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Full text of "Archiv für Kriminologie 71.1919"

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begründet von Dr. Hans Gross 


Herausgegehett mn ~,fh 


Dr. Robert Heindl, 

Wirti U^.-aat, Vortr. Bat, Berlin 

Di*; Üeiiwicb Schmidt, 

RcJcbj 3 geftch 4 arfi^ l&ipzig 

Dr. Franz Strafelia, 


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Dr. Hermann Horeii, 

Geh. JuAtizrat, Meli» ;: 1 ; 

Dr. Robert Sommer, 

Geh. Metfizinalraf, Uuiv -Prot, GieBßu 

Dr. Hermann ZafitA, 

Gra* 


unter veraDtw.orüicJhBr ftodakiion von 

Dr. Robert Heindl 


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71. BAND, 

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(Mit 6 Abbildungen.) 

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LEIPZIG 

VERLAG VON F. C. W. VOGEL 
1919 


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Inhalt des 71. Bandes. 




I. Heft 

ausgegeben am 18. Februar 1919. 

Original-Arbeiten. Seite 

Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik. Von Unter¬ 
staatssekretär z. D. Dr. Georg von Mayr, o. Universitätsprolessor 1 

Der Zwang zum Fingerabdruck. Von Geheimrat Dr. Jose! Köhler, 

o. ö. Professor der Rechte.19 

Kriminalistische Übergangswirtschaft. IV. Die dänische Reichskriminal- 

polizel. Von Justizminister Zahle . .23 

Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 
und deren Berücksichtigung in dem Strafrecht und bei der Straf¬ 
vollstreckung. Von Dr. med. Fr. Jos. Widmann, Abteilungsarzt 

der Provinzial-Heilanstalt Warstein.27 

Der Gesichtsausdruck der Leiche in kriminalistischer Beziehung. Von 
Dr. E. Hurwicz.70 

Neuerschienene Bücher und Broschüren.78 


2. und 3. Heft 

ausgegeben am 15. Juli 1919. 

Original-Arbeiten. 

Die Anwendung der Palimpsestphotographle auf forensischem Gebiete 

Von P. R. Kögel. (Mit 5 Abbildungen).. . 85 

Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien. Von Dr. Erwein Ritter 
v. Höpler, Hofrat und leitendem Erstem Staatsanwalt in Wien . . 103 
Die Zentral-Polizeischule in Dänemark. Von Dr. Hakon Jörgensen, 

Leiter der Polizeischule in Kopenhagen.127 

Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 
und deren Berücksichtigung in dem Strafrecht und bei der Straf¬ 
vollstreckung. Von Dr. med. Fr. Jos! Widmann, Abteilungsarzt 

der Provinzial-Heilanstalt Warstein (Fortsetzung).132 

Die Kriminalität in den Vereinigten Staaten von Amerika. Von Hans 

Fehlinger.170 

Über Privatgutachten. Von Prof. Dück, Innsbruck.176 


Kriminalistische Übergangswirtschaft VI. Die Verstaatlichung der 
ungarischen Polizei. Von Geheimrat Dr. Robert Heindl .... 179 
Ergänzung meiner Schrift „An die deutschen Geschworenen". Einige 
praktische Vorschläge von Landgerichtsrat Dr. v. Holten .... 201 
Visitieren. Von Gerichtschemiker C J. van Ledden-Hulsebosch 215 













IV 


Inhaltsverzeichnis 


Seit« 


Kleinere Mitteilungen. 

Privatdozent Dr. Eduard Ritter von Liszt: 

1. Schutz vor verbrecherischen Dienstboten.219 

Dr. jur. Hans Schneickert: 

2. Zur Geschichte der Kritninalpsychologie.220 

Geheimrat Dr. Robert Heindl: 

3. Gaunerzinken? Belohnung von 3000 M. (Mit 1 Abbildung) . . 223 

4. Krankhafter Zwang zttr Selbstbezichtigung.223 

5. Der Erkennungsdienst der Polizeidirektion München.225 

Zeitschriften. 

Universitätsprofessor Nippe, Greifswald: Medizinische Zeitschriften . 226 
Werner Kuhn und [Robert Heindl: Kriminalistische Aufsätze in 
deutschen Zeitschriften des Jahres 1916.. 233 


4. Heft 

ausgegeben am 12. November 1919. 

Originalarbeiten. 

Hörigkeit Von Dr. Erwein Höpler, Hofrat und Leitendem Ersten 

Staatsanwalt in Wien..253 

Zwei Fälle von Kindermißhandlung. Von Dr. Paul Siegfried, Erstem 

Staatsanwalt in Basel. 260 

Blutrache und Sühngeld. Von Oberstleutnant-Auditor Dr. Ernst Junk 274 
Defloration eines taubstummen Kindes. Von Staatsrat Dr. James 
Brock, ehemals an der Kaiserl. St Petersburger Entbindungsanstalt, 

und St Petersburger Stadtakkoucheur.282 

Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza. Gut¬ 
achten der Wiener medizinischen Fakultät Von Prof. H. Obersteiner 290 
Versuche zur Unterscheidung von Einschuß und Ausschuß. (Aus der 
Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität Berlin.) Von 

Dr. Georg Straßmann.308 

Kann die Verwendung von Privathunden zum Spurensuchen an Ver¬ 
brechenstatorten verboten werden? Von Generalstaatsanwalt Graf 

Vitzthum in Dresden.320 

Gerichtliche Verurteilung als Mittel des Selbstmords. Von Dr. Hans 
von Hentig. 325 














Beschleunigung 

des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik. 

Von 

Unterstaatssekretär z. D. Dr. Georg von Mayr, 
o. Universitätsprofessor, München. 

Die Bearbeitung des dritten Bandes meiner „Statistik und 
Gesellschaftslehre“ (Tübingen 1917) habe ich vor einem Jahrzehnt 
im Frieden begonnen, und im Jahre 1916 in der Kriegszeit zum 
Abschluß gebracht. Die Kriminalstatistik bildet den zweiten 
größeren Teil dieses Bandes, der die „Moralstatistik mit Einschluß 
der Kriminalstatistik“ behandelt. Bei der Untersuchung der all¬ 
gemeinen natürlichen und sozialen Verfehlungsbeeinflussungen 
kam ich im Ausblick auf die in Betracht kommenden in zeitlichem 
Verlauf auftretenden mit geringerer oder auch mit größter Wucht 
wirksamen Sondererscheinungen politischer Art, insbesondere auf 
den Krieg und die Beeinflussung der Verfehlichkeit durch denselben 
zu sprechen. An kriminalstatistischen Ausweisen aus der Zeit 
des gegenwärtigen Weltkriegs lag damals überhaupt und ins¬ 
besondere auch für Deutschland so gut wie nichts vor, und auch 
heute nach fast zwei weiteren Jahren hat sich darin nur wenig 
geändert. Was man als Kriegs-Kriminalstatistik bezeichnen kann, 
war bei der Bearbeitung meiner Moralstatistik in der Literatur 
nur sehr schwach vertreten. Vor dem Weltkriege gab der Krieg 
von 1866 und der deutsch-französische Krieg von 1870/71 zu 
einigen kriegskriminalstatistischen Betrachtungen Anlaß. Wie ich 
in meinem Buche des Näheren dargelegt habe, brachte W. Starke 
in seinem Buche „Verbrechen und Verbrecher in Preußen 1854—78 
eine kulturgeschichtliche Studie“, Berlin 1884 u. a. auch zahlen¬ 
mäßige Darlegungen über die Einwirkungen dieser Kriegsjahre 
auf die Verfehlichkeit — ich empfehle diese in meinem Buch 
durchgeführte Verdeutschung von Kriminalität — in Preußen und 
bzw. in Frankreich. Er bezeichnet es als unwiderleglich dar- 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 1 



2 


Dr. Georg von Mayr 


zutun, daß während der Kriegsjahre in Preußen eine Abnahme, 
im Jahre 1871 sogar in ganz außerordentlichem Umfang statt¬ 
gefunden habe. Dabei hebt er besonders hervor, daß diese Kriege 
von Preußen bzw. Deutschland siegreich im Feindesland geführt 
wurden, daß weiter in diesen Kriegen der nationale Geist seine 
Wirkung gezeigt habe und daß außerdem während beider Kriege 
Umstände eingetreten seien, welche die wirtschaftlichen Verhält¬ 
nisse in Preußen günstig gestalteten. Einige wenn auch nicht 
eine wesentliche Bedeutung legt Starke der Hinausführupg eines 
starken Kontingents junger kräftiger Männer auf den Kriegsschau¬ 
platz bei. Bedeutender hält er den Einfluß des Kriegs auf die 
im Lande Zurückgebliebenen, der in der Vaterlandsliebe und Be¬ 
geisterung sich kundgab. Der im Jahre 1871 in Preußen einge¬ 
tretene starke Rückgang der eingeleiteten Untersuchungen wegen 
Verbrechen und Vergehen habe, als durch außergewöhnliche Um¬ 
stände herbeigeführt, schon im nächstfolgenden Jahre eine Änderung 
erlitten. Übereinstimmend zeige sich — hebt Starke schließlich 
noch hervor — in Frankreich 1870/71 die Wirkung des Kriegs, 
doch erleide die Vergleichung eine Störung, weil für das Departe¬ 
ment der Seine die Nachweise für 1871 fehlen. — Zu dieser 
Starke’schen Darlegung und Würdigung des Einflusses der Kriege 
von 1866 und 1870/71 habe ich in meinem Buch hervorgehoben, 
es sei auffällig, daß er dabei der zur Kriegszeit veränderten Reiz¬ 
barkeit der Bevölkerung gegenüber leichteren Verfehlungen und 
der namentlich bei längerer Kriegsdauer eintretenden Abnahme 
der Verfolgungsintensität nicht gedenkt. 

Eine Kriegs-Kriminalstatistik aus der Zeit des gegenwärtigen 
Weltkrieges gibt es bisher für das Gebiet des Deutschen Reiches 
noch nicht, wenn auch vereinzelt abgesehen von dem, was an 
summarischen allgemeinen Ausweisen beispielsweise in der preus- 
sischeii Justizstatistik 1915—1917 enthalten ist, spezielle kriegs¬ 
kriminalstatistische Nachweise sich finden, so z. B. die vom 
württembergischen Justizministerium seit November 1915 veran- 
laßten und monatlich in den Mitteilungen des k. Statistischen 
Landesamtes veröffentlichten Nachweise über die wegen über¬ 
mäßiger Preisforderungen angefallenen und erledigten Strafsachen, 
die vom Landesamt auf Grund monatlich ausgefüllter besonderer 
Zählkarten für die bei den Justizbehörden angefallenen und dort 
durch rechtskräftige Bestrafung erledigten Strafsachen wegen über¬ 
mäßiger Preisforderung aufgestellt werden. In Bayern ist vom 
Justizministerium im Oktber 1916 angeordnet worden, daß über 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik 3 

die Strafverfahren wegen Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften 
zur Sicherung der Volksernährung eine monatliche Statistik auf¬ 
gestellt wird. (Erste Veröffentlichung im bayer. Justizministerial¬ 
blatt vom 11. 4. 16.) Die allgemeine deutsche Kriminalstatistik 
liegt für keines der Kriegsjahre vor, weder soweit es sich um 
die Kriminalstatistik auf Grund rechtskräftiger Aburteilung der 
bürgerlichen Gerichte noch auch um die Militärkriminalstatistik, 
also um Aburteilungen durch Militärgerichte handelt (Kriminal¬ 
statistik für Heer und Marine). Diese ist zum letztenmal für 1913 
in den Vierteljahrsheften zur Statistik des deutschen Reiches (1914. 
2. Heft) veröffentlicht, während die bürgerliche Kriminalstatistik 
für 1914 noch nicht veröffentlicht ist, sondern sich noch in Be¬ 
arbeitung befindet. Summarische Zahlen — ohne irgendwelche 
Unterscheidungen nach Verfehlungsarten oder auch nur Ver¬ 
fehlungsrichtungen wie auch nach den persönlichen Verhältnissen 
der Verfehler — bietet die bayerische „Justizstatistik“, die für 
die Jahre 1914 und 1915 in gedrängter Darstellung im Jahre 1917 
vom k. Staatsministerium der Justiz herausgegeben worden ist. 
Diese bayerische Justizstatistik hatte sich, zuletzt in der eingehen¬ 
den Veröffentlichung für 1913, zu einem sehr wertvollen Be¬ 
standteil der partikularen deutschen Statistik der Rechtspflege 
entwickelt. In dem der „Kriminalstatistik“ gewidmeten Abschnitt 
der Statistik der Strafrechtspflege, die außerdem in besonderen 
Abschnitten die Prozeßstatistik, die Gefängnisstatistik und die 
bedingte Begnadigung und vorläufige Entlassung behandelt, ist 
vor allem aus der Reichskriminalstatistik (allerdings nicht für 1913, 
sondern für 1912) der Ausweis über die Aburteilungen wegen Ver¬ 
brechen und Vergehen gegen Reichsgesetze (mit Ausschluß der Vor¬ 
schriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle) nach 
Oberlandesgerichtsbezirken übernommen. (Eine weitere territoriale 
Ausgliederung der schweren Verfehlichkeit mindestens für die haupt¬ 
sächlichsten Verfehlungen — mit Auseinanderhaltungauch von Ver¬ 
brechen und Vergehen — kann nach der Art der Aufarbeitung 
und Veröffentlichung des von den Gerichten an das Kaiserliche 
Statistische Amt gelieferten Zählkartenmaterials leider nicht geboten 
werden. Man sollte wenigstens für die schwere Verfehlichkeit ersehen 
können, wie sich solche nach Arten der Tat für die eineinen Land¬ 
gerichtsbezirke, besser noch für die einzelnen Amtsgerichtsbezirke 
stellt und auch für die Zusammensetzung der Verfehlermasse nach 
persönlichen Eigenschaften der Verfehler ist eine weitere terri¬ 
toriale Ausgliederung dringend geboten. Wie sogleich hervorzuheben 

l* 



4 


DR. üeoro von Mayr 


sein wird, bietet die partikulare bayerische Kriminalstatistik, wie 
sie zuletzt für 1913 veröffentlicht ist, eine solche Ausgliederung. 
Man wird unbedingt zugeben müssen, daß die gleiche Ausglie¬ 
derung dann doch jedenfalls vor allem auch für die schwere 
Kriminalität geboten werden muß. Trägt man Bedenken, den 
Umfang der reichskriminalstatistischen Jahresveröffentlichung in 
der hiernach gebotenen Ausdehnung zu erweitern, so bleibt nichts 
anderes übrig, als die vollständige Zentralisation des Zählkarten¬ 
materials für Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze beim 
Statistischen Amt in Berlin aufzugeben und gegen Entschädigung 
aus der Reichskasse die Herstellung der tabellarischen Ausweise 
für die Reichsstatistik den statistischen Landesämtern, soweit dies 
dem Wunsche der beteiligten Landesregierungen entspricht, zu 
überlassen. Ich begnüge mich hier mit dieser kurzen durch den 
Ausblick auf die tatsächliche Herstellung der bayerischen „Kriminal¬ 
statistik“ veranlaßten Zwischenbemerkung über eine für den Kriminal¬ 
politiker, der die Statistik ernstlich zu benützen versteht, meines 
Erachtens sehr bedeutungsvolle Frage der Ausgestaltung der 
deutschen Kriminalstatistik, an die sich gerade int Weltkrieg wie 
nach demselben besondere Interessen knüpfen.) Eine sehr be¬ 
merkenswerte selbständige Ausgestaltung der partikularen baye¬ 
rischen Kriminalstatistik ist und zwar bisher zuletzt im Bericht 
für 1913 in eingehenden Nachweisen über den Einfluß des Alkohol¬ 
genusses auf die Häufigkeit und die Erscheinungsformen des Ver¬ 
brechens enthalten. Von besonderer Bedeutung ist weiter die 
Erstreckung der bayerischen Kriminalstatistik auf die gesamte 
leichte Kriminalität durch Aufnahme der Übertretungs- und der 
Forst-Verfehlichkeit, mit weitgehender Unterscheidung von Ver¬ 
fehlungsarten und Verfehlungsgruppen bei den Übertretungen 
und Auseinanderhaltung bei den Forstverfehlungen von: Forst¬ 
polizeiübertretungen, Forstfreveln und Übertretungen nach R.St.G.B. 
§ 361/9 — so noch im Bericht für 1913. Es ist ein Fehler der 
Reichs-Kriminalstatistik, so weit sie auf die Aburteilungen der Zivil¬ 
gerichte gegradet ist, daß dieselbe die kleine Kriminalität, die 
in der Übertretungsverfehlichkeit zur Erscheinung kommt, ganz 
beiseite läßt, was um so auffälliger ist, als die deutsche Kriminal¬ 
statistik bei Heer und Marine zwar auch keine allgemeine Über¬ 
tretungsstatistik enthält aber doch immerhin bei den „bürgerlichen“ 
Verfehlungen außer Verbrechen und Vergehen au£& die Über¬ 
tretungen §§ 360 bis 370 St.G.B. bzw. Landesgesetze berück¬ 
sichtigt. Aus der 'Strafprozeßstatistik der bayerischen Justizstatistik 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik 5 

sei noch kurz auf die dortigen allerdings knappen Notizen über 
die Geschäftsaufgabe der größeren Jugendgerichte hingewiesen, 
welche vielleicht die Hoffnung auf einen gründlichen Ausbau der 
Jugendgerichts-Statistik nicht nur in Bayern, sondern im gesamten 
Reich begründen. Über den notwendigen Ausbau einer ver¬ 
selbständigten Statistik der Jugendstrafrechtspflege und über die 
dazu noch erforderliche Erweiterung der Statistik auch auf das 
Gebiet der gesamten übrigen sozialen Fürsorge für die frühzeitig 
der Verfehlung verfallenden Kinder und Jugendlichen habe ich 
mich des näheren in meiner Moralstatistik mit Einschluß der 
Kriminalstatistik ausgesprochen. 

Leider hat die bis zum Jahre 1913 in ständigem weiterem Aus¬ 
bau begriffene bayerische Justizstatistik seitdem an starker Kriegs¬ 
beschädigung zu leiden: Nicht mehr ein ordentlicher Band für 
jedes Jahr, sondern nur ein mäßiges Oktavheft von nicht einmal 
100 Seiten bringt ein außerordentlich eingeschränktes auf sach¬ 
liche und territoriale Gliederung leider in den verschiedensten 
Richtungen verzichtendes kleines Tabellenwerk für die zwei Jahre 
1914 und 1915. Personalmangel während des Krieges wird als 
Ursache der Verzögerung der Herausgabe und der Beschränkung 
ihres Umfanges in der Vorbemerkung des Justizministers von 
Thelemann angegeben, wodurch zugleich erhebliche Kosten er¬ 
spart worden seien. (!) Des weiteren wird hervorgehoben, daß 
die Beschränkung des Umfangs nur dadurch erzielt worden 
sei, daß die „Geschäftszahlen“ — hier wird also die modi¬ 
fizierte Statistik ausdrücklich als bloße „Geschäftsstatistik“ er¬ 
klärt — nicht mehr für die einzelnen Amts- und Landgerichts¬ 
bezirke, sondern für die Bezirke der Oberlandesgerichte, bei 
einigen Geschäftsübersichten nur für das Königreich angegeben 
seien. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß abgesehen von der 
allerdings nicht möglichen Übernahme von Zahlen der Reichs¬ 
kriminalstatistik, die leider noch gar nicht vorliegen, auch bei 
der wertvollen spezifisch bayerischen Übertretungsstatistik die 
wichtige Ausgliederung nach Verfehlungsarten fehlt. Was aber 
die territoriale Ausgliederung anlangt, so ist es dringende Pflicht 
gerade der partikularen Landesstatistik hier die möglichst weit¬ 
gehende Unterscheidung zu bieten, nachdem ja leider die Reichs¬ 
statistik und hier speziell die Reichskriminalstatistik gerade diese 
territoriale Ausgliederung jedenfalls nicht in dem Maße zu bieten 
in der Lage ist, wie die Landesstatistik, wenngleich hier, wie 
schon erwähnt, auch die Reichsstatistik weiter gehen könnte. 



6 


Dr. Georg von Mayr 


Gegenüber der noch für 1913 trefflich ausgestalteten bayerischen 
Justizstatistik enthält die Veröffentlichung für 1914 und 1915 
weitgehende, den Statistiker wie auch den Kriminalisten mit 
schmerzlichem Bedauern erfüllende Einschränkungen, für welche 
wie auch für die Weglassung des materiellen einleitenden Textes 
die u. A. herangehobene Kostenersparung genügenden Ersatz 
doch wohl nicht bieten kann. Wenn auch für die Veröffent¬ 
lichung in der Kriegszeit einige Einschränkungen geboten sein 
mochten, so darf man sich doch wohl der Hoffnung hingeben, 
daß das, was jetzt in einer solchen Kriegspublikation an wert¬ 
vollen mühsam gesammelten Nachweisen weggelassen ist, nicht 
dauernd für die Justizverwaltung, die Justizpolitik und die Wissen¬ 
schaft verloren sein wird, sondern daß in der kommenden Friedens¬ 
zeit namentlich das, was an bedeutsamer sachlicher und geo¬ 
graphischer Gliederung weggelassen ist, unter Einbeziehung der 
alsdann auch hoffentlich verfügbaren reichskriminalstatistischen 
Ausweise über die bayerische schwerere und schwere Kriminalität 
in einer ergänzenden Veröffentlichung nachgeholt werden wird. 

Die voll ausgebauten Ausweise über die Kriminalität gerade 
mit Einbeziehung auch der leichteren Kriminalität, wie dies für 
Bayern nach der Einrichtung der Justizstatistik unter der Voraus¬ 
setzung auch für Verbrechen und Vergehen die bezüglichen Nach¬ 
weise für 1914 und 1915 der Reichskriminalstatistik entnehmen 
zu können, der Fall wäre, würde schon einen wesentlichen 
Beitrag zur Erkenntnis der Kriegskriminalität liefern, soweit 
solche in den Ergebnissen des halben Kriegsjahres 1914 und 
des vollen Kriegsjahres 1915 ersichtlich wird. Dies gilt sowohl 
von dem Einblick in das Walten der Verfehlungsschwere nach 
Verfehlungsrichtungen und Verfehlüngsarten unter Berücksich¬ 
tigung auch des Strafmaßes als von der territorialen Aus¬ 
gliederung der Verfehlichkeit und im besonderen auch von 
den Gestaltungen der Morphologie der Verfehlermasse, beispiels¬ 
weise nach Geschlecht, Alter und Familienstand wie überhaupt 
nach allen in Betracht gezogenen natürlichen und sozialen Eigen¬ 
schaften der Verfehler, wobei unter den sozialen Eigenschaften 
auch die speziell kriminalistische Signatur (Vorbestrafte, Rück¬ 
fällige) von Bedeutung ist. Gegenüber solcher eingehender Be¬ 
lehrung über die Gestaltung der Kriegskriminalität, wie sie zwar 
fürs Deutsche Reich im ganzen wegen bisherigen Mangels einer 
Reichübertretungsstatistik für bereits abgelaufene Zeiträume wohl 
überhaupt nicht zu erfassen ist, aber beispielsweise für Bayern 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminaistatistik 


7 


wohl in sichere Aussicht genommen werden darf, bieten ganz 
summarische Zahlenausweise über die Gesamtzahl der Verurteilten 
nach Verbrechen und Vergehen einerseits und nach Übertretungen 
bzw. nach besonderen Forstverfehlungen andererseits nur einen 
ungenügenden Einblick in die nicht bloß durch die Quantität 
sondern namentlich auch durch die Qualität der Verfehlungen wie 
der Verfehler bedingte Gestaltung der Kriegskriminalität. Als 
allgemeines bedeutungsvolles Symptom sind aber allerdings auch 
solche summarische Gesamtzahlen in der Ausgestaltung ihrer 
zeitlichen Erscheinung im Krieg' gegenüber der Friedenszeit 
immerhin beachtenswert. Ihre besondere Gestaltung kann nament¬ 
lich auch dazu dienen, das Verlangen nach gründlichem Ausbau 
der besonderen Kriegskriminaistatistik zu unterstützen. Solche 
summarische Zahlen bietet die bayerische Justizstatistik nicht bloß 
in den vor dem Krieg, zuletzt für 1913 erfolgten Veröffentlichungen, 
sondern auch für die Jahre 1914 und 1915 in der Veröffentlichung 
vom Jahre 1917. Diese Zahlen sind in folgender knappen Über¬ 
sicht zusammengefaßt. 

Königreich Bayern. 

Von den Gerichten rechtskräftig abgeurteilte Personen. 


Jahre 


1. 

Zahl der Verurteilten 

1913 

j 1914 

j 1915 


a) wegen Verbrechen oder Vergehen . . . 

66263 

54608 

51561 


b) wegen Übertretungen. 

273000 

215323 

131380 


c) im Forststrafverfahren. 

; 43892 

45016 

37637 


Zusammen 

383155 

314947 

220578 

2. 

Es wurden verurteilt: 

a) von den Amtsgerichten. 

371047 

304346 

209417 


b) von den Landgerichten. 

11500 

10188 

10920 


c) von den Schwurgerichten ....... 

608 

413 

241 

3. 

Wegen Übertretungen Verurteilte im ganzen 

j 2730Ö0 

215323 

1 131380 


Darunter 

männlich . .. 

235770 

215346 

200417 


weiblich. 

37230 

31209 

33452 


Davon verurteilt 

zu a) Haftstrafe.. 

70228 

61636 

32215 


b) Geldstrafe.< 

195407 

147478 ; 

93968 


c) Verweis.| 

7365 

6209 ! 

6197 


Was Starke aus ähnlichen summarischen Zahlennachweisen, 
nämlich über die Zahl der wegen Verbrechen und Vergehen neu 
eingeleiteten Untersuchungen für Preußen als Folge der Kriege 












8 


Dr. Georg-von Mayr 


von 1866 und 1870/71 und weiterhin aus ähnlichem Material als 
Kriegsfolge in Frankreich auch für 1870/71 dargelegt hat, näm¬ 
lich eine starke Rückläufigkeit der — wie ich sie wohl mit Über¬ 
setzung des französischen gebräuchlichen Ausdrucks criminalite 
apparente als „sichtbare Verfehlichkeit“ bezeichnen darf — das 
ergeben die vorstehenden summarischen bayerischen Zahlen und 
zwar als fortdauernde Erscheinung ganz besonders auch im zweiten 
Kalenderjahr des Kriegs namentlich bei der allgemein leichteren 
Verfehlichkeit, weniger bei den besonderen Förstverfehlungen. 
Die schwere Verfehlichkeit zeigt in Bayern im Jahre 1914, das 
nicht ganz zur Hälfte Kriegsjahr war, einen erheblichen Rückgang, 
der im Jahr 1915 nur schwach andauert, während bei der allge¬ 
mein leichten Verfehlichkeit ^ler Rückgang der Verurteilungen 
gerade von 1914 auf 1915 sehr bedeutend ist, so daß hier für 
1915 die Zahl der Verurteilten nicht einmal mehr die Hälfte der im 
* Vorjahr Verurteilten ausmacht. Für den knappen Ausblick auf die 
werdende Kriegskriminalstatistik, den ich in meiner „Moralstatistik 
mit Einschluß der Kriminalstatistik“ bringen konnte, standen die 
vorangeführten bayerischen Zahlen noch nicht zur Verfügung. 
Dagegen konnte ich auf die niederländische Kriminalstatistik für 
1914 und speziell auf deren von de Roos verfaßte Einleitung 
verweisen, die eine Untersuchung der Einwirkung des Kriegs auf 
die niederländische Kriminalität von 1914 — ‘ also auf die Ver¬ 
fehlichkeit eines neutralen Landes im Jahr des Ausbruchs des 
Weltkrieges — efithält, und zwar mit Berücksichtigung der nach 
Monaten unterschiedenen Gestaltung der verschiedenen Arten der 
Verfehlichkeit. Auch in den Niederlanden zeigt sich in dem ersten 
Halbjahr des Krieges die Rückläufigkeit der Kriminalität mehr 
bei der leichteren als bei der schweren Verfehlichkeit. De Roos 
meint, daß die erste Gemütserschütterung durch den Krieg und 
die Einbeziehung einer großen Anzahl Männer unter militärische 
Disziplin eine gewisse Abnahme der, leichteren Straftaten zur 
Folge gehabt haben könnte, daß aber an erster Stelle an ein 
Nachlassen in der Verfolgung in jenen Tagen der Unruhe zu 
denken sei. Es wird gerade auch nach dem Ausbau der Kriegs- 
kriminalstatistik in den kriegführenden Ländern von Interesse 
sein, die Gestaltung der Kriminalität in den neutralen Ländern, 
namentlich in den dem Kriegsschauplatz benachbarten Ländern 
zur Vergleichung heranzuziehen. 

Vor allem aber bedarf die Kriegskriminalstatistik in den krieg¬ 
führenden Ländern nicht etwa bloß aus soziologischen Motiven 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik 9 

der sorgsamen Pflege, und gegebenenfalls eines besonderen in 
der Friedenszeit nicht vorhersehbaren oder doch tatsächlich nicht 
vorgesehenen Ausbaues; denn die Kriminalpolitik bedarf zur 
Anregung und Ausgestaltung der Ideen, welche die durch den 
Krieg veranlaßte besondere Bekämpfung des Verbrechens und 
gegebener Verbrechensarten erheischen, der festen Unterlage 
kriminalstatistischer Erkenntnis. Es kann hier nicht meine Auf¬ 
gabe sein, zu untersuchen, was hiernach etwa in allen einzelnen 
kriegführenden Ländern veranlaßt ist. Naturgemäß bescheide 
ich mich mit dem Ausblick auf die Probleme, die sich dabei für 
Deutschland ergeben. Für einzeihe Fragen liegen einzelne Bruch¬ 
stücke zahlenmäßiger Orientierung vor, die aber einen Anspruch 
auf erschöpfende statistische Klarlegung nicht erheben können. 
Das gilt insbesondere von dem bedeutungsvollen Sonderproblem 
über die Kriminalität der Jugendlichen im Krieg. Hier kommen 
als Sondermaterial die Zahlen der Jugend-Fürsorge-Zentralen über 
die ihnen überwiesenen Jugendlichen in Betracht. In dem lehr¬ 
reichen Vortrag: Der Krieg und die Kriminalität der Jugendlichen 
hat Kollege v. Liszt beispielsweise die Zahlen der deutschen 
Zentrale in Berlin angeführt, die allerdings von 1706 im Jahre 1913 
auf 3000 im Jahre 1915 gestiegen sind (Zeitschrift für die gesamte 
Strafrechtswissenschaft 37. Band, Berlin 1916, S. 400), aber er 
möchte es doch, wenn er auch persönlich daran glaubt, ganz 
dahin gestellt sein lassen, ob wir eine gestiegene Kriminalität der 
Jugendlichen heute schon mit wissenschaftlicher Exaktheit fest¬ 
stellen können. (S. 504.) 

Als einigermaßen symptomatische Zahlen für die Kriegs¬ 
kriminalität der Jugendlichen in Bayern, die aber keineswegs 
erschöpfende Einblicke über die Gesamtgestaltung dieser Krimi¬ 
nalität, sondern nur über ihre besondere Erscheinung in großen 
und größeren Städten geben, können die in der bayerischen 
Justizstatistik gegebenen Vergleiche über die Geschäftsaufgabe der 
14 größeren Jugendgerichte angesprochen werden. Nach diesen 
beträgt die Zahl der 

Strafbefehle verurteilter Jugendlichen 
im Jahre 1913 8730 2072 

„ „ 1914 6771 1843 

„ „ 1915 7290 2835 

Das Jahr des Kriegsanfangs erscheint hiernach sowohl bei 
der leichteren wie bei der schwereren Verfehlichkeit der Jugend 
mit geringeren Zahlen als das vorhergehende Jahr; erst bei dem 



10 


Dr. Georg von Mayr 


Jahr 1915 macht sich gegenüber der Friedenszeit speziell bei der 
schweren Verfehlichkeit eine Steigerung bemerkbar; welches aber 
die Hauptarten oder auch nur die Hauptrichtungen dieser ge¬ 
steigerten Verfehlichkeit im Kriege sind, darüber fehlt bisher wie 
überhaupt für die Gesamtverfehlichkeit der deutschen und darunter 
auch der bayerischen Bevölkerung jeglicher exakte Nachweis. 

^ Die bisherigen Ausführungen genügen wohl zur Feststellung 
der Tatsache, daß die bisher in Deutschland im Ganzen überhaupt 
ganz fehlenden und auch in solchen Gebietsteilen, in denen vor 
dem Krieg, wie insbesondere in Bayern die Kriminalstatistik eine 
ausgiebigere Entwicklung gefunden hatte als für das Reich im 
Ganzen, nur in durchaus ungenügender Weise vorliegenden Nach¬ 
weise eine exakte Ermittlung der Kriegskriminalität bis jetzt 
überhaupt nicht gestatten. Es ist aber ein großes Interesse nicht 
bloß der in dieser Hinsicht schon erwähnten Kriminalpolitik, 
sondern auch der fortlaufenden Kriminalverwaltung über die Ge¬ 
staltung der Verfehlichkeit im Kriege genau zahlenmäßig unter¬ 
richtet zu sein. 

Dabei erhebt sich die Vorfrage, was denn unter der Kriegs¬ 
kriminalstatistik, deren sorgsame Pflege — und zwar recht¬ 
zeitig noch während des Krieges — befürwortet und dringend 
verlangt werden muß, zu verstehen ist. Im Anschluß an die 
kurzen Andeutungen, die ich darüber in meiner „Moralstatistik 
mit Einschluß der Kriminalstatistik“ gegeben habe, und in deren 
weiterem Ausbau möchte ich hier zunächst in Kürze darlegen, 
daß man allgemeine und besondere Kriegskriminalität 
und dementsprechend auch allgemeine und besondere Kriegs¬ 
kriminalstatistik unterscheiden muß. 

Die allgemeine Kriegskriminalität umfaßt die Gesamt¬ 
heit der in den einzelnen Zeitabschnitten der Kriegszeit vorge¬ 
kommenen Verfehlungen aller Art. Eine vollständige Erfassung 
dieser Kriegskriminalität liegt — da nur summarische Geschäfts¬ 
ausweise über die Tätigkeit der Organe der Strafrechtspflege als 
„Kriminalstatistik“ nicht anzusprechen sind — für die Kriegsjahre 
für Deutschland ebenso wenig vor, wie für die vorhergehenden 
Friedensjahre; denn abgesehen von den spezifischen Finanzdelikten 
findet sich über das weite Gebiet der kleinen Kriminalität (Über¬ 
tretungen), wie bereits erwähnt, nur in der Kriminalstatistik für 
Heer und Marine ein kleines Bruchstück. Eine Vervollständigung der 
allgemeinen deutschen Kriegskriminalstatistik für die Kriegsjahre 
1914 bis 1917 wird wohl jetzt nicht mehr zu erreichen sein. Man 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik 11 

wird sich damit begnügen müssen, daß für diese Jahre die deutsche 
Kriminalstatistik — die bürgerliche wie die militärische — in der 
bisherigen Weise aufgestellt, daß aber diese Aufstellung, die ins 
Stocken geraten ist, beschleunigt wird. Soweit die Auszählung 
der von den Gerichten eingesendeten Zählkarten für die jüngsten 
Jahre ab 1915 etwa noch gar nicht in- Angriff genommen sein 
sollte, wird zu erwägen sein, ob nicht auch zur Verwirklichung 
dieser Beschleunigung wie das oben schon aus anderem Anlaß 
zur Erwägung gestellt worden ist, die statistischen Landesämter, 
die dazu bereit wären, zur Aushilfe herangezogen und ihnen 
die aus ihrem Staatsgebiet herrührenden Zählkarten zur Aus¬ 
zählung nach dem Reichsschema zu übersenden wären, wo¬ 
bei ihnen dann eine wertvolle Erweiterung der Auszählung so¬ 
wohl in territorialer und zeitlicher als in sachlicher Ausgliederung 
Vorbehalten bliebe. Dann könnte in den deutschen Staaten, in 
denen neben den aus der Reichskriminalstatistik zu entnehmenden 
Nachweisen noch- erweiterte kriminalstatistische Ermittlungen vor¬ 
liegen, wie z. B. in Bayern, der vollständigen materiellen allge¬ 
meinen Kriegskriminalstatistik möglichst sich nähernde Ergebnisse 
dargeboten werden. Erst dann kann ein erschöpfender jetzt noch 
ganz fehlender Überblick darüber gegeben werden, wie die Ge¬ 
staltung der Verfehlichkeit in den einzelnen Gebietsteilen des 
Reichs im Verlauf des Krieges sich entwickelt hat, welche Ver¬ 
fehlungsrichtungen und Arten dabei eine von der-Friedenszeit 
abweichende charakteristische Vertretung zeigen und wie, wiederum 
unterschieden nach Verfehlungsrichtungen, die Verfehlichkeit der 
verschiedenen natürlichen und sozialen Schichten der Bevölkerung 
in der Kriegszeit sich gestellt hat — soweit dafür — und in 
vollem Maße ist dies ja nicht der Fall — die Einschränkung auf 
die rechtskräftige Aburteilung wegen Verbrechen und Vergehen 
als für die Gesamtgestaltung der Verfehlichkeit typisch angesehen 
werden kann. Da nicht bloß Verurteilte, sondern überhaupt 
Ab geurteilte in Betracht kommen, wird sich auch Gelegenheit 
geben, die Gestaltung der Nicht-Verurteilung, insbesondere der 
Freispruchsquoten territorial und zeitlich wie auch nach Ver¬ 
fehlungsrichtungen und persönlichen Eigenschaften der Angeklagten 
für die Kriegsjahre zu untersuchen. Das ist eine Summe grund¬ 
legenden Wissens, bedeutungsvoll nicht bloß zur Kenntnisnahme 
von dem Eingreifen der Kriminalverwaltung in seiner territorialen 
Gestaltung und für daran sich knüpfende Erwägungen sowie 
weiter für spezifisch kriminalpolitische Maßnahmen der Verbrechens- 



12 


Dr. Georg von Mayr 


bekampfung, sondern auch für allgemein sozialpolitische Maßnahmen 
der Fürsorge. Darum muß unter möglichster Heranziehung von 
verfügbaren weiblichen Arbeitskräften das Auszählungsgeschäft 
der Kriminalzählkarten bei dem Statistischen Amt des Reichs, 
evtl, auch mit; Zuhilfenahme der statistischen Landesämter in 
flotten Gang gebracht werden, damit wenigstens die Tabellen¬ 
werke für die Kriegsjahre schleunig veröffentlicht werden können. 
Erwünscht ist, daß auch die einleitende wissenschaftliche Be¬ 
arbeitung unter Beifügung unentbehrlicher Verhältnisberechnungen 
beigefügt werden kann. 

Das erste berechtigte Verlangen des Kriminalisten wie des 
Sozialpolitikers geht also einfach dahin, daß die vorgeschriebene 
Jahresstatistik der deutschen Kriminalität für die Kriegsjahre ohne 
Änderung der dafür geltenden Bestimmungen beschleunigt geliefert 
werde. Das schließt aber nicht aus, daß gerade das Bedürfnis 
die allgemeine Kriegskriminalstatistik nicht bloß beschleunigt zur 
Verfügung zu erhalten, sondern auch solche beschleunigt für 
Kriminalpolitik und allgemeine Sozialpolitik nutzbar zu machen 
meines Erachtens unbedingt nötigt, auf eine Anregung zurück¬ 
zukommen, die ich wiederholt insbesondere seinerzeit in der Fest¬ 
gabe für v. Liszt gemacht und auch in meiner „Moralstatistik“ 
(S. 540) kurz vorgebracht habe. Dort habe ich hervorgehoben, 
daß die Zeiten, da ein Guerry und ein Quetelet mit wenigen 
Bänden französischer und englischer kriminalstatistischer Aus¬ 
weise arbeiten konnten, längst vorbei sind, und die gewiß nicht 
minder arbeitsfreudigen Epigonen heute einem ungeheueren Zahlen¬ 
material mit einer gewissen Hilflosigkeit des Privatstatistikers 
gegenüberstehen. Darum müssen Einrichtungen namentlich auch 
in Deutschland getroffen werden, die mehr als bisher eine fort¬ 
laufende systematische Nutzbarmachung der kriminalstatistischen 
Ausweise aller Art für die Politik und Wissenschaft sicherstellen. 
Dazu ist als nationale Organisation erforderlich ein das anfallende 
Material fortlaufend kontrollierender und durchleuchtender „Bei¬ 
rat für Kriminalstatistik“. Dieser Beirat hätte fortwährend Kenntnis 
zu nehmen von dem kriminalstatistisch Errungenen, er hätte es 
kritisch zu würdigen und die daraus für die spezielle Kriminal¬ 
politik und die allgemeine Sozialpolitik wie auch für die Wissen¬ 
schaft ersichtlichen Ergebnisse festzustellen; er hätte weiter Er¬ 
gänzungen und Verbesserungen der kriminalst^tistischen Er¬ 
mittlungen zu befürworten, namentlich* auch Vorschläge für die 
Materialbeschaffung für die Lösung neuer Probleme mittelst In- 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik 


13 


gangsetzung des statistischen Apparates. Es ist dringend zu 
wünschen, daß gerade die Kontrolle der Ergebnisse der allgemeinen 
deutschen Kriegskriminalstatistik einem zu schaffenden deutschen 
Beirat für Kriminalstatistik zufällt. Dieser wird dann gewiß auch 
Anlaß haben, mit bedeutungsvollen Ergänzungen und Verbesse¬ 
rungen der deutschen Kriminalstatistik der nächsten Zukunft, 
insbesondere der kommenden ersten Friedensjahre sich zu be¬ 
schäftigen, die gewiß von nicht geringerem Interesse sein wird, 
als die jetzige Kriegskriminalstatistik. Auf dieses umfassende 
Problem, da es mir zunächst nur darauf ankommt, die einzelnen 
Jahres-Geburts-Akte der deutschen Kriegskriminalstatistik zu be¬ 
schleunigen, hier des näheren einzugehen, darf ich wohl ver¬ 
zichten. — So viel also in Kürze über diese dringend gebotene 
Beschleunigung des Erscheinens der allgemeinen deutschen Jahres¬ 
kriminalstatistik der Kriegsjahre bis heran zum Jahre 1917 und 
Vorbereitung schleuniger Bereitstellung auch für 1918, dem hoffent¬ 
lich letzten Kriegjahr! 

Die besondere Kriegskriminalität oder die Kriegs¬ 
kriminalität im engeren Sinn beschränkt sich auf jene Ver¬ 
fehlungen, die durch besonderes Kriegsstrafrecht nur zum 
kleinen Teil schon in Friedenszeit für den Kriegsfall in besonderem 
Tatbestand festgestellt, in der Hauptsache aber erst' mit dem 
Kriegsausbruch und weiterhin^ bei Fortdauer des Krieges durch 
strafrechtliche Normenfestsetzung der Zivil- und Militärgewalt ge¬ 
schaffen sind. Im besonderen kommt hier die durch das grund¬ 
legende Reichsgesetz vom 4. August 1914 dem Bundesrat über¬ 
tragene gesetzgebende Gewalt gerade auch auf kriegsstrafrechtlichem 
Gebiet und daneben namentlich die gleichfalls strafrechtliche Nor¬ 
mensetzung erschließende Befugnis der stellvertretenden General¬ 
kommandos in Befracht, Soweit die Kriegskriminalität in der Heimat 
in Frage kommt. In weitester Erstreckung umfaßt die besondere 
Kriegskriminalität auch noch die Verfehlungsgestaltung außer der 
Heimat und insbesondere im besetzten Feindesland und zwar sowohl 
die einschlägigen Verfehlungen innerhalb der Armee und der bei 
dieser befindlichen Inländer als auch die kriegsstrafrechtlichen Ver- 
fehlurtgen der ausländischen Militär- und Zivilbevölkerung. Die 
Gesamtheit der statistischen Nachweise über die hier kurz be- 
zeichneten Bestandteile der besonderen Kriegskriminalität macht 
den Inhalt der besonderen Kriegskriminalstatistik aus. 
Diese ist ihrerseits selbst wieder ein Stück der gesamten Kriegs¬ 
statistik, deren Ausgestaltung im Kriege vorzubereiten und die 



14 


Dr. Georg von Mayr 


abschließend nach dem Friedensschluß herzustellen sein wird, 
als sozialstatistische Rechenschaftsablage über das Kriegsunter¬ 
nehmen in seiner gesamten Ausgestaltung unter Einschluß aller 
zahlenmäßig faßbaren Reflexwirkungen des Kriegszustands und 
seines gesamten Verlaufs. Hat doch der Krieg erst recht die 
gewaltige Bedeutung gut angelegter vorausschauender Statistik 
klar gelegt und namentlich gezeigt, daß wir auf dem Gebiete 
statistischer Erkundung namentlich vor dem Kriege viel zu 
schüchtern gewesen sind und daß in Zukunft die Publizität 
namentlich wirtschaftlicher Verhältnisse für die Zwecke- statistischer 
Erkenntnis ganz anders geregelt werden muß, als dies in der 
abgelaufenen Friedenszeit der Fall war. Wohl wird mit Recht 
ein dauernder gesicherter Frieden erhofft, aber mit der Wieder¬ 
kehr eines Krieges wird doch auch dann noch gerechnet werden 
müssen. Für die alsdann wiederum gebotene Feststellung der 
Normen der Kriegskriminalität aber ist die genaue Kenntnisnahme 
von der tatsächlichen Gestaltung der Normen für die Kriegsver¬ 
fehlungen im jetzigen Krieg und von dem Maß der Anwendung 
dieser Normen von wesentlicher Bedeutung. 

Auch die besondere Kriegskriminalstatistik bedarf hiernach 
in allen ihren Teilen einer sorgsamen Pflege; über die mili¬ 
tärische Strafrechtshandlung im Feindesland wird wohl 
die Heeresverwaltung eine angemessen gegliederte statistische 
Nachweisung für die einzelnen tfriegsjahre nach Abschluß des 
Kriegs zu liefern veranlaßt sein. Was dabei an Feststellungen 
von Verfehlungen deutscher Reichsangehöriger sich ergibt, das 
möchte, wenigstens anmerkungsweise auch in der allgemeinen 
deutschen Kriegskriminalstatistik, also überhaupt in der kurzweg 
als „Kriminalstatistik“ bezeichneten Zusammenfassung und Ver¬ 
öffentlichung zu berücksichtigen sein, ähnlich wie ja schon jetzt 
in der deutschen Kriminalstatistik die — ihrer Zahl nach aller¬ 
dings sehr unbedeutenden — Aburteilungen deutscher Reichs¬ 
angehöriger wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze 
durch die deutschen Konsulargerichte im Ausland berücksichtigt 
werden. Erwünscht wäre .zur Feststellung eines Planes für dieses 
Stück der besonderen Kriegskriminalstatistik ein Zusammentreten 
von Vertretern der Heeresverwaltung sowie der besonders organi¬ 
sierten Verwaltung der besetzten Gebiete, insbesondere Belgiens 
wie auch Polens und auch Kurlands, Livlands und Estlands mit 
dem oben erwähnten kriminalstatistischen Beirat, in dem selbst 
wieder die Interessen der Politik und der Verwaltung neben 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik 

/ 

jenen der Wissenschaft angemessene Vertretung zu finden 
hätten. 

Das Hauptstück der besonderen Kriegskriminalstatistik ist in 
der Statistik des durch das neugeschaffene materielle 
Kriegsstrafrecht, wie Bundesrat und stellvertretende 
Generalkommandos es normiert haben, in ihrem Tat¬ 
bestand näher bestimmten Verfehlungen, die im Inland 
zur Aburteilung gekommen sind. Ein Teil dieser Sonder¬ 
statistik bildet gleichzeitig einen Bestandteil der allgemeinen 
Kriegskriminalstatistik der Kriegsjahre, insofern nämlich als 
es sich bei dem rechtskräftig abgeurteilten Verfehlungen um Ver¬ 
brechen und Vergehen gegen Reich^gesetze handelt, weil in diesem 
Falle von den aburteilenden Gerichten Zählkarten nach dem all¬ 
gemein eingeschriebenen Muster an das Statistische Amt in 
Berlin einzusenden sind. Wie schon in der Friedenszeit wegen 
ausgiebiger Anwendung der strafgesetzlichen Sicherung neben 
den systematisch aufgebauten Normen des Allgemeinen Straf¬ 
gesetzbuchs in den Jahresbänden der deutschen Kriminalstatistik 
die Zahl der in Sondergesetzen enthaltenen straftrechtlichen Einzel¬ 
normen außerordentlich groß und in ständiger Zunahme begriffen 
war, so hat nunmehr der Krieg einen gewaltigen Ansturm von 
anderen nebenstrafrechtlichen Bestimmungen des Bundesrats und 
der stellvertretenden Generalkommandos gebracht. Daß ein solches 
Sonder-Kriegsstrafrecht notwendig war und wohl auch nicht als¬ 
bald mit dem Krieg ganz verschwinden kann, ist klar. Zweifel¬ 
haft ist allerdings — wie dies kürzlich ein hervorragender Sach¬ 
kenner Ministerialrat Dr. Karl Meyer in München in der April¬ 
nummer 1918 von „Recht und Wirtschaft“ hervorgehoben hat — ob 
nicht durch unsere wirtschaftlichen Kriegsverordnungen der Straf¬ 
schutz zu stark in Anspruch genommen worden ist, so daß 
das Gegenteil eintritt, nämlich statt einer Beachtung der 
Gesetze eine Mißachtung und Schwächung des Rechtsbewußt¬ 
seins. 

Es ist unbedingt geboten, daß auch insoweit Kriegsverfehlungen 
in Frage kommen, bei denen es sich um rechtskräftige Aburteilungen 
wegen Verbrechens oder Vergehens gegen Reichsgesetze handelt 
und die deshalb auch in der allgemein fortlaufenden Kriminal¬ 
statistik der Kriegsjahre berücksichtigt werden müssen, in einem 
besonderen Abschnitt sowohl für die Verfehlungen als die Ver- 
fehler die Nachweise mit grundsätzlicher Auseinanderhaltung der 
verschiedenen Verfehlungsarten gegeben werden. Über die hier- 



16 


Dr. Georg von Mayr 


bei erforderliche Klassifizierung der Verfehlungen und weiter über 
die Einreihung derselben nach Hauptrichtungen der Verfehlung, 
— bei der vielfach eine Kombination der Verfehlung gegen den 
Staat und die öffentliche Ordnung einerseits und gegen das Ver¬ 
mögen andererseits (so z. B. beim Kriegswucher) sich ergeben wird, 
sollte alsbald eine gründliche Erwägung platz greifen, damit gleich 
der erste Band der deutschen Kriminalstatistik aus der Kriegszeit in 
dieser Hinsicht eine befriedigende Ausgestaltung erhält. Außer¬ 
ordentliches Interesse knüpft sich auch an die genaue Feststellung 
der territorialen Verbreitung dieser von der allgemeinen deutschen 
Kriminalstatistik mit erfaßten besonderen Kriegskriminalität; es 
wird deshalb sehr darauf zu achten sein, ’daß nicht etwa die bei 
der Verwaltungsstatistik waltende Tabellenfurcht hier die gebotene 
detailgeographische Ausgliederung vereitelt. Auch hier würde für 
die Ausgestaltung des Tabellenplanes, insbesondere auch für die 
einschlagenden Klassifikations- und Kombinationsfragen die Mit¬ 
arbeit des oben geforderten kriminalstatistischen Beirats sehr 
förderlich sein. 

Mit der selbstverständlichen Aufnahme der durch das neue 
Kriegsstrafrecht erst geschaffenen neuen Verfehlungen gegen 
Reichsgesetze, welche die Qualität Verbrechen oder Vergehen 
tragen, ist aber die besondere Kriegskriminalstatistik nicht er¬ 
ledigt. Es besteht vielmehr zur Erreichung des vollen Einblicks 
in die Gestaltung der besonderen Kriegskriminalität das dringende 
Bedürfnis die Gesamtheit dieser Kriegsverfehlungen gründ¬ 
lich zu erfassen. Auch das was man die kleine Kriegskriminalität 
nennen darf, an der gerade breitere Massen der Bevölkerung be¬ 
teiligt sind, muß in ihrer durch die Rechtsprechung, wenn auch nicht 
voll so doch symptomatisch erkennbaren Weise dargelegt werden. 
Es müssen also auch die auf diesem Gebiet erfolgten Aburteilungen 
und Verurteilungen wegen Übertretungen berücksichtigt werden. 
Die allgemeine Erstreckung der Reichskriminalstatistik überhaupt 
auf die Übertretungsstatistik, noch dazu mit rückwirkender Kraft 
bis zum ersten Kriegsjahre wird — so erwünscht dies auch an 
sich wäre — wohl nicht zu erreichen sein. Eher wird man hoffen 
dürfen, daß in der kommenden Friedenszeit diese wichtige allge¬ 
meine Reform der deutschen Kriminalstatistik durchgeführt wird. 
Für die besondere Kriegskriminalstatistik aber darf meines Er¬ 
achtens auf die Einbeziehung der gerade hier besonders be¬ 
deutungsvollen Übertretungstatistik nicht verzichtet werden. — 
Darum muß man zu dem Vorschlag kommen, daß spätestens 



Beschleunigung des Ausbaues der Kriegskriminalstatistik 17 

unmittelbar nach dem Friedenssctiluß dieses Gesamt werk der 
statistischen Rechenschaftsablage über die nach Kriegs¬ 
strafrecht im deutschen Reich abgeurteilten Verbrechen, 
Vergehen und Übertretungen für die einzelnen Kriegsjahre 
mit reichlicher territorialer, zeitlicher und sachlicher Ausgliederung, 
nicht bloß eine Sammlung summarischer geschäftsstatistischer 
Zahlenausweise, geliefert wird, wie solches, wenn auch noch nicht 
von Reichswegen in verschiedenen deutschen Staaten vorgesehen 
ist. (Ich verweise dazu auf die in der bayerischen Kammer der 
Abgeordneten stattgehabten Verhandlungen betr. Übersicht über 
die Bestrafungen wegen Übertretung der Kriegsvorschriften.) Es 
wird bei Zeiten dafür Sorge zu tragen sein, daß demgemäß außer 
den nach den geltenden Vorschriften schon sich ansammelnden 
Zählkarten für die wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichs¬ 
gesetze Angeklagten auch noch Zählkarten für die wegen Über¬ 
tretungen Abgeurteilten hergestellt und zur Bearbeitung an eine 
statistische Zentrale eingesandt werden. Bleibt es überhaupt bei 
der Zentralisation der allgemeinen Kriminalstatistik bei dem Sta¬ 
tistischen Amt des Reichs, so werden wohl auch die Übertretungs- 
Zählkarten der besonderen Kriegskriminalstatistik dorthin einzu¬ 
senden sein. Sollte aber die Dezentralisation an die hierzu sich 
bereit erklärenden statistischen Landesämter eintreten, dann könn¬ 
ten diese für die im Statistischen Amte schließlich erfolgende 
Zusammenfassung der gesamten Ergebnisse die Zählkarten-Aus- 
beutung, wie schon oben bemerkt, gegen Entschädigung aus der 
Reichskasse übernehmen und für das betreffende Staatsgebiet ab¬ 
geschlossene Tabellen an das Statistische Amt einsenden, während 
für den Rest der Bundesstaaten, die etwa die Ausbeutungs¬ 
arbeit ihren statistischen Behörden nicht überlassen wollten, das 
Statistische Amt selbst auch die Ausbeutungsarbeit und Tabellen¬ 
ansetzung übernehmen würde. Der erläuternde Text dieses 
großen Gesamtwerkes, das für die Kriminalpolitik von hervor¬ 
ragender Bedeutung sein würde und zugleich ein wichtiges Stück 
der gesamten deutschen Kriegsstatistik wäre — die im übrigen 
namentlich auf dem Gebiete der Wirtschaftsstatistik eines weiten 
Ausbaues bedarf — wird wohl zweckmäßig im Zusammenwirken 
des Statistischen Amtes des Reichs, des Reichsjustizamtes und der 
Heeresverwaltung hergestellt. Für die Entwertung des Planes aber 
dieser ganzen großen Arbeit sollten die vorbereitenden Schritte 
so bald als möglich unternommen werden. Die erste Plan- 
Feststellung möchte im Entwurf durch Verständigung des Sta- 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 2 



18 


Dr. Georg von Mayr 


tistischen Amtes, des Reichsjustizamts und 4er Heeresverwaltung 
zu bewirken sein. Sehr erwünscht wäre es, wenn auch hierbei 
der im Vorhergehenden mehrfach erwähnte Beirat für Kriminal¬ 
statistik in der Art mitwirken könnte, daß er über den ersten Ent¬ 
wurf der vorgenannten drei behördlichen Instanzen sich gutacht¬ 
lich äußerte und daraufhin durch Verständigung dieser drei In¬ 
stanzen der endgültige Entwurf für die Ausführung des Werkes 
der zuständigen Reichsinstanz zur Beschlußfassung überwiesen 
werden könnte. 

Was ich in den vorstehenden Ausführungen über den Aus¬ 
bau, und zwar über den baldigen Ausbau der deutschen Kriegs¬ 
kriminalstatistik bringe, will nicht mehr sein, als eine erste, die 
erheblichen aber nicht unüberwindlichen Schwierigkeiten der Aus¬ 
führung keineswegs verkennende Anregung in großen Zügen zur 
Ausgestaltung einer statistischen Leistung, die für die Kriminal¬ 
politik, Kriminalverwaltung, für die Sozialpolitik überhaupt und 
dann auch für die mit dem Staats- und dem gesamten sozialen 
Leben in reger Wechselbeziehung stehende Wissenschaft von 
größtem Werte wäre. 



Der Zwang zum Fingerabdruck. 

Von 

Geheimrat Dr. Josef Köhler. 

o. ö. Professor der Rechte an der Universität Berlin. 


Die abwehrende, unheilverhütende Tätigkeit der Polizei auf 
dem Gebiet des Kriminalwesens ist teils vorbeugender und 
sichernder, teils konstatierender Art, konstatierend, soweit es sich 
um Verbrecherverfolgung und Verbrecherbestrafung handelt. In 
dieser Eigenschaft, als untersuchende und feststellende Behörde, 
ist die Polizei ein unentbehrliches Hilfsmittel des Strafgerichtes, 
ohne welches der Arm des Staates lahm wäre. Die Untersuchung 
kann sich auf die Umstände des einzelnen Falles beziehen, sie kann 
aber auch solche Umstände betreffen, welche für die gegenwärtige 
oder künftige Verbrechertätigkeit einer Person tm allgemeinen be¬ 
deutsam sind. Dazu gehört vor allem die Untersuchung, welche 
die Konstatierung der Persönlichkeit und ihrer Eigenart betrifft. 

Von solchen Konstatierungen ist keine wichtiger als die 
Daktyloskopie, umso bedeutsamer, als sie einmal mit höchst ein¬ 
facher Methode wirkt und auf der anderen Seite zu völlig ein¬ 
wandfreien und unzweifelhaften Resultaten führt.. Sie hat darum 
die Bertillonage so viel wie vollständig abgelöst. 

Es wird die Zeit kommen, in welcher man eine jede Person 
ohne Ausnahme ebenso der Daktyloskopie unterwirft, wie man 
die Eintragung ihres Namens und ihres Alters in die Listen ver¬ 
langt, und es wird eine derartige allgemeine Konstatierung um so 
wichtiger sein, als sie nicht nur im Falle der Beschuldigung, 
sondern auch im Falle der Entschuldigung von Bedeutung wird. 
Man denke sich den Fall, daß wegen irgend einer angeblichen 
Gewalttätigkeit einer verstorbenen Person ein Entschädigungs¬ 
anspruch gegen ihre Erben erhoben wird und der vielleicht sehr 
starke Verdacht durch einen bei der Tat zurückgebliebenen Finger¬ 
abdruck völlig beseitigt werden kann, so daß die Beschuldigung 
mit allen Folgen sofort zusammenbricht! 


2* 



20 


Dr. Josef Köhler 


Gesetze über die Daktyloskopie finden sich in einigen Län¬ 
dern, wie in Argentinien und in Mexiko; bei uns fehlt eine durch¬ 
greifende Bestimmung. Bei uns können nur die Grundsätze über 
das Recht der Kriminalpolizei gelten: der Fingerabdruck kann 
nur soweit vom Publikum verlangt werden, als die Kriminalpolizei 
eine Einwirkung auf das Publikum beanspruchen kann, ln Preußen 
ist hier bekanntlich das Landrecht II 17 § 10 von ausschlaggeben¬ 
der Bedeutung, wonach die Polizei die Anstalten zur Erhaltung 
der nötigen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung 
der dem Publikum oder einzelnen Mitgliedern desselben bevor¬ 
stehenden Gefahr zu treffen hat; und sodann das Polizeiverwal¬ 
tungsgesetz vom 8. März 1$50 § 6 a, 6 f, wonach Polzeiverord- 
nungen zum Schutze der Person, des Eigentums, zur Sorge für 
Leben und Gesundheit erfolgen können. In diesem Gebiete be¬ 
wegt sich die Kriminalpolizei, wenn sie Konstatierungen bezüg¬ 
lich der begangenen oder der in Entwickelung begriffenen Ver¬ 
brechen vornimmt, oder wenn sie peisönliche Feststellungen be¬ 
züglich derjenigen Schädlinge und negativen Naturen macht, von 
denen eine künftige Bedrohung des Publikums zu befürchten 
steht. Wenn die Polizei hier entweder bestimmt abgemessene 
und fest begrenzte Verordnungen gibt oder wenn sie ohne der¬ 
artige Verordnungen im einzelnen Falle auf Grund ihrer ab¬ 
wägenden Prüfung einen Feststellungsakt beschließt, so liegt dies 
im Kreise ihrer gesetzlichen Befugnisse. 

Man könnte allerdings die zahlreichen Entscheidungen des 
Kammergerichtes entgegenhalten, in welchen ausgesprochen wurde, 
daß die Polizei nicht die Befugnis habe, beliebig Kontrollvor- 
schriften zu erlassen. Derartiger Entscheidungen gibt es aller¬ 
dings eine große Zahl. Das Kammergericht hat angenommen, 
daß die Polizei nicht befugt sei, beliebig Ausweise, Anzeigen oder 
auch Ankündigungen von Privatpersonen zu verlangen, sie könne 
nicht verlangen, daß die Hauseigentümer einen Nachweis über 
die regelmäßige Kaminreinigung geben, daß .die Milchhändler 
ihre Milchproben zur Untersuchung an einen bestimmten Ort 
schaffen, daß der Autoeigentümer über Personen, welche das 
Auto benutzt haben, Rechenschaft erstatte, sie könne von Händlern 
mit Branntweinverkauf nicht verlangen, daß ihr Ladenraum so 
gestaltet sei, daß er von außen leicht zu übersehen ist, sie könne 
nicht vorschreiben, daß auswärtige Hauseigentümer einen Zu¬ 
stellungsgewalthaber für polizeiliche Verfügungen bestellen u. a.; 
vgl. z. B. K.-G. 25. 4. 1904, D. J.-Z. IX 509; K.-G. 25. 4. 1910, 



Der Zwang zum Fingerabdruck 


21 


D. J.-Z. XV 829; K.-G. 2. 11. 1908, Recht XIII S. 157 und allge¬ 
mein K.-G. 26. 4. 1906, Recht XI S. 75, ferner K.-G. 11. 3. 1901 
Jahrbuch des K.-G. XXI C 62: K.-G. 6. 7. 1905, Jahrbuch XXX 
C 47 u. a. 

Nun ist es selbstverständlich, daß die Polizei nicht befugt 
ist, vom Publikum wirkliche Frohndienste zu verlangen, um alles 
mögliche zu tun, was der Polizei für die Vorbereitung ihrer 
Untersuchungen bequem und förderlich erscheint. Da könnte 
die Polizei auch eine beliebige Zusammenkunft von Menschen 
vorschreiben, sie könnte verlangen, daß Instrumente geliefert, daß 
Fuhrwerke zur Verfügung gestellt würden, und schließlich könnte 
die Polizei einem jeden eine Tagesliste zumuten, wann er auf¬ 
steht und sich zu Bett legt, wann er auSgeht usw., weil hierdurch 
die Kontrolle der Persönlichkeit erleichtert wird. Davon kann 
natürlich keine Rede sein. Bekanntlich hat auch die Polizei keinen 
Zeugniszwang, sondern sie kann nur eine Person, deren Zeugnis 
als erforderlich erscheint, vor Gericht bringen, damit hier der 
Zeugniszwang geübt wird. 

Allein alles dies liegt hier nicht vor. Das, was die Polizei 
bestimmt verlangen kann, ist, daß, wenn sie Untersuchungshand¬ 
lungen zur Abwendung von Gefahren für Leib, Leben, Gesund¬ 
heit oder Eigentum vornimmt, ihr kein Widerstand entgegengesetzt 
wird und daß keine Widersetzlichkeit ihre Tätigkeit hemmt. Eine 
solche Untersuchungshandlung ist die Abnahme des Fingerab¬ 
druckes; es handelt sich bei dem Zwang zur Daktyloskopie nicht 
darum, daß das Publikum eine diese Untersuchungshandlung 
vorbereitende oder ihr zur Kontrolle dienende Tätigkeit vornimmt 
(dies wäre z. B. der Nachweis des erfolgten Abdruckes durch 
Vorlegung eines polizeilichen Zeugnisses), sondern es handelt 
sich einfach darum, daß das Publikum sich der Untersuchungs¬ 
handlung unterwirft und keine Hemmung bewirkt. 

So rechtfertigt sich auch die berühmte Entscheidung des 
Reichsgerichtes vom 2. Juni 1899, über den Zwang zur Duldung 
der Bertillonage, E. Straf. 32 S. 199, worin gesagt ist: 

„Die Zuständigkeit der Polizeidirektion zu der generellen 
Anweisung, Verhaftete, die bereits mit Zuchthaus bestraft wurden, 
den Bertillonsschen Messungen zu unterwerfen und gleichzeitig 
zu photographieren, ist (aber) nicht zu beanstanden. Sie ergibt 
sich aus der gesetzlich anerkannten Obliegenheit der Polizei, die 
nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit zu 
treffen (§ 10 A. L.-R. II. 17), welche, soweit die Verletzung oder 



22 


Dr. Josef Köhler 


Bedrohung der öffentlichen Sicherheit durch strafbare Handlungen 
in Frage kommt, die Aufgabe der Unterstützung der Strafrechts¬ 
pflege in sich schließt, ln dieses Gebiet ihrer Wirksamkeit fällt 
unzweifelhaft die Aufnahme von sog. Signalements bezüglich 
solcher Personen, welche wegen Verdachtes der Verübung einer 
strafbaren Handlung festgenommen und bei der Polizeibehörde 
eingeliefert sind.“ 

Mit Recht ist dort auf § 131 der St.P.O. Bezug genommen, 
worin gesagt ist, daß der Steckbrief, soweit möglich, eine. Be¬ 
schreibung des Verfolgten erhalten soll, woraus von selbst her¬ 
vorgeht, daß zur befugten polizeilichen Untersuchung die Kon¬ 
statierung von Merkmalen einer PeVson gehört, um eine wirksame 
Verfolgung zu ermöglichen.') Wenn dies von der Bertillonage 
galt, so ist dies bei der einfachen Daktyloskopie umso unbe¬ 
denklicher. 

Daraus ergibt sich der Satz: es steht in der diskretionären 
Befugnis der Polizei, den daktyloskopischen Fingerabdruck von 
allen Personen zu erzwingen, deren persönliche Feststellung 
wegen des Verdachtes begangener oder der Erwartung künftiger 
verbrecherischer Tätigkeit als erforderlich erscheint. 

') Einen Zwang zur Bertillonage bestimmt auch das Gesetz von Canada 
vom 13. Juni 1898, 61 Vict. ch. 54. 



Kriminalistische Übergangswirtschaft. 

IV. 

Die dänische Reichskriminaipolizei. 

Der Herr kgl.DänischeJustizminister 
hat dem „Archiv für Kriminalogie* die 
folgenden Ausführungen zugehen lassen, 
deren Übersetzung Herr Halvar Chri¬ 
stiansen besorgte. 

Die „Statspolitiet“ („Staatspolizei“, Reichskriminalpolizei) ist 
durch Gesetz vom 13. Mai 1911 errichtet worden und bestand 
damals aus einem Chef und 36 Beamten, wovon 8 zu Ober¬ 
beamten ernannt werden konnten. 

Das Korps hat später zwei Erweiterungen erfahren, zuerst 
durch Gesetz vom 29. April 1913, wodurch das Korps um 
12 Beamte vermehrt wurde, und danach durch Gesetz vom 
21. Dezember v. Js., welches dem Korps eine weitere Ver¬ 
mehrung von 24 Beamten gab, so daß das Korps jetzt aus 72 Be¬ 
amten besteht. Von diesen können bis zu 15 zu Oberbeamten 
ernannt werden. Das Korps wird von einem Chef geleitet, welcher 
sein Bureau in Kopenhagen hat, und dem 4 juristisch ausgebildete 
Assistenten beigegeben sind. Zu dem Bureau gehört weiter eine 
gewisse Anzahl von Oberbeamten und Beamten zur Verwendung 
bei den Nachforschungen und Untersuchungen, zu welchen ein¬ 
gelaufene Anzeigen oder Ersuchen von den Polizeibehörden außer¬ 
halb Kopenhagens oder von den auf dem Lande stationierten 
„Staatspolizisten“ Anlaß geben. 

Im Bureau des Polizeichefs befindet sich alles Material ge¬ 
sammelt und durchgearbeitet, das nach und nach über Verbrecher 
und Verbrechen verschafft wird und das bei der Nachforschungs¬ 
und Untersuchungsarbeit der Staatspolizei Bedeutung erhalten 
kann. 

Die übrige Mannschaft ist in den verschiedenen Gerichts¬ 
bezirken stationiert. Da aber das Korps bis jetzt so gering an 
Zahl gewesen ist, versieht jeder einzelne Beamte in der Regel 



24 


Halvar Christiansen 


Dienst in mehreren Bezirken, Den einem Beamten somit zu¬ 
geteilten Distrikt darf der Beamte nicht ohne Erlaubnis des Chefs 
verlassen, es sei denn, daß es im Interesse des Dienstes not¬ 
wendig ist. ■ 

Die wesentlichste Aufgabe der „Staatspolizei“ ist bestimmt 
durch eine für das Korps erteilte Instruktion vom 30. September 
1911 und besteht darin, den Polizeibehörden außerhalb Kopen¬ 
hagens Hilfe bei Nachforschung und Verfolgung von Verbrechen 
sowie Beistand in der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung 
zu gewähren. Durch die Gesetze vom 29. April 1913 und 21. De¬ 
zember v. Js. ist weiter die große und zeitweise schwierige Auf¬ 
sicht über die hier im Lande sich aufhaltenden Ausländer dem 
Korps übergeben. 

Diese hat u. a. mit Hinblick auf die oben erwähnte Stationie¬ 
rung dazu beigetragen, daß Staatsbeamte in den Orten stationiert 
sind, in welchen der größte Verkehr mit dem Ausland ist. 

Da die Staatspolizei eine selbständige Institution ist, welche 
direkt unter dem Justizministerium steht, kann ein untergeordnetes 
Verhältnis zu der örtlichen Polizei nicht in Frage kommen, aber 
der Ortspolizeidirektor kann anläßlich begangener Verbrechen die 
Hilfe des zu seinem Gerichtsbezirk gehörigen Staatspolizisten ver¬ 
langen, und der Beamte ist dann verpflichtet, unverzüglich zu 
helfen, aber in der Regel nur, bis der Verbrecher ausfindig ge¬ 
macht und seines Verbrechens überführt ist, wie der Beamte auch 
verpflichtet ist, den Befehlen nachzukommen, welche der Polizei¬ 
direktor mit Rücksicht auf die ihpi somit übertragene Untersuchung 
erteilt. 

Die Beamten können jedoch, wenn sie der Meinung sind, 
daß ihnen seitens der örtlichen Polizeidirektionen unberechtigte 
Forderungen gestellt werden, Bericht hierüber an den Staatspolizei¬ 
chef senden, um von demselben nähere Instruktionen zu erhalten. 

Insofern bei ernstlicheren Verbrechen der Polizeichef entweder 
im Aufträge des Justizministeriums oder auf Verlangen des be¬ 
treffenden Polizeidirektors bei einer Untersuchung persönlich mit¬ 
wirkt, sind der Polizeichef und der örtlich zuständige Polizei¬ 
direktor als gleichgestelltzu betrachten, aber so, daß die Bestimmungen 
des Polizeichefs bei allen Fragen über die Verwendung der Staats¬ 
polizei entscheidend sind. 

Die Staatspolizei wirkt somit zum Teil auf Veranlassung der 
respektiven Polizeidirektoren, aber das Korps soll auch infolge 
seiner Instruktion aus eigener Initiative versuchen, Verbrechen und 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


25 


Vergehen zu verhindern, worunter u. a. gehört, daß die Beamten den 
ihnen unterstellten Distrikt so oft wie möglich abpatrouillieren sollen. 

Es besteht dagegen für die örtlichen Polizeibehörden keine 
Verpflichtung, Anzeigen an die Staatspolizei als solche zu machen, 
und infolgedessen gibt es auch keine Strafbestimmungen für 
Unferlassung solcher Anzeigen. 

Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, steht der einzelne 
Staatspolizist zwar direkt unter seinem Chef, kann aber, wenn 
seine Hilfe von einem Polizeidirektor verlangt worden ist, diesem 
bei einzelnen Untersuchungen zur Verfügung stehen. In letzterem 
Falle sendet der Staatspolizist direkten Rapport an den betreffenden 
Polizeidirektor oder Richter des Bezirks, dem er auch stets direkte 
Meldung sendet, wenn von Verhaftung die Rede ist, damit die 
richterliche Vernehmung innerhalb der gesetzlichen Frist von 
24 Stunden geschehen kann. Im übrigen aber sendet der be¬ 
treffende Staatspolizist in der Regel direkten Bericht an den Chef 
des Korps, welcher dann das weiter Erforderliche unternimmt und 
in dessen Hand es liegt, den größtmöglichen Kontakt zwischen 
den Beamten der Staatspolizei unter sich und zwischen der 
Staatspolizei und den lokalen Polizeibehörden zu schaffen, ein 
Verhältnis, das bis jetzt eine außerordentlich große Arbeit für den 
Chef und sein Bureau mit sich gebracht hat. 

Die direkte Verbindung zwischen dem Chef und den Beamten 
wird durch Bekanntmachungen, enthaltend Mitteilungen über Ver¬ 
hältnisse im Korps sowie Instruktionen allgemeiner Bedeutung 
hergestellt. (Bis zum Ausgang des Jahres 1917 sind im ganzen 
100 Bekanntmachungen ausgegeben worden.) Weiter geschieht dies 
durch einzelne Schreiben und Rundschreiben sowie eigentliche 
Nachforschungsschreiben, wozu in besonders eiligen oder gra¬ 
vierenden Fällen selbstverständlich noch telephonische oder tele¬ 
graphische Aufträge kommen. 

Es hat sich mehrmals gezeigt, daß das Korps auf Grund seiner 
Beweglichkeit und, weil es ungehindert durch territoriale Grenzen 
arbeitet, sowie endlich auf Grund des im Bureau des. Chefs ge¬ 
sammelten Materials sowohl bei der Untersuchungs- als auch 
Nachforschungsarbeit gute Hilfe hat leisten können. 

Was die Ausbildung und Ausrüstung der Staatspolizisten an¬ 
betrifft, wird bemerkt, daß so gut wie alle Beamten der Staats¬ 
polizei im Dienste der kommunalen Polizei angestellt gewesen 
sind, ehe sie zur Staatspolizei übergingen. Sie hatten somit schon 
dadurch Erfahrung erworben. Ihre übrige Ausbildung geschieht 



26 


Halvar Christiansen 


durch die von dem Chef geleiteten Kurse in größeren oder 
kleineren Zirkeln. Die Beamten sind alle in Zivil gekleidet, und 
haben als Legitimation Polizeimarken. Sie sind mit dem Polizei¬ 
stab, Handfesseln, Führerkette, Polizeipfeife, elektrischen Taschen¬ 
lampen usw. ausgerüstet. Mehrere haben auch einen Polizei¬ 
hund, welcher der Staatspolizei gehört. 

Außerdem sind sie mit verschiedenen Apparaten zum Ge¬ 
brauch bei ihrem Untersuchungsdienste versehen, u. a. zur Auf¬ 
nahme von Fingerabdrücken. 

Sie sind alle mit Fahrrad und mehrere von ihnen mit Motor¬ 
rad versehen. 

Mit Hinblick auf die Ausrüstung ging man bis jetzt und geht 
man immer noch versuchsweise vor, aber der Zweck ist selbst¬ 
verständlich, den Beamten die bestmöglichste Ausrüstung zu 
geben. Einen bedeutenden Schritt in dieser Richtung gedenkt 
man zu machen bei der durch die Rechtspflegereform bestimmten 
großen Erweiterung der Staatspolizei, welche, zur Folge haben 
wird, daß, ohne der Gesamtarbeit zu schaden, Beamte als Spe¬ 
zialisten für Untersuchungen bestimmter Verbrechen ausgebildet 
und ausgerüstet werden können. 

Schließlich wird mit Rücksicht auf die Zusammenarbeit mit 
den lokalen Behörden bemerkt, daß diese durchgehend gut ge¬ 
wesen ist, obwohl selbstverständlich ab und zu Reibung statt¬ 
gefunden hat, besonders in der ersten Zeit der Staatspolizei. 
Eine Abhilfe der etwas unglücklichen Verhältnisse, die entstehen 
können, wenn zwei voneinander unabhängige Polizeikorps in der¬ 
selben Untersuchung zu arbeiten haben, wird vermutlich die vor¬ 
genannte Rechtspflegereform gewähren, indem durch dieselbe eine 
bedeutend größere Sammlung und Zusammenarbeit zwischen den 
verschiedenen Polizeiorganen entstehen wird, so daß die ganze 
Kriminalpolizei in weit größerem Grade, als bis jetzt der Fall 
gewesen ist, als eine Einheit unter gemeinsamer Leitung auf- 
treten wird. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für 

die Rechtspflege 

und deren Berücksichtigung in dem Strafrecht und bei der' 

Strafvollstreckung. 

Von 

Dr. med. Fr. Jos. Widtnann, Abteilungsarzt der Provinzial-Heilanstalt Warstein 
kreisärztlich approbiert, z. Zt. Münster i. W. 


Die Psychiatrie versteht unter psychopathischer Konsti¬ 
tution nach dem Vorschläge J. A. L. Kochs, kurz gesagt, Zu¬ 
stände „geistiger Minderwertigkeiten“, prägnanter ausgedrückt, ange¬ 
borene oder erworbene geistige Schwächen geringen Grades, also auf 
abnormer Veranlagung beruhende leichtere psychische Anomalien. 
Das so veranlagte Individuum zeigt eine verringerte Widerstands¬ 
fähigkeit gegen physiologische und pathologische Reize, gegen 
von außen kommende oder im Organismus selbst entstandene 
Schädlichkeiten und ist somit sowohl für schwerere psychische 
Störungen als auch für soziale Entgleisungen prädisponiert. Wenn 
nun auch unter psychopathischer Veranlagung Übergänge vom 
Physiologischen zum Pathologischen gekennzeichnet werden sollen, 
so gehören dieselben ihrem Wesen nach doch zur Pathologie. 
Dabei ist jedoch zuzugeben, daß diese Grenzzustände im Einzel¬ 
falle nicht immer leicht als pathologisch erkennbar sind. Jeden¬ 
falls bilden sie ein wichtiges, bei aller Klärung der letzten Jahre 
noch weiter der Bearbeitung und Vertiefung bedürfendes Gebiet 
der Psychiatrie. Dabei soll anderen Kreisen wissenschaftlicher 
Forschung auf diesem Gebiete, wie den Pädagogen, Historikern, 
Psychologen, Kriminalisten und vor allem den Juristen, durchaus 
nicht das Recht bestritten werden, ihr Interesse ebenfalls diesen 
psychopathologischen Bildern zu widmen, allein ohne die Beratung 
und Mitarbeit seitens des Psychiaters dürfte ihnen eine vollkommene 
Klärung vorenthalten bleiben, da wir bei diesen Grenzzuständen, 
wenn auch meist nur episodisch, leicht mehr oder weniger aus¬ 
geprägten psychotischen Zuständen begegnen, zu deren erschöp- 



28 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


fender Bewertung zweifelsohne psychiatrische Fachkenntnisse und 
Erfahrung Bedingung sind. So mag auch psychopathische Ver¬ 
brecher nicht derjenige einwandfrei beurteilen, der nur normale 
kennt, sondern zur Beurteilung der ersteren gehört die Kenntnis 
psychopathologischer Menschen. 

Um in das Wesen dieser psychopathologischen Grenzzustände 
— wissenschaftlich auch als psychische Entartungsform bezeichnet — 
weiter einzudringen, müssen wir von dem Grundbegriff der Ent¬ 
artung ausgehen, um den inneren Zusammenhang dieser Zustände 
v mit wichtigen Lebenserscheinungen, biologischen und sozialen, 
um ihre Ursachen, Grundlagen und Äußerungsweisen richtig zu 
begreifen. Und zwar ist hier mit den Begriffserörterungen über 
Degenereszenz, Dekadenz, Entartung u. dgl. seitens der Historiker,. 
Anthropologen, Nationalökonomen u. a. allein nicht auszukommen,, 
sondern der Entartungsbegriff ist im Sinne der Psychiatrie zu 
fassen. Wie ich schon eingangs gesagt habe, beruht die Ent¬ 
artung auf einer abnormen Veranlagung, die sich wieder aus 
zwei Momenten herleitet, indem es sich entweder um eine an¬ 
geborene (ererbte und intrauterin erworbene) oder um eine er¬ 
worbene Keimschädigung handelt. Beide sind uns ihrem Wesen 
nach ziemlich unbekannt. Das dunkelste Gebiet ist die heredi¬ 
täre Belastung, an die vorderhand ebenso geglaubt weiden 
muß wie an die Tatsache normaler Anlagen. Anders verhält es 
sich mit der erworbenen Keimschädigung, die wir mit durch die 
Erfahrung gestützten Faktoren eher begründen können. So 
wissen wir, daß neben schweren, langdauernden Infektions- und 
anderen Krankheiten, wie Lues, Tuberkulose, Typhus, Stoff¬ 
wechsel- und Bluterkrankungen, auch Giftstoffe wie Quecksilber, 
Arsen, Blei und, nicht zu vergessen, der Alkohol zu derartigen 
Schädigungen der Keimzellen führen können, daß dadurch in die 
Zelle der Keim für die spätere psychopathische Konstitution ge¬ 
legt wird. Auch in gewissen anderen Ursachen mag dieselbe zu 
suchen sein, als welche zu krasse Altersunterschiede der Erzeuger, 
Blutsverwandtschaft, namentlich die in gewissen Gegenden aus 
materiellen Prinzipien herrschende „Inzucht“, Unterernährung, 
Zeugung im Rausch oder vielleicht auch Inkongruenz der elter¬ 
lichen Keime in Betracht kämen. Cramer 1 ) erwähnt u. a. und 
verweist dabei auf genauere statistische Begründungen von T i gg e s 2 ), 

*) Cramer, Gerichtl. Psychiatrie, 4. Aufl., 1908, S. 381. 

*) Tigges, Aszendenz und Deszendenz. Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie, 
Bd. 64, S. 6, 1908. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 29 

daß eine erbliche Belastung sich häufig im Sinne einer gekreuzten 
endogenen Belastung derart bilde, daß bei direkter erblicher Be¬ 
lastung mit Geisteskrankheit der mütterliche Einfluß, bei Trunk¬ 
sucht des Vaters derjenige des letzteren prävaliere. Natürlich braucht 
die Schädigung nicht bloß wie überhaupt nicht den Keim der Erzeuger 
zu betreffen, sondern sie kann auch bei dem in der Entwicklung 
befindlichen Keime, während der intrauterinen Entwicklung, während 
der Geburt oder während des extrauterinen Individuallebens zur 
Degeneration führen. Die Folgen ^solcher, die Keimanlage und 
-entwicklung beeinflussenden Schädigungen zeigen sich dann in 
den degenerativen Erscheinungen, die .morphologisch in dem ge¬ 
häuften Auftreten von Mißbildungen, den Stigmata degenerationis, 
und funktionell in Anomalien verschiedenster Art, darunter Stö¬ 
rungen der psychischen Fähigkeiten, zum Ausdruck kommen. 

Es kommt also der Übergang von erblicher Belastung zur 
erblichen Behaftung zustande. Diese von BinswangeUj an¬ 
gegebene Unterscheidung sieht in der ersteren die Tatsache, daß 
in der Familie des Patienten Geistes- oder Nervenkrankheiten 
überhaupt vorgekommen sind, in der letzteren das Vorhandensein 
gewisser körperlicher und geistiger Merkmale der vor sich ge¬ 
gangenen Übertragung pathologischer Keimesvariationen. Die 
erbliche Belastung, bei der man eine direkte, indirekte und koila- 
terale unterscheidet, darf nun in ihrer Bedeutung nicht überschätzt 
werden. Wir dürfen uns keinenfalls zu der Annahme versteigen, 
daß bei Individuen mit erblicher Belastung und bei Degenerierten 
leichteren und höheren Grades eine krankhafte Störung der Geistes¬ 
tätigkeit vorhanden sein muß. Erst eine erbliche Belastung und 
Entartung erheblicheren Grades berechtigt uns, dem Geistes¬ 
zustände eines Angeschuldigten unsere Aufmerksamkeit zuzu- 
wenden, und da ist es dann durchaus möglich, daß wir auch 
einer auf dem degenerativen Boden entstandenen degenerativen 
Seelenstörung begegnen können. D. h. also, erblich Belastete 
sowie degenerierte Individuen können in stärkerem und geringerem 
Grade zu einer geistigen Erkrankung disponiert sein. Auf keinen 
Fall dürfen aber die Begriffe erblich Belasteter, Degenerierter und 
Geisteskranker von vornherein identifiziert werden, ebensowenig 
wie wir in jedem Geisteskranken einen erblich Belasteten oder 
Degenerierten sehen dürfen. 


‘) O. Binswanger, Lehrb. d. Psychiatr. Bearb. v. Binswanger-Cramer- 
Hoche-Siemerling-Westphal-Wollenberg. 



30 Dr. med. Fr. Jos. Widmann 

Kommt nun eine durch Erblichkeit, also auf endogenem Wege 
erworbene, oder eine durch exogene Schädlichkeiten herbeigeführte 
oder durch eine Verbindung beider zustande gekommene Dis¬ 
position in sichtbaren Erscheinungen auf physischem und psy¬ 
chischem Gebiete zum Ausdruck, so sprechen wir von einer Ent¬ 
artung. Die Entartung wäre demnach nicht nur die Folge einer 
Erblichkeit, sondern auch anderer eine angeborene Disposition 
bedingender Momente, wie ich solche bereits erwähnt habe. Aus 
der Tatsache, daß ein großer Teil der Geisteskranken erblich 
belastet ist, hat sich vorzugsweise die Lehre von der Entartung 
herausgebildet, mit der sich bereits 1857 und noch früher der 
bekannte französische Psychiater Morel 1 ) in streng wissenschaft¬ 
licher Weise beschäftigt hat. Die genauere Erschließung der 
Eigentümlichkeiten des Seelenlebens der Entarteten gehört den 
letzten zwei Dezennien an und ist das Hauptverdienst Magnans 2 ) 
und J. A. L. Kochs 3 ) 4 ). Die Lehre vom Geisteszustand der Ent¬ 
arteten, die Magnan in einer Reihe einzelner Veröffentlichungen, 
in seinen „psychopathischen Minderwertigkeiten“, und Koch aus 
einer Menge von Einzeltatsachen aufgestellt hat, hat sich in ihren 
wesentlichen Zügen bis auf den heutigen Tag erhalten, wenn, man 
auch nach Hoch es 5 ) Urteil nicht mit allem einverstanden zu sein 
braucht, „was Magnans Neigung zum Schematisieren und Kochs 
zu weite Fassung des Begriffs hineingebracht hat“. 

Das Gebiet der erblichen Belastung und Entartung nebst den 
sich daraus häufig ergebenden Grenzzuständen zwischen geistiger 
Gesundheit und Krankheit hat namentlich auch in ihrer Beziehung 
zur Strafgesetzgebung die Psychiater in zunehmendem Maße be¬ 
schäftigt, was in den Literaturerzeugnissen besonders auch der 
letzten Zeit seine Bestätigung findet. Ich nenne unter den Psy¬ 
chiatern hier nur die Namen Aschaffenburg, Birnbaum, Bon- 
hoeffer, A. Cramer, A. Leppmann, C. Moeli, R. Sommer, 
Ziehen und verweise im übrigen auf die zahlreichen Literatur- 


*) Morel, TraitS d£g6nerescences de l’espece humaine, 1857. 

2 ) Magnan, Psychiatr. Vorlesungen, Heft 11,111, über die Geistesstörungen 
der Entarteten. Deutsch v. P. J. Möbius. Leipzig b. Thieme, 1892. 

3 ) J. A. L. Koch, Die psychop. Minderwertigkeiten, 1891, 1893. Ravensburg. 

4 ) Derselbe, Abnormer Charakter in Grenzfragen, 1900, Wiesbaden bei 
Bergmann. 

5 ) A. Hoche, Die klin. Grundlagen d. gerichtl. Psychiatrie. Berlin 1901, 
bei August Hirschwald, S. 415. 



" Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 31 

angaben bei A. Cramer (a. a. O. S. 47ff.), bei A. Hoche (a. a. O- 
S. 554/55 u. 719) Und bei A. H. Hübner 1 ). 

Die nächsten beiden Fragen seien nun die: Welche Merkmale 
zeugen für die Wirksamkeit abnormer, erblich nervöser Einflüsse 
in einem Menschen, und wann liegt für den Richter ein Anlaß 
vor, die Untersuchung eines Individuums dem Sachverständigen 
zu übertragen? 

Einen gewichtigen Platz nehmen in der Lehre von der Ent¬ 
artung und der Erblichkeit überhaupt die bereits erwähnten Stig¬ 
mata degenerationis ein, und zwar sowohl körperlicher als auch 
seelischer Art. Ich sehe von einer ausführlichen Erörterung der 
ersteren ab, deren Bedeutung für die Beurteilung der psychopathi¬ 
schen Persönlichkeit als ebenso außer Frage stehend betrachtet 
werden kann wie beim angeborenen oder frühzeitigst erworbenen 
Schwachsinn und beim Jugendirresein, vorausgesetzt, daß wir das 
Vorhandensein zahlreicher und ausgeprägter morphologischer Ab¬ 
weichungen und gleichzeitig mit diesen, wie R. Sommer 2 ) hervor¬ 
hebt, funktionelle Organschädigungen feststellen können. Wenn 
wir uns auch vor einer Überschätzung. der körperlichen Kenn¬ 
zeichen hüten müssen, so vermag ich mich jedoch der Ansicht 
Bumkes 3 ) u. a., die den Wert derselben überhaupt verneinen 
wollen, auf Grund des Studiums der einschlägigen Literatur und 
eigner klinischer Feststellungen keinesfalls anzuschließen. Be¬ 
züglich der morphologischen Deformitäten bin auch ich 4 ) in einer 
früheren Arbeit, die ich der Anregung von Prof. R. Sommer- 
Gießen danke, zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Summation, 
erheblicher Deformitäten namentlich am Schädel beim einzelnen 
Individuum zweifellos bei den geistig Abnormen häufiger anzu¬ 
treffen ist als beim Normalen. Und in diesem Hinblick möchte 
ich auch meine eigenen Feststellungen resümieren, zu denen ich 
neben meinen Untersuchungen auf Schädeldeformitäten bei Hebe- 
phrenen und auch bei Gesunden gelangt bin. Damals zwangen 
mich die gemachten Festlegungen zu der Annahme, daß unter 
den von mir im beruflichen und außerberuflichen Verkehr zum 
Teil unauffällig beobachteten und explorierten, zum Teil genau 

*) A. H. Hübner, Lehrb. d. forens. Psych. Bonn 1914, Marcus u. Weber,. 
S. 79 u. 674. 

2 ) R. Sommer, Diagnostik der Geisteskrankheiten. 

3 » Bumke, Über nervöse Entartung. Springer, Berlin 1912. 

*) Widmann, Gibt es bei Dementia praecox Schädeldeformitäten und* 
welcher Art? Eine psychiatr. Studie. Diss. (Gießen). CarlMarhold, Halle a. S. 1914.. 



32 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


untersuchten normalen Personen manche der Gruppe der Psy¬ 
chopathen zuzurechnen waren. Jedenfalls kann das Vorhanden¬ 
sein solcher Merkmale rein äußerlich als ein Anhaltspunkt ge¬ 
nommen werden, daß anamnestisch nachzuweisende geistige oder 
nervöse Störungen der Vorfahren dem zu untersuchenden Menschen 
anhaften. Sind wir zu der Erkenntnis bei der Untersuchung ge¬ 
langt, daß anamnestisch und morphologisch auffallende Sym¬ 
ptome der Entartung sich nachweisen lassen, dann dürfen wir in 
forensischer Hinsicht den Eihfluß* nervöser Erblichkeit in Rech¬ 
nung setzen und von einer „psychopathischen Belastung“ sprechen 
und dieselbe um so bestimmter in die Wagschale zugunsten des 
Delinquenten werfen, je zahlreicher und ausgeprägter diese Er¬ 
scheinungen vorhanden sind. Dieselben dürfen jedoch niemals 
für unser Urteil allein maßgebend oder gar ausschlaggebend sein. 

Weit wichtiger sowohl für den Sachverständigen als auch für 
den Richter sind die seelischen und sogenannten soziologischen, 
d. h. im sozialen Leben hervortretenden Stigmata. Auf die ersteren 
sehr wichtigen Kennzeichen gedenke ich gleich noch näher ein¬ 
zugehen. Die letzteren, die im äußeren Leben, im allgemeinen 
äußeren Verhalten, in Lebensgang und Lebensführung in die Er¬ 
scheinung treten und dort die degenerative Eigenart in charakteri¬ 
stischer Weise zum Ausdruck bringen, sind in ihrer forensischen 
Bedeutung als sehr wesentlich zu bewerten. Bei ihnen handelt 
es sich nicht mehr wie bei den physischen und psychischen Stig¬ 
mata um Feststellungen und pathologische Eigenheiten von vor¬ 
wiegend theoretisch-wissenschaftlichem Werte, sondern hier wird 
der Nachweis geführt, daß die psychopathischen Eigentümlich¬ 
keiten sich auch nach außen hin betätigen und im wirklichen 
Leben, # der Lebensführung und -gestaltung evident bemerkbar 
machen. „Also nicht bloß der Nachweis ihres Bestehens“, wie 
Birnbaum 1 ) klar kennzeichnet, „sondern auch der ihres wirk¬ 
samen Funktionierens wird dadurch erbracht“. Hierzu zählen 
nun nicht bloß die mit ausgesprochenen sozialen Verfalls- und 
kriminellen Entgleisungstendenzen Behafteten, sondern auch die 
leichteren Formen psychopathischer Entartung, wie sie sich aus 
den gleich bei den psychischen Stigmata zu besprechenden psy-, 
■chopathischen Wesenseigentümlichkeiten leicht äbleiten lassen. 
Von diesen mannigfachen soziologischen Stigmata, die sich selbst 
unter den günstigsten Lebensbedingungen finden, greife ich einige 

') K. Birnbaum, Die psychopath. Verbrecher, 1914. Verl. b. Dr. P. Langen- 
scheidt, Berlin S. 30. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 33 

besonders wichtige heraus (nach Birnbaum): Frühzeitiges und 
verschiedentliches Versagen in selbst unschwierigen Lebenslagen 
und bei geringfügigen sozialen (wirtschaftlichen u. dgl.) Be-' 
lastungsproben trotz an sich ausreichender geistiger Fähigkeiten; 
mangelnde Anpassungsfähigkeit an die gegebenen Verhältnisse, 
Neigung zu allerhand extravaganten Plänen, Entschlüssen und 
Handlungen, Aufgeben bester Stellungen und geordneter Ver¬ 
hältnisse, Hinneigung zum Verkehr und Anschluß an sozial minder¬ 
wertige und bedenkliche Gruppen lind Berufe, wie dekadentes 
Künstlertum, zweifelhafte Großstadtexistenzen (gewerbsmäßige 
Spieler, bessere Zuhälter u. a. kriminelle Elemente mehr); Ten¬ 
denz zu Konflikten und Reibungen, kurz zur Erschwerung der 
Beziehungen mit anderen, insbesondere der Familie und den Be¬ 
rufsgenossen, Hang zu törichter Verschwendung und Ausschwei¬ 
fungen verschiedener Art mit finanzieller und gesundheitlicher 
Zerrüttung, kurzum eine allgemeine Tendenz zu einem abschüssigen 
Lebensgang. Selbstredend sind derartige einzeln oder kombiniert, 
stärker oder schwächer auftretende Züge noch keine untrüglichen 
Beweise einer psychischen Entartung. (Es ist auch zu bedenken, 
daß ähnliche Äußerungen durch äußere Momente, ungünstige 
Lebens- und Milieuverhältnisse hervorgerufen sein können.) 

Unter diesen Gesichtspunkten sind die soziologischen Stig¬ 
mata auch vom forensischen Standpunkt aus zu verwerten, wobei 
vor allem neben dert morphologischen Kennzeichen das 
Vorhandensein funktione Her und psychischer Störungen 
von Wesentlichkeit ist. Es geht jedoch nicht an, — das sei 
jetzt bereits hervorgehoben — mit all diesen Syndromen die Un¬ 
zurechnungsfähigkeit einer psychopathischen Person begründen 
zu wollen, und mögen dieselben noch so zahlreich und ausgeprägt 
nachzuweisen sein, aber immerhin läßt sich auf der anderen Seite 
nicht verkennen, daß wir eine Minderung 1 der Zurechnungsfähig¬ 
keit vor uns haben können. Zu ihrer schärferen Erkenntnis führt 
der Weg durch die Serie der funktionellen und psychischen Stö¬ 
rungen. 

Die funktionellen Störungen des Zentralnervensystems äußern 
sich beim Entarteten vornehmlich einmal in dem Mißverhältnis, 
das vielfach zwischen Reiz und Reaktion besteht, und dann in der 
ungleichmäßigen Entwicklung und Tätigkeit der einzelnen Seiten 
des Seelenlebens, d. h. in einem Mangel an „Harmonie“. Bis 
x zur frühesten Kindheitsentwicklung lassen sich gar oft diese Merk¬ 
male zurückverfolgen, die in der Pubertät dann meistens auffälliger 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 3 



34 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 

durch allerhand unüberlegte Impulsivitäten und Extravaganzen in 
Erscheinung treten, um dem erwachsenen Degenerierten vollends 
das Gepräge des von den Franzosen passend als „instable“ Be- 
zeichneten zu geben. Einseitige Begabung, künstlerische Talente, 
gehören nicht zu den Seltenheiten. Aber die Ausgeglichenheit, 
die Selbstbeherrschung im psychischen Leben fehlen. Unstet, 
sprunghaft das Wesen, „bizarre Einfälle“ auf der einen Seite, wie 
Ziehen sich ausdrückt, rücksichtslosester Egoismus auf der anderen 
Seite bestimmen oft ihre Handlungen, und so werden sie leicht, 
zumal unter der Mitwirkung begünstigender Einflüsse, wie der In¬ 
toleranz gegen Alkohol und Nikotin oder der mangelnden Resi¬ 
stenz gegen klimatische und Witterungseinflüsse, bei allen Unter¬ 
nehmungen und Arbeiten immer mehr oder weniger ein Opfer 
ihrer Unstetigkeit und unglücklichen Impulsivität. Im Affekt aller 
Hemmungen bar folgen sie rücksichtslos ihren Trieben in nament¬ 
lich bei hochgradig ethisch Defekten unberechenbarer Weise. Nicht 
selten begegnet man stärker oder schwächer ausgeprägten Zwangs¬ 
vorstellungen oder Zwangszuständen, die unter dem Einflüsse ge¬ 
wisser Phobien zu den perversesten Zwangshandlungen führen 
können. Die Neigungen gewisser Degenerierter zu pathologischen 
Einfällen (Bonhoeffer)')und zu lebhafter Phantasie (Birnbaum)-j, 
welch letztere sie zum pathologischen Lügner ausarten lassen kann, 
seien erwähnt. Natürlich gibt es je nach der Stärke der Störung 
des Seelenlebens entsprechende Abstufungen von allen möglichen 
Minderwertigkeiten, wie übrigens auf der anderen Seite die Mög¬ 
lichkeit der Regeneration besteht. Auf diese Spät- und Nachreife 
bei psychisch Minderwertigen hat speziell A. Le pp mann aufmerk¬ 
sam gemacht. 

, Von praktischer Bedeutung ist vor allem der verschieden hohe 
Grad der intellektuellen Entwicklung bei vorhandenen ethischen 
Defekten. Für die strafrechtliche Begutachtung ist es daher wesent¬ 
lich auseinanderzuhalten, ob wir es.mit rein moralisch d. i. ge¬ 
fühlsmäßig Schwachsinnigen zu tun haben, oder ob wir eine 
Kombination von moralischer Degeneration und intellektuellem 
d. h. verstandesmäßigfem Schwachsinn vor uns haben. Letzteres 
erleichtert selhstredend die strafrechtliche Begutachtung nicht un¬ 
erheblich. Bei der Kennzeichnung des Wesens und der krimi- 


') Bonhoeffer, Der patholog. Einfall. D. M. W. 1905, Nr. 38. 

’S) Birnbaum, Degenerative Phantasten. Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, 
,Bd. 64, Heft 3, S. 363. ... . . 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 35 

nellen Artung des psychopathischen Rechtsbrechers kommt es 
wie bei jedem normalen Individuum auf den Charakter an. Zu 
seiner Kenntnis gelangen wir auf dem Wege über die Gefühls¬ 
sphäre des Menschen, von ihr leitet sich das ganze seelische 
Leben'ab. Nicht zu Unrecht nennt Kurella die Erforschung der 
individuellen Aflektdispositionen das grundlegende Problem der 
Kriminalpsychologie (bei Birnbaum a. a. O. S. 30). Die Defekte 
der Gefühlsanlagen geben jenem Typus moralischer Minder¬ 
wertigkeit das Gepräge, den man bekanntlich als eine Krankheits¬ 
form eigener Art hingestellt hat und für den im Jahre 1835 von 
Prichard der Ausdruck „moral insanity“ eingeführt worden ist. 
Prichard selbst wollte unter dieser Bezeichnung jedoch lediglich 
ein Gefühlsirresein im Gegensätze zum Verstandesirresein, zur 
„intellectual insanity“, verstanden wissen, wie denn auch der Streit 
der Meinungen damit endete, in dem „moralischen Irresein“ eben 
auch nur eine besondere Entartungserscheinung, ein Kennzeichen 
degenerativer Veranlagung, zu sehen. Es ist nun durchaus nicht 
notwendig, daß sittliche Gefühlsstumpfheit allein zur Kriminalität 
ühren muß. Einmal können trotz ihrem Bestehen ausreichende 
Hemmungen, insbesondere verstandesmäßige, Zweckrriäßigkeits- 
erwägungen und Vernunftgründe von dem kriminellen Akte abr 
halten, dann aber ist zunächst nur für das Wesen ethischer 
Defektuosität wie eines jeden anderen Defektes der Ausfall sitL 
licher Triebkräfte und Hemmungen charakteristisch. Das.äußere 
Hapdeln reguliert sich sodann ohne deren Beteiligung, ohne darum 
gleich kriminell zu werden. Die Antriebe zum Verbrechen werden 
erst von vielen anderen Momenten, äußeren Einflüssen, sowie 
auch und vornehmlich von der sonstigen Charakterveranlagung 
bestimmt. Bestehen solche Wesenszüge, psychopathischer wie 
auch normaler Art, in denen eine stärkere Betätigungs-, Ent- 
ladungs- und Angriffstendenz schlummert, so erliegt das Indivi¬ 
duum um so leichter dem Antriebe, je mehr und je bestimmter 
dem Psychopathen eigne Charakterzüge sich mit dem Moraldefekte 
vereinigen, wie z. B. starker Egoismus, abnorme Großmannssucht, 
pathologische Affekte und Leidenschaften, krankhaft vermehrte Be¬ 
gierden, Triebe und ähnliche Wesenszüge von starkem Betätigungs¬ 
drang. Alsdann ist allerdings der Schritt zum unsozialen Handeln 
nur ein sehr kurzer. Und wir haben .eine Stufenleiter vor uns, 
die uns von Entgleisungen geringfügiger Art bis zur Schwelle 
perversesten Dranges zu antisozialer Betätigung schauen läßt. 
Diese letzteren Individuen, denen alle Hemmungen, fehlen, finden 

3* 



36 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


einzig in der Freude am Verbrechen ihre Befriedigung, wie solche 
Fälle, die jedoch zu den größten Ausnahmen zählen, von Lon- 
gard 1 ) in ihrer krassesten Gestalt beschrieben worden sind. Siet 
sind jener Verbreche^klasse ethisch defekter Degenerativer zuzu¬ 
rechnen, für die Lombroso die Bezeichnung des „delinquente 
nato“ geschaffen hat, den in der Tat' etwas schiefen Ausdruck, 
der mit den Lombrososchen Theorien über seinen „geborenen 
Verbrecher“ s.Zt. zu einem scharfen Meinungsaustausch geführt hat, 
der insbesondere die deutschen Irrenärzte anspornte, sich mit den Be¬ 
ziehungen zwischen Geistesstörungen und Verbrechen ins genaueste 
zu beschäftigen, bis Bleuler 2 ) in einer gründlichen und grund¬ 
sätzlichen Auseinandersetzung und Gaupp :! ) in einem sachkun¬ 
digen und klaren Überblick über den heutigen Stand der Frage 
eine Klärung der Ansichten bewirkten. Jedenfalls sind es aber die 
umfangreichen Untersuchungen Lombrosos und überhaupt der 
italienischen Schule über den geborenen Verbrecher gewesen, die 
dazu beigetragen haben, allgemein die Kriminalisten in ihren 
Studien mehr auf den Verbrecher und seine Natur zu lenken, als 
sich in allen möglichen- spitzfindigen Lehren und Regeln zu ver¬ 
lieren. Sie gaben dann mit anderen die Anregung, den längst¬ 
gehegten und lebhaft geäußerten Wunsch einer neuen Hand¬ 
habung des Strafrechts und der Strafvollstreckung zur Tat werden 
zu lassen. 

Das Kapitel der „irren Verbrecher“ sowie der „verbrecheri¬ 
schen Irren“ bildete seit längem das Sorgenkind aller zur Lösung 
der Frage berufenen fachwissenschaftlichen und gesetzgeberischen 
Kreise, wie aus den in den 80er und 90er Jahren vornehmlich 
angewachsenen Literaturerzeugnissen leicht zu ersehen ist 
(C. Moeli 4 ), A. Cramer a. a. O. Lit.T S. 19). Vor allem aber war 
es ein Teil der Strafrechtspflege, der damals bereits die Auf¬ 
merksamkeit der Irrenärzte fesselte, das war der Strafvollzug. 

Ganz besonderen Schwierigkeiten in forensischer Beziehung 
begegnen wir aber bei der Beurteilung und Berücksichtigung der 
sogenannten Grenzzustände, wie wir sie speziell bei psycho¬ 
pathisch veranlagten und zu Delikten neigenden Individuen an- 

*) Longard, Über „moral insanity“, Arch. f. Psychiatrie, Bd. 43. 

*) Bleuler, „Der geborene Verbrecher“. Verlag von J. F. Lehmann, Mün¬ 
chen 1896. 

3 ) Gaupp, Monatsschr. f. Krim.-Psychol. u. Strafrechtsreform, Bd. 1. 

4 ) C. Moeli, Über irre Verbrecher. Berlin 1888. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 37 

treffen. Über das Vorhandensein solcher Degenerierter in den 
Strafanstalten äußert sich schon im Jahre 1888 C. Moeli (a. a. O. 
S. 168) unter Hinweis auf andere Autoren in folgendem Sinne: 

„Unstreitig aber finden sich die wohlbekannten Übergangsformen 
zwischen gesunder und krankhafter Geistesbeschaffenheit, welche wir, 
analog den Abstufungen in der Entwicklung und der funktionellen 
Leistung der übrigen Körperorgane, als schwächliche, oder (vorüber¬ 
gehend) geschwächte oder kränkliche psychische Konstitutionen an- 
sehen können, gerade bei den Insassen der Strafanstalten stark ver¬ 
treten. “ 

Diese Fälle stellen Richter und Sachverständige oft vor kom¬ 
plizierte Exempla des Meinungsaustausches und der Entscheidung. 
Denn wir müssen uns immer vergegenwärtigen, daß ein ent¬ 
arteter, psychopathischer Verbrecher keineswegs schon 'gleich¬ 
bedeutend ist mit einem geisteskranken und unzurechnungsfähigen. 
Die Feststellung der Psychopathie gestattet über die Unzurech¬ 
nungsfähigkeit eines Verbrechers noch kein Urteil. Nach Er¬ 
hebung genauester anamnestischer Daten müssen wir 'die Fülle 
sämtlicher Stigmata sowie aller von außen einwirkenden Schädlich¬ 
keiten zur Klärung des psychopathologischen Zustandsbildes durch¬ 
gehen und in die Wagschale der Beurteilung hineinlegen, wir 
müssen darauf achten, ob wir lediglich einen episodisch-psycho¬ 
tischen Ausnahmezustand oder einen pathologischen Habitual- 
zustand für die Rechtsbrüche verantwortlich zu machen haben. 
Zur völlig gesicherten Diagnose geistiger Minderwertigkeit ist der 
Nachweis zu liefern, daß irgendeine Schädlichkeit endogenen 
oder exogenen Ursprungs das Seelenleben zu beeinträchtigen im¬ 
stande war. Von den im Laufe des Lebens einwirkenden Schädlich¬ 
keiten sind vornehmlich die von Bedeutung, die das in der Ent¬ 
wicklung zur Vollreife befindliche Gehirn treffen, und da ist be¬ 
sonders an akute fieberhafte Gehirnkrankheiten und schwere Kopf¬ 
verletzungen zu denken. Im Laufe des weiteren Lebens sind 
ebenfalls Kopftraumen außer dem Alkoholabusus als schwer¬ 
wiegende Ursachen in Betracht zu ziehen. Die bei der Zeugung 
wirkenden Schädlichkeiten fassen wir in dem bereits ausführlicher 
behandelten Begriffe der erblichen Belastung zusammen. Des 
weiteren ist festzulegen, in welcher Richtung sich die geistige 
Minderwertigkeit äußert, ob wir es mit einer Störung der Ver¬ 
standes-, Willens- oder Gemütstätigkeit zu tun haben. Bei 
den Psychopathen der Verstandestätigkeit sind zwei Untergruppen 
zu unterscheiden, einmal die im allgemeinen Verstandesschwachen, 



38 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


dann die nach A. Leppmanns 1 ) Vorschlag als Paranoide Be¬ 
zeichnten, worunter der Autor Personen mit krankhafter Ver¬ 
standesrichtung bei sonstiger geistiger Leistungsfähigkeit ver¬ 
steht. Bei den allgemein Verstandesschwachen tritt zuweilen 
als nennenswertes Begleitbild eine periodische Unruhe in Erschei¬ 
nung, während zu der zweiten Gruppe diejenigen zählen, deren 
Phantasie von Geburt an alle anderen Verstandesfunktionen über¬ 
wuchert. Sie bieten das Bild der Pseudologia phantastica, jener 
krankhaften Neigung zu phantastischen Erzählungen und Lügen 
bei erhaltener Besonnenheit. Auch die Verkannten, die vermeint¬ 
lichen Genies, die Fanatiker sind dieser Rubrik zuzurechnen, 
ebenso die Schwärmer, deren Bedeutung man, wie Leppmann 
hervorhebt, entschieden noch unterschätze. — Von den Minder¬ 
wertigkeiten der' Willensleistung sind am bekanntesten die Un¬ 
steten. Ferner gesellen sich die krankhaft Willenlosen, die so¬ 
genannten Abulischen, hinzu und eine Gruppe mit sonderbaren 
oder einseitigen Triebrichtungen, namentlich in sexuell abnormer 
Richtung.' Wollenberg-) weist darauf hin, daß das ungehemmte 
oft abnorm starke Triebleben sowie die lebhafte Affektbewegung 
dieser Minderwertigen leicht zu strafbaren Handlungen führe, 
ersteres vorwiegend zu perversen Sittlichkeitsverbrechen, letzteres 
besonders unter Alkoholeinfluß gelegentlich zu Wutausbrüchen 
mit nachfolgenden Gewaltakten. Eine Intoleranz gegen Alkohol 
ist derartig Affizierten überhaupt eigen. — Die Minderwertigen der 
Gefühlstätigkeit rekrutieren sich zunächst aus den krankhaft Ver¬ 
stimmten und leicht Reizbaren. Als weiteres Charakteristikum 
der meist in keinem Verhältnis zur Reaktion stehenden patholo¬ 
gischen Reizbarkeit ist speziell ihr periodenartiges Auftreten zu 
erkennen. Hierher gehören auch die jetzt in äußerster Euphorie 
Schwelgenden und bald darauf aus nichtigen oder gar keinen 
erkennbaren Anlässen in ebensolche Verzagtheit und Kleinmütig¬ 
keit fallenden Personen. Die kriminell wichtigste Untergruppe 
ist hier jedoch diejenige mit ethischer Gefühlsstumpfheit. Bru¬ 
tale Herzenskälte, jeglicher Mangel an altruistischen Gefühlen, 


*) A. Leppmann, Die gerichtl. Psychiatrie in bezug auf die Strafgesetz¬ 
gebung. Das Preußische Medizinal- und Gesundheitswesen in den Jahren 
1883—1908. Festschr. d. Preuß. Med.-Beamt.-Vereins, Fischer-Kornfeld, Berlin 
1908, S. 530. 

2 ) Wollenberg, Die Seelenstörungen bei chron. Vergiftung u. bei Neu¬ 
rosen; die geistigen Schwächezustände b. A. Hoche, Hdbch. d. ger. Psych. (Lit. 8), 
S. 705/06. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 3$ 

des geringsten Mitleids, leisester Reue, Pietät- und Lieblosigkeit 
selbst gegen die nächsten Angehörigen, gepaart mit dem krassesten 
Egoismus, sind Kennzeichen dieser Gruppe. Die Begriffe der 
Nächstenliebe, des Rechts, von Wahrheit, Ehre .und Sittlichkeit 
sind schwach oder gar nicht entwickelt oder werden lediglich von 
selbstsüchtigen Utilitätserwägungen bestimmt, demgemäß fehlen 
die höheren ästhetischen, sittlichen und religiösen Gefühle. Der 
Begriff des „moralischen Irreseins“, in dem Sinne solcher tatsäch¬ 
lich bestehender Mängel sittlichen Empfindens oder sogar eines 
völligen Ausfalls desselben genommen, ist unbestreitbar berechtigt. 
Derartige Defekte können ebenfalls auf die bei den vorbeschriebenen 
Gruppen genannte Weise von Geburt aus oder durch Schädigungen 
des Gehirns während des Lebens bedingt sein. 

Nach Darlegung der verschiedenen Zustandsbilder, denen wir 
bei der sogenannten psychopathischen Konstitution begegnen 
können, erübrigt noch ein kurzer Überblick über die allgemeinen 
Beziehungen zwischen degenerativer Veranlagung und Verbrechen, 
wobei ich mich im wesentlichen an die sehr gute Disposition 
Birnbaums (Lit. 13 S. 357ff.) halten werde. Zunächst müssen 
wir stets davon ausgehen, daß sich aus einer degenerativen Ver¬ 
anlagung durchaus nicht schon irgendwelche Neigung zu De¬ 
likten ergeben muß. Ein degenere braucht keineswegs gleich 
ein sozialer Schädling oder gar Verbrecher zu sein. Vor allem 
müssen wir uns davor hüten, in jedem kriminellen Degenerativen 
zugleich ein sittlich minderwertiges Individuum erblicken zu wollen. 
Einen bestimmten degenerativen Verbrechertypus gibt es über¬ 
haupt nicht. Entsprechend der Verschiedenartigkeit der degenera¬ 
tiven Charaktere sind die Varietäten der Verbrechertypen. Die 
im vorstehenden geschilderten drei Hauptgruppen geistiger Minder¬ 
wertigkeiten kommen selten rein, sondern meist in Mischungen 
und Übergängen vor. Die verschiedenartigen degenerativen Charakter¬ 
züge können entweder direkt oder auf Umwegen zur Übertretung 
führen. Ein wichtiges den schwächlichen Charakter beeinflussendes 
Moment ist das Milieu, in dem er sich bewegt. Die äußeren Ein¬ 
flüsse sind- beim Psychopathen oft ausschlagender für seine krimi¬ 
nelle Ausartung als der Grad der Psychopathie. Aus der Schwere 
der psychopathischen Veranlagung läßt sich keine Schlußfolgerung 
auf die Zahl und Schwere der Verbrechen ziehen. So kommt 
beispielsweise ein so schwerer Grad psychopathischer Veranlagung, 
wie die konstitutionell depressive Verstimmungsanlage, weniger 
für kriminelle Handlungen in Betracht als eine relativ so leichte. 



40 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


wie die Haltlosigkeit. Umgekehrt vom Verbrechen ausgehend, 
ist die nächstliegende Frage, ob die soziale Entgleisung bzw. das 
kriminelle Geschehen schon ausreicht, mit einer degenerativen 
Veranlagung in.Zusammenhang gebracht zu werden. Aus krimi¬ 
nellen Neigungep und erwiesenen Verbrechen allein läßt sich die 
Diagnose einer bestehenden psychopathischen Veranlagung nicht 
stellen, auch dann nicht, wenn wir es mit Rückfalls- oder gar 
Gewohnheitsverbrechern zu tun haben. Ebenso kann die Schwere 
der Kriminalität nur bedingt einen Anhalt für eine vorhandene 
psychopathische Veranlagung geben, obwohl sich gerade gewisse 
Delikte zahlreicher bei Degenerierten finden. Auch das Fehlen 
äußerer Einflüsse läßt keineswegs den Schluß auf eine endogen 
bedingte Degeneration und daraus folgende Kriminalität zu. Früh¬ 
zeitige Kriminalität, der man allerdings gerade bei degenerativen 
Naturen begegnet, kann ebenfalls nicht ohne weiteres als ein 
Stigma degenerationis angesehen werden. Denn frühzeitige Krimi¬ 
nalität und die im Zusammenhänge mit ihr sich häufig findende 
Unbeeinflußbarkeit auf erzieherische und strafende Maßnahmen 
finden sich auch bei dem normal veranlagten Verbrecher, zumal 
wenn derselbe von früher Jugend an sich in einer ungünstig be¬ 
einflussenden Umgebung befunden und von derselben gleichsam 
großgezogen worden ist und somit, wie Birnbaum (a. a. O. 
S. 359) sich ausdrückt, „fixierte kriminelle Gewohnheiten“ an¬ 
genommen hat. Verbrechen in der Familie deuten gleichfalls 
nicht auf eine hereditär-psychopathische Veranlagung und be¬ 
sondere Disposition zu degenerierter Geistesstörung hin. Der 
Unterschied zwischen degenerativen und normalen Verbrecher¬ 
typen ist überhaupt weniger in der Qualität der vorhandenen 
Eigenschaften und Charakterzüge als in der Quantität, d. h. der 
Intensität, der Ausprägung und dem Umfang zu suchen. Dennoch 
lassen sich auch beim psychopathischen Rechtsbrecher dem Durch¬ 
schnittsverbrechertum analoge Gruppen aufstellen; Aschaffen¬ 
burg spricht ja nach der kriminellen Eigenart von psychopathi¬ 
schen Gelegenheits-, Zufalls-, Gewohnheits-, Affektverbrechern usf., 
und je nach der Verbrechensart von psychopathischen Vagabunden, 
Prostituierten, Sittlichkeitsverbrechern, Dieben, Betrügern u. dgl. 
Und wie die Summation der körperlichen Stigmata, namentlich 
im Bereiche des Schädels, diagnostisch nur verwertbar ist, so 
macht eben auch die einzelne kriminelle Eigentümlichkeit noch 
lange keinen degenerierten Menschen aus, wohl aber ist das 
gleichzeitige Bestehen verschiedener oder gar zahlreicher solcher 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 41 

Züge von Belang. Bezeichnend für die degenerative Konstitution 
ist häufig ein völlig gesetzloser Krankheitsverlauf, indem plötzlich 
aus gar keinen sichtbaren oder geringfügigen Anlässen ganz epi¬ 
sodisch teils eine klinisch klar umrissene Psychose, teils eine völlig 
unklare Mischform, z. B. wie Binswanger (Lit. 3 S. 58) hervor¬ 
hebt, ein hysterischer Dämmerzustand mit katatonischem Symptomen- 
komplex emporschießt, um nach kürzerem oder längerem Bestehen 
ebenso jäh wieder unterzutauchen. Da belehren dann erst die 
Stammes- und Entwicklungsgeschichte des Patienten sowie 
der fernere Krankheitsverlauf oder, namentlich bei rück¬ 
fälligen Rechtsbrechern, das nicht zu unterschätzende Akten¬ 
material über den eigenartig episodisch psychotischen Aus¬ 
nahmezustand, der allerdings dann in der Folgezeit in/totalem 
geistigen Verfall, aber auch ebenso sich bessern oder gar in 
völliger geistiger Erholung enden kann. Dergestalte Bilder er- ' 
leichtern und erschweren alsdann mehr oder weniger dem Sach¬ 
verständigen uud dem Richter das Endurteil und die Entschei¬ 
dung. Im übrigen bleibt für die Begutachtung eben die Masse 
der Erscheinungen und Kennzeichen maßgebend, und dienen zur 
Richtschnur für die Annahme einer Entartung die Abweichungen 
vom Normaltyp, die, wie Möbius 1 ) betont, eine gewisse Größe 
erreichen, von Dauer sind und vererbt werden, und zwar in letz¬ 
terer Hinsicht entweder als solche oder allgemeiner in Form 
irgendeiner Schädigung der Nachkommenschaft zum Ausdruck 
kommen können. 

Die Unterscheidungen zwischen den ins philosophische Ge¬ 
biet fallenden Schwankungen und der „Entartung“ gehören oft 
zu den schwierigsten Problemen für den Sachverständigen wie 
auch für die endentscheidende Justiz. Und da heißt es klaren 
(nicht autosuggestiven) Blickes hinreichend Merkmale erkennen, 
welche diese Unterscheidungen bekräftigen. 

Bei den schweren Fällen mit starker Belastung und zahl¬ 
reichen körperlichen und geistigen Spuren erleichtern die intellek¬ 
tuellen Mängel meist die Beürteilung erheblich. Bei guter In¬ 
telligenz liegen die Verhältnisse nicht so einfach. Es ist sodann 
danach zu fahnden* ob und inwieweit die Beeinflussung des Han¬ 
delns von einer abnormen Reaktionsweise des Gehirns auf un¬ 
bedeutende äußere Reize ausgeht und darum als krankhaft zu 
bewerten ist. Das trifft besonders zu bei allen Affekthandlungen, 


’) Möbius, Über Entartung. Bergmann-Wiesbaden 1900. 




Dr. mEd. Fr Jos. Widmann 


4i 

in denen die Entarteten neigen, und läßt sich außer an den übrigen 
bekannten körperlichen, funktionellen, seelischen und soziologi¬ 
schen Begleiterscheinungen auch aus dem Verhalten der Erinne¬ 
rung erkennen. Ein wichtiges prädisponierendes Moment bietet 
die Alkoholintoleranz des Entarteten, die sich in einem 
etwa zur Begutachtung stehenden Falle wie bei sonstigen An¬ 
lässen seitens des Delinquenten gezeigt hat. Von besonderer 
Schwierigkeit für die forensische Beurteilung sind die infolge von 
£wangsgefühlen oder Zwangsimpulsen auftretenden Zwangs¬ 
handlungen. Für die Annahme einer solchen Handlung ist 
nicht einfach die Tatsache hinzunehmen, daß das Individuum dem 
Antriebe zu einer widerrechtlichen, strafbaren Handlung erlegen ist, 
sondern' die Gewalt des Triebes sowie die Widerstands¬ 
kraft des Individuums sind bedeutungsvoll für die Beurteilung. 
Die erstere erkennen wir oft in bestimmten Begleiterscheinungen, 
als da sind Angstempfindungen und wiederum Erinnerungsmängel, 
die letztere ist nach der ganzen Persönlichkeit in intellektueller 
und ethischer Hinsicht zu beurteilen, wobei wiederum der Anteil 
des Alkohols in Rechnung zu setzen ist. 

Der Nachweis abnormer Gefühlsbetonungen allein — so 
wichtig auch für die psychopathische Veranlagung die Feststellung 
eines pathologisch affizierten Gefühlslebens ist — dürfte für die 
Exkulpierung niemals genügen, wenn nicht ebenso wie bei den 
anderen Anomalien noch andere wesentliche krankhafte Mängel 
bestehen. Zur baldigen Erfassung des psychopathischen Charakters 
bedeutet es ja zweifellos eine wesentliche Erleichterung, wenn 
man von vornherein das Gefühlsleben zu ergründen sucht, weil 
uns die Richtung, Stärke und Verteilung der Gefühlsbetonungen 
am leichtesten zur Erschließung der psychopathischen Durch¬ 
schnittsverfassung führen. 

Aus alledem erhellt schon, wie schwierig für die Rechtspflege 
die Beurteilung und Behandlung der Rechtsbrecher psycho¬ 
pathischer Konstitution sein kann. Und das um so mehr, als im 
geltenden Recht wohl für die Unzurechnungsfähigen, aber nicht 
für die geistig Minderwertigen, zu denen die Psychopathen zu 
zählen sind, besondere Bestimmungen vorgesehen sind, die auf 
die Eigenart dieser Konstitution Rücksicht nehmen. 

Ein Kriterium für die Bewertung der rechtsverletzenden Per¬ 
sönlichkeit gibt dem Gerichtsarzte und dem Richter die bereits 
im Zusammenhänge mit verschiedenen psychopathischen Zu- 
startdsbildern erwähnte Alkoholintoleranz. Es ist dabei nicht zu 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 43 

\ 

übersehen, daß auch bei normalen Menschen, die in der Regel 
größere Alkoholmengen ohne nennenswerte Schädigung zu er : 
tragen vermögen, unter gewissen Umständen doch eine krank¬ 
hafte Reaktion eintreten kann, z. B. bei großer Hitze (Insolation, 
Hitzschlag), infolge einer Kopfverletzung (Schlag, Stoß, Fall) oder 
durch starke gemütliche Erregungen aus Gründen seelischer und 
körperlicher Erschöpfung, z. B. durch Notlagen aller Art, und aus 
ähnlichen Ursachen mehr. Alsdann vermag auch der Normale 
auf für ihn sonst indifferente Alkoholmengen mit lebhaften Er- 
regungs- und Verwirrtheitszuständen, ja selbst schweren Bewußt¬ 
seinstrübungen zu reagieren. Hübner (Lit. 9 S. 119) ist dieser 
Tatsache namentlich bei Unfallverletzten wiederholt begegnet. Bei 
dem geistig Minderwertigen ist infolge seiner Veranlagung bei 
viel geringerer Dosis die Rückwirkung eine relativ weit lebhaftere 
und gefährlichere. Die genossene Alkoholquantität und -qualität, 
Haltung, Gang, Gesichtsfarbe und'Art zu reden und sich 1 zu 
geben allein genügen jedoch nicht zur Annahme einer Bewußt¬ 
seinstrübung, auch nicht tatsächlich vorhandene Erinnerungs¬ 
beeinträchtigungen, obwohl sie natürlich gewisse beachtenswerte 
Anhaltspunkte geben. 

Die genaueste Feststellung der geistigen Verfassung zur 
Zeit der Tat eröffnet weitere Perspektiven; die seelische Labi¬ 
lität und erhöhte Beeinflußbarkeit der Psychopathen weist den 
Weg für bestimmte Nachforschungen. Von Wichtigkeit ist vor 
allem auch, das Mißverhältnis zu konstatieren zwischen Reiz, der 
oft ganz geringfügigen äußeren Veranlassung, und Reaktion. Und 
für dieses Moment gibt häufig das Verhalten des Delinquenten 
nach der Tat gewisse Handhaben. Der unbedeutende Anlaß, 
daß z. B. ein Exekutivbeamter (oder irgendeine andere Person) 
entstandene Differenzen bei einem Streite beizulegen versucht, 
reizt zu den schlimmsten Ausfällen gegen den Beamten als solchen 
und die Behörde im allgemeinen, er kann weiter zu den rohesten 
Ausschreitungen mit Zerstörungswut führen, die nicht selten auch 
in der Isolierzelle noch nicht einmal in einem terminalen Schlafe 
ein Ende finden. Tags darauf erweist sich dann die Erinnerung 
meistens als auffallend lückenhaft. 

Auf einen psychopathischen Menschen vermögen nun außer 
dieser Noxe wesentlich leichter auch noch andere, wie plötzlich 
lebhafte Gemütserregungen, starke geistige Inanspruchnahme oder 
schwere körperliche Anstrengungen, klimatische Veränderungen 
u. dgl. m. von Nachteil zu sein und ihn, der nicht im Sinne des §51 



44 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


als geisteskrank und unzurechnungsfähig, sondern im gewöhnlichen 
Leben nur als geistig minderwertig und darum nur vermindert zurech¬ 
nungsfähig zu bezeichnen ist, derart zu beeinflussen, daß er tatsächlich 
als vorübergehend unzurechnungsfähigerscheinen muß.Aschaffen- 
bürg 1 ) hat für diese Zustände den Ausdruck „partielle“ und später 2 ) 
zurVermeidung des Zusammenwerfens mit „partieller Zurechnungs¬ 
fähigkeit“ die noch klarere Bezeichnung „temporäre Unzurech¬ 
nungsfähigkeit“ geprägt. Der Autor versteht darunter, daß 
ein im allgemeinen zurechnungsfähiger Mensch difrch irgend¬ 
welche Einwirkungen vorübergehend in einen Zustand der 
Unzurechnungsfähigkeit geraten kann und bringt im besonderen 
unter diesen Begriff „psychopathische, haltlose, minderwertige 
Menschen, die im allgemeinen nicht exkulpiert werden können, 
bei denen aber das Zusammentreffen schädigender Ursachen oder 
das Vorwiegen bestimmter Vorstellungen die ohnedies verminderte 
Zurechnungsfähigkeit für eine bestimmte Handlung ausschließen“. 
Das herrschende Gesetz kennt jedoch weder temporär Unzurechr 
nungsfähige noch vermindert Zurechnungsfähige. Und es bedarf 
schon solcher, wie vorstehend geschildert, eklatanten Fälle durch 
Bewußtseinstrübungen bedingter Rechtsverletzungen, um dem 
Delinquenten, ohne den Dingen Zwang anzutun, den Schutz des 
§ 51 zuteil werden zu lassen. 

Wie ersichtlich, sind es gerade auch die Grenzzustände nach 
einem Trauma — sowohl somato- als auch psychogener Art — 
und die durch dasselbe bedingten Zustände von transitorischer 
Bewußtseinsstörung, die Reizbarkeit im Affekt, der pathologische 
Stimmungswechsel, die Verstimmungszustände, die mannigfachen. 
Klagen über allerhand körperliche Sensationen, Kopfschmerz, 
Schwindel, Angst, Rückenschmerzen, Reißen in allen Gliedern und 
die Intoleranz gegen Alkohol, die gelegentlich bei der Beurteilung^ 
in foro Schwierigkeiten machen können. Es bestehen lediglich 
Klagen dieser Art, im übrigen machen die betreffenden Kranken einen 
geistig völlig intakten Eindruck. Dem zunächst in diesen Fällen 
nicht ungerechtfertigten Mißtrauen gegen die Tatsächlichkeit solcher 
Beschwerden kann nur durch eine möglichst eingehende klinische Be- 1 
obachtung und Untersuchung, wobei auch die Anstellung von 
Alkoholversuchen zu empfehlen ist, begegnet werden. Denn es 
ist daran zu denken, daß diese Intoleranz sich oft nur kurze Zeit 

_ i 

') Aschaffen bürg, Die rechtlichen Grundlagen der ger. Psychiatrie. 
A) Strafrecht und Strafprozeß b. Hoche, S- 41 (Lit. 8). 

*) Derselbe, ebenda, 2. Aufl., 1909, S. 49. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 45 

nach dem Trauma erhält. Gelingt der Nachweis der Intoleranz, 
so ist das wertvoll, damit natüflich noch nicht bewiesen, daß ein 
Trauma vorausgegangen ist. Ist jedoch die traumatische Schädi¬ 
gung durch einwandfreie Zeugenschaft ei»wiesen, deren Aus¬ 
sagen überhaupt unter individualisierender Berück¬ 
sichtigung des Wertes des einzelnen Zeugen für die 
ärztliche Begutachtung von Wesentlichkeit sind, und finden sich 
außerdem andere psychopathische Erscheinungen, so eröffnet sich 
uns auch hier ein Weg für den Angeschuldigten, ihn unter den 
Schutz des § 51 des RStGB. zu stellen oder ihm zum mindesten 
doch mildernde Umstände zu erwirken. Allein man hüte sich 
hier, wovor Cramer warnt, generell geltende Sätze aufzustellen. 
Es ist genauestens immer auf alle Momente zu achten, welche 
bei Begehung der Tat auf das einzelne Individuum gewirkt haben, 
und auf das Verhalten desselben nach vollbrachter Tat. Birn¬ 
baum 1 )-), der die zahlreichen in Betracht kommenden-Einzel¬ 
heiten zur Sondierung der psychopathischen Persönlichkeit in 
einer besonderen Arbeit dargelegt hat, gibt in einer weiteren 
Abhandlung als bequemes Hilfsmittel zur Auffindung der psycho¬ 
pathischen Charakteranlagen und schärferen Fassung des psycho¬ 
pathischen Wesens folgende Disposition zur Hand: 1. die Fest¬ 
stellung des Durchschnittszustandes, 2. des Geisteszustandes zur 
Zeit der Tat, wobei die Beachtung des Geisteszustandes bald nach 
der Tat nicht zu vergessen ist, und 3. die strafrechtliche Zurech¬ 
nungsfähigkeit. 

Zu pathologischer Reaktionsweise genügt bei den einen ein 
Affekt, bei den anderen kommen Alkohol oder andere Gifte oder 
bei besonders dazu disponierten Individuen mit dem Fortpflan¬ 
zungsgeschäft zusammenhängende Vorgänge in Frage, oder es 
kommt — und das nicht selten — eine Kombination mehrerer 
solcher Momente vor, so daß wir alsdann ohne besonderes Kopf¬ 
zerbrechen für die Zeit der Begehung der Tat eine krankhafte 
Störung der Geistestätigkeit im Sinne des §51 annehmen dürfen. 
Auch wo wir nicht zu einem klaren Entscheid gelangen können, 
stehen dem Richter bei der lex lata bestimmte reichsgericht- 


') Birnbaum, Über psychopathische Persönlichkeiten. Bergmann-Wies- 
baden, 1909. 

s t Derselbe, Einige wichtigere Gesichtspunkte für die strafrechtliche Be¬ 
urteilung konstitutionell-psychopathischer Personen. Monatsschr. f. Krim.-Psychol. 
u. Strafrechtsreform, 7. Jahrg., 1911, S. 606/07. 



46 Dr. med. Fr. Jos. Widmann 

liehe Entscheidungen zur Seite, die dem Sachverständigen 
es ermöglichen, geeigneten Falles* allerdings unvollkommen, aus¬ 
zukommen. So hat sich eine Reichsgerichtsentscheidung 1 ) vom 
Jahre 1890 in dem Sinne ausgesprochen, daß bei berechtigten 
Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit zugunsten des Angeklagten 
zu entscheiden sei. In späteren Wahrsprüchen (Cramer a. a. O: 
S.46/47, Schultze) 2 ) hat das Reichsgericht gleiche Stellungnahme 
gezeigt. Für den Sachverständigen bleibt es die Hauptaufgabe, 
soweit der § 51 in Betracht kommt, zu entscheiden, ob ein Zü-s 
stand von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistes¬ 
tätigkeit zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlung vorhanden 
war oder nicht. Diese Entscheidung, ist manchmal unstreitig recht 
schwer, insbesondere dann, wenn das Individuum eine solche 
Handlung vornimmt, im Beginn einer für den Laien nicht be¬ 
merkbaren geistigen Störung, wie sie bei Psychopathen unter def 
Einwirkung mehr oder weniger harmloser äußerer Einflüsse leicht 
ausbrechend und ebenso rasch abklingend aufzutreten vermögeni 
Das „non liquet“ des Sachverständigen bedeutet dann jederzeit 
für ihn selbst, das Gericht und den Angeklagten einen un¬ 
befriedigenden Abschluß. Aber wer selbst als psychiatrischer 
Sachverständiger vor Gericht aufzutreten hat, weiß, daß es solche 
Kuriosa der Unklarheit gibt. Birnbaum (Lit. 13 S. 547) ver¬ 
gleicht die beim Psychopathen ungemein leicht auftretenden epi¬ 
sodischen Schwankungen, die zu einer Herabminderung der Zu- 1 
rechnungsfähigkeit führen können, mit den schnell und leicht 
wechselnden Zuständen, wie sie bezüglich der Haft- und Verhand¬ 
lungsfähigkeit bei den degenerativ-episodischen Haftzuständen und 
-psychosen gefunden werden. Wie weit diese Schwankungen 
gehen können, zeigt der letztgenannte Autor an einem seiner 
Fälle. Ich schließe dabei, wie der Autor wohl selbst, die Möglich¬ 
keit einer gerissenen Simulation und Dissimulation aus. Es 
handelte sich um einen Psychopathen, der hintereinander folgende 
Stadien durchzumachen hatte: „Im Strafgefängnis geisteskrank 
(strafvollzugsunfähig); zur Zeit der Tat (wie die Anstaltsbeobach¬ 
tung ergab) nicht geisteskrank; im Untersuchungsgefängnis geistes¬ 
krank; zur Zeit der Anstaltsbeobachtung nicht geisteskrank; im 
Termin geisteskrank (nicht verhandlungsfähig); im Untersuchungs- 


') Reichsgerichtsentscheidung, E. XXI, p. 131, Urteil des I. Strafsenats v. 
23. 10. 1890. ; 

2 ) Schultze, Entscheidungen, 1904, bei Carl Marhold-Halle. " '' 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 4 J. 

"i 

gefängnis wiederum geisteskrank (nicht haftfähig)“. AuchGöring 1 ) 
skizziert in seinem Buche über die „Gemeingefährlichkeit“ ein^n 
in dieser Hinsicht klassischen Fall (Fall 122). , 

Bei den transitorischen’Störungen, episodischen Schwankungen 
und zeitlich begrenzten Verstärkungen der Psychopathie ist es für 
die strafrechtliche Beurteilung das Wesentliche, daß diese Erschei¬ 
nungen gleichzeitig eine zeitlich entsprechend begrenzte, tempo¬ 
räre Herabminderung der Zurechnungsfähigkeit bedingen. Für 
eine bestimmte Epoche, insbesondere auch für die Zeit einer be¬ 
stimmten Straftat, kann die Zurechnungsfähigkeit eine Beschränkung 
erfahren, die dem sonstigen psychopathischen Habitualzustandenicht 
mehr entspricht. Der Grad der Herabsetzung ist natürlich wieder von 
der Stärke des episodisch-psychopathischen Augenblickszustandes 
abhängig. Steigt er, wie bei den Verstimmungs-, Erregungs-, 
pathologischen Rausch- und Dämmerzuständen bis zu einwand¬ 
freier psychotischer Höhe, so sind die Voraussetzungen für die 
Anwendung des §51 St.G.B. erfüllt. Aber mit Recht warnt hier 
Birnbaum, in solchen Fällen bei der Begutachtung schematisch 
zu verfahren. Die Begutachtung auf Zurechnungsfähigkeit oder 
Unzurechnungsfähigkeit darf nur unter gewissenhaftester Zer¬ 
gliederung des einzelnen Falles und genauester Abwägung aller 
in Betracht kommenden Momente erfolgen. An dieser Stelle sei 
beispielsweise darauf hingewiesen, daß Erinnerungsdefekte, die 
bei den Angaben der degenerativen Kriminellen eine recht er¬ 
hebliche Rolle spielen, gern vorgetäuscht werden. Und die Ent¬ 
scheidung, ob es sich um eine Vortäuschung handelt oder nicht, 
bleibt dann wohl schwierig und zweifelhaft, wenn nicht bestimmte 
pathologische Zeichen zur Seite stehen, wie sie zur Zeit der Tat 
vorhanden sind, als da sind: zerfahrenes Wesen, pathologische 
Affektanlage, Auffälligkeiten im allgemeinen Verhalten, körperliche 
und speziell nervöse Begleitsymptome u. dgl. m. Der Begutachter 
muß sich davor hüten, wegen einzelner psychopathischer Symptome, 
die schließlich einen psychopathischen Charakter zusammensetzen, 
und auf Grund dieses erwiesenen psychopathischen Charakters exkul- 
pieren zu wollen, während psychotische Ausnahmezustände, sowohl 
akute als auch chronische, jederzeit zu rechtfertigen sein werden. Die 
eigentümlichen Schwierigkeiten in der Begutachtung und Beurtei- 
teilung beginnen erst bei Bewertung der mannigfachen Abstufungen, 

') Görin g, Die Gemeingefährlichkeit in psychiatrischer, juristischer und 
soziologischer Beziehung. Julius Springer-Berlin, 1915, S. 76. . 




48 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 

r 

Kombinationen und Komplikationen. Ebendiese Fälle, die so 
verschiedenartig wie zahlreich sind, sind allerdings die häufigerem 
Für diese mannigfachen Variationen, für die es keine festen Normen 
gibt, ist die Entscheidung nach exaktfer Prüfung und Abwägung 
der-Einzelfaktoren zu treffen, zu denen neben bestimmten psycho¬ 
pathischen Zügen zunächst deren Summation und episodische 
Steigerung hinzukommen, ferner Komplikationen durch erworbene 
pathologische Symptome, eventuell Kombination mit Schwachsinn 
und allerhand innere und äußere Bedingungen, unter denen das In¬ 
dividuum zur Zeit der Tat gestanden hat. Nicht seiten kommt 
es vor, daß dem eigentlichen Ausbruch schwerer -psychotischer 
Störungen eine Reihe von mehr unbestimmten Symptomen, sogen. 
Prodromalerscheinungen, vorausgehen, und dem Sachverständigen 
alsdann die Entscheidung zufällt, ob das Vorhandensein dieser 
Erscheinungen tatsächlich schon für eine Erkrankung im Sinne 
des §51 spricht. Ferner darf nicht vergessen werden, worauf ich 
weiter unten noch zu- sprechen komme, daß es Fälle gibt, bei 
denen die Verhaftung mit ihren Aufregungen leicht eine Geistes¬ 
störung zu bewirken vermag, während zur Zeit der Tat eine 
solche sicher nicht Vorgelegen hat. Und hier bieten gerade die 
auf psychopathischer Grundlage sich entwickelnden Fälle häufiger 
Schwierigkeiten. Aus allen diesen Gründen ermahnt Sommer 1 ) 
ganz mit Recht den Sachverständigen, der „Chronologie der Ge¬ 
schehnisse“ genauestens nachzugehen und in der Reihenfolge der 
Ereignisse auch die in Betracht kommende Straftat mit einzu¬ 
beziehen, um so zu einem folgerichtigen Schlüsse auf den Kausal¬ 
zusammenhang der Tat mit einem bestimmten Geisteszustand zu 
gelangen. Es ist die Pflicht des sachverständigen Arztes, in 
allem der Berater des Richters zu sein, auch in der Frage nach 
-der Beantwortung der freien Willensbestimmung bzw. Zurech¬ 
nungsfähigkeit. Das Endurteil spricht der Richter, der in keiner 
Weise gezwungen ist, sich den ärztlichen Ausführungen anzu¬ 
schließen. Denn würde die Begutachtung des Sachverständigen 
ausschlaggebend sein, so wäre schließlich, wie Cramer mit Recht 
hervorhebt, dieser und nicht mehr der Richter der Rechtsprecher, 
was. einer Umwälzung der ganzen Strafrechtspflege gleichkäme. 
Auf der anderen Seite läßt sich die ablehnende Stellungnahme 
mancher Sachverständigen nicht billigen, die sich ausschließlich 


-b R. Sommer, Kriminalpsychologie und strafrechtliche Psychopathologie. 
Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1904, 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 49 

über Krankheit und Gesundheit des Untersuchten äußern, das 
.Urteil über den Einfluß der Krankheit aber allein dem Richter 
anheimstellen wollen, eine Stellungnahme, wie sie Schaefer 1 ) 
unter Nichtbilligung dieses schroff ablehnenden Standpunktes 
durch drei besonders krasse Fälle erläutert. Schaefer macht 
dabei für den besonderen Fall den Vorschlag, sich etwa dahin 
auszusprechen, daß der fragliche Rechtsbegriff zu kompliziert 
wäre, als daß nicht seitens des ärztlichen Sachverständigen eine 
falsche Deutung möglich wäre. Alsdann vermag der Richter 
seinerseits belehrend und ergänzend einzugreifen, wie er selbst 
dem Arzte im allgemeinen für sachgemäße Aufklärungen nur Ver¬ 
ständnis entgegenbringen wird. Darauf wird speziell von Cramer 
und anderen namhaften Autoren hingewiesen. Ich selbst habe 
in meiner Sachverständigentätigkeit die nämliche Beobachtung 
gemacht. Je intensiver Richter und ärztlicher Sachverständiger 
Zusammenarbeiten, je reichlicher sie sich ergänzen, um so er¬ 
sprießlicher das Arbeiten, um so sicherer der Rechtsspruch. Auf 
diese Weise ist den in der lex ferenda besonders und entsprechend 
bedachten Grenzfällen der gemindert Zurechnungsfähigen auch in 
der herrschenden lex lata besser gerecht zu werden. Es darf 
darum aber durchaus nicht •wundernehmen, wenn trotzdem der 
Richter sich der Sachverständigenbegutachtung in seinem Urteil 
nicht anschließt; um so weniger wird es befremdend anmuten, 
je eindringlicher man sich vor Augen hält, was alles gerade auf 
dem Gebiete, auf dem scharfe Grenzlinien nicht gezogen werden 
können, in Erwägung zu ziehen ist, und wie schwer die Ab¬ 
schätzung all der einzelnen Faktoren, die letzten Endes bei allem 
Willen zur Objektivität doch immer etwas Subjektives bleibt, sein 
kann, und wie schließlich die Sachverständigen selbst, unter ihnen 
bedeutende ihres Faches, verschiedener Ansicht sein können. 
Wenn nun auch zwischen Richter und ärztlichem Sachverständigen 
sich in strittigen, schwierigen Fällen im allgemeinen Einigungen 
erzielen lassen, so fragt es sich doch, ob einmal das Urteil und 
die etwa darauf folgende Strafvollstreckung dem Psychopathen 
und dem Rechtsbrecher in seiner Doppeleigenschaft gerecht 
wird, auf der anderen Seite aber ebenso, ob der durch ihn ge¬ 
schädigten und bedrohten Gesellschaft Genüge geleistet wird. 
Entweder erfolgt auf Grund des § 51 Freisprechung des An- 

') Senat er, Straf- und zivilrechtliche Begriffe in Sachen von Geisteskranken. 
Separ. der Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin und öffentl. Sanitätswesen. 3. Folge, 
XX, 1. 1900. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 4 



50 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


geschuldigten, und damit wird der antisoziale Exzedent von neuem 
eventuell unter Einschränkung in zivilrechtlicher Beziehung auf 
die menschliche Gesellschaft losgelassen, oder auch, er wird vor¬ 
übergehend bei nachweisbarer psychischer Störung in einer Irren¬ 
anstalt untergebracht, oder es erfolgt die Verurteilung mit darauf¬ 
folgendem Strafantritt, etwa noch unter Zubilligung mildernder 
Umstände, womit er noch früher wieder in Freiheit gesetzt wird. 

Ehe ich nun zu den ausgleichenden Vorschlägen der lex 
ferenda übergehe, möchte ich an dieser Stelle noch einige Be¬ 
merkungen einschalten über die mit der Verhaftung oder der 
folgenden Haft verbundenen psychischen Erregungen. Von älteren 
Autoren, die sich mit der Frage der Haftpsychosen beschäftigt 
und größere Arbeiten darüber veröffentlicht haben, sind zu nennen 
Delbrück 1 ), Gutsch 2 ), Reich 3 ), Kirn 4 ), Knecht 5 ) und Som¬ 
mer 6 .) Eine kurze Würdigung dieser Arbeiten ist im literar-histori- 
sehen Abriß bei Siefert 7 ) zu finden, ausführlicheren Hinweisen 
begegnen wir in Moelis „Irre Verbrecher“. 

Seit den letzten drei Dezennien betrachteten es nun die Irren¬ 
ärzte als eine ihrer wesentlichsten Aufgaben, die im Strafvollzug 
entstehenden oder während desselben deutlicher hervortretenden 
Geistesstörungen genauer zu beachten und dem allgemeinen Ver¬ 
ständnis näherzubringen. Gerade dieser Teil der Strafrechtspflege, 
der Strafvollzug, war es, der das Interesse der Psychiater in hervor¬ 
ragendem Maße erregte. Die jetzt als unumstößlich geltende 
Tatsache, daß in jeder Art Zwangsanstalt mit Naturnotwendigkeit 
geistige Erkrankungen weit häufiger entstehen, danken wir der 
grundlegenden Forschungsarbeit vor allem der bereits erwähnten 
ersprießlichen 80er und 90er Jahre. Außer den vorstehend ge¬ 
nannten Forschern gelten hier die Werke von Sander und 
Richter 8 ) und von Moeli (a. a. O.) als epochemachend. Und 
da ja die Korrektionsanstalten auch zu den Zwangsanstalten 
zählen, seien die Vagabundenanalysen Mendels und Kühns 

>) Delbrück, Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie. Bd. 14 1857, 

*) Gutsch, ebenda. Bd. 19, 1862, 

3 ) Reich, ebenda. Bd. 27, 1870. 

4 ) Kirn, ebenda. 1881 u. 89. 

*) Knecht, ebenda. 1881 u. 83. 

•) Sommer, ebenda. 1884. 

7 ) Siefert, Über die Geistesstörungen der Strafhaft. Bei Carl Marhoid, 
Halle a. S. 1907. 

e ) Sander und Richter, Die Beziehungen zwischen Geistesstörungen und 
Verbrechen. Fischer-Kornfeld, Berlin 1886. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 51 


und von neueren Arbeiten die Bonhoeffers und Wilmanns er¬ 
wähnt. Alle diese Autoren gelangen zu dem Resümee, daß die 
Irren bei weitem häufiger das Strafgesetzbuch übertreten als 
Geistesgesunde. Und es ist danach zunächst die Schlußfolgerung 
gerechtfertigt, daß unter den geistig Gesunden sich sicher noch 
eine Anzahl geistig minderwertiger Individuen befindet, die dann ihrer¬ 
seits ebenfalls einen höheren Prozentsatz an Exzedenten stellen wür¬ 
den. Man könnte nun weiter gehen und aus der Haft sich entwickelnde 
psychische Störungen unter Umständen als ein Signum einer vor¬ 
handenen Prädisposition deuten und zugunsten des Rechtsbrechers 
verwerten. Ich entsinne mich dabei der anregenden Kontroversen 
bei den Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für gericht¬ 
liche Medizin gelegentlich der Deutschen Ärzte- und Naturforscher¬ 
tagung im September 1912 zu Münster i. W. Aschaffenburg 1 ) 2 ) 
betonte damals, daß derartig bedingte psychische Erregungen bei 
prädisponierten Menschen neben anderen Formen von Psychosen 
auch Syndrome auszulösen vermögen, die einen deutlich psycho¬ 
genen Charakter tragen. Aschaffen bürg vertritt nun, teils unter 
Anziehung teils unter Widerlegung der Anschauungen anderer 
Autoren, z. B. Wilmanns Karl 3 ), Wilmanns Kurt 4 ), Sieferts 
(a. a. O.), Rüdins, Emsts 5 ), Bonhoeffers, Birnbaums u. a. 
den Standpunkt, daß weder die Entstehung dieser Zustände in 
der Haft noch ihr Schwinden nach der Enthaftung das tatsäch¬ 
liche Bestehen psychogener Entartungszustände beweisen, sondern 
daß es sich weit häufiger um Exazerbationen oder die ersten 
deutlichen Spuren der Dem. praec. handele. Die Haft gebe ihnen 
nur eine eigenartige Färbung, die sie mit den sehr viel selteneren 
psychogenen Haftpsychosen gemeinsam habe. Dem widersprach 
in der Diskussion der erfahrene Strafanstaltsarzt und -Leiter 
Pollitz. der übrigens einen m. E. nicht so ohne weiteres von 
der Hand zu weisenden Unterschied zwischen Haft- und Gefängnis¬ 
psychosen gemacht wissen will, und wies darauf hin, daß die 
eigentlichen Haftpsychosen, wie sie unmittelbar nach der Ver- 

') Aschaffenburg, Degenerationspsychosen und Dementia praecox bei 
Kriminellen. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen. 
3. Folge, 45. Bd, 1. Supplementsheft, 1913, S. 306ff. 

2 ) Derselbe, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie. XIV, S. 84. 

3 ) Wilmanns, Karl, Über Gefängnispsychosen. Halle a. S., 1908. 

4 ) Wilmanns, Kurt, Statistische Untersuch, über Haftpsychos. Allgem. 
Zeitschr. f. Psych, Bd. 67. 

s ) Rüdin, Ernst, Über die klinischen Formen der Gefängnispsychosen. 
Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 58, S. 446 


4* 



52 


Dr med. Fr. Jos. Widmann 


haftung oder wenige Wochen später eintreten, sich, wie ja auch 
Aschaffenburg, Kraepelin, Sommer und andere Autoren 
hervorheben, durch eine hochgradige plötzliche Erregung charakteri¬ 
sieren. Pollitz seinerseits hat in vielen dieser Fälle die ganze 
Serie, der vermeintlichen hebephrenischen Symptome völlig ver¬ 
schwinden sehen, so daß die Leute zur weiteren Verbüßung ihrer 
Strafe von der Irren- wieder nach der Strafabteilung zurückkommen 
konnten. Pollitz spricht diese Erscheinungen, die bei so schweren 
psychischen Insulten, wie sie eine Verhaftung darstellen, auch bei 
ganz normal veranlagten Individuen Vorkommen können, als Zu¬ 
stände hysterischer Art an. Wie dem auch sei, eins ist klar, daß 
auch in dieser Beziehung die Entwürfe eines künftigen Straf¬ 
gesetzes sowohl dem inhaftierten Normalen als auch dem in¬ 
haftierten Degenerierten, sei er nun hysterischer, psychopathischer 
öder anderer Artung, Berücksichtigung angedeihen lassen müssen. 
Rüdin 1 ) und Siefert (a. a. O.) unterscheiden scharf zwischen 
echten Psychosen und haftpsychotischen Zuständen. Nach des 
Letzteren Ansicht stehen die echten Psychosen verschiedenster Art 
nur in lockerer Beziehung, die haftpsychotischen Zustände da¬ 
gegen in engem Zusammenhänge mit den Schädlichkeiten der 
Strafhaft und sind durch Milieuwechsel leicht zu beeinflussen. 
Siefert nennt unter seinen haftpsychotischen Formen u. a. 
degenerative, phantastische und hysteriforme Entartungszustände. 
Übrigens hält Siefert die Haftpsychosen für künstlich auf- 
geztichtete „vermeidbare“ Krankheitsgebilde, die eben dann bei 
den entarteten Gewohnheitsverbrechern zu verhindern sein werden, 
wenn dieselben im frühesten Anfangsstadium der Entwicklung in 
die Hand des Psychiaters gegeben werden. Kraepelin schreibt 
mindestens die Hälfte aller dieser haftpsychotischen Fälle der 
Katatonie zu, bestreitet aber nicht schlechtweg- das Auftreten 
eigenartiger Produkte der Haft, bzw. Gefangenschaft. Auch 
Staiger 2 ) kommt auf Grund eigner Beobachtungen zu dem Er¬ 
gebnis, daß annähernd ein Drittel der geistig erkrankten Zucht¬ 
hausgefangenen Symptome bieten, die sich unter keiner der be¬ 
kannten Krankheitsformen unterbringen lassen, und daß es nahe¬ 
liege, in diesen eigenartigen, meist kurz dauernden Zuständen eine 

1 ) Derselbe, Eine Form akuten halluzinatorischen Verfolgungswahnsinns 
der Haft ohne spätere Weiterbildung des Wahns und ohne Korrektur. AUgem. 
Zeitschr. f. Psych, Bd. 60, S. 852. 

2 ) Staiger, Erfahrungen in der Behandlung geisteskranker Verbrecher. 
Monatsschr. t. Krim.-Psych. u. Strafrechtsreform. 5. Jahrg., 7. Heft, 1908, S. 428. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 53 

Schädigung durch die Haft zu sehen. Staiger betont, daß es 
aber gerade die Degenerierten, die „von Haus aus abnorm Ver- 
anlagten“, sind, die einen hohen Prozentsatz zu den Geistes-; 
Störungen der Strafhaft stellen; er selbst fand, daß fast ein Drittel 
aller internierten Fälle mit nachfolgenden psychotischen Erschei¬ 
nungen der Gruppe der psychopathisch Degenerierten zuzurechnen 
war. Ich verweise hierbei auch auf das bereits (S. 37) angeführte 
Zitat Moelis. Von Moeli stammt übrigens auch die gerade hier 
bemerkenswerte wichtige Feststellung, daß nicht die Leidem 
Schafts-, sondern die Gewohnheitsverbrecher besonders gern 
psychotisch werden. Unter den letzteren befinden sich eben 
zahlreiche Degenerierte. Birnbaum (Lit. S. 446) schreibt wört¬ 
lich: „Vielmehr lehrt die Erfahrung mit ausreichender Sicherheit: 
die Rückfälligen, die Vielbestraften, die Gewohnheitsverbrecher 
sind es vor allem, die das Gros der degenerativen Haftpsychosen 
bilden“. Aus meiner eigenen Erfahrung als Gefängnisarzt füge 
ich hinzu, daß auch ich gelegentlich bei in Untersuchungshaft be¬ 
findlichen jüngeren Personen, bei denen die Haft sich über einige 
Zeit erstreckt hat, auf Dem. praec. hinweisende Syndrome fest¬ 
stellen, mich trotzdem nicht zur Stellung dieser Diagnose ent¬ 
schließen konnte, da der Beginn mit plötzlicher innerer Unruhe 
und Erregung, der phantastische Charakter des Krankheitsbildes 
mit mehr oberflächlich anmutenden Halluzinationen und Wahn¬ 
bildern und der trotz der erkennbaren psychischen Störung nicht 
wegzuwischende Eindruck der Aggravation seitens des Erkrankten 
für die Eigenart des psychotischen Zustandes sprachen. Hier* 
mit will ich jedoch die Frage nach einer sogenannten spezifischen 
Haftpsychose offen lassen. Ich möchte mich der Ansicht Raeckes 1 ) 
anschließen, daß es sich vielfach um sogenannte Situations¬ 
psychosen handelt, um Psychosen, die aus der Situation heraus 
geboren erscheinen und wohl, was jedoch seltener ist, in chror 
nische Psychosen meist paranoischer Art übergehen können, zu¬ 
meist aber mit der Beseitigung der auslösenden Momente wieder 
verschwinden, wie das ja auch von Pollitz, Staiger u. a. betont 
wird. Sommer 2 ) (Lit. 37) fand allerdings seinerzeit eine für die 
Haft charakteristische Psychose, die von ihm als „Gefängniswahm 
sinn“ benannt wurde. 

Dem begutachtenden Arzte des Untersuchungsgefängnisses 
bleibt, wenn der Krankheitsprozeß sich bis zur Verhandlung nicht 

') Raecke, Psychiatrische Diagnostik. 4. Aufl. Hirschwald, Berlin, 1913. 
S. 122 u. 131. 



54 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


geklärt hat, in solchen Fällen nichts weiter übrig, als von dem 
§ 81 der Strafprozeßordnung Gebrauch zu machen, wobei, ich 
seitens des Gerichtes keinen Schwierigkeiten begegnet bin. Der¬ 
artige z. B. infolge heftiger gemütlicher Affektion, wie nach Ver¬ 
haftung und Verurteilung, einsetzende, bald vorübergehende Psy¬ 
chosen finden sich nach Raecke u.a. sehr leicht bei psychopathisch 
veranlagten Individuen und vermögen wohl anamnestische Hin¬ 
weise zu geben und die Beurteilung des Angeschuldigten dann 
in foro wesentlich zu erleichtern. Aber alsdann bleibt auch hier 
die Frage zu lösen: wohin mit ihnen nach erfolgtem Urteils¬ 
spruch? Ferner, was soll nach vollzogener Strafe geschehen, 
einmal den infolge seiner psychischen Anomalien leichter zur 
Rückfälligkeit neigenden Rechtsbrecher davor zu bewahren, dann 
aber auch die durch ihn bedrohte menschliche Gesellschaft zu 
schützen? Besteht der Zustand in die Verhandlung hinein, so 
wird schließlich zunächst Überweisung in eine Irrenanstalt er¬ 
folgen bis zur Genesung des Delinquenten. Und danach wird 
derselbe wieder dem Gerichte überantwortet, und es erfolgt nun die 
Verurteilung, ohne daß die Zeit des Aufenthaltes in der Irrenanstalt 
in Anrechnung gebracht würde. Wenn auch durch diese Verlängerung 
der Internierung im gegebenen Falle die menschliche Gesellschaft 
noch länger als die in Betracht kommende Strafzeit vor weiteren 
Entgleisungen des Rechtsbrechers geschützt bleibt, so erhebt sich 
doch die Frage, ob mit dieser Handhabung des Gesetzes einmal 
dem Rechtsbewußtsein als solchem, dann aber auch dem Ver¬ 
urteilten selbst gedient ist, vor allem ob in der Nichtanrechnung 
der in der Irrenanstalt verbrachten Zeit auf die Strafe nicht eine 
unbillige Härte enthalten ist. 

Erkennen wir, daß wir einen geistig minderwertigen und 
darum nur vermindert zurechnungsfähigen.Rechtsbrecher vor uns 
haben, so können wir denselben nicht ohne weiteres für seine 
Handlungen verantwortlich machen; die Bedingungen des §51 
erfüllt der Betreffende jedoch nicht, da er sich nicht in einem 
solchen Zustande befindet, durch den „die freie Willensbestim¬ 
mung ausgeschlossen“ ist. Es ist demnach lediglich der psycho¬ 
pathischen Grundlage wegen, wenn eben nicht bei Begehung der 
Tat zugleich ein Zustand „von Bewußtlosigkeit oder krankhafter 
Störung der Geistestätigkeit“ nachzuweisen ist, die Zurechnungs¬ 
fähigkeit im Sinne der Erfüllung des § 51 nicht anzuzweifeln, es 
muß somit Verurteilung erfolgen. Auf der anderen Seite ist, wie 
wir gesehen haben, das Individuum, das infolge seiner psycho- 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 55 

pathischen Veranlagung auf äußere Reize und Schädlichkeiten 
viel leichter reagiert, nicht voll für seine Handlung verantwortlich 
zu machen. Eine dem geistig Normalen gleichwertige Behand¬ 
lung in foro bliebe eine unlogische Härte. In voller Einsicht des 
Vorhandenseins dieser Zwischenglieder, die ungefähr in den letzten 
zwei Jahrzehnten klinisch sehr genau erforscht sind, deren 
Eigenart aber vom heutigen Strafgesetzbuch in keiner Weise be¬ 
rücksichtigt wird, die aber auch beweisen, daß die Grenze zwischen 
Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit oftmals keine 
scharfe ist, in voller Bewertung all dessen hat das Reichsgericht 
als oberste Instanz entschieden, daß schon bei begründeten 
Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit eines Angeschuldigten dem¬ 
selben die Wohltat des § 51 zugebilligt werden müsse. Ich bin 
an anderer Stelle bereits auf diese Reichsgerichtsentscheidungen 
eingegangen, die es dem Gerichte immerhin ermöglichen,gegebenen¬ 
falls Milde walten zu lassen. Die nachfolgende reichsmilitär¬ 
gerichtliche Entscheidung vom 23. Juli 1909 bietet wohl die weitest¬ 
gehende Handhabe hierfür: „Die Feststellung, daß eine die freie 
Willensbestimmung ausschließende geistige Erkrankung nicht nach¬ 
gewiesen sei, reicht nicht aus, um dem Angeklagten den Schutz 
des § 51 des St.G.B. zu versagen. Vielmehr ist die positive Fest¬ 
stellung erforderlich, daß ein die Voraussetzung bildender Zustand' 
nicht vorhanden war“ >). Eine Stellungnahme, die erneut in einer 
Entscheidung des Reichsgerichts vom 4. März 1910 zum Ausdruck 
kommt: „Für das Vorhandensein der Zurechnungsfähigkeit des 
Täters besteht keine gesetzliche Vermutung. Der Richter hat die 
Überzeugung von dem Vorhandensein dieser Schuldvoraussetzung 
ebenso in freier Beweiswürdigung aus dem Ergebnisse der Haupt¬ 
verhandlung zu schöpfen, wie die von dem Vorhandensein eines 
jeden anderen Tatbestandmerkmals. Es genügt nicht, daß ihm 
der Beweis der Unzurechnungsfähigkeit mißlungen scheint, sondern 
er darf nur dann verurteilen, wenn er an der Zurechnungsfähigkeit 
keinen Zweifel hat“ 2 ). Damit ist zugleich festgelegt, daß die Zu¬ 
rechnungsfähigkeit die Voraussetzung jeder Schuld bilde und 
daher, gleich jedem anderen Tatbestandsmerkmal dem Angeklagten 
nachgewiesen werden müsse. Auch die Aufgaben des Sachver¬ 
ständigen und des Richters sind durch eine Entscheidung des 

’) Reichsmilitärgerichtsentscheidung, RM.G. III, 23.7.1909,u.Allgem.Psychiatr. 
Wochenschr. 1913, S. 4. 

*) Reichsgerichtsentscheidung, RGV. 4. 3. 10, u. das Recht, 1910, Entsch. 
Nr. 1303. 



56 Dr. med. Fr. Jos. Widmann 

Reichsmilitärgerichts vom 20. 9. 1907 zum Ausdruck gebracht 1 )» 
womit sich die reichsmilitärgerichtliche Entscheidung an die Er* 
läuterung des Paragraphen in den Motiven zum Strafgesetzbuch 
hält 2 ). Die Aufgabe des medizinischen Sachverständigen ist es 
lediglich, zu untersuchen, ob eine krankhafte Störung der Geistes- 
fätigkeit bei der Begehung der Tat Vorgelegen hat oder nicht- 
während der Richter die Schlußfolgerung selbst zu ziehen hat, ob 
die freie Willensbestimmung in Beziehung auf die Handlung aus* 
geschlossen war. Bei einseitiger Auslegung dieser Definition 
könnte man schließlich zu dem Standpunkte der von Schäefer 
(a. a. O.) zitierten und kritisierten Fälle kommen, ln Praxi ist; 
wie ich bereits an anderer Stelle ansgeführt habe, die Handhabung 
freilich — und das erfreulicherweise — eine gegenseitig sich er¬ 
gänzende. Es wird sogar nicht selten Vorkommen, daß der Sach¬ 
verständige direkt von dem Richter über das Vorliegen der freien 
Willensbestimmung befragt wird, und da soll der Arzt dann nicht 
davon abstehen, den Richter sorgfältig über die geistige Verfas¬ 
sung des Delinquenten und die etwaigen sozialen Konsequenzen 
aufzuklären. Nach v. Liszts 3 ) Ansicht hat das Gutachten des 
Arztes überhaupt auf den gesamten Wortlaut des § 51 Bezug zu 
nehmen. Cr am er äußert sich dahin, daß der Arzt „moralisch 
verpflichtet“ sei, dem Richter „mit allen Mitteln zur Bildung des 
Urteils behilflich zu sein“. Die Beantwortung der Frage nach 
der freien Willensbestimmung durch den Arzt ist von Jolly 4 ) 
und von einer Reihe unserer angesehensten Psychiater 3 ) in dem 
Sinne beantwortet worden, daß das En durteil, ob der §51 in 
Anwendung zu ziehen ist oder nicht, solange unsere heutige StraP 
gesetzgebung gilt, ausschließlich von dem Richter zu erfolgen hat. 

Im allgemeinen hat mit dem Fortschreiten der psychiatrischen 
Wissenschaft besonders in der genaueren klinischen Kenntnis der 
einzelnen Krankheitsbilder und der zunehmenden Erfahrung der 
begutachtenden und beurteilenden Faktoren die Zahl der Fälle 
abgenommen, bei denen Schwierigkeiten entstehen. Immerhin 
gibt die Behandlung der Grenzfälle deren noch genug. Sie be- 


*) Reichsmilitärgerichtsentscheidung, R.M.G III. 20.7.07, u. Jahrb. 1909. S. 16 

2 ) Stenographische Berichte des Reichstages für den Norddeutscher! Bund, 
1870, III. Bd., Anlagen 1 -12, p. 55 

3 ) v. Liszt, Strafrecht. 1911, J. Guttentag, Berlin. 

*) Jolly, Über geminderte Zurechnungsfähigkeit. Allgem. Zeitschr. f. Psy¬ 
chiatrie, 1888. 

•') »Lotsen“, II. Jahrg, Heft 12, 27, 35. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 57 

stätigen immer wieder von neuem, daß auf die Dau'er ohne den 
gesetzlich anzuerkennenden Begriff der „verminderten Zurech-, 
nungsfähigkeit“ nicht auszukommen ist. Während vor drei Jahr¬ 
zehnten bei den Juristen die Versuche der Irrenärzte zur Ein¬ 
führung dieses Begriffs immer noch auf unfruchtbaren Boden 
fielen, und die Psychiater noch bei ihren Verhandlungen der 
Jahre 1887’) und 1888 2 ) resigniert davon hätten Abstand nehmen 
können, ihre Überzeugung im Gesetz praktisch verwirklicht zu 
sehen, ja die Frage auch noch bei den Verhandlungen deutscher 
Irrenärzte in Halle (1898) 3 ), wie Delbrück 4 ) in einem 1902 ge¬ 
haltenen Vortrage hervorhebt, von dem damaligen Referenten 
Wollenberg nur zaghaft in dem Sinne gestreift wurde, nicht 
quantitativ anders, einfach milder, zu strafen, sondern 
qualitativ anders zu behandeln, und der einzige damals in 
Halle anwesende Jurist (Liepmann) erklärte, die Initiative zur 
Lösung der Frage erwarte man von juristischer Seite durch die 
Psychiater, während die Dinge vor etwa 20 Jahren noch so 
standen, ist jetzt die Stellungnahme der Juristen zu der Frage 
eine weit andere entgegenkommendere geworden. Einmal mögen, 
wie bereits erwähnt, die Fortschritte der psychiatrischen Wissen¬ 
schaft und die allseitig steigende Erfahrung dazu beigetragen und 
die Aufmerksamkeit des Juristen viel mehr denn früher von dem 
abstrakten Begriffe des Verbrechens zu der Persönlichkeit des 
Verbrechers hingelenkt haben, dann aber auch wohl die Vertiefung 
in eine Reihe der alten deutschen Landesgesetzgebungen und 
fremder Gesetzgebungen. So kennen von außerdeutschen Gesetz¬ 
büchern die Strafgesetzbücher für Dänemark, Finnland, Italien, 
Norwegen, Österreich, Rußland, Schweden und die Schweiz (letztere 
im Entwurf 1903) einen Paragraphen der verminderten Zurech¬ 
nungsfähigkeit. Ebenso enthielten mit Ausnahme des Preußischen 
und der ihm nachgebildeten Strafgesetzbücher Waldecks, Olden¬ 
burgs und Lübecks neben dem Paragraphen, durch den die Zu¬ 
stände völliger Unzurechnungsfähigkeit fixiert wurden, noch be¬ 
sondere Bestimmungen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit 


’) u.'-) Verhandlungen des Deutschen Vereins für Psychiatrie, 1887 und 
1888. Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, 44, S- 461, u. 45, S. 545. 

3 ) Verhandl. d. Vereins für Psychiatrie in Halle, 1898. Allgem. Zeitschr. 
f. Psychiatrie, 56, S. 615. 

*) Delbrück, Vortrag über die vermindert Zurechnungsfähigen und deren 
Verpflegung in besonderen Anstalten. Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft, 
23. Bd., J. Guttentag, Berlin 1903. 



58 


DR. MED. Fr. Jös. WlDMANN 


alle Strafgesetzbücher der deutschen Staaten, so beispielsweise 
der § 68 des Bayerischen, § 88 des Sächsischen, Art. 98 des Würt- 
tembergischen, § 114 des Hessischen und §§ 60, 62 des Braun¬ 
schweigischen Strafgesetzbuches. Die meisten deutschen Partikular¬ 
gesetzgebungen kannten mithin bis zupi Jahre 1872, dem Inkraft¬ 
treten des R.Str.G.B., die verminderte Zurechnungsfähigkeit 
und hatten gute Erfahrungen damit gemacht. Auch in Preußen 
enthielt der ursprüngliche Entwurf für das Strafgesetzbuch des 
Norddeutschen Bundes im § 47 eine diesbezügliche Bestimmung, 
die auf Grund von Gutachten der wissenschaftlichen Deputation 
für das Medizinalwesen und der Berliner medizinisch-psychologi¬ 
schen Gesellschaft aufgenommen war; und zwar war von einem 
Zustande der Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung 
. die Rede, während der geltende § 51 nur eine völlige Ausschlie¬ 
ßung derselben kennt. Trotzdem brachte der dem Reichstag 
seinerzeit vorgelegte dritte Entwurf keine diese Zustände be¬ 
treffende Fassung. Der Bundesrat hatte die „verminderte Zu¬ 
rechnungsfähigkeit“ gestrichen, und zwar, wie in der Begründungs¬ 
rede des Berichterstatters, des Generalstaatsanwalts Dr. Schwarze 9, 
dargelegt wird, mit Rücksicht auf die in Aussicht genommene Zu¬ 
lassung der „mildernden Umstände“. Mit vollem Recht sagt aber 
Asch affenburg (bei Hoche a. a. O. S. 42): „Die mildernden Um¬ 
stände sind aber tatsächlich so ungeeignet wie möglich, den 
Fällen verminderter Zurechnungsfähigkeit gerecht zu werden.“ 
Ihrer psychischen Defektuosität wegen werden den psychopathi¬ 
schen Rechtsbrechern mildernde Umstände zugesprochen; sie 
werden, wenn sie nicht ganz straflos ausgehen, kürzere Zeit als 
normale Verbrecher bestraft, kommen aber gleich jenen hinter 
Schloß und Riegel in ein Milieu, das ihrer Eigenart in keiner 
Weise gerecht wird, und bedrohen dann nach der Entlassung nur 
noch etwas früher die menschliche Gesellschaft wieder als die 
geistig vollwertigen Delinquenten! Auch vom Gesichtspunkte des 
Juristen sieht beispielsweise der bekannte Strafrechtslehrer Kahl 2 ) 
in dieser Art der Erledigung der verminderten Zurechnungsfähig¬ 
keit in dem am 1. Januar 1872 in Kraft getretenen Str.G.B. für 
das Deutsche Reich die Unterbrechung einer bis auf die Carolina 
zurückzuverfolgenden Rechtsentwicklung. Gewiß ist es nicht un- 

’) Schwarze, Stenogr. Berichte des Reichstages des Nordd. Bundes, 1870, 
I. Bd., S. 233. 

J ) Kahl, Die strafrechtliche Behandlung der geistig Minderwertigen. Gut¬ 
achten, Febr. 1904. 



Die Bedeutung der psychopathischen. "Konstitution für die Rechtspflege 59 

richtig, wenn Cramer (a. a. O. S. 45) meint, daß ein Teil der 
Grenzfälle, sofern sie nicht von vornherein unter dem § 51 unter¬ 
gebracht werden können, unter Annahme mildernder Umstände 
Berücksichtigung zu finden vermögen. Aber präziser spricht sich 
die Schlußfolgerung Jollys (ä. a. O. S. 472) aus: „Also bei der 
großen Mehrzahl, bei nahezu dreiviertel der Fälle, ist deren An¬ 
nahme ausgeschlossen“. D. h. in den §§ 80 bis 359 des Deutschen 
Str.G.B. sind 239 einzelne Verbrechen und Vergehen aufgezählt 
und mit Strafe bedroht. Von diesen lassen 62 mildernde Um¬ 
stände zu, 177 dagegen nicht und von diesen letzteren beziehen 
sich 104 auf solche.Delikte, für die es kein Strafminimum gibt, 
und bei weiteren 29 schwankt das niedrigste Maß der Freiheits¬ 
strafe zwischen 1 Woche und 3 Monaten Gefängnis bzw. Festungs¬ 
haft. Es bleiben noch 44 Verbrechen, die, wie Mendel 1 ) betont, 
«ine Milderung des Strafmaßes nicht zulassen, und zu diesen ge¬ 
hören gerade einige der schwersten, wie Meineid, Notzucht mit 
verursachtem Tode, schwere Kuppelei, Brandstiftung, Raub, Mord, 
Totschlag, schwere Körperverletzung, also Schwerdelikte, wie wir 
ihnen neben den harmloseren Typen der Bettler und Vagabunden 
gerade bei den Degenerierten, und speziell den rückfälligen Ver¬ 
brechern, unter denen sich ja eine große Anzahl degenäres be¬ 
finden, begegnen. Birnbaum und Wilmanns 2 ) heben den 
■engen Zusammenhang zwischen Degeneration und Kriminalität 
besonders hervor; ebenso weisen van Hamei und Weber 3 ) 
darauf hin, daß gerade unter den Gemeingefährlichen eine große 
Anzahl Minderwertiger sind. Das herrschende Strafrecht und die 
Maßnahmen des Strafvollzugs können denselben sowie auch der 
von ihnen bedrohten Gesellschaft nicht in der gehörigen Weise 
gerecht werden. 

Eben das Verlangen nach Sicherungsmaßregeln gegen¬ 
über den vermindert Zurechnungsfähigen ist auch durchaus nicht 
jüngeren Datums, sondern reicht bis in die erste ^Hälfte des 
19. Jahrhunderts zurück. Bereits damals wurde die Verbindung von 
Strafe mit sichernder oder erziehender Detenfion-als „notwendig 

*) Mendel, Der ärztl. Sachverständige und der Ausschluß der freien 
Willensbestimmung des § 51 d. Deutschen Str.G.B. Vieiteljairrsscly. f. gerichtl. 
Medizin. N. F„ Bd. 44. ' 

s » Wilmanns, Die praktische Durchführbarkeit der Bestimmungen über 
die verminderte Zurechnungsfähigkeit im V. E. Monatsschr. f. Krim.-Psych. und 
Strafrechtsreform, 1911, 8, S. 136. 

3 ) Weber, Die Unterbringung geisteskranker Verbrecher und gemein¬ 
gefährlicher Geisteskranker. Ergebn. d. Neurol. und Psychiatrie, Jena 19 2. 
1, S. 497. 



60 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


erkannt und als schwieriges Problem betrachtet. In neuerer Zeit 
ist man der Lösung der Frage gewaltigen Schrittes näher gekommen, 
dank unermüdlicher Einzelarbeit, wie sie z. B. bereits die grund¬ 
legenden Vorschläge Moelis aus dem Jahre 1888 für die irren Ver¬ 
brecher und auch die gemindert Zurechnungsfähigen dokumen¬ 
tieren, dank dem gemeinsamen Vorgehen von wissenschaftlichen 
Vereinigungen, wie der Internationalen Kriminalistischen Ver¬ 
einigung, der Deutschen Juristentage, des jetzigen Deutschen Ver¬ 
eins für Psychiatrie, des Deutschen Medizinalbeamtenvereins und 
der verschiedenen forensisch-psychiatrischen Vereinigungen. 

Im Jahre 1904 hat nun Aschaffenburg auf der dritten 
Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamtenvereins zu 
Danzig die Wünsche der Gerichtsärzte bei der Revision der Straf¬ 
gesetzgebung vorgetragen. Der Widerstreit der Meinungen hat 
damals u. a. folgenden festen Gesichtspunkt für die strafrechtliche 
Behandlung der geistig Minderwertigen gezeitigt. Man einigte 
sich zunächst darüber, daß der Begriff der geminderten Zurech¬ 
nungsfähigkeit mehr umgrenzt werden müsse, um mit ihm bei 
gesetzgeberischen Maßnahmen gut operieren zu können. Die 
Begriffsbestimmung der geistigen Minderwertigkeit sollte gesetz¬ 
lich festgelegt werden. In einem Gutachten für den Deutschen 
Juristentag zu Innsbruck im Jahre 1904 wurde dieselbe von Kahl 
geschaffen und von A. Leppmann (Lit. 20) mit Rücksicht auf die 
medizinische Seite erweitert. Ihr Wortlaut ist: „Als geistig Minder¬ 
wertige im gesetzlichen Sinne sollen die Personen gelten, bei 
denen infolge wesentlicher und dauernder krankhafter geistiger 
Eigentümlichkeiten entweder das Verständnis für die Bestimmungen 
des Strafgesetzes oder die Widerstandskraft gegen strafbares Han¬ 
deln vermindert ist. — Gegen die so gekennzeichneten Personen 
sollen folgende Bestimmungen Platz greifen: 

1. Sie sollen bei allen Straftaten milder bestraft werden oder milder 
bestraft werddri "können, sowohl in bezug auf die Strafart, als in bezug 
auf die Strafdauer.^ * 2 . Die Minderwertigkeit soll auch in der Art des 
Strafvollzugs berücksichtigt werden. 3. Es soll die gesetzliche Möglich¬ 
keit geschaffen‘werden, Minderwertige, welche gemeingefährlich sind, 
d. h. deren geistige Artung bzw. deren Vorleben neue Rechtsbrüche 
nahelegt, nach Beendigung der Strafe einer Sicherheitsverwahrüng 
zu unterziehen.“ 

Über die Gestaltung dieser Fürsorge gehen die Ansichten 
noch auseinander. Von den einen werden besondere Sicherungs¬ 
anstalten empfohlen, einer zwischen Irren- und Strafanstalt stehenden 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 61 

Einrichtung, die schon bei der Frage der Unterbringung der wegen 
Geisteskrankheit Freigesprochenen und der während des Straf¬ 
vollzugs in Geisteskrankheit Verfallenen eine Rolle spielen. A.Lepp- 
mann hat sich energisch gegen diese Art Anstalten ausgesprochen, 
solange es sich um gefährliche Geisteskranke handelte, da er eine 
Differenzierung in Kranke 1. und 2. Klasse verurteilte. Die anderen 
sprechen einer Sicherung im Anschlüsse an bereits bestehende 
Fürsorgeeinrichtungen das Wort, wie z. B. an Irrenanstalten, 
Arbeits- und Korrektionshäuser, Trinkerbewahranstalten und Volks¬ 
heilstätten. Darüber, wer die Unterbringung beschließen und über 
die Dauer der Festhaltung weiter entscheiden sollte, ob das ur¬ 
sprünglich erkennende Qericht, ob ein besonderes Verwaltungs¬ 
gericht oder eine entsprechende Kommission oder Behörde, wurde 
damals keine Einigung erzielt. Jetzt geht die Ansicht der Mehrzahl 
der Autoren dahin und kommt in den Reformvorschlägen und im 
Vorentwurf zum neuen Strafgesetz zur Geltung, daß das Gericht 
künftighin selbst die Verwahrung anzuordnen hat und die Landes¬ 
polizeibehörde verpflichtet ist, für die Unterbringung zu sorgen. 
Bei den damaligen bedeutungsvollen Verhandlungert in Innsbruck 
einigte man sich jedoch darüber, daß der Arzt bei Beginn und 
Beendigung eines derartigen der Strafe folgenden Sicherungsver¬ 
fahrens weder Entscheidung noch Verantwortung übernimmt, 
sondern lediglich sachverständiger Beirat ist. Bezüglich der Ein¬ 
führung des Begriffes der geistigen Minderwertigkeit, bzw. der 
ge- oder verminderten Zurechnungsfähigkeit in das Strafrecht gibt 
es sowohl auf juristischer wie auf medizinischer Seite einzelne 
autoritative Gegner. Die Juristen, unter ihnen Birkmeyer- 
München, repräsentieren die klassische Schule und sind über¬ 
zeugte Vertreter der Vergeltungsstrafe. Sie befürchten durch die 
Einführung dieses Begriffes eine zu starke Einengung der für ihre 
Taten Verantwortlichen, und daß gleichsam der Begriff des freien 
Willens, also die Hauptvoraussetzung der Strafbarkeit immer mehr 
verloren gehe. Die Gruppe der medizinischen Gegner, an ihrer 
Spitze Reich und Longard, besorgt, daß seine Einführung für 
die wirklich Geisteskranken von Nachteil sein könnte, und zwar 
insofern, als ein Teil der geistig Gestörten, denen der § 51 zur 
Seite stehen würde, im Sinne der dann vorhandenen milderen 
Strafe verurteilt -würden. Nach Ansicht dieser Autoren ist es auch 
eine prinzipielle Ungerechtigkeit, die Minderwertigen erst zu be¬ 
strafen und nach verbüßter Strafe noch in ihrer Freiheit durch 
Sicherheitsmaßnahmen zu beschränken. 



62 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


Der Gegensatz zwischen der klassischen und modernen Rich¬ 
tung ist grundsätzlich dahin zu fassen, daß die letztere sichernde' 
Maßnahmen und im Strafvollzug individualisierende Be¬ 
handlung ergreifen will, wohingegen die erstere Rechtsstrafe 
fordert. Der V.E. zum Str.G.B. trägt in dieser Beziehung einen 
Kompromißcharakter, indem er neben der Vorbeugung 
auch noch die Vergeltung zum Ausdruck konpnen läßt. Immer¬ 
hin aber ist, wie Cr am er in den Bemerkungen zum V.E. 1 ^ 
treffend sich äußert, diesem Charakter entsprechend das Prinzip 
der absolut umgrenzten Strafen etwas durchbrochen, sowohl durch 
die vorgesehene bedingte Verurteilung als auch durch die Ab¬ 
kürzung der verfügten Strafe. 

Mir dünkt der Asch affenburg - v. Lisztsche Standpunkt 
sehr einleuchtend. Die beiden Autoren erblicken, wie wir bei 
Gretener 2 ) lesen, im Verbrechen ein Produkt von individueller 
Veranlagung und sozialem Milieu, und letzteres wird als der ent¬ 
scheidende Faktor angesehen. Mithin kann der Strafe als der 
individuellen Reaktion im Kampfe gegen das Verbrechen nur eine 
geringe Bedeutung zukommen. Demgemäß sieht v. Liszt „in 
der Rangerhöhung der vorbeugenden Maßnahmen eines der auf¬ 
fallendsten Kennzeichen der modernen Richtung“. Und gerade 
für die zwischen den Geistesgesunden und Geisteskranken stehenden 
geistig minderwertigen Gemeingefährlichen ist diese Prophylaxe 
nicht zuletzt erforderlich. Für sie liegt nach Kahl 3 ), wie Göring 
(a. a. Os S. 4) schreibt, der Grund der Gemeingefährlichkeit in der 
Tatsache der wiederholten Begehung strafbarer Handlungen oder 
in der Natur ihres chronisch krankhaften Zustandes. So richtet 
sich der englische Entwurf zur Verwahrung geistig Minderwertiger 
nur nach dem Zustande des Individuums, während das nieder¬ 
ländische Psychopathengesetz die Übertretung des Strafgesetzes 
fordert. Einen interessanten Sonderstandpunkt nimmt Kraepelin 
ein. Seine Anschauungen über Bedeutung und Wesen der Strafe 
streiten der Gesellschaft das Recht ab, von antisozialen'Mitgliedern 
bei Durchbrechung der Rechtsordnung eine dem Umfange des 

') Cramer, Bemerkungen zum V.E. des Strafgesetzbuches. Herausgegeben 
von der Justizkommission des Deutschen Vereins f. Psychiatrie: C. Moeli; 
A. Ctamer, G. Aschaffenburg, A. Hoche, J. Longard, E. Schultze, F. Vockej. 
Gustav Fischer, Jena, 1910. 

*) Gretener, Die neuen'Horizonte im Strafrecht. 10. Heft der krit. Bei¬ 
träge zur Strafrechtsreform, Leipzig 1909, VI u. 1638. 

3 ) Kahl, Die geminderte Zurechnungsfähigkeit Vergleichende Darstellung 
des deutschen und des ausländischen Strafrechts. Allgem. Teil Berlin, 1908, 1. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 63 

Schadens entsprechende Sühne zu fordern. Er hat sich daher 
bereits vor Jahrzehnten für die Abschaffung des Strafmaßes aus¬ 
gesprochen und billigt nur die Schaffung von Sicherheitseinrich¬ 
tungen in dem Sinne, daß sie die Möglichkeit bieten, durch Be¬ 
handlung die antisozialen Elemente in ihren antisozialen Neigungen 
abzuschwächen. Immerhin hat er sich den 1904 umgrenzten 
zitierten Leitsätzen in Anbetracht des gegenwärtig dominierenden 
Rechtsbewußtseins im Volke und des Standes der öffentlichen 
Meinung angeschlossen. 

Die Schaffung des Minderwertigkeitsbegriffes bedeutet vor 
allem aber für den wichtigsten Teil der Strafrechtspflege, den 
Strafvollzug, einen gewaltigen Fortschritt. Und wenn auch die 
Strafrechtsreform in der nächsten Zeit noch nicht zur Verabschie¬ 
dung kommen sollte, was zur weiteren Klärung der Anschauungen 
zwischen Juristen und Psychiatern einerseits*und jeder der beiden 
Disziplinen für sich anderseits keineswegs zu bedauern ist, so ist 
es doch bereits recht erfreulich zu sehen, daß und wie sich die 
Annäherung immer mehr vollzieht. ' 

Was den Begriff des von Cramer vorgeschlagenen Aus¬ 
drucks der „geistigen Minderwertigkeit“ als solchen angeht, so 
stieß sich Wollenberg an dem „minderwertig“, das er als all¬ 
gemeine Bezeichnung für die Grenzzustände nicht für zutreffend 
hielt. Ein Individuum mit krankhafter Affektbewegung könne nicht 
eigentlich als minderwertig bezeichnet werden, solange der Ter¬ 
minus nicht'der üblichen Bedeutung entkleidet sei. Demgegen¬ 
über erscheint er Ziemke (Lit. 69, Diskussion S. 267) recht zweck¬ 
mäßig, indem er einen medizinischen Begriff vorstelle, der zugleich 
ein Rechtsbegriff werden könne. Ich möchte den Einwand Wollen¬ 
bergs für etwas zu weit gegangen halten. Wir setzen ja dem 
Begriff „minderwertig“ bei Normalen nicht „hochwertig“ im Sinne 
einer besonderen geistigen und ethischen Höhe,. sondern „voll¬ 
wertig“ entgegen, womit wir lediglich das auf normaler geistiger 
und gemütlicher Durchschnittsverfassung stehende Individuum 
kennzeichnen wollen; und mit dem Begriffe der „Minderwertigkeit“ 
soll auch nicht gleich eine absolute, sondern höchstens eine rela¬ 
tive Verneinung (geistiger oder) moralischer Fähigkeiten aus¬ 
gesprochen werden. Wir kennen ja auch vollwertige und minder¬ 
wertige Kriminelle. 

Die Einführung des Begriffes der geistigen Minderwertigkeit 
bzw. der verminderten Zurechnungsfähigkeit, die auch bei den 
Strafvollzugsbeamten lebhaften Beifall findet, wie ein im Jahre 1915 



64 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


erschienener Aufsatz des Strafanstaltsdirektors v.Michaelis 1 ) zeigt, 
wird das Vertrauen zu den Psychiatern bei Richter und Publikum 
nur heben. Man wird sie nicht mehr in dem Sinne befangen 
wähnen, als ob sie jeden, dessen Geist nur irgendeine un¬ 
bedeutende Abweichung zeigt, sofort für unzurechnungsfähig 
hielten. Man wird sich ihnen eher anschließen, wenn sie aus¬ 
führen, daß in dem oder jenem Falle die Deviationen so zahlreich 
und umfangreich sind, daß sie die Annah me der geistigen Vollwertigkeit 
ausschließen. Und so kam denn bald nach der Tagung zu Innsbruck 
durch eine Verfügungdes Staatssekretärs des Reichsjustizamts derV.E. 
zu dem neuen R.Str.G.B. zustande. Unter Zustimmung des preu¬ 
ßischen und bayerischen Justizministers trat am 1. Mai 1906 im 
Reichsjustizamt eine Kommission von praktischen Juristen mit 
dem Aufträge zusammen, einen formulierten V.E. zu einem neuen 
deutschen Str.G.B. nebst Begründung auszuarbeiten. Der Ent¬ 
wurf stützt sich, wie Cramer 2 ) bemerkt, im wesentlichen auf das 
ausgezeichnete literarische Hilfsmittel, das ebenfalls auf Anregung 
des Reichsjustizamts von einer Anzahl von Rechtsgelehrten heraus¬ 
gegeben worden ist, und den Titel führt: „Vergleichende Dar¬ 
stellung des Deutschen und ausländischen Strafrechts“. 

Der Entwurf sieht seine Aufgabe vornehmlich in der Berück¬ 
sichtigung der praktischen Bedürfnisse und hat sich, wenn auch 
im allgemeinen auf dem Boden der sogenannten klassischen Straf¬ 
rechtsschule weiter beharrend, doch zu äußerst wichtigen, dem 
Bedürfnis der Zeit und der öffentlichen Meinung gerecht werdenden 
Zugeständnissen für die moderne Schule verstanden. Unter diesen 
Zugeständnissen heben sich die heraus, die auf die Einführung 
der bedingten Verurteilung oder, wie es im Entwurf heißt, 
der „bedingten Strafaussetzung“ und auf die Verbindung ver¬ 
schiedener, sogenannter sichernder und erzieherischer Ma߬ 
nahmen mit Strafe Bezug nehmen. Wenn sie auch den Ver¬ 
geltungsgedanken nicht ausschalten, so ist ihr Ziel auf eine 
gewisse Vorbeugung doch unverkennbar. 

Für das vorliegende Thema sind in erster Linie der § 63 des 
V.E. von Bedeutung, und zwar Absatz 2 und 3 des Paragraphen, 
ferner die §§ 65 und 76 und schließlich auch im Zusammenhang 
mit letzterem der §83. Die Paragraphen, soweit sie für unser 
Thema interessieren, lauten: 

') v. Michaelis, Groß’ Archiv, Bd. 57, S. 40. 

s ) Cramer, Bemerkungen zu dem Vorentwurf zu einem deutschen Straf¬ 
gesetzbuch. Münch, med. Wochenschrift, Nr. 7, 15. Febr. 1910, S. 363 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 65 

„Strafa-usschließungs- und Milderungsgründe. Geistige 
Mängel, § 63 Abs. 1. • Nicht strafbar, ist, wer zur Zeit der Handlung 
geisteskrank, blödsinnig oder bewußtlos war, so daß dadurch seine 
freie Willensbestimmung ausgeschlossen wurde. Abs. 2. War die freie 
Willensbestimmung durch einen der vorbezeichneten Zustände zwar 
nicht ausgeschlossen, jedoch in hohem Grade vermindert, so finden 
hinsichtlich der Bestrafung die Vorschriften über den Versuch (§76) 
Anwendung. Abs. 3. Freiheitsstrafen sind an den nach Abs. 2 Ver¬ 
urteilten unter Berücksichtigung ihres Geisteszustandes und, soweit 
dieser es erfordert, in besonderen, für sie ausschließlich be¬ 
stimmten Anstalten oder Abteilungen zu vollstrecken. 

Verwahrung in Anstalten, § 65. Wird jemand auf Grund des § 63 
Abs. 1 freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt,' oder auf Grund 
des § 63 Abs. 2 zu einer milderen Strafe verurteilt, so hat das Gericht, 
wenn es die öffentliche Sicherheit erfordert, seine Verwahrung in 
einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt anzuordnen. 

Im Falle des § 63 Abs. 2 erfolgt die Verwahrung nach verbüßter 
Freiheitsstrafe. ' 

Auf Grund der gerichtlichen Entscheidung hat die Landespolizei¬ 
behörde für die Unterbringung zu sorgen. Sie bestimmt auch über die 
Dauer der Verwahrung und über die Entlassung. Gegen ihre Be¬ 
stimmung ist gerichtliche Entscheidung zulässig. 

Die erforderlichen Ausführungsbestimmungen werden vom Bundes¬ 
rat erlassen. 

Bestrafung des Versuchs, §76. Der Versuch ist milder zu 
bestrafen als die vollendete Tat. Auch kann auf eine mildere Art der 
Freiheitsstrafe erkannt und in besonders leichten Fällen (§ 83) von 
Strafe überhaupt abgesehen werden. 

Auf Nebenstrafen und sichernde Maßnahmen kann auch neben der 
Versuchsstrafe erkannt werden.“ • 

Der § 83 bestimmt, daß das Gericht in besonders leichten Fällen 
nach freiem Ermessen die Strafe mildern und, wo dies ausdrücklich 
zugelassen ist, von einer solchen überhaupt Abstand nehmen kann. 
Ein derartiger Fall liegt vor, wenn die rechtswidrigen Folgen der Tat 
unbedeutend sind und der verbrecherische Wille des Täters nur gering 
und nach den Umständen entschuldbar-erscheint, so daß -die Anwen¬ 
dung der ordentlichen Strafe des Gesetzes eine unbillige Härte be¬ 
deutete. 

- > Von den Psychiatern wird nun mit Recht u. a. außer der 
gleichsam eine Vergewaltigung der medizinischen Terminologie 
bedeutenden, massiven Wucht der Ausdrücke „geisteskrank, blöd- 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 5 



66 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


sinnig, bewußtlos“ vor allem die Wiederkehr der „freien Willens¬ 
bestimmung“ bemängelt und an Stelle der letzteren die Wahl 
einer allgemein verständlichen, volkstümlicheren Ausdrucksweise 
gefordert. Zwar wird in den Erläuterungen zum § 63 ausdrück¬ 
lich gesagt, daß sich die Gesetzgeber in Übereinstimmung mit 
dem dominierenden Rechte einer entscheidenden Stellungnahme 
zu den Lehren vom Determinismus und Indeterminismus ent¬ 
halten, daß die Erörterungen darüber in das Gebiet der Philo¬ 
sophie und Psychologie fallen, und daß der Gesetzgeber den 
Ausdruck nicht in metaphysischem, sondern im Sinne des ge¬ 
wöhnlichen Lebens verstanden wissen will. Aber warum einen 
Ausdruck beibehalten, über den Juristen, Psychiater, Philosophen 
und Psychologen sich in allerhand Definitionen ergehen, die vom 
theoretischen Standpunkt ja sicher nicht uninteressant sind, in 
praxi aber den Begriff wegen der Möglichkeit verschiedener Aus¬ 
legung wenig brauchbar und daher zum mindesten unbequem 
machen? Der österreichische Gesetzentwurf, dessen Formulierung 
der Kahl-Leppmannschen Anregung auf der Innsbrucker 
Tagung zu danken ist, ist den in dieser Beziehung geäußerten 
Bedenken gerecht geworden und hat, wie Wollenberg 1 ) hervor¬ 
hebt, an die Stelle der freien Willensbestimmung die eigentlichen 
Komponenten der Zurechnungsfähigkeit selbst gesetzt, nämlich 
„das entsprechende Erkenntnisvermögen und die Bestimmbarkeit 
des Handelns im Sinne der Zurückhaltung gegenüber verbreche¬ 
rischen Antrieben“, oder, negativ ausgedrückt, den Mangel dieser 
Einsicht oder dieser Willensreaktion. Der Wortlaut des Para¬ 
graphen ist: * 

„Nicht strafbar ist, wer zur Zeit der Tat wegen Geistesstörung* 
Geistesschwäche öder Bewußtseinsstörung nicht die Fähigkeit besaß, 
das Unrecht seiner Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht 
gemäß zu bestimmen.“ 

Über die Vorzüge dieser Fassung haben sich namhafte psy¬ 
chiatrische Fachgelehrte und Praktiker sowie Juristen, unter letz¬ 
teren Kahl, geäußert. Ich verweise hier nur auf die in jeder 
Beziehung erschöpfenden Ausführungen Moelis, Aschaffen- 
burgs, Cramers und anderer Autoren in den bereits erwähnten 
„Bemerkungen zum Vorentwurf des Strafgesetzbuches“, die sich 
in eingehender Weise mit der den Psychiater interessierenden 

') Wollenberg, Der Vorentwurf zum deutschen Strafgesetzbuch. Verhandl. 
d. 6. Tagung d. Deutschen Gesellschaft f. gerichtl. Medizin, 3. Folge, Bd. 41. 
II. Suppiementsheft. Hirschwald, Berlin, 1911, S. 232. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 67 

Reform beschäftigen und m. E. in den einschlägigen Fragen zu 
vorzüglichen Gegenvorschlägen gelangen, auf die ich gleich noch 
des näheren eingehen werde. 

Wenn ich hier in eine Erörterung des Sorgenkindes der 
„freien Willensbestimmung“ abgeirrt bin, so darf ich es einmal 
mit der Bedeutung dieses Streitpunktes an sich entschuldigen, 
dann aber auch damit begründen, daß die freie Willfensbestimmung 
auch bei der unser Thema vornehmlich beschäftigenden Ein¬ 
führung des Begriffes der verminderten Zurechnungsfähigkeit 
wiederkehrt. Im Abs. 2 des § 63, der sich streng — eigentlich 
zu streng — an den Abs. 1 anschließt und der die Grenzzustände 
zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit berücksichtigt und 
insofern als wesentlicher Fortschritt zu begrüßen ist, wird auch 
wieder die schärfere Fixierung der in Betracht kommenden Zu¬ 
stände von dem Begriffe der freien Willensbestimmung abhängig 
gemacht, und zwar ist von einer in hohem Grade verminderten 
freien Willensbestimmung die Rede. Cramer (Lit. 64, S. 364) 
weist sehr richtig darauf hin, daß der Arzt, der seiner Disziplin 
nach zu den beschreibenden Naturwissenschaftlern gehöre, mit 
dem Begriffe eigentlich ebensowenig etwas anfangen könne wie 
der Richter, der, wie die tägliche Erfahrung lehrt, nach wie vor 
nicht selten den Sachverständigen direkt um Äußerung über die 
freie Willensbestimmung ersuchen werde, eine Frage, zu deren 
Beantwortung ein Philosoph oder Psychologe vernommen werden 
müsse. Ich will ja nicht unerwähnt lassen, daß seitens der Ex¬ 
perimentalpsychologen eifrige Forschungen zur Festlegung der 
Definition der freien Willensbestimmung betrieben werden und 
diese, wie Ach in der Diskussion bei den Verhandlungen der 
6. Tagung der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin 
(Lit. 69, S. 270/71) mitgeteilt hat, bereits zu einem Ergebnis ge¬ 
führt haben, das den Begriff im Interesse der richterlichen Funk¬ 
tionsweise zu erhalten wünscht. Hiervon abgesehen dürfte es 
aber auch in landläufiger Auffassung schwer fallen, sich unter 
einer hochgradig verminderten freien Willensbestimmung etwas 
sicher Umgrenztes vorzustellen, und mit berechtigtem Hinweis meint 
Cramer, werde von geschickten Verteidigern leicht der Versuch 
gemacht werden, im Sinne einer derartigen hochgradigen'Ver¬ 
minderung der freien Willensbestimmung zu plädieren. Jeden¬ 
falls beweisen zahlreiche andere Gesetzbücher, daß ohne diesen 
Begriff auszukommen ist. Unstreitig faßlicher ist die diesbezüg¬ 
liche Formulierung des zitierten österreichischen Paragraphen, 

5* 



68 Dr. med. Fr. Jos. Widmann 

dessen Klarheit durch die Abänderungsvorschläge Aschaffen¬ 
bur gs, F. u.A. Le pp man ns, Wollenbergs nur noch gewinnen 
kann. So ersetzt Aschaffenburg den Ausdruck „seinen Willen 
dieser Einsicht gemäß zu bestimmen“ durch „dieser Einsicht ge¬ 
mäß zu handeln“. F. Leppmann und Wollenberg (Lit. 69, 
S. 233/34) wollen aus einleuchtenden Gründen an Stelle des 
Wortes „Unrecht“ „das Unrechte oder das Gesetzwidrige, oder 
die Bedeutung seiner Tat“ gesetzt wissen. Doch das sind an 
sich belanglose Unterscheidungen. Der Wunsch Wollenbergs, 
Artur Leppmanns und Kahls, daß unser Entwurf dem öster¬ 
reichischen in dieser Hinsicht nachgebildet werde, hat sich nun 
nicht erfüllt. 

Was nun den für die lex ferenda vorgesehenen Begriff der 
verminderten Zurechnungsfähigkeit angeht, so ist zu bemerken, 
daß dieselbe in den in Betracht kommenden Paragraphen selbst 
nicht direkt zum Ausdruck kommt. Der Begriff findet sich jedoch 
an anderen Stellen, und zwar im § 70 (Freiheitsstrafen für 
Jugendliche) und in den Motiven zum Abs. 2 des § 63, wo er 
bald als ver-, bald als geminderte Zurechnungsfähigkeit auftaucht. 
Auf Seite 229 der Motive heißt es wörtlich: 

„Die Berücksichtigung der verminderten Zurechnungsfähigkeit in 
einem Strafgesetz der Zukunft ist zu einer fast allgemeinen Forderung 
der Juristen und der medizinischen Wissenschaft geworden. Danach 
sollen von den voll zurechnungsfähigen Personen solche unterschieden 
werden, deren geistiger Zustand infolge von Krankheit als unter dem 
Durchschnittsmaß befindlich einzuschätzen ist, welches für die volle 
oder regelmäßig eintretende strafrechtliche Verantwortlichkeit voraus¬ 
gesetzt wird“; 

sodann auf Seite 230: ' 

„Die Befriedigung dieses Bedürfnisses ist nur durch eine allgemeine 
Bestimmung möglich. Durch die Strafbemessung kann ihm nicht ge¬ 
nügend abgeholfen werden. Denn trotz der weitgehenden Milde in 
den Strafvorschriften des Besonderen Teiles bleiben auch nach dem 
Entwurf noch eine beschränkte Anzahl solcher Strafdrohungen übrig, 
welche' bei erhöhten Minimalstrafen mildernde Umstände nicht vorsehen 
und deshalb gegenüber gemindert Zurechnungsfähigen zu hart erscheinen 
können. Ferner aber ist nur durch eine allgemeine Vorschrift zu er¬ 
reichen, daß sich die richterliche Aufmerksamkeit in jedem einzelnen 
geeigneten Falle der Frage der geistigen Minderwertigkeit genügend 
zuwendet. Weiter ist auch nur so eine besondere Behandlung ver¬ 
mindert Zurechnungsfähiger im Strafvollzüge, sowie hinsichtlich der 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 69 

später zu erwähnenden Sicherheitsmaßregeln zu erzielen. Endlich er¬ 
heischen die fast einstimmigen Wünsche der juristischen und medizini¬ 
schen .Wissenschaft, die auf eine allgemeine Vorschrift gerichtet sind, 
Beachtung“. 

Von einer Legaldefinition der verminderten Zurechnungs¬ 
fähigkeit ist allerdings auch hier abgesehen worden. 

(Fortsetzung folgt.) 



Der Gesichtsausdruck der Leiche in kriminalistischer 

Beziehung. 

Von 

Dr. E. Hurwicz, Berlin. 


Im Jahre 1897 schrieb Jules Claretie einen Lombroso gewid¬ 
meten Roman „L’accusateur“ l ). In diesem Roman knüpft Claretie 
an die von der Pariser Gesellschaft für gerichtliche Medizin im 
Jahre 1869 untersuchte Frage an, ob die Netzhaut des Toten das 
Bild des Mörders aufbewahren und so den Beweis des Ver¬ 
brechens liefern kann. Diese Frage ist zuerst von dem Provinz¬ 
arzt Bourion angeregt worden, der auf der Photographie der Netz¬ 
haut einer i. J. 1868 ermordeten Frau den Moment festgehalten 
glaubte, wie der Mörder den Arm zum Schlage erhebt und der 
Haushund dem Opfer zu Hilfe eilt. In der genannten gelehrten 
Gesellschaft wurde aber die Photographie für ganz verschwommen 
befunden und die Frage nach der Möglichkeit einer solchen 
optischen Abbildung von ihr wie von der medizinischen Fakultät 
der Universität auch prinzipiell verneint. Claretie nimmt nun für 
sich die Freiheit des Dichters in Anspruch, diese Frage wieder 
heraufzubeschwören und in bejahendem Sinne zu lösen. Der 
Inhalt des Romans ist in wesentlicher Kürze der folgende. Im 
Jahre 1895 wird in Paris der alleinstehende Rentner Rovfcre in 
seiner Wohnung tot mit einer Messerwunde am Hals aufgefunden. 
Dem herbeigerufenen Kriminalkommissar Bernardet fallen ganz 
besonders der energische Gesichtsausdruck des Toten sowie dessen 
Augen auf, „diese unbeweglichen Augen, an denen noch keine „ 
Verglasung bemerkbar war, und die aufgerissen, entsetzt, wut¬ 
entbrannt, drohend, anklagend und von Rache beinahe belebt“ 
schienen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, photographiert 
der wissenschaftlich überhaupt interessierte Bernardet diesen Ge- 


') In deutscher Übersetzung unter dem Titel „Das Auge des Toten“ in Engel¬ 
horns Romanbibliothek, Jahrg. 15, Nr. 12, Stuttgart 1899. 



Der Gesichtsausdruck der Leiche in kriminalistischer Beziehung 71 

Sichtsausdruck und überredet seinen Chef, auch bei der Sektion 
von der Netzhaut des "Getöteten einen photographischen Abzug 
machen zu dürfen. Auch dieses zweite Bild gelingt vollkommen. 
Auf ihm ist der Schattenriß eines männlichen Kopfes mit magerem 
Gesicht, Spitzbart und ziemlich kahler Stirn mit charakte¬ 
ristischer Deutlichkeit erkennbar. Vor dem Begräbnis Rovfcres 
werden Kondolenzlisten ausgelegt und Bemardet (verkleidet als 
Angestellter der Beerdigungsgesellschaft) wird durch die Ähnlich¬ 
keit eines der Kondolenten mit dem von ihm aufgenommenen 
Bilde überrascht. Er verfolgt ihn, gibt sich schließlich zu erkennen 
und verhaftet den so durch das Auge des Toten Verratenen. 
Beim Verhör vor dem Untersuchungsrichter bestreitet der verhaftete 
Dantin, ein Freund des Ermordeten, jede Schuld, verwickelt sich 
aber immer mehr in seinen Aussagen, behauptet die Existenz 
eines Geheimnisses zwischen ihm. und dem Opfer und wird 
schließlich fast in einen traumhaften Zustand versetzt durch den 
Anblick der ihm überreichten Photographie der Netzhaut des 
Ermordeten, auf der er sich selbst zu erkennen nicht umhin kann; 
ebensowenig aber vermag er sein Alibi zu beweisen. — Der 
Kriminalkommissar Bernardet indessen, der nach Versetzung 
Dantins in Anklagezustand einen Spaziergang durch die Straßen 
macht, entdeckt plötzlich bei einem Altmöbelhändler ein Porträt, 
das ihn durch die Ähnlichkeit mit Dantin frappiert. Der Rahmen 
des Bildes ist abgebrochen. Bernardet kauft das Bild, erfährt 
nach und nach die Adresse des Verkäufers und verhaftet ihn. 
Es findet eine Gegenüberstellung des neuverhafteten Prad£s mit 
Dantin statt, bei der letzterer sein dem verstorbenen Freunde 
geschenktes Porträt wiedererkennt, im übrigen jedoch bei seinem 
Leugnen jeder Teilnahme am Verbrechen verbleibt. Pradfcs ist 
nun gezwungen, den Besitz des Porträts zu erklären, und legt 
schließlich ein Geständnis ab. Er habe von Rovere Geld erpressen 
wollen; bei dem sich hierüber entspinnenden Streit tötete er 
Rovere; den Geldschrank aufzumachen fand er keine Zeit, um 
nicht überrascht zu werden; wohl aber fiel es ihm auf, daß die 
Augen des verwundeten Roveres sich an das auf der gegenüber¬ 
liegenden Wand hängende Porträt hefteten, ja, daß Rovere seine 
letzten Kräfte sammelnd, dieses Porträt von der Wand abnahm 
und mit einem fixen, wie eine Rache vermachenden Blick betrach¬ 
tete. Prad£s empfand in diesem Augenblick, als wäre dieses Bild 
der einzige Zeuge zwischen ihm und dem Ermordeten. Und da 
außerdem der Rahmen mit, wie ihm schien, kostbaren Steinen 



72 


Dr. E. Hurwicz 


besetzt war, löste er das Bild aus den erstarrten Händen des 
Opfers und entfloh. — Nach diesem Geständnis wird Dantin in 
Freiheit gesetzt, Prad£s sieht aber seiner Aburteilung entgegen. — 
Mit der gleichen Frage beschäftigt sich auch der berühmte 
französische Gerichtsmediziner Brouardel. In einer Untersuchung 
„Les blessures et les accidents du travail“' (Paris 1906, p. 104) 
sagt er: „Le docteur Vernois a fait ä la Societe de medecine 
legale un rapport-sur la question suivante: Une personne morte 
dans la terreür peut-elle conserver sur sa retine l’image pour ainsi 
dire photogräphiee de la personne qui a commis l’attentat? Cette 
question fut etudiee par Kühne de Heidelberg; il constata que si 
l’on tuait un änimaLen lui maintenant Foeil grand ouvert et si 
Ton photographiait la retine immediatement apres, on voyait sur 
la retine une impression vague des objets voisins. II a egalement 
sacrifie des aiiimaux auxquels il faisait regarder des grilles placees 
devant des fen€tres vivement eclairees et il a trouve sur la retine 
l’impression de ces grilles. J’ai ete temoin de ces curieuses 
experiences; mais dies ne peuvent-pas nous servir en medecine 
legale, car cette impression n’est obtenue avec netiete qu’en 
obligeant l’animal ä rester les paupieres ouvertes pendant quelques 
minutes devant une fenetre vivement eclairee et en examinant la 
retine de suite >apr£s la mort. Des circonstances semblables sont 
en dehors des probabilites medicinales“. („Dr. Vernois erstattete 
der Gesellschaft für gerichtliche Medizin Bericht über die folgende 
Frage: kann eine gewaltsamen Todes gestorbene Person auf ihrer 
Netzhaut gewissermaßen das photographierte Bild der Person 
bewahren, die das Attentat begangen hat? Diese Frage wurde 
von Kühne in Heidelberg studiert; er fand, daß, wenn man ein 
Tier tötete, indem man ihm das Auge offen hielt und unmittelbar 
darauf die Netzhaut photographierte, auf der Netzhaut einen vagen 
Abriß der nahen Gegenstände zu sehen war. Er hat gleicher¬ 
weise Tiere geopfert, die er zwang, Gitter anzusehen, die vor 
stark beleuchteten Fenstern aufgestellt waren, und hat auf der 
Netzhaut einen optischen Eindruck dieser Gitter wiedergefunden. 
Ich wohnte diesen merkwürdigen Versuchen bei; sie können uns 
aber in der gerichtlichen Medizin nichts nützen; denn der optische 
Eindruck kann nur dann deutlich erhalten werden, wenn man 
das Tier zwingt, mit aufgeschlagenen Augenlidern vor einem 
stark beleuchteten Fenster zu bleiben, und die Netzhaut gleich 
nach dem Tode untersucht. Solche Umstände sind außerhalb 
der medizinischen Möglichkeit“.) 



Der Gesichtsausdruck der Leiche in kriminalistischer Beziehung 73 

Indessen stellt die behandelte Frage, gleichsam in physikalischer 
Vertiefung, nur einen Teil eines allgemeineren Problems dar, 
nämlich: ist das Gesicht des Toten ein psychophysischer 
Spiegel des dem Tode unmittelbar vorangehenden 
Zustandes? Lassen sich namentlich aus ihm Schlüsse 
auf den freiwilligen oder aber gewaltsamen Charakter 
des Todes ziehen? — Daher läßt denn auch Brouardel seinen 
oben wiedergegebenen Worten unmittelbar die folgenden, auf 
dieses Problem sich beziehenden Worte folgen: 

„Dans la description de l’apparence du cadavre, ne. laissez 
pas percer l’emotion trös naturelle qui peut vous avoir envahi et 
qui est tres vive chez les assistants. Souvent ils pensent, en 
voyant un cadavre les yeux ouverts, puisqu’on n’a pas fermes les 
paupidres, que sur ses traits se trouve exprimee la terreur qu’a 
provoquee la scene du crime. Si la rigidite cadaverique existe 
dejä, les traits ont un relief singulier, mais celui-ci ne depasse 
pas ce que l’on observe dans les cas oü il n’y a eu, dans les 
demteres minutes, aucune cause - d’effroi. N’oubliez pas en outre 
que la putrefaction, meine au debut peut notablement älterer les 
traits de la face“. 

(„Wenn man einen Leichnam mit aufgeschlagenen Augen — 
weil man ihm die Augenlider nicht geschlossen hat — sieht, 
glaubt man oft in seinen Gesichtszügen den Ausdruck des durch 
die Verbrechenszene hervorgerufenen Entsetzens wahrzunehmen. 
— Wenn die Leichenstarre bereits eingetreten, haben die Ge¬ 
sichtszüge ein eigentümliches Aussehen; genau dasselbe wird 
aber in den Fällen beobachtet, wo es in den letzten Augenblicken 
keine Ursache zum Schreck gab. — Man soll nicht vergessen, 
daß die Fäulnis schon in ihrem Beginn die Gesichtszüge erheblich 
entstellen kann“). — 

Eine konkrete Bedeutung erlangt die Frage der kriminalistischen 
Verwendung des Gesichtsausdruckes bei Selbstmordverdacht, ganz 
besonders aber bei Doppelselbstmord. Denn bei diesem letzteren 
wird ja von dem überlebenden Partner die Tötung des anderen 
gar nicht bestritten, sondern nur das Einverständnis oder sogar 
Verlangen behauptet; technische Zweifel bestehen somit nicht 
bei der Leichenschau, wohl aber solche rein psychologischer 
Natur. Daher ist hier die Versuchung, den Gesichtsausdruck des 
Leichnams als Beweisgrund heranzuziehen, wohl am größten. 
Anläßlich des in Frankreich seinerzeit berühmt gewordenen Falles 
von Doppelselbstmord, in dem der Student und Literat Chambige 



74 


Dr. E. Hurwicz 


eine verheiratete Frau G. ermordete, sich selbst aber nicht zu töten 
vermochte, übermittelt uns Tarde 1 ) die sich auf die obige Frage 
beziehende Ansicht Lacassagnes. Chambige behauptete nach 
der Tat, daß die Frau, die verheiratet war und Kinder hatte, sich 
ihm nur unter der Bedingung hingab, daß beide nachher Selbst¬ 
mord begehen sollten 2 ). Die Zeugen, die zuerst die Leiche der 
Frau erblickt haben, waren denn auch von deren ruhigem Gesichts¬ 
ausdruck überrascht. Hierüber sagt nun Tarde: „M. Lacassagne - 
me. fait observer le penchant qu’on a, en regardant le visage d’un 
mort, ä lui preter une expression imaginaire. »Pour ce qui est des 
doubles suicides — nous a-t-il ajoute — j’en ai observe un certain 
nombre, des amants qui se sont noyes ensemble apres s’etre 
ligotes, d’autres qui ont bu le poison dans un meme verre, d’autres 
qui se sont asphyxies par le charbon. J’ai en aussi ä examiner 
des assassinäts-suicides, Tarnant tue sa maitresse et se fait ensuite 
justice. Sur ces victimes ou ces epouses de la mort si j’ose dire, 
je n’ai jamais lu sur les traits du visage les traces d’une derniere 
pensee ou d’une derniere consolation.« A l’inverse et pareillement 
»j’ai observe plus de cinqnante cadavres de p,ersonnes assassinees et 
j’ai remarque que l’effroi, la terreur n’etaient nullement figes 
sur la figure«“. („Herr Lacassagne macht mich auf die Neigung 
aufmerksam, die man beim Anblick des Gesichtes eines Toten hat, 
ihm einen vermeintlichen Ausdruck zu verleihen. »Was Doppel¬ 
selbstmorde anbetrifft — hat er uns hinzugefügt — so habe ich 
ihrer eine Anzahl beobachtet, Liebespaare, die sich zusammen¬ 
gebunden ertränkt haben, andere, die aus demselben Glas Gift 
tranken, wieder andere, die sich durch Einatmung von Kohlen¬ 
dampf vergifteten. Ich hatte auch Fälle von Mord und Selbst¬ 
mord zu untersuchen, in denen der Mann seine Geliebte tötet 
und dann sich selbst richtet. Bei diesen Opfern, oder wenn ich 
so sagen darf Totesgattinen, habe ich nie die Spuren eines letzten 
Gedankens oder Trostes wahrgenommen«. Gleicherweise aber 
»habe ich auch umgekehrt bei den mehr als fünfzig Leichen ge¬ 
waltsam Ermordeter, die ich beobachtete, bemerkt, daß sich das 
Entsetzen oder die Angst in keiner Weise auf dem Gesicht aus- 
prägten«“). „Und doch — setzt Tarde seinerseits zu dem Fall der 
Frau G. hinzu — will es mir scheinen, daß die Zeugen sich nicht 
ganz geirrt haben und daß ihr Eindruck die übrigen Aussagen 

') S. Archives d’anthropologie criminelle 1889, p. 103. 

*) Ob der Koitus auch unmittelbar der Tötung voranging, ist aus der Dar¬ 
stellung des Falles nicht ersichtlich. 



Der Gesichtsausdruck der Leiche in kriminalistischer Beziehung 75 

tind Umstände eher bestätigt als widerlegt“ (die zur Annahme eines 
indirekten Selbstmordes der Frau führen). 

In der deutschen Literatur findet sich hingegen über die 
Spezialfrage, die den Gegenstand unserer Abhandlung bildet, fast 
gar nichts. Nur in Straßmanns Lehrbuch der gerichtlichen 
Medizin (1895, S. 100) findet sich gelegentlich der Sexualdelikte 
die folgende Notiz: „Albert (Henkes Zeitschr. 1843, H. 3) berichtet 
über eine 24jährige Frau, die ein junger Bursche nach langem 
Kampfe zum Beischlaf gezwungen hat, indem er ihr während des 
Aktes, um sie am Hilferufen zu verhindern, Mund und Nase zu¬ 
gehalten hatte, wodurch Erstickung eintrat. Wenn der Autor in 
diesem gewiß nicht dazu angetanen Falle „in der Physiognomie 
deutlich jene Verzückung oder Extase“ ausgesprochen fand, »die 
beim Koitus einzutreten pflegt«, und meint, „es lag in ihr der 
Ausdruck der höchsten Geschlechtslust“, so dürfte seine Phantasie 
wohl über die nüchterne Beobachtung gesiegt haben“. 

Außerdem finden wir in dem Kollektivwerk von Niceforo- 
Lindenau „Die Kriminalpolizei und ihre Hilfswissenschaften“ 
{Berlin 1908, S. 73) die folgende, wohl aber dem italienischen 
Mitverfasser gehörende, Bemerkung: „Hinsichtlich der Frage, stirbt 
ein Ermordeter mit offenen oder geschlossenen Augen? haben 
die Beobachtungen an Leichen und die Versuche an Kaninchen 
keine sicheren Resultate ergeben; immerhin erscheint die Annahme 
gerechtfertigt, daß die von einem plötzlichen Tode Überraschten 
meist mit offenen Augen sterben“. Diese Annahme wird auf die 
Doktor-These Menards „L’etat des paupieres apr6s la mort“, 
Lyon 1898 gestützt, widerspricht aber der oben angeführten rea¬ 
listischen Ansicht Brouardels über die gleiche Frage. 

Bei dieser Dürftigkeit der Deutschen Literatur über das hier 
interessierende Problem entschloß ich mich, einige Autoritäten auf 
dem Gebiete der gerichtlichen Medizin über den Gegenstand- zu 
befragen, und führe nachstehend die mir gütigst gewordenen 
Ansichtsäußerungen an: 

Herr Prof. Straßmann: „Eine Bemerkung über das Thema 
findet sich auf S. 100 meines Lehrbuchs (s. oben). Sonst ist mir 
aus unserer Literatur nichts dazu bekannt und auch eigene Be¬ 
obachtungen über einen der Situation im Tode entsprechenden 
Gesichtsausdruck an Leichen habe ich in überzeugender Weise 
nie machen können. Sie könnten wohl auch nur ausnahmsweise 
zur Wahrnehmung gelangen, da ein solcher Ausdruck doch auf 
der Zusammenziehung von Gesichtsmuskeln beruht, die im Tode 



76 


Dr. E. Hurwicz 


wieder erschlaffen, wenn nicht etwa ausnahmsweise eine sogenannte 
kataleptische Totenstarre eintritt.“ 

Herr Geh. Med. Rat A. Leppmann: „Im Laufe meines ärzt¬ 
lichen Wirkens habe ich Gelegenheit gehabt, viele Leichen teils 
eines natürlichen, teils eines gewaltsamen Totes Gestorbener zu 
sehen. Meine Meinung geht danach dahin, daß man aus dem 
Gesichtsausdruck keinerlei verwendbare Beziehungen zur Todesart 
herleiten kann.“ 

Herr Geh. Medizinalrat Dr. Hoffmann: „Ich habe im Laufe 
der Jahre doch Hunderte von Leichen gesehen und zwar Leichen 
von Personen, die eines natürlichen Todes gestorben waren, solche 
von Selbstmördern und auch solche von anderer Hand Getöteter. 
Ich.glaube, daß der’Gesichtsausdruck, den man von einer Leiche 
wahrzunehmen glaubt, oft nur auf lebhafter Phantasie beruht. Nur 
ausnahmsweise wird man etwas verzerrte oder schmerzhaft ent¬ 
stellte Züge wahrnehmen. Ich hatte früher in Halle auch eine 
große ärztliche Praxis und kann mich dort auf Fälle besinnen, wo 
Leute tatsächlich eines qualvollen, schmerzhaften Todes starben. 
Die Leichen zeigten nachher die friedlichsten Züge. Vielleicht» 
aber auch nur vielleicht ist die Bauchfellentzündung eine Aus¬ 
nahme. Wenigstens haben wir gerade bei Personen, die an dieser 
Krankheit gestorben sind, öfter etwas Schmerzhaftes in den Zügen 
zu erblicken geglaubt.“ 

Sapienti (ja eigentlich schon non sapienti) sat! Aus allem 
Vorangehenden ergibt sich zur Genüge die Unzulässigkeit 
jeder psychologischen und daher auch kriminalisti¬ 
schen Deutung des Gesichtsausdruckes eines Leich¬ 
nams. Es handelt sich jetzt nur darum, die Begründung dieses 
Satzes methodisch zusammenzufassen. 

1. Man kann hierbei wohl von einer gewissen Parallele mit 
der Physiognomik ausgehen. „Alle Versuche — sagt hierüber 
Wundt (Grundzüge der physiologischen Psychologie, 6. Aufl. 
Bd. 3, S. 268) — zwischen den Gesichtszügen eines Menschen 
und seinem Inneren gewisse Gesetze der Beziehung aufzufinden, 
leiden an dem Fehler, daß sie bleibende Verhältnisse der Form» 
die auf den Knochenbau oder anderen Eigenschaften der physischen 
Bildung beruhen, als bedeutungsvolle Symbole des geistigen 
Charakters (oder des Temperamentes) ansehen. 1 )“ — Schon bei Leb¬ 
zeiten des Menschen, mithin zurZeit des Bestehens eines organischen 

') Für die Kriminalistik erlangt diese Tatsache z. B. in der sog. Bauern¬ 
fängerei praktische Bedeutung. 



Der Gesichtsausdruck der Leiche in kriminalistischer Beziehung 77 

Zusammenhanges zwischen seinem Äußeren und Inneren, vereitelt 
das Bestehen gewisser rein anatomisch-physiologischer Eigen¬ 
schaften die psychologische Deutung der Gesichtszüge. Nun 
ist freilich die oben untersuchte Frage an sich sofern einfacher, 
als sie nur der Aufdeckung eines Zusammenhanges zwischen den 
Gesichtszügen und einem bestimmten elementaren Affekte gilt. 
Um wie vielmehr muß aber hier die „physische Bildung“ auch diesen 
Deutungsversuch vereiteln, als sie hier nicht einmal dem organischen 
Leben, sondern nur mehr dem anorganischen Gebiete physikalisch¬ 
chemischer Veränderungen angehört! In Wahrheit handelt es sich 
denn auch beim Gesichte des Toten im Grunde genommen nicht 
mehr um einen psychologischen, sondern um einen anatojnisch- 
physikalischen Gesichtsausdruck. Dies drückt wohl auch aus und 
trifft damit den Kern der Frage Straßmann, indem er sagt, daß 
ein der Situation im Tode entsprechender Gesichtsausdruck doch 
auf der Zusammenziehung von Gesichtsmuskeln beruht, diese aber 
im Tode wieder erschlaffen. Man kann also beim Leichnam 
nicht sowohl vom Gesichtsausdruck, als vom Gesichtseindruck auf 
die Überlebenden sprechen, der naturgemäß nur subjektiv, vom objek¬ 
tiven Standpunkt aus vielmehr imaginär (Lacassagne, Hoffmann) ist. 

2. Man kann also m. a. W. von einer anorganischen Änderung 
des Gesichtsausdruckes des Toten (durch die Erschlaffung der 
Gesichtsmuskeln oder die Fäulnis [Brouardel]) sprechen. Nur 
durch diese Veränderung erklärt sich die von den angeführten 
Gerichtsmedizinern beobachtete Gleichheit des Gesichtsausdruckes 
in Fällen, wo der Tod mit irgend einem Schrecken verbunden 
war, und dort, wo es nicht der Fall war (Brouardel), bei gewalt¬ 
samem und freiwilligem Tode (Lacassagne), bei qualvollem und 
schmerzhaftem, wie bei friedlichem Tode (Hoffmann). 

3. Die Verwendung der psychologischen Deutung des Gesichts¬ 
ausdrucks des Leichnams zu kriminalistischen Zwecken ist dem¬ 
nach unstatthaft. Sie ist, bei methodischer Folgerichtigkeit, nicht 
einmal in der (oben von Tarde verwendeten) komplementären 
Form, als Bestätigung sonstiger Befunde, statthaft. Denn, wenn 
man einmal dem Gesichtsausdruck des Toten überhaupt eine 
psychologische Bedeutung beizumessen neigt, kann u. U. umge¬ 
kehrt sogar ein Widerspruch zwischen letzterer und den anderen 
Beweisstücken behauptet werden, dessen Sinnlosigkeit indessen 
der oben angeführte Fall Alberts zeigt. 



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Zusammengestellt von Werner Kuhn und Robert Heindl. 

1. Januar 1917 bis 31. Dezember 1917. 

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Sexual-Politik (77 Seiten) Kl. 8 U , Friedewald-Dresden (Kurhausstr.) 1917. Verlag 
Aurora. 

2. Aschrott, P.F., Geh. Just.-R. Landger-Dir. a. D. Dr.: Die Fürsorgeerziehung 
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1917. (Gutten tausche Sammlung preuß. Gesetze, Nr. 28. Berlin, J. Guttentag.) 

3. Balcarek, Josef: Alkohol und Verbrechen. (24 S.) 1917. Nr. 14. Zeitübl. 

Streitschriften. Kl. 8°. Graz, Bischofplatz 1. Verlag „Volksheil“, Nr. 14. 

4. Bamberger, G., Justizrat: Geldstrafe statt Gefängnis ( v chriften der deutschen 
Gesellschaft f soziales Recht.) 1917. Muttgart, F. Enke. 

5. Bartsch v. Sigsfeld: Die Kosten der deutschen Justiz in Zivil- and Straf¬ 
sachen, ihre Fehler und deren Beseitigung. Stuttgart 1917. F. Enke. 

6. Baumgarten^ Franziska, Dr.: Die Lüge bei Kindern und Jugendlichen« 

Eine Umfrage in den poln. Schulen von Lodz. (III, 111 S.) 1917 Heft 15. 

Zeitschrift f. angewandte Psychologie. Herausgg. von William Stern und Otto 
Lipmann. Beihefte 15. Gr. 8°. Leipzig, Joh. Ambr. Barth. 

7. Bayerische Justizstatistik f. d. J. 1914 und 1915. Herausgg. vom K. Staats- 
ministerium der Justiz. (IIT, 54 — 05 S.) Gr. 8°. München o. J. (1917). Drucker : 
Kästner & Callwey. (München, Ch. Kaiser.) 

8. Beiträge zur Statistik des Großh. Hessen. Herausgg. v. d. großh. hess. Zentral¬ 

stelle i. d. Landesstatistik. Schriftleitung: Reg.-R. L. Knöpfei. G5. Bd., 2. Heft. 
Lex. 8°. Darmstadt, Buchh d. großh. hess. Maatsverlags. Statistik der Straf- 
und Gefangenanstalten des Großh. Hessen f. d. J. 1913, 1914 und 1915. (8 S ) 

1917. 2. Heft 

9. Blätter f. Gefängniskunde. Zeitschrift des Vereins der deutschen Strafanstalts- 
beamtcn e. V. Herausgg. von Strafanst-Vorst. Dir. Dr. Schwandner. 51. Bd. 
(158 S. m. 2 Bildnissen.) 8 Ü . Heide berg 1917. Carl Winter \ erlag. 

10. Bußmann, Rud , Dr.: Das Verbrechen am Verbrecher, i Ein Wort an jeder¬ 
mann!) ln Verbindung m. C. S. Curtius, Dr. Eugen Alexander, Dr. Ruol Uo]f t 
Dr. Sturm u. e. Verbrecher herausgg. (95 S.) Gr. 8°. Bern 1917. Akaderu. 
Buchh. von M. Drechsel. 

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Phrenologie. 2. Aufl. (17 S. m. Abb.) 1917. Nr. 37 d. Ostara, Bücherei d. 
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der Laien bei demselben. (IX, 82 S.) Kl. 8”. Freiburg i B. 1917. Geschäfts¬ 
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13. Felisch, Abteilungschef Wirkl. Geh. Adm.-R. Dr: Ein deutsches Jugendgesetz* 
(VI, 72 6.). 8°. Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn. 

14. Freud, Sigmund, Prof. Dr.: Vorlesungen z. Einführung i. d. Psychoanalyse* 

2. Heft (Schluß.) 3. Vorlesung 16—28. (Allgero. Neurosenlehre.) (VIII und 
S. 271—545.) 1917. 

15. Freud, Sigmund, Prof. Dr.: Vorlesungen z. Einführung i. d. Psychoanalyse* 
2. Heft. Vorlesung 5—15: [Der Traum.] (S. 81—270 mit 1 Tafel.) Gr. 8° 
Wien 1916. H. Heiler & Cie. 



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79 


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19. Hesse, P., leit. Arzt, San.-R. Dr.: Trinkerfürsorge, Polizei u. Staatsanwalt, 

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[Einbd.: zu d Reichs- u. Landesgesetzen.J (XLIX, 377 S) Kl. 8*. Hannover 
1917. Helwingsche Verlagsh 

21. Jung; C. G.: Die Psychologie der unbewußten Prozesse. Ein Überblick üb. 
d. moderne Theorie u. Methode der analyt. Psychologie. Herausgg. Zürich 
1917. Rascher & Cie. 

22. Kaplan, Leo: Hypnotismus, Animismus und Psychoanalyse. Wien, F. Deu- 
ticke. 1917. 

23. Köhler, August, Prof. Dr.: Deutsches Strafrecht. Allgem. Teil. (VIII, 723 S.) 
Gr. 8°. Le pzig 1917. Veit & Comp 

24. Kötscher, L. M., Dr : Kriminelle Anthropologie. (S. 711—743) Gr. 8°. 
Berlin ö. J. (19.17.) S. Karger. S.-A. aus dem Jahresbericht f. Neurologie und 
Psychiatrie, 20. Bd. 

25. Köhler, Josef, Prof.. Geh. Just.-R. Dr : Internationales Strafrecht. (XII, 276 S.) 
Lex. 8°. Stuttgart 1917. F. Enke. 

26. Lieske, Hans, Dr.: Das Problem krimineller Bekämpfung der Ansteckung 

m. Geschlechtsleiden. (24 S.) 1917. 

27. Mayer, Otto: Handbuch, Systematisches, der deutschen Rechtswissenschaft. 
Uut. Mitw. von Prof. Dr. H. Brunner heiausgg. von fr. Prof. Dr. Karl Bimiug. 
VI. Abt., 2. Bd. Gr. 8°. München. Duncker & Humblot. 

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. 2. Bd, 2. Aufl. (VI, 737 S.) 
1917. 6. Abt., 2. Bd. 

28. Mayr, Georg v., Uuterstaatssekr. z. D., Prof. Dr.: Statistik und Gesellschafts¬ 
lehre. 3. Bd. Moralstatistik m. Einschluß d. Kriminalstatistik. tSozialstatistik 

I. Teil.] 5. (Schluß-)Lfg. (VIII und S. 657 1042.) Lex 8 U . Tübingen 1917. 

J. C. B. Mohr. 

29. Meier, Hugo, Tierarzt Dr.: Hoplometrle. Grundzüge e. meth. Hufmeßkunde. 
Mit 31 Textabb., 9 Tab.. 41 Diagr. u. 2 färb. Taf. (VII, 117 S.) Gr. 8 . Berlin 
1917. Verlagsh. R. Schoetz. 

30. Meitzer, Zum Kampf gegen Unzucht und Unsittlichkeit. Dresden 1917. 
C. L. Ungelenk. 

31. Menz, August, Dr.: Rechte und Pflichten der preuß. Kriminalpolizei im 
Kampfe gegen die Verbrechen. (90 S.) Gr. 8‘ J . Berlin 1917. E. Ehering. 

32. Müller, K, Oberger.-Präs.: Zur Frage der Strafrechtseinheit. (24 S.) 1917. 
(8. Heft.) Volksbildung. Neue Folge d. „Stimmen a. d. Volksverein“. Zwang¬ 
los erscheinende Hefte. Herausgg. von Dr. A. Hättenschwiller. 8°. Luzern, 
Räter & Cie. 

33. Nagel, Karl, Jugenddezern. Gerichts-Assessor Dr.: Das Strafverfahren gegen 
Jugendliche, insbesond. d. Strafaussetzung nach der allgemeinen Verfügung 
vom 14 111 1917. [J.M.BL Nr. 11.] (V1H, 52 S) 8° Berlin 1917. München, 
H. W. Müller. 

34. Normann, Mgdr., Kammerger.-Referendar: Die Polizeigewalt. (56 S.) 8°. 
Göttingen 1916. Drucker: Dieterichsche ITniv.-Buchdr.— Göttingen, Vanden- 
hoeck & Ruprecht. (Göttinger jur. Diss. von 1916.) 

35. Das königl. Polizeipräsidium in Berlin. Mit 13 Handzeichn, von E. Pickardt 

u. Fritz Wolff (u. 3 photograph. Taf.) (94 S.) 17 X 25,5 cm. Berlin o. J* 

(1917.) A. Jandorfs Verlag. 



80 


Neuerschienene Bücher und Broschüren 


36. Rieger, Walter, Rfdr.: Der Belagerungszustand, insbes.> in seiner Bedeutg. 
f. Strafrecht u. Strafprozeß. (XIII, 145 S.) 8°. Göttingen 1916. Drucker: 
Univ.-Buchdr. v. E. A. Huth. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht. (Göttinger 
jur. Diss. von 1916. 

37. Rohden, Gustav v., Dr.: Die Prostitutionsfrage. Referat, geh. auf d. kirch¬ 
lich-sozialen Kriegstagung in Berlin, 16.—18 X. 1916. (89 S.) 1917. (Heft 53.) 

' Heft, kirchlich-soziales Nr. 53. 8°. Leipzig, A. Deichert. 

38. Rothenhäuser, O, Dr.: Bewußtlos Aufgefundene. Die Folgen ihrer 
mangelhaften Behandl. f. d. heut, recht! Verhältnisse, insbes f. d. Kranken- 
u. Unfallversicherungsgesetze vom 13. VI. 1911. (Aus dem gerichtl.-medizin. 
Institut der Universität Zürich. Direktor: Herr Prof. Dr. H. Zangger.) (58 S.) 
Gr. 8°. Zürich 1916. Speidel & Wurzel. 

39. Schmitz, Ludwig* Landger.-Präs., Geh. Oberjust.-R. fr. Abg : Die Fürsorge¬ 
erziehung Minderjähriger. Preuß. Gesetz vom 2. VII. 1900 i. d. Fassung des 
Gesetzes vom 7. VII. 1915 und der dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen, 
Erlasse, Verfügungen und Verordnungen, sowie der Fürsorge- bezw; Zwangs¬ 
erziehungsgesetze der übr. deutschen Bundesstaaten. Text-Ausg. mit Enileit. u. 
ausführl. Erläut. 5. erhebl. erw. Aufl. (XH, 608 S.) Gr. 8°. Düsseldorf o. J. 
(1917.) L. Schwann. 

40. Schneickert, Hans, Schriftsachverständ. Dr.: Leitfaden d. gerichtl. Schrift¬ 
vergleichung. Mit 9 Abb. (96 S.) Gr. 8°. Berlin 1917. J. Guttentag. 

41. Schober, G., Geh. Reg - u. Landesr. Prov.-Kommiss.: Öffentliche Jugend¬ 
fürsorge und Fürsorgeerziehung Minderjähriger in Deutschland. Fünf Vor¬ 
lesungen im Fachhochschulkursus f. Wirtschaft u. Verwaltung [in Anlehnung an die 
Universität Breslau.] (XVI. 138 S.) Kl. 8°. Breslau 1917. W. G. Korn. 

42. Schultz, J. H., Priv.-Do^. Assist.-Arzt Dr : S. Freud’s Sexual-Psychoanalyse. 
Krit. Einführung f. Gerichtsärzte, Ärzte, Laien. Mit e. Vorwort von Geh. Rat 
Prof. Dr. O. Binswanger. (40 S.) Gr. 8°. Berlin 1917. S. Karger 

43. Sommer, Rob, Geh-R. Prof. Dr.: Über Familienähnlichkeit. (96 S ) 1917. 
(11. Bd.) ex Urania-Bücherei. (KinaSammlg. leichtverständl. Einzeldarstellgn. aus 
d. verschi#*densien Zweigen d. Wissens u. Schaffens.) (Herausgg. v. d. Volks¬ 
bildungshaus Wiener Urania ) Kl. 8°. Wien, Volksbildungshaus Wiener Urania. 
— Wien, Waldheim Eberle in Komm. 

44. Starck, Frhr. W v., Sittlichkeitsbundes Geschäftsführer: Das Kino — Volks- 
verführer oder Volkserzieher? (16 S.) Kl. 8<\ Nowawes o. J. (1917.) Buch 
des Weißen Kreuzes. — (Durch H. G. Wallmann, Leipzig.) 

45. Stöckmann, W., Rechtsanw.,-Studie: Über Kausalität u. Verantwortung im 
Strafrecht nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung. (VI, 50 S.) Gr. 8°. 
Göttingen 1917. F. Kronbauer. 

46. Strafella, Franz Georg, Dr.: Der sozial Primitive. (Die Hilfsmittel des Ver¬ 
brechers und das Primitive an ihm ) Mit 73 Abb. (III, 72 S ) Leipzig 1917. 
F. C. W. Vogel. 

47. Többen, Heinr., Doz. Dr.: Beiträge zur Psychologie u. Psychopathologie der 
Brandstifter. (IV, 105 S.) Berlin 1917. Julius Springer. 

48. Tram er, M, Irrenarzt Dr.: Vaganten, Vortrag, geh. auf der Hauptversamm¬ 
lung des bern. Hilfsvereins f..Geisteskranke am 23. V. 1917. (19 S.) Gr. 8°. 
Bern 1917. A. Francke. 

49. Trommershausen, Prof. Dr.: Welche alkoholgegner. Maßnahmen d. Be¬ 
hörden in d. Kriegszeit haben sich bewähit und in welchem Umfange lassen 
sich diese in d. Zeit nach d. Kriege übertragen? (28 s.) Gr. 8°. Berlin o. J. 
(1916) Mäßigkeits-Verlag. S. A. a. d. Z.: Die Alkoholfrage, 12. Jh. 

50. Verhandlungen des Schweiz. Vereins f. Straf-, Gefängniswesen und Schutz¬ 
aufsicht im Septbr. 1917 in Luzern. Gr. 8°. Aarau, H. R. Sauerländer & Co. 
Vereinsversammlung, 28., u. 50 jähr. Jubiläumsfeier. (III, 107 S.) 1917. Franzos. 
Ausg. (III, 96 S.) 

51. Verzeichnis, Alphabetisches, der noch nicht erledigten Steckbriefe und Aus¬ 

schreiben, welche seit Herausgabe d. deutschen Fahndungsblattes im J. 1899 
bis Ende Dezbr. 1916 in diesem veröffentlicht sind. Herausgg. v. d. Schrift-, 
leitung d. deutschen Fahndungsblattes zu Berlin. 12rJahrg. (771 S.) Xl. ; 8‘V 
Berlin 1917. Drucker: A. W. Hayns Erben. — Berlin (C. 2, Molke^markfcl), 
Schriftleitg. d.; deutschen F|iudungsblattes. * «^ 



Neuerschienene Bücher und Broschüren 


81 


52. Wolzendorff, Kurt: Der Polizeigedanke des modernen Staats. (Abhand¬ 
lungen aus dem Staats- u. Verwaltungsrecht.) Breslau 1918. M. & H. Marcus. 

53. Wulff, Erwin: Wie werde ich Detektiv? Eiö Lehr- u. Handbuch. (127 S.) 
8°. Dresden 1917. Rudolphsche Verlagsh. 3. Aufl. (IV, 159 S.) 8°. Dresden 
1918. Rudolphsche Verlagsh. 

54. Wulffen, Erich: Psychologie des Giftmordes. (87 S.) 1917. (6. Bd.) ex 
Uraniabücherei. (Eine Sammlg. leichtverständl. Einzeldarstellgn. aus d. verschie¬ 
densten Zweigen d. Wissens u. Schaffens.) (Herausgg. v. d. Volksbildungshaus 
Wiener Urania.) Kl. 8°. Wien, Volksbildungshaus Wiener Urania. — Wien, 
Waldheim^Eberle in Komm. 

56. Zeitschrift für Polizei- und Verwaltungs-Beamte. Organ für Kreisausschtisse, 
Magistrate, Polizeiverwaltungen, Distriktskommissarien, Amtmänner, Landbürger¬ 
meister, Amts-, Gemeinde- und Gutsvorsteher. Herausgg. u. red. v. Wirkl. Geh. 
Ober-Reg.-R. Präs. Dr. Georg Kautz. 25. Jg. 1917. 36 Nrn. (Nr. 1: 16 S.) 
Lex. 8°. Berlin-Wilmersdorf, Dr. W. Rothschild. 


1. Januar 1918 bis 31. Dezember 1918. 

1. Bresler: Wichtige Entscheidungen auf dem Gebiete d. gerichtl. Psychiatrie. 
15. Folge. Aus der Literatur d. J. 1916 u. 1917 zusammengest. v. San.-R. Dr. 
Bresler. (40 S.) 8°. Halle 1918. C. Marhold. 

2. Erismann. Angewandte Psychologie. Sammlung Göschen Nr.’ 774. 
Leipzig 1917. 

3. Felisch, Abt.-Chef Wirkl. Geh. Adm.-R. Dr.: Neuordnung d. Menschenliebe. 
(Jugendpflege.) (VJ, 167 g.) 8°. Berlin 1918. E. S. Mittler & Sohn. 

4. Fischer, Herrn.: Die traumat. Apoplexia cerebri vor Gericht. Sammlg. klin. 
Vorträge. Leipzig 1918. Joh. Ambr. Barth. 

5. Forel, August, Prof. Dr.: Über die Zurechnungsfähigkeit des normalen 
Menschen. Ein Vortrag geh. i. d. Schweiz. Gesellsch. f. eth. Kultur in Zürich. 
7. Aufl. (27 S.) Gr. 8°. München 1918. E. Reinhardt. 

6. Forel, August, ge wes. Prof. Irrenanst.-Dir. Dr.: Dej; Hypnotismus oder die 
Suggestion u. d Psychotherapie. Ihre psycholog., psychophysiolog. u. medizin. 
Bedeutung m. Einschluß d. Psychoanalyse, sowie der Telepathiefrage. Ein 
Lehrbuch f. Studierende sowie f. weitere Kreise. 7. umgeb. Aufl. (VIII, 355 S.) 
Lex. 8. Stuttgart 1918. F. Enke. 

7. Fürst, Bruno, Dr.: Die Bedeutung des Hypnotismus f. Strafrecht u. Straf¬ 
prozeß. Vortrag, geh. in der n Jurist. Gesellschaft“ zu Frankfurt a. M. (31 S.) 
Gr. 8°. Frankfurt a. M. o. J. (1918). Kesselringsche Hofbuchh. S.-A. a. d. 
Frankfurter Rundschau. 1917/18. 

8. Der Gendarm. Zeitschrift f. Gendarmerie, -dienst und -wesen, m. d. Beil. 
Der Polizeihund u. Die prakt. Gendarmenfrau. Herausgg.: Deutsche Staats 
bürger- u. Beamtenschule Berlin. Hauptschriftleiter: Kommiss.-R. Rob. Gersbach 
Verantwortlich: Pol.-Insp. a. D. E. R. Burg. 16. Jg. April 1918—März 1919 
26 Nrn. (Nr. 1/2, 36 S.) Gr. 8°. Berlin, Kameradschaft. 

9. Gendarmerie-Kalender 1918. Begr. V. Oberst a. D. vorm. Gendarmerie-Schul- 
Kommandeur v. den Brincken u. Komm.-R. Rob. Gersbach. Neu bearb. u. erw. 
unter Mitw. bewährter Fachmänner v. d. Schriftleitg. d. Zeitschr.: Der Gendarm. 
11. Jg i419 S. mit Fig.) Kl. 8°. Berlin, Kameradschaft. 

10. Der Gerichtssaal. Zeitschrift f. Zivil- u. Militär-Strafrecht n. Strafprozeßrecht, 
sowie der ergänz. Disziplinen. Unter ständiger Mitarbeit von Prof. Dr. Allfeld. 
Herausgg. von Proff. Dr. Frdr. Oetker und August Finger. 86. Bd. 6 Hefte. 
(1. u. 2. Heft. 160 S.) Gr. 8°. Stuttgart 1918. F. Enke. 

11. Gerland, Heinr. B., Oberlandesger.-R. Prof. Dr.: Grundfragen d. Strafrechts. 
Vier Frontvorlesungen. (VI, 80 S.) Gr. 8°. Berlin 1918. F. Vahlen. 

12. Grenzfragen, Juristisch-psychiatrische. Zwanglose Abhandlungen. Herausgg. v. 
Geh. Just.-R. Dr. A. Finger, Geh. Hofr. Prof. Dr. A. Hoche, San.-R., Dr. Joh. 
Bresler. X. Bd.. 5. u. 6. Heft. Gr. 8°. Halle, C. Marhold. 

Bresler, Joh., San.-R. Dr.: Rentenkampfneurose („Unfallgesetzneurose“.) 
(46 S.) 1918. 6. Heft. 

Stoll, Stabsarzt d. R. a. D. Kreisarzt Dr.: Ergebn. psychiatrischer Begut¬ 
achtungen beim Kriegsgericht. (34 S.) 1918. 5. Heft. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 


6 



82 


Neuerschienene Bücher und Broschüren 


13. Groß, Hans, weil. Prof. Dr.: Die Erforschung des Sachverhalts strafbarer 
Handlungen. Ein Leitfaden f. Beamte d. Polizei- u. Sicherheitsdienstes. 4. er¬ 
neuerte u. verm. Aufl., bearb. von Hofr. leit. 1. Staatsanw. Dr. Er wein R tter 
v. Höpler. Mit zahlreichen Abb. im Text. (XI, 224 S.) 8°. München 1918. 
J. Schweitzer Verl. 

14. Hellwig, Albert: Justizirrtflmer. Minden 1918. J. C. C. Braus’ Verl. 

15. Henne am Rhyn, Otto, Dr.: Prostitution u. Mädchenhandel. Neue Ent¬ 

hüllungen aus dem Sklavenleben weißer Frauen und Mädchen. 5. verm. Aufi. 
[11.—16. Taus.] (80 S.) 8°. Leipzig o. J. (1918.) H. Hedewigs Nachf. 

16. Herzfelder, Henriette: Die Sozialisierung unseres Jugendrechtes. (21 S.) 
o. J. (1918.) ex: Flugschriften d. Österreich. Gesellschaft f. soziales Recht. 8°. 
Wien, Soziolog. Gesellschaft. — Wien, Anzengruber-Verlag. 

17. Jaeneke, Wilh., Dr.: Die Grundprobleme d. türkischen Strafrechts. Eine 
rechts vergleich. Darstell. (X, 144 u. LI S.) Gr. 8°. Berlin 1918. J. Guttentag. 

18. Jahrbuch des Strafrechts und Strafprozesses. Herausgg. von Hofr. Dr. Hans 
Thdr. Soergel u. Geh. Reg.-R. J. Krause. 12. Jg. Rechtsprechung u. Literatur 

1917. (Umschi.: Rechtsprechung u. Rechtslehre d. J. 1917 zu den Reichs- u. 
Landesgesetzen.) (LI, 326 S.) Kl. 8°. Hannover 1918. Helwingsche Verlagsh. 

19. Kisch, E. Heinr., Reg.-R. Prof. Dr.: Die sexuelle Untreue der Frau. 1. TI. 
Die Ehebrecherin. Eine sozial-medizin. Studie. (VIII, 206 S.) Gr. 8 °. Bonn 

1918. A. Marcus & E. Weber. 

20. Kisch, E. Heinr., Reg.-R. Prof. Dr.: Die sexuelle Untrene der Frau. 2. TI. 
Das feile Weib. Eine sozial-medizin. Studie. (VIII, 210 8.) 8°. Bonn 1918. 
A. Marcus & E. Weber. 

21. Klumker, Chr. J., Prof., und Kurt Blaum, Verw.-Dir. Dr.: Jugendämter im 
Deutschen Reich. (31 S.) o. J. (1918.) 178. Flugschrift d. Dürerbundes. Gr. 8°. 
München, G. D. W. Callwey. 

22. Kukula, Rud.: Der Verwaltungszwang. Eine krit. Studie d. sogenannten 
Verwaltungsstrafrechtes. (V, 104 S.) Gr. 8°. Wien 1918. Manzsche Hofverlh. 

23. Larsen, Niels: Moderner Aberglaube. Zur' Aufklärung d. Menschheit. (16 S.) 
8°. Bremen o. J. (1918). Röpke & Co. in Komm. 

24. Lehmann, K., Kreisarzt Dr.: Die Unwahrhaftigkeit. Versuch e. Studie z. 

gerichtsärztL-psychol. Wertung der Aussage, m. besond. Berücke, v. Krankheit 
u. Rentenkampf. [Für Ärzte, Juristen, Versicherungsbeamte u. Berufsgehossen- 
schaften.] (77 S.) 1918. (8. Bd., 4. Heft [83. Heft.]) ex: Veröffentlichungen 

aus dem Gebiete d. Medizinalverwaltung. Im Aufträge Sr. Exzellenz des Herrn 
Ministers d. Innern herausgg. v. d. Medizinalabteilung d. Ministeriums. (Schrift¬ 
leitung: Wirkl. Geh. Obermed.-R. Prof. Dr. Dietrich.) 8. Bd., 2—4. Heft. [Der 
ganzen Sammlung 81.—83. Heft.] Gr. 8°. Berlin, Verlagsh. R. Schoetz. ' 

25. Lund, David, Dr.: Über d. Ursachen d. Jugendasozialität. Kriminalpsychol. 
u. soziale Untersuchungen mit Einschluß von Familienforschungen in Schweden. 
(VI, 362 S.-m. Fig. u. 1 Tab.) Lex. 8°. Uppsala 1918. Almqvist & Wikseils 
boktryckeri-A.-B. (Stockholm, Solnavägen 53, Adolf Werner.) 

26. Mendheim, Max: Berühmte Kriminalfälle. Nach dem Neuen Pitaval u. a. 
Quellen. Herausgg. von Dr. Max Mendheim. 12. Bdch.: Manolescu, der Fürst 
der Diebe. Bearb. von Herrn. Pilz. (104 S.) o. J. (1918.) Reclam’s Universal- 
Bibliothek Nr. 5987. 

27. Mezger, Edmund: Der psychiatr. Sachverständige im Prozeß. (Beilagebeft 
zu Bd. 117 des Archivs f. d. Zivilist. Praxis.) Tübingen 1918. J. C. B. Mohr. 

28. Minck, Kreisschulinsp.: Die Jugendgerichtshilfe, ihre rechtl. Grundlage, ihre 

Aufgabe U. ihre Organisation. Vortrag, beim Lehrgang z. Ausbildung u. Fort¬ 
bildung v. Jugendpflegern u. Jugendpflegerinnen in Merseburg Juli u. Aug. 1917 
geh. (30 S.) 1918. Heft 6 der Hefte des Merseburger Lehrganges f. Jugend¬ 

pfleger und Jugendpflegerinnen. Gr. 8°. Langensalza, Julius Beltz. 

29. Nej mark, Antoni, Dr.: Die geschichtl. Entwicklung d. Deliktes d. Aussetzung 
u. seine Stellung im schweizer. Vorentwurfe. (VHI, 91 S.) 1918. Beiträge, 
Züricher, zur Rechtswissenschaft, herausgg. von Proff. A. Egger, E Hafter, Max 
Huber u. Hans Reichel. 67. Gr. 8°. Aarau, H. R. Sauerländer & Co. 

30. Pharos, Prof.: Der Prozeß gegen d. Attentäter von Serajewo. Nach dem 
amtl. Stenogramm d. Gerichtsverhandlung aktenmäßig dargest. u. e. Einleit, von 
Prof. (Dr.) Geh. Just.-R. Josef Köhler. Mit d. Abb. d. Anstifter u. Attentäter, 



Neuerschjenene Bücher und Broschüren 


83 


d. Attentatsorts u. a., e. (eingedr.) Plan von Serajewo u. e. (eingedr.) Karte von 
Bosnien. (XII, 165 S. und 6 S. Abb.) Gr. 8°. Berlin 1918. E. v. Decker 
S.-A. a. d. Archiv f. Strafrecht u. Strafprozeß. 

31. Placzek, S. Künstliche Fehlgeburt u. künstliche Unfruchtbarkeit, ihre Indi¬ 
kationen, Technik und Rechtslage. Ein Handbuch f. Ärzte und Bevölkerung? - 
Politiker. Unt. Mitw. v. C. Adam herausgg. v. Siegfr. Placzek. (XI, 460 S. ^n. 
Fig.) Lex. 8°. Leipzig 1918. G. Thieme. 

32. Die Polizei. Zeitschrift f. Polizeimannschaft, -dienst u. -wesen m. d.-Beil: 
Der Polizeihund. Hauptschriftleiter: Komm.-R. Hob. Gersbach. Verantwortlich: 
Pol.-Insp. a. D. E. R. Burg. 15. Jg. April 1918—März 1919. 26 Nrn. (Nr. 1/2, 
36 S.) Gr. 8°. Berlin, Kameradschaft. 

33. Schaller, L. F., San.-R. Dr.: Über d. Bevölkerungsfrage u. d. Anzeige¬ 
stellung z. künstl. Fehlgeburt. Aus d. geburtshilflich-gynäkologischen Abt. d. 
Krankenhauses Bethesda Stuttgart. (14 S.) 8°. Stuttgart 1918. C< Grüninger Nachf. 

3|. Schmidt, Wilh., Priv.-Doz. Dr.: Forensisch-psychiatrische Erfahrungen im 
Kriege. (VIII, 219 S.) 1918. (5. Heft.) ex: Abhandlungen aus d, Neurologie, 
Psychiatrie, Psychologie u. ihren Grenzgebieten. Beihefte zur Monatsschrift f. 
Psychiatrie u. Neurologie. Herausgg. v. (Geh. Med.-R. Prof. Dr.) Karl Bou- 
hoeffer. Lex 8°. Berlin, S. Karger. 

35. Schneidemühl, G., Prof. Dr.: Handschriftenvergleichung und Schrift¬ 
sachverständige. (31 S.) Gr. 8°. Stuttgart 1918. F. Enke. S.-A. a. d. Z. 
Der Gerichtssaal. 86. Bd. 

36. Schriften Über Jugendpolitik. (Freiwilliger Erziehungsbeirat. Abteilung . f. 
deutsches Jugendrecht.) Herausgg.: Wirkl. Geh. Adm.-R. Dr. Felisch. 1.—4. Heft. 
8°. Berlin, H. Bousset. 

Felisch, Wirkl. Geh. Adm.-R. Dr.: Wesen und Aufgaben der Jugendpolitik. 
(54 S.) 1918. (1. Heft.) , 

Pfankuch, Wilh.: Deutsche Jugendpolitik u. ihre Bedeutung f. d, deutsche 
Gemeinschaftsleben. (47 S.) 1918. (4. Heft.) 

Stern, Jacques, Amtsger.-R. Dr.: Der Weg zum deutschen Jugendgesetz. — 
Goeze, Landesr. Dr.: Jugendämter u. Wohlfahrtsverwaltung in Stadt u. Land. 
(61 S.) 1918. (2. u. 3. Heft.) 

Gleichen-Rußwurm, Aphorismen z. deutschen Jugendpolitik. Berlin 1918, 
H. Bousset, Verlag d. Jugendlese. 

37. Schulze-Berge, Franz, Dr/: Die Schutzhaft» ihr Begriff u. ihre rechtlichen 
Grundlagen. (VIII, 89 S.) Gr. 8°. Berlin 1918. Puttkammer & Mühlbrecht. 

38. Schultze, Emst: Die Prostitution der gelben Völker. (Abhandlungen aus 
dem Gebiete d. Sexualforschung.) Bonn 1918. A. Marcus & E. Weber. 

39. Schweizer Schriften f. allgem. Wissen. 6. Heft. 8°. Zürich, Rascher & Cie. 
Pfister, Oskar,.Pfr. Dr.: Wahrheit u. Schönheit in d. Psychoanalyse. (1. u. 
2. Taus.) (143 S.) 1918. 

40. St oll: Ergebnisse psychiatr. Begutachtungen beim Kriegsgericht. (Jurist.- 
psychiatr. Grenzfragen). Halle 1918. C. Marhold. 

41. Utitz, Emil, Prof. Dr.: Psychologie der Simulation. (VIII, 99 S.) Gr. 8°. 
Stuttgart 1918. F. Enke. 

42. Verhandlungen der schweizer. Vereine f. Straf-, Gefängniswesen u. Schutz¬ 
aufsicht den 11. u. 12. September 1917 in Luzern. 8°. Aaräu, H. R. Sauer¬ 
länder & Co. Vereinsversammlg., 28, 2. Heft. Verhandlungsprotokoll u. Beilagen. 
(HI, 148 S. m. 1 Bildnis.) 1918. 

43. Vierteljahrsschrift f. gerichtliche Medizin u. öffentl. Sanitätswesen. Unter 
Mitw. d. kgl. wissenschaftl. Deputation f. d. Medizinalwesen im Ministerium d. 
Innern herausgg. von Geh. Med.-R. Dr. M. Beninde und Geh. Med.-R." Prof. Dr. 
F. Straßmann. 3. Folge, 56. Bd. Suppl.-Jg. 1918. Suppl.- Festschrift, Herrn 
Geh. Med.-R. Dr. F. Straßmann gewidmet. Mit 1 Bildnis, 3 Taf. u. 4 Kurven im 
Text. (VIII, 318 S.) Gr. 8°. Berlin 1918. August Hirschwald. 

44. Wittig, K ; Die ethisch minderwertigen Jugendlichen u. d. Krieg. (Neu¬ 
drucke zur Psychologie: Der Krieg und die komplementäre Kulturpsychologie.) 
Langensalza 1918. Wendt & Klauwell. 

44. Wüterich -Stuttgart, Stadtpfr.: Die Fürsorgeerziehung in Württemberg u. 
d. Bedürfnisse d- Gegenwart. Gutachten f. d. Hausväterkonferenz d. evangel. 

6» 



84 


Neuerschienene Bücher und Broschüren 


Erziehungsanstalten Württembergs. (23 S.) 8°. Stuttgart 1918. Stuttgarter 

Jugendsekretariat.' (Stuttgart, K. Thienemann.) 

46. Wundt, Wilh.: Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungs¬ 

gesetze von Sprache, Mythus und Sitte. 9. Bd. Gr. 8°. Leipzig, A. Kröner- 
9. Das Recht. (XVIII, 484 S.) 1918. 

47. Zeitschrift f. Medizinalbeamte. Zentralblatt f. d. gesamte Gebiet der gerichtl- 

Medizin u. Psychiatrie, d. staatl. u. privaten Versicherungswesens, sowie f. 
d. Medizinal- u. ölfentl. Gesundheitswesen, einschließlich d. Hygiene u. Bak¬ 
teriologie. Mit Beil : Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebung. Herausgg. 
von Geh. Med.-R. Prof. Dr. Otto Rapmund. 31. Jg. 1918. 24 Nrn. (Nr. 1 

20 u. 4 S.) Gr. 8°. Berlin, Fischers medizin. Buchh. 

48. Zentralblatt f. Vormundschaftswesen, Jugendgerichte u. Fürsorgeerziehung. 
Organ des Archivs deutscher Berufsvormünder und des allgemeinen Fürsorge- 
erziehungstages. Mit Unterstützung v. Prof. Dr. (Chr. J.) Klumker, Anst.-Vorst. 
Past. (W.) Backhausen herausgg. v. Dr. Adolf Grabowsky. 10. Jg. April 1918 
bis Mörz 1919. 24 Nrn. (Nr. 1 12 S.) Lex. 8°. Berlin, Carl Heymann. 



Die Anwendung der Palimpsestphotographie auf 
forensischem Gebiete. 

Von 

R. R. Kögel, O. S. B., Photochemisches Laboratorium Beuron. 

Mit 5 Abbildungen. 


Als Abbe die theoretischen Grenzen des mikroskopischen 
Sehens begründete, schien es, daß ein weiterer Blick in die Welt 
der kleinsten Materie den Menschen nicht vergönnt sein würde. 1 ) 
Abbe zeigte, daß die mikroskopische Bilderzeugung durch die 
geometrische Optik allein ihre Erklärung nicht finden könne, son¬ 
dern durch die physikalische Optik ihre Begründung erhalte. Das 
mikroskopische Objekt ist als ein enges Streifengitter aufzufassen, 
das die Frauenhoferschen Beugungserscheinungen zeigt. Trifft 
ein paralleles Lichtbüschel auf ein solches Gitter, so durchläuft 
ein größer Teil der Strahlen unverändert das Gitter. Es entsteht 
das sogenannte nullte Spektrum, das Hauptspektrum. Die Gitter¬ 
streifen erzeugen aber auch eine Anzahl Nebenspektren, die sym¬ 
metrisch zu beiden Seiten des Hauptspektrums sich anlagern. Der 
Abstand der Gitterstreifen bestimmt die Anzahl der Nebenspektren. 
Beträgt der Abstand zwischen zwei Gitterstreifen nur noch eine 
halbe Wellenlänge, also bei Bestrahlung mit dem Licht der gelben 
Natriumlinie, 0,00025 mm, so entstehen nur noch ein paar Neben- 
spektren. Damit eine mikroskopische Abbildung eines Gitters 
zustande komme, muß außer dem Hauptspektrum mindestens ein 
Nebenspektrum in das Objektiv gelangen. Die Neigung der 
Beugungsbüschel darf also den halben Öffnungswinkel des Ob¬ 
jektivs nicht überschreiten. Die Strahlen kurzer Wellenlänge 
erfüllen diese Bedingung schneller als die größerer Wellenlänge, 
weil die letzteren durch ein Gitter stärker gebeugt werden. Der 
Neigungswinkel wird noch verringert, wenn der Beugungsvorgang 
in einem Medium verläuft, dessen Brechungsindex größer als 1 ist. 

Die mikroskopische Auflösung wird durch eine schiefe Be¬ 
leuchtung noch erweitert. Das beleuchtende Lichtbüschel verläuft 

l ) Der Bau der Atome wird durch X-Strahlen spektral erforscht. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 7 




86 


P. R. Kögel 


nicht mehr in der Richtung der Objektivachse, sondern unter 
einem Winkel, der gleich dem halben Öffnungswinkel des Ob¬ 
jektivs ist. Die numerische Apertur des Beleuchtungsbündels ist 
dann gleich der numerischen Apertur des Objektivs. Die schiefe 
Beleuchtung löst daher Streifen auf, die nur halb so groß sind 
als die durch zentrale Beleuchtung aufgelösten. 

Diese Verhältnisse wurden durch Abbe in sehr einfache For- 

mein gebracht und lauten für zentrale Beleuchtung ö — - ; <5«= Ab¬ 
stand der Streifen, # = Wellenlänge, a = numerische Apertur. Für 
schiefe Beleuchtung gilt dementsprechend d = ä == 2~i ~ 4 ‘ ^‘ er 

ist a== 1,4, da, wie vorher gezeigt wurde, die numerische Apertur 
der Beleuchtungseinrichtung bei schiefer Beleuchtung gleich der 
des Objektives ist. 

In dem mikroskopischen Bilde erzeugt das Hauptspektrum 
das Hellfeld. Durch Interferenz zeichnen die Nebenspektren die 
Struktur des Objektes in das Hellfeld ein. Blendet man das 
Hauptspektrum ab und läßt nur die Nebenspektren, zum wenigsten 
zwei - in das Objektiv gelangen, so entsteht die Dunkelfeld¬ 
beleuchtung. 

Will man das mikroskopische Sehen und Darstellen nach, dem 
Gesagten bis an die äußersten Grenzen bringen, so wird man 
einerseits eine Vergrößerung der Apertur, andererseits die Anwen¬ 
dung von Strahlen kürzester Wellenlänge erstreben. 

Die numerische Apertur, als Funktion eines Winkels von 90°, 
hat feste, unüberschreitbare Grenzen. Scheinbar unbegrenzt — in 
konsequenter Anwendung der Abbeschen Theorie — ist die Stei¬ 
gerung der Auflösung bei Verwendung von Strahlen immer kürzerer 
Wellenlänge. 

A. Köhler hat diesen Weg eingeschlagen und so weit be¬ 
gangen, als technische Möglichkeiten und praktische Anwendung 
Erfolg in Aussicht stellten. Zur Beleuchtung benutzt er die ultra¬ 
violette Linie von =- 275 mi des Kadmiumfunkens. Die mono¬ 
chromatisch korrigierten Objektive und Okulare bestehen aus 
Quarz, da Glas die kurzwelligen Strahlen nicht durchläßt. Das 
unsichtbare Bild wird photographisch aufgenommen. Mit dem 
Verfahren von A. Köhler sind wir zurzeit an den praktischen 
Grenzen der direkten mikroskopischen Darstellung angelangt 

Die gleiche Frage, die Abbe aufgeworfen, hat Helmholtz 
behandelt, wobei er die gitterförmigen Objekte als selbst- 



Die Anwendung der Palimpsestphotographie auf forensischem Gebiete 87 

leuchtend annahm. Auch Helmholtz kam zu dem Schlüsse, daß 
die numerische Apertur des Objektivs die optische Trennung 

(j, 

selbstleuchtender Objektive bestimme und daher «= sei. Dem¬ 
zufolge ist das Auflösevermögen des Mikroskops für selbstleuch¬ 
tende Objekte keineswegs größer als für beleuchtete. Den Selbst¬ 
leuchtern wollen wir aber noch besondere Aufmerksamkeit zu¬ 
wenden. 

Außer den eigentlichen Selbstleuchtern, den glühenden Kör¬ 
pern, gibt es zwei Arten von Selbstleuchtern. 

Die erste Art sind die phosphoreszierenden und fluoreszieren¬ 
den Körper. Solche Körper absorbieren zuerst Strahlen und 
senden sie, meist mit kürzerer Wellenlänge, wieder aus. Fällt 
die Dauer der Ausstrahlung mit der der Belichtung endlich zu¬ 
sammen, so nennt man diese Erscheinung Fluoreszenz. Übersteigt 
die Dauer der Ausstrahlung endlich die der Beleuchtung, so spricht 
man von Phosphoreszenz. 

Die zweite Art von Selbstleuchtern sind ultramikroskopische 
Objekte. Kleiner als eine Wellenlänge vermögen sie das Licht 
weder zu brechen noch zu reflektieren, sondern nur zu beugen. 
Um das Körperchen lagern sich abwechselnd helle und dunkle 
Ringe. Diese Beugungsscheibchen werden bei Dunkelfeldbeleuch¬ 
tung sichtbar, die Körperchen selbst bleiben unsichtbar. Das Auf¬ 
lösungsvermögen des Ultramikroskops übersteigt also das Auf¬ 
lösevermögen des Mikroskops nicht. 

Die Dunkelfeldbeleuchtung kann mit rechtwinkliger oder 
gleichachsiger Anordnung der Beleuchtungs- und Beobachtungs¬ 
systeme erfolgen. Die gleichachsige Anordnung des Beleuchtungs¬ 
und Beobachtungssystems verlangt wirkliche Dünnschnitte des 
zu beobachtenden Objektes. Zur Beleuchtung können Strahlen 
kleinerer Apertur als zur Beobachtung gewählt werden oder um¬ 
gekehrt. Dunkelfeldbeleuchtung kann auch mit solchen Konden¬ 
soren erzeugt werden, die den Beleuchtungsstrahlen eine Apertur 
geben, durch die sie am Deckglas totalreflektiert und auf das 
Objekt zurückgeleitet werden. Nur den vom Objekt abgebeugten 
Strahlen fällt die Bilderzeugung zu. 

Für die mikroskopische Beobachtung und Photographie 
fluoreszierender Objekte haben zuerst Reichert und dann Leh¬ 
mann die ersten Vorrichtungen geschaffen. 

Reichert benutzt folgende Anordnung. Als Lichtquelle dient 
elektrisches Bogenlicht. Die Strahlen werden durch eine Linse 

7* 



88 


P. R. Kögel 


aus Quarz oder aus dem für ultraviolette Strahlen größerer Wellen¬ 
länge besonders durchlässigen, weißen U.-V.-Glas gesammelt und 
auf ein Doppelfilter geleitet. Dieses Filter gibt die ultravioletten 
Strahlen frei, hält aber die sichtbaren bis auf einen nicht beson¬ 
ders störenden Rest zurück. 

Das Filter, auf dessen Verwendung wir später noch hinzu¬ 
weisen haben, besteht aus einer Doppelküvette von blauem Uviol¬ 
glas. Die eine Hälfte der Küvette, die der Lichtquelle zugewandt 
wird, wird mit einer 25 °/o wässerigen Kupfersulfatlösung gefüllt. 
Für die andere Hälfte wird ein 0,1 g Nitrosodimethylamin in 
100 ccm absolutem Alkohol gelöst, wovon 1 ccm mit 9 ccm Wasser 
für den Gebrauch verdünnt werden. Die aus dem Filter tretenden 
Strahlen gelangen zu einem dioptrischen Kondensor aus Quarz 
von hoher Apertur. Eine Zentralblende hält die Strahlen mittlerer 
Apertur zurück. Die ultravioletten Beleuchtungsstrahlen gelangen 
so nicht in das Objektiv, wohl aber die Fluoreszenzstrahlen, die 
von dem Objekt unter dem Einfluß der ultravioletten Strahlen 
ausgesandt werden. Der optische Kontakt zwischen Kondensor 
und Objektträger, der entweder aus Quarz oder aus weißem 
U.-V.-Glas besteht, wird durch Glyzerin vermittelt. Die Deck¬ 
gläschen sind die üblichen, also aus gewöhnlichem Glas. 

Da durch die Zentralblende die Strahlen bis zur Apertur von 
etwa 1—0 abgeblendet werden und verloren gehen, hat Lehmann 
ein lichtstärkeres System hergestellt. Er benutzt die volle Apertur 
des Quarzkondensors und hält die ultravioletten Strahlen auf 
ihrem Weg zum Objektiv durch ein gelbes Deckgläschen aus 
Euphosglas zurück. Der zur Beobachtung dienende Teil des 
Mikroskops ist der gleiche wie bei Reichert, und der gebräuchliche. 

Die Gesetze und Methoden der mikroskopischen und ultra¬ 
mikroskopischen Darstellung wurden nun kurz besprochen, da es 
unter den forensischen Untersuchungsobjekten Schriftstücke gibt, 
die der Klasse der Selbstleuchter erster Art angehören und 
Dunkelraum zu ihrer Untersuchung fordern. Gleichzeitig sollte 
der Leser zu der Erkenntnis geführt werden, daß die Photographie 
des Unsichtbaren nach den bisherigen Verfahren, soweit sie statische 
Objekte betrifft, der des Kleinsten gleichkommt, daß auf diesem 
Wege also keine Übersichtsbilder größerer Objekte gewonnen 
werden können. Noch weniger wäre dies von der Röntgen¬ 
spektrumphotographie und Radiologie zu erwarten, die uns über 
den inneren Bau der Atome Aufschluß zu geben hat. 

Für die naturgroße Abbildung oder geringe Vergrößerung 


* 



Die Anwendung der Palimpsestphotographie auf forensischem Gebiete 89 

* t 

von Objekten, wie Schriftstücke, lassen sich die ultramikrosko¬ 
pischen und fluoreszenzmikroskopischen Methoden in ihrer Eigenart 
nicht gebrauchen. Weder durch Beleuchtungskondensoren noch 
durch optische Dünnschnitte können die Schriftstücke ins Dunkel¬ 
feld und zum Selbstleuchten gebracht werden. Das Dunkelfeld 
kann nur der gewöhnliche Dunkelraum sein. Die Beleuchtungs¬ 
strahlen durch ein Deckglas auf dem Wege zum Objektiv zurück¬ 
zuhalten, wäre ebenso unzweckmäßig als überflüssig. 

Es waren auch keine Überlegungen aus dem Gebiete der 
Ultramikroskopie und Dunkelfeldbeleuchtung, diezuderPalimpsest- 
und forensischen Fluoreszenzphotographie führten, obwohl sie 
theoretisch (auf etwas langem Wege) davon abgeleitet werden 
konnte, wie aus dem Gesagten hervorgeht. Es waren vielmehr 
Erwägungen, die sich an die Photographie im allgemeinen an¬ 
schließen und die auch dem in den Theorien der Mikroskopie 
weniger Bewanderten leicht verständlich sein werden. 

Ursprünglich war die Fluoreszenzphotographie für die Er¬ 
schließung der für die klassischen und geschichtlichen Wissen¬ 
schaften so wertvollen Paliinpseste bestimmt. Das Verfahren 
konnte jedoch ohne weiteres zur Aufnahme von forensischen 
Schriftstücken u. dgl. Verwendung finden, da die Palimpseste und 
die modernen forensischen Schriftstücke zum Teil gleichartig sind 
oder wenigstens gleichartige Eigenschaften besitzen. 

Die Palimpseste sind Pergamenthandschriften, die über einem 
radierten Text einen zweiten, sichtbaren besitzen. In vergangenen 
Jahrhunderten, in denen das Schreibmaterial, besonders zu den 
fast stets andauernden Kriegszeiten, hoch im Werte war, wurden 
oft ganze Bücher, die man entbehren zu können glaubte, ab¬ 
geschabt, um das Pergament für ein neues Werk benutzen zu 
können. Der neue Text ist vielfach von dem alten inhaltlich 
ganz verschieden. Dieser liefert uns Klassiker, Bibeltexte, Ge- 
schichts- und Rechtswerke. Das Format der Palimpseste ist selten 
kleiner als das von 13x18 cm, vielfach aber größer. Die Palim¬ 
psestphotographie mußte also von vornherein sich die Aufgabe 
stellen, die einheitliche Wiedergabe großer radierter Flächen zu 
erreichen. 

Zur Einführung in die Technik des neuen Verfahrens soll 
zunächst an bekannte Objekte, die einfachere Vorstellungen ge¬ 
statten, angeknüpft werden. 

Das leuchtende Zifferblatt unserer Feldtaschenuhren ist heute 
fast jedermann bekannt. Meist befindet sich oberhalb den Stunden- 



90 


P. R. Kögel 


zahlen etwas Leuchtfarbe. Die Zeiger, ebenfalls mit etwas Leucht¬ 
farbe versehen, weisen gleich leuchtenden Fingern auf die Zahl 
oder auf die leuchtenden Punkte hin, so daß man auf Grund der 
Zwölfteilung des Zifferblattes den Wert der Zahlen wenigstens 
erraten kann. Das Leuchten sieht man nur im dunklen Raum. 
Die Zahlen hat man schwarz gelassen, damit man sie auch bei 
Tag gut sehen kann. Man könnte aber auch ein Zifferblatt mit 
Leuchtfarbe herstellen, dessen Zahlen bei Tag fast oder überhaupt 
nicht, nachts aber oder im dunklen Raum sofort zu erkennen 
wären. Wie würde ein solches Zifferblatt hergestellt sein oder 
aussehen? Anstatt einer weißen Emaillefarbe würde man für den 
Untergrund des Zifferblattes eine gelbe benutzen, die in ihrem 
Ton mit dem der gebräuchlichen gelben Leuchtfarbe übereinstimmt. 
Diese Unterlage würde man überall mit Leuchtfarbe bedecken, nur 
dort nicht, wo die Ziffern gewöhnlich ihren Platz finden. Ziffern 
werden aber nicht eingetragen. Am hellen Tage würde man nur 
eine gelbe Scheibe sehen, im Dunkeln aber dunkle Ziffern in 
einem hellen Felde. Das Email, das an der Stelle der Ziffern 
freiliegt, leuchtet selbst nicht. Die Zeiger, die auch nicht leuchten, 
würden als dunkle Finger über die leuchtende Fläche streichen. 
Man könnte aber auf das gelbe Email Zahlen mit der gelben 
Leuchtfarbe aufzeichnen. Die Zeiger würden ebenfalls mit Leucht¬ 
farbe versehen werden. Sie streichen dann als leuchtende Finger 
über eine dunkle Scheibe. Wir sehen also, wie unsichtbare Zahlen 
im Dunkeln sichtbar werden können. 

Wir wollen noch ein anderes Beispiel geben, aber von einem 
Objekt, das größere Flächen aufweist: Ich streiche eine Wand 
mit einer weißen Farbe ( A ) an. Bevor die Farbe auftrocknet, setze 
ich einen Strich mit einer anderen weißen Farbe ( B) ein. Wir 
wollen annehmen, daß der Ton der beiden Farben völlig überein¬ 
stimmt. Nach dem Auftrocknen des Anstriches wird man das Vor¬ 
handensein eines besonderen Striches an einer Reliefbildung nicht 
erkennen können. Wie kann dieser Strich auf rein optischem 
Wege, ohne Zuhilfenahme chemischer Mittel, sichtbar gemacht 
werden? Die Betrachtung oder Photographie unserer Wand 
mittels farbiger Lichtfilter wird gemäß unseren Voraussetzungen 
den Strich nicht erkennen lassep. Machen wir den Raum, in dem 
sich die Wand befindet, dunkel, so ist überhaupt nichts zu sehen. 
Wenn es aber auf irgend eine Weise gelingt, die Wand zum Selbst¬ 
leuchten zu bringen, wobei der Strich dunkel bleibt, so sehen wir 
in dem dunkeln Raum eine helle Wand und einen dunkeln Strich. 



Die Anwendung der Palimpsestphotographie au! forensischem Gebiete 91 

Diese einfachen Verhältnisse wurden nun etwas länger be¬ 
sprochen, damit der Leser in den Stand gesetzt werde, ohne 
weiteres zu sagen, in welchem Sinne ein radiertes Schriftstück, 
das nur Spuren von unsichtbaren Tintenresten, z. B. von etwas 
Säure, enthält, dem Beispiel der leuchtenden Wand und dem des 
leuchtenden Zifferblattes entspricht. 

Es empfiehlt sich über den Vergleich eine klare und schnelle 
Auffassung zu verschaffen, da gewisse Untersuchungsobjekte eine 
„unsichtbare Anfärbung“ gestatten (wovon an dieser Stelle noch 
nicht berichtet werden kann), und die Anwendung eines solchen 
Verfahrens zielbewußtes Handeln verlangt. 

Zur Lösung der Frage sei bemerkt, daß Schwefelsäure nicht 
fluoresziert. (Das radierte Schriftstück' entspricht also der leuch¬ 
tenden Wand und dem ersten Fall des Zifferblattes mit den un¬ 
sichtbaren Zahlen.) 

Ich kehre aber nochmals zu der leuchtenden Wand zurück, 
um sie vom photographischen Standpunkt aus etwas näher zu 
betrachten und sie mit einer weißen Wand, die einen wirklich 
schwarzen Strich enthält, zu vergleichen. 

Die Wand wird mit sichtbarem Licht beleuchtet. Das weiße 
Planum der Wand mit dem schwarzen Strich wifd die auffallenden 
Strahlen reflektieren und sie durch das Objektiv der lichtempfind¬ 
lichen Platte zusenden. Der schwarze Strich verschluckt die Be¬ 
leuchtungsstrahlen. Der kongruente Teil bleibt also auf der Platte 
unbelichtet. Zwischen dem schwarzen Strich und der Platte liegt 
eine Art optischen Vakuums. Die Photographie der weißen Wand 
mit dem schwarzen Strich beruht also im wesentlichen auf Unter¬ 
schieden des reflektierten Lichtes. Eine in einem dunkeln 
Raum befindliche phosphoreszierende oder infolge dunkler wirk¬ 
samer Bestrahlung fluoreszierende Wand kann keine sichtbaren 
Strahlen reflektieren, da solche nicht vorhanden sind. Die Photo¬ 
graphie der einfarbigen, fluoreszierenden Wand beruht also auf 
der Wirkung einer sekundären Lichtquelle. 

Wie kann man ein Blatt Papier zum Leuchten bringen? 
Vielleicht würde man zuerst an eine Bestrahlung mit Radium 
u. dgl. denken. Radium wäre aber ein teures Beleuchtungsmittel. 
Eine Wirkung wäre von vornherein nur bei den dem Radium 
unmittelbar nächstgelegenen Teilen zu erwarten. Die Bestrahlung 
des Papiers mit Radium erzeugt aber keine Fluoreszenz. Ebenso 
unwirksam sind Röntgenstrahlen. Anders die Kathodenstrahlen, 
die die Röntgenstrahlen erzeugen. Die Kathodenstrahlen ent- 



92 


P. R. Köoel 


stehen beim Durchgang des elektrischen Stromes durch hohes 
Vakuum. Beim Aufprall auf Papier erzeugen sie aber nicht nur 
Fluoreszenz,, sondern auch erhebliche Wärmemengen, die das 
Papier schnell bräunen. Durch intermittente Bestrahlung kann 
diesem Übel zwar teilweise abgeholfen werden. Immerhin wäre 
es außerordentlich umständlich, wenn man die ziemlich großen 
Untersuchungsobjekte zuerst ins Vakuum bringen müßte. Dazu 
sind große Glasgefäße mit dicken Seitenwänden und einer schwer 
abzudichtenden planparallelen Vorderwand erforderlich, ferner ein 
teurer Induktor usw. Das Verfahren ist also sehr unwirtschaftlich. 



An sich kann es je nach Umständen zum Ziele führen. Man wird 
aber zur Erzeugung der Fluoreszenz einfachere und billigere Hilfs¬ 
mittel in Anwendung bringen und zwar in zweckentsprechender 
Weise die ultravioletten Strahlen. 

Wir wollen nun das fluoreszenzphotographische Verfahren 
zuerst kurz schildern und dann den Einzelheiten weitere Auf¬ 
merksamkeit widmen. 

Objekt und Apparate befinden sich in einem dunkeln Raume 
(Zimmer). Mit der Beleuchtungsvorrichtung (Abb. 1) werden sehr 
kurzwellige, ultraviolette Strahlen auf das Objekt geleitet. Dieses 
ist eine visuell einfarbige Fläche, deren einer Teil bei der ultra¬ 
violetten Beleuchtung fluoresziert, während der andere teil dunkel 



Die Anwendung der Palimpsestphotographie auf forensischem Gebiete 93 

bleibt. Den fluoreszierenden Tpil wollen wir der Kürze wegen 
mit A bezeichnen, den nichtfluoreszierenden mit B. (In der Abb. 1 
entspricht A und B der Fläche u—i.) Der Umfang von B sei nun 
im Verhältnis zu A klein. Wir wollen ferner noch annehmen, 
daß A schwach leuchte — also ein ziemlich ungünstiges Objekt 
sei —, und B daher mit dem bloßen Auge in der Dunkelheit nicht 

deutlich von A zu unterscheiden ist. Vor A und B steht eine 

\ 

photographische Kamera. Das von A kommende Fluoreszenz¬ 
licht gelangt durch das Objektiv auf die lichtempfindliche Platte. 
Da die Wirkung der Strahlen auf der photographischen Platte 
eine additive ist, entsteht durch eine Dauerbelichtung ein kräf¬ 
tiges Bild, selbst wenn die Strahlung an sich eine sehr schwache 
ist. Der Teil B bleibt wirkungslos. Die beleuchteten Objekte, 
und zwar sowohl A als B, reflektieren einen Teil der ultravioletten 
Beleuchtungsstrahlen. Diese scheiden aber photographisch aus, 
da sie durch das Glas des Objektivs vernichtet werden. Es ent¬ 
steht also keine Ultraviolettphotographie, sondern eine Fluoreszenz¬ 
photographie. 1 ) 

Di« Lichtquellen. 

Es gibt verschiedene künstliche Lichtquellen, die ultraviolette 
Strahlen in reichem Maße liefern. Als solche ist z. B. das Magne¬ 
sium, besonders in der Form des sogenannten Blitzlichtes, bekannt. 
Magnesium ist aber in größeren Mengen teuer. Seine Anwendung 
verbietet sich vor allem wegen der großen Rauchentwicklung. 

Elektrisches Bogenlicht mit Eisen- oder besser mit Nickel¬ 
dochtkohlen liefert ebenfalls reichlich ultraviolette Strahlen und 
zwar solche größerer Wellenlänge. Die Firma Carl Zeiß in Jena 
hat eine Ultraviolettfilterlampe gebaut, die mit Nickeldochtkohlen 
bestückt ist. Die Kohlen stehen zueinander senkrecht. Die po¬ 
sitive Nickeldochtkohle liegt in der optischen Achse. Vertikal steht 
eine gewöhnliche Kohle, an die der negative Strom angeschlossen 
ist. Die Lampe wird durch ein lichtdichtes Gehäuse, das abnehm¬ 
bar ist, abgeschlossen. An dem Gehäuse sitzt ein Tubus mit einem 
Quarzkollektor und Blauviolettglasfilter, von dem schon früher die 
Rede war. Das aus dem Filter austretende ultraviolette Licht wird 
mit einem Kondensor von etwa 15 cm Brennweite auf die Vorlage 
geleitet. Damit die von der Vorlage reflektierten ultravioletten 
Strahlen, die Glas noch leicht in größeren Mengen durchdringen, 

*) Weitere Einzelheiten wird der Leser in der Schrift »Die Palimsestphotographie“ 
von P. R. Kögel, O. S. B. B., die voraussichtlich in nächster Zeit im Verlag von 
W. Knapp in Halle erscheinen wird, entnehmen können. 



94 


P. R. KöOEi. 


durch das Objektiv nicht auf die Platte gelangen und diese ver¬ 
schleiern, muß vor das Objektiv ein Ultraviolettabsorptionsfilter 
gebracht werden. Von diesen Filtern wird später noch die Rede 
sein, und zwar bei der Besprechung der Verwendung spektraler, 
ultravioletter Strahlen größerer Wellenlänge. 

Die Zeißsche Lampe, sowie die ähnlich gebaute von Leitz 
und Reichert, kann an jede elektrische Leitung mit Gleich- oder 
Wechselstrom bei Sicherung für etwaö Ampere angeschlossen werden. 

Den bisher genannten Lichtquellen ist das Quecksilberdampf¬ 
licht, wie es die Quarzlampe liefert, um vieles überlegen. Zwar 
kann die Quarzlampe, je nach dem gewählten Typus, nur an 
Gleichstrom mit bestimmter Voltspannung angeschlossen werden. 
Dafür liefert sie aber um so mehr ultraviolette Strahlen und zwar 
solche verschiedener Wellenlänge. Von diesen sind die kurz¬ 
welligen, die im Nickellicht nicht in hinreichender Menge enthalten 
sind, von besonderem Wert. 

Das „Quarzlicht“ hat in neuester Zeit als „künstliche Höhen¬ 
sonne“ den Weg in die breite Öffentlichkeit gefunden. Das Licht 
hat diese Bezeichnung erhalten, da es durch seinen Reichtum an 
ultravioletten Strahlen allerorts ähnliche Lichtverhältnisse schafft, 
wie sie in hochgelegenen Gegenden herrschen. Die von der Sonne 
ausgesandten ultravioletten Strahlen sind dort in viel größeren 
Mengen vorhanden als in den Niederungen, wo sie durch den 
Wassergehalt der Luft vernichtet werden. Die ultravioletten Strahlen 
sind physiologisch sehr wirksam und daher heilend, erzeugen aber 

auch den Sonnenbrand, selbst in kalten 
Gletscherregionen. Besonders stark wirken 
sie auf das Auge. Man muß sich daher 
hüten, direkt in eine solche Lichtquelle 
hineinzublicken. x 

Die technischen Bestandteile der 
Quarzlampe sind folgende (Abb. 2): Der 
Hauptteil ist der „Brenner“. Er besteht 
aus einer Röhre aus geschmolzenem 
Quarz. An den beiden Enden der Röhre 
befinden sich Kammern aus Quarz, die 
mit Quecksilber gefüllt sind. Im übrigen be¬ 
sitzt der Brenner Vakuum. Zur Herstellung 
der Röhre wurde Quarz verwendet, da er im 
Gegensatz zum Glas auch für Strahlen kürzerer Wellenlänge gut 
durchlässig ist. In die beiden Quecksilberkammern, die auch Polgefäße 






Die Anwendung der Palimpsestphotographie auf forensischem Gebiete 95 

genannt werden, münden zwei Elektroden. Die Einschmelzstellen, 
durch die die Elektroden eingeführt werden, sind die empfind¬ 
lichsten Teile der Quarzlampe. Dies wird leicht verständlich, 
wenn man bedenkt, daß Quarz einen sehr geringen, Metall aber 
einen großen Ausdehnungskoeffizienten besitzt. Das Metall droht bei 
Erwärmung die Einschmelzstellen zu sprengen. Erst nach langem 
Suchen wurde eine Legierung gefunden, deren Ausdehnungs¬ 
koeffizient dem des Quarzes praktisch gleichkommt. Da sich 
Metall beim Erhitzen immer leicht oxydiert, werden die Elektroden 
in das Quecksilber selbst eingesenkt, das nun einerseits Kathode, 
andererseits Anode ist. Die Schliffstellen werden mit Quecksilber 
und etwas Zement abgedichtet. 

Die Lichtausbeute einer Quarzlampe wird durch den mittleren 
Dampfdruck, der im Brenner herrscht, bestimmt. Der Brenner 
besitzt, solange er außer Betrieb und kalt ist, im Inneren Unter¬ 
drück. Sobald der elektrische Strom durchfließt, wird Wärme 
erzeugt, der Drück des entstandenen Quecksilberdampfes steigt 
entsprechend der Wärmezufuhr. Die Abdichtung muß also zwei 
entgegengesetzten Anforderungen genügen, das eine Mal dem 
äußeren Luftdruck, das andere Mal dem inneren Dampfdruck. 

Der Brenner ist daher vor jeder starken Erschütterung sorg¬ 
fältig zu schützen. 

Sehr wichtig ist, daß der elektrische Strom an die richtigen 
Polgefäße angeschlossen wird. Der Dampfdruck wird nämlich 
durch die Wattbelastung, d. h. durch die Wärmezufuhr, bestimmt. 
Für eine zweckmäßige Unterteilung der Wärmezufuhr und Ab¬ 
kühlung werden die Oberflächen der negativen und positiven 
Polgefäße nach dem Kathoden- zum Anodenfall bemessen. Bei 
einer Verwechslung der Pole tritt aber eine unzweckmäßige Ver¬ 
teilung der Wärme ein und der Brenner wird bald zerstört. 

Die Zündung des Brenners erfolgt durch flüssigen Kontakt 
des Quecksilbers, was dem festen Kontakt der Kohlenstifte bei 
der offenen Bogenlampe entspricht. Das positive Polgefäß wird 
gehoben, das negative gesenkt. Sobald die Zündung stattgefunden 
hat, wird der Brenner in seine ursprüngliche Lage zurückgebracht. 
Das Kippen kann mit der Hand oder automatisch geschehen. Die 
Industrie liefert Quarzlampen mit einem Werk für automatisches 
Kippen. Der Vorgang der Stromverteilung un<J mechanischer 
Werktätigkeit ist folgender. Der negative Strom tritt durch o ein 
und läuft über die Widerstände e und die Drosselspule d zu dem 
Solenoid g. Dadurch wird die Zugstange / in die Höhe gehoben. 



96 


P. R. Kögel 


Mit dem nach p fließenden Quecksilber gelangt der Strom, der 
von p aus nach 5 läuft, zu der positiven Klemme +. Der Haupt¬ 
strom ist geschlossen. Unterdessen hat die Drosselspule d den 
Anker b angezogen, wodurch der Nebenstrom dauernd unterbrochen 
wird. Die elektrische Zugkraft in g wird aufgehoben. Die Zug¬ 
stange i sinkt in ihre Anfangslage zurück, somit auch der Brenner. 
Der Eisenwiderstand e hat den Zweck, die hohe Stromstärke beim 
Anlassen der Lampe in mäßigen Grenzen zu halten. Durch den 
hohen Anfangsstrom in schwache Rotglut versetzt, nimmt der Wider¬ 
stand um ein Mehrfaches seines Wertes zu. Der Widerstand e" 
ist einem Gleitkontakt / regulierbar und dient dazu, die Strom- 
zufuhr der Netzwandung anzupassen. 

Die prismatische Zerlegung des Lichtes. 

Nachdem wir uns etwas länger bei der Quarzlampe, die von 
allen Teilen der Beleuchtungsvorrichtung die größte Sorgfalt ver¬ 
langt, verweilt haben, wollen wir uns bei den übrigen, einfacheren 
Teilen kürzer fassen. Dies dürfte schon deshalb zulässig sein, 
weil die gesamten optischen Hilfsmittel in festem Aufbau von 
der Firma Carl Zeiß in Jena geliefert werden, ihre Handhabung 
einfach ist und daher keine langen Ausführungen erfordert. 

Die Quarzlampe ist in ein lichtdichtes Gehäuse eingebaut. 
Nur durch eine runde Öffnung, in die der Vorderteil des Kon¬ 
densors eingeschoben wird, kann Licht nach außen gelangen. 
Die Strahlen treffen auf einen Spalt, der durch ein feines Schrauben¬ 
getriebe geöffnet oder enggehalten werden kann (Abb. 1, d). Das 
durch den Spalt austretende Licht wird durch einen Kollektor t 
auf zwei Prismen e und s gelenkt. Die Prismen stellen wir in 
einem Abstand von etwa 30 cm vom Spalt auf, den Kollektor 
zwischen den Prismen und dem Spalt. Der Kondensor b, Kol¬ 
lektor t und die beiden Prismen e und s sind aus Quarz, da Glas 
die kurzwelligen Strahlen nicht durchläßt, wie bereits erwähnt 
wurde. Die beiden Prismen zerlegen das polychrome Licht in 
ein Spektrum r—u. Dieses Spektrum zeigt eine Reihe von Linien, 
die gemäß der Wellenlänge der Strahlen mit größeren Zwischen¬ 
räumen sich aneinanderreihen. Die Dunkelzonen entstehen, wenn 
der Spalt eng gehalten wird. Die einzelnen Linien sind dann sehr 
schmal und deutlich. Sobald der Spalt geöffnet wird, breiten sich 
die Linien aus und fließen ineinander über. Halten wir aber den 
Spalt zunächst eng und lassen die farbigen Linien auf einen 
weißen Schirm u—i fallen, etwa auf ein großes Blatt Papier, den 



Die Anwendung der Palimpsestphotographie auf forensischem Gebiete 97 

wir in wenigstens tfngefähr zwei Meter Abstand von den Prismen 
aufstellen. Wir werden sehen, daß nur einige Linien, aber nie 
alle zugleich scharfe Ränder aufweisen. Verschieben wir den Kon¬ 
densor etwas, das eine Mal in der Richtung gegen den Spalt. Wir 
werden feststellen, daß die Linien kürzerer Wellenlänge, wie die 
blauen oder violetten schärfer werden. Bringen wir den Kondensor 
aber den Prismen etwas näher, dann erhalten die Linien großer 
Wellenlänge scharfe Ränder. Auf dem Bogen Papier, der uns 
bisher als Schirm diente, werden wir die meisten ultravioletten 
Linien nicht zu Gesicht bekommen oder vielleicht nur die erste, 
starke Linie, die nicht weit ab von der schwachen violetten Linie 
liegt. Diese, wie die anderen ultravioletten Linien werden wir 
jedoch sehr deutlich mit einem Schirm, der mit Sidotblende 
(Zinksulfid) überzogen ist, erkennen können. Der Schirm leuchtet 
dort, wo die ultravioletten Strahlen auffallen, in gelbgrünem 
Licht hell auf. Den einzelnen ultravioletten Linien verleihen 
wir scharfe Ränder, indem wir den Kondensor durch Versuch in 
die zweckmäßige Stellung bringen. 

Welchen ultravioletten Strahlen haben wir nun unsere beson¬ 
dere Aufmerksamkeit zn schenken? Es sind zwei Linien, die nach 
der Wellenlänge ihrer Strahlen bezeichnet werden. Es sind die 
Linien von 7/ = 365 pp und 313 pp. Die letztgenannte Linie hat 
zwei Trabanten kürzerer Wellenlänge zu ihrer Seite. Die Linien von 
# = 365 und 313 pp sind leicht zu erkennen, da sie die stärksten 
des ganzen ultravioletten Spektrums sind. Auf dem Phosphoreszenz- 
schifm könnte man die schwache violette Linie vielleicht mit einer 
ultravioletten Linie verwechseln. Die violette Linie wird durch 
starkes Phosphoreszenzlicht, das sie erzeugt, fast überdeckt. Auf 
dem Papierschirm wird man sie aber leicht an ihrer Eigenfarbe 
wiedererkennen. 

Neben der violetten Linie bemerken wir auf dem Phos¬ 
phoreszenzschirm eine schwache ultraviolette. In einigem Abstand 
finden wir dann die kräftige Linie von # = 365 pp. In größerem 
Abstand erscheint die Linie von # = 313^, schon an ihren beiden 
schmäleren, aber doch kräftig leuchtenden Trabanten zu erkennen. 
Zwischen den Linien von # = 313 und 365 pp etwa in der Mitte 
befindet sich wieder eine schwache ultraviolette Linie. 

Die beiden Linien von # = 313 und 365 pp können wir be¬ 
sonders leicht an ihren verschiedenen Vermögen, Glas zu durch¬ 
dringen, unterscheiden. Halten wir eine 2 mm dicke Glasscheibe 
vor den Leuchtschirm. An der Einfallstelle der Linie von #=365 pp 



98 


P. R. Kögel 


werden wir nur eine mäßige Verringerung der Phosphoreszenz 
bemerken. Anders bei der Linie von # = 313 pp. Diese klingt 
sofort deutlich ab, um dann allmählich fast ganz auszulöschen. 

Öffnen wir nun den Spalt langsam. Die beiden Trabanten 
der Linie von # = 313 pp gehen ineinander über und bilden ein 
Band, das schließlich mit dem der Linie von # = 365 pp zusammen¬ 
trifft. Nun machen wir Halt. Die beiden Bänder dürfen nicht 
ineinander übergehen. Unser Untersuchungsobjekt wird nämlich 
auch, einen Teil der ultravioletten Strahlen reflektieren. Diese 
würden durch das Objektiv in die Kamera gelangen. Dies muß 
verhindert werden. Die Strahlen von # = 313 pp werden durch 
das Glas des Objektivs der Linsen zurückgehalten. Die Strahlen 
von # = 365 /ifi dagegen durchlaufen leicht die Linsen des Ob¬ 
jektivs und würden die Platte verschleiern. Wir dürfen also keine 
Strahlen von # = 365 pp auf das aufzunehmende Objekt gelangen 
lassen. 

Allerdings kann man auch die Strahlen von # = 365 pp zu 
Fluoreszenzaufnahmen benutzen. Dann muß vor das Objektiv 
ein Filter gebracht werden, das die ultravioletten Strahlen .ab¬ 
sorbiert, die Fluoreszenzstrahlen, die bereits wieder dem sicht¬ 
baren Spektrum angehören, aber ohne merkbare Einbuße durchläßt. 
Dazu dienen Flüssigkeitsfilter. Feste, farblose und durchsich¬ 
tige Körper, die diese Aufgabe in gleichem Maße erfüllen, sind 
nicht bekannt. Von den flüssigen Ultraviolettabsorptionsfiltern 
ist folgendes wegen seiner Haltbarkeit an erster Stelle zu empfehlen. 
Man löst 0,5 g Triphenylmethan in 70 ccm absolutem Alkohol und 
gibt die Lösung in eine Küvette von 5 mm Tiefe. Dieses Filter, 
wie alle anderen, läßt noch einen kleinen Teil der ultravioletten 
Strahlen durch, der für gewisse Zwecke aber nicht stört. Für 
forensische Aufnahmen empfehlen sich solche Strahlen meist nicht. 
Sie vermögen kein so vollkommenes Fluoreszenzbild zu liefern 
wie die Strahlen von # = 313 pp. Die Strahlen von # = 365 pp 
durchdringen nämlich noch leicht geringe Schriftspuren und er¬ 
regen die Papierfaser, die die Tintenreste trägt, zur Fluoreszenz. 
Ein photographischer Unterschied zwischen Papierfaser und Tinten¬ 
rest kommt dann nicht zustande. Aus diesem Grunde ist die 
Linie von # = 313 pp fast ausschließlich zu benutzen. Ihre Strahlen 
werden durch Tintenreste kräftig absorbiert. Natürlich gibt es 
auch hier Grenzen. 

Wenn wir nun auf dem Phosphoreszenzschirm noch die anderen 
Linien durchmustern, die unter der Linie von #=313^ liegen, 



Die Anwendung der Palimpsestphotographie auf forensischem Gebiete 99 


so finden wir noch ein paar stärkere. In ganz verzweifelten und 
sehr wichtigen Fällen kann man ihre Benutzung noch versuchen, 
da das Absorptionsvermögen mancher Substanzen bis zu einem 
gewissen Grade mit der Abnahme der Wellenlänge zunimmt. 
Selten werden sie aber irgendeinen Vorteil bieten. 

Der Phosphoreszenzschirm kann durch den viel billigeren 
Fluoreszenzschirm ersetzt werden. Dieser ist allerdings nicht so 
haltbar, neu leuchtet er aber vorzüglich. Man kann ihn selbst 
herstellen und tränkt zu diesem Zweck weißes Filterpapier mit 
einer Lösung von wenig Fluoreszeinnatrium in Wasser, dem man 
etwas Glyzerin beigibt. 

Objektiv und lichtempfindliche Platte. 

Die Fluoreszenzerscheinungen sind meistens nicht sehr kräftig. 
Für die photographische Aufnahme wendet man daher zweckmäßig 
alle Mittel an, durch die die Exposition möglichst herabgesetzt 
werden kann. Die erhebliche Einsparung an elektrischem Strom, 
die dadurch erzielt wird, sowie die geringere Abnutzung der Quarz¬ 
lampe lassen es ratsam erscheinen, sich schon bei der Anschaffung 
der Apparate in dieser Hinsicht vorzusehen. Dies gilt an erster 
Stelle für das Objektiv. Es soll bei bester sphärischer, anastig¬ 
matischer und chromatischer Korrektion möglichst lichtstark sein. 
Für naturgroße Aufnahmen empfehlen sich daher nur gute Ana- 
stigmate mit einem Öffnungsverhältnis von /= 4,5 oder höchstens 
/= 5,6. Wenn für etwas stärkere Vergrößerungen Spezialobjek¬ 
tive benutzt werden müssen, bevorzuge man die besten und licht- 
stärksten Typen. Auch der Gewinn an Zeit macht die größeren 
Ausgaben für gute Objektive bald lohnend. Eine weitere Ab¬ 
kürzung der Exposition wird mit höchstempfindlichen Platten, wie 
der Ultra-Rapidplatte von Hauff, erreicht. 

Die Untersuchungsobjekte*.— ... 

Viele organische und eine Reihe anorganischer Substanzen 
fluoreszieren unter dem Einfluß ultravioletter Stilen. Diese 
Eigenschaft kommt daher auch vielen forensischen O n ^ rsuc hungs- 
objekten zu. »»••** 

Wir wollen unsere Betrachtungen aber nur auf‘Schriftstücke, 
bzw. Papier und Tinte beschränken. 

Das neue Verfahren war ursprünglich, wie bereits erwähnt, 
für die Aufnahme der Palimpseste bestimmt und hat dort zuerst 
seine Erfolge erzielt. Das echte Pergament der vergangenen Jahr- 



100 


P. R. Kögel 


hunderte besitzt eine lockere, faserige Struktur. Die Tinte kann 
auch in die tieferen Schichten eindringen. Eine Radierung wird 
zwar den oberen, schwarzen Tintenkörper entfernen, erreicht aber 
die tieferliegenden farblosen Eisen- oder Tanninverbindungen u. dgl. 
nicht so leicht. Die Fluoreszenz des Pergamentes ist kräftig, die 
der Tintenreste fast null. 

Das Papier der modernen Schriftstücke fluoresziert meist in 
viel geringerem Maße. Der Tintenkörper sitzt gewöhnlich nur 
auf der Oberfläche des Papiers und kann leicht vollständig ent¬ 
fernt werden. Was die Fluoreszenz daher zum Vorschein bringen 
kann, sind solche Bestandteile dör Tinte, die etwas tiefer in das 
Papier einsinken, z. B. freie Säuren, die den modernen Tinten 
meist im Überschuß beigegeben werden. Ähnlich verhalten sich 
Gerbsäure, Tanninverbindungen, organische Säuren u. dgl., die 
sich in den Tinten häufig vorfinden. Kleine Mengen solcher Sub¬ 
stanzen sind mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, werden 
aber durch Nichtfluoreszenz im fluoreszierenden Planum photo¬ 
graphisch darstellbar. 

Die Erfahrung hat nun im allgemeinen gelehrt, in welchem 
Maße die modernen forensischen Schriftstücke einen Erfolg ver¬ 
sprechen. Läßt ein Schriftstück bereits mit den bisher bekannten 
Verfahren das Vorhandensein von Schriftspuren erkennen, aber 
in einer für die forensische Beurteilung nur ungenügenden Weise, 
so darf man von der Fluoreszenz wirksame Hilfe erwarten. In 
anderen Fällen muß man seine Erwartungen stufen weis mäßigen. 

Zu den schwierigen Objekten der forensischen Untersuchung 
gehören radierte Blei- und Tintenstiftstriche. Bei. Bleistiftstrichen 
steht ihre Existenz mit der Sichtbarkeil in engem Zusammenhang. 
Die Hoffnungen sind also vielfach gering. Anders bei Tintenstift¬ 
schrift. Die mechanische Radierung schafft auch hier ungünstige 
Verhältnisse* * Wurde die Tintenstiftschrift aber auf eine andere 
Weise getilgt'' — ^was dem Fälscher erhebliche Vorteile bringen 
kann —, so sfeigwi die Aussichten erheblich. Dies lehrt folgendes 
Beispiel bestens (Abb. 3). 

Aus der Zahl 3,79 M. wurde das Komma entfernt. Das Papier 
war ziemlich glatte Der Vorversuch einer mechanischen Radierung 
an einer anderen Stelle hatte den Urheber gelehrt, daß ein solcher 
Eingriff an der Aufrauhung des Papiers zu erkennen wäre. Vor 
allem wurde er sich bewußt, daß eine solche mechanische Ra¬ 
dierung im Falle der Entdeckung als ein freiwilliger Eingriff be¬ 
trachtet würde. Er zog es daher vor, das Komma mit einem 








iPipPhi 


mm 


Die Anwendung der Pathnpsestphotographie auf forensischem Gebifele !<>s 


Vm falle der Entdeckung 


Bleichmittel vorsichtig zu entfernen 

konnte er die Behauptung aulsteilen/ lüirctr Zufall seiieit Tropfen 
irgendeiner Lösung auf das Papier gefallen. Ja, er konnte sogar 


behaupten, durch diesen Zufall Des der Verrechnung selbst in Irrtum 
geführt worden zu seih: Der -Fälscher stefite die Existenz eines 
solchert Kommas aber überhaupt m. 

das Vpriianüemeln d[es i<omrnas. Da- 

irwi.sdre.it' V und 9, begründet. Nach 
allgemeinem S.chreibbraucii wird ein 
..soifher -größerer Abstand nur für-die 

Untmüch nrtgen such übet die Identität 

bzw. Unterschied von Papiersorten Auf- ' '"' '" w ~ *~ 

Schluß gegeben werden. Es soll zu m Bei- Abb. i 

spiel festgesteilt werden, ob das Papier 

von anonymen Brieten das gleiche ist, ob ein aus einem Geschäfts¬ 
buch entferntes Blatt der .gleichen Sorte angehört wie der übrige 

Archiv für Krimümiogif», • * Bc 8 






102 


P. R. Kögel 


Teil des Buches. Wenn die gebräuchlichen Methoden der mikro¬ 
skopischen Untersuchung versagen, wird man nicht selten mit der 
Fluoreszenzphotographie zum erwünschten Ziele kommen. Meist 
genügt eine naturgroße oder schwach vergrößerte Aufnahme, um 
nicht nur Gesamtunterschiede der Fluoreszenz, sondern öfters auch 
einzelne Fasern, die besonders leuchten, deutlich zum Ausdruck 
zu bringen. 

In unserem Beispiel (Abb. 4) zeigt der Papierstreifen A eine 
ganz andere Faserung als der Streifen B. Dieser hat durch die 
Fluoreszenz noch einen vollständig unsichtbaren und nicht ge¬ 
ahnten Fingerabdruck dem erstaunten Auge zu erkennen gegeben. 


* 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien. 

Von 

Dr. Erwein Ritter von Höpler, Hofrat und Leitendem Erstem Staatsanwalt in Wien. 

Mit einer Abbildung. 


In den Nachmittagsstunden des 23. Mai 1918 wurde im Hotel 
Bristol im I. Bezirk in Wien an der Gesellschafterin Julie Earl ein 
Raubmord verübt, der nach durchgeführter gerichtlicher Vorunter¬ 
suchung unter dem 2. Juli 1918 die folgende gegen: 

I. Kurt Franke, geboren am 22. Mai 1901 in Wien, dahin 
zuständig, katholisch, ledig, Praktikanten der Ersten öster¬ 
reichischen Allgemeinen Unfallversicherungs- Gesellschaft 
in Wien, zuletzt wohnhaft in Wien IX, Wasagasse 52, unn 
bescholten, 

II. Emo Davit, geboren am 14. Februar 1888 in Mailand, dahin 

zuständig, katholisch, verheiratet, Beamten der Ersten öster¬ 
reichischen Allgemeinen Unfallversicherungs-Gesellschaft 
in Wien, zuletzt wohnhaft in Wien V, Nikolsdorfer Straße 31, 
angeblich unbescholten, s 

erhobene Anklageschrift auslöste: 

1. Kurt Franke und Emo Davit haben vom August 1917 bis 
in den März 1918 in Wien die nachverzeichneten Personen und 
Firmen durch listige Vorstellungen und Verfälschung von Privat¬ 
urkunden, nämlich durch Vorweisung verfälschter Behebungsscheine 
und Vpllmachten in Irrtum geführt, wodurch die Erste österreichische 
Allgemeine Unfallversicherungs-Gesellschaft in Wien an ihrem 
Vermögen einen Schaden in nachfolgend verzeichneter Höhe er¬ 
leiden sollte: 

(folgen 30 Namen mit einem Gesamtschaden im Betrage von 7346 K). 

2. Emo Davit habe am 11. Januar 1918 in Wien um seines Vorteiles 
willen aus dem Besitze und ohne Einwilligung des Fortunato Frei¬ 
herrn von Vivante fremde bewegliche Sachen, nämlich eine goldene 
Schweizeruhr samt goldener Kette im gerichtlichen Schätzwerte 
von zusammen 1860 K entzogen. 


8 



104 


Dr. Erwein Ritter v. Höpler 


3. Kurt Franke habe am 23. Mai 1918 in Wien gegen Julie 
Earl in der Absicht, sie zu töten und fremde, bewegliche Sachen, 
nämlich eine dem Ehepaar Fortunat und Emma Freiherrn v. Vivante 
gehörige Handtasche mit kostbarem Schmuck und etwa 50000 K 
Bargeld mit Gewalttätigkeit gegen die Person an sich zu bringen, 
tückischerweise durch einen Keulenschlag, Drosseln und Durch¬ 
schneiden des Halses auf solche Art gehandelt, daß daraus der 
Tod der Julie Earl erfolgte. 

4. Emo Davit habe im Jahre 1918 in Wien den Kurt Franke 
zur Verübung der unter 3. beschriebenen Übeltat durch Anraten, 
Unterricht, Befehl und vorher besprochene tätige Hilfeleistung vor, 
bei und nach der Tat gedungen und bestellt. 

5. Kurt Franke habe am 23. Mai 1918 in Wien die von Emo 
Davit gestohlene, unter 2. erwähnte Uhr im gerichtlichen Schätz¬ 
werte von 1600 K verhehlt, es sei ihm aus dem Werte der Sache 
bekannt gewesen, daß der Diebstahl auf eine Art begangen wurde, 
die ihn zum Verbrechen eignet. 

Hierdurch haben begangen: 

Kurt Franke das Verbrechen des Betruges nach § 197, 200, 
201 a St.G., das Verbrechen des tückischen Raubmordes nach § 134, 
135 Z. 1 und 2 St.G. und das Verbrechen der Diebstahlsteilnehmung 
nach § 135, 136a und b St.G., strafbar nach § 136, 52 St.G. 

Emo Davit das Verbrechen des Betruges nach § 197, 200, 
201a St.G., das Verbrechen des Diebstahls nach § 171, 173 St.G. 
und das Verbrechen des bestellten tückischen Raubmordes nach 
§ 134, 135 Z. 1, 2, 3 St.G. strafbar nach § 136 St.G. 

Aus den Anklagegründen und dem Beweisverfahren der am 
5., 6. und 7. August vor dem Wiener Geschworenengerichte durch- 
geführten Verhandlung ergibt sich nachstehender Sachverhalt: 

Zwischen l jz und 3 /4 5 Uhr nachmittags des 23. Mai 1918 hatte 
der Tapezierer Franz Unsowsky auftragsgemäß in dem Zimmer 
Nr. 51 des Hotels Bristol, I, Kärntner Ring 7 eine Fensterschnur 
einzuziehen. Unter Begleitung des Stubenmädchens Marie Schuhes 
begab er sich zu der Zimmertür und beide traten, da auf ihr 
Klopfen nicht aufgemacht worden war, durch die nicht versperrte 
Türe ein. Zu ihrem Entsetzen bemerkten sie hinter dem das 
Nebenzimmer abtrennenden Türvorhang eine Frauenleiche, die in 
einer großen ausgebreiteten Blutlache lag. Sie verständigten sofort 
die Hoteldirektion; um 3 /4 5 Uhr nachmittags wurde die Anzeige 
erstattet und vor 5 Uhr begannen bereits die behördlichen Er¬ 
hebungen, welche folgendes Ergebnis hatten: 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


105 


Im Halbstocke des alten Hauses des Hotels Bristol hatten 
seit längerer Zeit der Bankdirektor Fortunato Freiherr von Vivante 
und dessen Gattin die Wohnung Nr. 51 und 52 gemietet. Die 
bewohnten Räume bestehen aus drei Zimmern und einem Bade¬ 
zimmer. Vom Gang aus gelangt man in einen Salon, welcher 
linker Hand zum Schlafzimmer des Ehepaares führt, aus welchem 
durch das Badezimmer ein zweiter Ausgang zur Verfügung steht. 
Rechts vom Salon stößt ein Zimmer an, das keinen eigenen Aus¬ 
gang hat und von der seit 16 Jahren bei Vivante beschäftigten 
Gesellschafterin Juliane Earl bewohnt wurde. Die von diesem 
Zimmer zum Salon führende Zwischentür ist ausgehängt und durch 
einen Türvorhang ersetzt. In diesem rechts vom Salon befind¬ 
lichen Zimmer lag die Leiche der sofort von den Hotelbediensteten 
erkannten Julie Earl, mit dem Kopf in der Richtung gegen die 
Türe in einer ausgedehnten Blutlache; sie zeigte am Kopfe eine 
Hiebwunde, der Hals war mit einer Schnur und noch einer darüber 
gewickelten Gurte eng umwunden, der Kehlkopf scharf durch¬ 
schnitten. In der Nähe der Leiche wurde eine weiße Frauenbluse, 
mit der offenbar versucht worden war, die Blutlache aufzuwischen, 
ferner ein Schlüsselbund und eine mit Eisen beschlagene hölzerne 
Schwungkeule vorgefunden, deren Stiel Blutspuren zeigte. Am 
Fußende der Leiche lag ein geöffneter Reisekorb. 

Nach 5 Uhr nachmittags noch war die Ermordete von der 
Kassiererin Paula Horvath und der Telephonistin Mizzi Berger ge¬ 
sehen worden. Sie hatte aus dem von Vivantes gemieteten Panzer¬ 
fach des Hotels, wie dies schon öfter vorher geschehen war, eine 
aus braunem Krokodilleder gearbeitete Handtasche in die Wohnräume 
getragen und sich hierbei geäußert, sie müsse sich beeilen, da sie 
zu einer Jause gehe, und werde die Tasche sofort wieder zurück¬ 
bringen; infolgedessen war seitens der Hotelbediensteten das 
elektrische Licht in dem Depotraume nicht erst abgedreht worden. 
Die lederne Tasche war jedoch in das Panzerfach nicht zurück¬ 
gebracht worden und fehll£ auch bei der behördlichen Nachschau. 
Es lag daher ein Raubmord vor. 

Nach dem Gutachten der Gerichtsärzte ist Julie Earl zunächst 
an Überschwemmung der Lunge durch eingeatmetes Blut, welches 
aus den Schnittwunden des Halses herrührte, eines gewaltsamen 
Todes gestorben. Vorher war sie kräftig gedrosselt worden, wo¬ 
durch außer der Dunstung des Gesichtes auch zahlreiche Er¬ 
stickungsblutungen in der Gesichtshaut, den Bindehäuten der 
Augenlider, der Schleimhaut des Rachensund Kehlkopfes entstanden 



106 


Dr. Erwein Ritter v. Höpler 


waren. Außerdem zeigte die Leiche in der linken Scheitelgegend 
eine den Knochen bloßlegende Rißquetschwunde, die offenbar durch 
einen Schlag mit der am Tatorte gefundenen Keule enstanden war 
und zur Betäubung der Verletzten geführt hatte. Die Gerichts¬ 
ärzte erklären, daß der Keulenschlag der erste Angriff gewesen 
und der Drosselung vorangegangen sein müsse. Der noch lebenden, 
aber infolge der Erstickungserscheinungen bewußtlosen Julie Earl 
sei dann der Hals anscheinend mit einem Rasiermesser durch¬ 
schnitten worden. 

Nach diesen Erhebungen war es klar, daß für die Verübung 
der Tat nur ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum von etwa l /* Stunde 
zur Verfügung gestanden hatte, und daß als Täter nur Personen 
in Betracht kommen konnten, die mit den Haus- und Verijiögens- 
verhältnissen der Eheleute Vivante wohl vertraut waren. 

Die zunächst eingeleitete Forschung, ob nicht eine fremde 
oder verdächtige Person in der Tatzeit in der Nähe der Hotel¬ 
zimmer gesehen worden sei, führte dazu, daß mehrere Hotel¬ 
bedienstete erklärten, gegen */< 5 Uhr nachmittags einen entfernten 
Verwandten der Freifrau von Vivante, den Versicherungsbeamten 
Emo Davit gesehen zu haben, der nahezu täglich seine Verwandten 
im Hotel zu besuchen pflegte. Der Zimmerkellner Rupert Pfeifer 
glaubte auch bemerkt zu haben, daß Davit anläßlich der Begegnung 
um die fragliche Zeit eine gewisse Unsicherheit an den Tag legte; 
er bestätigte ebenso wie der Kellner Gustav Sem in, daß Davit 
einen Überzieher über den Arm trug. 

Es wurde weiter erhoben,* daß Julie Earl sich geäußert habe, 
sie würde an dem fraglichen Tage mit Emo Davit in den Kaiser¬ 
garten gehen, und daß sie vorher wiederholt habe verlauten lassen, 
Emo Davit habe von ihr Geld verlangt. 

Während dieser an Ort und Stelle stattfindenden Erhebungen 
wurde um etwa 7 Uhr abends gemeldet, daß Emo Davit in der 
Nähe des Hotels mit einer Dame gesehen worden sei. Es erfolgte 
seine Vorführung: da fiel es gleich auf, daß er keinen Überzieher 
bei sich trug, und seine Behauptung,’ er habe diesen im Bureau 
zurückgelassen, wurde durch die sofort eingeleiteten Erhebungen 
widerlegt. Davit behauptete, den üblichen Besuch seiner Ver¬ 
wandten beabsichtigt zu haben und wies darauf hin, daß er seit 
3/4 5 Uhr in Begleitung seiner Bureaukollegin Hedwig Reis im 
Kaffee Europe auf dem Stefansplatz gewesen sei und um etwa 
» 4 5 Uhr im Kaufhause Neumann in der Kärntner Straße einen 
Lüsterrock gekauft habe. Diese Behauptungen erwiesen sich als 



Kärthnerring 


Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


107 


richtig, doch hatte der Kauf des Lüsterrockes unter Umständen 
stattgefunden, die auf eine gewisse Eile, sowie darauf den Schluß 
gestatteten, daß es dem Käufer nicht so sehr um den Kauf als 
um etwas anderes, allenfalls die Festlegung seiner Anwesenheit, 
zu tun gewesen sei. 

Im Gegensatz zu diesem auffälligen Umstand schien jedoch 
der von Davit geführte Abwesenheitsbeweis geschlossen (vergleiche 
nebenstehende Skizze) und auch die über Davit eingeholten ersten 
Auskünfte waren derart günstig, daß ihm eine Beteiligung an 
einem Raubmord nicht zuzumuten war. 

Davit wurde von seinen Bureaukollegen bestens beleumdet 
und als ruhiger, fleißiger Beamter geschildert, der in bescheidenen 
und geordneten Verhältnissen lebe und an seinen reichen Ver¬ 
wandten Vivante eine mächtige Stütze habe. 



• Erklärung: 

A und B Hotel Bristol; A neues, B altes Haus. 

C Kleiderhaus, in dem der Kauf des Lüsterrockes stattfand. 

D Kaffee Europe (Stelldichein mit Hedwig Reis). 

E Spielwarengeschäft, in dem die Keule gekauft wurde. 

Am 23. Mai hatte er in den -ersten Nachmittagsstunden plan¬ 
gemäß eine Gesangsstunde genommen und war dann im Bureau, 
aus dem er sich, wie gewöhnlich, nach 3 /4 4 Uhr entfernte. Als seine 
Bureaukollegin Hedwig Reis gegen 5 Uhr nachmittags verab¬ 
redungsgemäß in dem auf dem Stefansplatz gelegenen Kaffee 
Europe ankam, erwartete sie bereits Davit zeitunglesend: beide 
blieben bis etwa 1/2 6 Uhr und gingen dann in der Richtung zum 
Hotel Bristol, wo Davit täglich um diese Stunde seine Ver¬ 
wandten aufzusuchen pflegte, um mit ihnen gemeinsam zu nacht¬ 
mahlen. 

Niemandem war bei Davit irgendeine Unruhe oder Aufregung 
aufgefallen; er hatte in der Gesangsstunde schön und in bester 





108 Dr. Erwein Ritter v. Höpler 

Stimmung gesungen und die Unterhaltung mit Hedwig Reis be¬ 
wegte sich in den gewohnten Bahnen. 

Außer diesen Umständen, die gegen eine Beteiligung Davits 
sprachen, kam auch noch die Tatsache zu seinen «Gunsten in Be¬ 
tracht, daß am Tatort nicht eine einzige Fingerspur gefunden 
wurde, die auf ihn hingedeutet hätte. ' 

Trotzdem verdichteten sich die gegen Davit sprechenden Ver¬ 
dachtsgründe. Schon die Erhebungen über die Herkunft der Keule 
waren von großer Bedeutung. An dieser waren noch ganz deut¬ 
liche Aufzeichnungen zu sehen, die auf das Spielwarengeschäft 
Pohl in der Kärntner Straße hindeuteten und dort wurde er¬ 
hoben, daß die Keule wenige Wochen vorher von einem Manne 
gekauft worden war, dessen Beschreibung auf Emo Davit paßte. 
Die vernommenen Verkäuferinnen erkannten auch' in Davit den 
Käufer. 

Durch die Aussage einer Schwester. der Ermordeten wurde 
erhoben, daß Julie Earl sich wiederholt beklagt hatte, Davit ver¬ 
lange von ihr, sie möge die Tasche des Ehepaares Vivante aus 
dem Panzerfach holen und habe auch ausfindig gemacht, daß ein 
ihr zur Verfügung stehender Schlüssel auch zu jenem Kasten 
passe, in dem Emma v. Vivante den Panzerfachschlüssel aufzu¬ 
bewahren pflegte. Tatsächlich konnte festgestellt werden, daß ein 
von Julie Earl benutzter Schlüssel auch jenen Kasten sperrte, der 
den Panzerfachschlüssel enthielt. 

Außer dem Fehlen des Überziehers des Emo Davit war auch 
das Fehlen seines Wohnungsschlüssels «in Verdachtsgrund. Seine 
Behauptung, diesen Schlüssel in der Bureauschreibtischlade ver¬ 
gessen zu haben, erwies sich bei gepflogener Nachschau als un¬ 
richtig. Der schwerwiegendste Verdacht für die Täterschaft Emo 
Davits war jedoch ein bei ihm gefundenes Notizbuch, in dem sich 
der genaue Plan der von dem Ehepaar Vivante gemieteten Wohn- 
räume eingezeichnet fand, der Richtungspfeile enthielt, die den 
Weg in das Zimmer der Julie Earl und von da in den Gang an¬ 
zeigten und gerade jene Stelle des Zimmers in der Nähe des Tür¬ 
vorhanges markierten, an welcher der erste Überfall Earls statt¬ 
gefunden haben mußte. Daraus war einerseits die Beteiligung 
Emo Davits an dem Raubmorde sichergestellt, andererseits in Ver¬ 
bindung mit der bereits erwähnten Tatsache, daß irgendwelche 
Fingerspuren Davits am Tatorte nicht zu finden waren und auch 
die Blutspur an einem Handtuche, das im Badezimmer hing und 
vom Mörder zur Reinigung offenbar benutzt worden war, auf Davit 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 109 

nicht hinwiesen, der Schluß gerechtfertigt, daß Davit einen Ver¬ 
brechensgenossen hatte. 

Es wurde daher im Bekanntenkreise Davits geforscht und 
hierbei festgestellt, daß er mit einem um 15 Jahre jüngeren Bureau¬ 
kollegen Kurt Franke in einem auffallend vertrauten Verhältnisse 
stand. Bei den nun weiter gepflogenen Erhebungen machte sich 
Kurt Franke dadurch besonders verdächtig, daß er im Besitze 
Davits Wohnungsschlüssels war, den er in der mittleren Lade des 
Bureauschreibtisches des Emo Davit gefunden haben wollte, ob¬ 
zwar vorher diese Schreibtischlade nach diesem Schlüssel ergebnislos 
genau durchsucht worden war. Franke suchte auch den Besitz eines 
Sparkassenbuches zu verschweigen und diese Lüge damit zu recht- 
.fertigen, daß das Geld Emo Davit gehöre.' Es wurden daher 
sowohl in der Wohnung Frankes als in seinem Bureauschreib¬ 
tisch Durchsuchungen vorgenommen, die zu einem vollen Erfolge 
führten. In der von Kurt Franke bewohnten Dachkammer fand 
sich in einem Korbe versperrt die geraubte Tasche mit dem 
geraubten Schmucke und der Überzieher Emo Davits; im Haus¬ 
keller wurde ein mit Blut befleckter Anzug Frankes, in seinem 
Bureauschreibtisch endlich etwa 44000 K Bargeld und ein Bar¬ 
betrag von einigen tausend Lire vorgefunden, so daß von dem ge¬ 
raubten Gute nur ein Geldbetrag von etwa 2000 K fehlte. 

Die Durchsuchung förderte aber auch eine kostbare Uhr zutage, 
welche im Januar 1918 dem Fortunato Frhr. v. Vivante aus seinem 
Bankbureau abhanden gekommen war. 

Auf Grund dieses Ergebnisses sah sich Kurt Franke ge¬ 
zwungen, sein bisheriges Leugnen aufzugeben und zu einem 
Geständnis zu schreiten. 

Vor Wiedergabe dieses überaus wichtigen Vorbringens soll 
nur einiges über das Vorleben der beiden Beschuldigten und 
deren gegenseitiges Verhältnis mitgeteilt werden. 

Emo Davit ist ein Reichsitaliener und hat seine Erziehung 
teils in Udine, teils in Triest und Wien, woselbst er die Handels¬ 
akademie besuchte, erhalten. Er kam dann nach Hamburg als 
Volontär, von da als Korrespondent nach Udine und im Jahre 1910 
nach Como, wo er heiratete. Im selben Jahre noch wurde er 
nach Courtray in Belgien versetzt und reiste für ein Haus in den 
Jahren 1912 und 1913 in! Südamerika. Von dort kehrte er nach 
Triest zurück und erhielt durch Fürsprache des Freiherrn von Vi¬ 
vante bei der Brünner Nebenanstalt der Ersten österreichischen 
Allgemeinen Unfallversicherungs-Gesellschaft in Wien eine An- 



110 


Dr. Erwein Ritter v. Höpler 


Stellung. Vivante ließ auf seine Kosten dem Beschuldigten unter 
dem Titel einer Teuerungszulage eine Gehaltsaufbesserung z*u- 
kommen. Nach den Erhebungen der Brünner Polizeibehörde 
führte Davit ein ziemlich leichtfertiges, verschwenderisches Leben 
und unterhielt, obwohl verheiratet und Vater eines Kindes, mit 
einer seither verstorbenen, verheirateten Frau ein Verhältnis. Auch 
der Frau eines Bureaukollegen hatte er nachgestellt. Im April 1915 
kam er nach Wien, wo er bei derselben Versicherungsgesellschaft 
tätig war. Zwischen Davit und dem Ehepaar Vivante besteht kein 
Verwandtschaftsverhältnis, eipe entfernte Schwägerschaft mit Emma 
v. Vivante war jedoch die Quelle enger Beziehungen zwischen 
Davit und dem Ehepaar, welchem der Beschuldigte viele Wohl¬ 
taten dankte. 

Er selbst gibt zu, der Liebling des Ehepaares v. Vivante ge¬ 
wesen zu sein und begründete Aussicht gehabt zu haben, letzt¬ 
willig in sehr ausgiebiger Weise bedacht zu werden. Die Er¬ 
hebungen ergaben, daß Davit schon von seiner Jugend an in 
wirksamster Weise von Vivantes unterstützt und gefördert wurde; 
er war zu Abend täglicher Gast des Ehepaares, war im Jahre 1917 
von Vivantes zu Erholungszwecken nach Bad Gastein mitgenommen 
worden und konnte stets ausgiebigster Geldunterstützung durch 
das Ehepaar sicher sein. 

Nach den Erhebungen ist mit Recht anzunehmen, daß Emo 
Davit noch in Como kurz nach seiner Verehelichung durch Vi¬ 
vantes Hilfe aus einer überaus peinlichen und heiklen Lage befreit 
worden war. In Begleitung einer leichtsinnigen Frauensperson 
war er aus Como verschwunden und in der Bank, bei der Davit 
angestellt war, hatten 7000 Lire gefehlt. Davits Vater reiste von 
Udine nach Triest, um dort von Fortunato Vivante die sofortige 
Ordnung dieser Angelegenheit zu erbitten, die auch erfolgte. 

Davit sucht die Sache als eine leichtsinnig gemachte private 
Schuld darzustellen, doch erscheint nach dem Vorgesagten die von 
einer gut unterrichteten'Freundin des Hauses aufgestellte Behaup¬ 
tung, Davit habe Bankgelder angegriffen, weitaus glaubwürdiger. 

Daß die Ehe Davits keine glückliche war, kann nach dem’ 
Geschilderten nicht Wunder nehmen. Die Gattin des Beschuldigten 
war — angeblich wegen der Ernährungsschwierigkeiten — im 
Jahre 1917 von Wien nach Italien zurückgekehrt und Emo Davit, 
der auch in Wien im Rufe eines Frauenjägers stand, unterhielt — 
wie feststeht — zumindest mit zwei Mädchen Verhältnisse, deren 
eines ihm immerhin nennenswerte Kosten verursachte. 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


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Was seine sonstigen Ausgaben anlangt, wurde festgestellt, 
daß Davit im großen und ganzen zurückgezogen lebte und gegen 
Ende April etwas über 2000 K für Kleider und Schuhe aus¬ 
gegeben hatte. 

Waren schon diese Erhebungen über das Vorleben des Be¬ 
schuldigten für diesen nichts weniger als günstig, so warf sein 
von gröbstem Undank getragenes Vorgehen seinen Wohltätern 
gegenüber die schwersten Schatten auf Davits Charakterbild. 

Er muß zugestehen, dem Fortunate v. Vivante am 11. Januar 1918 
eine kostbare Uhr samt Kette im gerichtlichen Schätzwerte von 
zusammen 1860 K gestohlen zu haben. Vivante hatte diese Uhr 
im Bureau vergessen und Davit ersucht, sie zu holen; dieser fand 
tatsächlich die Uhr, steckte sie jedoch ein und täuschte Vivante 
vor, sie nicht gefunden zu haben. Während er die Kette ver¬ 
pfändete, ist es zu einer Verwertung der Uhr offenbar nur deshalb 
nicht gekommen, weil Vivante sofort die Anzeige erstattete und 
den Verlust der durch ein emailliertes Wappen und Monogramm 
besonders gekennzeichneten Uhr auch in den Zeitungen ankün¬ 
digen ließ, was er Davit auch mitteilte. 

Davit steht auch im Verdachte, Emma von Vivante bestohlen 
zu haben. Dieser war im Spätherbst 1917 aus einer Handtasche 
eine den Barbetrag von mehreren hundert K enthaltende Geldtasche 
abhanden gekommen; Vivante hatte anläßlich eines Gespräches 
mit Emo Davit diese Geldtasche auf einem Tischchen liegen ge¬ 
lassen und Julie Earl hatte sie später an Ort und Stelle gebracht. 
Am nächsten Tage fehlte die Geldtasche samt dem darin ver¬ 
wahrten Gelde. Eine Anzeige wurde nicht erstattet. 

Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen müssen auch folgende 
Umstände zu Ungunsten .Davits gewertet werden: 

Einmal brachte er in das Bureau französische Geldmünzen, 
die er Kollegen, darunter auch Kurt Franke, verkaufte; über die 
Herkunft machte er verschiedene Angaben; einmal behauptete er, 
die Münzen von seiner Tante zum Geburtstag als Geschenk er¬ 
halten zu haben, das andere Mal bezeichnete er sie als sein Eigen¬ 
tum aus seinem Aufenthalt in Südamerika. 

Verwandte der Julie Earl bekräftigten als Zeugen, Earl habe 
sich wiederholt darüber beklagt, Davit verlange von ihr die Aus- 
folgung des Perlenhalsbandes der Emma v. Vivante; er wollte 
einige Perlen an sich nehmen, deren Abhandensein nicht auffallen 
werde, da er „gut Knoten machen“ könne. 

Kurt Franke ist der Sohn des früheren Anstreichermeisters 



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Dr. Erwein Ritter v. Höpler 


und späteren Geschäftsdieners und Hausbesorgers Anton Franke; 
er hat die Volks- und Bürgerschule durchgemacht; der Schulbericht 
hebt die große Intelligenz Frankes hervor, bezeichnet diesen aber 
als vorlaut, ungezogen, boshaft, verschlagen, nicht wahrheitsliebend 
und strenger Zucht bedürftig. Nach dem Schulbesuch war Franke 
zunächst in einer Druckerei tätig und seit Mai 1915 bei der Ersten 
österreichischen Unfallversicherungs-Gesellschaft als Praktikant an¬ 
gestellt. Während dieser seiner Dienstleistung besuchte Franke 
die Gremialhandelsschule. 

Zwischen Emo Davit und Kurt Franke knüpfte sich eine Be¬ 
kanntschaft an, die weit über den Rahmen des nach Stellung und 
Alter erklärlichen Verkehrs hinausging und von den Bureaukollegen 
um so auffälliger bemerkt wurde, als die beiden Beschuldigten 
wiederholt bei geheimnisvollem Tuscheln beobachtet wurden. Er 
begann mit gemeinsamen Spaziergängen, die sie in verschiedene 
Gasthäuser und auch in Freudenhäuser führten, wo Franke häufiger 
Gast war. 

Die vernommenen Zeugen schildern übereinstimmend den ver¬ 
derblichen Einfluß, den der vertraute Umgang mit Davit auf Franke 
ausübte; war Franke früher fleißig, dienstbeflissen und zuvor¬ 
kommend, wurde er mit der zunehmenden Freundschaft Davits 
nachlässig, störrisch, trotzig, kleidete sich über seine Verhältnisse 
und protzte mit Geldbesitz. 

Tatsächlich verfügte Franke schon viele Monate vor dem Raub¬ 
mord über Geldmittel, die weit über seine redlichen Einnahmen 
hinausgingen; er kaufte teuere Schmuckstücke, brauchte viel in 
Gasthäusern und unterhielt mit einem Freudenmädchen ein Ver¬ 
hältnis. 

Seine Behauptung, er habe gemeinsam mit Davit mit Lebens¬ 
mitteln Schleichhandel getrieben und hierbei schön verdient, er¬ 
scheint völlig unglaubwürdig, denn er vermag nicht eine einzige 
Person zu nennen, von der er Lebensmittel bezogen oder der er 
solche verkauft; dagegen steht fest, daß Franke, der auch im 
Bureau die Ansicht verbreitete, Schleichhandel zu treiben, die 
Bitte einer Bureaiikollegin, ihr Zucker zu verschaffen, mit der 
zugestandenermaßen falschen Ausrede ablehnte, er sei in seiner 
Tätigkeit entdeckt worden und könne daher nicht liefern. 

Den eigentlichen Grund des Vortäuschens von Schleichhandels¬ 
geschäften ergab alsbald die Untersuchung, die feststellte, daß 
Kurt Franke seit dem Sommer 1917 im Einvernehmen und in 
tätiger Mitwirkung mit Emo Davit die Erste österreichische All- 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


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gemeine Unfallversicherungs-Gesellschaft dadurch geschädigt hatte, 
daß unberechtigt bei verschiedenen Personen, die mit der Anstalt 
im Geschäftsverkehr standen, Geld behoben und der Erlös aus 
dieser verbrecherischen Handlungsweise unter die beiden Beschul¬ 
digten geteilt wurde. 

Nach dem mit den Erhebungen übereinstimmenden Geständnis 
des Kurt Franke wurden diese Betrügereien folgendermaßen durch¬ 
geführt:. Davit hat aus den ihm als Abteilungsvorstand vorgelegten, 
bereits bearbeiteten Abrechnungen solche ausgesucht, die nach 
der Höhe des Betrages und der in Betracht kommenden Partei 
zum Betrug besonders geeignet erschienen und übergab sie Franke. 

Dieser versah die Schriftstücke entweder mit der gefälschten 
Unterschrift des Inkassanten Wilhelm Taglang oder fertigte als 
Inkassanten einen tatsächlich nicht bestehenden F. Pohl. Die noch 
fehlende Unterschrift eines zweiten Beamten wurde, sei es dazu 
gefälscht, sei es mit der Unterschriftsstampiglie des Direktors 
Weißensteiner ersetzt, die Davit unter Sperre zu halten hatte, aber 
zu diesem Zwecke zur Verfügung stellte. Ähnlich wurden die auf 
Pohl und Taglang lautenden Behebungsvollmachten nachgemacht, 
wozu Davit die nötigen Vordrucke beistellte. Mit diesen ver¬ 
fälschten Urkunden behob Franke im Laufe der Zeit bei den im 
Anklagesatze angeführten Personen und Firmen zusammen 4751 K 
50 h, welcher Betrag zwischen Davit und Franke geteilt wurde. 

Davit kann diese Betrügereien nicht in Abrede stellen, be¬ 
streitet jedoch in ganz unglaubwürdiger Weise das Maß seiner 
Beteiligung und die Höhe der entlockten Beträge. 

Er will erst verhältnismäßig spät sich an diesen Unredlich¬ 
keiten beteiligt haben und schiebt die in den ersten Monaten be¬ 
gangenen Entlockungen Franke allein zu. 

Für die Beurteilung des Charakters Davits ist auch dieses 
zugestandene Verhalten vernichtend, wenn bedacht wird, daß ihm 
der um 15 Jahre jüngere Franke Davit dienstlich unterstellt war. 

Die geschilderten Betrügereien beweisen aber auch, daß die 
Beschuldigten schon zu einer Zeit gemeinsam die Bahn des Ver¬ 
brechens betreten hatten, welche weit vor dem an Julie Earl be¬ 
gangenen Raubmord zurückliegt. 

Über den Werdegang der mit Davit bestandenen Beziehungen 
gibt Franke in wesentlicher Übereinstimmung mit Emo Davit fol¬ 
gendes an : 

Anfangs 1917 begann der Verkehr, der sich bis dahin nur in 
rein dienstlicher Form abgespielt hatte, sich auch auf das private 



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Dr. Erwein Ritter v. Höpler 


Gebiet zu erstrecken, wobei auch Bücher hin- und hergeliehen 
wurden. 

Davit erzählte besonders gern von seiner amerikanischen Zeit, 
schilderte die dort angeblich herrschende Freiheit und die leichte 
Möglichkeit, rasch reich zu werden, in den grellsten Farben und 
wußte den jugendlichen Franke so zu begeistern, daß dieser Spanisch 
zu lernen begann, um auch nach Südamerika kommen zu können. 
Ob es richtig ist, daß Davit Franke gegenüber den Plan entworfen, 
sie würden in gelegener Zeit gemeinsam nach Südamerika fahren 
und Farmer werden, muß dahingestellt bleiben; Davit bestreitet 
diese Darstellung Frankes. 

Seit dem Herbst 1917 begann Davit seinen Freund Franke in 
die Verhältnisse des Ehepaares Vivante einzuweihen; er schilderte 
dessen Reichtümer, dessen Lebensgewohnheiten und sprach auch 
des öfteren von der Gesellschafterin Julie Earl. Er schilderte 
Franke den reichen Schmuck der Tante, den sie bei verschiedenen 
Anlässen anzulegen pflegte, beschrieb sogar die einzelnen (Schmuck¬ 
stücke unter stetem Hervorheben deren Wertes und teilte auch 
Franke mit, daß dieser ganze Schmuck in einer Handtasche auf¬ 
bewahrt sei. 

Ungefähr im Februar 1918 erzählte Emo Davit dem Franke 
eines Morgens, er habe die vergangene Nacht schlaflos zugebracht, 
denn es sei ihm im Kopf herumgegangen, wie leicht man der 
unvorsichtigen Tante den kostbaren Schmuck wegnehmen und 
dadurch leicht reich werden könnte. Auf den Einwand Frankes, 
daß diese Unvorsichtigkeit^ denn doch nicht so gefährlich sein 
würde, bemerkte Davit, man müsse nur jemanden umbringen. In 
den nächsten Tagen kam Davit wieder auf die Möglichkeit des 
Reichwerdens zurück und bemerkte, man müsse die Tasche, in 
der das Vermögen seiner'Tante sich befinde, von Julie Earl holen 
lassen. Dieser könnte man vorgeben, daß Davit das Testament 
seiner Tante sehen wolle, und sie dann umbringen. Davit kam 
nun wiederholt auf diesen Gegenstand zu sprechen und führte die 
Einzelheiten des Raubmordes fortschreitend genauer aus. So machte 
er Franke den Vorschlag, es müßte Julie Earl zunächst betäubt 
werden, und zwar mit Chloroform, und veranlaßte Franke, sich um 
Chloroform umzusehen, dann führte er aus, Jutie Earl müsse aus 
dem Hotel verschwinden, man müsse sie erdrosseln und in einen 
Korb verpacken, so daß der Verdacht entstände, Earl habe die 
Tasche gestohlen und sei durchgebrannt. Zu diesem Zwecke 
suchten Davit und Franke wiederholt einen Korb zu kaufen, wobei 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


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Davit dem Franke unter Hinweis auf die Größe der Julie Earl 
die entsprechenden Maße des Koffers mitteilte. Davit selbst er¬ 
klärte, den Mord als solchen nicht verüben zu können, da auf ihn 
als Verwandten leicht der Verdacht kommen könne und von ihm 
nicht die geringste Spur Zurückbleiben'dürfe; diese Rolle-müßte 
daher Franke übernehmen. 

Davit, der täglich mit Vivantes, daher auch mit Julie Earl 
zusammenkam, hatte entdeckt, daß ein der Genannten zur Ver¬ 
fügung stehender Schlüssel auch jenen Kasten aufsperrte, in 
welchem Emma Vivante den Panzerfachschlüssel aufbewahrte. Um 
jedoch allen Zwischenfällen gegenüber gewappnet zu sein, ver- 
anlaßte Davit den Franke zur Beschaffung eines Nachschlüssels 
und stellte ihm zu diesem Zwecke einen Siegelwachsabdruck des 
Schlüssels zur Verfügung. 

Franke suchte unter verschiedenen im Bureau verwendeten 
Schlüsseln einen geeigneten aus und ließ ihn durch Vermittlung 
seiner Mutter bei einem Schlosser nach dem Abdruck zufeilen. 
Über Auftrag des Davit mietete Franke bei Schellhammer u. Schat- 
ters ein Panzerfach; dorthin sollte das geraubte Gut zunächst 
gebracht werden, um, soweit eine Veräußerung nicht möglich 
wäre, später einmal nach Amerika mitgenommen zu werden, wo¬ 
hin beide im geeigneten Zeitpunkte auswandern wollten. 

Durch diese steten Wiederholungen des Gegenstandes und 
die wiederkehrende Vorstellung, daß ja Franke auf einmal reich 
werden könne, hatte sich dieser, wie er glaubwürdig angibt, an 
den Gedanken des gemeinsamen Mordes nach und nach so ge¬ 
wöhnt, daß auch er sich seine Rolle in Gedanken wiederholt aus¬ 
malte, und Davit mit seiner tätigen Mithilfe sicher rechnen konnte. 
Davit veranstaltete nun mit Franke wiederholt förmliche Proben. 
Er unterrichtete ihn, daß er mit Handschuhen arbeiten müsse, um 
nicht Fingerabdrücke zurückzulassen und stellte ihm zu diesem 
Zwecke Handschuhe zur Verfügung. Er lieh ihm eine Art Sport¬ 
kleidung, in welcher Franke wiederholt ein Paket ins Hotel tragen 
mußte, wodurch einerseits festgestellt werden sollte, ob beim 
Heraustragen der Beute eine Beanstandung zu befürchten sei, 
andererseits der Verdacht auf einen als Jokai bediensteten Bruder 
der Earl als Mittäter des Diebstahls hätte gelenkt werden sollen. 
Davit verfertigte einen ganz genauen Plan der Wohnräume des 
Ehepaares Vivante, wobei er Franke genau jene Stelle bezeich- 
nete, wo er auf Julie Earl lauern müsse. Nachdem Franke Chloro¬ 
form nicht auftreiben konnte, wurde beschlossen, Julie Earl durch 



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Dr. Erwein Ritter v. Höpler 


eine Hiebwaffe zu betäuben und es kaufte zunächst Franke über 
Auftrag Davits zwei Sportkeulen, die jedoch von Davit als zu 
schwach bezeichnet wurden. Infolgedessen kaufte Davit später 
selbst die am Tatorte gefundene, mit Eisen beschlagene Keule 
und übergab sie Franko 

Die Besprechungen des geplanten Raubmordes gingen nun¬ 
mehr in die kleinsten Einzelheiten. Franke sollte den indessen 
gekauften Korb, eine Schnur zum Erwürgen und auch ein Rasier¬ 
messer mitnehmen, um für alle Fälle unmöglich zu machen, daß 
Julie Earl sprechen könnte. Auch eine Gurte zum Forttragen des 
mit der Leiche zu füllenden Korbes und ein Rucksack zur Auf¬ 
nahme der Beute mußte von Franke bereitgestellt werden. 

So war der Pfingstsamstag (18. Mai) herangekommen und 
Davit erklärte, jetzt müsse die Tat vollbracht werden. Franke 
holte von seiner Wohnung die zum Morde vorbereiteten Sachen 
und die beiden Beschuldigten begaben sich zum Hotel Bristol. 
Es kam an diesem Tage nicht zur Ausführung der Tat, weil — 
wie Davit erklärte — Earl nicht allein sei. Die Tat wurde von 
Davit auf den nächsten Mittwoch, den 22. Mai, festgesetzt. Der 
Korb mit allem für den Mord Nötigen wurde in die Wohnung des 
Davit geschafft. Um die Verwertung des zu raubenden Schmuckes 
vorzubereiten, schickte Davit am 21. Mai den Franke zürn Ge¬ 
schmeidehändler Rabinowitsch und ließ diesen fragen, ob er 
Perlen und Schmuck kaufe. Davit gab dem Franke auch die 
Zeichnung einiger Schmuckstücke mit. Franke, der, um nicht leicht 
wiedererkannt zu werden, sich zu diesem Behufe einen Zwicker aus¬ 
lieh und recht gebückt ging, erhielt von Rabinowitsch eine zu¬ 
sagende Antwort und sollte am nächsten Tage den Schmuck bringen. 

Vom Mittwoch wurde die Tat auf Donnerstag, den 23. Mai 
verschoben, weil — wie Davit sagte — Julie Earl nicht frei be¬ 
kommen habe. Auch wurde Rabinowitsch auf den nächsten Tag 
vertröstet. 

Am 23. Mai spielten sich die Geschehnisse der lange be¬ 
sprochenen und geprobten Mordtat nach der Schilderung Kurt 
Frankes folgendermaßen aß: 

Um etwa 4 Uhr nachmittags war Davit von einer Gesangs¬ 
stunde in sein Bureau zurückgekehrt, wies Franke an, den Korb 
zu holen und zum Hotel Bristol zu kommen und übergab ihm zu 
diesem Zwecke seinen Wohnungsschlüssel. Franke zog die bereit¬ 
gestellte Sportkappe an, fand in der Wohnung Davits den Korb samt 
Inhalt wohl vorbereitet und traf Davit am besprochenen Treffpunkte. 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


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Davit hatte am Vortage erfahren, das Ehepaar v. Vivante 
beabsichtigte für den 23. Mai einen Besuch und hatte mit Julie 
Earl vereinbart, diese würde durcji das öffnen des Fensters ihm 
das Zeichen geben, daß sie zum Holen der Tasche behufs angeb¬ 
licher Einsicht in das Testament bereit sei. Dieses Zeichen wurde 
auch gegeben, und daraufhin begaben sich die beiden Beschuldigten 
von verschiedenen Seiten in das Hotel und trafen einander vor 
der Wohnungstür Vivantes. Franke verbarg sich hinter einer 
spanischen Wand und Davit trat ein; kurz darauf verließ Earl 
das Zimmer und Franke betrat über einen Wink Davits den Wohn- 
raum, worauf er über ausdrückliche Anordnung Davits den Korb 
im Zimmer der Julie Earl zwischen dem Bett ünd dem Waschtisch 
aufstellte, ihn öffnete, in die rechte Hand die Keule nahm, die 
Schnur in die Rocktasche steckte und sich in der Nähe des Kleider¬ 
rechens hinter dem Türvorhang verbarg. Davit hatte nur noch 
Zeit, Franke zuzuflüstern, er werde Julie zum Türvorhang locken, 
Franke möge dann zuschlagen, er selbst werde hinausgehen, um 
aufzupassen, und verließ das Zimmer; da kam auch schon Julie 
Earl mit der Tasche zurück, suchte Davit und rief nach ihm. Als 
sie das zweitemal an Franke vorbeikam, bemerkte sie diesen, stieß 
Schreckenslaute aus und erhielt auch schon von Franke einen der¬ 
artigen Keulenschlag auf den Kopf, daß sie betäubt zu Boden fiel. 
Franke stürzte sich sofort auf sein Opfer und würgte es, wobei 
Julie Earl heftig um sich schlug. Franke nahm nun den Strick 
aus der Tasche und schlang ihn fest um den Hals seines Opfers, 
welches zwischen dem Würgen zu sprechen versuchte, wobei Franke 
jedoch nur die Worte: Davit — Schuft verstand. Da trat Davit, 
der auch schon früher einigemal in das Zimmer hergingesehen 
hatte, ein, wies mit Entsetzen auf einen Blutfleck hin, versuchte 
vergebens diesen mit einer Bluse wegzuwischen und gab dem 
Franke den Auftrag, die Leiche in den Korb zu packen. Da 
glaubten die Mörder eine Bewegung ihres Opfers zu bemerken, 
weshalb der Plan auf Fortschaffung der Leiche aufgegeben wurde, 
Franke die zum Forttragen des Korbes mitgenommene Gurte der 
Julie Earj um den Hals schnürte und über den Auftrag Davits: 
„Schneiden Sie!“ mit dem Rasiermesser einige kräftige Schnitte 
durch den Hals des Opfers führte. 

Franke, der in der Meinung, mit seiner Arbeit schon fertig 
zu sein, schon vor dem „Schneiden“ die Handschuhe ausgezogen 
hatte und infolge der entstandenen Blutlache selbst blutig geworden 
war, wusch sich an dem neben der Leiche stehenden Waschtisch, 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 9 



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worauf ihn Davit in das Badezimmer wies, wo sich Franke aber¬ 
mals wusch und auch abtrocknete. 

Davit packte nun die geraubte Tasche in den Rucksack und 
richtete sich zum Fortgehen, bemerkte jedoch plötzlich, daß Franke 
auf Rock und Hose Blutspuren zeige. Er zog ihm daher seinen 
eigenen Überzieher an, der jedoch'Franke zu groß war, was auf¬ 
gefallen wäre. Der Überzieher wurde daher wieder ausgezogen 
und Franke angewiesen, diesen über den Arm zu tragen und den 
Rucksack auf den Rücken zu nehmen. So entfernten sich die 
beiden Beschuldigten vom Tatorte durch verschiedene Ausgänge 
des Hotels. In der Kärntner Straße trafen sie einander wieder und 
Davit fragte, was am Tatorte zurückgeblieben sei. Auf die Ant¬ 
wort, es seien der Korb und die Keule dort geblieben, schickte 
Davit Franke sofort zurück mit dem Aufträge, die Keule zu holen, 
da er bei deren Kauf beobachtet worden war. Franke übergab 
den Rucksack an Davit, zog dessen Überzieher an, kehrte ins 
Hotel zurück, bemerkte jedoch, daß die Tat offenbar schon ent¬ 
deckt sei, weshalb er zu Davit zurückkehrte. Dieser hängte ihm 
den Rucksack um, steckte ihm auch die im Januar dem Fortunato 
v. Vivante gestohlene Uhr und den angefertigten Nachschlüssel 
zu und gab ihm noch den Auftrag, die Perlen nicht zu verkaufen. 
Damit trennten sich die Beschuldigten. Franke will den Nach¬ 
schlüssel und die beim Mord benutzten Handschuhe in ein Kanal¬ 
gitter geworfen haben. 

Auf dem Heimwege begegnete Franke seinem früheren Mit¬ 
schüler Ferdinand Menzel, dem gegenüber er seinen ungewöhn¬ 
lichen Aufzug damit aufzuklären suchte, er sei hamstern gewesen 
und trage Schmalz im Rucksack, und den er auch ersuchte, auf 
ihn zu warten und ihn dann zu begleiten, da er Zigaretten 
kaufen wolle. 

Tatsächlich wartete Menzel nur verhältnismäßig kurze Zeit auf 
Franke vor dessen Wohnung; Franke entledigte sich indessen 
seines blutbefleckten Anzuges, den er im Keller verbarg, und ver¬ 
steckte die geraubte Tasche und den Überzieher Davits in der 
Dachkammer. Er ging dann mit Menzel zu dem gemeinsamen 
Bekannten Fritz Epstein, um sich dort Zigaretten zu beschaffen. 

Später erbrach Franke die geraubte Tasche und entnahm ihr 
das gesamte Bargeld, bestehend aus 46000 K und einigen tausend 
Lire. Er erschien bei einer Bekannten Marie Pipitz, welcher er 
unter Hinweis auf sein vor etwa 3—4 Wochen abgegebenes Ver¬ 
sprechen, ihr Geld zur Verfügung zu stellen, „bis er ein größeres 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


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Geschäft gemacht haben werde“, 500 K einhändigte. Mit der 
gleichen Begründung übergab er den Kindern der Marie Pipitz 
200, bzw. 100 K als Geschenk. 

Auch seiner Mutter Josefine Frahke übergab der Angeklagte 
einige hundert K. 

Es war nicht genau festzustellen, ob diese Hingabe des Geldes 
noch am Abend des 23. oder erst am 24. Mai erfolgte, da die * 
vernommenen Zeugen, in dem offenbaren Bestreben, die Annahme 
des Geldes als völlig einwandfrei hinzustellen, diese auf den Abend 
des Mordtages zu verlegen trachten, weil am nachfolgenden Tage 
die Mordtat und die damit im Zusammenhang stehende Verhaftung 
Davits durch die Zeitungsberichte allgemein bekannt geworden 
war, die Geldannahme daher immerhin recht bedenklich erschiene, 
Franke aber andererseits die Hingabe des Geldes auf den 24. Mai 
verlegt. 

Sichergestellt ist ferner, daß Franke an einem der nächsten 
Tage das gesamte Geld in sein Bureau trug, daß er eine der 
Tasche entnommene Kravattennadel trug, und daß er bis zu seiner 
am 27. Mai erfolgten Verhaftung mehrere hundert K in Vergnü¬ 
gungslokalen verbrauchte. 

Irgend welche Zeichen der Aufregung oder Unruhe wurden 
auch bei Franke seit der Verübung des Raubmordes von keinem 
der vernommenen Zeugen wahrgenommen. 

Machte das Geständnis des Kurt Franke schon mit Rücksicht 
auf seine Übereinstimmung mit den übrigen gepflogenen Er¬ 
hebungen von allem Anfang an den Eindruck der Glaubwürdig¬ 
keit, so ist die Verantwortung des Eijio Davit, der bis zur Ver¬ 
haftung des Kurt Franke und dessen Geständnis jede Beteiligung 
an dem Raubmord mit aller Entschiedenheit geleugnet und sich 
auf den von ihm künstlich geschaffenen Alibibeweis gestützt hatte, 
und der erst nach Vorhalt des Geständnisses Frankes sich zu 
Geständnissen seinerseits bequemte, als hinterhältig und un¬ 
glaubwürdig zu bezeichnen; obwohl schon die Tat als solche, 
das Verhältnis des Emo Davit zu der Ermordeten und zum 
Ehepaar Vivante und zu Kurt Franke andererseits klar er¬ 
kennen lassen, daß nur Davit der Urheber und sozusagen der 
Unternehmer der Mordtat gewesen sein kann, suchte Davit in ganz 
unglaubwürdiger Weise die Hauptschuld auf Kurt Franke abzu¬ 
wälzen. Er geht hierbei so weit, glauben machen zu wollen, daß 
der Gedanke des Raubmordes von Kurt Franke ausgegangen sei, 
daß er selbst sich gegen diesen Gedanken lange gesträubt und 

9 * 



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erst nach langem Drängen seitens des Kurt Franke in die Tat 
eingewilligt habe. 

Die Entstehung des Mordgedankens sucht Davit folgender¬ 
maßen aufzuklären: Einmal im Januar 1918 habe ihm Emma 
v. Vivante 40000 K Bargeld vorgezählt, das. sie zur Zeichnung 
von Kriegsanleihe hatte verwenden wollen. Dies habe er am 
nächsten Tage mehreren Bureaukollegen, darunter Kurt Franke, 
erzählt und beigefügt, er könne verstehen, wie man in Versuchung 
kommen könne. Franke habe diesen Gedanken mit der Frage auf¬ 
gegriffen, ob man zu diesem Gelde nicht kommen könnte, worauf 
Davit dem Franke sie mit dem Beifügen bejahte, durch Julie Earl 
wäre dies möglich. Franke habe darauf sofort erklärt, diese müßte 
umgebracht werden. Auf diesen Gedanken sei nun Franke seit 
diesem Gespräch wiederholt zurückgekommen, 'bis auch Davit 
schließlich sich an ihn gewöhnt hätte und nun — wie er ausdrücklich 
zugibt — die Einzelheiten der Ausführung mit Franke besprach. 

Davit muß zugestehen, zu wichtigen Einzelheiten, so zur Weg¬ 
schaffung der Leiche, den Einschlag gegeben zu haben und kann 
auch die Behauptungen Frankes, betreffend den Kauf der Keule, 
des Korbes, die Beschaffung einer Zeichnung und eines Abdruckes 
des Schlüssels, die Zeichnung einer Wohnungsskizze, die Aus¬ 
stattung Frankes mit einem Sportanzug nicht in Abrede stellen, 
will aber dennoch glaubhaft machen, daß Franke zu dem Morde 
gedrängt habe, zum Beweise hierfür sucht Davit den Umstand 
heranzuziehen, daß er- zu wiederholten Malen schon am Tatorte 
angelangt, Franke nach Hause geschickt habe, um die Ausführung 
des Raubmordes zu verhindern. 

Daß diese Verschiebungen der Tat nicht auf Reue, sondern 
darauf zurückzuführen sind, daß Davit bei diesen Anlässen die 
Gelegenheit nicht für genug sicher und günstig erachtete, beweist 
am besten die am 23. Mai tatsächlich erfolgte Ausführung des 
Mordes, in deren- Schilderung Davit von Franke charakteristischer¬ 
weise nur dort abweicht, wo die Behauptung Frankes ihm un¬ 
günstig ist. Er muß aber zugeben, auch am 23. Mai so wie früher 
die letzten Aufträge zur Ausführung der Tat gegeben zu haben, 
nachdem er die Gelegenheit ausgekundschaftet und Julie Earl zum 
Abholen der Tasche gefügig gemacht hatte. 

Er veranlaßte den Kurt Franke sich bereitzuhalten, er sandte 
ihn um den schon hergerichteten Korb, bestellte ihn in das Hotel 
und überließ Julie Earl, die er in den mit Franke verabredeten 
Mordwinkel gelockt hatte, ihrem Henker. 



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Die gewählte Verantwortung haben beide Angeklagte im 
wesentlichen während des ganzen Verfahrens aufrechterhalten, und 
auch die Gegenüberstellung brachte nicht viel Neues. Franke hielt 
alle seine Angaben vollständig aufrecht und brachte zu den Emo 
Davit besonders belastenden Behauptungen Einzelheiten vor, welche 
Davit nur mit Phrasen und Beteuerungen zu beantworten wußte. 
Besonders kennzeichnend ist die Behauptung Frankes, Davit habe 
den 22. Mai als Tag der Ausführung unter Hinweis darauf be¬ 
stimmt, es wäre dies die schönste Geburtstagsfeier für Franke, 
der am 22. Mai' 1918 das 17. Lebensjahr erreichte, und die wider¬ 
sprechende Darstellung Davits, Franke habe sich die Ausführung 
des Mordes als Geburtstagsgeschenk gewünscht; mag die eine 
oder die andere Behauptung richtig sein, sicher ist das eine, daß 
der Geburtstag Frankes mit der Ausführung der Tat in Zusammen¬ 
hang gebracht wurde. 

Daß der Verantwortung Frankes ein weit höherer Grad von 
Glaubwürdigkeit zuzugestehen ist als Davits Behauptungen, ergibt 
sich nicht bloß aus der Tatsache, daß Davit sich bei Schilderung 
von Einzelheiten wiederholt in Widersprüche und Ungereimtheiten 
verwickelte, sondern auch aus der einfachen Betrachtung der Tat¬ 
geschichte. 

Franke kannte die Verhältnisse Vivantes nur mittelbar durch 
Davit; dieser wußte vom Inhalt der Tasche, von der wiederholten- 
Sendung Julie Earls um diese, er war es, der ausgekundschaftet 
hatte, daß ein Julie Earl zur Verfügung stehender Schlüssel zum 
Panzerfach führen könne, er war es, der allein in der Lage war, 
durch entsprechende Täuschung der Julie Earl diese zum Holen 
der Tasche zu verleiten, um damit die wichtigste Voraussetzung 
des Raubmordes zu schaffen. 

Es spricht auch sehr für die Glaubwürdigkeit von Frankes 
Geständnis, daß er im Gegensatz zu Davit weit davon entfernt ist, 
alle Schuld auf diesen abzuwälzen, vielmehr ausdrücklich zugibt, 
daß er sich der Schlechtigkeit und Ruchlosigkeit seines Tuns voll 
bewußt gewesen sei, und die Tat trotzdem, in der Aussicht reich 
zu werden und sorgenlos leben zu können, ausgeführt habe. Hatte 
doch Davit seine gegen den Mord vorgebrachten Bedenken damit 
zu zerstreuen gewußt, daß heute im Kriege ein Menschenleben 
doch wenig wiege und war doch der Pla^ so zurechtgelegt worden, 
daß eine Aufdeckung der Tat nicht zu befürchten, sondern viel¬ 
mehr anzunehmen war, Julie Earl, allenfalls auch deren als Jokei 
dienender Bruder würden als die Diebe der Tasche angesehen werden. 



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Auch die innere Unwahrscheinlichkeit der Behauptungeu Davits 
spricht gegen deren Glaubwürdigkeit. Es ist doch nicht anzu- 
nehmen, daß der um 15 Jahre jüngere, Davit dienstlich unterstellte 
Franke auf die nach Davits Behauptung doch mehr oder weniger 
harmlos gemachte Bemerkung, Julie Earl hindere die Aneignung 
der Tasche, gleich und geradezu unvermittelt mit dem unver¬ 
schämten und entsetzlichen Vorschlag hervorbrechen sollte, Earl 
müsse umgebracht werden! Wenn dies richtig wäre, könnte es 
nur damit erklärt werden, daß Davit diese Äußerung dem Kurt 
Franke geradezu in den Mund gelegt hätte; danri muß aber das 
Gespräch auf Seite Davits ganz anders geführt worden sein, als 
er glauben machen will. 

Aber auch die vorliegenden Beweise widerlegen die von Davit 
gegebene Schilderung. Wie oben ausgeführt, will Davit die Ent¬ 
stehung des Mordgedankens auf eine Bemerkung zurückführen, 
die er im Januar 1918 in Gegenwart Frankes und anderer Bureau¬ 
kollegen über den Bargeldbesitz seiner Tante gemacht haben will. 
Sämtliche in Betracht kommende Personen wurden, vernommen 
und keine einzige vermag diese Bemerkung zu bestätigen; die 
Zeugen erklären sogar, sie könne nicht gefallen sein, weil deren 
Wortlaut, der auch gar nicht der Redeweise Davits entspräche, 
von den Zeugen hätte gehört werden müssen. . Es ist auch gar 
nicht anzunehmen, daß Davit seine Gespräche, die darauf abge¬ 
stellt waren, Franke zum Morde zu dingen, in Gegenwart dritter, 
nicht Eingeweihter geführt haben sollte. 

Auch die Behauptung Davits, Earl habe einer anderen Ver¬ 
wandten Emma v. Vivantes, der Emina Floch, Einsicht in das 
in der Tasche verwahrte Testament gegeben, ist durch die Aus¬ 
sage der Genannten widerlegt. Dagegen hat die frühere Gesell¬ 
schaftsdame Vivantes, die jetzt in Genf wohnhafte Auguste Moeckly, 
angegeben, Davit habe sich schon im Laufe des Sommers 1917 
bei ihr angelegentlich um den Inhalt der Tasche erkundigt. Davits 
Begehrlichkeit nach dieser Tasche ist daher offenbar weit älter, 
als die ersten mit Franke diesbezüglich geführten Gespräche, und 
es ist mit vollem Rechte anzunehmen, daß Davit den Raub der 
Tasche lange beschlossen hatte, bevor er Franke zu seinem Plan 
zu werben begann. Da ein solcher Raub aber nur dann unent- 
deckt bleiben konnte, wenn Julie Earl für ewig verstummte, ist 
es klar, daß auch der Raubmord eine von Davit beschlossene 
Sache war, noch bevor er Franke als Mörder zu dingen begann, 
und daß Davit sich mit Franke nur zu dem Zwecke verband, um 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


123 


für die Ausführung der Tat, vor welcher er persönlich aus Feig¬ 
heit und Furcht vor Entdeckung zurückschreckte, einen Helfer 
zu gewinnen. 

Um die Lockung mit dem bevorstehenden Reichtum in Franke 
zu verstärken und ihm einen Vorgeschmack der Annehmlichkeiten 
des Reichtums zu geben, wurde Davit mit Franke zum Betrüger 
an ihren Dienstgebern; es ist gewiß von Interesse, daß nach Aus¬ 
sage des Zeugen Emil Kuh Davit schon lange vor Beginn der 
von ihm und Franke zum Schaden der Unfallversicherungs-Ge¬ 
sellschaft begangenen Betrügereien darauf zu spre'chen kam, wie 
leicht eigentlich ein Betrug an der Gesellschaft möglich sei. Davit 
hat sich also auch mit diesem Gedanken schon zu einer Zeit befaßt, 
in welcher die später durchgeführten Betrügereien noch nicht be¬ 
gonnen hatten, woraus sich dann selbst der Schluß ergibt, daß 
auch beim Betrüge Davit da$ treibende Element war, wie dies 
Franke behauptet. 

Davit sucht die führende Stellung Frankes beim Raubmord 
damit zu begründen, daß er auf sein Verhältnis zu Vivantes hin¬ 
weist, das ihm jede Aushilfe gestattete und die Tat als gegen seih 
Interesse erfolgt, daher sinnlos erscheinen lasse. 

Nun ist es allerdings richtig, daß Davit auf jede Unterstützung 
von ‘seiten Vivantes jederzeit rechnen und mit Fug und Recht 
darauf hoffen konnte, letztwillig sehr ausgiebig bedacht zu werden, 
und daß der Angeklagte alle diese Vorteile durch die Straftat ver¬ 
nichtete. Allein ,es darf nicht übersehen werden, wie der Raub¬ 
mord hätte durchgeführt werden sollen. Die Leiche Julie Earls 
sollte beseitigt und der Anschein erweckt werden, sie habe mit 
Hilfe ihres Bruders die Tasche mit dem wertvollen Inhalt gestohlen. 

Wäre dieser Plan zur Gänze gelungen, so wäre es Davit gewiß 
nicht schwergefallen, seinen Verwandten gegenüber seiner Empörung 
über die Treulosigkeit der Julie Earl beredten Ausdruck zu geben. 
Hatte ja Davit die Stirn, sogar im Anblick der Leiche Earls seinen 
Verwandten vor Augen zu treten; wie viel leichter wäre ihm dies 
bei vollem Gelingen des Planes gewesen. 

Gerade das innige Verhältnis Davits zum Ehepaar Vivante 
spricht deutlich dafür, daß an der Ermordung Julie Earls nur 
Davjt ein Interesse hatte. Wäre es Davit nur darum zu tun ge¬ 
wesen, die Tasche mit dem kostbaren Inhalt an sich zu bringen, 
hätte er dies ohne Hilfe Frankes nicht allzu schwer durch Über¬ 
listen, allenfalls Betäuben der Julie Earl durchführen können, ohne 
bei den bekannten Beziehungen zum Ehepaar Vivante fürchten zu 



124 Dr. Erwein Ritter v. HöplEr 

müssen, der Polizei überantwortet zu werden. Wohl aber hatte 
Davit dann zu fürchten, d^ß das innige Band, das ihn mit Vivantes 
verknüpfte, zerrissen und seine durch Vivantes in jeder Beziehung 
gesicherte Zukunft in Frage gestellt werden würde. Mag auch 
die persönliche Feigheit Davits ihn gehindert haben, Earl als 
Räuber gegenüberzutreten, das eine ist sicher: Um den Raub der 
Tasche durchzuführen, bedurfte es der Ermordung Julie Earls ge¬ 
wiß nicht; diese war jedoch notwendig, sollte durch den Raub die 
Stellung Davits^ zum Ehepaar Vivante nicht untergraben werden. 

Auch diese Erwägung spricht zugunsten der Darstellung 
Frankes und macht es glaubhaft, daß Davit auf der Ermordung 
Earls bestand, daß er es war, der Franke noch den letzten Auftrag 
erteilte, der Earl die Kehle zu durchschneiden. 

Die führende Rolle Davits dein Kurt Franke gegenüber wird 
auch durch das Gutachten der Gerichtsärzte erhärtet, welche mit 
der Untersuchung des Geisteszustandes der beiden Beschuldigten 
betraut worden waren, und welche zu folgenden Schlüssen kamen. 

Beide Beschuldigte sind als Verbrechernaturen zu bezeichnen, 
die des Gefühls für Gut und Böse vollkommen bar sind. 

Davit ist ein vollendeter Verbrecher, dabei ein Heuchler, ein 
Komödiant der Rechtlichkeit und verbindet mit diesen Eigenschaften 
einen hohen Grad von Feigheit. 

Diese vollendete Verbrechernatur kreuzte den Weg des jungen, 
unreifen Kurt Franke und brachte den auch in diesem vorhandenen 
Keim des Verbrechertums zum Wachsen. 

Während Davits Heuchelei und Komödiantentum den Plan 
des Raubmordes ausheckte, diesen vorbereitete und das Opfer in 
den Hinterhalt lockte, verfügte Franke über den zur Ausführung 
der Bluttat nötigen Mut; seine immerhin vorhandene Aufrichtig¬ 
keit löste sofort nach Aufdeckung seiner Täterschaft ein Geständnis 
aus, das jedoch jede Reue vermissen läßt. 

Davits Einfluß auf den schon früher unmoralischen Franke 
besteht darin, daß er den jungen und unreifen Burschen durch 
Anreiz zum Verbrechen zum Verbrecher machte. 

Bei keinem der Beschuldigten ist eine Geisteskrankheit, eine 
Sinnesverwirrung oder Sinnesverrückung vorhanden, die Verbrechen 
wurden von langer Hand sorgsamst vorbereitet und durchdacht; 
beide Beschuldigte zeigten vor und nach der Tat die größte Ruhe. 
Der Beweggrund der Verbrechen war bei beiden eitle Gewinnsucht, 
das Streben, rasch und mühelos reich zu werden. Die völlige 
Reuelosigkeit erklärt sich bei beiden Beschuldigten durch ihr 



Der Raubmord im Hotel Bristol in Wien 


125 


verbrecherisches Wesen, dem alle Begriffe, die dem Ehrlichen lieb 
sind, vollkommen fremd erscheinen. 

Bei Davit war die Verbrechensnatur schon'lange vor Begehung 
der Anklagetat zum Ausbruch gekommen, als er, jung verheiratet, 
in Como mit einer leichtsinnigen Frauensperson durchging und 
vorher die Bankkasse angegriffen hatte. 

Der Betrug an der Versicherungsgesellschaft, der Uhrdiebstahl 
an Fortunato Vivante bilden die weiteren Glieder der Kette, die 
zum bestellten Raubmord führen. Das kaltblütige Beschaffen des 
Alibibeweises und der völlig unbefangene Verkehr mit verschie¬ 
denen Personen unmittelbar vor und nach dem Mord vervollstän¬ 
digen das Charakterbild Davits. 

Von Kurt Franke wird mit vollem Recht seitens der Schul¬ 
behörde darauf hingewiesen, daß er strenger Zucht bedürfe. Außer 
der Schwäche seiner Eltern förderte der Umgang mit Davit den 
in Franke schlummernden verbrecherischen Keim und ein klarer 
Beweis für den sittlichen Tiefstand Frankes liegt in der Tatsache, 
daß dieser seine eigenen Eltern in die Mordsache mit hineinzog, 
indem er das Rasiermesser seines Vaters zur Verübung des Mordes 
benutzte, es zu diesem Zwecke heimlich enttrug und heimlich 
zurückstellte, und indem er die Mutter veranlaßte, an der Be¬ 
schaffung des für die Ausführung des Mordes nötigen Nach¬ 
schlüssels zu Vivantes Kasten mitzuwirken und nach der Tat der 
Mutter 100 K von dem geraubten Geld übergab. 


Der Eindruck, den - die beiden Angeklagten während der Ver¬ 
handlung machten, war ein mit dem entworfenen Charakterbild 
völlig übereinstimmender. 

Emo Davit, ein kleiner, schwächlich gebauter Mann mit tief¬ 
liegenden dunklen Augen, zeigt einen scheuen und lauernden 
Blick und war bemüht, unter Ausnützung seiner gefälligen Um¬ 
gangsformen sein Vorgehen möglichst harmlos und sich selbst 
als den von Kurt Franke Verleiteten darzustellen, der sich gar 
nicht erklären könne, wie ^r sich zur Mithilfe habe herbeilassen 
können. Mit größter Aufmerksamkeit verfolgte er alle Einzelheiten 
der Verhandlung und wußte jeden ihm günstig scheinenden Um¬ 
stand sofort geschickt auszunützen. Von einem Gefühl der Reue 
ist auch nicht die Spur zu merken, und diesbezüglich gestellte 
Fragen lösen Bemerkungen aus, die klar komödiantenartige Ver¬ 
stellung erkennen lassen. 



126 


Dr. Erwein Ritter v. Höpler 


Kurt Franke macht den Eindruck eines sehr aufgeweckten, 
kecken jungen Mannes, der mit <jer größten Kaltblütigkeit und 
Ruhe den begangenen Mord bis in alle Einzelheiten genauestens 
schildert, diese Ruhe auch bewahrt, als die blutigen Kleider, die 
Mordwerkzeuge ihm vorgewiesen werden, und dessen Darstellung 
weit davon entfernt ist, zu übertreiben und eigene Schuld abzu¬ 
schwächen. Er bleibt bei den Gegenüberstellungen mit Davit mit 
aller Festigkeit bei seinen Angaben, die er mit Einzelheiten stützt, 
welche Davit nicht in Abrede stellen kann, und zeigt nicht die 
geringste Erinnerungslücke oder Verwirrung. Auch bei ihm ist 
ein mit Rücksicht auf das jugendliche Alter geradezu verblüffender 
Mangel jeder Reue auffällig; auf einen Vorhalt des Verteidigers, 
ob er denn nicht weinen könne beim Gedanken an das seinen 
Eltern angetane Leid, bemüht sich Franke ohne Erfolg durch 
Drücken der Augen Tränen hervorzurufen. 

Die Verhandlung endete mit der Verurteilung beider Ange¬ 
klagten im vollen Umfang der Anklage. Die Geschworenen hatten 
die sämtlichen an sie gerichteten Fragen bejaht, und zwar mit 
Ausnahme der Davit betreffenden, auf gedungenen Raubmord ge¬ 
richteten Frage, die mit elf Ja und einem Nein beantwortet wurde, 
einstimmig. Emo Davit wurde zum Tode, Kurt Franke zu 15 Jahren 
schweren verschärften Kerker verurteilt. 

Die von beiden Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden 
wurden vom obersten Gerichtshof verworfen. 

Im Gnadenwege wurde die gegen Emo Davit verhängte Todes¬ 
strafe in lebenslängliche schwere Kerkerstrafe umgewandelt. 



Die Zentral-Polizeischule in Dänemark. 

Von 

Dr. Hakon Jörgensen, Leiter der Polizeischule, Kopenhagen. 

Eine fachliche Ausbildung der Polizisten, besonders der Kri¬ 
minalbeamten, war dringend notwendig geworden. Die Beamten 
fühlten es selbst und versuchten ihre eigenen kleinen Schulen 
einzurichten, wo sie in ihren Freistunden Unterricht nahmen. 

Um diese Bestrebungen zu fördern traten, mehrere Repräsen¬ 
tanten der verschiedenen Polizeikorps (Hauptstadtpolizei, Staats¬ 
polizei, Landespolizei usw.), in welche die dänische Polizei leider 
noch geteiltest, unter Vorsitz des Polizeidirektors zu Kopenhagen 
zusammen und berieten, wie eine für das ganze Land bestimmte 
Polizeischule eingerichtet werden müsse. Folgende Hauptlinien 
wurden sofort festgelegt: 

1. Alle Kosten müssen vom Staat getragen werden, denn die 
wichtigsten Aufgaben der Polizei sind Staatsaufgaben. 

2. In die Schule dürfen nur Schüler aufgenommen werden, 
die schon als Polizisten angestellt sind, denn die Schule 
kann nicht aus allerlei Leuten Polizisten bilden; sie kann 
aber solchen, die Anlage für den Polizeidienst haben, den 
notwendigen theoretischen Unterricht erteilen. 

3. Die Lehrer der Polizeischule müssen im praktischen 
Dienste ausgebildete Oberbeamte sein, Beamte, die nur 
kurz an der Schule bleiben, damit sie den Kontakt mit 
der Praxis nicht verlieren. 

4. Die Lehrer müssen aus einem großen Korps — aus der 
Hauptstadtpolizei — genommen werden, damit man viel¬ 
seitige praktische Erfahrung voraussetzen kann. 

Auf der Basis dieser Hauptsätze wurde ein Antrag dem Justiz¬ 
ministerium eingeschickt. Umgehend hat der Reichstag das not¬ 
wendige Geld bewilligt, und im Oktober 1914 war die Zentral- 
Polizeischule in der Lage, ihre ersten Kurse zu beginnen. 



128 


Dr. Hakon Jörgensen 


Die Kosten für den Betrieb der Schule betragen für das 
gegenwärtige Finanzjahr eine Summe von 33255 Kr. 50 Ore auf 
die untengenannten Konti verteilt: 


a) Gehälter und Honorare ....... 13755.50 Kr. 

b) Unterricht im Turnen und Spezialfächern . 5080.00 „ 

c) Kosten für die Abhaltung der Prüfungen . 300.00 „ 

d) Lehrbücher und Unterrichtsmaterial . . . 2000.00 „ 

' e) Lokale und Inventar. 4600.00 „ 

f) Tagegelder für die Schüler aus den aus¬ 
wärtigen Jurisdiktionen. 6520.00 „ 

g) Kosten für die Abhaltung von speziellen 

Kursen .. 1000.00 „ 


Die Schule wird von einem von dem Polizeidirektor dazu 
kommandierten Kopenhagener Polizeikommissar geleitet. Als 
ständige Gehilfen sind für den Leiter der Schule zwei Wacht¬ 
meister abkommandiert, einer aus der Ordnungspolizei, der andere 
aus der geheimen Polizei zu Kopenhagen. Da die ständigen 
Lehrer ausschließlich bei der Schule Dienst verrichten, ist die 
Kopenhagener Polizei aus diesem Anlaß um einen Polizeikom¬ 
missar und zwei Wachtmeister vergrößert worden, deren Gehälter 
vom Staat, derfcn Pensionen 1 dagegen von der Gemeinde Kopen¬ 
hagen übernommen worden sind. 

Da es ursprünglich geplant war, ziemlich häufig — z. B. jedes 
dritte Jahr — die Lehrer mit frischen Kräften zu vertauschen, so 
waren die Gehälter in den ersten Jahren in der Wei^e berechnet, 
daß der betreffende Lehrer genau dasselbe erhielt, was er bei 
Ausübung seines praktischem Dienstes erhalten würde. 

Später aber gab man diesen Plan auf, da man fürchtete, eine 
zu häufige Vertauschung der Lehrer werde in mehreren Hinsichten 
schädlich wirken. Jetzt ist angeordnet, daß der Schulvorsteher 
und die ständigen Lehrer eine Zeitlang wirken sollen, und ihre 
Gehälter sind derart reguliert worden, daß sie als Grundgehalt 
dasselbe Gewalt erheben als dasjenige, welches sie, falls sie prak¬ 
tischen Dienst verrichteten, erhalten würden, und als Ziilage ein 
besonderes Honorar, das die Stellung suchenswert machen soll. 

Außer den ständigen Lehrern wirken noch eine Anzahl be¬ 
sonderer Lehrer in folgenden Fächern: a) Polizeikunde für die 
Polizei außerhalb der Hauptstadt, b) Signalementslehre, c) Turnen 
und Boxerei, d) Samariterdienst, e) Dressur von Polizeihunden, 
f) Vorträge gemeinbildenden Inhalts. 







Die Zentral-Polizeischule in Dänemark 


129 


Als Schüler werden nur solche Personen aufgenommen, die 
im Dienste der Polizei als Polizeibevollmächtigte, Wachtmeister, 
Inspektionsbeamte oder Schutzleute angestellt sind. Die Schüler 
aus Kopenhagen werden vom Polizeidirektor zum Dienst bei der 
Schule beordert, die auswärtigen Schüler vom Polizeimeister nach 
vorhergehender Verhandlung mit dem Schulvorsteher. 

Während der Zeit des Kursus verrichten die Schüler keinen 
anderen Dienst. Sie erheben ihr volles' Gehalt, und die zuge¬ 
reisten Schüler erhalten außerdem 2 Kr. von der Schule als Tage¬ 
gelder. Ferner empfangen mehrere aus der Polizeikasse ihrer 
Jurisdiktion so viel Unterstützung, daß der Aufenthalt in Kopen¬ 
hagen ihnen selbst keine Kosten verursacht. 

In Bezug auf den Unterricht ist die Schule in zwei Abteilungen 
geteilt. Abteilung A umfaßt Schüler aus der Kopenhagener Polizei, 
Abteilung B umfaßt Schüler aus den übrigen Jurisdiktionen. In „ 
Kopenhagen werden alle neuangestellten Mannschaften recht schnell 
nach der Anstellung — in der Regel ein bis zwei Monate nachher — 
beordert, einen Anfängerkursus bei der Schule durchzumachen. 
Dieser Kursus dauert zwei Monate; die Schüler werden in fol¬ 
genden Fächern unterrichtet: a) Instruktionen und Tagesbefehle 
der Kopenhagener Polizei, b) das Polizeistrafgesetzbuch Kopen¬ 
hagens, c) mehrere Gesetze, welche die Polizisten kennen müssen, 
wie: Feiertaggesetz, Gesetz des Beschließens, Gesetz der Gasthöfe, 
Automobilgesetz, Gewerbegesetz, die Hauptpunkte des Strafge¬ 
setzes usw., d) Dänisch, e) Berichtschreiben, f) Gemeindelehre, 
g) Samariterdienst, h) Turnen und Boxerei. 

Im Anschluß an den Unterricht über Gemeindelehre werden 
Besuche der verschiedenen Museen und Sammlungen und des 
Reichstags und des Höchsten-Gerichtes unter sachverständiger 
Anleitung abgestattet. 

Nach diesem Kursus, der zwar mit keiner Prüfung endet, 
jedoch mit einer vorläufigen Beurteilung des Schülers, kehren die 
Schüler nach ihren Abteilungen zurück und verrichten während 
einer Zeit, die «wischen zwei und drei Jahren variiert, ihren gewöhn¬ 
lichen Dienst. Dann werden sie nochmals für einen Wieder¬ 
holungskursus, in gleicher Weise auf zwei Monate, beordert, wo 
der Stoff aufs neue durchgegangen und vertieft wird, und wo 
man den Schülern etwas Kenntnis von der Signalementslehre, der 
Fahndungslehre u. dergl. gibt. 

Beim Schluß dieses Kursus wird eine mündliche Prüfung 



130 


Dr. Hakon Jörgensen 


— bei welcher der Polizeidirektor oder der Chefinspektor oder ein 
Polizeikommissar als Zensoren fungieren — abgehalten. 

Außer diesen Kursen für junge Schutzleute werden — so 
häufig es die Verhältnisse gestatten — Abteilungen von etwas 
älteren »Polizisten zu einem zweimonatigen Wiederholungskursus 
auf die Schule beordert. Der Unterricht ist hier derselbe als der 
auf den Wiederholungskursen für die jüngeren Abteilungen. Jede 
der genannten Abteilungen hat höchstens 16 Schüler. 

Im Juli und August findet bei der Polizeischule kein Unter¬ 
richt statt. 

Seit der Etablierung der Schule sind in Klasse A 270 Beamte 
ausgebildet worden. 

In der Abteilung B werden Polizeibeamte aus den Juris¬ 
diktionen außerhalb Kopenhagens unterrichtet. Es werden teils 
kurze Kurse von einem Monat, teils lange Kurse von drei Monaten 
abgehalten.' Die kurzen Kurse sind für die wenig älteren, wohl- 
begabten Schüler berechnet, die im Stande sind, einem schnell 
fortschreitenden Unterricht zu folgen. Die Fächer sind folgende: 
a) Bericht-Theorie, b) Signalementslehre, c) Fahndungslehre, 
d) Spurenbehandlung, Lageplan und Fernidentifizierung. Der 
Kursus wird durch eine Prüfung beschlossen. 

Die langen Kurse sind teils für jüngere Schutzleute, die eines 
mehr elementaren Unterrichts bedürftig sind, und teils für Polizei¬ 
beamte, die für die Beförderung in überordnete Stellungen oder 
für den speziellen Kriminaldienst ausersehen sind. Die Fächer 
bei diesen Kursen sind folgende: a) Polizeikunde, b) Strafgesetz, 
c) die Ausforschung des Verbrechers, d) Signalementslehre, e) Fern¬ 
identifizierung, f) Samariterdienst, g) Berichtschreibung, h) Be¬ 
handlung der Spuren des Verbrechens und Zeichnen von Grund¬ 
rissen, i) Dänisch, j) Turnen und Boxerei, k) Polizeihunddressur. 

Jeder Kursus wird durch eine schriftliche und mündliche 
Prüfung beendet; ein Polizeimeister, ein Polizeibevollmächtigter 
und ein Polizeikommissar fungieren als Zensoren. 

103 Beamte sind schon ausgebildet worden. 

Außerdem haben etwa 40 Beamte in ihrer Freizeit die Schule 
besucht um einen Kursus in Polizeitechnik zu haben. 

Nach Ende des Kursus haben sie die Prüfung beständen. 

Der Polizeidirektor versendet jährlich eine Übersicht über die 
für das nächste Schuljahr festgestellten Kurse. Die Polizeimeister 
entscheiden selbst nach vorhergehender Verhandlung mit dem 
Schulvorsteher, welche Kurse dem einzelnen Schutzmann am 



Die Zentral-Polizeischule in Dänemark 


131 


besten angemessen sind und ersuchen dann um die Aufnahme in 
die Schule. Die Schule wird den Ersuchen immer Folge leisten. 

Im September wird ein besonderer Kursus fürPolizeibevollmäch- 
tigte gehalten. Die Fächer sind folgende: a) Kriminalprozeß, b) Unter¬ 
suchungstechnik, c) Erforschung des Verbrechers, d) Spurenbehand¬ 
lung, e) Signalementslehre, f) Fernidentifizierung, g) Dechiffrierung 
von Codesignalemeiits, h) Behandlungvon Spezial- u. Kartenregistern. 

Am Ende des Kursus wird eine Prüfung in Signalementslehre 
abgelegt. Um die Prüfung bestehen zu können, wird gefordert, 
daß der Polizeibevollmächtigte auf Grund eines geschriebenen 
Signalements nach dem System Bertillon unter 50 Photographien 
die richtige hervorziehen kann. In „Femidentifizierung* müssen 
sämtliche Schüler auf Grund eines Fingerabdruckes diejenigen 
Personen identifizieren können, deren Signalements in die vom 
Schulvorsteher mit Staatsunterstützung herausgegebenen Fern¬ 
identifizierungsregister (in denen sich vorläufig etwa 7000 Signale¬ 
ments befinden) aufgenommen sind. Als Zensoren in diesen 
Fächern fungieren teils Praktiker teils Wissenschaftler, welche die 
an der vom Schulvorsteher errichteten Versuchsstation für Fern¬ 
identifizierung seit mehreren Jahren unternommenen Versuche, 
die sich jetzt ihrem Abschluß nähern, verfolgt haben. 

Bei der Beurteilung der Schüler werden nachstehende Cha¬ 
raktere: ug (ausgezeichnet), mg (sehr gut), g (gut), tg (ziemlich 
gut), mdl (mäßig), siet (schlecht) verwendet. 

51 Polizeibevollmächtigte haben schon die Prüfung bestanden. 

Im Anschluß an die vom Justizministerium für Polizeimeister 
und ältere Bevollmächtigte usw. bei der Universität veranstalteten 
Kurse über den neuen Strafprozeß — welcher im Oktober 1919 
eingeführt werden soll — sind in den vergangenen Jahren und 
in diesem Jahr auf der Schule Vorlesungen über Verbrechens¬ 
erforschung und praktische Übungen in Identifizierung und Spuren¬ 
behandlung gehalten worden. 

100 von diesen Oberbeamten haben schon diesen Kursus 
mitgemacht. 

Schließlich wird bemerkt, daß im Auftrag des Justizministeriums 
ein Plan einer bedeutend erweiterten Polizeischule entworfen 
worden ist. Diese Schule soll außer den schon erwähnten Kursen , 
noch Kurse für Kriminalbeamte, künftige Polizeimeister und even¬ 
tuell eine Chargenschule für die untergeordneten Klassen umfassen. 
Dieser Plan ist jetzt einer Kommission für die künftige Organi¬ 
sation und Ausbildung der Polizei überwiesen. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für 

die Rechtspflege 

und deren Berücksichtigung in dem Strafrecht und bei der 

Strafvollstreckung. 

Von 

Dr. med. Fr. Jos. Widmann, Abteilungsarzt der Provinzial-Heilanstalt Warstein 
kreisärztlich approbiert, z. Zt. Münster i. W. 

(Fortsetzung.) 

Der Abs. 2 des § 63 macht verschiedene Abänderungen 
wünschenswert. Wollenberg verwirft zunächst die Unklarheit 
der Fassung, die augenscheinlich werde, sobald man anstatt „der 
vorbezeichneten Zustände“ (Abs. 2) die Zustände selbst (Abs. 1) 
setze, woraus übrigens auch das Störende der bereits bemängelten 
zu engen Anlehnung der beiden Absätze aneinander ersichtlich 
ist. Ferner ist es nicht zulässig, diese Zustände (im Abs. 2) nur 
dem Grade und nicht dem Wesen nach zu unterscheiden oder 
gar anzunehmen, daß den Zuständen einer verminderten Zurech¬ 
nungsfähigkeit mit der Zeit ein solcher der Unzurechnungsfähig- 
heit folgen müsse. Gerade für unsere Psychopathen wäre nichts 
irriger als diese Folgerung. Überhaupt erweckt die Fassung des 
Entwurfes mehr den Eindruck, als handele es sich um Zustände, 
die der Unzurechnungsfähigkeit näher stehen, woraus, wieMoeli 
scharfsinnig bemerkt, eine Verschiebung nach der „verminderten 
Unzurechnungsfähigkeit“ entstünde. Es soll sich aber, wie sich 
ebenfalls Moeli sehr klar ausspricht, bei den vermindert Zurech- 
rechnungsfähigen um „Zurechnungsfähige trotz psychischer Mängel“ 
handeln, d. h. die in Frage kommenden psychischen Mängel 
schließen die Zurechnungsfähigkeit in keiner Weise aus. Nur 
von diesem Gesichtspunkte aus hat der Paragraph einen Zweck 
für all die verschiedenen diesbezüglichen Grenzfälle, die sich in 
großer Zahl aus den Psychopathen und unter ihnen den be¬ 
sonders degenerierten Affektmenschen rekrutieren. A. Leppmann 
spricht nun allgemein von einem krankhaften Zustande, unter 
welchen Begriff auch die milderen Störungen der Geistestätig- 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 133 


keit gefaßt werden könnten, Wollenberg bevorzugt „krankhafte 
Störung der Geistestätigkeit“, um den feineren Unterschied 
zwischen Krankheit und krankhafter Störung zu präzisieren, 
und empfiehlt auch, m. E. mit Recht, an Stelle des „in hohem 
Grade“ vermindert, die dem Bilde und Grade der Störung näher¬ 
kommenden Epitheta „erheblich“ oder „wesentlich“. Von den 
einzelnen, in wesentlichen Punkten nicht verschiedenen Ab¬ 
änderungsvorschlägen wird m. E. die von Aschaffenburg 
(Lit. 64, S. 34) gegebene Formulierung allen Wünschen einer mög¬ 
lichst absoluten Klarheit am meisten gerecht. Die Modifikation lautet: 

„War die Fähigkeit, das Unrecht einzusehen oder dieser Einsicht 
gemäß zu handeln, durch einen Zustand geistiger Störung, Geistes¬ 
schwäche oder Bewußtseinstrübung nur erheblich beeinträchtigt, so wird 
die Strafe gemildert, oder es kann in geeigneten Fällen auch ganz 
davon abgesehen werden.“ 

Zunächst hat diese Fassung vor der Kahl-Leppmannschen 
insofern einen Vorzug, als sie die Beeinträchtigung nicht bloß auf 
„dauernde krankhafte geistige Eigentümlichkeiten“ beschränkt, 
sondern auch die Anerkennung derartiger vorübergehender 
geistiger Störungen ermöglicht. Mit dieser klaren Abstufung ist 
der Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit umgrenzt, 
gleichzeitig aber auch die Ablehnung bezüglich des weiteren 
Passus des Abs. 2 ausgesprochen. Die geistig Minderwertigen 
nach den Vorschriften des § 76 zu bestrafen, kann nicht nur nicht 
* die Billigung der Psychiater finden, sondern hat auch auf juristi¬ 
scher Seite Bedenken erregt, zumal nicht einmal sämtliche Straf¬ 
taten eine Bestrafung wegen Versuchs zulassen. Eine Bestrafung 
geistig Minderwertiger danach muß daher um so mehr befremden. 
Außer Reich und Longard wünschen auch Bleuler, Schultze 
und andere Autoren, überhaupt keine Bestrafung, sondern nur 
Verwahrung für vermindert Zurechnungsfähige. Es läßt sich nicht 
bestreiten, daß bei einer Anzahl solcher Kranken Strafen etwa in 
Verbindung mit bedingter Verurteilung nutzbringend sein können. 
Im allgemeinen dürfte eine kurze Strafe, wie Aschaffenburg 
ausführt, in Anbetracht der nach ihrer Verbüßung einsetzenden 
länger dauernden Sicherheitsmaßnahmen (§ 65 Abs. 2) ziemlich 
wirkungslos verlaufen. Aschaffenburg empfiehlt daher, sich am 
besten auf den Standpunkt derer zu stellen, die je nach der 
Individualität des Täters eine Strafe oder Sicherheits¬ 
maßregeln oder die Kombination beider für erforder¬ 
lich halten. M. E. ist die Betonung dieses Standpunktes, den 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 10 



I 


134 Dr. med. Fr. Jos. Widmann 

auch Wollenberg durch die Forderung unterstreicht, die Milde¬ 
rung der Strafe nicht obligatorisch zu machen, sondern rein indi¬ 
vidualisierend zu entscheiden, von wesentlichster Bedeutung. In 
Anbetracht dessen, daß die lex ferenda Strafmilderungen in weitem 
Umfange vorsieht und dem Richter in dieser Beziehung weit¬ 
gehendste Bewegungsfreiheit zugesteht, entschloß sich Aschaffen- 
bürg zu der oben zitierten Formulierung. 

Die psychopathische Konstitution vieler Häftlinge fordert ge¬ 
rade hier eine individuelle Berücksichtigung. Ich darf an das bei 
Besprechung der Haftpsychosen Gesagte erinnern. Wenn es auch 
durchaus nicht im Wesen degenerativer Charakterzüge liegt, daß sie 
unter allen Umständen die Haft erschweren oder aufheben, so 
wenig, wie es ohne weiteres zur psychopathischen Konstitution 
zu gehören braucht, sich unsozial oder kriminell zu betätigen, so 
läßt sich jedoch keineswegs verkennen, daß das psychopathisch 
veranlagte Individuum leichter, namentlich unter Einwirkung der 
nun auf ihn einwirkenden Momente, zu psychotischer Bildung 
disponiert ist. Die Besonderheiten der Einflüsse, wie sie die 
Situation, Vorgänge und Geschehnisse durch die Verhaftung, Ver¬ 
nehmungen und Konfrontationen, kurz das ganze Strafwesen, 
Strafverfahren und der Strafvollzug mit sich bringen, sind es, die 
das Gefühlsleben des Psychopathen besonders alterieren und dem¬ 
nach in der Haft psychotische Wirkungen entfalten. Außer diesen 
mit Strafverfahren und Haft zusammenhängenden seelisch er¬ 
regenden Vorkommnissen können natürlich auch andere mehr' 
zufällige in gleichem Sinne wirken. Kurz vor Ausbruch der see¬ 
lischen Erschütterung beobachtet man oft eine seelische Erregung, 
die sich vor allem in Briefen in einer Fassungslosigkeit über die 
Höhe des Strafmaßes, das ganze Strafverfahren, auch in Sorge 
um die Angehörigen und ferner liegende Dinge äußert. Um¬ 
gekehrt vermögen analoge Vorkommnisse günstiger Art, wie z. B. 
Einstellung des Verfahrens, Freisprechung, Erlaß des Strafrestes, 
Entlassung aus der Haft oder auch geglückte Entweichung oder 
Überführung in eine Irrenanstalt, kurz jede Befreiung aus dem be¬ 
sonderen Druck und Zwang der Detention Besserung und Rück¬ 
bildung der psychischen Störung herbeizuführen. Diese psychisch 
ausgelösten, psychogenen Krankheitszustände brauchen nun 
nicht immer auf gefühlserregende äußere Vorkommnisse, sondern 
können auch auf seelisch erregende innere Momente, gefühls¬ 
wirksame Vorstellungen, wie Birnbaum ausführt, zurückgeführt 
werden. Auch diese hängen erfahrungsgemäß zumeist mit Straf- 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 135 

angelegenheiten und Gefängnis zusammen. Vor allem sind es 
auch hier die Sorgen und Befürchtungen für die Zukunft, betreffs 
der Existenz usw., die sich an die Verurteilung, Strafe und Haft 
knüpfen. Scham, Reue und Gewissensbisse über die begangene 
Tat kommen in Anbetracht der allgemeinen Eigenart krimineller 
Psychopathen kaum in Frage. Es wäre nun naheliegend, der 
Entstehungsweise dieser psychogenen Krankheitszustände nach 
anzunehmen, wie das früher auch geglaubt wurde, daß gerade 
die Affekt- bzw. Leidenschaftsverbrecher, also solche, die ohne 
eigentliche kriminelle Absicht und Neigung kriminell entgleisten, 
es sind, die in der Haft psychotisch werden. Dem ist nun ebenso¬ 
wenig so, wie diese Annahme lediglich für die erstmalig Inhaf¬ 
tierten zuträfe. Im Gegenteil, die Erfahrung lehrt mit hinreichender 
Gewißheit, daß es eben die Rückfälligen, die Vielbestraften, die 
Gewohnheitsverbrecher vorwiegend sind, die den Hauptteil der 
degenerativen Haftpsychosen stellen; und bei diesen schlecht oder 
gar nicht anpassungsfähigen Elementen ist es der Wunsch und 
Wille geisteskrank zu sein, der die psychische Störung schließlich 
auslöst. Durchaus verständlich erwähnt Birnbaum (Lit. 13 S.447) 
das für den ersten Augenblick Unglaubhafte und Unwahrschein¬ 
liche dieser Annahme, um dann aber mit Recht zu unterstreichen, 
daß es sich hier nicht um „etwas extra für unsere Zwecke Zurecht¬ 
gelegtes“, sondern tatsächlich um eine psychogene Geistesstörung 
handelt, bei der als wirksame Ursache der Wunsch und Wille, 
geisteskrank zu sein, in Betracht kommt. Diese Art der Ent¬ 
stehung psychogener Erkrankung ist ja auch sonst der Psychiatrie 
nicht fremd; es sei nur der Zustände gedacht, wie wir sie bei 
degenerativ hysterisch Veranlagten finden, und mit denen die¬ 
selben ihre Zwecke zu erreichen suchen. Bei diesen Kranken 
erwächst aus dem Wunsche krank zu sein zur Erreichung irgend¬ 
eines Zweckes zunächst nur die Vorstellung körperlicher Störungen, 
die sich dann vermöge der krankhaften Selbstbeeinflussung schlie߬ 
lich in tatsächliche nervöse Funktionsabweichungen umsetzen. 
Das ausschlaggebende krankhaft machende Moment ist das Inter- 
' esse am Krankwerden und Kranksein. Und das findet sich aber 
erst in dem Augenblicke, wenn Strafverfahren und Haft in Aus¬ 
sicht stehen und läßt alsdann bald die labile Psyche des Psycho¬ 
pathen ins Psychotische abirren. Außer den vorerwähnten Reiz¬ 
faktoren darf natürlich nicht vergessen werden, daß die Strafhaft 
selbst mit ihren mißlichen Situationen, dem Drucke des Arbeits¬ 
zwanges, der Disziplinarstrafen, event. auch d$r Einzelhaft und 

io* 



136 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


deren materiellen Unzulänglichkeiten hinsichtlich Licht, Luft, Be¬ 
wegung und Ernährung die bei den Degenerativen bereits vor¬ 
handene Disposition zu psychogener Störung zu erhöhen vermag. 
Hierbei spielen allerdings auch der Anfang der Haft und das 
Alter der Inhaftierten zwischen 20 und 30 Jahren eine weiter be¬ 
günstigende Rolle. 

Man wird in diesem Zusammenhänge die Frage nach der 
Simulation der psychopathischen Kriminellen aufwerfen. Es soll 
nicht außer acht gelassen werden, daß bei solchen Kriminellen 
ebenso wie bei den normal veranlagten Kriminellen das Milieu 
der Absiammung, ihres Vorlebens, die Bekanntschaft mit „geistig 
Minderwertigen“, der vorübergehende Aufenthalt in einer Irren¬ 
anstalt, gelegentlich auch eigene psychotische Zustände, begün¬ 
stigt durch bestimmte schauspielerische Fähigkeiten, eine gewisse 
„Begabung“ zur Vortäuschung psychischer Störungen schaffen, 
aber gerade bei ihnen wird man bei aufmerksamer Beobachtung 
alsbald das Übertriebene, Gemachte und Gekünstelte vom Tat¬ 
sächlichen trennen können, wobei das Widerspruchsvolle ihres 
ganzen Wesens, Verhaltens und ihrer Äußerungen noch zur Klä 
rung mitwirkt. Die für die Simulation charakteristische ziel¬ 
bewußte Durchführung der Vortäuschung mit ständig darauf ge¬ 
richteter Aufmerksamkeit und Willensspannung ist kein Charakte¬ 
ristikum für den labilen psychopathischen Simulanten, bei ihm 
handelt es sich eben in der Norm um einen „automatisch ver¬ 
laufenden pathologischen Prozeß, bei dem die äußere Haltung 
nicht mehr lediglich von solchen bewußten Willenseinflüssen ab¬ 
hängig ist“ (Birnbaum). Bei dieser Erörterung über die Vortäu¬ 
schung psychischer Krankheit darf man auch nicht die entgegen¬ 
gesetzte Erscheinung vergessen, die Dissimulation, die Verheim¬ 
lichung und Ableugnung effektiver geistiger Störung. Gerade die 
degenerativ Kriminellen, unter ihnen insbesondere die gewitzteren 
Rückfalls- und Gewohnheitsverbrecher, suchen oft eine tatsächlich 
bestehende geistige Erkrankung zu verheimlichen, namentlich 
wenn eine wichtige Entscheidung vom Bestehen der Krankheit 
abhängt, wie z. B. die weitere Festhaltung in der Irrenanstalt. 

Wenn man sich die Einwirkungen der Haft auf das psycho¬ 
pathisch veranlagte Individuum vor Augen hält, dann könnte man 
die Stellungnahme derjenigen Autoren, die für den als Psycho¬ 
pathen Erkannten überhaupt eine Strafe ablehnen, für die allein 
richtige halten. Immerhin aber halte ich die Ausführung im Sinne 
der Aschaffenburgschen Auffassung und Formulierung nicht 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 137 

so sehr des Kompromisses als noch mehr der weitgehenderen 
Individualisierungsmöglichkeit wegen — als welche schließlich bei 
manchen derartigen Individuen auch eine Strafe anzusehen ist — 
für den richtigeren und annehmbaren Weg. Vielleicht aber er¬ 
öffnet sich den Juristen auch noch ein anderer Weg als der der 
Bestrafung nach dem Versuch, den zu finden Aschaffenburg ihnen 
jedoch überläßt. 

Mit Recht warnt derselbe Autor auch vor Anwendung des 
§ 18 des V.E. (Strafverschärfungen bei Taten von besonderer Roh¬ 
heit, Bosheit oder Verworfenheit oder wenn in Anbetracht der 
Vorbestrafungen eine unzureichende Wirkung des Strafvollzugs 
anzunehmen ist) bei vermindert Zurechnungsfähigen. Beide Cha¬ 
rakterisierungen, namentlich die letztere, trifft auf dieselben vielfach 
zu; demgemäß wäre die Anwendung derartiger „Strafschärfungen“, 
wie beispielsweise durch geminderte Kost, harte Lagerstätte, bei 
den vermindert Zurechnungsfähigen unangebracht. Es wäre viel¬ 
leicht opportuner, die vermindert Zurechnungsfähigen ausdrücklich 
von den Verschärfungen der Strafe auszuschließen. In den Er¬ 
läuterungen zum § 18 ist nur kurz auf den Gesundheitszustand 
der betreffenden Personen eingegangen, jedoch verlangt der Abs. 3 
des Paragraphen das Gutachten des Anstaltsarztes über den Ge¬ 
sundheitszustand, und hier wäre es durchaus am Platze, neben 
dem körperlichen Zustande, der z. B. bei schwangeren und 
nährenden Frauen den Vollzug der Schärfung verbietet, den von 
ihm abhängigen geistigen Zustand des Sträflings zu berück¬ 
sichtigen. Auch für die Jugendlichen wird die Schärfung aus¬ 
geschlossen, damit, wie in den Erläuterungen ausgeführt wird, 
der neben der Strafbehandlung zu wahrende erziehliche Charakter 
nicht beeinträchtigt werden soll. Cramer fordert daher zu Recht, 
daß in den Fällen, wo durch die Schärfungen die Ent¬ 
wicklung eines ausgeprägten Grenzzustandes zu er¬ 
warten ist, der Gefängnisarzt sich gegen diese Schär¬ 
fungen auszusprechen hat. Daß dagegen bei Grenzzu¬ 
ständen, bei denen die Verschärfung erziehlichen Wert 
verspricht, indem sie die Anerziehung von Hemmungen 
erwarten läßt, die Strafschärfung anzuwenden ist. 

In analoger Weise muß der Psychopath wie jeder Grenzfall 
bei Anwendung der Einzelhaft (§ 22 des V.E.) Berücksichtigung 
finden, was übrigens im Wortlaut dieses Paragraphen im gewissen 
Sinne vorgesehen ist. Die Bestimmungen berücksichtigen die 
Verschiedenheit der Wirkung: „Die Einzelhaft ist zur Individuali- 



138 


Dr. meü. Fr. Jos. Widmann 


sierung der Gesamtwirkungen des Strafvollzugs da, nicht zur 
Peinigung der Gefangenen“ (bei Moeli, Lit. 64, S. 12). 

Bei der lex ferenda — es sei mir diese Abschweifung ge¬ 
stattet — ist die Dreiteilung der strafbaren Handlungen in Ver¬ 
brechen, Vergehen und Übertretungen, die man vielfach an- 
gefochten hat, beibehalten worden. Ebenso sind die Strafsysteme 
bestehen geblieben. Der Entwurf sieht Zuchthaus-, Gefängnis- 
und Haftstrafen vor. Eine Möglichkeit, diese Strafen auf un¬ 
bestimmte Zeit zu verhängen, und ihre Dauer allgemein vom 
Zustand des Delinquenten abhängig zu machen, ist nicht vor¬ 
gesehen. Neben der Vorbeugung soll eben auch noch die Ver¬ 
geltung zum Ausdruck kommen. Allerdings bringen die bedingte 
Verurteilung und die Abkürzung der verfügten Strafe nicht un¬ 
erhebliche Neuerungen, die den ganzen Strafrahmen elastischer 
gestalten und so eine größere Individualisierung ermöglichen, 
so daß den verhängten Freiheitsstrafen im allgemeinen der Vor¬ 
wurf der Unwirksamkeit oder gar Schädlichkeit nicht mehr ge¬ 
macht werden kann. An den §§38—41 der bedingten Verurtei- 
teilung, bzw. „bedingten Strafaussetzung“ möchte ich nicht wortlos 
vorübergehen. Wenn ihre Vergünstigung auch hauptsächlich für 
Jugendliche gedacht ist, so kann sie jedoch auch, wie das Gesetz 
ausdrücklich sagt, Erwachsenen gewährt werden, und es ist vom 
ärztlichen Standpunkt höchstens zu bedauern, daß die bedingte 
Strafaussetzung nur bei einer Verurteilung bis zu 6 Monaten 
(Gefängnis oder Haft) zur Anwendung gelangen kann. Es läßt 
sich nicht leugnen, daß die Strafaussetzung zur Erkenntnis nicht 
bloß einer langsam sich entwickelnden geistigen Störung, sondern 
auch eines allmählich sich zeigenden Grenzzustandes, der sich 
oft lange vor Fixierung der Diagnose durch eine kriminelle Ent¬ 
gleisung bemerkbar macht, von hohem Wert ist. Natürlich soll 
damit nicht beansprucht werden, daß ein später in Erschei¬ 
nung tretender psychopathischer Zustand bedingte Strafaussetzung 
veranlassen soll. Das würde zum Rechtssystem des ganzen Ent¬ 
wurfs in Widerspruch stehen. Im übrigen ist anzuerkennen, daß 
durch die bedingte Strafaussetzung das Vergeltungsprinzip hier 
durchbrochen ist und das Prinzip die Oberhand gewonnen hat, 
das sich mehr der Natur des Rechtsbrechers als dem, was er 
getan hat, züwendet, womit der Gesetzentwurf sich auf den 
naturwissenschaftlichen Standpunkt stellt, „daß einem Menschen 
durch die drohende Strafvollstreckung Hemmungen anerzogen 
werden können“ (Cramer). 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 139 

Moeli (Lit. 64, S. 10) hebt bei klarer Scheidung der Vor- 
und Nachteile der bedingten Strafaussetzung unter den Vorzügen 
heraus die erziehliche Wirkung an Stelle nutzloser oder schäd¬ 
licher kurzer Freiheitsstrafe, zuverlässigeres Urteil über die er¬ 
reichte Besserung, Wegfall der Nachteile für die Zukunft des 
Verurteilten und für seine Umgebung, große Elastizität in der 
Verwendung. Somit wäre eine Art der Behandlung der Neulinge 
auf dem Gebiete des Verbrechens gegeben. Und gerade auf jene 
leicht psychopathisch veranlagten Individuen, die eine von Haus 
vorhandene leichtere Bestimmbarkeit, ein Fehlen von Hemmungen, 
wie sie der ganz Gesunde besitzt, in die Erstlingsscbuhe des 
Rechtsbrechers gleiten ließ, gerade auf die wird nicht selten die 
erste Verwicklung mit einem Strafprozeßverfahren nicht ohne 
nachhaltigen Eindruck bleiben. Und manch einer von ihnen dürfte, 
wenn er erst die ganze Stufenleiter vom Beginne eines Strafpro¬ 
zesses bis zur Strafaussetzung durchkostet hat, mit so nachhaltigen 
Hemmungen geläutert daraus hervorgehen, daß er, wie Cramer 
sehr richtig betont, nie wieder rückfällig wird. 

Der nämliche Autor fordert mit Recht in diesem Zusammen¬ 
hänge, ohne die ausgesprochen unter den § 63 Abs. 2 fallenden 
plötzlichen Affekthandlungen der Grenzzustände außer acht zu 
lassen, für weniger ausgesprochene Fälle, daß eine bedingte 
Strafaussetzung bei erstmalig Verurteilten möglichst ohne Berück¬ 
sichtigung der Höhe der Strafe und unter möglichst genauer Be¬ 
rücksichtigung der Natur des Rechtsbrechers erfolge, was am 
besten dadurch erreicht werden dürfte, wenn die Dauer der 
Strafe entweder gar nicht oder wenigstens nicht so niedrig be¬ 
grenzt würde. Moeli vertritt die Ansicht, daß die Strafaussetzung 
für einzelne Fälle, in denen leichte Vergehen erst die Auf¬ 
merksamkeit auf psychische Minderwertigkeit lenken, die mehr 
aus Mangel an Überlegung wirkt, am Platze wäre. In solchen 
Fällen mag gegebenenfalls auch der § 83 einen Ausweg schaffen. 

Auch Wollenberg fordert für die vermindert Zurechnungs¬ 
fähigen eine möglichst ausgedehnte Anwendung der bedingten 
Strafaussetzung, vertritt im übrigen aber den vom V.E. ab¬ 
weichenden Standpunkt, daß bei ihnen eine obligatorische Straf¬ 
milderung nicht erfolgen solle. Ich möchte diesem Modus der 
ausgedehnten Benutzung der §§ 38—41 in praxi für einen im 
allgemeinen nicht unersprießlichen halten. Man umgeht auf diese 
Weise die Strafmilderung. Immerhin möchte ich es auch hier für 
dringend geraten halten, ganz individuell zu verfahren. 



140 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


Erwähnt sei, daß Österreich (nur für Jugendliche) und die 
Schweiz bei der Strafaussetzung Schutzaufsicht einrichten, was der 
V.E. mit Rücksicht auf die Schwierigkeit einer wirksamen Organi¬ 
sation und auf die Lage des Verurteilten selbst ablehnt. Für 
unser neues Gesetz bliebe jedenfalls zu wünschen, da nun einmal 
die Strafe für geistig Minderwertige prinzipiell beibehalten worden 
ist, und die Psychiater sie einerseits nicht ad extremum abzu¬ 
lehnen brauchen, anderseits aber auch in Anbetracht des Kom¬ 
promisses der beiden sich am schärfsten gegenüberstehenden 
strafrechtlichen Richtungen sich damit abfinden müssen, daß die 
bedingte Strafaussetzung für einen als Grenzzustand erkannten und 
begutachteten Fall in ausgedehntem Umfange zur Anwendung 
komme, wozu die Anregungen Cramers in seinen Bemerkungen 
zum V.E. die nötige Handhabe bieten. 

Was sieht das neue Gesetz nun vor bei den nach § 63 Abs. 2 
Verurteilten und Bestraften? Darauf gibt der Abs. 3 desselben 
Paragraphen die Antwort. Dieser letzte Absatz des § 63 muß ent¬ 
schieden alsein wesentlicher Fortschritt anerkannt werden. Er 
drückt aus, daß die Freiheitsstrafen an den nach Abs. 2 Verurteilten 
unter Berücksichtigung ihres Geisteszustandes, soweit dieser es 
erfordert, in besonderen, für sie ausschließlich bestimmten 
Anstalten oder Abteilungen zu vollstrecken sind. Damit 
ist zweifelsfrei das von verschiedensten Seiten angestrebte Ziel der 
Möglichkeit einer strafrechtlichen Behandlung der Grenzzustände 
in gewissem Sinne erreicht. Die ganze Verwahrung in An¬ 
stalten stellt an sich schon ein erfreuliches Novum in der Straf¬ 
gesetzgebung dar und wird im §65 geregelt. — Cr am er inter¬ 
pretiert aus dem Abs. 2 des § 63, wonach die Verwahrung erst 
nach verbüßter Strafe zu erfolgen hat, daß der Entwurf den durch¬ 
aus richtigen Standpunkt vertrete, daß die öffentlichen Heil- und Pflege¬ 
anstalten mit dem Strafvollzüge nichts zu tun haben. Das wird von 
Cramer in seinen Bemerkungen zum Entwurf mit vollem Rechte 
hervorgehoben. Denn der Charakter unserer Heil- und Pflegeanstalten 
als Krankenanstalten, die ausschließlich der Behandlung und Pflege 
geisteskranker Personen dienen, muß unbedingt gewahrt werden. 
Dienten sie auch der Strafvollstreckung, so büßten sie vollständig 
ihre Eigenschaft als Krankenanstalten ein, und die berechtigten 
Insassen, die weitaus die Mehrzahl bilden und in keine Konflikte 
mit der Strafgesetzgebung geraten sind, würden schwer geschädigt 
werden. Die Anstalten wären außerstande, ihre Aufgaben wie 
bisher durchzuführen. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 141 

% 

Zu diesem Ergebnis wird ein jeder Psychiater kommen, der 
an Irrenanstalten tätig gewesen ist, wo neben den Geisteskranken 
auch verschiedengradig schwachsinnige Kriminelle (Fürsorgezög¬ 
linge) Aufnahme gefunden haben. Die aufrührerischen, unzu¬ 
friedenen und Unzufriedenheit säenden Elemente sind neben den 
Debilen und leicht Imbezillen vorwiegend die Fälle, die wir mit 
Ziehen am treffendsten als die mit ..erblich degenerativer psycho¬ 
pathischer Konstitution“ Behafteten bezeichnen, eben die geistig 
Minderwertigen. Mit Vorliebe ergreifen sie die Gelegenheit, 
irgendwelche krankhafte Eigenschaften der anderen auszunutzen 
und dieselben entweder direkt oder noch lieber indirekt für ihre 
Zwecke zu mißbrauchen. Aber nicht bloß durch diese mittelbare 
und unmittelbare Ausnutzung der psychischen Defekte dieser 
Kranken üben sie einen unheilvollen Einfluß aus, sondern überhaupt 
durch all die verschiedenen psychopathischen Züge, die als Anomalie 
zu erkennen den meisten der sie umgebenden, in ihrem Urteils¬ 
vermögen mehr oder weniger geschwächten Kranken selbstredend 
abgeht. 

Ebenfalls geht es nicht an, auf einer bestimmten Abteilung 
an Heilanstalten die kriminell entarteten Psychopathen zusammen¬ 
zulegen; es müßte dann schon in dem Sinne der Einrichtung 
eines festen Bewahrhauses als Annex an einer Heilanstalt der 
Ausweg gefunden werden, wie es z. B. hier in Westfalen die 
Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Eickelborn besitzt. Aber gerade 
hier sind es, wie He'rmkes in einem Vortrage auf der 8. Tagung 
der Deutschen Gesellschaft für gerichtl. Medizin (Münster i.W. 1912) 
hervorhebt, auch die Psychopathen, die unter den Geisteskranken und 
Geistesschwachen mit kriminellen Neigungen die größten Schwierig¬ 
keiten bei der Behandlung bieten, indem sie „durch Querulieren, 
brutale Gewalttätigkeiten, Entweichungssucht, besonders aber auch 
durch ungünstige Beeinflussung der übrigen Kranken den ge¬ 
ordneten Betrieb des Bewahrhauses empfindlich stören“. 

Umgekehrt ist zu bedenken, daß mancher kriminelle Psycho¬ 
path durch die geisteskranke Umgebung nachteilig beeinflußt 
wird; er sieht sich manches ab, was ihm bei einem späteren 
Strafverfahren zur Erreichung milderer Beurteilung vorteilhaft 
dünkt anzuweriden; ferner ist es bei der nun einmal vorhandenen 
Disposition zu psychogener Erkrankung keineswegs auszu¬ 
schließen, daß der Aufenthalt unter Geisteskranken schließlich 
noch eher zu einer psychotischen Erkrankung führen kann, als 
in der Haft oder im Gefängnis. Der reine Psychopath und auch 



142 


Du. med. Fr. Jos. Widmann 


schließlich noch der Psychopath mit debilem Einschlag gehören 
eben weder unter normale Rechtsbrecher noch geistesgestörte 
Delinquenten, noch unter Geisteskranke oder Geistesschwache 
überhaupt. Die geistige Verfassung des Psychopathen ist eine 
solche, daß er seine Verkehrtheiten wohl zu erkennen vermag; 
bei allem Wohlwollen ärztlicherseits gegen ihn und allen Ver¬ 
suchen milder Behandlung wird man zeitweilig nicht ohne straffe 
Disziplin, konsequente, zielbewußte Strenge, bei peinlicher Ver¬ 
meidung jeglicher Willkür auskommen können. Im Rahmen 
einer Irrenanstalt ist dies jedoch nur schwer zu ermöglichen, ganz 
abgesehen davon, daß die Irrenanstalten eben Krankenanstalten 
sind und es bleiben müssen und nicht zu Anstalten zur Fort¬ 
setzung des „Sühneprinzips“ modifiziert werden dürfen. Stellen 
sich bei Strafgefangenen auf dem Boden der psychopathischen 
Konstitution schwerere geistige Störungen ein, so sind sie ebenso 
wie körperlich Kranke im Lazarett baldmöglichst in organisch zur 
Strafanstalt gehörige Irrenabteilungen unterzubringen. Erst wenn 
nach Strafverbüßung einzig und allein das geistige Befinden des 
Rechtsbrechers es noch erheischt, ist die Unterbringung in einer 
Irrenanstalt gerechtfertigt; keinenfalls darf aber für die Unter¬ 
bringung in einer Irrenanstalt die Rücksichtnahme auf die von 
dem Delinquenten bedrohte Gesellschaft maßgebend sein. Auch 
dann, wenn der Geisteszustand eines derartigen Strafgefangenen eine 
Veränderung in Jahren nicht erwarten läßt oder gar nach mensch¬ 
lichem Ermessen als unheilbar zu erkennen ist, wird gegen 
die Überführung in eine Irrenanstalt nichts einzuwenden sein. 
Jedoch sollte der Strafvollzug sodann nicht bloß unterbrochen, 
sondern endgültig abgebrochen werden, da wir es ja nun mit 
einem in wirkliche geistige Störung Verfallenen zu tun haben. 
Von diesem Gesichtspunkte geleitet, sind in Preußen im 
Laufe der Jahre 7 Irrenbeobachtungsabteilungen als An¬ 
nexe an Straf- und Gefangenenanstalten geschaffen worden, und 
zwar an den Gefängnissen zu Breslau, Düsseldorf-Derendorf, 
Moabit, Halle, Graudenz, der Strafanstalt zu Münster i. W. und 
dem Gefängnisse und der Strafanstalt zu Cassel-Wehlheiden. In 
diesen wird namentlich bei Zuchthausgefangenen und langstrafigen 
Gefängnisgefangenen durch eine Beobachtung bis zu 6 Monaten 
die Geistesstörung unter Heilversuchen bei entsprechenden Fällen 
endgültig festgelegt. Diese Beobachtungszeit dürfte m. E. unter 
Umständen allgemein und speziell für geistig erkrankte Psycho¬ 
pathen zu kurz bemessen sein. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 143 

Was soll nun mit den reinen Psychopathen geschehen? Für 
sie kommen die für,die geistig Minderwertigen seitens der Psy¬ 
chiater mit vollem Rechte geforderten Zwischenanstalten in 
Betracht, die weder Gefängnisse noch Irrenanstalten sein dürfen 
und in ihrem weiteren Ausbau ein außerordentlich wichtiges Zu¬ 
kunftsproblem für den Staat bedeuten. Der § 65 der lex ferenda, 
der die Verwahrung auch des nach § 63 Abs. 2 Verurteilten in 
einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt anordnet, „wenn es die 
öffentliche Sicherheit erfordert“, kann in dieser Fassung nicht die 
Billigung der Psychiater finden. Die Irrenanstalten zu Instituten 
zu stempeln, denen die Bewahrung lediglich antisozialer, die 
öffentliche Sicherheit gefährdender Elemente zufällt, geht aus den 
oben ausführlicher entwickelten Gründen nicht an; für die Auf¬ 
nahme in die Irrenanstalt entscheidet das eigene Interesse des 
Kranken in erster Linie. 

In dem Sicherungsverfahren streiten, wie E. Schultze 
(Lit. 64, S. 73) bemerkt, miteinander die Interessen der Allgemein¬ 
heit, die vor den Rechtsbrüchen eines nicht ganz verantwortlichen 
Individuums geschützt werden muß, und das Interesse des 
einzelnen, der sich keine größere Beschränkung seiner persön¬ 
lichen Freiheit bieten zu lassen braucht, als das Wohl der Ge¬ 
sellschaft und seine etwaige Heilung oder Besserung erheischen. 
Schultze tritt für die Verwahrung in doppeltem Sinne ein, zum 
eignen und zum Schutze der Gesellschaft, und hat nicht unrecht, 
wenn er meint, der Zweck des Verfahrens sei der gleiche: die 
Allgemeinheit vor dem psychisch abnormen Delinquenten zu 
schützen und dem letzteren selbst aber auch das Recht auf 
Schutz seiner persönlichen Freiheit zu wahren. 

Während es früher dem Ermessen der Landespolizei über¬ 
lassen war, über die sichere Unterbringung der ihr seitens des 
Gerichtes als gemeingefährlich übergebenen Geistesgestörten zu 
entscheiden und hier bei der Ausführung des richterlichen Ent¬ 
scheids allerhand, namentlich finanzielle Rücksichtnahmen eine 
nicht unbedenkliche Rolle spielten, trifft jetzt erfreulicherweise 
der Richter die Anordnung auf Verwahrung, und die Landes¬ 
polizeibehörde muß ihr Folge leisten. Natürlich hat diese treff¬ 
liche Neuerung nur dann praktischen Nutzen, wenn ihr auf dem 
Fuße der richterlichen Anordnung stattgegeben wird. Und hier 
fordert Schultze sehr richtig seitens des Staates Vorkehrungen, 
daß der verwahrungsbedürftige Anomale ohne Verzug am ge¬ 
eigneten Orte untergebracht werden kann. 



144 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


Die geistig Minderwertigen, für die das Gesetz nun gleich 
den Unzurechnungsfähigen Verwahrung in einer Heil- und Pflege¬ 
anstalt vorsieht, würden, ganz abgesehen daß sie aus den oben 
erörterten Gründen nicht in eine Irrenanstalt gehören, nun auch 
noch die an sich schon überfüllten Heil- und Pflegeanstalten 
füllen. Auch von diesem. Gesichtspunkte gewinnt die Forderung 
zur Schaffung eigner Anstalten oder Abteilungen Berechtigung. 
Mit diesen Sonderabteilungen, zu deren eifrigen Vorkämpfern 
besonders A. Leppmann gehört, ist bereits der Anfang gemacht, 
und zwar ein Anfang mit Gutes versprechenden Erfolgen. Der 
genannte Autor denkt sich diese Sonderabteilungen als Annexe 
von Str^f- und Gefangenenanstalten entweder in besonderen Bau¬ 
lichkeiten oder wenigstens in besonderen Flügeln und empfiehlt 
die Bevorzugung der Anstalten, die den Detinierten Gelegenheit 
zur Garten- und Feldarbeit geben. Die weitere Forderung, dem 
Arzte über diese Abteilungen die alleinige Oberaufsicht zu über¬ 
tragen, ihn neben der Verwaltung auch die Verantwortung für 
die Sicherungsmaßregeln übernehmen zu lassen, ist die natür¬ 
liche; zum mindesten muß dem Arzte ein weitgehender beratender 
Einfluß in diesen Abteilungen auf die Gestaltung des Strafvoll¬ 
vollzugs, namentlich auf die disziplinäre Behandlung, gesichert 
sein. Auf diese Weise wird das Prinzip der Individualisie¬ 
rung im Strafvollzug, als deren Hauptvertreter sichKrohne 1 ) 
durch persönliches tatkräftiges Eingreifen und in seinem Haupt¬ 
werke über Gefängniskunde hervorragende Verdienste erworben 
hat, praktisch wohl am besten zur Geltung gelangen. Krohnes 
Anregung ist es zu danken, daß zunächst das Lazarett jier Straf¬ 
anstalt zu Brandenburg zu einer Minderwertigen-Abteilung um¬ 
gebaut wurde und neuerdings sind auch in der Strafanstalt zu 
Rheinbach eine Abteilung von 80 Plätzen sowie eine Sonder¬ 
abteilung in Insterburg für geistig Minderwertige eingerichtet 
worden. Wenn Wilmanns 2 ) in seiner Besprechung über die 
verminderte Zurechnungsfähigkeit die individualisierende Behand¬ 
lung als ein beliebtes Schlagwort des Strafvollzugsbeamten kenn¬ 
zeichnen möchte, so muß ich doch mitTöbben 3 ) diese Behauptung 
Wilmann’s als sicher zu weitgehend erachten, und kann dieselbe 

J ) K roh ne, Lehrb. der Qefängniskunde. Enke, Stuttgart 1889. 

-) Wilmanns, Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, 71. Bd., 4. u. 5. Heft. 

y ) Többen, Über die individualisierende Behandlung der vermindert Zu* 
rechnungsfähigen im Strafvollzug. Sonderabdruck der Zeitschrift für Medizinai- 
beamte, 1915, Heft 6, Fischer-Kornfeld, Berlin. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 145 

kaum die Zustimmung- der Psychiater im allgemeinen und der 
Strafanstalts- und Gefängnisärzte im besonderen finden. Die Be¬ 
tätigung für die einzelnen Strafvollzugsbeamten ist in dieser Hin¬ 
sicht deutlich in dem oben angegebenen Lehrbuche Krohnes 
(§81) ausgesprochen und vor allem auch in dem §73 der Dienst¬ 
ordnung für die dem Ministerium des Innern unterstellten Straf¬ 
anstalten und größeren Gefängnisse vom 14. Nov. 1902 (Berlin, 
Druckerei der Strafanstaltsverwaltung). 

Es liegt auf der Hand, daß dem Arzte, und zwar dem psy¬ 
chiatrisch vorgebildeten Arzte bezüglich der geistig affizierten 
Inhaftierten ein spezifisches Arbeitsfeld sich bietet, auf dem die 
Pädagogen und Geistlichen gleichfalls nicht ausgeschlossen sein 
sollen. Im Rahmen der bestehenden Verwaltungsbestimmungen 
vermag ein individualisierender Strafanstaltsarzt für seine geistig 
Minderwertigen viel zu tun. Er kann die Minderung ihrer 
Arbeitsleistungen und ihrer Disziplin bewirken, er kann ihnen die 
im Umfange des Strafvollzugs zustehenden Erleichterungen in er¬ 
höhtem Maße zukommen lassen. Ein Erlaß des preußischen 
Ministers des Innern vom 16. Juni 1908 kommt der Eigenart der 
psychopathischen Individuen insofern entgegen, als er bestimmt, 
daß den Eingaben an die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und 
die Aufsichtsbehörden von derartigen Gefangenen, die in Irren¬ 
anstalten bzw. in Irrenabteilungen der Strafanstalten untergebracht 
sind und dort zwar als strafvollzugsfähig, jedoch geistig defekt 
erkannt und in den Strafvollzug zurückgebracht worden sind, 
oder von solchen Gefangenen, die vom Arzte als geistig minder¬ 
wertig bezeichnet worden sind, eine kurze Äußerung des Anstalts¬ 
arztes über den Geisteszustand des Kranken beizufügen ist. Bei 
den wöchentlich mehrmals stattfindenden Konferenzen des Be¬ 
amtenkörpers der Strafanstalt sowie auch gelegentlich der Be¬ 
suche des Regierungsreferenten ist es nach Többen dem Arzte 
wohl möglich, auf die dem Gefangenen dienliche ärztliche Be¬ 
handlung, Beschäftigung, Unterricht und Ernährung hinzuweisen. 
Pollitz 1 ) und F. Leppmann 2 ), die beiden bekannten Autoren 
gerade auf diesem Gebiete, geben in dieser Beziehung mancherlei 
Anhaltspunkte und Anregungen. Bei Verhängung einer schw*eren 
Disziplinarstrafe wird der Arzt, der ja die verhängten Strafen 
unterzeichnen muß, die Schärfe der Strafe mildern oder selbst 

') Pollitz, Strafe und Verbrechen. Teubner, Leipzig 1910. 

-) F. Leppmann, Der Gefängnisarzt. Richard Schoetz, Berlin 1909. 



146 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


eine Unterbrechung derselben, z. B. bei beginnender Psychose, 
bewirken können. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß hier 
gar nicht selten besondere Schwierigkeiten dadurch entstehen, 
daß die ersten dem Laien noch völlig unsichtbaren Anfänge einer 
Psychose mit Unbotmäßigkeiten und darum gebotenen Diszipli¬ 
nierungen zusammenfallen, und hier stellen ja bekanntlich die 
Psychopathen, deren geistige Minderwertigkeit sie leichter denn 
geistig Vollwertige zu Situationspsychosen prädisponiert, einen 
Hauptanteil. Und es ist sicher, daß manche derartige aus der Situation 
herausgeborene Psychose durch die Inhibierung einer Strafverschär¬ 
fung und die intensivere Beschäftigung seitens des Arztes mit dem 
Gefangenen im Keime erstickt wird. Daraus folgt, daß die der 
Entscheidung des Anstaltsvorstehers unterstehenden Strafmittel 
genau festgelegt und vor der Exekution der Begutachtung des 
Arztes vorgelegt werden müssen, der sich über den Gesundheits¬ 
zustand des Delinquenten im allgemeinen und über seine ge¬ 
mütliche Verfassung dabei genau zu orientieren hat. Hierbei darf 
sich, wie F. Leppmann richtig bemerkt, der Arzt in seiner Ent¬ 
scheidung nur von diesen beiden Gesichtspunkten aus bestimmen 
lassen, ob der Sträfling für seine Disziplinarwidrigkeit nicht oder 
vermindert zurechnungsfähig ist, und ob die Strafe seiner Gesund¬ 
heit schädlich sein könnte; nicht aber dürfen irgendwelche Er¬ 
wägungen, ob das vorzunehmende Zuchtmittel zweckmäßig oder 
grausam ist, bestimmend sein. In Preußen hat der Arzt ein Ein¬ 
spruchsrecht nur bei der schwersten Disziplinär-, der Prügelstrafe. 
Finkelnburg und A. Leppmann haben sich bereits 1904 ent¬ 
schieden für Erweiterung des ärztlichen Einflusses ausgesprochen, 
namentlich in weitgehendem beratendem Sinne auf die diszipli¬ 
näre Behandlung. Gerade die psychisch weniger widerstands¬ 
fähigen Psychopathen, die durch die Strafhaft an sich schon 
stärker getroffen sind, sind es, deren Anpassungsfähigkeit und 
Spannkraft es übersteigt, sich in die straffe Disziplin und hoch¬ 
gradigen Beschränkungen einzuleben. Und darum findet man 
unter den vermindert zurechnungsfähigen Stra f gefangenen zahl¬ 
reiche, die für Disziplinierungen in Frage kommen, bei denen 
aber die Auflehnung gegen die Hausordnung häufig das erste 
Zeichen einer beginnenden Psychose ist; hier hat der Arzt mit 
allem Nachdruck Wert darauf zu legen, daß von der Bestrafung 
Abstand genommen und der betreffende Häftling zwecks ge¬ 
nauerer Beobachtung und anschließender Behandlung der Irren¬ 
abteilung überwiesen wird. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 147 

Den hier naheliegenden Gedanken der gänzlichen Übertra¬ 
gung des Disziplinarrechts und der Strafmilderung bei Minder¬ 
wertigen an den Arzt verwirft Staig er 1 ) — m. E. wohlbedacht —, 
da dadurch eine bedenkliche Zweiteilung in den Betrieb der An¬ 
stalt eingreife mit der ständigen Gefahr von allerhand Meinungs¬ 
verschiedenheiten und Reibungen zwischen Direktion und Arzt. 
Diese Bedenken entfallen, wenn der Anstaltsleiter ein Arzt ist, 
und dies ist auch einer von den Punkten, die das Bestreben der¬ 
jenigen Psychiater unterstützen, die sowohl die kriminellen als 
auch die noch nicht kriminellen Minderwertigen in besonderen 
Anstalten unter besonderer Leitung untergebracht wissen wollen. 
A. Leppmann*) verlangt durchaus richtig, daß nicht bloß bei 
denjenigen, die ihre Minderwertigkeit durch die zur Verhandlung 
oder Untersuchung gelangenden kriminellen Handlungen bekunden, 
seitens des Richters die Detention in Anstalten verhängt werden 
soll, sondern daß dieselbe auch logischerweise bei denen aus¬ 
geführt werden müsse, die zwar dieselben antisozialen Eigen¬ 
schaften zeigen, aber durch irgendwelche Zufälle nicht zur straf¬ 
rechtlichen Untersuchung oder Aburteilung gelangt sind. A.Lepp*- 
mann vertritt nun die Gruppe von Psychiatern, welche die 
gemeingefährlichen geistig Mangelhaften in Annexen unserer 
Fürsorge, in Arbeits-, Korrektionshäusern, Trinkerheil-, Erziehungs¬ 
anstalten für Schwachsinnige und in Irrenanstalten internieren 
wollen, und läßt „diese Zwischenanstalt zwischen Irrenanstalt und 
Gefängnis“ allenfalls für die geistig Minderwertigen gelten.. Wil¬ 
ma nns») möchte lieber eine Reform aller Strafanstalten herbei¬ 
führen und glaubt, daß die Beurteilung der verminderten Zurech¬ 
nungsfähigkeit in praxi Schwierigkeiten bereiten würde, wogegen 
mit Recht im Anschluß an Aschaffenburgs Referat auf der 
Versammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie 1914 Bon- 
hoeffer, Hoche, Kraepelin undMoeli darauf hinwiesen, daß 
die Erkenntnis von Schwierigkeiten nicht dazu führen dürfe, an 
der Notwendigkeit der Anerkennung der verminderten Zurech¬ 
nungsfähigkeit zu zweifeln. Im Gegensatz zu Leppmann tre- 

’) Staiger, Behandlung psychopathisch minderwertiger Strafgefangener 
jetzt und nach dem V.E. zu einem deutschen Strafgesetzbuch Zeitschr. f. Psy¬ 
chiatrie, Bd. 69. 

-) A. L epp mann, Der Schutz gegen Geisteskranke. Offizieller Bericht 
über die 9. Hauptversammlung zu Breslau, 12.—13. Sept. 1913. Fischer-Kornfeld, 
Berlin, 1913, S. 15. 

Wilmanns, Referat. — Psychiatr. Neurol. Wochenschr., 1914, 15, S. 95. 



148 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


ten andere Psychiater, wie Dannemann 4 ), Kielhorn und 
F. Straßmann 1 ) entschieden unter Betonung der individuellen 
Behandlung und langdauernder erzieherischer Internierung auf 
unbestimmte sich lediglich nach der Verfassung des Internierten 
richtende Zeit für die Schaffung der Zwischenanstalten ein, 
die nach Straßmann, bei dem der Besuch der analogen An¬ 
stalt zu Broadmoor in England besondere Eindrücke hinterlassen 
hat, kein Mittelding zwischen Irrenanstalt und Gefängnis, sondern 
in ihrer Art Irrenanstalten sein und völlig unter ärztlicher Leitung 
stehen sollen. 

An dieser Stelle möchte ich, auch aus ökonomischen Gründen, 
für Preußen zur Erwägung geben, mit den Landeshauptverwal¬ 
tungen für die nächste Zeit nach dem Kriege Abkommen dahin 
zu treffen, etwa unbenutzte oder unzureichend belegte Provinzial- 
Heil- und Pflegeanstalten als derartige Zwischenanstalten unter 
irgend einer Form zu übernehmen, da der Krankenbestand der 
Irrenanstalten durch lokale Abgänge derart zurückgegangen ist, 
daß nicht bloß ganze Abteilungen, sondern auch kurz vor dem 
■Kriege erbaute und in ihm vollendete Anstalten leer stehen' Es 
ist meines Erachtens nach dem Kriege zunächst weniger mit einer 
abnormen Zunahme der Psychosen zu rechnen als vielmehr mit 
einer namentlich mit der Verwahrlosung der Jugendlichen zu¬ 
sammenhängenden erhöhten Psychopathenfrequenz. 

Die Zahl der kriminellen Minderwertigen sowie ihre besondere 
Disziplinierung und andere Behandlung werden mit der Zeit sicher 
zur Lösung der Frage im Sinne eigner Anstalten unter fach- 
ärztlicher Ägide führen. Wie die Erkenntnis der psychopathi¬ 
schen Minderwertigkeit selbstverständlich nur Sache des Arztes 
ist, so muß es auch deren Behandlung sein. Es muß bei der 
Aufnahme des Delinquenten in die Untersuchungshaft seitens 
kreisärztlich geprüfter und psychiatrisch vorgebildeter Gefängnis¬ 
ärzte, erst recht nach der Internierung in Gefängnis oder Straf¬ 
anstalt von den zuständigen Fachärzten von vornherein darauf 
geachtet werden, ob etwa geistige Minderwertigkeit in irgendeiner 
Form vorliegt. An der enormen Verbreitung derselben unter den 
Häftlingen ist ja nicht mehr zu zweifeln. Aschaff enburg nennt 
allein 75 ®'o Degenerierte unter 200 Sittlichkeitsverbrechern, zu einem 

') Dannemann, Die Gemeingefährlichkeit bei Geisteskranken und ihre 
Bekämpfung. D. M. W. 1905, 31, S. 546. 

2 ) F. Straßmann, Diskussion zu A. Leppmanns Vortrag „Der Schutz gegen 
Geisteskranke“ (Lit. 76), S. 25/26. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 149 

ähnlichen Ergebnis kommt Le pp mann. Bon ho eff er hat unter 
den Bettlern und Vagabunden nur einen kleinen Teil Normaler 
gefunden, und Rtidin, Liepmann, Viernstein, Lumpp, 
Pollitz, Többen haben unter den Lebenslänglichen eine große 
Anzahl von Minderwertigen gezählt. Hieraus ergibt sich gleich¬ 
zeitig, worauf ich früher schon hingewiesen habe, daß dem geistig 
Minderwertigen gewisse Arten von' Übertretungen, Vergehen und 
Verbrechen eigen sind, welche die Gemeingefährlichkeit, -Schäd¬ 
lichkeit und -lästigkeit bedingen, um die von Dannemann und 
Göring angewandten Unterscheidungen zu erwähnen. 

Der V.E. und der G.E. kennen allerdings den Begriff der 
Gemeingefährlichkeit nicht, dessen verschiedenartige Bedeutung 
Asch affenburg nicht zu Unrecht „ein buntscheckiges Bild“ nennt, 
dessen exakte, kurze Abgrenzung C f anier negiert, was sich auch 
mit der Auffassung des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes deckt, 
wie die von Moeli mitgeteilte Entscheidung vom 6. Juni 1913besagt: 

„Eine Gemeingefährlichkeit ist im allgemeinen dann anzunehmen, 
wenn ein öffentliches Interesse an der Unterbringung des Geisteskranken 
in eine Anstalt obwaltet. Das Vorliegen einer solchen wird stets dann 
anzuerkennen sein, wenn von dem Kranken eine Störung der öffent¬ 
lichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung oder eine Gefährdung von Rechts¬ 
gütern anderer Personen zu fürchten ist.“ 

Unter diese weite Fassung des Begriffs lassen sich dann auch 
die nur als gemeinschädlich oder -störend zu bezeichnenden De¬ 
likte unterbringen. Bei der engeren Fassung des Begriffes würden 
nach vanHamel 1 ) die Verbrechen gegen das Leben und die Sittlich¬ 
keit, Diebstahl und Betrug — also solche, denen man bei geistig 
Minderwertigen häufig begegnet — als gemeingefährlich gelten, 
während leichtere Körperverletzungen und Eigentumsdelikte nament¬ 
lich im Wiederholungsfälle als gemeinschädlich, und Leute, wie 
die auch aus unseren geistig Minderwertigen vorwiegend sich 
rekrutierenden Bettler und Landstreicher, die der Allgemeinheit 
ständig lästig fallen, als gemeinlästig oder -störend bezeichnet 
werden können. Ob nun ein Individuum zu dieser oder jener 
der genannten Gruppe zu rechnen ist, hängt nicht allein von der 
Handlung als solcher, sondern auch von der Art und Häufigkeit 
der Ausführung ab. Doch es ist hier nicht meine Aufgabe, auf 
die weiteren Differenzierungen einzugehen, um so mehr als eine 
gesetzliche Operation mit dem Begriffe anscheinend vermieden 

*) van Hamei, Diskussion. Mitteilungen d. I.K.V., 1910, 17, S. 449. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 11 



150 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


werden soll. Im übrigen verweise ich dabei auf die anregende 
Lektüre des Göringschen Buches über die „Gemeingefährlichkeit“. 
Jedenfalls finden wir die geistig Minderwertigen in allen drei 
Gruppen wieder. — Es sei an dieser Stelle erwähnt, daß man¬ 
che praktische Juristen bei bestimmten Verbrechen wenig Nei¬ 
gung für die Anerkennung des.etwaigen Vorhandenseins einer 
geistigen Minderwertigkeit zu haben scheinen. So sagte mir 
kürzlich ein erfahrener Strafrichter, daß er bei Einbruchs¬ 
diebstählen, die in der Regel ein Maß raffiniertester Über¬ 
legung bekunden und fast, ausschließlich in der Absicht, sich zu 
bereichern, ausgeführt werden, nicht von dem Vorhandensein einer 
geistigen Minderwertigkeit zu überzeugen sein werde. Diese Art 
des Verbrechens ist allerdings auch mehr den gewerbsmäßigen 
Verbrechern eigen. Sommer (Lit. 30) warnt hierbei vor der 
Gleichsetzung von Rückfälligkeit mit ausgeprägter krimineller An¬ 
lage. Aufgabe des psychiatrischen Sachverständigen bleibt es 
eben in jedem Falle, stets nur kühlen Herzens und klaren Blickes 
zu arbeiten, zu suchen, zu finden und in sachlichster Verwertung 
aller Einzelheiten zu begutachten, um selbst vor aller Einseitigkeit 
und aller Autosuggestion bewahrt zu bleiben, und so immer mehr 
das Vertrauen des Richters, sowie überhaupt der Außenwelt zu 
ihm zu festigen. 

Die Unterbringung der psychopathisch Minderwertigen in be¬ 
sonderen Anstalten oder Abteilungen während der Strafverbüßung 
und vor allem ihre Separierung in eigenen Anstalten nach Straf- 
ablauf bieten die sicherste Gewähr für eine individualisierende 
Behandlung und deren Erfolg. Die nach ärztlichen Prinzipien 
geleitete und eingerichtete Anstalt soll nach der einen Ansicht, 
derer, die für eigne Zentralanstalten sind, ein Mittelding zwischen 
Irrenanstalt und Strafanstalt, nach der anderen Meinung ein solches 
zwischen Irren- und Arbeitsanstalt sein, wieder andere verlangen, 
wie bereits erwähnt, Annexe an Straf-, Irren- oder anderen An¬ 
stalten. Darüber ist viel geschrieben und gesprochen worden, 
beispielsweise von Aschaffenburg und Weber, in denVerhand- 
lungen des 27., 28. u. 31. D.J.T., sowie der I.K.V. von 1905 und 
1910, endlich auch von van Hamei, Schermers und van der 
Torren über die niederländischen Gesetzentwürfe für Psycho¬ 
pathen. Und wieder sind es vor allem A. Le pp mann 1 ) und der 


') A. Leppmann, Der Minderwertige im Strafvollzug. Ein Leitfaden für 
die Gefängnispraxis. Richard Schoetz, Berlin 1912. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 151 

verstorbene Reformator des Gefängniswesens, Karl Kro hne'm 
deren großen Erfahrungen wir hinsichtlich der Erkennung, Unter¬ 
bringung und Behandlung der geistig Minderwertigen mannig¬ 
fache Anregungen danken. Der Versuch ihrer Separierung in den 
Sonderabteilungen zu Brandenburg, Rheinbach und Insterburg 
soll sich bislang bewährt haben. Seit Entfernung der geistig 
Minderwertigen aus der Gemeinschaft der anderen Gefangenen 
hat sich die Disziplin wesentlich gebessert. Die krankhaften 
Elemente werden von den vollwertigen nicht zur Unbotmäßigkeit 
aufgestachelt, und letztere fürchten, wenn sie häufiger die Ord¬ 
nung stören, selbst für geistig minderwertig gehalten zu werden 
und damit ihre Internierung zu verlängern. So übt in dieser Be¬ 
ziehung bereits die Trennung der minderwertigen Kriminellen von 
den vollwertigen auf beide Gruppen einen erzieherischen Einfluß 
aus. Damit wird auch zugleich die Sorge derjenigen zerstreut, 
die durch die Einführung des Begriffes der verminderten Zurech¬ 
nungsfähigkeit bei einer erheblichen Anzahl von Menschen eine 
Abschwächung des Verantwortlichkeitsgefühls befürchten; dem 
Betreffenden winken warnend die nach Annahme einer ver¬ 
minderten Zurechnungsfähigkeit unbedingt erforderlichen, er¬ 
weiterten Sicherungsmaßnahmen. 

Die Lektüre der Statistik über die Gefängnisse der Justizver- 
waltüng in Preußen für das Jahr 1911 erweist sich für die Frage 
der Individualisierung durch ihre Zusammenstellung über die zur 
Entscheidung des Justizministers gebrachten Anträge auf vor¬ 
läufige Entlassung als sehr belehrend. Danach hat die Bewilli¬ 
gung der Anträge auf vorläufige Entlassung, ohne daß die¬ 
selben selbst sich erheblich vermehrt hätten, in ganz erheblichem 
Maße zugenommen, und zwar in den Jahren 1902—1911 von 
53,51% bis 79,50°/o. Bei der Wiedergabe dieser Zusammen¬ 
stellung wird von der Feststellung abgesehen, wie viele dieser 
Anträge’und Bewilligungen auf die Gefängnisse des Ministeriums 
des Innern und der Justiz entfallen. Ein Widerruf der Bewilli¬ 
gungen brauchte nur ganz selten zu erfolgen. Dieses überaus 
günstige Ergebnis liefert den Beweis, wie Többen (Lit. 72) aus¬ 
führt, daß unsere Gefängnisverwaltungen die gerade bei der sehr 

l ) Krohne, Bericht über den Strafvollzug an geistig Minderwertigen. Mit¬ 
teilungen d. I.K.V., Bd. 12, S. 267/72, 274, 281, 284. Stuttgart 1904. 

-) Derselbe, Blätter f. Gefängniskunde, Bl. 43, S. 109. 1908. 

3 ) Derselbe,'Strafvollzugsbericht über den 7. Internat. Kongreß f. Anthro¬ 
pologie, 1912, S. 28. 


11* 



152 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


schwierigen Bearbeitung der Anträge- auf vorläufige Entlassung 
besonders notwendige individualisierende Fürsorge, deren Evidenz 
hier aus ihren Früchten erhellt, mit großem Erfolge ausgeübt 
haben. Demnach zeigt diese Art des Strafvollzugs wohl den 
richtigen Weg bei Anwendung der Mittel zur Besserung und 
demnächstiger Einordnung der Gebesserten in die menschliche 
Gesellschaft, dank der vom Ministerium des Innern und von 
Krohne vorgezeichneten Wege. Für die Behandlung lassen sich, 
abgesehen von den vom Ministerium des Innern und Krohne ge¬ 
gebenen Leitsätzen, allgemein geltende Regeln nicht aufstellen; 
jeder Fall ist individuell zu betrachten und zu behandeln, nach 
Art der Veranlagung, der Abstammung, dem Vorleben, den beruf¬ 
lichen und sonstigen Neigungen des Bestraften unter stetem Hinblick 
auf die gewesene und etwa noch zu gewärtigende antisoziale Betäti¬ 
gung. Je nach der Art der Vergehen muß unter Umständen die 
freieste Form der Internierung gewählt werden; man mache sich 
nicht zum ausschließlichen Grundsätze, daß kriminelle Individuen 
nur als Kandidaten für feste Häuser in Betracht kommen. Es ist 
ferner zu bedenken, worauf auch Aschaffenburg in der Jahres-, 
Versammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie im Jahre 
1914 hingewiesen hat, daß ein Teil und vielleicht der wichtigste 
Teil der Entscheidungen über das weitere Schicksal der geistig 
Minderwertigen erst im Laufe der Strafverbüßung fallen kand, da 
alsdann die psychischen Mängel erst greifbarer oder überhaupt 
erst hervortreten. Man wird dann betreffs der Strafvollstreckung 
der Eigenart des psychopathischen Individuums Rechnung zu 
tragen haben und wird vornehmlich in Erwägung dessen, daß die 
erregenden Einflüsse der Haft und die geringe Widerstandsfähig¬ 
keit gegen äußere Reize beim Psychopathen heißt, den Teufel mit 
dem Beelzebub austreiben, darauf bedacht sein, dem psycho¬ 
pathischen Entarteten bei geeigneten Fällen bestimmte Erleichte¬ 
rungen und Milderungen, z. B. in Gestalt der Begnadigung oder 
bedingten Strafaussetzung zu verschaffen. Denn bei diesen Ge¬ 
fangenen ist nun einmal nicht bloß die strafrechtliche, sondern 
auch die disziplinäre Verantwortlichkeit herabgesetzt. Daraus er¬ 
gibt sich, daß für sie, ohne dabei für eine Beseitigung der Ord¬ 
nungsstrafen plädieren zu wollen, eine mildere Bestrafung ge¬ 
gebenenfalls angezeigt ist, da bei diesen Delinquenten die Hem¬ 
mungen fehlen oder doch herabgesetzt sind. 

Ein vorschriftsmäßiger Strafvollzug und individualisierende 
Behandlung vertragen sich durchaus miteinander, das Individuali- 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 153 

sierungsprinzip muß zur Richtschnur jedes zielbewußten Strafvoll¬ 
zugs dienen. Natürlich ist es nicht der Arzt allein, der in diesem 
Sinne seine umfassende Tätigkeit zu entfalten hat, sondern es be¬ 
darf der gewissenhaften Mitwirkung aller im Strafvollzug tätigen 
Beamten, insbesondere eines hinreichend ausgebildeten Pflege- 
und Hilfspersonals. Dadurch, daß der Arzt in ausreichendem 
Maße psychiatrisch vorgebildet ist, hat das Personal mittelbar 
ebenfalls einen Nutzen. Seitens des Ministeriums des Innern ist 
der Ausbildung eigens vorgesehenen Aufsichtspersonals hierfür 
durch Erlaß vom 7. Mai 1912, S. 580, noch erhöhte Aufmerksamkeit 
zugewandt worden, und sind im Einvernehmen mit dem Finanz¬ 
minister an den bereits erwähnten 7 Strafanstalten und Gefäng¬ 
nissen je 3 Hilfsaufseherstellen geschaffen worden, woselbst alle 
Bewerber um Aufseherstellen eine sechsmonatige Ausbildung für 
den Gefängnisdienst durchmachen sollen. Die Ausbildung zer¬ 
fällt in eine theoretische und praktische; neben dem allgemeinen 
Unterricht, dem Gefängnisdienst und der Gefängniskunde wird 
besonders vom Arzte die allgemeine Gesundheitspflege behandelt, 
und zwar neben der Ausübung der Krankenpflege, dem Verhalten 
bei ansteckenden Krankheiten, der ersten Hilfe bei Unglücksfällen, 
neben dem Verkehr mit Geisteskranken und Epileptikern bei Erre- 
gungs- und Tobsuchtsanfällen, bei falscher Beschuldigung und Wider¬ 
setzlichkeiten solcher Geistesgestörten und etwaigen Ausbrüchen 
der Verzweiflung auch der Verkehr mit den geistig Minderwertigen 
eingehend erörtert. «Die Beobachtungsgabe und das Interesse des 
Personals dürften zweifellos durch diesen Unterricht in weitem 
Umfange angeregt und durch die Übung erweitert werden und 
werden den Aufseher mit der Zeit befähigen, aus seinem Beob¬ 
achtungsschatze dem Arzte manche bemerkenswerte Mitteilung 
zu machen, die denselben in der erfolgreichen Behandlung der 
Charakter- und Willensschwäche des Häftlings unterstützt. Generell 
wird die Einführung des Ausdrucks der geminderten Zurechnungs¬ 
fähigkeit, wie ich mit Többen glauben möchte, schon dadurch 
an Bedeutung gewinnen, daß von seiten der Strafanstaltsbeamten 
den so gekennzeichneten Individuen ein größeres Verständnis für 
die feineren Schuldunterschiede auch bei Disziplinarvergehen ge¬ 
rade während des Strafvollzugs entgegengebracht werden dürfte. 

In diesem Sinne bleibt auch die Entwicklung der als Siche¬ 
rungsanstalten gedachten Sonderabteilungen oder Zwischenanstalten 
zu erwarten, deren Anlage und Ausbau wohl so zu treffen wären, 
daß die beruflichen und sonstigen Fähigkeiten der Internierten 



154 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


soweit als möglich Berücksichtigung finden.' Es sei mir der 
Gedanke einer gewissen Scheidung der Anstalten nach Berufs¬ 
klassen gestattet. Denn wir müssen selbst bei den mehrfach 
rückfälligen, für eine längere Internierung in Betracht kommenden 
Rechtsbrechern stets daran denken, daß eine Besserung möglich 
ist, und daß die Internierung nicht bloß das Interesse der von 
dem Internierten bedrohten Gesellschaft im Auge zu behalten 
hat, sondern auch das Interesse für den Verwahrten selbst, und 
daß, da die Sicherung durch geeignete Behandlung die allmäh¬ 
liche Wiedereinführung des Entgleisten in die menschliche Ge¬ 
sellschaft bezweckt, es auch im Interesse des Internierten, der sich in 
seinem beruflichen Milieu sonst bewährt hat, liegen dürfte, ihn dem¬ 
selben durch eine Reihe von Jahren nicht gänzlich zu entfremden. 

Und hier setzt gleichzeitig der Hebel ein für ein eminent wich¬ 
tiges Arbeitsfeld der Prophylaxe: Die Zukunft der entarteten 
Jugendlichen. Die Frage, ob man aus dem Verhalten der Jugend¬ 
lichen Schlüsse auf ihre Zukunft ziehen darf, ist, wie' Göring 
(a. a. O. S. 95) betont, zwar äußerst wichtig, aber auch sehr schwer 
zu beantworten. Die Bedeutung der Pubertätszeit und deren 
Überwindung sind hier die entscheidenden Wendepunkte. Mönke- 
möller ist, wie ich bei Göring lese, mit der Abfassung eines 
Werkes über die Gemeingefährlichkeit und Kriminalität der Jugend¬ 
lichen und mit Erhebungen beschäftigt, was aus den von ihm 
untersuchten Fürsorgezöglingen geworden ist. Es unterliegt jeden¬ 
falls keinem Zweifel, daß man bei manchen der aus der Fürsorge¬ 
erziehung entlassenen Zöglinge keine absolute Garantie übernehmen 
kann, daß sie im Leben bestehen werden. Und mit Recht sagt 
Mönkemöller in Beziehung auf einige von ihm in dieser Hin¬ 
sicht besonders beachteten Fälle: 

„Bei ihnen konnte man jetzt schon den trüben Werdegang so 
mancher Psychopathen ahnen, die direkt dem sozialen Verfall zutreiben 
und nach der üblichen Ausnützung der Unterkunftstätten, die der so¬ 
ziale Parasitismus sich erschließt, den Arbeitshäusern, Zuchthäusern, 
schließlich der Irrenanstalt zutreiben . 1 

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, hat man an dem 
Jugendgefäpgnis zu Wittlich mit der Durchführung des Indivi¬ 
dualisierungsprinzips begonnen. Der Strafanstaltsdirektor Ellger ■) 
tritt warm für das Jugendgefängnis an Stelle der Fürsorgeerziehung 


’) Ellger, Deutsche Strafrechtszeitung, Heft 10/11, S. 575ff., 1914. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 155 

ein. E. Kracht 1 ) verspricht sich von der eingehenden ununter¬ 
brochenen individualisierenden Behandlung einzig und allein einen 
dauerhaften Erfolg. Dabei solle auch den Wünschen der Zög¬ 
linge betreffs der Berufswahl in den Anstalten möglichst Rechnung 
getragen,, nicht bloß Landwirtschaft betrieben, sondern auch die 
Veranlagung der Einzelnen mehr berücksichtigt werden. Denn 
man frage sich nur, wie viele der Zöglinge, die vielfach Gro߬ 
stadtelemente sind, bleiben bei der landwirtschaftlichen Arbeit? 
Die meisten kehren zur Großstadt zurück und vermögen dann 
die gewonnenen Fertigkeiten nicht zu verwerten. Übrigens wurden 
in den Irrenanstalten, an denen ich tätig war, und woselbst sich 
debile und imbezille Fürsorgezöglinge befanden, stets auf deren 
Wünsche und Fähigkeiten, irgendein Handwerk zu erlernen, Rück¬ 
sicht genommen. Die Entwicklung und Bewährung im Berufe, 
das Aushalten in ihm, wie der Drang zum Berufswechsel sind 
dann meines Erachtens nicht zu unterschätzende Gradmesser für 
den psychischen Werdegang des Betreffenden. 

Asch aff enburg fordert bei der Entscheidung aller Straf¬ 
sachen gegen Jugendliche stets statt der Strafe Erkennung auf 
Fürsorgeerziehung und will eine Strafverfolgung der Jugendlichen 
erst mit vollendetem 16. Lebensjahre zulassen. Und diese „Un¬ 
verbesserlichen“, die dabei noch auf die anderen Zöglinge einen 
ungünstigen Einfluß ausüben, sucht er ; n ähnlicher Weise in be¬ 
sonderen Anstalten zu eliminieren, wie es mit den geistig Minder¬ 
wertigen geschehen soll. — Es muß jedoch eine Trennung in den 
Sonderanstalten zwischen Jugendlichen und älteren Psychopathen 
durchgeführt werden. Die Unterbringung in derartigen Anstalten 
muß meines Erachtens auch ziemlich frühzeitig erfolgen. Am vor¬ 
teilhaftesten — in individualisierender wie auch betrieblicher Hin¬ 
sicht— wird meines Erachtens diese Trennung durch entsprechende 
Vorschläge Moelis erreicht. Moeli 2 ) tritt in seinem neuen Buche 
über die Fürsorge geistig Abnormer, das eine Fülle von Anre¬ 
gungen enthält, und in dessen Besitz und somit zu seiner Benutzung 
ich leider erst kurz vor dem endgültigen Abschlüsse dieser Arbeit 
kommen konnte, dafür ein, daß die psychopathischen Fürsorgezög- 


*) E. Kracht, Zwei Fragen aus dem Gebiet des Vollzugs in der Fürsorge¬ 
erziehung. Monatsschr. f. Krim.-Psych. und Strafrechtsreform, II. Jahrg., 9. bis 
10. Heft, Jan. 1916, Carl Winter, Heidelberg. 

2 ) C. Moeli, Die Fürsorge f. Geisteskranke und geistig Abnorme nach den 
gesetzl. Vorschriften, Ministerialerlassen, behördlichen Verordnungen und der 
Rechtssprechung. Carl Marhold, Halle a. S. 1915. 



156 


Dr. med. Fr. Jos. Wjdmann 


linge, bei denen vor allem die Frage der Disziplin Schwierigkeiten 
mache und für die sonst verwendbare Strafmaßregeln nicht passen, 
am zweckmäßigsten in einer mit den geeigneten ärztlichen, Lehr- 
und Erziehungskräften versehenen Anstalt gefördert und nicht 
über zahlreichere kleinere Anstalten verstreut werden. .Von Auf¬ 
nahmestationen der Fürsorgeerziehungsanstalten, die allerdings 
eine sachgemäße Beobachtung garantieren müssen, hält er die 
Abgabe der zu Eliminierenden an eine für längeren Aufenthalt 
bestimmte Abteilung für psychopathische oder geistig abnorme 
Zöglinge für erfolgversprechend und empfiehlt die Angliederung 
dieser Sonderabteilungen an durch ihre Lage besonders geeignete 
Erziehungsanstalten, vorausgesetzt, daß die fachärztliche Leitung 
dieser Abteilungen gesichert ist. Über den Charakter dieser' Ab¬ 
teilungen äußert sich der Autor wörtlich, wie folgt: 

„Diese Abteilungen können beschränkten Umfang besitzen, müssen 
aber mit mehrfachen Beschäftigungsgelegenheiten innerhalb wie außer¬ 
halb des Hauses und mit sonstigen mannigfachen Einrichtungen, bei 
stark antisozialen außerdem mit Sicherung, ausgestattet sein. Sie müssen 
die Bildung familiär zu behandelnder kleiner Gruppen ermöglichen und 
damit das Einleben und die Anpassungsfähigkeit an soziale Forderungen 
bei dem Einzelnen zu prüfen gestatten. Nur die längere Beobachtung 
unter verschiedenartigen Bedingungen, namentlich auch in tunlichst 
freier Bewegung, die auf Entwicklung zweckmäßiger Willensbetätigung 
hinwirkt, erlaubt ein richtiges Urteil. Auch bestehen sehr häufig Schwan¬ 
kungen der Stimmung, wechselnde Erregungszustände, so daß sich ein 
Urteil erst nach längerer Beobachtung gewinnen läßt.“ 

Moeli weist weiter darauf hin, daß bei den Psychopathen die 
Affektschwankungen, die manchmal rasch zu Taten führen, durch 
anfängliche Ausschaltung der Gelegenheit, später aber durch 
systematische Erhöhung der Widerstandsfähigkeit beseitigt werden 
müssen. Und der Erfolg sei um so eher garantiert, je früher auf 
diese Beherrschung der gemütlichen Ausbrüche hingewirkt werden 
kann, zwecks Herabminderung der drohenden Gefahren der 
Pubertät und somit günstiger Ausnutzung der wachsenden Reife. 
Nur von den eingehenden und fortgesetzten psychotherapeutischen 
Anordnungen in den psychiatrisch geleiteten Sonderabteilungen 
verspricht sich der Autor einen, wenn auch nicht allseitigen, so 
doch ausreichenden Erfolg. Und mit der Ausbildung der sozialen 
Gefühle müßten selbstredend auch die praktischen Fertigkeiten 
gesichert und die Brauchbarkeit in einem Gewerbe oder sonstigen 
Berufe möglichst der Eigenart des Einzelnen angepaßt und damit 
zugleich auch das Verständnis des Personals für diese Aufgabe 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 157 

gefördert werden. Die an anderer Stelle (Lit. 87 S. 117) emp¬ 
fohlenen Aufseherschuleil, die den persönlichen Einfluß des Per¬ 
sonals auf den Internierten bezwecken, dürften vielleicht auch 
hier angebracht sein. Für die psychopathischen Jugendlichen 
darf selbstredend nur eine Internierung von relativ unbegrenzter 
Zeitdauer und nicht wie bedauerlicherweise bei den Normalen 
mit dem 21. Lebensjahre vorgesehen werden. 

Im allgemeinen bedeutet die lex ferenda für die Jugendlichen 
einen gewaltigen Fortschritt, einmal schon deswegen, weil das 
Vergeltungsprinzip für die Tat sichtlich zurücktritt hinter der in¬ 
dividualisierenden Betrachtung und Behandlung des Täters und 
dann, weil auch die Schutzbedürftigkeit der Gesellschaft zu ihrem 
Rechte kommt. 

Ebenso selbstverständlich und unbedingt brauchen wir eine 
Internierungsmöglichkeit von unbestimmter Dauer bei er-, 
wachsenen geistig Minderwertigen, ähnlich wie wir in .der lex 
lata die Möglichkeit haben, Geisteskranke auf unbestimmte 
Zeit zu internieren. Leider haben wir aber in der lex lata nur 
für diese die Möglichkeit; die gemeingefährlichen Verbrecher, noch 
eher die gemeingefährlichen geistig Minderwertigen, die ja nach 
den reichsgerichtlichen Entscheidungen milder zu beurteilen sind 
und daher in praxi entsprechend milder bestraft werden, müssen 
nach Strafverbüßung wieder in Freiheit gesetzt werden. 

Eine Sicherungshaft von unbestimmter Dauer ist ebenso 
dringend erforderlich zu erreichen wie eine Sicherungshaft mit 
Aufhebungsmöglichkeit. Sehr richtig sagt bezüglich letzterer 
Mittermaier: 

„Wir dürfen uns nicht scheuen, einen Menschen, der für „unver¬ 
besserlich“ erklärt wurde, unter Umständen wieder nach einiger Zeit 
unter die sozial Brauchbaren einzureihen.“ 

Von .den ausländischen Gesetzbüchern scheint es nach Stam- 
mer 1 ) nur in einigen Staaten Amerikas eine unbestimmte Verurtei¬ 
lung zu geben. Einen beschreitbaren Weg enthalten meines Erach¬ 
tens die von v. Hentig mitgeteilten englischen Entwürfe zur 
Verwahrung geistig Minderwertiger. Danach soll die Notwendig¬ 
keit der Verwahrung von Zeit zu Zeit durch eine neue ärztliche 
Untersuchung festgestellt werden und kann von einer Verwahrung 


l ) Stammer, Bemerkungen über amerik. Strafpolitik Arch. f. Krjminalanthr. 
und Kriminalistik, 47, S. 79, 1912. 



158 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


Abstand genommen werden, wenn die Angehörigen dem Internierten 
die gleiche Aufsicht wie in der Anstalt angedeihen lassen können. 
So macht Wollenberg den beachtenswerten Vorschlag, bei den 
Minderzurechnungsfähigen, bei denen eine Gemeingefährlichkeit 
überhaupt nicht oder nicht mehr besteht, nach der Strafverbüßung 
eine Versorgung in anderer Weise zu bewirken, durch Verbesse¬ 
rung der Lebensverhältnisse, Verschaffung von Arbeitsgelegenheit, 
Familienpflege, vor allem aber auch durch die Bestellung eines 
Beraters, der — unter Vermeidung der zivilgesetzlich fixierten 
Begriffe des „Vormunds“ und „Pflegers“ — einfach als Helfer 
oder nach E. Schultze (a. a. O. S. 74) als „Fürsorger“ be¬ 
zeichnet werden könnte. Diese Art Schutzaufsicht darf jedoch 
von dem Beaufsichtigten und der Öffentlichkeit nicht gleichsam als 
polizeiliche Überwachung empfunden werden. Der „Fürsorger“ 
;nuß ein verständiger Berater und Helfer sein, der sich nicht 
lediglich auf Worte und Ermahnungen beschränkt, sondern auch 
tätig beim Stellensuchen, bei der Besorgung von Unterkunft u.a.m. 
«ingreift. Mir dünkt mit Hübner, daß von einer derartigen In¬ 
stitution nur dann etwas zu erwarten ist, wenn sie ähnlich wie 
bei der Berufsvormundschaft vorwiegend von Beamten Im Haupt¬ 
beruf ausgeübt wird. Fürsorgevereine sollten daher nur dann 
herangezogen werden, wenn ihre Organisation und die dabei 
tätigen Helfer persönlich die Gewähr bieten, im besprochenen 
Sinne zu arbeiten. Das Zusammenpassen behördlicher und pri¬ 
vater Tätigkeit ist, wieMoeli hervorhebt, unentbehrlich utfd der 
freiwillige Helfer würde eines genügenden gesetzlichen Rückhaltes 
bedürfen. 

Nach § 65 Abs. 3 des V.E. hat die Landespolizeibehörde 
für die Unterbringung zu sorgen. Sie bestimmt auch die Dauer 
der Verwahrung und über die.Entlassung. Gegen ihre Be¬ 
stimmung ist allerdings gerichtliche Entscheidung zulässig. 

Die Dauer der Verwahrung hat sich m. E. fürs erste nur 
nach dem Zustande des Täters und der aus diesem Zustande 
sich ergebenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu richten; 
die weitere Entwicklung des einzelnen psychopathischen Rechts¬ 
brechers läßt sich im voraus jedoch selten bestimmen. Die Frage 
der Verwahrungsdauer müßte daher wieder durch die Begutach¬ 
tung der behandelnden Ärzte in ausschlaggebender Weise ge¬ 
regelt werden. Darum ist auch jede Festlegung auf eine be¬ 
stimmte Zeit widersinnig. Nach Anhörung der Sachverständigen 
wäre ja nun nach den herrschenden gesetzlichen Maximen die 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 159 

Entlassung durch die Landespolizeibehörde verständlich, da 
der Täter, nachdem er seine Strafe abgebüßt hat, freigtfsprochen 
oder außer Verfolgung gesetzt worden ist,. aufgehört habe, Objekt 
der Strafrechtspflege’zu sein. Seine Verwahrung oder Entlassung 
sei dann als eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit von der Ver¬ 
waltungsbehörde zu erledigen, gegen deren Verfügungen jedoch 
wieder das Rechtsmittel der richterlichen Entscheidung zur Hand 
gegeben ist. Der V.E. und G.E., mit ihnen Kahl, sprechen 
dieser Form der Überweisung an die Verwaltungsbehörden das 
Wort, während andere Autoren, sowie der österreichische und 
schweizerische Entwurf den Strafrichter weiter walten lassen und 
in Schottland sogar der Staatsanwalt maßgebend ist. Die Mehr¬ 
zahl der Psychiater schaltet lieber den Strafrichter, nachdem er 
vorläufig entschieden hat, sowie auch die Verwaltungsbehörde 
aus, indem sie den Strafrichter für voreingenommen halten und 
die Entscheidung der Verwaltungsbehörde bei einer so ein¬ 
schneidenden Maßnahme nicht genüge. Dem kann entge- 
gengehälten werden, daß der Strafrichter auf Grund seiner 
Kenntnis des Falles besser im Bilde ist und die ganze An¬ 
gelegenheit daher folgerichtiger beurteilen kann? dann aber könnte 
man schließlich dem Strafrichter unter Ausschaltung der Ver¬ 
waltungsbehörde die weiteren Entscheidungen überlassen. 

Abgesehen v. A. Leppmann, der eine aus Ärzten, Juristen 
und Laien bestehende Feststellungsbehörde empfiehlt, wollen die 
meisten anderen Autoren sowohl die Aufnahme- als auch die 
Entlassungsfrage der Entscheidung des Zivilrichters anheim¬ 
geben, und zwar die einen in einem Entmündigungsverfahren, 
die anderen in einem diesem ähnlichen Feststellungsverfahren 
(Aschaffenburg) oder Sicherungsverfahren (Schultze). Auch 
von juristischer und kriminalistischer Seite, sowie in dem Ent¬ 
würfe zu einem niederländischen Psychopathengesetze wird dieser 
Standpunkt vertreten. Diejenigen, die das Entmündigungsver¬ 
fahren selbst ablehnen und ein analoges an seine Stelle für die 
in Betracht kommenden Fälle setzen wollen, suchen eine Ver¬ 
quickung des Entmündigungsverfahrens mit den demselben recht 
fernliegenden strafrechtlichen Dingen zu vermeiden. Diejenigen, 
die für ein reines Entmündigungsverfahren eintreten, wollen dem 
Internierten vor allem für die Zeit seiner Verwahrung eine Person 
zur Seite stellen, die ihm hilft, den Verkehr mit der Außenwelt 
regelt und auch bei dem Entlassungsmodus ihm behilflich ist. 
Sehr richtig hebt Göring hervor, daß eins vor allen Dingen be- 



160 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


rücksichtigt werden müsse, daß dem Entlassenen diese Hilfs- oder 
Aufsichtsperson in der Regel auch nach der Entlassung noch 
beigegeben bleiben müsse. Also den von Schultze mit Recht 
befürworteten „Fürsorger“! — Das Feststellungsverfahren in Hessen 
scheint mir ganz vorteilhaft. Dort beanspruchen die Anstalten 
von den Behörden, nicht bloß bezüglich der Entlassung gehört zu 
werden, sondern suchen auch durch Zeugenvernehmungen vor der 
Entlassung ein brauchbares Bild von dem künftigen Milieu und Leben 
des Kranken außerhalb der Anstalt zu gewinnen. Schultze, der 
den Abs. 3 des § 65 in seinen Bemerkungen zum V.E. besonders 
ausführlich behandelt hat, hält das Entmündigungsverfahren für 
völlig ungeeignet, empfiehlt jedoch sehr eine Nachahmung in Form 
eines sogen. „SicherungsVerfahrens“ unter ausführlicher Darlegung 
der Unterschiede zwischen beiden Motiven: Die Entmündigung 
setzt eine geistige Störung voraus, derentwegen der davon Be¬ 
fallene seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, die 
Verwahrung wird durch eine geistige Störung bedingt, derzufolge 
der zu Internierende die öffentliche Sicherheit gefährdet. Die 
Entmündigung erfolgt im Interesse des Einzelnen, bei der Siche¬ 
rung streiten zwei Interessen miteinander, die der Allgemeinheit, 
die in erster Linie vor den Rechtsbrüchen eines weniger verant¬ 
wortlichen Individuums geschützt werden soll, und das Interesse 
des Einzelnen, dem nur soweit eine Beschränkung seiner persön¬ 
lichen Freiheit zugemutet werden darf, als das Wohl der Gesell¬ 
schaft und seine Heilung oder Besserung es erfordern. Die Dinge 
liegen hier umgekehrt wie bei den Irrenanstalten, bei denen der 
Eingriff in die Freiheit des Einzelnen oft den Charakter einer 
therapeutischen und stets den einer Sicherungsmaßregel trägt, 
wobei die Sicherung in erster Linie dem Kranken selbst, in zweiter 
der Gesellschaft zugute kommt. — Die vornehmste Aufgabe des 
Fürsorgers, dem das Recht zustehe, Anträge zu stellen und den 
Verhandlungen beizuwohnen, und der von der Behörde unter 
etwaiger Berücksichtigung der Wünsche des Internierten bestellt 
werde, sieht Schultze darin, daß er dem Verwahrten bei seiner 
Entlassung grundsätzlich beisteht, ihm in einer sozial gesunden 
Umgebung eine gemütlich und beruflich befriedigende und aus¬ 
kömmliche Beschäftigung verschafft, ihn in einer ordentlichen 
Familie unterbringt und auch geeignete Personen in den Für¬ 
sorge- und namentlich Abstinenzvereinen auf ihn aufmerksam 
macht — das alles mit tunlichster Unterstützung von seiten der 
Polizeibehörden —, um ihm so immer mehr die Wege zur Rück- 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 161 

kehr in die Gesellschaft zu ebnen. Neben der Möglichkeit der 
Beiordnung eines Verteidigers gegebenen Falles dringt Schultze 
meines Erachtens mit vollem Rechte darauf, keine Entscheidung 
zu treffen ohne Anhörung eines Sachverständigen. 

Es wäre zu erwägen, den Zwang der Anhörung von Sach¬ 
verständigen überhaupt zu erweitern, namentlich aber bei der 
Entlassung. Als solche können bei derselben zunächst die Ärzte 
der Anstalt in Frage kommen, in der der Kranke untergebracht 
ist, und zwar nicht bloß vorwiegend der leitende Arzt, dem nach 
Schultze auch das Antragsrecht eingeräumt werden soll, sondern 
m. E. auch der oder die Abteilungsärzte, die sich mit dem Inter¬ 
nierten intensiv längere Zeit beschäftigt, ihn beobachtet und be¬ 
handelt haben. Merkwürdigerweise verbietet der österreichische 
Entwurf die Verwendung der Anstaltsärzte zu Sachverständigen, 
was' keineswegs zur Hebung des Ansehens dieser Ärzte und des 
Vertrauens der Verwahrten zu ihnen und zur Erleichterung der 
Stellung des Arztes im Anstaltsbetriebe beitragen dürfte. Daß 
der Verwahrte den Anstaltsarzt als befangen ablehnen könnte, ist 
zu bedenken, und würde die Hinzuziehung weiterer, natürlich 
hinlänglich vorgebildeter Psychiater berechtigt erscheinen lassen, 
als welche z. B. die Kreisärzte mit. in Betracht zu ziehen wären! 
Über die Entlassung selbst entschiede dann der Richter. Sollte 
das Gericht eine dem Anträge des Anstaltsarztes auf Entlassung 
des Verwahrten entgegenlaufende Entscheidung treffen, so könnte 
demselben ja die Anrufung höherer Instanzen eingeräumt werden. 
Und dann fragt es sich auch, ob dem Internierten selbst nicht 
ruhig die Möglichkeit zu lassen ist, seine Entlassung zu beantragen, 
womit der von Moeli 1 ) für geisteskranke Eingewiesene gegebene 
Rat der weitestgehenden selbständigen Mitwirkung bei dem Ent¬ 
lassungsverfahren auf die als vermindert zurechnungsfähig Inter¬ 
nierten übertragen würde. 

Vor allem dünkt mir auch Hübners Rat, die Entlassung auf 
Widerruf in Erwägung zu ziehen, sehr beachtenswert, schon 
deshalb, weil Wohlverhalten in der Anstalt immer noch nicht ein 
solches in der Freiheit garantiert. Bei der Entlassung muß dann 
das Hand in Hand-Arbeiten von Verwahrung und Schutzaufsicht 


*) C. Moeli, Einige Bemerkungen über die Regelung der Rechtsverhält¬ 
nisse der in Anstaltsbehandlung oder in Pflege fremder Personen befindlichen 
Geisteskranken in Preußen. Monatsschr. f. Krim.-Psych. u. Strafrechtsreform, 10, 
S. 449, 1913. 



162 


Dr. .med. Fr. Jos. Widmann 


sich besonders bemerkbar machen, um gerade den Übergang zur 
Freiheit sorgfältigst vorzubereiteq und zu überwachen. 

Mit Hübner glaube ich, daß der Schutzaufsicht in irgend¬ 
einer Form große Bedeutung beizmnessen ist. Hübner stützt 
sich dabei besonders auf die Erfolge, die in der praktischen 
Trinkerfürsorge oder in der an vielen Stellen in Deutschland ein¬ 
geführten Familienpflege für Geisteskranke und Schwachsinnige 
und auch für entlassene Strafgefangene zu verzeichnen sind. 
Unter folgenden Gesichtspunkten tritt er warm für die Ausgestal¬ 
tung der Schutzaufsicht ein: indem er sie 1. für die billigste Form 
der Fürsorge hält,' indem sie 2. die Freiheit des Betroffenen am 
wenigsten einschränkt, 3. seine Arbeitskraft am zweckmäßigsten 
auszunutzen gestattet und 4. ihm die Möglichkeit der Rückkehr 
in die Gesellschaft gibt. Hier ist es dann in erster Linie der 
„Fürsorger“, der für den Entlassenen sorgt. Neben dessen Be¬ 
ratung und eventuellem aktiven Eingreifen, sowie auch der Hilfe¬ 
leistung durch entsprechende Organisationen käme dann vielleicht 
noch eine staatliche Oberaufsicht durch den zuständigen Kreis¬ 
arzt zur Erwägung. Dannemann wünscht diese diskrete Be¬ 
aufsichtigung durch die Kreisärzte, die ich für recht vorteilhaft 
hielte, und die ohne Zweifel einer Kontrolle durch Polizeiorgane 
vorzuziehen ist. Derselbe Autor hält es für zweckmäßig, daß die 
in Betracht kommenden Personen einer Zentrale namhaft gemacht 
werden, über sie eine Liste geführt wird mit kurzen chronologi¬ 
schen Daten über ihre geistige Störung, ihre etwaigen strafbaren 
Handlungen, ihre Haft, Verwahrung, Entlassung usw., und diese 
Akten von Zeit zu Zeit durch kurze Berichte der zuständigen 
Kreisärzte ergänzt werden. Auch Leppmann tritt für diese Be¬ 
aufsichtigung ein. Erwähnt sei, daß der Entwurf zum nieder¬ 
ländischen Psychopathengesetz eine Bestimmung enthält, wonach 
der zur Entlassung Gekommene auf Verlangen sich in ärztliche 
Beratung zu begeben hat. 

Gerade diese letzten Gesichtspunkte eröffnen meines Erachtens 
bemerkenswerte Perspektiven, auch nach der Entlassung weiterhin 
auf unsere Psychopathen ein wachsames Auge zu haben und so 
noch stützend und fördernd ihnen beizustehen, um die Kluft 
zwischen ihnen und der Gesellschaft nicht tiefer werden zu lassen,, 
sondern eher zu überbrücken. 

Die von mancher Seite geäußerte Besorgnis einer durch den 
Weltkrieg verzögerten Abschließung der Novelle ist insofern wohl 
weniger gerechtfertigt, als durch diese Verzögerung zweifellos 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 163 

eine Überstürzung vermieden wird. Eine möglichst alle Teile be¬ 
friedigende Lösung solch wichtiger Fragen kann hier nur durch 
ein fast pedantisch zu nennendes Erwägen und Abwägen mit der 
Zeit erreicht werden. Und auf diesem Wege möge sich auch die 
Gesetzgebung für unsere Psychopathen weiter entwickeln und der¬ 
einst den Stempel fühl- und sichtbaren Fortschrittes tragen, damit 
die bereits 1888 geschriebenen, heute noch hochaktuellen Worte 
und Wünsche Moelis, mit deren Wiedergabe ich schließen 
möchte, zur Wirklichkeit werden: „Und so sei denn zum Schlüsse 
dem Wunsche und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß es dem 
fortschreitenden geregelten Zusammenwirken der privaten und 
Vereinstätigkeit mit den heilsamen Maßnahmen der staatlichen 
und kommunalen Behörden auf Grund entsprechender Ausbildung 
der Gesetzgebung gelingen möge, Verbrechen von jugendlichen, 
geistig gering begabten und verwahrlosten Personen im weiteren 
Umfange, als bisher erreicht worden, zu verhüten und solcher¬ 
gestalt vollkommenere Gerechtigkeit zu üben.“ 


Zusammenfassung. , 

1. Die psychopathische Konstitution ist den Grenzzuständen 
zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit zuzurechnen. Ihr 
Übergang ins Pathologische ist nicht immer leicht zu erkennen. 

2. Nicht bloß für den psychiatrischen Sachverständigen, son¬ 
dern auch vor allem dem Richter bieten diese Fälle an sich schon 
nicht selten Schwierigkeiten in der Beurteilung und demgemäß 
in der Entscheidung. 

3. ln der lex lata wird diesen Schwierigkeiten ungenügend 
Rechnung getragen. Das geltende Recht kennt nur zu- und un¬ 
rechnungsfähige Delinquenten. Der hierauf bezügliche § 51 des 
R.Str.G.B. kann in den seltensten Fällen für die Psychopathen in 
Anwendung kommen. 

4. Man hat sich bisher in entsprechenden Fällen mit den 
durch' reichsgerichtliche Entscheidungen hierfür sanktionierten 
„mildernden Umständen“ ausgeholfen. 

Der psychopathischen Eigenart wird jedoch weder dadurch 
noch überhaupt in dem herrschenden Gesetzesmodus in der ge¬ 
hörigen Weise Rechnung getragen. 

5. Der zwar gerechtsamerweise milder be- und verurteilte 
psychopathische Rechtsbrecher findet in der Strafhaft für seine zur 



164 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


Entgleisung prädisponierte Psyche nicht die ihr notwendige in¬ 
dividualisierende Berücksichtigung. 

Abgesehen davon, daß der Psychopath seiner mangelnden, 
ebenfalls aus seiner Konstitution sich ergebenden Anpassungs¬ 
fähigkeit wegen zu den übelsten Insassen der Strafanstalten zählt, 
ist die häufigere Erkrankung psychopathischer Degenerierter an 
sogen. Haftpsychosen ein besonderer Beweis dafür, daß sich hier 
eine Lücke im Gesetz befindet. 

6. Es sind bereits seit langer Zeit alle in Betracht kommenden 
Kreise, namentlich die am meisten interessierten Juristen und 
Psychiater, mit den Arbeiten zu einem Gesetzesentwurf be¬ 
schäftigt, der den geistig Minderwertigen gerecht wird. 

Der V.E. zum neuen Str.G.B. sieht die Einführung einer ver¬ 
minderten Zurechnungsfähigkeit vor, die in dem § 63 Abs. 2 in¬ 
haltlich zum Ausdruck kommt. 

Von psychiatrischer Seite wird mit Recht der enge Zusammen¬ 
hang mit dem Abs. 1 des § 63 bemängelt, wodurch eine Ver¬ 
schiebung der „verminderten Zurechnungsfähigkeit“ nach der 
„verminderten Unzurechnungsfähigkeit“ zustande komme, während 
es sich doch tatsächlich um »Zurechnungsfähige trotz psychischer 
Mängel“ (Moeli) handelt. 

7. Der V.E. trägt einen Kompromißcharakter, indem neben 
der Vorbeugung auch die Vergeltung zum Ausdruck kommt, sieht 
eine Bestrafung der geistig Minderwertigen nach dem Versuch 
(§ 76) vor und läßt in der Strafmilderung dem Richter weitgehende 
Entscheidungsmöglichkeit. 

Auch hier bleibt, wie für den ganzen Strafvollzug, rein in¬ 
dividuelle Betrachtung und Behandlung des einzelnen Falles 
wünschenswert, also keine obligate Strafaussetzung. 

. 8. Nach Abs. 3 des § 63 sind diese Strafen in besonderen, 

ausschließlich für diese Klasse der Verurteilten vorgesehenen An¬ 
stalten oder Abteilungen zu vollstrecken. Dies bedeutet einen 
gewaltigen Fortschritt zum individualisierenden Straf¬ 
vollzug. 

9. Derselbe findet seinen vornehmlichen Ausdruck durch den 
§ 65, der für den zu einer milderen Strafe Verurteilten die Ver¬ 
wahrung in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt bringt, so¬ 
fern das Gericht es im Interesse der öffentlichen Sicherheit für 
erforderlich hält. Und zwar wird diese Verwahrung jetzt direkt 
vom Gerichte verfügt und nicht mehr der Landespolizeibehörde 
überlassen. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 165 

Es liegt im Interesse unserer Irrenanstalten, daß dieselben 
nicht zur Bewahrung der Psychopathen geöffnet werden. Im 
Gegenteil bleibt für die geistig Minderwertigen, zu denen die 
Psychopathen gehören, die Schaffung eigner Sicherungsanstalten 
zu wünschen. Diese sollen in ihrem inneren und äußeren Auf¬ 
bau ganz der psychopathischen Eigenart angepaßt, und vor allem 
soll dem Psychiater ein weitgehender Einfluß gewährt werden. 
Ob sie als selbständige Anstalten oder Annexe zu denken sind, 
bedarf weiterer Versuche. 

10. Der Abs. 3 des § 65 äußert sich über die Unterbringung, 
für welche die Landespolizeibehörde Sorge zu tragen hat. Ebenso 
hat dieselbe über die Dauer der Verwahrung und Entlassung zu 
bestimmen. Gegen die Bestimmungen der Verwaltungsbehörde 
ist allerdings gerichtliche Entscheidung zulässig. Hiergegen ist 
einzuwenden, daß die Dauer der Verwahrung nicht zahlenmäßig 
begrenzt werden kann, da dieselbe sich ausschließlich nach dem 
Zustande des Verwahrten und nach der durch diesen Zustand 
bedingten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu richten hat. 
Von diesem Gesichtspunkte aus muß auch die Entlassungsfrage 
in erster Linie durch die Begutachtung des behandelnden An¬ 
staltsarztes angeregt werden. 

Es bleibt aber eine weiter zu lösende Frage, inwieweit außer 
dem Gerichte andere ärztliche Sachverständige hinzuzuziehen 
sind. — Ein beachtenswerter Vorschlag geht dahin, dem Ver¬ 
wahrten von vornherein einen „Fürsorger“ zur Seite zu stellen. 

11. Es empfiehlt sich aber wohl die Entlassung nur auf 
Widerruf durchzuführen und nach derselben noch eine Schutz¬ 
aufsicht vorzusehen. Die zweckentsprechende Ausgestaltung 

• der letzteren ist von wesentlicher Bedeutung und eröffnet der 
Zukunft noch ein umfangreiches Arbeitsfeld. 

12. Die frühzeitige Erkennung und Verwahrung des psycho¬ 
pathischen Rechtsbrechers ist sehr wichtig. Einer besonderen 
Beachtung bedürfen schon aus diesem Grunde die entarteten 
Jugendlichen. 


Literatur-Verzeichnis. 

1. Cramer, Gerichtl. Psychiatrie. 4. Aufl., 1908, S. 381. 

2. Tigges, Aszendenz und Deszendenz. Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, 
Bd. 64, S. 6, 1908. 

3. O. Binswanger, Lehrbuch d. Psychiatrie. Bearbeitet von Binswanger- 
Cramer-Hoche-Siemerling-Westphal-Wollenberg. 

4. Morel, Traite d^generescences de l’espece humaine, 1857. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 


12 



166 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


5. Magnan, Psychiatr. Vorlesungen. Heft II, III, über die Geistesstörungen 
der Entarteten. Deutsch v. P. J. Möbius. Leipzig b. Thieme, 1892. 

6. J. A. L. Koch, Die psychopathischen Minderwertigkeiten, 1891—93. 
Ravensburg. 

7. Derselbe, Abnormer Charakter in Grenzfragen, 1900, Wiesbaden bei 
Bergmann. 

8. A. Ho che, Die klinischen Grundlagen der gerichtlichen Psychiatrie. 
Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie. Berlin 1901, bei August Hirschwald. S. 415. 

9. A. H. Hübner, Lehrbuch der forens. Psychiatrie. Bonn 1914, Marcus 
u. Weber. S. 79 und 674. 

10. R. Sommer, Diagnostik der Geisteskrankheiten. 

11. Bumke, Über nervöse Entartung. Springer, Berlin 1912. 

12. Widmann, Gibt es bei Dementia praecox Schädeldeformitäten und 
welcher Art? Eine psychiatrische Studie. Diss. (Gießen). Cärl Marhold, 
Halle a. S., 1914. 

13. K. Birnbaum, Die psychopathischen Verbrecher. 1914. Verlegt bei 
Dr. P. Langenscheidt, Berlin, S. 30. 

14. Bonhoeffer, Der pathologische Einfall. D. M. W. 1905, Nr. 38. 

15. Birnbaum, Degenerative Phantasten. Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, 
Bd. 64, Heft 3, p. 363. 

16. Longard, Über .moral insanity“. Arch. f. Psychiatrie, Bd. 43. 

17. Bleuler, .Der geborene Verbrecher“. Verlag von J. F. Lehmann, 
München, 1896. 

18. Gaupp, Monatsschr. f. Krim.-Psychol. und Strafrechtsreform, Bd. 1. 

19. C. Moeli, Über irre Verbrecher. Berlin 1888, Fischers Medizinische 
Buchhandlung, H. Kornfeld. 

20. A. Leppmann, Die gerichtl. Psychiatrie in bezug auf die Strafgesetz¬ 
gebung. Das Preußische Medizinal- und Gesundheitswesen in den Jahren 
1883—1908. Festschrift des Preußischen Medizinalbeamtenvereins, bei Fischer- 
Kornfeld, Berlin, 1908, S. 530. 

21. Wollenberg, Die Seelenstörungen bei chronischer Vergiftung und bei 
Neurosen; die geistigen Schwächezustände, b. A. Hoche, Handbuch d. gerichtl. 
Psychiatrie (Lit. 8), S. 705 u. 706. 

22. Möbius, Über Entartung. Bergmann, Wiesbaden 1900. 

23. Aschaffenburg, Die rechtlichen Grundlagen der gerichtl. Psychiatrie. 
A. Strafrecht und Strafprozeß, b. Hoche, S. 41 (Lit. 8). 

24. Derselbe, ebenda, 2. Aufl., 1909, S. 49. 

25. Birnbaum, Über psychopathische Persönlichkeiten, Bergmann, Wies¬ 
baden 1909. 

26. Derselbe, Einige wichtigere Gesichtspunkte für die strafrechtliche Be¬ 
urteilung konstitutionell-psychopathischer Personen. Monatsschr. f. Krim.-Psychol. 
und Strafrechtsreform. 7. Jahrg., 1911, S. 606/07. 

27. Reichsgerichtsentscheidung, E. XXI, p. 31, Urteil des Strafsenats v. 
23. 10. 1890. 

28. Schultze, Entscheidungen, 1904, b. Carl Marhold, Halle a. S. 

29. Göring, Die Gemeingefährlichkeit in psychiatrischer, juristischer und 
soziologischer Beziehung. Julius Springer, Berlin 1915, S. 76. 

30. R. Sommer, Kriminalpsychologie und strafrechtliche Psychopathologie. 
Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1904. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege 167 


31. Schäfer, Straf- und zivilrechtliche Begriffe in Sachen von Geistes¬ 
kranken. Separ. der Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin und öffentl. Sanitäts¬ 
wesen, 3. Folge, XX, 1, 1900. 

32. Delbrück, Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 14, 1857. 

33. Gutsch, ebenda, Bd. 19, 1862. 

34. Reich, ebenda, Bd. 27, 1870. 

35. Kirn, ebenda, 1881 u. 89. 

36. Knecht, ebenda, 1881 u. 83. 

37. Sommer, ebenda, 1884. 

38. Siefert, Über die Geistesstörungen der Strafhaft, bei Carl Marhold, 
Halle a. S., 1907. 

39. Sander u. Richter, Die Beziehungen zwischen Geistesstörungen und 
Verbrechen. Fischer-Kornfeld, Berlin 1886. 

40. Aschaffenburg, Degenerationspsychosen und Dementia praecox bei 
Kriminellen. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen 
3. Folge, 45. Bd., 1. Supplementheft, 1913, S. 306 ff. 

41. Derselbe, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie, XIV, S. 84. 

42. Wilmanns, Karl, Über Gefängnispsychosen. Halle a. S., 1908. 

43. Wilmanns, Kurt, Statistische Untersuchungen über Haftpsychosen. 
Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 67. 

44. Rüdin, Ernst, Über die klinischen Formen der Gefängnispsychosen. 
Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 58, S. 446. 

45. Derselbe, Eine Form akuten halluzinatorischen Verfolgungswahnsinns 
der Haft ohne spätere Weiterbildung des Wahns und ohne Korrektur. Allgem. 
Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 60, S. 852. 

46. - Staiger, Erfahrungen in der Behandlung geisteskranker Verbrecher. 
Monatsschr. f. Krim.-Psychol. u. Strafrechtsreform, 5. Jahrg., 7. Heft, 1908, S. 428. 

47. Raecke, Psychiatrische Diagnostik, 4. Aufl., Hirschwald, Berlin 1913 
S. 122 u. 131. 

48. Reichsmilitärgerichtsentscheidung, R.M.G. III, 23. 7. 1909, u. Allgem. 
Psychiatr. Wochenschr., 1913, S. 4. 

49. Reichsgerichtsentscheidung, R.G.V. 4. 3. 10., u. das Recht, 1910, Entsch. 
Nr. 1303. 

50. Reichsmilitärgerichtsentscheidung, R.M.G. III, 20. 7. 1907, u. Jahrb., 
1909, S. 16. 

51. Stenographische Berichte des Reichstages für den Norddeutschen Bund, 
1870, III. Bd., Anlagen 1-12, p. 55. 

52. v. Liszt, Strafrecht, 1911, J. Guttentag, Berlin. 

53. Jolly, Über geminderte Zurechnungsfähigkeit. Allgem. Zeitschr. f. 
Psychiatrie, 1888. 

54. .Lotsen*, II. Jahrg., Heft 12, 27, 35. 

55. u. 56. Verhandlungen, des Deutschen Vereins für Psychiatrie, 1887 u. 
1888. Allgem. Zeitsch. f. Psychiatrie, 44, S. 461, u. 45, S. 545. 

57. Verhandlungen des Vereins f. Psychiatrie in Halle, 1898. Allgem. 
Zeitschr. f. Psychiatrie, 56, S. 615. 

.58. Delbrück, Vortrag über die vermindert Zurechnungsfähigen und deren 
Verpflegung in besonderen Anstalten. Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswissenschaft, 
23. Bd. (Beilage: Mitt. d. inlern. krim. Vereinig., Bd. 10, Heft 2,) J. Guttentag, 
Berlin 1903. 


12* 



168 


Dr. med. Fr. Jos. Widmann 


59. Schwarz,e, Stenograph. Berichte des Reichstags des Nordd. Bundes. 
1870, I. Bd., S. 233. 

60. Kahl, Die strafrechtliche Behandlung der geistig Minderwertigen. Gut¬ 
achten, Febr. 1904. 

61. Mendel, Der ärztl. Sachverständige und der Ausschluß der freien 
Willensbestimmung des § 51 d. Deutschen Str.G.B. Vierteljahrsschr. f. gerfchtl. 
Medizin, N. F., Bd. 44. 

62. Wilmanns, Die praktische Durchführbarkeit der Bestimmungen über 
die verminderte Zurechnungsfähigkeit im V.E. Monatsschr. f. Krim.-Psychol. und 
Strafrechtsreform, 1911, 8, S. 136. 

63. Weber, Die Unterbringung geisteskranker Verbrecher und gemein¬ 
gefährlicher Geisteskranker. Ergebn. d. Neurol. und Psychiatrie. Jena 1912, I, 
S. 497. 

64. Cramer, Bemerkungen zum V.E. des Strafgesetzbuches. Herausgegeb. 
von der Justizkommission des Deutschen Vereins f. Psychiatrie: C. Moeli, 
A. Cramer, G. Aschaffenburg, A. Hoche, J. Longard, E. Schultze, 
F. Vocke. Gustav Fischer, Jena 1910. 

65. Gretener, Die neuen Horizonte im Strafrecht, 10. Heft der kritischen 
Beiträge zur Strafrechtsreform. Leipzig 1909, VI u. 1638. 

66. Kahl, Die geminderte Zurechnungsfähigkeit. Vergleichende Darstellung 
des deutschen und des ausländischen Strafrechts. Allgemeiner Teil, Berlin 
1908, 1. 

67. v. Michaelis, Groß’ Archiv, Bd. 57, S. 40. 

68. Cramer, Bemerkungen zu dem Vorentwurf zu einem deutschen Straf¬ 
gesetzbuch. Münch, med. Wochenschr., Nr. 7, 15. Febr. 1910, S. 363. 

69. Wollenberg, Der Vorentwurf zum deutschen Strafgesetzbuch. Verhand¬ 
lungen der 6. Tagung der Deutschen Gesellschaft für gerichtl. Medizin, 3. Folge, 
Bd. 41, II. Supplementheft. Hirschwald, Berlin 1911, S. 232. 

70. Krohne, Lehrbuch d. Gefängniskunde. Enke, Stuttgart 1889. 

71. Wilmanns, Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie, 71. Bd., 4. u. 5. Heft. 

72. Többen, Über die individualisierende Behandlung der vermindert Zu¬ 
rechnungsfähigen im Strafvollzug. Sonderabdruck der Zeitschrift für Medizinal¬ 
beamte, 1915, Heft 6. Fischer-Kornfeld, Berlin. 

73. Pollitz, Strafe und Verbrechen. Teubner, Leipzig 1910. 

74. F. Leppmann, Der Gefängnisarzt. Richard Schoetz, Berlin 1909. 

75. Staiger, Behandlung psychopathisch minderwertiger Strafgefangener 
jetzt und nach dem V.E. zu einem deutschen Strafgesetzbuch. Zeitschr. f. Psy¬ 
chiatrie, 69. Bd. ' 

76. A. Leppmann, Der Schutz gegen Geisteskranke. Offizieller Bericht 
über die 9. Hauptversammlung zu Breslau, 12.—13. Sept. 1913. Fischer-Kornfeld, 
Berlin 1913, S. 16. 

77. Wilmanns, Referat. Psychiatr.-neuroi. Wochenschr., 1914/15, S. 95. 

78. Dannemann, Die Gemeingefährlichkeit bei Geisteskranken und ihre 
Bekämpfung. Deutsche Medizin. Wochenschr., 1905, 31, S. 546. 

79. F. Straß mann, Diskussion zu A. Leppmanns Vortrag »Der Schutz 
gegen Geisteskranke* (Lit. 76), S. 25/26. 

80. van Hamei, Diskussion. Mitteilungen der I.K.V., 1910, 17, S. 449. 

81. A. Leppmann, Der Minderwertige im Strafvollzug. Ein Leitfaden 
für die Gefängnispraxis. Richard Schoetz, Berlin 1912. 



Die Bedeutung der psychopathischen Konstitution für die Rechtspflege - " 169 

82. Krohne, Bericht über den Strafvollzug an geistig Minderwertigen. 
Mitteilungen der I.K.V., Bd. 12, S. 267/72, 274, 281, 284. Stuttgart 1904. 

83. Derselbe, Blätter für Gefängniskunde, Bl. 43, S. 109, 1908. 

84. Derselbe, Strafvollzugsbericht über den 7. Internat. Kongreß für An¬ 
thropologie, 1912, S. 28. 

85. Ellger, Deutsche Strafrechtszeitung, Heft 10/11, S.575ff., 1914. 

86. E. Kracht, Zwei Fragen aus dem Gebiet des Vollzugs in der Fürsorge¬ 

erziehung. Monatsschr. f. Krim.-Psychol. und Strafrechtsreform, II. Jahrg. 
.9.-10. Heft, Jan. 1916. Carl Winter, Heidelberg. • 

87. C. Moeli, Die Fürsorge f. Geisteskranke und geistig Abnorme. Nach 
den gesetzl. Vorschriften, Ministerialerlassen, behördlichen Verordnungen und der 
Rechtssprechung. Carl Marhold, Halle a. S. 1915. 

88. Stammier, Bemerkungen über amerikanische Strafpolitik. Arch. f. 
Kriminalanthr. und Kriminalistik, 47, S. 79, 1912. 

89. C. Moeli, Einige Bemerkungen über die Regelung der Rechtsverhältnisse 
der in Anstaltsbehandlung oder in Pflege fremder Personen befindlichen Geistes¬ 
kranken in Preußen. Monatsschr. f. Krim.-Psychol. u. Strafrechtsreform, 10, 
S. 449, 1913. 



Die Kriminalität in den Vereinigten Staaten von 
• Amerika. 

Von 

Hans Fehlinger, München. 

Das amerikanische statistische Amt zu Washington (Bureau 
of the Census) hat einen Band Tabellen über Gefangene und 
jugendliche Delinquenten veröffentlicht, der die wichtigsten Ergeb¬ 
nisse einer auf den 1. Januar 1910 bezüglichen Zählung der 
Insassen von Straf- und Besserungsanstalten enthält. Eine Tabelle 
gibt überdies Auskunft über die Zu- und Abgänge während des 
Jahres 1910. *) Die Gesamtzahl der Gefangenen — ohne jugend¬ 
liche Delinquenten — betrug am 1. Januar 1910 111498, wovon 
105362 männlichen und 6136 weiblichen Geschlechtes waren. In 
den einzelnen Staatengruppen ist der Anteil der weiblichen Per¬ 
sonen an der Gesamtzahl der Gefangenen sehr verschieden. Über 
dem Gesamtdurchschnitt stehen die der atlantischen Küste zunächst 
gelegenen Staatengruppen, nämlich die Neu-Englandstaaten, sowie 
die mittel- und südatlantischen Staaten, also Gebiete von recht 
abweichender wirtschaftlicher und sozialer Eigenart. Die Neu- 
England- und die mittelatlantischen Staaten gehören zu den Haupt¬ 
aufnahmegebieten der Einwanderung, die südatlantischen Staaten 
aber nicht. Sehr stark vertreten ist das eingewanderte Bevölkerungs¬ 
element, das durch ein starkes Defizit weiblicher Personen aus¬ 
gezeichnet ist, in den nördlichen Zentralstaaten, wo auch der Anteil 
der weiblichen Personen an der Gesamtzahl der Gefängnisinsassen 
unter dem Durchschnitt zurückbleibt. Am geringsten ist jedoch die 
weibliche Kriminalität in den Staaten der Felsengebirgsregion und an 
der Küste des Stillen Ozeans, wohin verhältnismäßig wenige Ein-' 
Wanderer kommen. Bestimmte Beziehungen zwischen dem Anteil 
der Einwanderer an der Gesamtbevölkerung und dem Anteil der 
weiblichen Personen an der Gefängnisbevölkerung bestehen also 
nicht, obwohl die Einwanderer zur Gefängnisbevölkerung einen 

i) Prisoners and Juvenile Delinquents, 1910. Washington, 1914. Government 
Printing Office. 



Die Kriminalität in den Vereinigten Staaten von Amerika ' 171 

höheren Prozentsatz stellen als zur Gesamtbevölkerung. Die beiden 
Gruppen der Neu-England- und der mittelatlantischen Staaten, 
wo der Prozentsatz der Frauen unter den Gefangenen am höchsten 
ist, weisen hingegen auch den größten Umfang der industriellen 
Frauenarbeit auf. In den südatlantischen Staaten ist die industrielle 
Frauenarbeit zwar von unterdurchschnittlichem Umfang, aber immer¬ 
hin noch umfangreicher als in allen andern Stäatengruppen mit 
Ausnahme der beiden vorher genannten. Dieses Ergebnis wider¬ 
spricht anscheinend den Resultaten, zu welchen Mary Conyngton 
gelangte, die fand, daß die in Fabriken und Werkstätten beschäf¬ 
tigten Frauen und Mädchen einen erheblich geringeren Prozent¬ 
satz der Straftätigen bilden, als ihrem Anteil an der Gesamtzahl 
der Erwerbtätigen entspricht. 1 ) 

Die Zahl der Gefängnisinsassen in den einzelnen Staaten¬ 
gruppen war wie folgt: 

Frauen 



Oberhaupt 

Männer 

absolut 

Proz. 

Neu-England. 

10588 

9600 

988 

9,3 

Mittelatlantische Staaten 

23673 

21629 

2044 

8,6 

Nordöstl. Zentralstaaten 

16 250 

15576 

674 

4,1 

Nordwestl. Zentralstaaten 

9329 

8981 

348 

3,7 

Südatlantische Staaten . 

17878 

16814 

1064 

6,0 

Südöstl. Zentralstaaten . 

11341 

10854 

487 

4,3 

Südwestl. Zentratstaaten 

9602 

9298 

304 

3,2 

Felsengebirgsstaaten . 

4503 

4403 

100 

2,2 

Staaten am Stillen Ozean 

6430 

6303 

127 

2,0 


Die Gruppierung der Gefängnisinsassen nach Rasse und Her¬ 
kunft ergibt zwei recht auffallende Tatsachen; nämlich, daß der 
Anteil der Neger sowie der Anteil der weißen Einwanderer an 
den Gefangenen erheblich größer ist als der Anteil dieser beiden 
Bevölkerungselemente an der Gesamtbevölkerung. Die folgende 
Tabelle macht dies anschaulich.' 2 ) 

Bevölkerung Gefangene 


Weiße überhaupt. 

Zahl 

Proz. 

Zahl 

Proz. 

81731957 

88,9 

72797 

64,5 

davon Einheimische . . 

68386412 

74,3 

52473 

47,1 

Eingewanderte . 

13345545 

14,5 

19438 

17,4 

unbekannt . . . 

— 

— 

886 

0,8 

Neger. 

9827763 

10,7 

37874 

34,0 

Andere Farbige . 

412546 

0,4 

827 

0,7 


•) Vgl. Fehlinger, Erwerbsarbeit und Kriminalität von Kindern und Frauen 
in den Verein. Staaten. Groß’ Archiv, 49. Bd., S. 200-203. 

-) Bevölkerungszahlen nach dem Original des Volkszählungswerkes von 1910. 








172 


Hans Fehlinger 


Besonders bei den Negern (einschließlich der Negermischlinge) 
ist der Gegensatz groß; sie stellen nur etwas über ein Zehntel 
der Bevölkerung, aber über ein Drittel der Gefangenen. Die Zahl 
der letzteren ist um rund zwei Drittel größer als ihrem Bevöl¬ 
kerungsanteil entspricht. In den südatlantischen Staaten und den 
südöstlichen Zentralstaaten, wo die Neger absolut am zahlreichsten 
vertreten sind, ist ihr Anteil an der Gefangenenzahl etwa doppelt 
so groß als ihr Bevölkerungsanteil; die Neger bildeten nämlich: 


Von der Von den 

In den Bevölkerung Gefangenen 

südatlantischen Staaten. 33,7 Proz. 66,5 Proz. 

südöstlichen Zentralstaaten ... 31,5 „ 77,0 


Die wenigsten Neger gibt es in den Staaten am Stillen Ozean 
(0,7Proz. der Bevölkerung) und in denFelsengebirgsstaaten(0,8 Proz.). 
Ihr Anteil an den Gefangenen ist aber in der erstgenannten Staaten¬ 
gruppe über siebenmal und in der zweiten über neunmal so groß 
als ihr Bevölkerungsanteil. Die Kriminalität nimmt also zu, je 
vereinzelter die Neger leben, je mehr sie die wirtschaftliche Kon¬ 
kurrenz mit Angehörigen der weißen Rasse zu bestehen haben. 
Nur zu leicht unterliegen sie in diesem wirtschaftlichen Wettstreit 
und greifen dann zu Mitteln, die sie in Konflikt mit den Ge¬ 
setzen bringen. Hierauf hat schon 1899 W. F. Willcox in einem 
Vortrag vor der amerikanischen Gesellschaft für Sozialwissenschaft 
aufmerksam gemacht. *) Seit - der Sklavenbefreiung wurden die 
Neger mehr und mehr aus der Landwirtschaft verdrängt. Sie 
wenden sich nicht etwa den weiterverarbeitenden Industrien zu, 
sondern vor allem den Berufen der häuslichen und persönlichen 
Dienstleistung, und hauptsächlich die in den letzteren Tätigen sind 
es, die am meisten mit den untersten Schichten der städtischen 
Bevölkerungen in Berührung kommen und dabei sehr leicht den 
moralischen Halt verlieren — umsomehr, als die natürlichen mora¬ 
lischen Hemmungen bei ihnen wahrscheinlich schwächer ausgebildet 
sind als bei den Weißen, welch letztere viel länger und intensiver 
einer scharfen Auslese ausgesetzt waren, die auf Beseitigung der 
für unsere Kultur nicht angepaßten Varietäten gerichtet war. Man 
kann also nicht Mängel der Erziehung allein für die größere Krimi¬ 
nalität der Neger verantwortlich machen, wie es Willcox tut. Zu¬ 
zugeben ist, daß widerwärtige wirtschaftiiche und soziale Zustände 
das meiste zur Begehung von Vergehen und Verbrechen durch die 

') Abgedruckt in Studies in the American Race Problem, herausg. von 
A. H. Stone. New York 1908. (S. 443 u. ff.) 




Die Kriminalität in den Vereinigten Staaten von Amerika 


173 


Neger beitragen. Sie werden aber, infolge geringerer Anpassung 
an die europäische Kultur, leichter als die Weißen aus ihrer wirt¬ 
schaftlichen Existenz herausgedrängt, wodurch viele von ihnen auf 
die Bahn einer unsozialen Lebensführung kommen. Viel beige¬ 
tragen zu der Unstetigkeit und Haltlosigkeit der Neger hat gewiß 
die Abstumpfung des Familiensinnes in der Zeit der Sklaverei, 
wo es dem Sklavenbesitzer anheimgegeben war, nach Belieben 
die Familienbande seiner Sklaven zu zerreißen. Nicht außer acht 
zu lassen ist freilich, daß diese Bande schon in der afrikanischen 
Heimat der Neger viel lockerer waren als sie bei den Europäern 
sind. Die Arbeitsfreudigkeit der Neger ist gering. Das Ackerbau¬ 
ministerium zu Washington stellte fest, daß die bäuerlichen Neger 
durchschnittlich nicht mehr als 7'/2 Monate im Jahre zu arbeiten 
pflegen. 1 ) Infolge ihrer stärkeren Sexualität verstoßen die Neger 
gleichfalls viel häufiger gegen die Gesetze als die Weißen, und 
namentlich im puritanischen Norden der Vereinigten Staaten werden 
derartige Verstöße ungemein ernst genommen. Der Hang zum 
Spiel ist eine weitere ungünstige Charaktereigenschaft der Neger, 
durch welche viele ins Verderben geführt werden. 

Von den am 1. Januar 1910 gezählten Negergefangenen waren 
6,5 Proz. weiblichen Geschlechts, gegen 5,0 Proz. bei den weißen 
Gefangenen. 

Nach der Art der Verbrechen und Vergehen, wegen welcher die 
Verurteilung erfolgt war, verteilten sich alle 111498 am 1. Januar 1910 
gezählten Strafgefangenen wie folgt: 


Mord . 

6890 

oder 

6,2 

Proz. 

Totschlag . 

7367 

n 

6,6 

rt 

Tätliche Mißhandlung . . . 

9719 

7t 

8,7 

n 

Raub. 

4 729 

n 

4,2 

n 

Einbruch . 

16268 

r> 

14,6 

n 

Diebstahl. 

21397 

n 

19,2 

» 

Betrug . .. 

1481 

n 

1,3 

n 

Fälschung . 

3145 

n 

2,8 

7> 

Notzucht. 

4465 

7t 

4,0 

** 

Prostitution und Unzucht . 

825 

71 

0,7 

n 

Trunkenheit und unordentliche Aufführung 

13704 

V 

12,3 

r> 

Landstreicherei . 

6004 

7t 

5,4 

7> 

Vergehen gegen die Schankgesetze . . . 

2148 

7t 

2,0 

y> 

Andere Vergehen und mehrfache Vergehen . 

13356 

n 

12,0 

n 


Vergehen gegen die Sicherheit der Person kommen in den 
Südstaaten relativ häufiger vor als in den Nord- und Weststaaten. 


') Office of Experiment Stations, Bulletin No. 38. 













174 


Hans Fehlinger 


Wegen Mord und Totschlag waren verurteilt in den Südstaaten 
19,3 Proz. aller Gefangenen, überhaupt jedoch nur 12,8 Proz.; 
wegen tätlicher Mißhandlung waren in den Südstaaten 10,9 Proz. 
gefangen und wegen Notzucht 4,3 Proz.; dagegen wegen Raub 
bloß 3,3 Proz., Einbruch 14,1 Proz. und Diebstahl 19,1 Proz. Die 
Trunkenheit und unordentliche Aufführung kommt im Süden sehr 
wenig als Strafgrund in Betracht, wohl deshalb, weil man sie dort 
weniger streng verfolgt als in dem puritanischen Norden. 

86525 Personen wurden zur Todesstrafe oder zu Freiheits¬ 
strafen ohne die Möglichkeit ihrer Umwandlung in Geldbußen 
verurteilt, und zwar zur Todesstrafe 143, zu lebenslänglicher Frei¬ 
heitsstrafe 6430 (7,4 Proz.), zu 20 oder mehr Jahren 3717, zu 10 
bis 19 Jahren 7849, zu 5 bis 9 Jahren 10192, zu 1 bis 4 Jahren 
20704 und zu weniger als 1 Jahr 16640; unbefristet war die Frei¬ 
heitsstrafe in 20717 Fällen (24,9 Proz.). In einer kleinen Anzahl 

von Fällen war die Dauer der Freiheitsstrafe nicht angegeben. 

♦ * 

* 

Von 24974 jugendlichen Delinquenten waren 19062 
männlichen und 5912 oder 23,6 Proz. weiblichen Geschlechts. 
Wie anderwärts ist auch in Amerika der Anteil des weiblichen 
Geschlechts bei den jugendlichen Missetätern größer als bei den 
Erwachsenen. Der weißen Rasse gehörten 21044 jugendliche De¬ 
linquenten an (davon 4980 oder 23,7 Proz. weibliche), der Neger¬ 
rasse 3855 (davon 915 oder 23,2 Proz. weibliche), anderen Rassen 75. 
Es fällt auf, daß der Anteil der Neger an der Gesamtzahl der 
jugendlichen Delinquenten viel geringer ist als der Anteil der 
Neger an den erwachsenen Strafgefangenen; von den Jugendlichen 
waren nämlich nur 15,4 Proz. Neger. Das beweist, daß die Nei¬ 
gung zum Verbrechen bei der Negerrasse erst im Mannes- und 
Frauenalter übernormal groß ist, wenn die Personen ihre Selb¬ 
ständigkeit und ein großes Maß von Unabhängigkeit von den 
Eltern erlangt haben. In den Südstaaten ist der Anteil der Neger 
an der Gesamtzahl der jugendlichen Delinquenten erheblich höher 
als im Landesdurchschnitt; er betrug nämlich in den südatlantischen 
Staaten 40 Proz., in den südöstlichen Zentralstaaten 34,9 Proz. und 
in den südwestlichen Zentralstaaten 36,3 Proz. In diesen Staaten 
bilden aber auch die Neger einen weit größeren Prozentsatz der 
Bevölkerung als im Norden und Westen. 

Wegen Mord und Totschlag waren von den jugendlichen Per¬ 
sonen 59 verurteilt worden, wegen tätlicher Mißhandlung 323 
(1,3 Proz.), Raub 208 (0,8 Proz.), Einbruch 2039 (8,1 Proz.), Dieb- 



Die Kriminalität in den Vereinigten Staaten von Amerika 175 

stahl 6420 (25,7 Proz.), Prostitution usw. 1187 (4,7 Proz.), Land¬ 
streicherei 952 (3,8 Proz.), Trunkenheit und unordentlicher Auf¬ 
führung 210 (0,8 Proz.) und wegen sonstiger oder mehrfacher 
Vergehen 13519 (54,1 Proz.). Betrug, Fälschung sowie Vergehen 
gegen die Schankgtesetze spielen bei den Jugendlichen keine Rolle. 
Wegen Minderjährigkeit wurden 16839 von den 24974 Jugend¬ 
lichen an Besserungsanstalten übergeben; 6404 wurden auf un¬ 
bestimmte Zeit ip Gefängnisse gesetzt, 41 wurden zu Freiheitsstrafen 
von weniger als einem Jahr verurteilt, 1272 zu 2 bis 4 Jahren, 379 

zu 5 bis 9 Jahren und 36 zu 10 oder mehr Jahren. 

* * 

* 

Im Laufe des Jahres 1910 belief sich der Zugang in die Ge¬ 
fängnisse und Besserungsanstalten auf 493934 Personen', von 
welchen 48503 oder 9,8 Proz. weiblichen Geschlechts waren. Nach 
Rasse und Herkunft verteilten sich diese Personen wie folgt; 

Weiße überhaupt. 381498 oder 71,4 Proz. 

davon Einheimische. 254 525 „ 51,5 

Eingewanderte. 98532 „ 19,9 * 

unbekannter Herkunft .... 28441 „ 5,9 * 

Farbige. 112436 „ 22,7 „ 

Diese Zahlen sind weniger zuungunsten der Neger als die 
Ergebnisse der Zählung der Gefangenen vom 1. Januar 1910, aber 
sie sind mehr zuungunsten der Eingewanderten. 

In Gefängnissen gestorben sind im Jahre 1910 1505 Personen, 
darunter 736 Neger und andere Farbige. Diese scheinen demnach 
den Aufenthalt in Gefängnissen viel schwerer zu ertragen als An¬ 
gehörige der weißen Rasse. 

Nach Verbüßung der Strafe oder nach erfolgter Begnadigung 
entlassen wurden’ 468277 Personen, unter welchen 103267 Farbige 
waren. 







Über Privatgutachten. 

Grundsätzliche Darlegungen von Professor Dück, Innsbruck. 

Im 2. Heft des 69. Bandes dieser Zeitschrift hat H. Hentschel 
an der Hand eines typischen Falles die Schwierigkeiten auf¬ 
gezeigt, die sich auf psychiatrischem Gebiet angesichts einer 
großen Anzahl weit auseinandergehender, ja z. T. sich sogar 
direkt widersprechender Gutachten für die Richter ergeben; mit 
Recht wurde dabei ausgeführt, *daß hauptsächlich für die Privat¬ 
gutachten die notwendigen gesicherten Grundlagen insofern fehlten, 
als diesen Gutachtern (es handelte sich um. die Frage der Zu¬ 
rechnungsfähigkeit) keine genügend lange Beobachtung möglich 
war, wie sie eben nur in einer geschlossenen Anstalt durchzu¬ 
führen ist. Diese Frage der genügend gesicherten Grundlagen 
für ein Gutachten aber ist von so grundsätzlicher Bedeutung, 
daß es gestattet sein mag, ihre alles überragende Bedeutung auch 
auf einem anderen recht viel umstrittenen Gutachtergebiet, dem 
der Schriftbegutachtung, insonderheit des Schriftvergleiches, dar¬ 
zutun. Wenn wir uns dabei auf einen ganz typischen Fall aus 
der Praxis stützen, so hat dies vielleicht den Vorteil, die immer¬ 
hin mögliche Einwendung, so etwas komme in Wirklichkeit nicht 
vor, von vornherein zu entkräften; wer schon, wie der Ver¬ 
fasser, viele Hunderte von Gutachten abgegeben' hat und wieder¬ 
holt bei Gelegenheit von Obergutachten Einblick erhielt in die ver¬ 
wendeten Grundlagen für Abgabe von Gutachten und das, was 
manch einer von privater Seite als Grundlage für Gutachten 
zugemutet bekam, wird zugeben, daß es sich hier tatsächlich 
um etwas Typisches handelt, bezüglich dessen die unver¬ 
rückbare Festlegung und unbedingte Einhaltung von 
Grundsätzen zur Vermeidung einer unnötigen Belastung der Ge¬ 
richte notwendig ist und von allen nach den allgemeinen Grund¬ 
sätzen der Wissenschaft arbeitenden Sachverständigen dringendst 
gewünscht werden muß; hier ist nämlich der wichtigste Scheide¬ 
weg, wo sich allüberall der ernst zu nehmende wissenschaftliche 
Forscher vom Dilettanten trennt. 



Über Privatgutachten 


177 


Wie schon von verschiedenen Seiten, insbes. im Archiv für 
gerichtliche Schriftuntersuchung dargetan wurde, kann ein selbst 
noch so gutes photographisches Bild keinen vollen Ersatz für das 
Original bieten; daß trotzdem die Photographie anderweitig un¬ 
schätzbare und unentbehrliche Dienste leistet, ist natürlich dadurch 
nicht bestritten; b$i Schriften aber kann sie unmöglich alles 
Wünschenswerte ebensogut wie das Original wiedergeben, man 
denke nur an die Untersuchung des Papieres, bezw. der Schreib¬ 
materialien überhaupt. Weit bedenklicher aber ist die einseitig 
von einer Partei besorgte Beibringung von Vergleichsschriften; 
man hat da niemals eine Gewähr dafür, daß es sich nicht um 
sorgfältig „in usum delphini“ ausgewählte Schriften, ja, noch 
mehr, am Ende gar zum Zwecke dieses Schriftvergleiches eigens 
hergestellte und zwar mit gewissen Änderungen und Auslassungen 
hergestellte Schriften handelt; ist nämlich schon jede vor Gericht 
abgegebene Schriftprobe infolge der (willkürlichen und unwill¬ 
kürlichen) Antriebe und Hemmungen verändert, also in gewissem 
Sinne unnatürlich und daher jedenfalls weniger geeignet als un¬ 
gehemmt zustande gekommene Schriften, so trifft dieser Einwand 
erst recht da zu, wo die Partei Gelegenheit, Zeit und Interesse 
genug hat, ein bestimmtes Vergleichsmaterial erst zu schaffen. 
Eine gewisse Sicherung bieten also (bes. bei Privatgutachten) nur 
solche Dokumente, wo zweifellos die Schrift nicht nachher erst 
absichtlich angefertigt worden sein kann; das sind z. B. ge¬ 
richtliche und notarielle Urkunden mit Datum oder auch, was 
wohl meistens in Frage kommt, Briefe und Postkarten mit Post¬ 
stempel. In allen anderen Fällen aber sind die Vergleichs¬ 
materialien nicht ganz einwandfrei und es darf grundsätzlich, 
wenn überhaupt, ein Privatgutachten nur unter dem ausdrück¬ 
lichen Vorbehalt abgegeben werden, daß das Vergleichsmaterial 
sich nicht etwa hinterher als nicht einwandfrei herausstellte. 

In unserem typischen Fall handelt es sich um den (gegen¬ 
wärtig so beliebten) Weg anonymer Verdächtigungen bei den 
Militärbehörden. Auf Grund eines sehr umfangreichen Materials, 
das nicht bloß vom Angeklagten beigebrachte Schriften, sondern 
vor allem auch eine Reihe bei den Behörden ausgehobener Akten 
umfaßte, waren die Innsbrucker Sachverständigen, Prof. D. und 
Prof. R., zu dem Ergebnis gekommen, daß die fraglichen anonymen 
Briefe bestimmt von der Hand des Beschuldigten herrührten, daß 
es sich bei allen Schriften um eine gleichartige Tinte, um moderne 
Eisengallustinte, handle und daß es mindestens sehr wahrschein- 



178 


Professor Dück 


lieh sei, daß die vom Angeklagten beigebrachten, angeblich erst 
nach und nach im Laufe einer längeren Zeit entstandenen Ver¬ 
gleichsschriften alle auf einmal und zwar zum Zwecke der Ent¬ 
kräftung des Indizienbeweises angefertigt worden seien; dazu führte 
vor allem der Umstand, daß sich darin gewisse abweichende Formen 
fanden, die der Angeklagte bei seiner Verteidigung immer wieder 
hervorhob, während sich aus den behördlichen Dokumenten ein¬ 
wandfrei nach weisen ließ, daß passende eben dort vom Angeklagten 
verwendet worden waren. Auch andere Gründe sprachen für 
diese Annahme. Der Angeklagte wurde daraufhin vom Gericht 
verurteilt und suchte nun das Wiederaufnahme-Verfahren zu er¬ 
reichen, indem er einem Wiener Sachverständigen privatim eine 
Photographie eines Teiles aus einem der anonymen Briefe und eben 
das Konzeptbuch „Agenda“, sandte, welches die Innsbrucker 
Sachverständigen als bedenkliches Vergleichsmaterial festgestellt 
hatten; weitere Mitteilungen machte er nicht. Auf Grund dieses 
Materials gab nun der Wiener Sachverständige ein Gutachten 
dahin ab, daß die anonymen Briefe nicht von der Hand des 
Angeklagten herrührten. Das Gericht beschloß nun, im Wieder¬ 
aufnahmeverfahren dem Wiener Sachverständigen sämtliche Akten 
mit der Frage vorzulegen, ob er nunmehr sein Gutachten auch 
noch aufrecht erhalten könne. Dies war nun nicht der Fall, 
der Wiener Sachverständige kam vielmehr nun zu einem ganz 
entsprechenden Ergebnis wie die Innsbrucker Sachverständigen. — 

Zweck dieser Zeilen ist die Forderung, daß grundsätzlich 
kein wissenschaftlich arbeitender Sachverständiger irgend eines 
Gebietes ein Gutachten abgebe, ohne genügend gesicherte 
Grundlagen dafür zu haben; können oder wollen ihm diese 
nicht beschafft werden, so ist unbedingt die Erstattung eines 
solchen Privatgutachtens abzulehnen, bei Erstattung eines amt¬ 
lichen Gutachtens aber ausdrücklich der entsprechende Vorbehalt 
zu machen. Für den Schriftsachverständigen im besonderen aber 
ergibt sich die Folgerung: 

1. Nach einer Photographie allein niemals ein bestimmtes 
Gutachten abzugeben; 

2. Bei Vergleichsschriften stets an die Möglichkeit zu 
denken, daß unter Umständen auch verstellte Schriften vor¬ 
liegen können, und sich durch Verlangen nach Vorlage einwand¬ 
freien Vergleichsmaterials gegen irrige Schlußfolgerungen zu sichern. 

Nur wenn diese Grundlagen gegeben sind, kann ein Gut¬ 
achten Anspruch auf gerichtliche Beachtung erheben. 



Kriminalistische Übergangswirtschaft. 

VI. 

Die Verstaatlichung der ungarischen Polizei. 

Gesetzentwurf 

über die Organisation der k. ung. Staatspolizei. 

Ins Deutsche übertragen von Regierungsrat Dr. Robert Heindl. 

I. Organisation der k. ung. Staatspolizei. 

§ 1 . 

ln den Städten mit Munizipalrecht und in denen mit Magistrats¬ 
ordnung übt die k. ung. Staatspolizei die Polizeihoheit aus und 
versehen die k. ung. Staatspölizeiorgane den Polizeidienst. 

Die Kompetenz und das Funktionsgebiet der Budapester k. 
ung. Staatspolizei werden durch dieses Gesetz nicht berührt. 

§ 2 . 

In begründeten Fällen kann der Minister des Innern die Be¬ 
stimmungen des § 1 auch auf einzelne Gemeinden oder auf ein¬ 
zelne Gemeindegruppen ausdehnen. 

Über die Ausdehnung des Funktionskreises der k. ung. Staats¬ 
polizeibehörden auf einzelne Gemeinden oder Gemeindegruppen 
hat der Minister des Innern dem Reichstag von Fall zu Fall Be¬ 
richt zu erstatten. 

Begründung zu § 1 und 2: 

Die Wichtigkeit der Polizei tritt in den Städten besonders in den 
Vordergrund. Deshalb ist die Hebung des Niveaus der Polizeibehörden 
in den Städten eine dringende Aufgabe. 

Hierauf weist bereits der § 30 des G.A. LVII1 v. J. 1912 hin, welcher 
die Landesorganisation der Polizei obligatorisch macht, und dies stellt 
auch der § 1 des Entwurfes fest. Hierbei stellt er aber ausdrücklich 
fest, daß die Kompetenz und das Funktionsgebiet der k. ung. Staats¬ 
polizei der Residenzstadt Budapest, welche mit besonderen Gesetzen: 
G.A. XXI: 1881, XLVI: 1889, LX: 1912 und XXXVIII: 1916 geregelt 
sind, unberührt bleiben. 

Es gibt viele die Staatsinteressen eng berührende Aufgaben, welche 
unbedingt eine verläßliche Polizei auch in den einzelnen Gemeinden, 



180 


Dr. Robert Heindl 


insbesondere in den Grenzgemeinden erfordern. § 2 des Entwurfes er¬ 
mächtigt daher den Minister des Innern den Funktionskreis der Staats¬ 
polizei auch auf einzelne Gemeinden oder Gemeindegruppen, insbesondere 
auf solche auszudehnen, in welchen derzeit — obzwar mit besonderem 
Wirkungskreis — die k. ung. Grenzpolizei funktioniert. 

Die Beurteilung der Gründe, welche in irgendeiner Gemeinde die 
Organisierung der Staatspolizei erwünscht erscheinen lassen und dem¬ 
zufolge die Wahl der in den Kreis der Staatspolizei einzubeziehenden 
Gemeinden, überläßt der Entwurf dem Minister des Innern, als dem be¬ 
rufensten Faktor, welcher aber seinen diesbezüglichen Entschluß zur 
Orientierung dem Reichstag von Fall zu Fall berichtet. 

§ 3. 

Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gehen die auf Grund 
des G.A. VIII: 1903 mit besonderem Wirkungskreis organisierte k. 
ung. Grenzpolizei und die auf Grund des G.A. XXXVII: 1916 er¬ 
richtete Fiumaner k. ung. Staatspolizei in der k. ung. Staatspolizei 
auf, mit der sie einen einheitlichen Landesstand bilden. 

Das Personal und der Stand der Budapester k. ung. Staats¬ 
polizei werden durch diese Bestimmungen nicht berührt. 

Es können die Angestellten der k. ung. Staatspolizei zu An¬ 
gestellten der Budapester k. ung. Staatspolizei und umgekehrt auch 
gegen ihren Willen ernannt werden und zwar in gleicher oder 
höherer Dienststellung. 

Begründung zu § 3: 

Derzeit ist die k. ung. Staatspolizei als Polizeibehörde, nur in den 
Städten Budapest und Fiume und deren Umgebung derart organisiert, 
daß die Budapester k. ung. Staatspolizei im Sinne des G.A. XXI: 1881 
mit vollkommen separater Organisation und separaten Vorschriften funk¬ 
tioniert, während das Personal der Fiumaner k. ung. Staatspolizei mit 
dem Personal der k. ung. Grenzpolizei einen einheitlichen Landesstand 
bildet. 

§ 3 des Entwurfes läßt die Abgesondertheit der „k. ung. Staats¬ 
polizei der Residenzstadt Budapest“ unberührt, während er das Personal 
der k. ung. Grenzpolizei mit der neuzuschaffenden „k. ung. Staatspolizei“ 
verschmilzt. Er erstreckt gleichzeitig den Wirkungskreis der Grenz¬ 
polizei auf die gesamten polizeilichen Obliegenheiten. 

Demzufolge hört die k. ung. Grenzpolizei mit dem Inkrafttreten 
dieses Gesetzes als solche auf und die auf sie Bezug habenden be¬ 
sonderen Bestimmungen verlieren ihre Wirksamkeit. 

Zufolge des abgesonderten Personalstandes der Budapester k. ung. 
Staatspolizei und der k. ung. Staatspolizei kann eine Transferierung unter 
den Angestellten dieser beiden Gruppen nicht stattfinden. Es kann aber 
aus Staatsinteressen hin und wieder sich für notwendig erweisen, daß 
die Arbeitskraft eines oder mehrerer in den Stand des einen Korps ge¬ 
hörenden Angestellten im Wirkungskreis des anderen Korps in Anspruch 
genommen werde. 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


181 


Aus diesem Grunde ist es notwendig festzustellen, daß die Er¬ 
nennung aus dem einen Stande in den anderen auch gegen den Willen 
des Angestellten erfolgen kann. 

§ 4. 

Zur Ausübung der Polizeihoheit ist in jeder Stadt mit Muni¬ 
zipalrecht eine Polizeihauptmannschaft zu organisieren. 

Dasselbe gilt in der Regel auch für die Städte mit Magistrats¬ 
ordnung und für die in den Wirkungskreis der k. ung. Staats¬ 
polizei einbezogenen Gemeinden, doch kann der Minister des 
Innern ausnahmsweise auch mehrere Städte mit Magistratsordnung 
oder mehrere Gemeinden in den Funktionskreis einer Polizeihaupt¬ 
mannschaft überweisen, und dort, wo eine Polizeihauptmannschaft 
keinen Sitz hat, nach Bedarf eine Polizeiexpositur errichten. 

Der Innenminister ist berechtigt, wenn es die Ausdehnung des 
Extravillans der Stadt begründet, im Extravillan der Stadt eine 
oder mehrere Polizeiexposituren zu errichten und den Territorial¬ 
wirkungskreis derselben festzustellen. 

Die Polizeiexposjturen üben in dem Ihnen übertragenen Wir¬ 
kungskreise die Polizeihoheit selbständig, aber unter Aufsicht der¬ 
jenigen Polizeihauptmannschaft aus, in deren Funktionskreis sie 
gehören. 

Begründung zu § 4: 

§ 4 des Entwurfes stellt den behördlichen Ausbau der k. ung. Staats¬ 
polizei fest. $ 4 bezeichnet als Polizeibehörde erster Instanz in der 
Regel. den Polizeihauptmann. Wenn aber mehrere Klein- oder Gro߬ 
gemeinden oder Städte mit Magistratsordnung in den Funktionskreis 
einer Polizeihauptmannschaft gehören, können an jenen Stellen, welche 
außerhalb der Residenz des Polizeihauptmannes liegen, Polizeiexposituren 
organisiert werden. Es können weiter auch im Extravillan der Stadt 
Polizeiexposituren errichtet werden. Die Leiter der städtischen und der 
Gemeinde-Polizeiexposituren üben zwar ihr Amt in dem ihnen über¬ 
tragenen Wirkungskreis ganz unabhängig und auf ihre eigene Verant¬ 
wortung aus, doch steht ihre Funktion unter der unmittelbaren Kon¬ 
trolle desjenigen Polizeihauptmannes, in dessen Sprengel sie gehören. 

§5. 

Die Polizeihoheit zweiter Instanz wie auch die Aufsicht und 
Kontrolle über die k. ung. Rolizeihauptmannschaften üben die k. 
ung. Distriktspolizei-Oberhauptleute aus, denen auch das unmittel¬ 
bare Aufsichts- und Kontrollrecht über die Polizeiexposituren zusteht. 

Die Zahl, der Sitz und das Funktionsgebiet der Distriktsober¬ 
hauptmannschaften bestimmt das Ministerium mit Verordnung, doch 
kann ihre Zahl die der Gendarmeriedistriktskommandos nicht über- 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 13 



182 


Dr. Robert Heindl 


steigen; ihr Sitz und ihr Funktionskreis müssen aber mit diesen 
zusammenfallen. 

§ 6 . 

Die oberste Aufsichts- und Kontrollbehörde der k. ung. Staats¬ 
polizei ist der Minister des Innern. Das Aufsichtsrecht des Mi¬ 
nisters des Innern erstreckt sich auf die Distriktsoberhauptmann¬ 
schaften und Hauptmannschaften, sowie auch auf die Polizeiexpo¬ 
situren. Der Minister kann es allen Behörden gegenüber unmittel¬ 
bar ausüben. 

Begründung zu § 6: 

§ 6 sichert dem Innenminister als oberster Polizeibehörde das Kon¬ 
trollrecht und, um dieses wirksamer zu gestalten, stellt der Entwurf fest, 
daß es der Innenminister auch den Polizeibehörden erster Instanz gegen¬ 
über unmittelbar austiben kann. 

§ 7. 

Der Minister des Innern ist berechtigt, im Rahmen des Per¬ 
sonals der k. ung. Staatspolizei eine Zentralvorerhebungsbehörde 
(Zentraluntersuchungsbehörde) zu organisieren, deren Beruf die 
Evidenthaltung, Leitung, Kontrolle und eventuell die unmittelbare 
Erledigung der Staatspolizeisachen des ganzen Landes ist, wie auch 
die zentrale Leitung und eventuell unmittelbare Durchführung der 
Erhebungen bei bedeutenderen Delikten. • 

Die Organisation und das Verfahren der Zentralvorerhebungs¬ 
behörde bestimmt der Minister des Innern im Einvernehmen mit 
dem Justizminister durch Verordnung. 

Begründung zu § 7: 

§ 7 ermächtigt den Minister des Innern eine Zentralvorerhebungs¬ 
behörde zu organisieren, welche die raschere und erfolgreichere Fest¬ 
stellung der Täter und der Umstände der wichtigeren oder gefährlicheren 
Delikte dadurch sichert, daß die Leitungs- und Exekutivorgane gleich¬ 
mäßig aus den in diesem Aufgabenkreis arbeitenden geschicktesten und 
geübtesten Elementen ausgewählt werden können, welche in der Arbeit 
der Aufdeckung von größeren Delikten mit ihrem Wissen und ihren Er¬ 
fahrungen bedeutende Leitungs-, eventuell unmittelbar Exekutiv.-Arbeit 
ausüben können. Des weiteren obliegt auch der Zentralvorerhebungs¬ 
behörde, daß sie die staatsfeindlichen Bestrebungen stets beobachtet, 
die verdächtigen Individuen und Bestrebungen evident hält, die auf die 
Wahrung der Interessen des Staates abzielende Abwehr leitet und kon¬ 
trolliert und sie in wichtigeren Fällen auch unmittelbar erledigt. 

§ 8. 

Der Minister des Innern kann in allen Städten sowie in Ge¬ 
meinden, in denen die k. ung. Staatspolizei funktioniert, die Organi- 



Kriminalistische Übergangswirtschaft I85T 

sierung eines Anmeldungsamtes anordnen. Die Aufgaben des An- 
meldungsamtes versieht das Personal der k. ung. Staatspolizei. 

Wo ein Anmeldungsamt organisiert ist, dort erstreckt sich die 
Anmeldungspflicht auf das ganze Intra- und Extravillan der be¬ 
treffenden Stadt oder Gemeinde. 

Die Bestimmungen des § 23 des G.A.: 1879 treten außer Kraft. 

Begründung zu § 3: 

Das nahezu unerläßliche Hilfsmittel zur wirksamen Funktion der 
Polizei ist die Organisierung der Anmeldungsinstitution. » 

G.A. XXVIII: 1879 hat die Anmeldepflicht nur für Budapest be¬ 
stimmt, und § 23 ermächtigte bloß den Minister des Innern, dieselbe 
auf Städte mit Munizipalrecht sowie mit größerer Bevölkerung auch aus¬ 
zudehnen und die Anmeldungsinstitution auf Kosten der Stadt zu ver¬ 
wirklichen. Heute sind in 16 Städten mit Munizipalrecht und in 22 
mit Magistratsordnung, also insgesamt an 38 Stellen Anmeldungsämter 
organisiert. 

Bezgl. der Ausländer hat § 2 des G.A.: 1903 die Anmeldungs¬ 
pflicht für sämtliche Städte und Gemeinden festgestellt. § 6 des G.A. 
LXIII1912 hat aber die Regierung ermächtigt, die im Frieden sich nur 
auf die Ausländer beschränkende Anmeldepflicht auf Kriegsdauer auch 
auf Inländer auszudehnen. Dies ist auch mit Verordnung Nr. 5475/1914 
M.E. und mit Pkt. 4 der Verordnung 5735/1914 M.E. bezgl. des ganzem 
Gebietes des Landes geschehen. 

Bei der Organisierung der Staatspolizei muß aber dafür gesorgt 
werden, daß die Möglichkeit der Anordnung der obligatorischen An¬ 
meldung überall besteht, wo die Staatspolizei funktioniert. 

Deshalb ermächtigt der Entwurf den Minister des Innern nicht nur 
in allen Städten, sondern auch in solchen Gemeinden, wo die Staats- 
polizei funktionieren wird, ein Anmeldungsamt zu organisieren, und der 
Entwurf stellt für das* Intra- und Extravillan aller solcher Städte und Ge¬ 
meinden die allgemeine Anmeldepflicht fest. 

Die Errichtung der Anmeldeinstitution wird eine besondere Be¬ 
lastung der betreffenden Stadtgemeinde nicht nach sich ziehen; denn 
die Aufgaben des Anmeldungsamtes versieht das Personal der Staatspolizei. 

Zufolge dieser .Ermächtigung mußte §23 des G.A.: 1879, welcher 
die Anordnung der Anmeldepflicht nur' auf die Städte mit Munizipal¬ 
recht und auf größere Städte, mit Magistratsordnung beschränkt hat, 
welcher weiter mit den Kosten der Anmeldeinstitution die Stadt be¬ 
lastete und das Ernennungsrecht des Offizierspersonals der Anmeldungs¬ 
ämter auf die Obergespane übertragen hat, außer Kraft gesetzt werden. 

II. Wirkungskreis der k. ung. Staatspolizei. 

•1. Territorialer Wirkungskreis. 

§ 9. 

Das Polizeihoheitsrecht des Ministers des Innern erstreckt sich 
mit Ausnahme der Länder Kroatien-Slawonien auf das ganze Ge- 

13* 



184 


Dr. Robert Heindl 


biet des ungarischen Staates. Auf dasselbe Gebiet erstreckt sich 
auch der Wirkungskreis der Zentralvorerhebungsbehörde. 

Das Aufsichts- und das zweitinstanzliche Polizeihoheitsrecht 
der Distriktspolizeioberhauptmannschaften erstreckt sich auf das für 
sie von dem Ministerium als Wirkungskfeis bestimmte Gebiet. (§5.) 

Das Hoheitsrecht des Polizeihauptmannes (des Leiters der 
Polizeiexpositur) als erstinstanzlicher Polizeibehörde erstreckt sich 
auf das ganze Intra- und Extravillan der betreffenden Stadt (Ge¬ 
meinde) und auf alle Personen und Sachen auf diesem Gebiete, 
welche der Hoheit dieser Gemeinde unterworfen sind. (§§ 3 u. 4. 
A. XXII: 1886.) 

Das auf Punkt A. des § 57 des G.A. XXI: 1886 basierte Auf¬ 
sichts- und Kontrollrecht der Obergespane wird durch dieses Ge¬ 
setz nicht berührt. 

Begründung zu § 9: 

§§ 9—15 regeln den Wirkungskreis der Staatspolizei und zwar § 9 
den territorialen, die §§ 10—15 den dienstlichen Wirkungskreis. 

§ 9 stellt fest, daß das Hoheitsrecht des Ministers des Innern als 
oberste Polizeibehörde, ferner der Wirkungskreis der Zentralvorerhebungs¬ 
behörde mit Ausnahme der Länder Kroatien - Slawonien, deren Polizei¬ 
direktion in ihren eigenen autonomen Rechtskreis fällt, sich auf das 
ganze Gebiet des ungarischen Staates erstreckt. 

Er stellt ferner fest, daß das Hoheitsrecht der Distriktspolizei-Ober¬ 
hauptleute gemäß der Bestimmung des § 5 auf das vom Ministerium 
bezeichnete Gebiet, der Wirkungskreis der Polizeihauptleute und der 
Leiter der Polizeiexposituren aber auf das ganze Intra- und Extravillan 
der Stadt bzw. der Gemeinde und auf diesem Gebiet sich auf alle Per¬ 
sonen und Sachen erstreckt, welche im Sinne de/ Bestimmungen des 
Gemeindegesetzes der Gemeindebehörde unterworfen sind. Eine Aus¬ 
nahme bezüglich des Wirkungskreises des städtischen Polizeihauptmannes 
besteht nur insofern, als, wenn auf dem Extravillan irgendeiner Stadt 
eine Polizeiexpositur organisiert ist, der Leiter dieser Expositur das 
Polizeihoheitsrecht auf seinem Funktionsgebiet in dem ihm übertragenen 
Wirkungskreis selbständig, jedoch unter Aufsicht des *städtischen Polizei¬ 
hauptmannes, ausübt; der Wirkungskreis des Polizeihauptmannes solcher. 
Städte erstreckt sich also nicht auf das ganze Gebiet des Extravillans, 
eventuell auf gar keinen Teil des Extravillans der Stadt. Zur Vermeidung 
von Mißverständnissen bestimmt § 9 auch, daß das Aufsichts- und Kon¬ 
trollrecht der Obergespane unberührt bleibe, dieses also sich auch auf 
das Personal und auf die Funktion der k. ung. Polizei erstreckt. 

2. Dienstlicher Wirkungskreis. . 

§ 10 . 

In den Wirkungskreis der k. ung. Staatspolizei gehören: 

A. Die Ausübung der öffentlichen Sicherheitspolizei: 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


185 


B. Die Ausübung der Verwaltungspolizei in allen durch eine 
Rechtsvorschrift (Gesetz, Verordnung, Statut) ausdrücklich in den 
Wirkungskreis der Polizeibehörden gewiesenen Verwaltungsange¬ 
legenheiten; 

C. Die Ausübung der Polizeistrafgerichtsbarkeit in den in die 
Kompetenz der Verwaltungsbehörden gehörenden Übertretungs¬ 
fällen, welche in solchen Verwaltungsangelegenheiten aufgetaucht 
sind, in welchen die Polizeibehörde zu verfügen hat, oder welche 
ausdrücklich vor die Polizeibehörde gewiesen sind. 

Die Ausübung des Polizeidienstes im engen Sinn auf dem 
Funktionsgebiet der k. ung. Staatspolizei gehört in sämtlichen Ver¬ 
waltungsangelegenheiten in den Aufgabenkreis der k. ung. Staats¬ 
polizei. 

A. öffentliche Sicherheitspolizei. 

§ 11 . 

Die dem öffentlichen sicherheitspolizeilichen Wirkungskreis ent¬ 
springende Aufgabe der k. ung. Staatspolizei ist, gegen jene Ge¬ 
fahren Schutz zu bieten, welche aus dem Verhalten der Massen 
der Menschen (Staatspolizei) oder einzelner Menschen (öffentliche 
Polizei) entspringen. 

Hierher gehören insbesondere die Vereins- und Versammlungs¬ 
polizei, ferner die Polizei über die Ausländer und die gegen ein¬ 
zelne Menschen anwendbaren Zwangsmaßregeln. (Anweisung, Ab¬ 
schub,-Verhaftung usw.) 

B. Verwaltungspolizei. 

§ 12 . 

Die Verwaltungspolizei, das heißt die Feststellung der Funk¬ 
tionsordnung einzelner Verwaltungszweige und die Vorsorge für 
deren Aufrechterhaltung obliegt auch auf dem Gebiete der k. ung. 
Staatspolizei den Verwaltungsbehörden, ausgenommen einzelne 
Verfügungen, welche durch eine Rechtsvorschrift (Gesetz, Verord¬ 
nung, Statut) ausdrücklich in den Wirkungskreis der Polizeibehörden 
gewiesen sind. 

In jenen in den Wirkungskreis der Verwaltungspolizei ge¬ 
hörenden Angelegenheiten, in welchen eine Rechtsvorschrift als 
Behörde erster Instanz den Polizeihauptmann der Stadt mit Muni¬ 
zipalrecht, als Behörde zweiter Instanz' deren Magistrat bezeichnet, 
wird nach Inslebentreten dieses Gesetzes als Behörde erster Instanz 
der vom Magistrat bestimmte Beamte vorzugehen berufen bleiben. 



186 


Dr. Robert Heindl 


Das in einzelnen Rechtsvorschriften bestimmte Hoheitsrecht der 
übrigen Behörden wird durch diese Verfügung nicht berührt. 

Die in den Kreis der Verwaltungspolizei gehörenden Obliegen¬ 
heiten der Polizei bestimmt der Minister des Innern mit Verord¬ 
nung. 

In den Wirkungskreis der Polizeibehörden müssen jene ver- 
waltungspolizeilichen Obliegenheiten gewiesen werden, welche vom 
Gesichtspunkte der Staatsinteressen, ferner der Persons- und Ver¬ 
mögenssicherheit besondere Bedeutung haben. 

Die zwischen den Verwaltungsbehörden und der k. ung. Staats¬ 
polizei auftauchenden Kompetenzkonflikte entscheidet der Minister 
des Innern endgültig. 

C. Polizeigerichtsbarkeit. 

§ 13 - 

Die Ausübung der Polizeistrafgerichtsbarkeit in den Über¬ 
tretungsfällen, welche vor die Polizeibehörde gewiesen sind, be¬ 
trifft die k. ung. Staatspolizeibehörden: 

1. Bei den Übertretungen, welche in den in den Wirkungs¬ 
kreis der Polizeibehörden zugewiesenen Angelegenheiten verübt 
wurden. 

2. Bei den Übertretungen,* welche zwar in den Angelegen¬ 
heiten verübt wurden, die in den Wirkungskreis der Verwaltungs¬ 
behörden gehören, deren Entscheidung aber eine Rechtsvorschrift 
(Gesetz, Verordnung, Statut) ausdrücklich in den Wirkungskreis 
der k. ung. Staatspolizei überweist. 

§ 14. 

Auf dem Funktionsgebjet .der k. ung. Staatspolizei gehen als 
Polizeistrafgerichte folgende Behörden vor: 

1. In den vor die Staatspolizei gehörenden Übertretungsfällen: 

In erster Instanz: der Polizeihauptmann, bzw. der Leiter der 

Polizeiexpositur, oder anstatt dieser der durch den Minister des 
Innern betraute Beamte. 

In zweiter Instanz: der Distriktspolizei-Oberhauptmann, in 
der Stadt und dem Distrikt Fiume der Gubernialrat. 

In dritter Instanz: der Minister. • 

2. In den in den Wirkungskreis der Verwaltungsbehörden ge¬ 
hörenden Übertretungsfällen: 

In erster Instanz: der Oberstuhlrichter oder der Stuhlrichter, 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


187 


in Städten mit Munizipalrecht und mit Magistratsordnung der durch 
den Magistrat betraute Beamte. 

In zweiter Instanz: in Gemeinden und in Städten mit ge¬ 
regeltem Magistrat der Vizegespan, in Städten mit Munizipalrecht 
der Magistrat. 

In dritter Instanz: der Minister. 

D. Die Ausübung des Polizeidienstes. 

§ 15. 

Die k. ung. Staatspolizei verfügt in eigenem Wirkungskreis 
auch dann, wenn sie auf Ansuchen einer Behörde vorgeht. 

Die k. ung. Staatspolizei ist den Verwaltungsbehörden nicht 
untergeordnet, doch hat sie diese in ihren gesetzlichen Verfügungen 
zu unterstützen, ihnen auf Ansuchen die notwendige polizeiliche 
Hilfe zu bieten, wie auch in den ddrch die Verwaltungsbehörden 
versehenen Polizeisachen die polizeilichen Aufgaben zu erfüllen 
und Brachialgewalt beizustellen. 

Die k. ung. Staatspolizei ist auf ihrem Funktionsgebiet auch 
ohne Ansuchen verpflichtet, die Übertretung der genehmigten 
Statuten sowie der durchführbaren Gemeindevertretungs - oder 
Magistratsbeschlüsse und Verfügungen nach Möglichkeit hintan¬ 
zuhalten, die Dagegenhandelnden auszuforschen und anzuzeigen. 

Begründung zu §§10—15: 

§ 10 umschreibt im allgemeinen den Wirkungskreis der Staats¬ 
polizei und zählt zu diesem das ganze Gebiet der Sicherheitspolizei, 
aus dem Kreise der Verwaltungspolizei aber nur jene Aufgaben, welche 
durch eine Rechtsvorschrift — ausnahmsweise — in den Wirkungskreis 
der Polizeibehörden überwiesen sind, ferner die Polizeistrafgerichtsbar¬ 
keit und endlich die Ausübung des Polizeidienstes im engeren Sinne. 

§§11 und 12 umschreiben insbesondere die polizeilichen Aufgaben 
und klassifizieren auf prinzipieller Grundlage die Kompetenz der Polizei 
einerseits und der Verwaltungsbehörden andererseits. 

Man pflegt zu unterscheiden die Verwaltungs- und die Gerichtspolizei, 
oder die mit diesen beinahe übereinstimmende Präventiv- und Repressiv¬ 
polizei. Beide Klassifizierungen können jedoch deshalb beanstandet 
werden, weil die gerichtliche oder nach der anderen Klassifizierung die 
Repressivobliegenheit eigentlich gar keine polizeiliche, sondern richter¬ 
liche Obliegenheit ist. 

Man pflegt noch die Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei zu unter¬ 
scheiden und versteht unter der ersteren die Zwangsabwehr jener Ge¬ 
fahren, welche die öffentliche Ordnung gefährden; unter der letzteren 
aber die auf die Hebung der allgemeinen Wohlfahrt hinzielende Tätig¬ 
keit. Diese Klassifizierung wurde aber nicht angenommen, denn die 
auf die Hebung der allgemeinen Wohlfahrt hinzielende Tätigkeit besteht 



188 


Dr. Robert Heindl 


vorwiegend in der Pflege von Einrichtungen, deren Inanspruchnahme 
nicht erzwungen werden kann ^ demzufolge fällt die auf die allgemeine 
Wohlfahrt hinzielende Tätigkeit außerhalb der Obliegenheiten der Polizei. 

Schließlich stellt die am allgemeinsten angenommene Klassifizierung 
die Verwaltungspolizei der Sicherheitspolizei gegenüber, indem sie unter 
Sicherheitspolizei alle Obliegenheiten versteht, welche die öffentliche 
Ordnung denjenigen rechtswidrigen Handlungen gegenüber schützen, 
die nicht in der Störung der einzelnen Verwaltungszweige bestehen. 
Diejenigen störenden Handlungen aber, welche die Ordnung irgend¬ 
eines Verwaltungszweiges verletzen, bilden den Funktionskreis der Ver¬ 
waltungspolizei. 

Diese Klassifizierung verfolgt auch der Entwurf und zwar nicht 
nur deshalb, weil es das am allgemeinsten angenommene System ist, 
sondern hauptsächlich deshalb, weil diese Klassifizierung bei der Be¬ 
stimmung des Wirkungskreises der Staatspolizei der Residenzstadt Buda¬ 
pest zur Geltung kommt; auf dieselbe prinzipielle Basis stellte sich auch 
der Gesetzartikel XXXVII: 1916 bei der Regelung der Hoheitsrechte der 
Fiumaner k. ung. Staatspolizei*. 

Dieses System vereinfacht die Bestimmung der Hoheitsrechte der 
Polizei und Verwaltungsbehörden auf prinzipieller Grundlage, indem es 
den vom Standpunkte der Staatsinteressen in erster Linie wichtigen Auf- 
gabenkreis der Sicherheitspolizei' überträgt, hingegen die Versehung der 
Verwaltungspolizei im Aufgabenkreis der Verwaltungsbehörden beläßt 
und aus diesem Kreis nur ausnahmsweise solche Obliegenheiten in den 
Wirkungskreis der Polizei überweist, welche vom Standpunkte der Per¬ 
sonen- und Vermögenssicherheit den Kreis der Lokalinteressen über¬ 
schreiten und das allgemeine Interesse berühren. 

Diese Trennung ist aber nur im Hinblick auf die behördlichen 
Hoheitsrechte so starr. Denn wenn die Ausübung der Zwangsgewalt 
sich für notwendig erweist, kann dies auch im Rahmen der Verwaltungs¬ 
polizei nur .die Polizei besorgen. Ebenso ist es Pflicht der Polizei¬ 
organe, auch den in den Kreis der Verwaltungspolizei fallenden Rechts¬ 
vorschriften Geltung zu verschaffen und nur, wenn eine behördliche 
Verfügung notwendig ist, müssen sie im Rahmen der Verwaltungspolizei 
mit Ausnahme der früher erwähnten Ausnahmefälle — sich an die 
Verwaltungsbehörden wenden. 

Bei der Bestimmung der Kompetenz wird der Minister des Innern 
ermächtigt, die aus dem Wirkungskreis der Verwaltungspolizei in den 
Wirkungskreis der Polizei zu verweisenden einzelnen Obliegenheiten 
mit Verordnung zu bestimmen. 

Die in dem Wirkungskreis der Staatspolizei der Residenzstadt Buda¬ 
pest überwiesenen verwaltungspolizeilichen Obliegenheiten werden zum 
größten Teil im § 7 des G.A. XXI: 1881 aufgezählt, jene aber, welche 
in den Wirkungskreis der Fiumaner k. ung. Staatspolizei überwiesen 
sind, werden — auf Grund der im § 2 des G.A. XXXVII: 1916 ent¬ 
haltenen Ermächtigung *— in § 11 der unter B.M. Nr. erlassenen Ver¬ 
ordnung aufgezählt. 

Begründung zu § 15: 

Beim Erlaß polizeilicher Verfügungen verträgt sich die staatliche 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


189 


und die autonome Polizeibehörde ganz gut nebeneinander, weil jede im 
eigenen Wirkungskreise vorgeht. Bei der Ausübung des Polizeidienstes 
aber würde es zu Konflikten, Reibungen und Konkurrenzneid führen. 

Es würde obendrein auch zwei vollständig ausgebaute Wachpersonale 
voraussetzen, was schon mit Rücksicht auf die großen Auslagen zu ver¬ 
meiden ist. 

Das ist aber auch nicht notwendig, denn die Verfügung rührt von 
den kompetenten staatlichen oder autonomen Behörden her, deren Hoheits¬ 
recht ist also vollständig gewahrt; der Vollzug berührt aber die Hoheits¬ 
rechte nicht, verletzt also die Autonomie ebensowenig, wie das auto¬ 
nome Recht des Komitates dadurch nicht verletzt wird, daß das k. ung. 
Steueramt über Anweisung des Vizegespans Gelder flüssig macht. 

Der Entwurf wird auch darauf begründet, daß dort, wo die Staats¬ 
polizei funktioniert, der Polizeidienst im engeren Sinne auch im Rahmen 
der Verwaltungspolizei von den Organen der Staatspolizei versehen.wird. 

Hieraus folgt, daß die Staatspolizei, obwohl sie den Verwaltungs¬ 
behörden nicht unterworfen ist, verpflichtet ist, diese in ihren gesetz¬ 
lichen Verfügungen zu unterstützen, das heißt auf ihr Ansuchen die 
notwendige polizeiliche Hilfe, zu bieten. Sie ist überhaupt verpflichtet, 
die Übertretung der Statuten und der vollziehbaren Beschlüsse und An¬ 
ordnungen hintenanzuhalten und die Dawiderhandelnden auszuforschen 
und anzuzeigen. Dies bedeutet, daß auf dem Gebiet, wo die Staats¬ 
polizei funktioniert, zur Ausübung der staatlichen Zwangsmacht, d. i. 
der Brachialgewalt nur die Staatspolizeiorgane berufen sind. 

III. Inhalt des Polizeirechtes. 

§ 16. 

Die Aufgabe der k. ung. Staatspolizei ist, auf ihrem Funk¬ 
tionsgebiete die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit auf¬ 
rechtzuerhalten. 

Zu diesem Behufe beobachtet sie ständig die öffentlichen Zu¬ 
stände, und sie ist bestrebt, drohenden Gefahren zuvorzukommen, 
die gestörte Ordnung und den gestörten Frieden wieder herzu¬ 
stellen; in Fällen begangener Delikte aber zu ihrer Aufklärung 
und Bestrafung den Rechtsvorschriften entsprechend vorzugehen. 

§ 17. 

Zur Wahrung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit 
haben die Polizeibehörden und Organe von Amtswegen, ohne 
Aufforderung, vorzugehen. 

Sie haben ferner die zu ihrer Kenntnis gelangenden Delikte 
der Staatsanwaltschaft anzuzeigen und die Erhebungen dem G.A. 
XXXIII: 1896 und den Ausführungsverordnungen entsprechend 
durcJizuführen, insbesondere aber jene Vorkehrungen zu treffen, 
welche zur Aufrechterhaltung der Spuren des Deliktes, zur Ver- 



190 


Dr. Robert Heindl 


hinderung des Verbergens und der Flucht des Täters und der 
Komplizen und zur Aufdeckung des Tatbestandes notwendig sind. 
(§ 94. G.A. XXXIII: 1896.) 

Bei Delikten, bei welchen im Sinne der Strafgesetze nur auf 
Privatklage vorgegangen werden kann, können die Polizeibehörden 
und Polizeiorgane nur auf Ersuchen der antragsberechtigten Par¬ 
teien vorgehen. 

§ 18. 

Die Tätigkeit der k. ung. Staatspolizei richtet sich nach den 
Rechtsvorschriften (Gesetz, Verordnung, Statut). 

Die Polizeibehörden sind berechtigt, alle mit den Rechtsvor¬ 
schriften nicht in Widers'pruch stehenden Verkehrungen zu treffen, 
welche zur Abwehr der die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicher¬ 
heit unmittelbar drohenden Gefahren notwendig sind. 

§ 19. - 

Gerät jemand durch seine Handlung oder Unterlassung mit 
einer Polizeiverfügung in Gegensatz und kann hieraus eine un¬ 
mittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicher¬ 
heit entstehen, so kann die Polizeibehörde der betreffenden Ver¬ 
fügung auf Kosten der verschuldenden Partei Geltung verschaffen. 

§ 20 . 

Falls Rücksichten der öffentlichen Sicherheit es dringend er¬ 
fordern, ist die k. ung. Staatspolizei berechtigt, den Gebrauch 
einzelner Sachen provisorisch zu verbieten und zu diesem Behufe 
sie unter Sperre zu nehmen, oder die Fortführung einzelner Be¬ 
triebe provisorisch einstellen. Doch hat sie diese Verfügung der 
betroffenen Behörde sofort anzuzeigen. 


§ 21 . 

Die k. ung. Staatspolizei verschafft den Bestimmungen der 
Rechtsvorschriften und den behördlichen Verfügungen im Notfälle 
zwangsweise (mit Brachialgewalt) Geltung. 

Die Anwendung der Brachialgewalt, im äußersten Notfälle 
auch der Gebrauch von Waffen, hat insbesondere zur Verteidigung 
im Falle eines unmittelbaren Angriffes oder der unmittelbaren. Ge¬ 
fahr eines solchen wie auch zur Bekämpfung eines tätlichen Wider¬ 
standes stattzufinden. 

Fesseln können nur den einschlägigen Vorschriften, ent¬ 
sprechend angewendet werden. 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 191 

§ 22 . 

Vermag die k. ung. Staatspolizei die öffentliche Ruhe und die 
öffentliche Ordnung mit der eigenen Brachialgewalt nicht auf¬ 
rechtzuerhalten, so kann die Polizeibehörde die Hilfe des Militärs 
in Anspruch nehmen. 

Die Art und die Fälle der Inanspruchnahme dieser mili¬ 
tärischen Brachialgewalt und das Vorgehen des Militärs regeln 
besondere Verordnungen. 

§ 23. 

Jedermann hat der schriftlichen Vorladung der Polizeibehörde 
Folge zu leisten, derjenige, der auf dem Gebiete der Polizeibehörde 
wohnt, oder sich dort aufhält, hat in der anberaumten Zeit vor 
der Polizeibehörde zu erscheinen und die an ihn gerichteten 
Fragen zu beantworten, ausgenommen diejenigen Fragen, welche 
der Zeuge nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung 
{$§ 204—209 G.A. XXXIII: 1896) nicht beantworten muß. 

Denjenigen, der der vorschriftsmäßigen Vorladung der Polizei 
ohne Grund nicht Folge leistet, kann die Polizeibehörde auf Grund 
eines schriftlichen Beschlusses vorführen lassen. 

Die Mitglieder im Dienste der bewaffneten Macht oder der 
Gendarmerie, ferner die zum Personal der Polizei oder der Finanz¬ 
wache gehörigen Personen, endlich die in den übrigen öffentlichen 
Diensten stehenden Angestellten oder jene solcher Privatunter¬ 
nehmungen, für deren Vertretung aus öffentlichem Interesse zu 
sorgen ist, hat die Polizeibehörde der im § 130 des G.A. XXXIII: 
1896 festgestellten Bestimmungen entsprechend vorzuladen. 

Das Vorladungs- und Vernehmungsrecht der erhebenden Polizei¬ 
behörde regeln die Strafprozeßordnung (G.A. XXXIII: 1896) und 
besondere Verordnungen. 

§ 24. 

Jedermann hat, wenn ein sich entsprechend ausweisendes 
Polizeiorgan ihn im Namen des Gesetzes hierzu auffordert, im 
nächsten Polizeilokale zu erscheinen. Derjenige, der dieser Auf¬ 
forderung nicht Folge leistet, kann von dem Polizeiorgan vor¬ 
geführt werden. 

§ 25. 

Das Polizeiorgan ist berechtigt, in begründeten Fällen die¬ 
jenigen vor die Polizeibehörde zu begleiten, die die öffentliche 
Ruhe und die öffentliche Ordnung stören oder die öffentliche 
Sicherheit gefährden. 



192 


Dr. Robert Heindl 


Die Gründe der Begleitung, ferner jene Personen, welche 
schon auf Grund eines Verdachtes begleitet werden können, be¬ 
stimmt der Minister des Innern mit Verordnung. 

Das Vorführungs- und Begleitungsfecht der .erhebenden Po¬ 
lizeibehörden und Organe bestimmen die Strafprozeßordnung und 
andere Rechtsvorschriften. 

§ 26. 

Eine Vorführung kann durch das Polizeiorgan nur auf Grund 
eines schriftlichen Erkenntnisses (Vorführungsbefehl) erfolgen. 

Die Fälle der Vorführung, welche im Laufe der Erhebung er¬ 
folgen können, bestimmen die Erhebungsvorschriften. 

§ 27. 

Die Vorführung und Begleitung erfolgt möglichst ohne An¬ 
wendung von Gewalt, mit einer auf das Gesetz hinweisenden Er¬ 
klärung. 

• Das Polizeiorgan hat das begleitete oder vorgeführte Indivi¬ 
duum unverzüglich in das Lokal der Polizeibehörde zu bringen. 
Das weitere Verfahren bestimmen besondere Vorschriften. 

§ 28. 

Eine Privatwohnung können Polizeiorgane in der Regel nur 
zur Durchführung eines amtlichen Auftrages betreten. 

Auch ohne solchen Auftrag kann das Polizeiorgan zur Durch¬ 
führung seiner amtlichen Obliegenheiten eine Privatwohnung be¬ 
treten, wenn es dort Hilferufe hört, oder durch einen .dortigen 
Einwohner unmittelbar und begründeterweise hierzu aufgefordert 
wird, oder wenn eine verfolgte Person dorthin geflüchtet ist, 
schließlich im Falle von Feuer- und Überschwemmungsgefahr. 

§ 29. 

Haus- oder Personendurchsuchungen kann die Polizeibehörde 
nur in unaufschiebbaren Fällen und nur mit schriftlichem Er¬ 
kenntnis anordnen, und das Polizeiorgan kann solche in der Regel 
nur auf Grund eines schriftlichen Erkenntnisses durchführen. 

Die Bedingungen und die Form der Anordnung der Haus¬ 
und Personendurchsuchung sowie die Art der Durchführung der¬ 
selben bestimmen die Strafprozeßordnung und andere Rechtsvor¬ 
schriften; dieselben Rechtsvorschriften bezeichnen auch jene dem 
Publikum offenstehenden Lokale (Wirtshäuser, Trinkstuben), in 
welchen die Erforschung auch selbst auf Grund des Verdachtes 
durchgeführt werden kann. 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 193 

IV. Personal- und Dienstverhältnisse der k. ung. Staatspolizei. 

§ 30. 

Die k. ung. Staatspolizei besteht aus dem Offiziers-, dem 
Zivilkommissärs- und dem Wachpersonal und aus den Amts¬ 
dienern. 

Das Offizierspersonal bilden die Mitglieder des Konzepts- und 
des Aufsichtspersonals, wie auch die den Hilfs- und Manipulations¬ 
dienst versehenden Angestellten, — das ZivilkommisSärspersonal 
die Zivilkommissäre, das Wachpersonaj die Polizeiunteroffiziere 
und die Polizisten. 

Nach Bedarf können auch Diurnisten verwendet werden, die 
nicht dem Stande des Polizeipersonals angehören, und welche 
'unter den auf die Staatsdiurnisten bestehenden Bestimmungen 
stehen. 

§ 31. 

Die in die IV. oder in eine höhere Gehaltsklasse eingeteilten 
Mitglieder des Offizierspersonals der k. ung. Staatspolizei werden 
— auf Vorschlag des Ministers des Innern — durch Seine Majestät, 
die übrigen wie auch die Zivilkommissäre durch den Minister des 
Innern, die Mitglieder des Wachpersonals aber durch den zu¬ 
ständigen Distriktsoberhauptmann ernannt. 

Amtsdiener und Diurnisten werden für das eigene Amt durch 
die Distrikts-Oberhauptleute und durch die Leiter der Hauptmann¬ 
schaften angestellt. 

Bei der Besetzung jener polizeilichen Stellen, auf welche die 
mit Legitimation versehenen Unteroffiziere das Vorrecht haben, 
sind die Bestimmungan des G.A.: 1873 maßgebend. 

§ 32. 

Der Minister kann die Mitglieder des Offiziers-, Zivilkom¬ 
missärs- und Wachpersonals der k. ung. Staatspolizei auf eine 
andere entsprechende Polizeistelle versetzen. 

§ 33. 

In den Konzeptsstand der k. ung. Staatspolizei kann nur der¬ 
jenige ernannt werden, welcher die im § 3 des G.A. I: 1883 vor¬ 
geschriebene Qualifikation besitzt. 

Die für die Polizeiinspektorstelle vorgeschriebene Qualifikation 
regelt der Minister des Innern. 

Für die Qualifikation der einen fachmännischen Hilfsdienst 
(ärztlichen Dienst, Buchhaltungsdienst usw.) oder einen Manipula- 



194 


Dr. Robert Heindl 


tionsdienst versehenden Angestellten sind die Bestimmungen des 
G.A. 1: 1883 und der auf die betreffende Stelle bezughabenden 
anderen Rechtsvorschriften maßgebend. 

Die von den staatspolizeilichen Zivilkommissären, sowie von 
den Mitgliedern des Wachpersonals zu erfordernde Qualifikation 
regelt der Minister des Innern mit Verordnung; er sorgt auch für 
die zentrale Organisierung der Fachschulung. 

§ 34. 

Die Mitglieder des Offiziers-, des Zivilkommissärs-, des Wach- 
und des Dienerpersonals der k. ung. Staatspolizei haben anlä߬ 
lich ihrer ersten Ernennung, vor Antritt ihrer Stellung, einen Eid 
zu leisten. 

Den Eid leisten die Distrikts-Oberhauptleute vor dem Minister 
des Innern, das Personal der Distriktsoberhauptmannschaften, wie 
auch die Leiter der Hauptmannschaften und der Expositureh vor 
dem betreffenden Distriktsoberhauptmann, die übrigen Angestellten 
Vor dem Polizeihauptmann. 

Über die Eidesleistung ist ein Protokoll aufzunehmen. 

' § 35. 

Die Vorschriften für die Geschäftsführung, für die dienstliche 
und ökonomische Administration, sowie für den Waffengebrauch 
der k. ung. Staatspolizei bestimmt der Minister des Innern mit 
Verordnung. 

Soweit diese. Vorschriften nicht abweichende Bestimmungen 
enthalten, unterliegen die Angestellten der k. ung. Staatspolizei 
in jeder Hinsicht derselben Behandlung wie die übrigen staat¬ 
lichen Angestellten. 

8 36. 

Der Minister des Innern kann das Wachpersonal der k. ung. 
Staatspolizei im Notfälle durch k. ung. Gendarme verstärken. 

Die Verstärkung erfolgt durch die provisorische Komman¬ 
dierung der einzelnen Mitglieder der Gendarmeriemannschaft zur 
k. ung. Staatspolizei. Die Vorschriften der Kommandierung be¬ 
stimmt der Innenminister im Einverständnis mit dem Honved- 
minister. 

Die zur Dienstleisturtg bei der k. ung. Staatspolizei komman¬ 
dierten Gendarme sind in ihren Personal-, Avancements- und Dis- 
ziplinarangelegenheiten auch während der Kommandierung ihren 
Gendarmerievorgesetzten, in oberer Instanz dem Honvedminister 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


195 


unterstellt, in dienstlicher Hinsicht sind sie aber jener k. ung. 
Staatspolizeibehörde untergeordnet, zu welcher sie kommandiert 
bzw. zugeteilt wurden. 

V. Disziplinarbestimmungen. 

§ 37. 

Gegen jedes Mitglied der k. ung. Staatspolizei findet ein 
Disziplinarverfahren statt: 

1. wenn es seine Amtspflichten verletzt oder nachlässig erfüllt; 

2. wenn es durch sein Betragen seiner Stelle unwürdig wird; 

3. wenn es seine unbeschränkte Handlungsfähigkeit verliert 
oder aus einem anderen Grunde unfähig wird, seine Amtspflichten 
zu erfüllen. 

§ 38. 

Die dem Disziplinarverfahren vorangehende Untersuchung 
ordnet gegen die Distriktspolizeioberhauptleute* der Minister des 
Innern; gegen das Personal der Polizeioberhauptmannschaften, ferner 
gegen die Polizeihauptleute und gegen die Leiter der Exposituren 
außer ihm der kompetente Distriktsoberhauptmann an; gegen das 
Offizierspersonal der Polizeihauptmannschaften, und der Polizei¬ 
exposituren außer den obengenannten auch der betreffende Polizei¬ 
hauptmann. 

Die dem Disziplinarverfahren vorangehende Untersuchung 
gegen die Mitglieder des Zivilkommissärs-, Wach- und Diener¬ 
personals ordnet der Polizeioberhauptmann, bzw. der Polizei¬ 
hauptmann an. 

Wenn die dem Disziplinarverfahren vorangehende Unter¬ 
suchung vom Distriktspolizei-Oberhauptmann angeordnet wurde, 
kann gegen sein Erkenntnis zum Minister des Innern appelliert 
werden. 

Wenn die Untersuchung der städtische Polizeihauptmann an¬ 
geordnet hat, kann gegen sein Erkenntnis zum Distriktsoberhaupt¬ 
mann und von ihm zum Minister des Innern berufen werden. 

Derjenige, der in erster oder höherer Instanz die dem Dis¬ 
ziplinarverfahren vorangehende Untersuchung anzuordnen berufen 
ist, kann mit der Anordnung gleichzeitig oder im Laufe derselben, 
wenn er es für notwendig erachtet, den in Untersuchung Ge¬ 
zogenen seines Amtes entheben. Gegen die Enthebung finden 
genau dieselben Rechtsmittel statt wie gegen die Anordnung der 
Untersuchung. 



196 


Dr. Robert Heindi. 


§ 39. 

In den Disziplinarangelegenheiten der k. ung. Staatspolizei 
sind zu entscheiden berufen: 

1. bezgl. der Distriktspolizei-Oberhauptleute: der Minister des 
Innern; 

2. bezgl. der übrigen Mitglieder des Polizeioffizierspersonals: 
in erster Instanz der unter dem Vorsitze des Oberhauptmannes 
zu bildende dreimitgliedrige Disziplinarrat; in zweiter Instanz der 
Minister des Innern; 

3. bezgl. der Mitglieder des Zivilkommissärs, des Wach- und 
Dienerpersonals: in erster Instanz der betreffende Polizeihaupt¬ 
mann, in zweiter Instanz endgültig der Distriktspolizei-Oberhaupt¬ 
mann. 

Das Disziplinarerkenntnis zweiter Instanz des Distriktspolizei- 
Oberhauptmannes, wenn es auf Amtsverlust erkennt, hat zur Ge¬ 
nehmigung dem Minister des Innern vorgelegt zu werden. 

Gegen die Disziplinarerkenntnisse können die Interessierten 
(der Kläger, der Beschuldigte, der Vertreter der Anklage und 
— im Interesse des öffentlichen Dienstes — der Amtschef) be¬ 
rufen. 

§ 40. 

Die verhängbaren Disziplinarstrafen sind: 

1. die Rüge; 

2. die Geldstrafe; 

3. die Entziehung der Avancementsansprüche für bestimmte Zeit; 

4. die strafweise Versetzung; 

5. die Degradierung; 

- 6. der Ausschluß aus dem Dienstverband (Amtsverlust). 

Wenn von der Disziplinarbehörde die im Pkt. 3 des § 37 er¬ 
wähnte Unfähigkeit festgestellt wird, verhängt sie keine Disziplinar¬ 
strafe, sondern spricht in ihrem Erkenntnis aus, daß dem betreffen¬ 
den Angestellten gegenüber das vorschriftsmäßige Vorgehen (vor¬ 
letzter Absatz des § 25 des G.A. LXV: 1912) Platz zu greifen hat. 

Neben der Disziplinarstrafe bleibt die strafrechtliche Verant¬ 
wortlichkeit und die Schadenersatzpflicht unberührt. 

§ 41. 

Die Detailvorschriften des Disziplinarverfahrens bestimmt — bei 
Beobachtung der Bestimmungen des G.A. XXIII: 1886 — der Mi¬ 
nister des Innern mit Verordnung. 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


197 


§ '42. 

Die Distriktspolizei-Oberhauptleute, die Polizeihaüptleute, so¬ 
wie die Leiter der Polizeiexposituren können gegen die Mitglieder 
des unmittelbar ihnen untergeordneten Offiziers-, Wach- und 
Dienerpersonals wegen Nachlässigkeit oder Vorschriftswidrigkeit 
minderen Grades im Amte, nach Anhören desselben, doch mit 
Ausschluß der Appellation, eine Ordnungsstrafe verhängen, die je¬ 
doch den Mitgliedern des Konzepts- und Inspektorpersonals gegen¬ 
über 40 Kronen, den Mitgliedern des Hilfs- und Manipulations- 
personals gegenüber 20 Kronen, den Mitgliedern des Wach- und 
Dienerpersonals gegenüber 10 Kronen nicht übersteigen kann. 

VI. Kosten. 

§ 43. 

Die Kosten der k. ung. Staatspolizei belasten das Staatsärar, 
und sie sind in das Budget des Ministeriums des Innern aufzu¬ 
nehmen. 

Diejenige Stadt, in welcher die Organisierung der k. ung. 
Staatspolizei erfolgt ist, hat von dem der Organisation folgenden 
staatlichen Budgetjahr an zu den Unterhaltungskosten der Polizei 
nicht mehr beizutragen; dagegen kann sie auf die staatliche Unter¬ 
stützung, welche sie bis dahin unter dem Titel der Entwicklung 
der städtischen Polizei erhalten hat, von diesem Zeitpunkt an 
keinen Anspruch erheben. 

Die Haupt- und Residenzstadt Budapest und die in den 
Wirkungskreis der Budapester k. ung. Staatspolizei einbezogenen 
Gemeinden: Ujpest, Stadt mit Magistratsordnung, Räkospalota, 
Erzsebetfalva, Kispest, Pestszentlorincz und Csepel, ferner die Stadt 
und Distrikt Fiume — von dem auf die Verlautbarung dieses Ge¬ 
setzes folgenden staatlichen Budgetjahr an — werden der Ver¬ 
pflichtung zu den Kosten der k. ung. Staatspolizei durch Be¬ 
zahlung von jährlichen Pauschalsummen wie bisher beizutragen, 
enthoben. 

§ 44. 

Wenn die Polizeiangestellten zur Zeit des Beginnes der Funk¬ 
tion der k. Staatspolizei in einer Stadt auch. Verwaltungsobliegen¬ 
heiten nicht staatlicher Natur versehen, so hat die Stadt dafür zu 
sorgen, daß diese Obliegenheiten von diesem Zeitpunkte an von 
ihren eigenen Organen versehen werden. Diese Obliegenheiten 
bestimmt der Minister des Innern endgültig. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 


14 



198 


Dr. Robert Heindl 


Jene Bestimmungen der Statuten, welthe Angelegenheiten 
nicht polizeilicher Natur in den Aufgabeijkreis der städtischen 
Polizeiorgane weisen, verlieren ihre Wirkung auf dem Funktions¬ 
gebiet der k. ung. Staatspolizei mit dem Inkrafttreten dieses Ge¬ 
setzes. 


VII. Diverses und Übergangsbestimmungen. 

§ 45. 

In Städten, wo die Organisierung der Staatspolizei erfolgt ist, 
gelangen die Angestellten der städtischen Polizei mit dem Tage 
des Beginnes der Funktion der Staatspolizei in Dispositionszu¬ 
stand und unter die Verfügungs- und Disziplinarmacht der k. ung. 
Polizeibehörden. 

Die Stadt kann den in Dispositionszustand befindlichen 
städtischen Polizeiangestellten während des Dispositionszustandes 
weder in eine höhere Gehaltsklasse ernennen, noch ihm neue Be¬ 
züge (Gebühren, Zulagen, Pauschale usw.) zukommen lassen. 

Der im Dispositionszustand befindliche städtische Polizei¬ 
angestellte hat auf jene Gebühren Anspruch, welche die am Tage 
des Inslebentretens des Gesetzes in Kraft stehenden Rechtsvor¬ 
schriften für ihn feststellen. 

Im übrigen, insofern dieses Gesetz keine abweichenden Be¬ 
stimmungen enthält, sind die für die staatlichen Angestellten gül¬ 
tigen Rechtsvorschriften maßgebend. 

§ 46. 

Jene städtischen Polizeistellen, welche während des Disposi¬ 
tionszustandes vakant werden, sind mit definitiver Ernennung und 
bis dies erfolgen kann, mit provisorischer Vertretung zu besetzen. 
Das Vertretungsrecht bezgl. der Beamtenstellen steht dem Minister 
des Innern; jenes bezgl. der Zivilkommissärs-, Wach- und Diener¬ 
personalstellen dem Distriktsoberhauptmann zu. 

Derjenige in Dispositionszustand geratene städtische Polizei¬ 
beamte, welcher spätestens innerhalb sechs vom Tage des Be¬ 
ginnes seines Dispositionszustandes an gerechneten Monaten als 
Angestellter der k. ung. Staatspolizei nicht ernannt wird, ferner 
derjenige, dessen Stelle innerhalb dieser sechs Monate mit einem 
anderen definitiv besetzt wurde, endlich derjenige, welcher die Er¬ 
nennung nicht annimmt, muß mit dem letzten Tag der sechs Mo¬ 
nate, oder mit dem Tag der erfolgten Besetzung der Stelle durch 
einen andern, oder mit dem Tag der Nichtannahme der Emen- 



Kriminalistische Übergangswirtschaft 


199 


nung, beziehungsweise mit dem auf den letzten Tag der zur Eides¬ 
leistung anberaumten Frist folgenden Tage, wenn ihn die Stadt 
mit anderen Verwaltungsobliegenheiten nicht betraut, als von seiner 
Stelle enthoben betrachtet werden und muß einer vorschriftsmäßigen 
Behandlung (Pension, Pensionslohn, Abfertigung, Entlassung) unter¬ 
zogen werden. 

Die Stadt belasten auch jene Versorgungen, welche den 
während des Dispositionszustandes pensionierten städtischen 
Polizeiangestellten und nach seinem Tode seinen Angehörigen, 
sowie den Angehörigen des vor dem Inslebentreten dieses Ge¬ 
setzes oder während des Dispositionszustandes verstorbenen 
städtischen Polizeiangestellten gebühren. 

Die im Dispositionszustand verbrachte Zeit ist in die Dienst¬ 
zeit des Angestellten einzurechnen. 

§ 47. 

Derjenige städtische Polizeiangestellte, welchem in dem Stand 
der k. ung. Staatspolizei eine Stelle verliehen wurde, in welcher 
der Grundgehalt und die Zulage ständigen Charakters seine mit 
seiner früheren Stelle verbundenen derartigen Gebühren nicht er¬ 
reicht, genießt die Differenz — insofern seine Zulage bei Fest¬ 
stellung der Pension in Betracht kommt — unter dem Titel einer 
Personalzulage. Wenn der Gehalt des Angestellten später erhöht 
wird, ist seine Zulage in den höheren Gehalt einzurechnen. 

Die dem städtischen Pensionsfond gegenüber bestandenen 
Ansprüche des in den Stand der k. ung. Staatspolizei ernannten 
städtischen Polizeiangestellten sowie seine weiteren diesbezgl. 
Pflichten hören mit dem ersten des auf die Ernennung folgenden 
Monates auf. 


§ 48. 

Die Stadt (Gemeinde) hat die Gebäude, beziehungsweise die 
Räumlichkeiten, die zu Beginn der Funktion der k. ung. Staats¬ 
polizei zu städtischen Polizeizwecken gedient haben, wenn sie 
Eigentum der Stadt bilden, dem Staatsärar unentgeltlich zur Ver¬ 
fügung zu überlassen; die Mietverträge der zum gleichen Zweck 
gemieteten Immobilien aber auf das Staatsärar zu übertragen. 

Ferner hat die Stadt (Gemeinde) alle beweglichen Sachen 
(Möbel, Kanzleieinrichtungen, Uniformen, Gewehre, Munitionsvor¬ 
räte usw.), welche zu Beginn der Funktion der k. ung. Staats¬ 
polizei zu Zwecken der städtischen (Gemeinde-) Polizei dienen, 

14* 



200 


Dr. Robert Heindl 


zur Verfügung der k. ung. Staatspolizei dem Staatsärar ohne 
Gegenleistung zu überlassen. 

Für die Instandhaltung der zur Benützung überlassenen Ge¬ 
bäude sorgt das Staatsärar. 


§ 49. 

Die Zeit für das stufenweise Inkrafttreten dieses Gesetzes be¬ 
stimmt der Minister des Innern; er vollzieht dasselbe im Ein¬ 
vernehmen mit den beteiligten Ministern: 

Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes treten der Gesetzartikel 
VIII: 1913 über die k. ung. Grenzpolizei, ferner der Gesetzartikel 
XXXVII: 1916 über die Fiumaner k. ung. Staatspolizei außer Kraft. 

Budapest, am 9. Juli 1918. 


Alexander Wekerle m. p., 

mit der Leitung des Ministeriums des 
Innern betrauter k. ung. Ministerpräsident. 



Ergänzung meiner Schrift 
„An'die deutschen Geschworenen“. 

(Leipzig, F. C. W. Vogel.) 

Einige praktische Vorschläge 

von 

Landgerichtsrat Dr. v. Holten, Magdeburg. 

Unter der Überschrift „Mitteleuropäische Rechtsgemeinschaft“ 
habe ich ah anderer Stelle 1 ) darauf hingewiesen, daß im Wesen 
der Nützlichkeitswerte nichts liegt, was ihre Hervorbringung und 
ihren Gebrauch auf bestimmte Völker einschränkt, während das 
Gepräge der Werte höchster, freier Geisteskultur durchaus per¬ 
sönlich, individuell, national ist: Chemie und Physik sind in Paris, 
Berlin,-Petersburg, Tokio, Kalkutta dieselben, nicht aber Kunst, 
Philosophie, religiöse Lebensform und das Rechtsleben; denn 
Rechtserfordernisse werden durch die Bedürfnisse materieller und 
geistiger Kultur hervorgerufen. So wirkte nicht nur der ana¬ 
lytische Scharfsinn, in noch höherem Maße vielmehr auch der 
moralische Charakter der Nationen Richtung gebend auf die Ge¬ 
staltung ihres Rechts ein: Wie andere Kulturerscheinungen gibt 
auch das Recht eines Volkes ein Abbild seines Wesens. Für uns 
Deutsche wurde die Berührung mit vergangenen Kulturen vielfach 
zum Fluch, weil wir die Individualität einer jeden Kulturerschei¬ 
nung nicht begriffen. In meiner Schrift „An die deutschen Ge¬ 
schworenen“ (S. 7) habe ich hervorgehoben, daß die deutschem 
Wesen, deutscher Gründlichkeit widersprechende Einrichtung der 
Schwurgerichte englischen und französischen Ursprungs ist. Hieran 
knüpfte ich die Frage: „Sollten nicht die Erfahrungen dieses Welt¬ 
krieges unser Mißtrauen diesem fremden Eindringling gegenüber 
wachrufen?“ In seiner fast gleichzeitig erschienenen, mir damals 
noch nicht bekannten geistvollen Schrift „Nationalcharakter und 
Strafprozeß. Erfahrungen und Lehren aus den Charaktereigen¬ 
schaften der kriegführenden Völker für die Strafprozeßreform“ 

*) Im roten „Tag“ vom 30. Oktober 1917. 



202 


Dr. v. Holten 


(Leipzig, bei Rudolf Hartmann) bejaht Dr. Leo Haber in Wien 
diese .Frage restlos mit der ganzen Kraft seiner inneren Über¬ 
zeugung. An der Hand einer Fülle deutscher und fremdländischer 
Literatur der historischen, philosophischen, juristischen Disziplinen, 
auch durch Beläge aus der Tagespresse weist Haber mit zwin¬ 
gender Logik nach, daß eine Reihe strafprozessualer Einrichtungen 
französischen und englischen Ursprungs (u. a. die militärisch 
organisierte Staatsanwaltschaft, die gerichtliche [Kriminal-] Polizei, 
die Überwachung der sonst unabhängigen Gerichte — insbeson¬ 
dere bei der Voruntersuchung — durch die Staatsanwaltschaft, 
endlich die Schwurgerichte) ihrer Wesensart nach wohl dem fran¬ 
zösischen Nationalcharakter, welcher in einer äußeren Formkultur, 
dem englischen, welcher in einer bloßen Nützlichkeitskultur sein 
Genügen findet, entsprechen, daß sie aber vielfach im schärfsten 
Gegensatz zu deutscher Innerlichkeit und Wahrhaftigkeit stehen, 
die sonst unser Rechtsleben beherrschen.— Diese Schrift Habers 
verdient die Beachtung aller, die dereinst berufen sein werden, 
an der Verbesserung unseres Strafprozesses mitzuwirken. 

Geheimer Justizrat Professor Dr. v. Liszt 1 ) freilich erblickt 
in der Einbürgerung des Schwurgerichtsverfahrens in Deutschland 
das Ergebnis einer Jahrhunderte alten geschichtlich-politischen Ent¬ 
wicklung: Feuerbachs Betrachtungen über das Geschworenen¬ 
gericht seien schon 1812 geschrieben; und nicht vom politischen, 
sondern vom nationalen Standpunkt aus hätten die Germanisten¬ 
versammlungen zu Frankfurt 1847 und Lübeck 1848 die Ein¬ 
führung des Schwurgerichts gefordert. Dennoch bezeichnet v. Liszt 
a. a. O. das Schwurgericht nicht als deutsche Rechtsschöpfung, 
sondern als „Weltinstitut“. — Das Rechtsleben ist aber, wie gezeigt 
wurde, nicht internationalen Gepräges, und ich bezweifle, daß die 
Leser des Haberschen Werkes sich zu der Auffassung v. Liszts 
bekennen werden. 

Doch mag diese Frage auf sich beruhen bleiben; „Prinzipien 
sind immer etwas Sekundäres und man sollte Bestimmungen nicht 
nach ihnen treffen, sondern danach, welche Regelung das prak¬ 
tischste, den Parteien wie der Allgemeinheit am meisten gerecht 
werdende Ergebnis verspricht.“ 2 ) Die gleiche Mahnung entnehme 
ich der Auslassung Kades 3 ), der es als bedauerlich bezeichnet, 

') v. Liszt, Die Reform des Strafverfahrens. Berlin 1906. J. Guttentag. 

a ) Bozi, Heft 14 der „Einführungen in das lebende Recht“. Hannover 1915. 
Hellwingsche Buchhandlung. 

3 ) Kade, Deutsches Recht. Nr. 36. Dezember 1916. 



Ergänzung meiner Schrift „An die deutschen Geschworenen“ 203 

daß bei dem Erscheinen meiner Schrift „An die deutschen 
Geschworenen“ die Meinungen, unter Einmischung der Partei¬ 
anschauungen, sich alsbald deutlich in eine rechte und linke Seite 
geteilt hätten. 

Meine Schrift sollte zwar ein „Wegweiser“ auch sein (diese 
bildliche Bezeichnung hat Professor von Liszt mißverstanden), 
insofern sie die Geschworenen vor gesetzwidriger Rechtsprechung 
nach bloßem, dunklen Gefühl warnt und ihnen empfiehlt, aus 
ihren Beratungen tunlichst oft die ergänzende Rechtsbelehrung 
des Vorsitzenden in Anspruch zu nehmen. In erster Linie aber 
bezweckte ich, die Laien (d. s. diejenigen, welche Geschworene 
gewesen sind oder es werden könnten) zu veranlassen, auf eine 
Beseitigung des jetzigen unhaltbaren gesetzlichen Zustandes zu 
dringen, der sie zwingt, im Beratungszimmer unter sich, ohne sich 
der führenden Hand eines rechtskundigen Beraters bedienen zu 
dürfen, Recht finden zu müssen. Dem in juristischer Denkarbeit 
(historischer Kritik, praktischer Logik) ungeschulten Laien, der 
überdies nur selten über eindringende Kenntnis psychologischer 
Vorgänge (Kriminal - Psychologie) verfügt, wird es ebenso schwer 
fallen, auf Grund der Hauptverhandlung (der Vernehmung der 
Angeklagten und der Beweiserhebung) den objektiven und sub¬ 
jektiven Tatbestand vollständig zu erfassen und im einzelnen zu 
zergliedern, wie ihn in seiner juristischen Bedeutung richtig zu 
würdigen. — Um eindringlich klarzulegen, daß dem auf sich selbst 
gestellten Laien hier Unmögliches zugemutet wird, habe ich es 
nicht "gescheut, mich in zwei Fällen des Beispieles der Paradoxe 
zu bedienen (vgl. S. 6, 7 und S. 57, 58 meiner Schrift). Professor 
v. Liszt sucht zu Lfnrecht das zweite Beispiel im Wege der Per¬ 
siflage abzutun (Jur. Wschr. vom 16. Oktober 1916 S. 1307): „Denn es 
ist nur ein geistreiches Spiel mit ernsten Dingen, wenn man 
behauptet, nur ein durchgebildeter Jurist könne sich gegen ein 
Strafgesetz verfehlen, weil nur einem solchen die Tragweite der 
gesetzlichen Bestimmungen bekannt sei. Die ignorantia juris 
schließt nicht die Täterschaft aus, wohl aber das Judizieren! So 
muß der Geschworene dazu gedrängt werden, er mag wollen oder 
nicht, an die Stelle klarer, scharf umrissener Gesetzesnormen für 
seine Beurteilung Billigkeitsprinzipien und Sittlichkeitserwägungen 
treten zu lassen“ ‘)- —Diese unvollkommene Ausübung der Rechts- 

') So zutreffend Rechtsanwalt Dr. Karl Heinrich Görres, Der Wahrspruch 
der Geschworenen und seine psychologischen Grundlagen. Halle 1903, bei 
Karl Marhold. 



204 


Dr. v. Holten 


pflege ist aber auch geeignet, verhängnisvollen Verirrungen der 
allgemeinen Rechtsanschauung, den Boden zu bereiten; dafür ein 
schlagendes Beispiel: In der Zeitschrift „Das Recht“ (1910 S. 124) 
gibt Landgerichtsrat Meikel folgende Erklärung des Justizrats 
Bernstein aus den Münchener Neuesten Nachrichten Nr. 46 vom 
28. Januar 1910 wieder (auf den Vorschlag des Prof. Heimburger, 
nicht nur am Schlüsse, sondern auch am Anfang jeder schwur¬ 
gerichtlichen Verhandlung den Geschworenen eine Rechtsbeleh- 
r«ng zu geben): „Die Rechtsbelehrung ist die Belehrung über 
die juristischen Begriffe, welche für den Fall in Betracht kommen 
können. Mit allen juristischen Dingen sollten aber die Geschwo¬ 
renen so viel wie möglich verschont werden. Schon die jetzige 
Rechtsbelehrung (Rechtsbelehrung am Schluß der Verhandlung) 
ist eine Ungeheuerlichkeit. Der Jurist muß jahrelang das Straf¬ 
recht kennen lernen, bis gr es anwenden darf. Dem Geschworenen 
wird am Ende der Verhandlung ein Vortrag aus einem ihm völlig 
fremden Denkgebiete gehalten, und daraufhin soll er über Ehre, 
Freiheit, Leben, Vermögen eines Menschen sofort und endgültig 
entscheiden. Welcher Kaufmann, welcher Apotheker ließe einen 
Lehrling nach viertelstündiger Belehrung selbständig Geschäfte 
machen, bzw. Rezepte anfertigen? Und der Lehrling wäre ge¬ 
wissenlos, wenn er es täte, wenn er nicht solche Zumutung ab¬ 
lehnte. In Wirklichkeit lehnt auch der Geschworene sie ab. Nicht 
die juristischen Rechtsbegriffe sind für seine Entscheidung bestim¬ 
mend, sondern seine Begriffe von Recht undUnrecht. Wenn er 
findet, daß es Unrecht wäre, zu verurteilen, so spricht er frei.' Mit¬ 
unter mag sich ein Geschworener finden, dem es auf juristische 
Begriffe ankommt, der über das, was ihm der Vorsitzende als 
Judikatur bezeichnet, sich den Kopf zerbricht. Dieser Geschworene 
ist sicher nicht der wünschenswerte Richter aus dem Volke: er 
dilettiert, er pfuscht in einer sehr ernsten Sache, die er nicht versteht. 
Darum meine ich: nicht zwei Rechtsbelehrungen, sondern gar keine“. 

S. 28, 29 meiner Schrift habe ich dargelegt, welche drückende 
Verpflichtung die Geschworenen eingehen, indem sie sich eidlich 
bereit erklären, ihre Stimme nur nach bestem Wissen und 
Gewissen abzugeben. In scharfem Gegensatz hierzu fordert Justiz¬ 
rat Bernstein (ein Anhänger des Schwurgerichtsverfahrens), die 
Geschworenen sollen, da sie zu geistigen Operationen auf wissen¬ 
schaftlicher Grundlage unfähig seien, von vornherein die geistigen 
Waffen strecken, ausschließlich ihrem Gefühl, ihrem persönlichen 
Empfinden folgen und auf unklare Erwägungen dieser Art ihren 



Ergänzung meiner Schrift „An die deutschen Geschworenen“ 205 

Wahrspruch gründen. Jedem unbefangenen Beobachter muß eine 
solche Ausübung der Rechtspflege als rückständig, als eines Kul¬ 
turvolkes mit hochentwickeltem Rechtsgefühl unwürdig erscheinen. 
Entspricht sie doch völlig der Theorie Mephisto’s: 

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, 

Des Menschen allerhöchste Kraft.- 

Dann hab’ ich dich schon unbedingt. — 

Der bestehende gesetzliche Zustand ist besonders unbefrie¬ 
digend, weil den Geschworenen eine gesetzliche Verpflichtung, 
ihren Wahrspruch (mündlich oder schriftlich) zu begründen, nicht 
auferlegt, aus diesem ihrem Spruch somit nicht zu erkennen ist; 
ob sie die Tat- und Rechtsfrage einwandfrei entschieden, oder bei 
der Beantwortung der einen oder anderen, vielleicht gar beider 
sich geirrt haben. Hat im Laufe des Verfahrens ein formaler Ver¬ 
stoß stattgefunden, so kann das Revisionsgericht daher mangels 
des Vorhandenseins von Urteilsgründen niemals mit Sicherheit 
erkennen, ob dieser Verstoß mit dem Wahrspruch in ursächlichem 
Zusammenhang stand; es muß deshalb das Urteil stets, als auf 
einer Gesetzesverletzung beruhend, aufheben. — Welche beson¬ 
deren, forensischen Mißstände diese Unzulänglichkeit des Schwur¬ 
gerichtsverfahrens herbeigeführt hat, habe ich in meiner Schrift 
(S. 33ff.) dargelegt. Gerade dieser Teil meiner Ausführung ist einer 
scharfen Kritik unterzogen worden. Man hat mir u. a. vorgeworfen, 
daß ich die wirklichen Verhältnisse, damit sie leichter wahrzunehmen 
seien, übertrieben habe. Diesem Vorwurf begegne ich mit dem 
Hinweis, daß ich mehrere tatsächliche, aktenkundige Vorkommnisse 
als Beispiele anführe. Ihre Zahl ließe sich erheblich vermehren: 
denn ich bin im Besitz einer Reihe von Zuschriften angesehener 
hoher richterlicher Beamten, die nachdrücklich bestätigen, daß sie 
gerade in diesem Punkte die gleichen Erfahrungen gemacht haben. 
— Ich habe durch jene Darlegungen (dem Sinne nach) hervorheben 
wollen, daß das geltende unvollkommene Recht die Verteidiger 
leider in eine Art Zwangslage versetzt; in mißverständlicher Auf¬ 
fassung ihrer Pflichten können sie bei dieser Rechtslage ziemlich 
leicht der Versuchung unterliegen, absichtlich Revisionsgründe 
(formale Verstöße) zu schaffen, weil ja diese die einzige Hand¬ 
habe bieten, ein unzutreffendes Urteil zur Aufhebung zu bringen. 

Absichtlich habe ich mich über den oft besprochenen Umstand, 
daß der Zufall (Auslosung, Ablehnung) bei der Bildung der Ge¬ 
schworenenbank die Hauptrolle spielt, nicht näher ausgelassen. Die 



206 


Dr. v. Holten 


Hauptmängel des Schwurgerichtes hebe ich noch einmal, zusam¬ 
menfassend, hervor: 

Die verhängnisvolle Trennung zwischen Gerichtshof und Ge¬ 
schworenenbank schließt eine geistige Berührung zwischen beiden 
fast in allen Stadien der Verhandlung aus und bildet die Quelle 
zahlloser Mißverständnisse. „Wenn jemand vorschlagen wollte, in 
einer ernsthaften Angelegenheit sollten zwei Menschen, die sich 
zu verständigen haben, gezwungen werden, das nur in' der Form 
zu tun, daß der eine fragt und der andere „ja“ oder „nein“ ant¬ 
wortet, ' so würde man ihn für unzurechnungfähig erklären. Der 
Gesetzgeber hat diese Unzurechnungsfähigkeit bewiesen, indem 
er zwei Gruppen von Menschen, die bei der Entscheidung über 
Leben urid Freiheit eines anderen zusammenzuwirken haben, auf 
diese kindische Art der Verständigung verwiesen hat.“*) 

„Zufall ist es, wenn die Geschworenen die Beweisaufnahme 
so vollständig erfassen wie der Leiter der Verhandlung, Zufall, 
wenn «die Fragen ihrem Verständnis angepaßt sind, Zufall, wer von 
den dreien, Vorsitzender, Staatsanwalt oder Verteidiger der geistig 
hervorragendste ist und auf die Geschworenen am mächtigsten 
einwirkt, Zufall, wer Obmann wird. So ist der Wahrspru'ch der 
Geschworenen mehr ein Wahrsagen.“ 2 ) 

^Der Staatsanwalt hat meist das gewonnene Spiel, wenn er 
an die urmenschlichen Lynchinstinkte der zwölf Männer aus dem 
Volke appelliert, und der Verteidiger das verlorene, wenn er ver¬ 
sucht, die Geschworenen auf die Höhe der Gerechtigkeit zu bringen.“ 3 ) 

Mit anderen Worten: Die Geschworenen urteilen, da sie klarer 
Erkenntnis von Tatbestand und Rechtsnormen (mangels eigener 
Schulung und sachkundiger, fachwissenschaftlicher Leitung) schlech¬ 
terdings unfähig sind, nach einem dunklen, unausgesprochenen 
Wahrheits- und Gerechtigkeitsgefühl. Ihre Beratung ist in einen 
undurchdringlichen Schleier gehüllt: Der Mangel jeglicher Begrün¬ 
dung schließt die Nachprüfung ihres Wahrspruches aus und stellt 
ihn auf die Stufe eines unkontrollierbaren Willküraktes. Ich möchte 
diesen Zustand die absolute Diktatur des Laienelementes in der 
Rechtspflege nennen: „Inmitten dieses kritischen Zeitalters steht 
die Spruchpraxis der Geschworenenbank wie ein erratischer Block. 

‘) So zutreffend W. Kuletnann, Die Beteiligung der Laien an der Straf¬ 
rechtspflege, 1909, Leipzig, bei B. G. Teubner. 

2 ) Görres a. a. O. 

s ) Justizrat Dr. Erich Seilo, Die Irrtümer der Strafjustiz und ihre Ursachen. 
Berlin 1911, bei R. v. Decker. 




Ergänzung meiner Schrift „An die deutschen Geschworenen“ 207 

Kraft dieses Instituts werden jährlich Hunderte von Wahrsprüchen 
gefällt, welche, entstanden in geheimer Beratung, als einzigen 
Grund ihrer Wirksamkeit die Parole anzugeben imstande sind, mit 
der sich die Ordonnanzen der französischen Könige in den Jahr¬ 
hunderten des Absolutismus schmückten: car tel est notre plaisir. 
Kein noch so mächtiger Monarch, dessen Wort heute nicht be¬ 
krittelt, kein Philosoph, dessen System nicht zerpflückt, keine Ent¬ 
scheidung eines höchsten Gerichtshofes, welche nicht mit dem Auf¬ 
gebot allen Scharfsinns bekämpft würde, — nur die Sprüche der 
Geschworenen werden mit der Resignation entgegengenommen, 
welche der Dunkelheit und Weisheit des Orakels ziemt. Kein 
Urteil, keine Gerichtsentscheidung von noch so minimaler Trag¬ 
weite, gegen die nicht in irgendeiner Form der Rekurs, an eine 
höhere Instanz statthaft wäre. Nur der Wahrspruch ist in seinem 
sachlichen Kern nahezu irrevisibel, inappellabel — irreparabel. — 
Durch die Einführung von Gründen in das Urteil wird aber die 
Harmonie zwischen Kritizismus und Psychologie wieder hergestellt: 
Das Urteil wird wirklich appellabel, wirklich revisibel. Die Ver¬ 
nunft tritt wieder in ihre Rechte ein: Die Sonne der Öffentlichkeit 
durchflutet das Beratungszimmer, die Kritik kann wieder sprechen.“ >) 
— Die Laien (Geschworenen) unter sich sind aber nicht imstande, 
für ihren Spruch die Gründe zu geben, welche das Gesetz billiger¬ 
weise für alle anderen Urteile verlangt (§ 266 der Strafprozeßord¬ 
nung: Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe 
die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in welchen die 
gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden. 
Insoweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen 
auch diese Tatsachen angegeben werden). Diese Sachlage führt 
zu der kategorischen Forderung: den Laien-Richtern muß min¬ 
destens ein gelehrter Richter von Beruf beigegeben werden; dieser 
Richter muß mit den Laien in einem Kollegium einheitlich zu¬ 
sammen wirken; dieser Berufsrichter wird die Urteilsgründe ab¬ 
zufassen haben. 

Das Volk hat in erster Linie nur ein Verlangen: nach ver¬ 
trauenswürdigen Gerichten. 2 ) Der Gedanke der Selbstver¬ 
waltung des Volkes ist auf allen Gebieten des staatlichen Lebens 
tief in das allgemeine Volksempfinden eingedrungen. Die Rechts¬ 
pflege kann sich von diesem Gedanken der Selbstverwaltung nicht 

l ) Görres a. a. O. 

*) Adickes, Grundlinien durchgreifender Justizreformen. Berlin 1906, bei J. 
Guttentag. 



208 


Dr. v. Holten 


abschließen. „In den Volksgenossen sieht das Volk gewissermaßen 
seine Vertreter, ja sich selbst den Richterstuhl besteigen, verwandelt 
sich die Arkandisziplin der Rechtswissenschaft in das offen vor 
ihm aufgeschlagene Buch, zu dessen Deutung und Übertragung 
auf das praktische Leben das Volk selbst mit berufen ist.“t) Der 
Wert aber, der den Laiengerichten überhaupt innewohnt, daß sie 
Verirrungen der Wissenschaft nicht so leicht mitmachen, dürfte 
auch den gemischten Kollegien zukommen. Als man zuerst die 
Schwurgerichte in Deutschland einführte, handelte man zwar auf 
Grund eines gesunden Gedankens: man wollte die (allzusehr ver¬ 
loren gegangene) Fühlung zwischen Recht und Volksleben wieder 
hersteilen. Man übersah aber, daß die ursprünglich germanische 
Form der Laienjustiz nicht Schwurgerichte, sondern Schöffengerichte 
waren, in denen das Recht von allen zur Mitwirkung berufenen 
Personen im gemeinsamenZusammen wirken gefunden wurde. 
Die Vorzüge des bisherigen Schwurgerichtsverfahrens, besonders 
die Unabhängigkeit der Geschworenen von den Berufsrichtern, 
sind aber nicht nur an die Form der Geschworenengerichte ge¬ 
bunden (Überstimmung des Berufsrichters durch die Schöffen!). 
So hoffe ich, werden auch in Süddeutschland kaum Bedenken be¬ 
stehen, die Schwurgerichte zu beseitigen und Schöffengerichte mit 
der Erledigung der Preßdelikte zu betrauen. — 

Unser Strafverfahren kennt zurzeit nicht weniger als fünf z. T. 
grundverschiedene Gestaltungen des Spruchgerichts erster Instanz: 
das Amtsgericht in der Besetzung mit einem Einzelrichter, das 
Amtsgericht als Schöffengericht, die Strafkammer des Landgerichts 
in der Besetzung mit fünf gelehrten Richtern ohne Schöffen, das 
Schwurgericht und die vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts. 
Dazu treten die Strafkammern der Landgerichte als Berufungs¬ 
instanz mit drei oder fünf gelehrten Richtern, endlich die Straf¬ 
senate der Oberlandesgerichte und des Reichsgerichts, jene mit fünf, 
diese mit sieben gelehrten Richtern. — Für die Zukunft muß m. E. 
unbedingt eine systematische einheitliche Gestaltung der Spruch¬ 
gerichte erster Instanz geschaffen werden. In der Literatur wurde 
am häufigsten eine dreifache Gliederung in kleine, mittlere und 
große Schöffengerichte gefordert. Wird diese Forderung von der 
überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes vertreten, so ist 
ihr Rechnung zu tragen. M. E. würde eine zweifache Gliederung 
genügen, in kleine und sog. große Schöffengerichte. 


\) Qörres a. a. O. 




Ergänzung meiner Schrift „An die deutschen Geschworenen^ 209 

Meine Forderung ist folgende: 

1. Beim Amtsgericht nur kleine Schöffengerichte (ein Berufs¬ 
richter, zwei Schöffen) als Gerichte erster Instanz, 

2. beim Landgericht nur eine Art der Schöffengerichte, in der 
Besetzung mit einem Berufsrichter und vier Schöffen, als Gerichte 
erster Instanz (bezüglich aller zurzeit den Strafkammern und den 
Schwurgerichten,zugeteilten Sachen) und als Berufungsgericht 
bezüglich der Urteile der amtsgerichtlichen Schöffengerichte, 

3. gegen die Berufungsurteile der Schöffengerichte des Land¬ 
gerichts gibt es kein Rechtsmittel, 

4. gegen die erstinstanzlichen Urteile der Schöffenjgerichte 
beim Landgericht ist nur die Revision ans Reichsgericht als Rechts¬ 
mittel zulässig. — 

Im Kreise der Berufsrichter wird am meisten Widerspruch 
meine Forderung hervorrufen, daß die Schöffengerichte am Land¬ 
gericht nur mit einem berufsgelehrten Richter (als Vorsitzenden) 
zu besetzen seien, der seinerseits auch die Urteilsgründe abzufassen 
hat. Zur Begründung verweise ich in erster Linie auf den Ab¬ 
schnitt „Die Persönlichkeit des Vorsitzenden“ in meiner Schrift 
(S. 48 ff.), aber auch auf die Ausführung bei Adickes (a. a.' O.). 
Keine andere richterliche Berufsübung erfordert so große Selb¬ 
ständigkeit der Entschließung, so vielseitige Begabung, so ernste 
und humane Auffassung der Amtspflichten wie jene des Schwur¬ 
gerichtsvorsitzenden; von ihm gilt in ungewöhnlichem Maße das 
Dichterwort: 

Da tritt kein anderer für ihn ein, 

Auf sich selber steht er da ganz allein. 

Die beiden beisitzenden Richter werden in der Leitung der Haupt¬ 
verhandlung nur selten eine wertvolle Stütze für den Vorsitzenden 
sein: jüngeren, auch allzu einseitig als Zivilrichter ausgebildeten 
Richtern, die zu Mitgliedern des Schwurgerichtskollegiums ernannt 
werden, fehlt bisweilen die Fähigkeit, den Überblick über die Sach- 
und Rechtslage rasch zu gewinnen; sie sind auch nicht immer 
gewillt, die Verantwortung für einschneidende prozessuale Ma߬ 
nahmen mit zu übernehmen, die der Vorsitzende nach Lage der 
Sachen für zweckmäßig erachtet (vgl. den unter Ziffer 2 des Ab¬ 
schnittes „Revisionsgründe“ meiner Schrift, S. 36ff., besonders 

S. 38 geschilderten Fall). Die Besetzung der Richterbank im 
Schwurgerichtsverfahren mit drei Richtern mag die Strafzumessung 
hin und wieder günstig (mildernd und abklärend) beeinflussen; 
die Güte und Gerechtigkeit des Urteils würde aber durch gemein- 



210 


Dr. v. Holten 


same Beratung des Vorsitzenden Berufsrichters mit den Schöffen 
mindestens in gleichem Maße sichergestellt werden. — Man wird 
mir entgegenhalten, dem Berufsrichter werde eine unmögliche 
Leistung zugemutet, wenn er die oft umfangreiche Hauptverhand¬ 
lung leiten und auch noch die Urteilsgründe abfassen solle. Diese 
Leistung ist schwierig, aber keineswegs unmöglich, und die Vor¬ 
teile für das Ergebnis, wenn Leitung der Verhandlung, der Be¬ 
ratung und Formulierung der Urteilsgründe in einer Hand liegen, 
sind in die Augen springend. 

An dieser Stelle sei mir ein offenes Wort gestattet: An den 
Landgerichten der Hansastädte entnimmt man die Vorsitzenden 
der Kammern für Handelssachen vornehmlich dem Kreise der 
Landgerichtsdirektoren: der beste Richter (das ist offensichtlich 
die Annahme) ist gerade gut genug, seinerseits Urteile nicht nur 
mit zu sprechen, sondern auch abzufassen. In anderen Bundes¬ 
staaten sind die Landgerichtsdirektoren im allgemeinen jeglicher 
Urteilsfassung enthoben. Besondere Vorliebe für den Strafkammer¬ 
vorsitz haben sie nur selten, für den Vorsitz im Schwurgericht 
noch seltener; vielfach lehnen auch die dafür gut veranlagten 
Direktoren die Übernahme solchen Vorsitzes gern ab mit dem 
Hinweis auf ihr Alter, ihre Gesundheit: es ist unbestreitbar, daß 
diese bisher viel zu gering gewertete richterliche Tätigkeit die 
Nerven mehr abnutzt als die bequemere Tätigkeit des Zivilkammer- 
Vorsitzenden. Die Justizverwaltungen werden sich entschließen 
müssen (vgl. meine Schrift S. 48), mit allem Eifer gute Vorsitzende 
für die großen Schöffengerichte ausfindig zu machen und heran¬ 
zubilden. Die bisherige schablonenhafte Auswahl solcher Vor¬ 
sitzenden aus dem Kreise der'Landgerichtsdirektoren (die zum 
größten Teil nur als Zivilrichter ihre Sporen verdient, in Straf¬ 
sachen aber oft nur geringe Gewandtheit und Erfahrung haben) 
bildet einen Mißstand unserer Strafrechtspflege. Wie man in Zu¬ 
kunft das Amt des-Untersuchungsrichters besonders geeigneten 
Richtern tunlichst auf Lebenszeit übertragen sollte, wird auch der 
Vorsitz im großen Schöffengericht geeigneten Richtern für immer 
zti übertragen sein: sie werden dadurch besondere Achtung, großes 
Vertrauen bei den Schöffen, in weitesten Kreisen des Volkes ge¬ 
winnen. Adickes a. a. O. macht den ausgezeichneten Vorschlag, 
die höchsten Richter (Reichsgerichtsräte, Senatspräsidenten der 
Oberlandesgerichte) zur Leitung der Verhandlung der schwersten 
Straffälle zu berufen. — Sollten sich im Kreise der Richter geeig¬ 
nete Vorsitzende in genügender Anzahl nicht finden, so wird es 



Ergänzung meiner Schrift „An die deutschen Geschworenen“ 211 

sich empfehlen, solche evtl, aus dem Kreise angesehener Rechts¬ 
anwälte oder Rechtslehrer an den Universitäten zu ernennen (da¬ 
mit würde freilich eine andere Regelung ihrer Besoldung erforder¬ 
lich werden). 

Eine besondere Gewährleistung der Unabhängigkeit des deut¬ 
schen Richterstandes erblickt man mit Recht in dem Umstand, 
daß der Richter auf Lebenszeit angestellt wird. Die Versetzung 
des Richters in den Ruhestand i§t mangels gesundheitlicher Be¬ 
einträchtigung seiner Dienstfähigkeit vor vollendetem 65. Lebens¬ 
jahre gesetzlich unzulässig. Die Prüfung der Dienstfähigkeit wurde 
bisher sehr milde gehandhabt, und viele Richter suchten ihre Pen¬ 
sionierung sehr spät nach. • Um unsere Rechtspflege würde es 
besser gestellt sein, wenn spätestens mit dem vollendeten 65. Lebens¬ 
jahre die zwangsweise gesetzliche Pensionierung einträte, Gesuchen 
um Versetzung in den Ruhestand zu früherem Zeitpunkte aber 
(etwa nach vollendetem 60. Lebensjahre) kein gesetzliches Verbot 
entgegenstünde. Durch Abstufung der Ruhegehälter nach dem 
Dienstalter würden die Bundesstaaten vor zu hohen Ausgaben 
bewahrt bleiben. 

Der vollkommene Vorsitzende in Strafsachen ist imstande, 
sofort bei der Verkündung des Urteils die Urteilsgründe in gute, 
druckreife Form zu bringen und ihren wesentlichen Inhalt tatsäch¬ 
lich und rechtlich so vollständig wiederzugeben, daß eine noch¬ 
malige Urteilsfassung erübrigt, wenn (wie Adickes a. a. O. anregt) 
die mündlich wiedergegebenen Urteilsgründe alsbald stenographisch 
festgehalten werden. — Ich möchte hier einen weiteren Vorschlag 
anschließen: In allen Parlamenten werden sämtliche Äußerungen 
der Volksbeauftragten stenographisch festgehalten. Die im Gerichts¬ 
saal erstatteten Zeugenaussagen aber, welche die hauptsächlichste 
Unterlage für den Urteilsspruch bilden, werden im amtsgericht¬ 
lichen Schöffengericht durch den (oft nicht sonderlich gewandten) 
Gerichtsschreiber, im Landgericht überhaupt nicht protokolliert: 
Das Urteil wird auf Grund der Notizen des Berichterstatters aus¬ 
gearbeitet, der meistens das Stenographieren nicht erlernt hat. — 
Es würde m. E. den modernen Lebensverhältnissen entsprechen, 
wenn in den Gerichtssälen ein beamteter Stenograph die Aussagen 
der Angeklagten und Zeugen wörtlich festhielte. Oftmals entsteht 
im Laufe der Verhandlung, auch bei der Beratung der Richter 
Zweifel über den genauen Sinn und Inhalt einer Zeugenaussage- 
Weiche Erleichterung für alle Prozeßbeteiligten, wenn der Wortlaut 
des Stenogramms alsbald eingesehen werden kann! Wie vielen. 



212 


Dr. v. Holten 


Anzeigen wegen Meineides aber würde von vornherein die Spitze 
abgebrochen, wie vielen Anreizungen zur Leistung eines falschen 
Eides würde ein überwiegendes Gefühl der Unlust entgegenstehen 
angesichts des steten Vorhandenseins einer sicheren Kontrolle der 
erstatteten Aussage! Auch für die Entscheidung über Anträge auf 
Wiederaufnahme des Verfahrens würde' ein wertvoller Anhalt ge¬ 
wonnen werden. 

Wenn diejenige Rechtsprechung am meisten befriedigt, welche 
sich des größten Vertrauens im Volke erfreut, so dürfte die Be¬ 
setzung eines Gerichtshofes mit einem Berufsrichter und vier Schöf¬ 
fen als ausreichend auch anzusehen sein für die Aburteilung der 
schwersten (bisher den Schwurgerichten vorbehaltenen) Verbrechen. 
Erblickt aber (was ich kaum annehmen möchte) die überwiegende 
Mehrzahl des deutschen Volkes in einer größeren Anzahl von 
Schöffen eine noch sicherere Garantie für eine unabhängige und 
unparteiische Rechtspflege, so müßte man noch eine dritte Art von 
Schöffengerichten schaffen, bestehend aus dem gelehrten Berufs- 
richter als Vorsitzenden und (höchstens) sechs Schöffen. Hier 
könnten aber Schwierigkeiten entstehen, weil vielleicht das vor¬ 
handene Material an Schöffen nicht ausreicht (obwohl diesem Um¬ 
stande bis zu einem gewissen Grade durch Einführung angemes¬ 
sener Tagegelder zu begegnen wäre). 

Bisher wurde allgemein die Einführung der Berufung gegen 
die Strafkammerurteile gefordert. Wenn aber am Landgericht nur 
Schöffengerichtsurteile unter überwiegender Mitwirkung von Laien 
gesprochen werden, dürfte sich diese Form der Rechtspflege so 
allgemeinen Vertrauens erfreuen, daß sich die Berufung gegen diese 
Urteile erübrigt. In Zukunft wird ja durch die Urteilsgründe (in 
Verbindung mit dem etwa vorliegenden Stenogramm über die 
Beweiserhebung) eine sichere Nachprüfung der Vorgänge im 
Sitzungssaal und im Beratungszimmer ermöglicht werden. Das 
Revisionsgericht wird ein getreues Bild der psychologischen und 
rechtlichen Erwägungen gewinnen, welche der Feststellung des 
subjektiven und objektiven Tatbestandes zugrunde liegen, und 
somit den materiell-rechtlichen Inhalt des Urteils bis ins kleinste 
nachprüfen können. Dieser (im Gegensatz zu dem bisherigen, mit 
Gründen nicht versehenen Wahrspruch der Geschworenen) eines 
aufgeklärten Volkes allein würdige Rechtszustand führt dazu, daß 
auf Innehaltung rein formeller Vorschriften nicht mehr so viel Ge¬ 
wicht gelegt zu werden braucht. Das von mir angegriffene, von 
einzelnen Verteidigern bisher geübte Verfahren (Herbeiführung 



Ergänzung meiner Schrift „An die deutschen Geschworenen“ 


213 


formeller Verstöße) wird überflüssig! — Meine Vorschläge aber auf 
tunlichste Einschränkung der Revisionsgründe halte ich aufrecht 
(vgl. meine Schrift S. 41). Zur Vermeidung der unnötigen Auf¬ 
regungen und Kosten einer wiederholten Hauptverhandlung würde 
es beitragen, wenn dem Reichsgericht die diskretionäre Befugnis 
verliehen würde, etwaige formale Verstöße, auch wenn sie den 
strengen Buchstaben des Gesetzes verletzen, als unerheblich zu 
bezeichnen. 

In Zivilsachen ist das Landgericht als Berufungsgericht für die 
in erster Instanz vor dem Amtsgericht verhandelten Sachen die 
letzteinstanz. Warum muß es in Strafsachen anders sein? Zweck¬ 
mäßig mag es erscheinen, die Berufung gegen die amtsgericht¬ 
lichen Schöffengerichtsurteile aufrecht zu erhalten; das landgericht¬ 
liche Schöffengericht wird den Tatbestand, die Rechtsfrage noch 
sorgfältiger prüfen als das kleine amtsgerichtliche Schöffengericht. 
Aber das Bestehen einer zweiten Instanz leistet auch dem pein¬ 
lichsten Rechtsgefühl Genüge, wenn den Spruchgerichten jeder von 
beiden Instanzen die Befugnis eingeräumt wird, beim Auftauchen 
schwieriger Rechtsfragen (z. B. bezüglich der Rechtsgültigkeit von 
Polizeiverordnutjgen) von amtswegen, bevor sie ihr Urteil sprechen, 
einen höchsten Gerichtshof um Abgabe eines Rechtsgutachtens 
anzugehen (so AdickeS a. a. O.). Unerträglich aber (wie von be¬ 
rufener Seite wiederholt hervorgehoben) ist der Zustand, daß über 
Fragen solcher Art etwa das Kammergericht (oder ein anderes Ober¬ 
landesgericht), das Oberverwaltungsgericht und endlich noch das 
Reichsgericht voneinander abweichende Rechtsanschauungen ver¬ 
treten: hier wird eine gesetzliche, einheitliche Schlichtung erfolgen 
müssen. 

Justizrat Dr. Sei lo gibt in einem Aufsatz „Strafprozeßreformen“ ‘) 
folgenden Fall aus der Praxis wieder: „Eine Polizeiverordnung 
gebietet, daß gewisse Fuhrwerke ein Schild mit Namen und Wohn¬ 
ort des Besitzers tragen müssen. Einem Bauern reißt während 
der Fahrt die Namenstafel ab.- Er kann sie nicht sogleich wieder 
befestigen, bekommt einen Strafbefehl über eine Mark, erhebt 
Widerspruch und nun wird diese weltbewegende Sache vor drei 
gerichtlichen Instanzen ausgefochten. Bis das Kammergericht das 
letzte Wort sprach, waren folgende Personen darin amtlich tätig 
gewesen: der Amtsvorsteher, der den Strafbefehl erließ; beim 
Schöffengericht der Vorsitzende, zwei Schöffen, der Amtsanwalt 


') „Die Zukunft“, Berlin, vom 17. Dezember 1904. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 


15 



214 


Dr. v. Holten 


und der Gericjitsschreiber; in der Berufungsinstanz drei gelehrte 
Richter, ein Staatsanwalt und ein Gerichtsschreiber; in dritter Instanz 
fünf Richter und ebenfalls je ein Staatsanwalt und ein Gerichts¬ 
schreiber. In Summa: achtzehn Beamte. — Ich glaube nicht zu 
übertreiben, wenn ich behaupte, daß vor deutschen Gerichten täg¬ 
lich viele hundert Fälle von ähnlicher Richtigkeit den Geist von 
tausend gelehrten Beamten beschäftigen.“ 

Solche Rechtszustände sind unerträglich; sie zeugen von man¬ 
gelnder Reife des Rechtsempfindens und erziehen das ihnen unter¬ 
worfene Volk zur Unfreiheit, zu querulantenhafter Auffassung des 
Lebens. 

Ich schließe: die Einrichtung der Schwurgerichte in ihrer 
jetzigen Form verletzt das Rechtsempfinden weitester Volkskreise 
und hat sich überlebt. Eine gesunde Neugestaltung der deutschen 
Strafprozeßordnung im Sinne aufgeklärter, volkstümlicher Rechts¬ 
anschauungen wird aber nur gelingen, wenn für die Beantwortung 
aller sich aufdrängenden Fragen die Weisung Goethes Richtung 
gebend bleibt: 

Vergebens werden ungebundne Geister 
Nach der Vollendung reiner Höhe streben! 

Wer Großes will, muß sich zusammenraffen: 

In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, 

Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben! 



Visitieren. 

Von 

Gerichtschemiker C. J. van Ledden-Hulsebosch, Amsterdam. 

Beim Niederschreiben dieses Titels frage ich mich unwillkür¬ 
lich, weshalb das typische französische Wort „fouiller“ ein solches 
Bürgerrecht erhalten hat, während in keiner der sonstigen modernen 
Sprachen ein gehöriges Synonym zu finden ist. Die spezielle Be¬ 
deutung von „die Taschen jemandes durchsuchen“ liegt, soweit 
ich nachspüren konnte, in keinem einzigen Worte unserer übrigen 
modernen Sprachen. Das deutsche „durchsuchen“ oder „revidieren“ 
drückt keinesfalls das spezielle „Taschen durchsuchen“ allein aus, 
sondern wird ebenso für visitieren und Haussuchung halten 
gebraucht. 

Dem sei wie ihm wolle — ich werde jetzt das Visitieren ein¬ 
mal besprechen, eine Handlung, welche täglich von fast jedem 
Polizeimann verrichtet wird. 

Meistens findet es Platz, um bei Arrestierten bloß eine Inventur 
aufzustellen, welche Objekte sich in den Taschen vorfinden, damit 
diese nachher völlig zurückgegeben werden können. Dann und 
wann wird aber eine genauere Untersuchung der Taschen nötig, 
wenn man sich für dasjenige interessiert, was der Verhaftete bei 
sich trägt und ... bei sich trug. Es ist gerade letzteres, was in 
diesem Artikel behandelt werden soll. 

Ich erachte es für durchaus falsch, wenn die Hand, welche in 
einer Tasche steckte und hieraus keine tastbaren Objekte zum 
Vorschein bringt, sofort in eine andere Tasche übersiedelt, um 
dort rund zu greifen. Bei dieser Art „durchsuchen“ kümmert man 
sich offenbar bloß um größere Objekte und läßt die kleineren Partikel - 
Staubteilchen, welche doch fast regelmäßig in den Taschen vor¬ 
gefunden werden, außer Betracht. 

Die Kriminalistik, welche über so viel Hilfsmittel verfügt, um 
auGh einen Blick in die Welt der kleinsten Teilchen zu ermög¬ 
lichen, fordert, daß auch der Staub der Taschen tüchtig ge¬ 
prüft wird. 

15* 



216 • 


C. J. VAN LeDDHN-HULSEBOSCH 


Wird jemand, des Meuchelmords durch Vergiftung (z. B. mit 
Arsenik) verdächtig, durchsucht, so würde es doch unverzeihlich 
sein, wenn diese Handlung sich nur auf ein grobes Herumtasten 
in den Taschen des Verdächtigen beschränkte, weil die Möglich¬ 
keit sehr groß ist, daß er sein Säckchen, Schächtelchen oder 
Fläschchen mit Gift nach der Ausführung der sträflichen Tat sofort 
weggeworfen hat. Es besteht die Möglichkeit, daß der Mörder 
vor dem Verabreichen des Giftes, in Erwartung einer guten Ge¬ 
legenheit, einige Zeit damit in seiner Tasche herumgelaufen ist 
und von dem ungemein schweren Pulver einige Staubteilchen aus 
der Packung entschlüpft und mit dem Taschenschmutz gemischt 
sind. Diesenfalls kann das mit dem Mikroskop bewaffnete Auge des 
Sachverständigen sehr bequem die kleinen typischen oktaedrischen 
Kristalle des Arseniks zwischen den sonstigen Staubteilchen erkennen. 

Will man von dieser Untersuchung einen Erfolg erwarten, so 
muß natürlich von Anfang an (also schon bei dem Visitieren) alles 
entsprechend den Vorschriften der Kriminalistik ausgeführt werden. 

Nachdem zuerst — am liebsten auf einem großen Bogen hell¬ 
gefärbten Papieres, das man so glatt als möglich (ohne Falten!) auf 
den Tisch legt — bei tüchtiger Beleuchtung die Taschen von den 
größeren Objekten befreit sind, werden diese besonders auf dem 
Bogen Papier auf das Vorhandensein von angeklebten Staubteilchen 
— womöglich mit Benutzung einer Lupe — untersucht, indem man 
sie ausschüttelt, entleert, klopft oder mit einer kleinen Bürste 
abbürstet. Ich benutze dabei mit gutem Erfolg ein Stück rein 
weißes Linoleum. 

Ein Taschenmesser kann in seiner hohlen Handbabe leicht 
interessante kleine Objekte enthalten. Ein Taschentuch kann, 
ebensogut als die Falten eines Portemonnaies, vielleicht Staub¬ 
teilchen festhalten, welche für die Untersuchung von großem In¬ 
teresse sind. Der aus diesen Objekten zu sammelnde Staub, 
welcher in Fällen von weniger ernster Natur weniger interessiert 
als bei Vergiftung und dergleichen, kann nötigenfalls aus den 
verschiedenen Taschen abgesondert aufbewahrt werden. 

Die auf diese Weise gesammelten Stäubchen können in einem 
gut schließenden Schächtelchen aufbewahrt werden oder — voraus¬ 
gesetzt, daß sie dazu geeignet sind — auch in Papier gefaltet 
werden. Letzteres hat aber in meiner Praxis öfters zu Täuschungen 
Veranlassung gegeben, als die mir zur Untersuchung verabreichten 
Papiere zufolge mangelhafter Faltung ihren Inhalt verloren hatten. 
Will man Stäubchen so in gefaltetem Papier einschließen, daß 



Visitieren 


217 


dieselben daraus nicht mehr entschlüpfen könnet, so verrichte man 
diese Beschäftigung nach dem Beispiel der Pulver, welche der 
Apotheker faltet. Hierzu nehme man ein größeres oder kleineres 
Stück Papier, ungefähr anderthalb mal so lang als breit und falte 
dieses nach „Modell“. Man erhält so eine geeignete Packung, 
welche alle Gewähr bietet gegen unerwarteten Verlust des Unter¬ 
suchungsmaterials. 

Ich möchte bezüglich eines Falles aus der Praxis eine Warnung 
hier anfügen. Die Verführung ist groß, ein Lacksiegel auf die 
zwei Endzipfel der Verpackung zu drücken und auf diese Weise 
das Überzeugungsstück zu versiegeln. Bevor man das tut, stelle 
man sich die Frage, ob die Hitze des fließenden Lackes dem Inhalt 
des Pakets nicht schaden kann. Ein Einbrecher, der Stümpfchen 
Kerze in seiner Tasche trug, kann leicht Krümchen Stearin in den 
Taschenschmutz gebracht haben, und jeder fühlt, wie in solchen 
Fällen die Hitze des Siegellackes für den gesammelten Staub 
schädlich sein kann! Deshalb ist Packung in Fläschchen oder 
Schächtelchen mehr empfehlenswert. 

Zur Illustration des eben Angeführten will ich einen Fall er¬ 
wähnen, der sich vergangenes Jahr hier in Amsterdam dar¬ 
geboten hat. 

In einer Chfemikalien-Großhandlung wurde an einem Morgen 
mitten unter den Vorratsflaschen mit Perubalsam eine ausgeleerte und 
eine gebrochene, leergelaufene Flasche entdeckt. Sofort wurde an 
Diebstahl gedacht, und der Verdacht fiel auf einen Ladengehilfen 
— einen Packknecht, der nicht günstig angeschrieben stand — auf 
dessen Werkhose unterhalb des Knies ein dunkelbrauner Fleck ge¬ 
funden wurde. Das Beinkleid wurde mir vorgezeigt und ich wurde 
beauftragt zu untersuchen, ob der genannte Fleck wirklich von 
Perubalsam stammte oder von Blut, wie der Verdächtige erklärte. 

Die Untersuchung lehrte — konform der Erklärung des Ver¬ 
dächtigen —, daß der Fleck von Blut herrührte, das von innen 
nach außen in den Stoff des Beinkleides gedrungen war. Den 
Rechercheur, welcher mit der Hose in mein Laboratorium gekommen 
war, befremdete es anfangs, daß ich, nachdem ich ihm das Re¬ 
sultat meiner Untersuchung mitgeteilt hatte, ihn ohne die Hose 
wegschickte, doch ich erklärte ihm sofort, daß ich — weil der 
Eigentümer einmal verdächtig war — die Hose nicht abgeben 
wollte, bevor ich sie nicht auch noch in anderer Richtung unter¬ 
sucht hatte. Hierzu kehrte ich bei allen Taschen das Innere nach 
außen und bürstete vorsichtig alle Staubteilchen der Fütterung 



218 


C. J. van Ledden-Hulsebosch 


hinaus, worauf die Untersuchung anfing. Ich fand damals überall 
mikroskopisch 1 kleine Quecksilberkügelchen sowie Pulver von Tee¬ 
blättern, welcher Fund mich veranlaßte, dem Vorstand der be¬ 
treffenden Firma zu raten, seinen Vorrat an Quecksilber und Tee 
einmal kontrollieren zu wollen. Als dieses stattfand, entdeckte 
man, daß davon bedeutende Mengen gestohlen waren! 

Der folgende Fall illustriert nicht weniger klar die Vorteile 
einer tüchtigen Visitierung. 

Eines Tages wurde von einem Eier-Distributionsbureau an¬ 
gezeigt, man habe in der Nacht eipgebrochen und unter anderem 
zwei Stempel gestohlen. Einer der Stempel war immer mit roter, 
der andere mit violetter Stempelfarbe benutzt. Am nächsten Tage 
wurde in einem anderen Polizeiamt ein Arrestant eingebracht, 
dessen Kleidung nach den Regeln der Kunst durchsucht wurde. 
Beim Umwenden der Taschen entdeckte der Kriminalbeamte auf 
dem Futter Flecken in rot und violett. Sofort fiel ihm ein, daß 
unter den Anzeigen der letzten 24 Stunden eine betreffend ge¬ 
stohlener Eierstempel war, und er sorgte dafür, daß ich den Rock 
und die Stempelkissen in mein Laboratorium bekam. Resultat: 
die Farbstoffe wurden identisch befunden, der Verdächtige war 
seines Verbrechens geständig und eine Stunde später waren die 
Stempel beschlagnahmt bei einem der vielen Aufkäufer. Ohne das 
Visitieren „comme il faut“ würde der Endzweck keinesfalls so 
schnell, vielleicht gar nicht erreicht worden sein' 

Hinterläßt ein Einbrecher im Tausch für ein Kostüm des 
Herren des Hauses sein Gaunerpack, so kann ein tüchtiges Visi¬ 
tieren oft Licht verbreiten über Beruf, Gewohnheiten und dergleichen 
des Trägers. 

Ich rate darum jedem Polizeimann: visitiere immer so tüchtig 
als möglich wie angegeben; früher oder später werden Fälle ein- 
treten, wobei durch einen nicht erwarteten Erfolg reichlich die Mühe 
belohnt wird, die du in anderen Fällen aufwendetest, ohne daß diese 
Methode besondere Vorteile bot. 



Kleinere Mitteilungen. 

i. 

Schutz vor verbrecherischen Dienstboten. 

Von Bezirksrichter Privatdozent Dr. Eduard Ritter von Liszt in Graz. 

Im Hinblick auf die Notiz „Schutz vor verbrecherischen Dienst¬ 
boten“ von Herrn Regierungsrat Dr. Heindl im Bd. 70 S. 232 des 
„Archiv“ wurde mir gegenüber von mehreren Seiten dem Zweifel daran 
Ausdruck gegeben, daß die vom Herrn Verfasser geäußerten Befürch¬ 
tungen begründet seien. Da solche Zweifel gewiß auch in vielen anderen 
Kreisen bestehen dürften, möchte ich einen lehrreichen einschlägigen 
Fall aus meiner straf- und untersuchungsrichterlichen Praxis mitteilen, 
den ich während meiner Tätigkeit am Bezirksgericht Klosterneuburg im 
Jahre 1900 erlebte. 

Die bei einer dortigen Familie bedienstete Köchin mit einem auf 
den Namen Marie N. lautenden, von einem Wiener Polizeikommissariat 
ausgestellten Dienstbotenbüchel war mir wegen einiger Betrügereien ein¬ 
geliefert und von mir zu einer entsprechenden Arreststrafe verurteilt 
worden. Trotzdem ihr bei Abnahme der Generalien keine Unrichtigkeit 
unterlief, stiegen mir doch infolge eines gewissen lauernden Verhaltens 
der Verhörten Zweifel an der Richtigkeit ihrer Angaben und an ihrer 
Identität auf. Ich ließ sie deshalb in der Folge unter verschiedenen Vor¬ 
wänden einige Male wieder vorführen und streute unter anderen Fragen 
scheinbar ganz nebenher auch solche nach ihren Generalien ein. Sie be¬ 
stand diese Prüfungen glänzend, aber mein Zweifel schwand nicht. So 
schrieb ich an die Polizeidirektion Wien das Ersuchen um Erhebung 
und Mitteilung, ob einmal einer Köchin des Namens Marie N. ihr 
Dienstbotenbuch abhanden gekommen sei. 

Die Antwort lautete positiv. Die Marie N. hatte in einem Dienst¬ 
vermittlungsbureau ihr Dienstbotenbuch auf einen Tisch gelegt und aus 
dem Auge gelassen. Als sie es wieder nehmen wollte, war es ver¬ 
schwunden. 

Trotz dieser zweifelfreien Feststellung behauptete die Verdächtige 
auch weiterhin, mit der Marie N. identisch zu sein. Erst als sie auf 
Fragen nach ihrer angeblichen Heimat und Familie — ich hatte 
über beides inzwischen durch die wirkliche Marie N. genaue Angaben 
erhalten — keine richtige Antwort zu geben wußte, bequemte sie sich 
zum Eingeständnis, daß sie nicht die Marie N. sei. Das Dienstboten¬ 
büchel auf diesen Namen wollte sie selbstverständlich auf der Straße 



220 


Kleinere Mitteilungen 


gefunden haben. Zunächst gab sie wieder einen falschen Namen an, 
doch sah sie bald ein, daß sie auf diese Art ihre Lage nicht zu ihrem 
Vorteil änderte. So rückte sie denn endlich mit ihrem wahren Namen heraus. 

Wie meine Erhebungen ergaben, hatte sie schon früher einmal 
ein Dienstbotenbuch gestohlen und war auch unter dem Namen dieser 
Bestohlenen wegen eines anderen Diebstahls verurteilt worden. Nach¬ 
dem selbstverständlich die über die Diebin verhängten Strafen in den 
behördlichen Vormerken zum Nachteile der beiden Bestohlenen einge¬ 
tragen worden waren, veranlaßte ich deren Löschung bzw. ihre Über¬ 
tragung in die Vormerke über die wirklich Schuldige und sprach in 
meinem neuerlichen Urteile auch die Zulässigkeit der Verhängung der 
Polizeiaufsicht über' diese aus. 

Die Personsbeschreibung der Marie N. paßte übrigens auf die Ver¬ 
urteilte ebenso wie gewiß auf einige hundert andere Frauenspersonen 
tadellos. 

Auch ich bin der Ansicht, daß die Anbringung des Bildes des 
Inhabers (der Inhaberin) in jedem Dienstbotenbuche zu fordern wäre 
und möchte auch die Beisetzung des Fingerabdrucks befürworten. Ob 
eine solche Maßregel da oder dort (wirklich oder angeblich) als „un¬ 
demokratisch“ empfunden würde — Herr Dr. Heindl erwähnt diese 
Möglichkeit —, scheint mir ganz und gar nebensächlich. Dies umso¬ 
mehr, als bekanntlich auch die Meldungsbücher der Studenten, die 
Eisenbahnausweise der Staatsbeamten usw., neuerdings auch die Reise¬ 
pässe, mit den Bildern der Inhaber versehen sind und bei Reisen ins 
Ausland zur Überschreitung der Grenze sogar die Abgabe des Finger¬ 
abdrucks vom Reisenden gefordert wurde. 

„Die Zeit ist vorüber, wo man es für notwendig hielt, bei Be¬ 
schreibung der Sitten eines Negerstammes moralische Entrüstung über 
Menschenfressen an den Tag zu legen“, sagt Schumpeter („Wie 
studiert man Sozialwissenschaft?“ München 1915, 2. Auflage, S. 22). 
Ebenso sollte die Zeit vorüber sein, in der man bei sachlicher Kritik 
oder notwendiger' Verfügung von Sicherheitsmaßnahmen gegen Aus¬ 
würflinge bestimmter Kreise mit einer gewissen Ängstlichkeit versichert, 
daß man diesen Kreisen als Ganzes bzw. allen ihren Zugehörigen 
nicht nahetreten wolle. 


2 . 

Zur Geschichte der Kriminalpsychologie. 

Von Dr. jur. Hans Schneickert, Berlin. 

Die Kriminalpsychologie entwickelte sich in ihren Anfängen aus 
der gerichtlichen Medizin. Am Anfänge des 18. Jahrhunderts erschienen 
einige in lateinischer Sprache verfaßte Werke über gerichtiche Ärznei- 
kunde, das erste nachweislich im Jahre 1715 in Leipzig. Prof. Groß 
hat in der Einleitung zu seiner Kriminalpsychologie nur einige wenige 
literarische Hinweise auf die Geschichte dieser Hilfswissenschaft gegeben. 




Kleinere Mitteilungen 


221 


die ich durch das von Dr. Georg Wilhelm Böhmer im Jahre 1816 in 
Göttingen herausgegebene „Handbuch der Literatur des Kriminalrechts“ 
zu ergänzen in der Lage bin. Damals wurde die Psychologie noch als 
ein Teil der Philosophie angesehen und war noch beschränkt auf die 
psychologische Beurteilung des Täters und seiner Motive. Erst in 
unserer Zeit wu/de die Kriminalpsychologie weiter ausgedehnt und um¬ 
faßt, kurz gesagt, die psychologische Beurteilung aller Beweismittel des 
Strafrechts. 

Das ernste Studium dieser Hilfswissenschaft hat bereits Christ. Karl 
Stil bei in seinem „System des allgemeinen peinlichen Rechts“ (Leip¬ 
zig 1795) betont, indem er sagte, daß die Kriminalpsychologie in Ver¬ 
bindung mit der praktischen Philosophie bei Anwendung, .der Grund¬ 
sätze des Kriminalrechts auf einzelne Fälle die Richtlinie)* an die Hand 
geben muß, welche sowohl die Beurteilung der einzelnen Handlungen 
als auch die davon abhängige Schuldzurechnung und Bestrafung be¬ 
treffen. Karl August Tittmann hat in seinem Buch über „die wissen¬ 
schaftliche Behandlung des peinlichen Rechts“ (Leipzig 1798) ebenfalls 
ein Programm des Studiums der Kriminalpsychologie aufgestellt. Er 
führt nämlich aus: „Es kommt bei der Schuldzurechnung und Bestrafung 
nicht allein auf die äußere Handlung selbst, sondern auch teils auf die 
Gesinnung des Handelnden, inwiefern dieselbe geäußert wird, teils auf 
unzählige andere Umstände an, welche die Grade der Zurechnung und 
mithin in einzelnen Fällen dieselbe Handlung ganz verändern. Kein Fall 
ist dem anderen gleich, sondern jeder erhält nach den verschiedenen 
Graden der Willensfreiheit, mit der sich der Handelnde zur Unterneh¬ 
mung einer Rechtsverletzung bestimmte, eine verschiedene Beurteilung. 
Selbst die individuelle Beschaffenheit des Handelnden, sein Rang, Alter, 
körperlicher Zustand und andere dergleichen Dinge erfordern eine be¬ 
sondere Rücksicht bei der Abmessung und Zuerkennung der Strafe. 
Überhaupt hat der Gesetzgeber bei der Wahl der in den Gesetzen an- 
züdrohenden Übel auf eine Menge von Umständen und Verhältnissen 
Rücksicht zu nehmen, die nur dann gehörig beobachtet werden können, 
wenn philosophische Resultate den Weg ,hierzu zeigen. Er muß auf 
den Geist der Nation, auf ihre physische Beschaffenheit, auf das Klima 
und andere dergleichen Umstände, durch welche Veranlassung zu häu¬ 
figen Rechtsverletzungen gegeben werden könnte, sorgfältige Rücksicht 
nehmen, wenn er Verbrechen verhindern und wirksame Strafen androhen 
will. Es ist mithin schlechterdings unmöglich, bestimmen zu können, 
inwiefern dem Handelnden seine Tat zuzurechnen, und ob diese oder 
jene Strafe in einem vorliegenden Falle gerecht und zweckmäßig sei, 
wenn man nicht die Grundsätze hierbei aus der Philosophie entlehnt, 
wenn man sich nicht Kenntnisse der Psychologie erworben hat, durch 
die man in den Stand gesetzt wird, die Triebfeder zu den Rechtsver¬ 
letzungen und den Einfluß derselben auf die Denkungsart und Hand¬ 
lungsweise der Menschen genauer kennen zu lernen, wenn man nicht 
die Unlust, die diesem oder jenem Vergnügen, welches zur unerlaubten 
Tat bestimmte* am meisten entgegenwirkt, zu beurteilen und das ver¬ 
schiedene Verhältnis, welches hierbei eintreten kann, genau zu bestimmet 
imstande ist.“ 



222 


Kleinere Mitteilungen 


Auch eine Äußerung aus dem erwähnten Werke von St übel ist 
noch- bemerkenswert : „Das positive Strafrecht ist der kleinste Teil der 
Rechtswissenschaft und besteht größtenteils wieder aus Gedächtnissachen, 
die man auf der Hochschule sich auf einmal so nicht zu eigen machen 
kann. Begriffe daher diese Wissenschaft etwas weiter nicht in sich, 
so würde das akademische Studium derselben sehr unbedeutend sein. 
Einen Kriminalisten, der nicht zugleich Philosoph ist, übertrifft oft ein 
Gerichtsschreiber oder Gerichtsfrohn, der aus der Erfahrung das näm¬ 
liche noch vollständiger lernen kann.“ Man kann daraus ersehen, daß 
das juristische Studium schon damals gleichen Vorwürfen ausgesetzt 
war, wie heute noch, von Fortschritt läßt sich da noch wenig bemerken. 

Die erste von Böhm er erwähnte, einigermaßen grundlegende Arbeit 
„Ideen zur Kriminalpsychologie“ veröffentlichte J. Chr. Gottl. Schau¬ 
mann im Jahre 1792 in Halle; das in dieser Abhandlung angekündigte 
System kriminalpsychologischer, Schriften ist aber nicht erschienen, und 
Böhmer knüpfte daran den Wunsch, daß der damalige Professor der 
Philosophie Jak. Fried. Fries diese Schuld abtragen möge. Tatsäch¬ 
lich erschien auch einige Jahre später dessen „Handbuch der psycho¬ 
logischen Anthropologie“ (Jena 1820). Bereits im Jahre 1791 war in 
München eine hierher gehörige Schrift „Über die Notwendigkeit psycho¬ 
logischer Kenntnisse bei Beurteilung von Verbrechen“ von Eckarts¬ 
hausen veröffentlicht worden, eine weitere im Jahre 1799 in Nürn¬ 
berg von J. Gottl. Münch, „Über den Einfluß der Kriminalpsychologie 
auf ein System des Kriminalrechts, auf menschlichere Gesetze und Kultur 
der Verbrecher“, sowie im Jahre 1808 in Halle von Joh. Casp. Hof- 
bauer, „Die Psychologie ln ihrer Hauptanwendung auf die Rechts¬ 
pflege“. Aber schon vor dem Jahre 1790 hat eine Reihe von Schrift¬ 
stellern sich mit dem Problem der empirischen Psychologie beschäftigt, 
wie aus den Angaben in Böhmers Handbuch zu ersehen ist. 

Wenn sich in unserer Zeit jene, die sich mit der Strafrechtspflege 
und Strafverfolgung zu befassen haben, auch ein gewisses Maß von 
empirisch-psychologischen Kenntnissen in der Praxis anzueignen ver¬ 
mögen, so kann das weder den Forderungen unserer Vorfahren, noch 
viel weniger jenen der heutigen Vertreter der kriminalistischen Hilfs¬ 
wissenschaften, wie überhaupt den Interessen einer gerechten Straf¬ 
rechtspflege genügen, solange diese Hilfswissenschaften und insbeson¬ 
dere auch die Kriminalpsychologie nicht in den Lehrplan unserer juri¬ 
stischen Fakultäten aufgenommen worden sind. Nach unseren heutigen 
Bedürfnissen müßte ein vollständiges System der Kriminalpsychologie 
folgende Gebiete umfassen: 

1. Die Psychologie der Aussage. 

2. Die Psychologie des Verbrechens und seiner Ursachen 

3. Die Psychologie des Verbrechers (sein Lebensgang, Lebens¬ 
gewohnheiten, Ausführungsarten seiner Verbrechen, Gaunertricks, die 
Wahl des Verbrechens, die Strafwirkung). 

4. Die Psychologie der Urteilsfindung. 

Systematische kriminalpsychologische Arbeiten, die sich mit diesen 
vier Gruppen befassen, liegen bis jetzt noch nicht vor; was auf diesem 
Gebiete bisher veröffentlicht ist, sind lediglich Materialsammlungen. 




Kleinere Mitteilungen 223 

3. 

Gaunerzinken ? # 

Belohnung von 3000 M. 

Mit 1 Abbildung. 

In der Nacht zum 21. Juni 1918 wurden aus einem Kaufhaus in 
Kassel Seidenwaren im Werte von 16000 M. gestohlen. Die Ein¬ 
brecher versahen eine Tür des Tatortes mit folgenden Zeichen: 

A tS.rU. tu 

/•t, * * * o * 4 \ f 

o * L M * ff A4 + 

1+ A + 9 

6 + 9 f o P t $ 

* ^ 4 % /<iJ8 

Dem Dresdener Erkennungsdienst, dem die Geheimschrift übersandt 
wurde, ist bis jetzt die Entzifferung nicht gelungen. Die Kriminal¬ 
polizei Kassel teilt mit, daß in dieser Einbruchsangelegenheit eine Be¬ 
lohnung von 3000 M. ausgesetzt ist. (Aktenzeichen C 7755). Die 
Redaktion des „Archivs“ ist gern bereit, Lösungsversuche, die ihr ein- 
gesandt werden, zu veröffentlichen. 


4. 

Krankhafter Zwang zur Selbstbezichtigung. 

Ein seltsamer Fall geistiger Verirrung beschäftigte am 21. Sep¬ 
tember 1918 die 6. Strafkammer des Landgerichts 1 Berlin. Wegen 
unbefugter Amtsausübung in 13 Fällen und Urkundenfälschung in 4 Fällen 

M tte sich ein aus Ungarn gebürtiger Kellner Ludwig Herrnfeld zu ver- 
tworten. 

Seit fünf Jahren beschäftigt dieser Mann Kriminalkommissare und 
-beamte, Schutzleute und Polizeireviere. Sowie ein größeres Verbrechen 
entdeckt und bekannt wurde, trat er in Tätigkeit. Schriftlich und durch 
den Fernsprecher liefen Anzeigen ein, man solle einen gewissen Ludwig 
Herrnfeld verhaften, der sei der Schuldige. Einmal rief ein Staatsanwalt 
an, er habe den Gesuchten ermittelt, er sei sofort festzunehmen. Es 
war wieder einmal Ludwig Herrnfeld. Der Mann sollte den Mord am 
Teufelssee begangen, den Raubmord Klaus ausgeführt, dann die Schülerin 
Ley getötet haben. Da die Beschreibung stets genau auf Herrnfeld 
zutraf und die Kriminalpolizei es nie unterläßt, auch unwahrscheinliche 
Spuren zunächst zu verfolgen, wurde Herrnfeld unzählige Male fest- 



224 


Kleinere Mitteilungen 


genommen, verhört, in Haft behalten und dann wieder freigelassen, weil 
sich jedesmal herausstellte, daß die Anzeige vollkommen unbegründet 
war. Herrnfeld setzte nach jeder Festnahme eine ausführliche Beschwerde 
auf, rief alle möglichen Stellen an und beklagte sich bitter über das 
ihm zugefügte Unrecht, bis bei einem neuen Verbrechen die Kriminal¬ 
polizei wieder auf ihn hingewiesen und Herrnfeld wieder verhaftet wurde. 
Fünf Jahre lang hielt der sonderbare Mann eine ganze Gruppe von 
Beamten in Bewegung. 

Auf die Dauer mußten diese irreführenden Anzeigen, die immer 
wieder Herrnfeld bezichtigten, auffallen und nun wirklich auf seine Spur 
führen. Herrnfelds Beschwerden und die Schrift einiger ihn beschul¬ 
digender Anzeigen wurden verglichen, und die unverkennbare Ähnlich¬ 
keit bestätigten den Verdacht, daß Herrnfeld, der ungestüm sich Be¬ 
schwerende, seine Festnahme immer selbst verlangt hatte. Da von einem 
so rückfälligen „Verbrecher“ viele Fingerabdrücke aufgenommen waren, 
fiel es nicht schwer, auf Grund des Abdrucks auf einer der Anzeigen 
die Schuld zweifelsfrei festzustellen. 

Inzwischen hatte eine dieser Selbstanzeigen '„Erfolg“ gehabt. Herrn¬ 
feld war in einen großen Einbruchsdiebstahl verwickelt worden, verhaftet, 
auf seinen Geisteszustand untersucht und schließlich zu secljs Jahren 
Zuchthaus verurteilt worden. 

Die Anklage wegen unbefugter Amtshandlungen — er hatte sich 
als Staatsanwalt, als Kriminalbeamter u. dgl. ausgegeben, um seinen 
Anzeigen mehr Gewicht zu geben — sollte schon verschiedene Male 
zur Verhandlung kommen, mußte aber immer wieder vertagt werden, 
weil Herrnfeld, die Selbstbezichtigungen hartnäckig leugnend, unter epi¬ 
leptischen Krämpfen zusammenbrach. Schließlich wurde der seltsame 
„Verbrecher“ in Herzberge auf seinen Geisteszustand beobachtet, und 
es wurden gewisse Krankheitszustände festgestellt. 

In der Verhandlung vom 21. September 1918 gab der Angeklagte 
zu, tatsächlich in dieser unglaublichen Weise gegen sich selbst vor¬ 
gegangen zu sein und dadurch seine wiederholten Festnahmen und die 
öffentliche Brandmarkung seines Namens veranlaßt zu haben. Seit Jahren 
stehe er, wenn irgendein großes Verbrechen begangen werde, und wenn 
er v die polizeilichen Bekanntmachungen lese, unter dem Drange, sich 
selbst Schaden zuzufügen und als den Schuldigen anzuzeigen. Tagelang 
habe er unter solchen Zwangsvorstellungen gelitten und sich zuweilen 
noch nachts hingesetzt und die Anzeigen geschrieben. Nach seiiwr 
Festnahme habe er jedesmal eine Art Erleichterung empfunden. 

Der ärztliche Sachverständige erklärte, daß der Angeklagte infolge 
schwerer Hysterie für diese Taten nicht verantwortlich sei. Der Ver¬ 
teidiger wies auf die Freudsche Theorie hin, nach der ein aus der Kind¬ 
heit zurückgedrängter Zustand des Unterbewußtseins anzunehmen sei, 
der in dem Dämmerungszustand der Epilepsie eine Art masochistischen. 
Triebes auslöse. Hiernach sei die Freisprechung geboten, und er habe 
auch gegen die Verurteilung zu sechs Jahren Zuchthaus Revision ein¬ 
gelegt und hoffe, daß auf Grund der neuen Ermittelungen festgestellt 
wird, daß auch dort eine Straftat des Augeklagten nicht vorliegt. 

Das Gericht sprach den Angeklagten frei. 



Kleinere Mitteilungen 


225 


Der Erkennungsdienst der Polizeidirektion München hatüm letzten 
Jahre eine umfangreiche, in vielen Fällen erfolggekrönte Arbeit ge¬ 
leistet. Bei der Sicherheitsabteilung wurden von 3943 (1917: 3008) 
Personen Fingerabdrücke genommen. Mit den Nachprüfungen durch 
Abdruck des rechten Zeigefingers wurde das Fingerabdruckverfahren ins¬ 
gesamt auf 7494 (1917: 6050) Personen angewendet. Die Neuzugänge 
an Fingerabdruckblättern beliefen sich auf 8610. Der Gesamtbestand 
der Fingerabdruckblätter erhöhte sich seit 1. Januar 1918 von 116544 
auf 124519. Durch das Fingerabdruckverfahren konnten im Jahre 1918 
von 389 Personen, die falsche Namen führten — darunter 138 Zigeuner —, 
der richtige Name festgestellt werden. Dazu kommen noch neun Fälle, 
in denen die betreffenden Personen unmittelbar vor der Aufnahme des 
Fingerabdruckes ihren richtigen Namen bekannten. 

Lichtbildaufnahmen wurden von 1769 (1917: 1592) lebenden 
Personen und zwei Leichen gemacht. Die Gesamtzahl der Aufnahmen 
betrug 3084, die Zahl der gefertigten Lichtbilder 13487. Die Neu¬ 
zugänge zur amtlichen Lichtbildersammlung (Verbrecheralbum-System 
Heindl) beliefen sich auf 2716 Bilder. Der Gesamtbestand der Licht¬ 
bildsammlung erhöhte sich von 30532 auf 32971. Die Lichtbilder¬ 
sammlung wurde in 203 Fällen zur Ermittelung von unbekannten Tätern 
in Anspruch genommen, in 44 Fällen wurde dabei ein Erfolg erzielt. 
Im Vorjahre wurde auch das Lichtspieltheater zum ersten Male in den 
Dienst der Fahndung gestellt. Der Erkennungsdienst hat in einem Falle 
Diapositive des Bildes eines gesuchten Verbrechers an die Lichtspiel¬ 
theater gegeben. 

Zur Tatbestandsaufnahme wurde der Erkennungsdienst in 505 
(1917: 358) Fällen zugezogen, darunter in zehn Fällen bei Straftaten, 
die außerhalb Münchens verübt wurden. In zwölf Fällen wurden Licht¬ 
bildaufnahmen gemacht, in 200 Fällen brauchbare Fingerabdrücke fest¬ 
gestellt. In 32 Fällen wurden die Täter auf Grund der Tatortsfingerabdrücke 
überführt, in vier Fällen wurden die Täter durch die Einbrecherfinger¬ 
sammlung und in 19 Fällen durch die Tatortsfingersammlung .ermittelt. 
Insgesamt erfolgten 70 Überführungen auf Grund der Tatortsfingerabdrücke 
mit Einschluß der Abdrücke, die von Gendarmeriestationen oder aus¬ 
wärtigen Polizeibehörden eingesandt wurden. 

Das polizeiliche Laboratorium nahm 47 Untersuchungen von 
Kleidungsstücken, Stoffen, Flüssigkeiten, Menschen- und Tierhaaren, 
Schriftstücken u. dgl. vor. In 28 Fällen wurde ein Erfolg erzielt. Hand¬ 
schriftengutachten wurden 12 gefertigt. In neun Fällen wurden 
die Täter überführt, während in drei Fällen festgestellt wurde, daß die 
verdächtige Person nicht in Frage kam. 



Zeitschriften. 


Medizinische Zeitschriften. 

Von Universitätsprofessor Nippe, Greifswald. 


Viertehjahrsschrift für gerichtliche Medizin: 

Bd. 56. 1. und 2. Heft. 1918: „Die zentrale Leberruptur und 
ihre Folgen“ von H. Bauer. Die Arbeit bringt eine eingehende Be¬ 
schreibung der zentralen Leberrupturen, die zum Teil zwölf von Prof. 
H. Merkel beobachtete Fälle betrifft und weiter 18 aus der Literatur 
gesammelte. Verf. bezeichnet als zentrale Leberrupturen Höhlen und 
Risse, die meist mit Blut gefüllt sind, ringsum abgeschlossen inmitten 
des Lebergewebes liegen, geht dann weiter auf die Genese ein, stellt 
aber fest, daß das direkte Trauma die Hauptrolle bei der Entstehung 
spiele in der Form, daß flächenhaft angreifende Gewalten die Leber 
umfassen und gegen den anderen,, durch seine Befestigung oder Kom¬ 
pression fixierten Teil des Organs torquieren. 

„Ober die Bedeutung der Nebennieren-BIutungen“ von H. Kempf, 
Leipzig. Ausführliche Abhandlung über das Thema aus dem Institut 
von Ko ekel, Leipzig, unter Beibringung zweier Fälle. Der Bau der 
Nebennieren läßt die Organe zu Blutungen prädisponiert erscheinen, 
so daß rein toxisch bedingte Blutungen auftreten können, wobei eine 
fettige Degeneration weiterhin zu Blutungen Veranlassung dazu werden 
kann. Am empfindlichsten ist der Zentralteil der Nebennieren. Bei 
beiden genau untersuchten Fällen wird die Vermutung ausgesprochen, 
daß Darmerkrankungen die Ursache der allgemeinen Infektion und nach¬ 
gehender Nebennierenblutungeri gewesen seien. 

„Die Berücksichtigung der Geistesanomalien durch die Zivil« 
gesetzgebung in der Schweiz und Österreich“ von Moeli, Berlin. 
Verf. leitet die große Arbeit mit folgenden Worten ein: Die zivilgericht¬ 
lichen Bestimmungen krankhafter Geisteszustände haben seit dem Inkraft¬ 
treten des BGB. in zwei dem Deutschen Reiche benachbarten, ihm völkisch 
und sprachlich nahestehenden Staaten eine neue Ordnung erfahren. In 
der Schweiz ist das Zivilgesetzbuch am 10. Dezember 1907 beschloss'en 
und am 1. Januar 1912 in Kraft getreten. In Österreich ist eine Ent¬ 
mündigungsordnung nebst Vorschriften über ein gerichtliches Verfahren 
bei Aufnahme in geschlossene Anstalten durch kaiserl. Verordnung vom 
28. Juni 1916 wirksam geworden, so daß das allgemeine bürgerliche 




Zeitschriften 


227 


Gesetzbuch (abGB.) für diesen Abschnitt erhebliche Ergänzungen erfahren 
hat. Es verlohnt sich deshalb, nunmehr die Bestimmungen der beiden 
Gesetze, soweit sie für die Psychiatrie Bedeutung haben, sie bezüglich 
der rechtlichen Fürsorge für geistig Abnorme, namentlich vom Stand¬ 
punkte des Sachverständigen aus, mit dem deutschen Recht in Vergleich 
zu setzen. Der Inhalt der Arbeit ist in diesen einleitenden Worten ent¬ 
halten. Die Einzelheiten müssen nachgelesen werden. 

„Selbstmorde und Selbstmordversuche durch Gift in der Stadt 
Hamburg in den Jahren 1904—1907“ von Sieveking, Hamburg. 
Die statistische Zusammenstellung bringt nach den einzelnen Giften 
geordnet insgesamt 1012 Fälle, davon fallen 318 auf Männer und 694 
auf Frauen. , 

„Der Mechanismus des Todes durch elektrischen Starkstrom 
und die Rettungsfrage auf Grund eines amtlichen Materials von 
1190 elektrischen Unfällen“ von H. Bo]ruttau, Berlin. (Bd. 55. 1. Heft. 
1918 und eine Erwiderung auf Boruttaus gleichnamigen Aufsatz von 
St. Jellinek, Wien. Bd. 56. Heft 1.) Die Arbeiten sollen zusammen 
besprochen werden. Es handelt sich um einen wissenschaftlichen Streit 
über den Todesmechanismus durch den elektrischen Starkstrom, der um 
dieses viel umforschte Gebiet geführt wird, wobei es zwar nicht zu' 
einer Verständigung der Autoren gekommen ist, diese Frage auch nicht 
endgültig der wissenschaftlichen Klärung zugeführt worden ist, die beiden 
in der Elektro-Pathologie aber sehr verdienten Autoren zweifellos das 
Gebiet von neuem in wissenschaftlicher Beziehung sehr gefördert haben. 
Auch für die Rettungsfrage bei elektrischen Starkstromunfällen spielt diese 
Kontroverse eine große Rolle. Nach Boruttaus Auffassung ist der Mecha¬ 
nismus des elektrischen Todes ein einheitlicher. Nach ihm kommt es 
bei Durchtritt von elektrischem 'Strom durch das Herz zum plötzlichen 
Stillstand der Herzkammern, während die Vorhöfe noch weiter in schneller 
Abwechslung sich kontrahieren, „flimmern“, während Jellinek eine Ein¬ 
heitlichkeit deF Todesursache leugnet, mehrere Todesursachen annimmt, 
vor allen Dingen auch dem Tod durch plötzlichen Atem Stillstand, und 
infolgedessen lang fortgesetzte künstliche Atmung anzuwenden empfiehlt, 
was nach Boruttaus Ansicht zwecklos wäre, da ein plötzlicher Herz¬ 
stillstand mit Vorhofflimmern beim Menschen bis jetzt durch keinerlei 
Mittel überwunden werden kann, so daß nach Boruttau nur fortgesetzte 
Aufklärung die meist durch Leichtsinn bedingten Unfälle verringern 
kann. Weitere Einzelheiten müssen in den Originalarbeiten nachgelesen 
werden. Nach Ansicht des Ref. liegt in der Tat ein fahrlässiges Unter¬ 
lassen vor — nach unseren Erkenntnissen der Todesursachen durch den 
elektrischen Starkstrom — wenn bei elektrischen Unfällen künstliche 
Atmung nicht angewendet wird. 

„Über den Tod durch Verschüttung“ von A. M. Marx, Prag. 
Verf. bringt aus dar Literatur interessante Kasuistik und bespricht die 
Todesursachen auch an selbst beobachteten Fällen und die Pathologie 
dieser Todesart ausführlich. Bemerkenswert ist die Lokalisation von 
Blutungen der Haut und der Schleimhäute, die sich auf die obere 
Körperhälfte beschränkt. Sehr häufig findet sich Mageninhalt aspiriert 



228 


Zeitschriften 


t 

in den Luftröhren und sodann wird genau das Auftreten von Haut¬ 
abhebung und Hautblasen besprochen, die eine besondere forensische 
Bedeutung deswegen beanspruchen, weil sie nur im Leben entstehen 
können. 


Supplement des 56. Bd. Festschrift für Geheimrat F. Stra߬ 
mann 1918: 

„Die Schädigungen durch Röntgenstrahlen und ihre strafrecht¬ 
liche Beurteilung“ von Bucky, Berlin. Röntgenstrahlenschädigungen 
entstehen durch eine ein- oder mehrmalige große Strahlendosis akut, 
oder durch kleine wiederholt einwirkende Strahlendosen chronisch. Be¬ 
sonders empfindlich für Röntgenstrahlen sind die wachsenden Gewebe 
mit Zellen reger Teilung, weshalb das Lebensalter des Individuums 
besonders zu berücksichtigen ist. Je höher differenziert die Zellen eines 
Gewebes sind, um so wenige; sind sie röntgenempfindlich. Besonders 
unempfindlich ist daher das Gewebe der Nerven und Sinnesorgane. 
Die Hautbezirke sind je nach den Körperstellen verschieden in ihrer 
Sensibilität. Es kommen auch da individuelle Schwankungen vor. Weiter 
wird jetzt allgemein anerkannt das Vorkofhmen von Röntgenstrahlenidio¬ 
synkrasie. Gewisse pathologische Gewebe, namentlich Geschwülste zeigen 
eine erhöhte Strahlensensibilität und gewähren deshalb die therapeutische 
Beeinflussung dieser Geschwülste. Neben der lokalen Schädigung der 
einzelnen Gewebe kann es nach der Röntgenbestrahlung zu Fieber¬ 
steigerungen kommen, die analog denen bei Verbrennungen als Re¬ 
sorptionsfieber (Aufnahmfc von giftigen Abbauprodukten ins Blut) zu 
deuten sind. Auf der Haut werden neben Rötungen mit nachfolgenden 
Pigmentierungen schwere Verbrennungen beobachtet. Man hat den Be¬ 
griff des Röntgenkaters geschaffen für eine Reihe von Beeinträchtigungen 
des allgemeinen Befindens. Da namentlich das Röntgenpersonal bei 
ungenügenden Schutzvorrichtungen gefährdet ist, bei Frauen und Männern 
Sterilität, bei Frauen Störung der Regeltätigkeit beobachtet wird, bedürfen 
diese-Schädigungen der besonderen Berücksichtigung der Gewerbehygiene. 
Die Röntgenschädigungen lassen sich einteilen in vier Gruppen: 

1. hervorgerufen durch therapeutische und diagnostische Maßnahmen 
mittels Röntgenstratjlen, 

2. durch nebenhergehende Röntgenanwendungen von anderen Ärzten, 

3. durch nebenhergehende Anwendung besonderer sensibilisierender 
Mittel und 

4. .bei bestehender Idiosynkrasie gegen Röntgenstrahlen. 

Diese vier Gruppen der Röntgenschädigungen werden besprochen. 
Das größte praktische Interesse beansprucht das Vorliegen von Fahr¬ 
lässigkeit bei der Anwendung von Röntgenstrahlen. Nach dem Verf. 
liegt solche vor bei 

1. Überschreiten der maximal zulässigen Strahlendosis, 

2. Unterlassung der Dosierung oder Rohreneichung, 

3. mangelhafter Beaufsichtigung während der Bestrahlung, 



Zeitschriften 


229 


4. Nichteinhaltung der Latenzzeiten, 

5. ungenügender Vorbildung und 

6. mangelhaften Schutzvorrichtungen. 

Verf. betont noch, daß Röntgenstrahlen geeignet sind, Fehlgeburten 
herbeizuführen, setzt jedoch hinzu, daß es häufig nicht möglich sei, 
den Nachweis dafür zu führen. 

„Gerichtliche Medizin und Krieg“ von L. Bürger, Berlin. Bürger 
bringt eine Reihe von Einzelheiten und Fällen, die zeigen, wie in Front, 
Etappe und Heimat der Krieg mit seinen mannigfachen Schädigungen 
auch die Aufgaben der gerichtlichen Medizin vermehrt hat, weist auf 
die Zunahme der Kriminalität hin, besonders auch der Jugendlichen, 
und ihre wirtschaftlichen und anderen Ursachen. Er schließt mit dem 
Hinweis auf zweckentsprechend geleitete gerichtsärztliche Polikliniken 
und Kliniken, die der Aufklärung und Untersuchung gerichtsärztlicher 
und versicherungsmedizinischer Fälle dienen. 

„Einige gerichtsärztliche Kriegserfahrungen“ von Dyrenfurth, 
Marggrabowa. Auch dieser Verfasser betont den unheilvollen Einfluß des 
Krieges auf die Vermehrung der Neurastheniker und der Schwachsinnigen 
mit vorwiegender moralischer Verkümmerung; ferner, daß die Jugend¬ 
lichen besonders gefährdet sind und tritt für eine individualisierte Kriegs¬ 
fürsorge ein und für Fürsorgemaßnahmen für die Elemente, die, beson¬ 
ders in den Großstädten, haltlos, für den Heeresdienst- untauglich, in 
das Kriegsgetriebe gestellt worden sind. Zu unterstreichen ist besonders 
seine Forderung, daß auch in Zukunft der Alkoholgenuß weiter erschwert 
bleiben möge. 

„Die Verwertung der Temperaturkurve zur nachträglichen Er¬ 
kennung von Krankheitszuständen“ von P. Fränckel, Berlin. Verf. 
•macht darauf aufmerksam, daß für die rückschauende Diagnostik des 
Klinikers auch die Temperaturkurve eines völlig gesunden Menschen in 
manchen Fällen geeignet sein dürfte, eine durchgemachte Krankheit 
anzuzeigen. Er unterscheidet dabei zwei Typen: einmal die mit regel¬ 
mäßigen Zacken subfebriler Natur in Zwischenräumen einiger Tage, und 
dann, wo sich Gruppen von übergroßen Tagesunterschieden mit solchen 
von normalen, unternormalen oder ganz aufgehobenen Tagesunterschieden 
mehr oder weniger regelmäßig abwechseln. Die erste Form biete der 
rückläufigen Diagnostik keine Stütze, wohl aber die zweite Form, die 
unverkennbar Beziehungen zum periodischen Fieber habe. Verf. betont, 
dann noch, daß vorübergehend immer wieder vorkommende Temperatur¬ 
steigerungen von ihm beobachtet worden seien, bei Leuten mit lympha¬ 
tischer Konstitution und solchen mit leicht thyreotoxischen Erscheinungen 
{d. h. Vergiftungssymptomen von seiten der Schilddrüse). 

„Gerichtsärztliche Erfahrungen öber die Fruchtabtreibung in 
Wien“ von A. Haberda, Wien. Verf. bringt in seiner großen Arbeit 
mit objektiver, nichts verschlimmernder und nichts verschönernder Klar¬ 
heit ein Bild dieses den Gynäkologen, den Pathologen, den Volks¬ 
wirtschaftler und Juristen gleichmäßig berührenden Kapitels, welches 
den Leser erschüttert und Zustände heraufzubringen scheint, wie sie 
Aage Madelung in seinem prophetischen Zukunftsroman „Zirkus- 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 16 



230 Zeitschriften , 

Mensch“ beschreibt. Wien steht mit diesen Zuständen nicht allein 
da. In jeder anderen deutschsprechenden Großstadt, ja vielfach auch 
schon auf dem Lande, herrschen die gleichen Unsitten und Praktiken. 
Unsere sozialen Maßnahmen sind nicht in der Lage, dem jetzt herr¬ 
schenden Treiben Einhalt zu tun, ebenso wie, unser Gesetz es anschei¬ 
nend nicht verhindern konnte, daß ein Universitätskliniker straflos die 
objektive wissenschaftliche Indikation für die Schwangerschaftsunter¬ 
brechung beiseite lassen konnte, und jeder Kundige weiß, daß wenn 
einmal wirklich ein solcher männlicher oder weiblicher Schädling be¬ 
seitigt wird, eine Reihe anderer hydraartig dafür eintreten. Man weiß 
auch, daß eine Reihe Staatsanwaltschaften nicht mit der genügenden 
Festigkeit gegen die mehr oder weniger berufsmäßigen Abtreiber Vor¬ 
gehen , auch wenn ihnen einiges Material als Unterlagen von seiten 
der Ärzte gegeben wird. In Wien hat sich nach Hab er da für Frucht¬ 
abtreibungsprozesse ein besonders eingesetzter Gerichtshof gut bewährt. 
Die Ärzte sind nach dem' österreichischen Strafgesetz zur Anzeige von 
verdächtigen Fällerr von Aborten verpflichtet, doch fördert in Wien auch 
diese Bestimmung nur wenig positives Material zur Kenntnis der Be¬ 
hörden. Es wäre zu wünschen, daß diese Haberdasche Arbeit den Leuten 
mit vorhandenem Verantwortlichkeitsgefühl zur Kenntnis käme, welche 
sich jetzt ganz offen in gewissen Zeitungen für die Straflosigkeit der 
Fruchtabtreibung einsetzen. 

„Über den vom Arzt unbeabsichtigt eingeleiteten Abort und 
seine strafrechtliche Bedeutung“ von L. Hirsch, Berlin. Verf. ver¬ 
mißt Angaben darüber und bringt eine Zusammenstellung. Was innere 
Abortivmittel anlangt, glaubt er annehmen zu können, daß die Möglich¬ 
keit, daß der Arzt versehentlich den Abort damit einleitet, im ganzen 
gering ist. Anders ist es mit den instrumentellen Eingriffen, wodurch 
selbstverständlich bei Übersehen von Schwangerschaft Aborte fahrlässig, 
eingeleitet werden können. Dabei wird Liszt zitiert, der der Ansicht 
sei, daß zwar fahrlässige Tötung, nicht aber fahrlässige Abtreibung der 
Frucht unter Strafe gestellt sei. Es kommt auf das Gutachten sach¬ 
verständiger Ärzte an, ob inj. konkreten Falle von seiten des Arztes 
ein Kunstfehler anzunehmen sei. Von vornherein müßten solche Fälle 
straffrei ausgehen, bei denen ein Notstand Vorgelegen habe, d. h. bei 
denen infolge einer dringenden Gefahr für Leib und Leben der Mutter 
auf den Embryo keine Rücksicht hat genommen werden können. 

„Schädelbasis-Brüche“ von E. Hoff mann, Berlin. Verf. unter¬ 
scheidet leichte Fissurenbrüche, die nur eine Seite der Schädelgrund- 
fläche betreffen, solche, die die ganze Basis durchqueren (Scharnier¬ 
brüche), solche, die ringförmig um das große Hinterhauptsloch gelagert 
sind (Ringbrüche) und solche, die eine völlige Zertrümmerung der Basis 
darstellen. Das große Berliner Material ist zusammengestellt und be¬ 
sprochen nach der Aetiologie. Unterschieden werden Schädelbasis¬ 
brüche, die entstanden sind durch Sturz, sodann durch Schlag oder Stoß 
gegen den Kopf, weiterhin die durch Überfahren, die durch Fallen einer 
Last auf den Kopf und schließlich in die, wo eine Ursache der Ver¬ 
letzung nicht bekannt wurde. Schließlich werden die gangbaren Theorien 
über die Entstehung der Schädelbrüche angeführt. 



Zeitschriften 


231 


„Die Zurechnungsfähigkeit von Straftaten, die im alkoholischen 
Dämmerzustände begangen sind“ von C. Kade, Weidmannslust Verf. 
erscheint der Standpunkt der neuen Gesetzgebung, die Schuld an einer von 
einem Betrunkenen begangenen Straftat nicht in vollem Umfange anzuer¬ 
kennen und sie nur als Fahrlässigkeitsschuld hinzustellen, nicht für gerecht¬ 
fertigt. Habe’ der Betrunkene in seinem alkoholischen Dämmerzustände 
etwas Böses getan, so müsse er dafür büßen, weil sein wahrhaftes Ich die 
Schuld daran habe, wenn er sich schon der Tat selbst nicht erinnert. 
Allerdings ist Verf. der Ansicht, daß ein solcher Zustand von Trunken¬ 
heit, bei dem völlige Bewußtlosigkeit und vorübergehende geistige Um¬ 
nachtung vorhanden gewesen sei, in der Regel § 51 StGB, bedinge. 
Die Schwierigkeit dieser Unterscheidung will der juristische Verfasser 
weiterhin dem medizinischen Sachverständigen zuteilen. 

„Die Unterbringung des Angeschuldigten in einer Irrenanstalt 
zwecks Untersuchung seines Geisteszustandes“ von Kronecker, 
Charlottenburg. Ausführliche Abhandlung über den § 81 StPO., die 
nacheinander die Entstehung, die Zulässigkeit für die einzelnen Rechts¬ 
gebiete abhandelt, weiter die Fragen beantwortet, in welchen Proze߬ 
abschnitten dieser Paragraph Anwendung zu finden habe, die Kompetenzen 
des Gerichtes, des Sachverständigen erörtert usw. Die zahlreichen Einzel¬ 
heiten müssen in der Originalarbeit, der noch ein Anhang über das 
Militär-Strafgerichtsverfahren beigegeben ist, nachgelesen werden. 

„Ein Mörder.“ Kriminal-psychologische Betrachtungen von 

A. Leppmann, Berlin? Verf. bringt einen’Fall, wo ein mehrfacher 
Mörder Starrsucht vorgetäuscht hat, ausführlich und aktenmäßig zur 
Darstellung. Er weist dabei darauf hin, daß die sechs Wochen des § 81 
StPO, für manche Fälle nicht genügen, um volle Klarheit zu schaffen; 
weiter, daß der Kriminal-Psychiater auch ein Kriminal-Psycholog sein 
müsse, und dann zeigt er an dem Beispiel, daß ein Verbrecher keines¬ 
wegs ein Lombroso’cher delinquente nato zu sein brauche. 

„Über Rückenmarkerschätterung und ihre Begutachtung“ von 
P. Leppmann, Berlin. Die Arbeit bringt über diese schwierige Materie 
ausführliche Kasuistik sowie eine sehr vollständige Literaturzusammen¬ 
stellung. Ein Teil der Schlußsätze des Verf. lautet: Rückenmarke,rschüt- 
terung ist eine überaus häufige Begleiterscheinung stumpfer Rücken¬ 
markverletzungen aller Art. Sie kennzeichnet sich klinisch durch die 
Flüchtigkeit eines großen Teiles der spinalen Anfangserscheinungen, 
anatomisch durch die Ausbreitung der primären Markiäsicn über die 
unmittelbar gequetschten Teile hinaus. Ein einheitliches Gesamtbild, 
wie die Gehirnerschütterung, hat auch die Rückenmarkefschütterung im 
engsten Sinne nicht. J 

„Das Gesetz des kürzesten Weges“ von H. Marx,’Berlin. Verf. 
bezeichnet für die unbefangenen Leser dieser Arbeit" das Verbrechen 
als ‘ein Handeln nach dem Prinzip des kürzesten Weges und glaubt 
damit das Phänomen des Verbrechens unter ein Gesetz gestellt zu haben, 
welches auch auf anderen Gebieten fruchtbare Erklärungen liefert. Es 
handelt sich dabei um einen willkürlich formulierten Einfall, den man 
gelten lassen kann, der aber erst aus dem Rahmen der Trivialität heraus- 

16 * 



232 


Zeitschriften 


tritt, wenn man ihn im Sinne älterer Theorien des Verbrechens weiter 
ausdehnt Darnach ist „kürzester Weg“ einmal ein Prinzip des Han¬ 
delns, bei dem ein Zusammenwirken verschiedener Komponenten aus¬ 
geschlossen ist und infolgedessen der normale Kausalzusammenhang 
zur Herbeiführung eines Zieles verlassen wird. Das ist also die Theorie 
des Verbrechens, wonach ein solches zustande kommt, durch ausschlie߬ 
lich triebmäßiges Wirken eines selbstischen Motives. Ein anderer 
Gedankengang würde sich dadurch anknüpfen, daß „kürzester Weg“ 
gleich gerade Linie, gleich Richtungsidentität ist und damit das Ver¬ 
brechen also bezeichnet wird als selbstisches Isolieren in abstrakter 
Identität des Subjektes mit sich. Ein Fortschritt über diese ältereh 
Theorien des Verbrechens ist also in diesem „Kriminalphilosophischen 
Vorwort“, wie Verf. den Aufsatz auch bezeichnet, nicht zu erblicken, 
da es zu seinem Verständnis erst der Heranziehung älterer konkret- 
psychologischer Theorien in angedeuteter Weise bedarf. 

„Die geriehtsärztliche Beurteilung durch den Arzt herbeigeführter 
Schwangerschaftsunterbrechungen und Unfruchtbarmachungen“ von 
Puppe, Königsberg i. Pr. Verf. publiziert das Gutachten, welches er 
in dem Dienststrafverfahren gegen Prof. Henkel, Jena, erstattet hat. Mit 
Recht hebt Verf. hervor, daß nicht nur wichtige allgemeine Gesichts¬ 
punkte, sondern auch ein reiches kasuistisches Material darin zu finden 
sind. Ein Referat kann nie die Originalarbeit erschöpfen und Ref. muß 
sich in diesem Falle mit dem besonders betonten Hinweise begnügen, 
daß jeder Leser, nicht nur der an der Matetie besonders interessierte, 
an der musterhaft klaren Anordnung des Stoffes und der ebenso muster¬ 
haften sachlichen Objektivität ein lehrreiches Beispiel finden wird." 

„Über die kriminelle Zerstückelung von Leichen und Sicher¬ 
stellung ihrer Identität“ von E. Tiemke, Kiel. Verf. hat in dieser 
ausführlichen Arbeit den Stoff erschöpfend behandelt, dem 94 eigene 
und aus der Literatur gesammelte Fälle zugrunde liegen. Darunter 
befindet sich kein Fall, wo der Getötete nachweislich noch gelebt hat, 
als sein Körper zerstückelt wurde. Die Mehrzahl der Fälle ist defensiv, 
um ein Verbrechen zu verbergen. Bei den zehn Fällen, wo die Zer¬ 
stückelung offensiv vorgenommen wurde, also als Verbrechen dieser Art 
an sich, lag immer Geisteskrankheit des Täters vor. Bei 83 Proz. der 
Fälle war die Identifizierung der zerstückelten Leichen möglich. Die 
Gesichtspunkte und die Technik, welche die Identifikation zerstückelter 
Leichen »ermöglichen, werden genau besprochen. 




• Kriminalistische Aufsätze 

in 

deutschen Zeitschriften 

des Jahres 1916. 

Zusammengestellt von Werner Kuhn und Robert Heindl. 


Aberglaube 

l.-Hellwig, A.: Fall Bellenot [1861]. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 65. 

S. 254—77.) 

2- O. A.: —, gesammelt von Bewilogua. (Mitteil. d. Ver. f. sächs. Volkskunde. 
• VI. 1916. S. 365.) 

3. Heil. K.: — in d. Heilkunde. (Arzt, der praktische [jetzt Repertorien-V., L.i 
56. J. 1916. S. 8-12, 29-34.) 

4. Seyfarth, C.: — u. Zauberei in d. Volksmedizin d. weiteren Umgeb.Leipzigs. 
(Janrb. d städt. Museums f. Völkerkunde, zu Leipzig. 6. Bd. Voigtländer, 
Leipzig. 1916. S. 58.) 

Abortus 


5. Bumm, E.: Frage d. künstl. —. 
1916. Bd. 43. S. 385-95.) 


(Monatsschr. f. Geburtshilfe u. Gynäkologie. 

Abtreibung 


6. O. A.: — u. Strafrechtsreform. (Generation, d. neue. 1916. S. 106.) 

7. Oetker, — b. Schwangersch. infolge erlitt. Notzucht. (Gerichtssaal, Der. 
1916. Bd. 84. S. 1-13.) 

8. O. A.:.Notstand bei d. —. (Volkswart, Köln. 1916. S. 88.) 

9. Hofacker: Frucht- — durch Gebärmutterauskratzung. (Zeitschr. f. Medizinal¬ 
beamte. 1916. S. 597.) 

10. Benthin, W.: Kriminelle Frucht- —. (Die Umschau. 1916. S. 567.) 

11. Roepke: Kriminelle Frucht- —, künstl. Unterbrech, d. Schwangersch. u. Für¬ 
sorge f. tuberkulöse Schwangere. (Zeitschr.f.Medizinalbeamte. 1916. S.281—98.) 


Adler, F. 

12. Ratner: Was lehrt uns forensisch »der Fall —? (Fortschritte der Medizin. 
1916. 34. Jährg. S. 63.) 

Ähnlichkeit (s. auch Photographie) 


i3. Franken, A.: Beitr. zur —s-Statistik. ([Schulmann, D. praktische.) Jetzt: 
• Archiv f. Pädagogik. Abt I u. II. 1916. S. 333—66.) 


Alkohol 


14. Tausk, V.: Psychol. d. —isch. Beschäftigungsdelikts. (Zeitschr., intern., f. ärztl. 
Psychoanalyse. III. J. 1915. S..204—26») 

15. Blocher/E.: —ismus u. Strafrecht. (Schweizerland. Ebner, Chur. II. J. 
1916. S. 187.) 

16. Juliusburger, O.: — ismus u. Psychosexualität. (Zeitschr. f. Sexualwissen¬ 
schaft. II. Bonn, Marcus & Weber. 1916. S. 357—66.) 

17. O. A.: Amtl. Bericht d. Medizinalabt. d. Min. d. Innern. Mißbrauch v. — etc. 
Jahrg. 15. (Blätter f. prakt. Trinkerfürsorge. IV. 1916. S. 136.) 

18. Bauer, O.: Gesetz üb. d. Behandl. von —isten. (Alkoholfrage. 12. Jahrg. 
1916. S. 123—29.) 

19. Retzlaff: Befugnisse der Polizei in d. Beschränk, des — mißbrauchs vor d. 
Kriege u. währ. d. Krieges, i Alkoholfrage, 12. Jahrg. 1916. S. 130—145.) 



234 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


. Anarchistisch 

20. Mettgenberg: -e Verbrecher, Auslieferung nach deutsch. Recht. (Strat- 
rechtszeitung, deutsche. Berlin. III. 1916. S. 326.) 


Anonymität 

21. Dück: — u. Sexualität. (Sachverständigen - Zeitung, Ärztliche. 22. Jahrg. 
1916. S. 280.) 

Anthropometrisch 

22. Czuber, E.; —e Zahlenreihen, Bedeut, d. Kollektivmaßlehre f. d. Bearbeit. 
(Mitteilungen d. Anthropol. Gesellschaft, Wien. 46. Bd. [31] 1916.) 

Apachen 

23. Becker, M. L: — in d. französ. Armee. (Liller Kriegszeitung. Auslese. 
Leipzig, Vobach. 1916. Bd. II. S. 78.) 

Autogen 

24. O. A.: Kriminelles v. autogenen Schneiden. (Draeger-Hefte. Period. Mitteil, 
d. Draeger-Werkes, Lübeck. 1916. S. 442.) 

Beschlagnahme 

25. Lindenau: Ist — f. Verfolgungszwecke zulässig? (Strafrechtszeit., Deutsche. 

1916. Berlin. III. S. 396.) A 

Bettel 

26. Rotering: — als antisoziale Erscheinung. (Archiv f. Rechts- u. Wirtschafts- 
philosophfe. 1916. X. S. 62—80.) 

Bettler 


27. Conrath, R.: Heimweisung bestrafter bayer. — ü. Landstreicher unter d. 
Herrsch, d. neuen bayer. Aufenthaltsrechts. (Gemeindezeitung, Bayerische. 
26. Jahrg. 1916. S. 459, 483.) 

Beweis 

28. Raschle, H. H.: --Aufnahme, Institut der vorsorgl. (Juristen-Zeitung, 
Schweizer. 12. Jahrg. 1916. S. 226—30.) 

29. Köhler, J.: — im Strafprozeß. (Archiv f. Strafrecht u. Strafprozeß. 1916. 
Bd. 63. S. 70-80.) 

30. Bendix, L.: Freie —Würdigung d. Strafrichters. (Archiv für Strafrecht u. 

Strafprozeß. 1916. Bd. 63. S. 31—45.) • 

Bild 


31. Hansen, F.: Wie reproduziert man —er aus gedruckten Büchern? (Kunst¬ 
handel, Lübecker. 1916. S. 188.) 

Bildtelegräphie 

32. O. A.: Neues Verfahr, z. elektr. Fernphotogr. [—]. (Technik f. Alle. Technische 
Monatshefte. (Auswahl). 1916. S. 381.) 

33. Korn, A.: Entwickl. der — i. d. letzt. 10 Jahren. (Die Naturwissenschaften. 
4. Jahrg. [Berlin, SpringerJ. 1916. S. 689 —96.) 

34. Korn, A.: Vorschläge z. Erricht, v. —Stationen in Wien, Budapest, Sofia 
u. Konstantinopel. (Wirtschaftszeitg. d. Zentralmächte. 1916. Nr. 47.) 

35. Korn, A.: —. (Wochenschr., deutsche, optische. Verl.: Ehrlich, Berlin W35. 
J. 1915H6. Nr. 1-32. S. 71-75.) 

Blitzlichtlampe 

36. Mecke, H.: —, preiswerte. (Das Bild, Berlin. 12. Jahrg. 1916. S. 118.) 

Blut 


37. O. A.: Neue Methode z. quantit. —Untersuchung. (Apothekerzeitg. Schweizer. 
54. J. 1916. S. 541, 575.) 

38. Heller, R.: Fluoreszenz d. Hämoglubinderivate u. ihre Bedeut, f. d. forensisch. 
— nachweis. (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Mediz. u. öffentl. Sanitätswes. III. F. 
1916. Bd. 51. S. 219-34.) 

Brand (s. auch Feuer, Selbstentzündung) 

39. O. A.: Ursachen der —e in Preußen u. der dadurch entstand. Schaden von 
1902—13. (Korrespondenz, Statistische. 56. Jahrg. V. iBeiblatt zu: Zeit-, 
schrift d. kgl. preußisch, statistisch. Landesamtes.] 1916.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


235 


40. Hasterlik, A.: Geheimnisvolle —Stifter. [Selbstentzünd, etc.] (Kosmos. 
S. 290. 1916.) 

41. O. A.: Ursache der —e in Preußen u. der dadurch entstand. Schäden von 
1902—13. (Versicherungszeitschrift, Wallmanns. 50. Jahrg. 1916. S. 840.) 

42. Heine: --Stiftung durch den Nießbraucher. (Recht, Das. 1916. S. 104.) 

43. Brämer, K.: —Statistik. (Wirtschaft u. Recht der Versicherung. Beih. z. 
„Zeiftchr. f. Versicherungswesen“. [48. Jahrg] S. 207—67.) 

44. Preuß, W.: Interess. —Schadenursachen. (Zeitung, Wiener landwirtschaftl. 
[Mit Beil.: Mitteilungen d. Fachberichterstatter.J 1916. S. 465, 472.) 

45. O. A.: Großbrände in Preußen in den Jahren 1901—12. (Versicherungszeit- 
schqft, Wallmanns. 50. Jahrg. 1916. S. 664.) 

46. O. A.-: Begriff des —es in d. Literatur u. Rechtsprech. (Versicherungszeit¬ 
schrift, Wallmanns. 50. Jahrg. 1916. S. 977.) 


Brüssel 

47. Gerstein: Deutsche Sittenpolizei von Groß— im Rahmen d. belg. Roten 
Kreuzes. (Kreuz, Das Rote. 34. Jahrg. 1916. S. 560.) 


Dämmerzustand 

48. Tintemann, W.: Tötung mehr. Personen durch e. Epileptiker im —. [Un- 
zweckmäß. Unterbring, v. Geisteskranken.] (Sachverständigenzeitung, Ärztliche. 
22. Jahrg. 1916. S. 494 

Daktyloskopie is. auch Finger) 

49. Weiß, E.: Beobacht, u. mikrophotogr. Darstellung, d. Hautpapillen am lebend. 
Mensch. (Archiv, Deutsches, für klinische Medizin. 1916. Bd. 119. S. 1—38.) 


Diebstahl 

50. Sartori, P.: — als Zauber. (Archiv, Schweizer., f. Volkskunde. 20. Jahrg. 
1916. S. 380-88.) 

51. Eckstein, E.: — aus off. Waggons. (Entscheidungen u. Abhandlungen, 
Eisenbahn- u. verkehrsrechtliche. 1916. Bd. 32. S. 249.) 


Dienstboten 

52. Hurwicz, E.: Kriminalität u. Prostitut. d. weibl. —. (Archiv f. Kriminologie. 
1916. Bd. 65. S. 185-231.) 

Ehe 

53. Weber: Forens.-psychiatr. Beurteil, von —angelegenheiten. (Sachverstän- 
digen-Zeitung, Ärztliche. 22. Jahrg. 1916. S. 157.» 

54. Fehlinger, H.: Polyandrie in Indien. (Zeitschrift f. Sexualwissenschaft. II. 
Bonn, Marcus & Weber. 1916. S. 249.) 

Embryo 

55. Bickel, B.: —nen, Altersbestimmung an menschl. (Zeitschrift f. Ethnologie. 
48. Jahrg. 1916. S. 75-81.) 

Erhängung 

56. Langermann: —stod. Zur Kasuistik des. (Zeitschrift f. Medizinalbeamte 
1916. S. 589-94.) 

Fetischismus 

57. Sigg, E.: —, Zur Kasuistik des. (Zeitschrift f. Sexualwissenschaft II. Bonn. 
Marcus & Weber. 1916. S. 366—77.) 

58. Stekel, W.: —, Zur Kasuistik des. (Zeitschrift f. Sexualwissenschaft. II. Bonn. 
Marcus & Weber. 1916. S. 377.) 

Feuer (s. auch Brand) 

59. Werneburg: Begriff d. Brandes in d. Literatur u’. Rechtsprechung. (Ver¬ 
sicherungszeitschrift, Wallmanns. 50. Jahrg. 1916. S. 817.) 



I 


236 Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


Feuerbestattung 

60. Marcuse, O.: — u. Strafrecht. (Strafrechtszeitung, Deutsche. Berlin. 111. 
1916. S. 324.) 

Finger (s. auch Daktyloskopie) 

61. Friedländer, E.: Kasuistik der Brachydaktylie. (Fortschritte auf d. Gebiete 
der Röntgenstrahlen. 1916. Bd. 24. S. 230—34.) 

62. Heindl,R.: —abdrticke als Überführungsmittel. (Strafrechtszeitung, Deutsche. 
Berlin. III. 1916. S. 144.) 

63. Sommer: Forens. Beurteil, d. Erblichkeit v. morphol. Abnormitäten u. der 
Papillarlinien der —. (Archiv für Kriminologie. 1916. Bd. 67. S. 161—74.) 

64. Schneickert, H.: Die monodaktyloskop. Registrat. d. Berlin. Kriminalpolizei. 
(Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 66. S. 121-26.) 

65. Streicher, H.: Zum daktyloskop. Verfahren. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
Bd. 65. S. 284-300.) 

66. Grosch: Sichtbarmachung von —spuren u. Geheimschriften im Kriege. 
(Strafrechtszeitung, Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 154.) 

67. Schneickert, H.: Beweiskraft des — abdrucks. (Archiv für Strafrecht u. 
Strafprozeß. 1916. Bd. 63. S. 388—94.) 

, Fürsorge (s. auch Jugend) 

68. Isermeyer: Nur männl. Erzieher für männl. Zöglinge? (Zentralblatt f. Vor¬ 
mundschaftswesen. VIII. S. 1—6.) 

69. Hansen: — oder Zwangserziehung. (Blätter f. Rechtspflege in Thüringen 
u. Anhalt. (63 Jahrg.] 1916. S. 172—82.) 

70. Goeze: Brandenburg.—erziehungsamt. (Zentralblatt f. Vormundschaftswesen. 
7. Jahrg. S. 241.) 

71. Rupprecht: —erziehung in Bayern 1904-13. (Die Jugendfürsorge. Mit¬ 
teilung. d. deutsch. Zentrale für Jugendfürsorge. Berlin. XI. 1916. Nr. 4/5.) 

72. Kipp, Th.: Rechtsfrag. d. —erziehung. (DieJugendfürsorge. Mitteilung, d. 
deutsch. Zentrale f Jugendfürsorge. Berlin. XI. 1916. Nr. 7.) 

73. Knaut: Recht d. —Zöglings auf d. während d. Erziehung gesammelten Spar¬ 
guthaben. (Jugendfürsorge, Die. Mitteilung, d. deutsch. Zentrale f. Jugend¬ 
fürsorge. Berlin. XI. 1916. Nr. 9.) 

74. Knaut: Wie erklärt es sich, daß in Berlin verhältnismäßig erhebl. weniger 
Kleinkind, u. Schulpflichtige in —erzieh, kommen als in allen and. Kommunal¬ 
verbänden Preußens? (Jugendfürsorge, Die. Mitteilung, d. deutsch. Zentrale f. 
Jugendfürsorge. Berlin. XI. 1916. Nr. 1.) 

75. O. A.: —erziehung Minderjähr. in-Sachsen. ((Monatsschrift) jetzt: Viertel- 
jahrsschr. f. innere Mission 1916. 36. Bd. S. 456.) 

76. Dietrich, R.: —Zöglinge — Zuchthauskandidaten. (Der Türmer. 1916 r 
Nov. S 184.) 

77. Schmalz, C.: —Zöglinge. (Der Türmer. 1916, Dez. S. 397.) 

78. Schmidt: Neue Ziffer 1 in § 1 d. —erziehungsgesetzes. (Verwaltungs-Blatt, 
Preuß. 36. Jahrg. 1916. S. 657.) r 

79. Backhausen: Sonderein rieht, f. kranke —Zöglinge u. Anstalten, die auch 
kranke —Zöglinge aufnehmen. (Zentralblatt f. Vormundschaftswesen. 7. Jahrg. 
S. 232.) 

80. Isermeyer: Aufnahmefamilien in —Erziehungsanstalten. (Zentralblatt für 
Vormundschaftswesen. 7. Jahrg. S. 220.) 

81. Remppis, P.: Hort u. —erziehung. (Zentralblatt f. Vormundschaftswesen. 
8 Jahrg. S. 25.) 

82. Hartmann: Zur Frage der —Erziehungsämter. (Zentralblatt f. Vormund¬ 
schaftswesen. 8 Jahrg. S. 18.) 

83. Schmidt: Wirkungen des Gesetzes, betr. die —erzieh. Minderjähr. vom 
2./7. 1900 während der Zeit vom 1./4. 1901—31./3. 1915. (Verwaltungsblatt, 
Preuß. 37. Jahrg. 1916. S. 657.) 

84. Mönkemüller: Kindl. Kriminalität in der —erzieh. (Vierteljahrsschrift für 
gerichtl. Medizin u öffentl. Sanitätswesen. III. F. 52. Bd. 1916. S. 207—43.) 

85. Weller: Bericht über unsere ausmarschiert. —Zöglinge, erstatt, von Weller. 
(Lehrerzeit., Deutsche. Berlin C 19. (Auswahl.J 191o. Nr. 32.) 

86. Hellwig, A.: Krieg u. —erziehung. (Volkswart, Köln. 1916. S. 107.) 



237 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


87. Timmen, W.: Offizielle Anstaltszeugnisse? (Zeitschrift für kathol. caritat. 
Erziehungstätigkeit. 5. Jahrg. 1916. S. 67.). 

88. Esser: Einwirk, des Krieges auf die —erzieh, in großen Erziehungsanstalt. 
(Zeitschrift für kathol. caritat. Erziehungstßtigkeil. 5. Jahrg. 1916. S. 88.) 

89. Becker: Uns. Zöglinge als Helfer in d.Kriegszeit namentl. f. die Landwirtsch. 
(Zeitschrift für kathol. caritat. Erziehungstätigkeit. 5. Jahrg. 1916. S. 90.) 

90. Becker: ln welch. Alter können Kinder der —erzieh, überwiesen werden? 
(Zeitschrift für kathol. caritat. Erziehungstätigkeit. 5. Jahrg. 1916. S. 93.) 

91. Esser., P.: Aufnahme ein.—Zöglings in die Anstalt. (Zeitschrift für kathol. 
caritat. Erziehungstätigkeit. 5. Jahrg. 1916. S. 126.) 

92. Riß mann: Zentralisat. der gesamt. —bestrebungen. (Zeitschrift für Medi¬ 
zinalbeamte. 1916. S. 678.) 

93. O. A.: Zum —erzichungs-Gesetz. (Zeitschrift f. Rechtspflege in Bayern. XII. 
1916. S. 1-5.) 

94. O. A.: —erziehung u. Tuberkulosebekämpf. (Zeitschrift f. Kommunalwirtsch. 
u. Kommunalpolitik. 6. Jahrg. 1916. S. 85.) 

95. Hopmann, E.: Weibl. —Zöglinge *im Dienst. (Zeitschrift Jt. kathol. caritat 
Erziehungstätigkeit. 5. Jahrg. 1916. S. 43—47.) 

96. O. A.: —erziehung ein. ausländ. Minderjähr. ist zulässig. (Zeitschrift für 
die freiwill. Gerichtsbarkeit u. die Gemeindeverwalt, in Württemberg. [J. B. 
Metzler, Stuttgart.) 1916. S. 161—66.) 

97. O. A.: Abänder, des preuß. —erzieh.-Gesetzes u. Kriegsschuldienst. (Warte, 
Pädagog. 1916. S. 27-31.) 

98. Dresel, E. G.: Bevölkerungspolitik u. Organis. der —bestreb. (Staats- u. Wirt¬ 
schaftszeit., Europäische. [Neue deutsche Bücherei.) München. I 1916. S.631.) 

99. Molsberger, C.: Abänder, des Preuß. —erzieh.-Gesetzes. (Monatsschrift 
f. kathol. Lehrerinnen. 1916. S. 26.) 

100. Kracht, E.: Vollzug in der —erzieh. (Monatsschrift f. Kriminalpsychol. u. 
Strafrechtsreform, m. Jahrg. 1916. S. 536.) 

101. Büchner, F.: Ländl. Geschwisterheime, [—erziehung.] (Menschenmarkt. 
3. Jahrg. 1916. S. 49- 60.) 

102. Wittig, K.: Statistik über die —erzieh, im Königr. Sachs. ([Kinderfehler, 
Die.] Jetzt: Zeitschrift f. Kinderforschung. 21. Jahrg. 1916. S. 165—70.) 

103. Faubel, L.: — anstatt u. der Krieg. (Die deutsche Frau. 1916. Nr. 27. S. 3.) 

104. O. A.: Neuzeitl. —bestrebung. u. ihre Verwirklich, im Verein f. Volkswohl¬ 
fahrt Heidelberg-Land e. V. (Zeitschrift f. badische Verwaltung u. Verwal¬ 
tungsrechtspflege. 1916. S. 125 —32.) 

105. Scheck: Volksversicher, der —Zöglinge. (Zentralblatt f. Vormundschafts- 
. wesen. VIII. 1916. S. 81.) 

106. Brückler: —erzieh, in Sachsen 1913—15. (Zentralblatt f. Vormundschafts¬ 
wesen VIII. 1916. S. 107.) 

107. Boschan: Dienst u. Arbeitslohn des —Zöglings. (Zentralblatt f. Vormund¬ 
schaftswesen. VIII. 1916. S. 169.) 

Fuß 


108. Strafella, F. G.: —Spurenvergleichung. 
Bd. 66. S 129.) 


(Archiv f. Kriminologie. 1916. 

Gefängnis 


109. Klein: —wesen. (Zeitschrift f. die gesamte Strafrechtswissenschaft. 1916. 
Bd. 38. S. 754.) 

110. Braune, R : Jahresber. e Strafanstaltspfarrers bei Ablauf des 50. Dienst¬ 
jahr. an d. Strafanst (Zeitschrift f. die gesamte Strafrechtswissenschaft. 1916. 
Bd. 38. S. 162-73.) 

111. Kleemann, E.: Kriegserfahrungen in Gefängnissen. (Archiv f. Kriminologie. 
1916 Bd. 67. S. 1-24.) 


Gefangene (s. auch Ödland) 


112. Deetj en: Recht der —n. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 47.) 

113. v. Baehr: Gesch. der —nlagerung. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 
1916. S. 163.) 

114. Hage: Übergangsstat. im Dienste d. Fürsorge an d. entlass. —n. (Jahrbuch 
der Gefängnisgesellschaft Halle a. S. 1916. 32. Jahrg. S. 41—52.) 



238 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


115. O. A.: Beschäftig, von Straf—n. (Mitteilung, der Handelskammer Dresden. 
V. 1916. S. 522.) 

116. O. A.: Beschäftig, von Straf—n in d. Industrie. (Mitteil. d. Handelskammer 
zu Zittau. IV. 1916. S. 351.) 

117. O. A.: Unterricht f. jugendl. —. (Zeitschr. f. Behandl. Schwachsinniger etc. 
1916. 36. Jahrg. S. 135, 193.) 

118. Lin den berg: Statistik d. unt. d. Minist, d. Innern steh.Strafanstalt, u.Gefängn. 
in Preußen für 1914. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 202.) 

119. Moll, N.: Pädagogik e. Jugendgefängnisses. (Pharus. Kathol. Monatsschr. 
1916. Jan. S. 52-63.) 

120. Schönewolf, J.: —nfürsorge. (Jugend, Freideutsche. Saal, Hamburg 
2. Jahrg. 1916. S. 15-20.; 

Gefühl 


121. Peters: A.: — u. Wiedererkennen. (Fortschritte d. Psychologie. IV. 1916. 
S. 120-33.) 

Geheimschriften 

122. Weinbarg*E. A.: — u. ihre Entzifferung. (Das Wissen. Berlin. X. S.259 —62.) 


Geisteskrank 

123. Boas, K:: Frage d. fonens.-psychiatr. Unterrichts an Universitäten. (Archiv 
f. Kriminologie. 1916. Bd. 67.- S. 95-102.) 

124. O. A.: Fürsorge des Rhein. Provinzial- bzw. Landarmenverband, f. —e, 
Idioten u. Epileptiker. 1914/15. (Wochenschrift, Psychiatrisch-neurologische. 
18. Jahrg. 1916. S. 8.) 

125. Brückner: Psychiatr. Kriegserfahrungen. (Wochenschrift, Münchner medi¬ 
zinische. 63. Jahrg. 1916. Nr. 23.) 

126. Fischer, Edm.: Fürsorge f. —e. (Monatshefte, Sozialistische. 1916. *S. 107.) 

127. Kastan, M : Strafb. Handl. psychisch-kranker Angehörig, d. Feldheeres. 
(Archiv f. Psychiatrie u. Nervenkrankheit. 56. Jahrg. 1916. S. 573—631.) 

128. Ilberg: Psychosen im Kriege. (Jahresbericht d. Gesellsch. f. Natur- u. Heil¬ 
kunde. Dresden. 1914/15. S. 29.) 

129. Alter, W.: Irrtümer bei —en. (Wochenschrift, Psychiatrisch-neurologische. 
1916. S. 279 -83, 289.) 

J30. Bresler, H.: Wichtige Entscheid, aus d. Gebiete d. gerichtl. Psychiatrie. 
(Wochenschrift, Psychiatrisch-neurologische. 18. Jahrg. 1916. S. 309.) 

131. Siebert, H.: Über ein. von ein. — en ausgeführt. Raubmord. (Zeitschrift, 
Allgem., f. Psychiatrie u. psychisch-gerichtl. Medizin. 1916. Bd.72. S. 485—95.) 

132. Kraepelin, E.: Forschungsinstitut f. Psychiatrie. (Zeitschrift f. die ges. 
Neurologie u. Psychiatrie. 1916. Bd. 32. S. 1—38.) 

Geistesschwach 

133. Fehling er, H.: Engl. Gesetz über die Internier, geistig-minderwert. Per¬ 
sonen. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 66. S. 333—38.) 

• Gericht 

134. Friedrich, K.: Sittliche Fragen aus d. —ssaal. (Der unsichtbare Tempel. 
München. 1916. S. 83— 86.) 

135. Nippe, M.: —särztliches u. anderes von d. Front. (Erlanger im Kriege. 
1916. S. 52.) 

136. Sommer, P.: — sbibliothek. (Gerichtssaal, Der. 1916. Bd. 84. S. 263.) 


Geschlecht (s. auch Fetischismus) 

137. Placzek: Freundschaft u. Sexualität. (Zeitschrift f. Sexualwissenschaft. II. 
Bonn, Marcus & Weber. 1916. S. 265—83.) 

138. Saal er, B.: Vita sexualis d. Hysterischen von M. Kossak. (Zeitschrift für 
Sexualwissenschaft. II. Bonn, Marcus & Weber. 1916. S. 422. 

M. Kossak - S. 162—71, 423.) 

139. Stümcke, H.: Sexualverbrech, in d. dramat. Dichtung. (Zeitschrift f. Sexual¬ 
wissenschaft. 11. Bonn, Marcus & Weber. 1916. S. 305—22.) 

140. Werthauer: Sexuelle Sittlichkeit u. Strafrecht. (Generation, Die neue. 1916. 
S. 117.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


239 


141. Landsberg, J. F.: Sexuelle Verwahrlosung d. Jugend u. ihre Behandlung. 
(Archiv f. Sexualforsch. I. 1916. S. 270—83.) 

142. Moses, J.: Auspräg. d. weibl. Sonderart u. Sexualität in d. Psychol. ver¬ 
wahrlost. u. kriminell. Mädchen. (Archiv f. Sexualforsch. 1. 1916. S. 244.1 

143. Gaedeken, P.: Sexualverbrechen u. Jahreszeit. (Archiv f. Sexualforsch. 1. 
1916, S. 227-36.) 

144. Strafella, F. G.: —sieben Geisteskranker. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
Bd. 66. S. 58-70.) 

Geschlechtskrankheiten (s. auch Prostitution) 

145. Schapira, S.: Krieg u. —. Deren strafrechtl. Bekämpf. (Wochenschrift, 
. Wiener klinische. 29. Jahrg. 1916. S. 918.) 

146. Heine: In welch. Verfahren sind Ansprüche d. Polizeibehörd. weg. Zwangs¬ 
heil. Geschlechtskranker geltend zu machen? (Centralblatt der Reichsver¬ 
sicherung. 12. Jahrg. 1916. S. 927.) 

147. v. Düring: Prostitution u. —. (Jahrbücher, Preußische. H. v. Delbrück. 
V.: G. Stifke, Berlin. 1916. Bd. 164. S. 446-74.) 

Gewissen 

148. Boden, F.: —. (Archiv f. systematische Philosophie. N. F. 1916. Bd. 22- 
S. 118-32.) 

149. Kröger, O.: Wesen des moral. —s. (Archiv f. systematische Philosophie. 
N. F. 1916. Bd. 22. S. 156-69.) 

150. Behrend, W.: — u. Erziehung. (Monatshefte, Protestant. 1916. S. 151.1 


Graph ometrie 

151. Hellwig, A.: — im Strafverfahren. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd.67. 
S. 42-68.) 

152. Meyer, Georg; Schneikert, H.: — u. ihre Gegner. (Archiv f. Krimino¬ 
logie. 1916. Bd. 65. S. 331—43.) ; 

Groß, H. 

153. Lindenau: — u. sein Werk. (Archiv f. Strafrecht u. Strafprozeß. 1916. 
Bd. 63. S. 353.) 

154. O. A.: —, f. (Zeitschrift, Österreich., f. Strafrecht. 6. Jahrg. 1916. I. 

155. Lenz, A.: —, j. (Zeitschrift f. die gesamte Strafrechtswissenschaft. 1916. 
Bd. 36. S. 595-604.) 

156. Stoß, C.: —, t- (Zeitschrift, Schweiz., f. Strafrecht. 28. Jahrg. 1916. S. 325.) 

157. O. A : —, +. (Zeitschrift f. angew. Psychol. XII. 1916. S. 111.) 

158. Zürcher, E.: —, f. (Juristen-Zeitüng, Schweizer. 12. Jahrg. 1916. S. 230.) 

159. Strafella, F. G.; Zafita, H.: —, t- (Archiv f. Kriminologie. 1916. I—V.) 


160. Cochlovius: — f. 
41. Jahrg. 1916. 


Haftung 

Polizeihunde, (österr. Revue. Organ f. Assekuranz. 

Handschrift 


161. Lomer, G.: Wie sehen Verbrecher—en aus? (Die Umschau. 1916. S. 583.) 


Haut 


162. Oppenheim, M.: Neue Meth. d. graph. Darstell, von —Veränderung., ins- 
besond. der Schwielenbildung, der Flachhand. (Archiv f. Dermatologie u. 
Syphilid 1916. Bd. 122. S. 709-14.) 

International 


163. Wachenfeld: — isierung od. Nationalisier, d. deutsch. Strafrechts? (Archiv 
f. Rechts- u. Wirtschaftspnilos. 1916. X. S. 14—26.) 

Jugend (s. auch Fürsorge) 

164. Reichen, A.: Neue Wege u. Ziele d. -»-fürsorge im Hinblick auf e. neue 
Strafprozeßordn, im Kant. Zürich. (Der pädagog. Beobachter. Beilage zu: 
Schweizerische Lehrerzeit. 1916. S. 45, 59.) 

165. Meister, 0-: Sicherheitsbehörde u. —Strafrecht. (Archiv f. Kriminologie. 
1916. Bd. 65. S. 312-25.) 

166. Matthießen, W.: Unsere — u. der literar. Schund. (Jugendführ., Düssel¬ 
dorf. 3. Jahrg. 1916. S. 375-81.) 



240 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


167. Herzfelder, H.: Zukunft unser. —fürsorge. (Rundschau, Österreich. 1916. 
Bd v 49. S. 69-76.) 

168. Janisch, F.: Reichsamt f. Kinderschutz u. —fürsorge, Österreich. (Zeitschr. 
f. Notariat u. freiwill. Gerichtsbarkeit in Österreich. 1916. S. 69.) 

169. Wild, A.: Übersicht über d. gegenwärt. Stand d. —fürsorge in d. Schweiz. 
(Zeitschrift, Schweizer., f. Gemeinnützigkeit. Zentralsekret. Zürich 6, Volk- 
marstr. 9. iGebr. Leemann, Zürich.l 1916. S. 224 —41.) 

170. Lieske, H.: —kriminalität u. Strafgesetzreform. (Lyceum, Frankfurt. III. 
1916. S. 213—19.) 

171. Hellwig-, A.: Kriegskriminalität d. — in d. Stadt u. auf d. Lande. (Land, 
Das. 24. Jahrg. 1916. S. 227.) 

172. Duensing, F.: Gegenwärt. Kriminal, d. —u. Gegenmaßnahmen. (Monats¬ 
schrift f. das Kinderhortwesen. I. Charlottenburg. 1916. S. 221—26.) 

173. Rupprecht: —Straffälligkeit in Bayern im Frieden u. im Kriege. (Straf¬ 
rechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 128—34.) 

174. Seilmann: Überwind, d. Verwahrlos, d. —. (Zeitschrift f. das ge¬ 
samte Fortbildungsschulwes. in Preußen. VII. 1916. Lipsius & Tischer, 
Kiel. S. 97.) 

175. Kuckhoff: Ein wenig beacht. Gebiet unser, —fürsorge. [Schwachsinnige.) 
(Rundschau, Allgemeinere. München. 1916. Nr 44.) 

176. Rahm: Staatl. —pflege-örganisat. d. Regier.-Bez. Arnsberg (Mitteil. d. Zen¬ 
tralstelle f. Jugendpflege, Arnsberg. 4. Jahrg. Dortmund. 1916. S. 109—22.) 

177. Ragl, F. X.: Staatl. —fürsorge. '(Jugendpflege, Neudeutsche. II. Abel & 
Müller, Leipzig. 1916. S. 152.) 

178. Hartmann: Reichs—gesetz u. Fürsorgeerzieh. (Zentralblatt f. Vormund¬ 
schaftswesen. VIII. 1916. S. 161—65.) 

179. Felisch: Deutsch, —gesetz. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. 
S. 435—42.) 

180. O. A.: Krieg u. —verwahrlos. (Schule, Christi. Pädagog. Studien u. Mit¬ 
teilung. 7. Jahrg. 1916 S. 633.) 

181. Rosenfeld: Zwei notwendige Änderungen im—Strafrecht. (Strafrechtszeit., 
Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 162.) 

182. Polligkeit, W.': Frage d. Freizügigkeit vom Standpunkt d. —fürsorge. 
(Zentralblatt f. Vormundschaftswesen. VIII. 1916. S. 165.) 

Jugendliche (s. auch Kriminal) 

183. Haldy: Psychologie d. Strafanzeige weibl. — r. (Archiv f. Kriminologie. 
1916. Bd. 65. S. 326- 30.) 

184. Guradze, H.: — Schlafgänger in Berlin. (Jugendfürsorge, Die. Mitteil, 
d. deutsch. Zentrale f. Jugendfürsorge. Berlin. XI. 1916. Nr. 9.) 

185. Hellwig, A.: Kriminalität d. —n in Dresden unter d. Einfluß d. Krieges. 
(Annalen d. deutsch. Reiches f. Gesetzgebung, Verwaltung u. Volkswirtschaft 
49. Jahrg. 1916. S. 586-612.) 

186. Rupprecht: Kriegskriminalität d. — n in Bayern. (Zentralblatt f. Vormund¬ 
schaftswesen. VIII. 1916. S. 141.) 

187. Hellwig, A.: Krieg u. Kriminalität d. —n. (Rundschau, Österreich. 1916. 
Bd. 49. S. 211—21.) 

188. Moll, N.: Kriminelle Jugend (Pharus, Katholische Monatsschrift. 1916. 
S. 775-90.) 

189. Hellwig, A.: Kritisch, z. Kriegskriminalität d. —n. (Grenzboten, Die. 
Berlin. 1916. Nr. 11.) 

190. Korn: Krieg u. Kriminalität d. —n. (Recht, Das. 1916. S. 154.) 

191. O. A.: Kriminalität d. —n währ. d. Krieges. (Schulwochenblatt, Württem- 
bergisches. 1916. S. 127. Wüterich: S. 134.) 

192. v. Liszt: Krieg u. Kriminalität der —n. (Zeitschrift f. die gesamte Straf¬ 
rechtswissenschaft. 1916. Bd. 36. S. 496-516.) 

193. O. A.: Maßnahmen geg. die Verwahrlos. —r, Niederösterreich, Steiermark, 
Tirol. S. 150. 

do. Oberösterreich. S. 217. 

do. Salzburg, Kärnten, Krain, Küstenland u. Tirol. S. 276. (Rundschau, 
Soziale. Wien. 17. Jahrg. 1916.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


241 


194. Mende, K.: Maßnahmen geg. die Verwahrlos. —r. (Jugendfürsorge, Die. 
Mitteil. d. deutsch. Zentrale f. Jugendfürsorge. Berlin. XI. 1916. Nr. 4/5.) 

Jugendgericht 

195. Nagler, J.: Künftig. —sges. (Rechtsgang. Stuttgart. III. 1916. S. 33 - 92.) 

196. Liszt, E. v.; Leyen, R. v. d.: Zusammenarbeit zwisch. Jugendstraf kämm, 
d. kgl. Landesgerichts u. d. Berlin. —shilfe. (Jugendfürsorge, Die. Mitteil, 
d. deutsch. Zentrale f. Jugendfürsorge Berlin. XL 1916. Nr. 6.) 

197. Lucas, S.: —s-Hilfe. (Frau, Die deutsche. 1916. Nr. 47.) 

Jugendschriften (s. auch Nr. 166) 

198. Meyer, Karl Jul.: Stellung d. Vorortausschuss. Hamburg d. Vereinig, 
deutsch. Prüfungsausschüsse f. — im Kampfe geg. Schundliteratur durch d. 
Krieg. (Hochwacht. Monatsschr. z. Bekämpfung d. Schundes. VI. 1916. 
S. 187-93.) 

Justiz 

199. Bovensiepen: Deutsche Reichs—Statistik. 1914. (Richterzeitung, Deutsche. 
Hannover. 8. Jahrg. 1916. S. 574. — Vierteljahrshefte zur Statistik des Deut¬ 
schen Reichs. 25. Jahrg. 1916. 1. Heft. S. 91—97.) 

200. Wilke-Jänlg: —zauber. (Natur u. Gesellschaft. Berlin. III. 1916. S. 150—57.) 


Kettendelikte 


201. Schaeffer: — u. Strafprozeßordnung. 
III. 1916. S. 401.) 


(Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. 

Kinematograph 


202. Strafelia, Fr. G.: Verwertung der —en in der Wissenschaft. (Archiv f. 
Kriminologie. 1916. Bd. 67. S. 67.) 

203. Stein, O. Th.: Bewegungslichtbilderei als modern. Forschungsmittel. (Kos¬ 
mos: 1916. S. 39.) 

204. Thieme, B.: Technik der —ie im naturwiss. Unterricht. (Monatshefte f. d. 
naturwiss. Unterricht. 1916. S. 311—15.) 

205. Lassally, A.: Techn. Film (Umschau, Die. 1916. S. 585.) 


Kriegsauszeichnung 

206. Boas, K.: —en, Unberechtigt Anleg. von, besond. im Verein mit and. 
forensisch. Komplikat. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 67. S. 103.) 


Kriminal (s. auch Jugend) 

207. Lenz; Haber, L.: Denkschrift üb. die Errichtung —ist. Institute. (Straf¬ 
rechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 207.) 

Lindenau; v. Liszt; Straßmann: 1./2. Heft. Beil., S. 97—104. 

208. Hoegel: —Statist. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 3—9.» 

209. Hellwig, A.: Krieg u. —Wissenschaft. (Zeitschrift f. die gesamte Straf¬ 
rechtswissenschaft. 1916. Bd. 36. S. 465.) 

210. Zürcher, E.: —Statist, in d. Schweiz. (Zeitschrift, Schweiz., f. Strafrecht. 
28. Jahrg. S. 342.) 

211. Lenz, A.: —ist. Institut. (Zeitschrift, Schweiz., f. Strafrecht. 29. Jahrg. 
1916. S. 95-103.) 

212. O. A.: —pädag. Instit. in Budapest—Elisabethdorf. (Zeitschrift f. angew. 
Psychol. XII. 1916. S. 110.) 

213. Bächtold, H.: —ist. Volkskunde. (Volkskunde, Schweizer. 6. Jahrg. 1916. 
S. 17-20.) 

214. Hellwig:—ität der Jugendl. u. der Krieg. (Universum. 32.Jahrg. 1916. Nr.27.) 

215. Böckel, F.: —gesch (Monatsschr. f. Kriminalpsychol. u. Strafrechtsreform. 
11. Jahrg. 1916. S. 503—12.) 

216. Hurwicz, E.: —stat. Probleme. (Monatsschr. f. Kriminalpsychol. u. Straf¬ 
rechtsreform. 11. Jahrg. 1916. S. 513—29.) 

217. Meyer v. Schauensee, P.: —fall Wütschert, dargestellt im Lichte d. Straf¬ 
rechtsreform u. der Lehre von d. moral insanity. (Monatsschrift f. Kriminal¬ 
psychol. u. Strafrechtsreform. XI. Jahrg. 1916. S. 489—503.) 

218. O. A.: Institut f. —pädagogik. [Budapest, Jugendfürsorge.] (Lehrerzeitung, 
Leipziger. 23. Jahrg. 1916. Nr. 6.) 



242 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


219. Walter: Resultate d. engl.—reform. »Kultur, Soziale. 1916. S. 236.) 

220. Schulzt: 10 Jahre -statist. (Kultur, Soziale. 1916. S. 233.) 

221. O. A.: Neues —pädagog. Institut. (Jugendfürsorge, Die. MitteiJ. d. deutsche 
Zentrale f. Jugendfürsorge. Berlin. XL 1916. 5. 9.) 

222. Knapp, H.: Übersiebnen d. schädl. Leute. (Archiv f. Strafrecht u. Straf¬ 
prozeß. 1916. Bd. 62. S. 297-305.) 

223. Höpler, E. Ritter v.: —istische Mitteilungen. Archiv f. Kriminologie. 1916 
Bd. 66. S. 29-41.) 

224. Höpler, E. v.:.—ist. Mitteilungen. (Archiv f Kriminologie. 1916. Bd. 67. 

S. 108-13.) 

225. O. A.: Zunahme d. —ität d. Jugendlichen während d. Krieges. (Gesetz u. 
Recht. 17. Jahrg. 1916. S. 11.) 

226. O. A.: —ist. Universitätsinstitut in Graz. (Der Gerichtssal. 1916. Bd. 84, 
85. S. 121.) 

227. Schmidt, C.: Krieg u. —ität. (Deutsch-Evangelisch. Monatsbl. f. Prote¬ 
stantismus. VII 1916. S. 401—7.) 

228. Mayr, G. v.: —ist. Probl. (Archiv, Allgemeines statistisches. 1916, IX, 2—4. 
S. 465-501.) 

229. Bächtoid, H.:—ist. Volkskunde. (Helvetia, Bern. 35. Jahrg. 1916. S. 334.) 

230. Hellwig, A.: Volkskund.—istik. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd.67. S.123.) 

231. Karman, E. v.: —pädagog. Institut. ([Kinderfehler, Die.) Jetzt: Zeitschrift f. 
Kinderforschung. 21. Jahrg. 1916. S. 359—403.) 

232. Moede, W.: — psychol. Umschau. (Kosmos. 1916. ’S. 283.) 

233. Eulenburg. A.: —psychol. u. Strafrechtsreform. (Sammelref.) (Klinik, 
Medizin. 1916. S. 881.) 

234. Bovensiepen: —ität im Deutschen Reiche 1913. (Richterzeit., Deutsche. 
Hannover. 8. Jahrg. 1916. S. 562.) 

235. Schneickert, H.: —ist. Spurensicherung. (Zeitschrift f. die gesamte Straf¬ 
rechtswissenschaft. 1916. ßd. 38. S. 46—50.) 

236. Hauser, E.: Individualpsychol. u. —polit. (Zeitschrift f. Individualpsycho¬ 
logie. München. I. E. Reinhardt, München. 1916. S. 174—85.) 

237. Anuschat, E.: „Erkennungsmarkenhalter“ f.—beamte. (Strafrechtszeitung, 
Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 399.) 

238. Lindenberg: Niederländ. —Statist, f. 1914. (Strafrechtszeitung, Deutsche. 
Berlin. III. 1916. S. 470.) 

Leiche 

239. Lindenau: Ermittelungsgang b. Auffinden zerstückelt. —n. (Strafrechts- . 
zeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 311.) 

240. Photakis, B : Bestimmung d. Lebensalters an Kinder—n auf Grund der 
Histologie d. Nebennieren. (Vierteljahrsschrift f. gerichtl. Medizin u. öffentl. 
Sanitätswesen. III. Folge. 1916. Bd. 51. S. 48—53.) 

241. Horch: Z. Maes: Identifizierung v. zerstückelten — nteilen d. Kontorburschen 
Müller. (Archiv f. Kriminologie. 1916. S. 165.) 

242. Hellwig, A.: —nteile als Talismane. (Sachverständigenzeitung, Ärztliche. 

•22. Jahrg. 1916. S. 16.) .. J 

Mord 

243. Reukauff, H.: —e u. Mörder. (Wochenschrift, Psychiatrisch-neurologische. 
1916. S. 27, 55-62, 67-73, 81-87.) 

244. Doerr, Fr.: Doppelkindes—. (Archiv f. Kriminologie. 1916. S. 148.) 

245. Reukauff, H.: —e u. Mörder (Wochenschrift, Psychiatrisch-neurologische. 
18. Jahrg. 1916. S. 95, 104-11, 131 ff.) 

246. Straßmann, P.: Neue Erfahrung, über Familien— in gerichtl.-psychiatr. 
Bezieh. (Vierteljahrsschrift f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen. 
III. Folge. 1916. Bd. 51. S. 54-68) 

247. Amschi, A.: —unters, ohne Leiche. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 66. 

S. 161.) * 

248. Altmann, L.: —Untersuchung ohne Leiche. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 


249. Schöttle, G.:—Verbrecheralbum. (Zeitschrift, Numismatische. Wien, Manz 
1916. N. F. IX. Bd. 49. S. 117-48.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 243 


Neurose 

250. v. Olshausen: Jurist, z. Prozeß —. (Klinik, Mediz. 1916. S. 30.) 

Ödland 

251. Wense. H. v. d : Verwend von Strafgefangenen in d. —kultur. (Zeitung, 
III. landw., Organ d. Bund. d. Landw. 1916. S. 455.) 

Paralyse 

252. Bendixsohn, H.: —diagn. b. psychopath. veranlagt. Verbrechern. (Monats¬ 
schrift f. Psychiatrie u. Neurologie. 1916. Bd. 39. S. 104 - 26.) 

Phonographisch 

253. Haber, L.: —e Aufnahm, im Untersuchungsverfahr. (Blätter, Juristische. 
1916. S. 170, 183, 193.) 

Photogrammetrie 

254. Sbhneickert, H.: Vereinfachte—. (Chronik, Photogr. Halle. 1916. S 313. 

255. Köettig: — im Dienste d. Kriminalpolizei. [System Dr. Heindl.] (Straf¬ 
rechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. .206.) 

256. Dokulil, Th.: Dr. Fr. Eichbergs Apparate f. photogrammetr. Tatbestands¬ 
aufnahmen. (Zeitschrift f. Feinmechanik. 24. Jahrg. 1916. S. 61, 72, 84.) 

257. Dokulil, Th.: Dr. Eichbergs Kamera f. photogrammetr. Tatbestandsauf¬ 
nahmen. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 66 S 87-93.) 

258. Heindl, R.: — ohne Spezialkamera. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 65. 
S. 1—32.) 

Photographie 

259. Würschmidt, J.: —ren m.d.Lochkamera. (Wochenschrift, Deutsche optische. 
Verl.: Ehrlich, Berlin W 35. Jahrg. 1915/16. Nr. 1-32. S. 247.) 

260. Hansen, Fr.: Wie photographiert man Maschinen? (Werkzeugmaschine. 
1916. S. 117.) 

261. O. A.: Beachtenswert. Hilfsapparate f. Forscher, Ingenieure u. Gelehrte. 
(Photogr. Appar. Famulus.] (Umschau, Die. 1916. S. 128.) 

262. Wurm-Reithmayer: Zweckmäß. Zusammenstell, e. Ausrüst. f. Personen- 
aufnahm. (Rundschau, Photogr. 1916. S. 66.) 

263. Bencke, A.: Mikro—. (Photographenzeitg. 1916. S 199.) 

264. Preiß, C.: Blitzlicht-. (Photographenzeitg. 1916. S. 82.) 

265. Karpinsky, W.: Bestimm, u. graph. Darstell. d. höchstzulässig. Belichtungs¬ 
zeit bei Momentaufnahmen. (Photographenzeit. 1916. S. 47, 59.) 

266. Irmenbach, E.: Schnellaufnahmen d. Fachwelt. (Photographenzeitg. 1916. 
S. 27, 41.) 

267. Grainer.Fr.: Ähnlichk. in d. Bildnis—. (Kunst, Photographische. München, 
Süddeutsche V.-A. 1916. S. 2, 25.) 

268. Günther, H.‘: — im Dienste d. Ballistik. (Jägerzeit., Deutsche. Neudamm. 
1916. Bd. 67. S. 265-69, 301-4.. 

269. Hann eke, P.: Stand d. Farben—. (Chronik, Photogr. Halle. 1916. S. 97.) 

270. Hansen, K.: Einfache Apparatur f. Mikro-. (Chronik, Photograph. Halle. 
1916. S. 89) 

271. Betsch, R.: Ballist. —. (Bergstadt, Die. Breslau. 4. Jahrg. 1S16. März. 
S. 480 -94.) 

272. Frank, M.: Gründl. Erforsch, d. Quellen von Mißerfolgen in d. photograph. 
Technik. (Apothekerzeit., Schweizer. 54. Jahrg. 1916. S. 98.) 

273. Frey, O.: Auskunftstelle f. — u. Projektion. (Arbeit, Schaffende, u. Kunst 
in d. Schule. Prag. 4. Jahrg. 1916. S. 306.) 

274. Block, W.: — in Wissensch. u. Leben.' (Allgemeine Zeitung, München. 
1916. S. 159, 176, 187, 199.) 

275. Linck,E.: Nachtaufnahmen. (Camera-Almanach, Deutsch. Berlin. 9. Jahrg. 
.1916. S. 81-88.) 

276. Wolf-Czapek, K. W.: Münchner Lehranstalt u. ihre Wirkung. (Camera- 
Almanach, Deutsch. Berlin. 9. Jahrg. 1916. S. 177—86.) 

277. Hoppe-Seyler, G.: Einfach., leicht transportabl. Apparat f. photograph. 

Aufnahm, an d. Sektionstisch. (Centralblatt f. allgem. Pathologie u. patholog. 
Anatomie. 27. Jahrg. 1916. S. 294.) i 



244 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


278. Wolff, P.: Photograph. Nachtaufnahm. (Kosmos. 1916. S. 120.) 

279. Warstat, W.: Ähnlichkeit im photograph. Bildnis. (Kunst u. Dekoration, 
Deutsche. 1916. Bd. 38, 39. S. 171.) 

280. Bencke, A.: Mikro—. (Photographenzeitg. 1916. S. 205 —8.) 

281. Hoßfeld.L.: —ren von Siegelzylindern. (Rundschau, Photogr. 1916. S. 141.) 

282. Heindl, R.: — im Dienste d. Kriminalpolizei. (Über Lana u. Meer. 1916. 
S. 138.) 

283. Hachstetter, F.: —ren klein. Objekte bei schwach. Vergrößer. in auffall, 
u. durchfall. Lichte. (Verhandlung, der k. zoolog.-botan. Gesellschaft in Wien. 
66 Jahrg. 1916. S. 71.) 

284. Mente, O.: Verbesserung, in d. Palimpsest— u. Ergänzungsverfahr. (Zeit¬ 
schrift f. Reproduktionstechnik. 1916.- S. 66 ) 

285. Schneickert: Ist die — d. flüchtig. Täters e. Beweismittel u. unterliegt sie 
d. Beschlagnahme? (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 475.) 

Polizei (s. auch Haftung) 

286. Schwandner: —stunde vor, in u. nach d. Kriege. (Alkoholfrage. 12. Jahrg. 
1916. S. 97-105.) 

287. Koettig: Bemerkenswert, aus d. Jahresber. d. Kgl. —direkt. Dresden. (Straf¬ 
rechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 11/—23.) 

288. Wilz, L.: 3 —Verordnung, früh. Zeit üb. einfach. Lebenshalt. (Frankenland. 

R. : H. Walter, Dettelbach a. M. 3. Jahrg. 1916. S. 2-20.) 

289. Blei, F.: — u. Sprache. (Blei, Frz.: Menschl. Betracht, zur Politik. 1916.) 
290; Zahn,F.: Aufgab. u. Leistung, d. —statist. (Archiv, Allgem. statistisch. IX. 2. 

1916. S. 364-96.) 

291. Lotz: Städt. od. staatl. —. (Recht u. Wirtschaft. 5. Jahrg. 1916. S. 66.) 

292. Badtke, W.: — im J. 1912. (Jahrbuch, Statistisch., deutsch. Städte. 21. Jahrg. 
1916. S. 233-49.) 

293. Hellwig, A.: Ein angeblicher —hunderfolg. — Archiv für Kriminologie. 
1916. Bd. 65. Hft. 3, 4. 

294. v. Buchka: Geschichtl. Entwickl. d. Staatsaufsicht üb. die —Verwaltung d. 
Städte in Preußen. (Verwaltungsblatt, Preuß. 37. Jahrg. 1916. S. 4227) 

295. Lindenau: Deutsch-österr.-ung. —annäherung. (Verwaltungsblatt, Preuß. 
37. Jahrg. 1916. S. 713.) 

Prostitution (s. auch Geschlechtskrankheiten) 

296. O. A.; Krieg u. —. (Zeitschrift d. deutsch-evang. Vereins z. Förderung d. 
Sittlichkeit. 30. Jahrg. 1916. S. 20.) 

297. Pappritz, A.: Welche Maßregeln könn. wir Abolitionist. an Stelle d. Regle¬ 
mentierung d. — z. Schutze d. Volksgesundheit u. Volkssittlichk. Vorschlag. ? 
(Zeitschrift f. Bekämpf, d. Geschlechtskrankheit. 1916. Bd. 16. S. 364— 84. 
Nachwort: A. Blaschko. S. 385.) 

298. Blaschko: Reform d. Prostituiertenüberwach. (Strafrechtszelt., Deutsche. 
Berlin. III. 1916. S. 43.) 

299. Schlenzka, A.: Bekämpfung d. Geschlechtskrankh. u. —. (Zeitschrift f. 
Bekämpfung d. Geschlechtskrankh. 1916. Bd. 17. S. 227—36.) 

300. Pappritz, A.: Früh. Polizeiarzt geg. die Reglementierung. (Abolitionist, 
Der. 1915. S. 9.) 

301. Scheven, K.: Bekämpf, d. — u. der Geschlechtskrankheit, in u. nach d. 
Kriege. (Frauenfrage. Zentralbl. d. Bund, deutsch. Frauenvereine. 18. Jahrg. 
1916. S. 2.) 

302. Block, J.: Zur Lösung d.. — sfrage. (Frauenfrage. Zentralbl. d. Bundes 
deutsch. Frauenvereine. 18. Jahrg. 1916. S. 57.) 

303. Rupprecht: — jugendl. Mädchen in München 1915. (Volkswart, Köln. 
1916. S. 26. — Zentralblatt f. Vormundschaftswesen. 8. Jahrg. S. 28.) 

304. Fürth, H.: Reglementierung d. —. (Wort, Das freie. 16. Jahrg. 1916. 

S. 474.) 

305. O. A.: Eingabe d. Heidelberg. Ver. z. Hebung d. Sittlichkeit an d. Militär¬ 
behörde, Beseitigung d. Bordells Schwetzinger Str. betr. (Abolitionist, Der. 
1916. S. 62.) 

306. O. A.: öffentl. — in Rangoon. (Abolitionist, Der. 1916. 'S. 72, 81, 87.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


245 


307. O. A.: Schmöldersche Vorschläge I. Neuregel, d. —sfrage. (Abolitionist, 
Der. 1916. S. 83-87.) 

308. Scheven, K.: Neue Vorschläge z. Lösung d. Reglementierungs— u. Bordell- 
frage. (Frauenfrage. Zentralbl. d. Bund, deutsch. Frauenvereine. 18. Jahrg. 
1916. S. 169.) 

309. Giith: —spolitik n. d. Kriege. (Vierteljahrsschrift, Deutsche, f. öffentl. Ge¬ 
sundheitspflege; Forts.: öffentl. Gesundheitspflege. I. 1916. S. 257—82.) 

310. Rupprecht: — jugendl. Mädchen in München 1915. (Wochenschrift, 
Münchner medizinische. 63. Jahrg. 1916. Nr. 32 ff.) 

311. Fabry, J.: Reglementierung, Kasernierung u. Behandl. d. — in Dortmund. 
jZeitschrift f. Bekämpf, d. GeschlechtskranKheit. 1916. Bd. 17. S. 159—82.) 

312. Blaschko, A.: Vorschläge z. Neuregel, d. —swesens. (Zeitschrift f. Bekämpf, 
d. Geschlechtskrankheit. 1916. Bd. 17. S. 183—92.) 

313. Neißer, A.: Neo-Reglementarismus u. Neo-Abolitionismus. (Zeitschrift f. 
Bekämpf, d. Geschlechtskrankheit 1916. Bd. 17. S 193 - 98.) 

314. Ulitzsch, E.: Seemann u.—. (Zeitschrift f.Sexualwissenschaft. 111. Bonn, 
Marcus & Weber. 1916. S. 89-92, 132-36.) 

315. O. A.: Bremer System. (Zeitschrift d. deutsch-ev. Vereins z. Förderung d. 
Sittlichkeit. 30. Jahrg. 1916. S. 31, 33.) — S. auch Tuberkulose! 

Psychologie 

316. Wreschner, A.: Bedeut, d. — f. d. Untersuchungsbeamten. (Juristenzeiti, 
Schweizer. 12. Jahrg. 1916. S. 209—15.) 

317. Marbe: Bedeut, d. — f. d. Rechtswissenschaft. (Juristenzeit., Deutsche. 
1916. S. 302.) 

318. Petersen, P.: Bericht über psychologische Literatur 1915. (Zeitschrift für 
Philosophie u. philosophische Kritik. 1916. Bd. 161. S. 83—115.) 

319. Kammei, W.: — als Hilfswissenschaft im techn. Betrieb^ (Österreich, Das 
neue. Monatsschr. Wien I. Hegelg. [Braumüller.] 1916. April, S. 38—43, 
Mai, S. 43-48.) 

Psychopath (s. auch Simulation) 

320. Bittinger: — u. Ästhetin. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 66. S. 132—46. 

321. Major, G.: Bedürfn. d. —en e. besond. Erziehung? (Zeitschrift f. Psycho¬ 
therapie u. med. Psychologie. VI. 1916. S. 328—42.) 

Psychopathologie 

322. Wendenburg, K.: Gerichtl. —, (Zeitschrift, Allgem., f. Psychiatrie u. 
psychisch-gerichtl. Medizin. 1916. Bd. 72.) 

323. Raecke: Kenntn. u. gerichtsärztl. Beurteil, psychopath. Zustände. (Sach¬ 
verständigenzeitung, Ärztliche. 22. Jahrg. 1916. S. 253—59.) 

Psychose 

324. v. Pfungen: Methode d. Mess. d. Widerstand, v. Hand zu Hand durch d. 
Körper bei —. (Wochenschrift, Wiener mediz. 66. Jahrg. 1916. Nr. 35.) 

325. Bresler: H. Bickels Untersuchung, über d. wechselseit. Beziehung, zwisch. 
psychol. Geschehen u. Blutkreislauf mit besond. Berücksicht, d. —n. (Wochen¬ 
schrift, Psychiatrisch-neurologische. 18. Jahrg. 1916. S. 115—20.) 


326. Koehne: Vom — s-u. Polizeibegriff. 
1916. S. 437.) 


Recht 

(Gemeindezeitung, Deutsche. Berlin. 
Reproduktion (siehe Bild) 


Ronci&re 

327. Horch: Prozeß des Leutnants de la —. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
Bd. 66. S. 193-225.) 

Schädel 

328. O. A.: Fehlende Erinnerung d. Verletzt, für e. —schuß. Verkannt. Mord¬ 
versuch. (Wochenschrift, Deutsche medizinische. 42. Jahrg. 1916. S. 1351.) 

329. Thiemann, H.; Bauer, H.: —schüsse im Röntgenbild. (Fortschritte auf 
d. Gebiete d. Röntgenstrahlen. 1916. Bd. 24. S. 491—95.) 

Archiv für Kriminologie, 71. Band. 


17 



246 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


Schundliteratur (s. auch Jugendschriften, Verbrechen) 

-330. Brunner, K.: Kampf geg.d. — im Kriege. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. 

III. 1916. S. 137-41.) 

-331. Beyel, C.: Der Schweiz. Bund geg. d. unsittl. Literatur [deutsch Zweigl. 
(Zeitschrift, Schweizer., f. Gemeinnützigkeit. Zentralsekret. Zürich 6, Volk- 
marstr. 9 [Gebr. Leemann, Zürich). 1916. S. 161—77.) 

332. Will, C.: — u. ihre Bekämpf. (Vortrupp, Der. 5. Jahrg. 1916. S.368—74.) 

333. O. A.: Verordnung, des Generalkommandos geg. — u. Schmutz im Reichstag. 
(Volkswart, Köln. 1916. S. 75.1 

334. O. A : Immer wieder: —. (Lehrerzeit., Leipziger. 23. Jahrg. 1916. Nr. 15.) 

335. O. A.: Geg. —Kriegsbücher. ([Kunstwart, Der.) Von Okt. 1915 ab: Deut¬ 
scher Wille. 29. Jahrg. 1916, Febr. S. 166) 

336. Hauert, B.: Waffen im Kampf geg. d. —. (Philologenblatt, Deutsch. [Früher: 
Korrespondenzblatt f. d. akadem. gebild. Lehrerstand.] 1916. S. 269.) 

337. O. A.: Bekämpf, d. — durch Generalkommandos. (Jugendschriftenwarte. 
1916. S. 11.) 

•338. Brunckhorst, H.: Ästhetisches bei d. —kritik. (Jugendschriftenwarte. 
1916. S. 8.) 

•339. O. A.: Eine pädagog. Tat [—Erlaß d. Generalkommandos]. (Jugendschriften¬ 
warte. 1916. S. 1.) 

-340. Brunner, K.: Kampf geg. d. — im Kriege. (Hochwacht Monatsschrift z. 
Bekämpf, d. Schundes VI. 1916. S. 155.) 

341. Wittig, K.: —buch u. -kino im Urteil jugendl. Gefangener. (Bahnen, Neue. 
Monatsschr. f. wissenschaftl. u.prakt.Pädagogik. 27. Jahrg. 1916. S. 158—71.) 

342. Hellwig, A.; — als Verbrechensanreiz. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
Bd. 66: S. 127.) 

343. Hauert, B.: Kampf geg. d. Kriegs—. (Blätter, Akadem. 31. Jahrg. 1916. 
S. 150.) 

344. O. A.: Verbotene —. (Börsenblatt f. d. deutsch. Buchhandel. 1916. 9./8.) 

345. Gebhardt, F.: Kapitel z. —in d. Tageszeitung. (Hochwacht. Monatsschr. 
z. Bekämpf, d. Schundes. 1916. VII. S. 13.) 

346. Kochen, J.: Lesen uns. Jünglinge Schundlektüre? (Jugendführ. Düssel¬ 
dorf. 3. Jahrg. 1916. S. 152.) 

347. Hammelrath: Frage d. Schundlektüre. (Jugendführ. Düsseldorf. 3. Jahrg. 
1916. S. 188.) 

348. O. A.: Schundschriftenbekämpf. im rhein.-westf. Industriebezirk. (Jugend¬ 
führ. Düsseldorf. 3. Jahrg. 1916. S. 382—92.) 

349. Hassenpflug, G.: Kann d. — durch d. stellvertret. Generalkommando aus- 
schließl. nach d. Berlin. Liste m. durchschlag. Erfolg bekämpft werden? 
(Jugendschriften-Warte. 1916. S. 29.) 

350. Murawski, F.: Von d. Arbeit geg. d. Kriegsschund. (Jugendschriften- 
Warte. 1916. S. 45.) 

351. Hassenpflug, G.: Bekämpf, d. — durch d. stellvertret. Generalkommandos. 
(Jugendschriften-Warte. 1916. S. 21—25 —Lehrerzeit., Leipzig. 23. Jahrg. 
1916. Beil. 21.) 

352. Samuleit, P.: Kriegs--. (Land, Das. 25. Jahrg. 1916. S. 76.) 

353. O. A.: Verbot d. — in Sachsen. (Lehrerzeit., Leipzig. 23. Jahrg. 1916. Nr. 27.) 

354. Tessendorff, W.: Kampf geg. d. Kriegs-—. (Praxis d. Landschule. Goslar. 
25. Jahrg. 1916. S. 83-91.) 

355. Hildebrandt, G. O.: Mod. Volksseuche [Kriegs—]. (Reformation, Die. 
1916. Nr. 38.) 

356. O. A.: Gegen d. Kriegsschund. (Rundschau, Pädagog. Wien. 30. Jahrg. 
1916. S. 214—18.) 

257. Süersen, E.: Stell, d. Militär- u. Zivilbehörden z. —. (Volksbildungsarchiv. 

IV. 1916. S. 209-25.) 

358. O. A.: —. (Volksbücherei in Oberschlesien. [Priebatsch, Breslau.] 10. Jahrg. 
1916. S. 74.) 

359. O. A. -. Eingabe d. Verband, d. Männervereine z. Bekämpf, d. öffentl. Unsitt. 
lichkeit betr. Bekämpf, d. Schund- u. Schmutzliteratur. (Volkswart, Köln. 
1916. S. 129.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


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Schufi 

360. Anuschat, E.: —Waffe in d. Hand d. Polizeibeamt. (Archiv f. Strafrecht 
u. Strafprozeß. 1916. Bd. 63. S. 1—31.) 

Schwangerschaft 

361. Boas, K.: Forens. Beurteil, von vermeintl. Schwangeren. (Archiv f. Krimino¬ 
logie. 1916. Bd. 66. S. 42-58.) 

362. Ktistner, O.: Pathologie d. —. (Handbuch d. Geburtshilfe. II. Bergmann. 
Wiesbaden. 1916. S. 3-136.) 

Seele 

363. Halbey, K.: — nstörungen u. ihre Beziehung, z. gerichtl. Psychiatrie. 
(Klinik, Mediz. 1916. S. l'28, 153.) 

Selbstentzündung 

364. Winter, A.: — u. Verderbnis feuchtlagernd. Ware. (Färberzeitung, Deutsche. 
52. Jahre. 1916. S. 179.) 

365. Beck, W.: Gefahr., Die, in d. Landwirtsch. (Zeitschrift, Feuerwehrtechnische. 
IV. 1916. S. 157. — Zeitschrift, Sächs. landwirtsch. Dresden. 1916. S. 571 .> 

366. Tamm: — von Häcksel. (Deutsche landwirtschaftl. Presse. 1916. S. 752.) 


Selbstmord (s. auch Unfall) 

367. Dörschlag: —versuch durch Verschluck, von Fremdkörp. (Wochenschrift,. 
Deutsche medizinische. 42. Jahrg. 1916. Nr. 35.) 

368. Lipschitz, J.: — durch Erdrosseln. (Amtsarzt, Der. Wien. VIII. [Deu- 
ticke.] 1916. S. 194 -98.) 

369. Schultz, J. H : Heterosuggestion u. hysterisch. Suizid. (Zeitschrift f. Psycho- 
therap. u. mediz. Psychologie. VI. 1916 S. 324.) 

370. Placzek: Die Selbstmörderpsyche. (Zeitschrift f. Psychotherap. u. mediz. 
Psychologie. VI. 1916. S. 299 —310.) 

371. Böhler: — durch Resekt. d. Querkolons. (Wochenschrift, Wiener klinische. 
29. Jahrg. 1916. S. 257.) 

372. O. A.: Art, Gründe u. Zeit d. —e in Preußen 1913. (Korrespondenz, Stati¬ 
stische. Jahrg. 1915. LXXXII1. [Beiblatt zu: Zeitschrift d. kgl. preußisch, 
statistisch. Landesamtes. 55. Jahrg. 1915.]) 

373. Kötzschke, W.: Kirchengesetzl. Bestimmung, üb. Selbstmörderbegräbnisse. 
(Kirchenblatt, Neues sächsisches. 1916. Nr. 11.) 

374. O. A.: —versuch u. Invalidenrente. (Centralblatt d. Reichsversicherung. 
12. Jahrg. 1916. S. 350.) 

375. Fröhlich, J.: — unter Verwend. von Dum-Dum-Geschossen. (Amtsarzt, 
Der. Wien. VII. |Deuticke.] 1916. S. 115.) 


Selbstverdächtigung 

376. Ludwig, C.: Fall wissend, unwahr. (Archiv, f. Kriminologie. 1916. 

Bd. 65. S. 301—11.) 

Simulation 

377. Strafella, Fr. G.: — von Taubst, u. Schwerhörigk. (Archiv f. Krimino¬ 
logie. 1916. Bd. 67. S. 71.) 

378. Engelen, Rangette: —, Nachweis von, durch Assoziationsexperiment. 
(Sachverständigenzeit., Ärztliche. 22. Jahrg. 1916. S. 37.) 

379. Hoppe. H.: — e. Psychopathen. (Vierteljahrsschrift f. gerichtl. Medizin u. 
öffentl. Sanitätswesen. III. F. 1916. Bd. 51. S. 69—78.) 

380. Goldmann, R : Methode z. Entlarv, d. — von Schwerhörigk. od. Taubh. 
(Beilage z. Wiener medizin. Wochenschr.: Militärarzt. 50 Jahrg. 1916. S. 118.) 

381. Majewski, K.: Entlarv, d. —. (Blätter, Medizinische. 38. Jahrg. 1916. 
S. 252. [Identisch mit »Centralblatt, Med.-chirurg.“ 49. Jahrg.]) 

382. Voß, G.: — b. Soldat. (Wochenschrift, Deutsche medizinische. 42. Jahrg. 
1916. S. 1476.) 

383. Serog: Zwei Fälle v. krankhaft. Selbstbezichtig, d. —. (Klinik, Medizin. 
1916. S. 1100.) 


17* 



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Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


384. Birnbaum, K.: Zur — geistig. Störungen. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
Bd. 66. S. 71-79.» 

Sittenpolizei (s. auch Brüssel) 

385. Lindenau: Neuerung, bei d. Berlin. —. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. 
III. 1916 S. 157.) 


Sittlich 


386. Pappritz, A.:—keitsbeweg. (Jahrb. d. Frauenbeweg. Leipzig. Jahrg. 1913. 
S. 138 - 48.) 

387. Mahling: Gegenwärt. Stand d. —keitsfrage. ([Monatsschrift.] Jetzt: Viertel¬ 
jahrsschrift f. innere Mission. 1916. S. 3—123.) 

388. Schnitzler: Unbeachtete Quellen d. sittlich. Gefährdung. (Monatsblätter, 
akadem.Organ d. Verbandes d. kathol. Studentenvereine. 28. Jahrg. 1916.S. 106.) 

389. Horch: Erweiter. d. Str.G.B. in Bezieh, auf - keitsdelikte. (Archiv f. Krimino¬ 
logie. 1916. Bd. 67. S. 127-32.) 

390. Schneickert, H.: Körperl. Untersuch, z. Nachweis v. — keitsverbrech. (Zeit¬ 
schrift f. Sexualwissenschaft. III. Bonn, Marcus & Weber. 1916. S. 223—26.) 


Straf 


391. Alsberg, M.: Vernehmungs-u. Fragerecht d. Parteien im —prozeß. (Archiv 
f. Strafrecht u. Strafprozeß. 1916. Bd. 63. S. 99—108.) 

392. Köhler, J.: —recht u. Völkerrecht. (Archiv f. Strafrecht u. Strafprozeß. 
1916. Bd. 63. S. 354-72.) 

393. Haber, L.: Weged. mitteleurop.—rechtsgemeinschaft. (Gerichtshalle. Wien. 
60. Jahrg. 1916. S. 580.) 

394. Eckstein. E.: Wiederaufnahme d. —verfahr, weg. Anwendbark. e. milder. 
—gesetz. (Gerichtssaal, Der. 1916. S. 107—12.) 

395. Glauning, R.: Gesch. d. —rechtspflege im Kurfürstent. Sachsen währ. d. 
18. Jahrh. (Archiv, Neues, f. sächs. Geschichte u. Altertumskunde. 1916. 
Bd. 37. ' S. 316-29.) 

396. Sturm, F.:—rechtswissenschaftu.—maß. (Gerichtssaal, Der. 1916. S. 112.) 

397. Bornhak, C.: Vereinfach, d. —prozess. (Gerichtssaal, Der. 1916. S. 115.) 

398. O. A.: Berufungsverfahren in —Sachen. (Gerichtszeit., Allgem. Österreich. 
Wien. 1916. S. 309.) 

399. Becker, H. O.: Ehren—en d. Mittelalters. (Gesetz u. Recht. 17. Jahrg. 
1916. S. 460.) 

400. O. A.: Dringl. Reform d. —rechts. (Gesetz ü. Recht. 17. Jahrg. 1916. S.473.) 

401. Hoege 1: —rechtsannäherung. (Juristenzeitung, Deutsche. 1916. S. 1020.) 

402. Meyer, K.: Zu viele —en. (Juristenzeitung, Deutsche. 1916. S. 1023.) 

403. Freudenthal: —Vollzug nach d. Kriege. (Juristenzeitung, Deutsche. 1916. 
S. 1114.) 

404. Pfenninger, H. F.: Anklagezulass. im modern. —Prozeßrecht. (Juristen¬ 
zeitung, Schweizer. 13. Jahrg. 1916. S. 21—29.) 

405. Cleric, G. F. v.: Dogmat. u. —rechtspflege. (Juristenzeitung, Schweizer. 
13. Jahrg. 1916. S. 61.) 

406. Lilienthal, K. v.: Soziale Aufgaben d. —rechts vor u. nach d. Kriege. 
(Recht, Verwaltung u. Politik im neuen Deutschland, hrsg. v. A. Bozi u. 
H. Heinemann. 1916. S. 105—20.) 

407. Kloß, Lobe, Riß, Statz, Thomsen: Ergänzungsentwurf d. Str.G.B. im 
Sinne d. Verbrechensbekämpf. (Richterzeitung, Deutsche. Hannover. 8. Jahrg. 
1916. S. 217.) 

408. Riß, Fr.: Beruf d. —gerichte z. Verbrechensbekämpf. (Richterzeit., Deutsche. 
Hannover. 8. Jahrg. 1916. S. 423—32.) 

409. Correll: —zumessung. (Richterzeitung, Deutsche. Hannover. 8. Jahrg. 
1916 S. 451.) 

410. Sturm, Fr.: Nationalcharakter u.—prozeß (Richterzeitung, Deutsche. Han¬ 
nover. 8. Jahrg. 1916. S. 565.) 

411. Cerf: Wiederaufhebung erlass, —befehle durch d. Richter ohne Hauptver- 
handlg (Wochenschrift, Jurist. 45. Jahrg. 1916. S. 1523.) 

412. Eichelbaum: Absicht u. verwandte Begriffe im Str.G.B. ((Zeitschrift, Leip¬ 
ziger, f. Handels-, Konkurs- u. Versieh.-Recht.] Jetzt: Leipzig. Zeitschrift f. 
deutsch. Recht. X. 1916 S. 985.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


249 


413. SJrupp, K.: Amtsrichterl. —befehl u. Standrecht. ([Zeitschrift, Leipziger, f. 
Handels-, Konkurs- u. Versich.-Recht.] Jetzt: Leipzig. Zeitschrift f. deutsch. 
Recht X. 1916. S. 1085.) 

414. Ebermayer: —rechtseinh. in österr.-Ungarn u. im Deutsch. Reiche. ([Zeit¬ 
schrift, Leipzig., f. Handels-, Konkurs- u.'Versich.-Recht.] Jetzt: Leipziger 
Zeitschrift f. deutsch. Recht. X. 1916. S. 1393.) 

415. Kahl, W.: —rechtseinh. in Österr.-Ungarn u. im Deutsch. Reiche. (Straf¬ 
rechtszeitung, Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 275—85.) 

416. Binding, K.: Hochflut von Normen u. — gesetz. in d. Kriegsjahren u. die 
angebl. Unentschuldbarkeit d. sog. Rechtsirrtums. ([Zeitschrift, Leipziger, f. 
Handels-, Konkurs- u. Versich.-Recht.] Jetzt: Leipzig. Zeitschrift f. deutsch. 
Recht. 11. Jahrg. 1916. S. 1-16.) 

417. Krauß, J.: „—recht u. —prozeß“ an d. höh. Lehranstalt. (Zeitschrift, Bayr., 
f. Realschulwesen. 1916. S. 174—83.) 

418. Werner, G.: Chambre d’instruct., autorite de contröle de l’informat. pönale. 
(Zeitschrift, Schweiz., f. Strafrecht. 29. Jahrg. 1916. S. 231—58.) 

419. Liszt, F. v.: Einheit!. mitteleurop.—recht. (Zeitschrift f. die gesamte Straf¬ 
rechtswissenschaft. 1916. Bd. 38. S. 1—20.) 

420. Moses, S.: Kriegswirtschafts-—recht u. Staatsanwaltsch. (Zeitschrift f. die 
gesamte Strafrechtswissenschaft. 1916. Bd. 38. S. 78.) 

421. Freudenthal; Rittler: —recht. (Zeitschrift f. die gesamte Strafrechtswissen¬ 
schaft. 1916. Bd. 38. S. 726—34.) 

422. Feisenberger: —recht. (Zeitschrift f. die gesamte Strafrechtswissenschaft. 
1916. Bd. &. S. 734-42.) 

423. Beling, E.: —prozeß. (Zeitschrift f. die gesamte Strafrechtswissenschaft. 
1916. Bd. 38. S. 742-53.) 

424. Schultze, M.: Erläuterung d. §§ 2 u. 4 R.Str.G. (Zeitschrift f. Zollwesen 
u. Reichssteuern. 1916. Ba. 16. S. 193—98.) 

425. Ahlborn: Zur Auslegung u. Durchführ. d. §§ 16 u. 17 R.Str.G. (Zollwarte. 
XI. Berlin. 1916. S. 137.) 

426. Schuntner: Auskunft üb. gelöschte Vor-en. (Zeitschrift f. Rechtspflege 
in Bayern. XII. 1916. S. 224.) 

427. Simon, F.: Kosten bei —antragszurücknahme im Fall d. § 196 R.Str.G.B. 
(Zeitschrift f. Rechtspflege in Bayern. XII. 1916. S. 282.) 

428. Lenz, A.: Völkerrechtl. Vorfragen d. —rechts in Kriegszelten. (Zeitschrift, 
Österr., f. Strafrecht. VII. 1916. S. 181-98.) 

429. Grohmann, H.: Beleidigende Schreibart in Eingaben in —Sachen. (Zeit¬ 
schrift, Österr., f. Strafrecht. VII. 1916. S. 285.) 

430. Zeller, H.: —recht in sein. Beziehung, zur Individual-Psychol. (Zeitschrift 
f. Individualpsychologie. München. I. E. Reinhardt, Münch. 1916. S. 145—56.) 

431. v. Staff: „Viel Mühe um wenig“ [—befehl betr.]. (Strafrechtszeit., Deutsche. 
Berlin. III. 1916. S. 295.) 

432. Klee: „Löschung“ d. —vermerke in d. Praxis d. Hamburg. Polizeibehörde. 
(Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 321.) 

433. Heldmann: Vernehmung d. Beschuldigt. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. 
III. 1916. S. 366-72.) 

434. Neuberg: Blick in alte Zeit. —rechtl. aus d. Kriegsgesetzgeb. von 1813. 
(Strafrechtszeitung, Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 372.) 

435. Koettig: Fassung d. Führungszeugnisse bei —löschung. (Strafrechtszeit., 
Deutsche. Berlin. III. 1916. 5. 394.) 

436. Peschke: —rechtl. Irrtum bei Überschreit, d. Metallhöchstpreise. (Straf¬ 
rechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 404.) 

437. Friedersdorff: —rechtl. Behandl. landesverräterisch. Handlung, n. Kriegs¬ 
gebrauch. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 449.) 

438. Kern, E.: Formelle Grundlag. d. —Vollstreckung. (Strafrechtszeit., Deutsche. 

Berlin. III. 1916. S. 452.) „ 

439. Schaeffer: —befehle in d. Kriegsnotverordnungssach. (Strafrechtszeitung, 
Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 474.) 

440. Bittinger: —liste sollte auch Freisprechung, nach § 51 R.Str.G.B. enthalt. 
(Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. S. 476.) 



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Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


441. Sonnenschein, M.: Heranzieh.’von Unfallsrenten zur Deckung d. Kosten 
d. —verfahr, u. d. —Vollzugs. (Zeitschrift, österr., f. öffentl. u. priv. Ver- 
sicher. VI. 1916. S. 500.) 

Tätowierte 

442. Arning, E.: —n, Kiin. u. histolfog. Beobacht, an. (Archiv f. Dermatologie 
u Syphilis. 1916. Bd. 122. S. 225-41.) 


Tatbestand 


443. Hellwig.A. 
S. 432—38.) 


: —s-Diagnostik, Probleme der. (Gerichtssaal, Der. 1916. Bd. 84. 

Tinte 


444. Kempf, R.. Untersuchung, üb. Eisengallus—n. (Mitteil, aus d. Materials¬ 
prüfungsanstalt zu Lichterfelde. 33. Jahrg. 1916. S. 241—70.) 

445. Mecklenburg, W.: Schwärze von —nflecken auf Papier. (Zeitschrift f. 
Elektrochemie u. angewandte physikai. Chemie. 1916. Bd. 22. S. 23.) 


Tötung 

446. Klee, K.: — Fahrläss., in d. preuß. Praxis 1792—1812. (Archiv f. Strafrecht 
u. Strafprozeß. 1916. Bd. 63. S. 394—455.) 


Tod 

447. Schneider:. Ein Jahr —esursachenstatistik im Regierungsbezirk Arnsberg. 
(Veröffentlichung, auf d. Gebiete d. Medizinalverwalt. V. 1916. S. 433 —511.> 

448. Zsakö, St. Bestimmung d. —eszeit durch d. muskelmechan. Erscheinungen. 
(Wochenschrift, Münchner medizinische. 63. Jahrg. 1916. S. 32.) 

449. O. A.: Abgabe von —esurteilen. (Wochenschrift, Jurist. 45. Jahrg. 1916. 
S. 957•) 

450. Kraehling: —esstrafe in England. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. IIL 
1916. S. 466.) 

451. O. A.: — esfailuntersuchung. d. amerikan. Versicherungs-Gesellschaften. (Ver¬ 
sicherungszeitschrift, Wallmanns. 50. Jahrg. 1916. S. 553.) 

452. Prinzing, Fr.: —esursachenstatistik im Deutschen Reiche f. 1912. (Archiv 
f. soziale Hygiene. XI. 1916. S. 155—64.) 

Transvestie 


453. Pettow, R.: Psychologie d. —. (Archiv für d. gesamte Psychologie. 1916- 
Bd. 36. S. 136-44.) 


Trinker 

454. Holitscher: Der geborene —. (Monatsschrift, Intern., z. Erforschung d. 
Alkoholismus. 26. Jahrg. 1916. S. 145.) 

Trunksucht 


455. O. A.: Mißbrauch geistig. Getränke. Trunkenheit, Behänd), trunk. Soldaten.. 
Strafrecht), u. disziplin. Gesichtspunkte. (Archiv f. Militärrecht. VI. 1916. 
,S. 296.) 

Tuberkulose (s. auch Fürsorge> 

456. Köhler, F.: — u. Prostitution. (Tuberkulosis. Leipzig. 15.Jahrg. 1916. S. 13.> 


Unfall (s. auch Straf) 

457. Weygandt, W.: Frage d. Zusammenh. zwisch. — u. Selbstmord. (Viertel¬ 
jahrsschrift f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen. III. F. 1916. Bd. 52. 
S. 75-93.) 

Unfruchtbar 

458. Fehlinger, H.: —machung, Gesetze über, in d. Vereinigt. Staaten. (Ge¬ 
schlecht u. Gesellschaft. Bd. 10. S. 62—68.) 


Unzucht 

459. Knabe: Unser ärgster Volksfeind. (Kirchen- u. Schulblatt, Sächsisches. 
1916. Nr. 14.) 

Unzüchtig 

460. Wörter,E.:—er Handlung., Durch Täuschung ermöglichte Vornahme. (Archiv 
f. Kriminologie. 1916. Bd. 67. S. 25-41.) 



Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


251 


Urkunden (s. auch Wasserzeichen) 
•461. Lindekam, O.: —fälschung durch Tintenflecke. (Archiv f. Kriminologie. 
1916. Bd. 65. S. 278—83.) 

462. O. A.: —fälschung durch Ander, e. Abklatsches e. versandt. Originalrechn. 
(Mitteil. d. Handelskammer zu Berlin. 14. Jahrg. 1916. S. 159.) 

Vaganten 

463. Tramer, M.: — ein. »Herberge z. Heimat* in d. Schweiz. (Zeitschrift f. 
die ges. Neurologie u. Psychiatrie. 1916. Bd. 35. S. 1—150.) 

464. Benesch.L.: —plage u. Bauern. (Zeitung, Wiener landwirtsch. [Mit Beil.: 
Mitteil. d. Fachberichterstatter.) 1916. Nr. 26.) 

Verbrechen 

465. Zeiler, A.: Behandl. d. rechtl. Zusammenfluss, b. kriegsgerichtl.—. (Straf¬ 
rechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 155.) 

466. Bonne: Prophylaxe d. Roheits— u. militär. Vergehen unter bes. Berück¬ 
sichtig. d. Kriegszeit. (Strafrechtszeit., Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 29—35.) 

467. Hellwig, A.: Problem d. —sanreizes durch Schundliteratur. (Monatsschrift 
f. Kriminalpsychologie u. Strafrechtsreform. XI. Jahrg. 1916. S. 560.) 

468. Hellwig, A.: Aktenmäßig. Fälle über Schundliteratur u. Schundfilms als 
— sanreiz. (Gerichtssaal, Der. 1916. Bd. 84. S. 402—31.) 

469. Zafita, H. J.: System d. Verbrechertypen. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
S. 169 -75) 

470. Strafelia, Fr. G : Degeneratives im —. Individuelle und soziale 
Degeneration. (Archiv f. Kriminologie. 1916. Bd. 66. S. 289—312.) 

471. Auer, G.: Verbrecher, — u. Strafen Während d. Krieges. (Archivf. Krimino 
logie. 1916. Bd. 67. S. 133—48.) 

472. Wulffen, E.: Geist d.-s. (Natur u. Gesellschaft. Berlin. III. 1916. 7. H. 
S. 105—11, 125-30.) 

473. Metelm ann: Kenntnis d. Verbrechersprache. (Strafrechtszeit., Deutsche. 
Berlin. III. 1916. S. 405.) 

Vergiftung 

474. Heiduschka, A.: Merkwürdig. —sverfahren. (Zeitschrift f. öffentl. Chemie. 
1916. S. 351.) 

475. Jacoby, M.: Stud. z. allgem. —slehre. (Biochemische Zeitschrift. 1916. 
Bd. 76. S. 275-96, 321-25. Bd. 77. S. 402, 405.) 

Versicherung 

476. Heine: Zur Frage d. —spflicht d. Fürsorge-[Zwangs-]Erziehungszöglinge. 
(Centralblatt d. Reichsversicherung. 12. Jahrg. 1916. S. 752—57.) 

Verständigung 

477. Strafelia, Fr.G.: —.Geheime. (Archivf. Kriminologie. 1916. Bd.'67. S.69.) 

Verwahrlosung (s. auch Jugend) 

478. Roller, M.: Gegen d. — unserer Jugend. (Arbeit, Deutsche. Prag. XV 
16. Jahrg. 1916. S. 98-108.) 

479. Böhme, H.: Jugendl. im Kriege, Maßnahm. z. Verhütung u. Bekämpfung 
d. —. (Jugendfürsorge, Die. Mitteil. d. deutsch. Zentrale f Jugendfürsorge. 
Berlin. XI. 1916. S 3.) 

480. O. A.: Zwangshort f d verwahrloste Schuljugend in Graz. (Monatsschrift 
f. d. Kinderhortwesen. I. Charlottenburg. 1916. S. 179.) 

481. Sellmann, A.: — d. Jugend. (Philologenblatt, Deutsches. [Früher: Korre¬ 
spondenzblatt f. d. akadem. gebildet. Lehrerstand.] 1916. S. 168.) 

482. O. A.: Maßnahmen geg. die — d. 12—14j. Großstadtjungen. (Jugendfür¬ 
sorge, Die. Mitteil. d. deutsch. Zentrale f. Jugendfürsorge. Berlin. XI. 1916. 
Nr. 2/3.) 

483. Backhausen, W.: Beiträge d. evang. Liebestätigkeit z. Bekämpf, d. — u. 
Kriminalität d. Jugend. (Jugendfürsorge, Die. Mitteil. d. deutsch. Zentrale 
f. Jugendfürsorge. Berlin. XI. 1916. Nr. 4/5.) 



252 


Kriminalist. Aufsätze in deutschen Zeitschriften des Jahres 1916 


484. Siegmund-Schultze, F.: Maßnahmen gegen — d. Jugend. (Monats¬ 
schrift f. d. Kinderhortwesen. I. Charlottenburg. 1916. S. 25—43.) 

Warenhaus 

485. Boas, K.: —Diebinnen, mit besond. Berücksicht, sexueller Motive. (Archiv 
f. Kriminologie. 1916. Bd. 65. S. 103—32.) 


Wasserzeichen 

486. Lindekam, O.: — u. Urkundenfälschung. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
Bd. 67. S. 86-94.) 

Wetter 

487. Linke, F.: Meteorologie im Dienste d. Rechtspflege. (Umschau, Die. 1916- 
S. 781-85.) 

488. Brezina, E.; Schmidt, W.: Beziehung, zw. d. Witterung u. d. Befinden 
d. Menschen auf Grund Statist. Erhebungen. (Anzeiger d. kgl. Akademie d. 
Wissenschaften. Wien. Math.-naturw. Klasse, 51. Jahrg. 1916. S. 350.) 

Whitman 

489. Praetorius, N.: — s, W., Homosexualität, Streit um, im „Mercure de France* 
u. d. „Archives d'anthropol. criminelle* 1913—14. (Zeitschrift i. Sexual¬ 
wissenschaft. III. Bonn, Marcus & Weber. 1916. S. 326 —39.) 

Wiederaufnahmebegehr 

490. Höpler, E. v.: — als Verbrechensmötiv. (Archiv f. Kriminologie. 1916. 
Bd. 67. S. 223-30.) 

Wiedererkennung 

491. Bonsset, W.: —smärchen, Gesch. e. (Nachricht, d. kgl. Gesellsch. d. Wissen¬ 
schaft. zu Göttingen. Philolog.-histor. CI. (Jahrg. 1916.) S. 469—551.) 

Zahn 

492. Boas, K-: Was lehrt d. Inspekt. d. Zähne d. Kriminalisten? (Archiv f. Krimi¬ 
nologie. 1916. Bd. 66. S. 324— 32.) 

493. Polzer, W.: Berufsmerkmale an d. Zähnen. (Archiv f. Kriminologie. Bd.67. 
S. 114-22.) 

Zauber 

494. Helm, K.: —mittel, Häufungd. (Archiv, Schweizer.,f. Volkskunde. 20. Jahrg. 
1916. S. 177-83.) 

495. Schmidt, W.: —praktiken, Fall kausaler Priorität rationeller Zweckhandlung, 
von irrationellen. (Anthropos. 1916. S. 274.) 

496. Abels, A.: Gifthalt. ,—“-Mixturen als Aphrodisiaca. (Archiv f. Krimino¬ 
logie. 1916. Bd. 66. S. 226-88.) 

497. Sommer, B.: Krieg u. —kunst. (Zeit, Die neue. Wochenschrift d. deutsch. 
' Sozialdemokratie. 34. Jahrg. 1916. Nr. 21.) 

498. Goldziher, Ignaz: —kreise. (Aufsätze z. Kultur- u. Sprachgesch., vor- 
nehml. d. Orients. Ernst Kuhn gewidmet. München. 191 b. S. 83—86.) 

Zeuge 

499. Hofmann: Tätige Vorbereitung d. —n auf Vernehmung. (Strafrechtszeit., 
Deutsche. Berlin. III. 1916. S. 402.) 

Zigeuner 

500. Papus: Tarokspiel d. — im Lichte d. Geisteswissenschaft. (Prana. Leipzig. 
VII. 1916. S. 63.) 

501. O. A.: —dorf, Im serbisch. (Gartenlaube. 1916. Nr. 16.) 

502. Lindenberg, P.: Bei den —n. Uber Land u. Meer. 58. Jahrg. 1916. 
S. 434.) 

503. O. A.: —romantik, Ende d. (Daheim. 52. Jahrg. 1916. Nr. 52.) 

504. Lesny, V.: Lange Vokale in d. — dialekten. (Zeitschrift d. deutschen morgen¬ 
ländischen Gesellschaft. 1916. Bd. 70. S. 417—46.) 



Hörigkeit. 

Von 

Dr. Erwein Höpler, Hofrat und Leitendem Ersten Staatsanwalt in Wien. 


Der 21 Jahre alte Student der Medizin A. ist der Sohn eines 
Kaufmanns und lebte bei seinen Eltern, die außer ihm noch zwei 
erwachsene Söhne haben, in geordneten Verhältnissen. Er wird 
als überaus fleißig und begabt geschildert, was auch durch seine 
stets mit ausgezeichnetem Erfolge abgelegten Prüfungen und die 
Angaben seiner Universitätsprofessoren bestätigt wird, die ihn als 
selten begabten und verwendbaren Studenten bezeichnen. A. ob¬ 
lag jedoch nicht bloß seinem Berufsstudium mit großem Fleiß, 
sondern wurde mit bestem Erfolge auch auf den Kliniken ver¬ 
wendet; durch einige Zeit war er als Hilfskraft dem Bezirksarzt 
zugeteilt, der die regelmäßige ärztliche Untersuchung der unter 
Aufsicht stehenden Schanddirnen durchzuführen hat. Außerdem 
gab A. Privatstunden, deren Ertrag sein Taschengeld bildete. 
Körperlich ist er schwächlich und klein, so daß er selbst im Kriege 
nicht militärdiensttauglich wurde. Bis auf verhältnismäßig ge¬ 
ringe Auftritte mit seinem etwas nervösen Vater lebte er mit 
seinen Familienangehörigen im besten Einvernehmen. Seine 
Freunde schildern A. übereinstimmend als eine sehr nüchterne, 
äbwägende, furchtsame, mitunter geradezu feige, dabei überaus sinn¬ 
liche Natur. A. nahm, wie einer seiner Freunde erzählt, gerne den 
Mund recht voll, um sich bei drohendem Widerstand aus dem 
Staub zu machen. Das weibliche Geschlecht schien ihm minder¬ 
wertig und nur zur sinnlichen Befriedigung bestimmt zu sein; mit 
Vorliebe rühmte er sich seiner Erfolge bei Mädchen, wobei er stets 
nur die sexuelle Seite betonte, und einer platonischen Zuneigung 
nicht fähig schien. Im Alter von 18 Jahren hatte er wegen einer 
Trippererkrankung Spitalsbehandlung genossen und hierbei einen 
Kellner eines Nachtkaffees kennen gelernt, den er nach seiner 
Genesung wiederholt aufsuchte, um von ihm „gute Tips“ zu er¬ 
halten. Hierbei sprach er über die einzelnen Mädchen in einer 
Weise, die sogar dem Kellner unangenehm wurde. 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 


18 



254 


Dr. Erwein Höpler 


Um die Mitte des Jahres 1918 nahmen die Freunde bei A. 
eine Veränderung wahr; er hatte ein Mädchen kennen gelernt, zu 
dem er eine tiefe Neigung gefaßt zu haben schien. Wiederholt sprach 
er im Freundeskreise über sein Liebesverhältnis, erklärte auch, er 
wisse, das Mädchen sei oberflächlich und kokett, er könne aber 
nicht von ihm lassen. 

Die Beziehungen zu dem Mädchen wurden im Herbst 1918 
intime und er pflegte regelmäßig einmal in der Woche, meist 
nach einem gemeinsam gemachten Spaziergang in einem Hotel 
mit seiner Geliebten einzukehren. 

Im Winter 1918 begann A. eifersüchtig zu werden, was darin 
seinen Grund hatte, daß das Mädchen Tanzstunden besuchte, 
denen A., der nicht tanzte, fernblieb. Er ließ seine Geliebte über¬ 
wachen, doch konnte er auf eine Untreue picht kommen. Sein 
Freundeskreis wußte von dem Verhältnisse ebenso wie seine Eltern, 
und A. sprach von dem Mädchen als von seiner Braut. 

Am 24. Jänner 1919 erhielt A. von dem Mädchen einen Ab¬ 
sagebrief, der folgende Vorgeschichte hatte: Gegen Mitte Jänner 
begann A. dem Mädchen wegen angeblicher Vernachlässigung 
seiner Person Vorwürfe zu machen, die nicht ohne Kränkungen 
abliefen. Am 20. Jänner war das Mädchen mit A. nach einem 
gemeinsamen Spaziergang wieder ins Hotel gegangen; dort hatte 
A. seiner Geliebten abermals Vorwürfe gemacht und ihr erklärt, 
sie sei ihm nicht mehr, wie alle anderen Frauen, ein Zeitver¬ 
treib, er schätze sie nicht höher als die anderen. Trotz dieser 
schweren Kränkung zwang er die Widerstrebende zum Beischlaf. 
Dieses Vorgehen löste den Brief aus, in welchem das Mädchen 
versichert, es habe A. ehrlich geliebt, sehe sich schwer enttäuscht, 
die Liebe sei in Haß verwandelt, seit er es wie eine Dirne behandelt 

A. schien durch den Brief tief ergriffen zu sein; er zeigte ihn 
seinen Freunden und äußerte Selbstmordgedanken. Einzelne' 
suchten ihn zu trösten, andere trachteten eine Versöhnung herbei¬ 
zuführen. Zu diesem Zwecke wurde für den 25. Jänner eine Zu¬ 
sammenkunft, für den 26. Jänner (einen Sonntag) ein Rodelaus¬ 
flug besprochen, an dem A. sowohl als seine Geliebte teilnehmen 
sollten. Beide fanden sich auch am Treffpunkt ein, doch kehrte A. um 
und ging nach Hause, weil das Mädchen keine Freude über sein 
Mitgehen zeigte. Eine Aussöhnung fand an keinem der Tage statt. 

Am 26. Jänner ging A., nachdem er sich von der Rodel¬ 
gesellschaft getrennt, aus dem Dorfe und traf dort einen Freund 
in der Begleitung eines Mädchens; er schloß sich den beiden an; 



Hörigkeit 


255 


plötzlich erblickte er ein auffallend angezogenes, junges Mädchen; 
mit den Worten: Die ist eigentlich sehr fesch! entfernte er sich 
von seinen Begleitern und ging dem Mädchen nach. Nach kurzer 
Zeit schon kam er mit der Unbekannten seinem Freund und dessen 
Begleiterin entgegen. Nach einer flüchtigen Vorstellung gingen 
die zwei Paare gemeinsam in ein Kaffeehaus, wo eine anregende 
Unterhaltung über harmlose Dinge sich entwickelte. Um 4 Uhr 
nachm, entfernte sich der Freund mit seiner Begleiterin und ver¬ 
sprach, um 6 Uhr wiederzukommen. Bei seiner Rückkehr traf er 
weder A. noch die Unbekannte an. 

Diese hatte, als sie mit A. allein war, sofort mit der Enthüllung, 
ihres Lebensschicksals begonnen; sie erzählte von großem Ver¬ 
dienste in einem künstlerischen Erwerbe, schilderte A., wie un¬ 
glücklich sie sich infolge schwerer Krankheit und homosexueller 
Veranlagung fühle und sprach schließlich eindringlich von ihrem 
Lebensüberdruß und ihrem feststehenden fcntschluß, freiwillig aus 
dem Leben zu scheiden. Durch dieses Vertrauen ließ sich A. 
bewegen, auch sein Mißgeschick mit seiner Geliebten vorzubrin¬ 
gen, das auch in ihm Selbstmordgedanken ausgelöst habe. Die 
Unbekannte nahm dies gierig auf, sprach eindringlich vom ge¬ 
meinsamen Sterben und brachte es schließlich dazu, daß A. ihr 
ehrenwörtlich versprach, sie noch am gleichen Tage zu erschießen. 

Über ihr Andringen fuhr A. in einem von dem Mädchen be¬ 
stellten und bezahlten. Auto nach Hause, um einen Revolver zu 
holen; er sollte baldmöglichst die Unbekannte in deren Hotel 
aufsuchen und erhielt zur Ermöglichung des Wiederfindens eine 
bezahlte Rechnurig, aus der A. erst den vollen Namen des Mädchens 
erfuhr. Zu Hause traf er seine Mutter, einen der Brüder und eine 
bekannte Frau an. A. schien aufgeräumt, gegen sonst un¬ 
verändert, sprach mit der bekannten Frau scherzhaft über 
sein Liebesverhältnis und den erhaltenen Abschiedsbrief 
und entfernte sich nach kurzer Zeit mit dem Bemerken, sein 
Freund erwarte ihn wieder und nahm einen seinem Bruder ge¬ 
hörigen Revolver mit. Im Hotel erwartete ihn bereits im Stiegen-. 
hause die Unbekannte und führte ihn in ihr Zimmer; ihrem 
Wunsch, sie dort zu erschießen, widersetzte sich A., worauf die 
Unbekannte einige Abschiedsbriefe schrieb und dem herbeigerufenen 
Stubenmädchen übergab; auch A. schrieb einen Abschiedsbrief an seine 
Mutter; die Unbekannte verlangte nun von A., dieser möge in 
ihrer Gegenwart mit dem Stubenmädchen Beischlaf pflegen und 
A. versuchte auch dieser Aufforderung nachzukommen, wobei er 

18 * 



256 


Dr. Erwein Höpler 


auch eine ihm von der Unbekannten zu diesem Zwecke über¬ 
gebene 50 K Note anbot. Da das Stubenmädchen trotzdem bei 
seiner Weigerung verblieb, entfernten sich A. und die Unbekannte 
aus dem Hotel. Auf der Straße näherte sich A. über Aufforderung 
seiner Begleiterin einer Straßendirne, mit welcher er ein Hotel 
besuchte, während die Unbekannte, die zunächst hatte mitgehen 
wollen, vor diesem Hause auf A. wartete. 

Nach seiner Rückkehr sprach die Unbekannte den Wunsch 
aus, A. möge an seine Geliebte telefonieren. Dies geschah auch; 
A. rief das Mädchen auf und sagte: „Ich will mich von Dir ver¬ 
abschieden, ich erschieß mich jetzt“. Auf den Vorhalt, A. möge 
keine schlechten Witze machen, rief die Unbekannte: „Ja Fräu¬ 
lein, es ist gar nicht lächerlich, wir machen das jetzt gemeinsam.“ 
Die weitere Frage des Mädchens, wer die Unbekannte sei, wurde 
nicht beantwortet und das Gespräch abgebrochen. 

Die Unbekannte nahm nun ein Auto auf, bezeichnete dem 
Lenker als Ziel ein Krankenhaus, stieg mit A. ein und legte das 
Fahrgeld in die Wagentasche. 

Auf dem nur kurzen Wege zum Fahrziel setzte die Unbe¬ 
kannte, die links von A. saß, diesen unausgesetzt zu, endlich zu 
schießen und warf dem Zögernden Feigheit und Wortbruch vor. 
Kurz vor der Ankunft im Krankenhause gab A. zwei Schüsse ab; 
den einen legte er an der rechten Gesichtsseite seiner Begleiterin 
an, so daß diese schwer blutend auf sein Haupt sank, den zweiten 
feuerte er gegen seine Brust ab. 

Als die beiden Verletzten im Krankenhause übernommen 
wurden, verlangte A. unter Hinweis auf seinen ärztlichen Beruf, 
zuerst behandelt zu werden, wünschte verschiedene bekannte 
Professoren zu seiner Behandlung beizuziehen und zeigte große 
Angst vor dem Tode. 

Das schwerverletzte Mädchen wurde als die 19 Jahre alte H. Z. 
festgestellt. Die Schußwunde hatte das Gesicht knapp unter dem 
Schädelraum durchdrungen, wobei das Geschoß in der rechten 
Gesichtshälfte unter der Schläfe eingetreten und links im Kaumuskel 
steckengeblieben war. Am 28! Jänner starb die Verletzte und die 
gerichtliche Leichenöffnung stellte als Todesursache eitrige Hirn¬ 
hautentzündung, als Folge einer Infektion der Hirnhäute durch 
das Geschoß, fest. 

A. hatte eine die Lunge streifende, den Körper von vorn nach 
rückwärts durchziehende Schußverletzung erlitten, die nach etwa 
10 Wochen folgenlos verheilte. 



Hörigkeit 


257 


Ober die Persönlichkeit der H. Z. wurde folgendes erhoben: 
Sie ist die Tochter einer schwer nervösen Mutter, einer galizischen 
Jüdin, und wird als überaus begabt und künstlerisch veranlagt ge¬ 
schildert; sie hatte das Mädchenlyzeum absolviert, hatte infolge 
Zwistigkeiten das Elternhaus verlassen, wohnte zunächst bei einer 
Verwandten, später unter falschen Namen in einem Hotel; sie war 
als künstlerischer Beirat bei einem kunstgewerblichen Institute 
angestellt, doch lebte sie weit über diese Erwerbsverhältnisse, tat¬ 
sächlich kam hervor, daß H. Z. gewerbsmäßig Warendiebstähl be¬ 
ging; hierbei half ihr eine Freundin, die vollkommen unter dem Banne 
der H. Z. stand. Öiese hatte sich wiederholt gebrüstet, es sei ihr 
gelungen, aus dem Mädchen, das eine Vorzugsschülerin gewesen 
war, eine sittenlose Diebin zu machen, die das Studium hatte auf¬ 
geben müssen. H. Z. erzählte jedermann mit seltener Scham¬ 
losigkeit von ihren sittlichen Verfehlungen und von ihrer homo¬ 
sexuellen Veranlagung, wobei sie ihrer Freundin den Männer¬ 
namen „Peter“ beilegte. 

Im Frühjahr 1918 war H. Z. durch etwa 4 Wochen in irren¬ 
ärztlicher Behandlung; die Krankengeschichte hebt vor allem ihre 
besondere Scham- und Reuelosigkeit hervor, mit der H. Z. mit 
Schamlosigkeit geradezu großtue. Ihre Bekannten schildern sie 
als sprunghaft, heben ihre daseinszerstörende Weltauffassung und 
die Tatsache hervor, H. Z. habe seit langer Zeit nach Jemanden 
gesucht, der sie töten würde, da ihr selbst der Mut fehle, ihren 
feststehenden Selbstmordgedanken auszuführen. Vor ihrem Tode 
hatte sie, von einer Krankenschwester befragt, angegeben, der 
junge Mann, den sie erst wenige Stunden gekannt, habe sie an¬ 
geschossen, nachdem sie lange auf ihn eingeredet und ihn hierzu 
bestimmt habe. Die gerichtliche Leichenöffnung zeigte eine 
schwere geschlechtliche Erkrankung der H. Z. 

Dies der Sachverhalt; zu einer Anklage und Verhandlung 
kam es nicht, da das Strafverfahren im Gnadenwege niederge¬ 
schlagen und eingestellt wurde. Es kam daher auch nicht zu 
einer Begutachtung des Falles durch die Psychiater, was gewiß 
von großen Interesse gewesen wäre. Der Fall kann daher heute 
nur vom Laienstandpunkte beurteilt werden. 

A. hatte bei seiner ersten gerichtlichen Vernehmung, die nach 
Eintritt seiner Vemehmungsfähigkeit vorgenommen wurde, den 
Sachverhalt vollkommen klar bis in alle Einzelheiten geschildert; 
er hatte das Zusammentreffen mit H. Z. mit dem Wunsche, in 
seinem Liebesschmerz Trost durch leichte Unterhaltung zu suchen, 



258 


Dr. Erwein Höpler 


begründet. Einige Zeit nach dieser Vernehmung schrieb er an 
den Untersuchungsrichter einen Brief, in dem er behauptet, seine 
Angaben nur auf Grund einer Reproduktion eines Gespräches 
mit seiner Mutter gemacht zu haben, über die Einzelheiten der 
Tat und deren kurze Vorgeschichte jedoch keine genaue Erinne¬ 
rung zu haben. Diese Behauptung, hielt A. auch später aufrecht 
trotz des Vorhaltes deren Unglaubwürdigkeit; tatsächlich ist es 
. nicht zu erklären, woher A. die in alle Einzelheiten gehende rechte 
Darstellung hätte reproduzieren können, die — soweit dies mög¬ 
lich war — durch die Aussagen des Stubenmädchens, des Auto- 
kutschers und der von A. aufgeläuteten Geliebten als richtig fest¬ 
gestellt wurde. Eine Vernehmung der schwer kranken H. Z. war 
nicht möglich, weder A., noch dessen Mutter hatten Gelegenheit, 
mit H. Z., die doch außer A. die einzige Zeugin der fraglichen 
Ereignisse war, über die Sache zu sprechen und die wenigen von 
H. Z. der Krankenschwester gegenüber gemachten, oben wieder¬ 
gegebenen Äußerungen, können für die Reproduktion unmöglich 
hinreichen. 

Es rückt nun die Frage näher, ob A. die Tat mit eigenem 
Willen nur über Anstiften der H. Z. begangen hat, oder ob er 
unter einem geradezu krankhaften Einflüsse den tödlichen Schuß 
abfeuerte. 

Eine Hypnose ist wohl auszuschließen und A. behauptet eine 
solche auch gar nicht; es wäre ihm eine Hypnotisierung wohl 
auch kaum entgangen. 

Es könnte sich noch darum handeln, ob nicht die Annahme 
einer Wachsuggestion gerechtfertigt ist. 

Vielleicht sind in dieser Richtung auch noch folgende Beweise 
verwertbar: 

A. ging nie mit Waffen um; als im Herbst 1918 sein' beim 
Militär dienender Bruder zu Hause mit einem Revolver hantierte, 
begab sich A. aus Furcht in das weitgelegenste Zimmer der 
Wohnung. 

Ein Universitätskollege A.s erzählt, er habe ihn einmal mit 
größter Leichtigkeit hypnotisiert. 

A. wird von einzelnen Freunden als willensschwach bezeichnet 
und ist nach dem Vorgesagten zweifellos charakterlogisch min¬ 
derwertig zu nennen. Hierfür spricht auch die von einer Labo¬ 
rantin bestätigte Tatsache, daß A. ihr davon erzählt habe, seine 
Braut habe sich vergiftet und daß er um die gleiche Zeit vom 
Begräbnis des Mädchens sprach, als er anderen gegenüber, Selbst- 



Hörigkeit 


259 


mordgedanken wegen des Abschiedsbriefes äußerte. Auch am 
24. Jänner hatte er im Freundeskreis von Selbstmordabsichten ge¬ 
sprochen; die Freunde zogen die Sache ins Spaßhafte, indem sie 
erwähnten, die Geschiche sei schmerzhaft, A. möge warten, bis 
genügend Geld zu einem Kranz beisammen sei u. ähnl. Schlie߬ 
lich wurde davon gesprochen, einen Selbstmord vorzutäuschen 
und etwa an der Naje vorbeischießen und A. schien sich mit 
diesem Gedanken zu befreunden. 

A. hat sich daher vor seinen Zusammentreffen mit H. Z. mit 
dem Gedanken eines Selbstmordes scheinbar nicht allzu ernst be¬ 
faßt, was ja nach seinem Benehmen der Geliebten gegenüber 
verständlich ist. A. hat doch den Abschiedsbrief durch schwere 
Kränkung des Mädchens selbst veranlaßt, was gegen das Vor¬ 
handensein einer echten tiefen Neigung spricht. Er hat auch trotz 
der ihm gegeberien Möglichkeit nichts getan, um diese Kränkung 
zu mildern oder wett zu machen. 

A. hat also mit dem Selbstmordgedanken wohl nur gespielt 
und trat in dieser Stimmung der sehr willensstarken H. Z. ent¬ 
gegen, die— wie sie sich rühmte — eine brave Freundin hörig 
gemacht und auf die Bahn des Verbrechens geführt hatte. Daß H. 
Z. die Führung über A. nach so kurzer Zeit erlangt haben muß, 
ergibt sich aus den Aussagen des Hotelstubenmädchens, dem In¬ 
halt des telefonischen Gesprächs mit der Braut A.s und den Mit¬ 
teilungen des Autolenkers. 

Gegen eine Wachsuggestion spricht m. E. vor allem die Tat¬ 
sache, daß zwischen der Anstiftung zur Tat und deren Verübung 
ein immerhin längerer Zeitraum liegt, den A. außerhalb der Ein¬ 
flußsphäre der H. Z. bei seinen Angehörigen in seiner Wohnung 
verbrachte und in dem er nicht die geringsten Spuren einer krank¬ 
haften Beeinflussung zeigte, obwohl von seinem unglücklichen 
Liebesverhältnis gesprochen wurde. 

Es liegt daher wohl nur eine durch die intensive Willenskraft 
der H. Z. hervorgerufene Hörigkeit vor, welche bei A. die Straf¬ 
tat auslöste. . 



Zwei Fälle von Kindermißhandlung. 

Von 

Dr. Paul Siegfried, Erstem Staatsanwalt in Basel. 


I. 

Der Titel dieses Aufsatzes spräche besser von Kindestötungen; 
ich habe ihn aber gewählt, weil ich die Anregung zu dieser Arbeit 
erhalten habe durch die Darlegungen, die v. Höpler im 3./4. Hefte 
des 69. Bandes dieser Zeitschrift auf Seite 223ff. „über Kinder¬ 
mißhandlung“ veröffentlicht hat. Zu Beginn dieses Aufsatzes 
spricht er die Bitte aus, seine Arbeit dadurch zu fördern, daß ihm 
— am besten durch Veröffentlichung in diesen Blättern — mög¬ 
lichst viel andere Prozesse dieser Art zur Verfügung gestellt werden. 
Das freundliche Entgegenkommen des Herausgebers dieser Zeit¬ 
schrift macht es mir möglich, zu meinem bescheidenen Teil etwas 
an die Erfüllung dieses Ersuchens beizutragen, indem ich im 
folgenden zwei Fälle veröffentliche, die in dieses Gebiet gehören, 
zum Teil allerdings darüber hinausgehen. Zu ihrer Darstellung 
glaube ich mich deshalb für befähigt erachten zu dürfen, weil ich 
sie nicht nur aus den Akten, sondern aus eigenster Anschauung 
kenne. Ich hatte mich mit ihnen als Untersuchungsrichter zu be¬ 
fassen, in einer Stellung also, die weitaus tiefere Einblicke ge¬ 
währt, als sie dem Richter, dem Staatsanwalt, dem Verteidiger, 
ja vielleicht sogar dem Beschuldigten selbst gegeben sind. Zwar 
ist seit jener Zeit schon rund ein Jahrzehnt verflossen; allein da 
beide Fälle zu den größten und eindrucksreichsten gehörten, die 
ich als Untersuchungsrichter je zu bearbeiten hatte, führte mich 
jetzt jede Seite jener schon jahrelang mir nicht mehr zu Gesichte 
gekommenen Akten wieder so vollständig in das damals Miterlebte 
zurück, daß ich diese Zeilen aus ungetrübter und frischer Erinne¬ 
rung niederschreibe. 

Die seither im Dienste der Verbrecherverfolgung erworbene 
Erfahrung läßt allerdings den Verfasser das eine oder andere 



Zwei Fälle von Kindermifihandlung. Der Fall P. 


261 


heute anders als damals betrachten, wie mir denn erst während 
der Abfassung dieser Arbeit so recht klar geworden, wie wertvoll 
es für jeden Kriminalisten ist, eine von ihm selbst vor Jahren 
geführte Untersuchung eines Tages wieder vorzunehmen, sie mit 
der durch die zeitliche Trennung bewirkten Sachlichkeit fast wie 
das Werk eines andern zu betrachten und sich selbst die Frage 
zu beantworten, ob einem alles damals Angeordnete auch jetzt 
noch als richtig erscheint und was man heute anders ansehen 
oder anfassen würde. 


1. Der Fall P. 

Montag den 15. Juli 1907, vormittags erstattete ein im Hause 
S.straße 62 in B. wohnhafter Handwerker bei der Abteilung für 
Strafsachen des Polizeidepartementes, der die erste Verbrechens- 
verfolguiy* obliegt, die Anzeige, es sei am Abend des Samstags 
13. Juli ein Kind plötzlich gestorben,. das bei der im gleichen 
Hause wohnhaften Familie P. untergebracht gewesen sei; da dieses 
Kind von seiner Pflegemutter Frau P. beständig schwer mißhandelt 
worden sei, gehe sein Tod möglicherweise auf- diese Mißhand¬ 
lungen zurück. Die alsobald durchgeführten polizeilichen Vor¬ 
untersuchungen waren für Frau P. dermaßen belastend, daß sie 
deren Verhaftung noch am gleichen Tage nach sich zogen. Am 
16. Juli wurde gegen Frau P. und ihren Mann die richterliche 
Voruntersuchung wegen fahrlässiger Tötung, eventuell wegen 
Mordes, eröffnet und dem Verfasser übertragen. 

Diese Untersuchung ergab folgendes: 

Johann Ulrich P., gebürtiger Schweizer, geboren 1880, also 
damals 27 Jahre alt, von mäßiger Volksschulbildung, erlernte 
keinen Beruf und betätigte sich nach Schulentlassung an ver¬ 
schiedenen Orten der Schweiz als Verkäufer, Hausdiener, Hotel¬ 
portier und in ähnlichen, häufig wechselnden Stellungen. 

Im März oder April 1904 knüpfte er in Z. mit Emilie B., 
seiner nachmaligen Frau, ein Verhältnis an und verkehrte ge¬ 
schlechtlich mit ihr, verlor sie dann aber, wohl wegen seiner und 
der B. unsteten Lebensweise, vorläufig wieder aus den Augen. 

Emilie B., die spätere Frau P., wurde am 9. September 1884 
in einem elsässischen Vororte B.s als Tochter reichsdeutscher 
Eltern des untern Bürgerstandes geboren; zur Zeit der Tat war 
sie demnach 23 Jahre alt. Mit 17 Jahrea verließ sie das elter¬ 
liche Haus, wo sie eine ordentliche Erziehung scheint erhalten zu 
haben; sie hatte die gewöhnlichen Volksschulen besucht, ohne sich 



262 


Dr. Paul Siegfried 


angeblich irgendwie günstig oder ungünstig auszuzeichnen. Zu¬ 
erst versah sie verschiedene Stellen als Kellnerin oder Magd in 
der Stadt B.. Die Erkundigungen, die an diesen Orten eingezogen 
wurden, als sie bereits unter der Beschuldigung des Mordes in 
Untersuchungshaft saß, ergaben, daß sie von ihren Arbeitgebern, 
soweit sie sich noch an sie erinnern konnten, als frech, lügen¬ 
haft, diebisch, gleichgültig, störrisch, leichtsinnig, flüchtig in der 
Arbeit, mannssüchtig bezeichnet wurde. Solche unter den eben- 
bemeldeten Umständen abgegebenen Zeugnisse haben nun aller¬ 
dings wenig Wert, wenn ihnen andere, günstige entgegenstehen. 
Hier war das aber nicht der Fall, und zudem erwies sich in der 
Untersuchung das durch diese Zeugnisse gezeichnete Charakter¬ 
bild der Frau P. als richtig. Namentlich zeigte es sich, daß sie 
in bezug auf Arbeitsorte mehrmals, und wohl nicht immer un¬ 
absichtlich, falsche Angaben gemacht hatte. FestgestellUst ferner, 
daß die P. in dieser Wanderzeit während zwei Jahren ihren Eltern 
keine Nachricht zukommen ließ. 

Nicht lange, nachdem P. der Emilie B. vorläufig entschwunden 
war, scheint sie ein anderes Verhältnis eingegangen zu haben: 
am 8. September 1905 gebar sie in L. das Kind Hedwig. Von 
dessen Dasein erhielten ihre Eltern erst bei ihrer Verheiratung, 
zwei Jahre später, Kenntnis. Die B. gab als den Vater dieses 
Kindes nicht den P., sondern einen F. an, mit dem sie in Z. 
Verkehr gehabt habe. Allerdings behauptete sie dann später auch 
wieder die Vaterschaft des P., wenn es ihr paßte. So legitimierte 
denn P. bei der spätem Verheiratung das Kind Hedwig als sein 
eigenes; er scheint auch Liebe zu ihm gehabt zu haben, obschon 
er über seine Vaterschaft zum mindesten stark im Zweifel sein 
mußte. 

In Z., woselbst die B. ihrem spätem Manne zuerst begegnete 
und wo sie wiederum an verschiedenen Orten als Kellnerin arbeitete, 
scheint sie ausschweifend gelebt zu haben. Sie wurde wegen 
»Anlockung zur Unzucht“ verhaftet und am 2. Dezember 1904 
für fünf Jahre aus dem Kanton ausgewiesen. Gegen diese Ma߬ 
nahme scheint sie sich zweimal verfehlt zu haben, denn am 
4. August und am 1. September 1905 wurde sie vom Bezirks¬ 
gericht wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen das 
erstemal mit einer Woche, das zweitemal mit drei Wochen Ge¬ 
fängnis bestraft. . • 

Im Jahre 1905 finden wir sie dann in L. Der dortigen Sicher¬ 
heitsbehörde scheint ihr übler Ruf bekannt gewesen zu sein; sie 

i 



Zwei Fälle von Kindermißhandlung. Der Fall P. 263 

wird in einem späteren Polizeibericht als „bekannte Dirne“ be¬ 
zeichnet, die sich nun mit dem „hier als Zuhälter bekannten“ P. 
verheirate. 

Im Jahre 1906 hatte nämlich P. in L. die Emilie B. wieder 
getroffen. Sie erzählte ihm, daß sie von ihm ein Kind, die Hed¬ 
wig, bekommen habe, und so kam es am 21. Januar 1907 zur 
Heirat, wobei, wie bereits bemerkt, P. die Hedwig als voreheliches 
Kind legitimierte. Von Anfang an hatten die Eheleute ihren Wohn¬ 
sitz in B., S.straße 62. Bei ihnen war das Kind Hedwig. P., im 
Anfang der Ehe arbeitslos, bekleidete vom 1. April 1907 an in 
einem Gasthof die Stelle des Portiers. 

Doch bald bekam die kleine Familie Zuwachs: das bedauerns¬ 
werte Kind, das den Gegenstand dieser Darstellung bildet. 

Im Sommer 1904, also kurz nachdem er die Emilie B., seine 
nachmalige Frau, verlassen, hatte nämlich P. eine Flora Sch. ge¬ 
schwängert, die mit ihm in einem Gasthof der Innerschweiz an¬ 
gestellt gewesen war. Die Sch. gebar am 11. Juni 1905 einen 
Knaben; er erhielt den Namen Alois. P. hatte sich damals als 
seinen Vater bekannt; in der Untersuchung N behauptete er dann 
allerdings, er sei schon zu jener Zeit hierüber nicht ganz sicher 
gewesen, indem er Anhaltspunkte dafür gehabt habe, daß sich die 
Flora Sch. zur kritischen Zeit auch mit andern abgegeben. Von 
ihr wurde dies immer mit Entschiedenheit bestritten: sie habe nie 
mit einem andern Manne als mit P. zu tun gehabt. Die Zweifel 
des P. an seiner Vaterschaft scheinen nach der Geburt des Alois 
keineswegs stark gewesen zu sein, indem es zu einer Verlobung 
des P. mit der Flora Sch. kam. Sie löste sich aber wieder, an¬ 
geblich erst im letzten Augenblicke vor dem Standesamt, nach P. 
hauptsächlich wegen falscher Angaben der Sch. über Alter und 
Vermögen, nach ihr, die solche falsche Angaben bestreitet, ohne 
triftigen Grund. Im März 1907 beschuldigte dann die Sch. den 
P, des Betruges, indem sie ihn bezichtigte, ihr unter der unwahren 
Angabe, er wolle sie heiraten, Geld abgelockt zu haben. Die 
Anzeige wurde wegen Inkompetenz abgewiesen und die Sch. kam 
nicht mehr auf die Sache zurück. 

P. kümmerte sich in der Folgezeit um das Kind Alois nicht 
und zahlte nichts an das Kostgeld; infolgedessen wurde der kleine 
Alois von einer in seinem Geburtsort wohnenden Frau, bei der 
er zuerst verkostgeldet gewesen, w.eggenommen und in das Waisen¬ 
haus seiner Heimatgemeinde verbracht. Dann kam er Ende De¬ 
zember 1906 zu dem Stiefbruder seiner Mutter, einem Alois v. A. in R. 



264 


Dr. Paul Siegfried 


Die Mutter Flora Sch., die immer in auswärtigen Dienststellen 
ihrem Gewerbe nachging, sah das Kind fast nie; nach ihren eigenen 
Angaben hat sie es während seines ganzen Lebens nur vier Wochen 
lang gepflegt: im Jahre 1907, als sie sich krankheitshalber bei 
ihrem Stiefbruder in R. aufhielt. Aber auch dieser, Alois v. A., 
wollte das Kind nicht behalten, nachdem ein heftiger Briefwechsel 
des v. A. mit P., der diesen zur Erfüllung seiner Alimentations¬ 
pflicht hätte bringen sollen, ergebnislos gewesen war. So brachte 
denn v. A. den kleinen Alois am 19. Mai 1907 kurz entschlossen 
zu P. nach B., erklärte, er könne das Kind nicht mehr länger be¬ 
halten und ließ es einfach da, ohne sich um alles weitere zu be¬ 
kümmern, indem er schleunigst wieder abreiste. Frau P. erklärte 
sich einverstanden, das Kind Alois zu behalten und es mit ihrem 
eigenen — Hedwig — aufzuziehen. 

Dies die bei näherer Überlegung geradezu grauenvolle Um¬ 
gebung, in die das zweijährige uneheliche Kind nun hinein¬ 
gestellt war. 

Seine leibliche Mutter und deren Verwandte bekümmern sich 
nicht im mindesten um sein Wohl; später in der Untersuchung 
erklärt sogar die Mutter, sie habe von der Verbringung ihres 
Kindes zu P. nichts gewußt und den Tod des Alois habe sie erst 
Monate nachher erfahren! Der durch und durch leichtsinnige und 
gleichgültige P., der ebenso wenig sicher ist, der Vater der Hed¬ 
wig als des Alois zu sein, unterlaßt es, das neu -in seinen Haus¬ 
halt gekommene Knäblein bei der Polizeibehörde anzumelden. 
Er scheut die kleine Mühe, die hierzu notwendigen Schriften des 
Kindes zu beschaffen, wenn man aus dieser Unterlassung nicht 
den furchtbaren, aber durch die Untersuchung nicht genügend 
erwiesenen Verdacht schöpfen will, er habe damals schon geplant, 
was seine Frau dann so gräßlich ausführte. 

Es sei hier vorweggenömmen, daß die gegen den Ehemann P. 
wegen Mitbeteiligung an dem Verbrechen seiner Frau durchgeführte 
Untersuchung trotz den von jener gegen ihn erhobenen Anschuldi¬ 
gungen zu keinem Ergebnis führte. Wohl konnte es als erwiesen 
erachtet werden, daß ihn mehrmals Hausbewohner auf die im 
folgenden darzustellende Behandlung aufmerksam machten, die 
seine Frau dem Knaben angedeihen ließ. Allein er konnte es als 
glaubhaft erscheinen lassen, daß er sie immer darüber zur Rede 
stellte. Allerdings gab er sich dann stets mit den leeren Aus¬ 
reden seiner Frau zufrieden. Auch die Behauptung der Frau P. 
ist unbewiesen, sie habe ihn mehrmals gebeten, er solle doch das 



Zwei Fälle von Kindermifihandlung. Der Fall P. 265 

Kind anderswohin tun, sonst gebe es noch etwas Dummes, er 
habe sie aber immer au! später vertröstet. So konnte ihm zwar 
eine moralisch unverantwortliche Gleichgültigkeit nachgewiesen 
werden, aber ein verbrecherischer Tatbestand nicht, und gar für 
eine tätige Beteiligung an den Mißhandlungen war außer mehr 
oder weniger bestimmten Behauptungen seiner Frau kein An¬ 
haltspunkt vorhanden. Von Anfang an erschien er auch deshalb 
weit weniger belastet, weil sein Beruf ihn von morgens früh bis 
abends spät stets außer dem Hause hielt. Frau P. wurde des¬ 
halb allein dem Strafgericht überwiesen. 

Die gegen sie geführte Untersuchung ergab keine bestimmten 
Beweise dafür, daß Frau P. den Knaben von Anfang an haßte und 
ihm schon damals nach dem Leben trachtete; es war wohl so, 
wie sie einmal dem Untersuchungsrichter sagte, daß sie das ihr 
aufgedrungene Kind zwar nicht mit Freude, doch gleichmütig in 
ihre Haushaltung aufnahm,.im Gedanken, ob sie nun ein Kind 
habe oder deren zwei, das komme aufs gleiche heraus. Immer¬ 
hin scheint sie nichtdie Absicht gehabt zu haben, das Kind dauernd 
zu behalten: es geht dies aus einer von einer Zeugin berichteten 
Äußerung hervor. Frau P. sagte nämlich dieser Zeugin wahr¬ 
heitswidrig, das Kind gehöre einem Bruder ihres Mannes; die 
Mutter sei gestorben und der Vater krank in einem Spital. 

Aber was dem Kinde zum Verhängnis gereichte, war folgendes. 
Alle Zeugenaussagen — sogar die seiner leiblichen Mutter — 
stimmen mit Frau P. darin überein, daß das im übrigen wohl ge¬ 
bildete, gesunde und zutrauliche Kind in hohem Grad unreinlich 
war und beständig das Zimmer und sein Bettchen beschmutzte. 
Darüber geriet die Pflegemutter, die sich häufig zu Hausbewohnern 
und Besuchern in den rohesten Ausdrücken über diese Eigen¬ 
schaften des Alois äußerte und die übereinstimmend als eine leicht 
erregbare Frau geschildert wird, jeweilen in unmäßigen Zorn, und 
dieser ging bald in einen bleibenden Haß gegen das Kind über, 
dem sie oft den unverhohlensten Ausdruck gab. 

ln stärkstem Gegensatz zu dem liebreichen Benehmen, das 
sie allezeit ihrem eigenen Kinde gegenüber an den Tag legte, be¬ 
gann sie bald den kleinen Alois auf die scheußlichste Weise zu 
mißhandeln. 

Nicht nur fuhr sie das Kind häufig mit harten und lieblosen 
Worten an, nicht nur weigerte sie sich, als einmal Alois ziemlich 
stark unpäßlich war, den Arzt herbeizuziehen und holte nicht ein¬ 
mal das ihr von Bekannten angeratene Mittel in der Apotheke, 



266 


Dr. Paul Siegfried 


iricht nur nahm sie ihn fast nie zu den Gängen ins Freie mit, 
die sie mit ihrem eigenen Kinde unternahm, so daß der Knabe 
stundenlang allein war und weinte: £ie schlug und mißhandelte 
den kleinen Knaben — meist wenn er wieder unreinlich gewesen 
war — von Tag zu Tag mehr. 

Das unschuldige und wehrlose Kind erlebte eine fürchterliche 
Leidenszeit. Wie sich in der Untersuchung herausstellte, hörten 
die Hausbewohner täglich dessen Schreien, sei es, daß es stunden¬ 
lang allein gelassen, sei es, daß es unmenschlich geschlagen 
wurde. Einzelne sagten aus, sie hätten gehört, wie die P. das 
Kind gleich einem „Mehlsäckli“ fortschleuderte. Und dies, trotz¬ 
dem Frau P. das Kind wohl überlegend in solchen Augenblicken 
in ein Zimmer zu bringen pflegte, von wo aus sein Geschrei nicht 
so deutlich hörbar war, wie sie es überhaupt so viel als möglich 
den Blicken der Hausbewohner entzog. Mehrmals hielt sie auch 
das gänzlich nackte Kind während langer Zeit unter das laufende 
kalte Wasser. 

Daß sie, wie einige Hausgenossen vermuteten und wie Frau 
P. selbst auch einer Mitgefangenen später bekannt haben soll, 
das Kind auch hungern ließ, nahm zwar das Urteil als erwiesen 
an; es spricht sogar davon, sie habe es „halb verhungern“ lassen. 
Doch liegt m. E. ein genügender Beweis hierfür nicht vor. 
Die körperliche Abnahme des Knäbleins kann ebensogut einzig 
durch die Mißhandlungen und durch die schlechte Pflege herbei¬ 
geführt worden sein. 

ln der letzten Zeit — ungefähr drei Wochen vor seinem 
Tode — hörte man das Kind wenig mehr schreien, und nur mit 
heiserer Stimme. Während es bei seiner Ankunft in B. schöne 
rote Wangen gehabt, war es jetzt sehr mager und bleich, über¬ 
haupt weit heruntergekommen; während es zuerst sehr zutraulich 
gewesen, war es jetzt ganz verschüchtert. Es hatte sichtlich Angst 
vor seiner Pflegemutter; ja es zitterte vor, ihr. 

Nach zwei Monaten war das Marterwerk zu Ende; am 
13. Juli 1907 trat der Tod des kleinen Alois ein. Ein namenloses 
Grauen steigt aus den alten Akten empor, da, wo sie vom Sterben 
dieses unglücklichen Kindes reden, wie es in seinem Bettlein liegt, 
mit verbundenem Kopfe, Schaum vor der Nase und erbrochene 
Milch vor dem Munde. 

Der Vater P. steht erschrocken an diesem Sterbebett; ein¬ 
dringlich will er damals seine rührungslose Frau befragt haben, 
was sie gemacht habe, wobei sie schon damals mit der Ausrede 



Zwei Fälle von Kindermißhandlung. Der Fall P. 267 

antwortete, die Verwundung am Kopfe, die sie mit Tüchern um¬ 
wunden hatte, wohl um die Aufmerksamkeit noch mehr auf sie 
zu lenken, komme vor einem vor zehn Tagen erlittenen Falle her. 
Das gleiche erzählt sie dem Arzt, den ihr Mann, nicht etwa sie, 
zu ,d«n bereits gestorbenen Kinde gerufen hat. Aber der Arzt 
erkannte, daß die Verletzungen frisch waren. Er argwöhnte jedoch 
kein Verbrechen und unterließ deshalb eine Anzeige. Wie an¬ 
fangs gesagt, wurde dann durch einen Hausgenossen das Ein¬ 
greifen der Behörden herbeigeführt. 

Die unter dem Namen der „kleinen Wundschau“ zusammen¬ 
tretende, damals aus dem stellvertretenden Gerichtsarzt und dem 
Professor der pathologischen Anatomie an der Universität be¬ 
stehende ärztliche Kommission nahm die Leichenöffnung vor. 
Sie stellte dabei sehr zahlreiche äußere und mehrere innere Ver¬ 
letzungen fest, nämlich Blutunterlaufungen und Schürfungen an 
den verschiedensten Teilen des Körpers, die von Einwirkung 
stumpfer, nicht sehr heftig wirkender Gewalt herrührten, darunter 
auch zwei Blutunterlaufungen an den Armen, die nach ihrer 
Anordnung wahrscheinlich Fingerabdrücke waren. Ferner waren 
die 6., 7., 8. und 9. Rippe links gebrochen, an der Bruchstelle 
der 7. Rippe das Brustfell eingerissen, beide Nieren klaffend zer¬ 
rissen, die rechte Nebenniere, die Gekrösewurzel und das vor und 
neben der Wirbelsäule liegende Bindegewebe blutig durchsetzt. 
Diese letztbeschriebenen Verletzungen waren nach dem Gutachten 
der Kommission durch sehr intensiv einwirkende stumpfe Gewalt 
zustande gekommen. Sämtliche Verletzungen waren frisch und 
erst kurze Zeit vor Eintritt des Todes entstanden. 

Die „kleine Wundschau“ kam zum Schlüsse, daß der Tod 
infolge von sogenanntem „Chok“ eingetreten sei, verursacht durch 
starke Kontusion des Bauches, wie dies oft bei Stößen oder 
Schlägen gegen die Magengegend oder den Unterleib vorkomme. 
Bei den ausgedehnten Rissen der Nieren waren nämlich nur ganz 
geringe Blutungen vorhanden; die ärztlichen Sachverständigen 
folgerten daraus, daß der Tod ganz kurze Zeit nach dem Zu¬ 
standekommen der Nierenrisse eingetreten sei. 

Bei seiner ergänzenden Einvernahme durch den Untersuchungs¬ 
richter sprach sich Professor H. dahin aus, daß die Rippen- und 
Nierenverletzungen durch stumpfe Gewalt zustande gekommen 
sei; welcher Art diese Gewalt gewesen sei, das sei ungewiß. 
Doch sei es recht unwahrscheinlich, daß es nur Schläge mit der 
Hand waren. Todesursache sei Chok; hätte dieser nicht den 



268 


Dr. Paul Siegfried 


Tod bewirkt, dann wäre er wegen der sehr schweren Nierenver- 
letzungen eingetreten. 

Bestimmter äußerte sich der stellvertretende Gerichtsarzt Dr. Sch.: 
Der den Tod verursachende Chok sei durch dieselbe Gewaltein¬ 
wirkung zustandegekommen wie die Rippenbrüche und Nieren¬ 
risse. „Welcher Art diese Gewalt war, dafür bietet die Leichen¬ 
öffnung keine Anhaltspunkte. Rein auf dem Wege der logischen 
Folgerung kommt man allerdings zu dem Schlüsse, daß mög¬ 
licherweise auf dem Kinde mit Füßen herumgetreten wurde, während 
es am Boden lag.“ 

In der Untersuchung hielt Frau P. zunächst die Darstellung 
aufrecht, die sie beim Tode des Kindes ihrem Manne und dem 
Arzte gegeben; nach wie vor bezeichnete sie als Todesursache 
einen Fall, den Alois am 10. Juli von der Treppe und einen 
zweiten, den er am 13. Juli von einer Kommode im Zimmer 
herab mit dem Kopf auf ein Glätteisen getan habe; sie fügte bei, 
Alois sei immer ein ungeschicktes Kind gewesen, das öfters um¬ 
fiel oder anstieß und sich auf diese Weise häufig selbst beschädigte. 
An diese Erklärung klammerte sich die Angeschuldigte fast während 
der ganzen Untersuchung; erst am 20. August 1907 legte sie dem 
Untersuchungsrichter ein Geständnis ab, bewogen wohl durch die 
unterdessen gesammelten erdrückenden Beweisergebnisse, die ihr 
nun vorgehalten wurden. 

Das Kind sei sehr unreinlich gewesen, damit eröffnete sie ihr 
Geständnis. Deshalb habe sie sehr oft und in stets wachsendem 
Maße der Zorn übermannt. Wenn das Kind wieder den Boden 
verunreinigt, habe sie sich manchmal vor Wut gar nicht mehr 
gekannt und es wirklich ganz unvernünftig geschlagen. „Ich 
bekam ganz einen Ekel vor dem Kind und konnte es nicht mehr 
sehen. Ich bat deshalb mehrmals meinen Mann, er möchte doch 
um Gotteswillen das Kind anderswohin tun, sonst gebe es noch 
etwas Dummes. Er vertröstete mich immer auf später.“ Es sei 
möglich, gab sie nun zu, daß sie dem Kinde die Verletzungen 
zugefügt habe, die seinen Tod herbeiführten. Aber sie bestritt 
auch jetzt des Entschiedensten, jemals die Absicht gehabt zu 
haben, das Kind zu töten. Sie gab nichts zu als Schläge mit 
den Händen; nicht Schläge mit Gegenständen, nicht Stoßen, nicht 
treten mit den Füßen. Das letztemal habe Sie das Kind am 
12. Juli, am Tag vor seinem Tode, ganz außergewöhnlich heftig 
geschlagen im Bettlein, das es eben wieder verunreinigt hatte. 
„Ich glaube sagen zu dürfen,“ heißt es dann in den Akten, „daß 



Zwei Fälle von Kindermifihandlung. Der Fall P. 269 

ich nicht, recht bei mir war, wenn ich jeweilen in so großem 
Zorne das Kind mißhandelte.“ 

Als der Verfasser dieses Protokolles es nach mehr als zehn 
Jahren zum ersten Male wieder las, da fiel ihm diese Wendung 
auf: „Ich glaube sagen zu dürfen“. So, wie mir Frau P. noch 
deutlich in Erinnerung steht, auch ihrem ganzen Bildungsgrade 
nach, hat sie sich ganz gewiß nicht auf diese Weise ausgedrückt. 
Dem Sinne nach wohl, aber diese Worte hat sie sicherlich nicht 
gebraucht. 

Es handelt sich hier nicht um eine Kleinigkeit, wie es auf 
den ersten Blick scheinen möchte. Zwar hatte in diesem Falle 
die Ungenauigkeit nicht viel zu sagen, da sie meines Erinnerns 
keinerlei Erörterungen oder gar Schwierigkeiten in der Hauptver¬ 
handlung nach sich zog. Doch sind mir andere Fälle bekannt, 
da solch eine Stelle, von einem gewandten Verteidiger aufgegriffen, 
vor Gericht der Anklage die größten Ungelegenheiten verursacht 
hat. Bei uns, da alles in der Mundart verhandelt wird und des¬ 
halb der Nidderschrift jeweilen eine Übersetzung ins Schriftdeutsche 
voranzugehen hat, hat man sich doppelt vor solchen Verstößen zu 
hüten, die im Drange der Verhöre so leicht Vorkommen können, 
und jeder Untersuchungsrichter tut klug daran, wenn er sich 
die Mühe und den Zeitaufwand nicht verdrießen läßt, die eine 
ganz sorgfältige Abfassung des Protokolles von ihm verlangt. 

Am 24. August 1907 verfügte der Untersuchungsrichter die 
Überführung der P. in die Irrenanstalt zur Beobachtung ihres 
Geisteszustandes, eine Maßnahme, die man hier wie wohl auch 
anderwärts bei solch schweren Fällen immer zu treffen pflegt, 
unabhängig davon, ob der Beschuldigte'den Verdacht auf Geistes¬ 
krankheit erweckt hat oder nicht. Bei Frau P. war das in keiner 
Weise der Fall gewesen. Am 23. September wurde sie wieder 
ins Untersuchungsgefängnis zurückgebracht, und am 26. September 
ging das psychiatrische Gutachten ein. 

Dieses Schriftstück gibt zunächst einen Auszug der Akten 
und berichtet dann über das Verhalten der P. während der Be¬ 
obachtungszeit. Aus diesem Berichte sei hervorgehoben, daß die 
P. auch nach Ansicht des Psychiaters keine wirkliche Reue zeigte 
Und daß ferner zweifelsfrei festgestellt wurde, daß Frau P. während 
der Beobachtung eine Ohnmacht simulierte. Auch stellte sie sich 
bei der Prüfung ihrer Schulkenntnisse absichtlich unwissender, als 
sie in Wirklichkeit war. 

Im wesentlichen sagt das Gutachten, die P. sei von den Groß- 

Archiv für Kriminologie. 71 . Bd. 19 



270 


Dr. Paul Siegfried 


eitern her nicht unbedeutend erblich belastet und zeige deutlich 
degenerative Züge. Namentlich bestehe in der Tat eine große 
Reizbarkeit, wohl noch erhöht durch ein leichtes Unterleibsleiden, 
das sich nach ihrer ersten Niederkunft einstellte, vermutlich in¬ 
folge einer in jenen Jahren erworbenen Tripperinfektion. Zur 
Zeit der Tat bestand dies Leiden noch. Die P. hatte auch immer 
angegeben, wenn sie die Periode habe, so rege sie sich übermäßig 
auf. Abgesehen davon, daß sie nicht mehr wußte, ob sie bei der 
letzten Mißhandlung des Kindes menstruiert war oder nicht, konnte 
aber ein solcher Einfluß dieses körperlichen Vorganges in der 
psychiatrischen Beobachtung nicht festgestellt werden. Aber das 
Gutachten sagt, die P. sei Zornanfällen unterworfen, in denen sie 
die Selbstbeherrschung in hohem Grade verliere. Mit Sicherheit 
habe sie auch in einem solchen Affektzustande die Mißhandlungen 
des Kindes und namentlich die letzte, den Tod des Alois ver¬ 
ursachende, begangen. Allein ein so weit gehender Schwachsinn, 
daß Exploranda durch ihn als entschuldigt angesehen werden 
könne, sei nicht festgestellt worden. Erscheine also ihre Zurech¬ 
nungsfähigkeit durch diese Eigenschaften gemindert, so seien doch 
bei ihr keinerlei Symptome einer eigentlichen geistigen Erkran¬ 
kung nachzuweisen, so daß von Unzurechnungsfähigkeit nicht die 
Rede sein könne. 

Am 12. Oktober 1907 überwies die Überweisungsbehörde 
Frau P. unter der Anklage des Mordes dem Strafgericht; am 
gleichen Tag erhob gemäß diesem Beschlüsse die Staatsanwalt¬ 
schaft die schriftliche Anklage. 

Am 15. Oktober 1907 verfügte der Strafgerichtspräsident ver¬ 
schiedene Ergänzungen der Untersuchung namentlich im Sinne 
einer noch eingehenderen Aufhellung des Vorlebens der An¬ 
geklagten. Diese Ergänzungen sind in der vorliegenden Dar¬ 
stellung berücksichtigt. Vermutlich — ich erinnere mich nicht 
mehr — hat damals der Verfasser jene Ergänzungen als höchst 
unnötig betrachtet und sich über das Begehren geärgert; heute 
wundert er sich darüber, daß er all das, was man nachträglich 
von ihm verlangen mußte, nicht von Anfang an von sich aus vor¬ 
nahm; denn heute sieht er ein, daß eine solche Tat, wenn über¬ 
haupt, nur dann einigermaßen begriffen werden kann, wenn der 
ganze Lebensgang des Angeklagten in möglichster Vollkommen¬ 
heit vor dem Richter ausgebreitet liegt. 

Am 26. Oktober 1907 machte der Direktor der Strafanstalt 
dem Strafgerichtspräsidenten, unter dessen Verfügung die P. jetzt 



Zwei Fälle von Kindermißhandlung. Der Fall P. 271 

stand, die Mitteilung, die Strafgefangene L. habe ihm gesagt, daß 
ihr die P., mit der sie während der Untersuchung die Zelle ge¬ 
teilt, erzählt habe, wie sie das Kind mißhandelt habe, um es zu 
töten. 

Auf Weisung des Präsidenten wurde am 28. Oktober 1907 
durch den Untersuchungsrichter die L. hierüber einvernommen. Sie 
sagte aus, die P. habe ihr folgendes erzählt: sie habe das Kind 
ungern und nur deshalb ins Haus genommen, damit ihr Mann 
kein Kostgeld mehr zahlen müsse. Von Anfang an habe sie einen 
Haß gegen das Kind gehabt, da es von ihrem Mann mit einer 
andern erzeugt worden sei; dieser Haß habe sich infolge der Un¬ 
reinlichkeit des Kindes noch verstärkt. Sie habe das Kind ständig 
mißhandelt; es sei dabei zuweilen „wie eine Mücke herumgeflogen“. 
Manchmal habe sie ihm derart Fußtritte gegeben, daß es cfcrei- bis 
viermal hintereinander „überbockt“ sei. Wenn es geschrieen, habe 
sie es bisweilen mit beiden Händen heftig gepreßt. Nachher habe 
sie allerdings wieder Bedauern mit ihm gehabt, wenn das Kind 
so dagelegen habe. Doch als es gestorben, sei sie doch froh 
darüber gewesen. Wenn das Kind sich beschmutzt, habe sie es 
direkt unter den geöffneten Wasserhahn gesetzt. Sie habe es 
halbe Tage lang allein zu Hause gelassen; sie habe ihm auch 
weniger als ihrem eigenen Kinde zu trinken gegeben, „damit es 
nicht so viel an den Boden mache“. 

Von ihrem Geständnis vom Untersuchungsrichter zurück- 
kommefid habe sich die P. zu ihr, der L., geäußert, es reue sie, 
daß sie nun so viel zugegeben habe. 

Aus der bei der Hauptverhandlung dann stattfindenden Gegen¬ 
überstellung der Angeklagten und der L. gewann man den Ein¬ 
druck, die P. habe aus dem bekannten Mitteilungsbedürfnis der 
Untersuchungsgefangenen heraus im wesentlichen der L. wirklich 
diese Eröffnungen gemacht, die ja in allen entscheidenden Punkten 
durch die sonstige Beweiserhebung bestätigt wurden. An diesem 
Eindruck konnte der Umstand nichts ändern, daß sicherlich Einzel¬ 
heiten von der L. absichtlich oder unabsichtlich unrichtig wieder¬ 
gegeben wurden. 

In der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht, die am 16. No¬ 
vember 1907 stattfand, bestritt die Angeklagte, jemals der L. oder 
irgend einer andern Person solche Eröffnungen gemacht zu haben; 
auch das dem Untersuchungsrichter gemachte Geständnis nahm 
sie zurück. In bezug auf die Verletzungen des Kindes brachte, 
sie die alte Ausrede wieder vor, es habe sie sich selbst durch 

19* 



272 


Dr. Paul Siegfried 


Fallen zugezogen. Die anwesenden Amtsärzte erklärten neuer¬ 
dings diese Entstehung der Verletzungen für unmöglich. 

Das Urteil nahm an, gestützt auf das Gutachten der „kleinen 
Wundschan“, das es als „geradezu vernichtend für das Lügen¬ 
gebäude der Angeklagten“ bezeichnet, die P. habe, nachdem eine 
zwei Monate lange systematische Quälerei vorausgegangen, durch 
eine außerordentlich heftige Mißhandlung am 13. Juli 1907 den 
noch am gleichen Tag eintretenden Tod des Kindes verursacht. 
Ferner nahm das Gericht vorsätzliches, nicht fahrlässiges Handeln 
an, und zwar den Vorsatz, das Kind zu töten. Obschon sich das 
Urteil bei der Prüfung der letzten noch zu entscheidenden Frage, 
ob außer dem Vorsatz auch noch Überlegung und somit, wie die 
Anklage lautete, Mord vorliege, dahin aussprach, daß die ganze 
Aktenlage auf eine Bejahung dieser Frage hinweise, indem die 
Kette roher Mißhandlungen und die mangelhafte Ernährung des 
Kindes keine andere Erklärung als die eines systematisch wohl 
überlegten Vorgehens zulasse, gelangte das Gericht, gestützt auf 
das psychiatrische Gutachten, doch dazu, im Zweifel zugunsten 
der Angeklagten anzunehmen, daß sie in einem hochgradigen 
Affektzustande gehandelt haben könne, durch welchen ihre Über¬ 
legungsfähigkeit ausgeschlossen war, und Frau P. deswegen nur 
wegen Totschlags zu bestrafen. „Bei der Strafausmessung“ endet 
die Begründung des Urteils, „fällt einerseits der schlechte Leu¬ 
mund der Angeklagten und deren freches Leugnen, insbesondere 
aber die an den Tag gelegte Grausamkeit gegenüber dem wehr¬ 
losen Kind und ihr raffiniertes Vorgehen nach der Tat, wobei sie 
durch Wickel die Spuren ihrer Handlung zu verdecken bestrebt 
war, erschwerend, andrerseits ihre erbliche Belastung und patho¬ 
logische Reizbarkeit mildernd in Betracht.“ 

Die Strafe wurde auf fünfzehn Jahre Zuchthaus bemessen, 
während das Höchstmaß für Totschlag zwanzig Jahre beträgt. 

Am 7. Dezember 1907 bestätigte das Appellationsgericht auf 
die Berufung der Verurteilten hin dieses Urteil. 

Der weitere Verlauf der Dinge sollte zeigen, daß das psy¬ 
chiatrische Gutachten zum mindesten mit seiner Behauptung erb¬ 
licher Belastung recht gehabt hatte. Am 23. Juli 1910 unterbrach 
der Regierungsrat (die höchste ausführende Behörde des Kantons, 
welche die Oberaufsicht über den Strafvollzug ausübt), die Voll¬ 
ziehung des Strafurteils, da sich die P. laut einem — auffallend 
kurz gehaltenen — psychiatrischen Gutachten vom 7. Juli 1910 
„in einem Zustande von Geisteskrankheit befinde“. Am l.Sep- 



Zwei Fälle von Kindermißhandlung. Der Fall P. 


273 


tember 1910 wurde sie deshalb zur Versorgung den Behörden 
'desjenigen Kantons übergeben, deren Bürgerin sie durch ihre 
Heirat geworden war. Daß die damals aufgetretene Geisteskrank¬ 
heit nicht auf Simulation beruhte, zeigt ein durch die freundliche 
Vermittlung eines Kollegen mir dieser Tage zugegangener Bericht 
des ärztlichen Leiters der Anstalt, in der Frau P. seit acht Jahren 
sich befindet. Darnach ist sie chronisch und unheilbar geistes¬ 
krank, fast immer erregt, leidet unter Gehörshalluzinationen und 
Störungen des Allgemeingefühls. Sie beklagt sich über die ver¬ 
schiedensten Empfindungen im ganzen Körper, die sie elektrischer 
Einwirkung zuschreibt; sie hört Stimmen, denen sie mit Beschimp¬ 
fungen antwortet usw. In bezug auf Ort und Zeit ist sie wenig 
orientiert. Früher bedrohte sie die Kranken und die Pflegerinnen; 
jetzt ist sie weniger bösartig. Wenn auch ihr körperlicher Ge¬ 
sundheitszustand gut ist, schließt der Arzt, so wäre es doch nicht 
ratsam, sie aus der Anstalt zu entlassen. 

Ob dieser ihr jetziger Zustand Rückschlüsse auf ihre Geistes¬ 
verfassung zur Zeit der Tat gestattet, und wenn ja, ob Frau P. 
als schon damals unzurechnungsfähig betrachtet werden muß, das 
kann, sofern dies überhaupt möglich ist, natürlich nur der Psy¬ 
chiater entscheiden. 




Blutrache und Sühngeld. 

Von 

Oberstleutnant-Auditor Dr. Ernst Junk (Wien). 


Am 9. Dezember 1915 schoß in einem Walde nächst dem Dorfe 
Donji Stepos, Bez. Kruäevac, in Serbien der Hirte Manojlo Tri- 
funoviö hinterrücks auf Alexander Smiljkoviö, der mit ihm Vieh 
geweidet hatte. Als der Tod bei diesem nicht sogleich eintrat, 
erwürgte er ihn und beraubte ihn sodann seiner Barschaft im Be¬ 
trage von 710 Dinar. Der Mörder war, wie in einem Zeugnis des 
Gemeindeamts Stepos ausgeführt wird, „ein gefährlicher Verbrecher 
und Dieb und als solcher allgemein betrachtet“. Er soll auch 
seinen eigenen Vater erschlagen haben, was in diesem Zeugnis 
und von den Landleuten Milenko Petroviö und Dragoslav Grujiö 
bestätigt wird, wurde jedoch wegen des Vatermordes weder an¬ 
gezeigt noch zur Verantwortung gezogen, offenbar, weil sich die 
Bevölkerung vor ihm fürchtete. Der ermordete Hirte Alexander 
Smiljkovi6, der Sohn des Veselin und der Anica Smiljkoviö, hatte 
sich des besten Leumunds erfreut 

Nachdem österr.-ung.-und deutsche Streitkräfte Serbien be¬ 
setzt hatten, lief am 24. Juli 1916 beim Gericht des k. u. k. Kreis- 
' kommandos Jagodina folgende, in ungarischer Sprache verfaßte 
Meldung des Gendarmeriepostenkommandos Dvorani ein: „Ich 
melde, daß am 19. d. M. um 7 Uhr nachmittags die Witwe Savka 
Trifunoviö, 64 Jahre alt, aus Donji Stepos einer Gendarmerie¬ 
patrouille, bestehend aus (folgen die Namen der Gendarmen) die 
Anzeige erstattet hat, daß am 10. Dezember 1915 in der Zeit 
zwischen 2—3 Uhr nachm, der Veselin Smiljkoviö und seine Frau 
Anica Smiljkovfe den Manojlo Trifunovi6 getötet haben. 

Die Patrouille hat den 66 jährigen, verheirateten Veselin 
Smiljkovid, Vater von acht Kindern, griechisch-orientalisch, unbe¬ 
scholten, aus Donji Stepos, in Gegenwart des Gemeindevorstehers 
(kmet) Dragoljub Dimitrieviö ausgefragt, und er hat angegeben, 



Blutrache und Siihngeld 


275 


daß er zu der oben erwähnten Zeit aus dem Wirtshause heim 
gekehrt war und in den Wald gegangen ist, um seinen Sohn 
Alexander Smiljkovid zu suchen, und daß er zu dieser Zeit ver¬ 
ständigt wurde, daß der Sohn der Anzeigerin seinen Sohn mit 
Namen Alexander erschossen habe. Seinen Sohn habe er schon 
tot gefunden und gesehen, daß er aus dem Hinterhalte erschossen 
wurde. Er habe auch gesehen, daß alle seine Taschen umge¬ 
wendet seien und daß an Geld im ganzen 710 Dinar fehlen, weil 
er bei sich 40 Stück serbische 10-Dinarscheine, 14 Stück serbische 
20-Frankgoldstücke und 30 Dinar in Silber gehabt habe. Dann 
sei er vom Tatorte zu dem Manojlo Trifunovid gegangen, der sich 
an der Dorfgrenze bei Hirten aufhielt und habe ihn gefragt, warum 
er seinen Sohn erschossen habe. Manojlo Trifunovid habe ge¬ 
antwortet, daß er gefehlt habe, da er aber Geld benötigt habe, 
habe er den Alexander erschossen und seine Geldbörse mit 710 
Dinar geraubt. Als der Räuber vor ihm die Tötung des Alexander 
Smiljkovid gemäß oben Gesagtem eingestand, wollte er den Ma¬ 
nojlo Trifunovid zu dem deutschen Militärkommando in Donji 
Stepos führen. Trifunovid ging auch ein Stück mit ihm, auf ein¬ 
mal jedoch habe er sich niedergelegt und gesagt, er solle ihn nur 
umbringen, aber nicht quälen, denn er habe den Alexander auch 
nicht gequält. Inzwischen sei seine Frau, die Anica Smiljkovi6, 
dorthin gekommen, wo derManojlo lag, dieser habe um seineTötung 
ersucht und sogleich sei sie bei Alexander Smiljkovid (soll wohl 
heißen: bei Manojlo Trifunovid) mit einem Messer gewesen und 
habe den Manojlo Trifunovid so in den Hals gestochen, daß er 
sofort starb. 

Anica Smiljkovid, 63 Jahre alt, gr.-orient. Glaubens, verheiratet, 
Mutter von acht Kindern, aus Donji Stepos, wurde auch befragt 
und gab an, daß sie, als sie ihren Sohn Alexander tot sah, in 
Ohnmacht fiel, so daß sie sich nicht erinnert, auf welche Weise 
sie den Manojlo Trifunovid umgebracht habe. 

Die Verhaftung hat die Patrouille nicht bewirkt, weil man seine 
Flucht nicht annehmen muß und weil die Frist zur Erstattung der 
Anzeige als abgelaufen anzusehen ist (?), weshalb ich auch um 
einen auf die Verhaftung gerichteten Befehl bitte. Das den Über¬ 
führungsgegenstand bildende Messer konnte in Verwahrung nicht 
genommen werden, weil die Soldaten es weggetragen hatten. 

Milenko Petrovid, 28 Jahre alt, Dragoslav Gruid, 24 Jahre alt, 
Milan Pantelid, 35 Jahre alt, Radomir Vasiljevid, 18 Jahre alt, 
Miodrag Stefanovid, 17 Jahre alt, Zsivojin Petrovid, 18 Jahre alt, 



276 


Dr. Ernst Junk 


sämtlich Zeugen aus Donji Stepos haben den Fall dem Obgesagten 
entsprechend mit dem Beifügen vorgebracht, daß Manojlo Trifu- 
noviß ein Individuum von schlechter Vergangenheit war, das zur 
Verübung schwerer Verbrechen sehr, neigte“. 

Es geht aus dieser Gendarmeriemeldung hervor, daß der von 
mehreren Personen bestätigte, an Alexander Smiljkoviß und an 
Manojlo Trifunoviß verübte Mord erst nach mehr als einem halben 
Jahre und wohl nur infolge des durch unseren Einmarsch be¬ 
wirkten Rechtszustandes zur Anzeige gebracht wurde. Bezeichnend 
für die Rechtsanschauungen der Bevölkerung ist auch der Um¬ 
stand, daß ein Sohn der Eheleute Smiljkoviß in einer an das 
Kreisgericht in Jagodina am 28 Juli 1916 gerichteten Eingabe 
allen Ernstes behauptet, Savka Trifunoviß habe die Anzeige wegen 
Ermordung ihres Sohnes nur deshalb gemacht, um einer Anklage 
wegen Teilnehmung an der Beraubung des Alexander Smiljkoviß 
„entgegenzutreten“. Sonderbar ist auch die Ausdrucksweise, 
auf die er die Mordtat seiner Mutter rechtfertigt: Sie habe in 
schwerer Seelendepression und aus mütterlicher Verzweiflung den 
T. umgebracht. 

Auf Grund der Gendarmerieanzeige hat der zuständige Kom¬ 
mandant am 26. Juli 1916 gegen Veselin und Anica Smiljkoviß 
das Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens des Mordes unter 
Haft angeordnet. Aus den „Zuwachsmeldungen“ des Feldarrestes 
vom 27. Juli 1916 geht hervor, daß Anica Smiljkoviß an einem 
Auge blind ist, und daß Veselin und Anica S. Analphabeten sind. 

Im Ermittlungsverfahren hat sich das Bild der der Gendarmerie¬ 
anzeige wohl zu entnehmenden gemeinsamen Schuld des Ehe¬ 
paares vollkommen verändert, denn Veselin S. hat am 28. Juli in 
seinem Verhöre vor dem Untersuchungsführer jedwede Schuld ge¬ 
leugnet und zur Gänze seine Frau belastet, die in ihrem am 
selben Tag aufgenommenen Verhöre der Verantwortung ihres 
Mannes vollkommen beipflichtet. Die Aussagen der Eheleute 
lauten: Veselin Smiljkoviß: „Am Samstag den 13. November (?) 
1915 erzählte mir Stojanka Alexiß, daß auf der Slatina in der 
Nähe des Dorfes Stepoä die Leiche eines Mannes liege. Ich ver¬ 
mutete sofort, daß dies mein Sohn Alexander sein könnte, weil 
er am Tage zuvor dortselbst Vieh weidete und in der Nacht nicht 
nach Hause gekommen war. Ich begab mich in Begleitung der 
Tina Sibinoviß und Senija Panteliß, beide aus Stepos, dorthin und 
fand meinen Sohn mit einem Kopfschuß auf der Erde liegend 
tot an. Er war auch am Halse stark verkratzt und es fehlte auch 



Blutrache und Sühngeld 


277 


sein Leibgürtel. Mein Verdacht, diese Tat begangen zu haben, 
lenkte sich sofort auf Manojlo Trifunovid, weil dieser Tags zuvor 
gemeinsam mit meinem Sohne das Vieh auf jener Weide geweidet 
hatte. Ich machte mich sofort auf die Suche nach Trifunovid und 
fand ihn auf einer Wiese bei Rasina auf einem Strohhaufen sitzend. 
Als er meiner ansichtig wurde, sah ich, wie er die Geldbörse 
meines Sohnes unter das Stroh versteckte. Ich beschuldigte ihn^ 
gleich, daß er meinen Sohn ermordet habe, doch stellte Trifunovid" 
dies in Abrede und gab es erst zu, als ich auch den Gürtel meines 
Sohnes bei ihm bemerkte und ihm dies vorhielt. Ich forderte die 
anwesenden Milenko Petrovid und Dragoslav Grujid auf, den Tri- 
funovid zu binden und 7 zum deutschen Kommando zu führen. 
Trifunovid ging auch mit uns, doch legte er sich nach etwa 200 
Schritten plötzlich auf die Erde und sagte, er lasse sich nicht 
weiter führen. Inzwischen war meine Frau Anica herbeigekommen 
und fragte den Trifunovid, warum er ihren Sohn ermordet habe. 
Er antwortete ihr: „Ich habe meinen Vater und deinen Sohn er¬ 
mordet, töte mich auch, aber mache es schnell.“ Meine 
Frau, die ein offenes Messer in der Hand hielt, schnitt dann mit 
demselben dem keinerlei Widerstand leistenden Trifunovid 
einfach die Gurgel durch. Dies erfolgte derart plötzlich, daß nie¬ 
mand von den Anwesenden dies verhindern konnte. Trifunovid 
starb gleich darauf. Ich habe den Vorfall am nächsten Tage so¬ 
fort einem Kmeten gemeldet, doch wurde deswegen nichts ver¬ 
anlaßt, weil damals noch keine Behörden funktionierten. Ich fühle 
mich unschuldig, da ich an der Ermordung des Trifunovid in keiner 
Weise beteiligt bin.“ 

Anica Smiljkovid: „Die Tat beging ich so, wie sie mein Mann 
Veselin Smiljkovid geschildert hat. Ich war damals infolge der 
Ermordung meines Sohnes durch Trifunovid derart aufgeregt, daß 
ich mir im Augenblick gar nicht bewußt war, was ich tat. Sonst 
kann ich nichts zu meiner Rechtfertigung anführen.“ 

Veselin S. wurde am 7. August 1916 auf freien Fuß gesetzt. 
Sein weiteres prozessuales Geschick ist dem Akte nicht zu ent¬ 
nehmen, ohne Zweifel ist die gegen ihn erstattete Anzeige zurück¬ 
gelegt worden. Gegen Anica S. wurde der Anklagebefehl wegen 
Verbrechens des Mordes nach den §§ 413 und 414:4 M.St.G. (ge¬ 
meiner Mord) erlassen. Am 24. August 1916 fand gegen sie beim 
(österr.-ung. Feld-) Gerichte des k. u. k. Kreiskommandos Jago- 
dina die Hauptverhandlung statt, in der sie sich auf die Wieder¬ 
holung der vor dem Untersuchungsführer gemachten Angaben be- 



278 


Dr. Ernst Junk 


schränkte. Veselin S. hat als Zeuge nach Verzicht auf die Rechts¬ 
wohltat der Zeugenschaftsentschlagung seine früheren Angaben 
wiederholt und hinzugefügt: „Unmittelbar nach der Tat hat meine 
Frau folgende Worte ausgesprochen: .Jetzt habe ich mich für 
meinen Sohn gerächt und das Gericht kann mich aufhängen‘.“ 
Als der Verhandlungsleiter die Angeklagte frägt, ob sie diese 
Worte ausgerufen habe, antwortet sie, daß sie sich dieser Worte 
nicht erinnern könne. Die Frage, warum sie ein Messer mitge¬ 
nommen habe, läßt sie unbeantwortet und bereitet auch sonst den 
belastenden Angaben ihres Mannes keinerlei Widerspruch. Sie 
wurde mit dem Urteile des genannten'Gerichtes vom 24. August 
1916 schuldig erkannt, daß sie am 13. November (?) 1915 in Ra- 
sina dem Manojlo Trifunovi<$ in der Absicht, ihn zu töten, mit 
einem Bauernmesser die Kehle durchschnitt, so daß dessen Tod 
erfolgte, wodurch sie das Verbrechen des Mordes nach den oben 
genannten Gesetzesstellen begangen habe und wurde hierfür zum 
Tode durch den'Strang verurteilt. Die Verurteilte hat von dem 
ihr zustehenden Beschwerderecht keinen Gebrauch gemacht. Wie 
aus den im Akte offenliegenden, gemäß § 313 M.St.P.O. aufge¬ 
nommenen Beratungsprotokolle hervorgeht, hat das Kriegsgericht 
die Verurteilte einstimmig der Begnadigung würdig gehalten, wo¬ 
bei es sich von der Erwägung leiten ließ, daß sie die Tat in einer 
das Bewußtsein nicht ganz ausschließenden Sinnesverwirrung ver¬ 
übt habe, weiter von der Rücksicht auf ihr Geständnis, auf die 
durch dip mehreren langwierigen Kriege hervorgerufene allgemeine 
Sittenverrohung, auf ihre schuldlose Familie und auf ihr unbe¬ 
scholtenes Vorleben. Anderer Ansicht war der zuständige Kom¬ 
mandant, der das Todesurteil gemäß § 475 M.St.P.O. dem Armee¬ 
oberkommandanten zur Bestätigung vorzulegen hatte, und der sich 
im Vorlagebericht gegen die Begnadigung der Verurteilten aus¬ 
sprach. Der Armeeoberkommandant hat dem Gnadenantrage des 
Kriegsgerichtes und v dessen Erwägungen, denen sich auch der 
Militärgeneralgouverneur angeschlossen hatte, stattgegeben und 
die Todesstrafe der Anica S. in zehnjährigen schweren und ver¬ 
schärften Kerker im Gnadenwege umgewandelt. Von dieser Strafe 
hat sie nur zwei Jahre verbüßt, da der (neue) zuständige Kom¬ 
mandant, dessen Gnade ein Sohn der Verurteilten angerufen hatte, 
ihr am 13. Juli 1918 den Rest der Strafe mit folgender Begrün¬ 
dung nachgesehen hat: „In weiterer Berücksichtigung der großen 
Aufregung, in der sich die Verurteilte zur Tat hat hinreißen lassen, 
ferner in Erwägung der zur Erfolg versprechenden Wiederauf- 



Blutrache und Sühngeld 


279 


nähme des Prozesses jedenfalls vorhandenen Gründe und in der 
Überzeugung, daß die Tat durch <iie zweijährige Haft'und tadel¬ 
lose Aufführung der Verurteilten genügend gesühnt ist, sehe ich 
ihr den Rest der Strafe im Gnadenwege nach.“ 

Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß selten ein 
Straffall in kriminalpsychologischer Hinsicht soviel Anregung bot 
und in dieser Hinsicht so wenig erfaßt wurde, wie der vorliegende, 
doch sollte der Vorwurf der Oberflächlichkeit gegen die an einem 
feldgerichtlichen Verfahren beteiligten Funktionäre in diesem und 
in anderen Fällen erst dann erhoben werden, wenn unzweifelhaft 
feststeht, daß sie nicht unter außergewöhnlichen Verhältnissen 
(z. B. Amtshandlung im Schützengraben, übergroße Arbeitshäufung, 
namentlich während der letzten Kriegsjahre infolge Mangel an 
Justizoffizieren) ihr Amt fehlerhaft versahen. 

Es drängt sich die Vermutung auf, daß die Eheleute S. an 
dem Mörder ihres Sohnes Blutrache geübt haben. Allerdings 
wird von Kennern südslavischer Verhältnisse*) behauptet, daß die 
Blutrache im heutigen Serbien, in dem sich der geschilderte Straf¬ 
fall zutrug, nicht mehr vorkomme, doch bezieht sich dieses Zeug¬ 
nis wohl nur auf die feierliche, vom ganzen Stamm oder der Sippe 
geübte Rache. Es ist auch zu erwägen, daß die langen Kriege, 
in die die Bevölkerung Serbiens verwickelt ist, die Staatsgewalt 
schwächte und alte Instinkte im Volke wieder aufleben ließ. Sie 
treten in dem uns fremdartig berührenden widerstandslosen Ver¬ 
halten des Trifunoviß zu Tage, der wohl wußte, daß er der Rache 
verfallen ist und seiner Rächerin zuruft: „Ich habe deinen Sohn 
ermordet, töte auch mich“, und in den Worten der Rächerin ihres 
Sohnes: „Jetzt habe ich mich für meinen Sohn gerächt und das 
Gericht kann mich aufhängen“. Die Behauptung des Veselin S., 
daß er den Trifunovfe zum deutschen Kommando habe führen 
wollen, daß er also Selbsthilfe nicht beabsichtigt habe, sowie daß 
er den Vorfall einem Kmeten gemeldet habe, findet keine Unter¬ 
stützung durch gerichtliche Erhebungen. 

Veselin und Anica S. haben vermutlich im Einverständnis % 
gehandelt — das behauptete Nacheilen und wie zufällige Auf¬ 
treten der mit dem Messer bewaffneten Frau ist sehr unwahr¬ 
scheinlich —, wenn nicht gar die Frau, deren Körperkraft ärzt¬ 
liche Bestätigung im Akte findet, das Rachewerk auf Befehl ihres, 
hierzu viel leicht weniger geeigneten Mannes mit so meisterhafter 

*) So WesnitscH, Die Blutrache bei den Südslaven, Zeitschrift für ver¬ 
gleichende Rechtsforschung, Band 8 und 9. 



280 


Dr. Ernst Junk 


Raschheit vollzogen hat. Zumindest scheint Veselin S. sich der 
absichtlichen Nichthinderung des Mordes schuldig gemacht zu 
haben, wofür auch die Gendarmeriemeldung zeugt, die in ihrer 
Ausführlichkeit kaum auf ein sprachliches Mißverständnis des 
ungarischen Gendarmen zurückzuführen ist. Der Umstand, daß 
die eines Kapitalverbrechens Angeklagte die Angaben ihres Mannes, 
der sie ohne Zwang schwer belastet, widerspruchslos hinnimmt, 
läßt sich durch die notorische Unterwürfigkeit der südslavischen 
Frau nicht hinlänglich erklären, sondern spricht für die Kom- 
plizität des Ehepaares und das Bestreben der Frau, ihren Mann, 
den Ernährer von acht Kindern, zu schützen. Daß der rechts¬ 
kundige, offenbar dem Soldatenstande angehörige Verteidiger der 
Angeklagten in der Hauptverhandlung ihre Handlungsweise nicht 
mit der Institution der Blutrache in Verbindung gebracht hat, 
könnte leicht dadurch Erklärung finden, daß die Kommandanten 
der verbündeten Streitkräfte der Bevölkerung Selbsthilfe jeder Art 
in ihrem Kommandobereiche untersagt hatten. 

Nur dem Mangel an gründlicher Erforschung, insbesondere 
psychologischer Klärung der Straftat, die sie in milderem Lichte 
hätte erscheinen lassen, ist es wohl zuzuschreiben, daß der zu¬ 
ständige Kommandant das Urteil mit dem Bemerken vorlegt, es 
seien bei der zum Tode Verurteilten keinerlei Gnadengründe vor¬ 
handen. Seinem Nachfolger sind diese Mängel nicht entgangen; 
er hat sie im Auge gehabt, als er von der Wiederaufnahme des 
Prozesses sprach, deren gesetzliche Voraussetzungen in Wirklich¬ 
keit nicht gegeben sind. Der reiferen Einsicht des Armeepber- 
kommandanten ist die Abwendung der Todesstrafe zu verdanken, 
die dem Rechtsempfinden gewiß nicht entsprochen hätte. 

Am 11. August 1916 wurde beim k. u. k. Bezirkskommando 
in Kruäevad zwischen Savka Trifunovic, der Mutter des Ermordeten 
und Dragoljub Smiljkoviö, dem Sohne der Mörderin, ein Vertrag 
geschlossen. Das hierüber aufgenommene Protokoll sei hier wort¬ 
getreu wiedergegeben: „Protokoll, aufgenommen am 11. August 
in KruSevaö in der Angelegenheit der Savka Trifunoviö gegen 
Anica Smiljkoviö aus Donji StepoS. Anwesend die Gefertigten. 
Savka Trifunoviß aus Donji StepoS erklärt, daß, wenn sie von der 
Anica Smiljkoviö aus Donji Stepos 500, sage fünfhundert Dinar 
als Entschädigung bekommt, sie ihrerseits gar keinen weiteren 
Anspruch gegen die Anica Smiljkovi6 wegen des Totschlags ihres 
Sohnes Manojlo erhebt. Dragoljub Smiljkoviö erklärt, daß er für 
seine Mutter Anica die geforderten 500 (sage fünfhundert) Dinar 




Blutrache und Stlhngeld 


281 


zu bezahlen geneigt ist und übergibt sofort die 500.— Dinar der 
Savka Trifunovfe aus Donji StepoS. Savka Trifunoviß bestätigt 
die Übernahme der 500 Dinar und erklärt, daß sie gegen die 
Anica Smiljkovi6 wegen Totschlag ihres Sohnes keinen weiteren 
Schadenersatz zu fordern hat und ihrerseits die Bestrafung 
der Anica Smiljkovi6 nicht wünscht. Das Protokoll wurde 
vorgelesen, in der Muttersprache der Partei erklärt und unter¬ 
schrieben . . 

Wenn man erwägt, daß den Vertragschließenden der Umstand 
gewiß nicht bekannt war, daß im geltenden Militärstrafverfahren 
Privatansprüche nicht erledigt werden, und daß es dem Dragoljub 
S. kaum darum zu tun war, einen im gegebenen Fall unerheb¬ 
lichen Milderungsgrund für seine Mutter zu erwirken, geht man 
kaum fehl, wenn man in dem beurkundeten sonderbaren Vorgang 
die unter der Patronanz einer k. u. k. Behörde zustande ge¬ 
kommene Erstattung eines Sühngeldes erblickt. 



Defloration eines taubstummen Kindes. 

Von 

Staatsrat Dr. James Brock, 

ehemals an der Kaiser!. St. Petersburger Entbindungsanstalt 
-und St Petersburger Stadtakkoucheur. 


Wenn schon jedesVerbrechen begangen an einem hilflosen Kinde, 
Abscheu und Empörung bei allen rechtlich Denkenden hervorruft, 
so müssen diese Gefühle den höchsten Grad erreichen in den 
Fällen, wo das Objekt des Verbrechens ein noch besonders von 
der Natur stiefmütterlich bedachtes und von der Gesellschaft zu¬ 
rückgesetztes Wesen bildet; und Taubstumme sind solche. Denn 
gleich Blödsinnigen und Schwachsinnigen genießen die Taub¬ 
stummen nicht alle bürgerlichen Rechte. Destomehr sind sie zu 
bedauern, wenn sie der perversen Sinnlichkeit eines satyriasisch 
veranlagten Unholdes zum Opfer fallen. Für pädophil-sexuell 
veranlagte Männer sind hilflos dastehende Mädchen, Waisen, 
Kinder von Säufern, armen, von Not gebeugten Witwen und ähn¬ 
liche bedauernswerte Wesen stets besonders begehrenswert. Dieses 
weist deutlich auf den sadistischen Zug bei diesen Verbrechertypen 
hin. Es ist deshalb verständlich, wenn solche sich zu einem taub¬ 
stummen Mädchen leichter hingezogen fühlen. Und hierzu kommt 
noch der verführerische Umstand, daß dieses Mädchen kaum im 
Stande ist, den Stuprator verraten zu können und vom Gesche¬ 
henen Mitteilung zu machen. Wenn nun Prozesse über Sittlich¬ 
keitsverbrechen, begangen an Taubstummen, so überaus selten ziir 
gerichtlichen Verhandlung gelangen, so ist eben det Grund darin 
zu suchen, daß die unglückliche Geschändete stumm ist. Die 
Zeichen, durch die sie sich ihrer nächsten Umgebung, in der sie 
sich täglich bewegt, verständlich zu machen imstande ist, würden 
dem Gerichte unverständlich bleiben und die, die als Deuter 
dieser Zeichen wohl allein in Betracht kommen, die Eltern und 
nächsten Angehörigen, werden vom Gerichte kaum als unbe¬ 
fangene Dolmetscher zugelassen werden können. Hierzu würde 
sich nur ein Taubstummenlehrer eignen. Doch wo ist wohl stets 




Defloration eines taubstummen Kindes 


283 


solch einer zu erreichen? Wenn wir dann noch bedenken, daß 
bei Sittlichkeitsverbrechen, begangen an Kindern, eine Verletzung 
des Hymens, des Attributes der Virginität, meistens nicht statt hat, 
so verstehen wir, daß Prozesse, wo ein taubstummes Kind das 
Objekt cles Verbrechens ist, eine große Seltenheit bilden, ja, 
daß in den meisten Fällen sogar keine Klage erhoben wird. 

In meiner Eigenschaft als St. Petersburger Stadtakkoucheur hatte 
ich Gelegenheit Sachverständiger in einem Prozesse zu sein, wo es 
sich um Defloration eines neunjährigen taubstummen Mädchens 
handelte. Das Interesse, das auch weitere Kreise einem der¬ 
artigen Gegenstände entgegenbringen könnten, veranlaßt mich 
zur Mitteilung dieses Falles. 

Zunächst möchte ich die offizielle gerichtliche Anklageschrift 
wörtlich ins Deutsche übersetzt anführen: 

Anklageakt 

über den Kleinbürger Alexei D ... dow. 

Um 3 Uhr tags am 4. August 1911 erschien in St. Petersburg 
in der Hausknechtswohnung des Hauses Nr. 15/17 der P... Straße 
der im selben Hause wohnhafte Monteur Alexei D. und traf dort 
den Hausknecht Anton L., dessen Frau Antonina und ihre neunjährige 
taubstumme Tochter Marie beim Mittagessen an. Da zwischen 
L. und D. ein Freundschaftsverhältnis bestand, so forderte besag¬ 
ter Hausknecht den Monteur auf, sich hinzusetzen und mitzu¬ 
speisen. D. erklärte sich bereit und machte den Vorschlag nach 
Bier zu schicken, worauf er hinausging; nach ihm verließ auch 
Marie L. das Zimmer. Nach ungefähr 20 bis 25 Minuten kam 
letztere in die Hausknechtswohnung zurückgelaufen, stürzte sich 
weinend auf die Mutter und begann ihr die Hände zu küssen. 
5 Minuten später trat auch D. hinein und setzte sich wieder an 
den Tisch. Als Marie jedoch seiner ansichtig wurde, lief sie mit 
einem Aufschrei ins benachbarte Zimmer, und da fragte die dar¬ 
über erstaunte Antonina L. den D., wodurch er das Mädchen so 
erschreckt habe. Auf diese Frage erwiderte D. verwirrt, daß er 
Marie nichts Böses zugefügt habe; er habe ihr sogar 10 Kopeken 
für Naschwerk gegeben, als sie zu ihm in die Wohnung kam; 
dem Anton L. erklärte D., daß er gesehen habe, wie ein Knabe 
Manja 1 ) geschlagen hätte. Die Antonina L. begnügte sich jedoch 
nicht mit den Worten D.’s und unterzog Marie einer Besichtigung, 
wobei sie bemerkte, daß die Wäsche der letzteren blutig war. Auf 


*) Kosungsname für Marie. 



284 


Dr. James Brock 


Ajnfrage der Ellern erklärte Marie, durch Zeichen, daß D. sie zu 
sich ins Zimmer gerufen, ihr den Rock aufgehoben und ihr was 
Großes und Hartes zwischen die Beine gesteckt habe. Hierauf 
schickte L. nach der Hebamme N.; doch nahm diese nur eine 
äußere Besichtigung der Marie vor, da das Mädchen die Geschlechts¬ 
teile nicht zeigen wollte, mit den Händen sie zu verbergen suchte 
und heftig weinte. Den D. der Defloration ihrer minderjährigen 
Tochter verdächtigend, wandten’sich die Eheleute L. an die Polizei. 
Das oben Dargestellte wurde in der Voruntersuchung durch die 
Zeugenaussagen des Anton und der Antonina L., wie auch der 
N. bestätigt. 

Die in der Voruntersuchung durch den Dolmetscher, den 
älteren Erzieher an der Kaiserlichen Taubstummenschule, befragte 
Marie L. erklärte,* daß „der Onkel mit dem Verbände“ (so nannte 
sie D.) sie in sein Zimmer gerufen, sie zum Tische geführt und 
ihr 10 Kopeken Geld angeboten habe, selbst setzte er sich auf 
einen Stuhl und stellte sie, Marie, vor sich hin; darauf erhob er 
ihr Kleid, knöpfte ihr Beinkleid auf und steckte ihr etwas Hartes 
und Großes zwischen die Beine. Sie empfand heftigen Schmerz, 
fing wohl an zu weinen, nicht aber zu schreien. Hierauf führte 
der „Onkel“ sie, die L., zum Tisch, zwang sie, sich mit den Händen 
daran zu halten und schob ihr von hinten abermals was Hartes 
zwischen die Beine. Beide Male blutete sie. Nach dem zweiten 
Male entließ der „Onkel“ sie aus dem Zimmer und sie lief an¬ 
fangs in die Waschküche, wo sich ein ihr bekanntes Mädchen 
befand, darauf aber kam sie nach Hause und erzählte alles der 
Mutter. 

Bei der am 6. August durch den Experten, Akkoucheur Dr. 
Brock, vorgenommenen gerichtlich-medizinischen Untersuchung der 
Marie L. erwies es sich, daß die Scheide 2 ) der Geschlechtsteile 
stark gerötet war, besonders rechts von der Basis des Hymens, 
wo sich ein deutlich ausgesprochenes Blutextravasat von Erbsen¬ 
größe wahmehmen ließ. An der hinteren Kommissur des Hymen, 
der von halbmondförmiger Gestalt ist, wurde ein Einriß derselben 
entdeckt, der bis zur Basis reichte. Auf Grund dieser Ergebnisse 
schloß der Expert, daß die L. der physischen Jungfernschaft beraubt 
ist, wobei die Defloration im Laufe der letzten Woche stattgefunden 
hat, doch infolge mangelhafter Entwicklung der Geschlechtsteile 
eine vollständige Einführung des männlichen Gliedes nicht ge¬ 
lungen ist. 

l ) Im Untersuchungsprotokoll steht .Scheideneingang*. 



Defloration eines taubstummen Kindes 


285 


Bei der chemisch-mikroskopischen Untersuchung der auf dem 
Hemde, dem Beinkleide und dem Rocke der Marie L. befindlichen 
Blutflecke, vorgenommen von Dr. med. Korowin, kam erwähnter 
Arzt zur Überzeugung, daß das in diesen Flecken vorhandene 
Blut nach den in ihm konstatierten Elementen und nach den 
Stellen, wo es sich vorfindet, beurteilt, augenscheinlich aus den 
Geschlechtsorganen herstammt. 

Bei der weiteren in dieser Sache vorgenommenen Unter¬ 
suchung bestätigte die Zeugin S. R., daß am genannten Tage gegen 
3 Uhr in die Waschküche, wo sie Wäsche wusch, die heftig erregte 
Marie L. gelaufen gekommen wäre und sie durch Zeichen versucht 
habe zu bitten, ihr zu helfen, die Tür festzuhalten. Nach der L. 
sei D, der nicht nüchtern war, eingetreten und begann sich in 
einem Gefäße die Hände zu waschen. Beim Anblicke des D. fing 
Marie zu weinen an und versteckte sich, wobei sie der Zeugin 
erklärte, daß D. ihr, der Marie, in der Bauchgegend Schmerz 
zugefügt habe. 

Nach Aussage des Hausknechtes des obengenannten Hauses 
Sch., äußerte der in die Polizeiverwaltung geschaffte D. zu Anton L. 
gewandt: „verzeihen Sie“, ohne jedoch zu erklären, wozu er sich 
schuldig bekannte. Am folgenden Tage kam D. zum Zeugen, bat 
ihn, sich zu L. zu begeben und ihm einen friedlichen Ausgleich 
anzutragen, mit der Bedingung, daß er, D., dem L. 200 Rubel in 
barem Gelde bezahlen und ihm 300 Rubel in Wechseln übergeben 
würde. Hierbei sagte D., daß er dieses nicht tut, weil er sich hin¬ 
sichtlich des Vorgefallenen schuldig fühlt, sondern nur weil er 
nicht wünscht, daß die Angelegenheit an die Öffentlichkeit kommt. 
L. jedoch wies den Vorschlag, nach der Aussage des Sch., ab. 

Auf Grund der angeführten Tatsachen wurde Alexei D. als 
Angeklagter in Untersuchung gezogen, wegen Defloration der 
minderjährigen Marfe L. durch Ausübung des Geschlechtsaktes. 
Doch bekannte er sich der ihm vorgeworfenen verbrecherischen 
Handlung für nicht schuldig mit der Erklärung, daß die Eltern L. 
gegen ihn eine falsche Anklage erhoben hätten. Am 4. August 
habe er in seiner Wohnung mit seinem Bekannten, Alexei Sp., 
gesessen und Bier getrunken, in der Hausknechtswohnung ist er 
überhaupt hicht gewesen. 

Diese Erklärung des Angeklagten D. fand jedoch keine voll¬ 
ständige Bestätigung durch die Aussage des Zeugen Sp., welcher 
bekräftigte, daß er am 3. oder 4. August den D. in der G... Straße 
getroffen habe, der ihn dabei aufforderte in eine Bierbude zu 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 20 



286 


Dr. JaMes Brock 


gehen, wo sie sich nicht mehr wie 3 /4 Stunden aufgehalten haben; 
hierauf begaben sie sich in die Wohnung des D., wo Sp. nicht 
länger als zehn Minuten verweilte. Nach den Worten des Zeugen 
war A. D. an diesem Tage betrunken, wobei sich dieser Zustand 
durch erhöhte Fröhlichkeit äußerte. Auf Grund des dargelegten 
wird der Kleinbürger der Stadt Rjibinsk Alexei D., 39 Jahre alt, 
dessen angeklagt, daß er am 4. August des Jahres 1911 in St. 
Petersburg im Hause Nr. 15/17 der P... straße die Unwissenheit 
und Unerfahrenheit der Marie L., bäuerlichen Standes, sich zu¬ 
nutze machend, mit ihr den Geschlechtsakt ausgeübt hat, wobei 
er sie der physischen Jungfernschaft beraubte. 

Das angeführte Verbrechen ist vorgesehen in I. Th. des § 1524 
des Kriminalrechts. Deswegen und auf Grund des § 201 des 
Statutes der Kriminalgerichtsordnung unterliegt genannter D. dem 
Urteile des St. Petersburger Bezirksgerichts mit Hinzuziehung 
von Geschworenen. 

Dieses der Anklageakt des Staatsanwaltes. 

Betrachten wir uns nun näher die einzelnen uns mehr inter¬ 
essierenden Momente des vorliegenden Falles: 

Sofort nach dem an ihr begangenen Verbrechen läuft die 
kleine Marie zur Mutter, um ihr das Geschehene zu melden. Es 
klingt das so natürlich und man müßte annehmen, daß alle 
kleinen Mädchen, die sich in derselben Lage befinden, ebenso 
handelten. Aber nicht immer geschieht dieses; öfters verstehen 
sie das Vorgefallene vor der Mutter zu verheimlichen und diese ent¬ 
deckt erst durch Zufall, meist durch die blutbefleckte Wäsche auf die 
richtige Fährte geleitet, den Sachverhalt. Dem Verbrecher gelingt es 
nämlich nicht selten, sein Opfer durch Drohung derart einzu¬ 
schüchtern, daß dieses alle Schmerzen ruhig erträgt und ihn nicht 
verrät. Das Versprechen, die Geschändete im entgegengesetzten 
Falle „totzuschlagen“ oder „mit dem Messer zu zerfleischen“ übt 
eine prompte Wirkung auf die armen, schon durch den Vorfall 
selbst stark alterierten Kinder aus. Wenn D. also eine Drohung 
ausgesprochen haben sollte, so hat Marie sie nicht gehört und 
verstanden oder man kann wohl eher annehmen, daß er dieses zu 
tun unterließ, weil er einen Verrat von seiten der Stummen nicht 
fürchten zu müssen wähnte. Hierin glaube ich den Grund zu 
sehen, daß dem Gegenstände sofort die nötige Aufmerksamkeit 
geschenkt werden konnte. 

Verfolgen wir nun den Gang der Untersuchung des Falles, 
so bemerken wir, daß sich die Eltern der Geschändeten zuerst 



Defloration eines taubstummen Kindes 


287 


an eine Hebamme wenden. Es ist das der häufigste Weg, der 
eingeschlagen zu werden pflegt, doch ist von einem solchen Vor¬ 
gehen dringend abzuraten. Man kann nur wünschen, daß in der 
Zeit zwischen stattgehabtem Verbrechen und der offiziellen ge¬ 
richtlich-medizinischen Expertise niemand an den Genitalien herum¬ 
manipuliert hat. Gerade Hebammen sind sich dabei der Tragweite 
ihrer Handlungen nicht bewußt und schaden gewöhnlich mehr 
als sie nützen. Von den zahlreichen Beispielen, die ich zur Be¬ 
stätigung hierfür anführen könnte, sei nur eines Falles Erwähnung 
getan: StujJrata — ein 15jähriges Mädchen; die Angehörigen 
wenden sich sofort nach stattgehabtem Delikte an eine Hebamme, 
die das Mädchen untersucht und eine schriftliche Bescheinigung 
ausstellt, in der gesagt ist: „Starke Blutung, Hymen unverletzt, 
für zwei Finger durchgängig“. Daß es unstatthaft ist, in solchen 
Fällen die Finger in die Geschlechtsteile einzuführen, braucht 
wohl nicht hervorgehoben werden zu müssen; unter Umständen 
könnte sich eine solche Person selbst eine Anklage wegen Fahr- 
läßigkeit zuziehen. Daß ein schriftliches Zeugnis der Hebamme 
gar keine gerichtliche Bedeutung hat, ist selbstverständlich. In 
Betracht kommt nur das offizielle Protokoll über die gerichtsärzt¬ 
liche Untersuchung nebst dem sich daranschließenden Gutachten des 
Experten. Auch Ärzte können nicht dringend genug davor gewarnt 
werden, schriftliche Bescheinigungen über durch Sittlichkeitsver¬ 
brechen entstandene Beschädigungen auszustellen. Es macht doch 
gewiß keinen guten Eindruck, ein auf bedrucktem Blankette aus¬ 
gestelltes, mit Unterschrift und Siegel versehenes, ärztliches Zeug¬ 
nis zu lesen, auf dessen Rückseite die Verplichtung des Ange¬ 
schuldigten sich befindet, zugunsten der von ihm Geschändeten ein¬ 
malig eine größere Summe und im Verlaufe einer gewissen Zeit 
so und soviel ratenweise zahlen zu wollen. Auf ein derartiges 
Dokument bin ich in einer Gerichtsakte gestoßen. Ich bin über¬ 
zeugt, daß der Arzt bei Ausstellung des Zeugnisses, keine Ahnung 
davon hatte, daß dieses sich in der Folge in ein gut kotiertes 
Wertpapier verwandeln würde. 

Ist sofortige ärztliche Hilfe nötig, und besonders bei kleinen 
Mädchen kann dieser Fall eintreten — ich habe mehrere Male z. B. 
vollständigen Dammriß bis zum Rektum, hervorgerufen durch 
Notzucht, gesehen — so kommt einzig und allein Anstaltsbehand¬ 
lung in Betracht. Auf Grund der dann später — selbst nach 
Wochen — vorgenommenen offiziellen Untersuchung und der 
Aufzeichnungen im Krankenjournal wird es dem Experten wohl 

20 * 



288 


Dr. James Brock 


stets gelingen, ein klares Bild vom Vorgefallenen zu gewinnen 
und sein Gutachten abgeben zu können. 

Es wird oft der Befürchtung Ausdruck gegeben, leichte Ver¬ 
letzungen könnten zu rasch heilen, verschwinden und die Spuren 
des Verbrechens verwischt werden. Dieser Einwand ist zurück¬ 
zuweisen; wirklich ins Gewicht fallende Traumata bleiben stets 
einige Tage erhalten und ganz geringfügigen, zweifelhafte Deu¬ 
tung zulassenden Erscheinungen darf der gewissenhafte Sachver¬ 
ständige keine so schwerwiegende Bedeutung beimessen, daß 
durch sie allein die Anklage steht oder fällt. 

Wenn wir mein im vorliegenden Falle abgegebenes Gutachten 
näher ins Auge fassen, so tritt uns ein scheinbarer Widerspruch 
im Gutachten selbst und daher ein Widerspruch dieses mit dem 
vom Staatsanwalte angezogenen Gesetzesparagraphen entgegen. 
Der § 1524 lautet in seinem I. Teile: „Wenn die Defloration eines 
Mädchens, das das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, ohne 
Anwendung von Gewalt erfolgt ist, doch unter Mißbrauch ihrer 
Unwissenheit und Unerfahrung, so unterliegt der Schuldige der 
Strafe des Verlustes sämtlicher ihm zustehenden Rechte und der 
Zwangsarbeit von acht bis zehn Jahren. 

Das Gesetz verlangt also strikt, daß eine stattgehabte Deflo¬ 
ration nachgewiesen sein muß. Eine „Defloration“ kann jedoch 
nur in den Fällen angenommen werden, wo der „Geschlechtsakt“ 
ausgeübt worden ist, wie eine Senatsentscheidung es ausdrücklich 
hervorhebt 1 ). In meinem Gutachten habe ich nun aber direkt da¬ 
rauf hingewiesen, daß eine vollständige Einführung des Gliedes 
wegen mangelhafter, d. h. kindlicher Entwicklung der Geschlechts¬ 
teile der Suprata nicht gelungen ist. Dieser Widerspruch findet 
sofort seine Erklärung, wenn wir uns sagen, daß die gerichtliche 
Medizin unter Ausübung des Geschlechtsaktes („Beischlafes“) nicht 
den physiologischen Coitus — immissio penis et ejaculatio seminis— 
versteht. Es genügt schon ein Eindringen des Gliedes in die vulva, 
sagt Stumpff in seiner gerichtlichen Geburtshilfe, um die Tat als 
vollzogenen „Beischlaf“ betrachten zu können. Derselben Ansicht 
ist auch Fritsch: „Das Gesetz bestraft die beleidigte Frauenehre in 
erster Linie“ betont er ausdrücklich in diesem Zusammenhänge. 
Auf ejaculatio seminis kommt es nicht an. Dieser Auffassung 
wird wohl auch das Gericht gewesen sein, das den Angeklagten 
zum höchsten vom Gesetze zulässigen Strafmaße, zu 10 Jahren 
Zwangsarbeit, verurteilte. 

') Nr. 1098 v. Jahre 1869 im Falle Grigoriew. 



Defloration eines taubstummen Kindes 289 

Stellen wir uns noch zum Schluß die Frage: Welche Folgen 
hat ein Sittlichkeitsattentat, begangen an einem Kinde, für das 
Objekt des Verbrechens? Zuerst kommt bei ihm wohl nächst den 
erlittenen Verletzungen, die Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten 
in Betracht. Denn in den niederen Schichten der Bevölkerung 
herrscht der Aberglaube, daß ein mit solchen Krankheiten behaf¬ 
teter Mann Heilung durch Kontakt seines kranken Gliedes mit den 
Geschlechtsteilen einer „Jungfer“ finden kann. Und wo sollte 
wohl die weibliche Unschuld zweifelsfreier vorhanden sein, als 
bei einem in der ersten Blüte der Jugend stehendem kleinen 
Mädchen? Die somatischen Störungen spielen jedoch nicht die 
Hauptrolle — sie verheilen. Mehr ins Gewicht fallen die psy¬ 
chischen und moralischen Schädigungen der unglücklichen Opfer* 
solch* tierischer Instinkte. In dieser Hinsicht sind die Folgen des 
Sittlichkeitsverbrechen, begangen an einem Kinde, unberechenbar 
und unabsehbar. Wer wollte es wohl vorausbestimmen, welche 
Bahnen die zu früh und auf so unnatürlich rohe Weise geweckte 
libido sexualis eine in früher Jugend Geschändete einst zu schrei¬ 
ten, veranlassen wird? 

Literatur: Dr. Erich Wulffen: Der Sexualverbrechen Berlin-Lichterfelde. 

Dr. M. Stumpff: Gerichtl. Geburtshilfe. Wiesbaden 1907. 

Prof. Dr. H. Fritch: Gerichtsärztl. Geburtshilfe. Stuttgart 1901. 

Prof. Hoffmann: Gerichtliche Medizin. 





Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium 

nach Influenza. 

Gutachten der Wiener medizinischen Fakultät. 

Von 

Prof. H. Obersteiner, Wien. 


Das nachfolgende Fakultätsgutachten stammt aus dem Jahre 
1902. In Rücksicht auf die 1918 einsetzende Grippeepidemie schien 
es mir zeitgemäß, auf diesen alten Fall zurückzugreifen, da es nicht 
ausgeschlossen ist, daß bei ähnlichen Vorkommnissen der jetzigen 
Epidemie der Zusammenhang der Tat mit der Erkrankung ebenso 
übersehen wird, wie hier von den früheren Begutachtern. 

Auch in formeller Hinsicht muß auf das Datum aufmerksam 
gemacht werden. Die Referenten der Wiener medizinischen Fakul¬ 
tät haben sich schon seit längerer Zeit dahin geeinigt, eine Sub- 
sumption unter die einzelnen Punkte des § 2 öst. Str.G., wie sie 
ja in der Zuschrift des Kreisgerichtes S. verlangt wird, abzulehnen, 
da damit die.Kompetenz des Arztes gegenüber der des Richters 
überschritten würde — wie e$ aber in dem vorliegenden Gutachten, 
nach früherer Gepflogenheit noch geschehen ist. Ferner wird jetzt 
immer neben dem Referenten, der dem Professoren-Kollegium an¬ 
gehören muß, ein Korreferent bestellt, Extraordinarius oder Dozent. 

Z. 4324 Strf. 

An die löbliche 

medizinische Fakultät der k. k. Universität in 

Wien. 

Simo Sokolovis aus Lepenica befindet sich hiergerichts in 
Strafuntersuchung wegen Verbrechen des Meuchelmordes. 

Über den Geisteszustand desselben haben Gutachten Dr. A. 
und Dr. B. abgegeben. 

Da dieselben sich wiedersprechen und die Strafsache sehr 
wichtig und schwierig ist, wird unter Anschluß der Strafakten 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 291 


samt beglaubigter Übersetzung im Sinne des § 133 St.P.O. das 
dienstfreundliche Ersuchen gestellt, anher das Gutachten abgeben 
zu wollen: 

1. ob Simo Sokoloviß des Gebrauches der Vernunft ganz be¬ 
raubt ist; 

2. ob Simo Sokoloviß die Tat bei abwechselnder Sinnen 
verrückung zu der Zeit, da die Verrückung dauerte, begangen hat. 

Kreisgericht 

Serajewo am 9. Juli 1902. 

Der Leiter. 

i 

Auszug aus den Akten. 

Simo Sokoloviß hat am 21. Juni 1901 seinen schlafenden 
Stiefsohn Milan Dokolya mit der Hacke erschlagen. Das Kreis¬ 
gericht Serajevo ersucht um ein Gutachten, ob dieser Sokoloviß 
des Gebrauches der Verfiunft ganz beraubt ist, oder ob er die 
Tat bei abwechselnder Sinnesverrückung zur Zeit, da diese Ver¬ 
rückung dauerte, begangen habe. 

Simo Sokoloviß hat vor 5 Jahren zum dritten Mal geheiratet 
und zwar eine Witwe, welche 3 Söhne mitbrachte, von denen der 
älteste jener Milan ist. Dieser Letztere soll ein ziemlich leicht¬ 
sinniger Mansch gewesen sein, daher es häufig zu Konflikten mit 
seinem Stiefvater kam, welcher verschiedene Bemühungen machte, 
den jungen Mann zu ernster Arbeit anzuhalten. Er nahm ihn, da 
er Wanderschneider war, auf seinen Touren mit, um ihm das Hand¬ 
werk beizubringen; er gab ihn dann zu einem Klempner in die 
Lehre: nirgends hielt es Milan lange aus, er verdingte sich 
schließlich als Knecht, kam aber wiederholt nach Hause. Dabei 
kam es einmal zu einem schweren Auftritt zwischen Vater und 
Sohn, der beinahe in eine arge Schlägerei ausartete. Simo Sokoloviß 
verließ im Winter 1900—01 das Haus und kehrte im Frühjahr 
1901 zurück, nachdem ihm seine Frau versprochen hatte, daß der 
Milan nicht mehr ins Haus kommen werde. Im Mai 1901 kehrte 
aber Milan krank wieder ins Haus zurück. Damals war das Ver¬ 
hältnis zwischen Vater und Sohn ein besseres, denn der Simo 
Sokoloviß pflegte sogar seinen Stiefsohn während dessen Krank¬ 
heit, deren Natur nicht näher bekannt ist. Doch wissen wir, daß 
auch die anderen Familienmitglieder, zuerst die Frau und schlie߬ 
lich Sokoloviß selbst in ähnlicher Weise erkrankten. Er war meh¬ 
rere Wochen bettlägerig, klagte, daß ihm alles weh tue, litt an 
Kopfschmerzen und fieberte. Zur Zeit der beginnenden Rekon- 



292 


Prob. H. Obersteiner 


valescenz traten vorübergehende Delirien auf. Von mehreren 
Zeugen, welche den Sokolovis in seinem Hause 3 Tage vor der 
Tat besuchten, wird übereinstimmend angegeben, daß er ganz - 
verrücktes Zeug gesprochen habe: es fehle ihm nichts, der Lump 
habe ihn dran bekommen, er habe schon viele Lumpen hin¬ 
geschlachtet, aber keiner von denen, die er niedermetzelte, sei 
wieder zum Leben gekommen, und dieser Lump (damit meinte 
er den danebenstehenden Milan), trotzdem er ihn in Stücke gehauen 
habe, sei wieder lebendig geworden, den kann nur der Teufel 
umbringen. Wenn er nicht wäre, würde Bosnien verbrennen. 
Dann fragte er was die „Schwaba“ immer von Fechten sprechen 
und anderes mehr. Die Anwesenden hielten ihn für verrückt und 
machten die Frau aufmerksam, ihn nicht allein zu lassen, auf 
hn Acht zu geben. 

Am 21. Juni früh war alles aufgestanden, auch der Sokolo- 
viß, der aber, nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte, sich wie¬ 
der zu Bett begab. Während sich die Andern anschickten aufs 
Peld zu gehen, legte sich Milan, der über Bauchschmerzen klagte, 
neben Simo Sokolovifc ins Bett. Zu Hause blieben nur der S. 
Sokoloviß, der Milan und die zwei jüngsten Kinder, 6 und 3 
Jahre alt. Die Frau hatte kaum eine viertel- bis eine halbe Stunde 
im Felde gearbeitet, als der 6 jährige Sohn Nenat 91 ihr kam 
und sagte, der Vater rufe sie. Im Hause fand sie den Sokoloviß 
in der Küche mit einer blutigen Hacke in der Hand. Er empfing 
sie mit den Worten: „Mach was du willst, ich habe den Milan 
erschlagen, es kam so über mich und ich schlachtete ihn ab.“ — 
Im Zimmer lag der tote Milan auf der rechten Seite nahezu voll¬ 
ständig zugedeckt, den Kopf fast vollständig vom Rumpfe abge¬ 
trennt mit 3 stumpfen und 2 scharfen Hieben. Niemand hatte 
einen Streit zwischen Sokoloviß und Milan gehört; der kleine 
Nenat erzählte nur, daß er vor dem Hause war, der Vater sei 
herausgetreten, habe eine Hacke genommen und habe sich, bevor 
er wieder ins Haus ging, bekreuzigt. Gleich danach habe Nenat 
dumpfe Schläge gehört. 

Den herbeieilenden Nachbarn und Gendarmen, die gleich 
darnach eintrafen, sagte Sokoloviß bleich und zitternd, er habe 
den Milan aus Furcht erschlagen, daß er ihm etwas antun werde. 
Vor dem Untersuchungsrichter in Rogatica erzählte Sokoloviß: 
„Während ich schlief schlich sich Milan in die Stube und legte 
sich neben mich, was mir verdächtig vorkam, ich glaubte, er habe 
die Absicht mich im Schlafe zu ermorden, ich fühlte, daß er unter 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 293 

mein Kopfpolster griff, um ein dort liegendes Messer (das aber 
an dieser Stelle nicht mehr war, weil es die Frau schon vorher 
entfernt hatte) hervorzuziehen,“ dann wäre er, Sokoloviö, hinaus¬ 
gegangen, habe die Hacke geholt und dem Milan einen Hieb 
auf den Schädel und einen mit der Schneide auf den Hals gegeben. 
Er habe sich damals in einem krankhaften Zustande befunden. 
Beim 5. Verhör sagte er: „Ich bleibe dabei, daß ich damals nicht 
bei Bewußtsein war: wenn ich den Milan hätte erschlagen wollen, 
hätte ich es getan, solange ich gesund war und wäre nach Ser¬ 
bien geflüchtet.“— Am Tage nach der Tat wurde er auch von 
Regimentsarzt Dr. C. untersucht. Dieser fand den Puls normal, 
die Zunge rein, er fühlte die Körperwärme normal, fand nichts 
Abnormes an den Pupillen. Den Untersuchten fand er schwach 
und schlecht aussehend, erklärte ihn für gesund. 

Bei der Hauptverhandlung, die am 2. November 1901 begann, 
bekannte sich SokoloviS schuldig, er sei während seiner Krankheit 
in ein arges Fieber verfallen, so daß er sich lange Zeit in völliger 
Bewußtlosigkeit befand, er wußte nicht, wer ihn besuchte und 
erkannte niemanden. Nach 11 Tagen sei es ihm besser gegangen, 
doch wäre er noch sehr schwach gewesen. Den Milan habe er 
aus Angst, daß er ihm etwas 4 antun wolle, umgebracht; erst wie 
er das Blut fließen sah, sei er wieder zur Besinnung gekommen 
und habe den Sohn Vukola (es war aber Nenat) um die Frau 
geschickt. Er sei damals nicht bei Besinnung gewesen, seine 
Krankheit habe in Schmerzen im Rücken, in der Brust bestanden, 
er habe gehustet, Ohnmachtsfälle gehabt. Die Sachverständigen 
Dr. D. und Dr. E. sprachen sich in ihrem Gutachten dahin aus, 
daß Sokoloviß zur Zeit der Begehung der Tat sich nicht in einem 
Zustande von krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden 
habe, durch welche eine freiwillige Betätigung ausgeschlossen 
werde. Auch während der Hauptverhandlung äußerten sich die 
Sachverständigen in gleicher Weise, es dürfte Influenza oder ein 
leichter Typhus gewesen sein, jedenfalls ein so leichter, daß er 
keine Folgen für den Geisteszustand des Angeklagten haben 
konnte. Von der Influenza sei nicht bekannt, daß die Kranken 
in bewußtlosem Zustande Gewalttaten ausführen, weil sie sich zu 
schwach dazu fühlen. 

Der Verteidiger beantragte die Untersuchung durch sachver¬ 
ständige Psychiater. Es wurde aber Sokoloviß am 6. November 
für schuldig befunden und zujn Tode verurteilt. 

Gegen dieses Urteil überreichte Sokolovjfi die Nichtigkeits- 



294 


Prof. H. Obersteiner 


beschwerde, da ein Zweifel darüber bestehe, ob er bei Verübung 
der Tat geistig gesund war oder nicht und die vorliegenden 
Gutachten nicht von psychiatrisch geschulten Ärzten ausgestellt 
sind. Der Verteidiger führte diesbezüglich eine Anzahl von sehr 
wichtigen Daten an: daß der Vater des Angeklagten geistig krank 
gewesen sei, daß dieser selbst wiederholt an epileptischen Anfällen 
gelitten habe und endlich gab er eine ganz neue Darstellung 
des Sachverhaltes während der Tat. Sokolovis habe damals 
geträumt, daß er wegen eines Diebstahles, den Milan begangen 
hätte, vor Gericht stand und der Richter ihm sagte, er müsse den 
Milan erschlagen. Da sei er erwacht und aus Furcht vor dem 
Milan aus dem Hause gelaufen; da schien es ihm, als ob eine 
große Ebene da wäre, auf welcher ein Bataillon Soldaten stand. 
Zwei Offiziere zogen den Säbel, um ihn zusammenzuhauen, falls 
er nicht, wie es der Richter befohlen habe, den Milan erschlage. 
Einer gab ihm die Hacke dazu in die Hand. Auf welche Art er 
den Milan erschlagen habe, wisse er nicht genau, erst als er Blut 
sah, wäre er zu sich gekommen. Er gab ferner an, daß er diesen 
Umstand früher vor Gericht nicht sagen wollte, weil er glaubte, 
dies sei eine Thorheit, die ihm niemand glauben wolle. Auch 
bezüglich der anderen Punkte habe er früher vor Gericht nichts 
erwähnt, da er sich teils nicht daran erinnerte, teils sie nicht für 
wichtig hielt. 

Das Obergericht für Bosnien und Herzegowina hat mit Be¬ 
schluß vom 29. November 1901 dieser Nichtigkeitsbeschwerde 
Folge geleistet, da es sich hauptsächlich darum handle, wie der 
geistige Zustand des Sokolovic in der Krankheit selbst und zur 
Zeit der Tat war. Seine damalige psychische Verfassung hätte 
müssen durch sachverständige Psychiater erhoben werden, nachdem 
denselben alle zur Beurteilung der Sache erforderlichen Dinge 
und Umstände vorgeführt wurden. 

Es wurden neuerlich Zeugen einvernommen, welche nament¬ 
lich auch über die Anfälle des Sokoloviß aussagen konnten, ferner 
die Mithäftlinge und Kerkermeister, welche Auskunft geben sollten 
über sein Verhalten während der Untersuchungshaft vom 7. Juli 
bis 4. Dezember 1901. Der Kerkermeister und der Beschließer 
fanden nichts Besonderes an ihm, keine epileptischen Anfälle. 
Auffallend ist es, daß im Widerspruch damit eine Reihe von Zell- 
genossen ganz übereinstimmend Angaben machen über ein sonder¬ 
bares Benehmen des Sokoloviö. Es sei etwa alle 6—8 Tage 
vorgekommen, daß er des Nachts Unsinn machte und sagte: 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 295 

„Man ruft mich“, — er sah in die Ventilation und sagte, er höre 
dort die Hähne krähen, knüllte die Bettdecke zusammen, ging 
damit zur Tür, um fortzugehen, empfahl sich: „Gott mit Euch“ — 
kehrte dann wieder um. Auch bei Tag soll es vorgekommen 
sein, daß er vom E$sen verspritzte und sagte, er gebe seinem 
Vater zu essen, auch erzählte er ihnen die Geschichte mit den 
Soldaten. 

Am 4. Dezember 1901 wurde er in die Irrenabteilung gebracht, 
wo er bis zum 4. März 1902 in Beobachtung stand. Auf Grund 
dieser Beobachtung und des Aktenmaterials wurden von Dr. A. 
am 2. März und von dem Dr. B. am 14. März zwei widerspre¬ 
chende Gutachten abgegeben. In dem Gutachten von Dr. A. 
wird die Geisteskrankheit des Vaters, es werden die verschiedenen 
Anfälle des Angeklagten hervorgehoben. Ferner gibt er die 
anderen bereits angeführten anamnestischen Daten an. Die körper¬ 
liche Untersuchung ergab, daß SokoloviS schwächlich, herabge¬ 
kommen aussehe, leichte Arhythmie des Herzens, Steigerung der 
Sehnenreflexe (der unteren und oberen Extremitäten), leichte 
Herabsetzung der Schmerzempfindlichkeit, rechts geringe Schwäche 
beider Extremitäten, ferner eine tiefer ausgeprägte Nasolabialfalte. 
Klage über Kopfschmerzen, er müsse sich oft anhalten, um nicht 
niederzustürzen, dann vergehe dieses wieder und er fühle sich 
wieder wohl, öfters Aufschrecken aus dem Schlaf. Psychisch 
mache er den Eindruck eines mit gesundem Verstände begabten 
Menschen. Sein Gedächtnis, inwieweit es nicht die Tat betrifft, 
gut erhalten. Sokolovic war wiederholt krank; auffallend sind bei 
jeder Krankheit die angeführten Delirien, Visionen, Gehörs- und 
Gesichtshallucinationen, welche neben anderen Krankheitssymp¬ 
tomen mit höchster Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, daß die 
Psyche krank war. Die Anfälle sind epileptischer Natur, petit 
mal oder nur epileptischer Schwindel. Sokoloviß hat die Tat 
während eines solchen Anfalles im epileptischen Zustande began¬ 
gen. Es handelt sich um eine transitorische Bewußtseinsstörung, 
die sich äußert in einem traumhaft veränderten Bewußtseinszustand 
und dem damit verbundenen minder deutlichen Erinnerungsdefekt 
an die gewalttätige Handlung selbst, auf Grund von epileptoiden 
Zeichen erwiesener epileptischer Grundlage. 

Das Bewußtsein war nicht aufgehoben, es war nur beschränkt. 
Er kommt dann zu dem Schlüsse: 1. Sokolovic ist ein neuro- 
pathisch, neurasthenisches Individuum. 2. Sokoloviö litt öfters an 
traumhaften Hallucinationen und Visionen, so wurde auch bei 



296 


Prof. H. Obersteiner 


ihm ein somnambuler Zustand beobachtet 3. Die traumhaften 
Hallucinationen basieren sich auf epileptoider, epileptischer Grund¬ 
lage. 4. Sokoloviß konnte die inkriminierte Tat, die Ermordung 
des Milan, in geistiger Verwirrung vollbracht haben. .Der letzte 
Satz wurde ursprünglich so gefaßt: Simo Sokoloviß hatte die 
inkriminierte Tat in geistiger Verwirrung vollbracht, — und ist 
dann in der obigen Weise ausgebessert worden. 

Wir gehen an die Besprechung des zweiten von Dr. B. ver¬ 
faßten, circa 150 Seiten fassenden Gutachtens. Dieser Begutachter 
legt der leichten Schwäche des rechten Armes und dem Verstrichen¬ 
sein der rechten Nasolabialfalte keine Bedeutung bei, wohl aber 
berechtigen die Herabsetzung der Schmerzempfindlichkeit und 
die gesteigerten Sehnenreflexe zur Annahme einer neuropathischen 
Konstitution. Des Weiteren wird nun die Frage erörtert, ob Soko¬ 
loviß Epileptiker sei oder nicht. Das wichtigste ätiologische 
Moment der erblichen Belastung fehlt, denn wenn auch der Vater 
des Angeklagten einmal durch mehrere Wochen geistesgestört 
war, so hat es sich hierbei wahrscheinlich nur um ein im Verlaufe 
einer fieberhaften Krankheit aufgetretenes Delirium gehandelt. 
Objektive Zeichen der Epilepsie, z. B. Zungenbiß, fehlen, es 
bleiben also nur die von dem Angeklagten selbst und von Zeugen 
gemachten Angaben über wiederholte Anfälle, deren epileptischer 
Charakter aber nicht festgestellt erscheint. Die Annahme einer 
Epilepsie erscheine daher erschüttert, wenn auch nicht widerlegt. 
Jedenfalls aber kann bei ihm von einer epileptischen Degeneration 
nicht die Rede sein, welche die Straffreiheit bedingen würde. 
Schwer zu entscheiden wäre die Frage, ob Sokoloviß die Tat in 
einem Anfalle von Epilepsie verübt habe; es ist nicht bekannt, 
ob Sokoloviß kurz vorher einen epileptischen Anfall gehabt habe 
oder irgendwelche Zeichen geistiger Abnormität dargeboten hätte. 
Die Angaben des Angeklagten über die Tat selbst und ihre Motive 
sind ungemein widersprechend. Es wäre ja, wenn auch ein 
Krampfanfall nicht nachweisbar ist, zu erwägen, ob es sich nicht 
um epileptische Dämmerzustände als psychisches Äquivalent ge¬ 
handelt habe, wenn auch dafür durchaus nicht totale Amnesie 
verlangt werde und häufig eine partiell getrübte Erinnerung an 
die Tat zurückbleibt. So fällt es auf, daß Sokoloviß über seine 
ganz delirienhaften Trugwahrnehmungen ganz genau Auskunft 
gibt, wie die Soldaten ausgesehen haben, welche Farbe die 
Schnüre auf ihren Röcken hatten. Er selbst gibt zu, sich an die 
Tat zu erinnern und wenn er auch meint, nur zwei Hiebe geführt 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 297 

zu haben, so entsprechen doch seine übrigen Angaben vollkommen 
dem Tatbestände. Der Umstand, daß er anfangs von den Hallu- 
cinationen nichts sprach, sondern erst viel später nach der Ver¬ 
urteilung, werde von Sokolovic dadurch erklärt, daß er sich ge¬ 
schämt habe darüber zu sprechen und er fürchtete, man werde 
ihm einen solchen Unsinn nicht glauben. Es sei aber doch recht 
unwahrscheinlich, daß Sokoloviß, der von allem eine präzise Er¬ 
innerung haben will, gleich nach der Tat, resp. der Aufhellung 
des Bewußtseins angesichts der gewaltigen psychischen Erregung 
soviel 1 Überlegung besessen habe, um diese Tatsachen zu ver¬ 
schweigen. Um einen Zustand ängstlichen epileptischen Deliriums 
kann es sich noch weniger gehandelt haben, da ein solcher längere 
Zeit dauert, auch nicht um Schlaftrunkenheit; es ist nicht einmal 
erwiesen, daß Sokoloviß vorher geschlafen habe. Gewaltakte der 
Epileptiker sind meist unmotiviert, plan- und rücksichtslos, während 
Sokoloviß in allen Einzelheiten planmäßig und zielbewußt vorge¬ 
gangen ist. Von einem automatisch ausgeführten, impulsiven Akte 
kann keine Rede sein, — ja, er bekreuzigte sich, bevor er mit 
der Hacke ins Zimmer zurückging. Er will erst beim Anblicke 
des spritzenden Blutes wieder zum Bewußtsein gekommen sein: 
Eine solche Bewußtseinstrübung kann 'aber nur in der physiolo¬ 
gischen Breite zugegeben werden, nicht aber für eine traumhafte 
Sinnesverwirrung. Gegen einen transitorischen epileptischen Zu¬ 
stand spricht das Verhalten des Sokoloviß nach der Tat. Mit Rück¬ 
sicht darauf, daß Sokoloviß an einer fieberhaften Krankheit ge¬ 
litten hat, könnte man eher an ein Fieberdelirium denken, doch 
war er am Tage der Tat bereits fieberfrei und auch der Inhalt 
der Delirien entspricht nicht dem bekannten Bilde der Fieberde¬ 
lirien. Analoge Erwägungen schließen auch ein Kolapsdelirium 
aus. — Es geht wohl nicht an, der viele Seiten füllenden psycho¬ 
logischen Analyse zu folgen, welche das Gutachten dem Ver¬ 
halten des Angeklagten insbesondere mit Rücksicht darauf, was 
er über die nächsten Motive seiner Tat äußert, widmet. Es mag 
genügen, daß sowohl die späteren Angaben des Angeklagten 
über die Vorgänge bei der Tat (z. B. die halluzinatorischen Sol¬ 
daten) als auch vielfach anscheinende Erinnerungstrübungen, die 
sich auf die ersten Vernehmungen beziehen, in das Gebiet der 
bewußten Simulation verwiesen werden. Die festgehaltene Angabe 
des Sokoloviß, er habe dem Milan nur zwei Hiebe mit der Hacke 
versetzt, während es zirka fünf waren, erklärt das Gutachten mit 
dem Bemühen des Sokolovic, seine Tat minder brutal erscheinen 



298 


Prof. H. Obersteiner 


zu lassen. Eine weitere Aussage des Sokoloviß, er habe seinen 
Sohn Vukola und nicht den Nenat um die Mutter geschickt, könne 
durchaus nicht als pathologische Sinnesverwechslung oder Er¬ 
innerungstäuschung erklärt werden. Das eigentümliche Verhalten 
des Angeklagten im Gefängnis dürfte als Simulation aufgefaßt 
werden und zwar hat er es sich dadurch leicht gemacht, daß er 
keinen dauernden Zustand simuliert hat, sondern nur einen vorüber¬ 
gehenden. Das Gutachten schließt: „Wenn auch die Epilepsie des 
SokoloviS kaum genügend erwiesen wurde, da er jedenfalls sehr 
selten Anfälle gehabt hat, so können wir die Möglichkeit daß er 
zur Zeit der Begehung der Tat einen epileptisch psychischen In¬ 
sult gehabt hat, nicht ausschließen. Wenn die Handlung in blinder 
zielloser Vernichtung, mit einer unter der Hand befindlichen 
Waffe oder in automatischer Weise verübt worden wäre, wenn 
die Angaben des Nenat nicht vorlägen und wenn das Verhalten 
der Erinnerung mit denjenigen bei epileptischen Zuständen vor¬ 
kommenden mehr übereinstimmen würde, wenn nicht die nach¬ 
träglich simulierte Amnesie, wenn die Angaben über die Visionen 
nicht zu so verdächtiger Zeit erfolgt wären und dieselben nicht 
an und für sich so unwahrscheinlich wären, wäre die Annahme 
eines transitorischen Zustandes von Sinnesverwirrung nicht von 
der Hand zu weisen.“ Auf Grund des hier niedergelegten Mate¬ 
rials gibt Dr. B. das von ihm abverlangte Gutachten über den 
Geisteszustand des Sokolovic wie folgt: 

ad 1. Simo Sokolovis ist des Gebrauches der Vernunft nicht 
nur nicht ganz beraubt, sondern er stellt ein geistig ganz integres 
Individuum dar, dessen Geist weder durch die Zeichen der neu- 
ropathischen Konstitution, noch durch die (eventuell vorhandene) 
Fallsucht gelitten hat. ad. 2. Es lassen sich keine Anhaltspunkte 
dafür auffinden, daß S. SokoloviS bei abwechselnder Sinnesver¬ 
rückung die Tat zu der Zeit, als die Verrückung dauerte, be¬ 
gangen habe. 

Mit Rücksicht auf die Widersprüche dieser beiden Gutachten 
und auf gewisse Mängel derselben, wurde vom Staatsanwalte 
ein Fakultätsgutachten abverlangt; vom Untersuchungsrichter wurde 
beantragt Herrn Dr. F. als dritten Sachverständigen heranzuziehen. 
Das Gericht beschloß dem letzteren Anträge Folge zu leisten. Am 
17. März wurde Dr. F. beauftragt, den SokoloviS zu beobachten 
und dann sein Gutachten abzugeben. Am 21. Mai wurde er ur- 
giert und versprach das Gutachten in mehreren Wochen. Neuer¬ 
lich am 30. Juni urgiert beruft sich Dr. F. am 1. Juli auf seine 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 299 

Facialisparese und schickt die Akten'zurück, bemerkt aber, daß 
er bei SokoloviS unzweifelhaft Zeichen einer überstandenen Ge¬ 
hirnapoplexie konstatiert habe. Zunächst wurde daher Dr. B. wieder 
einvernommen und befragt, wieso es denn käme, daß er bei So- 
koloviö die Apoplexie nicht konstatiert habe. Er gab zu, daß er 
der rechtsseitigen Parese nicht die genügende Bedeutung beige¬ 
messen habe, daß ihm später selbst Bedenken diesbezüglich auf¬ 
gestiegen seien, daß er den SokoloviS nochmals untersucht habe 
und zur Überzeugung gekommen sei, daß es sich tatsächlich um 
eine Apoplexis handle; er müsse annehmen, daß der apoplek- 
tische Insult in einem der Anfälle, welche mit Bewußtseinsstörung 
verliefen, stattgefunden habe. Damit würde aber die Annahme 
einer Epilepsie noch mehr erschüttert werden, wenn ihr auch der 
Boden nicht ganz entzogen sei. Da aber der Schlaganfall auf die 
geistige Integrität des Exploraten keine nachteilige Wirkung aus¬ 
geübt hat, bleibt im Übrigen die Begutachtung des Falles die 
gleiche. Ferner fragte der Richter, warum er keine erbliche Be¬ 
lastung annehme, worauf Dr. B. erwiderte, daß er die Geistes¬ 
störung des Vaters als Fieberdelirium auffasse und daß der 
Mangel von Erscheinungen bei den übrigen Familiengliedern gegen 
die Belastung spreche. Daß Sokolovic Anfälle von Somnambulis¬ 
mus gehabt habe, ist nicht erwiesen, doch wolle er deren Mög¬ 
lichkeit einräumen. Ferner wurde er wegen der angenommenen 
Simulation der Gedächtnisstörung und der Anfälle im Gefängnisse 
vom Richter ausgefragt. 

Endlich liegt in den Akten noch das Protokoll einer münd¬ 
lichen Einvernahme des Dr. F. vom 10. Juli 1902 vor. Dieser 
konnte auch leichten Tremor der Hände konstatieren, sowie die 
Zeichen der Apoplexie: Schädel schwach zuckerhuthörnig mit 
steil abfallendem Hinterhaupt und Atheromatose. Simo Sokoloviö 
läßt keine Zeichen einer geistigen Störung erkennen, er erscheint 
als vollkommen geistig gesund, seine Halluzinationen sind simu¬ 
liert, ein sicherer epileptischer Anfall sei nie beobachtet worden. 

Es wurde nun auf Antrag des Staatsanwaltes, mit Rücksicht 
auf die Ablehnung des Dr. F., ein Fakultätsgutachten einzuholen 
beschlossen. 

Bevor wir an das Gutachten gehen, muß noch einiges über 
die Person des Angeklagten nachgetragen und näher ausgeführt 
werden, was früher nur angedeutet wurde. Der Vater des Simo 
Sokoloviß ist, wie durch verschiedene Zeugenaussagen nachge¬ 
wiesen erscheint, vor 40 Jahren durch 4 Wochen geistig krank 



300 


Prof. H. Obersteiner 


gewesen. Die Krankheit trug den Charakter eines furibunden 
Deliriums: er wollte seine Frau umbringen; wurde in eine Wall¬ 
fahrtskirche gebracht und soll bald darauf gesund geworden sein. 
Die Geschwister des Angeklagten sind weder geistes- noch nerven¬ 
krank. Bloß von einem Bruder sagte ein Zeuge, er sei verrückt, 
ohne daß er dieses begründen konnte. Simo Sokoloviö soll in 
seiner Kindheit schwächlich und anämisch gewesen sein und ver¬ 
schiedene Kinderkrankheiten, z. B. Keuchhusten durchgemacht 
haben. Auch soll er damals unruhig geschlafen, im Schlafe auf¬ 
geschrieen haben. Ferner soll er als Knabe und auch noch später 
manchmal Bettnässen gehabt haben. Er selbst gibt an, seit länge¬ 
rer Zeit an epileptischen Anfällen zu leiden. Solche Anfälle von 
Bewußtlosigkeit hätte er bereits in seiner Jugend gehabt. In den 
70iger Jahren sei er im Hause zusammengestürzt, was seine 
Schwester bestätigt und auch wiederholt in den folgenden Jahren. 
Sicher konstatiert ist, daß Sokoloviö vor 3—4 Jahren während des 
Gebetes in Anwesenheit einer Anzahl von Personen, die darüber 
aussagen, plötzlich zusammengestürzt und einige Minuten liegen 
geblieben sei. Sokoloviö sagte, als er wieder zu sich gekommen 
war, daß ihm die Ohnmacht ins Gehirn gestiegen sei. Krämpfe 
oder Schaum vor dem Munde konnten dabei nicht beobachtet 
werden. Ferner soll er im Jahre 1878 in Serbien an einer Krank¬ 
heit (Typhus?) mit schweren Delirien gelitten haben. Endlich 
hatte er vor 15 Jahren einen Zustand von Geistesabwesenheit 
gehabt. Er sei des Nachts unbekleidet über die schneebedeckten 
Wiesen gegangen und habe erst dann das Bewußtsein erlangt, 
als sich ein Hund mit ihm zu schaffen machte. Diesen Vorgang 
habe er damals gleich seinem Schwager erzählt, welcher in einer 
Zeugenaussage darüber berichtet. 

Simo Sokoloviö wi'rd als ein ernster, stiller Mensch geschildert, 
der wegen seines Verstandes und seiner Bildung (er kann cyrillische 
Buchstaben lesen) sich einer besonderen Achtung erfreut. Er sei 
so klug, daß man auf ihn das Sprichwort anwendete: „Er könnte 
einen Durstigen über einen Fluß tragen. 8 

Gutachten. 

Mit Rücksicht auf die Widersprüche, die sich nicht blos in 
den Gutachten der verschiedenen Sachverständigen finden, son¬ 
dern auch deshalb, weil die einzelnen Begutachter in ihren 
Äußerungen stellenweise mehr oder minder unsicher und schwan¬ 
kend sind, erscheint es notwendig, zuerst jene in den Akten vor- 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 301 

fmdlichen Tatsachen, welche für die Beurteilung des psychischen 
Verhaltens des Simo Sokoloviß zur Zeit der Tat und nachher 
von Belang und die als sicher festgestellt anzusehen sind, von 
jenen zu trennen, deren Wahrheit möglicherweise angezweifelt 
werden kann. 

1. Bezüglich einer etwa hereditären Disposition resp. 
nervösen Konstitution steht fest, daß sein Vater durch einige 
Wochen einen schweren delirienhaften Zustand gehabt habe; nach 
den Zeugenaussagen soll es sich entweder um ein Alkoholdelirium 
oder ein solches im Anschluß an einen fieberhaften Zustand ge¬ 
handelt haben. Es scheint für die vorliegende Frage ziemlich 
gleichgültig, welche von diesen beiden Anschauungen die richtige 
ist, denn ob der Vater ein Alkoholiker war, was von den Meisten 
geleugnet wird, oder ob er selbst derart nervös veranlagt war, 
daß sich bei ihm im Anschluß an eine, wie es scheint, nicht sehr 
schwere Erkrankung lange anhaltende Delirien einstellten, in 
beiden Fällen ist dofch der Hinweis auf die Möglichkeit einer erb¬ 
lich übertragenen Disposition zu nervösen Erkrankungen gegeben. 
Eine solche Disposition wird noch wahrscheinlicher, wenn wir er¬ 
fahren, daß Simo Sokoloviß in seiner Kindheit schlecht geschlafen, 
Zeichen von pavor nocturnus dargeboten habe und längere Zeit 
Betfhässer geblieben sei. Die Geschwister des Angeklagten sollen 
zwar normal sein, doch weist die Bemerkung eines Zeugen, daß 
der eine Bruder verrückt sei, immerhin daraufhin, daß jener 
Bruder vielleicht ein Sonderling, kein ganz normaler Mensch wäre. 
Für eine nervöse Disposition des Simo Sokolovic spricht dann 
noch eine Anzahl von weiteren, ärztlich konstatierten Symptomen: 
gesteigerte Sehnenreflexe, herabgesetzte Schmerzempfindlichkeit, 
wohl auch die bilateral ungleiche Innervation der Körpermuskulatur, 
die von einigen Ärzten als Zeichen eines überstandenen apo- 
plektischen Insultes angesehen wurde, worauf wir bald wieder zu 
sprechen kommen werden. Ferner wären noch allenfalls einige 
unkontrollierbare Angaben des Angeklagten, wie Klagen über 
häufigen Kopfschmerz, unruhigen Schlaf usw. zu erwähnen. 

2. Bezüglich der Anfälle des Simo Sokoloviß wissen wir 
mit Sicherheit, daß solche vorgekommen sind. Einen solchen 
Anfall sah seine Schwester im Jahre 1870. Bei dem Anfalle vor 
3—4 Jahren war eine Anzahl von Personen gegenwärtig. Über 
eine Reihe weiterer Anfälle, die sich auch schon in der Jugend¬ 
zeit gezeigt haben sollen, berichtet der Angeklagte, ohne daß da¬ 
für Zeugenaussagen vorlägen. Niemand hat bei den Anfällen 

Archiv für Kriminologie. 71. Bd. 21 



302 


Prof. H. Obersteiner 


Krämpfe oder Schaum vor dem Munde gesehen, aber der Um¬ 
stand, daß diese Anfälle wiederholt auftraten, und auch das, was 
wir darüber von den Augenzeugen wissen, spricht sehr für deren 
epileptischen Charakter. Beim letzten Anfalle, der in Anwesenheit 
zahlreicher Personen während des Gebetes eintrat, fiel Simo 
Sokoloviö plötzlich um, wurde bewußtlos, kam aber nach einigen 
Minuten zu sich und sagte, die Ohnmacht sei ihm zu Kopfe ge¬ 
stiegen. Ein apoplektischer Insult scheint hier vollkommen aus¬ 
geschlossen.. Niemand, auch nicht der Angeklagte, gibt an, daß 
nach einem Anfalle irgendwelche Lähmungserscheinungen zurück¬ 
geblieben wären. Da aber heute noch eine Schwäche der rechten 
Körperseite vorliegen soll, die von zwei Begutachtern als Folge 
eines apoplektischen Insultes angesehen wird, der vor mehreren 
Jahren stattgefunden hätte, so müßte doch angenommen werden, 
daß diese Paresen und zwar in viel höherem Grade, als sie jetzt 
bestehen, gleich im Anschluß an einen Anfall aufgetreten seien 
und gewiß, mindestens dem Kranken selbst, nicht entgangen 
wären. Ferner pflegen rechtsseitige Hemiplegien und Paresen, 
besonders wenn sie Gesicht und beide Extremitäten betreffen, 
meistens mit einer, wenn auch vorübergehenden, sehr auffälligen 
Sprachstörung einherzugehen. Simo Sokoloviß konnte aber, nach¬ 
dem der Anfall vorbei war, gleich wieder deutlich sprechen. 
Endlich wäre später in den paretischen Gliedern eine vielleicht 
auch nur leichte Kontraktur eingetreten, die Sehnenreflexe sind 
gewöhnlich auf der gelähmten Seite stärker als auf der gesund 
gebliebenen, was alles in diesem Falle nicht zutrifft. Wir werden 
demnach zur Annahme gedrängt, daß es sich gewiß nicht um 
apoplektische, wohl aber um epileptische Anfälle unter der Form 
des petit mal handelt, eine Annahme, gegen die sich gewichtige 
Gründe nicht Vorbringen lassen. Simo Sokoloviß berichtet, daß 
er im Winter einmal Nachts sinn- und zwecklos halbnackt auf 
das Feld gelaufen sei. Diese Exkursion, an die ihm eine dunkle 
Erinnerung geblieben ist und die er gleich damals vor 15 Jahren 
weiter erzählte, zu einer Zeil, da ja keine Veranlassung zu eirfer 
Täuschung vorlag, muß jedem erfahrenen Arzte den Verdacht auf 
Epilepsie aufsteigen lassen. Es ist demnach bei Simo Sokoloviö 
das Auftreten nervöser Anfälle sichergestellt, deren epileptische 
Natur zum mindesten höchst wahrscheinlich ist. 

3. Wir wissen, daß Simo Sokolovic anfangs Juni 1902 an einem 
fieberhaften Zustande erkrankte. Da er nicht in ärztlicher 
Behandlung stand, liegt keine Diagnose dieser Erkrankung von 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 303 


fachmännischen Augenzeugen vor; wir müssen" daher versuchen, 
aus den vorhandenen Umständen uns nachträglich über die Natur 
dieser Erkrankung ein Bild zu machen. Der ermordete Milan 
scheint diese Krankheit bei seiner Rückkehr ins Haus gebracht zu 
haben, denn er kam krank, fiebernd, schwach usw. heim. Bald 
danach erkrankten seine Mutter und andere Hausgenossen und 
schließlich Simo Sokoloviß. Es war also jedenfalls eine Infektions¬ 
krankheit. Wenn die Ärzte in ihrem Gutachten zwischen Typhus 
und Influenza schwanken, so ist wohl ersterer mit Sicherheit aus¬ 
zuschließen. Wie sollten wir erwarten, daß zufällig in dieser 
Familie lauter abortive Fälle von so kurzer Dauer aufgetreten 
seien? Nachforschungen, ob im Dorfe, woher Milan kam, oder 
in dem Wohnorte des S. Sokoloviß Typhusfälle vorgekommen 
seien, wurden nicht gepflogen. Die zweite Annahme, daß es sich 
um Influenza handeln könne, verdient aber volle Beachtung, in¬ 
soweit uns das Krankheitsbild bei Simo Sokoloviö bekannt ist: 
Fieber, Schmerzen im Kopf und Rücken, Husten, Abgeschlagen- 
heit usw., die Dauer von 1—2 Wochen lassen sich im Verein mit 
der auffallend leichten Übertragbarkeit auf verschiedene Familien¬ 
mitglieder ohne Schwierigkeit mit den bekannten Erscheinungen 
der Influenza vereinigen. Ja, es gibt wohl keine andere Infektions¬ 
krankheit, auf die diese Symptome, dieser Verlauf passen würde. 
Wir können also, ohne Gefahr einen Fehlschuß zu tun, sagen, daß 
Simo Sokoloviß im Juni an schwerer Influenza erkrankte. 

4. Durch mehrere Zeugen ist festgestellt, daß Simo Sokolovic 
3—4 Tage vor dem Morde sich in einem delirienhaften Zu¬ 
stande befunden habe: er sprach tolles, wirres Zeug zusammen, 
daß er die Menschen hingeschlachtet habe, der Milan sei wieder 
lebendig geworden, ganz Bosnien müßte verbrennen, wenn er nicht 
wäre, fragte, was denn da die „Schwabn“ von Fechten sprechen, 
usw. Er machte auf die Anwesenden den Eindruck eines Ver¬ 
rückten, so daß diese, gleichsam in Vorahnung dessen, was dann 
geschehen ist, die Frau aufmerksam machten, den Kranken zu 
überwachen und nicht allein zu lassen, was vielleicht der Frau 
schon früher in den Sinn gekommen war, als sie das Messer unter 
dem Polster entfernte. Nach dem Obigen dürfen wir mit Recht 
das damalige Gebahren des Sokoloviß auf ein Influenza-Delirium 
zurückführen. 

5. Wenden wir uns nun zur Tat selbst und zu den näheren 
Umständen, unter welchen sie verübt wurde. Augenzeugen fehlen; 
nur der kleine 6jährige Nenat befand sich in der Nähe. Sicher 

21 * 



304 


Prof. H. Obersteiner 


ist, daß Simo Sokoloviß aus dem Hause trat, die Hacke nahm und, 
nachdem er sich bekreuzigt hatte, wieder in das Zimmer zurück¬ 
kehrte und gleich danach, ohne daß irgend ein Streit oder Wort¬ 
wechsel vorgekommen wäre, den Milan mit einer Anzahl von etwa 
5 Hieben ermordete. Mit großer Wahrscheinlichkeit darf ange¬ 
nommen werden, daß Milan auf der rechten Seite liegend im 
Schlafe getroffen wurde: die Lage des Ermordeten und die Art, 
wie er zugedeckt war, sprechen dafür. Ferner wissen wir, daß 
Simo Sokoloviß gleich nach der Tat seinen Sohn Nenat beauf¬ 
tragte die Mutter zu holen. Als diese kam,- fand sie ihn vor sich 
hinbrütend dasitzen und er sagte ihr: „Mache, was du willst, ich 
habe den Milan erschlagen, es kam so über mich.“ Über die 
Motive der Tat äußerte er sich damals und in den Verhören zu¬ 
nächst immer dahin, daß er sich vor Milan gefürchtet habe, dann 
sei es so über ihn gekommen. Dies wird später dahin erklärt, 
er sei nicht bei Sinnen gewesen. Und endlich nach Monaten er¬ 
zählte er den Vorgang so, als ob er im Verlaufe eines hallucina- 
torischen Deliriums impulsiv vorgegangen wäre. Die Erfahrung 
lehrt auch, daß rezidivierende Delirien nicht nur häufig, sondern 
meist inhaltlich sich in auffallender Weise gleichen. Dies trifft 
aber hier zu: in seinen wirren Reden 3 Tage vor dem Morde 
sprach er von Umbringen, Abschlachten, speziell den Milan könne 
er dauernd nicht umbringen. Es muß allerdings auffallen, daß 
der Angeklagte zunächst nichts davon erwähnte; es'mögen auch 
die Gründe, welche er für das anfängliche Verschweigen dieses 
Umstandes angab, Manchen nicht befriedigen. Ganz ohne weiteres 
kann aber doch nicht auf Simulation geschlossen werden. Wenn 
er gleich nach der Tat, noch im Anschluß an einen delirienhaften 
Zustand, unter dem Eindrücke seines Verbrechens, aber mit noch 
halb benommenen Sensorium in dumpfem Hinbrüten, seiner Um¬ 
gebung und vielleicht sich selbst keine Rechenschaft geben konnte 
darüber, was ihn zu dieser Handlung antrieb, so braucht dies 
nicht wunderbar zu erscheinen. Und schließlich ist selbst seine 
Angabe, daß er sich schämte diese ihm unglaublich scheinende 
Geschichte von den Soldaten und den Offizieren dem Richter zu 
erzählen, nicht einfach von der Hand zu weisen. Einem ungebil¬ 
deten Menschen muß freilich eine Halluzination, wie er sie schildert, 
als etwas Unbegreifliches und Unglaubwürdiges Vorkommen, 
während dies für den Arzt nicht zu gelten braucht. Ebensowenig 
spricht es für eine Simulation, wenn Simo Sokoloviö für die Vor¬ 
kommnisse nach der Tat nur eine getrübte Erinnerung bewahrt 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Influenza 305 

hat und infolgedessen bei seinen verschiedenen Vernehmungen 
vor den Richtern und im Spital Aussagen macht, welche in manchen 
Details nicht übereinstimmen. Auch der Umstand, an dem er 
festhält, daß er den Vukola und nicht (Ten Nenat um die Mutter 
geschickt habe, kann im Sinne eines pathologischen Zustandes 
nach der Tat verwertet werden, ohne daß die Möglichkeit eines 
in der physiologischen Breite liegenden Verkennens ausgeschlossen 
wäre. 

Bedenken wir weiter, daß als einziges Motiv nur sein Haß 
gegen den Stiefsohn herangezogen werden könnte; dieses Motiv 
verliert aber an Wert, da das Verhältnis zwischen Vater und Sohn 
gerade in der letzten Zeit ein viel besseres geworden war, Simo 
Sokoloviß den kranken Milan gepflegt hat und auch nicht als 
letzte veranlassende Ursache irgend ein Streit oder Wortwechsel 
zwischen beiden vorgefallen ist. Wenn Sokoloviß angibt, er habe 
- sich gefürchtet, Milan wolle das Messer unter dem Kopfpolster 
hervorziehen, um ihm etwas anzutun, so ist auch die Furcht eine 
unbegründete, krankhafte gewesen, denn Simo Sokoloviß wußte 
ja entweder, daß das Messer schon lange nicht mehr unter dem 
Kopfpolster war, sondern von seiner Frau auf ein Brett gelegt 
worden war oder, was vielleicht ebenso wahrscheinlich ist, er be¬ 
fand sich schon früher durch längere Zeit in einem halbbenöm- 
menen Zustande, wie er selber angibt, so daß er es nicht fühlte 
wie seine Frau das Messer unter dem Kopfpolster wegnahm, noch 
auch das Fehlen des Messers später erst bemerkte. Die Angabe 
des Nenat, daß sich Sokoloviß, ehe er ins Haus zurückkehrte, be¬ 
kreuzigte, kann keineswegs unbedingt für ein Zeichen seines freien 
Bewußtseins angesehen werden, es könnte ebensogut in dem Sinne 
gedeutet werden, daß er in seiner Vorstellung das Urteil zu voll¬ 
ziehen, in Gottes Namen ans Werk ging. 

Fassen wir also das Ergebnis dieser 5 Punkte zusammen, so 
kommen wir zum Schlüsse, daß Simo Sokoloviß ein Mensch 
von ausgesprochener nervöser Disposition ist, bei wel¬ 
chem wiederholt epileptische Anfälle unter der Form 
des petit mal aufgetreten sind. Sokoloviß erkrankte 
Anfangs Juni an Influenza, in deren Verlaufe sich mehr¬ 
mals transitorische, delirienhaf te Zu stände ein stellten. 

Wenn wir also das Motiv zur Ermordung des Milan in einer 
derartigen transitorischen Psychose suchen wollen, so müssen wir 
fragen, ob denn die wissenschaftlichen Erfahrungen über geistige 
Störungen bei Influenza sich mit einer solchen Annahme verein- 



306 


Prof. H. Obersteiner 


baren lassen. Wir wissen, daß durch die verschiedenen fieber¬ 
haften, namentlich die Infektionskrankheiten das Nervensystem in 
hohem Grade in Mitleidenschaft gezogen werden kann, z. B. Ty¬ 
phus, Scarlatina, Variola, Pneunomie usw. Wir kennen aber, nach 
dem Ausspruche von Kirn, der sich mit dieser Frage eingehend 
befaßt hat, keine andere akute Infektionskrankheit, die in Bezug 
auf das Auftreten von dem Nervensystem angehörigen Symptomen 
der Influenza an die Seite zu stellen wäre. Es darf sogar be- 
, hauptet werden, daß nervöse Symptome zu den typischen Er¬ 
scheinungen jeder stärkeren Grippe gehören. Sie treten unter den 
verschiedensten Formen auf, so auch als Delirium, welches von 
ganz kurzer oder langer Dauer sein kann. Dabei mag das Be¬ 
wußtsein ganz aufgehoben sein, oder der Kranke bleibt mehr oder 
minder bei Besinnug, macht vergebliche Anstrengungen die Illu¬ 
sionen und Hallucinationen zu bemeistern. Aus den statistischen 
Zusammenstellungen von Intrasinski geht hervor, daß gerade 
disponierte Individuen durch die Influenza psychisch erkranken 
und daß das Rekonvalescenzstadium für den Ausbruch einer psy¬ 
chischen Störung bevorzugt erscheint. Wenden wir diese Erfah¬ 
rungen auf unseren Fall an, so treffen sie vollkommen zu. So- 
kolovic hat mit teilweise, aber nicht vollständig aufgehobenem 
Bewußtsein den Mord begangen. Es handelt sich um einen Mann, 
dessen Nervensystem durchaus nicht als intakt angesehen werden 
darf und der sich zur Zeit der Tat bereits in dem besonders dis¬ 
ponierenden Rekonvaleszentenstadium befand; also auch diese 
Erfahrungen stimmen mit unserer obigen Annahme vollkommen 
überein. Wir können somit von langwierigen und aussichtslosen 
Auseinandersetzungen absehen, öb er den Mord in einem epilep¬ 
tischen Anfalle oder postepileptischen Zustande usw. begangen 
habe. Wir sind auch durchaus nicht in der Lage nachzuweisen, 
ob Simo Sokoloviö an diesem Morgen einen epileptischen Anfall 
gehabt habe; ein solcher Nachweis wird aber überflüssig. Die 
Epilepsie hat nur einen indirekten Bezug zur Tat, indem sie uns 
den Mann als einen Menschen von schwerer krankhafter nervöser 
Veranlagung kennen lernen läßt. 

Halten wir an diesem Punkte fest, so wird eine Diskussion 
über das weitere Verhalten des Simo Sokoloviö nur von neben¬ 
sächlicher Bedeutung sein. Epileptische Anfälle wurden weder 
im Gefängnisse noch im Spitale beobachtet Es beweist dieser 
Umstand nichts, da ja auch vorher die Intervalle zwischen den 
Anfällen ziemlich lang gewesen zu sein scheinen, auch nach den 



Ermordung des eigenen Stiefsohnes im Delirium nach Iufluenza 307 

Angaben des Angeklagten. Sein sonderbares Benehmen des Nachts 
im Gefängnisse mag allerdings Verdacht auf Simulation erregen, 
aber auch dieser Verdacht erscheint eher unbegründet; ähnliche 
Vorkommnisse, wo Menschen im Schlafe aufstehn, unsinniges Zeug 
treiben und reden, kommen ja, wenigstens bei nervösen Indivi¬ 
duen, recht häufig vor, besonders, wenn sich diese in einer ge¬ 
wissen psychischen Aufregung befinden, was ja sicher bei Simo 
Sokoloviß der Fall war. Andererseits darf angenommen werden, 
daß Simo Sokolovig, hätte er simulieren wollen, dieses gewiß in 
viel auffälligerer Weise getan hätte. Weder der Kerkermeister, 
noch später ein Arzt im Spitale, haben ihn bei einem solchen 
Benehmen betroffen: Gerade das verkehrte Verhalten, das Simu¬ 
lanten sonst zu beobachten pflegen. Und wenn einer der Sach¬ 
verständigen meint, Simo Sokolovic habe es sich leicht gemacht, 
indem er nur alle 6—8 Tage durch kurze Zeit simulierte, so ent¬ 
spricht das auch nicht den Erfahrungen, da ja Simulanten eher 
etwas zu viel als zu wenig tun, oft mit größter Überwindung und 
Ausdauer. Es darf also das Benehmen des Sokoloviß im Gefäng¬ 
nisse mit viel mehr Berechtigung auf seine nervöse Konstitution 
und seine psychische Erregung als auf Simulation zurückgeführt 
werden. Ob es sich dabei um wirkliche epileptoide Dämmerzu¬ 
stände gehandelt habe, mag dahin gestellt bleiben und erscheint 
für die Frage der Strafbarkeit seiner Handlung irrelevant. 

■* Die Fakultät spricht sich demnach dahin aus, daß Simo 
Sokoloviö ein Mensch von sicherer nervöser Disposi¬ 
tion ist und die Ermordung seines Stiefsohnes Milan 
während eines im Verlaufe einer fieberhaften Krank¬ 
heit (mit größerer Wahrscheinlichkeit Influenza) auf¬ 
tretenden Deliriums vollbracht hat. 

Die vom löblichen Kreisgerichte in Sarajewo gestellten Fragen 
beantworten sich demnach dahin: 

1. Simo Sokoloviß ist des Gebrauches der Vernunft 
nicht ganz beraubt. 

2. Simo Sokolovic hat die Tat bei abwechselnder 
Sinnesverrückung, zur Zeit, als die Verrückung dau¬ 
erte, begangen. 



(Aus der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde 
der Universität Berlin.) 

Versuche zur Unterscheidung von Einschuß 
und Ausschuß. 

Von 

Dr. Georg Straßmann, Berlin. 


Die Schießversuche, die ich auf Leichenteile unternommen 
habe und über die ich berichten will, dürften ein nicht unwesent¬ 
liches gerichtlich medizinisches Interesse haben. Die äußere Ur¬ 
sache für diese Versuche gab der bekannte Fall L. ab, der sich 
im Januar 1919 in Berlin ereignete. Es kam hier auf die Fest¬ 
stellung an, aus welcher Entfernung und welcher Richtung die 
tötlichen Schüsse auf L. aus dem Parabellum, das als Waffe be¬ 
nutzt wurde, abgegeben worden waren. Die Angeschuldigten 
behaupteten, den L. bei einem Fluchtversuch von hinten aus 
einiger Entfernung erschossen zu haben. Die Feststellung, ob 
diese Behauptung mit dem Obduktionsergebnis übereinstimmte, 
war für die Gerichtsverhandlung, für die Beurteilung der straf¬ 
baren Handlung von ausschlagebender Bedeutung. L. hatte 
3 Schüsse erhalten. Der Verlauf, den der unmittelbar tödliche 
Schädelschuß genommen hatte, War an der Knochenverle zung 
sicher zu erkennen, welche die typische kraterförmige Erweiterung 
nach außen an der (vorne gelegenen) Ausschuß- und nach innen 
an der (hinten gelegenen) Einschußöffnung aufwies. Bei den 
anderen Schüssen, die Arm, Brust und Rücken betroffen hatten 
war, da Nahschußzeichen fehlten und die Größe und Gestalt der 
Schußöffnungen wenig differierten, eine gleich sichere Unter¬ 
scheidung von Ein- und Ausschuß zunächst nicht möglich ge¬ 
wesen. 

Ebensowenig war die Unterscheidung von Ein- und Ausschuß 
bei mehreren anderen tötlichen Schußverletzungen gelungen, die 
im April 1919 gerichtlich obduziert wurden. Die Erschossenen 



Versuche zur Unterscheidung von Einschuß und Ausschuß 309 

hatten nach dem Tode 6—8 Wochen im Wasser gelegen, die 
Leichen waren hochgradig faul, und das Gewebe in der Um¬ 
gebung der Schußöffnung zeigte keinerlei charakteristische Merk¬ 
male, sodaß nach dem Aussehen der Hautwunden eine sichere 
Unterscheidung von Ein- und Ausschuß nicht möglich war. Nur 
in einem einzigen dieser Fälle, der am 5. Mai 1919 von Geheimrat 
F.Strassmann und Professor Strauch gerichtlich obduziert wurde, 
fiel bei der aus dem Wasser gezogenen, sehr faulen Leiche auf, 
daß die Umgebung der Brustwunde und die benachbarte Brust¬ 
muskulatur auffallend rot gefärbt war, während die Umgebung 
einer am Rücken gelegenen Hautwunde eine mehr grünliche Färbung 
aufwies. Ich stellte aus dem rot gefärbten Gewebe in der Nähe 
der Brustschußöffnung einen wäßrigen Extrakt her. In diesem 
ließ sich trotz der Fäulnis spektroskopisch deutlich Kohlenoxyd¬ 
hämoglobin nachweisen. Die Schußwunde an der Brust mußte 
demnach den Einschuß darstellen. Der Schuß, welcher das Herz 
und die linke Lunge durchbohrt hatte, war vermutlich aus größerer 
Nähe abgegeben worden, da Kohlenoxydnachweis nur bei Nah¬ 
schüssen in der Nähe des Einschusses zu gelingen pflegt. Etwa 
vorhanden gewesener Pulverschmauch war durch die Fäulnis und 
den Aufenthalt im Wasser jedenfalls abgespült worden und ver¬ 
schwunden. Pulvereinsprengungen habe ich bei der Untersuchung 
der Schußöffnung nicht gefunden. 

Während hier die Bildung von Kohlenoxydhämoglobin den 
Einschuß charakterisierte, gelang bei einigen anderen tödlichen 
Schußverletzungen kein Nachweis von Kohlenoxydhämoglobin, 
ebensowenig derjenige von Pulverschmauch, Pulvereinsprengungen 
oder sonstigen Nahschußerscheinungen noch auch der eines aus¬ 
gebildeten Kontusionsringes, der die Erkennung des Einschusses 
ermöglicht hätte. Als besondere Schwierigkeit kam hinzu, daß die 
Größe und das Aussehen der Schußöffnungen in einzelnen dieser 
Fälle wenig von einander abwichen. 

Es ist bekannt, daß bei Fernschüssen, bei denen nur das Pro¬ 
jektil zur Wirkung kommt, die Unterscheidung von Einschuß und 
Ausschuß schwierig sein kann, wenn nicht sonstige Feststellungen 
einen bestimmten Anhaltspunkt dafür geben, was Ein- oder Aus¬ 
schuß sein muß. Ist allerdings ein Kontusionsring um die Haut¬ 
wunde deutlich ausgeprägt, so wird man daran den Einschuß fest¬ 
stellen, Fehlt er jedoch oder läßt er sich bei sehr faulen Leichen 
nicht mehr erkennen, so stößt die Unterscheidung auf Schwierig¬ 
keiten, zumal die für Ein- 4 oder Ausschuß angegebenen sonstigen 



310 


. Dr. Georg Strassmann 


Erkennungsmefkmale bei Femschüssen häufig nicht sehr charakte¬ 
ristisch sind. Jene Behauptung voii Devergie, daß die Ränder 
des Einschusses eingestülpt, die des Ausschusses nach auswärts 
gekehrt seien, trifft nicht für alle Fälle zu, denn durch Fäulnis 
und sich vordrängendes Fett können auch die Ränder des Ein¬ 
schusses nach auswärts gestülpt werden (Haberda). Auch an 
der verschiedenen Größe der Schußöffnungen ist die Unterscheidung 
von Ein- und Ausschuß nicht immer möglich. Bei Schüssen aus 
großer Nähe ist zwar der Einschuß meist größer als der Ausschuß 
wegen der Wirkung der Explosionsgase, hier wird sich der Ein¬ 
schuß auch durch Nahschußzeichen bemerkbar machen. Bei Fern¬ 
schüssen ist zwar der Ausschuß meist größer als der Einschuß, 
aber bei glatten Weichteildurchschüssen kann diese Differenz so 
gering sein, daß eine Unterscheidung unmöglich wird. Deutlich 
erkennbar ist natürlich der Ausschuß, wenn das deformierte Geschoß 
und mitgerissene Knochensplitter einen großen Ausschuß bewirken 
oder wenn das Projektil als Querschläger herauskommt. Wenn 
aber keine Knochenverletzung vorliegt, an der man die Schu߬ 
richtung erkennen kann, keine aus der Wunde heraushängenden 
Knochensplitter oder Gewebsfetzen den Ausschuß kennzeichnen, 
wenn der Kontusionsring am Einschuß fehlt, beide Schußöffnungen 
klein sind und hochgradige Fäulniserscheinungen genaue Fest¬ 
stellungen erschweren, dann kann die Unterscheidung von Ein- 
und Ausschuß sehr schwierig oder unmöglich sein. 

Dabei kann die Feststellung der Ein- und Ausschußöffnung 
bisweilen, wie in dem oben erwähnten Fall, von großer forensischer 
Wichtigkeit sein. 

Die mikroskopische Untersuchung eines eingebetteten Haut¬ 
stückes, das aus der Schußwunde am Arm in dem Falle L. stammte, 
veranlaßte die später zu erwähnenden Versuche, die ich vornahm, 
um Unterscheidungsmerkmale für Ein- und Ausschuß zu finden. 
Bei der Durchmusterung des Präparates — es war fraglich, ob die 
Wunde am Arm den Ein- oder Ausschuß darstellte — fand sich 
außer Blutungen im Unterhautgewebe ein Gewirr von dunkelblauen, 
grünen und braunen länglichen Fasern, die offenbar von dem Rock 
des Erschossenen herrührten und von dem Projektil mitgerissen 
worden waren. 

Es ist öfters beobachtet worden, daß Tuchfetzen von den Ge¬ 
schossen mitgerissen wurden und sich im Schußkanal fanden (Puppe.) 
Bei der großen Durchschlagskraft und Anfangsgeschwindigkeit der 
modernen kleinkalibrigen Waffen, insbesondere des Infanterie- 



Versuche zur Unterscheidung von Einschuß und Ausschuß 311 

gewehrs, ist es verständlich, wenn das Geschoß, das die bedeckenden 
Kleidungsstücke durchbohrt, Fetzen davon weit in den Körper hinein 
verschleppt. Seltener dürfte es sein, daß das Geschoß nur Teile 
von Kleidungsstücken in die Wunde hinein vorstülpt, so daß beim 
Heraufziehen des vorgestülpten Kleidungsstückes das Projektil aus 
der Wunde herausfällt (Lochte). 

Während über Verletzungen an Kleidern durch Schüsse be¬ 
sonders von Lochte eingehende Untersuchungen angestellt worden 
sind, fehlen Angaben darüber, wie weit das Geschoß imstande ist, 
getroffene Kleidungsfetzen in den Körper mitzureißen und von 
welchen Bedingungen es abhängt, wie weit in den &chußkanal 
hinein abgerissene Tuchfetzen von der den Körper bedeckenden 
Kleidung verschleppt werden. 

Ich habe zunächst, ehe ich Schießversuche anstellte, die Haut¬ 
schußöffnungen und den Schußkanal bei einer Anzahl von Leuten, 
die an einer Schußverletzung zu Grunde gegangen waren und bei 
denen nach Lage des Schusses anzunehmen war, daß die Kleidnng 
durch das Geschoß 'getroffen worden war, auf das Vorhanden¬ 
sein von Tuchfasern untersucht. Dazu wurden entweder Gewebs- 
stücke in der Umgebung der Hautschußwunden und des Schu߬ 
kanals mit sauberen Nadeln in physiologischer Kochsalzlösung 
zerzupft und mikroskopisch untersucht, oder es wurden Gewebs- 
stücke eingebettet, geschnitten und in der üblichen Weise mit 
Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Die bunten Tuchfasern, die von der 
Kleidung stammen, haben sowohl im frischen wie im eingebetteten 
. Präparat ein so typisches Aussehen, daß sie nicht verkannt oder 
mit anderen Fremdkörpern verwechselt werden können. 

Der erste von mir untersuchte Fall war ein am 16. Juni 1918 ge¬ 
richtlich obduzierter älterer Mann, der irrtümlich für einen Einbrecher 
gehalten und mit einem Infanteriegewehr erschossen worden war. Es 
war nur eine Schußwunde vorhanden, die in einer riesigen Zerreißung 
der rechten Achselhöhle bestand und eine Verletzung der Achselhöhlen¬ 
schlagader und eine Zertrümmerung der rechten 3.—9. Rippe verursacht 
hatte. In dem eingebetteten Hautstück fanden sich im durchbluteten 
Unterhautgewebe eine Anzahl bunter Kleidungsfasern. 

Ebenso sah man solche Tuchfasern bei genauer Durchmusterung 
der eingebetteten Hautstücke sowohl in der Umgebung des Einschusses 
wie des Ausschusses im Unterhautgewebe bei einem jungen, von Ein¬ 
brechern erschossenen Mann, bei dem der Einschuß an der rechten 
Schulter, der Ausschuß an der linken Schulter sich befand und das Ge¬ 
schoß beide Lungen durchbohrt hatte. Jedoch waren die Tuchfasern 
um den Ausschuß herum nur sehr spärlich vorhanden (gerichtl. obdu¬ 
ziert 24. Dezember 18). Die Schußwaffe ist mir in diesem Falle nicht bekannt 



312 


Dr. Georo Strassmann 


gewesen. Bei Durchsicht anderer eingebetteter Präparate von Hautschuß- 
wund^n bei tötlichen Schußverletzungen, die gerichtlich obduziert worden 
waren, habe ich keine Tuchfasern gefunden. 

Die Resultate bei der frischen Untersuchung von Schußwunden, 
die ich vomahm, waren nicht ganz eindeutig. 

Bei einem im Straßenkampf mit Infanteriegewehr erschossenen Ver¬ 
brecher, den ich am 23. April 1919, neun Tage nach dem Tode sezierte 
und der eine größere Anzahl Schüsse erhalten hatte, fand ich folgendes: 

In 2 Schußöffnungen (Einschuß und Ausschuß) im Nacken, die nur 
5 cm von einander entfernt lagen — es handelte sich um einen ein¬ 
fachen oberflächlichen Weichteildurchschuß der Nackengegend, — waren 
bunte Tuchfasern beim Zerzupfen nachweisbar. In einem kleinen Ein¬ 
schuß der rechten Brustseite fanden sie sich auch, dagegen nicht in 2 
größeren, dicht neben einanderliegenden zerfetzten Öffnungen am Rücken, 
die jedenfalls Ausschüsse darstellten. Tuchfasern fanden sich ferner in 
dem Einschuß des rechten Unterschenkels, dagegen nicht im Ausschuß 
an demselben Bein, aus welchem Knochensplitter herausragten, waren 
aber in dem Einschuß am linken Unterschenkel vorhanden. 

Ich untersuchte dann noch bei mehreren sehr faulen Leichen, die 
nach dem Erschießen mehrere Wochen im Wasser gelegen hatten und 
bei denen es bei der Obduktion fraglich geblieben war, welche Haut¬ 
öffnung den Einschuß, welche den Ausschuß darstellte, das zerzupfte 
Gewebe in der Nähe der Schußöffnungen. Bei einer am 5. Mai 1919 
obduzierten Leiche, die eine Schüßöffnung an der rechten Halsseite und 
eine an der linken Brustseite hatte, wobei der Schuß das Herz durch¬ 
bohrt hatte, fanden sich in der Halswunde viel bunte Fasern, in der 
Brustwunde wenig. Auch bei einigen anderen durch Infanteriegewehr 
erschossenen Männern fand ich in der Umgebung beider Hautwunden 
sowohl des Einschusses wie des Ausschusses Tuchfasern. Dagegen 
waren bei einem Manne, der am 12. Juli 19 dnrch einen Schuß aus einer 
Dreyerpistole getötet worden war und am 19. Juli 19 obduziert wurde, 
nur bunte Tuchfasem im zerzupften Gewebe um den Einschuß herum 
sichtbar, während sich in der Nähe des Ausschusses nur freies Blut, 
aber keine Tuchfasem fanden. Das Geschoß war in diesem Falle in 
der linken Brustseite eingedrungen, hatte das Zwerchfell, den Magen und 
die linke Niere durchbohrt und war am Rücken herausgekommen. 

Ehe ich auf die Bedeutung des Auffindens von Tuchfasern im Ge¬ 
webe um eine Schußwunde herum eingehe, muß ich betonen, daß bei 
dem Präparieren und Zerzupfen besondere Sorgfalt nötig ist und ganz 
reine Instrumente benutzt werdep müssen, da es sonst leicht geschehen 
kann, daß von der zuerst präparierten Schußwunde oder von anders¬ 
woher Tuchfasem an einem Instrument haften bleiben, in das Präparat 
gelangen und auf diese Weise das Urteil trüben. Auch beim Einbetten 
und Schneiden von Hautwunden muß es vermieden werden, daß Tuch¬ 
fasern von anderer Stelle in das zu untersuchende Gewebsstück gelangen. 
Wenn man die zufällige Verunreinigung durch einzelne Tuchfasem nicht 
mit Sicherheit ausschließen kann, ist nur das Vorhandensein zahlreicher 
Tuchfasern oder eines Fasergewirrs in einer Schußwunde zu verwerten, 
worauf ich noch zurückkomme. 



Versuche zur Unterscheidung von Einschuß und Ausschuß 


313 


Mir schien die Feststellung wichtig, ob der Befund dieser 
mitgerissenen Tuchfasern überhaupt in irgendeinem Sinne zur 
Charakterisierung von Einschuß oder Ausschuß Verwendbar sei. 
Ich suchte daher zu ermitteln, wie weit grösere Mengen von Tuch¬ 
fasern, die als solche unzweifelhaft erkennbar sind, in den Schu߬ 
kanal mitgerissen würden, ob sie z. B. bei einer bestimmten 
Schußdistanz, bestimmter Waffe und Ladung bis zum Hautaus¬ 
schuß gelangten oder ob der Befund eines Fasergewirrs im Ge¬ 
webe einer Hautschußwunde den Einschuß in dem Falle kenn¬ 
zeichnet, in dem das Projektil das bedeckende Kleidungsstück 
getroffen haben muß, ehe es in den Körper eindrang. Die von 
mir zu diesem Zweck angestellten Schießversuche auf Leichen 
gelten natürlich nur für die von mir benutzte Waffe und Ladung. 
Es bleibt daher Vorbehalten, in gegebenen forensischen Fällen erneut 
Schießversuche mit der in Betracht kommenden Waffe anzustellen. 

Da mir ein Parabellum Kaliber 7,65 mm, die Waffe, mit der 
L. erschossen worden war, nicht zur Verfügung stand, habe ich 
für meine Versuche eine Browningpistole benutzt, deren Kaliber 
ebenfalls 7,65 mm betrug. Um eine möglichst einheitliche Ver- 
suchsanordriung herzustellen und möglichst natürliche Verhältnisse 
wiederzugeben, bin ich bei meinen Schießversuchen in folgender 
Weise vorgegangen, da bei Schießversuchen auf Leichen sich die 
Ergebnisse verschieden gestalten können, je nach der Körpergegend, 
welche man trifft. Ich habe Knochenverletzungen zu vermeiden 
gesucht, weil aus der Betrachtung der Knochenverletzung selbst 
und aus den fortgerissenen Knochensplittern die Schußrichtung 
sich meist wird erkennen lassen. Ich habe in allen Fällen den 
Oberschenkel der betreffenden Leiche im oberen Drittel aus ver¬ 
schiedener Entfernung mit der Browningpistole durchschossen. 
Die tiefen Muskeln wurden dabei durchbohrt; eine Verletzung des 
Oberschenkelknochens hat in keinem Versuche stattgefunden. Als 
bedeckendes Kleidungsstück, das von dem Geschoß durchbohrt 
werden sollte, wählte ich ein buntes Wolltuch, das ich auf den 
Oberschenkel legte. Ich glaubte, unberücksichtigt lassen zu können, 
daß im Leben die Kleidungsstücke meist nicht so dicht dem Körper 
anliegen, wie das von mir aufgelegte Stück Wolltuch, und daß 
sich zwischen Kleidung und Körper eine Luftschicht befindet, die 
das Geschoß durchdringen muß, da der Einfluß dieser Umstände 
kaum erheblich sein oder das Ergebnis wesentlich ändern dürfte. 
Ganz dem Leben entsprechende Verhältnisse können Schießversuche 
auf Leichen natürlich nicht wiedergegeben. 



314 


Dr. Georg Strassmann 


Nachdem der Schuß auf das Tuch und den Oberschenkel 
abgegeben worden war, schnitt ich zunächst Stücke aus der Um¬ 
gebung des Ausschusses heraus, zerzupfte sie in physiologischer 
Kochsalzlösung und untersuchte sie auf das Vorhandensein von 
Wollfasern. Dann erst untersuchte ich auf dieselbe Weise das Ge¬ 
webe um den Einschuß. Ich wollte dadurch vermeiden — das 
Ergebnis dieser Versuche kann ich vorwegnehmen —, daß von 
den Wollfasern, die sich um den Einschuß meist zahlreich herum¬ 
finden, einige zufällig an den Nadeln oder der Pinzette hängen 
blieben, in das Präparat des Ausschusses gelangten und das Bild 
verfälschten. Eine Gefahr, das Präparat des Einschusses mit 
Fasern aus dem Ausschuß zu verunreinigen, besteht darum kaum, 
weil sich um den Eiqschuß fast durchweg mehr Tuchfasern finden, 
als um den Ausschuß. Die Leichen, auf die ich schoß, boten an 
sich nichts Bemerkenswertes, sie hatten meist bereits einige 
Tage seit dem Tode gelegen. Die Todesursache war eine ver¬ 
schiedene. Ich benutzte für alle Fälle dasselbe bunte grünblaue 
Wolltuch und legte es so auf den Oberschenkel, daiß es nur von 
der 'eindringenden Kugel getroffen werden konnte, während die 
Seite des Ausschusses unbedeckt blieb, um jede zufällige Ver¬ 
unreinigung des Ausschusses durch Wollfasern, die nicht von dem 
Geschoß mitgerissen wurden, auszuschließen. 

Die von mir angestellten Versuche waren im einzelnen fol¬ 
gende: 

1. Schuß mit Browning auf den rechten (Oberschenkel einer an 
Leuchtgasvergiftung gestorbenen Frau am 16. Mai 1919. Die Waffe 
wurde auf das auf den Oberschenkel gelegte Wolltuch aufgesetzt, also 
der Schuß aus unmittelbarer Nähe abgegeben. Ziemlich großes Loch 
im Wolltuch, Weichteildurchschuß des Oberschenkels, im Gewebe um 
den Einschuß herum neben eingesprengten Pulverkörnern eine Anzahl 
Wollfasern, die sich auch in der Tiefe des Schußkanals und in der 
Umgebung des Ausschusses finden, so daß sie durch das Geschoß 
mit fortgerissen sein müssen. Diese bunten Fasern um den Ausschuß 
herum sind nach Zerzupfen des Gewebes in Canadabalsam eingelegt 
und auf Figur 1. (Mikrophotogramm Leitz, Okular 1, Objektiv 3) deutlich 
sichtbar. 

2. 30. Mai 1919. Schuß mit Browning aus unmittelbarer Nähe 
auf das auf den linken Oberschenkel einer männlichen Leiche gelegte 
Wolltuch. Mikroskopisch finden sich um den Ausschuß eine Anzahl 
Wollfasern neben einigen Holzsplittern, die von dem hinter dem Ober¬ 
schenkel aufgestellten Kugelfang, einem Holzblock, stammen. Zahlreithe 
Wollfasern sind im Gewebe des Einschusses neben Pulverkörnchen sichtbar. 

3. 30. Mai 1919. Schuß mit Browning auf den rechten Ober¬ 
schenkel derselben Leiche, wie bei Versuch 2, jedoch aus 5 cm Ent- 



Versuche zur Unterscheidung von Einschuß und Ausschuß 315 

fernung. Mikroskopisch finden sich in der Tiefe des Schußkanals in 
der Nähe des Ausschusses eine Anzahl Wollfasern, um den Ausschuß 
herum jedoch keine. Ein zahlreiches Wollfasernetz ist in der Umgebung 
des Einschusses vorhanden. 

4. 23. Mai 1919. Schuß mit Browning aus 5 cm Entfernung auf 
den linken Oberschenkel einer männlichen Leiche. Während um den 
Einschuß herum sich zahlreiche Tuchfasern erkennen lassen, finden sich 
um den Ausschuß trotz sorgfältiger Durchmusterung keine Wollfasern, 
sondern nur Holzsplitter, die von dem hinter dem Oberschenkel aufge¬ 
stellten Kugelfang herrühren. 

* 5. 20. Mai 1919. Schuß mit Browning auf den mit Wolltuch be¬ 

deckten rechten Oberschenkel einer weiblichen Leiche aus 10 cm Ent¬ 
fernung. Mikroskopisch sind um den Einschuß zahlreiche Tuchfasern, 
um den Ausschuß keine Fasern, nur Holzsplitter sichtbar, die von dem 
Kugelfang stammen. 

6. 23. Mai 1919. Schuß mit Browning auf den rechten Ober¬ 
schenkel derselben Leiche, wie bei Versuch 4, jedoch aus 15 cm Ent¬ 
fernung. Mikroskopisch finden sich zahlreiche Wollfasern in dem Ge¬ 
webe um den Einschuß herum, jedoch keine um den Ausschuß. 

7. 8. Juni 1919. Schuß aus 20 cm Entfernung mit Browning 
auf den mit Wolltuch bedeckten rechten Oberschenkel einer männlichen 
Leiche. Mikroskopisch sind im zerzupften Gewebe des Einschusses 
zahlreiche Tuchfasern sichtbar, dagegen finden sich keine Tuchfasern 
in der Umgebung des Ausschusses, nur Holzsplitter. 

8. 8. Mai 1919. Schuß mit Browning auf den mit Wolltuch 
bedeckten linken Oberschenkel einer männlichen Leiche aus 25 cm 
Entfernung. Mikroskopisch.finden sich zahlreiche Tuchfasern um den 
Einschuß herum und im Anfangsteil des Schußkanals, wie sie Figur 2 
(Mikrophotogramm Leitz, Okular 1, Objektiv 3j zeigt. Keine Tuchfasern 
sieht man in der Tiefe des Schußkanals und um den Ausschuß herum. 

9. 16. Mai 1919. Schuß mit Browning auf den mit Wolltuch 
bedeckten rechten Oberschenkel einer männlichen Leiche aus 50 cm 
Entfernung. Mikroskopisch finden sich um den Einschuß herum und 
im Beginn des Schußkanals zahlreiche Wollfasern, jedoch sind keine 
derartigen Fasern in der Nachbarschaft des Ausschusses vorhanden. 

10. 20. Mai 1919. Schuß mit Browning auf den linken mit 
Wolltuch bedeckten Oberschenkel derselben Leiche, wie im Versuch 5, 
aus einer Entfernung von 70 cm. Mikroskopisch finden sich zahlreiche 
Wollfasern um den Einschuß herum, wie sie Figur 3 (Mikrophotogramm 
Leitz, Objektiv 3, Okular 1) sichtbar macht. Keine Wollfasern sind in 
dem Gewebe um den Ausschuß herum vorhanden. 

Weitere Versuche habe ich znnächst nicht vorgenommen, da 
die Ergebnisse für die Browningpistole von 7,65 mm Kaliber 
ziemlich eindeutig erscheinen. Zusammenfassend hebe ich als Er¬ 
gebnis dieser Schieß versuche hervor: 

Weichteildurchschüsse des oberen Drittels des Oberschenkels, 
auf den ein buntes Wolltuch so gelegt worden war, daß es von 




3)6 Dr. ■uEoro Strassmann 

dem Projektil durchbohrt' wurde- ehe dieses in den Körper ein¬ 
drang. ergaben folgende Resultate:. 

in -allen lö Fallen.: in denen das Wolltuch und der Ober¬ 
schenkel durch das Geschoß getroffen wurde, sei es aus unmittel¬ 
bare: Nähe, sei es aus einer Entfernung von 5— 70 cm fanden 
sich zahlreiche bunte WölUasern in dem zerzupften Gewebe um 
den Einschuß herumy die mikroskopisch häutig ein dichtes Faser- 
gewirr dafstdlten und sich auch bei gewöhnlichen irischen Zupi- 
präparaten. durch Einlegen in Canadabalsam für längere Zeit 
isüfbeytahrfen ließen, Auch irr dem Anhmgsteü des Schußkaaals 


fanden sich häufig bet Schüssen aus verschiedener Entfernung 
Wollfasern, In dem um den Ausschuß herum gelegenen Gewebe 
War beim Zerzupfen nur bei den beiden aus unmittelbarer Nähe 
abgegebenen Schüssen, in denen die Waffe direkt .auf das Tuch 
aufgesetzt . Wipbdeh 

(hier jiedoch nicht unmittelbar am Au^chußy.eine größere. Anzahl 
Wollfasern sichtbar, die vom Projektil durch den ganzen Schuß- 
känal bis zum Ausschuß mügterissen worden waren iFig. 1). Bei. 
dem ^Weiten Schuß aus 5cra Entfettung und bei .-allen Schüssen» 
die aus einer Entfernung abgefeüert wurden, die mehr öls 5 cm 
betrug,, ließen sich trotz sorgfältigen Zerzupfeis und Durehsneberrs 






VsrsucölS zut Unterscheidung Vpri Einschuß und Ausschuß 317 

des- ganzen Gewebes .asm Ausschuß keine Wollfasern finden. Es 
waren nur einige brsunscHwärziiche, unregelmäßig gestaltete Holz¬ 
splitter in dem Gewebe des Ausschusses erkennbäiY die von dein 
dicht hinter dem Oberschenkel aüfgestellten Kugelfahg) einem Holz¬ 
klotz, herrührten und beim Eindringen der Kugel iß das Höiz sich 
von diesem abgelöst hatten und oberflächlich auf dem Ober¬ 
schenkel haften geblieben waren. 'Eine: /Verweehseltiog- •.dieser.. 
Splitter, die verschieden gestaltete kleinere und größere dunkle 
Gebilde im mikroskopischen Bild darstellen, mit bunten Wolifasem 
ist nicht möglich. Ein Fasergewirr, wie es sich im Gewebe, des 


Einschusses in allen untersuchten Fällen fand (Fig, 2 u. 3), war 
also am Ausschuß nur bei Schüssen mit dem Browning aus näch¬ 
ster Nähe vorhanden. Bei Browningschüssen • aus einer Distanz 
von mehr als 5 cm.fand sich ein solches Fasergewirr urn den Aus- 
schuß niemals. Man kann daraus den Schluß ziehen, daß Brow- 
niiigpistölen vom Kaliber 7,85 mm nur dann f went3 sie aus un¬ 
mittelbarer Nähe oder höchstens einer Entfernung von 5 cm auf 
einen bekleideten Oberschenkel abgeschossen werden, imstande 
sind, Stücke des durchbohrten- Kleidungsstückes' bis zum Ausschuß 
mitzureißen. Werden sie aus IG cm Entfernung; oder noch größerer 
Distanz abgefeuert, so verschleppen sie Fasern des durchschossenen 

Ardhiy jOt KrUNinoiotfie. 7t, BdL 22 




Dfit. ücoaci Strassmann 


Kleidungsstückes: wohl fn\den Anfangsteil des Schnßkanals, aber 


nicht bis zum Ausschuß. Läßt sich also gegebenenfalls ein Schuß 
aus unmittelbarer Nähe aus irgendwelchen Gründen ausschHeßen, 
z. B. weil jegliche NahschitSefScheinyngen an der durchbohrten 
Kleidung oder am Hanteinschuß fehlen, so läßt sich aus dem Be¬ 
fund eines Tuchfasergewirrs in dem sorgfältig arigefertigten frischen 
Zupfpräparat aus dem. Gewebe einer HaUtsehußwunde oder aus 
dem ähnlichen Befund an einem eingebetteten Hautstück der Schluß 
ziehen, daß die fragliche Hautwunde, an der sich die Tticbfäsem 
iiflden, den Einschuß Und nicht den Ausschuß darstellt. Voraus’ 


Setzung ist. daß eine Browningpistole von 7,65 mm Kaliber be¬ 
nutzt wurde. 

Will man diese Ergebnisse auch für andere Körperteile» die 

so wird 


von einem solchen Geschoß durchbohrt sind, artwenden, 
man sich zwar eine gewisse Zurückhaltung auferlegen, falls es sich 
um ein Gewebe handelt, das der Kugel weniger Widerstand ent¬ 
gegensetzt, als es die tiefe Muskulatur des Oberschenkels tut. Man 
Wird hier das Ergebnis von Schießversuchen auf den betreffenden 
KörpefteH abwarten. Hat aber die. Kugel Körpergewebe durchbohrt, 
das noch stärker widerstandsfähig ist als die Oberscbenkeimusku- 
latur, 2 . B. einen Knochen, so wird es nach dem Ergebnis meiner 


j 



Versuche zur Unterscheidung von Einschuß und Ausschuß 319 

Schießversuche kaum möglich erscheinen, daß das Geschoß, welches 
infolge der Perforation des Knochens eine erhebliche Abschwächung 
erfahren hat, Kleidungsfetzen bis zum Ausschuß verschleppt. Ich 
glaube daher, daß man bei allen forensischen Fällen, in denen die 
L^nterscheidung von Einschuß und Ausschuß zwar Schwierigkeiten 
rnacht, aber von Wichtigkeit ist und wo die Wahrscheinlichkeit be¬ 
steht, daß die Kugel ein Kleidungsstück durchbohrt hat und eine 
Browningpistole benutzt wurde, mikroskopische Zupfpräparate des 
Gewebes um die betreffende Hautwunde in physiologischer Koch¬ 
salzlösung herstellen sollte. Man kann auch Hautstücke von der 
Schußwunde einbetten, schneiden und mit Hämatoxylin-Eosin 
färben. Man muß sich dabei nur hüten, mit den benutzten In¬ 
strumenten Tuchfasern von irgendeiner Stelle auf tlas Präparat zu 
bringen, die das Urteil beeinträchtigen können. 

Wenn in einem forensischen Fall eine andere Waffe benutzt 
worden ist, als die Browningpistole, mit der ich die Schreßver- 
suche angestellt habe, würde es natürlich erforderlich sein, mit 
der entsprechenden Waffe Schießversuche auf bekleidete Leichen¬ 
teile anzustellen, um zu ermitteln wie weit durch die betreffende 
Waffe und Ladung Tuchfasern in den Schußkanal hinein mitge¬ 
rissen werden. Für Waffen desselben oder noch kleineren Kalibers 
als 7,65 mm werden die Versuche wohl ähnlich ausfallen. 

Die angestellten Schießversuche sollten hauptsächlich auf die 
Möglichkeit hinweisen, in gegebenen Fällen durch den Nachweis 
mitgerissener Kleidungsfasem eine Unterscheidung von Einschuß 
und Ausschuß herbeizuführen. Für Schüsse mit einem Brownin'g 
von 7,65 mm halte ich, wenn man Schüsse aus unmittelbarer Nähe 
ausschließen kann, das Auffinden einer größeren Anzahl von Tuch- 
fasem im zerzupften Gewebe einer Hautschußwunde für ein charak¬ 
teristisches Merkmal des Einschusses. Eine Ausnahme bilden nur 
die Schüsse, die einen kleinen Schußkanal verursacht haben, sowie 
einfache Konturschüsse. 

Ich möchte anregen, daß auch von anderer Seite ähnliche 
Schießversuche angestellt werden, um nachzuprüfen, ob die von 
mir erhobenen Befunde für alle oder die meisten . Fälle zutreffen. 


22* 



Kann die Verwendung von Privathunden zum Spureö- 
suchen an Verbrechenstatorten verboten werden? 

Alls den Akten mitgeteilt mit Genehmigung 

von 

Generalstaatsanwalt Graf Vitzthum, Dresden. 


Gegenwärtig ist den Besitzern von Privathunden für deren 
Verwendung keinerlei Schranke gezogen. Ebenso ist jede durch 
eine Straftat verletzte Person befugt, zum Aufsuchen der Verbrecher¬ 
spur sich der Hilfe eines von einem Privatführer geleiteten Hundes 
zu bedienen genau so, wie er zur Verfolgung des Verbrechers die 
Unterstützung eines Privatdetektivs in Anspruch nehmen kann. 

Manche Polizeifachleute wünschen eine Änderung dieses 
Rechtszustandes und rechtfertigen diesen Wunsch mit vier Gründen: 

1. Die Verwendung von im Privatbesitze befindlichen Hunden 
zu polizeilichen Zwecken soll insofern zu Unzuträglichkeiten 
geführt haben, als durch die Tätigkeit dieser Privathunde¬ 
führer bisweilen Spuren verwischt worden sind, die für die 
Verfolgung durch einen sachgemäß geführten Diensthund 
von Wert hätten sein können. 

2. Durch die Duldung polizeilicher Arbeit von Privathunden 
soll den beamteten Polizeihundeführern die Gelegenheit, 
sich und ihre Hunde in praktischen Fällen weiterzubilden, 
in unerwünschter Weise beschnitten werden. 

3. Auch rechtliche Bedenken sollen der Verwendung von 
Hunden, die bei Polizeiarbeit von Privatführem geleitet 
werden, entgegenstehen. In dieser Beziehung wird auf die 
Ausführungen Hellwigs in der Zeitschrift „Der Polizeihund“, 
Jahrgang 1913/14, Seite 720 flg. und Jahrgang 1914/15, Seite 
24 flg. verwiesen. 

4. Endlich wird darauf hingewiesen, daß das staatliche Polizei¬ 
hundewesen jetzt soweit organisiert sei, daß auf die Mit¬ 
wirkung von Privatpolizeihunden verzichtet werden könne. 

Die rechtlichen Bedenken, die aus dem Aufsatze Hellwigs 
entnommen werden, betreffen die Personen der Privathundeführer, 



Verwendung von Privathunden zum Spurensuchen usw. 321 

die bei Verfolgung von polizeilichen Zwecken sich leicht zivil- 
und auch strafrechtlich verantwortlich machen sollen. Im Hinblick 
auf solche Erscheinungen ließe sich, wie keiner Ausführung bedarf, 
ein Verbot der Verwendung von Privathunden zu polizeilicher 
Arbeit nicht rechtfertigen. 

Dasselbe gilt von dem Grunde unter 2., wenn überhaupt zu¬ 
zugeben wäre, daß die Ausbildung von Polizeihunden durch be^ 
amtete Führer bei einem Weiterbestehen des jetzigen Zustandes 
beeinträchtigt werden könnte. 

Nur der erste Grund könnte meines Erachtens unter Umständen 
geeignet sein, das yorgeschlagene Verbot zu rechtfertigen. Es 
müßte dann aber erwiesen sein, daß die oben unter 1. geschilderten 
nachteiligen Folgen der Arbeit von Privathunden einen so hohen 
Grad erreicht hätten, daß hieraus eine ernstliche und erhebliche Ge¬ 
fährdung der öffentlichen Sicherheit im allgemeinen erwachsen wäre. 

Könnte man in der Tat von einer Beeinträchtigung der öffent¬ 
lichen Sicherheit durch die Tätigkeit der Privatführer mit ihren 
Hunden reden, so wäre ein gesetzliches Verbot ihrer Tätigkeit 
rechtlich als zulässig zu erachten. Im Interesse des allgemeinen 
Wohles ist die Aufrechterhaltung der allgemeinen Sicherheit jederzeit 
zu erfordern. Die nötigen Maßregeln hierzu zu treffen, ist Sache 
der Polizei, deren Aufgabe unbestritten darin besteht, daß sie die 
zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe,, Sicherheit und Ordnung er¬ 
forderlichen Vorkehrungen trifft. Es wäre freilich nicht zu verkennen, 
daß ein allgemeines Verbot der Verwendung von Privathunden zu 
Polizeiarbeit einen schweren Eingriff in die Eigentumsrechte der 
Privathundeführer bedeute. Soweit indessen derartige Beschrän¬ 
kungen der aus dem Privateigentume fließenden Befugnisse zum 
Schutze der Allgemeinheit sich als nötig erweisen, müßte sie sich 
der einzelne gefallen lassen. § 27 der Sächsischen Verfassungs¬ 
urkunde schreibt vor: „Die Freiheit der Personen und die Ge¬ 
barung mit dem Eigentume sind keiner Beschränkung unterworfen, 
als welche Gesetz und Recht vorschreiben.“ Gesetzliche Vor¬ 
schriften,, auf die ein Verbot der Verwendung von Privathunden 
zu polizeilichen Zwecken zu stützen wäre, bestehen nicht. Ins¬ 
besondere könnte nicht die Vorschrift in § 2 Ziffer 1 des A-Gesetzes 
als eine Rechtsgrundlage, wie sie § 27 der Verfassungsurkunde 
voraussetzt, angesehen werden. Indem § 2 Ziffer 1 des A-Gesetzes 
davon spricht, daß die Verwaltungsbehörden ihre Verfügungen 
mit Nachdruck „durchführen“ und zu dem Ende Strafen androhen 
können, läßt es die Frage unberührt, ob und inwieweit sie polizei- 



322 


Vitzthum 


liehe Ge- oder Verbote „erlassen“ dürfen. Die in § 2 Ziffer 1 
festgesetzte Strafgewalt setzt eine Befehlsgewalt der Verwaltungs¬ 
behörde voraus (vgl. hierzu Jahrbücher des Sächs. Oberverwaltungs¬ 
gerichts Bd. 7 Seite 15, 100 — Schanze —, die Grenzen der 
Polizeigewalt im Sächs. Archiv 1909, Seite 162 — OLG. Dresden 
in Fischer Bd. 36 Seite 156 — A. M. Ministerium des Innern bei 
Fischer 22, 365 — v. Feilitzsch im Sächs. Archiv 1907, Seite 5). 
• Soweit § 27 der Verfassungsurkunde von „Gesetz und Recht“ 
spricht, ist neben den geschriebenen Rechtsvorschriften vor allem 
an das „Gewohnheitsrecht“ zu denken. Dieses Gewohnheitsrecht 
bildet gerade für die Ausübung der Polizeigewalt in weitem Um¬ 
fange die Grundlage. In Wissenschaft und' Rechtsprechung ist 
anerkannt, daß dieses Gewohnheitsrecht in Sachsen kein spezielles 
zu sein braucht, daß vielmehr ein generelles genügt. Demgemäß 
ist für das sächsische Polizeistrafrecht eine allgemeine Ermäch¬ 
tigung der Polizeibehörden als bestehend anzuerkennen, „alles zur 
Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, Ordnung, Wohlfahrt, 
Gesundheit und Sittlichkeit Erforderliche“ anzuordnen und diese 
Anordnung mit Strafandrohungen zu verbinden (vgl. Schanze, 
die Grenzen der Polizeigewalt a. a. O. S. 163; Schanze, „Die 
obrigkeitliche Gewalt und der verfassungsrechtliche Schutz der 
Freiheit und des Eigentums“ bei Fischer Bd. 36, S. 14, 23; OVG. 
in Jahrb. Bd. 7 S. 12 — OLG. bei Fischer Bd. 36 S. 156). 

Diese weitgehenden Befugnisse der Polizei haben allerdings 
zur Voraussetzung, daß ein Erlaß der Polizeivorschriften im Inter¬ 
esse des Gemeinwohls dringend geboten erscheinen muß. Wenn 
ein allgemeines Verbot der Verwendung von Privathunden zu Poli¬ 
zeiarbeit erlassen werden sollte, so würde hierzu die Möglichkeit 
nicht genügen, daß die öffentliche Sicherheit bei dem Fortbestehen 
des jetzigen Rechtszustandes beeinträchtigt würde, vielmehr müßte 
die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung bis zu einem ge¬ 
wissen Grade bereits durch Tatsachen zu belegen sein (vgl. Jahrb. 6, 
240; 15; 42; 20; 128). Sollten genügende tatsächliche Unterlagen 
zurzeit nicht vorliegen und sollte insbesondere der Beweis, daß 
die Interessen der Öffentlichkeit, das allgemeine Wohl ge¬ 
fährdet werden, gegenwärtig nicht zu erbringen sein, so würde das 
vorgeschlagene Verbot schon im Hinblick auf den Mangel dieser 
rechtlichen Voraussetzung unzulässig sein. 

Wie bereits angedeutet, vertrete ich auf Grund der Erfahrun¬ 
gen der sächsischen Staatsanwaltschaften den Standpunkt, daß ein 
allgemeines Verbot der polizeilichen Arbeit von Privathundeführern 



Verwendung von Privathunden zum Spurensuchen usw. 323 

als ein Bedürfnis im Interesse der Rechtspflege und der Sicher¬ 
heit des Publikums heute jedenfalls noch nicht anzuerkennen ist. 
Ich würde aber auch ein derartiges Verbot teilweise gerade im 
Interesse der Weiterbildung des Spürhundewesens nicht für zweck¬ 
mäßig erachten. Hätte die Polizei allein die Befugnis, ihre Hunde 
zu Polizeiarbeit zu verwenden, so würde den Privatbesitzern die 
Möglichkeit genommen oder doch sehr beschränkt, ihre Spürhunde 
zu polizeilicher Arbeit auszubilden. Die Spürhundezucht scheint 
noch keinen derartigen Umfang genommen und noch nicht so weit 
ausgestaltet zu sein, daß man daran gehen könnte, die Zucht und 
die Abrichtung solcher Hunde zu beschränken und durch Aus¬ 
schaltung der freien Konkurrenz den in dieser liegenden Anreiz 
zur Erzielung möglichst guter Ergebnisse zu beseitigen. 

Eine andere Frage wäre es, ob man an Stelle eines allgemeinen 
Verbotes der Verwendung von Privathunden durch Privatführer 
zu pplizeilichen Zwecken etwa sich darauf beschränkte, jetzt eine 
Maßregel zu ergreifen, die den Übelstand wenigstens zum Teil be¬ 
seitigte. Ob und inwieweit rechtlich eine derartige Maßregel zu 
rechtfertigen wäre, hinge wiederum von der Art und dem Um¬ 
fange des vorliegenden Tatsachenmaterials ab. Wäre ein Bedürf¬ 
nis zu einer Hilfsmaßnahme tatsächlich anzuerkennen, so könnten 
etwa folgende Wege beschritten werden: 

Da der erwähnte Übelstand in der Hauptsache in Fällen zu 
Tage treten dürfte, wo private Besitzer von Spürhunden ein Ge¬ 
schäft daraus machen, ihre Hunde gegen Entgelt zugunsten Dritter 
auf Verbrecherspuren zu setzen, so könnte man daran denken, diese 
Tätigkeit, soweit' sie gewerbsmäßig ausgeübt wird, zu verbieten. 
Ein solches Verbot könnte aber im Hinblick auf § 1 der G. O. 
nur durch Reichsgesetz erfolgen. 

Weiter käme etwa in Betracht, die Verwendung der Privat¬ 
hunde von dem Nachweis abhängig zu machen, daß sie eine — 
noch einzuführende — staatliche Prüfung bestanden hätten. Das 
Erfordernis einer Staatsprüfung würde den Wünschen derer gerecht, 
die nur durchaus zuverlässige Hunde zur Polizeiarbeit zugelassen 
sehen wollen. 

Den Privatführern könnte die Verpflichtung auferlegt werden, 
ihre Hunde erst dann auf die Verbrecherspur zu setzen, wenn sie 
der nächsten Polizeibehörde vorher entsprechende Nachricht ge¬ 
geben haben. Durch eine derartige Vorschrift würde die Polizei 
in die Lage gesetzt, die Arbeit der Privathundeführer zu überwachen. 
Es würde so den Bedenken derer Rechnung getragen, welche die 



324 


Vitzthum 


Privathundeführer mit Rücksicht auf ihre persönliche Unzuver¬ 
lässigkeit ausgeschaltet haben möchten. Gegebenenfalls ließen sich 
auch die beiden letzterwähnten Maßnahmen zusammen aufstellen 

In gleicher Weise ließe sich auch, sobald weitere Erfahrungen 
derselben Art gesammelt wären, ein allgemeines Verbot dahin 
rechtfertigen, daß Privatdetektive, und Rechtskonsulenten bei Er¬ 
ledigung der ihnen übertragenen Arbeiten Spürhunde nicht ver¬ 
wenden dürfen. Ein derartiges Verbot würde die gesetzlich ge¬ 
währleistete Gewerbefreiheit nicht verletzen. § 1 der Gew.-O. be¬ 
zieht sich auf die Zulassung zum Gewerbebetrieb, nicht aber auf 
die Ausübung des Gewerbes. Für die Ausübung können im Inter¬ 
esse der allgemeinen Ordnung und Sicherheit unbedenklich Be¬ 
schränkungen festgesetzt werden. Das ist in der Rechtsprechung 
allgemein anerkannt worden (vgl. Sächs. OVG. Jahrb. Bd. 3, S. 187, 
191, Bd. 10, S. 24 — Preuß. OVG. in Gewerbearchiv 1905, S. 1 — 
1910, S. 529 — Kammergericht in Johows Jahrb. Bd. 16, S, 348). 
Durch ein derartiges Verbot würde den Wünschen der Polizei ge¬ 
wiß in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Die Fälle, in 
denen Privatführer ihre Hunde außerhalb des Rahmens des § 35 
Abs. 3 der Gew.-O. gewerbsmäßig auf Verbrecherspuren setzen, 
werden sehr selten sein. (Man könnte z. B. daran denken, daß 
jemand eine derartige Tätigkeit lediglich als eine Schaustellung 
betriebe.) Ebenso werden die Fälle, in denen die beanstandete 
Tätigkeit der Privatführer nicht gewerbsmäßig betrieben wird, kaum 
Anlaß zu gesetzgeberischem Einschreiten bieten; sie werden auch . 
an Zahl weit hinter den Fällen der Gewerbsmäßigkeit Zurückbleiben. 

Im übrigen möchte noch erwähnt werden, daß selbst bei Er¬ 
laß eines allgemeinen Verbotes der vorgeschlagenen Art häufig die 
Verwendung von privaten Spürhunden nicht rechtswidrig und da¬ 
her nicht strafbar sein wird und zwar deshalb, weil die Bestim¬ 
mungen über Notstand und Selbsthilfe einschlagen. Endlich würde 
darüber hinaus auch von vornherein eine gesetzliche Ausnahme 
für die Fälle vorzusehen sein, in denen der Verletzte selbst den 
Anlaß gibt, daß ein privater Spürhund auf die Verbrecherspur ge¬ 
setzt wird. Es wäre in hohem Grade unbillig, wenn dem Verletz¬ 
ten, der an der Entdeckung des Verbrechers das größte Interesse 
hat, und der über das Verbrechen, so über den Gegenstand des 
Diebstahls, meist die sicherste Auskunft geben kann, zugemutet 
werden sollte, seinen eignen oder einen sofort zur Stelle gebrachten 
fremden Hund nicht zur Verfolgung des Verbrechers zu verwenden. 



Gerichtliche Verurteilung als Mittel des Selbstmords. 

Von 

Dr. Hans von Hentig, München. 


Vor einigen Jahren habe ich über drei Fälle gerichtlicher Ver¬ 
urteilung als Mittel des Selbstmordes und der Selbstverstümmlung 
berichtet. 4 ) Im Laufe meiner kriminalhistorischen Studien bin ich 
auf einen neuen, besonders auffälligen derartigen Fall gestoßen, 
dessen psychologisches Verständnis dadurch erleichtert wird, daß 
in der Deszendenz die gleiche Anlage mit geringen Abweichungen 
sich präsentiert. In einer Zeit, in der ganze Völker aus der manischen 
Phase ihres Selbstgefühls in die depressive fallen und von einem 
pathologischen Schuldbewußtsein verwirrt und zerrissen von einer 
Fehlhandlung in die andere taumeln, darf die Geschichte des Adam 
Lux von Mainz auf besonderes Interesse rechnen. 

I. 

Adam Lux wurde im Jahre 1766, nach französischen Quellen 
ihi Jahre 1763 in Obernburg bei Aschaffenburg geboren, das damals 
zum Kurbistum Mainz gehörte. Intellektuell frühreif, erwarb er 
mit 18 Jahren im November 1784 den Mainzer philosophischen 
und medizinischen Doktor, doch werden auch schon aus dieser 
Zeit Stimmungsschwankungen mit depressivem Einschlag berichtet, 
die aber Pubertätserscheinungen sein können und die wir als ein 
Massensymptom unter der Bezeichnung Sturm- und Drangperiode 
aus dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts in ganz Mitteleuropa 
wiederfinden. Nach der Besetzung von Mainz durch die franzö¬ 
sische Rote Garde unter Custine 2 ), sah sein überschwänglicher, 

*) Groß’ Archiv Bd. 54, S. 54f., und in Strafrecht und Auslese. Berlin 1914. 38. 

*) In dem Prozeß Custine vor dem Revolutionstribunal (15.—27. August 1793) 
erschien ein gewisser Zimmermann, ein Deutscher, als Belastungszeuge und gab 
an, er habe dem General Mannheim ausliefem wollen. Ein anderer Zeuge er¬ 
klärte, das gleiche Anerbieten sei für Koblenz und andere Städte gemacht worden. 
Custine entgegnete: Sowie ich in Deutschland einmarschiert war, „tous les fous 
de ce pays sont venu me trouver*. Sie wollten mir ihre Städte ausliefern, aber 
als es ans Handeln ging, war keiner mehr da. 



326 


Dr. Hans von Hentio • 


aber gänzlich unpolitischer Enthusiasmus eine neue Ära von Würde, 
Schönheit und Menschenbeglückung für Deutschland anbrechen. 
Nur unter der Trikolore schien die Realisierung dieser schönen 
Träume möglich, ein Gedankengang, für dessen Bekräftigung der 
Wohlfahrtsausschuß damals in Deutschland, der Schweiz und Italien 
ungezählte Millionen ausgab. Am 22. März 1793 wählten die 
Mainzer Lux in die Deputation, die dem Konvent die Bitte der 
eroberten deutschen Gebiete um Aufnahme in die glorreiche fran¬ 
zösische Republik überbringen sollte. Solche spontane Kund¬ 
gebungen, die das Volk von Paris gläubig bejubelte, wurden von 
den damaligen Machthabern nicht ohne Geschick inszeniert. 

In Paris traf den jungen erregbaren Menschen ein Eindruck, 
wie er etwa Luther in der ewigen Stadt überfallen haben mag. 
In der Nähe betrachtet, sah die Welt anders aus als in den Ver¬ 
heißungen der französischen Propagandisten und seiner eignen 
Phantasie. Er sah den tötlichen Kampf der Parteien um den Futter¬ 
platz. Er sah die wenigen bedeutenden Männer von Verbündeten 
zu Feinden werden und von Feinden zu Verbündeten. Alle 
sprachen immer nur vom Wohl des Volkes und alle meinten immer 
nur ihre eigene Macht. Beschämt durchschaute er die Grobheit 
der Mittel, mit denen die Demagogen die Instinkte der Massen 
vor den Wagen ihrer persönlichen Interessen spannten. Am 
2. Juni waren die Girondisten verhaftet worden. Der Weg für 
die Diktatur der Anarchie war frei. 

Die Verzweiflung gab dem jungen Schüler Jean Jacques 
Rousseaus einen seltsamen Gedanken ein. Bisher war sein Lebens¬ 
ekel nicht stark genug gewesen, um über das Spiel mit dem Todes¬ 
gedanken hinauszugehen. Jetzt kam die politische Situation, gab 
ihm ein Objekt und damit größere Intensität. Er wollte durch 
seinen Tod mehr erreichen als bloß aus dem Leben scheiden. Er 
wollte eine große rettende Tat tun. *) Seine Absicht war — und wir 
sehen hier feinen der stärksten menschlichen Impulse, die Eitelkeit, 

*) Jetzt noch herrscht unter den geborenen Revolutionären der Aberglaube, 
eine revolutionäre Bewegung sitze erst dann fest im Sattel, wenn Blut dafür ge¬ 
flossen sei. Eine rationelle Erklärung habe ich von Anhängern dieses Gedanken¬ 
gangs nie bekommen können, obwohl sich Gründe (ziemlich kurzsichtiger Art) 
wohl finden ließen. Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit uralten Anschau¬ 
ungen wie sie hauptsächlich in China und Indien zu finden sind, daß die wandern¬ 
den Seelen gewaltsam Getöteter besonders ruhelos und bösartig umhergehen 
und ihren Gegnern Unheil bringen. Man hat daher in der Hand, sich durch Selbst¬ 
mord an seinen Feinden wirksam zu rächen. Auch die ganz frühen Kirchenväter 
billigen, vielleicht in einem ähnlichen Gefühl, den Selbstmord, um Märtyrer zu werden. 



Gerichtliche Verurteilung als Mittel des Selbstmords 


327 


auf den Plan treten — in einer Sitzung des Konvents zu erschei¬ 
nen, mit ergreifenden Worten auf die geschändete Unverletzlich¬ 
keit der Abgeordneten hinweisen und sich einen Dolch in die Brust 
zu stoßen. Er'hoffte durch diesen starken Eindruck den Konvent 
zur Umkehr zu zwingen. 

Die Rede hatte er bereits am 6. Juni verfaßt. Wie zahlreiche 
Selbstmörder, die noch nicht ganz fest entschlossen sind, teilte 
er den Häuptern der Girondisten Guadet und P£tion seinen un¬ 
sinnigen Plan mit. Mit Mühe hielten diese ihn von der Durch¬ 
führung zurück. 

Einen richtigen Selbstmordversuch unternahm Lux, als er am 
13. Juli die Schrift: Avis aux Citoyens Francais par Adam Lux, 
d£pute extraordinaire de Mayence veröffentlichte. Die Jakobiner 
wurden aufs schärfste angegriffen. Er schloß mit der Aufforderung, 
auch ihn der Ehre des Schafotts zu würdigen. Da das Revolutions¬ 
tribunal psychiatrische Sachverständige nicht zu hören pflegte, war 
mit diesem Schritt sein Urteil gesprochen. 

.Aber noch bemerken wir die leichte Hemmung seines Selbst¬ 
vernichtungstriebes, die sich in der Wahl des indirekten Weges 
über ein politisches Manifest gegen die Herren Frankreichs und 
der Strafgesetzgebung äußert. Neben seine Depression, neben 
den stark mit Eitelkeit durchsetzten Drang, politischer Märtyrer 
zu sein, muß noch ein weiteres Motiv treten, ehe es zur energischen 
Entschlußbildung kommt. Am 14. Juli ermordet Charlotte Corday 
den heimlichen Diktator Marat. Am 19. Juli, während Paris, ja 
alle großen Städte Frankreichs den toten Demagogen wie einen 
Gott feiern, wird die Stadt durch eine Schrift in starres Erstaunen 
versetzt, „Charlotte Corday“, in der vorgeschlagen wird, dem 
jungen Mädchen ein Denkmal zu setzen und die Inschrift daran 
anzubringen „Plus grande que Brutus“. 

Jetzt hatte sich ein Drittes zu politischer Exaltiertheit und der 
Selbstmordneigung gesellt. Lux hatte das ungewöhnlich schöne 
Mädchen auf der endlosen Fahrt zum Schafott gesehen, er hatte 
gesehen, wie unter dem Jubel des Mobs der Henker das abge¬ 
schlagene Haupt hochhielt und ohrfeigte (die Legende erzählt, sie 
sei davon noch einmal errötet). Das Erotische verband sich mit 
dem Triebe, Opfer zu sein und als Opfer noch nützlich zu sein. 
Dieser psychischen Konstellation war keine Hemmung mehr 
gewachsen. 

Seltsamerweise wurde er erst am 24. Juli im Comit£ de sürete 
generale verhört und erst vier Tage später im Gefängnis de la 



328 


DU. Hans von Hentiq 


Force eingeliefert. Aus den Briefen seines Kollegen, des einst¬ 
mals so berühmten Georg Förster, eines ebenso hochbegabten 
Psychopathen, wissen wir, daß er 8 Tage lang kaum etwas gegessen 
hatte, daß also auch diese Komponente im Bilde der Depression 
nicht fehlt. Beim Verhör antwortete er auf die Frage, warum er 
die unsinnige Idee habe, sich selbst zu töten: 

„Die Absicht, sich zu vernichten, ist nicht unsinnig, wenn es sicher 
ist, daß der Tod eines Mannes dem Vaterlande nützlicher ist als sein 
Leben, und ich füge hinzu, daß es eine Sprache der Tugend gibt, auf 
die man sich mit denen nicht verständigen kann, die ihre Grammatik 
nicht kennen.“ *) 


Am 30. August wurde er von dem Untersuchungsrichter des 
Revolutionstribunals verhört, dann stockte der Prozeß wieder. Am 
7. September suchte seine Todessehnsucht durch folgenden Brief 
an den Staatsanwalt Fouqier-Tinville endlich zu seinem Ziel zu 
gelangen. 

Gefängnis de la Force, d. 7. Sept. 1793. 

(des Jahres II) 


Bürger! 

In zwei kleinen Schriften habe ich meine politischen Ansichten 
zu Worte kommen lassen, derentwegen ich im Gefängnis seit dem 
25. Juli bin. Ich habe immer meine Aburteiluug gewünscht, ich er¬ 
sehne sie aber noch dringlicher, seitdem ich bemerke, daß wohl- oder 
schlechtgesinnte Menschen, die mich nicht kennen, mich als einen 
vollkommen verrückten Menschen hinstellen wollen (z. B. das Journal 
de la Montagne No. 94)." 

Es ist vielleicht ein Unglück, Ansichten zu haben, die von.denen 
der Machthaber abweichen; sie zu veröffentlichen ist vielleicht eine 
Torheit; aber warum ist es völliger Wahnsinn, nicht ganz so wie 
andere Menschen zu sein? 

Da der anständige Mensch kein Gut kennt, das höher steht als 
seine Ehre, und da der Republikaner kein unerträglicheres Unglück 
kennt als für die Republik eine nutzlose Last zu sein, so verlange 
ich schleunigst abgeurteilt zu werden, damit das Gericht entscheide, 
ob ich Republikaner oder Gegenrevolutionär, wahnsinnig oder gesund, 
vernünftig oder abwegig bin; denn alles scheint mir besser als die 
unverdiente Schande wie ein nutzloser, erbärmlicher und verächtlicher 
Mensch gefüttert und festgehalten zu werden. 

Aus diesen Gründen bitte ich Sie inständig, bald darüber eine 
Entscheidung zu treffen, ob Anklage gegen mich erhoben wird, ja 
oder nein, und im ersten Falle mich aburteilen zu lassen. 

Welches auch die Folgen dieses Urteils sein werden, seien Sie 
überzeugt stets mich zu Dank verpflichtet zu haben. 


Adam Lux, 

Außerordentlicher Gesandter von Mainz. 


') Walion, Histoire du Tribunal Rdvolutionnaire de Paris, Paris 1880, I, 221. 



Gerichtliche Verurteilung als Mittel des Selbstmords 329 

Am 20. September wiederholte dieser sonderbare Exterritoriale 
sein Gesuch in dringender Weise. 1 ) 

Die Verhandlung gegen Lux fand am 4. November, wenige 
Tage nach der Hinrichtung der Girondisten, statt. Er gab seine 
Verbindung mit den Verurteilten freudig zu. Er weigerte sich den 
Namen des Buchdruckers zu nennen, der seine Schriften herge¬ 
stellt hatte. 

Lächelnd bestieg er am gleichen Tage das Schafott. Es war 
ein Symbol tiefster Triebhaftigkeit, wenn er, ehe sein Haupt fiel, 
den Henker umarmte. 


II. 

Wenn der Richter und der psychiatrische Sachverständige 
derartigen Fällen gegenüber steht, so wird bisweilen ein Blick in 
die Aszendenz oder die Deszendenz Zweifel lösen und die Diagnose 
erleichtern. In unserem Falle finden sich bei einem Kinde des 
Selbstmörders Züge, die mit großer Sicherheit eine Rekonstruktion 
des väterlichen Geisteszustandes gestatten. Während wir über den 
Vater nur wenige Tatsachen und ntir spärliche Äußerungen von 
ihm kennen, hat ein Zufall über die. Psyche des Kindes eine 
größere Anzahl von Dokumenten aufbewahrt. 

Lux hatte drei Töchter. Eine ist früh gestorben, eine weitere 
hat in dürftigen und unbekannten Verhältnissen bis ins hohe Alter 
gelebt. Die Erstgeborene schwärmte für Jean Pauls Schriften und 
schließlich für den Dichter selbst. Es ist auffällig, daß Jean Paul 
im Jahre 1799 eine Schrift »Tod der Charlotte Corday“ verfaßt 


*) Ein politischer Spekulant, der Deutsche Möschenberg, unterstützte das 
Gesuch auf seine Art durch folgende Eingabe: 

Wenn nicht alle Welt von Ihrem unermüdlichen Eifer, die Feinde der Patrioten 
zu verfolgen, überzeugt wäre, würde ich wagen bei Ihnen (Fouquier-Tinville) eine 
kleine Nachlässigkeit im Falle Adam Lux zu vermuten. Was! Dieser verwegene 
Schriftsteller lebt noch, der den Mut hat, Marat als ein Monstrum, seine Mörderin 
als Brutus, seine Richter als Henker hinzustellen. Heißt es nicht die Gemäßigten, 
die Aristokraten, die Partikularsten ermutigen, wenn man den Verfasser des Avis 
aux Francais ungestraft läßt, in dem behauptet wird, das Revolutionstribunal, diese 
Säule der Freiheit, verurteile Unschuldige und folge den Anordnungen von Ver¬ 
schwörern? 

Ich, sein Landsmann, nehme seine Verfolgung in die Hand und mit Rück¬ 
sicht auf Ihren unerschütterlichen Patriotismus teile ich Ihnen mit, daß Ich die 
Angelegenheit bei den Cordellers und den Jakobinern zur Sprache bringen werde. 

Mit vorzüglicher Hochachtung 
Der Patriot Möschenberg. 



330 


Dr. Hans von HCntio 


hat, dann aber auch mit Todesahnungen spielte.‘) Schließlich 
schrieb das Mädchen an den Dichter einen leidenschaftlichen Brief. 
Darin wäre an sich noch nichts Auffälliges zu erblicken, wenn 
man an das Assoziationsbedürfnis unglücklicker Zeiten denkt. Es 
ist bekannt, daß sich damals eine Menge trostbedürftiger Seelen 
an den Dichter gewandt haben. Der Inhalt des Briefes aber ist 
durchaus ungewöhnlich: 2 ) 

„Ach mein ganzes Leben ist nur ein Streben nach Wert und doch 
o Vater, warum geht es so langsam vorwärts? . . . Ach da ich nicht 
Dein Kind sein kann, so hat der Wunsch zu sterben recht viel Süßes 
für mich, und der Tod wird mir ein Strahl des Himmels sein, der 
mich berührt und meine Seele zur ewigen Liebe und zu Dir mein 
Vater erhebt. Denn ich wefde gewiß den Weg unter die Erde zuerst 
gehen müssen, ehe ich zu Deinem himmlischen Herzen komme. 

Nachschrift: n O warum kann nicht die ganze Welt in Ihr Haus 
kommen und bei Ihnen bleiben. Wirklich wir wären alle gerettet. 
O wie oft träumte ich schon ich wäre es und hätte als die Älteste 
und die zu seinen Künsten am wenigsten begabte Tochter — denn 
ich bin unglaublich unwissend und einfältig — auch die schwersten 
Arbeiten darin, für mich wahre Spielerei, zu besorgen. Wie recht 
froh wollte ich sein, wenn ich so ein recht nützliches Mitglied Ihrer 
Haushaltung würde und gar keine Magd da wäre.“ . . . 

Jean Paul antwortete nicht auf den Erguß des jungen Mädchens. 
Nun geriet das junge Mädchen in Verzweiflung. Sie glaubte einen 
ungeheuerlichen Schritt getan zu haben, für den der angebetete 
Mann nun nichts als Verachtung und moralische Entrüstung habe. 3 ) 
Sie beschloß zu sterben und begab sich Nachts mit einem Dolch 4 ) 
auf eine Brücke, um sich zu erstechen und dann in das Wasser 
zu stürzen. Sie wartet aber damit einige Zeit. „Sie will nur noch 
den ersten Morgenstrahl erwarten.“ Hier wird sie von ihrer 
ängstlich gewordenen Schwester überrascht und mit Mühe nach 
Hause gebracht. 

Kaum war sie zu Hause, so kam ein freundlicher Brief Jean 
Pauls an, in dem er die Verzögerung mit den Kriegszeiten und- 

') In einem am 15. Nov. 1790 niedergeschriebenen Tagebuchblatt hatte er 
eine Vision. Er sah sich 30 Jahre später auf dem Totenbett. Jean Paul starb 
am 15. November 1825. 

2 ) Jean Pauls ausgewählte Werke Bd. 16, Aus Jean Pauls Leben. Angefangen 
von ihm selbst, fortgesetzt von Emst Förster. Berlin 1849. 297 ff. 

s ) Sie schreibt: „Die Vorstellung, der Gedanke an sie sei widerlich, wirke 
so vernichtend, dafi sie nicht mehr leben könne.“ 

*) Dieser Dolch und der weiter unten im Traum gesehene Dolch erinnert 
um so auffälliger an die geplante Erdolchungsszene des Vaters im Konvent, als 
die Anwendung von Stichwaffen bei Frauen eine ungewöhnliche Selbstmordart ist. 



Gerichtliche Verurteilung als Mittel des Selbstmords 


331 


den schlechten Postverhältnissen entschuldigte. Marie war nun 
plötzlich eitel Sonne und Freudenschein. Dann kommt allmählich 
wieder die Depression. Sie schreibt, „sie sehe, daß der einzig 
ehrenhafte Weg zu ihm durch das Grab führe“. Sie bittet um 
eine Locke. Jean Paul schickte sie und bemerkt abkühlend dazu, 
seine Frau habe sie seinem Glatzkopf für das Mädchen abge¬ 
schnitten. Maries Leidenschaft bleibt unverringert. Im Schlafe 
„umfaßt sie sein Bild und preßt ihr tränenvolles Auges an seine 
Brust und gibt ihm den Dolch in die Hand, damit er sie töte, 
weil sie ohne Fortdauer dieser Seligkeit nicht leben könne“. 

Ruhiger klingt, resigniert und melancholisch der Abschieds¬ 
brief. „Meine Mutter ist vor zwei Monaten gestorben. Sie litt es 
gern, daß ich ihr nachfolge. Aber sie bat mich vorher alles zu 
ordnen, für meine Schwester zu sorgen und sie nicht in den 
Schreckenszeiten des Krieges (1813/14) zu verlassen. Diese sind 
nun vorbei und ihre Existenz gesichert. ‘) . . . Ach Sie werden 
mich verachten, solange Sie leben und es nie glauben, wie ich 
danach schmachtete, für Sie und die Ihrigen etwas tun zu können.“ 2 ) 

Kurz darauf stürzt sich Marie Lux in den Rhein, wird gerettet, 
stirbt aber trotz aller Bemühungen. , 


III.. 

Bei Vater und Tochter sehen wir die Selbstmordneigung allmäh¬ 
lich anwachsen, sich mit einer aus Triebschwäche hervorgehenden 
Art von Fem-Erotik verbinden und schließlich zu einem starken 
motorischen Impuls ansteigen. Bei beiden finden wir die gleiche 
Überempfindlichkeit, das gleiche grobe Mißverhältnis zwischen 
psychischer Beanspruchung und morbider Reaktion. Konnte beim 
Vater noch zweifelhaft sein, ob der Anblick des gefesselten, von 
der Menge verhöhnten, nach dem Tode noch gemißhandelten 
jungen Mädchens seine sexuelle Passivität erregt habe, so zeigen 
sich bei der Tochter ganz deutliche passiophile Anzeichen. Marie 
betont immer wieder, daß sie unbegabt, einfältig, „nur die Erst¬ 
geborene sei“; wie das Käthchen von Heilbronn will sie als niedrige 
Magd, wenn auch möglichst allein, um den angeschwärmten Mann 
sein. Ihre Vorstellungswelt ist mit erniedrigenden Lustbildem an¬ 
gefüllt (illusionäre Algolagnie Eulenburgs). Schwächer entwickelt 
als beim Vater, aber doch erkennbar, „illusionär“ ist ihr Wunsch 


*) Die Schwester hatte sich verlobt. 
s ) Förster 308/309. 



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Dr. Hans von Hentig 


zu sterben, aber nicht durch eigene Hand. Der Vater bedient sich 
zur Erreichung seines Ziels des sicheren Mechanismus’ der revo¬ 
lutionären, Strafjustiz. Die Tochter träumt davon, sie drücke dem 
Geliebten einen Dolch in die Hand, damit er sie töte. Beim Vater 
legte der erste theatralisch geplante Selbstmordversuch in dem 
Plenum des.Konvents den Verdacht hysterischer Anlage nahe. Die 
Geschichte der Tochter zeigt, daß wir uns mit stärkeren Gründen 
für einen manisch-depressiven Komplex entscheiden müssen und 
daß die Pose des Vaters mehr aus dem krankhaften Gedanken¬ 
gang einen heilsamen Eindruck auf die inegeleiteten Abgeordneten 
machen zu müssen, zu erklären ist, als aus der Autosuggestibilität 
einer hysterischen Veranlagung. 

Die pathologische Unzufriedenheit revolutionär erregter Zeiten 
äußert sich, wenn Ich so sagen darf, nur privatim in der Stimmungs¬ 
lage gegen sich selbst und kommt häufig in einer überaus charak¬ 
teristischen Mimik zum Ausdruck. Sie wird dafür möglichst kräftig 
nach außen projiziert und tritt als pathologischer Neid, als patholo¬ 
gisches Gefühl, Fehler gemacht zu haben, jetzt aber „aufgeklärt“ zu 
sein, in Erscheinung. Selbstanklagen werden durch Kritik der Außen¬ 
welt ersetzt und so können wir das seltsame Phänomen erklären, 
daß in revolutionären Zeiten die Zahl der Selbstmorde zurückgeht. 

Masaryk hat nicht ohne Klugheit bemerkt ‘), daß sich alle Un¬ 
zufriedenen um die Freiheitskämpfer scharen und viele den Tod 
finden, die ihn sich sonst selbst gegeben hätten. So betrachtet 
erscheine die Revolution als ein indirekter Massenselbstmord, als 
eine Art gewaltsamer Reinigung vom Lebensüberdruß. Nimmt 
man die Beobachtung hinzu, daß die Revolutionen um so grau¬ 
samer und brutaler werden, je unglücklicher (auch durch eigene 
Schuld) das Volk sich fühlt, je ungünstiger die auswärtige Lage 
etwa ist, so sehen wir, daß die Art der Reaktion nebensächlich 
ist, daß vikariierend gerichtlicher Massenmord, Bürgerkrieg oder 
ein Krieg gegen das Ausland die Entspannung der Depression 
übernehmen können. 

Der erschossene Führer der Münchner Aprilkommune Levinie 
hat in seiner Verteidigungsrede geäußert, die Kommunisten seien. 
Tote auf Urlaub. Die psychologisch erfaßte Geschichte des Adam 
Lux und seines unglücklichen Kindes erlaubt uns, diesem Wort 
eines intellektuell hochstehenden Revolutionärs einen tieferen, ja 
einen tiefen Sinn zu geben. 

*) Th.G.Masaryk, DerSelbstmordalssozialeMassenerscheinung, Wien 1881. 50. 




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