach
Pfuhl eine onomatopoetische Bildung sein. Es ist nichts anderes als das
mit -ad, -ah erweiterte deutsche Halm, mhd. hau mit o für d. «, wie
etwa popla für Pappel (bapele) 'Malve' oder blota für blate 'Platte',
hoka für Haken u.s.w. Welche Schalluachahmung aus dem Hahnen-
geschrei soll denn auch in honad vorliegen ? !
hora.
Das slov. hora f. 'Schwein', horica^ horika 'id.', hör 'Ruf an die
Schweine: hör na!' ist aus dem Deutschen entlehnt: steird. Horscinccin
'das Schwein, das sich im Kote des Schweinestalles wälzt, also im Stalle
gehaltenes Schwein' (alt. Spr.) von Hör neben Har und Harb 'Kot, bes.
Straßenkot', Horluke 'Kotlache, Sumpf, horbig, yehorbig 'sumpfig,
kotig, schmutzig' (Unger-KhuU 35G); mhd. Jtor, höre, gen. Iionccs n.
'kotiger Boden, Kot, Schmutz'. Auch in Deutschsteiermark werden
Archiv für slavische l'hilolouio. XXVIII. 33
514 K. Strekelj,
Schweine zum Weiden mit dem Zuruf Tlora^ Hora! ermuntert. Das d.
Wort gehört zu lat. mu[$)cerda 'Mäusekot', su{s)cerda 'Schweinekot',
griech. ycoQeo) 'fege', lett. särni 'Schlacken, sich absondernde Unreinig-
koiten'; ich vermute Verwandtschaft des d. Wortes mit r.son 'Schmutz',
Dünger' und serb. slov. serem, srati 'cacare'; anders Pokrowskijs KZ.
XXXV. 232, der es zu lat. sordeo stellt (vgl. Walde, Lat. Et.Wtb. 5S5).
j'asduii)^ st'u7', szczur.
Das russ. jäs6ur^ m. 'mus avellanarius, die Haselmaus' versuchte
Potebnjä im RFV. VU. 230 mit ai. äkliü 'Maus, Ratte' von ä und khan
'wühlen' abzuleiten, wobei kh aus sk gedeutet ward. Die Schwierigkeiten
dieser Etymologie sind indes so bedeutend, daß man sie füglich übergehen
kann. Daß das Wort mit dem Präfix ja und einem Substantiv *i6ur^
zusammengesetzt ist, vermuteten bereits Matzenauer (Listy fil. VIII. 26)
und Miklosich (Et.Wtb. 344a), die in letzterem richtig das poln. szczur
'mus rattus' (iapka na szczury 'Rattenfalle'), kas. sur (gen. iere), cech.
st'ür 'potkan, die Ratte', und söm^ 'nemeckä mys, Ratte' (in Mistek, bei
Kott) erblickten. Matzenauer 1. c. 23, 24 hält/a- für eine jüngere Form
des alten je-. Doch sprechen gegen die Identifizierung beider Präfixe
die polnischen und serbischen Formen in Wörtern wie jarebh 'perdix',
jasterh 'lacerta'. Meillet (Etudes sur l'etymologie et le vocabulaire du
vieux slave I. 168 f.) dachte bei/e- an Identität mit idg. w, lat. ^V^, gr. cf,
avy hat aber diese Ansicht p. 506 mit Rücksicht auf Pogodins Ausfüh-
rungen (Sledy kornej osnovx 130), der darin ein verbales Element (cf.
jf^ti) sucht, aufgegeben. Miklosich stellt das Präfix /a- annehmbarer zu
aind. ä, lett. ?, so daß es also aus ursl. d zu erklären wäre. Nach Matze-
nauer bedeutet /as^Mr?) ein 'zvire, ktere se podobä na krysu, mensi kiysa'.
Eine ähnliche Bedeutung läßt sich auch aus Miklosichs Annahme vom
Ursprung des ja- herausschälen : wenn ai. lauhita- 'rot', alauhita- aber
'rötlich', lett. dzeris 'betrunken', edzeris aber 'angetrunken' bedeutet, so
ist die Bedeutung der Komposita mit ä, e in den angeführten Beispielen
beider Sprachen eigentlich 'nicht ganz rot', 'nicht ganz betrunken' oder
'an der Grenze von Rot, an der Grenze von Trunkenheit angelangt'.
Dieser Erklärung gemäß wäre also jaiömi) ein scuri, der noch kein
wirklicher scuri. ist, sondern ihm durch gewisse Eigenschaften nur nahe
kommt. Mit einer solchen Erklärung ist die hier folgende Darlegung sehr
gut vereinbar.
Was der zweite Bestandteil des russ. Kompositums [-sÖurb] ist, das
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 515
besagen uns weder Matzenauer noch Miklosich ; doch trennt es dieser von
anderen gleichlautenden Substantiven seiner Bedeutung wegen vorsichtig
ab. Ich erblicke darin nichts anderes als das griech. a/.lovQog 'Eich-
hörnchen', mag dessen Etymologie welche immer sein (vgl. darüber
0. Schrader in BB. XV. 127 f., Prellwitz, Et. Wtb. der gr. Spr.2 418,
R. Much in HZ. 42^ 1G3). Der Umschlag der Bedeutung 'Eichhörnchen'
in die Bedeutung 'Hausratte, mus rattus' kann nicht überraschen, nach-
dem beide Tiere, ebenso wie die Haselmaus (Mus avellanarius) in die ge-
meinsame Klasse der Nagetiere gehören, also von Haus aus viel gemein-
sames besitzen. Man findet bei Ausdrücken für 'Eichhörnchen' einen
ähnlichen Bedeutungswandel auch sonst in europäischen Sprachen, ja es
werden häufig damit sogar die nicht verwandten Marderarten bezeichnet,
weil ihre Lebensweise zum Teil der der Eichhörnchen ähnlich ist. So
heißt im Sardischen schirru aus lat. sciurus (vom griech. oy.iovQog) jetzt
'Marder' ; das vom lat. vwerra, welchem häufig das slav. vever-ica 'Eich-
hörnchen' als Grundwort unterstellt wird (doch vgl. Brugmann VG. U 2. 1 .
pg. 128) und im Lateinischen 'Frettchen' (Mustela furo) bedeutet, abgeleitete
valsaonische hera^ monferratische vinvera^ gi'uy. vyardzä^ Schweiz. -rom.
verdjassa u.s.w. hat noch die Bedeutung 'Eichhörnchen', während viiivara
in Cuneo zur Bezeichnung des Wiesels (Mustela vulgaris) vorkommt, also
der Bedeutung des lat. Wortes noch ziemlich nahe ist (vgl. Nigra, Note
etimologiche e lessicali I. im Archivio glott. XIV. 270 f.). Das dem slav.
v^veiTb (slov. vHer 'Eichhörnchenmännchen', c. vever) entsprechende lit.
viawaras (vaiveris) ha. jetzt die Bedeutung 'Iltisraännchen (Mustela puto-
rius)'. Ferner: mit frzt helete 'Wiesel' und dessen kymrischem Grundwort
hele 'Marder' wird d. Buch 'Myoxus glis', ahd. hilih {B\a.y.pIbch^) und —
kaum mit Recht — russ. bMka 'Eichhörnchen' (Kluge ^ sub Buch), sowie lat.
felis, das außer 'Katze' auch 'Marder' und 'Wiesel' bedeutet, in Verbindung
gebracht (Johansson KZ. XXX. 351). Ich sagte soeben hinsichtlich des
russ. b^ka »kaum mit Recht«; vgl. hierüber die Ausführungen Uhlen-
becks in Sievers Beiträge 20, und beachte außer bUica auch bHb und
hUaja vSoerica (in der russ. Chronik) sowohl in der eigentlichen Bedeu-
tung 'Eichhörnchen', wie auch 'metallisches Silbergeld': in Nordeuropa
ist das Eichhörnchen jetzt weißgrau; die weiße Spielart ist schon sehr
selten, wahrscheinlich wegen des geschätzten Felles. Was die oben er-
wähnten Bedeutungswandlungen weiter betrifft, hat man auch zu beachten,
daß der dem Eichhörnchen nächstverwandte Bilch bei dou Römern
geradezu glis hieß und slav. plbch^ in Bulgarien überhaupt 'luitti''
a:J*
516 K. Strekelj,
ist. Dort hat diese Bedeutung auch der Name ftlr ein anderes, zoologisch
zu den Hörnchen (Sciuriua) gerechnetes Tier, den unterirdisch lebenden
Spermophilus, angenommen, so daß bulg. A^Ät7, 6^sur heute neben 'Eich-
hörnchen' auch 'Ratte' bedeutet, während das russ. süsoh, südikh, das
cech. sysel^ syslik noch die Bedeutung 'Spermophilus citillus, Ziesel, Erd-
ziesel' (von s^sati^ s%skati., .sysafi, susufi 'zischen'] beibehalten hat (d.
Ziesel ist aus dem Slav. entlehnt, cf. Schrader in den IF. XVII. 29).
Nach all diesen Bedeutungswandlungen kann uns die Anwendung des
Wortes axiüVQogy das im Slavischen eben zu sdun, Hur^ werden mußte,
für das Tier Mus rattus nicht überraschen, und so hat denn auch russ.
jäs^ur^ 'Mus avellanarius' als ein Tier, das weder ein eigentliches Eich-
hörnchen noch eine eigentliche Ratte ist, eine ganz passende Benennung
erhalten, wenn man es als das dem Eichhörnchen ähnliche bezeichnet hat.
karära.
Das kroat. karara f. ist 'puteljak u selu, sto vodi cijoj kuci' (Kusar,
Rapski dijalekat im Rad 118, 27). — Das Wort ist ital. carraja, car-
riera (vgl. Canello, Archivio glott. III. SOG), rum. carare aus lat. *car~
raria (via) von carrus 'Wagenweg, fahrbarer Weg, Straße, Bahn' (Kör-
ting, Lat. rom. Wtb.2 217, Nr. 1967).
kavtre.
Nach Pletersnik bedeutet kavtre f. pl. inUnterkrain und im Poljana-
tal dasselbe, was vrnila, demnach 'hölzerne Hoftüre, lesa, ki zapira
vi'zel; eine von selbst zugehende Feldtüre'. — Das Wort ist wohl nichts
anderes als das d. Gatter 'Gitter' und 'Zauntor': «dim. Gätterlein
[Gddd^l) und das Gaffer {GädcJ^) sind darin verschieden, daß jenes ein
mehr kunstloses, aus groben Holzstäbeu, ja selbst Stangen bestehendes
Gatter, welches mitunter als Falltor, Hoftor, Zauntor dienen kann, das
Gatter aber wie Gitter, ein Gatter künstlicherer und feinerer Art bezeich-
net« (Schmeller-Frommann 1.95 7); kärutd. gätter, im Mölltale fem. dim.
gätterle 'ein Zauntor über Fahrwege, oft so eingerichtet, daß es aufge-
macht von selbst zufällt' (Lexer 110). Für meine Zusammenstellung
spricht auch der Umstand, daß im Slovenischen das bair. Saggattern
[Säggddo'n) 'in der Sägemühle das Viereck von Balken, in welchem der
Sägeblock auf- und niedergeht' (Schmeller 1. c.) gleichfalls mit einem
Ausdruck bezeichnet wird, der wie im Deutschen auch zur Bezeichnung
des Zauntores verwendet wird. Pletersnik bietet nämlich aus Pohlin einen
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 517
Ausdruck verile 'hlodi, v katerih se zagi pri zaganju jarem gori in doli
pomice'. Ich glaube, daß hier — verile wäre eine unerhörte Bildung —
ein Druckfehler Pohlins statt *vernile vorliegt und daß dieses zu vrnile
(wie es im Poljanatal und in Dürrenkrain gesprochen wird) gehört. Das
slov. vrnila f. steht für vrlina (über dieses siehe Miklosich, Et. Wtb.
384a: verl-2) 'Zaunöffnung, aus Brettern gemacht, Gartentor'; das sg.
vmilo n. ist erst aus dem pl. vruile unrichtig erschlossen, weil das neutr.
pl. heute gleichfalls auf e ausgeht. Diese parallele Bedeutung bei d. Gat-
ter und slov. vrnile gibt uns einen Fingerzeig, daß auch in kavtre
'Zauntor, Feldtür' das d. Gatter gesucht werden müsse. Einige Schwierig-
keit liegt in den Lauten, doch ist sie nicht unüberwindlich. Dem Slo-
venen erscheint der Unterschied zwischen d. g und k viel geringer als
dem Deutschen, daher finden wir auch sonst k für deutsches g : krompir
aus Grundbirn^ kaiömer aus steird. Galzier 'Galzenschneider, Sau-
schneider'; ja selbst in einheimischen Wörtern gibt es Doubletten wie slov.
kusder neben asl. gusterh^ krmizljav neben gr^mezd'b u.s.w. Das v in
kavtre ist erklärbar, wenn bedacht wird, daß in sloven. Dialekten (z.B. am
Karst) für A.gatter neben gatre auch <7«r^re gesprochen wird; schon bei
Dalmatin, Exodus 27, 38 findet man garter^ gen. gartra für 'Gitter' der
Übersetzung Luthers. Aus letzterem ist durch Dissimilation des ersten r
in /, das vor dem Konsonanten hart war und daher zu ii [w = v) ward,
unsere Form kavtre entstanden. Warum das r in gartre auftrat, ist
allerdings schwieriger zu sagen; ich sehe darin eine Vorwegnahme des
auslautenden r-Lautes, der, um das Wort nicht unkenntlich zu machen,
gleichwohl auch an der ihm zukommenden Stelle abermals gesprochen ward.
Das cech. katr 'miize', katry 'mrözky, vysivane dirkovand cipy u
zastery zvl. nebo u sätku' leitet Kott von d. Gitter ab ; in Wahrheit ist
es das d. Gatter] davon katrovati 'miizkovati, pisek prohazovackou
cistiti'.
klojec.
Das slov. klojec^ g. klojca bedeutet 'gedörrte Obstspalte, die Klötze' ;
daß es mit dem letzteren d. W^orte zusammenhängt, hat bereits Pletersnik
erkannt, der auf /f/oca 'Klötze' hinweist. Woher aber dasy"? Richtiger
ist für klojec vom bair.-d. klotzen m. 'gedörrte Birne, gedörrtes Obst' aus-
zugehen, mhd. klozhire 'gedörrte Birne'. Das/ ist im Sloven. » parasi-
tisch (f, wie wir es namentlich nach der Betonung ", '^ häufig finden, vgl.
y
meine Bemerkungen im Caaopis za zgod. in nar. L 32 — 3 1. Es lautete
also im Slovenischen zunächst ^kloc^ darauf kh]jc\ das bewegliche e
518 K. Strekelj,
erhielt es erst nach Analogie anderer Substantiva, die es als den Vertreter
des alten t haben. Das erwähnte « parasitische «y muß im Sloven. stets
beachtet werden, weil man sonst falsche Schlüsse über die Wirkung der
Lautgesetze ziehen könnte; so wäre man z. B. geneigt, aus drujcja =
drugiga, wie es am Fuße des Bacherngeb., um St. Georgen a. d. Südbahn
U.8.W. in Steiermark gesprochen wird, zu folgern, auch daselbst gelte das
für Oborkrain und Kärnten bestehende Gesetz von der (zweiten) Palatali-
sation des k in d, g mj vor e, was durchaus falsch wäre: das steirisclie
druj'ga beruht auf drüga (aus drugega haplologisch verkürzt), in wel-
chem/»parasitisch« ist.
klonek, könk.
Slov. klondk^ -nka m. wird erklärt mit 'neka priprava v ptirjo lov'
(um Idria); Gutsmann hat 259 sub Schlinge: 'klupa, klank, progla,
mreza'; die Rosentaler sprechen kwank, wie aus Drabozniks Weiberlitanei
ersichtlich ist. Schon diese Form des Wortes weist uns auf d. klmik^
gen. klankes m. 'Schlinge', steird. klank 'Schlinge, Masche, in der Jäger-
sprache auch Vogelnetz, am Ende mit einer Masche versehener Sti'ick'
(Unger-Khull 390b); bair, Klank, Klänkal, Klängdl 'die Schleife, in
welche ein Band, ein Strick u. dgl. geschlungen wird, Schlinge' (Schmeller-
Frommannl. 1335); kärntd./i;/äwX-,^-/a«^ 'Schleife, Schlinge' (Lexer 154),
Klang 'die Schlinge, welche den Vögeln gelegt wird, sie zu fangen' (Über-
felder 153). Das Wort ist auch ins Cech. eingedrungen, wo wir kloheh,
gen. kloiiku als 'kousky testa, z nichz se housky delaji' finden, außerdem
aber parallel zu d. klenken 'flechten, verflechten' auch klonkovaU, klun-
kovati 'housky pldsti, Semmeln flechten', woraus man für klohek auch
auf die Bedeutung 'Geflecht, Schlinge' schließen darf. Das Obersorb.
besitzt für 'Schlinge, Dohne' unter mehi'eren anderen Wörtern auch
zyndel, -e f. von zynk, 'Klang, Ton', zynüec 'klingen'; dieses zyndel ist
ofi"enbar eine falsche Übersetzung des d. klank 'Schlinge', das mit klang
'Ton' verwechselt ward. Das slov. und cech. Wort ist von klonja 'Vogel-
falle' (von der Wz. *klop-) zu scheiden.
Desgleichen ist von klonek zu ti'ennen das os. klönk 'Wetzkitze,
Kitze; Schröpfkopf', da es Pfuhl pg. 1075, 1077 als nicht existierend
streicht und an dessen Stelle kÖ7ik einsetzt, womit er ns. kön 'Köcher,
Wetzkitze, Schlotterfaß der Mäher' (bei Zwahi- kon und konk) und cech.
konev vergleicht, wie dies auch bei Mucke, Laut- u. Formenlehre 268
{^konov^k^) geschieht. Aber kaum mit Recht; ich vermute vielmehr in den
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 519
sorbischen Wörtern diminuiertes mhd. komp^ kump^ kompe^ nd. Komme^
Kumme i. 'tiefes schüsselartiges Gefäß, Napf (bei Frischbier, PreuJß.Wtb.
445), bair. Kumm m. 'Trog', Kumpf 'hölzernes Gefäß, das der Mäher
anhängt, den Wetzstein damit zu netzen und zu verwahren (Schmeller-
Frommann I. 1252), Aus *kömpk^ *k6mk entstand (wie Hadank abes
Hadamk) könk und daraus kön. An Entlehnung des os. könk aus dem
bei Schmeller-Frommann I. 1256 aus einer einzigen Quelle erwähnten
kon »ein Geschirr: obba, ein kohn^ ketschen« zu denken, kann ich mich
bei der sonstigen Dunkelheit dieses Wortes nicht entschließen. Wie sich
kumpf aus cijmbus zvftßog vielfach mit kufe aus cüppa, cüpa ver-
mischt (z. B. mhd. kumpf ^dle einzelnen Zwischenräume eines oberschläch-
tigen Mühlrades', rum. cüpä 'Schaufel des Mühlrades' u.s.w.), so möchte
ich noch die zweite Bedeutung des sorb. Wortes 'Schröpfkopf' (von
kump-cymhus] dem kroat.-slov. kupica^ magy. köpöJy 'Schröpfkopf (von
cüpa^ cupola] zur Seite stellen,
c. kohka.
Ac. kohka 'Gemach' (kobka teges = parva domus), 'Verkaufsladen'
(pekar aby zädny nepekl lec sobe kobku zjednä); nc. kobka, kuhka 'sin,
pristresl (Vorlaube) ku pr. u kostela (= babinec), pred domem, pokojik
(kleines Gemach), hornicky domek 'Berghütte' ist aus dem Deutschen
entlehnt, wo wir mhd. kohe m., md. kove 'Stall, Schweinestall, Käfig,
Höhlung' finden, dessen Weiterbildung mit -el der Bedeutung nach dem
cech. Wort näher kommt, indem kohel 'enges schlechtes Haus, Kasten
zu einem Kobelwagen (Kutsche, Kammerwagen)', kobeler, köbler 'Häus-
ler' bedeutet; steird. kobel 'schlechte Hütte, bes. Hütte für Haustiere
(Hunde, Geflügel u. dgl.), = Kobehvagen'. Das d. Wort liegt auch dem
slov. kobada zugrunde (cf. Archiv XIV. 527, Zur slav. Lehnwörterkunde
19), Über das d. Wort vgl. Kluge** sub Koben.
kolajna.
Das slov. und serbokr. kolajna, kölxijna 'Halskette, Denkmünze,
Medaillon, monile, catella' haben als romanisch bereits Miklosich und
Budmani konstatiert, nur stimmt mit ital. collana der Ausgang nicht
vollständig. Hier haben wir es mit keinem » parasitischen «y zu tun, son-
dern der Ausgang -aina findet sich bereits auf roman. Boden: friaul. «70-
läinc neben goläne, colänc 'catenella che si porta al coUo per oruamonto'
(Pirona). Daß das friaul. W^ort aus dem Slavischen wäre, wie Pirona
520 K. Strekelj,
vermutet, ist unglaublich; es ist wohl das ganze eine einheimische roma-
nische Bildung aus *collänea^ ^voraus zunächst rollaina (= friaul. go-
läine), dann collana ward (vgl. «ait. capitanio^ das über capitaino zu
capiiano werden mußte«, Meyer-Lücke, RG. II. § 449). Im Serbokroati-
schen ist, wie das Versmaß zeigt, kölaßna viersilbig zu lesen, was zur
romanischen Bildung noch besser paßt, indem wir in capitanio (wie in
stranio) es mit dem Vokal i, nicht mit dem Konsonanten { zu tun haben.
korpeJj'n.
Im Slov. wird 'das Ilolzkohlenmagazin in der Kohlenbrennerei' kor-
peljn m. genannt (Dom in svet 19U5, 40). Das Wort hat offenbar ein
fremdes Aussehen: es ist das d. Koldharm 'Scheune, worin bei Hütten-
werken die Kohlen (das Kol) aufbewahrt werden' (Schmeller-Frommann
I. 278), 'das zweckmäßig eingerichtete Magazin zur Ansammlung und
Aufbewahrung der Kohle' (Scheuchenstuel , Idiotikon der Berg- und
Hüttensprache 142). Im Slovenischen trat Metathese von / und r ein;
statt härm wird nämlich auch im Deutschen schon hurn gesprochen
(woraus slov. parna neben parma). An mhd. körbelin^ kurhelin ist der
Bedeutung wegen ('Reuse') nicht zu denken.
krimpet.
Die Kajkavci nennen 'das Tischgestell' krUpet [kreispet] m. : » tri-
f'zpet vulgo krifzpet trapezophorus « bei Belostenec H. 547, geschrieben
mity^; wie trifzto = tristo^ H. 1 85 aber krifpet. Das Wort ist das altital.
trespede^ trispede 'Dreifuß', im alten, von Mussafia benutzten Vocabular
mit 'drispicz' tibersetzt; dieser Forscher vergleicht weiter: y>trespi 'Schrä-
gen', ven. trespio Avohl statt trespido^ bresc. trespec 'Dreifuß', ebenso sen.
trespide\ ital. trespolo 'Schrägen, dreieckiges Tischgestell' [d zu / durch
Einfluß der beliebten Endung -ö/o), sie. tre&pitu id., comsk. tresped
'sorta di telajo che porta il colatojo di latte', wohl ebenfalls in der Form
eines Dreifußes« (Mussafia, Beitrag, Denkschr. WAW. XXII. 216). Das
slavische krispet^ krispet mit seinem k zeigt uns, daß es aus einer dial.
Form wie bresc. trespec entlehnt ist, in welcher der anlautende und der
auslautende Konsonant umstellt wurden.
kr7iata.
' Das Istrocak. kennt für 'Wurst' den Ausdruck krnäta^ krnätina
(Nemanic 11.39,53). Das Wort scheint von den Rumänen Istriens ent-
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 521
lehnt zu sein. Das Rum. (Meld.) kennt drnat 'Wurst', welches Pn^cariu
aus *carnaceum ableiten will. Das Dakorum. kennt cirnät, das me-
glenit. cärndt; nach Puscariu (Et.Wtb. Nr. 374) sind dies falsche Singular-
bildungen; hält man indes das ital.-sassaresische cariiatu 'salsiccia o
altro di simile' dazu, von dem zwar Guarnerio, Gli statuti della rep. sas-
sarese, Archivio glott. XIII. 1 17 sagt: »carnatu . . . e carnigu non hanno
fisionomia indigena«, so ist es zumindest nicht unmöglich, vom lat. Ad-
jektiv f. g. *carnata (span. carnada 'Stück Fleisch') auszugehen, wobei
das Substantiv salsiccia oder lucanica als überflüssig unterdrückt wurde
'die 'Fleischwurst' im Gegensatz zur 'Blutwurst'); vom ital. Lehnwort
>nirde man die Form krnäda erwarten.
lavor^ lovor, lorhega^ vavrin.
Das slov., serbokr. lavor^ lovor 'Lorbeer' ist aus lat. laurus^ it. lauro
unmittelbar nicht erklärbar, da man daraus '^lavr%^ lovn^ d.h. im Sloven.
und Serbokroat., nach Analogie von vHn ^ vHdr^ vj'etar, ein *lav9r^
^looar^ *lovar erAvartete, cf. russ. lam•^. Der Ausgang -or ist dabei unbe-
greiflich. Man muß deswegen für das slov. und serbokr. Wort von einer
anderen Grundform ausgehen. Eine solche ist das ital. dial. lavor (mai-
länd.), das sich in den dem slavischen Gebiet nächsten ital. Dialekten in
der Form lävarno (istroit. bei Ive 34, triest. bei Kosovitz^ 226 b) findet,
wofür das Venezianische bereits lavrano besitzt. Das ^rodX. Javor^ Ja-
vorika 'laurus nobilis' (in Nerezine auf Losin, Let. Mat. slov. 1S82/83,
290) scheint keine volksetym. Verwechslung mit Javor 'Ahorn' zu sein,
sondern hat sich vermutlich regelrecht aus *l'avor entwickelt; hingegen
beruht os. lawrjenc für 'Lorber' sicher auf der Einmischung von Lau-
renz in das Wort *iawrin^ welches wir auch für das Cechische vavrin
annehmen müssen, entlehnt aus lat. laurlnus, indem für i das u eintrat
(obaloväni, Gebauer I. § 283).
Die Slovenen nennen den Lorber auch lorbe/c und lorhcga : 'Fige,
rozice za mlade deklice, starim babam pa lorbege' (oberhalb Marburg);
die gewöhnlichste Form ist allerdings lorber aus d. Lorbeer^ resp. das
daraus entstandene lojbcr\ im Istrorak. findet sich luinbcr ^h^QQH laurea'
(Nemanic 1.29), woxmijarbol neben y«wÄo/- 'malus', finnhan für iurban
zu vergleichen ist. Die Formen lörbega^ lorbek sind jedoch nicht auf d.
lorbeer zurückzuführen, was nur durch Annahme einer Suftixvortauschung
[^k^) möglich wäre, die ja bisweilen eingetreten ist. Ich glaube vielmehr an
Entlehnung aus dem Italienischen, wo allerdings das anlautende /, das
522 K. Strekelj,
al3 Artikel aufgefaßt ward, vielfach verloren ging: \t.orbacca, tir. bresc.
orbaffa, berg. rübuya aus lauri bacca 'Lorbeere'. Ein e für a zeigen
aital. orbega 'lorper', veron. orbeche^ friaul. rubeghe neben rubäghe
'bacca d'alloro'), bad. (nach MitteiTutzner) robegula (Mussafia, Beitrag,
Denkschriften WAW. XXII. 184, Salvioni, Postille 12).
lit.
Das kajkavische lit f., g. litt 'der Saft vom Obst, Most' (Valjavec),
litnica 'kos ali reseto, skozi katero se mok preceja' ist meines Erachtens
entlehnt. Man könnte zwar, wie aus der Basis *'meja- (Hirt, Ablaut
Nr. 369) mih entstand, so auch von lit sagen, es sei die Reduktions- und
Schwundstufe einer Basis *leja- 'gießen' (Hirt 372); namentlich würde
die 2-Deklination des Wortes dafür sprechen. Indes gibt es Wörter, die
erst verhältnismäßig spät in die ^-Deklination übergegangen sind (cf.
stran), so daß dieser Grund keineswegs schwer ins Gewicht fällt. Die
Zusammensetzungen slov. litkeb = likeb^ litu& = litovz, likof = lükif
geben uns jedoch einen deutlichen Fingerzeig, daß wir ein Fremdwort
vor uns haben : mhd. lU 'Obst-, Gewürzweiu', ahd. lul^ got. leijm 'Obst-
wein', wovon die, obigen slov. Wörtern zugrunde liegenden Kom-
posita : mhd. litgehe^ bair. Leitgeb 'Schenkwirt', mhd. lUJms, bai]-. Leit-
haus 'Schenke', mhd. Utkouf, bair. LeiJikcmf 'Gelöbnistrunk beim Ab-
schlüsse eines Handels' gebildet sind. Das letzte ist, indem / als Artikel
aufgefaßt ward, auch ins Italienische tibergegangen: istr. inküfo 'me-
renda data ai lavoranti ad opera compita' neben linköfo (Ive 64).
majzar.
Das slov. majzar^ -rja m. bedeutet in den Windischen Bücheln das-
selbe wie azar 'Tasche'. Das letztere ist bekanntlich bair Aser^ schwäb.
Aüser 'Sack zum Umhängen', mhd. eser neben neser 'Speisesack zum
Umhängen, Tasche'. Wie im Deutschen neser das n der Ausgang des
Akkusativs des männl. Artikels (den) ist, indem die Silben von den eser
in de-ne-ser geteilt wui'den, so faßte man das d. im aser als i{m)-maser
mit Silbenschluß in der Mitte des Spiranten m auf. Das/ von majzar
hat sich unter der Betonung " regelrecht entwickelt.
mäseka.
• Das slov. mäseka f. 'neka sekira, s katero slanino (speh) sekajo' ist
nur volksetymologisch an sdkati 'hauen, schneiden' angelehnt und stammt
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 523
aus dem d. Mafihacke f. 'große, schwere Hacke, um Baumstämme zu
klaftern ; ihr Stiel hat eine bestimmte Länge, die selbst zugleich als Maß
für die Größe der herzustellenden Holzscheite dient' (Unger-Khull, Steir.
Sprachschatz 453).
mosuna.
Das istrocak. mosuna f. 'stabulum cum tecto in medio aperto' (Ne-
manic IL 40) ist romanisch. Am besten paßt dazu das leccesische ma-
sunu 'covile, Höhle, Lager', welches von Salvioni, Post. 13 (siehe Kör-
ting ^ 5898) mit frz. maison etc. zu lat. jnZmsid^ mänsiönem von mauere)
gestellt wii'd: 'Der Kaum, in dem man bleibt, wohnt, das Haus, die
Bleibe' ; mastmu hat darnach als der Ort, wo man bleibt, ausruht, über-
nachtet, die Bedeutung 'covile' angenommen. Das sardische masone be-
deutet 'die Herde'; für die Möglichkeit dieses Bedeutungsüberganges
lassen sich aus dem Slavischen etliche Ableitungen von der Wurzel sfa an-
führen : slov. stau 'Viehstandort, Hürde, Stall' und 'Herde' (bei Megiser,
Kastelec, Zalokar, bei letzterem ist stan^=^ 40 Schafe); ]sh.staja 'Herde'
und 'Stall', gr. staja 'Zug Vögel' (d. i. = Herde) und 'Stall'. Daß der
Ort des Stehenbleibens, des Bleibens, die »Bleibe« für den Stall selbst
angewendet wird, das zeigen slav. Bildungen wie: ksl. stoilo 'Stall', klr.
stijlo 'Stall', staja 'Stall', p. stajnia 'Stall'. Das s in mosuna ist regel-
rechter Vertreter des ital. *■ aus si\ n vor s schwand schon sehr früh
(Meyer-Täibke, Rom. Gr. I. § 403 c). Fraglich bleibt es indes, ob die
Cakavci das Wort aus dem Italien, und nicht vielmehr aus dem Rumäni-
schen entlehnt haben; die Rumänen waren ja ehemals in Istinen ver-
breiteter als jetzt und auch bei ihnen findet man, zwar kein *musu/Hi,
aber wohl ein mas m. 'die Schlafstelle', das im Arum. geradezu 'Schlaf-
stelle der Schafe' bedeutet {= slov. stan) ; ?}ias geht auf monstun (von
mauere) zurück (it. 7naso^ friaul. prov. kat. mas^ afrz, mes^ cf. Pu.?cariu,
EtWtb. der rum. Spr. I. Nr. 1039).
muSon.
Das 'slov. muSgn m. 'die Bremse' ist bei Pletersnik mit C. = Caf
bezeichnet; dieser hat es wohl von seinem Resianer, der ihm so vieles
über seinen Heimatdialokt mitgeteilt hat. Baudouin de Courtenay bietet
in seinen Materialien I. 281 aus Resia musün: »po mocili.h, pro vodäh
so te voelyke musüuove; ni so oerui., duhiiw, was er so übersetzt : )ian den
Quellen (Morästen?) sind große Fliegen; sie sind schwarz, laiig;i außer-
dem erklärt er das Wort nach seinem Gewährsmann mit ital. moscoiie
524 K. Strekelj,
(d. i. Schmeißfliege) und hat es wohl deswegen mit 'große Fliege' über-
setzt. — An slav. nm/ia ist nicht zu denken, da wir dann ^muhon hätten.
Das Wort ist das ven. musson 'zanzara, insetto volatile che punge'
(Boerio 41^5), also 'Stechmücke'. Trotz der teilweise ungleichen Bedeu-
tung hat man an der Idendität der beiden Wörter festzuhalten: 'Bremse'
und 'Stechmücke' haben ja doch viel gemeinsames, und es ist außerdem
fraglich, ob das mit dem augmentativen on. gebildete musaon schon von
Haus aus die kleine Stechmücke bezeichnet habe. Zu beachten ist auch,
daß schon das rätorom. nicht augmentierte mosQha, mob^he (eig. 'Fliege')
gleichfalls schon 'Bremse' bedeutet (wie Gröber, Archiv f. lat. Lex. IV. 1 24
mitteilt); das veuez. ss ist gleich einem i, wie wir ja für lat. mu^ca in der
Tat in einigen raetorom. Dialekten (doch nicht iru Friaulischen) neben
mösty^a^ mosty^e auch mösa, möse finden (cf. Gärtner, Raetor. Gramm,
p. ISl ; vgl. Ascolis Ausführungen im Archivio glott. XIIT. '2SG 2^ Meyer-
Lübke, Rom. Gr. I. § 469).
oklor.
Das slov. oMoi' n. 'Art Mantel, der um den Hals geti'agen wird'
(Innerkrain), oJcolor^ holor 'Art Mantel' (Oststeiermark) vergleicht Ple-
tersnik s. v. mit Rücksicht auf holor mit lat. coUare. Das Wort ist aus
dem d. Bocklor^ Rockelor^ dieses aus frz. roquflaure 'Art Überzieher,
Regenrock' entlehnt ; in der slov. Schriftsprache hat es mit Beibehaltung
des anlautenden r schon J. Zupan (Krajnska Cbelica HI. 4 1 : Na torbi
roklor) gebraucht. Im Munde des Volkes erfuhr es, weil mit r anlautend
und auslautend, Dissimilation, resp. volksetymologische Angleichung, in-
dem das anlautende r vernachlässigt, das verbleibende *okelor^ *üklor
aber an okolo 'um-herum', und später an kolo 'Rad' angeknüpft ward,
wohl durch Einspieluug des Begriffes 'Radmantel'.
pinja.
Das slov. pinja 'Rührfaß, Butterfaß' vergleicht Pletersnik mit ital.
pignetta. Näher liegt friaul.^)r/we 'zangola (Rührfaß, Rührkübel), speccie
dl secehia molto profonda in cui si dibatte il fior di latte per fare il burro'
(Pirona s. v., der auch ein span. pina anführt); friaul. pignbtt ist 'batude'
latte, da cui si e tratto il burro'. Im Ladinischen finden wir pegna und
pegna: torne la pegna 'Rührkübel' (Alton, die lad. Idiome 285). Das
obwald. penaglia^ engad. panaglia^ lomb. panagia führt Salvioni, Rom.
XXVni. 1 0 1 a.uf pa?i?ia, pan?iäcula 'Butterfaß' zurück, womit die ersteren
Wörter pig?ia, pegna kaum zusammenhängen dürften; beachte sard.
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 525
pinqu 'Schmalz, Fett', valtell., valbreg. ■pe7ik 'Butter', von laX. pinguis.
Levstiks Bemühungen (Ljublj. Zvon I. 30 f.), da3 slov. Wort miiVd. penas
'Milch' zu verknüpfen, halte ich für mißglückt. Aus slov. pinja scheint
das steir.-d. Pimi" in Milch pinne 'Milchkanne' (Unger-Khull 462) zu
stammen. Die Milchkanne (Milchkübel) ist dem Rührkübel sehr ähnlich.
prnat.
Das istrocak. prnät m. 'strues mergitum' habe ich (Zur slav. Lehn-
wörterk. 49) mit istroital. parnaio zusammengestellt. Das Wort kennen
auch die Rumänen Istriens , die es wohl wie -die Cakavci aus dem Ita-
lienischen haben: covone (Garbe): perxät köp^« (Gärtner bei Miklosich,
Rumun. Untersuchungen I. 62, Denkschr. WAW. XXII). Das ital. Wort
gehört indes kaum zu lat. perna^ wie Ive 1 6 1 vermutet : wie könnte da
die Bedeutung vermittelt werden? Es ist wohl selbst ein Lehnwort; vgl.
ahd. paron 'coacervare', mhd. harnen 'einen Barn machen' und nhd.
ha7'n: yihaerm hoys meta foeni«, das Schmeller-Frommann I. 278 ver-
zeichnet. Die 'meta foeni = Heuhaufen' entspricht genau dem istrorum.
Synonym kopq für pernät^ aus slav. köpa 'Heuhaufen' und auch 'Garben-
haufen' (im Küstenland).
rabelj.
Das slov. raheJj\ raheljn^ rahlin 'der Scharfrichter' ist bis jetzt un-
erklärt. Miklosich, Fdw. 121 dachte an das d. rahen^ raffen und Itahen-
stein\ aber das « ^dieser Wörter wäre im Slov. kaum a geblieben, sondern
zu 0 geworden, zumal wir es mit einer älteren Entlehnung zu tun haben.
Außerdem hat keines dieser d. Wörter eine ganz entsprechende Bedeu-
tung. — Die richtige Stammform scheint mii* in einer Glosse zu stecken,
die Schmeller-Frommann II. 65 unter liaiff' '■RqW verzeichnet: weipliari
tortor«. 'Tortor' ist 'Peiniger, Folterknecht', also ein Synonym zu 'car-
nifex, Scharfrichter und Schinder' ; reiphari geht zurück auf reif 'funus,
funiculus, lorum, rudens', anord. reip^ ags. rap, engl, rope 'Seil, Tau',
demnach ist reifäri der Mann des Seils , Strickes , des Halsbandes , wo-
mit er einen Verurteilten aufknüpft; ähnlich haben wir im ital. manigol-
do 'der Henker' aus ahd. manogold^ manogolt 'der Halsbandwart' islov.
daraus magoli). Die Bedeutung würde demnach stimmen, nicht so glatt
läßt sich indes die Form erklären. Man könnte vermuten , daß das an-
lautende und auslautende r eine Dissimilation erfahren mußte (beachte
die übliche Erklärung des slav. Suffixes -/e/6), so daß das auslautende r
zu / ward: reifar — *rcifer^ ^räfer, *rufel worauf rabclj und nach
526 K. Strekelj,
anderen deutschen Lehnwörtern auf lin : rahJJin , raheljn ward. Indes
ist auch möglich, daß schon das Deutsche ein Deminutiv *reifarUn
kannte, aus welchem das zweite r durch Dissimilation schwand: *reife-
lin: rähljin.
ref^ reta.
Das ccch. ret -u m. , reta -y f., slovak. rata bedeutet 'pomoc,
piispcni na pomoc, Rettung, Hilfe': Na ret, na retu volati (Kom.), pii-
behnuti (Rgs.); reta! reta! 'pokrik v turnaji' Smil; kricel o retu fKott. III.
59, V. 573). — Es ist das d. Retf-io Hilfe! Rettung! «Rettio schreyen;
0 retio, o mordio ! schrie die Schwester des Horatius unter dem Schwerte
desselben (H. Sachs)« bei Schmeller-Frommann II. 175.
saJJia.
Das slovak. sajha f. 'klamfa, flandra, eine Schlampe' (Kott. III.
251 aus Bernolak) ist Lehnwort aus magy. szajha 'die Hure, die Buhl-
dirne, die Metze'. Ob aber das Wort echt magy, ist, zweifle ich: es kann
ins Magy. aus dem D. entlehnt sein: steir.-d. Seiche f. 'vagina mulierum'
von seichen 'harnen'. Ausdrücke für feminal werden häufig verwendet,
um damit verächtlich ein Weib zu bezeichnen; cf. hair. ftwimel 'feminal'
und 'femina', Zuscl 'weibl. Genitalien' und 'Schimpfbenennung einer
Weibsperson' bei Schmeller-Frommann I. 719, II. 1157, wo sich noch
mehr dergleichen Beispiele finden dürften, da das Wörterbuch dank seiner
für die Jahre seiner Erscheinung unschätzbaren, auch auf sonst in Wör-
büchern, namentlich russischen, minder beachtete Dinge gerichteten groß-
artigen Vollständigkeit ungemein reich daran ist. Vgl. auch slov. cuca
'feminal', magy. cuca 'Geliebte, alb. tsutse 'junges Mädchen' (Miklosich,
Et.Wtb. 30) und kroat. puca 'kleines Mädchen', slovak. puca 'cunnus',
mm. pufa 'Glied und Scham kleiner Kinder' (Puscariu, Et.Wtb. d. rum.
Spr. I. 1416; anders, aber kaum richtig Miklosich, Et.Wtb. 266).
supa.
Das slov, supa f. bedeutet im Görzschen 'die Brotschnitte in der
Suppe; Brotschnitten aufgeweicht, mit Käse überstreut und mit Butter
angemacht' (am Karst auch hrovatica genannt). — Das Wort ist nicht
aus d. Suppe^ welches zupa 'Suppe' ergab, sondern aus ital. zuppa : vgl.
frz. soupe 'Brotschnitte', span. sopa 'mit Fleischbrühe übergossene Brot-
rinde, Suppe mit Brot'; im Triestiner Dialekt sopa: se non xe sopa
(= suppa, zuppa) xe pan smoiä = essere una zuppa e un pane molle
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 527
(Ko3ovitz2 3. V.); friaul. söpe 'zuppa, suppa, intriso di pane nel brodo
0 nel vino, minestra fatta con pane messo nel brodo'; dem ital. zuppo
'durchweicht, durchtränkt' entspricht das slov. nasupiti 'das Brot durch-
weichen'.
Zu slov. safti 'kaum, schwerlich'.
Pletersnik vermutet richtig Entlehnung des Wortes aus [dem Deut-
schen; auch J. Baudouin de Courtenay druckt es in^den Materialy I zum
Zeichen, daß es ein deutsches Lehnwort ist, in Frakturschrift ab; erklärt
ist aber die Form bis jetzt noch nirgends. Lautlich darf man es von iaft f.
'letztwillige Verfügung' (Dalmatin) aus mhd. geschaht 'das Vermächtnis,
Testament, Mandat' nicht trennen. Schwierigkeiten bietet der Anlaut,
der Auslaut und die Bedeutung. Was den ersten betrifft, so mußte d.
geschaft 'Geschäft' im Sloven. wie im Cechischen zunächst ksaft ergeben
(cf. acech. Ho/i? 'Testament'). Das Sloven. meidet aber die Lautgruppe
Jcs teils durch Eliminierung des k teils durch Metathese von deren Kom-
ponenten (vgl. span 'Genosse' aus d. gespmi 'Milchbruder' [wovon span
'Haushälter' zu trennen ist, da dieses aus magy. iapän 'Kastner, Schaff-
ner' entlehnt ist, das einerseits auf slav. zupam zurückgeht, Miklosich,
Magyarisch, Nr. 955], ferners pusa : puska aus puksa^ Ales aus Aleks,
^ker aus kser^ Mir 'Geschirr', puspan aus pukipam 'Buxbaum', cf. Zur
slav.Lehnwürterk. 61). Auf diese Weise schwand das k auch in unserem
Worte, das meist wohl mit einer Präposition verbunden gebraucht ward,
etwa *is Mafti., wodurch ks in den Inlaut zu stehen kam. Im auslautenden
i sehe ich ein Casussuffix der z-Deklination, und zwar das des gen. sg.,
indem ich vermute, daß man nach Analogie von iz fezka (s tezka) 'schwer,
mit Mühe' (os. zcezka 'kaum, schwerlich') zunächst *iz Mafti bildete,
woraus nach Abschleifung des i und Eliminierung des k zunächst
*siafti^ daraus *Mafti und zuletzt safti ward, das in einigen Gegenden
zu Sahti (Karst, Resia), in anderen durch Schwund des auslautenden /
zunächst *iaft und daraus mit Einführung des beweglichen Vokals in
die auslautende Doppelkonsonanz zu safat ward (im Dialekt der Sloveneu
von S. Pietro im Venezianischen: Perbako, tua-le san zej jist mislu, pa
bo safat kjek [etwas], Slovenija 1 8 19 pg. 1 00). Was endlich die Bedeutung
betrifft, haben wir uns vor Augen zu halten, daß 'kaum = schwerlich' in
vielen Sprachen durch Ausdrücke, die 'Arbeit, Mühe, Beschwerde, Plage'
bedeuten, ausgedrückt wird [ci.^x.^iöyig zu i^töyog 'Mühe, Arbeit', i.i()?.ig
zu [.udXog 'Anstrengung, Mühe, Kampf, lat. vi.r wohl zu vis, ai. t'ici\i/i
veiati 'ist tätig, wirkt, richtet aus', Wi. vcka^ slov. ri^ki, 'Kraft', it. appcfia,
528 K. Strekelj,
frz. ä peine v. poena, woraus d. Pein 'Plage, Qual', kroat. tezke muhe
'kaum', mii6no je vjerovati 'ea ist kaum glaublich', r. si. trudorm^ 7iasilu)y
und daß ferner der Begriff 'Verrichtung, Arbeit' vielfach mit 'Mühe, Plage,
Qual, Zwang' abwechselt. Demnach ist auch das mhd. geachaft^ ge-
schefte^ das neben anderen Bedeutungen auch die von 'negotium, Ver-
richtung, Beschäftigung, Arbeit, Aufgabe' besitzt, leicht für die mit der
Arbeit verbundene Mühe und Qual, für die Mußarbeit verwendet worden.
Das Wort ist in ersterer Bedeutung noch im Resianischen erhalten , wo
es heißt: nicon moet sahtH z niköhör 'ich will mit niemandem zu tun fein
Geschäft, eine Arbeit, Plage) haben', mäsa mu sahtb za pysat 'ein recht
schweres Geschäft (eine recht große Mühe: mu gleich moc, slov. mo6^
am Karst muc^ vor s schwand c: masa moc saftij zu schreiben' (Baudouin
de C, Materialy I. 98, 555). Der Genitiv ist als der zumeist gebrauchte
Casus, wie beim Adverb Sahti, auch zu einem indeklinablen Wort ge-
geworden: kaj za no sahti ni majo 'was für ein Geschäft (Arbeit, Be-
schäftigung) haben sie'? (ibid. 281); am moel no sahti za rumunet z ni
muzom 'er hatte (ein Geschäft, eine Arbeit, einen Auftrag) zu sprechen
mit einem Mann'. Man beachte auch d. schaffen 'arbeiten, sich beschäf-
tigen, sich plagen'.
ikaram.
Für das serbokr. ^karam^ gen. Skarma^ 'Ruderholz, Ruderpflock,
Dolle, Hengst (an Kähnen)', bei Mikalja ^karam od broda 'schelmo, pala-
schermo, scalmus', gibt Miklosich im Et.Wtb. 340b 'Schirm' als Bedeu-
tung an; diese finde ich indes nirgends angeführt, und sie dürfte nur auf
einem Versehen Miklosichs beruhen, indem er darauf aus ital. schermo
schloß. Unser Wort ist aber ital. scarmo 'Ruderring, Rudernagel' neben
scalmo aus lat. scalmus (frz. echamne^ span. escalmo)^ wie dies bei
Miklosich Frdw. 125 richtig hervorgehoben ist, nur daß er da das Wort
unrichtig skaram schreibt. Durch Einfluß des nur im Wurzelvokal ver-
schiedenen ital. schermo 'Schutz, Schild' (aus ahd. skirm] ist der alte
Wurzelvokal a im ital. Worte zu e geworden, zunächst in der Form mit
r: schermo j dann aber auch in der mit l: schelmo.
spata^ spatny.
Das c. spata bedeutet 'Häßlichkeit, Abscheulicheit, ünförmlichkeit,
auch schlechter Mensch', spatiti 'häßlich oder schlecht machen, kpaio-
vati 'schimpfen, tadeln', spatrnj (das bei Miklosich, Et.Wtb. 342 er-
wähnte spatny ist Druckfehler) 'gering, schlecht, elend, erbärmlich, böse,
^i
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 529
niederträchtig; häßlich (bei den Slovaken)'. Im Osorb. haben wir spatny
'schlecht, gering, geringfügig', spatnic 'schlecht, geringfügig machen',
spatnik 'geringfügiger Mensch, Feigling'. Das Polnische kennt szpatny
'häßlich, garstig, widerlich', szpacic 'entstellen, verunstalten, besudeln,
beschmutzen, häßlich machen, beflecken, zur Schande gereichen, Schande
machen'. Aus dem Polnischen ist entlehnt lit. azpotnas, szpotnus 'gar-
stig, unreinlich' (Brückner, Fdw. 143). Neben ipat- existieren auch
i/?e^-Formen : cech. (in Mähren — Schlesien) spetiti 'schlecht machen,
verschlechtern', spetn^ ^ spetny 'garstig'; poln. szpcfny^ szpefnie^
szpetno^ szpecic mit der gleichen Bedeutung wie die entsprechenden
szpat-Fo\vQ.Qn ; szpeciqg 'straszydio'. Diese poln. Formen mit ihrem e
weisen auf fremden Ursprung des Wortes hin, da es keine Vokalabstufung
^-a gibt. Aus dem Polnischen haben sich derartige Formen zu den
Weißrussen [spetnyj\ specic 'lästern'), zu den Großrussen (wenn man
auf das bei Dalb mit Fragezeichen versehene otspetith 'obrugatb' bauen
darf) und zu den Letten [spetns^ neipetns (siehe Miklosich o. c.) ver-
breitet. Ich glaube, daß die Formen mit spet- aus den spat-FovmQn
hervorgegangen sind, indem sporadisch a zu e wird: cech. meskara aus
maskara^ teky aus taky^ hehno aus hahno (Gebauer, Hist. ml. I.
§ 106. 3), polp heia aus Ballen^ belka aus Balken^ reja aus Bähe . . .
Einwirkung oder Ableitung von d. spöttisch^ woran Korbut (Prace filolo-
giczne IV. 449) denkt, oder von d. Gespött^ spöttlich (fpedle) 'schlecht,
treulos' (Schmeller- Frommann IL 691) braucht nicht angenommen zu
werden, da wir davon noch viel schwieriger zu den .v/>«Y-Formen
kämen, abgesehen davon, daß dann einige konkretere Bedeutungen nicht
leicht erklärt werden können. Ich bringe die slav. Wörter mit d. Spaf^
Spatz in Verbindung, das früher masc. und fem. war, jetzt masc. und
neutral ist, und das einst kurzen Vokal hatte, der erst seit Adelung lang
erscheint; das Wort bedeutet eine Krankheit der Pferde 'die Kniesucht',
wird aber auch von ähnlichen Krankheiten anderer Tiere gebraucht
(Ochsen, Schweine u.s.w.). In Baiern hat nun das Wort auch die Be-
deutung 'ungesundes Aussehen', 'spätzig (fpazi)' ist in Nürnberg
'kränklich' (Schmeller-Frommann IL 689, 692). Kränklichkeit ruft
schlechtes, häßliches Aussehen hervor, daher denn spata 'Häßlichkeit,
szpatny 'häßlich, garstig, unreinlich', azpadc 'häßlich machen, besudeln'.
Aus den konkreten entwickelten sich sehr leicht die abstrakten Bezeich-
nungen für moralische Defekte: 'schlecht, elend, gering, böse, schänden,,
lästern'.
Archiv für slavische Pbilologio. XXVIII. 34
530 K. Strekelj,
Urop^ Hropa^ sztrofa.
Serbokr. Strop m., Atropa f. 'das Seil, mit welchem das Ruder an
den Nagel gebunden wird' (»vezano je veslo s konopcicem koga zove
Strop [a] pri jednoj palici, koja je ntvrdjena u ladjinu stranu, nju zove
skaram«, Zore, Ribanje im Arkiv 10^ 326), poln. sztrofa 'lina, ktöra sta-
tek u pachoJköw od budy bywa uwiazany'. Matzenauer, Cizi slova 412
leitet das poln. Wort (nur dieses ist ihm bekannt) vom holl. strop^ schwed.
stropp^ engl, strop^ ags. strojyp ab, die er richtig mit griech. ovQÖcpog
verknüpft. Doch schon das /' des poln. Wortes zeigt, daß nicht die an-
geführten germanischen Sprachen dem Polnischen das Wort geliehen
haben können. Das Wort ist vielmehr zu den Slaven aus dem Romani-
schen gekommen. »Ital. stropa 'wid gert'; lat. stroppus^ struppus bei
Gellius 'Bandriemen'; zunächst ein aus Zweigen geflochtenes Band (bei
Festus : Struppi vocantur fasciculi de verbenis factis qui pro deorum ca-
pitibus ponuntur), dann jenes (gewöhnlich aus Wieden verfertigtes) Band,
mit welchem das Ruder an den Pflock gebunden wird (Isidorus: 'strup-
pos esse dicit vincula quibus remi ad scalmos alligantur' mit einem Bei-
spiele aus Livius Andronicus; bei Vitruvius : remi circa scalmos stropliis
religati), auch stropha und siroppus^ dasselbe Wort. Die allgemeine
Bedeutung findet sich noch im Ital., zunächst in den Mundarten: ven.
stropo 'campanella fatta di vimini con cui si stabilisce il remo allo
scalmo'; vgl. frz. estrope^ etrope 'SeU, Tau, cordage qui sert ä r^tenir
les avirons sur le bolets, anneau de cordage', port. estropo 'circolo de
cordas que seguram o ramo ao tolete, onde Joga quando se rema', span.
estrovo. Vgl. auch Diefenbach, wo struppus n. s. zunächst durch 'Ruder-
seil' glossiert wird.« (Mussafia, Beitrag in den Denkschriften WAW.
XXII. 212). Miklosich, Et.Wtb. 326b, hat, wie ich nachträglich ersehe,
ein, wie es scheint, unrichtig verzeichnetes strop (anstatt strop] 'uzica',
das er richtig auf ital. stroppo zuiUckführt.
suhlja^ Supa.
Das slov. suhlja f., ns. supa 'die Schaufel' leitet Miklosich, Et.Wtb.
344 aus ahd. scüvala in derselben Bedeutung ab. Dieser Zusammen-
stellung widerspricht teils i, teils (im sorb. Wort) auch p. Zunächst kann
das slov. Wort höchstens aus mhd. schuf el^ schüvel^ schuf ele f. 'Schau-
fel' stammen, wenn es nicht gar aus einem dial. nhd. schuffei 'hölzerne
Schaufel', das Schmeller-Frommann II. 386 anführt, entlehnt ist, indem
für das Sloven. das ndd. schuf el nicht in Betracht kommen kann. Davon
i!
Vermischte Beiträge zum sla\ischeii etymologischen Wörterbuch. 53 1
ist ns. hipa ganz zu trennen. Wollte man es gleichfalls davon ableiten,
so wäre der Verlust der Schlußsilbe -e/, -ele auffallend. Die bisweilen
erlaubte Annahme einer Rekonstruktion eines neuen Grundwortes aus
einem vermeintlichen Deminutiv braucht hier nicht platzzugi-eifen, weil
ims ein fränk. ostnd. ndd. schuppe 'Schaufel', ndl. schup^ schop 'Schuppe,
Spaten', prd. Schuppe und Schöpe^ Schoj) f. 'kleine Schaufel' (Frisch-
bier 11. 311) viel näher liegt und den Sachverhalt genugsam erklärt.
Ks. supka 'Schüppmesser zum Zeideln der Bienen', sowie os. und ns.
siipica 'Pflugreute, rallum' ist natürlich nur ein Deminutiv dieses supa^
von welchem os. supa aus dem d. Schuppe 'Schale, dünnes Blättchen'
v> ohl zu trennen ist.
taler^ talir^ taljur.
Der Ursprung der slavischen Bezeichnungen für 'Teller' wird von
IMiklosich (Fdw. 131, Et. Wtb. 346) nicht klar genug angedeutet: es
werden d. teller^ it. tagUere^ frz. tailloire^ ngr. raMqi angeführt, ohne
zu zeigen, wie sich die einzelnen slav. Ausdrücke dazu verhalten. Daß
silmtliche auf romanischen Grundformen beruhen, ist ja richtig, doch
Dicht alle Grundformen sind zu allen Slaven und auf demselben Wege
gekommen. Im Romanischen hat man zwei Ausgangsformen für den Be-
giüT 'Teller' angenommen: a) *taliür{um 'Gerät auf dem gehackt oder
geschnitten [taliare) wird, Hackbrett', woraus ital. tagUere 'Hackbrett,
Anrichteteller', und b) *taUüto7', -orem 'der Schneider, Schlächter', wo-
raus provenz. talhadors^ afrz. tailleour, nfrz. tail/oh'^ altit. tagh'adore,
gcnues. taggou^ altlorab. taglaor (Salvioni, Archivio H. 436) stammt,
letzteres ursprünglich ein nomen actoris, dann in die Bedeutung des
Werkzeugs verschoben (Meyer-Lübke, RG. H. 530 f.).
, Die auf altit. tagliadore (vgl. inter li tagiaori e inter le scuele =
Isui taglieri e nelle scudele, Parodi, Archivio XV. 79) beruhenden Formen
sind durchsichtiger, als die auf tagUere zurückgehenden. Zu den ersteren
[gehören: kroat. taljur^ bulg. falur^ alb. tal'ur^ ngr. raXiayougi. Das
Igeschlossene roman. 0 geht in den Balkansprachen in zi über; d ist in
higliadore schon auf ital. Boden geschwunden. Durch Dissimilation mit
!'• ward /'zu n und so erhielt man Formen wie scrb. tanjur^ tanur (vgl.
'bulg. talur).
Die auf tagUere-* taliarium zurückgehenden Formen sind deswegen
^chwe^er zu beurteilen, weil das Wort auch im Deutschon vorkommt,
A'olier es leicht zu den Slaven verbreitet werden konnte. Kluge fiilirt das
34*
532 K. Strekelj,
d. Teller in der 6. Aufl. S. 392 auf ndl. teljoor (fiz. tailloir) zurück,
während er früher die Ableitung von it. tarjUcre annahm, was mit Rück-
sicht auf das bair. Tälli>\ kärntd. tdllar, tir. tuller wohl richtiger ist,
indem das a dieser Form auf ä beruht, das aus a vor folgendem «-Laut
umgelautet ist; aus teljoor kann man sich dieses ä-a kaum erklären.
Die bair.-öst. Formen zwingen uns demnach, auch für das Deutsche ein
*talier zu supponieren, das uns aber dann die Wanderung der slav. For-
men zu erklären nur noch erschwert, indem wir zwei gleiche Ausgaiigs-
formen vor uns haben. Der Akzent, resp. die Quantität der slav. Formen
spricht indes eher für die ital. Grundform, als für das d. *talier^ das
höchstens für cech. talir^ taler, poln. talerz, talerzyk, woraus weiter
klr. tal'ir, taril\ wr* talerka, r. talerka, lit. torelius, tarelius, also für
den Norden in Anspruch genommen werden kann. Das slov. taler (in,
Kärnten talir [Kres II. 629], bei Gutsmann talier [dessen delier ist nur
eine «gelehrte Volksetymologie», infolge von Anknüpfung an cleliti 'tei-
len'], talierski 319), serbokr. tälijer^ gen. talijera (Ragusa), taljeric^
bulg. talerka 'plate', ngr. ralegi. weist hingegen entschieden auf ital.
Provenienz. Rum. taler ist nicht einheimisch, sondern irgend einer Nach-
barsprache entlehnt, was schon das l beweist. Zu ital. falliere gehören
auch die /-dissimilierenden Formen serbokroat. tanjir und magy. tänyery
das die Kleinrussen Ungarns als tanir übernahmen.
Vom slov. taler ist endlich zu scheiden slov. iäler, das auf dem
oben angeführten bair.-öst. Täll» beruht.
tir.
Vuk, Rjecnik 740 schreibt: »^?rm. 'mah. Stoß' (uDubr.): odprvoga
tira dobroga sina — tako cestitaju mladencima poslije vieneanja bez
ikakoga ustrucivanja — i sam svestenik u crkvi«; cak. pusken tir ,
'sclopeti jactus, Schuß, Wurf: in ersterer Bedeutung ist das Wort!
obscön. — Miklosich, VG. II. 10 will das Wort auf die Wurzel *ter [tr).
zurückführen. Es ist aus ital. tiro 'colpo. Stoß'.
tovornik.
Das slov. tovor?iik 'der Weinhändler', tovornica 'die Weinhändlerin*
ist wegen seiner Bedeutung etymologisch von tovornik 'Saumtiertreiber, \t
Säumer, Warenführer' zu scheiden, da es nicht wie dieses auf tovarb^ m
tovor 'Ware u.s.w.' beruht, sondern daran nur volksetymologisch ange- |ii
lehnt ist. Es sollte "^tovernikj *tovermca (aus ^toverti -wiikh, -wiica)
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 533
lauten, zurückgehend auf ital. rtr. taverna^ nicht, wie Miklosich meint
(Et.Wtb. 360), auf d. tafern^ woraus das Slovenische die Formen mit b
entlehnt hat: toberna^taberna 'krcma', ^oJerwa^« 'krcmariti': Moj fantic
pa po rajzi hodi, *Sladko vince domu vozi; *Jaz pa doma tobrnam, *Pa
druge fante rada imam (Slov. nar. pesmi II. 21 16).'
trabun.
Das serbokr. trabun f. bedeutet 'Faselei, Träumerei, alucinatio' :
u trabuni govoriti; trabüniti 'faseln, alucinor' (Vuk), bei Filipovic 'ver-
wirrt reden, phantasieren, fiebern, faseln, kauderwälsches Zeug reden'.
Das Wort beruht auf lat. turbare 'verwirren, irre machen', dessen Um-
stellung in trubare weitverbreitet ist. Welche nahe Sprache die unmittel-
bar darleihende ist, ist schwer zu sagen, da keine eine ganz entsprechende
Wortform zeigt, etwa ein Substantiv auf -ow, wie es gal. torbon^ span.
turbön^ ast. torbon 'Platzregen' ist (Schuchardt, Rom. Etym. 11. 183).
Ein solches muß aber auch für das Rumän., resp. das Albanes. angenom-
men werden, da man nur an diese als darleihende Sprachen denken kann:
alb. torbon 'mache wütend', terbonem 'bin wütend', terbim m. 'Himds-
wut'; tiirbui, trubui 'trübe, Trübsinn', rum. turbä 'wütend machen',
mac.-rum. trub7i 'bin wütend', turbtire 'trüb' (aus*turbulus). Das serbokr.
trabun ist zunächst das Phantasieren des Kranken, z. B. infolge von
Sinn es Verwirrung durch eine Vergiftung ; vgl. die rum. Pflanzennamen:
turbure 'chaerophyllum teraulum, berauschender Kälberkropf und ttü'-
harie 'Datura stramonium, Stechapfel' (Schuchardt o. c. 1S4).
traca.
Das slov. traca bedeutet 'irdene Bratpfanne'. Indem hier das
Hauptmerkmal auf irdene ruht, hängt das Wort offenbar mit lat. *ter-
raceus 'zur Erde gehörig, irden' zusammen, wiewohl die in Beti-acht
kommenden romanischen Sprachen und Dialekte kein tcrrazza in der
Bedeutung 'irdene Schüssel oder dergl.' besitzen, sondern nur die Be-
deutung 'Erderhöhung, Altane, Balkon, zunächst ein solcher mit einem
Estrich mit eingelegten Scherben {tcrrazzoy aufweisen. Einem solchen
flupponierton tcrrazza * -Schüssel' aus *ierrarca kann mau das frz. fcr-
rine 'Art irdenes Geschirr' aus *terrina an die Seite stellen. Der
iSchwund des c ist im slovenischen Worte wohl auf eine Analogiewirkung
zurückzuführen (vgl. tracelj 'Tresse, Borte' aus Tresse^ das wohl zu-
nächst * traca ergeben hatte), wenn nicht bereits in der darleihenden
534 K. Strekelj,
Sprache das aus dem masc. terazzo hervorgegangene trass (d. Ti'afi aus
ndl. tras^ tiras, tieras^ engl- tarracce^ tarras . . .) 'aus zersetzten vulka-
nischen Gesteinen entstandene Masse, in frischem Zustande ziemlich
weich und wie Torf mit dem Spaten gestochen u.s.w.' (Sanders III. 1 384c}
den Schwund des e befördert hat.
tracjlje^ traJj'e.
Slov. traglje^ trage f. pL, serbokr. tralje f. pl., iralja f. neben
tranja^ poln. tragi^ slovak. tragl'e^ alles in der Bedeutung 'Tragbahre,
feretrum' ist in lautlicher Beziehung noch nicht befriedigend erklärt.
Matzenauer, C. s. 350, vergl. tralje mit mlat. trela^ trillia, trila^ trilla
'clathri, cancelli', frz. treille^ treillis 'Gitter', niederd. tralje^ tralle 'id.',
was indes wegen der Bedeutung und teilweise wegen der Form durchaus
nicht paßt, außerdem für das die gleiche Form bietende Serbokroatische
zu weit entlegen ist. Miklosich erkannte im Et.Wtb. 360 a richtig deutschen
Ursprung. Doch gehen nicht sämtliche angeführten Wörter auf dieselbe
Grundform zurück. Slov. trage^ poln. tragi beruht allerdings auf dem
d. Trage f., hingegen ist tragJJe das d. Tragel (in Obersteiermark) 'Holz-
trage mit vier Handhaben und Netzbeutel' (Unger-KhuU 165). Daß für
traglje von dieser d. Form auszugehen ist und nicht von einem *^ra-
gulje^ zeigt slovak. tragl'e^ indem im Slovak. ein *tragulja das u nicht
zu verlieren brauchte, wie dies im Slovenischen geschehen kann. Das
d. Neutrum sg. ward im Slav. zu einem PI. tant. wegen der doppelten
Handhaben an beiden Enden, zu deren Bedienung überhaupt stets zwei
Personen erforderlich sind; vgl. auch skarje- Schere. Aus der slav.
Form traglje hat Miklosich richtig das magy. taraglya abgeleitet
(Magy. 859); auch Melich, Die deutschen Lehnwörter im Magy. 252, ist
geneigt, diese Entwicklung anzunehmen, hält aber doch die Sache für
zweifelhaft, weil traglje angeblich nur in Ungarn vorkäme. Dies ist in
Wirklichkeit nicht der Fall, da traglje sogar im slov. Westen, im Küsten-
lande, bekannt ist. Andrerseits müßten die Slovenen und Slovaken, wenn
sie das Wort aus dem Magyarischen entlehnt hätten, statt traglje ein
*taraglje haben, wie sie ja auch saraglj'e äaroglj'e für d. Schrägen
nach dem magy. saraglya sprechen.
Schwieriger ist das serbokr. tralje 'Art Heutrage' [traljii. 'feretrum' '
bei Nemanic H. 23) zu deuten, weil der Schwund des g nicht klar ist.'
Man könnte sich allenfalls auf trlja 'mulus barbatus' (Miklosich, Et.Wtb. ,
360 sub trelj'a^ wo jedoch sowohl dieser Ansatz wie auch der Heimat-
i
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 535
schein des Wortes nsl. [statt serbokr.] falsch ist) neben trglja (bei Vuk)
berufen, wenn jenes samt trija (Zore im Arkiv 10^ 338) nicht auf ital.
triglia^ dieses aber samt trigla (Zore, 1. c.) nicht auf griech. rqiyXr^ be-
ruhte. Noch größere Schwierigkeiten als tralj'e bietet das in Crna gora
gebräuchliche tranja [trand]^ indem darin die Lautabwechslung /' ^ n
nicht gut erklärt werden kann. Vuk umschreibt es mit dem türk.
tezgere (t^zg^re), Jukic 621 mit tralje. Die sporadische Lautabwechs-
lung dürfte — ein deutsches Wort ist auch in Montenegi'o nicht uner-
hört — auf einer Kreuzung mit Substantiven auf -/y'a, -na benihen. Hat
vielleicht nicht auch ital. träino^ traino 'Ladung, Last, Fuhre, Schleife'
mit eingewirkt?
Das serbokr. tralje in der Bedeutung 'Fetzen, Lumpen, Hadern,
Lappen (am Schnabel der Hühner)' ist natürlich von obigem tralje zu
trennen und eine einheimische, wenn auch etwas ungewöhnliche Bildung
von der Wz. thr : trSti. Entstanden ist es nach tkalja^ pralja^ ursl.
*t^kadlJa^ *i:>hracllja. Wie praJJa dem phrati^ perq entgegensteht, so
ward wegen dreti neben dhrati^ derq^ dhra auch zu trUi^ thra ein *thrati
vorausgesetzt und daraus tralja 'das abgeriebene, abgeschabte, das schä-
bige Kleid, d.h. Fetzen' gebildet. Ein solches *thrati setzt auch das slov.
tra^a 'Handtuch' (neben tirada) und poln. tracz 'Sägemüller' voraus.
Das neben tralja vorkommende trulj'a 'lacinia' ist wie vruJj'a keine
Bildung mit -Ij'a — wie Miklosich VG. H. 106 meint — , sondern gehört
unter die Bildungen mit dem Suffix -iilj'a wie odrpuJj'a 'pannus', grebuJJa
und ähnliche, worunter wir bei Miklosich VG. H. 112 dem crulj'a neuer-
dings begegnen.
Zu trs.
Ich habe über trs 'vitis etc.' bereits im Archiv XIL 471 f. gehandelt
und dem dort gesagten nur hinzuzufügen, daß, ähnlich wie die Slovenen,
auch die Italiener den Kukuruzkolben mit torsolo (dol grano turco) be-
zeichnen und daß man auch in der d. Oststeiermark Durse und Turse
(Turs) f. 'Strunk, Stumpf spricht und Tursenpfanne 'Bez. für eine be-
sondere Art strunkartig geformter Pfannen' in einer steii\ Urkunde aus
dem Jahre 16S0 vorkommt. (Unger-KhuU 185). Bei Mikl. Et.Wtb. findet
sich das Wort auf S. 364 b, aber unerklärt. Neuerdings hat sich mit dem
Wort Ferd. Sommer, Griech. Lautstudien 57, beschäftigt und es als echt
slavisch mit gr. ^ouna • IqijceXoi^ Iv I'^Q'^^^fj (Hesych) verknüpft, welches
er auf *trismri zurückführt. Ein *tn'i>o-j das mau dann dem shiv. Wort
zu gründe legen müßte, würde aber nur ein *trbchh ergeben. Die slavischen
536 K. Strekelj,
Wörter trs 'Strunk, Rebe' sind daher nach wie vor als fremd anzusehen
und zu tliyrsuf!^ tursua, ^vQOog 'Strunk, Thyrsusstab' zu stellen, cf. Kör-
ting 2 pg. 859, 860, Nr. 9532.
tru^ec.
Im slov. traiec 'Speisenträger' (Miklosich, Et.Wtb. 303b sub truk-
casij) ist der Ausgang ec nicht das eigentl. slavische -hcb\ sondern es ist
nur durch Übertragung (Volksetymologie) aus der deutschen Endung
-{s)oeze in tru/isceze entstanden, wie etwa h^op^c aus d. Sch7iaps. Dieses
trusec (*triisbci>) ward in der Folge als nomen actoris aufgefaßt und da-
zu ein Verbum trusuti gebildet, das seinerseits den Stamm für die Neu-
bildung trusar 'Truchseß, Speisenträger' abgab. Das slov. h'im^ar dürfte
daraus mit Einwirung von traiisiruü^ tr arder ati 'tranchiren' entstanden
sein. In truiec ist das dem d. chs {//a) entsprechende ki zu i verein-
facht worden, wie auch soust häufig (pusa — puksa etc., vgl. oben iafti).
urhas.
Das slov. urhas m. bedeutet 'Oberleder der Schuhe'. Pletersnik
führt s. V. aus Cafs Nachlaß ein schlesisch-d. Fürhufi 'Vorschuh' zur
Vergleichung an. Das Wort ist das d. Fürfuß^ das im deutschen Teile
Steiermarks gleichfalls, wie im Sloven., 'Oberleder für Schuhe' bedeutet
(Unger-Khull 259). Aus Fürfuß -Vorfuß bildete der Slovene zunächst
*horbus^ ^biirbus, *vurbiis^ *urbtis, daraus durch die Mittelstufe lo'bos
endlich iirbas^ indem das 0 dem a der Endung des gen. und iusti-. sg. [am]
assimiliert ward.
vadvadka f.
Das slov. vachadka^ welches Megiser mit 'Watsack, bolgia, tasca,
bisaccia' erklärt, habe ich in der Schrift »Zur slav. Lehnwörterkunde« 7 1
betreffs des ersten Teiles falsch erklärt. Das Wort ist nichts anders als
das steir.-d. WeidicafscJtker m. 'die Weidtasche' (Üuger-Khull 625) von.
Weid 'Weg, Jagd' und Watschger 'Reisetasche, Felleisen' mnd. iceske,
we[t)&cher^ wetsker. auch loatscher^ worüber Tamm in den IF. IV. 397
handelt: vadka entstand aus Wafsckker [Watschger), indem das aus-
lautende er wie ein unbestimmter Vokal 9(e)oder ^ klingt.
vetrih^ wytrych.
Das slov, vetrih m. 'Nachschlüssel, Diebesschlüssel, Beischlüssel',
poln. loytrych 'id.', lit. loitrikas ist nicht unmittelbar aus dem d. Diet-
rich (urspr. Personenname, vgl. Kluge ^ 7S), das in cech. detrych vor-
liegt, sondern aus Formen ohne das anlautende d. Eine solche kann ich
Vermischte Beiti-äge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 537
aus dem Steirischdeutschen nachweisen: v^Jetrich: hette er von einem
Tradt ein J. gemacht« (Unger-Khull 364). Im Pohl, scheint allerdings
auch das Präfix wy mit eingewirkt zu haben (Korbut, Prace fil. IV. 3S2,
385, 4 55); doch muß dies erst später der Fall gewesen sein, indem der
Personenname Dietrich zu icieb-zych (Wietrzychowice) ward (neben
Dzietrzech). Daß w im Anlaut selbst vor einem palatalen q antiitt, zeigt
poln. Wegelsztejn aus Engelstein ^ doch war hier sicher tcegle 'Kohle'
mit im Spiele. Was der Grund für den Schwund des anlautenden d im
Deutschen ist, ist dunkel ; vielleicht haben Wörter mit it, einer alten Vor-
silbe, dem lat. re- entsprechend, eingewii-kt, z. B.: it-rucken, itaru-
chan, itterichen 'ruminare' etc. (Schmeller-Frommann I. 176).
vsegarica.
Das slov. vSegarica 'babica, die Hebamme, Geburtshelferin', vsegar-
stvOj segarstvo (segärstvo) 'die Kunst einer Hebamme', vsegtirim 'zur
Geburt helfen' schien mir ein von Pohlin gebildetes Wort zu sein. Ich
tat dem Mann Unrecht; die lautliche regelrechte Entwicklung zeigt, daß
das Volk es entlehnt hat und zwar aus dem Deutschen: steir.-d. Be-
seher-ei 'Wartung einer Wöchnerin' : »was ich in Psechereyen gewonnen«;
Beaeher-in [BsecJmerin] 'Weib, das eine Wöchnerin bedient, Wärterin
für eine Kindbetterin, Hebamme', Besehschaft 'Hebammendienst' (Unger-
Khull 72); bair. Beseh-Amm^ Besech-Amm^ Bsechnerin, Bse7i7iei'in
'Frau, welche einer Wöchnerin beisteht imd die ersten 4 oder 5 Wochen
hindurch die Warte des Kindes besorgt; piseJian = hesehen ein Kint
oder ein wibe; der Bsehlier^ Bsehherin^ Schmeller-Frommann I. 246;
nöst. Bsenarin 'Wochenbettwärterin' (Castelli 98); mhd. hesehen 'be-
schauen, besuchen, besorgen, für etw. sorgen'. Aus hesehen^ hsechen
entstand zunächst *p^zeguti, pSegati\ dies ergab dann *viegatij wovon
viegar, vsegarica^ zuletzt segm'sivo, (wie aus phh7io, psefio, vSeno^ietio^
aus phsenica — v^enica, setiica) ward. Ähnlich ist das d. Präfix hc- ge-
schwunden in Hant: v stant dati 'verpachten', das nicht das d. Staud,
sondern das ^.Bestand ist: pHant (cf. Öasopis za zgod. in nar. 1. II» aus
d. J. 1775), woraus *vslant und daraus erst stant ward. Bei Beurteilung
des Schwundes von Präfixen oder anlautenden Silben hat man überhaupt
vorsichtig zu sein. Würde jemand sagen, slov. s/amt 'Geige, Violine'
sei aus Dishant durch Abfall von di- entstanden, so würde er damit
kaum eine richtige Vorstellung von dem ganzen Vorgang beweisen; viel-
mehr ist das unbetonte i der ersten Silbe zunächst zum Halbvokal herab-
538 K. Strekelj,
gesunken und dann geschwunden, worauf ^d^kant zu *t.^kantj darin aber
die Lautgruppe iik [Ök] zu ^k vereinfacht ward.
Zu ieljar.
Das sloven. zeljar^ slovak. zeliar^ c. ielir u.s.w. 'Inwohner, Häus-
ler' habe ich bereits Archiv XIV. 554 f. erklärt und hingewiesen, daß es
auf einer Form des d. Seidner, Seider 'Bewohner eines Seidhauses' be-
ruht, worin Id zu II ward. Man findet dies z.B. auch im Personennamen
Fellner, Feller für Feldner, Felder. Nun kann ich diesen Lautwandel
bei unserem Worte selbst nachweisen : steird. GesöUer 'Bezeichnung für
gewisse Knechte bei der Meierei Seckau' (Unger-KhuU 289); auch der
Häusler oder Inwohner ist gegenüber dem Besitzer, auf dessen Boden er
wohnt, zu gewissen Arbeiten und Leistungen verpflichtet. Die i enthal-
tenden Formen unseres Wortes in einigen Sprachen, so im magy. aillyer,
zsiller, woraus das serb. ziljer stammt, lassen sich aus dialektischen d.
Formen wie steird. Sille = Seide (Unger-KhuU 596) erklären.
zlombrt.
Ich habe in meiner Abhandlung »Zur slav. Lehnwörterkunde« 76
(Denkschriften WAW. L.) das istrocak. Wort zlombrt 'pars carnis por-
cinae dorsalis' aus dem d. Lungenbraten mit Vorschlag des & (slav. i)
wie in den benachbarten ital. Dialekten, wo es auf ex, dis beruht, er-
klären zu können geglaubt. Diese Ableitung ist im ganzen ersten Teil
unrichtig. Das Wort ist identisch mit dem in einer Glosse vorkommenden
d. -Dschlcnnbrat lumbus« (das aw-ow undeutlich), ))sloucprato vel scubi-
linc, inductilis«, y)Schlaclipratte<i , «porci sclilagbradalesui , aUes bei
Schmeller-Frommann II, 518, der von *Schlaug ausgehen will; näher
scheint indes zu liegen mhd. sluch, sluoch 'die Haut, der Schlauch', und
wenn man bei SchmeUer die Stelle aus der Münchner Schlachtordnung
V. 1529 betrachtet, wo es heißt »Hochrucken, Schlachpratte und das
Abprät umb 3 dn.«, so ist damit wohl der sogenannte 'Netzbraten' ge-
meint , der in der Gedärmenetzhaut wie in einem Schlangenschlauch ge-
braten wird. Später erst ward daraus die aus Schweinefleisch gemachte
Wurst [slovbrate farcilio). Verschieden davon ist »lumbus slierbraten«
bei Schmeller-Frommann II. 533 sub Schlier; an ein *sUet?iprato 'Braten
in der Netzhaut (= sliemy zu denken verbietet das o des slavischen
Wortes. In zlombrt wird m demnach ein sekundär vor b entwickelter
Konsonant sein, worüber meine zitierte Schrift pg. 10, 11, 79 zu ver-
gleichen ist.
i
Vermischte Beiträge zum slavischen etymologischen Wörterbuch. 539
zveniuljica.
Das cak. zventuljica 'Fächer, ventaculum' (Nemanic II 52) ist aus
dem Italien, entlehnt: triest. sventola 'ventaglio', stentola del fogoler
'ventola', sventolar 'soffiare, ventolare' (Kossovitz^ 457b); istroit. (rov)
zguentula 'ventaglio' (Ive 34); in der ital. Schriftsprache sventolare
'lüften' aus *exventilare.
Graz. K. Strekelj.
Polonica.
Nach längerer Pause nehmen wir die, Archiv XXV, S. 74 — 101,
unterbrochene Berichterstattung wieder auf, wobei wir, um den in fast
vier Jahren aufgehäuften Stoff bewältigen zu können, größte Knappheit
der Berichte uns zur Regel machen müssen. Wir erledigen vorerst die
Fortsetzungen der bereits a. a. 0. besprochenen Publikationen. Von
K. Estreichers Bibliographie ist Band XIX und XX erschienen, der
Buchstabe K, 4S7 S., 1903; 436 und XXII (Nachträge) S., 1905; immer
weniger vermag der Literarhistoriker dieses Werkes zu entbehren, immer
dringender wird der Wunsch nach einer rascheren Förderung dieses
Grundfundamentes der Literatur von 1500 — 1800. Das große War-
schauer Wörterbuch, Slownik jf^zyka polskiego, ist bis Heft 20 gediehen,
bis Pifel^ d. i. Band IV, S. 25 — 184; nach dem vorzeitigen Tode des
Mitarbeiters und Herausgebers (Karlowicz, vgl. Nekrolog in Bd. XXVI)
wird das Werk von A. Krynski und Wlad. Nied/'wiedzki gezeichnet;
der III. Band, mit 0 abschließend, zählte 935 S., doppelspaltiges Lexikon-
format mit sehr engem Druck. Von dem Mundartenlexikon von J. Kar-
lowicz, Slownik gwar polskich, ist nach dem Tode des Verfassers und
als der folgende Herausgeber, Wi. Taczanowski, in der Mandschurei
gefallen war, der IV. Band durch Prof. J. ?iOs besorgt worden (Slownik
gwar polskich, IV, Krakau, Akademieverlag 1906, Buchstabe P bis S);
von desselben Verfassers Lehnwörterbuch, Slownik wyi-azow obcego a
mniej jasnego pochodzcnia, kam das Schlußlicft (3, Krakau 1905, S. 333
bis 408), die Buchstaben L, -L, M und einzelne Ausdrücke von N bis Z
umfassend; so bleibt das sehr verdiente W^erk leider ein Torso. Von der
540 A. Brückner,
Historischen Bibliographie von Prof. Lud. Finkel erschienen zwei neue
Hefte, das treffliche Werk geht einem raschen Abschlüsse entgegen;
Teil III, S. 1143 — 1671, enthält die Bearbeitungen der politischen Ge-
schichte, bis 1830 ; hierauf von S. 14 1 7 ab die zahlreichen Berichtigungen
und Nachträge (Literatur bis 1 90(i); es steht noch ein Heft aus (Geschichte
von Personen und Ortschaften, sowie das Autorenverzeichnis). Um mit
Bibliographien aufzuräumen, sei erwähnt, daß im Auftrage der Akademie
Prof. Korn. Heck die Bibliographie von 1880 — '< 900 (die Estreicher sehe
des XIX. Jhs. hatte ja nur bis 1 8SU gereichtj in erschöpfender und muster-
gültiger Weise herausgibt; bisher erschien der I. Band, A — F, 190G.
Von bibliographischen Hilfsmitteln sei der bewährte Przewodnik biblio-
graficzny genannt, den nach dem vorzeitigen Tode von Kustos Wi Wis-
tocki Prof. K. Heck weiter herausgibt; einen knappen Przeghid Biblio-
graficzny giebt die bekannte Warschauer Firma Gebethner und Wolff
unter der Redaktion von H. Galle heraus; die Warschauer Ksiaika
(Redaktion von Ad. Mahr burg) hat sich trefflich eingebürgert, ist jetzt
in ihrem VI. Jahrg., bringt wie die Deutsche Literaturzeitung nament-
lich gefertigte Rezensionen; besonders reichhaltig ist der literarhistorische
und belletristische Teil vertreten. Von Zeitschriften sei erwähnt der
Kwartalnik historyczny, jetzt unter der Redaktion von Direktor A. Sem-
kowicz, von dem eben ein Doppelheft vom XX. Jahrg. erschienen ist,
39 5 S. ; aus dem reichen Inhalt sei wenigstens hervorgehoben Prof.
0. Balzers eingehende Kritik des neuen Handbuches von St. Kutrzeba,
Historya ustroju Polski w zarysie, Lemberg 1905 (Polens Verfassimgs-
geschichte, ein sehr nützliches, trefflich orientierendes Werk), und die
Arbeit von Kopysiianski über Michajtuszka Zygmuntowicz, den li-
tauischen » Großfürsten y und sein tragisches Ende. Neben dem Lem-
berger Kwartalnik ist in Warschau ein Bruderorgan entstanden, der von
J. K. Kochanowski in Zweimonatsheften herausgegebene Przegl^d
historyczny, der Rezensionen neuer Publikationen dem Kwartalnik über-
läßt und selbst in monographischen Skizzen allerlei Fragen polnischer
Geschichte behandelt, zumal Verfassungs- und Lokalgeschichtliches ; er
hat sich bereits bestens eingeführt. Auch ^er Pamictnik literacki ent-
wickelt sich, unbeschadet eines völligen Redaktionswechsels, vorti'efflich,
unter Prof. T. Pini, jetzt im IV. Jahrg., ein besonders stattliches Heft war
dem ,Rej Jubiläum gewidmet; darin finden wir z. B. das Studium von
Jözef Ujejski, Pojecia Reja dotyczace Polaka i Polski, 60 S., u. a. ;
das Heft erschien auch besonders, Pamieci Mik. Reja z Naglowic 1505
Polonica. 541
bis 1569, Lemberg 190G, 193 S. S^; die Charakteristik des Dichters
durch Prof. St. Dobrzycki eröffnet das Heft. Von den alten bewähi-ten
Zeitschi'iften, der Biblioteka Warszawska, dem Lemberger, meist histo-
risches Material bringenden Przewodnik naukowy i literacki von
dem Krakauer Przeglad Polski unter der Redaktion von Graf Prof.
Mycielski und Przeglad Powszechny, herausgegeben unter der
Redaktion von P. Pawelski soc. Jes., sei nur der ungestörte Fortgang
hervorgehoben. Weniger erfreulich steht es um unsere ethnogi'aphischen
und archäologischen Publikationen; die Warschauer Wisla und der Swia-
towit (VI. Band, Warschau 1905, 206 S. und 14 Tafeln, ausschließlich
der Archäologie gewidmet, mit reichem bildnerischen Schmuck in allen
Bänden), unter der Redaktion von Erazm Majewski, sowie der, bald
Lemberger, bald Krakauer Lud (unter wechselnden Redaktionen), kämpfen
noch immer um ihre Existenz; die Kränklichkeit von Majewski, der
Tod von Prof. A. Kaiina in Lemberg gefährden die Weiterfühi-ung, doch
ist jetzt Hoffnung vorhanden, daß nach der endlichen Milderung des über
Warschau lastenden vierzigjährigen Druckes der Bildung polnischer ge-
lehrter Vereine keine unübersteigbaren Hindernisse mehr den Weg ver-
legen dürften und an solche könnte dann die Herausgabe der Wisla an-
gelehnt werden. Ihrem Begründer, Kariowicz, dessen letzte gedruckte
Arbeit, 0 cziowieku pierwotnym, Lemberg 190;',, S. 163, S^, der von
ihm so eifrig gepflegten Ethnographie wieder entnommen war, widmete
pietätsvoll die Wisla eine besondere, von Fachmännern (Krynski, Lo-
paciuski u.a.) gemeinschaftlich (nach den Disziplinen: Grammatik,
Folklore u. a.) bearbeitete, ausführliche Gedenkschrift, Zycie i prace Jana
Kariowicza 1836 — 1903, Warschau 1904, 379 S., gr. S«. Vorläufig,
wir wollen hoffen, nicht auf allzulange ist die weitere Herausgabe der
Wisia mit dem XIX. Bande (Warschau 1905, VIU und 567 S., 8») ein-
gestellt worden. Ähnlich schlimm, wie der Wisia, ergeht es den Prace
Filologiczne in Warschau, deren VI. Band seit Jahren gedruckt, aber
nicht herausgegeben ist; A. Krynski ist so überhäuft durch Arbeiten
am Wörterbuch und an der Großen Warschauer Enzyklopädie, daß er
für die Redaktion der Prace keine Äluße mehr erübrigen kann. Auch
der Poraduik j(^zykowy, ein periodisch erscheinender Brusi (Prager
seligen Andenkens!), unter der Redaktion von Dir. Rom. Zawilinski,
gedeiht materiell nicht am ))esten, doch ist die Notwendigkeit eines solchen
Organs, zumal unter unseren verfahrenen Schulverliältnissen, so evident,
daß, falls dies Organ nicht existierte, ein anderes ähnliches neu geschaffen
I
542 A. Brückner,
werden müßte; 63 bietet eine Fülle von Belehrung, mögen auch einzelne
Positionen oder gar Grundsätze noch so anfechtbar sein. In diesem Zu-
sammenhange sei auch genannt Prof. Ar. Passender fers lexikalisch
geordnete Bit^dy j\zykowe, 2. vermehrte Ausgabe, Lemberg 1904, VIU
und 23S S. S", ein sehr nützlicher und praktischer Wegweiser im In-
garten polnischer Orthographie und Orthoepie, falls ich diesen Terminus
in übertragenem Sinne (von Wort und Phrase namentlich) anwenden darf.
Der Kuriosität halber nenne ich eine nordamerikanische Publikation : ein
patriotisch gesinnter, um das nationale Empfinden und — Sprechen be-
sorgter Lehrer, B, E. Göral, gibt in St. Francis, Wiscountin, schon im
zweiten Jahrgang einen Orijdownik J^zykowy (Sprachwalt oder Sprach-
wart) dla wychodztwa polskiego w Ameryce allmonatlich heraus; neben
populärem Lesestoff (heimische Bräuche, Anekdoten u. dgl.) werden die
gewöhnlichsten Fehler des Zeitungs- und Verkehrspolnisch in Amerika
unnachsichtlich gerügt. Man gewinnt so einen Einblick in ganz ungeahnte
Verhältnisse.
Unter neuen Zeitschriften sei der Posener Przeglad Koscielny, Mo-
natsschrift, herausgegeben von St. Okoniewski, jetzt im fünften Jahr-
gang erwähnt. Diese in erster Reihe den Bedürfnissen der Geistlichkeit
dienende Publikation bietet so hervorragende historisch-literarische Bei-
träge, daß sie nicht übergangen werden darf. Zu ihren Zierden gehört
das quellenmäßige Studium von Warminski über Samuel Andrea und
Jan Seklucjan, die ersten Posener Protestanten, nachher in Preußen bei
Herzog Albrecht tätig, Seklucjan auch als Drucker (Evangelien usw.);
man muß diese Studie mit der fast gleichzeitigen des Pastor Theodor
Wotschke in der Zeitschrift der historischen Gesellschaft für die Provinz
Posen XVII, 1902, vergleichen, um den kolossalen Vorzug der polnischen
zu würdigen; ich nenne gleich hier die übrigen Arbeiten von Wotschke
in derselben Zeitschrift über polnische und litauische Protestanten aus
der Mitte des XVI. Jhs., Eustach Trepka, Lismanini, Abraham Culvensis,
weil sie, aus den ungehobenen Schätzen des Königsberger Archivs haupt-
sächlich geschöpft, manches neue und wichtige bieten; in derselben Zeit-
schrift ist zuletzt auch des verstorbenen Breslauer Professors J. Caro
nachgelassene Schrift über Andreas Fricius Modrzewski, den berühmten
Reformschriftsteller, erschienen, leider eine unvollendete Arbeit. Da wir
schon bei Protestanten sind, nenne ich eines Petersburgers Herrn, H. M.,
treffliche, aus urkundlichem Material der Synodalakten zusammengestellte
Übersicht aller polnischen protestantischen Kirchen und Großwürden-
Polonica. 543
träger, samt ausführlicher Mappe (Zbory i senatorowie protestantcy w
dawnej Rzeczypospolitej, Warschau, 1905, 8^).
Doch kehren wir zum Przeglad Koscielny zurück. Von anderen uns
interessierenden Arbeiten seien genannt Beiträge zur humanistischen Ge-
schichte des lic. Kazim, Miaskowski (über Petrus Ridzinius u. a.);
Kataloge der Handschriften der Posener Seminarialbibliothek ; besonders
jedoch des Bischofs Henr. Likowski, des bekannten Historikers der
ruthenischen Kirchenunion, Studie, Kwestja unji Koscioia wschodniego z
zachodnim (in Konstanz, über Camblak, die Angaben von dessen neuesten
russischen Biographen, Jacimirskij , Grigorij Camblak, ocerk jego zizni
etc., Petersburg 1904, ergänzend u. a.), eine treffliche, streng objektive,
eine Menge von Quellen verarbeitende Studie (noch unvollendet). Neben
einer theologischen Zeitschrift darf wohl die bei Gelegenheit der Marien-
feier (Jubiläum des Dogma von der unbefleckten Empfängnis) heraus-
gegebene Ksiega pamiatkowa Marjanska, in drei starken Bänden, genannt
werden: Der erste, einleitend, schildert die Feier selbst, 317 S. ; der
zweite, A, 687 S., erläutert den polnischen Muttergotteskult in Literatur,
Kunst, Musik, im allgemeinen wie nach den einzelnen Orden; der zweite,
B, gibt auf 300 Seiten eine polnische »Mariologiett, d. i. die biblio-
graphische Übersicht, 3546 Nummern, durch Prof. Wilh. Bruchnalski
(mit Ausschluß von Handschriften und Aufsätzen in Zeitschriften; nui-
Einzeldrucke); auf 400 Seiten endlich die Geschichte der einzelnen pol-
nischen Muttergottesbilder und deren Kulte, nach den einzelnen Provinzen
geordnet (Lemberg 1905). Hierher gehört auch die schöne Schrift von
Prof. Jozef Tretiak,Najswi^tszaPannawpoezji polskiej, Krakau 1904,
117 S., im Grunde ausgewählte Kapitel aus der literarischen, zumal
poetischen Geschichte dieses Kultes, vom XIU. Jh. an bis Ujejski und
Lenartowicz.
Von spezielleren periodischen Publikationen sei genannt der Rocznik
Krakowski, wydawnictwo Towarzystwa milosnikow historji i zabytkow
Krakowskich (Redakteur Prof. St. Krzyzanowski, dem wir die treff-
liche Ausgabe der Krakauer Schöffenbücher 1365 — 1376 und 1390 bis
1397, Ksic^'gi iawnicze krakowskie, 1904, verdanken), VU. Bd., Krakau
1905, 272 S., gr. S«. Der Band enthält u. a. die treffliche Monographie
von Pta^nik über die berühmte Familie der Bonary (verwandt mit dem
deutschen Fabeldichter Boner?), die nach Krakau eingewandert, reich
geworden, zu Kunstmäzenen und Großwürdenträgern der Ropulilik ge-
worden sind; in früheren Bänden gab es ähnliche Untersuchungen von
544 A. Brückner,
Prof. Krzyzanowski über die noch heute lebende, gräfliche Familie
Morsztyn, einstige Krakauer Bürger Mornstein, von Kutrzeba über die
Familie des berühmten Wierzynek (Wirsing). Sonst finden wir in dem
Bande eine Studie von E. Diugopolski über die Rebellion des Krakauer
Vogtes Albert von 1312, von L. Ry mar über Krakaus Beteiligung an den
großen und kleinen Tagungen der Republik u.a. DerV., ein Jubiläums-
band, gab eine Geschichte von Krakaus Kultur nach allen Richtungen
(Architektur, Skulptur, Malerei usw. von Fachmännern, K. Gorski u. a.).
Warum wir dies alles erwähnen, s. u.
Neben der Krakauer Publikation verdient Erwähnung die am weitesten
nach Westen vorgeschobene der Thorner (polnischen) gelehrten Gesell-
schaft, obwohl sie, mit richtigem Verständnis, nur die lokale Geschichte
und Altertumskunde, ungleich seltener auch Philologie und Ethnographie
pflegt. Ihre Fontes, zuletzt Band IX, Thorn 1905, S. 595 — 78G, bringen
die für die Lokalgeschichte (Kirchen- und Kulturgeschichte) schätzbaren
Visitationes Episcopatus Culmensis Andrea Olszowski culmensi et Pome-
saniae episcopo a. 1667 — 1672 factae, die Dr. theol. Bruno Czapla
herausgibt. Ihre Roczniki, Band X, Thorn 1903, 268 S.; XI, 1904,
265 S.; XII, 1905, S. 129—466, S» enthalten vor allem die erschöpfende
Monographie von St. Kujot, wer denn die Pfarreien in der heutigen
Kulmer Diözese gegründet hätte (nicht der deutsche Orden, wie einseitig
angenommen wird) , mit einer Fülle topographischer nnd historischer An-
gaben aus Urkunden und allen erreichbaren Quellen. Daneben finden wir
archäologische Exkurse, Abdnick alter Inventare (der Starosteien u. dgl.),
lokalgeschichtliche Aufzeichnungen und vor allem eine erschöpfende
Bibliographie aller auf die polnische Bevölkerung in Pommern und West-
und Ostpreußen bezüglichen Arbeiten, mit kritischen Bemerkungen, z. B.
mit richtiger Zurückweisung der Lorenzschen phantastischen Einfälle.
Die Publikationen der polnischen Poseuer gelehrten Gesellschaft be-
sprechen wir in den einschlägigen Rubriken und gehen, von periodischen
Zeitschriften und Veröffentlichungen, zu selbständigen Werken über.
Zuerst sei eben ein im Aufti-age der Posener gelehrten Gesellschaft
erschienenes grundlegendes Werk genannt. Aus den oben erwähnten
Studien von Prof. Dr. J. Warminski ging ein stattlicher Band hervor,
der schönste, gediegenste Beitrag Posens zur Rejfeier (s. u.): Audrzej
Samuel i Jan Seklucjan, Posen 1906, XVI und 550 S. gr. 8" (von S. 482
ab Ännexa, ungedi-uckte Briefe und Memoiren der Zeit). Eine geradezu
ausgezeichnete Leistung, die erst jetzt den ganzen Umfang der Tätigkeit
Polonica. 545
Seklucjans, auch auf Grund vorher ganz unbekannter oder verschollener
Drucke und Schriften, erkennen läßt. Der gelehi'te, objektive Verfasser
zerstört alle Märchen, die z. B. über Seklucjan noch Lubowicz in seiner
sonst so genauen Reformationsgeschichte dem iiukaszewicz nachge-
sprochen hatte, und widmet erfreulicherweise gerade der literarischen
Tätigkeit, zumal der Evangelienübersetzung (Anteil des Murzynowski,
alte Vorlage u. dgl.) , sowie der theologischen Polemik des Posener Ex-
zöllners und Königsbergers Propagandisten die eingehendste, streng
quellenmäßige Untersuchung. Die Lektüi-e dieses auf jeder Seite von
dem milden und gerechten Urteil eines erfahrenen, vorsichtigen Gelehrten
bestens zeugenden Buches gewährt hohen Genuß; es bleibt einer der
schönsten Beiträge zur Religionsgeschichte und den konfessionellen
Kämpfen des XVI. Jhs. in Polen, jedenfalls der gründlichste, den wir
besitzen — in gleicher Ausführlichkeit und Genauigkeit ist keine andere
Episode bisher behandelt worden. Das Werk ist Bischof Likowski zu-
geeignet.
Wir bleiben vorläufig im Bereiche des so fesselnden, vielförmigen,
literarischen Treibens dieser Zeit.
Die von der Krakauer Akademie herausgegebene Biblioteka Pisar-
zow Polskich hat unter der Redaktion des schaffensfreudigen, keine Mühe
scheuenden Schuh-ats Prof. emer. J. Czubek einen außerordentlichen
Aufschwung genommen; es wird jetzt ungleich mehr und ungleich besser
herausgegeben; die eigentliche Last des Druckes übernimmt, auch still-
schweigend, der eben Genannte. Ich verzeichne die neu erschienenen
Nummern: Nr. 42 gab der Warschauer Literarhistoriker Ign. Chrza-
nowski zum ersten Male vollständig die Gedichte (auch die handschrift-
lichen, erotischen) des jüngeren Zeitgenossen und Rivalen des Kocha-
nowski Mikoiaj Szarzynski heraus; ebenderselbe, Nr. 4."i, dieErotika
und Fazetien eines anonymen Protestanten von 1570; besonders die Fa-
zetien und Lebensbilder (Tatareninkursion; Zechgelage und dessen Stören-
fried u. dgl.) sind durch ihre Originalität und Frische bemerkenswert.
Nr. 41, des Bart. Paprocki Kolo rycerskie (Ritterkreis d.i. Versamm-
lung, Bearbeitung in Versen des mittelalterlichen Dialogus croatnrarum)
gab Prof. W. Czermak heraus. Ich veröffentlichte die Nummern 45,
47, 48: Sejm piekielny (Teufelstag, nach der Ausgabe von 1622), inter-
essant wegen der Fülle folkloristischcn Materials, in Versen, satirisch und
moralisierend zugleich; sowie zwei Auekdotensammlungen, Faceoye pul-
skie, nach einer Ausgabe von 1021 (die erste und ältere ist unbekannt;
Archiv für fllavischo rhiloloBie. XXVIII. 35
546 A. Brückner,
in die russische Übersetzungsliteratur des XVII. Jhs. ist eine Auswahl
dieser Fazetien übernommen), die meist fremdes Gut enthalten, aber in
einer vortrefflichen, naiv frischen und täuschend volkstümlichen Bear-
beitung; sowie Co Nowego, nach einer Ausgabe von 1650, die zum Unter-
schiede von den Facecye fast ausschließlich einheimisches Gut (mit Nen-
nung von Namen u. dgl. ) bietet, weniger humoristisch als charakteristisch
für Land und Leute. Nr. 46 gibt den zweiten (Schluß) Teil des Tasso-
schen Goffred in der Übersetzung des Piotr Kochanowski, besorgt
durch Dr. Luc. Rydel. Nr. 49 ist die »höfische Komödie« des P. Ba-
ryka, Z chlopa krol (der aus Shakespeare und Hauptmanns, Schluck
und Jau, bekannte Stoff von dem Betrunkenen, der als König erwacht),
vom Jahre 1637, herausgegeben von Dr. Lud. Bernacki. Nr. 50 — 52
enthält, aus Handschriften, ein Hauptwerk, desselben Piotr Kocha-
nowski, der das befreite Jerusalem 1618 übersetzte und di'uckte, Über-
setzung des Rasenden Roland; die polnische ist unter den europäischen
die vierte und geht der deutschen voran; sie zeichnet sich durch eine
energische Diktion aus, doch fehlt der letzte Schliff. Gedi-uckt waren
bisher von ihr nur die ersten 25 Gesänge, nach einer einzigen Hand-
schrift, 1799 (durch Przybylski in Krakau); jetzt hat alle 46 Gesänge,
auf Grund von acht Handschriften Prof. J. Czubek veröffentlicht und
seine recht schwierige Aufgabe meister- und musterhaft gelöst, in di-ei
stattlichen Bänden, mit den Variae lectiones, Erläuterungen und reich-
lichen Indices von Namen und Worten (Band III, S. 398 — 474). Nr. 53
ist Abdruck eines verstümmelten Unicum, Spraua a lekarstua konskie
Conrada krolewskiego kowala 1532, ein (übersetztes) Buch von Pferde-
krankheiten, herausgegeben und erklärt von Dr. Andr. Berezowski,
1905, 48 S. Neben dieser Veterinärschrift sei genannt die neu aus einer
Handschrift der Jageilona herausgegebene Übersetzung zweier Abschnitte
aus dem Enchiridion Medicinae des Simeon de Lowicz, 1537 (Krakau
1904), Rezepte für allerlei Krankheiten: ich erwähne daraus die »kaschu-
bisehen« Genetive plur. hrodawk^psmk (für »polnisches« brodatvekusw.),
häufiges uterty, nicht utarty.
Von der Biblioteka zapomnianych poetow i prozaikow polskich XVI
— XVIH w. des Warschauer Professors T e 0 d. Wierzbowski erschienen:
Nr. XVI, St. Orzechowski, opowiadanie upadku przyszlego polskiego von
15,60 (Umarbeitung eines schon früher gekannten Briefes, mit einer sang-
lanten Antwort des Angegriffenen, Krowicki, eines Protestanten) ; nr. XVH,
Kiermasz wiesniacki (Dorfkirmeß, Erotisches und Fazetien, im Volkston,
Polonica. 547
in Versen, um 1615); Nr.XVIII, Komedya rybaltowska (Ribaldenkomödie,
satirischen Genres, auf das Treiben der adeligen, konföderierten Solda-
teska, außerordentlich frisch und witzig durchgeführt) i Soitj^s z Klecha
von IG 16, Jesuitenkomödie, eigentlich komische Intermedien zu Schul-
dramen (der Latein lernende Bauer u. ä.). Nr. XIX, Piesni, tance i pa-
dwany XVII wieku, Abdruck von drei Brochüren aus der ersten Hälfte
des XVII. Jhs., die Liebeslieder, manches im Volkston, manches in klein-
russischer Sprache, einiges obszön, enthalten ; ein und das andere davon,
wie auch aus der Dorfkiiineß von 1615, ist bis heute im Volksmund er-
halten geblieben — ein nicht uninteressanter Beitrag und Beleg zur Ge-
schichte des Volksliedes, das mehr aus gedruckten Texten, d. h. solchen
individuellen Schaffens schöpft, als man gemeiniglich anzunehmen beliebt.
Nr. XX ist Dyalog albo Rozmowa Flisa z Kursorem, vom Jahre 1611,
eine Jesuitenschrift gegen das Vorgehen des Danziger Magistrates in
Sachen einer Klosterrevision, frisch vorgetragen. Nr. XXI Wolnosc Pol-
ska etc., eine politische Schrift von zirka 17 30, im Dialoge zwischen
einem Polen und einem Franzosen das Wesen der goldenen Freiheit,
richtiger Anarchie und Unfreiheit, freimütig erläuternd. Nr. XXII enthält
Briefe des Kardinals Dönhoff, aus Italien, an seine Schwester, die Woje-
wodin Katska, von 1686 — 1697 gerichtet, unbedeutenden Inhaltes. Der
Herausgeber kann nicht mehr viel Muße dieser Sammlung widmen, da
ihn einerseits die Herausgabe der Regesten zu dem Urkundenschatz des
Warschauer Kronarchives beschäftigt, wovon der erste Band (lateinisch)
erschienen ist, umfassend die Regierungszeit Kasimir IV. ; andererseits
gibt er eine Fülle von Quellen zur Geschichte des polnischen Schulwesens
im ausgehenden XVIH. Jh. heraus, unter dem Gesamttitel: Komisya
edukacyi narodowej, 1780 — 1793, das sind die Protokolle der Schul-
visitationen und die Rapporte der Schulpräfekten, die alljährlich an die
Edukationskommission (d. h. eine Art Unterrichtsministerium) aus den
Bezirksschulen Warschau (1782—1789, V und 86 S.), tfczyca usw.
gerichtet wurden ; der Inluilt ist etwas einförmig, wie bei Schulgeschichten
überhaupt, aber für die Erfolge des neuen Unterrichtswesens sowie für
die Schwierigkeiten, die es zu bekämpfen hatte, sehr charakteristisch.
Bisher erschieueu sieben Hefte, von denen das letzte das ausführlichste.
Erwähnt sei, daß die große Sammlung von Schulgesohichton, die in
Warschau zur Säkularfeier der Jagellonenuniversität Krakau eingeleitet
war (Geschichte der Akademien Wilno, Zamosi-, der Warschauer llaupt-
schule u. a.) durch die Herausgabe einer wohl dokumentiorten (Jo-
35*
548 •^- Brückner,
schichte der Jesuitenakademie in Potock (1818 — 1832) zum Abschlüsse
gebracht ist; die Schrift ist etwas einseitig für den Orden eingenommen
und etwas mechanisch abgefaßt (Materyaly do dziejow akademji poiockiej
i szkol od niej zaleznych, von J. G., Krakau 1905, S. 288, S^).
Unter größeren literarischen Unternehmungen stand im Vordergi-unde
des Interesses die Rejsche Säkularfeier, d. i. die Feier eines Pfadfinders
der polnischen Literatur (geboren 1505). Sie hat ungleich reicheren Er-
trag gebracht, als etwa die Kochanowskifeier von 1SS4 ; sie machte wett,
daß 1869 (Todesjahr des »Dichters« 1569) ohne Sang und Klang für ihn
verstrichen war. Die Krakauer Akademie hat ganz besonderes geleistet.
Sie ließ das «Zwierciadto« von 1567, die größte prosaische Arbeit des
Dichters, wenn wir von seiner Postille absehen, wie im Faksimiledruck
herstellen; sie gab meine ausführliche Reymonographie, die bereits im
Archiv eine sehr wohlwollende Besprechung gefunden hat, heraus. Eine
außerordentliche Tat ist dann Prof. Jan Czubeks Riesenband, Pisma
polityczne z czasow pierwszego bezkrolewia, Krakau 1906, XXXVII und
765 S. gr. 8^; es ist dies die erste derartige Publikation. Das Interreg-
num nach dem Aussterben der Jagellonen (1572), von dem man in Polen
alles mögliche, den nahen Untergang, befürchtete und das man glänzend
bestand, ohne die geringste Einbuße an Macht und Ansehen, rief eine
Flut lateinischer und polnischer Memoiren, Repliken, Dupliken, Dialoge,
Pamphlete, Verse, politischen und moralisierenden Inhalts, hervor;
manches davon war ja gleichzeitig gedruckt, manches später aus Hand-
schriften veröffentlicht, als Prof. Ulanowski in Krakau den Plan faßte,
die ganze einschlägige, erreichbare zeitgenössische Literatur zu sammeln
und abzudrucken; durch andere Arbeiten verhindert, trat er Plan und
Stoff an Prof. Czubek ab, der die Aufgabe in glänzender Weise gelöst
hat. Er hat nicht weniger als 64 prosaische Schriften und 17 poetische
veröffentlicht, alles aus einem Zeitraum von nur dritthalb Jahren, das
meiste, interessanteste ganz neu gedi'uckt. Die Schriften sind größten-
teils anonym; in der Vorrede sucht er nun die Verfasser zu ermitteln.
Mit seinen sorgfältigen und bedächtigen Kombinationen kann man sich
meist einverstanden erklären. Die meisten, effektvollsten, populärsten
Schriften gehören dem J. D. Solikowski an, dem nachmaligen Lem-
berger Erzbischof, der sich als Pamphletist ersten Ranges entpuppt; die
Schriften, mit denen er für Heinrich von Valois eintritt, sind die glän-
zendsten der ganzen Sammlung. Dann kommt Dudithius mit lateini-
schen Dialogen für die Habsburger; Mycielski, vorher ganz unbekannt,
Polonica. 549
mit ungeschlachten Versen für die Kandidatur Johann IV. des Ge-
strengen, führt sich bereits nach russischer Weise mit dem Vaternamen
auf wicz ein usw. Es ist dies die namhafteste Bereicherung altpolnischer
politischer Literatur seit langer Zeit, besonders durch ihre systematische
Ausführung, die treffenden Erläuterungen, die Fülle des Stoffes vorbildlich
für zukünftige Leistungen der Art. Noch verdient ein kleiner Beitrag zur
Literatur des XVL Jhs. besondere Erwähnung, als glänzendes Muster der
Leistungsfähigkeit Krakauer Druckereien: Prof. St. Ptaszycki hat aus
einem handschriftlichen Gebetbuch für Frauen (polnisch, Prosa, erste
Hälfte des Jahrhunderts) ein beträchtliches Stück abdrucken lassen (Mo-
dlitewnik dla kobiet z w. XVI, Krakau 1905), ganz in der Art der Zeit,
mit ihrer Orthographie, mit den Randleisten und Initialen, nur die »goti-
schen« mit «lateinischen« Buchstaben ersetzend, wie dies auch beim
Zwierciadio des Rej geschehen ist. Zum Jubiläum sind auch zwei weitere
Bände des Archiv für Kultur- und Literaturgeschichte fertiggestellt worden.
Endlich ist auf den Anfang Juli 1906 eine Zusammenkunft polnischer
Sprach- und Literaturforscher nach Krakau anberaumt; sie konnte nicht,
wie geplant war, 190'), wegen der dauernden politischen Wirren in
Russischpolen, abgehalten werden; ihr wird zur Beschlußfassung auch
ein von mir ausgearbeitetes Projekt der Vereinfachung und Vereinheit-
lichung der polnischen Orthographie unterbreitet; ich hielt die »Reform«
in den bescheidensten Grenzen [ja für ya\ im, ym, imi, ymi für alle
Maskulina und Neutra; atrzec, nicht strzedz\ upadszy, nicht upadlszy
und einiges andere).
Die Akademie regte auch den Gedanken einer Inventarisierung
sämtlicher polnischer Handschriften an; Besitzer schicken ihr Kataloge
ein, die in der Akademiebibliothek allgemein zugänglich sind; selbst
ging sie mit dem besten Beispiel voran, indem sie den rastlos tätigen
Prof. Czubek den Katalog ihrer eigenen Handschriftensammlung heraus-
geben ließ, Katalog R(;kopisow Akademji Umiej(^'tnosci w Krakowie, 1906,
III und 313 S. &ö (sorgfältige Register von S. 271 ab); die Sammlung
umfaßt 1588 Nummern, die meisten gehören späteren Jahrhunderten an,
Correspondenzen und Archivalieu aller Art; für uns die interessanteste
ist Nr. 1588, aus dem ersten Viertel des XVI. Jhs., Sammlung polnischer
Rechtsdenkmäler in polnischer Sprache, die Gesetzgebung von Wislica,
die Magdeburger Urteile, mosaisches Recht (aus dem Deuteronomium) und
ausgewählte Regule iuris, ebenfalls polnisch; am Schluß die Geschichten
von der Judith (S. 359—414) und Susauna (415 — 423) — eine nicht un-
550 A. Brückner,
wesentliche Bereicherung altpolnischer Literatur darstellend. Und neben
diesen außerordentlichen Publikationen erscheinen die regelmäßigen, über
die wir unten noch mehrfach zu berichten haben. Wie man sieht, ist die
Tätigkeit der Akademie eine sehr rege und fruchtbare, emsige und viel-
seitige — ein großer Teil dieses Verdienstes gebührt ihrem unermüd-
lichen Generalsekretär, Prof. Ulanowski, dessen bewunderungSAvürdige
Energie und nie versagender Fleiß mit dem wachsenden Umfang der
Arbeit sich nur zu verdoppeln scheinen. Und immer mehr hebt sich der
Charakter Krakaus als einer Zentrale polnischer Kunst, Wissens und
Literatur; die Tradition der Stadt, die architektonischen und anderen
Kunstschätze dieses Nürnbergs des Ostens, ihre Traditionen haben sie
dazu ausersehen. Es strömt immer neues hinzu; das im Werden begriffene
Nationalmuseum, das einst die alte Königsburg der Plasten und Jagellonen
füllen wird, besitzt schon heute durch Schenkungen privater Sammlungen
(z. B. die große Lemberger der Frau Helene Dabczanska), eine be-
neidenswert reiche Bibliothek, die neben der Universitätsbibliothek und
den Sammlungen der Fürsten Czartoryski und des Grafen Czapski, die er
der Stadt geschenkt hat, Platz sich erobert hat.
Wir bewegen uns noch immer im Zeichen des Rej. Die Unmasse
von Gelegeuheitsschriften, Vorträgen u. dgl. sei übergangen, auch die
schöne Literatur hat sich des Stoffes bei dieser Gelegenheit bemächtigt,
zumal der treffliche Satiriker A. Nowaczynski, der neben einer Ko-
mödie, Pan Rej w Babinie (die bekannte Witz- und NaiTenakademie, bei
Lublin, des Pszonka) , ein Bild des Menschen und Autors geliefert hat, das
an Drastik, Lebhaftigkeit und Sicherheit seinesgleichen sucht, Wizeruuek
M. Reja, Warschau 1905, 97 S. — es ahmt in Stil und Ausstattung pol-
nische Bücher des XVI. Jhs. nach. Noch viel weiter ging der Warschauer,
durch seine erstmalige Herausgabe polnischer Ex libris bekannte Samm-
ler Wiktor Wittyg; seine Erneuerung der Figliki des Rej, d. i, des
Schlußteiles, der Fazetien, aus dem Zwierzyniec des Dichters von 1562
und 1574, ist eine Meister- und Musterleistung. Der Zwierzyniec war
schon in der Biblioteka pisarzow polskich durch Prof. Bruchnalski
erneuert worden, aber ohne die, vielfach sehr zotigen, aber höchst inter-
essanten Figliki; Wittyg hat sie nun faksimiliert herausgegeben; die
Ausgabe ist wunderbar geraten, vom Original (1574) nicht zu unter-
scheiden, einige Exemplare sind sogar auf Papier des XVI. Jhs. (!) ge-
druckt. Zu dem Faksimile hat Prof. H. Lopacinski höchst dankens-
werte Erklärungen, ethnographische Parallelen, grammatisches und
Polonica. 551
lexikalisches auf 66 Seiten beigesteuert. Das ganze ist wieder ein Triumph
der Krakauer Universitätsdruckei'ei (unter der Oberaufsicht von Prof.
Ulanowski). Dagegen seien Liebhaber alter Sachen gewarnt vor dem
«Ucieszne teatrum albo sprawiedliwe niektorych niewiast karanie u War-
szawy« des Herrn Mar. Wawrzeniecki (Warschau 1906); trotz des
genauen Berichtes über die Auffindung der defekten Handschiift in Rawa,
die aus einem Einband stamme, ist das ganze mit seiner altertümlichen
Sprache, naivem StU und den prächtigen gothischen Buchstaben nur ein
loser Scherz des Finders, Entzifferers und Herausgebers dieses Berichtes
aus der Warschauer chronique scandaleuse von 1527; ich erwähne dies,
weil schon manche auf den Leim gegangen sind; t3^ographisch ist die
Sache eine Meisterleistung.
So sind wir auf dem Gebiete von Fälschungen angelangt; und un-
willkürlich reihen wir hier die äußerst gewissenhafte und sorgfältige, aber
in ihren Ergebnissen nicht haltbare Arbeit von Dr. Jan Leciejewski
ein, Runy i niniczne pomniki stowianskie, Lemberg 1906, V und 207 S.
Wer denkt nicht an die Sponholzschen Fälschungen, die Prillwitzer und
Neustrelitzer Götzen! Wohl weist sie der Verf. nachdrüchlichst ab, aber
ist er nicht selbst in einem schweren Irrtum begiiflfen, wenn er die
böhmischen Runen des Krolmus und den slovakischen Grenzstein mit
seinen unglaublichen Raumbestimmungen ernst nimmt? Und wenn ich
die Echtheit der berühmten oder berüchtigten Mikorzyner Steine voll zu-
geben möchte, die Lesung ihrer Runen, die der Verfasser siegesbewußt
vorträgt, erweckt in mir Zweifel. Es wird wohl im Archiv von kundigerer
Hand — ich bin kein Runologe — Auskunft über das mit äußerstem
Fleiß und Umsicht und Scharfsinn ausgearbeitete Werk erfolgen; mir
scheint ein und das andere Denkmal gar nicht polnischen oder slavischen
Ursprunges zu sein (z. B. der Brakteat von Wapno ist eher schwedisch
als polnisch; die Krakauer Medaille haben skandinavische Runologen nur
deshalb für slavisch erklärt, weil sie sie nicht zu entziffern vermochten,
etwa nach dem Grundsatz: was man nicht deklinieren kann, sieht mau
als ein Neutrum an). Der Annahme des Verf. einer besonderen slavisch-
polnischen Runenschule, deren Schreiber sogar für alle slavischen Laute,
z, rz usw. besondere Zeichenvariationen eingeführt hätten, widerstreitet
der absolute Mangel an einschlägigen Denkmälern ; was beweisen
denn vier Nummern, von denen noch dazu drei probleniatiscli sind!
Wenn Polen, Russen, Böhmen Runendenkmäler liaben, warum sind nie
welche auf dem Boden der Oder- und Elbeslaven gefunden worden, in
552 A. Briickner,
Kügen oder Pommern, deren Beziehungen zum Norden doch noch inniger
waren? Daß des Chrabr certy und rezy auf Runen gingen, ist absolut
unerweiälich, denn Itunen geben ein Alphabet, während er ausdrücklich
das Vorhandensein slavischer pismena leugnet. Trotz aller Anerkennung
des Scharfsinns des Verf. kann ich seinen Ausfühinngen nicht zustimmen;
sie sind nur irreführend. Doch kehren wir von dieser Abschweifung
wieder zu llej und dem XVI. Jh. zurück.
Trotz aller Wirren blieb auch Warschau nicht hinter Krakau in der
Rejfeier ganz zurück; wissenschaftliche Anstalten oder Vereinigungen
muß hier freilich Initiative und Opferwille einzelner privater Personen er-
setzen. Ihr entsprang der Plan einer Jubiläumspublikation; unter der
Redaktion des tätigen, kenntnisreichen, methodisch bestgeschulten Ig na cy
Chrzanowski ward denn auch ein stattlicher Quartband herausgegeben:
Z wieku Mikoiaja Reja. Ksi(jga Jubileuszowa 1505 — 1905. Warschau
1905, VIII und 328 und 114 S. ; die doppelte Paginiernng scheidet Ab-
handlungen und Materialien. Unter letzteren finden wir den Abdruck
einer Rejschen Übersetzung (der Briefe des Lipoman und Radziwii, die
der Protestant Verger zu Zwecken akatholischer Propaganda veröffentlicht
hatte) ; der böhmischen Verse seines Dialoges Warwas (uns nur in dieser
böhmischen Übersetzung bekannt; ich versuchte in groben Zügen das
Rejsche Original darnach wiederherzustellen); eines protestantischen
Pamphlets (nach 1556) über die Judenverbrennung inSochaczew; außer-
dem Briefe und Archivalien, sowie die Analyse eines protestantischen
polnischen Kantionais (des B. Grod^icki von 1558, Unikum); dem Bear-
beiter desselben, Br. Chlebowski, verdanken wir auch eine treffliche
Studie über protestantische Kantionale des XVI. Jhs. im Rejhefte des Pa-
mi^tnik literacki, s. o. Unter den Abhandlungen ist die ausführlichste
von J. Chrzanowski über Marcie Bielski; um die hier noch fehlenden
Kapitel erweitert ist sie als besonderes Buch erschienen: Marcin Bielski,
studyum literackie, Warschau 1906, 280 S., 4<). Eine der erschöpfendsten
Monographien, die einem älteren Schriftsteller gewidmet sind, der weder
Dichter noch Politiker war; neben moralisierenden und satirischen Sckrif-
ten, Dialogen, Komödien u. a., hat er als erster Verfasser einer polnischen
Weltohronik (1551, drei Ausgaben, mehrfach im XVI. und XVII. Jh. ins
Russische übersetzt) das Verdienst sich erworben, neben, ja noch vor Rej,
Schöpfer einer nationalen Literatur geworden zu sein und den Bildungs-
hunger der Zeit nach Kräften gestillt zu haben. Chrzanowski fertigt
mit Recht das uninteressante Leben möglichst kurz ab; desto ausführ-
Polonica. 553
lieber verweilt er bei der Analyse der einzelnen Werke, ibrer Quellen, des
damaligen Zustandes der europäiscben Literatur (z. B. im Punkte der
Univers alges cbicbte) , des Wertes und der Art der Arbeit, um mit einer
Syntbese des Verf. und Menseben, sowie mit Urteilen der Nacbwelt ab-
zuscbließen. Von anderen Abbandlungen sei eine treffliebe Syntbese des
Scbriftstellers Rej, seines literariscben Temperamentes, Verdienstes, Er-
folges, von Br. Cblebowski besonders bervorgeboben ; andere betreuen
Einzelheiten der Werke oder Daten des Lebens oder endlicb Zeitgenossen
(Grodzicki und seine Recbtsanscbauungen ; Jan Zamoyski u. a.), mancb-
mal in etwas losem Zusammenbange mit dem eigentlicben Tbema, aber
den Boden des XVI. Jbs. nicbt verlassend und daber streng einbeitlicben
Cbarakters. Es ist dies eine bleibende Bereicherung der Literatui-ge-
scbicbte des XVI. Jbs.
Von J. Cbrzanowski erhielten wir auch eine neue Ausgabe der
acht Reichstagspredigten des Skarga soc. Jes., die von 1597 bis 1903
zwölfmal aufgelegt wurden; dies ist die 13. Ausgabe: Kazania Sejmowe,
Warschau 1903, aus der Biblioteka dziet cbrzescjanskicb, herausgegeben
vom Prälaten Z. Cheimicki; die Einleitung von Cbrzanowski umfaßt
136 S. &o und ist eine vollendete Studie über Aufbau, Gedankengang,
Tendenz des Verfassers, die aktuellen Beziehungen, den politischen Hinter-
grund, die prophetische Literatur, endlicb über die vollendete Kunst des
begeisterten Gewissensmabners — das erschöpfendste und beste, was über
dieses Meisterwerk politischer Homiletik gesagt worden ist.
Wir verbleiben, durch Rej bewogen, noch immer beim XVI. Jb. und
nennen einen Neudruck des verdienten Archäologen und Sammlers Zygm.
Gloger, Nieznany spiewnik historyczny polski z konca XVI wieku,
Warschau 1905, 55 S. im gotischen Faksimile und in der Transkription ;
ohne Anfang und Ende, je zwölf Verse auf polnische Fürsten und Könige,
vom Lech bis Sigismund III., unter deren (meist phantastischen) Porträts.
Der unermüdliche Bibliophil und Altertumsforscher hat seine große En-
cyklopedia Staropolska Illustrowana in vier starken Bänden beendet,
3000 Artikel (einzelne auch viele Seiten lang, förmliche Exkurse] und
800 Illustrationen, alle Einzelheiten altpolni.scben öflfentlichen und privaten,
religiösen und kriegerischen Lebens besprechend. Unter seinen noch mehr
populären Schriften erwähne ich die neueste, deren Thema allen Slavisten
und Freunden der Volksweisen nahe liegt: Czy lud polski jeszcze spiewa?
21 S,, Warschau 1905. Die Antwort lautet sehr pessimistisch, das pol-
nische Volk singt nicbt mehr, der Zug nach den Städten, Fabriken, Arne-
554 A. Brückner,
rika verdrängt die alten Lieder durch moderne Gassenhauer — eine all-
gemeine Klage; ein zweiter 0. Kolberg würde heute nicht mehr die
10 300 Volkslieder auftreiben können, die der erste, allerdings innerhalb
eines halben Säkulum zusammengebracht hat ( 1840 — 1 S90). Dem drohen-
den Untergang des Volksliedes sucht Gloger nach Kräften zu steueni,
durch Sammlungen und Einzelausgaben von guten, alten Texten und
Melodien, wovon an 150 000 Exemplaren im Umlaufe sind; die ausführ-
lichste Sammlung waren die treif liehen Piesni ludu, Krakau 1892 (18S2
Lieder); daraus ist der dritte Abschnitt (dumy i dumki, 164 an der Zahl),
1905 neu abgedruckt. Erwähnt seien noch seine archäologischen Wan-
derungen, Dolinami Rzek (Weichsel, Niemen, Bug, Biebrza), Warschau
1903, 219 S., äußerst flott erzählt, mit interessanten Aufnahmen.
Kehren wir zur Literaturgeschichte zurück. Ein junger Gelehrter,
St. Kossowski, trat mit Studya do dziejow renesansu i reformacyi w
Polsce auf, deren erste Krzysztof Hegendorfin w akademji Lubranskiego
wPoznaniu, 1530—1535, betraf (Lemberg 1905, 111 und IV S. 8» (aus
dem Przewodnik Naukowy i Literacki). Hegendorfer, wandernder Huma-
nist und Protestant, aus Leipzig nach Posen berufen, wo infolge religiös-
literarischer Kämpfe sein Bleiben nicht von Dauer sein konnte, Verfasser
einer Unzahl von Schriften, trotz seines frühen Todes, ist für die Posener
Verhältnisse der Zeit recht charakteristisch; sein Kampf mit dem Grzegorz
Szamotulczyk u. a., wird flott erzählt, aber der Verfasser hat seinen Gegen-
stand nicht völlig erschöpft und war nicht vorsichtig genug in seinen Auf-
stellungen. Büchern des XVI. Jhs., einer Phrasensammlung aus Terenz,
dem »Mönch« des Kromer, dialektischen alten und neuen Texten entnahm
ich meine Przyczynki do siownictwa polskiego, im XXXVtU. Bande der
Krakauer Abhandlungen, S. 289 — 397; frühere Aufsätze von mir über
Protestanten, Laski, Czechowic, Krowicki u. a., sind gesammelt und be-
richtigt erschienen als Roznowiercy polscy, szkice obyczajowe i literackie,
Warschau 1905, III und 280 S. ; von meiner Literatura religijna w Polsce
sredniowiecznej (in den Bänden der Biblioteka Dziel Chrzescjanskich,
vgl. 0.) ist Bd. U, die h. Schrift und Apokryphe, Warschau 1903, 164 S.,
und Bd. III, Legenden und Gebetbücher, Warschau 1904, 187 S., er-
schienen.
So sind wir aufs Mittelalter zurückgekommen. Die wei^tvollste Be-
reicherung erfuhren wir durch das Werk von Dr. Adam Babiaczyk,
Lexikon der altpolnischen Bibel 1455 (Sophienbibel, Ausgabe von Ma-
lecki) bearbeitet sowie mit einer textkritischen Einleitung versehen, Bres-
Polonica. 555
lau 1906, 353 S. 8". Wir hatten bisher nur öin altpolnisches Lexikon,
(las Glossar von Prof. Nehring zu seiner Psalterausgabe 1884, jetzt er-
halten wir von seinem Schüler ein zweites. Es ist sehr sorgfältig gearbeitet,
der lateinische Vulgatatext jedem Zitat beigeschrieben, Vergleiche mit
dem Leopolitatext (1561, respektive 1574) beigefügt, böhmische Texte
nach Möglichkeit verglichen; in der mühevollen Arbeit steckt eine Menge
1 Jelehrung. In der Einleitung werden frühere Arbeiten über die Sophien bibel,
Xehring, Ogonowski u. a., besprochen, das Verhältnis zu böhmischen
Texten erörtert, eine Menge von Glossen erwiesen. Eine und die andere
Erklärung bestreiten wir, in der Annahme lexikalischer Entlehnungen aus
dem Böhmischen geht der Verf. viel zu weit, aber sonst ist die Arbeit
grundlegend, gestattet erst jetzt einen wirklichen Gebrauch des Sprach-
schatzes der leider so unvollständigen Bibel. Ungleich geringeres Lob
verdient die Schrift: De biblii polonicis quaeusque ad initium saeculiXVTI
in lucem edita sunt commentatio biblica critica a StephanoZwolski s.
theol. Dre. conscripta, Posen 1904, 130 S. S^>. Die mittelalterlichen Texte
(Psalter und Bibel) sind flüchtig gestreift; es handelt sich hauptsächlich
ura die Drucke des Seklucjan, Leopolita und Wujek, sowie einige andere,
akatholische zumeist; die Ausführungen über Leopolita (1561) haben uns
nicht überzeugt; der Verf. begnügt sich oft mit einer Zusammeustellung
von Stichproben, erschöpft nicht das Material, aber seit Ringeltaube (1744!)
ist es die erste zusammenfassende Bearbeitung des Gegenstandes.
Um die Bogurodzica, das Marienlied von circa 1280, ist ein heftiger
Kampf entbrannt. Von musikgeschichtlichem Standpunkte behandelte
das Lied und seine Melodie Aleks. Polinski, Piesn Bogarodzica pod
wzglcdem muzycznym, Warschau 1903, 139 S. mit Notenbeilagen; er
wollte Albertus Magnus bei dessen Krakauer Besuch 1263 die Verfasser-
xhaft der Melodie der ersten Strophe (die zweite ist nur Erweiterung
derselben) zuschreiben. Gegen seine Darstellung trat ein anderer Musik-
kundiger auf, in der Warschauer Musikzeitschrift Lutnista, 1906, März-
lieft und folgende, den Verfasser aufs heftigste bekämpfend: Adolf
Chybinski, z badan nad »Bogurodzicfj.«. Prof. Bruchnalski hat eine
viiUig neue Auffassung des Liedes, vorläufig nur skizziert, nicht begrün-
det, in der oben erwähnten Marienpublikation; das Lied, aus der zweiten
Hälfte des XIV. Jh., soll Litanei aller Heiligen sein, folglich in den drei
(nicht zwei) ältesten Strophen nur den Anfang enthalten. Ich hatte
wegen der bei Katholiken ganz ungewöhnlichen, nur den Orthodoxen
eigentümlichen Bezeichnung Bogurodzica = QeÖToxog = Bogorodica
556 A. Brückner,
und wegen der Zusammeustellung, Jesus zwischen Maria und dem Täufer,
an die Deisus orthodoxer Kirchen gedacht; ein Kleinrusse in Lemberg,
Swistun, behauptete dann den russischen Ursprung des Liedes, das
sich Polen fälschlich angeeignet hätten: der Herr vergaß, daß es in der
orthodoxen Kirche keinen populären Gemeindegesang gegeben hat; da
ich aber seine Ausfülirungen nur aus einem kurzen Zeitungsbericht vor-
läufig kenne, vermag ich seine Argumentation nicht zu prüfen.
Demselben Liede, dem Ausgangspunkte der ganzen nationalen
Literatur in noch viel höherem Maße, als es das Hospodine pomiluj ny
für die böhmische wurde, ist gewidmet die Schrift von Prof. Korneli
Heck, uwagi krytyczne nad najstarszymi tekstami i kompozycja piesni
Bogurodzica, und Prof. Adam Chmiel, uwagi archiwalno-paleograficzne
nad piesnia Bogurodzica w r^kopisie Bibl. Jagielonskiej nr. 1619, Ab-
handlungen Band XL, S. 155—196 und 197—208. Chmiel liefert nur
den Nachweis, daß der älteste Text des Liedes erst nach 14 OS (nach
dem Einbinden einer Handschrift von 1408, auf einem leeren Blatte des
Deckels), eingetragen ward, während man früher das XIV. Jh. annahm
— dieses Resultat ist unanfechtbar. Desto anfechtbarer sind die Aus-
führungen von Heck, der auch die beiden ersten Strophen erst um die
Mitte des XIV. Jhs., vielleicht in Gnesen, entstanden sein läßt, aber man
braucht nur die Worte : Twego dziela Chrzciciela Bozijce mit dem Eingang
der nächsten Strophe Nas dla wstaJ z martwych syyi Bozy (nicht : nas dziela
wstal z martwych Boiyc) zu vergleichen, um das hohe Alter der beiden
ersten Strophen zuerkennen; auf dieses Argument bleibt Heck jede Ant-
wortschuldig; das folgende Osterlied läßt er erst zwischen 1410 — 1420
entstanden sein, die folgenden Strophen noch später ; seine Ausführungen
bedeuten keinerlei Fortschritt, vgl. meine ausführliche Entgegnung im
Pamietnik literacki IH, 586 — 596, wo ich auch den verdorbenen Text
[zazmerne u. a.) berichtet und erläutert habe.
Sonst sind wir bezüglich des Mittelalters auf polnische Texte in la-
teinischen Aufzeichnungen, Schwurformeln u. dgl. angewiesen. Es er-
schienen ihrer zwei größere Sammlungen. Der unermüdliche Heraldiker
und Rechtshistoriker Prof. Franc. Piekosinski gab als sechsten Band
seiner neuen Studja, rozprawy i materjaiy z dziedziny historji polskiej i
prawa polskiego eine Auswahl großpolnischer Gerichtseintragungen heraus,
Krakau 1902, XVI und 414 S. ; die 1447 Nummern gehören den Jahren
1400 — 1411 an. Über den sprachlichen Eiirag derselben will ich an
anderer Stelle besonders handeln; ebenso wie über den von J. K. Ko-
Polonica. 557
chanowski in den Teki Pawinskiego (d. i. der Nachlaß des verstorbe-
nen Warschauer Historikers und Archivdirektors) herausgegebenen Band
Gerichtsakten. Die von Prof. B. Ulanowski herausgegebenen Aus-
züge aus den Acta capitulorum der Polnischen Diözesen, die bis in das
XVI. Jh. (1530) hineinreichen, enthalten eine Fülle von Angaben für
Kultur- und Sittengeschichte, für die Sprache fällt nur gelegentlich etwas
ab; ungleich mehr für die Literatur: der bloße Besitz polnischer Evan-
gelien brachte um die Mitte des XV. Jhs. in den Geruch der Ketzerei —
so sehr war der Geistlichkeit hussitischer Schrecken in die Glieder ge-
fahren, vgl. Acta Capitulorum nee non iudiciorum ecclesiasticorum se-
lecta, tom. II, Acta . . . dioecesum gneznensis et poznaniensis 1403 —
1530, Krakau 1903, XU und 953 S. 4», wo unter dem Jahre 1455
(S. 521 — 524) wegen der Epistolae dominicales et evangelia in vulgari
und dreier anderer polnischer Bücher gegen den Geistlichen in Pakosc
und Pfarrer in Klecko, Stanislaus de Budziszewo, eine hochnotpeinliche
Untersuchung angestellt wird ; es zeigt sich, daß er in Prag war und eine
Predigt des Rokycana gehört hat.
Aus dem Inhalte der Krakauer akademischen Abhandlungen, soweit
er unsere Ziele betrifft , mit Übergehung klassischer, romanischer u. a.
l'liilologie, sei erwähnt Band XXXV, 1902, 204 S., der enthält: Emma-
nuel Swieykowski, studya do historyi sztuki i kultury wieku o-
slcmnastego w Polsce, Monografja Dukli (Sitz der Mniszech, reich an Kunst-
schätzen ; Pflege des Theaters ; 1 6 Komödien, die hier aufgeführt wurden,
I 774 — 1778, bietet eine Handschrift der Krakauer Akademie, nr. 390),
mit prächtigen Illustrationen. Band XXXVI, 1903, 417 S., nannten wir
itreits Archiv XXV wegen der fesselnden Studie von St. Windakie-
^\ icz über das alte polnische Volkstheater; Prof. A. Miodonski gab
iiiedita des Philippus Callimachus und Gregor von Sanok heraus, Prof.
Fijatek einen Beitrag zur Geschichte gräzistischer Studien in Italien,
die Promotion des J. Argyropulos in Padua 1484, der auch mit Polen
ISeziehungen unterhielt. Band XXXVII, 1903, 395 S., brachte auf S. 1 —
'A 7 6 den zweiten und dritten Teil der Monographie über Simon Simonides
von Prof. K. Heck, über deren ersten Teil wir Archiv XXV berichtet
h.itten ; dieselbe alles erschöpfende Gründlichkeit, Vielseitigkeit zeichnet
neben Lebhaftigkeit und Fluß der Darstellung den Schluß der Arbeit aus;
^vir bekommen eine Totalanschauung des Philologen und Dichters, des
Humanisten und Pädagogen, des Beraters des großen Kauzlers iZamoy-
ski). Zamoyski steht im Vordergrunde einiger moderner Publikationen;
558 A. Brückner,
Dr. Wacl. Sobieski gibt im Auftrage der gräflichen Familie aus deren
reichen Archiven wie aus denen des In- und Auslandes die vollständige
Korrespondenz des großen Politikers, Feldherrn und Humanisten aus;
der erste Band ist bereits erschienen, Archiwum Jana Zamoyskiego I,
Warschau 1904; Sobieski behandelte auch das Eingreifen des Poli-
tikers — Anfängers in dem Wahlkampf nach 1572, Trybun ludu szla-
checkiego, 1905 (auf Zamoyski geht zurück die Losung der Königswahl
durch den Adel viritim, nicht durch Abgeordnete, wie es Rej vorge-
schlagen hatte). Prof. Heck wirbelte viel Staub auf durch die Behaup-
tung, daß es nur 6men Dichter Zimorowir. (Barttomiej) gegeben habe,
daß die unter dem Namen des früh verstorbenen Bruders des Dichters
(Szymon) 1654 erschienenen Hochzeitscarmina, Pioksolanki, das Produkt
des älteren Bruders wären, der ja auch seine eigenen Sielanki 1663 unter
dem Namen des Szymon gedruckt hatte, dem seine Jahre und Stellung
zur Bekenntnis seiner Verfasserschaft jener Erotica hinderlich waren.
Am ausführlichsten tat er dies in dem Studium, Kto jest autorem Rokso-
lanek, pod imieniem Szymona Zimorowica wydanych, Abhandlungen XL,
S. 324 — 386, 1905 (vorher im Krakauer Przeglad Powszechny 1904,
Juliheft, gegen das Jubiläum protestierend, das 1904 zu Ehren des an-
geblichen Geburtsjahres, 1604, von Simon Zimorowic, gefeiert werden
sollte) ; gegen ihn trat Dr. Kaz. Jarecki im Pami^tnik literacki III — IV
auf. Die Argumente von Prof. Heck sind sehr bestechend, doch hat er das
letzte Wort in diesem Streite sich noch vorbehalten ; behält er, was immer
wahrscheinlicher wird, Recht, so haben wir es mit einem außerordentlich
gelungenen falsum in der Literatur zu tun, das seinesgleichen nicht fin-
den könnte und 250 Jahre auf seine Aufklärung gewartet hat.
Band XXXVIII enthält den Slowacki des Prof. J. Tretiak (s. u.) und
meine Przyczynki (vgl. o.), 1904, 397 8. Band XXXIX, 1904, 36S S.,
enthält Abhandlungen aus klassischer und romanischer Philologie (ihr
Verfasser, der Romanist M. Kawczynski, ist in diesem Frühjahr ver-
storben).
In die Kulturverhältnisse des polnisch-roti'ussischen Bodens in der
ersten Hälfte des XVII. Jhs. führt uns Wladysiaw Lozinski in seinem
Prawem i lewem, obyczaje na Czei"wonej Rusi za panowania ZygmuntaHI.,
Lemberg 1903, 672 S. 8" ein; schon 1904 wurde eine neue Auflage in
zwei Bänden, reich illustiüert, nötig. Nicht leicht wäre ein fesselnderer
historischer Roman, oder richtiger Kriminalroman, aufzufinden, denn
Per fas et nefas können wir den Titel des Buches übersetzen, das aus
J
Polonica. 559
Gerichtsakten ausschließlich schöpfend das Leben d, h. Prozesse und
Kriminalfälle des p. t. Adels nach Provinzen und Jahren erzählt; die
dämonische Gestalt des »Teufels Stadnicki« nimmt die Hauptmasse von
Raum und Interesse in Anspruch. Der Verfasser hatte sich als trefflicher
Kulturhistoriker durch seine Studien über das Lemberger Patriziat und
Bürgertum des XVI. und XVII. Jhs., über die Lemberger Kunst und
Kleinkunst derselben Zeit, bereits bewährt; jetzt tritt die Kunst seiner
Darstellung noch mehr in den Vordergi-und. Als eine Ergänzung nach
einer anderen, der konfessionellen Seite, kann die interessante, flott ge-
schriebene Arbeit von Dr. W. Sobieski, nienawisc wyznaniowa tlumow
za rzadow Zygmunta III., Warschau 1902, 199 S., bezeichnet werden,
die Geschichte der nicht offiziellen Protestanten -pogromy und deren
offizielle Duldung oder Beschönigung, samt dem Kampf um die »Kon-
föderation ff, d. h. um Gewissensfreiheit. Zur Literaturgeschichte des
Jahrhunderts gehört noch die sehr fleißige Monographie über einen
Dichter minorum gentium von Leszek M. Dziama, Jan Gawinski, stu-
dyum literackie, Krakau 1905, 146 und \T;I S. gr. 8''; wesentliche Be-
reicherung erfahren zwar weder die biographische noch die literarische
Seite, aber wir sind dankbar für alles Zusammenstellen, Berichtigen und
Ergänzen und wünschten nur ähnliche Arbeiten für andere Schriftsteller
der Zeit.
Für das XVIII. Jh. nennen wir die fleißige und umsichtige Studie
von Dr. Bronisiaw Gubrynowicz, Romans w Polsce za czasow Sta-
nistawa Augusta, Lemberg 1904, 167 S. 8^, eine erschöpfende Charak-
teristik und Bibliographie der, wie im gleichzeitigen Rußland, meist in
Übersetzungen gepflegten, von der offiziellen Ästhetik noch nicht aner-
kannten Kunstgattung; eine Ergänzung kann genannt werden, obwohl
sie hauptsächlich dem XIX. Jh. angehört, die Studie von Dr. K. Woj-
ciechowski. Werter w Polsce, Lemberg 1904, 175 S. 8^: über das
Fortwuchern (bis etwa 1840) des Werthermotivs in der polnischen Lite-
ratur. Eine sehr verdienstliche Leistung ist die Sammlung der poetischen
Schriften des Franciszek Zablocki, den wir hauptsächlich als Komödien-
schriftsteller und Übersetzer kennen, von dem Posener Museumskustos
Dr.Bol.Erzepki, Pisma Franciszka Zablockiego, Posen 1903, VIII iiml
400 S. kl. S<>, aus Handschriften des XVIII. Jhs. sorgfältig geschöpft
und verglichen; die Schwierigkeit bestand hauptöäclilich in der Ernie-
rung und Begründung des Verfassers bei den meist ganz namenlos 'oder
unter verschiedenen Autornamen) cirkulierenden politischen Pamphleten
560 A. Brückner,
und Epigrammen; der Herausgeber hat vielleicht in einem speziellen
Falle nicht das richtige getroffen, aber seine Arbeit bildet eine sehr
schätzenswerte Bereicherung der so bewegten Literatur (um 17 90) und
ihres Eingreifens in die politischen Kämpfe und Machinationen des Tages.
Wir fügen gleich eine Posener Jubiläumsausgabe hinzu, des genialen
Andrzej Sniadecki Theorie der organischen Wesen (zweimal ins Deutsche
übersetzt, 1810 und 1S21), die im Auftrage der Posener Ärzte (Redaktion
der »Medizinischen Nachrichten — Nowiny lekarskic) Adam Wrzosek
besorgte, J. Sniadeckiego Teorya jestestw organicznych , Posen 1905,
LXVI, 120 und 219 S. S». Die Einleitung gibt die Biographie des Wil-
noer Chemikers und eine Würdigung seines Werkes. Einer anderen her-
vorragenden Persönlichkeit des XVIII. (und XIX.) Jhs., dem glühenden
Patrioten und gemäßigten Bürger, Gelehrten und Politiker, Forscher und
Dichter, Abbe Staszic, widmete A. Kraushar eine größere Publikation;
er fand in der Warschauer Universitätsbibliothek die Handschrift des
Verfassers und veröffentlichte sie u. d. T. : Dziennik podrozy ks. Sta-
nislawa Staszica (1777 — 1791), Austrya, Niemcy, Hollandy a, Anglia,
Francya, Szwajcarya, Wiochy, Warschau 1903, zwei Bände, 292 und
281 S. 8"^; es ist nur zu bedauern, daß bei der Armut der polnischen
Literatur an Reisebeschreibungen diese Handschrift mit ihren äußerst
genauen, statistischen u. a. Angaben, so lange Zeit ganz unbekannt, ja
völlig verschollen war; als pendant dazu aus dem Anfange des Jahr-
hunderts sei eine andere Reisebeschreibung genannt, herausgegeben von
demselben A. Kraushar im Lemberger Przewodnik naukowy i literacki,
die Reise des »Grafen von der Lausitz«, d. h. des polnischen Königs-
sohnes und nachherigen Königs, August IH., in den Jahren 1711 — 1717,
nach dem Tagebuch seines Mentors, des Marienburger Wojewoden und
Hauptes der sächsischen Camarilla in Polen, Joh. Georg Przebendowski,
Exkalviners (wie sein Herr und König Exlutherauer war und aus den-
selben Gründen); es ist eine ganz höfische Reise, mit Notierung aller
Zeremonien und Aufwartungen, deren Fortsetzung, am Hofe des sterben-
den Louis XIV. und in Italien, besonders interessant zu werden ver-
spricht. Einer anderen, weniger als Staszic einheitlichen, aber nicht
minder patriotischen und genial veranlagten Persönlichkeit des ausgehen-
den XVIII. Jhs., dem Exunterkanzler und Exdiktator Kollataj widmete
Waciaw Tokarz eine Art Rehabilitationsschrift, Ostatnic lata Hugona
Kollataja, zwei Bände, 347 und 269 S., Krakau (Akademieausgabe)
1905, die das Olmützer Gefängnisleben und die Periode der folgenden
Polonica. 561
Vereinsamung des Denkers und Pädagogen, des Memoiristen und Pro-
jektenmachers, des Historikers und Sittenschilderers auf Grund fast ganz
unbekannten, handschriftlichen Materials schüdern.
Wir haben eben den Namen Alexander Kraushar's genannt.
Wollten wir alle seine Studien und Skizzen nennen, wtirden mehrere
Seiten nicht alle die Titel fassen; ein glücklicher Finder, ein unermüd-
licher Sucher, hat er die Literatur- und namentlich Kulturgeschichte um
eine Menge intereressanten Details bereichert. Sein umfangreichstes
Werk, acht starke Bände hat er unlängst vollendet: Towarzystwo Kro-
lewskie Przyjacioi Nauk 1800 — 1832, über die ersten Bände haben wir
bereits berichtet gehabt, jetzt liegen vor Band IV, die Sitzungen und
Tätigkeit der Gesellschaft 1816 — 1S20, Krakau und Warschau 1902,
408 S. 80; Band V, die Sitzungen von 1820—1824, Krakau und War-
schau 1904, 476 S.; Bd. VI, 1824—1828, 1905, 501 S.; Band VU,
die letzten Jahre, 1828—1830, 1905, 531; Band VIU, der Epilog,
1831 — 1836, 1906, 513 S., da die Gelehrte Gesellschaft das odium
ihres Präsidenten, des Russophoben Niemcewicz, und des Aufstandes
von 1831 auf sich nehmen mußte; die Berichte der Untersuchungskom-
missionen, die recht unwürdige RoUe des Exmitgliedes der Gesellschaft,
Linde, die systematischen Verfolgungen bis zu der von vornherein vom
Kaiser beschlossenen Aufhebung der Gesellschaft füllen die traurigen
Blätter dieses Bandes. So ist nach Generationen eine erschöpfende Dar-
stellung der Tätigkeit dieser unter den schwierigsten Umständen ins
Leben gerufenen, mit den widrigsten Verhältnissen kämpfenden, aus-
schließlich auf die Opferwilligkeit der eigenen Mitglieder angewiesenen,
zuletzt von der Regierung geplünderten Gesellschaft gegeben, eine alte
Dankesschuld gelöst worden. Wir nennen noch von demselben Heraus-
geber seine Obrazy iWizerunki historyczne, Warschau 1906, 422 S., eine
Sammlung von zerstreut in den letzten Jahren erschienenen Skizzen, über
Rylejev und Niemcewicz, Fedor Lysenko, der Kosciuszko bei Maciejo-
wice verwundete u.s.w., im buntesten Durcheinander, von einer Relation
über den Tod von Sigismund August 1572 bis zum Neki'olog eines
Brüsseler Buchhändlers und Dichters (Merzbach), alles reich illustriert; die
Illustrationen bilden auch einen Ilauptschmuck seines Werkes über das
Towarzystwo.
Zum XVIII. Jh. sei noch genannt die neue Ausgabe des Glos wolny,
der Reformschrift des Königs Stanislaw Leszczynski, die A. Rembow-
ski auf Grund des Originals von der Iland des Königs besorgt hat, als
Archiv für slavischo l'hilologie. XXVIll. 36
562 A. Brückner,
XIX. Band des Muzeum Konst. Swidzinskiego, Warschau 1903, LXXXIV
und 114 S. 40. Es waren nämlich Bedenken über die Autorschaft der
denkwürdigen Schrift aufgetaucht, das Datum ihres polnischen Druckes
1733 (die französische Übersetzung ist von 1749) erregt begründete
Zweifel — alles zerstreut die treffliche Publikation mit ihrer eingehen-
den Würdigung der Gedanken und Projekte des Königs.
Beim Eintritt in das XIX. Jh. nennen wir eine Materialiensammlung,
die der gesammten Literaturgeschichte sich zuwendet, den zweiten Band
von den Materja^y do dziejow pismiennictwa polskiego i biografji pi-
sarzow polskich zebral Teodor Wierzbowski, Warschau 1904, XXV
und 249 S. 4"; der Band reicht vom Mittelalter bis 1831, bringt Briefe,
Privilegien der Buchhändler, Quittungen, Testamente (des Stanislaw
Orzechowski u. a.), Nobilitationen, Vorlesungsprogramme u. dgl., wesent-
liches und unwesentliches in buntem Durcheinander; in der Vorrede
polemisiert der Herausgeber mit (dem heutigen Senator) G. Sänger, mit
Prof. Ptaszycki und mit mir wegen der Ausstellungen, die wir an dem
Text des ersten Bandes gemacht haben.
Aus den Reihen der Literaturhistoriker hat der Tod den unermüd-
lichen Ai'beiter, Piotr Chmielowski, vorzeitig herausgerissen, ließ
sich ihn nicht lange des endlich erreichten Universitätskatheders freuen ;
jeder unserer früheren Berichte hatte ja eine lange Reihe seiner Publi-
kationen zu nennen gehabt. Von der Historya Literatury Polskiej des
Grafen Stanislaw Tarnowski ist Band VI, erster Teil, erschienen,
Krakau 1905, XI und 367 S. 8», umfassend die Jahre 1850—1863, d.i.
das romantische Epigonentum, die Literatur der W. Pol, Syrokomla (über
den unlängst eine recht sorgfältige, pietätsvolle Monographie-Synthese
erschienen ist, A. Drogoszewski, Wladystaw Syrokomla 1823 — 1862,
Warschau 1905, 119 S. 8''), Lenartowicz, Korzeniowski, Klaczko — die
zumeist vergessenen Rezensionen desselben, Meisterstücke der Invektive
und Intuition zugleich, frischte unlängst Ferdynand Hoesick auf,
Juliana Klaczki pisma polskie, Warschau 1902, 305 S. 8^, freilich mit
der nötigen Rücksicht auf den Drachen Zensur; er schrieb auch ein
Lebensbild des Verfassers, Juljan Klaczko, rys zycia i prac 1825 — 1904,
Krakau 1904, 246 S. klein 8*^, ganz populär gehalten; die französischen
Aufsätze dieser glänzenden Feder tibersetzten Graf St. Tarnowski,
J. Jablonowski und Ant. Potocki, und gaben sie, Warschau 1904,
heraus: szkice i rozprawy literackie, XXVII (Vorrede von Tarnowski)
und 439 S. 8"; erst auf diese Weise ist flüssig geworden das, in den ver-
Polonica. 563
gilbten Jahrgängen der Wiadomosci polityczne oder der Revue de deux
mondes verscharrte Edelmetall von Gedanken und Analysen. Die be-
kannten Vorzüge der Darstellungsweise des Tarnowski, seinen feinen
ästhetischen Sinn, den umfassenden Blick, die vollendete stylistische
Form weist dieser Band schon darum weniger auf, weil er meist von
Kleinem handelt; wir sind gespannt auf den zweiten Teil, der auch die
neueste Literatur umfassen soll.
Ich nenne meine Dzieje literatury polskiej w zarysie, zwei Bände,
Warschau 1903, 476 und lU sowie 497 und X S. 80; der erste Band
behandelt die Literatur bis 1800, der zweite die des XIX. Jhs. ; mit
meinem deutschen Buche gleichen Titels hat dieses polnische nichts
gemein, bestimmt für andere Leser und Bedürfnisse; das Buch hat wohl-
wollende Aufnahme von Seiten der Kritik gefunden ; es drängt das bio-
und bibliographische Moment ganz in den Hintergrund, bevorzugt etwas
gar einseitig das kulturhistorische und ist ohne alle Anmerkungen, d. h.
ohne alle Belege für Behauptungen. Die glänzendste Leistung polnischer
Kritik, selbst ein Kunstwerk hohen Ranges, ist des Herausgebers der
Krakauer Monatsschrift Krytyka, Wilh. Feldman, Pismiennictwo pol-
skie 1880 — 1904, Lemberg 1905, vier Bände, in dritter Auflage er-
schienen, 292, 251, 243 und 454 S. 8'^ mit vielen Portraits und anderen
Illustrationen; in der dritten Auf läge ist der vierte Band, die Geschichte
der zeitgenössischen Kritik enthaltend, neu hinzugekommen. Ein ähn-
liches Werk besitzt z. B. die russische Literatur gar nicht, unter deren
Kritikern nur Volynskij und Merezkovskij, wenn sie das rein ästhetische
und den sozialen Hintergrund mehr berücksichtigen würden, herankom-
men könnten. Allerdings werde ich Feldman's Synthese keine objektive
nennen, sein Temperament verführt ihn bis zu ki-asser Einseitigkeit in
der Beurteilung oder richtiger Verurteilung der Gegner, aber sein Nach-
empfinden der Intentionen eines jeden Werkes, die tief dringende psy-
chologische, ästhetische, sozialpolitische Analyse, das Hervorkehren des
Individuellen und Charakteristischen mit Übergehung alles minder be-
deutsamen, der weite vergleichende Blick, die umfassende Belesenheit
und die geradezu vollendete Darstellung gewähren bei der Lektüre einen
hohen Genuß; man mag über manches und manche ganz anderer An-
sicht sein, einen fesselnderen und bewährteren Führer im Irrgarten der
Modernen wird man gewiß nicht auftreiben. Eine besondere Schrift, aus
Vorlesungen in den Ferienkursen in Zakopane entstanden, ist seine, die-
selben Vorzüge — ohne die Fehler aufweisende, ganz vortrelTüche Clia-
36*
564 -A^- Brückner,
rakteristik von Wyspianski und Zeromski, den beiden, einander so ent-
gegengesetzten Koryphäen der modernen Literatur, 0 tworczosci St. Wy-
spianskiego i Stef. i^eromskiego , Krakau 1905, 168 S. S*^, sowie das
maß- und verständnisvolle Studium über Ibsen, 1906, 216 S. 8^.
Das Studium von Dr. Tadeusz Grabowski, Poezja polska po
roku 1863, Krakau 1903, bleibt hinter dem eben genannten Werke
zurück, trotzdem der Verfasser, der sich vorher namentlich mit französi-
scher Literatur und mit polnischen Kritikern beschäftigt hatte, ein siche-
res ästhetisches Empfinden verräth. Noch viel weniger vermochte seiner
Aufgabe gerecht zu werden Tadeusz Sierzputowski, Romantyzm
polski, jego fazy, istota i skutki, proba syntezy, Lemberg 1905, 278 S. 8",
aus dessen Ausführungen die über die kritische Literatur der polnischen
Romantik am gelungensten ausfielen, während die eigentliche Synthese
der Romantik nur am äußerlichen haften bleibt. Eine der letzten Ar-
beiten von Piotr Chmielowski war gerade der Geschichte der Kritik
in Polen gewidmet, Dzieje krytyki literackiej wPolsce, Warschau 1902,
XVII und III und 553 und X S. 8^; hier bewegte sich der Verfasser im
eigensten Fahrwasser, doch löste er auch hier die Darstellung in Einzel-
bilder auf und charakterisierte vielleicht allzu reichlich die Kritiker nur
mit ihren eigenen Worten; in einem Anhang (von S. 473 ab) gab er aus-
führlicher die Ansichten der Kritiker über Roman und Drama wieder.
Vermischte Aufsätze und Studien werden in besonderen Sammlungen
der Vergessenheit entrissen; so gaben die Schüler des früh verstorbenen,
verdienten Pädagogen Ant. Gust. Bem, Studya i szkice literackie ihres
Lehrers pietätsvoll heraus, Warschau 1904 (mit einer Einleitung, einer
Würdigung der Lebensarbeit, durch J. Chrzanowski), 316 S. gr. 8^ —
sie umfassen einiges aus der älteren Literatur (Rej u. a.) und sind beson-
ders Erscheinungen des XIX. Jhs. gewidmet (Zaleski; Messianismus ;
Asnyk u.a.). Ign. Chrzanowski gab Okruchy literackie heraus, War-
schau 1903, aber nur das Format (206 S. kl. 8^) ist en miniature ge-
halten, nicht die Skizzen selbst (Konarski; Zmichowska, deren besonderer
Verehrer der Kritiker ist; Ujejski u. a.). Dr. St. Zdziarski gab Szkice
literackie heraus, Lemberg und Warschau 1903, VUI und 311; er pflegt
mit Vorliebe Berührungen zwischen polnischen und russischen Dichtern
(hier z. B. Witwicki und Zukovskij's Svetlana; Mickiewicz und Lermon-
tov, nachgehend den oft recht zweifelhaften Spuren des polnischen Dich-
ters) sowie Einzelnheiten zu Zaleski u. a. Höher stehen die kritischen
Skizzen, nur der Moderne gewidmet, eines Jan Sten (Pseudonym eines
Polonica. 565
Naturforschers), Dusze wspotczesne, Lemberg 1903; Pisarze polscy,
ebds. 1903; Szkice krytyczne, ebds. 1906, 207 S. 8" (besonders aus-
führlich über Wyspianski); sie verraten ein tiefes Verständnis, haben
eine gediegene Form, doch sind es mitunter nur Wiedergaben eines Im-
pressionisten, der bloß das Medium zwischen Autor und Leser sein will.
Am höchsten erhebt sich der Warschauer Kritiker Ignacy Matuszew-
ski, ein gründlicher Kenner aller Literaturen sowohl wie der modernen
Evolution von Psychologie und Kritik; aus seinen gesammelten Auf-
sätzen nenne ich: Swoi i obcy, pokrewienstwa i roznice, zarysy literacko-
estetyczne, Warschau 1903, 432 S. (über Prus, Sienkiewicz, Siowacki,
Byron in der polnischen Poesie u. a.) ; Tworczosc i Tworcy, Warschau
1904 (ti-effende theoretische Ausführungen in »Ziele der Kunst« »Psy-
chologie der Kritik«; sowie über einige moderne Schriftsteller); seine
Vorliebe für weit ausgreifende Parallelen bewies namentlich sein Djabel
w poezji, zweite stark erweiterte Ausgabe, Warschau 1900, ein eigen-
artiges Studium über Verkörperung des »Bösen«, zu allen Zeiten, mit be-
sonderem Hervorheben des Sinkens seines Niveau auf slavischem Boden.
Andere Sammlungen, von A. Potocki, Prof. J. Kallenbach (mit ein-
zelnen schönen Skizzen, z. B. über Lenartowicz], Marja Konopnicka
u.s.w., müssen wir übergehen. Ebenso lassen wir unbesprochen eine
Menge von Aufsätzen, die einzelnen Dichtern, großen und kleinen, in
Zeitschriften, Biblioteka Warszawska (Studien von J. Tretiak u. a.)
U.S.W. , gewidmet sind, mögen sie auch noch so interessantes Detail ent-
halten. Wir nennen zum Schlüsse nur noch des verdienten Publizisten,
Zygm. Wasilewski, Sladami Mickiewicza, Lemberg 1905, III und
300 S. kl. 8'', die wirklich »szkice i przyczynki do dziejow romantyzmu«
sind, wie der Untertitel lautet, obwohl der Messianismus (ToAvianski)
überwiegt, sowie die »Befreiung« von demselben, wie sie sich Wyspian-
ski, ein »neuer Konrad« denkt; Wasilewski verdanken wir auch das
Unternehmen einer Gesamtausgabe der Werke des Goszczynski, die deren
bisherigen Umfang um das Doppelte übertreffen sollen: Pisma Seweryna
Goszczynskiego, wydanie kompletne, uzupeluione Pismami posmiertnemi,
I, Lemberg-Warschau 1904, XI und 317 S. S".
Während die letzten Jahre die Mickiewiczliteratur nicht besonders
bereichert haben (am meisten brachte neues und wertvolles der Nachweis
des Einflusses vom alten, gefeierten Patrioten und Dichter Niemoowicz auf
Mickiewicz, wie ihn Prof. Wilh. Bruchnalski im Pamic^tnik literacki IV
und V durchführte), erfuhr die Literatui- über Siowacki und Krasinski außer-
566 A. Brückner,
ordentliche Förderung. So gab Prof. TadeuszPini, mit Unterstützung der
gräflichen Familie, d. i. des Enkels des Dichters und Herausgebers der
Biblioteka Warszawska, Graf Adam Krasiuski, eine vollständigere Samm-
lung der Werke des Zygmunt Krasiuski und in sorgfältigerer Form, als
wir sie bisher gehabt haben, Jugendschriften sowohl wie die Lyrik der
Mannesjahre, die bisher verschollen oder unbekannt waren, in sechs
Bänden (Lemberg 1904); als 7. und 8. Band erschien hierzu von Prof.
Jozef Kallenbach eine Biographie des Dichters: Zygmunt Krasiuski,
zycie i tworczosc lat miodych 1812 — 1838, auf Grund nur ihm zugäng-
licher Quellen, des Briefwechsels zwischen Sohn und Vater (dem napoleo-
nischen General und russischen Statthalter), anderer eigenhändiger Auf-
zeichnungen des Dichters ; der Herausgeber seines Briefwechsels mit dem
Engländer Reeve, seiner meist französischen Jugendschriften, war wie
niemand anderer zur Erfüllung dieser Aufgabe berufen.
Die Literatur wie der Kultus von SJ:owacki, der jetzt erst ein ver-
ständnisvolleres Publikiun gefunden hat, als zu seinen Lebzeiten dies
möglich war, da man seiner Poesie ratlos meist gegenüber stand, sind im
steten Aufstieg begriffen. Die treffliche Arbeit von Matuszewski, die
ausführlich den Zusammenhang der Modernen mit Siowacki, dessen vor-
ahnendes Erfüllen ihres Programmes begründete, erschien in zweiter,
vermehrter Auflage (1904); aus dem Nachlaß des Dichters wird immer
neues publiziert, z. B. sein Drama, phantastisch und geheimnisvoll wie
alles aus seinen späteren Jahren, Samuel Zborowski (an dem nur der
Titel als historisch gelten kann) gab der Literarhistoriker Henr. Biegel-
eisen heraus (Warschau 1903, 215 S. 8"); seinen Zawisza Czarny, von
dem dasselbe gelten muß, Artur Gorski (Warschau 1906, 199 S. S");
die Erzählung der Mokryna Mieczysiawska mit Varianten Biegeleisen
u. a. ; eine kritische Studie über den Zborowski verdanken wir Dr. Wik-
tor Hahn, Lemberg 1905, 71 S. gr. 8^. In diesen bewundernden Chorus
fiel als ein etwas schriller Mißton herein das außerordentlich lebhaft und
fesselnd geschriebene Werk von Prof. Jozef Tretiak, Juliusz Siowacki,
Historja ducha poety i jej odbicie w poezji, Krakau 1904, Band I, VIH
und 494, BandU, 504 S. 8^. Es rief die schärfste Polemik hervor; Piotr
Chmielowski nannte den ersten Band «ein vom Scheine kritischer Wür-
digung beschönigtes Pamphlet«, ihm trat der Verfasser W obronie wia-
snej ksiazki entgegen (24 S.); die Polemik zog weitere Kreise, vgl. das
Schriftchen von Z. Wasilewski, Spor o Stowackiego jako zagadnienie
nauki i kultury, Lemberg 1905, 37 S.; sie führte auch zum jähen
Polonica. 567
Wechsel in der Redaktion des Pami^tuik literacki. Der Verfasser hatte
allzusehr das persönliche Moment herausgehoben, sich zum Gewissens-
richter des Dichters aufgeworfen und mußte daher Anstoß erregen; an-
dererseits beachtete man nicht die Verdienste und Vorzüge des Werkes,
das Lösen manchen Rätsels in den Schöpfungen des Stowacki, in denen
bewußter und unbewußter Antagonismus zu Mickiewicz vor 1840 ein
wichtiges Moment bildet, das eben Tretiak, vielleicht allzu stark, allzu
einseitig zugunsten des großen Rivalen betonte. Der zweite Band, der
viel unbefangener, würdevoller die letzte, entscheidende Evolution des
Dichters behandelte, die ungeheuchelte, volle Anerkennung des Zaubers
seiner Poesie, litt bereits unter dem Eindrucke, den der erste gemacht
hatte; die Angriffe, deren starkes Echo wir auch bei Feldman finden,
eines T. Pini u.a., gingen entschieden viel zu weit, gefielen sich in unge-
heuerlichen Verdächtigungen sogar. Andere kleinere, doch wertvolle
Beiträge zur Siowackiliteratur eines K. Jarecki (über W Szwajcarji des
Dichters, aus der Biblioteka Warszawska), u. a. müssen wir tibergehen.
Gegenüber dieser Fülle von literarhistorischen und kritischen Ai'-
beiten, die wir ja nur zum Teil erschöpfen konnten, sticht der Mangel an
linguistischen Studien ab. Grammatische, namentlich syntaktische, pflegt
seit jeher Prof. Jan tos, so auch in seiner neuesten Schrift, Funkcye
narzqdnika w j((Zyku polskim, Abhandlungen Band XL, 1904, S. 94 —
154, doch ist seine Beispielsammlung für den Gebrauch des Instrumen-
talis nur aus mittelalterlichen Texten geschöpft; besonders venveilt er
natürlich bei dem prädikativen Instr., widerlegt die Erklärungen eines
Potebnja oder Malecki, erklärt sich gegen Herleitung aus dem modalen
Brauch und denkt an den distributiven sowohl wie den der «Hilfsmotive«
(eigentlicher Instrumental). Kleinere, in deutscher Sprache erschienene
Arbeiten von Benni oder Uiaszyn, sind bereits im Archiv angezeigt
worden ; zu letzterer sei nachträglich bemerkt, daß das Material (für die
sog. »Entpalatalisierung«, einfacher gesagt, für den Umlaut ie-io und
ie-ia) wohl zusammengestellt ist, dagegen die Einzelausführungen ver-
fehlt sind. Ich bekämpfe «falsche« Analogien — die Sprache kennt nur
«richtige«, nur Linguisten operieren mit falschen — dann, wenn sie
eben unrichtig sind, wenn sie das Wesen der Erscheinung nicht treffen.
Wenn ich meinte, daß im Polnischen nicht hez^ sondern bicz zu erwarten
wäre, so habe ich *bioz (wie lautlich verlangt werden könnte) darum
nicht angesetzt, weil es auch nur ein przez, kein *przoz gibt, was seinen
guten Grund hat; przez und *bicz [bez] berühren sich aber seit jeher
568 A. Brückner,
näher. Ich hahe Respekt nur vor Fakten, nicht vor Lautgesetzen, die
sich nach den Fakten zu richten haben, nicht umgekehrt; Lautgesetz-
reiterei ist ebenso unrichtig, wie (falsches) Analogieschmieden ; ich kenne
nur eines — historische Betrachtung. Und diese wird nie die Erklä-
rungen, die Uiaszyn vorträgt, zugeben, z. B. 2)owiedac sei aus dem
Böhmischen entlehnt, was leicht zu behaupten, aber unmöglich wahr-
scheinlich zu machen ist; ebenso verhält es sich mit tvier^ im Akkusativ;
wenn »die Geschichte keinen Fall von Veränderung unter dem Einflüsse
des Localis kennt« (S. 17), woher sind die e von krzesio^ na wiesne
genommen? u.s.w. Neues brachten die Materyaly i prace komisyi j^zy-
kowej Akademji Umiejetnosci w krakowie, bis jetzt drei Bände, 1904
und 1905. Das beste leistete Kazimierz Nitsch durch seine groß
angelegten und systematisch ausgeführten Dialektstudien im Nordwesten
des Sprachgebietes {westpreußische und kaschubische Dialekte); hierher
gehören namentlich seine Beschreibung des Lusiner Dialektes, I, 221 ff.
und seine «Polnische Dialekte in Westpreußen«, III, 101 — 284, mit
Dialektmappe; hier behandelt er, von Pfarrei zu Pfarrei fortgehend,
kaschubisch-polnische Grenzdialekte, sowie die polnischen Dialekte der
Krajna (Krajniacy) oder wie er ihn nennt zlotowski, der Tuchler Haide
(tucholski, sonst Dialekt der Borowiaken), des Kociewie mit seinen Unter-
dialekten. Der zweite Teil, die polnischen Dialekte Westpreußens auf
dem rechten Weichselufer, ist ebenfalls bereits erschienen (Materyaly
in, 1905, S. 305 — 395); es ist das Ergebnis einer Bereisung der Gegend
im Sommer 1905, etwas knapper gehalten als der vorhergehende Teil.
Zwei Mappen mit genauer Eintragung der Dialekte (verschiedene Farben
aller Ortschaftsnamen) gewähren ein anschauliches Bild. Es ist unmög-
lich, hier aufmerksam zu machen auf alle interessanten Erscheinungen in
der Lautlehre zumal, auch im Glossar, wo zähes Festhalten an alten,
ganz vereinzelten Worten auffällt, z. B. blewiezic plappern [hlewqzgac
auch für lästern kommt schon im XV. Jh. vor) ; cluzy duzny für groß in
Westpreußen kann ohne weiteres gegen kleinrussische Entlehnung des
Wortes aufgeführt werden; chluba für Gerte, cigedz für Schatten, za-
manqwszy für zeitweilig u. dgl. ; sehr interessante Beobachtungen lassen
sich für Entlehnungen aufstellen, in lautlicher wie in semasiologischer
Beziehung (z. B. zala Sohle, skowron heißt auch Lärche = Tannen-
baum!). Auch hier kommt, wie anderwärts der Dunaj\ WisJa für Fluß
überhaupt vor — aber dadurch wird die Etymologie von Wisia = Fluß,
die bekanntlich Rozwadowski aufgestellt hat, mit nichten gestützt. Auf
Polonica. 569
die eigentlich mazurischen Dialekte, die scipiq (d. i. c, 5 für cz, sz sagen)
und moziq (d. i. z aus wz für w sprechen, zirzha = wierzha^ do zizy-
nio = do widzenia, zilk, zino — trotz Schriftsprache!!), erstreckt sich
der Bericht nicht mehr. Authentische Texte, Briefe z. B., erläutern das
Gesagte.
Die Fülle und Genauigkeit der Beobachtungen gemahnt an die
ihrerzeit grundlegenden, schlesischen Aufzeichnungen von Malinowski;
auf Mitteilung von Texten ist allerdings geringeres Gewicht gelegt, desto
mehr auf erschöpfende Charakteristik der phonetischen Seite ; auch der
lexikalische Teil geht nicht leer aus. Aus Anlaß des Artikels von Lo-
rentz über die Verwandtschaftsverhältnisse der westslavischen Sprachen
im Archiv schreibt er über dasselbe Thema, III, 1 — 57 ; aus diesen Aus-
einandersetzungen kommt nichts heraus, wohl aber muß man sich über
manche Bemerkung baß verwundern, z. B. daß «in Pommern der Wider-
stand gegen die Metathese (tort zu trot) aus oft äußeren Umständen folgen
konnte, wie die Nachbarschaft der Preußen, bei denen diese Gruppe
(tort) gewöhnlich war« (S. 57; ich übersetze wörtlich, damit man mich
nicht fauler Witze zeihe; die Abneigung der Polaben gegen trot ist
dann wohl von der Nachbarschaft der Deutschen gekommen u. s.w.?).
Gegen diese Fülle von neuem und interessanten dialektischem Material,
wie es uns seit Malinowski's Zeiten nicht mehr geboten ward, kommen
kurze Schilderungen einiger Lokaldialekte, von Witek, Dobrzycki u.a.
nicht auf. Prof. Rozwadowski teilt altes Material mit; gibt eine ge-
nauere Abschrift des bekannten Polykarpdialoges vom Tode und der
alphabetischen Todtenklage aus der Mitte des XV. Jhs. sowie den un-
bedeutenden sprachlichen Ertrag aus einer Nonnenregel von 1540, an
der mir am meisten der Gebrauch des slovakisch-magyarischen cidek für
Distrikt aufgefallen ist; er wie Prof. Baudouin de Courtenay gaben
auch allgemeine Anleitungen für dialektische Aufzeichnungen und Cha-
rakteristiken der polnischen Phonetik. J. Leniek teilt ein paar belang-
lose böhmische Texte (Haupt-Gebete) aus einem lateinischen Gebetbuch
von 1424 (heute in Przemyls) mit, samt dem Salve Regina. Holger
l'cdersen begründet (S. 165 flf.) die Zusammenstellung von gqba mit
Schwamm (aus zgitomhho-] und gibt noch einige slavo-deutsche Paralle-
len: inij und h (wobei dann litauisches ]/ms als entlehnt fallen muß],
szczeka und skandinavisch ahegg Bart, sowie spon^ verschlagsam, mit
spar-en. Die ausführlichste Arbeit gehört Prof. K.E.Mucke au, szczatki
jvzyka poiabskiego Wendow Lüneburskich, I, 313 — 569, gesammelt in
570 ^- Brückner,
den Jahren 1901 und 1902; es sind dies Orts-, Feld- (Flur-) und Per-
sonennamen, festgestellt auf Wanderungen von Ort zu Ort und auf Grund
der Katastermappen; die mühevolle Arbeit von Mucke traf zeitlich zu-
sammen mit der Publikation von P. Kühnel, die slavischen Orts- und
Flurnamen im Lüneburgischen, Hannover 1902 (aus der Zeitschrift des
historischen Vereins für Niedersachsen). Mucke konnte feststellen, daß
Hoffnungen auf etwaige polabische Eintragungen in Gerichtsbüchern oder
sonstige Sprachdenkmäler ganz vergeblich sind; desto energischer nützte
er die einzige, noch nicht versiegte Quelle, die Namen aus, alle zugleich
deutend, um das polabische Wörterbuch vollständig zu machen; ob er
sie alle auch richtig gedeutet hat, ob nicht manch deutscher Terminus
als slavischer sich einschlich, lassen wir bei der Schwierigkeit der Materie
dahingestellt ; verdienstlich bleibt die mühevolle Arbeit jedenfalls, bringt
bleibenden Gewinn schon durch die bloße Stoffsammlung.
Noch zwei Rubriken hätten wir zu behandeln, um halbwegs dem
Stoffe gerecht zu werden, ethnographische Publikationen (z. B. in der
Akademie) und historische. Gerade unter den letzteren ist eine Fülle
bahnbrechender Arbeiten zu nennen, so die von genialem Spürsinn zei-
genden Szkice historyczne jedynastego wieku von Prof. Tadeusz Woj-
ciechowski, Krakau 1904, 346 S. 8*^, die auf die Anfänge polnischer
Kultur, die Arbeit des Eremitenordens, die politischen Verwicklungen in
der zweiten Hälfte, zumal unter Boleslaw H., auf das Gerichtsverfahren
gegen Bischof Stanislaw von Krakau, der offenbar des Hochverrates
überführt ward, Licht werfen sollen ; die Stanislawfrage wurde auch von
anderer Seite (Krotoski in einer Reihe von Arbeiten) gleichzeitig be-
handelt und in anderem Sinne entschieden (erster Zusammenstoß welt-i
lieber und geistlicher Macht). Prof. Abraham's Werk über die Anfängei
katholischer Kirchenorganisation auf russischem und orthodoxem Bodeni
überhaupt, Powstanie organizacji kosciola lacinskiego na Rusi, I, Lem-
berg 1904, XVI und 418 S. 8^, ist eine Meister- und Musterleistung, auf
die ich gerade russische Kirchenhistoriker aufmerksam mache ; wie wird 1
durch die Darstellung des polnischen Historikers die von GoJubinskij j
überti'offen, wo sich beide überhaupt vergleichen lassen! Alle ihm er-|
reichbaren russischen Quellen hat der Verfasser gewissenhaft benützt;!
die Arbeit reicht bis Jagello; der zweite Band wird sie abschließen; das|
ganze ist nur Fortsetzung der früheren » Organizacja Koscioto w Polsce i
do polowy XII wieku « (zwei Auflagen). Im Anschlüsse daran nenne ich i
die sorgfältige Arbeit von Wlad. Szczesniak mag. theol., Obrzadekl
Polonica. 571
slowianski w Polsce pierwotnej, rozwazony w swietle dziejopisarstrsva
polakiego, Warschau 1904, 207 S. 8*^, wo mit den Phantasien der älteren
Protestanten (Wegierski und Friese), sowie der jüngeren polnischen
Historiker, Maciejowski, Bielowski, GumploAvicz, scharf aber treflend, zu
Gerichte gegangen und der mit dem slavischen Ritus in Polen getriebene
Humbug enthüllt wird.
Aus dem Werke Prof. Abraham's sei noch hervorgehoben die be-
hutsame Behandlung der interessanten Frage, wie das Bistum Lebus an
der Oder zum Bistum für die Katholiken Rotrußlands erhoben werden
konnte u. a. In anderer Art grundlegend ist das Werk von Dr. Fryde-
ryk Papöe, Polska i Litwa na przeiomie Aviekow srednich, Tom I,
ostatnie dwunastolecie Kazimierza Jagiellonczyka, Ki-akau 1903, 422 S.
80; es handelt sich vor allem um den Nachweis, warum der Jagellone
vor dem Ruriksohne überall zurückweichen, nicht nur auf Nowgorod und
Pskow verzichten mußte; die Beschränktheit seiner Mittel und die Un-
zuverlässigkeit seiner russischen Fürsten zwangen ihm die wohlerwogene
Reserve wider WiUen auf; sehr breit ist der kulturhistorische Hinter-
grund dieser Kämpfe gezeichnet, die inneren Verhältnisse in Litauen und
in der »Krone«. Einem Ausschnitte dieses Kulturlebens ist gewidmet
der zweite Band des groß angelegten Werkes von Antoni Karbowiak,
das nach über einem halben Jahrhundert die alte Schulgeschichte von
Jlukaszewicz endlich ersetzen soll: Dzieje wychowania i szkol w
Polsce, n (Mittelalter, zweiter Teil; dritte Periode), von 1364 — 1432;
Petersburg 1904, VIII und 490 S. S^] das Enddatum ist nicht glücklich
gewählt, da es keinen wesentlicheren Einschnitt bezeichnet; die Dar-
stellung ist etwas weitschweifig und wiederholt sich; manches (z. B. Ver-
zeichnis der Universitätsprofessoren und ihrer Lebensdaten) dürfte über-
flüssig sein, wichtigeres dagegen fehlen; im Mittelpunkte des Bandes
steht natürlich die Gründung und Organisation der Universität. Soviel
nur sei aus der historischen Literatur erwähnt. Aber wie vieles andere,
Werke und Skizzen, beanspruchten Nennung i); es sei nur hervorge-
1) Eine russische Studie sei erwähnt, A.V. Storozenko, Stefan Batorij
1 dnieprovskije kozaki, Kiev 190 1, ;{27 S. b«, eine sehr 8orfi:f:iltij|;e Arbeit, weil
sie einen unbekannten polnischen Druck von 1^84, ein Epicedion (in etwa
i;{Oü Versen) auf den Tod des Kiever Kastellaus Michael Wisuiewiecki, wört-
lich abdruckt. Außerdem die Skizzensammlung von Dr. Waclaw Sobieski,
szkice historyczne, Warschau 19114 ;U6 S. kl. b»), weil ihre zweite Skizze «dem
ersten Protektor des Pseudodemetriua« gewidmet ist, d. i. dem Siiulcr und
572 A. Brückner,
hoben, daß dem früher ganz vernaclilässigten XIX. Jh. endlich Rechnung
getragen wird; so hat Prof. Smolka längst Jagello und die Unions-
geschichte aufgegeben, um sich der Tätigkeit des Ministers Lubecki zu
widmen; Prof. Askenazy pflegt selbst und durch seine Schüler dieselbe
Zeit. Wenigstens sei nicht verschwiegen, daß die polnische Rechtsge-
schichte nach langer Pause äußerst energisch gefördert wird; ihr Haupt-
vertreter, Prof. Oswald Balzer in Lemberg, ist zwar durch Editor-
sorgen in Anspruch genommen ; er bereitet eine neue, vollständige Aus-
gabe der Konstitutionen Sigismund I. vor und hat uns darin auch eine
polnische Übersetzung des armenischen Statutes von 1528 abgedruckt,
indem er (nach dem lateinischen Original von 1519) die drei handschrift-
lichen polnischen Übersetzungen, die von 1528 und 1595 sowie 1601,
neben einander abdruckt (S. 401 — 538, 4^)^ mit der genauesten Sorg-
falt. Er steht an der Spitze des neuen, rührigen Towarzystwo dla po-
pierania nauki polskiej in Lemberg, dem wir eine Reihe trefflicher Werke
(z. B. das oben genannte von Prof. Abraham) verdanken; in seinem
»Archiwum naukowe« erschienen auch die rechtsvergleichenden Studien
von Dr. Przemysiaw Dabkowski, die Bürgschaft im polnischen
mittelalterlichen Recht (Rekojemstwo etc., 255 S. gr. 8°, 1904), die Ein-
lagerung nach demselben (ZaJoga etc., 1905, 49 S.), Bestätigung von
Kontrakten unter Androhung des Scheltens (0 utwierdzeniu umow pod
groza lajania etc., 1903, 75 S.), der Leihkauf (Litkup, studjum z prawa
polskiego, 68 S., 1906): der Verfasser berücksichtigt namentlich das alt-
böhmische Recht, aber ebenso gründlich das deutsche — so tritt die
polnische Rechtsgeschichte aus ihrer einstigen Isolierung (trotz Hube und
Maciejowski) auf gesündere Bahnen der Entwicklung; mit bestem Bei-
spiel ging ja Prof. Balz er selbst vor, sowohl in seiner ausführlichen
Verteidigung einer gemeinslavischen Zadruga gegen die Angriffe Peis-
kers, 0 zadrudze siowianskiej im Kwartalnik historyczny 1899, wie in
seiner Historya porownawcza praw siowianskich.
Poseur Kniaz Jadam (Wisniowiecki) : aus dem Kanzlerarchiv (der Zamoyski)
veröffentlicht auch Sobieski die erste Erwähnung des Pseudodemetrius in Polen,
den Brief Adams Wisniowiecki an den Kanzler Zamoyski vom 7. November
1603 aus Wisniowiec; er fragt um Rat, gesteht, mit der Sache gezögert zu
haben, weil er selbst sehr in dubio darüber gewesen ; er hätte sich endlich
dazu entschlossen, weil in letzter Zeit mehrfach Moskauer, über zwanzig, hier-
her gekommen wären und dem Demetrius seine Anrechte bestätigt hätten.
Die Antwort des Kanzlers ist bekannt, sie stellte Wisniowiecki nicht zufrieden.
I
Polonica. 573
Zum Abschluß unserer tiberlangen Ausführungen — wir übergehen
wichtige Beiträge z. B. zur Geschichte Preußens und des Ordens, nament-
lich die Studie von Dr. Wojciech von K^trzynski, Der deutsche
Orden und Konrad von Masovien 1225—1235, Lemberg 1904, 188 S. 8»
(vorher, kürzer, polnisch erschienen in den Krakauer Abhandlungen,
histor.-philosoph. Klasse, Band XLV), mit dem Nachweis der Urkunden-
fälschungen en gros von Seiten des Ordens; Studien von A. Prochaska
im Kwartalnik historyczny zu Mindowe (über den wir jetzt eine Frei-
burger Doktordissertation von Toturaitis besitzen) u. a. — erwähnen
wir drei den Bereich polnischer Historiographie weit überschreitender
Werke. Zuerst eine ausgezeichnete archäologische Studie (^v^e sie seit
den Grafen Tyszkiewicz vernachlässigt war), von dem trefflichen polni-
schen Ethnologen Ludwik Krzywicki, Zmudi starozytna, dawni
imudzini i ich warownie, Warschau 1906, 89 und IV S. 8", eine Unter-
suchung der litauischen Burgen, d. i. Aufschüttungen, pilü^ ihrer Lage
und Bestimmung, mit allerlei interessanten Ausführungen über Volks-
"»lüberlieferung und ihren Wandel, Zähigkeit der Namen u. dgl. — die
'Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen, sie ist außerordentlich lesens-
wert durch ihre Lebhaftigkeit, gute bildliche Aufnahmen ergänzen sie.
Aber während Samogitien noch immer in den Bereich polnischer histo-
,rischer Forschung (seit Narbut!) gehört, wandten sich zwei andere Werke
iGegenden zu, die ihr entlegener zu sein pflegen. Der junge Warschauer
Historiker, Kazimierz Wachowski, hat in seinem Werke Siowian-
i/.czyzna zachodnia. Study a historyczne, LBand, Warschau 1903, 271 S.
Is^j einen von dem verstorbenen General Wilhelm Bogusiawski be-
reits behandelten Gegenstand wieder aufgenommen ; seine eindring-
ichen Untersuchungen treffen vor allem die Anfänge der staatlichen
Organisation, namentlich in Pommern, mit besonderer Hervorhebung
liier lokalen Unterschiede — ein methodischer, wohl durchdachter Auf-
lau auf Grund genauester Quellenforschung. Im Wiener Verlag von
Vv. Bondy, dem wir auch die reich illustrierte polnische Literaturge-
icliichte des Dr. Henryk Biegeleisen verdanken, erscheint Ilustro-
*vane Dzieje Polski von Prof. Wiktor Czermak, LBand, Od poczatkow
lo X wieku, Wien 1905, VllI und 337 S. gr. 8" engen Druckes. Eine
)()luische Geschichte somit, deren erster Band, ein Drittel des ganzen
vVcrkes, noch nicht einmal von Popiel und Piast handelt, ist etwas
virklich neues. In drei Abschnitten behandelt der Verfasser die vor-
listorischen Zeiten, d. h. das rein archäologische Material, das fossile
I
574 A. Brückner,
Archiv des Landes, hierauf das Slaventum vor dem VI. .Jh., endlich die
Slavenwelt bis zum X. Jh. Er will durch diese breite Behandlung sla-
vischer Urverhältnisse einen sichereren Boden für die nachfolgende pol-
nische Geschichte gewinnen und doch möchte ich bezweifeln, daß dieser
vergleichende Weg uns dem Ziele näher bringen wird. Man vergißt bei
dieser vergleichenden Betrachtung zweierlei : Analogie ist kein Beweis —
daß es z. B. in Böhmen so war, beweist noch nichts für Polen; und
zweitens (ein Hauptfehler, an dem alle Slavisten, d. h. Forscher slavi-
scher ältester Geschichte, leiden), die Mannigfaltigkeit, Vielförmigkeit
uralter Institutionen wird zu wenig eingeschätzt; Ethnologie lehrt, daß
bei einem und demselben Volke, zu gleicher Zeit, unter fast gleichen Be-
dingungen, sogar auf engem Räume, die vielförmigsten, einander direkt
widersprechenden und ausschließenden Kombinationen staatlicher Orga-
nisation entstehen. Slavisten dagegen setzen stillschweigend voraus, daß
eine süd- oder westslavische Einrichtung, wenn sie nur recht alt ist,
ohneweiteres auf alle Slaven übertragen werden kann; man erinnere sich
nur an die heute recht diskreditierte Wirtschaft mit der zadruga oder mit
den zupen, die man z. B. auch Böhmen aufdisputiert, während Böhmen
sie nie gekannt hat. Eine »Synthese« altslavischer Geschichte erregt da-
her von vorn herein prinzipielle Bedenken und ich glaube nicht, daß
auch Czermak sie überwunden hat, aber bei dem geringen Interesse,
das bisher polnische Leser allen slavicis entgegenbrachten, ist schon sein
Versuch einer populären und doch streng wissenschaftlichen Darstellung
alles dessen, was wir von den alten Slaven wissen, dankbar aufzunehmen.
Der Verfasser berücksichtigt auch russische Literatur (zumal Hruszew-
skij, Sergiejevic u. a.), am wenigsten die südslavische (natürlich außer
Jirecek, Wlainac u. a.), ungleich genauer die böhmische und deutsche;
er ist sehr vorsichtig in seinen Aufstellungen und bekämpft jede Ein-
seitigkeit, z.B. in der Frage über die westlichen Ursitze der Slaven, über
die zadruga u. a. ; reiche, sorgfältig ausgewählte Illustrationen beleben
die etwas trockene und weitschweifige Darstellung. Das Werk von Prof.
Potkanski über Cyrill und Method besprachen wir bereits oben,
S. 222 ff.
Wir sind am Ziele, das wir nur erreichen konnten, preisgebend alle
kleineren Arbeiten, die in Zeitschriften verstreut sind; alle speziellen
Monographien z. B. über einzelne Orte und deren Geschichte, wie das
archivalische Studium von Dr. Zofja Daszynska-Golinska, Uscie
solne, przyczynki historyczno-statystyczne do dziejow nadwislanskiego
Polonica. 575
miasteczka, Krakau, Akademieverlag 1906, 165 S. 8*^ (ähnliche,
auch umfassendere Monographien sind vielfach ersfchienen) ; alles, was
Kunstgeschichte anbelangt und wovon manches uns speziell angehen
könnte (z. B. über Miniaturen polnischer Codices in Petersburg, von
Du'ektor St. Kopera, Arbeiten von Prof. M. von Sokoiowski, z. B.
tiber castella — Kirchen u. dgl., vereinigt vielfach in den Berichten,
Sprawozdania, der Kunstkommission der Akademie); verschiedenes, z.B.
des M. Bersohn Lexikon polnischer gelehrter Juden des XVI. — XVIII.
Jahrhunderts u.s.w. Aber auch das, worauf wii' uns beschränkten, ge-
währte ein Abbild von dem regen wissenschaftlichen Leben, das trotz
aller Ungunst von Zeiten und Verhältnissen, in Krakau, Lemberg, War-
schau sich entwickelt und reiche Früchte trägt, noch reichere in sicherer
Aussicht bringt. Ethnographische Publikationen stellen wir für die
nächste Jahrestibersicht zurück, die weniger geschwellt sein dürfte.
A. Brückner.
Eumänische Beiträge zur russischen Götterlehre.
Von M. Gaster (London).
In meinem Kodex Rum. Nr. 7 3 findet sich eine anonyme Geschichte
der Russen, die mit Noah anfängt und mit dem Fürsten (Kniaz) Teodor
Alexievic von Kiev endet. Diese Schrift wird von V. A. Ureche dem
Rum. Chronisten Nicolae Costin zugeschrieben, der zu Anfang des XVIII. Jb.
in der Moldau geblüht hat. Ich weiß nicht, worauf Ureche sein Urteil
ätützt, indem er dieses Werk Costin zuschreibt. Es ist ohnehin unendlich
jchwer, seine Werke von denen seines berühmten Vaters Miron Costin zu
ächeiden. Noch viel schwieriger ist es, die Frage von der literarischen
Tätigkeit des einen oder des andern zu begrenzen. Wenn nun die Gc-
chichte der Russen einen Costin zum Verfasser hat, was auch mir nicht
»ehr zweifelhaft ist, so würde ich sie eher dem Vater als dem Sohne zu-
ichreiben. Der ältere Costin hatte ein viel tieferes Wissen und war mit
äen slavischen Sprachen gut vertraut.
Ein Kapitel dieser Geschichte handelt nun von den Göttern der Slaven.
[eh teile es hier in wörtlicher Übersetzung und zwar aus einem doppelten
576 M. Gaster,
Grunde mit. Soweit mir bekannt ist, ist das der einzige Hinweis auf die
slavische Mythologie, den ich bisher in alten rumänischen Schriften gefun-
den habe, und der Nachweis seiner slavischen Quelle wird auch Licht auf
die Quellen dieses rumänischen Werkes werfen. Andererseits ist es ein
nicht uninteressanter Beitrag zu den slavisch-rumänischen kulturgeschicht-
lichen Beziehungen. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Völkern
und der Übergang von einem Volke zum andern wird an der Hand dieses
und eines zweiten ähnlichen Textes aufs Neue bezeugt. Ich habe nämlich
außerdem in einem kleinen Kodex miscellaneus in der Bibliothek der
rumänischen Akademie eine merkwiü'dige Parallele gefunden. Es ist eine
in allgemeinen Grundzügen der Version des Costin oder Version A, wie
ich es vorziehen würde sie zu nennen, ziemlich ähnliche Darstellung der
heidnischen Götter. Diese Version B weicht aber in manchen Punkten
von A ab und beweist dadurch ihre Unabhängigkeit von A. Nicht nur
sind die Slaven zu »Elenen« geworden, sondern (und darin liegt die
Bedeutung dieses Textes) für den Verfasser derselben haben diese Götter
und diese heidnischen Sitten auch in Rumänien Eingang und Nachahmung
gefunden. Er giebt Beispiele und Sitten an, die ihm als heidnisch er-
scheinen und die er auf jene alten zurückführt. Ich muß es unbestimmt
lassen, ob wir es hier mit einer Homilie oder mit einem Pastoralschreiben
zu tun haben. Der rumänische Ursprung der letztern Version im Text B
kann nicht bestritten werden. Es sind lauter rumänische Sitten und Ge-
bräuche und auch die Namen der Spiele und Personen sind rumänisch,
wie ich das nachher ausführen werde. Der Kodex der Geschichte der
Russen dürfte ca. 1740 — 1750 abgeschrieben worden sein, vielleicht aus
einem Texte aus dem Ende des XVII. Jhs., und Text B, den ich im No-
vember 1884 kopiert habe, aus einer 12*^.-Hs., die in der rum. Akademie
vergraben liegt, ist in 1754 geschrieben. Das betreffende Kapitel aus A
habe ich seinerzeitinmeinerChrestomatieRomanaVol.il, 1891,p.50 — 53
veröffentlicht. Ich lasse nun die wörtliche Übersetzung dieser beiden
Texte folgen.
A. Ton ihren Götzen.
Zuerst haben sie einen großen Götzen errichtet mit Namen Perun,
den Gott des Donners und des Blitzes und der Regenwolken, auf einem
hohen Hügel in der Nähe des Flusses Buriu, in Menschengestalt. Sein
Körper war gegossen aus Silber, die Ohren waren von Gold, die Füße
von Eisen, in den Händen hielt er einen Stein und zwar den Donnerstein,
I
Eumänische Beiträge zur russischen Götterlehre. 577
geschmückt mit Rubinen und Anthrax (ein Stein dem Feuer ähnlich). Vor
ihm brannte immer ewiges Feuer. Wenn aber durch die Nachlässigkeit
des Ministranten das Feuer ausging, so bestraften sie ihn mit dem Tode
als einen Feind Gottes. Der zweite Götze war Volos, der Gott der Tiere.
Der dritte Pozvizdu, einige nannten ihn Pohvint, andere Vihor, denn
sie bezeugten, daß er der Gott der Luft, des guten und schlechten Wetters
sei. Der vierte Götze war Lado, den hielten sie als den Gott der Hoch-
zeit und alles Glückes, und alle, die sich verheiraten wollten, brachten
ihm Opfer, indem sie hofften, daß mit der Hilfe von Lado sie eine gute
Hochzeit und ein Leben voller Liebe haben würden. Und dieser Greuel
stammt von alters her, von den alten Götzendienern, welche einige der
Götter Lelie und Polelie nannten. Dieser von Gott gehaßte Name hat
sich noch bis heute in einigen Plätzen erhalten, wo sie in Versammlungen
und in Spielen singen Lelio, Lelio und Polelio, wie sie bei uns auch
noch singen »Lelio, Lelio«, und wo sie auch die Mutter von Lelia und
Polelia, Lado besingen und zwar »Lado, Lado«. Und diese alte teuflische
Täuschung dieses Götzen hat sich noch erhalten bei Hochzeitsfeierlich-
keiten, wo sie in die Hände klatschen und auf den Tisch klopfen und
singen. Davor muß jeder orthodoxe Christ sich in jeder Weise in acht
nehmen, damit er Gottes Strafe nicht auf sich ziehe.
Der fünfte Götze war Cupalo, den sie betrachteten als den Gott
der Erdfrüchte und in dem Dunkeln, durch die Täuschung des Teufels
brachten sie Danksagungen und Opfer am Anfange der Ernte. Bis heute
hat sich noch die Erinnerung an diesen Gott Cupalo, oder wie ich ihn
besser nennen soll, Teufel, in einigen Teilen von Rußland erhalten, beson-
ders am Abend der Geburt des heil. Johannes des Täufers. Die jungen
Knaben und Mädchen versammeln sich und flechten sich Kränze von einer
gewissen Pflanze und setzen sie sich aufs Haupt und machen sich auch
Gürtel davon. Und bei jenem teuflischen Spiel zünden sie Feuer an und
indem sie sich bei der Hand fassen, tanzen sie um das Feuer herum und
laufen herum wie Unreine und singen Lieder dem unheiligen Cupalo, und
indem sie ihn häufig anrufen und über das Feuer springen, bringen sie
sich selbst als Opfer jenem Teufel Cupalo. Und sie tun auch andere gott-
lose Sachen in jenen uuheiligen Versammlungen, die kaum zu beschreiben
sind. Der Teufel stellt auch seine Falle durch die Schaukel, von dem
Feste des Johannes des Täufers bis zu der Feier der heiligen Apostel
Peter und Paul. Denn es trifft sich, daß manche von denen, die sich
mehrmal schaukeln, hiuuntcrfallen auf die Erde und so ihre Seele auf
Archiv für slavischo Pliilolügie. XXVlll. 37
578 M- Gaster,
elende Weise ohne Reue aufgeben. Darum muß jeder Gläubige sich hüten
vor diesen Schaukeln als Schlingen des Teufels, daß er nicht hineinfalle
und sich darin verwickele.
Einige von den Heiden brachten in alter Zeit Opfer den Quellen und
Teichen zur Vermehrung der Früchte des Bodens und manchmal haben
sie Menschen dafür im Wasser ertränkt. In einigen Teilen KuElands hat
sich bis heute noch die Erinnerung an diese gottlose Tat frisch erhalten ;
denn an dem Tage der Auferstehung Christi versammeln sich Jung und
Alt, Männer und Frauen und einer wirft den andern ins Wasser als eine
Art von Spielerei. Und es trifft sich manchmal durch das Werk des
Teufels, daß manche von denjenigen, die hineinfallen, auf einen Stein
oder ein Holz anstoßen und elendiglich ihre Seele aufgeben. Andere,
wenn sie auch nicht ins Wasser geworfen werden, werden mit Wasser
begossen. Auf diese Weise bringen sie wieder das Opfer denselben Teu-
feln nach alter Gewohnheit. Und wenn dieses auch nun geschieht in der
Form eines Spieles und nicht als Götzendienst, so wäre es doch besser,
wenn es nicht weiter geschähe.
Der sechste Götze Coleada, der Gott der Festlichkeit, dem sie eine
große Feier brachten am 24. Dezember, und obzwar das russische Volk
durch die heilige Taufe erleuchtet worden ist und seine Götzen zerstört
hat, so haben doch einige bis heute nicht aufgehört den Teufel Coleda
zu erwähnen. Anfangend von dem Tage der Geburt unseres Herrn, wäh-
rend aller heiligen Tage, versammeln sie sich zu Spielen, die Gott verhaßt
sind, und singen Lieder. Und wenn sie darin die Geburt Christi wohl
erwähnen, so fügen sie hinzu auch die Erinnerung an Coliada, die alte
Täuschung des Teufels und wiederholen häufig seinen Namen. Auch bei
diesen sündhaften Versammlungen erwähnen sie noch den Satan, einen
gewissen Tura und andere schimpfliche und gottverhaßte Sachen. An-
dere wieder verdecken ihre Gesichter und den ganzen Schmuck des Men-
schen, der in dem Ebenbilde Gottes geschaffen wurde, mit greulichen
Figuren in der Ähnlichkeit des Teufels, wodurch sie manche erschrecken
und auch manche ergötzen, aber sie spotten ihres Schöpfers, als ob sie
das Werk seiner Hand hassen und verachten würden. Jeder Christ ist
vei*pflichtet solches zu unterlassen und nur zu wandeln in der Gestalt, in
welcher Gott uns gemacht hat, denn wir dürfen Nichts erfinden, was häß-
lieh ist und Gott widerspricht.
Außer jenen Götzen und teuflischen Figuren gab es noch andere
viele Götzen u. z. Uslead, Kursha oder Hors usw. Soweit Test A. i).
Rumänische Beiträge zur russischen Götterlehre. 579
Nun lasse ich Text B folgen und der Unterschied zwischen beiden,
trotz inhaltlicher Ähnlichkeit, wird in die Augen springen.
B. Kurze Lehre gegen die yielen schlechten Beispiele, welche
einige Christen befolgen, und der Beweise, woher sie stammen
und was sie bedeuten.
Wir wissen sehr gut, daß jedem wahren Christen verhaßt ist, selbst
nur mit dem Namen einen Götzen oder Teufel zu erwähnen oder an sie
zu glauben oder den Beispielen der Götzendiener zu folgen. Da wir alles
das wissen, wollen wir nichts sagen oder erwähnen von diesem Übel und
von dem Zorn, den Gott gehabt und hat, gegen die Götzen und Teufel
und gegen solche, die ihnen gedient haben und noch dienen und welche
Strafe für sie vorbereitet ist. Noch sagen wir etwas gegen diejenigen, die
sie vorher angebetet haben. Denn vor dem Anfang unseres orthodoxen
Glaubens, bis Christus im Körper auf der Erde erschienen ist und nach
seiner herrlichen Himmelfahrt und durch die Botschaft der Apostel, und
nachher durch alle die heiligen Väter waren die meisten, die zum Glauben
gekommen sind, Götzendiener und es sind jetzt ihre Seelen in Gottes Hand.
Aber wir sprechen von denjenigen, die im Unglauben an die AVahrheit
und im Irrtume gestorben sind, und von denjenigen, welche, obzwar sie
glauben und sich orthodox nennen, doch manches tun, was die Götzen-
diener getan haben, und zwar folgendes:
Kap. I. Die »elenischen« Völker hatten viele Götter, unter diesen
•war einer, der hieß Perun, welcher genannt wurde der Gott des Feuers,
und er hielt in seiner Hand einen Edelstein, welcher in der Art einer
glühenden Kohle leuchtete, und Feuer brannte immerfort vor ihm. Seine
Anbeter pflegten Feuer zu machen und über dasselbe hinweg zu gehen,
und darstellten, daß sie sich selbst als Opfer gebracht haben jenem
Götzen Perun.
Einige von den Christen folgen denselben Beispielen liis auf den
heutigen Tag, indem sie die Feuer -Cubali< au dem Tage von Groß
Donnerstag (Gründonnerstag) anzünden und darüber hinweg schreiten
(oder hinweg gehen) , ohne zu wissen, was es darstellt.
Kap. n. Es gab einen anderen Götzen, der Lado hieß. Diesen
1) Vergl. mit dieser Darstellung das Kapitel aus der »Gustinskaja Lcto-
pis«, abgedruckt in IIo^iiioc Corii>;uiir B. H, S. 251) — 257, wo am Kaude die in
latein. Sprache abgefaßten Parallelen zitiert werden (Cromer, Guaguiiii u. a. .
l'.J.
580 M. Gaster,
nannten sie den Gott der Freuden und des Glückes. Diesem brachten
Opfer alle diejenigen, die Hochzeiten oder Feste geben wollten, indem sie
sich einbildeten, daß sie mit der Hilfe von Lado schöne Freuden und ein
Leben voller Liebe gewinnen würden. Dieselben besingen die Christen
auch jetzt bei Hochzeiten. Darum muß jeder Christ sich hüten vor so
etwas, damit er vom Zorne Gottes nicht gestraft werde.
Kap. ni. Einige dieser Götzendiener pflegten auch Opfer zu bringen
den Gewässern nämlich, den Teichen und Quellen und nannten auch diese
Gottheiten. Wenn irgendwo ein Wasser in der Nähe war, pflegten sie
sich einmal im Jahre dort zu versammeln und warfen einer den andern
ins Wasser, Wo aber Wasser weit entfernt war, gössen sie Wasser einer
auf den andern. Das sehen wir auch jetzt einige von den Christen tun
am zweiten Tag nach Ostern und sie nennen das (»Trasul in Vale«)
»Hinunterziehen« in die Ebene, von welchem Ziehen oder Schleppen durch
den Einfluß des Teufels viele Streitigkeiten und Schlägereien entstehen.
Kap. IV. Sie hatten auch eine andere Gottheit, die sie »Coleda«
nannten und wenn sie sich versammelten bei ihren heidnischen Feiertagen
und Versammlungen, sangen sie Lieder zu Ehren des Götzen Coleda und
erwähnten seinen Namen sehr häufig. Wir sehen nun, daß bis heute
dieses sich erhalten hat bei einigen Christen und am Tag der Geburt
Christi empfangen sie Zigeuner, die sie Colin datori nennen, daß sie ihnen
Lieder singen. Außerdem empfangen sie in ihren Häusern Tsurca oder
Prezae, welche auch mit sich führen Mummer und Possenreißer, welche
ihre Gesichter verstellen, die im Ebenbilde Gottes geschaffen sind, sie
reden mit ihrem Munde häßlich ekelhafte Worte und mit ihrem Körper
machen sie schreckliche und verworfene Figuren, so daß sie unvernünf-
tigen Leuten Vergnügen machen, aber die unschuldigen Kinder er-
schrecken.
Kap. V. In der Stadt Rodostol, in der Nähe des Wassers Istru, gab
es zur Zeit der alten Götzendiener einen Götzen mit dem Namen Cron,
nämlich den Gott der Toten. Dieser war ein toter Elen, in welchen sich
der Teufel eingenistet hatte und er hielt ihn längere Zeit unversehrt und
machte auch viele Täuschungen. Diesem opferten jene verirrten Men-
schen in folgender Weise; sie schlugen nämlich ihre Körper, bis Blut
rann, und schrien und jauchzten und begingen auch andere Sünden, und
durch das Blut, das sie vergossen, bildeten sie sich ein, Cron ähnlich zu
sein. Denn er erschien immer mit rotem Gesichte, und die Sünden, die
sie begangen, sagten sie, daß Cron sie nicht sehen kann, denn er hielt
(
Rumänische Beiträge zur russischen Götterlehre. 581
die Augen geschlossen: auch konnte er ihr Schreien nicht hören, denn er
war taub.
Dieselben Verirrungen sehen wir jetzt bei einigen Christen, die, wie
jene sich versammelten bei einem Toten und sich schlugen und jauchzten
und andere Sünden begingen, so tun es auch jetzt die Christen bei ihren
Toten. Es versammelt sich ein Haufen von Verrückten und schlagen sich
den Rücken mit Schaufeln und jauchzen und tanzen und treiben allerlei
Possen, welche nicht einmal beschrieben oder erwähnt zu werden ver-
dienen. Alle müßten doch einsehen, daß das keine anständige Tat ist,
Lachen und Spaß zu treiben zur Zeit von Weinen, und wenn alle zu-
sammen kommen um zu Gott zu beten und ihm zu weinen, daß sie da
tanzen und jauchzen sollen. Und wenn es eine Pflicht ist, der Seele die
Sünden zu erleichtern durch Almosen und Gebet, daß sie gerade damals
sich besudeln soUen mit den obenerwähnten unwürdigen Taten. Um-
gekehrt müßten sie bei dem Toten sich versammeln und weinen, nicht so
sehr darüber, daß jener gestorben ist, sondern um die Vergebung seiner
Sünden, und damit seine Seele Ruhe finde unter den Gerechten. Und bei
der Nachtwache bei jenem Toten sollen die Geistlichen lesen und auch Laien
sollen Wache halten mit Ehrfurcht, und nur reden von Sachen, die der Seele
von Nutzen sein könnten, aber nicht eitle weltliche Worte oder Tänze und
Sprünge und andere Possen. Von jetzt ab weiter müßten diese aufhören.
Kap. VL Andere beten einen Götzen an mit dem Namen Cupal,
den nannten sie den Gott der Früchte der Erde, dem sie Opfer brachten
;ui einem von ihnen bezeichneten Tage bei dem Beginne der Enite. Und
Männer und Weiber versammelten sich und flochten Kränze von Kräutern
und setzten sie sich auf das Haupt und umgürteten sich mit wilden Kräu-
tern. Und die Männer kleideten sich als Weiber, so daß sie wilder und
t'i echer als Weiber tanzen könnten und so die Zuschauer und das Volk
zur Leidenschaft reizen konnten wie es den Teufeln gefiel, die in dem
Götzen wohnten, und während sie tanzten und sprangen, riefen sie häufig
Cupal, Cupal. Dieses verhaßte Beispiel hat sich noch bis jetzt erhalten
hier in unserem Lande in einigen Städten und Dörfern, wo die Männer
sich Weiberkleider anziehen und sich mit einem Namen nennen, der dem
Namen Cupal ähnlich klingt, und zwar Cuci oder Calucei. Diese
machen sich auch Kränze von Kräutern und zwar von Wermuth, und
\ iele von jenen, die nicht mehr tanzen, stecken sich doch Wermuth in
den Gürtel und auf diese Weise stellen sie ganz genau jenes alte teuflische
l'est und heidnischen Gebrauch dar.
582 M. Gaster,
Andere wieder folgen einem andern teuflischen Beispiele und teuf-
lischer Erfindung, indem sie zur Zeit der Dtln'e einen Menschen nackt
ausziehen, grüne Kräuter auf Fäden aufziehen und sie um ihn herum vom
Kopf bis zu deu Füßen wickeln und setzen ihm eine Kräuterkrone auf
den Kopf, und diese Menschen tanzen vor den Häusern und alle gießen
Wasser auf sie und stellen vor, als ob sie von ihnen Wasser verlangten,
d. h. Regen. Auf ähnliche Weise täuschen sich die NaiTcn, indem sie
glauben, daß sie von den Cuci geheilt werden von allen Krankheiten,
wenn jene auf sie treten. Und von dem Papaluga glauben sie, daß er
die Macht hat, den Wolken zu gebieten, daß es regnen soll. Und es gibt
keine größere Götzendienerei als in diesen beiden Fällen, dadurch, daß
sie denken, ebenso wie die Gläubigen überzeugt zu sein, daß genau so
wie die heiligen Apostel, als sie die Kranken berührten im Namen Christi
und ihnen Heilung gebracht haben, so könnten auch sie geheilt werden
durch das Getretenwerden von den unreinen Füßen der Cuci, und diese
zumeist sind nur schmutzige Zigeuner. Und wiederum, wie der Prophet
Elias und viele andere Heilige durch vieles Fasten und Gebet und durch
Aussprechen des göttlichen Namens den Regen herabsteigen ließen, so
könnte auch jener täuschende Possenreißer von einem Papaluga den
Wolken befehlen, daß der Regen herunter komme, wann er wünsche . . .
Deshalb müßt ihr, die ihr den christlichen Namen traget, auch im Leben
und in Thaten als Christen euch zeigen, so daß nicht einige von diesen
durch ihre Unwissenheit den Tieren ähnlich seien in dieser Welt und in
der andern Welt Teil haben sollen an den Strafen der Elenen. Manche
von ihnen, wenn sie eine Reise antreten, und ihnen entgegenkommt ein
Zigeuner oder irgend ein bestimmtes wildes Tier, dann ziehen sie fröhlich
weiter, überzeugt, daß sie eine glückliche Reise haben werden. Wenn
nun aber ein Geistlicher ihnen entgegenkommt, dann kehren sie häufig
um und schimpfen und fluchen auf die Gabe und Würde des Priesters.
In den andern Fällen, die ich vorher erwähnt habe, obzwar sie teuf-
lische Erfindungen sind und Überbleibsel heidnischer Gebräuche, so sind
sie doch verdeckt und gering an Bedeutung, denn die meisten, die sie
machen, wissen nicht, was sie vorstellen, aber das Letztere, wer daran
glaubt und das tut, weiß, daß es eine Sünde ist und daß Gott darüber
zürnen wird. Trotzdem glauben viele und tun, wie ich gesagt habe, daß,
wenn ihnen ein Geistlicher entgegenkommt, wenn sie ihn auch nicht
öffentlich beleidigen und auch nicht umkehren, so setzen sie ihre Reise
fort mit Zweifel im Herzen und glauben nicht, daß ihre Reise eine glück-
Rumänische Beiträge zur ruBsischen Götterlehre. 583
liehe sein wird, während umgekehrt, wenn ihnen ein Zigeuner oder ein
Jude oder ein bestimmtes wildes Tier entgegentiütt, so glauben sie, daß
es ihnen gut gehen wird und daß ihre Reise eine glückliche sein wird.
0 elende Christen deshalb fordere ich euch auf und belehre euch
darüber, daß ihr von jetzt ab weiter davon ablassen sollet. «
Diese hier erwähnten Sitten und Gebräuche haben sich trotz allen
Widersprüchen bis heute unter den Rumänen erhalten. Papaluga oder
wie das "Wort in der Walachei genannt wird Paparuda, schon vom
Fürsten Kantimir in seiner Beschreibung der Moldau erwähnt, kenne ich
aus persönlicher Erfahrung, und die darauf bezügliche Literatur, sowie
die Lieder, die bei der Gelegenheit des Begießens mit Wasser gesungen
werden. Cf. G. D. Teodorescu, Poesii Populäre Romane Bucuresti, 1SS5,
p. 208—212.
Aus Lelio ist im Rumänischen häufig Lerio oder Leroi geworden,
nebenbei hat sich auch die Form Leo Lerom erhalten und nicht selten
wird das Wort Doamne (Herr) hinzugefügt, ohne daß diejenigen, die diese
Namen aussprechen, eine Ahnung mehr davon haben, daß darin der alte
verpönte slavische Gott Lelia steckt. Eine große Anzahl der von Teo-
dorescu veröffentlichten Colin de, in welchem Worte der Namen des Gottes
Coliada, oder mit nasaler Aussprache, Coleda, steckt, beginnt mit dem
Anrufe Lero, Leroi, Lerom, Leroi Leo und Leroi dai Leroi (S. 18, 19,
20, 25, 26, 28, 30, 65, 82, 95 usw.)
Turca und Brezaia werden von S. Mangiuca in seinem Calindariu
Brasiovu 1881, S. 39 — 40 ausführlich beschrieben. Sie tanzen am ersten
Tag Weihnachten und Neujahr und es sind Leute, die sich vermummen
und auf dem Kopf die Maske eines Tieres oder eines Vogels tragen. Diese
Masken tanzen zu der Melodie eines Geigenspielers und recitieren auch
Verse und Gesänge, die häufig zotenhaft sind und ahmen auch das Ge-
schrei der Tiere und Vögel nach, deren Masken sie tragen. Ich lasse
dahingestellt, ob Turca (variante Tsurca) in direktem Zusammenhang mit
dem Gotte Tura steht. Eine weitere Untersuchung der Sitten und Ge-
bräuche unter den Rumänen würde auch Parallelen liefern zu den in
Text B erwähnten Bräuchen. So sind ferner die Schaukeln A noch heute
im Gebrauch. Auf einen Vergleich mit älteren Sitten und Spielen, sowie
auf den Zusammcnliaug zwischen Weihuachtslied, -spiel usw. mit den
alten und mittelalterlichen Mimen und Mysterien einzugehen ist hier jetzt
nicht die Gelegenheit. Es handelt sich momentan nur darum, den Spuren
slavischer Götterlehre und Sitten in der rum. Literatur und im Vülker-
leben nachzugehen.
584
Wer ist der Übersetzer der »Neunzehn serbischen
Lieder« in F. Försters Sängerfahrt?
Diese Frage habe ich bereits im Feuilleton der »Agramer Zeitung«
vom 3. Juni 1906 aufgeworfen und kurz beantwortet. Was ich dort für
das weitere Publikum mehr angedeutet als ausgeführt habe, will ich hier
des näheren erörtern und begründen.
Jakob Grimms Kleinere Schriften bringen am Schlüsse des vierten
Bandes (Berlin 1869, S. 455—467) den Abdruck der zuerst in F. För-
sters Almanach »Die Sängerfahrt« (Berlin ISIS, S. 206 — 2 1 S) erschienenen
)jNeunzehn serbischen lieder übersetzt von den brüdern Grimm«. Die
Autorschaft der Brüder wurde zur Zeit des Erscheinens dieser tJber-
setzungen von niemand bezweifelt (vgl.z. B. Talvj, Volkslieder der Serben,
1. Lfg., Halle 1825, S. IX). Erst R. Steig in seiner Schrift »Goethe und
die Brüder Grimm« (Berlin 1892) weist auf S. 165 nach, daß Wilhelm
Grimm an dieser Arbeit ganz unbeteiligt Avar. Und so wird seither in der
Regel nur Jakob Grimm allein für den Übersetzer dieser serbischen Volks-
lieder angesehen (vgl. z. B. M. Curcin, Das serbische Volkslied in der
deutschen Literatur, Leipzig 1905, S. 103 ff. M. Murko dürfte Steigs
Notiz entgangen sein, denn in seiner verdienstvollen Abhandlung »Eine
Jacob Grimm fälschlich zugeschriebene Rezension serbischer Volkslieder«,
Euphorien XL Bd., Leipzig und Wien 1904, S. 108 hält er noch Jakob
und Wilhelm Grimm für die Übersetzer dieser Lieder).
Mit einer umfangreichen Studie über die deutschen Übersetzungen
der serbokroatischen Volkslieder beschäftigt, deren ersten Teil ich im
Frühjahr 1905 der südslavischen Akademie in Agram vorgelegt habe,
fand ich bald, daß auch Jakob Grimm an dieser Übersetzung nicht be-
teiligt sein kann; ich sprach dort die Vermutung aus, daß diese Über-
setzungen von dem Wiener Slavisten Bartholomäus Kopitar heiTühren
(vgl. jetzt über ihn Murko a. a. 0. S. 109 flf. und Curcin a. a. 0. S. 96).
Jetzt bin ich in der Lage für diese meine Ansicht den Beweis zu liefern.
Am 5. August 1815 meldet Kopitar an Dobrovsky: »Pjesnaricae
exemplum cum male scripta mea versione verbali per Bertuchium misi
Göthio« (Jagic, Istocniki, Tom L St. Petersburg und Berlin 1885, S. 406;
vgl. auch Murko a. a. 0. S. 114). Gemeint ist die Übersetzung des ersten
Wer ist der Übers, der »Neunzehn serb. Lieder« in Försters Sängerfahrt? 585
Teiles der Pjesnarica, den Kopitar mit einem Begleitschreiben vom
10. Juni 1815 an Goethe gelangen ließ. Das Manuskript befindet sich
im Weimarer Goethe-Schiller- Archiv und umfasst alle 108 Nummern
des serbischen Originals. Durch liebenswürdige Vermittlung des Herrn
Geheimrates Dr. Bernhard Suphan gelangte ich in den Besitz einer
sorgfältigen, durch den Mitarbeiter am Archiv, Herrn Dr. Max Heck er,
besorgten Abschrift der in Frage kommenden Gedichte. Beiden Herren sei
für ihre Liebenswürdigkeit und Mühe auch an dieser Stelle mein innigster
Dank ausgesprochen.
Schon ein oberflächlicher Vergleich der unter Grimms Namen gehen-
den «Neunzehn serbischen Liedercf mit den betreffenden Nummern der
Kopitarschen Handschrift beweist, daß diese «Neunzehn serbischen Lieder»
dem Kopitarschen Manuskript entnommen sind.
Nach Dr. Heckers freundlicher Mitteilung erscheint in diesem Manu-
skript außer der Hand, die hauptsächlich beteiligt ist, noch eine zweite,
die nicht nur in den von der ersten geschriebenen Gedichten Änderimgen
vornimmt, sondern auch selbständig Gedichte aufzeichnet. «Im letzteren
Falle kann es dann vorkommen, daß Korrekturen von der ersten Hand
getroffen werden«. Interessant ist ferner Dr. Heckers Mitteilung, daß
unter einem ganz von der zweiten Hand geschriebenen Gedicht und einer
dazu gehörenden Anmerkung die erste Hand bemerkt: »Scripsit notam
Serbus«. Weder die erste noch die zweite Hand ist nach Hecker die Vuk
Stefanovic Karadzics.
Wer die beiden Schreiber sind, kann man natürlich nicht feststellen,
wenn man das Manuskript nicht selbst in Händen gehabt hat. Ich will
aber trotzdem meine auf mehrere Einzelbeobachtungen sich stützende Ver-
mutung mitteilen, daß die erste Hand die Kopitars ist. Von ihm stammt
also, glaube ich, die Niederschrift des größten Teiles dieser Übersetzun-
gen. Aber selbst wenn diese Vermutung nicht stehen sollte, so kann es
doch gar keinem Zweifel unterliegen, daß diese an Goethe geschickten
Übersetzungen wirklich von Kopitar herrühren. Das beweist erstens die
oben zitierte Stelle aus Kopitars Brief an Dobrovsky, wo er ja ausdrück-
lich sagt »cum 7nca versionc verbali« (und wer Kopitar kennt, der weiß,
daß es nicht seine Art war, mit fremdem Eigentum zu prahlen; er hat im
Gegenteil überall Anregungen gegeben und tatkräftig mitgeholfen , ohne
auf Dank oder Anerkennung Anspruch zu erheben); zweitens beweist das
die Übersetzung selbst, die überall denselben Grundsätzen folgt wie die
sicher von Kopitar herrührenden (in der Anzeige des zweiten Bandes der
586 Stjepan Tropsch,
Vukschen Pjesnarica in der Wiener allgemeinen Literaturzeitung 1816,
Nr. 20, 21, S. 314 — 3331), ferner in der Anzeige der Leipziger Ausgabe
der serbischen Volkslieder in den Wiener Jahrbüchern der Literatur 1825,
30. Bd. S. 159 — 27 7; schließlich vgl. man die Übersetzungen im Archiv
für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst, IX. Jahrg., Wien 1818,
S. 42 — 48 u. 137 — 148, von denen ich in meiner erwähnten Studie nach-
gewiesen habe, daß sie unbedingt Kopitar zum Verfasser haben). Einen
weiteren, sehr gewichtigen Beweis für Kopitars Autorschaft sehe ich in
den (von der ersten Hand geschriebenen!) Anmerkungen zu einzelnen
Übersetzungen der Weimarer Handschrift. So ist es z. B. eben für Ko-
pitar bezeichnend, wenn in der Übersetzung auf die Reime des Originals
aufmerksam gemacht wird; man vgl. eine diesbezügliche Anmerkung zu
Gedicht 4 : nMlinar und Dinan<\ oder man vgl. die Anm. zu Gedicht 99:
«Also sind die slavischen Vile auch vefpe'kE'/eqetan (das Griechische hat
Kopitar zur Erklärung serbokroatischer Ausdrücke und Verhältnisse auch
sonst öfter herangezogen, so z. B. in der Anzeige der Pjesnarica, in
J. Grimms Kl. Schriften IV, 445 u. 446 ; in formeller Hinsicht dürfte jenes
»also«, mit dem die Erklärung beginnt, auch nicht zu unterschätzen sein;
vgl. damit z. B. die Anm. auf S. 454 der erwähnten Anzeige: »Also
Petka . . .(f). Besonders wichtig aber ist die Anmerkung zur Übersetzung
des Gedichtes Nr. 1 : »junak von der altslavischen Wurzel Jun (womit
jung und juvenis zu vergleichen) ist ein junger, und überhaupt ein voll-
kräftiger Mann. Laudon nante(!) seine Soldaten immer junäcict. Diese
Anmerkung stimmt zum Teil wörtlich überein mit der in Kopitars Re-
zension der Pjesnarica (bei Grimm S. 440): »junak (vom altslavischen
jun, das mit dem lateinischen juvenis, junior, und dem deutschen jung
eins ist) heißt jeder erwachsene Jüngling ; es ist aber zugleich eine idee
von heroismus dabei ; daher Laudon seine Kroaten immer durch die an-
rede: junäci! zu elektrisieren wüste«. Die erste handschriftliche Anm.
stammt aus dem J. 1815, die zweite gedruckte aus dem J. 1816; die
erste bezieht sich auf den ersten Bd. der Pjesnarica (1814), die zweite
auf den zweiten Bd. (1815). Demnach ist die erste Anm. gewiß vor der
zweiten entstanden. Da nun die zweite ganz bestimmt von Kopitar ist,
kann auch die erste nur von ihm herrühren, denn niemals wäre er mit
fremdem Eigentum so verfahren, wie er hier mit seinem verfahren durfte.
1) Jetzt in Kopitars Kleineren Schriften, Wien 1857, S. 347—369 und in
J. Grimms Kleineren Schriften IV, S. 437—455.
Wer ist der Übers, der »Neunzehn serb. Lieder« in Försters Sängerfahrt? 587
Aus all dem Gesagten geht meiner Meinung nach klar hervor, daJJ
die deutsche Übersetzung des ersten Buches der Pjesnarica und folge-
richtig auch der »Neunzehn serbischen Lieder« nur von Kopitar herrüh-
ren kann.
Es bleibt noch die Frage ofifen, wie es dazu gekommen ist, daß die
Brüder Grimm für die Übersetzer dieser Gedichte angesehen wurden.
Einigen Aufschluß darüber gibt der Briefwechsel der Brüder (siehe die
Zusammenstellung bei Curcin S. 103). So viel ich sehe, sagt J. Grimm
nii-gends ausdrücklich, daß diese Übertragungen von ihm selbst sind. Man
vergleiche gleich die erste Briefstelle, wo diese Lieder Erwähnung finden :
Am 10. Juni 1815 schreibt Jakob aus Wien an Wilhelm: «Stofi"zu Auf-
sätzen bringe ich genug mit heim, Gott gebe mir nur Ruhe und Zufrieden-
heit; besonders kannst Du Dich im voraus auf sehr schöne serbische Poe-
sien freuen, wovon ich Text und Übersetzung habeff (Briefwechsel zwischen
Jacob und Wilhelm Grimm aus der Jugendzeit hrg. von H. Grimm und
G. Hinrichs, Weimar 1881, S. 460). Das heißt doch wohl: -wir wollen
auch über serbische Poesie schreiben, da ich den Stoff hierzu (Original
und Übersetzung serbischer Volkslieder) bekommen habe ?
Das Manuskript lasen Savigny, A. v. Haxthausen, Brentano, der
am 4. September 1816 an Jakob schreibt: «Die Serbischen Lieder habe
ich mir aus eigner Lust abgeschrieben, sie haben mir große Freude ge-
macht. Der Herausgeber eines hiesigen Taschenbuchs (Sängerfahrt), Dr.
Förster, bittet um Nachricht durch mich, ob Sie ihm ein paar draus zur
Bekanntmachung erlauben« (Steig S. 165). Daß diese Übersetzungen
nicht von J. Grimm sind, scheint auch aus diesen seinen Worten an A. v.
Haxthausen (31. August 1816) hervorzugehen: »Das Deutsche in der
Übersetzung der serb. Lieder wäre eigentlicher gefüger und besser zu
drehen und wenden; den Dienst thust Du wohl den Liedern« (Freundes-
briefe von Wilhelm und Jacob Grimm hrg. von A. Reifferschcid, Heil-
bronn 1878, S. 44). Wäre diese Prosaübersetzung von Grimm, so hätte
er sich doch wohl keine sprachlichen Unebenheiten und Fehler zu Schul-
den kommen lassen. Grimms Aufforderung an Haxthausen, die er wohl
auch an Brentano gerichtet hat, wurde befolgt, und so erschienen die
ausgewählten neunzehn Gedichte nicht genau nach Kopitars Manuskript,
sondern sprachlich verbessert, aber sachlich sehr häufig verschlechtert,
wie man aus den unten mitgeteilten Proben ersehen wird. Jakob in seiner
streng philologischen Art hat die Gedichte gewiß wortgetreu aus Kopi-
tars Handschrift abgeschrieben (falls die Abschrift nicht Kopitar selbst
588 Stjepan Tropsch,
besorgt hat), aber Brentano, der sie für den Druck hei-richtete, verfuhr mit
ihnen wohl gerade so wie mit den Volksliedern im Wunderhorn. Diese
Annahme erklärt — glaube ich — am einfachsten die Abweichungen
der gedruckten Übersetzungen von den handschriftlichen.
Schließlich will ich hier einige dieser handschriftlichen Übersetzun-
gen mitteilen und ihnen die entsprechenden Nummern der unter Grimms
Namen gehenden Übertragungen gegenüberstellen, wobei die Identität
beider Übersetzungen klar zu Tage treten dürfte. Die Abweichungen
des Manuskripts vom gedruckten Text mache ich durch gesperrten Druck
kenntlich.
Das serboki-oatische Original in Vuks Pjesnarica I. Bd., Nr. 2.
Weimarer Handschrift Blatt 2. J. Grimms Kleinere Schriften IV, S. 460.
Mädchen den Burschen vinum mini- Überschrift].
strat. I)
Schön ist's dir sub noctem^) hinzu- Schön ist in die nacht hinzuschauen
[schauen
dort unten, längs der stillen Donau dort unten längs der stillen Donau
wo Heldenjünglinge das Zelt ausge- wo heldenjünglinge das zeit ge-
[spannt haben [spannt,
und unter ihm röthlichen Wein trin- um unter ihm röthlichen wein zu trin-
[ken. ken,
Ihnen ministrat*) schönes Mäd- ihnen schenket ein rothes^) mäd-
[chen. [chen,
Wie sie wem den Becher reichte, wie sie wem den becher reichet
jeder ihr in den Busen fahren jeder will das mädchen küssen;
[wollte.
Da spricht das schöne Mädchen: da spricht das schöne mädchen:
0 Helden, und junge Herrchen! o beiden, junge herren!
Wenn ich (auch) allen Dienerinn seyn wenn ich auch allen dienerin sein
[kann, [kann,
kann ich (doch) nicht allen Liebchen kann ich doch nicht allen liebchen
[seyn, [sein,
sondern Einem, den das Herz mir sondern einem nur, den das herz
[liebet. [liebt !
1) Schon der Umstand, daß der Übersetzer für das »vino sluziti" und
«pod noc« des serbokroat. Originals keine passenden deutschen Ausdrücke
finden kann, sondern zum Lateinischen greift, beweist, daß diese Übersetzung
nicht von J. Grimm sein kann.
2) Ein Versehen, veranlaßt durch den vorhergehenden Vers.
Wer ist der Übers, der »Neunzehn gerb. Lieder« in Försters Sängerfahrt? 589
Vuks Pjesnarica I, Nr. 4.
Weimarer Handschrift Bl. 4. J. Grimms Schriften S. 4ö0 f.
Was lieb ist, muß schön seyn. = ^^^^^ Überschrift].
ist auch schön.
Wann wird jene schöne Zeit kommen, Wenn wird jene schöne zeit kommen,
und man anfangen, Buben zu verkau- und man anfangen buben zu verkau-
[fen? [fen,
Um zwey Blaue (blonde) gab ich kei- um zwei blonde gab ich keinen pi-
[nen Piaster, [aster
Um den Müller keinen Heller : um den müller keinen heller.
Aber um ein junges Schwarzaug, aber um ein junges schwarzaug,
Um ihn gab' ich tausend Dukaten. — um ihn geb ich tausend ducaten.
Ach ich Unselige! wie sündig ich ach ich unselige ! wie sündig geredet,
[geredet
Bei meinem Geliebten sind die Augen bei meinem geliebten sind die äugen
[blau — [blau,
Sie sind blau, aber mir sind sie theuer. sie sind blau aber mir sind sie theuer.
Freundinnen mein, bittet für mich freund i n mein, bittet für mich
[vor.
Nur ein wenig, wenn es euch ge- nur ein wenig, wenn ich [!] euch be-
[fälligi;; [liebti),
ich bin jung, will ihn selber bitten. ich bin jung, will ihn selber bitten.
Vuks Pjesnarica I, Nr. 23.
Weimarer Handschrift J. Grimms Schriften S. 462.
(nach Steigs Abdruck auf S. 262 seiner
zitierten Schrift).
Mädchen, niedlich kleines Veilchen! "Mädchen, niedlich kleines veilchen,
lieben möcht' ich dich, aber du bist lieben möcht ich dich, aber bist klein!«
[klein.
Lieb mich. Lieber, ich werd wohl groß lieb mich, lieber, will schon groß wer-
[werden. [den,
Klein ist die Beere der Perle klein ist das äuge der perle,
und man trägt sie an dem Herren und man trägt sie gern am halse,
[Halse
Klein ist der Vogel, die Wachtel^) klein ist der vogel, die nachtigall^),
[(= ein kleiner Vogel ist d. W.)
Aber sie tödtct (ermüdet) Roß und aber sie ermüdet reiter und roß.
[Reiter, (auf der Jagd)
1) "ako vam je drago«.
2) Im Original »propelica«.
590
Stjepan Tropsch,
Weimarer ITandschrift Bl. ;<8.
Ganze Nacht durclisingt mir der Falke
An des Milan Fenster,
Steh auf Milan, dein Mädchen heu-
[rathet,
Und dich ladet sie zur Hochzeit,
Wenn du nicht auf ihre Hochzeit
[willst.
So schick ihr doch den Segen.
Auf ihre Hochzeit gehen kann ich nicht
Sondern den Segen schick ich ihr:
Männliches Kind möge sie keins haben
Soviel Brod sie aufisst, so viel Gift
[möge sie haben
Soviel Wasser sie auf trinkt, so viel
[Thränen möge sie vergießen.
Vuks Pjesnariea I, Nr. 38.
J. Grimms Schriften S. 46.3.
Ganze nacht durch singt mir der falke
an des Milan fenster;
steh auf Milan, dein mädchen heirathet.
und dich rufts zur hochzeit.
wenn du nicht auch [!] ihre hochzeit
[willst,
so schick ihr doch den segen.
auf ihre hochzeit gehen kann ich nicht,
sondern den segen schick ich ihr:
männlich kind möge sie keines haben,
so viel brod sie isset, so viel gift
[möge sie haben,
so viel wasser sie trinkt, so viel
[thränen möge sie weinen.
Vuks Pjesnariea I, Nr. 44.
Weimarer Handschrift Bl. 44.
Wo wir gestern im Quartiere waren
nachtmahlten wir ein herrlich Nacht-
[mahl,
ein schönes Mädchen sahen wir dir.
Um das Haupt ihr Perlentulpen,
und ich gab ihr das Pferd zu über-
[führen.
Sie sprach leise zum Pferde :
OjBrauneri), vergoldter Mähne,
hat der Herr sich dir geheuratet^)?
Pferdchen ihr wiehernd antwortet :
Oj ! bei Gott nein, schönes Mädchen
Nicht hat sich mir der Herr geheu-
[ratets)
sondern denkt's mit dir auf den Herbst.
Da sprach Mädchen zu B r äu n c h e n 3) !
wenn ich weiß, daß das Wahrheit ist,
J. Grimm's Schriften S. 460.
Wo wir gestern im quartiere lagen,
nachtmahlten wir herrliches nacht-
[mahl
ein schönes mädchen sahen wir dir
um das haupt ihr perlentulpen
und ich gab ihr das pferd zum ab-
[führen.
sie sprach leise zum pferde :
oi brauner mit goldner mahne,
hat dein herr sich dir vermählt?
pferdchen ihr wiehrend antwortet :
oi bei gott mein schönes mädchen,
nicht hat sich mir der herr vermählt,
sondern denkt mit dir auf den herbst!
da sprach mädchen zum pferdchen:
wenn ich weiß, daß das Wahrheit ist,
1) Ursprünglich «Dorat« (wie im Original) von der ersten Hand, dann von
der zweiten zuerst »Fuchs', dann »Brauner«.
2) Zuerst von der ersten Hand »sich verheuratet», dann von der zweiten
»ge heuratet", wobei das sich übersehen wurde.
3) Von der ersten Hand »zum Dorat«, dann »Dorcheu", zuletzt von der
zweiten »Bräunchen«.
Wer ist der Übers, der »Neunzehn serb. Lieder« in Försters Sängerfahrt? 591
möchte ich meine Spangen ') losschla- möcht ich meine spangen losschlagen
[gen
und deinen Halfter beschlagen, und deine halfter vergolden,
in reines Silber möchte ich ihn be- mit reinem silber möcht ich dich
[schlagen [beschlagen,
und mit meinem Halsschmuck 2^ ver- und mit meinem haisschmuck dich
[golden^]. [zieren.
In der 1815 erschienenen Anzeige des ersten Bandes der Pjesnarica
hat Grimm dieses Gedicht im Versmaß des Originals (dem heroischen
Zehnsilbler) veröffentlicht. Wie es scheint, hat Grimm die soeben mitge-
teilte Kopitar'sche Prosa-Übersetzung seiner metrischen Überti'agung zu-
grunde gelegt. Man vergleiche (J. Grimms Schriften IV, S. 432):
wo wir nachten zu der herberg waren
nachtmahl herrliches wir dii- nachtmahlten,
sahen dir ein wunderschönes mägdlein,
perlentulpen (steckten) ihr zu haupten;
gab ich ihr das pferd zu überführen,
sprach sie leise zu dem pferde also:
o du brauner, mit der goldnen mahne,
hat sich dir denn schon dein herr vermählet?
pferd entgegensprach ihr wiehernd also :
o bei gott mein wunderschönes mägdlein,
noch nicht hat sich mir mein herr vermählet,
sondern denkts mit dir (zu thun] auf herbest.
sprach das mägdlein zu dem braunen also:
wenn ich wüste, daß das Wahrheit wäre
wollt ich meine spangen mir zerschmieden,
wollte dann sie deinem zäum anschmieden,
wollte (dich) in lauter silber schmieden
und mit meinem halsband dich vergolden.
Vuks Pjesnarica I, Nr. 45.
Weimarer Handschrift BI. 45. J. Grimms Schriften S. 459 f.
Oj Donau, stilles Wasser! Oi Donau stilles wasser,
Was läufst du mir so trübe? wie läufst du mir so trüb,
trübt dich der Hirsch mit dem Geweih, trübt dich der hirsch mit dem geweih?
oder Mirtscheta der Wojwode? oder Mirtscheta der woiwode?
1) Die erste Hand hatte »pavte« geschrieben (wie im Originär.
2) Das »Dierdan« (wie im Original) von der ersten Hand wurde von der
zweiten durch »Halsschmuck« ersetzt.
3) Kopitars Übersetzung der letzten drei Zeilen folgt dem Original viel
genauer als die in der öüngerfahrt.
592 Stjepan Tropsch,
Nicht trübt mich — nicht trübt mich der hirsch,
noch — noch Mirtscheta, der woiwode,
sondern Mädchen, Teufelchen sondern mädchen, teufelchen,
alle Morgen herbeikommend, alle morgen kommend
Perunikal) pflückend blumen pflückend
und weißend ihre Wangen^). und badend ihr ge8icht2).
Zuletzt Avill ich auch aus einem der 2 (bezw. 3) epischen Gedichte
einige Zeilen mitteilen,
Vuks Pjesnarica I, Nr. 2 der epischen Gedichte.
Weimarer Handschrift Bl. Iü2. J. Grimms Schriften S. 455 f.
[Ohne Überschrift]. Diejagd Mule y's.
Jagd jagte Murat Vesir Jagd jagte Muley vesir,
Jagd jagte nach dem grünem [!] Ge- jagd große, nach grünem gebirg
[birge
mit seinen 12 Delien mit seinen zwölf delien
und mit selbdreizehntem dem Königs- und mit selbdreizehnten dem königs-
[sohn Marko. [söhne Marco.
Jagd jagten sie drey weiße Tage jagd jagten sie drei weiße tage
und konnten nichts erfangen. und konnten nichts erfangen.
Der Zufall hatte sie gebracht gehabt zufall hatte sie gebracht
an einen grünen See im Berge an einen grünen see am berg,
auf dem schwimmen goldenflüglige auf dem schwimmen goldgeflügelte
[Enten. [enten,
Läßt los der Vesir seinen Falken, läßt der vesir seinen falken los,
daß er fange die Ente golden flüglig. daß er fange ente goldflüglich.
sie läßt sich ihm nicht einmal er- sie läßt sich ihm nicht einmal er-
[schauen [schauen,
sondern hebt sich himmelan unter die sondern hebt sich himmelan unter
[Wolken u.s.w. [wölken u.s.w.
Von den übrigen Versen seien nur noch folgende zwei mitgeteilt:
»Ali Markov soko jogunica || Kao sto je i njegov gospodar«. Kopitar
übersetzt ganz korrekt: »Aber Marko's Falke, ein Hartkopf j] wie es
auch ist sein Herr«. In der Sängerfahrt dagegen heißt es statt »ein
Hartkopfa — »ein Heldcf, wodurch der ganze Gedanke entstellt wird.
Nachtrag. Das erst kürzlich erschienene Buch N.Petrovskij's, Pervye
gody dejateljnosti V. Kopitarja. Kazan 1906, ebenso M. Murkos aufschlußreiche
Rezension, Die serbokroatische Volkspoesie in der deutschen Literatur (im
1) In der Anmerkung von der zweiten Hand »iris florentina".
2) Im Original »I bijelec' svoje lice«.
Wer ist der Übers, der »Neunzehn serb. Lieder« in Försters Sängerfahrt? 593
letzten Doppelheft des Archivs, XXVIII. Bd., S. 351 ff.) kann ich nur noch bei
der Korrektur dieses meines Aufsatzes flüchtig erwähnen. Beide Forscher
scheinen noch die Brüder Grimm für die Übersetzer der »Neunzehn serbischen
Lieder« zu halten (vgl. Petrovskij S. 724, Anm. 3; Murko S. 370,. Aber Pe-
trovskij (a. a. 0.) zitiert eine Bibelstelle, in der ich eine Bestätigung meiner
oben vorgetragenen Ansicht erblicke. Am I.Jänner ISIS schreibt nämlich
Viik an Musicki: »U Berlinu je jedan zabavnik Njemacki izisao pod imenom
Sängerfahrt, i u njemu ima 19 srbski pjesana prevedeni na Njemacki iz prve
casti pjesnarice (ondje stoji napecatano, da ih je Grim preveo)«
(Glasnik srp. uc. drustva, Bd. 7.5, S. 275). Wenn also Vuk sagt: »dort [d.h. in
der Sängerfahrt] heißt es, Grimm hätte sie [diese 19 Lieder] übersetzt«, so
muß man daraus wohl schließen, daß Vuk daran nicht geglaubt hat. Den
wahren Tatbestand aber, der ihm ja zweifelsohne bekannt war, verschweigt
er, weil der Name der Brüder Grimm diesen Liedern eine freundlichere Auf-
nahme zusicherte als der Kopitars.
Schließlich sei erwähnt, daß der erste Teil meiner oben zitierten Studie
über die deutschen Übersetzungen der serbokroatischen Volkslieder in-
zwischen im Druck erschienen ist (im 166. Bande des «Kad« der südslavischen
Akademie).
Zagreb (Agram), August 1906. Sfjepan Tropsch.
Paul Eitter Vitezovic, Beiträge zu seiner Biographie.
Von Fr. Snopek.
Unter den im f. e. Archive in Kremsicr aufbewahrten Akten des
Olmützer Fürstbischofs Karl Grafen von Liechtensteiu-Castelcorn (IG64
bis 1695) fand ich zwei nicht uninteressante Beiträge zur Biographie de3
kroatischen Dichters und Schriftstellers Paul Kitter genannt Vitezovic,
welche ich mir hier zum Abdruck zu bringcu erlaube.
Es ist vor allem sein Brief an den Kirchenfärstcn vom 28. April
1687, dessen Beilage, ein Gedicht zu Ehren des Fürstbischofs, leider
verloren gegangen ist. Diirch die darauf erfolgte Nachfrage, wer der
Dichter wäre, wurde diesem die Gelegenheit geboten, seine Auto-
biographie bis zum Jahre 1087 in 72 elegischen Distichen zu ver-
Arcliiv für slavischo Thilologie. XXVIII. 38
594 Fr. Snopek,
fassen (7 — 10) ^). Sie ist wie der Brief auf Papier mit Goldschnitt rein
und schön geschrieben, umfaßt zwei Bogen, 25 cm hoch und 15 cm breit.
Die wertvollen Blätter, welche ein Autogi'aph des Dichters zu sein schei-
nen, ergänzen und korrigieren teilweise die bisherigen Angaben der Au-
toren über ihn. Wir haben hier nicht zu verachtende Berichte über die
Familie des Vaters unseres Paul, über seine Studien, seine politische,
militärische und literarische Wirksamkeit. Auf Grundlage der Verse 95 —
114 wird ferner der Kenner seiner Werke unschwer die chronologische
Aufeinanderfolge wenigstens seiner ersten lateinischen Arbeiten bestim-
men können.
Paul Ritter wurde um das Jahr 1650 in Zengg am adriatischen
Meere (11) als der älteste Sohn eines deutschen Edelmannes geboren (15),
welcher für seine im Felde erworbenen Verdienste in den ungarischen
und kroatischen Ritterstand erhoben wurde (19) und außerdem die
Patrizierwürde der Stadt Zengg erwarb (20).
Seine Mutter war eine adelige Kroatin (16), wahrscheinlich eine ge-
borene de Luka (18).
Er hatte zwei Brüder und zwei Schwestern (21). Sein jüngster
Bruder starb im Kindesalter (23); der andere erwählte die militärische
Laufbahn (25 — ^27). Im Jahre 1687 lebten noch beide Eltern Pauls
(19 vivit ipse genitor; 31 unicus ut modo sim matri). Sie sorgten ge-
wissenhaft für die wissenschaftliche Ausbildung ihi-es ältesten Sohnes,
ohne Kosten zu scheuen. Paul studierte in Agram (33. 34) und zwar
bis zur Rhetorik (34 meis studiis Suada coronis erat). Nachdem er dann
Reisen in der kroatischen Kraljevina gemacht, begab er sich nach Rom,
wo er seine Studien beendigte (36). Dann bereiste er die Nachbarländer,
um die Bekanntschaft berühmter Männer zu machen und seinen Wissens-
drang zu stillen (37 — 40).
Mit vielen nützlichen Kenntnissen bereichert, kehrte er in seine Hei-
mat zurück. Als der Kaiser im Jahre 1681 den Reichstag nach Oedenburg
(Sempronium) berief, erschien er da als Abgeordneter seiner Vaterstadt
(41 — 44). Bald darnach wurde er Vertreter seiner Mitbürger am kaiser-
lichen Hofe, wo er fast anderthalb Jahre verweilte (47 — 48). Er ver-
stand es, sich beim Kaiser, seinen Hof beamten und anderen hervorragen-
1) Die in den Klammern eingeschlossenen Zahlen bedeuten die Verse der
Autobiographie, auf die ich mich berufe.
J
Paul Ritter Vitezovic, Beiträge zu seiner Biographie. 595
den Persönlichkeiten äurch seine lateinischen Gedichte beliebt zu machen
und einen großen Einfluß zu gewinnen.
Nach seiner Rückkehr in die Heimat entstanden kriegerische Un-
ruhen (49). Damals mag er in das kaiserliche Heer eingetreten sein, wo
er die Charge eines Rittmeisters in einem kroatischen Regiment erlangte
(31. 32 magistri supra equites Slavnos munia nactus eram). Zur Zeit der
Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683 lebte er an der
Seite des Banus im Feldlager an der Drau und Mur (50 — 52). Unterdessen
nahm sein jüngerer Bruder tätigen Anteil an dem Entsätze der Stadt Wien
und zeichnete sich hier dadurch aus, daß er eine Fahne mit Lebensgefahr
erbeutete (25. 26 et caput et Signum victor ab hoste tulit). Nachdem er
sich schon früher (27) und auch später kriegerische Lorbeeren erworben,
starb er als Major (strategi gerendo vices) infolge einer Verwundung
(27 — 30) zum großen Leidwesen seines Kommandanten (praesidis) und
besonders seines Bruders Paul (57 — 58).
Später nach Vernichtung der Burgen Brezenca und Babocsa vertrat
Ritter den Banus beim Kaiser in Linz durch vier Monate (53. 54). Dann
ließ er sich mit der Charge eines Rittmeisters in einem kroatischen Regi-
ment reaktivieren (56 supra equites Slavnos fio magister eques).
Noch hatte er sich vom Schmerze über den Verlust seines geliebten
Bruders nicht erholt, als auch seine Person von einem Unfälle heimge-
sucht wurde. Auf der Rückreise in die Posavina begriffen (62 non bene
Saviacis ipse recurro plagis) fiel er bei einem Ritte durch die steirischen
Alpen vom Pferde und schlug sich an einem Steine dermaßen an, daß
es ihm über ein Vierteljahr *) nicht möglich war, die Reise fortzusetzen
(63—68).
Noch nicht völlig hergestellt begab er sich mit dem Banus in das
kroatische Lager (69. 70), denn das Regiment, welchem er zugeteilt war,
befand sich damals in Leutschau hart an der russischen Grenze (sie, 7 1 —
72 Russiacis proxima facta plagis).
Im nächsten Winter kam er nach W^ien, wo er von seinem Obersten
(tribunus) den Befehl erhielt, daselbst seine Rückkehr abzuwarten. Als
jedoch der Oberst erst nach sieben Monaten in Wien ankam, mußte er
erfahren, daß sein Regiment bereits aufgelöst sei (73 — SO).
1) 08 Retrograde potui nee rediissc love. Die Erklärung dieser Worte
verdanke ich der Liebenswürdigkeit doa k. k. Soliulnites und Oyinn.isial-
professors Dr. Fr. Nübolck.
3S*
596 Fr. Snopek,
Dadurch verlor auch unser Eitter seine Stellung im Heere, wurde
aber rehabilitiert (81 reformatus). Jedoch trat er den Dienst nicht an,
auch kehrte er nicht in seine Heimat zurück, denn er war ausersehen, die
Kraljevina wieder beim Kaiser zu vertreten. Deshalb weilte er schon
seit längerer Zeit in der Kaiserstadt an der Donau und hatte Ende Juni
1687 keine Hoffnung, selbe vor zwei Monaten zu verlassen (82 — 8G).
In den folgenden Distichen breitet sich unser Autor über seine lite-
rarischen Arbeiten aus, denen er seine Mußestunden widmete. Ihr Inhalt
umfaßte Geschichte, Philologie und Volksschriften. Nach V. 103. 104
war sein erstes in lateinischer Sprache verfaßtes Werk: Fata et vota
sive opera anagrammaton partes duae s. 1. et a. 8*^; den Fachleuten muß
überlassen werden, zu bestimmen, welche Werke mit Nr. 2 — 5 (105 —
108) gemeint sind. Von seinen Arbeiten in kroatischer Sprache werden
bloß die vier Bücher von der Erstürmung Sigets (Odilenje Sigetsko) er-
wähnt, ein Gedicht über den berühmten ritterlichen Verteidiger der ge-
nannten Burg, Nikolaus Zrinjski.
Beachtungswert sind, wie schon gesagt, seine lateinischen Gedichte,
in denen man freilich keine poetische Begeisterung suchen darf. Das zu
Ehren des Olmützer Fürstbischofs, den der Dichter irrig einen Fürsten
von Liechtenstein nennt, verfaßte, war nicht die geringste seiner Arbeiten
(92 non . . ultima serta); er empfiehlt es also nochmals seiner liebevollen
Rücksicht (91— 94).
Nach V. 117 — 118 hatte er auch andere lateinische und kroatische
Werke druckfertig in seinem Schreibtische, aber es mangelte an opfer-
willigen Maecenaten. Ritter für seine Person war wenig wohlhabend.
Seine Großeltern und sein Vater haben ihm kein bedeutendes Vermögen
hinterlassen (121. 122). In den Kriegen (123 Marti studentes) waren sie
um ihren guten Namen besorgt, für welchen sie nicht wenig gelitten haben
(123 — 126). Ausdrücklich erwähnt noch Ritter, daß sein Vater einmal,
dessen beide Brüder sogar zweimal in die türkische Gefangenschaft ge-
raten waren (127. 12S ferrea Threicio carcere viucla tulit).
So viel schreibt unser Autor über seine Schicksale wie auch über
die seiner nächsten Anverwandten und hegt die nicht gerade bescheidene
Hoffnung, daß Andere mehr über ihn berichten werden (130). Leider ist
diese nicht ganz in Erfüllung gegangen.
, Endlich kommt der Dichter nochmals auf sein dem Bischof ge-
schicktes Lobgedicht zurück. Er unternahm die Arbeit, weil er von ihm
viel Ruhmwürdiges gehört hatte (133). Wenn es ihm erlaubt sein wird,
Paul Ritter Vitezovic, Beiträge zu seiner Biographie. 597
sollen noch andere nachfolgen (139. 140). Er erwartet diesbezügliche
Befehle des Kirchenfürsten (143). — Jedoch fand ich unter dessen sehr
zahlreichen Concepten keine Beantwortung dieser Epistel.
Beilage I.
Cehissime reverendissime princeps, domi?ie
domine patrone gratiosissime.
Transmitto, qua decet submissione et reverentia c. v. reverendissimae
levidensem opellam haue honori et aeviternae memoriae c.v. dicatam. inscrip-
tam directamque, de genu orans, dignetur pro innata sua dementia et benig-
nitate tarn opus ipsum, quam auctorem operis suis gratiis favoreque prosequi,
qui se virtutibus nomineque cius aetemum vovet, paratus vita ipsa ad iussa
et nutus celsitudinis vestrae reverendissimae
humillimus obsequentissimus servus
Viennae Austriae 28. Aprilis IGST. Paulus Ritter.
Beilage II.
Celsissimo ac reverendissimo principi ac domino domino
Carolo episcopo Olomucensi, regiae capellae Bohemiae comiti, duci,
S.R. I. et Liechtensteinii principi etc.
Paulus Ritter s[empiternam] f[elicitatem].
Ut nuper reliquos inter regesque ducesque,
Quorum Nympha piam Pannona sensit opem:
Et tibi sacratam, princeps celsissime, laurum
Misissem paucas associando notas.
Nescio, num placuit pro spe votoque dicantis, 5
Numve satis tanto principe digna fuit?
Hoc correspondens feeit tantummodo notum,
Quod tua, quisnam sim, gratia scire volet.
Id paucis isthic describens Aersibus, oro:
Ne graviter (quia sunt vera) legendo feras. 10
Regia Crovatis vetus urbs et llbera Segnae
Ad maris Adriacas condita perstat^j aquas.
Illic sum genitus, sacro baptismatis illic
Romani ritus fönte lavatus ego.
Patre a Gerraana procedo nobilitate: 15
Per matrem Illyridum nobile duco genus.
Ne numerera proavos liic Harte domique potentes,
Clarnm de Luka Ritter('uiii(]uc genus,
Vivit adhuc genitor, rcgni qui gaudot cquestri
Patriciique urbis gaudot lionore Status. 20
1) Original: pestat.
598 1' r. önopek,
Ante duos fratres ego natus totque sorores,
Post ambos fratres unicus ipse modo.
Natu etenim miniinua moritur puerilibus annis:
Vixisset! magnae nam fuit ille spei.
Alter, qui primus sub cincta a Thrace Vienna 25
Et Caput et signum victor ab hoste tulit,
Ante et post etiam praeclare multa patrando
Ante et post etiam vulnera dura tulit.
Vulneribus tandem renovatis isque strategi ')
Ultima persolvit fata gerendo vices, 30
Unicus ut modo sira matri; sed et ipse magistri
Supra equites Slavnos munia nactus eram.
A quo nam Zagraba (slavne sie dicitur) urbe
Facta meis studiis Suada coronis erat,
Inviso patriae contermina regna Croatae, 35
Osculor et divi limiua saucta Petri.
ludeque viciuis iterum versatus ab oris
Egregiis cupii cognitus esse viris.
Discebam varias, sed honestas sedulus artes
Otia namque animo non placuere meo.
Interea Caesar generali regna diaetae,
Sempronii fuerat quae celebrata, vocat.
Ad quam Segniadum legati munere functns,
Ordinis atque Status nomine missus eram,
Cuius felici demum pro fine diaetae 45
Eegnorum grates regis honore cano.
Factus Caesaream post haec orator ad aulam
Ad quam sesqui anno pene moratus eram.
Eine postquam redii, belli coepere tumultus,
Et cincta a duro Thrace Vienna fuit. 50
In positis Dravi Muraeque ad flumina castris
Illyrici semper cum vicerege fui.
Sed post (Brezencza Babocsaque arce crematis)
Lincii ad Augustum nuntius eins eram.
Dumque moratus ibi bis binos transigo menses, 55
Supra equites Slavnos fio magister eques.
Fama mihi interea fraternae nuntia mortis,
Praesidis atque mei plena dolore volat.
Et dum alii contra Turcos contraque rebelles
Justa movent fortes Caesaris arma viri: 60
Acta relaturus bano (ceu iure decebat)
Non bene Saviacis ipse recurro plagis.
Nam non fraterno mala sors contenta dolore
V Plura nitro voluit me subiisse mala.
2) Original: strataegi.
Paul Ritter Vitezovic, Beiträge zu seiner Biographie. 599
Quippe salebrosas Styriae currendo per Alpes, 65
Cum titubo, in petram sum male lapsus equo.
Occurrere dein plura infortunia semper:
Eetrogrado potui nee rediisse love.
Ne tarnen omnino castris (licet aeger) abessem,
Me cum prorege ad castra Croata tuli. 70
Legio quippe mei procul est mandata tribuni,
Leucsae et Russiacis proxima facta plagis.
lamque Viennensem brumae sub tempus in urbem
Veni, et tunc absens inde tribunus erat.
Sed me per proprias hortatus saepe tabellas _ 75
lussit, ut hie, donec venerit ille, morer.
Qui Septem primo post menses appulit, at si
Nee tunc venisset, res bene facta foret.
Longius hie etenim, quam par fuit ille moratus.
Cassatum regimen tempus ad hocce dolet. 80
Ipse reformatus quoque, nee post castra secutus
Nee redii in patrias post ea facta piagas,
Namque requisitus fueram, qui regis ad aulam
Regnorum patriae publica vota geram.
Talibus ad praesens moror hie rationibus actus 85
Unde tarnen menses ante movebo duos.
Hinc ut apostolici pergant bene commoda regni,
Cuius ut Illyrica nobilitate fruor,
Composui sacram certantibus atque patronis
Laurum, quaeque illis non moritura viret. 90
Quos inter sacro fautores, Carole, hello
Non sunt missa tuis ultima serta comis.
Quae quod grato animo perceperis atque benigna,
Ipse mihi certum suadeo, fronte legas.
Sed ne confusus turbet, precor, ordo legentem, 95
Sparsaque diversis nomina magna locis,
Non fuit apta satis tanto brevis hora labori,
Nee fuit haec nostro res agitanda foro.
Quas sed in hoc vires ars vel natura negavit,
Has pietas supplet Candida, supplet amor. 100
Omnia non omnis: vix omnia possumus ouines:
Commuui proprium digero Sorte mahim.
Primus ab inatructis anagrammatis arte libellis,
Fert hie principibus laurea serta viris;
Imperiis, regnis, rebus communibus alter; 105
Tertius ad belli fort sua sorta duces;
Caesareao primis aulae regui(iue miniatris
Quartus; ad heroum funera (piintus erit.
Hi tamen expectaut meritae primordia lucis.
Quos reliquum sequitur nouiiuis liuius opus, 110
600 Fr. Snopck, Paul Ritter Vitezovid, Beiträge zu seiner Biographie.
Res et materies lectu sat grata profecto
Haec erit, ad quorum venerit lila manus.
Nee primus nostrae foetus über iste Camoeuae *)
Hactenus ad lucem, quem dedit illa, fuit.
Quatuor iam Slavis Odilenja Sigetskoga libria 115
Et Latus Musam nara dedit usque novam.
Plura suis matura iacent sua pignora cunis
Instructa Ausoniis Illyricisque notis.
Sed Maecenates-j quibus inde leventur ad auras,
Esse sub hoc paucos tempore moesta dolet. 120
Nam nee avi mihi nee genitor nummosa pararunt
In dnris illic commoda opesque plagis,
Qui semper Marti praeclara ad gesta studentes,
Sat sibi credebant nomen habere bonum,
Pro quo saepe tarnen passi non pauca fuere, 125
Fortuna ut secum bellica ferre solet,
Ipse parens semel at bis frater uterque parentis
Ferrea Threicio carcere vincla tulit.
Haec breviter de me mihi perscripsisse licebat:
De me plura alii plura meisque dabunt. 130
Quem cum nil mage, quam clarorum fama virorum
Delectat: tales semper honore colo.
Cumque tua audissem plures de laude loquentes,
Indolis illustris norma quod ipse viges:
Mox in me dixi, dux Lichtensteine, colentes 135
Inter postremus non erit iste tuos.
Devoti affectus hinc argumenta per illam
Laurum conabar prima dedisse mei.
Postquam (si liceat princeps generöse) sequetur
Nominis in laudem Musa canora tui. 140
Quem virtus ornat, celebrant quem carmina vatum,
Felici aeternos vivit honore dies.
Expectans reliquo tanti mandata patroni,
Cui me commendo. Finio scripta. Vale.
Viennae 29. Junii 1687.
1) Original: Camaenae.
2) Original: Mecaenatos.
601
Badiiak nnd Kolenda in den ungarischen Qnellen.
»Kalendis ianuariis, in circumcisione Christi, consueverunt
Hungari strenam dare, hoc est donum pro bono omnine incipi-
entis anni.«
Galeoti Martii Narniensis: De dictis et factis Matthiae regis
cap. 24 (Schwandtner, Scriptores 1, 553.
Auf eine eigentümliche Wendung, welche die heidnisch-slavische Sitte
des hadnah^ des Holzblockes, welcher heute in der Christnacht verbrannt
wird, in Ungarn in vorgerückt historischer Zeit genommen hatte, will ich
hier aufmerksam machen. Außer dem, daß sie einen Beitrag für die Me-
tamorphose der Gebräuche im allgemeinen bietet, ist die neue Phase
dieser Sitte noch hauptsächlich in doppelter Hinsicht interessant. Indem
sie uns nämlich den alten Namen und dazu in den Formen des XIV. Jahrh.
überliefert, wii-ft sie ein direktes Licht auf den ursprünglichen Sinn des
jetzt mir noch bei den Südslaven erhaltenen Wortes badnak, badnjek,
badnikT,, bxdniki., bestätigt aber, beziehungsweise modifiziert kategorisch
die schon durch sprachliche, aber meistenteils hypothetische Schlußfol-
gerungen erreichten Ergebnisse; indem sie als eine nur den milden Namen
»Neujahrsgeschenke« (munera strennalia) führende, für die ungarischen
Städte aber typische Iluldigungssteuer erscheint, kann sie als Beweis
dienen für den großen Einfluß der slavischen Sitten auf die Bildung un-
garischer Institutionen. Hauptsächlich von letzterem , dem rechtshistori-
schen Standpunkte aus habe ich die Frage im Anschluß an eine, in dem
unlängst herausgegebenen Statut von Ragusa (lib. I, cap. 7, p. 1 0) er-
haltene Nachricht über den hadnak schon kurz erörtert *) ; der zweite,
philologisch -historische Gesichtspunkt blieb aber unentwickelt. Hier
gedenke ich das nachzuholen, verfahre aber hauptsächlich analytisch, in-
dem ich aus der ziemlich großen Menge der Belege diejenigen auswähle,
die das rechtshistorische Interesse mit dem sprachlichen verbinden; ich
zitiere wörtlich, damit man die von mir gezogenen Schlüsse an der Stelle,
ohne in den einem ausländischen Gelehrten gewiß schwer zugänglichen
Quellen nachschlagen zu müssen, kontrollieren, eventuell damit sie eine
kundigere Hand anders gestalten könnte. Die Reihenfolge der Daten wird
1) Szäzadok (ung. historische Zeitschrift) 40 (IKOO), 817— s21,
602 Milan von Sufflay,
aber trotzdem keine streng chronologische sein, da ich einige ältere , nur
in Verbindung mit späteren Quellen etwas aussagende Nachrichten vor-
läufig übergehend dort aus dem Material zu schöpfen beginne , wo es am
reichlichsten und klarsten fließt. Zum Ausgangspunkt nehme ich somit
die Nachrichten über die Neujahrgeschenke der ungarischen Städte, die
wiederum typisch in den Denkmälern der Stadt Preßburg (Pozsony) er-
halten sind.
I.
Im Jahre 13G1 beschloß die Stadt Preßburg, wie es scheint zum
ersten Mal, über ihre Einkünfte und Ausgaben regelmäßige Rechnungen
zu führen. Als Einleitung zu diesen für die Geschichte des Gesellschafts-
lebens in Ungarn unschätzbaren Aufzeichnungen, erscheint , offenbar um
fortwährend in Evidenz zu bleiben, folgende Notiz : «Item zvm ersten mal
ist zu merken, waz wir, dy stat, ierleichen schuldig ist an dem newen iare,
daz man heyst dy witd. Item man ist vnserm genedigen herrn dem kwnig
schuldig zugeben am newen iarr czwey tuech vonLövel; item einen schonen
vergolten koppflf, der da wegen schol nuer dritthalb mark silber OflFner
gewigt. Item man ist vnser gnediger frawen der kwnigyn schuldig zu
geben auch an dem newem iare ein tuech von Level und auch einen
schonen vergolten koppff, der da wieget czwo mark silber auch Offner
gewigt.« Weiter berichtet die Notiz noch sehr genau, welche Gaben die
Stadt zu gleicher Zeit dem königlichen Oberhofmeister {> vnsers genedigen
herrn des kwnigs hoffmeyster«) , dem Tavernicus (tarnekmeyster) , dem
Preßbm-ger Schloßgespan (»dem Span auff dem havse zu Prespurgkn),
den königlichen Türhütern und Köchen zu geben schuldig sei^). Einige
dieser Geschenke wurden in natura übergeben, andere wieder mit Geld
2) Der Text dieser Notiz zuerst abgedruckt bei Michnay-Lichner, Ofner
Stadtrecht von 1244—1421 (Preßburg 1845), 32 Anm. 10. Die ältesten Auf-
zeichnungen der städt. Rechnungsbücher, so weit sie erhalten, vollständig bei
Fejerpataky, Magyarorszägi värosok regi szämadäs-könyvei Alte Rechnungs-
bücher ung. Städte), Budapest 1885, 39 ff. Außerdem nebst vielen noch un-
edierten Belegen auch bei Kiräly, Pozsony väros Joga a közepkorban [Das
mittelalterliche Recht der Stadt Preßburg), Budapest 1894, 46, und in dem
monumentalen Werke von Ortvay, Pozsony väros törtenete II 3, 347 f. = Ge-
schichte der Stadt Preßburg II 3, 355 f. Hier auch in Band III. Tafel XII ein
Facsimile. — Dabei mache ich aufmerksam, daß das bei Ortvay zitierte Diplo-
matorium Posoniense kein gedrucktes Werk ist, wie es zu sein den Anschein
hat, sondern ein von Stefan Rakovszky in 3 Bänden angelegtes Manuskript
(jetzt Eigentum des Preßburger Stadtarchivs, cf. Ortvay a. a. 0. III, p. VI).
Badnak und Kolenda in den ungarischen Quellen. 603
abgelöst; zusammengenommen bildeten sie aber eine nicht unbedeu-
tende Belastung der Stadtkasse und betrugen in demselben Jahre (1361)
99 Pfund Denare: mota quod cives dederunt pro domino rege, regina
et pro baronibus in die stren7iarum quatuor breves pannos de Löfel
(Löwen), tres piearios argenteos, tres piücras sellas militares, duo pecias
de syndone et 1 2 libras pro expensis Uli, qui illa infra deduxerit ; et por-
tulanis et cocis domini regis G tiorenos; summa facit 100 libras minus
1 libra«3). Im Jahre 1371, um noch ein sprachlich interessantes Bei-
spiel aus dem XIV. Jahrh. anzuführen, beliefen sich die Gesamtkosten der
Neujahrsgeschenke auf 330 Goldgulden: »Nota anno domini MCCC'°<*
septuagesimo quarto. Item buda constetit trecentos florenos aureos et
trigenta flor. aureosa"*). Im Laufe des XV. Jahrh. scheint der Wert dieser
Geschenke sich etwas gemäßigt zu haben. Wie die Kammerrechnungen
»czu der wuedv. berichten, betrug derselbe im Jahi-e 1439 0(5 Goldgulden:
»item vmb III tuecher von Löfen zu Wyenn die man hat gebn zu der
wued hab wir gebn dem Hans Eylausnrokch L VIU fl. auri ; item wir habn
gebn dem Hans Goldschmid umb von den zwayn kopphn zu vergolden
Vni fl. auri« 5). Nach der Aufzeichnung von 1404 bestanden in diesem
Jahre die Neujahrsgeschenke in vier schwer vergoldeten Bechern: «Aus-
gegeben auf die hud dem König von Hungern . . . Item am Sambstag am
Sand Jörgen Tag hob ich geben dem maister Hans golt und VIII fl. auri
zu vergolden den koppf auf die hild dem König Mathiasch von Ungern ;
item eodem die hab ich geben maister Hans Goltsmid auf die hüd von
wegen 11 Koph vnd I newem die er gepessert vnd vergolt hat U gülden
vnd der burgermeister H vnd dem burgermeister hab ich ain genung \Tub
sein gülden tan 6).
Zu diesen Stadtrechnungen gesellen sich im XV. Jahrh. noch Urkun-
den , welche uns bis unter die Regierung Königs Mathias Corvinus Auf-
schluß über die Neujahrsgeschenke geben und besonders anschaulich die
energische Weise charakterisieren, mit welcher der sich immer in Geld-
not befindende König Siegmund und seine Gemahlin, die Königin Barbara
die Einhebung derselben betrieben. Aus der Menge derselben führe ich
nur zwei an. Im Jahre 14 33 fordert die Königin den Preßburger Stadt-
rat auf, ihr die Neujahrsgeschenko fdie hüd oder eriuuj des neicen iarst\
3) Fejerpataky a. a. 0. 40.
*) Ib".
^) Ortvay a. a. 0. (deutscli) II '^, 'M'l Anm. 1.
<*) Ortvay ib. 303. Anm. ü; Kiräly a. a. 0. 4ü Anm. 3.
604 Milan von Sufflay,
zu übersenden, trotz der KntscLuldigung des Rates damit, daß es ihm
vom Palatin untersagt v?orden sei'^j. Interessant ist auch die zweite Ur-
kunde derselben Königin von 1427, da aus derselben hervorgeht, daß
alle ungarischen Städte verpflichtet waren diese Steuer zu entrichten:
»darüber lassen wir euch wissen, daz wir dez von seine genaden guete
brief haben, domit uns seine genad die beucl^ die seine genad angehörn
in allen seinen steten^ verschaffet und gegeben hat; darümbb schaffen
wir mit ernst, daz ir uns paide heud unverziechen schiken oder pringen
solt«8). Diese Tatsache wird für die Städte Soprony (Odenburg)^) Szeben
(Hermannstadt) lo] und Kassa (Kaschau) durch Urkunden in Überfluß
noch direkt bezeugt. Besonders der von dem Keichsverweser Johann von
Ilunyad im Jahre 1454 (29. Jänner) ausgestellte Brief, worin er die letzt-
genannte Stadt benachrichtigt, daß der König (Ladislaus) seinen Türhüter
Michael Orszag die Neujahrsgeschenke für dieses Jahr überlassen hatte,
ist wichtig, da er den vulgären Namen dieser Geschenke: «prouentus
strenuales in vulgo hedv, enthält ii).
Um die Reihe der Belege zu schließen, führe ich noch einen Brief
vom Jahre 1447 an, in Avelchem die Gesandtschaft der Stadt Preßburg
dem Stadtrat aus Ofen berichtet »das wir am gestrigen Montag unsern
herrn dem gubernator (Johann v. Hunyad) haben geantwurt dy tcild und
dabey eur willig diennst erpoten , das nam er güttlich auff und danket
euch mit fieiß« '2)
Das hier Angeführte erschöpft bei weitem nicht das sämtliche Ma-
terial über die Neujahrsgeschenke der Städte im XIV. und XV. Jahrb.,
bietet aber eine vollständige Zusammenstellung aller jener Stellen, welche
einen Beitrag zur Form jener zwei Worte liefern können, mit welchen
der Volksmund diese Geschenke (lat. munera sti'ennalia) benannt hatte:
huda^ hud^ hüd^ heud, hed\ xvud, wäd, loued.
'^) Dieses Regest zitiere ich wörtlich nach Ortvay 360 Anm. 2, da die Ur-
kunde nicht publiziert worden ist.
8) Ortvay 359 Anm. 3.
9) Horvät Mihäly, Magyar regest<äk (Ung. Regesten) im Magyar Törte-
nelmi tär 9 (1S61), 135.
10) Fejer, Codex diplom. regni Hungariae X 4, 431 f.
") Vollständig abgedruckt bei Teleki Jözsef, Hunyadiak kora Magya-
rorszägon (Das Zeitalter der Hunyader), Pest 1853, 10, 147; Regest bei Horvät
a.a.O. 158.
12) Ortvay II 3, 362 Anm. 3.
Badnak und Kolenda in den ungarischen Quellen. 605
II.
Laut einer Urkunde Königs Siegmund von 1434 gebührten diese
Oesclienke dem König und seiner Schatzkammer vermöge der ihm von
Natur aus zustehenden Herrschergewalt i3]. Doch ist damit der Ursprung,
die rechtliche Basis dieser Sitte noch nicht erklärt und tatsächlich bis
jetzt noch nicht ermittelt worden, da uns, wie ein ungarischer Rechts-
historiker 14) sich ausdrückt, in bezug darauf kein Zeugnis vorliegt.
Denn in der Tat ersieht man aus den hierher einschlagenden älte-
sten Quellen, den Urkunden des XIII. Jahrb., nur so viel, daß der Brauch,
zur Neujahrszeit Geschenke zu geben, schon damals wohl bekannt und
allgemein war, da man sonst diese Urkunden nicht nach »dem Tag der
Geschenke« (dies streunarum), worunter man immer den 1. Jänner ver-
stand, datiert hätte i^). Der Umstand aber, daß die ungarischen Urkunden
eben erst von dieser Zeit weiter das Datum auch nach dem Tag anzü-
geben beginnen, läßt ahnen, daß der Brauch schon weit früher in Ungarn
blühte und daß die Beschreibung, welche uns ein ungarischer Humanist
über diesen Brauch am Hofe des Königs Mathias v. Hunyad gibt, in ihrem
Kern auch für das XII., ja XI. Jahrh. giltig sei. »Moris est< , sagt Galeo-
tus Martius Narnensis, »ut a rege petatur strena, praetentis cuiusque ar-
tificii instrumentis ; tibicincs tibrem, tubicines tubam, cytharocdi cytha-
ram , coci oUas et creagras et alii alia sui artificii commoda instrumenta
deportant. Rex in oUam aliquot aureos cougessit et in tibiam tubamque
et reliqua praemium coniecit proprium« ^6).
13) . . licet alias, dum adhuc in regno nostro Hungarie essemus consti-
tuti, mvtnera nostra stremiulia vestri ex parte nobis et fisco nostro in signiati
dominii nostri naturalk singulis annis j)i'o novo anno provenire debentia sere-
iiisaime doniine regine conthorali nostre . . ad certa teinpora . . per vos aiui-
nißtrari mandaverimus, taraeu (jula iam conipletis prodictis temporibus ipsa
inunora uostra strennalia maiestati nostre debeut itorura moro alias consweto
|)rovcnire, schreibt Siegmund aus Basel au den Preßburger Stadtrat. Fejor,
Cod. dipl. X 8, 636 f.
14) Kiräly a. a. 0. 46.
1^') Erster, mir bekannter Fall solcher Datierung kommt iu der Urkunde
des Richters Laurentius vom Jahre 1256 »iu vigilia strennaruiii" vor. Wenzel,
Codex dipl. Arpadianus ", 43!). Weiter, besonders vom XIV. Jahrhundert
angefangen sehr üblich, da iu dieser Zeit schon jede Urkunde die 'ragosaiigabo
besitzt. Vgl. darüber das ausgezeichnete chronologische Werk von Knauz,
Kortan (Die Chronologie), Budapest 1876, 273.
if') De dictis et factis Mathiae regis. Schwandtner. Scriptores rerum
Hungaricarum 1 (Viudobonao 1746), 553.
606 Milan von Sufflay,
Diese Beschreibung erinnert lebhaft an das Ceremoniale am Hofe des
Comes von Ragusa im XIII. Jahrb. i^), nur daß anstatt des Holzblockes,
des hadnak^ welchen die Seeleute von Ragusa ins Feuer stellen, in der
ungarischen Quelle des XV. Jahrb. die Instrumente und Werkzeuge der
Meister erscheinen. Sonst sind hier wie dorten die Geschenke an jden
Neujahrstag gebunden; in Ragusa empfing das Geschenk vom Neujahrs-
tag den Namen 1^), in Ungarn gab die S'frena, — ein lateinischer Aus-
druck, mit welchem allem Anschein nach die französischen Mönche gleich
von Anfang her ^^) die volkstümlichen Bezeichnungen für die in Ungarn
gebräuchlichen Neujahrsgeschenke tief verschleierten, — dem ersten
Jänner den Namen und erhob ihn zu einem eigentümlichen Feste 2"). Man
kann zwar als wahrscheinlich annehmen, daß diese Geschenke im allge-
meinen bei der slavischen Bewohnerschaft Ungarns wie in Ragusa oder
Polen koleda (kalanxdi) hießen 2i] und daß dieses Wort in dieser Bedeu-
tung auch unter der Herrschaft der Ungarn noch eine Zeit weiterlebte;
direkte Beweise dafür aber liegen nicht vor, wohl aber dafür, daß man
") Bogisic-Jirecek, Liber statutorum Racusii 1272 (Monum. slav. mer.
historico-iur. vol. IX), Hb. I cap. 9 p. 8: »in uigilia Natalis domini post uespe-
rum nauclerii et mariuarii de Ragusio ueniunt ad dominum comitem in castel-
lum et secum deferunt geponem unum de liguo et ponunt eum in igne gaudendo
et dominus comes pro honore sui comitatus dat eis pro kallendis yperperos
duo de 8U0 proprio et eciam bibere. Vgl. Jirecek, Badiiak im XIII. Jahrb.,
Slav. Archiv 15 (1893), 4.56 f.
18) Kolende, gen. Kolenada: strena quae datur Kalendis ianuariis, Stulli.
Lexicon. Jirecek, a. a. 0.
19) Schon unter Ladislaus dem Heiligen, am Ende des XI. Jahrb., kann
man den starken Einfluß des französischen Klerus und französischer Institu-
tionen in Ungarn verspüren. S. Pauler, A magyar nemzet törtenete az Arpäd-
häzi kirälyok alatt (Die Geschichte des ung. Volkes unter den Arpaden), 1,223.
Für den Ausdruck strena in Frankreich s. Körting, Etym.Wbuch der lat. Spr.
Als Kuriosität zitiere ich hier die sprachlichen Rezensionen des genannten
Humanisten : »Strena vero a strenua, id est a dextra, donum significare, non est
dissimile graecitati, quae tfojQoy nominat donum, quod per palmam datur, unde
et TETQcc&ioQO)', laterem, Vitruvius architectus quatuor palmorum esse testatur«
(Schwandtner 1, 553).
20) Eine Urkunde von 1324 (Fejer, Cod. dipl. VIII 6, 70) enthält folgende
Datierung: »secunda feria proxima /es^o strenarum domini«.
21) Vgl. Miklosich, Die Fremdwörter in den slav. Sprachen, Wiener Denk-
schriften 15 (1867), 27; Die christl. Terminologie ib. 24 (1875), 22 f.; Etymol.
Wörterb. 123; Brandl, Glossarium illustrans bohemico-moravieae historiae
fontes (Brunn 1876), 99.
Badfiak und Kolenda in den ungarischen Quellen. 607
den Namen eines charakteristischen und ursprünglich gewiß den ganzen
Bestandteil der Huldigungsgeschenke ausmachenden Gegenstandes schon
früh auf die sämtlichen, dem Grund- oder Landeshen'n zur Neujahrszeit
zu entrichtenden Geschenke tibertrug. Dieser Name blieb auch als der
ihn tragende Gegenstand schon längst in Vergessenheit verfiel, welcher
ihn jetzt nur die vergleichende Sprachwissenschaft zu entreißen vermag.
Es ist dies die Lud der ungarischen Städte, die sprachlich und somit ur-
sprünglich auch dinglich mit dem südslavischen hadnak^ dem Holzblock
identisch ist.
III.
Die "Wortreihe: bud, büd, beud, bed weist auf eine gemeinsame
slavische Wurzel büd , altslav. biid , welche gesteigert bud, gedehnt byd
lautet 22]. Diese Wurzel lebte durch die Anfügung des primären Suffixes
k als Wort und zwar in einer älteren und jüngeren Form gleichzeitig,
was dadurch zu deuten wäre, daß die ältere Form budt, bydb (*bi.dt)
nur in dem anderssprachigen, also deutschem und ungarischem Mund
sich erhielt und also keine Gelegenheit fand, wie die zwei letzten Formen,
sich den späteren slavischen Lautgesetzen zu fügen. Hiermit Avären aber
die von Miklosich nur sprachlich ergründeten, obigen Formen hier auch
historisch belegt und der letzte Zweifel, welcher gegen die Herleitung des
Wortes badnak von derselben Wurzel btd obwalten konnte 23)^ vollständig
zerstreut. Indem aber dieses Wort baduak noch heute bei den Südslaven
junge Eichen bedeutet, die man abgeästet in der Christnacht aufs Feuer
legt, so liegt der Gedanke nahe, dieselbe oder sehr ähnliche Bedeutung
auch der obigen Wortreihe beizulegen. Es Aväre somit zwischen der htid^
hed der ungarischen Quellen und dem hadnak der Südslaven ein doppel-
tes, gegenseitig sich ergänzendes Verhältnis zu konstatieren; das erste
Wort erschließt direkt die Wurzel des zweiten , während das zweite auf
die Bedeutung des ersteren Licht Avirft. Aber um vollständig sicher zu
sein, daß die obige Wortreihe noch in historischer Zeit Holz(klötze) be-
deutet hatte, somit daß nicht nur dem Namen, sondern auch dem ursprüng-
lichen Objekt der Geschenke der ung. Quellen tatsächlich der Holzblock
22) Vgl. Miklosich, Die Wurzeln dos Altslovenischon. W. Denkschriften
8 (1857), 168; Lexikon'^ 4!) s.v. bi.dGtii; Etymol. Würterbucli '1^. 417 a. v. bÜd.
2^) Potebnja, 0 raiticeskom zuacenii nCkotorych obrjadnv. Moskva
1865, p. 1 stellt dieses Wort mit der Wurzel bliadh. sauskr. badli >uul Würtorn
wie altslov. bosti, lit. baditi zusaninien.
608 Milan von Sufflay,
(heutiger badnak) zugrunde liegt, müssen wir uns nach BcAveisen umsehen,
welche außer dem konstatierten Circulus vitiosus liegen. Die Beweise für
die Gleichung bud = Holz(block) sind folgende:
l. In einem sehr alten ungarischen Drucke ^4) sind in einem und
demselben Satz folgende Vögel aufgezählt: -jbagoly, kania es ama hudhoka^
puteneuerc. Der uns hier interessierende Name budboka bedeutet heute
noch im Baranyer und Somogyer Komitat der Wiedehopf (Upopa epops)
und lautet: budboka, bugyboka, bugyboka, butyboka^s). Der Name ist
noch nicht gedeutet worden und ist aus dem Ungarischen auch nicht zu
erklären. Dagegen ergibt der erste Teil der aufgezählten Formen das
slavische Wort buch {*\)iÄh) und der zweite Teil böka, — was nichts
anderes ist als das dialektisch ausgesprochene bolka (so auch böha statt
bolha, balha von bl'Bha) — die slavische Grundform hhki. Die somit
erschlossene slavische Bezeichnung budb bli.k'L ist somit semasiologisch
identisch mit dem deutschen Wiedehopf: der im Iloh (witu) hupfende^*").
2. Die in den Preßburger Quellen parallel auftauchende Benennung
der Neujahrsgeschenke: tcud , icikl^ loued ist germanischen Ursprungs.
Noch heute bedeutet in Bayern xoitt^ wit^ [wid] Holz, besonders Brenn-
holz und ist mit dem isl. wid-r, schw. wed, ags. wuden, engl, wood zu-
sammenzustellen 27). Die deutsche Bevölkerung von Preßburg hat somit
in diesem Ausdruck für die slavische Benennung der Geschenke einen
2'*) Melius Peter, Sz. Jänos jeleneesenek magyarazatja, Vürad 1568, p. 432.
Vgl. Szarvas-Simonyi, Magyar nyelv-törteneti szötär (Ung. sprachhistorisches
Wörterbuch), Bpest 1890 f., 1, 319 s.v. budboka.
25) Nyelvör (ung. philol. Zeitschrift), 11 (1882), 238; 16 (1S87),45; 17 (1887),
223 f.; Szinnyei, Täjszötär (Wb. der Dialekte), 1, 188.
26) Vgl. Grimm, Grammatik 2, 363.
27) Schmeller, Bayerisches Wörterbuch i (1837), 4, 200 f.; vgl. Müller-
Zarncke, Mittelhochdeut.Wb. 3, 620: Schmeller, Glossarium Saxonicum e poe-
mate Heliand (München 1840), 1, 56 s.v. lignum = vvidu (im saxonisehen
Glossar fehlt durch Zufall). — Lateinisch-deutsches Vocabularimii, Papier-
handschrift in Mittelfolio um das Jahr 1420, der Kapitelbibliothek zu Preß-
burg gehörig, hat restis = wyt (vgl. Michnay-Lichner a. a. 0. 297 s. v. wid).
Veröffentlicht wurde das Wörterbuch von Schröer: Lateinisch-deutsches Vo-
cabular, Jahresprogramm der öffentlichen Oberrealschule in Preßburg 9 (1859),
2—62 (SA. in Kommission bei Wiegand, Preßburg 1859). Der Herausgeber
verfährt so, daß er von dem Wörterbuch zuerst einen getreuen Abdruck und
dazu ein alphabetisches Verzeichnis der deutschen Wörter gibt. Die mund-
artlichen Erscheinungen weisen nach ihm auf Nordböhmen, Lausitz oder
Schlesien.
Badnak und Kolenda in den ungarischen Quellen. 6q9
g:elungenen Ersatz gefunden, welcher neben dem ähnlichen Klang auch
die ursprüngliche Bedeutung dieser Benennung wiedergibt.
3. In einer Urkunde des Königs Siegmund von 1388 beklagt sich
der »prepositus ecclesie s. Martini de Scepus' über die Bewohner der nvilla
Almas«, »quod . . dicti populi . . nuUam sibi obedientiam et reverentiam
exhiberent . . potissime ex eo, quia se ad cives seu Saxones XXIV civi-
tatum terre Scepus coligassent adherendi; nam anno presenti nee pre-
missas duodecim marcas partim in moneta partim in argento sibi dare et
solvere, neque alias collectas vel datia aut munera, porcos etiam aut boves
seu cerevitiam aut etiam ligna festi sancti Martini, neque troncos stren-
.■ales ad curiam suam ministrare et importare prout moris fuisset
I ' esset ah antiquo voluissent« 2^). Indem hier kein Zweifel obwalten
kann, daß diese «tronci strennales« einen noch frischen Überrest der
lieidnischen Bräuche bilden, ist der Beweis direkt erbracht, daß man
uoch am Ende des XIV. Jahrh. in einigen Gegenden Ungarns den Holz-
)»lock als eine Huldigungsgabe zur Neujahrszeit betrachtete 29). Den Vor-
;ing dabei kann man sich ähnlich denken, wie er uns im Statut von Ra-
iisa beschrieben ist. Die Bauern bringen unter Freudenbezeugungen
die Klötze, stellen sie ins Feuer und werden von dem Hausherrn
)»eschenkt.
Aber der Brauch, den uns diese einzig dastehende Urkunde über-
liefert, muß in Zusammenhang mit obigen Untersuchungen für die ältere
Zeit als allgemein blühend betrachtet werden. In gleicher Weise wie das
.üine Volk seinem Grundherrn hatten die reichen Städte ihrem obersten
Herrn, dem König ursprünglich nur eine auf heidnisch-slavischen (teil-
weise vielleicht auf germanischeu) Traditionen basierende Gabe aus
Brennholz (bud, wud) dargebracht und zwar um die Sprache der Urkun-
den beizubehalten »in Signum dominii naturalis« als »erung des newen
iars«. Daß sich dazu schon früh andere Geschenke gesellten, welche
bald die ursprüngliche Gabe gänzlich ersetzten, ist bei dem Reichtum der
28) Fej6r, Cod. diplom. X I, 4-.0 f.
29) Dieser Brauch hat sich in den slavisohen Gogondon Ungarns auch
weiter erlialten, wie dies der Satz beweist, den ich in einem Inventar des Gutes
Rajecz (damals der Familie Zerdahclyi gehörend) im Treucincr Koniitat ge-
funden habe: triinci ad svram truncinam 18. Das Original dieses Inventars
vom Jahre 1787 befindet sich in der Bibliothek des Uug. National-Museums zn
Budapest unter den Schriften der Familie Zerdahclyi (jetzt eingereiht in die
Grundsammlung).
Archiv für slavi.svhe Philologie. XXVUI. 39
610 Milan von Sufflay, Hadi'iak und Kolenda in den ungarischen Quellen."
Städte natürlich. Die Könige aber hatten wohl keinen Grund durch
buchstäbliches Festhalten an den Traditionen die einträgliche Ausartung
der Neujahrsgeschenke zu hemmen 3^).
30) Auf die Qualität der Geschenksgegenstände übte vielleicht Einfluß
auch das Beispiel der deutschen Städte, welche obwegen der Erlangung der
Zollfreiheit veri)flichtet waren, jährlich verschiedenartige Geschenke, wie
Becher, Tuch u.s.w. zu liefern. S. Maurer, Städteverfassung in Deutschland
1, ;il:'; Kiraly a. a. 0. 46. In bezug auf die Geschenksgegenstände der Stadt
Beszterczebäuya (Neusohl) s. besonders Ipolyi, Beszterczebänya müveltsegtür-
tenete, Szäzadok 8 (1874), 625— 6.JU,
Budapest, den 28. März 1905. Dr. Milan v. Sufflay.
Einige Bemerkungen zu diesem Aufsatz.
Man muß schon sagen, daß Herr S. in dem vorstehenden Aufsatz in
ziemlich ungenierter Weise sich über die allergrößten Schwierigkeiten hin-
wegsetzt, um uns Slavisten mit neuen Wurzeln und Wörtern zu bereichern.
Vor allem weiß er auch den allernächst liegenden Fragen mit staunenswerter
Geschicklichkeit aus dem Wege zu gehen. Wenn jemand in Urkimden, welche
den ?7-Laut sehr oft bloß mit einem >i bezeichnen — Schreibungen wie Tiilnig
und hunig, lünigin und lunigin wechseln fortwährend mit einander, s.S. 358 —
36ü*) — , hüdxi.hud, tvüd u.toud nebeneinander findet, so ist das doch wohl die
erste Frage, die er aufzuwerfen hat, ob hud u. tvud nicht bloß unvollkommene,
aber zu jener Zeit ganz gewöhnliche Schreibungen für hi/d u. irüd sind. Und hihi
und wnd selbst, die doch genau in derselben Bedeutung gebraucht werden und
zwar, einen einzigen Fall, ein Reskript an die Stadt Kassa ausgenommen, im-
mer wieder nur in den Rechnungen der Stadt Preßburg, ähneln sie sich nicht
so stark, daß es uns schwer fällt, darin 2 verschiedene, ja sogar verschieden
sprachliche Wörter zu erblicken? Ich nehme bereitwillig an, daß der Verfasser
als Historiker nie in seinem Leben etwas über bilabial gesprochenes tc gehört
hat, das die Quellen bald mit w, bald mit h wiedergeben, eben weil es weder
unserem gewöhnlichen dentolabialen w noch dem Verschlußlaut b genau ent-
spricht, mit diesem die labiale Bildung, mit jenem die spirantische Natur ge-
meinsam hat, doch rein empirisch hätte Herr S. auf den Schluß kommen
können, um nicht zu sagen, kommen müssen, daß büd und. iviid nichts an-
deres als die schwankende Wiedergabe eines einzigen Wortes ist, in dessen
Anlaut ein eigenartiger Lippenlaut ertönt, den man mit den gewöhnlichen Mitteln
*) Die von mir angeführten Beispiele sind alle denselben Rechnungen
der Stadt Pozsony (Preßburg) entnommen, aus welchen auch der Verfasser
seine Daten schöpft, und die Seiteuzahl ist immer in dem großen Quellenwerk
über die Geschichte der Stadt von Ortvay [Pozsony vuios törtetiete) Bd. II,
Teil 3 nachzusuchen.
Oskar Asboth, Einige Bemerkungen zu diesem Aufsatz. 61 1
nicht im Stande war genau wiederzugeben, oder um die Forderung nicht allzu
hoch zu stellen, daß had und ?rM'/ Jedenfalls ein und dasselbe Wort ist. Es ist
wirklich schwer zu begreifen, wie ihn bei vollkommen gleicher Bedeutung der
Wechsel von h- und w- verleiten konnte, 2 selbständige Wörter dahinter zu
suchen, wo er doch in ganz unzweideutigen Fällen reichlich Gelegenheit hatte
zu beobachten, daß dieser Wechsel eben einen charakteristischen Zug des
Dialektes bildet, der aus dieser Rechnung zu uns spricht. Ich lege kein Ge-
wicht darauf, daß in einer Eintragung A^on 1440 der heutige Batzi'nqrund uns
als ivotzi'ngrunt resp. woczengrunt) entgegentritt, S. 3'^, halte es auch für mög-
lich, daß dem Verfasser entgangen ist. daß die Wirtin auf S. 126 zweimal
hirti}) geschrieben ist, während wir auf der folgenden Seite Wirt (frawenwirt)
lesen, aber für ganz unmöglich halte ich es. daß ihm das oft wiederkehrende
und mit (jewesen wechselnde, so ganz eigentümliche fiehesen kein einziges mal
aufgefallen wäre- Ich habe diese Form bei einer ganz flüchtigen Durchsicht
des Bandes an den verschiedensten Stellen wiedergefunden und erlaube mir,
da es so recht ein argumentum ad homincm ist, einige Stellen vorzuführen:
1440. dy klainer sind gehesen, wenn dy ersten holczer sind gehesen . . — Item
1 furman mit II Eossen der halbpawm und Aichen Sewleu vnd laden gefuert
hat zu den Zwingern was das not hin ist gelesen, S. ^iii. Aus demselben Jahre
"ZU der pruk und was not ist gebcsni" S. 39. Auf derselben Seite 126, wo uns
zweimal die hirtin begegnet war, wechselt gehesm zweimal mit gewesen: 1439.
Item haben wir geben den Henger. als keyn frawen Maisterin ijeheaen ist . . .;
1454. Item am Sambstag nach Anthony Abbatis ist kain frawn Maisterin nicht
getoesen; 1451. das sy dy vergangen Wochen frum sind g''hesi-n\ 14n-i. als dy
Tachterl frum sind gmvesen. Und so lesen wir auch gegen Ende des Bandes
auf S. 342 in den Eintragungen von 1439 — 40 zweimal »ist ga/ies- n«. Mit diesen
"ist gebesen« (fuit!) könnten wir nun ohne weiteres Abschied nehmen von un-
serem hiid-hiid, das kaum etwas anderes sein kann, als trud-ivüd, resp. als nüd
allein, n das sich die ganze lange Reihe aufzulösen scheint, welche der Ver-
fasser auf S. 604 so stattlicli aufmarschieren läßt: h-K/a. hud, lud. hvud, bed,
v:ud, wnd, wue'J! Doch wir Avollen dem Verfasser geduldig weiter folgen.
Das Wort, um das sieh die ganze Frage dreht — denn daß es sich nur
um Ein Wort handelt, dürfte aus dem bisher Gesagten zum mindesten sehr
wahrscheinlich erscheinen — , kommt (immer nur in der Bedeutung von Neu-
jahrsgeschenk, Neujahrsgabe vor, und auch der Verfasser weiß uns absolut
Ivcinen andern Sprachgebrauch anzugeben, und wir dürfen aus seiner Zusam-
menstellung wohl folgende Stelle als besonders char.-ikteristisch herausgreifen:
Im Jahre 1433 fordert die Königin den Preßburger Stadtrat auf. ihr die Ncu-
jalirsgeschenke »die hud oder emiin di'< nctrm ins« zu übersenden, s. S. <i03.
Was das AVort ursprünglich bedeutet hatte, wissen wir nicht, die Etymologie
des Wortes ist uns vollkommen fremd. Für unseru Historiker ist dies aber
kein Hindernis, das Wort mit dem serb. hadüuh in alleriunigsteu Zusammen-
hang zu bringen, wobei er sich auch daran wenig kehrt, daß lindimh- selbst als
abgeleitetes Wort ja eine sekundäre, abgeleitete liedoutung liaben kann,
die von der Grundbedeutung wenigstens soweit :il)liogeu kann — als Treß-
burg von all den Orten, wo der hadimk iu der Weihnaehtsuaclit angezündet
:v,i*
612 Oskar Aßboth,
wird. Mit Berafung auf eine im Jahre 138S erwähnte Klage des »prepositus
ecclesie S.Martini de 8cei)U8", daß ihm die Tfarrkindcr das übliche Winter-
holz nicht lieferten ueque troneos strenuales ad curiam Buam ministrare et im-
portare prout moriß fuisset et esset ab antiquo voluissent . glaubt er als
zweifellos nachgewiesen zu haben, »daß man noch am Ende des XIV. Jahrli.
in einigen Gegenden Ungarns den Holzblock als eine Huldigungsgabe zur
Neujahrszeit betrachtete" und »der Brauch, den uns diese einzig dastehende
Urkunde überliefert, muß in Zusammenhang mit obigen Untersuchungen für
die ältere Zeit als allgemein blühend betrachtet werden«, s. S. G09.
Auf dieser, ich muß sclion sagen, rechtjschwanken Grundlage baut der
Verfasser »eine auf heidnisch-slavischen (teilweise vielleicht auf germanischen)
Traditionen basierende Gabe aus Brennholz (bud, wud;« auf, die "dem König
ursprünglich dargebracht« wurde, und was er so aufgebaut hat, sucht er mit
mö^;lichst morschen Spreizen zu stützen, die er aus der Rüstkammer der ihm
total fremden Sprachforschung auf gut Glück herauszieht. Bud-büd sollen
slavisch *budb-hj:lh sein, die aus derselben Wurzel h%d gebildet wären, wie
serb. baditah. Der Verfasser bildet sich noch etwas besonderes darauf ein, die
Wurzeln b%d, gesteigert hud, gedehnt hyd, leibhaftig entdeckt zu haben:
»Hiermit wären aber die von Miklosich nur sprachlich ergründeten, obigen
Formen hier auch historisch belegt«, bemerkt aber in seiner Freude darüber,
die wir ihm nicht schmälern wollen, nicht, daß es sich bei Miklosich um eine
Wurzel handelt, die »wachen, wach sein« bedeutet, so daß badnah nur dann
in dieser Reihe einen Sinn hat, wenn wir es als Ableitung von badni betrach-
ten: es ist der Klotz, den man in der Weihnachtsnacht, hadni dan, brennt,
welche mau durchwacht! Um gar nichts besser ist es um den tatsächlichen
Nachweis von der wirklichen Existenz eines slav. Hiidb-hydb bestellt. Büd
kennt der Verfasser nur aus den Rechnungen der Stadt Preßburg, in denen,
selbst wenn wir hier gutmütiger Weise davon absehen wollen, daß sich darin
sehr wohl ein ursprüngliches irnd spiegeln kann, von einem slavischeu Einfluß
sonst nichts zu merken ist. Bud soll überdies in einem dialektischen ungari-
schen Namen des Wiedehopfes, in budböka stecken. Die ganze Erklärung
baut sich auf Etymologie des deutschen Wiedehopfes als dem im Holz [tcitu]
hüpfenden auf, eine Etymologie, die bekanntlich selbst nicht einwandfrei ist,
s. Kluges Wörterbuch. Gibt uns dies aber ein Recht, in dem ungarischen bud-
ein slavisches Wort mit der Bedeutung «Holz« zu erblicken, wenn wir in den
slavischen Sprachen absolut kein ähnliches Wort mit solcher Bedeutung, auch
keine slavische Wurzel mit entsprechender Bedeutung kennen; denn die Be-
rufung auf das abgeleitete badüak wird doch niemand, der von der Sache
etwas versteht, als eine Stütze für diese Annahme halten? Und dann, woher
weiß denn der Verfasser überhaupt, daß budbnka slavisch ist, wenn er den
ersten Teil des Wortes nur auf die allergewalttätigste Weise als slavisch zu
deuten vermag und mit dem zweiten Teil reineweg nichts anzufangen weiß.
Denn selbst angenommen, daß -böka anf -hoU.a zurückgeht, was ja nichts we-
niger -als sicher ist, ja angesichts dessen, daß die Form mit kurzem 6 [-boka]
häufiger ist, sogar recht zweifelhaft erscheint, wo in Gottes ganzer weiter
Welt findet er ein slavisches Wort, aus dem dies -holku gedeutet werden kann?
Einige Bemerkungen zu diesem Aufsatz. 613
Der Verfasser sagt allerdings »der zweite Teil höka [ergibt] — die slavische
Grundform bhk^<t, s. S. 608, aber wo er diese «slavische Grundform« herge-
nommen, hat er uns wohlweislich verschwiegen. Ich will sehr hoffen, daß er
sie nicht etwa aus dem in gefährlicher Nähe angeführten öhha abstraliiert hat;
der Bedeutung nach würde das ja von wegen des «Hüpfens« wohl stimmen,
aber sonst wäre die Annahme so horrend, daß ich sie im Interesse des Ver-
facers ablehnen muß. Dann aber muß ich schon sagen, daß wenn man uns
mit eint, 'bisher ganz fremden Wurzel beglücken will, mit deren Annahme die
Aufstellung einer anderen, uns wenigstens in der geforderten Bedeutung
fremden Wurzel und bisher unbekannten Wortbildungen auf das innigste zu-
sammenhängt, man doch die Liebenswürdigkeit haben sollte, uns die Sache
ein wenig plausibler zu machen, damit wir uns dabei auch etwas denken kön-
nen. Denn sonst könnten wir uns leicht veranlaßt fühlen, uns nach einer ein-
facheren Erklärung umzusehen, und eine solche läge für ungarisch hudhöka,
resp. hur/boka, hiKjyhoka, Indyhoka gar nicht so fern. Der Wiedekopf führt im
Ungarischen noch eine ganze Reihe von Namen, was allein schon daraufhin-
deutet, daß hier Lautmalerei, Volksetymologie und allerlei tändelndes Element
mit im Spiele ist, was uns zu äußerster Vorsicht mahnt. Unter andern heißt
dieser Vogel auch hahnka, babuta, habutka, babutyka. Wie wenn budtoka, bugy-
hoka, hutyboka nichts anderesfals Umstellungen aus babutka,bahulyka sind?!
heißt doch der Wiedehopf in ein und derselben Gegend, im Komitat Somogy,
babufka und budboka, in ein und derselben Ortschaft, in Pomäz. gebraucht man
babutyka und hugyboka, letzteres allerdings vom Kiebitz, was aber weiter nichts
auf sich hat, denn auch hudhoka bezeichnet in Czegled den Kiebitz, anderer-
seits ist auch bugyhoka sonst der Name des Wiedehopfes.
Ich schließe meine, ich fürchte, etwas zu lang gewordene Erörterung mit
einer rein methodologischen Frage.
Ist dem Herrn Verfasser gar nie der Gedanke gekommen, welch ein selt-
sames Spiel der Zufall doch getrieben hätte, wenn alles das wahr wäre, was
er herausgebracht hat? Wüd soll deutsch sein, [die Preßburger haben es aus
ihrer Urheimat mitgebracht. Büd soll slavisch sein, ist aber in keiner slavisehen
Sprache erhalten, nur die Preßburger Deutschen liaben es uns erhalten und
zwar seltsamer Weise genau in derselben Bedeutung mit dem ursprünglich
damit gar nicht verwandten und doch so seltsam anklingenden xcild. Bud soll
aus derselben Wurzel eine andere Bildung sein als büd, also'ebenfalls slavisch;
rein erhalten ist es aber wieder nur von den Preßburgcr Deutschen, die noch
nicht genug an einem deutschen iriid und einem entlehnten slavisehen büd
hatten, dann aber von den Ungarn in dem Namen des Wiedehoi)fes: budhöka
Was «ü^fZ vorstellt, etwa eine Kreuznng des deutschen icüd und des slavisehen
bud, bleibt auch so noch ein Rätsel. Ich frage, und damit schließe ich,
gelten nicht auch in der Geschichtsforschung allgemeine Wahrscheinlichkeits-
gesetze, wonach gewisse Dinge schon an und für sich, weil sie denselben
widersprechen, unglaublich sind?
Budapest, den 14. Dez. 1 "JUC). Oskar Asbötfi.
Kritischer Anzeiger.
Die slavische Liturgie in Polen:
a) Sz. = Ks. Whidyslaw Szczesniak, Mag. Teol. , Obrz;jdek slo-
wianski w Polsce ])ierwotnej rozwazony w swietle dziejopisar-
stwa polskiego. Warszawa 1904. S. 207 (Biblioteka dziet
chrzescijanskich, czerwiec 1904, zeszyt 42).
b) P. = H. n. nTainimKÜl , CüaBAHCKÜl oöpfl^t bx MopaBin h Ilaii-
hohIh h MHHMoe ero cymecTBOBaiiie bt, ^peBiieil Ilojitmi (^MHII.,
1906, CeHTflöp-L, S. 140—181).
c) S. = A. H. CoöojieBCKiil, Po^tniia KieBCKHxt oxptiBKOBt (IIsb. ot^.
pyee. h3. h c^roB. hmh. an. h. t. XI (1906), kh. 2, cxp. 15 — 19).
Mathias de Miechow hatte in seiner 1519 erschienenen Chronica den küh-
nen Schluß gezogen, die slav. Lit. habe sich seit den Zeiten der Slavenapostel
bis auf seine Tage in der Kirche des heil. Kreuzes auf Kleparz erhalten
(Kap. XIII, S. XVI der 2. Ausg. v. 1521); nach 126 Jahren behauptete Paulus
Piasecki, die Polen hätten aus Haß gegen alles Deutsche von den orient. Grie-
chen Cyrill und Method das Christentum empfangen (Chronica gestarum in
Europa, S. ^8). Seitdem fand die Ansicht von der Existenz der slav. Lit. in
Polen in einem Christian Gottlieb von Friese, Andreas Wegierski, W. AI. Ma-
ciejowski, Wal. Krasinski, Aug. Bielowski, Lelewel, Malecki, Anatol Lewicki,
Szujski, Leger, Petruszewicz, Buczys, M. Gumplowicz u. a. so eifrige Anwälte,
daß es Sz. für geraten hielt, nach den kritischen Auseinandersetzungen Dr.
Abrahams (Organizacya Kosciola w Polsce . . . Lw6w 1893), der nur noch den
Brief Mathildens zugunsten der slav. Lit. im alten Polen sprechen ließ, und
nach den nachdrücklichen Protesten des Alfons Parczewski (Pocz^tki chry-
styanismu w Polsce i misya irlandska, Poznan 1902), der sie ganz in Abrede
stellte, ein ganzes Buch gegen die aufgetürmten Beweise von der slav. Lit.
in Polen zu richten. P. läßt in seinem Referate über das Buch Sz.s seinen
Glauben an ein Vegetieren der slav. Lit. in den Benediktiuerklöstern Polens
im Xi— XL Jahrh. durchblicken, hat aber die diesbezüglichen Ausführungen
Sz.s nicht entkräftet. Ohne Rücksichtnahme auf das Buch Sz.s möchte S. die
Annahme der slav. Lit. im alten Polen wieder zur Geltung bringen.
Die slavische Liturgie in Polen, angez. von Kidric. 615
Sz. verfiel auf die unglückliche Idee, sich im zweiten Kap. an die aber-
malige Lösung der schon gelösten Frage betreffs des von den Slavenaposteln
eingeführten Ritus zu wagen, wobei er eine, auch für einen magister theol.,
wenn er sich über die Anfänge der slav. Lit. ein Urteil anmaßt, in Cyrillo-
Methodianis merkwürdige inscientia an den Tag legt. Folgende Sätze bewei-
sen dies zur Genüge: «... daß der heil. Cyrill griechische Büclier übersetzt
hätte, hierfür haben wir keine Beweise, weder innere — in den übersetzten
Büchern selbst, noch äußere — in den Dokumenten. Statt dessen ist aus der
Menge von Latinismen, die sich in den aksl, von Cyrill übersetzten liturg.
Büchern finden, ersichtlich, daß sie aus dem Lateinischen übersetzt wurden,
d. h. aus jenen liturg. Büchern, welche Cyrill und Method an Ort und Stelle
im kirchlichen Gebrauche vorfanden, welche das neu bekehrte slav. Volk nicht
verstand, und zu deren Erklärung Rostislav die Brüder . . . berufen habe . . . «
(45). Für solche veraltete Ansichten sucht er aber Unschuldige mit verant-
wortlich zu machen. So will er in Jagic's »Neuesten Forschungen über Cyrill
und Method (Areh. f. sl. Phil. IV, 97 ff.; 297 ff.) gelesen haben, daß Jagic die
Möglichkeit des griechischen Ritus in den ersten Jahren des Weilens der
Slavenap. in Mähren zugegeben, sich aber entschieden dahin ausgesprochen
habe, daß Method nach der ersten Rückkehr aus Rom nur nach dem römischen
Ritus celebriert hätte (52). Sonderbarerweise spricht ihm P. dies nach 'li-1);
obwohl in der Abhandlung Jagic's nichts davon zu finden ist, und sie Sz. nie
gelesen zu haben scheint. F. macht auf das von Sz. nicht bemerkte Zeugnis in
der V.M. c.XV: npIi.iO/KH bt. öp-Lst bbca KBiiiirbi ucnjimt, pasBi MaKKaBeu ot-b
rptuiCKa A3LiKa Bx CjioBiiiBCK'B aufmcrksam (145), erweist aber dem zweiten
Kap. des Buches viel zu viel Ehre, daß er es auf vollen 16 S. bekämpft (112 —
157). Solche Äußerungen muß man um so mehr bedauern, als dadurch der
Genuß des Buches, das trotz noch einiger sonstiger unnötigen Dilettantismen
doch das Streben nach Wahrheit zeigt und ein richtiges Endresulat erzielt,
verleidet wird. Mit dem Rate, der Verfasser möge sich auch hier besser da-
rüber orientieren, was außer von Kopitar u. Ginzel auch sonst noch über die
Heimat u. Entstehungsgeschiclite der aksl. Sprache gesagt wurde, gehen wir
über dieses schwache Kapitel des Werkes hinweg.
Die erste Hälfte des dritten Kap. ist gegen Jone gerichtet, welche den
Einzug der slav. Lit. nach Kleinpolen mit ihrem Glück u. Ende in Mähren ver-
binden. Die Behauptung, daß sie durch Cyrill u. Method ^ü2 u. m33 oder durch
ihre Schüler Wizni u. Oslaw eingeführt worden wäre, wird leicht widerlegt
(56 ff.; contra Friese, Lelewel). Beachtung verdient dagegen die vor allem
auf den noraüi.CKT>K'BiiA^i>, cii.;ii.iri. bcilmii cI.äa b'i. Biical'. der V.M.Kap. IX sich
stützende Annahme der Zugehörigkeit Kleinpolens zur Erzdiöceso Methods.
Sz. meint, dem Ilagiographen habe es sicli um die Fixierung niclit einer Tat-
sache, sondern lediglich der propliotisclien Gabe Metiiods gehandelt, macht
aber sogleich kehrt u. setzt fort, das Dokument sei immerhin Achtung gebie-
tend und man müsse mit ilim rechnen (59). Er meint zwar, daß die von Prof.
Brückner (0 Piascie, Rozprawy ak. um., Wydzial hist.-fil. S. II. T. X, Krakow
1898, S.:il3) geäußerte Ansiclit, unter den Christen, die der Fürst derVislauon
verhöhnte, seien Christen Svatophiks zu vorstehen, viel Wahrsclioinlioh-
ölö Kritischer Anzeiger.
keit zeige (60), aber der Schluß seiner unter dem Deckmantel des dato nou
concesso geraacliten Rechnung ist, daß man in diesen ««Christen«« eben nur
Christen und nichts mehr erblicken könne, und daß nach seiner Beleuchtung
des erwähnten Zeugnisses der Vita diese Christen sich nicht zum slavischen
Ritus bekennen konnten «(61). Aber das Unglück wollte es, daß diese Beleuch-
tung zu viel Schattenseiten aufweist. Nach der ganz wahrscheinlichen Be-
rechnung Potkaiiskis (Krakow przed Piastami, Rozprawy ak. um. wydzial.
hist.-fil. S.U. T. X, Krakcjw 1898, S. 163) fiel die Gesandtschaft Methods und
die darauf erfolgte Gefangennahme des Fürsten der Vislanen in die Zeit zw.
den J. 874 — 879. Sz. suclit uns nun klar zu machen, daß Method zu dieser Zeit
in Pannonien bei Kocel verweilte, imd daß infolgedessen die Anhänger seines
Ritus in Mähren weniger zahlreich und ihr Einfluß auf das Gebiet der Vislanen
mehr als zweifelhaft gewesen sei. Er stützt diese Behauptung auf die Auf-
forderung des P. Johannes VIII. an Montemerus dux Sclauiniae, ut ad panno-
niensium studeat reverti dioecesim, und auf einen in Boceks Cod. dipl. et
epist. Moraviae I, p. 36 — 37 unter dem J. 877 gedruckten Brief desselben
Papstes an Kocel, wo nach der Meinung Sz.s der Papst Kocel aufgefordert
haben soll, »mit seinem Arme die Tätigkeit Methods zu schützen" (61,. Aber
fürs erste erwähnt dieses Dokument Boceks mit keiner Silbe Method, sondern
spricht nur de his, qui uxores suas dimiserunt uel ad alias, illis uiuentibus
migraverunt, fürs zweite hätten ihn der Ruf Boceks als Urkundenfälscher und
eine Stelle auf S. 161 der von ihm öfters zitierten Arbeit Potkanskis, Krakow
przed Piastami, doch stutzig machen sollen ; denn dort heißt es, daß Kocel
ca. 874 ohne Nachkommenschaft starb, und sein Fürstentum in die Hände
Karlmanns überging. Und wenn er die von Potkanski 1. c. angeführte Literatur
nachgeschlagen hätte, so würde er bei Dümmler, Über die südöstl. Marken,
S. 42 gefunden haben, daß der Brief in die Zeit 872 — 73 versetzt wird (bei
Erben, Regesta I, S. 15, Nr. 36 nur nach den Regierungsjahren Joh.VIII. 873 —
8S2 angef.) und daß 874 Dietmarus archiepiscopus ecclesiam ad Bettowe Goz-
wini comitis consecravit, ein Zeichen, daß nach dem Tode Kocels ein Teil
seines Gebietes in eine Gaugrafsehaft umgewandelt worden war und daß
Methods Jurisdiktion nach seiner Rückkehr aus dem Schwabenlande in Pan-
nonien aufgehört hatte. Method zog allem Anscheine nach aus der Gefangen-
schaft direkt nach Mähren (. . . Ne suscipias occasionem excusationis prohiben-
tem te vel fratrem nostrum Methodium transire ad Suentepulcum . . . heißt es
im Common. Job. VIII. an Paulus Bischof von Ancona). Auf einer seiner
Reisen kam er auch in die Nachbarschaft der Vislanen und hörte von den
Verhöhnungen der Christen seitens des Fürsten der Vislanen (vgl. Jagic, Zur
Entstehungsgesch. I, S. 44) Unter diesen Christen verstehe ich Untertanen
Svatopluks, da mir auf diese Weise dessen Einfall ins Land des christenfeind-
lichen Fürsten motiviert erscheint. Von diesen Christen der Erzdiözese Me-
thods kann man aber trotz der »Beleuchtung« Sz.s nicht ohne weiteres be-
haupten, "daß sie sich nicht zum slavischen Ritus bekannten«. Und wenn
sich. Sz. zur Bekräftigung seiner Annahme, es sei gar nicht sicher, daß die
Vislanen jemals zum Reiche Svatopluks gehört hätten, auf Brückner, 0 Piascie
S. 347 beruft (63), so beweist das nur, daß man sich auf seine Angaben nicht
Die slavische Liturgie in Polen, angez. von Kiclric. 617
ganz verlassen darf; denn Brückner hat zwar auf S. 314 seiner zitierten Abb.
die Meinung vertreten, den Fürsten der Vislanen hätten die Polanen des Se-
mowit oder Lestek vertrieben, und später mit dem Gedanken kokettiert, daß
Boi-ivoj von Böhmen dieser Fürst der Vislanen gewesen sein könnte ;Legendy
0 Cj'rylu i Metodym, SA. aus dem Rocznik Towarzystwa Przj'jaci^l Nauk
Poznanskiego XXX; Posen 1903, S. 48—49), aber gerade auf der von Sz. zi-
tierten S. hebt er ausdrücklich hervor, daß er auf seiner früheren Meinung
nicht bestehe und daß Potkanski das Faktum treifender mit Svatopluk ver-
binde. Nach meiner Ansicht kann man hier nur mit Svatopluk operieren, da
unter den gegebenen Verhältnissen nur in seinem Lande der Fürst der Vislanen
(= Kleiupolen) gezwungen worden sein kann, die Taufe anzunehmen. Jeden-
falls wird der Hagiograph die Episode nicht nur dazu ersonnen haben, um
die prophetische Gabe Methods zeigen zu können, sondern hat dazu eine
bekannte Tatsache benutzt. So scheint mir denn doch nicht die Möglich-
keit ausgeschlossen zu sein , daß im Dezennium der Rückkehr Methods aus
der deutschen Gefangenschaft hie und da von seinen Missionären die Messe
im Gebiete der Vislanen slavisch celebriert wurde, wobei ich aber für die
Zeit nach Ssu die Einwendung Sz.s gelten lasse, daß Kleinpolen dem Ein-
flüsse Wichings, des Bischofs von Nitra, ausgesetzt war (fis), der sicher alles
getan hat, um die eventuellen Keime der slavischen Liturgie in Kleinpolen zu
ersticken.
Nach der Beleuchtung des Zeugnisses der V.M. bekämpft Sz. meist Be-
hauptungen, die in das Reich der frommen Wünsche gehören : daß die tres
episcopi, welche unter Mojniir IL die kirchlichen Verhältnisse in Jlähren ge-
ordnet hatten, daselbst und bei den Vislanen die slav. Liturgie restauriert hätten
(70; contra Maciejowski); daß unter den -/(Hoßäroi des Konstantin porphyr.,
zu welchen die den Einfall der Magyaren überlebenden Mährer geflohen waren,
Kleinpolen und nicht die Kroaten im Süden zu verstehen seien (73 ff. ; c Friese,
Lelewel u.a.); daß das Bistum von Krakau wegen der Namen der ersten Bi-
schöfe, Prohorius und Proculf (76 ff.; c. Lelewel, Maciejowski, M. Gumplowicz,
Sobieski) oder wegen der Angabe des Chronisten Gallus, Polen habe zur Zeit
des Boleslaw Chrobry zwei Metropoliten gehabt, und im Gegensatze zur lat.
Metropolie Gnesen die »slavische« gewesen sei (79 ff.; c. Bielowski u. a.^; daß
die Namen der Kirchen SS. Salvatoris auf Wawel und Zwierzyuiee, des heil.
Kreuzes in Krakau und des heil. Klemens, welche letzteren in das XIL — XIV.
Jahrh. gehören, auf die Gründung durch Anhänger der slav. Lit. hinweisen
(85 ff.; c. Malecki, Pctruszewicz, Friese, Ossolii'iski, Safnrik, W. Krasii'iski ;
Gumplowicz, Sobieski u.a.).
Bei der Beantwortung der Frage, ob denn nicht die slav. Lit. von Böh-
men aus im IX. — X. .Jahrh. nach Schlesien und Kloiiii)olon gelangen konnte
(94 ff.), ist Sz. der seltene Fall passiert, daß er von falschen Voraussetzungen
zum richtigen Schluße gelangte. Er gibt zu. daß Boi-ivoj von Method die Taufe
empfing und dem slav. Ritus nach Prag die Tür öffnete '9,')), bestreitet aber
jegliches Leben desselben im X..Tahrh.in Mähren 75^ und Böhmen (9,t ff.\ Den
Passus der cyrill.AVenzelleg. von den slav. Buchstaben, worin Ludinila ihren
Enkel unterrichten ließ, betrachtet er als ein »entschieden späteres Eiuschiob-
618 Kritischer Anzeiger.
sei« (OCi), kann keine Gründe für die Annahme finden, daß das Lied Hospodin
poiuiluj ny in der Epoche der mährischen Einflüsse in Böhmen bestanden hätte
(U9), verpönt zwar die Gründungsurkunde des Prager Bistums '07;}) nicht als
uneclit, doch will er in dem Zusätze: verum tarnen non secundum ritus aut
sectam Bulgariae gentis vel Ruziae aut Sclavonicae lingiiae keine Anspie-
lung auf die slav. Liturgie erblicken, sondern erklärt die Ausdrücke ritus und
secta mit zwyczaj (Sitte) und sposob bytu (Lebensart) (lno) und sucht schließ-
lich eine fromme Seele, die ihm glauben könnte, daß Prokop durch morgen-
ländische slavische Münclie, die zum berülimten Einsiedler pilgerten, die Be-
kanntschaft mit der slav. Lit. gemacht habe (lO.'j), zu welcher Ansicht auch
P. neigt (lüO). Aber Sz. und P. haben vergessen zu erklären, wieso die ver-
triebenen Anhänger Prokops nicht nach Kroatien, sondern nach Ungarn
(== Slovakei) ihre Schritte lenkten; Sz. spürt nicht, daß unter ritus ... Sclavo-
nicae linguae in Bezug auf den unmittelbar folgenden Gegensatz : sed magis
sequens instituta et decreta apostoliea . . . unum eligas clericum Latinis ad-
primum litteris eruditum doch nur die slav. Lit. verstanden werden kann.
Sz.. dem nur etwas davon, was Dobrovsky. Kopitar und Wattenbach über die
slav. Lit. in Böhmen gesagt haben, bekannt ist, weiß nicht, daß aucli in glag.-
kroat. Legenden vom Wenzel gesagt wird': Hasuic hcc h khufu cjioBiHCKue h
.laTHH'^CKiie (Jagic, Jlereiua o GB.Bimecjiavl, P$B., T.LXVIII [1902], S. 104), daß
also dies kein späteres Einschiebsel sein kann, sondern in der ersten Redak-
tion vorkommen mußte; und diese ist nach meinem Dafürhalten 'in Böhmen
entstanden, da diese Annahme doch viel wahrscheinlicher ist als die Prof.
Vondräks (0 puvodu Kijevskij listü ... V Pr. 1904, S. 92), daß die Legende auf
kroat. Gebiete von einem böhm. Glagoliten, der dem Kreise der aus Mähren
vertriebenen Jünger angehörte, geschrieben worden sei. Wann sind denn die
Glagoliten nach 935 (Todesjahr Wenzels) aus Mähren vertrieben worden? Für
die im Liede Hospodin pom. ny jeden ksl. Einfluß leugnende Haltung hat
zwar Sz. viele ihm unbekannt gebliebene Verbündete, aber auch Gegner (vgl.
die Literatur bei Nejedly, Dejiny pi-edhus. zpevu v Cechäch. V Pr. 1904,
S. 239 if.); doch scheinen weder der Skeptizismus Prof Vondräks (Zur Wür-
digung der asl. Wenzelleg. S. 50 — 51) noch die Ausführungen Nejedly s, nach
welchen im Jahre 973 das Volk nur noch das primitive »krles«, im Jahre 1()55
aber, durch den deutschen Tropus des Fürsten und Adels vom J. 973 (Christe
ginädo ! Kyrie eleison und die Heiligen alle helfen uns, Kyrie eleison) zur Bil-
dung eines eigenen Tropus Hospodine pomyluj ny bewogen, diesen Tropus
angestimmt hätte, worauf dann 1125—1249 das Lied gefolgt wäre (o. c. 239—
246), nicht dazu geeignet, den so klaren Zusammenhang der unböhm. Phrase
Hospodin pomiluj ny (FRB. H, 308, 339, 366 zu den J. 1249. 1279, 1283) mit
dem aksl. gospodi pomiluj ny zu beseitigen ! Die schöne Übersetzung der
griech. Phrase im Anfange ist auf einem anderen Wege nach Böhmen gekom-
men, als das verkümmerte »krles", und im XL— XHL Jahrh. hätte kein Böhme,
außer ein Kenner des Ksl. der griech. Phrase die überlieferte Übersetzung ge-
gebeii! Dabei muß auch beachtet werden, daß in den ältesten Stellen, wo das
Lied in der slav. Phrase zitiert wird (s. o.) die Form hospodin vorkommt, welche
nach Jagics Vermutung (ausgesprochen in seinem Sem.) nicht eine Kürzung
Die slavische Liturgie in Polen, angez. von Kidric. 619
des V. hospodine ist, sondern ein hospodi, das nicht mehr geläufig war,
voraussetzt.
Bei etwas Umschau hätte Sz. die Möglichkeit der Verpflanzung der slav.
Lit. aus Böhmen nach Polen im X. Jahrh. wohl nicht deshalb in Abrede ge-
stellt, weil sie in Böhmen nicht vorhanden gewesen wäre, sondern gesagt: sie
führte in Böhmen ein immer mehr an Boden verlierendes Leben, bis sie Ende
des XL Jahrh. erlosch, und es fehlten die Bedingungen eines Hinübergreifens
nach Polen. Denn Sz. weist mit Recht im IV. Kap. den im X. Jahrh. nie ge-
kämpften Kampf zwischen der lat. und slav. Lit. in Kleinpolen samt den ihn
unterstützenden Klügeleien zurück: daß die von Otto L gegr. Bistümer auf
slav. Boden den Kampf gegen die slav. Lit. zum Zwecke gehabt hätten, und
daß in den päpstlichen oder kaiserlichen Dokumenten mit fides catholica der
lat., mit paganus, barbarus, lingua barbara immer nur der schismatische slav.
Ritus zu verstehen sei (106 — lü7; 120 ff.; c. Bielowski, Maciejowski u. a.,, daß
Adalbert der spätere Erzbischof von Magdeburg, im Auftrage Otto L nicht nach
Rußland, sondern gegen die slav. Lit. in Mähren und Polen geschickt worden sei
(IGT ff.; c. Bielowski, u. a.) ... Zu diesen Klügeleien gehören in die Raritäten-
kammer der von Begeisterung diktierten Folgerungen auch die meisten der
zugunsten der slav. Lit. in Großpolen aufgetischten und von Sz. im V. Kap.
(125 ff.) bekämpften Behauptvmgen : das Weilen Methods u. Cyrills oder ihrer
Gesandten im Hause Piasts und Rzepkas und die Taufe ihres Sohnes Ziemowit
durch sie (125 ff.; c. Naruszewicz, Ossoliiiski, Teodor Morawski, Petruszewicz
u.a.); das Erscheinen und die Taufe Ziemowits bei Svatopluk (l;i2; c. Osso-
linski, Maciejowski) ; die Identität Svatopluks und Ziemowits (132 ff.; c. Bie-
lowski) ; Mieszkos IL Taufe in Prag und seine doppelte Taufe, zuerst nach
dem slav., dann dem lat. Ritus (1:^4 ff.; c. Friese, Maciejowski. Bielowski u.a.);
die Fragmente byz. Kunst in Polen, die dem XHL u. XIV. Jahrh. angehören
(145 ff.; c. Andrzej Wegierski, Friese, Petruszewicz, M. Gumplowicz u. a.); die
Ehe der Priester in Polen, die nur den Verfall der Sitten beweist (lOii ff.; c.
Maciejowski); der Streit zwischen Boleslaw Sm. und dem hl. Stanislaw, der
sich nie um die slav. Lit. drehte (KiS ff.; c. Lelewel, Bielowski. Pastor Anger-
stein, M. Gumplowicz, W.Sobieski u. a.); die Anerkennung der Ehe Wladyslaw
Hermanns mit der Mutter Zbigniews seitens der slav. litnrgisierenden Geist-
lichkeit (1 75 ff.; c. Gumplowicz); die von Dlugosz hervorgehobene lauge Dauer
der großen Fasten in Polen, die aber um zwei Wochen früher als in Konstan-
tinopel begannen und aus Deutschland nach Polen kamen (182 ff.; c. Friese,
Ossolinski, Lelewel, AV.Krasinski, Petruszewicz u.a.); ebenso nichts beweisend
ist eine Stelle im Briefe Matthäi, des Erzb. von Krakau, an den hl. Bernard aus
der Mitte des XII. Jahrh.: Dilectus filius voster maglster A. nos ex parte
vestra consuluit, si quis posset et impios Ruthenorum ritus atcjuc observan-
tias extirpare (Bielowski, MPIL II, S. 15), aber nicht deslialb, weil Sz., ritus
wieder mit »Sitte« übersetzt (173 ff.; c. Lelewel, Bielowski), eondoru weil Mat-
tliäus mit Ruthenia ein Land außerhalb der Grenzen Polens meinte ;. . . ucc
modo in Rutlienia, (|uae (|uasi est alter orbis, verum etiam in Polonia et Hooiuia
. . . talem fructum facerotis . . . o. c. S. 1(3).
Über dieses Niveau erheben sich fünf Dokumente, auf deren einige sich
620 Kritischer Anzeiger.
außer den von Sz. bekämpften Historikern auch Sobolevskij stützt (P. 174,
Anm. 1 ; S. 18 — 1'.)) und die teilweise aucli Prof. Brückner trotz der Ausführun-
gen Parczewskis nocli rätselliaft bleiben b, d, e; Legendy, 12). Es sind dies:
a) die Worte einer Polin an ihren Gemahl Izjaslav Jaroslavic von Kijev
(1054 — 1078), die ihr die Leg. des Theodosius in den Mund legt, als Izjaslav
den Mönch Antonius vertreiben wollte: ITocioyiuaü tociioäh, h hc ruiBaiici,
MKO TaKO/Kc öi,]CTi. BT. CTpauJ; uameä; wöiacaEiuuM'i. HiKOCA paflH (>iÄi>i lepii-
UCMX, Muoro 3jia CTBopucA Hxx pa^ii B 3eMJiH t(oh), uo ».JiOÄncA, rocnOÄii, na. ue TaKO
BT) oöjiacTH TEOcii öoyaeTB (ükob^icbi., IlaM. pyccKofi .iiiTcparypiii XII ii XIII b.
Cnöpn, 1S72. S. XVI);
b) die in demselben Paterik pecerskij enthaltene Legende vom Movccil:
Oyrpmii., den Boleslaw Chrobry als Gefangenen aus Kijev nach Polen ge-
bracht haben soll, wo ihn die Liebe einer angesehenen polnischen Witwe ver-
folgte, bis ein MHiix-h (iioiiiiii-l vm^n) w cbatlic ropi.i kam und ihm das Gelübde
abnahm, worauf Boleslaw durch die Klage der feurigen Witwe gerührt: v/k'.-
ABuacc roneuic Be.iie Ha icpiiopiisuu u iisrua bca w oö.iacm CBoefi, aber zur Strafe
btj CÄimy . . . uoiixB starb ; u öwctt. matg/Ke BdUKi. Bt Bceft JlAÄCKoii scMJii h bx-
craBiue jiio;i;Yc usöama enucKonti cboa u öojfApti cboa, (tiKace u E.aiTOQiicuti nout-
ÄacTT. Tor^a) . . . (ilKOBJieBT., o. c. CXLIV — CLI);
c) eine Stelle der V.O. in einer Handschrift der Moskauer geistl. Akad.
aus dem XV. Jahrb., in verschlechterter Form im Chrouographe des Samuel
diak z Dubkova vom Jahre 14'J1 und in späteren Handschriften: . . ii iipuiuej-i.
BiuiiKt BT. Mopasy, u Bt ^Ioxli h ex JIaxw, paajpoymu Bipy npaByio, u PyccKyio
rpaMOTy wBpxace, a jiaTUHLCKyH) ßipy u rpaivioxy nociaBii, ii npaBbia Bipti entic-
KonBi II nonti uci.ci'ie, a ÄpyrLia pasraa h uje bx IIpyccKyio seMJiio . . . u xamo
yÖBeux ÖLiCTX Bxuiixx, JlaTMHBCKBiu HHCKoynx . . . (EojflHCKifi, 0 BpcMeau npo-
ucxoHCÄeiiiH ai. n. S. 108; Bielowski, MPH. I, 90);
d) eine Strophe im Lobgesange des Chronisten Gallus an Boleslaw
Chrobry :
Tanti viri funus mecum omnis homo recole,
dives, paupei", miles, clerus, iusuper agricolae,
Latinorum et Slavorum quotquot estis incolae (Bielowski, MPH. I, 413);
e) folgende Worte in dem Briefe, mit dem Mathilde, die Tochter Hermanns
von Schwaben, das »regi Misegoni« (Mieszko II, lo2.5 — 1034) geschenkte lit.
Buch Ordo Romanorum begleitete:
Quis (praedecessorum tuorum) in laudem dei totidem coadunavit linguas?
cum in propria et in latina deum digne venerari posses, in hoc tibi non satis,
grecam superaddere maluisti (Bielowski, MPH. I, 323).
Sz. meint, die Frau Izjaslavs {habe die heidnische Reaktion nach dem
Tode Miesko II. vor Augen gehabt, was aber der Verfasser der Vita Moysejs
nicht mehr wußte und einen Analogieschluß machte, daß Boleslaw Chrobry
wegen einer geheimen Haarabschneidung die Mönche ebenso vertrieb, wie es
Izjaslav machen wollte (153 ff; c. Bielowski, Sobieski, Gumplowicz). Die Ver-
treibung der slav. Lit. aus Polen durch Adalbert von Prag ist nach seiner An-
sicht eine Erfindung Samuels von Dubkov, der eine Erklärung für das Schwin-
den der slav. Schrift in Böhmen und Polen suchte, natürlicherweise einen
Die slavische Liturgie in Polen, angez. von Kidric. 621
»Lateiner« dahinter witterte und auf Adalbert, den Bischof und Apostel, ver-
fiel (IIG tf. ; c. Bielowski, Petruszewicz, Gumplowicz, Sobieski. Buczys u. a.).
Unter den Latini und Ölavi des Gallus versteht er einerseits die slavischen,
anderseits alle fremden Gebiete, die sich im wechselseitigen Verkehr der lat.
Sprache bedienten (171 — 173 mit Dr. Abraham, c. Friese, Maciejowski, Lele-
wel, Bielowski, A, Maiecki, Anatol Lewicki, Szujski, Petruszewicz, Sobieski
u. a.) und erklärt mit Dethier und Eaezynski den Brief Mathildens dahin, daß
Mieszko zu seiner Kenntnis des Polnischen und iLateinischen noch die des
Griechischen gesellt habe (157 ff.; c. Bielowski, Maiecki. Lewicki, Sobieski',
findet also auch hier keine Beweise für die slav. Lit. in Polen.
Anders haben sich P. und S. das Bild ausgemalt. Im Mittelpunkte steht
das Benediktinerkloster Tyniec. P. hält es für ein Faktum (angeblich nach
Brückner), daß kroat. Benediktiner sich in Polen niedergelassen hätten, gibt
aber bescheiden zu, daß man nicht folgern dürfe, der Aufenthalt der kroat.
Benediktiner (=Glagoliten) habe gleich eine feste Organisation des slav. Ritus
daselbst nach sich gezogen (166 — 167). Für die Annahme dieser Expansiv-
kraft der kroat. Benediktiner fehlt natürlich jeder Beweis. Des Beweises
harren aber auch die Ausführungen S.s, der von dem Bestände der slav. Lit.
in Polen so überzeugt ist, daß er, um ja Etwas Neues zu sagen, sogar die
Möglichkeit zugibt, in den Kijewer Fragmenten ein Denkmal des poln. Schrift-
tums zu sehen (19). S. meint, daß, »wie es scheint, im Zusammenhange mit
der ersten Vetreibung der Schüler Prokops auch eine Verfolgung der Mönche
in Polen erfolgte« (18, Anm. 2, unter Berufung auf die oben unter a; und b;
angef St.). daß «fast gleichzeitig mit der endgiltigen Vertreibung der Schüler
Prokops aus dem Sazavakloster sich die Zerstörung (pasrpoMx) des Tynieckl.
durch den päpst. Legaten Gualo vollzog« und daß »es schwer sei, an dem Zu-
sammenhange dieser gleichzeitigen und gleichartigen Ereignisse zweier Bene-
diktinerklöster, des böhm. und i)oln., zu zweifeln« (18). Ich bezweifle aber
diesen Zusammenhang ebenso leicht, wie die Zerstörung der slav. Lit. in Polen
durch Vojtech, für welche nach der Ansieht S.s der oben sub c) angef Te.\t
»so klar« zusprechen scheint (IS; 19, Anm. 2). Die Absetzung des "häret.« Abtes
von Tyniec, auf die S. hinweist (IS), ist jedenfalls mit dem Ersclieiueu des
röm. Gesandten Gualo 1 105, mit der von ihm eingeleiteten vollständigen Tren-
nung zwischen dem Krakauer Domkapitel und dem Benediktinorkouvent in
Tyniec und der Einführung der consuetudines cluniaceuscs zusammen iGum-
plowicz, Zur Gesch. Polens im Mittelalter, Innsbruck 1S9S, S. 135 — 137, hat
aber mit der slav. Lit. nichts zu tun, da man sie beim Fehlen anderer sicherer
Anhaltspunkte aus den bloßen Namen der Äbte Aaron und Anchoras nicht
erschließen kann (Sz. 81 ff.; c. Gumplowicz^ Ich glaube, mit einigen Modifi-
kationen können die von Sz. gegebenen Erklärungen dieser 5 Stollen akzeptiert
werden. Besonders in der ihm nicht bokannton Fassung der VitaTheodosii a)
passen die Worte der Frau Izjaslavs vortrcfYiich auf die Wirren nadi dem Tode
Mieszkos IL, als seine Gemahlin auf dem deutschen, und sein Sohn Kazimir
auf dem ung. und kais. Hof die Ziiliuclit suchen mußten. Die Leg. Vojtoclis
wissen nichts von dessen Kämpfen gegen die slav. Lit. in Polen. .•\l>er \\ ober
der Passus in die Chronographen kam, kann erst ein genaues .*<tii(liiim der
622 Kritischer Anzeiger.
Chrono{?r,aplien zeigen. Jedenfalls darf für die Interpolation nicht, wie es
Sz. tut, Samuel diak vf^rantwortlich gemacht werden, da er iiuirrtxx schon nicht
mehr verstand und daraus noü machte fBodjaTiskij, o. c. S. 108). — Die Für-
sprecher der slav.Lit. bewegen sich bei der Erklärung dieser Dokumente fort-
während zwischen Gegensätzen: einmal soll BolesJaw Chrobry das glagol.
Tynieckloster gegründet haben, das andere Mal soll er Vojtech zugelassen
haben, die slav. Lit. aus Polen zu verbannen; das eine Mal werden die aus
dem Westen kommenden Benediktiner als Feinde der slav. I^it. in Polen ver-
schrieen, das andere Mal soll einer von ihnen, Gallus, die Anhänger dieses
Ritus aufgefordert haben, Boleslaws Andenken zu feiern, und dies einige
Dezennien später, als der Papst dem böhra. Herzoge Vratislav die Bitte um
die slav. Lit. rundweg abgeschlagen hatte ! Ein wenigstens halbwegs zufrieden-
stellendes Dokument für die Organisation der slav. Lit. oder ihr Leben in ein-
zelnen Klöstern des alten Polens muß erst gefunden werden, denn auch ihren
letzten Stützpfeiler: das Gebet zu Cyrill und Method mit der Anrufung «pa-
troni uostri", gedr. im Missal der Diöz. Przemysl (Venedig 1629) und in Officia
Propria Regni Poloniae (Antwerpen 1637); das Gebet einer Pergamenthand-
schrift, wo Cjrill und Method »nostri apostoli et patroni« genannt werden
(Bielowski, MPH. I, S9); das Gebet im Krakauer pergamenthandschriftlichen
Brevier v. J. 144 3 und im ersten gedr. poln. Missal des Kard. Friedr. Jagillon-
czyk; ferner die Cyrill-Methodius-Legenden des Krakauer Passionais und
Breviers v.J. 14-13 hat Sz. umgestoßen (ISSff.; c. Bielowski, Martin Chwaliczew-
ski, Sobieski, Buczys u. a.'. Er weist nach, daß die Gebete des Breviers von
1443, des ersten gedruckten poln. Missais, und der von Bielowski benutzten
Handschrift identisch nicht nur mit einander, sondern auch mit einem Gebete
des Missais der 'Premostratenser zu Strahov in Prag aus dem Anf. des XV.
Jahrh. und des Missais eccl. Pragensis Venceslai de Radec und des Missais
von Hohenstadt sind, die Legende des Breviers v. 1443 aber wörtl. mit der
Legende des Breviers der Olmützer Diözese, gedr. 149.5, die aus dem Prager
Passional genommen ist, übereinstimmt, während er die Leg. des poln. Pas-
sionals als aus der Leg. ital. u. raorav. zusammengesetzt hält. Die Verehrung
der Slavenapostel fand also aus Mähren u. Böhmen den Weg nach Polen...
Mathias von Miechow aber wußte nicht mehr, daß man die Benediktiner
für das Kloster des hl, Kreuzes in der Krakauer Vorstadt Kleparz im J. 1 390
aus dem Emmauskloster in Prag berufen und verpflichtet hatte, die Messe in
ksl. Sprache zu verrichten (Syrku, Arch. f. sl. Phil. XXL S. 191); dies bildet
die Brücke zu den Irrungen. Hier am Schlüsse des Werkes hätte Sz. jene
Momente hervorheben sollen, die nach seiner Meinung neben dem Kloster auf
Kleparz und den unkritischen böhm. und poln. Historikern zum Ausbau der
Idee der slav. Lit. in Polen beigetragen haben (Hnssitismus, Unionspropa-
ganda), nicht aber im ersten Kap. bei der Besprechung der einschlägigen Lite-
ratur, bevor der Leser von der Nichtexistenz der slav. Lit. im alten Polen
überzeugt ist. Vordem aber hätte er zwar nicht, wie es P. (166) verlangt, die
Gesch. des kroat. Glagolismus behandeln, wohl aber auf die Geschicke des
1380 entstandenen slav. Klosters zu Öls und des schon erwähnten zu Kleparz
eingehen sollen, um so durch einen positiven Punkt den undankbar auf lauter
i
Bartocha, Böhmisches an der Olinützer Hochschule, angez. von Hysek. 623
Verneinungen auslaufenden Charakter seines Buches zu mildern. Xoch im
XVI. Jahrh. traute sich ein poln. Kirchenfiirst die Möglichkeit der Einführung
der slav. Liturgiesprache nach Polen anzudeuten, wie es die interessanten
Worte beweisen, welche der Kardinal Hosius geraume Zeit nach dem Ver-
stummen des slav. Gottesdienstes zu Kleparz auf dem Tridentiner Konzil
sprach : « . . . si precationes et sacras lectiones in vernaculam transferri lin-
guam oporteret, in eam (Dalmatarum; potissimum transferendae sint, a qua
nostra (Polona) duxit originem, quae praestat etiam ceteris elegantia; cum
praesertim Dalmatica lingua sacros libros Hieronymum vertisse constet«
(Jelic, Fontes historici liturgiae glagolito-roraanae . . . Veglae 1 9üf), I, S. 24,
Nr. 110). Dr. Fr. KvIrÜ:
Cestina na byvaU universite a utavovske aJcademü v OJomouri. Üci-
nek obou üstavü na obrozeni nase v Olomouoi a na Morave. Napsal
Josef Bartocha. V Olonioiici u R. Prombergera 19(Ki.
Der Titel dieses Buches ist vielversprechend. Man weiß heute schon
genau, welche Rolle die Prager Universität in der nationalen Entwicklung des
böhmischen Volkes und seiner Kultur spielt, von den Zeiten Seibts und Meiß-
ners an bis zu Masaryk. Dieselben sind ohne Mitwirkung dieser Hochschule
fast undenkbar. Man weiß ebenso, daß diese Entwicklung seit dem Anfang
in Mähren verspätet war. Es entstand da zwar früher als in Prag eine ge-
lehrte Gesellschaft, die Olmützer Societas incognitorum, die man als Vor-
gängerin der Krälovskä spolecnost nauk bezeichnen darf, aber die Verhält-
nisse tragen Schuld daran, daß sie bald zu existieren aufliörte und daß Mähren
noch vor 50 Jahren vom selbständigen Leben soviel als nichts wußte. Man
fragt deshalb unwillkürlich: in welchem Verhältnisse stand die Olmützer Uni-
versität zu diesem traurigen Zustande — und weiß man aus dem Erfolge, daß
sie sehr geringe Wirkung auf das mährische Volk ausübte, so ändert man diese
Frage in die folgende: welche Ursachen waren es. die diese kleine Bedeu-
tung verschuldet haben, und wie weit war doch die Universität an dem cechi-
schen Leben in Mähren mitwirkend? Und man erwartet von dem zu besprochen-
den Buche die Lösung dieses Problems.
Das erste Kapitel macht uns mit der Geschichte der Olmützer Universität
bekannt; das Datum des Dekrets »2-2. Dezember 1576« ist falsch; in diesem
Jahre fand die erste Immatrikulation statt, das Dekret ist vom 22. Dezember
1 572, vier Jahre später war ja der Kaiser lAIaxiniilian nicht mehr am Leben. Der
wissenschaftlich geschulte Leser nimmt schon an dem Anfange dieses Kapitels
Anstoß, er findet da nämlich Saciien. die vielleicht in eine Vorrede gehören
(z. B. warum der Verfasser diesen Stofi' bearbeitet hat: er hielt volkstümliche
Vorträge und wählte dies Thema, weil die Frage der zweiten böiimi.sdien l^ni-
versität eben aktuell ist), nicht aber in eine wissenschaftliciie Abliandlung.
Und in der Tat gibt das ganze Buch niclits anderes als diese Vorträge, in denen
kein einziges AVort geändert ist — was vielleicht Leute interessieren könnte,
624 Kritischer Anzeiger.
die die Wissenschaften zu popularisieren trachten, was aber die zahlreichen
wissenschaftlichen Mängel verschuldet hat.
Der Autor wollte seinen Hörern alles klar vor die Augen stellen und auf
ihre vaterländische Gesinnung eine Wirkung ausüben, er benützt deswegen
oft die «vergleichende" Methode, z. B. S. S: »im J. 1846 gab es in Olmütz so-
viel Professoren und Hörer, wie es jetzt in Cernowitz der Fall ist -. Und ähn-
liche Ausschweifungen kommen in dem Buche öfters vor.
Der zweite Hauptteil, nacli den Fakultäten zergliedert in vier Kapitel,
behandelt die cechische Sprache an der Universität.
Zuerst: medizinisch -chirurgisches Studium. Aus der Anmerkung er-
fahren wir den Grund dieser Benennung, nämlich daß damals keine vollständige
Fakultät existierte. Und das sagt der Verfasser, nachdem er schon im ersten
Kapitel die Geschichte der Universität behandelt hatte. Das Cechische war
nur für die Geburtshilfe von Bedeutung; man benützte das Buch von Prof.
Jungmann, das später durch das von Prof. Mosner, der Jungmanns Schüler
und seit 1 829 OlmUtzer Professor war, verfaßte Buch ersetzt wurde. Der Ver-
fasser meint, das Beispiel dieses patriotisch gesinnten Mannes wäre auf seine
Hörer nicht ohne Wirkung geblieben, zieht also auch sein Leben in Betracht.
An dieser Stelle wäre es nötig, die Übersetzungen verschiedener Bücher für
die Hebammen in den 70er Jahren des XVHI. Jahrh. zu erwähnen, die auf Be-
fehl der Kaiserin veranstaltet worden waren; dieser Zusammenhang dürfte so
manches erklären.
Von einer weit größeren Bedeutung ist für das Cechische die theologische
Fakultät. Es werden da Dr. Slavicek, Dobrovsky, Stach, Poläcek genannt;
von Slavicek weiß der Autor nicht viel zu sagen, von Dobrovsky meint er —
gewiß nicht mit Recht — , daß er auch patriotisch auf die Theologen gewirkt
habe, während manche schon aus Brandl bekannte Einzelnheiten ganz außer
Acht gelassen worden sind. Für Stach hat er nicht genug scharfe Worte. Bis
auf seine Zeit benützte man für das Pastorale das Buch von Jilji Chlädek,
dessen Inhalt, von vaterländischen Zitaten durchflochten, hier angegeben wird ;
er übersetzte aber ein neues Lehrbuch, wo das Deutsche gepriesen wird. Das
zu tun war ihm befohlen; Stach, ein Josefinist, verstand nebstdem die wahre
Poesie und wußte die großen deutschen Dichter zu schätzen, deswegen liebte
er auch das Deutsche, das er oft voll Begeisterung rühmt. Ein anderesmal be-
singt er aber auch seine Muttersprache so warm, wie keiner von seinen Zeitge-
nossen — es wäre also schon einmal an der Zeit, die sich in der Literaturge-
schichte eingebürgerten Phrasen von seiner deutschen Gesinnung wegzu-
räumen. Das Leben der Olmützer Theologen sollte in Zusammenhang mit dem
Brünner Alumnate gebracht werden. Keine Berührungen mögen zwischen
ihnen stattgefunden haben, es war aber dasselbe Streben und dieselbe Um-
gebung, die beide verband. Für die Brünner Theologen sind z. B. Besuche
großer Männer von Wichtigkeit — war es bei den Olmützern auch der Fall?
Das Schreiben von Gallas erlaubt manches zu vermuten ; Licht in die Sache
zu bringen, hätte sich Bartocha zur Aufgabe stellen sollen. Und in welcher
Beziehung stehen die von damaligen Priestern verfaßten Lobgedichte an Cho-
tek zu dessen Gunst und Vorliebe für dieses Streben, die ihm Bartocha zu-
';
Baitocha, Böhmisches an der Olmiitzer Hochscliule; angez. von Hysek. 625
mutet? Sind das Ergüsse der Freude dieser Männer über diese Gewogenheit
des Erzbischofs, oder sind es nur obligate Reimereien, wie man iimen in die-
ser Zeit so oft begegnet? Die Sache wäre sein- interessant. Und warum wird
nicht schon bei der Zeitschrift »Cyrili a Jlethod« Tomas Becak erwähnt —
der Verfasser konnte zwar dieselbe nicht bekommen; das gelang ihm erst spä-
ter und er sucht, die Sache durch einen Anhang wieder gutzumachen — wenn
er aber damalige Angaben verschiedener Zeitschrifsen benützt hätte, würde
schon dieser Artikel vollständiger sein können.
Was die juristische Fakultät betrifft, wurde das Cechische in die Vor-
lesungen sehr spät eingeführt, faßte aber bald festen Fuß. Da wird das
Leben des bekannten Monse besprochen; aus seiner wissenschaftlichen Be-
deutung aber den Schluß zu ziehen, daß er auch direkt auf seine Hörer eine
Wirkung im vaterländischen Sinne ausgeübt habe, halte ich nicht für erlaubt.
Manche Einzelheiten, die in seiner Biographie angeführt werden, stellen das
Thema des Buches in kein klareres Licht. Es sollte zuerst die Entwicklung
verschiedener Einflüsse geschildert werden, die von Belegen begleitet werden
müßte; das, was B. sagt, gleicht den Ausführungen, die mau in allen Jahres-
berichten lesen kann, wie sie verschiedene Vereine erscheinen lassen. Der
Zusammenhang des inneren Lebens in Mähren mit den politischen Verhält-
nissen wird ganz vermieden, für B. existiert nur Olmütz, und zwar wie es in
den Urkunden, in den Matrikeln, nicht aber im damaligen wirklichen Leben
war. Bei der Erwähnung des Dekretes A'on 1818, das die Kenntnis der cechi-
schen Sprache auch von den Juristen verlangt, wird festgestellt, daß der
Graf ]\Iitrovsky, der als der Urheber dieses Dekretes gilt, in dieser Eichtung
von Bocek beeinflußt war. obzwarBocek damals erst in seinem löten Lebens-
jahre stand. Bartocha liebt zalüreiche Anmerkungen und Zitate zu seinen
Ausführungen beizufügen; man findet in denselben manchmal Sachen, die weit
wichtiger sind als die Behauptung, die sie unterstützen sollen. Auch die Be-
geisterung der Studenten, die sich als politisch tätig durch ihre Legionen
ausweisen, dürfte nicht so groß gewesen sein, wenn der Verfasser I'rof Sytko
zitiert (es trugen nur wenige von ilmen cechische Abzeichen. Und S. 41, wo
von der Wahl Tovacovskys zum Hauptmann der Studentenlegion erzählt
wird, sagt der Verfasser selbst, daß die Studenten keinen Anstoß an seinen
vaterländischen Kompositionen genommen haben. Wir wissen nebst-
dem aus einer anderen Quelle, daß die Prcrauer Studentenlegion großdeutsche
Farben trug — ein Zeichen, daß die ccchisch gesinnte Jugend in der Mino-
rität war.
Warum in die l'artie von der juristischen Fakultät die Geschichte der
»Slovauska Lipa« eingereiht ist, darüber bleiben Mir im Unklaren. Der Ver-
fasser sagt ja selbst (S. 28), daß dabei auch andere Fakultäten vertreten waren.
Es ist auch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, daß der Gedanke der Grün-
dung dieses Vereines z. B. von irgend einem l'hilosophon herrührt. Ihren
Wert werden vielleicht Abdrücke verschiedener Aufrufe behalten, wir wünsch-
ten nur l)ei jedem von ilmen die Angabe der (^hu-lle zu sehen. S. ;<■"> wird sich
der Autor bewußt, daß solche Schilderung, wie er sie dargelioten. gar nicht
seinem Thema entspricht, und sagt doshalb: »die cechischen Juriston weckten
Arcbiv für slavisflic Philolojjio. XXVIII. 40
G26 Kritischer Anzeiger.
das nationale Bewußtsein nicht nur inOlmütz. sontlern auch in {^anz Miiliron".
Er liefert keine Bolej^c dazu, der Satz bleibt doslialb nur bloße Phrase.
Auf dieselbe Weise wird die i)liilosoi)liisclie Fakultät beliandelt. Die
ganze Geschiclite der Oriindunj; des Katheders für die ccfhische Hpraclie ist
sehr interessant [es sollte damals Kollär nach Oliniitz kommen . Als der erste
Grund dieser Einrichtung wird die Übersiedelung der ständischen Akademie
nach Brunn bezeichnet. Jetzt wird das ganze Schicksal dieses Lehrstuhles bis
zum Abgange Helcelets und Gesuche Matzenauers geschildert, und erst dann
kehrt der Verfasser zu dem zweiten Grunde dieser Einrichtung zurück, daß
nändich dasCechische in die Mittelschulen eingeführt werden sollte. Das wird
wieder mit viel Undeutlichkeit ])esprochen, denn in den öoer Jahren gal) es in
Mähren keine cechischen Gymnasien (oder sind vielleicht die deutschen mit
cechischen Schülern gemeint?). Jetzt erst erfahren wir weiteres über die Ge-
schichte dieses Katheders, um gleich wieder von den Philosophen in »Slo-
vauskä Lipa« zu hören und zuletzt von den Zeitschriften und Zeitungen, wel-
che die Professoren der phil. Fakultät herausgegeben haben. Und ohne Jeden
Zusammenhang, vielleicht nur, weil man auf dem Lande mit einer Bibliothek
immer die Vorstellung eines Philosophen verbindet, wird hier die Gründung
einer Leihbibliothek bei einem Buchhändler besprochen, wobei der Verfasser
ganz überflüssige Eeflexionen macht. Am Ende des Teiles über die phil. Fakultät
kommt wieder eine Überraschung: erst jetzt erfahren wir, wo die Olmützer
Universität stand, wie sie aussah u.s.w. Die Erwähnung von der Universitäts-
bibliothek, wo die deutsche Sprache zwar immer die herrschende war, wo aber
vaterländische Männer beschäftigt waren und vaterländische Jugend studierte,
ist an richtiger Stelle angebracht; man wünschte nur. daß die Biographien
Monses, Trnkas u.s.w. als längst bekannte nicht wiederholt wären oder daß
sie neue Züge gebracht hätten, was z. B. bei Trnka endlich einmal sehr
wünschenswert wäre.
In dieser ganzen Darstellung, in welche ganz unnötige Einzelnheiten ein-
geflochten sind, vermissen wir die Erklärung dessen, was das wichtigste wäre :
in welcher Beziehung stand die Universität zu der oben erwähnten Societas
incognitorum ?
Weit besser bearbeitet ist der zweite Hauptteil, die Geschiebe der cechi-
schen Sprache an der ständischen Akademie. Der Lehrstuhl der cechischen
Sprache wurde im J. 1815 bewilligt, errichtet aber erst im J. 1831. Der erste
Professor war Ant. Bocek, dessen Leben und Wirken der nächste Absatz be-
handelt. Der ganze Prozeß bei dem Konkurs ist sehr interessant, wird aber
gar nicht erwähnt, obzwar damit Namen wie Vinaricky, Trnka, Sembera.
Franta verknüpft sind. Bocek war damals der cechischen Sprache nicht voll-
ständig mächtig — diese Tatsache, die gewiß von großer Wichtigkeit ist,
wird nur in der Anmerkung als Nebensache angeführt. Eingehend wird auch
Sembera besprochen — es wird nämlich das wiederholt, was aus den Alma-
naohen »Dunaj« und »Almanach na oslavn 70 narozenin A. V. S-y« längst be-
kannt ist — und doch wäre es eben bei diesem Manne wünschenswert, alles
zusammenzubringen, was sein Leben betrifft und was das Leben in Mähren zu
seiner Zeit in klares Licht stellen würde. Z. B. die Geschichte betreffs seiner
Bartoclia, Böhmisches an der Olinützer Universität, angez. von Hysek. 627
beabsichtigten Ausgabe des »Labyrint sveta« von Komensky, eines Buches,
^\ elches der damaligen Zensur zu sehr religiös indifferent erschien, und ähnliches
— man schlief damals in Mähron nicht, aber man wurde dazu gezwungen. Es
muß auch die Tätigkeit der Priesterschaft in Mälirou kritisch untersucht wer-
den, was bis heute nicht geschehen ist — bei Sembera hätte man genug Ge-
legenheit dazu. Von dem mährischen Separatismus ist weder bei Trnka noch
Ijei Sembera die Eede, obgleich diese Richtung bei beiden von größter Wichtig-
keit ist. Und wie groß sollen wir uns Seraberas Verdienst um die cechischen
Spiele in Brunn vorstellen, wenn da nicht angegeben ist. ob man in Brunn
.>chon früher cechisch gespielt hat oder niclit, ob er der einzige Urheber dieser
Spiele ist oder nicht (er war es auch nicht . In den Jahren 1818 — lS2i) wirkte
liier der bekannte Botaniker Presl; er wird gar nicht erwähnt, obzwar es eich
bei seiner Energie und Begeisterung nicht denken läßt, daß sein Wirken bei
seinen Schülern keine Spuren hinterlassen habe.
Im ganzen sollte der Verfasser mehr Rücksicht nehmen auf Leute, die
allein sein Buch lesen werden. Das Publikum, für das er seine Vorträge ge-
arbeitet hatte, greift gewiß nicht darnach. Es hätte auch wenig Nutzen da-
von: die Übersichtlichkeit und Klarheit der Darstellung — das sind Eigenschaf-
ten, die diesem Buche fehlen. Der Verfasser, der so manche neue Sache ans
Licht bringt (das beste sind die 'Inhaltsangaben von verschiedenen, heute
schon verschollenen Zeitschriften u.s.w.;, häuft verschiedene, ganz unwichtige
Einzelheiten, der Geist der Zeit und des Milieus entgeht ihm aber ganz. Er
gab sich nicht einmal Mühe, solche Sachen, die direkt auf das Publikum ein-
wirken, ordentlich vorzubringen. (Nicht wiederholen, was schon gesagt wurde,
wo es nicht nötig ist, sondern neue Gesichtspunkte, neue Betrachtungen auf-
stellen — hätte P>artocha diese Regel berücksichtigt, dann wäre z. B. die
ganze Semberabiographie beseitigt worden, oder er hätte sie ganz anders, mit
Benutzung des ganzen gedruckten Materials bearbeitet.
Prof. Bartocha hat sich vor Jahren mit seinen Dialektstudien unbestreit-
bare Verdienste erworben; nicht so glücklich ist er in der Literaturgeschichte.
Das beste leistet er noch, wenn er bibliograiihisch arbeitet — in der Darstel-
lung verschiedener Zeiten oder Personen, wo man in dieselben mit gestaltender
Kraft eindringen und alle Bestandteile ihres AVesens mit Rücksicht auf die
Umgebung herausbringen soll, verlassen ihn seine Kräfte, die auf dem früher
bebauten Felde mehr Erfolg haben dürften. Miloslac Hysek.
4(1*
Kleine Mitteilungen.
Ein Brief Palackij's.
Mitgeteilt von Aleksa \v\i.
Diesen Brief bel^am ich durch die Güte des Herrn Dr. Nikola Gjurgjevic,
Advolvaten iu Brod an der Save. Vor einigen Jahren kaufte Herr Gjurgjevic
Palacky's Geschichte von Bölimen (Vierter Band, Das Zeitalter Georgs von
Podiebrad) antiquarisch in einer Budapester Buchhandlung und darin fand er
ein schwarzgestrichenes Kouvert mit schwarzem Siegel. Der Brief war ge-
richtet: Sr. Hochwohlgeboren Herrn Dr. Ant. von Virozsil, k. k. Rath, jubil.
Universitäts-Rector etc. in Pesth-Ofcn, und hat folgenden Wortlaut:
Prag den 24. Oct. 1860. Mein lieber alter Freund!
Ich habe das Vergnügen, Hmen den soeben erst fertig gewordenen Band
meiner Geschichte von Böhmen, der die Regierungszeit Georgs von Podiebrad
umfasst, sammt den dazu gehcirigen «Urkundlichen Beiträgen« etc. zuzusen-
den. Ich habe bei dessen Abfassung nicht selten an Sie gedacht und mich
gefragt, was Sie zu meiner Darstellung insbesondere der ungarischen Partieen
in diesem Bande sagen werden? Das Urtheil eines Mannes wie Sie ist dies-
falls für mich von besonderer Bedeutung. Darum wünsche ich, dass Sie das
Werk lesen und mir ebenso unbefangen als wahr über den Eindruck berichten,
den es auf Sie machen wird. Ich glaube insbesondere z. B. Matthias Corvinus
stets sine ira et studio geschildert zu haben. Ging darüber das bisher in Un-
garn herkömmliche aber etwas verschwommene Ideal verloren, so erseheint
doch die Figur mit um so schärfer markirten individuellen und wahren Zügen,
die doch der historischen Grösse wahrlich nicht ermangeln. Doch ich darf ja
Ihrem eigenen Urtheil nicht vorgreifen, sondern will Sie nur bitten, mir das-
selbe nicht lange vorzuenthalten. Dieser Band meiner Geschichte hätte schon
im Sept. 1859 in Ihre Hände gelangen können, wenn gewisse sehr einfiuss-
reiche Personen sich nicht die Mühe gegeben hätten, dessen Publication wo
nicht ganz zu hintertreiben, doch wenigstens möglichst zu verzögern. Ich
habe den letzten Winter mit meiner Frau in Nizza zugebracht und bin von
dort erst gegen Ende August, als Witwer, nach Prag zurückgekehrt. Die Reise
über Marseille, Genf, Basel und Heidelberg etc. ging durch ein Meer von Lei-
den, aus welchem meine arme Frau erst an der Gräuze des Vaterlandes au-
gelangt, in Bodenbach bei Teschen am IS. August erlöst wurde. Doch hatte
Sie den Trost, wenigstens in den Armen ihrer Kinder zu sterben und auf
ihrem Gute begraben zu werden. Seitdem führte ich meine Tochter, deren
Gesundheit auch schon untergraben schien, aufs Land zu den Verwandten
ihreß Mannes und besuchte dann noch einige Archive in Mähren und Böhmen,
um historisches Material zu ferneren Studien für den Winter einzusammeln.
I';h ging, nach so langer Pa ise. mit einer Art Ileisshunger wiede: an die ge-
Kleine Mitteilungen. 629
wohnte Arbeit. Leider gestatteten meine Augen eine solche Anstrengung
nicht, und ich bin in Folge dessen zum ersten mal förmlich dem Augenarzt
verfallen, der vor allem auf Schonung der Sehkraft dringt. Deshalb, und weil
ich noch viele Correspondenzschulden abzutragen habe, hoffe ich, dass Sie es
mir nicht übel deuten und es mich auch nicht entgelten lassen werden, wenn
Sie diesmal einen viel kürzeren Brief erhalten, als billig wäre. Ich habe nur
(iunkle Vorstellung von Veränderungen, welche seit anderthalb Jahren in
Ihrer Stellung eingetreten sind, da ich wenig Zeitungen zu lesen bekam und
ineine Freunde mich davon nicht recht zu unterrichten wissen. Ich höre, Sie
seien als Eector jubilirt, aber auch geadelt worden u.s.w. Ihr hoffentlich
baldiges Schreiben wird mich darüber des näheren belehren. Von hier kann
icli Ihnen nur so viel melden, dass die Decrete vom 20. Oct. bei den Böhmen
keine freudige Bewegung hervorgerufen haben; selbst der gemeine Mann ist
der Ansicht, die Räthe Seiner Majestät hätten den Werth und die Bedeutung
• 1er Krone Böhmen denn doch gar zu sehr unterschätzt, wenn Sie bei einer so
weittragenden Aenderung keinen Anlass fanden, derselben auch nur zu er-
wähnen.
Gott erhalte Sie und die Ihrigen, mein lieber Freund! und gebe mir bald
die Freude, von Ihnen etwas näheres zu erfahren, der ich stets mit alter Au-
iiänglichkeit verbleibe Ihr aufrichtiger Freund
Franz Palacky.
'Serbische Volkslieder über den Abgang des heil. Suva zu den Mönchev.
Während der heilige Sava in der serbischen prosaischen Volksliteratur
f^ehr oft vorkommt, entweder um die Leute zu belehren, oder um den Teufel
zu bekämpfen (BocaiicKa Biua hat im Jahre 1898 viele solche Sachen der Volks-
tradition mitgeteilt unter dem Titel: Cbctii CaBo y iiapoAiiOM npojaiby) , so be-
gegnet man ihm in den serbischen Volksliedern selten. Außer den Liedern,
welcl;e seinen Abgang zu den Mönchen besingen, von denen wir gleich spre-
chen werden, gibt es nur noch zwei Variauten eines Liedes, in welchem er
iiuer Versammlung der christlichen Herren [rociioja spiiinliaiicKa; bei Graca-
liica die Auskunft gibt, zu welchen Zwecken sein Vater Nemanja das große
Geld verwendet habe. Das ist das bekannte Lied mit der Frage: Kyj co I)oa'
u;i[) IIcMaibu o.aaro? (GpncKo uapojuo iijocMo, II, Staatsausgabe der Vuk'scheu
Sammlung, Biiorpa;i 1895, Nr. 22, S. 95-9(1; Nr. 23, S. 96—98).
Herr Stojan Novakovic in seinem Aufsatz: »Ein serl). Volkslied über
ilcu Abgang des heil. Sabbas zu den ;\Iönchen" Archiv für slav. Pliilologie, IV.
serbisch erweitert in Oxayuinia 1880 unter dem Titel: Crapa iiapojua iiocm.i
>) o,i;.iacKy cd. Cauo y Ka.iyl^cpc) luit aus einer Stelle in der Biograplii-'
Sava's von Domeutijan nachgewiesen, daß schon zu jener Zeit die Lieder iiltcr
M'iueu Abgang zu den Mönchen verfaßt wurden. Dann zitiert er eine Bemer-
kung Vuk's aus der Vorrede zu der zweiten Auflage seiner Sammlung aus
dem Jahre 182-4, avo es heißt, daß Vuk ein Lied von der Heirat Sava's gehört
li;il)e wie ihn der Vater mit Gewalt verheiraten w(dlte und iiim schon »las
Mädclicn gebracht, uiui wie dtn- Iicil. Sava davon luchts liören wollte und Av\\
630 Kleine Mitteihiugcn.
zu den München in ein Kloster fiiiclitetej, aber es niclit drucken wollte, bis er
nicht einen geschickten Mann fände, der es ihm schön vorsagen könnte. Und
zum Schluß bringt er ein Lied aus der Sammlung Simo Milutinovic's iCubro
Cojkovic (rHüuiiiiji ucpiioropcica u xopuerüDauKa; ich zitiere nach der Leipziger
Ausgabe aus dem Jahre 1837) unter dem Titel: ^jiaxua cBiipajia, und das ist
nach Novakovic's Meinung jenes Volkslied, das schon zu Sava's Zeit entstand,
nur durch viele Umstände umgearbeitet und verstümmelt.
In dem Liede wird erzählt: Ein Pascha Dzin Alija jagte in der Xälie des
Hofes des Königs Vladislav und ganz müde kam er zu ihm, um sich zu erholen.
Der König empfing ihn schön mit seinen zwei Schwiegertöchtern. Dzin Alija
fragte den König, ob er noch einen Sohn habe und dieser antwortete: Ja, den ,
Hirten Michael im Walde. Wie Pascha dabei hörte, daß der jüngste noch un- l|
verheiratet ist, bot er dem Könige seine Tochter für Michailo an. Der König
entschuldigte sich, daß das die Eeligion nicht zulasse; er soll die Türkin
einem Türken geben. Zornig ging der Pascha nach Hause und schickte so-
fort die Diener, um den Michailo gefangen zu nehmen und ihn lebendig zu
ihm zu bringen. Die Diener gingen sofort in den Wald und konnten ihn nur
durch Betrug gefangen nehmen. Zuerst haben sie Steine geworfen, aber er
wollte nicht die Waffen ablegen, — erst beim Rennen tat er das und in dem
Moment ergriffen ihn die Diener und brachten ihn zum Pascha mit gebunde-
neu Händen. In der Nähe des Hofes bat er die Diener, sie sollen ilim die
Fesseln etwas nachlassen, damit er ein wenig, zum letzten Male, auf seiner
Flöte spielen könnte. Diese taten es so und er begann zuerst seine Schwä-
gerinnen, dann seine Mutter anzurufen und seinen Vater zu verfluchen, weil
er mit den Türken getrunken. Er wollte noch weiter spielen, aber die Diener
ließen es nicht mehr zu. (Also eine, wenn auch etwas unklare, Reminiszenz
aus Salomons Sage). Als sie zum Pascha kamen, schlug ihm dieser vor, die
türkische Religion anzunehmen, dann werde er ihm ein hübsches Mädchen
zur Frau geben. Michailo schlug das Anerbieten ab, der Pascha aber befahl im
Felde ein Grab zu machen, Michailo dort bis zur Brust hineinzustecken und
ihn als Zielscheibe zu fassen. Die Diener machten so und bewarfen ihn mit
Pfeilen. Da riß er sich heraus, lief auf den Pascha los, schlug ihn tot und begab
sich, nicht wieder zu seinen Schafen, sondern nach Chilandar, wo er Mönch
wurde. Das war der heilige Sava.
Daß Novakovic eben dieses, recht komplizierte und weit ausholende,
von der eigentlichen Sache weit entfernte Lied als eine Tradition eines äl-
teren, den Abgang selbst enthaltenden Liedes betrachtete, was ich nicht für
notwendig halte, möchte man vielleicht dadurch erklären, daß ihm eine schö-
nere Version, die wir gleich mitteilen werden, unbekannt blieb. Aber desto
unerklärlicher und unbegreiflicher kommt es uns vor, daß er eine andere Ver-
sion, aus der Sammlung, zu welcher eben er die Vorrede geschrieben Bogoljub
Petranovic's: CpncKe uapo^ne njccMu 113 Eocnc u XepueroBuiie, Belgrad ISGT)
vergessen und ganz unerwähnt gelassen hat. Und diese Version, wie man so-
fort sehen wird, enthält viel deutlichere und direktere Angaben, und das ,
scheint eben jenes Lied zu sein, nach welchem sich Vuk umsonst umgesehen. I
Das Lied steht bei Petranovic unter dem Titel: »Wie der heilige Sava
1
I
Kleine Mitteilungen. 631
Müucli wurde« (Nr. 10, S. 87—93). Kaiser Simeon hatte, gegen den Willen
seines Sohnes Sava, für ihn ein Mädchen auserkoren, verlobt, ins Haus ge-
bracht und sogar die Hochzeitsfeier begonnen. Den dritten Tag bei dein
Feste sagte mau, es sei schon die Zeit zur Trauung. Der Kaiser scliickte die
Diener, um Sava zu holen, aber er wies sie ab uud antwortete, er wolle nicht
heiraten und werde nach Chilendar ('PiiJiHiiiiap) gehen. Nach den Dieneni ka-
men Priester, Mönche, Bischijfe, ja sogar drei Patriarchen, um ihn zu über-
reden, er soll heiraten, aber alles umsonst. Als das. der Kaiser hörte, da nahm
erden Psalter und das Evangelienbuch und verfluclite seinen Sohn. Unzu-
frieden damit, zornig über jedes Maß, wollte er ihn töten, aber da kam ihm
die junge Braut entgegen, beruhigte den Schwiegervater und begab sich selbst,
um Sava zu holen. Als sie in das Zimmer kam, da sah sie, wie das Zimmer
leuchtete, als ob über demselben die Sonne strahlte, und wie Sava das Evan-
gelienbuch las. Sie rief ilm dreimal, er solle zur Trauung kommen, aber er
schlug es ab. Endlich sagte sie ihm, er möge nur zur Trauung kommen, in der
ersten Nacht Averdeu sie zu Gott beten und sich verbrüdern; er könne dann
ins Kloster gehen, uud sie werde da bleiben, um den Kaiser zu pflegen ihr
Leben laug. Er willigte ein und die Zeremonie war vorüber. In der Nacht
haben sie sich umarmt uud geküßt wie Geschwister; er bat seine Braut, sie
soll den Vater neun Jahre pflegen und das zehnte Jahr soll sie, wenn sie zu
ihrem Stamme ziehen wird, beim Chilendar vorübergehen und zu ihm einkeh-
ren. Darauf ging er fort. Sie machte alles so, wie sie ihm versprochen. Im
zehnten Jahre ging der Kaiser mit ihr nach Cliilendar. Als die jungen Leute
in der Nacht wieder zusammenkamen, umarmten sie sich uud starben beide.
In diesem Petranovic'schen Liede, welches einen so ausgeprägten legen-
darischen und echt frommen Charakter hat, könnte man eher uud mit viel
mehr Recht das Ursprüngliche suchen, wenn das überhaupt einen Sinn hätte.
Denu, das müssen wir betonen, mau müßte sich dabei in allen mögliclien A''or-
aussetzungeu uud Kombinationen verlieren, da wir nichts näheres wi.^seu, wo-
Aon eigentlich die ersten angebliclien Lieder — welche bei Domeutijan er-
wähnt werden — gehandelt haben, was ihr Haui)tmotiv, ihre gruudlegende
Idee war. Es ist ja möglich, da in der Biographie gar uiclits von einer beab-
sichtigten oder aufgezwungeneu Heirat des Heiligen gesagt wird, daß auch in
den Liedern wirklich nichts darüber enthalten war. Ist es nicht besser ge-
rechtfertigt zu glauben, daß erst si)äter, als sich um den Heiligen Erzählungen
von Wundern und seinen frommen Taten rankten, so eine Liebes- oder Hei-
ratsarture sicli gebildet hat, bei welcher sich sein frommer, gottergebener,
welt\ergesscner Geist geltend macliteV Ist nicht diese ganze Geschichte von
der Heirat eher ein neuerer Zug, als eine ältere Überlieferung? Oder gab es
wirklich in der Volkstradition einen wahren Grund für seinen Abgang, eiueu
natürliclieren bei einem jungen Manne, als der, den uns die Möuclie. seine
Lobpreiser, augegeben haben? Oder war es die Tendenz der si)äteren Zeiten,
die Handlung des Heiligen etwas menschlidier, natiirliclier dar/,iit*tellen V Wie
es sicii damit auch \erlialtcn mag, jedenfalls ist die letztere Version viel ge-
eigneter, als ältere aufgefaßt zu werden, einerseits infi)ige ihres legendari-
schen Charakters uud etwas genauerer Naraeusangabe (der ^■ater lieißt w irislich
632 Kleine Mitteilungen.
Simeon), und andererseits wegen der Einfaclilieit der Motive, deren Anhäufung
schon von einer ausgesprochenen späteren Tendenz zeigt.
Interessant ist aber ein drittes Lied aus der Sammhing «GpncKo-napoÄHc
necMc II Hapo,T;iic npiinoBcxKc«, herausgegeben von Milan GJ. Stanic in Belgrad
1869, unter dem Titel: »Wie der heil. Sava aus dem Elternhause nach Athos
kam« (Nr. VI, S. 71—82). Da heißt es: Im Hause des Großzupans (welcher
später von ihm immer König genannt wird) Nemanja zu Pristina herrscht eine
große Unrulie, weil sein jüngster Sohn, Namens Rastko, der auf die Jagd ge-
gangen war, nicht mehr nach Hause zurückkam. Er ließ die Diener und
Bürger nach allen Seiten ihn suchen, aber vergebens. Da träumte die Königin
von einem großen Priester, der sie beruhigte und ihr mitteilte, daß Rastko
Mönch geworden sei. Sie sollen das Kind in Ruhe lassen, um nicht Gott zu
beleidigen. Nachdem sie ihrem Manne den Traum erzählt, kamen die Diener
aus Athos, aus dem Kloster Vatoped und brachten einen Brief von den Kloster-
brüdern, in welchem sie den König Neraanja benachrichtigen und zu beruhigen
trachten. Der König konnte nicht umhin einzuwilligen, er schickte Geschenke
an Vatoped. Bald darauf wurde Sava Archimandrit, kam nach Studenica
und wurde dort Igumen. Von da ging er nach Nicea, wo ihn der griechische
Kaiser und Patriarch German schön empfingen. Er schlug ihnen vor, um den
Einfluß des Papstes zu beseitigen, ein serbisches Erzbistum zu gründen. Da
sie gar nichts dagegen hatten, erwählten sie ihn zum Erzbischof Serbiens und
seinem Bruder schickten sie Königsszepter und prachtvolle Krone. Zu Zica
krönte ihn Sava zum serbischen Könige und bald gründete er zwölf Bistümer.
Nachdem er der Religion feste Stütze gegeben und das Volk aufgeklärt hatte,
ernannte er zu seinem Nachfolger Arsenius und begab sich nach Palästina.
Auf dem Rückwege reiste er durch Konstantinopel, kam nach Trnovo und
starb dort nach dem Wassereinweihungsfeste. Später hat sein Bruder (so heißt
es dort) Vladislav seine Reliquien nach Milesevo gebracht, woher sie endlich
die Türken nach Vracar überführten und dort verbrannten.
Zwei Saclieu sind es, welche bei diesem Liede auf den ersten Blick auf-
fallen und welche sofort den unvolkstümlichen Ursprung dieses Liedes und
die übersichtliche Darstellung eines Gebildeten aufweisen. Vor allem die
lange Dauer der Handlung, welche nicht ein Moment aus seinem Leben, son-
dern die ganze Lebenslauf bahn und sogar die Scliicksale nach dem Tode um-
faßt so wie bei den Liedern des Andrija Kacic; zweitens die historischen An-
gaben, mit allen Details, welche richtig sind, sind ganz und gar fremd den
Volksliedern. Wie wäre das möglich, daß man Pristina, Athos (diesen unge-
wöhnlichen griechischen Namen für ÜBCTa Fopa), Vatoped, den Erzbischof Ar-
senius, sogar Nicea und den griechischen Patriarchen German, die Verbren-
nung am Vracar und die Transferierung nach Milesevo erwähnt, die Angaben
der neu gegründeten Bistümer gibt, ohne dabei Fehler oder Verwechslungen
oder Anaclironismen zu begelien, wie es den Volksliedern eigen ist? Dieses
Lied kann unmöglich in der Gestalt, wie es jetzt vor uns steht, im Volke
gelebt und die ganzen Schicksale der anderen Lieder mitgemacht liaben, denn
sonst hatte es dasselbe Los gehabt.
Das andere ist der hinkende Versbau, mit manchen interessanten Fehlern
Kleine Mitteiluugeu. 633
in der Sprache und Metrik, was nns überzeugt, daß das Lied unmöglich aus
dem Volke stammt. Denn wäre das Lied im Volke gewesen, so wären schon
längst auch die vielen Unregelmäßigkeiten beseitigt und ausgeglichen. Das
ist also ein Lied, das möglicherweise von einem Mönche oder Priester stammt,
der in Annalen und Genealogien einen Auszug aus dem Leben Sava"s von
Domentijan oder Tlieodosius gelesen, und um es populär zu machen, den ge-
lesenen Inhalt ganz einfacli in die Form des Volksliedes gekleidet liat. Es
bringt uns endlich nichts anderes als was wir aus den erwähnten Biographien
schon kennen; es hat kein einziges Element in seiner Darstellung, welches
etwas selbständigeres, volkstümlicheres aufzuweisen hätte. Da haben wir
nicht jenen echten Ton der Volksepik, die Bilder und die bunte Ausdrucks-
weise, welche uns sogar in der Petranovic'sclien frommen Version begegnen.
Die Rede fließt so matt, ist manchmal so gezwungen, daß man oline weiteres
schon daraus auf unvolkstilmlichen Ursprung schließen kann.
Zum Beispiel: Epaho Moja n rocnoja spara!
Othuio je y Jioc y n.ianuHy,
IIo üeroBOM cTapoM oöHiajy,
Cjiyrc ÄOiujie a aeTera iiCMa;
JlaKO MO/KC aa cc aorojiiico,
Äa cy ibera ssepoBu pacTpr.iiu,
ÜJi 3J1U -T.yau KjÄ y JiOB ra Bpr.Tii,
Ko he SHaTU Kja. je n KaKO je,
Fäh heMo ra caa ly/Kuu Tpaacmu.
Oder: Cuer jiu Kpa.T>y mojiumo xe .aeiio!
HcMOJ lia Hac aa ce tu paaribennm;
Hhth iia Hac hu na TBora cuna,
Jep je xaKO aaio ca buch na,
Oa H>era he 6utu hito h biiuic,
y TOMC ra caM Bor p y k o b o a u ,
Otjuuhu je oa uac CBiijy ocan.
Wir haben es hier also mit einer Art solclier Lieder zu tun, wie die von
Kacic sind: volkstümlich der äußersten Äußerlichkeit nach. Ähnliche Eigen-
tümlichkeiten hat auch Kacic's Lied über den heil. Sava. Daß das Lied von
einem Gebildeton herrührt, berechtigt uns auch der Umstand zu glauben,
(laß wir auch auf die lieirae stoßen, die etwas häufiger vorkommen und in
Holclier Weise, wie wir es bei den echten Volksliedern uiclit zu finden ge-
wöhnt sind:
Mu.!ior cuna He.Maibe Crc>i'aua,
Onaauiibcra iie.iiiKor /Kynaua.
Oder: Poaiiie.Mi ropue cyac Jiiijy,
II 3a M1I.Ü0CT BHiiiibOMy Baniijy.
Oder: Majica öo/KJa ibcra je no3na.ia;
11 Cpöiijy npoCBCTHT' mv aa.ia etc.
V/itdiniir Vorovic.
634
Kleine Mitteilungen.
•|- Alexander N. Wesselofsky.
t^^.rr..,^^.
Unsere Zeitsclirift hat im Oktober
vorigen Jahres einen ihrer ältesten
Mitarbeiter verloren, den Tetersburger
UniversitJitsprofessorundAkacIeniiker,
zuletzt Vorsitzenden der russischen
Abteilung in der kais. Akademie der
Wissenschaften, Alexander Wesse-
lofsky. Der Sehreiber dieser Zeilen
fühlt den Schmerz über diesen großen
Verlust, der die wissenschaftliche Welt
Rußlands getroffen, um so lebhafter,
als er seit der ersten Begegnung im
Jahre I'^T2 in Petersburg fast ununter-
brochen in nahen Beziehungen inniger
Freundschaft und Solidarität wissen-
schaftlicher Interessen zu dem Ver-
storbenen stand, die sich namentlich
durch ihre gemeinsame Wirksamkeit
an zwei Anstalten, Universität und
Akademie, in den Jahren 1880 — 188C>
unvergeßlich machten. Wesselofsky war ein glänzendes Talent von unge-
wöhnlichem Wisseiisurafauge, die ausgebreitetsten Kenntnisse der Sprachen
und Literaturen stützten sich bei ihm auf ein wunderbares Gedächtnis, einen
großen Scharfsinn und feinen Geschmack. Auf dem weiten Gebiete der ver-
gleichenden Literaturgeschichte und Folkloristik galt er seit Jahren als einer
der ersten und hervorragendsten Repräsentanten in ganz Europa.
Im Jahre 1S:3S in Moskau geboren — seiuA'ater war Offizier, seine Mutter
von deutscher Abstammung — absolvierte er das Gymnasium und die Uni-
versität in seiner Vaterstadt. Unter seineu Lehrern übte den größten Einfluß
auf ihn aus jener hervorragende Gelehrte Kußlands, den man nicht mit Un-
recht den russischen Jakob Grimm genannt hat, Professor Th. Buslajev. Von
diesem hatte er die Liebe zur kritischen Erforschung der alten Literaturdenk-
mäler überkommen, nur die mythologisierende Richtung seines Lehrers gab
er bald auf und schloß sich den Anhängern der neuereu, hauptsächlich durch
Benfey vertretenen Schule an. Dieser Wandluugsprozeß vollzog sich bei ihm
während seines mehrjährigen Aufenthaltes im Ausland, namentlich in Deutsch-
land und Italien. Zuerst reiste er nach Spanien, dann von der Universität mit
der Anwartschaft auf eine Professur ins Ausland »kommandiert«, hielt er sich
hauptsächlich in Deutschland (Berlin) auf, aber von dem glänzenden Mittel-
alter, Italiens mächtig angezogen, kehrte er nach Ablauf der ihm offiziell ge-
währten Studienzeit nicht gleich nach Moskau zurück, sondern ließ sich auf
eigene Kcsten in Italien (Florenz) nieder, wo er mit Eifer das Studium der
Ji
Kleine Mitteilungen. 635
mittelalterlichen Literatur betrieb. Seine erfolgreichen Nachforschungen auf
diesem Gebiet, die er in den Jahren lS6tJ — l'^fiS in vier Bändchen unter dem
Titel "11 Paradiso degli Alberti« in Bologna herausgab, machten ihn mit den
gelehrten Kreisen Italiens bekannt. Die Italiener zählten ihn von da an gern
zu den ihrigen. Die Resultate seiner italienisclien Forschungen bildeten zwei
Jahre nachher, als er nach Moskau zurückkehrte, in russischer Umarbeitung
das Thema seiner Magister dissertation (1870: Bujijia Äjiböepiu. HoBbie Maxe-
pia-iLi AJin xaiiaKxepiicTiiKu .iHTcpaTypiiaro ii oomeciBeiiiiaro ncpcjiOMa et. IlTa.ii.-
miCKüü ;kh3iiii XIV — XV crojiiTia]. Um gleich anzuknüpfen, sei es bemerkt,
daß nach vielen Jahren Wesselofsky abermals das Gebiet dieser Jugend-
forschungen aufnahm, indem er 189;i — 1894 zwei starke Bände über "Boc-
caccio, sein Milieu und seine Zeitgenossen« russisch herausgab, ein bedeutendes
Werk, das namentlich in Italien vollauf gewürdigt worden ist. Doch inzwischen
hatten in Eußland selbst die reichhaltigen Publikationen eines Kostomarov,
Pypin und Tichonravov, die auch bei den Südslaven Danicic, Jagic, Xova-
kovic) Widerhall fanden, deren Ilauptiulialt die romantischen Sagen, Legen-
den und Apokryi)hen des Mittelalters bildeten, Wesselofsky's Interesse mäch-
tig angezogen, er fand auf diesem Gebiet viel Material für seine wissenschaft-
liche Liel)lingsbeschäftigung, für das vergleichende Studium der in den
mittelalterlichen Denkmälern steckenden Einflüsse und Berührungen, die
sich von einer Literatur in die andere verpflanzen und selbst bis in die geisti-
gen Produkte des Volkes eindringen. Sein erstes in dieser Richtung geschrie-
benes Wcn-k galt der wissenschaftlichen Analyse des Sagenkreises über »Sa-
lomon und Kentauros« (CKasaiii;! o Cojio.Moiit ii KiiTonpaci.,', das ihm 1S72 den
Doktorgrad und die Professur für die vergleichende Literaturgeschichte an
der Petersburger Universität einbrachte. An dieser Anstalt wirkte er von da
an bis an sein Lebensende. Jetzt begann auch seine lange wissenschaftliche
Arbeit, reich an überraschenden Kombinationen und Nachweisen innerer und
äußerer Beziehungen zwischen dem Inhalt russischer Sagenstofte, Legenden
und Bylineu und ihren Anklängen in anderen Literaturen. Diese Forschungon
erscliienen in zwangloser Aufeinanderfolge bald in den 3aaiRKii und dem
(JoupiniKF. der russischen Abteilung der kais. Akademie der Wissenschaften,
bald im /Kypiia./ii. iiap. iipocu. oder Btci-iinKi. EnpoiiM, bald im Archiv tür
slav. Philologie, oder in der Russischen Revue u.s.w. Daneben lieferte er
hauptsächlich im Journal des Ministeriums zahllose Besprechungen der
neuesten Erscheinungen aus frem<len Literaturen, namentlich folkloristischen
Inhaltes, worin er aus dem reichen Vorrat seiner großen Belescnhcit trctVemle
Zusätze und Erweiterungen oder audi Bericlitigungeu gab. I>ie Fülle des im
Laufe von melir als zwei Dezennien von ihm (iebotenen ist so groß, daß seine
Schüler und Verehrer einen wahren Dienst jedem auf diesem Gebiete arbeiten-
den Fachgenossen dadurch erwiesen haben, daß sie zuerst im Jahre IS'^^ und
nachher in erweiterter vVuflage im J. 1895 einen yKasaTcii. zu Wesselofsky 'a
Werken herausgaben. Vor kurzem ist auch von dem gewissenhaften P.Siuioni
ein bis zum J. l'.K)r> reichender gedrängter liib!iograi»liischer l'berltlick er-
schienen unter dem Titel: Kt XL-;ii.Tiio y>icuü-jiiTi'parypiioa AtnicibiiüCTii
npo'i'cccopa ii aica.ieMiiKa A. H. UecojiüiiCKaro (C116n. 11)00. fc^'. 44).
636 Kleine MitteiluDgeu.
Um nur auf die \vichtif,^8tcn Werke des Verstorbenen kurz hinzuweisen,
sei es erwähnt, daß er in den Jahren 187!) bis IS'Jl vierundzwanzig Beiträge
unter dem Gesamnittitel »ra3L)CKaiii3 bt, oujiacm ijyccKiixi. .^yxociibix'L cth-
xoBT.«, zusammen in seclis Teilen lieferte; daß in den Jahren 188G und 1888
zwei Bünde seiner umfangreichen Forschungen »Ilat iicropia poMaiia ii no-
bLctii« erschienen; daß er in den Jahren 1881 und 1884 elf Abhandlungen zur
Frage über den Ursprung der russischen epischen Lieder (KbKnopyccKi/T 6i,i-
.iiiin.i) herausgab und außerdem in dem Journal des Ministeriums iiir Volks-
aufklärung zwischen 1885 und 1896 achtzehn kleinere Beiträge unter dem
zusammenfassenden Titel »Me.aKi,T aaMiiKu kt. öti-iiniaMt« publizierte. Selbst-
verständlich habe ich damit das von Wesselofsky auf diesem Gebiete Ge-
leistete nicht erschöpft. Uferlos breiteten sich seine Forschungen aus, die
endlichen Resultate waren selbst in den ITauptziigen nicht abzusehen. Diese
zum Teil in der Natur der Sache, zum Teil in seiner Forschungsmethode be-
gründete Überschwängliclikeit, sowie der Umstand, daß gerade auf dem so
interessanten Gebiete der Bylinenforschung seine Gesichtspunkte von einem
der hauptsächlichsten Mitforscher (Vsevolod Miller) nicht geteilt wurden —
scheint in den letzten Jahren seine Begeisterung für dieses Gebiet etwas ab-
gekühlt zu haben. So erkläre ich mir, warum er später zu dem romanisch-
germanischen Mittelalter und zur italienischen Renaissance zurückkehrte,
zugleich aber ein ganz neues Gebiet, die russische Romantik des XIX.
Jahrb., zu pflegen anfing. Es ist geradezu erstaunlich, mit welch' glänzendem
Erfolg Wesselofsky den sentimentalen Zukovskij zum Gegenstand seiner tief-
sinnigen, nicht ganz zu Ende geführten Forschungen machte. Das Hauptwerk
erschien 1904. Das Bild des Dichters gewinnt seit dieser Behandlung neue
Züge, manche bisherige Ansicht muß jetzt aufgegeben werden. Unter den
Leistungen Wesselofsky's aus der letzten Periode möchte ich noch auf seine
liefsinnigen Beiträge zur Poetik in ihrer geschichtlichen Evolution hinweisen,
das sind seine Abhandlungen: »Hai. BBCAeni/T ht, ucTopiiiecKyio noaxiiKy«
pKMHIIp. 1894, Maiheft), »ITsi. iicropiii oniiTexa« (ib. 1S95, Dezemberheft),
»BnuiccKia noBTopenin KaKt xpoiio.aorii'iecKiii momgüti,« (ib. 1897, Aprilheft',
ȆCHXOJioru'iecKiir napa,i.ie.'iii3M'L u ero 'i'opMbi bt. OTpajKCHiaxt noaTHuecKaro
CTHjra« (ib. 1898, Märzheft) und zuletzt »Tpii rjiaBti ust ucropii^ecKoil no3TUKii.(
(ib. 1898, April- und MaiheftS
Ich höre, daß mau mit dem Gedanken umgeht, Wesselofsky's Gesam-
melte Werke herauszugeben. Wenigstens die durch viele Jahrgänge des
Journals des Ministeriums der Volksaufklärung zerstreuten Beiträge würden
vor allem verdienen gesammelt zu werden. Es ist nicht immer leicht, dem
Gedankengang Wesselofsky's genau zu folgen. Seine Heranziehung von Pa-
rallelen aus entlegensten Literaturen, die er zumeist im Original ohne Über-
setzung zitiert, stellt an den Leser die größten Anforderungen, namentlich
rücksichtlich der Sprachkenntnisse. Sehr oft wird seine Beweisführung ab-
gebrochen, ohne zum Abschluß zu kommen, man sieht das Endziel, auf das er
losgeht, 'gar nicht oder nur in sehr nebelhaften Umrissen. Einzelne Abhand-
lungen sind reich an episodenhaften Einschaltungen, die man nach dem Haupt-
inhalt gar nicht erwarten würde darin zu finden. Darum müßte eine Neuaus-
Kleine Mitteilungen.
637
gäbe seiner Werke mit vielen Hinweisen, mit genauen Wort- und Sachver-
zeichn'ssen versehen sein. Wesselofsky bat soviel geschrieben und geleistet,
daß es vielleicht einige Generationen des Nachwuchses dazu bedürfen wird,
um an dem reichen Inhalt des Gebotenen kritische Sichtung durchzuführen.
Wesselofsky war nicht nur ein außerordentlich belesener, gelehrter Mann, er
war auch ein feingebildeter, humaner, europäisch gesitteter Mensch von
liebenswürdigem, aber festem Charakter, fest namentlich in der Überzeugung,
daß alles Gute und Edle der europäischen Kulturentwicklung auf den russi-
schen Boden verpflanzt und hier sorgfältig gepflegt werden soll. Möge sein
Andenken, die Frucht seines reichen Wissens lange im Gedächtnis der Nach-
welt leben, der verwaiste Freund wird bis ans Lebensende in unwandelbarer
Treue seiner gedenken. V. J.
'}• Marin St. Drinov.
Am 28/11.(13/111., 1900 starb in Char-
kow Professor der Slavistik an der dor-
tigen Universität Marin St. Drinov,
ein Bulgare von Geburt (im C^. Lebens-
jahre;. Er war in Panagjuriste in Ru-
melien geboren, wo er auch den ersten
Unterricht genoß und nachher Lehrer
wurde. Der Drang nach höherer Bildung
brachte ibn nach Rußland, an die Mos-
kauer Universität, die er im Jahre l'^f'>5
absolvierte. Als Erzieher in einer sehr
vermögenden russischen Familie kam er
in den nächstfolgenden Jahren in die
Lage, in mehreren Städten des Auslandes
Prag, Rom. Genf sich aufzulialten. wo
er in den Bibliotheken fleißig slavischen
Studien oblag jn Rom studierte er u. a.
die mittelbulgarische Übersetzung der
Manasscs-Chronik . Erfüllt von dem In-
teresse für die geschichtliche Vergangen-
iieit sowie die gegen\\ärtige Lage seines Vaterlandes, betrieb er vor allem das
Studium der Geschichte Bulgariens, wovon als die ersten Früchte ersdiieueu
in Wien im J. 1860: 1) IIoimcat. npLXT. npoucxonacute-TO ua ö.ri.raiiCKiii iiapoAi.
(SO. VIII. 100), 2) IIcTopuHecKii npcr.iC/Tt iia 6T..irap:KaTa m-pKua on. cavoro u
iia'i;i.io u Äo ÄiiccB (80. VIII. 1S8). Einige Jahre nachher schrieb er in russischer
Sprache als Magisterdissertation : >'3.icojcuic 6.-uiKaiicKaro iio.iyocii>oi'.a ciann-
iiaMH« (Moskau 1873. 8«. 171, SA. aus Hrciiin 1S72, Kii.lV). Für die bulgarische
Sprache gab er ISüO— lS7i in Danov's Kalender .li.nKri.yu ein Programm zur
►Sammlung der dialektischen Kigentiiuiliclikeiten heraus und in lI^piKa. ciiu-
£,-*-. C«^..
638 Kleine Mitteilungen.
caiiif ISTO.TI schrieb er über die bulgarische Orthograpliie. Auch dieKirchen-
frage interessierte ihn [Tjrcf.Aa. ISTi;. Im Jahre IBTii erlangte er die Professur
der SlaA islik in Charkow, wo er auch bis an sein Lebensende wirkte, mit
kurzer Unterbrechung in den Jahren 1877 — 78, die er als Mitglied der provi-
sorischen russischen Verwaltung in Bulgarien zubrachte. Seine Doktordisser-
tation bildete die im J. 1876 ebenfalls in den Moskauer HTeiiiji erschienene
wichtige Forschung »IOjiciimg c.;ianniic ii Biisairrifi ht, X bT;kT." (80. 1.52). In der
Monographie über die Besiedelung der Dalkanhalljinsel durch die Slaven
hatte er den Zeitpunkt der ersten Bewegung der Slaven nach dem Süden l>i8
in das Ende des II. Jalirh. unserer Zeitrechnung hinaufgerückt. Diese Be-
hauptung wurde später angefochten, doch bleibt in jener Schrift immerhin
manche treffende Bemerkung. Das zweite Werk hellt vieles aus der ältesten
Geschichte der südslavischen Stämme (Bulgaren, Serben, Kroaten] und ihrer
allmählichen Staatenbildung auf. namentlich sucht es auch die Nordgrenze
der bulgarischen Herrschaft im IX. Jahrh. genauer zu bestimmen, was für die
Frage über die Verbreitung der kirchenslavischen Sprache von Wichtigkeit
ist. Bei der Lückenhaftigkeit der damaligen Dialektforschung wird man sich
auch nicht darüber wundern, daß Drinov nach dem Vorgange Eacki's in dem
cakavischen Dialekte der Kroaten Dalmatiens und der Inseln das Residuum
einer vor der Ankunft der Kroaten daselbst ansässig gewesenen slavischen
Bevölkerung erblickte. Dasselbe galt ihm auch von dem Resavadialekt Ost-
serbiens und von den dialektischen Eigentümlichkeiten Montenegros (vergl.
3ace.3. ri9— 130, IOhcii. gji. IJO— Ul). Ob der Verstorbene auch später noch
nach den dieser Frage gewidmeten Abhandlungen von Jagic, Resetar und
Oblak an seiner früheren Ansicht festhielt, konnten wir nicht in Erfahrung
bringen. Wir neigen uns heute jedenfalls mehr dem Standpunkt der Annahme
allmählicher Übergänge zu und suchen einen gewissen Dualismus nicht mehr
wie die früheren Slavisten im Bereich des Serbokroatischen, sondern eher
zwisclien dem üstliclien bulgarischen und dem westlichen serbokroatisch-slo-
venischen Zweig. Diese Beobachtung stützt sich namentlich auf die prinzi-
piell verschiedene Behandlung der Vokale x und h innerhalb der östlichen
imd westlichen Hälfte der Südslaven. Nimmt man (mit Prof. Kocubinskij) an,
daß die Bildung des Neubulgarischen auf der Annahme des Slavischen seitens
der romanisierten Thraker und einigen damit zusammenhängenden Sprach-
verderbnissen beruht, so ist jedenfalis auch die Voraussetzung richtig, daß
die Gruppe der slavischen Mundarten, aus welchen das Bulgarische hervor-
ging, merklich verschieden war von der serbokroatisch-slovenischen Gruppe.
Aus anderen Arbeiten Drinov's, die auf die Geschichte der Südslaven
Bezug nehmen und in verschiedenen Zeitschriften (bulgarisch in IIcpnojiiiccKo
cnHcaiiue) erschienen sind, seien hervorgehoben: 1) die Anzeige der Geschichte
Bulgariens von K. Jirecek (ei'schienen in ITcp. cn. 1876, in Cas. ces. muz. 1876
und in Archiv II. 168 — 177), 2) die Anzeige der Monographie Th. Uspenskij's
OöpaaoBaHie EToporo öo.irapcKaro uapcTBa (Beilage Nr. 8 zum 39. Band derAkad.
Sanuckii) und 3) die Abhandlung »0 iiiKOTopwxt Tpy,T;axi, ^iiMiiTpiji XoMaTiaiia«
(in Bus. BpcM. 1.319—340, II. 1—23). Außerdem verdient Beachtung die im
Journal des Minist, der Volksauf klärung 1 885, Märzheft gedruckte Abhand-
Kleine Mitteilungen. 639
hing »HoBtiü ucpKOBiioc.TaB/TiiCKift naMniHUKX ct. ynoMimaiiieMT. o CTaunucKuxt
ncpBoyquTCJinx-B« (vergl. Archiv X. 303 ff.). Hier kommt die Doxologie auf die
Slavenapostel vor und Klemens v. Bulgarien wird Bischof »BejiiiKbic MopaBii«
genannt, woraus Drinov folgerte, daß die bekannten Bezeichnungen BtUt^a;
(bei Ducange Be'/.ixc.^) und in slav. l'exten »enucKont BcauqBCK-Bm« eigentlich
nicht auf Makedonien zu beziehen seien, sondern auf Mähren Bezug haben.
Darnach wäre also nicht nur die frühere Annahme Safarlk's. sondern auch die
gewiß nicht stichhaltige Änderung Golubinskij's von bcihhbckt. in Et.iiiqcKÜ'i
(IT:!i!l;cTi,T IX. B. 345 — 546, 1904 zu berichtigen. — In ethnographischer Be-
ziehung ist lesenswert die Abhandlung Drinov's »0 asLiKt, iiapojutixi, ntcHaxt
II oöuuaHXT. aeopcKiixT, ciaBSTirL", geschrieben 1888 aus Anlaß der Ausgabe
des bekannten Buches Jastrebovs . Drinov nimmt in dieser Broschüre gegen-
über dem serbischen Standpunkt Jastrebovs den bulgar. Charakter der make-
donischen Debra-Slaveu in Schutz. Manche Bemerkungen Drinovs betreffen
auch die Slavafeier.
Drinovs Forschungen berührten ferner eine Reihe von Fragen aus der
politischen, kirchlichen und der Literaturgeschichte der Bulgaren (z. B. über
Paisius undSofronius), oder aus dem Volksleben [i)^Iij;HO ry.Miio« im Jubiliiums-
sbornik 190u). Immer richtete er sein Augenmerk auf die Sitten und Bräuche
des Volkes und auf die Eigentümlichkeiten der Sprache. Erwähnenswert sind
seine Besprechungen der Wörterbücher von Duvernois und Gerov, des AVerkes
von A. Kaiina und seine im Archiv IV, A" und VII erschienenen Beiträge.
Unter letzteren ist namentlich die im V. Bande erschienene Abhandlung über
die Laute iU und i. im Neubulgarischen sehr wichtig. Drinov unterscheidet
nach der Vertretung jener Laute im Neubulgarischen vier Gruppen von Dia-
lekten. Die neuesten Forschungen Conev's und Miletic's basieren die Grup-
pierung der bulg. Dialekte auf T.. Bekanntlich hat Jede solche Heraushebung
eines einzigen Merkmals zum Einteilungsprinzip ihre Schwierigkeiten und
Bedenken. Immerhin wirkte die Abhandlung Drinov's befruchtend auf die
nachfolgenden Forschungen Oblak's, Lavrov's und Scepkin's.
Drinov gebührt ein Ehrenplatz in den Annalen der Slavistik und ihrer
Fortschritte. Nähere bibliographische Angaben über seine Schriften findet
man in dem im Jahre 1900 in Sofia erschienenen »G6opiiii>ie« von Zlatarskij
und in meiner Studie, die in dem ihm zu Ehren gedruckten Charkower »Cdop-
luiKT.« erscheint. Fachgenossen und gelehrte Gesellschaften haben den Ver-
8torl)enen verehrt und ausgezeiclinet, ich füge aus meinen persfinlichen Be-
ziehungen zum unvergeßlichen Lehrer hinzu: seine bei aller Gelehrsamkeit
seltene Bescheidenheit und Bereitwilligkeit, den Jüngern der Wissenschaft in
verschiedensten Al)zweigungen der slavischen Philologie immer mit väter-
lichem Rat beizustehen. Mögen diese ausgezeichneten Eigenschaften des
waiirhaft gebildeten und humanen Mannes der jungen Generation als leuch-
tendes Vorbild dienen. Um ix IJajiniior.
!
640 Kleine Mitteilungen.
•}' Martin Hajnal.
Ein junges vielversprechendes Leben ist ei-losclien. Prof. Asboth aus
Budapest teilt mir mit, daß daselbst vor kurzem M. Hajnal, der Verfasser
jener Abliandlung, die in diesem Bande des Arcliivs (XXVIII. 31.ö— 321) er-
schienen ist, an der Lungenschwindsucht starb. Der jugendliche Verfasser der
besagten Abliandlung hatte sich bei mir mit folgendem Schreiben eingeführt:
Als ich als Stipendist der ungarischen Regierung auf der Universität
zu Agram kroatische Literatur studierte, beschäftigte ich mich besonders
mit der kaj kroatischen Literatur, um den eventuell konstatierbaren Einfluß
der ungarischen Literatur feststellen zu können. Als Resultat dieser Stu-
dien schrieb ich eine Abhandlung »Madarski utjecaj na kajkavsku knjizev-
nost", wo ich mich im I. Teil mit Pergosic, im IL mit Krajacevic-Petretic,
im III. mit der Zrinijada (darüber ist in uug. Spraclie in der Zeitschrift für
Philologie von mir eine Abliandlung erschienen unter dem Titel «Karna-
ruticund die Zrinijade, XXIX: 111 — 125, 200—213, 279—297), im IV. mit
Vramec, dessen Kronik auch ein ungarisches Werk zur Quelle hat, und im
V. mit sonstigen Quisquilien beschäftige. Prof. Surmin urteilte außer-
ordentlich günstig über diese Abhandlung. Den zweiten Teil wäre ich so
frei, in deutscher Übersetzung Euer Ilochwohlgeboren zuzusenden mit der
demütigen Bitte, mögen Sie die Güte haben, es gelegentlich durchzulesen
und wenn es wert ist im »Archiv f. sl. Philologie« zu veröifentlichen.
Martin Hajnal, Studiosus philologiae.
Ich hatte die Abhandlung in unsere Zeitschrift aufgenommen und freue
mich, daß der sympathische junge Mann, den ich auf einen Augenblick in
Wien sah, sie noch im Druck erschienen sehen konnte. Mögen seinem Bei-
spiele bald andere folgen. V. J.
Sachregister.
Badnjak in der ungar. Überlieferung
601 ff.
Böhmisch, Deutung der Ursage 150 f.;
älteste Sprichwörtersammlung 284ff.;
Paraphrase des Pinician (XVII. Jh.)
79 ff. ; Prosodie u. Metrik bei Erben
94 ff. ; 292 ff. ; Literaturgeschichte,
Schulbücher 401 f.; moderne, 403ff.;
das Böhm, an der Olmützer Univer-
sität 623 fi'.
Bruere, Leben u. Werke 52 ff.
Conjugation s. Imperfect, Infinitiv, Fu-
turum, Verbum.
Cyrill und Method, Allgemeines 161 ;
Lamanskij's Ausführungen über Ein-
zelnheiten der Vita Cyrilli im Aus-
zuge von Jagid, 162 — 186; Brück-
ner's zwölf Thesen u. zwei Nachträge
über das Wirken und die Legenden,
186 — 229; Franko's Beiträge zur
Quellenkritik, speziell über die Auf-
findung der Clemensreliquien, 229 —
255; Grab, Grabinschriften u. Wand-
malereien in der Clemensbasilica in
Rom, neueAufnahme421 ff. ; angebl.
Fortleben des Cyr. Method. Werkes
bei den Polen 614 — 623.
Debrc, seine Lage 465.
Deklination der Nomina im Altkirchen-
slav., Rezension der Ansichten von
Ljapunov (Fortunatov), 117 ff.
Dialektologie, poln., 568 f.
Entnasalierungen im Slav. 1 — 17.
Etymologien slav. Wörter 481 — 507;
Lehnwörter 467 f ; 50S — 539; andere
Etymologien 1 ff., 160 u. 451 ff.
Freisinger Denkmal u. e. Klemenshomi-
lie, neue Parallele 256 ff.
Futurum, kirchenslav. Reste 35 f
Gorskij Vijcnac, italienische Über-
setzung, 418 ff.
Graphik, Bestimmung der Glagolica
21 S ff.; was Clirabr bezweckte 220;
vgl. Runen.
Archiv für slavische riiilologic. XXVIII.
Hühneropfer u. Kult b5 ff.
Igorlied, poln. Übersetzung 145 ff.
Imperfektum, slav., seine Entstehung
27 ff.
Infinitivstamm, Ursprünglichkeit des
litau. 24 f. ; die Entstehung von -n^ti
25 i.
Kiever Blätter und Prager Fragmente,
zur Polemik darüber 472 ff. ; Erklä-
rung einer Stelle 478 f
Kroatien, zeitgenössische Literatur in
poln. Beleuchtung 142 ff. ; kroatische
Volkslieder in der Fälschung von
Merimee, Geschichte der Mystifika-
tion 321 ff.; Analyse seiner einzel-
nen Lieder 333 ff.; Beiträge zur kaj-
kroatischen Literatur, des Jesuiten
Krajacevic-Sartorius (nicht Petretic)
315—321.
Kyrikos, Hühnerheiliger 84 ff.
Lechisch , Eigentümlichkeiten dese.
266 ff. (Palatalisation, Nasale, tart
u. a. .
Literaturgeschichte, ß. Böhmisch, Pol-
niscii, Russisch; Biographien, s.
Bruere, Ritter-Vitezovic; Nekrologe,
Kaiina 480; A.N.Wesselofsky 634 f.,
Drinov 637 f., Hajnal 640 : Briefe,
Palacky an Virozsil 628 ; s. kroatisch.
Method. s. Cyrill.
Mikorzyner Steine, ihre Unechtheit, s.
Runen.
Neuslovenisch , Chrestomathie, krit.
Anzeige 152 ff.; vgl. die Ürdninga,
Druck vom J. 1564, 468; Freisinger
Denkm.; Präsens.
Ortsnamenerkläning, i>olabi8che 264 f.
Poljica, Land u. Leute 430 f.
Polabisch. Erklärungen von Lauten,
Formen u. Worten 433 ff; das ge-
fälschte Vaterunser Müllers 144 ff.;
deutscher Einfluß 435 ff.
41
642
Sachregister.
Polnisch, Literaturbericht für 1903 —
1905, Zeitschriften 539 flf.; Mittel-
alter (Sophienbibel , Bogui-odzica
u. a.) 554 flf.; XVI. Jahrh., zumal Rej,
55(tff.; XVII., 557 ff.; XVIII, 559 f;
XIX., 562 ff.; grammatisches 567 ff.;
historisches 570 ff.; s. Runen; Cy-
rill-Method.
Präsens perfektiver Verba im Slovan.
40 ff.; vgl. Verbum.
Ragusa, M. Bruyöre Desrivaux als
ragus. Dichter 52 ff.
Runen, slav., Werk von Leciejewski,
Zurückweisung der Angaben, spe-
ziell über die Mikorzyner Steine
385 ff.
Rumänen, Volksglaube aus slav. Mo-
tiven 575 ff.
Russisch , Literaturgeschichte, Anzeige
129 — 138; romantische Richtung,
deren Geschichte 409 ff.; Volks-
märchen, übersetzt 392 ff. ; s. Nekro-
loge (Wesselofskij).
Sava, h., Datum der Verbrennung der
Reliquien 90 — 93; Lieder von sei-
nem Weggang zu den Mönchen
621 ff.
Serben, ikavischer Dialekt im König-
reich 125 — 128; kroatische pro-
testantische Literatur 468 ff. (Kir-
chenordnung ; Hagelpredigt) ; ita-
lienische Studien zur Literaturge-
schichte 410 f.; Biographisches, zu
Ritter-Vitezövic,593— 600; die serb.
Volkslieder in der deutschen Lite-
ratur 351 ff. (Asanaginica bei Goethe
u. a.) ; wer übersetzte die Lieder bei
Förster? (Kopitar, nicht Griumi;,
584 ff. ; über Volkskunde (Poljica),
Volksspiele 430 f.
Sprichwörter, Sammlung kleinruss.,
angez. 395 ff.; s. böhmisch.
Skythische Namen u. Worte, bei He-
rodot 449 f.
Verbum, Klassifikation desselben durch
Dobrowsky 17, Miklosich 19, Schlei-
cher21, Leskien21, Jagiö 23; s. Kon-
jugation etc.
Wörterbücher, moderne, praktische
431 f.
Abraham 570.
Adalberg 284.
Adamovic 55.
Afanasjew 392 ff.
Agic 74.
Albinoni 327.
Aleti 63.
Allatius 229.
Altesti 62.
Andric 355.
Androvic 56.
Appendini 53, 68.
Asboth 610 ff.
Askenazy 514.
Babiaczyk 554 f.
Bajamonti 354.
Balzer 540.
Bartocha 623 ff.
Baryka 546.
Baudouin de Courtenay
261 ff., 511.
Belle 125—128.
Bem hu.
Berezowski 546.
Bernacki 546.
Namenregister.
Bersohn 575.
Biegeleisen 566.
Bielski 552.
Bild 78 f.
Blattner 432.
Bocek 624 f.
Bowring 330.
Brandt 460.
Bratic 43 1 .
Brentano 587.
Bruchnalski 543 ft\
Brückner 129 ff., 139 ff.,
186— 229, 262 ff., 284 ft".,
539—575, 616.
Bruere 52 ff.
Brugmann 118, 160.
Gallier 432.
Callimach 499.
Camblak 543.
Cankar 157.
Caro 542.
Cassius 359.
Öelakovsky 284 fl'., 374.
Chalanskij 373.
Chaumette-Des-Fosses
349.
Chlebowski 552.
Chmiel 556.
Chmielowski 504, 506.
Chrabr 168, 222.
Chrzanowski 545 ff.
Chiudina 418.
Chybinski 497.
Ciszewski 373.
Corovic 629—633.
Costin 575.
Culic 70.
Cupr 97.
Curcin 323, 351.
Czapla 544.
Czermak 566.
Czubek 545 ff.
Dabczanska 550.
Dabkowski 564.
Daszynska 566.
David 63.
Dedic431.
Demetrius ^Pseudo- 513.
Namenreffister.
643
Denis 353.
Desrivaux 52 ff.
Dietrich 392.
Dobrovsky 17, 95, 374,
624.
Donath 76—83, 400—408.
Drinov f 637—639.
Drogoszewski 562.
Dziama 559.
Endselin 453.
Erben 94 ff., 292 ff.
Erjavec 154,
Erzepki 559.
Estreicher 539.
Fabris 53.
Feifalik 285.
Feldman 563.
Feric 74, 355.
Filon 333.
Finkel 540.
Flajshans 97, 284—292,
401.
Flaska 284.
Förster 584 ff.
Fortis 69, 323 ff., 358 ff.
Fortunatov 117 ff, 458.
Frankl "572.
Franko 229—255, 396 ff.
Friedrich 1 81, 244 ff.
Gagiö 56.
(Talic410.
Gaster 576—583.
Gawinski 546.
Gebauer 21.
Geizer 184.
Gerber 396.
Gerhard 330 f.
(ierman 432.
(ijalski 142.
(Jjorgjic 52.
(Jloger 553 f.
({oethe 331 f., 357 ff.
(ioetze 372.
Goral 542.
(Jorskij 182 f.
(Jroszczynski 565.
Götz 244 ff.
Grabowski T. 545.
Grabowski T. St. 142 ff.
Grimm Jak. 358 ff., 584.
(rriin Anast. 372.
(Jrunskij 472 ff.
Gubrynowicz 559.
(Jumplowicz 621 f.
Hahn 56G.
Hajnal 315—321; f 639.
Hattala 20.
Hanyi 363.
Hanns J. 406.
Havlicek 407 f.
Haxthausen 587.
Heck 54.0 ff.
Hecker 585.
Hegendorfinus 554.
Hempel 449.
Herder 354 ff.
Hilferding 182, 434 ff.
Hintz 444.
Hirt 37 f., 125 ff.
Hoesick 562.
Horäk 29.
Hu8 401.
Hysek 623—627.
Jacimirskij 543.
Jagic 17—36, 117—125,
161, 162—186, 256,
260 f., 319, 385—392,
431 f., 468 ff., 479, 480,
634—637, 639 f.
Jakubec 408.
Jarecki 567.
Jeliö 422.
Jensen 377.
Iljinskij 87, 160.
Jbkl Ferd. 95.
Jokl Norb. 1—17.
Jugler 444 f.
Ivanisevic 430.
Ivic 90—93, 628.
Kabelik 405.
Kaciö 353 ff.
Kaiina 275, 435, 439 f.,
480.
Kallenbach 566.
Kaluiniacki 84 — 89.
Kaniper 404.
Kapper 371 f.
Karbowiak 571.
Karinski j 473 f.
Karlowicz 539.
Kasumovid 53, 353.
Kaznacid 72.
K^trzynski 573.
Kette 156.
Kidric 152 — 157, 614—
623.
Kirste 418.
Kläcel 405.
Klaczko 562-
Klemens von Bulgarien
256 ff.
Koblischke 261—283,
433—449.
Kochanowski 540.
Kochanowski P. 546.
Kolendic 75.
Kollär 386.
KoH^taj 560.
Konrad von Halberstadt
285.
Kopitar 355 ff., 584 ff.
Korun 152.
Kossowski 554.
Koubek 4U6.
Kozmin 409.
Krajacevic 315 ff.
Kräl 97 f., 116.
Kranjcevic 143.
Krasinski 566.
Kraushar 560 f.
Kreglianovic 327.
Kretschmer 159.
Krynski 539 f.
Krzyw'icki 573.
Krzyianowski 543 f.
Kiihnel 570.
Kujot 544.
Kunik 1 82 f.
Küzmics 45.
LamanskiJ 162 — 186,21».
Leciejewski 3S5 ff., 551.
Lepki 145 ff.
Leskien 22 f.. 33.
Levickyj 145 — 150.
Levstik 41.
Liden 36—39, 451.
Ljapunov 117 ff., Alb ff..
637 f.
Likowski 543, 545.
Lippert l.iO.
Lopacinski 550.
Los 539, 567.
Lovriö 326.
Lozinski 558.
Lucerua 351 ff.
Lukas/.ewicz 545.
Lukaszewski 432.
Mäclia 103 f.
Maj('\v8ki •'>41.
MaltM'ki 3sti.
Maliii<)\v.ski 569 1'.
Maiysi'vakij 163.
Maiigiuca 583.
Mart'tic 373.
644
Marinovic 55.
Markovic 362.
Matic 321-350.
Matuszewski 565 t.
Meillet 454 f.
Mejsnar 400 ff.
Mencej 40 — 51.
Merimee :}21 ff.
Metelko 42.
Meyer Anna 39/ tt.
Meyer G. 38.
Miaskowski 543.
Miklosichl9ff,3D 42,69,
98, 360 ff, 451 ff
Milovac 317.
Milutinoviö 371.
Miodonski 499.
Mitrovic 4 1 6 f.
Mosbach 432.
Mourek 432.
Mucke 268, 435 ff, 510 f.
Müller Max 393.
Müller 445.
MuUooly 426.
Murko 351— 38d.
Mum-Aleksandrov 15b.
Mycielski 548.
^Namenregister.
Nadezdin411.
Nagy 5>-76, 416-421
Navi-atil 42.
Nebesky 406.
Nebring 139-142, 555.
Nejedly 9".
Niederle 450.
Niedzwiedzki 539.
Nikoliö 418 ff.
Nitsch 568 f.
Nodier324ff.
Nowaczynski 550.
Noväk J. V. 402.
NoväkA.400ff.
Novakovic 158 t., 4bö—
467, 629 f.
Nyrop 84.
Oblakl52, 478, 480.
Okoniewski 542.
Ostboff452, 454.
Ostojic 306.
Palacky 404, 628 f.
Papee 513.
Papfpcki 545.
Passendorfer 542.
Pavic, A. 362, 374.
Pavic Emer. 353.
Päzmäny 320 f
Peder8en25, .^. f., 118fi.
459, 510.
Pekai- 217.
Pelikan 401.
Petrarca 76.
Pergosiö 321.
Petranovic 630 t.
Petretiö 317 ff.
Petrovskij 3o9, b^l.
Piekosinski 386, oob.
Pini540.
Pinitianus > o n-
Pintar 42 f.
Pogorelov 220.
Polanski 267.
Polinski 555.
Polivka 382, 392-399.
Potkanski 222 ff.
Potocki J. 449.
Prellwitz 38.
Procbaska 514.
Prohaska 52, 142-145,
409—416.
Przebendowski 542.
Przyborowski 388.
Ptasnik543.
Ptaszycki 549, 614 fl.
Puciö 52 f., 71.
Puskin 331 ff.
Kamult 268.
Eaymann 96.
Rej 139 ff., 548 ff.
Relkovic 30 D ff.
Rembowski 561.
Eesetar54f., 418, 421
431,468—472.
EeBti61,67.
Ritter s. Vitezovic.
Rossi 422.
Rotcev 412.
Rozwadowski 569.
Riwarac 90 f., 379.
iSafatik 56, 182,471,478
Sartorins315ff.
Schleicher 21, 269, 2<6,
433 ff.
Schmidt Job. 33.
Seklucjan 544 f.
Sembera 626 f.
Sisgorens 378.
I Sismanov 376.
1 Sitovic 359.
I Skarga 553.
1 Skerliö 324 ff.
Sketl52ff.
Skok 467 1.
Skrabec 41 ff.
Slowacki 566.
Smetanka 400 ff.
Snopek 593-600
Sobieski 550, o71
Sobolevskij 3'il t.
Sobolevskij A. 44.» n.,
ih'i, 614 ff.
Soerensen 356, 377.
Sokolowski 546.
Solar 42.
Solikowski 548.
Sorgo 63, 73.
Sovic 358 f.
Stach 96, 624.
Stanek 402.
Stanic 632.
Staszic 560.
Steig.584.
Sterzmger 432.
Sten 564.
Stojkovic 362^
Storozenko o'l-
Strekelj 481—539.
Stritar 41.
Stur 407.
Sufflay 601—610.
|Ä4-U6,M3-305.
Swieykowski 55 ( .
Syrokomla 504.
Szarzynski 545.
Szczesniak 512 614 ä.
Szczurat (falsch Swistun)
556.
Szule386.
Szymonowic 5d < .
Talvj 370 f.
Tarnowski 154, 544.
Thal 150—152.
Tobolka 407.
Tokarz 560.^
Toturaitis 573.
Tretiak 543, 566.
Tropsch 584—590.
Trubar41, 48.
TruhUvr 285 f.
Turgeniev 145.
Uhlenbeck 459.
Ulanowski 550.
Wachowski^573.
1 Valjavec 317.
Wallner 1 öO ff.
Warminski 542, 544.
Wasilewski 565.
Vasiljevskij 164.
Wawrzeniecki 551.
Werbewczi 321.
Weres 321.
Verkovic 367.
Wesselofskij A. 128—
138.
Wesselofskij A. N. 634 ff.
Vesnic 349.
Wesely 371.
Vidic 470.
Wierzbowski 562.
Wilpert 421 ff.
asterzilj 513.
badnak 601 ff.
barnast 508.
bazlo 8.
hqdak 481.
behb, beahx 34.
belka 515.
beno 482.
blazni. 1.
börs, borsch 269.
brezdati 14.
brzmiec 15.
biid, wüd 601 ff.
budb6ka 612 f.
bilde 39.
burka 482.
burlati 508.
burtati 508.
byseste 35.
oadra 510.
c.iloh't 510.
cakati 510.
camolika 499.
candra 510.
canka 509.
cär(a) 569.
carda 509.
ceniti 511.
cesti. 9.
ccstr. 15.
chic 460.
chrostLk'i> 14.
clirusti. 14.
cln.töti 457 f.
Wortregister.
Virozsil 628.
Vuk 355 ff.
Vitezovic 293 ff.
Vukadinovic 76.
Wittyg 550.
Vulovic 4 1 8.
YIcek 154, 400 ff.
Wynne 323.
Vocel 404.
Vodnik 42.
Vogl 372.
Zablocki 501.
Vojnovic 142,
Zamotin 409 ff.
Wqjciechowski K. 559.
Zamoyski 499.
Wojciechowski T. 570.
Zawiliiiski 541.
Wolf 4 3 f.
Zdziarski 506.
Vondräk 24, 27 ff., 160,
Zimorowie 558.
256—260, 459, 472—
Zivaljeviö 355.
478, 479, 618.
Zmajevic 376.
Voronov 164.
Zupitza 2 ff., 37.
Wotschke 542.
Zwolski 555.
Wortregister.
cmolje 499.
greznati 1 4.
cundra 510.
gruzt 2.
cvoli. 496 ff.
halstra 513.
dbol 496.
hasäk 3.
deno 482.
hastros 3.
dilja 511.
holstra 512.
dno 483.
honac honak 513
dosti 460.
hora 513.
draciti 11.
dnighll.
jascur 514 f.
drasati ;i.
jazva 8.
draziti 12.
jazT. 8.
draznit' 12.
jecy, j^cy S.
drqsli. 11.
j^(z)dro 451 ff'.
drezgnati 14.
jeza 9.
drjaclilj'j 11.
jezgra 453.
drjagva 11.
jicen 8.
drjazgi 10.
droga 13.
karära 51(').
drom 454.
katr(y) 517.
druk 11.
kaükti 37.
drzazga 14.
kaverza 506.
dupa 483.
kavka 37.
dbna 483.
kavtre 516.
di.nka 482.
klojoc 517.
dyle511.
klonec 518.
kobka519.
frajati 511.
koci'l 46i;.
kolajua 519.
gaifjz 2.
kou"519.
gasat' 3.
konk 518.
gl.-izr. 1.
kopati 500.
golja 2.
kopr\ adlo 486.
govcti 484.
korpelja 520.
grancav 467.
kori. 485 f.
645
646
Wortregister.
kosa 490.
kostel 159.
krasi-ni. 4.
krenati 5.
krinica 5.
krispet 535.
krnata 520.
kruta 4.
lavor 521.
lavri. 521.
Jazy 2.
l^dina 2.
lerio 583.
lit 522.
lorbega 521.
machnut' 5.
majzar 522.
mäseka 522.
mita 38.
Morlacken 360.
mosuna 523.
muson 523.
najazni. 7.
naprasno 2.
natrag 504.
nejesyt-B 9.
nevesta 456.
odra 485.
oklor, roklor 524.
okruta 4.
päjstva 498.
Papaluga 583.
paraspor 463.
pasmo 6.
past 3.
perple 39.
pinja 524.
pirogT. 512.
plesati 9.
porg 269 f.
posa 158 f.
povoni. 3.
pra%a 6.
preslo 15.
prnat 525.
prony 3.
r^bt 110.
rabelj 525.
rachat' 7.
rahel 7.
raztoropnyj 503.
reber 486.
remjö 10.
resa 9.
ret 526.
rjasa 10.
rjasina 10.
ryst 488.
safti 527.
sajha 526.
scapx 499 f.
scepa 501.
skaram 528.
skopit' 500.
sludy 2.
sluzy 2.
socha 489 ff.
sor 514.
sova 3.
scavyj 501.
scepet-B 501.
scata 529.
spatny 529.
staja 523.
stap 500.
stbol 496.
stekar 502.
stenB 160.
Steve!) 497.
strach 7.
strastt 7.
strop(a) 530.
stropot-B 495.
struna 494 f.
stur 514 f.
svolt 496 ff.
sublja 530.
supa 526.
supa 530.
Buraznyj 6.
susolt 516.
svLStr, 455 f.
szczur 514.
szpeciö 529.
sztrofa 530.
taler 531.
tasiti 2.
tazat' 2.
telo 160.
teni. 160.
tir 532.
torop 503.
tovornik 532.
trabun 533.
traca 533.
trag 504.
tragi 534.
tra(g)lje 534.
tranja 535.
trispet 520.
trs 535.
trusec 536.
ulaznyj 8.
ulij 8.
umor 505.
urbas 536.
ures 10.
vadljati 468.
vadvacka 536.
verzti 505.
vetrih 536.
vrnile 517.
vrviti 507.
wrzawa 507.
vsegarica 537.
zaladija 467.
zapaska 6.
zeljar 538.
ziljer 538.
zlombrt 538,
zmija 38.
Zoche 493 f.
zventuljice 539.
zyncel 518.
Druck Ton Breitkopf & Härtel in Leipzig.
o
f
f
APR 1 ^ t975
PG Archiv für slavische Philologie
1
A8
Bd. 28
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET