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Archiv
fUr
Österreichische Geschichte.
Herausgegeben
▼on der
m Pflege vaterländischer Geschichte aufgestellten Commlssion
der
kmlserllehen Akademie der Wissenschaften.
Dreiundachtzigster Band.
Erste Hälfte.
Wien, 1896.-/^79
In CommisBion bei Carl Gerold's Sohn
Bneliblndl«r d«r kalii. Akadcmi« dw WfMMuebkft^
W4CKS
Inhalt des dreiandachtzigsten Bandes.
Erste Hälfte.
Seit«
Lndorico Gritti. Eine Monographie. Von Dr. Heinrich Kretschmayr 1
Verhaftung und Gefangenschaft des Landgrafen Philipp von Hessen
1647—1660. Von Dr. Gustav Turba 107
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Pü.T^
Inhalt des dreiandachtzigsten Bandes.
Erste Hälfte.
Seit«
LudoTico Gritti. Eine Monographie. Von Dr. Heinrich Kretschmayr 1
'^erbaftnng und Gefangenschaft des Landgrafen Philipp von Hessen
IW7-1660. Von Dr. Gustav Turba 107
LUDOVICO GRITTI.
EINE MONOGRAPHIE.
VON
T>^ HEINRICH KRETSCHMAYR.
AnhiT LXSXril. B4. I. H&lfte.
Vorbemerkung.
Unter den zahlreichen Abenteurern, die in den ungari-
schen Tbronkämpfen des 16. Jahrhunderts ihre Absichten ver-
wirklichen zu können glaubten, ist Ludovico Gritti der inter-
essantesten einer. Der natürliche Sohn des Dogen von Venedig
und spätere Kaufmann in Constantinopel verstand es so gut,
sein Talent und sein Geld zu gebrauchen, dass er sich zur
Würde eines der ersten Rathgeber des türkischen Grossherm
erheben, die politischen Verhandlungen mit Venedig und viel
mehr noch mit den Habsburgem leiten konnte. Dabei ist er
zu jenem Einfluss und jener Macht in TJugam gelangt, die es
ihm ermöglichten, geraden Weges die Königskrone des Landes,
in dem er als Reichsgouvemeur mit fast königlicher Macht-
vollkommenheit schaltete, anzustreben oder doch ein einträg-
Kehes Besitzthum herauszuschlagen, Pläne, welchen sein uner-
warteter Tod ein rasches Ende gemacht hat.
Die Geschichte dieses Mannes darzustellen, ist öfter ver-
sucht worden. Solche Darstellungen enthalten* die Sammel-
werke der Biographie universelle, der Biographie g^nörale und
der A%emeinen Encyklopädie von Ersch und Gruber. Der
von Sataberry verfasste Artikel ,Louis Gritti' der Biographie
^ Ich will von der ganz kleinen ^biographischen Skizze nach historischen
QnellenS welche A. R. (August Roth?) in den »Blättern für Geist, Ge-
müth und VaterlandskundeS gedruckt bei Johann GOtt, Kronstadt, Heft II,
29, 30, verfasst hat, absehen.
1*
4
universelle ^ strotzt von groben Unrichtigkeiten. Von dem gleich-
lautenden Artikel E. Beauvois' in der Biographie g^n^rale * gilt
im Allgemeinen dasselbe; hingegen trifft der von R. Pallmann
für das letzte obgenannte Sammelwerk geschriebene Aufsatz'
in der Hauptsache das Richtige. Von ihm beeinflusst ist die
jüngst erschienene Arbeit von Franz R^v^sz: ,Gritti Lajos szerep-
16se Magyarorszägon' (Ludwig Gritti's Wirken in Ungarn) in
Erd^lyi muzeum-egylet kiadvinyai (Mittheilungen des Sieben-
bürgischen Museumvereines),* die auf Grund gedruckter, nicht
immer kritisch gesichteter und auch nicht vollständig verwerthe-
ter Quellen und ohne Benützung von Archivalien zusammen-
gestellt wurde und in ihren Resultaten nicht viel über den Auf-
satz Pallmann's hinauskommt.
Die folgende Arbeit ist entstanden über Anregung meines
verehrten akademischen Lehrers Professor Dr. Alfons Hub er,
dem ich hiefUr geziemenden Dank abstatte; sie wurde ausge-
flihrt auf Grund der erreichbaren, ich hoffe vollständig benütz-
ten gedruckten Quellen und Bearbeitungen und auf Grund der
theils von mir, theils von den betreffenden Herren Vorständen
vorgenommenen oder veranlassten Durchforschung der nach-
stehend angegebenen Archive und Bibliotheken, beziehungs-
weise der Benützung ungedruckter Abschriften von Acten aus
denselben.
Bistritz Altes Comitatsarchiv.
Brück a. d. Leitha . Archiv der Stadt
Brüssel Archives gönörales du Royaume.
Budapest Archiv der Stadt.
„ Egl. Ungar. Landesarchiv.
Esseg Archiv der Stadt.
„ Comitatsarchiv.
Gran Primatial-ifÜrsterzbischöfliches Archiv.
» xvn, 572. » xxn, 126/7.
» I. Sone. 91, 432 f.
* VII (1891/92), 134—160, 211—267.
5
Gran Archiv der Stadt.
Hermannstadt .... Archiv der sächsischen Nation.
Kaschau Stadtarchiv.
K]aiisenbui^ Stadtarchiv.
Krenmitz Stadtarchiv.
Kronstadt Archiv der Stadt.
London Record office.
Marktscheiken .... Archiv der Stadt.
„ .... Archiv der evang.-luth. Kirchengemeinde.
Mediasch Archiv der Stadt.
„ Gymnasialbibliothek.
yy Evang. Pfarrarchiv.
München Kgl. bayr. Reichsarchiv.
Padua Universitätsbibliothek.
Paris Archives Nationales.
Pressburg Archiv der kgl. Freistadt.
Rom Vaticanisches Archiv.
^ Bibliotheca Barberini.
Simancas Archive General de Estado.
Stuhlweissenborg . . Gräfl. Nddasdy'sches Familienarchiv.
Venedig R. Archivio di Stato.
„ Biblioteca Marciana.
„ Museo civico Correr.
Wien K. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv.
yj Archiv des k. k. Ministeriums des Innern.
„ K. u. k. Hof bibliothek.
„ K. u. k. Fideicommissbibliothek.
„ K. u. k. Kriegsarchiv.
Dadurch ist es möglich gewesen, den Absichten und Plänen
L. Qritti's nachzugehen, darüber Klarheit zu gewinnen und somit
die Arbeit zu einer abschliessenden zu gestalten. Absehen musste
ich freilich von den nicht zugänglichen Archiven Constantino-
pels; fraglich genug, ob sie überhaupt werth volle Beiträge
bieten würden.
Ich habe für die gütige Förderung meiner Arbeit Dank
zu sagen den Herren Directoren der oben angeführten An-
stalten ^ besonders Sr. Excellenz Alfred Ritter v. Arneth,
Director des k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchives in Wien,
Dr. Julius V. Pauler, Director des kgl. ungar. Landesarchives,
Commendatore Federico Stefani, Director des Staatsarchives
in Venedig, Conte Camillo Soranzo, Vicepräfect der Marcus-
bibliothek in Venedig, Freiherrn von Oefele, Director des
kgl. bayr. Reichsarchives in München, Charles Piot, Director
der Archives g^nörales von Brüssel, Herrn Archivar Dr. F.
Zimmermann, den Herren Stadtarchivaren von Budapest,
Kronstadt und Eremnitz, Dr. L. Toldy, Fr. Stenner und
P. Krizko, Herrn Archivar Prof. Dr. A. Berger (Bistritz) und
den anderen Herren Vorständen der angeführten Institute, dem
Herrn Sectionsrath Dr. A. Kärolyi, Dr. H. v. Voltelini,
Dr. A. Dopsch, Dr. W. R. v. Ambros und A. Veress in
Wien, Dr. A. v. Pettkö in Budapest, Mr. E. Verkooren in
Brüssel, Mr. Fulcher in London, Dr. R. Theil in Neudorf
(Siebenbürgen), Cav. Dr. Vincenzo Joppi in Udine und Luigi
Ferro in Venedig.
Wien, im September 1895.
Dr. Heinrich Eretschmayr.
Capitel L
Jugend und Emporkommen.
Das Geschlecht der Gritti war in Venedig zu immer
höheren Ehren gekommen. Sie hatten früher Gratolani ge-
beissen^ zur Zeit, als sie von Sorio, einer kleinen Stadt in der
yenetianischen Provinz Vicenza, nach Venedig kamen, um dort
als tribuni antichi und savii dem Staate zu dienen. Ihre Haupt-
thätigkeit aber galt dem Handelswesen; rühmend heisst es von
ihnen, sie hätten stets mit Allen gute Freundschaft gehalten,
seien gut katholisch gewesen und hätten zahlreiche Almosen
gespendet.*
Diesem Geschlechte entstammte, als Sohn eines Francesco
Gritti um die Mitte des 15. Jahrhunderts geboren, Andrea
^ Im 3. Bande des ^Hi^toriBchen Magazins für Ungarn' (Magyar tört^nelmi
tki), A. Folge, 1S57, hat J. Nagy — allerdings in durchaus nicht muster-
giltiger Weise — folgende vier auf Ludovico Gritti bezughabende Quellen
herausgegeben: 1. Una breve narrazione della grandezza, vertu, valore
et della infelice morte delV illustrissimo signore comte Aloise Gritti dell^
serenissimo signore Andrea Gritti Principe dl Venetia, Comte del gran
Contado di Marmaros in Ongaria et generale govematore di esso Regno
et general Capitaneo dell* esercito regio appresso Sulimanno Imperatore
dei Tnrchi et alla Maestä del re Giovanni von Francesco della Valle,
9 ff. — 2. Fr. Augnstini Musöi Tarvisini de expugnatione Megghes cui
interfuit ad Franciscum Contarenum oratorem. 63 ff. — 3. Fr. Augustini
Musei Tarvisini constitntio sive interrogatio a mareschalco Caesariae
Mmiestatis sibi et socio Petro Cremensi facta post de Buda in Yiennam
reditom. Anno 1535. 75 ff. — 4. Registrum litterarum magnifici domini
Francisci Contareni oratoris ad serenissimum regem Romanorum. 82 ff.
Eine eingehendere Besprechung der Quellen folgt am bezüglichen Orte.
In dieser Publication ist S. 12 eine italienische Stelle über das Geschlecht
enthalten, die hier benutzt wurde. Vgl. hiezu auch: Marco Barbaro,
Famiglie nobili venete. Cod. Nr. 6155/6 der k. u. k. Hofbibliothek zu
Wien, 8. 195^/196'.
8
Gritti;^ oratore straordinario bei der Pforte, in welchem Amte
er viel diplomatisches Geschick bekundete, als Kriegsmann her-
vorragend in den Qleichgewichtskämpfen in Italien, selbst wäh-
rend seiner Gefangenschaft in Frankreich ,mehr Gesandter als
Gefangener',* hatte er 1523 als Nachfolger Antonio Grimani's
die Dogenwürde erreicht. Er hatte sich etwa 1497 mit Bene-
detta di Luca-Vendramin verheiratet, aus welcher Ehe Fran-
cesco, sein einziger legitimer Sohn, stammte. Er starb im zar-
testen Alter schon 1505.' Die vier anderen Söhne waren die
Kinder einer Griechin- — wie es scheint, eben keiner Dame
von Stande* — die der damalige Orator der Republik in Con-
stantinopel irgendwie kennen gelernt hatte. Sie hiessen: Pietro,
Gregorio, Lorenzo und Luigi.* Vom ersten wissen wir nichts.
Lorenzo blieb als Kaufmann in Venedig und stand mit seinem
Bruder Ludovico in steter Geschäftsverbindung. Später wurde
er auch in diplomatischen Sendungen verwendet und starb 1539
in Constantinopel.^ Gregorio, oder wie er sonst immer heisst,
Georg, der viel zu politischen Diensten gebraucht wurde, ver-
schwindet mit seines grösseren Bruders Tode aus der Geschichte,
ist aber noch vor seines Vaters Ableben — 1538 — im kräf-
tigsten Alter gestorben.'^
* Alb6ri, Relationi venete, Serie III, 3, 6 ff., wo eine kurze Biographie
aufgeführt ist Sein Vater heisst Francesco nach Sanuto, Diarii IV, 244.
* Giucciardini bei Alböri, Ser. III, 3, 6.
' So Nicolo Barberigo in seiner Andrea Gritti gehaltenen Leichenrede
bei Komanin, Storia docamentata di Yenezia V, 385, und AlbSri,
Ser. in, 3. 7.
* Romanin V, 386 (Nicolo Barberigo's Leichenrede), ,di nna sua amante'.
Vgl. auch das Wort Junisbeg's, ,filius meretricis* in G6vay, Urkunden «ad
Actenstücke zur Gescjhichte der Verhältnisse zwischen Oesterreich, Un-
garn und der Pforte im 16. Jahrh. U, 1634, 62.
* In dieser vermuthlich nach den Geburtsjahren geordneten Reihenfolge
nennt sie Nicolo Barberigo in seiner Leichenrede. Alb^ri, Ser. III, 3, 7 f.
* Venetianische Depeschen vom Kaiserhofe (Dispacci di Germania). Wien,
Tompsky, 1889. I, 312. 317. 322. 323. 327. 334. 341. 362. Vgl. Alessandro
Cappellari, Campidoglio Veneto (Hs. der Biblioteca Marciana, Venedig):
Lorenzo Gritti Cavaliere figlio legittimo del Doge nel 1638 era spedito
dalla repubblica a Constantinopoli a stipulare tregua per tre mesi e ivi
mori di peste 1639.
' Alb^ri, Ser. III, 3, 7 f. Er begegnet uns schon im Jahre 1627 (Marino
Sanuto, Diarii, vol. 44, 26. 1627, 6. Febr.).
9
Luigi oder Ludovico — von den Venetiancrn Alvise ge-
nannt^ — war 1480 in Constantinopel geboren worden.^ Dass
ihn sein Vater bei seiner Rückkehr nach Venedig — 1496 — mit
genommen hat, und dass er dort und in Padua eine höhere Ausbil-
dang genossen, wird richtig sein.^ Seine Geburt schloss ihn von
höherer Carriere in venetianischem Dienste aus. Nach etwa zehn-
jährigem Aufenthalte kehrte er daher im Jahre 1507 oder 1508,
27jälirig, nach Constantinopel zurück,* um sich dort als Kauf-
mann zu etabliren. Er scheint sich in den kaufmännischen
* Kessler hat seine apodiktische Behauptung, dass Ludwig der falsche Narao
»ei (Fesßler-Klein, Gesch. von Ungarn III, 430), vielleicht Verancsics'
^memoria rerum, quae in Hungaria a noto rege Ludovico ultimo acci-
dertint* entnommen, nach dem Gritti*s eigentlicher Name Alovizius war,
die Türken in Ungarn aber ihn im Allgemeinen Ludwig Gritti hiessen
(Monumenta Hungariae Historica [Magyar tört^nelmi eml^kirök] Scrip-
tores III, 30). Er selbst unterzeichnet sich — einen mit AI. G. unter-
schriebenen Brief an Marco Contarini in Venedig ausgenommen (s. An-
hang Nr. 1) — immer Ludovicus. Luigi und Alvise sind übrigens damals
nnd auch noch später in Venedig mit Vorliebe für denselben Namen
gebraucht worden.
* S. della Valleys Biographie (S. 7, A. 1), die er für den Procurator der
Republik Venedig, Matteo Dandolo, bestimmte, dann mehrere Male, zu-
letzt für Alois Pisani aus Gozzo, abschrieb. Er kam am 1. October 1531
in die Dienste Gritti^s, in dessen Gefolge er fortan blieb. Damals, so
schreibt er, war Gritti ,di eik d'anni cinquanta dua in circa' (18). In
dem Buche Viaggi fatti da Vinetia alla Tana, in Persia, in India et in
Constantinopoli (kurz Viaggi alla Tana genannt), Venedig, Aldo 1543,
finden sich libri III delle cose de Turchi; sie sind verfasst von einem
gewissen Benedetto Ramberti, der 1634 nach Constantinopel reiste und
in seinem Buche sich zum Schlüsse eingehend mit Ludovico Gritti he-
scbäfügt. Damals, sagt er, war Gritti ,di etk di anni cinquantaquatro
in circa' (157'). Beide Angaben weisen auf das Jahr 1480 als Geburts-
jahr hin. — Bei R^v^sz (s. Vorbemerkung) fällt gleich zu Beginn seiner
Artsführungen eine breit gerathene Auseinandersetzung über Gritti^s Ge-
burtigahr auf; übrigens ist auch in dem von Dr. W. Friedensburg heraus-
gegebenen Bande I, 1 der Nuntiaturberichte aus Deutschland irrig 1501
alfs Geburtftjahr angegeben (125, Anm.). Die ebenda erwähnte Reise-
beschreibung in der Biblioteca Barberini in Rom (Cod. LVIII, 12, fol. 274
bb 306) ist mit Ramberti*s ,Viaggi' identisch und das Gleiche gilt von
der in Cod. 3922 der bibliotheca Vaticana (f. 151'- 160') gebrachten An-
gabe: ,I>i Soleyman gran Turco et di S<>' Aluiggi Gritti 1534.'
' So wenigstens Viaggi alla Tana 155^ (poi f& a Venezia et k Padova,
ove imparö lettere).
* Ego fai hie viginti sex annis, sagt er 1584 zu dem kaiserlichen Ge-
sandten Com. Dupl. Schepper. G^vay II, 1534, 35.
10
Kreisen der Stadt bald eine geachtete Stellung errungen zu
haben. Seine Bildung imponirte den Anderen, die gerne auf
seine Gedanken eingingen. Er unterstützte arme und unver-
schuldet bankerott gewordene Kaufleute und übernahm wohJ
auch gelegentlich deren juridische Vertheidigung.* Stets rührig
— er machte Geschäftsreisen bis nach Venedig* — und von
seltener Fähigkeit, gegebene Situationen auszunützen, gelang
es ihm, bei Christen und Türken sich gleichen Einfluss zu ver-
schaffen.' Er war in allen kaufmännischen Branchen wohl er-
fahren, besonders widmete er sich dem Handel mit Edelsteinen,
wodurch der Sultan auf ihn aufmerksam geworden sein soll;^
doch erfreuten sich auch seine Weine des besten Rufes.^
Da wurde im selben Jahre, als Andreas Gritti im Dogen-
palaste einzog, der junge, kaum SOjährige^ Ibrahim Pascha
zum Grossvezier ernannt. Gritti stand mit ihm auf vertrautem
Fusse; waren es nun wirklich die geistigen Fähigkeiten des
venetianischen Dogensohnes, die Ibrahim bewogen, ihn sich zu
seinem intimsten Rathgeber zu erwählen, oder hatte der junge
Grossvezier finanzielle Verpflichtungen gegen den reichen Kauf-
herrn, die er wettzumachen suchte,^ genug, dieser wurde durch
* Viaggi alla Tana 166^.
' Mar. Sannto, Diarii XTX, 441 (di quelle occorentie portate per il fiol na-
tural di aier Andrea Griti procurator, venuto di Constantinopoli qui con
nave di salumi). Bei Gelegenheit einer solchen Geschäftsreise -wird es
wohl geschehen sein, dass Ludovico von seinem Vater bei den Unter-
handlungen wegen der Uebergabe von Verona an Venedig 1517 be-
schäftigt und als Geisel von Seite der Republik für die Einhaltung der
Uebergabsbedingungen gestellt wurde (Mocenigo, Bellum Cameracense,
Venedig 1585, cit. von Pallmanu in Ersch und Gruber I, 91, 432, A. 3).
» Viaggi alla Tana 155^.
* Della Valle 20. Jovius, Paulus, libri XLV historiarum sui temporis
Paris 1553. Üb. XXXII, 131'. Simigian, Historia rerum Hnngaricarum
et Transsilvanicarum (bei Ekler, Scriptores rerum Transsilvanic. I.), 54. —
A. Cappellari, Campidoglio veneto.
* Relation Pietro Zens', 18. Nov. 1530, bei Alböri, R. V., Ser. in, 3, 122:
Ibrahim diceva, non bevea moscatello di altri, se non quello d* esso ora- ,
tor e del Gritti. J
^ Er ist 1493 oder 1495 geboren. In Pietro Zens' Relation vom 24. Nov.
1524 erscheint er als 29jährig, in der Pietro Bragadino^s vom Jahre 1526
als 3djährig angegeben. Alb^ri, R. V., Ser. III, 8, 95. 103.
^ Daniello de' Ludovisi spricht 1534 (3. Juni) im Senate in Venedig von
grossen Diensten, die Gritti Ibrahim als Statthalter von Griechenland
geleistet habe. Alb^ri, R. V., Ser. III, 1, 29. 30.
11
ihn über seine bisherige Sphäre erhoben; und dies umsomehr,
als Ibrahim ihn auch beim Sultan einführte. Qritti verstand
es meisterlich, den prachtliebenden stolzen Tyrannen zu be-
hAndeln. Er fiel, erzählt Della Valle, vor ihm auf die Erde,
und als der Sultan erklärte, er solle das nur lassen, erwiderte
er: wie die Sonne Macht in sich habe, dem Menschen, der sie be-
wundem will, das zu verwehren und ihn zu blenden, so hätte ihn
auch sein Anblick geblendet und zu Boden geworfen. Lächelnd
and huldvoll entliess ihn der Gewaltige.* Sein Glück war gemacht.
Er wusste dies wohl zu schätzen. Er, den man früher
nur Lonys, den Bastard, hiess, Hess sich jetzt prunkend den
ySohn des Fürsten', Begogly, nennen.* Nur selten und dann in
glänzender türkischer Kleidung — wie er ja stets sich als Voll-
törke gerirte,* freilich zu gelegener Zeit auch viel von der
Aufrichtigkeit seines Christenthums redete* — meist zu Pferde
und umgeben von seinen Sclaven, verliess er den prächtigen
Palast in Galata^* den er in italienischem Style hatte anlegen
und mit Gärten umgeben lassen. Oft ergingen sich Ibrahim
und Suleiman selbst in diesen.^ Er hatte sein Serail, gerade
80 wie der Sultan, nur etwas kleiner als dieses. Er gab gerne
Einladungen, hielt dann grosse Tafel, ass aber selber wenig
und trank nur stark gewässerten Wein. Nachgerühmt wird
ihm eine gewisse Freigebigkeit gegen seine Sclaven, deren er
immer mehr in seinem Hause hatte. Freilich wollte er diese
Freigebigkeit auch stets gepriesen wissen.'
' Della Valle, 20. So hat es ihm ein Türke erzählt, der es seinerseits
aus dem Mande Ibrahims haben will.
* Viaggi alla Tana 156^. Jovius XXXII, 131 a. Ebenso in der in der
Vorrede zu Della Valle genannten Biographie Nicolo Barberigo*s über
Andrea Gritti, 10.
» Viaggi alla Tana 167'. Della Valle 19. Vgl. Nagy in Magy. tOrt. tAr HI, Einl.
* So besonders gegenüber den österreichischen und kaiserlichen Gesandten,
8. Cap. ni, §. 6.
* So wenigstens heisst es in den Berichten Hieronymns Laski^s (bei B^l,
Apparatos ad historiam Hungariae, Posonii 1735, 177), und Vespasian^s
▼onZara, Gövay II, 1534, 106 und 116. Nach Della Valle, 19, wohnt er
4iiori di Pera', bei späteren Schriftstellern ist dann einfach Pera als Wohn-
ort angegeben, so bei Simigian, 54 (. . . hortos quos apud Peram habebat).
* Della Valle 18. Jovius* Erzählung, Gritti habe Ibrahim Pascha eine
Villa mit Gartenanlagen zum Geschenk gemacht, in der sich dieser und
der Sultan oft aufhielten (XXXII, 131'), ist durch nichts bestätigt.
' Viaggi alla Tana 157', 158'. Della Valle 19 f.
12
Sein Aeusseres schildern Della Valle und Ramberti: trotz
seiner 50 Jahre war sein Haar noch ungebleicht, was ihm ein
bedeutend jüngeres Aussehen gab. Er war sehr gross und
schön gebaut, sein Haar war schwarz, seine Gesichtsfarbe tief-
braun, seine grossen schwarzen Augen, über denen die Brauen
zusammengewachsen waren, erschienen von ungemeiner Leb-
haftigkeit. Er sprach mit Wärme, begleitete jedes seiner Worte
mit lebhaften Bewegungen von Auge und Hand und wusste
selten ein Ende seiner Reden zu finden. Sein ganzes Gebahren
machte den Eindruck des Hastigen, Uebereilten.* Des Oefteren
bemerkte er, dass er stolz darauf sei, Alles, was er sei und
habe, durch Tüchtigkeit erlangt zu haben, während es Andere
zumeist nur der Gewalt oder dem blinden Glücke einer Erb-
schaft verdankten. Er verstand griechisch, türkisch und ita-
lienisch, aber nicht lateinisch.^ In seinen Händen häufte er
ungeheure Reichthümer auf. Es war ihm dies um so leichter
möglich, als sein mächtiger Gönner ihm die Steuern ganzer
Länder zu eigen geben konnte oder ihm so viele Handels-
monopole verschaffte, als er wollte.^ Denn als Kaufmann ftihlte
er sich auch noch zur Zeit seiner glänzendsten Stellung. Der
Ausspruch des italienischen Renegaten und Pfortendolmetschers
Junisbeg dem kaiserlichen Gesandten Schepper gegenüber: ,Er
will Herr sein und zugleich Kaufmann — er kann seine eigent-
liche Natur nicht vergessen^,* war ganz richtig; es wird oft
genug zu constatiren sein. Der Standpunkt des Profites hörte
nie auf, für ihn eine Rolle zu spielen.
Es lag in der Natur der Sache, dass der so gross Ge-
wordene bald Gelegenheit finden musste, sich in politische Dinge
zu mengen; vorerst in die die Republik Venedig betreffenden
Fragen, für deren Verhältnisse er ehestens Verständniss haben oder
doch zu haben vorgeben konnte. Greifbare Formen nahm seine
Einwirkung erst zu einer Zeit an, zu deren Erkenntniss ein Ein-
gehen auf die Zustände in Ungarn seit 1526 unerlässlich ist.
» Viaggi allaTana 167 «^/^ Della Valle 18. — Ein Bild Gritti^s findet sich
in der k. u. k. Fideicommissbibliothek in Wien. (M. Beather von Karl-
stadt, Bildnisse vieler . . . Kaiser, Könige, Fürsten n. s. w. Basel 1682
S. 276 f.).
« Viaggi alla Tana 167 ^ 168'. Della Valle 18. G6vay II, 1634, 120.
■ Jovius bei Katona, Historia critica Regum Hungariae XX, 917. — Vgl.
Cap. m, §. 3. * G4vay II, 1634, 38.
13
Capitel IL
Lndovico Oritti als Mittelsperson in Constantinopel.
Die Sendung Hieronymns Laski^s.
Um Ungarn stritten seit König Ludwigs IL Tode bei Mo-
hAcs (26. Augast 1526) zwei Prätendenten; der vertragsmässige
König Ferdinand L und der nationale Candidat, der Woiwode
von Siebenbürgen, Johann Zäpolya.^
Auf des Ersteren Seite stand nicht blos sein mächtiger
Bruder, Kaiser Karl V., sondern es sympathisirte mit ihm auch
der Schwager seines Gegners, König Sigismund von Polen.
Auf Zäpolya's Seite traten Bayern, Venedig und — wenn auch
mit Vorsicht — der Papst Clemens VIL, vor Allem aber der
erbittertste Feind des habsburgischen Hauses, Franz I. von
Frankreich. Schon am 2. JuU 1527 brachte Hieronymus Laski ^
als Gesandter Zdpolya's bei König Franz eine französisch-unga-
rische Allianz zu Stande, der vorläufig auch Venedig beitrat.
Der Definitivvertrag zwischen den zwei erstgenannten Mächten
folgte am 28. October 1528. — Im Juli 1527 fand auch des
Woiwoden geflirchtetster Gegner, der Serbe Jovan, bei Tomyos
sein Ende — ein letzter Lichtblick für den nationalen Präten-
denten.
Mit einer verschwindend kleinen Armee* begann König
Ferdinand den Krieg. In rascher Folge — kaum einem hal-
ben Monat — fielen Raab, Komorn, Tata, Gran, Visegrad und
endlich am 20. August Ofen in seine Hände, von wo aus der
si^reiche König einen Reichstag auf den 29. September aus-
aehrieb. Niclas Salm erstürmte Erlau imd zersprengte das Heer
Zdpolya's bei Tokaj am 26. September; dessen fähigster Partei-
' Die Skixze der ungariflchen Verhältnisse bis zur Sendung Laski*s ent-
nehme ich aus Hnber, Gesch. Oesterreichs IV, 6 ff., und Fessler-Klein,
Gesch. von Ungarn HI, 421 ff.
* Laski war polnischer Senator und Palatin von Siradien, stand zuerst in
Diensten bei König Sigismund von Polen und begab sich dann zu Z4-
polya. Vgl. S. 14 A. 8.
* Pessler-KIeiu III, 422.
14
ganger, Christoph Frangepan, fand bei der Belagerung von
Warasdin seinen Tod. Am 7. Oetober wurde Ferdinand in
Ofen zum König von Ungarn gewählt, am 3. November in
Stuhlweissenburg gekrönt. Verzweifelnd war Z&polya nach
Siebenbürgen geflohen. Aber auch dieses musste er schon im
November (1527) wieder verlassen. Ferdinand aufzuhalten ver-
mochte höchstens der mächtige Nachbar, der Sultan. Der
nationale ungarische König wandte sich an den ttlrkischen
Despoten.
Die türkische Regierung, besser gesagt, der sie repräsen-
tirende allmächtige Ibrahim Pascha, kam ihm dabei auf halbem
Wege entgegen. Ein Agent des Qrossveziers hatte Zäpolya
besucht — vermuthlich, ihm die Unterstützung der Pforte an-
zutragen — , bevor dieser sich entschloss, Hieronymus Laski
nach Constantinopel zu senden.*
Schon war der Ruf Ludovico Gritti's nach Ungarn ge-
drungen; hatte er doch im Vereine mit Venedig die Türken
von ihrer Absicht, in Ungarn einzufallen und Zäpolya zu de-
possediren, abgebracht.* Dieser gab also seinem Abgesandten
ein Schreiben an ihn mit, mit welchem Laski am 22. December
1527 am goldenen Hom anlangte.^
Der Empfang bei den türkischen Herren war nicht der
beste.* Mustapha Pascha war kurz angebunden, bei Ibrahim
kam er gar nicht vor. Da besuchte ihn — am 26. December
— Ludovico Gritti. Der schlaue Pole hatte ihn bald durch
Versprechen von Belohnungen und Geschenken gewonnen. Zwar
* Mar. Sanato, Diarii V, 43 bei Lamansky, Secrets d^^tat de Venise.
St. P^terebourg 1886, 782, A. 1.
' Hierauf hat zuerst Simigian 66 ff. aufmerksam gemacht, wenn auch darin
zu weitgehend, dass er Gritti einen Parteigänger Johanns von allem An-
fange nennt Vgl. die von Ibrahim an Laski gerichteten Worte (in der
Historia arcana legationis nomine Johannis Regis ad Solymannum Tur-
carum Imperatorem bei B61, Apparatus 169—189 (s. S. 11, A. 5), 167:
Si non fuissent oratores veneti et filius illius reipubUcae ducis, ad quem
etiam tu, scio, litteras attuUsti, hac elapsa aestate gustassemus et Ferdi-
nandum et dominum tuum. Vgl. 8. 15, A. 2.
' B61 159 und 165. Vgl. die auf eingehende archivalische Forschungen
gegründete Monographie: Hieronim Laski przez Aleksandra Hirschberga.
We Lwowie 1888 (Hieronymus Laski von Alexander Hirschberg. Lem-
berg.1888).
* Hiefür und für das Folgende: B^l, 160—189.
15
konnte ihm Gritti vorderhand nur schrifUich und mündUch ver-
sichern^ dass das Wohlwollen des Sultans ftlr Ungarn durch
jährlichen Tribut erworben werden müsse^ erwirkte ihm aber
eine Audienz bei Ibrahim Pascha — am 28. December — , in
welcher der Grossvezier allerdings nicht sehr entgegenkommend
war, schliesslich jedoch Gritti die Leitung der Verhandlungen
übertrug, was ein günstiges Resultat kaum mehr zweifelhaft er-
scheinen liess. Thatsächlich gelang es Gritti, trotzdem er ge-
rade am Wechselfieber, das ihn häufig befiel, Utt, Ibrahim dazu
SU bringen — nach dem Laski'schen Tagebuche war dies schon
am 2. Jänner der Fall — auf den Tribut zu verzichten und
sich mit jährlicher Sendung von Gesandten, welche ,Geschenke'
von 10.000 Gulden Werth mitbringen sollten, zu begnügen;
auf Laski's Ansinnen, die Pforte möge Syrmien, wo viele un-
garische Edelleute Weingärten hätten, zurückstellen, ging der
Grossvezier freilich nicht ein. Dass bei dieser Sendung von
,6eschenken' nur das Wort ein anderes, die Sache aber die-
selbe war wie fiiiher, war Laski nicht im Geringsten zweifel-
haft. So arbeitete er nun mit allen Mitteln; er bestach Gritti,
dorch dessen Hand nach Ibrahim Pascha's ausdrücklichem
Wunsche alle Verhandlungen gehen sollten, mit dem durch
seine Unterschrift bekräftigten Versprechen, ihm die Einkünfte
eines ungarischen Bisthums, vorläufig ein Jahreseinkommen von
3000 — 4000 Gulden, zu sichern. Mit Aufwand aller Ueber-
redungskunst brachte nun Gritti Ibrahim, dem er nach seiner
eigenen Aussage mit guten Worten mehr abzuringen vermochte
als mit Vemunfl;gründen,* endlich dazu, auf die von Laski vor-
geschlagene Sendung von Gesandten mit ,Geschenken* von je
fönf zu ftlnf Jahren einzugehen. Laski war sich bewusst, was
er Gritti verdankte. In seinen an Zäpolya und Statilius, Bischof
von Weissenburg in Siebenbürgen, gerichteten Briefen vom
23. und 24. Jänner 1528 betont er: ,Der Hilfe Ludovico Gritti's
verdanken wir, dass Alles glücklich zu Ende gediehen ist.
Wäre er nicht gewesen, wir hätten nichts erreicht; wie gut
doch, dasB wir jene Briefe an ihn richteten, die uns weit mehr
nützten als die an die Paschas.' ^ Am 27. Jänner empfing ihn
* Er selb«! sagt zu Laski : . . ., qaia plus humanis verbis efficere deberem
quam rationibuB apud illum! Bei 174.
* K. o. k. Haas-, Hof- o. Staatsarchiv, Wien. H. Laski an Z^polja. Con-
stantinopel, 23. Januar 1528: . . . tarnen adiutns hie fideli obsequio ac
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17
•»* Karl V. ihren Untergang beflirchtend, schmiegte sich an
•» gewaltige Osmanenreich,^ von dem es Hilfe gegen den
aiser und Schonung seiner SchiflFahrt erhoffen konnte. Die
•maoenmonarchie und das Habsburgerreich zu kriegerischem
läammenprall zu bringen, wurde jetzt das Hauptziel venetia-
*cber Staatsweisheit. Der Gedanke war um so verlockender,
• die Republik in Ludovico Gritti den einflussreichsten Vor-
^aipfer an der hohen Pforte besass. Schon im Mai 1527 for-
t'rte der Rath der Zehn, der die diesbezüglichen Verhandlun-
■a mit Ausschluss des Senates pflog,^ in einer Depesche zum
age nach Wien auf.^ Es ist nicht ganz klar, welche Stellung
iitti hiezu eingenommen haben mag. Er hatte sich ja eben
.mals gegen eine Depossedirung Johanns, die bei Gelegenheit
aes Zuges nach Wien, wenn auch durchaus nicht in der Ab-
gilt Venedigs, so doch in der Suleimans liegen konnte, ver-
-«det.^ Als aber im Frühjahre 1528, da Zäpolya selber Krieg
igen Oesterreich erklären zu können vermeinte, die Republik
m Neuem die Türken auf Wien zu hetzen begann, hernach
*m Sandschak von Bosnien und Andere mit Geld bestach,
*JKit sie in die habsburgischen Erblande einfielen* — ein
Zugang, der übrigens in Wien nicht unbekannt blieb ^ — ,
4»d Gritti mit der weiteren Durchflihrung dieser Aufgabe be-
OBt' Venetianische Arbeit war es, welche die Gefangennahme
•fcr Gesandten Hoberdanacz und Weixelberger bewirkte;^ in
d5cr Depesche vom 21. Jänner 1529 trägt der Rath der Zehn
im venetianischen Gesandten auf, Ibrahim Pascha zu bitten,
m solle losschlagen, bevor Ferdinand Zdpolya überwältigte,
4mn Oesterreich wolle nur Alles heimtückisch in die Länge
Ahcn;^ so ging es fort das ganze Frühjahr hindurch, im
» Lamansky 772—780.
' Ebendaa. 787.
■ Ebenda«. 780. Die Urkunden sind datirt vom 13. und 27. Mai.
* s. S. 14, A. 2.
» Lamansky 782, A. 3. Venedig, 22. April und 24. Juli 1628.
♦Ygl. S. 18, A. 1.
' Vgl. Lamansky 782. 787. 788. 789. 790.
■Gevay I, 1528, 64 (Gesandtschaftsbericht der Beiden): ,Pro qua deten-
tione Veneti ipsi Ibraim Bassae sponte sna promiaerunt 100.000 florenos
et pro Caesare lapidem quendam potissimum Venetiis existentem, quem
ab eis a multis temporibus habere cupit.*
* Lamansky 785.
AnUr. LXXXIU. Band. I. HUfU). 2
18
grössten Geheimniss, Alles nur durch Gritti's Hände; aus-
drücklich versichert ein an Ferdinand I. gerichtetes anonymes
Schreiben aus Constantinopel^ dass Ludovico Qritti die Seele
aller gegen das Haus Oesterreich gerichteten Entwfirfe und
Rüstungen sei, und dass die Venetianer 40.000 Reiter bei einem
derartigen Kriege auf eigene Kosten erhalten wollten.* Venedig
sah all sein Heil nur in einem erfolgreichen Verstösse der Tür-
ken gegen Oesterreich.*
Als Suleiman den Krieg wirkUch begann, hatte Gritti genug
damit zu thun, die unermüdlichen Ergebenheitsversicherongen
dem Sultan, wie der Rath der Zehn verlangte, zur Keimtniss
zu bringen,' um nach Suleimans erfolglosem Zuge wieder die
Aufgabe übernehmen zu müssen, Venedig, das jetzt in schneller
Wendung nicht genug Worte der Freude über die Abwendung
der Gefahr, die der gesammten Christenheit gedroht habe,*
* K. u. k. HauÄ-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien. — Anonymes Stück vom
10. Mftrz 1529 mit der Aufschrift: «Serenissimo et inWctissimo principi
meo clementissimo Ferdinand© Ungarin et Boemi^ regi. — Tureos et
Veneti. — (Chiffrirt:) . . . Dicunt aliqui pro certo, quod omnia ista facit
Aloisius Gritti, filius bastardus ducis Venetorum, cui Johannes Scepn-
siensis promisit archiepiscopatom Strigoniensem, episcopatum Quinque-
ecclesiamm et Transilvaniarum (?). Dictus . . . Aloisius . . . nomine do-
minii Venetorum promisit imperatori Tnrcarum, quod non timeat per
mare dominium Venetorum, bene provideret per mare cum maxima ar-
mata. Itaque Caesarea Maiestas cogetur amittere regnum Neapolitanum
et Apuliam et rogaverunt Veneti imperatorem Turcarum, quod faciat
apparatum contra Maiestatem Vestram in Hungaria et solvunt sibi quadra-
ginta millia equitum in ipsorum expensis . . .* Vgl. auch Propst Johann
von Agram an König Ferdinand I., 1. Juni 1529: . . . Praeterea nequa-
quam imperator Turcharum fuisset ausus movere se de Constantinopoli,
ut iret in Hungariam, sed perfidi Veneti semper mittebant postas ad
Constantinopolira et referebant, quae subsidia habuit Maiestas Veatra in
imperio, quae et in aliis regnis suis, anuendo esse illa parvi momenti;
ista faciunt Veneti et maiora, et forsan Dens amovet istius nephandissimi
inimici et animum et vires.*
* Venedig, Archivio di Stato, Senato Secreti t. 53, 187^. 188^ 189^—198':
Senat an L. Gritti, 1529, 25. Aug.: ,Noi habbiamo tutta 1a speranza nostra
nelli prosperi successi del serenissimo Gran Signor et ö necessaxio che
per liberame da questo . . . periculo tu debbi sollicitar il magnifico Bassa
ad penetrar nella Austria* (190'); 199 '—200'.
Briefe Gritti's (Originale) sind trotz angestellter Nachforschungen
im Archivio di Stato nicht aufzufinden gewesen.
* Lamanskj 788. 789.
* Ebendas. 773. 791.
19
«
finden konnte^ bei der Pforte wegen des mit Karl V. abge-
schlossenen Friedens von Bologna — am 23. December 1530
— zu entschuldigen und die hierüber entstandene Missstimmung
zu bannen.^
Diese Verdienste um die Repubhk haben es ihm wohl
ermöglicht, seine Tochter Marietta mit dem Angehörigen eines
hochstehenden venetianischen Patrizierhauses, Vincenzo Cicogna,
za vermählen.*
Dass nun Gritti, der seit 1530 das Feld seiner Thätigkeit
nach Ungarn verlegt hatte^ seit dieser Zeit auf eine enge Allianz
der Pforte mit Venedig hinarbeitete, war nicht im Sinne der
Republik, ja der Gesandte Daniello de' Ludovisi erklärte im Senate
nmdweg, es scheine ihm, dass es Ludovico bei diesem Be-
streben hauptsächhch um seinen Vortheil zu thun sei;' dass
CT sich mit dem Vicebaylo Venedigs, Pietro Zen, nicht vertrug,
machte ihn dort schwerlich sympathischer;* so ist es verständ-
lich, dass Alvise Mocenigo dem Dogen in offener Senatssitzung
zarufen konnte, es wäre besser, der Mann wäre nicht geboren
worden;^ gleichwohl haben sich die venetianischen Behörden
auch weiterhin seines Einflusses bei dem mächtigen Nachbar,
dem sie sich immer gerne entgegenkommend erwiesen,'^ bedient
» Lamimsky 791. Venedig, Archivio di Stato, Sen. Secr. t 53, 271'/^, t. 54,
1^/2'. Diese Missstimmung war aber so stark, dass Ibrahim Pascha, der
zuerst türkische Geschwader in die venetianischen Häfen hatte legen
wollen, trotz der Gegenvorstellungen Gritti*s die türkische Flotte auf
eine für Venedig bedenkliche Weise verstärken liess (Pamta, Historia
VinetUna. Venedig 1645, 388-390).
' L. Gritti an Marco Contarini. Ofen 1529, Sept. 17. Original in der
Biblioteca Marciana, Venedig. S. Anhang Nr. 1.
' Relation Daniello de' Ludovisi^s vom 3. Juni 1534. Alberi, Rel. Yen.,
Ser. in, 1, 29—32. Vgl. übrigens auch: Senat an Pietro Zen, 15. Dec.
1531 (er soll Gritti ermahnen, Venedig treu wie bbher zu bleiben),
Sen. Secr. 54, 100^101^ (Venedig, Archivio di Stato).
* Venedig, Archivio di Stato, Secr. Consiglio X, LXXXIV, 3, 59^/60^
Sen. Secr. 54, 1'/^
* Venedig, Biblioteca Marciana. Marino Sanuto, Diarii, Bd. 54, 244 "^
(Juni 1531).
* So theilen der Doge und die Capi del Consiglio Gritti am 11. Juli 1533
mit, der Proweditore del Zonte habe Auftrag erhalten, den türkischen
Flottencommandanten von einem von Seite Genuas vorbereiteten Ueber-
£alle des von den Türken besetzten Corone zu unterrichten. Venedig,
Archivio di Stoto, Secr. Cons. X, LXXXIV, 4, Nr. 12.
2*
20
und ist derselbe noch öfter Venedig nützlich geworden. An-
lässlich eines Zusammenstosses des venetianischen Proweditore
Canale mit türkischen Raubschiffen hat er sich möglichst ftlr
ersteren eingesetzt und überhaupt sich sehr bemüht, den Sultan
von dem Gedanken eines für Venedig leicht bedrohlichen See-
krieges abzuhalten.^ Seiner Einwirkung ist auch hauptsächlich
die rasche und entgegenkommende Erledigung der Bitten Ve-
nedigs um Getreide im Jahre 1533 zuzuschreiben.* In Geschäfts-
verbindung mit venetianischen Kaufleuten, besonders mit seinem
Bruder Lorenzo, ist er bis an sein Lebensende gestanden.^
Auch scheint er gelegentUch die venetianischen Bibliotheken
mit Beiträgen aus den wissenschaftUchen Schätzen des von ihm
jverwalteten' Königreiches Ungarn bereichert zu haben.*
Diesem Lande wendete er nun sein politisches Literesse zu.
Capitel IIL
Die Rolle Gritti's in Ungarn.
§1.
Erste Entwttrfe. Das Jahr 1529.
Zdpolya's Lage war im Laufe des Jahres 1528 bedeutend
günstiger geworden. Das Bündniss mit der Pforte allein hätte
dies bewirken können; dazu kamen einige glückliche Gefechte,
die klägliche Niederlage der Gesandten Ferdinands I. in Con-
stantinopel, endlich der definitive Abschluss des ungarisch-fran-
zösischen Bündnisses am 28. October 1528.^
» Paruta 365. 366. 386.
' Die Richtigkeit des Berichtes Della Valleys (34), dass eine in Venedig
herrschende Getreidenoth den Dogen und den Rath der Zehn bewogen
habe, sich nach Constantinopel um Getreide zu wenden und LudoYico
von Ibrahim den Befehl zur Sendung von fünf mit Getreide beladenen
Schiffen erwirkt habe, wird durch die einschlägigen Actenstücke des
Archivio di Stato in Venedig bestätigt (Secr. Cons. X, LXXXIV, 3, Nr. 9.
23). Aehnliches in Sen. Secr. 66, 125'/^ 140'--141^ 142^— 143^
» s. S. 33.
* So soll Cod. 644 der Wiener Hof bibliothek nach darin enthaltener An-
gabe von ihm der Bibliothek des Mathias Corvinus entnommen und nach
Venedig gesendet worden sein.
« Fessler-Klein UI, 429 ff. Huber IV, 9-12.
21
Und nun begann noch Suleiman seinen zweiten grossen
Eriegszog.
Der Antheil Venedigs und Gritti's als dessen Vertreter
hieran ist früher erörtert worden. Sie hatten unaufhörlich zum
Kriege gehetzt. Aber das bereits genannte anonyme Schreiben
an König Ferdinand versichert auch^ Suleiman trage sich mit
der Idee, Gritti zum Gouverneur von Ungarn zu machen, eine
Meldung, deren Richtigkeit der Briefschreiber bezweifelt.^ Hält
man hiezu die allerdings etwas wunderliche Nachricht bei Ber-
nardin von Pisino, dass Ibrahim Pascha für Gritti 's Ernennung
zam König von Ungarn gegen eine jährliche Tributzahlung
von 80.000 Ducaten eintrete,* so dürfte daraus zur Genüge er-
hellen, wie vermessen Gritti seine Pläne ausspannte und wie
wenig Zipolya sich auf seinen ,Ge8andten und Sachwalter^
verlassen konnte. Wie ein Hohn klingt dagegen die Versiche-
nmg des Dalmatiners Tranquillus, Gritti's Secretärs, an den
Gesandten Zäpolya's in Venedig, Bonzano, dass Ludovico Gritti
das königliche Interesse auf das Genaueste und Umsichtigste
versehe.' So weit kam es nun freilich nicht. Als Suleiman
am 10. Mai 1529 Constantinopel verhess, ward Gritti die Rolle
eines Armeelieferanten zugedacht.* In dieser Eigenschaft wur-
' 8. S. 18, A. 1. Es heisst dort im Weiteren: ,Et dicant quidam, impera-
torem Turcarum velit constituere predictum Gritti gubematorem in Hun-
gmria, quod ego non credo, quia, si posset occupare Hungariam, aliud
baberet in animo.'
* K, u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarcbiv in Wien. Anonymes Scbreiben, offen-
bar an König Ferdinand (obue Adresse), vom 29. September 1528, Wien.
Ibrabim, beisst es bier, der Gritti 50.000 Ducaten scbuldig ist, ,per in-
stantia questa, cbe Abraim Bassa stentasse per esso, cbe gran turco fa-
cesse esso Re de Ungaria et questo fiolo de Principe (Ludovico Gritti)
8« obligato dare ogni anno millia ottanta ducatorum de tributo a gran
Turco et per questo e statto Abraim Bassa da gran Turco'.
* K. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarcbiv in Wien, 13. März 1529. ,Magnificu8
dominus Ludovicus Gritti ^enuissime ac fideliter procurat negotia regia.*
Seine (Gritti's) Bebauptung, man babe ibm Ungarn angeboten, er es aber
zurückgewiesen, kann sieb, wenn sie überbaupt erfolgt, nicbt bieber be-
siehen, weil der dabei gemacbte Zusatz, er kenne dieses Volk, nur mit
Beziehung auf die Opposition gegen seine Ernennung zum Reicbsguber-
nator verständlicb wird. (G^vay H, 1534, 49.)
* Della VaUe 21. ,Non cioö da maravigliarsi, perch^ deir anno 1529 . . .
Solimanno . . . diede canco al mio signore di far condare infinitta vitto-
vaglia dietro V esercito.*
22
den ihm wohl die von Suleiman in seinem Tagebuche erwähnten
30.000 Ducaten und 30.000 Piaster geliehen.^ Am 19. August
war der Sultan in Mohäcs; dort huldigte ihm Zdpolja; am
3. September kam er vor Ofen an, wo Thomas Nddasdy an
der Spitze einer kleinen Besatzung die Vertheidigung leitete.
Aber schon fünf Tage später musste er die Stadt räumen, am
10. September auch das Castell, wohin er sich zuletzt zurück-
gezogen hatte. Er verdankte seine Rettung dem Schutze Gritti's,
sowie der Fürsprache der Bischöfe Broderics und Statilius.
Gegen das Versprechen, nicht zu Ferdinand zurückzukehren
und nie gegen Zäpolya zu kämpfen, wurde er freigelassen.*
Dieser wurde am 14. September durch die Janitscharen in Ofen
inthronisirt,^ der Sultan aber verliess die Stadt, um gegen Wien
zu ziehen. Gritti als Beirath des von der Pforte Gnaden ein-
gesetzten Königs blieb in Ofen zurück, mit ihm Hassanbeg
und 3000 Türken.* Die Quellen berichten nichts daiüber, wie
Gritti seine Rolle als Rathgeber auffasste. Sicher ist nur, dass
er noch vor Abreise des Sultans von Ofen — 29. October —
von seinem König zum Generalschatzmeister und zum Bischof
von Erlau — das war das von Laski versprochene Bisthum —
* Suleimans II. Tagebuch auf seinem Marsche von Constantinopel nach
Wien 1629. Mit deutscher Uebersetznng herausgegeben von Behmauer,
Wien 1868. Unter (2) 11. Mai: ,Dem in Galata wohnenden Sohne des
fränkischen Fürsten (Ludwig Gritti) wurden 30.000 Ducaten und 30.000
Piaster baares Geld geliehen/ — Für das Folgende Huber IV, 20—22-
Fessler-Kleln lU, 436 ff.
» ürsinus Velins, De hello Pannonico, 106 (bei Katona XX, 478). Vgl.
Istvanfi, EUstoriarum de rebus ungaricis libri XXXIV. Coloniae Agrip-
pinae 1622, 166.
^ Dass hiebei Gritti hervorragend beschäftigt wäre, habe ich nicht wie
Fessler-Klein in, 438 aus dem von diesem citirten Berichte herauszu-
lesen vermocht
* Nach Zermegh (im Dienstverhältnisse zu Stanislaus VÄrallyai, Propst in
Ofen, stehend) 401 waren die zurückgelassenen Türken theils Cavalleri-
sten unter Hassanbeg, theils Seemannschaft für die türkische Donauflotille
unter Mumyiibeg. — Brutus, Mich., Ungaricarum rerum libri XIII in Mo-
numenta Hungariae historica scc (Bd. XII — XIV), XIII, 386. — Velius 106.
— Simigian 66: ,Solimanus . . . adiunxerat ei (Z4polya) Grittium, nt ea
pararent, quae confirmando regno opportuna viderentur.* Die Behauptung
R^v^z\ Gritti sei mit nach Wien gezogen (8. 166), ist falsch und scheint
auf einem Miss Verständnisse der 8. 21, A. 4 mitgetheilten Stelle zu be-
ruhen.
23
^nannt wurde,^ zwei recht einträgliche Posten, die dem hab-
süchtigen Manne recht gelegen kommen mochten. So traurig
Zäpolja's Lage in dem mit türkischen Soldaten erfüllten Ofen
war^ so konnte er doch gerade jetzt am allerwenigsten seines
arglistigen ,Rathgebers^, der ihn auf jede Weise ausnützte —
noch im Oetober hatte er ihm 2000 Ducaten geben müssen * —
entrathen; war doch von dem Missmuthe Solimans über die
erfolglose Belagerung Wiens, anderseits auch von dem Reichs-
tage in Augsburg, von dem Ferdinand, der unterdessen Lam-
berg und Jurisics nach Constantinopel geschickt hatte, sich aus-
giebige Hilfe versprach,' Alles zu fürchten. Das war auch der
Grund, der Zäpolya seinen Schatzmeister in Begleitung eines
Johann Fekete an die Pforte zu schicken bewog.*
In den ersten Tagen des Jänner^ yerhess Gritti Ofen,
nachdem er für Allerheiligen 1530 einen Landtag einberufen
und die Nichterscheinenden mit Bestrafung durch Feuer und
Schwert bedroht hatte,^ um nun in Constantinopel seinen Herrn
zu vertreten. Wie viel diese Vertretung werth gewesen, beweist
das Schreiben Zdpolya's an Gritti vom 6. Oetober 1530, worin
er in möglichst unköniglichem Tone seinen Gesandten bittet,
sich bei der Pforte zu verwenden, dass dem Pascha von Se-
mendria, Mehemetbeg, den er gegen Ferdinand herbeigerufen
habe und der ihm jetzt seine eigenen Länder grausam ver-
' Bereits am 2. November 1529 richtet der Senat in Venedig ein
Gratalationsschreiben an Ludovico Gritti, der yarcivescovo d^Agria e te-
soriere generale del re d' Ungheria* geworden war. Romanin V, 463. —
Demgegenüber kann von einer Ernennung im Februar 1530 — abge-
sehen daTon, dass Gritti um diese Zeit Ofen längst verlassen hatte —
nicht die Rede sein (Fessler-Klein III, 443). — Vgl. hiezu Kropf, Gritti
%ri pospOks^e (Gritti's Erlauer Bischofswürde) in Erd^lyi miizeum 1896,
15-21.
' Hammer, Geschichte des osmanischen Reiches, II, 67 (nicht quellen-
mSssig belegt).
' Fessler-Klein lU, US.
* Verancsics 31 (Mon. Hung. bist. scc. III). — Pray, Epistolae procerum
Begni Hungariae, I, 352.
' Frater Bernardin Pomasanich schreibt an Nicolo Pomasanich, Frater des
Klosters 8. Vito in Ancona, am 12. Jänner 1530: Ofen sei, wie er es be-
treten, ganz voll Türken gewesen; jetzt ,Alui8 Griti se parti de Buda*.
K. Q. k. Hans-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien.
* KoTschich, Supplementa zu Vestigia comitiorum Hungariae IH, 134.
24
wüste, das Handwerk gelegt werde.* Der Brief traf Gritd nicht
mehr in der türkischen Hauptstadt'
§2.
Emennuns: zum ReiehsgouTerneun Diplomatischer
Kampf gegen Ferdinand I.
Ludovico Gritti war ak ,orator Turci^ nach Ungarn ge-
schickt worden, um entweder König Ferdinand zum Verzicht
auf Ungarn zu bewegen, oder aber dort Verpfl^smittel f&r das
zum nächsten Angriff ausersehene Heer aufzustapebi;» dann
sollte er in Bälde nach Constantinopel zurückkehren. Die
Situation, die er vorfand, zwang ihn allerdings zu längerem
Verbleiben; denn am 2. August 1530 hatte Ferdinand I. von
Augsburg aus Rc^endorf, seinem Feldherm, Befehl gegeben,
nach Ofen vorzurücken.* Rogendorf eröffnete den Feldzug
Mitte October, verlor aber mehrere Tage, so dass es Gritti,
der am 10. October in Ofen eingetroffen war, die Stadt aber
dann wieder verlassen zu haben scheint, eben noch möglich
war, in aller Eile mit 2000 Türken, wenn auch ohne irgend-
welches Kriegsmaterial, sich in die Stadt zu werfen,^ vor der
* Pmy, Ep. proc^ I, 869.
* K. u. k. Hjui5-, Hof- a. Staatsarchiv in Wien, 31. October 1530. Marcian
Bagochi nach Wien (Copie und Excerpt). JEt item qaod Aloisiiis Griti
prima octobris profectns sit versus Hxingariam et pootea die 21 eiasdem
transieeit Georgias firater eins versus Constantinopolim, a quo aoditum
est, quod Aloisius debebat in celeritate redire ab Hungaria et fderat ut
orator Turci ad Johannem Vajwodam/ — Die Zeitangabe ist nicht richtig,
da Gritti (an die Comitate Zala und Eisenburg) am 11. October 1530
(t. 8. 28, A. 1) selbst bemerkt: ^Sciatis nos . . . hestemo die Budam ad-
' Gritti an KOnig Sigismund von Polen, 23. December 1530, in Quellen
und Erörterungen cur bayrischen und deutschen Geschichte, ed. Muffat,
TV, 81 ... 4n mandatis habeo, ut in praeparandorum commeatnum, qui
ex hoc regno Hungariae tanti tamque numerosi exercitns Caesariae Maie-
statis usui suppeditari possent, curam haberet*
* Bucholtx, Gesch. Ferdinands I., IV, 579.
* L. Gritti in seiner Instruction für Stanislaus Costka an den KOnig von
Polen, 7. Jinner 1531. Quellen und Erörterungen IV, 90, Nr. 12. Vgl.
ebendas. FV, 112.
25
Rogendorf am 31. October ankam. ^ Zäpolya^ auf dessen Kopf
Rogendorf den hohen Preis von 1000 bis 10.000 Ducaten ge-
setzt haben soU,^ befand sich damals in der Stadt^ mit ihm der
Bischof von Grosswardein, Emerich Czybak, der königUche
Rath Gregor Pöstieny, Zäpolya's Kanzler Stephan Verböczy
and Simon Literatus Athinaj; Hassanbeg^ Thomas Nädasdy
and Johann Szerecsen^ die in Szigetvdr lagen, g^l&ng es durch
List in die Stadt zu. kommen.^ Verancsics nennt ausserdem
noch den Bischof von Weissenburg, StatiUus und Georg Marti-
auzzi/ Die Seele des Widerstandes war Gritti. Er hatte dem
verzagenden Könige alle Gedanken an Nachgiebigkeit ver-
scheucht und sich angeboten, allein den Platz halten zu wollen,
wenn Zäpolya nicht zu bleiben wage;^ die zahlreichen Türken
der Besatzung wusste er mit Geldbelohnungen anzuspornen,^
fährte selbst Ausft,lle an, ohne sein Leben zu achten ' — Grund
genug, dass ihn Zäpolja stets auszeichnend behandelte. Als
aber schUessUch das Ausgehen der Lebensmittel alle Tapferkeit
iüusorisch machte — schon am 7. December hatte man be-
gonnen, Pferdefleisch zu essen® — wandten sich Zäpolya und
^ Szer^mi György (Georg Syrmiensis) Eml^kirata in Mon. Hung. hist. scc.
I, 1 ff. Szer^mi hat als Hofcaplan des Königs die ganze Belagerung
miterlebt und kommt sohin als Quelle in erster Linie in Betracht. Doch
ist nicht blos sein Latein, sondern auch seine ganze Darstellungsmanier
so confos, dass man berechtigte Zweifel an der Richtigkeit seiner Be-
obachtungen hegen kann. Ueber Szer^mi vgl. SzAdeczky, Szertoi Gyb'rgy
^lete ia eml^kirata (Leben und Memoiren des Georg Szer^mi) in £rte-
kez^k a tört^neti tudomAnyok köreböl (Abhandlungen aus dem Ge-
biete der Geschichte), Bd. XV, Heft 7 und 8. — Hiezu Szer^mi 283,
Uninufi Velins 167.
' Nie. Olah an Dr. Michael, Propst in Köln. Augsburg, 11. Nov. 1530.
Mon. Hung. bist. Dipl. I, 105.
' Szerömi 282. Genauer bei Zermegh (401. 402), der als Diener des Ofener
Propstfifl StanislauB V4rallyai gleichfalls Augenzeuge war.
* Verancsics 33. Vgl. auch Magyar tört^nelmi tir, N. F. 11, 799.
* 8. 8, 24, A. 5.
* Dieselben waren oft recht bedeutend. Einem Tflrken bot er acht Gold-
gulden an. Szer^mi 286—289.
' Ebendas. ,. . . Gritti cum Turcis et cum Tracianis adversus eos (die Be-
lagerer) irruit et audacter cum pugnabat adversus eos propter aureos
florenos, quae ante projiciebant de manica.*
* Sseremi 290. Ein Gerücht, das Nie. Olah am 6. December aus Krems
dem Bischof Thomas von Kaachau meldet, weiss schon von der Gefangen-
nahme Zipol/a^s und Gritti^s zu berichten. (Mon. Hung. hist. Dipl. I, 113).
26
Gritti neuerlich an Mehemetbeg. Die Deutschen, durch Krank-
heiten decimirt, zogen bei der Nachricht von dessen Heran-
kommen am 23. December von Ofen ab.* Gritti, dem der
österreichische Gesandte, Rodrigo Nigno, in Venedig gewünscht,
er möge in Stücke gerissen werden,* hatte sich mit Ruhm be-
deckt. Ofen blieb Zdpolya erhalten.
Was ihm das galt, bewies sein Dank. Er adelte sämmt-
liche Bürger Ofens, jeder sollte frei sein von Kriegsdiensten
und sonstigen Leistungen und nur für die Stadt zu sorgen
haben, der er überdies einige Landstriche schenkte. Nädasdy
erhielt Fogaras, Laski kam zu einer billigen Auszeichnung
durch Ernennung zum Titular-Woiwoden von Siebenbürgen.
Die höchste Auszeichnung musste Gritti zu Theil werden.'
Zdpolja ernannte ihn am 26. December zum Reichsgouvemeur,
verbunden mit der Obergespanswürde der Märmaros, die jähr-
lich 80.000 Thaler eingetragen haben soll;* er verlieh ihm
ausserdem das Recht, als Wappen ein Löwenhaupt zu fUhren;^
seinen 16jährigen Sohn Anton ernannte er zum Bischof von
Erlau, während ihm sein Vater einen Hofineister verschrieb,
den Augustinermönch Museus aus Treviso.^
Aber diese Ernennung zum Reichsgouverneur war nicht
so glatt vor sich gegangen. Hieronymus Laski hatte Zäpolya
zuerst den betreffenden Vorschlag gemacht,' Verböczy unter-
^ ,Usque ad secundum diem post Beaü Thomae apostoli.* Szer^mi 293. —
Im Uebrigen s. Zermeg^h 403—404. Brutus 393.
^ K. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien. Rodrigo Nigno an Ferdi-
nand I., 22. December 1530. ,. . . toda esta cibdad dessea que luys Griti
fuesse preso y hecho quartos porque tienen porcierto que el ha sido
causa que el Turco trayga la espeeieria a Constantinopoli.'
^ Fessler-Klein HI, 444.
* Vom 26. December (datum Budae in festo St. Stefani protomartyris) Lst
wenigstens das betreffende Decret datirt (Pray, Ep. proc, I, 367. —
Katona XX, 699 ff.), doch nennt sich Gritti schon am 23. December
,g^bemator regni Hungariae' (Gritti an König Sigismund, Quellen IV,
83 und a. a. O.). Szer^mi, immer confus, spricht vom 12. März 1530
als Emennungstag. Auch nach Yerancsics erfolgte die Ernennung zn
Weihnachten 1630. Veranc^ics 34. — Zermegh 406 nennt kein Datum,
ebensowenig Jovins XXXH, 131 a.
«^ Della Valle 21.
• Magyar tört^nelmi tAr, Ul, 78. — Della Valle 21.
' Zermegh 404. — Peter de R^wa, de monarclua et sancta Corona regni
Hungariae bei Schwandtner, See. rerum Huugaricarum H, 721. — Simi-
27
st&tzte ihn hierin. Mit diesem Plane trat der König vor seine
Edlen. Nidasdj, Emerich Czjbak^ Statihus^ Simon Literatus
Athinay^ Stanislaus Värallyai widersprachen aufe Heftigste.^
Ihr NationalgeftLhl empörte sich gegen diese Erhebung eines
Fremden. ^Bist Du denn ein Eand^ König/ fragten sie^ ^dass
Du thust^ was einem Kinde ziemte zu thun? Denn nur einem
unmündigen Fürsten wird so ein Vormund, wie Du Dir ihn
jetzt erschaffen willst, zur Seite gegeben/* Bethlen, der oft
wörtlich seine Quelle Zermegh ausschreibende Verfasser einer
Geschichte Siebenbürgens, lässt Nädasdy eine lange Rede halten:
dass niemals ein Venetianer zu solchen Ehren gekommen sei,
ja dass eine derartige Ernennung geradezu die Gesetze Ungarns
verietze; dass eine solche Stellung des Königs nicht blos un-
würdig, sondern sogar gefUhrlich f)ir ihn sei; nie dürfe es dies
geschehen lassen.' Zdpolya aber entschied im Sinne der Oppor-
tonitätspartei, an deren Spitze der Kanzler Verböczj und Laski
standen, die ihm zu bedenken gaben, dass nur im Falle einer
fer Gritti günstigen Erledigung dieser Frage auf den Beistand
Ibrahims zu rechnen wäre.* Daraufhin verweigerten die ge-
nannten Edlen ihre Unterschrift und ihre Siegel fiir das von
Zapolya ausgestellte Decret vom 26. December 1530,^ das dem
zu «unserem und unserer Reiche Gouverneur^ Ernannten Macht
und Recht zuerkennt, Alles, was der Würde und dem Wohle
des Reiches entspräche, durch Erlässe, beziehungsweise Mass-
nahmen festzusetzen und ihm hieftir den königlichen Schutz
^arantirt.^
g}Mn behauptet wohl mit Becht, dass Laski dadurch das allgemeine Mis}<-
£&llen von seiner Ernennung zum Woiwoden von Siebenbürgen abwen-
den wollte. Simigian 130, adnot. 4 zu Cap. XHI.
^ Sxer^mi 29S. — Zermegh 404 zählt die obg^nannten Fünf als Haupt-
gegner einer Ernennung Gritti's zum Reichsgonvemeur auf.
* Szer^mi 29S. — Zermegh 404.
» Wolfg. Bethlen, Historia de rebus Transsilvanicis. Cibinii 1782—1793. 186.
* Zermegh 404.
* Ebendas. — Vgl. Pray, Annales regum Hungariae ab 997 — 1564, III, 240.
— Koch zur Zeit, als Gritti Ofen verlassen hatte, beklagte sich Emerich
Czybak in Beisein Szer^mi's, der es erzählt, beim Könige bitter, ,quam-
obrem istum paganum elegisset in gubematorem?* Szer^mi 307.
' Pray, Ep. proc. I, 367. Der Wortlaut der Ernennung ist: J^udovicum
Gritti in gnbematorem nostrum ac regni nostri Hungariae eligendum duxi-
mns et constituendum, dantes eidem omnem auctoritatem et potestatem
28
Gritti hatte schon im October 1530 die ungarischen Stände
auf einen Landtag zu Allerheiligen einberufen und im Falle
des Nichterscheinens mit Güterconfiscation und der Rache des
Sultans gedroht;^ die Abhaltung des Landtages wurde durch
die Belagerung Ofens unmögUch gemacht; so traten die Stände
erst in den letzten Tagen des Jahres 1530 in Ofen zusammen
und stellten am 31. December Gritti ein Garantiedecret als
Keichsgouvemeur aus;* manche der Einberufenen waren säu-
mig; so musste Gritti die Vertreter der Bergstädte am 6. Jänner
1531 neuerlich auffordern, sich zu ihm zu verfügen.*
Den Widerstand gegen seine Ernennung konnte der rach-
süchtige ItaUener nicht vergessen; Nädasdy, den er einst —
1529 — gerettet hatte und der nun nicht nur seine Ernennung
bekämpfte, sondern auch die ihm von Gritti zugedachte Würde
eines Vicegouvemeurs von Ungarn stolz ausschlug,* entging ihm
nur durch eigene Vorsicht und fremde Warnungen;^ Czybak
musste sterben, und es scheint, als hätte er dessen Loos auch
dem Statilius bereiten wollen;^ Athinay verlor seinen Posten
als Provisor Budae, sobald Gritti dort freie Hand hatte. ^
So hatte nun Zdpolya seinen Statthalter, der sich freilich
in Constantinopel erst anfragen musste, ob er die Stelle denn
annehmen dürfe.® Es war derselbe Mann, den Hieronymus
Laski, sein guter Freund, vor wenig Wochen flir König Ferdi-
agendi, tractandi faciendique omnia ea, quae ad dignitatem nostram con-
serrationemque regni nostri videbuntur, imo eligimns constituimusque
ac omnem potestatem ad tale officium pertinentem eidem concedimtu«
ipsamqae in honore et dignitate dicti officii conservabimus tuebimurque
ac defendemos/
^ Gritti an die Comitate Zala und Eisenstadt, 11. October 1530. Fraknöi,
Monnmenta comitialia regni Hungariae, I, 257.
' Anhang Nr. 2. — Vgl. Kovachich, Vestigia comitiorum I, 647. — Fraknöi,
Mon. comit. I, 251.
^ Anhang Nr. 2 a (Gritti an Rath und Bürger von Kremnitz, Sehern nitz,
Bistritz, 6. Jänner 1521. — Kremnitz, städtisches Archiv).
* Anhang Nr. 3 (Gritti an Nadasdy, 12. Jänner 1531. — Kgl. ung. Landes-
archiv). — Maylath, Gesch. der Ungarn III, 28.
» s. Cap. IV, §. 1.
• Verancsics 36.
' s. Cap. m, §. 5.
« Della Valle 21.
29
nand zu stimmen gehofft hatte. ^ Konnte da sein König sich
aaf ilm verlassen?
Sich auf den treuen Diener seines Herrn hinauszuspielen
and dabei doch nur fllr sich zu arbeiten, hat er freilich vortreff-
Kch verstanden; besonders jetzt, da er einen förmlichen diplo-
matischen Feldzug gegen Ferdinand I. herbeizuführen strebte.
Im November 1530 waren nämlich Bevollmächtigte der
beiden Gegenkönige unter polnischer Vermittlung in Posen zu-
sammengetreten, ohne sich jedoch über die Forderung Zäpolya's,
bis zu seinem Ende das Reich besitzen zu dürfen, das hierauf
an Ferdinand fallen sollte, einigen zu können; schhesslich be-
schloss man übereinstimmend die Durchführung eines Waffen-
stillstandes vom 13. December 1530 bis zum gleichen Tage des
nächsten Jahres.* Am 23. December 1530 schrieb nun Gritti
sowohl an Kaiser Karl V. wie an König Sigismund von Polen
zwei reichlich mit Versicherungen seiner ehrlichen christlichen
Gesinnung versehene Schreiben, in welchen er unter Hinweis
auf den Bruch des Waffenstillstandes durch die über den
13. December hinaus fortgesetzte Belagerung von Ofen und die
grossartigen Rüstungen des über diese ergrimmten Sultans Kaiser
und König beschwört, auf König Ferdinand einzuwirken, dass er
Ungarn seinem Gegner überlasse und hiedurch die Christenheit
vor einem neuen ttlrkischen Zuge bewahre, welcher, wenn er,
Gritti, nicht mit befriedigender Antwort zur Pforte zurückkäme,
anvermeidlich wäre.^ Dasselbe Hess er durch den polnischen
* K. u. k. Haus-, Hof- n. Staatsarchiv in Wien. Hofrath Herberstein an
Ferdinand I., 9./10. November lö30. Es sei ihm, schreibt H., gelungen,
LaskiZipolja abwendig zu machen, und wolle dieser einen G^leitbrief,
um nach Wien kommen zu kOnnen, und ,er verhofft Ludovicum Gritti
zu bewegen solhe Rayß und dienst mit Ime anzwenden. Wolt doch nit,
dass desselben Nam im glaidten erwent soll werden, ob er dann nit
mocht darzue bringen, das Ime solhs zu khainer Leichtvertighkait ge-
rechnet wurde*.
» Fessler-Klein IH, 446. — Huber IV, 34.
• L. Gritti an Karl V. in Lanz, Correspondenz Karl V., 1844, I, 411
(in französischer Sprache). — L. Gritti an Sigismund, S. 24 (A. 3). Der
KOnig von Polen sandte das Schreiben Gritti's in Copien an Karl Y.,
Ferdinand L und den Kurfürsten von Sachsen (Sigismund an den Herzog
von Sachsen, 24. Jänner 1531, im k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchive),
der, Gritti nicht viel trauend, dieses Beginnen warm billigte. (KurfUrst
von Sachsen au König Sigismund, 11. Februar 1531, ebendas.).
30
Unterhändler Stanislaus Costka bei König Sigismund vorstellen/
während der in polnischen Diensten stehende sächsische Ritter
Nicolaus von Minckwitz bei den Zäpolya so günstig gesinnten
Herzogen Ludwig und Wilhelm von Bayern in gleichem Sinne
interveniren sollte;* selbst dem Papste machte er Mittheilung
von den Rüstungen der Türken, die gegen das habsburgische
Brüderpaar gerichtet seien, wohl kaum ohne Nebenbemerkungen
nach Art der obigen.*
So verliess er Ende Jänner 1531 * in aUer Eile Ofen, um
in Constantinopel von Suleiman wenigstens die Bestätigung des
in Viöegrad zwischen Laski und Rogendorf abgeschlossenen
dreimonatlichen Waffenstillstandes — bis 22. April — zu er-
langen,^ während welcher Zeit eben Bayern und Polen den in-
zwischen zum römischen Könige gekrönten ^ Ferdinand I. zum
Verzicht auf Ungarn bringen sollten. Die Gründe, die den
Gouverneur, von dem eine anonyme Schrift meldet, dass eine
Partei ihn gerne als Herrn Ungarns sähe,' bewogen, scheinbar
so energisch für seinen König einzutreten, sind ziemlich durch-
sichtig: es war ja doch im Falle der Verzichtleistung König
Ferdinands ein recht angenehmes und erträgnissreiches Ver-
gnügen, weiterhin den Vormund des schwachen Zdpolya abzu-
geben. So lange der Streit aber dauerte, konnte es doch ein-
^ Vgl. Instmetion L. Gritti*8 für Stanislaus Costka an den König von Polen
(in 17 Punkten und 2 Zusatzpunkten) in Quellen und ElrOrterungen
IV, 88—92, datirt vom 7. Jänner lö31.
' Ludovico Gritti's Credenz für Nicolaus von Minckwitz an die Herzoge
von Bayern. Ofen, 10. Jänner 1531. In Quellen und Erörterungen IV,
94—95. Weiteres über diese Sendung Quellen IV, 99. 101. 119.
' Negociations de la France dans le Levant, publi^s par £. Charriere
(I, 24 der Collection des documents) I, 184. Franz I. an den Erzbischof
von Auxerre, 25. Jänner 1531.
^ KresAdorfer^s Bericht an die Herzoge von Bayern in Quellen IV, 113.
Doch ist hier falsch statt 21. Jänner 23. Jänner als Ausgangstag des
Waffenstillstandes angegeben. Buchholtz IV, 541 und Urknndenbuch 44.
46. — Pray, Ep. proc. I, 371. Die Abreise fällt zwischen 21. Jänner und
1. Februar, da Kressdorfer^s Bericht auf einer an diesem Tage von Sigis-
mund von Polen gewährten Audienz beruht.
^ Ebenda«.
* 8. Jänner 1531. Fessler-Klein lU, 446.
' Hatvani, Magyar tört^nelmi okm4nytir, I, 122. ,Ay tanbien nna secta,
en qne te platica de dar este neyno Gritty y claramente diaen, qne si
hfn HungMio» quieren toroarle por sefior.*
31
mal dem Sultan einfallen^ seine Drohung wahr und Ungarn zu
einer türkischen Sandjakie zu machen^ in welchem Falle alle
GubematorenherrUchkeit zu Ende gewesen wäre.
§.3.
Neue Stellung In Constantlnopel und weitere Plane
einer Besitzergreifung Ton Ungarn.
Als Held gefeiert, mit Würden und Ehren tiberhäuft, war
Gritti Ende Februar 1531 nach Constantinopel gekommen. Er
stand auf dem Gipfelpunkt seiner Macht, seines Einflusses; mit
Recht konnte er jetzt der ,zweite* Diener des Sultans heissen,^
der mit ihm in der jovialsten Weise verkehrte.* Kein Act von
Bedeutung an der Pforte, der nicht durch seine Hände ge-
gingen wäre, und voll aufgeblasenen Hochmuthes sprach er
dch jede Autorität in ttirkischen Landen zu.^ Es war die Zeit,
wo man ihm nachsagte, dass er seine Religion abgeschworen
habe und unter die Veziere aufgenommen sei.* Und doch war
iD dieser Einfluss nur durch Ibrahim bedingt. Sobald dieser
im Herbst 1533 Constantinopel verliess, hörte Gritti auf, ton-
tDgebend zu sein;^ dass er, der ,Giaur^, damals schon — 1531
— viele Feinde und Neider gehabt, will wenig besagen. Was
konnten sie ihm schaden!®
' VUggi idla Tana 156\ — Cornelius 8chepper schreibt 1534: ,JoDusbeg
hat mir erzählt, alia haec tempora esse quam ea fuere, cum esset Budae
obsessns clarissime sine ulla dissimulatione.* G^vay II, 1534, 63.
' Kressdorfer's Bericht (s. oben): eine türkische Gesandtschaft in Krakau
erzahlt, ,da88 der Griti bei dem Kaiser in grossem treffenlichen Ansehen
sei, dann sie inen (Sultan) mermaln denselben an der Hand füm und
nur Ueblich und freuntlich mit ime reden gesehen habend
» G6vay n, 1532, 31.
* Joyios XXXII, 131''; er glaubt übrigens selbst nicht daran.
» Cap. lU, §. 6, n.
* K. n. k. Haas-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien. Herberstein an Ferdinand I.,
9./10. November. — In diese Zeit, wenn nicht in die nach der Abhaltung
der Relation Ludovisi^s Juni 1534 (s. S. 19, A. 3), fällt wohl der Brief
Andrea Gritti's an Ludovico, worin er ihn ermahnt, ,ne Turcarum con-
silia nimis exquireret neve ad barbarorum regna et imperia, quae nee
sine pericnlo quaeri, nee sine magnis opibus magnoque negotio retineri
poMent, uUo modo etiam affectaret neque se publicis negotiis omnino
admisceret, nid quatenus patriae rationibus exemplo suo posset consulere
(Biogr. von Nie Barberigo über Andrea Gritti, Magyar tört. t4r. Hl, 10).
32
Sorgfältig war er darauf bedacht^ der Steigerung seiner
Würden nach Aussen hin Ausdruck zu verleihen. Niemand
schildert dies genauer als sein Kämmerer Francesco della Valle^
der damals, im October 1531, in seine Dienste trat,^ Er klei-
dete sich in prunkvoller Weise, nach türkischer Art in Gold
und Seide, auf dem Haupte eine Zobelmütze, wie sie die Un-
garn zu tragen pflegten; jeden Tag änderte er seine Kleidung
und trug dasselbe Kleid sieben- oder achtmal, nie öfter, um
es dann seinen Dienern zu schenken. Seine Art zu leben er-
forderte eine zahlreiche Dienerschaft. Wer ihn sprechen wollte,
konnte nur durch zwei Reihen Wachen zu ihm gelangen, die
er nicht etwa aus Misstrauen, sondern lediglich aus seiner Sucht
zu glänzen hielt. Prunkvolle Aufzüge waren überhaupt seine
Sache, man lese nur bei Della Valle den Einzug in Ofen (Juli
1531) oder bei Museus sein Erscheinen in Siebenbürgen.* Seine
Wagen — er blieb ja noch immer Kaufmann — brauchten
150 Kameele und 60 Maulthiere, sein Marstall zählte 100 Pferde.
Benedetto Ramberti schätzt 1534 seine Dienerschaft auf mehr
als 500 Menschen und sagt, dass die Zahl Derer, die von seiner
Tafel assen, tausend überstieg. Diese Zahlen gelten mindestens
auch für 1532, wo seine finanziellen Verhältnisse die denkbar
besten waren. Sein Freund Ibrahim übertrug dem von Ofen
Zurückgekehrten die Verwaltung sämmtlicher Steuern aus
Griechenland und stellte ihm zu seinem Privatgebrauche ausser-
dem die Einkünfte der Städte Gallipoli, Anguri und Cargadori
zur Verfügung, eine Summe jährlicher 40.000 Ducaten, wozu
noch die von Ramberti und Della Valle ziemlich übereinstim-
mend auf 25.000 Ducaten (80.000 Thaler) geschätzten Einkünfte
aus Ungarn kommen.* Dazu schuldete ihm Zdpolya die er-
kleckUche Summe von 300.000 Ducaten,* übertrug ihm die
Jahreszinse, die Ragusa an Ungarn zu leisten hatte ^ — auch
^ Della VaUe 14 — 18. Er ist ein treuer Diener seines Herrn, daher anch
ein zu günstiger Beortheiler desselben, leichtgläubig und besonders in
den Zeitangaben Öfters confus (s. Cap. IV, §. 1).
« Della Valle 27 (Cap. HI, §. 4). Museus (s. S. 1, A. 1), 65/66 (Cap. IV, §. 1).
' Diese Schilderungen sind entnommen aus Della Valle 18 ff., und Viaggi
alla Tana 166'— 157 ▼.
* So sagt er selbst: ,Ioannes rex debet mihi magis quam trecenta millia
ducatorum, quae ego ipsi dedi mutuo de meo.' G^vay ü, 1534, 37.
^ Pray, Ep. proc. I, 370. Zipolya an die Ragusaner, 8. JKnner 1532 (falsch
1530 angegeben).
33
der französische Gesandte Rincon war mit 12.000 Thalem sein
Schuldner.^ Als Kaufmann blieb er sich trotz alles Glanzes
und aller Würde gleich, staYid bis an sein Lebensende in reger
Handelsverbindung mit venetianischen Handelsleuten,' besonders
mit seinem Bruder Lorenzo;' die alte Vorliebe für den Edel-
steinhandel verliess ihn nicht, doch auch in allen anderen com-
merciellen Zweigen war er wohlbewandert, und man wundert
sich bei Leetüre der betreffenden Briefe, in welche minutiösen
Details sich der Prätendent um die Krone Ungarns dabei ein-
gelassen hat!
Es ist recht begreiflich, dass die Glanz und Prachtent-
faltung, die Ludovico entwickelte, auf das gewöhnliche türki-
sche Volk, das vor Allem, was goldig schien, eine scheue Ehr-
furcht empfand, den grössten Eindruck machte; reizte doch
sein Reichthum auch den jeden Mann von einer Bedeutung
und einigem Vermögen ansingenden Peter Aretin, ihm die
sieben Busspsalmen Davids, mit erbaulichen Sprüchen aus sei-
ner Feder versehen, zu verehren.*
^ K. u. k. Hau8-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien. Snmmario di quello ha
deponuto el si^or Oeorgio Gritti 1532 sine dato. — Archivio di Stato.
Venedig. Secr. Cons. X, LXXXIV, 3, 90 '/^
' Ueber seine Vermittlung kaufte Sultan Suleiman 1534 von veneziani-
schen Kauflenten ein reich mit Edelsteinen verziertes GeflUs von Gold
um 200.000 Ducaten, wovon jedoch nur 90.000 Ducaten zur Auszahlung
gelangten, während der Rest in Folge des inzwischen eingetretenen Todes
6ritti*s nicht ausbezahlt und dadurch der Bankerott jener Kaufleute her-
beigeführt wurde. Della Valle 35.
' E^ sind echte Geschäftsbriefe, die sein Bnider Lorenzo aus Venedig im
September 1534 (vom 15. und 16. dess.) an ihn richtet: der fallit ge-
wordene Kaufmann braucht eine Provision, die ihm sein reicher Bruder
liefern sollte. Ludovico Gritti hat die Briefe nicht mehr erhalten. Edel-
steine spielen in demselben eine Hauptrolle, es dreht sich aber auch
um eine ganze Menge von anderen Geschäftssachen ; so berichtet Lorenzo,
dass es ihm, trotz aller Nachfragen, nicht gelungen sei, die Gattung
Hunde, wie sie der Gubemator gewünscht hatte, irgendwo in Oberitalien
zu erhalten, und verwendet seine ganze stylistische Fähigkeit auf die
Beschreibung einer sehr schönen Katze, ,wie er sie in seinem Leben
nicht gesehen^ die er zweifellos Ludovico zum Ankauf empfehlen will.
Beide Briefe, sowie ein dritter ähnlichen Inhalts, datirt vom 15. Sep-
tember 1534, von einem gewissen Johann Maria Pictor, im k. n. k. Hans-,
Hof- n. Staatsarchive in Wien.
* K. u. k. Hans-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien. Peter Aretin an Ludovico
Gritti, 14. September 1534, s. Anhang Nr. 19. Uebrigens ist er auch,
AxeluT. LUXUX. Band. I. Hftlft«. 3
34
Alles das ist im Ghimde Aeosserlichkeit, Ludovico Gtritti
yergass keinen Augenblick auf die politische Rolle, die er noch
spielen wollte.
Hieronjmus Laski war nach den Abmachungen in Vise-
grad^ nach Constantinopel gegangen, mit ihm ein gewisser
Ferdinand Kyros, der Gritti einen Brief Rogendorfs, betreffend
den Waffenstillstand, für dessen Zustandebringen seine Ver-
wendung erbeten ward, zu überbringen hatte. Diesen Brief
erwiderte jener am 7. März 1531 und bat unter den nachdrück-
lichsten Versicherungen seines aufrichtigsten Bemühens ftbr das
Wohl Ungarns und den Waffenstillstand Rogendorf, seiner-
seits Ferdinand I. zur Verzichtleistung auf Ungarn zu bewegen,
wodurch allein der unvermeidliche Ruin des Landes würde
femgehalten werden* — eine Fortsetzung des diplomatischen
Kampfes im December und Jänner!
Vorläufig zeigte sich der Sultan auch ohne diesen aus-
gesprochenen Wunsch bereit, den Waffenstillstand zu geneh-
migen, ja ihn sogar bis 9. Mai 1532 zu verlängern, und im Mai
1531 traten die Vertreter beider Gegenkönige zu neuen Ver-
handlungen in Visegrad zusammen.^
Aber Gritti hatte Anderes im Sinne, ab sich für Zäpolya
zu bemühen; was sollte den Liebling Ibrahims hindern, auf
die Erwerbung Ungarns hinzuarbeiten, dessen König Zdpolya
auf dem besten Wege war, alle Sympathien zu verlieren?*
Wenn nur einmal König Ferdinand verzichtet hätte, mit Zäpolya
wollte er schon fertig werden. Darum strebte er in Ueberein-
als er am 31. Jänner 1633 nach Erlau kam, in einem 66 Zellen langen
Qedichte als der Retter Ungarns aus Noth und Trübsal gepriesen worden,
auf den die Tugenden seines Vaters, der in sich die guten Eigenschaften
des Camillus, Numa, Fabricius, der Decier und anderer Römer ver-
einigte, überkommen seien. (K. u. k. Hof bibliothek in Wien, Cod. 15.023
Ib— 2 b.)
» s. 8. 30.
* Buchhol tz, Urkundepbuch, 46.
» Fessler-Klein HI, 447..
* K. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien. — Conte d' Ella an Nicolo
Ferrari, Hersog von Ancona. Ragusa, 29. M&rs 1531. ,Preterea audio
ex non pervolgari loco Aloisium Grit! regnum Vayvodae affeetare, an id
consequatur incertum, confidit tamen plurimum sui amicitia Ibrahlmi Basse
et non minus in odio quo intelligo lohannem apud suos laborare.'
35
sdmmang mit Venedig, wie es scheint/ ausser der polnischen
lach eine dem Könige Ferdinand gewiss feindliche französische
Vermittlung an und sandte deshalb seinen Bruder Georg —
übrigens erfolglos, denn derselbe wurde gefangen und nur mit
RQcksicht auf seinen Bruder Ludwig entlassen — nach Paris.^
Aber so gar kurzsichtig war man nun auch in Visegrad
nicht. Der Woiwode der Moldau^ Peter, hatte durch einen
Einfall in Polen König Sigismund auf das Empfindlichste be-
leidigt, and Letzterer sandte deshalb einen Gesandten nach Con-
stantinopel mit der Bitte um Genugthuung hiefUr.^ Das war
fiir Gritti eine willkommene Gelegenheit, sein begehrliches Auge
auf die Moldau zu werfen und dort unter dem Scheine, den
Ausgleich zwischen Polen und dem Woiwoden herzustellen,
Peter zu vertreiben und sich selbst oder Laski in Besitz des
Landes zu setzen.* Aber Laski war nun gewiss nicht wenig
frappirt, durch einen ganz plötzlich in Visegrad ankommenden
türkischen Kämmerling von den Verhandlungen abberufen zu
werden, der ihm in hochmlithigster Form den Befehl des Gou-
verneurs mittheilte, es seien 20.000 Reiter an der Grenze auf-
zustellen, welche auf den von ungarischen Grossen beider
Parteien unter Per^njn's Führung abgehaltenen allgemeinen
Landtag in Veszprim achthaben sollten;^ so hat er denn
* ArchiTio di Stato, Venedig. Der Rath der Zehn theilte am 14. Juli 1631
dem Bajlo in Constantinopel mit, er habe Georg Gritti beauftragt, Al-
rise (Ludovico) über den Erfolg seiner Verhandlungen genau zu unter-
richten. Secr. Cons. X, LXXXIV, 3, 92 '.
* Summario s. S. 33, A. 1. — Signor Georgio de comisione de! signor Alvisio
fuo fratello gubematore de esso vaivoda ha ricercato dal Re di Franza che
mandasae uno ambasciatore alla dieta in Pollonia per tractare la pace con
la Haesti del Re di Romani et esso Re di Franza probasse di mandarlo. —
Gefangen wurde Georg Gritti am 28. Juni 1631 von dem kaiserlichen Gou-
verneur Ton Asti, Descanlinghes; Karl V. hat ihn, trotz Widerrathens König
Ferdinands, der ihn bei seiner ,mucha yntelligencia y noticia* nicht so leicht
ziehen lassen wollte, freigegeben, um sich seines und seines Bruders Lud-
wig guten Willens zu versichern. Lanz I, 490. 494. 604. 605. 606. 609. —
Papiers d^tat de Granvella I, 666 (Collection des Documents, Ser. I, 31).
* Dmntiscua, Bischof von Chulm, poln. Gesandter an Karl V. (18. Februar
1631), auszugsweise bei Buchholtz IV, 642.
* Buchholtz, Urkundenbuch, 61. — Hurmuzaki, Monumente privitöre la
istoria Rominilor. Bukarest 1887. 8uppl. 2 zu I, 64—66. 66.
* Buchholtz rV, 646. — Zu diesem Landtage wurden auch die nieder-
Osterreichiacben St&nde eingeladen, weil sie gleichfalls an der Haupt-
8*
36
Zäpolya^ und vielleicht auch der Versammlung in Visegrad
über die Absichten Qritti's Mittheilungen gemacht.
Die Aufstellung dieser 20.000 Reiter, die doch immer ein
Operationsobject in Qritti's Händen blieben, um die Veszprimer
Versammlung auseinanderzujagen und gegebenenfalls sein eige-
nes Königreich zu proclamiren, musste bedenklich genug er-
scheinen; man ist versucht, einen Zusammenhang zwischen
dieser Forderung und den Absichten Qritti's auf das von Peter
Erusich glänzend vertheidigte croatische Felsenschloss Clissa
anzunehmen, aus dem der Gouverneur einen Handelsdurch-
gangspunkt fiir den Weg von Ofen nach Venedig schaffen
wollte;' der Plan ist ihm misslungen; erst nach seinem Tode
hat der muthige Vertheidiger die Veste aufgeben müssen.'
frage, Schatz vor der TQrkennoth, intereasirt waren. (Wien, Archiv des
k. k. Ministeriums des Innern.)
^ Herberstein an Ferdinand I., 2. November 1531. Bnchholtz, Urkunden-
buch, 61. — Die richtig^ Stelle sei hier, obwohl schon gedruckt, noch-
mals angeführt: ,Der Ludovicus Gritti soll seines Fumemens gen Hun-
gern abgestanden sein, also wie Laski sein Hern bericht der reden so
Griti mit Ime getan, darauß zu vernemen gewest, das er Graff Hansen
welle vergaben und das Griti zuvor die Wollacheien einnemen thue,
darnach dem Laski zuestellen; hat Herr Graff Hans mit seinem Biacholff
Statilio geratschlagt, also das derselb Statilius den Moldauschen Wal-
lachen solhs in gehaim zugeschrieben und geraten, das der selb wallach
dem Janusch solhs zuschreiben und warnungsweiß verkhunden soll, alls
wäre Ime solhs von des Türken Hoff verkhundt worden. Der hat die Sachen
laut vor meneglichen geworben, das also lautmarig worden. Darumb so
scheucht der Griti das Ungerland, vermaint Laski: Er kheme nit mer heraus.*
' Collection des Voyages des Souverains des Pays-Bas, publik par M. Ga-
chard et Ch. Piot. Brüssel, 1874—1882, IH, 532.
' Gritti hatte schon im Frühjahre 1530 in Venedig angefragt, wie die
Republik über die von ihm beabsichtigte Erwerbung der Schlüsser Segna
(Zengg) und Clissa (Schloss südlich von Vo^in in Croatien) denke, die ihm
Züpolya geschenkt habe und die nun im Besitze KOnig Ferdinands seien ;
der Rath der Zehn, des mit Karl V. geschlossenen Friedens froh, gab
eine ausweichende, eher abrathende Antwort (Archivio dl Stato, Venedig,
8ecr. Cons. X, LXXXIV, 3, 58'/^. 21. April 1530). Als dann Peter Km-
sich, der Commandant des Schlosses, im Frühjahre 1532 den Burghaupt-
mann Nicolaus von Lupoglav (Croatien, Comitat Agram) nach Venedig mit
der Anfrage schickte, ob man dort mit den Absichten Gritti*s einverstanden
sei und ob die Sperrung der Lebensmittel zufuhr aus Dalmatien durch
Venedig veranlasst sei, erwiderte der Senat, er mische sich in die Sache
nicht ein, machte aber wegen der Verproviantirung keine Zugeständnisse
(k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien: Nicolaus, Gastellanus Lupo-
37
Mehr aber noch als die oberwähnte strategische Mass-
nahme musste die arrogante und verletzende Manier, die Gritti
Allen gegenüber geradezu zur Schau trug, mussten dessen
offenkundige Absichten auf die Moldau und vor Allem seine
Conspirationen gegen das Leben des Königs das ungarische
Nationalgeflihl verletzen.^ Kurz, die Commissäre beider Parteien
in Visegrad waren darüber einig, vorerst den Woiwoden vor
dem Vermittler recht gründlich zu warnen und ebenso dem
Könige von Polen nahezulegen, nicht durch Bedrängimg oder
gar Vertreibung des Woiwoden Gritti's Plane indirect zu unter-
stützen.' Zäpolya andererseits beklagte sich in öffentlicher Ver-
sammlung, dass sein Gouverneur ihm nicht nur nicht Treue
wahre, sondern mit kaltem Blute ihm nach dem Leben strebe;
er that dies, um Laski nicht zu compromittiren, unter dem
Scheine, als habe er es vom Woiwoden der Moldau, dieser es
aas Constantinopel erfahren.^
Dies — und nicht etwa der Streit zwischen Perinyi und
Zipolya^ — benahm nun Gritti jede Lust, den heissen Boden
Ungarns zu betreten, von welchem ihn sein König so sehnlich
wegwünschte, dass er die Verhandlungen mit Suleiman nur
gUri an Ferdinand I., 10. Mai 1532; Rodrigo Nigno an Ferdinand I.,
11. Mai 1632. — Venedig, Archivio di State, Sen. Secr. t. 66, 16'/');
gleichzeitig suchte er Gritti, der sich beklagte, seine Plane seien darch
einige übelwollende Leute in Zengg durchkreuzt worden, mit dem Hin-
weise auf die Nothwendigkeit einer neutralen Stellung Venedigs zu be-
Khwichtigen [Venedig, Archivio di State, Sen. Secr. t. 66, 16' — 17'].
Krosich begab sich im Juli 1532 selbst zum Papste und zu den Ge-
nndton des Kaisers und König Ferdinands, wo er 1600 Ducaton und
die besten Versprechungen erhielt; zurückgekehrt, fand er die Burg in
den Binden der Anhänger Gritti's, eroberte sie aber wieder und hielt
ne, allen Anschlägen zum Trotz, bis 1636 [k. u. k. Haus-, Hof- u. Staats-
irchiv in Wien. Bericht P. Krusich's vom 26. September 1632. — G6vay
n, 1682, 48. — Vgl. auch Nuntius Vergerio an Geheimsecretär Came-
lecchi. Prag, 28. Juli 1634. Nunt-Ber. aus Deutschland I. 288. — Col-
lection des Voyages des Souverains des Pays-Bas HI, 620—621.]
' Bttchholtz IV, 645. — Urkundenbuch 61 (S. 36, A. 1). — IV, 666 (Paul
Bikics theilt unter dem 7. October 1681 nach Wien mit, dass er mit
einem vertrauten Bathe Züpolya's gesprochen und erfahren habe, dass
es Gritti auf Johanns Verderben und auf Er^'erbung Ungarns für sich
nlbet abgesehen habe).
' Rogendorf an Ferdinand I. Gran, 22. Mai 1631. Bnchholtz IV, 546.
' Bochholts, Urkundenbuch 61 (S. 36, A. 1).
* K. tLk. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien: ex literis Bucignoli.
38
deshalb aufgehoben wissen wollte, um Gritti's Erscheinen, das
damit verbunden gewesen wäre, zu verhindern;* und merk-
würdig genug, gerade damals war, wenn man Alexius Thurz6
Glauben schenken darf, die Stimmung für Gritti sehr günstig;
eine grosse Partei im Lande, die schon zu Anfang des Jahres
1531 in kleinerem Massstabe bestand,' wollte Gritti als König
anerkennen, wenn er zuwege brächte, was sie in erster Linie
von einem Könige von Ungarn verlangte, die Wiedererwerbung
der verlorenen Grenzlande. Wenn auch einer der Hauptfbhrer
dieser Richtung, Thomas NAdasdy, Gritti's Gegner war, so
musste doch die Erwägung, dass unter einer Herrschaft Gritti's
am ehesten ein erträgUches Auskommen mit der Pforte zu
hoffen war. Viele bestechen.'
Trotz alledem zog sich das Kommen Ludovico's von Tag
zu Tag hin.* Er wollte offenbar nicht ziehen, bevor er nicht
das grosse Heer Suleimans hinter sich wusste; als Vorläufer des
Sultans ** und ,protector* Ungarns ^ brach er endlich am 26. Fe-
bruar 1532 von Constantinopel auf.^
LudoTlco Orittl im zweiten Feldznge Snieimans, 1533.
Die Belagerung von Oran.
In Ungarn standen sich zu Ende des Jahres 1531 drei
Parteien gegenüber: Ferdinand I. und sein Anhang, Zäpolya
^ Buchholtz IV, 546. — In merkwürdigem Gegensatze hiezu steht das
Gerttcht, welches Nicolans Olah aus Brüssel meldet (23. November 1531),
wonach Gritti mit einigen Anderen zu dem für September 1531 beab-
sichtigten Speyerer Reichstage hätte kommen sollen. (Mon. Hnng. bist.
Dipl. I, 169.) • s. S. 30, A. 7.
' Buchholtz rv, 654. — Alexius Thurz6 an Nicolaus Olah, 6. December
1531. (Mon. Hung. bist. Dipl. I, 171.)
* Rodrigo Nigno an Ferdinand I. Venedig, 16. Jänner, 3., 21., 24. Februar
1532. — Conte d'Ella an Ferrari, 20. März 1532, Bagusa. K. u. k. Haus-,
Hof- u. Staatsarchiv in Wien.
^ Er schrieb am 30. December 1531 an KOnig Ferdinand, die Türken
kämen mit einer unerhört grossen Armee. Hatvani M., Brüsseli okminy-
ÜT I, 81.)
* Unter diesem Titel nennen Suleiman und Ibrahim ihn am 4. Juli 1533.
Dass er ihn schon jetzt bekommen, ist naheliegend.
» Della Valle 21.
39
and eine dritte, man könnte sie Unabhängigkeitspartei nennen^
an ihrer Spitze Peter Per^nyi, der es im Uebrigen weniger
ehrlich gemeint zu haben scheint als die, welche er fUhrte.
Zipolya blieb in Verbindung mit dem Auslande, die Unabhän-
gigkeitspartei fUhlte ihre Kraft in sich selbst, Ferdinand musste
sich bequemen, neuerlich Gesandte an den Sultan zu schicken,
welche, sollte es nöthig sein, seinen Verzicht auch auf ganz
Ungarn — so lange Zdpolya lebte — aussprechen sollten. So
viel hatte der von Gritti geleitete diplomatische Angriff doch
bewirkt Aber die Gesandten, Nogarola und Lamberg, begeg-
neten dem Grossherrn schon auf dem Wege nach Oesterreich.^
Der Gouverneur Ungarns war, da er Constantinopel verliess,
von 500 theils griechischen, theils türkischen Reitern und 200
Fasssoldaten begleitet.' Anfangs März kam er nach Adriano-
pel, hielt sich dort einige Tage auf — ein Fieberanfall ver-
zögerte ausserdem seine Reise* — und ging dann nach Nico-
polis, wo er vom dortigen Sandjak ehrenvoll empfangen wurde;
er scheint die Stadt in den ersten Tagen des April verlassen
zn haben ^ und kam um die Mitte dieses Monats in Tirgowischt
an der oberen Jalomitza an.^ Auf dem Wege dahin erliess
er Schreiben an den Papst, den Kaiser und den römischen
König, deren Inhalt er später allem Anscheine nach Gerendi,
einem habsborgisch gesinnten katholischen Geistlichen — mit
Mtfcus PemfBinger die Seele des Widerstandes Hermannstadts
g^n Zäpolya — mittheilte; sie Alle, Papst, Kaiser und König,
bürden unmöglich stark genug sein, dem Anprall der Türken
«1 widerstehen, die in den habsburgischen Erblanden zu tiber-
^tem gedächten; Ferdinand habe jetzt keinen Ausweg mehr,
wenn er auf ganz Ungarn verzichte.^ Es ward ihm damit
* Hnber IV, 36—89. — Fessler-Klein HI, 449—462.
' HiesQ und för das Fol^nde: Della Valle 22.
* Oritti an Thomas Nidasdy, 22. März 1532. Pray, Ep. proc. II, 12.
* QneQen zur Geschichte der Stadt Kronstadt, Bd. II, 1889, 258. 259.
^ Pny, Historia regnm Hangari^. Wien 1801, 26 Anm. — Quellen zur
Geschichte der Stadt Kronstadt, II, 260—261.
* Vgl. ein an Ferdinand I. gerichtetes daten- und namenloses Schreiben
m Chiffren im k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchive in Wien (1532):
• . . inter alia Gritti dicit, pap^ cesari, regi pescripsisse imperatorem Tur-
carum adventum dicit non sufficiunt obstare . . . ; Turcus decrevit in Hun-
|tria Tel Bohemia aut Germania hyemare, Maiestati vestr^ nulla spes
paeif com Turco ipse dicit, etiamsi totum regnum Hungarie vaivoda
40
gleichsam bewieseD, wie gut es Gritti doch mit seinem Rathe
zum Verzicht gemeint hatte! In Siebenbürgen, besonders in
dem treuen Hermannstadt, erwartete man von seinem Kommen
nichts Gutes. ^Gritti hat es nur auf unsere Stadt abgesehen/
schreibt Marcus Pemfflinger an den römischen König, ,er hetzt
wohl auch die ganzen Wallachen und Moldaver gegen uns;
erobert er die Stadt, dann ist sie unwiderbringlich verloren
und ganz Siebenbürgen mit ihr/ ^ Der Vicegouverneur Thomas
Nädasdy, den Gritti in einem im schönsten Geschäftsstyle gehal-
tenen Schreiben nach Tirgowischt einlud, dort über wichtige
Fragen mit ihm zu verhandeln,^ blieb in berechtigtem Misstrauen
ferne und kümmerte sich ebenso wenig um eine zweite an
ihn als Gritti's Statthalter gerichtete Aufforderung, für den be-
vorstehenden Krieg 200 tüchtige Reiter zu werben und im
Uebrigen den Weisungen des Bischofs von Sirmium, Stephan
Brodarics, nachzukommen.^ Gritti hat ihm, in Ofen angekommen,
darüber lebhafte Vorwürfe gemacht und ihn nochmals aufgefor-
deil, zu erscheinen,^ natürlich umsonst; NAdasdy kam nach wie
vor nicht. — Auch der Woiwode der Moldau, zu deni sich
Joannes et Maiestas Regia cederet; de oratoribus et pace optata et quo-
raodo nunc rez Poloni<^ laboret, malta dizit non ipse non alii (seine
Begleiter). Ich vermuthe als Schreiber des Berichtes Qherendi.
^ Marcos Pemfflinger an Ferdinand I., 23. März 1632, Pressburg, im k. u. k.
Haus-, Hof- u. Staatsarchive in Wien: ,Hiis prozimis diebns yenit ex
Transilvania castellanus castri Fogarensis, qui refert, Grithy Moldaviam
et terram Transalpinam totam nunc ad se subigere et eos omnes secum
adsumere et ad expugnandam civitatem Cibiniensem et castrnm Fogaras
educere iam tentat, pertinentia etiam. Fogaras iam per eosdem occnpat,
Dicuntur omnia pecora et armenta, quibus se civitas Cibiniensis alebat,
qu^ non pauca erant, qnantnm pro eorum uecessitatibus sunt abacta et
abdncta si Maiestas vestra gentes et expedicionem quam fieri supplica-
bamus, expediebat, nulla ratione ipse Qritthy audebat etiam cum Mol-
daviensibus et Trausalpinensibus Transsylvaniam intrare. Si Cibinium
quod deus avertat occupaverit, non pro lohanne ipse Gritthy occupabit,
sed Cesari Turcarum. Et autem sepius Maiestati vestr^ significavimos,
qui possidet Cibinium, possidet et totam Transsilvaniam.*
2 Gritti an Thomas NÄdasdy, 22. März 1532. Pray, Ep. proc. II, 12 (vgl.
darin die Wendung ,offero me promptum^).
* Kgl. Ungar. Landesarchiv, Budapest. Tirgowischt, 16. April 1532. Gritti an
Nüdasdy [Thoraa Nadasdino teneuti nostro sincere dilecto], s. Anh. Nr. 4.
* Ebendas. Gritti an Nidasdy. Ofen, 11. Juli 1632. — Vgl. auch Gritti
an NÄdasdy. Gran, 19. August und 31. August 1632 (s. Anhang Nr. 7,
11 und 12).
41
Gritti jetzt wendete, hatte sich die ihm aus Visegrad zuge-
kommene Warnung zu Herzen genommen und das dem Könige
Ton Polen sehr deutlich gesagt;^ nun aber begrüsste er den
Friedensvermittler mit einer ansehnlichen Truppenschaar —
Della Valle spricht sogar von 15.000 Mann — ein Umstand,
der es dem Reichsgouverneur, trotz der freundlichen Miene,
die Peter hernach annahm, zweckmässig erscheinen Hess, wei-
tere Schritte zu unterlassen und umzukehren; * doch vergrösserte
dch seine Mannschaft beträchtlich durch Schaaren von ihm zu-
lAoienden Wallachen und Moldauern, die wohl der hohe Sold,
den er zu zahlen pflegte, anlockte.* So zog er nach Sieben-
bürgen, erreichte nach Pfingsten Kronstadt und begann noch
im Mai die Belagerung Von Hermannstadt, freilich ohne Erfolg,*
selbst wenn Frangepan, Erzbischof von Kalocsa, mit seiner Mel-
dong Recht hat, dass er von den Einwohnern Geiseln und das
Versprechen der Uebergabe nach sechs Monaten erhielt, fUr
den Fall, als Ferdinand im Zusanmienstosse mit Suleiman unter-
l^;^ das hielt Grritti wohl ftlr ausgemacht.
In diesen Tagen traf er mit Zdpolya zusammen, der ihn
übrigens bald verlassen zu haben und nach Ofen vorausgezogen
zu sein scheint;® noch berief Gritti eine Versammlung der
siebenbürgischen Stände nach Vizakna — in der ersten Hälfte
* HnrmosiLki, Documente privitöre, Suppl. 2 zu I, 65.
' DeUa Valle 22 — 24; die Angabe der Truppenzahl ist wohl übertrieben.
* Hatvani, Magyar tört^nelmi okmAnyliir. I, 156—158. — Quellen und
Erörterungen lY, 220.
* Ebendas. — Chronik des Hieronymus Ostermayer 1520 — 1561 in Kem^ny,
6. J., Deutsche Fundgruben der Geschichte Siebenbürgens, 1839, Klausen-
bürg, I, 1—69. 18. ,Nach Pfingsten ist L. Gr. . . . nach Cronen kommen,
Ton da er wider die Hermannstadt gezogen, und sie dem Joanni König
. . . onterUiänig machen wollen, aber nichts ausg^richt.' — Ostermayer
Itot hierauf Gritti curioserweise in Ofen belagert und ,so bedrängt wer-
den . . ., dass sie Esels- und Rossfleisch haben essen müssen*. Offenbar
Ut die Belagerung von Ofen im Jahre 1530 gemeint.
* Franciscus Frangepan an Thomas Nddasdy, 14. Juni 1532. Pray, Ep. proc.
n, 13 — 15. Näheres über Hermannstadt in dem Aufsätze Schuller's ,Georg
Reichersdorffer und seine Zeit*. Archiv für Osterr. Gesch. XXI, 247. —
Die Nachricht bei Della Valle, dass ihn Gherend (,vescoyo*) nach Her-
maiinstadt eingelassen, ist eine alberne Fabel ; vielleicht, dass damit nur
ein Privatbesuch gemeint ist. — Vgl. Mon. Hung. bist. Dipl. XXV, 229. 230.
* Laiki an Herzog Ludwig von Bayern. Krakau, 4. Juni 1532. Quellen und
firSrtemngen IV, 220.
42
des Juni — , dort einen Landtag ,pro conservatione regni^ ab-
zuhalten/ und traf einige Verfügungen in seiner Eigenschaft
als Gouverneur und Generalsehatzmeister. Er bestätigte der
Stadt Kronstadt flir ein Jahr den Zwanzigsten von den durch-
gehenden Waaren gegen eine Pachtsumme von 2500 Gulden
und erkannte derselben durch Decret eine dreijährige Freiheit
von allen ausserordentlichen Steuern wegen der erUttenen Boiegs-
unbilden zu.' Den Anhängern König Ferdinands I. schickte
er Drohbriefe zu mit gleichzeitiger Versicherung, es sollte Alles
vergessen sein im Falle ihres Wiederabfalls zu Zäpolya.' Dann
brach er endHch über Grosswardein und Debreczin gegen Ofen
auf, wo er am 6. oder 7. Juli ankam.^ Sein Empfang war
grossartig. Frangepan, der ,Gros8kanzler' Ste£Ekn Brodarics und
der Schatzmeister Johann D6czy zogen ihm entgegen, begleitet
von zahlreichen Edelleuten und einer ungeheuren Menge Volkes,
ihn im Triumph vor den König zu fuhren. Es war ein glän-
zender Zug, der sich zur Königsburg bewegte; voran die tür-
kischen Soldaten in ihrem kleidsamen Costüme, hierauf die
Leibgarde des Königs, hinter dieser die Magistratspersonen von
Ofen und Pest, dann Anton Gritti in der Mitte zwischen Szere-
csen, Bischof von Fünfkirchen, und Johannes D6czy, endUch
nach einer ganzen Schaar von Edelleuten Gritti selber, hoch
zu Ross, in prunkvoller türkischer Kleidung, in seinem Gefolge
^ Frangepan an N^dasdy, S. 41, A. 5. — Vgl. HarmtuEaki II, 4. 36 (anter
7. Mai).
' Dazu ein Prachtstück damaliger Justiz: Dem Kanzler VerbScsy war von
einem Menschen ein Pferd und andere Sachen im Werthe von 32 Qulden
gestohlen worden; derselbe war nach Kronstadt geflohen; Gritti verlangte
dessen Ehruirung und Bestrafung mit dem Qalgen (!); sollte er nicht zu
finden sein, so wären mehrere von einem Beamten Verboczj^ zu be-
zeichnende Leute ins Gef&ngniss zu setzen und bitten so lange zu haf-
ten, bis dem Verlustträger genuggethan sei. — Arohiv der Stadt Kron-
stadt, Urkundenabth., Fr. SchnelPsche Sammlung, Bd. 2, Nr. 96. 98. 100,
ddto. Kronstadt, 25. Mai; Sdrk&nj, 1. Juni; Debreczin, 28. Juni 1532;
8. Anhang Nr. 6. 6. 7.
* Kgl. Ungar. Landesarchiv, Budapest. Gritti an den Bischof von Agr&m,
Simon de ErdSd. Ofen, 16. Juli 1582 (s. Anhang Nr. 9). — Eine in
,Tran8ilvania' (Beiblatt zum SiebenbOrger Boten, Hermannstadt) VI, 1845,
Nr. 31, aufgeführte Originalurkunde fUr Marktscheiken ähnlichen Inhalts
ddo. Csanad, 2. November 1532, ist im Archive von Marktscheiken nicht
mehr aufzufinden.
* Della Valle 26. 27.
43
eine Compagnie Janitscharen und zwei Abtheilungen ungarischer
Reiter. Zipolya zog ihm entgegen^ und der Erzbischof von
Kalocsa celebrirte ein feierliches Hochamt, dem der König und
Gritti beiwohnten. Noch an demselben Tage wurde Gritti zum
Generalcapitän von Ungarn ernannt und vom Könige, als Zeichen
der Generalswürde, ein Marschallsstab und eine Standarte in
Bdne Hand gegeben. Den Schluss bildete das leidige Bankett.^
Des neuen Generalcapitäns warteten aber wichtige Ge-
schäfte.
Am 25. April 1532 hatte Suleiman seine Hauptstadt ver-
käsen und zog gegen Ungarn heran. Nicht Zdpolya, der seine
Edlen für den 24. Juni zur Begrüssung des Grossherm nach
Ofen beschieden hatte, sondern Gritti eilte ihm entgegen; am
17. JuK verKess er Ofen* und traf den Sultan bei Essegg;*
ob die dort gepflogenen Verhandlungen lediglich dem Interesse
Zipolja's galten, mag im Hinblicke auf spätere Ereignisse
billig bezweifelt werden.* Auf sein Anstiften wurde dort auch
Peter Perdnyi, Gritti's geftlhrlicher Gegner, als Haupt der Un-
abhängigkeitspartei, der von seinem Schlosse Yalpö aus den
Grossvezier zu besuchen kam, gefangen ;'^ bei seiner Rückkehr
nach Constantinopel hat ihn der Sultan Gritti übergeben, der
ihn mit sich nach Ofen ftlhrte, dann aber freiliess; seinen Sohn
Franz nahm er in die Türkei mit, als er im März 1533 Ofen
yerliess; der arme Elnabe hat Vater und Vaterland nie wieder
g^ehen.*
Nach Beendigung der Audienzen und Verhandlungen
kehrte der Gouverneur in die ungarische Hauptstadt zurück,
die ihn sammt dem Castell von Zäpolya übergeben wurde; zu
^ Della Valle 26 ff.
' Stefan Brodarics (der Name Brodarics und Broderics geschrieben) an
Thomaa Nidasdy, 16. Juli 1532, Ofen Pray, Ep. proc. ü, 18. ~- Quellen
und ErOrtemngen IV, 240.
' Dieser kam dort am 20. Juli an (Huber IV, 40). — Vgl. Pray, Ep. proc. II, 16.
* Dam die hier durch Gritti gepflogenen Verhandlungen in Vertretung der
Hercoge Bayerns mit den Hoffnungen auf eine Neutralität des Reiches,
die Laski fGlr den Fall eines türkischen Einfalles in Böhmen yermuthete,
sQsammenhängen, ist naheliegend. Huber IV, 40. Quellen und Erörte-
mngen IV, 264.
* Zermegh bei Schwandtner II, 406. 407.
* Ebendas. — Della Valle 32. — Verancsics 34. — Quellen und Erörte-
rungen IV, 259.
44
dessen tiefstem Schmerze — er soll darüber wie ein Kind
geweint haben — ersetzte er in Folge Auftrages des Sultans
alle christlichen Soldaten und Officiere durch Türken.^ Es ist
einleuchtend^ dass der Befehl hiezu in Essegg erfolgte^ und es
ist keine müssige Vermuthung, dass Suleiman fUr den Fall einer
Eroberung Wiens* auch jetzt wieder an eine Depossedirung
Zäpolya's dachte; die Richtigkeit einer solchen Annahme wäre
als ausgemacht zu betrachten^ wenn sich die Nachricht bei
Jongelinus beweisen liesse^ dass Gritti dem Könige zugeredet
habe^ er solle einen besonderen bedeutenden Reichstag za-
sammenberufen, den man dann türkischerseits auseinandeijagen,
die ttlrkische Herrschaft decretiren und dass Zäpolya in seiner
Einfalt auch darauf eingehen wollte, wenn nicht Gritti 's Secre-
tär Tranquillus dem Nädasdy, dem er verpflichtet war, das
Ganze mitgetheilt und dieser hierauf die betreffenden Entschlüsse
des Königs rückgängig gemacht hätte.^ Charri^re bringt die
Vorgänge in Ofen mit einer Erhebung Gritti's auf den Thron
Ungarns zusammen;^ dass dieser die vom Sultan erhaltenen
Aufträge fllr sein Interesse auszubeuten Willens war, beweisen
die von ihm veranstalteten erfolgreichen Truppenwerbungen in
Ofen.* Dort war übrigens seines Bleibens nicht lange. Schon
am 15. August musste er dem Befehle Zäpolya's, Gran, das von
^ Charriöre, N^ociations de la France dans le Levant I, 212. 14. August
1532, . . . le jour 22* joar de juillet (natürlich falsch, da Gr. 17. JnU Ofen
verlassen hatte) a rendu la ville et le chasteau de Budles a Lojs Gripty,
lequel Qriptj a ostä tons les chresstiens desdictes places, et y a mis en
leur liea des Turcs par commandement du grand turc; de qaoy ledlct
Tayraulde a est^ merveilleusement raarry, et en a pleurö comme an en-
fant; car on dit davantage, que ledit Gripty aora le gonvemement de
toute THongrie.*
' S. Brodarics berichtet dem Octavio Grimaldi, Rath des französischen
Königs, unter dem 14. August folgende abenteuerliche G^eschichte: ,yene-
runt literae, ch' el imperator de Turci era passato Vienna, va dritto
verso Ratisbona, non so que 4000 todeschi, che erano venuti non lon-
tano da Vienna k incontrarse con li Tnrchi, sono tagliati a peeso.* —
K. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien.
' Jongelinus, Catalogus palatinorum regni Hungariae, bei Katona XX, 869 ff.
* N%ociations de la France dans le Levant I, 212.
^ Szerömi 299. 300. — Vgl. hiezu auch die im Anhang Nr. 10 mitgetheilte
Urkunde (altes Bistritzer Comitatsarchiv) vom 5. August 1532, in der
Gritti vom Bistritzer Rath zu Kriegszwecken 1000 fl. und eine Anzahl
Wagenpferde fordert
45
Ferdinands Truppen besetzt war, zu belagern, Gentige thun
md reiste auch noch an diesem Tage ab.^ So war es Sulei-
maos Wunsch — und das erklärt Gritti's raschen Gehorsam — ;
denn es musste dem Sultan doch sehr gelegen kommen, wenn
durch einen solchen Angriff ein Theil der Streitkräfte König
Ferdinands in Anspruch genommen wurde.'
Mit 10.000 Mann Landtruppen,^ der türkischen Donau-
fiotiUe, ausgerüstet mit allen sonstigen Belagerungswerkzeugen,
begann Gritti die Belagerung Grans, einer vorzüglich befestig-
ten Stadt, welche Thomas Lascano mit spanischen, deutschen
and croatischen Landsknechten und Bartholomäus HorvAth
mit den Lehensmännern des aus der Stadt entflohenen Erz-
bischofs VArday vertheidigten.* Alle Stürme waren vergebens;
im Gegentheile, die Belagerten fügten durch gelungene Aus-
fälle — Istvdnffy hebt besonders zwei, einen von Martinus Las-
cano, Bruder des Befehlshabers, den andern von Horväth, her-
vor* — dem belagernden Heere empfindlichen Schaden zu,
motten sich aber, da die Lebensmittel zu mangeln begannen,
OÄch Pressburg um Zufuhr von solchen wenden. Die dort
^tionirten Räthe fragten bei Ferdinands Feldhauptmann
Eatzianer in Wien an und erhielten den Auftrag — Katzianer,
stets einen Angriff Suleimans befürchtend, wagte keine Ver-
minderung der bei Wien aufgestellten Truppen — sie sollten
mit den sechzig bei Pressburg liegenden Nassadien — kleinen
und schnellen Fahrzeugen nach Art der Piratenschiffe — nach
(rran eilen; er selbst würde mit grösseren Schiffen zur Deckung
oachkonmien. Der Befehlshaber der Nassadien, Corporanus,
gedachte vorerst diese Verstärkung bei Komom abzuwarten;
doch Gritti hatte von Allem erfahren und sandte die türkische
Flotille gegen Komom; trotz des Rathes des Pesthanus, des
zweiten Befehlshabers der Flotte, sich auf Pressburg zurück-
zuziehen, wagte Corporanus den Kampf; so kam es im Morgen-
grauen — an einem Tage des Monates September — zu einem
' St, Brodarics an Orimaldi. K. u. k. Haas-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien.
' So bat es zuerst scharfsinnig and einleuchtend Pray in den Annales re-
gxiin Hungariae lU, 251 klai^elegt
* Hatrani, Okminytir. I, 176.
* Hieför und für die folgende Beschreibung der Belagerung Grans Jovius,
XXX, 101'— 103^ — Della Valle 29—32.
' Istrinff/ 176.
46
blutigen Seegefechte, das mit einer gänzlichen Niederlage der
Pressburger endete.
Aber Gritti war nicht in der Lage, den Sieg zu benützen;
er hatte nicht genügend Pulver, mehrere seiner Belagerungs-
maschinen waren gebrochen, sein Heer schmolz immer mehr
zusammen, die Ungarn, die unter ihm dienten, machten gar
kein Hehl aus ihren Sympathien für die Belagerten. Suleiman,
so erfuhr er jetzt, hatte Güns verlassen und befand sich in
vollem Rückzuge, und Ratzianer, der mit dem statüichsten
Heere, das König Ferdinand je gehabt, bei Wien stand, konnte
jeden Tag erscheinen.* Diese Erwägung wog so stark, dass
Gritti seinen Plan, die Stadt auszuhungern, schleunigst aufgab
und in einem fluchtähnlichen Rückzuge Ende September nach
Ofen eilte.* lieber das Ergebniss der von Gritti angebUch in
königlichem Auftrage Anfang September angeordneten Kriegs-
steuereinhebungen zum Zwecke der ,Vertheidigung Ungarns*
liess sich nichts finden.^
Von Ofen weg begab er sich so schnell es ging nach
Belgrad, wo er Mitte October den Sultan erreichte.* Suleiman
empfing ihn leutseUg, durchritt mit ihm und Ibrahim plaudernd
das Lager und behandelte ihn auszeichnend.* Er erfüllte die
durch Gritti überbrachte Bitte Zäpolya's, eine Armee an der
(Jrenze zum Schutze gegen etwaige habsburgische Offensiv-
^ Simancas, Archivo de Estado, Berichte des kais. Commiasärs Prantner an
Karl V. aus Pressbarg, 4., 10. und 26. September 1532 (Regesten bei
Ovary, A magyar tud. akad^mia tttrt^nelmi bizottsiginak oklevöl-mäso-
latai [Urkundenabschriften der histor. Commission der kgl. ungar. Akademie
der Wissensch.], Budapest 1890, 11, Nr. 248. 261. 261). — SzerÄmi 303.
' Della Valle 31. Die Ankunft in Ofen wird nach der Nachricht bei
Szer^mi 303: ,rex loannes cum gubematore Gritti ita venimus et in die
feste . . . sub papilionem suam rex missam audivit et ad Budam yenera*
mus ad horam prandii* auf den Michaelstag (29. September) anzusetzen
sein. Die traurigen Folgen der Belagerung fdr die Stadt und Umgebung
schildert in lebhaften Farben der Erzbischof Paul V^rday in einem
Briefe an Papst Clemens VII. (Gran, 3. April 1533), worin er den Papst
bittet, er mOchte KOnig Ferdinand von dem an ihn, Virday, gestellten
Verlangen abbringen, 6000 Gulden zur Erhaltung der Graner Burgwache
beizutragen. Rom, Yatican. Archiv, bei Ov^ry Nr. 270.
' Gritti an die Städte Eremnitz und Schemnitz, 5. September 1533. Krem-
nitz, städt. Archiv. (Anhang Nr. 12 a.)
* Fessler-Klein IH, 467.
» DelU Valle 31 f.
47
s^tte zurückznlasseD,^ indem er 60.000 Mann unter neun
SandjakSy mit einer auf sechs Monate reichenden Munition ver-
leben, zu f^egg überwintern liess.^ Gritti selber brachte, als
er gegen Ende November * nach Ungarn zurückkehrte, reiche
Unterstützung an Soldaten, Pferden, Waffen, Schiffen und Geld
xit^ Mitte December stiess er zu Zdpolya, der sich an der
Theiss aufhielt,^ und erstattete Bericht über seine Sendung,
indem er gleichzeitig ein officielles ^ Handschreiben Suleimans
überreichte,* worin dieser neuerUch Zäpolya Beistand verhiess
nnd das Versprechen eidlich bekräftigte, dass er König Ferdi-
nand ,8achen wolle in allen seinen Landend
Am 21. December, bei starkem Schneefall, so dass man
kaum vorwärts kommen konnte, traf er in Ofen ein,' wo Nä-
dasdy, Athinay und Paulus Pozaka das Gerücht verbreitet
hatten, der Sultan hätte ihn schmählich hinrichten lassen;^
bald sollte man von der Unwahrheit desselben furchtbar über-
zeugt werden.
§.5.
Die Wnikflrlierrscliaft In Ofen (Winter 1533).
Voll Hochmuth und Stolz kam der Reichsgouvemeur nach
<Jfen zurück. So nahe glaubte er sich der Verwirklichung
sdner Plane, dass er, ohne sich um den ohnmächtigen, ausser-
dem bei ihm tief verschuldeten® König auch nur im Gering-
* Schepper An Karl V. Innsbruck, 15. Jänner 1533. Hatvani, Okmünytir
I, 194. — Schepper an Nie Olah. Linz, 8. Februar 1533. Mon. Hang,
bist Dipl. XXV, 286 f.
* St Brodaricfl an Simon ErdSdy, 16. October 1533, bei Koller, Historia
episcopatufl Qainqneecclesiarum. Posonii 1801, V, 226. — C. Winzerer
an Herzog Ludwig von Bayern, 18. u. 20. December 1532. Quellen und
Erörterungen IV, 259. 262.
' C. Winzerer an die bayrischen Herzoge (21. November 1532): Gritti hat
beute geschrieben, er ... ist zu Peterwardein. Quellen und Erörterungen
IV, 253. — Della Valle 32. — Öviry Nr. 265.
* C. Winzerer an Herzog Ludwig. Quellen und Erörterungen IV, 259. 262.
* Quellen und Erörterungen FV, 258.
* Ebendas. 259.
' DelU Valle 32.
* Sier^mi 309.
* ». 8. 32.
48
sten zu kümmern, schon ganz den Herrn und Gebieter des
Königreiches spielte, dabei aber nicht vergass, sich seiner Gegner
unter den ungarischen Edlen zu entledigen oder wenigstens den
Versuch zu wagen. Nddasdy freiUch wusste sich ihm zu ent-
ziehen, indem er Ofen verliess; aber andere Opfer fielen. Paulus
Pozaka (Literatus)^ der mit Athinay und Nddasdy das Gerücht
von Gritti's Hinrichtung verbreitet hatte, ward in seinem Hause
aufgehängt. In seinem Kachlasse fanden sich 4000 Gulden;
für ein Viertel der Summe, behauptet Szerimi, hätte er sich sein
Leben erkaufen können. Athinay ward seiner Stelle als Platz-
commandant (provisor) Ofens verlustig erklärt und durch ,Bru-
der Georg' — Georg Utijessenich — ersetzt.' Diesen Gewalt-
thaten setzte der Freche die Krone auf durch die Ermordung
der in Ofen hochangesehenen Brüder Paul und Blasius ÄrthAndy,
die ZApolya, als verrätherischer Beziehungen zu Ferdinand ver-
dächtig, am 9. Jänner 1531 hatte einkerkern lassen.* Gritti
Hess beide, während der König sich auf der Jagd befand, in
der Morgendämmerung des 10. Jänner vor die Stadt hinaus-
führen und, Blasius zuerst, dann Paulus, ohne auch nur einen
Schein von Rechtsprechung enthaupten. Ihr Verrath an der
Sache Zdpolya's, später wohl klargelegt,' war für Gritti noch
durchaus nicht erwiesen, wohl aber hatten die Brüder in Be-
ziehungen zu der Opposition gegen Gritti gestanden und
waren ausserdem reich, Grund genug, sie aus dem Wege zu
räumen. Wieder war es der verhasste NAdasdy, der ihn um
die Früchte dieser That brachte, indem er das reiche Vermögen
des ermordeten Paul Arthändy vor ihm sicherstellte.*
Das waren nun die Consequenzen des Gritti'schen Grund-
satzes, wie er ihn Schepper gegenüber aussprach: ,Wer herr-
schen will, darf kein Blutvergiessen scheuen !* ^ Was war ihm
^ Szertoi 311.
* Ebendas. 818.
> Fessler-Klein in, 460.
* Sserömi 320. — N. Olah an Schepper. Brüssel, 14. Jänner 1533. —
Schepper an N. Olah. Wien, 2. April 1533. — Mon. Hang, hist Dipl.
I, 333 f., XXV, 272 f. — Vgl. auch kgl. ungar. Landesarchiv, Maylath
an NAdasdy, 25. Februar 1533, Pressburg: ,Malta de dominatione yestra
magnifica mala loquutus est Gritti. Ibraim eciam intimavit loanni regi ex
suasionibus Gritti, ut dominationem vestram captivent* — S. Nachtrag.
» Gövay U, 1534, 65.
49
ZipotjAf in dessen nächstem Kreise ganz unverhüUt davon ge-
sprochen wurde, dass Qritti seinen Untergang ersehne, um
selbst mit des Sultans Zustimmung den Thron von Ungarn zu
besteigen!^ Der bedauemswerthe König wagte auch kaum
mehr Widerstand. Gritti hielt einen glänzenden Hofstaat, 7000
türkische Soldaten standen unter ihm; in seinem Dienste waren
mehr ungarische Kriegsleute als in dem des Königs, und immer-
während gab es Streitigkeiten zwischen seinen und den könig-
Bchen Truppen, deren Anzahl sich täglich verringerte, indem
viele, durch den hohen Lohn, den Grritti zahlte, verlockt, zu
ihm übergingen. Zweihundert Bewaffnete mit brennenden Lun-
ten und geladenen Gewehren begleiteten ihn eines Tages in
den königlichen Palast; die Situation war derartig, dass Szer^mi
dem königlichen Rathe Pösti^ny zurufen konnte: ,Gebt nur
Acht, dass ihr nicht einmal Alle sammt dem König eure Köpfe
verliert!' Als seine Helfershelfer bezeichnet jener schon damals
ürban Batthydny und den an Stelle Nädasdy's zum ,Vice-
gubemator' ernannten Johannes Döczy, einen niedrig gesinnten
Menschen, der nach der Szerömi von Zäpolya selbst gegebenen
Versicherung die Abscheulichkeit beging, Gritti seine eigene
Frau zuzuführen.^
Und nun begann er einen neuen, vorerst diplomatischen
Kampf gegen den verhassten römischen König. Abgesehen von
einer — erfolglosen — Belagerung des Raubnestes Palota, der
Burg des berüchtigten Ladislaus More, im Februar 1533,^ ver-
nthen alle seine Massnahmen diese Absicht. Er richtete an
die Ferdinand treuen Bergstädte Oberungarns die Aufforderung,
durch angesehene Abgesandte mit ihm und dem Könige in
Unterhandlung zu treten, offenbar nur um durch Gefangen-
Qehmung dieser Abgesandten einen Zwang auf dieselben aus-
rauben,* wie denn die Räthe Ferdinands in Pressburg, dies
erkennend, die Sendung sofort widerriethen. Das treue Her-
mannstadt zu erobern, lag ihm schon lange im Sinn; ^ doch
^ Paul Bakics an Ferdinand I., 7. October 1632. s. S. 37, A. 1.
* Szer^mx 311—313. Qaellen und Erörterungen IV, 269.
' K. Tl. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien. Die ungarischen Commis-
•arii an Ferdinand, 27. Februar 1533. — Kgl. ungar. Landesarchiv, Fest
Maylith an N&dasdy. Pressbarg, 25. Februar 1633.
* 8. Anhang Nr. 13.
* 8. Anhang Nr. 14.
ArektT. LXXXm. Bd. I. Hilfto. 4
50
war er jetzt zu weit davon entfernt, um eine Entscheidung
fkllen zu können. Zugleich verhandelte er durch den Agenten
Georg Weinmeister mit den Herzogen von Bayern, denen er
versprach, er ,wol alczeit geflissen und ungespart erfunden
werden', ihnen guten Willen zu beweisen. Hatte er doch von
ihnen die Zusage, sie würden, wenn kein Friede zu Stande
käme, in die habsburgischen Länder einfallen.^ Nun aber sollte
der Hauptschlag gegen Ferdinand fallen.
Im März 1533 berief Gritti eine Staatsversammlung nach
Ofen in das Johanneskloster und Hess den Versammelten durch
seinen Vertreter Döczy, der, mit Szer^mi zu reden, ,wie der
Satan neben ihm stand', verkünden: ,Keine Gefahr droht Un-
garn von den Türken, so lange ich hier bin; nicht bedarf es
mehr der Kriege, sondern Ihr werdet in aller Ruhe leben,
selbst Syrmien hoffe ich für Euch zu erlangen.' — Das war ja
das Verlangen einer grossen Partei. — ,Aber eines ist noth-
wendig: die Bezwingung König Ferdinands,* Eures Erbfeindes
und die ist ohne Geldopfer von Eurer Seite unmögKch.' Die
Stände waren nicht wenig gereizt über das herrische Auftreten
des verhassten Venetianers. ,Der König ist ja doch kein Kind,
wenden wir uns an ihn!' Aber der gute König wies die zwei
an ihn geschickten Abgeordneten kleinlaut zurück, mit der
Aufforderung, dem Gubemator zu gehorchen; auch Verböczy,
zu dem sich die Gesandten hierauf begaben, wusste ihnen keine
andere Antwort zu geben. So mussten sie sich die Forderungen
Gritti's gefallen lassen. Diese waren nicht gering; Adel und
Clerus sollten die Hälfte ihres beweglichen Vermögens zu Steuer-
zwecken hergeben; mit der Eintreibung sollte in jedem Comitat
der Vicegespan betraut werden. Und eine originelle Steuer-
schraube ersann er noch. Er besass grosse Mengen Safrans,
und diese mussten von Comitaten, Gemeinden und Edelleuten
t unfreiwiUig gekauft werden. Er habe in Siebenbürgen einen
Goldberg entdeckt, erzählt er der etwas überraschten Versamm-
lung, imd den zu bebauen brauche er Geld; verlasse er Un-
^ Georg Weinmeister's Bericht Über seine Sendung nach Ungarn au die
Herzoge von Bayern, Punkt 2: ,Wa0 ich mit Herren Ludwigen Grytti
gehanndlt* Quellen und Erörterungen IV, 26S/9.
■ 8. S. 62, A. 8.
61
»am, so bleibe ihnen der Berg ohnehin.^ Gleich neben impe-
ratorischen Entwürfen der kaufmännische Geschäftsgeist!'
Wer weiss, wie weit die Dinge gerathen wären, hätte ihn
aicht ein stricter Befehl des Sultans nach Constantinopel be-
fohlen. So sah er sich gezwungen, Ofen — am 25. März —
m verlassen und zog, von seinen Trabanten Batthyäny und
Döczy begleitet, über Debreczin und Gross wardein * nach der
Türkei, nicht ohne sich auf diesem Marsehe bei den Bewohnern
ein trauriges Andenken zu sichern. Seinen Sohn Anton, den
neunzehnjährigen Bischof von Erlau, Hess er bei Zäpolya zu-
rück, während er Perenyi's Sohn Franz mit sich in die Türkei
nahm. — In Ofen aber gab es keinen Menschen, der die Ab-
reise Jener Schlange^ nicht mit Vergnügen zur Kenntniss ge-
nommen hätte. ^
§.6.
Die Yerhandlungen in Constantinopel.
I.
Gritti'8 und Ibrahim's eigenmäohtige Politik.
König Ferdinand I. hatte am 30. December 1532 durch
K^tzianer und andere Bevollmächtigte sich mit den Vertretern
Zipolya's über einen viermonatlichen Waffenstillstand geeinigt,
während dessen am 7. Februar 1533 Friedensverhandlungen in
Pressburg eröffnet wurden.^ Einen Monat früher hatte er Hiero-
njmos von Zara als Gesandten nach Constantinopel gesandt;
am 10. Jänner war dieser in die türkische Hauptstadt gekommen.
^ Sser^mi 313 — 315. Bezüglich der Saüransteaer vgl. Ostermeier 18: ,Gritti
. . . viel Safimn in Siebenbürgen geschickt, welche in die Städte denen
Leuten, nachdem sie Zins getragen, mit Gewalt ist aufgesezt worden.
AUhier zu Cronen aber ist viel von den Bürgern in die Bach geworfen
worden, ob sie ihn gleichwohl haben zahlen müssen.^
' So hatte er auch eine Transportspeculation, betreffend eine ,mit geriugist
Kosten* durchzuführende Verfrachtung des im oberungarischen Berglande
gewonnenen Kupfers in die Türkei, im Sinne. K. u. k. Haus-, Hof- und
Staatsarchiv in Wien.
* DeUa VaUe 33.
«Szer^mi 312. 321. 322.
* Huber IV, 46. 47. — Fessler-Klein lU, 460. 461.
4*
52
Schon 11 Tage später konnte er berichten, dass der Sultan^
unangenehm von den Erfolgen des Kaisers berührt, dessen
Generalcapitän Andreas Dona die auf der peloponnesischen
Halbinsel gelegene Festung Corone eingenommen hatte, dem
Frieden zugeneigt sei und bereits an Zäpolya und Gritti habe
Befehle ergehen lassen, jede Belästigung oder Beleidigung der
Unterthanen König Ferdinands in den Grenzlanden zu unter-
lassen.^ In einem Schreiben, das Ibrahim Pascha dem vom
Sultan in diplomatischer Sendung nach Wien gesandten Mehe-
metbeg mitgab, ward dem Könige die Belassung in den zur
Zeit thatsächlich besessenen Gebieten Ungarns zugesichert. Der-
selbe bewiUigte die von Mehemetbeg tiberbrachte Forderung
des Sultans, ihm als Zeichen der Ergebenheit die Schlüssel
der Festung Gran zu tibersenden, und entliess den Gesandten
in allen Ehren.*
Mit begreiflichem Misstrauen hatte man von Constantinopel
aus das Treiben Ludovico Gritti's beobachtet. Sein despoti-
sches Auftreten in Ofen musste bei der Pforte umsomehr ver-
stimmen, als er in directem Widerspruche zu den vom Sultan
erhaltenen Befehlen fortfuhr, gegen Ferdinand I. — wenn auch
zunächst nur diplomatisch — zu arbeiten.^ Sein Mass voll zu
» GÄvay U, 1632, 66. 68. 71. 73 etc.
' Katona XX, 881. 883. — Dass die Znsicherung des momentanen Besitz-
standes eine Eigenmächtigkeit Ibrahims gewesen ist, scheint mir aus
Folgendem hervorzugehen: In keinem einzigen der an Ferdinand selbst,
femer an die Hauptleute in Corone, an Katzianer, Lascano, die nieder-
österreichische Regierung und andere gerichteten Schreiben des G^esand-
ten Hieronymus von Zara ist von einer solchen Bedingung die Bede,
ebenso nicht in Briefen des Königs Ferdinand an seine Commiss&re in
Ungarn und an seine Schwester (G6vay II, 1532, 62—96. 112). Sie
findet sich zuerst in einem Ende März nach Mehemef s Sendung (s. Ka-
tona XX, 881—883) gehaltenen Vortrag in Wien an Ferdinands unga-
rische Käthe (G6vay H, 1532, 101—103). Nicht verständlich wäre dann
femer, warum Aias Pascha sich im Frühjahre 1534 solche Mühe gab,
dem Sultan nichts von einer derartigen Bestimmung zu Ohren kommen
zu lassen; unverständlich auch, dass den Gesandten Hieronymus von
Zara und Com. Duplic. Schepper, die doch eine sehr günstige Stimmung
in Constantinopel vorfanden, kein derartiges Versprechen gegeben wurde
(s. Gesandtschaftsberichte bei G^vay n, 1532 und II, 1534).
' Dass er die Verständigung in die Hände bekam, beweist ein Schreiben
König Ferdinands an seine ungarische Commission in Pressbuig vom
7. März 1533, in welchem die Uebargabe des von Hieronymus an Las-
53
machen^ meldete er selbst nach Constantinopel, dass der König
Ferdinand und der König von Polen sich mit ihm und Zdpolya
über den Abschluss eines Friedens ins Einvernehmen gesetzt
liätten. Das war gar nicht im Sinne der türkischen Politik.
Zornig rief Ibrahim Pascha, weder Zdpolya noch Gritti hätten
aber den Friedensschluss zu bestimmen; das stände allein beim
Sultan.* AugenblickUch ward Zäpolya angewiesen, seinen Gou-
Temeur an die Pforte zu schicken.* Dass man sich dort ausser-
dem seiner Kenntniss der ungarischen Verhältnisse bedienen
wollte, beweist die von Mehemetbeg an Ferdinand I. über-
brachte Meldung, Ludovico Gritti habe Befehl, Zdpolya zur
fonnellen Abtretung jener Gebiete, die der König zur Zeit be-
sässe, zu bewegen.*
Gritti beruhigte den über diesen Auftrag nicht wenig be-
troffenen Zäpolya und versprach, bei der Pforte das Unterste zu
obcrst kehren zu wollen, wenn er nur einmal dort wäre. Ob gerade
immer zu seinem Vortheile, konnte Zdpolya billig bezweifeln.*
Nach mehr als einmonatlicher Reise kam Ghritti am
29. April in Constantinopel an und stellte sich am 3. Mai Ibra-
him Pascha, einige Tage später dem Sultan vor;*^ ein ganzes
Heer von Dienern hatte die kostbaren Gold-, Silber- und Seiden-
arbeiten zu tragen, die er dem Grossherm zum Geschenke
machte. Dieser zeigte sich durch die Sendung von zwölf reich
mit Ducaten beladenen Pferden hieftir erkenntHch.^
Die Verhandlungen zwischen Hieronymus von Zara und
der Pforte waren, als Gritti ankam, in vollem Gange. Schon
cano gerichteten Briefes als durch Gritti bewerkstelligt angegeben wird.
(G^vay II, 1632, 84-86.) — Vgl. auch Hnrmuzaki U, 1. 82.
* Gesandtschaftsbericht Hieronymus von Zara's und C. D. Schepper's vom
27. September 1533. G^vay II, 1532, 4. Vgl. auch in Cod. 9026, f. 7'—
27' der Hofbibliothek in Wien enthaltene Tagebuchfragment der Ge-
sandten, das zalilreiche interessante Details enthält — Hieronymus von
Zara an Ferdinand, 4. März 1533. G^vay II, 1532, 82.
• Alexius Thurzö an Ferdinand I., 8. März 1633. G^vay II, 1532, 91.
» «. 8. 52, A. 3. (Katona XX, 881—883).
* Kurz darauf erklärte er (wenn Bethlen, der meist Zermegh oder Jovius
aasschreibt, Recht hat), sollte sich von Seiten Zipolya's irgend ein Wider-
stand gegen die Realisirung des Friedens zeigen, so werde er diesen zu
bannen wissen. Bethlen I, 204. ^ G^vay H, 1532, 516.
• Della Valle 33. — Quellen und Erörterungen IV, 290. — Lopez de Soria
an Ferdinand (l. Juli 1533). K. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien.
54
fiiiher hatte Ibrahim Pascha versprochen, er wolle durch Gritti
den König Johann zur Verzichtleistung auf Land und Krone
von Ungarn sogleich oder für seine Erben zu bewegen suchen.^
Die Erwartungen des Gesandten waren hoch genug gespannt.
Und nun sollte Gritti die Verhandlungen leiten, derselbe Mann,
dessen Ehrlichkeit König Ferdinand so wenig Vertrauen ein-
flösste, dass er schon am 7. April 1533 Hieronymus aufgefor-
dert hatte, Alles aufzubieten imd Ibrahim Pascha ,mit pessten
und schikhlichsten Worten dise Mainung anzuzaigen^, ,da8s der
Gritti nit darzue, noch sonst in ainicher anndem Handlung ge-
braucht, sonder ausgeslossen wurd^' Der Anfang war kein
hoffnungsreicher: die ungarischen Erwerbungsgedanken, meinte
Gritti, sollte sich das Haus Oesterreich nur aus dem Kopfe schla-
gen, Ungarn bliebe in Zäpolya's Händen; die übrigen Verhand-
lungen, damit auch die so werthvollen Versprechungen Ibra-
hims sollten rückgängig gemacht, Karl V. nur gegen unbedingte
Abtretung Corones zum IVieden herangezogen werden.' Dass
Hieronymus bei Allem artig und höflich blieb, war dem selbst-
gefälligen Venetianer gegenüber nicht ohne Wirkung.*
Die Verhandlungen stockten, bis am 24. und 25. Mai
Vespasian von Zara, der Sohn des Hieronymus, und Cornelius
Duplicius Schepper mit den verlangten Schlüsseln von Gran
und Geschenken an den Grossvezier erschienen, von Ferdinand
in der Art instruirt, dass sie, wenn ganz Ungarn nicht zu er-
langen wäre, sich mit dem zwischen Donau und Theiss ge-
legenen Gebiete begnügen sollten.^ Man sieht, König Ferdi-
nand war nicht pessimistisch. Auch Karl V. war es nicht. Die
Bedingimgen, die er durch Schepper, den inofiiciellen Vertreter,
* G^vay II, 1532, 6. — Voyage« des Souverains des Pays-Bas III, 464.
' Ferdinand I. an Hieronymus, 7. April 1533. — Gtövay II, 1532, 118.
' Betreffs Corones wandte sich Gritti auch an den Papst, dass er in be-
zeichnetem Sinne den Kaiser beeinflusse. Der Ori^naltext der betreffen-
den ,opinio' ist im k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchive nicht vorhanden.
Der Papst sandte sie oder eine Copie davon an den Kaiser. Anderer-
seits wollte der Papst durch Gritti's Vermittlung von den Türken einen
zehnjährigen, allgemeinen Waffenstillstand erlangen, wofür sich dieser
lebhaft einsetzen zu wollen versprach. — Jovius bei Katona XX, 913 f.
— Pray, Ann. III, 262. — Gövay II, 1634, 77-81.
* G6vay II, 1632, 6.
' Ebendas. 106.
56
ils Preis ftlr Corone melden liesSj waren keine geringen; ganz
Ungarn sollte Ferdinand erhalten, die Türken sich nicht in die
internen Zwistigkeiten in der Christenheit mengen, alle Christen-
Staaten sollten zum Frieden beigezogen werden.^ Die vorläufige
Auskunft Gritti's hierüber am 28. und 30. Mai und die end-
gfltige Antwort, welche Ibrahim Pascha nach einem tiraden-
reicben Wortschwall, den die Gesandten über sich ergehen
Hessen, diesen am 2. Juni gab, deckten sich: Karl V. sollte
dnen officiellen Vertreter an .die Pforte senden und erhielte
Torlftnfig einen dreimonatlichen Wafi^enstillstand. So war es
auch des Sultans Wille, wie er in der Audienz vom 23. Juni
verkündete.* Eine ^Eigenmächtigkeit war es aber, wenn Ibra-
him ohne Wissen des Sultans Gritti die Regelung des Verhält-
nisses zu Karl V. übertrug und es dem Ermessen Gritti's über-
Hees, welche Staaten zu dem abzuschliessenden Frieden heran-
geiogen werden sollten.^
Die Regelung der ungarischen Frage war von Anfang
Gritti, dem besten Kenner derselben, anvertraut worden; sehr
ZOT Unlust der österreichischen Gesandten, die bei dieser Kunde,
eingedenk der Weisungen König Ferdinands, sich befremdet
ansahen and schweigend niedersetzton, so dass Ibrahim Pascha
sich veranlasst fand, sie durch die Worte zu beruhigen, dass
Crritti nur seine Befehle ausfahren werde.* Gritti begann die
Verhandlungen mit einer möglichst energischen Dementirung
seiner Absichten auf Ungarn. Er solle, drückte er sich mehr
scharf als geschmackvoll aus, wie ein Hund sterben, wenn dies
wahr wäre. Und um diesen Worten gleichsam eine Stütze
durch Vemunftgründe zu geben, beschäftigte er sich in langer
Rede und zu wiederholten Malen mit der Schilderung des ,treu-
losen, schändlichen Ungarvolkes^ Was hätte ihm, dem Ver-
theidiger der Christenheit gegen die Türkenraacht, die Krone
von Ungarn gelten können, wo es Niemanden gab, der nicht
schon den Herrn — Ferdinand oder Zäpolya — gewechselt
hätte.^
> O^aj n, 1532, 13.
' Ebendu. 16. 17. 27. 37. 3S.
* Ebendas. 40-42. 43; 1533, 40—42.
* EbendM., 1532, 14.
* Ebenda«. 19. 45. 46.
66
Wieder schmeichelte ihm Hieronymus mit der Mittheilung,
der König Ferdinand suche ein geheimes Einverständniss mit
ihm.^ Am 11. Juni 1533 war er in der Lage^ den Gesandten
endgiltig mitzutheilen^ dass er Vollmacht habe^ die zwischen
den beiden Gegenkönigen in Ungarn schwebenden Differenzen
zu lösen und die Abgrenzung ihrer Gebiete mit ihrer gegen-
seitigen Zustimmung zu bestimmen.* Diese Verftlgung wurde
in zwei officiellen Schreiben des Sultans und Ibrahims^ in wel-
chen Gritti die Titel ,von Seiten der hohen Pforte Protector
in Ungarn* und ,Schützer und Anwalt der Rechte des Sultans^
fiihrt, am 4. Juli nach Wien mitgetheilt.® Es war wieder eine
Eigenmächtigkeit Ibrahims und Gritti'S; dass sie darunter das
thatsächliche Besitzverhältniss verstehen wollten,* und der Sultan
erfuhr in der Audienz vom 23. Juni, in welcher Ibrahim die
Worte des Dolmetschers Junisbeg dem Sultan in zum Theile
ganz veränderter Weise mittheilte, nichts davon.* Kaum anders
steht es mit den ,secreta*, von denen Ibrahim in der letzten
Audienz sagte, Gritti würde sie dem . Könige Ferdinand mit-
theilen. ^ Genug, Gritti hatte nun eine ungarische Würde mehr.
Er war entgegenkommend und liebenswürdig,'' gab den Ge-
sandten mehrmals die Versicherung seiner warmen Zuneigung
zu König Ferdinand, an den er nun auch ein sehr entgegen-
kommendes Schreiben richtete,® und bat zugleich die Gesandten,
darauf hinzuwirken, dass Ferdinand ihm seinen Todfeind Thomas
Nädasdy, dem er den reichen Besitz der Kanizsay neidete, der ihm
durch Vermählung mit Ursula de Kanizsay in Aussicht stand,^ in
» GÄvay II, 1632, 19.
> Ebenda«. 30. — Brodarics an Th. N^asdj, 19. Juli 1533, bei Praj, Ep.
proc. n, 39 f.
* G6vay II, 1532, 189 f. — Voyages dea Souverains des Pays-Bas III, 467.
* Vgl. S. 63, A. 3.
* G^vay II, 1634, 38; U, 1532, 37—41.
* Ebendas. H, 1532, 42.
* Schepper spricht in seinem Briefe vom 2. Juli 1533 an Ferdinand von
seiner ,Courtoisie*. Voyages des Sonverains des Fays-Bas HI, 466.
" G^vay II, 1532, 140. 141. Datirt vom 15. Juli.
* Thomas von ZalahÄsa an Thomas K^idasdy, 12. October 1533, bei Pray,
Ep. proc. II, 43. 44. Um die Erbschaft %n verhindern, kaufte er um
80 Goldgnlden (aurei) einen türkischen Sclaven, den er ftlr den Bruder
der Ursula Kanizsay ausgab. — Die Vermählung erfolgte Übrigens erst
im Jänner 1536. ÖvÄry Nr. 304.
57
£e Hände liefere.^ Und gleichzeitig schrieb er an Zdpolya, nicht
ein Theilchen des Reiches solle in Ferdinands Händen bleiben.^
Andererseits forderten am 4. August der Sultan und der Ghross-
rezier alle ungarischen Gremeinden auf^ Zäpolya auch fernerhin
ik rechtmässigem Herrscher zu gehorchen.'
Eine kleine Probe der Treue seiner Versicherungen er-
fahren die Gesandten, kaum dass sie Constantinopel verlassen
hatten. Auf Clissa war trotz aller Gegenversicherungen wieder
ein UeberfaU versucht worden.*
Am 21. December kamen sie nach Wien zurück. König
Ferdinand^ hoch erfreut über die Aussichten auf einen nahen
günstigen Frieden, verkündete diesen in allen seinen Landen.^
Er hoffte nun wirklich auf Gritti, darum sein Drängen nach
dessen baldiger Ankunft.^ In drei an den Sultan, Ibrahim und
Gritti gerichteten Briefen vom 5. October 1533 ersucht er, die
Abreise so einzurichten, dass der Letzte am 1. Jänner 1534 in
Wien erscheinen könne, dort die Streitfragen mit Zäpolya zu
ordnen. Er ersucht den Sultan und Grossvezier sogar, dem
Venetianer, der auch über die Ansprüche Zäpolya's in Mähren
und Schlesien und die der Königin Maria verschriebenen Ein-
künfte zu entscheiden hatte,' zu den Verhandlungen, die der
* G^ay II, 1532, 47. — Auch in der Art suchte er sich Ni^asdj's zu
bem&chtigen, dass er ihn und £rd5dy ihm entgegenzukommen einlud.
Erdody an Nadasdj. Praj, Ep. proc. II, 45. — 18. October 1583.
' Katona XX, 839 (Gritti an ZÄpolya, 2. Juni 1533). — Nuntius Vergerio
an Salviati, Geheimsecretär Clemens VII., 22. September 1533, Wien.
Darnach äusserte Gritti zu Laski^s Bruder: ,Eam esse voluntatem Cae-
saieae Majestatis, ut nulla regni particula penes Ferdinandnm maneat'
Nontiaturberichte aus Deutschland I, 1, 123.
' Alezins Thnrzö an Ferdinand I., 4. August 1533. G^vay II, 1532, 144.
* G^ay n, 1532, 48.
* Pe«ler-Klein III, 470. — Vgl. Vergerio an Salviati. Wien, 22. September
1633. Vergerio rühmt sich der Freundschaft Gritti's. Nuntiaturberichte
1, 1, 121 f. 125. 160. 163.
* Im Entwürfe zu einem Vortrage an die nach Wien zu berufenden ,un-
garischen Herren* Ferdinands findet sich dessen Versicherung, er wolle,
to rasch er nur irgend könne. Ort und Zeit einer Zusammenkunft mit
Gritti bestimmen. G^vay II, 1532, 151. 152.
' Pray, Ep. proc. II, 40. — Quellen und Erörterungen IV, 348. — G^vay
n, 1532, 40. — Mon. Hung. bist. Dipl. I, 385. — Vgl. Christopher Mont
an Heinrich VUL, 16. Februar 1534. ,1t is said that Louis Gritti is
Coming from king John to the Diet at Viena to settle a dispute about
58
König von Polen mit den Türken anstrebte, die nöthigen Voll-
machten zu geben; ^ aber dass er dem arglistigen Manne
noch immer nicht ganz traute, bewies der Auftrag an die Ge-
sandten, dass, ,80 sich der Qritti ... zu uns zu verfuegen willens
ist . . ., soll der ain unser orator mit Ime ziehen'.* Wenig
optimistisch äusserte dagegen Zalahäza, der treue Anhänger
König Ferdinands, dass Gritti dem Könige Unannehmlichkeiten
weder aus dem Wege räumen könne noch wolle;* doch die
eine Stimme verhallte. Alles erwartete Gritti,^ der schon im
Juli den königlichen Gesandten versprochen hatte, in einigen
Tagen abzureisen,* und nun noch immer nicht kam. Die ür-
Sachen dieses Nichterscheinens lagen in den veränderten Ver-
hältnissen in Constantinopel begründet. Ibrahim hatte die Reichs-
hauptstadt verlassen.
n.
Sinken des Einflusses GMtti's.
Zäpolya war während des Sommers 1533 nicht mtissig
geblieben. Verböczy, sein Kanzler, hatte am 10. Juni Ungarn
Sl^ia et Moravia. — London, Record office, Letters and Papers in the
reign of Henry VIII., vol. 7, 193.
^ Alle drei Schreiben gedruckt in Voyages den Souverains des Pays-Bas
III, 460 f. — Cop. in Wien, k. u. k. Haus-, Hof- n. Staataarchiy, nnd
Brüssel, Archives g^n^rales du Royaume. Griff, des Briefes Ferdinands
an Gritti in Wien, ebenda. 8. Anhang Nr. 16.
• GÄvay II, 1534, 69 (October 1633).
' 8. S. 66, A. 9. Vgl. auch Nie. Olah an den Erzbischof von Lunden,
13. September 1633. Mon. Hung. bist. Dipl. I, 410.
* Briefe des Nuntius Vergerio an Clemens VII. und Camesecchi, päpstl.
Geheimsecretär, Wien und Prag, October 1538 bis Mai 1634. Nuntiatur-
berichte I, 1, 129. 133. 146. 161. 163. 168. 163. 169. 172. 178. 184, 186.
190. 200. 203. 206. 216 f. 228. 239. — Mon. Hung. bist. Dipl. I, 426.
431. 433. 441. 444. 447. 466. 467. 469. 460. 461. 463. 466. 467. 474.
481. 482. 484. 490, 493. 496. — XXV, 320. 828. (Briefwechsel swischen
Ersbischof von Lunden, Nie. Olah, Alezius Thurs6, M. Pempflinger«
C. Qherend und C. D. Schepper vom November 1683 bis Juni 1634). —
Simon Erdody an Papst Clemens VII. Agram, 11. M&rs 1634. Rom,
Vatican. Archiv. Bei Övary Nr. 281. — Erzbischof von Lunden an Car-
dinal Granvelle. Prag, 16. Febniar und 17. M&rz 1634. Brüssel, Archives
g^n^rales du Royaume.
' Voyages des Souverains des Pays-Bas UI, 468. 464.
59
rerla^en^ um sich nach Constantinopel zu begeben^ wo er im
September ankam. ^ Ihm folgte der schlaue Laski, entschlossen,
^e ganze G^e8chicklichkeit aufzubieten, um einen Umschwung
bei der Pforte herbeizuflihren.* Auch jetzt concentrirte sich
<l4i8 diplomatische Getriebe um Gritti. Die Gesandten Zäpolya's
wünschten von ihm eine günstige Entscheidung der Ansprüche
desselben in Mähren und Schlesien,^ Ferdinand gab Weisung,
Gritti neuerlich zu bestechen,^ und dasselbe rieth Caspar Win-
«erer den bayrischen Herzogen, die den Vielumworbenen dahin
bearbeiten liessen, dass bei dem abzuschUessenden Frieden
zwischen König Ferdinand und Zäpolya deutsche ReichsfÜrsten
interveniren sollten.* Der Papst wendete sich durch den floren-
tmischen Gesandten Luigi Gherardi an ihn, um durch ihn eine
Einbeziehung aller Christenstaaten in den abzuschUessenden
TOrkenfiieden zu erwirken; er sei es ja, der in höchster Gunst
beim Sultan und den Paschas stünde, vor Allem bei Ibrahim,
der Gherardi ausdrücklich erklärte, dass Gritti's Wille auch
ier seine sei.* Der nun versprach und hielt hin.
Da veränderte sich die Lage durch die Abreise Ibrahim
Paschas im October nach Persien, um dort die Vorbereitungen für
ieü beabsichtigten Feldzug zu trefl^en.^ Nun fehlte der Vermittler
zwischen Gritti und dem Sidtan, und die unter seiner Aegide
gefährte eigenmächtige Politik Hess sich nicht mehr halten.^
Als er nun nach fiinfwöchentlicher Abwesenheit Ende Novem-
ber nach Constantinopel zurückkam, erklärte er dem dort be-
reits seit 15. November weilenden Gesandten König Ferdinands,
Vespasian von Zara, nach einem sehr liebenswürdigen Empfange,
niemals hätte man auf türkischer Seite versprochen, dass die
Orenzregulirung auf Basis des augenblicklichen Besitzstandes
' Katoiui XX, 893. — Quellen nnd Erörterungen IV, 301.
' Hatvani, OkminyUr, I, 265.
* Qttellen nnd Erörterungen IV, 347. 348.
* Katona XX, 839.
'Quellen nnd Erörterungen IV, 306. 317. 326.
' Gherardi an Clemens II. Constantinopel, 12. October 1533. Voyages des
SoQTerains des Pays-Bas III, 477.
' Hnber IV, 49.
' Vergerio an Camesecchi. Prag, 30. Jänner 1534. Nuntiaturberichte I, 1,
164. — Mon. Hang, bist Dipl. I, 455.
60
za erfolgen hätte. ^ Und doch enthielt der durch Mehemetbeg an
König Ferdinand übersendete Brief Ibrahims die ausdrückliche
Zusicherung der Belassung desselben in seinem derzeitigen Be-
sitze.' Schon dies war eben eine Eigenmächtigkeit des Gross-
veziers gewesen und sein guter Freund Grritti musste nun das
leugnen; denn weder Aias Pascha^ der jetzt Ibrahim vertrat.
noch auch der Sultan wussten von dieser Clausel. E^ mag ihm
leicht genug gefallen sein; denn die Concessionen Ibrahims an
Oesterreich haben sich schwerlich jemals seiner Zustimmung er-
fireut Was einmal unter König Ferdinand stand^ war seinem
Einflüsse entzogen.
Diesem schrieb er nun am letzten December 1533 einen Brief,
in dem er versicherte, seinerseits Alles thun zu wollen, um das all-
gemeine Beste zu fördern, gleichzeitig aber bemerkte, dass sich in
dem letzten Schreiben des Königs an den Sultan vom ö. October
einzelne ,Artikel und Clausein' ftnden, die niemals an der Pforte
verhandelt worden seien und eine Fälschung der könighchen
Oratoren wären; ^ mit Mühe habe er den hierüber au%ebrach'
ten Sultan zu beruhigen vermocht Ganz ähnlich schrieb er
einige Tage später an Hieronymus von Zara.^ Der liess sich
nun diese Beschuldigung nicht gefallen und bemerkte sehr
scharf in einem an den König gerichteten Schreiben, halb wahr
und halb erlogen sei dieser Brief Gritti's, der jetzt in Ab-
wesenheit Ibrahim Paschas die mit diesem noch vor Gritti'&
Ankunft getroffenen Abmachungen verdrehe, weil er fiir ZA-
polya parteiisch eingenonmien sei. Das sei nicht schwer fur
ihn gewesen, denn die Briefe des Königs an den Sultan oder
auch an Ibrahim habe er niemals wörtUch übersetzt, sondern
durch Abänderungen entstellt und so hergerichtet erst an die
Adressaten abgehefert. Man ersieht daraus, wie die ganze
officielle Correspondenz der Pforte mit den Habsburgem durch
die Hände Gritti's ging. Mit Aias Pascha habe Gritti leichtes
Spiel, denn dieser sei nicht wohl unterrichtet.* Ganz Heide sei
Gritti geworden, versichert auch Schepper, und habe sich dem
* G^vaj n, 1634, 108 (Bericht Vespasians von Zara an Ferdinand L Prag,
6. März 1534).
« ■. 8. 6«.
* Voja^es de0 Sonverains des Pays-Baa m, 507.
* Ebenda«. 608 (Perm, 3. Jänner 15S4).
* Ebenda«. 513 f.
61
Teufel verschrieben, um dem Sultan zu dienen; so leugne er
am blind, was er doch wohl wisse. ^
Zunächst war nun VespasiaQ darüber nicht wenig be-
troffen. ,Er leugnete/ berichtet er, ,und hatte doch Alles aus
Ibrahims Munde im Beisein meines Vaters imd Schepper's ver-
öonunen.** Gritti versuchte ihn zu beruhigen, indem er, un-
bewusst ein von Thukydides erzähltes Stücklein des Alkibiades
nadiahmend, ihm rieth, sich vorläufig nicht als officieller Ge-
sandter vorzustellen, da er schon Alles ins Reine bringen werde.
Das Schreiben Ferdinands an Ibrahim sandte er ,übersetzt' an
diöen.'
Durch eine ganze Woche conferirte Gritti nun mit Aias
Pascha, der ja von dem, was Ibrahim so leichthin versprochen,
keine Ahnung hatte und auf diese Neuigkeiten vorbereitet wer-
den musste. Dass er mit Gritti gegen Oesterreich intriguirt
katte, behauptet Vespasian, ohne es beweisen zu können. Mit
Mohe kam ein Ausgleich, dem auch der Sultan beistimmte,
dahin zu Stande, dass Ferdinand seinen ungarischen Besitz, den
er vor Ludwigs 11. Tode gehabt, behalten solle. Damit waren
die eigenmächtigen Versprechungen des Grossveziers und Gritti's
aafgehoben, über welche sich am 3. Jänner 1534 ganz oflfen
der Dolmetsch Junisbeg aussprach, der bitterste Feind Gritti's,
der jetzt um so kühner das Haupt erhob, da Ibrahim abwesend
»ar. Gritti, sagte er, sei die Ursache alles Unheils, und Europa
und Asien könnten frohlocken, wenn er vom Erdboden ver-
schirände.
Gritti aber, nicht gewitzigt durch das Geschehene, er-
klirte Vespasian ganz unverfroren, dass er sowohl die unga-
^he Frage entscheiden wollte — nur sollten von den Ver-
!i*ndlungen die Ungarn ferngehalten werden — als auch betreffs
' Vojagee des Soaverains des Pays-Bas III, 529 f. (Schepper an Karl V.
rmme, 19. Februar 1634).
* G€viy n, 1534, 108. — Im Gesandtschaftsberichte vom 27. September
1533 ist allerdings yon einem derartigen Yorkommniss nicht ausdrück-
lich die Rede. Das Versprechen der Belassung im thatsächlichen Besitz
war eben schon vor der Sendung der beiden Gesandten gegeben worden
and mochte für weiterhin als selbstverständlich gelten. Und man über-
ieJ» nicht die Bestimmtheit, mit der Hieronymus, Vespasian und Schepper
davon sprechen.
'WTty II, 1534, 108—111.
« mmer SteAne. üe aaci
rrirfmem re*ip wir. S^
-atoni beriKL' da mit Gritl
.-: Hause bwredtf gros*
dort LatoB auser dei
ttei: Gritti selbst a&cJ
id iaai« er skk vm
— -TalLe uimI 4e« wifde
• - « r Hei möffidöte Vm
* .s^.r^racbtaog«]l Ttrlicä
. .- ^ - « HiSterreki wied«
' juiernde EnFirinnj
_ - r:i^ za haken, nicl
-^ ^--^Iji^neD Plan^ de
: -.^rti«! und Oestei
.- ^-w^ um Äof Ostöu
. - . — .^rtru Weinmeiste
^ ■ ^__i.-; »ritti und Könij
-* -*■. zi: Handlung gn
.^t '---- 4»cn Costen ni
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- , --.». ¥-ir5Ciie seine An
3. , -r
.•« :=. .isL k J»wc 1334. Nun«
IL ^ «p^i; n^TinpiB sei, Anton
63
aft. Es ist erstaunlich y wie leicht er die groben Unaufrichtig-
en des Venetianers genommen hat. Er ging über die fal-
pn Anklagen Gritti's gegen die Oratoren schweigend hinweg
Terlangte am 20. Februar nur von ihm, er möchte seine
redlich und ohne Arg vertreten, ob Ibrahim nun bei der
anwesend wäre oder nicht. ^ Mehr noch: einen Isidor
der Gritti und den türkischen Paschas verrätherische
itionen über die christlichen Staaten gegeben, hat er
aas Rücksicht auf den Gouverneur laufen lassen^ als er
in die Hände bekam. ^ Aber Gritti kam nicht; ^ nur dazu
id er sich, in einem Briefe an den König von Polen sein
[es Kommen in Aussieht zu stellen, in welchem Schreiben
fatale Angelegenheit mit der Grenzregulirung auf Grund
tliatsächlichen Besitzes wieder auf einen Irrthum des Ueber-
zurfLckAlhren wollte, zugleich aber von seinem Kommen
io anmassender und hochtrabender Ali; sprach,^ dass der
ie Hofrath Herberstein in einem Gutachten hierüber ärger-
bemerkte, es ,ware besser, der Gritti khame nicht^ und
,In Summa nach meinem ainfaltigen verstand So
ich auss des Gritti ankhunfft und Handlung E. M^ nichts
5I1S nocb nützlichst* Und so dachten viele Andere auch.®
^hzeitig empfahl Hieronymus dem Könige, er möge, um mit
steten Warten auf Gritti nicht lächerlich zu erscheinen,
stellen, als hätte er einen vorläufigen Absagebrief des-
m erhalten und dann sein Kommen neuerdings betreiben
I '
Zugleich drangen nach Ungarn mancherlei Gerüchte über
Gouverneur. ,Die Einen', schrieb Laski nach Polen, ,mel-
ihn todt, Andere lassen ihn mit nach Persien ziehen; es
^ BrfiMel, Archives g^n^rales du Royaume. S. Anhang Nr. 16 a.
' Vergerio an Camesecchi. Prag, 1. April 1534. Nuntiaturberichte I, 1,
207. — Vgl. auch derselbe an denselben. Prag, 2. Märe 1534, ebenda
189 (di Ungheria, id est del Griti etc.). S. ausserdem hiezu Anhang
Kr. 15 (Bestellbrief Gritti^s für CseglMi).
" t. a 58, A. 4.
* CWray H, 1534, 129—131.
' Ebendas. 132.
• Nk. Olah an C. D. Schepper. Brüssel, 24. April 1534. ,Nera<i est omnium,
quem mora Gritti non commoverit; verentur omnes, ne fraus lateat in
rebn».* Mon. Hung. bist. Dipl. I, 493.
' G^vay n, 1534, 136. 137.
M
LAiski i«:! An^^onh^eiL rm. 9» MiiByni Inner, als es
yetm «n La Fritr? itr EnfaoliBs ier Woiwodenwürde
vo« 5äeb«iblr«a — iar Wöiw^^i» Bma^jr wmr gestorben —
kmndle. IWss^Ä wau^^ ja Iaj^ katle mber dabei den
WideR*wi-i 21i^«:iTÄ5 n tä»»w:n*äfC- vms 3un einsg durch
Ua^?fü'es5«!l i»ir?i Kuivr Kj--. V_ ajctjdtui er am 31. De-
c^iulvr 1^3o jbX Orjn si Fmn aiKr Be^adbtsimg ftr C. D.
Sch^rjtvr iiz, <tijr i-tL^riw» Sr'iT*fL>»it jgrvfcirc* eben diesen
iri HikTK lo*^ AZ i.« r^.ra* i»*s*:ti-i'fcL b. ier mitgegebenen
wifr::x TerÄii-i-'--ae3 Ix-?crt':c:-.a rertaa^tte' «r, dass Scbepper
v.^c A" zi i,i:r V.i.ai4t:*;:fa *r-m** maxL fr&fe, rasch unter-
Vj^.Il: x"I Ax:* vu rV'^-;: i::^ iJer i. hrrsaettit&ateii sowie Be-
Ivv- r :;»x*ij Sviv c.*-r — izi I-L Apnl — Coostantinopel
Terit?§>en: ':r*i:re. ^umx -:a -.-m Ji :rui**m. Ar 3m chankteristi-
5*:iKZ ^^-'•e-i?. 5c jarj?; ^;i.^^is•£I^^ä Jini^^oea: rwamber Schwel-
lt 2. i" S:v-M:i:^';. 'ijt^ r*r liz '^«-l-«:r^ i-cii: £«!S|»rocben hätte;
Sta:r :;r ;axr ri ; x^a»- .i:*r< iil' -tfrÄia^IoiSS^ xl* Svleiman. Der
vrrrl Ar i^ y^^rz-lic^c^i-ij: s*-'Z»r^ S iiinMm^ Se«?t in den Ver-
"yüi.i*I!'L^^c. i>f er 21 r hior rii-^^ce *ia>; fi^j«m mftssen, und
iik -er itei^*? >?»f{:c,'C i.ir..^ äi -ir Ivr^n Hie JÜLk^zrft Scbepper's
i-LTi'-'irii-ii^.j: w:nl*itj, Lv'Csc^r-^ T*;ravra**r!3e er äi: am 7. Mai
i-D:ä x-iz^'L:: 5_ L^ir^ia ^j-t 3il3 xcaTf Wjir^?*. Abgesehen
"«^ia Inc Ai.:si-vciliv:a«:fa V^r^jicüieranj: Jiz:i?c*;^'s. Gritti hätte
iLüT^c A':r^«j:?«i3 k.'ct*^-!^ w*et:i ha x:»:a: sctl«; Ptrratgieschäfte
iTErü!i£*;a^':--i i*inya^ >^rc>-^c V:ftHJ«äÄi T^ja Zara« dass er
.ib^ ji Le X"^ Frbr'iar AX! 3* *i L>ii.*utea Ei^nfte aus
-L_:aa^»tii i*;-*;ir^.-t n.in-.' KA:irixiUL3äic*^*itdn4; aj««» aad wohl
' '^m. ]l 1. £. H.ui^f". H"t^ :i» >tHtt««rau'r 7 M^ ja J«)iiiB& SKvetiU* des
65
weh die Besorgniss vor dem Hasse der Ungarn, denen er nur
pi gerüstet begegnen wollte, waren der Grund seines Nicht-
erscheinens. Schliesslich wartete er immer auf die Rückkehr
[brahims, um mit seiner Hilfe seine gefährdete Stellung zu kräf-
tigen und sich an seinen Feinden — es scheint namentlich an
Barbarossa — zu rächen.^
Im Uebrigen verlor zur Zeit, da Schepper in Constanti-
Qopel weilte, Gritti täglich an Einfluss. Der Dolmetsch Junis-
beg war sein erklärter Todfeind, Chaireddin Barbarossa, der
ihm sein Emporkommen zu danken hatte, zahlte ihm nicht nur
seine Schtdden nicht, sondern beleidigte ihn, wo er nur konnte.
So Bess er aus Uebermuth die christlichen Kaufleute in Con-
^ntinopel, deren Pati'on Gritti war, gefangensetzen, ohne dass
dieser etwas zu ihren Gunsten erreichen konnte. Es war dies
for ihn um so empfindlicher, da Barbarossa seit kurzer Zeit
den alleinigen Befehl über die türkische Flotte führte.^ Nicht
genug damit. Gh4tti hatte die Steuern aus Griechenland, die
er zu verwalten hatte, bisher immer in Naturalleistungen —
besonders in Edelsteinen — beglichen. Jetzt wurde er über Ein-
schreiten des Schatzmeisters verhalten, die Zahlungen in barem
Gelde zn leisten und sofort zwei Fünftel der 200.000 Ducaten
betragenden Rückstände zu entrichten, die aufzubringen er sein
ganzes goldenes und silbernes Hausgeräth verkaufen musste.^
Der Hass gegen ihn war ein allgemeiner; so versicherten
Schepper selbst vertraute Freunde des Gouverneurs. Er war
nicht sicher, ob im Kriegsfalle der ihm unterstellte^ Sandschak
Ton Semendria ihm die geringste militärische Hilfe angedeihen
lassen würde. Junisbeg scheute sich nicht, laut auszurufen:
Wie schade, dass sich in Ungarn Niemand gefunden, der ihm
den Garaus gemacht hätte. Wer würde sich denn weiter um
den Tod dieses Dimensohnes kümmern !^
Kein Zweifel, das waren andere Zeiten als nach der
Rückkehr aus Ofen im Winter 1531. ^
' Vojiges dee Sonverains des Pays-Btis III, 529. 537.
*6eTay II, 1634, 33. 36. 61. 52. — Voyages des Souveraius des Pays-
Bu m, 532. 533.
* 6^y II, 1634, 51.
* Ebendas. 62. 63. — Vgl. Vergerio an Carnesecchi. Prag, 13. März und
1 August 1534. Nuntiaturberichte I, 1, 193. 292.
' Vöjages des Souverains des Pays-Bas III, 529.
AitkiT LXXXni. Bd. 1. Hftlft«. 6
66
Beim Sultan verior er jeden Hiüt, als dieser in einer
Audienz vom 17. Mai die eigenmftchtige üebemahme der Ver-
handlungen mit Karl V. erfuhr und entrüstet und misstrauisch
zu wiederholten Malen sehr kategorisch erklären Uess, Oritti
habe nur über die ungarischen Verhältnisse und sonst nichts
zu entscheiden^ ausdrücklich betonend, dass Ungarn in der
Hand Zdpolja's zu verbleiben habe.^ Dass er, mindestens so
lange Ibrahim Pascha ferne blieb, seine Rolle gründlich aus-
gespielt habe, konnte Gritti sich nicht mehr verhehlen. Nun
näherte er sich sehr entschieden dem kaiserlichen Gesuidten
und empfahl diesem nichts Geringeres als eine Vereinigung
des Kaisers mit Venedig und Frankreich und, da Schepper
die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Karl V. und Franz I.
nicht zugeben wollte, wenigstens eine Allianz des Hauses Habs-
burg mit Venedig, das gerade jetzt, durch die hohen Forde-
rungen der Pforte erschreckt, unschwer zu gewinnen schien.
Die vereinigte Flotte des Kaisers und Venedigs würde mit
Leichtigkeit die Piratenschiffe Chaireddins auseinanderjagen.^
Sie hätte die günstigste Aussicht, jetzt, da Barbarossa in Afrika^
die türkische Landmacht in Persien weile, irgend einen türki-
schen Küstenplatz zu erobern, ja Constantinopel selbst zu neh-
men. Dieser Gedanke eines Flottenangriffes auf die Türkei war
nicht mehr neu. Im März 1534 hatte Schepper dem Kaiser
gerathen, Algier anzugreifen; wohl nicht damals, aber später
— 1541 — ist das thatsächhch geschehen.*
Gritti erbot sich selbst, jene Plätze zu verrathen, die am
leichtesten anzugreifen wären. Nur schnell müsse man handeln;
würde man zögern und würde der persische Feldzug den Tür-
ken glücken, stünde die ganze Christenheit vor einer eminenten
Gefahr;^ und er sei aufrichtig christlich und kaisertreu gesinnt^
versicherte er in einem Briefe vom 7. Juni dem Kaiser.^ Merk-
würdig genug, dass nun Paul Bakics mit derselben Begrün-
dung dem Könige Ferdinand rieth, nicht lange auf Gritti zu
> G^vay n, 1534, 41—44. 56-68.
' Er gab dem Gesandten zngleich den Rath, bei etwaiger Befragung um
die Stärke der Flotte Karls V. dieselbe recht hoch, etwa auf 80 Schiffe,
anzugeben. G^vay II, 1534, 37. — Vgl. auch Nuntiatnrberichte I, 1, 207.
' Vgl. Vojages des Souverains des Pajs-Bas m, 449—450.
* GÄvay n, 1534, 35—37. 48-50. 63-65.
^ Voyages des Souverains des Pajs-Bas III, 544.
67
varien, sondern loBzuschlagen und die zerfallende Partei Zä-
polya's zu vernichten.^ Noch bemerkt Gritti, König Ferdinand
möge sich nicht wundern, wenn er Anfangs Schritte unternähme,
die sich gegen ihn zu richten schienen. Die Klugheit geböte
es so.* In der That hat dann auch der Kaiser in Zusatzartikeln
m der Instruction vom December 1533 empfohlen, , verschwie-
ge und erfahrene^ Leute zu den Verhandlungen mit Gritti
la senden, um allen Verdacht von diesem und seinen Schritten
fernzuhalten.' Auch Cornelius, empfahl Gritti weiter, möge
sich, sobald er nach Ofen käme, unzufrieden stellen, um Zä-
polya in Sicherheit zu wiegen; er selber würde durch Sieben-
bürgen nach Ungarn ziehen, jeden Widerstand würde er in
Blut ersticken.* Eine Woche darauf — am 18. Juni — ver-
Be« er Constantinopel.^
Eis lässt sich nur schwer denken, dass er noch in dem
Siime wie frülier an die Erwerbung des Königreiches Ungarn
dachte, so nahe eine solche Annahme auch hegen mag.^ Durch
die Vertraulichkeiten, die er sich Schepper gegenüber erlaubte,
durch die directe Anerbietung des Hochverrathes, die ihm, falls
der Sultan darum erfuhr, unbedingt das Leben kostete, hatte
er selbst die Verbindungen mit der Pforte zerrissen. Der all-
^ P. Bakics an Ferdinand I. Raab, 1. August 1534. K. u. k. Haus-, Hof-
u. Staatsarchiv in Wien.
» Givay I, 1534, 65.
^ Voyage« des Souverains des Pays-Bas ID, 503— ÖU5. ArU V. XIU. XXVI.
* Gevay II, 1534, 65.
* VgL anch Schepper an Nie. Olah. Prag, 30. Juli 1534. Mon. Hung. hist.
WpL I, 617 f.
' Vergerio an Camesecchi. Wien, 13. September 1534. ,Si ^ diyulgato per
U captnra di Hieronimo Laski, che U bnon Gritti bavea deliberato di
Carei eseo re et occupame la Ungheria a suo commodo, facendone morir
Joanne Vaivoda et altri, che bavesse potuto.* Nuntiatnrberichte I, 1,
305. — Derselbe an Papst Paul in. Wien, 28. November 1534. ,Doczy
... ha detto, se la fortuna non gli opponeva, di far morire etiandio
Joanne Vaivoda come havea fatto Cibac et che non era mala cosa per
il regno d* Ungheria che esso Gritti havea pensato di fame volendo in-
ferire, per qnello che si comprese dal suo parlar cbe . . . se ne volesse
&r signore.' Nuntiaturberichte I, 1, 316. — Szer6mi 825 (D6czy soll
Ptlatin, Batthiiny Woiwode von Temesvir, Laski Woiwode von Sieben-
b&rgen, Gritti König von Ungarn werden). — W. Friedensburg in der
l^nleitnng za den Nonüaturberichten (I, 1, 46) und Hirschberg (H. Laski
105) and Andere halten oberwähnte Annahme für ausgemacht.
5»
68
gemeine Hass in Constantinopel gegen ihn mochte es ihm räth-
lich erscheinen lassen, den heissen Boden der türkischen Haupt-
stadt mit einem sorgenlosen Dasein in ^Pannonien^ zu vertau-
schen; so hat schon Jovius vermuthet* Wollte er das, dann
musste er ein annehmbares Verhältniss zu König Ferdinand
und zum Kaiser herstellen und jeden Gedanken an eine Be-
kriegung derselben aufgeben. Darum die Rathschläge des
Flottenangriffes auf Constantinopel, des Bündnisses mit Vene-
dig — Rathschläge, deren Ausführung und Gelingen allen
seinen Absichten auf die Krone Ungarns ein rasches Ende
gemacht haben mUsste. Er gab sich, anscheinend von Allen
verlassen, in die Hände des Kaisers. Er log nicht, wenn er
Karl V. versicherte, er sei kaisertreu. Er war es wirklich,
denn er war dazu gezwungen. Und noch Eines: im Falle
eines glücklichen Ausganges des vorgeschlagenen Krieges lohn-
ten Kaiser und König seine Bemühungen gewiss, wenn schon
nicht — wie er gedacht haben mag — mit der Uebertragung
der Regentschaft in Ungarn, so doch mit der Uebertragung
eines mehr oder weniger ansehnlichen Landstriches an ihn und
seine Kinder, wohl auch mit einem Geschenke fbr seinen in-
timen Freund Laski.* — Dann kam er nach Siebenbürgen; des
unleidlichen Druckes der Verhältnisse in Constantinopel war er
ledig; Ibrahim musste bald zurückkehren; seiner Freundschaft
war er sicher. Und da darf denn die bestimmte Meldimg Ve-
spasians von Zara vom 16. April 1536 nicht übersehen werden,^
dass der damals ermordete Ibrahim Pascha seinen Tod gefun-
den habe, weil er dem Sultan, ebenso wie Gritti dem König
Johann, nach Krone und Leben gestrebt habe. Diese Theilung
musste verlockend erscheinen; jedenfalls war es passend, jetzt,
bei der Feme des türkischen und dem Mangel eines könig-
» Joviu« XXXn, 131 ^
■ ÖvÄry Nr. 806 (Contareno an die Signorie, Wien, 3. Februar 1535. Ve-
nedig, Archivio di Stato). Dem Berichte, der viel Falsches enth<^ ist
allerdings nicht viel zu trauen. — Della Valle 36. — Hier sei auch die
sonderbare Mittheilung verzeichnet, dass Gritti den aus Venedig ver-
triebenen Protestanten und Uebersetzer der Schrift Luther^s: ,An den
christlichen Adel deutscher Nation* ins Italienische, den Bfinoriten Bar-
tolomeo Fontio, bei sich aufgenommen hat. Nuntiaturberichte I, 1, 172.
• Q^vay n, 1636, 106. — Vgl. auch Verancsics, De rebus gestis Hnnga-
rorum (69) in Mon. Hung. bist. See. IT.
69
fich|pi Heeres einen Hauptsehlag zu wagen. Gritti durfte das^
wenn er Ibrahims sicher war. Das erklärt die Wendung in
seiner Gesinnung; er wollte nichts mehr hören von Begünsti-
gung des Königs und Kaisers; mochten diese immerhin seine
bochverrätherischen Plane dem Sultan melden; Ibrahim würde
dis zu ordnen wissen.
Viel mehr, als man glauben möchte, ist diese Politik durch
Sümmangen geleitet. Wie wir oft der Verhältnisse, die wir,
m ihnen stehend, kaum ertragen, aus der Feme leicht Herr
xn werden hoffen, so Gritti dem Hasse der türkischen Herren
gegenüber.
Die Meldung Weinmeister's an die Herzoge von Bayern,
djiss Gritti einen französischen Prinzen auf den Thron von
Ungarn habe bringen wollen,^ will nichts besagen. Ene Be-
theiligung an den Verhandlungen König Johanns mit Frank-
reich und durch dessen Vermittlung mit England und Schott-
land, die auf fkrichtung eines Bündnisses zwischen diesen
Mächten abzielte, ist wohl anzunehmen.^ Aber Heinrich VHI.
forderte von Frankreich, nicht nur das Bündniss mit dem Sul-
tan aufengeben, sondern sich zur Bekämpfung desselben zur
Verfägung zu stellen.'* So musste diese ungarisch -englisch-
französische Allianz ein unerfüllter Wunsch bleiben. Auch in
Frankreich aber traute man Gritti nicht. König Franz I. for-
derte ihn auf, der Partei Zdpolya's treu zu bleiben,* und be-
merkte Corsinus, dem Gesandten Zäpolja's, gegenüber, er wisse
nicht, wie sich der Gouverneur zu den Bundesplänen stellen
■ Quellen nnd Erörteruugen IV, 408.
' Die «Archives nationales' in Paris enthalten keine einschläg^igen Docu-
mente. Doch heisst es in einer (undatirten) Instruction für den Agenten
des Markgrafen Georg von Brandenburg am Hofe Ferdinands I., Dr. Wey-
maus, er habe den K()nig von den türkisch-französischen Verhandlungen,
an denen Oritti betheiligt sei, zu unterrichten und diesbezüglich anzu-
ratfaen, Gritti ,on yorgeennde notturfftige erkundigung aller Handlung
nit ledig (zu) lassen'. München, kgl. bayr. Reichsarchiv. Auch die Adres-
simng des Anm. 3 aufgeführten Briefes an Gritti ist zu bemerken.
* Conte de Villanuoya Abbat!» an Ibrahim und Gritti, 8. August 1634,
Venedig. (London, Record office.)
* Frmiu L an Oritti. Fontainebleau, 24. August 1534. Wien, k. u. k. Haus-,
Hof- a. Staatsarchiv; s. Anhang Nr. 17.
70
werde^ da er Nachrichten habe, die auf seine kaiserlich^Ge-
sinnung schliessen Hessen.^
So zog er am 18. Juni nach Ungarn aus.* Seine Abreise
verbrämt Dellä Valle mit der äusserst merkwürdigen Nachricht,
dass König Sigismund von Polen durch Laski eben damals
Gritti eine Vermählung mit seiner Tochter Isabella, der spä-
teren Königin von Ungarn, angetragen habe, dass es aber in-
folge der Abreise Gritti's zu keinen weiteren Schritten ge-
kommen sei.^ Die Vermuthung, dass hier eine Eigenmächtigkeit
Laski's vorliege, der ohne Vorwissen des polnischen Hofes Gritti
diesen Antrag gemacht habe, um ihm zu schmeicheln, dürfte
das Richtige treffen.*
Capitel IV.
Ludovioo Gritti's Ende.
§.1.
Die e^waltthat In Slebenbflrgen und der Tod C^rittrs/
In Ungarn hatten sich im Jahre 1534 die Verhältnisse
sehr zu Gunsten König Ferdinands verändert. Zahlreiche Edle,
darunter Thomas Nädasdy, Simon de Erdödy, Bischof von
Agram, Franz Bebek, sogar der Sohn Verböczy's, Emerich,
' Corsinus an Gritti (Bericht), 15. September 1534. K. n. k. Hans-, Hof-
u. Staatsarchiv in Wien.
* G^vay n, 1534, 148. — Della VaUe (36) g^bt fälschlich den 15. Blai zh
Abreisetag an.
" Della Valle 35. Aach ein Bild Isabellas soll — hienach - Gritti er-
halten haben.
* Hirschberg, H. Laski 210.
^ S. hierüber die hauptsächlich auf Musens and Della Valle bemhende
Arbeit von Joh. Carl Schuller ,Ladwig Gritti's Ende. Ein geschichtlicher
Versuch* (Archiv des Vereines für siebenbürg^che Landeskunde. N. F.
n, 1 855). — R^v^z, der bei der Wahl seiner Quellen nicht immer sehr
rigoros ist (so citirt er S. 232, A. 3, S. 245, A 2 ohne Vorbehalt Bethlen,
8. 287, A. B, IstvÄnffi), führt Schuller*s Abhandlung nicht einmal an.
In Briissel, Archives gf^n^rales du Royaume, eine Reihe Briefe
(Orig.) des Erzbischofs von Lunden an Cardinal Granvella und deu Kaiser
über Gritti's Ende (Wien, 1., 3., 10., 16. October 1534).
i
71
btten sich ihm zugewendet.' In einem arroganten Schreiben
in König Ferdinand beklagte sich Gritti mit Bezugnahme auf
den Fall Bebek, dass der König durch Annahme der Ueber-
iiofer den Waffenstillstand verletze.'
Gleichwohl war der König über die Kunde von der end-
lichen Abreise des Erwarteten sehr erfreut und hoffte ihn schon
Ende August bei sich in Ofen zu sehen.' Weniger Vertrauen
luUte Zdpolya zu dem Manne^ der ihn ,nit fiir ainen König
Sander gesellen gehalten'* und der nun — wie im Jahre 1532
— durch die Wallachei gegen Siebenbürgen heranzog.* Grau-
samkeiten bezeichneten seinen Weg. Einen Bojaren, Elias, soll
er an den Ufern der Donau haben hängen lassen, weil er nicht
in genügender Weise für Fahrzeuge, den Strom zu übersetzen,
jeresorgt hatte. *^ Durch einen Bund, den ihm auf sein Verlangen
der schlaue Woiwode Peter von der Moldau gewährt hatte,'
Doch stolzer und hoffärtiger gemacht, zog er Anfangs August
durch die transsylvanischen Alpen nach Kronstadt, erreichte
die Stadt am 7. August^ und schlug in der Nähe derselben am
Gesprengberg sein Lager auf.^
Sein Eintritt in Siebenbürgen erfolgte unter keinerlei gün-
stigen Zeichen. Zipolya hatte ihm am 21. März Szegedin ver-
p&nden müssen,^'* ein guter Theil der Einkünfte aus Sieben-
bUrgeo floss in seine Gasse. ^^ Jetzt musste König Johann den
guten Gesinnungen seines Gouverneurs wieder mit einem sehr
ansehnlichen Geldgeschenk — Schepper spricht von 200.000
Dacaten — nachhelfen.^* Kein Wunder, dass er ihm gründlich
abhold war. Die Bevölkerung sah in ihm nur den Vertreter
> FeMler-Klein DI, 472.
* Gritti an Ferdinand I., 17. Juni 1534, Constantinopel. G^ray II, 1534, 139.
* Ferdinand I. an Bernhard von Cles. Prag, 16., 27. und 29. Jali 1534. —
G4rwMj n, 1534, 141. 146. 14S.
* QaeUen and ErOrtemngen IV, 409.
» DelU Valle 36.
* So Ifltrinffy 196.
^ DelU Valle 37. — Jovias bei Katona XX, 916.
* Mnaeus^ 65 (s. S. 26, A. 6). — Della Valle 37 (gibt falsch 6. Joli an).
-> Padua, Univ.-Bibliothek, Mss. 2219, f. 118 (Biografie di Veneti illnstn).
* Ostennayer 20. 21. (Datum f&bchlich 20. August.)
^ UBgjax tOrt^elmi tir, N. F. XU, 317.
" Voyages des SouTerains des Pays-Bas III, 551.
a Ebenda«. 549.
72
der verhassten türkischen Zwingherrschaft. ^ Die Stadt Kro
Stadt hatte sich schon im Mai entschieden gegen ihn gewend
— jetzt legte er derselben zur Vergeltung eine drückende Steu
auf.* Zipolya, argwöhnend, dass zwischen Gritti, Laski, d j
den Gouverneur im Juni 1634 besucht und ihn am ^Herau
zuge^ theilweise begleitet hatte/ und Cornelius Schepper Din|.
abgemacht worden wären, die sich gerade gegen ihn richteten
liess durch ungarische Edelleute das Land gegen den ,Protecto
aufwiegeln.^ Da war es besonders der Vicewoiwode und ,B
schoP von Qrosswardein,^ Emerich Czybak, in dessen Gebie
durch Proclamationen das Volk zu den Waflfen gerufen wurd
Die Reichen sollten sieh selbst bewaffnen, die Armen würde
Waffen in Grosswardein erhalten; ganze Wagenladungen vc
Lanzen hat Museus bei seinem Zuge durch Ungarn gesehei
die theils nach Gyalu, der Burg des Bischofs Statilius, thei
in die Moldau geführt wurden,' deren Woiwode sich sehe
im April 1534 mit MayUth, einem einflussreichen Parte
ganger König Ferdinands in Siebenbürgen, ins Envemehme
gesetzt und die gleichfalls habsburgisch gesinnten Uermam
Städter durch Sendboten aufgefordert hatte, sich ihm anzi
schliessen. Er, der Woiwode, werde unter dem Anschein«
Gritti zu helfen, ins Land kommen — darum auch der Bunde*
abschluss mit diesem — um ihn um so sicherer in die Hand
zu bekommen und zu ermorden.^ Siebenbürgen befand sich i
voller Gährung und die Absichten der gegen Gritti gerichtete
Verschwörung waren in der kleinsten Bauernhütte bekannt.^
' Jovius bei Katona XX, 915.
* Quellen zur Geschichte der Stadt RrousUdt ü, 337 ff.
* G6vay II, 1634, 59.
* Quellen und Erörterungen IV, 408.
^ Valentinus Lupus an Thomas Nidasdy, 10. April 1534, Fünfkircher
Pray, Ep. proc. II, 47/48. — Schaller, Beichersdorffer und seine Zeit, ir
Archiv für österr. Gesch. XXI, 272, Anm.
^ Eine Menge Bischofssttthle waren damals von Weltlichen besetzt. Bc
IstvÄnffj 198 werden dieselben aufgezählt.
^ Museus 64. 65. « Schnller 272 f.
* Eine alte Frau rief bei der Runde, dass Museus ein Diener Gritti^s se
seufzend aus: ,Wohin, Unglückselige! Ihr werdet Alle sterben!* und ib
Mann fügte hinzu: ,Nur ein Wink und Siebenbürgen erhebt sich
Museus 66. — Vgl. hiemit den confusen Brief des Johann Laski an Pet€
Tomiczki. Käsmarck, 22. Mai 1534. Övdry Nr. 284.
73
Auf diesen machten indes8.en diese Meldungen Museus'
ebensowenig Eindruck wie die schriftlichen Warnungen, die
ihm bereits Döczy und sein Sohn Anton nach Constantinopel
geschickt hatten, zumal da er gerade in Kronstadt durch die
Vereinigung mit seinem Sohne Anton, in dessen G^efolge auch
Museus bereits am I. März Ofen verlassen hatte, mit Johann
Döczy, Urban Batthy&ny und Caspar Perusich und den von
ihnen herbeigeführten Truppen sich stark genug fUhlte, jedem
Angriffe zu begegnen J Die Angaben über die Zahl der ver-
einigten Truppen gehen stark auseinander. Nach Museus'
Schätzung, welche als die eines Augenzeugen und dabei be-
sonnenen Berichterstatters am meisten Glauben verdient, waren
es 3000, 2000 Türken, 800 Ungarn und 300 Wallachen, aUe
theils zu Fuss, theils zu Pferde.^ Gritti, der auch seinen jün-
geren Sohn Peter mit sich führte, entfaltete in Kronstadt eine
pomphafte Pracht.* Im Ucbrigen inaugurirte er eine Willkür-
herrschaft kleineren Styles.* Auf einem flir den 26. August
nach Mediasch einberufenen Landtage wollte er alle Streitig-
keiten und Beschwerden entscheiden.^ Der ängstliche König,
eingeschüchtert durch das herrische Auftreten des Fremdlings,
der in einem Edicte verkünden liess, alle Edlen hätten vor ihm
als Vertreter des Sultans zu erscheinen,^ trug Statilius und
Gotthard Kun, einem einflussreichen Edelmanne, auf, sich ihm
vorzustellen. Sie kehrten so schnell sie konnten wieder zurück.'
' Museus 63. 65. — Della Valle »7 (erwähnt Perusichy nicht). — Falsch
ist die Nachricht SSzer^mi's 334, die Vereinigung mit Anton hätte erst
vor Mediasch stattgefunden.
* Museus 66. Das Lager bentand aus 260 Zelten (ebendas.). — Della
Valle 37 gibt die Stärke des Heeres auf 4000—5000 an, Szer^mi 334 und
Weinmeister (Quellen und Eröifterungen IV, 399) übertreiben mit ihrer
Angabe tou 8000.
' Museus 66.
* VgL Ostennayer 21. — Vgl. auch Anhang Nr. 17 (Gritti ertheilt dem
Bistritser Richter Befehl, sich aiigenblicks zu ihm zu verfügen. Urkunde
ans dem alten Bistritser Comitatsarchiv vom 7. August 1584).
* Gregor von Wassrael an Ferdinand I. (Hermannstadt), 13. August 1534.
Brozelles, Archives g^n^rales du Rojaume (Cop.).
* Jovius bei Katona XX, 916.
^ Museus 67 erwähnt einen Besuch Statilius' und Mayl4th's, Della Valle
38 einen Besuch Kun*s und Maylith^s. Ostermajer 21 behauptet» May-
lith habe den Befehl, Gritti zu empfangen, von ZApolja bekommen, ein
Irrthum, da MajUth damals auf Ferdinands Seite stand.
74
Auch Majläth haUe sich — vermnthlich auf Befehl Ferdinands *
— bei ihm eingefunden. Gritti trug ihm auf, dem Könige mit-
zutheilen, er würde nach kurzem Aufenthalte in SiebenbOrgen
zu ihm kommen.* In Kronstadt verbreitete sich unterdessen
das Gerücht einer Belagerung &laus durch Bebek und Serödy.
Gritti scheint einen Entsatz der Stadt beabsichtigt zu haben,
wenigstens ernannte er eben jetzt Batthjäny zum Oberbefehls-
haber der Truppen.' Da vollzog sich ein schmähliches E^igniss,
Emerich Czybak, der Vicewoiwode von Siebenbürgen, er
freute sich überall der höchsten Achtung. Ein rauher Kriege
mann, tapfer und ehriich, hatte er die Verwakong des Btsthoim
Grosswardein in musterhafter Weise geftüirt und besass grossen
Einfluss.^ Gritti aber hasste den Mann, der sich so sehr gegen
seine Ernennung zum Gouverneur gesträubt und der gegei
seinen Befehl dem Markgrafen Georg von Brandenburg iii
Burg Hunyad abgestritten hatte,^ und war umsomehr g^ei
ihn erbittert, da er die Nachricht von den Bewaffnungen ii
seinem Gebiete empfing.
Diese Stimmung benützte Döczj, Czybak's Todfeind, dei
ihm einmal bei einem Streite einen Faustschlag ins Gesich
versetzt hatte.* Die Gelegenheit bot sich um so leichter, di
Czybak nunmehr langsam heranzog, von einem wirklich glän
zenden Zuge von Edlen und Holdaten begleitet. Gritti wai
wütfaend darüber. Er riss die Zobelmütze, die er zu trBgei
pflegte, vom Haupte, warf sie zu Boden und rief: ,Auf zwe
Köpfe passt diese Kappe nicht; so muss sie einem angepass
werden.* ' Czybak, der den Zorn Gritti's und die Aufreizungei
Doczy's fürchtete, sandte den Mönch Peter an Gritti, um ihi
durch Geschenke zu versöhnen; der aber wies sie zornig al
Da gab Döczy dem Mönche in heimtückischer Weise den Ratfa
seinem Herrn den Zorn des Gouverneurs, der sich ohnehii
' LSsst schon die SteUe bei OBtermayer tl dArauf schliessen, so auch di
schon 1534 herrortretende Feindschaft Maylith's. s. 8. 38. 34.
* K. a. k. Hans-, Hof- u. Staatsarchir in Wien. Maylith an Ferdinand I
12. August 1634.
' Museus 67.
« Jovius bei Katona XX, 918.
'^ Szer^mi 324. ~ Quellen und ErOrteningen IV, 398.
* JoTius bei Katona XX, 918.
^ Kbendas. 919.
75
yd legen würde^ zu verschweigen und ihn einzuladen^ nur
idher heranzuziehen; der einfältige Mensch ging darauf ein,
«in ar^oser Herr schenkte seinen Worten Glauben ^ und bezog,
trotz der Warnungen seiner Umgebung — Szer^mi nennt Gott-
bard Kun * — ein Lager bei Felm^r an der M aros, nicht weit
Ton Kronstadt.^ Döczy aber drang nun in seinen Herrn, er
»Qe sich die gute Gelegenheit zur Bestrafung Czjbak's nicht
entschltlpfen las9en> Gritti, ohnehin gereizt, war bald ge-
wonnen. Gegen das Versprechen des ganzen Besitzes Czybak's
eridärte sich Batthyiny bereit, ihn Gritti in die Hände zu lie-
fern.^ Dieser wünschte zunächst nur seine Gefangennahme;
im Zweifel aber, dass Batthyiny für den Nothfall Vollmacht
eriüek, ihn umzubringen.^
So brach dieser am 11. August mit 200 Reitern gegen
Felmör auf. Czybak, der sein Zelt abseits vom Lager hatte
tofichlagen lassen und bei Ankunft der wenig vertrauener-
weckenden Gesellschaft erschrak, ergriff, nur mit dem Hemde
* Sser^mi 828^330.
' Ebenda«. — Gotthard Knn muss, wenn Szer^mi, der doch leicht in der
Lage war, das Richtige zu erfahren, Recht hat, Gritti bald verlassen
haben, um Czybak vor dem Gouvemeur, dessen UebelwoUen er er-
kannte, zn warnen (vgl. S. 78). Bei Della Valle erscheint Kdn auch am
Morgen des 12. August, nach Czybak's Ermordung, wieder bei Gritti
(Della Valle 39); wohl möglich, dass er, um zn vermitteln, zu ihm ge-
eilt war.
' Oitermayer 21. — Verancsics 85. — Musens 67. — Della Valle 88.
^ Sier^i 330. 331.
^ Ebenda«.
• Della Valle 38. — Jovius bei Katona XX, 920. — Quellen und Erörte-
nmgen IV, 398. — E^ ist sehr erklärlich, dass nach geschehenem Morde
Gritti nachdrücklich erklärte, er habe keinen Befehl zur Hinrichtung
fegeben. Schon seine letzten Worte an Schepper, er werde vor Blut-
TQigiessen nicht zurückschrecken (G^vay II, 1534, 65), lassen einen Be-
fehl, Czybak todt oder lebendig einzuliefern, wahrscheinlich erscheinen.
— Della Valle, der auch hier wieder Gritti möglichst günstig zeichnen
will, stellt die Vermuthung auf, dass der Sultan diesem einen gegen
4ie Person Czybak^s gerichteten Befehl mitgegfeben hätte, eine Ver-
mithang, die durch die Aeussemng Suleimans dem Gesandten ZÄpolya^s
in December 1534 oder Jänner 1535 in Babylon gegenüber, er habe
Gritti ,mit dem bevelh, den Zibach und ander umzubringen, nit abge-
fertigt, hinlänglich widerlegt erscheint (s. Della Valle 35. — Quellen
and Erörterungen IV, 439). — Jovius und seine Abschreiber nennen ftlsch-
lich Doczy als Vollbringer der Mordthat (Jovius bei Katona XX, 921).
76
bekleidet^ rasch gefasst eine Waffe und schlug, eingedenk der
warnenden Worte Gotthard Kun's und entschlossen, sich lebend
nicht zu ergeben, in verzweifelter Widerwehr viele seiner An-
greifer zu Boden, bis diese in feiger List die Zeltstricke durch-
schnitten und den vom Zelttuche bedeckten wehrlosen Mann
ermordeten. Seine Getreuen wurden gleich ihm, so weit sie nicht
entkamen, erschlagen. Das Haupt des Ermordeten an einem
Spiesse, kehrte die Rotte nach Kronstadt zurück.^
Gritti, eben im Gespräche mit Laski, Eun und Mayliith
begriffen,* war über den Anblick nicht wenig entsetzt, der sich
ihm bot.' War nun auch seine Rachsucht befriedigt,^ er war
zu klug, die möglichen Folgen der That zu verkennen. Und
augenblicklich verliessen auch die Genannten das Lager.^ Was
nützte es nun, dass er ein über das andere Mal versicherte,
die Ermordung Czybak's sei ihm ferne gelegen; lebend habe
er ihn haben wollen und nicht todt? ^ Was mochte es besagen,
dass er das Haupt des Ermordeten, das Döczy noch im Tode
schändete,^ mit allen Ehren in Kronstadt, die Leiche in einer
Kapelle unweit Felmör beisetzen Hess?® Die Unthat war nicht
gutzumachen, und die Aufregung über den Tod des allver-
ehrten Mannes, auf dessen Grabe man Wunder geschehen Hess,*
musste zu einer Krise föhren.
> Szer^mi 882. 383. — Museus 67. — Della Valle 38. — Quellen and
Erttiterangen IV, 399 (Weinmeister an die Herzoge von Bayern, 1. Sep-
tember 1634: Czjbak ,bat xyj wunden und ein Stieb gebabt*). — Etwas
anders dargestellt bei Jovius (Katona XX, 926) und Abschreibern.
' Lrfiski bei Museus 67. — Kun und Maylith bei DeUa Valle 39.
* Museus 67, Della Valle 39. Museus erzäblt eine rührende Geschichte
von einem Hunde, den Czybak einst Anton Gritti zum Geschenk gemacht
hatte und der nun mit lautem Geheul und Gewinsel herbeilief und weder
durch Schläge noch St($sse zur Ruhe gebracht werden konnte.
* Verancsics 35 behauptet, Gritti habe es auch auf Statilius abgesehen
gehabt, weil derselbe ebenfalls ein Gegner seiner Ernennung zum Gou-
verneur gewesen war.
^ S. A. 3. — Laski wurde jedoch von dem misstrauischen Zapolya gefangen
genommen und in den Thnrm, wo Arthdndy eingesperrt gewesen war,
geworfen und erst auf die Verwendung Polens hin freigegeben. Quellen
und Erörterungen IV, 399. — Szer^mi 326 f.
* DeUa VaUe 39.
^ Szer^roi 888.
* Museus 67. — Della Valle 39.
* Szerömi 333.
77
Unter solchen Umständen that Gritti gut, schon am 13. Au-
^ Kronstadt za verlassen und nach dem neubefestigten ^ Me-
jiasch zu ziehen, vor welcher Stadt er bis 23. August 1534
ein Lager bezog.* In ganz Siebenbürgen aber erhob sich eine
angeheure EIrbitterung. Es war für Nicolaus Patochi, den
Neffen des Ermordeten, ein Leichtes, Edelleute und Bauern zu
den Waffen zu rufen, und in kürzester Zeit war ein Heer von
40.000 Leuten, freilich meist schlecht bewaffneten, wenig kriegs-
tüchtigen Bauern beisammen.^ In flammender Rede forderte
Gotthard E&n die Versammelten auf, Rache zu nehmen an dem
Manne, der sich wie die Schlange über die Vogelnester an das
Vaterland gemacht.* Den militärischen Oberbefehl übernahm
Maylidi, dem Gritti ebenfalls nach dem Leben gestrebt haben
3oll.* Und das geschah Alles, trotzdem es hiess, Gritti habe im
Auftrage Zäpolya's gehandelt,^ ein Gerücht, sehr weit von jeder
Wahrheit entfernt, da der bedauernswerthe König vielmehr in
zwei dringenden Briefen von Suleiman die Rückberufung Gritti's,
der es auf sein Leben und seine Krone abgesehen habe, erbat '
and andererseits auch von einer Katastrophe des Gouverneurs
Ar ach nichts Ghites erwartete.®
Gritti, dem die Vorgänge in Siebenbürgen naturgemäss
nicht verborgen blieben, erzwang sich nun, um nur halbwegs
gesichert zu sein, durch Gefangennahme der Häupter der Stadt-
^ A. Gneser im Archiv des Vereines für siebenbür^che Landeskunde,
Bil, 197—200.
'Mnaeiis 67. — Bei Della Valle ist fiilschlich statt 13. August 21. Juli
and sUtt 23. August 27. Juli gesetzt. Della Valle 39.
* Della Valle 39/40. — Museus 68. — Jovius bei Katona XX, 923. ■-
Istrintfy^s Erzählung (198), dass die Verschwörer in Hermannstadt die
ente Zusammeukunft gehabt hätten und ein blutiges Schwert als Zeichen
^ AufSrtandes durch alle Gaue und Gemeinden gesandt wurde, worauf
^ Anfetändischen zu ,triumviri sumendae vindictae* Run, Kendj und
XsyliÜi wählten, wird durch den — unzuverlässigen — Bericht Con-
tireno'i an die Signorie vom 10. (?) Februar 1635 theilweise bestätigt
(Orirj Nr. 306). Ein Bericht des Rathes von Hermannstadt an Ferdi-
nand I. vom 15. August 1534 enthält nichts dergleichen. Vojages des
SonTerains des Pays-Bas XU, 555.
* Snr^mi 334.
* V^ Della Valle 44 f. — Voyages des Souverains des Pays-Bas 111, 356.
* Quellen und Erörterungen IV, 424.
' G^y n, 1536, 70.
* Qnellen und Erörterungen IV, 400.
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^hlsttiikenntniss der Führer. Besser gelang ein dritter, wie
« scheint, am 23. September ausgeführter Ausfall, trotzdem zu
lüeser Zeit sich schon das ganze, fast 40.000 Mann starke Heer
der Belagerer vor der Stadt versammelt hatte. ^ Damit ging es
can nicht mehr. Doch wies Gritti hartnäckig jeden Gedanken
in Flucht zurück, die auf dem Wege über Belgrad noch ganz
leicht möglich gewesen wäre und die ihm sein Sohn in einem
Kriegsrathe wann empfahl. Vielmehr folgte er Batthyäny und
dkzjj die ihm riethen, mit den Belagerern in Unterhandlungen
ra treten.* Die Unterhandlungen kamen zu Stande und dauer-
ten vier Tage, vom 24. bis 27. September. Sie Uieben resultat-
l»/ and am 28. September traf Mayldth alle Anstalten zum
Sturme. Das Heer, das aus siebenbürgischem Landvolk be-
fand, und zwar aus Sachsen sowohl wie Ungarn und Rumänen,
^oiu noch die Völker der Wallachei und Moldau kamen —
auch Hermannstadt betheiligte sich an der Belagerung,* ebenso
Tkomas Nddasdy mit 660 Mann ^ — ward nun concentrirt und
rilekte knapp an die Stadt, in der es wohl nicht an Gold,
Jfsto empfindlicher aber an Lebensmitteln mangelte.® Den
Scladen, den eine Beschiessung anrichtete, gelang es den Be-
werten durch unermüdliche Arbeit wieder gutzumachen.^
In der Frühe des 29. September begannen die Belagerer
fc mitgeftihrten acht Kanonen gegen eine schwache Mauer-
neuerdings spielen zu lassen.® Die Beschiessung, die bis
ühr Vormittags währte, brach eine lange Bresche in die
er, hinter der sich noch ein aus Erde und Holz con-
' Mueos 68. 69. — Della Yalle 42.
' DeUi Yalle 42.
' Ebenda«. 43. 44. Seine Erzählung, das^ die Belagerer nur die Heraus-
gabe D6cz7*8 verlangt, dieser aber diese Bedingung verschwiegen habe»
klingt wenig wahrscheinlich.
'Men und Erörterungen IV, 409.
'Contarini an Ferdinand L, 3. Februar 1535. Magyar tört^nelmi tir III
(1857), 97.
'Hniens 70. 71. — Della Valle 44.
' )imuB 70. — Della Valle 44.
'Kich Della Valle erfolgte die Erstürmung am 28. September, Museus
onterKheidet aber genau zwischen 28. und 29. September; vermuthlich
litt ein doppelter Sturm stattgefunden. Della Valle 44. — Museus
10. 71.
80
struirter starker Wall erhob. Noch gelang es, die bedrohte Stelle
zu schützen.^
Da scholl vom Kirchencastell her Sturmglockengeläute
und heftiges Kleingewehrfeuer. Die Bürger hatten dort eine
weisse Fahne aufgezogen und forderten mit lauten Zurufen die
Belagerer auf, in die Stadt einzudringen.*
Kein sicherer Platz war mehr in der ganzen Stadt, die
von zwei Seiten mit Kugeln überschüttet wurde. Da zeigten
die ungarischen Soldaten, dass sie Gritti nicht falsch beurtheilt
habe. Sie öffneten den Feinden eine Pforte, bei welcher diese
sofort hereindrangen. Auch Batthyäny und Perusich feinden
es nun ftlr gut, die Herren zu wechseln. Ersterer betheiligte
sich sofort an dem Blutbade, das die nach Ueberwindung des
vorzügUch gebauten Walles immer zahlreicher hereinstllrmenden
Belagerer unter den Türken anrichteten. Nur Döczy blieb treu,
Wusste er doch, dass er keine Gnade zu gewärtigen hatte.'
Gritti hatte sich, fieberleidend, auf ein Pferd geschwun
gen, dann aber, da er Alles verloren sah, in sein Haus zurück
gezogen und, als ihm Peter von der Moldau auf seine Anfrag«
hin Hilfe versprach, sich nach Geiselstellung seiner Söhne ent
schlössen, den Abmahnungen seiner Getreuen entgegen, voi
denen er in längerer Rede Abschied nahm, zum Woiwoden z^
entfliehen. Nur von Della Valle und einigen Knappen begleitet
veriiess er die Stadt, um sofort von einem ungarischen Reitei
angefallen zu werden,^ den aber seine Begleiter niederschlugen
Der Aufforderung Della Valleys, wieder in die Stadt zu eilen
leistete er, den sicheren Tod vor Augen, keine Folge und schickte
den Kämmerer mit dem Auftrage zurück, er solle, wenn c!
durch Gottes Fügung Venedig wiedersähe, seinen armen altei
' Museus spricht von einem zweiten Sturme nicht. Della Valle über, de
den Vorgang viel genaner erzählt, verbindet Sturm und den Verrath de
Städter als gleichzeitig (44).
» Museus 71. — Della Valle 44.
» Museus 71—73. — Della Valle 44—46. — Szer^mi 335—336, sehr coii
fus; seine Erzählung von einer Mine, durch die Gritti gerettet werdä
sollte, durch welche aber dann die Belagerer eindrangen, verdient keine
Glauben. — Jovius bei Katona XX, 924. 925.
* Joviu8 (bei Katona XX, 925) nennt fälschlich Kendy.
81
Viter Alles meldeD, was er hier gesellen habe.^ Della Valle
ffgriflF die schleunigste Flucht.*
Gritti wurde sogleich von den Moldauern gefangen und
ia die Ungarn ausgeliefert. Umsonst war seine Behauptung,
Csybak sei gegen seinen Befehl ermordet worden^ umsonst
seine Berufung auf die Würde, die ihm als Vertreter des Sul-
tans zukomme und die strenge Bestrafung, die dieser über
seine Morder verhängen würde. Wüthend verlangten die Sol-
daten seinen Tod. Da ei^ab er sich in sein Schicksal und bat
Dur um Bestattung in geweihter Erde und um raschen Vollzug
des Blutartheils. Gleich darauf fiel sein Haupt.' In seinen
Schuhen fanden sich eine Menge Edelsteine von hohem Werthe,
die unter die Leute — natürUch meist unter die Führer —
Tertheilt wurden.* Döczy erlitt die grässliche Strafe des Vier-
* Einen gleichen Auftrag gab er Museus (78).
» DelU Valle 44 — 48. — Museufl 71. 73. — Della Valle wurde auf der
Flucht gefangen genommen und vor Patochi gebracht. Dort sab er eine
Menge der Edelsteine seines Herrn. Er stellte sich des Ungarischen
nnkandig, um so die Ungarn belauschen zu können. Patochi, der ihn
gut behandelte, entliess ihn bald, und Della Valle kam über Wien am
14. Jnni nach Venedig zurück. Della Valle 49 — 60. — Vgl. KarAcsonyi J.,
OUsz fogoly Gyula yär^ban 1534-ben (Ein italienischer Gefangener in
der Festang Karlstadt 1534) in B^k^svirmegyi r^^szeti tdrsulat evkönyve
(Jahrhnch des Geschieh ts Vereins des Comitats B6k6s) XV, 64 ff.
Moseus wurde mit einem anderen Beamten Anton Gritti^s in Wien
(S. bis 7. Februar) scharf verhört, dann aber auf Verwendung Venedigs
freig^eben. Museus, Constitutio, 75 — 81. — Vgl. Univers.- Bibliothek
Padna (S. 71, A. 8). -— Övdry Nr. 305. 308. 309. (Berichte des venetia-
msehen Gesandten in Wien nach Venedig.)
* Ich folge auch hier den Berichten der durch Augenzeugen unterrichteten
Della Valle 49 und Museus 73. — Della Valle 48—61. — Museus 73.
74. — Jovius bei Katona XX, 925. 926. — Szer^mi 336. 337 lässt die
Belagerer Gntti auf einem Thronsessel in goldenem Schmucke finden,
TITO wo ans er ungefähr dieselbe Ansprache an sie hält wie nach Delta
TaUe; in einer originellen, aus Bibelsprüchen zusammengesetzten Ant-
wort beweisen ihm die Gegner die Todeswürdigkeit seines Verbrechens.
— Hier sei als Curiosum die Mittheilung Sataberrj^s (in Biogr. univ.
XVn, 672) angeführt, man hätte Gritti in der Frühe die Hände, Mittags
die Füsse und Abends den Kopf abgeschlagen.
* Moseiu 74. — Della Valle 49 etc. — Die Angaben über die bei Gritti
g^nachte Beute an Geld und Werthsachen gehen sehr auseinander; nach
eioem Berichte Vergerio^s an Papst Paul III. sollen es gar 800.000 Thaler
gewesen sein. Nuntiatnrberichte I, 1, 316.
ArelBT. LXXXIII Bd. I. Hälft«. 6
82
theilens.^ Die armen Kinder des Gerichteten wurden von Peter
von der Moldau mitgefuhrt und umgebracht.* Der Leichnam
des Gouverneurs, den Della Valle noch am nächsten Tage
nackt auf der Erde liegen sah, wurde durch die Bemühungen
des menschenfreundlichen Gotthard Kun im Franziskanerkloster
von Mediasch beigesetzt^
Zäpolya, der jetzt auch herbeikam, suchte in der Eile so
viel Geld zu erhaschen als möglich. Er liess die Schätze, die
Döczy auf seiner Burg hinterlassen, auf drei Wagen nach Ofen
fuhren, Franz Dobö musste ihm einen Guttheil von den 116.000
Ducaten, die er von den Schätzen Gritti's auf die Seite ge-
bracht hatte, abtreten. Auch die im Gefolge Gritti's befind-
lichen Juden und Griechen, die viel Geld bei sich hatten,
wurden säuberlich ausgeplündert.^ Das war Zäpolya's Rache
für Ofen.
§2.
Das Nachspiel znm Tode Grltti^s.
Zäpolya war nun von seinem Gouverneur, König Ferdi-
nand von seinem Vermittler befreit. Letzterer, von den Vor-
gängen in Siebenbürgen genau unterrichtet,^ erhoffte davon den
gänzlichen Niedergang der Partei Zdpolya's. Schon am 3. Octo-
ber empfing er die Kunde von Gritti's Tode und glaubte wie
seine Schwester eine vortheilhafte Veränderung der ungarischen
Verhältnisse voraussehen zu dürfen, da die Ungarn ebenso des
Königs wie des Gouverneurs überdrüssig seien.® Und das nicht
ohne Grund: immer feindseliger hatte sich Gritti in den letzten
Tagen gezeigt; laut hatte er gesagt, König Ferdinand müsse
auf Ungarn verzichten, und so hatte Thurzö schon am 31. Au-
gust 1534 dem Könige gerathen, er solle die Gelegenheit, sich
Ungarns zu bemächtigen, ergreifen und entweder Gritti be-
kriegen oder mit Z^polya vertragen, jedenfalls aber den Gou-
^ Della Valle 61.
« Ebenda«. — Szer^mi 338. — ÖvAry Nr. 306. — Harmuaaki II, 1, LXIU.
' Museus 74.
« Szerömi 338.
» G6vay II, 1634, 162. 163. — U, 1636, 2—7.
• Ebendas. H, 1636, 7. — Buchholt« IV, 131. — Vgl. Nie. Olah an Ghe-
rendi. Brttsse], 80. Jänner 1635, in Mon. Hang. bist. Dipl. I, 643.
83
▼emeur nicht nach Ungarn lassen. Der könne dort zwar viel
schaden, aber herzlich wenig nützen, hatte auch Schepper schon
An&ngs August 1534 dem Kaiser und Granvella versichert.*
Zipolya hatte zunächst Laski, den man allgemein des intimen
Einverständnisses mit Gritti beschuldigte, gefangen setzen lassen^
imd ernannte Mayläth, der König Ferdinands Partei verliess,
2am Woiwoden. Das Bisthum Grosswardein gab er an Bruder
Georg, der nun seine kühne Laufbahn begann;^ gleichwohl
wollte er nach wie vor als ganz unschuldig an dem Morde
gehen und that bei dem Sultan, vor dem er nicht geringe
Angst hatte,* Schritte, sich aus der SchHnge zu ziehen. Er
schickte einen Boten nach Bagdad, der zu melden hatte, es sei
ihm unmöglich gewesen, die Wuth des Volkes einzudämmen,
ja er habe sogar eine allgemeine Amnestie versprechen müssen,
tun einen Massenübertritt zu König Ferdinand zu verhindern.^
Er beschuldigte diesen, Urheber der ,Unthat' von Mediasch zu
sein, und behauptete, dass einige der Mörder, darunter der
Woiwode der Moldau, bei ihm Schutz gefunden hätten.^
Suleiman, der bei der ersten Kunde aufgebracht ausrief,
der elende König Johann allein habe das Volk zu diesem Be-
ginnen getrieben,' und von ihm die Zurückzahlung von 1,200.000
Dacaten, die er als Tribut und wegen der Beraubung Gritti's
im schuldete, verlangen wollte,® beruhigte sich auf diese Nach-
richten hin und wollte nicht nur ,in bisher erhaltener Freund-
schaft' zu Zäpolya verhangen, sondern erklärte sogar — im
December 1534 — , dass Gritti nur gefunden, was er gesucht
^ Vojages des Soarerains des Pajs-Bas III, 549. 551. 557. 558; auch 554 f.
556 f. — Vgl. ÖvÄry Nr. 300: Contarini's Bericht vom 12. Jänner 1535.
Statiliaa äusserte dem yenetianischen Gesandten in Wien (Contarini)
gegenüber: ,Gott yerzeihe dem Gritti; denn gewiss hätten KOnig Ferdi-
nands Gesandte bei der Pforte dessen Einsetzung in den Besitz ganz
Ungarns erreicht, wäre er nicht gewesen* (?).
' Näheres bei Hirschberg, H. Laski, 216 f. — Vgl. ÖvAry Nr. 286.
* Quellen und Erörterungen IV, 427. — G6vay II, 1536, 18. 19.
34 etc.
* Quellen und Erörterungen IV, 422. — Pray, Annales III, 274.
* Contarini an Ferdinand I., 1. Jänner 1535. Mag. tört. tAr III, 86.
* Geray II, 1536, 10. 11.
^ Ebendas. 70.
* Buchholt*, ürkundenbuch,. 65—69.
6*
[
84
habe, und dass er, wäre er in die Türkei entkommen, dort
eines ärgeren Todes hätte sterben müssen.^
Aber König Ferdinand erklärte sofort auf das Schreiben
Ibrahims, das die Anschuldigungen Zäpolya's ihm mittheilte,
alles das sei unwahr, und wiederholte in seinen Schreiben vom
23. März und 3. Juni 1535 dem Sultan und dem Grossvezier
seine Erklärung, sie seien von Zdpolya verleumderisch betrogen
worden, der jetzt den Führer des Aufstandes, Stefan Mayläth,
zum Woiwoden ernannt habe und die treu habsburgisch ge-
sinnten Bergstädte auf das Empfindlichste bedränge. Zäpolva
allein sei schuld au der Ermordung des Gouverneurs.* Dieser
nun vermuthete eine ihm feindliche Einfiussnahme der Signorie
von Venedig in Wien und Constantinopel und erklärte sich
bereit, derselben die Schätze Gritti's auszuliefern, wenn sie den
Frieden mit König Ferdinand befördern und den Sultan be-
inihigen wollte — doch ohne irgendwelchen Erfolg.' Suleiman
hatte die Versicherungen König Ferdinands schon im Februar
1535 zur Kenntniss genommen und sandte jetzt den Dolmetsch
Junisbeg, der durch Bestechung von Hieronymus von Zara und
Schepper für Ferdinand gewonnen war und schon im Winter
— wenn seine Erzählung wahr ist — sich zu Gunsten Ferdi-
nands beim Sultan verwendet hatte, nach Ungarn.* Die Unter-
suchung, die dieser im September und October 1535 anstellte
und bei der er sehr unzart mit dem armen ungarischen Könige
verfuhr, bewies ganz klar Zäpolya's Schuld. Er konnte nicht
leugnen, dass er eine Menge der Schätze und Besitzthümer
des Ermordeten in seinen Händen hatte, und Junisbeg, schon
früher durch Johann Gritti, der dem Gemetzel in Mediasch
entronnen war, und Andere sehr gut imterrichtet, wies ihm
jede Unwahrheit schlagend und in schroffer Weise nach. So
erzählte Junisbeg selbst im October, unmittelbar nach der Unter-
suchung, dem Vertreter König Ferdinands, Grafen Nogarola.^
* Qaellen und Erörterungen IV, 439. — Verancsics, De rebus gestis Hun-
garorum, Mon. Hung. Hist. See. II, 55 — 56.
« GÄvay U, 1636, 10 ff. 17 ff. 23 ff. 36 ff. 42.
' Öy&ry Nr. 326. Bericht des venetianischen Gesandten Contareno in Wien
an die Signorie von Venedig. Wien, 23. März 1535. (Venedig, Archivio
di Stato.)
* G6vay Hj 1536, 12 f. 58 f. 71. — Buchholtz IV, 132. — Vgl. Öviry
Nr. 340. » G6vay II, 1536, 69—74.
85
Der König, der durch Junisbeg, dessen er sich sicher wähnte,
wieder auf eine Erwerbung ganz Ungarns hinarbeiten wollte/
hatte dem Grafen in der Instruction aufgetragen, Junisbeg in
fem Sinne zu bearbeiten; Nogarola suchte den Dolmetsch
darch ein Geschenk von 1000 Ducaten noch mehr daftir zu
gewinnen.*
Aber Suleiman wollte kein letztes Wort sprechen. Ihm
passte das Doppelsystem in Ungarn besser.
Noch einmal erhob sich die Erinnerung an Gritti's Namen,
als im Frühjahre 1536 mit jener Plötzlichkeit, die die türkische
Palastpolitik kennzeichnet, Ibrahim Pascha sein Ende fand.
Wir hörten davon. Für das unglückliche Ungarn bedeutete
«ias wenig. Es blieb nach wie vor ein Spielball in den Händen
widerstreitender Gewalten.
^ Zonüchst hat Ferdinand in einem Briefe an den Sultan vom 1. October
1535 ausdrücklich auf die Ergebnisse der Untersuchungen Junisbegs und
die Verleumdungen Zapolya's hingewiesen. Brüssel, Archives gönörales
du Royaume (Cop.).
* G^vay II, 1536, 64—67. 73. — Övary Nr. "289. 293. 298.
ANHANG.
Nr. 1.
L. Oritti an Marco Contarini. Ofen, 17. September 1529.
(Venedig, Marcusbibliothek class. VII, cod. 1933.)
Rückseite: AI molto magnifico signor messer Marco Contarini fo claiissimo
messer Zaccaria qnanto fratello honorando.
Molto magnifico et honorato signor mio. Havendo per el passato
havuto doe man de lottere insieme con una cassetina de christallo, dentro
la quäl vi eran diece paternostri capitati da Francza molto belli, quali per
me subito forno appresentati al ill"*^ signor Ibraim Bassa per una cosa
rara e bellissima, ne V* M«^®*** se maraveglara, si son tardato fin a questo
giorno iuxta el debito mio in farli vedere mia lettera, perche aspectava
debita occasione, non gia percbe la benignita e genteleza Tostra non me
sia al continuo stata nel core. Essendo al presente venuto a trovarme
Giorgi mio fratello, per el quäl mi ö sta data V ultima lettera de V* M^*^*"
de 28. Jugno, per la quäl ho visto, quanto amorevolmente V* S^^ con
tutto el core 8*ha afifatigato nel concludere de le noze de Marietta mia
figliola nel magnifico messer Vincenzo Cicogna e per la relation conforme
al scrivere de V" M^^*^*^ per mio fratello datami mi son certificato tal
bona opera essere seguita et havere havuta la desidei*ata conclusione per
Tamorevole diligentia usata per V™ S^**, de la quäl cosa ne resto im-
perpetuo obligatissimo a tucta la degna fameglia de V" S«™. Et se Dio
me prestara gratia, che con qualche magior effecto lo possi demostrar, faro
a V" S^'* cognoscere V animo e seiTitu mia essere verso quella inmor-
tale.^ Quanto me sia stato grato la bona conclusione di tal nocze, haven-
done per lettera del serenissimo principe, de V" M«f^®*** e de molti altri
amici et parenti nostri e per relatione datame da mio fratello de le bone
et optime condetione del novizo, potete essere certo. lo haverne havuto
' Or. in mortale.
87
iimmo contento e spero nel altisssimo Dio non mono giornalmente de
b«De in megllo restara satisfacto el prefato magnifico mio genero di tal
jiirentato, di qnel noe seamo satisfacti tutti noi, perche de lui ne seamo
per tener quel conto, che de boni e carissimi figlioli vengono tenuti con
atisfation de quelli, che saranno stati mediatori di tal bona opei^a, che
3'«tro S. Dio li lassi vivere longhi e felici anni. Per el prefato mio fra-
t*Ilo mi 8on state presentate per nomo de V"* M«^®*'* et suo alchune gen-
telae et io V ho accetate solo in nome de V^* M&^<^*»*, rengraciandola molto
che DOD solo de bone dimostrazione de parole, ma ancho continnamente
CM le opere quella mi mostra el suo bon animo. Io el tucto accetto yo-
kotieri con aagnmentation de obligatione. Ho con sammo piacere inteso
de '1 magnlfico messer Polo fosse sano e che la magnifica madonna Vienna
i^^ae resanata dala infirmita. Idio laudato, et a V" M^^^ti» placera efficace-
mate racomandarme al prefato magnifico suo fratello e molto confortar
fösa madonna Vienna, per nome de la quäl Giorgi mio fratello m' ha usate
Dolte parole de allegrai-se per suo nome de la quäl cosa essende quel
seamo insieme el bene el male allegreza e mestitia convegono tncte essere
comnne. Spero di brevo anchora io allegi'ar de simile sue consolatione
ä» Dio cussi permessa dovendo retorna costa Giorgio mio fratello, ho
(Idiberato redrizanri un cavallo, el quäl non e troppo grande, ma facteza
beliissimo. V* S«"* se dignera accettarlo e goderlo per amor mio piglando
Utctaria el bon animo et voler mio in magior dono di quel sono el cavallo
« prego V* M^*^^'**, se in queste bände li occunera cosa, chi la cognosca
li possi essere satisfacta per el mio mezo, La non manche de comandarme,
che promptissimo La mi troTara sempre che io possi farli cosa grata et
all bona gratia sna sempre me racomando.
A di 17. septembris 1529 in Buda.
AI. 6. episcopus Agriensis et genei'alis
tesaurarius totius regni et camerarius ac
locumtenens generalis Regie Maiestatis.
Or. Papier. (Die ganze Unterschrift und Adresse eigenhändig.)
Nr. 2.
Qarantiedecret der nngarischen Stande far L. Oritti.
Ofen, 31. December 1530.
(Budapest, kgl. ungar. Landesarchiv.)
Kos loannes Statilius, episcopus Albensis Ti-anssilvanie, Emericus
Ciybak, electos Waradiensis, item loannes Banffy de Alsolyndwa, comes
88
perpetuos comitatus de Werecze palatinus regni Hungarie ac iudex
Romanommy comes Gregorius Pesthyeny de Marthonos, Iudex curie Regie
MaiestatiSy Hieronymns de Lasko, Stephanus Bathori de Somlyo, wajwoda
Transsllvanensis, et Siculonim comites Caspar de Raska, comes comitatus
Newgradiensis, Stephanus Druget de Homonna, loannes Zeyechen de
Mezthegnyew, comes comitatus Tholnensis, Franciscus de Bachya, pi-ae-
positus Scepusiensis, Simon de Athyna, castellanus et provisor curie
castri Budensis, Thomas de Nadasd, administrator proventuum Regie
Maiestatis, loannes Doczy de Zeg, Nicolaus Kozka de Zediecz, capitaneus
partium regni superioris, necnon egregii Benedictus de Beken, locum-
tenens personalis presentie Regie Maiestatis, Emerlcus de Saros protho-
notarius iudicis curie Regie Maiestatis, Albertus Phylpessy prothonotarius
personalis presencie Regie Maiestatis, Nicolaus de Thelegd, Ticewaywoda
Transsilvanensis/ Michael Jakchy, comes comitatus Zolnok mediocris,
Michael Eesseren de 6ybaii;h, Stephanus Balynthyth, supremus capita-
neus Rascianorum, Nicolaus Thomori de Eewesd, comes comitatus AI-
bensis, Petrus Bodo de Mezthegnyew, loannes de Dembo, Franciscus
Somogy de Endred, Peti-us Emreffy de Zerdahel, Ladislaus Nagh de Beer,
Stephanus Thomori de Chwch, Blasius de Weche capitaneus peditum
Regie Maiostatis, Paulus de Barcha, Michael Somlyay, Mattheus Kassono,
Blasius Thery, Michael Kwnyowyth, Emericus Pwthnoky, loannes Zthary
de Maria, Franciscus Dobo de Rwzka, Sigismund de Rohman, Andreas
Ispan de Macha aliique universi et singuli fideles subditi Serenissimi domini
regis loannis domini nostri glori(?)osissimi, qui in presenti negocio inter-
fuei-unt, memorie commendamus per presentes littei^as nostras, quod nos
illustri et magnifico domino Ludovico Gritti, gubernatori regis et regni
Hungarie electoque ecclesie Agriensis, summo thesaurario et consiliario
Regie Maiestatis, in omnibus, que ad commodum et statum predicti Sere-
nissimi domini nostri regis nee non libertatem et consei*vationem regni
pertinerent, pro facultate et auxilio esse volumus atque ad hec nos eidem
promittimus harum nostiarum sigilli nostri muminine manusque nosti-e
subscriptione roboratarum vigore et tostimonio literarum mediante.
Datum Bude sabato proximo ante festum circumclsionis domini
anno eiusdem millesimo quingentesimo tiicesimo.
Or. Papier.
50 Siegel, 18 davon noch kenntlich ausgeprägt.
89
Nr. 2 a.
L Gritti an Rath und Bargerschaft von Kremnitz, Schemnitz,
Bistrits nnd anderer Bergstadte. Ofen, 6. Jänner 1531.
(Kremnitz, städt. Archiv, tom. I, 18, Fiwc. II, 95.)
Adrmt: Pmdentibus et circumspectis iudicibus et iuratis ceterisque ci-
fÜHiB Cremniciensibus Sempniciensibus et Bistriciensibus ceteranimque
ciTitatum montanarum Maiestatis regie nobis syncere dilectis etc.
Pradentes et circumspecti nobis sjncere dilecti. Becordari potestis,
qnalem concordiam superioribus diebus vobiscum hie presentibus fecera-
miEj. Postea eciam scripseramus vobis, ut ad nos veniretis et illa que
tempore concordie Tobis commiseramus huc nobiscum una afferetis, sed
T06 iporamos ob causam venire minime voluistis. Itaque nunc denuo in
persona Maiestatis regie domini nostri generosissimi vobis strictissime
committimus et mandamus, ut mox receptis presentibus preter omnem
morim huc venire et illa eciam in quibus vobiscum hie conveneramus
affere debeatis. Nam si secus feceritis, certo scitis periculum vobis immi-
nere. Aliud ergo nulla racione feceritis.
Bude in festo epiphanie domini anno eiusdem M^. D^. xxxj®.
Ludovicus Griti gubernator
regni Ungarie etc. manu propria.
Or. Ptpier (mit Wasserzeichen), rothes Wachssiegel, stark verletzt, unlesbar.
Nr. 3.
L Gritti an Thomas V&dasdy. Ofen, 12. Jänner 1531.
(Budapest, kgl. ungar. Landesarchiv.)
Nos Ludovicus Gritti gubernator regni Hungarie comes perpetuus
terre Marmarusiensis ac summus thesauranus et consiliarius Regie Maie-
statis etc. recognoscimus per presentes litteras nostras, quod nos magni-
Scum Thomam de Nadasd in absencia nostra fecimus et constituimus in
^cegubematorem nostrum, dando et conferendo eidem plenam atque
vomimodam auctoritatem, ut ipse Nadasdy intra adventum nostrum vice
^ in persona nostra omnia negocia ad gubernationem nostram pertinentia
^uwcum officio thesaurariatus exercere universosque proventus regni ad-
aunistrare et iuxta necessitatem negotiorum Regie Maiestatis simul et
^^ dispensare debeat, et quod universi officiales et prefecti quorumlibet
90
bonoram et officiorum ac proventuuin rogalium exactores ad prefatum
Nadasdy in omnibus attendere omniaquo officia ad libitum suum teuere
proventusque Hungarie universos ad manus suas adiuinisti-are ac eidem
racionem dare debeant, hoc tamen non pretermisso, quod, si Regia Maie-
stas vel aliqnis dominorum aut alter quispiam ad Hungarie officium gu-
bernacionis vel thesaui-ariatus et proTentuum administracionem sese im-
miserit vel ipsum in eo quovis pacto turbaverit, extunc ipse Nadasdy
aut ad nos Constantinopolim aut alio, ubi nos reperire poterit, venire aut
ad domum suam se conferre ibique adventum nostrum expectare possit et
valeat harum nostrarum vigore et testimonio literarum mediante.
Datum Bude 12. mensis Januarii anno domini millesimo quingen-
tesimo tricesimo primo. i^em LudovicusGriti
manu propria.
Or. Papier. Siegel : aufgedrückt, beschädigt. In der Mitte Wappen : oben Kreuz,
unten Ungar. KOnigskrone. Legende: Lndo. Gritti. Gub[ern.] Regni. [Hun]gari[e].
Nr. 4.
L. Oritti an Thomas V&dasdy. Tirgowisoht, 16. April 1532.
(Budapest, kgl. ungar. Landesarchiv.)
Rückseite: [Tho]ma Nadasdino tenenti nostro sincere dilecto.
Magnifice nobis sincere dilecte. Cupientes summopere eandem vi-
dere et aliqua secum tractare percepimus tandem mandato Maiestatis Re-
gie pro suo seiTitio iter parasse ad illam congregationem faciendam cum
illis dominis Hungaris sequentibus partes Ferdinandi, quam rem libenter
andivimus et non minus fuit ac si personaliter ad nos venissetis, qua de
re amore nostri statim receptis presentibus sine mora procuretis ordinäre
equites ducentos optimos ad bellum eosque ubi sensieritis nos esse illicho
remictere facietisque nobis rem gratissimam et non sine parvo servicio
sue Maiestatis Regie, et quia de presenti negocio et aliis tractavimus cum
reverendissimo domino episcopo Siimiensi consiliaiio regio qui etiam scri-
bet et propterea totum illud quod scripserit facietis et exequcione man-
detis offerentes semper ad sua vota.
Datum in castris nostris prope Thorgovistam die xvj* mensis aprilis
anno domini millesimo quingentesimo tricesimo secundo.
Ludovicus Gritti regni
TJngarie gubernator etc.
Or. Papier.
Siegel abgefallen.
91
Nr. 5.
L Qritti an Rath und Bürger von Kronstadt. Lager bei Kronstadt,
25. Hai 1532.
(Kronstadt, Stadtarchiv, Fr. Schneirscho Sammlung.)
Nos Ladoricus Grytti comes perpetuus terrae Maromorosiensis regni
HuDgariae gubernator summasqne thezaurarius et consillarius regius etc.
recognoscimns per praesentes, quod, cum nos intelligamus, regiam Majo-
stetem dominnm nostrum clementissimum Tigesimam de rebus mercimo-
nialibüs ad banc regiam civitatem Brassoviensem et terram Barcza defe-
rendis fisco regio exigi consuetam prudentibus et circumspectis judici ac
joratis ceterisqne civibus et inbabitatoribus ejusdem civitatis Brassovien-
äs pro boc anno praesenti pro summa duorum milium et quingentorum
florenorum in arendam dedisse atque locasse et ex bujusmodi summa
miile jam florenos persolvisse;^ ideo nosque tanquam summus tbezaurarius
regius ejoscemodi arendationem i*atam et acceptem babentes yigesimam
pnenotatam pro boc uno anno, incipiendo annum a feste Pentbecostes
proiime praeterito usque ad aiium festum Pentbecostes immediate futurum
dnrantem, apud manus ipsorum judicis ac juratorum ceterorumque civium
Brassoriensium duximus relinquendam, ea tamen lege, ut ipsi cives resi-
daam summam mille videliczet et quingentos florenos preter scitum et
Tulnntatem nostram nemini dare solvereque praesummant; immo con-
üdone sub prsemissa relinquimus et committimus barum nostrarum Ti-
gore et testimonio literarum mediante.
Datum in castris exercitus nostri prope Brassoviam positis in feste
beati Urbani papae anno domini millesimo quingentesimo tricesimo
secando. Ludovicus Gritti regni
Vngarise gubernator et cetera.
h dorto von späterer Hand: Arendatio vigesimae a Ludovico Gritty 1532.
Super solucione Tigesimae.
Or. Papier. Aufgedrücktes Siegel.
Nr. 6.
L Gritti an die Stadt Kronstadt. Lager bei S&rk&ny, 1. Jnni 1532.
(Kronstadt, Stadtarchiv, Schneirsche Sammlung.)
Nos Ludovicus Gritti comes perpetuus terrae Maromorosiensis regni
HoBgariae gubernator summusque tbezaurarius ac consiliaiius regius
^ Die durch ,quod* eingeleitete Construction ist fallen gelassen.
92
etc. memoriae commondamus tenore praosoucium signlficantes qaibu8 ei-
pedlt universis, quod nos miserti ot conpacientos ruinae ac desolationi
regiae civitatis Bi-assoviensis villarumque regiarum ia terra Barcza ad-
jacentium et ad eandem civitatem Brassoviensem pertinentium cou-
sequenterqoe inopiae et paupertati colonorum ac inhabitatorum eamndem
civitatis et villarum in quam per hec impacata tempora, novissime vero
per conflagrationem ac incinei'atioiiem suburbiorum ipsius civitatis et
praedictarum villarum ad eandem, ut praefertur, spectantinm per wala-
chos moldauienses factam atque patratam, quam experientia teste nos
ipsi (dum in eorum medio fuimus constituti) palam agnovimus, ut igitur
huiusmodi suburbia villaeque desolatae refoimari et in pristinnm prio-
remque statum reduci possent, universos cives et inhabitatores praedictae
civitatis Brassoviensis ac praetactarum possessionum et villamm ejus-
dem scilicet civitatis pertinentiarum ab omni et quavis taxarum extra-
ordinariarum nomine regiae Majestatis domini nostri clementissimi, quali-
tercunque imponendai-um ac exigendarum solucione infra spacium triuro
annorum integrorum, a data praesentium conputandorum, aucthoritate et
in persona suae majestatis, qua fungimur, benigne duximns eximendos,
libertandosque et suppoilandos, prout eximimus libertamusque et suppor-
tamus praesentium per vigorem: Quo circa vobis universis factoribus
nostris aliisque dicatoribus et exactoribus contributionum taxarumque
regiarum praesentes visuris injungimus ac in persona suae Majestatis
ürmiter committimus, ut a modo deinceps tempus infra pi'aemissum prae-
fatos cives ac inhabitatores praescriptae civitatis Bi*as80viensis prac-
dlctammque possessionum et villarum ad eandem civitatem pertinentium
aliqna taxa seu contributione exti*aordinaria onerare grauareque aut
ipsos propter non solutionem ejusdem in personis vel rebus eorum im-
pedire turbareque aut damnificare praesumatis nee sitis ausi modo ali-
quali, praesentibus perlectis exhibenti semper restitutis.
Datum in casti'is nostris prope villam Sarkan positis atque metatis,
secundo die fest! sacratissimi coi'poris Christi anno ejusdem millesimo
quingentesimo tricestimo secundo.
Ludovlcus Gritti regni Vngariae
gubernator etc.
In dorso von späterer ffand ;Litterae Ludovlci Gritti exemptionales ad
triennium propter Moldauicam exustionem, Datum 1532. — Super über-
täte tiium annorum.
Or. Papier.
Aufgedrücktes Siegel.
93
Nr. 7.
L Oritti an Bath und Bürger von Kronstadt. Lager bei
Debrecsin, 28. Jnni 1532.
(Kronstadt, Stadtarchiv, Fr. Schneirsche Sammlung.)
LudoYicus Gritti comes perpetuus teri*ae Maromorosiensis regni
HuDgariae gubemator summusque thezaurarius et consiliarius regius etc.
imdentibQB et circamspectis jadici et juratis civibns civitatis Brasso-
nensis sahtem. Sciatis hominem qoendam in sede Sepsij commorantem
(imnliim ntputa nobilis Joannis Literati familiaris ac scribae spectabilis
yt magnifici domini Stepbani de Werbewez summi et secretarii regiae
Mij«8tatis domini nostri clementissimi cancellarii etc. cum uno equo et
^ qaamplarimis rebus triginta duos florenos in tote valentibus fmiiim
"« de Waradino ad propria in feste beati Ladislai regis et confessoris
dif^tisse, qoem apud vos ad nonnullorum bonorum et honestorum ^ viro-
^m fidelium' ipse notarius domini cancellarii conduxerat. Bogo igitur
^^ et nihilominus in persona ac auctoritate suae majestatis, qua fungi-
3^iir, Tobis injungimus, quatenus acceptis statim praesentibus pi*aefatum
lajefictorem in medio vestri perquirere inventumque et repertum capti-
Tve, res vero omnino apud se repertas eidem bomini domini cancellani
^Te persolvere contentumque reddere [et ad] extremum illum patibulo
^^re debeatis. Quod si casu ipsum illic constitutum minime in[veni]-
^*5 et de praemissis dampnis eidem illatis fidejussores nullam curam ac
i'iTerteDciam adbi[be]re agnoveritis, extunc tales omnes quos idem bomo
^^üni cancellarii singillatim nominandos dicet, tarn in personis quam
'^ rebus eorum arestare et detinero, in arestoque tarn diu, quousque
'km satisfactum quoad plenum fuerit teuere et conservare teneamini.
Hus ne feceritis.
Datum ex castris nostris prope Debreczen positis in crastino festi
^ü Ladislai r^is et confessoris anno domini millesimo quingentesimo
trf*«imo secundo.
I
Ludovicus Gritti regni Vngariae
gubernator etc.
Or. Ptpier.
A^rttcktes Siegel.
' Or. bonefttnm.
Hinter ^fidelium' scheint ein von ,ad' abhängiges Substantivum, vielleicht
tCommendationem* ausgeblieben zu sein!
94
Nr. 8.
Ii. Gritti an Thomas H&dasdy. Ofen, 11. Juli 1532.
(Budapest, kgl. ungar. Landesarchiv.)
Rückaeüe: Magnifico domino Thome de Nadasd consiliario Begie Maiestatis
amico nobis honorando.
Magnifice domine amice nobis sincere dilecte salntem. Sunt iam
aliquot dies, quod venimus Budam et vehementer miramur, quod nun-
quam hactenus Yoluistis ad nos yenire, quum a nobis faeritis sepius i'e-
quisiti et vocati ; libenter vellemus intelligero causas istius diuturne con-
tumacie, itaque quid in animo habetis, significate nobis, veniendum ne
Sit huc Yobis an non et si venire decreveritis, ad quotum diem exspectan-
dus est adventus vester. Gerte opoi-tebat vos hie iam pridem adesse, ut
negociis Begie Maiestatis et nostris tempestive consuleretur.
Datum Bude feria quinta proxima post octavam visitationis beate
virginis 1532.
Ludovicus Gritti regni
Ungarie gubernator etc.
Or. Papiei'.
Siegel stark beschädigt.
Nr. 9.
L. Gritti an Simon de Erdöd, Bischof von Agram.
Ofen, 16. Juli 1632.
(Budapest, kgl. ungar. Landesarchiv.)
Rückseite: Reverendissimo domino Simoni episcopo ecclesie Zagrabiensis
etc. amico nobis honorando.
Reverendissime domine amice nobis honorando salntem.
Iam decem dies sunt, quod venimus Budam arbitrabamurque, nt
ad hoc tempus veniret V^ B^ D^ ' vocata per litteras Sacre Regie Maiestatis
domini nostri clementissimi, ut una occureret potentissimo ac invictissimo
Cesari simul cum Sua Regia Maiestate ceterisque prelatis et baronibus.
Sed y^ R^ D^ non videtur volle obtemperare mandatis Sue Regie Maiestatis,
ut facile est intelligere ex litteris Y* R" D^^" ad Regiam Maiestatem datls.
Est autem necesse, ut nos admoveamus Cesaream Maiestatem ac declaremns
Sue Maiestati Cesaree, qui fideles inobedientesve sint Regie Maiestati ac
1 y» R» D<» = vestra reverendissima dominatio.
95
re^o eins, quare animum etiam vestrum adversus suum principem ex-
pikabimus ; postea seiet Sua Cesarea Maiestas, quid sit fiactnra. Yolumus
k his V»" ß*" D®"*" facere cerciorem, ut si perstiteritis in isto vestro
proposito non gerendi morem voluntati Begie Maiestatis atque idcirco aii-
qaid detrimenti acceperitis, in neminem alinm cnlpam conferre debeatis
Disi in TOsmet ipsos. Adhuc est tempestivnm declarare vestram fidem et
'bediendam erga Begiam Maiestatem. Si nunc demum parebitis iussis
Regie Maiestatis, omnis suspicio preteritoinim oblitterabitur. Sin autem
presentem hanc et brevem occasionem pretermiseritis, ^sti*a aliam que-
rstis. Admonuimus V*" R*" D®°*" de his, que putavimus maxime honoris,
•lignitatis ac salutis eius interesse cuius semper favimus commodis et
•mainentis.
Datum Bude feria tercia proxima post festum beate Margarethe yir-
gioid et martiris anno domini millesimo quingentesimo tricesimo secundo.
Ludovicus Gritti regni
üngarie gubernator etc.
Or. Papier.
Sie^l fehlt
Nr. 10.
L Gritti an den Bath von Bistrits. Ofen, 6. August 1632.
(Bistritss, altes Comitatsarchiv.)
BidteiU: Prudentibus et circunspectis iudici et iuratis ciyibus civitatis
Bistriciensis nobis sincere dilectis.
Prudentes ad circumspecti nobis dilecti. Necessitas ipsa coegit nos,
ei non solum a vobis, verum etiam ab aliis subditis regiae Maiestatis do-
Kini nostri clementissimi pro praesenti nosti*a expeditione aliquam pecu-
iiiae smomam ac equos curriferos erogemus. Ideo misimus ad vos hunc
^egiom Vitum Horwath aulicum regiae maiestatis domini nostri clemen-
^simi praesentium scilicet exhibitorem, ut a vobis nomine nostro mille
lirenos^ et certos equos curriferos sub spe certae restitutionis petat.
^Mre Tobis harum serie mandamus firmiter, quatenus acceptis praesen-
tibos illos mille florenos ac equos cumferos quam primum de medio ve-
^nuD disponere et ordinäre illosque ad manus dicti Yiti Horwath dare
^ ttiiguare debeatis. Ut autem de restitutione illorum mille florenorum
* An Stelle dieser swei Wörter ist ursprünglich etwas Anderes gestanden,
tber ansrmdirt worden, nnd dann Tom Schreiber des Qanzen ,mille flo-
renos* hingesetzt worden.
96
certi suis, assecaramuB tos mediantibus praesentibus literis nostris, quod
scilicet illos rehabebitis et si per vos in hac re aliqua difficnltas comitte-
tur, ceteri quoqne a vobis exemplam capientes in ipsis pecuniis mntuan-
dis ne forte difficiles se praestabunt, quod nemini nisi vobis imputare
poterimns. Secns igitur nuUo modo facturi.
Datum Budae in festo beatissimae virginis Mariae de Nivis anno
domini millesimo quingentesimo tricesimo secundo.
Ludovicus Gritti regni
vngarie gubernator m. p.
Or. Papier, ^/^ Bogen; stark beräachert und am unteren (textfreien) Sande
beschädigt Siegel war in rothes Wachs aufgedruckt, ist aber bis auf ge-
ringe Spuren gans abgesprungen.
Nr. 11.
L. Gritti an Thomas H&dasdy. Lag^r bei Gran, 19. August 1532.
(Budapest, kg\. ungar. Landesarchiy.)
Rückseite: Magnifico domino Th[o]me Nadasdy consiliario regio a[mico]
nobis honorando.
Magnifico domine amice nobis honorande salutem. Misit Regia
Maiestas dominus noster clementissimus hunc fidelem suum reverendis*
simum dominum Stephanum Brodarics episcopum Sirmiensem consiliarinm
Sue Maiestatis cum plena authoiitate et infoimacione ad M^™ Donem y*",*
cuius medio etiam nos eidem M®" D°"* V"* nonnulla intimavir» Refe-
renda, quare rogamus M^" j)owm ynm^ ^^ ^i^^jg ^^^ relatibus preiati do-
mini episcopi indubiam velit prestare fidem tamquam nobis coram ioquen-
tis; ea enim dictuinis est, que ex animi nostri sentencia accepit. Eandem
bene yalere optamus.
Datum in castris nostris sub Strigonio metatis feria secunda pro-
xima post festum assumpcionis beatissime yirginis Marie anno domini
'millesimo quingentesimo tricesimo secundo.
Ludovicus Griti regni
Ungarie gubernator m. p.
.r
^^)t. Papier. Siegel, theilweise beschädigt: Wappen mit Umschrift: [Lnjdo.
Gritti. [Gu]b[em]. [regni] Hungarie. (Rothes Wachs).
* Magnificam Dominationem Vestram.
99
quid illi man-
Oibinienses per
H>re ut Maiestas
iiisimus, ne quid
titerint et nuncios
{lotestate Maiestatis
' ere, ut sub hiis iu-
re agemus cum com-
uus. Maiestas Yestra
i ac defensioni quam
*• fldcles servitores
. i Posonii constituti.
tuas beschädigt.
.1)
r Czegledi. Constantinopel,
1533.
^tato, ConsigUo di X.)
URS ten*e Maromorosiensis Regni Uu-
lalis ac summus thesaurarius Begiae
- Frinio,^ Christoforo et Volgango de
Modrusa et filiis condam domini Michae-
li nis et baronibus ac etiam egi'egiis in
:iu)raQtibus salutem et fayorem.
liunc magnificum dominum Isidorum de
■ iliarem pro quibusdam nostris negotiis ad
onficiendis et existimamus etiam esse Tobis
T animum et Studium adpiibemus], ut ün-
. atlipiscatur. Quapropter hoi*tamur vesti'as
'11 um Isidorum qui venerit ad vos comiter
>uis pro viribus adjuTetis. Alia ipse coram
vobis nostro nomine dicet, eque credetis ac si
7*
98
Datum in castris nostris ad Strigoniain qninto die mensis septem-
bris anno domini milleBimo qningentesimo tricesimo secnndo.
LudoTicns Gritti regni
Ungarie gubernator etc.
Or. Papier.
Rothes Wachssiegel, siemlich deutlich und leidlich erhalten.
Nr. 13.
L. Gritti an die nngaritohen Bergst&dte. Ofen, 20. Februar 1533.
(Wien, k. u. k. Hans-, Hof- u. Staatsarchiv, Hnngarica 1638.)
Beilage su Nr. 8.
Ludovicns Gritti comes gubernator ac capitaneus generalis r^oi
Hungariae summus Regie Maiestatis thesaurarius etc.
Prudentes et circumspecti nobis dilecti. Yolunuhs et Tobis harum
Serie mandamns firmiter, ut mox acceptis presentibns mittatis aliquot
concives vestros cum plena facultate ex medio vestri ad nos, qaoniam
habemns de quibnsdam necessariis huins regni negotiis tractare et con-
cladere; secus igitur nullomodo feceritis.
Datum Bude vigesimo die mensis Februarii anno domini millesimo
quingentesimo tiicesimo et tertio.
Ludovicus Gritti, Ungariae gubernator etc.
[Prudentibus ac circumspectis iudicibus et iuratis civibus civitatum mon-
tanarum Cremnisiensis ^ nobis dilectis.]
Gleichieitige Copie. Papier.
Nr. 14.
Die kaiserlichen Commissare an Konig Ferdinand L
Preubnrg, 4. Wm 1538.
(Wien, k. n. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchir, Hnngarica 1538.)
Eudt$eite: Sacratissime Regie Maiestati domino nostro clementissimo.
Sacratissime rex domine clementissime. Post serriciorum nostro-
nun hnmillimam commendationem. Quo in statu sit ciritas Oibiniensis
in Transsilvania, Maiestas Vestra ex litteris ipsorum ciyinm cognoscet.
* Hier sind in der Abschrift offenbar ein oder iwei Namen (Sempniciensts,
Bistriciensis) ans^lassen worden. Vgl. Nr. 2 a. 12 a.
99
kielliget etiain ex exemplis litterarum loannis et Gritti, quid illi man-
jent civitatibus montanis et quid civitates querantur. Cibinienses per
litia^s ad constanciam cohortati sumus, polHcentes fore ut Maiestas
Vestra eos defendat. Civitatibus yero montanis commisimus, ne quid
löhannl aat Gritti obediant, sed, si urgere illi non destiterint et nuncios
äd ipaos miserinty renuncient se semper fnisse sub potestate Maiestatis
V^tre et non posse ipsis obtemperare neque ipsis licere, ut sub biis in-
•inbiis eos ad id cogere velint. Nos quidem de hac re agemus cum com-
lüssarüs loannis. Quid efficere possimus, viderimus. Maiestas Yestra
oonsulat fidelium subditorum suorum incolumitati ac defensioni quam
kos optimus maximus seilet felicissimam.
Posoni, quai*ta Marcii 1533.
Einsdem sacratissime Maiestatis Yestre fideles seiTitores
Commissarii Posonii constituti.
Or. Papier.
12 Siegel; 10 davon gauz gut erbalten, 2 etwas beschädigt.
Nr. 15.
Bettellbrief L. Gritti' s fnr Isidor Czeglidi. Conitantinopel.
29. Juni 1638.
(Venedig, Archirio di State, ConsigUo di X.)
Ludoyicus Gritti perpetuus comes terre Maromorosiensis Kegni Un-
^e gubernator capitaneus genei*alis ac summus thesaurai'ius Begiae
Majestatis etc. magnificis Nicoiao Prinio,^ Christoforo et Yolgango de
Biigna, Stephano Ferandi filio de Modrusa et filiis condam domini Michae-
lis Comitis et aliis omnibus dominis et baronibus ac etiam egi'egiis in
regno Croati§ constitutis et commorantibus salutem et fayorem.
Mittimus ad istas pai-tes hunc magnificum dominum Isidorum de
Zigledo specialem nostrum familiärem pro quibusdam nostris negotiis ad
r^om Ungarie pertinentibus conficiendis et existimamus etiam esse vobis
perspectum, quem admodum et animum et Studium ad[hibemus], ut ün-
garia Teram pacem et quietem adipiscatur. Quapropter hoiiamur vestras
•kmunationes, ut dictum dominum Isidomm qui venerit ad yos comiter
redpiatis eumque in negotiis suis pro viribus adjuvetis. Alia ipse coram
[Tobis] referet, cui omnia que vobis nostro nomine dicet, eque crodetis ac si
* Fertnyi.
7*
100
nud ipsi adesBemus, oa vero que pro viribus vestris eidem nostro senritori
prestabitis, per omnem occasionem vobis cumulate referemus.
Datum Constautinopoli die 29 juuii 1533.
LudovicuB Gritti Begni
HuDgarie Gnbernator.
Abschrift, von dem Baylo Pietro Zeti am 24. Juli 1533 nach Venedig abgesendet.
Nr. 16.»
König Ferdinand L an L. Gritti. Wien, 5. Ootober 1533.
(Wien, k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv, Turcica 1533.)
Hückstite: Spectabili et excellentissimo Aloisio Gritti syucere nobis dilecto.
Ferdinandus divina favente dementia Bomanoi*um Ungarie Bohe-
mie etc. etc. rex, infans hispaniarum archidux austri^ etc.
Spectabilis et excellentissimi syncere dilecte! Literas,* qnae ad
DOS dedistiS) ab oratoribus nostris novissime ad imperatorem Turcorum
patrem nostrnm charissimum destinatis et ad nos modo reversis accepi-
mus et legimus, ex quibus simul et eornm relatione abunde cognovimus
bonam et magnam oblationem vestram ore vestro proprio penes eosdem
oratoreB erga nos factam, quam benigno pariter et grato animo a yobis
suscipimus. Nobis subinde pollicentes et singulariter confidentes, ut quo-
nlam vos omnem operam ' dare velle et cupere scribitis in omnibns iis pro-
curandis adiuvandis et promovendis, quae ad commune benefitium et pa-
cem bonam ac quietem et tranquillitatem reipublicae Christianae cedere
et pertinere videantur, atque etiam in bona et mutua intelligentia nobiscum
constituenda caeterisque in vestro ad nos adventu ad bonum et commodum
illorum omnium dirigendis et perficiendis, eundem imperatorem Turcorum
patrem nostrum et Ibraimum Bassam fratrem nostrum seniorem vobis
plenam super omnibus illis potestatem pariter et mandatum daturos et
vos huic oblationi vestrae tam offitiosae band dubio satisfacturos pacique
praesenti debitam et exspectatam a nobis executionem apposituros vosque
in aliis etiam pro rerum nostraiiim utilitate erga nos bene exhibituros.
Qua sane ratione nobis adventus ille vester et gratus et acceptus est ac
multo etiam, cum veneritis, gratior futurus. Quanto enim celerius et
tompestivius adveneritis, tanto praesenti negotio utilius et commodius
* Gedrackt in Collection des Voyages des Souverains de Pays-Bas HL, 468,
jedoch nicht fieblerlos; hier wegen seiner Wichtigkeit wieder abgedruckt
» L. Gritti an König Ferdinand I., 15. Juli 1533. G^ray II, 1533, 140/141.
^ »operam* flUchtig nachgetragen.
101
^rbisque gi'atius erit. Quare vos ad diein primam mensis lanuarii anni
l^ixiini Tentoi'i millesimi quingentesimi tricesimi quai-ti in hac civitate
S(>9tra YienDa, ubi ad tale tempus nos quoque erimus, omnino exspecta-
bifflos. CommisimuB autem seiTitori nostro Yespasiano de Sara nunc a
Böb'ts ad pi-aedictum imperatorom Tarcoinim patrem nostrnm et Ibralmum
Bassam fratrem nostrum misse et destinato et cum quo eidem imperatori
si^nificaTimus, nos omnia ea, quae oratores nostri de pace egerunt et
c^iadnsernnt, teuere et efficaciter adimplere volle, ut iuxta voluntatem et
i^neplacitum vestrum Tel vos, donec proficisci et ad has partes ire volue-
ritis, exspectet vobiscum ad nos rediturus, vel si hoc non esset vobis op-
portunum, tos praecedat et ad nos redeat, cui ad requisitionem suam
superinde respondebitis. Yos nihilominus singulari studio et affectu ro-
gintes, ut, si res nostras apud praenominatum Turcorum imperatorem
patrem nostrum et Ibraimum Bassam fratrem nostrum ad nos deferii
coQtingat, easdem et totum id, quod ad plenum et bonum pacis huius
effectum et stabilimentum facere et conducere posse cognoveritis, fideliter
et ex animo adiuTare et promoTere Tosque in eisdem iuxta factam a TObis
iblationem ita erga nos exhibere velitis, uti in tos confidimus. Quo facto
nos mutuo habebitis erga tos minime immemores aut ingratos benefitii
recepti compensatores, verum cei*to Tobis persuadere poteritis et debebitis,
nos id, quod sie in nos contuleritis, Ticissim erga tos in omnibus iis, quae
ad laudem, honorem et commodum Testrum et amplificationem status
Testri desenrire Tidebuntur, omni gratia et offitio promoturos, quod Tobis
quoque significare Tolebamus.
Datum in praefata ciTitate nostra Yienna die quinta mensis octo-
bris. Anno domini MDXXXIII, regnorum nostrorum Romani tertio, alio-
mn vero septimo.^ Ferdinandus.
Or. Papier.
Ohne Siegel.
Nr. 16 a.
König Ferdinand L an L. Gritti. Frag, 13. Februar 1634.
(Brüssel, 'Archives g^n^ralea du Rojaume.)
Aloysio Gritti Ferdinandus etc.
lilostrissime et generöse, syncere dilecte. Misimus in presentiarum ad
äerenissimum et potentissimum principem dominum Soleymanum impera-
^ Du ,patrein nostrum* nach ,imperatorein Turcorum (charissimum)* und
das jfratrem nostrum (seniorem)* nach Jbraimum Bassam* ist überall in
die Schrift hineincorrigirt.
102
toroni Turcorum Asiae et Gretiae etc. patrem nostrum charissimum
spectabiles fideles nobis diloctos Hieronymum de Sara, capitaneum no-
strum in Sancto Yito teiTe fluminis nemommque nostrorum in Istria.
Foro Julio et Garsia prefectum ac Gornelium Duplicinm Scepperum, con-
siliarios et oratores nostros ad agendum aliqua cum Magnitadine soa de
rebus nostris, prout ab eis yel eorum altero presentium ostensore cogno-
scetis, Yos ideo plurimum hoi*tantes et rogantes, ut, sive presens sit sive
absit in curia G^sarea illustrissimus dominus Ibrahimus Bassa, supremus
suae Magnitudinis consiliarius et mandatarius etc., vos quoque non solum
oratores audii-e eisque vel eorum alteri fidem indubiam in iis adhibere,
verum etiam ex offitiosa et benigna oblatione vestra et afifectione in nos
singulari, quam iidem oratores nostri nuper ad nos reverai nobis declara-
runt, pro nostra in vos quoque beneyolentia non modica, presentes res
nostras ita apud Gesarem antedictum, patrem nostrum charissimum, pro-
movere et commendatas babere velitis, sicut in vos plane confidimus.
Quod erga vos omni occasione oblata non solum benigne verum et accu-
mnlate promereri et compensare volumus, adeo quae vos omnis opere
bone et diligentie pro nobis impense nuUo unquam evo pigere aut p^^ni-
tere debeat.
Datum Pragae, 13. Februarii 1534.
Gop. Papier.
Nr. 17.
Franz I. an L. Gritti. Fontainebleau, 24. August 1634.
(Wien, k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv, Hungarica 1634.)
Eückseite: Ulusti'issimo domino d. Aloysio Gritti Begni HungariQ guber-
natori etc. amico nostro charissimo.
Franciscus dei gratia Francorum Bei.
Beverendissimo domino Stephano Broderico episcopo Quinqueecclc-
siarum, regis Hungari^ cancellario ac consiliario optimo ^ comperta mibi
ea authoritate et gratia, qua apud lohannem Hungari^ regem, amicum
mihi maximum, affinem et confoederatum plurimum vales, singulari item
prudentia et dexteritate, qua in hunc diem in rerum omnium procui-ationc
et regni eins administratione usus es, postremo officiis quibus hactenuif
erga eum commendari meruisti et quemadmodum intelligo, continenter
^ Vor dem ,reyerendi88imo* ist wohl ein a weggeblieben.
103
aagis ac magis coromendari mereris, idque non modo ad utilitatem et
quietem eius regniqne Hungarici, sed et omnis universim Christian^ Rei-
psblic§, lubeus feci, ut tecum pro eo congratularer peteremque abs te at-
qie adeo rogarem, ut in hac tarn honesta tarnquam laudabili Toluntate ac
proposito tibi perseverandum esse duceres, quem admodnm tibi enndea-
Uüs^ aperire poterit Andreas hie Cnrsinus, quo cum prolixe accurateque
iehis communicayi.^ Itaque fore spero et de viri fidelitate tantum mihi
polliceor ut affirmem' eum cuncta tibi fide summa ac diligentia relaturum.
BeTerendissime domine, optimus et maximus te incolumem servet.
Datum apud fontem Blavium die xxiiij^ mensis augusti anno do-
ffiini M^. D. trigesimo quarto.
Prancoys.
Breton m. p.
Or. Pergament
Siegel onyersehrt
Nr. 18.
L Gritti an Th. Zewch, Siebter von Bistritz. Lager bei Kronatadt,
7. August 1634.
(Bistritz, altes Comitatsarchiv.)
Budtteite: Prudenti ac circumspecto Thomae Zewch judici civitatis
Bystriciensis nobis dilecto.
Pmdens ac ciicumspecte nobis dilecte salutem. Concessimus tibi,
it cum omni securitate possis venire ad nos. Itaque volumus et tibi ha-
rum Serie mandamus firmiter, ut sine ulla excusatione difficultateque ali-
quaii ad nos accedere debeas, quantum citius poteris/ ubicunque
tune deo duce constituemur. Secus ne feceris.
Daton ex castris nostris ad Brassouiam septimo die Augusti, anno
^offlini 1534.
Ludouicus Gritti regni
vngarie gubernator m. p.
Or. Papier, Vi Bogen.
Grosseres kOnigl. Siegel.
' -sdea- auf Basar.
' Dieser Bericht, sechs enggeschriebene Seiten in italienischer Sprache,
ebenfalls im k. n. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchive. Vgl. S. 70, Anm. 1.
' Or. affinnen.
* Die unterstrichenen drei WOrter sind von Gritti selbst auf dem Rande
lutehgetragen und deren Stellung im Text mit einem rechts unter ,de-
beas* stehenden f\ bezeichnet
104
Nr. 19.
Peter Aretin an £. Gritti. Venedig, 14. September 1534.
(Wien, k. u. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv, Hungarica 1534.)
Rückseite: AI felicissimo et glorioso signor il signor Luigi Gritti,
mio psidrone e benefattore.
Magno et magnanimo signor mio.
La credenza, che io havea, che messer Marco, servo dei tuoi schiavi
et mio compare, stesse piü a partirsi dl qui, che non ha fatto, h cagione,
che io per Ini non ho mandato alla illnstrissima signoria Tua i sette salmi
di David, che io le ho dedicati et esposti, ma tosto cbe saranno stampati,
che fia presto, a quella gli mandarö. Ne ti creder, signore, di vedere teo-
logia fratesca ne dottrina pretesca, ma preghi et orationi, quäl si conven-
gano a dio et qaal si apartengano a te, che per divino volere sei asceso
nella gratia di Cesare Imperadore ottomano, n§ senza quäle vali et vieni
per coteste parti, alle quali sei et speranza et sostegno.
Certamente Messer Marco indugiava qualche giorno piü acomparire
dinanzi al reale conspetto tuo, dal quäle riceve quella beatitndine, che
ricevano le anime beate di quelle del mirabile Iddio. Se non fussero stati
gli asassinamenti che gli ha fatti la invidia di alcuni maligni i quali con
ingiuria del nome tuo, al quäle si doveria inchinare tutta Christianita, Io
hanno perseguitato con la perfidia, che perseguiti tu V avaritia et V igno-
rantia et perch^ io che hormai mangio il pane, che mi da la valorosa Übe-
ralitä tua, sono obligato a metter la vertu et la vita per Io honor di tua
signoria, ti dico, che cacci dalla faccia tua quelli sfacciati temerari, che
ti sogliono venire inanzi, n^ si vergognono i ribaldi di cercar vituperio
nei servi tuoi, con toccar te che gli hai fatti di fui-fanti diventar signori,
bench^ la richezza che essi hanno fatta con la ombra del favor tno se gli
confa come alle asino il sonar la cetera, io sono huomo verace et ti parle
il vero et ti dico, che i ghiottoni becchi et infami meiitano di essere cal-
pestati da i piedi delle carette tue insieme con le gioie che ti portano
adarci vendere col dolersi poi il grandissimo guadagno di essere stati
sfoi'zati da te, onde chi non h capace delia bontade tua, incambio di la-
dai-ti, ti biasima et perciö alta et ingrandisce coloro che ti predicano et ti
celebrano come un Dio et di questi tali h uno Marco e credalö la tua
signoria a me, che son povero, perch^ io sono executor del vero et chi
nol crede, nh domandi il mondo, non pure prencipi christiani; et alia
signoria tua mi inchino sinceramente.
Di Vinezia, xiiij di Settembre 1534.
Di tua magna et magnanima signoria
obligatissimo servo Pietro Aretino m. p.
NACHTRAG
(8. S. 48, A. 4).
Nach den Ausführungen V. Bunyitay's in ,A väradi püs-
pöks^g törtenete^ (Grosswardein 1884, III, 197—198) ist die
Angabe Szerömi's, welcher auch ich folgte, dass nämlich die
beiden Ärthändy's am 25. Jänner 1533 hingerichtet worden
wären, falsch und widerlegt sich — von anderen Beweisgrtin-
len abgesehen — am schlagendsten dadurch, dass Zapolya in
mer Urkunde vom 25. Februar 1531 ausdrücklich von ,con-
*lam Paulo et Blasio' (Arthdndy) spricht. Darnach wäre die
Hinrichtung in die Zeit zwischen 10. Jänner — ungefähr von
&em Tage ist das in lateinischer Uebersetzung erhaltene, ur-
sprünglich ungarische Testament Blasius Arthdndy's datirt (circa
festum b. Pauli primi eremitae 1531) — und 25. Februar 1531 zu
^tzen; möglicherweise ist das Tagesdatum bei Szer^rai (25. Jän-
^^t) richtig; das Jahr 1531 gibt richtig Verancslcs (34) an.
Für diese Mittheilung schulde ich Herrn A. Veress war-
men Dank.
Ardh. LXXXIIl. Band. I. H§lfte. 7*^
Eintheilmig und Inhaltsangabe.
S«to
Vorbemerkung 3
Capitel I. Jagend und Emporkommen 7
Capitel II. Gritti als Mittelsperson in Constantinopel ... 1-)
§. 1. Die Sendung Hieronjmus Laskfs 13
§. 2. Ludovico Gritti als Vertreter Venedigs bei der Pforte 16
Capitel III. Rolle Ludovico Gritti's in Ungarn ^0
§. 1. Erste Entwürfe. Das Jahr 1529 20
§. 2. Ernennung zum Reichsgouverneur. Diplomatischer Kampf
gegen Ferdinand I *24
§. 3. Neue Stellung in Constantinopel und weitere Pläne einer
Besitzergreifung von Ungarn 31
§.4. Ludovico Gritti im zweiten Feldzuge Suleiman^s (1582).
Belagerung von Gran 3h
§. 5. Die Willkttrherrschaft in Ofen 47
§. 6. Die Verhandlungen in Constantinopel 51
I. Gritti^s und Ibrahim^s eigenmächtige Politik .... 51
II. Sinken des Einflusses GrittiV 58
Capitel IV. Ludovico Gritti*s Ende 70
§. 1. Die Gewaltthat in Siebenbürgen und Tod GriUi's .... 70
§. 2. Das Nachspiel zum Tode Ludovico Gritti's 8*2
Anhang 86
Nachtrag 105
VERHAFTUNG
UND
GEFANGENSCHAFT
DES
LANDGRAFEN
PHILIPP VON HESSEN
1547—1550.
VON
D« GUSTAV TüRBA.
Aiehir. LUXUl. Bd. I. Hilft«. 8
Vorwort.
Im Jahre 1894 habe ich einen Theil der Aufgabe, die
icb mir in der vorliegenden Abhandlung gestellt habe, in einem
Programmaufsatze schon behandelt. Ich versuchte damals die
Frage zu lösen, ob die Verhaftung des Landgrafen Philipp von
fl^sen wirklich ein ^listiger kaiserlicher Gewaltstreich^ war.
Hiebei kam mir besonders zustatten, dass ich im k. und k.
reheimen Haus-, Hof- und Staatsarchiv den authentischen Text
loehrerer für diese Untersuchung entscheidenden Documente
^gefunden hatte. Es waren dies: die deutschen Artikel, die
KätI V. auf Wunsch der Kurfürsten Joachim von Brandenburg
^i Moriz von Sachsen ausserhalb des Vertrages mit dem
Landgrafen bewilligte, ferner zwei bisher nur in arg ver-
«töHuneltem Text bekannte Briefe des Bischofs Granvelle an
fc Königin- Witwe Maria, die Schwester des Kaisers, vom 20.
wd 21. Juni 1547, endlich des Bischofs Darstellung dieser
Verhandlungen etwa aus dem folgenden Monate.
Nur durch Zufall bin ich dazu gelangt, dieselbe Frage
ceoerdings zu behandeln. Im vorigen Jahre fand ich nämlich
wf der Wiener Hofbibliothek die Abschrift zweier bisher ganz
unbekannten kaiserlichen Patente vom 12. Februar 1550, worin
äie Haft des Landgrafen auf fünfzehn Jahre, die des Sachsen-
kraogs Johann Friedrich des Aelteren aber auf Lebenszeit
festgesetzt wurde. Die freundliche Unterstützung, die mir sowohl
wf der genannten Bibliothek als auf dem Staatsarchive von
sllen Seiten zutheil wurde, woftlr ich hiemit meinen besten
Dank ausspreche, bot mir dann Gelegenheit, die Verhaftung
acd Haft des Landgrafen auf Grund vermehrter Quellen und
Ane die Rücksichten zu behandeln, die bei einem Programm-
8*
110
aufsatz fiii* die Darstellung geboten sind. Manches in meiner
früheren Arbeit musste darum auf Grund besserer Kenntniss
geändert werden; dies gilt besonders fUr alle die Aussöhnungs*
versuche des Landgrafen bis Ende Mai 1547.
1. Yergebliche AussOhnungsTersuehe.
Bevor sich das Heer des schmalkaldischen Bundes am
22. November 1546 bei Giengen trennte und dessen geächtete
Führer Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf
Philipp von Hessen den Heimzug antraten^ versuchte der Land-
graf Stillstand oder Frieden zu erlangen. Wenn er aber hoffte,
versöhnliches Entgegenkommen oder Veilrauen zu finden^ so
täuschte er sich; denn der Kaiser verlangte^ damals zum ersten
Male, dass sich beide Fürsten auf Gnade und Ungnade ergeben
müssten. *
Ende März* 1546 hatten der Kaiser und sein Kanzler
Nicolaus Perrenot, Herr von Granvelle, in Speier mit dem Land-
grafen persönlich verhandelt. Schon damals wurden sie mit
Unmuth gegen ihn erfüllt und fanden sein Betragen anmassend
und ,wie immer verwegen^' Wie hätte der Kaiser die schweren
Beleidigungen so rasch vergessen können, die er dann von den
Geächteten erfahren hatte! Am 13. August war in sein Lager
* Vgl. Turba, Zur Verhaftung des Landgrafen Philipp (Programm der Staats-
Oberrealschule im II. Bezirke Wiens, 1894), p. 5, Anm. 1.
' Druffel, Briefe und Acten zur Qeschichte des 16. Jahrhunderts (Mün-
chen 1873), III, p. IX, 1 f.; Turba, Venetianische Depeschen vom
Kaiserhofe (Wien 1892), II, 466, Anm. 1.
' ,A tout ce, Madame, que j*ay peu comprendre des parolles du lantgrare,
je \oy peu d'apparence de faire grant fruict en la prouchaine diete et
Dieu doiut [für donne] qn*il en succede mienlx. Ledit lantgrave se de-
moDstre aussi audacieux, comme il a este tousiours, combien que a ce
que j'entendz . . .' (In Chiffren; das Folgende siehe unten p. 111, Anm. 5).
Der Kanzler Oranvelle an die Königin Maria, DinkelsbQhl, 6. April 1546
(Wien, Staatsarchiv, Belgica, A 56 P). In den Commentaires de Charles-
Quint (par Kervyu de Letteuhove, Paris et Bruxelles 1862) heiast qa: ,11
montra une si grande insolence, que Sa Majest^ le cong^ia en peu
de paroles* (p. 117). Vgl. Druffel, UI, p. 17 f.
111
i Ingolstadt ein hessischer Page gekommen^ der einen Ab-
febrief trug;^ wiederholt hatten sie ihm den Kaisertitel versagt
id ihn ^arl von Gent' genannt.* Was erst am 20. Juni 1547
im Kaiserhofe aus berichtet ward, galt von dem Landgrafen
kon damals: er war gründlich verhasst.^
Nicht nur aus UnversöhnUchkeit, auch aus Misstrauen
arden die Verhandlungen abgebrochen. Diesem gab der
»nzler Granvelle in einem vertrauUchen Gespräche starken
Bsdruck: er nannte den Landgrafen einen Schelm, vor dem
an bei Verhandlungen wohl auf der Hut sein müsse.*
Der Landgraf suchte nun seine Absicht auf anderem
fege zu erreichen. Er war noch auf dem Heimzuge begriffen,
k er seinen Schwiegersohn, den Herzog Moriz, um Vermittlung
wehte. Der Herzog war mit Agnes, einer Tochter des Land-
fifen aus dessen erster Ehe, vermählt. Zwar war das Verhältniss
tischen beiden Fürsten vor dem Kriege getrübt, weil der in
lendicher Bigamie lebende Landgraf die Kinder seiner Neben-
iw Margaretha von der Saal denen seiner rechtmässigen Ge-
laUin Christine von Sachsen auch bezügUch ihres Erbtheiles
faeh halten wollte.^ Aber der Herzog hatte sich bei den
sbuiger Bundesverabredungen mit den habsburgischen
lern ausdrücklich vorbehalten, dass er nie gegen seinen
wwiegervater gebraucht werde. ^
' Venetiaiiiscfae Depeschen vom Kaiserhofe (Wieu 1889), I, 632.^8 ; Drutfel,
I, p. 15.
* Tenetianische Depeschen, II, 1892, 64.«,, 67.5^, 243.io6-
.Qoeeto ö ben cbiaro che da ciascuno di questa corte ^ tauto odiato
CM Unthgravio quanto possibil sia/ Venetianische Depeschen (im Fol-
f«»den immer V. D. abgekürzt), II, 290.1,5.
3i9ogiia veder molto bene come si negocia con questo versipelle*, per
dire U 8iia formal parola; ,io 8tar6 espettando veder quello che '1 far^,
P«'^ non credo cosi facilmente a quello che '1 dice.* Moc^nigo, 20. No-
vember 1546. V. D., n, 101.4S.
A ee qoe j'entendz, le Duc Manris est tres mescontent de ce que ledit
^^Te tient sa seconde femme pnblicquement et qu'elle g^uveme les
^Siin» au g^ant desestime et rebouttement de la premiere femme, mere
^ Celle dudit Maoris, et si veult partaiger les enffaus de la seconde
fenuDe avec cealx de la premiere, voyre [affirmativ und steigernd; vgl.
^^^ Dictionnaire] et les avantaiger* (in Chiffren mit gleichzeitiger
Anfkiiiuig). Der Kanzler Granvelle an die Königin Maria, Dinkelsbühl,
5- April 1646; vgl. oben p. 110, Anm. 3.
' ^e, Deutsche Geschichte (Leipzig 1873), VI, 209.
112
«
Als der Landgraf mit dem Schwiegersohne in Leipzig
zusammenkommen wollte, benachrichtigte dieser sofort König
Ferdinand von solchem Wunsche und sagte seine baldige An-
kunft in Prag an. ^ Der Herzog ti'af dort wirklich am 14. De-
cember 1546 mit einigen Käthen ein und besprach sich mit
König Ferdinand über die Vertheidigung gegen den heimge-
kehrten geächteten Kurfürsten. Gleichzeitig bat er den König.
die Aussöhnung des Landgrafen mit dem Kaiser zu vermitteln.
Der König erinnerte daran, wie schwer der Landgraf den
Kaiser durch Worte und Thaten beleidigt habe, daher möge
der Herzog wohl tiberlegen, ob er mit einem Manne, der in
der Acht des Reiches stehe, zusammenkommen dürfe, und dann
thun, was ihm das Beste scheine.^ Schon damals aber machte
er darauf aufmerksam und wiederholte dies am 12. Janaar 1547
schriftlich, dass der Kaiser Ergebung auf Qnade und Ungnade
fordern werde.'
Dies theilte nun Herzog Moriz zwei hessischen Gesandten
mit, die inzwischen in Torgau angekommen waren, wo sie bis
zum 21. Deccmber auf ihn hatten warten müssen. Hierauf
wurden auf des Herzogs Geheiss und ohne besondere Vollmacht
des Landgrafen zum ersten Male Aussöhnungsartikel verfasst,
worin von Ergebung auf Gnade und Ungnade keine Rede war.
Sie hatten zur Voraussetzung, dass der Landgraf für sich
allein in Verhandlungen treten wolle. Da aber die hessischen
Gesandten den Auftrag hatten, wenigstens Johann Friedrich
von Sachsen in dieselben einzubeziehen, so überbrachte der
^ Der KOnig an den Kaiser, Prag, 9. December 1546. Der Brief Ae$
Herzogs Moriz traf am 7. December in Prag ein (Cod. 683.,, Copialbuch,
Wiener Staatsarchiv).
' yPensase bjen consigo, si deyia admjtir semejante honbre y que estava
puesto nel vano del ymperio j tener platicas con el, y el contentamient^
que Su Ma^ podria sentjr dello, y despnes de bjen pensado y mirado bikiess^^
lo que mejor le p[ar]etie8se . . .' Unvollständiger spanischer Entwurf zu
einer Instruction für Sigismnnd von Lodron^s Mission an den Kaiser.
(Wien, Staatsarchiv, Belgica, PA. 62.) Lodron war vor der Ankunft des
Herzogs in Prag an diesen geschickt worden, ,poar entretenir ledit Duc
en sa bonne devotion et empescher les practiques dudit lantgraveS Der
KOnig an den Kaiser, 9. December 1546 (Wien, Staatsarchiv, Copialbuch
683.,).
' Issleib, Die Gefangennahme der Landgrafen (Neues Archiv für sächsische
Geschichte, 1890, XI), 184, 187.
113
ricekanzler Lersner^ der am 2. Januar 1547 nach Leipzig
Enrückkehrte, keine bindende Zustimmung zu Sonderverhand-
langen, sondern drang auf Gesammtverhandlung. An dieser
Forderung hielt der Landgraf bis in den März fest,* wenn er
itch im December und Januar mit dem geächteten Freunde
Briefe wechselte, in denen Vorwtirfe über die vergangene Krieg -
tehrung enthalten waren.*
Der Herzog lehnte es von allem Anfang an rundweg ab,
ach auch fUr den geächteten ,dicken' Vetter, wie er den Kur-
fürsten nannte, zu verwenden, und that dieses Wunsches weder
in einem Briefe an den Kaiser, noch in einem anderen an den
König Erwähnung. Nur sein Rath Carlowitz schrieb darüber
in Dr. Jonas und an Hofmann, von denen der eine Vicekanzler,
der andere geheimer Rath König Ferdinands war, fügte aber
itmzu, die Bitte der Hessen sei abgeschlagen worden, worauf
«ie gebeten hätten, sich wenigstens für den Landgrafen zu ver-
wenden.* Der Hass der feindlichen sächsischen Herzoge wird
•begreiflich, wenn man erfahrt, dass Johann Friedrich in Moriz'
Lande aufs Aergste hauste* und diesen nicht nur im Felde
bedrängte, sondern auch von der Kanzel aus auf das Heftigste
angreifen Hess.* Auch der geächtete KurfUrst wollte nichts von
Aussöhnung mit Moriz wissen. Sowohl des Landgrafen als des
Wtndenburgischen Kurfürsten Bemühungen während dessen
lehntägigen Aufenthaltes in Dresden blieben fruchtlos.^ Ohne
Grand besorgte König Ferdinand, dass es den Händeln und
* I»leib, Die Qefangennahme, 182 ff.
' Hortleder, Handlungen nnd Ausschreiben (Gotha 1645), I, 518; Rommel,
Uiimndenband zur Geschichte Philipps des Grossmttthigen (Giessen
1830), 188 f.
* Jiedit Duc Mauritz ny es lettres de [besser: a] Y^ Ma*«* (für die un-
Tornchtige Oeffnung dieses Briefes bittet der König einige Zeilen früher
om Entschuldigung) »ny les myennes [sie] ne fait aucune mention du
Uotgrare, mais bien escript le petit Karlowitz a mon conseillier Hoffman
et rieechancellier Jonas que iedit lantgrave n'est comparu a Leipzig,
mais bien quHl y a eu mardy demier [21 decembre] deux de son conseil'
deren Werbung wie oben mitgetheilt wird. Der KOnig an den Kaiser,
Prag, 26. December 1546 (Copialbuch, 683.,).
* Bommel, Urkundenband, 191.
^bileib, Die Gefangennahme, 196, 200.
'Hortleder, I, 518; Rommel, Urkundenband, 172; Issleib, Die Gefangen-
nahme, 188, Anm. 20.
tu
Künsten (trafBques et finesses) des Landgrafen gelingen könnte,
Herzog Moriz zu Verhandlungen mit dem geächteten Kurflirsten
zu bewegen;^ Solches^ meinte er^ könnte ihm wegen der grossen
Sympathie der Böhmen für die Schmalkaldner — er glaubte
sogar an ein Bündniss — verhängnissvoll werden.* Zudem war
die Lage des Landgrafen nichts weniger als gut: er besass
wenig Geld^ erhielt solches weder aus Süddeutschland noch
von den Hansestädten^ ebensowenig hatte er von Frankreich
und von England etwas zu hoflfen, trotzdem man ihm viel ver-
sprochen hatte. ^Stehen wir ganz hülflos und wissen kein Trost
denn allein auf Gott,^ schrieb er selbst am 14. Januar 1547.^
Inzwischen hatte Graf Sigismund von Lodron, ein Bath
König Ferdinands^ in Heilbronn dem Kaiser die Prager Be-
sprechungen gemeldet. Kurz vor der Abreise aus Prag, am
18. December, war er beim Herzog Moriz gewesen/ am 8. Ja-
nuar kehrte er vom Kaiser nach Prag zurück, um dann seine
Reise zum Herzog fortzusetzen.^ Infolge der absichtlich unge-
nauen Mittheilungen des Herzogs glaubte man am Kaiserhofe,
dass es dem Landgrafen mit den Sonderverhandlungen wirklich
ernst sei. In der verächtlichsten Weise sprach sich daher der
Kanzler Granvelle am 3. Januar darüber aus. ^ Wir kennen
zwar nicht die mündlichen Aufträge, die Lodron von König
Ferdinand und von Herzog Moriz zu überbringen hatte, ebenso-
wenig, was ein am Kaiserhofe weilender Secretär des Herzogs
^ K^nig Ferdinand an seinen Bruder, Prag, 29. December 1546 bei Bucholtz,
Geschichte Ferdinand I., Bd. IX, 401.
' ,Pai8que ledit lantgrave a commance ceste negociation, je craina, Mon-
seignear, quo avec icelle se pourroient traicter autres choses, en a;»
mesmes que ledit Duc Mauris se tronvoist habandonne et sans secours/
Darum bittet der KOnig den Kaiser um Hilfe. Prag, 26. December 1546.
Am 2. Januar schreibt er: ,Je tiens mesdites villes et subgects les pln^
affectionnez au party des protestans et que j*ay suspicion qu*ils soient de
leur confederation' (Copialbuch 683«). Vgl. oben p. 112, Anm. 2.
^ Auf Eberhards von der Thann kurs&chsische Werbung. Bommel, Ur-
kundenband, 180, 194.
* Brief des Königs an den Kaiser, Prag, 18. December 1546 (Copialbuch,
683.,).
* Brief KOnig Ferdinands an den Kaiser vom 8. Januar 1547 (Copialbuch,
683.,).
* ,Vedete se'l i vigliacco?* Mocenigo, Heilbronn, 4. Januar 1547. V. D.,
U, 140.e,.
115
ZOT Antwort erhielt, ^ doch wissen wir, dass der Kaiser wieder
Ergebung auf Gnade und Ungnade verlangte und die Aus-
firferung der hessischen Festungen zur Bedingung weiterer
Verhandlung machte. Dies liess er am 25. November 1547 auf
dem Reichstage wiederholen,^ und dasselbe behauptet auch
Bischof Anton Perrenot, Herr von Granvelle, der Sohn des
Kanzlers, in seiner etwa im Juli verfassten ausfuhrlicheren
Darstellung dieser Verhandlungen. * Damit steht auch im Ein-
kknge^ wenn König Ferdinand nach Lodron's Rückkehr dem
Eenog schrieb,* der Kaiser werde den Geächteten kaum anders
denn auf Gnade und Ungnade annehmen. Was die Uebergabe
i^ Festungen betriflPt, so war sie auch von dem Herzog Ulrich
von Württemberg als Bürgschaft flir den Vertrag, dessen
baldigen Abschluss Lodron dem Könige und dem Herzog Moriz
melden* konnte, verlangt worden.
Gerade deswegen drang nun Herzog Moriz in den
^wiegervater, seine ELriegsleute aus Kursachsen abzuberufen.
* Des Königs Brief vom 8. Januar erwähnt ihn. Der Bescheid des Kaisers
fehlt anch in Dr. Obernburger's Entwurf zu einem Credenzschreiben an
Henog Moriz vom 3. Januar (Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten, 1547,
fasc.ll). Vgl. V. D., II, 140 ei, Anm. 2.
' yAh der Landtgraff nach dem flüchtigen Abzug vor Gienngen widerumb
bey Irer Kay. Majestät . . . vmb Aussonung durch Hertzog Moritzen
von Sachsen furpittlich zum fleissig- und embsigisten zu villen vnder-
schidHchen Zeiten vnd enden als zu Hailpmn, Ulm, Nordlingen vnnd
Eger auch vnderwegen in das Lanndt zu Sachsen angelangt, mit er-
bietuDg ... so hat aber die kay. M^ solches durchaus abgeschlagen,
mit Vermeidung, das Ir M^ sich auf des Lanndtgrafen wort als der so
offt vnd schwarlich sich gegen Ir M^ vergessen, kainswegs verlassen, der-
wegen auch mit kainer andern Versicherung dan seiner aignen person
benuegig sein konndte, vnd also abermals anders nichts fiirgeschlagen
dann das sich der Landtgraf frey zu Irer Maiestat willen ergeben,
auch vor aller handluug alle seine Bevestigungen in Irer Maiestat
hanndt stellen solte.* Der Text, besser bei Sastrow (Herkommen,
Gebart etc., herausgegeben von Mohnike, Greifswald 1824, U, 546) als
bei Hortleder (II, 923), ist auf Grund zweier authentischen Abschriften
aas der Mainzer Kanzlei (Wiener Staatsarchiv, fasc. 15) unten im An-
hange sichergestellt.
' Lanz, Correspondenz Karls V. (Leipzig 1845), U, 689 f. ; vgl. hiezu die
Texteorrecturen in meinem Programmaufsatze, p. 31.
* I«leib, Die Gefangennahme, 187, Anm. 18.
» V. D., n, 140.,<a.
116
um Argwohn zu beseitigen.^ Ais dann der hessische Vice-
kanzler Heinrich Lersner zum dritten Male beim Herzog er-
schien (er blieb nun bis zur Entscheidung des Krieges bei
ihm), wurden auf des Herzogs Geheiss in Chemnitz neue
Aussöhnungsbedingungen entworfen. Der Herzog setzte hie-
bei durch; dass darein und in ein Begleitschreiben Lersner's
an seinen Herrn nicht nur die Abberufung des hessischen
Kjiegsvolkes aus Kursachsen^ sondern auch die Verpflichtung
zum Kriegsdienste gegen den geächteten Kurfürsten oder dessen
Bundesverwandte aufgenommen wurden. Für andere Artikel
bildete der Inhalt des württembergischen Vertrages das Muster.
Es sollten nämlich angeboten werden: Fussfall, Abbitte, Aner-
kennung des Kaisers als rechtmässiger Obrigkeit, Verzicht auf
jedes Bündniss, im äussersten Falle auch Uebergabe von Fe-
stungen. Eventuell sollten von den Söhnen des Landgrafen einer
oder zwei als Geisel an den Hof geschickt und der Vertrag"
durch die hessischen Landstände ratificirt werden. Durch
diese letzten Bürgschaften meinte also der Herzog den Kaiser
zu bewegen, auf die unbedingte Ergebung des Landgrafen zu
verzichten.*
Der Entwurf war kaum vollendet, als Graf Sigismund von
Lodron am 2. Februar dem Herzog Vorbereitungen zum Zuge
des Kaisers und des Königs gegen Sachsen meldete. Ohne
noch die Meinung des Landgrafen darüber gehört zu haben,
glaubte Herzog Moriz mittheilen zu sollen, dass sein Schwieger-
vater einige Festungen zur Bürgschaft des Vertrages übergeben
werde. Damit wäre also der Bedingung entsprochen worden,
an die der Kaiser weitere Verhandlungen geknüpft hatte. Dies
wurde nun dem Kaiser mitgetheilt, wenn nicht früher, so etwa
Mitte Februar durch Lodron und Boussu, die von König Fer-
dinand wegen der Kriegführung an ihn gesandt wurden.*
Der Landgraf wich aber jeder Vollmacht oder bindenden
Erklärung bezüglich der Chemnitzer Artikel aus und bekämpfte
^ Issleib, 1S8.
« Ißsleib, 190 f.
• Ihre Instraction vom 13. Febraar (im Wiener Staatsarchiv, Copialbach,
683.]) enthält nichts über die Aussöhnungsverhandlung. Vgl. des Kaisers
Brief an seinen Bruder vom 19. Februar 1547 bei Lans, ü, 539 f. und
dessen Schreiben vom 10. März aus Dresden unten im Anhange.
117
besonders heftig die Vorschläge, welche WaflFenhilfe gegen
seinen Bundesgenossen und die Sicherstellung des Vertrages
betrafen. Mit Recht betonte er, dass ihm der erste dieser
Artikel allgemein den Vorwurf der Ehrlosigkeit zuzöge.* Bald
ergab sich wieder eine günstige Gelegenheit zur Verhandlung.
Als nämlich König Ferdinand und Herzog Moriz in der
Zeit vom 17. bis 20. Februar in Aussig mit einander
unterhandelten, kam nicht blos die brandenburgische Kriegs-
hilfe von 400 Reisigen und das Erzbisthum Magdeburg-
Halberstadt, sondern auch die Aussöhnung der beiden ge-
ächteten Fürsten zur Sprache. Als aber Herzog Moriz daran
erinnert wurde, dass er die üebergabe der hessischen Festungen
schon in Aussicht gestellt habe, musste er gestehen, dass der
Landgraf erklärt habe, eher wolle er sich wie einen tollen
Hand todtschlagen lassen, als Solches thun.* Der Herzog war
sehr zufrieden, als König Ferdinand eine allgemein gehaltene
Bitte des Kurfürsten Joachim um Verwendung für Johann
Friedrich von, Sachsen wie schon im Januar abschlug, weil
dieser davon nichts wisse, keine Bedingungen gestellt worden
seien, und weil der Kaiser keine darauf bezüglichen Weisungen
ertheilt habe.'
Als dann die in Chemnitz entworfenen Bedingungen ver-
ändert wurden,* nahm Herzog Moriz darein wieder die Ver-
pflichtung auf, den Kaiser bei keinem, gegen wen immer
> Issleib, 1921
* ^urqaoj lui dis que cela estoit contraire a ce qae le conte de Lodron
m'avoit dit de sa part : quo ledit lantgrave seroit content de bailler aul-
cune» places* [bei Buchoitz, IX, 410, folgt irrig: ,forte8*] ,pour ladite as-
tkearance. II me dit quUl estoit bien vray qu'il en avoit tenu propoz
audit conte de Lodron et qnil le pensoit mener jnsqnes a la, mais qu'il
n'a ^te ancnnement possible a ce Tindnyre, disant ledit lantgrave par
mote expres qu'il se laisseroit plustost assommer comme nng cbien enraige
que de le faire*. Der König an den Kaiser, Aussig, 21. Februar 1547.
' Ebendas.
* Der deutsche Text bei Rommel (Urkundenband, 210f.), dem auch Issleib
folgte (p. 194), ist in des Landgrafen Erklärung darüber unvollständig
erhalten. Es fehlen dort die Artikel 1, 4, 7, 8 und 9 ganz oder theil-
weUe. Die Ergänzung des Textes wurde mir durch Auffindung der
gleichxeitigen französischen Uebersetzung, sogar in drei Copien, ermöglicht
(Wiener Staatsarchiv, Belgica A 53 P, femer Copialbücher 682., fol. 186
und 683.J.
118
gerichteten Unternehmen, das über kurz oder lang stattfinden
würde, weder heimlich noch öffentlich zu hindern, auf Befehl
des Kaisers den König und Herzog Moriz unweigerlich zu
unterstützen (Artikel 5) und Herzog Heinrich von Braunschweig
sammt seinem Sohne Karl Victor freizulassen (Artikel 6). Ferner
sollte der Landgraf zum Zeichen seiner aufrichtigen Unterwürfig-
keit sechs Monate lang 8 Fähnlein Fusstruppen und 500 Reisige
unterhalten und bezahlen ^ (Artikel 7), auf Befehl des Kaisers
sofort die Unterthanen, die in fremden Diensten sein könnten,*
unter Androhung von Güterconfiscation abberufen (Artikel 8)
und als Caution die Versicherung dreier regierenden Fürsten
und die seiner Landstände versprechen, die sich alle ,ver-
schreiben' sollten, ,der Kays. Maj. beystendig zu sein, dasfs] er
zu der Haltung getrungen werde^ (Artikel 9). Er sollte auch
seinen Sohn als Geisel an den Kaiserhof senden (Artikel 9).^
In anderen Theilen dieses Entwurfes sollte sich der Landgraf
verpflichten, den Kaiser in Zukunft als seine wahre Obrigkeit
anzuerkennen (Artikel 1),* persönlich vor ihm Abbitte zu leisten
(Artikel 2), femer das Reichskammergericht anzunehmen, zu
dessen Erhaltung beizutragen (Artikel 3), alle Bündnisse gegen
den Kaiser sofort aufzugeben, alle verpflichtenden Urkunden,
die er darüber haben könnte, auszuliefern, ebenso, wenn ,er
mit der Königlichen^ Majestät underthanen Bundnuss bette,
dieselb Verschreibung der Königlichen Majestät' zuzustellen
und zeitlebens kein neues Bündniss gegen den Kaiser und
den König mehr zu schliossen oder ihren Feinden anzuhängen
(Artikel 4). Die Uebergabe der Festungen wurde in den Ent-
wurf nicht aufgenommen.
^ »Puisqu'il u'est en sa puissance de compenser les fraiz que pourroieiit estre
pretendaz pour sa cause, et pour demonstrer par effect sa vraye bumilite
envers sadite Ma^ imperiale, il vealt entretenir et soaldoyer a sadite
Ma^ SLX mois de long huit enseignes de pietons et cinq cens chovaulx
armez . . /
' ,qai pourroient estre au serviced'autres*. Vgl. Rommel, Urkundeubaud, 215.
° ,Enyoyera aussi prestement Tung de ses filz en la court de sadite M^ ,
pour y demeurer, contre le quel en cas de nonobservation Ton pourra
proceder comme contre un gaige* [für gage] et bostaigier.
^ Die franzOsiscbe Uebersetzung dieses Artikels beginnt mit: ,Puisqae . . .
veult et doibt*. Rommel, 211.
^ Bei Rommel, 212, irrig: ,keys. Maj.*
119
Diese Artikel wurden auf Befehl des Königs ins Fran-
zösische übersetzt, worauf sie dieser am 21. Februar an den
Kaiser nach Ulm sandte.^
Am Morgen dieses Tages war Herzog Moriz wieder in
Dresden und betheuerte dem hessischen Gesandten Lersner, ^dass
er treu und ehriich gehandelt habe^^ Wahrscheinlich hatte Lers-
Der, als Gesandter eines Geächteten ohne Aussicht auf ein
acheres Geleite, in Dresden zurückbleiben müssen.
Trotz alles Drängens konnte aber Herzog Moriz in den
folgenden Wochen von dem Landgrafen nicht die Zustimmung
za den Aussiger Artikeln erlangen. Dieser suchte vielmehr
wieder eine Annäherung der entzweiten sächsischen Herzoge
herbeizuführen. Abermals erklärte er Hilfeleistung gegen seinen
Bundesgenossen für unverantwortlich und ehrlos und wurde
darin auch durch ein Gutachten seiner Landstände bestärkt.'
Am 6. März verlangte er im Einzelnen Aenderungen der
Artikel^ und wies dann auf den verhältnissmässig viel milderen
Vertrag hin, den der Kaiser Strassburg gewährt hatte. Dies
beweise, meinte er, dass der Kaiser ,mit sich handeln lasse'. ^
Hiebei vergass er freiUch, dass der Kaiser den Strassburgem
billige Bedingungen gewähren musste, um den sächsischen
Feldzug mit grösserer Sicherheit unternehmen zu können.
Schon 2 Stunden nach der Huldigung der Strassburger brach
er am 21. März von Nördlingen nach Sachsen auf.* Der Herzog
wollte auf die Wünsche des Landgrafen in keiner Weise ein-
gehen. In seinem Hasse gegen den geächteten Kurfürsten
äusserte er vielmehr wiederholt, dieser ,müsse herunter, müsse
Ton Land und Leuten und allen seinen Festungen, sollte gleich
Türk und Franzose daherziehen und der Kaiser alle König-
reiche und Länder daransetzend "^ Sonderbar klingt es aber,
wenn er den Landgrafen damit beruhigte: wahrscheinlich werde
nun gar nicht auf der Truppenhilfe gegen den geächteten
^ KOnig Ferdinand an den Kaiser, Aussig, 21. Februar 1647, bei Bucholtz,
IX, 410.
* laileib, 195.
» Ebenda«., 197.
* Rommel, Urkundenbaud, 269 f.
* Isileib, 201.
* V. D., II, 198.S6, 244.«,, Anm. l.
' Weib, 196, 200.
130
Kurfürsten bestehen, der Landgraf mUsse aber das Versprechen
geben, dem Kaiser dienen zu wollen.' Es war vergebliche Muhe:
der Landgraf machte seinem Bundesgenossen von diesem schimpf-
lichen Begehren Mittheilung und versicherte ihm, dass er darauf
nicht eingehen werde.'
Der Herzog musste bald zur Einsicht gelangen, dsss es
von ihm sehr voreilig gewesen war, die Aussiger Artikel ohne
Zustimmung des Landgrafen abfassen und absenden zu lassen.
Hat denn der Kaiser wirklich die Bedingung gestellt, dass
der Landgraf gegen seinen Bundesgenossen Hilfe leisten müsse?
Schon am 6. Februar sprach man am Kaiserhofe von einem
derartigen Anerbieten des Landgrafen,' nirgends aber begegnet
man einer solchen Forderung des Kaisers als AussöhnangB-
bedingung. Der Eindruck, den die irrig behauptete Bereitwillig-
keit des Landgrafen am Hofe macht«, war der denkbar un-
günstigste. Zu dem Misetrauen, das man ihm entgegenbrachte,
kam nun auch tiefe Verachtung, die der Bischof Granvelle am
2ö. März und nach der Schlacht bei Mtlhlberg nicht verheUen
konnte. Er hob hervor, wie würdig und ehrenvoll der Sachaoi'
herzog im Vergleich mit dem Landgrafen verhandelt habe.*
Bevor noch der Kaiser die Aussiger Artikel empfing, erwog
er srerade den Plan, nicht gleich nach Sachsen, sondern soßnH-
121
Adel Hessens anonterbrochen in Verbindung, so dass der
Landgraf selbst ganz besorgt Lersner am 6. März schrieb/ der
Kaiser habe dem Adel anzeigen lassen, die Ungnade gegen
seinen Landesherm sei so gross, dass man seinethalben nicht
handeln wolle; ,wann aber die Landschaft keme unnd bett,
der mochte gnad widderfahren^ Ein Abmahnungsschreiben
in seinen Adel vom 13. März nützte wenig. ^ Zu dem Zuge
g^n Hessen gedachte der Kaiser ausser seinem Hauptheere
aaeh seine in Niedersachsen stehenden Truppen zu verwenden.*
Hiebei schwebte ihm wohl ein ähnlicher Erfolg wie bei der
Bewegung gegen Württemberg vor. Weil er die Einzelheiten
der Verhandlung des Herzogs Moriz mit dessen Schwiegervater
nicht kannte, argwöhnte er, dass dieser die Uebergabe der
Festangen schon zugesagt und später seine Zustimmung wider-
rufen habe, weil er vemonmien, dass des Kaisers Zug zunächst
Sachsen gelte. Der Kaiser meinte, auch der Herzog Ulrich
habe ihm die Festungen übergeben und ihn doch weniger als
der Landgraf beleidigt. Darum wünschte er auf Grund der
AiBsiger Artikel nicht weiter zu verhandeln. In diesem Sinne
schrieb er seinem Bruder am 28. Februar 1547.*
Dieser Brief war schon in den Händen des Königs, als
Herzog Moriz am 4. März nach Dresden kam,^ wo der König
Tom 1. bis 21. März verweilte.* Ehe sich der Herzog von ihm
am 5. oder 6. dieses Monates wieder verabschiedete, fragte er
ihn, ob der Kaiser eine Antwort auf die Aussiger Artikel ge-
schrieben habe. König Ferdinand wünschte, wie er dem Kaiser
^ Rommel, Urkundenband, 217 f.; vgl. auch 202 f.
•Ebendaa., 219 f.
* Brief des Kaisers an König Ferdinand vom 28. Febmar 1547.
* fii qmmt a la practique que meyne poor luy le Duc Mauris, puisqu^il
recnle ' de ce qne Ton asseuroit qu*il viendroit, qn^estoit de mectre les
fortz de son estat entre mes mainsi comme le Duc de Wirtemberg a fait,
ayant toutefois moings offense, dont, il semble, il se retire, peult estre
ponr avoir entendu que enclinons a faire ledit voiaige de Saxen, esperant
par ce que Teslongneroye, je ne voys apparence de sur Toffre, que faict
ledit Duc Mauris, passer plus avant en ladite practique.* Copialbuch
6S2,i und Bncholtz, IX, 413.
' Kach der Bandnote zum Briefe vom 28. Februar kam dieser am 3. M&rz
an. Die Antwort des KOnigs an den Kaiser vom 4. März erwähnt ausserdem
nur die Ankunft des Herzogs (Copialbuch, 683.}).
* laeleib, 202, Anm. 35.
122
am 10. März gestand^ ^ die Verhandlungen nicht gänzlich ab-
zubrechen^ um nicht den Landgrafen zu verzweifelten Schritten
zu treiben. Er theilte darum dem Herzoge mit^ der Kaiser
habe über diese Angelegenheit nur kurz geschrieben und noch
keinen definitiven Entschluss kundgegeben^ sei aber ganz
erstaunt^ dass man wegen der Festungen Schwierigkeiten
mache. Darauf legte der König unter dem ausdrücklichen
Vorbehalte, dass er zu gar nichts beauftragt sei, dem Herzog
Folgendes dar: Wenn sich drei Fürsten für den Vertrag ver-
bürgten, 80 erwüchse dem Kaiser daraus eventuell die Schwierig-
keit, jeden einzelnen zur ErflÜlung seines Versprechens zu ver-
halten; die Caution der Landstände sei werthlos, wenn der
Landgraf die Festungen besitze. Wenn er einen Sohn ab
Geisel stelle, so besitze er noch zwei andere; wollte er sie
\uch alle drei übergeben, so sei es doch des Kaisers Art nicht,
an unschuldigen Kindern Tyrannei zu üben, wenn der Vertrag
nicht erfüllt würde. Andere, die den Kaiser nicht so schwer
wie der Landgraf beleidigt, hätten feste Plätze übergeben. Der
Kaiser wolle sie nicht für sich behalten. Daher könne er, der
König, nichts Besseres rathen, als dem Kaiser darin zu ver-
trauen und sich ihm völlig zu unterwerfen. Am 7. März
war der Herzog in Freiberg, und von dort aus bat er den
König, den Kaiser zur Annahme der Aussiger Artikel zu be-
wegen.* Auch persönliche Bitten der Herzogin Agnes blieben
wirkungslos. Ihr und ihrem Gemahl, der bald wieder nach
Dresden zurückkehrte, antwortete der König, dass er seit der
letzten Vorstellung (admonitions), die er an den Kaiser gerichtet,
noch keine Antwort empfangen habe.'
Der Landgraf scheint bald gefühlt zu haben, dass sein
Schwiegersohn bei der Vermittlung mehr politische als ver-
wandtschaftliche Rücksichten vor Augen hatte. Er warf seinem
Bevollmächtigten Lersner vor, dass er die Sache beim Herzog
nicht energisch genug vertrete.* Nicht ohne diesen zu ver-
stimmen, suchte er auch auf andere Weise zu einem Ver-
> Siehe diesen Brief des Königs unten im Anhange.
* Iflsleib, 197, Anm. 29.
' König Ferdinand an den Kaiser, Dresden, 17. März 1647 (Copialbuch,
683.,).
« Issieib, 201.
123
trage mit dem Kaiser zu kommen. Bei der sehr lückenhaften
Kenntmss dieser Nebenverhandlungen ist nur sicher^ dass er
seit December 1546 bald beim G^rafen von Büren, bald beim
Bayemherzog Wilhelm^ bald wieder beim p&lzischen Kurfürsten
Vermittlung suchte.^ Erfolg hatten diese Versuche nicht.
Die Verhandlungen mit dem Landgrafen hatten eine ftlr
die Kriegführenden sehr wichtige Folge: er blieb unthätig, ja
verbot sogar im März seinen Unterthanen, bei Johann Friedrich
von Sachsen gegen den Kaiser, seinen Herrn, Dienste zu
nehmen.' Dazu hätte sich der Landgraf kaum entschlossen,
wenn er durch seinen Schwiegersohn von aUem Anfange an
über die Aussichtslosigkeit unterrichtet worden wäre, unter
anderen Bedingungen als der Ergebung auf Gnade und Un-
gnade einen Vertrag zu erlangen. So deutete der Herzog auch
im März nur an, dass er eher eine Verschärfung als eine
Milderung der Aussiger Artikel zu erwarten habe*. Wenn^
der ehrgeizige junge Fürst seinen Schwiegervater nicht zur
Hilfeleistung gegen Johann Friedrich von Sachsen bewegen
konnte, so war doch die Unthätigkeit des Landgrafen während
der Waffenerfolge des geächteten Kurftlrsten in Sachsen ein
nicht, zu unterschätzender Gewinn.
Da der Ausgang des Feldzuges nach Kursachsen unge-
wiss war, so lag es auch im Interesse des Kaisers und König
Ferdinands, die Verhandlungen nicht ganz abzubrechen. In-
dessen verfolgte der Kaiser, durch nichts beirrt, den Plan, die
beiden Häupter des schmalkaldischen Bundes ganz zu ver-
nichten. Nur dann glaubte er, wie er seinem Bruder schrieb,
in Deutschland die Ruhe und die kaiserliche Autorität sowie
die des Königs wieder herstellen zu können.^ Die Verhand-
lungen rückten nicht von der Stelle: weder der Kaiser noch
der Landgraf waren geneigt, den Aussiger Artikeln zuzustimmen.
^ Iwleib, 203; V. D., II, llif-M, HS Anm. 1, 156.w, 179^9> ^04.«; Rommel«
Urknndenband, 176.
' Das erfahr der kaiserliche General Markgraf Marignano von Alba.
Mocenigo, Nürnberg, 26. März 1647. V. D., II, 207.9o; ^gl. Druffel, I,
49 Anm. 2.
> Issleib, 199.
* ,£t congnois bien qn'il est necessaire de exterminer ledit Dac du tout
et aussi cellni de Hessen et qne antrement Ton ne poorra jamais rednyre
ny paciffier ceste (Jermanye pour le service de Dien, votre aiictorite et
ArchiT. LXXXm. Bd I. H&lfto. 9
124
Daher gab der Kaiser seinem Bruder am 21. März^ nachdem
er von Nördlingen aus nach Sachsen aufgebrochen war, folgende
Weisung: wenn der Landgraf in seinen Erklärungen nicht
weiter gehe, möge der König auch seinerseits die Verhandlungen
in dem bisherigen Stadium belassen, bis man sehe, welches
Ende der Feldzug nehme. Inzwischen müssten solche Aner-
bietungen und mit solcher Unterwürfigkeit gemacht werden,
dass er, der Kaiser, Gelegenheit habe, den Landgrafen zu
Qnaden aufzunehmen; denn zu solchen Anerbietungen sei es
bisher nicht gekommen. In diesem Sinne möge er antworten,
wenn man von der Sache spreche.*
Der König erhielt diesen Brief am 25. März in Teplitz,*
wohin er kurz zuvor gekommen war. Nicht früher, als er wieder
gefragt würde, wollte er sich dem kaiserUchen Auftrage gemäss
äussern. Dazu kam es aber vor der Ankunft des Kaisers in
Sachsen nicht mehr. Der König war eben im Begriffe, Tepl
am 1. April zu verlassen, als der herzoghch-sächsische Rath
Dr. Komerstadt auf dem Wege zum Kaiser bei ihm Audienz
nahm. Der König setzte dann die Reise fort und berichtete
noch an demselben Tage von Haid aus an den Kaiser, dass
Komerstadt der Ueberbringer von ,Bedingungen und Aner-
bietungen des Landgrafen' sei und ihn gebeten habe, seine
Werbung beim Kaiser zu unterstützen. Wieweit diese Be-
la myenne et mectre en paix et traiiquilite ladite Germaaye.^ Der Kaiser
an König Ferdinand, 2. Februar 1547. Lanz, II, 529. Aehnliches im
Briefe vom 20. Februar (bei Bucholtz, IX, 412 f.) und vom 19. Fe-
bruar 1547 bei Lanz, II, 540.
^ ,Et quaut k Tinstance que le Duc Mauris et la Duchesse continaent k
V0U8 faire pour le landgrave, il sera bien que entretenez la chose en cee
termes, jusques Ton voye comme ceste emprinse succedera, actenda aussi
qu'il ue se declaire plus avant. Et conviendroit quHl feist telles offres
et avec tel humiliation, que par icelies il me donna occasion le recep-
voir en grace, ce quMl n*a fait jusques a maintenant. Et si Ton retoome
a vous en parier, en pourrez respondre en ceste conformite et substance.*
(Oettingen, 21. März 1547. Drnffel, I, 49.) In diesen Worten kann
man nicht einen ^Auftrag* sehen, ,die Bedingungen Schritt vor Schritt
zu steigern*, wie Issleib sag^ (p. 203).
' An diesem Tage antwortete er : ,Quant k ce que m^escripvez, Mon-
seignenr, . . . il me semble que, pour estre maintenant eslongne dudit
Duc Mauritz, que je ne doibs faire semblant de riens jusques plus
avant j'en soye requis de leur part; que lors m'j conduiray selon qn'il
piaist k V* Ma^ me Commander' (Copialbuch. 683.^).
125
Bedingongen gingen, erfahren wir nicht; ans den folgenden
Verhandlungen geht aber hervor, dass die Hauptbedingungen
des Kaisers nicht angenommen waren. Der König meinte, der
Kaiser könne die Entscheidung verschieben, da sie ohnedies
beide bald zusammentreffen würden.^ Das geschah am 6. April
in der Nähe von Eger.*
Weder Komerstadt's Werbung, noch auch die Vermittlungs-
versuche des Herzogs beim König . hatten Erfolg. Auch die
neuen Vorschläge wurden abgelehnt. Der Kaiser war zu keiner
milderen Erklärung, als die frülieren gewesen waren, zu bewegen.
Das geht auch aus Lersner's vergeblichen Bemühungen beim
Herzog* und aus den Erklärungen des Kaisers auf dem Reichs-
tage hervor, worin er ausdrücklich behauptet, dass er auch in
Eger auf der unbedingten Ergebung und auf der Uebergabe
der Festungen bestanden habe.*
Dem geächteten Kurfürsten gegenüber war der Kaiser
ebenso unerbittlich. Denn als der Herzog Wilhelm von Cleve
durch Gesandte, die nach Nürnberg kamen, Fürbitte für
Johann Friedrich einlegen liess und nur allgemein um Aus-
söbnungsbedingungen ersuchte, aber sich erbot, selbst zur Ver-
mittlung zu kommen, erhielt er die Antwort, es sei besser, wenn
er sich diese Mühe erspare; der Kaiser könne nichts Anderes
vorschlagen, als dass sich der Geächtete in seine Gewalt über-
liefere, so dass er mit ihm nach Belieben verfahren könne.®
Den gleichen Erfolg hatten des Herzogs persönliche Bemühungen
in Eger, wo er auch von einer dänischen Gesandtschaft unter-
stützt wurde. Er schlug damals positive Bedingungen vor,
aber nicht unbedingte Ergebung. Alles war vergeblich. Der
Kaiser hatte auch Ursache, die Aufrichtigkeit des Friedens-
' K9iug Ferdinand« Brief aus Haid vom 1. April 1547 (Copialbnch, 683.,)
« YgL V. D., n, 214.„, 215.^.
' luleib, 202 ff.
* \gi. oben p. 115, Anm. 2 und des Bischofs Granvelle Darstellung der
Yerhandlungen bei Lanz, II, 589.
* ßa Ma*» s'arreste en ces termes [que] eile n'en peult proposer nulz
saulf qu'il se Tuelle[I] rendre entre ses mains pour en user comme il
luy semblera/ (In Chiffren.) Bischof Granvelle an Königin Maria,
Nürnberg, 27. März 1647 (Belgica, A 74 P, Wiener Staatsarchiv). Damit
stimmt überein, was Qranvelle am 27. April den venetianischen Gesandten
über die Verhandlnngen raittheilte. V. D., II, 244.io5-
126
Wunsches bei Johann Friedrich von Sachsen zu bezweifeln;
denn dieser hatte vorher nach Frankreich geschrieben: sollte
er in Bedrängniss Verhandlungen beginnen^ so werde er sie
trotzdem jedesmal abbrechen, wenn er eine gute Gelegenheit
dazu sehe.^
Inzwischen war die Gefahr, dass Frankreich zu Gunsten
der Schmalkaldner kriegerisch eingreifen könnte, durch das
Ableben König Franz' I. am 31. März geschwunden. Die Nach-
richt davon erreichte den Kaiser in Eger.* Es ist bezeichnend
für die damals am Hofe herrschende Stimmung, wenn der
Herzog von Alba dem Nuntius gegenüber seiner Ueberzeugung
Ausdruck verlieh, dass des Kaisers Autorität in Deutschland
nur durch Beseitigung der geächteten Fürsten wiederheigestellt
werden könne.*
Während der Landgraf in Ungewissheit über seine
Lage immer ungeduldiger wurde, ereignete sich, was doch
Niemand erwartet hatte: am Nachmittage des 24. Aprils wurde
dem Kaiser Johann Friedrich von Sachsen auf der Lochauer
Haide als Gefangener vorgeführt. Als er, unfähig vom Pferde
zu steigen, vor dem Sieger das Haupt entblösste und mit der
Anrede: ,Allergnädigstcr Kaiser^ um Verzeihung zu bitten begann,
wurde er etwa mit den Worten unterbrochen: , Jetzt bin ich
allergnädigster Kaiser; besser wäre es für Euch gewesen, wenn
Ihr mich auch früher als solchen anerkannt hättet/ Als der
Kurfürst seine Bitte geendet hatte, entliess ihn der Kaiser mit
den Worten, er werde behandelt werden, wie er es verdient
habe.* Die Wechselrede fand in deutscher Sprache statt,^ in
* ,S'il se trouvoit press^, il traicteroit, mals il ne delaisseroit pourtant de
rompre tousiours qu'il verroit son appoint^ Bischof Granvelle an Königin
Maria, Eger, 10. April 1547, bei Draffel, I, 57.
" V. D., U, 216.^.
» V. D., n, 227..,.
^ y. D., II, 235 Anm. 1, 236.io8, ^^^iM'y Valentin von Teutleben's, des Bischofs
von Hildesheim, Bericht darüber bei Bucholtz, IX, 419, ist den ,Biainzer
Reichstagsacten fasc. 12** des Wiener Staatsarchives entnommen, aber
fehlerhaft abgedruckt. Vgl. V. D., II, 777.
' ,Omnia ista germanice utrinque dicta audivi et notavi et alüs Italici«,
qui germanice nesciunt et hoc a me postulantiboa exposoi', schrieb
Bischof Valentin von Hildesheim im kaiserlichen Lager vor Wittenberg
am 13. Mai 1547 ; ob in einem Briefe, ist niigewiss.
127
der sich der Kaiser wohl nur unvollkommen ausdrücken konnte;*
deutsche Schrift konnte er nicht lesen.*
2. Yerhandlungen ror Wittenberg.
Der ^untreue, pflicht- und eidbrüchige Rebell, Verächter
und Verletzer der kaiserlichen Hoheit und Majestät' hatte nach
der Auffassung des Kaisers ,wegen seiner vielfältigen, landt-
kOndigen, offenbaren, landfriedbrüchigen Thaten' das Leben
Tcrwirkt, daher wurde über ihn das Todesurtheil ausgesprochen.^
Was die Klugheit Alba's und des Bischofs Granvelle gegen den
Willen des kaiserlichen Beichtvaters Pedro de Soto und Dr.
Johann Figueroa's durchsetzte* und Königin Maria sehr billigte,*^
das sollte als besondere Gnade erscheinen: das Todesurtheil
ward vom Kaiser nicht unterzeichnet*^ und die Todesstrafe wurde
in lebenslängliche Haft verwandelt, oder, wie man damals sagte,
in ,ewige Gefengknuss'. Dieser Ausdruck kommt auch in der
* Im Hai 1552 soll er Johann Friedrich von Sachsen im Pnsterthale auf
einige Dankesworte 4ii Teutscher Sprach verständigliche Antwort* ge-
geben haben. Hortleder, II, d98. Besser sprach er wohl Vlämisch. Vgl.
Sastrow, ü, 16, 29, 86.
' Man mnsste ihm auch kleine deutsche ActenstUcke, die schOn geschrieben
waren, in französischem Auszuge vorlegen. Dies beweist ein kurzer
Brief des Pfalzgrafen Friedrich an ihn vom Jahre 1547, auf dem Bischof
Granvelle eigenhändig schrieb : yLe contenu de ceste lettre est que . . .*'
(Wiener Staatsarchiv, Kriegsacten 1547, fasc. 11).
' Dieses bei Dumont, Corps universel diplomatique Amsterdam, 1726,
IV/U, 332.
* Baves an Königin Maria am 21. Mai 1547 bei Ranke, VI, 248, ferner
Druffel, I, 68, Nr. 97 und V. D., ü, 252.io8, 257.„o.
^ ,Les articles . . . que certes sont si 'honorables et avantaigeux pour
Sa Ma** Imp. que j'espere qu'elle en recepvra plus grande reputation
quelle n'eust de la mort du dit jadis electeur . . .* Königin Maria an
Bisehof Granvelle, 2. Juni 1547 (Wiener Staatsarchiv, Belgica, Ao6P).
* Auf einer Abschrift dieses Urtheils steht von Dr. Johann Obernburger's
Hand: ,Nota, das dises pluet urteil durch die Kay. M* nit unterschriben,
noch sonst verfertiget worden, sonder hat die Kay. M^ als ain gnedigster,
milter kaiser die sach in ferrer Bedacht genommen und nach statlicher
erwegung die straff auff andere miltere wege geendert* (Wiener Staats-
archiv, Sazonica 1547).
128
peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. wiederholt vor.* Dafür,
dass man dem Sachsenherzoge nur ^das Leben zusicherte^,
musste er auf die Kurwtirde und fast auf die Hälfte seines
Landes zu Gunsten des Herzogs Moriz verzichten und die
Schleifung einiger Festungen zugestehen. Die flir die Zukunft
des Gefangenen wichtigste Stelle der Wittenberger Capitulation
lautet: ,Auf solche obgeschriebene Artikel ist Ire Majestät zu-
frieden, dass die Straf des Lebens, so er von wegen dero
wider Iro Majestät verübten Rebellion verdient, auf einen solchen
Weg verwandelt werde, also, dass er an Ihrer M* oder Ihres
geliebten Sohns, des Prinzen von Hispanien, Hofe nach
hochgedachter Kaiserlicher Majestät freyen Wahl, auch
so lange es Ihrer Majestät gefällig und bis Ihre Majestät
anders verordnen wird, bleiben^ [werde].* Diese Fassung
ist in zweifacher Hinsicht geschickt: sie benahm dem Gefan-
genen nicht die Aussicht auf endliche Enthaftung, bot aber auch
dem Kaiser 1550 die Handhabe, die Haft für eine lebensläng-
liche zu erklären. Aber so wie während der Verhandlungen,
so sprach man auch nach dem Abschlüsse des Vertrages davon,
dass das ,Gefengknuss' ewig^ sein werde.
Es ist sehr gut bezeugt, dass Bischof Granvelle, der diese
Verhandlungen von allem Anfange an führte,* des Deutschen
nicht blos für mündlichen Verkehr mächtig war,* sondern auch
im Gegensatze zum Kaiser schriftliche Mittheilungen in dieser
Sprache lesen® und in andere Sprachen übersetzen konnte.
^ So in den Artikeln X, CI, CXCII, Zoepfl'sche Ausgabe, Leipzig 1876.
p. 19, 85, 159.
« Dumont IV/II, 234.
^ ,Privatu8 Dax Saxoniae adhuc captivns remanet, quem Imperator secum
in exercitu ducit, perpetuo, uti dicitur, in captivitate permansuru5,
ne dimiBsus novas tragedias excitare valeat . . .' Valentin Teutlebeu,
11. Juni 1547 (vgl. oben p. 126, Anm. 4). ,Uti dicitur* ist von dem Bischof
eigenhändig nachgetragen.
• V. D., n, 244.106, 248.106, 262.ii8.
' ,A monsignor di Araa, che sa la ling^a thedesca, disse [Sua M^] che'l
riferisse prima aUi Elettori.* V. D., II, 290.1^. Mocenigo wiederholte
diese Angabe in seiner Finalrelation 1548: ,Lui che la ha lingua thedesca'
(Fiedler, Relationen, Fontes rerum Austr., Wien 1870, XXX, 171).
• Damit übereinstimmend berichtete auch sein Vorgänger Na vager 1546:
,Monsignor d'Aras, il quäle ö molto gentile e letterato e parla cinqiie o
sei lingue* (Albiri, Relazioni, ser. I, I, 346).
• Vgl. oben p. 127, Anm. 2.
129
Es kann gar nicht anders sein, als dass der damals gebräuch-
tche Ausdruck ,ewige8 Gfefengknuss^ bei den persönlichen
VerhandluDgen des Bischofs Granvelle mit dem Gefangenen,
sowie mit Herzog Moriz und mit dem Kurfürsten Joachim von
Brandenburg gebraucht worden ist. Denn auch dieser Kurf iii'st
bm nur zwei bis drei Tage später als Herzog Moriz, nämUch
im 6. Mai * ins Lager bei Wittenberg, um für den Gefangenen
und dessen Familie wie früher vor der Kriegsentscheidung Für-
bitte einzulegen. Er war mit dem sächsischen Hause nicht blos
durch seine erste, 1534 verstorbene GemahHn Magdalena, eine
Tochter des Herzogs Georg von Sachsen, verwandt, sondern
auch durch eine alte, zuletzt 1537 erneuerte Erbverbrüderung
verbunden, in die auch das Haus des Landgrafen von Hessen,
seines Schwagers, eingeschlossen war.*
Kurfürst Joachim und Herzog Moriz suchten nun auch
daa landgräfliche Haus vor dem Schicksale zu bewahren, das
Johann Friedrich von Sachsen und seine Kinder getroffen hatte.
Der Kaiser bheb aber unerbittlich: er verlangte wiederum Er-
gebung auf Gnade und Ungnade und Auslieferung der hessi-
schen Festungen sammt Geschützen und Munition. Die ver-
mittelnden Fürsten glaubten den Landgrafen zur Annahme
dieser Forderungen in persönlicher Zusammenkunft bewegen
m können. Da aber König Ferdinand die Ausstellung eines
Geleitbriefes verweigerte, so stellten sie einen solchen am 10. Mai
selbst aus, aUerdings ,mit besonderer Bewilligung kaiserlicher
nnd königlicher Majestät^ Die Zusammenkunft wurde indessen
verschoben, und statt Quedlinburgs, wie ursprünghch verab-
redet war, wählte man schliesslich Leipzig. Darum wurde das
Geleite am 21. Mai, also zwei Tage nach dem Abschlüsse der
Wittenberger Capitulation, erneuert. Waffenstillstand wurde
"iem Landgrafen nicht bewilligt.^
Vor seiner Abreise nach Leipzig sprach Herzog Moriz
«a Kaiserhofe die Hoffnung aus, dass sich der Landgraf er-
h^eben werde, wenn man ihm nur das Leben zusichere. Dies
' Btve an Königin Maria aus dem Lager vor Wittenberg, 7. Mai 1547.
Wiener Staatsarchiv, Belgica, A 74 P. V. D., H, 254.io8.
* Hiberlin, Neueste deutsche Reichsgeschichte (Halle 1776), n, 547, lU,
12-17.
' Weib, 207 f.
131
wenn er die Festungen schleifen lasse, so könne er sie ja wieder
aufbauen; wenn der Kaiser sterbe.^ Statt der verlangten
150.000 Gulden wollte der Landgraf nur 138.000 Gulden als
Stn£summe zahlen, weil nur so viel für die in den Aussiger
Artikeln vorgeschlagene Truppenhilfe ausgegeben worden wäre.
Der Vertrag sollte durch drei regierende Fürsten und durch
seine Landstände verbürgt werden. Der Landgraf griff also selbst
&af einen Theil der damals ohne sein Wissen vorgeschlagenen
Bedingungen zurück.
Unter keinen Umständen wollte er sich aber ,auf Gnade
and Ungnade' ergeben: das Wort ^Ungnade' strich er eigen-
händig aus dem Vertragsentwurfe. Die Fürsten erklärten,
ihres Er achtens werde dieser Artikel nur mit Fussfall und
Abbitte abgethan sein, ja leichtfertig trösteten sie sogar damit,
.das Wort Ungnade stehe hauptsächlich um des herkömndichen
Gebrauches willen und habe sonst keine Wirkung'. Der Land-
graf liess sich ab^r damit nicht beruhigen und wollte ,durch
Siegel und Brief über die Bedeutung der ,Ungnade' gesichert
werden: sie dürfe nichts Anderes als Fussfall und Abbitte be-
deuten.*
Als sich die Fürsten am 28. Mai vom Landgrafen verab-
schiedeten, schärfte er ihnen ein, sie möchten sich wegen dieses
Ausdruckes ,wohl vorsehen'.' Schliesslich theilte er vertraulich
den Plan mit, dass er den grössten Theil seines Landes auf
dne bestimmte Zeit seinen Kindern abtreten wolle, weil man
im gar nicht traue. Es wurde verabredet, dass er auf die
Antwort der Fürsten in Leipzig warten solle. Aber an dem-
selben Tage befahl er seinen Statthaltern und Käthen, alle
Trappen zu mustern, die Festungen zu sichern und mit Städten
und Truppenführem in Niederdeutschland in Verbindung zu
treten, da sich seine Unterhandlung mit dem Kaiser zerschlagen
habe.* Tags darauf schrieb er an Herzog Moriz, er woUe die
Festung Ziegenheim [Ziegenhain] nicht übergeben, um vor
seinen Nachbarn und eigenen Unterthanen sicher zu sein.
Zugleich widerrief er seine Mittheilung von dem Plane, Hessen
an seine Kinder abzutreten.
> Inleib, 209.
' Ebenda«., 210 f.
* Ebendas., 213.
* Bommel, Urkandenband, 232 f.
Ab die AnerbietBi^en des LudgnfeD dem Kaiser be-
richtet worden, lehnte er ae mit Unwillen ab. Er fand näm
lieh, äe seien verf^to^h und denil at^efasat, das sie freien
Spielraiun fOr »pitece Interpreution baten, wie der Lam^f
m thon pae^.» I>i«er *oOe nur Zeil gewinnen, aber nichts
erfüllen; darauf deatrten die Vorsehlige w^eo der Festungen
hin. So schrieb er seiDem Bruder am I. und am 28. Juni.»
Den vermittehiaeii Farsteo aber ertbeihe er den Bescheid, mm
erkenne ans d>en Artikehi. dass der Landgraf nicht Willens
sei, das. was er Tersprecbe. ni hatten: se mochten daher die Ver-
huMlhinfeB icin^cb abtffecbea. da er, der Kaiser, entschlossen
sei, den LKJ.i^rafeo weaen seiner Änmassong und Rebellion
iD Strafen. Daan seien «ich die Grafen Wilhelm von Nassau'
und Eeinhanl von jWiBS and die Grafen in der Wetteran*
sammi den Truppen d-« Gratec von Büren bereit. Mehrmals
«ti.)«a iiob hierauf dx Ffir^ten, in Per^n fiir den Landgrafen
za. liaÄen. erhielten aber lar Antwort, der Kaiser wOnsche nicht,
da» ««botsame Fürsten in die Lage kimen, für den Land-
■enf-ti n büssen. Elr w\»Ue nur ^des Landgrafen aigen Per-
i,:.--.i .1» nian sioh aaf seine Zusagen nicht verlassen könne.
Er w:U* ihn auch deswe^x-n mräckhalten. damit er in Deutsch-
land :::--bl Caruhe soAe. Die Fürsten entg^:neten, der Land-
graf k^cre d.vh niofc: s* wie Johann Friedrich von Sach-
sen peJangta gehalten wenieu. da dieser durch Gewalt in
diese Laee gekoKmi-?n sei. jeaer aber ach freiwillig er-
geben wolle. Daseiren wanie «b« eingewendet, auch der
" £ftts^ . . ovEoec* vartWKi « jv=i pvviTvir Vomier gloso et inter-
pwati-: > -.-«ci- «; = ^=i; > *«v3«a«.- Der KmIsot a» Köniff
P«f^s>»i. X. J==i !>47 U^t, IL in i«ripTit 1« «rticies eo«che«
de Ä-cw ^se ;■ t«37-.t.- «t »atiw» «wiiU poTOii «proB donnor lien a
dü^Bwr.- GnBic«:V> l%rM<r::jaf J^ V«rhaBihiB«M bei Linz, II, 590
»-Wia-ne ... :*( ^-.-F.■*. v^ i**i 1i»!r>t« «roit tonn quant'a la
r«.-w=;:;r jeaä »fvt.it *# (*^r— ' »~(w. pottr «pendajit tat
*I«r« «« •■^-w.- S-»i*';-i >it>™«*I.Lto. irrig; Ortfenthall
V.«» s»i«a «,-fc -., J« Ert.:i.-4>p 4w E«iwn an aen Reichstae
N X...^W I.M: t«i !?*«r,>-. IL MT. Äoch im Briefe dZ
133
Landgraf ergebe sich nicht freiwillig, sondern nur aus Furcht,
Tertrieben und sammt seinen Kindern depossedirt zu werden.*
Als Herzog Moriz nach Leipzig ritt, besass er nur die
Zusicherung, dass dem Landgrafen ähnlich wie dem Sachsen-
herzoge die Todesstrafe erlassen würde. Sollte er damals wirk-
lich nicht gewusst haben, dass der Kaiser mindestens an eine
zeitweilige freie, weil freiwiUige Haft dachte : nach der Rückkehr
ins Lager vor Wittenberg Hessen ihm die Erklärungen, die er
darüber empfing, keinen Zweifel mehr übrig.
Am 31. Mai kehrte er nach Leipzig zurück, vermochte
aber nicht, den Schwiegervater umzustimmen.* Dort vernahm
nun dieser von dem Siege, den niederdeutsche Truppen, zu
denen sich eine Anzahl detachirter sächsischen Fähnlein gerettet
iiatte, am 23. Mai über den in kaiserlichen Diensten stehenden
Herzog Erich von Braunschweig erfochten hatten. FreiKch
erhielt er bald darauf aus Kassel die Meldung von einem Siege
der kaiserlichen Truppen,' ritt aber trotzdem davon, entschlossen,
die Unterhandlung abzubrechen.
Am folgenden Tage änderte er aber in der Nähe von
Weiasenfels, vielleicht infolge ungünstiger Nachrichten, abermals
seinen Entschluss. Angebhch führte ihn ein Gespräch mit dem
herz<^ch-sächsischen Rathe Christoph von Ebeleben, der ihn
auf der Heimreise zu geleiten hatte, zu der Erklärung: um den
Krieg seinen Unterthanen zuliebe zu vermeiden, wäre er bereit.
du qae ponr le complissement du traicte, en ce mesmes que prompte*
ment [bei Dmffel, I, 64, irrig: presentement] se debvoit complir, nulle
aaseorance se pourroit trouver sonffisante, que celle de sa personne,
s'estant tousiours rejecte ce que si souvent ils avoient dit: que Ton
cbistiast sur eulx la faulte, pour ce que je ne vouloie que bons et
obeifisans princes portassent [nicht: pourtassent] la peine et cbastoy de
U faulte d'ung desobeissant et que ne me pouvoye asseurer de sa parolle,
U m'ayant si souvent failly . . .*• Damit stimmt Granvelle*s Darstellung
bei Lanz, II, 590, überein.
' So die Darstellung Qranvelle^s bei Lanz, II, 590.
* laleib, 215 f.
' Herzog Moriz berichtete nach seiner zweiten Rückkehr von Leipzig über
den Landgrafen: ,quUl avait heu nouvelles que le duc Erich fut este
deffaict et icelies bien publye, mais que despuis ses conseilliers en Cassel
lai avoient escript que Friesperg avoit deffaict les ennemys du tout,
ee qn'il avoit cele, et toutefois le confessa apres audit duc Mauris,
disant quMlz escripvoient seulement geiieralement, sans venir a aulcune
»pecification*. Karl V. an Ferdinand I., 1. Juni 1547 (Lanz, II, 575).
134
in der Frage der Festungen and Geschütze nachzugeben un^
sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, wenn er die Ver
Sicherung erhielte, dass damit nichts Anderes als FussSblU und
Abbitte gemeint sei.^ Auf kaiserlicher Seite vermuthete man
dass auch Furcht vor den eigenen Unterthanen zur Aenderun^
des Elntschlusses beigetragen habe. Die Vermuthung war wegen
der Verbindung des Kaisers mit dem hessischen Adel nichj
unbegründet.« Als Ebeleben den Wunsch des Landgrafen ver
nahm, erbot er sich, sogleich ins kaiserliche Lager zu reitenj
um den Fürsten davon Mittheilung zu machen. Der Landgrai
wünschte aber vorläufig unverpflichtet zu bleiben.*
Herzog Moriz war inzwischen am 1. Juni dahin zurücki
gekehrt.^ Als das Lager schon ans linke Elbeufer verlegt war,^
kam Ebeleben am folgenden Tage an. Man stand gerade
unter dem Eindrucke der allerdings noch nicht genügend be-
stätigten Nachricht von Herzog Erichs Niederlage.^ Sowohl
der Kaiser, als auch seine Umgebung erwogen: die Truppet
der niederdeutschen Städte könnten an Reiterei stärker sein
als die kaiserUchen Streitkräfte, so dass man diese Städte nui
mit grossem Zeitverluste zu Unterwerfung und Geldzahlung
zwingen würde. Auf die Mitwirkung der Greschlagenen könnte
bei einem Zuge gegen Hessen nicht mehr gerechnet werdenj
und der Landgraf wäre von den niederdeutschen Städten nichl
mehr abgeschnitten.^ König Ferdinand sei mit dem böhmischen
Aufetande beschäftigt, und von Herzog Moriz werde gegen seincD
Schwiegervater keine Hilfe zu erlangen sein.* Diese Besorgnisse
gewannen allerdings erst volle Bedeutung, als Herzog Erich
mit seinem Vetter Phihpp von Braunschweig im kaiserlichcD
Lager erschien und seine Niederlage bestätigte. Dies geschah
^ laaleib, 216 f.
' ,D6 ohunin, füt par crainte, n'estant prest ponr soustenir contre Sa M&^,
ou par la doubte que penit estra U avoit de ses mesmes subiects, il reif
Toya Tn(t gentilhomme dadit duc Manns . . .* Granyelle's Darstellung^
Lans, II, 591. V{rl. oben p. läl.
• Istleib, Sie f.
« Brief des Kaisers an K5ni|r Feidinand bei Lana, II, 675.
• QnuiTelle's Darstellung vLana, U) 591; V. D., II, 276.11», Issleib, 217 und
mein Pr^ip^ammauf^ta, p. 29,
• V. a, 11, tu Anm. 2, 2T5>u., 277^1^; Lan», II, 674 f.; Loserth, 365.
• IVr Kaiser an Knni|r Ferdinand. 1, Juni 1547 bei Lana, II, 574f.
• V, W U. 27y„„ 276.1U
135
aber erst nach der Wiederaufnahme der Verhandlungen mit
dem Landgrafen.1
Herzog Moriz bemühte sich darin mit besonderem Eifer.
Mau glaubte auf Seite des Kaisers, dass dies deswegen ge-
schah, weil er vermeiden wollte, dass seine eigenen Unter-
thanen durch einen Zug gegen Hessen geschädigt würden.^
Es gab aber für den Herzog eine viel ernstere Erwägung: wie
sollte er sich dem Kaiser gegenüber verhalten, wenn es wirklich
nun Zuge dahin kam? Denn zu einer Hilfe für diesen FaU
▼ar er im Jahre vorher nicht verpflichtet worden.
Kaum hatte der Herzog Ebeleben's Auftrag vernommen,
äü ging er mit dem Kurfürsten Joachim sofort zum Bischof von
Arras. Nur zwischen ihnen wurden nun Verhandlungen ge-
föiurt, die am 2. Jimi begonnen und am 4. Juni beendet wurden.
Denn Dr. Siegmund Seid, ein Augsburger, damals noch nicht
Beichsvicekanzler,' wurde, wie die Fürsten später selbst schrieben,
Ton Bischof Granvelle nur ,bisweilen' zu den Verhandlungen
i^ezogen.^ Konnte man einander also auch ohne Seld's Hilfe
Ferstehen? In welcher Sprache denn? Doch nur in der, die
allen Dreien geläufig genug war, in ihr zu verhandeln. Herzog
Moriz verstand sicher nicht Französisch, das gestand er wieder-
holt selbst,^ Kurfürst Joachim ebensowenig,* und da beide
* Isileib (217, Anm. 61) theilt mit, dass Herzog Erich am 2. Juni gegen
Abend im Lager angekommen sei. Der venetianische Gresandte weiss am
S. Juni noch nichts davon; erst am 6. Jnni berichtet er darüber. V. D.,
n, 276 f-i»,.
' jLedit Dac Manris . . . pressoit au contraire tont ce qu'il povoit pour
detenir sadite Ma** , pour la crainte qu'il avoit que, allant an pays du
lantgrave ses snbgectz propres, qu^estoient au chemin a la Thuringe, n*en
receossent dommaige, et ofifrit de faire venir resolne responce dudit lant-
grave deans six jours.* Granvelle^s Darstellung, Lanz, 11, 591.
' Gfltig-e Mittheilung des Herrn Dr. Kretschmayer.
* ,Wlr hmben mit Irer Key. M^ eigner person vor des Landgraven Ein-
steHung in dlser sache nichts gehandelt . . . Sonder den Tractat und
Handlange des Vorstandts, worauff sich der Landg^ve einstellen
•ölte, haben wir mit dem bischoff von Arras . . . gehandelt, welcher den
hem I>octoren Seiden bisweilen zu sich gezogen.* Instruction der
Korfürsten Joachim und Moriz für eine Werbung beim Kaiser, 12. Sep-
tember 1&51, bei Lanz, Staatspapiere (Bibliothek des literarischen Ver-
eines zn Stuttgart, 1845, XI), 488.
* Inleib, Die Gefangenschaft Philipps von Hessen (Neues Archiv für
Siebs. Geschichte, 1893, XIV), 246, 256.
* Iselaib, Die Gefangennahme, 217.
186
Fürsten auch des Latelnischec zu den Verhandlungen nicht
mächtig waren,' so ist wohl das Nahehegendste, anzunehmen,
dass der Verkehr in deutscher Sprache erfolgte. Denn dass
Bischof Qranvelle des Deutschen aucli zu milndlicher Unter
handlang niftchtig war, ist zu gut bezeugt, um daran
zweifeln zu können.* Nicht blos die mttndlichen Erklärungen
wurden damals in deutscher Sprache aosgetaascht: auch die
Artikel, die am 2. Juni auf Qrund dieser Erklärungen Über-
reicht wurden, waren sicher in dieser Sprache abgefasst, wie
wir bald sehen werden.
Anfangs wollte der Bischof von Wiederaufnahme der Ver-
handlungen gar nichts wissen. Als er, angeblich auf die Zu-
sicherung einer stattlichen , Verehrung',* dann doch mit sich reden
liess, hob er, wie er im JuU 1547 schrieb, abermals die Schwie-
rigkeiten der VertragsbOi^schafl hervor. Zugleich wies er anf
ein vor Kurzem abgefangenes Schreiben des Landgrafen ad
die SccstUdte hin. das seine Unterhandlnngen mit ihnen ent-
hüllt habe. Man begreift, dass dies auf kaiserlicher Seite
gerade damals besonders peinlich berührte. Die ganze Unter-
handlung des Landgrafen, betonte der Bischof, diene nur dazu,
den Kaiser hiniuhatten.*
Welcher Vortragsentwurf lag den Unterhändlern vor?
TWits der uns unbekannten .Anerbietungen' des Landgrafen,
<.1ie der Kaiser in t^'r vernahm,* war fOr die Mehrzahl der
Artikel noch immer der in Aussig abgefassie Entwurf giltig. Aut
diesen hatte auch der Ijindsrraf in LeipEig lurtckgegriffen. Darin
stand die Bürjrsohaft dreier ivgierenden Fürsten und seinei
rUnde. Si>wie die Stellun;: eines Sohnes des Landgrafen
eisel. l>amii war aber der Kaiser nicht befriedigt und
mJs hatti- er vi»r Wittenberg wie früher verlangt, Philipp
Imq^u miksse sich selbst und sein Ijmd unbedingt ergeben.
fV Ati«« )> 13$^ Ann. ^ <twl t
ins- <* i^MlNMat 9* inceiarHil W aTtK-)«s. n BM«tuil toiuionrs dii
c^ i* U H»T» i* s*d)W M«* > i«»f>cT»»« 4b oomplcment dn traictf
t*nl t>:J5 ^-'•' •'^■"« **" (*s-rr*r. -T.Tfrctfaiv Aadit lantfrave l'on poToi
•ct«(« ^s .'. rMMwi »oa<w:':<> r«wt>.Ni&# armM fi-mr «nlretenir Sa Hn"
137
ifle Festongen sammt der ganzen Artillerie und Munition aus-
Bdfem und statt 138.000 Gulden 150.000 erlegen. Als die
Forsten auf den Vertrag zu sprechen kamen, bereitete sogleich
der erste und wichtigste Punkt desselben, nämlich die Ergebung,
Schwierigkeiten. Auch der Landgraf hatte Ebeleben erklärt,
ach auf Gnade und Ungnade ergeben zu wollen, jedoch eine
Versicherung der Fürsten gefordert, dass die Ergebung nichts
Anderes als Fussfall und Abbitte, also auch nicht Stellung seiner
Person als Geisel, bedeuten dürfe.
,Die Fürsten verlangten daher,' allem Anschein nach zuerst
Dar ganz allgemein, ,eine Declaration ausserhalb der Capitulation,
wie weit sich die Ungnade erstrecke.' Wussten sie dies nicht?
Sie hatten doch nach der Rückkehr von Leipzig vernommen,
«lass der Landgraf als Bürge des Vertrages zurückgehalten
Verden müsse, damit auch Deutschlands Ruhe gesichert werde.
Sie verkngten eine Nebenerklärung zum Artikel der Ergebung
anch d^wegen, damit dieser in der Capitulation zu grösserem
Ansehen des Kaisers unverändert bleibe.*
Granvelle wendete ein, das sei schwierig, weil der Landgraf
überallhin,* besonders aber an die Seestädte ^ schreiben werde,
^ weit sich die Ungnade erstrecke. Man wollte dies ver-
^ 3t snr Tarticle que conteDoit au traicte que le lantgraye se rendroit
ans aacane condition a la volonte [sie] de sa Ma^ , ngnad vnd yngnad",
lesdits electeurs demandarent, lors qu'ilz proposarent Toffre dudit Unt-
ere, avoir qaelqne declaration a part bors de la capitalation, afin
qne pour plus de repatation de Sa Ma** Tarücle an traicte detneara en
lon entier.* Qranvelle's Darstellang, 591.
' ^ pour ce qae Ton lenr dit que Ton j trouvoit difficulte a cause que
fj Ton osoit en cecy de declaration et que le lantgrave le sceuHt, il
eeeriproit partout que, sy bien il se yenoit rendre a ngi^&d ^t vngnad**,
il s^Yois bien jusques ou ledit vugnad se pourroit extendre: ilz promirent
qo'ilz ne feroient s^avoir aucune chose audit lantgrave de ladite de-
claration, et qu'il ne s<^uroit autre chose, si non qu^il se rendroit sans
condition comme conUent le traicte.* Ebendas., 592.
' yAyans clerement par leur escript promis le contraire, pour m'asseurer que
ledict landgrave n'escripvit aux villes, selon qu'il est coustumier . . . '
(Der Kaiser an KOnig Ferdinand, 28. Juni 1547, bei Druffel, I, 64.) Auch
im Jali 1550 erklärte der Kaiser den Kurfürsten: Der Landgraf sollte
die Declaration nicht erfahren, ,damit Ime vmb sovil desto weniger
ranmb gelassen wurde, die Stette, so damals noch vngehorsam gewest,
lenger aufzuhalten, des er sich den damals zum höchsten beflissen vnd
^egen dieselben betrieben het.* Lanz, Staatspapiere, 432.
138
hindern, weil der Kaiser damals mit Hamburg schon seit der
dänischen Vermittlung in Eger in Unterhandlung stand/ und
weil er auch die anderen niederdeutschen Städte während der
Wittenberger Unterhandlungen durch einen Trompeter zu
Friedensgesandtschaften hatte auffordern lassen.^ Musste der
Landgraf schwere Bedingungen zugestehen, so konnte der
Kaiser auch von den Seestädten grössere Strafsummen erlangen.
Die Ftlrsten versprachen darum, eine derartige Declaration
geheim zu halten: der Landgraf werde nur erfahren, dass er
sich auf Gnade und Ungnade ergeben müsse. Dann erst
scheinen sie selbst, und zwar zuerst mündlich, den Wunsch
ausgedrückt zu haben, dass die Ungnade ,weder Leibesstrafe^
noch Güterverlust, noch auch ewiges G^fängniss^ bedeuten
möge.'
Darauf wurde ihnen geantwortet, ihnen zuliebe dtUrfte
der Kaiser zu einer solchen Nebenerklämng wohl bereit
sein. Granvelle forderte sie nun auf, sowohl die Aner-
bietungen, die sie vorgetragen hätten, au&uzeichnen, damit
man auf dieser Grundlage den Vertrag abfiisse, als auch die
Nebenerklärung hinzuzufügen, die sie bezüglich der Ungnade
wünschten, ebenso ihr Versprechen, sie dem Landgrafen nicht
mitxutheilen.^ Denn auf Grund dieser Aufiseichnung sollte dem
Kaiser Vortrag gehalten werden.*
^ Bbehof GfmnT^le an KGnigin Maria, Halle, 20. Juni 1647, p. 24 meines
* Venetianiaclie Depesebe aas dem Lafrer ror Wtttanbeii^, IS. Mai 1647,
T. D^ n, )68.u*, Anm.
' ,Traj est que ledits denx electenra ont demande asseoiance que je ne
le ferx»T« chastier a sa persone nj en ses bleu« plns avant da contena
aadit trakte, nl aa»i par prison perpetoeUe et eomiM ila ont use
de ee terme ^perpetaelle*, »eloii qne ansi Ui consentirent qa'il
se meist an billet, qne snr oe ili ont denn« pomr ■"en faire relation,
}e m» sois ocmdesoendn . , / Der Kaiser an KSnif Ferdinand, Halle,
U. Joni 1S47 bei Issleib. Die G«£ui|rennakme. 228, Anm. 88.
^ ^ Q lenr Int lors res«pondn qne ponr lenr oonsidentkm Sa Ma^ seroit
eentante » dedairer a part arec enlx snr rvnpmd et qn^ilx regardassent
de mectre par escnpt tant Ins offras qnlU Ckisoient snr lesqoeUes se
drewmit le traictes qoe bi declaration qn^'ils deeirment dndit mgnad,
arec la prwnaaw de ncm en declairer ancnne ckose andit lantgrare,
qne Si Ma« penst de tant plns oortaincMent reoir/ GimnTeUe's
* Vül <«Wm. Anm. S,
139
Hit ihrer ZustimmuDg/ in ihrem Auftrage' und in ihrer
Gegenwart,* also unter ihrer vollen Verantwortung wurde nun,
was sie vorgebracht und zugesagt hatten, aufgezeichnet, rein-
geschrieben und überreicht.^
Dass die Aufzeichnung in deutscher Sprache erfolgte und
nur in dieser am 2. Juni überreicht wurde, kann nicht mehr
bezweifelt werden. Denn dies ist in Briefen des Kaisers und
des Bischofs Granvelle an Königin Maria und an König Fer-
dinand ausdrücklich bezeugt.» Wie erklärt es sich also, dass
von dem Actenstücke auch ein französischer Text vorliegt?
Dieser findet sich als Beilage zu einem Briefe des Kaisers an
König Ferdinand vom 15. Juni.^ Warum wurde diesem nicht
der deutsche Text gesandt? Diese Fragen sind leicht beant-
wortet, wenn wir uns erinnern, dass der Kaiser deutsche
SchriflBtücke nicht lesen konnte, so dass sie ihm immer in
französischer Uebersetzung oder Inhaltsangabe vorgelegt wurden.^
Denn die französische Sprache war ihm am geläufigsten, in
dieser verkehrte er auch mit seinen Geschwistern.
Glücklicherweise besitzen wir den ursprünglichen, also
den deutschen Text der Nebenerklärungen vom 2. Juni in einer
authentischen Abschrift. Diese stammt von der Hand des
biseriichen Secretärs® Paul Pfintzing von Hessenfeld, eines
* Jus consentirent.* S. oben p. 138, Anm. 3 und unten, Anm. 4.
'^Izfeirentd resser vng billet en allemand.* Granyelle*s Darstellung^, 592.
' ,Wie dan solches alles sampt obgeschribnen erpietten in beysein
baider Churfursten ynnd mit derselben be willigung Inn ain lauttere
Verxaichnuss . . . gepracht worden.' Kaiserliche Erklärung auf dem
Reichstage bei Sastrow, ü, 648.
* ,Ung article, lequel ilz presentarent a Sa Ma^ *. Granvelle an Königen
Hiria, Halle, 20. Juni 1547 (p. 22 meiner Programmarbeit). «L'escript . . .
aroit ete donne par eulx.' Der Kaiser an KOnig Ferdinand, 28. Juni 1547
(Dmffel, I, 66). ,Billet, que sur ce ilz ont donne.* S. oben p. 138, Anm. 3.
' ,Donne par eulx et en alleman' ; ,rarticle que eulx avoient conceu en
ilsmand*; ,rarticle en allemand, couche par lesdits electeurs*. Granvelle
iB Königin Maria, 21. Juni; der Kaiser an König Ferdinand, 28. Juni
(p. 27 und 28 meines Programmaufsatzes und Druffel, I, 66). Vgl. oben
p. 137, A. 3.
* Bei Issleib, Die Gefangennahme, 218 f.
' Vgl. oben p. 127, Anm. 2.
* Als solcher erscheint er in den Beichshofrathsprotokollen des Wiener
Staatsarchivs (z. B. V. f. 325, VI. f. 216, XI. f. 105, 111, hier auch Einipes
über diese Familie).
AitUr. LXUIII. Bd. I. H&lfte. 10
140
Nümbergers, der (wahrscheinlich 1570) in Diensten König
Philipp's n. von Spanien verstorben ist^ und wenn nicht schon
154 7y so mindestens bald darauf des Französischen^ und des
Spanischen^ mächtig war. Die Abschrift diente als Beilage
zu Depeschen des Kaisers und des Bischofs Granvelle an
Königin Maria, die stets des Bruders rückhaltloses Vertrauen
genoss. Gleichzeitig erhielt sie auch eine Abschrift der Abbitte
des Landgrafen sowie der darauf verlesenen Antwort des
Kaisers, ebenfalls von Pfintzing's Hand und in deutscher
Sprache. Der Vertrag des Landgrafen ward ihr aber in fran-
zösischer Uebersetzung vorgelegt.* An der Hand dieser Acten
sollte sie sich selbst tiberzeugen, ob der Kaiser zur Verhaftung
des Landgrafen berechtigt gewesen sei.^ Die Zusendung der
Nebenartikel in deutscher Sprache, also in der des Originals,
war damals nothwendig geworden, weil die Fürsten, die den Ver-
trag zustande gebracht hatten, inzwischen gegen die Verhaftung
Einspruch erhoben und ein Missverständniss behauptet hatten.
Die am 2. Juni übergebenen Nebenartikel hatten im Auf-
trage der Fürsten folgende Fassung erhalten:
,Der Landgrave erpeut sich von neuem vnnd vber das
vorgeend, dass er alle seine bevestigungen ausserhalb ainer
als nemlich Cassell oder Ziegenhaim schlaiffen woU.
,Ferner so ist er vrputtich® all sein Geschütz vnnd Muni-
tion der Kay[serlichen] M[ajesta]t zw vberlivern. Doch wurd
er Ir M' bitten, Ime sovill veldgeschutz zw der ainigen b^-
vestigung, die er behalten wurd, zelassen, dass er sich allain
vor ainem bösen Nachpaurn erhalten khund; dan ander damitt
zw beschedigen oder zw vberziehen, sei sein mainung gar nicht.
,Er werd sich auch der Kay [serlichen] M* in genad vnnd
Vngenad frey vnnd one ainiche condition oder anhang ergeben,
^ Piot, Correspondance da cardinal de Granvelle (Brnxelles 1884), V, 38, 39.
* Im Reichshofrathsprotokolle VII des Jahres 1560 ist (f. 429) der Ver-
merk: ,Ex Gallico per Pfintzing*. Vg^l. Poullet et Piot, Ck>rre8pondaDce
de Qranvelle (Bmzelles 1881), III, 412, und Gachard, Correspondance de
Marguerite d'Autriche (Bruxelles 1881), lU, 206f.
* Vgl. Cbantonnay's Bericht vom Kaiserhofe, 19. Febraar 1569 (Documentos
ineditos para la historia de Espana, CUI, 138).
* p. 21, Anm. 4, und p. 28 meines Programmanfsatzes.
* p. 28, ebendas.
* Erbötig.
141
doch so setzen meine genedigste vnnd genedige Herren,
der Churfurst von Brandenburg vnnd Hertzog Moritz von Sachsen
diesem Artickel zw, dass für Ire personen von Nöten sein
mrd, einen verstand von Ir M' zehaben, dass Ime, dem Land-
graven solche ergebung weder zw Leyb straff noch zw
Ewiger* gefencknuss reichen.
^Desgleichen auch, dass Er an seinem Land vnnd Leuten
sie] zur straff nicht mehr verlieren oder Irer M' einreumen
dan in den vorgestelten Artickeln begriffen. Doch wer sonst
gegen Ime desshalben zw sprechen hatt, dass solches dem selben
an seiner gerechtigkhait vnnd rechten vnabpruchig sey; darin
er zw guetlicher oder rechtlicher Handlung Irer M* der selben
Comi^arien oder dem Chamergericht, wie es Ir M*^ vffrichten
wurd, on alles widersprechen volg thuen.
,Das solt gleichwoll der landgraff nit wissen, sonder sich
9chlecht8 vnnd frey ergeben, Aber allain auss dieser vrsach
abo furgenomen werden, damitt hochgedachte Chur- vnnd
farsten Ime solches dest freyer vnnd mitt weniger beschwerd
rfa&ten vnnd Ine darzw pringen mögen.
,Vnnd wa Ir M* an solcher Assecuration vnnd versiche-
nmg nitt ersettiget, so soll Ir M' selbs einen Weg der selben
Versicherung, wie sie zum aller höchsten [sie] möcht gesteh
werden, erdencken, den Ire Chur- vnnd f[urstlichj g[enadenj
dem Landgraven vorhalten vnnd mit Ime daruff handien möchten
sich auch selbs derhalben für den Landgraven verpflichten.'
Wenn wir nicht wtissten, dass die Nebenartikel in deutscher
Sprache überreicht wurden, so würden wir dies nach einer Ver-
gleichung des französischen Textes mit dem deutschen annehmen
müssen.
Dieser enthält das Wort ,Leyb straff. Nach dem da-
maligen Sprachgebrauche bedeutete es auch ohne die Ver-
bindung mit ,ewige gefencknuss' Lebensstrafe,* ,Straf des
^ Die Ansicht, dass «ewiger* in »einiger* verändert worden sei, also eine
Fälschung stattgefanden habe, ist schon vor Auffindung des authentischen
Textes als ,Fabel' bezeichnet worden. Denn auch in den Briefen des
Landgrafen aus der Haft ist nichts gefunden worden, was diesen Ver-
dacht bestätigen konnte. Vgl. p. 13 meiner Programmarbeit.
' Grimm, Deutsches W($rterbuch, VI, 648 f.; Adelung, Grammatikalisch-
kritischeB W($rterbuch der hochdeutschen Mundart (Leipzig 1796), II,
1991 f.; Schmeller, Bayerisches W($rterbuch (Stuttgart und Tübingen
10*
142
Lebens^/ noch deutlicher: ,Leibe8- und Lebensstrafe',* Aus-
drücke, die auch damals vorkommen. Leib (lip) ist eben
noch fllr Leben (hfe) gebraucht. In der Carolina wird unter
jLeibsstraf jede am Leibe vollzogene, also peinliche Strafe,
darum auch die Todesstrafe verstanden.* Daraus erklärt es
sich, dass dort statt des Ausdruckes ,Leibstraff oder ewige
gefencknuss' mit der für den Juristen nöthigen Genauigkeit
,todt oder ewiges gefengknuss' gebraucht wird.* In dem fran-
zösischen Text der Nebenartikel, der als Beilage zu dem
Briefe an König Ferdinand diente, heisst es: ,ne . . . a pain
corporelle^* Nicht viel besser als diese wörtliche Uebersetzung
ist die bezügliche Wendung im Briefe selbst: ,ne le feroye
chastier a sa person[n]e^* Erst in dem Briefe des Bischofs
Granvelle an Königin Maria vom 20. Juni 1547 und in seiner
Darstellung der Verhandlungen vom Juli 1547 sind Wendungen,
die mehr den Sinn als das Wort wiedergeben. Da heisst es:
,ne la chätiroit ne de la vie . . .^' und: ,ne seroit chastie de
la vie^® In diesem Sinne verstanden es auch die vermitteln-
den Fürsten.
Dass der deutsche Text der ursprüngliche, der französi-
sche aber eine Uebersetzung ist, ersieht man auch aus folgenden
Stellen: ,doch so setzen meine genedigste vnnd genedige Herren,
der Churfurst von Brandenburg vnnd Hertzog Moritz von
1827 bis 1837), 1412. Ein Ung^enannter schreibt wenige Tage nach
der Verhaftung des Landgrafen: ,Ist im [dem Landgrafen] geantwort,
das Khay. Mt. haben die Leibstraff, so er woU verdient, in Yolantariam
captivitatem ime zue gnaden kheert*. (Anrede, Datum und Unterschrift
fehlen, der Empfänger ist yielleicht am Hofe König Ferdinands zu suchen.
Wiener Hof bibliothek, Cod. 9363, f. 27).
^ Dieses Wort wird in der Antwort auf die Abbitte des Landgrafen ge-
braucht.
* Dieses gebraucht z. B. Sastrow, n, 665, wo es heisst: ,zur Ebcecution er-
kanter Leibes- und Lebensstraffe*. In der Erzählung von Vogels-
berger's Hinrichtung warnt nach ihm der Nachnchter, Frankreich zu-
zuziehen, ,bei Vermeidung gleicher Leibstraffe* (II, 175).
* «Einführung vorgemelter Leibstraff halben, die nit zum Tod g^procben
werden.* Cap. CXCVH, p. 163.
* Cap. XCI, CXCn (p. 19, 85, 159).
^ Bei Issleib, Die Gefangennahme, 219.
* Ebendas., 228, Anm. 88.
^ p. 22 meiner Programmarbeit.
^ Lanz, Correspondenz, H, 592.
143
Sachsen^ (Absatz 3); ferner: , hochgedachte Chur- vnnd fiirsten'
■ Absatz 5), endlich: ,Ire Chur- vnd jF[ur8tlich] g[enaden] (Ab-
satz 6). In dem französischen Text, der dem Kaiser vorlag,
liest man dafür Folgendes: ,ledit marquis et duc Maurice ad-
jttstent* (Absatz 3) und: ,lesdits princes^ (Absatz 5 und 6).^
Nur einem Kurfürsten und Erzbischof gebühren die
Worte ^gnädigster Herr^, wenn man an oder über ihn schreibt.
«Gnädiger Herr^ wird jeder andere Reichsfürst genannt. Das
geht so weit^ dass selbst Herzog Moriz in einem Briefe an den
Landgrafen vom 12. Juni, wo er schon als Kurfürst unter-
seichnet ist, den Kurfürsten von Brandenburg zweimal seinen
^edigsten Herren^ nennt.* Darum wäre es nicht undenkbar,
daÄ Dr. Seid, der zu den Verhandlungen Qranvelle's mit den
Fürsten ,bisweilen' zugezogen wurde, die Artikel in deren Auf-
trage niedergeschrieben habe. Es ist aber ausdrücklich be-
zeugt, dass die Kurfürsten diese Artikel selbst abgefasst und
selbst in deutscher Sprache übergeben hätten,^ daher muss sie
einer ihrer Räthe in ihrem Auftrage^ und mindestens theilweise
nach ihrem Dictate aufgezeichnet haben. Dies Alles ist von
den Fürsten nie bestritten worden.
Von ihren Erklärungen sollten nur die neuen Anerbietungen
des Landgrafen (,über das vorgeend^) in ,die vorgestelten Ar-
tickel* des Vertrages Aufnahme finden. Der übrige Inhalt der
Nebenartikel sollte geheim bleiben; dies versprachen die Fürsten
mm auch schrifüich. Wenn es im ersten Artikel des Vertrages
hiess, dass der Landgraf ,sich selbst und sein Land' auf Gnade
und Ungnade zu übergeben habe, so wünschten nun die Fürsten
eine Declaration, dass diese Ergebung ,weder zw Leybstraff
noch zw Ewiger gefencknuss raichen' solle. Bevor diese Worte
aof dem überreichten Blatt Papier* aufgezeichnet wurden, müssen
sie entweder von Bischof Qranvelle oder von den E'ürsten selbst
^ Bei iBsleib, Die Gefangennahme, 2 18 f.
* Bommel, Urkundenband, 246 f.
* Jj'asseurance, qne eulx mesmes avoient conceu* — ,leur escript.*
(Brief vom 28. Juni, Druffel, I, 64.) ,ayoient dresse ung article* — »comme
ü« Vayoient couche* — ,que eulx avoient conceu en alemand* — »couche
par lesdits electeun.' Briefe Granvelle's an Königin Maria vom 20. und
21. Juni 1647, p. 22, 23, 27, 28 meiner Programmarbeit. Vgl. oben
p. 189, Anm. 4 und 6.
* Vgl oben, p. 139, Anm. 2.
* ,Ung billet en allemand.* Granyelle's Darstellung, 592-
144
gebraucht worden sein. Aus dem Briefe des Kaisers an seinen
Bruder vom 15. Juni scheint hervorzugehen, dass die Fürsten
diese Worte zuerst gebraucht haben. ^
Warum verlangten die Fürsten eine Zusicherung gegen
Todesstrafe und lebenslängUchesOefängniss? Hatte der gefangene
Sachsenherzog als geächteter ,Rö^ö11' und ,Verletzer kaiserlicher
Hoheit' nach der Auffassung Karls V. den Tod verdient,* so
stand es mit dem Landgrafen nicht besser. Aus denselben
Gründen hatte er dieselbe Schuld zu büssen. Der Sachsen-
herzog wurde zunächst zu lebenslänglicher, dann zu zeitlich
unbestimmter Haft begnadigt. Die vermittelnden Fürsten wollten
also den Landgrafen, der sich als Geächteter auf Gnade und
Ungnade ergab, gegen die Todesstrafe sichern und vor dem-
selben Schicksal bewahren, das Johann Friedrich von Sachsen
getroffen hatte: vor ,ewiger gefencknuss'. Gelang ihnen dies,
so wurde er milder als der Sachsenherzog behandelt. Dieser
war aber noch dadurch gestraft worden, dass er fast die Hälfte
seines Landes verlor. Im ersten Artikel des Vertrages mit
dem Landgrafen sollte es aber heissen : dass dieser, sich selbst
und sein Landt'^ auf Gnade und Ungnade übergeben müsse.
Daher suchten ihn die Fürsten auch vor Landverlust zu sichern.
Im Vertragsentwurfe stand zwar nichts von Landverlust, sondern
nur von Schleifung der Festungen, aber Ergebung auf Gnade
und Ungnade schloss auch Gebietsverlust nicht aus. Erwirkten
sie also eine Zusicherung gegen ewiges Gefängniss und gegen
Landverlust, so stellten sie den Landgrafen in zwei wesent-
lichen Bedingungen viel besser als den gefangenen Bundes-
genossen desselben.
Was that der Kaiser, als ihm die Nebenartikel vorgele^
wurden? Er wendete nichts ein, kein Wort der Vorlage wurde
geändert. Er gab keine andere Antwort, als dass er die Artikel
annehme.* Er nahm sie aber nur in der Absicht an, die er
den Fürsten wiederholt hatte kundgeben lassen, nämlich den
Landgrafen als Bürgen des Vertrages zurückzuhalten, oder wie
* Vgl. oben p. 188, Anm. 3.
« Vgl. oben p. 127 f.
' Bommel, Urkundenband, 249.
* ,L*articl6 . . . le quel eile acorda sinplement [sie], comme ilx VaToient
conche, sans y rien debastre* — ,que Sa Majeste, sans le debattre nj y
faire anlcnne replicqne, avoit accepte.* (Briefe Granyelle*» vom 20. and
145
er am 15. Juni König Ferdinand schrieb: ihn wenigstens eine
Zeitlang in seiner Gewalt zu halten.^
Mit Recht drängt sich nun die Frage auf^ ob den ver-
inittebiden Fürsten während ihrer Verhandlung mit Granvelle
mOndlich die Aussicht eröffnet wurde^ dass der Kaiser den
Landgrafen nach Fussfall und Abbitte völlig freigeben werde.
Auf das Entschiedenste liess der Kaiser auf dem Augsburger
Reichstage am 25. November 1547 erklären: ,Ist ferner der be-
nannten Vngnad halben ainiche weittere verwenung oder Ver-
tröstung, wie dann baiden Churfursten Sachen vnd Brandenburg
one Zweifel noch wol bewust, mit dem wenigsten nit be-
schehen.^* Hätte es der Kaiser wagen können^ die Kurfürsten
Öffentlich in solcher Weise an das Vergangene zu erinnern,
wenn er Grund gehabt hätte, darüber eher zu schweigen? Was
damals öffentlich erklärt wurde, hat Bischof Granvelle schon
am 21. Juni auch der Königin Maria in noch allgemeinerer
Form versichert.»
Erst als sich der Kaiser mit dem Inhalt der von den
Fürsten schriftlich überreichten Erklärungen vom 2. Juni ein-
verstanden erklärt hatte, konnten die darin enthaltenen neuen
Zugeständnisse des Landgrafen bei der endgiltigen Formulirung
des Vertrages berücksichtigt werden, die am 4. Juni vollendet
wurde. Nun wird Dr. Seld's Hilfe unentbehrlich gewesen sein.
Es ist wohl nach dem früher Bemerkten* selbstverständ-
lich, dass die Unterhandlung wieder nur in deutscher Sprache
jefiihrt wurde. Anders verhält es sich, wenn man fragt, in
welcher Sprache die Vertragsartikel abgefasst wurden. Ver-
omthlich geschah dies zuerst sowohl in deutscher als /auch
in lateinischer Sprache. Denn auch 1546 bei Verhandlungen
sächsischer Räthe mit dem Kanzler Granvelle, dem Vater des
Bischofs, wurden Erklärungen zuerst deutsch durch Dr. Fachs
21. Juni an Königin Maria, p. 23, 27.) ,Ledict billet accepte par Sa
Ifa^, Sans y adiouster ny diminuer nne syllabe/ Granvelles Dar-
stellung, 592.
* Je me suis condescendu avec la fin, que yous scavez j'ay tonsionrs tenn :
de s'U estoit poseible, le tenir du moings ponr quelque temps entre mes
maine.* Issleib, Die Gefangennahme, 229, Anm. 88.
* Sastrow, II, 648.
• ,Asseurant Icelle [Votre Ma** ] qu'il n'y a passe anltre chose, quelle qu*el-
le soit, sur qnoy Ton pnisse prandrep] anlcnn fondement* (p. 28).
♦ VgL oben p. 128 f. nnd 186 f.
146
aufgezeichnet und dann durch Dr. Carlowitz ins Lateinische
übersetzt.^ Dieser Gebrauch entsprach auch einer Bestimmung
der Wahlcapitulation des Kaisers Karl V., wodurch sich dieser
verpflichtete, ,in Schrifften fundj Handlungen dess Reichs kein
andre Zungen noch Sprach gebruchen [zu] lassen wann die
Teutsche oder lateinisch Zungen, es wer dann an orthen, do
gemeinlich ein andre Sprach in ubung oder Qebruch stunde*
Für den Kaiser wai* auch eine Aufzeichnung der Vertrags-
artikel in französischer Sprache nöthig.
Der Vertrag erhielt nun folgende Form.* Er wurde mit
der Erklärung eingeleitet, dass der Kaiser auf fieissige Fürbitte
der Fürsten ,vmb Aussonung und Verzeihung der Straff, darein
er umb seiner Ungehorsam und belaidigung willen gegen Ircr
Maiestät verfallen^, ,gnedigst bewilligt und zugelassen' habe,
,das[s] genanter Landgraff auf Condition und Mass vor Irer
Maiestät erscheinen möge^ Von sicherem Geleite ist aber hier
keine Rede. Der erste Artikel bestimmt zwar, dass der Land-
graf ,sich selbst und sein Landt der Kayserlichen Majestät in
gnad vnd vngnad ergeben^ solle, doch heisst es im zweiten
Artikel, dass er sich ,der gnedigsten Verzeihung halben, so Ire
Maiestät Ime thim wirdet, dermassen danckpar erzeigen' werde,
,das[s] Ire Majestet künfftiger Zeit dessen möge ain gnedigist
Benuegen haben'. Dieser Artikel stellt ihm also Verzeihung
in Aussicht.
Das Folgende im Vertrage erinnert an die Aussiger Ar-
tikel, nur wurden diese in eine noch mehr verpflichtende Form
gebracht: der Landgraf solle den Kaiser als seinen ,ober8ten
ainchen Herrn' anerkennen, ,alles, was Ire Majestatt zu guetem
Fride, Rhue und Ainigckeit der Teutschen Nation verordnen
wirdet, völlig und gentzlich volstrecken' (Artikel 3), dem Reichs-
kammergericht gehorchen und ,sein Gepumus'* zur Unterhaltung
^ ,Auff diese beschehene des hem von Granvel mundtlich Ansaigung
Haben wir am Sonnabendt nach Vocem iucanditatis [6. Jani] diese
nacbvorzeichendte antworth erstlich durch Doctoren Facbsen ins Dentzsch
gestellet vnd folgendt dnrch den amptmann Carlewitz ins Latein bracht.'
Ranke, VI, 209.
* Bei Qoldast, Imperatorum Caesarnm . . . statnta et rescripta imperialis
(Francofurti 1713) IV/H, 2.
' Rommel, Urkandenband, 248 f.
* Nicht fOepurensS wie bei Bommel, Urkundenband, 249, steht.
147
desselben ,erlegen^ (Artikel 4). Er müsse auf jede Art von
Eichungen und Pundnussen' für Gegenwart und Zukunft
Terzichten, alle darauf bezüglichen Urkunden^ besonders die
des Schmalkaldischen Bundes ausliefern^ über alle Aufschluss
geben (Artikel 6 und 7) und Herzog Heinrich von Braunschweig
and seinen Sohn freigeben (Artikel 16). Ebenso wurde den
ÄQSsiger Artikeln die Verpflichtung entnommen, dass der Land-
graf den Kaiser nicht hindern, sondern unterstützen müsse,
wenn er gegen irgend Jemand ,StrafiF fürneme' (Artikel 9), und
daas er seine Unterthanen, die Anderen gegen den Kaiser oder
den König gedient hätten oder dienen würden, sogleich abbe-
rufen müsse (Artikel 11).
Die Erlegung der Strafsumme von 150.000 Gulden (Ar-
tikel 12),* die Gestattung von ,Pass und Öffnung' in Hessen,
^ oSte und dicke es Irer Maiestat gefellig' (Artikel 10), war
erst vor Wittenberg gefordert worden.* Ungewiss ist, wann
die Bedingungen gestellt wurden, dass er weder gegen den
dänischen König, noch gegen jemand Anderen wegen der
Haltung im letzten Kriege ,Beschwerung fümemen' dürfe (Ar-
tikel 18), femer, dass er Alles, was er dem deutschen Orden
oder ,8onst yedem Andern unrechtmessiger weyse abgetrungen
and eingenommen^, zurückgeben (Artikel 17) und dass er ,An-
sprüche und Anforderungen^ auf sein Gebiet der Entscheidung
durch ,Commissarien' Ihrer Majestät, beziehungsweise durch
das Reichskammergericht anheimstellen müsse (Artikel 20).
Ebenso wurden die letzten Anerbietungen des Landgrafen
b«Eüglich der Festungen sowie der Artillerie und der Munition
in den Vertrag aufgenommen. Er sollte ,alspaldt alle Bevesti-
gnngen seines Landts ausserhalb Ziegenhain oder Cassell, nach
Irer Majestät wähle, schlaiffen'; der Befehlshaber der einen
ilim überlassenen Festung sollte dagegen für den Kaiser und
auf den Vertrag vereidigt werden (Artikel 13 und 14).
In den Vertrag kamen nun auch die schon in Aussig
von Herzog Moriz vorgeschlagenen Garantien: die Verschreibung
,de8 Adels und aller Unterthanen' von Hessen und die dreier
regierenden Fürsten (Artikel 22 und 23). Diese Fürsten waren:
Herzog Moriz und Kurfürst Joachim, die sich dazu schon in
* Vgl. oben, p. 181.
' Lnleib, Die Gefangennahme, 210.
148
Aussig bereit erklärt hatten/ und der zweite Schwiegersohn
des Landgrafen, Pfakgraf Wolfgang von Zweibrücken. Sie
alle sollten den Landgrafen zur Erfüllung des Vertrages ,zwingeD
helflfen', die Fürsten ,mit allem tem Vermögen und [mit] Heres-
krafft', ,Adel und Unterthanen' sollten ^schuldig sein^, sogar
nach seiner Person zu greiflfen' und ihn dem Kaiser ,zu über-
antworten^, wenn er den Vertrag nicht halte. In den Aussiger
Artikeln war für diesen Fall nur vorgeschlagen worden, dass
die drei regierenden Fürsten und die Landstände sich ver-
pflichten sollten, ,beystendig zu sein, das[s] er zu der Haltung
getrungen werdet* Während aber damals sogar ein Sohn des
Geächteten als Geisel angeboten wurde, setzte man jetzt fest^
dass ,des Landgraven Rindere, so numehr bei Iren JareO)
Ratification diser Abrede in bester und sicherster Formbe ver-
fertigen und sich zu Vollziehung selben verpflichten* sollten
(Artikel 21). Gemeint waren wohl nur die Söhne aus der
Ehe mit Christine von Sachsen: Wilhelm, damals fast flinfzehn-
jährig, femer Ludwig und PhÜipp, von denen der eine nur
zehn, der andere nur sechs Lebensjahre vollendet hatte. Von
der Stellung eines Sohnes als Geisel war. jetzt keine Rede
mehr. Es verdient dies umsomehr hervorgehoben zu werden,
als der Landgraf schon am 6. März 1547 Herzog Moriz gebeten
hatte, dahin zu wirken, dass der Sohn, der als Bürge gegeben
werden müsste, am Hofe König Ferdinands bleibe, und ,dass
auch ein Zeit, Jar, bestimpt wurde, die unnser Sohn an solchem
hove als ein Gissel sein solt; dann für und für daran gisseis weis
zu pleiben, das wolt uns, auch ime, zum schwerlichsten fallen
und hette das ansehen, als wer er gefangen'.*
Alle Bürgschaften des Aussiger Entwurfes mit Ausnahme
dieser letzten wurden also in den endgiltigen Text des Ver-
trages aufgenommen. Nirgend wird behauptet, dass man dies
auf Seite des Kaisers besonders gefordert hätte. In Aussig
setzte Moriz von Sachsen voraus, dass die genannten Garantien
die Bürgschaft des Landgrafen in eigener Person als Geisel
ersetzen könnten. Das hatte aber schon König Ferdinand in
Aussig für zweifelhaft und später im März während seines
Dresdner Aufenthaltes für unmöglich erklärt. Nach der Rück-
^ Rommel, Urkuudenband, 216.
' Ebenda«.
' Ebendas.
149
kehr von Leipzig vor Ende Mai hatte der Herzog die Forde-
rung yemehmen müssen, dass der Landgraf als Bürge zurück-
eehalten werden müsse; selbst das Anerbieten der zwei ver-
mittelnden Ftlrsten, ,mit ihrer eigenen Person' für den Land-
grafen zu haften, war damals abgeschlagen worden.
Als man sich nach der Verhaftung des Landgrafen be-
mähte, Widersprüche zwischen dieser That und den Vertrags-
bestimiDungen zu finden, um zu beweisen, dass die Fürsten
wirklich an keine Haft gedacht hätten, hob man hervor, der
Vertrag enthalte Dinge, die nur für einen freien Fürsten passten.^
Am deutUchsten ist dies allerdings in dem Artikel ausgesprochen,
worin die Unterthanen sich verpflichten sollten, bei Nichter-
füllung des Vertrages nach der Person des Landgrafen zu
greifen und sie dem Kaiser zu überliefern.
Zwischen den Artikeln muss aber wohl unterschieden
werden. Einige konnten allerdings auch von einem Landes-
herm, der sich freiwillig als Geisel stellte, ,alsbald^ oder in
brxer Zeit erfüUt werden, zum Beispiel die Schleifung der
Festimgen, die Erlegung der Strafsumme und die Auslieferung
der Bondesurknnden. Bei anderen konnte erst die ferne Zu-
kunft lehren, ob sie erftdlt würden, so zum Beispiel, wenn es
im Vertrage hiess, er habe allen Anordnungen des Kaisers
m gehorchen, Truppen desselben stets Durchzug, Feinden aber
keinen Aufenthalt in Hessen zu gestatten, die Bestrafung An-
derer durch den Kaiser zu unterstützen, niemals mehr Bündnisse
ZQ seUiessen, das Reichskanmiergericht zu erhalten. Wenn
iläo der Landgraf persönlich für jede Vertragsbestimmung hätte
))tirgen sollen, so hätte er zeitlebens Geisel bleiben müssen.
IWn wäre sein Schicksal nicht besser als das des gefangenen
^^hsenherzogs gewesen. Gerade dagegen hatten ihn aber die
Forsten zu sichern gesucht, indem sie ausdrücklich ,ewiges'
^ftngniss ausgenonmien wissen wollten. Die Fürsten machten
'päter auch geltend, dass im Vertrage von zeitweiliger Haft
keine Rede sei. Man könnte sogar anführen, dass sie dem
Landgrafen in Leipzig erklärt hätten, das Wort ,Ungnade'
stehe hauptsächlich um des herkömmlichen Gebrauches wiUen
ond habe sonst keine Wirkung. Gingen die Fürsten also
^^ungslos in eine Falle? War das damals wirklich ihre
* VgL Druffel, I, p. 681 f.
150
üeberzeugung ? Nach der Antwort, die ihnen der Kaiser auf
die von Leipzig überbrachten Vorschläge gab, hatten sie keinen
AnlasB mehr, das zu glauben. Sie selbst bewiesen, dass sie
nicht in diesem Irrthum befangen waren. Denn weder in den
Forderungen des Kaisers, noch in dem Vertragsentwurfe war
die Kode davon, dass der Landgraf ,an Land and Leuten
zur Straf etwas verlieren solle, und dennoch fanden sie es
nothwendig, gerade auch dagegen eine geheime Nebenver
Sicherung zu erlangen. Sie, die in dieser Frage so vorsichtig
waren, sollten es für überflüssig gehalten haben, sich gegen
zeitweilige Haft vorzusehen, weil davon im Vertrage keine
Rede war?
Warum wählten die Fürsten den Ausdruck: ,weder Leyb-
straff noch Ewige gefencknuss', wenn sie ,weder Leybstraff
noch gefencknuss' meinten? Der Ausdruck ,ewig' wäre dann
nicht nur ganz unnöthig, sondern auch ganz unerklärlich ge-
wesen. Er war aber deswegen gebraucht worden, weil auf
Seite des Kaisers immer an der Bürgschaft des Landgrafen als
Geisel festgehalten und weil diese Forderung auch während
der Verhandlungen vom 2. bis zum 4. Juni durch keine münd-
liche oder schriftliche ,Verwenung oder Vertröstung'* zurück-
genommen worden war.
Nicht blos die angenommene Erklärung der Kurfürsten,
sondern auch der Vertragsentwurf Hess dem Kaiser völlig freie
Hand, entweder auf der Erfüllung seiner Forderungen zu be-
stehen, oder dem Landgrafen die Bürgschaft in Person ganz
zu erlassen. Wie konnten aber die Fürsten später behaupten,
dass sie gar kein Gefängniss gemeint hätten?
Diesen Widerspruch kann wohl nur folgende Erklärung
lösen. Eine Garantie gegen zeitweilige Cautionshaft war
wie von allem Anfange an so auch damals unerreichbar.
Der Kaiser hätte sonst seinen eigenen Aeusserungen wider-
sprechen müssen, die er schon zu einer Zeit gethan hatte, wo
er nicht einmal in Süddeutschland seine Feinde bezwungen
hatte. Was sich von ihm durch keine verbindliche Dedaration
erbitten liess, so mochten die Fürsten denken, das konnte er
schliesslich freiwillig thun. Warum sollte auch Philipp von
Hessen strenger bestraft werden als Ulrich von Württemberg?
* Vgl. oben p. 146
151
Wenn er auch den Kaiser schwerer als dieser beleidigt hatte^
so unterwarf er sich dafür freiwillig. Die Fürsten scheinen
in dieser Erwägung auch durch die Nachrichten bestärkt worden
m sein, die ihnen einen Sieg niederdeutscher Streitkräfte über
kaiserliche Waflfen bei Drakenborg meldeten. Wenn Nach-
richten über diesen Sieg am 2. Juni, wo die Nebenartikel der
Fürsten überreicht wurden, noch bestritten werden konnten,
so lagen die Dinge am Tage des Abschlusses der Verhandlung
ganz anders: der Sieg war eine Thatsache, mit der auf kaiserlicher
Seite ernstlich gerechnet werden musste. Dass der Kaiser trotz
der Veränderung der Gesammtlage keine Grossmuth üben werde,
scheint den Fürsten nicht in den Sinn gekommen zu sein.
Wenn sie im letzten Momente auf die veränderte Lage nicht
hinwiesen, so lag die Rücksicht zu Grunde, dass ein solcher
Hinweis den Kaiser vermuthlich verletzt hätte. Sie dürften
überdies erwogen haben, dass der Kaiser ohnedies Grund habe,
auf sie und ihre Mittlerdienste mehr als früher Rücksicht, zu
nehmen. Sie hatten sich sogar selbst als Geisel angeboten.
Kor weil sie zuversichtUch hofften, dass der Kaiser nach der
Abbitte des Landgrafen auf dessen Zurückhaltung als Geisel
ganz verzichten werde, nahmen sie die Bürgschaften der Aussiger
Artikel in den neuen Vertragsentwurf auf und verstärkten sie.
Denn diese Garantien sollten als Ersatz für die Cautionshaft
des Landgrafen dienen, wenn dieser durch die Grossmuth des
Kaisers frei bleibe.
An demselben Tage, an dem die Verhandlung endete,
ertheilte der Kaiser dem Herzog Moriz öffentlich in Gegen-
wart vieler Zeugen, besonders des Kurfürsten Joachim, münd-
lich die Belehnung mit der sächsischen Kurwürde und ver-
sprach, diese Investitur auf dem nächsten Reichstage feierlich
öl wiederholen.* Nun hatte der junge Fürst das Ziel seines
Ehi^eizes erreicht. Um diesen Preis hatte er viel gewagt.
Nicht nur die Gehässigkeiten des nun bezwungenen sächsischen
Verwandten hatte er erfahren: bei seinen eigenen Unterthanen,
' iQuem [Mauritiam] etiam postmodum Caesarea M^ principem Electorem
Saxonie babendam tenendnm et honorandum publice principibus Electore
marchione Brandenburgen[8e] Joachimo et pluribiis aliis in vigilia Trini-
tatis [4. Juni] declaravit et de eodem electoratu verbo investivit solenniter
in proximis habendis imperialibas comitiis de more investiendum/ Der
Bischof Valentin Teutleben am 11. Juni 1547. Vgl. oben p. 126, Anni. 4.
152
besonders bei denen der neu erworbenen Gebiete, blieb er un-
beliebt.^ In der Ffeude über den Erfolg meinte der junge
Kurfürst auch in der Sache des Landgrafen etwas wagen zu
können.
Er und Kurfürst Joachim wussten genau, dass sich der
Landgraf ohne eine sichere Declaration über die Folgen der
Ergebung auf Gnade und Ungnade nicht unterwerfen werde.
Eine solche hatten sie vorgeschlagen und zugestanden erhalten,
durften sie ihm aber nicht mittheilen. Dieses Versprechen zu
geben und zu halten, war für sie nicht allzuschwer. Denn nie
hätte sich der vorsichtige Landgraf mit dem Wortlaute ,weder
zw Leibstraff noch zw Ewiger gefencknuss' zufrieden gegeben:
er würde auf die Tilgung des Wortes ,ewig^ gedrungen haben.
Schon während der Aussöhnungsverhandlungen vor dem säch-
sischen Feldzuge des Kaisers und während desselben hatte
Herzog Moriz dem Landgrafen über die kaiserlichen Forderungen
nicht die volle Wahrheit bekannt. Erst in Leipzig erfuhr sie
dieser zu seiner schmerzlichen Ueberraschung. Auch als der
Herzog das zweite Mal ohne den Kurfürsten Joachim nach
Leipzig kam (31. Mai), dürfte er seinem Schwiegervater nicht
mitgetheilt haben^ dass der Kaiser verlangt habe, der Land-
graf müsse als Geisel fUr die Erfüllung des Vertrages am
Hofe bleiben. Ebensowenig wird dieser erfahren haben, dass
das Anerbieten der Fürsten, dies für den Landgrafen selbst
thun zu wollen, nicht angenommen worden sei. Hatte sich der
Landgraf schon am 6. März gegen die Stellung eines Sohnes
als Geisel ausgesprochen, und hatte er verlangt, dass die Zeit
solcher Bürgschaft bestimmt werden müsse, um wie viel weniger
wäre er dazu zu bringen gewesen, auf unbestimmte Zeit selbst
als Geisel beim Kaiser zu bleiben!
Da fassten nun die vermittelnden Fürsten einen verhäng-
nissvollen Entschluss von ungeahnten Folgen: am 4. Juni em-
pfahlen sie brieflich die Annahme des Vertrages sammt der
Ergebung auf Gnade und Ungnade. ,Dan wir versprechen
Euer Liebte das dieselbige dardurch vber die Artickel weder
an leib noch Gut mit gefencknuss Bestrickung oder
Seh meierung Ires landes nicht sollen beschwert werden^
vnd damit Euer Liebte unns desto statUcher zugleuben, so
» V. D.. U, 268.10«, 267.no, 267.„5.
153
rerpflichten wirunns mit dieser unnserer SchriflTt, wo Euer
Liebte über solliche articul (wan sich Euer Liebte uf gnad
flimd nngnad stellenn wirdet) einiche beschwerung begeg-
nen wurde — des wir unns keinswegs versehenn — dass
wirunns alsdan uff Euer Liebten kindernn erfordern
personlich wollenn einstellen und das erwarten^ das Euer
Liebte über die Articul auf solliche einstellung wurde auf-
eri^/ Sieht man nlüber zu, so erkennt man, dass die Fürsten
dem Landgrafen nicht den Inhalt der Nebenerklärungen ver-
riethen. Es war aber doch ein Wagniss^ wenn sie in blindem
Vertrauen auf Grossmuth und Milde des Kaisers versprachen,
dass er nicht mit GefUngniss, also auch nicht mit zeitweiUgem,
beschwert werden solle, und wenn sie sich verpflichteten, im
entgegengesetzten Falle sich bei seinen Kindern einzu3tellen,
tun das Gleiche zu erleiden, was ihn wegen ^ des Artikels be-
züglich der Ergebung treffen sollte. Der Schluss des Briefes
zeigt, wie wenig sie irgend eine Garantie fUr ihre Auffassung
besassen; denn da heisst es: ,Und ist hej der Key. Majestät
nichts weiters zu erhaltenn; dan Lre Majestät strack hiruff
berohet^*
An demselben Tage stellten die Fürsten dem Landgrafen
einen Geleitbrief aus, worin es hiess: ,Wir . . . bekennen vnd
tbon kund, dass wir aus sonnderlicher, gnedigster Bewilligung
ond Nachlassung der römischen kayserUchen Majestät, vnsers
allergnedigisten Herren, den Hochgebomnen Fürsten Hern Phi-
lippsenn Landtgraffen zu Hessen ... in Hochgedachter Key.
Majestät feltlager, welchs orts dasselbig zu jeder 2ieit sein oder
uitroffen wurde, zu kommen verschrieben und darzu unser
frey, fhelich' sicher und ungeverlich Gleidt zu unnd ab biss
Widder zu Seiner Liebten gewarsam.'*
^ Die Worte kennen an der betreffenden Stelle wohl nicht gedeutet
«erden: ,wenn er tlber die Artikel hinaus beschwert werden sollte'. Vgl.
Dniffel, I, p. 684, Anm. 4.
* Eommel, Urkondenband , 237 und Reichstagsact^n des Wiener Staats-
archiTB.
' Sutt: TOllig. Bei Bommel (a. a. O., 238) und bei Issleib (Die Gefangen-
nahme, 208) irrig: ,ehrlich'.
* Aehnlich wie hier ist das Wort ,gewarsam* im Sinne von ^sicherer Ort*
im Geleitbrief für Luther am 6. März 1521 gebraucht: ,Haben wir dir
154
War das Geleite im Namen oder mit Zustimmung des
Kaisers gegeben? Wer die Worte genau erwägt, und da^
that gewiss auch der Landgraf, muss glauben, dass der Kaiser
zu diesem Geleit seine Zustimmung gegeben habe. Philipp von
Hessen war im Rechte, wenn er diese Auffassung mit dem
Wortlaute des Geleitbriefes zu begründen suchte.^ Aber nur der
erste Theil dieses die Fürsten so weit verpflichtenden Satzes war
richtig. Der Kaiser hatte nach dem Vertragsentwurfe ,gnedig8t
bewilligt und zugelassen^, dass der Landgraf ,auf Condition
und Mass' vor ihm ,erscheine^* Diese Worte erklären sich
daraus, dass mit dem Landgrafen trotz der Verhandlungen nicht
einmal Waffenstillstand geschlossen worden war. Allerdings
hiess es im Texte ,unser* Geleit. Weil die Fürsten aber einige
Zeilen später schrieben, dieses Geleite solle ihm oder den Seinigen
gehalten werden, und hinzufügten: ,Davon geschieht der Hoch-
gedachten Kay. Maiestat ernst maynung',' so musste der Land-
graf glauben, dass sie vom Kaiser dazu ermächtigt worden seien.
Ohne dass der Kaiser etwas erfahren hätte, verpflichteten
sich die Fürsten. Es fehlte aber damals nicht an einer war-
nenden Stimme. Der sächsische Rath Ebeleben, der Capi-
tulationsentwurf, Brief und Geleite dem Landgrafen zu über-
bringen hatte, rief den beiden Fürsten zu: ,Ir heri'en, ir herren,
ir verpflicht euch viel, sehet, das ir der Sachen gewis seiet.'
Im August 1550 erinnerte Dr. Fachs seinen Herrn, den säch-
sischen Kurfürsten, daran.^
3. Annahme und Abschluss des Vertrages«
Der Landgraf hatte während der Verhandlung Ebeleben's
unverpflichtet bleiben wollen. Daher unterhielt er seine Ver-
herzakommen und von dannen widerumb an dein sicher ^warsam unser
und des Reichs frey, gestrackt Sicherheit und Qeleit geben.* Goldast,
Reichssatsungen (Frankfurt 1712) 244.
^ Vgl. seinen Brief an den Kaiser vom 12. October 1547 bei Lanz, Corre-
spondens, II, 606.
■ Vgl. oben p. 146.
* Rommel, Urkundenband, 288.
♦ ,8o habe ich einmal von Christof von Ebeleben, seliger, gehOrt, das er
EU beiden E. Kf. G. gesagt: „Ir herren . . .** etc. Ob aber solches daselbst [im
155
bindang mit den Führern des niederdeutschen Heeres. Diese
fODSchten, dass er sich mit ihnen vereinige und sich an die
Spitie ihrer Truppen stelle^ beziehungsweise sie in seinen Dienst
nehme.* Am 6. Juni schrieb er ihnen ,in eill*, sie möchten
dlends jemants verstendigs' zu ihm schicken^ mit dem das
Sihere verabredet werden könnte. Unterdessen sollten sie
(b Kriegsvolk ,bey einander* behalten^ nicht ,yerziehen oder
Terhuffen' lassen. ^Brandschatzet und machts wie Ir kennet*^
iieas es in dem Schreiben, ,das sie nit zerlauffen^ Wenn
weh der Kurfürst zu Sachsen (gemeint war Johann Friedrich)
^e Seinigen abfordere und diese abziehen wollten, so mögen
«loch die anderen beisammen bleiben. Nicht blos der gefan-
gne Sachsenherzog, sondern auch Hamburg und andere Städte'
iiitten damals schon ihre Truppen abberufen. Den Truppen-
fehreni fehlte es an Geld. Trotz des Sieges bei Drakenborg
war die Krieg&casse, angeblich mit 60.000 französischen Kronen
und 9000 Thalem gefüllt, in die Hände des kaiserlichen Feld-
krrn Wrisberg gefallen, der durch einen saumseligen Marsch
die Niederlage mitverschuldet hatte. Nach dieser hatte er die
Keste des Heeres, vielleicht doch noch 7000 Mann, bei Alten-
Wg vereinigt.* Wenn aber der Landgraf in demselben Briefe
oittheilte, dass ,Frankreich' zu ihm geschickt und sich erboten
^^, ,mit reutem, Knechten und gelt' zu helfen,* so muss dem
ect^gengehalten werden, was er selbst am 15. Juni an den
^«lÄÖsischen König darüber schrieb.^ Damach erhielt er nur
^e unbestimmte Zusage, und zwar nicht einmal von dem fran-
i^hen Könige selbst sondern von dessen Staatssecretär Se-
l*^^ von Aubespine, Abt von Bassefontaine.
An demselben Tage, an dem der Landgraf den Führern
niederdeutschen Truppen schrieb, erschien bei ihm ein
Liger] im esszelt oder in des von Arras losament vor Wittenberg geredt,
bn ich mich nicht entsinnen.' Dresden, 20. August 1560. Druffel, I,
p.486f.
' V^l. das ,te0tamentarische Verzeichnis* aus der Haft in Donauwörth vom
18. November 1647 bei Bommel, Urkundenband, 264.
'Ebendas.
* V. D., n, 282.1M.
'Roomiel, Urknndenband, 239.
* Jijuki entendn ce qne Christofle Adamstet nous a dit et rapporte de
boaehe, sans toutesfojs nous monstrer lettres de creance de y^ ma^,
suis seullement ung petit mot de lettre de Bassefontaine, et ne pouvant
ifthir. LXXXm. Bd. I. HUft«. 11
156
Ellbote aus dem Lager von Wittenberg mit einem Briefe der
Eurftirsten Joachim imd Moriz. Darin theilten sie ihm mit,
dass Ebeleben nachfolge, und baten ihn, sich mit Niemand
irgendwie einzulassen.^ Wirklich kam Ebeleben noch am
6. Juni und tiberbrachte die oben genannten Schriftstücke. Zn
derselben Zeit empfing der Landgraf die Nachricht, dass sicli
die gesammten niederdeutschen Streitkräfte trennten. So schrieb
er dem französischen Könige am 15. Juni.^ Obwohl er schon
wiederholt bei den niederdeutschen Städten angefragt habe,
hob er damals hervor, was sie zu thun gedächten, habe er gar
keine Antwort empfangen. Von den Käthen des gefangenen
Sachsenherzogs habe er kein Geld erhalten können. Des
Kaisers Heer sei nur wenige Tagmärsche von der Grenze
seines Landes entfernt gewesen, er selbst habe keine Truppen
mehr sammeln können. Viele seiner Nachbarn, ,besonders
einige Bischöfe^ seien schon lange zur Unterstützung des
Kaisers bei einem Zuge gegen Hessen vorbereitet gewesen.
Er habe ftirchten müssen, dass in diesem Falle vielleicht der
grösste Theil seiner Unterthanen wegen ihrer Verbindungen
mit dem Kaiser von ihm abfallen würde. Da auch der König
keine bestimmte Hilfszusage gegeben habe, so sei er gezwungen
gewesen, den Vertrag mit dem Kaiser anzunehmen.'
In der That, was bUeb dem Landgrafen Anderes übrig?
Gerade die norddeutschen Städte, die durch ihren Sieg seine
natürlichen Verbündeten zu werden schienen, waren im Gegen-
sätze zur kriegerischen Stimmung ihrer siegreichen Führer zu
keinen Geldopfem bereit.^ Schon im Januar hatte der Land-
graf geklagt, dass die ,sächsischen' Städte sein Gesuch um
par la pre&dre rien de certain de ce qne votre dite ma** estoit delibere
de faire, qnant a nouB seconrir et eu qnel temps* etc. Lanz, Correspon-
denz, H, 655.
^ Issleib, Die Gefangennahme, 216, 224.
* ,Nou8 eusmes adyis qne toute ceste force de gens et de cheval se rompoit
et sepparoit. Et an mesme instant arriva Tun des conseillers et ministres
dadit duc Maarice, nomme Christofle Debleben . . .* Lanz, Correspon-
denz, n, 654.
' Ebendas. Vgl. damit das ,Testamentarische Verzeichniss' bei Bommel, Ur-
knndenband, 264.
* ,Non re8tar6 anco di dire alla Sublimiti V* che, sl come mi i stato
affirmato, esse terre di marina il mese passato havendo per causa delU
guerra gettata una contributione de 30 mille fiorini, non li hanno potuto
157
Geldhilfe abschlägig beschieden hätten^ und wenn er damals
TDD Frankreich und England sagte, sie hätten viel verheissen
and wenig geleistet, so galt dies auch fUr die folgenden Monate.*
Er besass wenig Geld und hatte auch von Johann Friedrich
dem Mittleren von Sachsen keines bekommen.^
Wenn er jedoch dem französischen Könige gegenüber
behauptete, dass die von Ebeleben überbrachten Bedingungen
ihn nicht verpflichtet hätten, dem Kaiser die hessischen Festun-
gen zu übergeben, femer, dass er nichts von seinem Gebiete
veiüere, und dass er sich auch nicht in die Gewalt des Kaisers
zu überliefern brauche, so erkennt man daraus, wie sehr er
der Verpflichtung der Kurftlrsten vom 4. Juni trauen zu können
ffUabte.' Er unterliess es sogar mitzutheilen, dass er alle seine
Festungen bis auf eine schleifen lassen müsse, weil er die
Hoffnung hegte, dass der Kaiser ihm bezüglich der Festungen
and des Geschützes noch Einiges erlassen werde.
Am 7. Juni schrieb er den vermittelnden Fürsten, er
bbe im unzweifelhaften Vertrauen, das er zu ihnen habe,
.<kmit auch die KeyserUche Majestät sehen mugen, das[s] wir
ihr vertrawen', die Artikel angenommen. SchliessKch versprach
er, vor dem Kaiser zu erscheinen, ,der trostlichen Zuversicht,
dieweill wir vns gegen Keys. Majestät allso undertheniglich vnd
Tertrawlich ertzeigen, Ire Keys. M. werde sich auch der andern
Vestunng halben vnd von wegen des geschütz in allen gnaden
g?gen uns beweisend* Auf einem beigelegten Zettel bat er die
F&rsten, AJles dahiii zu richten, dass ihnen bei der bevor-
stehenden Begegnimg ,des Kaisers endUch Gemüth' bekannt
sei. Bei aller Zuversicht mahnte er also doch zur Vorsicht.^
Die Vorschläge, die der Landgraf zur Aenderung ein-
lelner Bedingungen machte, bezeichnete er als unwesentlich.
acodere, per il che parlavano di concorrere per ravenire in loco di denari
con gente da gaerra ciascaduna per la rata sua. Questo fa credere che
quelle citti si attrovino hora in molta confusione et che la sua lega
babbi da durar poco.' (In Chiffren.) Mocenigo, Bitterfeld, 9. Juni 1547.
V. D., n, 281.,M.
> Bommel, Urknndenband, 174, 180, 194, 208.
' yTestamentariaches YerzeichnissS a. a. O., 264; Brief des Landgrafen an
den französischen König vom 15. Juni, Lanz, Correspondenz, II, 653 f.
' Brief Tom 16. Juni, a. a. O.
* Bommel, Urknndenband, 240 f.
' Isileib, Die Gefangennahme, 225.
11*
158
Wenn man aber näher zusieht, so war dies fllr alle Vorschlägj
doch nicht giltig. Das Verzeichnisse derselben, das der säcfa
sische Rath Ebeleben seinem Herrn am 9. Juni in Leipzii
übergab,* enthielt die Bitte, die Fürsten möchten ihm eilen!
eine Copie ihrer Verpflichtung bezüglich der Anerkennung eine
Concils zusenden. Diese Verpflichtung hatte Herzog Moriz ao
19. Juni 1546* und Kurfllrst Joachim am 1. Jum' 1547* aus
gestellt. Gegen den Schluss des Verzeichnisses heisst es, sc
bald ihm bekanntgegeben werde, wann und wohin er kommei
solle, wolle er ,vff Irer chur- vnnd fürstlich gnaden Schreiber
zugeschickt geleith vnnd Versicherung komen^ In einer Nacl
Schrift stand: wenn er auf Bickenbach, lugenheim und See
heim, deren Werth er auf 30.000 Gulden angibt, verzichte]
müsse, so sei das der ,Schrifft', die ihm von den Fürsten g€
geben worden, ,gestracks zuwider; dan[n] die pringet mit, da
sein fürstlich gnaden an Iren landenn etc. kein abbruch bc
schehen solle'.* Diese Güter waren von den kaiserlichen Feld
herren Gruningen und Wrisberg eingenommen worden.*
Man ersieht aus diesen Aeusserungen, welch' grosses G(
wicht der Landgraf auf die ihm übersandte ,Versicherung* de
Fürsten legte. Auf Grund derselben Verpflichtung, aber ohn
sich darauf zu berufen, wagte er in das genannte Verzeichnis
auch das Verlangen aufzunehmen, dass er durch einen vo
dem Kaiser besiegelten Sühnebrief von der Acht absolvirt un
in seinen ,vorigenn stand genntzUch restituirt vnnd gesetzt werde
und dass er nicht länger als ,funf oder sechs oder acht Ta
aufgehalten' werde. Denn da in der Verpflichtung der Fürste
das Wort ,ewig' vor ,GefUngniss' fehlte, glaubte er sich davc
gänzlich bewahrt.
Nachdem Eurftirst Moriz Ebeleben's Bericht vemomme
hatte, verliess er mit ihm Leipzig und erreichte das kaise
hche Hoflager noch am 10. Juni in Halle an der Saale.' Ai
Morgen des folgenden Tages sprach er dann sowohl mit Bische
^ Rommel, 240 f.
* Issleib, 225 f.
* Vgl. V. D., I, 600.14B, Anm. 2.
* Druflfel, I, 69.
^ Rommel, 244.
* Ebendas., 245.
' Issleib, Die Qefangennahme, 226.
159
Granvelle als mit seinem ,Freunde*, wie er ihn nannte,^ dem Herzog
von Alba, über die von dem Landgrafen gewünschten Aenderun-
ffen, beziehungsweise Erklärungen der Vertragsartikel. Die Ver-
bttdlung war schon ,im besten' Gange, als ihm zwei kur-
hnndenburgische Räthe die baldige Ankunft ihres Herrn
meldeten. Im Namen desselben nahm dann auch der Kanzler
Dr. Christoph ,von der Strassen' an den Berathungen theil.*
Aach Ebeleben dürfte im Namen seines Herrn, des Kurftlrsten
Horiz, mit Granvelle verhandelt haben.*
Von den Erklärungen des Landgrafen sind leider nur
teasische Copien auf uns gekommen.* Wir vermissen aber
nne Abschrift dessen, was davon Kurftirst Moriz Granvelle
schriftlich vorlegte.^ Das Natürliche wäre wohl gewesen, die
Aufxeichnnng des Landgrafen einfach dem Bischof vorzulegen.
Das scheint aber nicht geschehen zu sein. Einiges dürfte nicht
ZOT Eenntniss des Bischofs gelangt sein. Besonders die Nach-
schiifi wird gefehlt haben, da sich der Landgraf darin aus-
i^klich auf die Versicherung der Fürsten vom 4. Juni be-
mjl Granvelle hätte daraus Verdacht schöpfen können, dass
»üe Fürsten sich einer Lidiscretion und darum des Wortbruches
^'huldig gemacht hätten; denn sie hatten sogar schriftlich ver-
sprochen, geheimzuhalten, wie weit die Ungnade reiche. Auch
<ier Passus, wo der Landgraf versprach, auf das zugeschickte
Gtleit und die Versicherung hin zu kommen, Hess wegen des
Wortes jVersicherung' eine Lidiscretion ahnen. Darum kann
nicht behauptet werden, dass er schriftHch vorgelegt worden sei.
Die kaiserliche Resolution^ wurde schon am IL Juni
übergeben.^ Darin hiess es zwar, der Kaiser sei ,auf ge-
^ Brief an den Landgrafen, Halle, 12. Juni 1547 bei Rommel, 246.
* Ebenda«, und Issleib, 226.
' iQuiri heil venne un huomo mandato da lanthg^ayio, con il quäle essendo
stato monsignor di Aras assai longamente con li capitoli in mano, and6
all' Imperatore, et dapoi che usci da Sua M^, si ö detto per certo
che Taccordo i concluso.' Mocenigo, Halle, 12. Juni 1647. V. D., II,
J83.JJ,.
* Wiener StaatBarchiv, Belchstagsacten.
' J>et Lantgraven etlicher Artikel der Capitnlation gebetene Declaration,
welche dem Bischof von Arras schriftlich zngestaldt.* Werbung
der Karfürsten yom 12. September 1551 bei Lanz, Staatspapiere, 487.
' Bommel, Urkundenband, 244 f.
^ Vgl. oben Anm. 8.
160
schehene Vorbit zufrieden*, dass dem Landgrafen Bickenbach,
lugenheim und Seeheim verbleibe. Das beweist nicht, dass
die Fürbitte schriftlich vorgelegt worden sei. Denn auch be-
züglich der Festungen und des Geschützes wurde von den
Kurftirsten Fürbitte eingelegt, ohne dass davon in dem ge-
nannten Verzeichnisse die Rede gewesen wäre.
Was nun die Bitte des Landgrafen betriflFt, die Sachen
dahin zu befördern, dass er nicht über acht Tage ,aufgehalten'
werde, so war sie eigentlich nur an die vermittelnden Fürsten
gerichtet. 1551 behaupteten diese in einer Instruction, die sie
ihren Beauftragten beim Kaiser ertheilten, Granvelle habe von
diesem Wunsche durch die schriftUch zugestellte Bitte um De-
claration etlicher Artikel der Capitulation erfahren.^ Dieser
Wunsch sei nicht abgeschlagen* worden, oder wie es in einem
Entwurf hiess, den Eurftirst Joachim verfassen Uess: Ihre Maje-
stät habe diesen Artikel ,passiren lassend' Der Eurftirst von
Brandenburg war während der damaligen Verhandlungen noch
nicht in Halle. Was nun unter ,passiren lassen^ und ,nicht
abschlagen^ zu verstehen ist, zeigt die kaiserliche Resolution:
sie übergeht diese Bitte des Landgrafen mit Stillschweigen.
Daraus kann aber unmöglich Zustimmung und Annahme ge-
folgert werden. Denn bei einer Vergleichung der dreizehn
Punkte des überreichten Verzeichnisses mit den Artikeln der
kaiserlichen Resolution ei^bt sich, dass der Landgraf noch auf
zwei andere Bitten (Artikel 3 und 11)* keine Antwort erhielt,
und gerade diese Wünsche wurden abgelehnt. Der eine be-
traf ,Pass und Ofinung' durch sein Land und seine Festungen;
hier sollten^ die Worte hinzugesetzt werden: ,da8[s] doch die-
selbe wider sein ftirstUch gnaden nicht gebraucht vnd in alwege
dennselbenn vnnd den Iren vnschedlich.'* Der andere betraf
die Ratification der Vertrages durch seine Söhne: er halte dies
wegen ihrer Minderjährigkeit ftir unnöthig; wenn es dennoch
' y^l. oben p. 169, Anin. 5.
* »Welche inen dan nicht abgeschlagen worden, daraaffwiranchxnminehrern
-theil resolntion bekommen haben.* Lans, Staatspapiere, 4^7.
* Draffel, I, p. 654.
« Rommel, 241, 243.
^ In der Schlussredaction des Vertrages hiess es nur: ,Doch das[s] sein
lind seiner Unterthanen Schaden so vil ymmer möglich Terhnet werde/
Rommel, 260.
161
Döthig sei, solle es geschehen. Die Sache wird scheinbar be-
denklicher, wenn man erwägt, dass auch Kurftirst Moriz in
seinen Briefen an den Landgrafen, die er am 11. und am 12.
Joni^ Yor und nach Empfang der kaiserlichen Resolution ab-
sandte, mit keinem Worte der Forderung, nicht länger als
höchstens acht Tage aufgehalten zu werden, Erwähnung thut.
Eine günstige mündliche Antwort Granvelle's oder Alba's würde
er gewiss mitgetheilt haben. Nie haben sich die Fürsten
später auf eine solche berufen. Wir werden uns bald davon
aberzeugen,* dass Granvelle am 11. Juni nicht wusste, dass
ach die Kurfürsten dem Landgrafen gegenüber zu mehr ver-
pflichtet hatten, als sie nach den von ihnen selbst verfassten und
vom Kaiser bewilligten geheimen Nebenartikeln hätten thim dürfen.
Wain er daher am 11. Juni Gelegenheit erhielt, zu erfahren,
dass der Landgraf nicht länger als höchstens acht Tage auf>
gehalten zu werden wünsche, so muss er sich darüber ver-
wundert haben, dass der Landgraf Derartiges erwarten konnte.
Wenn er nun im Namen des Kaisers erklärt hätte: ,Dieser
Wunsch des Landgrafen wird erfüllt', so hätte der Artikel der
Ergebung auf Gnade und Ungnade gar keinen Sinn mehr
gehabt, weil der Landgraf dann mehr als die KurfUrsten selbst
durchgesetzt hätte. Diese hatten ihn bei dem Kaiser nur vor
ewiger gefencknuss' sichern können, obwohl sie selbst wahr-
ächeinhch hofften, dass der Kaiser auf jedes Gefängniss ver-
achten werde.
Wenn daher Granvelle bei den mündUchen Verhandlungen
Diit Kurftirst Moriz überhaupt Gelegenheit zu einer Aeusserung
fc den genannten Wunsch des Landgrafen erhielt, so
^ er diese Forderung als dem Vertrage und den Neben-
*rtikehi zuwiderlaufend abgelehnt haben. So wird es begreif-
'ich, warum der Kurfürst Moriz seinem Schwiegervater gegenüber
der Sache mit keinem Worte gedachte. Eine nicht völhg be-
friedigende Mittheilung hätte den Landgrafen vielleicht wieder
'oischlüssig gemacht und sein Vertrauen in die Versicherung
der Kurflirsten vom 4. Juni erschüttert.
Der Landgraf suchte sich durch das Verlangen nach einem
^ühnebrief über sein Schicksal zu vergewissern. Dadurch
^oDte er ,von der acht absolvirt^ und in seinen ,vorigen stand
' Weib, 226. a Bommel, 242.
162
genntzlich restituirt und gesetzt^ werden.^ Wäre diese Fassung
bewilligt worden, so hätte damit jede Art von Haft im Wider-
spruch gestanden. Der Kaiser entschied auch hierüber, aber
nur ^ausserhalb der Artikel' und nicht in der gewünschten
Form. Denn in seiner Resolution hiess es, er wolle ihn ,nach
beschehener Abbitt Yon der ausgekundigten Acht entbinden vnnd
einen vnderschriebenen vnnd besiegelten Sunebrieff vber alle
Hanndlung verferttigen vnd Ime zustellen lassenn^ Gerade die
entscheidenden Worte, nämlich die gänzliche Restituinmg in
seinen vorigen Stand, wurden gestrichen. Dieses Verlangen
wiederholte daher der Landgraf in seiner Abbitte am 19. Juni.^
Die Resolution enthielt auch eine Antwort auf die Bitte
des Kurflirsten Moriz um MÜderung derjenigen Artikel, welche
die Festungen und die Artillerie betrafen. Diese Bitte war nur in
dem Briefe des Landgrafen an den Kurflirsten enthalten. Aber
die Antwort des Bischofs Granvelle lautete ablehnend, ,dieweil
man bei Irer Majestät disser Zeit aus Vrsachenn, so dem
Kurfürsten vonn Sachssen angezeigt worden, weiter mit fiig
nicht woll anhaltenn mag^' Aehnlich könnte auch die Antwort
gelautet haben, die Granvelle auf die Bitte, den Landgrafen
nicht länger als acht Tage aufzuhalten, eventuell ertheilen
musste. Damit hingen also die ,Bedenklichkeiten' des Bischofs
zusammen, von denen Kurfürst Moriz dem Landgrafen am
11. Juni schrieb! Wegen derselben, hiess es in dem Briefe,
werde vor der Demüthigung schwerUch irgendwelche Er-
leichterung hinsichtlich der Festungen, der Geschütze und der
Strafsumme zu erlangen sein. Man habe gehofft, dass er mit
Ebeleben gleich eintreffen werde. Durch solche beherzte An-
kunft hätte man beim Kaiser gewiss mehr erreicht. Weil der
Schwiegervater fem bleibe, errege er Misstrauen. Das Beste
sei, so schnell als möglich zum Kaiser zu kommen. Li einem
beigelegten Zettel wurde der Landgraf ermahnt, 10.000 Kronen
für den Bischof Ghranvelle mitzubringen, weil sie nach erfolgter
Abbitte hoffentUch etwas wirken würden. Sie sollten nicht
eher gegeben werden, als bis man sehe, was sie Gutes schaffen
könnten.* Meinte der Kurfürst durch eine solche ,Verehrung',
1 Bommel, 242.
* In mehreren Abschriften in den Reichstagsacten des Wiener Staatsarchivs.
* Rommel, 245.
* Issleib, 226.
163
will sagen Bestechung) auch die Freiheit des Landgrafen zu
erlangen? Wie unterschätzte er doch den Einfluss des jungen
Bischofs auf den Kaiser^ der schon seit so vielen Jahren ge-
wohnt mrar^ seine eigenen Wege zu gehen!
I>as Resultat der Verhandlungen des Kurfürsten am
11. Juni war also^ dass bezüglich der persönlichen Freiheit und
der Festungen des Landgrafen keine grösseren Zugeständnisse
als die vom 4. Juni erlangt wurden. Da sich aber der Kur-
fürst dem Schwiegervater gegenüber schon so weit verpflichtet
hatte, so glaubte er auch diesmal nicht anders handeln zu
sollen, als ihn zu ermahnen^ unverzüglich nach Halle aufzu-
brechen, und zwar ,auff das gleit vnd [die] Verpflichtung^ vom
4. Jnni hin.
Mit dieser Mittheilung ^ und mit dem Bescheid des Kaisers
eihe Sbeleben schon am Morgen des 12. Juni^ von Halle zu
dem Landgrafen.
Wenn auch die Verhandlungen des Landgrafen halber
theflweise geheim gehalten wurden, so gab es doch am Kaiser-
hofe Leute, die es aussprachen, dass dem Landgrafen nach
der Abbitte Haft bevorstehe. Wir besitzen dafUr das Zeugniss
des Hildesheimer Bischofs Valentin von TeuÜeben. Er befand
sich ivährend des Krieges meist im Lager des Kaisers und
wurde im Juni 1547 in sein Bisthum wieder eingesetzt Am
11. Juni schrieb er in Halle mit eigener Hand Folgendes: ,Von
Vielen wird geglaubt, der Landgraf von Hessen werde bald
die Gefangenschaft des Sachsenherzogs theilen, obwohl es auch
nicht an Solchen fehlt, die meinen, er werde bald sogar Erbarmen
und Gnade bei Seiner Majestät finden, wie er denn [selbst]
von seiner Ankunft viel [Gutes] erwartet.'* Diese Worte lassen
> Bommel, 246 f.
' ^i intende che U Dnca Mauritio 11 ha espedito qaesta mattina un cor-
riero che U venga a Sua M^. Mocenigo, Halle, 12. Juni 1547. V. D.,
' ,PriTatiiB dnx Saxoniae . . . (vgl. oben p. 128, Anm. 3) landgravium
Haflsie, ut multi opinantar, brevi sue captivitatis sotiam et collegam
hatritaroB. Et hactenus statum belli in hone usque diem habet. [Bei
Bocholts, IX, 421, veretümmelt: bellici saccessos dncem habet.] Licet,
noa desint, qui patent landgrayinm Hassie brevi etiam in g^atiam Ce-
otreae M^ recipiendom, si venerit misericordiam et veniam petitams,
pront [bei Bucholts irrig: propria] de adventu suo ad hoc oppidum Hal-
lensiiim multa opinatnr' [bei Bncholtz irrig: dicuntnr].
164
erkennen^ dass die Absicht, den Landgrafen zurlickzulialten^
nicht ängstlich geheim gehalten wurde, wie es hätte geschehen
müssen, wenn man geplant hätte, sich seiner durch Täuschung
des Kurfürsten Moriz zu bemächtigen.
Der Kaiser bUeb in Halle, um die Ankunft des Land-
grafen abzuwarten. Am 12.,^ 14.,* 15.* und am 17.* Juni
drückte er in Briefen an König Ferdinand und an Königin
Maria seinen Zweifel aus, ob der Landgraf konmien werde.
Denn er besorgte, wie er selbst gesteht, dass der Landgraf
die ganze Verhandlung rückgängig machen könnte, wenn er,
der Kaiser, Halle verlasse. Er bezeichnete seinen Gegner als
unbeständig. Zugleich war er wegen des böhmischen Auf-
standes in Sorgen.* Durch sein Verweilen in Halle glaubte er
auch die niederdeutschen Städte, von denen einige schon Miene
zur Unterwerfting machten und ihre Truppen entlassen hatten,
in ihrer Absicht zu bestärken.^ Wie es scheint, konnte er es
kaum glauben, dass der Landgraf die ihm so widerwärtige und
gefUhrliche Bedingung der Ergebung auf Gnade und Ungnade
am Ende doch annehmen werde. Denn er hatte keine Ahnung,
wie weit sich inzwischen die KurfUrsten dem Landgrafen gegen-
über verpflichtet hatten.
' jComme ledit lantg^aff est variable et inconstant, je ne rae puis assheurer
de ce qu'il traicte qae je n*en voye Teffect. Pourtant deltbere je de me
tenir icj jusques a sa venue . . .* An König Ferdinand. Lans, Cor-
respondenz, II, 582 f.
* ,Sejonme sa majeste ici expressement a cest effect Et toutesfois, jusqnes
je le Tois, n*en yeulx plus avant asshearer votredite majeste/ Bave an
Königin Maria, ebendas., 584.
' ,Le lantgrave de Hessen se doibt tronver icj deans deux ou trois jours
s'il ne se retire de ce que ledit electeur de Saxen et celluj de Bran-
dembnrg ont traicte pour luy/ An König Ferdinand. Issleib, Die Ge-
fangennahme, 228, Anm. 88.
* Eine deatsche Inhaltsangabe bei Dmffel, I, 59.
^ Brief an König Ferdinand vom 12. Juni bei Lanz, II, 583.
* ,Poartant delibere je de me tenir icy jusques a sa venue, 8*il ne survient
aultre chose, tant pour donner chaleur a la reddicion des viUes, dont
aulcunes fönt demonstracion de vouloir venir, que pour non faire re-
tirer ledit lantgraff de [bei Lanz irrig : et] ladite practique, s'il me veoit
prandre aultre chemin, pensant par ce avoir echappe le dange.* Der
Kaiser an König Ferdinand, 12. Juni 1547, Lanz, II, 588. Vgl den
Brief vom 17. Juni bei Druffel, I, 69.
165
Nachdem König Ferdinand den Brief des Kaisers vom
12. Joni erhalten hatte^ antwortete er am 15. in Leitmeritz: er
zweifle nicht^ dass der Kaiser den Vertrag so habe abfassen
lassen, dass man von dem Landgrafen ftir die Zukunft volle
ächerheit besitze.^ Also auch der König hielt hier grosse
Vorsicht fllr geboten. An demselben Tage, an welchem der
KSnig seinem Bruder schrieb, theilte ihm dieser Folgendes mit:
Der Landgraf müsse binnen zwei oder drei Tagen kommen,
wenn er sich nicht dem, was die Kurfürsten von Sachsen und
Brandenburg für ihn verhandelt hätten, entziehe.* Man sei
Dämlich unter Anderem übereingekommen, dass der Landgraf
sich einfach und bedingungslos auf Gnade und Ungnade er-
geben solle, wie der König aus der mitgesandten Copie des
Artikels ersehen werde. Allerdings hätten die beiden Kurfürsten
eine Versicherung verlangt, dass er weder an Leib noch Gut über
den Inhalt der Vertragsartikel hinaus, noch auch durch ,ewiges
6e&ngniss^ gestraft werde,' und da sie sich dieses Ausdruckes
jCwig* bedient und demgemäss ihn auch schriftlich so vorgelegt
hätten, so habe er sich dazu herbeigelassen,* in der Absicht,
die er, wie der Bruder wisse, immer gehabt habe, nämlich den
Landgrafen wenigstens einige Zeit in seiner Gewalt zu haben,
Qod habe sich entschlossen, wenn er komme, um sich zu er-
geben, ihn als Gefangenen zurückzuhalten.^ Dadurch könnten
sich die Kurftirsten nicht verletzt fühlen, da er der Versiche-
nmg nicht zuwiderhandeln würde, die er ihnen gegeben habe,
worin von Geftlngniss mit dem Zusätze ,ewig' die Rede sei.
Dennoch wünsche er des Königs Meinung darüber zu hören,
ebenso über die Dauer der Haft. In dieser Hinsicht habe er
* ,Ne doubtant que V. Ma*« aura fait dresser le traicte tellement que Ton
pourra prendre bonne asseurance en son endroit pour Tadvenir.* Wiener
Staatsarchiv, Gopialbuch, 683.].
' V^l. oben, p. 164, Anm. 3.
' Vgl. oben, p. 138, Anm. 8.
* Vgl. oben, p. 140 f.
* Vgl. oben, p. 145, Anm. 1. ,Je me suis condescendn avec la fin . . . de,
s'il estoit possible, le tenir da moings ponr qnelqne temps entre mes
mains, me deliberant de, quant il se viendra rendre, le faire retenir
prisonnier.' Die Worte: ,Obgleich er selbst sein Vorhaben erwäge,
Philipp nach der Ergebung gefangennehmen zu lassen ... so wünsche
er doch des Königs Meinung zu yemehmenS entstellen den Sinn. Iss-
leib, 228 f., Anm. 88.
166
schon daran gedacht^ ob es gut wäre^ zu sagen, sie solle dauern,
bis dass er, der Kaiser, sehe, welchen Verlauf die Angelegen-
heiten Deutschlands nehmen würden; denn dann stünde es bei
ihm, die Zeit genauer zu bestimmen, sei es bis zum Ende des
Reichstages, oder sei es bis zu seiner Rückkehr nach Deutsch-
land. Dann wünschte der Kaiser auch über die Art der Haft
des Königs Meinung zu vernehmen. Hiebei sei zu berück-
sichtigen, schrieb er, dass freiere Haft schwieriger sei, grössere
Strenge aber die Kurftlrsten etwas verletzen und den Land-
grafen zur Verzweiflung bringen könnte, so dass er, wenn er
aus der Haft entlassen und er, der Kaiser, von Deutschland
abwesend sei, mögUchst viel Unheil anstiften könnte, dem Ur-
theil gemäss, das man von seiner guten Gesinnung haben kann.^
Wenn auch der Kaiser davon überzeugt war, dass er
kraft der Nebenversicherung berechtigt sei, den Landgrafen
gefangen zu halten, so wünschte er doch des Königs Gutachten
über Art und Dauer der Haft. Es sei daran erinnert, dass die
Haft ursprünghch nicht als Strafe sondern zur Bürgschaft ftir
den Vertrag und für die Ruhe Deutschlands gedacht war. Der
Kaiser musste auf die Kurfürsten Rücksicht nehmen, die als
nahe Verwandte des Landgrafen sich so sehr um dessen
Aussöhnung mit ihm bemüht und während des Eoieges solche
Dienste geleistet hatten, dass sie beide Anspruch auf Dank
hatten. Ausserdem hatten sie beide die Anerkennung des Con-
cils versprochen, und ihre Hilfe schien bei der Ordnung der
religiösen Angelegenheit auf dem Reichstage unentbehrlich.
Zudem wurden sie von König Ferdinand gerade in jenen Tagen
inständig um eilige Hilfe gegen den noch unbewältigten böh-
mischen Aufstand gebeten.^ Der Kaiser verschob damals eine
^ Der Text (bei Issleib) muss lauten: ,Toateffois snr cecy youldroje je bien
avoir votre advls et aassi sc^voir le temps, pour le quel il yous sein-
blera je me debvroye resouldre de le tenir prisonnier, sur qnoy j'&voye
pense s'il seroit bien de dire que ce fat pour jusques je puisse veoir
quel chemin les affaires de la Germanie prendront; car apres il seroit
en ma main de le definir [Handschr.: desiner; Issleib: delivrer] pre-
cisement, [bei Issleib folg^ irrigerweise: ,et ce(pendant^)] ,f(^t ^Jusques au
boult de la diette", ou „jusques a mon retour en la Gtormanie". Aussi
desireroye je bien avoir votre advis sur la forme de la prison* etc.
* ,yeant Tinstance, que faictes par voz lettres ausdits electeurs de Saxen
et Brandembourg, pour avoir leur secours/ Der Kaiser an KOnig Fer-
167
&mahiiaiig an eine böhmische Gesandtschaft, die bei ihm er-
schienen war, ,damit diese den Landgrafen sehen könne, und
dann selbst über das, was geschehen werde, daheim Bericht
erstatten könne*. ^
Schon am 17. Juni beantwortete der König den Brief des
Kaisers vom 15. Juni. ,Es wäre wirklich gut,' schrieb er,
,wenn man den Landgrafen zur Annahme des Artikels über
die Ergebung bringen könnte; ich glaube aber, dass er es
nicht gerne thun werde, besonders was irgend welche Haft
betrifit. Wenn man sie nicht erlangen könnte, so scheint
mir, dass Eure Majestät ihm lieber -die Haft erlassen sollte,
als mit ihm deswegen zum Bruche zu kommen, wenn er auch
60 lange in guter Bewachung gehalten wird, bis er den Vertrag
bezüglich der Festungen, der Geldsumme, der Artillerie und
dergleichen erflillt hat. Wenn man, was das Uebrige betrifft,
gute Büi^chaft und Sicherstellung von ihm und ebenso von
seinen Bürgen das Versprechen erlangen könnte, dass er ver-
halten sei, bei jedesmaUger Ladung vor Eurer Majestät zu er-
scheinen, so scheint mir dies das am meisten Entsprechende
zu sein/ Auf diese Weise, fligt der König hinzu, würde der
Landgraf immer wie ein Gefangener sein, den Kurfiirsten
würde kern Anlass zu Groll und dem Landgrafen keiner zu
Verrweiflung gegeben werden. SchUesslich stellte er doch Alles
dem Kaiser anheim. Gleichzeitig gab er den Rath, den Sach-
senherzog nach Tirol oder Spanien zu senden, um von der
Sorge wegen seiner Bewachung befreit zu sein.*
dioand, 12. Juni 1547 bei Lanz, 11, 683. In dem schon citlrten Schreiben
des Kaisers Tom 15. Juni heisst es: »J^aj entendu par le duc Mauritz de
Saxen electeur la haste, qne yous luj donnez, ponr, suyvant la capi-
tnlation, qa*il a avec yous, vous enYojer gens, ponr voos assister au
coostel de 'Boheme et m*a dite Pespoir que yous aYez de ce moyen tost
acheYer et bien yoz afifaires en ce constel la (Wien, StaatsarchiY, Co-
pialbuch, 682.t).
' ,Et desideroje bien, si ledit landgpraf Yient, ils le Yojent, afin qne lors
partissent, poor donner enlx mesmes relation en ce coostel la de ce que
paasera.* Der Kaiser an König Ferdinand am 17. Juni (Dmffel, I, 60).
Die Antwort an die Böhmen bei Dmffel, I, 60.
* Der französische Text bei Issleib, 230, Anm. 89 und bei Bucholtz, IX,
428. Issleib hat einige sehr sinnstörende Interpunctionsfehler übersehen.
Dies ergibt sich ans der Vergleichung des Textes mit dem Copialbuch
und mit dem Briefe des Königs Yom 14. Juli (Bucholtz, IX, 433), wo
168
Als der Kaiser diesen Brief am Tage des Fussfalles des
Landgrafen erhielt, vermisste er darin eine entschiedene Ant-
wort darüber, ob man den Landgrafen zoröckhalten solle oder
nicht^ König Ferdinand gestand am 14. Joli diesen Mangel
selbst zUy begründete ihn aber damit, dass die Sache zu wichtig
sei, und dass er bei den letzten Verhandlungen mit den Kor-
ftirsten abwesend gewesen sei.* Er schwankte zwischen seiner
Ueberzeugung und der Rücksicht, die er auf seine treuen
Helfer und Nachbarn zu nehmen hatte. Der Kaiser konnte
aus der Antwort seines Bruders den Wunsch erkennen, dass
der Landgraf bis zur Erfüllung einiger Artikel des Vertrages
als Geisel am Hofe bleibe, also nicht in Strafhaft. Da die
Strafsumme in zwei Zielen, spätestens aber in dreieinhalb
Monaten ganz erlegt sein musste,^ so hätte der Landgraf min-
destens eine Reihe von Wochen am Hofe bleiben müssen, auch
wenn König Ferdinands Wunsch erfüllt worden wäre.
Am 17. Juni erhielt der Kaiser zuerst sichere Kunde,
dass der Landgraf auf dem Wege nach Halle sei. Ehe ihm
aber die Kurfürsten Joachim und Moriz nach Naumburg
entgegenritten, erbaten sie sich ^ine Audienz und theilten dem
Kaiser mit, dass sie sich auf Wunsch des Landgrafen dahin
begäben, ,damit ehr sich noch etlicher Sachen halben' mit ihnen
,unterreden' könne. Damals wollen sie den Kaiser erinnert
haben, dass Philipp von Hessen auf Treu und Glauben
ein grosser Theil des Briefes vom 17. Juni inserirt ist. Der Text dieses
Briefes lantet: »Mais je tiens qn*il n*acceptera voulentiers ledit article,
[kein Pnnktl] principallement quant a tenir prison quelconqae, [kein
Punkt!] et a'ii ne se povoit obtenir et que plustost que a ceste occasion
venir en rompture avec luj, me semble que V. M. luy doibt condonner
la prison, bienqu'il se tienne [im Briefe vom 14. Juli : bien qu^on le
deust tenir] soubz bonne garde, jusques il ait accomplj le traicte [kein
Punkt!] quant anx articles du rasement des places fortes, delivrance
d^argent, artillerie et samblables, et a la reste [im Briefe vom 14. Juli :
,et que si pour la reste poviez*] si poviez avoir bonne caution et sehurte
de luy et que les fidejusseurs le promeissent [kein Beistrich!] aussi:
qu*il fut tenu comparoir [am 14. Juli : quHl compareroit] deyers V. M.
toutes les fois qu*il seroit appelle, me semble [ce] seroit les plus con>
yenable* etc.
^ Brief des Kaisers an den König vom 28. Juni 1547 bei Druffel, I, 63.
» Bucholtz, IX, 433.
' Bommel, 250.
169
komme, und wollen ihn gebeten haben^ diesen wegen ihrer
treaen Bemühungen und wegen der Wichtigkeit des Handels
nicht jüber die Capitulation und wie allenthalben davon geredt^
worden sei, zu beschweren.^ ^So pflegt man nicht zu sprechen,
wenn man seiner Sache sicher ist. Wenn die Fürsten den
Kaiser fragen wollten, ob er den Landgrafen gefangen halten
wolle, warum thaten sie es in dieser so ausweichenden Form?
Die Antwort des Kaisers entsprach der Frage. Er wusste ja nicht,
diss die Kurfürsten dem Landgrafen mehr versprochen hatten,
als sie hätten thun dtlrfen. ,Eigner Person', erwiderte er daher,
der Landgraf werde nicht über die Artikel gefährdet werden;
es sei nicht seine Sitte, Jemand wider die Abrede zu belasten.^
So ritten sie denn nach Naumburg. Ob wirklich beruhigt,
wie sie später behaupteten ?3 Dahin begleitete sie Herzog Ernst
von Braunschweig, der zugleich mit Johann Friedrich von
Sachsen gefangen worden war und am 13. Juni nach einer
Abbitte mit dem Kaiser versöhnt war: dieser hatte ihm hiebei
die Hand gereicht. Tags zuvor war der gefangene Sachsen-
berzog Alba's Gast auf der Morizburg bei Halle. Muss dies
Alles deswegen geschehen sein, damit der Landgraf imd die
Korfärsten daraus trügerische Hoffnung schöpfen sollten?* Von
dem Sachsenherzog ist vielfach bezeugt, dass er am Kaiser-
hofe sehr hoch geachtet war, so dass ihm wiederholt verschiedene
Erieichterungen seiner Haft bewilligt wurden.^
Worüber die Fürsten mit dem Landgrafen zu sprechen
hatten, wissen wir nicht. VermuthUch wird er sie wieder mit
der Frage nach ,des Kaisers endlichem Gemüthe^ in einige
Veriegenheit gebracht haben.®
Noch am Nachmittage des 18. Juni ritt Philipp von
fieasen zwischen den Kurfiirsten, die ihm das schriftliche Geleit
g^ehen hatten, in Halle ein und stieg in der Herberge seines
Schwiegersohnes ab.' Auch als er mit Bischof Gran volle den Ver-
' laileib. Die Gefangennahme, 231; Instruction für eine Werbung beim
Kiiier, 12. September 1551, bei Lanz, Staatspapiere, 488.
• EWdas.
' Laos, Staatspapiere, 488.
• Vgl. Issleib, 281.
» V. D., II, 201.„, 244f.io6, 248.106, 254.iot, 273.n7 Aniu. 1, 279.i,o» Düffel,
I, 71; Bommel, Geschichte von Hessen (Cassel 1830), IV, 328.
• Vgl oben p. 157. ' Issleib, 231.
170
trag abschlosS; waren die Kurfürsten anwesend. Hiebei wurde der
Zusatz entdeckt: ,Und soll diese Capitulation zur Erklärung
kaiserlicher Majestät Willens stehen/ Nur die KurfUrsten
setzten es durch, dass er gestrichen wurde. ^ In ihrer Gegen-
wart fand die Unterzeichnung und Besiegelung des Vertrages
durch den Landgrafen statt, ebenso wurden die Bürgschaften
der beiden Schwiegersöhne und des Schwagers des Landgrafen
ausgestellt.* Erst nach längerer Disputation und nachdem ihm
die Kurf\irsten schriftlich die Versicherung gegeben hatten,
bei der Augsburgischen Confession bleiben zu wollen, stellte er
eine Verpflichtung bezüglich der Religion aus.* Darin erklärte
er, sich nur so weit wie die Kurfürsten selbst verbindlich zu
machen. So wie sein Schwiegersohn von dem Kaiser im Jahre
1546 in Regensburg das Versprechen empfangen hatte, nicht
beschwert zu werden, wenn man sich auf dem Concil ,dreier
oder vierer Artikel' wegen nicht vei^liche, so versprach
auch der Kurfürst seinem Schwiegervater, ihn nicht zu ,ver-
lassen, sondern Leib, Hab und Leben' bei ihm ,zuzusetzen^,
wenn er sich ,in drei oder vier Articuln, als nemlich belan-
gende die Justification, die Communion und Sacramenta mit sampt
der Messe, Priesterehe und Abgötterey, mit dem Beschluss des
Concilii nicht würde vergleichen mügen' und deswegen ,tiber-
zogen oder beschwerdt' würde.*
Als die Stunde des Fussfalles nahte, wurden die Kur-
fürsten wieder besorgt. Denn als sie Mittags in ihre Herberge
zurückkehrten, wünschten sie zu wissen, ob der Kaiser dem
Landgrafen nach der Abbitte die Hand reichen werde. Gran-
velle, darum gefragt, antwortete dem kursächsischen Rathe
Dr. Fachs, er könne nicht wissen, ob der Kaiser das thun
werde. ,Weil Fachs glaubte, er dürfe den Bescheid in Gegenwart
fremder Gäste nicht laut sagen, schrieb er ihn auf einen Zettel
und überreichte diesen einem der drei Fürsten/^
^ Ebendas. und Bommel, Urkandenband, 265 (»Testamentarbchos Ver-
zeicbniss*).
* Vgl. oben p. 147 f.
» Issleib, 231 f.
^ Bommel, Urknndenband, 256.
^ Issleib, 232 f., wo auf Fehler eines bei Druffel (I, 487) mitgetheilten
Ausxuges aus einem ActenstQoke aufmerksam gemacht ist.
171
4. Die Verhaftung.
Fassfall und Abbitte fanden in Halle am 19. Juni um
6 Uhr Nachmittag^ statt. Viele Zuschauer drängten sich in den
dazu bestimmten grossen Saal^ während das ungewohnte Schau-
spiel an diesem Sonntage unzählige Neugierige^ auf den Strassen
angelockt hatte^ von wo sie es auch theilweise durch die Fen-
ster beobachten konnten.' Unter X>enen^ die damals den
K&iserthron umgaben^ befand sich Erzherzog Maximilian, fünf
Herzoge von Braunschweig und Prinz Emanuel Philibert von
Savoyen. Unter den anwesenden Gesandten waren solche aus
Hamburg, Bremen, Lübeck und anderen Städten, die vor
Kurzem erschienen waren,* um Frieden zu suchen, auf beson-
deren Wunsch des Kaisers auch die aus Böhmen^ zu sehen.
Die beiden Kurflirsten geleiteten den Landgrafen vor
den Kaiser. Nnn hörte aber nach dem Wortlaute des Ver-
trages ^ ihr Schutzrecht für Philipp von Hessen auf Während
dieser kniete, verlas neben ihm sein ,Kanzler und Secretär^
Dr. Tileman Gunterrode ebenfEÜls knieend die Abbitte.
Während derselben liess aber Kurfürst Joachim den
Kaiser fragen, ob er dem Landgrafen ,wie sy dann mit ann-
dem, so sy zu gnaden auffgenommen, gepflogen, gleicherweise
zusprechen vnnd die band geben wurde'.' Der Kaiser ant-
wortete: ,Nein', er behalte sich das vor, bis der Landgi*af
,gentzlich erlediget*® sei, da er ihn wegen der Erfüllung des Ver-
trages zurückhalten müsse. Wenn der Kurflirst die Antwort
anhöre, die er dem Landgrafen geben lasse, werde er sich
überzeugen, dass Alles gewährt werde, was beide Kurfürsten
ausserhalb des Vertrages verlangt und zugestanden erhalten
hätten. ,Zum Ueberfluss*^ werde der Landgraf ,von der auss-
^ iBoleib, 233.
* GrmnYelle an Königin Maria, 20. Juni 1547; a. a. O., 24.
* 8«fltrow, II, 29.
* V. D., n, 290.M5.
* V^l. oben p. 167.
* V^L oben p. 146.
^ So in der Erklärung des Kaisers an die Reichsstände yom 25. No-
vember 1547 bei Sastrow, II, 548. Vgl. oben p. 115, Anm. 2.
* £beadas.
* Ebendas.
▲rdÜT. LXXXm. Bd. I. Hüfte. 12
172
gegangenen Achterclerung* absolvirt werden. Die Kurflirsten
mussten sich damit zufrieden geben, sie gaben darauf keine Ant-
wort; ^ man kann sich denken, wie enttäuscht sie nun waren. Es
war aber schon zu spät; die Sache war nicht mehr zu ändern.
Nun verlas Dr. Seid die öffentliche Antwort des Kaisers.
Darin hiess es, der Landgraf habe die kaiserliche Majestät
schwer beleidigt und darum ,die allerhöchste Straff* wohl ver-
dient. Weil er aber den Fussfall gethan habe, so sei der
Kaiser aus angeborener, gewohnter Milde (der Ausdruck ,guete
vnnd genade^ der Abbitte ist vermieden) und wegen der Für-
bitte etlicher Kurfürsten und Fürsten zufrieden, dass die Acht
,aufgehoben' und ihm die ,Straff dess Lebens*, die er ,wegen
geübter [!] Rebellion woll verdient' habe, erlassen werde, ,des-
gleichen, dass auch sein fürstliche Gnaden mitt ewiger g^e-
fencknuss noch mit confiscation oder entsetzung der
selben gueter, mehrers oder weiters dan die Artickel der abred,
so Ir Majestät genedigest bewilliget, innenhalten, nicht beschwerd
werden' solle.*
Philipp wartete nun auf das Zeichen, sich erheben zu
dürfen. Der Kaiser zögerte; da stand er ungeheissen auf. Der
Kaiser reichte ihm auch nicht die Hand. Vielmehr hatte er
den Herzog von Alba zu sich berufen und ihm befohlen, den
^ ,Je prins resolution [fehlt bei Droffel, I, 64] de le retenir et a ceste
cause feis respondre au marquis de Brandenbourg, lorsque ledit landgrave
fit ladite humiliatioii, sur ce quMl demaodoit, „si je ne luy donneroye la
mjun*, que «non" et que je le resenroie jusques a son entiere delivrance,
mais que, s'il escoutoit la responce, que je faisoye faire andit landgrave,
U verroit que je luy accordoye tout ce, que luj et Telecteur de Saxen
avoient demande höre du traicte. Et Tayant ouy, demonstra s^en con-
tenter.* Der Kaiser an KOnig Ferdinand, 28. Juni 1547 (Druffel, I, 64).
,Et cesy ce [sie] dit bien expresement ansdicts denx electeura, es taut
ancores le landgraffe a genoulx devant Sa Majeste, et leur fit
desclairer apart la raison pourquoj il ce faisoit [«pour ayoir seurete de
Tacomplisement de c« qu*a eete trecte*] et que par la responce, que 8a
Majeste ayoit faite, IIa ayoient connu qu^elle leur observoit precisement ce
qu*elle leur avoit promia, et que partant ne doneroit il la main audict
landgraffe, jusque a ce que apres le compliment dudlet trecte Sa Majeste
le delivreroit Et pour lors n'y firent aucune difigulte . . .* Granvelle
an Königin Maria, SO. Juni, a, a, O., p. 22. Damit stimmt überein Gran-
velle's Daretellung Tom Juli 1547 bei Lana, Correspondens, II, 592 und
die Erklärung des Kaisere auf dem Reichstage, a. a. O.
* Nach Pfintaing's Abschrift. S. oben p. 140.
173
Landgrafen in Haft zu setzen^ Granvelle aber angewiesen, dies
vorerst den Kurfürsten mitzutheilen.^
Der Befehl wurde mit Schonung der fUrstlichen Würde
des Landgrafen vollzogen; die Haft sollte auch keine Strafe
bedeuten. So ergriff denn Herzog Alba den Landgrafen bei
der Rechten und lud ihn mit den Kurftlrsten zum Abendessen
em.* Früher oder gleichzeitig wandte sich Granvelle an die
Kurfürsten. Um Alles, wie sich's gebühre, sagte er etwa zu
ihnen, ohne Lärm auszuftlhren, thäten sie gut daran, den
Landgrafen bis zur Morizburg zu geleiten und dort mit ihm
zu speisen. Die Kurftlrsten gaben sich damit zuftieden.' Man
voUte also Aufsehen vermeiden. Man erinnere sich nur der
Menschenmenge im Saale und auf der Strasse. Die Kurfürsten
wnssten nun, dass der Landgraf der Erfüllung des Vertrages
halber zurückgehalten werde; der Landgraf selbst wusste es
aber noch nicht. Weder der Kaiser noch Granvelle ahnten,
wieweit sich die Kurftlrsten dem Landgrafen verpflichtet und
welche Zuversicht sie darum in ihm erweckt hatten. So be-
stiegen denn die Fünf die Pferde: der Landgraf mit den Kur-
färsten, Alba und Granvelle. Vielleicht waren auch Bewafinete
in ihrer Begleitung; ob zweihundert spanische Hakenschützen,
wie ein unbekannter Berichterstatter, der nicht Augenzeuge
war,* wissen will, bleibe dahingestellt. Warum die Band-
et Ceeare, chiamato il Daca d'AWa, li ordin6 che U fasse menato prig-
gione, et a monsignor d^Aras, che sa la lin^a thedesca, disse che'l
riferime prima alli Elettori, che erano a canto esso lantbgravio, quanto
harea ordinato la MaestJi Sua, si come il tatto fu esequito/ Mocenigo
an den Dogen, 20. Juni 1547. Y. D., U, 290.1». ^Demnach Ir M^ dem
Hertzogen yon Alba bevolhen, den Lanndtgraven in das Schloss daselbst
m Hall Eufaeren vnnd in sichere yerwhamng zunehmen.' Erklärung
des Kaisers auf dem Reichstage (Sastrow, II, 549).
Isileib, Die Gefangennahme, 234.
,£t quant Ton lenr dit que, pour faire tout ce que convenoit sans bruit,
ih feroient bien d'accompaigner ledit lantgrave jusques au chasteau et
soapper avec luy, Hz le consentirent voluntiers et aussy le firent' Gran-
▼eile's Darstellung, 592.
,H&ben sich Ir M^ zum Duca d'Alva gewendt und bevolhen, den Landt-
l^yen in verwarung zunemen, darauff Inn 200 spanischer Hackhen-
schützen hinwegkh in das Schloss gefuert und verwart . . .* Der Schluss
lies xmdatirten Berichtes an einen Ungenannten lautet: ,Die franzosisch
Botschafift, so dise tag alhie [wo?] durchzogen, hatt für ein warhait an-
12*
174
reichung verweigert worden war, erfuhr der Landgraf wahr-
scheinlich auch jetzt noch nicht. Auch scheint er den Wort-
laut der öffentlichen Antwort nur theilweise verstanden und nicht
erwogen zu haben. Es ist ein Beweis seiner Ahnungslosigkeit
wenn er unterwegs äusserte, er hoffe, dass der Kaiser ihm die
Schleifung der Festungen und die Auslieferung der Artillerie
erlassen werde. Diese Hoffnung wurde ihm aber durch die
Antwort benommen, man habe den Kaiser in dieser Hinsicht
schon ausgeholt, und es sei wenig Aussicht vorhanden, dass er
von der stricten Ausführung des Vertrages abgehen werde.
Da erwiderte der Landgraf in lateinischer Sprache nach den
Worten des Heilands:^ ,Sunt duodecim horae diei' und ritt
weiter.* So sprach er vermuthlich mit Granvelle. Da er aber
Französisch, wenn überhaupt, so wahrscheinlich nur sehr un-
vollkommen sprach,^ so fand wohl die Wechselrede in deutscher
Sprache statt.
So beschämend es auch fUr die KurflLrsten sein mochte,
es geschah doch: sie, die dem Landgrafen insgeheim die Frei-
heit verbürgt hatten, geleiteten ihn jetzt in die Haft Es zeigt,
wie bitter fUr sie die Erinnerung daran war, aber es wider-
spricht den Thatsachen, wenn sie im September 1551 durch
eine Gesandtschaft dem Kaiser vorstellen Hessen:* sie hätten die
Einladung, Alba's Gast zu sein, ,nach fürstlichem Gebrauch
der loblichen deutzschen Nation dahin nit vorstehen' können,
,das[8] der landgraff bey ihme, dem Herzogen von Alba, in
Custodien gehen und' sie ,ihnen darein geleiten selten. Solchs
betten wir auch in keinem wege gewilligt, nach[!] gethan, da
gezai^rt: alss die khay. M* den 20. [irrig statt: 23.] von Hall aum ver-
rackht, hab Er den Churfuraten auf aim wagen nnd den Landtgraven
auf aim klepper woU verwart mitfüeren sehen.« Zu Beginn des Berichte»
stehen die Abbitte des Landgrafen und die Antwort dos Kaisers. Cod.
9363 der Wiener Hofbibliothek. Vgl. oben p. 142, Anm.
* ,Nonne duodecim sunt horae diei ?• Ev. Job. XI 9.
* ,11 replicqua en latin: ... et passa oultre.* Qranvelle's Darstellung,
692 f.
« Im Jahre 1630 sagte er selbst, das PraMösische sei ihm nicht gans ge-
läufig. 1634 verkehrte er mit König Franz I. in Bar-le-Duc nur durch
Dolmetscher (Rommel, Geschichte von Hessen, IH, 167, IV, 61) 1549 er-
bot er sich aber su einem ,leiplichenn eydt vor Irer Mt. Hoffgesindt,
teutsch oder welsch, wie es Irer Mt. gevellig«. Lana, H, 634.
* Lan», Staatspapiere, 489 f.
175
wir mit dem wenigsten vormerkt betten^ das der landgraff solte
aufgehalten vnd eingezogen werden, vil weniger betten wir uns
als deatzscbe gebome forsten und des belügen reicbs Cbur-
iursten darzu begeben und gebraueben lassen, einen wenigem,
gesch^^eige dan einen gepornen forsten des beiligen reicbs
deutzscber nation und unsem blutsfreund in die eustodien zu
beredeD, vil weniger eigner person dabin zu überantworten/
Auf* der Morizbui^ speiste der Landgraf mit den Kur-
flirsteii.^ Fanden sie damals den Mutb, ibm mitzutbeilen, was
Kurfürst Joacbim von dem Kaiser wäbrend der Abbitte er-
fahren batte? Mag dem wie immer sein. Sollte Herzog Alba
nicht der Erste gewesen sein, der den Landgrafen über sein
Schicksal aufklärte, so wird doch richtig sein, dass er den
Korftirsten und diesem selbst zuerst anzeigte oder anzeigen
li^s, kaiserUchem Befehle gemäss müsse er auf dem Schlosse
bleiben.* Die Kurforsten waren nämUch nach mehr als ein-
stundigem Aufenthalte^ damals schon im Begriffe, es wieder zu
Tomassen.* Der Landgraf, der bisher der schriftlichen Zusage
der Kurfürsten getraut hatte, argwöhnte in dem ganzen Vor-
gange nur Trug und Hinterlist. Im Jahre 1552 bat noch sein
Sohn das Abendmahl auf der Morizburg ein Judasmahl ge-
nannt.^ Von der Absiebt des Kaisers, den Landgrafen zurück-
zuhalten, erfuhren die Kurfürsten, mindestens Joachim, schon
widirend der Abbitte. Dass er auf dem Schlosse bleiben müsse,
mögen sie erst damals gehört haben. Aber es bloss die That-
sachen entstellen, wenn sie im September 1551 behaupteten:
,Wir haben auch nicht eher erfharen, das der landgraff ge-
fenglich enthalten werden solte, dan do wir sampt dem land-
graffen als eingeladene geste mit dem Herzogk von Alba in
guter ergetzbchkeit gesessen, das uns sein liebte nach gehal-
tener nudzeit allererst angezeigt, das der landgraff vfoi scbloss
m der Custodie bleiben solle . . /^
^ JLaaägnffe . . ., avec le qnel ilz saparent.* Granrelle, 20. Juni 1647,
an Königin Maria, a. a. O., 22.
* Inleib, 234.
' yComment ilz forent pour departir et qn^ilz apersnrent qne Ton retenoit
ledict landgraffe.' Granyelle's Brief vom 20. Juni, p. 22.
* 4^epQb estans andit chasteau et plus d*une benre apres j estre venns.*
GranTelle*8 Darstellung, 693.
* Rommel, Qeechichte Ton Hessen, lY, 309, Anmerkungen.
* IjAuz, Btaatspapiere, 490.
176
5. Anerkennung der Berechtigung zur Verhaftung.
Als die Kurfürsten Alba's Erklärung vernahmen^ erhoben
sie gegen die Zurückhaltung des Landgrafen fansprache.
Oranvelle und Alba mussten herbeigerufen werden.^ Ihnen
gegenüber beschwerten sie sich nun und erklärten^ so hätten
sie es nicht verstanden, dass der Landgraf gefangen gehalten
werden solle; sie hätten sich darum dem Landgrafen gegenüber
persönUch verbürgt.* Hätten sie oflfen gesprochen^ so würden sie
gesagt haben^ sie hätten nicht gehofft^ dass der Kaiser von
dem ihm durch ihre eigenen mündUchen und schriftlichen Er-
klärungen vom 2. Juni eingeräumten Rechte zur Verhaftung
des Landgrafen Gebrauch machen werde.
Dieser Einspruch verwunderte die kaiserlichen Räthe and
auch den Kaiser. Solches hatten sie nicht erwartet. Man er-
kennt dies aus den Briefen des Kaisers und Granvelle's an
König Ferdinand und Königin Maria. Sie suchten nach Gründen ^
um sich das Vorgehen der Kurftirsten zu erklären. Sie ver-
mutheten^ der Einspruch gehe auf eine Verabredung mit deren
Käthen oder mit dem Landgrafen selbst zurück^ mit dem sie
gespeist hätten. Granvelle neigte der Ansicht zu^ die Sache
gehe doch hauptsächlich von Kurftirst Moriz aus^ der dadurch
bösen Reden in Deutschland begegnen wolle. Denn man habe
ihm schon fi'üher zum Vorwurfe gemacht, dass nur durch seine
Unterhandlungen der Braunschweiger Herzog Heinrich im Jahre
1545 in des Landgrafen Gewalt gekommen sei.^ Später ver-
^ ,£t snr ce me firent appeller ayec le dnc d*Albe, pour debatre ce polnt.,
Granvelle, 20. Juni, 23.
' ^Ils demonfltrarent de n'avoir entendu qae [dieses fehlt bei Druffel, I, 64]
ledit landgrave se deust [nicht: peast] detenir prisonnier, disans Tavoir
de ce aBseure; et sur ce Ton leur donna raison [nicht: raisons] an [nicht:
du] contraire . . .' Brief des Kaisers an König Ferdinand vom 28. Juni
1547 (Wiener Staatsarchiy, Copialbuch, 682.|).
' yApres le soupe, füt qu'il[z] ce [sie] fusent consilles ayec leurs conaillers
ou ayec ledict landgraffe mesmes, avec le quel ilz suparent . . . ilz
commensarent a ce resentir grandement, et je tiens qne le prinsipai
yient du consel dudict duc Mauritz, pour ce que ja Ton Ta sarge [für:
chargä] en la Qennanie que avec ses trectes il euk sirconvenu le duc
de Brunswick et este cause de sa prison.* Granvelle, 20. Juni, 22 f. yl>e-
puis, aians lesdits electeurs devlse avec ledit landgrave et aussi avec
leurs conseillers, ils demonstrarent' etc. Brief des Kaisers vom 28. Juni
(Druffel, I, 64).
177
matliete der Bischof^ dass die abschlägige Antwort^ die der
Landgraf bezüglich der Festungen und der Geschütze auf dem
^ege zum Schlosse empfangen^ den Einspruch veranlasst habe.^
Am weitesten ging der Kaiser, als er seinem Bruder gegen-
über den Argwohn ausdrückte, dass Alles, was die EurfUi*sten
mit den Ihrigen bezügUch ihrer Verpflichtung gegen den Land-
grafen geäussert hätten, von ihnen an diesem Abende erfunden
worden sei, weil es in directem Widerspruche mit ihren Ver-
handlungen stehe.^ Kann man da noch an eine durch den
Kaiser oder durch Bischof Granvelle beabsichtigte Täuschung
der Kurftirsten denken?
Bis 2 Uhr Nachts dauerte die Disputation. Die Kurftirsten
vorden von ihren Käthen unterstützt. Granvelle wies ihnen an der
Hand des ersten Vertragsartikels und der Nebenerklärungen vom
2. Juni nach, wie unberechtigt ihr Einspruch sei. Er hob hervor,
dass sie selbst es gewesen seien, welche die Nebenartikel in deut-
scher Sprache hatten abfassen und überreichen lassen,* ferner, dass
der Kaiser dieselben angenommen habe, ohne auch nur einen
Bachstaben daran zu ändern oder eine Bemerkung darüber zu
machen.^ Ebenso erinnerte er sie daran, dass sie diese Er-
klänmgen vorgelegt hatten, weil der Kaiser so oft auf der
Büi^schaft des Landgrafen in Person bestanden und wieder-
hat ihre eigene Bürgschaft als Geisel abgelehnt hatte. Ueber-
dies habe der Kaiser erklärt, fiir das, was nach dem Vertrage
sofort erfüllt werden müsse, wie Schleifiing der Festungen,
üebergabe der Artillerie, Ratification und Eidesabiegung der
Landstände, Beeidigung der Besatzung einer Festung, könne so
knge keine andere genügende Garantie gefunden werden, als
bis der Landgraf durch Thaten Bürgschaft gebe; denn sein
* J)6pais estans audit chasteau . . . füt par adhortation de quelque leur
conseillier, poQr la consultation, qae se peult penser, ou par practique
da menne lantgrave, desceu de Tespoir qu'il avoit de non demolir ses
forte et de retenir rartillerie qn'il desiroit, oa par antre respect, qnel
qu'ü soft, ilz commenijarent faire difficulte . . .* Granvelle's Darstellung,
598.
* J>elmis8ant les particnlarites, qui seroient prolizes, et mesmes que par
anlcanes contradictionB passees en la negotiation Ton pouvoit avoir quel-
qae donbte qae tout ce que se disoit de la pro messe faicte au land-
grare ayoit peu eatre trouve dez la prison, encoires quUl ne s^afferme
ponr certain . . .* Brief vom 28. Juni (Dmffel, I, 66).
« Vgl, oben p. 189 f., 142 f. * Vgl. oben p. 144 f.
3 er oft genug nicht gehalten.' Granvelle machte die
I darauf aufmerksam, ihr Voigehen mache die Ehre
rs and die ihrige zum Gegenstand des Streites.'
KurfUrsten fanden aber keine andere Antwort als
Itten verstanden, der Landgraf solle überhaupt nicht
r seinj darum hätten sie ihm zur Ergebung gerathen.
keine Gelehrten, um Über Worte zu streiten.' Sie
i!ten sich, dase sie sich nicht so gesichert hätten, -wie
len wäre, wenn sie studirte Leute gewesen wären.*
der Nacht wünschten sie ihre Beschwerde an den
bringen. Granvelle und Alba antworteten, dazu sei
:; der Kaiser habe sich bereits zurtickgezogen." Nun
! dem Landgrafen bis zum Morgen GeseUschaft leisten,
rlicbcn Räthe warnten; das wQrde büse Gerllchte er-
id so aassehen, als wollten sie dadurch zum Ausdruck
Uss der Kaiser sein Wort nicht gehalten habe; er
h dnrch solches Voigehen verletzt fühlen. Sie aber
i: ihr Versprechen, das sie dem Landgrafen gegeben,
• sie dazu; sie meinten das Geleit und die scbrift-
sichemng vom 4. Juni. Wie sie den Landgrafen
mOsslen sie fUrchten, dass er sonst zur Verzweiflung
Aber nur KarlUrst Joachim Hess sieb bewegen, das
. verlassen; KurfUret Moriz blieb bei seinem Schwieger-
m p. 110, 116, 121 f., 186 und 132.
IsAiu difficulte en cecj ilz mectoient Thonneur de B*. Ma'* od dia-
le lear.' Granvelle'« D&ralellaDg, 593.
' ils ne firent aallre replicqae sl non qa'ils n'eatoient docteure,
ipnter iui les mols, et n'avoient entendn anltre choBe, ai non qu'il
t priMnnier, persnadau la delivranc«.' Brief des Kaisers vom
(Draffel, I, 66).
[sie] eicUMraat, ponr non Tavoir bien entendn et n'avoir peti ay
lenrer l'affaire qae a'ÜE fnsent eete gern de lettre.* Ghanvelle,
, p. 23.
ime il estoit ja tard et comme jnsqnea dem [bei Draffel irrig;
es aax denx] beures apres minuit, et qae par ee me« miniitres
[ent dea lor» [bei Dmffel irrig: l'en] nie conralter, ila fwrent in-
ie ponvoir juaqnea an lendemaim teuir compagnie audit landgrave,
il De sembla qu'il fat detenn prisonnier . . .' Brief des Kaisers
Jnoi, 65.
rqae Ton lenr remoiutra an coatraire qne c«la aeroit de grant
qoe il'on en parleroit diveraement, et qu'il aembleroit ils von|.
179
Am Morgen des 20. Juni liess der Landgraf die Kur-
ftkrsten unter wiederholtem Hinweis auf ihr Geleit und ihre
Zusage vom 4. Juni durch seine Räthe ermahnen, seine sofortige
Enthaftang: beim Kaiser zu betreiben. Er erinnerte sie an ihre
Pflicht, sich im Falle der Ablehnung bei seinen Kindern in
Cassel einzastellen, und ermächtigte sie auch zur Erklärung,
dass er Alles, was dem Vertrage gemäss sogleich geschehen
müsse, anverztiglich erftillen wolle. Die Kurfürsten erklärten
ach bereit, dem Wunsche des Landgrafen und eventuell auch
ihrer Verpflichtung nachzukommen.^ Noch an diesem Morgen
entwarfen sie ein Bittgesuch an den Kaiser; dass es wirklich
übergeben worden sei, finde ich nicht nachgewiesen.* Hier
behaupteten sie wieder im Gegensatze zu den von ihnen selbst
verfassten Nebenartikeln: soviel sie wtissten, habe ihnen der
Kaiser die gnädige Erwähnung thun lassen, die Ergebung solle
dem Landgrafen ,weder durch Leibesstrafe noch durch Ge-
fibigniss zu einigem Nachtheil^ gereichen. ,Obgleich die kai-
serlichen Räthe die Verhandlungen zum Theil in französischer,
zum Theil in lateinischer und zuletzt (also am 2. und 11. Juni)
aoch in deutscher Sprache geführt hätten und sie selbst der
Sprachen (der lateinischen und französischen) nicht gar kundig
seien, so hätten sie dennoch nicht den Eindruck gewonnen, dass
die Ei^ebung zu einigem Gefängniss ftüiren soUe.^ Sie bäten,
ihre Ehre und die ihrer Nachkommen mehr als den Landgrafen
selbst zu bedenken. Zugleich Hessen sie, wahrscheinlich schrift-
lich, vorschlagen, der Kaiser möge den Landgrafen in ihre
Hand aberliefem, und versprachen, ihn so lange nicht ft'ei-
zngeben, bis er den Vertrag erflült habe, oder ,so lange es
dem Kaiser gefUllig sei^' Diese letzten Worte erinnern an
aiasent pretendre que j'easse fait contre ma parolle, et que me res-
sentiroje, Ton ne peat acheyer avec eulx que le duc Maurice n'y de-
meurat tonte icelle nuyct.* Ebendas. Vgl. damit Granyelle's Dar*
rtellnng, 593.
^ Issleib, Die Geftmgennahme, 236, and Ranke, VI, 249.
* Ich folge Issleib's Angaben (p. 237). Die wörtliche Wiedergabe dieser
Urlnmde wftre wünschenswerth gewesen.
' J£t delessant de ce plus fonder sur Tobligacion dn trecte vindrent a
sapUer a Sa Majeste quMl Iny pleut a ce en tenir soing de lenr honneur
comme de cho88e[!], qn'ilz venllent avoir tant ponr recommande et
qo^elle [vonlüt] lenr remestre ledict landgraffe entre lear[s] mains avec
obligadon, qaMlz offrent de passer d*en faire bonne et senre garde et
180
die gleiche Bestimmung der Witteoberger Capitulation. ^ Auf
diese Weise hofften sie aus der peinlichen Lage zu koDunen,
in die sie sich durch Unvorsichtigkeit und Vertrauensseligkeit
gebracht hatten.
Weil es der Kaiser gewünscht hatte, so wurde ihm über
die nächtliche Debatte aosßlhHich Vortrag gehalten. Er ver-
nahm auch, dass ihm die Begleiter der KurHlrsten in ihreu
Reden öffentlich Schuld beizumessen suchten, als sei er zu
dem Verfahren gegen den Landgrafen nicht berechtigt. Dalicr
wird es begreiflich, wenn der Kaiser seinen Geschwistern
sehreiben liess, die Sache sei zu weit gediehen gewesen, als
dass er noch hfitte nachgeben können. Die ganze Welt hatte
in diesem Falle glauben kOnnen, was er gethan habe, sei ohne
Berechtigung geschehen, und darum hätten die Kurfürsten
durchgesetzt, dass er sein Vorhaben au%ebe. Er beschloss
daher, den Landgrafen wenigstens bis zur Erfüllung der wich-
tigsten Bedingungen des Vertrages in Verwahrung zu halten.
Denn er meinte, nach der Elntlassung der Truppen gar keine
andere Bürgschaft ftlr die ElrfÜllnng des Vertrages zn besitzen,
weil auch die Kurftlrsten den Landgrafen nicht dazu zwingen
kdnnten. Dieser habe bei seinen Erüheren Vorschlügen bezüg-
lich der Festungen genflgead bewiesen, dass er nicht den
Willen habe, seine Versprechnngen zu erfüllen, sondern dass
er nur bis zur EnÜassung der Truppen Zeit zn gewinnen
trachte. Er sei hauptsfichlich deswegen wieder in Verhand-
lung getreten, weil die Bedingung ,nicht ewiges Gefängnis'
vorgeschlagen worden sei. Nach Allem, was verhandelt worden
sei, hindere ihn gar nichts an der Zurückhaltung des Land-
grafen.*
Vor Allem sollten die Kurfürsten gezwnngen werden, zu
bekennen, dass seine Verfügungen durch den Vertrag and
non le Ui»« ie l«ar* maitu qn'U n'aii atomplr le (racto et jiuqaea au
bon pifsir d« S> ItaJMt«.- GnoT«!)», SO. Joni 1M7, p. 2S. Dieaer Brief
b>t Tor daB Voitnti^ Gr>nT«llp*s b^im Eaün- nbar die nlchüicfae I>e-
balt* ^«ecbnebt-'n. D«r i-iim äl. Jani tbeilt du Roaltat iee VoTtiages
uil. Vgt. GnuT«!!«'« Dantvllu^ b«i Lajo, n, 593.
' Vgl. iiben p. 13S.
* Dw KaiWT «a Knu|r FeiJiiuukd ui Sd, Juü und in Minem Namen
GraaT«!)« an KSnigin Maria aw Sl. Juai lJ4i itkraSel. I, 6&; Turba,
Zur \tA»t^aaf, i6\
181
durch die Verhandlungen vollkommen begründet seien. In
die^m Sinne ertheilte er Alba^ Bischof Qranvelle und Dr. Seid
seine Weisungen ; ^ denn sie Alle hatten an den Unterhandlungen
theilgenommen. Die kaiserlichen Räthe erschienen auf dem
Schlosse und eröflFneten den Kurftirsten, denen Dr. Fachs zur
Seite stand,^ das Verweilen des Kurftirsten Moriz bei seinem
Schwiegervater habe der Kaiser als Trotz gedeutet, als habe
er zu verstehen geben wollen, dass nicht ehrlich gehandelt
worden sei. Sie hätten Auftrag, mit ihnen darüber zu dispu-
tiren. Seine Majestät ftihle sich dadurch verletzt, dass man
ihre Ehre und ihr kaiserliches Wort in Disputation gezogen habe.
Lieber wolle sie die ganze ,Handlung^ trotz der verlorenen
Zeit und Gelegenheit annulliren, den Landgrafen nach
Hause entlassen und ihm, koste es auch ein Köm'greich, aufs
Neue zusetzen, als dass man sage, er habe sein Wort auch
oor im Geringsten nicht gehalten. Der Kaiser wolle ihre Bitte
nicht eher hören, als bis diese Sache abgethan sei.'
Kurftirst Moriz entschuldigte sich: er sei nur deswegen
auf dem Schlosse gebUeben, damit er seinem Schwiegervater
Gesellschaft leiste und ihn tröste.
Der Ejtiser lasse den Kurftirsten sagen, fuhren die Räthe
fort, auch er sei kein Gelehrter.* Nun wiesen sie abermals
auf den Gang der Verhandlungen und auf den Inhalt der
Nebenversicherung vom 2. Juni hin. Dreimal erklärten die
Kurftirsten, sie wollten sich in keine Disputation mit dem
Kaiser einlassen; das gebühre ihnen nicht. In der Nacht vor-
W hatten sie es doch einigermassen gethan. Wiederholt er-
klärten sie, sie liessen der ,Keyserlichen Majestät ihren Vor-
stand'. Sie selbst hätten die Sache anders verstanden; ,es wäre
also ihrestheils geirret^ Dreimal bekannten sie, ,das sie doftir
hielten, Keyserliche Majestät betten ihr ftimhemen mit fuge ge-
than'; ja noch mehr: sie wollten auch den Kaiser gegen Jeder-
mann vertheidigen, der behaupte, er habe sein Wort gebrochen.
* <3nuiTelle, 21. Juni, a. a. O., 27; der Kaiser am 28. Juni, p. 65.
* Drnffel, I, 487; Qranyelle am 21. Jani, p. 27.
' Der Kaiser am 28. Juni 1547 (Dniffel, I, 66 f.). Granvelle's Darstellung
593 f.; Erklärung auf dem Reichstage vom 25. November 1547 bei Sastrow,
n, 549f.
* yLeur faisant dire que je n'estoye docteur non plus qne eulx.* Der
KAiaer am 28. Juni, p. 65 f.
184
wurden ebenso wie die Bitte um Bestimmung der Haftzeit ah-
gelehnt.*
Als Herzog Alba am 22. Juni mit der spanischen Infan-
terie und der italienischen Cavallerie Halle verliess^ mussten
ihm die beiden gefangenen Fürsten folgen. Der Landgraf
weigerte sich dessen eine Zeit lang auf das Entschiedenste.
Er erklärte, eher müsse man ihn binden, als dass er freiwillig
folge.* Er wolle nicht, rief er aus, dass die Welt ihn fiir so
thöricht halte, als hätte er sich als freier Mann in die Haß
begeben. Man solle sehen, dass er betrogen worden sei: ent-
weder vom Kaiser oder von den Kurfllrsten.' Da aber den
Kurfürsten mitgetheilt wurde, man werde unbedingt auf seiner
Fortführung bestehen, wenn man ihn auch binden müsste, so
suchten sie ihn zu beruhigen. Er verlangte durchaus zu wissen,
wie lange die Haft dauern werde. Sie vertrösteten ihn mit
drei bis vier Wochen. Endlich gelang es, ihn zu überreden,
zu Pferde zu folgen. Vorher mussten sie ihm aber mit ,Hand,
Mund' und ,yerschreibung' geloben, so lange bei ihm zu bleiben,
bis er freigelaesen würde.*
Vielleicht noch an demselben Tage erliess er dann eilig
Befehle zur Vollziehung des Vertrages,*
Um ihrer neuen Verpflichtung nachzukommen, geleiteten
ihn die Kurftürsten zwei Tagreisen bis Naumbui^. Erzherzog
Maximilian, Herzog Alba und Bischof Granvelle deuteten aber
an, dass der Kaiser dies ungern sehe.^ Gedrängt von dem
Landgrafen, suchten inzwischen die Kurfürsten durchzusetzen,
dass die Haftdauer bestimmter, etwa auf drei Wochen oder
auf einen Monat festgesetzt werde. Um zu diesem Ziele zu
gelangen, erboten sie sich, bis zur Ankunft des Kaisers in
Bamberg oder kurze Zeit darauf 100.000 Gulden zu erlegen
und vierzehn Tage später den Rest der Strafsumme.^ Da die
zuerst genannte Summe schon vor dem 11. Juli in Nürnberg
> Usleib, 943; Ranke, \X S51.
* Brief des Kaisers rom Sä. Joni« p. 66.
» Moceaiifo, 33, Juni 1W7. V. D^ II,
« Das ProtokoU bei Ranke. VL SSi «nd S90.
* IssleiK 343; Rommel, Gesckiciite ron Hessen, IV, 315.
* Isrieib, 344; BneT des KaiMn toss id. Jnni. p. 66.
* Biief des Kaisen tom 3$. Jnai IMT, p. 66.
186
eHegt wurde, wohin der Kaiser am 6. Juli kam,^ so wurde der
im Vertrage bestimmte Zahlungstermin sehr verkürzt.*
Die Kurfürsten traten aber auch mit ,grossen Anerbietun-
^en' an Granveile selbst heran. Wir erinnern uns, dass der
Landgraf vor dem Ritte nach Halle erinnert worden war, zehn-
taasend Kronen für den Bischof mitzunehmen.' Dieser pflegte
derlei , Verehrungen' nicht ungern anzimehmen; wo aber be-
sondere Wünsche und Interessen seines Herrn zu berücksich-
%en waren, wird er es kaum gethan haben. So lehnte er
denn Alles ab, was man ihm anbot, und liess sich dann auch
nicht durch Drohungen einschüchtern, deren Inhalt wir nicht
erfiihren.* Er gab ihnen nur den Rath, dem Kaiser zu erklären,
m würden dafür sorgen, dass der Landgraf die Bestimmungen
des Vertrages, deren Erflillung keinen Verzug dulde, bald,
ehrlich, wahrhaft und treulich vollziehe; bis dahin wollten sie
die Bitte um Bestimmung der Haftdauer verschieben.^
Als Karl V. in Naumburg ankam, liess er die Kurfürsten
zu sich rufen und drückte den Wunsch aus, sie möchten heim-
kehren, weil er ihrer bis zum Reichstage nicht mehr bedürfe.
Dem Kurfürsten von Sachsen gegenüber äusserte er, dass seine
Anw^enheit dort wegen des vergangenen Krieges und der
neuerworbenen Gebiete nöthig sei.
Die Kurfürsten erinnerten den Kaiser an seine Antwort
Tom 21. Juni und trugen vor, was Granveile ihnen gerathen
hatte. Der Kaiser erwiderte: er erinnere sich dessen, was er
damals gesagt; er werde es daran nicht fehlen lassen. Wie
damak äusserte er wieder: er wolle sehen, wie der Landgraf
* V. D., n, 306.1«.
* Vgl. oben p. 168.
* Vgl. oben p. 162.
* iMadame, dois mes demieres lettres [vom 21. Jnni] ... las electenrs de
Saxen et de Brandenbourg suyvirent encore trois joumees, pensant ob-
teoir de Sa Majeste autre response et atterroination de la prison a trois
sepmames oa ung mois et se servirent de tous les moyens qn^Uz pen-
soient leur ponrroient [nicht: pouyoir] estre a propos, et enrers moy de
grandes offres [in Chiffren:] et apres le reffnz d'icelles de bravetez . . .*
Bischof Granveile an Königin Maria, Nürnberg, 11. Juli 1547, Lanz,
Correspondenz, II, 599 (das Original im Wiener Staatsarchiv, Belgica
A P 74).
* Der Kaiser an KOnig Ferdinand, 28. Juni, p. 67. Granveile, 11. Juli,
Lanz, U, 599 f.
186
fortan den Vertrag erAillen werde. Demgemäss werde er ihnen
solche Antwort ertheilen^ dass sie Gnind hätten, zufirieden zu
sein. Das er&hrt man ans einem Briefe des Kaisers an König
Ferdinand vom 28. Joni und aus einem andern Granvelle's an
die Königin Maria vom 11. Juli.^ Mehr theilt der venetianische
Gesandte Mocenigo über die Audienz vom 24. Juni mit Wie
er berichtet, gaben die Kurftirsten damals dem Kaiser auch die
Absicht kund, sich so lange in Hessen aufzuhalten, bis der
Landgraf befreit sei, damit die Welt sehe, dass er gegen ihren
Willen und gegen ihre Erwartung gefangen sei. Ausdrücklich
erklärte der Kaiser, dass er das nicht zugebe. Auch hielt ei
ihnen in strafendem Tone Aeusserungen über Vertragsbrucl
vor. Darauf erwiderten sie. Solches hätten sie nicht geäussert,
Ja sie erboten sich, dem Kaiser in einer Schrift bestäti
gen zu wollen, dass er sein Wort nicht gebrocher
habe. Sie hätten aber dem Landgrafen im Vertrauen auf diu
,uneüdliche^ Güte des Kaisers die Freiheit verbürgt, und ii
demselben Vertrauen bäten sie wieder um seine Enthaftung
Der Kaiser erwiderte: ,Wenn ich solche Güte und Milde gegei
den Landgrafen üben soU, muss ich es auch gegen Herzog
Johann Friedrich thun; wenn Ihr es so woUt, so lasset Eucl
vernehmen!^ KurfUrst Moriz schwieg dazu. Das wird de:
Kaiser wohl erwartet haben.*
Mocenigo scheint nicht erfahren zu haben, dass die Kui
fUrsten dem Kaiser erklärten, ihn erst nach der Erfüllung de
dringlichsten Vertragsbestimmungen wieder um die Befreiuni
des Landgrafen bitten zu wollen. Bei der Aeusserung Tvege;
des Vorwurfes eines Vertragsbruches könnte auch eine Vei
wechslung mit den am 21. Juni ausgetauschten Erklärunge
vorliegen. An der Wahrheit der anderen Mittheilungen M^
cenigo's zu zweifeln, liegt nicht nur kein Grund vor, sonder
sie werden durch das Verhalten der Kurfürsten in diesen Tage
bestätigt.
Kein Ausweg aus den Schwierigkeiten! Der ILais^
erkannte ihre Verpflichtung zur Einstellung in Cassel als ve
tragswidrig nicht an, verbot ihnen sogar, sie zu erfüllen. T>{
Landgraf bestand aber so sehr darauf, dass er ihnen a:
' Lani, U, 599 f.
» V. D., n, 294.i„.
187
22. Jani eine neue Verpflichtung, in seiner Nähe zu bleiben,
abnöthigte. Nun war ihnen auch das versagt worden. Eben-
sowenig gelang es ihnen, eine Erklärung über die Haftdauer
m erlangen. Der Kaiser wünschte, dass die Entscheidung
darüber ganz in seiner Hand bleibe.^
Als er dann am 28. Juni seinen Bruder über Alles, was
seit der Abbitte des Landgrafen vorgefallen war, ausführlich
antenichtete, hob er gegen Schluss seines Schreibens hervor:
der Wohlfahrt und Ruhe Deutschlands wäre am besten da-
durch gedient, wenn man den Landgrafen längere Zeit
inrückhalten könnte. Ausdrücklich sagte er aber, es müsste
in Ehren und ohne Verletzung der beiden Kurfürsten
gföchehen. Darüber wollte er noch mit dem Bruder persön-
Kch während des Augsburger Reichstages berathen.* Da der
üeberbringer des Schreibens, ein Edelmann, auf dem Wege
getddtet wurde, so gelangte es erst am 13. Juli in zweiter Aus-
prägung in die Hände des Königs.'
Bei diesem waren schon Ende Jimi Gesandte der Kur-
ftnten erschienen. Sie hatten ihm, wie er am 14. JuU schrieb,
eine ausführliche Darstellung der auf die Verhaftung bezüg-
Bciien Unterhandlungen vorgetragen und ihn auf das Listän-
digste gebeten, zu vermitteln und zu gestatten, dass Erzherzog
Maximilian die Bitten der Kurftirsten oder ihrer Beauftragten
am Freigebung des Landgrafen fortwährend unterstütze. Denn,
würden sie auf Grund ihrer Verpflichtung von Hessen aus zur
Einstellung als Geisel ermahnt, so müssten sie sich dort ein-
finden und dasselbe wie der Landgraf erdulden. Ehrenhalber
könnten sie sich dessen nicht weigern.
Ohne die Berechtigung des Kaisers zur Gefangenhaltung
ÖQ Mindesten zu bezweifeln, stimmte der König bei, dass es
d*8 Beste wäre, den Landgrafen längere Zeit zurückzuhalten,
gab aber zu bedenken, wie wichtig fiir den Kaiser bei der
'>rdnung der deutschen Angelegenheiten die Ergebenheit imd
' Y^L oben p. 18S.
* ,Et ceites [sie] qni pouiroit avec honnestete et sans irriter lesdits elec-
tenn detenir longnement ledit landgrave, ce seroit ce qae plus conviendroit
an bien, repos et tranquillite de la G^rmanie, comme anssi je suis de-
libere de faire jnaqnes soyons ensemble, ponr lors adviser ce que s*eii
debrra £ure.* Druffel, I, 67.
' Antivort vom 14. Juli bei Bucholtz, IX, 433. \
Mxtkir. LXIXIU. Bd. 1. Hälfte. ' 13
188
Mitwirkung der beiden Kurfürsten sei^ und wie bitter sie es
empfanden, wenn sie sich als Geisel einstellen müssten. Vor-
ausgesetzt; dass dem Kaiser daraus kein besonderes Präjudiz
erwüchse^ möge er daher den Landgrafen nach der ElrfiilluDg
der bald auszuführenden Bedingungen lieber freilassen, als die
Hilfe der beiden Kurflirsten verlieren.* üebrigens stellte er,
wie schon am 17. Juni Alles der Einsicht seines Bruders an-
heim. SchliessUch entschuldigte er sich, dass er der Bitte der
Kurftirsten willfahrt habe; er habe sie nicht gut abschlagen
können, weil er wie früher so noch immer auf ihre Hilfe in
Böhmen angewiesen sei. Darum hoffe er, der Kaiser werde
das Versprechen bezüglich der Fürbitte Maximilians nicht übel-
nehmen.
Ehe die Kurfürsten am 24. oder 25. Juni die Heimreise
antraten, sandten sie zwei Käthe an den Landgrafen, die am
26. in Kahla folgenden Auftrag vollzogen. Die Kurfürsten
hätten den Eindruck gewonnen, dass die Haft nur vier bis
sechs Wochen dauern werde. Nach Allem, was wir wissen,
hatten die Kurflirsten wenig Grund zu dieser Hoffnung. Der
Kaiser lasse wegen seiner gereizten Stimmung nicht weiter an-
halten. Der Landgraf möge die Heimreise entschuldigen; der
Kaiser habe sie den Kurfürsten befohlen. Seine Räthe hätten
ihnen gerathen, daflir zu sorgen, dass sie von Hessen aus nicht
eingemahnt würden. Wir wissen, dass ihnen der Kaiser selbst
* ,Sur quoy veulx bien advertir V. M. que avant la reception de tos
lettres se sont trouvez devers moy ambassadenrs de la part desdiu
electeurs, qui m*ont fait ung long recit des choses passees en cest endroit
et m*ont fait prier avec la plus grande affection que jamais feirent
[nicht: feroient] dechose quelconque: de vouloir estre mediateur et cod-
sentir que moD filz M. feist quant et quant lesdlts princes electeurs ou
lenrs depputez Tintercession devers V. M. . . . Je congnois bien, Mon-
seigneur, et est [nicht: cest] vray que comme escripvez „qui avec . . •
[vgl. oben p. 187, Anm. 2] Germanie.'' Touttefois vous congnoiwei,
Monseigneur, com bien il empörte a vous et a tous les affaires de la Ger-
manje de conserver ces deux princes en votre [sie] devotion et le sen-
tement quHlz auroient, si a ceste occasion falut quHlz se rendissent pri-
sonniers aux enffans du lantgrave, ainsi qn'ilz. disent ne s^en pourront
excuser s^ilz en sont sommez, et pour ce me sembleroit soubz correction
[bei Bucholtz, IX, 434, folgt irrig: et] que plustost que perdre lesdits deux
princes electeurs, et si se peult faire sans grant prejudice de vos affairo»
et quHl accomplit par avant ce quMl doibt faire promptement, que V. M.
peult consentir a la delivrance' etc. Wiener Staatsarchiv, Copialbucb, 683.t.
189
verbot sich einzusteUen. GranveUe habe zugesagt^ dass er
sich möglichst bald mit dem Landgrafen unterreden werde,
Erzherzog Maximilian und die kaiserlichen Räthe hätten fleissige
Fürsprache beim Kaiser versprochen. Auch König Ferdinand
werde um solche gebeten. Diesen Vertröstungen und Ent-
schuldigungen folgte die Bitte, den Vertrag rasch zu vollziehen.
Erlange der Landgraf die Freiheit nicht, so woUten sie sich ent-
weder bei ihm oder in Hessen bei seinen Kindern einsteUen.^
Als dieser Erzherzog Maximitian mehrmals um Fürbitte er-
sachte, erhielt er ebenfalls unbestimmte Antworten, obwohl sich
auch der Erzherzog wiederholt geneigt und vom Vater beauf-
tragt erklärte, ihn zu unterstützen.* Dem Auftrag war freiHch
eine Entschuldigung beim Kaiser gefolgt.
Der Landgraf begnügte sich aber nicht mit Vertröstungen,
sondern woUte die Kurfürsten zur Erfüllung dessen zwingen,
was sie ihm freiwillig versprochen hatten. Darum gab er den
Seinigen öfter den geheimen Befehl, die Kurfürsten nach
Hessen einzufordern. Man möge aber nichts auf ihn schieben,
denn er werde stets sagen, er habe mit den Dingen nichts zu
thun.' Die erste schriftliche Einmahnung der Kurfürsten ist
vom 1. Juh 1547 datirt. Im Sinne ihrer Vertröstungen soUten
sie sich bis zum 7. August in Cassel einsteUen, wenn der Vater
nicht bis dahin frei sein werde. Was die Kurfürsten zu ver-
meiden wünschten, war also geschehen. Ebensowenig wie
früher bestritten sie auch jetzt die EinsteUungspflicht; sie baten
nur um Verschiebung der Frist.
Indessen wurde die Strafsumme noch im JuU voUständig
erlegt.* Ebenso wurde an der Schleifung der hessischen Fe-
stungen Giessen und Rüsselsheim gearbeitet.** Die Entscheidung
darüber, ob Cassel oder Ziegenhain dem Landgrafen unge-
brochen verbleiben sollte, wurde von dem Kaiser verzögert.
Erst am 31. August ward der Landgraf verständigt, dass
Cassels Befestigungen geschleift werden müssten. Am 15. Juli
leisteten ,rethe, hoffgesindt, ritterschafft vnd landtschafft' von
> Ifisleib, Die Gefangennahme, 244, and Die Gefangenschaft, 2 14 f.
* Ixwerth, a. a. O., 376 f, 884, 386, 388.
* Issleib, Die Gefangenschaft, 218, Anm. 4.
* Granvelle, 11. JuU 1647, p. 600.
* Ltsndgräfin Christine sammt ihren Kindern und den hessischen St&nden
an die Reichsstände, 6. Oetober 1547, bei Sastrow, II, 582.
18»
Hscil Aon Eid auf die Capituladon,' ebeoso über^b der
^o Landprrar Wilhelm die Ratification des \>rtr»|;es." Am
Juli ward Philipp von Ho&scn der versprochene Sühnebrief
if^nHtolIt, worin die am 20. Juli 1540 über ihn verhingte
lit aufpohobon wurde. Diese Urkunde ' isi in deutscher
rftclid ahpclasst und von ,A[nton) Perrenot^, dem Bischof von
rnH, und von l)r. Obernburger unterzeichnet Ihre Ausstel
K iirrol^t« zu derselben Zeit, da Gesandte des au^esöbntcn
iiiburK dom Kaiser huldigten.* Der Landgraf wurde nun
t» Heiner llafl als rogiorendor Fürst anerkannt, entschied
Nolcher HbiT dio Angelegenheiten seines Landes, erUcss
riililn und boBchickto diu Itcichstage.'
Da il'T Tomiin verstrichen war, mit dem die EnrflirsteD
1 liandgrufon vertrustet batton, und da sie selbst wiederholt
(t Vi'i'lflugi'ning (lor Kinstcllungsfrist erbaten und erhielten,
^odiH'hti' or Hich selbst zu helfen und versuchte der Haft
i'iililiiOien. Auf dem Woge von Hessen nach Nürnberg und
nxHlMU'K wurden Pfenlo bereit gehalten, man schützte vor:
l'itMttiwockou. l)or Plan wurde entdeckt, drei Spanier der
\^^^w wurdon vorhnftot, sein Leugnen half nichts.*
Noi'li vor Kndi> August besuchten ihn sein ychwiegereohn,
irlHitit Muri«, und dor Markgraf Johann Georg von Branden-
rn, tb'r Sulin tlfs Kurtllrsten Joachim in Donauwörth. Man
Uli itii'h donkt'n. wio der Landgraf Schwiegersohn und
h\¥ngor an iluv sn-hrirtliche Verpflichtung erinnert haben
ril, Da \Wr KurftlRit von dem kranken Kaiser vorläufig
iiio Aiidii'tiM («riangen kounto. so musste er sieh damit be-
«gi'H, M'in Aidiogini dvm Kanzler Granvelle' in den ersten
>ri'u di'H Si'ploiuboi^ vorautragen. Der Kanzler gab aber
'iiig llolViiuiis, d«»s ilor Kaiser in die Beurlaubung des Ge-
> l>ii< t'ikiiiiili' iti lV|'i>' IUI <Nt). lt.Htvt (lt>r Wiener Rofbi blioUiefc.
■ l'liilivi' >»" I1>»«HI »II <lo» K:iiM'r. U. October 1547 bei Lkiie, U, 6U6;
UVihhipU »i..«h..ht.> N.'H »««•«. IV, S!9f
■ Wl'iu'v NtanlMnliii, Maiiiivr KololuUcsarteo, ftac. 15, fol. 34 und %»,
' V.U. U, SU, .\iii« l
* ^■h.'ll 1»>1I K'>»llllpl vl\. .*.*" hotruTf^hnW«.
• V IV, U. S.V.,.,; lV«.flVl. \. y. TU IsJpih. p. Slfi. kam, 9.
' IMnvT «»r »li- <i t><i >l<<ni Kiispr tn .\uK«tiwrp Mifwk»ninieii. V. D., 11.
.■llS. Annt. 1
191
faogenen nach Hessen gegen Stellung seines ältesten Sohnes
and anderer Geisel, sowie gegen zeitweilige Besetzung Ziegen-
hains durch kaiserUche Truppen willigen werde. Entgegen
den Bitten des Landgrafen bestehe der Kaiser auf der Schlei-
fiing der Befestigungen von Cassel; er wolle ihm nur Ziegen-
hain mit dreissig Geschützen^ belassen. Warnend machte der
K&nzler darauf aufmerksam, dass der Landgraf sich zu ,un-
anständigen Geberden und üblen, heftigen Reden hinreissen
lasse*.*
Da der Kurfürst von seinem Schwiegervater ununter-
brochen gedrängt wurde, sich um die Enthaftung zu bemühen,
80 überreichte er (der junge Markgraf war inzwischen heim-
t^ercist) dem Kaiser am 26. September auf der Jagd, als dieser
gater Laune zu sein schien, eine ft*anzösische Bittschrift. Am
Ä September fragte er ihn dann wieder^ ob er den Land-
grafen bis zum Ende des Reichstages hinhalten wolle. Lächelnd
soll Karl V. auf baldige günstige Antwort ,vertröstet^ und sich
am 16. October wieder ähnlich geäussert haben.* Es wird aber
jrut sein, sich hiebei zu erinnern, womit der Kurfllrst seinen
Schwiegervater in Halle und Naumburg hingehalten hatte. Als
<ianD Kurfllrst Joachim in Augsburg ankam, theilte ich Moriz
mit ihm in die Sorgen, die ihm die Haft seines Schwiegervaters
l>ereiteten. Sie planten nun eine gemeinsame Fürbitte der Kur-
fürsten und Ftirsten. Wegen der abermaligen Erkrankung
i^ Kaisers war jedoch keine Audienz zu erlangen. König
Ferdinand, der am 20. October in Augsburg angekommen war,
neth, sie zu verschieben, bis Cassel geschleift sei. Diese Ar-
beit war aber erst am 24. September in Angriff genommen
»Orden.*
6* Mittheiluiigen an die*ReIehsstände.
Der ungeduldige und misstrauische Landgraf Hess in-
zwischen die Kurfilrsten abermals nach Hessen einmahnen.
l^e Frist wurde ihnen vorläufig bis zum 15. December ver-
* Bommel, IV, 320.
* Iirieib, Die Gefengenachaft, 216 f.
Ebenda«., 217, Anm. 12. Vermuthlich stammen die Mittlieilungen aus
<ier Correepondenz des hessischen Rathes Lersuer.
* lüleib, Die Gefangenschaft, 216, Anm. 8, 218.
192
längert. Er warf ihnen vor, dass sie ,in Freude und Wohflust
hausten' und ihn über Bankettieren, Spielen und Jagen ver-
gässen.^ Am 12. October richtete er ein Schreiben an den
Kaiser, worin er unter Anführung vieler Grtlnde um Frei-
lassung gegen Geiselstellung bat. Ein oder zwei Söhne und
einige von seinen Ständen sollten für die Erfüllung der noch
unausgeführten Bestimmungen des Vertrages am Eaiserhofe
bürgen. Wie früher so erbot er sich auch jetzt zur Treue
gegen das Haus Habsburg. Ferner versprach er, Alles, waa
auf dem Reichstage ,der Religion halb vnd sonst beschlossen^
würde, sich ,gefallen' zu ,la8sen', sogleich eine ,Obligation' dÄ^
über auszusteUen, auf dem Reichstage persönlich zu erscheinen
und in den grossen Bund* einzutreten, über den dort ver-
handelt werde.*
Schon am 22.^ und 23. September hatte er gedroht, die
Reichsstände um Hilfe anzurufen. Noch am 23. sandte er den
Entwurf einer an die Reichsstände gerichteten Bittschrift nach
Hessen.^ So erschien denn vor dem 20. October® eine hessische
Gesandtschaft in Augsburg, thatsächlich in seinem Aufirage,
zum Schein aber im Namen seiner Gemahlin Christine, seiner
Söhne und Stände. Sie sollten ihre Werbung nur vor ver-
sanmielten Reichsständen vorbringen und nicht einmal die Eur-
fiirsten von Sachsen und Brandenburg früher aufsuchen. Den
Räthen derselben erklärten sie: weil ihr Auftrag so laute,
könnten sie ihnen nur vertrauUch Einsicht in ihre schrifUiche
Werbung gestatten. Das wurde abgelehnt.
So sehr auch die Kurfürsten Ursache zur Verstimmung
hatten, so bemühten sie sich doch, die Werbung durch ihre
Räthe zu verhindern. Aber der Hinweis auf die ohnedies be-
vorstehende gemeinsame Fürbitte der EurfUrsten nützte nichts;
überdies konnte diese wagen der andauernden Erankheit des
Eaisers nicht vorgetragen werden.'
» Rommel, IV, 303.
• V. D., II, p. 27 der Einleitung.
• Lans, Corrospondenz, II, 604—609.
^ In einem Briefe an Dr. Fachs. Bommel IV, 322.
» Lwleib, 216f., 219 f., 223.
« Ebendaa., 218, Anm. 13.
7 Issleib, 219 f.; Instraction für die kursäcfasischen Räthe znm Tage tüd
Salza vom 2. Juli 1661 (Druffel, I, 681).
193
den Willen der KurfUrsten vollzogen nun die hes-
idten am 17. November ihren Auftrag mündlich und
Wie der Landgraf in seinem Schreiben vom 12. Oc-
:i*i|<ten sie, zum Theil mit denselben Worten, dar, dass
Grund des Geleites und der schriftlichen Ver-
der Kurfiirsten vom 4. Juni erschienen sei. Er habe
ii Abbitte gethan, ,sich weiters Unguetliches oder
rliches nicht vorsehen^ und habe am Abende in Herzog
itrberge' gespeist. Dort sei er erst ,au£rgehalten^ und
-»«» angezeigt worden, dass er ,in der Keyserlichen Maje-
f t»^ »üdien sein solt^ Dann sei er von den Kurfiirsten und
j^en kaiserlichen Käthen vertröstet worden: er möge
Bedingungen der Capitulation rasch erfiillen; denn dies
zu seiner ,Erledigung ftJrderHch sein^ Er habe das
.•] früher, als die Capitulation vorschreibe, erlegt, ferner
Heinrich von Braunschweig und seinen Sohn befreit,
iüdesbriefe' ausgeUefert, seine ünterthanen auf die Ca-
m schwören und den Vertrag ratificiren lassen, auch
im Wilhelm habe die Ratification übergeben. Drei Ftir-
tten ihre Cautionen ausgestellt, die Festungen Giessen
•isselsheim seien geschleift. Mit Cassels Schleifting sei
vollem Werk^ Man habe also Alles, was zu vollziehen
gewesen, geleistet und vollbracht. Er sei von der
.bsolvirt. Trotz wiederholten Ansuchens sei man auf
eilung bis zur völligen Erfüllung der Capitulation nicht
Dgen. Indem die hessische Gesandtschaft dieses An-
II wiederholte, bat sie die Reichsstände um Verwendung
" Freilassung des Gefangenen.
Damals nahmen die Reichsstände auch folgende Acten-
e in beglaubigter Abschrift zur Kenntniss: das Geleit
He Verpflichtung der Kurfiirsten vom 4. Juni 1547, ferner
Vorschläge des Landgrafen zur Aenderung einiger Artikel
Vertrages vom 7. und die kaiserUche Resolution vom
fani sanimt dem Schreiben des Kurfiirsten Moriz und kur-
adenbnrgischer Räthe an den Landgrafen vom folgenden
^'e.* Dagegen wurden die von den Kurfiirsten in deutscher
räche vorgeschlagenen, verfassten und tiberreichten Neben-
bei ebensowenig wie die Abbitte und die Antwort darauf
* Der Text der hessischen Werbung ist bei Sastrow, II, 526, abgedruckt.
194
vorgelegt. Die Nebenartikel waren dem Landgrafen in Bezug aaf
authentischen Wortlaut wahrscheinlich damals noch unbekannt.
Die Darstellung der Vorgänge konnte bei den Zuhörern
wirklich Argwohn und Unwillen hervorrufen. Besonders die
Art, wie die Verhaftung erzählt wurde, mag den Eindruck
einer argUstigen Verletzung der Gastfreundschaft erzeugt haben.
Man begreift daher den Unwillen des Kaisers. OeffentUch war
versucht worden, die Verhaftung seines Gegners als unbe-
rechtigt darzustellen, noch dazu auf Grund von zwei Acten-
stücken, bei denen der Kaiser den Argwohn gehegt hatte^
dass sie nachträglich ausgestellt seien. ^ Ausdrücklich hatte er
den KurfUrsten verboten, einer etwaigen Einforderung nach
Hessen Folge zu leisten, weil er die Verpflichtung dazu nicht
anerkannte. Es war ihm auch unangenehm, dass durch die
Veröffentlichung der Acten seine Zugeständnisse an Herzog
Moriz bezüglich der Religion und die Verpflichtung beider
Kurftirsten zur Anerkennung eines Concils, Dinge, die er alle
geheimgehalten wissen wollte, bekannt wurden.^ Eiine Für-
bitte der Reichsstände wollte er darum gar nicht anhören. Die
KurfUrsten erfuhren von beiden Granvelle und sogar von König
Ferdinand, dass ,die Kaiserliche Majestät durch dise Werbung
ires gemuets etwas gefremdet worden^'
Am 25. November gab Dr. Seid, also ein Theilnehmer
an den Verhandlungen mit den Kurftirsten, mündlich und
schriftlich im Namen des Kaisers folgende Erklärung ab:^
Die kaiserliche Majestät habe erfahren, wie in dem ,An-
bringen^ der hessischen Gesandtschaft den Reichsständen ,ein-
gebildet' worden sei, ,als solt gedachter Laudtgraf gepflegncr
handlung zuwider vnd anders, dan viUeicht Ir Maiestat het
thun konden oder sollen, gefencklich eingezogen worden sein^
Die Majestät hege zwar gar keinen Zweifel, dass man bisher
immer erkannt, sie habe ,alle ihre handlungen, wie augenschein-
lich zu befinden, kayserlich aufrichtig und erbarlich gemaint
und volfuert', und dass die Stände sich ,nicht leichtlich bewegen^
liessen, ,Ir kayserliche Majestät in dem wenigisten zuverdencken^
^ Vgl. oben p. 177, Anm. 2.
* InBtraction vom 2. Juli 1561 für die kursächsischen R&the znm Tage
von Salza bei Druffel, I, 683.
* EbendAs.
* Vermnthlich ist Dr. Seid auch der Verfasser.
195
il sie aber ^nichts höhers begeren^ dan das sy in Iren Sachen
gwecht erfunden werden^, habe sie nicht unterlassen wollen,
ik Verhandlungen schlicht und wahrhaft erzählen zu lassen,
liamit man erkenne, dass sie den Landgrafen ,mit guetem fueg^
gefimgen halten könne.
Nun wurde hervorgehoben, dass der Kaiser schon bei
Giengen Mitte November 1546 die Forderung gestellt habe,
der Landgraf müsse sich ihm bedingungslos ergeben, und dass
er auch später stets darauf bestanden habe, als der Landgraf
öime Rücksicht auf Johann Friedrich von Sachsen und die
anderen schmalkaldischen Bundesgenossen für sich allein zu
Terschiedenen Zeiten durch Herzog Moriz wegen der Aussöh-
smg verhandelt habe.^ Mit Absicht wurde betont, er habe
aieh erboten, bei der ,Expedition' nach Sachsen ,mit ansehen-
khem kriegsvolck zu Ross und Fuess' zu helfen. Der Kai^r
wBsste nicht, dass dies von Herzog Moriz gegen den Wunsch
its Landgrafen vorgeschlagen worden war.* Vom Kaiser, hiess
zweiter, sei Alles abgeschlagen' worden, weil er sich ,auf des
Linndtgrafen wort als der so offt vnd schwarlich sich gegen Ir
M&jestat vergessen, kainswegs verlassen, derwegen auch mit
luiner andern Versicherung dan seiner aignen person benuegig
mn konndte^ Auch sei gefordert worden, dass der Landgraf
jor aller handlung alle seine Bevestigungen in Irer Majestät
iamit steUen solte^ Derselbe habe dann in Leipzig ,ettliche
angepnrliehe Condition vnnd Mittel der aussonung furgeschlagen^
Obwohl die Kurflirsten ,mit höchstem fleiss angehalten^, die Ver-
wherong des Vertrages ,mit Iren aigen personen^ zu übernehmen,
4lso^ sich ,8elbs für den Lanndtgrafen zusteen erpotten^ hätten,
» habe der Kaiser ,stracks auff des Lanndtgraven aigen person
verhart, von kainer anndern hören wellen^ und die vorgeschla-
fen Bedingungen ,gentzUch vnd rund abermals abgeschlagen^
iach der Abreise von Leipzig habe der Landgraf einen vom
Adel ins Lager geschickt (Ebeleben), worauf von den Kurfürsten
in seinem Namen vorgeschlagen worden sei, dass er sich ,in Irer
^estat gnad vnd vngnad frey, one ainiche condition oder anhang
ergeben', alle seine Befestigungen, Geschütze und Munition über-
y&m wolle, jedoch bitte, ihm eine Festung sammt einiger. Ar-
^ S. oben p. 112f. und 116 Anm. 2.
*S.p. 116f., 120.
t£Ii«Tie za belaär^n. I^e KurinrsteD bitten duiD ^d wissei
zu haben be^ert, wie weh sich der Artickel der Vognad er
ütrecken' werde. Daraof sei ihnen die vertrauliche Declaratiot
ertheth worden, ,dasä S4^he er^ebong dem Landtgravea wedei
za Leibätraff, [noch] ewiger gefenckhnos, noch Conäscienini
seiner Gneter, weiter dan in den vorgestelten Ärtickebi be
griffen, nit raichen' werde, dass der I^ndgraf dies aber nicb
wissen dtirfe.' Es sei den Enrfärsten ,one Zweifel noch wo
bewust', dass ,der benannten Vngn&d halben &iniche weitten
verwenong oder Tertrostong' ,mit dem wenigsten nit beschehen'
,Alles* sei mit ihrer ,bewilligang' and in ihrem ,beysein' ,inn aii
lanttere Verzaichnnss' ^bracht worden'.' Der EaiBer habi
sich ji»ni«lii bewegen lassen, dieses Anerbieten anzunehmen
Während der Abbitte des Landgrafen in HaUe, filhrt die kaisei
liebe Erklfinmg fort, habe der EnrAirst von Brandenbui^ ge
fragt, ,ob Ir Majestät nach beschebner Abpitt, wie sy dam
mit anndem, so sj za gnaden anffgenommen, gepäegen, imc
dem Landtgrafen gleicherweise zosprechen vnnd die Hannd
geben wurde.' Darauf sei geantwortet worden, ,das sich solche
nütlerweil vntid bis er genntzlich erlediget, nit wol gepurn, e
wurden aber obgemcllte baide Churfnrsten aus der Antwort, so 1
Majestät zu geben bedacht, gnuegsam versteen, das der sonn
derbam' Declaration, so Inen vertrewUcher Mahnung beschehei
nachgegangen vnnd zum vbcrfloss er, der Lanndtgraf, von de
aussgegangenen Achterclenmg, die er seiner aignen Bekanntnu
nach wo! verschuldet, soite absolvirt vnd erledigt werden, vnu'
ist datzemal also dsbej on weitter Repliciern beruht Den
nach Ir Majestät dem Hertzi^en von Alba bevolhen , de
Lanndtgrafen in das Schloss daselbst zu Hall zufueren vnd i
sichere verwhamng zunehmen. £s hat auch gedachter Uertzo
baide Churfursten sambt dem Lanndtgrafen dazumal am selbe
Ortt zu gast gehabt. Nachdem vnd als der Landtgrave seho
im SchlosB gewesen, hat erst seiner GtefeDcknase halben Irrun
wollen eingeworffen werden, darüber dann ettliche vilfeltig
Reden hin vnd wider ganngen'. Der Kaiser habe dann vei
langt, daas ,vor aUer annderer Handlung' die Frage erledig
' 8, obeo p. 137f.
» 8. oben p. 139, Anm. 3 und p.
' FUr: betonderen.
197
werde, ob er ^in ChrafiFt ergangner Handlung^ den Landgrafen
^fiuigen halten dürfe. Denn ,ehe Ir Majestät Ires kaiser-
Eclien Worts mit dem wenigsten fällig erkennt werden, ehe
folte Ir Majestät vnangesehen der verlornen Zeit zugeben, das
A Hanndlung zerschlagen, der Lanndtgraf widerumb haimb-
.^lassen wurde, und also Ir Majestät in Irem fumemen fortfaren
lochte. Daraus ist erfolgt^, heisst es femer in der Erklärung
'^ die KoriUrsten bekannten, der Kaiser habe ,annders nicht
lehandelt, dann was Irer Majestät von Rechtswegen wol gepurt,
nid im fall, ob etwas darwider aufgepracht, so weren baide
Clorfiirsten vrputtig^, Ir Majestät derhalben vnderthenigclich
«Terantworten, wie solches Ire baiden Churfursten one
iweifellrer Majestät werden Zeugknuss geben könnend
Kes hätten dann die Kurfürsten, heisst es gegen Ende der
Erklirang, auch vor dem Kaiser persönlich wiederholt und nur
•la Verkürzung der Haftzeit gebeten. Er habe geantwortet,
•^r woUe zuerst sehen, wie der Landgraf die Capitulation er-
eilen werde. Er finde aber noch immer ,nit geringen abgang
nid mangel' in Vollziehung der Capitulation, nämlich was den
Herzog von Braunschweig betreflFe, ferner die Ueberantwortung
fitr Brief vnnd Haimlichaiten^ des schmalkaldischen Bundes,*
^ch die Schleifung der Festungen. Ausserdem habe sich
^ Landgraf ,verruckter Zeit vnderstannden, Irer Majestät
I^oer mit practicken dahin zu bewegen, dass sy in vergessung
'•'^T pflicht seinem begern solten statt thuen^ Diese Bemer-
^3Dg bezieht sich auf seinen Fluchtversuch,* vieUeicht auch
^ einen Bestechungsversuch bei Bischof Granvelle * und bei
^in Hauptmann seiner Wache. Er hatte auch dem kaiser-
^dwn Conunissär in Hessen, dem Grafen Reinhard von Solms,
'«rsprochen, ihm das Amt Königsberg erblich zu lassen.^
'ErbStig.
Vfl die Yertragsbestimmung oben p. 147. Auch im Vertrage des Land-
P^n mit dem befreiten Herzog Heinrich von Brannschweig hiess es:
J^^eichen wollen wir, der Landgraff, Herzogen Heinrichen was vor
^ Tnd Sigel zw Brannschweig hindergesetzt sein^ sovill an nns ist,
*i^ mtwortten und zustellen lassen.* Melsung, 14. Juni 1547. Wiener
^t*AtBtrchiv, Reichstagsacten, Mainz, fasc. i2a.
3- oben p. 190.
^eil Istleib den Fluchtversuch nicht gekannt hat, bezieht er die obigen
Worte nur auf einen Bestechungsversuch (p. 220).
' Hummel, IV, 326
198
Die Mittheilung an die Reich »stände schloBS mit doi
Worten, der Kaiser habe ihnen dies Alles eröffnen wollen, dai
mit sie' sich ,durcli anndere geferbte furpringen annders nicht]
einpilden' lieseen.*
Eine Vergleichung dieser kaiserlichen Erklärung mit dei
Thatsachen ergibt, dass die Darstellung weder eine Unrichtig
keit noch eine absichtliche Entstellung enthält.'
Mit diesen Mittheilungen wurden auch die Nebenartike
vom 2. Juni 1547 in derselben Sprache vorgelegt, in der sii
überreicht worden waren.' Eine Prüfung der zwei damal:
der Mainzer Kanzlei Ubergebenen Copien* beweist, dass si<
mit der oben (p. 140f.) mitgetheilten authentischen Abschrif
Pfintzing's wörtlich Übereinstimmen. Nur in einer Hinsicht sin»
sie von dieser verschieden. Der fUnfte Artikel ist nämlich ii
beiden Copien vor den vierten gesetzt. Wenn hier eine Ab
sieht vorUegt, so kann es nur die gewesen sein, zu zeigen
dass die Anfangsworte des fünften Artikels: ,Dass solt gleich
woll der landgraff nit wissen', nicht nur auf den vierten, de
gegen Verlust an Land und Leuten schiltzte, sondern auch au
die Scblussworte des dritten Artikels bezogen werden mtls&ten
wo es heisst: ,daas Ime . . . solche ergebung weder zw Leyt
straff noch zw Ewiger gefencknuss raichen'. Eine genaue Vei
gteiebung lässt aber erkennen, dass die Veränderung unnöthij
gewesen wäre.
Durch die Mittheilungen des Kaisers waren auch die Kui
füllten gezwungen, den Keichsständen den Sachverhalt darzu
< Den Text bei Sastrow (II, 643 f.) habe ich auf Qrand iweier der M»iiiz>
Kanzlei Ubergebenen Abscbriften und einer dritten, die die Wiener Hu
bibliotbek besitEt (Cod. 9363), vielfach verbessert. Wiener Staatsarclii'
Mainier Beichstagsacteii, fuc. 15.
* luleib behauptet zwar, da«» sie sowohl Unrichtigkeiten als absicbtlicl
Entatellungen enthalte, unterlHsst es aber, den Beweis dafllr co e
bringren (p. 220).
* Issleib irrt, wenn er meint, die Artikel seien ,nacb der fransOsische
Niederachrift des Bischofs von Ärraa', also in deatscher UeberaetEung di
franzOnschen Textes den Ständen abergeben worden (p. 220, Anm. )t^
Elr kannte eben noch nicht den authentischen Text .der deutscheu Artikt
den ich oben p. 140f. mitgetbeilt habe. Vgl. Issleib, Die Gefange
nähme, 217 f.
* Sie tragen die Donualnote: ,Tod Kay. Ha' vbergeben, der heasüclu
Gesandten Werbung betrfeSend].' Wiener Staatsarchiv, MainEer Raicli
tagsacten, faic. 16, fol. 60, 96.
199
legen. Sie waren damals beide in Augsburg anwesend.^ In
ikem Namen liessen sie daher schon am 26. November den
Beichsständen durch ihre Bäthe folgende Erklärung mündlich
Böd schriftlich geben. Von dem ^Anbringen' der hessischen
«jesandten hätten die Kurflirsten, ehe sie die Werbung tags
lUTor durch ihre Rätfae ,abhören lassen^, ,nicht wissens gehapt^
Noch in anderer Weise suchten sich die Kurflirsten dem Kaiser
eef^enüber zu entschuldigen: so wie sie sich ,hievorn ye vnd
allewege' hätten vernehmen lassen^ so wüssten sie auch jetzt
,die kayserhche Majestät in nichtem zu beschuldigen, das an
ToDntziehung der abgeredten Capitulation bey Irer Kayserlichen
Majestät aynicher mangel yemaln gewesen. Aber gleichwol
seint in diesen Sachen allerhandt bey- und neben-Hendel
vorgefallen, anfenglich mit der Rö[misch] Kö[niglichenJ*
Miajestät], ehe vnd dan Ire Mafjestät] aus dem Feltlager vor
Wittemberg vorruckt' (dies geschah am 25. Mai) ,vnd volgends
mit Kay[serlichen] M[ajestät] Rethen, welche gantz ge-
baym vnd enge gescheen sein. Vnd konth sich hirinnen
wo! zugetragen haben, das in mangel vnd vnvorstandt
der Sprachen mit den kayserlichen Rethen aus dem
^ilerhandt missvorstandt erfolget sein mochte, so were
"loch bayder Churfursten, Sachsen vnd Brandemburg, gemuth
Tüd maynung nicht, sich deshalber in ayniche Disputation
^intzulassen.' Diese Sachen seien ,gelegen wie sie weiten',
von den Kurßirsten seien sie ,vnttertheniglichen, trewlichen vnd
»ol gemainth' gewesen: sie hätten nichts Anderes als ,viller
iandt vnschuldigs cristenlichs blutvorgiessenns, vorterbens Ar-
3ea Leathe' verhüten woUen und gewünscht, dass ,das haylig
Seich, deatzsche Nation, vnser gemaines Vaterlandt widervmb
iin mall in Frieden, Ruhe, ' Vorigen Standt vnd Wesen, wie
weh bescheen', gebracht werde, und dass der Kaiser von
arc^sen Kosten befreit werde, dies Alles^ um den Feinden der
Clmstenheit und des Reiches desto stattlicher Widerstand leisten
' Dmifel (I, 686, Anm. 6) irrt, wenn er das Gegentheil bezüglich des Kur-
ffirsten Moriz behauptet.
* Nach dem fehlerlosen Text zweier authentischen Abschriften, die der
Mainzer Kanzlei übergeben wurden (Wiener Staatsarchiv, Reichstags-
acten, ftac. 15, fol. 52, 103). Bei Hortleder (II, 924) und auch bei Sa-
ftrow (II, 663) irrig: ,Key[8erHchen]'. ^ |
200
zu können. Deshalb hätten sie den Landgrafen dahin vermocht.
,auf Irer Churfurstlich gnaden trawen, glauben vnd vorsicherunfr,
dieweyl Ire Churfurstlich gnaden die dinge auf kain gefengknus
vorstanden 'y die Capitulation anzunehmen^ nach Halle zu kommen
und die Abbitte zu leisten. Sie bäten zu ei-wägen: wenn dem
Landgrafen ,als einen sterblichen Menschen ayniche Leibsgefhar
entstünde, wie solchs bayden Churfursten bei aller Welt^ dieser
Sachen vnbericht, zu vorletzung Irer Hohait, Ehren, Glimpfs
und Reputation nachgeredet werden mochtet Die Reichsstände
mögen daher sie selbst mehi* als den Landgrafen ,bedencken'
und den Kaiser ,ersuchen, anlangen vnd bitten helffen^, auch er
möge sie und ihre Dienste mehr als den . Landgrafen berück-
sichtigen und ihn endUch freigeben, weil doch die Artikel der
Capitulation ,fast alle^ vollzogen seien und dieser gehorsam
bleiben müsse und werde.
Wie einst in Halle in Gegenwart kaiserlicher Räthe und
Karls V., so gaben die Kurfürsten nun vor den Reichsständen
die Erklärung ab, sie wüssten nicht, dass den Kaiser bezügUeb
der Erfüllung der Capitulation eine Schuld treflfe. Es filUt uns
aber ihre Behauptung von allerhand Bei- und Nebenhändeln
auf, die mit König Ferdinand bis zu dessen Abreise aus dem
Lager vor Wittenberg und dann mit den Räthen des Kaisers
,gantz gehaym vnd enge gescheen^ seien. Denn nur zwischen
dem Kaiser, beziehungsweise dessen Räthen, und den Kurfürsten,
wurden Artikel verabredet, die für den Landgrafen geheim
bleiben sollten. Seit dem 25. November waren diese auch für
die Reichsstände kein Geheimniss mehr. Zwischen König Fer-
dinand und den Kurfürsten war es zu keiner geheimen Ver-
abredung, wohl aber zu Verhandlungen gekommen, deren In-
halt der Landgraf nicht immer vollständig erfahren hatte. Wenn
der Kaiser, wahrscheinlich zur Verwunderung der Hessen und
zum Aerger ihres Herrn, erklären Hess, der Landgraf habe ohne
Rücksicht auf seine schmalkaldischen Bundesgenossen Separat-
verhandlungen begonnen und später sogar Waffenhilfe gegen
seinen geächteten Freund vorgeschlagen, so sollte die Welt er-
fahren, wie wenig ehrenhaft* der Landgraf gehandelt habe.
Denn der Kaiser wusste nicht, dass der Urheber dieser Vor-
schläge Herzog Moriz war, dass dieser um seiner Interessen
willen den Schwiegervater zur Annahme derartiger Vorschläge
gedrängt, unc[ dass der Landgraf sich lange und in Ehren da-
201
?«gen gestrÄubt hatte. ^ Noch im Jahre 1550 erinnerte der
Undgraf seinen Secretär Simon Bing, dass er diese Hilfe-
'^^g S^S^^ Johann Friedrich von Sachsen abgeschlagen
bbe.* Ebenso dtirften sich die Hessen verwundert haben, als
sie hörten, dass der Kaiser während der Vermittlung des Her-
2Ggs Moriz von allem Anfang an auf unbedingter Ergebung
Whufe Bürgschaft des Vertrages bestanden und mildere Be-
üngangen durchaus abgelehnt hatte. Denn Herzog Moriz liess
seinen Schwiegervater darüber lange im Ungewissen oder
sackte diese Forderung durch unbestimmte und unberechtigte
Vertröstungen annehmbar zu machen. Für den Landgrafen
WM" also Einiges wirklich Geheimniss geblieben, aber gerade
Soldies, was ihm hätte mitgetheilt werden sollen. Die Erinne-
^ daran muss fUr Moriz sehr unangenehm gewesen sein.
Aoch der verhüllte Versuch einer Rechtfertigung durch ,aller-
Wt bey- vnd neben-Hendel' ,anfenglich mit der Römisch
Königlichen Majestät^ legt dafür Zeugnis ab.
,Mangel vnd vnvorstandt der Sprachen mit den kayser-
Rethen' wäre also nach der Angabe der KurfUrsten
Scirald an dem Unglück des Landgrafen gewesen. Aber so
^>atimmt äusserten sie sich nicht. Die Worte: ,konth sich
liinnnen wo] zugetragen haben', dass daraus ,aller handt miss-
vorstandt erfolget sein mochte', klingen nicht so, als ob die
Korfersten selbst davon überzeugt gewesen wären. Wie hätten
^ M auch wagen können, das bestimmt zu behaupten! Die
Reichsstände hatten ja schon die Nebenartikel vom 2. Juni
keimen gelernt, die in der Fassung der Kurfürsten, noch dazu
^ deutscher Sprache, ein Missverständniss sehr unwahrschein-
tch machten. Ausserdem waren sie öflFentlich daran erinnert
'^en, dass ausser diesen Erklärungen keine wie immer ge-
artete mtindHche ,weittere verwenung oder Vertröstung' bezüg-
^^ des Landgrafen gegeben worden sei. Welche kaiserlichen
^the sollten das Missverständniss verschuldet haben? Für
fi« entscheidenden Verhandlungen vom 2. bis 4. Juni kam nur
Granvelle in Betracht, dieser war aber der deutschen Sprache
3ilc!itig und verhandelte damals in dieser. Auch an den fol-
genden Tagen bediente er sich der Hilfe Dr. Seld's nur zeit-
* 8. oben p. I13f., 116 f., 118f. ' j
' Bommel, IV, 339, Anmerkungen. |
202
weilig, nämlich bei der VertragsstipiLlatioii. Anders stand
es, wenn die Fürsten den Herzog von Alba meinten. Denn
auch mit diesem verhandelten sie, und von ihm konnte man
wahrscheinlich behaupten, dass er der deutschen Spi*ache nicht
mächtig gewesen sei. Sie verhandelten aber mit ihm erst am
11. Juni (der damals abwesende KurfUrst Joachim nur durch
seine Räthe), als sie bei ihm Abänderungsvorschläge des Land-
grafen zum Vertragsentwurfe befiirworteten.^
Das Missverständniss, womit sie in Halle ihren Irrthum zu
entschuldigen trachteten, musste von ihnen auch jetzt festge-
halten werden. Ihr Ansehen war ohnedies durch die ganze
Angelegenheit geschädigt worden. Sollten sie nun auch be-
kennen, dass sie in blindem Vertrauen auf Milde des Kaisers
dem Landgrafen mehr verbürgt hatten, als sie hätten thun
dürfen? Sie waren durch ihren Einspruchsversuch auf der Moriz-
burg gebunden. Daher also die Vorsicht im Ausdrucke bezüglich
des ,Missvor8tandts^
An demselben Tage, wo sie den Reichsständen diese Mit-
theilungen machen Hessen, mussten sie vor dem Kaiser er-
scheinen. Kurz vorher riethen ihnen die kaiserlichen Räthe,
über die Obligation vom 4. Juni zu schweigen.* Wir wissen
ja, dass der Kaiser ^i^se Verpflichtung durchaus nicht aner-
kannte. Dieser drückte nun ,sein grosses Missfallen über die
hessische Gesandtschaft' aus und legte dar, dass der Capi-
tulation in ungenügender Weise Folge geleistet werde. Als die
Kurfürsten den Landgrafen zu entschuldigen suchten, sagte er,
es sei nicht glaubhaft, dass dieser von der Werbung nichts ge-
wusst habe. Denn der hessische Bericht verrathe, dass er
selbst die Gesandtschaft angestiftet habe. Der Kaiser hätte
hinzufügen können, dass dies auch aus der wörtlichen Ueber-
einstimmung vieler Stellen der hessischen Werbung mit dem
Bittschreiben des Landgrafen vom 12. October hervorgehe.'
SchUesslich erklärte der Kaiser, vor vöUiger Vollziehung des
Vertrages werde er den Landgrafen nicht freilassen. Wir
wissen nicht, ob die Kurftlrsten auch etwas über die Art, wie
* S. oben p. 169.
* Issleib, Die Gefangenschaft, 221, Anm. 20. Eine Analyse der kurfürst-
lichen Erwiderung an die Reichsstände fehlt dort.
* S. oben p. 192, Anm. 3 und p. 193.
203
sie sich in ihrer Erwiderung an die Reichsstände zu entschul-
digen gesucht hatten, zu hören bekamen.^
Während Kurftlrst Joachim in Augsburg blieb, reiste Kur-
färet Moriz bald darauf heim* und kehrte erst etwa Anfang
Fcbnur 1548 nach Augsburg zurück.*
Am 3. December 1547 sandte der Kaiser seinen
Kath and Eoiegscommissär Johann von Lier an den Land-
grafen nach Nördlingen, wohin dieser inzwischen übersiedelt
war. Auf dem Wege dahin hatte er zu entweichen gedacht;*
er hatte aber wahrscheinlich keine Qelegenheit dazu. Auch
I^ drückte dem Landgrafen das Missfallen des Kaisers dar-
über aus, dass die Hessen in ihrer Werbung den Reichs-
itibiden ,zu verstehen^ gegeben hätten, ,als solte er', der Land-
graf, ,der Abrede zuwider gefenglich eingezogen sein* und als
3ei dem Sauser und dessen Dienern ,allerlei dabei' zur Last
ffl legen. Was ,etliche angemasste Verschreibungen' betreffe,
M seien die KurfUrsten nicht berechtigt gewesen, sich ohne
jein Vorwissen' und ohne seine (des Kaisers) Bewilligung derart
w verpflichten. Deshalb befehle er dem Landgrafen, ,von Stund
u)^ Jemand zu seinen Kindern abzufertigen, damit ihm, dem
Ktiser, ,alle vnnd yede öleitsbrieffe sampt anderen verschrei-
Wogen', die sie von den Kurftlrsten in dieser Angelegenheit
I>e8ä8sen, innerhalb zwanzig Tagen eingehändigt würden. Auch
:5oütcn sich der Landgraf und seine Kinder schriftlich verpflichten.
^ Ictleib'fl Mittheilang über diese Audienz dürfte wohl einem Berichte nach
Hetsen entnommen sein (p. 221 f.).
* Entweder am 29. November (Issleib, 222) oder am folgenden Tage
(V. D., n, 370, Anm.). Vielleicht fand die Schlittenfahrt des Kurfürsten
Moriz nach München, die Sastrow (11, 560 f.) auf einen Sonntag im De-
cember aetst, am 27. November, ebenfalls an einem Sonntage, statt
Als der Kurfürst schon im Schlitten sass, erinnerte ihn sein Hath Dr.
Carlowitz daran, dass der Kaiser am nächsten Tage einen Bescheid wegen
des Landgrafen geben wolle. Auch der Vorwurf, dass Kurfürst Moriz
nch durch sein leichtfertiges Verhalten bei Vornehmen aller Nationen
sowie beim Kaiser und KOnig in Verachtung gebracht habe, nützte
nichts: er fuhr zu Carlowitz' Aerger davon. Sastrow will dies Alles aus
uunittslbarster Nähe g^ehen und gehOrt haben.
* In einem Reichshofrathsprotokolle (II % fol. 81) vom 1. Februar 1548 heisst
«, der Kurfürst werde täglich und stündlich erwartet. Vgl. V. D., II,
391 .„^ Anm. 2 und Issleib, 225.
* Bommel, IV, 343, wo aber Näheres darüber fehlt.
AiektT. LXXXin. B4. I. Hilfte 14
I
i
204
die KurfUrsten auf Grund dieser Schriften künftig in keiner
Weise mehr ,zu betrüben und zu verunruhigen'. ^
Der Landgraf stellte sich so, als wtisste er nichts von
der hessischen Werbung, und als verstünde er darum nicht
den Vorwurf des Kaisers. Seine Verstellung nützte ihm aber
nichts. Lier ward unwillig und sagte: ,e8 weren ye Teutsche
Wort, die er ime von wegen des Keysers ansagt; so were der
Landtgrave doch auch ein gebomer Teutscher, derwegen sich
der Landgraf mit sollicher ausreden nicht zu besehenen^ (be-
schönigen) solle. Bezüglich der kurftlrstlichen Verpflichtung
erwiderte dieser: ,Solt in dem vber keyserUcher Majestät Vor-
wissen etwas geschehen' sein, ,so were er vbell vnnd jamerlich
bedrogen worden'. BezügUch der Auslieferung der kui-fUrstlichen
Verpflichtung äusserte er: weil er ,des Keysers Meinung vnnd
wohin solliches zu deuten' nicht verstehe, so könne er derzeit
keine andere Antwort geben. Der Kaiser möge mit ihm
machen, was er wolle. Er selbst sei ohnedies ein gefangener
Mann und könnte viel mehr als jetzt nicht bedrängt werden.
So berichtete Lier an den Kaiser.* Der Landgraf befahl dar-
auf seinen Kindern, die kurfürstliche Obligation unter keinen
Umständen herauszugeben, selbst dann nicht, wenn man mit
Krieg drohe.* Doch überbrachten seine Räthe Heinrich Lerener
und Dr. Tileman Gunterrode, die damals abwechselnd bei ihm
und auf dem Reichstage weilten,"* dem Kaiser bald eine be-
scheidenere Antwort: Mit der Werbung auf dem Reich tage
habe er nichts zu thun, die Obligation sei von den Fürsten
freiwillig seinen Kindern und nicht ihm ausgestellt worden; er
habe die Urkunde in Hessen zurückgelassen. Freibriefe an
die Kurfürsten von seiner Seite würden für sie wertlos sein.
Wenn sich die Kurfürsten geirret, möge der Kaiser ihn aus
Rücksicht für sie und für ihre Bitten und aus Mitleid mit
ihm freilassen.^
' Die Instruction für Lier bei Sastrow, II, 556 f., und bei Hortleder, II,
925 f.
• Sastrow, n, 659.
» Issleib, 224, Anna. 25.
♦ Rommel, IV, 328.
^ Issleib, 223 f., wo aber Liers Bericht nicht berücksichtigt ist.
205
?• Fflrbitten ohne Ansführniig des Vertrages.
Durch diese Haltung des Landgrafen wurde die Gesinnung
des Kaisers gegen ihn nicht freundhcher. Als dieser Lier's Be-
richt vernahm, verfligte er, dass dem Gefangenen, der damals
ui Husten litt, sein Leibarzt Dr. Megabach, sein Secretär und
andere Diener genommen werden sollten. Auch Tinte und
Papier wurden ihm vorläufig verboten. Erst einige Wochen
sp&ter setzte Kurfürst Joachim durch, dass der Landgraf wieder
seinen Leibarzt und zu den wenigen Dienern, die er damals
besass, zwei aus dem Adel erhielt.^
Die hessische Werbung hatte eher geschadet als genützt.
£8 blieb dem Landgrafen nichts Anderes übrig, als seine Be-
freiung durch Fürbitten zu versuchen. Da Erzherzog Maxi-
milians Verwendung fruchtlos blieb,^ mussten auf Wunsch des
Landgrafen dessen Gemahlin und Töchter Agnes und Anna
nach Augsburg kommen. Anfang Februar 1548 erschienen sie in
Trauerkleidem.' Etwa gleichzeitig traf dort Kurfürst Moriz ein.
Der Landgraf hatte seiner GemahHn die geheime Instruction ge-
geben, die Auslieferung der Obligation der Kurfürsten zuzuge-
stehen, wenn der Termin seiner Befreiung festgesetzt werde.*
Von dem Kaiser war aber Derartiges nicht zu erlangen. Herzog
Moriz erhielt am 24. Februar die feierhche Belehnung mit der
Karwürde,* aber die Landgräfin musste Ende Mai unver-
richteter Dinge heimreisen.^ Auf den Wünsch ihres Gemahls
überreichte sie dem Kaiser am 1. September 1548 in Speier
wieder eine Schrift, worin sie um seine Beurlaubung nach
Hessen bat, damit er dort das Interim einführen könne. Der
Landgraf erbot sich, dem Kaiser als Garantie seine zwei ältesten
Söhne und Ziegenhain zu übergeben. Sogar einen Theil seines
Landes woUte er seinen Kindern abtreten, nur möge ihnen der
Kaiser dann ,etliche Räthe' zuordnen.'' Es ist derselbe Plan,
* Rommel, IV, 327, 329.
' YgL oben p. 1S9, Anm. 2, und das Intercessionsversprechen, das er in
Mailand im Jnli 1548 schriftlich erneuerte. Draffel, I, p. 689 und 885.
» I«aleib, 224f.; V. D., H, 391.,«», Anra. 2.
* Bommel, IV, 327.
* Hortleder, II, 926.
* Bommel, IV, 333; Issleib, 226, 227.
' Lanz, n, 610.
14^
206
den er während der Leipziger Verhandlungen ersonnen, aber
dann doch nicht an den Kaiser hatte gelangen lassen.^ Im
Januar 1550 kam er wieder auf ihn zurück.' Der Kaiser blieb
unerbittlich: er gewährte der Landgräfin in Speier nur einen
achttägigen Aufenthalt bei ihi*em Gemahl.
Bald schlug der Landgraf einen neuen Weg zu seiner Be-
freiung vor. Die Kurfürsten sollten die Freundschaft des In-
fanten Philipp suchen, wenn dieser auf dem Wege von Spanien
nach den Niederlanden nach Deutschland komme, ferner soUten sie
sich dem Kaiser gegenüber erbieten, den Infanten auf Verlangen
zum römischen König zu wählen, überdies sich zu stattlichem
Kriegsdienste verpflichten.^ Ein ZufaU wollte es, dass Kurfürst
Moriz auch von dem Cardinal Christoph Madruzzo, Bischof von
Trient, mit dem er auf sehr freundschaftlichem Fusse stand,
und der den Infanten nach den Niederlanden begleitete, aus
Barcelona den Rath empfing, Philipp entgegenzureisen und ihn
um Verwendung für den Landgrafen zu bitten. Da KorfUrst
Joachim wegen Geldmangels den Kurfürsten von Sachsen nicht
begleiten konnte, so trug dieser allein am 27. Januar 1549 dem
Infanten seine Bitte in Trient in einer feierlichen Audienz vor.*
Er hob hiebei seine Verdienste im vergangenen Kriege, seine
Verwandtschaft mit dem Landgrafen, sowie seine Verpflichtung
vom 4. Juni hervor. Darauf reiste Kurfürst Moriz unter dem
Vorwande, den Infanten wegen zu geringen Gefolges nicht ehren-
voll begleiten zu köimen, nach Venedig, Ferrara, Mantua und
Mailand. Besonders mit dem > Herzog Ercole von Gonzaga
knüpfte er freundschaftliche Verbindungen an, die er auch in
den folgenden Jahren mit Rücksicht auf seine Pläne gegen den
Kaiser pflegte.^ Damals aber rieth er dem Landgrafen, seinen
zweiten Sohn Ludwig zur Erlernung der italienischen Sprache
und ,um anderer Vortheile willen* nach Ferrara zu senden.^
Den Infanten holte er aber schon in München wieder ein und
wiederholte seine Bitte auch in Augsburg und in Günzburg an
der Donau, wo er sich von ihm am 27. Februar verabschiedete.
* 8. oben p. 131.
« Druflfel, I, 347 f.
» iBsleib, 229.
* Lanz, Correspondenz, II, 622 f.
* V. D., II, 650.M9; Issleib, 230 f.
» IsBleib, 232.
207
Während seiner ganzen Reise nach den Niederlanden
mosste der Infant derlei Bitten hören ; in Heidelberg ,von sechs
Ffirsten', in Speier von einer hessischen Gesandtschaft und am
4. März 1549 in Neustadt au der Hardt von dem kurbranden-
borgischen Kanzler Christoph von der Strassen.^ Einige Wochen
vor ihrem Tode richtete auch die Landgräfin ein Bittschreiben
*n den Kaiser.*
Die feierliche Fürbitte des Infanten bei seinem Vater er-
f<Jgte am 10. April. Trotzdem dass der Cardinal von Trient
ungeduldig drängte, erreichte auch er nichts. Da die Antwort
80 lange ausblieb, trafen Bittschreiben der Kurfürsten an den
In&nten und an Herzog Alba ein.' Heinrich Lersner bat am
4. Juni und der kursächsische Unterhändler Dr. Kram am
10. Juli in Gent vergebens um Hafterleichterungen für den
Landgrafen,* der seit der Rückkehr des Kaisers in die Nieder-
lande in Oudenarde bewacht wurde. Er durfte ausserhalb des
diM^gen Schlosses aUein nicht spazieren gehen und hatte nur
zwei Gemächer. Erst einen Monat später erhielt Dr. Kram den
Bescheid, man werde dem Landgrafen die Diener, die man ihm
genommen, nicht wiedergeben. Man habe eher Ursache, ,die
äbrigen deutschen, so noch bey seinen fürstlichen gnaden sein,
auch abzuschaffend Der Landgraf habe ,itz für vnd ftir vil böse
wort viid geberden practicire vnd handele teglich immerdar^
Bischof Granvelle glaube, dass der Gefangene ,nit wol bey
vemunfft sey'; denn er wisse ja, ,was jme der erledigung halb
widerfhuere, wolte keyserliche Majestät, das es allein aus gnaden
bescheen vnd erkennet werden solte'.* Endlich entschuldigte
sich der Infant in einem Schreiben an Kurfürst Moriz, dass er
nicht gewagt habe, die Fürbitte zu erneuern; denn sein Vater
sei wegen der saumseligen Vollziehung der Capitulation und
wegen der Haltung, die der Landgraf, seine Kinder und seine
Käthe dem Interim gegenüber beobachteten, erzürnt. Dieser
Brief ward Dr. Obemburger schon am 4. Juli dictirt, wiu*de
« Dmffel, I, p. 208 f.
s Am 19. März 1549 bei Lanz, U, 631 f.
» Beichshofrathsprotokoll (V, fol. 121) vom 4. Juli 1649.
* I>ruffel, I, p 277 f.; Lanz II, 634 f.
» Bericht des hessischen Secretärs und Pfennigmeisters (Lanz, III, 44)
Reinhard Abel an den Landgrafen vom 13. August bei Lanz, II, 635 f.
208
aber erst am 31. August datirt und abgesandt.^ Natürlich wurde
es wieder abgelehnt, den Landgrafen auf mehrere Wochen Ur-
laub in die Heimat zu ertheilen, obwohl er sich etwa im Juli
zu eventuellem Kriegsdienste und zu Einführung des Interims
in sechs Wochen erboten hatte.
Der Landgraf setzte nun seine ganze Hoffnung auf eine
Reise der KurfUrsten zum Kaiser; entweder sollten sie sich
einsteUen oder seine Befreiung persönlich erwirken. Seinen
Kindern gab er den Auftrag, den Kurfürsten mit ,öffentUchen
Ausschreiben, Anschlägen und Schandgemälden^ zu drohen,
wenn sie säumig seien. Auch verlangte er zu wiederholten
Malen, dass sie sich erbötig machen sollten, den Infanten zum
römischen Könige' zu wählen.* Die Kurfürsten Hessen sich
aber weder zu dem Einen noch zu dem Andern bewegen. Es
erscheine ihnen bedenklich und leichtfertig, erwiderten sie, sich
selbst zu dieser Wahl zu erbieten, ehe sie darum ersucht
würden. Uebrigens habe man ja einen römischen Kaiser und
einen römischen König. Sie wussten, dass sie damit auch nach
dem Wunsche König Ferdinands und des Erzherzogs Maxi-
miUan, des Titularkönigs von Böhmen, antworteten. Ehe dieser
nach Spanien reiste, soll sich ihm Kurfürst Moriz bezüglich der
Nachfolge im Reiche durch einen feierlichen Eid verpflichtet,
dafür soll aber der Erzherzog geschworen haben, die durch
den Vertrag des Herzogs Moriz mit dem Kaiser 1546 be-
gründete Sonderstellung Sachsens in religiöser Beziehung anzu-
erkennen.*
Was die habsburgischen Brüder bezüghch des Landgrafen
beschlossen, ist unbekannt; dass sie aber geneigt gewesen
wären, ihn vor der ErflUlung der Capitulation und vor der
Annahme des Interims in seinem Lande freizulassen, ist wenig
wahrscheinlich. Der Landgraf selbst machte es dem Kaiser
nicht schwer, aufischiebende oder ablehnende Antworten in der
Frage der Enthaftung zu begründen, denn die AusflLhrung
* Lanz, n, 634. ,Dictavi [Seid] do[mino] Oberabnrgf[er] 4 julii anno 1549/
Reichshofrathsprotokoll vom 4. Juli 1649 (IV, fol. 7; V., fol. 121) im
Wiener Staatsarchiv.
» Issleib, 229, 238 flf.; Ranke, V, 84, Anm. l; VI, 291.
■ Moresini und Badoer, Augsburg, 14. October 1650. V. D., II, 467.X89,
Anm. 1; vgl. Issleib, Das Interim in Sachsen (Archiv für sächsische Ge-
schichte, 1894, XV).
209
des Vertrages Hess Manches zu wünschen übrig. Vielleicht hing
dies mit geheimen Befehlen des Landgrafen selbst zusammen.^
Zwar ward im Gegensatze zum gefangenen Sachsenherzog, der,
wie er selbst behauptete,* mit den Seinigen in freiem schrift-
liehen Verkehr bleiben durfte, die Con-espondenz des Land-
grafen aberwacht, auch die Processschriften, die dieser mit Kur-
mainz, mit dem deutschen Orden, mit Herzog Heinrich von
Braansehweig, sowie mit den Grafen von Nassau und Solms
wechselte, kamen nur durch Granvelle's Hand in die Hände
der Adressaten,* es gelang ihm aber doch, mit den Seinigen
in geheimer Correspondenz zu bleiben. Als Boten dienten
hessische Fuhrleute, die ihm regelmässig Proviant zuführten.
£r suchte so viel als möglich von seinen festen Plätzen
und von seinen Geschützen zu retten. Der Kaiser hatte ihm
nur Ziegenhain sammt dreissig Geschützen gelassen. Als spa-
nische Commissäre im Juli und August 1547 in Hessen weilten,
weigerten sie sich, das Geschütz unvollständig und in schlechtem
Zustande zu übernehmen. Man sagte ihnen, das kleine Ge-
schütz sei von den hessischen Städten geliehen worden. Die
Commissäre verlangten auch neue Räder und Wagen. Als
dann Johann Ortiz im October und November 1548 die Ar-
tillerie tibernehmen wollte, fand er, dass ,mehreres vorher bei
Seite geschleppt war^* Ob diese Beschwerden alle Erfolg
hatten, wissen wir nicht.
Auch die Schleifung der Festungen scheint absichtlich
verzögert worden zu sein. Obwohl der Landgraf im Novem-
ber 1547 hatte erklären lassen, dass zwei Drittel der Befesti-
gungen von Cassel geschleift seien, mussten die Kurfürsten im
Februar 1548 wieder darauf dringen, die dortigen Befestigungs-
werke bis auf die Schlossmauern zu brechen.* Im November
1548 ward dem Kaiser angezeigt, dass sich sein Baumeister
Franz Gaudin, den er ,zur Einziehung' der hessischen Befesti-
gungen beauftragt hatte, habe bestechen lassen, und dass er dem
> Vgl. oben p. 189, 192 und 204.
> Der Herzog an seinen Kanzler Dr. BrUck, 8. Januar 1550, bei Dmffel,
I, 343.
» Beichahofrathsprotokoll vom 17. Juni 1548 (II«); Rommel, IV, 332; Ur-
kondenband, 268.
« Bommel, IV, 315, 317, 318, 331.
* Usleib, 226; Bommel, IV, 328.
210
erhaltenen Befehle nicht ,mit solchen trewen vnd wie er seiner
pflicht nach vnd vermöge der Capitulation zu thun schuldig
gewest', nachgekommen sei. Daher liess ihn der Kaiser abbe-
rufen und gab seinem Hauptcommissär in Hessen, dem Qrafen
Reinhard von Solms, einem Feinde des Landgrafen, am 12. No-
vember 1548 den Auftrag, der Sache durch geheime Erkundi-
gungen auf die Spur zu kommen.* Wie man in Gotha die
Fundamente stehen liess, um künftigen Wiederaufbau zu er-
leichtern,* so scheint man es auch mit den hessischen Festungen
gemacht zu haben. In einer testamentarischen Ermahnung* an
seinen Sohn Wilhelm schrieb der Landgraf am 17. November
1550, der Sohn sei durch die Capitulation nicht gehindert, die
Festungen wieder aufzubauen und sich mit treuen Freunden
zu verbinden.'
Der Kaiser begnügte sich nicht mit der Schleifung der
Hauptfestungen Qiessen, Rüsselsheim und Cassel, sondern ver-
langte von dem Landgrafen, dass nach dem Wortlaute des
Vertrages ,alspaldt alle Bevestigung seines Landts^^ mit
Ausnahme einer einzigen gebrochen werde. Man erklärte den
kaiserlichen Commissären: was sonst noch an Befestigungen vor-
handen, sei ,anderer Churfursten, f\u*sten vnd herren Lehen^ ,zu
dem das auch dieselbenn Heusser an sich selbst dermassen gethan^
das sie unnsers achtens pillich vor keinn vestung zu achten*.
Der Kaiser befahl darauf, es soUten ihm binnen ,fUnffzehenn
Tagen oder palt darnach die brieve vrkunth vnnd Documenta,
dardurch dieser Heuser Lehennschaft zu beweisenn', geschickt
werden. Am 17. December 1548 antworteten die Statthalter
in Cassel: weil die Frist zu kurz sei, und weil die Urkunden
wegen des Rechtsstreites mit Nassau in verschiedenen Händen
seien, könnten sie nur dreizehn notariell ,auscultirte' Copien
senden. Der Kaiser möge Jemand nach Hessen senden, damit
^ Der Entwurf des kaiserlichen Schreibens von Obemburg^er^s Hand mit
vielen Correcturen trägt unten die Adresse: ,An Graven/ Dass es an
Reinhard von Solms gerichtet war, ist sehr wahrscheinlich, weil er und
seine Gemahlin persönlich die Schleifung der Festungen überwachten.
Bommel, IV, 319, 320; Wiener Staatsarchiv, ,Kleinere ReichssUnde*,
fasc. 135.
" Michiel, Pressburg, l. Juli 1567. V. D., III, 408.17,, Anm, 2.
» Rommel, IV, 340.
♦ S. oben p. 147.
211
diese mit den Originalien verglicben werden könnten. Zugleich
maditen sie darauf aufmerksam^ ans den Urkimden ergebe sich,
dASs Dornberg, Darmstadt, Reichenberg, Goarshausen ,oder
Sewen Catzenelnnpogen', Rheinfels, Bickenbach, Lichtenberg,
Braubach,; Auerberg und ,Ho[h]enstein alle annderer Churfursten,
forsten vnd herrenn Lehenn seien', imd baten, ,in Betrachtung
das die famembstenn derselbenn Heuser nichts sonderlichs vnd
die anderenn ganntz nichts zu einicher wehr preuchlich, noch
Tor vestung gehalten werden mugen, derwegen sie auch vonn
onserem gnädigen hem nie sonnderlich bestelt worden sein,
ans sondern gnaden vnd milde solche heuser ungeprochen
zu lassen/^
Der Kaiser dürfte diese Bitte nicht erfüllt haben. Die
weiteren Verhandlungen darüber sind unbekannt. Dagegen
^fahren wir, dass sich Kurfürst Friedrich von der Pfalz im
Joni 1549 weigerte, eine ,Caution' bezüglich Lichtenbei^ und
Braubachs zu geben.' Diese wird sich auf die Schleifung und
Wiederbefestigung bezogen haben. Januar 1550 schrieb man in
tmem Memorial, das der Landgraf dem kurbrandenburgischen
Rathe Eustachius von Schlieben übergab: , Die Berghäuser sind
Lehen Anderer; es steht auf des Kaisers Entscheid,) was ge-
sdiefaen soU^^ Sie waren also damals noch ungebrochen.
Wir haben schon aus der Erklärung des Kaisers an die
Beichsstände erfahren, dass der Landgraf auch nicht die Ver-
pflichtung erfüllte, sämmtliche auf den schmalkaldischen Bund
ud auf andere Einigungen bezüglichen Urkunden auszuliefern.
Damjüs antwortete der Landgraf, er könne und wolle nicht
der Verräther Aller sein.^ Es ist kaum anzunehmen, dass er in
den folgenden Jahren anderer Meinung gewesen sei.
Viel mehr als 'alle diese Dinge scheint aber den Kaiser
der Widerstand verdrossen zu haben, den die Hessen dem
^ Wiener Staatsarchiv, «Kleinere ReichsständeS fasc. 135.
* Im Reichshofrathsprotokolle vom 24. Juni 1649 (V, 99) ist als Ursache
verzeichnet: »angesehen das ettliche seine missgonstige, wa 8j erfaren
solten, das er solche Caution gethan, allererst vrsach suechen mochten,
ine darob in schaden zu fueren, welches ime nit allain beschwerlich,
sondern auch bei der Kay. M^ verweislich sein vnd zu vngnaden raichen
mocht.'
* So in der Inhaltsangabe bei Druffel, I, 346.
* Bommel, IV, 326.
212
Interim bereiteten. Der Landgraf hatte sich ja in der Capi-
tulation verpflichtet, ^alles, was Ire Majestatt zu guetem Fride,
Rhue und Ainigckeit der Teutschen Nation verordnen wirdet,
völlig vnd gentzlich' zu ,volstrecken^* Der Kaiser hielt die Bei-
legung der deutschen ReUgionswirren durch ein Concil für eine
seiner heiligsten Pflichten. Dazu verpflichte ihn, äusserte er im
Juli 1647, der ihm von Gott verliehene Sieg,* selbst wenn er alle
seine Staaten daran setzen müsste. Da aber eine Verständi-
gung zwischen ihm und dem Papste unerreichbar wurde, so
wollte er in Deutschland eine religiöse Zwischenordnung, ge-
nannt Interim, ins Leben rufen, die bis zu den Entscheidungen
des Concils in Kraft bleiben sollte. Auf dieses hoffte er mög-
lichst viel Einwirkung zu erlangen, um dann durch einige Zu-
geständnisse an die Neugläubigen, besonders aber durch ein-
greifende Reformen die ersehnte Einigung zu erzielen. Die
Zusammenfassung der bedeutendsten Kräfte der damaligen
christlichen Welt sollte dann durch Uebertragung der Kaiser-
würde an seinen Sohn Philipp auch ftir die Zukunft gesichert,
also eine habsburgische Universalmonarchie auf dem Boden der
alten und neuen Welt begründet werden, die nie ihresgleichen
gehabt hätte. Aber rehgiöse Glaubensparität in Deutschland
zu bewilligen, dazu wäre Karl V. damals nicht zu bringen
gewesen. Auch im Juli 1552 bewilligte er in Villach Religions-
frieden nur bis zum ktlnftigen Reichstage. Die Worte des
Passauer Vertragsentwurfes, dass die reHgiöse Frage nur auf
gütlichem Wege ausgetragen werden müsse, tilgte er.* Nur wenn
die Protestanten nicht auf dauerndem Frieden bestünden, wollte
er mit den Augsburger Verhandlungen des Jahres 1556 zu thun
haben, sonst sollte König Ferdinand mit unbeschränkter Voll-
macht verhandeln und abschliessen.^ Als 'dann das Unvermeid-
liche Gesetz geworden war, befahl er am 19. December 1555
die Abfassung einer Urkunde, worin alle Augsburger Beschlüsse
^ S. oben p. 146.
' Mocenigo, Augsburg, 31. Juli 1547. V. D., II, SIS.xm*
' Issleib, Moriz von Sachsen gegen Karl V. (Archiv fttr sächsische Ge-
schichte, 1S86, VlI, 51; Gustav Wolf, Der Passauer Vertrag (ebendas.
1894, XV) 251 f., 255.
^ Wolf, Der Angsburger Religionsfriede (Stuttgart 1890), 15 f.; Ranke,
V, 287.
213
juafem sie sein Gewissen irgendwie verletzen könnten^, geheim
refocirt wurden. Diesen Auftrag dürfte Seid vollzogen haben. ^
Im Jahre 1548 legte er besonderes Gewicht darauf^ dass
diä Interim von den einstigen Häuptern des schmalkaldischen
Bundes angenommen werde. Der Landgraf zeigte sich nicht
» standhaft wie Herzog Johann Friedrich.* Er nahm es auf
den Rath des Kurftlrsten von Brandenburg nicht blos ftlr seine
Person an^ sondern befahl auch^ es in Hessen einzuführen. Am
27. November 1548 erzählte er dem kursächsischen Rathe Dr. Jung,
er habe schon zweimal Augustinus, Ambrosius und Eusebius
durchgelesen und sei etliche Male in die Messe gegangen, und
vn zu beweisen, dass er es nicht aus Heuchelei thue, so habe
er sich öfter erboten, mit dem kaiserlichen Beichtvater und
mit einem anderen Theologen über den Glauben zu reden.*
Wie in vielen Theilen Deutschlands so erhob sich auch in den
Ländern der gefangenen Fürsten Widerstand gegen das Interim.
Am 11. August 1548 schrieben Statthalter und Räthe in Cassel dem
Kaiser, würde der Landgraf frei, so würde er in einem Monat
mehr durchsetzen als sie in einem Jahre.* Der Kaiser wurde
imwfllig, weil der Landgraf sammt seinen Söhnen und Käthen
Mch ,in Sachen der Religion etwas wankelmutig und vnstant-
luifft' seien. Das schrieb Philipp von Spanien an Kurflirst
Moriz am 31. August 1549. Am 6. October 1549 ergingen von
Brüffiel aus ,strenge Edikte^ g^gön die Widerstrebenden in
Hessen, blieben aber ohne Wirkung.*
8. BeligiSs-politlseher Widerstand in Deutschland.
Der weit verbreitete Widerstand gegen das Interim gab
dem Kaiser zu denken, und als er im December 1549 Seid an
* .Fiat ex proprio mandato Suae Caes. M^'* generalis revocatio conclusionum
in negoeio religionis factarum, si quid iliis inest, quo S. M^ conscientia
&liqaomodo laedi possit, alias in suo robore duratarum. S[el]d.* Reichs-
hofrathsprotokoll vom 19. December 1655 (XI, fol. 181) im Wiener
Staatsarcbiv.
' VgL die Antwort vom 4. oder 5. Juli 1548, femer vom 29. Jänner und
vom 26. April 1549 bei Hortleder, II, 946 f., 950 f. und bei Johannes
Voigt, Der Fürstenband (Ranmer^s historisches Jahrbuch, 1857, 3. Folge,
VIU), 10 f.
• Bommel, IV, 330, 334; Issleib, 226, 228; Druffel, I, p. 231; Voigt, 12.
' Druffel, I, 140. * Rommel, IV, 332.
214
die vier rheinischen Kurfürsten schickte, um ihr Gutachten dar-
über einzuholen, was man bezüglich des geächteten Magdeburg
und bezüglich des Interims thun solle,^ ertheilte er ihm den g-e-
heimen Auftrag^ die Stimmung in Deutschland auszuforschen.
Seid schrieb nach seiner Rückkehr eigenhändig einen Bericht
nieder und überreichte ihn am 24. Januar lööO dem Bischof
von Arras für den Kaiser.' Darin schildert er den religiösen
Zustand Deutschlands sehr ausfbhrUch und behauptet Folgendes :
Bald nach dem Augsburger Reichstage habe man das Interim
nur versteckt und sophistisch bekämpft; jetzt wage man an
vielen Orten gegen die katholische Religion offen zu eifern und
Alles wieder umzustürzen. Die Prediger, die von den Obrigkeiten
ausgewiesen worden seien, um dem Kaiser zu gehorchen, rufe
man jetzt wieder zurück. Besucher katholischen Gottesdienstes
würden verspottet, die heftigsten LibeUe, Gedichte und Geailnge
unter dem Volke verbreitet, wodurch dieses nicht nur gegen
die Religion, sondern bisweilen gegen die Person des Kaisers
aufgereizt werde. Heimlich klage man: solange der Kaiser im
Reiche weile, könne man fast nichts versuchen. Daher mtleise
man Geduld haben, bis er sterbe oder wenigstens Deutschlajid
verlasse. Dann erst sei die Zeit gekommen, die frühere FVei-
heit wieder zu gewinnen. Katholischer Gottesdienst werde Aueh
gewaltsam verhindert. Man schneide der unerfahrenen Menge
nun alle Hoffnung auf das Concil ab uud behaupte, dass es
der Papst mit seinen Mönchen und Sophisten beherrschen
werde. Offen 'gesteht Seid: mit der Religion scheine es ihm
daher schlimmer bestellt zu sein als zur Zeit, da der Kaiser
Deutschland verlassen habe. Tix)tzdem glaube er aber sag-en
zu können, dass es keine Schwierigkeit gebe, die dem Kaiser
grosse Besorgniss einzuflössen brauche. Denn die Bündnisse
der Gegner seien getrennt, die Häupter der Aufrührer entfernt
und die Uebrigen durch die Unglücksfalle des letzten Krieges
so erschüttert und erschreckt, dass der Kaiser durch Briefe
und Worte ohne Zweifel mehr ausrichten werde, als er früher
durch Waffen zu erreichen schien. Dann besitze er so hohen
* Dniff^l, 1, SIS, S39.
* So ist woM di« Rjuidbemerkunir: ,H«Utain rersrendissiiiio Atreb[ateiisi]
^4 janoarii [l&AO] lu T«rst«li«ii. ReiehsbofraÜisprotokoUe, IV, fol. 5B
Kis 67« Wif««r StMtsarcliiT.
215
Math und solches Glück, dass auch die schwierigsten Dinge,
wenn er nur woUe und an sie herantrete, glatt und leicht
verliefen.*
Trotz dieser Schmeichelei gesteht aber auch Seid, dass
die Lage in Deutschland sich seit der Abreise des Kaisers
sehwieriger gestaltet habe. Die grösste Gefahr lag fUr diesen
in einer Verbindung Frankreichs mit den Unzufriedenen in
Deutschland. Der Kaiser gab sich alle Mühe, einen Krieg
mit Frankreich zu vermeiden, beauftragte aber seinen Gesandten
Simon Renard, mit Bestechungsgeldem nicht zu sparen, um die
Absichten und Verbindungen der französischen Regierung aus-
Mforschen.* Denn Fürsten und Städte Deutschlands standen
anonterbrochen in Verkehr mit den am französischen Hofe
lebenden geächteten Deutschen. Hauptsächlich waren hiebei
thltig Q^org von Württemberg, der Bruder Herzog Ulrichs,
ferner der Rheingraf Johann Philipp, Sebastian Schertlin von
Bartenbach, der aber im Sommer lö49 Begnadigung ansti*ebte,'
Hans von Heideck, Georg von Reckenrode und Friedrich von
Eeifenberg.*
Schon in den ersten Monaten des Jahres 1548 versuchte
Herzog Otto der Aeltere von Braunschweig-Harburg einen Bund
deutscher Fürsten und Städte mit Frankreich, ,der wahren
christlichen Religion und Freiheit des Vaterlandes zum Besten^,
zustande zu bringen. Frankreich wünschte aber zuerst Bericht
iber die Zahl der Theilnehmer sowie über Polens Eintritt in
das künftige Bündniss durch Vermittlung des Herzogs Albrecht
' ,Haec et multa similia com in Qermania nunc contingant, res eo deducitur,
Qt religio nostra illic aliqaanto plns nunc clandicare videatnr, quam cum
des. M*** proxime ex Qennania in has proyincias discesait . . . (fol. 69^)
Neqne hie subesse aliquam difficultatem, quäe M^" S. magnopeie deter-
rere debeat. Rnptas enim adversariorum confoederationes, Bublata sedi-
tionam capita, reliquos omnes calamitatibus proximi belli ita esse fractos
ei timore percnisos, ut M^** S. litteris nunc et verbis plus procul dubio
effectura sit, quam antehac armis efficere posse visa sit. Deinde eam
tme magnitudinem animi S. M^, eam fortunam, ut etiam res asperrimae,
modo M^ S. yelit, modo adgrediatur, planae ac faciles sese exhibeant
(fol. 62^).
* Instructionen Tom Januar 1649 und Januar 1550 in den Papiers d*^tat
du cardlnal de Oranrelle (Paris 1842), HI, 348 f., 402.
* Dmffel, I, 283 (KOnig Ferdiand an den Kaiser, 21. August 1549).
* Voigt, Der Fttrstenbond, 19; Lanz, U, 621 f.
216
Dessen Bedenken und der Tod des Herzoi
von
^ -, - 1548) hemmten allerdings die Verhandlungen, a
^^ ^ -lest^strebungen wurden, vielleicht wirklich auf A
^*^ Aer Söhne des Landgrafen,^ von dem Markgraf
'^^^^ v^on Brandenburg, dem eifrigen Gegner des Interims,
^^ ^ j)er Markgraf zog auch den Knrftbrsten Moriz i
foitges^^ , ^jj Zusammenkünften Anfang August und am 6. O
^^ 1 ^48 heran.' Aber der Herzog von Preussen beobachte
^^ tft\»-*5t liorix' Verhalten gegen den Kaiser mit Misstraue
ü^urtur«» ^j^ Markgraf Hans gegen den Kurfiirsten zurüc
^ , .— Tirde- So musste man sich im Jahre 1549 vorläufij
"^ ^e Stimmung an einzelnen Fürstenhöfen und ^
^^^^tt nsestädten insgeheim auszukundschaften. Hiezu wur
• ^WoÄft dere Graf Volrad von Mansfeld und Gteorg von Heidecl^
^^ r> Aer des geächteten Hans verwendet*
P lens Zurückhaltung wird durch die Bundesverhandlungei
'ftich. die sein König Sigmund 1549 sowohl mit Könid
if^V «d ab DMt dem Kaiser führte. Die Antwort , die dej
Cardinal Stanislaus Hosius im December 1549^ aus
ttÜfi 1 heimbrachte, scheint den König nicht befriedigt zu
\^ Denn der Kaiser war zwar bereit, ein Bündniss seines
n^il^rs mit dem Polenkönige zu ,ratificiren^, wünschte aber nicht,
«l'eses «^ ^^ gesammte deutsche Reich ausgedehnt werde
^j^ auch die Rechte des Reiches auf das säcularisirt«
Pr*» n Polen gegenüber zu vertreten. Daher wollte de;
Kaiser die AchterkÜürung des Retchskammergerichtes gege]
d Preussenherzog vom 19. Januar 1532 der Bundesverhand
l^^n halber nur auf sechs Monate suspendiren.«
^^ Die französische Regierung scheint indessen den Bundes
bestrebungen in Deutschland etwas mehr als früher eutgegei
«rekommen zu sein. Der Landgraf selbst gestand am 5. F<
bruar 1551 VigKus gegenüber, dass ihm ,zwei oder drei Monat
nach seiner Ankunft in Oudenarde, ako Ende 1548 oder Ai
* Voift» »f.
» b»leib. Da» Interi« in Sacken, Wl, 511.
« Voict« 31-
» SeiM AWkieisandi«» «*iiell er •« 38, Noimber 1649. l^i^,
. Kbe«d«. IV, «oL«', SÄ> 4t% 44^ V, W- «t. S», SSS, SS7,
217
bog 1549 im Auftrage des französischen Königs Folgendes er-
5fiiet worden sei: wenn er und der gefangene Sachsenherzog
s dahin zu bringen wüssten, dass der Krieg gegen den Kaiser
in Deutschland mit gutem Vorbedacht wieder aufgenommen
werde, so erbiete sich der König, die Niederlande anzugreifen
tmd den Krieg so zu fUhren, dass er sie beide zu befreien
hoffe. Wer dem Landgrafen diese Mittheilungen überbrachte,
wissen wir nicht,^ ebensowenig, ob derartige Anerbietungen
durch dieselbe oder eine andere Person auch an die Söhne
der gefangenen Fürsten gelangten.* Auch die Antwort des
Landgrafen ist unbekannt. Sicher ist jedoch, dass der Rheingraf
im Februar und in den folgenden Monaten die deutschen See-
iiäite in ihrer trotzigen Haltung bestärkte,' und dass Aehnliches
aöch Magdeburg gegenüber geschah. Unterhändler der Seestädte
«schienen in Frankreich und erregten ebenso wie Gesandt-
schaften Christophs von Württemberg und des Pfalzgrafen
Friedrich beim Kaiser Verdacht.*
Im Juni oder Juli ward dann dem Kaiser von Renard
berichtet, dass Jemand die Befreiung des Landgrafen unter-
nehmen wolle. Der Name wurde wohl genannt, ist uns aber
onbekannt, weil uns der Bericht selbst fehlt.^ Es liegt nahe
Mzanehmen, dass dieser Plan von einem der Deutschen aus-
gegangen sei, die als Geächtete am französischen Hofe lebten.
Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass in Annaberg
zwischen dem 22. und 24. August 1549 Kurfürst Moriz sich
not hessischen Käthen über den Plan besprach, den Landgrafen
^f französisches Gebiet zu retten, und dass man beschloss.
' Der Landgraf weigerte sich bei dem VerhOr nach seinem misslangenen
FlnehtTersnch, den Namen zn nennen, weil Viglius ihm Straflosigkeit für
den Unbekannten nicht Kusichem konnte. Lanz, Correspondenz, III, 49.
'Voigt, 31 f. und Cornelius, Kurfürst Moriz gegenüber der Fflrstenver-
schwOrong (Abhandlungen der historischen Classe der bayerischen Aka-
demie der Wissenschaften, 1867, X) 642, Anm. 1. Angaben hierOber
fehlen bei beiden.
' Beridite Marillac's vom Kaiserhofe, 23. Februar, to. Mftrz und 22. Mai
1549 bei Druffel, I, 204 f., 209, 223. Der Kaiser an Renard, 28. Mai 1549;
Memoire für Herrn von Vigne^s Sendung nach Magdeburg. Papiers
d'^tat da cardinal de Qranvelle, III, 369 f., 403 f.
* Papiers d'^tat, III, 369 ff.
^ ,l()oant a celuy qui veut entreprendre de delivrer le landgpraye.* Ant-
wortschreiben vom 12. Juli 1649, ebendas. 379.
- ^
219
ZosUndekommen eines Bundes zu bemühen^ da auch in Frank-
nich das GHeiche geschehe.^ Anfang 1550 theilte er dann
dem Markgrafen Hans von Brandenburg mit^ der König habe
SdterÜin wissen lassen; weder ein Fürst noch sonst Jemand
D(ige ans Deutschland zu ihm kommen; denn Alles sei so ein-
gerichtet; dass der Kaiser, der sich sicherer Kunde zufolge
Dich Italien und Spanien begeben müssC; aus diesen Landen
Dicht wieder lebendig herauskommen solle.* Darum müsse
Alles yermieden werdeo; was ihn misstrauisch machen und von
seinem Vorhaben abbringen könnte.
Als der Landgraf am 24. October 1549 von dem Plane
des Kurfllrsten erfuhr, erhob er viele Bedenken; die Entftihrung
dhe nur in äusserster Noth versucht werden. Er meinte, der
Korftknt Airchte, sich einstellen zu müssen. Im December 1549
war aber auch der Landgraf für die Sache soweit gewonnen,
diM er selbst demjenigen, der ihn entfUhre, eine Belohnung
^n 30.000 Gulden oder ein gleichwertiges Amt versprach.*
So reiste denn Heinrich von Schachten Anfang Februar 1550
i&ä^heim an den französischen Hof ab.^ Denn Kurfürst Moriz
Itttte damals das dringendste Interesse daran, dass er die
Ldtong der vielfachen Unterhandlungen deutscher Fürsten und
Sudte mit Frankreich womöglich ganz in seine Hand bekam.
Nor so konnte er die völlige Restitution Johann Friedrichs von
Sachsen hindern, die ihm bei einer allgemeinen Erhebung gegen
^ Kaiser unter Frankreichs Mitwirkung drohte. Die Früchte
s^r ehrgeizigen Politik standen auf dem Spiele.
Zu derselben Zeit, da Heinrich von Schachten am fran-
»aischen Hofe die für die Folgezeit so wichtige Verbindung
sachte, schlössen Herzog Albrecht von Preussen, femer Johann
Albrecht von Mecklenburg und Markgraf Hans von Branden-
Wg in Königsberg ein geheimes Bündniss. Den Uneinge-
weihten schien der Anlass ihrer Zusammenkunft die Hochzeit
fe Herzogs von Preussen mit der braunschweigischen Prin-
*^^ Anna Maria zu sein. Die Ausstellung einer Bundes-
tiikunde unterblieb aus Vorsicht. Die Fürsten verpflichteten
'Voigt, 84.
' Ebendas., 37.
' Udeib, Die Qefangenschaft, 240 f.
* Gbendifl., 246 f.
irekiT LXXXIJI. Bd. I. H&lfU. 15
220
sich am 26. Februar 1550 nur mttndlich, aber eidlich und bei
fürstlicher Treue, sich gegenseitig Hilfe zu leisten, wenn sie
um der Religion oder anderer Ursachen willen angegriffen
würden.^ Der Preussenherzog war ja in seinem Besitze durch
die Acht gefährdet. Nur mit grosser Vorsicht sollten neue
Glieder für den Bund gewonnen werden. Weder Kurftirst
Moriz noch der Kaiser erfuhr von diesem religiös-politischen
Bunde.
9. Geheime YerfDgang Aber die Dauer der Haft.
Inzwischen hatte der Kaiser über das Schicksal der beiden
gefangenen Fürsten entschieden, ohne dass seine Gegner weder
damals noch später davon erfahren hätten. Während Kurfbrst
Moriz und Andere hofften, dass er wegen seiner andauernden
Kränklichkeit bald sterben werde,* verfügte er am 12. Februar
1550, der Landgraf müsse 15 Jahre lang, der Sachsenherzog
zeitlebens sein oder seines Sohnes Philipp Gefangener bleiben.
Schon am 12. Juli 1549 hatte er Herrn von ChantooDaV;
den Bruder des Bischofs Granvelle, beauftragt, unter anderen
Dingen König Ferdinand auch um ein Gutachten darüber zu
bitten, was mit den gefangenen Fürsten zu geschehen habe.
In der Wittenberger Capitulation sei verabredet worden, dass
der Sachsenherzog am Hofe des Kaisers oder seines Sohnes
Philipp bleiben müsse; und da sowohl Vater als Sohn nach
Deutschland reisen wtlrden, müsse ihnen der Sachsenherzog
wohl dahin folgen. Was aber den Landgrafen betreffe, so
wisse der König, dass keine andere Verpflichtung eingegangen
worden sei als die, ihn nicht in ewigem Gefkngniss zu halten.'
Wenn aber der Landgraf wieder nach Deutschland käme, so
vrürden die Kurfllrsten von Sachsen und von Brandenburg noch
mehr als bisher um seine Befreiung anhalten und viele Andere
» Voigt, 38 f.
' ^^ti\ °^^,^"^ «^«^ Ka^l V. (Archiv Äp .»cha. Geschichte, ^
V), 215; Tgl. oben p. 214.
• .Quant au Untgraf y n'y a. comme U [der König] seit, tonte obli«.tioo,
roaiB bien de non le tenir en Drison >^*^»^ 7/ u •
T.«,ir.i T ^^^. *^"~" P«petueUe . . .• Instruction be.
Druffel, I, 244 f.
221
ixnm bitten lassen. Ebenso würde der Landgraf zu diesem
Zwecke Alles in Bewegung setzen. Bei der Beweglichkeit seines
(jeistes und bei den Sympathien^ die ihm die Deutschen be-
wiesen hätten^ sei seine Bewachung in Deutschland schwieriger
ab in den Niederlanden. Der König wisse auch; wie wenig
man ihm trauen könne, ob er auch Versprechungen mache. ^
Gleichzeitig liess der Kaiser den Bruder fragen, wie gegen
die Söhne des gefangenen Sachsenherzogs wegen ihres Wider-
standes gegen das Interim zu verfahren sei: ob man sie, sei
es gleich, sei es später, vorladen solle, oder ob man ohne
weitere Umstände auf Grund der Verletzung der Capitulation
mit irgend einem Fürsten, der die kaiserlichen Befehle voll-
strecken würde, bezüglich ihres Landes ein Abkommen
treffen solle.*
König Ferdinand weilte in Prag, als ihm Chantonnay
seine Instruction vortrug. Der König antwortete mündlich und
scbiftlich.' Glücklicherweise hat sich das schriftliche Gutachten,
<las Chantonnay am 26. Juli zugesandt wurde, finden lassen.^
Der König billigt darin die Absicht des Kaisers, den Sachsen-
herzog der Capitulation gemäss mit sich nach Deutschland zu
ftiHren, Was aber den Landgrafen von Hessen betreffe, hiess
es in dem Gutachten, so wisse der König nicht, ob die Capi-
tulation erftillt sei. Denn wenn darin ein Mangel wäre, so
l^ätte der Kaiser gute Gelegenheit, sich bezüglich der Frei-
lassung zu entschuldigen. Aber selbst wenn die Capitulation
ginzlich ausgeführt sei, glaube der König, dass bei der Ge-
fährlichkeit des Landgrafen und bei den herrschenden
Schwierigkeiten und Gefahren die Freilassung gegenwärtig
ginz unmöglich sei. Er rieth daher, ihn in den Niederlanden
ZQTückzulassen, seine Verbündeten aber — er meinte die Kur-
färsten — mit guten Worten und mit der Hoffnung hinzuhalten,
^ der Kaiser nach Schluss des Reichstages besser in der
Lage sein werde, wegen der Freilassung einen Entschluss zu
^ ?£t ledit seigneur roy le congnoit et le peu que Ton se peut fier de Iny,
qaoj qa'il promette.* Bbendas.
'Ebendas.
' So im Briefe des Königs an den Kaiser vom 27. Juli 1649 bei Dmffel,
I,26S.
4 8. im Anhange.
16*
222
Die Anmassung und der Ungehorsam der Söhne des
Sachsenherzogs; fUgte der König hinzu^ seien wohl schwer zu
ertragen^ und da sie von denselben Männern berathen würden,
die ihren Vater ins Unglück gebracht hätten, so sei wenig
Hoffnung vorhanden, dass die Sache anders werde. Nach Er-
wägung aller Umstände halte er es aber fUr das Beste, bis zum
nächsten Reichstage nichts merken zu lassen.
Diese Uebereinstimmung zwischen dem Kaiser und seinem
Bruder ftlllt umsomehr auf, als damals das Verhältniss zwischen
ihnen wegen der Succession in Deutschland schon getrübt war.^
Am 10. November schrieb der Kaiser seinem Bruder,
dass er den Rathschlägen, die ihm am 26. Juli ertheilt worden
seien, folgen werde.* Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten
und Gefahren, die seiner in Deutschland harrten, glaubte er
noch weiter gehen zu müssen.
Ohne seinem Bruder darüber eine Mittheilung zu machen,
gab er dann den Auftrag, zwei Patente zu verfassen, worin
die Qefangenschaft des Sachsenherzogs auf Lebenszeit, die des
Landgrafen auf zehn Jahre festgesetzt werde. Seid hatte die
betreffenden Entwürfe zu verfassen. Seine eigenhändigen Auf-
zeichnungen, die er zunächst Bischof Granvelle vortrug, sind
uns erhalten. Das den Landgrafen betreffende Concept trägt
Seld's Randbemerkung: ,Relatum domino Atrebatensi 10 de-
cembris anno 1549'.* Bei dem Entwürfe, der den Sachsen-
herzog betrifft, fehlt eine derartige Angabe. Er dürfte aber
um dieselbe Zeit abgefasst worden sein.^
Der eine Entwurf ruft in Erinnerung, der Landgraf sei
wegen Rebellion und Majestätsbeleidigung geächtet worden, habe
schliessUch sich selbst bedingungslos dem Kaiser überliefert
und ihn um Barmherzigkeit gebeten. Der Kaiser habe ihm
die Todesstrafe, die er nach den Reichsgesetzen verdient, aus
^ Vgl. den in gereiztem Tone geschriebenen Brief des Königs an Königin
Maria vom 27. Juli bei Druffel, I, 268.
• Dmffel, I, p. 301.
' Wiener Staatsarchiv , Beichsho^thsprotokolle, IV (fol. 54), wo nur
eigenh&ndige Aufseichnangen Seld's, z. B. YortrSge, Antworten an Ge-
sandtschaften etc., enthalten sind.
* Bei den im Seld^schen Bande voranstehenden Anfzeichnnngen weisen
die Randnoten auf November 1549, bei den nachfolgenden Niederschriften
anf October und December als Abfassungszeiten.
223
angeborener Güte und Milde erlassen und sie in zeitliche Ge-
ingenschaft verwandelt. Theils in Folge sehr wichtiger Ge-
schäfte, theils aus anderen ehrenhaften Erwägungen (ex
äÜis honestis rationibus) habe er die Bestimmung der Haftdauer
bisher unterlassen. Weil er aber vermeiden wolle, dass die
&che unentschieden bleibe, wenn er von diesem Leben früher
abberufen würde, und weil er nichts sehnlicher wünsche, als
bei seinen Lebzeiten über all das Seinige so zu verftigen, dass
fö ftr seine Nachfolger nach bestinmitem Plan und festgesetzter
Ordnung weiter bestehen könne: aus diesen und aus anderen
dringenden Gründen (alüsque urgentibus causis) beschliesse und
Terkünde er nun nach reiflicher Ueberlegung und auf Grund
sicherer Sachkunde, femer aus eigenem Antriebe und aus kaiser-
licher Machtvollkommenheit, dass der Landgraf von dem Datum
derCapitalation von Halle angefangen zehn Jahre ununter-
brochen in derselben Art von Haft verbleiben müsse, worin er
gegenwärtig gehalten werde. Der Landgraf sollte vor Ablauf
dieser Zeit nur dann freigelassen werden, wenn der Kaiser,
oder nach seinem Tode sein Sohn, fände, dass dadurch der
Christenheit, besonders dem heiligen römischen Reiche und
dem allgemeinen Frieden besser gedient sei.
Da in der Wittenberger Capitulation verabredet worden
var. dass der Sachsenherzog, so lange es dem Kaiser geftlllig
ond bis er anders verordnen würde. Gefangener bleiben müsse,^
so hiess es in Seld's Entwurf, der Kaiser verordne auf Grund
dieser Bestimmung, dass der Herzog zeitlebens des Kaisers
oder seines Sohnes Gefangener sein müsse. Die Freilassung
ist an dieselbe Bedingung wie beim Landgrafen geknüpft.
Dieser Entwurf blieb unverändert, dagegen wurde in dem
Patente, das den Landgrafen betraf, die Haftdauer auf flinf-
zehn Jahre verlängert. Vermuthlich trug dazu der Seld'sche
Bericht über die religiös-politische Opposition in Deutschland
l«i Ausserdem sollte die Haft nicht vom 19. Juni 1547, das
ist vom Tage der Capitulation von Halle, gerechnet werden,
sondern vom Tage der Ausstellung des Patentes. Das war
der 12. Februar 1550. An diesem Tage wurde in das Reichs-
kofrathsprotokoU Folgendes eingetragen:
* 8. oben p. 128.
224
,12 febr|uajrii 1550.
Joannes Fridericus, Dux Saxoniae, super captivitate ip-
sius declaratio.
Philipus, Landtgravius Hassiae, declaratio super eius cu-
stodia/
Später wurde nachgetragen:
,[collationata,] ^ s[igillata]* calendis aprilis 1550/
Wenn diese Declarationen dem Reichshofrathe im Einzelnen
überhaupt mitgetheilt worden sind, so geschah dies nur gegen die
selbstverständliche Verpflichtung ihrer Geheimhaltung. Freilich
musste die Wahrung des Amtsgeheimnisses erst am 18. August
1550 nach einem neuen Reglement von den Gliedern dieser
Körperschaft eidlich gelobt werden. Das CoUegium bestand
aber ohne den Secretär aus höchstens sieben dem Kaiser völlig
ergebenen Räthen, von denen vier, darunter Dr. Seid, Deutsche
waren. Nur auf Reichstagen kam es vor, dass der Kurfiirst
von Mainz als Erzkanzler des Reiches den Vorsitz führte.^ Die
genannten Urkunden wurden erst am 1. April 1550 ausgefertigt
und besiegelt.
Sie blieben aber beide geheim. Nur König Ferdinand
wird von ihnen auf dem Augsburger Reichstage im Jahre 1550
Kenntniss und Abschriften erhalten haben. Es würde ein glück-
licher Zufall sein, wenn diese Copien dieselben wären, die auf
der Wiener Hofbibliothek aufbewahrt sind. Sie lagen im
Jahre 1576 nebst anderen auf die Gefangenschaft des Land-
^ In der Hs. steht 4ß^. Dieses Zeichen kommt in den fünfzehn Bänden
der Reichshofrathsprotokolle aus der Zeit Karls V. nnz&hlige Male am
Schlüsse der Resolntfonen vor. Die obige Auflösung scheint mir auf Grund
folgender Stellen dieser Protokolle wahrscheinlich: »'^ s[igillatum 19iulii
1549 sub dat. 4 maii* (V, fol. 10); dat. ut supra, ,^ spgillatum], ultimo
maii 1549* (V, f. 22^); ,Fiat ... sub dat. 22 iulii 1549, ^ s[igillatum],
12 aprilis 1660* (V, f. 149'); ,^ et sfigillatum] ut supra' [SitEungs-
tag] (V, f. 2510; »^ dat. 29 octobris, sfigillatum] 3 nov. 1649* (V,
£.275^; fm expeditae hec omnia et s[igillata] ut supra* (V, f. 282');
«iP 8[igillata] 10 aprilis 1550 et sing^lis fratribus singulae litterae expe-
ditae sunt* (V, f. 327'); Eiusdem dupl[ioatae] ^ 8[igillatae] 5 martü
1552* (VI, 103'; ,Collat[ionatum] est documeutnm suprascriptum' (VI,
169').
' Diese Lesung ist durch folgende Stelle sichergestellt: ,Dat. et sigill. ut
supra* (V, 23').
» Winter, Der ordo consilii (Archiv für österr. Geschichte, 1892, LXXIX)
113, 117f.
225
gnfen bezüglichen Actenstücken dem kaiserlichen Bibliothekar
Hago Biotins vor, und er versah sie eigenhändig mit Signaturen,
Gess alle die Actenstücke zusammenbinden und trug sie in ein
noch erhaltenes Repertorium ein.^
Auch die KurfUrsten Moriz und Joachim erfuhren nichts
von den EntSchliessungen des Kaisers. Als sie im Juli 1550
den Kaiser wieder um Freilassung des Landgrafen baten, Hess
er ihren Käthen unter Anderem erwidern: ehe man sehe, wie
sich die Sachen auf dem Reichstage anliessen, könne er ihn
nicht freigeben.' Man erkennt daraus, dass er den Rath seines
Bruders, die Fürsten durch gute Worte hinzuhalten, befolgte.
VenauthUch hätte ein Bekenntniss der Wahrheit die Krise,
lue erst 1552 eintrat, beschleunigt.
Alba hatte schon zu Gräfenthal am 28. Juni 1547 ge-
lussert, der Kaiser thäte seiner Zusage genug, wenn er den Land-
grafen sogar vierzehn oder fünfzehn Jahre lang gefangen hielte.'
Nur mit Sorge erinnerte sich der Landgraf dieser Worte. Im
Jahre 1550 wurde er dann durch die ,allgemeine Sage' ge-
ängstigt, der Kaiser habe in seinem Testamente verfügt, wenn
er sterbe, solle dem Landgrafen der Kopf abgeschlagen werden.*
Dass er aber bis zum 12. Februar 1565 in Haft bleiben sollte,
tat der Landgraf bis zu seinem Tode (31. März 1567) nicht
erfiihren.
^ Ofitige Mittbeilang des Herrn Gustos Dr. Alfred Goldlin yon TiefeDaa
(Wieaer Hof bibliothek).
' Lanz, Staatspapiere, 432.
' Kommel, IV, 317, 344.
* Ebenda»., 344.
ANHANG.
König* Ferdinand an den Kaiisr. Dteiden, 10. Man 1547.
MuDBeigneur,
Äinsi qua le Dnc Haarig print dernierement^ con^^e de moy, apres
uoQH estro convennz par enaenible, Selon qn'il tous aura pleu entendre
par meii pi-ec6dent«s,* il me vint u ramentenoir l'affairc du laatgrave, me
demaDdant si je n'avüye point ea lespoDco de V" Majeste. Je n'oeay, Hun-
üeigneuv, iuy dire du tout que non, ains luy doonaj responco que V* Ha"
m'en avoit bien toucbe quelqne putit mut, mais point resolutivement, et
que V" Ma" estoit bien ebaje' qu'ii faisoit maintenant difficult« on cc
que le conto de Lodron In; avoit dit de sa pai-t,* et quo ponr ce teniez
eucoires l'affaire en deliberation. Bien y adjonstay je, Hunseigneui'. de
moy meemes que, encoiroB quo en cest endroit je n'avoye aulcune cburge
de V" Ma", qu'il me sembloit qu'il ne debvoit nectre tant de difScutte
quant a mectre ob mains de V* Ma" see places fortes, ot que leB afisoa-
lances, qn'il mectoit en avant, ne me aembloient bi conveuables pour V"
Ma", comme eeroient cellee desditeB places foi'tes. Car, encoires que il
offroit bailler pour plesE^OH troiB princos, ei OBtoit ce que en cas de coutra-
vention eeroit tousionre mectre en tant plus de travail V" Ma" de con-
bBerrance dn traicte. Semblablement que,
ur hostaige, que ledit lantgiave en retenoit
enceirea qa'i] lea baülast tous troia, si estoit
istumee de user de tyrannie, ny s'en voul-
in Freiberg.
der Ankunft des Hariogs. Vgl. obeo p. 131,
227
droit Tonlentiers prendre a ses en£fans innocens, en cas qu*il y eust faulte
cbIoj, comme anssi ny fauldroit esperer guaires de seorte en ses subgectz,
deneorans las places fortes en sa subgection et obeissance, et qoe pour ce
m sembloit qn'il ne se pourroit niieulx demonstrer envers V" M** que se
fjtf totallement en icelle et consigner en voz mains lesdites places
fortes, prenant exemple aux autres, qui avoient fait le semblable et si^
i'aToient pas tant, ne si griefvement offence comme luy, et qu*il ne deb-
Toit penser que V* Ma^ demanda lesdites places fortes sinon ponr asseu-
noce, d'aii8tant[I] mesmes que sondit pays n'estoit scitue^ en lieu ny si
proQchain am pays de V* Ma^ ny miens, par ou il se ponvoit assez com-
prendre que V* Ma^ ne les demanda pour les retenir, et que quant a moy
je ne luy scaYToie donner meilleur conseil, fors qu'il se fiast, quant a ce,
en y* Ma^ et se submeist du tout a icelle.
Et ce que dessus ay, Monseigneur, bien touIu declairer audit duc
Manritz conune de moy mesmes, affin qu*ii ne tint la practique pour tout
rompne et que ledit lantgrave ne se meist par ce en total desespoir.
Depnis m*a, Monseigneur, ledit duc Mauritz de rechief escript^ sur
ce^ mati^e, comme il yous plaira yeoir par la copie/ aussi la responce,
qne sur ce luy ay faicte,^ a quoy me remectz, sans, quant a ce, faire plus
bng propoz ny attedier V" Ma** de prolixite, remectant a Icelle d*en user
comme eile yerra convenir pour le mieulx . . .^
Monseigneur, je supplie a tant le createur etc.
De Dresden ce X* de mars 1547.
II.
Gutachten König Ferdinands.
Enyoye au monseigneur de Chantonney, le 26 de jnillet 1649.
. . . Concemant le jadis electeur de Saxen, estimo Sa Ma^ Royalle
qae selon Testat des choses et conforme a sa capitulation sadite Ma^ Im-
periale le puist mener avec luy a ladite fnture diette.
Mais quant au lanndgrave de Hessen, Sa Ma^ Boyalle ne scait si
ledit lantgraye a du tout accomply sadite capitulation ou non; car s'il y
* Irrig fttr: qoi?
< Sita«.
* Am 7. Min. S. oben p. 122, Anm. 2.
* Fehlt im Copialbuche des Wiener Staatsarchivs (683.s).
* Ist nicht mehr rorhanden.
* Die letzten vierzig Zeilen beziehen sich auf den Krieg.
228
eu8t faulte en cela, Sa M** Imperiale auroit bonne occasion s^excnser de
tant plus de sa relaxation. Et encoires que ladite capitulation fut du tout
accomplje, si estime Sa Ma^ Rojalle que, pour estre sa personne dan-
gereuse, aussi pour regard des diifereus et dangiers regnans presentement,
il seroit foi't grief et perilleux remectre ledit lantgrave pour maintenant
hors de sa captivite et garde, et seroit pour ce le tres-humble adyis de Sa
Ma^ Royalle qu^on le dellaissast es pays d'embaz, Tentretenaiit neantmoins
ensemble ses alliez ayec bonnes paroUes et en espoir pour la fin de ladite
prouchaine diette, que lors sadite Ma^ Imperiale se scavroit apres la con-
clusion de ladite diette tant mieulx resouldre quant a la relaxation dudit
lantgrave.
Quant aux filz dudit jadis electeur de Saxen c'est a la verite chose
fort gi'iefve de endurer leur insolence et desobeissance, et combien que,
pour ayoir devers eulx les roesmes conseilliers, qui sont estez a leur pere
et qui Tont seduit et mene en tout son malheur,^ il y ait petite apparence
de mieulx, si estimeroit Sa Ma^ Boyalle pour toutes bonnes raisons et con-
siderations le meilleur: que Sa Ma^ Imperiale dissimulast encoires pour
ung temps sur la desobeissance desdits jeunes princes et actendast ladite
prouchaine diette et lors, en cas qu'il fut besoing, adviser les plus con-
venables moyens de les mener a dehne' punition et obeissance . . .^
III.
Declaratio super capÜTitate landtgravü^
Carolus etc.^ Recognoscimus tenore praesentium ac notum facimus
quibus expedit universis: Cum paucis abhinc^ annis Philippus landgravius
Hassiae ob commissam a se una cum complicibus suis gi*avissimam erga
^ Die Kanzler Gregor und Christian Brück wurden 1567 nach der Ein-
nahme von Gotha als ttble Berather für das Unglück des herzoglichen
Hauses am Kaiserhofe yerantwortlich gemacht. Y. D., III, 392 fif^.
« Für: due.
* Wiener Staatsarchiv, Copialbuch, 683^.
* Aus dem Cod. 9363 der Wiener Hof bibliothek. Die Abschrift daselbst
ist aber ungenau, so dass der schOn g^eschriebene Seld*sche Elntwurf
(ygl. oben p. 222, Anm. 3) sur Sicherstellnng des Textes herangezogen
werden musste, wie die folgenden Anmerkungen nachweisen. Unter der
Aufschrift steht von anderer Hand: ,nt 16 annos annos in captivitate
remaneat*. Eine Randnote lautet: ,12- ^ebr. 1650*. Im 8eld*8chen Ent-
würfe lautet die Ueberschrift : ,In negocio captivitatis Landgravii Hassiae*.
' ,etc/ nur im Seld^schen Entwürfe.
« Cod. 9363: adhuc.
229
1108 rebellionem ac perpetratum crimen laesae maiestatis in bannum^
nostnnn imperiale primo declaratus, deinde cum se nobis etiam per vlam
&cti opponere non esset yeritus, armis nostris plus quam iustissimis
peätns, tandem insto procul dubio Dei indicio in eas angustias esset con-
ie^ns, nt tanquam causae suae^ diffidens se nobis simpliciter dedendum
tiberoqne' arbitrio ac potestati nostrae subiiciendum duxerit, atque ita
misericordiam nostram implorando in manus nostras pervenerit, nos, qui
poteramns contra eum de rigore iuris ad poenas in divorum praedecessorum
nostrorum sanctionibus constitutas mediante iustitia progredi, ex innata
nobis benignitate et dementia, quam hostibus quoque et adversariis
nostris non raro exbibere solemns ad mitiorem viam passi sumus nos de-
fiecti, ita ut poenam ultimi supplicii, quam ille commeruerat, in poenam
eapttritatis temporariae transmutaverimus, prout haec et plura alia ad
idem propositum facientia in quadam capitulatione aliisque scripturis et
actis nostris, Halae Saxoniae mense lunio anni MDXLVII celebratis,
aliquante^ plenius expressa sunt.
Qnoniam vero metas huiusmodi captivitatis temporariae hactenus,
partim gravissimis occupationibus nostris praopediti, partim ex aliis hone-
stis rationibas diffinire supersedimus et tarnen interea dubitamus, ne, si
aüquando ante huiusmodi diffinitionem a nobis factam nos ex hac mortali
Tita aTocari conti ngeret, id, quod in Diyinae Maiestatis arbitrio^ ac vo-
hmtaie^ merito repositimi esse contestamur, baec res quasi in^ incerto
ac ambi^o relinqueretur, cum tamen nihil magis in votis habeamus,
quam dnrante yita nostra, quam Deus Optimus Maximus ad gloriam sui
nomuiis et Bei publicae Christianae utilitatem dii'igere dignetur, omnia
Bostra ita disponere, ut ea post decessum nostrum successoribus nostris
eerta quadam ratione ac deteiminato ordine constare possint: idcirco ex
praedictis aliisque urgentibns causis animum nostram moTentibus ne-
cessarinm fore duximus yoluntatem nostram in hoc manifestam facere ac
dedarare, prout yigore praesentium, maturo praecedente consilio ac deli-
beratione, ex certa nostra scientia, motu proprio ac Imperialis plenitudine
potestatis, manifestam facimus ac declaiamus, volentes ac disponentes, ut
dictus landgravius per quindecim annos continuos numerandos
> Cod. 9363: bonum.
* Nur im Entwürfe.
* Cod. 9363: libroqne.
^ Ebendas.: aliqoando.
* Ebendas.: divine arbitrio.
4 Ebenda«.: volnuctate.
* Nur im Entwürfe.
230
a die datae haram litterarum^ in eadem captivitate, qua nunc deti-
netur, remaneat, nisi infi*a id tempus yel^ nobis, vel casu, quo ante fini-
tum tempus borum quindecim annorum ^ naturae concederemus, serenis-
simo Philippo, Piincipi Hispaniarum, arcbiduci Austriae^ etc., filio nostro
cbarissimo, aliquando dictum landgravium citius liberari ex re et^ com-
modo Rei publicae Christianae ac praecipue sacri Romani Imperii et pu-
blicae omnium tranquillitatis futurum esse videatur, in quo tunc einsdem
filii nostri cbarissimi ^ discretioni confidimus,^ omni contradictione in hoc
penitus cessante.
Et ut firmius huius rei maneat testimonium, basce praesentes lit-
teras manu nostra subscriptas in patenti forma expediri nostroqne si^Uo
iussimus roborari.
Datum ^ in oppido Bruxellensi dncatus nostri Brabantiae, die XII
mensis februarii anno Domini MDL, imperii nostri XXX et regnomm
nostrorum üigesimo quinto.
IV.
Declaratio super captmtate lo. Friderici, Duois Saxoniae.^
Carolus etc.^® Becognoscimustenore praesentium ac notum facimns
quibus expedit universis: Cum paucis abhinc annis loannes Fridericns,
senior Dux Saxoniae, tunc temporis elector, ob commissam a se una cum
complicibus suis grayissimam erga nos rebellionem ac perpetratum crimen
laesae maiestatis in Bannum^^ nostrum imperiale primo declaratus, deinde
cum se nobis etiam per viam facti opponere non esset veritus, annis
nostris plus quam iustissimis petitus, demum iusta a nobis acie, annuente
id procul dubio manifesta Dei benignitate, profligatus et in propria persona
^ Im Entwürfe steht: ,deeeill annos continuos numerandos a die
praedictae capitulationis nostrae.*
* Cod. 9363: re.
' Im Entwürfe: huius decennii.
* Im Entwürfe folgt: etc.
^ Cod. 9363: te.
* Im Entwürfe folgt: et
* Ebenda«, folgt: et conscientiam oneramus.
* Ebendas. folgt nur ,etc.*.
* Von anderer Hand folgt: ,nt maneat captivus dnrante Tita suaS I>ie
Aufeohrift des Seld*8ohen Entwurfes lautet: ,In negocio captiritatia Dads
Jo. Friderici Sazoniae*.
*• Nur im Entwürfe.
^^ Cod. 9363: bonum.
231
captos in potestatem nostram devenisset, nos, qui poteramus contra eum
de rigore iuris ad poenas in divorum praedecessorum nostroram sanctioni-
bog constitutas median te iustitia progredi, ex innata nobis misericordia
et dementia ad intercessiones quornndam nostroimm et sacri Eomani im-
perü electorum ac principum, quorum erga nos spectata fuerat fides et
obedientia, passi sumus ad mitiorem viam nos deflecti» ita nt poenam
oltimi sapplicii, qnam ille commeraerat, in poenam captivitatis ti-ans-
DotaYerimns, ea sciiicet lege et conditione» ut is in anla^ vel nosti*a vei
derenissimi Philippi, principis Hispaniaram, Archidncis Austriae/ fiiii
üostri cbarissimi, iuxta liberam' nostram eiectionem, qnamdin nobis
placeret et donec alind disponeremns, morari teneretur, prent haec et
plnra alia ad idem ' propositnm facientia pienius^ in capitulatione qnadam,
in castris nostris Wittenbergensibus, anno MDXLVII, XIX ^ die mensis
maii edita, continentur.
Quoniam vero huinsmodi dispositionem et mentis nostrae deciara-
tionem» quamdiu snpradictus Dni^ lo. Fridericus in huiusmodi captivitate
detinendns esset, hactenus, partim gravissimis occupationibus nosti'is
praepedlti, partim ex aliis honestis rationibus faceresupersedimns et tarnen
interea dnbitamns, ne, si aiiqnando ante huiusmodi declarationem . . .
^das Folgende wie im vorigen Patente) volentes ac disponentes, ut dictus
Dox^ lo. Fridericns eo modo, quo Bupi*a et latius in praeallegata capitula-
tione continetnr, durante tempore vitae suae captivus remaneat,
nisi post obitum nostrum cbarissimo filio nostro aiiqnando illum liberari
ex re et commodo Bei publicae Ohristianae ac praecipne sacri Bomani im-
perii et pnblicae omnium tranquillitatis futurum esse yideatur, in quo
eiosdem fiUi nostri charissimi^ discretioni confidimus,^ reseryantes nihi-
h»alnns nobis eandem disponendi ex praedictis causis facultatem et pote-
statem, qnam^ filio nostro praesentium vigore concedimus, omni tracta^
[sie] conti-adictione in hoc paenitus cessante (Schlnss und Datum wie
im Torigen Patente).
^ Im Entwarfe folgt : etc.
* Bfit blasser Tinte Ton anderer Hand ist im Cod. 9363 ,e' nachgetragen.
' Ebendas. dafQr irrig: sedem.
* Ebenda«.: planus.
* Im Entwürfe nur: N. die.
* FeUt ebendas.
' Ebendas. folgt: et.
* Ebendas. folgt: et conscientiam oneramus.
* Im Entwarfe folgt: d[ibto].
233
Textoorrectaren.
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Die ErkliniBir des Ktlsen mm die Reiehsstlnde Tom 25. No-
Tember 1&47 int bei Sastrow (II, 543 bis 552) abgedruckt Der Text mnss
aber an folgenden Stellen Terbessert werden:^
Seite 544 Zeile 9 von oben liest anfgetrochen statt aufgetragen.
Key. M^ in gar statt M* gar in.
ergftnse vor ,erbarUch* ein und.
lies: in statt im.
„ daran SS statt darauf.
, zu End khommen statt entkommen.
„ wol statt wolle.
^ Repliciern statt ResolTiem.
„ ervolgt statt gevolg^
^ Kaj. M« statt M^
„ lassen statt anlassen.
„ hie statt sie.
Ebenso muss der Wortlaut der MittkelliiBg, die TOB des Karf Anten
Joaehim und Moriz tni 26« KOTember den Reicbsst&nden gemacht wurde,
bei Sastrow an folgenden Stellen corrigirt werden:
Seite 552 Zeile 4 von oben tilge vnd vor: der abwesenden.
f, „ „ 4 ^ „ ergänze nach Stenden die Worte: des haj-
ligen Reichs.
ft „ 9 6 « unten tilgA ^nd vor ehe.
n n »4^9 lies: abhören statt anhOren.
^ 553 „ 2 ^ oben „ ab ge redten statt obgeregten.
r, n f» & f« »t ft Aber gl eich wol statt gleichwol.
^ n ^ 7 ^ « „ Ro. Ko. M« statt Ro. Kej. W.
n n t* 7 , 0 ergänze: vor Wlttemberg nach Feltlager.
r ft ft 11-12 „ „ lies: Sprachen mit den kajserlichen
Rethen ans dem, statt: der Ro. Key.
W Räten.
„ ^ f, 7 n unten ^ diesen hendeln statt diesem handel.
„ ^ « 1 ft n fi Tuschuldigs Christenlichs blntyor-
giessenns statt vnschnldig christlich Blut-
Torgiessen.
y, 564 « 8 ,, unten « hoffen wollen statt hoffen.
„ 555 , 14 9 oben , domit statt domit nun.
n m II I^ » « ergänze Tor mher dann den Landgraven
die Worte: nicht In beschwernng ge*
fuert, also bajde Ire Churf. g[naden].
0 „ B ^ • unten tilge nach vollntzogen die Worte rnnd er
bis der vbrigen halben.
- 556 , 4 . oben - vor seint das Wort Solches.
1 a oben p. 194f., 198, Anm. 1. Der Hortleder'sche Text (II, 912 f.) ist
ganz unbrauchbar.
Ausgegeben am 16. Juni 1896.
Archiv
fUr
Österreichische Geschichte.
Herausgegeben
Ton der
nr Pflege yaterländischer Geschichte aufgestellten Commission
der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Dreiundachtzigster Band.
Zweite Hälfte.
Wien, 1897.
In GommisBion bei Carl Gerold's Sohn
BachhIndiT d«r luia. Akad— !• d«r WiiMoaehaflML
Archiv
für
Isterreichische Geschichte.
Herausgegeben
Ton der
zur Pflege vaterländischer Geschichte aufgestellten Commission
der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Dreiundachtzigster Band.
-r-
Wien, 1897.
In Commission bei Carl Gorold's Sohn
Bo<thhindlT d«r kalt. Akadcmi« d«r WiM«iiMh«fUn.
Inhalt des drelnndachtzigsten Bandes.
Seite
L«d(mco Gritti. Eine Monographie. Von Dr. Heinrich Kretschmayr 1
Veriuftnng und Gefangenschaft des Landgrafen Philipp von Hessen
1547—1550. Von Dr. Gustav Turba 107
Dis Entrtehen nnd die Entwicklung der Lippowaner-Colonien in der
Bukowina. Zumeist nach urkundlichen Materialien aus dem
Nachlasse des Finanzrathes a. D. Franz Adolf Wickenhauser. Von
Dr. Raimund Friedrich Kaindl 233
Dis Aribonenhaus. Von Dr. Jos. Egger 385
DAS ENTSTEHEN
UND
DIE ENTWICKLUNG
DER
LIPPOWANER-COLONIEN
IN DER BUKOWINA.
ZUMEIST NACH URKUNDLICHEN MATERIALIEN
AUS DEM NACHLASSE
DES HNANZRATHES A. D. FEAHZ ADOLF WICKENHAUSEE
VON
D« RAIMUND FRIEDRICH KAINDL,
PlUVATDOOtMTEM UND K. K. HAUPTLEHRER IN CZERNOWITZ.
knkir, LXXXIII. Bd. H. Hälfte. 16
I.
1. Einleitendes. — 2. Ansiedelungen in der moldanischen Zeit: Die ehe-
eali^ Colonie in Stnpka; Mitoka-Dragomirna. — 8. Die Begründung
^•n Kümo atz (1780). — 4. Einflussnahme Kaiser Josephs U. und der
ü^rreichischen Behörden; die Gründungsgeschichte von Biala-Kieruica
FoDtiiMialba; 1784/5). — 6. Das Entstehen von Mihodra (c. 1836) und von
Lippoweni-Kossowanka (c. 1845).
!• Die in der Bukowina wohnenden Lippowaner gehören
zu den merkwürdigsten Volkselementen des Kaiserstaates. Die
Geschichte ihrer Ansiedelung in der Bukowina bildet ein inter-
essantes Blatt in der Geschichte Kaiser Josephs 11. und ist ein
wichtiger Beitrag zur Erkenntniss des österreichischen Coloni-
sationswesens jener Zeit. Bisher ist jedoch keine genügende
Darstellung des Entstehens und der Entwicklung dieser Colonien
geboten worden, da alle bisher erschienenen Arbeiten auf einem
sehr spärlichen Materiale beruhten.^ Eine weitere Grundlage
Ar die Studien über die Einwanderung der Lippowaner hat
in um die Erforschung der Bukowiner Geschichte hochver-
fate Finanzrath a. D. Franz Adolf Wickenhauser ge-
sehiffen. Von dem überaus reichen Materiale über die Lippo-
waner-Colonien, welches er während seiner Beamtenlaufbahn
gesammelt hatte, war es ihm selbst jedoch nur vergönnt, kurz
^or seinem im Jahre 1891 erfolgten Ableben etwa 30 Ur-
* Die wichti^ren dieser Arbeiten sind: GOhlert, Die Lippowaner in der
Bukowina (Wiener Sitzungsberichte Bd. 41, 1863); Ficker, Hundert
Jahre 1775—1875 (Statistische Monatsschrift Bd. 1, Wien 1875); Polek,
Die Lippowaner-Colonien in der Bukowina (Mittheilungen der k. k. geo-
ffraphiscben Gesellschaft in Wien, 1885); Kai n dl. Die Lippowaner (in
^Kleine Studien*, Czemowitz 1893); ferner die in den nächsten Anmer-
kungen citierten Arbeiten von Wickenhauser. Andere Schriften über
die Lippowaner werden weiter unten S. 237, Anm. 1 genannt. Die
Arbeit Ton Snbbotjna, ,l8t4)rija Austrijskaho ili Bilokrynyckaho Swja-
raezenstwa, Moskau 1886, ist mir unzugänglich gewesen.
16»
236
künden zu veröffentlichen,^ ohne dass er auf Grund derselben
eine zusammenfassende Darstellung gegeben hätte. ^ Im Jahre
1893 erhielt hierauf der Schreiber dieser Zeilen von der gegen-
wärtig bereits auch verstorbenen Witwe, Frau Marie Wicken-
haus er, unter Anderem auch den Rest der im Nachlasse be-
findlichen Materialien über die Lippowaner. Mit Hilfe dieser
Urkunden, die freilich theilweise nur in Auszügen vorliegen,
ist es erst möghch geworden, das überaus interessante Bild des
Entstehens und der Entwicklung der Lippowaner-Gemeinden
in der Bukowina mit genügender Vollständigkeit zur Darstel-
lung zu bringen.
Das vorhandene Urkundenmaterial — über 100 Nummern
— bietet eine solche Fülle von Einzelheiten, dass dieselben
theilweise in der zusammenfassenden Darstellung nur berührt
werden konnten. Schon deshalb dürfte es angezeigt sein, auch
die Urkunden zum Abdrucke zu bringen; dieselben enthalten
aber auch überaus wichtige Beiträge zu einer noch nicht ge-
schriebenen Geschichte des Unterthanswesens in der Bukowina,
femer Einzelnes zur Geschichte des Bukowiner ReUgionsfondes
und des berühmten k. k. Radautzer Gestütes. Auch befinden
sich die Urkunden im Privatbesitze und werden daher, inso-
fern sie Originalurkunden sind, wohl nur durch den Abdruck
einem weiteren Kreise zugängUch werden. Bezüglich des Ab-
druckes sei bemerkt, dass ein neben der laufenden Nummer
stehendes 0. darauf hinweist, dass das Schriftstück im Original
vorliegt; ein A. bezeichnet eine Abschrift oder auch einen Aus-
zug; IA, eine ämtUche Abschrift. Der Text der Original-
urkunden folgt ganz genau der Vorlage;' auch bei den Aus-
zügen habe ich nur an wenigen Stellen kleine Aenderungen
vorgenommen, um mich nicht vom ursprünglichen Wortlaute,
den Wickenhauser zimieist beachtet zu haben scheint, zu
entfernen. Dagegen habe ich durchgehends die moderne Ortho-
^ Molda y, 2 (MoldauiBch- nnd Rnssiscb-Kimpolang nnd die £inwan>
derang der Lippowaner), 8. 80 ff., Czemowits 1891.
' Einige Bemerkungen über die Einwanderung der Lippowaner h&t
Wickenhanser bereits in Molda n, 2, 8. 94ff. geboten (Czernowits
1888), docb sind dieselben nicbt ganz fehlerfireL
' Anf Wunscb der kaiserlichen Akademie wurden auch viele von äezx
Originalurkunden nur in gekünter Form abgedruckt. Dies ist bei den
einzelnen Nummern bemerkt.
237
graphie benutzen lassen, weil es gar keinen Zweck hätte, die
von Fehlem und Inconsequenzen strotzende Schreibweise der
oft überaus ungeübten Schreiber wiederzugeben. Weniger wich-
tige Stellen sind, um Raum zu ersparen, in den Abdrücken
ausgelassen worden.
Bemerkt sei noch, dass in dieser Arbeit auf die Ent-
stehung und Verbreitung der Lippowaner-Secte unter Hinweis
auf die vorhandene Literatur^ nicht näher eingegangen wird.
Es wird genügen zu bemerken, dass die Lostrennung dieser
Secte von der griechisch-orientalisch-russischen Kirche in der
zweiten HÄlfte des XVU. Jahrhundertes erfolgt sei, und dass
die Angehörigen derselben, insbesondere seit dem Ende des-
selben Jahrhunderts, infolge heftiger Verfolgungen in grosser
Zahl aus Russland in die benachbarten Länder sich flüchteten.
Oegenivärtig wohnen sie in Russland, Preussen, Oesterreich,
Rumänien und Bulgarien. Zu ihrem Namen sei anderen An-
sichten gegenüber bemerkt, dass sie selbst denselben schon im
Torigen Jahrhunderte von dem Namen des Apostels Philipp
ableiteten, dessen Glaubenssätze sie vorzüglich beobachten
soDen. *
^ Ausser den in der Anm. 1 auf S. 235 angeführten Arbeiten mögen noch ge-
nannt werden: Gerbel-Embach, Russische Sectirer (Heilbronn 1883);
Melcbisedek, Lipovenismul (Bukarest 1871, rumänisch); Ssczapowa,
Rosskij Raskot (Kazan 1859, russisch); W. M. K(arlowicz), Istory-
czeskija izslidowanija sluzaszczija k oprawdaniju Staroobijadcew II und
III (Czemowitz 1887 und 1886(1); der I. Bd. war mir unzugänglich;
rustdscb); Makarij, Istorija russkaho raskota (St. Petersburg, 3. A 1889);
Worobkiewicz, Raskot (Czernowitz 1883 in der Kirchenzeitschrift
Candela; ruthenisch); Simiginowicz, Die Völkergruppen der Bukowina
S. 91 — 106 (Czemowitz 1884); Dan, Die Lippowaner in der Bukowina
(Cx^mowitz 1890); Schubert, Handbuch der allgemeinen Staatskunde
Ton Europa VI, S. 569 (Königsberg 1846); Ostpreussische Lippo-
waner (Globus LX, S. 334); Kaindl, Ostpreussische Lippowaner
(ebenda LXIV, S. 48f.); Titius in den Preussischen Proyinzialblättem,
Jahrg. ?; Altpreussische Monatsschrift IX, S. 496; Lutties, Landes-
kunde von Ost- und Westpreussen, Breslau 1891, S. 35 (die letzteren
drei Nachweise verdanke ich der Güte des Herrn Rittmeisters a. D.
Schadt in Elbing, Westpreussen); Kaiinka, Dzieta lU (Krakau 1894;
polnisch); schliesslich vergleiche man noch Finkel, Bibliografia bist. Pol-
i^kiej, Krakau 1895, H, S. 631.
Wicken hauser, Molda V, 2, Nr. 26, S. 103 und Nr. 28, S. 107.
238
2* Die älteren Lippowaner Ansiedlungen in der Bukowina
fanden noch zur Zeit statt, da dieses Land einen Theil des
moldauischen FUrstenthums bildete und mit diesem der Türkei
unterstand. ^
Ueber eine dieser ältesten Niederlassungen, nämlich zu
Stupka nordöstlich von Gurahumora, haben wir nur spärliche
Nachrichten; deshalb entgieng sie bisher allen Forschem. Kunde
über dieselbe erhalten wir aus einem Berichte des Landes-
verwesers der Bukowina, General Enzenberg (1778 — 1786),
welchen derselbe am 12. November 1783 an den Hofkriegs-
rath erstattete.* In demselben theilt Enzenberg mit, dass vor
Kurzem 100 im Zinut (Kreis) Herleu in der Moldau ansässige
Lippowaner-Familien durch zwei Deputierte sich zur Ueber-
siedelung nach der Bukowina gemeldet haben; sie seien vor
dem Russenkriege ^ zu Stupka in der Bukowina ansässig ge-
wesen und durch die Russen vertrieben worden. Ihr Wunsch
gehe dahin, eine selbständige Gemeinde zu bilden, um nicht
mit Anderen zusammengesiedelt zu werden. Dies — fügt Enzen-
berg hinzu — sei vor der Einziehung der Bukowiner Kloster-
güter, die gerade damals durchgeführt wurde, nicht möglich.
Da sich somit die Unterhandlungen oflFenbar zerschlugen und
insbesondere eine Wiedercolonisierung von Stupka nicht in
Aussicht genommen wurde, so ist es leicht erklärlich, dass
wir sonst keine Nachricht von der früher daselbst bestandenen
Ansiedelung besitzen. Bemerkt sei noch, dass dieselbe allenfalls
recht zahlreich gewesen zu sein scheint, wenn es richtig ist^
dass alle oben genannten 100 Lippowaner-Familien thatsächlich
vor dem Jahre 1770 daselbst ansässig waren.
Die zweite Lippowaner- Ansiedelung, welche noch vor der
österreichischen Occupation* entstanden war, ist Mitoka- Drag o-
mirna, auch Lippoweni oder Sokalince genannt, nördlich von
' R. F. Kaindl, Geschichte der Bukowina II (die moldauische Zeit 13412
bis 1774).
' Beilage 10.
3 Gemeint ist der Krieg, welcher im Jahre 1768 ausbrach und bis «um
Jahre 1774 andauerte. Mit demselben steht auch die Erwerbung der
Bukowina durch Oesterreich in enger Verbindung. Vergl. Kaindl, Die
Erwerbung der Bukowina durch Oesterreich, Czernowitz 1894.
* Vergl. die in der vorhergehenden Anmerkung genannte Schrift Ubor
die Erwerbung der Bukowina.
289
SacsaTv^a. Wann der Beginn dieser Siedelung anzusetzen ist^
kann ebensowenig bestimmt werden^ wie dies etwa von der-
jenigen zu Stupka möglich wäre; doch ist es sicher^ dass die
Rassen in Mitoka ebenso wie in Stupka bereits Lippowaner
▼erfanden^ als sie zufolge des im Jahre 1768 ausgebrochenen
Krieges mit den Türken in den folgenden Jahren in die Moldau
anrückten. Dies geht zunächst aus einem Berichte Enzenberg's
Yom 6. Oetober 1783 an das Generalcommando in Lemberg
hervor.^ In demselben wird mitgetheilt, dass das Kloster in
Dragomima bereits vor der Einverleibung der Bukowina ,aus
der Moldau einzelne Lippowaner (altgläubige Russen) herbei-
geholt und als Teichgräber, Seiler und Obstztichter in der
Nachbarschaft des Klosters am Bache Ruschciora (Lippoweni)
angesiedelt habe, wo selbe nach und nach auf 40 Familien
anwuchsen. Als um das Jahr 1770 die Russen anlässlich des
Krieges mit der Türkei in diese Gegenden kamen, wurden
dieselben als russische Ausreisser weggeschleppt; die übrigen
aber entflohen mit ihrem Popen in die Moldau. Nach der
Einverleibung [der Bukowina] kamen die Lippowaner wieder
zurück und bildeten 1783 16 Familien/ Diese Lippowaner
.zeigten gegen andere slavische Geistliche entschiedene Ab-
neigung und machten bei Aufdrängung eines solchen, da
ihnen auch die Ausübung ihrer Religion eingestellt war, Mienen
zur Auswanderung; sie verlangten ihren Popen zurück^
Aehnliches geht aus einem unter dem 31. Oetober 1783 er-
folgten Bescheide des Hof kriegsrathes an das Generalcommando
in Lemberg hervor, ^ in welchem die Zurückbringung des
Popen von Mitoka gestattet wird. Vor Allem ist aber noch
ein Bericht vom 22. September 1843^ anzuführen, welcher
demjenigen Enzenberg's sehr nahe steht. In demselben heisst
es nämlich: ,Die zu Ruschior Lipoweny [= Mitoka] ansässigen
Allrnssen wurden noch vor Occupierung der Buccovina durch
das Kloster Mittoka Dragomima aus der angrenzenden Moldau
einzeln herbeigeholt und als Teichgräber, Seiler, Obst- und
Bienenzüchter in der Nachbarschaft des Klosters und im Be-
reiche der Gemeinde Mittoka Dragomima angesiedelt, woselbst
^ Beilage 1; ausführlicher Wickenhauser, Molda II, 2, S. 94. Yergl.
auch Polek a. a. O. S. 4 (des Sonderabdruckes).
* Beilage 7.
» Beilage 9!.
240
solche Dach und Dach bis auf 40 Familien angewachsen waren.
Um das Jahr 1770, als die Russen in diese Gegend einge-
drungen waren, sollen die meisten dieser Ansiedler als rusBische
Deserteure mitgeschleppt worden sein, während die Uebrigen
entflohen, in der Folge aber zum Theil sich wieder einfanden
und bis auf 16 Familien sich vermehrten/ Es entsteht nun
die Frage, wann die in beiden citierten Urkunden erwähnte
Rückwanderung stattfand. Nach Polek^ soll Enzenberg selbst
in seinem oben citierten Berichte vom 6. October 1783 die An-
gabe machen, dass diese Lippowaner im Jahre 1775 zurück-
kehrten. Diese Zeitangabe findet sich aber weder bei Wicken-
haus er wieder, welcher diesen Bericht ebenfalls dem Haupt-
inhalte nach anführt,' noch auch in dem oben abgedruckten
und offenbar zur Meldung Enzenberg's in sehr nahen Be-
ziehungen stehenden Berichte vom Jahre 1843. Dagegen ist
sowohl in einem Handschreiben Kaiser Josephs vom 20. No-
vember 1783,^ als auch in einem Schreiben des Hofkriegs-
rathes vom 26. November desselben Jahres* die Rede von
Lippowanem, welche ,sich schon vor neun Jahren in hierländigen
Schutz ohne Bedingniss begeben haben', somit im Herbste
1774, das ist sofort nach der anfangs September erfolgten
Occupation des Landes durch Oesterreich. Diese Bemerkung
kann sich aber nur auf die Ansiedelung in Mitoka beziehen,
weil alle anderen Colonien nachweisHch erst später entstanden
sind. Gleich nach dem Abzüge der Russen aus der Bukowina
und der Besetzung des Landes durch Oesterreich sind also
offenbar die Flüchtlinge zurückgekehrt. Damit steht eine Mit-
theilung Enzenberg' s in einem Berichte vom 23. Juni 1784
durchaus nicht im Widerspruche.^ Derselbe theilt nämlich mit,
dass sich in Dragomirna ,seit 1777 15 alte und seit 1783
12 neue Ansiedler . . . befinden*. In Hinsicht auf die früher mit-
getheilten urkundlichen Nachrichten besagt diese Mittheilung
offenbar nicht, dass vor 1777 keine Lippowaner sich in Mitoka
aufhielten, sondern sie fUhrt nur fiir dieses Jahr eine bestimmte
Anzahl von Ansiedlern an, welche sich daselbst bis zu dieser
» A. a. O. S. 4.
» Mold* II, 2, S. 94.
» Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 15, S. 92.
♦ Ebenda Nr. 17, S. 93.
» Ebenda Nr. 26, S. 105.
L
241
Frist niedergelassen hatten. Wem aber die anderen von uns
herangezogenen Urkunden nicht zugänglich waren, der wird
allenfalls aus der Stelle Enzenberg's schliessen, dass die Colonie
Mitoka erst überhaupt im Jahre 1777 entstanden sei; diesen
Irrthum hat thatsächlich Ficker begangen. ^ Aber auch Göhlert
irrte, wenn er annahm, dass die Colonie im Jahre 1774 erst
überhaupt entstanden sei; er hat offenbar zwar das Jahr 1774
aas denselben Quellen geschöpft wie wir, doch waren ihm jene
Lrkonden nicht bekannt, aus denen die vor dem Jahre 1770
zum erstenmal stattgefundene Ansiedelung hervorgeht. Schliess-
lich sei noch bemerkt, dass Polek's Angabe des Jahres 1775
fär die zweite Besiedelung doch wohl aus einem Rechenfehler
hervorging. *
3. Ganz zweifellos ist jetzt die Begründung der Lippo-
waner-Colonie Elimoutz in das Jahr 1780 zu setzen. Es ist
uns nämlich nicht nur, was bereits Polek hervorhebt, in einem
Berichte £nzenberg's ^ die ausdrückliche Angabe erhalten,
das ,das Kloster Putna 1780 18 Lippowaner-Familien die
nölhigen Felder und Gründe gegen jährliche 100 Gulden über-
liess^, sondern wir kennen auch den am 7./18. April zwischen
dem Kloster und den Ansiedlern geschlossenen Vertrag. "* In
demselben wird mitgetheilt, dass der Igumen (Klostervorsteher)
mit dem ganzen Klostervereine von Putna den Lippowanern
Wiesen und Aecker am Bache Klimoutz im Gute Tamauka,
auch Moscheni genannt, zugetheilt hätten; hiezu auch zwei Dorf-
stätten Moscheni und Klimoutz; dafür habe jeder gegenwärtige
and jeder künftige Hauswirth jährlich 5 Gulden bares Geld* und
eine Oka Oel zu zinsen, femer einen Tag zu roboten; später ein-
treffende Lippowaner dürften sich nur mit dem Vorwissen des
Dorfschulzen und der übrigen Gemeindemitglieder ansiedeln; neu
* Vergl. oben S. 235, Anm. 1.
* 8iehe auch unten S. 242 die Bemerkung über die von Ficker als
Gründungsjabr von Klimoutz angegebene Jabreszabl 1774.
' Dato 23. Juni 1784; bei Wickenbauser, Molda V, 2, Nr. 26, 8. 104.
* Ebenda Nr. 1, S. 80 f.
^ Xach den oben angeführten Angaben Enzenberg^s sollten 18 Wirthe
100 Gulden zahlen, was ziemlich der Angabe unserer Urkunde entspricht
(18 X ö = 90).
242
Verheiratete leisten im ersten Jahre keinen Zins, hierauf sind
sie aber zur festgesetzten Leistung verpflichtet; das Geld soll
jeder Hauswirth am heil. Nicolaustage jährlich entrichten, das
Oel nach den jeweiligen Erfordernissen des Klosters.
Gegenüber diesen Nachrichten kann die Angabe Ficker's,
dass die Lippowaner-Gemeinde Klimoutz bereits im Jahre 1774
begründet worden sei, keine Bedeutung beanspruchen. Zu seiner
irrigen Behauptung dürfte er durch jene oben citierten Angaben
veranlasst worden sein, aus denen auch wir schlössen, dass
eine Lippowaner- Ansiedelung im Jahre 1774 stattfand. Wäh-
rend wir aber diese Nachricht mit voller Sicherheit auf Mitoka
beziehen konnten, weil uns die spätere Begründung von Kli-
moutz aus den oben citierten Quellen bekannt ist, hat Ficker
die allgemein gehaltenen Mittheilungen, wie sie im kaiserlichen
Handschreiben vom 20. November 1783 und im Schreiben des
Hofkriegsrathes vom 26. November desselben Jahres erscheinen,
allerdings etwas voreilig auf die Entstehung von Klimoutz be-
zogen, nachdem er für Mitoka ebenfalls irrig das Jahr 1777
angenommen hatte. Richtiger ist Göhlert's Angabe, dass
Klimoutz 1779 entstanden sei; denn bei dem Umstände, dass
der endgiltige oben citierte Vertrag im April 1780 abgeschlossen
wurde, ist es immerhin denkbar, dass bereits im Jahre 1779
Lippowaner sich auf den Gütern von Putna niedergelassen
hatten. Woher aber Göhlert seine Angabe schöpfte, ist un-
bekannt.
4« Die Lippowaner-Colonien von Mitoka und Klimoutz
sind ohne Einflussnahme der österreichischen Behörden ent-
standen, wiewohl die Wiederbesetzung der ersteren und die
Begründung der letzteren schon in der österreichischen Zeit
stattfanden; sie sind vielmehr Schöpfungen der Klostervereine
und zählen zu den wenigen Spuren erspriesslicher Thätigkeit
der reich ausgestatteten Bukowiner Klöster; die österreichischen
Staatsmänner und Beamten hatten bis zum Jahre 1782 keine
Notiz von den Lippowanern genommen und in keiner der aus
diesen Jahren herrührenden Denkschriften^ werden dieselben
^ Man vergleiche Zieglauer, ,Der Zustand der Bukowina zur Zeit der
österreichischen Occupation^ Dargestellt im Spiegel der ersten Denksehrift
243
erwähnt. £rst in den ersten Monaten des Jahres 1783 werden
die Lippowaner von den österreichischen Behörden einigemal
genannt,^ und bald darauf veranlasste Kaiser Joseph IL die
Begründung der dritten Lippowaner-Colonie^ zu deren Ent-
stehungsgeschichte wir nunmehr gelangen. Diese Anregungen
giengen vom Kaiser zu derselben Zeit und bei derselben Ge-
legenheit aus^ da auch der Auftrag zur Einziehung der grie-
chisch'Orientalischen Klostergüter in der Bukowina erfolgte; es
geschah dies im Handschreiben des Kaisers^ das derselbe am
1£). Juni 1783 in Czemowitz erliess, nachdem er sich über die
Zustände in der Bukowina persönlich belehrt hatte.^ Die bis
dahin fast nutzlos daliegenden reichen Besitzungen der Ba-
süianerklöster sollten ^in die Administration genommen^ was
firemden, nicht im Lande wohnenden GeistUchen hievon ge-
hörety denselben ganz benommen, und aus dem hieraus ent-
stehenden ganzen Fundo der gesammte griechische Clerus unter-
halten und wenigstens eine Schule, es sei zu Suczawa oder zu
Czemowitz, errichtet werden; das von den diesf&Uigen Ein-
künften sodann noch übrig Bleibende soll zu anderen nutz-
baren Verwendungen vorbehalten bleibend Die zufolge dieser
kaiserhehen Verordnung einzuziehenden Ländereien boten auch
die Möglichkeit, neue Ansiedelungen zu begründen.
Auf seiner Reise durch die Bukowina war der Kaiser
auch nach Suczawa gekommen. ^ Hier lernte er die Lippowaner
(ddo. 10. December 1774) des commandierenden Generals Freiherrn
y. Spl^ny (Czemowitz 1888); Polek, General Spl^ny's Beschreibung der
Bukowina (verfasst zwischen dem 15. August und 15. September 1775;
Czemowitz 1893); Zieglauer, Geschichtliche Bilder aus der Bukowina
sar Zeit der Osterreichischen Occupation, dargestellt im Spiegel der
Denkschriften (ddo. 30. October 1779) des commandierenden Generals
Freiherm v. Enzeuberg (Czemowitz 1893); Polek, Die Bukowina zu
Anfang des Jahres 1783. Nach einer Denkschrift des Mappierungs-
directors Johann Budinszky (ddo. 25. Januar 1783), Czemowitz 1894.
» Wickenhauser Nr. 2—3, S. 81f.
' Tergl. darüber Polek, Josephs U. Reisen nach Galizien und der Buko-
wina (Jahrbuch des Bukowiner Landesmuseums III, 1895), S. 59 ff.
' VergL die in der vorhergehenden Anmerkung genannte Arbeit. Der Kaiser
war von Siebenbürgen am 14. Juni in die Bukowina gekommen, über-
nachtete an diesem Tage in Valeputna, brachte dann zwei Tage (15. und
16. Jnnl) in Suczawa zu und langte am 17. Juni in Czemowitz an.
Diese Stadt verliess der Kaiser am 19. Juni und begab sich nach
Sniatyn.
244
kennen, die zumeist offenbar aus Mitoka-Dragomirna dahin ge-
kommen waren, unter denen sich aber auch EÜmoutzer Lippo-
waner, namentUch deren Richter, befanden, denn Enzenberg
bemerkt in einem Berichte ausdrücklich, dass der Richter von
Klimoutz ,das Glück hatte, sich im Jahre 1783 Kaiser Joseph
zu Füssen zu legend ^ Diese ,guten, ruhigen und arbeitsamen
Leute' gefielen dem Kaiser so sehr, dass er ihnen nicht nur
ihre Religionsfreiheit gewährleistete, sondern auch — wie Enzen-
berg sofort an das Generalcommando in Lemberg berichtete —
,noch mehr dergleichen gute und nützliche Lippowaner-Familien
in das Land zu ziehen' befahl.* Der Kaiser selbst schrieb
wenige Tage später in seinem bereits erwähnten denkwürdigen
Handschreiben, in welchem er am 19. Juni unmittelbar vor
seiner Abreise aus Czemowitz dem Hofkriegsrathspräsidenten
die nöthigen Reformen kundgab, unter Anderem Folgendes
über die Lippowaner:' ,Ausserdem sind solche fleissige und
arbeitsame Leute, welche man durch jene, so sich in der
Moldau von dieser Nation noch befinden, zu vermehren
trachten muss.'
Nun wollte es gerade der Zufall, dass Lippowaner, welche
an den Donaumündungen sassen, im Sommer des Jahres 1782
durch einen österreichischen Officier angeregt worden waren,
sich nach der Bukowina zu begeben. Enzenberg berichtete
hierüber* in einem Schreiben vom 19. October 1783, dass der
Pontonierhauptmann Redange im verflossenen Sommer den
Lippowanern die Uebersiedelung angerathen haben mag, als
er die Donau passierte, um Pferde einzukaufen. Die Lippo-
waner verschafften sich sodann bei dem in Jassy verweilenden
österreichischen Hauptmanne Beddeus einen Pass und sandten
zwei Abgeordnete, Alexander Alexiewicz und Nikifor Larianow^ ^
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 26, S. 104.
' Ebenda Nr. 4, S. 82. Das Datnm 13. Juni muss ein Irrthum sein, da
der Kaiser (vergl. S. 243, Anm. 3) erst am 15. in Suczawa eintraf. Wahr-
scheinlich ist ,15.* oder ,18.* zu lesen.
' Polek, Josephs II. Beisen, S. 62.
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 13, S. 88.
* Nach einer späteren Behauptung der Lippowaner (Juni 1784) hatte sich
Alexiewicz dem von ihnen nach Wien abgeschickten Nikifor selbst auf-
gedrungen. Alexiewicz war übrigens vonr Geburt ein Kalmücke und
gehörte erst seit dem achten Lebensjahre den Lippowanern an. Vergl.
Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 26, S. 101.
V
245
zugleich mit einem Dolmetsch^ dem Ungarn Kowacz^ zu Enzen-
bei^ nach Czemowitz. In etwas für die Lippowaner vortheil^
hafterer Weise stellt diese Begebenheit der Abt Olimpi Milo-
radoTv- dar in der von seinen Glaubensgenossen im Jahre 1870
an den Reichsrath überreichten Petition um Freihaltung von
der Militärpflicht.^ In derselben wird nämUch behauptet^ die
Cdonisten am schwarzen Meere hätten im Jahre 1782 einen
namhaften österreichischen Staatsbürger vor den ihn verfolgenden
Türken heschützt und an die österreichischen Grenzen befördert;
%us Dankbarkeit hätte derselbe ihnen hierauf von Kaiser Joseph
das Ansiedelungsprivilegium verschafft. Wie dem aber auch
aein mag^ sicher ist es^ dass die oben genannten Gesandten
der Lippowaner etwa zur selben Zeit,* da der Kaiser in der
Bukowina weÜte, von ihrer Heimat aufgebrochen waren und
daher isirohl nicht allzu lange nach der Abreise des Kaisers bei
Enzenherg eintrafen. Dieser war entsprechend dem vor Kurzem
geäusserten Wunsche des Kaisers und weil er selbst auch schon
früher die Lippowaner sehr hochschätzte,^ den Abgeordneten
g^enüher sehr zuvorkommend. Dieselben meldeten, dass mehr
als 2000 Lippowaner-Familien zur Uebersiedelung nach den öster-
reichischen Staaten bereit seien. Sie wollen sich vorzüglich an
der Donau ansiedeln, um Schifffahrt und Schiffbau zu be-
treiben; doch seien auch ;riele, die als Ackerbauer und Ge-
werbsleute in die Bukowina zu ziehen bereit seien; sie bitten
um die Kundmachung der Bedingungen ihrer Ansiedelung.
EjLsenberg sicherte auch sofort den Abgeordneten eine Reihe
Ton Freiheiten zu, und zwar die Ueberlassung von Aeckem,
Gewährung von Baumaterial für die Häuser, dreijährige* Freiheit
^ ,Promeinoria zur Petition der Lippowaner an den hohen Reichsrath, ddo.
15. März 1870 nm Freihaltung von der Militärpflicht auf Grund ihres
ADsiedlung^privilegiums/ Wien 1870.
* Als die Gesandten anfangs October 1783 sich in Wien aufhielten, be-
haupteten sie, dass schon ,gegen vier Monate' verstrichen seien, seit
sie ihre Heimat verlassen hatten. Wickenhauser, Molda V, 2,
Nr. 7, S. 84.
' Vergl. sein Schreiben dato 12. März 1783 bei Wickenhauser, Molda
V, 2, 8. 81 f., femer auch Nr. 13, S. 90. Mehr hierüber weiter unten.
* Nach Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 16, S. 92 würde Enzenberg
dreissigjährige Steuerfreiheit versprochen haben ; doch liegt hier offenbar
ein Irrthum vor, da der dreijährigen Freiheit auch in einem Schreiben
L.
246
von den k. k. Abgaben und der Gewerbesteuer; würden sie
ganze Ortschaften bilden, so sollen sie ihre eigenen Popen
haben; endlich wurden ihnen bei der Einfuhr ihrer Habselig-
keiten Zollerleichterungen in Aussicht gestellt und ebenso den-
jenigen, welche aus der Bukowina durch Siebenbürgen an die
Donau nach dem Banate und nach Ungarn ziehen wollten,
Beihilfe versprochen. Jedenfalls sind aber diese Begünstigungen
vorbehaltlich der höheren Bestätigung in Aussicht gestellt wor-
den,* und daher sollten die Gesandten die bezüglichen Ent-
scheidungen abwarten. Da sie aber voraussetzten, dass ,das
ordentliche Verfahren der hohen Stellen' allzulange währen
würde, so setzten sie ihre Stammesgenossen von dem bisher
Erreichten über Jassy in Kenntniss und begaben sich selbst
nach Wien. Hier überreichten sie am 5. October 1783 ein
Majestätsgesuch, in welchem sie um eine Privilegiumsurkunde,
femer um Geld fiir die Rückreise und Pässe baten.* Noch an
demselben Tage erHess der Kaiser die nöthigen Verordnungen
an den Hofkriegsrathspräsidenten Feldmarschall Hadik,* und
dieser theilte sie schon am folgenden Tage der Bukowiner
Landesadministration und dem ihr vorgesetzten G^neralcom-
mando in Lemberg wie auch den ungarischen Behörden mit.*
Für die Bukowina wurde insbesondere die Besiedelung der
geistlichen Güter anbefohlen; fernem sollte den Uebersiedlem
aller mögliche Beistand geleistet werden; was die Landesver-
waltung den Lippowanern zugesagt habe, solle dem Hof-
kriegsrathe mitgetheilt werden. Schliesslich wurde den Ge-
sandten ein vom 8. October datiertes Schreiben ^ Hadik's an
Enzenberg tibergeben, in welchem betreffs der Subvention für
des Hofkriegsrathes an Enzenberg ddo. 8. November 1783 Erwähnung
geschieht. Vergl. Beilage 9.
' Sie sind aufgezählt im Berichte Enzenberg's vom 19. October 1783 (bei
Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 13, S. 89), kOnnen aber natürlich den
Gesandten nur vor ihrer Abreise nach Wien zugestanden worden sein^
bevor dieselben dort die vom Kaiser bestätigten Freiheiten erhielten.
Es sind nachträgliche Mittheilungen Enzenberg^s infolge eines vom
6. October 1783 datierten Auftrages des Hofkriegsrathes (bei Wicken-
hauser, Molda V, 2, Nr. 9, S. 86f.).
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 7, S. 84.
^ Ebenda Nr. 8, S. 84 f.
* Ebenda Nr. 9, S. 86 f.
^ Beilage 2.
247
die Rückreise der Gesandten und ihres Dolmetsch Verord-
nungen getroflPen wurden, und zugleich an die Landesadmini-
stration die AuflForderung ergieng, ^dasjenige, was über die
Lippowaner vorläufig in Erfahrung zu bringen ist, zu berichtend
Ein Privileg, das die Einwanderungsbedingungen festgestellt
hattCj war indess noch nicht ausgestellt worden; der Kaiser
hatte keinen Befehl hierüber erlassen, und der Hofkriegsrath
hielt es für angemessener, zunächst bei Enzenberg anzufragen,
welche Versprechungen derselbe den Lippowanem geleistet
hatte. Da dieser Vorgang den Abgeordneten nicht anstand, so
überreichten sie am 9. October ein zweites Majestätsgesuch
\Memorial'), ^ in welchem sie die Bitte um Ausfertigung eines
Privilegs wiederholten. Dasselbe sollte ihnen über vier Punkte
Klarheit verschaflFen: 1. ob ihr Glaube ihnen belassen werde;
2. wie lange sie Steuerfreiheit geniessen würden; , 3. ob sie und
Ire Eindeskinder vom Soldatendienste befi'eit würden; und
4. endHch, welche Abgaben und Steuern sie nach der steuer-
freien Zeit zu entrichten hätten. Daraufhin entschied der
Kaiser in einem mit rühmenswerthem Eifer sofort an den Hof-
kriegsrathspräsidenten erlassenen Handschreiben,* dass die An-
siedler Religionsfreiheit haben sollten, zwanzig Jahre keine
Steuern zu zahlen hätten und hierauf nur diejenige, ,wie die
mit ihnen in gleicher Lage befindlichen kaiserlichen Unter-
tanen'; auch würden sie vom Soldatenstande frei sein. ,Dieses
arnss Mir', fUhrt der Kaiser fort, ,auf Pergament zu mehrerem
Aufsehen in beiden Sprachen geschrieben und von Ihnen, so-
wie vom Referenten unterzeichnet und mit dem grossen kaiser-
lichen Insiegel bekräftiget, damit es desto mehr Eindruck mache,
zur Unterschrift zugeschickt werden.^ Hierauf erUess der Kaiser
noch ins Einzelne gehende Weisungen betreffs der Rückreise
der Gresandten, ja er vergass nicht, als die Kanzlei ihm noch an
demselben Tage das vom 9. October datierte Patent sammt
•len anderen Verfügungen vorlegte, anzuordnen, dass ,ein
IJechemcs Futteral über das Patent' gemacht werde. ^ Am
* Beilage 3; yergl. Wickeiibauser, Molda V, 2, Nr. 9a, S. 86.
» Ebenda Nr. 9 a, 8. 86.
* Ebenda Nr. 10, 8. 87. Die dem Kaiser in dieser Vorlage gemachten Vor-
schläge über die Rückreise der Gesandten sind schon im Briefe Hadik^s
Tom 8. October enthalten gewesen (Beilage 2), daher auch die Gesandten
diesen behielten und mit ihm nach Czcrnowitz reisten.
248
10. October erhielten die Gesandten das Patent, welches noch
gegenwärtig in Mitoka-Dragomima aufbewahrt wird.* Bald
darauf traten sie die Rückreise an und trafen am 31. October
mit dem Freiheitsbriefe und dem vom 8. October datierten
Schreiben des Hofkriegsrathes in Czemowitz ein.* Sie hatten
während ihrer Anwesenheit in Wien, unterstützt vom Feuer-
eifer Kaiser Josephs, in wenigen Tagen ein Geschäft abge-
wickelt, das nach dem ,ordentlichen Verfahren' wohl mehrere
Wochen, wenn nicht Monate beansprucht hätte.
Enzenberg hatte inzwischen gemäss der an ihn unter dem
6. October ergangenen AuflForderung des Hofkriegsrathes am
19. October einen ausführlichen Bericht an denselben erstattet.
In demselben theilt er das schon oben wieder erzählte Zu-
sammentreflfen des Hauptmannes Redange mit den Lippowanem
mit und zählt die Begünstigungen auf, welche er den Lippo-
wanem in Aussicht gestellt hatte. Letztere Mittheilung kam
schon zu spät, denn inzwischen hatten die Lippowaner beim
Kaiser zum Theile weit günstigere bewirkt. Enzenberg hatte
aber, wie er weiter mittheilt, auch bereits an den Grenzen
Vorbereitungen getroflFen, welche die Aufnahme der Einwan-
derer betrafen. Damals gab er an, dass Felder fUr einige
tausend Familien vorhanden seien; geschlossene Ansiedelungen
könnten aber etwa 6 — 7 von je hundert Familien in der
Horaiza stattfinden, d. i. im östUchen Hügellande der Bukowina
zwischen dem Sereth und der Suczawa, wo jetzt die Eisenbahn
verläuft. ,Ich ziehe,' schrieb er in seinem citierten Berichte,
eine Lippowaner-Familie fünfzehn polnischen oder fiinf mol-
dauischen jederzeit vor und nehme sie an.'* Einige Tage
später, am 27. October, verhält sich Enzenberg bereits etwas
^ Dan, Die Lippowaner in der Bukowina, S. 14, Anm. 79. Nach einer
Bemerkung in der Czemowitzer Zeitung 1868, Nr. 95 würde daa Pateut
früher unter den Acten des vormaligen Bukowiner Kreisamtes sich be-
funden haben.
« Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 14, 8. 90. Den von Polek, Die
Lippowaner-Colonien S. 6, Anm. 14 citierten Hofkriegsrathserlass vom
10. October, der Enzenberg die Ansiedelung der Lippowaner besonders
ans Herz legt, fand ich nicht unter Wickenbauser's Materialien. Doch
vergl. dessen Anm. a in Molda V, 2, S. 88, wo freilich irgend ein Irr-
thum vorliegt Wahrscheinlich ist die Nr. 12 ein Bruchstück aus dem
vermissten Erlasse; dann ist aber das ,22. October' in dieser Nummer falsch.
3 Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 13, 8. 90.
249
kühler und zählt allerlei Schwierigkeiten der Besiedelung auf. ^
Er macht darauf aufmerksam, dass sowohl die geplante Grenz-
emrichtuDg der Bukowina,' als auch das in der Bukowina er-
richtete Remontierungsgestüt' der Ansiedelung Schwierigkeiten
bereiten. Ersterer Plan habe zur Folge, dass die an der Grenze
iegeBden Ortschaften und das dahinter auf drei bis vier Meilen
liegende Terrain nicht mit Lippowanem besiedelt werden könnte;
ii& Gestüt bediene sich aber gerade der Horaiza zur Grasung,
ns den daselbst bestehenden Gemeinden lästig sei und vor
Allem die Besiedelung hindere.* Dazu komme noch die Schwie-
rigkeit, dass die Lippowaner nur in selbständigen Dörfern
wohnen wollen; die Ansiedelung derselben in schon bestehen-
iien Ortschaften würde übrigens ,merkliche Uebersiedelungen'
der im Gange befindlichen Wirthschaften herbeiftlhren. Aber
auch in diesem Schreiben hebt Enzenberg den grossen Vor-
M hervor, welchen das gute Beispiel dieser Ansiedler auf
& Landsassen der Bukowina üben würde. Als nun die Ab-
geordneten der Lippowaner, von Wien zurückkehrend, am
31. October in Czernowitz eintrafen, erhob Enzenberg in einem
Tön diesem Tage datierten Berichte neuerdings Schwierigkeiten.^
Die Einziehimg und Verwaltung der geistlichen Güter, führt er
W5, bereiten viele Beschwerden; nur auf diesen könnten aber
ie Lippowaner angesiedelt werden, weil in der Bukowina
keine Cameralgüter wären; es könnten höchstens auf denKotz-
•aaoer bischöflichen Gütern, die für das Aerar schon eingezogen
worden seien,* 60 bis 70 Familien untergebracht werden.
Priratgrundherren seien nicht geneigt, fremde Ansiedler anzu-
'BeÜÄge 4.
* Diegen Plan hatten die Generale Freiherr v. SpUny und Freiherr
T. Elrichshansen schon im Jahre 1774 ins Auge gefasst. Vergl. Kaindl,
Joseph II. in seinem Verhältnisse zur Bukowina (Czernowitz 1896) S. 6 ff.
' Teber die Anfänge dieses Gestütes vergl. Polek, Die Anf&nge des
^ k. Staatsgestütes Radautz (Jahrbuch des Bukowiner Landesmuseums
Q) 1894), femer unsere Beilagen 4, 5, 21 und 26.
• Beilage 4 und 6.
B^ihtge 5. Aehnlich ftussert sich Enzenberg spftter sowohl in seinem
t>^ts dtierten Schreiben vom 12. November 1783 (Beilage 10), als auch
>B einem Berichte vom 23. November desselben Jahres (Beilage 11).
'Diei war im April 1788 geschehen. Vergl. Wickenhauser, Molda IV
iGeschichte des Blsthum» Radautz), S. 65—82.
A«kiT. LXUIIl. M. n. H4lfte. 17
250
nehmen. Auch vergisst Enzenberg in üeineti Berichten' nicht
hervorzuheben, dass, seit er die Verwaltung im Jahre ITiif
übernommen habe, sich gegen 13.000 Familien in der Bnko
wina angesiedelt hfttten, woraus er — wie es scheint — dei
Regierung den Scbluss nahelegen wollte, dase eine allzu
eifrige Besiedetungsthätigkeit von Seiten des Staates nichl
nOthig sei.
Wodurch ist der Eifer Enzenbei^'s so plätzlich abgekuhll
worden, und warum findet man in seinem Schreiben vod]
31. October schon gar keine Erwähnung der von ihm frUhei
auf der Horaiza geplanten 6 — 7 Ansiedelungen von je hundert
Familien? Dieser Umstand fiel natürlich den voi^esetzten Be
hOrden auf, und als Enzenberg in der Folge sowohl die An
siedelung der Lippowaner als diejenige der Deutschen nicln
genügend zu f<)rdern schien,* wurde der Landesverweser ini:
Aufklärung aufgefordert. Dieselbe bot er in zwei Schriftstücken
die vom 7. und 14. Juni 1784 datiert sind,* indem er zugleicl
mit Nachdruck den Vorwurf der Lässigkeit von sich weist
,Nachdem ich aber — schreibt er in seiner ,Meldung' von
7. Juni — während meiner hiesigen Anstellung die Bevölkerung
des Districts bereite um die Hälfte vergrüssert habe, so kann mai
doch diesen Wahn (der Lässigkeit) von mir nicht hegen. Niclii
einmal, sondern üflers habe ich die Bucowina durchreiset, alleir
ich konnte mir die Grösse deren Dorfe-Hottare nicht bekanm
machen, und den Scbluss fassen, ob auf diesem oder jenen
Hottar zu viel oder zu wenig Menschen wohnen, und dit
Horaitza, welche ich nicht einmal wohl sehr oft Überfahren
käme mir so wie jedem Anderen unbevölkert vor, nacbdeu
man nicht eine einsame Hütte anf selber antrifft. Ich schiiebi
demnach unterm 19. October a. praet., dass auf der Horaltzi
6 bis 7 Dörfer angesiedelt werden könnten, ohne dass it'l
wusste, dass die Horaiza 23 Dorfschaftcn zugehOrc, welcin
ihren Heuschlag darauf hatten. Die von der Metzgeriscbei
' Beilofe 4 und 5. Vergt. Auch weiter unten im Te:it«.
* Vergl. Wiekenhauner, Holdall, 3, S. lOOff.
' Diese zwei SctiriftgtQcka werde ich iu einer Arbeit Ober die dentsrbei
Siedelungen in der Bukowina verOfientiichen. Troti der Aunfllliniii^
Enienberg'ii kann man ihn nicht t-on der AbneiguDg ^gen die Coloni
entioQ freispreclien.
251
Commission * gesetzten Hügel erweckten in mir einen Verdacht,
taram mehrere Hügel auf dieser Strecke Feldes sich vorfinden,
3a ich die Horaitza ein Eigenthum einiger Klöster glaubte,
welche ihren Handel mit dem darauf wachsenden Heu treiben.
Allein durch diese Commission musste ich erfahren, dass
22 Dorfschaften die Horaitza unter sich theilen und hierauf
ihre Nahrung haben. Ich würde, wenn ich von dieser Be-
schaffenheit so unterrichtet gewesen wäre, die Berichte freilich
nicht so einbefördert haben, und da ich nun eines besseren
belehret bin, wird man jedoch den Staat oder mich nicht
^fen, und etwa teutsche Colonisten auf gerathe Wahl (!) hie-
lier schicken. Man behauptet eine Meinung so lange, als man
Tom Gegentheil nicht überzeugt ist; indessen ist's doch inmier
besser, selbe widerrufen, als durch eine Hartnäckigkeit dem
Staate Schaden zu verursachen.' Um seinen Irrthum zu ent-
icholdigen, fiigt ferner Enzenberg der zweiten ,Meldung' hin-
n: .Allerdings ist die Administration mit der Horaitze (!) in An-
sdinng der allda zu bewirken könnenden vermeinten Ansiedlung
fetäoscht worden. Aber nehme man auch das Aergeste an, dass
Dian sich in Ansehung 6 — 7 Dörfer-Aufstellung, mithin wegen
Interbringung und der nöthigen Unterkunft für 600 — 700, oder
aach 1000 Familien versehen habe, welches noch einem jeden,
1er über die Horaitze gereiset, aufgefallen ist, so ist doch
Jieses Versehen lang nicht so arg, als der des vorigen Map-
pierungsdirecteur Budinsky * geometrische Verstoss gewesen, wo
^ Zar Ueberwachung und Feststellung der Grundbesitzverhältnisse in der
Bukowina wurde im Herbste des Jahres 1781 eine Commission aus zwei
Militärpersonen und zwei Abgeordneten des Landes eingesetzt; den Vor-
*iti ftibrte der Commandant des ersten Gamisonsregimentes, Oberst
T. Metiger. Diese Commission yoUendete während der Jahre 1782 bis
17S4 ihre Arbeit und lieferte in 176 Protokollen die unter der Be-
i^Qmnng ,Metzgerische Abgrenzung^acten* bekannte Grundlage der im
Jihre 1792 errichteten Landtafel. (Vergl. den Bericht des Bukowiner
Lftndesaasschusses über dessen Thätigkeit seit 1. Februar 1863, S. 32.)
* Johann Budinszky hatte, als die in der yorhergehenden Anmerkung ge-
unnte Commission zusammengesetzt wurde, die Leitung der geometrisch-
Ökonomischen Aufoahmen erhalten. Diese Mappierung wurde, nachdem
anders der Theil der Bukowina zwischen dem Dniester und Pruth
ao^euommen worden war, von Kaiser Joseph bei seiner Anwesenheit in
d«r Bukowina im Jahre 1783 als eine ,in hypothesi . . . unnütze und sehr
^ostipielige Sache' aufgehoben (vergl. des Kaisers Schreiben ddo. Czemo-
Witt, 19. Juni 1783, bei Polek, Josephs II. Reisen, S. 61, Punkt 6). Auf
17*
252
derselbe mittels seinen Bericht von 12. Aogast 1782^ der unterm
14. dicti m. et a. einem hohen Generalcommando unterlegt wor-
den^ zwischen Pruth und Niester [Dniester] 3 bis 4000 Familien
ansiedlen zu können angezeigt hat. Wenn das geometrische
Absehen in einer Gegend^ wo augenleuchtend schon so yiele
Dörfer vor Oesicht liegen, sich so weit verfehlet hat, wie viel
mehr konnte nicht auch die Administration sich in der nicht
dörfer-, sondern häuserlosen, einer öden und wüsten Haide
ganz ähnlichen Horaitze versehen.'
So viel über die Gründe, welche Enzenberg fast plötzlich
das Ansiedelungsgeschäft verbitterten. Er musste offenbar
zwischen dem 19. und 27. October über die Besitzverhältnisse
auf der Horaitza aufgeklärt worden sein; nur so wäre der
mit einem Male geänderte Ton seiner Berichte erklärlich. Da-
gegen fkllt es freilich auf, warum er nicht sofort seinen Irr-
thum einbekannte. ^ Wie dem aber auch sein mag, Enzenberg
hat doch nichts ausser Acht gelassen, was ihm für die An-
siedelung förderlich schien. Sofort am 31. October und sodann
am 1. November hatte er eine Reihe von wohldurchdachten
Verfügungen getroffen, worüber er auch ohne Verzug an die vor-
gesetzten Behörden die entsprechenden Berichte erstattete.^
Zunächst befahl er den Gesandten, nichts von der beab-
sichtigten Uebersiedelung der Lippowaner zu verlautbaren, weil
sonst dies Vorhaben ,durch boshafte Menschen, besonders durch
Juden, den moldauischen Befehlshabern verrathen und dadurch
alles verhindert würde'. Daher überredete er sie, auch ihre Kaf-
tans und ein kostbares Seitengewehr, mit dem sie viel Aufsehen
erregten, abzulegen. In Wien hatte Aleide wicz angegeben,'
dass er diese Waffe und Kleidung vom türkischen Kaiser er-
halten hätte, und gleichzeitig gebeten, ihm das Tragen der-
den Erfahrungen, welche Budinszky bei seinen Arbeiten gesammelt
hatte, beruhen seine Ausführungen in der oben S. 242, Anm. 1 citierten
Schrift.
^ Dass Ensenberg am 27. October 1783 bereits wosste, dass die Horaisa
einigen Gemeinden gehöre, geht aus Beilage 4 klar hervor; seinen Irr-
thum gesteht er aber daselbst nicht ein, sondern bespricht die Hinder-
nisse, welche das Gestflt bereite.
' Wickenhauser, Molda Y, 2, Nr. 14, 8. 90; femer die Beilagen ö,
6 und 8.
* Ebenda Nr. 11, 8. 87 und Beilage 12.
253
selben zu gestatten, was — wie es scheint — ihm auch zuge-
'taoden worden war. In Czemowitz gaben die Gesandten an,
sie kfttten die Eaftans in Wien erhalten;^ den Lippowanem
aber scheint Alexiewicz später gesagt zu haben, dass er das
Ängewehr vom österreichischen Kaiser erhalten hätte.* Erst
später kam es heraus, dass er sich insbesondere den Säbel
selbst gekauft habe^ um damit eine freilich verfehlte Specu-
Istion zu treiben^ wie wir noch weiter unten sehen werden.
Hierauf traf Enzenberg die Verfügung, dass Alexiewicz sich
3ach Suczawa begebe, um dort die heranziehenden Einwanderer
10 empfangen; Larianow sollte aber in die Moldau ziehen, um
lieselben herbeizuführen. Letzterer erhielt 100 Marken, mit
lenen sich die heranziehenden Ansiedler an den Grenzen aus-
weisen soUten, um unbehindert zu passieren. Derartige Zettel
^en auch den Grenzwachen übermittelt, damit sie die vor-
^wiesenen auf ihre Echtheit prüfen könnten; Officiere und
Wichter wurden zur grössten Vorsicht aufgefordert. Auch ge-
blattete Enzenberg nicht, dass die Einwanderer an einem
'hte (Bossance bei Suczawa) einbrechen, sondern an ver-
jcliiedenen Orten, in kleinen Zügen, wo möglich auch auf
ffclJeiehwegen ; alle diese Vorsichtsmassregeln waren nöthig,
m nicht die moldauischen Behörden aufmerksam zu machen.
Ausserdem befahl Enzenberg allen ünterbehörden, den Ein-
wanderern möglichste Hilfe zu gewähren, und insbesondere er-
iiielt Alexiewicz an die Behörden in Suczawa ein Schreiben,
welches ihn dem weitgehendsten Entgegenkommen empfahl.
Nachdem er sodann noch an die beiden Gesandten laut hofkriegs-
räihücher Verordnung zu den bereits an sie und den Dolmetsch
ia Wien ausgezahlten 300 fl. weitere 200 hinzugefügt hatte, ^
reisten Larion und Alexiewicz am 1. November ab; dagegen
feb Kowacz in Czemowitz, wo er Enzenberg in der Folge
Eiancherlei Sorgen durch seine Liederlichkeit bereitete. Weil
^ die nach dem Banate ziehenden Familien begleiten sollte,
'^ard ihm bis auf Weiteres ein tägliches Gehalt von 30 Kreuzern
tewiDigt worden;* später musste man ihm dasselbe auszahlen
' Wickenhauser, Molda, V, 2, Nr. 14, S. 90.
* Vergl. weiter anten S. 256.
* Beilage 2 und Beilage 12.
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 15, S. 91 und Beilage 12.
254
und Alles von ihm ertragen, weil man fürchtete, er könn
sonst die geplante Uebersiedelung verrathen und so hinto
treiben.^ Im Februar 1784 dachte zwar der Hofkriegsrai
daran, ihn nach Ungarn zurückzuschaffen,* dagegen befahl d\
Kaiser in einem Handschreiben vom 16. März, ihn noch so lan{
zu behalten, bis sich die Angelegenheit entschieden hätte
Erst als man Kenntniss erhielt,* dass die Auswanderung d<
Lippowaner nach Oesterreich in der Moldau bekannt geword^
sei, zeigte sich der Kaiser geneigt, Kowacz im August zu et
lassen.^ Dies scheint Enzenberg auch thatsächlich gethan a
haben.
Alle oben angefiihrten Verordnungen und Vorkehrung^
wurden vom Kaiser und Hofkriegsrathe gu^eheissen. Da Enzei
berg jedoch den Ansiedlern nur drei Freijahre versprochen hatt
so wurde er angewiesen, nunmehr gemäss der Bestinunung d^
Patentes allen neu angesiedelten Lippowanern zwanzig Jahre 2
gewähren. Ansiedlem, die nach dem Banate wollten, sollten (täj
liehe) Unterstützungen von 2 Kreuzern flir jede Person erhalten;
Unbemittelten, welche Kinder hatten, wurde über Einschreitc
Enzenberg's' auch Vorspann bewilligt.® Ausserdem fehlte i
nicht an beständigen Ermahnungen,^ die Ansiedler durch all
mögUchen Mittel zu fördern, flir sie Alles vorzubereiten, im
besondere das Holz flir den Häuserbau zu schlagen.^^ S0III
man die Einwanderer wegen der Pestgefahr in Contumaz halte
müssen, .so mögen flir sie die nöthige Unterkimft und die Lebern
mittel besorgt werden.^^ Der Kaiser selbst erliess am 20. N<
vember ein Handschreiben,^* in welchem er sich selbst en
schlössen zeigte, das Remontierungsgestüt nach dem Banal
und nach Ungarn zu verlegen, weil dieses der ,anwachsende
^ Beilage 15 und 16.
* Beilage 17.
' Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 18a, S. 94.
* Ebenda Nr. 19, S. 95.
» Ebenda Nr. 21, S. 96, Nr. 25, 8. 99 und Beilage 27.
* Beilage 9.
^ Beilage 11.
« Beilage 13.
« Beilage 12.
10 Beilage 13.
" Beilage 12.
1« Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 15, S. 91f. und Nr. 17, S. 93.
255
Bevölkerung' nachstehen sollte. Dagegen wurde in demselben
betont, dass die Lippowaner-Popen^ unter dem Radautzer Bischof
and dem diesem übergeordneten Metropoliten von Karlowitz*
stehen müssten^ ,weil ihretwegen von dem allgemeinen Satz
des au%ehobenen Verbandes mit der fremden Geistlichkeit
flicht abgegangen werden könntet Auch sollte die gewährte
Steuerfreiheit nur den neu Angesiedelten^ nicht aber denjenigen
sogute kommen, welche sich schon vor neim Jahren (1774)
ohne eine Bedingniss im Lande niedergelassen hätten.^ In dem
oben citierten Schreiben vom 16. März bewies der Kaiser auch
in Bezug auf diese Angelegenheiten einen besonders scharfen
Bliek. Enzenberg hatte nämlich den bereits ansässigen Lip-
powanem mitgetheilt, dass ihr Pope gemäss kaiserlichen Be-
fehlen unter dem Bukowiner Bischof und dem diesem über-
ffeordneten Erzbischof von Karlowitz zu stehen hätte. Die
lippowaner wollten dies aber nicht nur nicht zugeben, sondern
sie liessen auch merken, dass sie es denjenigen mittheilen
würden, welche einwandern wollten, wodurch deren Ansiedelung
hintertrieben würde.* Der Kaiser rieth, auf keinen Fall allzu
streng vorzugehen, bevor die Ansiedelung zu Stande käme; aber
aach dann solle man es vor Allem versuchen, den Popen zu
^winnen ; sobald sich dieser von der Unterwürfigkeit unter die
rassischen Bischöfe, an welcher die Lippowaner festhalten
wollten,* befreien werde wollen, wüi'de es ihm leicht sein, auch
die Gemeinde dafür zu gewinnen.
Während so von den österreichischen Behörden alle erdenk-
lichen Anstrengungen gemacht wurden, dass die Ansiedelung
der Lippowaner vom schwarzen Meere nicht hintertrieben würde,
und dass diesen Uebersiedlem möglichste Unterstützung zutheil
^ Vergl- oben S. i>39.
' Das Bukowiner Bisthum hatte seit 1782 (kaiserliche Entschliessung
Yom 12. December 1781) seinen Sitz in Czernowitz und unterstand zu-
folge kaiserlicher Anordnung vom 5. Juli 1783 der Metropolie von Karlo-
witz in Slavonien, worauf es im Jahre 1873 zum Erzbisthume für die
Bukowina und Dalmatien erhoben wurde.
» Vergl. oben S. 240.
* Beilage 15.
^ In der Beilage 15 werden geradezu der Bischof und Erzbischof von
Moskaa als diejenigen genannt, denen die Lippowaner ihren Popen unter-
steUt wissen wollten.
56
erde, meldeten sich aus eigenem Antriebe Lippowaner aus
er tllrkischen Moldau zur Ansiedelung. Die VerhandluDgen
:heinen bereite anfangs November 1783 begonnen zu haben.'
m 18. December fanden sich sodann sechs Lippowaner ans Ko-
.estie beim Suczawer Bistrictsdirector Storr ein und verab-
ideten daselbst mit den Lippowanem aus Mitoka, dass sämmt-
che zwanzig Familien aus Eostestie, sobald der Schnee
:hmelzen würde, nach Mitoka ziehen sollten.* Sie wollten nur
nter ihrem eigenen Schulzen stehen, mit Alexiewicz aber nichts
emein haben; ihre Abneigung gegen ihn gieng so weit, dass
e selbst die dorcb ihn bewirkte zwanzigjährige Steuerfreiheit
icht beanspruchten, Bondem sich mit drei steuerfreien Jahren
egnUgten, wahrend welcher sie ihre Häuser bauen und die
firthschaften einrichten wollten. Hierin scheinen sie von den
Ütokem beeinfiuBst worden za sein, denn diese klagten um
ieselbe Zeit* dem Suczawer Districtsdirector, dass Alexiewicz
ich mit der üofihung trage, das Oberhaupt aller Bnkowiner
lippowaner zu werden. Er rUhme sich, den Sftbel vom Kaber
rhalten zu haben; das militärische Abzeichen errege aber bei
'^ielen die Furcht, dass sie mit der Zeit zum Milit&r genommen
rUrden. Auch venieth Larianow, der ebenfalls mit Alexiewicz
erfallen war, daes dieser sich die Waffe selbst gekauft habe,
lo kam der herrBchsUchtige Mann in allgemeinen Misscredit;
och gestattete ihm der Kaiser am 16. März, auch fernerhin
en Sftbel so lange zu tragen, als er damit Niemandem einen
Ichaden zufügen wUrde.* Bei den Lippowanem erregte Ale-
jewicz übrigens mit seinem Säbel Aergemiss, weil ihre Re-
^onsgesetze ihnen das Tragen von Waffen verbieten. Daher
ah er sich schliesslich im Mai oder Juni 1784 veranlasst, auf
ein Seitengewehr zu verzichten.*
Für Enzenberg ergab aber die eingetretene Spannung
wischen den Bukowiner (Mitoker) und moldauischen Lippo-
' Dkninf weisen die Anfan^worte im Benchte Storr'g ddo. !3. April 1784
(Wickenfaaaser.HoldaT, ä,Nr. 19, S. 95): ^luder tOrkisctieii Uoldan
sind seit 1, NoTember 17S3 neben Familien angeketomen . ■ .'
■ Beilag« 16.
' Verg'l. die eben citierte Beila^
* B^l«^ 17 Qitd Wickenhanier a. eben a. O., Hi. 1B&, S. 94.
■ Ver^. den Bericht Eoaeoberg'a ddo. SS. Juni 178i b^ Wickankanser,
S. 101.
267
wanem einerseits, und den Uebersiedlern vom schwarzen Meere
andererseits eine Quelle neuer Sorgen. Hatte er nämlich bis-
her, wie er dies in einem späteren Schreiben vom 3. Mai 1784
an den Hof kriegsrath hervorhebt, ^ sich Hoffnung gemacht, alle
diese Lippowaner in den schon bestehenden Colonien Mitoka
und Klimoutz zusammenzusiedeln, wobei allenfalls die Grenzen
dieser Gemeinden zu erweitem gewesen wären, so musste dies
unterbleiben; man musste vielmehr daran denken, einen Ort
nir eine neue Lippowaner-Colonie ausfindig zu machen, da das
Zasammenaiedeln derselben mit Andersgläubigen in vorhinein
ausgeschlossen war. Anders fasste Kaiser Joseph die Ange-
legenheit auf; * er war der Meinung, die Uneinigkeit zwischen
den Lippowanem und die Gehässigkeit eines Theiles derselben
gegen Alexiewicz sei nur von Vortheil, weil dann diese nicht
das Recht der zwanzig Freijahre beanspruchen könnten.
Uebrigens hatten die Verhandlungen mit den Lippowanem aus
der Moldau keinen grossen Erfolg. Aus einem Berichte vom
22. April 1784 erfahren wir,* dass bis zu diesem Tage nur
sieben Familien eingewandert waren, von denen sich eine in
Klimoutz, die anderen sefehs in Mitoka niedergelassen hatten.^
Am 29. April 1784 kamen ebenfalls nur zwei Familien, die
nach Klimoutz giengen.^ Vielleicht hatte auf diese Einwan-
derung der Umstand störend gewirkt, dass Enzenberg die
zwanzig Familien, welche insgesammt nach Mitoka ziehen wollten,
nach Klimoutz zu leiten beabsichtigte, ,da in Dragomima schon
zenug Bewohner sind'.^ Doch wanderten auch später wahr-
* BeiUge 19; vergl. auch Beilage 15.
» Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 18a, S. 93f.
* Ebenda Nr. 19, S. 95.
* Dass diese Lippowaner am 18. December 1783 einwanderten, behauptet
Wickenhauser, Molda II, 2, S. 95f., wahrscheinlich auf Grund unserer
Beila^ 15, wo aber dieses Datum eigentlich nur als Tag der Ver-
handlong mit Storr genannt wird. Auch Polek, Die Lippowaner-
Colonien, S. 6, führt den 18. December als Einwanderungstermin an;
derselbe unterscheidet auch nicht die Einwanderer aus der Moldau von
denen vom schwarzen Meere.
^ Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 20, S. 96. — Anders stellt Wieken-
hau s er, Molda II, 2, S. 96 den Sachverhalt dar, doch ist hier das
Datum 17. April sicher irrig und überdies die Lippowaner aus der Moldau
und diejenigen vom schwarzen Meere nicht genügend auseinander-
griialteiL
* Beilage 15.
ji "■ I ..i -sulTi ii'T Bukowina,
- --^ — irr«- '«•rr.ra wzr^L-
" *- ^^r--^ »•r**^- MICH üu ersten
:-- - 1 -r- tzirr^r^ rfr-d- - Am. 5l Jjuiaar
I ^?r- -iLLi -- ^^^ ^*^ darauf
— :=:! _"r ILl -fn uiiL toiicsorielen
— ■ iir T-^ .ft?fr3iE?i^aLur*Ti Barschen
_ n --— "^ "^tr^pan Zißse üieilten
_ z --' -:-i.:riL,rrfi- «k irireii aber
— --* - . — _ :3fc- aum^iirte Vieh
_- _" »^z. ^n ^ -»»HrißiL 1=1 Fruh-
:-r :r -r^^ -r:^ irner-iimES «ne Ver-
TT- • - .- _ -L^^-Ji- im £»t Ansiedler
* Der Hof-
itiiha -üe Ceber-
rtr die An-
.;. r -^1 1 j . - =* 4is* üu i:stocischen
^ . -* — — - '^'-.r^ rL v^-r-it^iL A^'cfc wurde
- ,. -— r i_-. --_Lrz- — 1Ü& 3iU&£ Z3 leiten,
-^" -^-^ 1 - n. '™ iitf Aa^edeluDg
' - _ - ■-'■-_. j: ' 1 - n _t.is=eiuiir. * Dereine
_ — : ..-—_---. ^ _T- . :=. AI -öOfcHr DtfcäTOCiima
.-*. *--: ■ -1 il ^ r - L^-r^ ~ -iiiieai Pächter
_^ i - .- '■ -:"'-._ 1. ▼*** t;-' ^i*.L:w man es
' --- * ""* - :r 11 i/::n^*fii. Fir:i'rr war die
■
V ,. -- - V — ^ — ' ^- - T r*.-_i I > a wTs<»ce man, alä
- . . _-_«.::•* ■- ^•. ^ -1 ji ^-T -.r u. t^-rL H:ctnegsrath
_ ^^^ - . ■ . - -IiTr*-:- — .-r ii^c IC ~^ .n az. leren In^
'■■. _"*"i.»'' * "*- ^ ' : '^ .^n *"i"'* 4. **tr T ■ i* i* 1, dass der
^, --_ -v — J^^r- '^^ ^v • r >:-.rr :5^^u a aol Ü Aurfl die in
^- ^ - .*>*-. " "v ; ^. ^ «i'*r — 1^ * i-nü VöTcits ausser
^-"- ^^-- --- i V i i..i^i-. Jtjuiaa. i, S-96, doch
-^ ^VC ^.■> _^ -*. ;^7 * Tiw- j »^-sOCTi-^.
259
Alexiewicz noch zehn andere Familien, femer drei ledige Bur-
schen (Buriaken) und flinf Kaluger angekommen — über Kli-
moutz nach Korczesti und Wamiza geschickt hatte, damit die-
selben die Oertlichkeit in Augenschein nähmen. Damals war
auch bereits bekannt geworden, dass die Auswanderung der
Lippowaner in der Moldau entdeckt worden sei; ihr Igumen
wäre verhaftet worden und hätte sich nur mit Geld losge-
kanft.^ Auch hierüber berichtete Enzenberg an den Hofkriegs-
rath, und nun kamen aus Wien mehrere kaiserliche und kriegs-
räthliche Erlässe.* Enzenberg's Vorbereitungen wurden zur
Kenntniss genommen; er wird ermahnt, dass die Lippowaner
nur auf Cameral- oder geistlichen Gütern angesiedelt werden
durften; anderen Leuten mögen ihre Gründe nicht wegge-
nommen werden; wem es nicht in der Bukowina gefüllt, der
möge ins Banat gehen, wohin ihm Vorspann zu leisten sei und
wo ebenfalls Ansiedelungen auf Cameralboden stattfänden; die
Staatsadministration der geistlichen Güter möge endlich einmal
eingerichtet werden; Kowacz sei mindestens bis zum August
zu behalten, weil noch immerhin Lippowaner kommen könnten,
wenn auch ihre Auswanderung verrathen sei; gleichzeitig wurde
<iem Generalcommando in Lemberg und Enzenberg bedeutet,
dass sie flir höchst verantwortlich erklärt würden, wenn die An-
siedelungen, insbesondere diejenige der Lippowaner, nicht zu
^de kämen. Als man hierauf gegen Ende Mai in Wien er-
&hren hatte, dass ein Igumen dieser Lippowaner (am 10. Mai) ein-
getroflfen sei, forderte der Hof kriegsrath Enzenberg auf, mit Hilfe
desselben für die Einwanderung Stimmung zu machen. Auch
sprach der Hofkriegsrath sein Befremden darüber aus, dass
Enzenberg beim Anweisen der Gründe flir die Lippowaner —
worauf wir weiter noch zurückkommen werden — die Inter-
vention des Klosters Putna und des Consistoriums (Bisthum-
rathes) gesucht hätte; da die geistlichen Güter in Staats-
ädministration übergangen seien, der Bisthumrath aber nur in
^ligiösen Dingen mitzusprechen habe, so sei die Landesver-
waltung in dieser Angelegenheit selbständig. Befremdlich fand
'Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 19, S. 95 und Nr. 26, S. 104; femer
Beilage 21.
* Beilage 20, 22, 23, 24, 27, 28, 30 und Wickenhauser a. a. O. Nr. 21
and 25, 8. 96 und 99.
der Uofkriegsrath aach, d»88 an die Lippowaner das Än-
aen geateUt werde, Grundsteuer und Zehent zu geben, da
en doch swanKigjährige Steuerfreiheit zugesichert worden
und sie nur auf St»«tsgatem anzusiedeln seien. Auch diese
merkung wird durch die folgende Äusfllhrung näher be-
chtet werden.
Alle diese hochortigen Erlftsse waren in wenig mehr als
em Monate ber^l^Ungt (12. Mai bis 16. Juni 1784). Withrend
ser Zeit wmreo aach die Behörden in der Bukowina nicht
£sig gewesen. Wie bereits oben mitgetheilt worden ist,
reu diejenigen Lippowaner vom schwarzen Meere, welche
h bis »am ÄJ. April in Suczawa versammelt hatten, an
sem Tage vom Snczawer Districtsdirector Storr über KU-
atz nach Korc«esti und Wamitza geschickt worden, um diese
biete EU prOfen. Am 27. kehrten dieselben zurück und
lilten mit, dass KorcMsti weder anbaufähigen Boden noch
le Statte fUr die Dorfänhige biete. Dagegen sei Wamiza
ar bequem, doch zu klein; man mQge ihnen daher auch
len Theil der Horaiaa geben. Da sich um dieselbe Zeit
exiewicz und Larianow, die schon früher sich verfeindet
tten, trennten, traten alle in Suczawa anwesenden elf Fa-
lieD auf die Seite des offenbar geachteteren Larianow. Dieser
schloss nun sofort mit seinen Begleitern nach Wamiza zu
shen, wahrend Alexiewicz in Suczawa weitere Zuzüge er-
wten wollte. Als SiedelangsstStte für diese Lippowaner unter
exiewicz war am 29. April das Vorwerk Durnestie bei Ra-
,utz, das der Bischof innehatte, in Aussicht genommen. '
ihliesslich aber gieng auch er mit seinem Anhange nach
ir Wamiza.' Zusammen waren dahin 16 Familien, 3 Bur-
hen, 1 Igumen und 6 Kaluger abgegangen,^ woraus hervor-
ilit, das8 die Lippowaner trotz der durch den Verrath wach-
irufenen Wachsamkeit der moldauischen Behörden Mittel und
'ege fanden, in die Bukowina zu gelangen. Storr wandte
ih nun auch an das Kloster Putna um Abtretung von
0 Faltschen Wiesengrund, welche auf der Horaiza neben
' Wickenhauser, Uolda V, 2, Nr. 20, S. 96.
» Wickonhauaer, Mold« D. 2, 8. 96 gibt an, dsM alle Lippowaner »m
29. und 30. April nach Waroiu giengen; vergl, Holda V, 2, Nr. ao
H. B6 (.heute oder mor^n').
■ lieilage 21.
261
dem Orte lagen, wo das Dorf erbaut werden sollte;^ zugleich
bat er Enzenberg, den entsprechenden Auftrag an das Kloster
^langen zu lassen. Da inzwischen einige Fratautzer und Unter-
Wikower' gegen die Besiedelung der Warniza wegen ihrer
Weide daselbst Einspruch erhoben hatten, begab sich Storr
selbst an Ort und Stelle und bewog die Kläger, auf jene
Gründe keine weiteren Ansprüche zu erheben. Die Lippowaner
erhielten nun auch die 110 Faltschen angewiesen und erklärten
sich nach einigem Widerspruche bereit, den Zehent und grund-
terriiche Abgaben zu entrichten; letztere Bestimmung war, da
die Verstaatlichung der Klostergüter bereits ausgesprochen war
und die Lippowaner von allen Staatsabgaben durch zwanzig
Jahre befreit waren, ganz ungehörig, was auch vom Hof kriegs-
rathe mit Recht hervorgehoben wurde. Trotzdem mussten die An-
siedler auch später die Grundgiebigkeiten entrichten,' besonders
(ia der Staat seine herrschaftlichen Rechte an Pächter abgab.
Sur von den eigentlichen Staatssteuem blieben also die Lippo-
waner durch zwanzig Jahre befreit und zahlten dieselben erst
vom 1. November 1803 an.* Streng genommen hätten sie bis
sa diesem Datum als Colonisten auf Staatsdomänen von allen
Abgaben frei sein sollen; dies war ja der Grund, weshalb sie
Bm- auf solchen Gründen angesiedelt werden wollten. Da sie
»ber nun veranlasst wurden, für den vom Staate angewiesenen
Boden die Grundschuldigkeiten zu entrichten, so bot diese An-
siedelung nicht alle gewünschten Vortheile, daher sie auch bald
«iÄrauf auf einen Privatgrund übersiedelten.
Während der Anwesenheit Storr's in Warniza liessen die
lippowaner zum ersten Male merken, dass sie ein Kloster zu
«rbauen die Absicht hätten. Storr glaubte nun, dass die Lippo-
waner selbst für vierzig Familien genügenden Boden hätten,
insbesondere da er den Igumen von Putna bewogen hatte,
fe zur Beurbarung ihrer Gründe ihnen anderswo Aecker an-
^veisen. Die ,8attlosen und sich auf keine Weise begnügen
wollenden Ankönmilinge' forderten aber sofort weitere Gründe.
* Beilage 21.
' Heber daa Folgende vergl. W i c k e n h a u 8 e r . Molda V, 2, Nr. 22 u. 28, 8. 97 f.
* Ueber das Unterthanswesen in der Bukowina werde ich in einer
andern Arbeit aoaführlich handeln.
* Vergl die Beilage 42. lieber das ältere Steuerwesen in der Bukowina
*^e ich in meiner Qeschichte der Bukowina, m. Abschnitt handeln.
I ihnen in der Wamiz« nichts mehr ausgeschieden werden
:D so sollen noch jedem Haasvater and allen Nachkömm-
i aof der Honiza 25 Faltschen zugetbeilt werden, da sie
ncht haben, &e. Majestät habe ihnen zugesichert, man
ä ihnen genügsamen Gnind, soviel sie nur verlangen geben."
:hr also hatte diesen orwachsigen Leuten das ungewohnte
urenkoniinen der öslerreicbischen Behörden den Appetit
li&rft. Dti man ihnen nicht rasch genug willfahren konnte,
rliess Alexiewicz mit neun Familien schon wenige Tage später
och vor dem 21. Mai • — Wamiza und begab sich nach dem
Ktinite Hliboka. Nun war Storr ganz rathlos; zwar wusste
Lass dieses dem Starosten Thaddäus Torkul gehörige Dorf
etwa 260 Familien Raum bote, während daselbst nur 80
asie waren; »ber er selbst hatte (wohl um das die Ansie-
ne behindernde Gestüt von der Horaiza zu entfernen ') vor
zem über Auftrag Enzenbeig's mit dem genannten Grund-
■n Verhandlungen gepflogen, dass dieser einen bedeutenden
il der Gründe von Hliboka dem Gestüte überlasse.* Nun
«n wieder Ansiedelung und Gestüt an einem Orte vereint,
die Laodesadministration wiederholt als ein Unding erklärt
to VA« Besoi^isse derselben stiegen noch mehr, als Eie
3 Juni erfahr,* dass bereits alle Lippowaner von Warniza
man «»hlte damals schon zwanzig Familien — nach HUboka
yreegangen seien und mit dem Grundherrn schon einen milnd-
tcu Vertrag geschlossen hätten, nach dem er jedem Hans-
rthe gegen einen jährlichen Grundzins von 5 fl. 30 kr. fUnl
Itscben Wiesen und soviel Faltschen Acker, als jeder an-
uen mochte, zur VerfUgung stellte. Alexander Alexiewicz er-
nte EnzeulK'i^, dass die Lippowaner dies fiir vortheilhaft
. \Vickenh«u»PT, Mold« V, S, Nr. 22, S. 97 f.
* Von iliwcini fotr^ ilftliert der Bericht des Snciawer Dutrictadirertoi?
Storr abe' ^b" orfolgten Abiiig (Wickonhaaser n. eben n. O., Ni. ii
S. 98). Enieiibergr berichtet liierQber in einem Sclireibon vom 3. Juui
(BeUa^ SC), ohne du Datum niher aningeben; in «einem Beriebt« roir
2S. Jani l'«* tWickonhanser, Nr. 26, S. 100) sagt er: ,vor ongefibi
sechs Wochen fuhren die Lippowaner nach Hliboka'. Poiek citieri
einen Bericht Eiii«nb«rg's vom 27. lliü (S. 6, Anm. ICt), doch \tg ihm
offenbar Storr'» filierter Bericht vor; vergl. übrigens Beilage 86 am Anfang
> \BTg\. oben, S. 2*9.
• B^laRBn 21 nnJ S6.
» Boilag« äö-
263
fielen und insgesammt mit ihm in Hliboka verbleiben wollten;
aar Simon Alexiewicz, der vom Ackerbau nichts verstehe,
wolle mit einigen ledigen Barschen in das Banat gehen, um
Fischerei zu betreiben. Enzenberg verhiess den Uebersiedlern
m Banat dieselbe Unterstützung wie in der Bukowina, und
als Alexander Alexiewicz ihn um einen Vorschuss von 30 Rubeln
zur ÄDSchaffdng von Vieh und Geräthen bat, versprach er zu-
nächst selbst in den nächsten Tagen nach Hliboka zu kommen.
(fleichzeitig fasste Enzenberg den Entschluss, das Gestüt von
Hliboka nach Petroutz zu verlegen,^ welche Ortschaft eben-
es dem Turkul gehörte und auch schon früher für das Ge-
stüt in Aussicht genommen worden war,* Alle diese Sorgen
wären den Behörden erspart geblieben, wenn sie von den
lippowanem bei ihrer Ansiedelung auf der dem Rehgionsfonde
gehörigen Wamiza keine Abgaben gefordert hätten. Da dies
aber nicht der Fall war, so bot die Ansiedelung auf diesem
Cameralboden keinen Vortheil vor derjenigen auf den Gründen
eines Privatgrundherm.
Einige Tage später brach Enzenberg mit dem der russi-
schen Sprache mächtigen Czemowitzer Districtsdirector Linden-
•els nach Hliboka auf. Ueber seine Thätigkeit daselbst und
fe seine Erfahrungen in dieser Lippowaner-Colonie, sowie
auch in den beiden anderen, welche er von Hliboka aus be-
achte, liegt ein sehr werthvoller Bericht Enzenberg's vom
Ö. Juni 1784 vor. * An dieser SteUe soUen jedoch nur die An-
gaben desselben wiedergegeben werden, welche auf das An-
^elungsgeschäft selbst Bezug haben. Die Verhandlungen mit
Toikul, ,wieviel und gegen welche Abgaben er den Lippowanem
Felder überlasse', endete nach Enzenberg erst nach zwei-
^Hentlicher Unterhandlung am 23. Juni, also offenbar am
'^^^ da Enzenberg nach dem Besuche der anderen Colonien
nieder Hliboka berührte, um sich sofort nach Czemowitz zu
^eben und seinen Bericht abzufassen. Der Vertrag zwischen
Tarka] und den Lippowanem, der ebenfalls vorliegt,* ist aber
^hon vom 10. Juni datiert; es scheint also derselbe gleich am
^inne der Verhandlung — die am 23. Juni nach zweiwöchent-
' Beilage 26.
' Beilage 21.
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 26, 8. 99ff.
' BeUage 29.
264
lieber Dauer endigte — geschlossen worden zu sein, und
Enzenberg's Bemerkung dürfte sich also nur auf die Durch-
fdhrung einzelner Punkte beziehen.^ Die Schwierigkeiten ver-
ursachte die Unersättlichkeit der Lippowaner, welche beharrlich
zweimal mehr Grllnde begehrten, als gewöhnlich ein Bauerngut
bildeten. Im Vertrage wurden jedem Hauswirthe lOV» Faltschen
(nach Enzenberg's Bericht nur 10) Aecker und Wiesen zuge-
standen; ferner freie Benützung der herrechaftlichen Hutweide
und das nöthige Bau- und Brennholz; hiefiir hatte jeder Haus-
wirth statt Zehent, Robot und den sonstigen Unterthans-
leistungen* nur 5 fl. 30 kr. jährlich zu bezahlen. Weitere
beurbarte Gründe durfte kein Lippowaner weder kaufen noch
sonst erwerben; diese Bestimmung hatte ihre Ursache in dem
Umstände, dass Turkul auf Enzenberg's Zureden ,sich sehr
billig herbeigelassen' und den Ansiedlern seine Gründe gegen
eine weit geringere Abgabe überlassen hatte, als sie andere
Unterthanen erstatteten. Dagegen stellte es der Grundherr den
Colonisten fi*ei, beHebige Strecken des Waldes zu roden; auf
diese Weise gewonnene Gründe sollte jeder fiinf Jahre abgabs-
frei benützen und erst im sechsten Jahre den Zehent oder eine
entsprechende Geldleistung erstatten. Gegen den üblichen Unter-
thanenzehent war überhaupt den Lippowanem gestattet, beliebig
viele Aecker auch jetzt schon zu bestellen. Auch stellte Turkul
für das Kloster der Lippowaner einen Grund von 5 Faltschen
unentgeltlich zur Verfiigung, doch versprachen ihm dieselben ,hie-
flir einige Dienste zu leisten'. Uebrigens sollten die Ansiedler
der herrschaftlichen Gerichtsbarkeit unterworfen sein und nur
aus dem herrschaftlichen Wirthshause Getränke holen dürfen.
So hatte sich trotz einer früheren gegentheiligen Bemerkung
Enzenberg's* ein Privatgrundherr gefunden, der die fremden
Ansiedler, und zwar unter sehr zuvorkommenden Bedingungen,
' Dass Ensenberg bei seinem Berichte diesen Vertrag im Sinne hatte,
kann troti kleiner Abweichangen zwischen dem Vertrage und seinen
Angaben nicht zweifelhaft sein. Die wichtigste Abweichung wSre, dass
im Vertrage jedem Lippowaner lO'/t, nach Enzenberg nur 10 Faltschen
zuerkannt worden; femer ist im Vertrage von der Unterfertigang Ton
vier Geschwornen die Rede, während Enzenberg sieben nennt Es kOnnen
leicht Schreib- und Druckfehler vorliegen.
' Vergl. Aber diese Leistungen unten S. 286 und Beilage 87.
' Beilage 5. Vergl. oben S. 249 f.
265
auf seinen Gütern aufnahm;^ es war dies in der Bukowina
nichts Auffälliges, denn daselbst waren in jener Zeit fast alle
Kleinwirthe blosse Pächter des Grundes und Bodens, auf dem
sie Sassen und den sie gegen die üblichen Abgaben bestellten.*
Auch ein altes Haas für eine Kirche hatte Turkul den An-
aedlern tiberlassen; Enzenberg fand dieselbe schon eingerichtet
vor: besonders fielen ihm die vielen gemalten oder aus Messing
gegossenen Bilder auf, ferner ein neben dem Hause errichtetes
«ieiüst, auf welchem vier Glocken so angebracht waren, dass
ein Mönch alle zugleich läuten konnte. * Auch Enzenberg unter-
liess es nun nicht, den Ansiedlem allerlei Begünstigungen zu
jewähren. Er streckte ihnen Geld für Vieh und Geräthschaften
w, weil die Gemeinde auf ihrer Reise sehr geUtten hatte;
feraer L'ess er ihnen Samen verabreichen und gestand ihnen
Mauthbegünstigungen zu für ihre Wagen, die an den Markt-
tagen mit Holz und Seilerarbeiten, ferner mit Lederwerk nach
Suezawa fuhren. Dagegen gelang es ihm nicht, nach der vom
Hafkriegsrathe erhaltenen Weisung den Igumen zu bewegen,
' Dies hatten übrigens, wie wir oben gesehen haben, früher bereits
die Klöstor Dragomima und Putua gethan. Vergl. übrigens Kaindl,
Geschichte der Bukowina 11, S. 56 f. über die Gründungen der sogenannten
Slobodzii (Freistätten).
* Dies hebt sowohl Splöny als Enzenberg scharf hervor, wobei Letzterer
Qbri^ns im Gegensatze zu seiner späteren Behauptung (vergl. S. 249 u. 264)
inch richtig bemerkt, dass jedem Grundherrn die Vermehrung seiner
Unterthanen nur willkommen sein musste. Spl6ny sagt in seiner Be-
schreibung der Bukowina, S. 64 f. (s. S. 242, Ann). 1) Folgendes: ,Der ganze
Gnmd eines Dorfes gehöret dem Grundherrn und ist ohneingetheilt.
Der Bauer hat dahero nichts Eigenes, sondern der Herr ist denen
Bauern soviel Grund zu geben schuldig, als sie zur Unterhaltung ihres
Viehes und etwann zum Ackerbau benöthigen/ Und Enzenberg be-
merkt in seinen Denkschriften vom Jahre 1779 (vergl. die S. 242, Anm. 1
citierte Schrift von Zieglauer, S. 17): 4)a dann in der ganzen Buko-
wioi kein Bauer eine Handbreit eigenen Terrains hat . . . und der Grund-
herr natürlich profitieren muss, wenn er mittels der proportionierten Ein-
tbeiluDg mehrere Hauswirthe auf seinen Grund und Boden, die ihm . . .
Mnen und Grundzins bezahlen müssen, überkömmt, so wird u. s. w/
Ent durch ein Kreisschreiben vom 22. März 1787 wurde bestimmt, dass
diejenigen Gründe, welche sich am 1. November 1786 (Normalzeitpunkt)
im Besitze der Unterthanen befanden, fortan denselben verbleiben sollten.
£rBt seit diesem Zeitpunkte gab es in der Bukowina neben dem domini-
calen Grundbesitze auch einen rusticalen.
' Üeber die Vorzüglichkeit dieser Glocken vergl. auch Beilage 89.
Archiv LXXXIII. Bd. If. H&lfte. 18
l
266
dass derselbe weitere Uebersiedelungen veranlasse; auch kein
anderer Lippowaner zeigte sich geneigt, eine Reise zu unter-
nehmen, um weitere Ansiedler herbeizuführen; da ihre Aus-
wanderung entdeckt war, fUrchteten sie vor den türkischen
Beamten. Unerfreulich war auch der Zwist, welcher in der
kleinen Gemeinde durch Alexiewicz heraufbeschworen worden
war. Die ganze Gemeinde war mit ihm überaus unzufrieden
und wollte ihn nicht als ihren Vorsteher anerkennen. Deshalb
Hess Enzenberg die Ansiedler zusammentreten und aus ihrer
Mitte einen Richter wählen. Sowohl Larianow als Alexiewicz
wurden übergangen und — wie Enzenberg sagt — ,ein ge-
rechter und vernünftiger Mann^ gewählt. ,Auf die Ablegung
des Eides, den ihm seine ReUgion verbietet, wurde nicht ge-
drungen.' Alle diese Verfügungen Enzenberg's wurden vom
Hofkriegsrathe am 10. JuU bestätigt; ^ gleichzeitig sprach sich
aber dieser, da Enzenberg auch über die Absicht der Lippo-
waner, ein Kloster zu errichten, berichtet hatte, * gegen die-
selbe aus.
Wenn nun aber die österreichischen Behörden gehofft
haben mochten, dass die Lippowaner doch endlich in Hliboka
zur Ruhe kommen würden, so sollte sich diese Hoffnung als
irrig erweisen. Die Ansiedler verliessen nämlich Hliboka und
zogen nach Warniza. Wir sind weder über die Gründe dieser
Rückwanderung, noch über ihren Zeitpunkt genau unterrichtet.
Wahrscheinlich konnte auch Turkul den unersätüichen Lippo-
wanem nicht Genüge leisten; vielleicht haben sie sich geradezu
geweigert, den vereinbarten Zins zu zahlen. Wenigstens deutet
darauf eine Mittheilung des Oberdirectors Beck vom 17. August
1785 an das damals errichtete Verwalteramt in St. Onufri folgen-
den Inhalts: ' Zwischen den Ansiedlern in Hliboka und der
Grundherrschaft ,wurde ein Vertrag geschlossen und von der
Landesstelle genehmigt. Statt der Unterthansleistung zahlt jede
Familie jährlich der Herrschaft einen gewissen Betrag. Das
kaiserhche Patent konnte nur die landesherrlichen Leistungen
erlassen, nicht aber die grundherrlichen, welche der Landes-
filrst den Gutsbesitzern nicht nehmen kann noch will. Die
Lippowaner können nur von der Billigkeit der Grundbesitzer
» Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 27, S. 106.
» Ebenda Nr. 26, 8. 103 und Nr. 24, S. 98.
3 Beilage 31.
267
Unterstützung hoffen, nicht aber, wie sich viele beigehen lassen,
fireie und unentgeltliche Gebahrung mit dem Grund und Boden
and ADem, was darauf ist, erzwingen/ Wie dem aber sein mag,
allenfalls war auf diese Umsiedelung eine inzwischen erfolgte
Neuansiedelung von Lippowanem in Warniza nicht ohne Ein-
flnss. Hervorgehoben muss hier nämlich werden, dass man bis-
her immer annahm, die Ansiedelung Warniza (nach einer
kalkhaltigen Quelle^ auch slawisch Bialakiernica und ru-
mänisch Fontina alba = Weissenbrunnen genannt) sei durch
blosse Uebersiedelung der Hliboker Lippowaner entstanden.
Dies ist irrig. Aus urkundlichen Nachrichten* geht es viel-
mehr hervor, dass neuerdings fremde Lippowaner sich zur An-
siedelung anboten, und dass erst zu diesen Ansiedlern diejenigen
aus Hliboka hinzugekommen seien. Wann diese Uebersiedlung
letzterer stattfand, wissen wir — wie schon oben bemerkt
worden ist — nicht genau. Um die Mitte dieses Jahrhimderts
war unter den Lippowanem die Ansicht verbreitet, dass seit
dem Jahre 1790 in Weissenbrunnen alle Lippowaner vereinigt
waren;* einzelne mögen immerhin von Hliboka nach Warniza
schon früher wieder herübergekommen sein. Die Verhandlungen
der neuen lippowanischen Ansiedelungswerber mit der öster-
reichischen Regierung über die Besiedelung von Warniza hatten
aber schon 1784, also wohl bald nach der Niederlassung der
vom schwarzen Meere gekommenen in Hliboka, begonnen.*
Diese Lippowaner versprachen das Prädium Moisen und den
Theil zwischen dem Tamaukabache und der Satoawa (Suczawa?)
mit 200 Handwerkerfamilien zu besiedeln. Ueber den Gang
^ WjLmiza heisst rumftnisch Kalkofen.
' Beila^n 31, 36 und 37. Da von der beabsichtigten Einwanderung^ von
zweihundert Lippowanem die Rede ist, so ist es offenbar, dass es
nch fUD einen neuen Einwanderungszug handelte; übrigens unterscheidet
X. B. die Beilage 31 deutlich die Ansiedler auf der Warniza von den
noch damals in Hliboka wohnenden Lippowanem. Ob diese neuen Ein-
wanderer von den Donaumündungen (Bessarabien) oder aus der Moldau
stammten, ist nicht entschieden. Eine spätere Nachricht (Beilage 108
aus dem Jahre 1865) sagt zwar: «Die Gemeinde Fontina alba wanderte
im Jahre 1785 ans der Moldau in die Bukowina ein*, doch darf man
wohl daraus keinen bestimmten Schluss ziehen. Vergl. den Nachtrag.
* In einer vom 20. M&rz 1851 datierten Eingabe des Lippowaners Milo-
rmdow (Beilage 104).
« BMMge 37.
18*
268
dieser Verhandlungen ist nichts bekannt; dagegen lässt sich der
Zeitpunkt, wann die ersten Ansiedler in diesem Gebiete, das
mit Wamiza identisch ist und nachher den oben erklärten
Namen Bialakiernica oder Fontina alba erhielt, eintrafen, ziem-
lich genau bestimmen. Da, wie wir sofort sehen werden, die
ersten Ansiedler vom St. Onufrer Verwalter Ludwig eingeführt
wurden, diese Verwalterei aber so wie überhaupt alle in der
Bukowina erst am 1. Mai 1785 ihre Thätigkeit begann,^ so kann
die Ansiedelung erst nach diesem Tage erfolgt sein. Aus einem
Schreiben* des Oberdirectors Beck an das neu errichtete Ver-
walteramt ddo. 17. August 1785 erfahren wir, dass bereits
6 Lippowaner-Familien sich in Wamiza befanden; da dort
aber ein Terrain für 200 Familien angetragen sei, so wäre
den Ansiedlern von diesen Gründen nur so viel zu geben, als
sie nöthig hätten, der Rest aber anderweitig zu verwenden.
In Uebereinstimmung damit berichtet der Onufrer Verwalter
Ludwig am 28. August 1795,* dass er über Veranlassung des
damaligen Serether Directoriates den ersten (?) Emigranten-
transport ,von etlichen über 20 Familien* in Fontina alba ein-
geführt und dann ihnen die Gegend, wo dieses Dorf dermalen
existiert, wie auch über dem Ternauker-Bache einen grossen
Theil angewiesen, in der Voraussetzung, dass 200 Familien
nachkommen werdend Da aber diese Familien 1787 und 1788
nicht eintrafen, so theilte den bereits Angesiedelten die Map-
pierungscommission nur so viel Gründe zu, als die Bevölkerung
damals nöthig hatte; der übrige Theil des ihnen zugespro-
chenen Bodens wurde aber zu Fratautz und Onufri geschlagen
und mit diesen zwei Dominien verpachtet. Auch aus diesem
Berichte geht hervor, dass die Ansiedelung dieser Lippowaner
bereits vor 1787 stattfand, wenn auch das Jahr nicht bestinmit
genannt wird. Dass aber in Wamiza Lippowaner schon 1786
Sassen, geht aus dem Umstände hervor, dass in der Josephinisehen
1 Wickenhauser, Molda I, S. 62f. und Moldau, 2, S. 112.
» Beilage 31.
» Beilage 37.
* Wenn also die Lippowaner im Jahre 1804 sagten (Beilage 44), dass
bei ihrer Ansiedlung 35 Familien waren, so ist dies irrig; im Jahre
1791 zählte die Ansiedlung erst 34 Familien (yergl. S. 291); ebenso ist
die Behauptung (Beilage 90), dass gleich anfangs 13 Mönche einge-
wandert waren, unrichtig.
269
Orundsteuervermessung von diesem Jahre bereits ihre Gründe
aosgeTviesen werden.^ Das schon oben nachgewiesene Jahr
1785 -wird übrigens noch in drei anderen Acten genannt. Am
6. September 1849 behaupteten die Lippowaner bei einem Grenz-
processe,* die Regierung habe 1785 ihnen ,einen Wald Wamiza
ZOT Ansiedelung angewiesen'; diese Bemerkung wird auch in
einem amtlichen Berichte vom 16. April 1851 wiederholt,* und
vierzehn Jahre später (23. März 1865) findet sich ebenfalls in
einem amtlichen Berichte die Bemerkung, die Gemeinde Fon-
dna alba sei im Jahre 1785 aus der Moldau eingewandert.^
5. Um die Gründungsgeschichte der Bukowiner Lippo-
waner-Colonien zu erschöpfen, erübrigt uns noch, Einiges über
die Entstehung der zwei Colonien Mihodra imd Lippoweni-
Kosso-wanka zu sagen. Erstere, östlich von Wiinitz gelegen,
wurde infolge Uebervölkerung von Klimoutz aus um das Jahr
1836 begründet;^ letztere entstand in ähnlicher Weise um 1845
durch Uebersiedelung eines Theiles der Lippowaner aus Biala-
kiemica; sie liegt in der Nähe von Lukawetz und nimmt all-
mälig die Bewohner von Mihodra auf.
Auf die zerstreut in einzelnen Ortschaften der Bukowina
lebenden Lippowaner wird in diesen Ausführungen keine Rück-
sieht genommen.
II.
L Die Entwicklung von Mitoka-Dragomirna. — 2. Aus der Geschichte
der Ansiedelung Klimoutz. — 3. Fontina alba und die Lippowaner-
Klöster daselbst.
1. Seit der Wiederbesiedelung der Colonie Mitoka-Dra-
gomirna in den letzten Monaten des Jahres 1774 erfahren wir
nichts Näheres über die Entwicklung dieser Ansiedelung bis
» Beilage 32.
< Beilage 102.
9 Beilage 106.
♦ Beilage 108.
* Nicht 1854, wie in meinen ^Kleinen Studien' S. 26 irrthtimlich .^teht.
Vei^l. Goehlert, Die Lippowaner a. a. O., 8. 487.
270
zum Jahre 1783; nur die Mittheilongen, dass im Jahre 1777
16 Familien in der Ansiedelang wohnten^ und dass diese seit
1778 ein Eorchlein eingerichtet hatten^ sind auf uns gekommen.^
Erst mit dem Jahre 1783 beginnen die Nachrichten reicher zu
fliessen. Aus den ersten Monaten dieses Jahres sind uns einige
Berichte erhalten,' welche sich überaus günstig über die Lippo-
waner der Bukowina überhaupt aussprechen, und in denen auch
die Lippowaner von Dragomima insbesondere erwähnt werden.
Wir er&hren femer, dass in beiden damals bestehenden Colo-
nien - Diagomirna and Klimoute - zusammen 33 Lippowaner-
Familien wohnten;' davon entfielen auf die erstere 15 Familien/
Am 6. October des Jahres 1783 zählte man daselbst 16 Fa-
milien,^ am 31. October bereits 21^ und im Juni des folgenden
Jahres schon 27, wobei ausdrücklich bemerkt wird, dass 12 Fa-
milien seit dem Jahre 1783 eingewandert seien. ^
Als Kaiser Joseph U. im Jahre 1783 die Bukowina be-
suchte,^ lernte er auch die Angehörigen dieser Ansiedelung
kennen und sicherte ihnen freie Religionsübung zu; doch
wurde von einem schriftlichen Bescheide Abstand genommen,
weil der Kaiser selbst sie den Nichtunierten gleich erklärt
hatte, diese aber zufolge des Toleranzpatentes die Religions-
freiheit besassen. Gleichzeitig wurde ihnen ein Pope gestattet,
der entweder aus ihrem Volke hervorgehen oder ihnen aus
Slavonien gesandt werden sollte. Trotzdem aber diese Be-
willigung schon im Juni 1783 erfolgt war, so erfahren wir
aus einem Berichte Enzenberg's vom 23. Juni des folgenden
^ Wickenhause r, Molda V, 2, Nr. 26, S. 105. Schon oben ist bemerkt
worden, dass die verächiedenen Denkschriften, welche in den ersten
Jahren der Osterreichischen Herrschaft erschienen sind, die Lippowaner
nicht erwähnen. Vergl. oben S. 242, Anm. 1.
' Wickenhanser a. eben a. O., Nr. 2 — 6; ferner das Schreiben Kaiser
Josephs ddo. 19. Juni 1783 bei Polek, Die Reisen Josephs IL, S. 62.
^ Wickenhanser a. a. O., Nr. 2, S. 82.
* Ebenda Nr. 26, S. 105.
* Vergl. oben S. 239.
^ Beilage 6.
' Wickenhanser a. a. O., Nr. 26, S. 105. Vergl. oben S. 256f.
* Vergl. oben S. 243. Ueber das Folgende siehe die eben in der Anm. 2
citierten Urkunden. Femer Beilage 5, 7 n. 16 und oben S. 239 n. 255
über den Popen und seine Stellung.
271
Jahres,^ dass sie den ihnen bewilligten Geistlichen aus der
Moldau täglich erwarteten. Der erwähnte Bericht enthält über-
haupt die ersten ausführlichen Nachrichten über die Zustände
in Mikota. Wir lesen daselbst Folgendes: * ,Von hier [aus
Klimoutz] verftigte ich mich am 13. Juni Früh nach Drago-
mima^ welches wie die zwei anderen Dörfer [Hliboka und Kli-
moutz] bis auf die Vorderseite mit Wald umgeben ist, und wo
ach seit 1777 15 alte und seit 1783 12 neue Ansiedler, welche
erstere alle aus der Moldau sind, befinden. Sie haben sehr
gute Gründe, und ihre Wirthschaften sind noch besser als jene
in Klimoutz. Sie haben seit 1778 ein ganz niedliches Kirchlein
nach ihrer Art eingerichtet und erwarten täglich den ihnen be-
willigten Popen aus der Moldau. Für ihre 12 neueren Mit-
brüder sollen sie sehr und helfen ihnen mit Häuserbau und
Wirthschaftsbestellung. Hier ist mehr Hoffnung, dass aus der
Moldau Lippowaner einwandern werden, denn sie zeigten mir
Tieles Vieh, welches den fünf Meilen von da in der' Moldau
wohnhaften Lippowanern angehört, und die nur auf gute Ge-
legenheit warten, um mit ihren Habseligkeiten herüber zu
kommen. Sie werden aber von den moldauischen Beamten sehr
beobachtet und sind auch in Bürgschaft genommen worden.
Die Gemeinde hat einen starken Nachwuchs und ist leutseliger
als alle anderen, wahrscheinlich, weil sie unweit der Stadt
Suczavra wohnt. Unter ihnen sind viele Heiratsmässige beiderlei
Geschlechtes. Ihre Eltern hoffen sie mit hierländigen und den
aas der Moldau kommenden Lippowanern zu verheiraten, nur
sind sie nach ihrem Gespräche zu nahe verwandt. Das Kloster
Dragomima hat ihnen einen beträchtlichen Grund, aber nur
fiir ungefähr 30 Familien eingeräumt. Sie pflegen grosse
Wirthschaft und Feldbau. Das Kloster will jedoch den aus
der Moldau Einwanderungslustigen keinen Grund mehr geben,
obschon selbes sehr viel Grund einem Armenier verpachtet hat.
Bei der Rückreise von der siebenbürgischen Grenze kamen
llitokaer Lippowaner zu mir und zeigten an, dass das Kloster
Dragomima viele, und zwar die besten Gründe seinen leib-
eigenen Zigeunern zur Benutzung einräumt. Ich sprach mit dem
Igumen, dass es wider die Absicht wäre, Leibeigene zum Nach-
I Wickenhauser a. a. O., Nr. 26, S. 105.
* Elbenda.
272
theile der Steuerpflichtigen und der Bevölkerung so reichlich
zu bestiften, dass somit jene Aecker und Wiesen, die leib-
eigene Zigeuner bereits innehaben, den Lippowanem zugetheilt
werden mögen/
Aus den vorstehenden Mittheilungen ist zu ersehen, dass
die Einwanderung von Lippowanern aus der Moldau, welche
Ende des Jahres 1783 begonnen hatte, auch in den folgenden
Monaten fortdauerte; ^ von dem durch Enzenberg im Juni 1784
festgestellten Zuwachse von 12 Familien während des letzten
Halbjahres rührten offenbar die meisten aus der Moldau her.
Auf diesen verhältnissmässig günstigen Fortgang der Colonie
sollte aber bald ein jäher Rückschlag erfolgen. In der Nacht
zwischen dem 17. und 18. April 1787 wanderten die ,ge-
sammten Lippowaner-Familien von Mitoka-Dragomima' unter
,Zurücklas8ung des ganz und gar geleerten Dorfes^ in* die Mol-
dau. In seinem Berichte hierüber (19. April 1787 ^) hebt der
Suczawer Districtsdirector Storr hervor, dass der vorzüglichste
Nahrungszweig dieser Lippowaner der Handel war. ,Durch
die Ausschliessung der Stadt Suczawa^ wurde ihr Handel
» Vergl. oben S. 267 f.
• Bei Wickenhauser a. a. O., Nr. 29, S. 107, wo dieser Bericht abge-
druckt ist, kann ,10. April* nur Druckfehler sein.
' Schon im 26. Punkte des ,Protocollum commissionis sub 4. Aprilis 1780
Vieunae habitae in Angelegenheit der Buccowiner Districtseinrichtnng',
welches Polek im Jahrbuche des Bukowiner Landesmuseums III, 74 ff.
veröffentlichte, wurde die Frage erwogen, ,ob die Stadt Suczava, wenn
sie zu einer armenischen Handelsstadt gemacht wird, der in Galizien
liegenden privilegierten Handelsstadt Brody niclit etwan hinderlich sein
dörfte*. Die Frage wurde dahin beantwortet, dass ,die Stadt Suczava
über 30 Meilen von Brody entfernt ist und nach seiner Lage ... der
Stadt Brody in nichts nachtheilig sein kann*. Als hierauf der Kaiser
im Jahre 1786 die Bukowina bereist hatte, befahl er in seinem Schreiben
ddo. Lemberg, 6. August 1786 Folgendes: ,In Ansehung der Mauth muss
die Bukowina in Allem so wie Oallizien behandelt werden, die Stadt
Suczava allein ausgenommen, welche wie Brody aus dem Corden zu
schliesseu ist; auch muss einige Ausnahme in Rücksicht der Kleidungs-
stücke für die allda noch wohnende Bojaren gemacht werden.* (Jahr-
buch des Bukowiner Landesmuseums III, 73.) Wie wir aus den obigen
Mittheilungen im Texte ersehen, ist diese kaiserliche Anordnung sofort
in Kraft getreten. Da sie sich aber nicht bewährte, so hat der Staats-
güteradministrator Ainser sich im Jahre 1787 dagegen ausgesprocben,
worauf noch vor dem 24. Mai 1788 die Sonderstellung von Suczawa
beseitigt wurde. In dem von diesem Tage datierten Schreiben der
273
^ich gehemmt, und muthmasslich muss dieser gehemmte
Handel die Auswanderung zum Grunde haben/ In ungünstigerer
Weise äussert sich über die Beweggründe dieser Auswanderung
ias Bukowiner Kreisamt in einem Zusatzberichte ddo. 3. August
ii87 an das Landesgubernium in Lemberg. ,Der hauptsäch-
licliste Nahrungszweig dieser Leute/ führt dasselbe aus, ^ ,ist der
Hanf- und Flachsbau. Sie bearbeiteten Hanf und Flachs
?rö68tentheils selbst und fanden im Lande sowohl als über
iem Grenzstriche guten Absatz dieser Waaren, weil es an
^dern gebricht. Ob nun schon der ZoUausschluss der Stadt
üesen ihren Verschleiss in etwas gehindert haben mag, so
Sonnte dieses doch keine hinlängliche Ursache zur Auswanderung
sein, weil sie den Verschleiss des Rohstoflfes und der daraus
^''rfertigten Waaren, in und ausser dem Cordon, wie vorhin
offen behalten. Der wahre Grund liegt vielmehr darin, dass
iese scheinheiligen Leute mit ihrem steten Hanf- und Flachs-
en den Grund erschöpfen und dann wieder einen anderen
innehmen und so herumzuwandern gewohnt sind. Man hat
iesen ihren Abzug vor Jahren vorausgesagt. Man sah sie
jtets ihre Felder bauen, aber ihnen nie mit einer Düngung zu
Hilfe kommen. So viele Jahre sie schon da waren, so hatte
■^och noch kein einziger ein ordentlich erbautes Haus, un-
^chtet sie Waldungen an der Hand hatten. Von unbearbei-
tetem Holz aufgeschrotene Hütten ohne Dach waren ihre
Wohnungen. Die Gegend, welche sie bewohnten und zu
^arem Unterhalte innehatten, ist fruchtbar und nicht weit von
''Qczawa entlegen.' Am Schlüsse hob das Kreisamt hervor,
jas8 jdieser Platz bald wieder besetzt sein würde, wenn man
Jerhand in diesen Jahren entwichenem Gesinde die Rück-
wanderung gestatten wollte', und trägt an, den verlassenen Ort
2rt 24 deutschen Famihen zu besetzen. Ueber die folgenden
E-'^ignisse werden wir durch ein ämtliches Schriftstück vom
- September 1843 unterrichtet,* welches wir bereits auch
■'>^n als Quelle über die Anßlnge der Colonie citiert haben.
^Ohmisch'Osterreichischen Hofkanzlei an Ainser heisst es nämlich, dass
<Üe Stadt inzwischen wieder in den Cordon eingezogen worden* sei.
Das citierte Schreiben ist noch unediert und befindet sich im Besitze
des Verfassers).
' Rei Wickenhauser a. a. O., S. 107 f.
* Beilage 91.
274
In demselben wird nämlich nach den bereits S. 239 f. mitge-
theilten Nachrichten über die Entstehung von Mitoka Folgendes
berichtet: ,üm das Jahr 1785 (?) waren diese 16 Familien aber-
mals in die Moldau ausgewandert, und es wurde deshalb be-
schlossen, auf den verlassenen Lippowaner-Gründen Deutsche
anzusiedeln. Allein kaum waren die deutschen Ansiedler da-
selbst imtergebracht, so hatten sich mehrere der ausgewanderten
Lippowaner-Familien wieder eingefunden und die übrigen von
den Deutschen noch nicht besetzten Häuser eingenonmien,
weshalb laut Steuerregulierungs-, Grundvermessungs- und
Fassionsbuch vom Jahre 1788 zu Lipoweni 14 Lippowaner-,
8 deutsche Ansiedlungsfamilien und 9 leere Hausplätze vor-
gefunden wurden. Die 8 deutschen Familien wurden in der
Folge in den jetzigen Ansiedlungsort Itzkany übersetzt imd
daselbst angesiedelt/ während die Anzahl der Lippowaner zu
Lipoweny bis zum Jahre 1790 laut Urbarialgabenbeschreibung
bis auf 16 Grundwirthe und 3 Häusler herangewachsen war.
Im Jahre 1802 waren zu Lipoweny laut Urbarialgabenbe-
schreibung 16 Grundwirthe und 4 Häusler, von denen erstere
jeder mit 10 Faltschen Acker und Wiesengrund dotiert war.
Das damalige Wirthschaftsamt hat einer jeden der 16 grund-
besitzenden Familien 2 und allen zusammen 32 Faltschen
Grund abgenommen und diese den 4 Häuslern zugetheilt, so-
mit im Ganzen 20 Familien zu 8 Faltschen gestiftet; allein gegen
diese Massregel haben die Betheiligten geklagt, und es wurden in-
folge kreisämtlicher Entscheidung vom 12. October 1802, Zahl
7989, denselben die entzogenen Grundstücke nicht allein zurück-
gestellt, sondern überdies drei der Häusler im Jahre 1804 mit 3 Falt-
schen herrschaftlichen Acker und 4 Faltschen Sumpfwiesengrundes
betheilt, somit die Anzahl der Grundbesitzenden auf 19 und die der
Häusler auf 1 FamiUe gestellt. Hieraus ist auch zu ersehen, dass
die Gemeinde Lipoweny damals an Acker- und Wiesengründen
nicht mehr als 167 Faltschen oder 300 Joch 960 Quadratklafter
besessen hat. Im Jahre 1803 wurde zwischen der St. Illier
Wirthschaftsverwaltung und der Gemeinde Lipoweny, welche
bis dahin die verfassungsmässigen Naturalschuldigkeiten zu leisten
verbunden war, ein Urbarialgaben-Reluitionsvertrag (7. August
^ Ausgeschieden wnrde Deatsch-Itzkani ans dem Iditoker Gebiete erst am
5. Juni 1820 (Beilage 62).
275
1803) geschlossen^ laut dessen statt der Robot und der ürbarial-
^ben die darin angegebenen Reluitionsbeträge, statt des Natural-
zehents von den in deren Besitze befindlich gewesenen Aeckem
iber eine Kömerschlittung bis zur allgemeinen Regulierung der
Unterthansschuldigkeiten in der Bukowina festgesetzt worden
sind. Laut der Urbarialgabenbeschreibung vom Jahre 1803
haben damals zu Lipoweny 19 Grund wirthe und abermals
4 Häusler bestanden. Der in Rede stehende Reluitionsvertrag
i^ somit nur för diese Familien, deren Namen aus der Ur-
barialgabenbeschreibung ersichtlich sind, nicht aber auch fUr die
seither zugewachsenen Familien giltig, welche also eigentlich
bloss die verfassungsmässigen Naturalschuldigkeiten zu leisten
TCTbunden waren.^ Allein das Wirthschaftsamt hat, wie es die
jährlichen Urbarialgabenbeschreibungen erweisen, nichtsdesto-
weniger auch die seit dem Jahre 1803 zugewachsenen Lippo-
iraner-Familien nach Inhalt des vorliegenden Vertrages zur
Schuldigkeit gezogen und infolgedessen beschrieben:
Im Jahre Bespannte Unbespannte Häusler Befreite Zusammen
— 5
3 9
3 9
— - 6
— 7
2 4
— 5
— 3
1 4
6 15
6 15
Im Jahre 1826 wurde die Herrschaft St. Ilie (zu welcher
auch Dragomima gehörte) verpachtet und seitdem die Ur-
barialscbuldigkeit der Gemeinde Lippoweni durch den Pächter
1805
15
1806
14
1807
14
1809
17
1811
17
1813
16
1816
17
1819
15
1821
16
1825
16
1826
16
—
26
—
26
—
23
2
26
1
23
3
25
1
19
1
22
1
38
1
38/
^ E» faieng n&mlich stets von dem Willen der Herrschaft ab, ob dieselbe
die Abgaben in natura empfangen wollte oder sich dieselben relnieren
lies«. Im 5. Pnnkte des Chrjsows über die Unterthanspflichten hiess es
ausdrücklich: ,Kein Unterthan soll befogt sein, die Robot willkürlich in
Geld zn reluieren, wohl aber steht dem Grundherrn frei, solche in Geld
absunehmen/ NSheres in meiner S. 261 Anm. 3 angekündigten Arbeit.
276
beschrieben und nach dem bestehenden Reluitionsvertrage ein-
gehoben. Dagegen begehrten die Lippowaner, dass ,die in Zu-
wachs kommenden nicht behausten Familienväter von den Ur-
barialgaben freigehalten werden'. Dies schlug die Herrschaft mit
ihrem Dominicalbescheide vom 10. December 1840, Zahl 4270,
ab, weil ,diese Befreiung weder in der hierländigen Unterthansver-
fassung, noch in dem Vertrage vom Jahre 1803, noch endlieh in
dem bisherigen Gebrauche gegründet' sei; die Herrschaft aber ,in
Ansehung der Dominical-Jurisdictionsauslagen bezüglich dieser
Familien in keiner Art losgezählt ist'; endlich seien die Robot
und die Urbarialkleingaben in der Bukowina keine Grund-,
sondern eine Personalabgabe. Die Lippowaner ergriffen dagegen
den Recurs an das Kreisamt. Aus den Verhandlungsacten rührt
das Schriftstück her, welches uns als Quelle dient. Ueber den
Ausgang des Processes sind wir nicht unterrichtet.
So war also Mitoka-Dragomima zum drittenmal mit Lippo-
wanem besiedelt worden, und die Zahl derselben hatte, wenn
auch nicht ohne bedeutende Schwankungen, doch immer wieder
zugenommen. Zwistigkeiten mit den Behörden, wie wir sie
eben kennen gelernt haben und die sich in allen Lippowaner-
Colonien der Bukowina häufig wiederholten, konnten die Ent-
wicklung der Ansiedelung ftlr die Dauer nicht nachdrücklich
stören. Hiebei darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass
auf diese Lippowaner-Colonie die Bestimmungen des Privilegs
vom 9. October 1783 sich nicht bezogen; sie haben also jeder-
zeit nicht nur die herrschaftlichen Abgaben, sondern auch die
landesflirstlichen gezahlt; dagegen ist auch ihre ReUgionsfreiheit
nicht angegriffen worden und wurden sie, wie die Bewohner
der anderen Colonien, bis zum Jahre 1868/69 nicht zu Mi-
litärdiensten herbeigezogen. Die Panik, welche in Folge der
Einfuhrung der allgemeinen Wehrpflicht (5. December 1868)
die Lippowaner ergriff und dieselben in die Fremde trieb, ^ übte
auch auf Mitoka einen überaus schädlichen Einfiuss. Während
vor diesem Zeitpunkte die Bewohner der einzelnen Colonien
rasch zugenommen hatten, erfolgte nun ein überaus bedeutender
Rückschlag. Dies ergibt sich aus der Betrachtung der letzten
bekannten Zählungen vor dem Jahre 1868/69 mit den ersten
nach diesem Zeitpunkte vergenommenen:
* Vergl. Promemoria zur Petition der Lippowauer etc., S. 3.
277
Lippoweni-
Lippoweni- Kosso-
Mitoka Klimoutz Fontina Mihodra wanka
1844' 361 Köpfe 840 Köpfe 604 Köpfe 161 Köpfe —Köpfe
ISoS* 421 ^ 1187 , 1008 ^ 128 . 182 .
18S0* 435 „ 1078 , 932 „ c. 75 „ c. 182 .
1890* 469 „ 1223 - 972 „ c. 52 „ 294 „
Aus den vorstehenden Zahlen ist auch zu ersehen, dass
die Anzahl der Lippowaner allmälig wieder zu steigen beginnt;
daraus darf offenbar gefolgert werden, dass sie sich allmälig
mit den Verhältnissen ausgesöhnt haben, besonders da ihnen
beim Abdienen ihrer Wehrpflicht Erleichterungen gewährt wer-
den. Wir werden weiter unten nochmals auf diesen Gegenstand
zQrückkommen.
3. Wie über Mitoka-Dragomirna, so besitzen wir auch
über die Schicksale der Gemeinde Klimoutz in den Jahren
1780 — 1783 keine Nachrichten. Die günstigen Berichte über
die Lippowaner aus den ersten Monaten des Jahres 1783*
gelten auch von dieser Colonie.* Als Joseph 11. im Jahre 1783
die Bukowina besuchte, hatte ihr Richter, wie Enzenberg be-
richtet,® ,da8 Glück, sich ihm zu Füssen zu legend Damals
hatte die Zahl der Ansiedlerfamilien etwas abgenommen.
Während nämlich ursprünglich 18 gezählt wurden,^ bestanden
am Ende des Jahres 1783 in Klimoutz nur 15^ Hauswesen.
Sun begannen aber wieder neue Zuzüge aus der Moldau,
worauf schon oben hingewiesen wurde.® Anfangs des Jahres
^ Beilage 9t.
' Goehlert a. a. O., S. 487. Die Familieozahl von Klimoutz betrug im
Januar 1858 nach einer Notiz Wickenhanser's 47 bespannte, 37 un-
beapannte und 69 Häusler (zusammen 155?); diejenige von Fontina
40 bespannte, 29 unbespannte und 81 Häusler (zusammen 150).
' Special -Ortsrepertorium der Bukowina für 1880.
* Daüselbe für 1890. Ueber das Verschmelzen Mihodras mit Kossowanka b.
& 269.
^ Siehe oben S. 270, Anm. 2.
" Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 26, 8. 104.
' Vergl. oben S. 241.
" Bei]J:ge 5.
• a 257.
278
1784 wies Klimoutz allenfalls bloss den Zuwachs von einer
Familie auf, nämlich zusammen 16. ^ Die Einwanderung währte
aber fort, wie dies aus dem freilich etwas unklaren Wortlaute
des Berichtes Enzenberg's vom 23. Juni 1784 hervorgeht.* ,Ich
gieng auch nach Klimoutz,' schreibt er, ,einem Dorfe des
Klosters Putna zwischen Waldungen mit fruchtbaren Feldern.
Das Kloster Putna überliess 1780 achtzehn Lippowaner-Familiea
die nöthigen Felder und Gründe gegen jährliche 100 Gulden.
Hier waren mit 4 Joch zu 20 Ansiedlungen (richtiger wohl:
20 Ansiedelungen zu 4 Joch) gewesen, wozu im Frühjahre
1784 sechs' neue aus der Moldau kamen. Ihr Richter hatte
das Glück, sich im Jahre 1783 Kaiser Joseph zu Füssen zu
legen. Er gab 20 Ansiedelungswesen an; nach den alldort be-
findlichen Häusern und Stallungen schätze ich sie auf mehr.
Da alle Lippowaner sehr argwöhnisch sind, so drang ich nicht
näher ein. Diese Lippowaner gleichen hinsichts der Religion,
der Sitten, Gebräuche, des Argwohns und Aberglaubens den
Hlibokischen, haben nebst gut bestelltem Feldbau auch Holz-,
Hanf- und Flachserzeugnisse und das hierlands sehr gut ab-
setzbare Leinöl. Ihre Nahrung ist schlecht und einfach, sind
dabei mit Allem zufrieden und- sehr geneigt, moldauische Lippo-
waner aufzunehmen, nicht aber die aus Bessarabien [Donau-
mündungen], die sie nicht als echtgläubig ansehen.^ In ihren
Häusern fand ich ebensoviele Bilder als bei den anderen. Kirchen
haben sie keine; sondern der Aelteste im Dorfe macht den Pfarrer.
Es wird aber, wie mir scheint, sehr selten in dieser Gemeinde
Gottesdienst gehalten. Sie haben auch eine Menge grosser und
kleiner Kinder. Die sechs neuen Familien aus der Moldau fangen
schon an, ihre Häuser zu bauen, wobei ihnen die übrigen hilf-
reiche Hand bieten. Ihre meiste Klage bestand darin, dass ihre
Grundherrschaft, Kloster Putna, unweit des Dorfes am Walde ein
Wirthshaus erbaute. Wo mögHch versprach ich ihnen Abhilfe.*
^ Beilage 15.
> Wickenhaaser a. a. O., Nr. 26, S. 104 f.
^ Vergl. oben S. 267, wo aber nur 3 Einwandererfamilien speciell angeführl
werden; es dauerte eben wie bei Mitoka (siehe S. 272), so aach bei
Klimoutz die Einwanderung weiter fort
* Die Klimoutzer sind nämlich priesterlose Lippowaner, zu denen aucl
offenbar diejenigen ans der Moldau gehörten; die anderen waren abei
priesterliche Lippowaner.
279
Der Vertrag, welchen die Ansiedler in Klimoutz mit
dem Kloster Putna geschlossen hatten, wurde nach der Ueber-
Mhme der Klostergllter in die Verwaltung des Staates von
Jen Verwaltungsbehörden nicht anerkannt; er wurde viel-
3iehr mit Ende April 1785 für erloschen erklärt, und die
Lippowaner sollten ,die landesüblichen Schuldigkeiten gleich
loderen Unterthanen' leisten; auch traf man Anstalten, ihnen
diejenigen Gründe zu nehmen, welche für etwa nachkom-
ineDde, aber noch nicht angesiedelte Familien bestimmt waren. ^
Beide Verfilgungen zogen zahlreiche Unzukömmlichkeiten nach
sich. Beim Einheben der Unterthansschuldigkeiten kam es
besonders im Jahre 1787 bezügUch des Flachszehents zu
einem Processe, welchen das Kreisamt zu Gunsten der Lip-
powaner entschied.* Da die Lippowaner darauf drangen, dass
*ie für die Naturalabgaben wieder einen Geldzins entrichten,
^ wnrde dies ihnen schUesslich mit dem Vertrage vom
!♦). Juni 1790 gewährt; * sie sollten fortan bis zu einer allge-
meinen Regulierung der Unterthansgaben für die nach dem
GMkaischen Chrysow bestimmten Leistungen* jährlich 300 fl.
Grundzins nebst der Waldgebühr zahlen, welche letztere von
•ier bespannten Familie 1 fl., von der unbespannten mit 30 kr.
bestimmt war. Bei dieser Gelegenheit mussten aber die Kli-
Dwutzer auf eine grosse Wiese verzichten, die zur eigenen Be-
Dätzong für die Herrschaft vorbehalten wurde. Fortan hatte
Jie Herrschaft stets das Bestreben, den Grundzins zu steigern,
iie Lippowaner belebte aber der Wunsch, ihren Besitz zu er-
weitern, insbesondere jene ihnen entzogene Wiese zurückzu-
'riialten. Die Gegensätze spitzten sich umsomehr zu, als
"ier Staat seine Herrschaftsrechte an Pächter abtrat. Kaiser
Joseph hatte noch selbst, um die im Jahre 1785 errichteten
^erwaltereien eingehen zu lassen und so Ersparnisse zu er-
Q^len, die Güterverpachtungen angeordnet.^ Eine der ersten
' Beilage 31.
' Ceber diesen Process werde ich nnter Beibringung der betreffenden
Urkunde in einer Arbeit über das Unterthansyerhältniss in der Bukowina
Diher handeln.
'Bttlige 33.
* Vergl. oben 8. 276 Anm. 1.
'" Nachdem Joseph im Jahre J 786 die Bukowina znm zweitenmale besucht
ItAtte (24.-27. Juli), befahl er Folgendes (Lemberg, 6. August 1786):
280
war die Lezzeny'sche. Freiherr v. Lezzeny, Gubemialrath in
Lemberg, erhielt schon 1789 die Erbpacht der Kuczurmarei
und St. Onufrer Herrschaft zugestanden, zu denen auch Kli
moutz und Fontina alba gehörten. Die Erbpacht wurde hier
auf im Jahre 1791 in eine dreissigj ährige Zeitpacht umge
ändert. Hierauf trat Lezzeny schon im Jahre 1792 die Pachtung
an Adam Anton Kriegshaber ab, welcher sie wieder an After
Pächter weiter abgab. ^
Im Jahre 1802 beginnt die lange Reihe der Streitigkeiten
mit einer Klage gegen den Pächter Wolowski, weil dieser ge-
droht hatte, die Lippowaner wieder zur Robot und den Na-
turalabgaben zu verhalten; auch glaubten die Ansiedler in der
Waldbenützung beeinträchtigt zu sein; sie wollten ferner nicht
die Dorfwachen in der geforderten Weise stellen, klagten wegen
Ueberhaltung bei der ,Vorspann^, recurierten wie schon im
Jahre 1784* gegen die Errichtung eines ,Branntweinhau8es' in
Klimoutz durch den Pächter, und beklagten sich endlich übet
die Unzulänglichkeit der Grundstücke. Das Kreisamt entschied
bezüglich der Vorspannsleistungen zu Gunsten der Lippowanei
und traf Anstalten, dass dieselben nicht mehr überhalten würden.
Sonst erhielten aber die Lippowaner für die neuen Wirthe nui
30 Faltschen unnützbares Gestrüpp zur Rodung, woftir sie
jährlich 50 fl. an Grundzins, worinnen der Waldgenuss samnit
Naturalfrohnen und Zehent abgerechnet ist, der Herrschaft zu
zahlen sich verpflichteten^ ^
Am 6. April 1804 überreichten sodann die Lippowaner
ein Gesuch an die Revisions-Hofcommission. * In demselben
führten sie aus, dass die Zahl ihrer Familien von 15^ auf 35*^
«Müssen die übrigen Cameral- und geistlichen Güter, die in der Admini-
stration stehen und theils der einheimischen, theils der Moldauer Geist-
lichkeit angehören, mit Aufhebung der darauf angestellten kostbaren
Beamten in Pachtungen von mehreren Jahren theilweise gegeben werden,
wodurch die Viehzucht ganz gewiss in bessere Aufnahme kommen wirdJ
Polek, Die Reisen Josephs IL, S. 72.
^ Wickenhauser, Molda I, S. 64f.
« Vergl. oben S. 278 f.
' Beilage 41.
* Beilage 45.
^ Die Lippowaner gaben den Stand vom Jahre 1783 an; siehe oben S. 277,
•^ In einem bald darauf (27. December 1804) erstatteten Berichte der Guts-
vorwaltung von Kuczurmare werden nur 33 Familien genannt Beilage 49,
281
ach vermehrt habe, so dass jede kaum 8 Faltschen an Aeckem
und Wiesen besitzt. ,Als sie noch wenig waren/ hat man ihnen
109 Faltschen weggenommen und ihnen noch immer nicht die-
rflben zorückgestellt. Sie zahlen der Herrschaft an Gebühren
312 fl. jährlich. Auch die Klage wegen der Holzlieferung und
den Wachen werden wiederholt; femer baten die Lippowaner
im Befreiung vom Czerdakendienste. In der folgenden ünter-
iuchang, welche beim Landespräsidium in Lemberg, dem
L k. Staatsgüter Jnspectorate in St. Hie und der Gutsverwaltung
in Euczurmare geführt wurde, wurden die Lippowaner mit
Hinweis auf die Entscheidung des Kreisamtes vom Jahre 1802
in allen Punkten sachftülig;^ bezüglich der Forderung nach
Gninderweiterungen wurde besonders noch betont, dass es ent-
gegen dem höchsten Directorialdecrete vom 2L März 1795
»Ire, ,die vorhandenen Dominicalgründe zu vergeben und den
Unterthanen zuzutheilen'; auch sei die Herrschaft verpachtet
and eine solche Zutheilung gegenüber den Ansprüchen des
Pächters gar nicht ausführbar.
Durch diese Zurückweisung Hessen sich die Klimoutzer
fnr die Dauer nicht abschrecken. Als Kaiser Franz H. im
Jahre 1817 in der Bukowina verweilte, überreichten sie dem
Monarchen ein Bittgesuch, das dieser auch signierte. ' Sie baten
um Bestätigung ihres alten Privilegs, um Befreiung vom Mi-
litärdienste, um Entfernung des damaligen Pächters Nicolaus
Kapri von der Pachtung des Dorfes, um Rückstellung der
<0 Faltschen Wiese,* welche ihnen vor 20 Jahren entzogen
worden waren, um die Freiheit, damit im Dorfe kein Wirths-
kaus bestehe, endlich um die Befi*eiung von der Vorspanns-
^istong; den Pachtschilling für das Dorf, den Ertrag für das
flTirthshaus und einen Geldersatz (Reluierung) ftlr die Vor-
^pannsleistung wollten sie gern zahlen. Das Gesuch wurde zu-
Dichst vom Kreisamte begutachtet,* hierauf stellte die Lem-
* Beila^n 47, 49, 61, 53 und 55.
* Beilage 57. Der Kaiser traf am 1. August in Czemowitz ein.
* Im Vertrage von 1790 werden 200 Joch erwähnt (Beilage 34), im Recurs
TOD 1804 109 Faltschen (Beilage 45), im Jahre 1B42 (Beilage 87) ,hei-
liafig 80 Faltachen' (l Faltsche = etwa 18 Joch; vgl. 8. 274 unten); end-
Uch im Jahre 1843 (Beilage 89) 160 Joch.
'Beilage 58.
irekiT. LXXXm. Bd. U. Hilfte. 19
282
berger Landesregierung ihre Vorschläge, ^ und endlich gelangte
die Angelegenheit im Jahre 1819 in der Hofkanzlei zur Be-
rathung.* Grössere Bedeutung wurde hiebei nur den zwei
ersten Punkten des Gesuches beigemessen; auf die Durch-
führung der anderen hatten die Lippowaner theils selbst ver-
zichtety theils überzeugte sie das Ereisamt von der Unbilligkeit
ihrer Forderungen; insbesondere machte es ihnen klar, dass
nach dem Vertrage vom Jahre 1790 jene Wiese rechtsgiltig
der Herrschaft zu eigen sei; würden sie auf die Rückstellung
dringen, so würden sie auch die Robot und die anderen Ab-
gaben in natura zu leisten haben, welche mit jenem Vertrage
reluiert worden wären. Wichtiger sind die Verhandlungen über
die Bitte um die Erneuerung des Privilegs und die Befreiung
vom Militärdienste. Wir erfahren, dass die Lippowaner die
erstere Bitte vorzüglich vorbrachten, weil sie durch den Ver-
such, die Kuhpockenimpfung und die Eidesabiegung bei ihnen
einzuführen, sich in ihrer Religionsfreiheit gestört fühlten. Das
Kreisamt erklärte aber, dass man hievon bereits abgekommen
sei, besonders da, wie es im Vorschlage des Lemberger Gu-
bemiums heisst, durch die Hof kanzleidecrete vom 30. September
1813 und 10. Jänner 1816 ,die Mennoniten überhaupt, zu denen
auch die Lippowaner-Gemeinden in der Bukowina gehören,
von der zwangsweisen Kuhpockenimpfung und der vorge-
schriebenen Eidesabiegung, als ihren Glaubenslehren zuwider-
laufenden Uebungen, beireit wurden, und sie aus eben diesem
Gnmde zu keiner Recruteustellung verhalten würden*. Betreffs
des letzteren Punktes bemerkt das Kreisamt Folgendes: ,Die
Lippowaner wurden zur Recruteustellung nicht verhalten; selbst
als im Jahre 1809 und dann 1813/14 in der Bukowina zwei
Freicorps errichtet wurden, haben sie 1809 nur 2 Pferde, 1814
bloss 100 fl. gegeben. Auch für die Zukunft wäre es zu ge-
nehmigen, dass die Gemeinde statt Recruten Geldunterstützongen
leiste.' Die Hofkanzlei wies noch auf eine bereits am 1. Mai
1812 erfolgte Allerhöchste Entschliessung hin, dass ,bei den
Mennoniten es bei der ihnen bei ihrer Auftiahme zugesicherten
Recrutierungsfreiheit zu verbleiben habe, doch sollte jede Fa-
mihe wie bisher 1 fl. jährlich als Reluitionsäquivalent entrichtend
^ Beilage 59.
' Beilagen 60 and 61.
283
Man nahm somit von einer Erneuerung des Privilegs Abstand,
weil die Lippowaner in ihren Religionsgebräuchen nicht ge-
stört wurden, ^sondern im Gegentheile auf dieselben die thun-
Echste Bücksicht genommen worden sei^ Das Merkwürdigste
bei den geschilderten Vorgängen ist, dass die Klimoutzer um
die Bestätigung eines Privilegiums baten, das sie nie erhalten
md besessen hatten, denn der von Kaiser Joseph gewährte
Freiheitsbrief wurde ausdrücklich nur für die neu zu begrün-
dende Colonie (Fontina alba) ertheilt. Noch sonderbarer ist es,
dflss die Behörden diesen absichtlichen oder unwissentUchen
Irrthum der Lippowaner nicht aufklärten.
Das Verlangen nach Erweiterungen ihres Gebietes war
bei den Lippowanem so gross, dass es um diese Zeit darüber
m einem Processe zwischen Klimoutz und Fontina kam. Im
Jahre 1821 meldete nämlich der Klimoutzer Insasse Iwan Titow,
^*S5 er von dem verstorbenen Richter von Fontina alba, Larion
Petrowicz, ^ die Balta Sitarului, eine Waldwiese von beiläufig
15 Faltschen, gekauft habe, fiir welche er der bisherigen Guts-
pachtung einen besonderen Zins von 10 fl. W. W. zahlte. Die
Commission beliess ihn zunächst auch gegen eine jährliche Ab-
gabe von 10 fl. C.-M. in seinem Besitze. Als sich aber die Com-
ffliasion am folgenden Tage — 23. März 1821 — nach Fontina
alba begab, gaben die Lippowaner daselbst an, dass Larion
Petrowicz nicht berechtigt war, jene Wiese, welche übrigens
nicht 15 Faltschen, sondern 103 Joch 412 Quadratklafter messe,
zn verkaufen, weil dieselbe der ganzen Gemeinde gehörte.
Jener Verkauf habe also keine Giltigkeit; sie seien aber bereit,
aas Achtung ftir den verstorbenen Verkäufer, der in seinem
tohen Alter schon kindisch war, das Kaufeapi tal per 170 fl. W. W.
ZQ ersetzen, sobald das Grundstück der Gemeinde zurückgestellt
werden wird. Thatsächlich sprach die Commission die Wiese
•iem Titow ab und rechnete dieselbe bei der damals vorge-
nommenen Bemessung der Abgaben unter den Besitz von Fon-
tina, Als aber die Protokolle der vorgesetzten Behörde in
Lemberg vorgelegt wurden, regte diese die Frage an, ob dieser
inrch Rodung entstandene Grund nicht Eigenthum der Herr-
^haft seL Als sich nun der Process fortspann, trat schliesslich
' Vergl. über denselben die Beilagen 39, 40, 42 and 43, femer Czernowiteer
Zeitung 1868, Nr. 95.
19»
284
noch eine vierte Partei, die Gemeinde Suczaweni, mit Ansprüchen
auf die Wiese hervor, weil sie die Pojana Sitaruloi noch vor der Be-
siedelung von Fontina alba mit Lippowanem mit Feuer gerodet und
hierauf beweidet hätte; auch läge ein grosser Theil derselben in der
Gemarkung ihres Dorfes. Andererseits wurde festgestellt, dass
Mönche aus dem Kloster zu Fontina alba ebenfalls an der Rodung
sich betheiligt hatten, bevor die Wiese an Petrowicz übergieng, der
ebenfalls mit der Rodung fortfuhr. Auch Titow hatte gerodet, wofür
ihm die Suczawener Ersatz leisten wollten. Die Herrschaft betonte,
dass nach dem Hofdecrete vom 15. März 1810 das Nutzungs-
recht eines Rodgrundes zwar demjenigen gehört, welcher ihn
urbar machte, und auch seinen Nachkommen belassen werden
muss; Petrowicz sei aber ohne Erben gestorben, und da die
Rodung nicht vor 1786 geschah,* so falle die Wiese der Herr-
schaft zurück. Hierauf füllte im Jahre 1825 das Ejreisamt das
UrtheU zu Gunsten des Iwan Titow aus Klimoutz;' doch muss
die Wiese bald darauf wieder ihm genommen worden sein und
kam nach einem langwierigen Processe mit der Herrschaft
schliesslich in den Besitz der Fontiner.*
Indessen waren die Zinsverträge zwischen dem Do-
minium und den Lippowanem öfters erneuert worden. Nach
dem ursprünglichen Vertrage mit dem Kloster Putna vom Jahre
1780 zahlte jeder Familienvater 5 fl. jährlich und eine Oka
Oel(?)* oder, wie Enzenberg im Jahre 1784 berichtet, zu-
sammen 100 fl.^ Im Vertrage vom Jahre 1790 wurde der
Grundzins bereits auf 300 fl. erhöht, abgesehen von der eben-
falls von jeder Familie zu entrichtenden Waldgebür flir die
Holznutzung. ® Im Jahre 1802 hatten die Lippowaner 30 weitere
Faltschen Grundes erhalten, mussten sich aber zu einer Er-
höhung des Zinses um 50 fl. bequemen. ^ Die Lippowaner be-
^ Das Jahr 1786 ist nämlich das Normaljahr, welches über den msticaleQ
und dominicalen Besitz entscheidet. Vergl. oben S. 266, Anm. 2.
3 Beilagen 64—66, 69—71, 75 und 76. Die Balta Setar liegt nördlich von
Fontina alba an der Grense gegen Kamenka und g^hOrt gegenwSrtig
wenigstens theil weise zu dieser Ortschaft.
* Vergl. unten bei Fontina alba S. 290 ff.
* Vergl. oben 8. 241.
* Ebenda.
« Siehe oben S. 279.
* Siehe oben 8. 280.
286
äas8en nun, wie sie 1804 ausführten, ftlr jede der 35 Familien
kaom 8 Faltschen, also zusammen etwa 280, woflir sie an allen
Gebttren zusammen 372 fl. jährlich entrichteten. ^ Als hierauf
die dreissigjährige Lezzeny-Kriegshaber'sche Pachtung ' zu Ende
gieng, schritten wieder die Staatsbehörden ein, um den Ver-
trag von 1790 zu erneuern. ,Weil sich die Zeiten geändert
and die Preise aller Dinge seit dem Jahre 1790 bedeutend
gestiegen waren^, so wurden 400 fl. C.-M. gefordert und schliess-
lich mit dem Vertrage vom 10. Juli 1821 320 fl. festgesetzt. '
Die Ldppowaner kamen also noch sehr glimpflich davon, be-
sonders wenn man berücksichtigt, dass nach einem aus dem
Jahre 1820 herrtlhrenden , Ausweise^ ^ in Omoutz 68 Hauswesen
vorhanden waren, von denen 32 Bespannte, 11 Unbespannte,
30 Häusler und 5 Befreite waren. Unter die ,Befreiten' waren
gezählt das herrschafthche Wirthshaus, die Kuluger-(Mönchs-)
Wohnung (s. S. 312), der Richter, der Attaman^ und der Qe-
schwome. Unbesteuert war übrigens auch die Hirtenwohnung
und ein leeres Haus; zusammen zählte ELlimoutz damals 70 Haus-
inimmem. Der obige Vertrag war übrigens nur fiir sechs Jahre
geschlossen worden, womach entweder ein neuer Reluitions-
vertrag geschlossen werden sollte oder die Gemeinde die Ab-
gaben in natura zu leisten hätte; sollte es innerhalb der sechs
Jahre zu einer allgemeinen Regulierung der Grundschuldig-
keiten kommen, so sollte der Vertrag überhaupt nur bis zu
diesem Zeitpunkte gelten. Am 15. Juni 1827 wurde der Ver-
sag unter denselben Bedingungen bis 1833 erneuert,^ auch
liesmal also sehr zum Vortheile der Lippowaner; sie hatten
(lies dem Umstände zu verdanken, dass die Behörden über
^ Siehe oben 8. 281. Nach Beilage 49 (December 1804) waren in Klimoutz
mir 33 Familien.
' VergL oben 8. 280. Bis 1821 hatten sich die Lippowaner — wie es in
einem Berichte Tom 14. Jannar 1843 heisst (Beilage 89) — ,mit denen
alle drei Jahre gewechselten Afterpächtern ohne Interveniening des
k. k. Kreisamtes abgefunden*. Doch vergl. oben 8. 280 das Einschreiten
dee Kreisamtes im Jahre 1802.
' Beilagen 64, 66 nnd 68.
* Beilage 63.
^ Vergl. Splöny, Beschreibung der Bukowina, S. 46: ,£ndlich waren in
jedem Dorfe 1 Dwornik oder Richter und 1, 2 bis 3 Yatamanns oder
Kleinrichter befindig.'
* Beilage 78.
286
ihren Grundbesitz völlig im Unklaren waren. ^ Nach Ablauf
des Vertrages wurde Klimoutz auf neun Jahre verpachtet, und
so kam es erst 1842 wieder zu neuen Verhandlungen zwischen
den Staatsbehörden (Religionsfonds) und den Elimoutzern. ^
Diesmal gieng man strenge zu Werke. Es wurde der Geld-
werth der Robot und der Abgaben nach dem damaligen Werth-
verhältnisse berechnet, und darnach wurden die Lippowaner im
December 1842 aufgefordert, 534 fl. 31*/^ kr. C.-M. an Reluitions-
gebür zu zahlen, was die Abgeordneten der Elimoutzer ab-
schlugen; sie wollten nur wie bisher 320 fl. zahlen. Bei einer
weiteren Nachrechnung fanden die Behörden den Reluitions-
betrag von 534 fl. 31 '/^ kr. noch zu gering angeschlagen, und
so wurde derselbe im Jänner 1843 auf 790 fl. 7% kr. be-
rechnet. Interessant ist es, Einsicht in diese Berechnung zu
nehmen. Klimoutz zählte damals ohne den Ortsrichter 34 be-
spannte und 21 unbespannte Grund wirthe, 77 Häusler und
6 Inleute. Die jährliche Schuldigkeit dieser Unterthanen be-
stand in 55 Fuhren Kopfholz, 56 Strähnen Gamgespinnst,
55 Hühnern und 1158, d. i. 408 Zug- und 750 Handfrohntagen.
Herkömmlich bestanden für diese Leistungen in der Bukowina
folgende Preise: 1 Fuhre Kopf holz 12 kr., 1 Strähn Garn 15 kr.,
1 Henne 3 kr. und ein Frohntag ohne Unterschied, ob Zug-
oder Handfrohne geleistet wurde, 10 kr. C.-M. Da diese
Schätzung ftlr die Vierzigerjahre jedoch zu niedrig war, so
wurde der Reluitionsberechnung Folgendes zu Grunde gelegt:
Für 1 Fuhre Kopfholz 24 kr., für 1 Gespinnst 30 kr., fUr
1 ausgewachsene Henne 6 kr., für 1 Zugfirohntag 24 kr. und
für 1 Handfrohntag 12 kr. C.-M. Damach wurde der Werth
der Robot und der Kleingaben mit 368 fl. 12 kr. berechnet.
Hiezu kam dann noch der Zehent von den Feldfrüchten,
welcher auf Grund des im Jahre 1837 zum Zwecke der
Grundsteuerbemessung festgestellten Ertrages auf 421 fl. 55% kr.
veranschlagt wurde. Dies ergibt zusammen die oben schon ge-
nannte Summe von 790 fl. 1^1^ kr., worin die Waldconvention
nicht inbegriffen war, weil diese alljährlich bestimmt werden
sollte. Da die Lippowaner diese auf das Aeusserste geschraubte
Bemessung nicht anerkennen wollten und sogar behaupteten^
^ BeUage 79.
* Beilagen 87 und 89.
287
sie seien zur Reluierung des Zehents nicht verpflichtet^ solange
die ,vor fünfzig wo nicht mehr Jahren^ (1790) an die Herrschaft
abgetretene Wiese sich in deren Besitze befinde,^ so bestand
der Beligionsfonds auf die Abstattung der Abgaben in natura.
Zu diesen äussersten Consequenzen sind die Behörden wohl zu
grossem Theile durch die Widerspenstigkeit der Lippowaner
gegen mannigfaltige Verwaltungsmassregeln veranlasst worden;
auf diese Händel werden wir im folgenden Abschnitte näher
einzugehen haben.
Schliesslich mögen noch einige Notizen über die Bevöl-
kerung von Klimoutz zusammengestellt werden. Wie soeben
tngefhhrt wurde, zählte diese Gemeinde am Anfange des
Jahres 1843 ausser dem Ortsrichter 34 Bespannte^ 21 Unbe-
spannte, 77 Häusler und 6 Inleute, zusammen also 139 Fami-
lien.' Dies entspricht den wohl aus dem Anfange des nächsten
Jahres herrührenden Angaben, dass Klimoutz 131 Hausnummern
mit 840 Bewohnern zählte, von denen 755 einheimische und
85 firemde waren. In den folgenden Jahren wuchs die Be-
wohnerzahl dieser Colonie beständig, so dass im Jahre 1858
bereits 47 Bespannte, 37 Unbespannte und 69 Häusler, also zu-
sammen 154(155?) Familien oder 1187 Seelen vorhanden waren. *
Wie bei Mitoka so erfolgte auch in Klimoutz seit 1869 ein
Rückschlag.* Vom Jahre 1880 bis zum Jahre 1890 stieg die
Bewohnerzahl wieder von 1078 auf 1223 Köpfe.*
3. Wir gelangen nun zur Entwicklungsgeschichte von
Warniza = Biala Kiernica oder Fontina alba. Im August
des Jahres 1785 sassen daselbst, wie wir bereits wissen, nur
6 Familien. * Bald darauf wurden weitere Familien — ,etliche
aber 20* — angesiedelt; ^ in üebereinstimmung damit erfahren
* Ueber diese Wiese Tgl. oben S. 279. Es ist interessant, die yerschiedenen
AjMchaaimgen über dieses Rechtsgeschäft an der Hand der Beilagen 33,
58 und 87 ins Aoge zu fassen.
* Vergl. Beilage 87, und zum folgenden 92; siehe auch die Beilage 98,
in welcher von 756 Einheimischen und 79 Fremden die Rede ist
* Siehe oben S. 277 Anm. 2 und Goehlert a. a. O., S. 487.
* Vergl. oben 8. 277.
' Nach den Special-Ortsrepertorien.
* Beilage 31.
^ Beilage 37.
288
wir, dass nach der Josephinischen Grundsteuervermessung vom
Jahre 1786 in Fontina alba 30 Lippowaner-Familien steuer-
freie Gründe hatten und durch zwanzig Jahre von allen Steuern
und Contributionen frei waren. Sie verfügten über folgende
Gründe: 61 Joch 1066 Quadratklafter Aecker, 208 Joch
926 Quadratklafter Wiesen, 26 Joch 1459 Quadratklafier Gärten
und 398 Joch 47 Quadratklafler Hutweiden; zusammen 685 Joch
298 Quadratklafler. ^
Auch in Fontina alba fehlte es nicht an zahlreichen Hän-
deln. Sie betrafen theils den Grundbesitz und die Reluitions-
verträge, theils die Begründung der Erlöster in dieser Gemeinde.
Von den Zwistigkeiten, welche einzelne Verwaltungsmassregeln
hervorriefen, sehen wir hier zunächst, sowie bei Klimoutz, ab.
Die Streitigkeiten um den Grundbesitz wurden in ähn-
licher Weise wie in Klimoutz hervorgerufen. Weil man auf
eine weit zahlreichere Ansiedelung gehofft hatte,* so waren fiir
diese zunächst bedeutendere Strecken bestimmt worden; als
hierauf die Lippowaner in den Jahren 1787 und 1788 nicht in
so grosser Anzahl eintrafen, wurde der Ueberschuss eingezogen,
zu den Fratautzer und St. Onufrer Gründen geschlagen und
mit diesen verpachtet. Wie Klimoutz war damals auch Fontina
alba als Zubehör zur St. Onufrer Herrschaft an Lezzenj ver-
pachtet worden. ' Dagegen reichten die Lippowaner am
18. August 1795 eine Klage ein,* in welcher sie besonders be-
tonten, dass sie die ihnen über dem Tamaukabache ange-
wiesene Wiese gleich nach ihrer Einführung zu benützen an-
gefangen und dort auch einen kleinen Teich angelegt hatten,
welchen sie bei der Bereitung des Flachses und Hanfes be-
nützten. Am 30. September 1795 wurden den Lippowanern
thatsächlich die Gründe am Tamaukabache zugesprochen;^
der wichtigste Grund dieser günstigen Entscheidung lag wohl
in dem Umstände, dass den Lippowanern die im Jahre 1785
zugetheilten Gründe erst nach dem Jahre 1788 abgenommen
wurden^ und somit die Verordnungen vom Jahre 1787, wor-
' Beilage 82.
' Beilagen 31 und 37.
> Siehe oben S. 280.
* Beilage 36.
^ Beilage 38.
• Beilage 37.
289
nach den Unterthanen alle Qründe zu yerbleiben hatten, die sie am
I.November dieses Jahres besassen, in Rechtskraft erwachsen war.
Zur Zeit, da die Elimoutzer sich an die Revisions-Hof-
eommission wandten, thaten auch die Lippowaner von Fontina
alba dasselbe. Ihr Gesuch rührt vom 5. April 1804 her und
ist von demselben unbekannten Schreiber verfasst wie das-
jenige der Klimoutzer.* Auch diese Lippowaner forderten ein
Stück reinen Feldes zum Ackern und Mähen, ,welches ihnen
bei ihrer Ansiedelung auch versprochen wurde, aber bis der
Stunde noch nicht geschehen^; ferner baten sie um Befreiung oder
Abl5sang des Czerdakendienstes und stellten das Ersuchen, dass
ue fortan nicht ,unter der Herrschaft [dem Pächter] bleiben
sollten, sondern unter die ärarischen Unterthanen gerechnet
werden'; endlich sollte kein Wirthshaus im Dorfe errichtet
werden, ,weil dadurch die meisten jungen Leute zu Liederlich-
keiten, Ausschweifungen und bösen Handlungen angeleitet wer-
den, welches ihre Religion unmöglich leiden kann^ Mit dem
Gesuche wurde ebenso verfahren wie mit jenem der Klimoutzer, *
auch der Erfolg war ebenso gering. Insbesondere wurde jede
Gnmderweiterung abgeschlagen, weil ,die Gemeinde auf einem
unter der bestandenen MiUtäradministration ihr zugewiesenen
und abgerainten Grunde dotiert worden ist und dermal bei der
jeden Orts angewachsenen Bevölkerung ausser ihrem Ge-
meindeumfange nirgends einige Grtlnde zur Zertheilung an
dieselbe erübrigend Wie die ELlimoutzer so liessen aber auch
die Bewohner von Fontina alba es nicht bei diesem Versuche
bewenden, nur schlugen sie einen anderen Weg ein. Während
eretere nochmals durch eine Petition ihre Absicht zu verwirk-
lichen suchten^ eigneten sich diese insgeheim allmälig Theile
des herrschaftUchen Waldes durch Roden an. Bis 1813 hatten
äe bereits 56 Joch Gründe auf diese Weise an sich gerissen.'
Einige Jahre später gieng die Lezzeny'sche Pachtung zu Ende,*
and nun stellte es sich infolge der Bukowiner Katastralver-
niessung von 1819 — 1821 heraus,^ dass die Fontiner bereits
* Beilage 44.
* BeUagen 46, 4S, 60, 52 and 54.
' Beilage 56.
* VergL oben 8. 2S0.
^ Das Folgende ist, insofern nicht auf eine andere Beilage yerwiesen
wird, nach dem weiter nnten im Texte genannten Berichte des Znczker
290
959 Joch 417-7 Quadratklafter besassen; vergleicht man dies
mit ihrer (1795 bestätigten) Bestiftimg vom Jahre 1786, welches
für die Frage, ob die Gründe rustical oder domimcal sein
sollen, entscheidend ist, so ergibt sich innerhalb dreissig Jahren
ein Zuwachs von 274 Joch 119*7 Quadratklaftem, welche sich
die Lippowaner durch List und Gewalt angemasst hatten, da
sie sich über den redlichen Erwerb der Gründe nicht aus-
weisen konnten. Als herrschaftliche Gründe, welche sie da-
mals benutzten, werden in einem Protokolle vom Jahre 1821
ausserdem noch die Onisimowka und die Waldhutweide Balta
Sitarului angeführt;^ letztere mass allein 120 Joch 1410 Qna-
dratklafter und ist wohl zu unterscheiden von der Balta Sitaruloi^
um deren Gebiet (103 Joch 412 Quadratklafter) damals der Streit
zwischen Fontina und Rlimoutz begann,* welche aber in Wirklich-
keit ebenso wie die andere Balta herrschaftlich war. Als hierauf
in dem Jahre 1836/37 ,der Besitz von Grund und Boden durch
die Grundschätzung mit Berücksichtigung der seit 1821 einge-
tretenen Veränderungen zur Bemessung der Grundsteuer ausge-
mittelt' wurde, ergab sich in Fontina alba für das Jahr 1837
nach Angaben des Religionsfondes bei den folgenden Processen
ein Rusticalbesitz von 1124 Joch 464 Quadratklaftern, also
wieder um 165 Joch 46*3 Quadratklaft»r mehr als im Jahre
1821. Die Lippowaner gaben aber an,^ dass sie schon seit der
Abgrenzung im Jahre 1819 1347 Joch 1500*3 Qaadratkhiiler
besassen, da auch die Waldparcelle Srub Wamiza oder Kor-
czy Lysok von 103 Joch 412*2 Quadratklaftem (Balta Sitarului ^
und eine andere Namens Lysok von 120 Joch 1410' 1 Quadrat-
klaftem (die Waldhutweide Sitarului) ihr Eigenthum gewesen
seien. Thatsache ist, dass zwischen der Herrschaft und der Ge-
meinde Fontina alba um den Besitz dieser Parcellen ein heftiger
Kampf geführt wurde. Schon 1824 hatten die Lippowaner
durch ihre Klage beim Kreisamte einen ,Schutzerla88^ erwirkt,
der ihnen den ungestörten Weidegenuss im Lysok zusicherte,
,weil sie seit langer Zeit dieses Qestrüpp beweideten'. Ebenso
Wirthschaftsamtes Tom 16. April 1851 en&hlt; da die wesentliche Inhalts-
angabe desselben bereits an dieser Stelle erfolgt, wird er unter den
Beilagen (Nr. 106) nnr yerkünt abgedruckt.
1 Beilage 66.
* Siehe oben 8. S88f. und weiter unten im Texte.
• Beilage lOS.
291
ist es ihnen gelungen, in dem verwickelten Streite um die
Balta Sitarului oder den Srub Warniza = Korczy Lysok
über ihre Gegner den Sieg davonzutragen, denn die Gemeinde
nahm dieses Gebiet thatsächlich in Besitz. Als nämlich die
Herrschaft im Jahre 1834 ihren Besitz durch Gräben und
Zäune zu beschützen suchte, rotteten sich die Lippowaner am
11. Mai 1835 ^ zusammen und zerstörten diese Einfriedung. Es
wurde nun eine Untersuchung eingeleitet, der zufolge das
Kreisamt im Jahre 1840 den Srub Warniza dem Religions-
fonde absprach. Dieser hielt sich aber infolge eines Form-
fehlers auch noch weiter flir den rechtmässigen Besitzer. Da-
her klagten die Lippowaner in den letzten Monaten des Jahres
1849 beim neuen Finanzministerium und dann wieder im Jahre
Iföl auf Rückgabe beider Parcellen; endlich überreichten
sie zu demselben Zwecke am 21. October 1851 ein Majestäts-
gesuch.' In demselben Jahre hatte das Zuczker Wirthschafts-
amt in einem ausführlichen Berichte die Unrechtmässigkeit der
Ansprüche der Lippowaner darzulegen versucht. Es erklärte,
iiss die Lippowaner diese Ghründe an sich reissen wollten, ,weil
sie bei der anwachsenden Volksmenge die ihnen ursprünglich zu-
gewiesene Hutweide bereits in Aecker verwandelt haben, und weil
sie der Ansicht sind, dass sie soviel Gründe unentgeltlich er-
kalten mtissten, als fiir ihre Bevölkerung nothwendig sind^ Es
folgen sodann einige Angaben über das Anwachsen der Be-
völkenmg von Fontina, welche hier, durch andere ergänzt und
is auf die Gegenwart fortgeführt, folgen mögen:
Jahr Anzahl der Familien Kopfzahl
1791« 34 ?
1843* 106 ?
1844 * ? 547 Einheimische und 57 Fremde
1850' 143 ?
' fieilage 80.
' Beilagen 102—104, 106.
' Nach dem citierten Berichte des Zuczker Amtes.
* Beilage 89, wo aber die betreffende Stelle nicht abgedruckt ist. Man
sählte ausser dem Richter: 37 Bespannte, 7 Unbespannte und 60 Häusler.
VergL Beilage 88.
* Beilagen 92 und 98.
292
Jahr Ansahl der Familien Kopfiuüil
1858* 150 1008
1880* ? 932
1890* ? 972
Es erübrigt noch zu bemerken, dass den Lippowanem
schliesslich die strittigen Qründe zugesprochen wurden.'
Wie die Bewohner von Mitoka und KÜmoutz, so waren
auch diejenigen von Fontina alba bemüht, ihre Unterthans-
schuldigkeiten durch Geldzahlungen zu reluieren. Den ersten
bezüglichen Vertrag hatten sie am 2. September 1796 mit dem
Verwalter der Kuczurmarer Pachtung Ignaz Zagurski ge-
schlossen. Nach demselben hatten sie ftir die zwölf Robottage,
den Strähn Gespinnst, die Fuhre Brennholz und die Henne,
wie auch für den Zehent an Garten- und Feldfrüchten, ferner
von dem Heu 182 fl. W. W. jährlich zu zahlen.* Als 1821
beim Uebergang des Dorfes in eigene Kegie wie mit Elimoutz
auch mit Fontina alba ein Vertrag geschlossen wurde, verein-
barten die Lippowaner 190 fl. zu zahlen.'^ Die Emeuerang
dieses Vertrages bis 1833 fand ebenfalls im Jahre 1827 statt, ^
wobei es auch zu Tage trat, dass der Religionsfonds über den
Grundbesitz der Gemeinde im Unklaren war.'' Hierauf wurde
Fontina alba für neun Jahre verpachtet, imd nach dieser Zeit
begannen wie mit Klimoutz die Verhandlungen wegen der Er-
neuerung des Vertrages.® In ganz ähnlicher Weise wie bei
Klimoutz wurde auch für diese Gemeinde der Keluitionsbetrag
zunächst mit 438 fl. 56Y4 kr. berechnet und hierauf auf 544 fl.
28% kr. erhöht, abgesehen von der Waldconvention, welche
alljährlich festgesetzt werden sollte. Da auch die Lippowaner
^ Siehe S. 277, Anm. 2.
' Die Special-Ortsrepertorien der Bukowina.
' Dieser Schluss wird durch den geg^enwärtigen Flächeninhalt 1416 Jocli
= 8' 16 Km* nahegelegt. Urkundliches Material lag darüber mir nicht
vor und haben Nachsuchungen nach demselben zu keinem Resultate
geführt.
* Beilage 66.
'^ Beilagen 66—67.
• Beilage 77.
' Beilage 79.
<> Beilagen 87 und 89.
293
7on Fontina alba diese hohe Summe nicht zahlen wollten, so
lerechlugen sich die Unterhandlungen.
Wir gelangen nun zur Schilderung der langwierigen Unter-
kidlungen, welche mit der BegHindung der in Fontina alba
bestehenden Klöster in Verbindung stehen. Bereits unter den
ereten Einwanderern vom schwarzen Meere waren Mönche in
die Bukowina gekommen, und unter den ersten Ansiedlem
waren sechs Kaluger (Mönche) und ein Igumen (Abt).' Als
Eozenbei^ diese Ansiedler im Juni 1784 in Hliboka aufsuchte,
M er einen Igumen und sieben Kaluger. In seinem inter-
ejssanten Berichte theilt er über diese Mönche Folgendes mit:*
Ihr Igumen heisst Simeon, hat bei seiner Gemeinde Ansehen
oiid scheint bei denselben Vieles zu vermögen; aber weder er
noch seine Angehörigen wollten wahrscheinlich aus Argwohn
die Namen der sieben Kalftger angeben, sondern der Igumen
Hess sie schlechtweg „seine sieben Kinder**, und dabei Hess
ich es bewenden. . . . Wenn ihr Igumen nur etwas weniger un-
wissend wäre, so könnte man doch etwas mehr von ihrer Religion
erfahren; aber ausser den Kirchengebeten, die sie auswendig
terschnurren, obschon sie die Augen auf das vor ihnen liegende
Bach starr hinheften, können die Kaluger weder lesen noch
«hreiben und sind auch sonst nicht mit der kleinsten Wissen-
schaft oder Gelehrsamkeit bekannt. Sie essen nie Fleischspeisen,
^erheiraten sich nie und wollen behaupten, dass sie ein sehr
strenges Leben führen. . . . Ich muthete dem Igumen zu, dass er
seine Gemeinde an Einigkeit, Liebe und zu einem christlichen Le-
ien oft erinnern und derselben mit allem Rath an die Hand gehen
möchte; aber er erwiderte, dass er, sobald ihre Kirche und ihr
Kloster im Walde unweit dem Dorfe erbaut sein wird, den
geistlichen Satzungen zufolge mit den sieben Kindern im selben
ibgesondert leben und in die weltliche Handlung sich nicht
<^engen wolle noch könne. Er hoflfe, dass noch viele Ka-
^er nachkommen werden. Ich widerlegte ihm nichts, auch
Eicht, dass ein grosses Kloster erbaut werden möge. Sollten
jedoch diesem Baue nicht einigermassen Schranken gesetzt
werden ?^ In ähnlichem Sinne sprach sich Enzenberg gegen
len Klosterbau — bezüglich dessen sich übrigens die Lippo-
* Siehe oben S. 268 und 260.
' Wickenbauser, Molda V, 2, Nr. 26, S. 99, lOOf. und 103.
294
waner schon einige Wochen früher gegenüber dem Director
Storr geäussert hatten^ — auch in einem vom folgenden
Tage datierten Berichte* aus. Daraufhin erklärte auch der
Hofkriegsrath in einem Erlasse vom 10. Juli 1784, dass dem
Igumen zwar AUes, ,was zur ungestörten Ausübung ihrer
Religion gehört, an die Hand verschafft^ werden soll, dass
es aber ,weder auf einen Kirchen- noch einen Klosterbau
anzukommen hat^ ' Trotz diesem allenfalls zu weit gehen-
den Verbote erbauten die Lippowaner* ^insgeheim . . . von
ihrem Dörfel eine Strecke in den Wald hinein ein Haus
mit zwei Stuben, deren eine zur Kirche, die andere zur
Wohnung der fünf vorhandenen Mönche dientet Dieses Klö-
sterchen wurde kurz vor dem 8. August 1791 ausgeraubt
In einem diesbezüglichen Berichte an das Lemberger Ou-
bemium theilt das Kreisamt üb^ die Mönche Folgendes
mit: ,Diese Mönche werden von den übrigen Insassen nur
durch einen pilgramartigen kleinen Schultermantel unterschie-
den, leben von Feldarbeit und Almosen der (Gemeinde,
sind zu keinen geistlichen Verrichtungen fkhig, sondern, wie
die Insassen sagen, nur dazu bestinmit, dass sie fUr sie
beten, und wenn sie gesündigt haben, gegen ein Almosen sie
von Sünden reinigen. Sie wähnen verschiedene andere Al-
bernheiten von diesen Mönchen und machen sich es zur Re-
ligionspflicht, diese Art Geistliche zu haben. Die Abschaffung
derselben dürfte unter diesen sehr vorurtheiligen Leuten eine
Bewegung erwecken und sie vielleicht, was wahrscheinHch
ohnehin mit der Zeit geschehen wird, zur Auswanderung ver-
leiten, weshalb der Umstand um hohe Weisung und mit dem
Beisatze gehorsamst angezeigt wird, ob nicht diese Mönche
vorläufig ins Dorf und dahin gewiesen werden können^ dass
sie sich einzeln häuslich niederlassen und gleich anderen
gegen Entrichtung der gewöhnlichen Qiebigkeiten sich land-
wirthschaftlichen Verdienst erwerben, was, wie oben gesagt,
sie ohnehin schon mit in ihrem Berufe haben.^ Das Gu-
bemium gieng auf diesen Antrag ein. Die Mönche zogen ins
1 Ebenda Nr. 22, 8. 97.
• Wickenhanser, Molda V, 2, Nr. 24, 8. 98.
» Ebenda Nr. 27, 8. 106.
* lieber das Folgende die Beilagen 34 und 85, ferner Wickenhanser
a. a. O., Nr. 80, 8. 108 f.
295
Dorf ^ und widmeten sich in der That der Landwirthschaft, wie
wir dies z. B. bei Gelegenheit des oben geschilderten Handels zwi-
schen den Klimoutzem und den Bewohnern von Fontina alba er-
fiüiren. * Aus den Processacten * werden uns nicht nur einige Namen
von Mönchen bekannt^ die gegen das Ende des vorigen Jahr-
honderts lebten^ wir erfahren auch, dass um das Jahr 1798 in
Fontma alba vier Kaluger sich aufhielten, und dass diese Ka-
kger sich mit dem Roden des Waldes beschäftigten. Zur Zeit
des Processes (1821) lebten in Fontina alba sechs Mönche, fUr
welche die Gemeinde die strittige Wiese forderte, ,weil sie
sonst der Gemeinde zur Last fallend Um diese Zeit bestand
auch schon das Kloster wieder, ohne dass aber das Elreisamt
etwas davon wusste; erst durch einen Zufall erhielt es Kunde
Ton demselben. Am 8. August 1822 wandten sich nämlich die
Fontiner an das Amt mit der Bitte, dass fünf im Czemowitzer
Militftrarreste wegen Grenzübertritt eingesperrte Mönche in das
Kloster zu Fontina alba übersiedeln dürften. Verwundert richtete
das Kreisamt am 10. August an die Verwaltung von St. Onufii
die Anfrage, welches Kloster in Fontina alba bestehe, da dem Kreis-
amte hierüber nichts bekannt sei? * Später (1833) brachte das Bjreis-
ünt in Erfahrung,^ dass das Kloster schon seit vielen Jahren ohne
Bewilligung der Regierung bestand. Schon im Jahre 1818 * habe
der verstorbene Vorsteher der Gemeinde Fontina alba, Barion Pe-
trowicz, einen grossen Obst- und Gemüsegarten als Dotation fUr
das EJoster verschrieben, ,woselbst bereits siebzehn (?) Mönche
waren^ die grösstentheils aus der Moldau und Bessarabien auf
unbeftigte Art eingewandert waren^ Im Jahre 1835 befanden sich
im Kloster Fontina alba sechzehn ausländische Mönche. "^
Am 26. Februar 1840 reichten hierauf die Lippowaner
an das k. k. Kreisamt ein Gesuch ein, in welchem sie um
' Nftch Qoehlert a. a. O., S. 479 wäre dies erst im Jahre 1803 geschehen;
nach dem mir yorliegenden Materiale wurde in diesem Jahre die Kloster-
kirche erbaut Siehe weiter unten im Texte.
' Siehe oben S. 284.
* Beilagen 69 und 71.
* Beilagen 72 und 73.
* Beilage 82.
* Verigl auch Czemowitzer Zeitung 1868, Nr. 96, wo der 12. August 1818
als Datum der Schenkung genannt wird.
' Beilage 81. Ebenso gross war die Zahl im Jahre 1840 (Czemowitzer
Zeitung 1868, Nr. 96).
296
die Bewilligung baten, sich einen Bischof aus dem Auslande
bringen zu dürfen, den sie aus eigenen Mitteln erhalten wollten
und als dessen Sitz sie das Kloster Fontina alba bezeich-
neten. ^ Infolge einer Untersuchung, welche das Ereisamt nun
einleitete, stellte es hierauf im Jahre 1840 beim Gubernium den
Antrag, dass das Kloster gestattet werde; doch sollten die ein-
gewanderten Mönche in ihre Heimat zurückgeschafft und drei *
Klosterälteste mit noch drei anderen Mönchen nur geduldet
werden, wenn sie Unterricht ertheilen, Seelsorge besorgen und
Matrikenbücher führen würden. Von den Mönchen soll einer
zum Klostervorsteher gewählt werden, die Ordenssatzungen
sollen vorgelegt und von der Kegierung bestätigt werden.'
ThatsächUch legten die Lippowaner schon im Jahre 1841 eine
121 Seiten umfassende Schrift vor, welche sowohl eine Ge-
schichte ihrer Einwanderung und des Klosters enthielt, als
auch ihr Glaubensbekenntniss darlegte und ein Klosterstatut
beibrachte.* Dieselbe rührte vorzüglich vom Mönche Paul
Wassylow her, der in den folgenden Jahren mit dem Mönche
Olympi Miloradow eine hervorragende Rolle unter den Lippo-
wanem der Bukowina spielte. Nach der Ueberreichung der
erwähnten Denkschrift folgte eine lange Keihe von Verhand-
lungen. ^ Auch der Bischof und die theologische Lehranstalt in
Czemowitz wurden zu einem Gutachten aufgefordert, welches
— wie vorauszusehen war — ablehnend ausfiel. ^ Das Guber-
nium betonte hierauf in seiner abschlägigen Entscheidung vom
21. März 1842 insbesondere, dass den Lippowanem in ihrem
Patente vom Jahre 1783 zwar die ungestörte Ausübung des Gottes-
dienstes und der geistUchen Seelsorge zugesichert wurde, nicht
aber die Befugniss zur Errichtung eines nur der Abgeschieden-
heit und Contemplation gewidmeten klösterUchen Instituts.^
^ Vergl. Dan a. a. O., 8. 16, der sich in dieser Partie auf die Arbeiten
von Worobkiewicz und Snbbotyna stützt.
' Wohl der bei Dan a. eben a. O. genannte bessarabiscbe Flüchtling Ge-
rontie, femer die Mönche Olympi Miloradow und Paul Wassylow, die
uns weiter unten öfters begegnen werden.
' Beibige 82.
* Dan a. a. O.
" Beilagen 83 und 84.
• Beilage 85.
^ Beilage 86; bezüglich der Matriken yergl. auch die Beilagen 81 ff. und
weiter unten S. 308 ff.
297
Gleichzeitig befaM das Gubemium zum wiederholten Male die
Fäbrang der Matrikenbücfaer^ da dieselben mit der Religion
und dem Gottesdienste in keiner Verbindung stünden.
Nachdem sodann auch noch ein zweites Gesuch ddo. 27. Juni
1842 von der Landesregierung abschlägig beantwortet worden
far/ indem dieselbe wieder auf das Patent und ferner auf die
bereits 1784 und 1791' erfolgten Verbote hinwies, überreichten
(üe Mönche Olympi Miloradow und Paul Wassylow einen vom
12. April 1843 datierten Hofrecurs. * Die Ausführungen in dem-
selben sind klar und überzeugend. Er betont nämlich, dass auch
schon nnter den ersten Einwanderern Hieromonachen, d. h.
Mönche, welche höhere Weihen empfangen hatten und kirchliche
Functionen verrichten durften, sich befanden. Diese seien ausge-
storben; aus der Fremde könnten wegen des Auswanderungs-
Terbotes keine kommen, deshalb befanden sich in der Gemeinde
keine Priester; es herrsche Unordnung, und es könnten keine
Matrikenbücher gefiihrt werden, weil Taufen und Trauungen
im Auslande (Bessarabien oder Moldau) vorgenommen werden
JEfissten. In der österreichischen Monarchie bestehen keine
AhglÄubigen von gleichem Glaubensbekenntnisse wie die Lippo-
»aner, daher bitten die vier Lippowaner-Gemeinden der Buko-
wina* um Gestattung eines Weihbischofs, der seinen Nachfolger
li^stinunen und den Mönchen die höheren Weihen ertheilen
öürfte. Nur so könnten sie vom Auslande unabhängig ihren
ßeligionspflichten nachkommen. Wenn die Mönche geweiht
sein werden, so würden sie nicht ein blosses contemplatives
Leben fiihren, sondern auch als Seelsorger thätig sein und der
Jogend den Religionsunterricht ertheilen; dann erst könnten
auch die Matrikenbücher eingeführt werden. Ihren Weihbischof
^oflen sie aus Eigenem erhalten.^ Da derselbe nur aus einem
Boster hervorgehen könnte, so bitten sie auch um den Fort-
^>^stand desselben. Der Bischof in Czernowitz sei zu einem
^Wehten über sie nicht competent gewesen. Dieses Gesuch
^ Dan a. a. O., S. 17.
' Vergl. oben 8. 294.
* Beilage 90.
* Mitoka, Klimoutz, Fontina und Mihodra.
^ Jeder Familienyater war verpflichtet, ein Zehntel seiner Einkünfte zur
Erhaltnng der Qeistlichen herzugeben. Vergl. Beilage 92.
AreWT. LXXXm. Bd. II. H*lfte. 20
298
überreichten ^ die beiden genannten Bittsteller Olympi und Paul
am 13. Juli 1843 bei einer Audienz in Wien dem Kaiser Fer-
dinand. Infolge dessen ordnete im August die Hofkanzlei die
Untersuchung an. Sowohl der Bericht des Kreisamtes * als auch
jener des Landesguberniums ' fiel sehr zu Gunsten der Lippo
waner aus. Wir erfahren aus denselben^ dass das Kloster aus
einer 1803 erbauten Kirche und fünf Holzhäusern bestand,
welche (später) in dem von Petrowicz (im Jahre 1818) ge-
schenkten Garten errichtet worden waren. In einem der Häuser
wohnte der Klostervorsteher, in den anderen die Mönche, zu-
sammen neun Personen. Sie waren nach dem Berichte über-
aus fleissig, besassen eine reiche Dotation und bezogen ein
jährliches Einkommen von 3060 fl. ; das Gesammtvermögen des
Klosters war etwa 50.000 fl. werth.* Die vier Gemeinden hatten
zwei Kirchen und drei Kapellen, litten aber grossen Mangel an
Priestern. Die Lippowaner selbst werden als wohlhabend,
nüchtern, reinHch, arbeitsam und andächtig geschildert. Auf
diese Berichte hin stellte die vereinigte Hofkanzlei am 19. Juli
1844 den Antrag/ den Lippowanern den Fortbestand des
Klosters und den Weihbischof zuzugestehen. Am 18. September
erth eilte Kaiser Ferdinand diesem Vorschlage seine Genehmigung"
Die Kunde hievon, welche durch das Lemberger Landesgubernium
und das Bukowiner Kreisamt dem Kloster zukam, '' wurde nicht
nur von den Lippowanern in der Bukowina, sondern auch den-
jenigen in Russland, der Moldau, Walachei, in der europäischen
und asiatischen Türkei mit Freuden aufgenommen. Von allen
Richtungen trafen bei den Zollämtern der Bukowina zum Theile
sehr kostbare Geschenke für den Metropoliten und das Kloster
ein; so z. B. ein Priestergewand, Bischofsmützen, Weihrauch-
gefässe, Sprengwedel, Leuchter, allerlei Heiligenbilder, Bücher,
aber auch Caviar, Thee(?), Wachskerzen u. dgl.» Der erste
* Vergl. zum Folgenden Dan a. a. O., S. 17.
' Beilage 92.
' Beilage 93.
* Vergl. Czernowitzer Zeitung 1868, Nr. 95.
* BeUage 94.
^ Beilage 96.
' Vergl. Beilage 97 und Dan a. a. O., 8. 18.
'^ Beilagen 101 nnd 107.
299
Bischof von Fontina alba wurde Ambrosius, Exmetropolit von
Serajewo. *
Einige Jahre später wurde in Fontina ohne Vorwissen und
BewilKgung der Regierung auch ein Nonnenkloster errichtet.*
Dies wie auch verschiedene andere Umstände,' so das Auf-
nehmen fremdländischer Mönche und allerlei Landstreicher,
die Weigerung, Matrikenbücher zu führen, den Eid abzulegen,
die Kiihpockenimpfung und die ärztiÜche Hilfe anzunehmen,
veranlasste die Regierung im Jahre 1858 zur Absendung einer
Commission nach Fontina alba. Auf die Kunde von der be-
vorstehenden Commission zerstoben die Mönche und Nonnen,
während Miloradow und der Metropolit Kyril die Regierung
m bewegen suchten, von entscheidenden Massregeln abzu-
stehen. In einem ihrer Bittgesuche, datiert Wien, am 1. März
iS58, fähren sie aus, dass ihre Religion es verbiete, etwas
Seaes, mit den alten Traditionen der heiUgen Väter nicht im
Einklänge Stehendes anzunehmen. Daher könnten sie auch
flicht Matriken anlegen, die durch Volkszählungen ersetzt wer-
den könnten; sie dürften nicht die Kuhpockenimpfung zulassen,
weil ihre religiösen Grundsätze ausdrücklich jede Blutvermi-
^hung mit thierischen StoflFen verbiete; Aerzte zu gebrauchen
»ei unstatthaft, weil die Krankheiten von oben bestimmte, zeit-
liche Heimsuchungen seien, die nur von Gott wieder genommen
werden könnten, auch hielten Ordnungsliebe, ReinUchkeit und
Fasten die Krankheiten von ihnen ferne; den Eid abzulegen
sei nach dem heiligen Evangelium nicht gestattet. Ueber das
Nonnenkloster bemerkt das Gesuch, dass in demselben die
weibliche Jugend im Lesen, Schreiben und Nähen unterrichtet
' Aaf die Vorgänge bei der Wahl dieses Biscbofis und die bereits hin-
reichend bekannte Geschichte des Lippowaner-Bisthums näher einzu-
üben, halte ich nicht für nOthig. Man vergleiche Dan a. a. O., S. 18 ff.
' Goehlert a. a. O., S. 479 irrt, wenn er annimmt, das Nonnenkloster sei
einige Jahre nach der Entstehung des Mönchsklosters errichtet worden,
also noch etwa am Anfange dieses Jahrhunderts ; dasselbe kann vielmehr
erst nach der Bestätigung des Mönchsklosters (1844) entstanden sein,
weil bei den zahlreichen Verhandlungen noch damals mit keinem Worte
dieses zweiten Klosters Erwähnung geschieht. Allenfalls wurde das
Nonnenkloster bald nach der Bestätigung des Mönchsklosters begründet,
denn die Lippowaner hoben im Jahre 1858 hervor, dass die Landes-
regierung von dessen langjährigem Bestehen bereits Kunde hatte.
' Vergl. Dan a. a. O., S. 21 ff.
20*
300
werde, während es Waisen, femer armen, alten und kranken
Frauen einen Sicherheitshafen gewähre; auch wird angefhhrt,
dass die Landesregierung von dessen langjährigem Bestehen
Kenntniss hatte. Laut kaiserlicher Entscheidung vom 18. August
1859 wurde daraufhin auch das Nonnenkloster bestätigt; doch
durften in keines der beiden Klöster fortan fremde Personen
aufgenommen werden. Bezüglich ihrer anderen Bitten wurden
die Lippowaner abgewiesen. *
m.
1 . Die Lippowaner im Urtheile der Behörden. — 2. Ihr Widerstreben gegen
administrative Verfügungen der Obrigkeiten. — 3. Ihre Beschäftigxing.
1. Am 12. März 1783, also bevor noch Kaiser Joseph II.
die Anregungen zur Colonisierung der Lippowaner durch den
Staat gegeben hatte, äussert sich der Landesverweser Q-eneral
Enzenberg in einem Berichte an das Generalconmiando in Lem-
berg folgendermassen über die Lippowaner:* ,Die Lippowaner
haben, als Peter der Grosse sie mit der russischen Kirche ver-
einigen wollte, dieses nicht angenommen, sondern sich theils
nach der Krim, theils nach Polen und der Moldau geflüchtet.
Die türkischen Kirchenvorsteher haben sich um die im Lande
üblichen Religionsübungen nicht bekümmert und einen Jeden
bei dem belassen, was er glaubt. Die Lippowaner sind unge-
mein ruhig, fleissig, still, arbeitsam, geschickt und überhaupt
starke und gut gewachsene Leute. Ein Jeder von ihnen muss
ein Handwerk lernen, auf das sie sich nebst dem Ackerbau,
den sie auf das Beste pflegen, mit Nutzen verlegen. Betrunkene
Lippowaner werden selten gesehen, daher Betrunkenheit und
Fluchen als grosse Laster bei ihnen angesehen sein müssen . . .
Ueber diese wahrhaft würdigen Leute ist unter mir nicht die
geringste Beschwerde vorgekommen, und sie benöthigen zur
Entrichtung der Schuldigkeiten keine zweite Erinnerung.' In
ähnlicher Weise spricht sich Enzenberg in einem an dasselbe
* Vergl. weiter unten im III. Abschnitt
« Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 2, S. Sl f.
SOI
Generalcommando gerichteten Schreiben aus, in welchem er
diesem kurz die Ansichten Kaiser Josephs über die Lippo-
waner mittheilt. * Der Monarch selbst hat diesen Anschauungen
in seiBem denkwürdigen Handschreiben Ausdruck verliehen,
das er am 19. Juni 1783, unmittelbar bevor er Czemowitz verliess,
an den Hofkriegsrathspräsidenten Hadik richtete. Nachdem er
im neunten Punkte dieses Schreibens über die Rücksichten,
welche gegen die Bukowiner Armenier geübt werden sollen,
gesprochen hat, bemerkt er Folgendes:^ ,Die nämliche Rück-
dcbt verdienen die hierlandes befindliche sogenannte Lippo-
waner, welche blosse russische Bauern sind, die sich hier
niedergelassen haben; ihre Religion ist die wahre schismatische,*
and will man nur darin einen Unterschied finden, dass sie
ihren Gottesdienst illyrisch wie in Russland und nicht in wal-
lachiseher Sprache halten wollen. Ausserdem sind solche fieissige
und arbeitsame Leute, welche man durch jene, so sich in der
Moldau von dieser Nation noch befinden, zu vermehren trachten
Quss, und aus dieser Ursache ist ihnen auch ein Pope von
ihrer Nation allerdings zu gestatten oder ihnen einer aus Sla-
vonien, wo die illyrische Sprache am meisten in der Uebung
ist, zu verschafien.' Und am 5. October desselben Jahres
schreibt der Kaiser an Hadik: * ,Die Ueberkommung der vermöge
nebengehender Bittschrift zur Uebersiedelung in diesseitige
Lande geneigten Gemeinden, welche mir als eine der besten und
arbeitsamsten Gattung Menschen bekannt sind, ist von solcher
Wichtigkeit und so dringend, dass Sie unverzüglich an General
Enzenberg in die Bukowina den Befehl erlassen werden, dass
er diesen Leuten zu ihrer Herübertretimg allen mögUchen Bei-
stand leiste und solche . . . dortlands ansiedelt' Vierzehn Tage
>jÄter äussert sich Enzenberg in einem Schreiben vom 19. Oc-
lober an den Hofkriegsrath folgendermassen: * ,Lippowaner sind
in der Bukowina schon von früher ansässig, und ich hatte seit
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 3, fälschlich vom 13. Juni datiert.
VergL oben 8. 244 Anm. 2.
* Polek, Kaiser Josephs II. Reisen, S. 62.
' EHes war ein Irrthnm, aus dem sich übrigens auch die Verordnungen
erklären, dass die Lippowaner sich dem orthodoxen Bischöfe Ton Czer-
nowitz nnterordnen mögen. Vergl. oben S. 255.
* W ickenhauser a. a. O., Nr. 8, S. 84 f.
* Ebenda Nr. 13, S. 90.
302
meiner sechsjährigen hiesigen Anstellung nicht den geringsten
Verdruss oder einen vor Gericht zu rufen. Ich ziehe deshalb
eine Lippowaner-Familie fUnfzehn polnischen oder fünf mol-
dauischen jederzeit vor und nehme sie an/ Und am 27. Oc-
tober, obwohl sich damals bereits bedeutende Schwierigkeiten
der Ansiedelung entgegengestellt hatten/ lautet sein Urtheil
nicht minder günstig: * ,Diese griechischen Lippowaner werden
sich niemals aber mit Moldauern untermischt ansiedeln, weil
das ihrer Lebensart und Gewohnheit entgegen ist, ungeachtet
in einer anderen Betrachtung es sehr nützlich wäre, weil da-
durch die Moldauer zu mehr Ordnung, ferner zu nützlicher
und ergiebiger Feld- und Landwirthschaftspflege angeeifert
werden dürften, wenn sich die Lippowaner zum Theile in die
schon bestehenden Dorfschaften ansiedeln möchten.' Einige
Tage später — am 31. October' — fasst Enzenberg sein Ur-
theil in folgende Worte zusammen: ,Die Lippowaner sind
redUch, emsig und dem allgemeinen Wesen nützUch.' Als der
Landesverweser im Juni des folgenden Jahres (1784) die neue
Lippowaner-Ansiedelung in Hliboka besuchte, bemerkt er, dass
nur zwei oder drei derselben dem Trünke ergeben wären."*
,Wenn sie übrigens den hierlands befindlichen Lippowanem
ähnlich werden könnten, so werden solche überhaupt züchtige
Leute sein.' Auch aus späterer Zeit entbehren wir nicht gün-
stiger Berichte über diese Ansiedler. Im Gutachten der theo-
logischen Lehranstalt in Czemowitz, das im Jahre 1841/42 ein-
geholt wurde, wird gesagt, dass sich die Lippowaner von
hitzigen Getränken enthalten, selbst von Thee und Kaffee.^
In einem wenig später erstatteten Berichte des Kreisamtes
(1844) werden sie als frugal, nüchtern, reinlich, arbeitsam und
andächtig geschildert.^ Diesem Urtheile wird auch heute noch
Jedermann beipflichten, der diese Leute kennen gelernt hat,
womit natürlich nicht gesagt werden soll, dass sich unter den
Lippowanem durchaus kein verkommenes Individuum befindet
Dies würde umsomehr erkläriich sein, als die Lippowaner zahl
* Siehe oben S. 249 ff.
' Beilage 4.
^ Beilage 5.
* Wickenhauser a. a. O., Nr. 26, S. 102.
* Beilage 85; doch vergl. Beilage 101 d.
« Beilage 92.
803
reiche fremde Elemente an sich zogen. Es sei aber gestattet,
z. B. auf den Umstand hinzuweisen, dass nach einer statisti-
schen Berechnung^ über die in den Jahren 1862 — 1871 in der
Bukowina begangenen Verbrechen nach diesem zehnjährigen
Durchschnitte in der Bukowina ein Verbrechen erst auf le
1898 Altgläubige ßlllt, während bei den Römisch-Katholischen
schon auf je 1216 und bei den Griechisch-Katholischen auf je
480 Bewohner ein Verbrechen gezählt wird.
Biesen Berichten gegenüber, flir deren Richtigkeit auch
die gegenwärtigen Zustände zeugen, fehlt es freilich nicht an
solchen, welche die Lippowaner arger Verkommung zeihen.
Es lässt sich aber leicht nachweisen, dass diese ziun grössten
Theile tendenziös sind. So wird es vor Allem gegenüber den
gkubwürdigen Berichten von der Nüchternheit der Lippowaner
und dem Umstände, dass sowohl die Klimoutzer ^ als auch die
Lippowaner von Fontina ^ gegen die Errichtung eines Wirths-
hauses auf ihrem Gebiete waren, schwer fallen, gegentheiligen
Behauptungen Gehör zu schenken. Wenn z. B. die herrschaftlichen
Verwaltungen sowohl im Jahre 1804* als auch im Jahre 1843^
den Umstand, dass die Lippowaner keine Wirthshäuser dulden,
beklagen, weil daraus der Herrschaft Schaden entstehe, hiebei
aber den Lippowanem Trunksucht vorwerfen,^ so ist der un-
lautere Grund dieses Vorwurfes genügend dargethan. Da die
Gutsherrschaften aus der Propination bedeutende Vortheile
zogen, so strebten sie darnach, gerade in den wohlhabenden
Lippowaner-Gemeinden Wirthshäuser zu errichten, wohl doch
nicht zu dem Zwecke, um diese an Nüchternheit zu gewöhnen. "^
* Haoptbericht und Statistik über das Herzogtbura Bukowina für die Pe-
riode vom Jahre 1862—1871, 8. 101.
' Wickenhauser a. a. O, Nr. 26, S. 105 (Jahr 1784), Beilage 41 (Jahr 1802)
und Beilage 57 (Jahr 181 7). Im Jahre 1802 gab es darnach in Klimoutz selbst
noch kein Wirthshaus ; da aber das KreLsamt entschied, dass die Errichtung
eines ,Branntweinhauses* dem Pächter unbenommen bleibe, so hatte bereits
im Jahre 1804 das Dorf eine Schänke aufzuweisen (Beilage 45).
^ Beilagen 5 (Jahr 1783), und 44 (Jahr 1804).
* Beilage 48.
^ Beilage 89.
* Beilagen 48 und 89.
^ Vor wenigen Monaten hat sich etwas ganz Aehnliches in der Bukowina
zugetragen. Zufolge der Predigten des in dem Jahre 1893/94 aufge-
tretenen Bauempropheten gegen den Branntweingenuss schworen ganze
304
Mag auch immerhin in der Bukowina nicht derartiger Unfiig
geherrscht haben wie in Galizien, wo die Unterthanen mitunter
gezwungen wurden, bestimmte Quantitäten Branntwein zu ver-
brauchen,* so hat doch s6hon Kaiser Joseph 11. im Jahre 1783
gegen die ,Verarrendierung der Unterthanen' Verordnungen
erlassen.* Uebersehen darf man übrigens nicht den Umstand,
dass die zweite erwähnte Anklage gegen die Lippowaner ge-
rade zu derselben Zeit laut wird, da das Consistorium und das
Kreisamt die Nüchternheit derselben constatierten. * Dement-
sprechend haben die Lippowaner von Hliboka im Jahre 1804
ihre Bitte, dass kein Wirthshaus in ihrer Gemeinde eröfihet
werde, mit der Bemerkung motiviert, ,weil dadurch die meisten
jungen Leute zu Liederlichkeiten, Ausschweifungen und bösen
Handlungen angeleitet werden, welches ihre ReUgion unmög-
lich leiden kann^ * Nach einem Berichte * vom 14. Januar 1843
sollen dann die Lippowaner ihr Widersti'eben gegen die Er-
Geraeinden den Branntwein ab und vergruben denselben. Die Artikel,
welche darüber gewisse Tagesblätter brachten, bilden ein Gegenstück zu den
Klagen unserer Dominien. Man vergleiche Ka in dl, Der Prophet (Münchener
Allgemeine Zeitung 1894, Nr. 254) und derselbe im ,Globn8* B. 69 Nr. 5.
^ Vergl. Kaindl, Kleine Studien, S. 42, woselbst die rnthenische Volks-
überlieferung vom ,Juden Selman*, dem galizischen ,Jud Süss', auf ihre
historische Grundlage geprüft wird. Es genügt übrigens ein Durch-
blättern der Pille raschen Gesetzsammlung, um sich über die traurigen
Verhältnisse in Galizien zu belehren. So findet man z. B. eine Ver-
ordnung vom Jahre 1775: ,Da der hierländische Unterthan verschiedent-
lich gezwungen wird, ein von den jüdischen Pächtern willkürlich
bestimmtes Quantum Branntwein abzunehmen, so wollen wir* u. s. w.
Ganz ähnliche Verordnungen sind auch in dem Robotpatente Kaiser
Josephs vom 16. Juni 1786 enthalten. So heisst es daselbst im §. 68:
,Den Obrigkeiten wird ferner nicht mehr gestattet, an christlichen Kirch -
weihen oder jüdischen Feiertagen den allgemeinen Ausschank zu ver-
bieten und denselben einem einzigen Schanker einzuräumen, welcher
bei dieser Gelegenheit die Preise zu erhöhen oder der Gemeinde eine
gewisse Menge des Getränkes aufzudringen sich für berechtigt hielt.*
Und im nächsten Paragraph wird verordnet: ,Die Unterthanen können zur
Zeit der Kirch weihe nicht, wie es bisher in einigen Gegenden g^cheheu,
mit zehn und mehreren Quart Branntwein belegt und zur Zahlung eines
polnischen Gulden . . . verhalten werden.*
* Polek, Kaiser Josephs II. Reisen, S. 62.
3 Vergl. oben S. 302.
* Beilage 44.
« Beilage 89.
305
richtang eines Wirthshauses auch durch ihre Abneigung gegen
das Znsammenkommen mit Andersgläubigen begründet haben,
worauf übrigens schon eine Stelle in einem Schreiben Enzen-
bei^'s vom 31. October 1783 hindeutet* Die Gutsobrigkeiten
versuchten daher auch den Umstand, dass Lippowaner ,in den
Städten ohne eine Auswahl der Individuen, nämlich in Oe-
seUschaft allerhand Olaubensgenossen zechend' gesehen werden,
za ihren Gunsten auszunützen, um damit den ,Vorwand' der
Lippowaner zu entkräftigen, dass sie wegen der durch ihre
Religion verbotenen ,Vermi8chung mit anderen Glaubensge-
nossen' die Errichtung eines Wirthshauses hintanhalten. ' Eben-
so ungerecht wie der Vorwurf der Trunksucht und sicher ver-
allgemeinert sind die Klagen, dass die Lippowaner zu Raub,
Hord, Diebstahl, Betrügereien und zum Schuldenmachen ^ ge-
neigt seien; zu derartigen harten Bemerkungen sind die Be-
torden durch den Widerstand, welchen die Lippowaner ihnen
bei der Durchführung mannigfaltiger administrativer Massregehi
entgegensetzten, gereizt worden. Begründeter mag der Vor-
warf gewesen sein, dass sie Schwärzer waren ;^ es ist nämlich
anzweifelhaft, dass sie oft, zumeist um ihre Priester aufzu-
machen, ohne Pässe die Grenzen passierten, und hiebei dtlrften
allenfalls auch Zollunterschleife stattgefunden haben.
?• Anders verhält es sich mit einer Reihe von Beschwer-
den gegen die Lippowaner, welche diese bis in die Sechziger-
jthre dieses Jahrhunderts^ des Widerstandes gegen die mo-
dernen administrativen und gesundheitlichen Anordnungen
zeihen. Die Erklärung dieser Erscheinung ist in einem Be-
richte des Mandatariats in Hadikfalva treffend mit folgenden
Worten gegeben : ^ ,Im ersten Augenblicke einer Anordnung
' Beilage 5.
* Beilage 89.
' Beilagen 81, 89 und 95, auch 74.
* Beilagen 81 und 89; ferner auch Beilage 96.
^ Noch im Jahre 1868 recurierten die Lippowaner gegen die Matriken-
filhrung, die Kuhpockenimpfung, die Eidablegung u. dgl. Den Wortlaut
der betreffenden Eingabe bietet Dan a. a. O., S. 22 ff. Vergl. oben S. 299.
* Beilage 95.
306
von was immer ftlr einer Beschaffenheit erwarte man ja nicht den un-
bedingten Gehorsam^ weil es dieser im Nationalcharakter von Ai^-
wohn und Vorurtheil begleiteten Secte^ die übrigens zweihun-
dert Jahre noch zurücklebt, eingefleischt ist, dass man sie im
neuern Zeitalter um ihre Privilegialrechte bringen wolle/ That-
sächlich ist es das Festhalten am Hergebrachten, das die Lippo-
waner jedem Fortschritte abhold zeigte. Die Abneigung^ g^en
die durch den russischen Patriarchen Nikon im 17. Jahrhundert
verbesserten Kirchenbücher hatte ihre Trennung von der
griechisch-orientalischen Kirche hervorgerufen; ihre Abneigung
gegen das Tabakrauchen, vielleicht auch gegen den Genußs
des Thees und Kaffees, ebenso das Verbot, italienischen Gesang
anzuhören, Oelbilder zu benützen, die Leichen zu secieren
oder zu balsamieren, sind aus demselben Grunde leicht erklärlich;
desgleichen das Gesetz, keine deutschen Kleider zu tragen;
deshalb halten die Lippowaner fast ausschliessUch an ihrer
alten russischen Tracht fest, den lang herabfallenden Röcken,
dem langen Kopfhaare und dem ungeschnittenen Bart, wie sie
noch immer sich eines der russischen Kibitka ähnlichen Wagens
bedienen. Ebenso konnten sie sich nicht mit neueren admini-
strativen und sanitären Einrichtungen befreunden, ja sie be-
ti*achteten dieselben geradezu als Sünde. Aber auch der Arg-
wohn gegenüber den Behörden, von welchen der obige Be-
richt Erwähnung macht, wird sie gegen diese Neuerungen
gestimmt haben. Leider haben thatsächlich die Behörden nicht
immer Alles vermieden, was das Misstrauen dieser Ansiedler
wachrufen konnte. So gesteht das oben genannte Mandatariat
in einem Berichte vom 20. September 1844' selbst ein, ,einen
vertrauten geheimen Observator aus ihrer (d. i. der Lippo-
waner) Mitte gewählt zu haben, der jeden Umtrieb zur Kennt-
niss zu bringen hatte. Leider nur einmal ist dieser Versuch
gelungen. . . . Seitdem war jeder Versuch vergeblich, und der
Gefertigte sah nicht einmal seinen Vertrauten mehr, welcher
zuverlässig seine Redlichkeit hart büssen musste.' Es ist selbst-
verständlich, dass derartige Missgriffe der Obrigkeiten dieselben
um das Vertrauen der Lippowaner bringen mussten; überdies
» Ueber das Folgende vergl. die 8. 237, Anna. 1 eitierten Schriften, ferner
einielne unserer Beilagen, besonders 86.
* Beilage OB.
807
mosste die drückende Lage der Nationalnnterthanen ein steter
Sporn fÄr diese Ansiedler sein, auf das ihnen verliehene Pri-
vilegium gestützt; oft freilich in übermässiger Weise ihre Sonder-
stellung hervorzukehren. Die Obrigkeit machte übrigens keine
Hehl daraus, dass es ihr darum zu thun war, unterthänige
Lippowaner-Gemeinden zu besitzen.^ Diese fleissigen und ge-
schickten Leute hätten allenfalls einen reicheren Ertrag ge-
boten als die durch langjährige Bedrückung herabgekommene
altansässige Bevölkerung.
Frühzeitig begegnet uns vor Allem das Widerstreben der
Lippowaner gegen das Zusammensiedeln mit Anders-
gläubigen. Enzenberg bemerkt schon in einem Schreiben
vom 19. October 1783,* dass die Lippowaner für sich Gemeinden
bilden wollen. Ebenso sagt er am 27. October 1783: ,Die8e
griechischen Lippowaner werden sich niemals aber mit Moldauern
antermischt ansiedeln, weil das ihrer Lebensart und Gewohn-
heit entgegen ist.'^ Noch deutlicher drückt er sich in einem
Berichte vom 31. October desselben Jahres aus:* ,Sie ver-
langten auch die Zusicherung, dass sie nicht vermischt, sondern
dorfischaftenweise beisammen wohnen könnten, ohne aber ein
Wirthshaos zu halten; was ihnen zugestanden wurde.^ Eben-
so berichtet Enzenberg am 12. November desselben Jahres,
dass diejenigen Lippowaner, welche aus dem Kreise Herleu
in der Moldau einzuwandern die Absicht hätten, ,allein sein und
sich nicht mit Anderen vermischen, sondern nur ganze Ort-
schaften ausmachen wollend ^ Diese zurückweisende Haltung
der Lippowaner gegen Andersgläubige wurde schon Enzenberg
unbequem, weil er die Einwanderer nicht in bereits bestehende
Ortschaften vertheilen konnte. ^ Auch gegenwärtig sollen streng-
gläubige Lippowaner das Beten und Essen mit Andersgläubigen
an demselben Orte vermeiden, ja ein Trinkgefäss oder eine
Bank, welche ein Fremder benützte, erscheinen ihnen schon
als unrein; sie halten deshalb flir Fremdenbesuche einen
Teppich bereit, mit dem sie die dem Gaste angebotene Bank
' BeiUge 98.
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 13, 8. 90.
' Beilage 4.
* Beilage 5.
* Beilage 10.
* Beilagen 4 und 5, ferner auch 10.
308
bedecken^ tun dieselbe nach dem Fortgehen des Fremden nicht
scheuem zu müssen. In den Städten^ besonders in Suczawa^
sieht man allenfalls die Lippowaner oft auch schon in den
Wirthshäusem mit Andersgläubigen zechen. Wie mit der Ab-
neigung gegen das Zusammenwohnen mit Andersgläubigen das
Widerstreben gegen die Errichtung von Wirthshäusem in ihren
Gemeinden im Zusammenhange steht^ ist schon oben berührt
worden. ^
Mit besonderem Nachdrucke betonen die Behörden wieder-
holt den Umstand^ dass die Lippowaner keine Matriken (6e-
burts-, Trauungs- und Sterbebücher) fUhren wollten.* Ob die
Lippowaner hiezu durch ihre religiösen Anschauungen veran-
lasst worden sind^ ist zweifelhaft; wenigstens haben sie es selbst
zugestanden^ dass sie bereit seien^ Matriken zu führen^ sobald
durch die Bewilligung des Bischofs und des Klosters ihre geist-
lichen Verhältnisse geordnet sein würden. * Auch wissen wir aus
ämtlichen Berichten/ dass die Familienväter in ihren Andachts-
bttchem Tauf-^ Trauungs- und Begräbnissacten ftlhrten und die
von den Kirchensängern (Daskals) und den aus der Fremde
berufenen Geistlichen verrichteten Functionen vormerkten,
welche Aufzeichnungen dann bei den Conscriptionen vorge-
zeigt wurden. Es scheint also thatsächlich mehr der Mangel
an einer geeigneten Centralbehörde im Dorfe als religiöse Be-
denken eine geregelte Matrikenftihrung hintangehalten zu haben.
Andererseits haben aber die Obrigkeiten, und zwar wohl mit
Recht, dieses Widerstreben der Lippowaner durch den Umstand
erklärt, dass sie den Behörden keine Hilfsmittel an die Hand
geben wollten, ihre Zahl zu controlieren. Schon Enzenberg
lässt merken, dass die Lippowaner von Klimoutz ihre Anzahl
zu verhehlen suchten, * und aus einer Verhandlung ddo. 23. März
1790 geht es hervor, dass sie die Conscriptionsnummem an
ihren Häusern nicht duldeten, indem sie religiöse Gebräuche
und Eigenthümlichkeiten vorschützten.^ Der Zweck, welchen
die Lippowaner durch diesen Vorgang verfolgten, war nach
^ Siehe oben S. 305.
^ Beilagen 81—86, 89, 95, 98 und 99, ferner Dan a. a. O., 8. 17.
» Vergl. oben S. 297.
* Beilagen 92 nnd 93.
» Vergl. oben S. 278.
* Cfemowitzer Zeitung 1868, Nr. 95.
309
den ÄDgaben der Behörden doppelter Art. Sie suchten sich
faiednrch gegen die mit der Vermehrung der FamiUen ver-
bundene Steigerung der Urbarialschuldigkeiten zu schützen^
andererseits die von ihnen unbefugter Weise in ihre Mitte auf-
genommenen neu zugewanderten Lippowaner oder Uppowani-
aerten Fremdlinge zu decken. ^ Durch den letzteren Vorgang
wurde einerseits die Absicht, eine unterthänige Lippowaner-
Qemeinde zu begründen, vereitelt, * und andererseits wuchs die
Zahl der Privilegierten, da die durch den Vorrechtsbrief vom
Jahre 1783 gewährleisteten Rechte auch auf diese insgeheim
Angesiedelten Anwendung fanden. Die Berichte der Behörden
schildern in grellen Farben diese Missstände. ' Sie weisen dar-
auf hin, dass die Lippowaner aus den benachbarten wehr-
pflichtigen Gemeinden Jünglinge aufnehmen und diese lippo-
wanisieren, femer würden von ihnen fremde Einwanderer auf-
genommen; hiedurch würde die Grundzerstückelimg immer
weiter getrieben. Die Zahl der FamiUen könnte nicht festge-
stellt werden und daher auch die Urbarialbeschreibung nicht
ordnungsmässig erfolgen. Als hierauf die Lippowaner auch nach
der gesetzlichen Bestätigung des Klosters keine Matriken führten,
wurde im Jahre 1860 (?) auf ihre Kosten ein hiezu bestimmter
Beamter bestellt; da demselben Fontina alba zum Wohnsitze
bestimmt wurde, machten die Lippowaner Anstalten, die Re-
sidenz des Metropoliten nach der Türkei zu verlegen, wozu es
jedoch nicht kam.^
Die Auftiahme von Fremden hängt mit einer anderen
schwachen Seite der Lippowaner zusammen, nämlich ihrem
Proselytenmachen. Dieses gelang ihnen umsomehr, als sie
durch besondere Rechte vor den anderen Einwohnern ausge-
zeichnet waren. Schon zur Zeit ihrer Einwanderung finden
sich übrigens unter ihnen manche Fremdlinge, so z. B. der oft
genannte Alexander Alexiewicz, der von Geburt ein Kalmük
* Da» thatoächlich zahlreiche Fremde in den Lippowaner-Colonien unbe-
fugter Weise Aufnahme fanden, geht einerseits aus dem raschen An-
wachsen derselben hervor, dann aber aus speciellen Ausweisen. Man
vergleiche z. B. Beilage 92 und 98.
* Beilage 98: vergl. auch oben S. 307.
' Beilagen 81, 89, 95, 98 und 99.
* Dan a.a. O., 8. 26 nach Melchisedek. Vergl. oben S. 299f.
310
war und erst seit seinem achten Jahre den Altgläubigen ange-
hörte, * ebenso sein Geftlhrte Larion, der ein Armenier gewesen
sein soll.* Aus dem Jahre 1829 liegen Klagen des Bukowiner
Consistoriums vor, dass die Lippowaner nicht allein Ruthenen
und Rumänen, sondern auch Deutsche in ihre Mitte auf-
nehmen.» Wie die Lippowaner hiebei verfuhren, erfahren wir
aus zwei späteren Berichten. In einem derselben (1841/42)
heisst es,^ dass sie ,Alle, welche von einem anderen Qlauben
sich zu ihnen wandten und die noch nicht nach dem beim
griechisch -nichtunierten Ritus üblichen Brauche des Unter-
tauchens getauft worden sind, wiedertaufen^ Aus diesem
Umstände erklärt es sich, dass die Lippowaner, wie wir oben
gesehen haben, als Wiedertäufer (Mennoniten) betrachtet wur-
den, besonders da sie wie diese auch den Eid und den Krieg
verabscheuten. Li einem anderen Berichte (1843) wird femer
Folgendes mitgetheilt:^ ,Die Bewohner dieser Gemeinden be-
dienen sich meist eingeschlichener Fremdlinge, die sich dann
nach Lippowaner- Art verkleiden, den Bart wachsen lassen und
unkennbar werden, bei ihren häuslichen Verrichtungen, und
unter angenommenen moskowitisch klingenden Namen, auch bei
auswärtigen im Gedinge übernommenen Arbeiten oder sonstigen
Unternehmungen als Lohn oder als Dankbarkeit für den gelei-
steten verbotenen Unterstand.^ Noch in jüngster Zeit (1891) er-
eignete es sich,^ dass ein Lippowaner aus Klimoutz mit Wissen
seiner Eltern die Enkelin des jüdischen Grossgrundbesitzers
daselbst entfUhrte und sich mit derselben, nachdem sie im
Kloster Fontina alba getauft worden war, vermählte. Die Be-
wohner des Dorfes traten für das junge Ehepaar ein, und die
Verwandten der Frau mussten schliesslich nachgeben. Uebrigens
ist einer der eifingsten Verfechter der altgläubigen Seete,
A. W. M. Karlowicz, welcher das mehrbändige Werk ,Hi8to-
rische Forschungen zur Rechtfertigung der Altgläubigen in
Russland' herausgab,^ seiner eigenen Angabe nach ebenfalls
* Wickenhauser, Molda V, 2, Nr. 26, S. 101.
> Goehlert a. a. O., S. 479f.
' Worobkiewicz a. a. O. (vergl. S. 237, Anm. 1), S. 469. Anna. 1.
^ Beilage 88.
<^ Beilage 89.
• Verjrl. Kaindl, Kleine Studien, R. 27.
"* Vergl. S. 287, Anm. 1.
311
ein Israelit. Feraer ist zu bemerken^ dass auch gegenwärtig
bei reichen Lippowanem bedienstete Ruthenen zur altgläubigen
Lehre übertreten und Lippowanerinnen heiraten. Anderer-
seits kommt es freilieh auch vor, dass Altgläubige zur ortho-
doxen griechisch-orientalischen Lehre übertreten; ja in EUmoutz
besteht jetzt geradezu eine orthodoxe Gemeinde neben der
Altgläubigen. ^ Einzelne Uebertritte von Lippowanem zum
griechisch-orientalischen Glauben sind schon seit den Vierziger-
jahren dieses Jahrhunderts vorgekommen. Später begann sich
diese Erscheinung besondei*s bei den priesterlosen Lippowanem
XU häufen. Im Jahre 1871 baten bereits zehn Lippowaner aus
RUmoutz den damaligen griechisch - orientalischen Bischof in
Czemowitz Eugen Hakman, er möge sie in den Schooss der
orthodoxen Kirche aufnehmen und einen aus ihrer Mitte zum
Priester weihen, flir den sie bereits auch Felder bestimmt
hätten. Da der Bischof dieser Bitte nicht willfahren konnte,
so zerschlug sich zunächst die Angelegenheit. Erst sechs Jahre
später wiederholten die Lippowaner ihr Gesuch beim Erzbischof
Teoktist Blazewicz. Unter der Bedingung eines förmlichen
üebertrittes wurde ihnen ihre Bitte nunmehr bewilligt und in
den Jahren 1878 und 1879 fiir sie ein Priester geweiht. Seit-
her besteht in Klimoutz, wie bereits erwähnt wurde, eine ortho-
doxe Gemeinde. Dieselbe verfügt auch über ein Kirchlein, das
ebenfalls im Jahre 1879 geweiht worden ist.
Wie wenigstens theilweise der Mangel an Matriken, so
hängen auch andere Missstände mit dem Mangel an Priestern
zusammen, so z. B. das Einschwärzen von Priestern*
jtief aus Russland^ ,mit Umgehung aller Grenz- und Sanitäts-
Torschriften', und die von den Lippowanem den Klagen der
Behörden' gegenüber selbst zugestandenen Missstände in der
Seelsorge.* In ihrem Hofrecurse um Belassung des Mönchs-
klosters in Fontina alba bemerken nämUch die Mönche Olympi
imd Paul, dass oft Kinder sterben, bevor sie getauft würden,
und erwachsene Leute vom Tode hingerafft würden, bevor sie
die letzte Oelung erhalten. Wie in demselben Recurse deutUch
dargethan wird, trifft aber die Schuld dieser Missstände nicht
^ I>araber ist zu yergleichen Dan a. a. O., S. 28 f.
* Beilagen 89, 98.
' Beilagen 81, 89 und 99.
* Beilage 90.
312
die Lippowaner allein; der Grund des Mangels an Priestern,
der den Behörden ,wie viele ihrer Religionsgebräuche als ein
Geheimniss' erschien,* ist in demselben deutUch erklärt* An-
dererseits scheinen doch wohl manche Berichte zu übertreiben.
So heisst es z. B. in einem Schriftstücke vom Jahre 1843,^
dass die Meisten im Concubinate leben^ weil sie nicht von
Priestern getraut werden könnten. Offenbar nahm man bei
diesen und ähnlichen Klagen nicht darauf Rücksicht^ dass die
altgläubigen Klimoutzer Lippowaner, wie später auch die von
ihnen stammenden in Mihodra^ wohl Mönche und Nonnen,^ aber
keinen Priesterstand besitzen, weil sie den priesterlosen Lippo-
wanem (bezpopowscina) angehören, bei denen die Stelle der
Priester nichlgeweihte Vorsteher (nastawnik) vertreten. Von
Priestermangel konnte also eigentlich nur die Rede sein in den
Gemeinden Mitoka, Fontina alba und dem aus letzterer Gre-
meinde hervorgegangenen Lippoweni-Kossowanka.
Mit grosser Hartnäckigkeit haben die Lippowaner auch
der Einführung der Impfung widerstrebt. Schon den ersten
Versuchen zu Anfang dieses Jahrhunderts setzten sie den
heftigsten Widerstand entgegen. Wir haben hierauf schon oben
S. 282 verwiesen; auch in Berichten aus den Jahren 1835,
femer 1843 und 1844^ wird von der Abneigung der Lippo-
waner gegen diese sanitäre Massregel Mittheilung gemacht.
Der letzte dieser Berichte enthält wieder ein Beispiel jener un-
vorsichtigen Aeusserungen der Obrigkeiten, welche ihnen das
Vertrauen der Lippowaner raubten. Es heisst daselbst: ,Der
Schlag der Menschen würde, sobald die Impfung eingeftlhrt
wäre, schön sein und — man hätte tüchtige Recruten zur Aus-
wahl.' Man kann sich leicht vorstellen, wie diese unvorsichtige
Zusammenstellung der Impfung mit der verabscheuten Recm-
tierung — sobald sie den Lippowanem bewusst wurde — auch
die erstere in Misscredit stellte; der hauptsächlichste Orund
der Voreingenommenheit gegen die Impfung wird aber allen-
^ Beilage S9.
• Vergl. oben S. 297.
^ Beilage 89.
* Schon 1821 wird eine ,Calagerwohnung' in Klimoutz erw&hnt (Beil. 63).
Die Bestätigung erfolgte im Jahre 1859 (Dan a. a. O. 26 und 28). lieber
die Priester von Fontina s. 8. 297, von Mitoka S. 270 Anm. 8.
^ Beilage 81, 89, 96 und 98.
313
tÄlls die allgemeine Abneigung der Lippowaner gegen jede
Xenerung gewesen sein; sie selbst sagten noch 1858, die Re-
ligion verbiete ihnen jede Blutvermischung mit thierischen
Stoffen. ^ Der modernen Arzneikunst trauten sie aber ganz be-
sonders wenig.* So wird in einem Berichte vom Jahre 1844
Folgendes gesagt: ^ Sie suchen jede Epidemie unter Menschen
and Thieren durch Verschweigen zu unterdrücken, damit ja
kein Arzt ihre Behausung betrete, weil sie im Wahne leben,
der Arzt sei kein Kunstverständiger und zur Linderung körper-
licher Leiden berufenes Individuum^ sondern ein Wesen, dem
sie eine ausserordentliche böse Kraft zumuthen, die auf keinen
Rechtgläubigen wirken kann^
Femer wurde den Lippowanem zum Vorwurfe gemacht,
dass sie keine Friedhöfe hatten, sondern ihre Todten in
GÄrten, Gräben und anderen Orten ,verscharrten^;* sie Hessen
Dicht zu, dass ihr Vieh mit dem Brenneisen bezeichnet würde,**
wie sie überhaupt auch der Vi eh beschau widerstrebten.^ Von
dem Dienste in den Grenzczerdaken suchten sie — wie schon
oben außgeflihii; wurde — schon am Anfange des Jahrhunderts
sich freizumachen, und auch in den Jahren 1843, 1844 und 1845
machte man ihnen denselben Vorwurf, wobei besonders auch
die Klage erhoben wurde, dass sie selbst als ,bekannte Schwärzer
ein besonderes Augenmerk verdienten'.''
üeber das Widerstreben der Lippowaner gegen den Mi-
litärdienst ist schon oben ausführlich gehandelt worden. Es
ist auch bereits darauf hingewiesen worden, dass seit der
Einfährung der allgemeinen Wehrpflicht in dem Jahre 1868/69
die Anzahl der Lippowaner im starken Rückschritte begrifl*en
war. Dies ergibt sich am besten aus der Betrachtung der im
Folgenden zusammengestellten Gesammtzifl*ern der Lippowaner
fär eine Reihe von Jahren:® 1784: 73 Familien oder etwa
* Vergl. oben 8. 299.
' Beilage 81, 89 und 95.
' Beilage 95.
* Beilagen 81, 89 und 99.
^ Beilagen 89 und 95.
' Beilage 99.
^ Beilagen 89, 95, 98 und 99.
' Vergl. fiber die folgenden Zahlen, wo nicht anders bemerkt, Polek,
Die Lippowaner-Colonien, Q. 12.
i^^. LXXXIII. Bd. II. Hftlfte. 21
314
350— 400 Köpfe; 1844: 1813;^ 1847: 2000; 1852: 2645; 1857:
2939; 1863: 2942; 1869: 2928; 1880: 2801; 1890: 3213.« Aus
dem Vergleiche der letzten Zahlen ist es ersichtlich, dass die
Zahl der Lippowaner wieder im Steigen begriffen ist; sie
haben sich offenbar mit dem Wehrgesetze versöhnt, ins-
besondere da ihnen über ihr Einschreiten schon durch die
kaiserliche EntSchliessung vom 31. August 1869 zugestanden
worden war, dass sie nicht als Combattanten verwendet
werden sollten. Mehr hatten die Lippowaner auch durch eine
im Jahre 1870 an den Reichsrath gerichtete Petition nicht er-
reicht. '
Ueber die Eid Verweigerung ist schon oben gehandelt
worden (S. 266, 282 und 299); auch gegenwärtig schwören die
Lippowaner nicht.
3. Am Schlüsse unserer Mittheilungen möge es noch ge-
stattet sein, einen Blick auf die Beschäftigung der Lippowaner
zu werfen. Ihres allzeit anerkannten Fleisses ist bereits oben
Erwähnung geschehen. Die Lippowaner vom schwarzen Meere
scheinen besonders zur Schiffahrt und zum Fischfang Vorliebe
gehabt zu haben. ,Da sie sich von ihrer ersten Jugend an —
berichteten ihre Gesandten Enzenberg* — der Schiffahrt ge-
widmet und alle Arten Fahrzeuge zu erbauen gelernt haben,
so wollen sie sich vorzüglich an der Donau oder an einem son-
stigen schiffbaren Strome ansiedeln; doch gäbe es auch viele,
welche sich bloss dem Ackerbaue und dem Gewerbe, das ein
jeder von ihnen erlernen müsse, widmen und in der Bukowina
ansiedeln wollen.* Mit diesen Bemerkungen hängt die bereits oben
erwähnte Absicht zusammen, die Ansiedelung der Lippowaner
auch nach Ungarn, insbesondere in das Banat zu leiten. Auch als
Enzenberg die Lippowaner in Hliboka im Juni 1784 aufsuchte,
hatten die ledigen keine Ackergeräthe, ,indem sie gesinnt
waren, sich blos mit dem Fischfange, es sei, wo es wolle, zu
^ Beilage 92.
^ SaDitätsbericht der Bukowina fOr das Jabr 1891, S. 140.
^ Vergl. darüber Polek a. a. O., S. 9 f., femer das in dieser Arbeit öfters
genannte ^Promeuioria znr Petition der Lippowaner*, s. S. 245 Anm. 1.
* Wickenbauser, Molda V, 2, Nr. 13, S. 88f.
315
t
ernähren/ * Von dieser Absicht müssen die Ansiedler jedoch
bald abgekommen sein^ da dieselbe an ihrem Ansiedelungs-
orte sich nicht verwirklichen liess. Ihr Streben war fortan,
wie wir wissen, auf stetige Vermehrung ihrer Felder und
Wiesen gerichtet; Ackerbau und Viehzucht wurden neben
einigen Gewerben ihre Hauptbeschäftigung. Von den in Mitoka
angesiedelten Lippowanern bemerkt Enzenberg am 6. October
1783, dass sie vom Kloster als Teichgräber, Seiler und Obst-
Eüchter angesiedelt wurden.' Als Enzenberg im Juni des
folgenden Jahres die Lippowaner-Ansiedelung in Hliboka be-
suchte, besassen die dort angesiedelten 22 Familien 40 Pferde
und 17 Stück grosses und kleines Rindvieh; ^ sie klagten, dass
ihnen auf der langwierigen Reise viele Viehstücke umgekommen
seien, und Enzenberg sah sich veranlasst, ihnen 175 Gulden
zinsfrei zur Anschaffung von Vieh und Geräthschaften vorzu-
schiessen. Daneben beschäftigten sie sich aber schon damals
mit der Herstellung von allerlei Holzarbeiten, Seilen und Leder-
werk; um ihnen den Absatz dieser Waaren zu erleichtern, ge-
währte ihnen Enzenberg das Vorrecht, dass am Markttage
(jeden Donnerstag) ihre nach Suczawa mit Holzarbeiten, Seilen
and Lederwerk fahrenden Fuhren mauthfrei seien.* Hieraus ist
ersichtlich, dass die Lippowaner mit ihren Erzeugnissen offenbar
einen lebhaften Handel trieben. Als diese Lippowaner nach
Fontina alba übersiedelten, betrieben sie — wie aus einer Klage
aus dem Jahre 1795 hervorgeht ^ — zumeist Seilerei. Um den
Hanf und Flachs zu rösten, hatten sie auf der Tarnauka so-
fort einen Teich angelegt. Aehnliches gilt von den Bewohnern
von Klimoutz und Dragomirna. Von den Klimoutzern bemerkt
Enzenberg im Jahre 1784, dass sie ,nebst gut bestelltem Feld-
bau auch Holz-, Hanf- und Flachserzeugung und das hier-
lands sehr gut absetzbare Leinöl habend ^ Daraus geht her-
vor, dass die Lippowaner hier vorzüglich Hanf und Flachs
bauten. Im Jahre 1787 kam es daher zwischen den KKmoutzem
und ihrer Grundobrigkeit zu einem Streite wegen des Hanf-
> Ebenda Nr. 26, S. 101.
* Vergl. oben S. 239.
* Wickenhauser a. a. O., S. 103.
* Ebenda S. 104 und Beilage 27 S. 106.
^ Beilage 36.
* Wickenhauser a. a. O., S. 104.
21*
316
und Flachszehents. ^ Nach den üblichen Urbarialsatzungen hatte
nämlich jeder Unterthan, welcher ,seinem Grundherrn das so-
genannte Gespunstgam mit 15 kr. in Geld bezahlte ^ weder
vom Hanf, noch vom Flachs einen Zehent in natura zu geben*.*
Da nun aber ,diese Nation den Hanf- und Flachsbau zu ihrem
Hauptanbau und Nahrungsbetrieb machte, folgUch sehr wenig
andere Früchte anbaute', wurde hiedurch die Herrschaft ,an
dem Zehentgefillle mit der Reluition per 15 kr. verkürzt'.
Vielleicht lag gerade darin die Berechnung der Lippowaner;
sie machten sich die gesetzlich bestimmte geringe Reluition für
die Hanf- und Flachsproduction zu Nutzen und betrieben nur
diese; wenigstens scheint später, als sie ihre Schuldigkeiten
reluiert hatten, der Flachsbau bei Weitem nicht so im Schwünge
gewesen zu sein. Die Herrschaft, durch die Lippowaner ge-
schädigt, suchte nach einem Mittel, um ihrerseits die Lippo-
waner zu übervortheilen und erklärte, dass jene Reluition nur
von dem Hanfe gelte; vom Flachse hob sie dagegen be-
sonders den Zehent ein. Da legte sich aber das Kreisamt ins
Mittel und befahl dem Dominium, den eingehobenen Flachs-
zehent zurückzustellen, dagegen stünde es ihm frei, durch
gütlichen Vertrag die Lippowaner ,wegen des stärkeren und
sonst im Lande nicht gewöhnlichen Hanf- und Flachsbaues' zu
einer höheren Reluition zu bewegen oder — was den Grund-
herren freistand — statt der Reluition den Zehent in natura
zu fordern. Dass die Klimoutzer mit ihren Seilerwaren einen
weit verbreiteten Handel treiben mussten, ist selbstverständlich.
Von den Lippowanem in Mitoka-Dragomima wird dies aus-
drücklich berichtet. So wird in einem Schreiben des Suczawer
Districtsdirectors Storr vom Jahre 1787 Folgendes bemerkt:^
,Der Nahrungszweig dieser Lippowaner war zumeist die Hand-
lung. Durch die Ausschliessung der Stadt Suczawa wurde ihr
Handel gänzlich gehemmt, und muthmasslich muss dieser ge-
hemmte Handel die Auswanderung zum Grunde haben.* Ein
Zusatzbericht des Kreisamtes hebt besonders scharf hervor,
dass diese Lippowaner vorzüglich Hanf- und Flachsbau be-
^ Die betreffende Urkunde werde ich in einer anderen Arbeit veröffent-
lichen.
" Vergl. oben 8. 286.
> Wickenhauser a. a. O., Nr. 29, S. 107 f.
317
trieben, so dass sie damit ihre Gründe erschöpften; ihre Er-
sengnisse haben sowohl im Inlande als über dem Grenzstriche
guten Absatz gefunden, weil es an Seilern gebrach.
Von späteren Berichten Über die Thätigkeit der Lippo-
waner mögen nur noch zwei angeführt werden; ihre Mitthei-
langen gelten auch noch für die gegenwärtigen Zustände;
Der erste ist enthalten in einem Schreiben vom Jahre 1843
des Zuczker Wirthschaftsamtes, das den Lippowanem nicht
besonders freundlich gesinnt war.^ Es lautet: ,Ist wohl ein
Theil dieser Einwohner, aber nur der ärmere, arbeitsam;
lassen sich nämlich bei Erdarbeiten, Dämmeaufftlhrung, Wasser-
abzapfung, Teichausschlämmung und dergleichen gebrauchen;
der wohlhabendere zieht aber den Handel vor, und daher kommt
es, dass ein grosser Theil derselben sich mit dem Hausieren
befasst. Der Umfang des Handels und Hausierens lässt sich
leicht aus dem abnehmen, dass die Einwohner der besagten zwei
Orte im Jahre 1840: 250, 1841: 230, 1842: 225 Reisepässe
3SU Erwerb- und Handelsangelegenheiten bei dem Hadikfalver
Cameralmandatariate behoben haben/* Und an einer anderen
Stelle desselben Berichtes wird das beständige Streben der
Lippowaner, ihre Robot zu reluieren, durch folgende Be-
merkung erläutert: ,Man ist tiberzeugt, dass diesen (den
Lippowanem) die Reluierung der Schuldigkeiten im Qelde
am so erwünschter ist, weil diese sich theils mit dem Handel,
theils mit auswärtigen Arbeiten beschäftigen und daher bei
Abarbeitung der Frohne in ihren Unternehmungen nur be-
hindert würden/
Der zweite oben erwähnte Bericht ist wahrscheinlich
Tom Kreisamte im Jahre 1844 erstattet worden.^ In dem-
selben lesen wir: ,I>iese 1966 Seelen [nämlich die Bewohner
der vier damals bestehenden Colonien Dragomirna, Elimoutz,
Fontina alba und Mihodra], welche sich mit Ackerbau, Vieh-
und Bienenzucht, Oelerzeugung, Gräbenziehen, Dammbauten
und verschiedenen Gewerben befassen und mit ihren Erzeug-
nissen, besonders aber mit Obst, einen ausgebreiteten Handel
in der Bukowina, ferner nach Galizien und der Moldau be-
* Beilage 89.
' Ueber diese Passangelegenheiten vergl. Beilage 95.
' Beilage 92.
318
treiben, gehören zu den vermöglichen Insassen der Buko-
wina/ Auch von den Mönchen in Fontina alba, deren
Kloster bekanntlich in einem grossen Obstgarten lag, wird in
demselben Berichte bemerkt, dass sie ihre Kleider und die
anderen Bedürfnisse selbst erzeugen, und dass sie sich vor-
züglich durch Handwerksarbeit ernähren.
BEILAGEN.
!• A,* 6. October 1783. — Bericht der Bukowiner MilitäiTerwaltung
[Enzenberg) an das Generalcommando in Lemberg über die Entstehung
Ton Mitoka-Dragomirna vor dem Jahre 1770; zugleich Anfrage wegen
Hnes diesen Ansiedlern zu gewährenden Popen. ^
2. A. 8. October 1783. Hofkriegsrathspräsident Hadik an den Ge-
neral-Feldwachmeister Enzenberg. — Die zwei Abgeordneten der russisch-
ältgläobigen Gemeinden, welche sich mit dem Dolmetsch Mai*tin Kowatz
wegen ihrer Niederlassung auf kaiserlich königlichen Gnind und Boden
dahier eingefunden haben, werden dermalen über Czernowitz wieder mit
«inem Pass und einem Reisegeld per 200 fl., dann 50 fl. für den Dol-
metsch und andern 50 fl. als Ersatz des an den Dolmetsch bereits von
Omen bezahlten Betrages, von hier auf die Art abgeschickt, dass sie zur
Bestreitung ihrer weiteren Auslagen ausser diesen dahier erhaltenen 300 fl.
Qoch andere 200 fl. sogleich in Czernowitz zu überkommen haben. Zur
Herüberbringung dieser Gemeinde ist die nöthige Geldaushilfe wie auch
sonst zu ihrer Unterstützung allenfalls ei-forderlicher Beistand zu leisten
and nebst den schon bemerkten Gegenständen ^ insbesondere auch über
dasjenige, was über diese Leute vorläufig in Eifahrung zu bringen ist, zu
berichten, damit zu dieser Ansiedlung Veranstaltungen getroffen werden
kennen.
S. A. 9. October 1783. Majestätsgesuch der Lippowaner-Gesandten.
— Von Hadik abgefertigt, überreichten Alexiewicz und Larianowicz am
&. October Sr. Majestät ein Bittgesuch des Inhaltes: 1 . Ob ihr Glaube ihnen
belassen wird; 2. wie lange sie Steuerfreiheit haben werden; 3. ob sie und
ihre Kindeskinder vom Soldatenleben frei sein würden; 4. welche Abgaben
^ Ueber die Bedeutung dieser der laufenden Nummer nachgesetzten Buch-
staben vgl. oben S. 236.
* Ein ausführlicher Auszug aus diesem Schriftstücke ist mitgetheilt bei
Wicken hau 8 er, Molda II, 2, S. 94. Vergl. Polek, Die Lippowaner S. 4.
Mm Schreiben vom 6. October 1783 bei Wicken hauser, Molda V, 2,
Nr. 9 (S. 85 f.).
320
und Steuern sie nach der steuerfreien Zeit zu zahlen haben werden. Sie
bitten um eigene Unterschrift aller dieser Punkte.
4. A. 27. October 1783. Enzenberg's Bericht an den Hofkriegs-
rath. — Die Bukowina soll vor Allem zu einer Grenzeinrichtung geeignet
sein. In diesem Betracht werden jederzeit die an den Grenzen liegenden
Dorfschaften und das Terrain drei oder vier Meilen rückwäi-ts, welches
meistens den Klöstern zugehöi*t, ffir die Militarisierung angetragen werden
müssen, folglich nicht wohl diese Ansiedler dahin etablieii; werden können.
Der hohen Hofstelle ist es bekannt, dass seit 1778 mehr als 13.000 Fami-
lien sich nach der Bukowina übersiedelt haben ; dessenungeachtet ist zwar
noch genug Baum yorhanden, dass noch viele tausend Familien unter-
gebracht werden können ; für ganze Dorfschaften sei aber bloss Baum in
einer Gegend, die Horaiza genannt wird, doch muss gehorsamst bemerkt
werden, dass eben diese Horaiza jene Gegend ist, wo das Bimontierungs-
gestüt, obschon auch dermal mit Nachtheil der daselbstigen Gemeinden,
sich der Grasung bedient. Diese griechischen Lippowaner werden sich
niemals aber mit Moldauern untermischt ansiedeln, weil das ihrer Lebens-
ai*t und Gewohnheit entgegen ist, ungeachtet in einer anderen Betrach-
tung es sehr nützlich wäre, weil dadurch die Moldauer zu mehr Ordnung,
ferner zu nützlicher und ergiebiger Feld- und Landwirthschaftspflege an-
geeifert werden dürften, wenn sich die Lippowaner zum Theil in die schon
bestehenden Dorfschaften ansiedeln möchten. Um diese Absicht zu er-
reichen,. würden aber merkliche Uebersiedelungen erfolgen müssen, die
aber dann den Uebersiedlern viele Kosten und empfindliche Veränderungen
in ihren schon im Gange befindlichen Wirthschaften verursachen würden.
6. A. 31. October 1783. Enzenberg's Bericht an den Hofkriegs-
rath. — Die Lippowaner können auf den Klostergütern angesiedelt wer-
den. Zur Uebernahme derselben sind aber vor Allem Wirthschaftsbeamte
nöthig. Es muss aber hiefür gesorgt werden, dass geeignete Leute dazu
kommen. Ich muss aber auch meine Schwäche bekennen, dass ich dieses
ganze Handwerk nicht verstehe. Nur auf den Kotzmaner bischöflichen
Gütern, die proaerario eingezogen worden sind, könnten 60—70 Fami-
lien mit ganzen Sessionen dotiert werden. Es sind keine Camei*algüter in
der Bukowina, mit denen man disponieren könnte. Grundherren nehmen
keine fremden Ansiedler an. Seit 1778 sind 13.000 Familien angesiedelt
worden; bei der Uebernahme bestand der Einwohnerstand aus 15.000 Fa-
milien. Larion geht von Suczawa in die Ortschaften der Lippowaner,
welche sich übersiedeln wollen, und Alexiewicz bleibt in Suczawa, um die
Ankommenden zu übernehmen und an Enzenberg zu schicken. Enzen-
berg übergab dem Larion 100 (1000?) Zettel auf einer Seite mit dem
321
Siegel des Alexiewicz, auf der anderen mit Enzenberg^s Unterschrift;
diese soll Larion den Einwanderern geben, damit dieselben solche bei der
örenze vorzeigen, um unbehindert zu passieren. Die Ansiedler werden von
Soezawa nach Czernowitz geschickt, wo sie bis zu einer Anzahl unter-
gebracht und sodann in der Bukowina angesiedelt oder mit Eowatz nach
dem Banat abgeschickt werden sollen. Alle wollten über Bossanze ein-
brechen, um sich in Suczawa bei Alexiewicz zu sammeln. Enzenberg rieth
iD, damit der Einbrach so vieler Familien kein Aufsehen mache, derselbe
m«»ge von verschiedenen Orten aus bei Bojan, Synoutz, Zuryn und Baja-
^chestie stattfinden, wo sie die Cordonposten übernehmen würden; zum
Tbeile sollen sie auf Schleichwegen, welche diesseits alle, jenseits aber
wenige bewacht sind, herüberkommen. Jetzt suchen auch die Moldauer
die Einwandening durch Landwachen zu verhindern, deshalb sollen fünf
bis höchstens sechs Familien zusammen die Grenze passieren. Ist es mög-
lich, so sollen sie an Enzenberg voraus anzeigen, wie viel und wo Fami-
lien einbrechen, damit ihre Uebersiedelung erleichtei*t werde. Es gehen
die Bussen in die Moldau, dort soll die Pest herrschen, und in Fokschany
sollen schon mehrere Leute gestorben sein. Enzenberg schickte deshalb
tinen Boten dahin, um die Wahrheit zu erforschen. Die Leute (Lippo-
luier) sind redlich, emsig und dem allgemeinen Wesen nützlich. Behufs
iker Dotiemng wäre die Einziehung der Elostergüter zu beschleunigen
and über den Unterhalt der Kaluger und die Verwaltung dieser Güter das
Erforderliche zu veranlassen. Mit den Wiener Deputieiien kamen auch
drei Deputierte der Bukowiner Lippowaner wegen des ihnen mittlerweile
bewilligten Geistlichen, worüber sie sich ungemein freuten. Sie (die
.Wiener* Deputiei'ten) verlangten auch die Zusicherung, dass sie nicht ver-
mischt, sondern dorfschaftenweise beisammen wohnen könnten, ohne aber
«in Wirthshaus zu halten ; was ihnen zugestanden wurde. Die Loszählung
dieser Leute vom Soldatenstande ist deshalb verstandlich, weil sie gar
keinen Hang hiezu von ihrer Geburt und ganzen Erziehung haben. In
Himoutz wohnen bereits 15 Familien; in Mitoka 21 Familien. An die
Lippowaner könnten die Heufelder, ferner die Gebirge der Klöster ver-
theilt werden, welche bisher die cavallarischen Rimonten benützen. Bi-
toontengestüt und Ansiedelungen können nicht neben einander bestehen ;
deshalb eines von beiden eingestellt werden müsse.
6. A. 31. October 1783. Enzenberg an den Obristwachtmeister
T. Feldt in Suczawa. — Es werden Leute von jenseits anhero über den
C^)rdon aus der Moldau, Walachei oder Türkei oder auch wo immer her-
kommen, die eben solche Bollete wie die beiliegenden aufweisen werden,
lind die nach Vorweisung derselben ohne Weiteres hereinzulassen sind.
322
Der Herr Obrist wolle demnach: 1. von diesen 20 Bolleten jeder Czerdakf
eine durch die Officiere mit der Belehrung und dem Befehle zustellen,
dass die Officiere bei öfteren Patroullierungen auf die richtige und gut«
Verwahrung dieser BoUete achten sollen; 2. die Gordonswächter sind zu
belehren, dass, wenn Leute von jenseits an die Grenze kämen und solche
Bollete vorweisen, die vorgezeigte mit der auf der Czerdake befindlichen
wohl gegen einander gehalten, und wenn beide dieser Bolleten einander
vollkommen gleich befunden werden, die Leute ohne mindesten Anstand
gleich herübergelassen und ihnen alle ungesäumte Vorschub und Beför-
derung geleistet werden sollen; 3. ist es gleich viel, ob einzelne oder auch
mehi*ere zu 50 und 60 Köpfe mit einer Bollete kommen. Sie sollen da,
wo sie ankommen, auch auf Nebenwegen hereingelassen, jedoch zugleich
an die nächste Gontumaz, Mauth oder Einbruchstation gewiesen werden.
Eine jede Czerdake muss eine derlei Bollete haben, um beurtheilen zu
können, wen sie hereinpassieren lassen können oder nicht. Wenn die Leut<?
einmal über den Gordon sind, sie mögen herkommen, woher sie wollen,
wenn sie nur ein derlei ähnliches Bollete haben, muss ihnen in Allem
hilfreiche Hand geboten werden. Diese Bollete sollen von den Cordon-
posten Niemandem vorgezeigt, überhaupt sehr im Geheimen gehalten wer-
den; auch nicht das mindeste Gerede hierüber geführt oder Aufsehen er-
regt werden.
7. A. 31. October 1783. Hofkriegsrath an das Generalcommando
in Lemberg. — Da nach dem kaiserlichen Reiseberichte getrachtet wer-
den soll, mehr Lippowaner in die Bukowina herüberzubringen, so kann
auch derjenige Pope, auf dessen Zurackbekommung in die Bukowina die
Districtsadministration nach dem Wunsche der dortigen Lippowaner mit-
telst der im Generalcommandoberichte vom 15. d. M. eingelangten Anzeige
den Antrag macht, nachdem derselbe schon vor der russischen Besetzung
der Bukowina bei den gedachten Lippowanern gewesen ist, durch die
Küssen mit allen Anderen aus der Bukowina abgeschafft worden, und als
die Lippowaner nach der diesseitigen Besitzergreifung der Bukowina da-
hin zurückgekehrt sind, in der Moldau verblieben ist, von daher wieder in
die Bukowina kommen zu lassen, keinen Anstand verursachen, wenn nicht
etwa derzeit hier unbekannte Umstände vorwalten, welche gegen ihn ein
begründetes Bedenken erwecken dürften, weil derselbe weder gleich da-
zumal, als die Russen die Bukowina verlassen und die Lippowaner ihre
vorigen Wohnorte allda bezogen haben, noch auch seither zurückgekehrt ist.
8. A. 1. November 1783. Befehl Enzenberg's für Alexander Alexie-
wicz an die Behörden in Suczawa. — Der Vorweiser dieses, Alexander
Alexiewicz, wird sich in Suczawa eine Zeitlang aufhalten, welchem von
323
Seiten des Directoriats für Bezahlung nicht nur ein Quaiiiier aufzusuchen
sßd zn erfolgen ist, sondern es sind auch demselben sowohl von der po-
litischen Behörde als auch vom Militär alle nur nöthigen Assistenzen und
Vorschub zu gewähren, und da derselbe ohnehin ein ruhiger und fried-
fertiger Mann ist, ist selber auch bei allen Gelegenheiten mit Glimpf und
oaglichster Willfährigkeit zu behandeln. Wenn jenseitige Transemigranten
iieräber- und zu diesem Alexiewicz kommen, ist derselbe in nichts zu hin-
dern, Tielmehr demselben alle diesfallig verlangte Hilfe auf besonderen
AUeriiöchsten Befehl willföhrigst zu verschaffen.
9. A. 8. November 1783. Hofkriegsrath an Enzenberg bezüglich
seines Berichtes vom 19. October 1783. — Die Begünstigungen von
St. Majestät für die Lippowaner vom schwarzen Meere im Falle ihrer
Herüberkunft sind schon bereits bekannt gegeben. Um willigen und ge-
eigneten Familien alles Nöthige zum Feldbau, zum Gewerbe und zum
Handel (wo Gelegenheit dazu ist) zu bieten, muss die Landesverwaltung
lie Vorbereitungen hiezu treffen, dass sie nach ihrer Ankunft und nach
k Erklärung der Abgeordneten, im Grenzstriche bleiben zu wollen, die
^the dazu gleich bei der Hand haben, um desto geschwinder Kraft und
Vermögen der Angesiedelten nutzbar anwenden zu können. Kommen sie
Mhi oder gehen sie ins Banat, so bleiben die Vorbereitungen für andere
Ansiedler. Die neuen Ansiedler haben sich nach Allerh. Verwilligung einer
^änzigjährigen Freiheit von allen Abgaben und allen Steuern zu er-
freuen; da Enzenberg bloss drei Jahre zugesagt hat, so könnte die Landes-
Terwaltnng die Allerhöchste Gnade bei den neueren Ansiedlern in Geltung
l^ringen, damit, soweit sie bei ihrer neuen Ansiedelung Auslagen haben,
sie sich desto mehr hiezu bequemen. Den Familien, weiche ins Banat
^ehen und Geldunterstützungen nöthig haben, kann per Kopf täglich ein
Beirag von 2 Kreuzern nach dem in anderen Fällen bewilligten Ausmasse
verabreicht werden. Für die Einziehung und Verwaltung der Klostergüter
habe Enzenberg dringend zu sorgen.
10. A. 12. November 1783. Enzenberg an den Hofkriegsrath. —
Xeoerlich haben sich 100 im Zinut Herleu in der Moldau dermalen woh-
Bende, im letzten Kriege von den Bussen aus der Bukowina vertriebene,
^erzuStupka ansässig gewesene Lippowaner-Familien durch zwei De-
putierte gemeldet, um sich wieder ansässig zu machen. Sie wollen allein
^in, sich nicht mit anderen vermischen und nur ganze Ortschaften aus-
iBachen. So lange die Klöster bestehen, sei dies nicht möglich.
11. km 23. November 1783. Enzenberg an den Hofkriegsrath be-
treffs des Erlasses vom 8. November. — Er habe Befehl, jedem nach dem
Btnat Uebersiedelnden 2 Kreuzer per Se^e zu zahlen; soll aber den
324
nach dem Banat Abreisenden, die meist Weib und Kind haben, auch Vor-
spann gezahlt werden, wenn sie dieselbe nicht selbst bestreiten können?
Dem Kowatz werde er täglich 30 Kienzer bis auf weiteren Befehl verab-
reichen. Die Lippowaner- Ansiedelung wird gehemmt, so lange die geist-
lichen Güter nicht übernommen sind. Die Vorkehrungen zur Kegulierung
des Elosterwesens sind unzureichend.
13. A. 26. November 1783. Hofkriegsrath an Enzenberg. —
Der eine Deputierte, Alexander Alexiewicz, hatte in Wien eizählt, er
habe während seines Aufenthaltes in Constantinopel das Seitengewehr
vom Sultan geschenkt erhalten und habe gebeten, solches in den
hiesigen Ländern tragen zu dürfen; sonst ist dem Hofkriegsrathe
von den Kaftans und dem Seitengewehre nichts bekannt. Würde die
Uebersiedelung , besonders bei den Juden, bekannt, so würden sie
solche den moldauischen Befehlshabern um einige Ducaten verrathen,
worüber Enzenberg schon Eifahi-ung gemacht hätte. Die Districtsadmini-
stration werde, wie schon früher, auch jetzt angewiesen, Vorkehrung zu
treffen, damit diejenigen Lippowaner, welche nach ihrer Ankunft in der
Bukowina bleiben wollen, keine Hindernisse finden. Jene, welche ins
Banat oder nach Ungarn gehen wollen, sollen mit Geld und sonstigen
Erfordernissen unterstützt werden. Die Absendung der beiden Gesandten
am 1. November 1783 wird zur Kenntniss genommen, ebenso die Aus-
zahlung von 200 Gulden an dieselben. Kowatz möge in Czernowitz blei-
ben, da er angab, er habe einige Familien bei ihi-er Ankunft nach Weiss-
kirchen in das Banat zu fühi-en. Enzenberg weise dem Kowatz ein
Quartier und ein gutes, vertrautes Kosthaus an. Er möge ihm zureden,
mit Niemandem vertrauten Umgang zu haben, kein Wirthshaus zu be-
suchen und sich so viel als möglich mit Reden und Erzählungen rückzu-
halten. Se. Majestät bewilligte es, dass ihm täglich statt des begehrten
1 fl. zum Lebensunterhalte 30 ki*. so lange zu gewähren seien, bis er sich
selbst Nahrung ei-werben könnte. Die Lippowaner wollen sich nur auf
Gründen niederlassen, die keinen Privatgrundherren unterstehen, also
auf Cameralherrschaften. Sie sollen daher auf diesen gleich nach ihrem
Eintreffen wenigstens die unentbehrliche Unterkunft und dasjenige er-
halten, was zu ihrem Aufkommen in der Landwirthschaft oder in ander-
weitigem Verdienste gehört. Schon 1781 sei das Bukowiner Mauth-
inspectorat angewiesen worden, Ansiedler mit Effecten und Vieh mauthfrei
hereinzulassen, wenn ans Inspectorat hiezu eine Weisung von der Di-
strictsadministration gelangt. Betreffe der Pestgefahr werde bemerkt,
dass die Lippowaner bei der Einwanderung nicht mehr hingehalten wer-
den, als der Gesundheitsstand es unumgänglich erfordert. Deshalb soll
325
die DiBirictsadminisiration diesfalls verlässliche Nachrichten einholen.
Müssen sie aber Contumaz halten, so soll für Unterkunft, Lebensmittel
Bnd üeberwachnng gesorgt werden. Die Einwanderung in ganzen Haufen
wtrde gegen die Verträge sein, daher sei es angezeigt, die Einwanderer
kl Terschiedenen Zollämtern einzulassen.
13. A. 10. December 1783. Hofkriegsrath an Enzenberg. — Da
iie Vorgesetzten der Lippowaner in der Bukowina bereits ansässig sind,
% ist der Holzschlag für den Hänserbau auf der Horaiza im Einverständ-
mse mit den Vorgesetzten der Lippowaner unter Leitung des Oekonomen
Beck, der einen Gehalt von 500 fl. erhalten solle, anzufangen. Die bischöf-
lichen Güter sind bereits in ärarischer Administration und somit ist zur An-
siedelung Gelegenheit geboten. Es ist dahin zu ti'achten, dass auch bald die
Klostergüter ihren Verwalter und ihi* Landwii-thschaftspersonal erhalten.
. . . Mittellosen Lippowanern, welche Kinder haben, kann bei der üeber-
dedelnng nach dem Banat Vorspann unentgeltlich angewiesen werden.
14. A. Jänner (?) 1784. Bericht des Districtsdirectora Storr in
Suczawa. — Schon am 5. Jänner 1784 habe er Enzenberg angezeigt,
i^ drei Münche angekommen seien. Am 6. Jänner kam das Weib des
Äl«xiewicz mit drei Kindern und drei Pferden, dann eine Witwe mit zwei
fcdratemässigen Burschen (Burlaki) ohne Vieh und Geräthschaften vom
^Warzen Meere. Diese sagen aus, nach ihnen seien noch mehrere Lip-
povaner abgegangen ; wegen des rauhen Wetters und ihres Viehes haben
m sich Hen gekauft und wollen bei Paschkan übei*wintern und erst im
Frühjahre kommen.
15. A. 30. Jänner 1784. Enzenberg an den Hofkriegsrath. —
Enzenberg theilt mit, er habe dem Director in Suczawa die Ansiedelung
^r Lippowaner besonders empfohlen ; derselbe soll sich mit Alexiewicz,
^«r io Suczawa blieb, ins Einverständniss setzen und freundschaftlich be-
Q^Junen. Kommen Familien, so soll er sie bis zur guten Witterung unter-
^en. Den Lippowanern der Bukowina habe Enzenberg zu verstehen
!^ben, dass ihr Pope unter dem Bukowiner Bischof und unter dem Me-
^politen Yon Karlowitz stehe, worauf sie erwiderten, dass sie dies auf
^mn Fall zugeben könnten. Enzenberg suchte ihnen das auszureden;
^ sagten aber, wenn das die einwandernden Lippowaner erfahren wür-
^Q, würden sie gar nicht sich niederlassen. Sie wünschen, dass ihr Pope
^ter ihrem Bischof und Ei'zbischof in Moskau belassen werde. Enzen-
^rg bemerkt, er habe dies vorläufig auf sich beruhen lassen; doch hoffe
«r,M ihnen auszureden. Am 18. December 1788 waren sechs Lippo-
nner aus der Moldau beim Suczawer Districtsdirector, verabredeten sich
Büt den Lippowanern bei Mitoka und sagten, dass sie sämmtliche 20 Fa-
326
steßtie in der Moldan nach Abgang des Schnees nach Mi-
iQiUen ^^^ ^ 1^^ werden. Biese Kostestier wollen keinen anderen Vor-
toia übersi -y^yen Schnlzen und sind mit den ilmen von der Landes-
geseU^^ ^ wresetzten Beamten zufrieden. Sie wollen mit dem Yom
^et^^Atuii^ eingewanderten Aleiiewicz nichts gemein haben, und
sch^«^^®^ . ^ nicht rühme, dass sie hieher bloss auf sein Zureden ge-
dami^ ®^ ^\ g0 hegnügen sie sich mit drei steuerfreien Jahren, bis sie
^om^»®^ »ei© '- j^0t und ihre Wirthschaft eingerichtet haben. Diese 20 FiL-
sichHatis®^ ^ da in Dragomima schon genug Bewohner sind, in Kli-
^Wien ^^*^ X, f\ l6 Lippowaner Familien wohnen, ansiedeln. Zwischen
^o sclion
inout^« ^^ ^ippowanem und Alexiewicz ist Eifersucht entstanden,
den Btdtow ^^ Hitoka meldete dem Director in Suczawa, Alexander
Der probat' ^^ ^.^ ^^^ ^^j^ ^^^^ ^^i^ ^^^ ^^^ Bukowina schon ansässigen
A\exi®^^^^ l^l^ersiedelnden Lippowaner das Oberhaupt zu werden.
und öi^^ ^^^.ji den moldauischen Lippowanem gesagt, dass, wer
^\exie^icx ^^^ ^^^ y^^j^ melden soll; er werde sie in sein Einwände-
\ier*böt8io<*® ' ^ eintragen, wogegen er vermöge des in Händen haben-
rungs^®^®^ ^j^ 20 Jahre Steuerfreiheit verspreche. Den XJebrigen
den Pa^^ geinen Säbel vom Kaiser zum Geschenke erhalten. Diese
sagte er, er ^^jialb, mit der Zeit dennoch zum Militär genommen zu
flXrchteten ^^^^ deshalb in ihn kein Vertrauen. Der zweite Deputierte,
-werden, nn ^^ ^.^^ ^^ Alexiewicz ebenfalls entzweit und den Mi-
;Sildiot j^^m entdeckt, dass Alexiewicz den Säbel keineswegs zum
toker ijipp" , ,^jj^ ^ohl aber von jenem Gelde, welches er unterwegs
Gesehen e ^^.^j^iten, gekauft habe; daher ihn die Mitoker fftr einen
zxxm ^© Enxenberg habe dem Alexiewicz den Säbel noch tragen
X^ügner ^^ ^^^ Holdau ansässigen und die Bukowiner Lippowaner
^*®^*^' . 1 ißxiewicz nichts zu thun haben und verlangen nur drei steuer-
woUen Alexiewicz verlangt den Dolmetsch Kowatz nicht weiter.
^^^^ \h st ausschweifend und liederlich. Er hat überall, wo Bier- und
^^^ hänken sind, Balgereien angefangen, so dass ihn kein Mensch in
^®^^ nehmen wollte. Enzenberg war bemössigt, ihn zum Professor (!?),
^* ^^ te ehrlichen Mann, in die Kost zu geben, der auch auf ihn ein
^^^r bLnd'es Auge haben soU. Das nützt jedoch wenig. Enzenberg habe
beobac ^ ^^ ^^^ festgesetzten Betrag gegeben, und dessen-
ibm von ^^^ ^^ ^^^^^ ^^^^ Schulden bei Civü und Militär, so
Enzenberg tägüch von den Gläubigem überlaufen werde. Enien-
berg
nicht ^®^*^^^"^°^j^^,. Bischof und deu Carlowitzer Metropoliten nichts
hätte wegen der von Sr. Majestät zu begünstigten Lippowaner
^^^ Sorgen. Diese wollen von einer Unterordnung ihres Popen
\
i
327
Tissen. Alexiewicz* Aussagen widersprechen sich; Eowatz ist lie-
derlich.
16. A. 1*6. Februar 1784. Enzenberg an den Hofkriegsrath. —
Kowatz muss bei den Deputierten alles Zutrauen während der Beise
Ttrloren haben, da sie sich weigerten, ihn nach Suczawa mitzunehmen.
Enzenberg behielt ihn trotz seiner fiblen AufifQhrung, damit er im An-
nedelungsgeschäfte keine Hindernisse mache. Enzenberg macht Vor-
bereitungen, um Ansiedler unterzubringen und mit Gründen zu dotieren,
sobald sie eintreffen.
17. A. 25. Februar 1784. Hofkriegsrath an Enzenberg. — Die
Lippowaner können sich Popen yon ihrer Nation kommen lassen, doch
sollen solche unter dem Bukowiner Bischof stehen, nicht unter einem
auswärtigen. Vorläufig soll zwischen diesen Leuten und dem Bukowiner
Bischof bloss eine gute Harmonie hergestellt werden, damit sie nach und
Dich zur freiwiUigen Unterwerfung unter diesen Bischof herbeigezogen
Ttrden. Sobald die Lippowaner in Suczawa einlangen, hat Alexiewicz
uf die Ansiedler weiter keinen Einfluss zu üben. Mit der Zeit, wenn er
das Tragen des Seitengewehres yerwirkt, ist es ihm zu untei*sagen. Eo-
vatz ist, da er liederlich und auch nicht mehr nöthig ist, in seine Heimat
nach Ungarn zurückzuschaffen, jedoch erst bis auf weiteren Befehl, da
Eber Alles Sr. Majestät berichtet wird. Zum Häuserbaue für die Ansiedler
kt'^anen die in Suczawa vorhandenen üeberbleibsel der alten grossen
steinernen Gebäude und die in der Nähe befindlichen Waldungen yer-
v«ndet werden. Zur Ansiedelung ist die Horaiza bestimmt. Wer nicht
in der Bukowina bleiben will, gehe ins Banat.
18. A. 26. April 1784, Zahl 122. Enzenberg an den Hofkriegs-
rath. — Für die Ansiedelung sei das Prädium Korczestie, welches dem
Kloster Dragomima gehört, in Aussicht genommen; dasselbe sei öde (d. h.
unbewohnt) und vom Kloster einem Pächter überlassen; es könnte daher
mit Lippowanem besiedelt werden. Femer ist die Warniza in Betracht
g^ogen worden, die dem Kloster Putna gehöre; doch ist noch zu erheben,
<^>b dieses Gebiet nicht von anderen Insassen beurbart werde. [Enzenberg
^eilt auch mit, dass die üebersiedelung der Lippowaner in der Moldau
entdeckt sei.] ^
19. A. 3. Mai 1784. Enzenberg an den Hofkriegsrath. — Die
fifersncht zwischen den zwei Lippowaner-Gruppen, nämlich jenen in der
' Ob die zwischen [] gesetzten Worte dem Berichte vom 26. April an-
gehören, geht aus dem Manoscripte Wickenhauser^s nicht klar hervor.
Aehnliches gilt von der zwischen [] gesetzten Stelle in Beilage 21.
328
Bukowina und ans der türkischen Moldan, und jenen yom schwarzen
Meere ist doch auch schlecht, weil man sie getrennt wird ansiedeln
müssen. Wären sie einig, so könnte man die yom schwarzen Meere zu-
wandernden in Klimoutz nnd Mitoka unterbringen, wobei allenfalls der
Hotar zu erweitera wäre.
20. A. 12. Mai 1784. Hofkriegsrath an £nzenbei*g. — Man sah
Yoraus, dass die Verwaltung Terrains zur Ansiedelung ausgezeichnet hätte«
alle nöthigen Requisiten herbeigeschafft und sonstige Vorkehrungen ge-
troffen habe. Die Lippowaner yom schwai-zen Meere dürfen nur auf Ca-
meral- oder geistlichen Gütern, die in ärarische Administration fallen,
angesiedelt werden, weil sie unter keinem Grundherrn stehen wollen. Es
sollen aber den anderen Leuten ihre Gründe nicht weggenommen werden.
Auch Leute aus Galizien wollen in die Bukowina einwandern.
21. A. 13. Mai 1784. Bericht des Directors Storr in Suczawa an
Enzenberg. — Am 10. Mai 1784 kam der Igumen der Lippowaner in
Suczawa an; derselbe sagte, keine Familie kommt mehr nach. Den vier
Familien in Paschkan, die dort wegen des Schnees überwinterten, sei
bekannt geworden, dass vielen Lippowanern verboten sei, in die Buko-
wina zu übersiedeln; sie hätten den Befehl erhalten, bei Verlust aller
ihrer Güter sich von ihren Dörfern nicht wegzubegeben. Sowohl Die-
jenigen vom schwarzen Meere, als auch die Moldauischen mussten Bürg-
schaft geben. [Ferner berichtet Storr, dass der Suczawer Insasse Joan
Erste ihm gesagt habe, einige Lippowaner-Familien seien unlängst, um
in die Bukowina zu gehen, in die Moldau eingetreten ; man habe sie aber
gleich bei ihrem Eintritte in ihren Wohnort zurückgewiesen. Bis jetzt
wären 15 ganze Familien, mit Alexiewicz 16, ferner drei Burschen, ein
Igumen und sechs Kaluger nach Suczawa gekommen. Alle seien sammt
Alexiewicz nach Wamiza abgegangen, um sich daselbst niederzulassen.
Storr habe das Kloster 'Putna benachrichtigt, dass auf der Warniza ein
neues Dorf erbaut werden soll, und zugleich das Ansuchen gestellt, weil
Wamiza nicht hinreichend sei, ihnen ein Stück von der Horaiza zur Noth-
durft einstweilen zuzutheilen, bis sie sich etwas ausrotten könnten. Be-
sonders sei hiefür ein Stück Wiesengiund von 110 Faltschen, das hai-t
am Orte liegt, wo das Dorf erbaut werden soll und welchen das Kloster
nicht braucht, ausersehen worden. Storr bitte daher die Landesadmini-
stration, den entsprechenden Aufti-ag an das Kloster gelangen zu lassen.]^
Endlich meldet Storr, dass er auch in Hliboka war und daselbst den
Thaddäus Turkul und den Oberlieutenant Zaj^czjk anti*af. Turkul sagte,
^ Vergl. die Anm. la Beilage 18.
329
er könne in Hliboka mehr als 300 Faltschen für 100 Mntterpferde, dann
in Petrontz bis 200 Faltschen, auf denen meist Klee nnd Ken wachsen,
Q&ter Vertrag überlassen. In Hliboka habe Tnrknl mehr als 1200 Fal-
tschen Gründe, Aecker nnd Wiesen.
23. A. 14. Mai 1784. Kaiserliches Handschreiben. — Zur Wissen-
schaft nnd ist nochmals dem Generalcommando [und der Landesverwal-
tiing?] einzubinden, dass sie sich höchst yerantwortlich machen würden,
wenn sie nicht zur Ansiedelung, besonders der Lippowaner, alle mög-
liche Beförderung zu leisten und alles dazu vorzubereiten sich angelegen
5€in liessen.
33. A. 15. Mai 1784. Hofkriegsrath an Enzenberg. — Mit Hof-
kriegsratbserlasse vom 15. Mai 1784 wurde Enzenberg, wenn die Lippo-
vaner-Ansiedelungen aus der Moldau und vom schwarzen Meere nicht zu
Stande kommen würden, für höchst verantwortlich erklärt; daher soll er
den Ansiedelungen, besonders der Lippowaner, alle mögliche Beförderung
leisten nnd soll sich angelegen sein lassen, hiezu Alles vorzubereiten.
34. A. Mai, Juni 1784.^ Hofkriegsrath an Enzenberg. — Es ist
xa überlegen, ob nicht etwa der in der Bukowina anwesende Igumen der
lippowaner zum Werkzeug zu gebrauchen sein könnte, um die von den
Lippowanei^n geschöpften irrigen Begriffe aus dem Wege zu räumen.
Ausserdem ward schon voriges Jahr und heuer bereits zu wiederholten
Malen bedeutet, dass zwischen der Bukowiner und der slavonisch-banati-
schen Cameraladministration schon vor geraumer Zeit das Einvernehmen
eingeleitet worden sei, dass die Familien vom schwarzen Meere auch im
Banat auf cameralischen Grund und Boden untergebracht werden könnten,
venu sie in der Bukowina zu bleiben Anstand hätten. Sonach ist mittelst
des besagten Igumen jeder mÖglicheVersuch für die Hei*überbringung dieser
Familien in die Bukowina oder in das Banat zu machen. Inzwischen ist
weh noch der von den hier (d. h. in Wien) gewesenen Deputieiiien als
Dofanetsch gebrauchte Kowacz mit dem Bezug von täglichen 30 Kreuzern
beizubehalten, um in der obberührten Absicht noch einen Versuch zu
Bachen.
25. A. 2. Juni 1784. Enzenberg an den Hofkriegsrath. — Am
I.Juni 1784 nachts kam Enzenberg von der Reise wegen der Veröffent-
lichung der Grundeintheilung und der geometrischen Aufnahme, wo er es
' Der in dem Schreiben genannte Igumen kam erst am 10. Mai in die Ba-
kowina (vergl. Beilage 21), und um die Mitte des Juni verhandelt Enzen-
berg laut dem vorliegenden Auftrage mit ihm (vergl. Wickenhause r,
Molda y, 2, S. 104); darnach ist das obige Datum, welches in der Ab-
schrift fehlt, bestimmt.
Arekir. LXXXIII. Bd. U. H&lfte. 22
330
.••B I^rSb^ HCTNiticli nichte. mräek. Am 3. Juni kamen Alexander
:di1 ~aaoa lienAwia m Jim tuiI u^n: dae QatWsrnizs sei ihnen zu
a>-ia ia>i Jr^r 'Vriioiea^t akin aogenesssn. Sämmtliche SO Familien
ja-^ -i'-3 >^aaü 3»ä HCix-B tbtfsedelt, wo fflr 100 Familien hin-
ioe:- 3 ZriT'hca .x. ^u ivMD. i» iknen der Platz gefällt, bereits mit
r-jTS. inan iiiniiliiiMn Vtnac «aacht. Er gebe jedem Haasvater
'iMtsnuM 'Viw* uui ?«) ^u TüaeAtu Ackei', als sie aar immer an-
amML ai'fso. Om&r Jatw :«-<lu' BBBnter Jährlich in Allem nnr 6 fl.
;>• ir. in inmiiiBfi m zaiiieit. s2u lippowaaer wollen in Hliboka blei-
«B. SiiDiia ÜAXUwics ^il is^pttrai. Las Banat abgehen, um eich, da er
^im ukerban uchts twtbcm». iastüiei ait der Fischerei zu ern&hren; er
«tili« Sil SnaBboia» ier ViTwaitanif aocfa andere ledige Burschen mit-
:ivoB*B. 5[mnb«ni: vvrapncil ümen. iass sie dortselbst dieselbe Unter-
>Maiuw inm -uvr dikdeti «önittD. AIiuan<Ier Aleiiewicz will mit den An-
i)^^va la Ulibuka ')itfib«a miu bat ien Eazenberg um einen Vorscbuss von
W Babvin ntr -Voädiaffai^c voa Vieh oad Wirthschaftseinrichtnngen. En-
»ubwiF vfrepmch ihnuit, .im äamsag Mlbst nach Hliboka in kommen.
"tt» .h. 3. Juni 17?44. ünzenbw^ an den Hofkiiegsratb. — Am
js lai hab« KuMutxu); -hv tnOt Xachricht erhalten, dsss die Lippo-
wauwr ^uach Ulibuka) );e|pui)^a Mien. Er habe schon frflher dem Con-
siEiturtum augKMi^, Jen Li^iiKiwanera Jas von Storr ausgezeichnete £rd-
rvU'li auMustnckou und ituuthvilen. Die Befehle wegen des Qestöts und
dM- Liiipuwauei' «oieu auch i^r^ant^n. Storr und der vom Oberstwacht-
u«(«t«r Cavallar abipMnluew W«:fataieister giengen auf Anordnung Enzen-
btfi^'s heruui, uiu uiue OiKscbaft «um Gratttt ta ermitteln, die Einwohner
ttK'bl lu b«wiutitWblt){«u, mit Oirundherren Verträge abzuscbliessen un<i
UrtliiUv III Vnuht (u uohiuitu. Zum ö«6tat wurde auch Hliboka ausersehen,
und uiau vvi bauilette mit Turknl. Nun seien die Lippowaner hio^-
iUil tjwtftt konnten aber auf einem Boden aicfat
ill dahin trachten, dass die Stuterei in Petrontz
1 Hliboka könnten sich 250 Familien füglich er-
behalt, wenn auch Turknl 200 FaltBchen davon
Ujf. H^ die Bemonten verlangt der in Hliboka
it ausser äOU Faltschen im dealu cruce noch das
lur Aule^ng eines Dorfes nicht geebnet ist und
Httie ist jetit Tom Kloster Dragomirna sn Eodres-
iSicht dauert noch drei Jahre.
17^4. Handschreiben des Hofkriegsrathgpr&ai-
lerg. — Da die Herfibersiedlung der Lippowaner
er Moldau ergangenen Verbote gebindert ist, ao
331
bum in Ansehung derselben nichts Andeies geschehen, als abzuwarten,
ob einige Familien kommen werden oder nicht, und könne also auch der
Dobnetsch Eowatz, falls sich nicht etwa bis Ende August etwas Günsti-
geres ei'eignen würde, alsdann entlassen werden. Nach den eingelangten
Anzeigen scheinen die dem Ansiedelungsgeschäfte im Wege stehenden
Hindernisse bloss davon herzuiilhren, dass die dortigen Elostergüter noch
nicht in die Administration des Staates genommen worden sind; deren
kidiger Vollzug wird von Sr. Majestät wieder anbefohlen.
28. A. 9. Juni 1784. Hofkriegsrath an Enzenberg. — Da nach
km ernstlichen WiUen Sr. Majestät die üebeinahme sämmtlicher geist-
lichen Güter in die Staatsadmiuistration yor sich gegangen sei, habe nicht
dis Kloster Putna, sondern der Bisthumsrath und eigentlich die Landes-
rerwaltung Terrain anzuweisen, wo für die Lippowaner das Doi*f hinzu-
stellen sei, weil sonst bei ihnen der Argwohn entsteht, dass sie gegen
St. Majestät Gesinnung einem Grundherrn zu unterstehen hätten. Wenn
über eine Verhandlung eine Verfugung nöthig wird, welche nicht in die
Glaabensgmndsätze oder das geistliche Fach einschlägt, so hat eine solche
Verfügung nicht durch den Bisthumsrath, sondern durch die Admini-
stration zu geschehen. Das Versprechen wegen des nöthigen Ten*ains
für die Lippowaner bringt es mit sich, dass sie mit den übrigen Unter-
üianen in dieselbe Eigenheit kommen werden. Ihre Einführung in das
Eigenthum der Gemeinde hat nach dem Massstabe und der Richtschnur
für die übrigen Bukowiner Unterthanen zu geschehen. Sie sind 20 Jahre
steuerfrei, deshalb ist es befremdend, dass an sie das Ansinnen gemacht
worden, den Gi-undherren eine Gininds teuer oder den Zehent zu geben.
Den Lippowanern ist freie Beligionsübung zugesichert. Hiedurch kann
Me die Administi'ation auf die beste Art von dem geplanten Klosterbaue
wegleiten. Sind in der Bukowina Gründe zur Ansiedelung nicht genug,
e« soll man die Lippowaner ins Banat leiten.
29. A. 10. Juni 1784. — Vertiag vom 10. Juni 1784 zu Hliboka
zwischen Thaddäus Turkul, Erbhenn von Potorylawze, Bojanczuk, Hliboka
Diid Petroutz, des Putiller Okols Stai*osten, und den auf seinen Gi*ünden
ansässig zu machenden 20 Lippowanern. 1. Jeder Lippowaner erhält
lO'/s Faltschen Aecker und Wiesen; 2. grundherrschaftliche Hutweide,
aos dem Walde das nöthige Bau- und Brennholz; 3. die 20 Lippowaner
sind von dem Zehent und Robot für die lOV« Faltschen Feld frei; jeder
ohlt aber jährlich 5 fl. 30 kr. Grundzins; sonst aber nichts, weder an
Seid noch an Arbeit. Mehr Gründe als die zugetheilten 10*/« Faltschen
iörfen die Lippowaner weder ankaufen noch sonst erwerben. Sollten sich
ilire Familien vermehren, so haben sie sich mit den 10*/» Faltschen zu
22*
ans
K^^^urvQ. ««sg^nonunen mit dem Willen des Gnmdherm oder v«ui eine
AAiycv LdUii^ciiMiikkUiiig eintreten würde. Bodet ein Lip^vaaer Wald
i'x Xri*'. 5C >:•*:>$ :!■ 4ic« uisser den lOVs Faltechen. So\Ats Feld ist
ti.%a *i if ^aIty xlxs» imi zehentfrei; im sechfiten Jahre hat «r den Ze-*
Wu' n r*<}wa '«i.-^ xftck iM» Werthe desselben Zahlcng an den Gnmd*
b^-^n rt >«u{QHL V^ «a Lippowaaer, a{iarte den 1(P , Fahschen, auf
^ i»aa ».vi^-^a *^4 »iftr^rfs anbanen, so ist dies g«6taxt4<t. doch mnsa
.. ^v... •> «wa ul-whi üaiitnhaaett den Zehent daT«n xahkn. Sie sind
.« ' iv-^'^*xaw^:*'*<i»Hi 's*«n!cä«s6vtcft antervorfoL. dnilieB ans fr^aden
\ .«u>^j^^«r-i k^ioi» :r«*crial« ^ica lassen, sondeni Mkhf Uose im Hli-
. •. % '::>x'iü>*» r»a.**Än- Vm. $c=5tipK- eesetEficher Strafe. Für das
V .^i. .- ^wÄTi-ti l.?p«»«^aper i">«T-r:< Tctxl eönen Gr&nd t<» 5 Fal-
>s. ^ - -u:» r.:i ^^^s^ SwOJ-uaic- bü «sj axs Äiff ürsac^^ wiäl ae ihm hie-
' - . '. ^* - :>-•* ri - sflfcn --rsnr <ajea h&Ws. Hlilnb. dcA 10. Jnni 1 784.
-^w. * ^ : ■*:\n . Sv.!i.^?. smuc: r..tr Buätaem. l%tddips Ton
m^ ^ • . :^^ 5 i^*!scsx^ ax £xK»hmr. — In Wien
,^^ < »a.. - .Ä- .Äcr. Sil a» liwnfdwt Ässeih, nnr asf Ca-
Z^^ Jht Bi3iB l^eKäedfiln Wollen-
■*
>»^ -^ ^>iii Gsn.^ üH mdiai fie TorEpann be-
Lii, >c ^^~ :Av tai>i:s oai^ 3^7)thäf!e reranstaltet
-^. ^ .'*-.":.-^ ;i> *i i MTUffliniHi sl «tun. Zu GeldTt»r-
SJ; ^. - * j ^-T-.^^ - "^ - ■ '--'ni-'^^*»* 3iifflk aa die Sl Onnfrer
^ . ^ -.-. Tl ' '3- ' -.TTi:?^ * : il-a>ums ja «f ith- mit jenem vol
_ . ^ ■ — .-* 2-*:.i* :*iiL ü >^i-r >'ik& !;•' i. Eümtoitz dem Eo-
^ * - . ♦ w n.- «■♦ !.- L:*b .^<: itt» rrcndberrlichen Schnl-
. .— .-^ 2v» '^miff* t»*:'*»"' TT^mrtniBHL laöiBL mii Ende Apri
» >^, sr*. ..■- i-i.; f.* ti*'-*^! ^■* iia»j*'Si»iii :it^ iv^uiüJÄfliÄOi gleich an-
. - — i.i**i ri f»'.-*''>-2- ÄCr**^* UM»- Huni*ui3 «ai mn einem toi
.» \ - ^— fc« I :«-*nu:_->i ^^rTTBcmcz w^ina^ rtiörr ausweisen kOnnt
V.,-.. .!> Xr-. *fr 1;-' r:" Tli. * d^i^lMa iifr mr nlj^nmiftinriL Gnmdrer
tho. - ^ i. itrÖJ-r^T^ f -11 -i"^ hk»»* r^unta jutfncnonztBL Hotar, son
Kt\^ u vvv iiaNf ^ * >*' i/rti-**-4. ?Tr:_ *^- "jh. «rhnhfiL. nif d» Fxmüiejixah
..14 ihivi \ - ' t.- .- i-i -i'-^'.^V'ij: :»räir^ W^ox hmm anA die politisch
HvkKvMvt*> *ir.i^:i rr*'**'%.''*i r>-rLn: aÄTtwjK^a. mtat. auf welchen sie nui
\h<^ouoh *rh*^*-. *•' ^* '-^ z^-'n ftr i« wrsiitst viciandaien Pami
U\<\\ n\Mu\^xxk *h^ rA.*ii:-m=.*-r:*ri r«cäibXrfa- Iwr T-fd^arfiMif aai gmnd
l*i»Hiu«U**M i»»ii\ud^a ^.*,bt saiitf *: iax^ xxier crmidharriidisr Di£^
3S3
sition, bis das Dorf auf eine diesem Üeberflosse entsprechende Anzahl
inwachse. Bei dem besonderen Umstände, dass die heurige fQr den Feld-
bau so traurige Witterung so vielen ünterthanen die unentbehrliche Heu-
fechsung benommen hat, hat die Gruudherrschaft umsomehr Ursache, mit
dem überflössigen Heuschlag der Elimoutzer den nothleidenden ünter-
thanen aufzuhelfen. Auf der Pojana Warniza wurden 6 Familien an-
CTsiwlelt; es war aber für 20 [richtiger: 200]* Familien Terrain an-
getragen. Von diesem Terrain sei daher den sechs Familien nur so yiel
zuzugestehen, als für ihren Unterhalt hinlänglich sei; der üeberrest sei
aber anderweitig zu verwenden. Auch in Hliboka haben sich Lippowaner
angesiedelt. Es wurde ein Vertrag geschlossen und von der Landesstelle
renebmigt. Statt der ünterthansleistung zahle jede Familie jahrlich der
Herrschaft einen gewissen Betrag. Das kaiserliche Patent konnte nur die
landesherrlichen Leistungen erlassen, nicht aber die grundherrlichen,
welche der Landesfürst den Gutsbesitzern nicht nehmen kann, noch will.
Die Lippowaner können nur von der Billigkeit der Grundbesitzer Unter-
stützung hoffen, nicht aber, wie sich viele beigehen lassen, freie und un-
entgeltliche Gebai-ung mit dem Grund und Boden und Allem, was darauf
ist, erzwingen.
33. A. 19. November 1789, Zahl 1065. Bericht der Fratautzer
Wirthschaftsdirection. — Nach dem Ausweise der Josephinischen Grund-
s^eoervennessung vom Jahre 1786 haben nur 30 Lippowaner-Familien zu
Fontina alba steuerfreie Gründe und sind durch 20 Jahre von allen Steuern
und Contributionen frei. Diese Fontina alba- Lippowaner- Gründe in
ler Pratauzer ßeligionsfondsherrschaft sind folgende: Aecker 51 Joch
:066 Quadratklafter, Wiesen 208 Joch 926 Quadratklafter, Gärten
iS Joch 1459 Quadratklafter, Hutweiden 398 Joch 47 Quadratklafter;
Snmma 685 Joch 298 Quadmtklafter.
3S. A. 16. Juni 1790. Vertrag zwischen der königlichen Fra-
'^antzer' Oekonomiedirection einer- und der Klimoutzer Gemeinde anderer-
^its. — 1. Da die Gemeinde Klimoutz die Herrschaft zu mehreren Malen
angegangen, damit sie von den hierlandes gewöhnlichen Natural-Prae-
standen gegen die Herrschaft befreit und dagegen in einen haaren Geld-
zins gesetzt werden möchte : So ist von Seiten der Herrschaft in ihr Ge-
mh in Bücksicht ihrer Beschäftigungen gewilligt worden, und verbindet
sich besagte Klimoutzer Gemeinde alle bisher gewöhnlichen Natural-
» Vei^l. Beilage 37.
• In einer Originalurkunde (Beilage 41) wird dieser Vertrag als mit der
Radautsser Wirthschaftsdirection abgeschlossen bezeichnet; ebenso in
der Beilage 58; Beilage 64 wird dagegen wieder Fratautz genannt.
334
Praestanden in Baarem abzulösen und am 1. Mai 1790 gegen 300 fi.
nomine Grundzins jährlich: und zwar die Halbscheid mit Georg! und die
andere Hälfte mit Michaeli in concreto baar zu entrichten. Nebstdem
aber die conventionsmässige Waldgebühr per Familie Yon Bespannten mit
1 fl. und Yon Unbespannten 30 kr. jährlich für den Genuss des erforder-
lichen Brenn- und Bauholzes besonders zu bezahlen. Wogegen 2. die
Gemeinde Elimoutz yon allen anderen herrschaftlichen Natural-Praestan-
den, als der Bobot und Zehent ausdrücklich befreit wird. Doch aber soll
sie wie jeder andere Insass und ünterthan verbunden sein, die Strassen
und Brücken innerhalb ihres Hotars nebst den gewöhnlichen Strassenbau-
Hilfstagen zu unterhalten. 3. Wird die hen*schaftliche Wiese von 200 Jochen
für immer zur eigenen Benutzung für die Hen-schaft vorbehalten und ist
unter obstipulierten Zinsen nicht mitbegriffen. 4. Soll es bei gegenwärti-
gem Antrage und den durch selben stipulierten Grundschuldigkeiten so
lange sein unabänderliches Verbleiben haben, als nicht eine allgemeine
Regulierung der ünterthansgaben vorgenommen wird, ürkund dessen
gegenwärtiger Vertrag in drei gleichlautenden Exemplaren verfasst und
von beiden Theilen gehörig unterfertigt worden. Radautz, den 16. Juni
1790. Franz Pauli m. p., Director. Coram me Georgiewicz m. p., Kieis-
commissäi'. Martin Abrahamowicz, Dwornik. Fedor Andreiow, Semen
Andreianow, Iwan Kolomenski im Namen der Gemeinde.
34. A. 8. August 1791. Ei'eishauptmann J. J. Beck an das Lem-
berger Gubernium. — Erstattet den bei Wicken hauser, Molda V, 2,
S. 108 f. unter Nr. 30 in der Entscheidung des Guberniums vom 24. Au-
gust 1791, Zahl 19.832 vollständig wiederholten Bericht über das Kloster
in Fontina alba und stellt den ebenda wiederholten und genehmigten Antrag.
35. A, 14. September 1791, Zahl 2990. — Das Bukowiner Kreis-
amt theilt den in der vorhergehenden Nummer angeführten Erlass des
Lemberger Guberniums der Fratautzer Wirthschaftsdirection mit.
36. A. 15. August 1795. Klage der Lippowaner von Fontina alba.
— Der Verwalter Ludwig habe ihnen, als er sie bei ihrer Einwanderung
in Fontina alba ansiedelte, über dem Bache Tarnauka eine Wiese an-
gewiesen, welche sie auch gleich damals zu benutzen angefangen. Diese
sei ihnen nun weggenommen worden. Auch gaben die Lippowaner da-
mals an, sie seien meist Seiler und hätten daher zur Bereitung des
Flachses und Hanfes einen kleinen Teich auf der Tarnauka angelegt.
Während des letzten Krieges, welchen die Russen mit den Türken führ-
ten, haben sich mehrere Flüchtlinge auf dem Fontina alba-Grunde nieder-
gelassen. Da für das Vieh nicht genügend Grund vorhanden war, so ro-
deten sie während dieser ,Fluchtzeit^ eine grosse Strecke hochstämmigen
3S5
Waldes, welches Stück dann von den Lippowanern gereinigt and orbar
gemacht wurde.
37. A. 28. Angust 1795. Bericht des Onnfrer Verwalters Ludwig
äb«r die Klage der Lippowaner ddo. 15. August 1795. — Die Lippo-
wuier in Fontina alba haben sich nach vorhergegangener Erwirkung
eines Privilegiums im Jahre 1784 vor der höchsten Hofstelle anheischig
gemacht, die Prädien Moisen, dann den Theil zwischen dem Temauker
Bach und Satoava (!) mit 200 Familien Handwerksleuten zu besetzen.
Den ersten Emigrantentransport von etlichen über 20 Familien hat das
bestandene Onufrer Wirthschaftsamt (Verwalter Ludwig in Onufri) auf
Veranlassung des damaligen Serether Directoriates in Fontina alba ein-
geführt und dann ihnen die Gegend, wo dieses Dorf dermalen existiert,
wie auch über dem Temauker Bache einen grossen Theil angewiesen, in
Voraussetzung, dass 200 Familien nachkommen werden. Diese trafen
ftber 1787 und 1788 nicht ein, daher theilte ihnen die Mappierungscom-
mission in ihren Plänen nur so viel Grund zu, als die Bevölkerung da-
mals nöthig hatte. Die übrigen Theile wurden zu den Fratautzer und
St. Onnfrer-Gründen geschlagen. Nach dieser Eintheilung wurden die bei-
den Dominien abgeschätzt und verpachtet.
SS. A. 30. September 1795. — Den Lippowanern werden die Gründe
am Temauker Bache zugesprochen. Freiherr von Balsch.
39. A. März 1801. — Gesuch des LarionPetrowicz, Dorfvorstehers
Ton Wamiza, um erbliche Ueberlassung des in seinem Besitze befind-
lichen Hanses und Hofes; ferner um Bemessung der landesfürstlichen
Steuern von seiner Besitzung und um Bestimmung eines Reluitionspreises
für die herrschaftliche Robot.
-40. A. 10. Juli 1802. — Gesuch desselben an das Ereisamt des-
selben Inhaltes, zugleich um Befreiung seiner Familienangehörigen von
der Becrutierung.
41. 0. 6. Dec. 1802. [An] Thomas Wolowski, Pächter zu Kli-
moatz. — üeber die von der Klimoutzer Lippowaner-Gemeinde wider ihren
zeitlichen Pächter Wolowski wegen Erdrückungen bei Sr. Excellenz dem
Herrn Landesgouvemeur eingereichte Beschwerde wird folgende Ent-
H^idong gefallt: 1. Da aus dem diesfölligen Untersuchungsprotokoll
Qberhaapt hervorkommt, dass die Gemeinde mehr über Besorglichkeit
künftiger Bedrückungen als wegen wirklicher Bevortheilung wider ihren
Pächter .Wolowski geklagt, sowie die Gemeinde bei dem ersten Klage-
ponkte selbst eingestanden hat, dass ihr der Pächter bloss drohte, sie zur
Frohnenarbeit, ohngeachtet sie vermöge eines mit der ehemaligen Ba-
dautzer Wirthschaftsdirection auf ewige Zeiten geschlossenen Conti*acts
336
alle ihre Schuldigkeiten haar verzinset, zu verhalten; das aber nicht ge-
schah, und sie bis itzo nach obigem Contracte behandelt werden, so wird
über diesen Elagepunkt lediglich hinausgegangen. 2. Gestand ebenfalls
die Gemeinde selbst, dass sie über keinen Holzmangel sich zu beschweren
Ursache habe, und obschon in dem Klimoutzer Territorio kein Wald mehr
vorhanden ist, so werde ihr jedoch der Holzbedarf in den Korczestier-, von
Elimoutz eine kleine Meile entlegenen Dominicalwaldungen angewiesen.
3. Die Klage, dass die Gemeinde jede Nacht vier Nachtwächter zum herr-
schaftlichen Wirthshaus zu stellen verhalten werde, betreffend, hat sich
erwiesen, dass der Pächter, bloss um den häufigen Diebereien Einhalt zu
thun und von der Richtigkeit der Dorfwache versichert zu sein, die Ein-
leitung getroffen, dass jede Nacht vier Wächter bestimmt werden, die sich
im Wirthshause versammeln und sonach wechselweise von da in das Dorf
gehen und Wache halten, dass aber diese Wächter sich beständig im
Wirthshause bei dem gewesten Schanker wider Willen des Pächters auf-
geboten, kann Letzterem diesfalls nicht zur Last gelegt werden, sowie
die Gemeinde die Einleitung wegen diesen Nachtwachen selbst für billig'
erkannte und von diesem Elagepunkte abstand. 4. Die Klage wegen
Ueberhaltung mit der Vorspann betrifft eigentlich nicht den Pächter, son-
dern die Serether Cambiatursstation. Und um diesen Bedrückungen vor-
zubauen und nicht die Cambiatursstation nach eigener Willkür mit den
Gemeinden schalten zu lassen, endlich das billige Ebenmass zwischen den
Gemeinden selbst bei Yorspannsleistungen herzustellen, wird unter Einem
sämmtlichen Cambiaturisten mitgegeben, alle Quartal das Yorspannspro-
tokoll, wie sie die nöthige Vorspann unter die Gemeinden veilheilen und
abfordern , dem königlichen Kreisamte vorzulegen, damit selbes in die Kennt-
niss der Vertheilung gesetzt und jede Unbilligkeit sogleich abgestellt wer-
den könne. Durch welche (?) über Bedrückung mit Vorspann ohne-
hin nur in allgemeinen Klage geführt hat, gleichfalls klaglos gestellt und
vor fernerer Bedrückung gesichert wird. 5. Bleibt die angesonnene Er-
richtung eines Branntweinhauses in Klimoutz dem Pächter unbenommen,
ohne dass die Gemeinde Ursache hätte, sich hierwegen zu beschweren.
Endlich 6. in Ansehung der Unzulänglichkeit der Grundstücke haben die
Kläger bei ihrer Vermehrung der Familienanzahl ihre unbillige Forderung
selbst eingesehen und mit der Herrschaft endlich einen Vergleich ge-
schlossen, vermög diesen (!) den neuen Wirthen 30 Faltschen unnutzbares
und bisher von der Gemeinde nie benutztes Gestrüpp zur Bodung anzu-
weisen sich herbeiliess, wenn im Gegentheil jene jährlich 50 fl. an Grund-
zins, worinnen der Waldgenuss sammt Naturalfrohnen und Zehent abge-
rechnet ist, der Herrschaft zu zahlen sich verpflichten wollen. Da nun
S37
liie Kläger diesen Antrag willig angenommen nnd nm die amtliche Be-
»läügong baten, so wird ihrem Verlangen hiemit anch willfahrt. Gzemo-
fite, den 6. December 1802. Georgiewicz m. p.
42. 0. (Concept.) 1. Juni 1804. Lemberger Landesgabeminm an
las Bokowiner Ereisamt. (Ohne die Eanzleiyermerke mitgetheilt) —
D«m königlichen Kreisamte wird in Erledigung seines Berichtes vom
9. Angnst 1802, Zahl 5901, über das von dem Larion Petrowitz,
Aeltesten und Vorsteher der dortkreisigen Lippowaner Ansiedelungs-
gemeinde Wamitza dem Landespräsidium am 9. Juli 1802 übergebene
t'ieeQch erwidert, dass ad 1 keinem Anstände unterliegen werde, dem Bitt-
steller sowohl als den übrigen Mitgliedern dieser Lippowaner-Ansiedelung
^inerzeit die Grundstücke für sie und ihre Erben in Nutzungseigenthum
ni übergeben und darüber ordentliche Grundbücher eriichten zu lassen,
wenn einmal die Grundsätze, nach welchen die Dotierung der Unterthanen
«'JUDtreten hat, festgesetzt sein werden. Weswegen sodann ad 2 nach ge-
schehener Regulierung des Grundbesitzes oder der eigentlichen Dotation
«ich die ürbarialschuldigkeiten für Jeden in Baarem nach dem Verhält-
iiisse des Grundbesitzes werden bemessen und für immer festgesetzt wer-
den. Ad 3 und 4. Ist wegen der Steuerschuldigkeit ohnehin nach der
üeeortigen Verordnung Yom 6. September 1802, Zahl 26.132, festgesetzt
worden, dass vom 1 . November 1 803 eine jede der gedachten Lippowaner-
hmilien an der Contribution jährlich 4 fl. 10 kr. und an der Strassen-
robottrekition 2 fl. 30 kr., zusammen also 6 fl. 40 kr. und nebst diesen
von den allenfalls besitzenden Bienenstöcken, Borstenvieh, dann den
Schafen und Ziegen die bestehende Desetina- nnd Gostinasteuer, zu
^ck ä 12 und 5 kr., sammt der sogenannten Basura ä 6 kr. zu ent-
nchten habe. Das weitere Ansinnen des obgedachten . Larion Petrowicz
*ber, womit er für seine Person bei der Kreiscassa mit seiner Steuer-
gvbör besonders vorgeschiieben werde, kann nicht platzgreifen. Ad 5.
Kann weder dem Bittsteller noch den übrigen Lippowanern gegen die
«ntricbtete Waldgebür zu 1 fl. per Familie ein anderes Holzungsrecht in
■i^Q obrigkeitlichen Waldungen eingeräumt werden, als dass ihnen zum
Glichen Gebrauche an den nämlichen bestimmten Tagen die Ausfuhr
^es Lagerholzes gestattet, dann das erforderliche Bau- und Gerätheholz
^n jedesmalige ämtliche Anweisung von dem Waldaufsichtspersonale
^Qsgeieichnet und verabfolgt werde. Endlich ad 6 hat das königliche
Kreisamt bei der Kuczurmarer Pachtung die Einleitung zu treffen, dass der
Bittsteller Larion Petrowicz seinem Gesuche gemäss, falls es in der
Zwischenzeit noch nicht etwa geschehen sein sollte, von dem Gemeinde-
Torstehersdienst enthoben und ein anderer hiezu tauglicher Insass gewählt
338
werde. Wonach demDacb dasselbe dem mebrgedachten Laiion Petro-
wicz zu bescheiden und das Nöthige zu veranlassen bat. Lemberg, den
1. Juni 1804.
43. A. 26. Mai 1804. Petrowicz, Bicbter Yon Fontina alba, ist
vom Amte entfernt.
44. 0. 5. April 1804. Gesuch der Lippowaner-Gemeinde Fontina
alba. — Hochlöblicbe k. k. Revisionsbofcommission ! Zwar bei der An-
siedelung der Lippowaner zu Fontina alba waren ihrer nur 35 Familien,
wo man ihnen nur einen Öden Wald und wQste Gegend zur Niederlassung
angewiesen, und sie haben sich zwar durch ihren rastlosen Fleiss urbare
Stücke zum Ackern und Mähen gemacht, was ihnen yermuthlicher weise
zur Erhaltung ihres Lebens nicht hinreichend ist, sondern sie müssen
immer von fremden Gütern, Aecker und Wiesen, ausser Vermehrung ihrer
Familien durch das Heiraten, immer kaufen; daher bittet die ganze Lippo>
waner-Gemeinde um folgende gnädige Abhilfe: 1. Dass ihnen ein Stück
reinen Feldes, wo in einer Gegend unweit ihres Dorfes zum Ackern und
Mähen angewiesen werde, welches ihnen bei ihrer Ansiedelung auch ver-
sprochen wurde, aber bis der Stunde noch nicht geschehen. 2. Dass sie
der Czerdaken enthoben werden und nicht in Person auf die Czerdaken
gehen oder andere Leute zu miethen und hinschicken, sondern wenn es
nicht möglich wäre, dass sie dieses Umstandes ganz enthoben würden^
solches in Geld reulieren (!) zu können. 3. Dass sie von nun an nicht mehr
unter der Herrschaft bleiben sollen, sondern unter die ärarische Unter-
thanen gerechnet werden, und 4. dass in ihrem Dorfe kein Wirthshaus auf-
gestellt wird, weil dadurch die meisten jungen Leute zu Liederlichkeiten,
Ausschweifungen und bösen Handlungen angeleitet werden, welches ihre
Religion unmöglich leiden kann. Fontina alba, den 5. April 1804.
HjiapHOH'B IXeTpoBb m. p. (Illirion Petrowicz).
45. 0. 6. April 1804. Gesuch der Klimoutzer Lippowaner. —
Hochlöbliche k. k. Revisionshofconmiission ! Bei der Ansiedelung der
Klimoutzer Lippowaner-Gemeinde waren ihrer nur 15 Familien; nun aber
durch das Heiraten der Kinder haben sich die Lippowaner ünterthanen
bis auf 35 Familien veimehrt, wo ihnen die Gründe zum Ackern und
Mähen, was ... ein jeder Unterthan kaum 8 Faltschen besitzt, nicht hin-
reichend ist. Im Anfange, als sie noch wenig waren, hat man ihnen zum
Aerarium 109 Faltschen reinen Feldes auf der Horajetza mit dem Ver-
sprechen abgenommen, dass, wenn sich die Lippowaner-Gemeinde vermehrt,
dieses abgenommene Feld ihnen zurückgestellt wird, welches bis der
Stunde noch nicht geschehen ist. Für diese Moschie zahlt die Lippowaner-
Gemeinde der Herrschaft an Gebühr 372 fl. jährlich, und nebst diesem
339
wird ihnen das Holz zu ihrem eigenen Gehranche in den kaiserlichen
Wäldern nur einmal, und das nur fanles Holz nnd kein stehendes, zn
hauen gestattet. Es befindet sich im Dorfo ein Schanker, gewisser Gott-
lieb Steinbock, welcher die Unterthanen zur Wache auffordert; erst hat
er nur zwei Mann, hernach vier, itzt aber sechs Mann zur Wache auffor-
dert« den die Gemeinde nicht brauchet, denn sie kann einen Schanker
finden, der keine Wache braucht. Zum Beschluss bitten die Gefertigten
and respective die Lippowaner-Gemeinde, dass sie der Czerdaken ganz
befreiet werden. Elimoutz, den 6. April 1804. f Wasile Jakoweiw, Kli-
moutier Bichter. f Fedor Andriew, f Themotey Nika, f Jakob Eozmen
and die ganze Elimoutzer-Gemeinde.
46. 0. (Concept.) 13. November 1804. (Hier im Auszuge mitge-
theilt.) Das k. k. Bukowiner Staatsgüterinspectorat St. Hie, welchem das
Landespräsidium das unter Nr. 44 mitgetheilte Gesuch zur Begutachtung
vorlegte, richtet an die Kuczurmarer Pachtung die Anfrage, ,ob zur Ein-
leitung der Propinationsregie in dieser Gemeinde wirklich schon und
welche Anstalten getroffen worden, da doch zur Zeit der Ararialregie
iaselbst ein Schank aus der Ursache nicht bestanden hat, noch dem
Pachter in Anschlag gebracht worden, weil eine solche Einleitung wider
die Beligionsgrundsatze dieser Lippowaner ist'.
47. 0. (Concept.) 13. November 1804. (Hier im Auszuge mit-
getheilt.) Ebenso richtet dasselbe^ Inspectorat an dieselbe Pachtung be-
treffs des unter Nr. 45 mitgetheilten Gesuches die Aufforderung, ,dass
a) eine Abschrift von dem mit dieser Gemeinde bestehenden Schuldigkeits-
Tertrage nebst der Angabe der bestehenden Anzahl von Wirthen anhero
mitgetheilt und b) die Aufklärung gegeben werde, wie es wohl komme,
•iass die Gemeinde verhalten werde, zur Bewachung des Schankers vier bis
itechs Mann zur Nachtwache zu stellen, da die Gemeinde hiezu doch
mit keinem Rechte verhalten werden kann. Sollte daher dieser Unfug
wirklich bestehen, so dürfte er dem betreffenden Unterpächter oder dem
Schanker Steinbock in Zeiten untersagt werden^
48. 0. 20. December 1804. —Wohllöbliches k. k. Bukowiner Staats-
fäterinspectorat! Man hat die Ehre, auf den gütigen Erlass vom 13. v. M.,
Zahl 1427, zu erwidern, dass man im Dorfe Fontina alba gar keine An-
stalt zur Einführung der Propinationsregie gemacht hat, und dass auch
in der Zukunft gar keine eingeführt werden wird ; ob es aber wider die
ReügioBsgrundsätze der Lippowaner wäre, ausserhalb des Dorfes auf der
Horaitze an einer Landstrasse ein ordentliches Wirthshaus für die Reisen-
den aufzustellen, welches seinerzeit auch dem Dominio Directo Nutzen
bringen könnte, hat man Ursache umsomehr zu zweifeln, als es unter den
340
Lippowanern selbst viele gibt, welche das Branntweintrinken nicht ent-
behren können. Enczurmare, den 20. December 1804. Zagurski, Ver-
walter.
49. 0. 27. December 1804. — Wohllöbliches k. k. Bnkowiner
Staatsgtlterinspectorat! In Folge erhaltenen Zustellung vom 13. et präs.
30. v.M., Zahl 1428, unterlasset man nicht die Abschrift des in Händen
der Klimoutzer-Gemeinde befindlichen und im Jahre 1790 in Ansehung
ihres Grundzinses geschlossenen Vei'trages mit dem Bemerken zu über-
senden, dass diese Gemeinde, welche dermalen schon ans 33 Familien be-
stehet, laut beigeschlossenem kreisämtlichen Provisorium puncto sexto die
Erhöhung der Zinsen mit jährlich 50 fl. selbst für billig anerkannt hat.
Was hingegen die angegebene Bewachung des Schankers anbelangt, ist
die Beschaffenheit dieses Gregenstandes in erwähnten Provisorium puncto
tei'tio gleichfalls ersichtlich, dass es nämlich keine Absicht ist, den
Schanker bewachen zu lassen, sondern dass die Wächter sich dahin ver-
sammeln und sonach wechselweise das Dorf bewachen sollen. Diese Ver-
anlassung war umsomehr nöthig, als man sich von der richtigen Bestel-
lung der Dorfwache auf keine andere Art überzeugen könne, weil es sich
oft ereignet hat, dass theils wegen Nachlässigkeit des Bichtei^s, tbeils
auch wegen dessen Abwesenheit mehrmalen keine Nachtwachen im Dorfe
gehalten waren. Kuczurmare, den 27. December 1804. Zagurski, Ver-
walter.
50. 0. (Concept.) 31. December 1804. (Im Auszuge mitgetheilt.) —
Mit Bücksicht auf die unter Nr. 48 mitgetheilte Aeusserung des Pächters
,der Herrschaften Kuczurmare und Onuphre' sprach sich das Staatsgüter-
inspectorat St. Hie über das unter Nr. 44 abgedruckte Gesuch dahin aus,
,da8s ad 1 diese Fontinaalber Lippowanergemeinde auf einem unter der
bestandenen Militär - Landesadministration ihr zugewiesenen und abge-
rainten Grunde dotieil wurden, und dermalen bei der jeden Orts angewach-
senen Bevölkerung ausser ihrem Gemeindeumfange nirgends einige Gründe
zur Zutheilung an diese Gemeinde erübrigen, daher denn ihrem diesfalli-
gen Gesuche um mehrere Grundstücke zu willfahren keine Möglichkeit
vorhanden seie. Ad 2 ist die Unterhaltung der Czerdaken und die Stel-
lung der Wächter bei Cordonssperrungen eine Obliegenheit, die jede Ge-
meinde ohne Unterschied beschwerlich findet und lieber durch eine baare
Beluition leisten würde. Wenn darnach auch diese Lippowaner-Colonie
hohen Orts dieser Verbindlichkeit enthoben werden könnte, so kommt
hiebei doch in Betracht, dass durch eine solche Begünstigung einer ein-
zelnen Gemeinde die Last für die übrigen nur vermehrt würde; daher denn
auf die angesuchte Befreiung oder Verwandlung dieser Obliegenheit in
341
eine Baarrelnition nicht angetragen werden kann. Ad 3 geht der Sinn
des Gesuches dahin, womit die Gemeinde nicht femer verpachtet, sondern
einem Cameral-Wirthschaftsamte untergeordnet werden möchte. Wenn nun
sber der Ort Fontina alba mit der Herrschaft Euczurmare und Onuphre
an den Freiherrn von Lezzeni verpachtet und über die Dauer der Pacht-
zeit nocli immer nicht finaliter entschieden ist, so scheint auch in diesem
Punkte dem Gesuche der Gemeinde über dem Ende dieser Pachtung nicht
willfahrt werden zu können. Endlich ad 4 besteht bis nunzu in dieser
Gemeinde kein Wirthshaus, noch hat die Pachtung nach ihrer Aeusserung
zu- Einführung eines Schankes daselbst einen Antrag gefasst. Daher
denn die Gemeinde auch in diesem Punkte beruhigt sein kann'.
51. 0. (Concept.) 3. Jänner 1805. (Im Auszuge mitgetheilt.) —
Ebenso sprach sich dasselbe Inspectorat mit Rücksicht auf die unter
Xr. 49 mitgetheilte Aeusserung desselben Pächtera über das unter Nr. 45
abgedruckte Gesuch dahin aus, ,dass ad 1 den höchsten Vorschriften und
insbesondere dem höchsten Directorialdecrete vom 21. März 1795 ent-
fegen sein würde, die vorhandenen Dominicalgründe zu vergeben und
den ünterthanen dieser Gemeinde zuzutheilen, wie andererseits auch so
lange die Herrschaft verpachtet bleibt, eine solche Zutheilung gar nicht
aQsffilirbar ist, ohne dem Pächter die Dominicalgründe zu schmälern und
dadorch zu Entschädigungsforderungen und Nachlässen Anlass zu geben.
Zudem ist die Gemeinde über diesen Punkt nach der von der Pachtung
bttgebrachten und hier in Abschrift erliegenden kreisämtlichen Entschei-
dung vom 6. December 1802 bereits zurechtgewiesen worden, wie es
tbrigens auch an keinem Orte thunlich ist, die Grundstücke nach Masse
*kr zunehmenden Bevölkoioing zu vermehren, sondern immer darauf an-
kommt, dass der Zuwachs von Ünterthanen, insofeme er mit Gründen
nicht versehen werden kann, seinen Unterhalt durch Taglohn und Hand-
werksverdienst suche. Ad 2 hat die Gemeinde eine freie und unbe-
schränkte Holzung in obrigkeitlichen Wäldern genossen, und sie hätte
Bidi daher gleich den übrigen ünterthanen mit der Gestattung der Aus-
fokr des Brenn- und Lagerholzes an den wöchentlich bestinmiten Tagen
XU begnügen. Ad 3 hat es sich schon bei der Untersuchung der noch im
Jahre 1 802 von der Gemeinde eingereichten Beschwerden laut der oben-
liegenden kreisämtlichen Entscheidung aufgeklärt, dass die Gemeinde zur
Bewachung des Schankers nicht verhalten, sondern nur die Versammlung
der nach der bestehenden Polizeivorschrift zu stellenden Nachtwächter im
Wirthshause angeordnet worden sei, weil ohne diese Vorsicht die Nacht-
Tichter für die Gemeinde nie richtig zu erzielen gewesen. Wenn nun die
Gemeinde schon zu jener Zeit mit eigener Ueberzeugung von diesen
342
Elagepunkten abgestanden und erkannt bat, dass auf andere Ali; und
ohne die Aufsicht des Schankwirthes die Stellung der Nachtwächter der
Gemeinde nicht zu erzielen sei, so hatte sie keinen Grund zu dieser wie-
derholten Beschwerde, oder aber, wenn von Seiten des Pächters oder
seines Schankwirthes yon dieser Stellung der Nachtwächter Missbrauch
gemacht werde, hätten sie beim königlichen Ereisamte Abhilfe zu suchen.
Endlich ad 4 lässt sich aus dem nämlichen Grunde, der über ein ähn-
liches Gesuch der Gemeinde Fontina alba mit Bericht vom 31. y. M.,
Zahl 1684, angefühii worden, auf die angesuchte Befreiung von der Ver-
bindlichkeit, Czerdaken zu unterhalten und nöthigenfalls Grenzwächter
zu stellen, nicht antragen, weil nothwendig Unterthanen einer Provinz
auch zu den öffentlichen Lasten gleich beitragen müssen und ein Aus-
nehmen einiger Gemeinden nur auf die übrigen von schädlichem Einflüsse
sein könnte, die, wenn es möglich wäre, ähnlicher Lasten nicht minder
als die Lippowaner-Gemeinden enthoben zu sein wünschen.'
53. 0. 10. Jänner 1805.^ Lemberger Landespräsidium an das
Staatsgüter-Inspectorat in St. Ilie. (Im Auszuge mitgetheilt.) — ,In Er-
ledigung des vom königlichen Staatsgüter-Inspectorate unterm 31. t. M.,
Zahl 1684, anher erstatteten Berichts wird demselben hiemit verordnet,
die Lippowaner-Gemeinde Fontina alba über ihr rückfolgendes Gesuch . . .
in Gemässheit seines oberwähnten Berichtes ausführlich zu Vorbescheiden.'
5S. 0. 10. Jänner 1805.' Lemberger Landespräsidium an das
Staatsgüter-Inspectorat in St. Ilie. (Im Auszuge mitgetheilt.) — ,In Ge-
mässheit des vom königlichen Staatsgüter-Inspectorate unterm 3. d. M.,
Zahl 8, anher erstatteten Berichts hat dasselbe die Lippowaner-Gemeindo
ElSnoutz über ihr zurückfolgendes Gesuch . . . mittelst eines motivierten
Bescheides abzuweisen. Vom k. k. galizischen Landespi-äsidium. Lem-
berg, am 10. Jänner 1805.'
54. 0« (Goncept.) 25. Jänner 1805. (Im Auszuge mitgetheilt.)
— Das Staatgüter-Inspectorat St. Ilie (Schubert) theilt der Gemeinde
Fontina alba durch die Euczurmarer Pachtung den in seinem unter Nr. 50
abgedruckten Gutachten begründeten Bescheid mit. Zugleich wui'den von
der Gemeinde ,aus Anlass dieses Gesuchs' gefordert: ,an Postporto 1 fl. 4 kr.,
an Präsidialstempel 15 kr. und an diesseitigen Stempel 6 kr., zusammen
1 fl. 25 ki\'
55.0. (Concept.) 25. Jänner 1805. (Im Auszuge mitgetheilt.) —
Ebenso theilt dasselbe Inspectomt der Gemeinde Elimoutz gemäss seinem
^ Auf einem ,fUnf2ehn Kreuzer* -Stempel bogen.
* Ebenso.
343
anter Nr. 51 abgedruckten Gutachten den entsprechenden Bescheid mit
und fordert die Bezahlung desselben Porto- und Stempelbetrages.
56. A. 1813/14. Bis zum Jahre 1813 hatten die Lippowaner von
Fontana alba durch Rodungen bereits 56 Joch Gründe an sich gerissen.
Die Wirthschaftsdirection kam erst durch die im Jahre 1813 vorgenom-
mene ökonomische Vermessung darauf. Die Sache blieb laut Protokoll
Tom Ji^ire 1814 auf sich beruhen, da der Ansiedelungsact nicht aufzu-
heben war.
57. A. 1817. Majestätsgesuch der Klimontzer Lippowaner. Ueber-
reicht dem Kaiser Franz II. bei seiner Anwesenheit in Czernowitz und
?on demselben signiert. — Die Lippowaner bitten : 1 . Um Bestätigung
ikres von weiland Sr. Mi^estät Kaiser Josef U. bei Gelegenheit ihrer
Ansiedelang erhaltenen Privilegiums und um Ertheilung einer neuen Ur-
kunde; 2. nm Befreiung vom Militärstande; 3. um Entfernung des Frei-
berm Nikolaus Kapri von der Pachtung dieses Dorfes; den Pachtschilling
ToUten sie selbst berichtigen; 4. um Bückstellung der der Gemeinde vor
30 Jahren entzogenen 70 Faltschen Wiesen auf der Horaitza; 5. um die
Freiheit, damit im Dorfe kein Wirthshaus bestehe; zugleich erbietet sich
die Genieinde, den Ertrag des Wirthshauses zu entrichten; endlich 6. um
Befreiung von der Vorspannsleistung und Reluierung dieser Last in Geld.
58. A. 10. Juni 1818, Zahl 6607. Kreisämtliche Begutachtung
des vorstehenden Gesuches. — Nach gepflegter Erhebung des Kreis-
uotes und des Domäneninspectors stand die Gemeinde von den Punkten
3, 4, 5 und 6 ihres Gesuches ganz ab: ad 3, weil sie sich mit dem Pächter
nicht abfinden konnte; ad 4, weil sie diese Wiese laut dem mit der
Radaatzer Direction abgeschlossenen Vertrage ddo. 16. Juni 1790
^r Herrschaft abgetreten hatte und dafür der Gemeinde statt der
LeistoBg der Bobot und anderer Naturalabgaben die Geldi'eluition ge-
stattet wurde; würden sie auf die Bückstellung der Wiesen beharren, so
mUssten sie die Robot und die anderen Abgaben in natura leisten; die
Gemeinde ziehe aber die Geldreluition jeder Naturalleistung vor; ad 5 wird
die Gemeinde mit dem Pächter rücksichtlich des Ersatzes des jährlichen
Wlrthsbansertrages in keine Verhandlung treten; ad 6 verlangt die Ge-
meinde die Befreiung von der Vorspannsleistung nicht mehr, weil die
V(»?panngebühren erhöht seien, die Vorspannsleistung aber nur selten
«ntreie; auch sei die kreisämtliche Weisung erflossen, dass bei Forde-
rungen von Vorspannsleistungen die gehörige Ordnung eingehalten werde.
Aineerdem bemerkt das S[reisamt zu den Punkten 1 und 2 Folgendes:
die Lippowaner sind in ihren ihnen verliehenen Rechten nie gestört wor-
den; insbesondere ist ihi*e Religionsfreiheit nicht angegiiffen worden.
344
Man wollte zwar die Kuhpockenimpfang und die gerichtliche Eidesab-
iegung auch bei ihnen einführen. Von der Forderung der Enhpocken-
impfung sei man aber zufolge des Hofkanzleidecretes vom 30. September
1813 zurückgetreten; einen Bescheid hätten sie fi*eilich darüber nicht er-
halten, da sie sich mit der Zeit eines Besseren überzeugen dürften. Ge-
legentlich wolle man durch Belehi'ung auf sie einwirken und sie auf
die Wohlthätigkeit der Impfung aufmerksam machen. Auch betreffs des
Eides bedürfe es keiner Be&einngsurkunde, da sämmtliche Dominien von
der Allerhöchsten Entschliessung vom 10. Jänner 1816 verständigt wor-
den seien und die Lippowaner-Gemeinde thatsächlich nicht zur Eidesab-
iegung verhalten wird. Betreffs des Punktes 2 sei aber zu bemerken.
dass die Lippowaner zur Becrutenstellung nicht verhalten wurden; selbst
als im Jahre 1809 und dann 1813/14 in der Bukowina zwei Freicorps
errichtet wurden, haben sie 1809 nur zwei Pferde und 1814 blos 100 fl.
gegeben. Auch für die Zukunft wäre es zu genehmigen, dass die Ge-
meinde statt Becruten Geldunterstützungen leiste.
59. A. 2. März 1819. Vorschlag der Lemberger Landesregierung.
— Da Kaiser Joseph IL dieser Gemeinde bei ihrer Ansiedelung mittelst
unter dem 9. October 1783 ertheilten Privilegiums im § 1 das freie Be-
ligionsezercitium für sie, ihre Kinder und Kindeskinder allergnädigst zu-
gestanden hat, so trage die Landesregierung an, diesen betriebsamen und
gutgesitteten Menschen zu ihrer Beruhigung duixh das Kreisamt die Ver-
sicherung ertheilen zu lassen, dass vermöge des höchsten Hofkanzlei-
decretes vom 30. September 1813, Zahl 15586, und 10. Jänner 1816.
Zahl 951,dieMennoniten überhaupt, zu denen auch die Lippowaner-Gemein-
den in der Bukowina gehören, von der zwangsweisen Kuhpockenimpfang
und der vorgeschriebenen Eidesabiegung, als ihren Glaubenslehren zu-
widerlaufenden Uebungen, befreit werden, und sie aus eben diesem Grunde
zu keiner Becrutenstellung verhalten würden.
60. A. 25. März 1819. Vortrag der Hofkanzlei in der Sitzung des
genannten Tages. — Die Lippowaner gehören zur Secte der Mennoniten
oder Wiedertäufer. Sie haben ein Privileg vom 9. October 1783, Später
erfolgte eine Allerhöchste Entschliessung, die unter dem 30. Juli 1789,
Zähl 1691, dem galizischen Landesgubernium intimiert wurde und Folgen-
des bestimmte: 1. Dass diese Gemeinde als lutherische zu betrachten ist.
nicht aber zu verhalten wäre, sich zu einem tolerierten Glaubensbekennt-
nisse zu erklären; 2. wenn sie sich auf die Zahl von 100 Familien ver-
mehrt haben wird, kann ihr auch die Erbauung eines eigenen Bethause«!
gestattet werden; 3. seien alle Häusler und ihre Nachkommen, so lange
sie sich zur Religion der Mennoniten bekennen, von der Recratierung mit
345
dem Bemerken freizuhalten, dass in Zukanft den Einwanderern dieser
Secte keine weitere Aufnahme ertheilt und Niemandem der üebertritt von
ka tolerierten Beligionen zur Secte derMennoniten gestattet werden solle;
endlich sei zwar keinem Mennoniten die Auswanderung zu verweigern,
doch müsse jeder Auswanderer dem Staate die auf seine Ansiedelung ver-
rendeten Auslagen ersetzen. Ferner wurde hervorgehoben, dass über
Vortrag des Hofkriegsrathes im Einverständnisse mit der Hofkanzlei am
1 Mai 1812 folgende Allerhöchste Entschliessung erfolgte: Bei den in
öalizieii angesiedelten Mennoniten habe es bei der ihnen bei ihrer Auf-
oabme zugesicherten Eecrutierungsfreiheit zn verbleiben, doch sollte jede
Familie, wie bisher, 1 fl. jährlich als Beluitionsäquivalent entrichten. Als
später das Landesgubernium berichtete, dass sie der Kuhpockenimpfung
widerstrebten und lieber auswandern wollten, da diese ,Methode' ihren
Beligionsbegriffen widerstrebe, habe die Hofkanzlei unter dem 30. Sep-
tember 1813, Zahl 15586, erwidert, man könne gegen Yorurtheile nicht
nit Zwangsmitteln vorgehen ; vielmehr soll man durch Beispiel und Be-
klinmg vermöge des Ereisamtes und Derjenigen, welche auf die Lippo-
vaner Einfluss haben, zur Verminderung ihrer Abneigung gegen die
hopfimg beitragen. Schliesslich wurde auf die Bewilligung Sr. Majestät
n>m 10. Jänner 1816 hingewiesen, dass den mennonitischen Lippowaner-
i^einden die mit ihren Beligionsgrundsätzen unvereinbarliche Eides-
^legnng nicht angedrungen werde und fortan ihre feierliche, mit einem-
Handschläge bestätigte Versicherung als hinreichend angenommen wer-
«ien könnte.
61. A. 26. März 1819, Zahl 9233. Antrag der Hofkanzlei. — Die
Bestätigung des Privilegiums vom Jahre 1783 oder die Anfertigung einer
ücnen Urkunde habe nicht stattzufinden und es sei umsoweniger abzu-
^ben, zu welchem Ende die Gemeinde darum angesucht habe, da sie selbst
gestehe, dass sie in Allem, was ihr mit jenem Privileg verliehen wor-
i«a sei, nicht gestört werde, sondern im Gegentheile auf ihre Beligions-
?ebräuche die thnnlichste Bücksicht genommen worden sei. Den Inhalt
üföes Protokolles nehme ich zur Wissenschaft. Wien, I.Mai 1819. Auf
^erhöchsten Befehl Sr. Majestät Erzherzog Ludwig m. p. An die Lem-
berger Landesregierung zur Verständigung 2. Mai 1819 (?).
63. 0. 5. Juni 1820. Grenzbegehungsprotokoll von Deutsch-Itz-
iani. (Im Auszüge mitgetheilt.) — Die deutsche Gemeinde »Jetzkani* war
'^ ihrer Anlegung nie für sich besonders abgegrenzt. Auf Verlangen
^ Herrschaft und der Gemeinde wurde daher die Grenzbegehung vor-
fenonunen und die Gemeinde aus dem ,Mittoker Hottar' ausgeschieden. Die
^nzen und gewisse gegenseitige Bechte werden schriftlich festgestellt.
inkir. LXXXIII. Bd. II. H&lfto. 23
346
6S. 0. 22. März 1821. Ausweis über den Stand der Uuteitbaue
des zur Religionsfondsherrschaft St. Onuphri gehörigen Gutes Kliniout;
dann was die jährlichen XJrbaiialscholdigkeiten derselben betragen, wi
solche im Jahre 1820 bestanden haben.
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Myron Trafinow . .
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Trifon Iwanow . .
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Anmerkung
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61
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63
64
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66
67
68
69
70
WasilTitow. . .
Lukian Sidor . .
Haiaktion Hudyk
Sydor Iwanow . .
Fedor Andrejow
Lukira Simenowa
Nikieta Andrejow
Pariiki Kriwericki .
Matei Barabolka
Wasil Olexei . .
Jakim Prokopow
Aron Lawrenow .
Summa . .
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
30
30
30
30
30
30
30
30
30
30
30
Geschworener
32 11
1
20
5
68
47
30
Klimoutz, am 22. Mäi*z 1821.
t Iwan Huru, Dwornik; f Michael Fedorow, f Iwan Assonow,
t Fedor famin, f Ossip Jakobow.
64. 0. Actum Elimoutz, 22. März 1821. Protokoll, welches in
Folge hoher Domainen- und Salinen-Administrationsverordnung Tom
23. Juli 1820, Nr. 7206, mit der Lippowaner-Gemeinde Elimoutz über
ihre Gi*undschuldigkeiten aufgenommen worden ist. Durch den unterzeich-
neten Domaineninspector me actuante Joanne Koch. Der Ortsvorstand und
die Deputierten dieser Gemeinde wurden vemoromen. I. Euere Gemeinde
hat nach einem unterm 16. Juni 1790 Yon der Fi*atautz6r Oekonomie-
direction mit ihr angestossenen, aber weder von dem k. k. Kreisamte,
noch von der k. k. Domainen- und Salinenadroinistration bestätigten
Contract die Naturalurbanalgaben, als 12Bobot8tage, 1 Stück Gespinnst,
1 Fuhre Holz, 1 Henne, dann den Zehent sowohl von allen Garten und
Feldfrüchten, als auch von Heu, im Gelde mit 800 fl. bis nun reluiert.
Dieser nicht bestätigte Vertrag kann nur bis Ende October 1. J. gelten,
die Gemeinde muss also vom 1. November I. J. anfangend die obigen
Praestationen entweder in natura leisten, oder sich zu einem den der-
349
maligen Zeiten angemessenen höheren Keluitionsbetrage herbeilassen
and diesfalls mit mir einen neuen €k>ntract auf sechs nachfolgende Jahre
unter Vorbehalt höherer Genehmigung anstossen. Die Gremeindedepu-
tierten haben sich demnach hierüber ad Protocollum zu erklären. Ad 1 :
Da sich die Grundstücke, welche wir besitzen, seit der Anstossung un-
seres bisherigen Contractes um nichts erweitert haben, so bitten wir, es
bei dem bisherigen Zins noch ferner zu belassen, den wir künftig mit
300 fl. in C.-M. oder in Banknoten zahlen wollen. IT. Die Zeiten haben
sieh geändert, die Preise aller Dinge sind seit dem Jahre 1790 bedeutend
gestiegen, auch hat sich die Yolkszahl seither um viele Landfamilien
vermehrt. Der Zuwachs mag auch nur in Häuslern und Inwohnern be-
stehen, so würde doch die Herrschaft von jedem jährlich 6 Robotstage
kben. Es ist also billig, dass die Gemeinde an der diesfölligen Reluition
^hch wenigstens 400 fl. G.-M. zahle. Ad 2: Die zugewachsenen Fa-
milien sind den wirklichen Wirthen nur lästig, denn eine jede derselben
hält wenigstens eine Kuh, wodurch für das Vieh der Wirthe die Ge-
meindehutweide nur geschmälert wird. Indem sind wir bereit, gleichwohl
320 fl. in O.-M. oder Banknoten jährlich an der diesfalligen Reluition zu
zahlen, nur bitten wir, dass der Contract mit uns womöglich auf immer-
währende Zeiten angestossen werden möchte, f Hnani» TypoBi» (Iwan
Hnrow), f MHxaüJo ^^opoBT» (Mihailo Fedorow), f HnaHi» Acohobt»
(Iwan Assono w), f ^e^oT'L ^aMMH-B (Fedot Famin), f ycTHii'L IIpoKo-
noBT» (Ustin Pi*okopow), f AnTpom, JlyKHH'B (Antrop Lukin), f Usan'B
Thtobt> (Iwan Titow), f Oceni» flKOBHM'B (Osip Jakowim). Es meldet
sich Iwan Titow von Klimoutz, welcher von dem verstorbenen Larion
Petrowicz einen Rottgrund, d. i. eine Waldwiese von 15 Faltschen bei-
äüfig käuflich an sich gebracht hat und an die bishenge Gutspachtung
anen besonderen Zins dafür von 10 fl. W. W. zahlte. Er bat, dass ihm
heser Grund noch ferner belassen werden möchte. Da ihm jedoch be-
deutet wurde, dass Rottgründe nur auf Leibeserben übergehen, mithin
nicht verkauft werden dürfen, sondern nach dem Tode des ersten Be-
sitzers und seiner Erben der Herrschaft anheimfallen, wofern der Käufer
sich mit der Grundherrschaft über einen billigen Zins nicht einversteht,
«*» erklärt er: Ich habe bisher 10 fl. W. W. gezahlt und bin bereit,
Hnftig 10 fl. C.-M. jährlich der Grundherrschaft an Zins zu entrichten.
Ich bitte, die hohe Bewilligung zu erwirken, dass mit mir hierüber der
Contract angestossen werde. Als Zeugen f Antrop Lukin. f Fedot Fa-
lun, unterfertigt Koch, f Iwan Titow, dessen Namen gefertigt Koch. Der
QBtcrsuchende Inspector findet die angebotene Reluition per 320 fl. C.-M.
aagemessen, weil die Gründe dieser Lippowaner-Colonie durchaus sumpfig
350
und nassgallig sind. Ebenso ist auch der angebotene Grundzins des
Iwan Titow mit 10 fl. C.-M. der Qualität einer Waldwiese angemessen.
Womit das Protokoll geschlossen und gefei*tigt wurde. Sig. ut snpi*a
Franz Schubert, Inspector. Johann Koch, Amtsschreiber. — Foi*tsetzung
zu Fontina alba den 23. März 1821. Der Gemeindeausschuss macht be-
merklich, dass der yerstorbene Larion Petrowicz, welcher sich als Prae-
potent den grössten Theil von den der Gemeinde zur Dotierung zuge-
theilten, mit Wald und Gestrüppe bewachsenen Grundstücke zugeeignet
hatte, Yor seinem Tode die Wiese Balta Sitarului (sie beträgt nicht,
wie oben gesagt worden, 15 Faltschen, sondern nach der EatastnÜTer-
messung 103 Joch 412 Quadratklafter) an den Iwan Titow von Eli-
montz verkauft habe. Der Gemeindeausschuss protestiei*t gegen diesen
Verkauf, weil der Grund nicht ein Eigenthum des Larion Petrowitsch, son-
dern ein der Gemeinde mit ganzen zugetheilter Dotienmgsgrund war, für
welchen Larion Petrowicz zu der Grundschuldigkeitsreiuition per 182 fl.
verhältnissmässig beigetragen hat. Obwohl nun Larion Petrowicz nicht
berechtigt war, einen der Gemeinde in concreto gehörigen Grund zu ver-
äussem, und obwohl dieser Verkauf ohne Wissen und Genehmigung des
Dominii directi geschehen ist, mithin keine Giltigkeit haben kann, so ist
die Gemeinde doch bereit, aus Achtung für den verstorbenen VerkäofeV,
der in seinem hohen Alter schon kindisch war, das Kaufcapital per
170 fl. W. W. zu ersetzen, sobald das befragte Grundstück der Gemeinde
zurückgestellt wird. IsaHi» Kipfijanx, ABopuHKi» m. p. f Ilerp^ Ep-Dia-
jaeBi», t Eacßjififl InaHaBH^b, f ra4>0Hi» KysMdHi», f MaKcdMi» Ilan-
jani». Nach der vorstehenden Erklärung wiid es nothwendig sein, dem
Iwan Titow das ungebürlich an sich gebrachte Grundstück abzunehmen
und der ohnehin schwach dotierten Gemeinde Fontina alba zurückzu-
stellen. Iwan Titow kann sehr zufrieden sein, dass ihm die Gemeinde
Fontina alba den Eaufschilling per 170 fl. freiwillig zurückzahlen will.
Damit wird gegenwärtiges Protokoll geschlossen und gefertigt. Sig. ut
supra Franz Schubert, Inspector. Johann Koch, Amtsschreiber, quo
actuante.
66. 0. Actum Fontina alba, am 23. Mäiz 1821. — Pi*otokoll,
welches in Folge einer hohen Domainen- und Salinen-Administrations-
verordnung vom 23. Juli 1820, Zahl 7026, mit der Lippowaner-Gemeinde
Fontina alba über ihre Grundschuldigkeiten aufgenommen worden ist
durch den untei*zeichneten Domaineninspector me actuante Joanne Koch.
Der Ortsvoi'stand und die Deputierten dieser Gemeinde wui'den vernommen.
I. Euere Gemeinde hat nach einem unteim 2. September 1796 mit
dem Verwalter der Kuczurmarer Pachtung Ignaz Zagurski
351
angestoBsenen, aber weder vom k. k. Ereisamte, noch von der hohen Staats-
göteradminiBtration bestätigten Contract die Cameralurbanalgaben als:
12 Bobotetage, 1 Stück Gespinnst, 1 Fuhre Holz, 1 Henne, dann den Ze-
hent sowohl Yon allen Garten- und Feldfrüchten, als auch von Heu, im
Gelde niit 182 fl. W. W. bis nun reluiert. Dieser Vertrag kann nun-
mehr nur bis Ende October d. J. gelten, die Gemeinde muss also vom
1. October 1. J. an&ngend die obigen Prästationen entweder in natura
leisten oder sich zu neuem, den gegenwärtigen Zeiten angemessenerem
höheren Beluitionsbetrage herbeilassen und diesfalls mit mii* einen neuen
Contract auf sechs nächstfolgende Jahre unter Vorbehalt höherer Ge-
Behmi^ung anstossen. Die Gemeindedeputierten haben sich demnach
Merflber ad ProtocoUum zu erkläi'en. Ad 1. Wir haben bisher für diese
Natoralschuldigkeiten 182 fl. W.W. gezahlt; wir sind aber bereit, künftig
jihrlich 190 fl. C.-M. oder in Banknoten zu entrichten und darüber den
Contract anzustossen. Wir bitten jedoch, höheren Ortes bewirken zu
wollen, dass dieser Ck)ntract nicht blos auf sechs Jahre, sondern auf
nomerwährende Zeiten geschlossen werden möchte. iBaHi» KipnjiaB,
OBOpBfiKBm.p. (Iwan Eirilow, Richter). tneTpi>EMaiaeB'L(!)S t^^^^"^^^
IsaHani» (Wasil Iwanow), f Ara4>dH'L KysMäirL (Agaphon Kuzmin),
t MaKCHMi» üaBJiaBi» (Maxim Paulow). II. Veimöge Auszug aus den
Katastralvermessungsacten sind in dem Umfange eurer Gemeinde 248 Joch
1252 Quadi-atklafter Dominical wiesen und 120 Joch 1410 Quadratklafter
Waldhütweide. Ihr habt anzugeben, ob diese Gründe der Gutspächter
Herr Wolowski selbst benutzt hat, oder ob ihr sie von ihm in Pacht ge-
halten und ihm hiefür einen besonderen Pachtzins gezahlt habt, dann
wie viel; zu eurer besseren Orientierung wird euch bekannt gemacht,
dass diese Grundstücke in folgenden Abtheilungen bestehen: a) Balta
Sitamlui mit GestiUpp verwachsen 103 Joch 412 Quadratklafter, b) Oni-
simowka 631 Quadratklafter, c) Onisimowka 33 Joch 875 Quadratklafter,
d) Onisimowka 111 Joch 934 Quadratklafter, e) die Waldhutweide Balta
Sitamlui 120 Joch 1410 Quadratklafter. Ad 2. Die Wiese Balta Sita-
mlui hat ein Lippowaner von Elimoutz, Namens Iwan Titow, durch Kauf
onbefagterweise an sich gebracht, denn sie ist ein Theil der Dotierung
unserer Gemeinde, wie wir schon in das anderweitige Klimoutzer Protokoll
ertiärt und diese Wiese reclamiert haben. Auch die übrigen Grundstücke,
nämlich die Onisimowka und die Waldweide Balta Sitarului, sind nicht
dominical, sondeiii gehören zu unserer Dotierung und machen eigentlich
den grössten Theil unserer Besitzungen aus, ohne welchen wir nicht be-
' Der Name Peters ist nicht umschrieben.
352
stehen können. Der Herr Ingenieur, welcher diese Grundstücke als herr-
schaftlich angegeben hat, muss sich also geirrt oder uns nicht verstanden
haben; und der Herr Unterpächter Wolowski muss es bestätigen, dass in
dem für uns ohnehin sicher beschränkten Terrain auch nicht eine Handbreit
Ginind für die Herrschaft vorbehalten worden ist. leani» Kipiuanrii m.p.
t IleTpi» EpMajiaeBi>, f BacHjifi leaHaBi», f Ara^öuani», f MaKCH3fi>
üasjiaBi». Da hier nichts weiter zu erheben wai*, so wurde gegenwärtige«
Protokoll geschlossen und gefeiiigt. Sig. ut supra Fmnz Schubert, lu-
spector. Johann Koch quo actuante.
66« 0. 11. April 1821. Aus einem Schreiben an den ,königlichen
Bukowiner Gameralbezirksinspector Herrn Schubeil^ — 8. Kann auch
mit der Lippowaner-Gemeinde Klimoutz der Vertrag auf sechs Jahre zor
Beluierung ihrer Grundschuldigkeiten mit dem jährlichen Betrage per
320 fl. C.-M. eingegangen, jedoch darin vorbehalten werden, dass nach
Ausgang der sechs Jahre der Obrigkeit frei bleibt, neuen Vertrag auf die
Beluierung abzuschliessen oder die Gi-undschuldigkeiten in natura abzu-
fordern, ingleichen ist vorzubehalten, wenn im Laufe der sechs Jahre die
Grundschuldigkeiten reguliert werden sollten, dass sich die Gemeinde ge-
fallen lassen muss, darnach neue Vertiäge einzugehen. Auf gleiche Art
9. ist mit der Lippowaner-Gemeinde Fontina alba der Vertrag auf sechs
Jahre über die Reluierung der Giiindschuldigkeiten für jährlich 190 fl.
in G.-M. einzugehen. Nachdem sowie aus dem Protokoll ad 8 and 9 zu
entnehmen ist, die Lippowaner-Gemeinde Klimoutz den Bodgrund, den
der Iwan Titow von dem verstorbenen Jurio (!) Petrowicz an sich käuf-
lich gebracht haben soll, und der 103 Joch 412 Quadratklafter nach der
Katastralvermessung enthält, als ihr Eigenthum anspricht, so tragt man
unter einem der Kotzmaner Verwaltung auf, diesen Anstand näher zu
untersuchen, weil durch die einseitige Angabe der Gemeinde noch nicht
erwiesen ist, dass dieser aus Rodung entstandene Grund nicht ein Eigen-
thum der Herrschaft ist. Lemberg, am 11. Aphl 1821.
67. 0* 10. Juli 1821.^ — Veilrag, welcher am heute zu Ende
gesetzten Tag und Jahr in Folge hoher Domainen- und Salinenadministra-
tionsweisung vom 11. April 1. J., Zahl 4392, zwischen dem k. k. Buko-
winer Domaineninspector im Namen des Bukowiner Beligionsfonds einer-
und der zur Eeligionsfondsherrschaft St. Onuphrie gehörigen Lippo-
waner-Gemeinde Fontina alba andererseits wegen Bestimmung der von
der Gemeinde zu leistenden Urbarialgrundschuldigkeiten in eine baai*e
Beluition unter Vorbehalt höherer Begnehmigung nachstehend verabredet
^ Am Rande oben: ,Suppliment8tempel per 4 fl.'.
863
ind geschlossen worden ist. 1. Wird von Seiten des k. k. bnckowiner
Dom&ineninspectorats im Namen des Religionsfonds der Lippowaner-
Gemeinde Fontina alba die Relnierung der von ihr der Grnndherrschaft
nrbarialmassig zn leistenden Ginndschuldigkeiten, nnd zwar: der von
einem jeden Unterthan zn prästirenden 12 Bobotstäge, 1 Stück 6e-
sponst, 1 Fnhre Holz, 1 Henne, dann den Zehent sowohl von allen
Gärten- nnd Feldfrüchten, als auch von Hen im baren Oelde während der
nächstfolgenden sechs Jahre, das ist vom 1. November 1821 bis eben da-
hin 1827 gestattet, gegen deme, dass 2. die Gemeinde Fontina alba sich
Terbindlich macht, den laut ihrer nnteim 22. (!) März 1. J. zu Protokoll
gegebenen Erklärung angebotenen jährlichen Relnitionsbetrag von
190 a. C.-M. in halbjährigen Raten und zwar: die erste Hälfte mit An-
fang November und die zweite mit 1. Mai eines jeden Jahres an die
H«T8chaft oder ihren Pächter unweigerlich vorhinein zu bezahlen. 3. Für
die richtige Einzahlung des im vorhergehenden Paragraph stipuliert^n
Belnitionsbetrages haftet die Gemeinde Fontina alba mit ihrer Habe in
soUdum, das ist Einer für Alle und Alle füi* Einen dermassen, dass, wenn
fahrend der bedungenen sechs Jahre sich die Anzahl der Unterthanen
Tennehren oder vermindern sollte, sie demnach an ihrer ganzen Reluitions-
sdiiildigkeit nicht mehr und nicht weniger als 190 fl. C.-M. zu zahlen
eckoldig sein soll. 4. Wird hier ausdrücklich ausbedungen, dass gegen-
wärtiger Relnitionsvertrag nur auf die § 1 bestimmte Zeit seine volle
Knft haben soll, nach seinem Verlaufe aber behält sich der Religions-
fonds das Becht vor, mit der Gemeinde entweder einen neuen ähnlichen
Tertrag auf fernere Zeit anzustossen oder die bestimmten Grundschuldig-^
keüen in natura abzufordern, ebenso 5. macht sich die Gemeinde Fontina
alba anheischig, für den Fall, wenn während der bedungenen sechs Jahre
Ton hohen Oiiien eine neue Bestimmung der Grundschuldigkeiten erfolgen
sollte, hiemach auf Verlangen der Herrschaft neue Verträge über die Re-
hüerung derselben einzugehen. 6. Leistet die Gemeinde auf jeden Nach-
to von diesem § 1 stipulierten Relnitionsbetrag hiemit ungezwungen
leierlichst Verzicht. Urkund dessen sind drei gleichlautende Exemplare
dieses Contractes ausgefeiügt, von beiden Theilen in Gegenwart zweier
UezQ erbetenen Zeugen, denen ihre Unterschriften nicht nachtheilig sein
sollen, unterfertigt und besiegelt worden. Fontina alba, am 10. Juli 1821.
Fnnz Schnbeil, Inspector. lBam> KipAjiaB'B m. p., (Juon Eirilo, Rich-
ter), ? Thxohobi» m. p. (Anton Tichonow), ÜCTpo EptMejaeni» m. p.
(Petro Jermalaw). Als erbetene Zeugen: Fignra, Postmeister. Michael
Winiarski (abgefallenes Siegel). Vorstehender Vertrag wird seinem vollen
Inhalte nach anmit bestätigt. Von der k. k. Domainen- und Salinen-
354
administration. (L. S.) Lemberg, den 30. December 1821. Vorliegender
Vertrag wird vom k. k. Baccowiner Ereisamte im Grunde der yoraos-
gegangenen Verificiening desselben bestätigt. Vom k. k. Bnccowiner
Kreisamte. (L. S.) Czernowitz, den 28. Mäi'z 1827.
68« 0. 10. Juli 1821.^ (Gekürzt.) Mit der vorbergebenden Nummer
völlig gleicblautender Vertrag mit Klimoutz, nur dass der Belnitions-
betrag mit 320 fl. festgestellt wird. Der Schluss der Urkunde lautet:
Elimoutz, den 10. Juli 1821. Franz Schubert, Inspector. Im Namen der
ganzen Gemeinde: f Iwonn Hnrow, Dwornik, f Sirgi Mikitin, MHxafijo
^e^opoBii m. p. (Mibailo Fedorow). Winarski (Name des zweiten Zeugen
unleserlich). Vorstehender Contract wird seinem vollen Inhalte nach an-
mit bestätigt. Von der k. k. Domainen- und Salinenadministration. (L. S.)
Lemberg, den 30. December 1821.
69. A. 19. Juli 1821. Klage der Lippowaner von Fontina alba.
In Fontina alba leben sechs Kaluger: Joseph, Pelage, Nectari, Adam,
Anastasi und Simon. Diesen Mönchen soll man die Wiese Sitarului
geben, weil sie sonst der Gemeinde zur Last fallen. Der jetzige Be-
sitzer derselben, der Klimoutzer Insasse Juon Titow, habe sie vom ein-
stigen Dorfältesten von Fontina alba Larion Petrowicz gekauft, ohne dass
aber dieser zum Verkauf berechtigt wäre; die Gemeinde schwieg damals,
weil Petrowicz der älteste war. Seither habe allenfalls Titow etwas selbst
gerodet. Die Wiese liegt innerhalb der herrschaftlichen Waldung und
wurde 1821 mit 26 Faltschen = 46 Joch 1280 Quadmtklafter bemessen.
70* A. 22. Juli 1821. Gegenklage der Einwohner von Suczaweni.
Die Fontina alber-Insassen wollen die Balta Sitarului unrechtmässig in
Besitz nehmen. Drei Viertel dieser Wiese sind seit der Metzger*schen
Abgi*enzung auf unserem Bereich gelegen, und wir haben darauf Vieh ge-
weidet und Wald gerodet. Hierauf hat sich Larion Peti'owicz und später
Juon Titow unrechtmässig in den Besitz dieser Wiesen gesetzt. Petro-
wicz ist mit allen seinen Erben ausgestorben ; er hat hier nur unbedeu-
tende Bodungen vorgenommen. Die Herrschaft soll uns diese Wiesen geben,
worauf wir dem Titow die unbedeutenden Bodungskosten ersetzen werden.
71. A« 1821/22. Aus den Verhandlungsacten über diesen Pro-
cess. — Die Wiese wurde anfangs durch einen Kaluger Hawrilo gerodet.
Nach dessen Tode gieng sie an (den Kaluger) Mitrodor Jakiw tiber. Nach
dessen Tode übernahm sie Larion Petrowicz, rodete etwas und verkaufte
sie an den Klimoutzer IJnterthanen Juon Titow. Nach dem Hofdecret
vom 15. März 1810 gehört das Nutzungseigenthum eines Bodginindes
^ Oben am Rande: ,Steinpei bogen per 4 fl. C.-M. liegt bei.*
355
denjenigen, der ihn urbar gemacht hat, und ma88 seinen Nachkommen
belassen werden. Nach dem Erlöschen dessen Descendenz fällt die Wiese
fto die Herrschaft zurück, weil ihre Rodung nicht vor 1786 geschah. Pe-
trowicz starb ohne Descendenz. Die Gemeinde Fontina alba will sie zum
Unterluüt der Ealuger verwenden. Diese aber haben ,keine Fundation
f&r sich^ Sie sind keine Geistlichen, sondern alte abgelebte Lippowaner,
meist Flüchtlinge aus Bussland, welche die Gemeinde aufnimmt und da-
her auch fftr sie sorgen mag. Die Suczawener sagten am 19. Mai 1822,
isss sie die Pojana Sitarului beweideten, bevor Fontina alba mit Lippo-
wanem besiedelt wurde. In der Bukowina herrschte das Becht, sein Vieh
zu weiden, wo man konnte. Sie rodeten vor Petrowicz ihren Theil durch
Feuer; dieser verdrängte sie. Titow sagte, als er die Wiese an sich
brachte, war sie so verwachsen, dass er in der Mitte selbst 8 Faltschen
roden musste. Jakiw habe 6Vt Faltschen dem Sohne des 1818 verstor-
beaen Luion Petrowicz verkauft. Larion wollte im April 1818 die Wiese
zanichst an Juon Maiiniow um 175 fl. W. W. verkaufen. Als dies die
Fontina alber hintertiieben, verkaufte er sie um denselben Preis im
August dem Titow. Um 1798 waren vier Ealuger in Fontina alba: der
Altvater Jakiw, Eirion, Parafont, Nikifor Larianow. Diese rodeten zu-
erst auf der Pojana Sitai-ului etwa 6 Faltschen = 11 Joch 1120 Quadrat-
klafler. Die Pojana lag in Fontina alba und in Suczaweni, und zwar
bttderseits etwa zur Hälfte. Nachdem die drei Kaluger gestorben waren,
verkaufte Jakiw 1802 (1804) sie dem Mina Larion för 100 fl., worauf
sie Larion Petrowicz ei'weiteite. Die Ealuger hatten auch Vieh von
Korczestie und Suczaweni auf der Wiese weiden lassen.
72. A« 8. August 1822. — Im Militäi-arreste in Czernowitz sind
finf Lippowaner-Mönche wegen Grenz-(Contumaz-)Uebei*tretung einge-
sperrt. Die Gemeinde bittet um die Erlaubniss, dass sich dieselben im
Kloster Fontina alba niederlassen dürfen.
73* A. 10. August 1822, Zahl 10649. Das Ereisamt (Issetsches-
kal) an die Verwaltung in St. Onufri. — Was für ein Eloster existiert
ia Fontina alba? Dem Ei-eisamte sei hie von nichts bekannt.
74. A. 31. Jänner 1823, Zahl 31. Bericht der St. liier Verwal-
tng (Horwath). — Die Lippowaner sind von jener Sittenreinheit, welche
sie der höchsten BQcksichten würdig machten, sehr auffallend abgewichen
snd stehen an Demoralität und Ti*ägheit den Nationaluntei*thanen nicht
nach. Sie isolieren sich von allen Polizei- und Sanitätsmassregeln.
75. A. 4. Mai 1823, Zahl 496. — Das Wirthschaftsamt in ?
spricht dem Elimoutzer Insassen Titow die mit den Lippowanern von
Fontina alba strittige Wiese ab.
366
76. A. 26. Mai 1825, Zahl 4251. Das Ereisamt hebt die in der
vorigen Nummer gefällte Erkenntniss auf; Titow bleibt im Besitze der
Wiese.
77* 1. A. 15. Juni 1827. — Vertrag, welcher am heute zu Ende
gesetzten Tag und Jahr zwischen der Zuczkaer k. k. Cameral-Geffllen-
Verwaltung für und im Namen des Bukowiner Beligionsfonds [einerseits
und der zur] Herrschaft St. Onnphry gehörigen Filipowaner- Gemeinde
Fontyna alba oder Bila Eirnica andererseits über die Verwandlung ihrer
Urbarialgrundschuldigkeiten in eine haare Geldreluition . . . (wie in Nr. 67,
nur dass der Vertrag für die Zeit »vom I.November 1827 bis dahin 1833'
gilt und die betreifende Erklärung der Gemeinde ,unterm 15. Juni 1. J.'
erfolgte.) ... Zuczka, am 15. Juni 1827. August Eunzel m. p., Ver-
walter. Euhn m. p., Controlor. Leibschütz m. p. (L. S.) Maximilian Pawlow,
Richter. (L. S.) Iwan Eiiylo, Mikita Iwanow. Vorliegender Vertrag wird
von Seite des k. k. Bucowiner Ereisamts im Grunde der vorausgegangenen
Verificierung desselben bestätigt. Vom Bucowiner k. Ereisamte. Czemo-
witz, am 18. Juli 1829. (L. S.) (Unterschrift unleserlich.)* Vorliegender
Reluitionsvertrag wird zufolge Eimächtigung der hohen Cameral-Gef^len-
Verwaltung vom 8. Novembei' 1836, Zahl 4480, nachträglich seinem gan-
zen Inhalte nach bestätigt. Von der k. k. Czernowitzer Gameral-Bezirks-
Verwaltung, den 16. December 1836. (L. S.) Zulawski.
78. 0. 15. Juni 1827. (Gekürzt.) — Gleichlautender Vertrag mit
der Gemeinde Elimoutz, nur dass der Beluitionsbetrag mit 320 fl. fest-
gesetzt ist. Der Schluss lautet: Zuczka, am 15. Juni 1827. (L. S.) Carl
Euhn, Leibschütz. ^BopbHHKi» FaAHBOHi» CeMenoBi» m.p. (L.S. von Kli-
moutz)' (Badion Semenow, Ortsrichter), MHxafija ^e^opoBi m. p.
(Michailo Fedorow), Oxe^an AaeKcaBi» m. p. (Stephan Alexejow). (Das
Folgende wie in der vorhergehenden Nummer, nur dass die letzte Be-
stätigung bereits am 16. November 1836 erfolgte.)
79« 0, (Concept). 7. September 1832. — Zuczkaer Gamei-alwirth-
schaftsamt überreicht mit Bericht vom 30. April 1832, Zahl 1038, die TJr-
barialrelnitionsverträge der Gemeinden Elimoutz und Fontina alba für die
Jahre 1827 bis 1833 der hohen Stelle zur Bestätigung. Gesehen Buko-
winer Gameral-Gef&lleninspectorat und wird einer hohen Stelle mit der
Bemerkung überreicht, dass, um beui*theilen zu können, inwiefeme der
seit dem Jahre 1821 bestehende Belnitionsbetrag dem Werthe der ge-
setzlich zu leistenden Urbarialgaben und Zehent entsprechen, der Be-
* Bis hier Abschrift; das Folgende ist Oripinal.
» Lesbare Inschrift: ELIMOUTZ; das Wappenbild ist undeutlich.
357
stand eines GrundiiiTentars nothwendig wäie, woran es aus Ui-sache, weil
der Gnmdbesitz der CFrbarialpflichtigen nicht bekannt ist, bis nun noch
nangelt. Um daher bei der schon izt nothwendigen ferneren Erneue-
ning dieses Zinsvertrages auf einer derlei GinindUge verhandeln za
können, wolle eine hohe Stelle dahin wirken, dass dem Zuczkaer Wirth-
schaftsamte eine Abschrift der letzten Eatastralvermessungsprotokolle der
Gemeinden Elimoutz und Fontina alba zukomme, aus welcher die Anzahl
dw Grundbesitzer, sowie der Werth des Zehents mit weniger Zeit- und
Kostenaufwand zu entnehmen sein wird, als dies vermittelst einer Local-
tfhebnng geschehen könnte. Czernowitz, 7. September 1832. Koch.
80. A. Bericht des Hegei'sohnes Joseph . . . über den am 11. Mai
1835 stattgefundenen Angriff der Lippowaner. — Der Angriff geschah
tm 11. Mai 1835. Ich gieng aus dem Hegerhaus, um das Vieh meines
Vaters aufeusuchen, und hörte, als ich durch den herrschaftlichen Wald
Wamiza gieng, einen grossen Läim in diesem Abschnitte. Ich gieng dem
Geschrei nach, und dieses führte mich zu den herrschaftlichen Ab-
Burknngspf&hlen, Erdhaufen und Schanzen, welche zur Einfriedung des
herrschaftlichen Waldes durch die Camera errichtet worden wai*en. Bei
ffiesen Grenzpföhlen und Haufen waren fast alle Lippowaner aus Fontina
alba, und zwar Männer, Jünglinge und Knaben damit beschäftigt, theils
mit Holzhacken, theils mit Schaufeln die Grenzpfähle auszugraben, die
Schanzen zu verwerfen und die Grenzhaufen zu zerstören. So schleiften
sie eine grosse Strecke der Abmarkung und machten sie dem übrigen
Erdboden gleich. Da die gan^e Gemeinde versammelt war, konnte ich die
Gewalttbat nicht hindern, sondern lief zu dem in dem Walde sich befind-
lichen Holzschlag, um meinen Vater zu rufen. Als ich ihm unterwegs
b^egnete, erzählte ich ihm denVoifall, und wir giengen beide zurück nach
Hause. Als wir bei unserer Wohnung anlangten, waren alle Lippowaner
bereits bei unserem aus Buthen geflochtenen Gartenzaun. Sie hackten
dessen Pfähle knapp bei der Erde ab und warfen den Zaun nieder. Als
nein Vater sie fragte, waium sie das gethan hätten, fiengen sie Alle zu-
gleich an zu schreien, sie würden auch den Förster veijagen; hier hätte
Niemand etwas zu suchen, denn der Grund sei ihr Eigenthum. Nachdem
iie den Zaun zerstört hatten, giengen alle zum Saume des schlagbaren
Waldes und gruben hier einen neuen Abmarkungsgraben. Gegen Abend
kamen sie sodann zu dem in unserem Garten stehenden alten Häuschen,
riHen vom Dachvorsprunge desselben sechs Stützsäulen heraus und
warfen sie zur Erde. Endlich kamen sie in unsere Wohnung, und der
Fontina alber Bichter Pappon Anesin schrie meinem Vater zu, er solle
ias Haus gleich verlassen, sonst werden sie es ihm über dem Kopfe zu-
358
sammen werfen. Mehrere Lippowaner fiengen anch an, mit den Köpfen der
Holzhacken an dieW&nde zu schlagen. Mein Vater antwortete dem Rich-
ter, er werde das Hans nicht yerlassen und sie mögen machen, was sie
wollen; er werde es dem Förster melden. Die Lippowaner fOhrten die
Drohung nicht aus; doch sagte Eliswoy Zelisniak zu meinem Vater, er
solle bis zum folgenden Tage das Haus räumen, weil sie morgen wieder-
kommen und das Haus niederreissen werden; auch Basil Daskaliuk schrie
zu meinem Vater: ,Du kannst dein Recht suchen; dieser Waldabschnitt
ist unser Eigenthum, und wenn Du morgen noch im Hause bist, so wer-
den wir es Dir über dem Kopfe zusammenwerfen.' Am anderen Tage kam
der Mandatar und nahm die Besichtigung vor. Die Lippowaner kamen
aber nicht mehr. Mein Vater war nämlich gleich nach dem Abzüge der
Lippowaner zum Förster Schaller in Kamenka gegangen, der ihm ein
Schreiben an das Mandatariat in Sereth gab; hierauf erschien der Man-
datar am 12. (13.) zur Beaugenscheinigung. Es werden femer die Lip-
powaner einzeln genannt, welche bei den geschilderten Vorgängen sich
betheiligt hatten, unter ihnen auch der vormalige Richter Haurilo.
81. A. 21. Mai 1835. — Das Serether Mandatariat (Wirthschafts-
amt) zeigt mannigfaltige Unzukömmlichkeiten in den Lippowaner-6e-
meinden Klimoutz und Bialakiernica an. Beide Gemeinden haben keine
Priester, daher keine Trauungen, Taufen und Beerdigungen ordnungs-
mässig stattfinden; auch werden keine Pfan-bücher (Matrikeln) geführt.
Sie haben keinen Friedhof, sondern verscharren ihre Leichen in Gräben
und Gärten. In Fontina alba befindet sich ein Kloster mit 16 ausländi-
schen Mönchen. Die Lippowaner nehmen keine Impfung und keine ärzt-
liche Behandlung bei epidemischen Krankheiten an. Aus den dem Wehr-
stande unterliegenden Gemeinden nehmen sie Jflnglinge in ihre Mitte auf
und lippowanisieren dieselben; da keine Matrikeln vorhanden sind, könne
ihnen dieses Vergehen nicht nachgewiesen werden, üeberhaupt wären
die Lippowaner in allen Beziehungen den anderen Staatsbürgern gleich-
zustellen, weil von ihnen bereits eine bedeutende Anzahl als Raubmörder,
Todtschläger, Diebe und Schwäi*zer verhaftet wurde.
83. A. 29. Juni 1840, Zahl 1129. Bericht des Kreisamtes. —
Der Mangel an Matrikelbüchem bei den Lippowanern ist sehr ffthlhar
und deren Einführung nothwendig; daher hatte das Kreisamt deren Füh-
rung angeordnet. Die Lippowaner weigerten sich aber, dies zu thun, in-
dem sie behaupteten, dies sei eine Neuerung; jede Neuerung sei aher
gegen ihre Grundsätze und gegen die Privilegien Kaiser Josephs. Darüber
wurde schon im Jahre 1833 eine Erhebung gepflogen, wobei das Kreis-
amt auch Kenntniss erhielt, da^^s in Fontiua alba ein Klostor ohne Be-
359
wiUiguug der Begieining bestehe. Strafandrohungen halfen nichts; man
^gte daher den Lippowanern, dass eigene Individuen zur Führung der
MaMkenbücher aufgestellt werden würden. Was das Kloster anbelangt,
so glaubte das Ereisamt damals, dass dieses ohne höhere Genehmigung
gegründete Kloster der Lippowaner Unwissenheit und Starrsinn in die
Gemeinde bringen werde. Dieses Kloster bestehe schon seit vielen Jahi'en.
Im Jahre 1818 Terschrieb der verstorbene Vorsteher der Lippowaner in
Fontina alba, Ilarion Petrowicz, einen grossen Obst- und Gemüsegarten
als Dotation für das Kloster, woselbst bereits 17 Mönche waren, die
^öastentheils aus der Moldau und Bessarabien auf unbefugte Art ein-
gewandert waren. Hierauf führte der Kreiscommissär Czalowski die Unter-
suchung. Nunmehr trage das Kreisamt (29. Juni 1840, Zahl 1129) beim
Gabemlnm an, dass das Kloster gestattet werde; doch sollten die ein-
gewanderten Mönche in ihre Heimat zurückgeschafft und die drei Kloster-
iltesten mit noch drei anderen Mönchen nur geduldet werden, wenn sie Un-
terricht ertheilen, Seelsorge besorgen und Matrikelbücher führen würden.
Ton diesen Mönchen soll einer zumVoi-steher gewählt werden; die Ordens-
satznngen sollen vorgelegt und von der Begieining bestätigt werden.
83. 1. ? — Das Gubernium befahl die Führung der Matriken-
böcher an und gab den Auftrag, dass gegen die eingeschlichenen Mönche
die Amtshandlung eingeleitet werde. Zugleich verlangte es vom Fiscal-
uot und Yom griechisch-nichtunierten Consistorium in Czeiiiowitz ein
Gutachten ab behufs einer den Staatszwecken angemessenen Organisie-
rung des Klosters in Fontina alba.
84. A. ? Bericht des Fiscalamtes. — Bezüglich der Matriken-
büdier ist zu bemerken, dass dieselben durchaus keinen religiösen Cha-
rakter haben, da sie bloss zur Evidenz dieuen, wofür als Beweis angeführt
werden kann, dass die Führung derselben zum Beispiel in Frankreich den
CiTilbehörden überti*agen worden sei und selbst in Oesterreich hinsicht-
lich der Juden eine analoge Verfügung bestehe. Zwang dürfe aber doch
nicht ausgeübt werden, da es immerhin möglich wäre, dass das Eintragen
der Getauften, Getrauten und Verstorbenen dennoch den Beligions-
begrüTen dieser Secte, welche viele Sonderbarkeiten hat, widerstreitet und
sie so in ihren erworbenen Bechten der Beligionsübung verletzt werden
könnten. Die Glaubenslehren und Grundsätze der Lippowaner sind je-
doch dem Fiscalamt unbekannt. Ueber das Kloster sei zu bemerken, dass
eine Klostercommunion bei geregelter Staatsverwaltung ohne Wissen und
Zulassung des Staates nicht rechtswirksam bestehen könnte. Da nun das
lippowaner-Kloster ohne eine solche Bewilligung, ja sogar gegen ausdrück-
Ikhtö Verbot errichtet wurde, so ist es als kein Kloster anzusehen. Es
360
handelt sich gegenwärtig darum, demselben eine gesetzliche Basis zugeben
und dasselbe zu organisieren. Dies ist Sache der Verwaltungsbehörden.
85. A. ? Gutachten der theologischen Lehranstalt in Czemowitz.
— Die Beligionsregeln der Lippowaner stimmen mit den Grundregeln
und Hauptprincipien der orthodoxen (griechisch-nichtunierten) Kirche
flberein; doch sind einige unterschiedliche Gebräuche vorhanden, welche
die Lippowaner aber fülr so wesentlich erkennen, dass sie alle diese Ge-
bräuche nicht Beobachtenden fClr Ketzer erklären. So meiden sie den Eid
und das gemeinschaftliche Beten und Essen mit fremden Glaubens-
genossen ; sie behaupten, dass die göttliche Gnade zwar zur Beendigung
des beabsichtigten Guten, nicht aber zum Wollen desselben nothwendig
sei; sie machen beim heiligen Geiste den Beisatz ,des wahren'; sie er-
klären das dreimalige Eintauchen bei der Taufe für nothwendig, ebenso
das Benützen eines achtaimigen Kreuzes; sie erkennen nur jene Kirchen-
bücher für recht, welche vor dem Patriarchen Nikon aufgelegt worden
sind, u. s. w.; sie beobachten die Fasten strenger als andere Gläubige;
enthalten sich von hitzigen Getränken, selbst von Thee und Kaffee;
scheeren nicht den Bart, rauchen und schnupfen nicht; alle Jene, welche
sich von einem anderen Glauben zu ihnen wandten und die noch nicht
nach dem beim griechisch-nichtunierten Bitus üblichen Brauche des
Untertauchens getauft worden sind, taufen sie wieder. ... Es folgen Be-
merkungen über die Entstehung der Secte und spärliche Mittheiiungen
über deren Einwanderung in die Bukowina. Nach diesem Gutachten be-
merkt das Consistorium, dass über diese Secte ,kein Beschluss gefiasst
werden' könnte, weil über mehrere Beligionsgrundsätze und Gebräuche
nichts Bestimmtes bekannt ist. Da die Lippowaner ihre Grundsätze und
Gebräuche verheimlichen, sei das Consistorium überhaupt nicht geneigt,
für dieselben das Wort zu führen, besonders sei es gegen die Duldung
eines Theiles der Lippowaner, nämlich der priesterlosen.
86. A. 21. März 1842, Zahl 11613. Verfügung des Landesgnber-
niums. — Die Lippowaner können von der Führung der Matrikenbücher
als einer Verwaltungsmassregel, die weder mit der Religion, noch mit
dem Gottesdienste im Zusammenhange steht, nicht losgezählt werden.
Die Errichtung eines Klosters und eines Weihbisthums sei unstatthaft ;
im Patente vom 9. October 1783 sei ihnen zwar die ungestöi-te Ausübung
des Gottesdienstes und der geistlichen Seelsorge zugesichert, nicht aber
die Befugniss zur Errichtung eines nur der Abgeschiedenheit und Con-
templation gewidmeten klösterlichen Instituts.
87. 0. Actum Klimoutz, den 3. December 1842. Protokoll, wel-
ches mit der Gemeinde Klimoutz über die weitere Beluierung der unter-
361
tbinigen Schuldigkeiten, dann der Urbarialgiebigkeiten und des Zehents
Ton dem Rnsticalgrundbesitze aufgenommen worden ist. — Vennög dem
mit löblichem k. k. Bezirksvenraltungserlasse Yom 16. December 1836,
Zahl 9710, herabgelangten, im Grunde Ermächtigung der hohen k.k. Ca-
mendgeföllen-Landesyerwaltung vom 8.Noyember 1836, Zahl 34485, be-
stätigten Vertrage vom 15. Juni 1827 hat die Gemeinde Elimoutz die
herrechaftlichen Ürbarialschu1digkeit8gaben und Leistungen, das ist die
Frohne, das G^mgespunst, die Fuhre Kopf- oder Brennholz, dann den
2^hent von allen Feld- und Gartenfrfichten, dann Heu, im Gelde mit jähr-
lichen 320 fl. C.-M. relniert. Da jedoch der besagte Vertrag fftr die Zeit
¥om 1. November 1827 bis letzten October 1833 geschlossen war und die
eingangs belobte Behörde den Vertrag bis Ende April 1843, nämlich bis
zum Ausgange der letzten Pachtperiode zu erneuem anordnete, die Er-
neuemng jedoch nicht vorgenommen wurde, weil die am 1. Mai 1834 ein-
fetretene neunjährige Pachtperiode nicht nur froher begonnen hatte, aber
auch die erwähnte Gemeinde dem oberwähnten Vertrage gemäss das Be-
lotum im Gelde anstandslos entrichtete, so scheint es nun angedeutet zu
sein, mit der besagten Gemeinde über die weitere Reluierung besagter
Schuldigkeiten in Verhandlung zu treten. Demzufolge wurde besagte Ge-
meinde am 2. 1. M. von der Vornahme dieser Verhandlnng in Kenntniss
gesetzt und aufgefordert, aus ihrer Mitte zwei Insassen zu erwählen, diese
mit einer Vollmacht zu versehen und anzuweisen, im Grunde der besagten
Terbandlnng vor dem gefei-tigten HeiTschaftsverwalter zu erscheinen.
Ytnnög der am^ November 1842 somit letzt bewirkten individuellen Be-
schreibung zählt die besagte Gemeinde 32 bespannte, 21 unbespannte
frundbesitzende Wirthe, 7 7 Häusler und 6 Inleute, deren Schuldigkeit nach
dem BucoTinaer ürbarialsystem in 53 Fuhren Kopfholz, 53 Strähnen
Garn, 53 Hühnern und 1140 Fi'ohntagen besteht, ausserdem haben diese
den Katnralzehent von allen Feld- und Gartenerzeugnissen abzugeben,
den Henzehent mit 3 kr. W.W. per Klafter in der Rundung des Schobers
geredinet zu reluieren, und der Bespannte per 1 fl.W.W., der Unbe-
spannte und Häusler hingegen per 30 kr. W. W. sub titulo Wald-
eonvention, nämlich für den Bezug des Abraum- und Lagerholzes an die
Herrschaft zu entrichten. Nach den angenommen werdenden Inventarial-
prmsen würden die obigen Schuldigkeiten im Gelde betragen, und zwar:
53 Fuhren Kopfholz ä 12 kr. = 10 fl. 36 kr., 53 Strähne Garn ä 15 kr.
= 13 fl. 15 kr., 63 Hühner ä 8 kr. = 2 fl. 42 kr., 1140 Frohntage
ä 10 kr. = 190 fl. Der Zehent wird nach dem Resultate der im Jahre
^ Die Zahl fehlt.
Atikn. LXXXIll. Bd. U. U&lfte. 24
362
1837 vorgenommenen Grundschätzung behufs der landesfurstlichen
Grundsteuerbemessung, und zwar nach dem in der Gemeinde ermittelten
Ertrage des sämmtlichen unterthänigen Grundbesitzes per 1444 fl.
147« ^'f nämlich mit dem zehnten Theile hieyon angeschlagen mit
144 fl. 2b* 1 4 kr. Die Waldconyention auf Conventionsmünze reduciert
32 fl. 24 kr., zusammen 393 fl. 22«/4 kr.
In Bücksicht dessen aber, dass der Werth eines
Zugfrohntages nach dem Bucovinaer Urba-
rialsystem mit wenigstens 24 kr. und ein
Handtag mit 12 kr. angeschlagen werden
könne, so kommen annoch zur obigen Summe
zuzuschlagen 114„36 „
Nachdem bei der Zufuhr des Kopfholzes wenig-
stens ein Tag erfordert wird, so wird die Zu-
fuhr des Kopfholzes gleich dem Werthe eines
Zugfrohntages gestellt und das Mehrere mit 10 „ 36 „
sowie auch für ein Sti*ähn Garn, das der ünter-
than aus eigenem Materiale zu erzeugen und
abzuliefern schuldig ist, mit dem üblichen
Werthe von 30 kr., somit mit 15 kr. höher
an- und der obigen Summe zugeschlagen per 13 „ 15 ^
Endlich werden, nachdem eine ausgewachsene
Henne wenigstens mit 6 kr. im Werthe an-
geschlagen werden kann, annoch zugeschlagen 2 „ 42 ^
Der Gesammtwerth der zu reluierenden sämmt-
liehen Schuldigkeiten und Giebigkeiten würde
sonach betragen 534 fl. Sl"/* kr. C.-M.
Die mit der Gemeindevollmacht ddo. 2. December 1842, die dem gegen-
wärtigen Protokolle im Anschlüsse beigelegt wird, sich ausgewiesenen
Bevollmächtigten Ustin Prokopow, Tadey Sidorow und Firsa DinaWw
wurden demnach vorgerufen, und nachdem denselben bekannt gegeben
worden, dass die administrierende Behörde nicht abgeneigt sei, sich anch
auf eine fernere Dauer von 3 — 6 Jahren mit denselben über die Be-
luierung sämmtlicher Schuldigkeiten im Gelde abzufinden, wurden die-
selben befragt: Ihr habt im Namen der Gemeinde die wohlüberdachte Er-
klärung hier zu Protokoll zu geben, ob Ihr die hier landesüblichen
ürbarialschnldigkeiten, nämlich die BYohne, dann die übrigen Giebig-
keiten in natura abzustellen oder im Gelde zu reluieren gesonnen seid,
endlich in letzterem Falle, welchen Betrag Ihr der Herrschaft als ein
Belutum im Gelde zahlen wollet? Wir waren nicht darauf gefasst, dass
363
lue Herrschaft den bisheiigeu Kelutionsbetrag steigern werde, und haben
m dem Grunde mit den Machtgebern diesfalls keine Bücksprache ge-
pflogen; wir bitten daher, uns zu erlauben, dies&lls mit den Machtgebern
in Berathung treten und morgen früh die Antwoii) zu Protokoll geben zu
Itnfen. $flpca HrnarFB m. p., f ycxflii'B IIpoKonB'L, f ^ff,e& Cft-
jiopBrL, Aenyxa, f rajairrftBH'B ÄBopHfliTB. ^ Somit wurde das Pro-
;okoU far heute geschlossen und gefertigt. Sig. ut supra. Hohenauer,
Cischek (?). — Fortsetzung den 4. December 1842. Die erschienenen
ot^fertigten Deputierten erklären: Ad 1. Wir haben uns mit sämmt-
Hchen Ortsinsassen berathen und erklären daher, dass wir überhaupt für
sämmtiiche Schuldigkeiten und Giebigkeiten, nämlich für die Frohnen, für
43S Gamgespunst, die Fuhre Kopfholz, dann die Hähne den bisherigen
fielnitionsbetrag per 320 fl., sage dreihundertundzwanzig Gulden C.-M.
ui halbjährigen anticipativen Baten an die Herrschaftsrenten als ein Be-
hitnm jährlich entrichten wollen und den diesfälligen Vertrag vom 1. Mai
1843 angefangen mit der Herrschaft zu schliessen bereit seien. 2. Ihr
äeheint in dem Wahne zu sein, dass der Abfindungsbetrag für sämmt-
Hebe Schuldigkeiten von Euch abhänge, oder scheint Ihr nicht zu wissen
oder wissen zu wollen, dass im Grunde des von weiland Sr. Majestät
Kaiser Joseph erhaltenen Zugeständnisse (Privilegium) die Grandherr-
^^laft das Becht habe, Yon Euch jene Schuldigkeiten und ürbarial-
^bigkeiten abzuverlangen, welche von ähnlichen Bucov. ünterthanen
gefordert und geleistet werden, femer dass es nicht den ünterthanen
^igestellt sei, der Herrschaft die Schuldigkeiten nach eigenem Gut-
Unken abzustatten oder dieselbe beliebig in Geld abzufertigen. Es
wird Euch demnach bekanntgegeben, dass vermöge dem Bucov. Ur-
barialsystem und dem bisher aufrecht erhaltenen Chrisov es allein der
Herrgchaft zusteht, die Schuldigkeiten in natura abzuverlangen oder sich
iü Hinsicht des Beluitionsbetrages mit denselben abzufinden. Im Grunde
^sma wird denselben daher ferner bedeutet, dass der angetragene Be-
hiitionsbetrag per 320 fl. C.-M. um so unannehmbarer erscheint, als die-
^Iben selbst nicht verkennen dürften, dass die besagten Schuldigkeiten
^ein einen um so höheren Werth haben, als die Frohne, bei wirthschafk-
Hdien Verrichtungen verwendet, weit zweckmässiger verwerthet, das
^gespunst und die Hähne um weit höhere Preise veräussert und selbst
^ Kopfholz, das die ünterthanen aus eigenen Mitteln anzukaufen und
^ Herrschaft nach dem beliebigen Orte beizustellen haben, einen weit
' Die in der Urkunde nicht unterschriebenen Namen lauten : Firsa Ihna-
tow; Ustin Prokopow; Fedei Sidorow, deputa; Haiaktion, dwomik.
24»
364
höheren Werth hat. Dieselben mögen daher wohl erwägen, dass wem
die Gremeinde der Herrschaft keinen angemessenen Entgelt für besagte
Giebigkeiten au zahlen sich anheischig machen und verpflichten wollte
der Herrschaft das Recht unbenommen bleibt, die Giebigkeiten und di<
Frohne in natura zu fordern. Ad. 2. Wir erklären hiemit, dass wir it
einem höheren Beluierungsbetrage als dem obangetragenen per 320 fl.C.-M
uns nicht herbeilassen können, und bitten, womit dieser nach unserem Ep
achten angemessene Entschädigungsbetrag umsomehr angenommen unc
wir von den Naturalleistungen um so gnädiger enthoben werden wollen,
als die Gemeinde sich zu keiner höheren Entschädigung herbeizulasset
erklärt habe. 3. Dieselben erklärten, bloss die Frohne und die Kleingaben,
als das Garngespunst, die Fuhre Kopfholz und die Hähne mit 320 fl. C.-M
reluieren zu wollen. Nachdem dieselben daher rücksichtlich des Zehentä
von ihren Grunderzeugnissen, dann der Waldconvention für die Holzung
in dem angrenzenden herrschaftlichen Revier keine Erwähnung machten,
so werden dieselben hiermit angefordert, sich zu erklären, ob sie der
Naturalzehent in natura abgeben und die Waldconvention entrichten
oder auf die freie Holzung Vei-zicht leisten wollen? Ad. 3. Wir können
uns zur Abstellung des Zehents von den Erzeugnissen unserer Gründe
nicht erklären, weil wh- es nicht verpflichtet sind. Im Grunde einer mil
der Herrschaft und der Gemeinde vor mehreren Jahren getroffenen üeber ^
einkunft hat nämlich die Gemeinde der Herrschaft als Entschädigung deg
Zehents ein Stück Rusticalgrundes von beiläufig 80 Faltschen in eigene
'Benützung überlassen, und so ist die Gemeinde der Pflicht, den Zehen f
abzustatten, enthoben worden und bleibt es so lange, als die Herrschaft
im Besitze und Genüsse dieses Grundes sich befinden wird. Die besagte
Uebereinkunft soll noch zu jener Zeit stattgefunden haben, als das Dori
Klimoutz in der eigenen Aerarialregie gestanden und der ehemaligen
Wirthschaftsdirection zu Radautz zugetheilt sich befand, somit vor 50 wc
nicht mehr Jahren. Die Gemeinde besitzt zwar hierüber keine Schrift
noch sonst eine Urkunde, allein zur Zeit, als der bereits verstorbene
Cameralverwalter Kunzek zu Zuczka amtierte und die Bückstellung de«
besagten Grundes unsererseits angesprochen wurde, wies uns derselbe
eine von mehreren Ortsinsassen, namentlich von Martin Abrahamow
Dwornik ; Thodor Andrejow, Timofey Anikejow, Luka Simionow, Stepau
Korilla (?) und noch anderen gefertigte Schrift vor, welche besagte Abfin^
dungsverhandlung enthalten haben soll. Die Waldconvention entrichten
wir bisher alljährlich, und zwar abgesondert von dem Reluierungsbetragc
der Schuldigkeiten, an den jeweiligen Gntspächter, und erklären daher,
dass wir auch fernerhin diese nach der bisherigen Hebung entrichten
865
vollen. Nachdem wir jedoch seit 10 — 12 Jahi'en das benöthigende
Zengholz nicht erhalten haben, so bitten wir, wenigstens von uun an da-
mit betheilt za werden. — Vorgelesen und befragt: 4. Ob dieselben bei
iker hier zu Protokoll gegebenen Erklärung behaiTen oder sonst etwas
beizufügen haben? Ad. 4. Wir beharren unabänderlich bei unseren Aus-
^agen, ohne ferneren Zusatz. $Apca HrnarBi», f YcTfiH'B üpoKiiBi»,
t ^efl CöÄopBX, t BopHÖKT, TajaKTfiH'B CflAopB'L (L. S. vonKlimoutz.)^
Pör heute geschlossen und gefertigt dat. ut supra. Hohenauer, Cischek (?).
88. 0. Actum Fontina alba. 4. Becember 1842. (Hier im Aus-
zage.) — Der vorhergehenden Nummer entsprechendes Protokoll mit
Fontina alba. Die Einwohnerzahl betrug 36 bespannte, 7 unbespannte
^ndbesitzende Wirthe, 59 Häusler und 6 Inleuto. Die Giebigkeiten
ierselben wurden mit 438 fl. 56V4 kr. berechnet. Als Bevollmächtigte
ier Gemeinde erschienen Iwan Kirillo, Wassyli Iwanow und der Richter
Feder Petrow. Sie gaben ähnliche Erklärungen wie die Klimoutzer ab
und wollten als Reluition nur 190 fl. C.-M., die Waldconvention aber wie
froher in Wiener Währung entiichten. Von den drei genannten Bevoll-
oächtigten hat nur lBaHi> KHpHjaBi» (!) m. p. gefertigt. Im Siegel (von
Fontina alba?) sieht man innei'halb des kreisrunden Feldes nur ein Quadrat.
89. 0. 14. Jänner 1843. — Löbliche k. k. Cameralbezirksverwal-
tang! Mit Allerhöchster Genehmigung weiland Sr. Majestät Kaiser Joseph
sind mehrere der am schwarzen Meere wohnenden altgläubigen Familien
oach dem Js^e 1783 in der Bukowina eingewandert, und einige hievon
haben sich auf den Beligionsfondsgütern Klimoutz, dann Fontina alba
ond Wamiza niedergelassen, die nun im Bereiche der vereinten Religions-
fondfiherrschaften Euczurmare und St. Onufrey die Gemeinden Klimoutz
QBd Fontina alba oder Bila Kernica bilden. Vermöge des hier 1/1 in be-
ruhigter Abschrift anruhenden Privilegiums vom 9. October 1783 sind
iiesen Familien bedeutende Begünstigungen zugestanden worden; diesen
wvde nämlich: 1. die vollkommen freie Ausübung ihrer Religion ge-
^^Uttet, ist diesen 2. von der Zeit ihrer Ansiedelung durch 20 Jahre die
Entrichtung der Contribution und Steuern nachzusehen zugesichei*t, dann
3. die Befreiung vom Militärstande zugestanden worden, und sie sollten
4. nach Verlauf der 20 Jahre nur nach Mass ihrer Vermögensumstände
b^^ahlen und wie andere, mit ihnen in gleicher Lage befindliche kaiser-
uche ünterthanen hierinfalls behandelt werden. Die Niederlassung dieser
Familien auf den besagten Religionsfondsgründen dörfte noch vor der
Anziehung der Bukowiner Religionsfondsgüter in die allgemeine Aerarial-
» Vergl. S. 356, Anm. 2.
366
verwaltnng stattgefunden haben, weil hierüber keine Yerhandlungsacten
vorhanden, wenigstens hier keine bekannt sind^. Nach der Einziehung
der Bnkowiner Beligionsfondsgüter standen die besagten zwei Gemeinden
zwar unter der Verwaltung der zu Radautz bestandenen Güterdirection
und dem Yerwalteramte St. Onufrey, aber wie aus den hier anliegenden
Actenstücken neuerer Zeit zu ersehen ist, soll auch da keine Spur deren
Ansiedelung und Behandlung rücksichtlich der Grund- und sonstiger Ur-
barialschuldigkeiten aufzufinden sein, und da diese Gemeinden im Jahre
1791 mit den Beligionsfondsherrschaften Euczurmare und St. Onufrey
in die dreissigjährige Pachtung vom Jahre 1791 übei*gegangen sind, so
konnte bisher in der nur aus einigen unvollkommenen Bruchstücken be-
stehenden Begisti*atur dieser Pachtung diesfalls auch nichts aufgefunden
werden ; man muss daher schliessen, dass die Bewohner dieser zwei Ge-
meinden bezüglich der Leistungen an Grund- und sonstigen Schuldig-
keiten mit denen alle drei Jahre gewechselten Afterpächtern ohne Inter-
venierung des k. k. Ereisamtes sich abgefunden haben. Nach Ausgang
der dreissigjährigen Pachtung und im Jahre 1821 eifolgten Einziehung
besagter BeligionsfondsheiTschaften, nämlich bei der durch den gewe-
senen Buk. Staatsgüterinspector Schubert zufolge k. k. Staatsgüteradniini-
strationserlasses vom 23. Juli 1820, Nr. 7206, erhobenen Erträgniss
behufs der neuerlichen Verpachtung hat dieser mit den besagten zwei
sogenannten Lippowaner-Gemeinden bezüglich der Unterthansschuldig-
keiten unterhandelt. . . . (Es folgen Mittheilungen über die in den Num-
mern 64, 65, 67, 68, 77 und 78 dargelegten Bechtsgeschäfte. Hierauf
wird über die unter Nr. 87 und 88 mitgetheilten Verhandlungen berichtet
und die Schätzungsergebnisse derselben in der S. 286 und 292 angeführten
Art richtiggestellt. Hierbei wird einerseits hervorgehoben, dass ,man
überzeugt ist, dass diesen (den Lippowanern) die Reluierung der Schul-
digkeiten im Gelde um so erwünschter ist, weil diese sich theils mit dem
Handel, theils mit auswäiiigen Arbeiten beschäftigen und daher bei Ab-
arbeitung der Frohne in ihren Unternehmungen nur behindei*t würden ;*
andererseits wird die Ansicht ausgesprochen^ ,dass besagte Gemeinden zur
Abstattung aller Schuldigkeiten in natura verhalten werdend Die Berechti-
gung dieser Forderung wird unter Hinweis auf eine frühere Entscheidung
dargethan. lieber die Eigenthumsrechte der stiittgen Wiese (vergl. Nr. 87),
die hier mit 160 Joch bemessen wird, wird wegen Mangels an Acten nichts
Bestimmtes entschieden) . . . Nicht genug an dem, dass diese Gemeinden
die Abstattung der Schuldigkeiten in natura versagen und sich nicht
^ Diese Behauptungen sind nur theilweise richtig.
367
htfbeilassen wollen, diese den Verhaltnissen und dem Werihe angemessen
m Gelde zu relnieren, wird die Herrschftffc noch insbesondere dordi diese
iB dem Propinationsertrage beeinträchtigt, denn diese wollen nicht nur
keine Wirthshaaser in der Gemeinde dulden, aber führen besonders viel
Bier ein, welches dann in Gemeinschaft verzehrt wird, und weil der
^rdsste Theil dieser dem Trünke geistiger Getränke ergeben ist, suchen
£ese ihre Sauflnst in den angrenzenden Privatschankhänsem zu befrie-
%n. Es ist daher augenscheinlich, dass sie Allem zuwider sind, was
^ Beste der Herrschaft betrifft, der sie, wo nichts Anderes, doch wenig-
iteos den Schutz und die Gerichtsbarkeit zu verdanken haben, und der
aeinnelen Beziehungen viel zu schaffen und zu thun geben. Dass diese
6emeinden sich auch in anderen Beziehungen unter dem Deckmantel der
Seligion den allgemeinen Vorschriften selbst mit Hintansetzung des all-
fcmeinen Wohles widersetzen, wolle aus folgender Schilderung entnommen
werden. Die ursprünglichen Bewohner dieser zwei Gemeinden bildeten
nrei Secten, Popinczuki und Bezpopinczuki, das ist mit Priestern und
ibe Priester; in beiden Gemeinden befinden sich Kirchen, und zwar derm
inneren and äusseren Ansehen nach ganz den griechischen gleich und
wohl, man kann sagen, kostspielig eingerichtet; an Priestern leiden diese
lehrentheils Mangel, waiiim? Dies, sowie viele ihrer Beligionsgebräuche
lii^ibt ein Geheimniss. Weil in diesen zwei Gemeinden nur äusserst selten
An Priester sich befindet, denn diese müssen tief aus Bussland gehoH
werden (eben vor Kurzem ist einer mit Uebergehung aller Grenz- und
bnitatsTorschriften eingeschwärzt worden), finden nur äusserst selten
(nämlich nur bei Bemittelten, die zu ihren Glaubensgenossen nach Buss-
Ittd reisen können) Trauungen, Kindestaufen und Beerdigungen statt;
üe Meisten leben daher im Concubinate und werden entweder gar nicht
^er höchst selten getauft, und da sie gegen alle Vorschrift keine Fried-
höfe haben, in Gärten oder sonstigen Orten verscharrt. In dem Dorfe
fontina alba befindet sich zwar seit einigen Jahren ein M6nch-Kaluger-
Oostermit 16 Mönchen, aber diese haben sich ohne Wissen der Begie-
ftsg eingeschlichen und sind zweifelsohne russische Emigranten, Militär-
fflichtige und daher Flüchtlinge oder gar Deserteure, wo nicht mehr.
^Mönche haben gar keinen Zweck, denn sie verrichten keine priester-
i^en Functionen^ weil ihr Beruf blos Beten und Fasten sein soll, be-
wohnen in einigen Häusern kleine Zellen und verrichten die Gebete in
^r eigenen Kirche. Ihre Wohnhäuser mit den Zellen, dann deren
Erehe sind von Holz in einem grossen Obstgarten erbaut, letztere mit
••^khen Bildern, kostspieligen Ornaten und vorzüglichen Glocken ausge-
stattet. Diese Gemeinden entziehen sich ohngeachtet der politischen An-
L
368
Ordnungen der Fühlung von Matrikel, d. i. Tauf- und Sterbebücher, da-
her nicht nui* die Nationalitat nicht ergründet werden kann, aber den
Nachtheil hat, dass die sich doi*t einschleichenden fremden, insbesondere
dem Wehrstande sich entziehenden Individuen lippowanisiert und so den
Nachforschungen entzogen werden. Hiedurch kann ferner der Stand der
Familien nicht nur nicht eruiert, aber selbst den Grundzerstückelungen
kein Ziel gesetzt, somit können auch die Urbarialbeschreibungen nicht
gehörig ermittelt werden. Entziehen sich diese Einwohner unter dem
Deckmantel der Beligion den Sanitatsvorschiiften, nämlich der Impfang
und der ärztlichen Behandlung bei Epidemien, was des allgemeinen
Wohles wegen den politischen Vorschriften zuwider ist. Unter dem Titel
der Beligionsgrundsätze wollen sich diese der politischen Vorschrift, das
Vieh mit dem Brenneisen zu bezeichnen, nicht unterziehen. Unter dem
Verwände der Beligion haben sich selbe der Unterhaltung der Grenzczer-
daken, einer das Wohl des Landes bezweckenden Anstalt, entzogen, ob-
sdion diese bekannten Schwärzer ein besonderes Augenmerk verdienten.
Bedienen sich die Bewohner dieser Gemeinden meist eingeschlichener
Fremdlinge, die sich dann nach Lippowaner Art verkleiden, den Bart
wadisen lassen und unkennbar werden, bei ihren häuslichen Verrich-
tungen und unter angenommenen moskowitisch klingenden Namen auch bei
auswärtigen im Geding übernommenen Arbeiten oder sonstigen Unter-
nehmungen als Lohn oder aus Dankbarkeit für den geleisteten ver-
botenen Unterstand. Bei dem Abgange von Matrikel- und genauen
Conscriptionsbüchern muss man es dulden, weil man keinen Gegenbeweis
herstellen kann. . . . (Hier folgt die S. 317 wiedergegebene Stelle über die
Beschäftigung der Lippowaner von den Worten: ,Ist wohl* bis ,behobeu
haben'.) . . . Gestatten diese unter dem Vorwande, die Beligion erlaube
keine Vermischung mit anderen Glaubensgenossen, nicht, dass Wirths-
häuser im Dorfe errichtet werden, und doch findet man diese zu jeder Zeit
in den umliegenden Wirthshäusern und Kneipen, ja selbst in Städten
ohne einer Auswahl der Individuen, nämlich in Gesellschaft allerhand
Glaubensgenossen, zechend und im hohen Grade berauscht. Endlich
scheinen diese nichts weniger als die Grundsätze der Beligion zu be-
achten, weil schon mehrere Individuen des Diebstahles, Baubes und Mordes
beschuldigt und bestraft worden sind. Aus dem Allen erhellt, dass diese
Familien unter dem Deckmantel der Beligion sich Allem und Jedem zu
entziehen und zu widersetzen bemüht sind, was ihnen widrig scheint und
lässig (!) fallt, dass daher diese auch keine und umsoweniger von Seiten
der HeiTSchaft eine Bücksicht verdienen, als diese sich auch anmassen,
sonstige Bechte der Herrschaft, und das mit Gewalt, zu bestreiten, näm-
369
•
lieh die Waldparcellen Lesok, dann Warniza nnd Fnndatnra sich zuzu-
eignen, was in einer besonderen Verhandlung steht. Zuczka, 14. Jänner
1843. Hohenauer, Quirsfeld, Hauser.
90. A. 12. April 1843. Hofrecurs der Mönche Olympi Miloradow
and Paul Wassylow um Belassung ihres Klosters, Bestätigung ihres Or-
densstatotes und Bewilligung eines Weihbischofs. — Im Vertrauen auf
das Privileg ist eine grosse Zahl von Glaubensgenossen mit allen Ein-
richtangen fQr eine Kirche und ein Kloster eingewandert; unter den-
selben befanden sich 13 Mönche. Da diese nach ihrer Religion nur in
Hnem Kloster leben dürfen, so wurde gleich damals ein Kloster begründet.
Unter den Mönchen waren auch Hieromonachen, das ist Geistliche, welche
die höheren' Weihen erhalten haben und die kirchlichen Functionen aus-
üben durften. Da die Auswanderung aus Russland hierauf verboten
wurde, so sind jetzt nur Mönche mit den niederen Weihen vorhanden, die
Hieromonachen aber ausgestorben. Weil Mönche keine kirchlichen Func-
tionen ausüben dürfen, so müssen alle Taufen und Trauungen im russi-
schen Bessarabien oder in der Moldau vorgenommen werden. Dies ver-
nrsacht viele Schwierigkeiten und Kosten ; oft sterben Kinder, bevor sie
getauft werden, und erwachsene Leute sterben, ohne dass sie das heilige
Sierament der letzten Oelung erhalten hätten. In der ganzen österreichi-
schen Monarchie bestehen keine Altgläubigen von gleichem Glaubens-
bekenntnisse wie die Lippowaner. Die vier Lippowaner-Gemeinden der
Bukowina bitten daher um Gestattung eines Weihbischofs, der nach ihren
Beligionsbegriffen aus dem Mönchsorden hervorgehen muss. Dieser solle
seinen Nachfolger bestimmen und den Mönchen die höheren Weihen er-
theilen dürfen. Da nun eines ohne das Andere nicht bestehen könne,
so bitten sie auch um die Bewilligung des Klosters. Nur so könnten sie
ihre Religion ausüben und vom Auslande unabhängig sein. Sie werden
den Weihbischof selbst erhalten und von der Regierung hiefür nichts an-
sprechen. Wenn die Mönche geweiht sein werden, so würden sie nicht
bk>ss ein contemplatives Leben führen, sondern auch den Gk)ttesdienst be-
sorgen, als Seelsorger thätig sein und der Jugend den ReligionsunteiTicht
ertiieilen. Der Bischof in Czernowitz sei zu einem Gutachten über sie nicht
competent. Matrikenbücher könnten erst geführt werden, wenn sie einen
Weihbischof und geweihte Geistliche haben werden, da bis dahin Taufen
and Trauungen im Auslande vorgenommen werden müssten.
91. Ä. A. 22. September 1843. (Gekürzt.) »Bezirksverwaltung
theilt mit die sub Nr. 3501 abverlangten kreisämtlichen Verhandlungs-
acten zur Amtshandlung über die Beschwerde der Gemeinde Lippoweny
gegen die Häuslerfrohne. — üeber die rückfolgende Berufung der zur
370
Herrschaft St. Die gehörenden Gemeinde Rnschior-Lipoweni gegen den
Dominicalbescheid vom 10. December 1840, Zahl 4270, wird in Folge des
rückfolgenden geehrten Ind. vom 25. December 1840 unter Anschlnss
der diesfälligen Dominiculerhebnng die Aensserang in Folgendem er-
stattet. . . . (Bas Folgende ist bereits oben S. 239 f. und S. 274 ff. mitge-
theilt. Der Schlnss der Urlninde lautet:) ... Im Jahre 1826 aber wurde
die Herrschaft St. Ilie verpachtet und seitdem die Urbarialschuldigkeit
der Gemeinde Lippoweny durch diesen beschrieben und nach dem be-
stehenden Beluitionsvertrage eingehoben. Aus der Torstehenden rech-
nungsmässigen Nachweisung wird ein löbliches k. k. Ereisamt ersehen,
dass man sich in Ansehung der Urbarialgabenreluition, insbesondere be-
züglich der Häusler, nicht an die ursprüngliche, sondern an die von Jahr
zu Jahr wirklich bestandene Familienanzahl seit jeher gehalten habe,
dass somit das Verlangen der Gemeinde, womit die in Zuwachs kommen-
den nicht behausten Familienväter von den Urbarialgaben freigehalten
werden, umsoweniger statthaft sei, als diese Befreiung weder in der hier-
ländigen Unterthans Verfassung, noch in dem Veiirage vom Jahre 1803,
noch aber in dem bisherigen Gebrauche gegründet, die Herrschaft übrigens
in Ansehung der Dominical-Jurisdictionsauslagen bezüglich dieser Fami-
lien in keiner Art losgezählt ist. Auf diese Gi*ünde und den Umstand,
dass die Bobot und die Urbarialkleingaben in der Bukowina keine Grund-.,
sondern eine Personalabgabe sind, stützt sich der Dominicalbescheid vom
10. December 1840, Zahl 4270, und ein löbliches k. k. Kreisamt wird
gebeten, die recurrierende Gemeinde hienach abweisen zu wollen. Solka,
22. September 1843. Buch m. p.
92. A. 16.— 22. Februar 1844. Protokoll des Kreisamtes? * —
Das Kloster ist auf dem von Petrowicz geschenkten, ringsum eingeplank-
ten Obstgai-ten mitten im Dorfe erbaut. Die Kirche ist nach Art der
griechisch-katholischen Kirchen ganz aus Holz erbaut und fasst 200
Menschen ; sie hat drei mit Kreuzen versehene Thürme, von welchen der
eine zugleich als Glockenthurm dient. In dem Obstgarten sind ausser
der Kirche noch fünf Holzhäuser; in einem derselben wohnt der Kloster-
vorsteher, in den anderen die Mönche in Zellen; sie verrichten Hand-
werksarbeiten, von denen sie sich vorzüglich ernähren. Vor beiläufig
'Ans dem Zustande des Wickenhause raschen Manuscriptes war es nicht
genau zu ersehen, ob zu diesem Titel das Folgende gehört; doch ist dies
wohl ans dem ganzen Sachverhalte (vergl. Beilage 90 und die folgende
Beilage 93) ziemlich zweifellos. Für jeden Fall jrehören die in unserem
Schriftstücke gemachten Angaben derselben Zeit an wie die in der Bei-
lage 93, also dem Jahre 1844.
371
60 Jahi'en war das Kloster ausserhalb des Dorfes im Walde erbaut wor-
den. Da es aber von Räubern überfallen und ausgeraubt worden war, so
siedelten sich die Mönche im Dorfe an, wo sie im Jahre 1803 die Kirche
auf eigene Kosten erbauten. Gegenwärtig leben in dem Kloster 9 Mönche.
Nach dem Ton ihnen verfassten Klosteiinventar hat das Kloster jährlich
3060 fl. Einkommen. Die Mönche würden das Kloster, die Geistlichen
und den Weihbischof aus Eigenem erhalten. Der Weihbischof bedarf
keines Pompes ; er lebt wie ein Kaluger und unterscheidet sich von den
anderen Mönchen nur durch die geistliche Kleidung, welche er bei den
priesterlichen Eunctionen trägt. Die Mönche leben sehr massig, essen
kein Fleisch und erzeugen sich die Kleider und die anderen Bedürfnisse
selbst. Auch wollen sie im Dorfe eine Schule errichten und erhalten.
Dem Kloster sind schon Schenkungen und Stiftungen gemacht worden,
theils an Grundstücken, theils an baarem Gelde.
Fontina alba hat 547 Einheimische und 57 Fremde in 94 Hausnummern
Klimoutz „ 755 „ „ 85 „ „ 131 „
Lippoweny
oder Mitoka „ 350 „ „11„„63 „
Mihidra »161 „ ^ — „ „ 30 „
Zusammen 1813 Einheimische und 153 Fremde in 318 Hausnummern.
Diese 1966 Seelen, welche sich mit Ackerbau, Vieh- und Bienen-
mcht, Oelerzeugung, Gräbenziehen, Dammbauten und verschiedenen Ge-^
werben befassen und mit ihren Erzeugnissen, besonders aber mit Obst,
einen ausgebreiteten Handel in der Bukowina, ferner nach Galizien und
der Moldau betreiben, gehören zu den vermöglichen Insassen der Buko-
wina. Sie haben zwei Kirchen und drei Kapellen, aber keinen Geist-
lichen. Ihr Kloster in Fontina alba (mit der Kirche) ist 50.000 fl. C.-M.
w^lh. Die Gemeinde Klimoutz hat eine Kirche und eine Kapelle, die
Gemeinde Lippoweny und die Gemeinde Mihodra je eine Kapelle. Die
Lippowaner werden, soweit sie können und die Geistlichen es wollen, zur
Erhaltung des Klosters beitragen, da jeder Lippowaner verpflichtet ist,
ein Zehntel seiner Einkünfte zur Erhaltung der Geistlichen herzugeben,
was aber bisher nicht verlangt wurde. Jeder Familienvater führt für seine
Familie die Tauf-, Trauungs- und Begräbnissacten, und diese Vor-
merkungen werden bei der Conscription benützt. Die Lippowaner sind
Irogal, nüchtern, reinlich, arbeitsam und andächtig.
93« A. 28. Mai 1844. Landesregierungsbericht an die Hof-
kanzlei (?) über den Recurs des Miloradow und Wassilow. — Die kirch-
liche Leitung der Lippowaner besorgen in Biala kiernica die Mönche, in
372
den übrigen Gemeinden in Ermangelung von Priestern (swiaszczenik)
aber die Daskals (Eirchensänger). Sie yerrichten die Andachten und die
Nothtaufen, firmen die Kinder, sprechen den Sterbenden Trost zn und
besorgen die Beerdigungen. Zeitweise werden mit bedeutenden Kosten
aus der Moldau Geistliche berufen , welche sich heimlich über die Grenze
schleichen, da sie keine Pässe erhalten. Sie yerrichten dann Taufen, die
Firmung und Trauungen, spenden die Sacramente und kehren dann gleich
wieder zurfick. Die von den Daskals und den fremden Geistlichen ver-
richteten Functionen werden von den Familienvätern in ihre Andacbt-
bücher (Psalter) vorgemerkt und diese Vormerkungen bei der Conscription
vorgezeigt. In Bussland ist den Lippowanem die Ausübung ihres Reli-
gionsexercitiums untersagt; daher sich auch dort nur wenige Geistliche
befinden. Den Oberhirten beabsichtigen die Lippowaner aus Anatolien
zu bringen und ihn gehörig zu dotieren. Er soll die Macht und Pflicht
haben, unmittelbar nach seiner Bestellung seinen Nachfolger zu ernennen,
damit sie für jeden unvorhergesehenen Fall nicht ohne Oberhirten blei-
ben. Die Einkünfte des Klosters bestehen laut dem Inventar im Erti-ag
der Klostergründe, der (rebäude, Teiche, Bienengärten und den Interessen
vom verzinslichen Capital; sie betragen 3060 fl. C.-M. Die Mönche sind
nach dem Privileg nicht berechtigt, ein Kloster zu bauen ; es ist dies ihnen
vielmehr oft untersagt worden. Das Gubernium trägt an, das seit vielen
Jahren bestehende Kloster in Fontina alba zu belassen und den Lippo-
wanem zu gestatten, einen Oberhirten aus Anatolien am Ararat zu holen,
der den Mönchen die höheren Weihen ertheilt und seinen Nachfolger be-
stimmen soll. Den Oberhirten hätten sie vorläufig den Behörden namhaft
zu machen, damit im diplomatischen Wege erhoben werde, ob seine Er-
nennung zulässig sei.
94. A. 19. Juli 1844. — Die vereinigte Hofkanzlei trägt in ihrer
Sitzung von diesem Tage die Genehmigung der Vorschläge des Guber-
niums an.
95. i. A. 16. September 1844. — Wohllöblicher Vorstand des
Bukowiner k. k. Kreisamtes! Mit dem geehrten Erlasse vom 1 1 . Juli 1 844,
Zahl 509, und vom 81. August 1844, Zahl 601, wurde dieses Mandatariat
verständigt, dass den hierbezirkigen Lippowanem Michaile Wasiliew nnd
Thodosey Assanow (muthmasslich Hafanow) zum feineren einjährigen
Aufenthalte in der Moldau das hohe Landespräsidium Pässe zu ertheilen
geruht habe. Einem löblichen k. k. Kreisamte wird wohl bekannt sein,
wie vielßlltig man mit den diesbezirkigen Lippowaner - Gemeinden
zu kämpfen hatte, um sie ins Geleise der gesetzlichen Anordnung zn
bringen, denn es ist gewiss nichts schwieriger, als einem hartnäckigen
373
fiaiiAtischen Lippowaner beizubringen, dass man im Namen des Oesetzes
handelt oder es so das Gemeinwesen unbedingt erheischt. . . . (Das Fol-
gende ist oben S. 308 f. Ton den Worten: Jm ersten Augenblicke* bis ,brin-
gen wolle' mitgetheilt). . . . Dieses Mandatariat wäre in der Lage, ganze
ConTolute einem löblichen k. k. Kreisamte zu producieren und so nachzu-
weisen, wie man seit der Regulierung dieses Amtes um die Herstellung
and Aufrechthaltung der Polizei wenigstens in deren yorzüglichsten
Zweigen bei den Lippowanern beflissen war, allein dass alle diese Be-
mfthnngen grösstentheils mit keinem erwünschten Erfolge gekrönt waren,
liefern die Umstände den Beweis, dass die Lippowaner bis heutzutage
kdne Tanf-, Trau- und Sterbematrikel führen, der Conscriptionsreyision
sich entziehen, indem sich die Familienväter hiezu persönlich nicht stellen
wollen, femer der Verpflichtung die Grenzwachczardaken zu unterhalten,
sich widersetzten, fremden, passlosen, aus der Moldau und Bussland ein-
gwchlichenen Vagabunden und Deserteuren den Aufenthalt gestatten,
diese lippowanisieren und eben aus Abgang der Matrikelbficher jedwede
Amtshandlung vereiteln, ihr Hom- und Hufvieh nicht bezeichnen lassen,
die Wohlthat der Impfung nicht agnoscieren, und ebenso jede Epidemie
. . . (Das Folgende siehe oben S. 318.) . . . Man hat zu Anfang des Militär-
jahres 1844 auf die vorschriftsmässige Tsislirung der Grundsteuer
i^edmngen und die directe Steuer duixhaus individuell einzuheben ver-
uüasst, allein diese Gemeinden wussten es zu beurtheilen, dass man auf
diese Art zu einer genaueren Evidenz ihrer Population gelange, haben,
ehe man noch ordentliche Schritte dafür that, beim löblichen k. k. Kreis-
amte Klage geführt, die eben hier in der Erledigung schwebt, und man
war im Geschäftsdrange gezwungen, auch für diesmal nach dem alten
Schlendrian die Steuer in der Totalsumme von den Deputierten der Lippo-
waner-Gemeinden einzuheben. Nachdem unter den Lippowanern seit
mehreren Jahren bedeutende Diebstähle, Betrügereien, Hang zum Trünke
and Schnldenmachen an Tag gefördert wurden, hat man strenge darauf
gehalten, nur jenen Lippowanern Certificate zur Erwirkung der Beise-
pässe im In- oder nach dem Auslande zu ertheilen, welche die Nothwen-
digkeit ihrer Beise hieramts hinlänglich nachzuweisen vermögend waren ;
^n um dieselben vom Müssiggange und dem zwecklosen Herumziehen
iffl Auslande hintanzuhalten und um sie mehr bei Hause zu erhalten, die
Pusdaner womöglich billig beschränkt, nicht minder darauf bestanden,
dass bei jedesmaliger Zurückkunfb der Passinhaber sich in der Amts-
kanslei gehörig zu melden habe. Da wussten sie dieser Anordnung nichts
vorzuschützen; um aber diese ihrer Gewohnheit nach rund zu umgehen,
nahmen sie zur Schlauheit die Zuflucht, und es ist denselben schon zwei-
374
mal gelungen, sich Pässe auf beliebige Dauer zu erwirken, ohne dass sie
ihre Ortsobrigkeit hierum vorschriftsmässig anzugehen brauchen. Ein
löbliches k. k. Ereisamt wolle diese Umstände dem hohen Landespräsidiam
zur Eenntniss bringen, um den ünffigen der Lippowaner für die EQnkunft
entgegenzukommen, weil dieses Mandataiiat im Angesichte der Lippo-
waner-Gemeinden nicht wenig compromittiert sich findet und jede hier-
ämtliche Verfügung auf dieselben hinkünftlich noch weniger wirken wird.
Uebrigens bürgt man keineswegs dafür, dass die auf die Person des Mi-
chaile Wasylow und Teodosy Assanow (vielleicht Haffanow) Tom hohen
Landespräsidinm ausgestellten Pässe schon durch hereingeschlichene oder
in der Moldau verweilende fremde Lippowaner benützt werden. Hadik-
falva, am 16. September 1844. Dombay, Amtsschreiber, Mandatarsnb-
stitut. Für die Richtigkeit der Abschrift: Dombay, Amtsschreiber, Man-
datarsubstitut.
96. A. 18. September 1844. — Kaiser Ferdinand ertheilt den
Anträgen der vereinigten Hofkanzlei vom 19. Juli 1844 bezüglich der
Lippowaner seine Genehmigung.
97. A. 29. September 1844, Zahl 31.031. Verständigung an das
Landesgubemium. — Es ist Allerhöchst genehmigt, die Einführung eines
ausländischen Geistlichen als Oberhirten oder Weihbischof, um den in
Fontina alba befindlichen Mönchen die höheren Weihen zu ertheilen und
zugleich seinen Nachfolger zu ordinieren, welcher wieder zur Priester-
weihe sowie zur Benennung und Ordination seines Nachfolgers befähigt
wäre. Da aber diese Nachfolger nur aus Mönchen hervorgehen dürfen,
so wurde der Fortbestand des seit vielen Jahren bestehenden Elostera
genehmigt. Die Gemeinde hat erklärt, die Geistlichen und das Kloster
aus eigenen Mitteln zu erhalten und ebenso im Dorfe eine Dorfschule auf
eigene Kosten zu errichten und zu erhalten.
98. 0. 20. September 1844. Bericht des k. k. Hadikfalver Ca-
meralmandatariats an das k. k. Wirthschaftsamt in Zuczka.^ — Löbliches
k. k. Cameral- Wirthschaftsamt! Einem löblichen k. k. Cameral-Wirth-
schaftsamte wird in der Nebenlage eine Abschrift des hierämtlichen unterm
16. d. M., Zahl 1130 dem löblichen Bakowiner Kreisamte erstatteten
Berichts, worin man in gedrängter Ordnung den Eigensinn und die ün-
folgsamkeit der hierbezirkigen Lippowaner-Gemeinden geschildert hat, zur
Einsicht und Beruhigung der vorgesetzten Cameralbehörden mit derVer-
* Dieses legte laut einer dem Stücke beigefügten Notiz dasselbe am
so. October 1844 der k. k. Bezirksverwaltting vor ,im Nachhange des
hierämtlichen Berichts vom 4. September 1. J. Z. 1620% der nns nicht er-
halten ist
375
sicheiHDg vorgelegt, dass man die Stützigkeit dieser Secte aas yerschie-
denen derlei Anlässen vielfältig höheren Oiis zur Sprache gebracht hat,
und dieses Mandatariat allemal in der Lage ist (wenn es nicht mit Un-
kosten verbunden wäi*e), einen Wnlst von Acten und Entscheidungen, die
meistens wenig gefruchtet haben, zur Ueberzeugung vorzulegen. Die
Ptihrung der Matrikelbücher, die aus Staatsrücksichten und im bürger-
lichen Leben von grosser Wichtigkeit ist, wurde vermöge Verordnung des
k. k. Ereisamtes vom 26. Apill 1839, Zahl 5298, auf das Strengste an-
befohlen und gedroht, dass, wenn sich die Lippowaner hiezu nicht be-
quemen, das k. k. Ereisamt auf Kosten der Gemeinden ein Individuum im
Orte aufstellen werde, welches die Ortspolizei in allen Zweigen handzu-
baben und die Matrikelbücher zu führen haben wird ; aber auch dieses hat
nichts gefruchtet, sie waren vielmehi* bemüht, die Strenge des k. k. Ereis-
amtes dadurch in suspenso zu erhalten, dass sie sich bis zum Allerhöch-
sten Throne schlugen, um die Stiftung eines Klosters anhielten und an-
g^obt haben, bei Einführung ordentlicher Priester sich der Matrikel-
bücherführung zu unterwerfen. Diese Verhandlung schwebt noch bei
der hohen aUgemeinen Hofkammer im Zuge, und man müsste das Resultat
noch abwarten, dann wird man sehen, inwieferne die Lippowaner den
schuldigen Dank für alle Begünstigungen, die ihnen die milde österreichi-
sche B^erung angedeihen liess, zu zollen wissen werden, dessen man
sich bis nunzu nicht erfreut hat. Nach der letzten Conscription ist die
Seelenanzahl zu Fontina alba 547, zu Elimoutz 755. Man nehme die
Sterbe&lle in jeder Gemeinde 2 von 100 jährlich an, so düiften sich bei-
nahe 520 Sterbefalle (worunter Weiber und Kinder verstanden werden)
^t den letzten 20 Jahren entziffern; nachdem seit der Colon isation dieser
Seete, und zwar zu Fontina aljba fünf Verlassenschaftsabhandlungen, zu
Xlimoutz hingegen noch keine derlei gepflogen worden ist, so lässt sich
iftit Becht schliessen, dass da keine kleine Zahl von Yerlassenschaftsab-
handlungen rückständig ist, was zur Folge hat, dass die Busticalgründe
rerstOckelt, vergriffen oder auch durch Wohlhabende den Aermeren ent-
zogen worden sind, oder endlich zumTheile im Besitze hereingeschlichener
bemittelter Fremdlinge sich befinden. Um allen diesen ünfügen langsam
entgegenzusteuern, hat der dermal beurlaubte Staatsmandatar Herr La-
czynski verfügt, dass jeder Sterbefall von den Lippowanern schon aus
Polizeirflcksichten gleich angezeigt werde; nicht minder hat derselbe auf
die Tsislirung und individuelle Einzahlung der Grundsteuer gedrungen,
wovon in dem beiliegenden abschriftlichen Berichte erwähnt worden ist,
allein sie wussten gut zu urtheilen, dass man auf diese Art sie nach und
nadi in die Evidenz bringen will, schlugen es rund von sich ab, und
376
haben noch obendrein beim k. k. Kreisamte Klage gefOhi-t, wobei sie Tur-
t
zuschützen nie unterliessen, dass die Forderungen der Grundobrigkeit
ihrem Privilegialginindsatz: ,freies Beligionsexercitinm' widerstrebt. Eben
diesen Privilegialsatz machte sich diese Secte bei jeder Gelegenheit zd
Nutzen, unter deren Fiima sie die unumschränkte Freiheit haben wollen,
und halten jede Anordnung, diese mag von was immer ffir einem Inhalt«
sein, sobald solche vor 40 Jahren nicht bestanden hat, recht ferne Ton
sich. Die Fremdentabelle ex 1843 weiset in der Gemeinde Fontina alba
57 und zu Klimoutz 79 fremde Personen nach, die aus der Moldau und
Bessarabien eingeschlichen und deren Pässe bis nun längst erloschen
sind, sie finden allda Unterstand und Schutz, und es ist auf deren Ab-
schaffung gar nicht zu denken, weil man diese Menschen nie zu Gesicht«^
bekam. Die Ortsrichter dieser Gemeinden diesfalls in Anspruch zu nehmen,
ist fruchtlos, weil ganz natürlich diese ans ihrer Mitte gewählt werden und
nichts weiter als Maschinen sind, die von der Triebkraft der Gemeindedepn-
tierten abhängen. (Das Folgende von ,Man nahm Zuflucht sich einen Ter-
trauten' bis ,bQssen musste' s. oben S. 306). Man geht keineswegs von der
Ansicht aus, um etwa eine Unmöglichkeit, die Lippowaner in das Geleise
des Gesetzes bringen zu können, hiemit darzustellen. Bei Weitem möglieb
ist es schon, dass man sie zum Gehorsam bequemen kann, allein man
mässte mit Hintansetzung der übrigen Amtsgeschäfte sich ausschliesslich
mit diesen zwei Gemeinden befassen, und auch dann hätte man 2 bis
3 Jahre unter Anwendung energischer Thatkräfte gut zu kämpfen, bi^
man zum Ziele kommen möchte. Das k. k. Ereisamt hat bei der obcitierten
Entscheidung im Jahre 1839 in die Lage der Sache gut eingedrungen,
und die Bedrohung, dass man auf Kosten der Gemeinden ein Indiridnum
zur Handhabung der Ortspolizei aufstellen werde, war auf dem besten
Platze, denn nur durch unablässliche gesetzliche Strenge wären reichliche,
erfolgrolle Resultate für den Staat und nicht minder für die Herrschaft
zu erwarten. Die Lippowaner müssten einmal dem Geiste der Zeit in der
spirituellen Ausbildung nachkommen und zum Erkenntnisse ihres eigenen
Wohles gelangen; vorzüglich wäre hiedurch : a) die nothwend ige Evidenz
in ihrer Population und durch diese der Einhalt der Unterstandgebong
für Fremde bezweckt; b) Fremde, die durch langjährigen Aufenthalt die
österreichische Staatsbürgerschaft ersessen haben und ganz unrechtmassig
jetzt die Gunst geniessen, welche nur den im Jahre 1788 eingewanderten
Lippowanern zutheil geworden ist, diese wären leichter zu ermitteln, ?on
den letzteren auszuscheiden und ganz billig zur Leistung der Unterthans-
schuldigkeiten in allen Zweigen zu untei'werfen, die Herrschaft dürfte sie
gegen dem mit Kusticalgründen dotieren, und der Nutzen wäre darrh
377
Bildung einer untertMnigen Lippowauer-Gemeinde einmal von einem
guten Ertrage ; c) die Zahl der Fremden nimmt hier keineswegs ab, wohl
za, der Schlag der Menschen, sobald die Impfung da eingeführt wäre,
ibi schön, und man hatte tüchtige Becruten zur Auswahl; d) wird zu
Fontina alba das Kloster zu Stande kommen, so wäre vor allem Anderen
die Sache der politischen Obrigkeit, zwei Drittel der bisher tolerierten be-
schrankten bigotten Mönche nach ihrer Heimat ausser Landes zu schaffen
und ordentliche, mehr wissenschaftlich gebildete Priester zu installieren,
welche nicht nur mit dem Lesen des Psaltyr, aber auch mit der Ausbil-
dung der Jugend sich nothwendig beschäftigen müssten, sonst wäre die
Errichtung eines Klosters ohne Zweck und ganz entbehrlich. Ich glaube
ikicht, dass es in der Monarchie eine zweite Gemeinde gibt, die sich so
überlassen wäre wie Fontina alba und Klimoutz ; diese vom Amte zu ent-
fernt, das Amt hingegen mit zwei Individuen bestellt, deren Kräfte aus
Ursach des Geschäftsdranges oft unzulänglich sind, können sich nicht
äuaschließslich mit den Lippowaner-Gemeinden, in Absicht auf die Ein-
fahmng der strengen Ortspolizei nach dem wahren Sinne beschäftigen;
Dud bis nicht dem haitnäckigen Lippowaner die Strenge des Gesetzes
durch unablässige Handhabung desselben recht fühlbar wird, kann auch
die Herrschaft von dieser lästigen undankbaren Secte keine Yortheile er-
warten. Hiedui'ch wird der geehrte Aufti'ag vom 4. September 1844,
Zahl 1G19, noch dahin erledigt, dass man den Umstand, dass die Lippo-
waner-Gemeinden sich der Verpflichtung, die Grenzwach-Czertaquen zu
onterhalten, auflehnen, bei Gelegenheit der Erledigung des geehrten Auf-
trages vom 3. d. M., Zahl 2736, wo die Erleichterung des Unterhaltes
der Czertaquen beabsichtigt wird, füglich zur Sprache biingen werde.
Hadikfalva, am 20. September 1844. Bombay, Amtsschreiber, Mandatars-
substitut.
99* A. Mai 1845. Aus einem amtlichen Berichte. — Die Lippo-
waner locken Fremdlinge an; dieselben werden entnationalisiert und
nehmen dann an den Begünstigungen der Lippowaner theil; so finden
allerlei Vagabunden in den Ansiedelungen Unterstand. Man trug daher
an, in den Gemeinden Fontina alba und Klimoutz einen unberittenen
Amtsdiener zu exponieren. Beide Gemeinden haben noch keine Seelsorger.
Bei ihnen werden keine Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher geführt. Sie
ftutzieben sich der Vieh- und Todtenbeschau, wie auch anderen politischen
ond polizeilichen Anordnungen. Von der Unterhaltung der Grenzczar-
daken and dergleichen Gemeindelasten wollen sie nichts wissen. Ihre
Todten verscharren sie in Gärten und Gräben. Sie ziehen bei ihi'en
Wanderungen passloses Gesindel und Militäraosreißser an sich, nehmen
▲ichiT. LXXXin. Bd. U. H&lfte. 25
378
sie unter sich auf und machen auch Bnkowiner Insassen zu Anhängern
ihres Glaubens.
100. A. — Die Abschaffung dieser Missbräuche ordnete die Finanz-
Landesdirection (?) am 13. Juni 1845, Zahl 14913, an.
101. A. 1845 — 1846. Aus den ZoUacten. — a) Leonow G^ronti,
Klostervorsteher von Fontina alba, kommt am 28. August 1845 beim
Bojaner Zollamt um Verzollung folgender Effecten ein: Blechwaaren:
Kirchenleuchter, Bauch- und Gluthpfannen ; Glaswaren : geschliffene Lam-
pengläser; Schwarzschmiedarbeiten : eiserne Stangen ; Gusswaaren : Kessel ;
Ciborium aus Kupferblech; Zeug- und Hammei*8chmiedwaaren : Brettsage.
b) Da die Lippowaner seit 1 80 Jahren in keinem Staate einen geistlichen
Oberhirten hatten, so machten sie im Jahre 1846 dem Kloster und dem
neuen Bischöfe verschiedene Geschenke, nämlich das Metropolitan- oder
Priestergewand, vergoldete Weihi-auchgefässe, versilberte Leuchter, Hei-
ligenbilder auf Holztafeln nach altbyzantinischen Zeichnungen, verschie-
dene Verzierungen u. dgl. c) 4. August 1846 langten um 20 fl. Bilder,
aus Messing geprägt, über Bojan fQr die Lippowaner ein ; desgleichen bei
Synoutz 6 Gemälde in vergoldeten Bahmen, Messingai'beiten, Bilder ans
Messing, 2 Bischofsmützen, versilbertes Kupfergeschirr, Sprengwedel;
Alles für das Kloster in Biala kierniza. d) 16. October 1846 langten mit
derselben Bestimmung ein: Bücher, Caviai*, Thee, Wachskerzen u. s. w.,
ferner abgenützte Messkleider, e) 17. October 1846. Mit Silber und
Messing verzierte Gemälde, welche bei Hussiatyu eingeführt worden
waren. /) 14. December 1846. Eingabe der Lippowaner: Mittelst Aller-
höchster Entschliessung vom 18. September 1844 wurde für Biala kierniza
ein priesterlicher Oberhirt oder Weihbischof bewilligt, welcher den Lippo-
waner-Mönchen die höheren Weihen zu ertheilen und seine Nachfolger zu
ordinieren hat. Die Lippowaner sind in Bussland, in der Moldau, der
Walachei und in der europäischen und asiatischen Türkei in einer Aji-
zahl von drei Millionen wohnhaft. Diese haben für das Kloster in Fontina
alba verschiedene Geräthe geschenkt, und zwar einen grossen Gandelaber
und mehrere Armleuchter, aus Kupfer gefei-tigt und silberplattiei-t. Diese
Gegenstände sind Nachahmung altbyzantinischer Kunstwerke und können
nur in Bussland beschaffen werden. Da das Zollamt hiefür einen uner-
schwinglichen Zoll verlangt, so bitten sie um dessen Ermässigung.
102. A. 6. September 1849. Klage der Lippowaner von Fontina
alba durch die Bevollmächtigten Olimpi Miloradow und Paul Wasiliew
beim Finanzministerium. — Kaiser Joseph hat die Lippowaner vom
schwarzen Meere angesiedelt und ihnen am 9. October 1783 ein Privileg
gegeben. Sie siedelten sich an einer weisses Wasser sprudelnden Quelle
379
an. Die Kegierung hatte im Jahre 1785 den Lippowanern einen Wald»
Warniia, znr Ansiedelung angewiesen. Diesen Hochwald trieb die Ge-
meinde ab und benutzte ihn als Hntweide. Im Jahre 1819 wurde durch
den Cameralingenieur der Grund Warniza und die anderen Gründe ab-
gegrenzt und 1347 Joch 1500*3 Qnadratklafter gefunden. Dieselben
wurden unter die einzelnen Besitzer in 450 Theile getheilt, darunter der
Ton der Gremeinde als Hutweide benützte srub (abgetriebener Wald) mit
103 Joeh 412*2 Quadratklafter sub Nr. 5 unter dem Namen Eorczy
Lysok (Waldgestrupp) und unter Nr. 3 der nicht abgetriebene Wald mit
120 Joch 14101 Quadratklafter. Der Förster Schaller wollte von der
(jemeinde Geld erpressen, und als diese nichts gab, fieng er an, sie ans
dem Eorczy Lysok zu verdrängen, worauf er ihn 1829 abnahm. 1833
nahm er dieses Gebiet ganz ab, verband es mit dem herrschaftlichen Wald
and Yerschanzte es. Diese Schanzen hat die Gemeinde zerstört. Sie bittet
jetzt lim Bäckgabe jener Parcellen.
103. A. 27. November 1849. Wiederholtes Gesuch derselben um
die Rückgabe der strittigen Gi*ünde. — Dass diese der Lippowaner Eigen-
timm seien, haben Leute aus den benachbaHen Dörfern bezeugt, so auch
der Pachter Fignra und der BichterWolanicki. Der Förster Schaller und
der Heger seien keine Zeugen, weil sie nicht wnssten, wer den grossen
Wald Nr. 5 ansgehauen habe.
104. A. 20. März 1851. Miloradow betreibt sein Gesuch vom
27. November 1849. — Zunächst wird auf das Privileg des Kaisers Jo-
seph verwiesen. Die einen Lippowaner siedelten sich am Brunnen mit
weissiichem Wasser an (daher Weissenbrunnen) ; die anderen in Hliboka.
Später übersiedelten diese ebenfalls nach Warniza. Nach der Meinung
alter Leute wohnen sämmtliche Familien seit dem Jahre 1790 in Weissen-
brunnen vereint. Ihnen wurde der ganze Warnizer Grund von der Re-
giemng zur Ansiedelung übergeben und mit Graben und Grenzhaufen
ftbgemarkt. Diese Gründe besass die Gemeinde unbeschränkt und ohne
Hindernisse bis 1833. Die Ansiedelungsacten. aus denen sich auch er-
?eb«»n würde, wie viele sich ursprünglich ansiedelten und wie viele aus
Hliboka und anderen Orten übersiedelten, sind bei der Regierung. Laut
Administrationsbericht vom 26. April 1784, Zahl 122, an den Hofkriegs-
rath war beabsichtigt, das ganze Gut Warniza an die Lippowaner zu über-
^b«n, wenn es nicht besetzt wäre, ebenso Korczestie, obwohl dasselbe
verpachtet war, wenn es nur die Lippowaner geeignet fänden. Da damals
Alles Urwald war, so stand es der Gemeinde frei, Wald zu roden. Zu-
nächst wurden die nächsten Gründe gerodet und vertheilt; sodann die
weiteren, zum Beispiel die Parcelle 5, wo der Urwald niedergehauen
25*
380
wurde, und welche als gemeinschaftliche Viehweide benutzt wurde. Die
Parcelle 3 hat sich die Gemeinde zum Hausbedarf als Wald gelassen.
Man gestattete auch den anderen Dörfern und dem Förster Schaller hier
Holz zu fallen, weil man den Platz vom Walde nicht überwuchern lassen
wollte. Es folgt dann wieder die Mittheilnng über die 450 Par-
cellen u. s. w. wie in der Nummer 102.
105. A. 16. April 1851. Bericht des Zuczker Wirthschaftsamtes.
— Die Untersuchung über die Gründe der Lippowaner sind schwierig.
Die Gemeinde Biala kierniza (entstanden 1785) erklärte im Protokoll
vom 16. August 1828, Zahl 263/963, dass sie gar keinen schriftlichen
Beweis über ihr Grundausmass besitze, und die Gemeinde Klimontz sagte
am 10. Juli 1828, Zahl 1729, dass ihr die schiiftlichen Beweise über
ihren Grundbesitz entwendet wurden. . . . (Es folgt sodann die ausführ-
liche Schilderung des oben S. 290 f. geschilderten Kechtsstreites und die
Angaben über die Bewohnerzahl von Fontina alba für 1791 und 1850.) . . .
Der unter dem Namen Warniza den Lippowanem zugetheilte Grund ist
bei der Catastndyermessung von 1819 als Ried Nr. 2 mit 277 Joch
875 Quadratklafter abgegrenzt worden.
106. A. 21. October 1851. Majestätsgesuch. — Die Bewohner
von Fontina alba bitten um Rückgabe der Paixellen Nr. 3 (120 Joch
14101 Quadratklafter) und Nr. 6 (103 Joch 4121 Quadratklafler),
welche den srub Warniza bilden.
107. A. 1854—1857. Aus den ZoUacten. — a) 7. Februar 1854.
Langten (auf dem Zollamte in Sinoutz? Bojan?) 1 Kronleuchter und
6 andere Leuchter, gefertigt aus Blech und leicht versilbert, ein; sie
waren aus Russland geschenkt, h) 3. August 1857. Gelangten ans der
Moldau über Sinoutz nach Czernowitz als milde Gaben eine Anzahl von
Bildern auf Holztafeln mit Wasserfarben gemalt (Oelgemälde durften die
Lippowaner nicht haben), und zwar die 12 Apostel, 2 heilige Maria, 2 Jo-
hannes der Täufer, 2 Johannes Evangelist, zusammen 18 Stück.
108. A. 23. März 1865. — Die Gemeinde Fontina alba wanderte
im Jahre 1785 aus der Moldau in die Bukowina ein und wurde in Folge
allerhöchsten Privilegs Kaiser Josephs II. auf Anordnung der hier be-
standenen Militärverwaltung durch die zu Radautz bestandene Staats-
güterdirection auf dem zum Kloster Pntna gehörigen Prädium Warniza
mit Dominicalgiünden betheilt, wo sie sich auch ansiedelte. Die Gründe
sind in der Josephinischen Steuervermessung angegeben. Es wnrde
weder ein Ansiedlungsvertrag, noch ein Schuldigkeitsinventar verfasst.
NACHTRAG.
Der Druck der vorstehenden Abhandlung hatte bereits
begonnen, als mir Herr Stud. jur. J. Fr. Serfas die unten ab-
gedruckte Originalurkunde zur Verfügung stellte, welche er
unter den Schriften seines Vaters in Unter- Sinoutz gefunden
hatte. Dieses Schriftstück ist höchst werthvoll, weil es jene
empfindliche Lücke in dem sonst so reichen Materiale Wicken-
hanser's ausfUIlt, auf welche oben S. 266 hingedeutet worden ist.
Durch diese Urkunde wird nämlich zunächst unsere Ausführung
bestätigt, dass im Jahre 1786 ein neuer Zuzug von Lippo-
wanem in der Bukowina erschien. Wir ersehen femer aus
dieser Urkunde, dass diese neuen Ankömmlinge aus der
Moldau einwanderten, was mit Hilfe des bisher zugänglichen
Materiales sich nicht mit Bestimmtheit feststellen Hess (S. 267,
Anm. 2). Die Verhandlungen, welche über die Ansiedelung
stattfanden, beleuchtet unsere Urkunde allenfalls nur theilweise;
wir erfahren hauptsächlich aus derselben nur, dass auch dies-
mal die Wahl einer geeigneten Stätte viele Noth verursachte.
Wie im Jahre 1784, so dachte man unter Anderem auch jetzt
(1785) an Korczestie. Dagegen wird Warniza in diesem Schrift-
stücke noch nicht erwähnt; ihre Wiederbesiedelung ist also
offenbar erst nach dem 13. April in Betracht gezogen worden.
Aus der Urkunde ergibt sich femer, dass unsere Annahme
(S. 268), die Wiederbesiedelung der Wamiza sei nicht vor dem
Mai 1785 vollzogen worden, richtig ist. Wenn in der Urkunde
die Verwalterei von St. Onufri bereits erwähnt wird, so ist
offenbar dies gegenüber der Bemerkung oben S. 268 dahin zu
erklären, dass die Einrichtung der Verwalterei bereits im April
erfolgte, während ihre Amtsthätigkeit erst am 1. Mai 1785 be-
gann. Auch sei noch darauf hingedeutet, dass unsere Urkunde
auch einzelne Nachrichten über die Ansiedelung von Moldauern
382
(Rumänen) und Szeklern bietet. Schliesslich sei noch bemerkt,
dasB im laufenden Jahrgange der ^Zeitschrift für österreichische
Volkskunde^ II, 53 flf. eine Arbeit über die Lippowaner von
J. Polek erschien, die ich nicht mehr berücksichtigen konnte.
109. 0. 13. April 1785. — Gehorsamste Meldung. Der Ort von
dem Praedio Palkentz, wo sich die 52 Familien aus der Moldau ansiedeln
wollen, liegt beinahe zwei Stunden von jenem an dem Sucsavafluss ent-
fernt, auf welchem die Szekler angesiedelt werden sollen. Wir haben da-
her bis auf hohe Begnehmiguug die Verabredung dahin getroffen, dass
obigen Familien deijenige Oi*t, auf welchem ehemals das Dorf Balkoutz
gestanden, zum Wohnsitze angewiesen und durch das Directorat denen-
selben davon Nachiicht gegeben werde, damit sie sich das nöthige Mate-
riale zu Häusern herbeischaffen und bei günstiger Witterung sogleich den
Ackerbau pflegen können. Es wird unter einem das Qnofreuer Verwalter-
amt dahin angewiesen, diesen Ansiedeiern da, wo es am nächsten sein
kann, das erforderliche Bauholz eifolgen zu lassen. Es kommt nun dar-
auf an, ob dieser vorläufige Antrag begnehmigt werden wolle oder nicht?
Auf beide Fälle wäre dem Sereder Directorat das Nöthige mitzugeben, als
mit welchem noch weiter verabredet worden ist, dass, wenn sich die russi-
schen darunter befindlichen Familien von den walachischen trennen
wollten, denenselben das Praedium Korceste angewiesen, der üeberrest
von dem Braedio Palkutze aber für nachkommende wallachische Ansiedler
vorbehalten werde. Und weil durch diese Ansiedelungen ganz neue
Oerter entstehen, so sollen die Wohnplätze, wozu ein halbes Joch Gmnd
zureichend sein wird, so ausgesteckt weiden, dass die Häuser in eine der
Localität angemessene Ordnung zu stehen kommen, wozu, wenn kein In-
genieur eigens abgeschickt werden wollte, der Onofreuer Kanzleischreiber
V. Scharf enberg verwendet werden kann. Was die Szekler Familien an-
betrifft, so kann f&r ein Doif der nämliche Platz an der Sucsava, wo ehe-
mals das Dorf Plesnitza gestanden, angewiesen, für ein zweites Doif aber
auf dem Praedio Tornestie ein Platz gewählt werden. Es wird sich viel-
leicht thun lassen, dass der von dem HeiTU Bischofen geniessende, von
dem jenseitigen Kloster Pantokrator in Anspnich genommene Antheil von
Turnesti einstweilen in stato quo wird belassen werden können, welches
sich jedoch erst dazumal bestätigen muss, wenn berührte zwei Dörfer
werden ordentlich ausgesteckt werden ; gleichwie sich dann auch, wenn
für diese zwei Dörfer das nöthige Terrain zu Feldern und Wiesen ausge-
zeichnet sein wird, zeigen wird, ob in der nämlichen Linie nicht noch ein
dritter Ort wird sein können. An der ganzen sogenannten Horaitze,
383
woTon hier eigentlich die Bede ist, nimmt sonst kein anderer Grundherr
als Storsza Antheil, welcher zwischen der Stadt Sered und Balkautz ein
Praedinm hat. Dieses Praedium, mit welchem von dieser Seite der Stadt
Sered geholfen werden könnte, wäre einzutauschen und der Eigenthfimer
Storsza darüber zu vernehmen. Er soll in dieser Gegend noch eine zweite
Mosehie haben und würde sich vielleicht thun lassen, ihm daran ein
Aeqoivalent zu geben. Wie übrigens bereits oben gehorsamst erwähnt
worden, so wird zwar auf die hier rückangeschlossene Nota des bischöf-
lichen Herrn Ordinarii so viel möglich Bücksicht genommen werden;
bollte jedoch das strittige Pantokratoer Terrain der vorhabenden Ansiede-
lung im Wege stehen, so wird man sich nothwendigerweise nach den
Umstanden benehmen und diese Bücksicht aufgeben müssen. Wir unter-
legen eines so das Andere hiemit hohem Ermessen. Wir erwaiiien die
Herren Consistoriales und werden mit denselben nach Petruz abgehen,
daselbst gehorsamst einberichtetermassen mit der anderweit aufhaben-
den Commlssion den Anfang zu machen. Sig. Granicestie, den 18. April
1785. Adler, Hauptmann. Beck, Oberdirector.
INHALT.
I. Abschnitt: S«««
1. Einleitendet 235
2. Ansiedelungen in der moldaiuMheii Zeit: Die ehemalige Colonie
in Stupka; Mitoka-Dragomirna 238
3. Die Begrfindang ron Klimoatx dic^«' 241
4. Eiiidufiscaiioie Kaiser Josephs II. und der Österreichischen Be-
hörden; die GründungsgeMrbichte toq Biala-Kiernica (Fon-
üna alU 17^4 b) 242
5. Das Entstehen von Mihodra (c. 1836") und von Lippoweni-
Kossowanka (c. 1845) 269
II. Abschnitt:
1. Die Entwicklung von Mitoka-Dragomirna 269
2. Aus der Geschichte der Ansiedelung Ton Klimouts . . . . 277
3. Fontina alba und die Lippowaner-KlOster daselbst .... 287
III. Abschnitt:
1. Die Lippowaner im Urtheile der Behörden 300
2. Das Widerstreben der Lippowaner gegen administratiTe Ver-
fügungen der Obrigkeiten 305
3. Die Beschäftigung der Lippowaner 314
Beilagen 319
Nachtrag 381
DAS ARIBONENHAÜS.
VON
D^^ JOS. EGGER,
CORR. MITGLIEDE DER KAIS. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
^««▼. Lnxin. Bd. 11. Hüfte. 26
I.
Einleitung.
Uas Haus der Aribonen wird allgemein für eines der be-
deutendsten im südöstlichen Deutschland und weitverzweigtesten
gehalten. Von den älteren Forschem abgesehen^ betrachtet
schon R. V. Koch-Stemfeld ^ die Grafen von Plain, Hardegg,
Mittersill, Peilstein und die Hallgrafen als Sprossen eines und
desselben Stammes, und ähnlich fasst C. H. Ritter v. Lang * die
Grafen von Mittersill, Peilstein, Liebenau, Burghausen und
Wasserburg als Zweige eines Geschlechtes auf, das er als die
Grafen von Piain bezeichnet. M. Filz * lässt die Grafen von Burg-
hausen, Schala, Peilstein und Möring von Sighard oder Sizo HI.
abstammen und macht diesen zugleich zum Stammvater des
Pfalzgrafen Hartwig I. Carl Siegert* leitet die Pfalzgrafen,
die steirischen Ottokare, die Grafen von Peilstein und Möring
von Isengrim, Grafen im Chiemgau um 765, ab und sieht in
Aribo I., Markgrafen der Ostmark, einen älteren und in Aribo H.,
Sohn Ottokars (H.), einen jüngeren Abkömmling desselben, von
denen er jenen ßir den Stammvater der Pfalzgrafen, diesen
aber fiir den Stammvater der Ottokare ansieht. Dagegen be-
trachtet J. Wendrinsky*^ als gemeinsamen Stammvater beider
Linien den Markgrafen der Ostmark, Aribo L, den er zu einem
Enkel Emsts I., Herzogs und Markgrafen des Nordgaues, macht.
^ R. ▼. Koch-Sternfeld, Beyträge zur teutschen Länder-, Völker-, Sitten-
und Staatenknnde 3, 97 ff., Beil. zu S. 133. 155.
' B. V. Lang, Baierus alte Grafschaften, S. 101.
^ M. Filz, G^chichte des Salzburger Benedictinerstiftes Michaelbeuem 1,
74. 147. 170.
* C. Siegert, Geschichte der Herrschaft und Burg Hilpoltstein in Verhandl.
d. histor. Ver. f. Oberpfalz u. Regensburg, 20. Bd., Beil. zu S. 42.
• J. Wendrinsky, Die Grafen von Peilstein, S. 4 in Bl. d. Ver. f. Landesk.
y. Niederösterr., 15. Bd.
26*
388
und als Söhne Aribos I. nimmt er Sighard I., Graf im Salz-
burggau und Kärnten, den er für den Ahnherrn der Pfalz-
grafen, und Ottokar I. an, den er flir den Ahnherrn der Otto-
kare hält; sein weiterer Stammbaum stimmt im Wesentlichen
mit jenem tiberein, den bereits A. Meiller ^ aufgestellt hat.
Nach S. Riezler* sind die Grafen von Burghausen und Schal a
höchst wahrscheinlich desselben Stammes wie die Peilsteiner
und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die Grafen von Lim-
burg, Attel, Reichenhall und Wasserburg unter die Aribonen
zu reihen. Joh. Wendrinsky und A. Meiller schliesst sich der
eine der zwei neuesten Forscher, die sich hierüber ausge-
sprochen haben, E. Richter,' an; nur dass er ausser den Grafen
von Peilstein und Burghausen auch die Grafen von Lebenau
zu der Familie der Aribonen rechnet und noch die Grafen von
Piain als nähere Verwandte derselben vermuthet; ganz anderer
Ansicht ist der zweite, O. Kaemmel,* wovon weiter unten die
Rede sein soll.
Nach den Ergebnissen, zu denen die genannten Forscher
gelangt sind, wird man kaum mehr bezweifeln dürfen, dass
die bairischen Pfalzgrafen von Hartwig I. bis einschliesslich
Aribo II., die Grafen von Peilstein, Burghausen und Schala
sowie die Grafen von Lebenau eines und desselben Stammes
sind; auch wird man einen engeren Zusammenhang derselben
mit den Grafen von Plain-Hardegg und von Wasserburg oder den
Hallgrafen, sowie mit den Markgrafen von der Steiermark im
11. und 12. Jahrhunderte und ihren Ahnen, den Ottokaren,
flir sehr wahrscheinhch halten dürfen. Die Verzweigung des
Aribonengeschlechtes scheint mir aber noch viel weiter zu
gehen und dasselbe noch mehrere andere Aeste zu umfassen.
Ich will es in Folgendem versuchen, auch noch die beiden
Pfalzgrafenfamilien, die der aribonischen im Pfalzgrafenamte un-
mittelbar folgen, der Pfalzgrafen von Rot- Voh bürg und Cham
^ A. Meiller, Salzb. Reg., S. 544.
• S. Riezler, Geschichte Baieras 1, 862 f.
' £. Richter, Untersuchnngen zur histor. Geographie des ehemaligen Hoch
Stiftes Salzburg und seiuer Nachbargebiete im I. Ergänzung^bd. d. Mittlm
f. österr. Geschichtsf., S. 637.
^ O. Kaemmel, Zur Entwicklungsgeschichte der weltlichen Grundherrschaf
in den Südostmarken während des 10. u. 11. Jahrh. in Histor. Unter
Buchungen von der histor. Gesellsch. zu Leipzig 1894.
389
dann die Grafen von Frantenhausen und Megling, weiter die
älteren Grafen des Pusterthaies und Lumgaues, die von Graf
Otmn abstammen, und die ihnen entsprossenen Zweige, ja
seFlwt die Grafen von Flavon und von Tirol mit dem Aribonen-
stamme in näheren Zusammenhang zu bringen und als weitere
Zweige desselben oder nähere Verwandte zu erweisen; ebenso
werde ich versuchen, die Beziehungen der Spanheimer und
namentlich der beiden Zweige dieses Hauses, die Grafen
TOD Ortenburg sich nennen, zu dem Aribonenhause klarzu-
legen und die Verwandtschaft der Grafen von Falkenstein und
Lechsgemtind mit demselben wahrscheinlich zu machen. Ich
beginne hiebei, indem ich die sichergestellten Zweige des Ari-
bonenhauses kürzer behandle, mit dem Nachweise der Ab-
stammung der steirischen Ottokare, erörtere dann die Her-
knnft, Reihenfolge und Besitzverhältnisse des pfalzgräflichen
Zweiges, insbesondere auch ihren Besitz in Tirol, und gehe
hierauf zur Darlegung der verwandtschaftlichen Beziehungen
and Besitzungen der Pfalzgrafen Chuno und . Rapoto über.
Daran knüpfe ich die Ausführungen über die älteren Grafen
des Pusterthaies und Lurngaues, über 'die Famihe Bischof Alt-
manns von Trient, die älteren Ortenburger und die Grafen
von Gtörz, ihre nächsten Verwandten, dann über die Grafen
von Flavon und ganz besonders über die alten Grafen von
Tirol und die Familie der heil. Emma. Nachdem ich alle bis
in die Mitte des 11. Jahrhunderts wenigstens zurückverfolg-
baren Familien besprochen habe, behandle ich jene Famihen,
die erst im 12. Jahrhundert mit besonderen Namen hervor-
treten oder jetzt im Besitze von Gütern und Rechten erscheinen,
die fttlher Zweige des Aribonenhauses innegehabt haben imd
dadurch Rückschlüsse auf ihre Abstammung gestatten. Es
änd dies die Grafen von Peilstein i^id Burghausen-Schala, die
Grafen von Lebenau (Liebenau), die Grafen von Piain, die
Grafen von Wasserburg oder Hallgrafen, die Grafen von
Frantenhausen -Megling, die Markgrafen von Vohburg, die
Grafen von Spanheim und ihre Zweige, die Ortenburger in
Kärnten und Baiem, die Grafen von Falkenstein und Lechs-
gemünde. Es kann aber natürlich nicht eine vollständige Be-
bandlung aller dieser Familien, wenn auch nur in der älteren
Zeit, beabsichtigt sein, eine solche würde ja mehrere Bände
ftUen; es kommt mir allein darauf an, den verwandtschafdichen
390
Zusammenhang derselben, soweit möglich, zu erweisen oder
bis zu einem grösseren oder geringeren Grade wahrscheinlich
zu machen. Gewissheit dürfte mit dem bisher veröflFentUchten
Materiale in vielen Fällen nicht zu erzielen sein.
Wenn ich mich trotz solch' geringer Aussichten nicht vom
Versuche abschrecken lasse, in das Dunkel des Ursprunges der
Mehrzahl der genannten Famihen vorzudringen, so geschieht
dies aus zwei Gründen vorzüglich. Einmal kann ich, da ich
eine Geschichte des Adels Tirols in älterer Zeit zu schreiben
beabsichtige, nicht vermeiden, mir über das Aribonenhaus und
seine Zweige meine eigenen Anschauungen zu bilden und zu
den verschiedenen Hypothesen Stellung zu nehmen, und dann
hoffe ich, dass durch meine Ausfuhrungen doch auf manche
Verhältnisse und Beziehungen dieser Familien und Geschlechter
ein helleres Licht falle, und dass namentlich drei bisher wenig
oder gar nicht beachtete Thatsachen besser sich begreifen
lassen. Es sind das die Thatsachen: erstens, dass das bai-
rische Pfalzgrafenamt, wenn auch die Inhaber desselben recht-
lich nicht höher stehen als die anderen Grafen und solchen
selbst öfter in den Z^ugenreihen nachgesetzt werden, doch
sichtlich mit Eifer von Familien- und Familienmitgliedern er-
strebt wird; zweitens, dass die bairischen Pfalzgrafen alle, mit
Ausnahme der Witteisbacher, in Baiern und in Carantanien be-
gütert erscheinen; drittens, dass ein paar Pfalzgrafen von ihnen
sicher, wahrscheinlich aber auch die anderen in Tirol, ins-
besondere im Unterinnthale, bedeutenden Besitz hatten und
zwei aus ihnen erweisUch die ganze Grafschaft des unteren
Innthales, zwei andere den grösseren Theil derselben verwalteten.
Die folgenden Erörterungen stützen sich natürlich vor
Allem auf die sicheren Zeugnisse über verwandtschaftliche Be-
ziehungen, die sich erhalten haben. Da jedoch diese sehr
spärlich sind, so können weitere Beweismittel unmöglich ent-
behrt werden. Unter diesen lege ich, festhaltend an dem Aus-
spruche Dubuat's: ,praediorum haereditaria ratio, haec sola est
via*, der bei genealogischen und topographisch-historischen For-
schungen von jeher vorzügliche Beachtimg gefunden hat, das
meiste Gewicht auf den Besitz von AUod und den daraus ent-
springenden Rechtsverhältnissen. Aber auch der Besitz von
Lehen und die aus dem Lehen wesen sich ergebenden Be-
ziehungen zwischen einzelnen Personen verdienen im Laufe
391
der Zeit immer grössere Berücksichtigung, je mehr die Erb-
lichkeit der Lehen durchdringt und je weitere Kreise sie um-
fiisst. Eine nicht viel geringere Würdigung darf der Besitz
von geisthehen Vogteien beanspruchen, namentlich solcher, die
vom Anfange an dem Geschlechte vorbehalten wurden oder im
Laufe der Zeit sich zu vererben anfingen; aber auch in solchen
Fällen gilt dies, wo die Stifter und Klöster das freie Verfügungs-
recht über die Vogteien entweder vom Anfange an hatten oder
später erlangten, denn in der That bleiben sie selbst dann noch
oft genug durch Menschenalter in den Händen ein und der-
selben FamiUe. Sehr bezeichnend ist weiter der Besitz von
Aemtem und Würden, denn diese gehen schon häufig, ja fast
regelmässig, wenn nicht besondere Hindemisse eintreten, in
jenen Zeiten, wo sie noch ihren ursprünglichen Charakter be-
wahren, vom Vater auf den Sohn über; um so viel mehr gilt
dies von den späteren Jahrhunderten, in denen sie zu Lehen
geworden sind und gleich anderen Lehen auf immer fernere
Glieder sich vererben.
n.
Die Familie der Ottokare.
Die Frage nach dem Stammvater des Aribonenhauses
wird sich kaum je mit voller Bestimmtheit beantwoi*ten lassen,
aber gewiss ist unter allen Grossen des 9. Jahrhunderts, deren
Namen und Thaten wir kennen, keiner, für den mehr spricht
ab fftr den bekannten Markgrafen der Ostmark in den- Tagen
Kaiser Ludwigs des Deutschen, Kaiser Arnulfs und seines
Sohnes König Ludwigs IV., imd die Worte der Weltchronik
Ekkehards: ,illius nimirum famosi Aerbonis posteri^ quem in
venatu a visonta bestia confossum, vulgares adhuc cantilene
resonant^^ passen auf keinen anderen Grafen dieses Namens,
weder aus jener noch aus einer späteren Zeit, besser. Gleich-
zeitig mit ihm erscheinen nur noch zwei Aribo, von denen wir
aber nichts Weiteres wissen, als dass der eine Graf im Augst-
gaue gewesen, * der andere von König Ludwig IV. mit
> Mon. Germ, histor. Script. 6, 225, Z. 47.
* E. Mühlbacher, Rejc- Nr. 1882.
392
20 Hüben und einem ummauerten Hofe zu Schladnitz in der
Grafschaft seines Vaters Ottokar im Leobenthale beschenkt
worden ist. * Dieser ist aber aller Wahrscheinlichkeit nach
kein Anderer als des Markgrafen Enkel, denn unter den Für-
bittern derselben Urkunde tritt noch ein zweiter Aribo auf, der
nach seinem Platze unter den anderen wohl nur der Markgraf
sein kann. * Demnach muss dieser einen Sohn, Namens Ottokar,
Grafen im Leobenthale, gehabt haben, wie er auch einen Bruder
dieses Namens hatte. ^
Fragen wir nach dem Besitze der Familie des Markgrafen,
so erfahren wir aus sicheren Zeugnissen nur, dass er die Ost-
mark und den darin liegenden Gau Grunzwiti und den Traun-
gau innegehabt hat.* War obgenannter Ottokar in der That
sein Sohn, dann gehörte auch die Grafschaft im Leobenthale
und die dort erworbenen Besitzungen seinem Hause. Aber die
Ostmark ging noch bei seinen Lebzeiten durch die Ungam-
einftdle verloren, und es war ein geringer Ersatz fUr diesen
Verlust, wenn König Ludwig IV. an Aribo gemeinsam mit dem
Erzbischof Piligrim von Salzburg die Abtei Traunkirchen zu
lebenslänglichem Genüsse tibertrug, die nach seinem Tode ganz
an das Erzstift Salzburg fallen sollte.^ Dieser Anfall kann nun
allerdings kaum eingetreten sein, da wir später dieselbe Abtei
noch in den Händen einer Familie sehen, die als ein Zweig des
Aribonenhauses betrachtet wird.^ Diese Thatsache, sowie die
gemeinsame Belehnung Aribos und des Erzbischofe Piligrim
veranlassen mich zur Vermuthung, dass beide verwandt seien.
Was ausser dem Traungau Aribo noch verblieben, ist gänzlich
unbekannt, und ebenso wenig gibt irgend eine Quelle Aufschluss
darüber, was Aribos L Bruder Ottokar etwa besessen; spätere
Verhältnisse erlauben aber den Schluss, das Geschlecht habe
^ E. Mühlbacher, Reg. Nr. 1964.
' S. Hirsch, Jahrb. des deutschen R. unter Heinrich TL. 1, 36 ist entgegen-
gesetzter Ansicht; er meint, bei dieser Zusammenstellung der beiden
Aribo hätte auch ihr Verwandtschaftsverhältniss zum Ausdrucke kommen
müssen; allein ähnliche Zusammenstellungen naher Verwandter ohne Be-
zeichnung ihrer Verwandtschaft sind selbst in späteren Jahrhunderten
nicht selten.
> £. Mühlbacher, Reg. Nr. 1961a.
* E. Dümmler, Geschichte des Ostfr. R. 3, 64. 226. 360.
* Urkb. d. L. o. d. E. 2, 66. E. Mühlbacher, Reg. Nr. 2001.
* Urkb. d. L. o. d. E. 2, 374 Nr. 257, 400 Nr. 272, 427 f. Nr. 296.
S93
den Schwerpunkt seiner Macht in den westheheren Gauen ge-
funden.
Obgenannten Ottokar nun, des Markgrafen Sohn und den
Vater des beschenkten Aribo, hält der neueste Historiker Otto
Kaemmel * für den Stammvater der Aribonen, und zwar haupt-
sächlich aus dem Grunde, weil im Anfange des 11. Jahrhunderts
der Pfalzgraf Aribo I. und dessen gleichnamiger Sohn, der
Diakon Aribo, der nachmaUge Erzbischof von Mainz, im Be-
sitze obiger 20 Hüben seien. Um den Zusammenhang zwischen
diesen und jenem herzustellen, entwirft er folgenden Stamm-
baum. Jenes Aribo (IL) Söhne sind nach seinem Daftlrhalten
Pero und Albwin und des Letzteren Söhne von Hildegard, einer
Tochter Oudalberts, Erzbischofs von Salzburg (923 — 935), Hart-
wig, Aribo (HI.) und Albwin, jene die bekannten Pfalzgrafen
Hartwig I. und Aribo I., dieser der gleichnamige Bischof von
Brixen (ca. 975 — 1006). Dieser Stammbaum erklärt allerdings
die Thatsache des Besitzes der genannten Hüben sehr einfach,
allein er stimmt nicht zur Lebensdauer der einzelnen Personen.
Wie schon O. Redlich ^ gegen S. Hirsch eingewendet hat,
kann der Pfalzgraf Hartwig I. kaum ein Bruder dps Pfalz-
grafen Aribo I. sein. Noch mehr Bedenken gegen O. KaemmeFs
Annahme erregt mir aber der Umstand, dass in dem gleich-
zeitigen Quellenmateriale unter den vielen Grafen Süddeutsch-
lands keiner des Namens Albuin, ja nicht einmal ein Edler
oder Lehensmann sich findet, ausser jenem, der vom Bischöfe
Eigilbert von Freising (1006 — 1039) ein paar Barschalken zu
Lehen hat. * Und wenn wirklich Aribo (H.), Ottokars Sohn,
die späteren Pfalzgrafen zu seinen Nachkommen gehabt hat,
dann begreift man schwer, warum nicht auch letztere im Be-
sitze des Grafenamtes im Leobengaue sind. Ich weiss wohl,
dass an erster Stelle im Necrologium von Göss Aribo ,comes in
liubena' genannt wird.* Aber nach einer anderen Quelle, die
jedenfalls mehr Glauben verdient und ganz unzweideutig ist.
' O. Kaemmel, Zur Entwicklungsgeschichte der weltlichen Grundherrschaft
in den Sttdostmarken während des 10. u. 11. Jahrh. in Histor. Unter-
suchimgen, Leipzig 1894.
* O. Redlich, Zur Geschichte der Bischöfe von Brixen vom 10.— 12. Jahrh.
in Ferdin. Zeitschr. III, 28, S. 10, Anm. 2.
» C. Meichelbeck, Historia Friß. Ib, 504 Nr. 1201 u. 507 Nr. 1211.
* S. PuÄch u. E. Froelich, Diplom, ducatus Styriae 1, 133.
394
aus ungefähr gleicher Zeit, nach einer Urkunde Kaiser Hein-
richs n. vom 16. Mai 1023, hat ein Graf Gebhard den Co-
mitat im Liubenthale inne und nicht einer der Söhne Aribos I. ^
Der Einwand, dass das Grafenamt damals noch nicht erblich
oder seine Erblichkeit noch nicht fest begründet war, beseitigt
die Schwierigkeit keineswegs, denn in der Regel bleibt doch
schon im 10. Jahrhunderte dieses Amt in derselben Familie
und geht vom Vater auf Sohn und Enkel über, wie viele Bei-
spiele hinlänglich bezeugen, besonders wenn diese Familie in
der Grafschaft grösseren Besitz hatte, und das war ja hier der
Fall. Auch das Seoner Todtenbuch spricht gegen Kaemmel's
Annahme; wenn Aribo I., der Stifter dieses Klosters, in der
That ein Bruder Bischof Albuins war, so konnten darin doch
wohl nicht alle Glieder seiner Familie unerwähnt bleiben. Als
nahe Verwandte des Aribonenhauses, vielleicht selbst als Ange-
hörige desselben, wird man dieselben allerdings betrachten
dürfen, wenngleich ihr Hauptsitz nicht nördlich von den Tauern
oder auch nur von dem Drauflusse, sondern im Jaunthale zu
suchen ist.*
K^n sonach Ottokar nicht durch seinen Sohn Aribo der
Stammvater des pfalzgräflichen Zweiges des Aribonenhauses
geworden sein, so darf man ihn doch sehr wahrscheinlich als
Begründer einer anderen Linie, jener der Ottokare, die um
die Mitte des 11. Jahrhunderts in den Besitz der Steiermark
gelangte, in Anspruch nehmen. Die älteren Genealogen und
jüngst noch J. Wendrinsky geben in der That Ottokar einen
Sohn gleichen Namens und sehen diesen für den Ahnherrn
dereelben an. Für diese Annahme fehlt es nicht an mancherlei
Anhaltspunkten. Denn während in den Traditionen des Erz-
bischofs Oudalbert der Name Aribo selten und nie als der
eines Grafen auftritt, kommt der Name Ottokar ziemlich häufig
auch an erster Stelle unter den Zeugen vor^ und zweimal
wird dessen Inhaber zugleich als Graf bezeichnet.* Es ist dies
* J. Zahn, Steierm. Urkb. 1, 60 f.
* O. Redlich, Die Traditionsbücher des Hochstiftes Brixen, Nr. 30. 34. 35. 36.
» Juvavia, Anh., S. 127 Nr. 3, 138 Nr. 27, 139 Nr. 30, 140 Nr. 32, 149
Nr. 49, 163 Nr. 60, 166 Nr. 60, 167 Nr. 62 u. 64, 168 Nr. 66, 163 Nr. 74
u. 76, 164 Nr. 76. Mitth. des Inst. f. österr. Geschichtsf. 3, 82 Nr. 2.
* Juvavia, Anh., S. 174 Nr. 93. Mitth. des Inst. f. österr. Qeschichtiif. 3,
83 Nr. 4.
395
meist bei Verhandlungen über Güter im Salzburggaue und
Chiemgaue und nur einmal bei Vertauschung eines Gutes im
Lsengaue mit einem anderen im Undrimathale ^ der Fall. Der
Träger dieses Namens^ der wohl immer derselbe sein dürfte,
hat eine Frau, Alte genannt, und Kinder und ist im lsengaue
begütert;* er kann der Zeit nach mit Ottokar (I.), dem Vater
Aribos, identisch oder auch ein gleichnamiger Sohn desselben
sein. Jedenfalls lässt ihn sein ganzes Auftreten nicht als Grafen
im Lrcobengaue, viel eher als Grafen im Salzburg- oder Chiem-
gaue erkennen.
In der That finden wir im Jahre 959 im Chiemgaue einen
Grafen Ottokar (ü.),* den man sicher nicht mehr fiir Aribos (11.)
Vater, aber ohne grössere Bedenken fiir dessen Bruder halten
kann. Allerdings widerspricht dieser Auffassung der Umstand,
das6 sein Vorgänger in der Grafschaft, den Gerichten Traun-
stein-Halmberg nicht Ottokar, sondern Reginbert heisst und der
Obervogt des Erzstiftes Salzburg ist, der im Jahre 940 auch
als Graf im Salzburggaue erscheint und zwei Frauen, Perchtild
und Rosmuot, und drei Söhne, Ratolt, Friedrich und Rapoto,
aber keinen Namens Ottokar hat. Allein von diesen mangelt
jede ^veitere Spur, dagegen gestatten noch manche Documente,
Ottokar 11. als Grafen in genannter Gegend aufzufassen. So
ein Tausch Erzbischof Friedrichs von Salzburg (958 — 991) mit
einem gewissen Dietrich um Liegenschaften in Lanzing gegen
solche im Meckenthale (bei Tittmoning, Landgericht Laufen),
wobei ein Ottokar als erster Zeuge erscheint;* eine Schenkung
an das Erzstift, die der Edle Rihheri mit seinem Eigen in den
Orten Himminga (Chieming, Landgericht Traunstein), Che-
menata und Engilhartesheime, wohl alle drei im Chiemgaue in
Ottokars Grafschaft;,'^ zu Salzburg macht und bei der er als
zweiter Zeuge mitwirkt;^ die wichtige Verhandlung zwischen
dem Erzbischofe und der edlen Frau Sigiharts, die gleichfalls
* Juvavia, Anh., 8. 176 Nr. 95.
« Ibid. S. 163 Nr. 74 u. 76, 164 Nr. 76.
» Mon. Germ. Dipl. 1, 281, m» 282, ai-
* Hitth. des Inst. f. österr. Geschichtsf. 3, 83 Nr. 4. Juvavia, Anh., S. 197
Nr. 18.
» Dr. Zillner, Die Grafschaften u. die kirchl. Frei im Salzburggan in Mitih.
der Ges. f. Salzb. Landesk. 23, 263.
* Juvavia, Anh., S. 190 Nr. 1.
396
ein Ottokar als zweiter Zeuge nach dem Pfalzgrafen Hartwig I.
bezeugt.* Raum zu bezweifeln ist die Identität Ottokars 11.
mit dem ersten Zeugen desselben Namens in einer Tradition
an das Kloster Monsee (ca. 974) * und in einer anderen an das
Stift St. Peter in Salzburg. ^ Der Zeit nach könnte Ottokar II.
wohl auch mit Otgerus zusammenfallen, der im Jahre 993 einen
Comitat im pagus Croudi verwaltet.* Dieser pagus ist am
ehesten für einen Theil des ehemaligen Lumgaues anzusehen,
der um den Mülstätter See Hegt, wo noch ein Ort Kraut in
der Pfarre Lieseregg sich findet.^ Möglich wäre auch, dass
auch noch der dreimal als erster Zeuge in den Traditionen
des Erzbischofs Hartwig (991 — 1023) auftretende Ozi unser
Ottokar IL ist, und dass gerade aus seinem hohen Alter sich
sein Vortritt vor dem Pfalzgrafen Hartwig IL in zweien davon
erklärt. ^ Aus dem ganzen Auftreten Ottokars IL ergibt sich
noch sicherer als aus dem seines muthmasslichen Vaters, dass
er nicht der Steiermark, sondern dem südöstlichen Baiem an-
gehört, wenn er auch jenseits der Tauern Besitz hat, und dass
seine Familie im Zusammenhange mit den Pfalzgrafen und
anderen MitgUedern des Aribonenhauses steht; gerade sein
kämtnerischer Besitz wäre in dieser Hinsicht sehr charakteristisch.
Noch festere Gestalt gewinnen die bezeichneten Beziehungen
durch das, was wir von Ottokars IL Sohne wissen. Als solchen
haben wir wohl den im Jahre 1027 erscheinenden Ozinus auf-
zufassen, in dessen Grafschaft der Forst Heit liegt.'. Dieser
Forst breitet sich aus in loco ubi aqua Merina idem forestum
perfluit ac sie in sursum per eandem aquam', somit im Zidlar-
gaue, keinem eigentlichen Gaue, sondern einem Theile des
Isengaues, wo Ozin gemeinsam mit Graf Chadalhoch die Grafen-
rechte übt, den wir noch als einen Sohn des Pfalzgrafen
* Juvavia, Anh., S. 196 Nr. 12.
« B. Pez, Thes. anecd. 6 a, 120.
* Notizbl., Beilage z. Arch. f. Kunde österr. Geschichtsqu. 6, 48 Nr. 117,
* Mon. Germ. Dipl. 2, 644, j^-
* G. V. Ankershofen, Ürkunden-Reg. Archiv 11, 346 Nr. 643. O. Redlich,
Die Traditionsbücher S. 290. J. Resch hält die Lage des pagus an der
Liser für wahrscheinlicher als in Krain. Aetas millen. 67 Anm. d. Feli-
cetti-Liebenfels in Beitr. z. Kunde steierm. Geschichtsqu. 6, 103.
« Archiv f. Kunde österr. Geschichtsqu. 22, 803 Nr. 11. Mitth. des In«t. f.
österr. Geschichtsf. 3, 86 Nr. 8; 91 Nr. 20.
' Mon. Boic. 29 a, 22. Stumpf, Die Reichskanzler Nr. 1967.
897
Aribo I. werden kennen lernen. Ozin oder Ottokar (III.) er-
scheint aber auch im Jahre 1048 als Graf im Chiemgaue^ und
zwar in derselben Grafschaft, wo wir Ottokar 11. getroflFen
haben, denn der Forst an der Traun, den schon K. Otto I.
an das Erzstift Salzburg geschenkt hat, durchzieht auch sie,^
und so darf man beide wohl im Verhältnisse von Vater und
Sohn auffassen. Ein paar Jahre später, im Jahre 1051, treffen
wir Ottokar III. wieder unter dem Namen Ouzzo als Grafen
im Zidlargaue.^ Seine Grafenrechte hier und dort lassen ihn
ziemlich sicher als MitgUed des Aribonenhauses erkennen. Er
ist offenbar der Ozy, von dem das Vorauer Fragment sagt:
,qui temporibus Henrici III. pollebat^, ^ und ohne Anstand dürfen
wrir in dem ,Otachyr marchio, qui temporibus imperatorum
Heinr. IV. et V. inclitus fuit* derselben Quelle seinen Sohn
sehen. Das Fragment irrt nur darin, dass es schon seinen
Vater, Grossvater und ürgrossvater zu Markgrafen der Steier-
mark macht.
Ottokar IV. ist also der erste wirkliche Markgraf der
Steiermark aus der Familie der Ottokare und erscheint als
solcher bereits unzweifelhaft in den Jahren 1056 und 1059.
Denn am 21. Februar 1056 schenkt Kaiser Heinrich III. dem
Bisthume Brixen das Gut Oisnitz bei Preding (predium vide-
iicet Odelisniz ceteraque bona sua omnia que in marchia et
eomitatu Otacharii marchionis sita sunt);^ am 1. Juni 1059
schenkt Kaiser Heinrichs III. Sohn, König Heinrich IV., dem
Erzbischofe Balduin von Salzburg fünf bestiftete Hüben zu
Gunprehtesteten bei der Lasnitz, in marchionis Otacheres mar-
chia Carintina'.^
Aus den bisherigen Ausftihrungen dürfte sich mit ge-
Dflgender Sicherheit ergeben, dass Ottokar I. nicht ohne Grund
fer den Stammvater der steirischen Ottokare gehalten wird, dass
er und seine anderen Nachkommen die Güter in der Leobener
Grafschaft nicht besessen, diese auch Grafenrechte da nicht
1 Mon. Boic. 29, 89. Stumpf 2347.
* Ibid. 3, 103; 31a, 326. St. 2398.
* Mon. Germ. Script. 24, 72.
* J. Zahn, Steierm. Urkb. 1, 70 Nr. 62. F. A. Sinnacher, Beytr. 2, 568.
U. W&hnschaffe, Das Herzogthom Kärnten und seine Marken im 1 1. Jabr-
hnndert 40. St. 2493.
* J. Zahn, Steierm. Urkb. 1, 76 Nr. 66. St 2676.
398
geübt haben, und dass überhaupt diese Familie vor der Mitte
des 11. Jahrhunderts in Steiermark keinerlei Bedeutung^ kaum
irgend welchen namhaften Besitz gehabt hat, vielmehr bis zu
diesem Zeitpunkte zu den hervorragenden Grafenfamilien des
Chiem- und Isengaues zählt. Dagegen verschwindet sie aus
den genannten Gauen seit dem Jahre 1056 ebenso^ wie sie in
der Steiermark an Macht und Ansehen gewinnt, und ihr dortiger
Besitz kann wohl nur an nahe Verwandte übergegangen sein,
wobei nach dem ganzen Zusammenhange am ehesten an die
Pfalzgrafen und anderen Zweige des Aribonenhauses zu denken
ist, mit denen wir sie ja wiederholt gemeinsam auftreten ge-
sehen haben und die in denselben vorzüglich begütert sind,
wie die Folge zeigen wird. ^
III.
Die Familie der Siteren Pfalzgrafen.
Schon Dubuat gab dem Markgrafen Aribo (I.) ausser den
Söhnen Isangrim (richtiger Isanricus) * und Ottokar noch einen
Sohn Sigihard. M. Filz sucht diese Annahme durch die Ge-
schichte der Nachfolger Sigihards in der Grafschaft des Salz-
burggaues und durch ihren Besitz im Salzburg-, Chiemgau und
in Kärnten eine feste Stütze zu geben.* C. Siegert theilt ihre
Annahme nicht, sondern macht Sigihard zu einem Bruder
Aribos II. und zugleich des Erzbischofs Oudalbert,* aber Wen-
drinsky und Richter entscheiden sich wieder ftir Dubuat's und
Filzens Hypothese. E. Richter nimmt weiter an, Graf Engel-
bert, der Graf Sigihard in seiner Grafschaft des Salzburg-
gaues folgt, sei sein Sohn gewesen, und macht zu dessen
Oheimen Sigihard II. und Nortpreht, zu dessen Sohne Sigi-
hard m., der in den Traditionen Erzbischof Friedrichs (958
bis 991) wiederholt als dessen Bruder und als Gemahl der
Edelfrau Wila zu erkennen ist. ^ Für Sigihards III. und Wilas
Sohn hält er Engelbert IL und für des Letzteren und seiner
* Vergl. S. Hirsch, Jahrb. 1, 37 Anm 2.
" E. Dümtnler, Geschichte d. Ostfr. R. 3, 224. 461. 464 n. a.
' M. Fils, Geschichte von Michaelbeuem 1, 49. 53.
* C. Siegert, Stammtafel, S. 42.
<^ E. Richter, Untersuchungen 629 ff.
399
Gemahlin Adala Söhne sucht er Graf Sigihard IV. und den
Diakon Friedrich zu erweisen, indem er zugleich nachdrücklich
auf den Besitz dieser Brüder im Thale Gastein hinweist, wo
auch die Grafen von Peilstein im 12. Jahrhundert begütert
sind. * Sigihard IV. und seiner Gemahlin Pilhilde aber gibt er zu
Söhnen Pfalzgraf Hartwig IL, dessen Bruder Friedrich und
den Patriarchen Sigihard von Aquileja (1068 — 1077), gewöhn-
lich Syrus genannt, und dabei stützt er sich vor Allem auf
die bekannte Stelle des sächsischen Chronisten Ekkehard, wo
dieser den Tod des Grafen Boto, des Bruders des Pfalzgrafen
Aribo n., meldet und dabei auch ihres Vaters, des Pfalzgrafen
Hartwigs II., und seines Bruders Friedrich, sowie ihres Ahn-
herrn Aribo gedenkt,^ und auf die Bestätigungsurkunde Papst
Innocenz IL fUr das Kloster Michaelbeuern aus dem Jahre 1137.^
Des Pfalzgrafen Hartwigs IL Bruder Friedrich von Tengling
betrachtet er wie seine Vorgänger als den gemeinsamen Stamm-
vater und seine Söhne Sigihard und Friedrich als die Be-
gründer der beiden Familien Burghausen-Schala und Peilstein.
Den Pfalzgrafen Hartwig I. jedoch und Sigihard, den Stifter
von Baumburg, ^ sowie die Familie Piain, die er alle auch
lom Aribonenhause zählt, in dasselbe einzureihen verzichtet
er, da es hiefür an ausreichenden Anhaltspunkten fehle. ^
Ist nun auch seit £. Richter's Forschungen, die auf einer
viel sohderen Grundlage als alle früheren ruhen, kaum mehr
zu bezweifeln, dass die Grafen von Burghausen-Schala, von
Peilstein und von Lebenau, sowie die Plainer als Angehörige
des berühmten Aribonenhauses anzusehen sind, so stehen doch
der von ihm beUebten Art der Einfügung des pfalzgräflichen
Zweiges in dasselbe erhebliche Bedenken entgegen. Einmal
ist dadurch nicht erklärt, wie die von Graf Aribo (IL), Sohne
Ottokars, in der Grafschaft Leoben erworbenen Hüben in die
Hände des pfalzgräflichen Zweiges gelangten, wenn dieser nicht
von Aribo (IL) oder Ottokar abstammte, und dann bleibt bei
diesem Zusammenhange die ganze Stellung des Pfalzgrafen
Aribo L, insbesondere der Uebergang der pfalzgräflichen Würde
* £. Siebter, Untersuchungen 632. 634.
« Mon. Germ, histor. Script. 6, 225 f.
* M. Filz, Geschichte von Büchaelbeuern 2, 748 Nr. 6.
* Mon. Boic. 3, 3.
* £. Richter, Untersuchungen 635.
400
vom Pfalzgrafen Hartwig I. auf ihn und von ihm auf den
Pfalzgrafen Hartwig II. unbegreiflich. Aribo I. tritt aber in
der Gegend von Salzburg sehr bedeutend hervor; er ist in
den Zeugenreihen der Traditionen der Erzbischöfe Friedrich
(958—991) und Hartwig (991—1023) oft an erster Stelle. Zu-
dem scheint mir das zweite Document, auf das E. Richter sich
neben Ekkehards Stelle vorzüglich beruft, bei näherer Betrach-
tung nicht so sehr für seine Auffassung zu sprechen. Die entschei-
dende Stelle dieses Schriftstückes der päpstUchen Kanzlei lautet:
,Quam ob rem dilecte in domino fili Truonto abbas • exorati a
nobili comitissa Ita • et filüs eius Gebehardo et Sigehardo co-
mitibus atque nepotibus gloriosi Lotharii Imperatoris • buronense
cenobium in honore beati Michaelis archang. a Sigehardo
bone memorie Aquilejensi patriarcha • nee non Bilhilt matre
eius • a comite etiam Sigehardo ac Friderico fratre eius • Hart-
wige quoque comite palatino • et Sizone comite in sua posses-
sione fundatum.' Darin sind die angeftihrten Wohlthäter und
Stifter Michaelbeuerns offenbar in drei Gruppen geordnet: als
die jüngste gibt sich die Gräfin Ita und ihre Söhne, die Grafen
Gebehard und Sighard, als die nächst ältere der Patriarch
Sigihard von Aquileja, seine Mutter Pilhilde und deren weitere
Söhne, die Grafen Sigihard und Friedrich, als die dritte und
älteste der Pfalzgraf Hartwig und Graf Sizo zu erkennen;
man beachte nur die Art der Anreihung und Verbindung der
Gruppen durch die Partikeln. Darnach und nach der Art des
Ausdruckes kann unter dem Sigihard oder Sizo, der mit dem
Pfalzgrafen gepaart ist, doch wohl nicht der Gemahl Pilhildens
und noch weniger natürlich wieder des Pfalzgrafen Hartwigs H.
Bruder, der Patriarch, und unter dem ihm beigeordneten Pfalz-
grafen schwerUch der Pfalzgraf Hartwig II., sondern nur Hart-
wig I. verstanden sein und bei Sizo nur an einen verwandten
Zeitgenossen desselben, etwa an seinen Nachbar Sigihard HJ.,
gedacht werden. Der Ausdruck ,in sua possessione ftindatum'
passt auch am besten auf Pfalzgraf Hartwig I., in dessen Graf-
schaft ja das Kloster Michaelbeuern gelegen war. ^ M. Filz
sieht in ihm darum den ersten Wiederhersteller des Klosters,
und hiezu stimmt der Todestag, der im Necrologium desselben
flir einen Pfalzgrafen Hartwig angesetzt ist; denn dieser
* Mon. Germ. Dipl. 2, 184, „.
401
iXV. kal. jul.) ist wesentlich verschieden von dem (IX. kal.
dec.), welchen das Necrologium Seonense Hartwig IL gibt.^
Das andere Hauptbeweisstück Richter's, die erwähnte
Stelle der Weltchronik Ekkehards, verdient bei der anerkannten
Glaubwürdigkeit des Verfassers ohne Zweifel alle Beachtung
and ist zu klar, als dass sie missverstanden werden könnte;
allein ein Namensirrthum des in femer Gegend lebenden Ver-
fassers ist doch, so gut er sich sonst in solchen Dingen unter-
richtet zeigt, nicht ausgeschlossen, und entweder seine Angabe
oder die des Necrologium Seonense muss einen Irrthum ent-
halten, denn sie lassen sich nicht in Einklang bringen. Es kann
sich also nur darum handeln, welcher von den beiden Quellen
man den Vorzug geben will. S. Hirsch und H. Bresslau,* sowie
P. Wittmann ^ halten sich an das Necrologium, J. Wendrinsky
und E. Richter meinen, es verwerfen zu sollen, weil es inter-
poliert sei. Der Herausgeber der Excerpte desselben, die in
Jen Monumentis Boicis* veröffentlicht sind, nennt allerdings
diese so; wie es sich aber eigentlich damit verhält, zeigt klar
die neue vollständige Ausgabe des Necrologiums in den Monu-
mentis Germaniae hist.^ Darnach besteht es aus älteren und
jüngeren Theilen, die der Herausgeber genau durch grösseren
and kleineren Druck unterschieden hat. Aribo I. und seine
?anze Familie jedoch erscheinen ausnahmslos in den ältesten
Theilen, die von der ersten Hand herrühren, und diese sind
aach der Ansicht des Herausgebers seit dem Jahre 1164 ein-
getragen, fallen also jedenfalls in die ersten Decennien der
meiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Somit steht ihre Glaub-
würdigkeit wohl ausser Frage, und für die Richtigkeit der An-
^ben spricht noch sehr entschieden die Thatsache, dass sich
dieselben, soweit man sie durch andere Quellen controlieren
kann, als durchaus wahr erweisen. Personen mit solchen
Namen, solchen Aemtern und Würden, wie sie das Necrolo-
^um den Gliedern der Familie Aribosl. zutheilt, haben wirk-
lich in jener Zeit gelebt und gerade da sich aufgehalten, wo
man sie als Angehörige der pfalzgräflichen Familie oder des
» M. G. h. Necrolog. G. 2, 235. Mon. Boic. 2, 162. 8. Hirsch, Jahrb. 1, 33 Anm. 2.
« 8. Hirsch u. H. Bresslau, Jahrb. 1, 32 flf. 3, 340 ff.
* P. Wittmann, Die Pfalzgrafen v. Baiem 17 ff.
* Mon. Boic. 2, 158—163.
* Mon. Germ, histor. Necrologia Germaniae 2, 217 — 235.
IrekiT. LXXXIII. Bd. II. H&lfte. 27
402
Aribonenhauses überhaupt zuerst sucht. Darum glaube ich auch
dem Necrologium vor der berührten Stelle der Weltchronik
Ekkehards den Vorzug geben zu sollen.
Es sind aber nicht allein oder hauptsächlich diese Er-
wägungen, die es mir sehr tmwahrscheinlich machen, dass der
pfalzgräfliche Zweig des Aribonenhauses von Sighard I. ab-
stamme, sondern vor Allem die Besitzverhältnisse beider Fa-
milien, die sehr stark von einander abweichen. So selten, wie
man gemeinhin annimmt, sind allerdings Aenderungen im Be-
sitze im Mittelalter nicht; es gab auch damals Käufe und Ver-
käufe und namentlich Schenkungen an Kirchen und Klöster
oft genug. Allein grössere Gütercomplexe, namentlich die alten
Erbgüter, werden von den Familien doch nur in den selteneren
Fällen veräussert, und eine Art von Gütern, die Stammgüter
(Handgemal) konnten von den Edlen gar nicht einmal ver-
geben werden, so lange noch Glieder ihrer Familie vorhanden
waren. Es bestand noch die Anschauung fort, dass das Stamm-
gut nicht Privatgut des Einzelnen, sondern Gesammtgut des
Geschlechtes sei, daher war es untheilbar und wurde auch
denjenigen Familiengliedem zugerechnet, die sich nicht im Be-
sitze und Genüsse desselben befanden.^ An dasselbe knüpfte
sich ja die Eigenschaft des Adels; welche Familie es nicht
mehr besass, diese sank zu den gemeinft-eien herab.
Man hat bisher den Hauptsitz des Aribonenhauses im
Chiemgaue gesucht und darum die Aribonen geradezu Chiem-
gauer genannt. Die Familie der Sigiharde ist nun in der That
in diesem Gaue ausser im Salzburggaue, wo sie zuerst auf-
tritt, seit der Mitte des 10. Jahrhunderts vorzüglich begütert
und hat ihr Uauptgebiet im Südosten desselben, in der Nachbar-
schaft des Salzburggaues, von dem sie gleichfalls noch Theile
innehat. Den ursprünglichen und Hauptsitz der pfalzgräflichen
Familie glaube ich jedoch nicht da, sondern im nördlich davon
gelegenen Isengaue suchen zu sollen. Und es ist keineswegs
auflaUig, wenn der Stammsitz des Aribonenhauses hier gewesen.
Es dürfte im 9. und 10. Jahrhundert kaum einen Gau Baiems
geben, der schon so stark cultiviert, so dicht bevölkert war.*
Von keinem sind uns so viele Ortschaften und Ansiedlungen
^ R. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, 1. Aufl., 263. 420.
* V. Koch-Stemfeld, Beytr&ge 2, 50 ff.
403
bekannt^ und man braucht den Grund hievon nicht etwa in
einem glticklichen Zufalle zu suchen, der das diese Gegenden be-
treffende Urkundemnateriale besser erhalten hat. Der Isengau
gehört ja zu den fruchtbarsten Strichen des Baiemlandes, und
daraus wie aus der günstigen Lage erklärt sich zur Genüge
dessen frühe und starke Besiedlung. Selbst die verheerenden
üngameinfUlle scheinen hier nur einen vorübergehenden Rück-
gang der Cultur bewirkt zu haben, in der zweiten Hälfte des
10. Jahrhunderts muss bereits die Besiedlung desselben noch
stärker geworden sein, wie die nun eintretende Güterzer-
stückelung schliessen lässt. Hier war auch die Begüterung der
Salzburger Kirche sehr stark. ^ Der rasche Anwachs der Be-
Tölkerung mag nicht wenig dazu beigetragen haben, dass der
Isengau, obwohl er zu den kleineren zählt, spätestens im
9. Jahrhundert wie die Nachbargaue in kleinere Verwaltungs-
gebiete, Grafschaften, getheilt wurde, und dass deren Zahl
nicht geringer, eher grösser wurde als in den anderen. Der-
selbe zählte um die Mitte des 10. Jahrhunderts zum wenigsten
vier, sehr wahrscheinlich fünf oder sechs Grafschaften. Es
hatten da ihre Grafschaftssprengel die Grafen Megingoz und
Vuatilo,* in deren Comitaten die Orte Chazpach und Tollin-
howa an der Vils lagen, der Graf Chadalhoch,^ der Pfalzgraf
Hartwig I., dessen Grafschaft die Ortschaften Eihhi (Eich an
der Isen) imd Tagaperhtesheim (Taibrechting an der Rot) an-
gehören,* wahrscheinlich auch noch die Grafen Moimir und
Pöigrim,^ sowie Graf Poppe, dessen Grafschaft mit dem Orte
Cholinga (KöUing?) unmittelbar neben jener Hartwigs genannt
wird. ^ Der Pfalzgraf Hartwig I. war offenbar der Nachfolger
des Grafen Orendil, denn dessen Grafschaft umfasste ausser
den Orten Paldrichesheim (Perlsham im Landgerichte Mühldorf),
Timinpach, Utinhusa, Tiufstadon (Tiefstädt, Landgericht Eggen-
felden) und Preitindorf (bei Nonnberg, Landgericht Altötting)
noch den oberwähnten Ort Tagaperhtesheim an der Rot,' und
» T. Koch-Sternfeld, Beytr. 2, 74 f.
« Jav-avia, Anh., S. 139 Nr. 32, 144 Nr. 43, 168 Nr. 82.
* Mon. Germ. Dipl. 1, 207, 40, St. 189.
♦ JuvÄvia, Anh., S. 193 Nr. 9, 196 Nr. 13; v. Koch-Stemfeld BeytrÄge 2, 71.
5 n>id- S. 140 Nr. 33, 147 Nr. 45 und 46, 148 Nr. 48.
• n>id. S. 193 Nr. 9.
^ Ibid. 8. 153 Nr. 60, 165 Nr. 78. Notisshl. 6, 24 Nr. 83.
27*
404
er kann daher mit demselben Rechte als Vater des Pfalzgrafen
aufgefasst werden, mit dem der Graf Engelbert, der Nach-
folger des Grafen Sigihard im Salzburggaue, als dessen Vater
gilt. ^ Auch die Anderen als Verwandte anzusehen, liegt nahe ge-
nug, da ihre Namen bis auf den Moimirs im Aribonenhause
wiederkehren und der sonst deutschen Geschlechtem fremde
Name Moimir in diesem Hause sich am ehesten erklären lässt,
dessen Ahnherr ja mit dem gleichnamigen Herzoge von Mähren
wiederholt in Verkehr getreten ist.* In den Grafen Chadalhoch
und Poppe möchte ich am ehesten Brüder des Pfalzgrafen
Hartwig I. erkennen. Sind aber alle als Angehörige des Ari-
bonenhauses zu betrachten, dann unterliegt es nicht dem ge-
ringsten Zweifel, dass des Pfalzgrafen Hartwig I. Grafschaft
alter Besitz desselben ist. Jedenfalls war sein im östlichen und
südlichen Isengaue gelegenes Grafengebiet bedeutender und
älter als sein zweiter Bezirk, jener im Salzbui^aue, denn
dieser umschloss nur Theile der Grafschaft Engelberts, Striche
östlich und westlich von dem Salzachflusse, die Gerichte
Wildshut und Tetelheim und die Schranne Titmoning, und
kann an ihn oder seine Familie erst gekommen sein, als Graf
Engelbrecht oder seine Familie die Grafschaft verloren hatte. ^
Als jüngerer Besitz müssen entschieden auch Hartwigs I.
Aemter und Besitzungen südwärts der Tauem betrachtet werden,
wo seine Machtstellung am bedeutendsten ist. Deren Erwerb
hängt vermuthlich mit dem Sturze des Hauses Arnulfs I., Herzogs
von Baiem, und dessen Verdrängung vom Pfalzgrafenamte, so-
wie mit dem Uebergange desselben auf das Aribonenhaos zu-
sammen. Denn bis um die Mitte des 10. Jahrhunderts erscheint
im Herzen Kärntens Berthold, Arnulfs I. Bruder, als gewaltiger
Herr, neben dem alle Anderen zurücktreten, mit herzoglichem
Titel und herzoglicher Gewalt, anfangs seinem Bruder unter-
geordnet und dann selbst Herzog von Baiem. * Sein NeflFe aber,
Amidfs I. gleichnamiger Sohn, musste sich mit der Würde des
(ersten) Pfalzgrafen von Baiern begnügen, und als er sich mit
seinen Brüdern den rebellischen Söhnen Kaiser Ottos I. an-
^ £. Richter, Untersachungen 630.
* E. Dümmler, Geschichte d. ostfr. R. 3, 463 f. 516.
' £. Richter, Untersttchun^n 635. 639.
* S. Riezler, Geschichte Baierns 1, 332 ff. Javavia, Anh., S. 126 Nr. 2,
136 Nr. 23, 152 Nr. 57, 166 Nr. 80, 178 Nr. 64. Mon. Germ. Dipl. 1, 147, „.
405
schloss, da kam er selbst ums Leben, und seine Familie wurde
in die Verbannung geschickt (955). ^ Ein paar Jahre nach deren
Sturze sehen wir einen Grafen Hartwig im Besitze eines Grafen-
amtes in Kärnten und einer Grafschaft im pagus Chrouuat,^
der an der Gurk und Glan sich ausbreitet,' und zehn Jahre
nachher einen Grafen desselben Namens im nämlichen Gaue,
der den auff^ligen Beinamen Vualtpoto führt.* Es ist wohl
immer dieselbe Persönlichkeit, und der Beiname deutet gewiss,
wenn er auch nicht identisch ist mit dem Ausdrucke Pfalz-
graf, auf höheres Ansehen und erweiterte Machtbefugnisse.
Diese Bezeichnung kehrt noch zweimal wieder,^ und zwar zu
einer Zeit, wo er auch bereits den Titel Pfalzgraf führt. ^ Wie
bedeutend sein Grafschaftsgebiet in Kärnten ist, ergibt sich
daraus, dass darin nicht allein die Orte Crapofelt (Krapfeld),
Zurik, Vuirzsosah (an der unteren Gurk), Ribniza (Reifnitz am
Südufer des Wörthersees), Lebeniah und Glanadorf, Malmosic,
Buissondorf und Bodpechah, die Dörfer Otmanica und Blasin-
dorf, Gnevuotindorf, Racozoloch imd Galisich, die doch alle bis
auf Reifnitz nördlich vom genannten See liegen, sondern auch
der Ort Fillac (Villach), der einem anderen Gaue zugehörig
ist, nämlich dem Lumgaue, vorkommen."^ Bei der Grösse und
Lage seines Besitzes zu beiden Seiten der Tauern ist es
fliehte weniger als befremdUch, wenn er auch zugleich die
Würde eines Vogtes des Erzstiftes bekleidet;® eine solche
Stellung diesem gegenüber jedoch, wie sie ihm Zillner® zuschreibt,
hat er sicherlich nicht gehabt; er ist nicht einmal als dessen
Obervogt sicher zu erweisen.
Als Hartwigs I. Nachfolger im ^falzgrafenamte gilt allge-
mein der Pfalzgraf Aribo L, aber sein Verhältniss zum Vor-
gänger wird verschieden aufgefasst; die einen Forscher halten
* S. Riezier, Geschichte Baierns 1, 343 ff.
* Mon. Germ. Dipl. 1, 253, »; 255, ^. St. 231. 234.
' M. Felicetti v. Liebenfels, Pag. Chrounat, in Beitr. z. Kunde steierm.
Geschichtsqu. 6, 96 ff.
* Mon. Germ. Dipl. 1, 396, s- St. 352.
* Ibid. 2, 183, „. St 712; 230, 35. St. 751.
* P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiem 16. Oberbaier. Archiv 34, 279
Nr. 69.
^ Mon. Germ. Dipl. 1, 253, ,0; 255, „; 396, ,. 2. 183, „1 ^^l» s«; ^^t n*
* JnvÄTia, Anh., S. 198 Nr. 20, 200 Nr. 24.
* Dt. Zillner, Die Grafschaften 190.
406
ihn fhr dessen Bruder oder Sohn, die anderen filr dessen Neffen,
alle jedoch für einen nahen Verwandten.* E. Richter spricht
sich darüber gar nicht aus. Es fehlt eben an jedem Zeugniss
hierüber. Auf nächste Verwandtschaft glaubt man wegen seiner
Nachfolge im Pfalzgrafenamte schliessen zu müssen, denn von
seinen anderen Aemtem und Würden, sowie von seinen Be-
sitzungen wissen wir wenig. Sicher ist nur, dass er bedeutenden
Besitz im Chiemgaue im Landgerichte Trostberg gehabt haben
muss, und dass er solchen in dem Gaue Chrouuat in Kärnten
erworben hat. Für jenen spricht die Gründung des Klosters
Seon, das ja dort gelegen und begütert ist. Der Ort hiess
früher Burgili und war Aribos Erbgut, wie die Urkunden, womit
Kaiser Otto HI. (999) das neugegründete Kloster in seinen Schutz
nimmt und ihm Immum'tät und Wahlrecht verleiht, ausdrücklich
melden.* Die Erwerbung in Kärnten bestand in drei Königs-
hufen, die in den schon genannten Dörfern in regimine wald-
podonis Hartwici in pago Chrouuat lagen.* Aribo heisst zwar
hier nur Getreuer (fidelis), dort nur Graf, es ist aber kaum
zu bezweifeln, dass beide Male an dieselbe Person, und zwar
an den Pfalzgrafen zu denken ist. Auf weiteren Besitz im
Kroatengaue lassen die Besitzungen des Klosters Göss daselbst
schliessen, denn diese stammen doch wohl von dem Gründer
dieses Klosters und seinen nächsten Verwandten. Als Gründer
nennt eine Urkunde Kaiser Heinrichs 11. (1020) den Salzburger
Diakon Aribo, den Sohn eines anderen Aribo, der seine Zu-
stimmung gibt, und dessen Mutter Adala.^ Nun hat nach dem
Seoner Necrologium der Pfalzgraf eine Gemahlin Namens
Adala, einen Sohn Namens Aribo, den gleichnamigen Erzbischof
von Mainz (1021 — 1031), und eine Tochter Namens Chunigunde
(cometissa),^ und eine ,Chunigundis tilia Aribonis, comitis in
valle Liubena et Adulae seu Adolae, soror Aribonis, postea
Moguntini Archiepiscopi^ nennt das Admonter Necrologium als
erste Aebtissin.*^ Darnach ist wohl nicht zu bezweifeln, dass
der Diakon Aribo der Sohn des Pfalzgrafen und Adala dessen
' S. Hirsch, Jahrb. 1, 33. 3, 341. M.Filz, Geschichte von Michaelbeuem 1, 35.
> Mon. Germ. Dipl. 2, 744. 745.
« Ibid. 2, 230.
* J. Zahn, Steierm. Urkb. 1, 46.
<^ Necrolog. Germ. 2, 220. 223. 230. 231. Mon. Boic. 2, 158 ff. 162.
' E. FrOlich, Diplomat. 1, 133.
407
Gemahlin sind^ und dass also die geschenkten Grüter von dieser
Familie herrühren. Desselben Ursprunges werden die anderen
Besitzungen sein^ mit denen die Stifter ihre Stiftung ausstatten^
wie die im Leobenthale, wo das Kloster liegt und einen grösseren
Bezirk besitzt. * Wie aber letztere vom obgenannten Aribo (11.)
an diese Famihe gekommen^ darüber wage ich kaum eine Ver-
mathnng auszusprechen; am wahrscheinlichsten scheint mir,
dass Adala der Famihe der Ottokare angehöre und sie ihrem
Gemahle Aribo zugebracht habe.
Auf weiteren Besitz, namenthch im Chiem- und Salzburg-
gaue, weist Pfalzgraf Aribos I. Gegenwart bei manchen Ver-
handlungen hin, wie zugleich der Rang unter den Zeugen,
anter denen er fast immer der erste, sein hohes Ansehen und
seine Gegenwart seine nahen Beziehungen zum Erzstifte Salz-
burg, dessen Vogt er auch vermutUich gewesen, bezeugen;*
darauf lassen auch die Aemter und Güter zweier anderer Söhne
schliessen, die ihm das Necrologium Seonense gibt: Hartwigs II.
and Chadalhochs (11.). ^ Pfalzgraf Hartwig H. hat Besitz an der
Lasnitz im Murthale, wo wir auch den Diakon Aribo und seine
Mutter begütert gesehen,* und das spricht zugleich ftlr den
verwandtschafdichen Zusammenhang, der nach dem Seoner
Necrologium zwischen ihnen besteht. Ein Graf Chadalhoch (II.)
hatte im Jahre 1027, wie wir schon oben gesehen, eine Graf-
schaft im Isengaue inne, über die sich der Forst Heit erstreckt,
welcher am Flüsschen Merina (Möm) sich hinzieht und den
auf Bitten des Erzbischofs Aribo von Mainz Kaiser Konrad H.
dem Erzstifte Salzburg bestätigt.^ Da die Möm etwas nördlich
Ton Neuötting von rechter Seite in den Inn fliesst imd einst
mit diesem das Landgericht Mermosen im Osten und Norden
begrenzte,* so kann die genannte Grafschaft nur im südüchen
Isengaue, im Cidalargaue gesucht werden, also da, wo wir
auch die Grafschaft Hartwigs I. gefunden und die Chadalhochs (I.)
zu suchen haben. Das spricht doch deutlich flir die Richtigkeit
> J. Zftbn, Steienn. Urkb. 1, 46 Nr. 39.
« B. Pez, Thes. anecd. Ic, 116. Juvavia, Anh., S. 196 f. Nr. 13—16. Archiv
22, 300 ff. Nr. lab. 2—4. 10.
* Mecrolog. Germ. 2, 230. 236.
* JuvATia, Anh., 223 Nr. 3,
» Mon. Boic. 29a, 22. St. 1957.
* Oberbaier. Archiv 39, 2S3 f.
408
der Verwandtschaftsbezeichnungen des Seoner Necrologiums
und wenn diese richtig, wenn wirklich Hartwig IL. und Cha-
dalhoch (II.) Söhne des Pfalzgrafen Aribos I. gewesen, dann hat
er wohl auch einmal ihren Besitz in den Händen gehabt.
Nach all' dem, was uns sonst noch von Aribo I. bekannt,
war er ein hochangesehener und reicher Fürst. Nahe Bluts-
verwandtschaft und persönliche Freundschaft verband ihn mit
Herzog Heinrich IV. von Baiern, der noch zu seinen Lebzeiten
den deutschen Königsthron bestieg. ^ Das kaiserliche Haus
zeigte seine Gunst fiir die Stiftungen der Familie Aribos I.
ausser durch die oberwähnten Schutz- und Freiheitsbriefe ftir
das Kloster Seon noch durch reiche Schenkungen an das Kloster
Göss. * Aribo I. genoss auch noch die besondere Freundschaft
des heil. Wolfgang, dem Baiem den damaUgen Aufschwung
seines religiösen Lebens meist verdankte, so dass derselbe noch
in der Nacht vor seinem Tode seiner gedachte.^ Dies hohe
Ansehen des Pfalzgrafen, die Blutsverwandtschaft mit dem
reichen Herzog von Baiern und dann König und Kaiser von
Deutschland, die grossen Stiftungen der Familie, all' das drän^
zum Schlüsse, dass der Besitz derselben noch tiel bedeutender
gewesen ist, als es nach den bisher angeführten Zeugnissen er-
scheint. Es liegt die Annahme nahe, Aribo sei der Erbe der
reichen Besitzungen seines Vorgängers in Kärnten geworden
aber dafUr fehlt es an jedem Zeugnisse. Hartwigs I. dortiger
Nachlass, besonders seine Grafschaftsämter, scheint nach seinem
Tode, da er wahrscheinlich keine männUchen Nachkommen hatte
auf andere Verwandte übergegangen zu sein. Ich glaube eanz
anderswo einen sehr bedeutenden Theil, ja den wichtigsten
den Haupttheil seines Besitzes suchen zu sollen, nämlich ün
Lande Tirol.
Der erste und einzige aus früherer Zeit bekannte Graf
des unteren Innthales, des Gebietes vom Ziller bis in die Nahe
von Rosenheim, heisst Engelbert, denn von den beiden Grafen
welche die Schenkungsurkunde Kaiser Arnulfs vom 5. October
889 nennt,* ist wohl der so benannte hiefür in Anspruch zu
nehmen, während der andere, Jezo genannt, dem mittleren
> Mon. Germ. Dipl. 1, 744, so» 746, ,o. J. Zahn, Steienn. Urkb. 1, 47, ,; 43
« J. Zahn, Steienn. Urkb. 1, 48 ff. Nr. 40, 41, 42. * ***
' Mon. Germ, histor. Script. 4, 541, ^ ff.
* Juvavia, Anh., 109 Nr. 61. E. Mühlbacher, Eeg., Nr. 1779.
409
Innthale vom Ziller bis zur Mellach und vielleicht auch dem
Eisackthale (Noritale) zuzuweisen sein mag. Engelbert erinnert
schon durch seinen Namen, der unter allen Benennungen im
Änbonenhause vielleicht am öftesten vorkonmit, sehr lebhaft
an dasselbe. Der beschenkte Cleriker, dem der Kaiser ausge-
dehnten Besitz im Zillerthale zu beiden Seiten des Zillerflusses,
der als Grenze der beiden Grafechaften erscheint, tibergab,
war Piligrim, nachmals Erzbischof von Salzburg, nach seinen
Beziehungen zum Markgrafen Aribo wohl, wie schon gesagt,^
ein naher Verwandter, vielleicht selbst ein Bruder desselben,
schon durch seinen Namen auf dessen Haus hinweisend, in dem
dieser öfters wiederkehrt. Zu Engelberts Nachfolger im Grafen-
amte des unteren Inuthales führen freihch sehr schwache Spuren,
allem von allen Grafen, die in den Traditionen des Salzburger
Erzbiscbofs Oudalbert (923 — 935) angeftlhrt sind, eignet sich
keiner besser als ein Graf Chadalhoch; er hat Besitz zu Chuof-
stein (Kufstein), Pirchinauuanch (Bühelwang bei Kirchbilhel),
zu Reut und Brixlegg,* erscheint als Graf wiederholt bei Tausch-
handlungen betreffs Güter des benachbarten Pinzgaues, einmal
ak erster und einmal als dritter Zeuge, nach dem Obervogte
des Erzstiftes Salzburg Reginbeii; und dem Grafen des Gebietes
am Salzburg Engelbert^ und als Vogt bei Vertauschung von
Gütern im Chiemgaue und Salzburggaue;* er ist wohl der
nämliche wie der früher genannte Chadalhoch I., Graf im sttd-
Kehen Isengaue.^ Die Vereinigung zweier so entlegener Graf-
schaften in seiner Hand hat, wie das Beispiel des gleichzeitigen
P£alzgrafen Hartwig I. darthut, nichts Auffälliges an sich; dass
eine Familie Besitz im Isengaue mit solchem im Innthale ver-
bindet, dafür gibt es noch ein anderes recht bezeichnendes
BeispieL
Eß ist dies die Familie des Erzbischofs Oudalbert, der
vor seinem Eintritte in den geistlichen Stand vermählt gewesen
and Vater mehrerer Kinder geworden. Derselbe übergibt ein-
nuJ seiner Gemahlin, der sehr vornehmen Rihni, die v. Koch-
Stemfeld und M. Filz ftir eine Schwester des Markgrafen
* Siehe 8. 392.
* Juvavia, Anh., S. 134 Nr. 18 u. 19, 192 Nr. 3.
» Ibid. 8. 169 Nr. 67 u. 160 Nr. 70.
* Ibid. 8. 133 Nr. 16 u. 138 Nr. 29.
» Ibid. 8. 144 Nr. 43, 149 Nr. 49, 169 Nr. 83 u. 176 Nr. 96.
410
Luitpold halten^ ^ durch die Hand seines Obervogtes Reginbert,
Qrafen im Chiemgaue; einen Ort zu Erl mit mehreren Eigen-
leuten, ^ dann bei einer feierlichen Versammlung zu Rohrdorf in
Gegenwart zweier Sendboten des Herzogs Arnulf von Baiem
(924) eine Reihe Ton Orten im Isengaue und nördlichen und
westlichen Chiemgaue bis herein in die Grafschaft des Unter-
innthales und ins Gebiet von Frieromarca im stldöstliehsten
Theile des Sundargaues^ darunter namentlich zu Chrems (bei
Altötting), Flozingon (Flossing), Garoz (Gars), Epilingam
(Eibling) und Prisinum (Brixenthal) und capellam ad Prisnaum
cum Omnibus adjacentiis suis et locum Puotilinpach, (nach dem
Zusammenhange vermuthlich tirolisch) zu lebenslänglichem Ge-
nüsse für sich und theilweise für ihre Töchter, wogegen sie
dem Erzbischofe ihren Besitz in loco Seuua mit den darauf
wohnenden Eigenleuten und mit dem Jagdrechte, weiter locum
Cidalara mit Eigenleuten und Zugehör und noch Güter im
Chiemgaue, wo sie sich nur ein Grundstück, genannt Hant-
gimali, vorbehält, überlässt. ^ Seinem Sohne Dietmar und seiner
Tochter, der Witwe Heilrate, wendet Oudalbert zuerst die Orte
Erharting (Landgericht Mühldorf) und Tüssling (im Cidalargaue)
zu, wofUr sie Eigenthum zu Tüssling und Merinmos abtreten
musste.* Dietmar allein übergibt er bei einer anderen Gelegen-
heit, nämlich bei einer feierlichen Versammlung zu Garst in
Anwesenheit der Sendboten Herzog Arnulfs, Orendil und Rod-
bert, im Jahre 930 gegen Ueberlassung des Ortes Teising
(Landgericht Altötting oder Mühldorf), ausser Erharting und
Tüssling noch: Burg, Teising, zwei Kirchen zu Reischach
(Landgericht Altötting) mit Zehenten, Purhpah und den Zehent
zu Rota.^ Diese Orte sind ausnahmslos im Isengaue zu suchen.
Ein ähnliches Uebereinkommen wie mit Dietmar und Heilrate
traf der Erzbischof mit seiner Tochter Himiltrude und deren
Bruder Bernhard, ebenfalls in feierlicher Versammlung im
Jahre 930 zu Garst und in Gegenwart derselben herzoglichen
Sendboten, das im Jahre darauf zu Eharting erneuert wurde.
1 R. V. Koch-Stemfeld, Bejträge 2, 67. M. Filz, Geschichte Ton Michael-
beuem 1, 41.
* JayayiA, Anh., S. 143 Nr. 41.
' Ibid. S. 145 f. Nr. 44.
* Ibid. 8. 146 f. Nr. 46.
» Ibid. 8. 164 Nr. 77. Bavaria 1, 620.
411
Himiltrude legte als Eigenthum in die Hände Oudalberts Wein-
berge und all ihr Eigenthum zu Bozen und Müls^ dann Eigen-
gut und Eigenleute zu Vomp, Schwaz und Wiesing und Bern-
hard flir den Fall früheren Ablebens seiner Schwester und seiner
Frau Eigenleute ad Vuinesprunnen. Dafür erhielten sie alle
drei auf Lebenszeit: Bernhards Frau, wenn sie nicht wieder
heiratete, von ihrem Vater die Orte Vuatenes (Wattens), Puotin-
perch, Onihesdorf, Rioda (letztere wohl im ZiUerthale) mit allem
Zogehör, Kirchen, Eigenleuten und Zehenten, ausserdem drei
Schiffsleute und Epinga mit Eigenleuten, dazu in Salina pa-
tella I, eine Mühle ad Dratinpach und Fischereirecht (auf dem
Inn?).^ Bernhard allein übergab Oudalbert fUr sein Eigenthum,
das er zu Preitindorf in der Grafschaft Orendels und zu Tief-
städt hatte, den Ort Auerdorf für sich und seine Frau zu lebens-
länglichem Genüsse* und ebenso seiner Tochter Rihni und ihrer
gleichnamigen Schwester Darhausen bei Schneitsee im nörd-
lichen Chiemgaue, woftir sie Mulinheim (Mümelkam, Land-
gericht Mühldorf?) abtrat.* Diese Besitzungen der FamiUe
Oudalberts beweisen doch deutlich genug, dass sie im Isen-
gaue wurzle, wo sie vorzüglich begütert ist und des Erzbischofs
Söhne sich aufhalten.
Graf Chadalhoch L hatte einen Sohn Aribo, der, gemäss
der Sitte der Zeit, wohl unmittelbar nach seines Vaters Tode,
weil es sich sichtUch um den Vollzug einer letztwilUgen An-
ordnung handelt, einen bereits von diesem mit dem Erzbischofe
Friedrich ausgemachten Tausch vollzieht und dabei für ,quan-
dam ecclesiam decimatam Pura (Neubeuern, noch in der Graf-
schaft Innthal) sitam cum omni decimatione. cum omni terra
quae ad hanc dictam ecclesiam visa fuit adiacere et cum omni
legalitate ad hanc ipsam ecclesiam pertinente', eine volle Hube
zu Reut im Innthale, eine andere zu Pirchinvvant (Bühelwang)
and zwei Mühlgebäude in Brixlegg übergab, aber noch zur Be-
festigung dieses Tausches den ,censum qui hengistfuoter v. 1. di- *
citur' hinzufügte.* Wird auch hier Aribo nicht Graf, sondern
nur vasallus des Erzbischofs genannt, so scheint mir doch der
^ JavaTia, Anh., S. 162 Nr. 73. Vergl. M. Filz, Geschichte von Michael-
beuem 1, 42 f.
« Ibid. 8. 166 Nr. 78.
» Ibid. 8. 161 Nr. 71.
* Ibid. 8. 192 Nr. 3. Tiroler Bote 1843, S. 256 Anm.
412
genannte census entschieden auf gräfliche Gewalt hinzudeaten^
and Rir die Wichtigkeit des Actes zeugt hinlängh'ch die damals
noch ungewöhnliche Angabe der Zustimmung ^tocius cleri
tociusque militiae familiaeque omnis^; dass der Grafentitel
fehlt; ist ja überhaupt nicht auffällig, weil es unzähligemal vor-
kommt; und hier umsoweniger, als ja im Zeitpunkte dieses
Actes Aribo als Nachfolger in den Grafschaften seines Vaters
vom Könige kaum bestätigt sein konnte. Unser Aribo ist wohl
identisch mit dem Zeugen gleichen Namens, der uns in den
Traditionen des Bischofs Richbert von Brixen (ca. 955 — 975)
ein paarmal an erster Stelle entgegentritt/ und ich kann in
ihm keinen Geringeren sehen als den uns wohlbekannten Pfalz-
grafen Aribo I. Als Graf des unteren Innthales war Aribo im
Besitze eines Gebietes^ das die damaligen Grafschaften Baiems
mehrmals an Umfang und Grösse übertraf^ denn es kam
ungefähr einem der bairischen Gaue gleich, und diese waren
ja schon in mehrere Gra&chaften getheilt; als Sohn Chadal-
hochs I., des Grafen einer Grafschaft im südlichen Isengaue,
darf man ihn doch ftir einen nahen Verwandten des Pfalz-
grafen Hartwig I. halten, sollte er auch nicht ein Neffe des-
selben sein, und dies umsomehr, da nach seinem Tode wieder
ein Chadalhoch, der sein Sohn sein kann, daselbst als Graf auf-
tritt. Diese Annahme ist bisher schon wiederholt vertreten
worden. Wenn aber S. Hirsch und H. Bresslau in Hartwig I.
den Vater Aribos I. sehen wollen, weil dieser einen Sohn
gleichen Namens hatte, so lässt sich dieser Grund ebensogut
ftir Chadalhoch (I.) geltend machen, denn nach dem Seoner
Necrologium hat Aribo ja auch einen Sohn Chadalhoch (II.).*
An zwei verschiedene Chadalhoche, einen im Innthale und einen
anderen im Isengaue, ist bei den oben dargelegten Beziehungen
zwischen beiden Gauen kaum zu denken. War aber Aribo im
Besitze beider Grafschaftsgebiete imd zugleich ein naher Ver-
^ wandter des ersten Pfalzgrafen aus dem Aribonenhause, dann
erscheint seine Nachfolge im Pfalzgrafenamte fast selbstver-
ständlich, denn gewiss kam ihm kein anderes Mi^lied des-
selben an Macht nur im Entfernten gleich; dann begreift man
» O. Redlich, Die Traditionabücher, Nr. 3 u. 5.
" 8. Hirsch, Jahrbücher 1, 33; 3, 341. R. v. Koch-Stemfeld, BejtrSge 2,
80 Anm. b.
413
auch viel besser die hervorragende Rolle, die er allem An-
scheine nach gespielt hat, die Gunst des bairischen Herzogs
und der deutschen Könige, dann auch die grossen Schenkungen
an Kirchen und Klöster. Nur im Besitze des Innthales hatte
er eine genügende Grundlage ftir die Würde eines Pfalzgrafen,
da von den reichen Besitzungen seines Vorgängers blos ein
Theil auf ihn übergegangen sein kann und seine Grafschaft
im Isengaue klein gewesen sein muss, der Besitz im Chiem-
gaue und Leobenthale aber durch die Schenkungen an Seen
und Göss jedenfalls sich sehr vermindert hatte.
Für den Nachfolger Aribos I. in der Pfalzgrafenwürde
wird übereinstimmend Hartwig H., dessen Sohn nach dem
Seoner Necrologium, angesehen. Von seinen Besitz Verhältnissen
erfisJiren wir nur das Wenige, das bereits erwähnt worden ist:
er besass sehr wahrscheinlich das Grafschaftsgebiet im Salz-
bnrggaue östlich der Salzach, wo Ostermunding (Ostermiething
im Gerichte Wildshut) liegt, ^ und Güter im Murthale. Dass
ein Graf Cbadalhoch, der vermuthlich sein jüngerer Bruder
ist, eine Grafschaft im Isengaue verwaltete, wurde gleichfalls
schon bemerkt. Sehr wahrscheinlich hatte Chadalhoch H.
aber auch im südöstlichen Theile des Sundargaues Besitz, wo
wir zu Pfiinzen am Inn Erbgut in den Händen seiner beiden
Söhne, Piligrims, Erzbischofs von Köln, und Chadalhochs (HI.),
sehen.* Der Letzterie war dann reich begütert in der Gegend
zwischen Inn und Isen und wohl auch daselbst Graf. Hier
übergibt er um das Jahr 1050 mit seiner Gemahlin Irmingard
dem Erzbischof Balduin von Salzburg seinen herrschaftlichen
Wohnsitz Namens Bttrten, dazu die dort erbaute Kirche mit
den Priestern und ihren Pfründen, einen Forst in der Nachbar-
schaft von Bürten mit drei Bauernschaften und den hiezu ge-
hörigen Zinshuben, überdies drei Mühlen, vier Weinberge und
überhaupt all' sein Eigen an Land und Leuten zwischen den
genannten Flüssen.* Was etwa an die drei bekannten Schwe-
stern des Pfalzgrafen Hartwig H. und seines Bruders: Uvichpurch,
Hiltiburch und die schon genannte Chunigunt,* gefallen, ent-
* Urknndenbuch des Landes ober der Enns 2, 80. 84.
' Mon. Boic. 6, 27. H. Bresslau, Jahrbücher 3, 341.
* R. V. Koch-Sternfeld, Beytr. 2, 76 ff.
* Xecrolog. Germ. 2, 228. 229. 281. Mon. Boic. 2, 160. 161.
J
i
414
zieht sich ebenso unserer Kenntniss, wie ob Chadalhochs 11.
gleichnamiger Sohn kinderlos geblieben oder nicht.
Des Pfalzgrafen Hartwig IL Söhne von seiner sächsischen
Gemahlin Friderun sind nach den Angaben der Weltchronik
Ekkehards Pfalzgraf Aribo II. und Boto, deren Richtigkeit auch
durch andere Zeugnisse bestätigt wird. ^ Auch über ihren Be-
sitz fehlt es nicht an sicheren Zeugnissen. Nach der Urkunde
Heinrichs HI. vom 14. Mai 1041 ist die Grafschaft im Salzburg-
gaue östlich von der Salzach, die sicher Pfalzgraf Hartwig I.,
sehr wahrscheinlich auch sein Nachfolger im Pfalzgrafenamte,
Aribo I., gehabt, in diesem Jahre in Hartwigs H. Händen.*
Weitere Aufschlüsse bieten die Urkunden, mit welchen Kaiser
Heinrich IH. Güter, die den Brüdern wegen ihrer Theilnahme
an der Verschwörung gegen denselben im Jahre 1055 vom
Pfalzgrafengerichte aberkannt worden sind, an Kirchen schenkt.
Schon auf seinem zweiten Zuge nach ItaUen begriffen, vergab
Heinrich IH. am 6. März zu Regensburg an den Erzbischof
Balduin von Salzburg Gut und Kirche zu St. Martin bei Strass-
gang (Gerichtsbezirk Graz) sammt Liegenschaften bis zur Mur,
die das Hofgericht Boto abgesprochen hatte, ^ und am 22. März zu
Brixen an dasselbe Stift die confiscierten Güter Botos zu Isin-
grimesheim an der Marchlupp im Matachgaue.* Inzwischen
hatte auch das Bisthum Eichstädt des Kaisers Huld erfahren,
denn diesem verHeh er am 12. M^rz auf dem königlichen Hofe
Aeuting bei Freising Botos Gut zu Skeltheim und Gerolvingen,
sowie die Weinberge, die der Pfalzgraf Aribo H., sein Bruder,
auf den Hügeln um Regensburg von Rebdorf bis Inching zu
Lehen hatte, und dessen Mansus im Nordgaue in der Graf-
schaft des Grafen Heinrich.^ Ein Skeltheim kann ich nicht
finden, aber ein Schelldorf gibt es bei Eichstädt und ein Gerol-
ving bei Ingolstadt, und an diese Orte ist auch zu denken, wie
bereits S. Riezler gethan hat. ® So hatten also bereits die Ari-
bonen, imd zwar vor ihrer Aechtung Güter an und nördlich
* P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiern 19 flf.
■ Urkondenbuch des Landes ober der Enns 2, 84 Nr. 65. Mon. Boic. 31a.
319. St. 221.3
» J. Zabn, Steierm. Urkb. 1, 68 Nr. 60. St. 2465.
♦ ürkundenbuch des Landes ober der Enns 2, 88 Nr. 69. St. 2468.
* Mon. Boic. 31a, 329. St. 2466.
• S. Riezler, Geschiebte Baierns 1, 471.
415
der Donau und im Nordgaue Besitz, wo wir auch ihre Nach-
folger im Pfalzgrafenamte, die Rot-Vohburger, begütert sehen
werden. Was sonst noch jene damals verloren haben^ wissen
wir nicht; nur das Eine ist sicher, nämlich dass sie später
wieder zu Gnaden gekommen sind, und dass sie, wenn sie
einst Alles verloren hatten, einen Theil wieder zurück gewonnen
und auch neue Erwerbungen gemacht haben. Zweifelhaft bleibt
es, ob sie auch Grafschaften wieder erlangt; jedenfalls nannten
sie sich nicht nach solchen, sondern Boto nach der Burg Potenstein
in Franken comes de Potensteine und Aribo nach einer alten
Besitzung des Hauses im Salzburggaue comes de Hegirmos.^
Boto g'ewann durch seine Vermählung mit der Witwe des ge-
st&rzten und in der Verbannung verstorbenen Herzogs Konrad
von Baiem, einer Tochter des Markgrafen von Schweinfurt,
neuen bedeutenden Besitz im Norden der Donau, ja er ver-
legte dorthin den Schwerpunkt seiner Macht und wurde der
Stifter des am Maine zwischen Bamberg und Schweinfurt ge-
legenen Klosters Theres. ^ Doch behauptete er auch noch
Güter im südlichen Deutschland, wie eine Schenkung an das
Kloster Milstatt in Kärnten ^ und eine Tradition an das Kloster
Stanshofen* bezeugen. Er müsste hier noch viel mehr begütert
gewesen sein, wenn er nicht von einer neu erworbenen Burg
in Franken, die er nach seinem Namen umtaufte, dem Felsen-
schlosse an der Pegnitz, sondern von einer Burg gleichen
Namens in Niederösterreich, wie noch jüngst angenommen wor-
den, den Grafentitel geführt hätte.* Ist dies sehr fi*aglich, ja
anwahrscheinlich, so erscheint doch sein Bruder noch später
da im bedeutenden Besitze, wo ihr Geschlecht einst geblüht.
Denn er hat nicht allein Güter im Salzburggaue, sondern auch
in Kärnten, wo er innerhalb des ehemaligen Lurngaues die
Benedictinerabtei Milstatt am Milstätter See stiftet.® Dass hier
in den letzten Zeiten seines Lebens der Schwerpunkt seiner
Macht gewesen, ergibt sich schon aus den Worten, mit denen
ihn der sächsische Chronist bei Erwähnung seines im Jahre 1102
Mon. Boic. 3, 246. v. Meiller, R. der M. u. Herz. v. Babenber^ 9 Nr. 12.
P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiern 26.
V. Ankershofen, Geschichte Kärntens 2, 922 Anm. d.
Mon, Boic. 3, 237.
Dr. Zillner, Die Grafschaften 261.
▼. Ankershofen, Geschichte Kärntens 2, 920 ff.
416
erfolgten Todes bezeichnet: ,Aerbo iam grandevus nobilis de
Carinthia princeps/^ Sein Bruder ßoto starb 1104.^
Am Schlüsse der kurzen Erörterung über die Besitzver-
hältnisse der Pfalzgrafen, die bisher stets dem Aribouenhause
zugezählt wurden, drängt sich uns von selbst die Frage auf,
an wen bei der Aechtung der Letzteren das Pfalzgrafenamt
und die anderen Grafenämter und sonstigen Besitzungen, deren
Vergabung nicht bekannt ist, gekommen sind. Dass die Pfalz-
grafenwürde auf ein ganz anderes Geschlecht tibergegangen,
gilt nun als ziemlich ausgemacht; was aber mit ihren anderen
Lehen und mit ihrem Eigen geschehen, darüber spricht sich
kein Forscher näher aus. Doch gerade dieser Umstand ist ge-
wiss für die Ansicht über die Abstammung dieser Pfalzgrafen
von hohem Belange. Entspriessen sie der Familie der Sigi-
harde und sind sie Abkömmlinge Sigihards I., wie E. Richter
und Andere wollen, dann müssen doch die noch vorhandenen
Zweige dieser FamiKe vor Allem im Besitze der einstigen Güter
und Würden der Brüder Aribo und Boto erscheinen. Es fehlt
nun freilich sehr an ganz sicheren gleichzeitigen Zeugnissen
sowohl für das Dafür als für das Gegentheil, aber allem An-
scheine nach sind sie nur zum geringen Theile in diesem Be-
sitze. Die Obervogtei des Stiftes Salzburg ist kaum, wenn sie
die Pfalzgrafen je gehabt haben, sofort auf sie übergegangen,
denn im Salzburger Nekrologe finden wir einen Chuono advo-
catus et filius ejus Aribo aufgeführt, die sicherUch nicht ihrer
Familie angehört haben, welcher die Namen Chuno und Aribo
ganz fremd sind.^ Die Ahnen der Grafen von Burghausen
haben jedenfalls schon die Vogtei des Stiftes St. Peter* in den
Händen, da ein Vogt Sigihard wiederholt erwähnt wii'd, doch
nicht ausschliesslich, denn es werden daneben auch noch Vögte
anderen Namens, wie ein Chuno, ein Weriant, genannt, die
schwerlich ihrem Hause angehören.^ Allein ihr Hauptgebiet,
die Grafschaft Burghausen, ist gewiss nicht sofort nach der
AechtuHg der Brüder Boto und Aribo oder vor dem Ende des
^ Mon. Germ. liiBtor. Script. 6, 224, s«.
» Ibid. 6, 225, 48.
» Mon. Boic. 14, 404.
* E. Richter, Untersuchungen 646.
» Juvavia, Anh., S. 293 Nr. 13, 294 Nr. 22, 295 Nr. 24, 298 Nr. 66, 306
Nr. 85 (?). 291 ff. Nr. 8. 10. 12. 14.
417
1 1. Jahrhunderts an ihre Vorfahren gekommen, denn am 24. Oc-
tober 1079 schenkt Kaiser Heinrich IV. seinem Diener Rafold
einen königlichen Hof in villa Waide in pago Elinigowe (richtiger
Isinigowe) in comitatu Udalrici. ^ Das ist das Gebiet des pagus
Zidalaregowe, wo wir noch 1051 einen Grafen Ouzzo gefunden,
den Vater des ersten Markgrafen von Steiermark, Ottokar. Nach
Allem, was wir von der Familie der Sigiharde wissen, kann
dieser Udalricus ihr nicht angehören; es entsteht daher die
Frage, wohin wir diesen Grafen stellen müssen.
Die Beantwortung der Frage nach der Herkunft des ge-
nannten Grafen unterliegt grossen Schwierigkeiten. Der Name
Odalricus ist im südöstlichen Deutschland im 10. und 11. Jahr-
hundert bei Grafen und auch bei Edelherren selten. In den
Kaiserurkunden dieser Zeit begegnen wir ausser den Grafen
und Markgrafen in Krain und Istrien und Obigem nicht Einem,
in den Urkunden, Nekrologien und Traditionen der Stifter nur
Wenigen, darunter verhältnissmässig oft in denen des Erzstiftes
Salzburg. Bei einer Schenkung Herzog Heinrichs (VIH?) von
Baiem an den Abt Thiemo des Stiftes St. Peter tritt vor
anderen Grafen ein Odalricus als Zeuge auf* und ebenso an
erster Stelle, als die Edelfrau mit der Hand ihres Sohnes Sigi-
hard ihr Eigen zu Puotineperch dem nämlichen Kloster tiber-
gibt. ' Diese beiden Schenkungen betreffen Eigen im Isengaue,
vielleicht auch eine dritte, wo ein Odalricus als zweiter Zeuge
hinter einem Pabo mitwirkt* Fehlt in letzteren Fällen der
Grafenname, so fiihrt das Salzburger Necrologium auch zwei
Grafen dieses Namens an.^ Nichts verbietet, in allen den ge-
nannten Fällen und in ein paar weiteren ^ an Grafen des Isen-
gaues zu denken und beim dritten insbesondere an den oben-
erwähnten Ulrich, wo ein Oudalricus als Zeitgenosse des Erz-
bischofs Balduin (1041 — 1060) erscheint. Viel zweifelhafter
bleibt ein anderer Fall. Am 8. April 1048 schenkt nämKch
Kaiser Heinrich HI. der Abtei Niederaltaich drei Hüben am
Scbwarzachfiusse in Niederösterreich, die an das Eigenthum
* Mon. Boic. 3, 104; 31a, 362. St. 2819.
* Juiravia, Anh., 291 Nr. 7. Notizbl. 6, 44 Nr. 96.
» Ibid. 294 Nr. 21. Notizbl. 6, 46 Nr. 109,
* Ibid 250 Nr. 13.
* Mon. Boic. 14, 867. 374.
ö Javavia, Anh., 298 Nr. 42. 45.
Archir. LXXXUI. Bd. II. H&lfte. 28
418
Ulrichs, des Sohnes Grafen Thiemos, grenzen. * J. Moritz nimmt
diese Beiden ohne Bedenken unter die Grafen von Formbach
auf und hält die Grafen von Putten für einen Zweig derselben.*
Aber so sicher dahin zu gehören scheinen sie mir nicht Den
Namen Thiemo, im 11. Jahrhundert überhaupt nicht gerade
selten, führen im Anfange des 11. Jahrhunderts Grafen im
Salzburggaue (1007)» und Schweinachgaue (1005—1009) und
in der Mitte des nämlichen Jahrhunderts noch ein Graf, in
dessen Grafschaft die Villa Ilelmgerisperc in der Nähe der
Abtei Niederaltaich lag, der somit auch im Schweinachgaue
amtierte und mit dem Vater Ulrichs zusammenfallen wird.*
Aber des Letzteren Besitz in Niederösterreich würde sich viel
leichter erklären, wenn wir in ihm ein Mitglied der im Salz-
burggaue begüterten Zweige des Aribonenhauses oder einen
nahen Gesippten des Pfalzgrafen Chuno von Vohburg* und
seines nächsten Nachfolgers im Pfalzgrafenamte zu sehen hätten,
und es stünde dann auch kein Hindemiss im Wege, ihn mit
dem Udalricus de Raetelnperge zu identificieren, der im Jahre
1074 als Zeuge einer Schenkung Heinrichs IV. an das Kloster
Ranshofen neben dem Grafen Rapoto von Chambe und den
Brüdern, den Grafen Aribo und Boto, erscheint, ^ also neben den
letzten Gliedern der aribonischen Pfalzgrafenfamilie und neben
dem Vater des Pfalzgrafen Rapoto. Er könnte auch identisch sein
mit dem Odalricus comes advocatus Patauie einer Urkunde
Bischof Altmanns von Passau (ca. 1070),' wenn dieser nicht
derselbe Graf sein sollte wie Ulrich von Passau,® von dem
noch unten die Rede sein wii'd. Der Umstand, dass später,
doch erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, die Grafen von
Formbach auch sich Grafen von Putten nennen, scheint mir
mit meiner Auffassung nicht absolut unvereinbar; vielmehr
glaube ich, sie hätten diesen Namen entschieden früher ange-
nommen, wenn sie dort grösseren Besitz gehabt oder Grafen-
1 Mon. Boic. 11, 155; 29 a, 96. St. 2346.
^ J. Moritz, Die Grafen von Formbach in N. b. Abhandl. d. b. Akad. d. W.
(1803) 1, 53 f.
» Mon. Boic. 28 b, 374. St. 1476.
* Ibid. 11, 134; 28b, 323; 11, 136; 28b, 409; 29,96. St. 1413. 1519.2364.
^ A. Nagel, Notitiae 166 hält ihn geradezu für einen Bruder Chunos.
« Mon. Boic. 3, 246. A. Meiller, Babenb. Regesten, S. 6 Nr. 12.
' Urkundenbueh des Landes ob der Enns 2, 95 Nr. 74.
8 Mon. Boic. 3, 71. 2, 176 flf. 264. 268.
419
rechte geübt hätten. £inen anderen Beweis flu* Besitz der Grafen
von Formbach daselbst, ausser dem, welcher sich an den obge-
nannten Ulrich, Sohn Thiemos, knüpft, gibt es meines Wissens
nicht, und es scheint mu* nicht wahrscheinlich, dass neben den
Familien der Pfalzgrafen Chuno und Rapoto noch eine andere
bairische Qrafenfamihe in der kleinen Mark Putten bedeuten-
den Besitz gehabt habe; dass aber die eben Genannten dort
stark begütert waren, wird die Folge zeigen. Und fest steht
auch das Vorkommen des Namens Odalricus in der Familie
Rapotos, zu vermuthen ist es auch in der Chunos.
Nach dem Sturze des Pfalzgrafen Aribo IL folgte, wie
ailgemein angenommen wird, ein Pfalzgraf Namens Chuno.
J. Moritz glaubte einst zwei Pfalzgrafen Chuno verschiedener
Herkunft, einen älteren Chuno von Vohburg mit einem gleich-
namigen Sohne und einen jüngeren Chuno von Rot imter-
seheiden zu müssen.^ A. Nagel behauptete dagegen die Iden-
tität beider Chuno, ^ und ihm schloss sich später auch J. Moritz
an * Ihre Ansicht theilte R. v. Koch-Stemfeld * und betonte
namentlich den verwandtschaftlichen Zusamnoenhang seiner Fa-
milie mit jener der Grafen und Vögte von Megling-Franten-
bausen. P. Wittmann bestritt diese Identität wieder,* S. Riezler
jedoch sprach sich wieder entschieden für sie aus. ^ Nach meiner
Ansicht ist nicht aUein Chuno von Vohburg und von Rot eine
und dieselbe Person, er muss auch für einen sehr nahen Ver-
wandten der Aribonen, des Grafen Rapoto von Cham und des
ebenfalls ganz gleichzeitigen Markgrafen Dietpold (von Giengen)
aufgefasst werden. Dafür sprechen vor Allem die Besitzver-
hältnisse und Würden dieser vier Familien, wie sich aus den
folgenden Ausführungen ergeben dürfte, dafür auch zum Theile
ihre Politik und ihr gleichzeitiges und gemeinsames Auftreten.
Neigt Rapoto von Cham auch im Streite zwischen der Partei
* J. Moritz, Abliandlung von dem Pfalzgrafen Rapotho in N. h. Abhandl.
d- churb. Akad. d. W. (1798) 5, 585 f.
' A. Nagelf Notitiae origines dorn. Boicae 157 ff.
^ J. Moritz, Stammreibe und Qeschicbte der Grafen von Sulzbach in Ab-
hmndl. d. h. Cl. d. k. b. Akad. d. W. (1833) 1, 70.
* Zar Verständigung über die Stammreihe und Geschichte der Grafen von
Sukbach in Abhandl. d. h. Cl. d. k. b. Akad. d. W. (1848) 6, 23 ff.
* P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiem 27.
« S. Riezler, Geschichte Baiems 1, 472. 865.
28*
420
Papst Gregors VII. und der kaiserlichen anfangs mehr zu jener,
so hält er doch später entschieden zu Kaiser Heinrich IV., wie
die beiden Aribonen Aribo und Boto, der Pfalzgraf Chuno und
sein Sohn und der Markgraf Dietpold, und fUllt gleich den
letzteren Beiden in dessen Kämpfen mit seinen Gegenkönigen;
sein Sohn Pfalzgraf Rapoto ist ein noch viel eifrigerer Anhänger
Heinrichs IV. ^ Pfalzgraf Chuno aber und Markgraf Dietpold
treten zweimal gemeinsam als Fürbitter für den Patriarchen
Syrus von Aquileja, ein Mitglied der aribonischen Familie der
Sigiharde, auf,* während Rapoto Graf von Cham mit seinen
Söhnen bei der Einweihung der Klosterkirche durch denselben
im Jahre 1072 zugegen ist.^ Ein nahes Verwandtschaftaver-
hältniss zwischen Dictpolds gleichnamigem Sohne Markgrafen
Dietpold und der Familie der Sigiharde bezeugt der sächsische
Chronist, indem er ihn einen Neffen des im Jahre 1104 ge-
tödteten Sigihard IV. nennt. ^ Diese Fälle können doch wohl
nicht reine ZuftlUe sein, sie lassen vielmehr auf verwandt-
schaftlichen Zusammenhang schliessen. Einen solchen hat be-
reits Nagel ^ und noch entschiedener M. Filz angenommen, wie
folgende zwei Stellen seiner Geschichte des Stiftes Michael-
beuern bezeugen: ,Aber auch in dieser Entsetzung Aribos
(im Jahre 1055) und in der Uebertragung der pfalzgräflichen
Würde an das Haus Vohburg glaube ich von dem Kaiser nicht
nur die Descendenten des Herzogs Arnulf von Baiern, wor-
unter die Vohburger gewiss gehören, sondern auch die Ver-
wandtschaft derselben mit dem entsetzten Pfalzgrafen Aribo
und seinem Bruder Botho berücksichtigt zu sehen', und: ,Ich
schliesse hieraus auf eine nahe Verwandtschaft der Vohburger
mit Aribo und Botho oder deren Eltern und Voreltern, von
welchen sie jene Besitzungen in der österreichischen Ostmark
erbten. Diese Vermuthung wird durch die Erscheinung eines
Grafen Rapotho und seiner Söhne Ulrich und Rapotho bei der
Einweihung der Klosterkirche zu Michaelbeuern durch den
Patriarchen Sighard von Aquileja im Jahre 1072 gerechtfertigt.'^
^ S. Riezier, Geschichte Baierns 536 ff. Mon. Germ, histor. Script. 5, 466, 35.
* F. Schumi, Urkunden- und Regestenbuch des Herzogth. Krain 1, 63 f.
' M. Filz, Geschichte von Michaelbeuern 2, 745. 747.
* Mon. Germ, histor. Script. 6, 739, jq. Vgl. Nagel 189.
* A. Nagel, Notitiae 165 f.
* M.Filz, Geschichte von Michaelbeuern 1, 8*2 f.
421
Wenn man dem Pfalzgrafen Chuno die Bezeichnung ,von
Yofabarg^ gibt, so will man damit ihn offenbar als Besitzer des
gleichnamigen Bezirkes und Schlosses bezeichnen. In der That
ist sein Sohn Chuno im Besitze derselben und ebenso die Nach-
kommen des obgenannten Markgrafen Dietpold, die sich in der
Regel Markgrafen von Vohburg nennen. Dass aber schon der
Pfalzgraf Vohburg besessen, dafür fehlt es an jedem Zeugnisse,
und es ist an und für sich wenig wahrscheinlich. Der Pfalz-
graf selbst wird niemals Markgraf oder Graf von Vohburg ge-
nannt; bei den Stellen, die man hiefUr geltend macht, ist
schwerlich an ihn, sondern nur an einen Edlen oder Ministe-
rialen dieses Namens zu denken,^ denn beidemal steht er weit
hinten in der Zeugenreihe ohne irgend welches Prädicat. Und
wenn der Pfalzgraf Chuno wirklich Vohburg besessen haben
sollte^ so war dieser Besitz kein bedeutender und noch weniger
eine wirkliche Mark. Auch sein Sohn wird nicht Markgraf,
sondern einfach de Focheburch genannt,* und wenn der nahe
Verwandte Dietpold den Titel eines Markgrafen führt, so fehlt
jeder Grund, ihn gerade auf dies Gebiet zu beziehen, denn er
heisst nur Markgraf ohne nähere Bestimmung; er hätte doch
sich auch nicht Markgraf von Vohburg nennen können, da
nicht er, sondern der Sohn des Pfalzgrafen Chuno es damals besass.
Es hat meines Erachtens überhaupt nie eine Markgrafschaft
Vohburg gegeben, so wenig wie eine eigentliche Markgraf-
schaft Cham, die nur ein Theil des Nordgaues war, und der
Titel ist erst im 12. Jahrhundert aufgekommen. Das Gebiet
von Vohburg liegt ja nicht an einer Grenze, sondern zu beiden
Seiten der Donau östUch von Regensburg im Chelasgowe; es
ist kaum vom Umfange einer Theilgrafschaft, also eines späteren
L»andgerichtes. Der Titel ist offenbar nur von einer wirkHchen
Mark übertragen, denn reine Titel solcher Art sind im 11. Jahr-
hundert doch wohl noch nicht vorgekommen. Derartige Fälle
der Uebertragung begegnen uns aber im 12. Jahrhundert öfters,
wie z. B. bei den Markgrafschaften Ronsberg und Kraiburg.
Woher aber derselbe in unserem Falle stamme, das ist nicht
leicht zu sagen. Nach meiner Ansicht kann er auch nicht von
der späteren Mark Cham herrühren, die ja auch nicht Diet-
1 MoD. Boic. 14, 181. 185.
» Mon. Germ. hUtor. Script. 20, 647, „ flf.
422
pold, sondern Graf Rapoto besass, ohne sich darnach Mark-
graf zu nennen, und ebenso kaum vom Nordgaue überhaupt,
den zu nennen ja gar nichts verbot. Ich sehe vielmehr in der
blossen Führung des Titels ohne Ortsangabe Grund zur An-
nahme, dass Dietpolds Mark damals nicht mehr bestanden
habe und in der wirklichen Mark zu suchen sei, die zur Zeit
.der ungarischen Kriege von Heinrich III. an Ungarns Grenze
(1043) errichtet worden war. Was mich zu dieser Ansicht be-
stimmt, das sind gerade die vielen Besitzungen, die Chunos Fa-
milie daselbst erwirbt oder früher schon gehabt zu haben scheint
Der tapfere Leopold von Babenberg, Sohn des Mark-
grafen Adalbert, dem Kaiser Heinrich IH. die neue Mark ver-
liehen hatte, starb bekanntlich schon nach wenigen Tagen,
nach zwei Jahren auch dessen Nachfolger Siegfried, nach
seinem Tode wird aber kein Markgraf mehr erwähnt, und
doch erscheint die Vereinigung der neuen Mark mit der Ost-
mark sicher erst im Jahre 1063 vollzogen.^ Thausing hat nun
den in der Urkunde Heinrichs HL vom 12. December 1055 ge-
nannten Markgrafen Otto, dem wegen Incestes in dieser Ur-
kunde Güter abgesprochen werden, als Markgrafen der neuen
Mark in der Zeit von 1045 — 1055 angesehen und als 2feit-
punkt der Vereinigung beider Marken das Jahr 1058 wahr-
scheinlich zu machen gesucht,* aber S. Riezler hat nachge-
wiesen, es habe die Verurtheilung des Markgrafen Otto nicht
mit den politischen Ereignissen der Jahre 1053 — 1055 zu-
sammengehangen, der Verm*theilte habe früher gelebt und wirk-
lich wegen des genannten Vergehens seine Güter verloren. Ge-
rade in diese Zwischenzeit aber fkllt die Verleihung eines be-
deutenden Reichslehens durch Kaiser Heinrich IV. an seinen
Getreuen Chuno, der kein anderer als der spätere Pfalzgraf
sein kann, in der Nähe des genannten Gebietes; dieser erhält
durch königliche Huld zehn Königshuben zu Guzbretesdorf an
der Schwarza (bei St. Georgen an der Stiefing in der Graf-
schaft des Markgrafen Otacher),^ also gerade an jenem Flusse,
wo wir auch den Odalricus, Thiemos Sohn, begütert gesehen,
und nur wenige Jahre nach der Verleihung der markgräf-
* A. Huber, Geschichte Oesterreichs 1, 189.
* M. Thausing, Die Neumark in Forsch, z. deutsch. Oeschiebte 4, 361 ff.
3 J Zahn, Steienn. Urkb. 1, 74 Nr. 65. St. 2566.
423
liehen Würde an eben diesen Otacher. Sollte zwischen diesen
Ereignissen wirklich kein innerer Zusammenhang bestehen?
Sollte die Annahme ganz unhaltbar sein, ein Glied aus Chunos
Familie^ zu der wohl auch Dietpold zu rechnen ist, habe nach
Siegfried die Markgrafenwürde in der neuen Mark einige Zeit
innegehabt, vielleicht Dietpold selbst, aber dann wieder darauf
verzichten müssen, und in obiger Schenkung sei einer der Acte
zu sehen, die geschehen, um die Familie für diesen Verzicht
zu entschädigen? Sollte diese Herleitung des Titels der Voh-
burger nicht viel wahrscheinlicher sein als von der Mark des
Nordgaues, die sie nie besessen, oder von der Mark Cham,
d&s nie eine wirkliche Mark gewesen, und das sie damals auch
ächerhch noch nicht besessen, von der auch der wirkliche Be-
sitzer in jener Zeit sich niemals diesen Titel gegeben?* Und
dies wäre doch trotz seines Pfalzgrafentitels so nahe gelegen.
Denn war Cham eine wirkliche Mark, wie die Ostmark oder
die Mark Istrien, dann bedeutete der Markgrafentitel doch
mehr als der pfalzgräfliche. Sehen wir nicht regelmässig die
Markgrafen wirklicher Marken unmittelbar nach den Herzogen
in den Zeugenreihen und fast ausnahmslos vor den Pfalzgrafen
stehen? Titularmarkgrafen stehen allerdings den Pfalzgrafen
DJich^ wie wir ja gerade an Dietpold selbst sehen. Dass aber
Chane, Dietpold und andere Verwandte, wie der bekannte Ari-
bone Boto,* an den Ungamkriegen zu Heinrichs III. und Hein-
richs IV. Zeit hervorragenden Antheil genommen, ist gewiss
nichts weniger als un wahrscheinUch ; Ottokars Erhebung zur
steirischen Markgrafenwürde ist wohl auch auf seine Verdienste
in diesen Kämpfen zurückzuRihren.
Wenn es aber nicht erweislich ist, dass der Pfalzgraf
Chuno je Schloss und Bezirk von Vohburg besessen, so kann
man unmöglich hier seinen Stammsitz suchen, auf diesen wird
uns vielmehr sein zweiter Name ,von Rot^ fuhren müssen.
Diesen erhielt er offenbar auf Grund der Stiftung der be-
rfihmten Benedictinerabtei Rot am linken Innufer südUch von
Wasserburg. Die Stifhingsurkunde, ^ welche ihm in dieser
Gegend Besitz zuschreibt, ist nun allerdings eine Kaiser-
1 8. RieKler, Geschichte Baiems 1, 746 f.
' Ibidem 1, 477.
* Ifon. Boic. 1, 862; 81a, 866. C. Meichelbeck, Histor. Fris. 1, 264.
8t. 2767. 8. Hirsch, Jahrbücher 1, 148 Anm. 1 u. 2, 147 Anm. 2.
424
Urkunde, die in der vorliegenden Form nicht echt sein kann,
allein es ist kaum zu bezweifeln, dass die Güter, die der
Stifter darnach seiner Schöpfung schenkt, wirklich im Besitze
der Abtei gewesen und von demselben herrühren, hiefUr fehlt
es nicht an anderen urkundlichen Zeugnissen und sonstigen
Anhaltspunkten. Einen grossen Theil dieser Schenkungen ent-
hält auch die Bestätigung der Stiftsrechte durch Papst Eugen III.
vom Jahre 1151.* Man darf demnach die Urkunde ihrem wesent-
lichen Inhalte nach für richtig halten. Von den Gütern aber,
die darin erwähnt werden, liegt ausser dem Besitze im Orte
Rota selbst kaum etwas in der Nähe des Stiftes, sondern sie
sind weit durch alle Gaue zerstreut. Schon das ist ein Um-
stand, der es unwahrscheinlich macht, dass man hier den
Stammsitz zu suchen habe. Unter den verschiedenen Be-
sitzungen wird auch eine zu Rota an der Glon genannt. Aber
weder auf dieses noch auf jenes Rota werden wir des Stifters
Namen zu beziehen haben, sondern auf ein drittes Rota im
Isengaue, wohin uns auch ein paar der geschenkten Güter,
wie die zu Oettingen, Neufam und Ask, weisen. Rot am Inn
kommt meines Wissens in älterer Zeit kaum einmal vor, selbst
bei dem in den Traditionen des Bisthums Freising vorfind-
hohen Rota ist meist an den Fluss und Ort im Isengaue zu
denken,^ immer bei denen des Erzstiftes Salzburg.' Man ist
zu der irrigen Meinung offenbar durch falsche Auslegung der
Stellen der genannten Kaiserurkunde und der Stiftungsurkunde
gekommen, welche von dem Orte der Stiftung und dem zu
derselben verwendeten Besitze sprechen.^ Daraus ergibt sich
zwar, dass der Grund des Klosters altes Erbgut der Familie,
aber keineswegs, dass er das Stammgut der Familie, das
,hantgimali', gewesen, und dass Vater, Sohn und Schwieger-
tochter ihren ganzen Besitz dem Stifte zugewendet haben. Das
Stammgut der FamiUe pflegte man nicht und konnte es wohl
nicht vergeben, wie schon ft'üher bemerkt worden, so lange
noch nähere oder fernere Anverwandte vorhanden waren. Es
fehlt nicht an Beispielen, dass bei solchen Schenkungen an
^ Mon. Boic. 1, 369.
• C. Meichelbeck, Hietor. Fris. Ib, 50 Nr. 87, 140 Nr. 245, 141 Nr. «46 f.,
432 Nr. 979 u. 489 Nr. lOlö.
■ JuvÄvia, Anh., S. 149 Nr. 60, 170 Nr. 86, 171 Nr. 87 u. 173 Nr. 91.
♦ Mon. Boic. 1, 348 f. 852 f.
425
Kirchen oder Tauschhandlungen mit ihnen das ^hantgimali'
ausdrücklich ausgenommen wird.* An Verwandten des Pfalz-
grafen mangelte es aber durchaus nicht. Er hat selbst noch
einen zweiten Sohn, einen älteren als Chuno, gehabt,' und
dass seine Tochter Irmgard Kinder vor seinem Ableben hatte,
sagt die Stiflungsurkunde selbst.^ Einen anderen nahen Ver-
wandten habe ich früher in dem Grafen Odalricus, Thiemos
Sohn, erkennen zu sollen geglaubt, und noch wahrscheinlicher
dürfen wir seinen Nachfolger Rapoto und Markgraf Dietpold
dafbr ansehen.
In denselben Gau führen uns auch die im hohen Grade
wahrscheinlichen nächsten Vorfahren des Pfalzgrafen. Diese
nennt uns die zweitwichtigste QueUe über ihn, die Legende
über die Stiftung der Abtei Rot. Erregt eine so trübe Quelle
auch gerechte Bedenken, so erhält doch die Stelle derselben,
auf die es uns ankommt, die Stolle, welche vom Vater und
Grossvater Chunos handelt, eine überraschende Bestätigung
durch die grosse Uebereinstimmung in Namen und Zeitver-
hiütnissen, die sie mit drei^ Traditionen des Klosters Ebersberg
zeigt. Die Legende gibt dem Vater und Grossvater Chunos
den Namen Poppe und bezeichnet sie beide als ,praesides',^
welchen Titel die Traditionen des Stiftes Tegemsee den Grafen
gewöhnlich geben; die drei Eberspergischen Traditionen führen
in dem Zeiträume 935 — 960 einen Papo de Rota als ersten
Zeugen, in dem von 1010 — 1039 einen Papo de Rota gleich-
falls als ersten Zeugen und ca. 1040 Poppe de Rota et filius
eins Chonradus als erste Zeugen an.^ Ein solches Zusammen-
treffen lässt doch kaum an der Identität der beiden Personen-
reihen zweifeln, insbesondere wenn man erwägt, dass der Name
Poppe zu den selteneren zählt. Allerdings kommen Grafen dieses
Namens im Donau-, Schweinich- und Westergaue vor, wie unter
den Burggrafen von Regensburg, den Grafen von Bogen und
den Vögten von Freising, doch nie eine solche Geschlechts-
folge, und dann haben diese Familien keine Beziehungen zu
* Juyavia, Anh., 8. 146 Nr. 44, 175 Nr. 96.
* A. Nagel, Notitiae, S. 22 Nr. 66.
» Mon. Boic. 1, 366.
* Ibid. 1, 348.
^ AbhaDdl. der k. bair. Akademie der Wissensch. (1879) 14 c, 137 Nr. 7, 139
Nr. 24 u. 142 Nr. 37.
426
den Klöstern Rot und Ebersberg, zu dem Isen- und Sunder-
gaue. Als Grafen aber darf' man obige Herren de Rota doch
sicherlich auffassen, da sie allemal an erster Stelle als Zeugen
erscheinen. Dass diese dem Isen- oder Chiemgaue zuzuweisen
sind, dafür spricht auch das öftere Vorkommen des Namens
Papo (Poppe) in den Traditionen des Erzstiftes Salzburg und
des Klosters St. Peter. In den Traditionen des Erzbischofs
Oudalbert findet sich derselbe häufig, in denen des Erzbischofs
Friedrich nicht selten, in denen des Erzbischofs Hartwig ein
paar Mal und in denen des Stiftes St. Peter zu verschiedenen
Zeiten wiederholt und einigemale an erster oder zweiter Stelle
oder sonst derart, dass an Grafen gedacht werden kann.^ Es
ist dabei wohl in der Regel an einen der obgenannten beiden
Papo zu denken, ganz sicher aber, wie mir scheint, bei folgen-
der Stelle: ,in bis duobus locis in Cholinga in comitatu Pop-
ponis et Eihhi in comitatu Hartwici juxta fluvium n. Isana^*
Der Ort Cholinga ist zwar nicht sicher bestimmbar, aber nach
dem ganzen Zusammenhange kann er, wie oben erwähnt, auch
nirgends anders sein als im Isengaue, wo ja die genannte Graf-
schaft des Pfalzgrafen liegt, und es ist demnach Poppo so gut
wie Hartwig I. für einen Grafen des Isengaues zu halten. In
dieser Auffassung bestärkt mich namentlich eine andere Stelle,
wo dieselben Grafen ebenso vereint auftreten und ihre gemein-
same Zustimmung zu einer Schenkung geben, deren Gegen-
stand, acht Edelhuben, im Nachbargaue zu Schwabing bei
München hegen. ^ Wie dieser, so spricht aber noch ein anderer
Fall für ein nahes Verwandtschaftsverhältniss Beider. Chuno
erscheint nämHch (ca. 1060) im Besitze der Orte Frichindorf,
Munihha, Siezpach, alle im Westergaue, jedoch unweit der
Grenze des Isengaues gelegen, die um das Jahr 1020 Pfalzgraf
Hartwig H. besitzt.* Chuno hat Auch nach A. NageFs Angabe*
einen Bruder, dessen Name Piligrimus im Aribonenhause durch-
aus nicht selten ist.
» Juvavia, Anh., S. 170 Nr. 84, 170 Nr. 86, 193 Nr. 8. Archiv fUr österr.
Geschichtsforschung 22, 301 Nr. 5. Notizbl. 6, 21 Nr. 86; 46 Nr. 100,
46 Nr. 106.
» Juvavia, Anh., S. 193 Nr. 9.
» Oberbair. Archiv 34, 279 Nr. 69.
* Mon. Boic. 6, 163.
ö A.Nagel 154 f.
427
Die Annahme naher Verwandtschaftsbeziehungen zwischen
der Pfalzgrafenfamilie und der Chunos findet eine weitere Stütze
in den Besitzungen, die dieser nach der Stiftungsurkunde von
Rot ausser den bereits erwähnten noch gehabt haben muss, und
die gewiss nicht die einzigen in den genannten Gegenden ge-
wesen sind. Die von Chuno geschenkten Güter sind über einen
grossen Theil des südlichen Deutschlands ausgebreitet und liegen
in den Gauen: Sundar-, Wester-, Isen-, Nord- und Traungau
Baiems, im unteren und mittleren Innthale, im Eisack- und
E^chthale Tirols, in Kärnten, Steiermark, Niederösterreich, in
Ungarn und Schwaben. So aufiUlig dieser grosse und weit-
zerstreute Besitz Chunos auch ist, wir haben keinen ausreichen-
den Grund, die Glaubwürdigkeit der Stiftungsurkunde hierin
ernstlich anzuzweifeln; umsoweniger, als Chuno gerade da er-
weislich Güter gehabt hat, wo man es am wenigsten erwartet:
nämlich in den seinem Stammsitze entlegensten Gegenden, in
Niederösterreich, Kärnten und Schwaben. Seiner Erwerbung
in Niederösterreich ist schon gedacht worden; dort sind die
Orte Breitenowe, Swarzaha, Liuprantesdorf, Snozindorf und
Hedrichenwerde (Breitenau, Schwarzau, Schurzendorf und Ha-
dersMrerth) und Liuzimannesdorf (Loizmannsdorf), wie Guz-
bretesdorf, in der That sein Eigenthum gewesen, wie man aus
dem üebergange dieser Besitzungen und der Verleihungs-
urknnde vom Jahre 1058 an das Kloster Göttweih schliessen
mnss;^ den Besitz des Schlosses Jrschen in Kärnten machen
die späteren Besitzverhältnisse sehr wahrscheinlich,* den der
Villa Eslingen in Schwaben darf man nicht bezweifeln, wenn
er daselbst eine ganze Grafschaft besessen hat.^ Ich weiss
wohl, dass man Letzteres wiederholt angezweifelt und gemeint
hat, den Text verbessern und statt ,Peringen situm in pago
Brisgowe in comitatu Cvononis palatini comitis : Peringen situm
in pago Vilsgowe' etc. lesen zu sollen, aber ohne anderen Grund,
als weil Schwaben sehr entlegen ist;* denn einen Vilsgau oder
auch nur eine Grafschaft dieses Namens hat es gar nicht ge-
geben, und die weite Entfernung allein ist gewiss kein triftiger
^ M. Felicetti ▼. Liebenfelss, Steiermark 1, 33 f.
* R ▼. Koch-Stemfeld, Zur näheren Verständigung, 8. 26.
» Mon. Boic. 11, 169. St. 2817.
* Ibid. 11, 160. P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiem 178 Nr. 226.
428
Ghund, eine Verderbtheit der Stelle anzunehmen, da Ver-
bindungen von weit entfernten Gütern häufig sind. Einen Ort
Peringen in Schwaben nachzuweisen, bin ich freilich nicht im
Stande, aber es handelt sich ja nicht um eine villa oder curtis,
sondern nur um ein predium dieses Namens. Die Begüterung
Chunos in Kärnten erinnert uns wieder lebhaft an das Ari-
bonenhaus; ist doch Irschen ein Pfarrsprengel im oberen Drau-
thale, somit in einer Gegend, wo Pfalzgraf Aribo IL noch in
seinen letzten Lebzeiten den Hauptbesitz hat. ^ Wie uns aber
dieser Besitz auf Chunos Vorgänger im Pfalzgrafenamte hin-
weist, so ein anderer auf seinen Nachfolger Rapoto, nämlich: ,Ultra
Chambe Chostingen et Reswetingen cum ecclesia, decimatione,
theloneis, terminis et appendiciis suis.^' Chostingen ist das
jetzige Städtchen Kötzting am Weissen Regenflusse in der Nähe
von Cham; hier bestand später eine Propstei des Klosters Rot
am Inn, die aber nach unserer Stelle schon vor ihrer Einver-
leibung in dieselbe bestanden haben und auch eine Stiftung
Chunos gewesen sein mag.' Jedenfalls muss er da schon be-
deutenden Besitz gehabt haben. Einen ähnlichen Schluss gestatten
die im südöstlichen Sundargaue und im südwestlichen Chiemgaue
an Rot übergebenen Güter, und hier haben auch seine nächsten
Vorfahren Grafenrechte gehabt. Vogtareut liegt nach einer Ur-
kunde Kaiser Heinrichs H. vom Jahre 1021 in der Grafschaft
eines Grafen Papo* und desgleichen die Abtei Chiemsee nach
einer Urkunde Kaiser Heinrichs IV. vom Jahre 1062^ und
beide zugleich in dem Chiemgaue. Die Zeitdauer gestattet es
noch, diese Beiden mit den beiden Papos in den Ebersperger
Traditionen zu identificieren und auch in ihnen den Vater und
Grossvater Chunos zu sehen, und es stimmte gut zu seiner
Machtstellung in Tirol, wenn er auch eine Grafechaft im an-
grenzenden Theile des Chiemgaues besessen hätte. Denn ge-
rade im Innthale, aber auch im übrigen Tirol hatte er, nach
der mehrerwähnten Stiftungsurkunde zu schliessen, ganz be-
sonders reichen Besitz und das erinnert uns wieder sehr, dass
wir auch noch zwei andere aus dem Isengaue stammende Fa-
* R. V. Koch-Stemfeld, Zur näheren VersUlndigung 26, Anm. *.
* Mou. Boic. 1, 354.
' Ibid. 1, 370. y. Lang, Baierns Grafschaften 191.
* Ibid. 28 b, 493. 8t. 1760.
> Ibid. 29 a, 163. St. 2616.
429
milien hier stark begütert getroffen. In diesem Umstände dürfte
man doch mehr als blossen Zufall sehen, selbst wenn gar keine
anderen Beziehungen zwischen den drei Familien bekannt wären;
aas dem Zusammenhalte aber mit denselben ergibt sich doch
f&r meine Annahme noch ein weit höherer Grad von Wahr-
scheinlichkeit.
Die auf Tirol bezügliche Stelle der päpstlichen Bestätigungs-
urkunde vom Jahre 1151 lautet:^ , Wachreine, Turholz, Walch-
see, Colental, totum Billersee cum ecclesia ejusdem loci, deci-
miß et appendiciis suis. In Luihental, Stegen, Wissenschwank,
Criesenovve, Grantovve, Barne et quidquid iUustris memorie
comes palatinus a Strichen usque ad Jochperg juste habuerat,
pia devotione vobis ab eo concessum, preter unam mansionem
apud Wisinschvvank, apud Halle patellam salis et locum pa-
teile, in monte qui dicitur Ritimo unum mansum in Pozen cu-
riam et vineas, in Hartperch sex vineas et agros.* Der Stift-
brief Rots weicht hievon am Schlüsse etwas ab und fügt noch
einige Orte hinzu, indem er lautet: ,praeter unam mansionem
apud Wisinschwanck, quam filiae ad pernoctandam tradiderat,
cum de loco ad locum transiret. Apud Halle patellam sahs,
et locum patelle. In Stubeia duos mansos, in Wibetal stabu-
hurem curiam. Ad valles in monte, qui dicitur Ritino, quinque
mansos, ad Sufan in Poscen curiam et vineas.** Die Orte von
Wachreine bis Halle sind alle tirolisch und alle zugleich im
ösdichen Innthale gelegen, denn Wachreine war ein Schloss
bei Ebbs, Turholz ist der Weiler Durchholzen und Walchsee
der gleichnamige Ort im Bezirksgerichte Kufstein, Kolenthal
und Pillersee liegen im Bezirksgerichte Kitzbühel und ebenso
die im Leukenthale befindUchen Ortschaften: Stegen, Wiesen-
sch^vang, Griesenau, Grandau und Brama; Strichen heisst der
nördlich von Kössen sich erhebende Grenzberg.* Bei Hall
soUte man nach der geographischen Anordnung der Orte nur
an das im Innthale denken, und somit wäre diese Stelle dessen
erste Erwähnung, die übrigen im Sill-, Eisack- und Etschthale
liegenden Orte sind bekannt. Des Stiftes Rot Besitz in dem
» Hund-Gewold, Metrop. Salisb. 3, 269. Mon. Boic. 1, 360 f. Vergl.
A. Nagel, Notitiae 289.
» C. Meichelbeck, Histor. Fris. 1, 64. A. Nagel, Notitiae 289. Mon. Boic.
1, 354; ibid. 31a, 365 ff.
» Tiroler Bote 1830, 8. 284.
430
heutigen Gerichtsbezirke Kitzbühel ist über jeden Zweifel ei--
haben und wird durch eine ganze Reihe von Urkunden aus
dem 13., 14. und 15. Jahrhundert bestätigt, insbesondere auch
der Besitz des ganzen Thaies Pillersee ^ und der Gerichtsbar-
keit darin, denn schon im 13. Jahrhundert hatte es da seinen
eigenen Richter.* Für das 14. Jahrhundert besitzen wir hiefür
noch einen stärkeren Beweis in dem noch erhaltenen Weisthum,
das aus dieser Zeit stammen muss, dessen Inhalt aber ent-
schieden noch auf eine frühere hinweist* Für den Besitz von
Gütern auf dem Ritten mangelt ein weiterer Beweis gleich-
falls nicht. ^
So zahlreiche und wichtige Güter und Rechte in einer
Grafschaft, wie sie Chuno im unteren Innthale besessen haben
muss, konnten in einer Zeit, wo das Grafenamt schon lange
erblich war, doch wohl nur einer Familie eigen sein, die zu-
gleich dieses Amt innehatte, und darum wird der Schluss von
jenen auf dieses gestattet sein. Ii^ der That sehen wir in der
zweiten Hälfte der Regierung des Bischofs Altwin (1050 bis
1090) einen Chuno im Innthale ein paarmal als Zeugen er-
scheinen, wo man ihn ziemlich sicher, einmal ganz sicher, als
Grafen dieser Gegend auflfassen darf,^ da er von einem anderen
Grafen Namens Otto, dem Grafen des benachbarten mittleren
Innthales, den Vortritt hat.^ Ist dieser Chuno wirklich unser
Pfalzgraf, dann darf man wohl den im Diplome Kaiser Hein-
richs vom 10. December 1055 erwähnten Grafen Poppo, in
dessen Grafschaft der Ort Laien sich findet, für seinen Vater
halten;^ nicht minder den Grafen gleichen Namens, der zu
Flains im Wippthale begütert ist, ' und wohl auch den, welcher
als dritter Zeuge in einer Schenkung Graf Arnolds von Andechs
an das Kloster Benedictbeuern, die das offenbar tirolische Gut
Taerzins betrifft, neben mehreren anderen Grafen, zum Theile
wohl aribonischen Stanmies, Zeugschaft leistet.® Dann erregt
1 Oberbair. Archiv 13, 176—224. 313—330; 14, 14—18.
« Mon. Boic. 36 a, 247. Tiroler Weisth. 1, 89.
» Tiroler Weisth. 1, 89—98. Mon. Boic. 2, 102—108.
* Mon. Boic. 1. 393.
» O. Redlich, Die Traditiousbücher, Nr. 214. 294 u. 295.
0 Ibid. Nr. 294.
' Mon. Boic. 29a, 123. J. Zahn, C. d. Austro-Fris. 31, 79 Nr. 77. St. 2487.
» Mon. Boic. 7, 39. Taerzins zu Ellbogen: Archiv-Ber. a. Tirol 2, 286.
431
^ auch kein Bedenken, diesen Poppe als den Nachfolger jenes
Grafen Engelbert zu betrachten, dem sein Bruder Bischof Hart-
wig von Brixen (1022 — 1039) die Grafschaft des Eisackthales
verliehen hatte. ^ Auf die Fragen freilich, warum diese Graf-
schaft nicht auf Engelberts Sohn übergegangen oder warum sie
auch nicht bei Poppos Stamme verblieben, gibt es keine Ant-
wort, weil hiefür jeder Anhaltspunkt fehlt. Dagegen steht nach
den fiüheren Ausfiihrungen der Annahme, Chuno oder viel-
leicht schon sein Vater seien nach dem Sturze der beiden Ari-
bonen Aribo (II.) und Bote diesen in manchen Besitzungen
und Rechten, namentUch in ihren Grafenämtem, durch kaiser-
liche Gunst gefolgt und auf diese Weise gleichfalls das Pfalz-
grafenamt an Chuno gekommen, nicht das geringste Hindemiss
entgegen; es ist vielmehr im hohen Grade wahrscheinlich, dass
der Kaiser eine mit den Gestürzten nahe verwandte Familie,
die sich durch ihre Treue erprobt hatte, bei der Verleihung
der confiscierten Aemt^r und Würden allen anderen vorgezogen
habe, besonders wenn sie für diese die nöthige reelle Grund-
lage und gerade in der Nähe der herrenlos gewordenen Be-
zirke oder in ihnen selbst Lehen und Eigen hatte. An dem
Vorhandensein der ersteren Bedingung ist bei der so be-
deutenden Macht Chunos gar nicht zu zweifeln, und auch die
letztere dürfte nicht gefehlt haben. Treffen wir doch im
Jahre 950 im südöstlichsten Theile des Sundergaues, im kleinen
Gaue Frieromarca, einen Grafen Namens Piligrim,^ der iden-
tisch mit dem fiiiher genannten Grafen Piligrim im Isengaue
sein kann,* und um dieselbe Zeit (938 — 957) hat ein Edler
gleichen Namens, der später auch Graf geworden sein mag
und einen Sohn Namens Papo sein nennt, Besitz in Amras.*
Es liegt nicht so fern, in diesen Piligrimen ein und dieselbe
Person und den Vater von Chunos Grossvater zu sehen, be-
sonders wenn man bedenkt, dass ja Chuno in dem genannten
Gaue erheblichen Besitz hatte, wie Helphendorf, Tocinhusen
;Tattenhausen im Landgerichte Rosenheim), Warte (ebenda bei
Holzhausen), Veristetten.^
1 O. Redlich, Die Traditionsbticher, Nr. 66. 71. Sinnacher 2, 223. 226. 232. 369.
* Mon. Germ. Dipl. 1, 207, 40
» Juvavia, Anh., 8. 140 Nr. 33, 147 Nr. 46 u. 46, 148 Nr. 47.
* C. Meichelbeck, Histor. Fris. Ib, 447 Nr. 1039.
» Mon. Boic. 1, 354. 360.
432
Nach dem Ableben des Pfalzgrafen Chuno von Rot im
Jahre 1086, dem sein gleichnamiger Sohn schon einige Jahre
(f 1081) im Tode vorangeeilt war, ging die Würde eines bai-
rischen Pfalzgrafen auf den Grafen Rapoto über, den Sohn
des oben erwähnten Grafen Rapoto von Cham, der zu seinen
Lebzeiten eine so hervorragende Rolle gespielt hatte und in
der Schlacht an der Elster im Jahre 1080 für König Hein-
rich IV. gefallen war. ^ Der neue Pfalzgraf muss nach dem
Urtheile der Zeitgenossen, nach dem grossen Einflüsse, den er
auf die Zeitereignisse ausübt, nach der Stellung und dem An-
sehen, deren er sich erfreut, und nach dem, was über seine
Besitzverhältnisse bekannt ist, ein sehr bedeutender Mann ge-
wesen sein. Er besitzt nicht allein die von seinem Vater er-
erbte Grafschaft Cham und ist Vogt des Bisthums Regensburg
und des Klosters St. Emmeran,* er hat auch Schloss, Stadt
und Bezirk Vohburg und weiter die Grafschaft Indale inne;
auch trägt er von dem benachbarten Herzoge von Böhmen eine
Reihe von Lehen und wohl auch von den genannten und
anderen Stiftern. Die Grafschaft des unteren Innthales besitzt
er in ihrem ganzen Umfange, wie die ausdrückUch erwähnten
Orte Chuntula (Kundl), Luisfeit (Liesfeld), Obemdorf (?),
Winkelheim (bei Kirchbühel), Birkenwank (bei Kirchbühel),
Ebese (Ebbs), die über einen grossen Theil des Thaies zerstreut
sind, schliessen lassen.* Auf ihn mögen sich wohl die Worte
beziehen, die der böhmische Chronist Cosmas von seinem Vater
gebraucht; da er erst in hohem Alter die Erlebnisse und
Ereignisse aus seiner Jugendzeit niederschrieb, so konnte er
sich wohl leicht in der Person irren und.Vater und Sohn ver-
wechseln, nicht so in der Sache. Als er von Graf Rapotos
erster (?) Romreise berichtet, sagt er: ,Nam tantae potestatis
hie comes erat, quod usque Romam per continua loca proprias
villas seu praedia et per castella milites sibi devotes habebat^*
Man hat darin eine arge Uebertreibung der Macht des Vaters
gesehen, aber auf den Sohn angewandt, kann die Stelle kaum
mehr als solche bezeichnet werden, selbst wenn dieser nichts
weiter als die erwähnten Gebiete gehabt haben sollte; doch
* P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiem 28 ff.
« Quellen und Erörterungen 1, 36. 42 f. 46 f. 61.
» Chronik von St. Georgen u. F. 229.
* Mon Germ, bistor. Script. 9, 86, ^i-
433
das ist gewiss nicht wahrscheiDlich, da wir ja so wenig Einzel-
heiten aus seinem Leben kennen, und wir haben darum keinen
Grund, die Angabe des im Ganzen zuverlässigen Berichter-
statters für irrig zu erklären. Von diesen Gebieten war aber
die vom Vater ererbte Gra&chaft Cham nur ein kleiner Theil,
denn sie war nur ein Stück des Nordgaues. Ihre geringe Be-
deutung ergibt sich schon daraus, dass nicht allein die beiden
Rapotonen nie von ihr den Markgrafentitel annehmen, sondern
dass auch die Vohburger selten ihn führen und in der Regel
sich nach Vohburg nennen, obwohl auf Cham der Titel Mark
nicbt von einem anderen Gebiete übertragen worden ist, sondern
dasselbe eben den Titel als Grenzgebiet und Theil einer eigent-
lichen Mark bekommen hat. ^
Wenn Pfalzgraf Rapoto von den bezeichneten Gebieten
nur die Mark Cham und vielleicht die Vogteien von Regens-
burg und St. Emmeran durch den Vater überkommen hat, so
fragt es sich, woher und wie die anderen an ihn gelangt sind.
Man hat bisher den Grund hievon einerseits in seiner Heirat
mit der Witwe des jüngeren Chuno, genannt von Vohburg, Elisa-
beth von Lothringen, andererseits in der besonderen Huld des
königlichen Hofes gesehen.* Die Reichslehen und das Reichs-
gut verdankt er ohne Zweifel der Gunst des Reichsoberhauptes,
und auf diese Weise mag er die Mark Vohburg, die Grafschaft
Innthal und andere Grafengebiete erworben haben, aber es
müssen dabei doch auch Verwandtschaftsansprüche mitgewirkt
haben, denn es erscheint mir unglaubUch, dass der Kaiser die
berechtigten Erwartungen der nächsten Verwandten Phunos
ganz unberücksichtigt gelassen haben könnte, wodurch er sich
ja diese zu Feinden machte; und das gerade zu einer Zeit, wo
er der alten Freunde sehr bedurfte. Ganz anders verhält es
sich mit den anderen Lehen und mit den Eigengütem; von
diesen konnte ihm der Kaiser nichts geben und seine Gemahlin
gewiss nur zubringen, was sie als Aussteuer mitgebracht oder
von ihren Verwandten ererbt und was sie von ihrem ersten
Gemahle als Brautgut und Witthum erhalten hatte. Für unseren
Fall kann es sich aber nur um die Letzteren handeln, und
diese können unmöglich sehr bedeutend gewesen sein, da ja
* Vergl. 8. Riezler, Die Mark Cham in Forschnngen 18, 637 f.
« P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiern 29. A. Nagel, Notitiae 169.
ArehtT. LlXXm. Bd. H. Hälfte. 29
434
jeder Gemahl bei Verfugung über seine Güter durch die Rück-
sicht auf seine Verwandten gebunden war. Das Alles drängt
zum Schlüsse, es müssen die meisten Eigengüter, die Rapoto
nicht von seiner Familie geerbt oder selbst erworben, von einer
nahe befreundeten anderen Familie stammen, und ich kann in
diesem Falle nach den Besitzverhältnissen nur an Chuno,
seinen Vorgänger, denken, mit dessen Besitz sich Rapotos zum
grossen Theile, soweit dies nachweisbar oder erschliessbar ist,
deckt. Habe ich darauf schon früher hingewiesen, so sei hier
noch erwähnt, dass Rapotos Familie auch in Schwaben wie
Chuno Besitz hat, dort ein grosses Gut Cremhein dem Augs-
burger Domcapitel schenkt und wegen einer Grafschaft mit
dem Bisthume im Streite liegt. ^ Wenn Rapoto auch ein
Sprosse des Aribonenhauses ist, als welchen ich früher Chuno
zu erweisen gesucht, dann begreift man die Worte vollkommen,
die Paulus Bemriedensis von seinem Vater gebraucht: ,Rapoto,
qui nimirum. propter sanguinis nobilitatem et morum honestatem
in regem a populo expetitus asseritur';* und wenn seine Fa-
milie die Haupterbin des Nachlasses der Familie Chunos ge-
worden ist, dann hat der ihr nachgerühmte grosse Besitz nichts
Auffälliges und ebensowenig die Worte, die der sächsische
Chronist von seinem patruelis Oudalricus gebraucht: ,queiii
multum divitem dicebant^'
Wessen Sohn ist aber dieser Oudalricus? Wir kennen
ausser ihm nur noch einen Verwandten des Pfalzgrafen, nämlich
seinen zugleich mit ihm im Jahre 1072 genannten Bruder.^
Da sie» also beide Ulrich heissen, da patruelis doch vorzüglich
Brudersohn bedeutet, von einem anderen Bruder aber nichts
verlautet, so liegt es doch gewiss sehr nahe, den reichen Ulrich
für einen Sohn des älteren gleichnamigen Bruders des Pfalz-
grafen zu halten. ^ Aber kaum minder drängt sich uns die An-
sicht auf, dass er identisch mit dem Grafen Ulrich von Passaa
sei. Denn auch dieser wird, in der Stiftungsurkunde des Chor-
hermstiftes Baumburg, der Reiche genannt (prepotens ac predives
^ Mon. Germ, histor. Script. 3, 127, ^f[, A. Nagel, Notitiae 188 f.
' P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Baiem 186 n. 252. Mon. Germ, histor.
Script. 4, 427.
* Ibid. 6, 210, m; 218, ».
* M. Filz, Geschichte von Michaelbenem 2, 746. 747.
^ So artheilt auch A. Nagel, Notitiae 171.
435
ita ut vulgo Vilreich appellaretur)* und muss tun dieselbe Zeit
gelebt haben. Doch da erhebt sich eine grosse Schwierigkeit:
in dem Necrologium desselben Stiftes wird ein Ulricus filius
Palatini fundator angeführt und unter den in der Stiftskirche
begrabenen Wohlthätem ein Ulricus comes de Pactavia ge-
nannt:* an allen diesen Stellen ist zweifelsohne eine und die-
selbe Person gemeint. Wie kann aber Ulrich von Passau der
Sohn eines Pfalzgrafen heissen, wenn er nicht der Sohn Chunos
oder Rapotos oder eines anderen Pfalzgrafen, sondern nur der
Sohn eines Bruders eines Pfalzgrafen, Ulrichs (von Cham) Sohn
und Rapotos Neffe ist? Ueber diese Schwierigkeit hebt nur
die Vermuthung einigermassen hinweg, das Necrologium habe
es in unserem FaDe mit der Bezeichnung nicht sehr genau ge-
nommen. An solchen Fällen mangelt es nicht, und um den
onserigen wahrscheinlicher zu machen, könnte man immerhin
auf einen ähnlichen verweisen. Der Tod Chunos, des Sohnes
des Pfalzgrafen gleichen Namens, wird in den Casus mona-
sterii Petrishusensis auch mit den Worten berichtet: ,Ibi cecidit
Couno palatinus de Fohiburch cum aliis multis' (1081): der
jüngere Chuno also hier und kurz vorher nochmals Pfalzgraf
genannt,* obwohl er nie selbst die Pfalzgrafenwtirde bekleidet,
sondern nur der Sohn eines Pfalzgrafen gewesen ist. Viel
schwieriger ist noch die genauere Feststellung des Verwandt-
schdtsverhältnisses der beiden Pfalzgrafen Chuno und Rapoto
za einander und zu Grafen Dietpold, das ich annehmen zu
müssen vermeine; doch ich will auch hierüber meine Meinung
nicht zurückhalten. Unter der Voraussetzung, dass obige An-
nahme richtig und Ulrich von Passau, der zweite Gemahl der
Adelheid von Frantenhausen, in der That mit dem Bruder-
sohne des Pfalzgrafen Rapoto identisch, wären alle Wider-
sprüche und Schwierigkeiten beseitigt, wenn Dietpold,* der
Vater des Rapoto von Cham, zugleich der Bruder des Pfalz-
grafen Chuno von Rot und der Sohn des Poppe von Rot wäre,
und also die Rot, Rapotonen und Vohburger eines Stammes
wären. Die Lebensdauer und Lebenszeit der betreffenden Per-
*Mon. Boic. 2, 175 f.
* Ibid. 2, 264. 268. Necrolog. Germ. 2, 238.
* Mon. Germ, histor. Script. 20, 647, „ flf.
* Dubuat and A. Nagel halten den Pfalzgrafen Rapoto für einen Sohn
Poppos von Rota. A. Nagel, Notitiae 167.
29"*
436
sonen ist mit einer solchen Annahme nicht unvereinbar. Der
Pfalzgraf Chuno muss bei seinem Tode (1086) schon ziemlich
bejahrt gewesen sein, da sein fünf Jahre vorher gestorbener
Sohn schon vermählt war und seine Tochter Irmgard bei seinem
Ableben bereits Kinder hatte. ^ So könnte immerhin Dietpold
sein jüngerer Bruder sein, wenn ihr Altersunterschied nur ge-
ring und dieser doch schon im Jahre 1072 einen erwachsenen Sohn
Rapoto und zwei Enkel haben, die sich erst im angehenden
Jünglingsalter befinden mochten. Dass dann der Eine von
diesen, und zwar allem Anscheine nach der jüngere, inzwischen
zum jungen Manne herangewachsen, seinem Grossonkel in der
Würde eines Pfalzgrafen folgte (1086), ist gewiss nicht unwahr-
scheinlich, da indess ja sein Vater und Grossvater, wohl auch
sein älterer Bruder, sowie Chunos Söhne gestorben waren und
vom Stamme nur noch ein Sohn seines älteren Bruders und
ein anderer Sprosse, Namens Dietpold, der erste Vohburger,
und ihre Kinder lebten. In Dietpold aber möchte ich einen
jüngeren Bruder des Pfalzgrafen Rapoto sehen. Mit diesen
Annahmen stimmt auch, was wir von den eben genannten
Beiden hören. Ulrich von Passau muss jung gestorben sein,
da seine Frau nochmals heiratete und mehrere Eander hatte,
seine Tochter Uta aber bei seinem Tode (1099) noch, wie es
scheint, ein Kind war; auch Dietpold, Markgraf von Vohburg,
kann bei seines Neffen Ableben die besten Mannesjahre kaum
erreicht haben, da er erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts
(1146) starb. Meiner Annahme widerstreben auch nicht die
poUtischen Zeitverhältnisse. Der Aribone Graf Sighard und
Markgraf Dietpold von Vohburg genossen nicht die Gunst Kaiser
Heinrichs IV., und darum folgte keiner in dem Pfalzgrafenamte
und auch nicht in der Grafschaft Innthal, aber gerade dies
dürfte sie gegen den Kaiser aufgebracht und den Markgrafen
zu seinem heftigsten Widersacher gemacht haben.*
* Mon. Boic. 1, 355.
• Mon. Germ, histor. Script. 3, 107, mAT.; 6, 142, „ff.
437
IV.
Die anderen Siteren Familien.
Waren auch die bisher behandelten Zweige des Aribonen-
battses südlich von den Tauern begütert^ hatte da der Pfalz-
graf Hartwig I. ausgedehnten, seine nächsten Nachfolger gewiss
nicht geringen und selbst Pfalzgraf Aribo II. nach seinem Sturze
noch den Hauptbesitz, erscheint sogar Pfalzgraf Chuno als Herr
eines grösseren Qrundcomplexes, so lagen doch sicherlich weder
in Kärnten noch in Steiermark oder Kri^in ihre Stammgüter
und ebenso nicht der Schwerpunkt ihrer Macht. Wir müssen
alle diese FamiUen als bairische betrachten und in Baiem wie
Ihren Ausgangspunkt, so auch den Grundstock ihrer Besitzungen
suchen; von dort aus sind sie in die südlichen und südöstlichen
Slavengebiete vorgedrungen und haben hier den deutschen Ein-
fiuss und die deutsche Herrschaft begründen geholfen. Anders
ißt es mit einer weiteren Reihe von Zweigen des Aribonen-
hauses bestellt; auch diese sind wohl vom südöstlichen Baiem
ausgegangen, allein hier hatten sie in der Folge nur geringen
oder auch gar keinen Besitz mehr und sahen darum auch nicht
mehr bairische Gaue, sondern die neu erworbenen Gebiete in
Kärnten, Steiermark und Tirol als ihre Heimat an. Doch fehlt
es nicht an mancherlei Spuren, seien es Besitzverhältnisse oder
verwandtschaftliche Beziehungen, die mit meist hinreichender
Sicherheit zu ihrer ursprüngUchen Heimat leiten. Als solche
Familien werden sich uns in den folgenden Ausflihrungen dar-
stellen: die Familie Bischof Albuins von Sähen, das Geschlecht
Orafen Otwins von Kärnten und dessen Zweige: die Familie
Bischof Altmanns von Trient, die Görzer und älteren Orten-
burger Grafen, die Grafen von Flavon und Tirol, die Familie
der heil. Emma.
Der früher angeftlhrte Stammbaum hat gezeigt, wie noch
jtlngst Albuins Familie für die pfalzgräfliche gehalten wurde;
die nahen Beziehungen zur letzteren sind übrigens schon früher
wiederholt erkannt worden. Vermag ich auch erstere Ansicht
nicht zu theilen, so möchte ich doch um so entschiedener auf
den Zusammenhang dieser Familie mit dem Isengaue hinweisen.
Albain selbst und seine Angehörigen haben Besitz dortselbst,
wie die Verhandlungen des Bischofs mit seinen Geschwistern
438
und seine Schenkungen an das Stift Sähen unwiderleglich dar-
thun. Damach besassen sie Eigengüter in Oberbaiern^ und
insbesondere zu Aschau und Tan im Isenguae,* weit mehr
freilich schon im südlichen Kärnten, im Jaunthale. ^ Lässt schon
die Begüterung im Isengaue, dem Hauptsitze des Aribonen-
hauses, in Albuins Familie einen Zweig dieses Hauses ver-
muthen, so geben hiezu die bekannten Familienmitglieder weitere
Anhaltspunkte : die bekannten zwei Brüder des Bischofs führen
die bezeichnenden Namen Hartwig und Aripo, von denen der
Letztere, vielleicht als Graf im Jaunthale, einmal Markgraf
heisst.* Albuins Grossvater, wohl von mütterlicher Seite, ist
aber keine geringere Persönlichkeit als der uns wohlbekannte
Erzbischof Oudalbert von Salzburg, dessen Familie ja auch im
Isengaue wurzelt.* Denselben Ursprung darf man auch bei
einer anderen nahe verwandten Familie vermuthen, bei einem
gewissen Hadamar und seiner Gemahlin, der edlen Frau Truta,
einer Base Albuins und Enkelin desselben Erzbischofs durch
ihre Mutter Perehsuuint, die unter Anderen Söhne Namens
Eberhard und Gerhoch hat;^ von ihrem Besitze wissen wir
zu wenig, als dass davon ein Schluss verstattet wäre.
Weit bedeutender als die genannten Familien tritt des
Grafen Otwin Geschlecht aus dem geschichtlichen Hintergrunde
und erscheint auch zugleich entschiedener als Sprosse des Ari-
bonenhauses. Otwin ist Graf des Pusterthaies und Lumgaues
und Gemahl Wichburgs, der Schwester Erzbischof Hartwigs
von Salzburg (991—1023). Ihre Söhne heissen Hartwig, Engel-
bert, Meginhard, Volchold, Heinrich und Gerloch: Hartwig be-
steigt den Stuhl des heil. Cassian, Engelbert und Meginhard
werden Nachfolger des Vaters im Pusterthale und Lumgaue,
Volchold stiftet das Frauenkoster Sonnenburg im Pusterthale
und seine Mutter das Frauenkloster St. Georgen am Längsee
in Kärnten, zwei Schwestern aber folgen sich als Aebtissinnen
der Stiftung der Mutter, eine Nichte, wahrscheinlich Tochter
* O. Redlich, Die Traditionsbücher, Nr. 25.
* Ibid. Nr. 28. 31. 36. 44.
» Ibid. Nr. 5. 28. 30. 36. 36.
* Ibid. Nr. 58.
« Ibid. Nr. 64.
' Ibid. Nr. 64. Vergl. O. Redlich, Zur Geschichte 9 f.
439
Heinrichs,^ wird die erste Aebtissin Sonnenburgs. Erinnern
schon diese Namen und diese Thatsacfaen sehr an die Ari-
bonen^ so wird auch noch in einer Urkunde Erzbischof Hartwig
TOD Salzburg ausdrücklich als ein naher Verwandter eines Grafen
bezeichnet; der ziemlich sicher fUr einen Sprössling des Ari-
bonenhauses anzusehen ist. Es ist der im ersten Viertel des
11. Jahrhunderts öfters auftretende Graf Eppo oder Eberhard^
dessen Sohn Friedrich Tangl ganz irrig zum Stammvater der
Grafen von Ortenburg in Kärnten gemacht hat* Eberhard
heisst nach dem Seoner Necrologium ein Bruder des Pfalz-
grafen Aribo L; und an diesen ist sowohl in obiger Stelle als
auch bei dem gleichnamigen Zeugen in der Urkunde der
BLaiserin -Witwe Kunigunde vom Jahre 1025 zu denken, der
mit mehreren anderen Grafen deren Schenkung an das Bis-
thom Freising bezeugt;^ derselbe leistet noch fUr mehrere
andere Rechtsgeschäfte derselben Gegend Zeugschaft neben
Standesgenossen; von denen einzelne sich sicher als Aribonen
erweisen.^ Zudem fehlt es Otwins Familie nicht an Besitz im
Isengaue; zu Totinberg und Aschau, sw. Mühldorf, schenkt
Hartwig Besitz, nämlich dort drei Hansen und drei Weinberge,
hier einen Mansus, an sein Stift im benachbarten Donaugaue
zu Kufberg nordöstlich von Regensburg ein Gut.* Auf Grund
dieser Beziehungen haben schon frühere Forscher und zuletzt
0. Redlich ^ Otwins Familie ftir einen Seitenzweig des Aribonen-
haases gehalten; man wird hiezu aber umsomehr berechtigt
sein, wenn sich noch andere Anhaltspunkte finden sollten, und
das ist^ wie ich glaube, in der That der Fall. Da Otwin auch
Graf des Lumgaues war, so muss er in einer Grafschaft auch
des Pfalzgrafen Hartwig I. Nachfolger geworden sein, denn
ViUach, das in des Letzteren Grafschaftssprengel lag, gehörte
> O. Redlich, Zur Geschichte 20 f. v. Ankershofen, Geschichte K&rntenB
2, 833 ff.; Urkunden u. Reg., 8. 82 f.
' Karlmann Tangl, Die Grafen von Ortenburg in Archiv fQr Osten*. Ge-
schichtdTorschung 30, 227 ff.
» J. Zahn, Cod. dipl Austr. Fris. in Font rer. Austr. Dipl. 31, 63.
* Besch, Aetas millenaria 67. Archiv fOr österr. Geschichtsforschung 22,
300 Nr. 1, 303 Nr. 12, 304 Nr. 16. Notiabl. 6, 24 Nr. 81. Juvavia, Anh.,
S. 197 Nr. 16. v. Ankershofen, Reg. in Archiv 2, 329 Nr. 133. v. ELarajan
Das Yerbrüderungsb. LX.
» O. Redlich, Die Traditionsbücher, Nr. 65. 67.
• O. Redlich, Zur Geschichte 20.
441
Grafschaft im Pasterthale und zwei Mansen darin zu Reischach
dem Stifte Brixen.^ Es verdient hervorgehoben zu werden,
dass unter den Intervenienten auch der Pfahsgraf Rapoto sich
befunden hat, der zugleich Graf des Unterinnthaies war. Das
an Brixen geschenkte Gebiet war im Wesentlichen noch der
alte Grafschaftsbezirk des Pusterthalgaues, d^ nach Abtrennung
des Exemptionsgebietes von Innichen sich bis in diese Zeit
ungetheilt erhalten hat. Anders war entschieden das Schicksal
des Lumgaues, der im Laufe des 11. Jahrhunderts in kleinere
Bezirke sich schied,* wenn nicht etwa schon früher, denn wir
sehen hier gleichzeitig mehrere Grafen auftreten: neben dem
schon genannten Meginhart und noch einen zweiten dieses
Namens, zwei Udalschalke und Adalberte. Sie sind wohl alle
als Sprossen desselben Stammes, als Nachkommen Otwins anzu-
sehen. Der gegen Ende des 11. Jahrhunderts erscheinende
M^inhard ist sehr wahrscheinlich des älteren Sohn, denn auch
er tritt im westlichen Theile des Lumthaies, im Oberpuster-
thale, auf.' Die Udalschalke hingegen gehören dem östlichen
Lurngaue, Oberkämten, an.
Im Lumfelde und in Oberkämten überhaupt begegnet
uns in dem Zeiträume von 1060 — 1090 wiederholt ein Graf
Odalscalch (I.), der' zugleich des Bischofs von Brixen Vogt da-
selbst ist und Besitz im Möllthale hat, in dessen Grafschaft der
Ort Malantin liegt.* Um 1126 hat bedeutenden Besitz in dem
Thale Malentina ein Graf Adalbero, dessen Vater Graf Udal-
schalk heisst,*^ imd ein Graf dieses Namens tritt als erster
Zeuge in einer Tradition Brixens unter Bischof Hugo (ca. 1100
bis 1125) auf.^ Es ist wohl beide Male die nämliche Persön-
lichkeit und kaum jemand Anderer als der gleichnamige Sohn
oder Neffe des obgenannten Udalschalk, Grafen im Lumgaue.
Auch die beiden Stellen in zwei Urkunden Herzog Heinrichs H.
von Kärnten fiir das Kloster St. Lambrecht, in deren einer ein
Graf Udalschalk mit seinem Sohne Chunrad, in deren anderer
» Mon. Boic. 29 a, 216. St. 2913,
* O. Redüch, Die Traditionabücher, Nr. 274. 292.
* Ibid. Nr. 90. 91. 292.
* Ibid. Nr. 168. 216. 232. 261. 274. 29S. 304. J. Zahn, Cod. dipl. Austr.
Fris. io Font. rer. Austr. Dipl. 31, 82.
* Mon. Boic. 4, 619. 620.
' 0. Redlich, Die Traditionabücher, Nr. 409.
442
ein Graf Udalschalk allein Zeugschaft leistet, sind sehr wahr
scheinlich hieher zu ziehen.^ Graf Udalschalk (11.) war mit
seiner Gemahlin Adalheid erster Stifter des am Inn nördlich
von Schärding gelegenen Chorherrenstiftes Suben, ihr Sohn
Altmann, nachmals Bischof von Trient (1124—1149), Vollender
dieser Stiftung und Graf Adalbero ein grosser WohlthÄter der-
selben. Damach war ihre Familie reich in Oberösterreich be-
gütert, wo die nachmals im Besitze des Stiftes Suben befind-
Hchen Meierhöfe, Mühlen, Weiden, Waldungen und Fischereien
wohl grösstentheils von ihr herrühren werden,* aber entschieden
noch mehr südlich von den Tauem, in Kärnten und Steiermark.
Da gaben Graf Udalschalk und seine Söhne Bischof Altmann
und Graf Adalbero das Prädium und die pfarrlichen Rechte
zu Malentein, die Stammburg Hohenburg, Zehente zu Meichin-
stein, Rusimche und Rakamche (Meisselding, Russbach oder
Raisach und Rangersdorf im Gurker Sprengel?) in Kärnten,
die Pfarrkirche St. Margarethen zu Hengist (St. Lorenz zu
Hengsberg bei Wildon) und dazu einen Edelhof mit Leib-
eigenen und Weinbergen und allen nutzbaren Rechten, selbst
Jagd und Fischerei, dann Liegenschaften und Renten in den
Dorfschaften Seding und Berendorf, zu Lebring und Ekken-
berg, zu Stammerek und Rossnitz, um Lelbnitz, in Absberg,
zu Sulm und Schwarzach und an anderen Orten der Steier-
mark; Udalschalks Gemahlin Adelheid spendete die Kirche zu
Kolmitz in Kärnten. ' Es ist wohl nicht reiner Zufall, wenn bei
diesen und ähnlichen Schenkungen an Suben Männer als
Zeugen oder sonst mitwirken, die als Angehörige oder nahe
Verwandte des Aribonenhauses anzusehen sind, wie Friedrich
Graf von Tengling, Dietrich Graf von Wasserburg und Mark-
graf Engelbert von Kraiburg. Diese Beziehungen, insbesondere
aber der reiche Besitz im Lurngaue, gestatten wohl den Schluss,
dass Altmanns Familie ein Zweig des Geschlechtes Otwins und
zugleich des Aribonenhauses sei, das ja auch an denselben
Orten Kärntens sich begütert zeigt.
Gegen Ende des 11. Jahrhunderts taucht im östlichen
Lumgaue neben Altmanns Familie noch eine zweite auf und
^ J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 110. 112.
« Mon. Boic. 4, 617. 619 f. 521. 623. 626.
' R. y. Koch-Stemfeld, Die Chorherrenpropstei Suben in Abhandl. der bist
Cl. d. k. b. Akad. d. Wissensch. (1848) 5, 3, löflf. 31. 38. Mon. Boic. 4, 517flf.
443
erscheint im Besitze des Schlosses Ortenburg^ das sie woh]
auch erbaut haben mag, und womach sie sich nennt: es sind
die Ortenbui^er, die ich als die älteren dieses Namens be-
zeichnen möchte, weil sie nach meinem Dafürhalten ganz ver-
schieden jsind von den seit der Mitte des 12. Jahrhunderts da
ansässigen Grafen. Wie ich später zeigen werde, kommen die
Spanheimer, von denen die jüngeren Ortenburger ein Zweig
sind^ erst nach der Mitte des 11. Jahrhunderts nach Kärnten
und nicht schon anfangs, wie Tangl und Witte annehmen, und
der Name, den die beiden bekannten Ortenburger aus dieser
Zeit führen, kommt bei jenen gar nicht vor, weder damals
noch später; es ist aber eine dem Aribonenhause nicht fremde
Bezeichnung, und ein Zweig dieses Hauses ist es auch, mit
dem diese älteren Ortenburger gleichzeitig und am gleichen
Orte auftreten: die Görzer Grafen. Ein Adalbert von Orten-
burg erscheint neben dem Markgrafen Dietpold (von Vohburg)
und ein paar anderen Edlen als Zeuge einer Urkunde Kaiser
Heinrichs IV. für die Kirche von Aquileja, ^ und ein Adalbert
und sein gleichnamiger Sohn sind von dem Markgrafen Ulrich I.
von Istrien mit den Schlössern Cemogrado und Belligrado,
beide bei Rozzo in Istrien, belehnt.* Tangl hält diese beiden
Adalberte für Grafen von Tirol, vorzügHch weil Bellograd im
Besitze der Gräfin Adelheid von Tirol, der Tochter des letzten
Tiroler Grafen Alberts HI. (IV.) und Witwe Meinhards IH. von
Görz-Tirol, ist. ' Allein er übersieht, dass das nämUche Schloss
im Jahre 1150 nicht, wie es zufolge seiner Annahme sein
müsste, in den Händen eines Grafen von Tirol, sondern in
denen Graf Engelberts II. von Görz ist* Es kann also erst
später an die Tiroler Grafen gekommen sein, und dies war
vermuthhch bei einer der Heiraten zwischen beiden Grafen-
familien der Fall. Gerade derselbe Umstand ist mir jedoch
zugleich ein Beweis für die nahe Verwandtschaft der Adalberte
mit den Görzem und das Erlöschen ihrer Familie, sowie ein
weiterer Anhaltspunkt für die Behauptung, dass diese Adal-
^ H. Wartmann, St Gallener Urkundenbuch 3, 38 Nr. 823. F. Schumi,
Urknnden und Begesten 1, 67 Nr. 69. St 2919.
' F. Schumi, Urkunden und Regesten 1, 73 Nr. 67.
* K. Tangl, Die Ortenburger 241.
* De Rubeis, Mon. eccl. Aquil. 671. F. Schumi, Urkunden und Regesten
1, 104.
444
berte nicht die Vorgänger der späteren Ortenburger gewesen
sein können. Für einen Görzer müssen wir wohl auch jenen
Meginhardos halten, den Markgraf Ulrich I. als seinen Vasall
unmittelbar vor den beiden Adalberten nennt^ wie den Zeugen
Heinricus de Qorizia.^ Ob die älteren Ortenburger n-uch den
Grafentitel gefUhrt haben, ist unbekannt, ihre adelige Abkunft
hingegen durch die Stelle unter den Zeugen sichergestellt, und
jedenfalls hätte der Mangel des Titels nichts Auffälliges an sich,
da ihn in denselben Urkunden die Görzer auch nicht fiihren.
Ein Sprosse dieser Familie dürfte auch jener Graf Emest sein,
der eine Uebergabe zweier Bauernhöfe zu Reischach durch
Bischof Ellenhard von Freisingen an das Stift Brixen mit den
Grafen Meginhard und Ger bezeugt* und um das Jahr 1060
noch in einer zweiten Urkunde desselben Bischofs als Zeuge
neben einem Egilpreht, Hartnit, Odalschalk, Marchwart, Megin-
hart, Ger und Anderen bei einem Vergleiche mit dem Erz-
stifte Salzburg betreffs Zehents von Gütern zu Wörthsee, Katsch,
St. Peter im Holz u. a. in Kärnten und Steiermark erscheint. ' Die
Orte und Namen der Mitzeugen erinnern sehr an das Aribonen-
haus. Noch sicherer könnte man den eben genannten Grafen Ger
hieher rechnen, der im Pusterthale begütert ist, * wenn er nicht
der Stammvater der Grafen von Heunburg sein sollte, wie
V. Ankershofen meint.
Drängen also die Besitzverhältnisse, die Namen und Be-
ziehungen der beiden eben behandelten Familien, der Familie
Bischof Altmanns oder Udalschalke so gut wie jener der Adal-
berte oder Ortenburger, zur Annahme naher Verwandtschaft
mit den Grafen von Görz, so bleibt doch hiebei ein wichtiger
Punkt dunkel, nämlich warum nach dem Erlöschen jener nicht
diese deren Erben geworden. Die Ortenburger müssen, wenn
meine Annahme richtig ist, um dieselbe Zeit wie die Familie
Altmanns ausgestorben sein, jedenfalls vor der Mitte des
12. Jahrhunderts. Da hätte man erwarten sollen, dass die
Görzer in ihren Grafschaften und in ihren sonstigen Lehen,
Eigengütem und Vogteien ihnen nachgefolgt. Kann dies be-
^ F. Schami, Urkunden and Regesten 1, 73. 76.
« J. Zahn, Cod. dipl. Anrtr. Fris. in Font rer. Außtr. Dipl. Sl, 85. F. A. Sin-
nacher, Beiträge 2, 436 ff. 676 Nr. 96. ReschjAetasmillen. eccl. Intic, S. 97.
» J. Zahn, Cod. dipl. Austr. Fris. in Font. rer. Austr. Dipl. 81, 81.
* O. Redlich, Die Traditionsbücher, Nr. 241.
445
züglich der AUodien, vielleicht auch einzelner Vogteien und
Lehen der Fall gewesen sein^ so fielen die Qrafenlehen ent-
schieden nicht ihnen zu, denn in deren Besitz treffen wir in
der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eben einen Zweig der
Spanheimer, ja selbst des Schlosses Ortenburg. Diese befremd-
liche Erscheinung lässt sich nur aus den poUtischen Ereignissen
der Zeit erklären. Die ersten Spanheimer sind bekanntUch
entscliiedene Anhänger der päpstUchen Partei und also der
Gegenkönige Kaiser Heinrichs IV., namenthch seines Sohnes
und Nachfolgers Heinrich V., und diesem verdanken sie die
Erhebung auf den Herzogsstuhl von Kärnten, ihm oder seinem
Nachfolger vielleicht auch die Belehnung mit den Lehen der
äheren Ortenburger. ^
Dass die Grafen von G^rz AbkömmUnge des Grafen Otwin
und der frommen Wichbui^ sind, gilt schon lange für ausge-
macht. Schon Coronini vertrat diese Ansicht,* und sie erfuhr
seitdem keinen ernsten Widerspruch. In der That sprechen die
Besitzverhältnisse, die PoUtik und die Namen der Görzer Grafen
sehr für dieselbe. Ihr Hauptbesitz und wohl erster zugleich ist
eine Grafschaft im westlichen Lurngaue im heutigen Ober-
pusterthale, zugleich sind sie Vögte des von dem Aribonen
Aribo n. gegrtlndeten Klosters Milstatt und haben in dessen
Umgebung viele Güter. Ihre PoUtik, namentlich seit dem
13. Jahrhundert, ist auf den Erwerb von Gebieten in Tirol ge-
richtet, wo ja Graf Otwin das Pusterthal und sein Sohn Engel-
bert auch noch die Grafschaft des Eisackthales innehatten.
Doch filiher gelingt es ihnen, jenen Grafschaftsbezirk in ihre
Gewalt zu bringen, der ihrer Familie den Namen gegeben hat,
die villa Gonza und das um sie gelegene Land am unteren
Isonzo. Dieser Ort erscheint noch im Zeiträume von 1070 bis
1080 als ein Bestandtheil des comitatus Foriulanensis und zu-
gleich des Königreiches Italien,' und vor dem Jahre 1077, wo
Kaiser Heinrich IV. dem Patriarchen Sigehard von Aquileja
die Grafschaft Friaul und die villa Lunzaniga (Luöenik zwischen
Cormons und Görz) schenkte,* gab es sicherlich keine Graf-
^ S. Riezier, Geschichte Baierns 1, 550. Vergl. F. M. Mayer, Die östl.
Alpenlftnder im Investiturstreite 170 ff.
* Gr. Coronini, Tentamen geneal. 63 ff.
' O. Redlich, Die Traditionsbticher, Nr. 240.
* F. Schumi, Urkunden und Begesten 1, 61 Nr. 51.
446
Schaft Görz.^ Diese kann schon ihrer geringen Ausdehnung
nach* keine alte Grafschaft sein, sondern ist nur eine Theil-
grafschaft. Daher kann auch der Titel eines Grafen von Görz
kaum vor dem genannten Jahre bestanden haben, denn es ist
nicht anzunehmen, dass die reichen Eppensteiner von dem Orte
Goriza sich so genannt haben sollten. Sie beduriten es begreif-
Ucherweise umsoweniger, als sie Markgrafen von Krain und
Istrien und selbst Herzoge von Kärnten wurden.' Aber kaum
zu bezweifeln ist es, dass Marquard und Heinrich von Eppen-
stein die ersten Grrafen von Görz gewesen sind, wenn sie auch
diesen Titel nie gefuhrt haben sollten. Doch gewiss hatten sie
so wenig wie ihre Nachfolger die Grafschaft vom Reiche zu
Lehen, sie waren vielmehr damit vom Patriarchen von Aquileja
belehnt, der wie andere Kii'chenfürsten die Grafschaft Friaul
in Theilgrafschaften getheilt und diese einzeln vergeben haben
mag. So erklärt sich auch die Entstehung des Namens Graf-
schaft Görz ganz einfach. Warum die neuen Inhaber derselben
von ihr den Namen angenommen, ist schwer zu ermitteln,
jedenfalls verstattet dieser Umstand den Schluss, dass ihnen
der neue Erwerb sehr werthvoll gewesen. Meine Vermuthung
geht dahin, dass zuerst ein jüngeres Mitglied der Grafen des
westlichen Lurngaues in den Besitz der neuen Grafschaft ge-
kommen und davon sich benannt, dann aber auch die Graf-
schaft in jener Gegend geerbt und den einmal angenommenen
Namen nun beibehalten habe. Solche Fälle sind nicht gar
selten, den nächstliegenden bieten gerade die Grafen von Orten-
burg aus dem Geschlechte der Spanheimer, die ja, wie wir
sehen werden, diesen Namen auch in Baiem beij)ehielten. Die
Grafen von Görz haben diesen Namen bekanntlich auch nicht
abgelegt, als sie den Titel Pfalzgrafen von Kärnten annahmen*
und ihre Besitzungen in Kärnten und Tirol weit bedeutender
wurden, denn ihre Machtstellung im Küstenlande; nur ver-
legten sie nun ihren Hauptsitz nach Lienz, also wieder nach
jenem Punkte, von dem sie ausgegangen waren. Bei diesem
^ y. Czoemig, Das Land Görz 489. Seine Ansicht scheint mir unhaltbar;
sie beruht auch nur auf sehr unsicherem Materiale.
* G. V. Coronini, Tentameu geneal. 16 f.
' U. Wahnschafife, Das Herzogthum Kärnten 64 ff.
* G. V. Coronini, Tentamen geneal. 63. v. Czoemig, Das Land GOrz 499.
447
Wechsel mögen alte Erinnerungen mitgewirkt haben, vielleicht
aach bei der Annahme des Pfalzgrafentitels.
Als Ahnen der Grafen von Görz, die diesen Zweig des
Gescblechtes Otwins begründet haben, können mit ziemlicher
Sicherheit der obenerwähnte Graf Meginhart und seine Ge-
mahlin Mathilde gelten, die gleichzeitig mit Graf Engelbert au^
treten,^ als deren Sohn oder NeflFen ein im letzten Viertel des
11. Jahrhunderts lebender Graf gleichen Namens.* Diesen
möchte ich für identisch mit dem oberwähntien Lehensmanne
des Markgrafen Ulrich 11. (1102) und fUr einen Bruder des in
derselben Urkunde auftretenden Zeugen Heinricus de Gorizia
halten und in Letzterem den ersten Grafen von Görz sehen.'
Seine Söhne waren wohl dann die Brüder Engelbert und Mein-
hart, ^ von denen der Letztere im Jahre 1122 zum ersten Male
mit dem Grafentitel genannt* und im Jahre 1136 als Vogt von
Aqoileja bezeichnet wird. Nachfolger der Eppensteiner im
Besitze der Grafschaft Görz wurde er jedoch sehr wahrschein-
lich schon sogleich nach der Erhebung des Heinrich von Eppen-
stein, Markgrafen von Istrien, auf den Herzogstuhl von Kärnten
im Jahre 1090,^ und dass er und seine Nachkommen die Graf-
schaft Görz vom Patriarchen zu Lehen trugen und auch noch
andere Lehen von diesem, insbesondere auch die Stiftsvogtei,
hatten, ergibt sich nach meinem Dafürhalten ganz unzweifelhaft
aas den Verträgen der Jahre 1150 und 1202 zwischen dem
Patriarchen und ihren Vögten. Nach dem ersteren war Graf
Engelbert II., Meinhards I. Sohn, unzweifelhaft vom Patriarchen
Pilgrim I. mit der Vogtei über des Stiftes Güter in Friaul be-
lehnt, und da er für den Fall seines kinderlosen Absterbens
* O. BedUch, Die Traditionsbilcher, Nr. 72. 90. 91. J. Zahn, Cod. dipl.
Aastr. Fris. in Font. rer. Anstr. Dipl. 31, 82. 86. A. Eichhorn, Beyträge
zur Topographie Oberösterr. 1, 178.
« O. RedUch, Die Traditionsbücher, Nr. 228. 292.
' J. Schumi, Urkunden und Eegesten 1, 7ö. Der in den Jahren 1066 bis
1080 auftretende, in Kärnten und Friaul begüterte quidam Henricus no-
bilissima prosapie ortus ist nicht ein Görzer, wie O. Redlich meint
(Nr. 228. 240 a), sondern sicherlich Heinrich von Eppenstein, Bruder des
Herzogs Liupold von Kärnten, nachmals Markgraf von Istrien. (VergL
T. Czoemig, Das Land Görz 494).
* J. Schumi, Urkunden und Regesten 1, 80.
' De Rubeis, Mon. eccl. Aquil. 559.
* ▼. Czoemig, Das Land Görz 490.
448
dem Stifte die Orte (Schlösser") Belgradum^ Prissinicum (Bris^iki
Bezirk Sezana) und Goritia sammt Zugehör zu überlassen ver-
sprechen muss, so kann doch letzteres nur sein Eigenthum
oder ein aquilejisches Lehen sein, denn ein reichsunmittelbares
Gebiet konnte er ohne Zustimmung des Reichsoberhauptes doch
unmöglich vergeben. Und wohl nur als seinen Vasallen konnte
ihn der Patriarch vor sein Lehengericht citieren.^ Noch viel
deutlicher lässt das Verhältniss beider Fürsten die zweite Ur-
kunde, der Vertrag vom 13. December 1202, erkennen. Die
entscheidende Stelle derselben lautet: ,Comites quidem de Go-
ritia debent habere castrum de Goritia cum omni proprie-
täte, servis et ancillis et omni iure ad ipsum pertinente, mini-
sterialibus exceptis, et castrum de Mosburg cum omni iure
et Proprietät e, servis et ancillis, ab ecclesia Aquilegiensi in
feudum, ita quod tam masculi quam feminae in idem equaliter
succedant. Et si ipsi aut eorum heredes aUquo tempore sine
berede decederent, praedictum castrum de Goritia cum omni
jure et proprietate hominum in possessionem, exceptis ministe-
rialibus, et castrum de Mospurg cum ministerialibus et omni
familia ac proprietate pertinente ad ipsum libere et integre ad
Aquilegensem devolvi debet ecclesiam/ Es steht nach meinem
Erachten ausser Frage, dass man den Ausdruck ,in feudum^
auf beide Schlösser zu beziehen habe, auf Goritia so gut wie
auf Mospurg, denn ,in feudum habere' ist eine häufige Phrase,
bei welcher der Plural ,feuda' öfters nicht vorkommt, auch wenn
es sich um mehrere Lehen handelt; der Ausdruck ,cum pro-
prietate' betrifft nicht den ganzen Besitz, sondern nur einen
Theil und steht bei Mospurg ebenso wie bei Goritia, und
ersteres ist ganz sicher ein Lehen. Der Vertrag verlangt aUer-
dings seiner Entstehung nach eine den Görzer Grafen günstige
Auslegung, aber es war doch gewiss eine bedeutende Begün-
stigung für sie, wenn der Patriarch ihnen die Erblichkeit der
Lehen für beiderlei Geschlecht gewährte; die weibliche Folge
in den Lehen war doch auch in diesen südlichen Gegenden
damals nicht allgemein durchgedrungen.* Den Ausdruck ,in
feudum' hat wohl der Bezug auf die genannte Phrase statt des
genaueren ,in eadem feuda' veranlasst. Das Verhältniss der
^ De Rubeis, Mon. eccl. Aquil. 571 f.
» Ibid. 644 f. Vergl. v. Czoernig, Das Land Görz öOo f. u. Anm. 3.
449
Grafen von Görz znm Stifte Aquileja ist offenbar das näm-
liche^ wie das der Grafen von Tirol in jener Zeit zum Stifte
Trient. Scheint mir darüber kein ernster Zweifel möglich, so
bleiben wir dagegen über die Gründe des Ueberganges der
Gtrafschaft Görz von den Eppensteinem auf die Görzer ganz
im Dunkel, und es lässt sich nur vermuthen, dass jene zu
Ghinsten dieser verzichtet haben könnten, weil sie vielleicht in
weiblicher Linie verwandt waren. Diese Annahme erklärte
auch am einfachsten den Besitz einzelner Burgen und Güter in
Friaul durch beide Familien, fllr den manche Anhaltspunkte
voriianden sind, wie der Güter zu Belgrado(?), Codroipo, Castel-
Duovo und Latisana.^ Dass um 1138 Görz wie Moosburg in
Kärnten als Aquilejer Lehen in einem Vergleiche zwischen Graf
Meinhard von Görz und dem Patriarchen Peregrin von Aquileja
ausdrücklich anerkannt werden, mag noch erwähnt sein,* wie
andererseits der Verzicht der Grafen Meinhard und Heinrich,
Vaters und Sohnes, auf die Vogtei über Güter des Klosters
St Stephan in Görz, in Predemano, Terenzano und Camia, wo-
f^ sie 24 bisher daselbst als Lehen besessene Hüben, nebst
dem Marktzolle zu S. Daniele, zu Eigen erhielten.* Die ersten
Grafen von Görz müssen aber südwärts der Alpen, in Friaul,
Erain und dem Küstenlande noch bedeutenderen Besitz erlangt
haben, darauf lässt die Erwerbung der Vogteien über Be-
aitzungen des Bischofs von Belluno und über die Abtei von
Moggio,* die Abtretung von 30 Mausen im Karstgebiete an
den Patriarchen Pilgrim I. durch Graf Engelbert H. im Jahre
1150 zum Ersätze zugefügten Schadens^ und die Erwähnung
eines ,Meinhard Graf von Istrien*, unter dem wohl kein Anderer
ab ein Graf von Görz (Bruder oder Sohn Engelberts H.) ge-
dacht werden kann,^ mit ziemlicher Sicherheit schliessen. Er-
heblich vergrössert mag dieser Besitz durch die Vermählung
des Grafen Engelbert HI., des Sohnes Engelberts H., mit der
^ ▼. Czoernig, Das Land G0rz 492.
' ▼. Ankershofen, Urkunden und Regesten, Nr. 241 (Archiv 5, 217).
* De Bubeis, Mon. eccl. Aqnil. 667.
* y. Cxoemig, Das Land Gön 499.
^ De Rabeis, Mon. eccl. Aqnil. 571.
* Ughelli, Ital. sacr. 5, 64. De Rnbeis, Mon. eccl. Aqnil. 675. t. Hor-
mayr, Bejträge Ib, 103 (echt?). Neustifter Archiv VVj. Th. Mairhofer,
Urkundenbuch 37.
ArckiT. LUXIlLBd. II. H&lfte. 30
450
Tochter Bertholds III. von Andechs^ Markgrafen von Istrieu
seit 1173,* Mathilde Gräfin von Pisino, worden sein, schon
ihre Bezeichnung weist darauf hin, und in der That sind die
Grafen von Görz im 13. Jahrhundert in Istrien stark begütert.
Doch dürfte der grössere Theil der neuen Erwerbungen da-
selbst erst nach dem Erlöschen des Hauses der Andechser im
Jahre 1248, wenn nicht schon nach der Aechtung des Mark-
grafen Heinrich IV., erfolgt sein.* Jedenfalls wurde aber die
Machtstellung der Görzer im 13. Jahrhundert nördlich von den
Südalpen und in denselben bedeutender als hier, und daher
sehen wir sie auch nun wieder häufiger dort sich aufhalten
und seit der Mitte dieses Jahrhunderts die Residenz wieder
dahin verlegen.
Im Lumgaue muss um die Wende des 11. und 12. Jahr-
hunderts zunächst ein Rückgang der Macht der Görzer einge-
treten sein, denn ausser dem herzoglichen Geschlechte der
Eppensteiner sehen wir hier noch die Grafen von Lechsge-
münde und Frantenhausen begütert Heinrich Gi'af von Lechs-
gemünde gibt an Bischof Hugo (1100 — 1110) von Brixen das
Schloss Neuenburg bei Leisach,' Chunrad Graf von Lechsge-
münde an Neustift eine Hube in Tefereggen (1160),* Graf
Dietpold von Lechsgemünd mit seinem Bruder Heinrich und
seiner Mutter Liucarde schenken Güter ebenda an dasselbe
Kloster,* Heinrich allein einen Mansus,* Heinrich Graf von
Frantenhausen eine halbe Hube zu Amblach.'^ Um dieselbe
Zeit erscheinen die Grafen von Lechsgemünde im Besitze der
Schlösser Windisch-Matrei und Lengbei^, und ein Zweig des
Geschlechtes hat sich hier und in dem benachbarten Baiem
und Salzburg vorzüglich aufgehalten; der Titel eines Grafen
von Windisch-Matrei ist aber erst fiir das Jahr 1197 nachweis-
bar.* Was jedoch im Iselthale die Grafen von Görz im 12. Jahr-
hunderte verloren, das ersetzten sie jedenfalls reichlich schon
* F. E. Oefele, Geschichte der GrafeD Ton ÄDdechs 29 Nr. 36.
« Ibid. 96 ff.
» O. Redlich, Die Tniditionsbücher, Nr. 414.
* Th. Mairhofer, Urkundenbnch, S, 27 Nr. 7ö.
» Ibid. S. 34 Nr. 101, S. 36 Nr. 108.
* Ibid. S. 35 Nr. 106.
* V. HonnAyr, BeytrS^ 1 b, 70.
* F. A. Sinnacher, Beiträge 3, 632. 667.
451
damals oder im 13. Jahrhundert durch neuen Erwerb oder
Wiedererwerb des Verlorenen. Um das Jahr 1137 wird Graf
Engelbert II. Vogt der Abtei Milstatt genannt, und ist somit
schon die Schutzherrlichkeit über diese Stiftung der Aribonen
an sein Haus gekommen;^ um 1138 hat Graf Meinhard I. Moos-
burg bei St. Veit von Aquileja zu Lehen* und führt zuerst
den Titel eines Pfalzgrafen von Kärnten. ' Dass die Feste
Moosburg zur Pfalzgrafschaft Kärnten gehöre, sagt Johann von
Victring, ein Schriftsteller des 14. Jahrhunderts, ausdrücklich.*
Freilich ist schwer begreiflich, wie dann dieselbe ein Lehen
eines ausserhalb des Landes residirenden Kirchenfttrsten hat
werden können, und jedenfalls waren die Görzer und Patriarchen
hier nicht im ausschUesslichen Besitze, wie man erwarten sollte.^
Die Görzer hatten überdies nachweisbar Güter oder Ministe-
rialen zu Liesing,^ zu Namplach und Sagriz bei Winklem' in
Oberkämten, zu Eberstein nordöstlich von Klagenfurt,® und zu
ihren Dienstleuten zählten sicher schon damals, ausser den
Herren von Moosburg und Eberstein und den Burggrafen von
Lienz, noch die von Nidekke, von Flaschberg und Falken-
stein,* wahrscheinlich auch die von Rotenstein, Schärfenberg,
Spengenberg und Gesiess. ^^ Neudeck liegt nordöstlich von
Friesach, Flaschberg bei Oberdrauburg, Falkenstein und Roten-
stein bei Feldkirchen in Kärnten und Gesiess im Pusterthale,
Spengenberg ist mir unbekannt. Der Friede von S. Quirino
stärkte insofeme die Stellung der Görzer in Kärnten, als nun
das Schloss Moosburg, das im Vertrage vom Jahre 1150 blos
auf Lebenszeit an Engelbert II. überlassen worden war, als
aquilejisches Lehen ftlr immer den Görzern verblieb. ^^ Wie
bedeutend die Machtstellung unserer Grafen bis zum zweiten
V. Ankerebofen, Urkunden und Kegesten, Nr. 236 (Archiv 6, 215).
Ibid. Nr. 241 (Archiv 5, 217).
V. Czoemig, Das Land Görz 499.
F. Boehmer, Fontes 1, 321.
J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 150 Nr. 143.
Ibid. 1, 316 Nr. 322.
J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 335 Nr. 347. 1, 860.
V. Ankerehofen, Urkunden und Regesten, Nr. 385 (Archiv 8, 337)
J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 360. 402.
A Meiller, Salzburger Regesten 255 Nr. 386.
De Rubeis, Mon. eccl. Aquil. 644.
30*
452
Drittel des 13. Jahrhunderts in Oberkärnten geworden war,
bezeugt deutlich der Vertrag, den im Jahre 1234 Patriarch
Berthold von Aquileja mit dem Grafen Meinhard HI.; seinem
Neffen, schloss, da ihm darin der Patriarch das Geleitsrecht
fUr alle über den Kreuzberg Reisenden zugestehen und ihm
das Geleitsgeld aller Reisenden aus Baiem und über den
Tauem ganz, von den Reisenden aus Oesterreich, Steiermark
und E^ämten aber ein Drittel überlassen muss.^ Zum Haupt-
sitze ihrer Macht wurden die Besitzungen und Rechte der
Görzer im alten Lumgaue aber erst wieder, als ihre wieder-
holten Eheverbindungen mit den Grafen von Tirol sie zu Erben
eines grossen Theiles des Nachlasses des letzten Grafen von
Tirol, Alberts HI. (IV.), machten.
Das Dunkel, das über dem Ursprünge der Grafen von
Tirol lagert, ist sehr schwer zu lichten, und darum weichen
auch hierüber die Ansichten der Genealogen und Historiker
stark von einander ab. Wagen die vorsichtigeren älteren Forscher
über die Mitte des 12. Jahrhunderts nicht viel zurückzugehen,
wie Fröhlich und Gebhardi, so leitet v. Hormayr sie ohne Be-
denken von jenem Grafen Hunfried ab, der als Nachfolger der
Praesides Rhaetiae auftritt, * und Graf Coronini macht wenigstens
einen schüchternen Versuch, sie mit den Grafen von Görz in
nahen Zusammenhang zu bringen.' Eine ganz andere Ansicht
vertritt J. Ladurner, der in ihnen ein erst im Anfange des
12. Jahrhunderts in den Grafenstand eingetretenes Geschlecht
sehen will,* und seine Annahme hat A. Huber für beachtens-
werth gehalten.* Allein damit finde ich den Umstand schwer
vereinbar, dass die Grafen von Tirol schon bei ihrem ersten
Auftreten in Tirol sehr bedeutend und mächtig erscheinen.
Für den ersten derselben darf wohl mit ziemlicher Sicherheit
jener Graf Adalbert gelten, der in den Jahren 1070 — 1080 in
der Brixner Gegend auftritt; denn nicht allein sein Name, auch
andere Momente weisen auf dies Geschlecht hin, wie sein
Grafschaftsbezirk, seine Besitzverhältnisse, seine Beziehungen
^ J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 2, 419 Nr. 317.
* V. Hormayr, Sämmtliche Werke 1, 318. 341.
' Gr. Coronini, Tentamen geneal. 145 f.
* J. Ladurner, Etwas über die ursprünglichen Grafen von Tirol im Archir
für Geschichte Tirols 4, 187 ff.
^ A. Huber, Die Entstehung der weltlichen Territorien, S. 31.
453
zam Stifte Brixen. Der geringe yon ihm bekannte Besitz liegt
gerade da, wo später auch die Grafen von Tirol begütert sind.
Sein Grafschaftsbezirk war sehr ausgedehnt und umfasste das
ganze Eisackthal bis zum Tinne- und Breibache und das
mittlere Innthal von der Mellach bis zum Ziller, denn in seiner
Grafschaft liegen die Orte Eolsass und Terfens im Innthale
wie Stilfes im Wippthale;* er waltete seines Amtes als Graf
bei einem Tausche von Gütern auf dem Rodenecker Berge*
und bei Schenkungen von Unfreien ' und Gütern zu Mauls und
Viln58S^ und schenkt selbst einen Unfreien und Gut an Brixen.^
Das8 bei all' diesen Stellen an einen und denselben Mann zu
denken sei, wie O. Redlich in seinem Register^ annimmt, oder
wenigstens an Vater und Sohn desselben Namens, ist wohl
nicht zu bezweifeln; man könnte allenfalls nur gegen zwei
Stellen Bedenken hegen, von denen die eine Adalbert als
,Brixinensi8 ecclesie comes quidam nobiUtatem sortitus',^ die
andere seine Witwe als ,vidua quaedam nobiUtaten sortita Adal-
heit** bezeichnet. Allein der Ausdruck ,nobilitatem sortitus'
(oder ,8ortita') findet sich, wie der ähnliche ,Ubertatem sortitus',
in den Brixner Traditionen ziemlich häufig^ und ist, wie schon
die Beifligung ,ingenitam^ deutUch zeigt, einfach identisch mit
den sonst gewöhnlich vorkommenden Beiwörtern ,nobilis' und
,ingenuus^ Dass bei den späteren Stellen nicht an einen Edel-
mann oder gar Ministerialen, der erst Graf geworden, zu denken
sei, ergibt noch in einer derselben sein Platz an der Spitze
zweier Grafen und Grafensöhne, ^^ denn die da dem Adalpreht
comes unmittelbar folgenden Zeugen Otto eiusque filii Chf nrath et
Gebeharth sind doch wohl nach der gewöhnlichen Rangordnung,
da ihnen Ödalrich comes folgt, filr Angehörige eines Grafen-
geschlechtes anzusehen und wahrscheinlich Grafen von Valai,
O. Redlich, Die Traditionsbücher, Nr. 278. 336. 393 a. 400.
Ibid. Nr. 482.
Ibid. Nr. 280. 843.
Ibid. Nr. 242. 264. 273.
Ibid. Nr. 273. 424.
Ibid. S. 273: Adalpreht comes.
Ibid. Nr. 424.
Ibid. Nr. 440.
Ibid. Nr. 277. 287.
Ibid. Nr. 432.
454
der ihnen nachgesetzte Odalrich comes ein Graf von Eppan.
Wenn aber bei allen angeflLhrten Stellen an den nämlichen Grafen
Adalbert oder an Adalbert I. und Adalbert IE., Vater und
SofaU; zu denken ist, dann haben diese das ganze grosse Gebiet^
das einst Kaiser Konrad 11. der Kirche Brixen geschenkt hatte^
zu verwalten und somit ihr Grafschaftsbezirk einen Umfang,
in dem mehrere gewöhnliche Grafschaften jener Zeit, wie z. B.
bairische, leicht Platz geftmden hätten. Noch viel bedeutender
müsste das erste Auftreten der Familie erscheinen, wenn man
zu ihr auch den gleichzeitigen Grafen des Vintschgaues, Ge-
rung,^ rechnen dürfte, wie Sinnacher,* welcher ihn flir identisch
mit dem ein paarmal als Zeuge auftretenden Grafen Gero hält
und in ihm den Stammvater der Grafen von Tirol sieht. Allein
einmal sind Gerung und Gero (Gerhard) zwei verschiedene
Namen, und dann gibt es nicht eine Spur eines Zusammen-
hanges zwischen Adalbert I. und 11. imd Gerung, ausser dass
der Ersteren Nachkommen im Besitze der Grafschaft Vintsch-
gau erscheinen.
Graf Adalbert 11. (I.) hatte einen Sohn gleichen Namens
ni. (n.), imd dieser ist zweifelsohne der nämliche wie der
erstere der beiden Brüder, die als die ersten Zeugen der
Stiftungsurkunde des Stiftes Neustift auftreten und ihre Zu-
stinmiung, zugleich mit dem Bischöfe und Stiftsvogte Arnold
von Greifenstein, zur Schenkung des Ministerialen Reginbert
von Sähen geben: der comites de Tirol Albertus et Perh-
toldus.* Die ausdrückliche Erwähnung ihrer Zustimmung zur
Schenkung des Bezirkes von Neustift an das Kloster spricht
ganz entschieden daftlr, dass sie hier gräfliche Rechte geübt
haben und also hierin die Nachfolger ihres Vaters geworden
sind; in solcher Eigenschaft lassen sie auch noch ein paar
andere Traditionen an das Stift Brixen und an das Kloster
Neustift erscheinen. * Doch eben der Umstand, dass sie in dem
langen Zeiträume von fast vierzig Jahren nur so selten auf-
treten, drängt andererseits wieder zum Schlüsse, sie seien ihrem
* Mon. Boic. 29 a, 199. 201. St. 2804. 2810.
> F. A. Sinnacher, BeytrSge 2, 438.
« Th. Mairhofer, N. Urkundenbuch, S. 2.
* O. RedHch, Die Traditionsbücher, Nr. 454. 468. 496. 512. Th. Mairhofer,
N. Urkundenbuch, S. 10 Nr. 19, S. 14 Nr. 36. A. Huber, Die Ent-
stehung etc. 32.
455
Vater nicht in dem ganzen grossen Grafschaftsbezirke gefolgt,
sondern dieser sei schon damals in zwei oder mehrere Theile
getheilt worden und jener Zustand eingetreten, der sich etwas
später sicher erkennen lässt. Jedenfalls ist ihre Stellung an
der Etsch schon vom Anfange an wichtiger gewesen als die
am Eisack und Inn. Darauf weist unverkennbar der Name
,Grafen von TiroP hin, der Berthold bei seiner ersten Er-
wähnung im Jahre 1141 gegeben wird.* Wie und wann das
Geschlecht in den Besitz des Schlosses Tirol gekommen, wie
und wann es die Grafschaft Vintschgau und einen Theil der
Grafschaft Bozen erlangt, und wie und wann es die Vogtei des
Stiftes Trient erworben habe, darüber lassen sich nur Ver-
muthungen anstellen. In der Grafschaft Vintschgau dürfte es
wohl dem Grafen Gerung unmittelbar gefolgt sein, jedenfalls
waren die Grafen Adalbert (HI.) und Berthold schon bei ihrem
ersten Auftreten in deren Besitz.* Die Vogtei über das Stift
Trient hat es sehr wahrscheinlich von dem Bischöfe Altmann
(1124 — 1149) erhalten, denn vor dem Jahre 1124 waren die
Grafen von Tirol sicher nicht Vögte von Trient, da der in den
Jahren 1101, 1106, 1111, 1112 und 1124 erscheinende Graf Adal-
bert, der auch Vogt von Trient genannt wird,» nicht zu ihrem Ge-
schlechte, sondern zu dem der Grafen von Flavon zu rechnen
ist; aber bei seiner ersten Erwähnung in den Tridentiner Urkun-
den im Jahre 1144 tritt Adalbert (HI.)? Graf von Tirol, in einer
Weise auf, dass er wohl schon die Würde eines Vogtes be-
kleidet haben muss; er bezeugt an erster Stelle zu Trient den
Schiedspruch des Bischofs in den Streitigkeiten zwischen den
Syndikem der Gemeinden Riva und Arco.* Nur in demselben
Sinne kann man seine Zeugschaft deuten in zwei anderen Do-
cumenten aus den Jahren 1161 und 1163, in deren einem
Bischof Adalpret von Trient die Herren Gumpo und Bonin-
signa mit zwei Bauplätzen beim neugebauten Schlosse Madruz
und mit der Hut dieses Schlosses belehnt,^ in deren anderem
jedoch der bischöfliche Lehenhof bei einer Gerichtssitzung auf
einer Wiese unterhalb Sigmundskron drei Sprüche fUllt, wo-
* C. Meichelbeck, ffistor/Fria. la, 322; Ib, 646 Nr. 1317.
* Goswin, S. 89. 67. Mon. Boic. 10, 15. 16.
* Bonelli, Notizie, 2, 374. 376. 879. 382.
* Ibid. 2, 389.
» R. Kink, Cod. Wang. 30. Bonelli, Notizie 2, 413.
456
durch Ulrich von Campo mit seinen Ansprüchen auf das Lehen
des Schlosses Stenico abgewiesen wird. ^ In dem letzteren steht
neben Adalbert sein Bruder Berthold an der Spitze der welt-
lichen Zeugen, worunter sich auch Graf Arnold von Greifen-
stein und die Brüder Eberhard I. und Arpo Grafen von Flavon
befinden. Den Titel eines Vogtes führt jedoch Adalbert bis zu
seinem im Jahre 1166 erfolgten Tode* nie und auch sein Bruder
Berthold erst gegen Ende seines Lebens,^ das um das Jahr
1181 eingetreten ist.* Als Brüder werden beide wiederholt be-
zeichnet,^ und sie scheinen sich so in die Verwaltung ihrer
Aemter und Güter getheilt zu haben, dass Adalbert mehr den
Angelegenheiten des Stiftes Trient und der Grafschaft Vintsch-
gau. Berthold dagegen mehr den anderen sich widmete. ® Adal-
bert flihrt im letzten Jahre seines Auftretens (1166) sogar den
Titel eines Podestk von Trient,'' aber noch in demselben Jahre
tritt Berthold bei zwei wichtigen Gerichtsverhandlungen zu
Bozen auf, die ihn nicht allein als Nachfolger seines Bruders
im Vogteiamte erscheinen lassen, sondern auch es wahrschein-
lich machen, dass damals bereits die Grafen von Tirol auch
einen Theil der Grafschaft Bozen in den Händen oder da
wenigstens erheblichen Besitz hatten. Da spricht einmal Bischof
Albert von Trient (1156 — 1177) Recht in einem Streite zwischen
dem Grafen Heinrich von Lechsgemünd und dem Kloster Rot
um daselbst gelegene Güter in Gegenwart der Fürsten Arnold
von Mareit und Berthold von Tirol® und dann (am 3. De-
cember) in einem Streite der eben genannten Grafen unter
einander wegen Zehente von Neugereuten in der Pfarre Zell
(Keller = Gries bei Bozen).* Sicher bezeugt ist freiUch der Be-
sitz eines Theiles der Grafschaft Bozen erst von Bertholds
Nachfolger, dem Grafen Heinrich von Tirol. Als dieser mit
1 R. Kink, Cod. Wang. 35. Bonelli, Notizie 2, 422.
* Bonelli, Notizie 2, 438.
3 Mon. Boic. 8, 418.
* Ibid. 7, 366.
* Th. Mairhofer, N. Urkundenbuch 2, 10 Nr. 19. Goswin 39. 67.
« C. Meichelbeck, Hiator. Fris. la, 322; Ib, 546 Nr. 1317; 562 Nr. 1348.
Mon. Boic. 1, 362; 7, 356. 358. 365; 9, 391. 566; 10, 15. 16. 27.
^ Bonelli, Notizie 2, 438.
* Ibid. 3 b, 28. Mon. Boic. 1, 362.
* J. Zahn, Cod. dipl, Anstr. Fria. in Font rer. Austr. Dipl. 31, 110.
467
dem Bischöfe Albert wegen Erbauung eines Schlosses auf einem
Hügel ober dem Dorfe (villa) in der Pfarre Terlan in Streit
gerathen war, entschied denselben Kaiser Friedrich I. (1184)
durch den Schiedspmch : wo immer zwei Grafen einen Graf-
schaftsbezirk gemeinschaftlich haben, kann der eine ohne des
andern Bewilligimg darin kein Schloss bauen. ^ Daraus erhellt
klar, dass der Bischof und Graf Heinrich in den Besitz der
Grafschaft Bozen sich theilten, und dass die Grafen von Eppan
daraus bereits verdrängt waren. Ob bei diesem üebergange
der Grafschaftsrechte von den Grafen von Greifenstein-Mareit
auf die Tiroler auch eine verwandtschaftliche Verbindung mit-
gewirkt und Graf Adalbert (HI.) eine Gräfin Mathilde von
Greifenstein zur Ehe gehabt, wie Hormayr annimmt,^ oder
nicht, lässt sich nicht sicher bestimmen; aber schwerUch wäre
dann schon Graf Berthold in den Besitz derselben gekommen,
da Graf Arnold von Greifenstein nicht um das Jahr 1170,
sondern wahrscheinlich erst um 1180 gestorben ist.* Ausser
Zweifel steht, dass obgenannter Graf Heinrich nicht ein Sohn,
sondern ein jüngerer Bruder des Grafen Berthold war und
diesem in den Grafschaften folgte,* und dass er einen Sohn
Namens Albert IV. (HL) hatte, den letzten der alten Tiroler
Grafen. *
» R. Kink, Cod. Wang., 8. ö3.
' V. Hormayr, Sämmtl. Werke 2, 78.
* Mon. Boic. 8, 428. 433. 435.
* Ibid. 7, 366. 866.
^ J. Ladurner, Albert III., S. 13. — Da Adalbert I. bereit« im Zeiträume
Ton 1070 — 1080 auftritt, Adalbert oder Albert (III.), der Letzte seines
Stammes, erst am 22. .Jnli des Jahres 1263 gestorben ist, so reichen drei
Generationen, Adalbert I., Adalbert II. und Adalbert oder Albert III.,
keineswegs bin, den langen Zeitraum (1070 — 1253) auszufüllen, selbst
wenn eine zweimalige längere vormundschaftliche Zwischenzeit anzu-
nehmen ist, wie mir sehr wahrscheinlich erscheint: nach Adalbert I. (II.)
und nach Heinrich. Man beseitigte bisher diese Schwierigkeit, indem
man Graf Heinrich zu einem Sohne Bertholds I. machte und ihm einen
Bruder Berthold H. gab, und reichte damit um so leichter aus, als man
den ersten Adalbert nicht so früh anzusetzen brauchte, wie nun, nach
O. Redliches Traditionsbüchem, es sein muss. Allein Heinrich kann
doch nicht ein Sohn Bertholds I. gewesen sein, denn er sagt in seiner
Tradition an Wessobrunn (1181) ausdrücklich, dass er den Weinberg zu
Riffian für sein und seines Bruders Berthold Seelenheil schenke, und
Berthold I., der sein Vater sein soll, muss um eben diese Zeit gestorben
458
Wie die Grafen von Tirol nach ihrem ersten Auftreten
nicht einem unbedeutenden Geschlechte entsprossen sein können,
sondern einem alten berühmten angehören müssen, so sind sie
auch viel wahrscheinlicher für ein ausländisches als einheimi-
sches zu halten. Dafür lässt sich zunächst geltend machen,
dass die ersten Tiroler Grafen trotz ihrer grossen Grafschaften
doch so wenig Eigengüter darin, allem Anscheine nach, be-
sitzen. Im mittleren Innthale sind nicht sie, sondern die Grafen
von Andechs und andere bairische Edle wie bairische Klöster
vorzüglich begütert. Im Eisackthale hat das Stift Brixen vor
Allem viele Allodien, dann einzelne bairische Edelgeschlechter,
wie die Grafen von Lechsgemünde, * in der Gra&chaft Bozen
gehört der meiste Besitz nebst bairischen EJöstem den Grafen
Bein. Da kann man doch wohl nur an einen Berthold denken, denn
es ist doch sehr wenig wahrscheinlich, dass um dieselbe Zeit Vater und
Sohn gleichen Namens gestorben sein sollten, besonders da von einem
zweiten Berthold jede andere Spur fehlt. Es muss also Graf Heinrich
ein Bruder und nicht ein Neffe Adalberts II. sein, und offenbar ein be-
deutend jüngerer, da er bis zum Jahre 1189 gelebt hat. Er konnte
freilich unmt^glich mehr Adalberts 11. (UL) Bruder sein, wenn er noch
im Jahre 1202 am Leben gewesen wäre, wie Coronini meint; doch an
der Stelle, worauf seine Ansicht sich stützt, in dem früher genannten
Vertrage zwischen den Grafen von Götz und dem Patriarchen von Aqui-
leja, ist nicht ausdrücklich von einem Grafen Heinrich von Tirol die
Rede und auch nicht an einen solchen zu denken, denn schon am
24. Juni 1190 erscheint Graf Albert IH. (IV.) als Nachfolger seines Vaters
in der Grafschaft Bozen (R. Kink, Cod. Wang., S. 102). Wenn nun aber
zwischen Berthold und Albert HI. (IV.) nach den Zeugnissen keine Ge-
neration sich einschieben lässt, so bleibt nichts Anderes übrig, als eine
solche zwischen Adalbert I. und Adalbert H. (IH.) einzuschieben und in
dem Grafen Adalbert, der um das Jahr 1126 gestorben sein mag, nicht
mehr den ersten, sondern einen gleichnamigen Sohn desselben zu sehen,
also für den Zeitraum 1070 — 1125 zwei Adalberte anzunehmen, was ja
an und für sich wahrscheinlich ist, auch wenn vor den Brüdern Adal-
bert H. (IH.) und Berthold eine längere vormundschaftliche Regierung
eingetreten sein sollte. Dann ist es auch nicht mehr unwahrscheinlich,
dass ein jüngerer Bruder derselben noch um 1189 lebt, und es Hesse
sich auch Adalbert I. noch um einige Jahre dem bekannten nächst-
früheren Grafen des Eisackthales Poppe um ein paar Jahre näherrücken,
so dass zwischen beiden kein weiterer Graf dieses Bezirkes angenommen
werden müsste. Somit hätten vier Adalberte, I. — IV., und ein Heinrich
und ein Berthold als GrafeA von Tirol regiert.
^ O. Redlich, Die Traditionsbücher, Nr. 414.
459
von Eppan-Greifensteiii; und diese haben auch noch GHiter im
Vintschgaae; wo selbst gegen Ende des 11. Jahrhunderts der
welfiscbe Besitz noch sehr bedeutend ist und auch die schwä-
bischen Orafen von Ronsberg und die bairischen Moosburger
nicht wenig Eugen habeU; am meisten begütert aber das Stift
Chur und die Vögte von Matsch und Herrn von Reichenberg
erscheinen. Für den fremdländischen Ursprung der Grafen von
Tirol spricht dann noch der Umstand, dass man vergeblich
nach einem hervorragenden Edelgeschlechte im Lande sucht,
denn dessen Orafengeschlechter im 11. Jahrhundert sind, wie
die in den Zeiten der Völkerwanderung einziehenden neuen
Bewohner, alle aus den Nachbarländern im Norden, Osten und
Süden gekommen. Von den Grafen des Unterinnthaies, des
Norithales und Pusterthaies wissen wir es; dass die Grafen des
Oberinnthaies aus Schwaben stammen, ist kaum zu bezweifeln,
and dort muss man auch den Ausgangspunkt der Grafen von
Eppan suchen. Da liegt es doch nahe, auch in den Grafen
von Tirol ganz neue Ankömmlinge aus einem Nachbargebiete
oder nahe Verwandte eines der schon im Lande sesshaft ge-
wordenen Geschlechter zu suchen. Zu der letzteren Meinung
fähren noch insbesondere ihre Vorgänger in den Grafschaften
des Lin- und Eisackthales, und sie erhält eine Stütze in den
allgemeinen Zeitverhältnissen. Wenn der früher erwähnte Graf
Poppe, Graf des Eisackthales, wirkhch der gleichnamige Vater
des Pfalzgrafen Chuno gewesen, so kann die auflfällige That-
sache, dass seine Grafschaft nicht bei seinem Geschlechte ver-
blieben ist, nur durch die Annahme naher Verwandtschaft mit
den Grafen von Tirol, den neuen Inhabern derselben, einiger-
massen erklärt werden. Denn diese Grafschaft konnte, als
Lehen des Stiftes Brixen, nur der damalige Bischof von Brixen
verieihen; Bischof Altwin (1049 — 1097) war aber ebenso wie
die Pfalzgrafen Chuno und Rapoto ein entschiedener Anhänger
des Kaisers Heinrich IV. und wahrscheinlich mit ihnen persön-
lich beft'eundet, wenn nicht vielleicht gar ein MitgUed ihres
Geschlechtes. Die poHtischen Ereignisse können darum schwer-
lich den Wechsel herbeigeführt haben, und es ist viel eher an
einen Verzicht der Pfalzgrafen zu Gunsten einer befreundeten
Familie und an eine Begünstigung dieser durch den möglicher-
weise näher mit ihr befreundeten oder verwandten Bischof
unter Zustimmung des Kaisers zu denken, der ja wiederholt
460
Altwin seine Gunst bezeugt hat. ^ Da nun dieser fast keine Be-
ziehungen zu Baiern^ wohl aber sehr zahlreiche zu Elämten
und Steiermark hat und dahin seine Erwerbspolitik besonders
gerichtet ist^ so kann man die Vermuthung kaum abwehren^ es
stammten von daher auch die Grafen von Tirol, und dieselbe
wird durch die regen Beziehungen zu dem Patriarchen von
Aquileja und den Grafen von Görz, sowie durch die nach dem
Osten gewandte Erwerbspolitik des Geschlechtes und durch
den Besitz, den schon die Brüder (Grafen) Adalbert (IIT.) und
Berthold in Kärnten zeigen, fast zur Gewissheit; ja gerade die
genannten Punkte sind es, die mich vorzüglich bestimmen, ihre
Heimat dorthin zu verlegen.
Als die Grafen Meinhard 11. und Engelbert HI. in den
ersten Jahren des 13. Jahrhunderts mit ihrem Lehensherm,
dem Patriarchen Piligrim II. (1195 — 1204), im Streite lagen,
schloss sich Albert IV. (III.) zuerst dem Letzteren an und ver-
mittelte dann mit anderen Fürsten, wie dem Herzoge Leopold VI.
von Oesterreich, dem Herzoge Bernhard von Kärnten, Ulrich
von Eppan und Anderen, den Frieden von San Quirino;* bei
einer neuen Friedensstörung zwischen beiden Parteien sehen
wir ihn wieder auf Seiten des Patriarchen.^ Bald darauf ver-
wandelten sich die bisherigen feindlichen Beziehungen zwischen
den Grafen von Tirol und Görz in enge freundliche und knüpften
sich zwischen beiden Familien die folgenreichsten Bande der
Verwandtschaft. Bereits im Jahre 1206 sehen wir Adelheid,
Alberts IV. Schwester, mit Grafen Meinhard H. vermählt,*
und dieser Verbindung beider Häuser folgte eine noch viel
wichtigere, die Vermählung Meinhards ED., eines Sohnes Engel-
berts in. und Neffen Meinhards H., mit Alberts IV. (III.)
Tochter, Adelheid.^ Diese Beziehungen der Grafen von Tirol
zu dem weit entfernten Patriarchen von Aquileja und zu den
Grafen von Görz, die ja auch damals den Schwerpunkt ihrer
^ Mon. Boic. 29a, 133. 164. 183. 199. 200. F. A. Sixmacber 2, 569. 571.
572. 677. B79. 680. St. 2531. 2630. 2761. 2804. 2810.
* De Rabeis, Mon. eccl. Aquil. 644 ff.
* y. Czoernig, Das Land GOrz 505 f.
* O. Redlich, Die Traditionsbücher, Nr. 539. v. Czoemig, Das Land G«r«
509 Anm. 4.
^ J. Ladurner, Albert III., in Zeitschr. des Ferdinandeums III F. 14, 136 ff.
461
Macht noch südwärts von den Alpen, im Küstenlande und
Friaul hatten, verlieren alles Befremdliche, wenn jene auch aus
Kärnten stammten, wie die Görzer, und weisen entschieden auf
Besitz derselben in Kärnten und Friaul hin. In der That sehen
wir die Grafen von Tirol zu einer Zeit, wo wir noch von
solchen Beziehungen nichts hören, in den genannten Gegenden
begütert. Der schon wiederholt genannte Graf Berthold, Bruder
Adalberts IQ. (11.), hatte um die Mitte des 12. Jahrhunderts
(1155, 1163) in Kärnten eine Grafschaft südlich von Krap-
felde,^ und der Nämliche schenkt ein paar Jahre nachher (1165
bis 1166) im Auftrage seines Bruders Ad albert IQ. (11.), der
wahrscheinlich damals schon krank darniederlag, zwei Hüben
zu Timeniz nördlich Klagenfurt an Brixen. ^ Diese Documente
fähren uns also wieder in das Gebiet des Chrouuatengaues, so-
mit in den Hauptsitz der Aribonen in Kärnten. Bertholds
jüngerer Bruder Heinrich erwirbt aber auch schon Besitz in
Friaul, wenn diese Elrwerbung nicht etwa, was mir wahrschein-
licher vorkommt, blosse Vermehrung älteren Besitzes ist. So
gesteht ihm der Patriarch Gottfried die Hälfte des Zolles zu
Glemona als Lehen zu und bewilligt, dass zwischen diesem
Orte und dem Passe Pontafel kein anderer Marktplatz fUr Salz
und andere Waaren sei; eine Uebereinkunft beider, die Kaiser
Friedrich am 16. November 1184 bestätigt' Fünf Jahre darauf
abergibt ihm der Patriarch noch ein Drittel der genannten
Stadt,* wohl auch in Form eines Lehens.
Scheint mir nach den bisherigen Erörterungen die Heimat
der Grafen von Tirol kaum zweifelhaft, so vermag ich doch
auf die Frage, welchem Edelgeschlechte Kärntens sie ange-
hören möchten, keine bestimmte Antwort zu geben. Am nächsten
läge es allerdings, bei deren regen Beziehungen zu den Gtörzem
in ihnen, nach dem Beispiele des Grafen Coronini, Angehörige
desselben Geschlechtes zu vermuthen, und diese Vermuthung
gewänne wesentlich an Halt, wenn man, wie Tangl, die schon
erwähnten beiden Adalberte, welche in der Urkunde vom
* ▼. Ankerahofen, Urknnden and Regeeten, Nr. 356 und 396 (Arcbir 8,
350. 367). Nach mündlichen Mittheilungen des Herrn Archivars
A. ▼. Jaksch in Klagenfart ist diese Grafschaft dort zu snchen.
' O. Bedlich, Die Traditionsbücher, Nr. 492.
* T. Hormayr, Beitrüge Ib, 149. St. 4399.
* Gr. Coronini, Tentam. geneal., S. 189.
462
17. November 1102 als Vasallen des Markgrafen Ulrichs II. von
Krain and Istrien genannt werden^ als identisch mit Adalbert I.
und Adalbert 11. von Tirol ansehen dürfte, wozu ihre Lebens-
zeit gut stimmte. Doch dagegen sprechen nicht allein die schon
früher geltend gemachten Gründe, sondern namentlich auch die
Thatsache, dass südwärts der Drau in Kärnten nicht der ge-
ringste Besitz der Grafen von Tirol, weder früher noch später,
sich nachweisen lässt; auch die anfänglich feindUche Haltung
beider Familien bei so naher Verwandtschaft wäre schwer zu
begreifen. So bleibt nichts Anderes übrig, als die Grafen von
Tirol für einen anderen Zweig des Aribonenhauses in Kärnten
oder Baiem anzusehen, und soll ich meine Ansicht, die aller-
dings nicht mehr sein will als eine wenig begründete An-
nahme, aussprechen, so möchte ich sie am liebsten mit der
pfalzgräflichen Familie selbst in nahen Zusammenhang stellen.
Ich glaube deren Stammvater in einem der vielen Grafen suchen
zu sollen, welche die Schenkung der Kaiserin Kunigunde an
das Stift Freising im Jahre 1025 bezeugen, und zwar entweder
in dem zweiten Zeugen Friderih comes, der einen Sohn Namens
Perahtolt hat, oder in dem fünften, Adalpero comes, welcher
dem Pfalzgrafen Hartwig H. unmittelbar folgt. Eis handelt sich
hier hauptsächlich um Güter in Oberösterreich aus Gebieten
der Aribonen oder ihrer Nachbarschaft, und die meisten Zeugen
sind wohl auch dem Aribonenhause angehörig. Das ist ziemlich
sicher, ausser beim Pfalzgrafen, mit den drei Grafen der Fall,
die dem Grafen Adalbert unmittelbar folgen: Tiemo, Poppo
und Piligrim, die wir als solche schon kennen gelernt haben.
Graf Amolt ist wohl für einen Grafen von Lambach und Wels,
also für einen nahen Verwandten der Ottokare, anzusehen,^
einen Grafen Gerolt gibt es in den Jahren 1007 und 1011 in
dem Isen- und Rotachgaue. * Einen Grafen Gumpolt finden wir
allerdings um diese Zeit nicht in der Nähe der Stammsitze der
Aribonen, sondern nur in der Gegend von Freising zugleich
mit einem Grafen Gerolt, * aber in der Freisinger Gegend lassen
sich sonst Grafen dieses Namens nicht nachweisen, dagegen
trefl^en wir wiederholt Grafen Gumpolde im 9. und 10. Jahr-
1 Urkundenbuch des Landes ob der Enns 2, 69. 91. 92. 118. 718.
* Mon. Boic. 28 b, 334. 435.
» Ibid. 9, 361 f.
463
hundert im Isengaue. * Da wir also beide Grafen, Friederich
und Adalbert, mitten unter Aribonen sehen, so sind wir einiger-
massen berechtigt, sie auch für solche zu halten.
Fassen wir zunächst den Grafen Friederich ins Auge, so
möchten wir vor Allem wohl an den gleichnamigen Bruder des
P£dzgrafen Hartwig II. denken, den uns der sächsische Chro-
nist nennt und der identisch mit Friederich, dem Sohne des
Grafen Sizo und der Gräfin Pilhilde, sein soU.^ Allein abge-
sehen davon, dass dieser damals schwerlich schon Graf sein
konnte, spricht gegen ihn entschieden der Umstand, dass er
dem Pfalzgrafen vorangeht und sogar an zweiter Stelle steht.
Das deutet doch auf grösseres Ansehen oder höheres Alter,
und da Ersteres kaum der Fall ist, so wird man an Letzteres
denken müssen. Von zwei anderen um dieselbe Zeit lebenden
Friederichen kann der Eine, der im pago Rieze (Rhecia) auf-
tritt,' schon der örtlichen Entfernung wegen kaum in Frage
kommen, eher der Zweite, der als Zeuge für das Stift Tegem-
sce auftritt.* Doch besser eignete sich noch ein Dritter, der
mit dem Zweiten allenfalls auch zusammen fallen könnte. Wir
treffen diesen bei der Einweihung der Klosterkirche des von
der Gräfin Wichburg, der Gemahlin Otwins, gegründeten Klosters
St. Georgen am Längsee als zweiten Zeugen unmittelbar nach
dem Erzbischofe Hartwig und dann nochmals ftir dasselbe
Kloster als ersten Zeugen.^ Diese Thatsachen gestatten doch
gewiss den Schluss auf nahe Beziehungen, auf Verwandtschaft
mit den Stiftern, umsomehr als unter den Theilnehmem sonst
nur ein Graf, nämlich Otwins Sohn Engelbert, steht. Es liegt
nahe, mit Grafen Friedrich einen der drei Grafen gleichen
Namens zu identificieren, die im Nekrologe des Stift;es Seon^
und der Stifter Salzburg und St. Emmeran in Regensburg sich
finden.^ Allein sprechen auch manche Momente ftU* die An-
nahme, der Graf Friedrich der Urkunde vom Jahre 1025 könnte
^ B. Zierngiebl, Mark- und Grafschaften in hist. Abhandl. d. k. bair. Akad. d.
W. (17S1) 2, 221. Oefele, Script 1, 706. E.Mühlbacher, Regr., Nr. 1903. 1943.
' Hon. Germ, histor. Script 6, 73S, „. Hon. Boic. 29a, 90.
* Mon.Boic. 31a, 310.
* Ibid. 6, 11.
' y. Ankershofen, Geschichte Kärntens 2. Bd., Urkunden 83 f.
* Mon. Moic. 2, 158. 160. 161.
' Ibid. 14, 369. 384. 389.
464
der Stammvater der Grafen von Tirol sein, besonders seine
Anwesenheit bei den auf das Kloster St. Georgen bezüglichen
Acten, so kommt doch sein Name bei der genannten Grafen-
familie niemals vor, während der Name Adalbert für dieselbe
ebenso bezeichnend ist wie der Name Hartwig für die Pfalz-
grafenfamilie, Chuno fUr die Grafen von Megling und Andere.
Darum möchte ich lieber in dem oben angefahrten Zeugen
Adalbert, der dem Pfalzgrafen zunächst folgt, den Ahnherrn
der Grafen von Tirol sehen.
Der Name Adalbert ist, wie zu jeder Zeit, so auch im
Anfange des 11. Jahrhunderts nichts weniger als selten, und
darum ist est sehr schwer, in den einzelnen Fällen den-
jenigen zu erkennen, der mit dem Zeugen der Urkunde vom
Jahre 1025 etwa identisch sein könnte. Wir begegnen in den
gleichzeitigen Documenten ausser dem Markgrafen Adalbert
von Oesterreich und dem Grafen Adalbero von Ebersberg und
Sempt, dem Stifter der Klöster Chtibach und Ebersberg, ^ die
leichter zu unterscheiden sind, noch einem Grafen dieses Namens
in den Gauen Ensitale* und Housi,^ im Sundargaue* und am
Nordwald, ^ im Schweinachgaue ^ und Donaugaue.' Doch an
allen diesen Stellen ist kaum einmal unser Adalbert gemeint,
viel eher ist mit ihm flir identisch zu halten ein Edler dieses
Namens, der um dieselbe Zeit wiederholt die Verhandlungen
mit dem Erzstifte Salzburg und dem Kloster St. Peter zu Salz-
burg bezeugt und auch ein paar Male Vogt der beiden heisst,®
und vielleicht ist auch auf ihn die Stelle zu beziehen, wo bei
einer Schenkung des Andechsers Arnold an das Kloster Be-
nedictbeuem unter der auffälUg grossen Zahl von gräflichen
Zeugen vor anderen uns wohl bekannten Namen, wie Poppe
* C. Meichelbeck, Histor. Fris. la, 222. 230. Mon. Boic. 6, 10; 11, 629;
14, 180; 31a, 287; 29a, 56 f. St. 1549. 2151.
* Mon. Boic. 28 b, 324. J. Zahn, Steierm. Urkundenbach 1, 41. Notizbl.
6, 17 Nr. 4.
» Mon. Boic. 28 b, 415. St. 1628. Mon. Boic. 7, 16 f. 40. 89. C. Meichel-
beck, Hirtor. Fris. 1 b, 474 Nr. 116, 484 Nr. 1161, 489 Nr. 1165.
* Mon. Boic. 28 b, 310. St. 1363.
» Ibid. 28 b, 421. St. 1533.
* Ibid. 28 b, 420. St. 1531.
^ Ibid. 28b, 483. St. 1723.
* Notizbl. 6, 21 Nr. 32. 22 Nr. 44. 44 Nr. 97. 48 Nr. 116. Archiv fttr österr.
Geschichtsforschung 22, 300 Nr. la u. Ib; 303 Nr. 12, 804 Nr. 15. 16.
465
nnd Piligrim^ ein Albero erscheint und ein Dietricus comes
Pfans (Pfons bei Matrei im Wippthale) an dasselbe Kloster
schenkt.^ Wäre dieser Bezug auch noch bei einer anderen
Stelle zulässige an der ein nobilis vir Adalperht Eigenthum am
Flusse Tiufstadon an St. Peter in Salzburg übergibt^ dann hätten
wir sehr wahrscheinUch auch eine Beziehung zum Isengaue.'
Von dem ersten Grafen Adalbert, der in Tirol nachzuweisen
ist, filhrt gleichfalls eine schwache Spur dahin; es steht nämlich
einmal, als zweiter Zeuge, hinter ihm in einer Tradition Brixens
ein Adalpreht de Rota.^ Sollte es nicht erlaubt sein, dabei an
das früher betonte Rota im Isengaue zu denken, und wenn
dies statthaft, muss es nicht in hohem Orade auffallen, einen
Edlen von diesem fernen Gaue im Eisackthale als Zeugen zu
finden? Alles Befremdende entfällt aber, sobald wir in dem
Grafen Adalbert I. des Eisackthales einen Aribonen sehen dtirfen,
und dessen Zusammenhang mit dem Adalbert vom Jahre 1025
wäre hergestellt, wenn wir in den beiden Zeugen: Perhtolt et
eins filius Adalpreht einer Tradition an das Stift St. Peter in
Salzburg Angehörige derselben FamiUe, nämlich niemand Anderen
als des Letzteren (1025) Sohn (Perhtolt) und den Ersteren (I.)
selbst (Adalbert) sehen dürften.* Ort und Zeit der Tradition
stehen nicht entgegen, denn zu Halle (Reichenhall) treffen wir
Aribonen öfters, auch solche aus Kärnten, und diese Tradition
darf man wohl merklich später ansetzen als die früher er-
wähnten, da die Anordnung, wenigstens im Allgemeinen, doch
eine chronologische ist. Der Ort, wo das geschenkte Grund-
stück hegt, ad Ruozinlachan, ist freilich nicht bekannt. Da-
gegen ist es gewiss zulässig, in den beiden Zeugen Grafen zu
sehen, da sie an der Spitze mehrerer Edelleute stehen, und ist
der Zeitraum zwischen beiden Adalberten (Adalbert 1025:
Grossvater, und Adalbert 1070 — 1080: Enkel) durch ein
Zwischenglied (Perhtolt) hinreichend ausgeftlUt. Den Namen
Adalbert führt auch der erste nach der Analogie anderer Fälle
sehr wahrscheinlich dem Hause des Stifters angehörige Abt
des Stiftes Seon.^
* Mon. Boic. 7, 39.
« Notizbl. 6, 44 Nr. 97.
* O. Redlich, Die Traditionsbücher, Nr. 278.
* Notizbl. 6, 68 Nr. 139. Vergl. 70 f. Nr. 148
* Necrolog. Germ. 2, 222 (17. März). Mou. Boic. 2, 169.
AitMT. LXXXIII. Bd. n. Hälfte. 31
466
Haben die Grafen von Tirol ihre Beziehungen zu ihrer
älteren Heimat in Kärnten nie ganz aufgegeben und dort später
noch bedeutenden Besitz erhalten oder erworben, so verliert
ein anderes Qrafengeschlecht aus dem nämlichen Lande, das
gleichfalls nach Tirol tibersiedelt, ganz den Zusammenhang mit
seinem ehemaKgen Wohnsitze, ich meine die Grafen von Fla von. ^
Ueber die Abstammung dieser Grafenfamilien besitzen wir ein
verlässliches Document, allerdings aus späterer Zeit. Im Jahre
1214 verleiht nämlich Bischof Friedrich von Trient, der be-
kanntlich die älteren Urkunden des Stiftes und die seiner Zeit
sorgfältig sammeln Uess, den Grafen Ulrich und Gabriel von
Flavon die Schirm vogtei des Stiftes Sonnenburg mit der Be-
merkung: ,et ab nostro episcopatu teneant dictam advocationem
ad rectum et honorabile feudum, cum sui antecessores edifica-
verint dictum monasterium^ * Damach ist ihr verwandtschaft-
licher Zusammenhang mit dem Geschlechte Otwins klar, und
flir den mit dem Aribonenhause sprechen auch die im 11. Jahr
hundert öfters vorkommenden Familiennamen Arpo (Aribo),
Eberhard, Pelegrin, Adalbert, Conrad, Udalschalk und Andere.'
Ladurner ist nicht abgeneigt, flir den Stammvater der Grafen
von Flavon und (vielleicht auch) flir einen Bruder des Bischofs
Ulrich I. von Trient (1006—1022) jenen Grafen Arpo zu halten,
der Zeugschaft leistet, als Wichburg die ursprüngliche Dota-
tion ihres Klosters bei der Begräbnissfeier ihres Gemahles
Otwin mit zwei Hüben zu Dopplach vermehrte,* und was er
ftlr die nahe Verwandtschaft Arpos und Bischof Ulrichs geltend
macht: die Namen der Eltern des Bischofs, Aribo und Wil-
burga, die Stiftung des Klosters Sonnenburg unter seinem Bei-
rathe, eine Schenkung des Stifters einerseits an das Stift Trient
und die Beschenkung des KJostei'S andererseits mit reichlichen
Wein- und Oelzinsen sowie Fischereigerechtsamen durch den
Bischof, endlich die Uebertragung der Vogtei an das Trientiner
Stift: air das sind gewiss sehr beachtenswerthe Momente und
machen das angenommene Verwandtschaftsverhältniss in hohem
Grade wahrscheinlich. Weniger begründet dagegen erscheint
^ J. Ladurner, Die Grafen von Flavon im Nonsberge im Archive fUr Ge-
schichte und Alterthumskunde Tirols 5, 137 — 182.
* Bonelli. Notizie 3 b, 47.
' J. Ladurner, Stammtafel 181 f.
^ V. Ankershofen, Geschichte Kärntens 2, 879. Regesten u. Urkunden 82 f.
467
•
mir die Vermuthung, die er über Arpos Nachfolger aasspricht^
indem er zu einem Sohne desselben oder anderen nahen Ver-
wandten den Grafen Grimaldus^ zu einem Enkel Graf Ulrich
und zu Urenkeln dessen Söhne Eberhard und Adelper^ die Alle
in der Recordatio fidelium sancti Vigilii aufgeführt sind, machen
möchte; die Namen sind allerdings bis auf Grimaldus dem
Aribonenhause nicht fremd und vielleicht auch Letzterer nicht,
die Reihenfolge in der Recordatio mag, wie er annimmt, chro-
nologisch geordnet sein und so seine Hypothese immerhin so
lange ihre Berechtigung haben, bis es gelingt, deren Unhaltbar-
keit nachzuweisen oder sie zur Gewissheit zu erheben. Dass
die Grafen von Flavon in späterer Zeit zu solcher Unbe-
dentendheit herabsinken, kann kaum gegen ihren vornehmen
Ursprung geltend gemacht werden, denn sie waren bei ihrem
ersten Auftreten sichtlich viel mächtiger, sie nehmen damals
an wichtigeren Handlungen des Bischofs Theil und sind auch
bis zum Jahre 1124 als seine Vögte nachweisbar, worauf schon
firaher hingewiesen wurde. ^ Ich kann auch in dem jungen
Grafen, der im Jahre 1106 die von König Heinrich V. nach
Rom gesandten deutschen Bischöfe zu Trient überfiel und von
dem Chronicon Ekkehardi mit den Worten: ,quidam adolescens
Adalbertus, partium illarum insignis comitatu^' bezeichnet wird,
nur den gleichzeitigen Grafen Adalbert von Flavon sehen und
finde in der Bemerkung des Chronisten, dass derselbe den Bi-
schof Otto von Bamberg besser als die anderen Gefangenen
behandelt habe^ weil er sein Vasall gewesen, vielmehr eine Be-
stätigung fUr meine Ansicht als einen Widerspruch gegen die-
selbe oder die Erwähnung einer damit unvereinbaren That-
sache. Allerdings haben in Tirol die Grafen von Flavon schwer-
fich je Lehen von dem Bischöfe von Bamberg gehabt, aber
hegt es nicht recht nahe, an bambergische Lehen derselben
in Kärnten zu denken, wo ja die Kirche von Bamberg seit
ihrer Stiftung reich begütert war? Sollten sie wirkUch schon da-
mals jeden Besitz in ihrer ehemaligen Heimat verloren haben?
Ihre tirolische Grafschaft, wohl vom Anfange an ein Lehen
von Trient, war allerdings ein ganz kleiner Gerichtsbezirk auf
dem Nonsberge am rechten Ufer des Noce, doch ihre Lehen-
^ St 3122. Bonelli, Noüzie 2, 874. 376. 379. 382.
* Hoo. Qenn. histor. Script 6, 234, i«.
31*
468
und Vasallenrechte waren einst fast über ganz Nons- und Sulz-
berg ausgebreitet; und ausserdem besassen sie noch die Vogtei
der Pfarre Lana und das Gericht sammt dem Zehent daselbst,
die* Vogtei über das Kloster Sonnenburg und sonnenburgisches
Lehen zu Aldein, das Schloss Haselberg bei Bozen, Güter zu
Curtatsch, einen Zehent in Ulten und Anderes. Gegenüber dem
firüheren Besitz der Eppaner oder dem späteren der Grafen
von Tirol war freilich der ihrige jederzeit gering, und so er-
klärt es sich, dass sie schliesslich von diesen in Lehensab-
hängigkeit geriethen und zuletzt ganz verdrängt wurden.
Als einen Zweig des Aribonenhauses glaube ich auch die
mächtigste Grafenfamilie Kärntens im 11. Jahrhundert^ ansehen
zu müssen, die Grafen von Friesach. Wendrinsky* hält sie fhr
Abkömmlinge der Brüder Wilhelm und Engelschalk, Mark-
grafen der Ostmark, die durch deren gleichnamige Söhne ge-
stürzt wurden und den Markgrafen Aribo zum Nachfolger
hatten. Allein erhielten auch diese von Kaiser Arnulf Ver-
leihung, trotzdem dass der eine, Engelschalk, eine uneheUche
Tochter des Kaisers entfUhrt hatte, und wurden sie für den
Verlust der Markgrafschaft mit Grafschaften theilweise ent-
schädigt, so ereilte doch auch sie, wie ihre Väter, für ihre
Frevel ein frühzeitiges und schmähliches Ende, und ihre ge-
sammten Besitzungen wurden eingezogen.' So fehlt es wohl
an jedem festeren Anhaltspunkte, um in dieser berühmten Fa-
milie ilen Stammvater des Grafen Wilhelm (I.) zu suchen, der
um die Mitte des 10. Jahrhunderts im Besitze einer Grafschaft:
des Chiem- und Salzburggaues: Raschenberg-Teusendorf und
Reichenhall erscheint.* Aber darin wird man Wendrinsky und
ZiUner^ beistimmen können, dass von diesem Wilhelm die
Grafen von Friesach abstammen. Derselbe ist aber auch mit
noch grösserer Wahrscheinlichkeit für den Stammvater der
Grafen von Piain zu halten. Als Graf des Chiem- und Salz-
^ O. Kaemmel, Zur Entwicklungsgeschichte 61.
* J. Wendrinsky, Die Grafen von Plain-Hardegg (Blätter d. Vereines für
Landesk. Niederösterr. 13, 221 ff.
* E. Dümmler, Geschichte des ostfr. Reiches 3, 360 f.
« Mon. Germ, histor. Dipl. 1, 281, ,4. St 263.
B Dr. Zillner, Die Graftchaften (Mitth. d. Gesellsch. f. Salzb. Landesk. 23,
203 ff.).
469
barggaues ist er noch an vier Stellen nachweisbar^^ und bei
allen kann nur an dieselbe Grafschaft gedacht werden. Gerade
da und in dem benachbarten Gebiete des Salzburggaues links
von der Salzach sind auch die Plainer vorzüglich begütert; ja
die G^richtsbezirke Piain und das spätere Stadtgebiet von
Reichenhall haben wohl einst nur ein Gericht gebildet.* Wil-
helm (I.) hat nachweisbar einen Sohn Liutold und sehr wahr-
scheinlich einen zweiten Wilhelm (II.), und Grafen oder Edle
mit diesen Namen treten in den Traditionen der Erzbischöfe
Hartwig (991—1023)/ Dietmar H. (1025—1041)* und Balduin
(1041 — 1060)^ wiederholt auf; ebenso in mehreren von St. Peter.^
Da der Grafenname Liutold in Kaiserurkunden für Baiem
während dieser Zeit fast gar nie und auch in anderen ausser-
ordentlich selten vorkommt, da es Grafen Wilhelme gleichfalls
im südöstlichen Deutschland sonst nicht gibt, diese Zeugen der
Erzbischöfe andererseits {tir eine andere Grafschaft des Chiem-
und Salzburggaues kaum sich in Anspruch nehmen lassen, so
duriie doch der Schluss berechtigt sein, dass wenigstens an
den meisten dieser Stellen die Nachkommen Wilhelms I. ver-
standen seien, und für den nämlichen wie einen dieser Wil-
helme wird man auch den gleichnamigen Vogt des Erzbischofs
Balduin^ halten dürfen. Noch viel sicherer wäre der Schluss,
wenn der so häufig erscheinende Vogt Walther des Erzbischofs
Dietmar, der sich keiner anderen AdelsfamiUe zuweisen lässt,
zu jener der Liutolde gerechnet werden dürfte.*
Wilhelm I. muss aber auch in Kärnten Besitz gehabt
haben, da er hier ein paar Male bei wichtigen Verhandlungen
neben bairischen und kärntnerischen Grossen zu Maria-Saal
auftritt. ^ Denn bei der Seltenheit seines Namens ist wohl auch
* Juvavia, Anh., S. 191 Nr. 2, 194 Nr. 11, 196 Nr. 18. Mon. Germ, histor.
Dipl. 1, 684, M-
* E. Richter, Untersuchungen (Mitth. des Inst. f. (Ssterr. Geschichtsf., E. 1,
665. 672)
» Mitth. des Inst. f. österr. Geschichtsf. 3, 88 ff. Nr. 16. 16. 18. 19.
* Juvavia, Anh. 222ff. Nr. 2. 10. 12. 13. 17. 19. 24. 26. 38. 34 n. 86.
* Ibid. Anh. 247 ff. Nr. 6. 8. 17—19. 26 u. 26.
* Notixhl. 6, 17 Nr. 6, 18 Nr. 9, 44 Nr. 97, 45 Nr. 99, 67 Nr. 133, 68
Nr. 138, 69 Nr. 140 u. a. a. O.
' Juvavia, Anh., S. 223 Nr. 3.
» Ibid. Traditionen Dietmars II. (222—231), Nr. 1. 2. 4—26. 31—35.
» Ibid. S. 136 Nr. 23, 198 Nr. 20.
470
hier an den nämlichen Grafen zu denken, umsomehr als ja
Gebietserwerbungen bairischer Edler in Kärnten damals oft
wiederkehren, und sein Besitz kann aus demselben Grunde und
den sonst bekannten Besitzverhältnissen dieses Landes kaum
anderswo gesucht werden als dort, wo wir in der Folge Grafen
seines Namens finden: in der Grafschaft Friesach. Aber ge-
rade in dieser Gbrafschaft, die yom Gurkthale bis zum Mur-
thale sich erstreckte, hatte Kaiser Arnulf im Jahre 898 einem
Manne progenie bonae nobilitatis exorto Zuentibolch nominato
so ausgedehnten Besitz geschenkt, dass er fast die ganze Graf-
schaft umfasste,^ und einem anderen Eklelmanne, seinem ge-
treuen Waltuni, das, was Ottelin zu Undrina (Ingering rechts
an der Mur bei Knittelfeld in Steiermark), dann noch was
jener im Trixnerthale hatte, mit zwei Burgen und Wald auf
dem Diexberge, drei Königsmansen, Reichenburg genannt, in
der Mark an der Saye und das Gut Gurkfeld jenseits der Save
zu eigen gegeben.' Gerade die bedeutendsten nun von diesen
Besitzungen nennt die Gräfin Hemma, die Witwe eines Gbrafen
Wilhelm, die im Jahre 1043 ein Frauenstift im Gurkthale er-
richtet,'* in den zwei Schenkungsurkunden ausdrücklich, wie
den Bezirk yon Friesach sammt dem Markte und das Land
im Gurkthale sammt den Bauern, Heistrichesdorf imd die Curtis
suburbana, die nächst der urbs Truchsne liegt, mit vierzig dazu-
gehörigen Hüben, Altenhof mit Zugehör und alle Weinberge
im Comitate Truchsen und in Osterwitz, alles Eigenthum im
Sounthale mit Ausnahme von vier Weilern, Geroltesdorf mit
allem Besitzthume in Baiem und Anders.^ Unter den geist-
lichen und Zehentrechten, die sie sich vom Bischöfe Balduin
abtreten lässt, um sie ihrer Stiftung zu widmen, werden auch
die von Gregor und Martin in Lubedingen (Lieding) nament-
lich genannt.^ Alle diese Besitzungen gelangten dann (1072)
an das Bisthum Gurk, als Erzbischof Gebhard von Salzburg
beschloss, nach Gurkenhofen einen Bischof zu setzen,^ und
^ y. JakBch, Gurker Geschichtsqu. 1, 41. E. Mühlbacher, Reg., Nr. 1890.
M. Felicetti-Liebenfels, Steiermark, S. 58.
* y. Jakflch, Gurker Geschlchtsqu. 1, 40. £. Mühlbacher, Reg., Nr. 1861.
• Ibid. 1, 54flf.
* Ibid. 1, 68 ff. V. Ankershofen, Reg., Nr. 115 (Archiv 2, 321 f.).
» Ibid. 1, 54 ff. Ibid. Nr. 116 (Archiv 2, 323).
• Ibid. 1, 3 ff. Ibid. Nr. 152 (Archiv 2, 340).
471
wurden demselben von Kaiser Lothar HI. am 18. October 1130
bestätigt. ^ In letzterer Bestätigung nennt der Kaiser namentlich
die Edelleute (homines nobili progenie exorti), die seine Vor-
fahren beschenkt hatten und deren Güter schliesslich an die
Gurker Kirche gekommen, nämlich Walchun, Zwetboch, Gräfin
Imma, Graf Wilhelm und dessen Sohn Wilhelm, sowie deren
Erbin Gräfin Hemma, beschreibt genau den ganzen Besitz und
enthebt den Kirchenvogt Grafen Werigand, über dessen Nach-
lässigkeit und Unfkhigkeit Beschwerde erhoben worden war,
seines Amtes. Daraus ersieht man deutlich, dass in demselben
wirkUch die erwähnten Schenkungen an die Edlen Zuentibolch
und Waltun und die späteren an die Gräfin Imma und die
beiden Grafen Wilhelm enthalten waren.
Kaiser Otto II. gestattete nämlich (975) der Witwe Imma
in dem Orte Livbedinga, im Gurkthalgaue und in der Grafschaft
des Grafen Ratold, wo sie zu Ehren der Gottesmutter und des
heil. Martin und Bekenners Gregor ein Kloster zu bauen be-
gonnen, einen Markt und eine Münzstätte zu errichten und
einen Zoll zu erheben.* Derselbe schenkte dem Grafen Wil-
helm (980) seinen Besitz in der Grafschaft des Grafen Rach-
vuin bis zum Eigenthum des Grafen Marchward und an die
Grenze der Grafschaft Sovuina* (im Westen des Marburger
Kreises). Kaiser Heinrich 11. schenkte dem Grafen Wilhelm zu-
erst (am 15. April 1016) dreissig königliche Mausen in uillaTras-
kendorf (Dreschendorf, Gemeinde Pletrowitsch, Gerichtsbezirk
und Bezirkshauptmannschaft CilU) und das sonstige Kammer-
gut zwischen der Save, Sann, Sotla und Neirin in Untersteier
und Krain,* dann (am 18. April) dem Nämlichen seinen An-
theil an den Salzwerken bei Admont, das Marktrecht auf seinen
Gütern, das Zollrecht in seiner Grafschaft Friesach und Anderes.^
Kaiser Konrad II. machte dem Grafen Wilhelm (DI.) dreissig
^ ▼. Jaksch, Gurker Geschichtsqn. 1, 93 Nr. 58. v. Ankershofen, Reg.,
Nr. 217 (Archiv 5. 201). St 3253.
* ▼. Jaksch, Garker Geschichtsqn. 1, 47 Nr. 8. Mon. Genn. histor. Dipl.
2, 124. St. 658.
' y. Jaksch, Gurker Geschichtsqu. 1, 48. Mon. Germ, histor. Dipl. 2, 264.
St 780.
* V. Jaksch, Gurker Geschichtsqu. 1, 50 Nr. 12. J. Zahn, Steierm. Ur-
kundenbuch 1, 44. St 1667.
^ V. Jaksch, Gurker Geschichtsqu. 1, 51 Nr. 13. J. Zahn, Steierm. Ur>
knndenbuch 1, 45. St 1668.
472
königliche Mansen im Gebiete der Flüsse Ködnig^ Eopreiniz
und Wogleina in Untersteier, dann zwischen der Gurk und
Save in Elrain zum Geschenke und bestätigte Heinrichs II.
Schenkung.^ Aus dem Zusammenhalte aller dieser Urkunden
ergibt sich mit grosser Sicherheit, dass die beschenkten Per-
sönlichkeiten und die Stifterin Hemma die nächsten Ver-
wandten und in der Ordnung sich gefolgt sind, wie sie die
Urkunde vom Jahre 1130 anführt, und da der früher erwähnte
Graf Wilhelm in Kärnten wiederholt auftritt und wohl auch
daselbst Besitz hat, da er vor dem Jahre 973 nicht gestorben
sein kann, 975 aber Imma Witwe genannt wird, so ist wohl
der Schluss erlaubt, namenüich bei der Seltenheit seines Namens,
er sei niemand Anderer als Immas Gemahl und beide die
Eltern des jüngeren Wilhelm (IT.), der im Jahre 1016 bereits
todt ist, die Gemahlin des Letzteren aber Emma und ihr ge-
meinsamer Sohn der jüngste dieser drei Wilhelme, Wilhelm III.
Man wird in diesem Schlüsse noch bestärkt, wenn man sich
vergegenwärtigt, dass unter den Besitzungen der Familie auch
eine solche zu Geroltesdorf in Baiern, ja in der Bestätigungs-
urkunde vom Jahre 1130 sogar noch eine zweite daselbst, zu
Vohendorf, erwähnt wird;* denn beide Orte liegen im Land-
gerichte Berchtesgaden, Vohendorf heisst die Pfarre, innerhalb
deren sich die Abtei erhob;' sie führen uns also gerade nach
dem Stammlande der Grafen Wilhelm und Liutolde und legen
den Gedanken nahe, es seien hier Güter als Morgengabe oder
Witthum an die Gräfin Imma, nämlich von ihrem Gemahle
Wilhelm I., gekommen. Als ihre Ahnen dürfen wir wohl die
beiden Edlen Zuentibolch und Waltun ansehen oder wenigstens
beide als nächste Verwandte. Emma aber, die Gemahlin Wil-
helms n., welche die im 12. Jahrhundert gefälschten Urkunden
Gurks neptis Kaiser Heinrichs II. nennen und wegen ihrer oft-
maligen Dienste von demselben beloben lassen, erinnert uns an
den pfalzgräflichen Zweig des Aribonenhauses, der ja auch mit
demselben Könige sehr nahe verwandt war; und erwägt man
ihren Aufenthaltsort, so möchte man sie wohl am ehesten filr
^ V. Jaksch, Garker Geschieh tsqu. 1, 52 f. Nr. 14 u. 15. J. Zahn, Steierm.
Urkundenbuch 1, 52. 54. St. 1884. 1985.
• V. Ankershofen, Reg., Nr. 217 (Archiv 6, 201).
» Mon. Boic. 2, 292; 3, 551. 557; 7, 450. 496. Drei bairische Tradi-
tionsbUcber, S. 13 u. 40.
478
eine Tochter oder Enkelin des Pfalzgrafen Hartwig I. halten^
dessen kämtnerischer Amtsbezirk ja an den Graf Wilhelms II.
grenzte; dafilr spricht auch der Umstand, dass ein Sohn der-
selben nach der Legende der heil. Emma Hartwig heisst.^
Jeden&lls war sie eine Frau sehr vornehmer Herkunft. Die
Annahme zweier Hemma, einer Gemahlin und Mutter Wil-
helms in. mit diesem Namen, die in den Urkunden keine Be-
gründung findet, ist unnöthig, denn selbst wenn Hemma, die
Mutter Wilhelms HI., bei ihrer ersten Erwähnimg, wo ihr Sohn
schon Graf heisst, in den Vierzigern stand, ist sie im Jahre
1043, wo sie jedenfaUs noch lebte, erst in den Siebenzigem,
andererseits kann sie in den Neunzigerjahren des 10. Jahr-
hunderts wohl schon Wilhelm II. geheiratet haben, der im Jahre
980 zuerst als Graf erscheint. Als Sohn Wilhelms I. kann dieser
wohl keine andere Grafschaft als Friesach gehabt haben, denn
die Grafschaft im Chiemgaue muss ja auf seinen vielleicht
älteren Bruder Liutold übergegangen sein, die Grafschaft Frie-
sach liegt aber nach urkundUchem Zeugnisse schon beim ersten
Aufbeten seines gleichnamigen Sohnes in dessen Händen. Sein
Vater Wilhelm I. hat jedoch die Grafenrechte in Friesach nicht
besessen und ebenso wenig die Edlen Zuentibold oder Waltun,
d^in zu deren Zeiten hatte sie Graf (Markgraf) Liutpold inne
und zu Inmias Lebenszeit ein Graf Ratolt. Dieser war ver-
muthlich der gleichnamige Sohn des Grafen Reginperht, des
vieljährigen Hauptvogtes des Erzstiftes Salzburg,* und wie
dieser weist auch der Name Zuentibolch auf die Aribonen hin.
Ihnen lag es jedenfalls viel näher als einem anderen Grafen-
geschlechte, einen Sprossen mit diesem Namen zu nennen, und
in der That treflfen wir denselben nochmals in einer Familie,
die aus dem Isengaue stammt, in jener des Erzbischofs Oudal-
bert, der einen Enkel dieses Namens, einen Sohn Dietmars,
hatte, ein oftmaliger Zeuge in dessen Traditionen.* Zuenti-
polchs Besitz in Oberösterreich stimmt gut zu dieser Deutung.*
Als Verwandte der Familie der Grafen von Friesach
müssen auch die in den angeführten Documenten vorkonmien-
den Vögte Aribo, Askuin, Starchand, Werigand und der Graf
' y. Ankenbofen, Geschichte Kärntens 2, 650.
• Jnyayia, Anh., 139 Nr. 29.
» Ibid. 170 Nr. 86, 168 Nr. 66, 1Ö9 Nr. 67 u. A.
* V. Jaksch, Gnrker Qeschichtsqu. 1, 44.
474
Marchwart gelten. Ein Edelmann dieses Namens^ der zu Un-
drina (Ingering) Eigen hat, begegnet uns bereits im Jahre 930/
ein comes Marchwart vor dem Grafen Wilhelm (I.) und nach
einem Engelbert, zwei Aribonen, zu Maria-Saal im Zeiträume
von 963 — 976,* ein marchio Marchuuardus, in dessen Graf-
schaft Udeldorf (Nidrindorf) bei Amfels in Steiermark liegt,
im Jahre 970. * Die Frau Judita, die mit dem Grafen Ottokar
und der Frau Pilhilde, Witwe des Grafen Sizo, imd ihren
Söhnen die Zustimmung zur Schenkung Kaiser Heinrichs III.
an Salzburg betreffs des Forstes am Traunflusse gibt (1048),
hat einen Sohn Marchwardus.^ Zwei Marchwarde erscheinen
um 1060 in einem Vergleiche Bischof Ellenharts von Freising
mit Erzbischof Gebhard von Salzburg betreffs Zehente zu
Wörthsee, Katsch, St. Peter im Holz und an anderen Orten in
Kärnten und Steiermark neben vielen anderen Zeugen mit be-
kannten Namen, wie Egilpreht (Engelpreht), Hartnit (Hart-
wig), Odalschalch, Meginhart, Ernest, Ger und Andere, von
denen die Letzten um dieselbe Zeit auch Grafen heissen.^ Alle
diese Marchwarde gehören wohl einer Familie an, die durch
ihre Besitzverhältnisse und ihr Auftreten sich genügend kenn-
zeichnet, und sind verschieden von dem Eppensteiner Mark-
ward, dem Sohne des 1035 abgesetzten Herzogs Adalbero. ^
Der seltene Name findet sich überhaupt nur noch in zwei
Freisinger Traditionen des 10. Jahrhunderts flir einen Edel-
mann^ und in einer Urkunde Admonts vom Jahre (ca.) 1075,
wo nach dem Grafen Sigihart ein Marchuuart filius Ascuini
sieht. «
Der erste der obgenannten vier Vögte verräth sich wohl
schon durch seinen Namen als Mitglied des Aribonenhauses,
wenn man den Ort und Anlass seines Auftretens sich gegen-
wärtig hält; er kommt zweimal als Hemmas Vogt vor.^ Ihren
* Juvavia, Anh. 166 Nr. 80.
» Ibid. 198 Nr. 20.
' Mon. Germ, histor. Dipl. 1, 530, „. J, Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 29.
St. 483.
* Mon. Boic. 29 a, 90. St 2347.
^ J. Zahn, Ck>d. dipl. Austr. Fris. in Font. rer. Aostr. Dipl. 31, 82. 86.
« U. Wahnschaffe, Das Herzogthum Kärnten 64. Mon. Boic. 14, 183. 184.
f C. Meichelbeck, Historia Fris. Ib, 483. 483 Nr. 992 u. 1147.
* J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 95. Juvavia, Anh., S. 263.
* V. Ankershofen, Nr. 116 (Archiv 2, 322), Nr. 116 (Archiv 2, 328).
475
Vogt Askoin bezeichnet Hemma ausdrücklich als ihren con-
sanguineus und zugleich als erblichen Vogt ihrer Stiftung; er
ist offenbar ihr Hauptvogt und nimmt darum an ihrem Stiftungs-
werke vorzüglich Antheil^ wobei er auch einmal Oraf genannt
wird. ^ Wir dürfen ihn wohl flir den nämlichen halten wie den
Grafen Askuin, der zu Radilach (Radel^ Gegend zwischen Am-
fels und Marenfeld in Steiermark) Besitz hatte und mit dem
Edelmann Wezil verwandt war^' und vermuthlich haben wir
in ihm auch den Vater des oberwähnten Marchwart zu sehen;'
vielleicht auch, wie Zillner annimmt,^ in dem zweiten der
beiden Zeugen, die in zwei Traditionen des Stiftes Michael-
beuem sich folgen: Wezil, Ascuin (Aschwin).^ Sehr zweifel-
haft bleibt es auch, ob er etwa ein Sohn oder Neffe des Grafen
Askuin, dem Kaiser Heinrich H. (1007) das praedium Eringa
im Rotachgaue in der Grafschafts Gerolds schenkt.^ Jedenfalls
aber steht er im nächsten verwandtschaftlichen Zusammenhange
mit dem gleichnamigen Vater des Grafen Weriandus (1125),
dessen Grafschaft (provincia) ad Radelach gelegen,^ also in der
nämlichen Gegend, wo er begütert ist. Der Name ist noch
seltener als der Name Marchwart und ebenso der mit ihm zu-
sammenstehende Weriant (Werigand), wenn dieser nicht mit
Wezil identisch sein sollte. Förstemann^ leitet sie von ver-
schiedenen Stämmen ab, mir scheint aber die Identität der-
selben im HinbUcke auf ähnliche Bildungen, wie Heinz, Kunz,
Gozilo, nicht so unwahrscheinlich. Habe ich Recht, dann tritt
das Verwandtschaftsverhältniss des Vogtes Askuin und des
Grafen Weriant noch klarer hervor; aber auch sonst wird man
beide ftir Glieder derselben Familie nehmen dürfen, da sie in
derselben Gegend Besitz haben, und Weriant, den Sohn des
Askuin, etwa ftir einen Enkel oder Urenkel des Vogtes Askuin
halten dürfen.
' Eichhorn, Beyträge 1, 178. 188; 2, 105. 8. die Fussnote am Schlüsse
der Ahhandlung.
* JoTavia, Anh., S. 253 Nr. 25.
' J. Zahn, Steierm. Urkandenhach 1, 95.
* Dr. Zillner, Die Grafschaften 216 f.
* M. Filz, Geschichte von Michaelbeuern 2, 679 Nr. 1; 2, 684 Nr. 23.
* Mon. Boic. 28b, 334. St 1451.
' J. Zahn, Steierm. Urknndenbnch 1, 128 f.
* E. FOrstemann, Altdeutsche Namenb. 1, 1259. 1273.
476
Der älteste Edle, Namens Weriant, der uns begegnet, ist
jener nobilis vir Vueriant, der flir den Fall seines eigenen,
seiner Gemahlin Adalsuind und seiner Söhne (Perhtold und
Pemhard) und Töchter Ablebens (928) dem Erzbischof Oudal-
bert (923 — 935) sein Eigen in loco Hus (£[aus im Ennsthale
östlich von Schladming) abtritt und dafür auf Lebensdauer für
sich und seine FamUie von demselben den Herrenhof (curtis)
in Friesach bekommt. Unter den vielen Zeugen dieser Hand-
lung befindet sich in der zweiten Reihe unmittelbar vor dem
Grafen Sigipold auch ein Starchant. ^ Dieser Weriant kann um
so eher mit dem siebzehn Jahre später in derselben Gegend
auftretenden Grafen gleichen Namens, in dessen Verwaltungs-
bezirke Kaiser Otto I. eine Herrenhube mit Zubehör der Kirche
zu Budistdorf schenkt, identificiert werden, als damals zu Maria-
Saal, wenn nicht alle, so doch fast alle Grafen Kärntens ver-
sammelt sein mochten imd kein zweiter Weriant sich fand. ^ Die zu
Ehren der Gottesmutter Maria erbaute Kirche zu Budistdorf,
der der Chorbischof Gotabert vorsteht, ist sicherlich die Kirche
Maria- Saal, also im pagus Chrouuat gelegen, und somit Weriant
der Vorgänger des bald darauf hier auftretenden Pfalzgrafen
Hartwig I. Daran erinnert schon der Name regimen, mit dem
der Verwaltungsbezirk beider bezeichnet wird, denn dabei ist
wohl nicht an die gewöhnUche gräfliche Verwaltung zu denken,
sondern an höhere Rechte imd ein gi'össeres Gebiet, da dieser
Name sonst nicht vorkommt. Für diese Auffassung spricht
noch die Verbindung desselben mit dem Ausdrucke ministerium
womit Grafengewalt und Grafensprengel nicht selten bezeichnet
werden: ,in regno Carentino in regimine eiusdem fratris nostri
et in ministerio Hartwici^* Kaum zu beantworten sind die
Fragen, in welchem Verhältnisse der mehrgenannte Weriant (I.)
zu dem um das Jahr 1000 lebenden Vogte des Stift;es St. Peter
in Salzburg, Namens Weriant (H.), steht,* ob Letzterer mit dem
maritus Trutae muUerculae clari generis^ und mit dem Ge-
mahle der Gräfin Wilbirg, Schwester des Grafen Eberhard von
^ J. Zahn, Steierm. Urkundenbach 1, 21.
« Mon. Germ, histor. Dipl. 1, 147. St. 123.
• Ibid. 1, 253, 8. St. 231. Vergl. G. Waitz, Verfiiasungsgeschicbte 7, 35.
* Juvavia, Anh., S. 291 Nr. 8, 292 Nr. 10 u. 293 Nr. 12. 15.
6 Ibid. 8. 290 Nr. 3.
477
Ebersberg, ^ zu identificieren ist und nur ein Graf Weriänt in
dieser Zeit angenommen werden darf. Bei der grossen Selten-
heit des Namens überhaupt erscheint es nicht wahrscheinlich,
dass damals zwei oder gar drei Weriante sollten gelebt haben,
und ich möchte mich darum für die Identität aller drei ent-
scheiden. Jedenfalls besteht ein verwandtschaftlicher Zusammen-
hang zwischen dem Vogte von St. Peter und dem früher ge-
nannten Weriant (11.) und ebenso wohl mit dem oberwähnten
Weriant (UI.), der im Jahre 1130 als Vogt des Stiftes Gurk
enthoben wird und, weil gleichzeitig und in derselben Gegend
auftretend, auch identisch ist mit dem Weriandus comes ad
Radelach. Seiner wird zum ersten Male gedacht im Jahre 1097,
wo er gemeinsam mit seinen Brüdern Ulrich und Starchand
den Erzbischof Thiemo von Salzburg gefangen ninunt;' denn
bei der Lage ihrer Besitzungen und derer des Erzbischofs
kann doch wohl nur an diese Grafen gedacht werden. Auch
ist er zugegen, als Patriarch Udalrich von Aquileja mit den
Gütern des Grafen Cazelin im Jaunthale das EJoster Ebem-
dorf gründet,' denn der erste Zeuge dabei, Weriandus, gehört
schwerlich der Familie der Grafen von Heunburg an, wo dieser
Name sonst sich nicht findet. Aber auch der comes Wergant
de Blaine, der als Zeuge König Heinrichs V. in der Urkunde
vom 29. September 1108 für das Bisthum Bamberg gegen Ende
einer langen Reihe von Fürsten und Grafen und vor vielen
Freiherren zu Pressburg erscheint,* kann kaum ein anderer
sein als unser Weriant, und ebenso ist wohl in allen anderen
Fällen, wo von nun an ein Graf Weriant nördlich von den
Alpen auftritt, an ihn zu denken,^ besonders auch indem, wo
nach dem Grafen Friedrich von Tengling und dessen Sohn Chunrat
ein Weregando comes als Dritter eine Schenkung des Grafen Udal^
Schalk und seiner Gemahlin Adelheid von Suben bezeugt® und
als ihr Verwandter sich auffassen lässt. Wenn er nun seit
1108 öfter im Norden als im Süden zu finden ist, so liegt der
Gedanke nahe, dass ihn neuer persönlicher Erwerb oder Erwerb
» Mon. Boic. 14, 182.
• Mon. Germ, histor. Script 11, 56, {»ff.; 67, ^ff.
' A. Eichhorn, Bejträge znr Geschichte n. Topographie Kärntens 1, 223.
* A. Meiller, Babenherger Reg., S. 12 Nr. 6.
* Ibid. 8. 13 Nr. 9—11, 15 Nr. 22 u. 16 Nr. 28. ^
• Mon. Boic. 4, 617.
478
seines Geschlechtes nach dem Norden gefUhrt habe. Die Borg,
wonach schon er selbst und dann seine Nachkommen, deren
vorherrschender Name Liutold ist, sich benennen. Piain, liegt
bekanntlich im Salzburggau, und dort haben sie auch eine Graf-
schaft, die zum Theile sicher mit der Grafechaft der älteren
Liutolde zusammenfilUt ; ein anderer Besitz nördlich von den
Alpen aber, Hardegg, womach sich bald ein Zweig nennt,
liegt in Niederösterreich in der Gegend] von Retz.^ Dagegen
scheinen sie ihren ganzen Besitz in Kärnten verloren zu haben.
Von dem noch nicht behandelten Vogte des Bisthums Gurk,
Htarchant, ist uns nichts bekannt als der Besitz dieser Vogtei;^
namentlich bleibt auch dunkel, wie dieselbe auf den nächst-
genannten Vogt Weriant gekommen. Aber als sicher ei^bt
sich, dass er nicht mit Weriants gleichnamigem Bruder zu-
sammenfallen kann, denn dies ist schon der Zeit nach unmöglich.
Letzterer überlebte offenbar seinen um das Jahr 1130 gestorbenen
Bruder Weriant. Er wird einmal marchio de Sonne genannt
und hat eine Tochter Hemma, die mit ihrem Gatten Graf
Wolfrad von Treffen dem Erzbischof Konrad von Salzburg 1141
das Gut Cest überlässt, wogegen dieser sie tam morum quam
generis nobilitate inspecta und wenn sie einen Sohn bekäme,
auch diesen auf Lebenszeit mit 100 Hüben belehnte.' Elinen
andern bedeutenden Besitz, predium ad Radela, XXX scilicet
mansos, hatte Graf Weriant zur Sühne seines Frevels im
Jahre 1097, der Gefangennahme des Erzbischofs Thiemo, an
dies Erzstift übergeben müssen,^ und das ist wohl nicht das
einzige Opfer, das die genannte Gewaltthat der Familie ver-
ursacht hat, da ja nicht Graf Weriant, noch der Markgraf
Starchand, sondern der nachher verschollene Graf Udalrich
der Hauptft'evler war. Ich möchte vielmehr annehmen, dass
gerade diese That dem um das Ende des 11. Jahrhundert neuauf-
tretenden Grafengeschlechte der Spanheimer erwünschte Ge-
legenheit bot, die genannten Grafen zu demüthigen und sich
auf ihre Kosten zu bereichem. War ja doch ihr Ueberwinder
* J. Wendrinskj, Die Grafen von Plain-Hardegg 295 ff.
* y. Jaksch, G. (JeschlchtsqueUen 73. v. Ankershofen, Reg., Nr. 152
(Archiv 2, 340).
■ Ibid. Nr. 269 (Archiv 6, 224). v.Hormayr, Archiv för Süddeutschland, 8.247.
^ J. Zal^n, Steierm. Urkundenbach 1, 182. Meiller, Salzburger Reg., S. 39
Nr. 214.
479
Ghraf Bernhard, der Sohn Engelberts I. von Spanheim und
Bruder der nachmaligen Herzoge Heinrich und Engelbert H.,
and meldet ja von ihnen die Vita Chunradi archiepiscopi: fun-
ditu8 contriti sunt et ad nichilum redacti, omni pristina potentia
perdita.^ Das mag der Hauptgrund gewesen sein, warum sich
Weriant auf die indessen wohl freigewordenen alten Besitzungen
des Oeschlechtes zurückgezogen. Was ihm nach dem Verluste
an die Spanheimer und an die Kirchen in Kärnten an Besitz
etwa noch verblieben, das mag an die Männer und Nachkommen
der weiblichen Sprossen gekommen sein, als welche wir wohl
aasser den Grafen von Treffen noch die Grafen von Zeltschach*
and Heunburg anzusehen haben.
Ean Glied der ersteren Familie, Poppe von Zeltschach, ist
auch beim UeberfaUe auf den Erzbischof Thiemo betheiligt,*
und ihre Grafschaft liegt im Gebiete der ehemaligen Grafschaft
Friesach. Bei den Grafen von Heunbui^ sind die vorherr-
schenden Familiennamen Wilhelm und Udalrich, die mit anderen
im Aribonenhause vorkommenden, wie Friedrich, Pilgrim, Poppe
and Heinrich, wechseln. Allein Hauptzweige desselben oder
auch nur Nachkommen männlicher Glieder dürfen wir in
beiden schwerlich suchen. Denn beide treten zwar sofort als
Grafen auf, aber erst um 1100 und haben nur kleine Theile
älterer Grafschaften in ihren Händen. Der grösste Theil der
ehemaligen Grafschaft Friesach, worin Zeltschach liegt, gedieh
ja an das Gurker Stift, und die Grafschaft Zeltschach ist darum
nur ein Rest jener; wären die Grafen von Zeltschach Spröss-
linge von den nächsten männlichen Verwandten der Grafen
Wilhelme, dann hätte doch die Gräfin Hemma nicht so viel ver-
schenken können. Die Grafen von Heunburg hatten auch nur
einen kleinen Theil einer alten Grafschaft, des Lavantalgaues,
in ihrem Besitz, denn Schloss und Grafschaft gleichen Namens
Hegen im Südwesten derselben bei Völkermarkt, sie hatten also
nicht einmal das den Wilhelmen gehörige Gebiet von Trixen
bekommen, der grösste Theil dieser Grafschaft war aber auf
die Gräfin Riccarda von Lavant und durch sie auf das fremde
Geschlecht der Spanheimer übei^egangen. Ein altgräfliches
Geschlecht sind die Heunburger sicher, wenn wir den ein paar
^ Mon. Germ, hutor. Script 11, 67, ^.
« Ibid. 11, 67, „.
480
Male im 11. Jahrhundert auftretenden Zeugen comes Qer ab
einen ihrer Ahnen betrachten dürfen/ und entschieden auf ver-
wandtschaftlichen Zusammenhang mit den Aribonen scUiessen
dürfen wir, wenn er der nämliche ist wie der gleichnamige Graf,
dessen Sohn Wilhelm der Einweihung der Kirche des Stiftes Mi-
chaelbeuem im Jahre 1072 beiwohnt.* Eher als die Grafen von
Zeltschach und Heunburg jedoch könnten die Grafen von Treffen
ein männUcher Zweig des Aribonenhauses sein, denn ihre Graf-
schaft liegt am Ossiacher See und also innerhalb des Umfanges
des Chrouuatigaues, und sie gehen seit ihrem ersten Auftreten
(1128) im 12. Jahrhunderte allen anderen Grafengeschlechtem
Kärntens, auch den (jüngeren) Ortenburgem und Görzem in
der Zeugenreihe vor,' sind also wohl das angesehenste unter
ihnen; doch auch ihre Grafschaft ist ein kleines Gebiet, nur
ein Gerichtsbezirk der Grafschaft des Chrouuatengaues, und im
Laufe der Zeit werden sie weit von anderen Grafengeschlechtem
Kärntens, nicht allein von den nun herzoglichen der Spanheimer,
sondern auch von dem der Ortenburger und Görzer überflügelt.
In dem Herzen Kärntens und Hauptsitze der Aribonen-
macht daselbst, in dem Gaue Chrouuat, haben noch zwei andere
aus dem südöstUchen Baiem stammende Familien erhebUchen
Besitz erlangt und könnten darum mit dem Aribonenhause in
Zusammenhang gebracht werden: die Familie der Stifter der
Augustiner-Chorherrenabtei Reichersberg und die des Chor-
bischofs Gotabert, des Zeitgenossen Erzbischofs Oudalberts von
Salzburg. Dass jene mit der Familie der Wilhelme und den
späteren Grafen von Piain Beziehungen hat, ist kaum in Ab-
rede zu steUen, aber näher steht sie jedenfalls anderen Zweigen
des Aribonenhauses, wie den Peilsteinem, die später als Vögte
ihrer Stiftung erscheinen,* und der Familie des Bischofs Alt-
mann, die wie sie in dem oberen Drauthale begütert ist, denn
der Ort Radilaha am Drauflusse, wo bei der Theilung zwischen
^ J. Zahn, Cod. dipl. Anstro-Fris. in Font. rer. Austr. Dipl. 31, 86. 93.
' M. FilsE, Geschichte yon Michaelbeuem 2, 747.
' J. Zahn, Steienn. Urkundenbuch 1, 134 f. 138. 185. 197. 214. 235. 327.
350. n. 477. A. Meiller, Babenberger Reg., S. 34 Nr. 20; SaUburger
Reg. 8. 13 Nr. 75, 15 Nr. 86, 24 Nr. 140, 32 Nr. 179, 33 Nr. 181, 38
Nr. 213 o. 8. w. V. Ankershofen, Reg., Nr. 216. 220. 236. 283 f. 321.
327. 330 n. s. f.
* Mon. Boic. 3, 427.
481
den Brüdern Wernher und Aribo der Letztere 30 Mansen bekommt,
ist wohl bei Greifenburg in Kärnten und nicht bei Amfels in
Steiermark zu suchen, während der Antheil Wemhers im Gaue
Chrouuati liegt. ^ Und wie Altmanns Familie, so hat auch der
Stifter der Abtei Reichersberg, der ebengenannte Wemher, viel
Besitz in der Gegend der Stiftung in Oberösterreich im Rotach-
gaue. ^ Als aber des genannten Aribo Sohn Albwinus der
neuen Stiftung seines Oheims 13 Mansen in Kärnten vorenthielt
and sogar dieselbe zu stören und die Cleriker zu vertreiben
wagte, da fand er an Adalbero, dem Bruder Bischof Altmanns,
wie es scheint, Unterstützung, bis beide dasselbe Verderben,
wie die Fundationsurkunde meldet, ereilte. * Die Namen Aribo
and Albwin deuten auf das Aribonenhaus hin, und vielleicht
ist der Graf Udalricus, der nach obigem Berichte gleichfalls
mit Albwin halten wollte, kein Anderer als der bekannte Graf
Ulrich von Passau, in dessen Lebenszeit diese Vorgänge
sicherlich fallen und dessen Hauptbesitz in der Nähe lag.
Es erübrigt am Schlüsse dieses Capitels noch die Frage zu
beantworten, ob auch der Chorbischof Gotabert, der Zeitgenosse
des Erzbischofs Oudalbert, in verwandtschaftlichen Beziehungen
zu dem Ahnherrn der Aribonen, dem Markgrafen Aribo, oder
zu dessen nächstfolgender Generation stehe. Gotabert* ent-
stammte jedenfalls einem edlen Geschlechte und war vieUeicht
vor seinem Eintritte in den geistlichen Stand Graf. Er hatte
eine Frau, namens Papa, und eine Tochter, namens Helsuind,
die wieder einen Sohn, Ruodbert, besass.^ Der Bischof war zu
Holten und Terlan in Tirol, ^ zu Lobminz, Graslab und Perchau
in Steiermark, zu Moritzen und Holzhausen im Salzburgischen,''
zu Hörgolting bei Traunstein und zu Zaisering am Inn im
Chiemgaue,® zu Niederheim im Pinzgaue,* begütert: lauter von
ihm selbst erworbene Besitzungen, darunter die tirolischen von
^ Mon. Boic. 3, 399.
« Ibid. 3, 400.
■ Ibid. 3, 401 f.
• Vergl. J. V. Eoch-Sternfeld, Der Dynast und Chorbischof Gotabert (Ab-
handlon^en d. histor. Classe d. bair. Akad. d. Wissensch. 5, 2, 1 —24).
• Juvavia, Anh., S. 129 Nr. 6.
• Ibid. 8. 126 Nr. 1.
' Ibid. 8. 126 Nr. 2.
• Ibid. 8. 129 Nr. 6, 168 Nr. 66.
• Ibid. 8. 169 Nr. 67.
AreMT. LXIXIII. Bd. II. H&lfte. 32
482
König Konrad I., zugleich aber auch in Gegenden, wo die
Aribonen vorzügUch Besitz haben; die bei seinen Verhandlungen
auftretenden Zeugen sind zum Theil sicher MitgUeder des
Aribonenhauses. Andere Anhaltspunkte fehlen jedoch ganz,
um ihn diesem zuzuweisen, und gewiss sind Gotaberts Kach-
kommen, wenn sich sein Stamm weiter fori^epflanzt haben
sollte, nicht nördUch, sondern südlich von den Tauem, in
Kärnten zu suchen. Hier residirt er auch zu Maria-Saal, der
Wiege des Christenthums in diesem Lande, und fUr diese Kirche
machte er noch im Jahre 945 von König Otto I. eine wichtige
Erwerbung, die schon erwähnte Herrenhube mit Zubehör in
Budistdorf. ^
V.
Die Jüngeren Zweige des Aribonenhauses und ihre
nSehsten Verwandten im 12. und 13. Jahrhunderte.
Wenn man die Besitzungen, Eigen, Lehen und Vogteien
der pfalzgräflichen Zweige des Aribonenhauses, der älteren
Pfalzgrafen und der Familie des Chuno von Rot-Vohburg
und des Rapoto von Cham, mit dem Besitzstand einer Reihe
von jüngeren Grafenfamilien im südöstlichen Deutschland, der
Grafen von Peilstein, Burghausen-Schala, Lebenau, Piain, der
Hallgrafen und Grafen von Wasserburg, von Marcwartstein,
von Frantenhausen und MegUng, der Markgrafen von Vohburg,
der Grafen von Spanheim-Ortenburg, Falkenstein und Lechs-
gemünde im 12. Jahrhunderte vergleicht, so ergibt sich die
kaum zu bezweifelnde Thatsache, dass diese in vielen Fällen
die Nachfolger jener geworden, dass sie also eine grosse Anzahl
von Grafschaften und Grafenrechten, von Schlössern und Gütern
verschiedener Rechtstitel und anderen Besitz von ihnen über-
kommen haben. Das kann aber nach den früheren Er-
örterungen nur nach dem Erlöschen der älteren Familien, also
um die Wende des 11. und 12. Jahrhunderts geschehen sein,
und in dieser Zeit war die Erblichkeit der Lehen ,zu einem
allgemein anerkannten Gewohnheitsrecht' geworden; dieselbe
^ Mon. Oerm. histor. Dipl. 1, 147.
483
galt nicht blos mehr für die niehtfÜrstUchen Lehen^ sondern
auch fUr die ftirstlichen stand sie bereits fest. Auch die
Vogteien von Kirchen und Klöstern hatten vielfach den
Charakter der Erblichkeit angenommen/ sei es, dass die Stifter
solcher geistlichen Institute die Vogteirechte sich für ihre Person
and ihre Nachkommen vorbehielten, sei es, dass diese sie durch
Zugeständnisse der Stiftsvorstände erwarben oder gewaltsam an
sich rissen. Das Becht der Nachfolge war anfangs allerdings
auf die Abkömmlinge des letzten Besitzers beschränkt, allein
auch diese Schranke wurde schon früh durchbrochen und die
Rechte der nächsten Ascendenten und der Seitenverwandten
anerkannt; ja manche Lehensherren Hessen ihre Lehen selbst
auf die Töchter ihrer Vasallen tibergehen, besonders wenn sie
dabei das Becht erlangten, den Töchtern ihren Gemahl zu be-
stimmen. Doch darf man Fälle der letzteren Art, die Nach-
folge von Frauen, in Deutschland wohl weit mehr als Aus-
nahmen denn als Begel, wie in Italien, betrachten, und darum
wird im Allgemeinen der Schluss gestattet sein, dass die Nach-
folger in den Lehenrechten mit den Vorgängern in männlicher
Linie verwandt und Erben derselben geworden seien, wenn
nichts für eine andere Art des Erwerbes spricht oder der Besitz
der nämlichen Bechte anders sich erklären lässt; sollte jedoch
die Wahrscheinlichkeit der Abstammung von Männern gering
sein, so wird jedenfalls zunächst an Frauen als Vermittlerinnen
des Besitztiberganges zu denken sein.
Dass die Grafen von Peilstein ein Zweig des Aribonen-
hauses, wurde bereits frtiher bemerkt und unterliegt nach Zillner's
und Bichter's Forschungen keinem Zweifel mehr, denn ihre
Vogteien wie ihre sonstigen Besitzungen, die erst klarer sich
aus den nach ihrem Erlöschen zwischen Salzburg und Baiem
geschlossenen Verträgen ergeben, weisen ganz entschieden auf
den pfalzgräflichen Zweig des Aribonenhauses, auf die Pfalz-
grafen, Namens Hartwig und Aribo, und die Grafen Sigharde hin.
Sie sind nach den Urkunden des Stiftes Beichersberg ,advocati
principales^ des Erzstiftes Salzburg und zugleich Vögte von
Beichersberg selbst, ebenso der alten FamiUenstiftung der Ari-
bonen: Michaelbeuern; sie haben auch mannigfache Beziehungen
zu Reichenhall und beziehen eine Gebtihr von sämmtlichen dem
^ R. Schröder, Deutsche Reuhtsgeschichte, 1. Aufl., 396 ff.
32*
484
Erzbisthume gehörigen Pfannen, die wohl auch von einem Vogtei-
Verhältnisse herzuleiten ist. * Dass sie als Vögte von Reichers-
berg ftlr die nächsten Verwandten der Familie des Stifters an-
gesehen werden mttssen, wurde schon betont. Von den Graf-
schaftsbezirken besitzen sie nur mehr Unterpinzgau und ausser-
dem die Schlösser Amrang und Kirchberg,* die Mauth von
Karlstein und das Gut Gastein. Doch den Schwerpunkt ihrer
Macht haben die Peilsteiner nicht wie ihre Ahnen im Salz-
burgischen oder Chiemgaue, wo peilsteinischer Besitz gar nicht
nachweisbar ist, sondern im fernen Niederösterreich. Hier, im
Viertel ob dem Wienerwalde nächst dem Zusammenflusse der
Mänk und Molk unweit Weichelbach liegt die Feste Peilstein und
um sie die Grafschaft gleichen Namens, wornach Friedrich, der
Bruder Sigharts von Burghausen und Sohn Friedrichs von Teng-
ling, sich zuerst nennt;* hier, westlich von der Ips nächst Streng-
berg, ist auch Möring zu suchen, das einer Seitenlinie den
Namen gegeben hat.* In diesen Besitzungen in Niederöster-
reich ist zum grösseren Theile wohl neuer Erwerb zu sehen,
da bis in das Ende des 11. Jahrhunderts davon keine Spur
sich findet. Einzelne mögen allerdings schon früher der Familie
angehört haben. So wird als altes Erbgut bezeichnet, was Bi-
schof Heinrich von Freising, ein Bruder Friedrichs I. Grafen
von Peilstein, und die Gemahlin seines anderen Bruders Sig-
hard von Burghausen, Gräfin Ita, zu Ramuoldispach (Ravels-
bach unweit Meissau, noch ostwärts vom Manhartsberge) an
das Kloster Göttw^ih schenkten,^ und vielleicht ist auch als
solches zu betrachten das ebenfalls in genannter Gegend liegende
Erbe desselben Bischofs, das von ihm an die Grafen Konrad
von Peilstein und Gebhard von Burghausen und Heinrich von
Schala gefallen ist: die curtis Ladestorf (Ladendorf an der
Zaya in der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach). ^ Wie die
* E. Richter, Untersuchungen 647.
« Ibid. 662 f. Dr. Zillner, Die Grafschaften 262 ff. R. v. Koch-Sternfeld,
Die Tanem 200 ff.
' M. Filz, Geschichte von Michaelbenern 1, 109. 115. J. Wendrinsky, Die
Grafen von Pellstein 22 ff.
^ M. Filz, Geschichte von Michaelbeuem 164 f.
» Font rer. Austr. Dipl., 8, S. 38 Nr. 163, 47 Nr. 192 n. 66 Nr. 269, 167.
168. 197.
* M. Filz, Geschichte von Michaelbeuem 2, 701.
485
Besitzungen im Salzburgischen auf die FamUie der Sigiharde
and die der älteren Pfalzgrafen hinweisen, so diese auf die
des Pfalzgrafen Chuno.
Aehnhch wie mit den Peilsteinern verhält es sich mit den
Grrafen von Burghausen und Schala; nur dass bei ihrem Be-
sitze noch entschiedener der Zusammenhang mit den eben ge-
nannten älteren Familien hervortritt. Die Grafen von Burg-
hausen und Schala waren Vögte von St. Peter in Salzburg,
dem ersten und angesehensten Stifte des Erzbisthums/ von
Ranshofen^ und Admont;' sie hatten sicher die Grafschaft
Burghausen und sehr wahrscheinlich auch die Gerichte Wilds-
hut und Wald, die wohl beide dazu gehörten, im Besitze,* so-
mit Bezirke des Salzburg- und Isengaues, in dessen Gebiete
ja die erstere, im CSdlargaue, lagen. Sie übten also gerade
da Grafenrechte aus, wo wir im letzten Viertel des 11. Jahr-
hunderts einen Grafen Udalrich, ein Glied der Familie des
Pfalzgrafen Chuno, treffen. Aber auch der Schwerpunkt der
Macht dieses Grafengeschlechtes ist trotz des neuen Erwerbes
kaum mehr am Inn, sondern gleichfalls im fernen Osten süd-
lich der Donau zu suchen; da war die Grafschaft Schala, an
die noch heute die Dörfer Gross- und Kleinschollach (Bezirks-
gericht Melk) erinnern,^ denn gerade die Enkel Sighards I.,
die Söhne Sighards IL, Sighard (HI.) und Heinrich, nannten
sich Grafen von Schala, während der dritte Sohn Sighards I.,
Gebhard, den Titel Graf von Burghausen flihrte. Die Grafen
von Falkenstein hatten von den Grafen von Burghausen in
orientis partibus, wobei nur an Niederösterreich gedacht werden
kann, 400 Mausen zu Lehen. ^ Die Brüder Heinrich und Sig-
hard von Schala genossen auch Patronats- und sonstiges Recht
über die Kirche zu Niedernsulz, die dann erbsweise an den
Herzog Leopold VI. fielen.' So sehen wir also auch diesen
Zweig der Aribonen in jener Gegend begütert, wo wir die
E. Richter, Untersuchungen 646.
M. Pilz, Geschichte von Michaelbeuem 1, 126. J. Wendrinsky, Die
Grafen von Peilstein, S. 8.
Wichner, Admont 1, 105. 106. 149. 188.
£. Richter, Untersuchungen 649 ff.
Dr. Zillner, Die Grafschaften 260 ff.
Drei bayerische Traditionsbücher, S. 7, F. 7 a. Mon. Boic 7, 440.
M. Filz, Geschichte von Michaelbeuem 1, 140.
486
Peilsteiner und die älteren Zweige getroflfen haben^ im Viertel
unter dem Manhartsberge, denn hier gibt es ein Ober- und
Niedemsulz.
Das wiederholte gleichzeitige Auftreten der Grafen von
Lebenau (Liebenau) mit den Grafen von Peilstein, Burghausen-
Schala, den Grafen von Piain und anderen Aribonen/ noch
mehr ihre wiederholte Anführung in dem Necrologium des
Stift;es Seon, wo allem Anscheine nach alle bekannten Glieder
der Familie verzeichnet sind und wornach vier im Stifte be-
graben liegen,* lassen sie schon als GUeder dieses Hauses er-
scheinen. Dass Hedwig, die Gemahlin Engelberts H. von
Spanheim, einen Sohn Siegfried gehabt, ist urkundlich be-
zeugt;' ob dieser eine eigene Linie begründet, die sich
nach dem bei Graz gelegenen Liebenau genannt, will ich
nicht entscheiden; jedenfalls wären dann diese Liebenauer
von den obigen zu scheiden. Dazu kommt, dass letztere auch
Vögte über die Unterthanen und Besitzungen des Salzburger
Domcapitels und des Stiftes Seon sind. ^ Ganz besonders
aber weisen sie die Besitzverhältnisse den Aribonen zu,
denn es gehören ihnen die salzburgischen Gerichte Ober-
und Niederlebenau, das Gericht Hunsberg, die Schranne Fri-
dolfing, wo ihr Stammschloss Lebenau steht, und die Graf-
schaft Titmoning. Das sind lauter Gerichtsbezirke im Salz-
burgischen zu beiden Seiten der Salzach, eingekeilt zwischen
den Besitzungen der Grafen von Burghausen und Piain,* ge-
rade da gelegen, wo man die Grafen von Peilstein am ehesten
suchen möchte, und sehr wahrscheinlich stehen sie auch diesen
am nächsten; dass aber schon der bei ihnen herrschende Name
Siegfried, wie Meiller meint, darauf hindeute,® kann man
kaum behaupten, da dieser Name im Aribonenhause überhaupt
nur selten und bei den Peilsteinern nur ein paar Male sich
findet.'' Die bekannten Ministerialen der Lebenauer, die Herren:
» A. Meiller, Salzburger Reg., S. 37 Nr.209. 63 Nr. 40. 66 Nr. 62. 68 Nr. 6 1 u. a. a. O.
« Necrolog. Germ. 2, 221. 223. 233. 235. Mon. Boic. 2, 169. 161—163.
' Urkundenbuch des Stiftes St. Paul in Kärnten 12.
* A. Meiller, Salzburger Reg., S. 107 Nr. 260. 244 Nr. 826 u. 327. 260
Nr. 405. 291 Nr. 567.
^ E. Richter, Untersuchungen 653 ff. 661. Dr. Zillner, Die Grafschaften 269 ff.
« A. Meiller, Salzburger Reg., S. 474 Nr. 108.
' A. Meiller, Babenberger Reg., S. 49 Nr. 78. 51 Nr. 83.
487
von Lebenau^ von Roting^ von Hunsberg, von Nussdorf, Rutins-
perch und Utendorf ^ lassen sich nur zum Theile als Bewohner
ihres Grafschaftsbezirkes bestimmen^ ein Utendorf liegt im Isen-
gane im Bezirksamte Eggenfelden. Die Lebenauer waren bei
ihrem ersten Auftreten entschieden ein sehr angesehenes Grafen-
geschlecht, denn Siegfried I. und Siegfried II. erscheinen wieder-
holt vor den anderen Grafen in der Zeugenreihe,* der letzte
aber, der im Jahre 1229 gestorbene Graf Bernhard, steht in
der Regel zuletzt.' Den materiellen VerfaU bezeichnet schon
der Umstand, dass er die Vogtei über die Güter des Dom-
capitels von Salzburg an den Pfalzgi-afen Rapoto verpfändet.*
Lässt sich Besitz der Lebenauer nur im Salzburgischen
nachweisen, so erscheinen die Grafen von Piain dagegen, wie
die Peilsteiner und Burghausener, wieder daselbst und in
Niederösterreich begütert, doch ist ihre Machtstellung im Salz-
burgischen entschieden vom Anfange an bedeutender als die
jener und wird es im Laufe der Zeit noch mehr, da das Er-
löschen jener Familien Gelegenheit zu neuem Erwerb gibt.
Sie waren, wenigstens zeitweise, Vögte von St. Peter, von
Frauenchiemsee, von Michaelbeuem, wahrscheinlich auch von
Herrenchiemsee und endlich von den Besitzungen des Dom-
capitels im Chiemgaue nach dem Vertrage von 12ö4.^ Das
Stift Michaelbeuem bezeichnet die Gräfin Ita von Piain aus-
drücklich, als sie mit ihren Söhnen Graf Liutold und Gebhard,
Domherr von Passau, die Pfarrkirche zu Sulz an dasselbe um
das Jahr 1212 schenkt, als eine Stiftiung ihrer Vorfahren,* und
als solche ist meines Erachtens auch das Chorherrenstift Högel-
werd zu betrachten, das von den FamiUenmitgliedem reichUch
beschenkt wird, sie als Vögte ehrt und schon seiner Lage nach
auf einen derartigen Ursprung hinweist.^ Plainische Gerichte
waren Raschenberg, Ober- und Unterplain (Grossgemein und
^ M. Filz, Geschichte von Michaelbeuem 2, 713 Nr. 91. Notisbl. 5, 564
Nr. 225. Dr. Zillner, Die Grafschaften 277.
* A. Meiller, Babenberger Reg., S. 27 Nr. 12 44 Nr. 64. 59 Nr. 18. —
Salzburger Reg., S. 37 Nr. 209. 42 Nr. 227. 66 Nr. 52 u. a. a. O.
' A. MeUler, Babenb. Reg. 129 Nr. 173, 139 Nr. 216. Salbb. Reg. 228 Nr. 260.
* A. Meiller, Salzburger Reg., S. 291 Nr. 567.
^ E. Richter, Untersuchungen 677.
* M. Filz, Geschichte yon Michaelbeuem 2, 753.
' Ibid. 2, 757. 768. 777. 779. R. v. Lang, Reg. Boica 3, 32. Anders Dr. Zillner,
Die Grafschaften 225.
488
Stauffeneck)^ Euchel (Golling) und Grafengaden (Glaneck) und
Unterpinzgau, lauter Bezirke des ehemaligen Salzburggaues,
und Tetelheim und Halmberg^ die auch zu dem Chiemgaue ge-
rechnet werden.^ So war ihr Grafensprengel entschieden viel
ausgedehnter als jener der Lebenauer, ja selbst ak jener der
Gh^fen von Burghausen und umfasste einen beträchtlichen Theil
des Eronlandes Salzburg.' In den nach ihrem Stammschlosse
Piain benannten Gerichten Ober- und Unterplain, in deren
ersterem sich dasselbe erhob, hatten sie auch viele Besitzungen.
Dass von den genannten Gerichten Unterpinzgau ein Lehen
des Herzogthums Baiem gewesen, wissen wir sicher,^ und auch
von der Mehrzahl der übrigen dürfte dies der Fall sein; schwer-
Uch ist im 12. und 13. Jahrhundert eines noch reichsunmittel-
bar gewesen, und darum müssen jene, die nicht zu Baiem ge-
hört haben, wohl als salzburgische Lehen angesehen werden;
hatten ja die Plainer vom Bh*z8tifte noch zahlreiche andere
Lehen. Mit einer auch nur theilweisen reichsunmittelbaren
Stellung der Plainer Ghrafen lässt schon der Umstand sich
schwer vereinen, dass sie trotz ihrer beträchtlichen Besitzungen
an Ansehen hinter den meisten Grafenfamilien und gerade auch
hinter ihren nächsten Gesippten, den Grafen von Bui^hausen,
Peilstein und Lebenau, zurückstehen, wie der Platz in den
Zeugenreihen beweist. Dass ihre Grafschaften innerhalb des
Herzogthums Oesterreich, einer ehemaligen Mark, nicht reichs-
unmittelbar waren, ist selbstverständUch, um so mehr, als ja
den Markgrafen durch das Privilegium minus die ausschliess-
liche Gerichtsbarkeit in ihrem Gebiete zugestanden war. Hier
muss aber von ihrem ersten Auftreten an der Besitz der
Plainer noch bedeutender oder werthvoller gewesen sein als
im Salzburgischen, und hat er jedenfalls im Laufe der Zeit
eine erhebUche Erweiterung, namentlich durch das Erlöschen
der Grafen von Burghausen (um 1200) und Peilstein (um 1208),
erfahren. Schon der erste bekannte Graf von Piain, der früher
genannte Graf Weriant, bevorzugt seinen Besitz in Oesterreich,
indem er meist hier sich aufhält und die Verwaltung der
salzburgischen Gerichtsbezirke seinem Sohne Liutold über-
^ E. Richter, Unterauchungen 666 ff.
> Ibid. Karte.
» A. Meiller, Salzburger Reg., S. 241 Nr. 319. 242 Nr. 322.
489
lässt.^ Es macht ganz den Eindruck^ als gälte es einen be-
deutenden Neuerwerb seines Hauses zu sichern. Auch seine
Nachkommen weilen hier weit öfter als im Salzburggaue und
betbeiligen sich unter a^en hervorragenden Geschlechtern des
Landes am regsten an den Acten der Landesftirsten. * Sie be-
sitzen da vom Anfange an, wie bemerkt^ die Grafschaft Har-
deggy nach der sie sich auch seit 1188 öftiers benennen/ später
noch das Landgericht Heybs bei ülmerfeld und die Grafschaft
Peilstein^ herzogliche Lehen ;^ ausserdem haben sie vom Stift;e
Passau mehrere Lehen* und in Oberösterreich von Regens-
barg. ^ Zahlreich sind ihre sonstigen Besitzungen in Oesterreich^
und darum erfahren die dortigen Klöster, wie Göttweih, Pemegg,
Seitenstetten, Zwetl, Geras und andere, nicht selten ihre Gunst.''
Nach dem Verluste ihrer Gerichte im Salzburgischen (1228)
sind sie ganz zu einem österreichischen Grafengeschlechte ge-
worden. Nicht gering ist die Zahl der Vasallen und Ministe-
rialen, die von ihnen bekannt sind, und auch unter diesen
finden wir die österreichischen vorherrschend. Aber gerade
die älteren Besitzungen in Niederösterreich, wie die Grafschaft
Hardegg, und die passauischen Lehen weisen entschieden auf
den Besitz der Familie des Pfalzgrafen Chuno daselbst hin,
und darum möchte ich annehmen, dass eher der Erwerb eines
Theiles dieses Besitzes, als die Vermählung des Grafen We-
riant mit einer Erbtochter aus der Familie der Herren von
Schwarzenburg-Nezta, wie Wendrinsky meint,® die Plainer in
Niederösterreich so begütert gemacht habe.
Als die nächsten Verwandten der Grafen von Piain müssen
nach den bekannten verwandtschaftlichen Beziehungen und den
^ M. FilE, Geschichte von Michaelhenern ], 199. Dr. Zillner, Die Graf-
schaften 223.
' 8. A. Meiller, Babenherger Reg., S. 312.
' Urkandenbuch des Landes ob der Enns 2, 409. 410. A. Meiller, Baben-
berger Reg., S. 82 Nr. 9 u. a. a. O.
* J. Zahn, Cod. dipl. Austr. Pris. in Font. rer. Austr. Dipl. 31, 264. 863.
* Mon. Boic. 29 b, 167. 203. 227. Urkandenbuch des Landes ob der Enns
3, 161. 309.
* Quellen u. Erörterungen z. balr. n. deutsch. G^esch. 5, 207.
' Font. rer. Austr. D. 8, 78. 282. 310. 311. Archiv för österr. Ge-
schichtsforschung 2, 19. 21 u. a. a. O.
* J. Wendrinsky, Die Grafen von Flaiu-Hardegg (Blätter d. Vereines für
Landeskunde Niederösterreichs 13, 297).
490
Besitzyerhältnissen die HaUgrafen und Grafen von Wasserburg
gelten. Der nähere Zusammenhang beider Familien lässt sich
freilich sehr schwer nachweisen, namentlich bleibt das Ver-
hältniss der älteren Grafen, namens Liu^lde, zu der Familie der
Gräfin Judita und ihres Gemahles Sizo,^ die wir wohl als
die Stammeltem der Hallgrafen ansehen dürfen, gänzUch dunkel.
Nicht zu bezweifeln scheint mir aber, dass in der bekannten
Urkunde Kaiser Heinrich HI. vom 9. April 1048, worin dieser
den schon von Otto I. im Jahre 959 an das Erzstift Salzburg
geschenkten Traunwald abermals an dasselbe vergibt,' Judita
mit ihren Söhnen ganz die Stelle einnimmt, die in Ottos I. Diplom
der Graf Wilhelm (I.) innehat, und dass sie also dessen Grafschaft
vertritt, wie der jüngere Ottokar (IH.), die des älteren Ottokar (H.)
und Pilhilde mit ihren Söhnen, die Witwe des Gh*afen Sizo (IV.),
die des älteren Sighard (IH.). Damach musste sie und ihre Söhne
Sigehard, Engilbert, Marchward und Meginhard, Sigeboto, Ger-
loho und Sigeboldo die Gra&chaft Raschenberg-Teusendorf und
Reichenhall besessen haben. Ob damals noch mit dem Bezirke
Reichenhall die Plainischen zusammengehangen, ist unerfind-
lich, aber wohl nicht in Zweifel zu ziehen braucht man, dass
die Trennung dieser Gebiete im engsten Zusammenhange mit
der Entstehung der beiden Familien, der Hallgrafen und der
Grafen von Piain, steht. Als den Begründer der Ersteren
möchte ich nun den zweiten der Söhne der Witwe Judita an-
sehen, Engelbert, und ftlr den nämlichen oder dessen gleich-
namigen Sohn wird man wohl den Grafen Engelbert halten
müssen, von dem die Confirmationsurkuude Kaiser Friedrichs I.
ftlr das Stift Berchtesgaden sagt : ,omni jure foresti quod comes
Engelbertus suique parentes longis retro temporibus per ter-
minos subtus annotatos possederant^ ^ Denn dieser muss um
dieselbe Zeit gelebt haben und kann als Eigenthümer des
grossen Waldes von Berchtesgaden keinem anderen Geschlechte
angehören. Juditas Sohn Engelbert dürfte aber auch der
Graf gleichen Namens sein, der zugleich mit dem Vogte Chuno
von Megling im Jahre 1068 eine Urkunde für das Kloster Au
bezeugt, und identisch mit dem Grafen Engelbert sein, der
im Jahre 1075 bei Homburg auf Seiten Kaiser Heinrichs IV.
* Mon. Boic. 3, 3.
» Ibid. 29 a, 89. St 2347.
' Mon. Boic. 29 a, 322.
491
gefaUen ist.* Noch viel sicherer ist er aber ftür den gleich-
zeitigen Vogt des Erzstiftes Salzburg, der gleichfalls so heisst,
zu halten.' Für ein Mitglied desselben Hauses, vielleicht für
dessen Sohn, muss man wohl auch den Bkllen Engilbert halten,
itLr dessen Seelenheil die Gräfin Irmingard um 1090 zwei
Mausen zu Babinheim (am Inn bei Wasserburg) der Kirche
Baumburg schenkt,^ seine Gemahlin aber dürfte schwerlich
eine andere Persönlichkeit sein als die Tochter des bekannten
Pfalzgrafen Chuno, die in zweiter Ehe mit dem Grafen Geb-
hard von Sulzbach sich vermählt hat.^ Denn der Uebergang
des obgenannten Forstes in den Besitz des Beringar von Sulz-
bach, des Sohnes der genannten beiden Eheleute, lässt sich
kaum anders erklären. Freilich ist dabei die weitere Voraus-
setzung nöthig, dass Irmingards Kinder aus der ersten Ehe,
deren sie schon zu Lebzeiten ihres Vaters wenigstens zwei ge-
habt hat,^ ohne Nachkommen verblieben und vor ihr selbst
gestorben seien. Auch lässt sich nicht ermitteln, in welchem
Verhältnisse diese beiden Engelberte zu dem ersten bekannten
Hallgrafen, Namens Dietricus, gestanden sind;^ ebenso fehlt es
an sicheren Anhaltspunkten ftir die Zuweisung zweier weiterer
Engelberte an dieses Haus, nämlich des in einer Urkunde
Kaiser Heinrichs ftir Kremsmünster vom 30. April 1099 er-
scheinenden Grafen Engelbert, der mit dem Grafen Pemgar
dem Kloster Güter im Traungaue entzogen hat,^ und des
gleichnamigen Pfalzgrafen, der im Jahre 1107 als Zeuge des
Bischöfe Hartwig von Regensburg auftritt» und auch eine Tra-
dition an Michaelbeuem macht. ^ Wird man jenen wegen
seines Genossen, der kein Anderer als Graf Berengar von Sulz-
bach sein kann, eher dem Geschlechte der Spanheimer zu-
weisen und ftir den gleichnamigen Sohn des früher erwähnten
* S. Riezler, Geschichte Baierns 1, 615. 863.
* R. V. Koch-Sternfeld, Beyträ^e 2, 76. J. Zahn, Cod. dipl. Austr. Fris.
1,81 (31, 81). — Steierm. Urknndenbuch 1,77.94. Jnvavia, Anh., 261.
Wichner, Admont 1, 31. 36. 37. 43.
' Mon. Boic. 8, 4.
* R. T. Eoch-Sternfeld, Zur näheren Verständigung 7.
» Mon Boic. 1, 365.
• Ibid. 3, 479.
^ Urknndenbuch des Landes ob der Eniis 2, 122. St. 2944.
• Ibid. 2, 127.
• M. Filz, Geschichte von Michaelbeuem 2, 695.
492
Freundes Erzbischof Gebhards halten^ so wird der Pfalzgraf,
trotz seiner Zengschaft Air den Spanheimer Hartwig, doch mit
mehr Grund als Angehöriger der Familie der Hallgrafen zu
betrachten sein. Hieftir spricht namentlich folgende Stelle aus
der Bulle des Papstes Calixt H. vom 27. März 1122: ,Compe-
rimus nobilem virum Engilbertum palatinum comitem sancti
Salvatoris monasterium a suis parentibus edificatum.'^ Wenn
der Pfalzgraf Engelbert der Familie der Hallgrafen angehört,
dann konnte er wohl den Pfalzgrafen Aribo U. zu seinen Ahnen
zählen, und dann hat auch sein Anspruch auf die Pfalzgrafen-
würde, nach dem Tode des Pfalzgrafen Kapoto, nichts Be-
fremdliches, besonders wenn diese Familie denen der beiden
Pfalzgrafen durch nähere Yerwandtschaftsbande verbunden war
als die der Sigharde.
Die Annahme eines nahen verwandtschaftlichen Zusammen-
hanges zwischen den früher erwähnten Engelberten und dem
ersten bekannten Hallgrafen Dietrich macht der Besitz des
Hallgrafenamtes, und die nahen verwandtschaftlichen Bezie-
hungen zwischen den Hallgrafen und den Pfalzgrafen Chuno
und Rapoto die weiteren Besitzverhältnisse in hohem Grade
wahrscheinlich. Die Hallgrafschaft, die dem Geschlechte bis zu
seinem Erlöschen gehört, war im 12. Jahrhundert zweifelsohne
ein Lehen der Herzoge von Baiem und die Stadt Hall (Reichen-
hall) und der Bezirk um sie wohl altes Herzogsgut. Die Hall-
grafen hatten vor Allem die eigenthümlichen, aus dem Gkwerks-
verhältnisse sich ergebenden Streitigkeiten zu schlichten.* Doch
erstreckte sich ihre Amtsgewalt nur auf die herzoglichen und
freien * Leute, nicht aber auf solche, die unter der Vogtei
anderer Herren standen, wie der Erzbischöfe von Salzburg und
der Bischöfe von Bamberg.* Die Frage, wie die Hallgrafen-
familie zu diesem Amte gekommen, ist mit voller Bestimmtheit
nicht zu beantworten; doch wenn man erwägt, dass einst die
Familie der Liutolde diesen Bezirk mit dem Plainer gemeinsam
als eine Grafschaft verwaltet hat und in den Grafen von Piain
die Abkömmlinge dieser Familie sieht, so liegt es gewiss sehr
nahe, in den späteren Inhabern der anderen Hälfte der Graf-
1 ▼. Ankenhofen, Geschichte Kärntens 2, Reg., S. 110.
' £. Richter, Untersnchangen 674. Waitz, Verfassungsgeschichte 7, 54.
■ £. Richter, Untersuchungen 647. 676.
493
Schaft der Liutolde einen anderen Zweig derselben zu er-
blicken. Es spricht hiefbr aber auch noch die Thatsache, dass
die Hallgrafen mit Vorliebe so sich nennen^ dass gerade die
äheren Sprossen der Familie diesen Namen vorzüglich ftthren
und nur jüngere oder Seitenzweige anders sich nennen. Diese
Thatsache findet nur durch die Annahme genügende Erklä-
rung, es sei die Hallgrafschaft der älteste, ja der Stammbesitz
der Familie. Damit ist die Lehensabhängigkeit von den bairi-
schen Herzogen nicht unvereinbar; waren ja im 12. Jahr-
himdert bereits alle bairischen Grafschaften in solcher Ab-
hängigkeit. ^
Dass der weitere Besitz, den die Hallgrafen bald nach
ihrem ersten Hervortreten schon haben, viel bedeutender als
die Hallgrafschaft;, unterUegt keinem Zweifel. Der um die Mitte
des 12. Jahrhunderts lebende Graf Engelbert, der Sohn des
mehrerwähnten Dietrich, besitzt nach der bekannten Urkunde
ftr das Kloster Attel (1146—1158), deren Bericht allerdings
nicht authentisch ist, aber doch nach anderen Zeugnissen sich
als im Wesentlichen richtig erweist, die Burgen Wasserburg,
Viechtenstein, Ereuzenstein und Werberg mit ihren Bezirken.*
Wasserburg ist der Mittelpunkt der gleichnamigen Grafschaft
zu beiden Seiten des Inns, die mit den späteren Landgerichten
Kling und Wasserburg und mit der Grafschaft Haag zusammen-
Mt. Diese Grafschaft ist offenbar aus den zwei Nachbargauen,
dem Sunder- und Chiemgaue, herausgewachsen, und zwar
gerade an einer Stelle, wo schon die Gaugrenzen schwankten,
wie der umstand zeigt, dass der Ort Reut bald dem einen,
bald dem anderen Gaue zugetheilt wird;' sie liegt in einer
Gegend, wo wir im 10. Jahrhunderte Grafen begegnen, wie
Sigihard, Chadalhoch und Ottokar, die sehr wahrscheinlich
Aribonen waren, und hier muss auch der Pfalzgraf Chuno,
der Stifter des südlich von Wasserburg gelegenen Stiftes
Rot, bedeutenden Besitz gehabt haben, wenn er auch nicht
Grafenrechte geübt haben wird. Auf dieselben Familien weisen
auch die zerstreuten Güter und Ministerialen hin, die die Hall-
^ Heigel u. S. Kiezler, Das Herzogtbum Baiern 198 ff.
' Oefele, Geschichte der Grafen von Andechs, 8. 280.
» Mon. Germ, histor. Dipl. 1, 282, jq» 2, 268, u- Mon. Boic. 28 a, 186;
286b, 493; 31b, 237. St. 266. 776. 1760.
494
grafen&milie bereits im 12. Jahrhunderte zu Rubelingen, £hol-
▼ingen und Graben im Sandergaue/ zu Bnch^ Prei88enberg(?)y
Kirchdorf, Thal, Doberg, Edling, Feldafing, Viehhausen^ Lai-
ming, Lohen, Staudhaim und an anderen Orten in Oberbaiem,*
zu Velden, Chazpach und Milingen im Isengaue» und zu
Maichingen, Grafendorf und f^henbach im Rotachgaue ^ bat;
letzterem gehört auch die neue fjrwerbung des Grafen Engel-
bert, die ihm seine Ehe mit einer Tochter des Grafen Dietrich
von Viechtenstein einbringt, Schloss und Bezirk gleichen Namens
(Viechtenstein), südöstlich von Passau in Oberösterreich, an.^
Von den beiden anderen der oben genannten vier Burgen des
Hallgrafen Engelbert: Ereuzenstein und Werberg, liegt die
erstere bei Eomeuburg in Niederösterreich in der Nähe von
Leobendorf, ^ wo Besitz des Pfalzgrafen Chuno ja gleichfalls
bezeugt ist; aber auch die Burg Werberg glaube ich in einer
G^end zu finden, wo der nämliche Pfalzgraf Besitz, ja reichen
Besitz gehabt hat; denn bei Wasserburg, wo Oefele sie sucht,^
gibt es keinen bedeutenden Ort dieses Namens, wohl aber
kommt im mittleren Innthale, zwischen Hall und Schwaz, eine
Gemeinde Werberg vor, wovon bereits im 12. Jahrhunderte ein
Rittergeschlecht den Namen führt ^ Für meine Ansicht spricht
auch die Thatsache, dass nach anderen urkundlichen Zeug-
nissen die HaUgrafen oder Grafen von Wasserburg im Innthale
nicht wenig begütert sind. Das bezeugen die Schenkungen des
Grafen Konrad von Wasserburg, der auch das Schloss Kropfs-
berg käuflich erwirbt, an Klöster; so überträgt dieser an das
Kloster Attel die Curie Ried im Zillerthale ' und an das Kloster
Rot Zehente zu Hopfgarten und zu Westendorf, dann drei
Schwaigen auf dem Werberge.*® Rots Besitzungen auf dem
» Mon. Boic. 3, 473. 474; 6, 92.
* J. Zahn, Steierm. Urkandenbach 1, 248. 249.
* Mon. Boic. 1, 267. 366; 6, 463.
* Ibid. 3, 446. 479.
^ Oefele, Die Andechser, S. 230, Anm. 1.
* Fromme, Die Ruine Kreuzenstein in Mittheilungen des Alterthumsver-
eines zu Wien 10 (1869), 68 ff.
* Oefele, Die Andechser, S. 231, Anm. 21.
* O. Redlich, Die Traditionsbttcher, Nr. 573.
* Mon. Boic. 1, 280.
" Ibid. 1, 379 f.
495
Ritten dürften wohl auch, soweit sie nicht von dem Pfistlzgrafen
Chano herstammen^ Schenkungen der Wasserburger sein. Als
Ministerialen derselben sind zweifelsohne^ wie die Werberger,
auch die Herren von Matzen anzusehen; da ein Rittergeschlecht
dieses Namens in Baiern sich nicht nachweisen lässt, so kann
nur das tirolische gemeint sein.
Wie die auseinandergesetzten Besitzverhältnisse nöthigen,
auf einen verwandtschaftlichen Zusammenhang zwischen den
Hallgrafen und der Familie des Pfalzgrafen Chuno zu schliessen,
so fehlt es andererseits nicht an einem Bande, das die nächsten
Verwandten jener, die Familie der Marcwarde von Marcwart-
stein, mit den Grafen von Frantenhausen und Herren von
Megling verknüpft, die wieder, wie später dargethan wird,
mit dem genannten Pfalzgrafen eines Stammes sind. Als den
ersten Marcwartsteiner muss man wohl den früher angeführten
Sohn der Gräfin Judita und Bruder des unmittelbar vor ihm
erwähnten Engelbert: Marcward ansehen,^ und sein Sohn und
zugleich der letzte dieses Stammes dürfte der ebenfalls in den
ersten Traditionen des Klosters Baumburg genannte Marcward
sein, ftir dessen Seelenheil seine Gemahlin Gräfin Adelheid zu
Herigoltingen (Hörgering, Bezirksamt Traunstein?) Hof, Mühle
and Wald und auf der anderen Seite des Traunflusses eine
Wiese, Holzantheil und einen Mansus vergabt,^ seine Gemahlin
ist aber sehr wahrscheinlich die gleichnamige Tochter des be-
kannten Grafen Chuno von Frantenhausen, den die Gründungs-
geschichte des Klosters Baumburg als comes illustris prosapie
Omnibus eiusdem provincie nobilioribus sicut genere, sie etiam
potestate sua divitiis excellens anführt.^ Die Grafschaft Marcwart-
stein deckt sich mit dem späteren Landgerichte gleichen Namens
und grenzt im Osten an Plainisches (Landgericht Traunstein)
und im Westen an Frantenhausen'sches Gebiet. Schon diese
Lage lässt auf nahe verwandtschaftliche Beziehungen zu den
Grafen von Frantenhausen und von Piain schliessen. Wie
Marcwartstein an die Familie gekommen, darüber fehlt jeder
Aufschluss; was aber die genannte Gründungsgeschichte von
dem plötzlichen Tode Marcwards und seinem Vermächtnisse an
^ JuvavU, Anh., S. 233.
* Mon. Boic. 3, 4.
» Ibid. 2, 173.
496
seine Gemahlin erzählt, mag auf Wahrheit beruhen, denn wir
sehen die Gräfin Adelheid und ihren dritten Gemahl Bemgar
von Sulzbach, sowie ihre Tochter aus zweiter Ehe, Namens
Uta, in der That im Besitze Marcwartsteins und anderen
Eigens aus dem Nachlasse Marcwards (11.). ^ Ebenso müssen
viele Eigengüter und selbst Grafenrechte im nördlichsten Theile
der Grafschaft des unteren Innthales an sie gefallen sein, denn
gerade zu Rohrdorf, dem Hauptorte dieses Landstriches, beräth
sich nach ihrem Tode ihr dritter Gemahl auf einem Schrannen-
gerichte mit den zusammenberufenen Vasallen und Dienstleuten
über das Stiftungswerk, das sie ihm vor dem Tode dringend
ans Herz gelegt hatte. ' Es ist aber schwer zu entscheiden, ob
dieser Besitz von ihrem Vater oder ihrem zweiten Gemahle
stammt. Hat auch hierin die Gründungsgeschichte mit ihrer
Angabe Recht, die sie von ihrem Vater wegen ihrer ersten
Ehe gänzlich enterbt werden lässt, dann kann derselbe nur
von dem zweiten Gemahle, Ulrich von Passau, stammen.
Die Grafen von Frantenhausen und Herren von Megling
sind Linien derselben Familie, als deren Ahnherrn man ziem-
lich sicher den schon mehrmals genannten Chuno von Franten-
hausen, den Vater der Gräfin Adelheid, ansehen darf.' Die
eine derselben führt vom Anfange an stets den Grafentitel, und
die wenigen regierenden Mitglieder heissen Heinrich, die Herren
von Megling nennen sich in älterer Zeit nur Vögte von Meg-
ling, Grafen aber erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, und
ihr sehr charakteristischer Name ist Chuno, der in diesem
Familienzweige so regelmässig wiederkehrt, dass sogar einmal
zwei leibliche Brüder ihn führen.* Weist schon eine so regel-
mässige Wiederkehr dieses Namens entschieden auf den Pfalz-
grafen Chuno imd seinen gleichnamigen Sohn hin, so noch
mehr die Lage des Besitzes der Familie. Ihr Hauptbesitz liegt
nämlich im südwestlichen Theile des Isengaues westwärts von
den Quellen der Rota zwischen Isar und Inn, in dessen un-
mittelbarer Nähe die Burg Megling und das Stammkloster Au
sich erheben, während die Burg Frantenhausen im Nordosten
^ Mon. Boic. 3, 10. 12. J. Moritz, Die Grafen von Sulsbach 92.
« Ibid. 2, 176 f.
• Ibid. 1, 217; 2, 173.
* Ibid. 1, 171. Drei bayer. TraditionsbQcher, S. 113 Nr. 126.
497
seines Bezirkes nahe der Vils liegt. Derselbe umfasst die
späteren Landgerichte Vilsbiburg^ Teisbach und vermuthlich
«ich Neumarkt, wo die Hauptburgen Frantenhausen und Meg-
üngy Königswarty Wörth und Teisbach vorkommen. Dies ergibt
sich ziemlich deutlich aus der Schenkung des letzten Sprossen
dieses Geschlechtes, des Bischofs Konrad IV. (1204 — 1226) von
Regensburg an sein Stift und aus einem Verkaufe desselben an
den Herzog Ludwig I. von Baiem. ^ Damach besass derselbe
aber auch die Orte Alt- und Neubeuem, und weitere Schenkungs-
acte lassen seine Familie noch tiefer im Gebirge und zugleich
im Chiem- und an anderen Stellen des Isengaues begütert er-
scheinen;* somit durchaus in Gegenden, wo die älteren Ari-
bonen ihre Sitze haben. Den verwandtschaftlichen Zusammen-
hang der FamiUe mit dem Pfalzgrafen Chuno setzt ausser
allen Zweifel die Urkunde des obgenannten Bischofs Chuno
vom Jahre 1224, worin er ausdrückUch sagt, das Kloster Rot
sei von seinen Ahnen gegründet (a progenitoribus autem nostris
fimdate).' Beide Familienzweige zeigen auch Beziehungen zu
Tirol: ein Graf von Megling heiratet Gräfin Adelheid von Eppan,
die Schwester des Grafen Egeno,* und ein Graf von Franten-
hausen hat, wie erwähnt, Besitz in Tirol. ^
Muss nach den bisherigen Erörterungen ein beträchtlicher
Theil des Besitzes nicht allein der älteren Pfalzgrafen, sondern
auch der Familien der Pfalzgrafen Chuno und Rapoto an die
Orafenfamilien von Peilstein, Burghausen, Schala, Lebenau, Piain,
Wasserburg, Marcwartstein und Megling gekommen sein, und
drängt dieser Anfall zur Annahme naher Verwandtschaft, die
noch in manchen anderen Momenten eine weitere Stütze findet,
so ist andererseits nicht zu bezweifeln und theilweise durch
Urkunden erweisbar, dass ein grosser Theil des Nachlasses
der beiden späteren Pfalzgrafenfamilien, Chunos und Rapotos,
an die Markgrafen von Vohburg und an die bairischen
Spanheimer oder Grafen von Ortenburg gefallen ist, und
> F. Jumer, Geschichte von Regensbarg 2, 324 f. R. v. Lang, Baierns Graf-
schaften 162.
« Mon.Boic. 8, 10. 63. 64; 1, 129. 130. 137. 189. 141. 14S. 159. 171. 177;
2, 808. 861.
« Ibid. 1, 870.
* Ibid. 1, 223 f.
^ Siehe oben 8. 460.
ArehiT. LXXXm. Bd. U. H&lfte. 83
498
Einiges aus dem Nachlasse der älteren Aribonenfamilien scheint
auch in den Besitz zweier anderer Familien, der Grafen von
Falkenstein und LechsgemündC; gekommen zu sein. Die zwei
Marken Cham und Vohburg erbten die Vohburger sicherlich
sofort nach dem Ableben Rapotos, sie nennen sich auch fortan
stets nach der einen, die ihnen werthvoller erschien, ohne
Zweifel waren aber diese nicht ihr einziges Erbe, denn die
ausgedehnten Güter, die sonst noch im Nordgaue, dann im
Egerlande, in Baiern, Schwaben und Oesterreich bereits in der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ihnen gehören, entstammen
doch wohl derselben Quelle.^ Als Dietpold von Vohburg mit
seiner Gemahlin Adelheid im Jahre 1118 das Benedictinerkloster
Reichenbach stiftete, stattete er dasselbe nicht allein mit Gütern
in Bawaria, in Swevia, in regione Egere, iuxta Chamb, sondern
auch mit solchen in regione Rotgowe (Chindelherin und Klu-
klingen) und in Austria (Holerbrunen = Hollabrunn und Wil-
lolvisdorf =Fillersdorf), mit einem predium seines Ministerialen
Judenowe de Wetirenvelt* und ausser zu Willolvisdorf noch
mit Gut zu Parowi (östlich von Oberhollabrunn)' aus. Der
Nämliche schenkte an das Kloster Göttweih einen Mansus zu
Wielantisdorf (bei Oberhollabrunn)* und allen Zehent von seinen
Besitzungen zwischen der Fischa und Leitha und namentlich
bei Heimburg. ^ Ausser diesen und anderen Lehen des Bis-
thums Passau an den Orten Houilin (Höflein bei Brück an der
Leitha), Scorrindorf (Scharndorf), Arawezital (Arbesthai, Filiale
der Pfarre Göttlesbrunn) und Ascrichisbrucca (Stadt Brück an
der Leitha) ^ hatten die Vohburger auch viele freieigene Güter
in diesen Gegenden: bei Heimburg, Petronell und zwischen
der Leitha und Fischa,^ Ministerialen zu Sanikov (Zaingrub süd-
westlich Hom)® und wohl auch noch an manchen anderen Orten.
So sehen wir also die ersten Vohburger gerade da in Oester-
^ V. Giesebrecht, Beiträge zar Genealogie in den Sitzungsber. der k. b&ir.
Akademie der Wissenschaften (1870) 1, 579 ff.
* Mon. Boic. 14, 410. 416.
» Font. rer. Austr. Dipl. 8, 172 Nr. 203. Mon. Boic. 14, 419. A. Meiller,
Babenberger Reg., S. 228 Nr. 226.
* Font. rer. Austr. Dipl. 8, 36 Nr. 135. 164 f. Mon. Boic. 29b, 54.
* Ibid. 8, 43 Nr. 175. Mon. Boic. 29 b, 54.
* Ibid. 8, 2 Nr. 2, 110.
' Ibid. 8, 46 Nr. 188; 8, 163. 166. Mon. Boic. 29 b, 54.
* Ibid. 8, 40 Nr. 161, 159.
499
reich begütert, wo es auch der Pfalzgraf Chuno gewesen und
wo die GemaUin seines gleichnamigen Sohnes und seines Nach-
folgers Rapoto mehrere Schenkungen an das Kloster Göttweih
gemacht hat.^ Dass ihr Besitz in Oesterreich vom Anfange
an bedeutend gewesen sein muss, lässt auch ihre wieder-
holte Anwesenheit im Lande oder bei dies betreffenden Acten
schliessen. *
Für die bairische Linie des Hauses Spanheim, die Mark-
grafen von BLraiburg und Grafen von Ortenburg, die daselbst
sich ansässig machen, ist vor Allem der Nachlass des mit dem
Pfalzgrafen Rapoto gleichzeitig gestorbeifen patruelis Udalricus,
des Ulrich von Passau, in Anspruch zu nehmen, der mit der
Witwe des Grafen Marcward, Adelheid von Frantenhausen,
sich vermählte und eine Tochter Namens Uta hinterliess, denn
diese wurde die Gemahlin Engelberts II. von Spanheim, des
Sohnes des mehrerwähnten Engelbert I., und durch sie offen-
bar gelangten die Spanheimer in Baiem zu dem ausgedehnten
Besitze, den sie dort seit dem ersten Viertel des 12. Jahr-
hunderts haben, und durch sie vererbten sich wohl auch die
Ansprüche auf die Pfalzgrafenwürde auf diese Familie. Nur
wenn eine nahe Verwandtschaft zwischen den Familien der
P&lzgrafen Chuno und Rapoto und den Spanheimem besteht
und ein Glied enge dieselben verbindet, erklärt sich die sonst
kaum zu deutende Thatsache, dass gerade die Spanheimer die
Nachfolger jener in ihrem Besitze in Baiern werden, die doch
bis dahin dort nie zu finden sind, und wird es begreiflich,
dass gerade sie hundert Jahre später die Pfalzgrafen würde
erstreben und erlangen, obwohl es noch ältere im Lande
wurzelnde Familien gibt, die eher zu dieser Würde berufen
schienen.
Ueber die Abstammung der Spanheimer in Kärnten herr-
schen bis in die neueste Zeit verschiedene Ansichten unter den
Geschichtschrefbem ; während Huschberg, Giesebrecht und
Riezler sie noch für Ortenburger ansehen und aus Baiern
stammen lassen, haben schon v. Hormayr, Eichhorn und Han-
^ M. Felicetti v. Liebenfels, Steiermark im Zeiträume vom S. bis 11. Jahr-
hundert 1, 33 f.
* Urkandenbnch des Landes ob der Enns 2, 163. 373. 436. 501. 550. 561.
575 f. 589 f. A. Meiller, Babenberger Reg., S. 311.
38»
500
sitz^ dann Neugart ^ und TangP und jüngst Witte' ihren firän-
kischen Ursprung vertreten. Die letztgenannten drei sehen alle
in dem fränkischen Grafen Eberhard^ der im Jahre 1044 auf
dem Feldberg zwei Stunden von Spanheim den Gh*und zu einer
Kirche legt, den gemeinsamen Stammherm der Grafen von
Spanheim und Ortenburg in Kärnten^ indem sie zwei Söhne
desselben; Siegfried und Friedrich^ in dies Land einwandern
und mit einheimischen Fürstentöchtem sich vermählen lassen.
Witte hat die Ansichten seiner Vorgänger noch besser zu be-
gründen und als Gemahlinnen des einen der beiden Brttder,
Siegfrieds^ Riccarda von Lavant^ als Frau des anderen, Fried-
richs, eine Edle Namens Christine und beide als MitgUeder des
Aribonenhauses nachzuweisen gesucht. Gegen die fränkische
Abstammung des Stifters des Klosters von St. Paul in Kärnten,
Engelberts I., und seines Vaters Siegfried ist seit Neugart wohl
kein emstUcher Zweifel verstattet, und auch bezüglich seiner
Gemahlin Riccarda finde ich mich mit Witte in voller Ueber-
einstimmung, aber seine Ansicht über die Abstammung der
Kärntner Ortenburger von Friedrich, dem angeblichen Bruder
Siegfrieds, sowie seine Ansichten über den Zeitpunkt der Ein-
wanderung der Spanheimer und über die Abstammung der Grafen
von Lebenau (Liebenau) kann ich nicht theilen.* Wenn wirk-
lich der Stammvater der Grafen von Ortenburg Friedrich ge-
heissen hätte, so wäre es zum Mindesten höchst auffällig, dass
weder unter den Ortenburgern des 11., noch unter denen des
12. und 13. Jahrhunderts sich kein FamiliengUed dieses Namens
findet, und dass auch in der Familie des Grafen Siegfried dieser
Name ganz fehlt. ^ Dass derselbe aber dem Aribonenhaase
^ P. Tnidpert Neugart, Historia monasteri ord. S. Benedict! ad S. Paulom 5 f.
' K. TaDgl, Die Grafen von Ortenburg im Archiv für k. Oaterr. Geschichts-
forschung 30, 227 ff.
' Heinrich Witte, Ueber die älteren Grafen von Spanheim nnd verwandte
Geschlechter in Zeitsch. f. Geschichte d. Oberrheins, N. F. 11, 162. 203 ff.
^ Ueber die Lebenaner (Liebenaner) siehe S. 4S6.
* Wenn Witte den Kölner Erzbischof Friedrich (1099—1131) m einem
Sohne Engelberts I. macht, so kann ich ihm auch hierin nicht rnn-
stimmen. Einmal scheint mir schon die Quelle, Alberich von Trois-
Fontaines, wegen der Verwechslung Friauls mit Istrien, nicht so glaub-
würdig wie ihm, und dann konnte Friedrichs Name in den Traditionen
von St Paul, wo alle anderen SOhne Engelberts vorkommen, doch kaum
fehlen. Jedenfalls aber hätte Friedrich als Sohn Engelberts L nicht
601
nicht fremd ist, im Ghgentheile da öfter vorkommt^ wurde
schon früher gezeigt. Auch liegt es gi^wiss viel näher, in dem
Zeugen Friedrich der Stifterin des Klosters St. Georg am Läng-
see einen Aribonen, einen nahen Verwandten der Familie der
Gräfin Wichburg, zu sehen, wie ich oben gethan, als einen
Fremden, der erst durch seine Frau der Familie näher ge-
treten. Dasselbe gilt wohl von dem Fridericus, filius comitis
Epponis, dem Gemahle Christinens, den Witte gleichfalls mit
dem angebUchen Bruder Siegfrieds von Spanheim identificiert,
obwohl zwischen beiden Fällen ein Zeitraum von nahezu vierzig
Jahren liegt. Wie kann von diesem gesagt werden, dass der
Erzbischof Hartwig (991 — 1023) ,ftiit suus quondam secundum
carnem cognatus^, wenn der Letztere mit ihm blos durch seine
Gemahlin Christine oder gar nur durch seines Bruders Frau
Biccarda zusammenhängt? Dass zur Zeit des Spanheimers
Eberhard oder Eppo auch ein Mitglied des Aribonenhauses
dieses Namens, nämlich des Pfalzgrafen Aribo I. Bruder
Eberhard lebt, daran soll nur erinnert sein.^ Nach dem Ge-
sagten dürfte es kaum zweifelhaft sein, dass ftir einen Fried-
rich von Spanheim nichts spricht; Witte ist ja selbst in seiner
Ansicht nicht ganz sicher, wie ein paar Stellen seiner Erörte-
rung darthun. Selbstverständlich findet sich kein Beweis ftir
Tangl's Behauptung, Friedrich sei mit einem Theile des Lum-
gaues belehnt worden; nach den früheren Erörterungen wäre
kaum ein solcher noch frei gewesen.
Was den Zeitpunkt der Niederlassung der Spanheimer
in Kärnten anbelangt, so ist [derselbe mit dem Ende des 10.
oder Anfange des 11. Jahrhunderts entschieden viel zu ftnh
angesetzt. Dass bereits Eberhard von Spanheim in Kärnten ge-
wohnt, nehmen auch Neugart, Tangl und Witte nicht an, wenn
ich sie richtig verstehe, und hieflir lässt sich auch gar nichts
geltend machen. Dass aber dessen Söhne Siegfried und Fried-
rich schon zu den Zeiten des Erzbischofs Hartwig nach Kärnten
übersiedelt, steht ihnen fest. Diese Anschauung beruht, ausser
auf der früher berührten Zeugschaft eines Grafen Friedrich in
nach dem bairischen Schlosse Schwarzenberg genannt werden kOnnen,
das erat sein Bruder Engelbert II. durch seine Frau Uta von Kraiburg
(oder vielleicht gar erst der jüngere Rapoto I.) für das Haus er-
worben hat (S. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrh. N. F. 11, 223).
» Necrolog. Germ. 2, 222 (4. April).
502
den Urkunden Wichburgs flir St Georgen noch auf der Notiz
des Nekrologs von St. Paul über Siegfrieds Vermählung mit
der Gräfin Riccarda^ womach Erzbischof Hartwig selbst die
Beiden getraut haben soll. Aber diese Notiz verdient jeden-
faUs nicht unbedingten Glauben, denn bekanntlich hat das ge-
nannte Necrologium erst d^er Abt Hieronymus Marchstaller im
Jahre 1619 verfasst, und es lässt sich nicht beweisen, dass er
dabei ein älteres Necrologium habe benützen können, wohl
aber steht fest, dass er viele Ansätze ganz willkürUch gemacht,
wie gerade die über die Mitglieder der Familie Engelberts I.,
die fast alle im Januar eingetragen sind, und dass einzelne ent-
schieden unrichtig sind.^ Jedenfalls müsste Siegfried, wenn er
sich noch zu den Zeiten Hartwigs vermählt hat, ziemlich jung
gewesen sein und noch jünger sein angeblicher Bruder Fried-
rich, der ja als der Jüngere gilt, da jener erst im Jahre 1065
gestorben ist. Wie hätte aber dann dieser Friedrich schon so
stark hervortreten können, und warum sollte man von Sieg-
fried nicht mehr hören? Sicher wissen wir nur, dass letzterer
gegen Ende seines Lebens im Lavantthale sich aufgehalten hat,
wo er die Kirche St. Paul angefangen, und dass seine Ge-
mahlin, als er auf dem Rückwege von der im Jahre 1064
unternommenen Pilgerfahrt nach Jerusalem in Bulgarien ge-
storben war, seinen Leichnam ausgelöst und ihn in der Kirche
von St. Paul beigesetzt hat.* Derselben Quelle entnehmen wir,
was von Riccarda noch weiter überliefert ist, wie sie nach dem
Tode ihres Gemahles nach St. Jago di Compostella gepilgert,
auf dem Heimwege ihre Verwandten am Rheine besucht und
dort gestorben und begraben worden sei, wie dann aber in der
Folge ihr Sohn Hartwig, Erzbischof von Magdeburg, ihre Ge-
beine im Schlosse Spanheim habe ausgraben, nach St. Paul
überbringen und an der Seite ihres Gemahles habe beisetzen
lassen. So fehlt es an jedem sicheren Anhaltspunkte für eine
so frühe Niederlassung Siegfrieds in Kärnten, im Gegentheile
scheint mir viel wahrscheinlicher, dass er erst gegen £nde
seines Lebens an dem Geburtsorte seiner GemahUn seinen
dauernden Aufenthalt genommen, vielleicht erst nach dem Tode
^ Necrologium des Benedictixierstiftes St. Paul, bearb. von Beda Schroll im Ar-
chiv far Vaterland. Geschichte u. Topographie Kärntens (1866) 10, 33 — 240.
* Beda Schroll, Urkundenbuch des Benedictinerstiftes St Paul in Kärnten
in Font. rer. Austr. Dipl. 39, 10 f.
503
seines Schwiegervaters^ den Abt HieronTmos Heinrich nennt.
HiefUr spricht vor Allem^ ausser den schon bemerkten Um-
ständen, die ganz auffällige nachdrückUche Betonung der frän-
kischen Herkunft der Familie, wie sie nicht bei einem anderen
Geschlechte, das in der Fremde sich niedergelassen hat, sich
finden dürfte. Während sonst nach ein paar Decennien des
fremdländischen Ursprungs einer Famihe kaum mehr gedacht,
ja dieselbe, wie z. B. die naheliegende der Markgrafen von
Istrien aus dem Hause Weimar-Orlamünde, schon als einheimisch
betrachtet wird, sollte bei den Spanheimem nach einem hundert-
jährigen Aufenthalte in Kärnten noch immer ihre Abstammung
aus Franken so hervorgehoben worden sein? Denn es wird
nicht allein ab Siegfrieds natale solum ausdrücklich das spanhei-
mense castrum^ bezeichnet, sondern auch sein Sohn Engel-
bertus (I.) heisst ex patre Sigfrido francorum civis* und dessen
Bruder Hartwig, Erzbischof von Magdeburg vir de pnncipibus
Francorum nobilitate clarissimus,^ ja noch eines anderen Bruders
Hermann Tochter Richardis de Franconia.* Wie hätten Sieg-
frieds Söhne und EnkeUn noch Franken genannt werden können,
wenn dieser seit seiner Vei*mählung mit Riccarda in Kärnten
gewohnt und Engelbert I., Hartwig und Hermann daselbst auf-
gewachsen wären? Selbst Graf Engelbert lässt sich vor dem
letzten Jahrzehnte des 11. Jahrhunderts nur einmal, als Zeuge
des Erzbischofs Gebhard von Salzburg (1066— 1088) ^ nach-
weisen. Doch will ich damit nicht in Abrede stellen, dass
Engelbert I. bereits ganz ELämten angehört; er hat offenbar
das reiche Erbe seiner Mutter angetreten, denn schon sein
erstes Auftreten lässt ihn als einen mächtigen Herrn erscheinen:
die Zurückftihrung des verbannten Erzbischofs Gebhard auf seinen
Bischofsstuhl.^ Durch seine Mutter Riccarda war sein Geschlecht
unter allen Geschlechtern Kärntens das bedeutendste geworden,
wie folgende Stelle des Urkundenbuches von St. Paul bezeugt:
matre Rihkarda maiorum Karinthie primus',^ und mit grosser
» St Paul, ürkundenbuch, 8. 10 Nr. 7.
« Ibid. S. 4 Nr. 2.
* Hon. Germ, histor. Script 14, 404, j.
* Ibid, 16, 326, m.
» NotUbl. 6, 67 Nr. 134.
* S. Riezler, G^eschiohte Baiems 1, 660 f.
'* St Paal, Urkundenbucb, S. 4 Nr. 2.
504
Wahrscheinlichkeit auch durch deren Abstammung berufen,
die Rolle, die einst da die Aribonen gespielt hatten, zu über-
nehmen. Denn nicht allein die in seinem G-eschlechte öfter
wiederkehrenden Namen Hartwig, Engelbert, Rapoto, Sig-
hart und Andere weisen bestimmt genug auf das Aribonenhaus
hin, sondern auch die Besitzungen, die es bei seinem ersten
Auftreten hat. Allerdings der Hauptbesitz im Lavantthale bietet
kaum einen greifbaren Anhaltspunkt, allein Engelbert I. and
seine Söhne sind auch ausserhalb dieses Thaies in Kärnten be-
gütert, wie im Bezirke St. Veit und in der Gegend von Klagen-
furt,^ wo Graf Bernhard viele Güter an seine Stiftung, das
Kloster Victring, schenkt,* dann insbesondere im südlichen
Steiermark bei Marburg' und in Oberösterreich am Haus-
ruckwalde. Graf Bernhard wird wiederholt comes de E^arinthia
genannt,* was auf eine hervorragende Machtstellung gerade
im Herzen Kärntens schliessen lässt, und die Vogtei über
St. Georgen am Längsee, die Stiftung der Gemahlin des Lum-
grafen Otwin, geht gleichfalls auf diese Familie über.^ Manche
von den Besitzungen, die die Spanheimer bereits in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts zu den ihrigen zählen, mögen aller-
dings spätere Erwerbung sein und nicht von ihrer Ahnfrau
herstammen, denn die Gelegenheit zu neuem Erwerb war da-
mals in Kärnten ftlr ein aufstrebendes Geschlecht ausserordent-
lich günstig, da ja im Anfange des 12. Jahrhunderts zwei ältere
Grafenfamilien, die Familie Bischof Altmanns und die älteren
Ortenburger, erloschen und drei andere den Schwerpunkt ihrer
Macht entweder schon in ein Nachbarland verlegt hatten, wie
die Grafen von Tirol und Görz, oder eben es thun mussten,
wie die Grafen von Piain. Allein trotz aller Gunst der Ver-
hältnisse und aller Erwerbstüchtigkeit wäre es doch den Span-
heimem schwerlich gelungen, in wenigen Decennien eine solche
Machtstellung in- und ausserhalb Kärntens zu erringen, wenn
sie nicht allerlei verwandtschaftliche Beziehungen und damit
verknüpfte mehr oder weniger begründete Rechtsansprüche
^ St. Paul. Urkundenbuch 7 ff. ▼. Ankerahofen, Reg.
* ▼. Ankershofen, Reg., Nr. 261. 262. 268. 270. 800 (ArchiT fttr Osterr. Ge-
schichtsforschung 5, 225. 227. 229. 281. 249).
* ▼. Ankerahofen, Reg., Nr. 184. 189. 194. 199. 204 a. a. a. O.
^ Ibid. Nr. 258. 275 (Archiv fQr Osterr. Geschichtsforschung 5, 219. 288).
^ A. Meiller, Salzburger Reg., S. 69 Nr. 66.
505
mächtig gefördert hätten. Diese waren aber gewiss nicht in
geringem Masse vorhanden im Falle^ dass Riccarda^ ihre
Stammmutter, dem Aribonenhanse entstammte oder wenigstens
mit Gliedern desselben verwandt war. Dann befremdet es
nicht mehr, sie die Ahnfrau dreier hervorragender FamiUen
werden zu sehen, denn nach meiner Ansicht sind nicht aliein
die Herzoge Kärntens aus dem Hause Spanheim, die fast ein
und ein halbes Jahrhundert dies Land regieren (1122 — 1268),
und die Markgrafen von Kraiburg und Grafen von Ortenburg
in Baiern, durch fast 70 Jahre zugleich Markgrafen von Istrien,
sondern auch die Ortenburger in Kärnten Sprossen des Ge-
schlechtes Engelberts I. von Spanheim. Dass von einer anderen
Frau, Engelberts I. Gemahlin Hedwig, kein grösserer Besitz
an die Familie gekommen, scheint mir zweifellos, auch wenn
sie eine Schwester des letzten Eppensteiners gewesen sein
soUte, was durchaus nicht feststeht.^
Der im Jahre 1096 gestorbene* Engelbert I. hinterliess
von seiner GemahUn Hedwig bei seinem Tode flinf schon her-
angewachsene Söhne:* Engelbert, Siegfried, Bernhard, Heinrich
und Hartwig, von denen der älteste, Engelbert H., sich, wie
erwähnt, mit Uta, der Tochter des Grafen Ulrich von Passau,
vermählte und der Stammvater der Herzoge von Kärnten und
der Grafen von Ortenburg in Baiern wurde. Spätestens im
Jahre 1105 Markgraf von Istrien geworden,* bestieg er im
Jahre 1 124 an Stelle seines nur kurze Zeit regierenden Bruders
Heinrich (1122 — 1124) den Herzogsstuhl von Kärnten, entsagte
aber dieser Würde im Jahre 1134 und zog sich als Mönch in
das Kloster Seon zurück und starb daselbst am 13. April 1141.^
Er hatte aus seiner Ehe mit Uta ebenfalls fünf Söhne: Ulrich,
Engelbert (IH.), Hartwig, Rapoto und Heinrich. Ulrich folgte
ihm auf dem Herzogsstuhle, Engelbert (HL) wurde sein Nach-
folger als Markgraf von Istrien und übernahm auch das Erbe
^ Siehe 6. Schroll, Necrolog^um im Kärntner Archiv 10, 95 f.
' St. Paul, Urkundenbnch, S. 10 Nr. 6, Anm. 2.
3 Ibid. 3, 14 f. T. Neugart, Historia 26. v. Ankershofen, Reg., Nr. 184 (Archiv
für 98terr. Geschichtsforschung 5, 182 ff.).
* U. Wahnschaffe, Das Herzogthum Kumten 76, Anm. 228. St. Paul, Ur-
kundenbuch, S. 22, Anm. 2.
^ B. Schroll, Die Herzoge von Kärnten aus dem Hause Spanheim in Ca-
rinthia (1873) 63, 49 ff. Mon. Boic. 2, 159; 14, 379.
506
ihrer Matter in Baiem, das er jedenfalls in der Folge mit
seinem jüngeren Bruder Rapoto theilen musste; dieser wurde,
während Hartwig und Heinrich dem geistlichen Stande sich
widmeten, der Begründer des bairischen Grafenhaases von
Ortenbarg. Es ist jedoch kaum zu bezweifeln, dass auch die
kämtnerische Grafenfamilie gleichen Namens dem Geschlechte
der Spanheimer entstammt, wenn es auch nicht möglich ist,
ein bestimmtes Glied desselben als deren Ahnherrn zu be-
zeichnen.
Der Name ,Grafen von Ortenbarg' rührt sonder Zweifel
von dem am Ende des 11. Jahrhunderts sicher schon bestehen-
den Schlosse in Kärnten im ehemaligen Lumgaue, südwestlich
von Spittal im Drauthale, her, denn eine andere Burg dieses
Namens ist weder in Kärnten noch in Baiem in den ersten
Decennien des 12. Jahrhunderts zu finden. Da nun aber seit
der Mitte des 12. Jahrhunderts auch in Baiem eine Grafen-
famüie sich so nennt und diese nachweisbar aus Kärnten
stammt, so muss man wohl schliessen, dass sie den Namen von
dort übertragen und also auch einmal das dortige Ortenburg
besessen habe. Sonst hätte sie wohl schwerlich diesen Namen von
einem Schlosse in Baiem geschöpft. Ein solcher Besitzwechsel
stimmt auch gut zu der Thatsache, dass durch vier Decennien
Grafen von Ortenburg weder in Kärnten noch in Baiern auf-
treten, und dass dann gleichzeitig sowohl hier als dort Orten-
burger genannt werden; diese Thatsache erscheint mir viel
unerklärlicher, wenn zu Ortenburg in Kärnten damals immer
ein imd dasselbe Geschlecht sass. Auch die Art des Auftretens
der ersten Ortenburger in Kärnten im 12. Jahrhunderte und
ihre Namen sprechen gegen den Zusammenhang mit den
(Grafen) Adalbert von Ortenburg am Ende des 11. Jahr-
hunderts, denn jene erscheinen als das unbedeutendste aller
kämtnerischen Grafengeschlechter ihrer Zeit, sie folgen auch
den gewiss nicht bedeutenden, aber älteren Grafen von Heun-
burg und Treffen bis auf einen Fall in der Zeugenreihe stets
nach, * selbst der Sohn Ulrich des Grafen Wolfram von Treffen
geht einmal (1161) ihnen vor,* und Heinrich von Ortenburg
steht 1151 nicht allein allen anderen Fürsten, sondern selbst
^ K. Tangl, Die Ortenburger 250 ff. 25S.
• Ibid. 264.
507
noch drei Freiherm nach.^ Der erste Ortenbarger, Otto von
Ortenberch, der nur einmal ak Zeuge des Grafen Bernhard
Yon Kärnten auftritt, nennt sich nicht Graf und ist es wohl
auch kaum, da dem seinen lauter unbedeutende Namen folgen;'
selbst ein halbes Jahrhundert nachher, um 1180, heisst ein
gleichnamiges GUed noch Otto Über de Ortenberch. * Die Namen
der von Tangl angenommenen Stammväter Friedrich,, Adalbert^
Ernst und Anderer kommen bei diesen Ortenburgem gar nicht
vor, sondern sie heissen Otto, Heinrich, Hermann und Ulrich
und fiihren also Namen, die im herzogUchen Zweige des Ge-
schlechtes Spanheim wiederholt wiederkehren und auch bei den
bairischen Ortenburgem keineswegs selten sind. Ueberblickt
man alle bekannten Thatsachen und Verhältnisse, so bekommt
man ganz den Eindruck, als ob die Ortenburger in Kärnten ein
illegitimer Seitenzweig des herzogUchen Geschlechtes wären,
dem Graf Rapoto, der Bruder des Markgrafen Engelbert und
des Herzogs Ulrich, seinen ehemaligen Besitz in Kärnten ab-
getreten, als er bei der Kinderlosigkeit des Markgrafen zur
Erbschaft aller Güter und Rechte in Baiem berufen schien.
Gerade die Aussicht auf so reichen Erwerb mochte ihm den
Verzicht auf einen Hebgewonnenen Ansitz erleichtem. Auch
wäre schwer zu begreifen, wie die Grafen von Görz in dem
östlichen Luragaue im 12. Jahrhunderte festen Fuss fassen und
selbst die Vogtei von Milstatt erwerben konnten, wenn da ohne
Unterbrechung eine verwandte und wenigstens ebenso mächtige
FamiUe waltete.
Dass die bairischen Grafen von Ortenburg dem Ge-
schlechte der Spanheimer entstammen, bezweifelt nun wohl
Niemand mehr, wenn gleich noch Huschberg, der eine Ge-
schichte des Gesammthauses Ortenburg schrieb,* ihre Ahnen
im Rotachgaue sucht und die Stammmutter Richardis (Ric-
carda) vom Rheine kommen lässt. Der erste in Baiem an-
sässige Ortenburger ist offenbar Engelberts I. Sohn und Ric-
cardas Enkel, Engelbert 11., der Gemahl der Gräfin Uta, der
^ J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 327.
* T. Ankershofen, Reg., Nr. 199 (Archiv für (toterr. Geschichtsforschung
5, 193).
» K. Tangl, Die Ortenburger 266.
* J. T. Haschberg, Geschichte der herzogl. und gräfl. Gesammth. Orten-
burg, S. 2.
608
Tochter des Ulrich von Passau und der Adelheid von Franten-
hausen. Er ist wahrscheinlich jener Graf Engelbert^ der ge-
meinsam mit dem Grafen Bemgar von Sulzbach, dem späteren
Stiefvater seiner Frau, dem Stifte Kremsmünster Güter vor-
enthält,^ und tritt also sofort nach dem Tode ihres rechten
Vaters in Baiem auf.' Daraus ergibt sich aber auch schon
klar, dass. die Ortenburger das Erbe Utens nach Baiem ge-
ftOirt hat. Engelbert II. ward aber nicht blos durch seine
Heirat mit Uten, sondern auch durch die Erwerbung der Mark-
grafschaft Istrien und die Nachfolge im kämtnerischen Herzogs-
amte, das nach der kurzen Regierung seines Bruders auf ihn
übergegangen, der Begründer der Grösse seines Hauses, denn
in dieser Würde folgten ihm ja sein ältester Sohn Ulrich und
dessen Nachkommen,^ im Besitze der bairischen Güter und
Rechte seine beiden jüngeren Söhne weltlichen Standes, Engel-
bert in. und Rapoto, und der Erstere verband damit bis zu
seinem Lebensende die Markgrafschaft Istrien. Doch weilt
Engelbert III., wie «s scheint, nur selten in seiner Markgraf-
schaft, wo er sich kaum einmal sicher nachweisen lässt, sondern
fast immer auf seinen bairischen Besitzungen und nannte sich
vorzüglich nach diesen. So heisst er einige Male Markgraf von
Marcwartstein,* dann meist Markgraf (Graf) von Kraiburg oder
einfach Markgraf ohne weiteren Beisatz,^ seltener Markgraf von
Istrien* und nur einmal marchio de Buren. ^ Auch Frauen be-
^ Urkundenbuch des Landes ob der Enns 2, 122. St. 2944.
' y. Giesebrecht, Kaisergesohichte, 1. Aufl., 3, 660.
* B. SchroU, Die Herzoge von Kärnten a. d. H. Spanheim 51 ff.
* Mon. Boic. 2, 292. 306; 3, 10. 12. 15. A. Meiller, Salzbnrger Reg., 8. 64
Nr. 43.
» Mon. Boic. 1, 26. 163— 166. 166. 166. 219; 2, 298. 301. 323. 328. 330.
338; 3, 63—66. 67. 68. 60. 63. 66—67. 76. 86. 290. 434. 436. 474.487.
639; 4, 626; 5, 298; 7, 441. 459. 461. 467. Th. Ried, Cod. dipl. 1, 237.
Drei bayr. Traditionsbücher, S. 7f. 7a, 18f. 17a, 19f. 18a, 23f. 20a,
27 f. 23 a. A. MeUler, Salzburger Reg., S. 34 Nr. 189. 190, 36 Nr. 200,
64 Nr. 40, 76 Nr. 101, 77 Nr. 110, 81 Nr. 128, 97 Nr. 201, 104 Nr. 23S,
106 Nr. 246.
« Mon. Boic. 3, 69. 69. 79—81. 107. 110, 111. Urkundenbach des Landes
ob der Enns 2, 280. 282. J. Zahn, Steierm. Urkundenbuch 1, 294. (526).
A. Meiller, Babenberger Reg., S. 36 Nr. 26, 38 Nr. 34. — Salzburger
Reg., S. 26 Nr. 144, 63 Nr. 279, 62 Nr. 34, 68 Nr. 61, 71 Nr. 80, 76
Nr. 106, 77 Nr. 114.
' Mon. Boic. 3, 27.
509
seichnen sich ein paar Male nach dem bairischen Besitze^ wie
Uta als ducissa de Chreibnrch,^ die Qemahlin Engelberts in. und
Tochter seiner Grossmutter Adelheid aus ihrer dritten Ehe mit
Grafen Bemgar von Sulzbach als marchionissa de Marchort-
steine ^ und marchionissa de Chreiburch. ' Engelbert m. behält
aach nach seiner Erhebung zum Herzoge von Kärnten^ ja
selbst noch nach seinem Eintritte ins Kloster in Baiem Besitz
nnd Ministerialen.^ Das Alles berechtigt zum Schlüsse, das
Geschlecht habe den Besitz in Baiem höher geschätzt als die
neuen Erwerbungen in Istrien und kaum geringer als jene in
Kärnten; es muss also der vom Grafen Ulrich von Passau an
dasselbe gefallene Besitz ein sehr bedeutender gewesen sein,
sei es, dass er ganz sofort von Uta unmittelbar übergieng oder
zum Theile erst durch Engelberts in. GemaUin, die Gräfin
Mathilde, vermittelt wurde, und er war es in der That
Den Besitz des Schlosses und Bezirkes von Marcwartstein
and von Kraiburg bezeugen die eben erwähnten Titel Mark-
graf von Marcwartstein und von Kraiburg hinlänglich. War
der erstere, die Grafschaft Marcwartstein, die ja ganz mit dem
späteren zwischen dem Landgerichte Traunstein und der Herr-
schaft Aschau gelegenen Landgerichte Marcwartstein zusammen-
fidlt, geringen Umfanges, so gehörte dagegen die Grafschaft
Kraiburg damals zu den grösseren Grafschaftsgebieten, denn
sie breitete sich zu beiden Seiten des Inns aus, grenzte im
S&dosten an die Möm und reichte im Nordwesten ilber die
Rota hinaus; sie war im Süden und Sildwesten von der Graf-
schaft Wasserburg, im Nordwesten von der Grafschaft Franten-
hausen-Megling und im Osten von der Grafschaft Burghausen
begrenzt, während im Norden und Nordosten der Innfiuss sie
von den kleinen Bezirken der Grafen von Domberg und Leng-
berg-Jul trennte, die sie wieder von der Grafschaft Ortenburg
schieden.^ Sie umfasste also, ähnlich der Grafschaft Wasser-
burg, Theile zweier Nachbargaue, des Chiem- und Isengaues,
doch lag der grössere Theil in diesem, und die tmiUegenden
Gebiete gehörten, wenigstens grösstentheils, Familien an, die
^ Mon. Boic. 8, 38. 74.
■ Ibid. 2, 318.
» Ibid. 3, 66.
* Ibid. 3, 17. 18. 27. 31. 72.
* Siehe Spnmer-Menke, Histor. HandatUs, Nr. 40.
510
wir als Zweige des Aribonenhaases erkannt haben. Auf einen
dritten Bezirk führt gleichfalls der Titel Engelberts III. an der
Stelle, wo er sich marchio de Buren nennt. Es kann dabei
wohl nur an das südlich von Rosenheim gelegene Beuem ge-
dacht werden, wo wir den Grafen Bemgar von Sulzbach
Grafenrechte üben gesehen; der erwähnte Titel verbietet, wie
dieser Umstand, ihn für unbedeutend zu halten. Weitere Be-
sitzungen zeigen die vielen Dienstleute an, die Engelbert II.
und seine Gemahlin Uta und Engelbert III. in Baiern haben. ^
Es sind Ministerialen oder milites zu Narrinperc (Dorf Narn-
berg, Landgericht Traunstein),* Antwerte oder Antwrte (Dorf
Antwort, Landgericht Prion),* zu Rifare,* zu Stetehaim,^ zu
Emmesteine und Oetingn,^ zu Snaitse (Gemeinde, Landgericht
Trostberg),' zu Egerdach (Dorf, Landgericht Laufen),® zu Mer-
mose (Gemeinde, Landgericht Mühldorf),* zu Poutinberc (Ein-
öde Pietenberg bei Kraiburg rechts vom Inn, Landgericht Mühl-
dorf),^® zu Chreiburch,^^ zu Marcwartsteine (Dorf, Landgericht
Traunstein), ^* zu Sundermaringen (Gemeinde Sondermoning?
Landgericht Traunstein), ^* zu Westerberc (Weiler, Landge-
richt Mühldorf),^* zu Estenowe (bei Neukirchen im Hausruck-
viertel ?)^* zu Pettendorf (Dorfgemeinde Grassau, Landgericht
Traunstein),^* zuHarde(Hart, Landgericht Mühldorf? oderTraun-
stein? oder Altötting? oder?)," zu Tetilheim (Dorf Tettelham,
Gemeinde Otting, Landgericht Laufen),^® zu Lamprehteshaim
(Dorf Lampertsham, Landgericht Traunstein, oder Weiler, Land-
gericht Laufen),^* zu Westerberch (Dorf, Landgericht Rothai-
münster),*® zu Hag (Weiler, Landgericht Arnstorf),*^ zu Tor-
ringen (Dorf, Landgericht Laufen),** zu Tutemanningen (Stadt
Tittmoning, Landgericht Laufen),** zu Hornpach (Hörnbach,
Gemeinde Klam, Bezirkshauptmannschaft Perg in Oberöster-
^ J. T. Hagchberg, Die Ortenburger 33 f.
' Mon. Boic. 3, 16.
» Ibid. 3, 25. 66. * Ibid. 2, 322.
» Ibid. 2, 291. 299. 301; 3, 38; 6, 298. « Ibid. 2, 322.
' Ibid. 2, 293. 294. 309. 313. » Ibid. 3, 77. » Ibid. 2, 293.
*« Mon. Boic. 3, Ö3. 65. 413. 487. " Ibid. 3, 30. 76.
» Ibid. 3, 44. " Ibid. 2, 328; 3, 86. " Ibid. 3, 45. 66.
*» Ibid. 2, 299. " Ibid. 2, 338; 3, 60. " Ibid. 1, 26; 3, 54.
" Ibid. 8, 63. w Ibid. 3, 63. 67. *« Ibid. 3, 66.
" Ibid. 3, 68. " Ibid. 3, 68. 87. » Ibid. 3, 69. 60.
511
reich?)/ zu Oraauengarze (Grafengars^ Dorf, Landgericht
Mühldorf) und za Haigerloch (Dorf, Landgericht Mtthldorf),'
zu Hohenstain (Gemeinde Metten, Landgericht Deggendorf),
za Albino we, zu Maekke und zu Urah,' zu Tuningen, ^ wohl
auch zu Truhtleihingen (Dorf, Landgericht Traunstein), Gundel-
prehtingen (Weiler, Landgericht Mühldorf), zu Harpholteshain
(Dorf Harfetsham, Landgericht Laufen), zu Hallaerpruck (bei
Reichenhall), zu Lancingen (Landgericht Miihldorf?), zu Nuz-
dorf (Dorf, Landgericht Traunstein?), zu Frowendorf (Einöde,
Landgericht Vilshofen), zu Nideke und Roredorf (Dorf, Land-
gericht Rosenheim), ^ zu Cholbaren,^ zu Massingen, zu Perge,
zu Geberichesroute, zu Chirchberg und zu Talehaim (Weiler,
Landgericht Pfarrkirchen),' zu Selehouben (Dorf Söllhuben,
Landgericht Rosenheim), ^ zu Wessen (Einöde, Landgericht
Bosenheim oder Traunstein) ^ und zu Eginingen. ^® Die Familie
selbst oder ihre Ministerialen hatten Besitz zur Curzinheim, ^^
zu Garresheim, ^* zu Wiheniohen, ^* zu Hoven, ^* zu Mahilshaim
(Einöde Machham, Landgericht Griesbach?),^* zu Vohendorf,^®
zu Wieare (Einöde Weyer, Landgericht Rosenheim), *^ zu Ga-
nigalla, ^^ zu Pettinheim (Dorf Pettenham, Landgericht Miihl-
dorf), ^* zu Pizingen (Enöde, Landgericht Altötting oder Eggen-
felden),*® zu Maelheim,*^ zu Unterholzen (Landgericht Eggen-
felden?),** zu Hadelhartingen,** zu Atal (Dorf Attel, Landgericht
Wasserburg), " zu Halle (Reichenhall),** zu Chepffingen (Weiler,
Landgericht Eggenfelden), *^ zu Brouingen,*' zu Rota (Dorf,
Landgericht Mühldorf?),*® Elmouwe (Ellmau, Bezirkshauptmann-
schaft Kufstein),** zu Fradektorf oder Frazelstorf (Frasdorf,
Landgericht Rosenheim?),*® zu Stetehaim,'^ zu Folchestorf (Dorf,
Landgericht Schrobenhausen),** zu Antwnrte (Dorf, Landgericht
> Ibid. 3, 80. * Ibid. 1, 166; 8, 88; 5, 298. » Ibid. 2, 298.
• Ibid. 3, 63. 60. 66. » Ibid. 3, 47. 63. 69. 65. 66. 69. 86. 87.
• Ibid. 3, 69. 72. ' Ibid. 3, 24. 66. • Ibid. 3, 26.
• ftid. 3, 26. *<> Ibid. " Ibid. 3, 26.
" Mon. Boic. 3, 17. " Ibid. 3, 18. ** Ibid. 2, 294.
" Ibid. 2, 293. *« Ibid. 2, 292. " Ibid. 2, 291.
" Ibid. 3, 27. 28. *• Ibid. 1, 23. «• Ibid. 2, 318. 323.
« Ibid. 2, 313. " Ibid. 3, 29. «» Ibid. 2, 330.
«* Ibid. 2, 318. » Ibid. 2, 316. »• Ibid. 3, 44.
" Ibid. 3, 47. «• Ibid. 3, 38. •• Ibid. 2, 300.
^ Ibid. 3, 53. 57. »» Ibid. 2, 299. " Ibid. 1, 166.
512
Prien)/ zu Hasla^^ zu Sewevlien/ zu Wismoule/ zu Widach,^
zu Rotenpach in montanis (Tirol?),® zu Liten und Grube,^ zu
Winthage (Weiler, Landgericht Rosenheim oder Simbach),*
zu Engiiperg, * zu Petendorf, ^® zu Egenigin, ^^ zu Pocen
(Bozen), ^* zu Polsingen (Dorf, Landgericht Gunzenhausen), **
zu Windeperge (Landgericht Bogen oder Erding), ^* zu Chugen-
winchel,^'^ zu Zachenheim. ^® Können auch lange nicht alle
diese Orte sicher und genau bestimmt werden, so ergibt sich
doch aus der gemachten Zusammenstellung unleugbar die That-
sache, dass schon die ersten in Baiern sesshaften Spanheimer
weit über die Grenzen der oben bezeichneten Gebiete hinaus
begütert waren, imd dass ihre Besitzungen vielfach in Gegen-
den liegen, wo wir den Pfalzgrafen von Rot und den älteren
Pfalzgrafen begegnet sind, wo wir wohl auch einen grossen
Theil des Besitzes der Familie des Pfalzgrafen Rapoto zu
suchen haben. Dasselbe lässt sich von den ca. 300 Mausen ver-
muthen, die die Grafen von Falkenstein von Engelbert lU. zu
Lehen erkannten. ^^ Auf eine starke Begüterung im Unterinn-
thale, der Grafschaft des Pfalzgrafen Rapoto, lässt insbesondere
noch der Umstand schliessen, dass ders^be Markgraf von Si-
boto Grafen von Falkenstein sich die Vogtei im Leukenthale
und Grassauerthale, die zu Chiemsee gehörte, auf Lebenszeit
übertragen liess,^^ und zu dem nämlichen Schlüsse führt uns
der Besitz, in dem wir seinen jüngeren Bruder und nach-
maligen Erben Rapoto (I.) und dessen Familie sehen.
Später als der Markgraf Engelbert IQ., doch noch vor
dem Rücktritte des Vaters vom Herzogsamte in Kärnten er-
scheint Rapoto, sein jüngerer Sohn, in Baiem. ^* Um das Jahr
1135 werden die Herren von Chraidorf und Stethaim seine
Ministerialen genannt,^® und als solche sind wohl auch A. de
Trutlaichingen, E. de Fuchten (statt Fulnenl), Ch. de Hohol-
^ MoQ. Boic. 8, 66. * Ibid. 8, 487. > Ibid. 8, 56.
« Ibid. 8, 58. 58. * Ibid. 8, 58. • Ibid. 3, 54.
» Ibid. 8, 65. • Ibid. 3, 58. • Ibid. 3, 59. 60. 80.
»« Ibid. 8, 61. " Ibid. 3, 79. " Ibid. 3, 66.
» Ibid. 3, 67. " Ibid. 3, 69. " Ibid. 3, 87.
>« Ibid. 1, 166.
" Drei bayr. Traditioiubficher, 8. 7 f. 7 a.
" Ibid. 8. 28 f. 20 r.
" Hon. Boic. 6, 117. Hnnd-Oewold Metropolis Salisbarg 2, 156.
•» Ibid. 1, 180; 2, 882.
513
tingen (bei Massing nahe der Rot), R. de Tivntingen (Land-
gericht Trostberg an der Alz), D. de Westerberch, H. de
Hocheim, R. de Perg und noch Andere anzusehen.^ Um das
Jahr 1150 wird Rapoto Vogt des Klosters San Nicolai bei
Passau genannt.' Er heisst von seinem ersten Auftreten an
Graf von Ortenburg und darf mit Recht als der Erbauer der
gleichnamigen Stammburg gelten. Seine Grafschaft erstreckte
sich von der Rota (im Südwesten) bis an die Donau (im Nord-
osten) in der Nähe von Passau und fiel zum Theile in den
Isen-, zum Theile in den Rotachgau. Sie umfasste, wenn nicht
ganz, so doch zum Theile ausser der kleinen späteren Graf-
schaft Ortenburg die Landgerichte Griesbach, Pfarrkirchen und
Eggenfelden. So hatte also auch diese Grafschaft einen sehr
erheblichen Antheil an dem Isengaue, den wir als den Stamm-
gan der älteren Pfalzgrafen und ihres Nachfolgers Chuno kennen
gelernt haben, und der Ort Rota lag, wenn nicht innerhalb
ihrer Grenzen, so doch hart an denselben; aber auch ihr An-
theil am Rotachgaue war kaum ganz neues Gebiet, da ja
auch hier Aribonenzweige und Verwandte des Pfalzgrafen Ra-
poto Besitz und Grafenrechte hatten. Rapoto hat seinen ersten
Besitz sehr gemehrt, vermuthlich schon durch seine Vermählung
mit Elisabeth, der jüngsten Tochter des Grafen Gebhard IL
von Salzbach, sicher, und zwar im hohen Grade durch die
Beerbung seines Bruders Engelberts DI.; in beiden Fällen
stammt aber sein neuer Besitz wohl aus derselben Quelle wie
sein früherer, aus dem Nachlasse des Grafen Ulrich von Passau.
Wie sehr Rapotos Machtstellung durch diese Erwerbungen
sich gehoben hat, das bezeugen die vielen Schenkungen seiner
Witwe und die zahlreichen Ministerialen, die diese und andere
ihrer Handlungen bezeugen, sowie die Schenkungen ihrer Söhne
and einzelner Ministerialen. Elisabeth' schenkte an das Stift
Reichersberg* und an das Kloster Aspach* zwei predia in Pla-
den, einem Dorfe Oberösterreichs, und von einem dritten da-
selbst gelegenen wies sie dem Kloster St. Nicolai einen jähr-
lichen Zins von einem Talente (1 Pfund Pfennige)® an; letzterem
» Mon. Boic. 1, 180; 2, 332; 3, 93.
« Ibid. 4, 243.
' J. T. Huachberg, Die Ortenburger 44 ff.
^ Mon. Boic. 3, 604.
* Ibid. 6, 148. • Ibid. 4, 269.
ArehiT. LXXXni. Bd. H. HftlfU. 34
514
spendete sie auch noch einen Mansus in Ekke. * Das Kloster
Aldersbach bekam ebenfalls ein Gut in Pladen vom jähriichen
Ertr{^e eines Talentes.' Ganz besondere bedachte sie aber
das Kloster Baumburg, dem sie ein Gut zu Titmoning, ' vier
Weinberge zu Crems, die sie dort gekauft hatte,* und alle Be-
sitzungen im Angechterberge im Unterinnthale sammt der da-
zu gehörigen Schutzvogtei ' übergab. Ihr älterer Sohn Rapoto
beschenkt das Kloster St. Nicolai mit dem Gute Aizzephs-
heim' und gibt die Zustimmung zu einer Schenkung an das-
selbe Kloster durch Rikkerus de Wilpach (Dorf, Landgericht
Barghausen).' Sein Ministeriale Eckardus de Fuchten (Peichten,
Landgericht Altßtting oder Muhldorf)^ und ein Ministeriale
seines Bruders Heinrich, Namens Chounradus de Harbach (Land-
gericht Erding)^ schenken Eigenleute, Ersterer an Baumburg,
Letzterer an St. Nicolai, ein anderer Ministeriale Rapotos, Di-
tricuB de Cholbaren (Kolbem bei Kraiburg) ein Gut zu Frals-
torf au Baumbui^. '" Unter den Ministerialen Rapotos, seiner
Witwe und Söhne begegnen wir vielen schon genannten Fa-
milien, wie den Herren von Hombach, von Hohensteine, Tor-
ringen, von Truhtlaihingen, Poutenperch und Albenouwe, " von
Hag," von Kraidorf, Westerperc, Marcwartesteine und Harde,'*
von Thalheim," Gundelbrehting und Cholbaren" und Anderen;
allein noch weit grösser ist die Zahl der neu aoftretenden, und
mOgen darunter auch manche sein, die schon früher Rapotos
Familie angehörten, nicht wenige wird man doch als Macht-
zuwachs betrachten dürfen. Aus der Menge sei nur ein Tbeil
hervorgehoben: die Herren de Trune (Landgericht Traunstein),*"
de Etenuelt (ebenda?)," in Sigenheim, de Prece, de Sturzel-
bach und de Werde,»* de Tuifetat," in Fuhten (Feichteu, Land-
gericht Altötting oder Muhldorf), Mittemkirchen und Schrank-
poum,'* de Hazinesdorf, de Gegenbach, de Valchenberch und
de Lohe,*» de Razlinsdorf und de Rocholvingen (Rocklfing,
' Mon. Boic. 4, 27«. * Ibid. 5, 826. ' Ibid. 3, 92.
' rbid. S, 91. » Ibid. 2, 193 f- • Ibid. i. 258,
' Ibid. 4, 867, ■ Ibid. 3, 93. ' Ibid. 4, 276.
' Ibid. 3, 94. " Ibid. 2, 194; 3, 92 f.; 5, 143.
■ Ibid. 2, 19t; 3, bOi; i, 269.
' Ibid. 3, 91. " Ibid. 4, 267. " Ibid. 8. 94.
' Ibid. 2, 334, 860, " Ibid, 3, 61. " Ibid 5, 324
• Ibid. 3, 63. " Ibid, 3, 92. »> Ibid. 4, 269.
515
Landgericht Dorfen),^ de Peurbach (Dorf Bayerbach, Land-
gericht Rothahntinster), de Werde (Wörth, Landgericht Mühl-
dorf) und de Mosen,* de Wart (Landgericht Dingolfing oder
Rosenheim) und de Posmunstere (Gemeinde Postmünster, Land-
gericht Pfarrkirchen), ' de Ahtsdorf (Dorf, Landgericht Laufen)
und de Tobel (Berg, Landgericht Griesbach oder Dorf, Land-
gericht Wasserburg),* de Liubolvingen, de Rotowe, de Misch-
male und de Ahste,^ de Merswanch, de Sazebach, de Ahtail,
de Mitiche und de Gisenperge,* de Phafenberc, de Alhartingen
(Allerding, Landgericht Passau?) und de Walthalmingen, ' de
Frenkingen und de Cherburg,® de Pernstaine (Bärnstein, Land-
gericht Grafenau) und de Steinkirchen* und insbesondere de
Hezilperc (Hetzenberg, Landgericht Kötzting), ^® de Trebesroute
(Landgericht Cham?) und de Runting (Gemeinde Run ding,
Landgericht Cham). ^* Da wir so viele Ministerialen des Mark-
grafen Engelbert III. im Besitze der Familie seines Bruders
Rapoto finden, so ist doch gewiss der Schluss gestattet, dass
er sein Erbe und Nachfolger in den bairischen Besitzungen ge-
worden; die vielen zum ersten Male genannten Ministerialen-
familien lassen aber noch besser die Machtstellung Engelberts lU.
erkennen, denn die Mehrzahl hievon stammt doch sehr wahr-
scheinlich von ihm, wenn auch einige Rapoto von anderer Seite
her bekommen haben mag, und zu jener Gruppe wird man
vor allen die im Nordgaue sesshaften zählen müssen, wo die Pfalz-
grafen Chuno und Rapoto schon bedeutenderen Besitz haben.
Dasselbe kann wohl auch mit grosser Wahrscheinlichkeit von
den Gütern der Witwe Rapotos im ünterinnthale gelten, einem
Haaptsitze der Macht der genannten beiden Fürsten.
Graf Rapoto hat aber nicht blos ansehnliche Güter im
unteren Innthale besessen, er muss auch zu dem Besitze der
Grafenrechte in einem grösseren Theile der ehemaligen Graf-
schaft Unterinnthal gelangt sein, ohne welche die noch viel be-
deutender erscheinende Begüterung seiner Nachkommen da-
selbst kaum begreiflich ist. Diese Grafschaft bekam, wie
erwähnt, einst der Weife Heinrich der Stolze, Herzog von
Baiem, vom Bisthume Regensburg zu Lehen, und es ist kein
» Mon. Boic. 3, 504. « Ibid. 2, 194. » Ibid. 4, 273.
* Ibid. 5, 143. » Ibid. 4, 259. « Ibid. 4, 257.
' Ibid. 3, 93 f. « Ibid. 3, 94. • Ibid. 4, 276.
" Ibid. 2, 842. " Ibid. 4, 269; 5, 148.
84»
516
Grund; zu bezweifeln, dass sie im Besitze seines Hauses ge-
blieben bis zum Sturze seines Sohnes, Heinrichs des Löwen, im
Jahre 1180. Dass nun das Stift dies Lehen eingezogen und
nicht mehr weiter verliehen, ist schon an imd für sich un-
wahrscheinUch, da die Verwaltung eines so entlegenen und zu-
gleich so bedeutenden Gebietes für die Bischöfe mit grossen
Schwierigkeiten verbunden sein musste; diese Annahme wider-
spricht aber auch den damaUgen Rechtsgewohnheiten, womach
derartige Verleihungen sehr häufig vorkamen. Nur ist, der
herrschenden Sitte des 12. und 13. Jahrhunderts entsprechend,
anzunehmen, dass die Bischöfe bei der abermaUgen Verleihung ein
so grosses Gebiet nicht mehr ungetheilt werden vergeben haben,
und zu dieser Anschauung führen auch die thatsächUchen Ver-
hältnisse des 13. Jahrhunderts. Fragen wir aber nach den Fa-
milien, denen das Stift Regensburg Theile der Grafschaft Inn-
thal verliehen haben könnte, so muss diejenige, an die man
zunächst denken möchte, die Nachfolgerin der Weifischen im
bairischen Herzogsamte, die der Witteisbacher, entschieden aus-
geschlossen werden. Obwohl diese schon einigen Besitz im Inn-
thale hatten, so bekamen sie doch Grafschaftsrechte bei ihrer
Einsetzung ins Herzogsamt in Tirol noch nicht; denn hieven
findet sich bis zum Erlöschen des pfalzgräfiichen Zweiges der
FamiUe Rapotos I. mit dessen Enkel Rapoto HI. im Jahre 1249
keine Spur; aber sofort nach demselben erscheinen die Witteis-
bacher als Grafen des Unterinnthaies, und gerade dieser Um-
stand scheint mir sehr daftlr zu sprechen, dass sie hier die
Nachfolger Rapotos HI. geworden sind. Wie zurückhaltend die
Regensburger Bischöfe gegenüber den Wittelsbachem waren,
beweist ein anderer Fall. Als nämlich Bischof Konrad HI.
nach dem Aussterben der älteren Linie der Grafen von Steve-
ningen deren Lehen im Jahre 1185 wieder verUeh, da enthielt
er dem Herzoge Ludwig I. ein paar der beanspruchten vor und
darunter gerade ein ftir uns sehr bezeichnendes: das Land-
grafenlehen im Innthale. ^ Dieses Lehen, das die Feste Kuf-
stein und einige umhegende Güter umfasste und von den
früheren Lihabem den Namen Landgrafenlehen erhalten hatte,
verlieh erst Konrad FV., der Nachfolger des Obgenannten, auf
^ F. Janner, Die Regensburger Bischöfe 2, 200. 238.
517
Grund einer Vereinbarung im Jahre 1205 an Ludwig I.^ Die
bedeutendste Besitzung, die die Witteisbacher schon im 12. Jahr-
hunderte im Innthale hatten, waren ihre Qüter und Rechte im
Leukenthale, aber diese hatte Pfalzgraf Otto im Jahre 1168
von dem Tempelorden gekauft.* Ob die Grafschaftsrechte im
Leukenthale, welche die Weifen an die Grafen von Falken-
stein weiter verliehen hatten, nach dem Sturze jener auf die
Witteisbacher übergegangen sind, ist mehr als fragUch; ich
möchte vielmehr dafür halten, dass sie nun die Falkensteiner
unmittelbar von den Bischöfen von Regensburg zu Lehen er-
hielten, umsomehr, als sie wahrscheinlich noch einen anderen
Bezirk des Linthales, jenes am Westufer gelegene Stück, das
unmittelbar an ihre Grafschaft Falkenstein stiess, als ihr Lehen
innehatten.
Ausser den Wittelsbachem und Ortenburgern können aber
noch zwei Familien fUr unseren Fall in Betracht kommen, die
auch beide im Innthale begütert sind, die eben genannten
Grafen von Steveningen und von Falkenstein. Doch die Ersteren,
von denen die ältere Linie die Burggrafschaft der Stadt Regens-
burg, die jüngere die Grafschaftsrechte in der Umgebung dieser
Stadt hatte, können nicht Grafen des unteren Innthales ge-
wesen sein. Die Art, wie ihres Besitzes die Fundatio mona-
sterii in Walderbach gedenkt, scheint mir eine solche Annahme
ganz auszuschliessen, denn die betreffende Stelle lautet: ,Hen-
rico prefectura et dominatus maximi in montanis, Friderico
vero comicia cum suis attinenciis (in sortem cessit hereditas).'*
Die ,prefectura' bezeichnet hier offenbar die Burggrafschaft von
Regensburg, die ,comecia' die Landgrafschaft, nämlich die Graf-
schaft in dem Bezirke um Regensburg und die ,dominatus
maximi^ das Landgrafenlehen in Tirol. Mag auch die Fundatio
sonst irren in ihren Angaben, fiir die Richtigkeit dieser Stelle
spricht Alles, was sonst über diese Verhältnisse bekannt ist
oder auf sie schliessen lässt, imd die genaue Scheidung der
drei Hauptbesitzungen der Familie durch den Wortlaut weist
nicht nur bestimmt genug auf die Verschiedenheit derselben
^ Quellen und Erörterungen 5, 4 ff. F. Janner, Die Regensburger Bischöfe
2, 238 ff.
* Innsbrucker Ferdinandeums-Bibliothek : Dipauliana 1184 fol. 3. Mscr.
^ M. Mayer, Regesten zur Geschichte der Barggrafen von Regensburg in
Verhandl. d. histor. Vereines von Oberpfalz u. Regensburg 43, 15, Anm. 1.
518
hin, sondern schliesst auch fUr den als ^dominatus' bezeichneten
tirolischen Besitz meines Erachtens die Grafschaflsgewalt in
einem weiteren Gebiete aus. Die Grafen von Falkenstein haben
ohne Zweifel in den früher bezeichneten Theilen des unteren
Innthales wie in ihren benachbarten bairischen Besitzungen Grafen-
rechte geübt, aber ilber diese hinaus sind ihnen schwerlich solche
zugestanden worden, denn es gibt hieftir auch nicht einen An-
haltspunkt. Wohl aber drängen die in der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts bestehenden Verhältnisse der ehemaligen Graf-
schaft des unteren Innthales zur Annahme, dass in einem grossen
Theile derselben die Ortenburger die Grafenrechte gehabt haben,
und namentlich lassen sich nach meiner Meinung nur in dem
Falle der Conflict des Pfalzgrafen Rapoto (in.) mit dem Bi-
schöfe Siegfried von Regensburg und die in Folge dessen im
October 1240 zwischen beiden Theilen geschlossenen Verträge
genügend begreifen, wenn jener zu diesem die augedeutete
Stellung einnahm.
Nach der Friedensurkunde vom October 1240 verzichtet
Pfalzgraf Rapoto HI. zu Gunsten des Stiftes Regensburg auf
Schloss und Dorf Itter mit den hiezu gehörigen Besitzungen
und Lehen (castrum ütter et villam Utter cum possessionibus
ipsis attinentibus tam liberis, quam infeodatis), womit er offen-
bar vom Bischöfe belehnt gewesen war, dann auch auf die
Vogtei über das ^nze Brixenthal, wobei er hinzuftlgt: ,cuni
attinenciis suis scilicet Septem hubis et V talentis Ratisponen.
monete, et de curtis vUlicalibus dni. epi. Ratispon. cum omni
iure et usu, quo ego et progenitores mei eam hactenus possedi
titulo feodi^; auch übergibt er seine allodialen Burgen Schindel-
perg et Sperten mit den dazu gehörigen Besitzungen und
Rechten dem Stifte zum Eigenthum und nimmt sie von ihm
wieder zu Lehen. Er musste dies zur Sühne für den Schaden
thun, den er in der vorausgegangenen Fehde dem Bisthume zu-
gefligt hatte, und darum auch, zur Verhütung weiteren Schadens^
demselben noch das Versprechen geben: ,Item non edificabo per
me vel meos aliquas munitiones infra castrum Kufstein et mon-
tem, qui dicitur Jochperc, inter que loca sita est vallis Brichsie,
vel alibi, nee ab alio quoquam constructum in proprium vel
feodum obtinebo, nee in Ulis efficiar castellanus.' ^ Die Burg
1 Tb. Ried. Cod. dipl. 1, 389.
519
Schindelberg stand in der Gemeinde Breitenbach auf dem
Angerberg, die Burg Sperten in der Gemeinde St. Johann an
der Strasse nach KJtzbühel. Hält man sich noch die früher
erwähnten Besitzungen und Rechte der Ortenburger im Inn-
thale gegenwärtig, so muss man doch sagen, dass eine Macht-
stellung, wie sie der Friedensvertrag und die älteren Documente
anzeigen, doch nur denkbar ist, wenn die Familie in diesen Ge-
genden zugleich die Grafenrechte vom Bischöfe zu Lehen hatte.
Die Beziehungen zwischen dem Stifte Regensburg und den
Ortenburgem haben allem Anscheine nach denen zwischen
dem Stifte Trient und den Grafen von Tirol um diese Zeit
sehr ähnlich gesehen, und ebenso das Schicksal, das beide
Bischöfe in der Folge getroffen, als die Ansprüche auf die
Grafenrechte an mächtigere Familien übergegangen waren.
Wie die Grafen von Görz und Tirol die Bischöfe von Trient aus
der Grafschaft Bozen fast ganz verdrängt und ihnen selbst
Stücke der Grafschaft Trient abgenommen haben, so ist den
Bischöfen von Regensburg von der Grafschaft des unteren
Innthales nur mehr die Herrschaft Itter geblieben, als die
Witteisbacher sich des Nachlasses der Ortenburger bemächtigt
haben.
Fragt man nach der Ursache, warum die Bischöfe von
Regensburg gerade den Ortenburgem die Grafenrechte in einem
grossen Theile des unteren Innthales verheben haben sollten,
80 wird man zunächst allerdings an ihren grossen Besitz da-
selbst denken können, der sie mehr als jede andere Familie
zu diesem Amte empfahl. Doch war dieser nach meinem Da-
ftlrhalten nicht die einzige, kaum die Hauptursache der Be-
lehnung derselben; ich möchte vielmehr hierin vor Allem eine
Berücksichtigung von Rechtsansprüchen sehen, welche die
Ortenburger wegen ihrer Abstammung von der Gräfin Uta,
der Enkelin des Bruders des Pfalzgrafen Rapoto, erhoben
haben mögen, und werde in dieser Auffassung bestärkt durch
die weitere Thatsache, dass Rapoto H. auch die Pfalzgrafen-
würde nach der Aechtung und Tödtung des Pfalzgrafen Otto
von Witteisbach, des Mörders König Philipps von Schwaben,
fiir seine Familie erwirbt. Auch diese Thatsache lässt sich am
besten durch die Annahme erklären, es haben die Ortenburger
bei Erledigung des Pfalzgrafenamtes sich im Hinblicke auf die
mit ihnen verwandten älteren Pfalzgrafeu um dasselbe be-
520
worben und eben wegen ihrer Beziehungen zu diesen auch
vor anderen erlangt. Denn sonst sollte man doch erwarten,
dass mit dieser Würde, die sicherlich noch immer ein gewisses
Ansehen und einige Macht verlieh, zuerst einheimische Familien
bedacht worden wären. Allerdings genoss Rapotos II. Familie,
wie es scheint, grosses Ansehen, er und sein Bruder Heinrich
wurden gleichzeitig mit den kaiserlichen Prinzen auf dem
grossen Reichstage zu Mainz im Jahre 1184 zu Rittern geschlagen,
und beide gehen in den Zeugenreihen den meisten Grafen
vor; aber es gab damals in Baiem doch noch ein paar
alte Grafenfamilien, die an Ansehen und Macht hinter den
Ortenburgem kaum viel zurück standen, wie die Markgrafen
von Vohburg, die Grafen von Bogen und Andere, und die
persönlichen Eigenschaften Rapotos II., seine Streitlust und sein
gewaltthätiger Sinn, welche Züge seine blutigen Fehden mit den
Grafen von Bogen und mit dem Stifte Passau und seine gegen
Klöster verübten Bedrückungen und Verwüstungen bezeugen, *
empfahlen ihn fUr eine solche Würde nicht sonderlich. Darum
müssen fUr die Verleihung des Pfalzgrafenamtes an seine Person
doch andere Momente gesprochen haben.
Es erübrigt noch, zweier Grafenfamilien zu gedenken, die
ebenfalls im Besitze von Gebieten erscheinen, welche einst sicher-
lich Mitgliedern des Aribonenhauses gehörten, und die auch in
verwandtschaftlichem Zusammenhange mit Zweigen desselben
sich nachweisen lassen; es sind zugleich zwei Familien, deren
Machtsphäre sich auch nach Tirol erstreckt: ich meine die
schon wiederholt genannten Grafen von Falkenstein und die
Grafen von Lechsgemünde. Die Grafen von Neuburg und
Falkenstein werden in einem alten, vor Kurzem veröffentlichten
und vervollständigten Stammbaume* von einem Grafen Namens
Patto I., Vogte von Tegernsee (f vor 1017), abgeleitet, dessen
Enkel, ein Sohn des Grafen Gerold von Neuburg und Wiare
und Neffe Pattos II., Sigebotus I. comes Weyarensis (f 1136)
gewesen sein soll. Aber damit lässt sich die Thatsache nicht
in Einklang bringen, dass schon in dem Zeiträume von 1011
bis 1026 oder 1031 — 1040 ein paarmal ein Sigboto preses et
advocatus und einmal ein Sigboto advocatus vorkommt, und
* Stehe J. T. Hnschberg, Die Ortenburger.
' Drei bajer. Traditionsbttcher, Beil.
521
dass in dem Zeiträume von 1068 — 1091 oft ein comes (preses)
Siboto, offenbar immer derselbe, in den Traditionen des Stiftes
Tegemsee auftritt. ^ Der bezeichnende Name der Familie ist Sige-
boto, der, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch mit der näm-
lichen Regelmässigkeit wiederkehrt wie in anderen Familien
Ottokar, Sigihard, Chuno und Andere. Nach dem Codex Falken-
steinensis besitzt der um 1170 noch lebende Graf Sigeboto II.
von Falkenstein, ein Urenkel des erwähnten Patto II. nach
obiger Genealogie, ausser zahlreichen Eigengütem und Lehen die
Grafschaften Neuburg mit dem Schlosse gleichen Namens an
der Mangfall, die Grafschaft Falkenstein mit der Burg Falken-
stein bei Oberflinsbach, die Grafschaft Hademarsberg, einen
schmalen, von den Grafschaften Kling-Wasserburg und Marcwart-
stein eingeschnürten Streifen zwischen Rosenheim und dem West-
gestade des Chiemsees, die Vogtei Aibling, welche die genannten
drei Grafschaften miteinander verbindet, und die weit entlegene
Grafschaft Herrantstein in Niederösterreich, die um die obere
Piesting und ihre Zuflüsse bis gegen Wiener-Neustadt sich aus-
dehnte.* Hievon lagen die Ortschaften Falkenstein und Neu-
burg und die Vogtei Aibling in dem ehemaligen Sundergaue,
die Grafschaft Hademarsberg zum Theile im Chiemgaue und
zum Theile in der Grafschaft des unteren Innthales und hier
auch die Vogtei im Leukenthale, die Grafschaft Herrantstein
aber in der Mark Putten. Die ersten drei Grafschaften und
die cometia im Liuchental waren offenbar Lehen des Herzogs
von Baiern und wohl auch die Vogtei Aibling, die Grafschaft
Herrantstein Lehen des Markgrafen von der Steiermark und dann
des Herzogs von Oesterreich. Die Falkensteiner hatten jedoch
noch eine Menge anderer Lehen von geistlichen und weltlichen
Fürsten. Sie waren Vasallen der Bischöfe von Passau, Trient,
Regensburg und Freising und des Abtes von Tegemsee und
von dem Grafen Gebhard von Burghausen mit über 400 Mausen
(in Niederösterreich), vom Grafen Gebhard von Sulzbach mit
fast 400 Mausen, von dem Pfalzgrafen Otto dem Jüngeren mit
100 Mausen, vom Markgrafen Engelbert HI. mit fast 300 Mausen,
von dem Hallgrafen Gebhard mit 250 Mausen, vom Herzoge
Weif mit 200 Mausen, vom Grafen (Sighard oder Heinrich)
* Mon. Boic. 6, 39. 40. 42. 46. 60. 62 u. a. a. O.
' Drei bayer. TraditionsbUcher, Einleit., XI f.
622
von Schala mit Aurdorf und Willingen (westlich von Aibling),
vom Grafen Konrad von Peilstein mit mehreren Einkünften
und einem Hofe bei Halle (Reichenhall), vom Herzoge Leopold
von Oesterreich mit der Marchmutte mehrerer Güter, vom
Markgrafen Ottokar von Steiermark mit Gut bei Fischah und
Hartberg, vom Grafen Rapoto von Ortenburg mit 2 Wagen
Wein im Brixenthale, vom Grafen Berthold von Andechs mit
einem Gute zu Ingoltesperch und vom Pfalzgrafen Friedrich mit
mehreren Gütern, darunter 2 Hansen zu Langkampfen, belehnt^
Die Lage der Grafschaften, Vogteien und anderen Besitzungen,
die Grafen-, Eigen- und Lehenrechte und die vielen Beziehungen
der Falkensteiner zu anderen Fürstengeschlechtern, all' dies
weist auf das Aribonenhaus hin, und in einem Zweige desselben
finden wir auch den sonst so seltenen Namen Siboto (Sigeboto):
so heisst ja einer der Söhne der mehrmals erwähnten Gräfin
Judita,' deren Familie in nächster Nachbarschaft ansässig war.
Doch flir Abkömmlinge dieses Sigeboto oder überhaupt fllr
echte Sprossen des Aribonenhauses möchte ich aus zwei Gründen
die Falkensteiner nicht halten, einmal weil ihr Stammgut nicht
im Chiem- oder Isengaue, sondern zu Geislbach im Wester-
gaue (Amtsgericht Dorfen) lag,' und dann weil ihre Dienst-
leute niemals ministeriales, sondern stets nur milites heissen.
Der letztere Umstand lässt sie entschieden als eine nicht voll-
kommen den anderen Grafenfamilien ebenbürtige erscheinen,
trotz ihres grossen Besitzes, und macht es erklärUch, dass sie
von so vielen anderen Grafenfamilien Lehen haben konnten.
Die Grafen von Falkenstein sind darum eher als ein unechter
Seitenzweig des Aribonenhauses anzusehen. Dass es demselben
bis zu einem gewissen Grade angehört, daftir scheint mir ge-
rade die Verhandlung über ihr Handgemal vor dem Pfalz-
grafen Otto von Witteisbach, in dessen Amtsgebiet der Ort
Geislbach und die Dingstätte Moringen lagen, zu sprechen.
Dabei waren neben anderen Edlen Dingleute: Chuno von Me-
geUng, Sigiboto de Antwrte und der Hallgraf Gebhard,* die
alle nicht in dieser Grafschaft wohnten und nur wegen ihrer
Verwandtschaft herangezogen sein konnten. Zwischen den
* Drei bayer. Traditionsbücher S. 7f., 7 a.
• Juvavia, Anh., S. 233.
» Drei bayer. Traditionsbücher, S. 8 f. 2 a.
♦ Ibid.
623
Herren von Megling und den Grafen von Falkenstein bestand
freilich noch eine andere verwandtschaftliche Beziehung in
Folge einer Heirat Herrandus II, mit Sophie von Megling.
£inen verwandtschaftUchen Zusammenhang zwischen der
Familie des Pfalzgrafen Chuno von Rot-Vohburg und den
Grafen von Lechsgemünde hat zuerst Moritz^ angenommen^
indem er des Pfalzgrafen Tochter, die Gräfin Irmingard in
zweiter Ehe mit einem nicht näher bekannten Mitgliede der
Grafenfamilie von Lechsgemünde sich vermählen liess und so
den zweiten, offenbar jüngeren Sohn derselben, Chuno von
Horburg, zu einem Sprossen dieser Ehe machte.* Dieser An-
sicht widersprach aber v. Koch-Stemfeld entschieden und ver-
trat wieder die schon von mehreren älteren Genealogen vor-
gebrachte Meinung, der zweite Gemahl Irmingards sei Chuno
von Megling gewesen. Ist meine frühere Annahme richtig,
dass Irmingard sich in erster Ehe mit einem Hallgrafen (Engel-
bert) und in zweiter mit dem Grafen Gebhard von Sulzbach
verheiratet habe, so müsste man sie in dritter Ehe mit einem
Grafen von Lechsgemünde sich verbinden lassen, wollte man
Moritz beipflichten und auf seine Weise den verwandtschaft-
lichen Zusammenhang beider Familien erklären. Dass ein
solcher bestanden haben muss, scheint auch mir aus den Be-
sitzverhältnissen sich zu ergeben. Eine Linie der Grafen von
Lechsgemünde besitzt nämlich im 12. Jahrhunderte Grafschafts-
bezirke, die mitten zwischen solchen von Zweigen des Ari-
bonenhauses liegen: im Salzburggaue und im angrenzenden
Lomgaue. Zillner ^ hat zuerst nachgewiesen, dass ihr und
nicht den Grafen von Piain, wie man bisher immer ange-
nommen, die Grafschaft Oberpinzgau gehört habe, und Richter*
hat ihm zugestimmt. Als Inhaber der Bezirke und Schlösser
von Windisch-Matrei und Lengberg und anderer Besitzungen
des Iselthales ist diese Linie schon aus den Werken v. Hor-
mayr's^ und des Grafen Reisach-Steinberg bekannt; sie hatte
aber auch noch Güter und Einkünfte von 20 Mark zu Itils-
* J. Moritz, Die Grafen von Sulzbach 65 ff.
* R. V. Koch-Sternfeld, Zur Geschichte der Grafen von Salzbach 7 ff.
» Dr. Zillner, Die Grafschaften im Salzbnrgg^aue 233 ff.
* E. Bichter, Untersuchnngen 679.
* V. Hormajr, Beiträge Ib, 69 ff. SämmtUche Werke 1, 227 ff.
524
dorf (Nikolsdorf), Vrsen (Irschen) und Linte^ im ehemaligen
Lumgaue und damit also wieder einen Besitz^ den wir einst
in den Händen des Pfalzgrafen Chuno gesehen haben. Der
Erwerb dieser Besitzungen ist kaum anders denkbar als durch
nahe Verwandtschaft mit den Familien, die sie nachweisbar
früher besessen haben; die Art und den Grad derselben aber
zu bestimmen, dürfte mit den bisher veröffentlichten Quellen
wohl kaum möglich sein.
Den Schluss dieser Abhandlung sollte nach dem ersten
Entwürfe ein Stammbaum des Aribonenhauses bilden, allein
nach längerer Erwägung muss ich davon Umgang nehmen.
Denn es ist unmögUch, selbst einzelne Familien darin an be-
stimmter Stelle aufzunehmen, geschweige denn jedem Mit-
gliede derselben seinen Platz anzuweisen. So müssten manche
Fälle sehr unsicher bleiben, und dann hätte doch die ganze
Zusammenstellung nur insoferne einen Werth, als sie eine be-
queme Uebersicht über alle aufgestellten und angenommenen
Beziehungen gewährte. Allein wenn manche Einzelheiten mehr
oder weniger unsicher bleiben, so gewinnen doch die meisten
durch den Zusammenhalt mit anderen mehr Festigkeit und
nicht wenige einen hinreichenden Grad von Zuverlässigkeit.
Denn nicht selten werfen spätere Verhältnisse auch auf frühere
Licht und lassen Vieles bestimmter erscheinen, als es durch
die gleichzeitigen Quellen sich darstellen lässt. Auf diesen Zu-
sammenhalt muss ich besonderes Gewicht legen, im Zusammen-
hange mit anderen sicheren Ansätzen werden auch, wie ich
hoffe, manche zweifelhaften einen hinreichenden Grad von
Wahrscheinlichkeit bekommen, während sie, aus diesem Zu-
sammenhange gerissen und für sich betrachtet, immerhin schwan-
kend genug erscheinen mögen. Doch bin ich weit entfernt,
alle meine Annahmen als hinreichend verbürgt halten zu
wollen; meine Arbeit hat ihr Ziel erreicht, wenn es mir
durch meine Erörterungen gelungen, folgende Sätze erwiesen
oder wenigstens im hohen Grade wahrscheinlich gemacht zu
haben :
1. Unter allen bekannten Edlen des Namens Aripo
(Aribo) kann der gleichnamige Markgraf der Ost-
^ V. Rei0aoli, Grafen zu Steinberg^, Geschichte der Grafen von Leduge-
münde, in histor. Abhandi. d. k. bair. Akad. d. W. (IS13) 2, 37a. 377.
525
mark um die Wende des 9. und 10. Jahrhunderts am
ehesten als Stammvater des Aribonenhauses angesehen
werden.
2. Der Stammsitz der Aribonen ist nicht im Chiem-
gaue^ sondern im Isengaue zu suchen.
3. Das Aribonenhaus war weiter verzweigt, als
man bisher angenommen, und umfasste eine Reihe von
Grafenfamilien des südöstlichen Deutschlands.
4. Zu ihm gehörten nicht blos die ältere Pfalz-
grafenfamilie, sondern auch die Familien der Pfalz-
grafen Chuno und Rapoto.
5. Dasselbe gilt von den Grafen des Lurngaues
und ihrem jüngeren Zweige, den Grafen von Görz,
aber auch die Grafen von Tirol können keinem anderen
Geschlechte mit mehr Recht zugewiesen werden.
6. Die Grafen von Spanheim, insbesondere die
bairischen Ortenburger, sind die Erben vieler Be-
sitzungen der genannten drei Pfalzgrafenfamilien ge-
worden.
7. Das Aribonenhaus hat auch die Grafschaft des
unteren Innthales besessen, und die Grafen von Orten-
burg sind in ihrem Besitze daselbst auch die Nach-
folger der älteren Pfalzgrafenfamilien geworden.*
^ Da der erste im Jahre 1896 erschienene Band der Monumenta historic«
ducatus Karinthiae, die Gurker Geschichtsquellen, herausgegeben von
August von Jaksch, erst nach Vollendung dieser Abhandlung in meine
Hftnde kam, so konnte derselbe nicht mehr in vollem Umfange heran-
gezogen werden und beruhen daher die Erörterungen über die Familie
der Wilhelme (8. 468 ff.), namentlich jene über die VOgte, zum Theile
noch auf den früheren Quellenausgaben, worin die Fälschungen nicht
als solche erkannt und gekennzeichnet waren.
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STANFORD UNIVERSITY UBRARY
Stanford, California
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