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Archiv
für
Kultur-Geschichte.
BiraeiBi Herausgegeben von euBtBtBt
Dr. Georg Steinhausen
eee Stadtbibliothekar und Vorsteher aeaa
der Murhard'schen Bibhothek der Stadt Cassel.
Erster Band.
Berlin • Alexander Duncker Verlag • 1903.
Die Wette. Von Richard M. Meyer ]
Die Entstehung der ncueuropSischcn Formen des Lebens. Von
Kurt Br^sig 18
Das Bcginenwesen der sächsisch -thöringischen Lande in seiner
sozialen Bedeutung. Von Georg Liebe 35
Selbstbiographie des Stadtpfaircrs Wolfganji Amtnon (t 1634) von
Marktbreit I/III. Mitgeteilt von Fr. HüUner . ... 50. 214, 264
Zwei Zeitungsprivilegien. Mitgeteilt von Armin Tiüe ...... W
Die Anfänge des Handwerks in Lübeck. Von Jaküb Höhler . , . 129
Die Klöster im wirtschaftlichen Verkehr. Von Rudolf Goette ... 195
Die Mystik in sozialer Bedeutung. Von Th. Achelis 203
Neue FestBlellungen über den gescheiterten Donau-Matti-Kanal Karls
des Großen. Von Otto Laaff» 257
Von der Erziehung und Ausbildung pommerscher FDr&ten Im
Reformaltonszeitaller. Von Mariin Wthrmann 2(!>5
Augsburgs Warenhandel mitVenedig und Augsburger Handelspolitik
im Zeitalter des SOjähhgen Krieges. Von Johannes Müller . 326
Eine Liedethandschnft aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
I, \\. Von Arthur Kopp 348, 425
Milteblterlichc Notizen für die Reise nach Jerusalem. Von Utrieh
Sehmid 385
Aus alten Kirdirechnungen. Von Vogä 387
Des italienischen Priesters Lfturcfid Reise durch Deutschland, die
Niederlande und England 1613. I. Milgeteilt von W.Friedtns-
bmrg 403
Aus dem Kabinette Friedrichs des Großen. Von Jatias r. Pflagk-
Harttang 449
Miszellen:
Ober Kinderselb&tmorde im Anfang des 19. Jahrhunderts. Von
Diaiäonn/ 357
Kleinigkeiten. Von Th. Disld 300
Besprechungen:
Seytcr, Dnisusverschanzungen \x^ Deisenhofen (Liebe) 107
V. Amlra. Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels 1.
(Lauffer) 108
K{ppenbeT:g, Die Sage vom Henog von Luxemburg (Ucbe) .... 110
MüHer, Beiträge zur Kullurgeschlchte ller Stadt Demmin (Ebstein) 112
Meyers Großes Konversationslexikon f (Stetnhausen) , 114
B&uer, Das OeschSechtsleben in der deutschen Vei^ngenlieil ^Uiuffer) 240
Tille, Die Benediictincrabtci 5L Martin boi Tdcr tLiebO ..... 242
SimonsIcLd , Mailänder Briete zur bayerisohcn und .alLgcnieiaeo Qe-
scliichte des 16. Jxlirhimderts (SIeinhaiisen) 243
Schneider, Der Wetterhatm auf dem Dom zu Mainz u. a. ^Uäa-
hausen) ,.».... 244
V. Qyöry, Morbus huagarious CJIübaer) 245
Lamprecbt, Deutsche QcscJuditc. Ei^änziingsband [, II, 1. fSteiD-
hausen) 3bl
Schönfeld, Der Jaländische Baitcmhof rm Sagaceit (Lawffer) .... 367
Oloth, Das Spiel von den sieben Farben iSleüihuisen) .360
Heinemann, TeU-lconograpliic (StdnhanscQ) , . 360
f^estschrift zum f^^ieruqgsjubJläuin des Croßherzogs von Bades
(Sl«tnhauseci) 370
Specht, Geschieht«; do'eliiiiiialigeu Umt^er&itatPiklinfen (Steinii&uscu) 371
DuLr, Die Jesuiten an 4ea ■deutscben f^iUstenhöfei (Liehe) .... 372
Qoldmaim, Danriger Vcriflssüajskämptc (Liebe; . . ^ 373
Wolfr-Beckh, Johann friedrioh Böttser [Lauüeo 374
Wdigeschichte. Herausgegeben von H. f^. Helmoü 11 (Steinhausen) 477
Oiesebratiiti Die alttcstacnen (liehe Schiltziuig Ucs Colteuiaiiiens
(V. Dobsctvtitz} 478
KuDpere, Alexander der Große und die Idee des WelUmpedumfi
(V. Dobschütz) 4ä0
Frdhecr v. d. Gjsttz, Ueschichle der deutschen LaodwirtacbaÜ 1
tSteinhausen) 484
W'Cber, Die Iveinbildet im Htrssenhofe zu Sduiialkalden (HainiieJ . ASb
Rabcnlechncr. Der Baucmkricg in Steiermark (Liebe) 487
ClUnger, Philipp MeLanchthon (Liebe) 48S
Suida, Die OenredaräleUuneen Dürers (Hampe) 489
Glagau, Die moderne Selbstbiographie (Steinhausen) 490
Rühlmann, Die öffentliche frtemung in Sachsen 1606-L2 (HölBch«) 4W
Blodi, Der Ursprung der Syphilis I (fleiiuich) A94
Kkine Mitteilungen und Referate 11«, 247, 376,497
Bibliographisches 124. 253, 381, 504
P
Die Wette.
Von RICHARD M. MEYER.
Die Wette ist in ihrer eigen tümilichen Art, wie mir scheint,
noch nicht genügend gewürdigt; und doch scheinen sogar Hypo-
thesen ober ihren Ursprung nur aus ihrer Eigenart abzuleiten.
Gewöhntich fasst man die Welle einfadt als eine Art von
Krieg auf; dahin weist ja auch die Etymologie des Wortes und
Ausdrücke wie Wettkanipf und Wettlauf. Gewiss ist es auch eine
Art von Krieg, d. h. Messen zweier Kräfte um eines Siegespreises
Villen. Aber von den übrigen Formen des Kampfes ist die Wette
durch fünf tiefgehende Verschiedenheilcn getrennt:
Erstens wird im allgemeinen bei der WettCj in schärfstem
Unterschied von allen anderen Kampfformen, vorausgesetzt, dass
die Beteiligten sich in keiner Weise um Herbeiführung des Sieges
bemühen. Oft ist dies geradezu ausgeschlossen, vor altem in den-
jenigen Fällen, weiche ich als Feststellungswetten bezeichnen
möchte. So wird denn auch in der bekannten Thölschen Definition
dcrWctte(vgl.z.B. Holtzcndorffs Rechtslexikon 3, Z. 24) diese
gerade dadurch vom »Spiel" unterschieden , r.dass beim Spiel
lediglich die Tätigkeil der Interessenten das Eintreten oder Nicht-
eintreten des (entscheidenden) Tatbeslandes herbeifahre, während
sidi bei der Weite die Interessenten passiv verhalten". Wenn
ich mit jemandem wettCj dass unser Freund X. noch nicht
30 Jahre alt ist, oder dass Taine mit Vornamen Hippolyte
heisst, so kann weder er noch ich etwas tun, um das ihm
oder mir genehme Resultat herbeizuführen. Es ist eben nur
die längst vorhandene Tatsache festzustellen; durch wen dies ge-
schieht, ist völlig gleichgültig. Man darf deshalb durchaus nicht
Archiv föt Kulmrcnchichte. I. 1
I
2 R. M. Meyer.
etwa behaupten, in der auf die Ermittelung des Tatbestandes ge-
rJclileten Bemühung stecke die Betätigung am Kampfe; denn diese
(Qbrigens meist minimaJe) Anstrengung dient der Ermittelung des
Siegers, nicht der Herbeiführung des Sieges. In Wirklichkeit ist
die Feststellungswelte in dem Augenblick, da sie geschlossen wird,
bereits entschieden.
Aber auch bei der atidem Omppe von Wetten, die man
Erwartungswetten nennen könnte, gilt im allgemeinen die Be-
mühung um den Sieg als unzulässig. Wenn ich mit jemanden
wette, die Verlobung zwischen Herrn A. und Frt. B. werde wieder
auseinandergehen, so wird es nicht als fair gelten, wenn ich selbst
die Brautleute auseinander zu bringen versuche. Und zwar
handelt es sich hier nur um die Wettnioral, nicht um die all-
gemeine. Formuliere ich die Wette anders, so ändert sich die
Wettmoral ebenfalls. Ich brauche nur zu sagen: in 14 Tagen
werde ich die beiden auseinander bringen, um nach dem Rechte
der allgemeinen Wettanschauung sogar moralisch recht bedenkliche
Mittel zur Anwendung bringen zu dürfen. In diesem letzteren
Falle liegt nun also doch eine wirkliche Bemühung um den Sieg
vor. Ich muss die beiden Leutchen studieren, Mittel ersinnen,
immer auf der Wacht sein, um mit meiner Wette recht zu be-
halten. Hier haben wir also wirklich eine Art Krieg, sogar in
Fallen wie dem angeführten mit der dem Krieg eigentümlichen
Verschiebung der Moralbegriffe zu gunsten des Endzwecks. Doch
ist diese Untergruppe der Erwartungswetten wohl in der Praxis
erheblich kleiner als die der reinen Erwartiingswetten; man
könnte sie von diesen als Herbeiführungswetten unterscheiden.
Indessen gebe ich durchaus zu, erstens, dass dieser Gesichts-
punkt nicht so durchgreifend ist, wie die weiterhin anzuführenden
und zweitens, dass er es ursprünglich in noch geringerem Grade
war. Ich bezweifle gamicht, dass das leidenschaftliche, ungebSmdigte
Naturell früherer Zeilen einen passiven Wettkampf gamicht ertrug.
Ganz gewiss wird man sich damals in jeder Hinsicht bemüht
haben, irgendwie das als Wettziel gesetzte Ergebnis auch tat-
sächlich zu erreichen. Man muss ja auch bedenken, dass in den
weitaus meisten Fällen die Wette selbst heule noch vorzugsweise
Dinge betrifft, die für die Beteiligten an sich ein praktisches
Die Wette.
■
I
Interesse haben. Ob Regen fallen wird oder nicht, das wird bei
den Bauern oder doch mindestens denen, die eine Landpartie
machen wollen, zum Gegenstand einer Welle gemacht und so
li^ es den Wetter- Wettern (wenn man nns die scherzhafte Wort-
bildung durchgehen lassen will) nahe, so gut sie es eben können,
für gutes Wetter zu wirken, da sie nicht nur die Welle gewinnen,
sondern auch eine gute Ernte heimbringen oder trocken nach
Hause kommen wollen. Nur eben — sie können nicht viel da-
für tun, und so müssen sie doch grossenteils zusehen, was wird.
In der Gegenwart ist die Wetle nun grossenteils, besonders
bei den angelsächsischen Rassen und in bestimmten Kreisen, ein
Gegenstand des blossen Sports geworden, bei dem die Unfähig-
keit, vor dem entscheidenden Termin irgend etwas zur Entschei-
dung beizutragen, als ein pikantes, den Reiz steigerndes Moment
tbre selbständige Bedeutung hat Die Tendenz gehl also dahin,
die blossen Feststell ungs- und Erwartungswetten Über die Herbei-
führungswetten siegen zu lassen. Aber ich wiederhole, wir dürfen
In diesem Punkte nicht ausschliesslich nach der Gegenwart rechnen.
Viel durchgreifender ist schon eine zweite Eigenart der Wette.
Die Wette hat, wie schon gesagt, ihre etymoEogische Grund-
bedeutung in dem Begriff »Kampf". Aber nicht nur bei den
Ocrmancn hatt sie statt dessen sehr früh eine andre Hauptbedeutung
entwickelt, nämlich die vom Pfand, Pfandsetzung und dergleichen,
denn die Wette ist ein Kampf, der durch die eigentümliche Art
dieser Vorbereitung ganz besonders charakterisiert wird. Sie ist
nämlich ein Wettkampf mit gleichen Einsätzen. Das ist
zwar wieder nicht ausnahmslos der Fall: Es kommt wohl vor,
dass jemand, der seiner Sache ganz besonders sicher zu sein glaubt,
eins gegen sieben wettet. Aber erstens kommt solche Ausnahme
bei jedem Spiel vor; auch das Schach bleibt ein Spiet von zwölf
gegen zwölf Figuren, mag auch einmal ein gewiegter Spieler
einem Anfänger ein paar Figuren vorgeben. Und zweitens ge-
hört oft genug diese Ausnahme schon eigentlich zu den Ent-
artungen der Wette, wo sie in die wilde Spekulation oder in die
gewinnsüchtige Berechnung übergeht Die eigentliche Wette aber
ist durchaus basiert auf zwei völlig gleiche Einsätze zweier Parteien.
Am deutlichsten kommt das ja noch heule bei den feierlich
l"
I
4 R. M. Meyer.
stipiilierten Wetten zur Anschauung, wo eben die beiden Parteien
auch tatsächlich einen und denselben Geldbetrag deponieren. —
Eine solche Gleichheit der Einsalze ist nun aber sonst dem Kampfe
völlig fremd, ja man kann geradezu sagen, es sei die Aufgabe des
Kampfes; darzutun, welche Partei den höheren Einsatz ins Spiel
gebracht habe. Wenn zwei Völker mit einander kämpfen, so
denken sie nicht daran, Ihre Waffen irgendwie auf das gleiche
Niveau zu bringen; gerade im Gegenteil, ein jedes suchte seinen
Einsatz an Mannschaften, Tüchtigkeit der Führer, Tapferkeit der
Soldaten, Gunst der Umstände möglichst weit über die ent-
sprechenden Einsätze der Gegner zu steigern. Wenn ein paar
Pferde Wettlaufen, so sorgt man mit Eifer dafür, dass alJes, was
durch die körperliche Verschiedenheit der Jockeys die Verschieden-
heit der Pferde etwa ausgleichen könnte, beseitigt wird. Es soll
eben der verschiedene Einsatz an Fähigkeit des schnellen Laufens,
den die Rennpferde mit sich bringen, so rein wie irgend möglich
zum Ausdruck und zum Auslrag kommen. Etwas anders steht es
ja allerdings beim Zweikampf. Hier werden eine Anzahl von Be-
dingungen getroffen, durch die scheinbar der Einsatz der beiden
Beteiligten ausgeglichen werden soll. Aber auch nur scheinbar.
In Wirklichkeit wird auch hier Sonne und Schatten möglichst
gleichmässig verteilt, damit die verschiedenen Fähigkeilen der
Duellanten ganz klar zum Vorschein kommen. Sonst hätte ja die
Idee des Gottesgerichts überhaupt niemals aufkommen können.
Bei der Wette ist aber der gleiche Einsatz die wesentlichste
aller Spielregeln. Es hat ja keiner der Beteiligten irgendwie
nähere Beziehungen zu dem Faktor, der eigentlich den Sieg be-
stimmt, also z. B. zu dem Wetter. Der eine wie der andere be-
teiligt sich eben, zumal bei der passiven Wette, lediglich und aus-
schliesslich dadurch, dass er ebenso viel wie sein Gegner deponiert.
Kraft, Scharfsinn, Übung der Wettenden kommen also garnicht
in Frage; diese naturgemäss individuell verschiedenen Faktoren
scheiden aus und lassen lediglich den genau zu bestimmenden
identischen Einsatz übrig. Die Wettenden bezahlen also eigentlich
nur die Zulassung zu einem ohne ihr Zutun sich abspielenden
Kampfe, und zwar die Zulassung zu denselben Plätzen und Be-
dingungen.
Die Weite. 5
Hier erinnern wir uns nun, bei welchen Gelegenheiten eine
derartige Deposilion ihre Hauptrolle spielte. Noch heute ist in
vielen Fällen ein gerichtliches Depot erforderiich, um bestimmte
Leistungen unter eine sichere Bürgschaft zu stellen, und in der-
selben Weise haben ältere Zeilen das lebendige Pfand, die Geisse!,
als Einsatz für eine zu erftillende Bedingung verlangt. Die beiden,
die eine Wette eingehen, verpflichten sich gewissermassen nicht
nur gegenseitig, sondern auch vor einer höheren dritten Macht,
sie stellen dieser Bürgschaft für die Erfülhmg einer zukünftigen
Leistung. Und dass diese zukünftige Leistung tatsächlich mit dem
Einsatz oder der Bfirgscliaft zusammenräMI, ist eben nur wieder
eine interessante Einzelerscheinung dieses an solchen Dingen so
reichen Problems.
Wir sind damit schon an einem dritten wichtigen Merkmal
der Wette angekommen. Die Passivität deutele schon stark darauf
hin, der gemeinsciiaftliche Einsatz lut das Gleiche. Es ist nämlich
eine dritte Eigentümlichkeit der Wette, dass ihr Ausgang nicht
von den Kämpfenden selbst abhängt, sondern dass er von einer
dritten höheren Instanz bestimmt wird. In vielen Fällen ist
dieser Schiedsrichter freilich so unpersönlich wie irgend möglich.
Bei den Festslellungswetten hat eben lediglich die Tatsächlichkeit
selbst über den Ausgang der Wette zu entscheiden. Man mag,
wenn man will, sagen, dass die angerufene entsdieidende Instanz
hier bereits früher gesprochen habe; in Wirklichkeit wäre das
doch nur ein Sophisma, und wir müssen wiederholen: es ist eben
in diesen Fällen einfach die Wirklichkeit selbst, die dem einen
oder anderen der beiden Ringer Recht gibt. Es hängt weder
von dem einen noch von dem anderen ab, ob die Schlacht bei
Kollin in diesem oder in jenem Jahre geschlagen worden ist Noch
deutlicher tritt bei den Erwarlungswetten dies wichtige Moment
hervor. Es ist eben der Gott, der über Sonne und Wetter bestimmt,
von dem es abhängt, ob morgen Regen fallen wird oder nicht
Abermals müssen wir hier an merkwürdige Analogien aus
scheinbar weitab liegenden Gebieten erinnern. Das Gelübde
ruft uns die beiden zuletzt besprochenen Eigentümlichkeiten ins
Oedichtnis. Das Gelübde ist gewissem! assen eine «einseitige
Wette* — wenn eben nicht dieser Ausdruck einen Widerspruch
1
6 R. M. Meyer.
in sich selbst bilden würde. Es isl eine Wette, bei der der
andere Partner stillschweigend zur Einwilligung aufgefordert wird.
Bei dem Gelübde ist nun irgend ein besUmmter Einsatz die selbst-
verständliche Voraussetzung. Und nun beachte man wohlj dass
mindestens ursprünglich dieser Einsalz, den der gelobende Teil
tatsächlich einz^lt oder einzahlen will, gleich ist mit demjenigen,
der von dem stillschweigenden Teilnehmer cre-artet wird. Noch
heute sieht man ja die katholischen Kirchen voll von Votiv-
geschenken, in denen symbolisch irgend ein krankes Glied als
Gegengabe für seine Heilung dargebracht wurde. Also: Der
fromme Beter verspricht etwa dem Heiligen, der ihm sein krankes
Bein wiederherstellen will, dafür ein anderes Bein in der Form
eines silbernen oder wächsernen Votivgeschenkes, das doch eben
selbst ein Bein darstellt und vorsteilt. Eine der beliebtesten
Votivgaben ist ein grosses geschmücktes Licht — seit urältester
Zeit her ein Symbol für das Leben selbst von der Meleager-Sage
her bis zu den Lebenslichtchen auf dem Geburtstagstische unserer
Kinder. Im Augenblick des Gelübdes steht also die Sache so,
dass der eine Teil, nämlich der Beter, einen bestimmten Einsatz,
wenigstens in Gedanken, deponiert, indem er sich etwa verpflichte!,
im Falle seiner Rettung aus g:efährlicher Schiffahrt ein Lebenslicht
diesem oder jenem Heiligen darzubringen, und er dabei voraus-
sebrt, dass der Wundertäter seinerseits nun auf die Wette ein-
geht und gewissermassen das Leben des Beters seinerseits als
Gegengabe ins Spiel bringt. Gewinnt der Betende die Wette, so
hat freilich doch er selbst zu zahlen; aber er weiss wohl, dass er
dennoch der Gewinnende ist.
Während die vorher genannten Eigentümlichkeiten der Wehe
sich wohl leicht dem Beschauer darstellen, ist auf eine vierte
Eigentümlichkeil wohl noch kaum geachtet worden. Die Wette
ist nämlich fast immer ein Messen geistiger Kräfte. Bei den
Feststellungswetten handelt es sich ja deutlich um ein Vergleichen
des Wissens: ob der oder jener genauer bestimuTte Jahreszahlen
oder die Farbe des Haares einer bestimmten Persönlichkeit oder
was sonst immer von dieser Art sein kann, im Gedächtnisse be-
sitzt. Bei den Erwartungswetten handelt es sich um ein Prüfen
der Beurleilungskraft: welcher der beiden Wettenden aus ge-
Die Wette.
wissen, immerhin unsicheren Anzeichen zuverlässiger elwa das
Wetter des morgigen Tages zu prophezeien imstande ist Aber
eine derartige Vergleichung der Urteilskraft findet talsächlich selbst
in denjenigen Wetten statt, in denen, rein äusserlidi betrachtet,
ein Messen materieller Kräfte vorzuliegen scheint. Nehmen wir
die allcrmatcriellslen: jene greulichen Kress- und Saufwetten. Wenn
zwei bayrische Bauern miteinander die Wette eingehen, wer von
ihnen hintereinander die grössere Zahl von Knödeln, vertilgen
kann, so scheint es freilich von vornherein paradox, hierbei von
einem Messen geistiger Kräfte reden zu wollen. In Wirklichkeit
liegt doch nichts anderes vor als die Frage, welcher von den
beiden die Kapazität seines eigenen Bauches richtiger geschätzt
hat, und es wird also audt hier eine Präge der Beurteilungskraft
und nicht eine Frage der rein praJttischen Leistungsfähigkeit ent-
schieden. Natürlich hängt dieser Punkt mit anderen eng zusammen ;
vor allem mit jener Tendenz zur Passivität, aber auch — wie wir
noch genauer sehen werden — mit jenem Anhängigmachen des
Prozesses vor einer entscheidenden dritten MachL
Ohne weiteres ist dagegen die fünfte und letzte Eigentüm-
lichkeit der Wette klar; die Wette ist ein Kampf auf gegen-
seitige Verabredung. Dies ist die selbstverständliche und un-
umgängliche Voraussclziing einer jeden Wette. Eben dadurch
unterscheidet sich das Gelübde als «einseilige Wette" von der
wirklichen Wette, dass hier die Verabredung keine vollständige
ist, sondern dass der eine Teil nur als einverstanden vorauszusetzen
ist Bei der wirklichen Wette ist nichts notwendiger, als dass die
beiden Teile darüber übereinkommen, einen bestimmten Einsatz,
eine bestimmte Aufgabe und einen bestimmten Termin zu ver-
einbaren. Gelingt dies nicht, so ist eben keine Wette vorhanden.
(>?ii.'nn etwa ausgemacht wird, dass der Preis der Wette im Be-
lieben des einen Teiles steht, so ändert das natürlich nichts in der
Natur der gegenseitigen Verabredung). Nun ist nichts von der
Natur des gewöhnlichen Kampfes weiter entfernt als eine derartige
Verabredung. Wenn zwei Völker auf einander losschlagen wollen,
so werden sie sich natürlich wohl hüten, die Bedingungen^ unter
denen sie sich bekämpfen, oder gar den Termin, an dem der
Kampf eröffnet und geschlossen werden soll, mit einander auszu-
L
8 R. M. M<yer.
machen. Allerdings gibt es gewisse Formen des Kampfes, in
denen die Verabredung erscheint. Vor allem gehört dazu der
Zweikampf; aber auch alle Formen des eigenüichen Wettkampfes
(den ja schon dieser Ausdruck der Wette annähert) gehören hier-
her. In solchen Fällen also liegt tatsächlich eine Verabredung
der beiden Kämpfenden vor, und doch ist die Verabredung von
anderer Art als bei der Wette. Denn bei der Wette sind es eben
die Teilnehmer selbst, die die Verabredung treffen, während bei
den Wettkämpfen von dritter Seite her Bestimmungen getroffen
werden, die für die Ausfechlenden geltend sind.
Rekapitulieren wir noch einmal die fünf Punkte, die wir für
die Wette als eine besondere Art des Kampfes charakteristisch ge-
funden haben. Danach ist die Wette
1. ein Kampf, der eine vorwiegende Tendenz zur Passivität
der Teilnehmer hat,
2. der vor2ugs*'eisc mit geistigen Waffen ausgefochten und
dessen Ausgang
3. von einem ausserhalb des Kampfes stehenden Dritten
bestimmt wird,
4. der auf Verabredung und
5. mit genau gleichen Einsätzen der beiden Beteiligten er-
öffnet wird.
Es fragt sich nun: Ist auf irgend eine Weise für diese fünf
charakteristischen Eigentümlichkeiten der Wette eine gemein-
schaftliche Ursache zu finden?
Ich glaube^ ja. Icli glaube, wir haben die Wette als eine
der ursprünglichsten Formen des Kampfes und des Spieles zu-
gleich aufzufassen, und wir haben manche ihrer Eigentümlich-
keiten auf ihr hohes Alter und ihre Ursprünglichkeit zurückzu-
führen. Die Wette, scheint mir, ist eine Urform des Kampfes
aus einer Zeit, in der noch die Anschauung herrschte, dass der
Mensch sich selbst gewissemiassen in mehrere Wesen zerspalten
kann, und ihre Uranschauung, um es gleich kurz auszusprechen,
beruht meiner Meinung nach darauf, dass nach der primitiven
Idee bei der Wette nicht eigentlich die beiden Wettenden, sondern,
abgelöst von ihnen, ihre Geisteskräfte einen Kampf mit einander
eingehen. Wir werden darzutun versuchen , wie das näher zu
*
Die Wette.
verstehen ist und inwiefern wir auf diese Hypothese die charakte-
ristische Eigenheit der Wette zu basieren versuchen.
Wir sprcclien zunächst davon, wie sehr die Wette etwas
Ursprüngliches, ja in vielfachem Sinne etwas unseren modernen
Kulturanschauungen Zuwiderlaufendes ist Ein Kampf mit
Passivität; ein Kampf, dessen Entscheidung nicht von den Kämpfern
abhängt (las sind Dinge, die uns zunächst befremdlich anmuten
und vielleicht nur deshalb, weil die Wette trot^ ihrer Ursprüng-
lichkeit noch in so hoher Btüte unter uns besteht, uns weniger
auffällig erscheint, als eigentlich der Faäl sein mösste.
Nun ist aber bereits unter den Kindern nichts häufiger und
beliebter als der geistige Wettkampf. Carl Qroos hat in seinem
vortrefflichen Werk über die Spiele der Menschen S- 254 ff. aus-
führlich über diese Neigung schon der Kinder gehandelt. „Schon
ehe das Kind in die Schule geht, kann man beobachten j dass es
etwa im Zählen mit einem anderen wetteifert; sobald der Kamerad
fertig ist, ruft es aus: Das kann ich auch! und beg:innt die
Zahlenreihe in ergötzlicher Weise durcheinander zu werfen. Die
beste Gelegenheit zum wetteifernden Lernen bietet aber natürlich
die Schule." Was den Kindern bei derartigen geistigen Wett-
kämpfen vor allem Freude macht, ist wohl etwas, das auch sonst,
z- B. bei der Auswahl des Spielzeugs, eine so sehr grosse Rolle
spielt: die Freude am Automatischen. Das Kind fühlt sich ge-
wissermassen selbst als ein Automat, und sobald es aufgezogen
ist, spielt es gleichsam ab, was es von dem anderen gehört hat
Es ist ein ähnliches Vergnügen, wie das im Grunde genommen
doch auch recht kindliche an einem Echo.
Aber auch bei den Naturvölkern finden wir die Wette,
und zwar in der speziellen Form des geistigen Wettkarapfes, in
grosser Ausdehnung. Sie haben^ wie Vierkandt (Naturvölker und
Kulturvölker S. 128) sich ausdrückt, »das Bedürfnis, einen an
aller Bildung verarmten Geist wenigstens spielend zu beschäftigen".
Wie tun sie das? Vor allem ähnlich wie die Kinder durch
Wettfragen. Schon Groos (a. a. O. S. 256) stellt derartige Ver-
standeskünstc der alten Skandinavier mit den geistigen Wettkämpfen
der Kinder zusammen. Sie spielen allerdings gerade in der alt-
nordischen Poesie eine auffallend grosse, oft beachtete Rolle. Wir
10 R. M. Meyer.
haben eine ganze Reihe von Gedichten, in denen sich zwei
Wesen mit einander messen und in denen, wie bei dem Kampf
zwischen Apollo ;md Marsyas, jeder seinen Kopf zum Pfände
einsetzt. Ein charakteristisches Beispiel ist das Gedicht Alvissma'l.
Hier kommt der Gott Thor zu einem Zwerg, und dessen an-
massUches Begehren, eine Oöttertochter zu freien^ wird zum Aus-
gangspunkt genommen für ein pedantisches Examen über allerlei
krause Ausdrücke der alten Skaldensprache, wobei Alvjss, der sich
mit UnriCcht den Allwissenden genannt hat, unterlieg! und mit
seinem Kopfe bCissL Solche poetischen Turniere kommen bei
verhältnismässig wenig zivilisierten Völkern aber überall vor;
Diercfa hat in einer kleinen Schrift über poetische Turniere eine
leicht zu vermehrende Sammlung von Beispielen dafür gegeben.
Eine Hauptfonm ist diejenige, die wir wieder im nordischen
Altertum In geradezu typischer Weise ausgeprägt finden. Es ist
das Aufzählen und Abfragen von Fertigkeiten (vgl. Weitiholä,
Altnordisches Leben, S. 463). Zwei wetten etwa mit einander,
wer mehr interessante Dinge, grosse Talen oder auch einfach ge-
sellschaftliche Talente aufzählen könne. So z. B. in jenem
charakteristischen altnordischen Gedicht «Harbards Lied", in dem
zwei grosse Götter - atlerdings ohne feste Verabredung des
Ausganges — sich gegenseitig in Grund und Boden zu prahlen
versuchen. Wie wichtig diese Kenntnis ist, das zeigt ein Spruch
des grossen eddisdien Lehrgedichtes, wo es heisst, als der Spiel-
niann die Sprüche aufzählt, durch deren Besitz er ein mächtiger
Mann sein will:
■ Einen vierzehnten kenn ich, wenn dem Volke der Menschen
Ich die Himmlischen herzählen soll;
Die Äsen und Eiben kenn' ich all',
Nur ein Weiser weiss das so gut"
(Edda, übersetzt von Gering, S. lOT, Strophe 158),
vobei noch besonders darauf aufmerksam zu machen ist, da$s
der Spruchdichter schon durch das Zahlen seiner Sprüche selbst
gewissermassen zu einem solchen geistigen Wcltkampf heraus-
fordert Es könnte ihm jeden Augenblick ein anderer gegcnüber-
trelen, der ihn dadurch beschämt, dass er eine grössere Anzahl
derartiger Weisheilsbüchsen m seinem Vorrat hat Und wie hier
Die Wett«.
11
bei den alten Oermanenj so treffen wir die gleichen Neigungen
z. B. bei den alten Indem, wie Zimmer (Altindisches Leben, S. 173)
sicherlich mit gutetn Grunde vermutet Dass man sich jener
älteren Anschauung bewusst blieb, wonach eigentlich nicht die
Kämpfenden selbst, sondern gevisserniassen die ihnen inne-
wohnenden Kräfte miteinander ringen, dafür zeugt z. B. jener
merkwflrdige Mythus von Thors Fahrt zu UtgardaloVi, wobei
Thor mit dem Alter ringt und sein Begleiter mit dem Gedanken
um die Weite läuft (Wcinhoiä a. a. O. S. 305).
Wenn nun aber in diesen Fällen der geistige Weltkampf
klar in seiner primitiven Form vor Augen liegt^ so begegnet man
doch in noch weiterem Umfange von friihester Zeit her seiner
Verkleidung. Nichts anderes als ein verkleideter geistiger
Wettkampf ist das Glücksspiel, vor altem in seiner am meisten
bezeichnenden und am meisten verbreiteten Form: das WürfeU
spiel. Welche ungeheure Ausdehnung diese Leidenschaft bei den
typischen Urindogermanen hatte, das ist fOr die Inder wie für die
Germanen ausreichend bezeugt. (Vgl. für die erstcren Zimmer
a. a. O., S. 283 ff., für die Germanen den berühmten Bericht des
Was ist nun aber ein Würfelspiel?
Zwei sitzen einander gegenüber und kämpfen mit einander;
und doch kämpfen nicht sie, sondern sie lassen kämpfen. Sie
haben eine bestimmte Anzahl von Dienern, die durch irgend
welches äussere Zeichen als verschieden an Kraft und Stärke ge-
kennzeichnet sind. Je zwei von diesen Dienern ringen mit ein-
ander, wenn A und B den Würielbecher leeren. Ist für A der
Diener, der etwa drei Kräfte besitzt, eingetreten, für Fi derjenige,
der fünf Kräfte hat, so hat B gewonnen, weil eben sein Diener
der Stärkcrc war. (Die ganze mythische Vorstellung von Fünl-
männerkräflen u. dgl. könnte von den Würfeln herstammen!)
Das ist also ganz dasselbe Verfahren, wie wenn in mannigfaclien
Sagen und wohl auch wirklich in der Gesclnchte der Kampf
zweier Völker durch einen Zweikampf zwder Vertreter ent-
schieden wird oder wenn ein Prozess im germanischen wie im
allgnechischen Rechte durch die Zahl der Eideslielfcr der Prozess-
Ehrenden ausgemacht wird. Und so werden denn aucli die
12 R. M. Meyer.
Würfel ganz direkl als derartige Diener und selbständige Kämpfer
aufgefasst,
In dem berühmJen Spielerliede des Veda heisst es;
«Es tummelt sich die Schar der Drei und fünfzig
Mit strenger Regel, um Savilars Schelten,
Um Zom der Grossen sind sie unbekümmert,
Sogar ein König muss sich ihnen beugen.
Sie rollen nieder, hüpfen in die Höhe,
Und ohne Hände zwingen sie die Fäuste.
Die zauberEiaflen Kohlen auf dem Plane
Versengen jedes Herz, obwohl sie tot sind."
(70 Lieder des Rigveda, übersetzt von Qeldner und Kaegi,
S. 159, Strophe 8).
Der Kampf mit den Würfeln lässt gewissennassen ausser,
licti anschaulich werden, was sich sonst bei dem geistigen Wett-
katnpf, der Weite, unsichtbar vollzieht. Stall der Gedanken oder
der Beurteilungskraftj die von A und von B ausgeschickt werden,
werden hier ganz greifbar die Würfel mit ihren wechselnden
Zahlen oder irgend ein ähnliches Mittel auf den Tisch geschüttet
Und dabei ist noch an etwas anderes zu erinnern , nämlich an
die grosse Ähnlichkeit des rein passionsmässigen Würfeins mit
dem frommen Loosen. Die Art, wie die alten Germanen Stäbchen
auf ein Tuch schütten und danach dann einen Götterspruch
herauslesen, ist nicht nur für unsere Augen ein Glücksspiel,
sondern hat auch innerlich die allcrintimsten Beziehungen zu dem
allerweltliclisten Würfelspiel, wie es nur irgend leidenschaftliche
Spieler ausüben können.
Die ursprüngliche Anschauung bei der Wette scheint uns
also diejenige gewesen zu sein, dass Zwei gewissermassen ihre
Geisler zum Kampfe mit einander herausfordern. Sie selber
sitzen dabei und sehen zu, wie die beiden Kampfhähne mit ein-
ander fertig werden. Ganz gewiss werden sie dabei erst all-
mählich die PassivHtät lernen, die das Spielj wenn es recht fair
sein soll, fordert. Sie werden von vornherein durch allerlei
Kunstgriffe und allermindestens durch ein Anstacheln des Ehr-
geizes jeder seinen Kampfhahn zum Siege anzuspornen versuchen,
wie noch für die Gegenwart in höchsl ergötzlicher Weise Mark
Die Wette.
13
Tvain ein derartiges -Mogeln" bei einem sehr primitiven Wettespiel
solcher Art in der köstlichen Humoreske »Der grosse Springfrosch
von Callaveras County" geschildert hat. Aber immerhin, im
grossen und ganzen sind sie von vornherein passiv. Ferrer:
weil sie nicht selber kämpfen, sondern veil sie kämpfen lassen,
ist eine Verabredung nötig, und diese Verabredung wird nach der
überall geltenden ältesten Rechtsanschauung erst giltig durch das,
was das germanische Recht die Wadiatio nennt, durch die Ein-
setzung eines Pfandes, wodurch in äusserÜch greifbarer Weise
der Wille der beiden Beteiligten festgelegt wird. Und weiter:
weil eben nicht sie selber känipfen^ deshalb ist auch in den ineisten
Fällen nötig, einen Schiedsrichter oder Preisrichter zu bestellen,
eine dritte Instanz, die den Ausgang des Kampfes entscheidet
Von hier aus fällt denn auch vielleicht einiges Licht auf
einige merkwürdige andere Tatsachen der ältesten Kutlurgeschichte.
Bekannt ist, dass die sogenannte Verknechtung, d. h. der
Übergang eines freien Mannes in den Besitz eines anderen, vor-
zugsweise zur Schuldentilgung erfolgt und zwar ganz besonders
beim Spiel. Als solchen Hauptfall führt O. Schröder (Reallexikon
der indogermanischen Altertumskunde II, 742) mit vollem Rechte
jenes Spielerlied des Veda an. Ebenso zieht Kphkr (Shakespeare
vor dem Forum der Jurisprudenz I, 53) gerade den Bericht des
Tadtus als Beleg für die ursprüngliche Schuldknechtschaft heran,
und er sagt weiter: »Wenn das im Spiele vorkam, so wird es
auch vorgekommen sein, wenn es sich um reale Geschäfte han-
delte'. Aul jeden Fall ist also die Verknechtung nach dem Spiel
der bestbezeugte urspriinglichc Fall für diese höchst merkwürdige
Erscheinung überhaupt. Nun wird es niemandem einfallen, hier
eine Parallele zu ziehen mit unseren modernen «Ehrenschulden",
die ja auch, wenn auch in ganz anderer Weise, eine eigentümliche
Verkneclitung des freien Mannes zu stände bringen können. Die
wunderliche Anschauung, dass die Ehre des Mannes beim Spiel
stärker als sonst engagiert sei, hat sicherlich dem naiveren Ehrgefühl
|ener ältesten Zeiten gänzlich fern gelegen. Ich erinnere weiter
daran, was von Arnim (Orundriss der germanischen Philologie,
2. Aufl. III, Seite 183) ausführt: „Die älteste Art, wie freie Leute
haftbar gemacht wurden, scheint bei Schulden aus reinen Krcdit-
1
14 R. M. Meyer.
geschäften eine prandarlige, nämlich die von Tacitus er-
wähnte Geiselschaft, wobei an die Zeit zu erinnern ist, da der
VeriTlügensverkehr nicht sowohl unter Individuen, als unter Sippen
sich abspielte". Das ist ja auch beim Würfelspiel der Fall; es
sind Sippen, die mit einander kämpfen, nämlich die Sippen der
WQrfel, und ihre ursprünglichen Herren werden eben zu Geiseln
ftir diese kämpfenden Geschlechter. „Am Ende hängen wir doch
ab von Kreaturen, die wir machten". Und nicht andere wird es
eben da sein, wo sta!t der Würfel die Gedanken oder die Geistes-
kräfte gegeneinander kämpfen.
Der Prozess ist ja nichts anderes als eine geregelle Wette.
Meusster (Instilulionen des deutschen Privatrechts II, S. 247) hat
auf das Fortleben ursprünglicher Wettbegriffe in geregelten Rechts-
verfahren nacli drück lieh hingewiesen. Und wenn Maine (Ancient
law, 8. Ausgabe S. 304) sagt! «Die Gesellschaft unserer Tage unter-
scheidet sich von der der Vorzeit vor allem durch die Ausdehnung,
die der Kontrakt in ihr gewonnen hat," so mächte man beinahe
hinzusetzen, der Kontrakt, der Vertrag habe eben all denjenigen
Raum sich erobert, den ursprünglich die Wette einnahm. Was
sollte CS denn auch in den ältesten Zeilen für andere Formen
geben, wenn einer das Gut des anderen für sich haben wollte?
Es gab ihrer drei: bitten, nehmen und wetten. Das Nehmen,
also alles, was unter den Begriff des Krieges fällt, ist selbstver-
ständlich für die höchst einfachen Rechtsgefühle der Naturmenschen
die verbreitetste Form, zu dem Gute des anderen zu kommen.
Das Bitten wird auch nicht wenig kultiviert worden sein, aber ich
habe schon früher (Zur Geschichte des Schenkens, Zeilschrift für
Kulturgeschichte Bd. V. S. 18 ff.) auszuführen versucht, wie jung
das eigentliche Schenken ist, sodass das Bitten mindestens unter
den Menschen nicht allzu aussichtsreich war. - Götter sind freilich
allezeit angebettelt worden. Bleibt somit als dritte Form das
Wetten. Ein eigentliches Kaufen gibt es noch nicht, weil noch
keine geregelte Ordnung der zivilen Rechtsgeschäfte existiert,
ebenso wenig lässt sich bei der willkürlichen Rechtsfolge mit Zu-
versicht auf die Erbschaft warten, und somit sucht man irgend ein
Ziel zu erwetten, wo man nicht kämpfen will, d. h. wo man sich
auf ein Messen der rein geistigen Kräfte beschränken will. So
*
*
%
*
also etwa in jenen aHnordtschen Weisheitskämpfen, wo li^nd eine
Gattin oder ein Schatz oder auch bloss der Ruhm erwettet
werden soll.
Wir möchten also die Wette als eine Urform ansehen, die
dem ger^;ellcn Prozcss und erst recht dem ordnuiigsmässtgen
WetUcampf vorangehL In ihr sind allerlei Duige vorgebildel, die
sich in dem Prozess selbst keineswegs notwendig hätten ent-
wickeln müssen. Und so spricht Branner (Deutsche Rechts-
geschichte I, S. 264, II, 36Ö) noch ganz allgemein von der Wette
im Rechtsgang: »Sehr tief ragt noch indenverhältnismässiggeordneten
Recht^ang das hinein, wisLeist (Att-arischcs Jus Gentium S. 4&1)
für die Urform der Durchsetzung eines Rechtes hält, nämlich der
Eigenzwang seitens des Berechtigten". (Vgl. Post: Die
Grundlagen des Rechts, S. 346 ff.) Von vornherein wäre, wie
gesagt, dieser Eigenzwang des Berechtigten keineswegs eine
Durchgangsform, die man bei der Entwickelung geordneter Rechts-
verhältnisse postulieren müsste. Es wäre sehr wohl denkbar, dass
jede anhängige Rechtsfrage ohne weiteres unter den Schutz der
Sippe gestellt würde und dass demnach jede Forderung schon in
den ältesten Zeiten zur gewaltsamen Entscheidung von selten der
Autoritäten geführt hätte. Bei der Wette aber ist das nicht mög-
lich, denn der Dritte, der etwa noch zugegen ist, hat lediglich zu
entscheiden, wer Recht hat. Er ist keineswegs eine Autorität, die
nun auch die Erfflllung des Spruches durchsetzen dürfte. Dazu
sind nur die beiden Beteiligten da, und dem Sieger liegt nun
hier allerdings durchaus die Pflicht ob, selbst sein Recht zu
wahren. Nicht aus Not, sondern aus moralischer Verpflichtung,
denn seine Sippe hat gesiegt, seine Würfel oder seine Gedanken,
und somit ist er verpflichtctj wie der Häuptling für seine Mannen,
so für sie einzutreten und dafür zu sorgen, dass der Einsatz dem
Sieger nun auch tatsächlich werde.
An wen soll er sich nun aber hallen? Zunächst an den
Einsatz; aber die eine Wette oder der eine Gang im Spiel zieht
die nächste Wette und den nächsten Gang nach sich und der
Einsatz ist erschöpft. »Hat man kein Pfand, so muss man selber
Pfand sein." (Graf und Dietherr, Deutsche Rechtssprichwörter,
S. 237 No. 96.) Der Gegner, der jetzt kein Pfand mehr besitzt.
^
16 R. M. Meyer.
wird also selbst zum Pfände, er gehl selbst in den Besitz des
Oegenparts über.
Ich erinnere hier noch an etwas anderes. Die Wette in
ihrer ältesten und ursprünglichsten Art lebt noch vielfach fort in
den Pfänderspielen der Kinderstuben und unserer Gesellschaften.
Und auch hier ist namentlich beim Pfänderspiel der Kinder die
Form nicht selten, dass der, der selbst kein Pfand mehr zu geben
hat, zum Diener des Siegers wird und etwa eine bestimmte An-
zahl von Verrichtungen auf dessen Befehl vollstrecken muss. -
Aus alledem scheint sich eine ebenso interessante wie im
grossen übersichtliche Entwickelung zu ergeben. Wir haben für
die älteste Zeit danach zwei Urformen des fordernden Verkehrs
zwischen den Menschen: den Krieg und — die Wette. Von
diesen ist der Krieg sidierlich die ursprünglichere und die allge-
meinere; und die Wette ist allerdings eine spezielle Urform des
Krieges, aber eben eine solche, die sich durch ihre Eigenart ganz
wesentlich abgezweigt hat. Die Wette ist danach ein verab-
redeter Krieg mit geistigen Waffen vor einem Schieds-
richter, und au^ dieser Urform bilden sich dann drei vcr-
schiedene Dinge allmählich aus:
1. bei gleichem Einsatz die strenge, sozusagen off iziellc Wette,
2. bei verschiedenem Einsatz der Wetlkampf, eine Mittelform
zwischen Wette und Kampf.
3. bei einseitigem Einsatz der Prozess, bei dem der andere
Teil erst gezwungen werden muss, seinerseits den gleichen Einsatz
zu deponieren, und das Otlübde, bei dem ein Einsatz nur voraus-
gesetzt wird.
Lässt sich diese Hypothese halten, so sehen wir hinein in
eine Zeit, in der mythologische Anschauungen noch das gesamte
Leben der Völker durchdringen. Der einzelne Mensch fühlt sich
als eine Gesamtheit von Kräften, oder mindestens er fühlt seine
»Seele» oder seinen «Verstand« als etwas, was in ihm wohnt und
von ihm bis zu einem gewissen Grade unabhängig ist Man
kennt ja jene Märchen, in denen die Seele etwa als Maus aus dem
Mund des Schlafenden schlüpft, oder man erinnert sich an Wen-
dungen, wie wenn der Gott Thor in einem bestimmten Moment
»in seinen Götterzorn fährt" wie in eine Rüstung - alles Dinge,
Die Weite.
17
von den«! wir nur noch spärliche abgetragene Spuren in unserer
Sprache besitzen, wenn wir etwa in höflicher Rede sagen: »ich
gestatte mir« oder «ich erlaube mir", [n jener Zeil nahm man
das durchaus «örtlich, und man glaubte zu bestimmten Zwecken
über diesen inwohnenden Dienerj den Geist oder die Beurteilungs-
kralt (mens), wie über einen Sklaven oder einen Lohnfechter ver-
fügen zu können. Man hatte dann die doppelte Freude erstens
der eigenen geistigen Anstrcngting und zweitens des Zuschauens,
indem man sich selber gewissermassen zum Zuschauer wurde.
Und dann mischen sich uralte moralische Anschauungen in diese
Begriffe, die wir heute »mythologisch" nennen, die aber vom Stand-
punkt jener Zeil so gut «psychologisch" sind als heutzutage unsere
wissenschaftliche Lehre vom »Doppel-lch« und ähnliches mehr.
Der Herr tritt für den Diener ein wie der Diener für den Herrn,
und es entwickelt sich ein ganz geregeltes System von näheren
Bestimmungen für diese eigentümliche Form des stellvertretenden
Kampfes.
Merkwürdig genug wäre es ja, wenn in einer Zcitj in der
so viele Dinge, die sich im Verlauf dieser Entwicklung selbständig
gestaltet haben, nur noch in geringem Umfange vorhanden sind,
in der Geiseln nicht mehr gestellt und GelObde nur noch von
einer wrhältnismässig kleinen Zahl von Personen geleistet werden,
dennoch die alleralteste Form, aus der diese Dinge hervorgegangen
wären, die Wette, mit voller Kraft, in voller Ausdehnung und in
noch täglich zunehmender Systematisierung bestände!
Ardiiv »r Kulturgncbldite. t.
18 Kurt Breysig.
Die Entstehung der
neueuropäischen Formen des
Lebens.
Von KURT BREYSIQ.
Wer immerdar in der Gegenwart erstarrte Vergangenheit er-
kennt, wer in allem Bestehenden nur einen kurzen Ruhepuitkt
ewigen Werdens und Wechsels zu seilen gewohnt ist^*) den über-
kommt In der Stille der Berge in der Heimlichkeit des Waldes
zuweilen der Gedanke, dass die Jahrtausende alte, niemals müde
Unrast der Menschen dieses eine nicht vermocht hat, die ewig
ruhenden, ewig starken Züge des edlen Antlitzes der Erde nach-
haltig zu ändern. Einige leise Runen und Fältchen hat sie ihm
einzugraben vermocht, mehr nicht. Wenn im dunklen Tann der
glührote Schimmer der sinkenden Sonne zwischen dem Grün
der Bäume Farben malt, vor denen alle Märchenpracht der satten
Riibinscheiben gotischer Dome erblasst, wenn uns die leiden-
schaftlichste Stunde des Tages den Wolkenhimmel mit dem immer
neuen Spiel der vergänglichsten und zugleich zartesten Farben-
') Dictt BUItcr slnlt einem noch unvctüfknllfchtcn Binde iln wcllirgtl«{len
KHchlctiUkhcn Buchet rntnomm«), di« Ich Mit clniecn Ji^rcn lu vtcfitfcnlllclicn besinn.
Sie (ind aito nui iTi Olitd in der Kcttr, tU Bruchi*iick elntrt EuiamnirnfaHrndcn und nur
hin und da clernc ronchungen vcmnendtn DanUlluns anniwhen und «heben nicht
d*n Annprwrh, nrucn Oniiid lu Irgen. - Die D«m«llunij d«r ebcnlalU irii 1150 o\ngv
Irettnen Umwiliung in dem Verhältni« von Minn und Fna, dir drm oben ibsednickira
Abuhnllt vorsuictht und die i\tti im Weientlfchen tu! den icuIiarccKhichilich mocli nl«-
intU vrrvrrlden odrr tucti nur tKarliMeii TtacUtut Je ainoie et «moii« iruinlli« lie«
Knpluii Andreu aui der Zeil um 1170 itaiit, toll auch vcr6l(«it1icht verden (Zukunft
Januar 1»».
Die Entstehung d" neiiciiropäischMi Formen d« Lebens-
19
,rfize schmückt, wenn uns das blauende Dunkel femer Wald-
ränder lockt oder wenn wir hinter dem nächsten und zugleich
hinler dem fernsten Hügel sehnsüchtig das Land der Abendröte
suchen, so raunt uns dieselbe Stimme zu^ all diesen Reichtum
breitete ich, Natur, schon vor den ältesten Geschlechtern der
Menschen aus, die hier gewandelt sind, und manchen Weltentag,
bevor es Erdbewohner gab, auch schon.
Doch ein stiller Platz auf dem lauten Markte des Lebens,
ein Ruhepunkt im wirbelnden Kreislauf der Geschichte ist da,
der Ähnlichkeit hat mit diesem Frieden der Täler und der Auen,
das ist das Verhalten des Menschen zu den ihm Nächsten; der
Frieden desHerdes und des umschränkten Hauses. Könige herrschen,
Heere ziehen, Schlachten werden geschlagen, aber die Ruhe der
stillen Kammer stören sie nicht. Reiche stürzen, neue Staaten
werden gegründet und schwinden wieder dahin, ja Völker kommen
und gehen, aber in jedem neuen Frühling lockt der Reigen der
Mädchen die Sehnsucht des reifenden Jünglings, nie mag auch
der rauheste Mann darauf venichten, die Heimstätte seines sorgenden
Haupt«, den Busen seines Weibes aufzusuchen, nie hören Mütter
auf, sich an den ersten Schritten ihres Kindes zu freuen. Freilich,
kdas ist bald zu erkennen, der reiche Blülenkranz von Sitten und
rBräuchen, den die Erfindungskraft der Menschen und Völker um
'diesen Stamm ihres innersten Lebens schlingt, wechselt zuweilen
Form und Farbe, aber ob auch das Kernholz des Baumes neue
Jahrringe ansetzt oder ob sich gar auch seine Art ändert, wer will
es sagen. Sollte es in Wahrheit geschehen, so würde, um es
nachzuweisen, der feinste Spürsinn des Forschers tätig werden,
sein Weitblick über die längsten Strecken des Zeitenlaufes hin-
fliegen milssen. Denn wie langsam sich auch das Recht oder
die Sprache wandeln mögen, unmerklicher noch vollzieht sich der
Wechsel in den Herzensgesinnungen der Menschen. —
Es ist kein Zufall, dass der erste grosse Schritt, den das
Frauengeschlecht von dem Zustand vollkommener Bindung und
Abtiängigkeit fort auf dem Wege zur Selbständigkeit getan hat,
die Form des Lebens anging. Er scheint zuweilen mit der An-
eignung eines gewissen Masses geistiger Bildung verknüpft ge-
l'vesen zu sein: die CdeUrau dieser Zeiten verstand ihre Ltebes-
2*
p
30 Kurt Breysig.
briefe zu lesen und zu schreiben, ein Vermögen, das ihrem Lieb-
haber sehr oft abgehen mochte. Aber dass die Frau zuerst und
zunächst GeffihI und Gebärde zu vervollkonininen strebte, ist in
ihrem innersten Wesen begründet. Die Bildung, die ihr am
nächsten liegt, ist die des Herzens und der Sinne. Sie war
sicherlich die Lehrmeiälerin der Sänger wie der Edeileute, als es galt,
den Regungen des eigenen Fühlens den Spiegel des Bewtisstsetns
vorauhaiien und sie dadurch zu mehren und zu steigern, Ebenso
unzweifi-'lhaft ist aber auch die allgemeine Verfeinerung der Lebens-
formen von ihr ausgegangen. Der Bereicherung des inneren Er-
lebens gesellte sich die andere der äusseren Haltung zu: Kunst
war beides, Kunst nicht in toten Stein oder leblose Farben ge-
prägt, sondern in warme Herzen und lebendige Körper. Weib,
Kunst, Empfinden sind einander wahlvenpandL Es waren die
Frauen, die damals dem Leben eine Form gaben, es zur Kunst
machten, die Gefühle Leibes und der Seele erst auszukosten, dann
zu steigern trachteten und am letzten Ende über alle körperliche
Darstellung des Ichs die gewollte Anmut wählender Gebärden, er-
lesener Haltung breiteten.
Bei sich selbst mögen sie angefangen haben. Und so ver-
gänglich auch der Zauber sein mag, der von edlem Gang und
feiner Handbewegiinj; ausgeht, untrügliche Zeugnisse kann doch
auch er der Macliwctt hinierlassen. Wie die Dichter die ersten
begeisterten Herolde der frohen Bolschaft aus Frauenmund waren.
so haben die jünger bildender Kunst diesen feinsten Hauch der
entstehenden neuen Kultur aufzufangen und festzuhalten gewusst.
Zwar die Kleinmalerei der Handschriften vermittelt meist zu blasse
und kümmerh'che Schilderungen: der Massstab ist klein und,
schlimmer noch, eine allmächtige Oberlieferung herkömmlicher
Formen bannt jede tiefer eingehende Darstellung. Man kann
diesen Werken in der Regel nicht mehr entnehmen, als dass
Haltung und Gebärde der abgebildeten Menschen eine absichtlich,
oft zwangsvoll zierliclie ist Mehr verraten schon die Werke der
frühen Bildnerei: Körperhaltung und Faltenwurf der vielleicht
um 1240 geschaffenen Synagoge über dem FüRtenportal des Bam-
berger Doms mag vornehmlich ein Werk der symbolischen Linien-
führung des Künstlers sein, aber soviel hohe und hehre Anmut
Die En(sleltin)e der neueuropliscben Formen des Lebens. 21
muss sich auch dem stärksten Künstler einmal erst ans dem Leben
ins Auge gestohlen haben, ehe er sie festzuhalten vermochte.
Man betrachte vollends die Standbilder der Stifterinnen im hohen
Chor des Naumburger Domes aus der Zeit um 1275, und man
wird innc werden, dass in diesen Werken des Meisseis die echtesten
und in Wahrheit sprechenden Urkunden der Sittengeschichte aut-
bewahrt sind. Man darf sie als die höchsten Erzeugnisse deutscher
KIdnerei in diesen Jahrhunderten, ja im Mittelalter überhaupt an-
sehen und man mag ihrem Urheber das höchste Verdienst zu-
schreiben. Aber er hätte nie eine so unnachahmlich vornehme
Handhattung wie die der Adelheid, einen so anmutigen Faltenwurf
»ie den der schönen Leserin Regelindis meisseln können, hätten
ihm nicht lebendige Vorbilder so edlen Gepräges vor Augen ge-
standen. Die Hände aller dieser Frauen sind so schön, so fein,
dass man von ihnen schon auf ein sehr hohes Mass von Kultur
«chliessen kann: so kraftvolle und dabei so zartgebaute Frauen-
hände gehen nicht aus der Hand der Natur hervor, sie zu er-
zeugen, ist die in Wahrheit bildende Arbeit einer ganzen Anzahl
von aufeinanderfolgenden Geschlechtern notwendig. Und liegt
auch auf manchem dieser Frauengesichter noch einige Enge und
Begrenztheit, dn hoher Adel züchtiger Selbstbeherrschung und
s^lle grosse Weiblichkeit spricht aus den meisten. Die Schmerzens-
mutter am Kreuz aber zeigt Züge und Gebärden grosser Leiden-
schaft, die auch nur dem Leben abgelauscht sein können, ') Man
wird hier inne, dass auch das Formen von Menschen eine Kunst,
rine bildende Kunst ist, und dass solche Lebenskunst allen anderen
igegangen sein muss, ihnen die Pfade zu ebnen.
Für solche Bildung aber - dies Wort trifft das Wesen der
:he so tief und fein und es war von je auf die Stilisierung des
änsseren Lebens zuerst gemünzt - ist damals eine ganze Fülle
einzelner Vorschriften ausgebildet worden. Eine edle Frau soll
langsam und kleinen Schrittes gehen, F>g^lreichet als ein velkelin,
dem sin gefider eben lit", sie soll den Blick gesenkt halten, soll
sich öffentlich nur in den Mantel gehüllt zeigen, nicht die Arme
schwenken, ihre Kleider aufraffen. Sie soll nicht mit über-
■) Baiib«rp. Dam, Oftporlnl ; Naumburg, Dam, Oitdiar. Ober den Kiii»l«tft
dv Nninbann Wtrkc «ergl. meine Kulturcnäilchlt der Ntvnll, Bd. II 3 S. 1393 If.
/
22 Kurt Bpcysig.
geschlagenen Beinen sitzen, voh] Ucheln, aber nicht lachen, nicht
laut sprechen. Selbst beim Reiten soll sie die Hände unter dem
Gevand verbergen. Sie soll einen fremden Mann nicht anreden,
aber &ie soll sich erheben, wenn ein Mann in das Zimmer tritt
Die jungen Mädchen schickte man wohl an den Hof einer Grossen,
einer Fürstin, damit sie dort die Herrin dienend begleiten, aber
in aller dieser neuen Zucht auch unterrichtet wurden. Man ver-
nachlässigte darüber die alten Tugenden der Hausfrau nicht: die
Edelfrau musste der Heilkunde Meisterin sein, und es galt nicht
als unschicklich, dass sie für sich und ihren Mann die Kleider
anfertige. Flachsbereitung, Spinnen und Weben überHess man
meist den Mägden, aber Borten, Gürtet, Hauben anzufertigen,
insbesondere zu siicken, galt als die hohe Schule für ein Fräulein.
Wandteppiche und Tischtücher für den eigenen Gebrauch, vor
allem Mes^ewander und Altardecken für Priester und Kirche sind
so tausendfach entstanden. Die Dichter haben in ihren Schilde-
rungen des ritterlichen Lebens von allem dem treue Meldung ge-
tan, aber sie stellten sich auch geradezu in den Dienst der Frauen-
und Mädchenuntcrweisung und traten in ihrem Sinne als Lehr-
meister auf; so ist in Frankreich das Chastkmftit des dames, in
Italien des Francesco da Ba/barino Reggimento dt doana und in
Deutschland der Winsbcke und dieWinsbekin geschrieben worden.')
Nur dass freilich alle ihre Anstandsregeln ein sehr dürres und
blasses Ilitd von einer wundervoll farbigen und anmutigen Wirk-
lichkeit geben.
Auf welche Art die neue Sitte, das zarte Geschenk der Frauen
an die Kutlur ihrer Zeit, den Männern übermittelt wurde, davon
war schon die Rede: die gesteigerte Form der Liebe musste am
meisten dazu beitragen, das rauhere Geschlecht zu dieser in Wahr-
heit weiblicheren Bildung herüberzuziehen. Doch begann man
auch sonst schon frühzeitig dem Leben des Mannes Glatte und
Gesell m ei digkeit zu geben. Bis zum zwölften Jahre blieb der
Knabe ganz in Frauenhand; wohl Hess man ihn auch ein wenig
lesen oder gar schreiben lernen, aber er rettete von diesen Künsten
meist nicht eben viel in sein späteres Leben. Die Zucht aber,
<) AI«. Schuld. HMiMlw» LcbCB 1 S. ISl I.. tH K.
Die Entstehung der neueuropäischen Fonnen ds Lebens. 23
*
*
$
die gute Sitte und alles, was wir in schönem Sinne Bilrfiing nennen,
umfasste, war das Hauptziel der Erziehung von Anbeginn, für
die man wohl auch schon Hofmeister annalun. In grossen Ver-
hältnissen umschloss sie in Deutschland auch schon die Erlernung
des Französischen und Lateinischen, immer die Kenntnis der üb-
lichen Spiele, des Schachs und woniil man sicJi sonst die Ge-
selligkeit zu würzen pflegte. Er lernt in seiner kintheil Tugent,
gefüglichkait, Singen und satttenspil und auch ander Hübsch-
hait vil, so berichtet vom Melden ein Sang dieser Zeilen.
Das erste und letzte Ziel aber war die Schönheit von Haltung
und Gebärde. Sie lertenz riten unde gän, mit Züchten sprechen
unde stän, heisst es von der Erziehung eines jungen Heiden im
Wigalois. Das Verhalten den Frauen gegenüber ist hauptsächlichste
Pflicht des heranwachsenden Ritters: zu den Vrouwen sal er gerne
gin, gezogentliche vor in sün und auch bi in sizzen, wird im
Grafen Rudolf als Aufgabe der Eraehung bezeichnet, und der un-
übertrefflichste der Frauen Verehrer, Ulricli von Liditenslein, fasst
die Summe aller seiner ritlerlichen Erziehung in die Worte zu-
sammen: er lärl mich sprechen wider diu wip!
Auch die Erwachsenen zähmt jetzt die Sitte: insonderheit
für die Geselligkeit werden alle einfachsten An Standsregeln ge-
funden. Noch isst man wohl mit den Händen und mit dem Nach-
harn zusammen aus einer Schüssel, aber man erklärt für unschick-
lich, mit beiden Händen zugleich ins Essen zu fahren und dem
Genossen seinen Anteil vorweg zu nehmen. Männern wie Frauen
■werden eine ganze Anzahl von Reinlichkeitsregeln für ihr Ver-
halten bei Tisdie eingeschärft, den Frauen bezeichnenderweise noch
schärfere als den Männern. Nach dem Mahl aber bleiben beide
bei einander, und den jungen Männern war nun Gelegenheit ge-
boten, die zahlreichen Gebote anständigen Verhaltens, die man
ihnen gab, in Tanz, Spiel und Unterhaltung zu befolgen. ')
Vieles, was in den Hol- und Tischzuchten, den Anstands-
büchlein der Zeit empfohlen wird, mutet uns gröblich an, und
das meiste, was dort als Neues gefordert wird, ist heute Besitz
schon fast der unteren Mittelschichten unserer Völker. Aber eben
9 AI«. Sehaltt. mntcbn Lebtn r 3. 120 ri US H.
i
24 Kurt Breysig.
(äaraiis lässt sich erkennen, dass es nichts Kleines war, u-as damals
gefunden wurde. Am merkwürdigsten ist doch vielleicht, dass
nicht nur die Geseliiglieit der Männer so ganz von der neuen
Form des Lebens durchdrungen wurde, sondern ebenso auch die
Arbeit ihres Daseins und selbst die rauheste, das Handwerlt der
Waffen. Die Frauen hätten niemals einen so grossen Zuwachs
ihrer Macht gewinnen können, wenn sie sich dem innersten
Drange der Männer ihrer Zeit und ihres Standes halten wider-
setzen wollen. Und so haben sie nicht vom Kampfe abgeiiailent
sondern zu ihm angetrieben. Und ihr Lohn war auch hier eine
Umforniungr eine Verfeinerung des bestehenden Zustandes zum
Zierlichen, Absichtlich-Anmutigen hin.
Der Kampf wurde Kunst, wurde Spiel. Das ist die Bedeutung
des Turniers. Gewiss es gab schon ehedem sehr ernstliche Leibes-
übungen, aber noch kein Schauspiel des Krieges, wie es die
Turniere darstellten. Man führt ihren Ursprung, wen sollte es
wundem, auf Frankreich zurück: hier soll schon der im Jahre 10&&
gefallene Ritter Oeffroy de Prcuilly die Regeln des Turniers er-
funden haben, immerhin kommt das Wort erst im zwölften, Jahr-
hundert vor, und erst gegen 1 150 beginnt die Blütezeil der neuen
Ritterspiele, die 1127 zuerst auf deutschem, 1194 zuerst auf eng-
lischem Boden abgehalten worden sind. Retterübungen hatte man
schon im neunten Jahrhundert abgehalten, jetzl aber wurden sie
mit einem Scheinkampf verbunden und vor allem an künstliche
Regeln geknüpft. Es war eine wundervolle Verknüpfung von
Fechl- und Reitkunst, um die es sich handelte, und man
schied eine Anzahl verschiedener Stiche, so Puneiz, Treviers und
Damensliche. Es kam dabei vor allem auf zierliches Reiten an.
Buhurdicrcn und Tjosticrcn wurden als besondere Kampfspiele
vom Turniere unterschieden; beim Buhurd rannten ganze Scharen
gegeneinander, beim TjosI traten sich nur zwei Kämpfer gegen-
über. Es galt als unschicklich, den Gegner ernsthaft zu verletzen;
alle Kampfregeln Hefen darauf hinaus, es zu vermeiden, es sollte
nur die höchste Gewandlheil und Leibesbeherrschung entwickelt
werden. Das Kampfziel war erreicht, wenn der Gegner zu Boden
geworfen war; Todesfälle scheinen doch nur die seltene Ausnahme
gebildet zu haben. Die Anwesenheit der Frauen, denen zu Ehren
Die Enlstehung da neueuroplischen Formen d« Lebens. 25
man cigetie Gänge des Kampfspiels anordnete und zu deren Preis
ganze Turniere veranstaltet wurden, die Verbindung des heissen
Kampfes mit froher Lustbarlceit und süssem Minnedienst machten
das Turnier zum Gipfelpunkt alles hötisch-ritterlichen Treibens. *)
Aber selbst über die ernstharten Angelegenheiten des Standes
breitete sich nun der Schleier einer anmutigen Form. Das Lehcns-
nesen halte von seinen Anfängen an mancherlei sinnbildliche Fest-
tonnen ausgebildet, man hat sie jetzt mit besonderer Freude ge-
pfleg;t und ausgestattet Und bei dem Eintritt in das tälige Leben
eines Edelmannes fand man wieder zuerst in Frankreich eine neue,
nodi schönere Form: die Rltlerweihe. Hatte der Jüngling zuerst
als Page einer Schlosshenin gedient, war er dann als Knappe
zum Dienst in Feld und Fehde tüchtig gemacht worden, so wurde
ihm in der Kapelle des Schlosses in Gegenwart vieler Damen und
Herren der Ritterschlag erteilt, nachdem er eine Nacht betend
durchwacht, durch Bad und Abendmahl sich Leib und Seele ge-
reinigt hatte. Selbst die Eide, die der Neiiaufgenommene zu leisten
hatte, gedenken in diesem galanten Lande der Frauen: Gott, dem
König und seiner Dame treu zu dienen musste er schwören, wenn
ihm durch drei feierliche Handschläge auf den Nacken im Namen
Gottes, des heiligen Michael und des heiligen Georg die Ritter-
würde erteilt werden sollte. Die Umgürtung mit dem Schwert
galt als Höhepunkt der Feier, die man auch bald in Deutschland,
nur etwas einfacher nachgeahmt hat. ^
Aller Schmuck des äusseren Lebens erfuhr gleichzeitig grosse
Bereicherung: man machte sehr viel mehr Aufwand für die Kleider
der Frauen, für Rüstung und Festgewand der Männer, und die
Burgen dieser Zeit waren doch nicht nur feste Plätze, die alle
Lande zu Schutz und Trutz starker Einzelner bedeckten, sondern
sie waren auch die ersten mit einigem Behagen eingerichteten
Wohngebäude Privater. Selbst bis zu den Freuden der Tafel
herab sind damals die Ansprüche zuerst wesentlich gesteigert
worden; was Spiel und Tanz und alle Freuden der Geselligkeit
*) N[edn«r, Dm deuUchC Turnln' Im 12, trad 13. JKhrhtindcrl (1881) S. 7 H..
J3 11, 36, 83 f.; daiu AI*. SchuK», HörKh« Üben II (ISBO) S. 9t t(., Ui I.
1 So Rosiirt», tfisfotrt tie la SOtUlf /trancaise aa mayrn äge I (1880) S. 38S tf.,
dkIi civH «pütm Quellen, und A)v. Schultz. HCIItchn l.ctcn I S. 113 tt.. 141 f.
. i
^
26 Kurt Breysig.
vom harmlosen Reigen bis zum ernsthaften Schach für Neuerungen
erfahren haben, ist nicht zu sagen, Noch aus den letzten Über-
resten heutiger Rüstkammern und Gewerbesammlungenj noch von
den Burgruinen herab, die von Unteritalien und der Provence
bis in den Norden Deutschlands Europa durchziehen, leuchtet
der Glanz dieses Zeilalters, das sich zum erstenmal das Leben
aufzuheitern verstand.
Doch wo die Berge sich heben, da müssen die Täler zurück-
bSeibcn. Während der Herrenstand sich die neue Zier des Lebens
schuf, versank die Masse des Volkes in der Roheit älterer Zeilen.
Allerdings auch in des Kaplan Andreas gelehrtem Liebesbrevier
ist der Fall vorgesehen, dass sich ein Plebejus einer Plebeja, ja
sogar dass ein Niehtadeliger einer EdeUrau sich nähere. Aber
man überzeugt sich schnell, dass derauf die mannigfaltigste Kasuistik
bedachte Scholastiker nur an eine sehr bevorzugte Schicht des
Volkes denkt, etwa reiche Kaufleute, oder, was näher liegt^ der
Plebejer, von dem er redet, ist in seinen Hintergedanken der
Geistliche bürgerlichen oder bäuerlichen Standes, den Amt und
Wissen berechtigen, in den höheren Kreis des Adels und seine
Lebensgewohnheiten einzudringen. Denn das Gespräch, das er
Bürger und Bürgerin miteinander führen lässl, ist in allen seinen
gelehrten Geschraubtheiten und seinen unerhört gewundenen Satz-
steliungen, wenn überhaupt in das Leben hineinzudenken, dann
doch nur in eines, dem der neue Frauendienst veriraui war. Auch
dort wird man sich zwar ganz gewiss nicht in dem Tone des
Kaplans unterhalten haben, der aus dem Liebesgetändel eine ge-
lehrte Disputation über Begriff, Aufgabe und Wesen der Liebe
macht, wie sie allenfalls in Abälards Hörsaal hätte geführt werden
können; aber für diesen Bereich der Gesellschaft schrieb Andreas
wenigstens. Immerhin wird in Andreas' Sammlung von Muster-
gesprächen dem aufwärts strebenden Nichtadeligen, der sich um
die Huld einer Edelfrau bemüht, von ihr sehr deutlich zum Be-
wusstsein gebracht, dass er sich kühner und im Grunde unstatt-
hafter Dinge unterfange, wenn er sich um sie bewerbe. Schon in
die Anrede des Bürgerlichen ist eine vorübergehende Anspielung
eingeflochten, dass die Allgewalt der Liebe alle Unterschiede,
auch die des Standes ausgleiche. Die Dame aber erklärt kurzab,
Die Entstehung der neueuropäischen Formen des Lebens. 27
I
I
dtss ihr Bewerber in die Schranken des von allers bestehenden
Adels einbreche und dass ihre Liebe zu ihm besonders gross sein
müsse, wolle sie an seiner Geburl nkht Anstoss nehmeti. ') Und
für den ebenfalls nicht übersehenen Fall, dass ein Nichtadeliger
sich einer Frau des hohen Adels nähere, wird von Andreas selbst
mit nüchternen Worten als Voraussetzung gefordert, dass er ein
unzählbar grosses Vermögen besitze. ')
Solche Ausnahmen aber kommen nicht in Betracht, wo es
sich um Sitte und Lebensschinuck der grossen, überwiegend bäuer-
lichen Masse des Volkes handelt. Heiratete ein deutscher Bauer
in diesen Zeiten, so Hess der Tisch es zwar nicht an einer Über-
zahl von Speisen fehlen, aber die Fröhlichkeit der Gesellschaft
war sehr ungebunden: den jungen Bräutigam pflegten die Alters-
genossen freundschafllich durchzuprügeln, und beim Tanze springen
die Männer, dass ihnen das SIroh aus den Schuhen fällt. Dabei
aber wahrt das Bauerntum auch die alle Sitte besser als der
modisch gewordene Adel. Man fügte sich dem neuen Anspruch
der Geistlichkeit, dass eine rechte Heirat ihres Segens bedürfe,
noch nicht, im Kreise der Gefährten fragt ein greiser Alter Braut
und Bräutigam dreimal, ob sie einander zur Ehe begehrten, und
gab sie dann zusammen. Der Ehemann trat der fungen Frau auf
den Fuss, ein Sinnbild alten Rechtes, dass er nun Besitz von ihr
ergreife, und unter lautem Gesang beschloss man die Feier.
Eben dies Stehenbleiben auf einer älteren, niederen Stufe
rief ganz selbstverständlich den füohn und die Verachtung des
höheren Standes hervor. Sohald der Adel nur angefangen hat,
sich durcli die neue Form des Lebens abzugrenzen, beginnt er
auf die Aussenstehenden zu schelten. Wie der Herrenhof als
die Stätte gepfählter Sitte für diese selbst den Namen herleiht,
wie hö^-esch und coartois ihren Inbegriff bedeutet, so wird Dörpcr,
viUain zum Schimpfwort und will so viel wie Flegel, Tölpel be-
sagen. Ja im Laufe dieses Zeitalters gelangt man so weit, mit
'1 Loqnimr pletit]ut td ptcbejam, loquilur plcbejui nobllt: Andrctc üc uaan
librt ttts. (M. Tro^lcl S 19 tf , 30 If.)
*j Nani ul plcbrjtii nobillorit ftminxe dCgniu invcniatuT amorc, innnraerabiltbut
oporwl tum bonii tbnadut canirenliqut ui Inllitlu Ipsam becelacU emoILiRl. (Andtsi«-
Trejcl S. S4 )
i
28 Kurt Breysig.
dem Begriff der äusseren Unerzogenheit auch den innerer Un-
tugend zu verschmelzen. Ein französischer Dichter erklärt zu
Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts, dass nur Menschen edler
Geburt ehrenhaft, treu und zur Aufopferung des Lebens im fürst-
lichen Dienste bereit seieHj und dass die Villains, die ohne Ehr-
gefühl und von feiger Todesfurcht erfüllt, nur auf Gelderwerb
ausgingen, nicht verdienten, von einem Fürsten seines Verkehrs
gewürdigt zu werden. Das Wort vitlain nimmt den Neben-
sinn des Ehrlosen, des Schurken an, und^ wie man aus den
Worten des Dichters entnehmen kannj es ist nicht nur auf die
Bauern, sondern zum Teil schon auf die Bürger gemünzt')
Das Bürgertum, das aus dem Bauernstand emporstieg, mag
sich zuerst wenig von dessen Art und Lebensführung unter-
schieden haben. Die gewallige Aufwärtsbewegung der neuen
Schicht hat auch hierin Wandel geschaffen. Erfurt war im drei-
zehnten Jahrhundert eine ansehnliche Stadt, aber nicht eine von
den ersten, und doch haben seine Qefrunden, wie das Gross-
bürgertum sich hier nannte, schon grossen Aufwand getrieben,
und ihre Frauen schritten mit silbernem Gürtel und kostbarem
Gewand einher. Zwar sind in ihre Reihen einzelne Rittersleute
getreten und mögen die Lebenshaltung des Standes gesteigert
haben, aber in der Mehrzahl sind es Kaufleiite und Gewerbe-
treibende, die ihr grosses Vermögen zu diesem Aufwand berech-
tigt Zwischen hinein bricht die alte Roheit doch durch: in der
Schänke sitzen Ritter in glänzendem Waffenrock, Bürger mit dem
Schwert, Bauern mit der Keule in buntem Gemenge, die Frauen
unter ihnen, und wenn der Trunk oder das Spiel den Feiernden
das Blut zu Kopf treibt, kommt es zu blutigem, selbst tödlichem
Streit. Man geht mit Faust und Beil, Pflugschar oder Schwert
gegeneinander los; die Frauen mischen sich unter die Kämpfen-
den und die waffenlose Frau, die das Leben ihres Galten be-
droht sieht, fasst zuletzt in furchtbarem Griff dem Gegner ihres
Mannes ans Gemachte, um ihn so kampfunfähig zu machen.')
*t AI*. Schollt, N6f(KhH Lcbni I 5. 518 ff., I».
<) KiTchhatI, Elfurl im dKiiehnitn Jitiihunden II87Q) S. W tf, 80 tl.
[n den bedeutendsten Städten steigt die Lebenshaltung gegen
Ende dieses Zeitalters noch höher, fast bis 7-UT Höhe des Adels.
Die goldene Jugend des Strassburger Grossbijrgertums hatte alle
ritterlichen Tugenden und Untugenden ihrer Zeit
Und selbst das Bauerntum scheint im Laufe dieser andert-
halb Jahrhunderte gewisse Forlschritte in der Lebensführung ge-
macht ru haben. Sind auch in Deutschland während dieser Zeit
schon die ersten erfolgreichen Übergriffe des Adels in seinen
Rechts- und Besitzsland unternommen worden, so war es doch
in Deutschland wie in Frankreich eine Zeit starken Wirtschafts-
aufschwunges für die Bauern, [n Deutschland war es ins-
besondere die frei gebliebene bestgestellte Schicht des Bauern-
standes, die da in Betracht kam und die namentlich in Obcr-
deutschland zahlreich und vermögend genug gewesen zu sein
scheint, um eine merkliche Veränderung des gesellschaftlichen
Bildes in diesem Stand hervorzubringen. Dass der grosse Sitten-
prediger des ausgehenden dreizehnten Jahrhunderts^ Berlhold von
Regensburg, auch den niederen Ständen ihre Hoffart vorwirft, will
nicht allzuviel sagen: da;> säuerliche Eifern gegen alle Erdenfreude
hat noch jeden Mann dieses Berufes zu einem sehr unzuverlässigen
Zeugen in sittengeschichllichen Dingen gemacht Berthold ist dort
untrüglich, wo er das Selbsfbewusstsein des geistlichen Standes
offenbart und erklärt: ob ez also wäre, daz ein Priester zuo
gienge, da nun Frouwe Sant Maria da saeze und allez himmlische
Her, die stunden alle gegen dem einigen Priester uf, da von, daz
Ool so gröze Ere an die Priester hat geleit Berlholds Litaneien
auch gegen den Lebensaufwand der höheren Stände lassen er-
kennen, wie griesgrämig er Harmloses und Schlimmes durcheinander-
mengt, wie er gegen die buntscheckigen Kleider — da euch der
allmächtige Gott die Walil gelassen hat, ob ihr sie braun, rot,
bUu, wdss, grün, gelb, schwarz haben wollt: daran genügt euch
nicht - ebenso grimmig eifert, wie gegen Völlerei und Trunk-
sucht Und andererseits redet er doch auch von dem Druck und
der Last, das dem Povelvolk der Bauern durch die Grundherrn
und ihre Frohndlenste aufgebürdet sei. Dennoch ist seinem
Predigen so viel zu entnehmen, dass die höheren Schichten des
Bauernstandes, die von dieser Abhängigkeit nicht gettoffen wurden^
30 Kult Bre>-sig.
hier und da dem kleinen Adel es an Aufwand gleich zu tun
suchten.')
Ganz offensichtlich ist dieser Talbestand, durch ein viel voll-
gültigeres Zeugnis gemacht worden, durch die höhnischen An-
griffe eines adligen Dichters, der sich ganz und gar zum Anwalt
der Interessen seines Standes gemacht hat. Wohl hat Neidhart
von Reiienthal, der am bayrischen und österreichischen Hofe bis
um 1240 lebtCj als ernster Dichter, der er war, sein persönliches
Leben und Leiden singen wollen, aber es verflicht sich ihm mit
der Abneigung des Standes gegen das aufstrebende Bauerntum.
Neidharts Verachtung gegen die Bauern hatte eine Ausnahme:
die Liebe zu ihren Töchtern, aber sie war nicht immer glücklich,
und der Zorn darüber entlädt sich in sehr unholden Schilderungen
bäuerlichen Lebens. Er schilt die jugendlichen Liebhaber des
Dorfes, seine oft glücklicheren Nebenbuhler, Schlemmer und Stutzer,
Gecken und eitle Narren. Dabei aber bricht aus seinen Strophen
der helle Neid als Grundursache seiner Schmähsuchl: es steht
der arme Junker dem reichen Bauern gegenüber. Und er ers'cist
den Gehassten doch dann Achtung, wenn er von ihren starken
Fäusten und ihrem Mute spricht, vor dem er öfter den kürzeren
zieht. Schwerer ins Gewicht fällt vielleicht die unbewusstc
Huldigung, die er den Bauern erweist, indem er die schönen
Weisen ihrer Tänze, die Lieder, die sie zu ihren Reigen sangen,
in seine Kunst aufgenommen hat. Walther von der Vogelweide
selbst hat als Hüter des strengen Kunstgesanges sich über diese
Einschleppung bäuerlichen Quies beklagt, das ihm zu roh und
natürlich für den feineren Brauch der Höfe dünkt. Es hat schon
zu den Zeilen Neidharts selbst, von dem langen Trosse seiner
Nachfolger in den folgenden Jahrhunderten zu geschweigen, nicht
an Stimmen gefehlt, die ihm zufielen. Der Schweizer Ulrich von
Singenberg, der in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
Lieder höfischen Tons sang, hat auf die Üppigkeit der sich höfisch
■} Ober du «IrtKhaftllche Vcrvtrtiltoiiimeii der drutKhm und tnniöslittira
Bjwcrn vergl . KullTMireKhlcMe U. 2. S. OST, 1 035 : fib«r Berthord siehe O 4 r t n er , BerUiold von
Regmiburg Aber die Zusündc d« (Jtiilschfti Vatkn im 11 Jlahthurdtrt (Zilticier Oytnn,-
Pngr. ]»t>l S. 20 ff„ 7 und Olldcmciitcr, Dis dcuüchc Volkilcben im 13. JihTh.
nach den deuttchen Ptcdigirn BerthoUt vcn Rrgeniburg (JmacT Ditt. IK90] S 13 II. n.
»
»
I
I
gebärdenden Bauern ähnliche Schmähverse geschmiedet wie
Neidhard. Und auch an Urkunden der Gesetzgebung fehlt es
nicht, die vom gleichen Hasse des hohen Adels gegen die Bauern
zeugen. Im Jahre 1244 verbot der bayrische Landfrieden den
Bauern, ritterliche Rüslstücke und Stahlwaffen zu tragen.
Selbst die heulige Geschichtsbetrachtung hat sich von der
ständischen Parteilichkeit nicht frei gemacht, die sich in den
Schilderungen der adligen Feinde des Bauerntums barg. Wenn
einstmals die Edelleule auf die Dörper ihrer Plumpheit wegen
gescholten hatten, so stand ihnen jetzt übel an^ über den Auf-
schwung bäuerlicher Sitte zu schmälen. Oder richtiger gesagt,
solche Eifersucht der Stände ist menschlich begreiflich, aber sie
darf das Urteil des Geschichtsschreibers nicht trüben. Natürlich
fielen die ersten Versuche der Bauern, sich den . Kleidern ufwand
und die wohtberechnete Künstlichkeit des neuen Ritterbrauches
anzueignen, oft täppisch und unbeholfen aus. Aber sie waren
doch auch zugleich der Beweis eines starken Selbstbewusstselns
und eifrigen Emporstreben s. Oft schlug dieser Drang auch die
pxa falsche Bahn eines Ei »dringen wollens in den höheren Stand
sdbst ein: die so einfach erzählte und doch so wirksame
Eraihlung von Meier Helmbrechts Sohne, die Wemher der
Gärtner zwischen 1234 und 1250 in dem allbayrischen Innviertel
Oberftsterreichs aufschrieb, schildert, wie ein junger flauer Ritter
werden will und als Räuber und Landverderber schmählcch endet
Sehr oft sind damals wohl wirklich Bauernsühne zum Vcrdruss
der Edelen in den Ritterstand emporgestiegen, aber der Dichter
des Meier Helmbrecht selbst hat ein lautes Zeugnis dafür abgelegt,
wie töricht der tflchtiKC Bauer selbst dieses Unterfangen fand.
Aber sein Stand hatte in seinen Grenzen bleiben und doch stark
werden können. Dass seine Nachahmung des neuen Brauches
nicht nur törichte Narrelei war, wird durch nichts besser bewiesen,
als durch das Aufblühen einer bäuerlichen Dichtung, deren tüch-
tigster und wahrlich un verächtlicher Vertreter eben jcnrr Wcmhcr der
Garlenäre war. Und es eröffnet sich von diesem Standpunkt her
ein ganz neuer Ausblick auf die Entwicklungsmöglichkeiten, die
damals die Zukunft des BauenisLmües noch allenfalls hätte in
sich bergen können: ein Wiederauhs-ärtsklimmen des Standes, dem
I
doch bis dahin nur die ersten Lasten aufgebürdet worden waren,
die er bei stolzer werdender Haltung vielleicht noch wieder
hätte abwerfen können. Es ist, als halte sich noch einmal die
Aussicht eröffnet, dass ein Stand freier Edelbauem sich erhoben
und nicht unter, sondern neben dem Adel seinen schönen Beruf
und stolze erdwüchsige Selbständigkeit bewahrt hätte, im Sinne
der köstlichen Worte des Meiers Helmbrecht, die noch jüngst
der grosse Denker unserer Tage wieder in die Erinnerung ge-
rufen und geadelt hat: willst du mir folgen, so baue mit dem
Pfluge, dann gcniessen deiner viele, dein geniesst sicherlich der
Arme und der Reiche, dein geniesst der WoU und der Aar und
durchaus alle Kreatur!*)
Aber so sollte es nicht kommen, und vielleicht sind die
Gründe dafür, dass der Adel in den nächsten beiden Jahrhunderten
zwar nicht das Bürgertum - das erwies sich zu stark -, wohl
aber den Bauernstand, dem nun erst die Stunde seines Schicksals
schlug, tief herabdrücken sollte, nicht zum wenigsten in einer
Wandlung der Adelssittc, die den entscheidenden Bestandteil in
der Sittengeschichte des Zeitalters darstellt, und die für die Klassen-
entvicktung der neueuropäisdien Gesellschaft aller Folgezeiten die
höchste Bedeutung hat, zu suchen. Denn sie war nicht eine Begleit-
erscheinung oder gar nur eine Wirkung der damals erst in voller
Schärfe vollzogenen Scheidung der Stände, sondern eher eine
ihrer Ursachen. Wie ein Adel entsteht, wird erst dann recht er-
klärt, wenn man das Emporkommen einer adligen Sitte nach-
weist Jede einzige von den Verfeinerungen, die damals die Form
des Lebens erfuhr, wurde eine Schranke zwischen dem immer
höher sich emporhebenden Herrenstande und den zurückbleibenden
Schichten der übrigen Bevölkening. Der Kaplan Andreas legt
der Edeldame, die sich wenigstens zuerst der Werbung ihres
bürgerlichen Liebhabers widersetzt, die höchst bezeichnenden
Worte in den Mund; dass von Anfang Adel nur aus guten Sitten,
^ Manlllc, Zum Leben und Tidbcn äti oticrdeulichen Bauern im 13., 14, u&d
15. JahrhVBdat lOymnu.-Prccr. Landetkrone In B6hmen. ISOZI S. 8 ff., 12; H>tet-
• Unge, SUdeiitKim Biuectilcbcn Im Mittclittet ilSfH) 5. 3S ff.; diiu vergl. Ptcjtltig,
Bilder II {" 1887) S. 47 H., 51 lt.; Scheret. Ueuliclie Lileritur (» I8M) S, 313 f(.; abtt
du Motto der Pllutidiu' In des Veriatscn Obmetruns Lew man den Kidiberidrt is
Nittiicfai« Werken Xi <2. Aug. igOt von HonMfter) S. 3«.
aus Tüchtigkeit des Mannes - im Waffenhandwerk, mag der
Hintergedanke sein - und seiner höfischen Art entstanden sei.')
Und man möge nicht annehmen^ die so geschaffenen Standes-
unterschiede seien die unbedeutendsten gewesen: nichts gräbt sich
so tief in die Gemüter, als die täglich und stOndhch hervor-
tretende Trennung in Haltung und Gebärden, nichts gibt den
Herrschenden so viel Sicherheit wie die Handhabung aller klemen
und grossen Künste des Lebens, nichts dem Niedrigen einen so
sUrken Eindruck seiner geringeren Stellung. Gewiss die Formung
der Standessilte kann nie der Anfang einer Adetsbtidung sein,
und schon der Abschluss des eigendich frühen Mittelalters hinter-
liess der um 3150 neu anbrechenden Zeit eine an Macht und
^ Besitz starke herrsdiende Klasse. Aber als Bindemittel für den
ni seinen Jahren gekommenen Adel und zugleich als Bollwerk
der AusschliessHchkeit allen in die Tiefe Gedrängten gegenüber
Bitsste der neu erworbene Besitz höherer Lebenshaltung aufs
Mrkste wirken.
Empfindung, Kunst und Frauenwerk stehen alle drei den
gefühlsmässigcn Tiefen der Seele näher, als alle Erzeugnisse des
Verstandes und selbst des Staaten- und ständebildenden Willens.
Sie aber waren hier vor allem mit ihrer triebhaften Kraft be-
teiligt, und eben deshalb war auch fQr alle folgenden Jahrhunderte
bis auf den heutigen Tag die ständescheidende Wirkung gerade
dieser Wandlung so gross. Denn noch in unseren Tagen müsste
auch eine Gesellschaftsordnung, die jeden anderen Nutzen des
Adels für die Gesamtheit fort zu beweisen vermöchte, in ihr den
treuen Hüter und Bewahrer gewählter Lebensform anerkennen.
Und wenn irgendwo eine Rechtfertigung für die mannigfachen
Bevorzugungen des Adels in jenem Zeilaller selbst zu suchen
tire, so müsste es auf diesem Felde geschehen. An dem Wert
des Kulturguts, das da errungen wurde, wird niemand zweifeln
dürfen. Wer würde wünschen wollen, dass unsere Völker in der
plumpen Roheit der älteren Zeiten hätten verharren sollen.
Andrerseits steht fest, dass nur die Sorglosigkeit einer besonders
guten wirtschaftlichen Lage und mehr noch der Herrenslolz einer
■) Aadteie De imore libri Ire! <ed Trat*» & «5.
Anbv m KuIlurEnchicbtt. I.
bevorzugten Klasse die Voraussetzung solchen Gewinnes sind.
In norwegischen Bauernhütten wäre er vielleicht nie, oder erst
nach Jahrhunderten eingeheimst worden, und auch die Bürger-
häuser des späten Mittelalters oder der Neuzeit würden ihn viel-
leicht erst dann hervorgebracht haben, wenn sich innerhalb der
Städte eine irgendwie ähnliche Standesteilung, eine Adelsbildung
vollzogen hätte.
Für die rückblickende Betrachtung aber ergibt sich eine
lelzle sehr tröstliche Erwägung; was der führende Stand damals
crningen und nach Menschen Art mit grosser Rücksichtslosiglceit
lange Zeit sich vorbehalten und gegen Bauern und Bürger aus-
genützt hat, wurde schliesslich doch Gemeingut, und wird in einer
heitreren Zukunft noch viel mehr als es heute der Fall ist, Gemeingut
werden. Wollte und könnte man für jeden kleinsten Bestandteil
der Formen unserer Geselligkeit einen geschichtischen Stammbaum
nachweisen, er würde zuweilen auf die Parketts von Versailles,
zuweilen zu dem düsler starren Zeremoniell des spanischen Hofes
oder der frischen Anmut italienischer Renaissancesitten führen.
am öftesten aber 7.u dem Zeitalter der Ritter und Turniere, des
Minnesangs und des ältesten Frauenkultus zurückleiten. Und so
ist schliesslich, was nur von einem Stande und für einen Stand
geschaffen werden konnte, derOesamlheit nutzbar gemacht worden.
je mehr wir gevohnt sind, die soziale Fürsoi^e im MilteU
^ller einzig von der Kiiche gepflegt, alle ilire Massnahmen auf
W^Öse Beweggründe zurQckgefülirt zu sehen, desto l)emerkeijs-
ml.tr erscheinen uns Einrichtungen, in denen einzig das Be-
siitben, einein Notstande abzuhelfen, zweckmässige Gestallung
iiad. Auch bei dem Beginenwesen pflegt dein religiösen Element
an unverhältnismässiges Oewicht beigemessen zu werden: in der
Tal hat CS keine grüissere Rolle dabei gespielt als bei allen ge-
nossenschaftlichen Bildungen der Zeit wie den Bruderschaften
der Handwerker. Ist es doch ein reines Erzeugnis der städtischen
Kultur, die von der Wurzel an antikirchlich gewesen ist Fast
immer werden die Beginenhäuser nach den Stiftern genannt,
iiaien sie ihre Existenz verdanken, nicht nach Heiligen, und die
StsJimagistratc traten einem Übergreifen der geistlichen Aufsicht
*ie bei den Hospitälern stets entgegen, wie denn die Beginen
loch bedepflichtig waren.
Der Ausgangspunkt der weit verbreiteten Einrichtung war
tin Notstand, der nur auf dem Boden der Kultur, besonders der
sfidtischen, zu wuchern pflegt: die Unmöglichkeit, die weiblichen
Mi^lieder der Gesellschaft in der Ehe zu versorgen. War doch
TO Mittelalter das Missverhällnis der Geschlechter weit schreiender
i!s jetEl wegen der zahlreichen Bedrohungen, denen die öffent-
liche Unsicherheit das Leben der Männer aussetzte, und des Cöli-
bals der zahlreichen Geistlichkeit Es ist anzunehmen, dass die
starke Verminderung des männlichen Elements durch die Kreuz-
züge den ersten Anstoss gegeben hat Die erste Organisation
r
vird dem Priester Lambert le Begue (Sianimler) zugeschrieben,
der 1184 zu Lüttich eine Sliftuiig zur Versorgung alleinstehender
Frauen ins Leben rief. Durch diese Annahme wfirde sich auch
am ungezwungensten die Entstellung des in den mannigfachsten
Formen auftretenden Namens erklären, wobei ein schon froheres
Bestehen derartiger Institute nicht ausgeschlossen ist. Auch später
werden nicht seilen noch allgemeine Bezeichnungen \rie Schwestern
oder Kinder verwendet. Die besonders reiche Entfaltung und
zähe Erhaltung des Beginenwesens in den Niederlanden spricht
jedenfalls für ein Entstehen in dieser allen Kulturlandschaft Auch
in Deutschtand, wo es Im dreizehnten und vierzehnten Jahr-
hundert seine reichste Blüte sah, knüpft es sich an den Gang der
städtischen Kultur, treibt es die zahlreichsten Sprossen in den grossen
Handclssitzen des Westens, von denen Köln ItDö^ Frankfun 54,
Strassburg 60, Basel 30 Beginenhäuser in seinen Mauern sah,
und nimmt nach Osten und Norden mit den Städten an Be-
deutung ab. Unter einer zu gesteigerter Tätigkeit und Genuss-
suchi gedrängten Bevölkerung mussle die Unsicherheit des weib-
lichen Geschlechts, die das alte Strafrecht so grell beleuchtet, am
dringendsten zu Schutzmassregeln mahnen.
Bei aller weiten Verbreitung lässt die Organisation des Be-
ginenwesens eine grosse Gleichmässiglceit erkennen, die von den
sich überall gleich bleibenden Gründen seiner Entstehung zeugt
Stets sind es Vereinigungen von Frauenspersonen, die sich in
einer Zahl von meist zwei bis fünfzehn zusammengetan haben,
um im Zusammenleben Schutz und leichtere Existenzbedingungen
zu finden. Die Grundlage dieser als Konvente, Einungen, Gottes-
häuser, auch blos Häuser bezeichneten Vereinigungen war regel-
mässig die Stiftung eines Wohltäters, doch waren besonders in
der altem Zeit wohlhabende Mitglieder nicht selten, deren Ver-
mögen der Gesamtheit zu gute kam. Machte die nach aussen
abgeschlossene Gemeinsamkeit des Wohnens unter selbstgewählten
Vorsteherinnen die Beginen allerdings den Nonnen ähnlich, so
hatten sie doch ausser ehrbarem Wandel keine andern religiösen
Pflichten als jede fromme Frau. Zur Vermögensverwaltung pflegte
der Rat ihnen wie den Hospitalern Beislinde aus seiner Mitte
zu verordnen.
Neben den KheinlanJen ist das Beginenwesen in den alten
siädlischen Niederlassungen Sachsen-Thöringens wenn auch nicht
zu gleicher Verbreitung, so doch zu reicher Ausbildung gelangt
Jedenfalls weist es schon auf die gleiche Einrichtünig hin, wenn
1238 drei Schwestern nebst der Tochter der einen und einer Magd
in Erfurt als convivae und deo dscatae bezeichnet werden gelegent-
lich der Schenkung einer Hufe an das Predigerkloster unter Vor-
behalt der Nutzniessung. Oleicherweise erscheinen 1257 z«'ci
sorores camales et habüu spiriiaks mit der Schenktfng einer halben
Hufe an das Marienslift, erst 1272 kommt die Benennung Begine
vor - diese Namensform ist die in der Landschaft gebräuchliche.
Doch wird noch 1274, 1283, 1298 die Bezeichnung soror, swesfer
gebraucht, ebenso 1281 zu Hildesheim. ') Erst um 1300 wird der
Name Begine zur Regel. Die rasch wachsende Zahl der Neu-
gxündungen zeigt, wie sehr der Gedanke dem Bedürfnis der Zeit
«nlsprach. Eine poetische Schilderung Erfurts um 1282 nennt die
<Iortigen Beginen sehr zahlreich, 1303 erscheint eine Begine
Rjchardis als Begründerin eines Konvents im S. Paiils-Kirchspiel
uud 1353 macht Tile von der Saclisa dem Konvent am Nunncn-
sack (nahe dem Predigerkloster] ein Vermächtnis. Der 1281 in
Hildesheim genannte Konvent {im hintern Brühl) wird 1352, 1356
der neue genannt, sodass er also schon bei jener ersten lir-
tibnung einen Vorgänger gehabt haben muss, in Halberstadt
Itel 1302 die Bezeichnung mahr convenius auf das Bestehen
mehrerer schtiessen, und in Braunschweig sind dem ersten 1290
enrähnten bis 1350 fünf weitere gefolgt')
Ihrer Herkunft nach müssen die Insassinnen dieser ersten
Häuser vielfach den höheren Ständen angehört haben, erscheinen
sie ja gerade in den ersten Urkunden als Schenkerinnen an getst-
^
>) Urlnindaibuch der Sladi Eriuri ed. Be>er 1 nr. in. 16*. 2M, «6; Urkiinilen-
IvcWfl KlosWTt l^arltcd. BQtiiii« nt. 13S; Uikundcnbtich dei Stadt KUciMhcim cd. Duclinar
I »'TTt; aiu)i in Btctncn »Ird \Wb. 1268. 1300 santrts, )27A baehiita£ gt^braiuM (tir-
hridnfcBeh td. Efamc* u. v. Bipp«n I nr.325, 137. 3SI. 536).
^ Nimtai 4t BJbra carnieii latirioim cd. l'itdict v. tUS; ÜB. v, Hi deilidtii II
**• T% IM; ÜB. V. Eilurt 1 nr. MO, K nr. -4«: Utt. d. SUdt Halbcrslidl ed. Schmidt
*>■ !*■: Rehiniryct. KirchenEochichtc d. Stiill BnunichTelc S. Iti; in Wittnu- tti \1«J
fHcvdHlnmn dir Rn)c (MrldefibiirKitchn I Irliutiiktibuch Ul nr. 1008>, in Franiduct «.>M..
>• tfh cmm neckincn liSO eeninnl v^rdm, ci» c« u") die Miltc des U. Iihiliundnti
■UtdoMw 16 KonvMtr. (Kiiegh, DcutKliM Ba(i[crmni I S, lOT, 1M,>
liehe Anstalten, und ähnliche Beobachtungen lassen sich auch
fernerhin machen. In Erfurt erecheinen aus der Gefrundeti-
familte von Schwerstedt 1301 Margarete, 1308 Irmentrud und Oer-
trud als Beginen, erslere verpfändet die Hälfte ihres ererbten Hofes
für 25 Pfund dem Marienstift, letztere kaufen für 27 Pfund eine
Hufe, 1305 verschreibt der Pfarrer der Miehaeliskirche setner
Mutter und deren Schwester, einer Begine, die Nut^niessung einer
halhen Hufe, 1332 be)<ennt sich Markgraf Günther zu Kindelbrück
als Schuldner einer Begine Jutta von Nordhausen für einen Hufen-
zins von sechs Malter Kom, 1350 konsentiert die Begine Jutta,
Tochter eines Ritters Heinrich, zu einem Verkauf ihrer Mutter.*)
In Halber^adt überträgt 1306 Schwester Zacharia der Martinikirche
eine Bude gegen bestimmte Leistungen an ihren Konvent, I3I0
ermahnt der Offizial das Kloster Hecklingen, seiner Zinsverpflichtung
gegen die Begine MechthiEd nachzukommen.*) In Mühlhausen be-
hält I30Q die Begine Chrisline von Scliönstedt die Nutzniessunj;
des von ihrem Vater dem Predigerorden geschenkten Vermögens,
ebenso 131 1 zwei andre von Grundstücken, die nach ihrem Tode
dem Antoniusspital zufallen sollen, und I3I8 verkaufen zwei Be-
ginen aus der Patrizierfamilie von Ammern eine halbe Hufe dem
Deutschordenshause. 'i Vorzugsweise diese aus günstigen Ver-
hältnissen stammenden Mitglieder werden von der Erlaubnis des
Austritts Gebrauch gemacht haben, die das Beginenwesen von allen
klösterlichen Einrichtungen grundsätzlich schied. 1318 gestattet
Er/bischof Peter von Mainz einer Erfurter Malrone, das von ihr
als Begine bewohnte, jetzt ihm gehörige Haus weiter zu bewohnen,
1319 schenkt eine frühere Begine der dortigen Barth olomäuskirche
eine Hufe mit Vorbehalt einer Rente, 1328 schenken zwei frühere
Beginen aus der Mühlhäuscr Patrizierfamilie von Seebach dem
Deutschordenshaus eine halbe Hufe, 1337 zwei solche aus der
Patrizierfamilic von Bolk&tedt dem Kloster Volkcrodc einen Hof,
1349 vertauschen drei leibliche Schwestern eine Hufe.") Auch die
•l Ua. V. Eifurl 1 nr. 49S, SW, 521, U m. 107: 34.1
•l L'B. V. Hilbmbidt nr. 313, Häfienunn, Codex difli. AiOuUt. 111 nr, 221.
*) tJikcindrnhitch ili>r SUdt M&hlhxuKn rd H«rqii*1 nr. «0«, Ö3«, TM; HIT «|.
«nbrn in Worm« Kvei Dreinm Hnf Hypothek (UR. d. Sbdt Worm« m1. E^xis II nr IZS)
') tJR. <fln r'ifuil I iir tiV). tU; ÜB. von MQhthiuKn nr, SIT, SQ7. \t)\f>
nicht seltenen Beslimmungen der Statuten über den völligen oder
leilwcisen VermögensvcRJchl einer aiislretenden Begine zeigen,
wie man mit dem Vorhandensein von Vermögen rechnete.
Haben unter solchen Unisländen besonders in der altem
Zeit einzelne Häuser einen exklusiven Charakter angenommen,
«ovon sieb in Strassburg, Frankfurt, Wesel Spuren finden, so
Kegf es doch in der Natur der Sache, dass bei den Stiftungen
mehr und mehr mit der Armut der Aufnmehmenden gerechnet
wurde. Es war dies um so wesentlicher, je mehr die wachsenden
Ansprüche der Klöster diese nur den Töchtern der Wohlhabenden
2i:gängHch machten; riafiir boten aber die Beginenhäuser nicht
die Aussicht auf ein sorgenloses Dasein, sondern legten die Ver-
pfiiditung zur Arbeil auf. Die oben genannte Erfurter Urkunde
von 1257, wahrscheinlich von zwei Begincn ausgestellt, bezeichnet
die von ihnen geschenkte halbe Hufe als durch ihrer Hände Ar-
beil erworben. Allgemein befolgte man den Grundsatz, den die
Statuten eines Konvents zu Wesel 1309 aussprechen: Die Auf-
zunehmende solle Vermögen besitzen oder eine Kunst verstehen. ^
Als solche bot sich am naiürliciislen die von Alters her eine Do-
mäne der Krauen bildende Textilindustrie. Wie wir Überall im
zAnftigcn Weberhandwerk Frauen tätig finden, meist als Lohn-
arbeiterinnen, nicht seilen aber auch selbständig, so tritt das
Spinnen und Weben als ständige Beschäftigung der Beginen auf.
Konnte ihnen dieselbe zum eignen Bedarf nicht verwehrt werden,
so führte dagegen der Handel, den sie mit dem darüber hinaus
Produzierten trieben, frühzeitig zu Streitigkeiten mit der Zunft
gerechtsame, ähnlich wie der mii eigenem Gewächs betriebene
Weinschank der Geistlichkeit fortdauernd einen Zankapfel bildete.
Mit Rücksicht auf den von den Beginen betriebenen Handel mit
U'otlenwaren gestaltete 1282 Erzbischof Werner von Mainz dem
Erfurter Rat, sie zu den bürgerlichen Lasten heranzuziehen, und
die erwähnte gleichzeitige Schilderung des Nikolaus von Bibra
weiss gleichfalls davon zu sagen : Jeiamtnt, vigüant et lanm stamina
fiüuit. Dieser Handel muss eine ziemliche Ausdehnung gewonnen
haben, denn 1332 wird von den Tiichabfallen der Gewandschneider
^ HtUtmanu, Die Tkgiilnwhliiwr W«tcli (Zichr. d. Bcrgliclm Ondiiehtt-
)»7 S. 94>.
und Beginen, die wieder zur Fabrikation venrendet werden, ein
Zoll erhoben, den das s. g. Bibrabüchlein unter die main^ischen
Gefälle rechnet. Den Würzburger Beginen wurde 1293 der Handel
mit selbstgewebten Stoffen vom Bischof freigegeben und in dem-
selben Jahre bei dem Beginenhaus in Wismar ein Bleichplatz er-
wähnt, wie er bei den niederrheinischcn Beginenhäusern die Regel
bildet. Dagegen untersagle 1321 der Rat von Zerbst den Bcgineo
Tuchweberei und -ausschnitt ")
Unbestrittener als diese gewerbliche Tätigkeit blieb das Ge-
biet der Krankenpflege. Sie übten diese teils den Diakonissinnen
vergleichbar in den Häusern aus, wie es aus Frankfurt und Worms
überliefert ist, teils bildeten sie das ständige Pflegepersonal der
Spitäler. So werden in Goslar 1274 und 1295 Beginen als wohn-
haft im Ludwigsspital erwähnt, und das gleiche ist anzunehmen,
wenn 1309 ein Freibcrger Bürger eine Jahresrente an das Spital
und eine Beginc schenkt. Das 1351 za Braunschweig gegründete
Spital S. Jodoci hatte Beginen als Pflegerinnen, und in Hildesheim
wird später als eine ihrer Niederiassungen das Joliannisspital ge-
nannt Daneben wird auch, z. B. in Wesel, erwähnt, dass sie sich
armer, besonders verwaister Mädchen angenommen hätten. ^)
Da den Beginen nur sittliche, keine besondere Ordens-
pflichten oblagen, waren ihre Statuten, besonders in früherer Zeit«
sehr einfach. Zu den ältesten erhaltenen gehören die des von
dem Wormser Bürger Gudelmann gestifteten Hauses von 1288,
die Braunschweiger von 1290, die Halberstädter von 1302 und 1316.
die Hildesheimer von 1326, die Weseter von 1309 und 1326.'^)
Teils von den Stiftern unter Konsens der Stadtbehörden, teils von
den geistlichen Autoritäten, vornehmlich den Bischöfen erlassen,
pflegen sich diese altern Ordnungen kurz über die Eigentums-
verhältnisse und das Zusammenleben der Schwestern zu ver-
breiten. Strenge Gemeinsamkeit des Besitzes, die sich meist auch
'i Un. von r.rlurt I nr. 325; Cai-nun uitiritttm r. 1614; Kixchlioff. Die ältcilen
'VdMUaCT der Stadi Erfun, 1170 5. 113; Roit, B«evincn \m FflnUnlum WQT7bai|[, 18«1>
S.3Z; McklmliurB ÜB. lU nr. »17: Pctn BcchcrtChroiilk von Zcrbsl cd. KJiidKli« S.IIO
■) Urkundcnbucb il. Stidl Oo«lar cd. Bode II nr. ^»3. «ei; Urknndcnbuch d. Sudt
FrribCTS «d. EnniKh iCod. dipl. $axoH.\ 1 nr. »: Dfine. Owdikhk der SUdt Braun-
tdiwrig S. S06, Hcidcmann a. a. Ü. S. 87.
») ÜB. V. WonitE I, X>üm L a. O. S. 5«, ÜB. vtn HalbcnUdC nr. 294, W».
ÜB. VOB KUdnheim 1 nt. 374, 771; Heldcmvin a. i. O, S. 03, 91.
Dm ßegincnwcsen der siclisisch-tlifmngischen Lande elc. 41
auf das Vermögen der Austretenden erstreckt, wird eingeschärft,
und die stets wiederkehrende Ermahnung zur Friedfertigkeit nebst
Androhung der Ausstossung zeigt, wie deutlich man die Gefahren
des gemeinsamen Haushalts erkannte. Auch auf die Abwendung
sittlicher Gefährdung war man früh bedacht, wie es die erwähnte
Erfurter Schilderung ausspricht:
DicUe begine: soror esto dornt, quia Dine
Si dam sedisset, noit vis iUata fuisset
Sed nee aähuc ßerei, quod virginitate carertt. ")
Die Ausgänge der Schwestern und das Betreten des Hauses
durch Männer unterlagen daher strenger Kontrolle. Zur HancJ-
liabung der Disziplin war eine Vorsteherin unter dem Titel
Meisterin bestellt, welche die Hausgenossinnen in der Regel selbst
vählten, wie sie sielt auch durch Kooptation ergänzten. Trotz
aller Vorsichtsmassregeln waren ärgerliche Vorgänge nicht zu ver-
hüten, und schon 1244 griff eine Synode zu Fritzlar zu dem
drastischen Mittel, die Aufnahme von Schwestern unter vierzig
Jahren zu verbieten, *ovon der Frzbischof von Mainz 12QI die
Frankfurter Häuser ausdrücklich cnlband. Die Schilderung frci-
licb, welche der Erfurter Kleriker Nikolaus von Bibra von den
dortigen Zuständen entwirft, entstammt in ihrem pastosen Farben-
auftrag wohl grossenteils seiner auch sonst bekannten Neigung zu
behaglichem Cynismus. ") Nachdem er das eingezogene Leben
der frommen Beginen gepriesen, geisselt er die andern, die sich
iiinhertreiben, auf dem Markte, in den Klöstern und in Gesell-
schaft der Schüler zu finden sind :
//«■ declinarr discant et tnetm pamre
Sed neqae spondeam curant nee habere trocheum
Tertias anciUis taniam pes congntit Ulis.
Hoc, bene si recolo, cudant pede carmina soio.
Wenn er des weiteren auch vor der Ausmalung der Folgen
- Aussetzung und Kindesmord nicht zurückschreckt, so stand
«■ mit solchen Anschauungen keineswegs vereinzelt da, denn eine
ileiehzeitige Satire bemerkt mit drastischer Trockenheit:
") CarmtH Utir. t. 12M, itOS, Vomde S- 21, Ced. ttipt. Mte>i«Jhiitt^ ed.
ßttwS. »2,
i
Vix eäam quevis steriUs nperitur m Ulis
Donec eis etas taiia passe negat.
Indessen waren es keineswegs diese wie es scheint doch nur
ausnahmsweise hervortretenden sittlichen Mängel, welche im vier-
zehnten Jahrhundert die Obrigkeiten zum Vorgehen gegen die
ßeginenhäu&er veranlassten, sondern vielmehr ihre selbständige
Stellung gegenüBer der Kirche. Von Anbeginn halten ihre An
gehörigen zwar auf strenge Erfüllung der kirchlichen Pflichten
gehalten, der Gei&ttichkeit gegenüber aber durchaus ihre Unab-
hängigkeit gewahrt und dabei die Unterstützung der Kommunal-
behörden gefunden. Wurzelten doch diese Anstalten recht eigent-
lich in städtischem Boden, von reichen Bürgern gestiftet und 7U
Zufluchtsstätten für Stadtkinder bestimmt Es findet sich daher
auch nirgends eine besondere Ordenstracht der Bcgincn, denen
nur die äusserste Einfachheit geboten war, wie sie sich bei der
häufigen Verwendung selbs^efertigter Stoffe von selbst verstand.
Die Bezeichnung graue oder blaue Schwestern weist auf Bevor-
zugung dunkler Farben, daneben werden weisse Kopftöcher er-
xpähnL Zunächst fand sich die Kirche mit dem ab, was Ihr ein-
geräumt wurde. Die Magdeburger Synodalstatuten von I26b
fordern von den Beginen nur Gehorsam gegen den r*farrer ihrer
Parochie gleich den übrigen Pfarrkindern — ein Beschluss, auf
welchen noch 1295 Bischof Bernhard von Meissen die Pfarrer
seiner Diözese hinweist. Bischof Siegfried II von Hildesheim
nimmt 1281 'den dortigen Konvent Meienberg in seinen Schutz
und sein Nachfolger Otto II, nennt dessen lns;issen 1326 diledae
in Christo fiUae. ")
Der innere Grund für die Verfolgungen, denen wir die
Beginen kirchlicherseits im vierzehnten Jahrhundert wiederholt
ausgesetzt sehen, war wohl die Verschärfung des VerEiältnis&es
zwischen Klerus und Bürgerschaft, deren jeder seine Interessen-
sphäre auf Kosten des anderen zu erweitem strebte. Mit zu-
nehmender politischer Reife wollte die Stadigemeinde nicht mehr
eine Sonderexistenz in ihrer Milte dulden, daher die Bemühungen,
der toten Hand zu wehren, den Klerus zum Ungcld heranzuziehen,
»I Lanl£. Reictuarchiv XX S. 3», Urkurtdmbuc}i dn Hochniftt Mducn «I. Ocn-
dorl, Cprf. d^l. Sa*. 1 »[. 317. L'B. *. HlMetheim I nr. r4, 771.
äbrr Kirchenvermflgen und Schule sich die Kontrolle zu sichern.
Oefien die ßeginenliäuser, die vom Rat geschützten und in breiten
Kreisen volkstümlichen, bot eine Handhabe der gefährliche Vor-
uiirf der Ketzerei. Allerdings mussten in Zeilen, da alles geistige
Letttn nach der religiösen Seite gravitierte, diese abgesclilossenen
VereinigJingen religiös gerichteter, aber durch keine Regel ge-
bundener Frauen allen Gefahren des Konvcntrkelwesens ausgesetzt
sein. Die schwärmerische Mystik, welche damals die Gemüter
beherrschte, mussic bei der geringen Bildung der Mehrzahl einen
tmklaren Charakter annehmen und dem Einfluss von allerlei nicht
immer unbedenklichen Sekten, wie der Brüder des freien Geistes,
den Boden bereilcn. Kaum aber hätten bei dem zurückgezogenen
Leben der Beginen diese Beobachtungen zu einem so schroffen
Voi^hen gegen sie geführt, wenn man sie nicht mit den Be-
^rden zusammengeworfen hütte, die weit später auftauchend und
ungleich geringer an Zahl, gleichgerichtete Vereinigungen von
Männern darstellten. Keineswegs in dem Masse wie die Schwestern
einem sozialen Bedürfnis entsprechend, sind sie weit häufiger auf
Abwege geraten; wir hören Klagen, dass sie im Lande umherzogen
und in heimlichen Versammlungen ihre Irrlehren vortrugen, so-
dass man Idrchlicherseits dahin gelangte, sie als ketzerische Sekte
gleich andern zu betrachten. Von dieser Auffassung geleitet ver-
dammte Papst Klemens V. auf dem Konzil zu Vienne die Irrtümer
der Begarden und Beginen. Danach lehrten sie, dass der Mensch
Khon m diesem Leben zu solcher VoElkommenheit gelangen
könne, dass er nichl mehr zu sündigen vermöge und dem
Körper gestatten dürfe, was ihm gefiele; der Kuss einer Frau sei
Todsünde, der Geschlechtsakt aber nicht, weil zu jenem die Natur
nicht neige, wohl aber zu diesem.'*) Indessen war sich die Kurie
*ohl bewusst, dass solche Ausartungen einzelner der grossen
.Mehrzahl nicht zum Vorwurf gemacht werden konnten, und Papst
Klemens V. wie Johann XXII., als er I3I6 die Konzilsbeschlüsse
von Vienne verkündigte, nahmen ausdrücklich diejenigen Beginen
die ehrbar lebten und der Kirche Achtung erwiesen. Es
im überall darauf an, ob sich tn den einzelnen Landschaften die
■n 1(1 Wits^, UikundUche MiMdluni[tn Gbcr die Bt^hincn- und ScglurdtnhlaKr
n RMiacb. 18R.
J
r
Neigung und die Macht und, von der gebotenen Waffe Gebrauch
zu machen, und das wird naturgemäss da der Fall gewesen sein,
wo eine grössere Anzahl der Angefeindelen die Opposition heraus-
forderte. Dies war, wie wir gesehen haben, in Niedersachsen
und Thüringen der Fall, und es sind daher auch Verfolgungen
bezeugt Zum Jahre 131Q berichtet die Magdeburger Schftffcn-
chronik: utn dissem jare verbannede man die beginen iinde
baggarde, des nenien orer vele knechte und man, de vor kusch-
heit hatten gelovet.'*) Man scheint sich also mit der Auflösung
der Konvente begnügt und diese nicht sonderlich nachhaltig be-
irieben zu haben, da fünfzig Jahre später der Übereifer eines
Ketzerrichters auf demselben Boden neue Nahning fand. Es war
der Erfurter Dominikaner Walter Kerlinger, der, vom Papste dazu
besteiK, in seiner Heimat eine erbitterte Verfolgung gegen die
vermeintlichen Ketzer ins Werk setzte. Im Jahre I36S liesscn
sich nach der Erzählung in Delmars Chronik von den vierhundert
in firfurt lebenden zweihundert zum Austritt bewegen, die andern
verfielen dem Bann und der Vertreibung, zwei Begardcn wurden
verbrannt. Mit gleichem Erfolge setzte der Inquisilor nebst drei
Ordensbrüdern seine Tätigkeit in der magdeburgischen und
bremischen Kirchen provinz, den thüringischen, sächsischen und
hessischen Landen fori In Eisenach verlieh im selben Jahre der
Landgraf Friedrich Balthasar und Wilhelm das Haus Tabernakel
in der nach ihnen benannten Nonnengasse, »daraus der Konger
- offenbar verderbt aus Kerlinger , der Kelzermeister die
Beginen hat vertrieben," einem Pfeifer. Das Jahr darauf soll
nach Korners Bericht der fanatische Mönch zu Nordhausen sieben
Ketzer haben verbrennen lassen und über dreissig Bussen auferlegt
haben. Kaiser Karl IV. war mit seiner Wirksamkeit so zufrieden,
dass er ihn in einer am 10. Juni 1369 zu Lucca ausgestellten
Urkunde ermächtigte, die Häuser der ßegarden zu Untei-suchungs-
gefängnissen zu verwenden, die der Beginen lu veräussern, teils
den Inquisitoren, teils den Armen zum Besten.") Oanz andeis
als die höchste kirchliche und staatliche Autorität war aber offen-
bar die Volksmeinung gesonnen. Sie klingt aus der Erfurter
^ Mas^buratt SchAfIciK-hronIk ed. I>mcfc«, Seile 1T4.
•) I harinipwJie Zcilichrifl IV, S. 327, Wiager ». i. O. Anhang.
Das Beginenwesen der s3cfasisch-thiiritigische'n Lande etc. 45
I
S. Peterschronik wieder, die Pabst Clemens auf seinem Sterbe-
bette 1314 sein Vorgehen bereuen lässt,'*) und Detmar bemerkt an-
iässÜch der Verfolgung von 1368 gradezu: »De lüde Heiden mer
von en dan van aller geistÜken achte; des wart men wol war,
Jo men se vorhorde."
An ihrer Volkstümlichkeit fanden die Bcginenkonvente den
Rückhalt, der sie die Stüirme der Verfolgung überdauern liess.
Der sicherste Beweis dafür ist, dass fortwährend neue Häuser
stiftet wurden; aber innerhalb derselben scheint sich eine Ver-
liebung derart vollzogen zu haben, dass sie ausschliesslich zu
Armenversorgungsan stalten wurden. I3QQ wurde zu Neustadt a. H.
ein Beginenhaus ausdrücklich für arme Schwestern gestiftet, die
um Brod gehen und am Rocken spinnen sollten/O und der
Lübecker Totentanz von 1496 lässt die Regine sprechen: Do
mtne vrunde my nicht konden ryke beraden, do niakeden se van
my eine baghinen. Durch die fortgesetzten Zuwendungen von
Wohltätern bei festgelegter Mitgliederzahl gelangten trotzdem die
Konvente nicht selten zu behaglichem Wohlstande, was bei dem
Machlasscn der strengen Lebensweise zur Entartung führte, sodass
die Reformation ohne besonderen Widerstand mit ihnen auf-
räumen konnte.
Zwar hatte man es päpstlicherseits wie nach der ersten Ver-
folgung für nötig befunden, den Übereifer zu zügeln, und in
zwei Bullen von 1374 und 1377 nahm Gregor XI. die ..Armen
beiderlei Geschlechts™, welche durch sittliche und religiöse Führung
keinen Anstoss erraten, in Schutz und beFahl den Bischöfen, sie
nicht wegen ihrer Kleidung belästigen zu lassen.") Indessen
scheint doch das Vorgehen des Erfurter Dominikaners in Sachsen
und Thüringen dem Institut die Wurzeln abgegraben zu haben
- die Nachrichten werden spärlicher, vor allem in Erfurt selbst,
und nur die Hildesheimer Häuser scheinen einigermassen die
frühere Bedeutung gewahrt zu haben. Es bestanden dort bis jeden-
falls Ende des fünfzehnten Jahrhunderts der alte, der neue Konvent
und der im johannesspita). Sie scheinen sich in günstiger Ver-
mögenslage befunden /.u haben, denn in allen dreien erwerben
<^ Mmium. Efpbr^fiui. ed. Holder-Eüxer.
*^ RcBlInc, Utknndcnbueh der BiKhüfc tu Speytt 1 nr. CT9.
■«
F
46 G«ocg Liätc
Mitglieder Leibrenten, 1422 im ersten, 1448 im zweiten, I4Ü4, 1419.
1464 im dritten. Auch mit der geistüchen Oberbehörde haben
sie sich zu stellen gewusst, 1442 erteilt Bischof Magnus Ablas»
für die zur Ausbesserung ihres Hauses Beisteuernden.") In
Halbcrstadt erwähnt 1442 ein Vermächtnis auch Schwesteni, ver-
mutlich Beginen, und 1465 verträgt sich das HaulssUft mit dem
Rat und den Beginen über Wiesen in der faulen (jetzt Pfahl->
Q&sse. In Magdeburg wird im fünfzehnten Jahrhundert noch
eines Beginenhauses in der Jakobsirasse Erwähnung getan, von
dem sonst nichts bekannt ist, in Halle lag ein solches 1408 hinter
dem Predigerklostcr'")
Soweit die spärlichen Nachrichten Schlüsse zulassen, scheinen
die Beginen ihre hergebrachten Beschäftigungen beibehalten zu
haben; sie werden 1408 in Halle Klunkemonnen genannt, weil
sie sich dürftig mit äpinnen nährten und eine 1465 von den
dortigen Webern erhobene Beschwerde wegen Oewerbschmälerung
nennt zwar die Schwestern von der dritten Regel des heiligen
Franziskus, aber eben diese haben die Beginen vielfach angenommen.
Ahnliche Beobachtungen lassen sich anderswo machen. 1527 be-
stätigt Kardinal Albrecht die Stiftung eines Beginenhauses zu
Aschaffenburg mit der Erlaubnis zwei Webstühle zu halten, da-
gegen wurde den beiden Beginen klausen zu Friedberg das
Weben im sechszehnten Jahrhundert untersagt*") Ihre Tätigkeit
als Krankenpflegerinnen ist ausdrücklich bezeugt im Hildesheimer
Johannisspital; sie sollen über vierzig sein und gleiche, nicht
grüne oder rote Kleidung tragen. In den eraähnten Aschaffeu-
burger und Friedberger Ordnungen ist dafür eine bestimmte
Taxe vorgesehen: 12 Pfennige, bezw. ein Turnos für Tag und
Nacht In Breslau waren dafür 3 Groschen und die Kost an-
gesetzt Naturgemäss schloss sich an diese Aufgabe die weitere,
die Verstorbenen zu geleilen, mit der wir die Beginen schon früh
betraut finden. Wohl hierauf bezieht sich die drastische Mit-
teilung aus Freiberg, wonach zwei Büi^er in Strafe genommen
'^ ÜB. von HiMnlidm lEI nr. 102S IV nr. 695. 111 nr. 127, 6ST; Slailunrhi«
HuRDVET, ÜomfUlt hiltlnhirlm UKW; ÜB. von HlliloticJm IV itr. »9.
•^ ÜB. von H.ll«r»udl m. VU. 1017, MajEiItburipi OwchichWbläJt« 11 5, 26, *6T.
^ St. A. Mtetleburc emtltl A II 150. May, Kaidiiul Albmhl 1. bcilact iU,
Vlnilhaiii Kirche und Schul« tu FtiMiberg (Ardiii 1. hn*. Oe*ch. I8M.)
*
>
I
I
werden, weil sie die Bcgiricn «den hunUlegern (Schindern) gc-
glichel haben.'") Von Euienspiegel berichtet das Volksbuch von
1515, dass er zu Mölln im Spital zum heiligen Geist von Begincn
gepflegt und begraben worden sei, vor seinem Ende aber noch
eine geärgert und befriedigt gesagt habe: «Es Ist keine Begine so
andächtig, wenn sie zomig wird, so Ist sie ärger als der Teufel."
Die Neigung der Zeit zu derbem Spott hat den Gedanken-
gang, der im Hlldcsheimer Johannesspital zu der Forderung
vierzigjähriger Pflegerinnen führte, mit Vorhebe weiter ausgc-
sponnen. Geiler von Kaisersberg meint: es ist ein misbrauch,
das die jungen beg^'ncn zu den siechen gond, ja der siech tut inen
not, CS ist war, ist die frau siech, der man ist aber nit siech,
ist der man siech, der knecht in dem hus ist nit siech oder der
Vetter, der zu siechen gat und kumpl lugen, wie er lebe, eic gond
ouch etwan usz essen, es were besser, du schicktest inen heim,
es soll den slab nieman an sich nemen under den frawen, sie
wer denn vierzig jar alt, wicwol ctlich sprechen sechzig jar. Noch
deutlicher ist der grobe Mumcr in der Narre nbeschwörung;
noch bLibi sie dannocht ein begin
und laszt sich schelten junkfrow drin.
imd im Lutherisch Narr:
ich kann mich weder heben, legen
und nit ein glid am leib me regen
ach bestel mir doch ein starke begein,
doch üasz sie müsz ein junkfraw sein.
Dass die Ordnungen der Häuser immer eingehender werden,
ist als günstiges Zeichen für die Eni^ricklung des innem Lebens
nicht anzusehen. Gab doch 1393 Bischof Gerhard von Hildes-
beim dem alten Konvent eine solche gradezu zur Beseitigung
vieler Zwietracht Danach war es schon nötig, die Aufnahme be-
rüchtigter Frauen, solcher mit kleinen Kindern, sowie Aussätziger
ZU verbieten. Wenn in der Bestätigung der Satzungen des neuen
Konvents von 1401 durch Bischof Johann III. den Ausgestossenen
untersagt wird, Oeldforderungen zu erheben, so weist das auf ein
nicht seltenes Vorkommnis hin. Auch sonst kehrt die Ermächti-
^ UB. von HHdcdi«iin n* nr. 391, SchuU, Topogniphic Bmlut (ZdbchrHt f.
wkln. OcKk. X), UR. «nn Freibeit HI.
4S aeoi:K Liebe.
giing nir Ausweisung unfriedlicher oder unsittlicher Elemente
und das Verbot heimlichen Verkehrs ausser dem Hause regel-
mässig wieder. Auch der Tracht schien es jetzt rötig Aufmerk-
samkeit zuzuwenden. Des Verbots für die Beginen des Hüde»-
heimcr Johannisspitals, rot und grün zu tragen, war schon oben
Erwähnung getan, die Lübecker von 143S verbietet das Tragen
von Mänteln mit Kragen, mit denen man viel Luxus zu treiben
pflegte, und schrieb dafür Tücher vor, ebensolche als Kopfbe-
deckung.'*) Was die Koketterie auch aus der Beginentracht
machen konnte, darauf deutet Lauremberg in seinem zweiten
Scherzgedicht:
De Börgerk-inder cvcn in sölker minen
Gehn nu als de verlopene Kl oster- Beginen.
Auch die bei dem Zusammenleben grossenleils ungebildeter
und müssiger hYauenspersonen unvermeidliche Ausartung des
Unterhaltimgslriebes hat frühzeitig Würdigung gefunden. Der
Lübecker Totentanz hält der Begine vor:
Krichstu wat to weten gystern effte huede
Wo drade kumpt dat voert niank de luede.
«Begincntand und Altfrauenschnack" ist eine Redensart vom
Ende des sechzehnten Jahrhunderts, und eine Weseler Ordnung
ging sogar soweit, das Schweigen innerhalb des Hauses vorzu-
schreiben.*") Das bewog wohl auch Braut zu dem Wunsche:
Ach werent sy zu Portugall
Ach werents an derselben statt,
Do der pfeffer gewachsen hat!
Je mehr in veränderten Zeiten das Beginenwesen überflüssig
wurde, desto mehr schärfte sich der Bück für die Mängel der
Einriditung, und die Trägerin des einst ehrwürdigen, zeit«'eilig
angefeindeten Namens wurde zur komischen Figur um so leichter,
da die letzten Beginenhäuser als Altersversorgungsanstalten fort-
dauerten. So wird in Halberstadt noch 1794 ein Hospital zu den
blauen Beginen erwähnt, gestiftet für zwölf alle Frauen, die blaue
Kleidung trugen. Als der Kardinal Lang, Erzbischof von Salzburg
"j UB. V. Hildaheim U rr. 763, lli nr 13, ÜB- der SUdt Lübeck IX,
*i Bnnt, Bdinfc mr BorbtitiuiK aller HuidscIirKtcn ff. 1802. S. 350 1 H«ide-
maus ■. a. O.
Das B^nenwesen der sächsisch-thüringischen Lande etc 49
und vertrauter Ratgeber Maximilians I., auf der Augsburger Fast-
nacht sich als Begine verkleidet unter die Tanzenden mischte,
var es ihm gewiss um den komischen Eindruck zu tun, und
Pamphilus Gengenbach braucht den Ausdruck:
Und leit nit tag und nacht beim win,
So halt man in für ein begin.
Noch 1652 meint der biedere kurbrandenburgische Ingenieur
Schildknecht:
Es hat ein jede Begin im Spittel
Ihren eigen Husten und ihr Qual,
Bis sie der Tod würgt allzumal.**)
»«) Halbmtadter Oemeinnütiiee Blätter 17« 1, S. 156, P. Oengenbich ed.Oödeke
S. 58, ScfaiMkncdit Harmoiüa in fortaliÜU, S. 237.
Archiv fOr Kulturgeschichte. 1. 4
Selbstbiographie des Stadtpfarrers
Wolfgang Ammon
von Marktbreit (f 1634).
Mifgeleilt von FRANZ HÜTTNER.
In der Würzburger Universitätsbibliothek befindet sich als
M. eh. f. 440 eine aus dem Jahre 1727 stammende Abschrift der
Selbstbiographie oder Hauschroiiik des protestantischen Pfarrers
Wolfgang Ammon zu Marktbreit, einer am Main im bayerischen
Bezirksamt Kitzingen gelegenen Stadt, deren Geschichte im Jahre
1864 Pfarrer Plochniann geschrieben hat. Das Manuskript be-
steht aus 51 Folioblättern; am Rande sind die Folien des Originals
angegeben.
Da diese Hauschronik viele kleine interessante Züge ent-
hält, dürfte sie sich zur Veröffentlichung eignen. Der Verfasser
schildert in derselben das Leben seines gleichnamigen Vaters,
welcher 1540 zu Elsa bei Coburg geboren wurde und 1589 als
Pfarrer in Marktbreit starb, das Leben seiner Mutter und übrigen
Venrandlen, sowie seine eigenen Schicksale bis zum Jahre 1633.
Bei der Plünderung und Verwüstung Marktbreils durch die Soldaten
Piccoloniinis 1634 wurde ermisshandelt und starb an den Folgen
dieser Misshandlimgen kurae Zeit darauf, am 22. September 1634.
Von späterer Hand stammen Zusätze, welche in die Abschrift
aufgenommen wurden.
w
I
1] Wolfgang Amnions, gewesenen Caplans, dann Stadtpfarrers
allhicr, Hausschronica.
Hauss - Chronica oder Geschichtbuch, was sich im
Amnionischen Geschlecht denkwürdiges zugetragen, von etlichen
Jahren her, sampt andern Verlauffungen^ so viel ich notirt hab;
dann ich nicht allemal gleich fleissig gewesen. Beschrieben
nnd renovirt von Wolfg&ng Aminonio dem jüngernj Mildienem
am Wort Gottes zu Marktbrait, der damals ins 54. Jahr gieng
anno domini 1625. Psalm 119 vers. 9. Ich hab alles dings ein
Ende gesehen, aber dein Gebot wAhreL
[fol.3.1 ImNamen dcsdrcycinigcn meines lieben Gottes, Vaters^
Sones und heiligen Geistes, hochgelobet in EwigkelL Will ich,
der Autor oder Schreiber diess Buchs Anfang machen und nehmen
iron meinem lieben Valtern,, afs von deme nächst Gott ich das
Leben habe. So ist nun gemeldter mein Valer <M. Wolfg.
Ammonius) zu Elsa geboren, welches ein Dorff ist, in Coburgischer
HcnrechaffI gelegen, ein Viertelmeil von Rothach oder grosse Mcil
ron Coburg gelegen im Grabfcld, Anno 1540. Sein Vater hat
geheissen Jacob Ammon, sein Anherr Georg Ammon, sein Aiifrau
Cbristina, der Geburt eine Reumannin, sein Mutter Catharina
{deren Vatier Claus Kob und Calharina die Mutler eine Blömingin
von Geschlecht), wie solches alles sein Gcburtsbrlef Anno 1587
den 14. Deccmbris zu gemelciten Rotha datirt, ausweiset.
(In demselben stehen unter andern diese Wort: Er habe
von seinen 4 Anherrn hero keinen Schiffer, Schinder, SclioÜem,
Schergen, BDtel, Pfeiffer, Bader, Badstwbcr). In der h. Tauff ist
ihm der Name Wolfgangi (fol. 3] gegeben worden.
Als er nun verständig worden oder zur Schulen gehen
kennen, ist er täglich gen Rotha, meines BehaUens, in die Schul
gaagen, uff 3 Jahr lang, niittags drinnen bheben fBl, 2'] und mit
Eyero sich beholfen, hernach gen Coburg in die Kost verliehen
nd da shidirt mit Alatlhaeo Hecklino, so mit der Zeit Pfarrer
ro Domheim worden. In seiner Jugend Anno 1560 hat er einen
bösen Schenkel bekommen und von einem Bauersmann sich wieder
enrircn lassen im Dorf Horb (östlich von SonnenfeldJ, der einen
gulen Wundarzt geben und ihm die Hüffl eingerichtet. Ist deni-
4-
1
33 famt Hfittoer.
nach bc)- der Mutter daheim geblieben und 2 Monat vom Studirn
abgehalten worden.
Eben in diesem 1560. Jahr und im Monat Alajo ist er,
nach verlassener Coburgischcr Schul gen Hof ins Voitland kommen
mit Johanne VC'olfio und |(ol. 4] Andrea ZTingero und an M.
Johannem Streilbergcr'). zum Hof-Pfarrern und Superintendenten
[darüber steht Collegam scholac meines U'issenspj (so hernach
Dodor worden und Superint zu Culmbach), %'on M. Nicoiao
Culrobacher wrschrieben, ein armer Schüler gewesen, umbs Brod
mitgesungen, ein Vettern Ocorg Helmut da gehabt.
Seine praeceptores waren: M. Johann Streilberger, Jacob
Schlemmer, Laurentius Codmann (dcss Salomoms Codomanni des
allem zu Kitzingen, weiland Dccani [er war dort Dekan 1393-1622]
Vatler), welcher hernach ein Pfarrer und lezlich Superintendent
zu Sdiönfcld, M. Christoph Cadesrculcr (der auch mein Rector
gewesen). Aber er hat sich, inmassen ers selbstcn hernach so
schrirftlich so inöndlich beklagt, seine Gesellschaft lassen bereden
und gen Dressdcn kommen mit obgcdachten Oefehrden, allda er
Tobiam Möstehum Rectorem gehört, und ihm wegen der Poeterey
lieb gewesen. Anno 1561 am andern Ostertag ist er mit Zwingcro
weggezogen und gen Altenbiirg kommen, hernach in Böhmen
zum warmen Bad mit Mezlcro, Canjore Aldenburgico, gezogen,
und haben 4 Tag gebadet. Anno 1561 13. Octobr. gen Witten-
berg kommen und sich deponiren») lassen mit seinem Gesellen
Mcdlero, Johann Talhamcr Eicyrcn, VC'oIfgang Möstel von der
Weiden [Weiden, Stadt in der Oberpfalz], des Rectors zu Dressden
'iVgl, ithtt thit Drilrige lur tnycriKhm KiKheti(eKhichle. htr. v. [>. Theodor
Koldc}, N Ann. t.
Mag Joh SltritbcracT aut Hof, (tadi«r1c in Wlttnfbn-g lintcrib. Sommenem, im,
rOnlen. tl«; UiCMiturnit IU8, Käilliii iU. 11. wll 1 5JS Ulilcon an St. Vaiit) in K«ub-
horj;, tn Mnticn Kl'rbe. iltwcn Sdiwlcjfnahii ^^ wurtr; winde 0. ftbr 15*1 In Vitien-
b^TE Magister ; IMS folctr n wincm Schwietciralcr lufli ßruimch'w>rie unil itub tO. April
IdOI. 8S iahn alt, aU Ptimr und Ocn«al»uperiRteBdcni in Culmbach.
') V<l,frm«i4, TI Anm. I SiipfrlriWiidcnl In Mol 1553-l5JiT Vgl. nodi riclenwliw,
Od. FAninii. Balrant. Bd. IK. 89-4), wDKibft auch dl« k\«n Litcnnir btrsclaiclilicl
in. Dmu d^p HioKrapMc Slftilbetfcn von tttgru in .Archi* f. 0«tclg. u. AlinUimik. v.
Obertt. V], BJ, 2. Mcft t8W.
*) B«lli. Kl, 3J8, Anm. S: Die Orposlllcn hlw die Pdcrlichkeit. durtli vciche
die neu HijtekQininnca Sturfwi»« unicr «llerici, luni Tfll lldierlltien Certtuonlcit
von cinon d»u besldllcn Depouitor in die Würde drr aktüctnlKhcn Bürger utf-
Kinonincn viirden.
Sdb6tbio{;raph[e des Stadlpfarrcn; Wolfgang Ammon etc. ^
1*=
Brüdern. Isl ins Studenlenbuch oder Matricul eingeschrieben von
f ^1, 3] Herrn Doctore Georgio Majore, der h. Sclirlfft Professore,
v^rmOg habenden Zeugniss. Diesser damals Redor hat Ihme,
*m «inem Vattern eingcraihen , er soll sich nkhl mehr Ammoncni
lenia Deklinatione schreiben, sondern Aninioniun] in secunda,
d^m ist bissher gefolget worden.
Anno 62 24. Sept., dieuteil er die Liifft zu Wittenberg nit
r^STtragen können, da schwach worden und clislirt worden, koninit
e»- gen Jena, mit Johann Veit, Diacono Ummerstadiensi, wird
ii.s».i3uf in die Matricul einverleibt, den 25. Sept. von Herrn Doctor
Jol-iann Schröter, Medico und Rectore. Anno 1564 zeucht er
'>^m<derum nach Wittenberg mit Georgio Fabro, kommt an den
2e>. OcL
Anno 1565 23. Aug. wird er Magister zu Wittenberg und
at unter 21 den 13. locum. Caesius, der Calendennacher, hat
|d«:»i 12. Besiehe das Testimonium, so schön [fol. 7].
Die Namen deren, so mit meinem Vatter Magistri worden,
ttnier dem Decano M. WoHgango Zeisero Fuldensi Wittenbergae.
1- Andreas Trankenberger Memingensis. 2. Joliaunes Meischncr
Vratislaviensis. 3. Johannes Bochmanniis Jcnensis. 4. Gcorgius
Cunchius Pomcranus. 5. Jacobus Söldner ülauchensis. 6. JacQbus
Rolchius Pc'irnensis, 7. Reinerus Rcincck Steiriheniitis. 8. üeorgius
Spalatimis Amstadensis. Q.Johannes Crato Bcnconcnsis. 10. Oolt-
Wdus Rechter Hallensis. II. Caspar Ludovicus Hamnionensis.
12. Qcorgius Caesius Rolenburgensis. 13. Wolfgangus Ammonius
Cohirgcnsis. 14. Vitus Soldin Gcmingcnsls. 15. Samuel Winck-
l*nis Torgensis. 16. Juslus Mollcrus Hamelensis. 17. Johannes
Nuberus Hilpcrsteitiensis. IS. Paulus Pcler Albnrgcnsis. 19. Rupcr-
tiB Wilsius Cygneus. 20. Philippus Küngcr Tuttcrstadicnsis.
% Andreas Laborator Caritithius.
II. y.] Anno 1566 3. Novembr. wird er zur Pfarr Weidelbacli [im
Amtsgericlit Dinkelsbühlj^ so marggräfisch worden^ als der 1.
evangelische Pfarrer daselbst, zu Onolzbach ordinirt von nach-
folgenden Kirchendienern: Herrn Georgio Kargen, Johanne Baptisti
Lechelio, Johanne Unfugio, Georgio Grcnner, Georgio Kellin,
Johanne Scojiio, Woifg. Früschei; und hat der Herr Kargius das
Testimonium eigenhändig geschrieben.
54 Franz Hötner.
(fol. 5] Anno 1567 10. Maitii, Montags nach Mitfasted, hält er
Verl^niss mit mdaer Mutter Maria, Herrn M. Wolffgangi Jangens,
TCfonnirtcn Stifftsdechants (1563 dAs Sdft aufgehoben) zu Feucht-
«angen ledigen Tochter; copulin sie biss auf fernere Priestershand
M. Balthasar Hillenmeyr, Prediger und Superintendens zu Feucht-
vang:
Anno 1567 224_Aprit. Dienstag nach Jubilate, haben sie ihr
hochzeitlich Fest celebrirt Brautführer sind gewesen M. Johann
Tettclbach und M. Johann Götz, hat sie zusammen gegeben
H. Simon Priester.
F.pithatamium oder Hochzeitvers hat ihnen geschrieben, so
ich gedruckt für»eiscn kan. M. Johann Schirmer, derzeit Pfarrer
zu Feuchtvangen, so hernach gen Kitzingen kommen und im
Wasser ertrunken.
Die Jahrzahl stehet auch in diesen Versen:
VergILIIs ortls Christo LVX aVspICe fVLsIt;
JVnCta Vbl Volfgango Vlrgo Maria Vlro.
Anno 1567 2. Dec hat er die Pfarr Weidclbach, weil er
gern shidiren wollen und im Dorf nit Gelegenheit gehabt, mit
Rath seines H. Schwehers selbsten resignirt und den 7. dilo ein
gut Testimonium bekommen von Friederich Alexandem von
Seckendorff, Marggräfischen seinem Araptmann, und Herrn Bal-
thasare Htlkmeyem, seinem Superintendenten, den 30. Dec noch
ein Zeugniss erhoben, vom tonisch herrischen Vogt Jacob Hartmann
zu Danckelsbühel, der ilmi die pfärrliche Einkommen gereicht
binher. Darauf zu DünkelsbQhcl der evangelischen Kirchen
Helfer oder Diaconus worden und blieben 1 1 Jahr 6 Monat bei
H. Johann Knaucrn und M. Thoma Venatorio.
Er hat mit meiner Mutter gezeugt nachfolgende Kinder:
Anno 1568 29. April Donnerstag nrcne Zwilling gebom, I. das
eine Kind Samuel genannt worden und aus der Tauff gehoben
von besagtem Herrn M. Johanne K'iauer, Neuburgischen geliehenen
Pfarrern zu Dinckctsbühl.
II. Das ander ist Catharina, nach seiner Frau Doden Catha-
rina Drechslin, einer Geschlechterin, genannt. Sind von Geoi^o
Stifftenbergem, Pfarrer zu Segering (Segringen im Amtsgericht
DinkelsbÜlil), getaufft und beede verschieden.
III. Anno 1570 IQ. Jan. Donnerstag um 2 in der Nacht isl
Oiharina, die andere diess Namens gcbom, darauf des Tags um
7 hör von Herrn S\. Johanne Knauer getaufft, von vorbesagler
Drechslin gehoben. Der Schwehervatler, als thtn solches referirt.
giebt dem Botten über den Lohn G Xr zum Bottenbrod. [fol. 6]
Da dicss Kind noch nicht zwey Jahr alt, verscheidets Anno 1571
18. Aug. Abends um 6 Hör. Die Jahrzahl stehet in diesem Vers:
Nata Mihi LVDens obllt Katliarlna sVaVIs.
tV. Anno 1572 7. Jan. bin ich, Wolfgangus Ammonius gc-
born, davon an seinem Ort
V. Anno 1573 6. Novemb. Freilag Daniel nach 1 Uhr in
der Nacht, M. Knauer laufft ihn, Daniel Teller, ein Kaufherr,
hebt ihn, welcher den 5. Martü Anno 74 verschieden, Freitags,
seines Alters in der 17. Wochen.
VI. Anno 1577 23. April, Dienstag nach Misericordias, Maria
Catharina geborn, Abends zwischen 5 und 6. Taufft sie Herr
Stiffenberger, Pfarrer im Closter Roth. Hebt sie aus der Tauff
Frau Catharina Drechshn.
VII. Anno 1579 10. Maji Sonlag Jubilale frühe ein wenig
nach 3 Her, im Zeichen Scorpion, Eupluosyna. Taufft sie Johannes
Salzer, der neue Caplan oder Helfer, hebt sie Frau Sibylla, Herrn
Doctor Lucae Beckers, Rechtsgelehrten und Beisitzers im Cammer-
gericht, Haussfrau. Ist verschieden 23. Juüi die-ss Jahrs zu Mark-
brait, frühe um 4 Em Neumond {als sie gelebt 10 Wochen
3 Tag).
VIII. Anno 1581 I. Julii Samstags Sophia um 3 Hör gegen
Abend zu Markbreit geborn, durch Adam Angermann Capelian
(Plochmann, Gesch. v. Marktbreit S. 99] getaufft, hebt sie aus der
Tauff Herrn Johann Orts, Schuldheissens Haussfrau, verscheidet
Anno 83 21. Sept
IBI. 4*1 IX. Anno 15S3 Georg Ludwig den 27. Jul. Abends zwischen
10 und II Samstags im Zeichen K- Taufft ihn folgenden Tags
um 4 Adam Angermann, hebt ihn Matthes Jahn, Vogt anstatt des
»olgebomen Herrn Georg Ludwig von Seinssheim Freyherms
[geboren 26. Jan. 1514, in den Freiherrnstand erhoben 15. März
1330]. Von dicssem Sohn stehet mehr unten.
56 Franz Hattner.
X. Anno 15S& 26. April frühe zwischen 4 und 5 Barbara,
Dienstags nach Jubilate, an S- Albertstag (an welchen Tag ebe»
vor 19 Jahren die Ehern Hochzeit gemacht zu Feuchlwangeii).
Ist aus der Tauff gehoben von wolehrn gedachts Herms von
Sainssheim Gemahlin Barbara von Hessberg in der Person. Von
dieser Tochter stehet mehr unten.
[fol. 8.] So ist nun mein lieber Vatter Ammonius ein recht
gelehrter Manu gewesen, wie er von vielen Gelehrten das Zeug-
niss hat, ist ein guter Poet [Plochmann, Gesch. v. Marktbreit S. SSJ,
wie sein lateinisches Gesangbuch, Odae ecciesiaslicae genannt,
ausweiset fwelches er Anno 1570 angefangen zu machen); auch
ein trefflicher Linguist und Sprachenkundig gewesen, deme der
alte Herr H. Georg Ludwig von Seinssheim die grosse Künigliche
Bibel mit vielen Sprachen zu tliren erkaufft und geliehen; auch
ist ihm die Profession der hebraeischen Sprach zu Jena ange-
boten worden, welche er aber abgeschlagen wegen seiner ange-
sponnenen Wassereucht etc.
Anno 1579 ist er den 10. Julii mit seinen Weib und Kindern
gen Marktbreit als Pfan-er ufgezogen , nachdem er zuvor seine
Probpredigt am andern Pfingsitag da gehalten und mit vielen
anschenlichcn conunendalionibus ausgcrijstet gewesen, die beste
aber bey sich selbst gehabt im Busen.
Den 9. Julii uffgcbrochen von dem Ort, da er 10 Jahr und
6 Monal der Kirche gedienet. Hat sich als einen eiferigen Lehrer
erwiesen, aber bey vielen seiner Zuhörern und Collegis schlechten
Dank verdient. Doctor Ruprechten, der bey 3 Jahren nicht hie
communicirl, nil (BK 5] wollen zu Gevatter stehen lassen und
darum mit ihm rechten müssen, welches die alte Frau von Seinss-
heim [geb. V. Hessberg], ein Gevatterin, verlegt, doch endlich
gewonnen und gcmeldten Doctor aus dem Flecken bracht.
Anno 83 3. April ein schön Wappen, wie der Brief aus-
weiset, erlanget, von Paulo Melisso, Gönnte Palatino. Darüber
«r mein Valtcr (seliger) diese Vers weiland gemacht:
In insignia M. Woifg. AmmonÜ Elsani.
Prima manus nianui juncia et quando, auspice Christa
Adducia est prinio teniina prima viro.
Namquc E'v-ac dcxlrani dextrac commisit Adami
Selbstbiographie des Stadt pfarrers U'olfgang Ammon etc 57
)l. 9]
Et dextrae sacrum pondiis habere detlil.
Haec ait et fidti servandae tessera firma
Et certum veri pignus amorts eriL
Dextra igilur dextrae connexa antiqiia parenlum
In paradisiaco Signa fuere statu.
Talia et Ammoniae sunt dara insignia gcntis,
Niniirum dextrae dextera juncta manus.
Que rapta sunt firmae fidei monumcnta tenendac
Et larga gentis de pietate monent
Christe, fidem semper pia gens tibi servet; alumnutn
Alme tua dextra prolege, conde, fove.
Daraus dann sein gottesfürchtiges lieb-, ehr- und lugcnd-
reiches Herz zu selten; aber mehr nicht, damit ich der Sachen
nicht zu viel gethun haben scheine.
Anno 68 26. Jun. hat er ihm ein Fontanell an dem rechten
Schenkel sezen lassen und alle Tag ein Erbs in das Loch ge-
legt Den 9. Sept. diess Jahrs noch ein Loch in den andern
Schenkel machen lassen, weit die Geschwulst und Wassersucht
ihm heftig zugesetzt.
Anno 1589 26. Januar ist er in wahrer Anruffung und Bc-
kenntniss Jesu Christi entschlaffcn, alt 49 Jahr. M. Nicol. Bauch,
sein Coliega [von Eibelsladl, Pfarrer 1589—1597), hat die Leich-
predigt gehalten. Der gar alte Herr von Seinssheini [geboren
1514, 1 15Q1) ist persönlich dabei gewesen und hat geweint, dass
ihm sein sanimets Häublein vom Haupt herabgefallen, hat auch
diese Wort verlauten lassen: Ich hab wol Sorg, ich bekomme
mein Lebtag keinen solchen Pfarrer mehr.
(Bl. S', fol. 10] Es wird mehr gemeldtes meines Valters sc), auch ehrlich
gedacht in vielen Büchern, sonderlich in vita illustris et generosi
herois Doniini Oeorgü Ludovici a Seinsheim; in seinen Odis ge-
denkt Trostius binden im Appendice auch gar herrlich etc.
Es haben seine liebe Eltern Jacob Amman (der ein Bauer
und feines Vermögens gewesen) und Catharina, seine Mutter (die
über 100 Jahr alt worden, ein recht gottselig Weib und den armen
Leuten viel guls gethan, sie jährlich uff der Kirben gespeist, in
der Schcurcii, ciliclt Tisch voll, und darum, unter anderer Gefert-
schafft, von ihnen mit HauEfen begleitet und beweinet als eine
i
58 Franz Höttncr.
rechte Tabea, Anno 90 im Januario), diese seine liebe Eltern
haben sonst mehr Kinder gehabt; meines Vattern sei. Schwester
hab ich gesehen, da sie bey 60 Jahren alt gewesen. Der einesein
Bruder hat gehcissen Herr Lorenz Ammon, Pfarrer zu Elsa und
Bauerstat^ dieses sein Weib, meines Vettern Hanssen Ammans
{Burgermeisters weiland zu Helpurg) Mutter ist gestorben Anno
1560. Der zweite sein Bruder Oeor^ Anno 68 7. Jan. Hochzeit
gemacht. Der drittCj Hanss, der Bauer, hat Anno 62 20. Nov-
Hochzeit gehalten, ist päbstisch gewesen und den 23. Martii ver-
schieden Anno 71, und welches meinem Vatter selig sehr zu
Herzen gangen, sind ihm die 3 Brüder in einem Jahr verschieden^
wenig Tag nacheinander; der Herr Lorenz (welcher viel bey
meinem Vatter setigen gethan, Qcld hergehehen zu seinen studiis^
ihn an Stöffelium, Professoren! zu Jena, verechrieben etc.) den
27. Jun. Anno 157K Er hat ihnen auch solches Epitaphium ge-
macht, darinnen die Jahneahl stehet;
post blnos pastor LaVrentlVsj antea fratres
terrae ManDaios tertlVs Ipse obllL
^Bl.6, fol. 11.] Meiner Mutter Leben.
Sie ist gebohni zu Feuchtwangen in einer marggrä fischen
Brandenburgischen, I Meil von Dinkelsbühel gelegenen Stadt (so
weiiand eine Reichsstadt gewesen) Anno 1546 30. Januar Nach-
mittag um 3 Hör. Aus der h. Tauff gehoben von der Edlen
Frauen Helena, Jungkher Adams von Elrichshausen zum Dürren-
hof Hausehr, die eine Tochter Melchior Senfls gewesen, eine
erslgebohrne Tochter ihres Vatlers. Ihr Vallcr ist gewesen Herr
M. Wolfg. Jung, des reformirten Stiffts daselbsten lezter Dechant,
so auch geprediget, doch nicht offL Sein Bruder Herr Martin
Jung, Hauptmann im Türkenkrieg, unter dem Grafen von Serin,
dessen Wolfsbelz er bekommen und getragen, auch ein Marschalk
Herrn Georg Friderichen, Marggrafens zu Brandenburg, stirbt
Anno 1575 23. Oct seines Alters im 64. Jahr.
Mein Anherr aber, M. Wolfg. Jung, ist eines Schreiners
Sohn, meines Bchallens, gewesen^ dessen Vatter in der Kirchen,
Trenn man von Rotenburg hinein zeucht, nit weit vom Feucht-
Selbstbiographie des Südtpfarrers U'olfgang Ämraort etc. 59
vanger Thor viel gearbeitet Er ist zu Onolzbach bey einem
Domherrn als ein Vetter gar hart erzogen worden.
Ihre Mutter ist gewesen Sara, Herrn M. Bernhard! Wurzel-
manns/) Pfarrers zu Dinkelsbühel und Weildingischen [Weiltingen,
Markt im B. A. Dinkelsbühl] Capitels Decani Tochter. (BKiehe
die Vorrede meines Vatters seiigen über sein publicirtcs lateinisch
und teut&ches Gesangbucli). Sie ist gestorben im Januario
Anno 1572. (1. potius, ut p. 15 legitur, Anno 15S7 die 10. Maji.)
Ehe ich weiter fortfahre, will ich zuvor dieser Sarae, meiner
Anfrau, ihre Ankunfft und Geschlecht weiter beschreiben.
[BI. 6, fol. 12] Oenealogia familiae ab antiqua stirpc Wurzel mannorum.
Der alte N. Wurzelniann ein Beck gewesen zu Heilbronn,
einer Reichsstadt am Neckar, da er auch begraben liegt, Catharina,
seine Hausäfrau, hat verlassen 3 Söhne und 2 Töchter, welcher
Nahmen samt den verlassenen Kindern sind diese:
Söhne:
I. M. Bernhardt, Pfarrer zu Dünkelsbühel, seine Haussfrau
Margareta, hat verlassen:
Philipp, hat zu Strassburg bey Bucero') studirt und ist
ledig gestorben.
Sara, M. Wolfg. Jungen, Stifftsdechants zu Feuchtwangen
Haussfrau, hat verlassen 4 Söhn: Adam, Abraham, Philipp, Paul
^
*) Vgl. Dötr. 2, 301, Anm. Ritzuidcr. Wum-Iniuin, Sohn des Bflrcer-
BWhlen in Wlmpfcn, Schvacer CrhiLTd Sütnepifs. deuen OattJn idne Scliveit«
w\T (vgl. lUninaiiii, Scliiwpfl, 1970 S. «), «.if ju«r»t Kafioniku» im Slitt zu Wimpten,
«Tldie Stttlr « ibrf iii(e>b, vfil er dAs p.vnnsHiuni nitlir pmlisrii durllc; rr irtid Jiciuf
Pbna in Schnieetn im Knitheau und 1S34, van Bni» und Adam Wels» In Kraüiticim
cmpluhlcn, l'firtrr lu UiiikcMiiiliI (vyl. Bm^cn, Bitcrc und Akiru lur Unch. det Jrink.
Ktiotra. in Ttieol. Studien lui wanirmbere VU, 11 IT.). Na>.-h de« Kaiitn &ee l>ei
Giengen IMÖ mutite Dinki-Ubüht dai Interim innehitien und der I^Uete Mann vurdt
IMO ICstecliiSl in BcnnlnK'n in Württfinbcri, Bo»crt. Inlerim in Württemb. <SchriEtcn de«
V. t. RfjrwA. No. « H. 40 S. 113).
Beilr. S, IQT Anm BrrnhaTd Wufzelmann, der Solri) dei BOrgrtincitkts in
Wlmpfoi, kIb Bruder «ar ]M3 SudiidircilKr ici Schritiisdi-HLlI, ttudiette Iti hcldclbere
vo er «ich (in rriLhjil>( 1512 den MjKrttC'S"'^ trwaib. Im Dez, 1631 tnt er d!e
ShIIc th Pfincr tn Dinicciibütil ar und Kbafhc am 5. Jaruar IS34 die Mchc in dtr
Orar{[iliirche ob (Stelchele, D» Biituia Au£si)Uts3, 2CiOi, der Ihn übrigsis nitcliLicIi Khon
IHI ucrtwn \ua\).
■) VkI. Bdlr. I, 134 f. ßaiut biR« In Htidclben; itudleR, und in Stnii>
bwg UMcri die Studierenden der Ttieiilcigie aus dtr P(alj xii »niied fflt^en. ef. ROhdch,
Oodi. d. Rrioimalion des Elws«^ II. 241]; Q<lbert, ßader 2CM ff. Nach Elntahruns de»
InUHnn to% er ludi Londun und tl.vb durl am 28. Fcbtnar 15S3.
60 Franz HÜltner.
und 5 Töchter: Mariarrij M. Wolfg. Ammonü Weib; Justinam,
Mariain Jacobi, Mariam Magdalenani, Euphrosynam, so Anno 1570
im Majo am Stein gestorben.
Cathariua, Herrn Lorenzen, Pfarrers zu Binningen am
Neckar, Weib.
Anna, hat Herrn Michel Bierdflmpfel, Pfarrer zu Betsen-
berg, gehabt und 1 Sohn, Daniel, verlassen.
II. Dieterich, Goldschmiedl und Pfeningnieisler im Türken-
krieg, hat 5 Töchter verlassen.
1. Annaj hat M.Joh. Mcrcklinum von Kauffbeuern, Victorini
Vettern.
2. Apolloniam, hat Herrn Joh. Faust, Pfarrern zu Nchrcn
im Würlem berg i sehen.
3. Catharinam, M, Georg Wegtnanns, Pfarrers zu Cassel
in der obem Pfalz, hat eine Tochter verlassen, Susanna.
4. Christtnam, Herrn, Sebastian Mokels, Pfarrers i:u
Offterdingen, und
5. Barbaram, Herrn Michel Kiscrs, Pfarrers zu Eiwngen
im Würletnbergischen, Eheweiber.
III, Matern, Stadlsclirciber zu Schwäbischen Hall, hat ver-
lassen:
Matthes, ein Kriegsmann, des Planken Mutler Bruder.
Anna, Dieterich Planken, Spitalschreibers zu Hall, Hauss-
frau, hat verlassen 2 Sohn:
1. Michel, Vogt zu Mur [AltenmuhrJ bei Qunzenh aussen.
Z Dieterich, hat sludirt und 2 Töchter a) .Anna, b) Maria^
hat einen Capellan zu Cieilslieim gehabt.
Elisabeth, Stadtschrei berin zum Hirschhorn am Neckar,
ohne Kinder gestorben.
Närrin zu Ingolstadt im Spital gestorben.
Töchter:
Apollonia, hat 2 Männer gehabt: I. Son Claus zu Wimpfen^
mit dem erzeugt:
a) Claus, ein Soldat.
b) Apollonia, Wendel Hiplcrs, Doctors, Haussfrau, hat ver-
lassen 2 Söhne a) Wendel, Doctor juris zu Tübingen, b) Johann,
Aniptniann zum Hirschhorn.
Selbstbiographie des Sladtpfarrers Wolfgang Ammon elc ftl
IVgl. Harlmann, Erhard Schnepif, 1870. S. 150.1
2. Dodor Ehinger, mit dem erzeugt eine Tochter Maria,
bat einen Wcingartner zu Heilbronn.
Margarela, Doctor Erhard Schnepfen,') [jul. Harlmann,
Erhard Schnepf, Tob. IS70], Professors und Pfarrers zu Jena
Haussfrau [er wurde im Sommer 1549 Professor in Jena und
dort am 2. November 1558 begraben], bat verlassen 4 Söhne mit
Nahmen:
1. Dieterich (Theodoric) Schnepf, Doct., Prof. und Pfarrer
zu Tübingen [vgl. Hartinann S. 73], hat einen Sohn zu Clsenach,
Doct juris.
2. Joh. Erhard, Secretar zu Coburg.
3. finsebius, Procurator zu Hcilbronn.
4. Daniel, ein sächsischer Stipendiarius, und I Tochter
Blandina, hat 2 Männer gehabt: 1. M. Victorln Slrigclium [E'rofessor
in Jena, cf. Harlmann S. 71], ohne Kinder; 2. Johann Fetscher,
D. Georg Hambergers Weibs Bruder.
[BI-7, fol. 14] Nun wül ich von meiner Mutter selig üeschwistriglen einen
Iturren Bericht thun, so viel ich weiss, darnach ihr Leben fort-
I. machen.
Adam Jung ist Doctor der Arzney worden zu Tübingen,
18. Febr. Anno I58I, hat meinem scci. Vatter auf seine Hochzeit
Vers gemacht, wie auch in sein Gesangbuch, die dabey gedrukkt.
Abraham ist ein Pfarrer zu Dorf Güting lange Zeit ge-
wesen, ßuter Linguist und daselbst (in Dorfgutingen, Amtsgerichts
Feuchtwangenf gestorben Anno 1624; sein erstes Weib Magdalena
starb 1582, die zweite Ottilia, meiner ersten Frauen Stieffschwcster,
Herr Hansen Cuppelichs Tochter, davon unten fol. 27.
Philippus ist Magister und guter Hebraeus, Capellan zu
Unterschwan ingen [im Amtsgericht Wassertrüdingcn], Pfarrer zu
Lehngüting [Lehengülingen im Amtsgericht Dinkelsbühl] und lezlich
Pfarrer zu Leuicrshaussen [Stadt Im Amtsgericht Ansbach] worden.
Dessen erster Sohn, M. Thomas Jung, Pfarrer zu Mönch-
sondtheim (im Amtsgericht Schclnfcldj seiter Anno 1614. 2. Georg
■) Vsl. Bettr. 3. 134, Ann. 1. Erli. Sclintpf nr teil 1. Febnitr 1M1 Pmldtor
rf«t Theolojiie und Phrrer in TQbinicen, vul. Hnncnann, Schnept, Tflb. 19TD, S. M.
62 Franz Hflttner.
Friderich jung, Conrector zu Onolzbach, dann Reclor und
Adjiinctus bey der Pfarrkirchen seit Anno 59.
Paulus hat sich der ScJireiberey beflissen in der Jugend im
Closlcr Lorch zu WArtenberg und anderswo, lezljch viel Jahr zu
Onolzbach Komschreiber gewesen, Anno 1593 10. Jul. mit seiner
Agatha Hochzeit gemacht (sein Aidain ist Herr Stubenfal, des Raths
zu Onolzbacli, wo künsllictie Dekk machet). Ich bin uff der Hoch-
zeit gewesen und hab ein Epithalaniium oder Vers gemacht.
Justina hat Herrn Gcorgium Fischer, Pfarrern zu Schopf-
loch [im Amtsgericht Dinkelsbühl], der lezlicli gen Hammersheim
[Hemmersheim im Amtsgericht LJWenheim] und Qiilchsheim (im
Amtsgericht Uffenheim] zum Pfarrer promoviret worden, gehabt
Maria Jacobi hat einen Handelsmann zu Kirch an der
Teck im Würtenberger Land bekommen.
Maria Magdalena Ist uff Beförderung obgcdachten Doctors
stattlich ankommen und hat einen Moser, so fast ein Edelmanns-
gut und höchsten Dienst zu Göppingen gehabt, zur Ehe be-
kommen. Hernach einen andern Mann gehabt, welcher ein Soldat
gewesen, sie nicht gleich dem ersten gehalten.
Euphrosyna, t an"o '570.
[BL 8^ fol. 15] So sind nun meiner Heben Mutler selig Ellem, M. Wolfg.
Jung (welcher Anno 1575 20. Dec. 2 Monat und 2 Tag nach
seinem firudcr Martino, Hauptmann, verschieden, an einem vier-
tägigen Eeber, so er 13 Wochen gehabt, seines Alters im 58. Jahr)
und Sara, vom Geschlecht eine Wurzelmännin (welche Anno 1587
10. Maji verschieden an der Wassersucht) und haben ein ehrliches
Vermögen hinderlassen. Vid. Epitaph, in der Stifftskirchen zu
Feuchttt-ang im Chor.
Diese Eltern haben ihre Tochter, meine Mutter, zum Gate-
chismo und allen weiblichen Tugenden ganz ernstlich mit Worten
und guten Exempel erzogen, immassen sie dann des Kargii Frag-
slück im Catechismo, die damals nicht alt gewesen, von Wort zu
Wort, auch im Alter erzehlen können guten Theils.
Ihre Veriöbniss betreffend mit meinem sei. Vatter stehet
oben im 5. Blat, wie auch die Hochzeit und Kinder daselbst und
folgends zu befinden.
*
Als sie 3 Tag eine verlobte Braut gewesen, hat sie ein Kind
aus der h. Tauff gehoben, Apollonia'genannt, Herrn Johann Herpen,
eines Vicarii Tochter, so vor der Zeit Pfarrer zum Dendia [Deiit-
lein am Forst, Pfarrdorf im Amtsgericht Feuchtaangcn] gewesen.
Vier Wochen zuvor, che sie mit mir genesen, einen Zahn lassen
ausbrechen.
Ist mit meinem Vatter selig I. zti Weidelbach, 2. zu Dinkcls-
böhcl, Ictzlich zu Markbrait wohnhafft gewesen, wie oben nach
einander zu sehen.
Hat viel Crcutz und Ungemach mit meinem kranken Vatter,
mit unerzogenen Kindern, mit groben Leuten, mit langwierigen
Witlwensland, so fast 21 Jahr gewahrt (dann Anno 158Q 26. Jan.
gieng er an, 27. Od. Anno 160Q frühe nach 1 hör höret er auf),,
ist in ihrem eigenen Hauss, darein sie Anno 1589 12. Maji nach
Verlassung des Pfarrhausses gezogen, nachdem sie das Nachtmahl
des Herrn vorhin empfangen, sanfft und seelig, als wir hoffen,
verschieden, in meinen Bcywcsen, den 28. Oct an Simonis und
Judae Tag, um 12 Hör, ehrlich begraben, in die Kirch getragen,
vom Herrn fMarrer Georg Conradi inil einer Leichpredigt aus dem
6S. Psalm, von den Wittiben, verabscheidet worden.
[BL8', foLlS] Mein des Schreibers dieses Buchs Leben.
^L Ich, im Titel dieses Gescliichtbuchs Benannter, bin gebohren
" in der heiligen Rom. Reichsstadt Dinkelsbühel in einem gemieteten
dess Lojens genannten Hauss (dann die Kirchendiener daselbst
nicht gewisse Wohnhäuser haben) um eiJff hör in der Nacht
7. Januar, Anno 1572 an einem Montag.
Aus einem Calender, Rosae meines Bebaltens, hab ich nach-
folgende zween Tage mit Willen abgeschrieben:
Anno 1572 7. Jan. 9. Consta. Wag. 15. 3.<fJ' Schnee oder
Wind. 8. Jan. Erhard. Wag. 28. Das letzte Viertel o. 8. n.
Annus 1572 »-ar ein Schaltjahr, vom Anfang der Welt 5534,
gdlden Zahl 15, Sonnenclrcul 13, Römerzinsszahl 15.
Den folgenden 8. Januar! Erü um 7 hör bin ich von Herrn
M. Johann Knauem (so geliehener Neuburgischcr Pfarrer zu
DiDckelsbühel gewesen und anno 75 gestorben) getaufft und durch
Herrn Veit Reinhard, einen alten Greisen, so ein Kirchcnpfleger
^
(
(derer 12 sind nod die enagiSatbe Kjnkmüeotr annehnKn und
beridkn) aad Oastgfbtr gncscs voo Hall, aus der Taiiff ge-
haben «orden, dessen We3> Anaa Herrn Dodor Hanbergers
zu Tübingen Schwcater gevcsen. hat nur einen Viertels Talers, so
72 dn. goilen und rtamafcn ein grosses gncsen, eingebunden
und Wotf^ang nennen lassen.
Mein \'atcr M. Wottgßogas Ammonios, Mitdieoer am Worte
Gottes zu mehrbesagtrni Dmkeisbühel, ist aber vom 3. Blal an,
vie auch meine MutKr .Maria, eine Jungin, vom XL Blat an
gnugsam beschrieben. Meine Mutter hat eine erscb reckliche Krank-
heit, da sie mit mir im Knidbetl gelegen, ausgestanden und ist
zu End des AUji anno 72 mit der rothen Ruhr, die alten und
jungen damahls tödlich gevesen, (NB. inseratur hie si übet) be-
hafhei gewesen. Darum mich mein Vatter abnehmen lassen und
gen Feuchtwangen zu der Anfrau gelhan, altda ich die rothe Ruhr
auch im Anfang des Junü bekommen, von meiner Mutter wieder
geholct auf dem Carren, wie mir die Ehern gesagt, wieder an-
gclcgct worden bin und gesiuget In dieser Stadt bin ich in der
Kindheit, da ich kaum rechl reden können; es hat sich aber mit
meinen Reden biss in 3 Jahr oder drfibcr verrogen, darumen et-
liche gesagt und gerathen, die Wehemutter habe mir die Zunge
nicht recht gelöscl, man muss mirs aufs neue lösen und aufrrissen,
der Medicus Dodor Pröbstcl aber (so mich fast für ein monstrum
naturac und Wundergeburl ausgeben) hat gerathen, man soll mir
einen Fisch fOrslellen und mich denselben angreiffen heissen, so
wcrds geschehen, wann derselbe schnappe und plezschere, ich
etxpas herausslossen werde, inmasscn auch also gangen, und ich
Isch oder Fiscli erstlich soll gesagt haben.
Als ich nun, wie gesagt, kaum recht reden können, bin ich
in einem kleinen Kinderröcklcin zu einen deutschen cvangcl.
Schtilmeisler Jodoco Oablern in lüc Schul, weil man keinen reinen
evangelischen lateinischen geliabi, gangen, darauf in die (foi. 17)
lalcinische paiKlische zu M. Johann Gerlacli Rectar neben des
Pfarrers Knauers Sohn Tobia eine Zeit lang gcthan, doch dass
ich nicht mit den andern zur Mess und in ihre Kirchen gienge,
zum Taganipt. Weilen ich aber einmal oder ellich als ein Kind,
SO die Sache nicht verstanden, mit andern meines gleichen Qe^
n
seilen und Schülern mil zur Mess gangen oder Kerzen getragen
und mit Wecken darzu gelocket worden, daiiiit nun die Ab-
götterey und gleissnerische Ceremonien, so mir wohlgefielen, mich
nicht bethörten, hat mich mein lieber Vatter (denie ichs all mein
Leben lang Danck weiss) gen feuclitwang zu n3einer Anfrau in
die Kost gelhan, da bin ich unier M. Johann Hartmann Sommer
Rectore in die |BI. 9] Schul gangen und hab da latein und tlc-
cliniren gelemet, Vetter Paul Jung hat zu Mauss auch Fleiss ge-
than bey mir. Ich bin auch darum gar zeitlich gen Feuchtwangcn.
gethun oder geflöhet worden, weil zu Dinckelsbülil peslis grassir^
meine Gesellen und nechsle Nachbarn, ßauernfein d genenn
daran geslorben, und mit den Trägern, wo mir nur der Lufft
werden können, ich Sprach gehalten, und wie vieE täglich ge-
storben, wissen wollen.
Anno I57Q 10. Juli, bin ich mit meinen Üeben Eltern nach
Markbrait kommen, folgends da in die Schule gangen und in
diesem Jahr schreiben, auch recht decliniren und coniugiren ge-
lemet -Meine Herrn praecepforcs sind in diesem Markt gewesen:
Herr Johannes Remlein, so hernach ein Rathsherr worden. Philippus
Köbcrcr, so I. Cantor, hernach praeceptor ward, ein gelehrt
Männlcin und guter graecus, von dem ich viel gelernet; sein
Wittib, nachdem er peste geblieben, hat Herr Rcmlein genommen.
Georg Zizmann, von dem ich singen gelernet. Er ist uff meines
Vatcre sei. promotion als ein Landsmann hieher kommen, letzlich
Sdiulmeister zu Segnitz worden und da gestorben. Nicolaus
Agricola oder Bauer Cantor von Hclpurg. Der ist hernach Pfarrer
zu Krautostheim |B. A. Scheinfeld] und Herbolzheim [B. A. Uffen-
heim) worden. Bartholomäus Röder, Qintor und hernach Schul-
meister, hat mich auch in miisicis dapfer gebraucht, wie ich dann
oft unter ihm in frembdc Dörfrer neben andern Discantisten uff
vcmchmer Leuthc Bitten gehohlet worden zu Hochzeiten. Herr
Joh. Röschius Praeceptor, der mich in vcrsibus endlich geübt,
(t 18.] Anno 1586 am Tag Martini gen Rotenburg mit meinen
Vatter selig uff der Qutschen gefahren, der mich zu Herrn Johann
Suevo oder Schwaben praeceplore in der Hl. Class in die Cost
verstellet, als zu seinen Landsmann, das Jahr um 32 fl. Die andere 5,
so lauter Edele und palricü waren (unter welchen auch die zvvene
Aidiiv rar KultutgMcbichtf. I. 5
66 Franz Hüttner.
Neurhat, deren einer Amtmann zum Seehauss {B. A. Scheinfeld]
worden) haben ie 36 fl. geben; bin aber in dieser Cosl nur biss
auf den 23. May anno 87 blieben aus gewissen Ursachen. Diese
Nacht hat mir fast ganz durch mein Vater seliger fürgcprcdiget,
zum guten crmahnet, vom bösen abgevamet, folgenden Tags den
Rcctorem scholae zu Gast geladen und mich ihme befohlen, darauf
hat es nasse Augen und Abschied gesezt
Anno 1587 23. May bin ich daselbst be>' Hanss Geissendörffer,
Nadicm und Cramcm, in der Hafengassen angestanden, das Jahr
um 27 n. und 1 fl. Wascligeld, da hab ichs besser gehabt.
In dieser Stadt Rotenburg hab ich zu Pracccptcren gehabt
in secunda Classe
1. Herrn Simon Hornung, der ein Crämer dameben»
hat mich sehr lieb gehabt und geveissaget, ich werd ein HoFf-
predigcr mit der Zeit werden; hat auch, da er nach Brait verrücket
und die Schwäbin (so hernach von Ihm die Hornungin genannt)
genommen, gesagt, weil ich zum Seehauss so viel geprediget
meinem gn. Herrn, da sey die Weissagung erfüllet Ist dieser
Herr zu Markbrait ein Rathhcrr gutes Vermögens gewesen, hat
Herr Wunderleins Haus gebauet und ist daselbst cntschlaffen.
2. In prima Classe, darein ich anno 87 6. Jun. Iransferiret
und gesezet, ward Herr M. Johannes Schemel mein Rector und
günstiger Förderer, der hat |RI. Q'I mich in graecis wohl geObet,
da ich grichische Scripta gemacht. Denn ich Dcmoätlieniä orationes
Olyrnpiacas neben dem Evangelio gracco gehört
M. Melchior Neander, Conrector, der hat mich in poesi
fein informiert, da auch Herr Mmderlein, unter dem ich sonst
nicht gesessen, viel dabey gelhan, wenn ich privatim in der Class
für mich selbsten an der Tafel laboriret nadi der Schul.
Sie haben eine vcnam poeticam an mir gesagt seyn. (fol. 19.]
In dieser Stadt hab ich anno 37 in Weihnachten uff einwilligen
meines Vatters um mehrerer Übung willen mit den armen Schülern
und alumnis umgesungen und 1 fl. bekommen, bin aber, ob wir
wol vicimal eingelassen und im Spital gut Sach gehabt, hefftig
erfroren, und weil ich bey einen Schüler gelegen, kräzig worden
und viel Jahr nit wol zurecht kommen können.
Selbstbiographie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc.
Ich hab auch in dieser Stadt eine Comoediam latinam
Frischlini, Rcbcccam, hcfffen agiren und, »eil ich etwas leibig,
gastrodis person vertretten.
Als ich aber, weil nur 4 Meil heim waren, ein$ten heim-
kommen und mich etliche Wochen zu Ffauss uffgehahen, und
weilen uffs Examen alles hernach zu lernen mir zu viel werden
wolte, besonders in der grossen grichischen Cousii grammatica,
bin ich der Schulen Rotenburg nit gut worden. Darauf hat mich
mein Vatter seliger, ■»■eil ichs in der Nähe nicht erleiden können,
in die Feme geJhan, mit Herrn Seactarii Horns und seiner
Commendation gen Hoff ins Voitland geschickt und uff die arme
Schul daselbst, mein Brod zu ersingen lassen gemeint. Aber der
Herr Rector, nachdem er aus dem Schreiben und meinem Bericht
vernommen, ich von gnädiger Herrschafft Seinssheim jährlich eine
Beyhülff von 15 fl. helle, hat mir eine Cost darumben ausgangen
b«y einem allen Büttner, Claus ZeiÜer genannt. So bin ich nun
den 10. Augiisti am Tag Laurentü gen Hoff kommen, da eben
die Mcss -raren, und Herr Marggraff Georg Fricdcrich von Branden-
burg samt dem Herni Administralore zu Hall mit einer grossen
Anzat Raisigen in der Stadt lagen. Da ist man 8 Tag (wie in
Messen man pflegt) niclit in die Schul gangen.
Anno ]5S8 den IQ. Aug. bin ich in die erste Class versehet
worden und hab allda zu Herrn Praeceptoribus gehabt, wie im
folgenden Blat zu sehen.
(fol. 20.] Der Rector war M. Christophorus Cadesreuter
senior, an den ich verschrieben von meinem Vater seelig und
Herrn Secretario Johann Hörn, dessen ich wohl genossen, und
ist er Herr Rector mit mir persönlich ausgangen, in der Stadt
eine Cost mir auszugehen und zu wegen zu bringen, so lang biss
er einen allen Büllner, Zeitler genannt, angetroffen und mich
dahin bracht Dieser selige Rector ist anno 1589 6. October
verschieden.
M. Thomas BlebcHus Conreclor hat hernach dem vorigen
succedirt im Redoral, mich in hebraicis und astronomicis, auch
rhetoricis unterwiesen, da er auch von allen der (!) unterschiedliche
^Bücher geschrieben (wie jener M. Cadesreuter seine graecam
[grammaticam tradirl), auch mich an meine gnädige Herrn von
5*
0(. Franz Hüttner.
Seinsheim recommendirl, neben Herrn Doctore Theologiae Aiirelio
Streitbergern. ')
[BI. [0, f. 135] Omnibus lecturis has lileras cum debita untcuique honoris-
mentione s. d.
Cum ipsa per se lestimonia magni facienda esse arbitramur
a viris literatis et iis, qui de ingenüs discenliiim lileras et linguss
Ecclesfae Dei et communi vitae necessarias iudicare porsunt pro-
fecta: tum quia ad persequendas laudcs sludioso homine dignas,
bonae indolis naturae his teslificationibus excJtantur; est etiam
bonae conscientiae Signum, praeceplorum de se existimationera:
non extimescerc et vcrecundiae argumentum Maiorum iudicio se
reverenter subÜcere- Haque el hactenits testimonia concessimus
scholae nostrae Curianae alumnis, pietatem in vera Dei invocationc,.
modestiam in re^enüis moribus, diligenliam in urgendis literarum
studiis et obedienliam suam crga praeceptores nobis approbantibus.
Et nunc praesenti honesto adolescenli Wolfgango Ammonio
Zeapolitano (Zea, der Dinkel], reverendi et doctissimi viri domini
M. Wolfgangi Ammonü, eius loci pastoris pie defuncti filio, elogiuni
damus pieiatis, observantiae crga omncs et in primarum artium
et linguarum studiis assiduitatis. His enim nominibus hoc Ferc
quadriennio, quo in schola nostra Oiriana cum laude modestiae
et diiigentiae versatus est, se nobis omnibus approbavit, Prae-
eeptoribiis et quibus cum vixit hospitibiis cariis et gralus fuit,
spem etiam de se non vulgarem concitavit. Cum igitur exislime-
mus, cum allquando (praecipue si studiorum curricuJuni felidter
inceptum auv &tc urgere perrexeril) patriae suac ulilcm et neces-
sarium dvem futurum, diligenler ipsum commendamus Omnibus
bonis et doctis viris, quibus Ecdesiae Dei salus et res literaria
curae est; in primis vero illustri et gcneroso Domino Georgio
Ludovico a Seinsheim in Hohencoltenheim, Seehaus et Sinchingen
libero Baroni, studtorum palrono el fautori optimo, domino nostro,
omni reverentiac cultu dignissimo: cuJiis generositalem revercntcr
et summisse oramus, ut sua libcrahtate el stipendii beneficio huius
Wolfgangi subditi et clientis sui pupÜli egestalem summam sublevet,
ne felidter incepta studia propter inopiam et pauperlatem abiicere
>) VeI. Etitr, 2. IM Ann 1. Aurclius Strtübefser w« IS77 Inipeklor ilf« Q)-!!!-
nttiumi iD >lül und lUib tClZ, M Jahre tiL
Sdbsibiographte des Stadtprarrers Wolfgang Amnion etc. 69
cogatur, sed vestrae [fol. I36J generositads munificentia et auxilio
Iiis ad prooptatam nictam Deo iuvante pcrductis aliquaiido ecclesiis
aut scholis uliliter inservire queat. Hoc enim beneficio itnpetrato
in nos recipimus ipsum, Uli probum Bcnefidariutn decebit, vJtam
<runi pietale, honestale, debita in studiis gravioribus diligentia et
animi gratiludine contunclam impostenim etiam acturum et summis
viribus opcram datunim, nc ciiismodi liberalilalis bcneficium et
sumtus in ipsum frustra collocentur.
Hoc et Deo gratuiii et Ecciesiac utile erit et liic WoEffgangus
discipulus noster vicissim seduütate in studiis, pia precatione pro
communi salute et omnibus obsequüs officÜs debitam animi grati-
tudlnem vestrae gcnerositati toto vilae siiae tempore declarabit.
Et nos quoque hanc cffusam liberalitatem et iuvatidi Studium
apiid omnes celebrare studebimus. Bene in Christo vale, illustris
■et generöse domine Baro a Seinsheim cum plo et berevolo Lectore
■et quos semper favore, benignitate et liberalitalc cum auloritate
coniuncta literas earumque cuHores prosecuti esüs, fovele et de-
fendite. [ßl. !0.|
Dat. Curiac Variscorum ad ripam Salae fluminis 12 Calcndas
Mflji Anno gratiae MDXCII.
Aurclius Slreilbergerus, s- theol. D., Superintendens scripsit
M. TJiom. Blebelius Budissinus, sdiolae Cur. Rector et suo
ei collegorum suorum nomine scripsit.
(fol. 20) M. Enoch Widmann [Enodi Widmann's Chronicon
Curiae in Menckes Scriptores Qermaniae, Ups. 1730, Tom. III, 756.
Deutsch in Hohenzollersche Forschungen IS93 S. 244), der hat
mir in Poest graeca et latina wohl gedienet und weil er mich zu
der Löwin in die Kost verstellet, allda er ein Vetter gewesen,
privatim mir viel untersagt und gewiesen, ist nach meinem Ab-
schied Rector worden.
M. Simson Moncehus hat mir auch in lateinischen verscn
wohl geholffen und ist ein getreuer Praeceptor gewesen, so Anno 88
23. Decerabr. ins ministenum kommen uff dein Land, hernach
offt und viel promovirt worden, ist leztlich Prediger zu Heilsbronn
und Decliant zu Neustadt an der Aisch worden.
M. Georg Therius oder Deg hat mich sehr lieb gehabt, in
grichischen poeten und soluta oralione mir wol zugeschlagen.
1
70 Franz Hliltner.
Weinet bitterlich 23. Jun. anno Q2, da ich ihn valediciret und ge-
segnet; soll ein Ralhsherr worden seyn.
M. Conradus Humollerus ab anno Ql 8. Nov. grammaticam
lalinam Iractirt. sonderlich doctrinani de accentibus uns fein gewerset
So bin ich nun in dieser Stadt Hof fast 4 Jahr gespesen und
hsb da meine beste Sachen gehabt bey obgenannter Barbara
Löwin, die eine Cramerin gewesen und einen grossen Sohn
Hannsen gehabt, so ihr die Haushaltung und Gram versehen.
Den kleinem Sohn Philippum hab ich privalim singen und anders
gelehret 3 Jahr.
[fol. 21] Hab ihr, dieser Coslfrauen (nachdem ich bey dem
Büttner Zeitler nur V« Jahr geblieben, um des argen Weibes
willen, sanilgernessensahe)das erste Jahr 15f]. [gegebenj, das andere
aber 12 fl. und noch folgende 2 Jahr dergleichen. Doch hab ich
dameben arbeiten und schreiben niiissen, was man mich gehcissen,
und gleich wohl meine Ergözlichkeiten darneben gehabt und allen
guten Willen verspühret.
Anno 90 im Majo, weilen die Primani fast alle im Brett
spielen gekönnt, es auch gelernt. Item Anno eodem 27. Maji uffn
Rücken schwimmen mit den Meelführer, so Icztlich Abbt zu
Hellsbronn worden.
Anno QO I. April uff der Cithern lernen schlagen.
Anno 1591 8. Jan. hab ich angefangen graeca carmina zu
schreiben, wie im vorigen 90. Jahr ö. Nov. Phalaeaa und 3. Dec.
Sapphica Carmina Laiina.
Anno 91 22. Jul. das höfische Stat-Chronicon, so M. Wid-
mann [Enoch Widnians Chronik der Stadt Hof. Nach der Ort-
ginalhandschrift zum erstenmal herausgegeben von Christian
Meyer 1393] verfertiget, neben andern (darunter auch Melfürer
war) alle Tag 1 Stund nach der Abendschiil helffen abschreiben
selbfünfft. Welches anno 92 den 23. Martii fertig worden, darauf
sind wir von ihme zu Gast geladen und herrlich tractiret worden.
Anno 9! 16. Sept. den Buchdruck Pfeilschmids') gest-hcn
und sobaldcn in mein Stammbuch etwas lassen drucken, wie auch
den 29. Dec. in Herbsls Stammbuch. [81. 11]
■) IBdlr. 4, 6S Ann. 5| M«nhJnis PiniKhinIdl, Stichdnicker In Hol, Khricb ItOt-
ein Octtnibnch.
SelbstbiOEnphic des SUdtpfarren WoUsaoG Ammon etc. 71
Anno 92 31. MarL angefangen, Partes zu schreiben, welches
(mir hemach zu meinem Canlorat wohl gedienet.
Ch ich vom Hof weg gezogen, liab icii einem Landsmann
Arnolde auch ein Buch aus dem Virgilio fürgelesen und explicireL
Anno Domini 1592 am Tag Pclri Pauli bin ich früh Morgens
lach Jena kommen und hab noch diesen Tag die ßacchartteii-
^hÖnier lassen abwerffen, und dagegen einen studiosum im Wirths-
hauss bey der gülden Gans angelegcL Dodor unius Juris Jacob
Welser war mein absolvens. Paulus Ludus ward aucb mit mir
rdeponirt. Johann Hohndorff, so hernach ein Minister Ecclesiae
vorden, war Depositor, und ich bin der 1295-, so er geliefelt;
meine Zeugen waren Johannes Herbst (der hernach in Dociorem
Juris promovirt) und Johann Cobmen |foI. 22]; costet mich dieser
actus 2 fl. 4 groschen 4 dl. Anno 92 1. Jul. bin ich von Herrn
Dodore Nicoiao Reusnero, dem hochberühmten Juristen, der viel
Bücher geschrieben und dissmal Reclor MagnÜicus der Universitaet
Jena war, ins Studentenbuch immatricuhrt und einverleibet, costel
6 groschen. Folgende Tage habe ich meine commendationes aus-
getragen, so mir Herr Matthaeus Herbst, Pfarrer zu Erlach [im
Amt^ericht Ochsenfurt), an Herrn Doctor Müllern, Theologum,
Doctor Johannem Schrölem den ähern, den perpeluum Acadcmiae
Rectorcm, und M. Hammern, der Hebräischen Sprachen profcssorem,
ertheilel hatte. Welches ich dann würklich genossen und dem
M. Hämmern sonderlich lieb gewesen bin und viel gutes von ihm
Studiret Er hat mich auch mit ihm zu seinen guten Freunden
und Verwandten umher ausser Jena geführet, zu Apolla und
andcrslwo; da unter andern ein Pfarrer, als er meinen Zunahmen
gehöret, gesagt: magnum nomen, magnuG vir, uff ein grossen
Nahmen gehör ein dapferer Mann.
3. Aug. die 1. Icction gehört von M. Haidero und D.
Reudento.
Uff dieser hohen Schul Jena hab ich zu Praeceptoribus ge-
3t und gehört in Theologia Docior Georg Müller, von dem
kh die augspurgtsche Confession hören expUcJren und epistel ad
Romanos. NB. Er fieng den 9. Jul. I5Q4 an, auswendig zu
pTofitiren, und dictirt nichts.
Doctor Ambros Reudemium, der gar fidelis war, etliche
Psalmen explicirt (114 ist mein anfang) und Isagogen bibUcam
gelesen, auch seine privala collegia gehalten, da ich auch bcy.
Doctor Samuel Fischern, so Superintendens, und Johantiem
gelesen.
II. In juridica facuHatc, welche ich erstlich studiren sollen
•(vermög habenden schrifftlichen Befehls) Doctor Libcrium Hoff-
mann gehört in regulis Juris; iteni Ooclor iinrus Juris Jacob
"Welsen (so den Raniiim (Pierre la Ramee f 1571] selbst gehört
hat zu Paris) iiber die 2 erste Bücher in instttutionibus juris,
daran 5. Octobris anno "^2 angefangen; in hel>raica, chaidaica el
syriaca lingua M. Christoph. Hammeruni, sanctac linguae pro-
fesBorem, der auch Joehm und Jonani gelesen, [fol. 23)
In graecis hab ich gehört M. Laureiilium Rhodomannuni (f löOö
in Witlenberg], der ein lumen Qermaniae gevresen und eine
seizame pronunciation gehabt, wie die heutige Qridien, Theo-
goniam Hesiodi lass er und weist uns frei die intitation.
In Mathcmaticis von M. Qeorgio Lymnaco die sphacram,
Theorias planetarum, Calendar. Ecciesiasticum, tabulas prutenicas,
Arithmctic de-
in ptiysicis und übel), de ^ima Doctor. Zachariam Brendel,
der ein hcrrUchcrj getreuer, gotlsfiirchliger Medicus und praea'ptor
(ist im September anno 26 verschieden).
In Ethicis und Logica den M. Woiffgang Haider, der ein
Instiger sehr gelehrter Mann. Von diesem hab ich privatim eine
specialem docirinani de virtunbus studiret {tr ist im 18. Sept
anno 1626 begraben).
In Poesi Eliam Rcusnenim Licenliatum gehöret.
Bl. IT] 23. Sept 1592 die erste dispulation zu Jena, aber den
2a Nov. anno 1588 zum Hoff gehöret. 2Ö. Octob. 1592 ich das
ersle mal disputiri.
Mcin erster Stubcngcscll war Johann Herbst {mein Lands-
mann und höfischer Schulgesell) vom 29. Jun. Anno 02 an bei
M. Lorenz Evo oder Fröcauf, der professor Arilhmetices vof
diesem gewesen und schier gar crbiindL Hernach 22. Sept. sind
wir zu Nicol. Müller, Becker in der Lculergassen, gezogen, das
Jahr um 6Vs fl- Stubenzins, Mein anderer Stubengesell und aller-
besten Freund einer (dann den Christoph Jordan, so mit der Zeit
SdbsU)iO|inphie des Stadtprarrers Wolfgang Ammon etc. 73
I
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Superintend. zum Hof worden, halt ich für den besten) war Jo-
hannes Dressel von Neustat an der Hayd [sfldüch von Sonneberg],
2 Meil von Coburg gelegen, der hat mich Bett und Stuben Erey
.gehalten, ich ihn dagegen privatim unterrichtet an gesagten Ort.
Vom 30. April Anno 94 aber haben wir in der Bildschnizerin
Hauss, im engen (Jässiein gewohnet.
N'B. anno 1593 hab icli vom XL Febr. an Logicam Rami
gelesen.
Weil ich nun auf der hohen Schul nit lang zu bleiben ge-
habt, als hab ich mich bald uff eine faciiltaet begeben müssen
■und demnach gnädiger Herrschaffl Sainslieim Herrn Georg Lud-
wig von Sainsheim [der jüngere 1554 — 1599] heimgestellet, die
•nir erstlich das Studium Juris gnädig anbefehlen lassen, wie oben
auch gedacht, ich soll mich aber mil Büchern [lol. 24] und Klei-
dfrii nit überlegen und heut oder morgen nit abkaufen, sondern
«icincm Herrn verbunden scyn und bleiben. Nach etlichen
"Ochcn ist ein anderer Bescheid kommen, als wenn Ihre Gnaden
"icKts von vorigen Schreiben wüsten, ich soll aber zu meinen
Freianden mich lierausbegeben und von ihnen Bürgschafft zum
stuclic Juris ausbringen oder das Studium Thcologiae ohne Bürg-
schafft fürnehmen. Als ich nun anno 93 den 13, und 14. Jul.
•Iwea Raths zu Feuclituangen gelebet, rhieten sie einniflthig, was
raeir» Vatter sludiret hätte, da sollt icb auch mich beyfindcn lassen.
Oerxi hab ich auch gefolgct und dank Gott dafür.
Den 13. Jul. nechsten Tags hinnach dem Rath hab ich zu
Oorf Oütingen uff meiner Mutter Bruders als Pfarrern Erlaubniss
früh morgens die cpislcl 1. Pel. 3 gelesen in der Kirchen, neben
oflerrt capiicl aus Lucae 4 und die collecten gesungen, abendsaus
dw Kinderpredig das dritte Gebot gelesen und ist diss gleichsam
we»T) erste prub in Kirchen aclibus.
Als ich nun wieder nach Jena kommen, hab ich den 26. Au-
pisti anno 1593 (war der XI. Sonn lag nach Trinitatis) meine erste
Ptttiigt (welche ich voriges Tags 25. Aug. in eines armen freuleins
Haus vor meinen Slubengcsellen und guten Freunden privatim
RCtban) öffentlich zu Zwaitzen [ZwätzenJ, so eine halbe Meil von
Jtna gelegen, in der Kirchen gehalten, in Beyseyn Herrn Pfarrere
und 5 Studenten. D.i hat mir nun Gott meine Bitt gcwärl, und
ich ein Gelübd gethan, welches ich gehalten. Ist auch also gangen,
wie ich in meines Fräuleins seligen zu Elsa Garten besonnen.
9. Sept. anno 93 13. Trinit. hab ich zu Lichienhan (Licliien-
hayn], 30. diss., lö.Trin. zu Amerbach [Ammerbagh] geprediget
9. Decemb. 2 Pretiigt gethan, 1) zu 14 Heihgen [7 Kilo-
meter von Jena, gegen Apolda], ist ein Dorff also genannt, 2) tu
Rumslat, und sind ich und mein gut Freund Christoph Korn,
weils eine grosse Meil Wegs, mit der Latem in der Nacht biss
Tag gangen^ in grossen Ungestüm.
[fol. 25) 25. Deccrnb. Anno 93 zu Liechteiihan wiederum.
26. Decemb. zu Amerbach. 27. Decemb. abermal zu üeclilen-
han in Beyseyn M. Melzers, Jenisdien Caplans und der Seinen
gepredigt, hab auch ein statüche Malzeit uff des heiigen Caslen
mit ihnen besessen.
Anno 1594 27. Jan. zu Liechtenhan abermals gepredigt.
10. Febr. zu 14 Heiligen. 24. Febr. zu Liechtenhan. 10. Marl.
zu Ziegenhan. 24. diss zu Ziegenhan und Prissniz [Jenaprisnilz],
[BI. 12] 31. diss 3 Predigten an einem Tag gethan, 1) zu Jescha-iz,
2) zu 14 Heiligenj 3) zu Klein Rumstal.
1. April zu Grossen und Kleinen Rumstat geprediget, atich
ein Malzeit zu Grossen Rumstatt uffs Fest genossen.
14. diss zu Jeschwitz mich exercireL 9. May wieder daselbst
28. Jiil. zu 14 Heiligen und Rumstat geprediget. 20. Octob.zu Amerbach.
Ja ich hab etliche Exercitia nicht iiffgesch rieben, dann ihrer
bey 30 gewesen. Unter andern aber, so mir wiedrig zugestanden
in Jena, ist nicht der wenigsten eins, tlass ich gegen meinem
gnädige Herrn bin versagt und angössen worden; hab demnach
5 Testimonia und Zeu^iss als Herrn D. Müllers, D. Brendels,
M. Hammers, M. Lymnaei und M. Melzers gen Scehauss geschickt
und der falschen Anklag damit gesteuert
Woifgangum Ammonium quam vis consueludo frcquens
hactenus non familiarum mihi tradidlt: Praeceptorum tamen testi-
monia ita commendant et annotata ex lectionum mearum aus-
cultalionibus consignaia, Ita officio functiim esse probanl, ui tcmpus
ab dlo minime inutiliter coHocalum esse iudicem: Quod ego ro-
galu ipsius, meo hoc autographo testari non sum gravatus. Scripsi
16. Febr. 1594. Jenae.
Selbstbiographie des Stadlpfarrers Wollgang Ammon etc. 75
Georg Mylius D. el Professor Theologus.
Itlustris el generöse Baro, >X'olfgangus Ammoniiis, generosi-
tatis Tuae Alumnus, stuüiorum suorum testimonium a me petüL
Quia vcro hie ante biennium ferne a viro revcrcndo domino
Matthaeo Üporino, condiscipulo meo veteri, mihi commendatus
fuit, opcram dedi sedulo, ipsius ut et vitam et sludia observarem
et sl quae corrigenda (orent, übere corrigcrcm. Quarc, cum lalem
deprehenderimi cui cordiet curae litcrarum oplimarum stiidia sint,
non modo Joebeae praelectioni Audilorem sese mihi quoque
praebeat, non potiit in honesta ipsius petitione hac non acqutcscere.
Eum ergo cum rcliquis Reverendis et Clarissimis Viris CoUegis
mets de noia nicliort generositati tuae conimendatum esse pcrciipio
submisse pctens, »t imposlenim quoqiie ipsius studia p. A. prove-
bere non dedignelur, quod Dea et generositati tuae atque Eccle&iae
patris stiit viri dociissimt, p. m. insl^ir commode inservire altquando
possit, non dubito, quin daturus sit operani quoque, quo animi
grati significalionem gcncrositaü luae vicissim effuse probet. Valc
in Christo generöse Baro, et huius (gehöret vieüeichi noch hinzu
Acadcmtac) [fol. 138] discipulos atque Ministros, ut haclenus
Uudabiliter et llberaliter fecisli, ita in poslcrum eüam Tibi com-
Iniendatos esse patcre. Jcnae 16. Febr. anno Christi 1594.
Generositatem tuam submisse colens M. Christophorus
Hammerus Linguae sandae professor.
Dominum Wolfgangiim Ammonium opcram mihi dcdisse
sedulam publice docenll physicen et librum de anima lestor Zacha-
rias Brendel Med. Doctor, Professor pubh'ais in Salona. Actum
Jcnac 16. Febr. 1594. Zacharias Brendel D. S. I. C.
Irni. 12"] Peijit a mc omatissimus Juvenis Wolfgangus Ammonius
studiorum suorum testimonium, quod Patronis suis exhibcret.
Cum autem acquiim non sit commendationes denegari iis, qui
merentur, libenter obsecutus sum huic pelitioni, et quae comperta
habercm, perscripsi. Testor igilur nominalum Amnionium singulari
diligentia hactcnus malhematicis discipünis, quarum professio ab
fllusuissimis Saxoniae Principibus, huius nostrae Salonae Nutricis
Domtnis nostris clementissimis mihi dcmandata est, operam dedisse,
ut facile coniiciam reliqua studia non minus ipsi curae luisse, cum
diiigentius gravioribus insudarit, spemque concipiam utile eum
76 Franr Hüttticr.
futurum organon Ecclesiae et scholae. Ideoque debila animi sub-
missione a gcnerosis Nobilissimisque luiius studiosi Patronis peto,
ut SLia gratia et opc ulterius ipsi adcssc non graventur. Erit hoc,
ul speramus cl ex anhno prccainur, Ecciesiae Christi tarn utile
<]uani quod uiilissimum. IG. Febr. anni 1594 jenae.
Oeorgius Lyninaeus M.
NB. quintum (eslimonium deficit.
ffol. 26-1 In diesem 94. Jahr war ich gern Magister worden
und hab altes, was darzu gehöret, in Bereitschafft gehabt, allein an
Geld fehlete es, muss demnach aus Armulh und weil mir Niemand
darzu helffen wolte, mein Vorsa/. ändern.
10. Maji diss Jahrs bin ich in H. Doctoris Reudemü Theo-
logiciim collegiuin kotnmen.
Anno Christi I5Ö5 14. Marl, bin ich von Jena abgefordert
worden, weil der Herr Herbst, Pfarrer zu Erlach, gestorben, ihme
zu succediren (wie es erstlich gerneinet war) oder aber im Can-
torat an Pfisters stat zu kommen.
Bin am Sontag Laetare oder Mitfaslen zu Brait ankommen.
In der Charwochen imd Ostcriagen hab ich die Predigten
zu Eilach und Sundheim [Kallensondheim bei Kitzingen) uff gnä-
digen Befehl verrichtet anslat des von Anipferach [im B. A. Feucht-
wangen] herkommenden Herrn Schwagers Schechsil, welchem
Johan Pfister mein Anleccssor succedirct hat. Darauf die Schul
zu Markbrail an Herrn Pfistere stat, der nach Anipferach zum
Pfarr erhoben worden, versehen uff gn. Begem der Herrschafft
vom 25. April an, biss Anno 1595 10. May mein gn. Herr Herr
Georg Ludwig von Sainshetm in der Person mich in Beyseyn
Herrn Schuldheissen Nicolai Orohen und aller seiner Geistlichen
zum Brailer Cantorat eingeweisel und investiert.
Den 13. May darauf ins Cantors Heusslein eingezogen, da
hernach die Kirchner wohnen.
In diesem 95. Jahr hab ich geheiratet, und mein l. Verlöb-
niss in Beyseyn meiner Mutter 2 Brßdern Herrn Abraham
Jungen, Pfarrers zu Dorf Oütingen, und Herrn Philipp Jungen,
Pfarrers zu Leutersliausen, am 9. Oclobr. gegen Abend gehalten,
[{o\. 27] mit Apollonia Kuppe'ichen, da ihre Mutter auch dabcy
und ihre 2 Brüder Jacob Kuppelich, ein Vogt zu Feuchtwang,
I
»
und Georg Cuppelicb, ein Beck daselbsi, samt ihren beyden
Weibern und dem ledigen Bruder Abraham; ist alles verrichtet
worden im Dorff QQtinger Pfarrhaus.
Geschlecht und Herkommen meiner lieben Apollonien.
Ihr Vatter, mein lieber Herr Schweher seliger, hat geheissen
Johann Kuppelich, ist zu Feuchtwangen bürtig anno 1527; sein
Vatter, meines Weibs Anherr, hat auch Johann Kuppelich geheisen
und ist ein Schuster gewesen, hat aber das Handwerck nicht ge-
trieben, sondern die Wirthschaffl auf den Marckl in dem Hauss,
so iezt Schwager Friedrich Alexand. K"ppe!ich besizet, und er
durch Heirat bekommen, ist zue Hardt (Haardt) bey Weissenburg
daheim gewesen.
Dieser mein gesagter Schweher hat das Beckenhand werck
gelemet und eine [El. 13] Zelt lang getrieben, ist aber ein Rath&-
herr dabey gewesen, hat lezlich das Statvogtampt um seines Wohl-
Verhaltens willen bekommen und das Handwerk aufgeben. Sein
erstes Weib hat Magdalena geheissen, eine Tochter N. Alberls^
und anno 1547 2. May mit Ihr Hochzeit gemacht, in die ISJahr
in der Ehe mit ihr gelebet und 10 Kinder mit ihr erzeuget, unter
welchen eine todle Leibesfrucht gewesen. Seine erste Tochter ist
gewesen Margaretha, so zu Ceorg Funken, einen Bauern in
Wissath (Wieseth bei Feuchtwangen) geheurathet, isl ehe ver-
schieden, denn der Valter, ungefehrlich Anno 1583.
Das andere Kind Johannes anno 1549 23. Aug. geboren, ist
zu Crailsheim an der Pest gestorben anno lfil3, der ist ein Müller
und Rathsherr zu besagtem Crailsheim und sehr bertihmler Mann;
bat mir viel guter Räth ertheilet, durch seine Rechlshändel aber in
grosse Ungelegenhelt kommen.doch sehr gottseelig blieben, [fol.28.1
Das dritte Kind hat Laurentius geheisen, so anno 1552
2Ö. Dccember geborn, hat fein studiret, ist ein mächtiger Historicus
gewesen, also dass er sich berühmen können, es wer kein Ge-
schichtschreiber zu seiner Zeit herauskommen, den er nicht in
seiner Liberey hätte. Ist erstlich inflmus scliolae Feuchtwangensis
Collega worden, hernacher Vogt zu Wassertrühdingen, ein reicher
ansefanlicher Mann, ist daselbsten verschieden den 1 7. Jan. anno Iö20.
Das vieric Kind Georgius, so ein Beck worden zu Feucht-
wangen, ward gebohren anno 1554 24. December, ist auf seiner
^
Schwester Amaley Hochzeit anno 1598 7. Nov. von seinen Müller
zu Feuchtwangen, der Schön Müller genannt, [confer fol. 158] da
die andern getanzet, erstochen worden, doch ehrlich begraben;
ich hab ihm vorgebett in Todesnölhen. Desselben MüIScrs Sohn,
ein Studiosus, ist von einer Taiizbodenstiegen herab zu Tod
wiederum gefallen.
Das fünfte, Maria, geborn anno 1557 20. Jan., ist zu Tieffen-
bach [B, A. Hilpoltstein], als ich diess geschrieben, meines Wissens,
noch am Leben.
Das sechste Kind Jacob ist geborn 1558 27. Octobr., ist zu
Feuchtwangen Vogt gewesen, im Jahr 1600 22. Novemb. ver-
schieden, lang wohl discipüniret zuvor.
Das Vit. Oltilia, so meinen Vettern Herrn Abraham Jungen,
Pfarrern zu Dorff OOtingcn, gehabt, eine lange Zeit, ist anno
1561 16. October gebohm.
Das Vni. Abrahamus I. anno 1563 28. Jan. gebom, den
2. Febr, darauf verschieden.
Das IX. Magdalena^ die Heinzen Müllerin genannt, ward
gebom anno 1564 29. Jiinü, verschied ums Jahr 15W.
(f. 29-1 Anno Christi 1565 16. Oclobr. am S. Qallintag hat
mein 1. Herr Schweher das andere Mal Hochzeit gehahen mit
meiner lieben Schwiegermutter Apollonia (so ein Tochter Georg
Jungens gewesen), mit welcher er auch durch Gottes Segen
10 Kinder erzeugetj deren das erste und andere im Kindhaben ge-
storben (sie aber die Schwieger selig selbsten ist anno 160^
II. Jan. im Dorff Aw (NB. in der Landkarten heissts Ah) (AhaJ
nit weit von Ounzcnhausen bey ihrem Sohn, Herrn Abraham,
Pfarrern, an der VX'assersucht blieben.
Ihr drittes Kind war eine Tochter Apollonia prima, gebom
anno 1568 22. Julii, hat nur 31 Wochen 1 Tag 12 Stund gelebt.
Das IV. Ihr Kind ist Abraham Kuppelich anno 1570, 14. Oc-
ober geboren, am Tag Calixti, der hat nun, als er zu Jahren
kommen, wohl studirt und ist Pfarrer im Fünstenthum Branden-
burg worden zu besagten Aw, auch hernach eine lange Zeit Senior
im Capitel Ounzenhausen von anno 12, wie ich im Auguste er-
fahren, auch Pfarrer zu Samenheim [im Bezirksamt Gunzenhausen),
dero Zeit noch am Leben, hat Hochzeit gehalten bald nach uns.
Selbstbiographie des Stadtpfairm WoLfgang Ammon etc 79
Das V. Apollonia secunda, meine liebe Haiissfrau, nunmehr
selig, diese war gebom anno 1572 5. May Montag zwischen 10
und 11 Ubr in der Nacht; ihr Tod stehet unten.
Das VI. Kind Catharina ward anno 1574 27. Mart geboren,
hat einen Mezger Melchior Gopelt zu Kraüsheim zur Ehe gehabt,
mit dem sie anno 15Q7 12. Jul. Hochzeit gehalten; stirbt am Kind-
haben, ohngefehrlich ums Jahr lölS.
Das VII. Kind Barbara hält man dafür, sie sey anno 1576
gebohm, hat einen Becker zu üunzeii hausen, bey deren Hochzeit
wir bcyde Eheleiithe gewesen mit grossen Costen.
JL 13") Das VIM. Amaley genannt (so erstlich einen Infimum Scholae
zu Feucht«angen Georg Ziegelmüllem gehabt, der hernach zwo
Pfarr noch bezogen Grafen stein berg (im Amtsgericht üunzen-
haiisen] und Berolzheim [im Amtsgericht Heidenheim), aber nach
seinem Absterben hat sie einen Wirlh bekommen), soll ums Jahr
1573 gebohrcn seyn. Ihr Herr st^ltger ist verschieden 13, SepL
aiino U, hat mit ihr Hochzeit gemaclit Anno 98 7. Nov.
[Fol. 30] tX. Kind ist Friderich Alexander, gebom anno 79
Montag nach Palmarum, hat das Becker- und Barbiercr-Handwerck
gclcmct, Ist zu Fcuchtwangen lang Zeit Umgcldcr und Wirt ge-
wesen, lebt noch, hat Hochzeit zu Fcuchlwang 26. Jan. anno 1602.
X. Kind hat Anna gehcissen und ist anno 1583 gebohm,
diess Kind hab ich nie zu sehen bekommen,
Mehr besagter mein erster Herr Schweher ist anno 1585
30. Januar, in Gott secliglieh verschieden mit einem statlichcn Lob
und Betrauemus. Docior Adam Jung, meiner Mutter Bruder
seeliger, hat ihm das Zeugniss gegeben, dass in ganz Fcnchlwang,
seinem Vatterland, ihm niemand grössere Ehr als er erzeiget habe.
Nun komm ich wieder auf meine erste Ehrnfröllchkeit, die
hab ich zu Feuchtwangen gehalten anno Christi 1595. Uns hat
in der Stifftskirchen copuiirt M. Lorenz .Mbrecht, unser Gefreundtcr,
ein anderer Caplan hat die Hochzeitpredigt gehalten aus dem
I. Buch Mose 2. capilcl: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein
sey. Ist gewesen Diensttags den 18. Novembr.
Unter andern Hochzcitgäslen waren Herr Geyer der alle
^Vogt von Ampferaeh wegen des wohlgebomen meinen gn. Herrn
ron Sainshcim Georg Ludwig etc. ein Legatus (so mir 3 Reichs-
iO Franz Hüttner.
laier verehret). Item Herr Philipp Jung [fol. 3IJ M., Pfarrer zu
Lcutershausscn, ein Bruder meiner Mutler, iiem Herr Abraham
Jung, Pfarrer zu Dorff Gülingen, auch meiner Mutter Bruder, mit
seinem Weib Ottilia und Tochter Evalein^ mehr ein anderer Mutter
Bruder Paulus Jung, Kornschreiber zu Onolzbach. Item Vetter
Herr Hanns Jung Studiosus, so hernaclier Registrator zu Weickcrs-
heim uordcn, vorhin aber Herr Johann Erkingers von Sainsheim
praeceptor war, etc.
Auf der Braut Seiten waren unter andern auch Hochzeil-
gäste der Herr Dechant Eck^ ein ganzer erbarer Rath zu Fench!-
wang, Herr Lorenz Albrecht, der uns eingesegnet, auch die Frau
Amptmannen, eine Edle, wie atich des andern Tags ein Jungkher
von Döna, Herr Abraham Cuppelich, ein Studiosus, und Friedricli
Alex. Cuppelich, ihre rechte Brüder, etc.
[fol. 32] Darauf sind ich und meine Apoilonia heimgefahren
mit den Unscm und haben unser eigen Haiisswesen angefangen.
Und, ob mir wohl der Anfang zu meinem ehüchen Leben ziin-
lich, ja sehr sauer ist worden (sinlemahl ich biss gen Jhena hin
und her gesprenget, uff 48 Meli aus falscher Nachred und Ver-
dacht, deren Gott Lob sich keines gefunden und sonst zu der
Freyerey, auch Einladung der Gast und Ehrenfröhchkeit widcrum
auf 42 Meil Wegs in Kurzen raisen müssen, ohn was ich gen
Seehaus hin und wieder (darzu mir meine vorgesezte Geistüche
dapffer die Brände geschüret und doch nichts erweisen können)
getanzt. Ob, sag ich noch einmahl, der Anfang meines Ehewesens
mir zimlich sauer gemacht worden und ich fast 100 Meilen
herum terminircn müssen mit nit geringen Unkosten: jedoch ist
meine Unschuld frey am Tag kommen und hat mir mein liebes
Eheweib hernach wohl zugeschlagen und mich lieb und wert!»
gehabt, Und über das ich durch Gottes Seegen zu einer feinen
Nahrung mit ihr kommen, hat sie mir 12 gesunde Kinderlein, die
alle zur heiligen Tauff gelanget, uff diese Welt gebom, wie folget.
[Bl. 14J Verzeichnus meiner in der ersten Ehe erzeugten Kinder.
I. Den 4. Decemb. anno lb9f> ward Nicolaiis mein erster Sohn
gebohrn, Sambstags früh zwischen 4 und 5 Hören, laufft ihn
Herr Ceorgius Conrad!, damals Capellan. Gevatter »-ard Herr
Selbstbiographie des Stadtpfvrers Wolfgaag; Ammon etc. 81
M. Nicolaus Bauch, dazumahl Pfarrer zu Brait (band ein Oold-
gnlden ein pro 20 Batzen und ein Carmen). Diss Kind ver-
schied IZ Jul. anno 1M7.
II. [fol. 33.] Den 23. Febr. 1508 DonnersUgs abends vor
Matthiae um 5. hör. ward unser zweiter Sohn Johann Wolffgang
der erste dieses Nahmens gebom, ist aber nur 5 Wochen und
3 Tag alt worden (dann er 2. April Todes verfaren). Sein Tauff-
dot war Herr Johann Hom, freyherrl. Sainsh. Secretarius und
Jrayserl. Notarius, ein herrlicher hochgelehrter Mann und treff-
bclier Redner, Taufft ihn Herr Valentin Apel, Pfarrer zu Nort-
heim. Band ein I Ducaten pro 2 fl.
III. Den 11. Martii Sonntags Oculi anno Christi 15Q9 ward
die erste Tochter Apollonia, die erste dieses Nahmens, abends
zwischen 6 und 7 hören geboren, ihr Dot war Gevatter Anna
Sieinmezin, Müllerin zu Grassolzheim (weilen ich, wie folgen
-vird, unten damahls daselbsten Pfairer war). Tauffts vorbesagter
Herr Apel. Sie ist 3 Jahr alt worden weniger l Monat (dann sie
den 13. Febr. anno 1602 verschieden) und konte überaus herrlich
zn ihrem Alter beten im Catechismo und was man sonntüglich
für die ganze Noth der Christenheit erhohlcL
IV. Den 25. Oclobr. Sambstags früe vor Tags um 2 hör
jutno 1600 war die andere Tochter Anna gebohm. Ihre Dot
war vorwohlemieltes Herrn Secretarii Horns eheliche Haussfrau
Anna (welche nach seinem Abslerben hernach Anno 1604 27. Aug.
mit Herrn Doctor Eisen, Vice-Canzler zu Onolzbach, Hochzeit
4darzu ich auch geladen worden) gehalten).
Tauffts wiederum der Herr Apelt. 20 Batzen einbunden.
/erschied diese Tochter selig 5. Decembr. Anno 1611 Vormittag
um 8 hör an der Plag^ betet stattlich und thut zuvor ein schön
Bekanlniss, hat auch des Herrn Abendmahl kurz zuvor in der
Kirchen sampt uns empfangen. Da die Wärterin sie in währender
Schwadiheit tröstet, sie würde wieder aufkommen, hat sie gesagt,
nein; sie begers nicht, wann etwa der Vater stürbe, würde sie
und ihre Mutter arme Witwen und Waisen.
[fol. 34.] V. Den 2. Aug. 1602 Abends zwischen 8 und 9
Hören ist die dritte Tochter Eva gebom Montags. Oevattcr ward
Hannscn Stollen Wirts Hausfrau Barbara (welche hcrnachcr gen
Anklv (Ar Kulturenchlchie. I. Q
Ma rekschön feld [Stadl Scheinfeld] geheiratet zu . . . Göttelbrünnern . .)
I n. eingebunden. Diss Kind ist 2 Jahr alt worden weniger
8 Wochen, dann es ist Anno I&04 den 6. Junti ein viertel nach
1 hör gegen Tag verschieden.
VI. Den Il.Junii 1004 Montags um 3 hör früe ward ge-
bohrn mein dritter Sohn, abermahl Johann Wolffgang II genannt,
sein Dodt war Herr Martinus Nusshold Cancellist (so hemachcr
gräflicher Castellischer Secretaiius und wohl beputtert) anslat und
von wegen meines gnädigen Herrn von Sainsheimb, Herrn Johann
Eirckingers etc. taufft ihn Herr Aijcll, wie auch voriges Kind, da
dan vier Guldenstaler eingebunden worden. Verschied dieser
Sohn seliger den II. Novembr. Anno 1611 am Tag Martini Im
hohen Mittag an der Plag. Er ist schon in die Schul gangen ge-
wesen und hat seine declinationes und coniugationes guter massen
gekonnt, die 4 Coniugationes allmal zusammen lernen müssen,
uff mein Verzeichnus, Arno, doceo, lego, audio, amas, doces, legis,
audjs etc. per omnia tempora et modos, wie man in [Bl. 14']
Schulen redt: hat ein statliches Ingenium gehabt, und wann nian
ihm vas von essender Speis nach übUchen Brauch zur Schulen
mit geben, hat ers den armen Kindern geben, mit Fürwenden, er
seine lectiones nüchtern lernen müste.
VII. Den 25. .^p^ilis Freytags zwo Stunden in der Nachl
Anno 1606 ward die vierte Tochter Barbara I gebom. Ihr Tauff-
dot ward Barbara Valien Hilprands, eines Limburgischen Baurens
(so hernach über dieselben Ampisbefohlenc Schuldheiss worden)
eheliche Haussfrau, taiiffts Herr Barthol, Hoch, Ptarrer zu Dorff
Cottenheim [Kotlenheim], 2 fl. 2 bazen eingebunden worden oder
2 Ouldenstalcr. Ist nur 5 Wochen und 2 Tag all worden, I.Jun.
im Kindbett (wieder Verhoffen) verschieden.
[fol. 35.1 Vni. Den 27. Sept. Sonntags 1607 ward meine
fünfte Tochter Eva Barbara kürzhch nach 10 Hör in der Nacht
gebom. Ihr Dot war das wohlgebome Freyfräulcin, Fräulein Eva
Barbara von Sainsheim (so hernach zu Henn Philipps Ludwig
Herrn zu LJmpurg, Herrn Schencken Eberhardts zu Limpurg Sohn,
sich ehiichen eingelassen). Tauffts M. Johann Postler, Apells
Nachfolger zu Nordheim. Diss Kind verschied den 7. Decembris
Sambstags früe in puncto 3. horae anno 1611 in höchster Qe-
SeU)Stbiographic Jes Stadlpfaircrs Wolfgang Ammon etc.
duld urd mit inständigen fleissigen Gebet, ein recht frommes
Kind, an Plag und Blattern und meint die gute Tochter selig,
weil sie asse und die andern Kinder ausgeharret, auch eingenom-
men hatte, sie weite diese Plag überwinden.
INB. Vergiss nit der traurigen Zeit, da mir inner Monats-
frist 3 liebe Kinder, darauf gute Hoffnung stunde, an der Plag
starben, ja in 3 Tagen 2 Töchter begraben worden tmd so wenig
Leuthe mit zu Grabe giengen, ins Haitss aber fast niemand woltc,
da doch ich im Sterben die Leuth fleissig besucht, das meine ge-
than und natürlicher weiss davon zu reden, das contagium davon
ins Haus bracht: wiewohl mich Gott jederzeit wiinderbarlich er-
halten, weil mein Stündiein noch nicht vorhanden.
IX. Den 4. August. 1600 Jahrs ward unsere VI. Tochter
Barbara, die zweite dieses Nahmens geboni, Frey tags früe nach
8 Hören, einen Tag vor den vollen Mond. Ihr Dot Barbara
Hilprandin vorgemelt (doch dazumahl Georg Zieglers, auch Lim-
purg. Schuldheisens elilidie Haussfrau}. Tauffts M. Postler abends.
X. Den 18. Febr. 1611 Montags frCihc zwischen 2 imd 3
Hören ward Apollonia, dieses Nahmens die andere und meine
VII. Toditer, geborn. Gevatterin ward Anna, Hannsen [fol. 36|
öautercrs, Wirths zu Grassolzheim (Krassolsheim] Haussfrau.
Tauffts mein Bruder Georg Ludwig Amnionius, Pfarrer zu Jecken-
Iifim, in Abwesen M. Postlers. War der Mond im Zeichen der
lungfrau und ein Tag verflossen nach dem Vollmond.
XI. Den 21. Novembris Sambstags anno löt2 wanl meine
aditc Tochter Anna, auch die andere dieses Nahmens, zu Grassolz-
JieJm(wic dann alle meine Kinder ausser dem ersten und letzten)
)m, im Zeichen der Fische, einen Tag nach dem ersten Viertel
len 11 und 12 Uhr in der Nacht Ihr Dot war Herr Casijar
leheleins, Sainsh ei mischen Haussvogts und Schuldheisens zu be-
sagten Grassolzheim eheliche Hausfrau Anna. TauffI diese Tochter
M. Postier, ist den 27. Sept. anno 13 abgcwehnet worden.
XH. Den 14. Julii anno 1615 zwischen 7 und 8 Hören
Vormittags an einem Freytag unter meiner Predigt ward mein
vicrdter Sohn, nochmahl Johann Wolfgang genannt, und aEso der
III. dieses Nahmens getrorn, im Zeichen des Krebs, einen Tag
vor dem Neumond. Sein Tauffdot war Hzn Hans Georg Wild
6"
BüiTier und des RaÖis tu Marekbrait Taufft ihn Herr Pfarrer
Georg Conrad.
[Bl. 15| Ist dtss Kind nur */4 jalir all worden und den 14. Octobr.
anno 16 in Beyseyn meines obgedachlen Bruders, der ohngefehr
darzukommcn^ (da es gegen Tag seiir kranck an Zähnlein, isset
doch) an diesen Tag gar sanfft verschieden jfol. 37], folgenden
Tags begraben, vom Herrn Sebastian Lerleins Schreibern und
Daniel Kellers Heimbecken Sühn hinaus zu Grab getragen worden.
So viel sind meiner Kinder 10 zu Qrassotzheim und 2 zu Marckbrail
hurtig, 4 Söhne und & Töchter.
Anno 1597 hat mein Haussfrau auch einen Bruch getragen,
darüber sie sehr schwach worden. II. Juni Anno 14 auch einen
Bnich, so sich M* Jahr verhalten, sich funden.
Nun komm ich wieder auf meine erste Hebe Haussfrau selig,
Apolloniam. Die ist zwar auch, wie wir alle gewesen eine mangel-
hafte oder gebrechliche Sünderin, doch hat ihr Gott \sie auch
allen Bussfertrgen gläubigen Menschen um Christi Willen aus
Gnaden verziehen, ihre Fehle bedeckt, vergeben und vergessen.
Es hat aber die göttliche Majestät diss Weibsbild mit so herrlichen
Gaben und Tugenden gezieret, dass sie ein rechter WeiberspiegeL
gewesen.
Sie hat von fugend auf fertig lesen und schreiben gelernet,
auch bei ihrem teutschen Schulmeister etliche Species im rechnen
begriffen, den Catechismuni aus der näassen gekonnt, OoH recht
erkannt und gefürchiei und geHebel, streiff Vertrauen 7.u seiner
göttlichen Majestael durch Christum gelragen, demütig, gedultig-
gewesen, im Unglück unverzagt, gern gebetet, sonderlich im Haber-
mann [föl. 38}, Gott fleissig angeruffen und wiederum nach er-
langter Hülffc gcdancki, aller Hexerey, Zauberey, Aberglauben
von Herzen feind, sich vor Fluchen und Läslern gehütet, Gottes
Wort gern gehört und geehrt, gefreuet, dass sie einen Geistlichen
erheiratet, das Abendmalil des Herrn offt und viel genossen, das
Predigtampt lieb gehabt, gern nnd fast mit allen Leichen gangen.
Über den Papstthum, da sie einsten zu Scgnitz (B.-A. Kitzingen)
die Wallfart gesehen und die Predigt gehört, sich erschüttert
und ein schrecklich Missfallcn ab derselben, wie auch anderer
Scdcn Lehr getragen. Dem Nächsten die Werck der Lieb er-
Selbstbiographie des Stadtpfarren WoUgang AnuuoD etc. 96
zeiget^ sich der nothkidenden angenommen, ihre Obrigkeit
respcctirt, ihrer Mutter und Freunclschafft allen gcbilhrlicben
Willen erwiesen; i&l aller Leichtferlij^keit und gegebenen hrgerniss
von Herzen Feind gewesen, verträglich, kein Hass noch Neid ge-
tragen, freundlich mit jedermann, so viel sich leiden vollen, ge-
halten, aufrichtig denen Leutlien unter Augen gangen, jedem ge-
sagt, was ihm zu sagen, er sey geisJlich oder weltlich, unerschrocken,
eine reine Jungfrau zu mir kommen, aller Unzucht und Un-
fläterey von Herzen Feind. Da sie einsten meiner Freund einer
unter der Vesper in meinem Abwesen geküsst, hat sie mirs gleich,
als ich heimkommen, eröffnet, und ist der Kerl bald darauf ab-
gereist Ich hab sie nie Irunken gesehen, sie hat sich gar massig
gehalten, ist nicht mit losen Leulhen umgangen, schamhafftig ge-
wesen, schlechte scliwarze erbare Kleider getragen, jedennaiiii
das seine gerne gelassen, nidits entwandt, gar sehr sparsam ge-
wesen, das ihre zu Rath gehalten, da ich lediger Weise mit meiner
Cantoralbesoldung (so etwa des Jahrs uff &0 fl. werd in allen)
mich allein nit betragen konte, ja noch etliche Schüldkin machte,
hat sie mich von der Gesellschaft abgezogen und hernach zu
einem feinen Aufnehmen bracht, [fol. 39] durch Qottes Seegen
und mit ihrer fleissigen unverdrossenen Arbeit, dabcy ich auch
das meine nit gesparet, was ich gekont, thun und mir angestanden.
Sie hat auch gerne geflickt und fein alles zusammengelesen, nichts
vergehen lassen. Ist dem Borgen und entlehnen sehr fcind ge-
wesen, sie hetl keinen Bissen Fleisch gessen oder Tropffen (Bl. lö'\
Wein getruncken, wann er geborget were. Viel schöner Reimen
aus der Hausshaltung Matthesii und sonsten hergenonimcn, zum
rathsamen Leben dienstlich, zu erzehlen pflegen, sehr genau ge-
wesen, doch zu ehren sich nichts an die Hand brennen lassen,
meine Freund ja so lieb gehabt als die ihre, wann ich ihnen mit
Leihen oder raisen gedient, sich nicht verwent gemacht. Hat sich
genügen lassen, viel an ihr Sterbstündlein gedacht, mich herzlich
geliebt und geehrt und hätte lieber seibsten Schaden und Krank-
heit ausgestanden, als mir solches zustehen gesehen, dem Gesind
und Arbeitern gern essen gegeben und vor andern, wann sie
Ehehallen oder Arbeiter bedorfft, bekonimen können, genau ge-
kauffl tmd redlich bezali, nit viel lecker Bisslein kochen können,
]
doch lezlich, wie wir sonderlich nach Brail kommen, etwas besser
sich angriffen, Krebs und köstliche Speise, Hasen etc. nit gent
kaufft, weilen das vie) naschen bringt leere Taschen. Ist der Lügen
Spinnen Feind gewesen, war nit schwäzig. loff nit viel in ander
Leuth Häuser, hat die Kinder und Freund zum allerbesten an-
gewiesen und ein recht Mutterherz gehabt, gern genehet und ge-
sponnen, und was in Sprüchen Salomonis an 31 erfordert wird
von Weibern, in der Wahrheit an ihr gehabt, und ich wüst nicht,
an welcher Tugend ihre gemangelt.
[fol. 40.] Diss hab ich also etwas weilläufftigter, damll die
nachkommenden Kinder und Freund sehen mögten, ich ihr nit
vergessen, ob ich wo! zum anriernmahl geheiratet, einführen
wollen. Sie ist auch sonst erstlich schön und sauber gewesen
und fein erbar regalisch anzusehen, einer feinen Länge, und ist
vom alten Herrn Orohen und andern verständigen Leuthen wohl
gelobet worden.
Mit dem lieben Creuz ist ihr auch nicht verschonet, sie hat
desselben einen guten Theil ausgestanden, sonderlich in Kinds-
nöthen ist sie eine harte Kindhaberin gewesen, und hätte meine
Schwester Barbara das leztemal (dann je länger, je strenger heissets
da) nit das Beste bey der Sach gethan nechst Gott, so könnte sie
ihr Kind wohl tod gehabt haben, dann sich eben die Kräffte sehr
verlohren, und sie in ilu-en Leben nit viel Wein gebraucht und
köstlicher Krafft gebender Sachen nit geachtet, hat auch das Fieber
quarlam meines Behallens bey einen Jahr angetrieben. Ist fein
gedultig in ihrem Creuz gewesen und hat gute Mittel zur Kranck-
heitzeit nit verachtet, sonderlich auf Herrn Apothekem Matth. Vi'erd-
u'ein viel gehalten, der aus dem Urin sehr wohl gelröstet, aber
das Wieder&piel hat sich im Ausgang befunden, sonderlich in der
Marterwochen Anno Christi 1617 (da ich ihr Mitwochs das heilige
Abendmahl (weilen mein Herr ColJega kranck war und sie keinen
frembden Pfarrer haben wolte) uff Begehren und demOthige vor-
gehende Beicht und Olaubensbckännlniss gereichet). Darauf ist
sie im Haupt etwas irr worden und doch gleich fein wieder zu
ihr selbst kommen, hat Teissig gebetet, und dass ich ihr Im
Glauben dienen hclffcn wolte, angehalten.
(foL 41.) Hat darauf ein sanfft secHges Ende genommen
Sdbstbiognphie des Stadtpfarreit Wolft^ang Ammon etc. 87
(also dass, wo nicht das Kleine Humelein, wie mans nennt, mirs
gesagt hätte, ich ihren Abschied ganz nicht gewust) actum 20. April
vorgedachtes 17. Jahrs am heiligen Oslertag, da es 6 gegen
Abend schlüge.
Ist folgenden Dienstags 22. April ehrlich und solenniter zur
Erden bestattet von M. PosUem, Pfarrern zu Ertach, der die
Leichpredigt aus Rom. 14 gehalten in der Kirchen. Es ist auch
ein ganzer erbarer Rath ausser Herrn Kummern mit zu Grab gangen.
^ 16{ Hat also meine liebe Haussfrau selig, immassen sie christ-
lich gelebt, also auch christlich geschlossen und ein gut Lob bei
männiglich hinterlassen, [fol. 41, 42.] Das Heurath- und Erbgul,
so sie bekommen, belieff sich über 400 fl. (foL 43.]
Nach verrichler meiner Apolloniae seligen Beschreibung
komm ich nun wieder zu meinem Leben.
Als ich dann nun Cantor zu Brait gewesen vom 10, May
anno 1505 an, hab ich mich so viel menschlich und mQglich,
treulich dienen gebraucht, dem Reichen gethan wie dem Armen,
hab aber schrecklichen Undanck und viel Triibsal erfahren und
anqiestanden, so ich nit schreiben mag.
Anno 1597 18. Jul. ist mir die Pfarr Qrassolzheim, so 3
Stund Wegs von Winssheim (MVindsheim im B.-A. Uffcnheim)
)>^ angelragen und ins Hauss angeboten vorden aus gn. Herr-
schalfl Befehl durch Herrn Nicolaum Groben, Schuldheiscn zu
Alarckbrait.
Folgenden Tags bin ich zum Seehaus von dem wohlgebornen
Herrn, Herrn Georg Ludwig von Sainsshetm etc., zum Pfarr
gesagtes Orts angenommen, in Beyscyn Herrn Valten Apelts,
Pfarrers zu Northeim, deme ich recommendirt worden, und hab
50 balden mein Priesteriurament ihrer Gnaden geleistet, 19. Jul.
In diesem 1597. Jahr 24. Jul. bin ich zu Marekbrait ordinirt
IX. Trinttatis und hab Nachmittag die Epistel zur Probpredigt
gelhan. Darauf folgenden Tag mit meinen Herrn Collegis mich
gelezet, den 26. diss mit meiner Apollonia die neu Pfarr besehen.
^L Den 28. darauf uFfgezogen mit mcinein Schwägern Weib, Mutter
^f nnd Oeschwistrigtcn und die Pfarr im Nahmen der Heiligen
Dreyeinigkelt versehen, von der Ver^töhrung Jerusalem erstes mal
geprediget. DiewcH aber diese Rarr vierdtes Theils LImpurgisch,
«dches |fol. 44] ich anfangs nicht gevust, und die Limpurger
ihr rcchl zu crliailen mich nicht investircii helff«n weiten, ick
licss mich dann zuvor in ihrer Herrschafft examiniren, als htb
ich nach Obersund heim [Obersontheim in Württemberg] deren-
wfgen verreysen und mich ncaminiren lassen müssen uff meinen
Costen. Herr Pacdianus Pfarrer daselbst und der Pfarrer zii
Mitlclfischach haben mich vorgenommen in Bt-yseyn Herrn
Secrctarii und allererst von der Formula Concordiac und stritigen
Articuln gehört über die 2 Stund. Darauf ein gut Testimonium
nach Speckfcld |B.-A. Schcinfeld) zu bringen ausgefertigt und
mich zur Tafel geladen, da ich mit Herrn Schcncken Atbetten
und seinem Gemahl unter andern gessen. Vom 23. Sept. biss 27.
hab ich die Reise verrichtet und ist dennoch die invcstihir, weilen
die roUie Ruhr zu Grassolzheim regiert und sonsten die Herr-
schafft andere Geschafft gehabt, bis uff den 3len Sonntag nach
Oberstag anno 98 verschoben worden 29. Januar.
Da ich dann bcdcrseits Bcamptcn, Sainshci mischen Henti
Secretario Johann Hom und Herrn Christoph Hohenbergcrn^
Limpurg. Amptmann, «egen becder Herrschafften noch eine
Pflicht leisten müssen, darauf die Predigt gehatten und ein slalt-
tiche Iraclalion mitgenossen; dem actui haben ihrer viel bej--
gcwohnet, Herr Valien Apel, Pfarrer zu Nordheim, und sein
Schuhneister Bürlein, Heir Rartholoiu. Hoch. Pfarrer zu Dorff
Cotlcnheim, [Knttenheim im B. A. Scheinfeld], Herr Doctor juris
ßurcard von Winssheini, Jeremias Juncklier, Herr Secret. Schreiber,
so hernach Pfarrer zu Deilenheim (Deutenheim bei Scheirifdd|
worden etc.
4. Jun. anno 1606 bin ich, weilen Herr Apelius, voriger
Winssheimischer Decanus, [fol. 45] Todes verfahren, uff vor-
gehende mir unbewuste Deliberation Herrn Hofmanns, Ober-
nchlers zu Winssheim, (der über den ganzen i^ath daselbst zu
commcndiren hat »md sein Lehen vom Kayser empfangen) und
Gutachten Herrn Andreae Nagelii, Pfarrers zu Winssheim, und
des Ministcrii daselbslen einstimmen von meinen Capitelsbriidern
zum Dccano desselben würdigen Capitels angenommen, und sind
mir ihre lundationes, privilegia und Einkommen gewiesen, auch
eine staÜichc Malzeit gehalten worden.
[Bl. 16') Habe darauf wie die vorigen Jahre, also auch hinfort jähr-
lich uff MitTOchen vor Pfin^ten dis^^ CapItuI zuweilen mit
Leibesgefahr besucht tind einen iocuni oder Stück und articul der
heiligen Sdirifft vorgenommen nach dem andern.
Anno 161 1 bin ich zu ürassol/heim in mein eigen Hauss,
so Limpurgisch Lehen, uff gn. cinwilhgen meines gn. Herrn von
Sainsheim eingczc^en, damit der Schulmeister im Pfarrhaus
wohnen künte.
Anno I6I4 II. Januar, da mein gnadiger Herr, Herr Johann
^rckinger von Sainsheim zw Grassolsheim gejagt und meinen
Vorfaren Wilhelmuni Wisneruni [1610- 1614) abzuschaffen Willens,
gevisser Ursachen halber, beut Er mir, in Bej-seyn Herrn Philipp
Ludwigs von Umpurg, auch Ocorgii Kuiinncrs und Daniel Ocrtels,
Notarii und Schulmeisters zu Breit, selbige Caplaney an, wann sie
\*erlediget Ob ichs nun wohl anno t602 25. Januar, 3. und 1 1. Febr.
vorhin abgeschlagen, da mirs auch durcJi etliche des Kaths und
Predigampts zu Brait [fol. 46| angetragen und Mittel gezeigel
worden, Jedoch hab ich dissmal, da Wisnerus erlassen und meiner
begert worden, eiidlicli aus vielen Ursachen cingewilliget, wie aus
wiciifolgender Copia zu ersehen.
Denen Erbarn und Lhrsanien unsern lieben getreuen Bürgermeistern
und Rath zu Marckbrait.
Jobann Erkinger von Sainsheim, zu Hohen Cottenheim, Seehaus,
Sinchingen und Erlach etc. Freyherr.
Unsem gn. Oruss zuvorn, Erbar und Ehrsame liebe Getreue,
«BS wir euch in ernstlichem Befehl *egen Renovirung und Fort-
schaffung eures nunmehro gewesenen Caplans Wilhelm Wisers,
sodann auch daneben vertrösler Praescntation und Verordnung
cmc! andern mehr qualilicinen und wirdigem Person neuüchsl
überschrieben und uffgetragen, dessen habt ihr euch guier massen
2u erinnern. Dabey solchem Beschaid wir nun gewisser erlicblidier
Ursachen willen endlich zu behan-en gedenken und entschlossen.
Solchem unsem Zuschreiben und Beschaid nun gemess thun wir
2u obberegten nunmehr vacirenden Diaconat oder Caplaney Krafft
habenden Juris Paironatus supremi praesentiren gegenwertigen
r
90 fruu HättBS.
wirdigen und wolgeiertcn unsem Pfarrern zu Qrassolzheim
Wolfg. Ammonium, als welchem wir dieselbe um seiner uns be-
wusten genügsamen qualitaet, und weilen sein Vater sceJiger des
Orts christlicher gemein und Schulen wohl vorgestanden und
solcher Er auch wohl thun kann und will, |fol. 47] wie uns ntt
daran zweifelt, allbereit würcklich conferiret, also und solcher gestalt,
dass derselbe zu solchem Oiaconat und Caplaney inzwischen
Ablauff 2 Monaten der christlichen Geraein und Kirchen zu
Marckbrait voi^estellt, investirt und eingesezt, immittelst aber
solcher Zeit die zu solcher Caplaney gehörige Wohnung geräumet
und dem abgeschafften Wiser sein Gelegenheit anderstvo zu
suchen von Euch angesagt und verfügt werden soll. Das zu
geschehen wir uns abermahls verlassen, denen wir sonsten mit
gn. >X'it]en wolgewogen verbleiben. Datum Seehaus den S. Febr.
anno 1614. Darauf den 27. Febr. diss 14. Jahrs bin ich in
Beyseyn meines Herrn Collegae und M. Johannis Postleri, damahls
Pfarrern zu Norlheim, auch Herrn Marci Schcchsii, Pfarrers zu
Erlach, vom Herrn Secretario investirt worden, da von eines
erbam Raths wegen Herr Lerlein und Herr Conrad Härtung bey,
war der Sonntag Sexagcsima, M. Postler predigte uff gn. Herrschafft
|BI. 17] Begem; am Tag Matthiae zuvor, hab ich zu Brait meine
Probpredigt gelhan aus derselben Historia Aclorum I. Darauf
eine Malzeit eingenommen in Ocorg Wirthshauss.
Man hat mir aber vorigen Abends, als Herr Pfarrer und
ich in gedachtem Wirthshauss die Abendmahlzeit gehalten, vor
essens durch Herrn Secrelarium Philipp Schattemann vorgehalten,
ich soltc alle Tag ein Stund oder 2 Schul halten lielffen und
darinnen laboriren, aber mein Herr Collega hai solches wieder-
sprochen und nicht darzu verstehen wollen. Gott vergelt ihm.
ffol. 48) Hernach sind mir nachfolgende Punclen, darauf
ich folgendes Tags mein HandgelObt gethan, in der Schul (allda
mir auch die Praeceptores Daniel Oertel und Adamus Rab als
Schulmeister (wie mans damals genennt) und Cantor angelobt
haben vor der Predigt) zu Gemfith geffihrct worden 26. Febr. annoU.
I) Augspurgische Confession anno 1530 übergeben und
Lutheri Schrifften soll ich mir lassen befohlen scyn und nichts in
Ceremonicn ohne der Herrschafft Wissen ändern.
Selbstbiogiiphle des Stadtpfurere Wolfgang Ammon etc.
i
I
2) in Schul und Kirchen die Jugend fleissig untcnicltten
el f fcn.
3) uff die Schuldiener Inspection hallen.
4) Pfarrern respectiren.
5) Heiligen Wandels mich fleissigen.
6) gn. Herrn von Sainsheim etc. für den einigen CoUatoreiu
halten.
I Von dieser Zeil an hab ich die Caplaney zu Brait mir, wie
billig, lassen angelegen seyn. 14. Mart zu Seehaus valedircl und
gps«gnd und darauf den 15. Marl diss 1614. Jahrs bin ich mit
^U^n den meinen gen Marckbrail von Grassolzheim ausgezogen
mit 6 Fuhren und 30 fl. par Geld und etlichen dn., und haben
mich meine alte Pfarrkindcr ungern verloren, ja alle Männer auf
der Porkirchen, da ich meine Lezpredigt gelhan, geweint und
kleinen gewissen Pfarrer gehabt, bi$s uff 29. May Herr Johann
^■Uppelich (wficher ö.jul. anno 74 unsers Herrn Pfarrers Georgii
Conrad! Tochter durch den [fol. 49) gniädigen Herrn und mich
I Werbende, erfreyet) allhie in Beyseyn hocliwohlgedachtes gn. Herrn
und eines Calvinischen Herrn von Schwarzenbergs [Im B. A. Schein-
WdJ allhie ordJnirt worden, so an mein stat kommen. Jn diesem
Flecken Brait hab ich nun seiler gedachter Investitur nil wenig
ausgestanden von des Wisers Freunden und Grohischen, dann
iW alte Schuldhciss Groh damahls sowohl als der Wiser
ibfgfSKZt worden. Er ist aber hernach in sein Ampi wieder
eingewiesen und restituirt, und hab ich durch Gottes Onad über-
wunden, bin in meinem Beruff unerschrocken gestanden und hab
raeiner Feind etliche sehen das Land zeitMch räumen.
|fol. 107] Als mein Collcga Herr Georg Conrad Pfarrer
25. Aug. anno 31 verschieden, und ich Ihne solle den 28. diss
beslatten und die ordinari Predigt darzu hatte, kan ich tn der
Nacht nit schlaffen, fällt mir ein, ich soll gen Scgniz zu Doctor
Göring gehen und seines Raths leben, dass ich nicht hinter der
Pfarr hingehe. Dann ich nit gern vor Herrn Pfarrers Begräbniss
»isuchen wollen. Uff den Tag geh ich nach Segniz, uff den Weg
rith mir Herr Wildmeister, ich soll ein Supplic an gn. Herrn
stellen, man hab von einen successore allbereit geredt, der morgen
Sonntag predigen soll. Herr D. Göring liegt im Schwefss, lest
92 Frane KQtbicr.
mir sagen, er iriss nichts, lest mir doch sagen, ja schrcibts auch,
«•an er als Ralh gefragt werd, mein Bestes zu befördern. Im
Heimweg sprechen mein Herr Wünderlein und Wildmeister zu.
Ich soll nit verziehen mit meiner Supplicalion an gn. Herrn,
Herr Schuldheiss lesst mir uff Bitt ein E. Rath zusammen fordern,
die bitten für mich; ich hab an Herrn Sccretar. Wolffium. vcic
audi an £. E. Rath [Bl. I7'| und Doclor auch geschrieben. Gott
der allmächtige hat mein Gebet erhört. Der Bott ist eben Ihrer
Gnaden in die Hand kommen, so ausreiten wollen, und mir der
Pfarrdienst zugesagt Torden, obs wohl dem M. Salom. Blech-
schniidt |aiis Hof, Caplan 1632J, der hernach mein Collega worden,
7weyniahl versprochen gewesen, und ist mir das Decret. als idi
von Herrn Pfarrers seligen Leichpredigt inüd und matt heim-
kommen, von Herrn Johann Merck, Gerich tsschrcibem, gebracht,
der dem Herrn Seiden vorkommen; darauf langen die Glück-
wünschungen an und den 4. Sept. bin ich zur Hfarr, M. Bledi-
schmidl zum Diaconat von Herrn Clemenle Gundermann, Pfarrern
Zu Norlheim inveslirt, und als ich diesen Collegam etwa "U Jalir
gehabt, wird nach seinem Absterben M. Johannes Cranz, Kosen-
bcrgischcr Pfarrer zu Waldmannshofen, (im O. A. Mergcntheira|
mein Collega. [Capian 1632, Pfarrer m Marktbreit I&34 - 1645.]
[fol. 49.] Als ich nun 3 Jahr und etliche Wochen wiederum
zu Brail gehauscl und gedienet, stirbt mir, nadi dem zuvor hin-
gegebenen Kinde, davon oben im 36. Blal, auch mein liebes Weib
(wie im 41. Blal zu ersehen), welche von Mariae Verkfindiguiig
biss uff den 2. Sonntag nach Ostern gelegen, eben zu der Zeit,
da mein Herr Pfarrer krank und die Kirchenarbeit in der Marter-
wochen uff mir allein lag (immassen ich dann inner 7 Tagen
8 Predigt gethan, durch Gottes Qnaü, und sehr viel Beiclitklndcr,
ja am Oslerlag frße noch 40 frembde Personen aus dem Pabst-
Ihumb Ehehallen gehöret. Hab ich also eine rechte ^\arleTwochen
gehabt Gott der allmäditige aber, der nach dem Ungewitter die
Sonne wieder scheinen lasset und nach dem Heulen im d Weinen
die Seinen mit Freuden überschüttet, hat meinen Sack ausgezogen,
mich mit f^'rcudcn gegürtet und mir meine Klage [fol. 50] in einen
Rcyen verwandelt. Wie Tobiae am 3. und Psalmo 31 geschrieben
stehet, das ist, Gott der Herr hat mich nach ausgestandenen
Wittib Stande durdi M. Postiere und seines \C^eibs UntO'handtuiig
■/» der andern Ehe befördert und anderweit erfreuet.
Dann als ich meine gewesene Haussfrau selig alle Tag so-
wohl über essens und wann ich allein war, als bei den Leuthen
bewcinete und nirgend auskam, M. Postlers Weib aber zu Ochsenfurt
den Schwager Gabriel Hailmann angeredel, Er solle mich heissen
je zuweilen ausspazieren und zu Ihren Herrn, der damahls zu
Erlach !*farrer war, kommen, hab ich der Sachen nachgedacht,
dass mit Trauern kein Toder hen^tjeder zu bringen wäre und
ahne das mein Herr Collega mit einem greinenden Weib allhie
Schrcinerin mich verglich etc. Und demnach bald darauf der
Tag einen mich uffgemacht nach Erlach, in Willens, gedachten
Postler zu besuchen. Da nun ich eben gegen dem Mittag in
gröstcr Hiz ausgangen, und der Pfarrer nit zu Haus war, sein
Weib aber mir alle Ehr thäle mit gutem starcken sechzehener Wein,
derselbe mir im Durst gelnincken in Kopff schlug, das Weib aber
mich, wann meine Zeit aus wäre, woh! zu versorgen getröstete
Innd mir Herrn Pfarrern von Sommerhausen und seine Tochter
'Reginam in bester Form mir commendirte und sagte, es wäre ein
kleiner Weg dahin, Icli auch vorhin des guten Herrn Person
wohl kante von Seehaus her und sein Kunst wusste und M. Postler
'Ohne dass nit zu Hauss und mir die Weil lang dabey war, lasse
'mich bereden und spaziere mit nach Sonnnerhausen, vorn Jungk-
herm Fronhöfem [fol. 51 1 und seinem Weib, auch der Pfarrerin
begleilel, da mir dann alle Ehre wiederfahren, auch, als ich mich
unversehens geschnitten, mit gegebenen Verbindung uffs schönest
mit mir gebaret worden. Darauf sind wir wieder nach Erlach ge-
reist und bin icli die Nacht |B1. I8J daseibsl blieben.
Morgens, als mich M. Postlei-s Haussfrau fragt, wie mir die
Jungfrau gefiele, und ich sie nit verachten könnt, will ihre
l'V&scherin mich verliezen und Hundshaar drein hacken: aber von
Oott besehen, bleibt unverwehrt. Ich warte meines Dings und
lass es den lieben Gott walten. Uff Johannis Baplistae Tag hat
ifemeldte Tochter Regina einen schönen vcrguldten Cranz uff
ihres Vatters Befehl gemacht, damit mehrbesagter Postler ist an-
gebunden worden, der wird mir Sonntags nach Johannis an
nnsrm Marckt neben der Person wiederum trefflich commendirt.
94 Franz Htittn«.
Ist mir audi noch nh ausgefallen, dass M. Postlen Weib bey
Ihrer Seelen Seeügkeit beteuerte, wann ihr Herr ein Wittxrer
were, sie demselben kein ander Weib als diese Reginam, wann
sie wolte, wünschen Ihele, um ihrer vielen Tugenden und gutens
HausshaJlens Willen. Darauf als M. Postler sich zu lösen ver-
spricht lind meiner nach etlichen Tagen darru begehrt, ich auch
seinem Verheisen nach der Jungfrauen bcy solchem Convivio
erwarte, eheliche Kundschafft ^u machen, und wann meine Zeit zu
traueren aus wäre, mich zu bewerben, kommt sie nicht, sondern
nur ihre Eltern, und hats Postler weiter als ich begehrt und mit
Ihm abgeredl, [fol. 52J gespannet; kommet Herr Slatvogt Samuel
Man, von Herrn Pfarrern zu Sommerhausen beschrieben, darzu.
M. Postler, von mir übel angefahren, dass er vor der Zeit so weit
lossschlüge und mir böse Nachred verursachte, ändert den stylum
und bittet, wenn meine Zeil aus wäre und ich ansuchte, keinen
Korb zu geben. Der Regina Herr Vater hat etwas Bedenkens,
weil ich Kinder hab und er nit viel Heuratguts hab und was des
Dings mehr, aber Herr Statvogi redl mein Bestes, mir ist atles
wohl zufrieden. Als wir nun über der Mahlzeit unter der Linden
sizen, kommt ein erschrecklich Wetter, die Pfarrerin will heim zu
ihrem saugenden Kind, der Herr bleibt zu Erlach. Ich gedencke,
ich mögte die Person wohl noch einmahl sehen, begehre demnach
gedachte f-rau Pfarrerin heimzubegleiten im grossen Wetter und
Regen. Da ist mir aller guter Will wiederfahreii und hab ich
Gottes Schickung sonderlich gespühret und demnach dahin, wo
Herr Schwager Hübsch mich gern gesehen und befördern wollen,
ni) gelangen können noch sollen. Folgenden Morgens bin ich
wieder von Erlach kommen, hab referirt, und sind wir uff den
Abend (dann ich mich bereden lassen) wieder nach Sommerhausen
mii gesamlelen RaSh, wie man sagt, gelanget, und haben derselh
Herr Pfarrer und ich als Vater und Sohn, einander angenommen
gemeiner Weise, doch l&t etwas mit untergelauffen von Tradation,
wann meine Zeit aus wäre, und wir mein Hausswesen besehen
hätten.
Mittlerweil als ich heimkommen und etliche Tag fürüber,
stell ich auf und forsche nach, was die Jungfrau für ein Lob hab,
Jedermann aber sagt ihr alles gute nach, und hat sonderlich ihre
Sdbstbiognphie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc. 95
liebe Mutter selig (wie aus der Leichpredigt Herrn Nagelü, Pfarrers
zu Winderhausen, zu ersehen) ein [fol. 53] stattlich Lob und
Zeugniss von ihren guten Sitten.
15. Julii diss 1617. Jahrs kommt der Herr Pfarrer von
Sommerhausen mit seinen beden ältesten Töchtern und Tochter-
mann, und besehen mein Hausswesen, da spüret sich die Freund-
schafft an, sonderlich des folgenden Tags 16. Julii, und bin ich
weiterer Heirats Sorg abkommen. Diesen Abend Herr Pfarrer
hie und sein Weib, M. Postler und sein Weib, Herr Schweher
samt seinen Oeferten, ich und die Braut gen Frickenhausen
[6. A. Ochsenfurt] zu Wasser gefahren, 1 fl. verthan.
Darauf den 28. Julii diss 1617. Jahrs hab ich mich mit
meinen Kindern gesezt, das ist, [Bl. 18'] ich hab in Beyseyn Herrn
Sainsheimischen Schuldheissens Groben von Herrschafft wegen,
Herrn Johann Hübschens, Pfarrers zu Sickershausen {B.A. Kitzingen],
von der Kinder wegen und Freundschaffts halber, Herrn Pfarrers
Ceorgii Conradi, Herrn Sebastian Lerleins, Notarii und Oericht-
schreibers, mich verglichen, was ich jedem Kind zum Vorauss
geben solle und wolle, wie alles in Heiratsnotul zu finden. Da
daselb vollendet, hab ich in Gottes Nahmen bey Wesende Ihres
Vaters Sie zur Ehe genommen und biss uff fernerer Priestershand
durch Herrn Pfarrern an die Hand geben lassen.
Warum ich aber so balden wieder geheiratet, sind folgende
Ursachen zu merken;
1. Die Kinderzucht war mir, der nit alle mahl zu Hauss,
allein zu schwer.
2. Das Studiren war schlecht um der Gesellschafft willen,
die mich anloffe.
3. Melanchoiey war gross und sonsten Gefahr Kranckheit
halben, darinnen einen niemand besser als sein Weib warfen kann.
4. Mein Gut kam ins abnehmen, deren sich zuschl^enden
Leuth halben.
5. Die Wärterin (weilen ich kein Magd oder Jungmensch,
Argwohn zu verhüten, leiden kont) costet mich wöchentlich ein
Ort, ohn essen und trincken [fol. 54], so gut ichs genossen.
6. Hab vorhin schon eine Tragoediam gesehen am kleinsten
Kind, als ich heim kam von Sickershausen [bei Kitzingen] von
Herrn Hühschen, den ich an Johannistag angebunden, dann das
Kind, als die Wärterin \trieder meinen Befehl zu den Artwitcm in
die Mainleiten gangen, war daselbst herab vom schmalen Weg
gekugelt und lauter Blut worden, von der Scheuin aufgefangen,
dass es nit gar in Main gehei^lt, und von der Rectonn Junii
Weib abgewaschen worden.
7. Meine Braut hatt mehr Freyer, wo ich nit Zugriffe, und
sonderlich einen reichen Weissgerber von Schweinfurt, auch einen
Pfarrer von Hoheim [bei KilzingenJ, und war ich mit den dreyen
Töchtern Ihrer Köpfe halben (darüber die Wärterin offl samt den
Kindern weinete) nit jedermanns Kunff.
8. Ein Eheweib haltet eher etwas zu Rath dann eine Wärterin.
Ich will jetzt gescliweigen, wie ich ungeachtet fleissiges Verspcrrens
dennoch viel verlohrn und doch niemand nichts zu zeihen nocit
überweisen weiss.
Den 25. Aug. diss 1617. Jahr^ sind Herr Balthasar Held,
des Raths allhier, und Adam Rab Cantor mit mir nach FricWen-
hauscn gefahren und haben die Braut und frembde Hochzeit-
leuthe angenommen und empfangen, die Ochsenfurier Schüzcn
aber haben auch viel Freuden scliüss vor und nach gcthan und
derowegen ihre Ergeziichkeit empfangen vom Hemii Schwebervater.
|fol. 55) Darauf folgenden Tags, Dienstags nach Bartholo-
maei 2ö. Aug., ich meinen andern Kirchgang und hochzeitliches
Freuden- oder Ehrenlest gehalten mit meiner lieben Regina. Es
haben aber uns neu angehende Eheleute zu unsem hochzeitlichen
Elirentag gediencl und; ohne wir beede zur Kirchen mitgangen
67 Personen, unter welchen die merckwQrdigsten sind Herr Nico-
laus Grohe, Sc-huldheiss zu Marckbrait, und als meines gnädigen
Herrns von Sainsheim Gesandter. HerrM. Hieronymus Theodoricus
Seh wehe rvater. Herr Georgius Conradi, Pfarrer allhie zu Marck-
brait. Herr Sebastian Lerlein, Schwager und Gerichtschreiber allhie.
|Bl 19] Herr Matthias Engelhardi, Schwager und des Raihs
allhie. Hen- M. Thomas Jung, Pfarrer zu Sundheini (Mönchsond-
heim im B. A. Scheinfeld], Vetter.
Herr Gabriel Hartmann, Schwestermann mir 1 zu Kirchen
Herr Conrad Härtung, des Raths allhier / mitgangen.
Setbstblognphie des Stadtpfarrere Wotfgang Xmmon elc 97
Herr Johann Hübsch, Pfarrer zu Sickershausen, Schvager.
[fol. 56.)
Herr Georg Hager, des Raths zu Kitzingen , der jetzigen
Schwi^er Stieffvatter.
Herr M. Johann Postlerj Pfarrer zu Erlach.
Herr Hanns Georg Wild, des Ralhs allhier, ein Gevatter.
Herr Balthasar Widmann, Fürstlich Brandenburgischer
(Wein-1 Bergmeisier zu Sommerhausen, ein Schwager.
Herr Christoph Hohenbei^er, der Braut Schwester Mann.
Herr Balthasar Held, des Raths aUhier.
Herr Adam Rab, Cantor alihier.
Herr Peter Planck, teutscher Schulmeister alihie.
Weiber oder Frauen:
Frau Dorothea KörneriHj Kellerin.
Frau Barbara H chen bergen n, Braut Schwester.
[fol. 57] Frau Margaretha Conradin, Pfarrerin allhier.
Frau Margaretha Gröhin, Schuldheiain allhier, nur zur
Kirchen.
Frau Pfarrerin von Mönchsund heim.
Frau Pfarrerin von Sickershausen.
Frau Pfarrerin von Erlach.
Frau Bergnieisterin von Sommerhausen.
Frau Schulmeisterin von Sommerhausen [Margaretha Gast,
^I. Caspari, Der Schulmeister und sein Sohn, 1853|.
(fol. 53) Frau Plänckin, deutsche Schulmeisterin, [fol. 61.]
Es hat mir aber mein lieber Herr Schwchervater fünfzig
Gulden an guten alten herrlichen Reichs Talern, deren jeder
21 Bazen gölten, zum Heuratgut vor der Hochzeit erlegt, da ich
mit die Hodizeit verlegt und Kleider zu Kitzingen erzeuget
Ich hab auch von ihren Anherrn oder AUvattern Herrn
Zacharia Bechtem, gewesenen Pfarrern zu Feldsteten, nach seinen
Tod anno 20 im Majo bekommen und ererbet [fol. 62] ati
Mobilien über meinen Abgang um ein rechtes taxir^ so gut
als 30 n.
Ifol. 67] Das Leben meiner andern Hausehre Reginae.
Ihr Valterland ist Sommerhausen, 3 Stund Wegs von Würz-
burg, der Herzoglichen Stadt in Francken gelegen. Sie ist aber
Aidiiv für Kulluriinchlchte, 1. 7
{
den 27. Aprilis anno Christi 1597 ECbom. Ihr lieber Herr Vater
ist der Ehrenwürdige und Hochgetarte Herr M. Hieronymus
Theodoricus, Limputgischer Pfarrer zu besagtem Sommerhausen.
ihre Siebe Mutter (selig) war Frau Regina Bechlerm, des auch
Ehrwürdigen und Wohlgelahrten Herrn Zachariae Bechlers,
Pfarrers zu Feldslcten selig (so von Augspurg mit Herrn Doctor
Georg Müllern') und andern Kirchendienern vertrieben und ver-
folget worden) [vgl. Paul von Stetlen, Qesch. der Stadt Augs-
burg 1, Ö96] und Apolloniae vom Geschlecht einer Dempflerin
Tochter.
Ist von Kindsheinen an und in der zarten Jugend nach
Pauli Vemiahnung zur cliristlichen Schul gehalten, unter Herrn
Johann Weichselio, welcher hernach zu Lindelbach [bei Ochsen-
furt] und Westheim [bei Kiizingen] Pfarrer und dess Orts ein
Gevatter worden, meines [Bl. 19'] Herrn Schwehers, nemlich ....
Die Hausszucht ist auch gut gewesen, welche viel bey der
Sachen gethan, darum sie dann nicht nur das gedrudde, sondern
auch geschriebenes fertig lesen und wohl schreiben gelernet, auch
der Gottesfurcht sich vor allen Dingen geflissen und |fol. 68J
viel schöner Psalmen sampt den Feyer- und Sonntäglichen
Evangelien, auch schöne Gebet allerhand auswendig recltiren
können, und ist dannoch darneben zur Haussarbeil, neen, shncken
und andern weiblichen Verrichtungen uffs Beste von ihren Eltern
und alten Schuldhelsen angewiesen, auch fleissig im Haus be-
halten und wenig ausgelassen worden. ßchiuis foisi.)
■] Vgl. Bciti. T, 4. Dt, 0«otfi Mütter (M>-1iut| war I14S in Aupb-uis gtborat
und Mitne den Kithollkrn luI du einichiednui« Wid«rtund, bis er bich uidlidi zur
Zwei Zeitungsprivilegien
Mitgeteilt von AR M I N T 1 LLE.
Di« Oeschichle der Zeitung tiedarf noch in vieler Beziehung
öer- Aufklirung, und die Fürsorge bezw. Bevormundung, die ein-
lelrs^n Zeitungen im absoluten Staate zu teil wird, verdient auch
abg-^^ehen von den besonderen zeilungsgeschichtlichen Probfemen
Bea.oJitung. Deshalb dürften die Privilegien für zwei Zeitungen
vor» 1784 und 1818, die hier milgeteiU werden, wohl ein ge-
Ti^scs Interesse beanspruchen. Vielleicht dienen sie auch dazu,
ancl fe zur gelegentlichen Veröffentlichung derartigen Materials
• »"Eia regen.
In beiden Fällen kommt das hohe staatliche Interesse an
finer Zeitung zum Ausdnick, aber während wir im zweiten Falle,
d*!" «Jas Wochenblatt zu Rochlitz in Sachsen betrifft, von einem
LoWalblaite hören, welches der staatlichen Leipziger Zeitung
B iKinerlei Konkurrenz machen darf, wird 1784 im Kurstaate Köln
gerade eine Slaalszeitung gegründet, die wenn auch äusserlich
«te Privatunlcrnchmen auftretend, doch von der Regierung in
_ ieder Weise unterstützt wird, und zwar bezieht sich die Unter-
setzung sowohl auf die Lieferung der Nachrichten als auch auf
dw Absatz, insofern jeder Amtsverwalter und jeder Stadtrat im
Kurfüretentum von Amtswegen abonnieren muss. Der dieses
Privileg ergänzende Prospekt') zeigt wiederum, wie die Ver-
*>^lung5maschine im Kurstaate funktioniert und wie namentlich
^ Der im Eingang von U. ervihnte •va/gtlcslt PUn* wird «ohl nichti indem
wia, all clHii dlnn untn ilt IIa. viedciKcccbene Protptlrt.
7*
i
der Statistik in jeglicher Form Interesse entgegengebracht wird.
Andererseits fehlt gerade dasjenige, was uns als wesentlicher Teil
einer Zeitung erscheint, der politische Nachrichtendienst, völlig,
und wenn dies auch nicht gerade etwas neues ist, so bleibt es
doch interessant, aus dem Prospekt von vornherein zu ersehen,
dass derartige Mitteilungen überhaupt gar nicht beabsichtigt sind,
dass vielmehr dem Leser rein praktische Nachrichten übermittelt
werden sollen. Dagegen sehen wir das Annoncenwesen') schon
einigcrmassen ausgebildet
Bei dem in Rochlitz zu gründenden Wochenblatte handelt
es sich, wie schon oben angedeutet, um ein Lokalblatt, und gerade
über solche Organe ist bisher wenig bekannt, weil die grossen
und alten Zeitungen auch bei den zeitungsgeschichtlichen Por-
schungen immer In den Vordergrund getreten sind. Besondre
Beachtung verdient hier der Umstand, dass der Superintendent
der Stadt der Redakteur des neuen Wochenblattes verden will.
Es mögen nun die Aktenstücke selbst reden.
la.»)
Von Cottes Gnaden Wir Maximilian Franz, Eizbischof zu
Köln, des heiligen römischen Reiclis durch Haben Erzkanzler und
Kurfürst u. s. w.
Aus landesherrlicher Fürsorgt für das allgemeine Beste
Unserer getreuen Untcrlhancn sind Wir inüdcst bewogen worden,
einen, zu einem neuen Intelligcnzblatte Uns untcrthänigst vorge-
legten, Plan zu bestätigen, und dieses Inlclligenzblatt (welches mit
Anfange künftigen Jahrs, in Unserer Residenzstadt Bonn wöchenihch
einmal erscheinen wird) für Unser rheinisches Erzstift, und das
Vest Recklinghausen gnädigst zu privilegiren.
Um dasselbe für das Publikum um desto gemeinnütziger
2U machen, haben Wir gnädigst gut gefunden, folgendes gnädigst
zu verordnen.
Erstens: Befehlen Wir allen Unjeren Kurfürstlichen so wohl
als UnterherrUchcn Cerichtcm, die bei Ihnen ausgefertigten
'} Vb;I. cd dlexr Pnge die icitcrnunte Artidl von Ludvlg Munilnger, Die
LntvkkclunE ük Inseriltnvncni In den clruticbea ieitunetn (Heidelberg: E^rl Winttf, IMl).
*) Die Votlige in I ■. und I b. nilit iin Slaillsrchlv lu Bi>iiii.
I
I
öffentlichen Abladungen, gerichtlichen Verkaufsanzeigen, und der-
gleichen jedesma! frühzeitig, so wie auch die Zahl der, in jedem
verflossenen Jahre, tintcr ihren Gerichlsbeztrken Gebohrenen und
"Verstorbenen, mit Bemerkung des Geschlechts, auch der Verehe-
lichten Personen, alle Jahre um Ostern an das Intcllij^cnzkonitoir
^ur Einrückung unfehlbar einzusenden. Wobei Wir dann zugleich
«lensclbcn die genaueste Befolgung der, unterm 27ten Homung 1779,
in Betreff der Tauf-, Kopulations- und Sterbbüchcr, erlassenen
"Verordnung hiermit schärfest einbinden.
Zweytcns: Gebielhcn Wir allen Pfarrern Unserer rheinischen
"KurUndc, und des Vestes Recklinghausen, welche zu auswärtigen
Diözesen gehören, wie auch allen Predigern der augsburgischen
^(onfession den, von dem Gerichte jedes Orts im Jänner jedes Jahrs,
"Slmen zuzustellenden Büchern die im nächsiverflossenen Jahre
'Vorgegangen cn Vereheüchungs-, Tauf- und SterbJälle aus ihren
■^Original bij ehern inner sechs Wochen Zeit einzutragen, und, als
■Äiit letztern gleichlautend, durch ihre Unterschriften zu beurkunden;
^äodann bei Zurücklieferung dieser zum Gerichte gehörigen Bücher
^welche durch vertraute Bothen geschehen muss) ihre Urschriften
zugleich mitzuschicken, damit die Oerkhtsschreiber solche ver-
gleichen, und die zum Gerichte gehörigen Bücher ebenfalls, als
^ichlautcnd, unterschreiben können. Indessen sollen die Aus-
züge oder Zeugnisse von den Pfarrern und Predigern allein, von
den Gerichtschreibern aber (wie schon durch die Verordnung
vom 27ten Hornung 1779 befohlen ist) nicmal, als nur im Falle
des verkommenen Kirchenbuchs ertheilet werden, welcher Fall
alsdann dem Auszuge mit beizusetzen ist.
Drittens: Verordnen Wir, dass alle Amisvenrälter gleichfalls
die bei ihnen ausgefertigten öffentlichen Abladungenj gerichtlichen
Verkaufsanzeigen und dergleichen, jedesmal friihzeitig, Bürger-
meister und RiÜi zu Neuss, Bonn und Linz aber den Marktpreis
der Früchte, und die Brod- und Fleischtaxc, wie auch der Meyer
Unserer Residenzstadt Bonn die zu bestimmen ihm obliegende
Schwere des Weisbrods, alle Wochen ohnfehibar zu obgedachlein
bönnischen Intelligcnzkomtoir einschicken sollen.
Viertens und letztlich befehlen Wir allen und jeden Kur-
fürstlichen sowohl, als Unter he rrtichen Gerichtern, allen Unseren
(
102 Armin TiDe.
Amisvcppältem, wie auch Bürgenneistem und Rath aller Stddte
Unseres rheinischen Erzslifts und des Vestes Recklinghausen, bis
auf Unsere nähere höchste Verordnung, ein Exemplar des neuen
Intelligenzblatlcs für den festgesetzten Preis von einem Rlhlr. spec.
anzunehmen, und denselben, sammt den Postgebühren resp. aus
den, unter den Gerichtsgh'edem und dem Gerichtschreiber [heil-
baren Gebühren herzunehmen, in die Amtsrechnung einzubringen,
und aus dem städtischen Aerario abzuführen. Urkund dieses.
Gegeben in Unserer Residenzstadt Bonn den Qten Weinmonds I7S4.
Ib.
Gnädigst phvüegirtes
BÖnniEches In teil igen z-BIatt.
Prospekt.
In diesem Formal,') mit neuen Lctlcrn. auf gutes Papier
gedruckt; und nach folgendem Plan bearbeitet, «ird von dem
hiesigen Intelligcnzblatte, mit Anfang des künftigen 1785tcn
Jahres alle Dienstage ein halber Bogen (nach Erforderniss des
Stoffes aber auch mehr oder noch ein Extrablatt) erscheinen.
Istcns: Werden in demselben nicht nur alle kurfürstliche
gnädigste Verordnungen und Edikte wörtlich abgedruckt, sondern
die höchste Behörde wird auch in Fällen, »eiche eine schleunige
Verfügimg fordern, oder nicht erheblich genug sind, um den
gewöhnlichen weitläufigen Umweg der Circularschreiben zuzu-
lassen, sich dieses Intelügenzblaltes bedienen, um jene gnädigste
Verfügungen und sonstige heilsame Anordnungen zur Wissenschaft
der Beamten und des Publikums geschwind, sicher und ohne
Kosten zu bringen.
2tens; Ist dieses von den Vorschriften, Warnungen und
dergleichen zu vtMslelieu, durch deren Bekarmtmachung, bei
herrschenden Epidemien oder sonstigen Veranlassungen der kur-
fürstliche Medixiiialrath das Publikum zu belehren nöthig oder
dienlich finden wird.
'( Otmdiii I« l*. xvtttpftltiri gedruckt, - Dm hwr Qc(p«tr(e ht in dw Vor-
1*2« trit {«d ruckt.
3tens: Werden die Entscheidungen der, sovol bei hiesigem
Hofralhe vorkommenden, als bei den höchsten Reichsgerichten in
appellatorlo hangenden, erzstift-ktiln Ischen Rechtssachen genau
und nach zuverlässigen Angaben geliefert.
4tens: Kömmt hierher eine genaue und zuverlässige
Anzeige von gnädigsten Beförderungen im geistlichen, Civil- und
Militairstande.
Stens: Werden die merkwürdigem Vorfälle der hiesigen,
kurfürsUidien Akademie, als da sind: Vorlesungen, Disputationen
und dergleichen verzeichnet.
btens: Da die beiden Städte Köln und Frankfurt gleich-
falls die Magazine sind, woher der erzstiflischc Kaufmann und
Krämer seine meisten Waaren bezieht; und die Niederlagen, bis
wohin beinahe nur Natur- und Kunstprodukte von hier ausgehen;
also dass uns etwas an dem Steigen und Fallen der daslgen
Marktpreise gelegen ist: so werden von Zeit zu Zeit die Preis-
kouranten jener Städte (d. i, die Zedel, worauf die laufenden Preise
aller daselbst circulirendcr Kaufmannsw-aaren verzeichnet sind)
gegeben. Es versteht sich von selbst, dass diese Zedel hier sehr
enge und tabellarisch zusammengedruckt, oder vielmehr nur die
Artikel daraus jedesmal hierhergebracht werden, deren Preise sich
wirklich, seit der nächstvorigen Anzeige davon, geändert haben.
7tens: Wird eine ähnliche Preiskourante der vornehmsten
Consumtibiiien hiesiger Residenzstadt.') als da sind: Früchten,
Mehl, Brod. Fleiscii, Oelj Seife, Thran, Salz, Brand und dergleichen
hiehcr gebracht
Stcns: Folget sodann ein Verzeichniss der Früchte und
Mehlpreise der benachbarten und anderer Städte, mit welchen der
erzsUftischc Unterthan hauptsächlich in jenen Artikeln handelt,
z. B. Köln, Neuss, Linz, Düsseldorf, Jülich, Achen, Diären, Koblenz,
Mainz u. s. w.
9tens: Kömmt eine Tabelle, welche die Geburten, Ehen
und Leichen im ganzen Erzstifte, und zwar die aus hiesiger
I
■) Uncr den IS. Dn. IT» fordert dtr Kurfüm dtn Rit der S»dt Bonn nocb-
«al« boonden *vf, dei «Mientlichcn rrQchfeprelt, Brol- nnJ Fle<Kht>Ae lu lierem und
rmv n ■drttikm : An Jie Kurfürsüichc KAtniKhe HafnllivIOiniüei lu Bunn
i
Residenzsiadi namentlich, die übrigen aber nur in Zahlen und
einmal im Jahre enthält. Zu diesem Ende sind die Pfarrer des
ganzen Erzstiftes angewiesen, bei Gelegenheit ctcr, durch kur-
iürstliche gnädigste Verordnung vom 27sten Hornung 1779 be-
fohlenen Auflegung der Taufbücher, die Listen der Gebohrenen,
Oestorbenen und Vereheüchten an die Beamten ihrer Pfarrbezirke
zu überreichen.
lOtens: Werden die Einnahme und Ausgabe des hiesigen
Armenhauses und alle von der Armenkommission zu treffende,
auch gewöhnliche, Verfügungungen dem Publike vorgelegt, wie
nicht weniger die Anzahl der Spinnenden und jener, welche aus
der Kollekte ihren Unterhalt haben, angezeigt.
lltens: Wird wenigstens einigemale im Jahre Nachricht
gegeben a) von der Abfahrt und Ankunft des hiesigen Post-
wagens und Marktschifics von und nach Köln; item des kaiserl.
Wagens von und nach Koblenz; b) Von dem Abgang und der
Ankunft der reitenden Bnefposten; c) Von der Ankunft und dem
Abgange der Achener, CIcvischcn, NImwegcr, Düsseldorfer u. s, w.
Wagen zu und von Köln; d) Von der Ankunft, dem Abgange
und Absteigequartier der Adenauer, Ahn»eiier und anderer
Bothen dahier.
12tens: Machen den Schluss sogenannte Avertissements.
Diese theilen sich in 1. Gerichtliche, als da sind: Ediktalcila-
tionen, Steckbriefe, Subhastalionsverkündigungen und dergleichen^
welche alle aus kurfürstlichem gnädigsten Befehle von allen erz-
stiftischen Oerichlern hieher gesandt werden. II. Ausser-
gerlchtliche, deren gewöhnlichere Gattungen sind: Anzeigen
a) von Sachen, die zu verkaufen oder zu vcrmiethen sind oder
zu jenem Ende gesudit werden; b) Von verlohrenen, gefundenen
und gestohlenen Sachen; c) Von Geldern, so auszuleihen sind
oder gesucht werden; d) Von Personen, die in Dienste und
Arbeit gesucht werden oder Dienste und Arbeit suchen; c) Buch-
händler-, Künstler- und dergleichen Nachrichten; f) Vermischte
Anzeigen, Anfragen u. s. w.
Dieselbe werden, wie alle das Intelligenzblalt betreffende
Briefe, unter der Oberschrift: An das Intelligenzkomtoir
zu Bonn franco cingeschicket. Für die Einrückung derselbea
*
*
•«röd jede gedruckte Zeile mit 2 Sib.') bezahlt; der Preis des
ßlattes selbst aber ist für das Jahr 1 Rthir. spec. Auswärtige
Liebhaber machen die Bestellungen an das hiesige oder ein ihnen
nihergelegcnes löbhches Postamt und finden sich der Versendungs-
kcsten vegen mit demselben ab.
Wie nützlich übrigens, ja unentbehrlich ein solches Blatt
j&<icm vateriändischen Oeschäftsmanne sei, ist klar; mit wie viel
gT'össerm Vorthelle aber, als der gewöhnlichen Zeitungen, das
F*iiblikum sich desselben bedienen könne, um allerhand Nach-
richten bekannt zu machen, erhellet auch schon daraus, dass durch
einen kurfürstl. gnädigsten Befehl alle Oerichter, Städte und Amts-
venacaltcr des rheinischen Erzstifts und der Grafschaft Reckling-
hausen, (das Herzogthum Westphalen hat sein besonderes
Intelligenzbla4t) dasselbe zu halten angewiesen sind. Obrigkeitliche
Rersonen sind nämlich vor allen die Klasse von Bürgern, denen
Neuigkeiten des Vatertands von der Art, wie sie dieses Intelligenz-
t^^att enthält, nie unbekannt bleiben sollten, ungerechnet des Isten
Artikels, dessen Inhalt sie zunächst und oft einzig angehet, also
dass sie denselben von Amtswegen nicht ignoriren dörfen.
Zum Schlüsse kann man das Publikum versichern, dass alle
Anstalten getroffen sind, um nur zuverlässige Nachrichten, wo-
rauf sich allerdings verlassen werden kann, zu liefern.
Bonn aus dem Intelligenzkomloir den 6ten Oktober 1784.
II.
>) Friedrich August, König pp.
Lieber Getreuer! Auf deinen alier unterthänigslen Bericht
voin 28. V. M. können Wir geschehen lassen, dass von dem
Superintendenten D. Thienemann ein Wochenblatt herausgegeben
Verden möge, jedoch unter den Bedingungen, dass dabei die
besiehenden Vorschriften wegen der Censiir sorgfältig in Obacht
") Slflbtt
*) Dfnn Sdirdbcti Itt an im Amimanci ni Rochlllt srndilct und in (tieAnl«i}Tt
Hdfiot ran ihm itrmiHcItt Eingabe. — AU Vorixgr hit eine in StadUrctiiv ib Orinnia
•Mknidi AbKfcrtft DU dem Endt der ivuizictr Jihtt etdient.
1
106 Armin Tille.
genomnien, hiernächst in gedachtes Wochenblatt bei 10 r. Strafe
für jedes Stück keine politische Nachrichten, insofern sich nicht
der Herausgeber darüber mit dem Zeitungspachter in Leipzig
einverstehet, und keine inländische gerichtliche Avertissements,
venn sie nicht zuvörderst in die Leipziger Zeitungen aufgenommen
worden, eingerückt werden. Demgemäss wollest du, wie Wir
hiermit begehren, das Weitere verfügen. Mochten's dir unter
Remission eines Konvoluts sub o nicht bergen und geschieht daran
Unsre Meinung. Datum Dresden, am IQ. Mai 1818.
Beprechimgen.
Besprech ungen.
E, Seyler. Die DnisusverschatizungMi boi Deisenhofen. 2. A.
Müficlwai 1900. Selbstverlag, in Kommission bei Poessl. (W S.) — Terra
limitaneä. München 1901. Verlag wie obeit. (82 S.)
Bdde Sdiriftcti verfolgen das vom Verfasser in seiner ereteci Schrift:
Acrarien und Exkubien angeschlagene Thema veiter, nämlich die Bedeutung
der RÖmerkaslelle als Onindiage der spilercn Biirycii. Den Gründe»,
irelche — am entschiedensten von Cohausen — der überlrieben roma-
nistbchen Auffassung entgegengeliaUen werden, sucht er den Boden /u
entziehen durch die Sclieidung von aslra und caslella. van denen erstere,
hinter dem Grcnzwall gelegen, als Tnippenstandorle dienten, wahrend
letztere darüber hinaus vorgeschoben den Keim der Entwicklung bwgcn.
Durch zusammenfassende Betrachtung der historischen Quellenstellen und
der lopographisdien Verhältnisse gelangt S. zu folgender -Auffassung.
Die lortifikatortschc Übung der Römer setzte sie iti stand, im Felde neben
den Standhgem kleinere Werke aufzuwerfen, die teils der Rekognoszierung
dienten, teils dem Schutze der für die Verpflegung tätigen Truppenteile.
Als Beispiel dienen die bei Deisenhofen südlich von München am rechlcn
lunifer erhaltenen Venchanzungcn, die 5. auf den von Drusus im
Jahre 15 v. Chr. zur Unterwerfung Vindelikiens iintanomniencn Zug
zurückführt. Aus dem Inntal heraus auf der schon vorhandenen Römcr-
ttrasse Salzburg— Augsburg vorrückend hat Drusus am Rande des Gleisen-
tals ein Lager errichtet, um Verstärkungen abzuwarten, wobei eine vor-
geschobene Sdunzejigruppe dem Schutze seiner Frumeiilatoren diente.
Dieses System fand weitere Fortbildung auch für Friedenszeiten: aus den
Agrarien als Stauen flüchtigen Fouragierens und den sie schützenden
Erdwerken wurden ständige Einrichtungen, durch Höhenlage gesicherte
Verpfl^ungsstationcn und Zufluchtsorte, durch die gemauerten Exkubien-
kastelie gedeckt. Den Schluss der Entwickhing bildete die Reservierung
von Staatsländcrcien vor dem Limes zum Unterhalt der Veteranen, die
die als Aiissenwerke dienenden Kastelle besetzt hielten. In ihnen, die
sidi durch Lage und üestalt durchaus von den sonst rilschlich Kastelle
genannten Ijigcm der regulären Truppen hinter dem Limes unterscheiden,
ist die Wurzel der spätaen Burgen zu suchen. Wenn S. selbst die
Einzelbeweise für die Richtigkeit seiner Thesen der Lokalforechung zu-
meist, so erscheint das um so nötiger, als die von ihm gegebenen Ab-
bildungen dne sichere Deutung so achwacher Reste kaum zulassen.
Jedenfalls ist durch die zahlreichen Burganlagen hohen Allers in Ocgendcn,
die nie eines Körners Fuss betrat, bewiesen, dass es ihres Einflusses nicht
bedurfle. Wie raannii.'facBie Typen sich hier auf kleinstem Raum nach-
«■eisen lassen, dafür sei nur an Brinckmanns schöne Arb«1 erinnert.*)
0. Liebe.
Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels.
Herausgegeben von Karl v. Amira. haksimilc-Band. Erste Hälfte.
90 Tafeln und 3 Ergänziingstafeln. Leipzig, Karl W. Hiersemann, 1902.
Der in der Zeil zwischen 1215 und 1235 von dem Schöffen Eilte
von Rcpgau verfassle „Spiegel der Saxen" hat sich, wie bekannt, im,
späteren Mittelalter des allgemeinsten Ansehens in Deut&cMand zu er-
freuen gehabt. Er ist dnfier für die deutsche Rechtsgcschichte und Wr
die Kulturgeschichte überhaupt ein Stück von hervorragender Wichtigkeit.
und eine sorgfältige Publikation der frühen Handschriften, zu denen
auch die aus der ersten Hälfte des 14. Jahrh. stammende Handschrift in
der königlichen Bibliothek tu Dresden zählt, müsste unter allen Um-
ständen mil Freuden zu begrüsaen sein. Umsomehr müssen wir voll des
höchsten Lobes die vorliegende Ausgabe anzeigen, denn dieselbe bietet
nicht etwa schlechthin eine Textpublikation, vielmehr wird hier eine
grosse Bilderhandschrift in ihrem ganzen Umfange in durchaus vortreff-
licher U'eisc reproduziert.
Wie im 14. Jahrh. die Kunst der Buchmalerei sich iJberhaiipt mehr
und mehr in den Dienst der Allgemeinheit geslelll halte, so wurden auch
die grossen Handschriflni des Sachsenspiegels mit langen Bilderrdhen
ansgeslattet, die den Text in gleichem Schritte begleiten, und die nicht
SO sehr die Aufgabe haben, als Schmuck der Handschrift zu dienen, wie
sie dem Leser das Verständnis des Textes erleichtern und vor allem denen,
die des Lesens unkundig waren, den Inhalt der zugehörigen Rechtssitze
veranschaulichen sollten, wobei man die Zusammengehörigkeit von Ab-
bildung und Text in höchst einfacher und doch deutlicher Weise dadurch
2iim Ausdruck brachte, dass man die farbigen Initialen, mit denen die
Einzelabschnitle des Textes beginnen, in denselben Farben zu den
einzelnen Abbitdungsgnippen derselben Seite einfach nochmals dazu
«We.
Das Wichtige hierbei ist, dass die Bilder nicht auf die erklärende
Sprache des nebenstehenden Textes rechnen durften, dass sie auch in-
haltlich ihren selbständigen Wert haben niussten. Daher betont der
Illustrator überall mit besonderem Nachdruck das Typische der Erschei-
nung, und so erhalten die Abbildungen eine ganz hen-orragende kultur-
geKhichthche Bedeutung. Durch ihre Veröffentlichung ist der Wissen-
*) BBrcanlagcn in der KU» vmi Zctti. Progruia. laM.
Besprechungen.
10»
Schaft eine reiche Fundgrube an Abbild unpsmaterial erschlossen, welches
sich wie das Recht, das es zeichnerisch umschreiben sollte, auf alle Ge-
biete der AÜertumswissensch-ift gleichmässig erstreckt. So ergibt sich,
um irgend eine besliiniute Seite »ier Alterlumskuiide beliebig heraus-
zugreifen, fßr die HausattertÜmer ein reicher Ertrag, und ich kann mich
z. B. nur an ganz wenig bekannt gewordene mittelalterliche Handschriften
erinnern, wo wie hier eine völlig Ifickenlose Reihe von Abbildungen des
Acker- und Fcldgerätcs dargeboten würde. Da sehen wir den Pflug, nur
teicbthin gezeichnet und doch völlig deutlich mit seinen einzelnen Teilen,
dem Grindel mit der Säge, dtr Säule mit der Pflugschar und dem
Strrichbrett und endlich den beiden Armen mit den Pflugzwecken, das
Ganze ruhend auf dem zweirädrigen Qestclä. Wir finden den Wagen
und die Egge, den Spaten, Kar&t und Hacke, den Rechen und die Sichel,
die Mistgabel und die Axt, und das Qeschirr der Zugtiere mit Sattel und
Zaumzeug wird uns durchaus klar abgebildet.
An diesem einzelnen Beispiele mag man den Reichtum der Zeich-
nungen erkennen, die hier mit Unterstützung der kgl. sächsischen Kom-
inission für Oeschichtc und der Savigny-Stiftimg in sehr guten Nach-
teldungen veröffcTitüchl sind, Eine nähere Untersuchung der Bilder,
veiche die darin enthaltenen allen und neuen Elemente sorgfältig prüfen
und von einander scheidlen soll, wird der von deiu Herausgeber Prof.
Dr. K. V. Amlra in Mönchen verfasste Textband bringen. Derselbe wird
für alle Gebiete der mittelalterlichen Kultur Deutschlands reiches Material
lins zugänglich machen, worfiber dann seinerzeit zu berichten sein wird.
Einen guten Vorgeschmack davon hat aber der Verfasser selbst uns so-
eben geboten in einer eingehenden Studie, die er in den Abhandlungen
der K. Bayer. Akad. d. Wiss. I. Cl. XXII Bd. 11. Abt. München 1902,
S. 327—385 unter dem Titel: »Die Genealogie der Bilderhand-
schriften des Sachsenspiegels* veröffentlicht hat.
Es handelt sich dabei um das gegenseitige Verhältnis der Hand-
schriften «u Heidelberg (H-), zu Oldenburg (O.), zu Dresden (D.) und
m WolfenbOttel (W.), und bei der Wichtigkeil des Gegenstandes dürfte
es nicht unerwünscht sein, die Resullatc der ungemein sorgfälligen Unter-
aicfaung kurz mitzuteilen. Die Bilder von D. uitd W. slitnnien schon in
ihrer räumlichen Anordnung genau mitemander überein, und die Unter-
Khiede zwischen beiden falten nur soweit ins Gewicht, als sie zeigen,
dass die beiden Hss, nicht aus den nämlichen Händen hervorgegangen
lind. Kostümlich nimmt W. einen Jungeren Standpunkt ein als D., und
die Bilder bieten selbst eine Reihe von Gründen dar, die ein Tochter-
verhältnis von W. m D. wahrscheinlich machen, Da nun Ainira auch
noch als zweifellos nachweiät, dass der Text von W- von dem in D. eine
AbschriN ist, so kommt er zu dem überzeugenden Schluss, dass wir auch
den illustrativen Teil von W. für eine Kopie von dem in D. erachten
müseen. — Die Texte von H. und D. sind unabhängig untereinander
von einer dritten Hendschrift unmittelbar abgcleit«t, die illustriert und
ebenso eingerichtet war vie H. und D. Demnach wird die hin und
wieder geaiissene Meinung hinUÜig, in H. Liege das Original der ge-
samten Sachsenspiegel- lEtustratioii vor; vielmehr spricht die Vermutung
liafür, dflss H, und D. wie iliren Text so auch ihren Bildervorrat aus dw
Vorlage bKOgen haben, welche Amira mit V. bezeichnet. — Von dieser
V-Qruppe (M, und DW.) nun unterscheidet sich die niedersächsische
Handschrift O. in mehrtadier Hinsicht. Ihre anzunehmende Vorlage
nennt Amira N. und konstatiert, dass zurischen den Teveten der Y,- und
der N.-Qruppe nur Seitenveracaiidtscliait besieht, doch dürfte der nächste
Ecmdnsame Vorfahre von V- und N. kaum -»eit hinter beiden zurüclt-
li^en. Audi ein Vergleich der Zeichnungen von O., die in höchst
merkwArdigcr Weise mittels Pausen aus derVorlajje QbcrtrageTi sind, mit
den Illustrationen der Y- Gruppe führt zu dem gleichen Resultat.
Deiilüch erkennt man ans .^miras Arbeit, Teichen. Wert die genaue
Untersuchung der Bilder zugleicli für die Geschichte der Handschriften
und des Textes hat, eijenso aber wird daraus auch der ganze (teichtum
der publizierten Handschrift klar, zumal Amira sich hier schon als treff-
lichen Interpreten cnciesen hat. Man vergleiche in dieser Beriehung
z. H. nur, wie er den koslümüchen Fortschritt von D- gegen H, be-
obachtet in den gekürzten M5nnerröcken, der dreifach belcrünten Tiara,
den LappcnSrmeln, dem Kragenhersenicr mit Beckenhaubc, dem Faust-
schild mit spitzkcgeligem Nabel, dem Judenhut mit öbcrhöhter Spitze uml
Kugclknauf. Umsomehr dürfen ^6■ir auf Amiras Textband gespannt sein,
der hoffentlich mit einem recht genauen Sachregister versehen und damit
unr»-eifelhafl zu einem nnentbehrlichen Nachschlagebiicbe für die mittel*
alterliche Kulturgeschichte erhoben werden wird.
Otto Lauffer.
A. Klppenher][. Die Sage vom Herzog von liixemburg und
die historische Pcreönlichkeil Ihres Trägers. Mit 2 Vollbildern und II
Abbildungen im Text. Leipzig. Engelmann. 1901. (280 S.)
Für die selbständige Lebenskraft der Ideen, die unabhängig von
Persönlich keilen, von Raum und Zdt auftauchen, wo sich ihnen ein
günstiger Punkt zur Kristallisierung bietet, liefert die Sagengeschichte Bei-
spiele, die um so bemerkenswerter sind, je mehr dieser Vorgang sich an
einer Gestalt von festen historischen Umrissen vollzieht. Die Vorstellung
frevelhafter Überhebiing, die die Befriedigimg ihrer Gelöste von einem
Bunde mit den bösen Mächten erhofft, hat in Deutschland ihre letzte
volksmässige Verkörperung in dem Ma,rschal! Ludwigs XIV. gefunden,
der in seiner Verbindung von skrupellosem Strebertum und wüster Oe-
nussucht durchaus ein Sohn seiner Zeil ist. Die seltsam verschlungenen
Fäden dieses Gewebes bloszulegen, dieser Aufgabe folgt der Verfasser
mit Scharfsinn, veenn auch oft mit ru grosser Ausführlichkeit. Der
Besprechungen.
111
I
historische Comte de fiouüeville, der seinen spüiercn Namen nur einer
»n praklischcn Erwägungen dikliertcn Heirat mit einer Erbtochlcr ver-
duikte. war ein echter Typus jenes fnnz&sisctien Adels, der sich, venn
luch erst Paneiganger der Fronde, sklavisch vor dem aufsleigenden Qe-
ilim des Sonnenkönigs beugte. Als Freund Condes wie im Dienste des
Königs hatte er sich froh den Ruhm eine» kühnen Reiterführere wie eines
ecTis&ea losen WOstüngs erwürben — beiden Eigenschaften tat sein Buckel
liriiien Eintrag. Einen Ansatz für die von alters belichte Sage vom
Teu/elsbOndnis bot seine Peisöiiliclikeit durch die grausame Kriegführung
in den Niederlanden, die ihm nachgesagt wurde und durch die Ver-
»ickEung in die verbrecherischen Abscheulichkeiten des Kiesen prozesses,
<ifr sich 1679 an den Namen der Qiftmischerin Voisin kniipfte. Die
SliainiunK aber, solche Anlässe aufzugreiien, war in weit höherem Masse
in Deutschland vorhanden, wo durch die Hexenprozesse der Teuf elsglanbe
mit schauerlicher Konsequenz ausgebildet worden war. Sämtliche Züge
der Sage, deren verscliiedenen Versionen K. sorgfällig nachspürt, sind
ailes Out, aber sie spiegeln den veränderten Zeitgeist wieder. Während
in Paust der unersättliche Forscherdrang einer grossen Zeit Verkörperung
erfunden hat, wählt sich die volbslümlictie Vorstellung den Mar^hall zu
ihrem Trlger nur aus Mass und als Typus jener schauerlidien Vrr-
einigung von Grausamkeit und Wollust, die in die tiefsten Abgründe der
Mensdienseele leitet. Sehr anziehend ist der Nachweis, wie die Beliebl-
heil der Sage sich mit dem historischen Entschwinden ihres Trägers,
igert, die schemenhaft werdende Gestalt ins Ungeheure wächst. Den
*rsten Niederschlag im Druck fand sie 1680 noch während des era-ähnten
Prozesses; die Volksbücher, in denen sie sich fortpflanzt, häufen sich
<***w wieder beim Tode des Herzogs 1695 und wieder, als der Tcufels-
ela.abe aus dem damals unerklärten Vorgang neue Nahrung sog, der
'"^15 den Tod dreier Teufelsbeschwörer in der Nähe von Jena hcrbei-
^öHrte. Je mehr die geschichtliche Persönlichkeit verblasste, desto leicliter
"köpften altvertraule Vorstellungen an sie an; der verhasste Vertreter
^*icr ebenso rohen wie abergläubischen Soldateska lag dem von Krir^s-
"■^ngsalen geängstigten Volke näher als der Faust der Humanislenzeit
^^it Recht weist K- mit Rücksicht auf die verschiedene Ausgestaltung der
^*5en darauf hin, wie dem Volke der Humor verloren gegangen war.
v*^lichen tieferen Gehaltes bar hat sich die Sage von Luxemburg, gestiilrt
^tal Volksbücher, Puppenspieler und Bänkelsänger, bis ins neunzehnte
'•■hrhundert zu halten vermocht. So anziehend es ist, der sicheren
*^t*hnjng des Verfassers durch dieses Labyrinth zu folgen — gewonnen
'^tlen seine Ausführungen sicher, wenn er weniger gewissenhaft jeden
^*itenpfad berücksichtigt oder wenigstens nicht vom Leser dasselbe ver-
gingt hlttc. Die ausgezeichnete Aiisstaituiig muss als Seltenheit bei
*in«n wissenschaftlichen Werke rühmend hervorgehoben werden.
O. Liebe
"ers
112 Besprechungen.
Franz MOIIer. Beltrie« zur Kulturseachlclitc der St«dt
Detnmln. Oemmin, W. Gesellius, IW2 (102 Seiten).
Der Verfasser, der vor einigen Jahren seine .Carmina AcadeniKa«
und .Carmina Varia- — die beliebteseen deutschen Kommtrv, Sludentcn-,
Volks- und andere Lieder in amnuligcr lateinischer Übertragung — dem
Publikum dargeboten hatte, und dessen «Vaterland*- und Soldatenlieder'
in musikalischem Gewände recht weite Verbreitung gefunden haben, hat
jetzt in einem eben erschienenen, prächtig ausgestatteten und schmucken
Büchlein seiner Vateretadt Deminin mit diesen Betträgen ein schönes
Denkmal gesetzt.
Der Inhalt des Büchetcbens ist so vielseitig und interessant, dass
es schwer ist, aus der Pülle des Gebotenen zu berichten. Nach einer
Einleitung — statt eines Vorwortes folgt ein Nachwort — erzählt der
Verfasser von den berühmten Männern aus Drmmins Vergangenheit. Be-
sonders lehrreich sind die drei ersten, der Familie Schimmelmana ge-
widmeten Kapitel. Unter ihnen mag hier an Jacob Schimmelmann, der
1777 die erste deutsche Übersetzung der Edda herausgab, und an den
d;\i]ischen Finanz- und HandeUminister Keinrich Ernst Schimmelmann
(I7-;7— 1831) erinnert werden, den Gönner Schillers, der am 27. No-
vember 17Q1 ein Schreiben an den kranken und notleidenden Dichter
unterzeichnete, in welchem Schiller auf drei Jahre ein Gesdienk von
1000 Talern zugesichert wurde. Johannes Scherr hat dieses Schreiben
mit Recht -eines der schönsten Dokumente der humanen und welibürgei-
lichen Tendenzen des 18. Jahrhunderts" genannt. Jedenfalls, sagt Mtiller.
hat »die ehrenvolle Unterstützung dazu beigetragen, dass der von Krank-
heit und Elend gebeugte Dichter Lebensmut und Schaffensfreudigkeit
w.icdcr erlangte und seinem Volk als Qeistesheros nun erst recht un-
sterbliche Dienste leisten konnte". Die in dänischer Spradie gedruckte
Korrespondenz und Tagebuchliteratur, in der Namen \rie Schiller, Göthe,
Stolberg, Madame de Stael, Klopstock, Oehlensch läger, Haugvitz.
C. A. Böttiger, Fichte, J. H. Merck. Nicbuhr, Baggesen, Lavater, Thor-
waldsen u. a. anzutreffen sind, zeigt, eines wie grossen Ansehens sich
diese Familie scinenett zu erfreuen halte. Darauf folgt eine Lcbcns-
skizze von Peier MichaHis (1653—1719), der zwar nicht in Denimin ge-
boren ist, aber 41 Jahne daselbst in grossem Segen als QeJslltcher gewirkt
hat Ebenfalls Theologe 'vzr Joachim Lüthemann (1&08— lö55), dessen
immer wieder neu aufgelegte Andachtbücher bis auf den heutigen Tag
in Gebrauch sind; Müilcr nennt ihn unter allen Deramineni der Vorzeit
den geistig bedeutendsten und schlägt vor, ihm ii^end ein Ehrenzeichen,
etwa eine Gedenktafel in der Art, wie es in Oöttingen für berühmte
Männer und Studenten zu geschehen pflegt, zu stiften. In seinem kurzen
Leben — er starb im 46. Lebensjahre an einem hitzigen Fieber — hat
er als Schriftsteller eine sehr rege Tiltigkeil entfaltet; ober diesen Gelehrten
iit soeben auch von anderer Sdte ein ausführliches Buch erschienen
Doch es kann unmCglich auf j«ie einzelne Pereönlichkeil hier näher ein-
gfS^ngtn werden; « folgen Aufsätze ähcr die Demmmer Familie Döli'ng;
iitter Atoevias Möi&chow, aus de^en Schilderungen wir uns ein Stück
inntiHt Demminer Lebens rckonstniiercn können, über Alexander
Christiani, den Philosophen Demmins, und ßber VaUntin Wadrian, den
ält^rrn und Jüngf reit; \on dem jüngeren «lammt das Kirchenlied »Menäcti,
tag' sn, was ist dein Leben?* — An den ersten Teil schlieft bicti noch
one grosse Anzahl uon Studien, die den sog. -Castellani", alten Demminer
Borgern, den PräpositJ und Arcliidiaconi, den Plebani u. s. vi. gewidmet
nnd; dann gibt Müller veiter ein Bild von den Lehrern an der Grossen
Sdiule, spricht femer über Johannes von Demniin und den Bischof von
Cammin u. s. w.
Der zweite Teil bringt ein möglichsl vollsländigcs Verzeichnis der
Studenten aus Demmins Vergangenheit mit Veröffentlichung der Uni-
versitits-Matrikein, eine lieissige ZusaiiimeTistdlung, wie sie wohl nur für
venige Städte gemacht sein dürfte; aus ihr geht jedenfalls hervor, dass
»iie Demminer vornehmlich in Grcifswald studieren, von wo aus überhaupt
tui Tohltitiger Einfluss auf das geistige und religiöse Leben Demmins
'iSECSJngeti zu sein scheint.
Doch hier niuss ich Halt machen! Eritinem wir uns nur noch
(lifan. dass in Demmm Julius Cohnheim das Ucht der Welt erblickte,
und dass Reichardt, der Komponist von »Was ist des Deutschen Valer-
lud», und Fricdricli des Grossen Freund, Hans von Wmtcrfeidl, jenem
Demminer Bezirke entstammten.
In einem alten Licde heissl es: «Demmin ist emsig und rege!*
i^ranz Müller setzt dazu die Bemerkung: «Den Eindruck gewinnt man
«llerdings aus der Betraclitung seiner Geschichte. Je wilder die Kriegcs-
iJörtne es uinlosen, desto ruhiger und friedlicher scheint es im Innern
'*'8eg"'g<^" i^" sein. Je öfter und härter Verwüstung, Brand und Un-
S^üclc die Bürger heimsuchten, desto fleissiger und eifriger, wenn audi
tmllich resigniert bis zur Gefühllosigkeit, scheinen sie immer wieder an
lice Aufbau der Stadt und die Heilung der Schäden herangetreten zu
«ia.' Bekanntlich brannte Demmin l'tÜV zum teil, 1495 ganz nieder,
^weUs 1523 ersdieint sie wieder als zehnte poinmersche Stadt! Doch
■Qo, was zur Geschichte und Kulturgeschichte Demmins gehört, findet
^ Leser in dem Büchelchen, das ich geradezu a.!s Musterbuch in der
^ empfehlen m&chte; es war ein recht glücklicher Gedanke, die
^disale und das innere Leben Demmins in den Lebensgeschichten
^ler berühmten MSnner aufzurollen. Hoffen wir, dass dieses Buch die-
telbe Pfeude denen macht, die es lesen, als dem Demminer Kinde, das
** in dankbarer Erinnerung an die Stätte meiner Geburt geschrieben hat!
Erich Ebstein.
Aidkiv fftt Kultaricachichte. I.
Meyer* Orosse» Konvertetions-Lexikon. Ein Nachschlage-
werk des allgemeinen Wissens. 6. i;änzlich ncubesrbeitete und vermehTle
Auflage. Mit nietir als 11000 Abbildungen im Text und auf über 1400
BildertaFeln etc. Bd. I. A— Astig:matismus. Lefpzig und Wien, Biblio-
graphisches Instiim iy02. (903 S.)
Den Beginn einer trefnichen Neiibearbeitirng dieses hervorragenden
Untcmchmeiis darf man mit vollem Recht auch in einer wissenschaft-
lichL-n Zeilschrifl anzeigen, Die Zeit, da der Oefehrte den Vorschlag,
über trfierid eine Frage sich im Konversationslexikon Belehrung zu ver-
schaffen, als Beleidigung seiner werten Person aufgefasst halte (heimlidl
tat er's trotzdem oft genug auch früher), ist vorüber, und wenn er in
einer Publikation auch nicht das Kon versatt onstexikon zitieren wird, tut
Feststellung von allerlei Einzelheiten, die ausserhalb seines Faches
li^en, braucht es auch der Gelehrte bei der Arbeit wie bd der
Lektüre immer häuliger. Der Grund Hegt in der Zuverlässigkeit der
Einzelheiten, in der gleich massigen Reichhalligkeit des beigebrachten
Stoffes und in der fachmäistgen Bearbeitung der einzelnen Artikel. Man
braucht die älteren Lexika durchaus nicht zu verachten: die weit geringere
Stoffmenge, auch der geringere Trieb, übt^ alles nur denkbare Auskunft
zu geben, erlaubten damals noch ein wenig ins Breite zu gelten, und
namentlich in biographischer und literarischer Hinsicht gibt es in jenen
Werken manch lesenswerten Artikel. Auch jener im hergebrachten Titel
ausgedrückte Charakter des Werkes als Hilfsmittel für die Unterhaltung —
d. h. jene gebildete Unterhaltung, wie sie noch die Mitfe des vorigen
Jahrhunderts schätzte und pflegte — ist nun dahin. Freilich die Halb-
bildung mag auch heule noch oft genug ihre mangelhafte Weisheit rasch
aus dem Konversationslexikon zusammenraffen. Aber der Missbrauch
hebt die ernsten und grossen Ziele dieses Unternehmens nicht auf. Ein
Werk wie diese neue umgestaltete Auflage des Meyerschen Konversations-
lexikons ist wirklich ein Dildungsmittel im besten Sinne des Wortes.
Verständig benutzt, kann es z. B. im gebildeten Hause eine Quelle fort-
wahrender Belehrung sein. Aber uns inleressierl hier mehr jene andere
Seile, die auch nach dem Vorwort ausdrücklich von dem Hcransgebcr
I erstreb: wird: es will ein Vertrauensmann auch der Gelehrtenwelt sein.
' Und als solchen möchten wir es hier empfehlen.
Ein »Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens" muss naturgemäss
mit der Zeit mitgehen. So sind denn auch gegenüber dem historisch-
literarischen Charakter der älteren Werke schon früher die naturwissen-
schaftlichen und technischen Disziplinen weil mehr in den Vordergrund
getreten, und in neuester Zeit nehmen die wirtschaftlichen imri sozialen
Dinge immer grösseren Raum ein. Gerade Meyers Werk erfüllt diese
' Aufgabe, den tnleressen der eigenen Zeit zu dienen, in hervorragendem
Masse, und jiamentlich zeigt das diese neue Auflage. Aber es bewährt
sich ebenso auf den übrigen Gebieten. Besonders wird ein gelehrter
Besprechungm. 115
Benutzer die in reichlichem Masse g^ebenen Literatumacbweise begrfissen,
die in der vorliegenden Auflage bis auf die neueste Zeit — natürlich in
gfigd>ener Auswahl — fortgeführt sind. — Trotz der «strebten Kürze er-
weitem sich nundie Artikel, ihrer stofflichen Bedeutung entsprechend,
zu handbuchartigen Orientierungen. Gerade der erste Band ist daran
rdch — idi enribne Artikel wie Afrika, Ägypten, Amerika, Asien,
Architektur, jene durch Karten, ethnographische Farbentafeln u. s. w.,
letzterer durch 12 Tafeln mit Baudenkmälern trefflich erläutert. Oberhaupt
bildet die in der neuen Auflage wieder vermehrte Ausstattung mit Bildern
und Karten dnen besonderen Vorzug des Mcyersdien Unternehmens;
nä)en der durchweg erstrebten Zweckdienlichkeit derselben ist die vor-
zügliche Art der Reproduktion besonders zu toben.
Qeorg Steinitausen.
Kleine Mitteilungen und Referate.
In der «Zeitschrift für SozialTissensdiaff. Jahrg. IV, Heft II und
12 veröftentlicht Ric/t: Thamwatd einen trotz seiner Kürze twmerkens-
werten Versuch über «Staat und Wirtschaft im alten Ägypten«.
Ganz richtig twtont er, dass die Gesetlschaflsw-issenscliatt bei den Völkern
unseres engeren KuUurkreises nicht stehen bleiben darf. Cerade Äg>-pten
bietet uns aber die Reste eines gewaltigen sozialen Oebäud«, des ältesten
uns bekannten grossen Reiches auf Erden. Die Ergebnisse sind in ütwr-
sichtlicher Weise zusamntengcslelll.
Wohl als Ausschnitt aus einem grösseren Werk darf dct kurze
Aufsatz von/. Belock: «BiJdung und Bildungsstätten im helle-
nistischen Alterlmii" in der , Zeitschrift für Sozialwissenscliaft" IV,
Heft S angesehen verxlen, doch verdient derselbe alle Beaditung.
In SchmoHere .Jahrbuch für Gesetzgebung u. s. v." 26, 4 gibt Kttrt
Brrysig eine kurze Enlwickdung der europäischen Geschichte im Hinblick
auf das ProbEem, das auch seine grosse »Kulturgeschichte der Neuzeit"
beherrschl. närnüch auf das Verhältnis von Persönlichkeit und Gesamt-
heit {fleh und Welt in der Geschichte"). Brey&ig «ininit dieses
Verh2lltiis als überhaupt wichUgstei im geschichtlichen Verlauf an; er
findet den Ausdnick einer von ihm als notwendig erachteten letzt«!
fonneUuflen und wenn möglich gcselzmlssigen Vereinheitlichung in irei
WurzclerschdnunKen, in nrei OefOhlskräftcn der Seele, eben dem Ge-
rn einschaftstrieb und Persönlichkeitsdrang. Wie er diese Kräfte wirken
lässt, wie er den Verlauf der europäischen Geschichte auf ein everschiedcn
beschleunigtes, audi woh! verschieden starkes, in der Richtung aber völh'g
stetiges Auf und Nieder zwischen stolzer Erhebung und rückhaltloser Hin-
nabe des Ichs" zurückniführcn sucht, muss itn einzelnen gelesen werden.
Man wird diesen «Versuch einer gesclhichaf Iswissenschaftlichen Deutung der
curopäischeu Geschichte", wie fibcrhau[>tdic Arbeiten Bre>-sigS, doch recht
ernst nehmen müssen. Das Verhältnis von Individuum und Gesamtlicit hat
übrigens auch Gustav Freytaft immer lebhaft bcsdiüligl (vergl. darüber
Stdnhausen in .Neue Jahrbücher für das klass. Altertum, Gesch. etc. 18^8,
S.448 ff. BcziiglichgewaltigcrEinretmenschenstelltBrcysigdicAufgabege-
wiss richtig so: »zurret die ungeheure Summe von Erbgul und Allgemein-
gölligkeit. von Art und Gattung, die in jedem grössteii und um so mehr
noch in den Männern der zweiten und dritten Reihe wirksam ist, aitszu-
schddcn", erst nach dieser Herstellung von Allgemeingrdttg keilen (sie isl
Kleine Mitteilungen und Referate.
117
n
unseres Erachictts das noch immer zu weniß beackerte Hauplarbeilsgebiet
eben der Kulturgeschichte) ist zur Erkenntnis des wahrhaft eigentümlichen
der Heiden vonriischreilen, des -höchst persönlichen Rests, der die feinste
Blume der Mensclilithkeit, ilen zartesten, flüchticttcn und doch aroraa*
ttschsten Duft des Einzel-Ichs ausmacht."
Die Frage, ob von Asien, überhaupl von der alten Welt aus die
nierlcwürdigen Kulturen Mittelamerikas beeinllusst sind, wird in einem
j\iifsatz von £rf, Selfr, -Ober den Ursprung der millelaraerika-
nischen Kulturen", Zeitschrift für Ethnologie 1902, 6 (vgl. auch Zcil-
echrift der Oesclischafl für Erdkunde 1902. 6) in negativem Sinne be-
antworte!, auch ein besonderes Alter dereelben bestritten. Die Träijcr
dieser Kulturen sollen nach S. die mexikanischen Toltekcn sein.
Kurz enrähnl sei ein Aufsatz von F. ßaisson, oL'inÜuence du
^hristlanisme sur la croyance aux miracles- (Bulletin des sciences
^conomiques et sociales du comit^ des Iravauic histor. 1901).
Mit Vergnijgen «e'seti wir darauf hin, dass in den Jahresberichten
cJ«r Oe«diichtswissenschaft" jetzt auch ein besonderes Keferat über
»Deutsche KullurgeschLchte" eingerichtet ist, das sich auch nicht
nur auf das Berichtsjahr 19'JO erstreckt, sondern auch auf die wichtigsten
Erscheinungen der Jahre 1898 und ISW. Mit der Art und Weise, wie
sieh der Reierent /?firffl// ^'<*/?srA*<? seiner Aufgabe entledip[t, können wir
uns durchaus einverstanden erklären. Auch darf die Reichhaltigkeit der
Nachweise lobend anerkannt werden.
Von Kari I ampreehts Deutscher Oescliichtc liegt der 1. Band
^*crcits in 3. durchgeseltener Auflage vor (Berlin, R. Oaertncr). Die von
^hm angenommenen Kulturzeitall er treten jetzt auch äusserlich auf dem
ritel hervor, der noch den Zusatz: .Erste Abteilung: ürzeil und
"^'ttelallcr. Zeitalter des symbolischen, typischen und konventionellen
^*dcnlebens" trägt. Auch die Vorrede geht auf des Verfassers bekannte
^ulfnwting näher ein. Die darauffolgende Zusammcnstrllung der im
^"schluss an Lamprechls Werk erschienenen IJicratur nimmt übrigens
■•manches mit Unrecht in Besdilag. So hat Steinhausens Aufsalz über
'''*ytag, Burckhardl, Riehl gar nicht die Absitht, diese Dinge zu berühren
**nd Ist vielmehr bemüht, die Verdienste der heule oft vornclim ignorierten
ötenen Kullurhislorikcr ins rechte Licht zu stellen. — Auf den Crgänzunjis
"•nd der Deutschen Oeschichle, der sich die Gegenwart zum Vorwurf
Wioramen hat, wird in einer Besprechung ausführlicher zu kommen sein.
Über die gUnzcnd verlaufene Feier des SOjährigen Bestehens
fies Germanischen Nationalmuseums, dieses für die deutsche
Kulturgeschichte so wichtigen und um sie so verdienten Instituts wird
m N'o. 2 des Anzeigers d« Museums ausführlich berichtet. Zur Feier
*ll»t ist eine trefflich geschriebene und prächtig ausgestattete Fest-
ichrift von dem Konservator des Museums Th. Hampe erschienen: .Das
F
118 Kleine Mitldlungtn und Referate.
Oemianische Natfonalmiiseum von I852 bis 1902" (Leipzig, J. j. Weber).
Sic wird alle Fieunde des Museums lebhaft interessieren und ihm hoffenl-
Jich zu den alten viele neue Freunde errerben.
Keclit ansprechend ist die als Sonderdruck aus der Beilage zur
Allgemeinen Zeitung No. 232J4 erschienene Einldlunj; zu einem kultur-
gcKhichllich grundierten Vorlesungskursus von Aibreckt Stauffer: ,Die
Wiedergeburt des deutschen Volkes. Eine Einleitung in die
deutsche Gcsdiichte", die in dncm raschen Oberblick die entscheidenden
Momente der deutschen Entwickelung gut hervorhebt.
Der 15. Jahrgang der uMansfelder Blätter", herausgegeben von
Herrn. ÖrSssler, enihilt auch mancherlei kullurgeschichlliche Mitieilutigen.
So kommt dafür die Fortsetzung des Aufsatzes von M. Könnecfce: .Die
evangelischen Kirchen Visitationen des lö. Jahrhunderts in der Grafschaft
Mansfeld- mehrfach in Betracht. Der Beitrag von H. Grössler: .Poetisch
gestimmte Seifensieder", der eine Reihe von Denksprüdien enthält, die
zuwandernde Gesellen in das Eislebencr Gescllenbuch zu Anfang des
19. Jahrhunderts eintriij^en, zeigt (ebenso wie z. B. der Stil der Staram-
bficher, auch der Zxitungsanzeigen u.s.«.), wie die literarisch-philosophische
Strömung der Zelt selbst bei den nrederai Ständen abfärbt. Erwähnt
seien noch kleinere Beiträge von H. Grössler über ältere Funde und über
sechs Messingdosen, von K. Kuntze über allerlei aus Burgscheidungen,
die Mitteilung eines füi&tEichcu Frauenbnefes von 1570, von Haus-
inschriftcn und so fort.
Die »Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Graf-
schaft MarJc" cnlhalteii in ihrem neuesten (11.} Heft einiges kultur-
gcschtditlich Intere^ierende, su: Das Buch der Dortmunder Junckiierren-
gesellschalt von H. ftelherl; Amtliche Nachrichl über den Zustand der
Grafschalt Mark 1770/1 von K. Rfibel; Agrarisches vom HeUwege und
aus der Grafschaft Mark (Wcistümcr etc.) von demselben, u. a.
Aus der »Zeitschrift des Vereins für Geschichte und
Altertum Schlesiens" Bd. 36, 1. Heft seien folgende Aufsätze ver-
zeichnet: W. Schulte, Zur Geschichte des mittelalterlichen Schulwesens
in Breslau; Max Hippe, Aus dem Tagebuchc eines Breslaucr Schul-
mannes im 17. Jahrhundert; Feil, Brcslauer Kausernamen.
Aus dem 77. Band des »Neuen Lausllzlschen Magazins- er-
wähnen wir: A. Jechl, Der älteste Über vocationum der Stadt Görlitz
von etwa 1390— UM; Th. Stock, Frmfzchci Schöppenböcher aus dem
Kreise Rothenburg; Müller, Beiträge zur Geschichte der SüdJausitzcr
Schul Verwaltung im 19. Jahrhundert; H. Knotlie, Die ObcrlaustCzer auf
der Universität Leipzig von M20— 1550; P. Arras, Die Bekenntnisse des
Jahres 1430 aus dem Baulzrncr Gerichtsbuche von U30; W. v. BöIlicUer,
Hausrat und BiblLolhck eines oberlausitzischen Geistlichen zu Ende des
16. Jahrhunderts.
I
In den Beilagen zu den Jahresberichten der Karlsruher Realschule
1S98, I90O, 1901 hat Ptt. Pfefffr .Beiträge zur Kenntnis des all-
f ranzösischen Volkslebens- meist aufgrund der Fabliaux ver-
■^iffcntlicht, die sich vor allem auf die nicht höfischen Kreise riditen. Die
v%.rbcit beschränltt sich daraiiT, das gewonnene Material nach den bezeich-
neten Quellen, die sehr sorgsam und flctssig daraufhin durchgearbeitet
sind, aufzuführen, der Verfasser ist über auch in eine kritische PrQfung
<larüber eingetreten, ob die betreffenden Quellenslellen durchweg; für
die Zustände beweiskräftig sind. Doch betont er, dass ..trotz starker Ober-
Ueibungen- die Fabliaux im Kern eine wahre Fundgrube fflr die Kennt-
nis des realen Lebens bilden. Der 1. Teil handelt wesentlich von dem
Glaubcnsleben der Zeit, aber auch von dem lockeren sittlichen Leben
Kder Geistlichen, der zweite noch näher von der Sitton losig keil der Zeit,
Ton den Frauen und der Schönheit sowie von Ernehung und Bildung,
ier dritte von den Fahrenden, von Bauern und Btärgern, vom häuslichen
yben, Essen, Trinken u. s. w., kurz vom Alltagsleben, im wesentlichen
»erden uns freilich Schattenseiten dra- Zeil zum Bewusstsetn «ebrachL
Sehr verdienstlich ist die Übersetzung, die Rieh. Paileskt von dem
Aufsatz Valtyr Gadmundsson's: «Die Fortschritte Island«; im 19.
Jahrhundert" in der Beilage zum 31. Jahresbericht des Katlowilzer
Gymnasiums (!<J02) gegeben hat. Trotzdem gerade die deutsche Literatur
an aufklärenden Schriften über Island besonders reich ist, kann die nähere
Kenntnis dieser Schrift nur erwünscht sein. Denn wir werden hier in
knapper und klarer Form über den grossen Kultnrwandel, der sich während
des neunzehnten Jahrhunderts in Island vollzt^en hat und der nach dem
VerfasBa- im wcscnlüchcn erat eingetreten ist, seitdem Island Verfassung,
gesetzgebende Gewalt itnd selbständige Verwaltung der Finanzen besitzt,
vortrefflich orientiert. Am kiJn'-csicn ist der Abschnitt über die Lebens-
weise des Volkes behandelt, am interessantesten ist der Wandel auf dem
Gebiete des Verkehrswesens, so unvollkommen dasselbe auch jetzt noch ist.
In der Beilage zur .Allgemeinen Zeitung" No. 238 veröffentlicht
Osk. Brenner einen bemerkenswerten Vortrag Ober .Aufgaben der
Volkskunde", der von der Stellung der Volkskunde als selbständiger
Wissenschaft ausgeht. Wir billigen indessen ebensowenig wie bei dem
neulich erechieneiien Büchlein von E. Hoffmann-Krayer, Die Volkskunde
ihWi!8enschaft,dieAuff.issnn2deiVerfassersvondcmVcrhäUnisse7.urKultur-
gtscbichte. Brenner geht sojjar viel weiter ais Hoffmann-Krayer, indem
n die Hauptaufgabe der Kultui^esdiichte einfach für die Volkskunde,
die unserer Ansicht nach nichts als ein Zweig der Kulturgeschichte ist,
in Bracbing nimmt. Denn als .nächste- Aufgabe derselben stellt er hin,
•die Äusserungen der Volteseele im Wandel der Zeiten geschichtlich und
kriUsdi ZM verfolgen", eine Aufgabe, die schon Burckhardt wie FreyUg
»IC Riefal als das letzte Ziel eben der Kultui^eschichte betrachtet haben;
I
ludi Lampr«ht definfert mit seiner Geschichte der sozialpsychischen
Entvicklungsfaktoren nicht wesentlich anders. Kulturgeschichte nur als
Geschichte der (.im ganzen unvolkstämlichen) .höheren' Kultur zu fassen,
geht nicht a^n.
Im «Olobus" |82 No, 7) behandelt Ritschif die .Zwerge in Ge-
schichte und Überlieferung". Einen veileren Ekitrag zur Oescbichte
des Volksglaubens liefert W. Srhläter in der „Baltischen Monatsschrift-
{42, II,): wDic Tierweit in Glauben, Sitte und Sprache*.
Den äussedich antikirchlidien 2ug der mittelalterlichen Städte be-
handelt G. Z-fcÄ^inden »Neuen Jahrbüchern für das klassische AÜertum, Ge-
schichte u. s. w." VII, I. S. 214 ff. in einer quellen massigen, aber nur
kurzen Studie: Die Städte des Mittelalters und die Kirche-.
tr betont vor allem die wirtschaftlichen und sozialen Gründe des Gegen-
satzes zwischen den Ansprüchen der Kirche und der in ganz neue Bahnen
einmündenden städtischen Entwickhing.
L. Keiiers Aufsatz: Graf Albrecht Wolfgang von Schaum-
hurg-Lippe und die Anfänge des Maurerbundes in England,
Holland und Deutschland (Vorträge und Aufsätze ans derComenius-
gesellschaft IX, 3; Berlin, R. Oaertner) entreissl das Andenken an dnen
sehr bedeutenden Fürsten des IS. Jahrhunderts, der auch tief in d,e
deutsche Geistesgeschichte eingegriffen hat, der Vergessenheit. Die Ab-
handlung ist aber nanienilich f£ir die Geschichte der Anfänge der Frei-
maitrerbünde und die Erkenntnis ihrer von Keller schon wiederholt ins
Licht gestellten merkwürdigen Zu&amnienhänge mit älteren Sozietät^
bildungen wichtig.
Aus den ersten drei Heften des 12. Jahrganges der »Mitteilungen
derGesellschaflfürdeutscheErzichungs- und Schulgeschichte*
(Hessen-, Anhalt-, Mecklenburg lieft) erwähnen wir: Zur Geschichte des
Unterrichts in den hcssen-darra stadtischen deutschen Schulen zur Zeit
der Landgrafen Ludwig VI. und Ernst Ludwig [1601 — 1739), von Wilhelm
Dichl; Vier pädagogische Empfehlungsbriefe aus dem 16. Jahrhundert,
von Bernhard Sdiädel; Die Deina- Kämpfe, ein Streit um das Qiessener
Gymnasium in der beginnenden Aufklaningszeit 17li9, von Ludwig Schädel
(Deina war die Pseudonyme Unterschrift eines gegen jen« Gymnasium
gerichteten Anklageschreibens); Die Merilenbücher und Meritentafeln des
Philanthropinums zu D^sau, von Lorenz; Adolf Werner und die gym-
nastische Akademie zu Dessau, von Enisl Wickenhagen; Der akademische
Geschichtsunterricht im Reformationszeitalter, mit besonderer F-fucksicht
auf David Chylraeus in Rostock, von O. Kohfeldt (aufgrund eines
Kollegheftes); Geschichte des Schulwesens derStadtiMalchow, von H.SehnelL
Zur Erziehungs- und Schulgeschichte trägt ferner eine
Reihe Leipziger Dissertationen bei: J. F. Besster, Unterricht und Übung
in der Religion am f^ilanthropin zu Dessau; H. R. E. Möckel, Die Ent-
*
rklung des Vol («Schulwesens i, d. ehern, Diözes« Zwickau v, Mitte d.
1S_ Jjhrh. bis 1835; C. Müklmann, Bedeulen die Bugenhagen 'sehen
Scrlnulordnungcn gegenfiber dem Unterricht der Visitaloren an die Pfarr-
he:r-Teti im Kurfürsten tum Sachsen einen Fortschritt? B. Puchta, Das
S€r>*ulwcscn der Leipziger Landgemeinden im 16. und 17. Jahrh.; H. Rfiti'
'*».**, Der Wechsel der Anschauungen über S(of( und Form der sitttidien
Uxiterweisung bis zum Ende des 18. Jahrh. unter dem Einflüsse der
^«=lttigsien Wandlungen und Forlschrilte auf religiösem und moralischem
^J^bietc; W. Rage, Die Blütezeit der deutschen Schulen Lübecks in der
|2. ÜiUted. 16. jahrli.
Fleissig und gründhclt nach archivaÜschen QueUen gearbeitet sind
*^" .Lebensskizzen der Ijeiirer des Kgl. Domgymnasiiims zu Magdeburg"
' C 1 «75—1700) von Oito Laeger (Magdeburg 19<'2), die in einigen Einzel-
"*■« ten auch spezielles kullurgeschichtliches Interesse haben.
»
Mehr sillen- als ttildurjßsgeschichtlich interessant ist der hübsclie
^**Fatz von Wilhelm Martin lieeker, Oiessener Studentenlum in
*'^»- Frühzeit der Universität [IbOS— 1624] (Mitteilungen des Obcr-
''^^^«ischen Qeschichtsvereins XI). Aufgrund der Akten des Universltäls-
"■"^^iiivs und des Darmslädf. Staatsarchivs wird das studentische Leben und
'*~^jben ira einzelnen geschildert: das Bild, das man nach den bisherigen
i^^cs-stellungen von den damaligen studentischen ausländen hat, wird im a!l-
8^*"»ieinfn bestätigt. Mit Recht betont aber der Verfasser, dass man die
''^^■«neine Entwickhing nicht für jede einzelne Universität voratissetzen
"**~ff, dass ferner meist die guten Seiten, das Arbeiten, vor den in Akteit
fe^t^legtcn schlimmen Zügen übersehen werden.
Die pTDgrammabhandlung von Hubert Frrund: Aus der deut-
'Cr>icn Gesellschaft des 18. Jahrhunderts (Berlin. R. Gaertner) gibt
*^'fi™nd eines Stammbuches uon Johann Heinrich Soernians aus Daiiiiji
ai»^ den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts einen Eiitblick in die Gelehrten-
"■■«It jener Tage. Denn das Stammbuch ist auf einer jener gelehrten
'^*iscn geführt, die damals als höchst M-ichlige Bi!dunES-(uiid Forlkommens-)
"•ittel galten. Die bekannten oder kulturgeschichtlich wichtigen Personen.
■**« sich in das Stammbuch eingezeichnet haben, werden uns vom Ver-
*»saer näher gebracht, aus Oöttingeti Walch, O. U Böhmer, Schtözer,
^^tterer, Kästner. Heyne, Pütler u. a., aus Halle Semler, Schütz, aus
I^^^sau Basedow, aus Wittenberg Schröckh. aus Leipzig Chr. F. Weisse,
^hme, Schwabe, Clodius, J. J. Engel u. s. w. u. s. w.
Aus den «Magdeburger OeschichtsbUHem" erwähnen wir einen
Msatz von O. Liebf, Ein Hailischer Bürgerhaushalt 1548, der
*ich auf das Testament eines Schoppen Jakob Wahl gründet und nicht
Wir Wirtschaft*-, sondern auch sitlengeschichtliche Züge enthält. Liebe
vcrtteht die trockenen äusseren Anführungen gut für dos innere Leben
(
zu verwerten. Aus ctvas früherer Zeil (1483) stammt das Nachtass-
Inveiitar der Wilwe Dorothea Winter, das H, Hetnvagen unter dem Titel
nAiis einem Nürnberger Bürg er hause zu Ausgang des 15. Jahr-
hunderts" im Anzeiger des Germanischen Museums 1902, I veröffentlicht,
Dereclbe Anzeiger enthalt mehrfach Beiträge zur Geschichte des
Hausrats, der Geräte und Möbel. In No. II beginnt H. Sttgmann eine
gründliche Abhandlung über ^die Holzmöbel des Germanischen
Museums", in No. Hl ichliesst O. iflö^fr seine ausführlichen sltertum*«
Icundlichen Beiträge über MKcrd und Herd gerate in den Nümbergischen
Küchen der Vorzeit", die sich übrigens keineswegs nur auf Nürnberger
ValiiltiiJsse beschrinkeu; ia Heft I setzt M. Wingenroth frühere Studien
über »Kachelöfen und Ofenkacheln des 16., 17. und 18. Jahr-
hunderts" fort
tm «Archivio storico Italiano" 1902, 2 setzt Cl. Lapt se\ne griind-
iiche Abhandlung über das mittelalterliche Haus in Piäa (La cas2 pisana
c i SHoi annessi nel mcdio cvo} fort.
Zur Geschichte der Tracht und Bewaffnung trägt ein Aufsatz von
C Barrihre- Flavy, Le costume et t'armement du Wisigoth aus
5'-et 6'- iiccles (Revue des Pyrcnees 14) bei.
G. Liebf gibt in der «Zeitschrift für histonKhe Waffenkunde- If, 9
eine historische Skizze über «Das Recht des Waffentragens in
Deutschland", das sich sdihesslich nur als Vorrecht der oberen
Stände hieit.
Der Aufsalz von C. G.Roland, Le castor dans Ia toponymie
^Aimales du ccrcte archfologiquc d'Enghien VI, 1/2) behandelt die Rolle
des Bibers in der Benennung belgischer Wasserläufe und U'ohnorte.
Eine höchst gründliche Unlereuchung veröffentlich l Rob. Omä-
mann in den «Württembergi&chen Jahrbüchern für Statistik und Landes-
kunde" Jahrg. IQOl über „den Dinkel und die Alemannen*. Da$
schon von bingetlial behauptete Zusammenfallen des Dinkelgebiets mit
dem alten Wohngebiet de schwaibisch-aleuiannischen Stammes wird von
ihm durch eingehendste sprachliche, geographische und historische Fest-
stellungen einleuchtend erwiesen. Der Dinkel ist die in einem bestmimten
Gebiet des Südwestens und der Schweiz heute wie schon im Miit^ilalier
übenriegendc Brotfnicht, auch nicht erst von den Römern eingeführt. »Der
wahrscheinliche Verlauf ist vielmehr der, dass diese Oelreideart ebenso
wie Roggen und Hafer zuerst von nordalpinen Itcllischen und germanischen
Völkern in Kultur genommen und erst durch die Germanen auch den
Römern bekannt geworden ist und dass speziell in Süddeittschland und
der Schweiz der Dinkelbau mit den Alemannen eingewandert ist, sich mit
ihnen weitcrverbrcilct und seither innerhalb ihre$ Stammgcbietes dauernd
behauptet hat.'
Kleine Mitteilungen und Referile.
123
Zur Geschichte der Gewerbe sind einige Beitrage für die
neuere Zeit 211 erwähnen, so der Aufsatz von F. Dumas, Ls& corporations
de m^tiers de !a \Hl!e de Toulouse au XVIII« s. lAnnales du Midi 12)
und der von O. Merx, Der Aufstand d«r Handwerksgesellen auf der
Oartlage bei Osnabrück am 13. Juli ISOl (Mitteilungen des Ver. (. Qesch.
u. Landcsk. zu Osnabrück, 20). Doch ist der letztere mehr ein EJeitrag
lUT Lokalgeschi chle Osnabrücks (nach gerichtlichen Untersuchungsakten).
Es handelt stcli um einen gefährlichen Twmiill, der aus der Frage ent-
itantJ, ob die Schnhmachergesellcn mit offenem oder zugeknöpftem Rock
vor ihrer Gescllenlade cischeinen durften. Für den Geist der Gesellen
vic der Zeil überhaupt ist aber der Verlauf desselben sehr charakteristisch,
und mit Recht bezeichnet M. seine Arbeit als «kulturhistorisch".
Zur Geschichte des Handels und Verkehrs tragen E. R.
öaertWf (Verkehr und Verkehrswege zwischen Nord&ce und Ostsee vom
13-— 16. Jahrijundert in «Der Lotse* 2, 34.), C. Faalhaber (Über Handel
i^wl C3cwerbc der beiden Si.idte Brandenburg im 14. und IS. Jahrhundert
im 32,3. Jahresbericht des Historischen Vereins lu Brandenburg a. H.)
"Od v4. Schulte {Zur Geschichte der Ravensbuiger Gesellschaft in den
^ürttemb. Vierteljahrsheften für Undcsgcschichle N. F. 11 '/,) bei.
In d«; letztgenannten Zeitschrift beschliesst auch Haebter seine Unter-
suchung iiber .Das Zollbuch der Deutschen in Barcelona (1425-1440)
und Ocn deutschen Handel mit Catalonien". Nicht unwichtig ist der
Beitrag von C. Portal im Bulletin historiquc cl phUol. 1901 : Le livre-
journal de Jean Sa^al, marchand drapier ä Carcassonne (1340—1341).
\
Bibliographisches.
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lässt sich für die kulturhistorischen Unlerweisungeti im Ocschichtsuntemcht
der m'ilige Raum gewiiinen? Piogr. Saarlouis (14 S.). — W. Geiger, Die
kulHirgeschichlLEiedeutuiig des indischen Altertums. Rede. Erlangen.(22S.)
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N. Winckler, Die babylonische Kultur in Ihren Beziehungen zur unsrigen.
Leipzig;. (54 S.) - O. Jacob, Östl. Kulturelemente im Abendland.
Berlin. (24 S.) — E. v. DobschÜiz, Die urchristlichen Gemeinden.
Stftengeschichtl. Bilder. Leipzig. (XIV, 300 S.) — J. Asbach, Zur
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(XL, 696 p.) — C. Roessler, Les induenc« celtiquesavantelapr^Colomban.
Paris. (108 p.) — K Lamprecht, Deutsche Geschichte 1. Abt. 1. Bd.
3. Aufl. Berlin. {XXXV. 368 S.) - H. Boos, Gesch. d. rheinisch.
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u. sozisL BeW'Cgungen d. IS. u. 19. Jahrh. am Rhein. Bonn. (X, 303 5.)
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museum von 1852 bis 1902. Festschrift. Leipzig. (150 S. 23 Taf.) —
Festschrift der Generalversamml. des Gesamt Vereins, dargebr. vom Aachener
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Bibliographisches.
125
I
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328 p.) — G. Patin, U France au milieu du 17» s. (1643— I6Ö1) d'apris
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TJenne, 6lude suivie de tcxtcs mogiqucs (Bibl. de l'ecolc des hautes dtudes,
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Ptogr. Lüneburg (20 S.). — F. M. RendtorfJ, Die schlesw.-holsl. Schul-
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an essay upon the devclopraetit of librariea and their fitlings, from the
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TülMngen. (VII. 67 S.> — / C Oftrroorde, Ceschiedoits \*a bct post-
vezen in Nedcrland \-ö6r 1795 met de voomaamste ^"obindingen met bet
tuitentand. Laden. ,12 + 524 bL 1 kt) — Hauy Ck. Moore, Omni-
buses and obs. tfaeir origin and hisior>-. Lond. {XIV, 281 p.) —
I' HtkM, KuhurpTianzen u. Hausthierc i. ihr. Clxigang ans Asien nach
GnechenUnd eic 7. Aufi. Neu hng. v. O. Schröder m. boun. Bei-
i:ä£cn v. .\. E::g;Ier. Benin. ^X^V'!. töl S.>
Die Anftnge des Handverks in Lübeck. 129
Die Anfänge des Handwerks
in Lübeck.
Von JAKOB HÖHLER.
Dk im Jahre 1143 ßn der Mündung der Trave gegründete
Stadt Lfibeck var infolge ihrer natürlichen Lage zur Handels-
stadt wie geschaffen. Obwohl eine Schöpfung des Grafen Adolf
von Schauenburg, wurde die Stadt erst durch Heinrich den
Löwen zu ihrer wahren Bedeutung erhoben. Er widmete
ihr die größte Sorgfalt, erteilte ihr die mannigfachsten
Privilegien und knüpfte Beziehungen mit dem Auslande
an.*) Als in der Folgezeit im Jahre 1226 der Kaiser Fried-
rich II. Lübeck die Reichsunmittelbarkeit verlieh und so das
Maß seiner Selbständigkeit vergrößerte, konnte es eine größere
und freiere Interessenpolitik ausüben. Der Handel nahm
dnen bedeutenden Aufschwung. Mit ihm war das Handwerk
eng verknüpft") Uns wird im folgenden dieser letztere Faktor,
und zwar nur in seinen Anfängen beschäftigen. Unter den
Anfängen des Handwerks in Lübeck verstehen wir die Zeit von
der Gründung der Stadt bis zu dem Jahre 1384, dem Aufstande
der Knochenhauer.
Erstes Kapitel.
Statistik der Handwerksarten.
Die im folgenden gegebene statistische Zusammenstellung
sucht zu ermitteln, welche Handwerksarten in Lübeck bis zum
Jahre 1384 vorkommen, damit wir ein Urteil darüber gewinnen,
I) Hdraoht, Cbronla Slivoram S. S. XXI. 1. Scp. Abdr. 1««, cap. I. Urkunden-
bKfa da Sixlt Lfibeck (AbkfimintE U. B.) I. No. 3. P. Preiudorff, d. St«lt- n. Oerldrti-
Rrf. IMbtOa In 12. und 13. Jahrb. Lfibeck 1861. S. 15.
■) WehtnaBi), CHe Uteren IBbcddtdieD Znnftrollen. 1872. S. 4.
Ardd* fBr KoItnrgeK^ldite. I, 2. 9
F
130
Jakob Hohler.
\ Hopfengärtner.
inwieweit die gewerbliche Tätigkeit der Handwerker im allge-
meinen entwickelt war. Wenn wir dabei die Zeit des ersten
Auftretens der einzeinen Hand wer ksarten in den Quellen an-
geben, so wollen wir bei der Lückenhaftigkeit geschichtlicher
Überlieferung keineswegs behaupten, daß das betreffende Ge-
werbe vorher noch nicht existiert habe. Immerhin sind der-
artige Angaben in mehrfacher Hinsicht von Nutzen- Nehmen
wir ein konkretes Beispiel, so gibt uns bei den Worten fibulas
facientes und fibularii gerade die Zeitangabe den Schlüssel zum
besseren Verständnis.
I. Urproduktion.
1. gherdener Wehrm. S. 207 anno 1370)
hortulanus U. B. II S. 24 a. 1259 / warmer.
2. hoppener Mantels') a. 1317-55
humularius U. B. II S. 923 a. 1300-1350
U. Industrie der Steine und Erden.
3. groper U. B. II S. 1027 a. 1283—98» _. ,
r «1- I i Topfer.
lufafigulus V . i. » . J
4. spegheler Mantels a. 1317-55
speghelmaker « » i
5. stenhover Mantels a. 1317-55 1
lapiscida Rehme^ S. 279 a. 1288/
6. torfsteker U. B II S. 150 a. 1302-03 Torfgräber.
III. Metallverarbeitung.
7. apengeter Mantels a. 1317-55 Rotgießer.
8. beckenslager U. B. 11 S. 1025 a. 1283-98
beckenwerchte U. B. IV S. 252 a. 1374
missingslager Mantels a. 1317-55
9. nigros cingulos facientes U. B. I S. 248 a. 1262
ruffos cingulos facientes U. B. 1 S. 251 a. 1262
missingslager Mantels a. 1317—55
10. clocghiler U. B. III S. 146 a. 1352 Glockengießer.')
■j W. Minteli, Bfitritee rat lablKh-tuiuiicheii 0«$cbichK, Ja» 1881. AnfHB:
Ober die ixiaen lllnlen lübnklichcn Bürgrmiliila^lii S. S9 ft.
■l P*ul Rehmc. Ou Lübctltcr ObenUdtbuch. iittmaya 1SQ5.
1 Merkvilnligcnrcise bctiUen <*ir ton drn OltKlccnEicCcni Mlbst keine Nadvlcbt
«fabm aber gtoc xalllltg von einer OtockenjfieHcrsfntBc (docxbitertltBte U. B. III.
s. IM Ulm nay
!• Spiegelmacher.
Steinhauer.
Beckenschljlger,
Gürtler.
Die An^£e des Handverks in Lübeck.
I»
11.
12.
IS.
19.
20.
craterarius U. B. II S. 1027 a. 1283—981 „ ^
craterator Mantels a. 1317-55 I
Spangenmacher.')
I Ringmacher.
fibulas facicntes U. B t S. 248 a. I2Ö2
fibularii U. B. U S. 1023 a. 1283—98
fibulator Mantels a. 1317—55
bresscnmakcr h » >
13. fingermakcr Mantels a. I3I7 — 55
ringvürc * »
14. fusor Manlels a. 1317—55
ollifusor Wchrm. S. 226 a. 1326
cuprifaber U. B. II S. 1021 a. 1283—98
gropengeter Wchrm. S. 226 a. 1376
15. galeator Mantels a. 1317-55 | ^ , ,
t 1 11. XX , , f2i-7 CK I Helmmacher.
helmslegner Mantels a. 1317-55J
lö. gladiator Mantels a. 1317-55 1 ^ ^ ^
J Schwertieeer.
swertfeger « <, « j ^
17. kannengeler Mantels a. 1317-55 1
Orapengießer.
Zinngießer.
kannenmaker
tingheter « . »
ketelboter Mantels a. 1317—55
ketelbute » » <>
lucernifex U. B. 11 S. 1053 a 1316-38 ), .
luchtenmaker U B. II S. 1020 a. 1283-98r"'P'""'^*'"-
Kesselflicker.
Nädler.
natcier U. B. II S- 1020 a. 1283
acufex U. B. II S. 1024 a. 1283-
negeler Mantels a. 1317-55 Nagclschmied
platenslegher U. B. II S- 920 a. 1300—50
platenmaker Mantels a. 1317-55
lorifex . u u
sagittarius U. B. I[ S. 933 a 1290 Pfeilschmied.
sarworle U. B. il S. 1025 a. 1283-98 Verfertiger von
Rüstungen.
Harnisch machen
>) Bei den Sptnstniaachem tlndtn *lr Im Jidre IM2 nod» nidil den «plwr gt-
brincUidien lemilnui tKhnlcu^ angevvidl. Dilndcr war der Vcrfi^scr dci lat. Urlninde
ntiinchiclct. oder u lil aniunehnien, dtß dioe Hindarrkun noch nicht Un^e exj«ierle,
md di6 dADtal« die Spanj;cnniK^h«r nocli ciic'il «o uihircich wirrn «'le tpller, vo dal
MItK Vorkornmea dlnn AusiImckM rine künere Beuichnunc nötle machic.
132
Jakob Höhler.
25. Schilder U. B. II S. 1025 a. 1283—98
clippearius U. B. III S. 6 a. 1243
dipeator U. B. II S. 1039 a. 1305-07 Schildmacher.
dipifex U. a I 5. 248 a. 1262
dipificus Mantels a. 1317-55.
26. pidor U. B. II S. 1025 a. 1283--98 Sdiildvappenmaler.
27. smed Hadi S. 375 a. 1294 \ .
faber U.B. Ill S. 4 a. 1243 J ^'""'"*-
28. cultellifex Mantels a. 1317—55 Messeredimied.
29. drattemed Wehrm. S. 341 a. 1356 Drahtsdimied.
30. goldsmed Wehrm. S. 221 a. 1371
goldslegher Mantels a. 1317-55
aurifaber U. B. II S. 1023 a. 1283-98 Qoldsdimied
sulverbemer U. B. IV S. 254 a. 1374
tastberner Mantels a. 1317-55
31. hofslegher U- B. IV S. 79 a. 1361 Hufedimied.
32. Wensmed Mantels a. 1317-55 Sdilosser.
33. toradfex U. B. 1 S. 248 a. 1262 Panzermadier.
34. tnisalifex Mantels a. 1317—55 Doldimadier.
IV. Instrumente, Apparate.
35. balistarius U. a 11 S. 1079 a. 1316-38 Armbrustmadier,
36. orlogifex Mantels a, 1317-55 Uhrmadier.
37. pluchmeker Mantels a. 1317—55 Pflugmadier.
38. rademeker Mantels a. 1317—55 Radmacher, Stellmacher.
39. wagener U. B. II S. 1029 a. 1283-98 Wagener.
V. Leuchtstoffe, Fette, Öle.
40. candelarius U. B. d. Bist Lüb. S. 831 a. 1341
candelator Pauli') S. 205 a. 1370. Kerzen-
candelifex Rehme a. 1294 S. 283. macher.
kercengetere U. B. II S. 1020 a. 1283-98
VI. Textilindustrie.
41. hannaker U. B. II S. 151 a. 1302—03 Haardeckenmacher.
42. lakenmaker U. B. IV S. 252 a. 1374 Tuchmacher.
43. reeper U. B. II S. 1021 a. 1283-98
funifex Rehme S. 326 a. 1374
Seiler.
1) Pinli, LObedriidie ZniOiuk nt Anfang d. 14. Jahrh. Lfib. 1t47.
Die Anfinge des Handwerks in Lübeck.
133
Leinenweber.
Tuchscherer
Färber.
44. salunmaker U. B. II S. 1052 a. 1316-38 Bettdeckenmacher.
45. wewer Mantels a. 1317-55 \
textor U. B. 1. S. 252 a. 1262 /
46. lanifex Mantels a. 1317-55 \ ., .
wullenwewer U. B. 11 S. 1025 a. 1283-98 / woiicnweDer.
47. lineus textor Mantels a. 1317-55
linifex Rehme S. 307 a. 1350
lynenweber Wehrm. S. 320. 14. Jahrb.
48. hennepsspinner Mantels a. 1317-55 Hanfspinner.
49. kemmer Mantels a. 1317-55 Kämmer.
50. scherer Mantels a. 1317-55
wantscherer Mantels a. 1317 — 55
rasor pannorum Mantels a. 1317-55
51. verwer Mantels a. 1317-55 1
colorator Mantels a. 1317-55/
52. walger Mantels a. 1317-55 Walker.
VII. Leder.
53. cerdo U. B. 11 S. 1022 a. 1283-98
gherwer U. B. JV S. 252 a. 1374
loder Mantels a. 1317-55
lore U. B. II S. 1027 a. 1283-98
illi cum rx)tlasch U- B. II S. 1046 a. 1316-38
54. cenio albus U. B. II S. 23 a. 1259
albus lore Mantels a. 1317-55
erchwerker Mantels a. 1317—55
wi^rver U. B. II S. 1022 a. 1283-98
55. budelmaker Wehrm. S. 376 a. 1359
porsler Mantels a. 1317-55
taschenmaker Mantels a. 1317-55
buTsas fadentes U. B. I S. 250 a. 1262
bursarius U. B. III S. 341 a. 1359
bursifex U. B. II S. 1023 a. 1283-98
perator U. B. II S. 1048 a. 1316-38
56. penninter Wehrm. S. 363 a. 1330
pergamentarius U. B. II S. 24 a. 1259
pergamentator Mantels a. 1317-55
Gerber,
Lohgerber.
Weißgerber.
Beutelmacher.
Pergamentmacher.
5a
59.
60.
61.
62.
63.
64.
65.
66.
67.
68.
69.
70.
71.
72.
73.
74.
75.
Riemer.
Jakob Höhler.
remenmaker U. B. III S. 8 a. 1243
remensnider Rehme S. 273 a. 1290
corialor U. B. II S. 151 a. 1302-03
corrigiarius U. B. 11 S. 823 a. 1347
corrigicida U- B. Kl S. 341 a, 1359
corriscida Wehrra. S. 313 a 1350-70
sellalor Mantels a. 1317-55 }
sellifex U. B. I S. 395 a. 1282 | "
VIII. Holz, Horn.
bodeker U. B. II S. 1020 a. 1283-98
doleator U. B. d. Bist. LQb. I S. 831 a. I34I Böttcher
dolifex U. B. HI S. 4 a. 1243
dreyer U. B. U S. 768 a. 1348 \
lornator U, B. 11 S. 768 a. 1348/ "'■^^"^'"
boltendreier Mantels a. 1317-55 Bolzendrechsler.
bussendreier Mantels a. 1317-55 Büchsendredisler.
ringdreier Manids a. 1317-55 Ringdrechsler.
spükndreier Mantels a. 1317-55 Spindeldrechsler.
illi qui faciunt hastas U. B. II S. 768 a. 13481 Schacht-
schachtsnidcr U. B. 11 S. 768 a. 134Ö j Schneider.
kislenmaker Mantels a. 1317-551 ,,. . .
.., ., , .r,.^ .. f Kistenmacher.
cisÜIex Mantels a. 1317-55 J
patcmostermaker Wehrm. S. 350 a. 1360 Bernstein dreher.
sagher Mantels a. 1315-55 Holzsäger.
schulptor imaginum Rehme S. 273 a. 1290)
beldesnider Mantels a. 1317-55 j
sevenmaker Mantels a. 1317-55 Siebmacher.
stolmeker Mantels a. 1317-551
sellator Mantels a. 1317-55 |
winscroder U. B. II U. 1056 a. 1316-38 Weinküfer.
Bildschnitzer
Stuhlmacher.
IX. Nahrungsmittel.
becker Hach S. 355 a. 1294 1
pislor U. B. I S. 205 a. 1255 J
havcrbecker Mantels a. 1351 Kaferbrotbäcker.
Oblatenbecker Mantels a. 1317-55 Oblalcnbäcker.
Bäcker
Die Anfänge des Hvidverks in Lübeck.
135
•77.
"79.
si.
82.
83.
84.
85.
86.
87.
88.
89.
ulenbrcker U. B. 11 S. 24 a. 1259 Figiirenbäcker?
pistor pastillorum Mantels a. 1327 Wegyenbäcker.
torlalor U. B. II S. 1029 a. 1286» „ ^ ^, ,
. _4 I . u . I toi-T =K f Kuchenbäcker.
torlulator Mantels a. 1 3 1 7 - 55 j
Brauer.
Oarkoch.
Fü tierer.
bnjwcr Wehrm. S. 178 a. 1363 1
braxator U. B. 11 S. 923 a. 1300-50!
garbrader Wehrm. S. 203 a. 1376
cocus U. B. II S. 26 a. 1259
koc Mantels a. 1317-55
graminalor U. B. 11 S 25 a. 1259
papularius U. B. 11 S 1054 a. 1316-38
pubulator U- B. II S. 1054 a. 1316-38
harincwescher U. B. IV S. 130 a. 1360-70 \ Herings-
lotor allccium U. B. II S. 1054 a. 1316-38 J Wäscher.
knockenhouwcr Wehrm. S. 206 a. 1369 1 ^ ^ ^
carnifex U. B. U S. 23 a. 1259 | Knochenhauer.
kuter U. B. II S. 1023 a. 1283-98 \,„. „, . ^
r^ L ^ -.r.^ ,«.. jKüter, Wurstmacher,
fartor Rehme S- 303 a. 1341 / '
fleschouwer Chronik d. disch. Städte:
Üb. II S. 349 a. 1384
mactator U. B. II S. 25 a. 1259
spccsnidcr Mantels a. 1317-55 Fettwarenhändlcr.
molendinarius U. B. II S. 23 a. 1259 Müller,
piscator U. B. II S. 23 a. 1259 Fischer, Fischhfindler.
pultifcx U. B. II S. 1028 a. I2S3-98 Orützemacher.
X. Bekleidung und Reinigung,
badstover Wehrm. S. 162 a. 1350
stover Mantels a. 1317-55
balneator U. B. li S. 1025 a. 1283-98
stupanalor U. B. II S. 1076 a.;;l316-38
stuparius Mantels a. 1317-55
barbelonsor U. B. II S. 23 a. 1259
barbirasor U. B. II S. 150 a. 1302 03
rasor U. B. II S. 1052 a. 1316-38
scherer Mantels a. 1317 -55
Schlachter.
Bader.
Bartschcrer.
r
136
Jakob Hohler.
Buntfütterer.
Pelzer,
Kürschner.
Hutmacher.
92. buntmaker Chr. d. dtsch. SL:
Lüb. [[ S. 346 a- 1384
varifex Chr. d. dtsch. Städte:
Lüb. 11 S. 346 a. 1384
illi cum opere pulchro U- B. I
S. 249 a. 1262
93. coreenwerchle U. B. IV 3. 252 a. 1374
pellifex U. B. III S. 5 a. 1243
pelliparii U- B. M S, 1053 a. 1316-38
illi cum opere agnino U. B. 1 S. 249 a. 1262
94. tzabelsnider U. B. II S. 27 a. 1259 Zobelpelzschneidcr.
95. craghenmeker Mantels a. 1349 Kragenmacher.
96. filtrarius Mantels a. 1317-55
vilter U a 11 S. 1022 a. 1283-98
hodwalker U. B. il S. 1025 a. 1283-98
pilleores U. B. I. S. 249 a. 1262
97. colorator piliorum U. B. IV S. 17 Anf. d. 14 Jahrb. Hut-
flrbcr.
98. schowerte U. B. IV S. 252 a. 1374
cordewaner U. B. II S. 1048 a. 1316-38
alotaricus U. B. II S. 1025 a. 12S3-98
alotarius U. B. II S. 4t a. 1300
sutor U. B. 11 S. 23 a. 1259
99. solemeker Mantels a. 1317-55 Pantoffel machcr.
100. oltmakcnie U. B. II S. 1023 a. 1283-98 fHickschuster.
101. handschomeker Rehme S. 283 a. 1297 )„ , . . .
., « .. r. «., .«,-« I Handschuhmacher.
cyrotecarius U. B. II S. 27 a. 1259 (
102. Schröder Wehrm. S. 421 a. 1370
sartor U. B. II S. 23 a. 1259
103. ollboter Wehrm. S. 425 a. 1384 Flickschneider.
XI. Baugewerbe.
104. faciens aquedudum U. B. 11 S. 1038 a. 1305-07 Wasser^
leitungsbauer.
105. bruggemaker U. B. III S. 580 a. 1365
brugger Mantels a. 1317-55 Pflasterer,
pavimentator U. B. II S. 1050 a. 1316-38
Schuhmacher.
Schneider.
H
Die Anfänge d« Handwerks in Lübeck.
106. stendeckcr Mantels a. 1317-55 l r\ i,^ l
laterarius U. B. II S. 1023 a. 1283- 98 i Dachdecker.
107. fencstrarius U. B. II S. 28 a. 1259
vitrarius Mantels a. 1317-55 Glaser,
vitrifex U. a II S. 27 a. 1259
108. magistri operis U. B. d. Bist Lüb. I
S. 837 a. 1341 . „ ■-.„
. . „ _ > Baumeister.
magistn stnictwrae U. B. d. Bist. Lüb. I
S. 837 a. 1341
109. operarius U. B. III S. 150 a. 1353 Maurer
110. Ümmermann Mantels a. 1317-55
K carpentarius U. B. III S. 4 a. 1243
r
\ Zimmermann.
Z Kapitel.
Das Bürgerrecht in seinen Beziehungen zu dem
H and Werkerstande.
§ 1. Erwerb des Bürger reell tcs.
Schon bald nach der Gründung Lübecks erfahren wir aus
Privilegien sporadisch einiges über rechtliche und politische Ver-
hältnisse der Bürger im allgemeinen, indes erst um die Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts finden wir Nachrichten, die uns
aus bestimmten konkreten Fällen Rückschlüsse auf die Hand-
werker im besonderen ermöglichen.
Wie für die meisten Städte des Mittelalters, galt auch für
Lübeck der bekannte Rechtsgrundsatz: „Stadtluft macht frei".
In diesem Sinne sagt schon das Privileg') Kaiser Friedrichs des
Ersten aus dem Jahre 1188, daß jeder, der sich Jahr und Tag
unangefochten in der Stadt aufgehalten habe, frei sein solle.
Die Freiheit der Einwohner wurde in erhöhtem Maße garantiert
durch die Gewinnung des Bürgerrechtes. Ober die Art und
Weise Bürger zu werden, finden wir im Sladtrechte aus dem Jahre
1294 folgenden Aufschluß:') So weihe man cumpt in unse stat mit
sineme viwe ofte mit sinen kindercn, dhe dar inne wesen dre
1 U. B. I. & 11
^ HkIi. Du ilte IflibJtdi« Recht, im Cpdu tt. S 3»
m
IM Jakob Höhler.
manede, blift he dar leng inne, he schal aver stan in den
ratmannen, weder he eme de burschap giinnen ofte nicht Binnen
drei Monaten also muß jeder sich bei dem Rate das Bürgerrecht
enrorben haben, falls er Anspruch darauf macht, länger in der
Stadt zu verweilen ; außerdem muß der Bewerber mindestens
zwölf Jahre alt, also mündig sein, und dje Absicht hegen, sich
in der Stadt ernähren zu wollen.^) Für den Erwerb des
Bürgerrechtes selbst hat man eine im allgemeinen nicht fest
normierte Summe Geldes zu entrichten, das sogenannte Bürger-
geldr und für einen Zeitraum von meist fünf Jahren, soweit
wir aus der ältesten Bürgermatrikel schließen können, einen Bür-
gen zu stellen. Das sind die Normen und Vorbedingungen allge-
meiner Natur, die selbstverständlich auch für den Handwerker
Geltung haben. Über weitere Voraussetzungen geben uns die
Quellen keinen Aufschluß, besonders nicht darüber, ob etwa
noch der Besitz eines Grundstückes zur Bedingung der Ge-
meindemitgliedschaft gemacht, oder ob der Nachweis einer Rente
von bestimmler Höhe verlangt wurde. Über die Bedeutung
des Geburtsstandes bei Erwerbung des Bürgerrechtes finden
wir zwar keine direkten Nachrichten, indes die praktischen Fälle
zeigen uns, welches die Haltung des Rates bei derartigen Ange-
legenheilen war. Ganz abgesehen davon, daß die bereits zitierten
Worte, he schal aver stan in den ratmannen, weder he eme
de burschap gunnen ofte nicht, immerhin eine gewisse Kon-
trolle über persönliche Verhältnisse des Bewerber vermuten
lassen, so suchte der Rat gegenüber etwa vorkommenden Ver-
wicklungen durch Bürgen sich schadlos zu halten. Kam nun
der Fall vor, daß ein neu aufgenommener Bürger vor Jahr und
Tag als Unfreier beansprucht wurde, so fanden folgende Sätze
des Stadtrechles *) vom Jahre II88 Anwendung: Si aliquisde ipsa
civitate alicuba pulsatus fuerit de sua liberlate: ubicunque pulse-
tur, ibl sola manu libcrtatem suam obtineat. Si quisquam extra-
neonim superveniens aliquem civium de sua tibertate pulsaverit,
civis vicinior est ad obtinendum suam übertatem sola manu.
■) Hidi 11. S. 366.
9 U. B. L s. n.
quam extraneus ad ipsum convincendutn. Si vero quisquam
de terra ipsorum aliquem dt: libcrtate pulsaverit et pulsatus pro-
bare polerit, quod anno et die in civitate sine pulsatione substiterit,
pulsatus evadit. Demnach sind drei Falle zu unterscheiden. Wird
ein Bürger Lübecks auswärts um seine Freiheit angesprochen,
so schützt er dieselbe durch eigenen Eid (sola manu). Wenn da-
gegen die Klage in Lübeck erhoben wird, so ist das Ver-
ehren je nach der Person des Anklägers ein verschiedenes.
Wird die Freiheit des Bürgers von einem auswärtigen Herrn ange-
fochten, so stehen ihm Vorteile im Prozeß zur Seite (vicinior
ad obtincndum suam libertatem). Er sichert sich seine Freiheit
Tiedcrum sola manu^ d. h. durch eigenen Od. Onem Lands-
manne gegenüber (de terra ipsorum) hat er nachzuweisen, daß
er sich Jahr und Tag unangefochten in der Stadt aufgehalten
Inbe.*) Der Bürge hingegen trug der Stadt gegenüber die Ver-
antwortung und mußte vorkommenden Falles eine Strafe bezahlen.
Letzteres ist für Bremen ') verhCirgi, für Lübeck wahrscheinlich.*)
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so ist rarar dem
Unfreien das Bürgerrecht direkt nicht versagt worden, vielleicht
aber war es für denselben nicht leicht, einen Bürgen zu finden.
Selbst den Wenden, die sonst als den Deutschen unebenbürtig
erachtet wurden, versagte das Stadtrecht das Bürgerrecht nicht,
wenn sie »des werdich weren".*)
Bürgerssöhne bewarben sich nach erlangter iWündigkeit um
das Bürgerrecht,') hatten hingegen, nicht eine so hohe Summe'O
Bürgergeldes zu entrichten wie Fremde. Daß auch sie haben
Bürgen stellen müssen, wird durch das Vorkommen des Vaters
. als Fidetussor bewiesen. ')
>) V. Bclov. ürepninK 1 dfutubcn Sudlv«rfu«unK, 1N3, & IM.
Octrtictic StKJtiRhtullMlunier, ErlRn£tii, 1833. S. 41U rrcitidorM S. 47.
■) Ölricht. bitm. Sumen, S. H i. 13Crx
*i rrtn»dorif S. 103.
«) Hach IL No. 110. Pauli S. 57.
^ rraitdorff S. 192- Kraul. VormuncUchafl. Oätt. IS35, 1. S. 12).
*) BanmeisWr, Hamb. PrivaUeclit 1. S. 37. frensdoHf S. 193.
^ Maotcls S. 71.
Onglcr,
140 Jakob Höhler.
Ober die Erlangung des Bürgerrechtes durch die Handwerker
im besonderen finden wir in den Quellen nur einige Nach-
richten t>ezQgIich der Höhe des Bürgergeldes. Am klarsten liegen
in dieser Beziehung die Verhältnisse bei den Bäckern und Fleisch-
hauern. Jene bezahlen achtzehn Schillinge pro dvilitate et
opere,>) während bei diesen nur angegeben ist, daß sie zwölf
Schillinge pro opere bezahlen. Wieviel Bürger^eld die Fleisch-
hauer entrichten, darüber erfahren wir Näheres in dem Ver-
zeichnisse der Einkünfte vom Jahre 1262*) und in dem Kämmerd-
buche vom Jahre 1316 bis 1338.*) In jenem heisst es ganz am
Schlüsse: Notum sit, quod cum aliquis pistorum acquirit dvili-
tatem, dabit pro opere et dvilitate XVllI solides, si non est
incola dvitatis; sed si est incola, dabit pro opere suo XII solidos
tantum. Idem fadunt camifices; dant Xll solidos pro opere^
sed pro dvilitate secundum quod divites sunt et habere possunt
in gratia. Diese billige Auffassung erfuhr später 1316 bis 1338
noch eine nähere Modifikation. Si dvis aut filius dvis, dabit
pro opere acquirendo Xll solides; si vero non est dvis, dabit
pro dvilitate et opere XVIII solidos. Demnach müssen von nun
an Bäcker wie Fleischhauer die gleiche Summe von sechs
Schillingen für die Erlangung des Bürgerrechtes bezahlen, wenn
sie vorher nicht in der Stadt gewohnt haben. Bei allen anderen
Handwerkern, selbst wenn sie in größerer Anzahl vorkommen,
sind wir nicht imstande, eine bestimmte Ordnung aus den
Quellen herauszulesen, am ehesten noch bd den Böttchern.*)
Die meisten derselben bezahlen sechs Schillinge, einer vier, ein
anderer sogar acht Sonst finden wir ein buntes Durcheinander.
Im Allgemeinen wird das Bürgergeld der Handwerker wohl
kaum die Höhe von acht Schillingen überschritten haben. Viel-
leicht hat auch hier, wie bei den Fleischhauern ursprünglich, die
Bestimmung, secundum quod divites sunt et habere possunt in
gratia, gegolten.
') U. B. II. S. 22 H.
») U. B. 1. S. 252.
■) U. B. II. S. 1046 Anm^fauig.
t) U. B. IL S. 22 ff.
D>e Anfänge des Handwerks in Lübeck.
141
I
I
E$ erübrigt mir noch zu erwähnen, daß auch Frauen das
Bürgerrecht nicht versagt wurde. Die beiden ältesten Bürger-
matrikeln nennen hundert Frauen, welche sich das Bürgerrecht
erwarben. Die meisten derselben, soweit wir Angaben haben,
Taren Händlerinnen, einige auch Handwerkcrswitwcn,') welche
wahrscheinlich das Geschäft ihres verstorbenen Galten weiter
führen wollten.
§ 2. Die praktische Bedeutung des Bürgerrechtes.
Erst im Verlaufe des dreizehnten Jahrhunderte finden wir
in den Quellen Nachrichten, die eine ziemlich genaue Rekon-
struktion der bürgerlichen Pflichten und Rechte des Handwerkers
als Qlied der städtischen Gemeinschaft ermöglichen. Die älteste
Nachricht^ in dieser Beziehung ist in dem Stadtrechte aus dem
Jahre 1188 verzeichnet und lautet: Cives vero nullam expeditio-
nem tbunt, scd dvitatem suam defensabunt, d. h. die Bürger
können nicht zum Heerbanne aufgeboten werden, sondern sie
sind nur gehalten, ihre Stadt zu verteidigen. Aber dieses von
Friedrich I. verliehene Vorrecht hatte nur solange Gültigkeit, als
die Stadt einen Herrn besaß. Als im Jahre 122Ö Lübeck reiche
unmittelbar wurde, trat dieses Privileg von selbst außer Kraft
Daher können wir aus ziemlich früher Zeit konstatieren, daß die
Bürger Lübecks zu persönlichen und anderen steuerähnlichen
Leistungen herangezogen wurden und selbst über die Grenzen
des städtischen Weichbildes hinaus verpflichtet wurden.') So
besitzen wir aus dem Ende des 13. Jahrhunderts eine Urkunde/)
in welcher der Vogt und die Ratmänner zu Heüigenhafen den
Rat zu Lübeck ersuchen, einen gewissen Tidcmann Lange von der
schuldigen Reise nach Norwegen (reysam Norvegie est ascrij>-
tus) ZM dispensieren. In dem Jahre 1292 waren siebzig lübeckische
Bürger verpflichtet,*) Slrcttrosse und Bewaffnete zur Disposition
des Vogtes bereit zu halten. Unter den genannten Bürgern finden
t) M«a(eb S. 68. Ebmda wird t. B dne palemoKermcIttre cnriUinl.
*) U, B. 1. S. IIa. 1IS8.
•I D. SrhUcr, Die HanKitldlc und K&nig WaJderiiu- von tlitveniark. Jen« IS79,
S.M6rt.
«) U. B. I. S. ATO So. 740, Ende da 13. jahHi
•) U. B. n. Na. tClä n. lOtT S. 939.
wir auch einen Marquart Haverbeckere und einen Bcmardus
Schüdere. Am deutlichsten und bestimmtesten erhellt die Tat-
sache der Wehrpflicht der Bürger, speziell der Handwerker,
aus einer Beschwerdeschrift ') aus dem Jahre 1373. In derselben
beklagten sich die Ämter über allzu hohe Abgaben und erklärten
schliesslich: wente gy dal wol weten, dat vy iv vyllich hebbet
ghe wezen to lande unde to watere myt lywe und myt gude,
unde noch gherne don wyllen to allen tyden, wan gy des van
uns begherende zynt, unde wy wolden alle sterven umme iuwen
wyllen er wy iv zeghen vor unrechten. Die Ämter wollen also
bereit sein, zu Wasser und zu Lande, mit Leib und Cut der
Vaterstadt zu dienen und selbst den Tod dafür zu erleiden.
Auch in Friedenszeilen waren die Bürger unter Androhung
von Strafe verpflichtet, waghte'} zu leisten.
Unter den bürgerlichen Pflichten ist an zweiter Stelle der
Schoß zu nennen, die einzige direkte Steuer Lübecks. Derselbe
wurde lange Zeit nur von unbewegiichem Eigentum entrichtet Das
Organ, mittels dessen der Rat verkündete, wie groß der Schoß
sei, war die Bursprake.') Alle ohne Ausnahme (iewelic borghere
van lubeke) mußten sich selbst einschätzen und den Schoß nicht
nur vom eigenen Gute entrichten, sondern auch sines wiwes unde
Sinei" kindere unde vor ghut, dat he under sie hevet van vormunt-
schap weghene.*) Unredlichkeit bet der Einschätzung ahndete
der Rat mit harten Strafen.*) Im Laufe der Zeit forderte man
auch von den Gewerbetreibenden, die keine unbewegliche Habe
besaßen, einen Schoß, in der Meinung, daß die Fähigkeit, ein
Gewerbe ausüben zu können, den Wert eines Vermögens reprä-
sentiere. «)
Außer diesem gewöhnlichen Schosse besteuerte der lübeckische
Rat seine Bürger zuweilen auch bei besonderen Anlässen. Wegen
') U. ü. rV. S. 3S7 Ann.
») Pauli, Zwchr. f. lob, Owch., i 113
■) rrmviotn S. 100.
•) Hteb 5. 304.
') «bcnda
*) HiniiKhc OnchichUbl. /«hrging 18M, S. »-
drückender Steuern nach dem dänischen Kriege entstanden im
Jahre 1376, wie der Chronist Detmar berichtet, de erste misbe-
hcgelichcit und wrank der menheit gegen den rat. ') Der Rat
hatte nämlich den Ämtern befohlen, sunderlik schot to ghevende,
to vorechoie ene mark unde ok de matten wat groter makeL
Aber die Zeiten waren schlecht und der Verdienst gering; daher
beschlossen die Ämter auf dem Wege der Bitte, die Zurück-
nahme dieser Maßregel zu bewirken. So sah sich der Rat ge-
von dem Vorschoß und der Erhöhung der Mahlgebühr
stehen. Den Schoß dagegen mußten die Ämter entnchten.
Nach einer anderen Aufzeichnung*) aus demselben Jahre be-
zahlten an Beitrag zu dem Schosse:
Piscatorum : XXX marc. minus V
CXXIII marc minus
CXXIV marc
LXII* marc.
XL marc
XLIX
Camificum:
Pistorum:
Sutorum:
Fabrorum :
Sartorum:
IV
IV
sol.
sol.
sol.
marc
VIII sol.
Ilt sol.
IV den.
XIII den.
V den.
Aurifabronim: XXXVI marc minus I
sol.
sol.
V den.
LXXXV soL IX den.
Pellificum; XIX marc
Summa llllc marc.
^ Am Schlüsse derselben Urkunde findet steh der Zusatz:
Ista fuit tallia, quando dabantur quattuor denarii de marca argenti.
IDies war für die damalige Zeit ein ungewöhnlich hoher Schoß.
Alle Bürger unterlagen im wesentlichen gleichen Pflichter,
besaßen aber nicht gleiche Rechtsfähigkeit Dieselbe war an den
größeren oder geringeren Besitz des einzelnen geknüpft. Die
Qualifikation, als Zeuge auftreten zu dürfen, bedingte Erbein-
gesessenheit Zeugnisse jeglicher Art konnten nur solche leisten,
welche sich im Besitze eines torfach eghen ^ befanden. Aller-
dings dürfte gerade diese Vorbedingung weniger eine prinzipielle
Zurücksetzung des Nicht-Erbe in gesessenen bedeuten als vielmehr
eine Garantie. Fast für alle Arten von Zeugenleistung ist Grund-
') OiTonlk d. dltdi. Stidt«, LQbcck I. S. SST.
tU.B.lV.S. M7.
*) KkIi M. 3. 301.
p
144 >lcob Köhler.
eigentum ausdrücklich vorgesehen, ausgenommen bei Bruch des
Gottesfriedens und bei Körperverletzung.^) In diesen Fällen
konnte jeder unbeschotlene Mann Zeugnis ablegen. Daß die
Handwerker keineswegs aus der Klasse der Erbeingesessenen
ausgeschlossen waren, beweist indirekt eine Urkunde*) aus dem
Jahre 1243. Hier treten mehrere Handwerker teils als Zeugen,
teils als Oerichtsum stand auf. Als Zeugen werden hier ein
Bäcker, ein Riemer, ein Böttcher und ein Gerber genannt, unter
dem Gerichtsumstande befanden sich drei Pelzer und ein Schild-
macher. Da es in Lübeck keine Schöffen gegeben hat,*) so hatten
anwesende Bürger, der Umstand (adstartes), das Recht, das
vorgeschlagene Urteil, bevor es die Voübort erlangt hatte, zu
schellen und ein Qegenurteil zu finden.') Leider vermögen wir
nicht mit Sicherheit zu entscheiden, welche Vorbedingungen die
den Oerichtsum stand bildenden Bürger zu erfüllen hatten.*)
Mit den Fragen von allgemeinem Interesse vennochtc noch
am ehesten das Echtding die Bürger Lübecks bekanntzu machen.
Das lübische Fragment") aus dem Jahre 1227 berichlet darüber
folgendes: Tribus vicibus anni conventus erit legitimi pladti.
Omnis, qui est possessor proprii caumatis, aderit, si fuerit intra
muros civitatis. Dreimal im Jahre also, am Montag nach Ostern,
am Montag nach Pfingsten und am Montag nach hl. drei Köni-
gen^ fand unter dem Vorsitze des Vogtes das legitimum plad-
lum statt. Die Teilnahme an dem Echtding setzte den Besitz
eines Hauses voraus und war obligatorisch (aderit). Die Frage,
ob auch Handwerker in l-öbeck possessores caumatum d. h.
Hausbesitzer gewesen sind, ist nicht schwer zu lösen. Das Ober-
sUdtbudi gibt uns genug Beispiele zum Beweise dafür. Um
I
') Vgl. f rensdor» S. 1«.
») U. B. UI. S. S n.
■) V^l, J. W. Pluick, Dai dnitiche Ocrlchlsveriihrrn Im M.-A., Bnunfchvrlq;
\Wn. S. M, 6S, und IK^. K. Kfx«l, Ocsdi. der ScldlEverfutnne In ItBlior, Lnpilg 1S47,
ir S. 461
•) SchrMer, DUch. RechtiBacb, 19)6, S. »4.
») Frenidorif, S. t74.
*) V. B. I. 5. 3a.
') Bunge, Die Quellen da Revater SladlrMbb, Dorpxt ^M I- frrntdoiff S. S3
Anitierlcung 31
[nur eins von den nelcn zu erwähnen, so finden wir daselbst:')
Notum sit quod Johannes Wole emit quandam domum in fossa
Thanquardi de Willckino Candelifice, quam coram consulibus
resignavit eis. Die pralctische Bedeutung des Echtdinges*) trat
im Laufe der Zeit in den Hintergrund,") ja es verschwand
^schließlich ganz, während seine Befugnisse unstreitig von dem
U^te absorbiert wurden.*)
■ Von der alten Teilnahme der Gesamtheit an der Beliandlung
Hhrer Angelegenheiten hat sich nur noch ein mehr summarisches
■ Verfahren erhalten, bei dem man bei Gegenständen, welche das
Wohl des ganzen Volkes betrafen, die Bürgerschaft per sonum
eampanae ad civiloqulni, d. h. zur Bursprake, berief.*) Die
»Anteilnahme des Vollies beschränkte sich nur auf die Zustimmung
oder Ablehnung eines Antrages, während die eigentliche Ent-
scheidung tatsächlich in den Händen weniger ruhte. '^ Jedenfalls
findet sich in den Quellen kein Anhalt dafür, daß hier auch
Grundeigentümer direkten Anteil daran genommen hätten.^ Die
Bursprake trug mehr den Charakter einer Publikation als den
einer Beschlussfassung. Das beweisen die Worte :^ Et ut pre-
tdicta omnia et singula firma et rata inviolabiliter permanerent,
pro maiori bono pacis et concordia dicti advocatus et consules
per sonum campanae, prout moris est, convocaverunt populura
civitatis prediclae et ibidem predictam compositionem in eorum
civiloquio publicaverunt . . . eam ratam et gratam haben-
_ les staluerunt. In einer anderen Urkunde") aus derselben Zeit
finden wir: Consules pro maiori bono el securitate in communi
ipsorum civiloquio pronunciavcrunt et mandaverunt.
Jm Laufe der Zeit ist denn auch der Name »Bursprake'
*t Rehme S. 373 a. 1385
't Daxltat vurde verliandclt Qbcr Crbachallen, Onandclgmluni und &ba drincEndt
Aafrictaibdtni d« Slidl (U, B. I. S. 38).
•) PUncJi S. M.
•> PrerudorfT S. 86.
*1 U. B. d. Btitacnt LQbcck, I. S. 543 BRd 541.
^ rreiwdorft S. WT.
> Oegcn Jul. Wdler, ZurOodi. des Himb. Zunthroni, Bcrl. DiM. IS03, & 69.
1 U. B. d. Bist. Lflb., ]. S. H3 lud SM a. 1314.
*> U. B. d. Biit. Üb., I. S. H7 1. I3M.
Arddv Hr Kulniretsüifdite. r. 3. 20
,^uf die in solchen Sprachen festgestellten Bestimmungen über-
tragen worden und bedeutete eine Sammlung von Vorschriften,
meist polizeilichen Inhaltes, welche öffentlich zu bestimmten
Zeit des Jahres verlesen wurden".')
Ein Blick auf das Vorhergehende lehrt, wie der Rat in
Lübeck ein Recht nach dem andern sich atizueignen wuQte und
so seine Kompetenz auf Kosten derjenigen des Vogtes wie der
Bürgerschaft bedeutend erweiterte. Bei einem derartigen Resul-
tate drängt sich sehr leicht die Frage auf, sollten nicht auch
noch in anderer Beziehung die Verhältnisse von Anfang an
andere gewesen sein, als sie im U. Jahrhundert waren, in anderen
Worten, sollte nicht die Ratsunfähigkeit der Handwerker ein
Produkt der im Laufe der Zeit geschaffenen Verhältnisse sein?
AlJerdings, einen direkten Beweis dafür können wir nicht antreten,
aber ebensowenig vermag man zu beweisen, da& die Handwerker
in Lübeck von Beginn der Stadt an nicht Ratsmitglieder gewesen
sind. Sehen wir uns einmal die Gründe an. welche die Rats-
unfähigkeit der Handwerker beweisen sollen. Als ersten Grund!
führt man*) die Heinrich dem Löwen zugeschriebene Ratsord-
nung ins Feldj welche bestimmte,^ daß nymant, de van openbare
hanlwcrke hebben gewonnen er goet, scal sitten In demc rade.
Aber dieselbe ist, wie Frensdorff^) treffend nachgewiesen hat,
ein Kind späterer Zeit und ,,ein aus der städtischen Autonomie
erwachsenes Statut, dessen Entstehung man nicht früher wird
ansetzen können als in die beiden letzten Dezennien des drei-
zehnten Jahrhunderts". Freilich nahmen gleich von Anfang an
die Kaufleule eine bedeutende Stellung ein, denn dafür war
Lübeck vorzugsweise Handelsstadt; wenn aber der Chronist Hel-
mold^) nur von mercatores atque cetert habitalores spricht, und
man'^ daraus schon allein die soziale Inferiorität des Hand-
werkerstandes von Beginn der Stadt an beweisen will, so ist
l) FfHiMlChrff S- ifa.
)} Wchnn. S. 35 u. Jul. WtUtr S. 17.
1 Chr. d. iltKli. Sud», LQbKk t. S. 27.
*) Hni». Godifal,, |ib(S. I8T6 S. III.
*i Chraniicoii Slivemim I. Si, I.
•) So Vfthrjp. S. i
Die Anfänge des Handverks in Lübeck.
147
*
ZU beachten, daß gerade der Begriff des Wortes Kaufmann >)
im Mittelalter sehr dehnbar war, daB mercator oft identisch mit
dvis war,') und daß man femer den Handwerker insofern sehr
gut als Kaufmann bezeicimen konnte, als er seine Waren auf
dem Markte verkaufte und so für denselben arbeitete.*) Sch«n
WTT von der Ratsordnung Heinrichs des Löwen ab, so finden wir
keine Vorbedingung, die der Handwerker nicht zu erfüllen ver-
mochte. Derselbe ist aller bürgerlichen Ehren und Rechte teil-
haftig, d. h. soweit er gewisse Vorbedingungen erfüllen kann,
Über alle Rechte und Pflichten geben uns die Quellen Auskunft,
warum sollte gerade ein so wichtiges Vorrecht verschwiegen
werden? Sehen wir uns einmal nach Analogien um, so hat
Crull*) bei seiner Untereuchung der Rals Verfassung Wismars,
einer Tochterstadt Lübecks, gefunden, daß hier während des
dreizehnten Jahrhunderts Handwerker dem Rate angehört haben.
In Goslar kommen ebenfalls in der zweiten Hälfte des drei-
zehnten Jahrhunderts unter den Ratsmitgliedern Handwerker
vor.*) Wenn daher einige Handwerker in Lübeck im Rate ge-
sessen haben, dann wäre ein solcher Fall fürwahr keine so große
Anomalie gewesen ! Finden wir aber im Anfange keine Nach-
richten vor, so berechtigt dies uns eher zu der Annahme, daö
vorläufig keine so scharfen Gegensätze herrschten. Schon aus
den hervorgehobenen Gesichtspunkten kann man es als durch-
aus innerhalb der Grenzen der Möglichkeit liegend bezeichnen,
da6 Handwerker einmal im Rate gesessen haben, wenn auch in
frühester Zeit. Diese Annahme wird einigermaßen gestützt durch
das Zeugnis einer Urkunde*) aus dem Jahre 1340, welche von
dem Rate zu Lübeck ausgestellt und mit dem Siegel der Staut
verschen wurde. In derselben bezeugen die Ratmänner zu Lübeck,
wie nach altem Herkommen in Hamburg, Lübeck und anderen
benachbarten Städten es sich mit den Gerechtsamen der Bürger-
>) HcccI. CnUlrhc. d «Itvh. Stidt»«9eiu, S. IM.
'» T. Briov, UnUlrliE. d. diwli. StadlKemrIndF, S, 30.
■} Mollwa, Die lltotcn lAIi ZotlroUnt, Lclpi Disi. 1904. S. U
*) HUK. Ocscb. Qu. 2 S. XVni.
■) Htm. Ortdibl, Jahre. »*S S- 33.
■] U. B. 11. S. 664.
10'
I
146 Jakob H5h)er.
meister den Ratmännem, und des Rates der Büi^erschaft gegen-
über verhalte, tn Bezug auf die Gerechtsamen des Rates gegen-
über der Bürgerschaft versichert die Urkunde: Item quod, quo-
tiens et quando aliqua negotia ardua et magna predicto opido et
Universität! Hamburgensi incumbebant, utpote super iure aliquo
ipsius opidj et universitatis preiudiciaü seu ius vel stätum aliqualJtcr
tangente vel similia oportebat et oportet necessario proconsules
et consules Hambiirgenses, si cxpeditio huiusce modi negotiorum
robur firmitatis habere debebat, super hoc requirere et obtinere
specialiter consilium et consensum magistrorum officiorum
mcchatiicorum ac universitatis dicti populi et de eorum consitio
et consensu ea expedire. Bei allen wichtigen Angelegenheiten,
welche das Wohl der Gesamtheit betrafen, wurde also der E^t
und die Zustimmung der Älterleute und des ganzen Volkes er-
heischt. Dieses geschah unzweifelhaft in der Bürgerschaftsver-
sammlung (civiloquium). Man berief dazu die universitas, d. h.
die gesamte Einwohnerschaft, also nicht eine bevorzugte Klasse
allein, wie etwa die Erbeingesessenen. Daß aber in der Bürger-
schaftsversammlung der Anteil der Menge sich nur auf die Zu-
stimmung oder Ablehnung eines Antrages beschränkte, haben
wir bereits an einer anderen Stelle erfahren.') Die AUerteute der
Amter nahmen auf jeden Fall aktiven Anteil an der Beratung.
Würde die genannte Urkunde sich nur auf Lübeck beziehen, so
wäre dieselbe geeignet, einen schroffen üegensatz zwischen den
Handwerkern und den Katäfähigen 2u beweisen. Gleich am An-
fange der Urkunde bezeugt der Ratj daß die Sitte, Älterleute
zu Rate zu ziehen, schon länger als sechzig Jahre bestehe, also
etwa seit der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Femer
wird darauf hingewiesen, daß es ganz genau so in Hamburg
und anderen umliegenden Städten gehalten werde. In Ham-
burg und den umliegenden Städten iiieQen diejenigen, welche
zu wichtigen Verhandlungen hinzugezogen wurden, die Wittig-
sten (sapientiores, pnidentiores). ") Schon der Zusammenhang,
in dem diese Wittigsten in den Quellen früherer Zeit genannt
') sieh« S. HS.
t Cberwo in Bremen, OotUi, Rottock und H&xler.
Die Anfänge de? Handverks in LÜbedc-
149
werden, pbl zu raten auf. So heißt es in dem Hamburgischen
Stadtrechie •) vom Jahre 1270: desse ordeie smt bescreven van
<ier menen stad willen undt van den wittegesten rade van Ham-
fcorch,") öder an einer anderen Stelle»): dat hcbbet de wittigesten
Jovet unde willekoret Bereits Frensdorff'l und andere vor
ihm haben mit Recht die Vermutung ausgesprochen, daß diese
Erwähnung der \»'ittigsten allein als Urheber einer städtischen
'Willkür auf eine andere Bedeutung oder auch eine Entstehung
in früherer Zeit hinweise, da der Rat selbst mit unter jenem
Namen b^riffen wurde. In späterer Zeit sind jedenfalls die
Begriffe scharf voneinander geschieden. Doch wenden wir
lins wieder zunächst zu Lübeck zurück. Jetzt verstehen wir
«her die Worte des Chronisten Detmar'^): dal men scolde mit
rade wiser lüde in der stat kesen ses ratmannen van goden
j;hcruchte. Die Wahl sollte also mit dem Beirat wiser lüde
in der stat getroffen werden. Diese weisen Leute erinnern un-
streitig an die Wittigslen.'^} In den Urkunden der zweiten Hälfte
<ies dreizehnten Jahrhunderts finden wir Ausdrücke wie: nomine
consulum et maiorum seniorumO oder eonsules et iurati* s«u
maiores.'^ Zwar sind hier nicht dieselben Bezeichnungen ange-
■wandt wie in Hamburg, aber die Institution ist sicher dieselbe.
'Wir haben es ohne Zweifel auch hier mit den Wittigsten zu
tun.") Die Mehrzahl der in diesen Urkunden namhaft gemachten
maiores lassen sich aus anderen Urkunden als Mitglieder des
Hatskollegiums nachweisen.'") In Bremen existierte ein Kollegium
ausgetretener Ratsniannen unter dem Namen Wtlticheit. ") In
■) J. M. Uppenberg, Hamb, RHhlsaJtUtöinei, HuDb. 1846.
>) Ebenda S. I.
■> Ebmdi 5. 3, I. 3.
■>} Frcntdortr S. 202.
•) Chi. d. dbdi. Stldte, Üb. I. S. 11.
•) Ptell, Lbk. Zatt. S. T9, PrenidorH S. 3B Ann. 9.
1) U, B. I. 5, 37« ». 1165.
•> V. B. A. Bist. Lflb. l. S. 373 ■. 1280.
•> Pwmdoill 5. 7»,
i^ EbcmU S. 3(11 Anm. 54
") Obtt. Unprung n. Entv. d, Hunb. Raliverl, Bai. Di». 18t0. S. 73.
Hamburg waren nach Koppmann») und Mönckeberg") die
Wittigsten ausgeschiedene Mitglieder des Rates, welche zu wich*
tigen hallen herangezogen wurden. Daselbst sind in frühester
Z«it die Handwerker ratsfähig gcw'esen, int Laufe der Zeit aber
gezwungen worden, aus dem Ratskollegium auszutreten, um für-
derhin nur noch die Rolle von Wittigslen zu spielen.') Das Selbst-
ergänzungsrecht und das materielte Obergewicht des Kaufmannes
waren der Grund für die Ausschließung des Handwerkers aus
dem Rate.*)
Nach dem Worllaut der Urkunde*) vom Jahre 1340 datiert
die Sitte, die Älterleute der Ämter zu Rate zu ziehen, schon
aus alter Zeit (a X XX XXX XL L et LX annis citra et ultra
et a tempore et per tempiis, cuius contrarii seu principii memo-
ria hominum non existit), aber es ist doch nicht immer so gewesen.
Wittigste (wise lüde) scheinen schon von Beginn der Stadt an in
Lübeck gewesen zu sein. Auch in Lübeck befanden sich unter
den Wittigsten aufler den Handwerksmeistern ratsfähige Per-
sonen. Sollte da der Schluß zu kühn sein, daO es mit einer ge-
wissen Wahrscheinlichkeit in Lübeck ebenso wie in Hamburg
gewesen ist. zumal da doch in der Urkunde ausdrücklich auf
Hamburg verwiesen wird? Leider verbietet uns das äußerst
lückenhafte Quellenmalerial, bestimmte Schlüsse zu ziehen. Immer-
hin aber ist, wie bereits gesagt, die Wahrscheinlichkeit sehr nahe-
liegend.
Wchrmann**) betrachtet die Sitte, Älterleute der Ämter
zu Rate zu ziehen, als einen Fortschritt. Wir halten dieselbe
nicht für ein Produkt progressiver Entwicklung, vielmehr für
den Rest ehemaliger Oleichberechtigung. Schuld an dieser seiner
Auffassung trägt erstens natürlich die Annahme, daß die Rats-
ordnung von Heinrich dem Löwen stamme, in gewisser Hinsicht
auch seine allgemeine irrige Anschauung, daß ,jdie Handwerker
■) Himb. Kormpondrnt, M, A. laso, t. Srpl.
«) K MfinckrtN:r£, Onrh d. (r. n HinKStndt Hjttnb.. Hamb. I»», S. 304
•) Jiil, Weiter, S. », Obiil S. 80 B- 81.
*l Kappminti, lOmintTtirectiiiunee" ü. Sudt Huaburs I. Qnl. S. 19w
*)Va. U. S «4.
•) Vchtm. S. V.
*
sich nur allmählich und muhäatn aus dem Zustande der Un-
freiheit cmporrangen." ') Wenn er auch letzteres nicht bei Lübeck
speziell annimmt, so trägt eine derartige Ansicht wohl dazu bei,
<]en Handwerkerstand als solchen unter einem ganz anderen
^iesichtspunkte zu betrachten.
Es waltete somit von Anfang der Stadt an allem Anscheine
-«lach ttein politisches Standesvorrecht, erst die Zeit schuf ein
^solches. Ein Vorrecht hat insoweit bestanden, als nur der Grund-
eigentümer Träger aller politischen Rechte gewesen ist. Mit dem
>landel hielt das Gewerbe nicht gleichen Schritt. Dem materiellen
Xlbergewichie des Kaufmanns folgte auch bald das soziale. Die
liuldvolle Behandlung, welche Karl IV. während seiner zehn-
•«ägigen Anwesenheit im Jahre 1375 den Geschlechtern ange-
^eihen ließ, erhöhte ihr Selbstgefühl nur noch mehr. Im Jahre
1379 stifteten sie die Zirkel brüderschaft (sodetas portans circulum).
^uch der Handwerkerstand erstarkte, imd damit wuchs das Selbst-
l>e\('u6tsein. in noch höherem Maße aber der Groll über die Vor-
lierrschaft der Patrizier. Schon lange gährle es unter den Hand-
■werkem. Darauf deutet hin die Bemerkung des Chronisten ütwr
den Haupträdelsführer in dem Knochen ha ueraufs lande, Hinrik
Paternostermaker, de hadde da* 14 jaar ghehandelt')
Drittes Kapilel.
Das Zunftwesen in Lübeck.
§ 1. Erstes Auftreten der Ämter.
In Lübeck hießen diejenigen gewerblichen Verbände der
Handwerker, welche staatsbürgerliche Rechte besaßen, gewöhn-
lich Amier *) (ammet, ampt,*) amhacht*). Die entsprechende
lateinische Bezeichnung lautet officium.*) Beide Worte, Amt
sowie officium, bezeichnen außerdem das Geschäft des ein-
1) Wrfirm. S, M.
*) a.T. d dtK-h. St. Lüb. ] S. SA1.
1 Vgl. Wdirm. S. 73 II. Dit kautmirniichcn Kotporalioncn hldVcn Niclm. d, h.
Nalinom. ««i lie Ihre Nitneii »ön <Jcn ün«n twlci Llndmi oitleliril halicii, mil dnwn
»i< hmpUäehHch Hindri Kicben iWcliitn. S. 25).
•) Wflirm. S IM ». 13», R. d, B»dCT. Wdirm. & 176 ■. 13» R. d. Bölldier.
»I Wdirai. S 205 «. 137«, R. dtr 0«rt>rito.
•) U. B. II S. 357 a. 1321.
r. 1
zelnen.') Nebw der Bezeichnung Amt (officium) finden sich die
synonymen Ausdrücke consortium") und kumpanie') in den
Quellen.
Nicht alle Handwerksar ten^ welche wir in der statistischen
Zusammenstellung aufzählen lionnten, besaßen gewerbliche Ver-
bände. Erst verhältnismäßig spät für eine so rasch entwickelte
Stadt wie Lübeck berichten uns die Quellen über das Bestehen
von Ämtern, was natürlich nicht gegen eine ältere Existenz der-
selben spricht. Zur Zeit, da die ersten Nachrichten darüber auf-
tauchen, sind sie bereits eine fertige Institution. Als ältestes, 'Brenn
auch indirektes Zeugnis für das Bestehen von Ämtern in Lübeck
dürfte wohl eine Urkunde') aus dem Jahre 1225 zu betrachten
sein, [n derselben verleiht der Eörst Borwtn von Meklenburg der
Stadt Oadebusch mehrere Freiheiten der Stadt Lübeck, worunter
auch diejenigen der pistores et cariiifices erwähnt werden. In
ähnlicher Weise sind um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
im Sladlrechte") von Wismar die Rechte der Bäcker von Lübeck
verzeichnet, während uns solche in den Quellen Lübecks selbst
nicht begegnen.
Erst in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
fließen die Quellen der Stadt Lübeck reichlicher. Jetzt erfahren
wir, daß die Handwerker je eines besonderen Gewerbes gemein-
same Verkaufsstätlen ") haben, ja wir hören sogar von einer
domus pelUficum et domus kuterorum. Die ersten direkten und
bestimmten Nachrichten über das Bestehen von Amtern geben
uns eine Urkunde-) aus dem Jahre 1232 und das von dem
Kanzler Albrecht von Bardewich im Jahre 1294 verfaßte Stadt-
') Wdinti. S. M. In unserer Zdt »ird du QcKliltl des Einidneo meist im Li-
IdnlKfeen ntll oinis benichnft (U, 8. IE S. ZI H. a 12S9).
*i V. B. 11 S. 1046 AniD. 7 a. 131(1—38, nur einmal ron dem Amte äa Knochen-
hin er auieetaeL
>) Wehrtn. S. 301 iL IST6, Rolle d. OarbnUei und S. 207 i. ISTD, R. d. airtntr.
') M«iilenburaiwh« Urkundetibuch. I S, 303,
*) Biinnci»er, Altertümer du Wliraartctien Sttdlrcchla & S8.
•) V. D. I S. 34a tf. ■ i2&r
n U. B. I. S. J95.
Die Anßnge des Handwerks In Lübeck. 153
recht') Dieses enthält eine Sammlung lübeckischer Rechtssätze,
die im einzelnen schon viele Jahrzehnte vorher entstanden sein
dürften.
Was die Zahl der Amter anbetrifft, so können wir dieselbe
nicht mehr genau fixieren, da wir nur sporadische Nachrichten
darüber besitzen. In den Jahren 1471 und 1474 wurden fünfzig
Amter festgestellt*) Nicht soviele können wir natürlich für unsere
Periode annehmen. Bis zum Jahre 1384 begegnen uns in den
Quellen folgende Ämter zum ersten Male :■)
1. apengeter Rotgießer (Wehrm. S. _157 a. 1432).
2. armborsterer Armbrustmacher (Wehrm. S. 160 a. 1425) ?
S.badstover Bader (Wehrm. S. 162, Mitte d. 14. Jahrh.)-
4. becker Bäcker (Hach S. 355 a. 1294).
5. budelmakere Beutler (Wehrm. S.376 a. 135Q).
6. paternostermaker Bemsteindreher (Wehrm. S. 350 a. 1360).
7. bodeker Böttcher (Wehrm. S. 176 a. 1321).
S.bruwer Brauer (Wehrm. S. 178 a. 1363).
O.buntmaker Buntffltterer (Wehrm. S. 190 a. 1386).
lO.dr^yer Drechsler (Wehrm. S. 201 a. 1345).
n.piscatores Fischer (U. B. IV S. 357 a. 1376).
12. garbradere Qarbräter (Wehrm. S. 203 a. 1376).
13.gherdener Gärtner (Wehrm. S. 207 a. 1370).
14. cerdones Gerber (U. B. II S. 761 a. 1345).
IS.goldsmede Goldschmiede (U. B. II S. 1045 Anra. a. 1334).
16. grapengeter Grapengießer (Wehrm. S. 225 a. 1354).
17. heringwaschere Heringswascher (U. B. IV S. 129 a. 1360-70).
18.filtrarii Hutmacher (U. B. 11 S. 357 a. 1321).
19. kannengeter Zinngießer (Wehrm. S. 248 a. 1421).
20. knokenhowere Knochenhauer (U. B. II S. 1046 a. 1316-38).
21.1ynenwevere Leinweber (Wehrm. S. 320 14. Jahrh.).
■) Hadi S. 349 nnd K5. Der Codex WestphileiH stunmt nicht ■« dem Jahre
1240b KifKieni ans ipttem- Zdl (x^en Tdirm. S. 13 nnd Jnl. Welter S. 39). Vgl. Preiu-
dorff, d. lab. Redit nach tdncn Utettea Fonnen tSJi.
■) Wehnn, S. 15.
■) BofickilditiKimK flndcn aadn diejenigen Ämter, von denen «Ir munlttelbar
mcb muercr Periode hören, oder deren Rollen auf da hohes Alter dea betr. Amtes
•dUieBen la«en. In letzteren Falle gäten die antentrichenoi 2Uilcn an, vo lich dcr-
anige Aadentm^eD flnden.
154 J>kob Höhler.
22. makr unde glasewerler Maler und Glaser (Wehrm. S. 326
vor 1425).
23. auricaicifabri Messingschläger (U. B. II S. 474 a. 1330).
24.neteler Nädler {Wehrm. S. 339 a. 1356).
25. pellifices Pelzer {U. B. IV S. 357 a. 1376).
26. perminter Pergamentmacher (Wehrm. S. 363 a. 1330).
27. platensleghcre Platenschläger (Wehrm. S. 365 a. 1370).
28.corrigiarii Riemer (Wehrm. S. 370 a. 1347).
29. remenslegher Gürtler (Wehrm. S. 370 a. 1414).
30. clipeatores Schildmacher (U. B. 1 S. 395 a. 1282).
31.fabri Schmiede (U. B. IV S. 337 a. 1376).
32.sartores Schneider (U. B. IV S. 357 a. 1376).
33.sutores Schuhmacher (U. B. IV S. 357 a. 1376).
34.schacht&nider Schachtschneider (Wehrm. S. 201 a. 1364).
35.reper Seiler (Wehrm. S. "^80 a. 1390).
36. tymmerlude Zimmerleute (Wehrm. S. 457 u. 460 a. 1428).
§ 2. Rechtliche Stellung und Einftuss der Ämter
„Die mittelalterliche Zunft ist ein unter obrigkeitlicher Sank-
tion errichteter Zwangsverband, dessen Mitgliedschaft die Voraus-
setzung für die Ausübung eines bestimmten Gewerbes innerhalb
der Gemeinde bildet."') Das allgemeine Motiv für die Ent-
stehung der Zünfte ist der lebhafte Assoziationstrieb des Mittel-
alters, das spezielle Motiv die Ausübung des Zunftzwanges.')
Der Zunftzwang diente dem Schutze der gemeinsamen Ziele, er
bildet demnach das Wesen der Zunft Er kann aber nur mit
Hilfe der Macht der städtischen Obrigkeit ausgeübt werden,
hängt mithin von ihrem Willen ab; demnach gehört die Öffent-
liche Bestätigung zum Wesen der Zunft*) Die Zunft war erstens
um der Stadt willen und npcitcns um ihrer selbst willen da
(dat sc vorderen des Stades nut unde de mestere).*! War sie
nun in erster Linie der Stadt wegen da, also Trägerin eines ihr
von der Stadt anvertrauten Amtes, so ergab sich naturgemäß
>) *. Belo«, EnblrhuDK d. dttch. Stadttrcindndc S. 1\.
>> V. Bclo», WÖrtcTbiich für VolliiviHM-hati, Arlllwl ZOnftC.
*i O. Croon, Zur Enitteliuns dn ZunItweKru, Mart. DiM. 1001, & 10.
•) H«di S. M«.
Die Anfing« des Hätidwerte in Lübeck.
ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis. Das Abhängigkeitsverhältnis
der Amter in Lübeck gegenüber dem Rate soll uns im folgenden
beschäftigen.
Wie die städtische Obrigkeit dem einzelnen die Erlaubnis
zur Ausübung seines Gewerbes erteilte, so konnte auch nur
allein sie das neugebildete Amt bestätigen. Freilich übernahm das
Amt damit Pflichten, aber andererseits erlangte es auch dadurch
bedeutende Rechte. Identisch mit der Erlaubnis, sich gewerb-
lich einen zu dürfen, war vermutlich in alter Zeit diejenige,
Morgensprachc halten zu dürfen. Unter dem Worte Morgen-
sprachc im allgemeinen verstehen wir Amtsversammlungen.')
Schon bevor sich Nachrichten über die Amter finden, exi-
stieren solche über die Morgensprache. Das älteste uns er-
haltene niederdeutsche Recht der Stadt Lübeck berichtet uns über
die Morgensprache folgendes:') Dar Sude sint in der slat, den
de rat gcgheven heft morghensprake, dat se dar inne vorderen
des Stades nut unde de mestere, dar to gesworen hebben, dat
se dat truweliken don. maket se dar boven en andere morghen-
spralce, de weder de stat si, dar umme scholeii wedden de
mestere alier lic dre mark sulvers unde moten unberen des
States woninghe unde er iewelic, de over der morghensprake
was, schal wcddcn die mark sulvers unde scholen cnbcrcn der
morghensprake undtr dat lieh in den ratmannen, wat se des nemcn.
In mancherlei Hinsicht gibt uns diese Bestimmung Auskunft.
Die Erlaubnis, Morgensprache halten zu dürfen, wurde anfäng-
lich summarisch erteilt, d. h. sie wurde ein für alle Mal gegeben.
Den Vorsitz über die Morgensprache führten die Älterleute
(mestere]. Sie schworen dem Rate bei ihrem Amtsantritte einen
Eid, dafür zu sorgen, dafl in der Morgensprache nichts Feind-
liches gegen die Stadt beschlossen würde. Wurde diese Vor-
schrift nicht gehallen, so übte der Rat das Recht der Strafbe-
stimmung aus. Die härteste Strafe traf die ÄlterJeute als den
verantwortlichen Teil. Sie bezahlen drei Mark Silbers und werden
aus der Stadt verwiesen. Die Handwerker (iude) bezahlen cbcn-
«t Wrtnn. S. T3.
*) tUeh S. »g.
156 Jakob Höhler
falls drei Mark Silbers und vertieren das Recht Morgensprache
halten zu dürfen. U'as das Stadtrecht über die Identität der
Konstituierung eines Amtes mit der Erlaubnis, Mcrgensprachc
halten zu dürfen, nur vermuten läßt, drückt in spezieller Form
die Rolle der Bader') mit folgenden Worten deutlicher aus:
Witlik zy juw gnedigen heren, alse wy unsc morgcnsprake hebben
van gode unde juwert gnaden, unde we de morgensprake vor-
sumet van den sulvesheren, de schal dat wedden mit enemc
halven punde wasses na unser heren gnade. Demnach war der
Besuch der Morgensprache für alle Amtsgenossen obligatorisch.
Somit traf die Strafe, welche im Stadtrechte angedroht wurde, alle
Mitglieder des Amtes. Dieselbe war ferner fast identisch mit
einer zeitweiligen Auflösung des Amtes. Denn gerade in der
Margensprache fand das genossenschaftliche Leben eines Amtes
seinen vorzfiglichsten Ausdruck. Dafi mit dem Verbote, Morgen-
sprache halten zu dürfen, zugleich auch die Ausübung des Ge-
werbes den Meistern untersagt wurde, ist aus dem Artikel über
die Morgensprache nicht zu entnehmen.') Nur von zwei Ämtern
wissen wir, daÜ sie ohne die Anwesenheit von Ratsherrn keine
Morgensprache hallen durften. Es waren die Plalenschläger»)
und die Knochenhauer.*) Bei letzteren finden wir eine derartige
Abhängigkeit und Unselbständigkeit begreiflich, weil sie sich in
hervorragendem Maße an dem Aufstande vom Jahre 1384 bt-
teiligten, bei den Platenschtägern dagegen kennen wir nicht den
Grund. Im allgemeinen dürfen wir annehmen, daß die Selb-
ständigkeit und Autonomie der Ämter in früherer Zeit größer
gewesen ist als später, wo sich die Gegensätze immer melir zu-
spitzten.
Bei der Trennung oder Vereinigung der Ämter lag die
definitive Entscheidung ganz in den Händen des Rates. Dies
beweist folgende Stelle; Wittlic sy, dat unse ampte der remen-
snidere unde der budelmakerc gescheden synd van den erbaren
') Wthrri. S. IM k. tJSO.
»J Ocgüi ;ul Well« S. 37.
*) WthTm. S, 3(*. R. d. PUlenichllcer i. 1370.
•) Wehrin. S. 2W. R. d. Kjioch«ih«uer i IMS.
Die Anfänge des Handvo-ks in Lübeck. 157
unsen heren dem gantzen rade to Lubeke.') Freilich klingt eine
derartige Sprache sehr selbstherrlich, immerhin aber ist anzu-
nehmen, daß in erster Linie die Mitglieder des betreffenden
Amtes selbst auf die Notwendigkeit der Sache hinwiesen, von dem
Rate dagegen die Trennung sanktioniert wurde.
Die Wirksamkeit des Rates gegenüber den Amtern offen-
barte sich namentlich bei der Gewerbegesetzgebung und bei
der GeweriÄgerichtsbarkeit In Bezug auf die Oewerbegesetz-
gdiung sind die Anfangs- und Schlußformeln der einzelnen
Statuten am besten dazu geeignet, uns ein richtiges Bild von dem
Ataße der Autonomie der Amter gegenüber der Stadtobrigkeit
zu zeichnen:
1. Anno 1321, quod magistri filtrariorum et communiter
omnes de officio fecerunt inter se statutum et arbitrium . . .
Istud statutum et arbitrium domini consules in consistorio
sedentes confirmaverunt.')
2. Anno Domini 1330 Nicolai consules decreverunt cum
auricaicifabris hoc statuentes.')
3. a. 1330. Notum sit, quod pergamentarii in Lubeke unani-
miter concordaverunt ....
Ad ista omnia domini consules sedentes in consistorio
consensum dederunt*)
4. Anno Domini 1347 domini consules decreverunt')
5. a. 1355. Domini consules cum operarüs seu operum ma-
gistris ordinavenint et statuerunt.*)
6. a. 1361. den kutheren hebbet desse heren vor eyn recht
g^heven.»)
7. a. 1350 — 70. Notum sit, quod honorabiles viri domini
consules Lubicenses officio cerdonum ab antiquo istam
Constitutionen iuris assignavenint*)
I) Wdinn. S. 376.
*) U. B. II S 357.
t U. B. II S. 474.
<) Wdinn. S. 364 n. S. 365.
*) Wehrn. S. 376.
•) U. B. III S. 150.
*) U. B. 111. s. 4n.
•) Wdinn. S. 317.
15S Jakob H5h]£r.
8. In dem jare godes 1369 xrart m>-t der hercn vulbort
gematcet trischen den knokenhoweren unde den gar-
brcdem desse wilkore unde upsat ')
9. i. 1370. der pUtensleghere ambetti scal men holden in
der wise alse hir nabescreven steyt, van vulbort unde
willen der heren, der ralmanne.'}
10- a. 1371. Wy radmanne der sUdt to Lubekc hcbben dor
mener nut unde vromen Tillen unde vaa bede ireghene
der goldsmede user Stadt gheorlovet unde ghesat desse
stucke unde artikele.')
11. a. 1376. Wy garbradere hebben van gode und van juven
vorvahren und darnegest van juver vulbort dat . . . Unde
dit ts gevulbordet myt der mestere rade unde der gantzen
kumpanyc.*)
12. In dem iare godes 1385 do wart de rat des ens.')
Schon aus dem Vorhergehenden geht mit hinreichender
Sicherheit hervor, daS es verschiedene, m unserem Falle drei
Arten von Statuten gegeben hat, nämlich Rollen,*) Willküren und
Ordnungen. Line Rolle ist das gesamte niedergeschriebene Recht
eines Amtes, welches meist von diesem verfaßt und von dem
Rate bestätigt rurdc. Die Abfassung geschah meist von selten
des Amtes. Daraufhin weist zunächst der Umstand, daß der
Rat der nötigen Sach- und Fachkenntnis entbehrte, daraufhin
deutet ferner das ganze Gepräge, die Sprache und mangelhafte
Abfassung, schließlich auch noch die häuHge Anwendung der
ersten Person tfwyj) Den Anfang von Rollen bezeichnen Nr. 3,
7, 8, 0, lOj 11 und 12. Eine Witiküre ist ein einzelnes aus dem
Willen eines Amtes hervorgegangenes und vom Rate bwLitigtes
Statut (Nr. I). Eine Verordnung schließlich ist ein einzelnes vom
Rate meist eigenmächtig erlassenes Statut (Nr. 2, 4, 5, 6).
'■< Wchini. S. 206.
»I Wehrui. S. 3M.
», Wcbtm. S, Kl.
•} wthra. s 303 n. aas.
*) W*hnn. S. MO.
*) Wchtm. S IS. nincltim wurden dnhalh M) bounnt, vdl «Ic urlpninctich
■nr dn CMvunenitiUn endihclMn und auffreroUt wurden.
0 Welitm. S. 142, R. iJ Badrr, a 203. R. d. Oi/JirKcr.
Die Anfinge des Handverlcs in Lübeck.
*
*
Freilich sind diese drei Unterschiede von Statuten praktisch
nicht immer so scharf durchgeführt worden, aber theoretisch
■mind prinzipiell bestanden sie. ') Wenn also eine Rolle das ge-
samte Recht eines Amtes repräsentierte, so umfaßte sie meist
•«las gekorene und gegebene Recht zusammen, bedeutete daher
^ne Kodifiimtian aller Rechte eines Amtes. Stand es auch dem
I^ate zu, eigenmächtig Statuten zu erlassen, so zog er doch recht
«ft das betreffende Amt zu Rate, vielleicht aus Wohlwollen, viel-
Jleicht auch, weil ihm nicht die praktische Erfahrung zur Seite
stand. Bei den Willküren ging die Initiative immer von
«lern Amte aus. Dasselbe verfaßte das Statut und unterbreitete
«s der Genehmigung der Obrigkeit. Waren die Beschlüsse von
<lem Rate sanktioniert, so besaßen sie rechtsverbindliche Kraft.
JHanche Amter bestanden sicherEich schon sehr lange, ohne ein
X'esch riebe nes Recht zu besitzen. Daher bedeuteten die Rollen
oft nur die Fixierung des Gewohnheitsrechtes, das sich im Laufe
der Zeit herausgebildet hatte, inetät verdankten sie ihre Ent-
stehung wohl irgend einem besonderen Anlasse. Erachtete der
Rat eine Änderung für ratsam und nötig, so stand ihm das Recht
zu, ein neues Statut zu erlassen. Daraufhin deuten die fast in
jeder Rolle vorkommenden Ausdrücke wie quamdiu domlnis
placuerit; immerhin aber dürfen wir daraus nicht allzu scharfe
Konsequenzen ziehen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß in
diesen Worten dem Rate als allgemeiner slüdlischer Obrigkeit die
Achtung und Ehrfurcht der Amter versichert werden sollte,
und wenn wir uns andererseits erinnern, daß der Rat doch recht
oft die Handwerker zu Rate gezogen, selbst wenn es verfassungs-
gcmäb nicht erforderlich war, so werden wir zu dem Schlüsse
gelangen, daß die Harmonie zwischen den Ämtern und dem
Rate in früherer Zeit eine ziemlich große gewesen sein muß.
Wenigstens erfahren wir nicht, daß irgend ein Mißton das gute
Verhältnis zwischen beiden gestört hätte. Daher finden wir die
Annahme Wehrmanns, ') dali «die Selbstbestimmung der Amier
*) In «wai tfütttt Zell tlndng vir uHkrdrtn noch tJ«llcbiin|icn. vdcht, nll
ihnen dir Bnlillgung de* Rxl«> tdilk, kdnir RrchJiIciiifl l>ci»vn iWrhmi. S. 135, R d.
ScUb i. ISMt dll heb'bcii vnic implbnKl«- b«1evei rin oldin£n htr|.
*) Wdum. S «I,
(
immer in dem Willen des Rates eine Grenze fand, nicht aber
umgekehrt der >X''ille des Rates eine Grenze in der Selbstbe-
stimmung der Amter", nicht ganz berechtigt Schon Qierke')
hat in seinem Oenossensc haftsrechte mit Recht betont, „daß eine
derartige Annahme doch zu weit gehe". Dagegen spricht denn
auch die Praxis. Allerdings dürfen wir nicht die Rolle der
Kncchenhauer als Beispiel anführen; aber dieselbe hat ja auch
einen politischen Hintergrund und dürfte eher als Anomalie
zu betrachten sein. Dafi zwischen der Obrigkeit und einem
Amte, welches kurz vorher noch sich mit revolutionären Ideen
und Hoffnungen schmeichelte, kein gutes Verhältnis bestand, ist
nicht zu verwundern.
Bereits aus den Tatsachen, daß die stidtische Obrigkeit
die Aufsicht über Handel und Gewerbe übte, daß sie femer
das Recht hatte, den Ämtern Gesetze zu diktieren oder die
Rechtskraft der Amtsstatuten von ihrer Bestätigung abhängig zu
machen, folgt, daß die Ämter überhaupt keine Gerichtsbarkeit
in Gewerbesachen besaßen. Bei allen wichtigen Amtsangelegen-
heiten finden wir die Autorität des Rates vertreten, bei allen
Fragen und Streitigkeiten in Gewerbesachen war und blieb der
Rat die erste und höchste Instanz.') Das spezielle Organ, die
infolge der Übertretung der Statuten sich ergebenden Bußen zu
erheben, die Streitigkeiten zu schlichten und die Oewerbegerichts-
barkeit auszuüben, waren zwei jährlich ernannte „weddemestere".
Die Älterleute waren in dieser Hinsicht nur eine Aufsichtsbehörde
im Dienste der städtischen Obrigkeit; die eigentliche Gerichts-
barkeit und Qewerbepollzei atrer wurde von den Wetteherren
ausgeübt
An der Spitze der Ämter standen die Älterleute (mestere,
magistri officiorum mechanicorum), welche bei ihrem Amtsan-
tritte vereidigt wurden. Die Wah! der Älterleute ist aller Wahr-
scheinlichkeil nach von dem Amte selbst getroffen worden,*) be-
■) O. Oinkf. Du dtich. OenouciiKhiHirechl l S. 381 Anin. 03.
1 K. Hcg«1, Sadte tnidOitücD der t!n-maiiiKh«i Völker Im MitlclallM II. S. 457.
fromm, Archiv für Ftankfum Onch. ii. Kumt, 3. Fol^e, B>d. VI, AufMU: FnoUviti
Tatll8r*erb« itn M.-A. S. 3$ und ».
•> So »uth Wehrm. 5. 68.
Die Anfänge des Handwerks in Lübeck.
161
I
durfte aber einer Bestätigung der Obrigkeit. Leider berichten
uns die QueÜen darüber nichts Bestimmtes. Aber gerade der
Umstand, daß den Knochenhauern seit 1384 das Recht genommen
wurde,') eigenmächtig Genossen in ihr Amt aufzunehmen und
Alterleute zu wählen, spricht dafür, daß der Rat im aJlgenieinen
den Ämtern selbst die Wahl ihrer Älterleule überließ. Dieses
Recht verblieb denn auch den Ämtern noch einige Jahrhundertc
Jang.'J Die Formel bei der Vereidigung der Älterieute lautete
nach Wehrmann:') „dat Ik dat ampt truweliken vorstan wil na
alk myner macht, dat my god so hclpe unde alle syne hylghen".
Durch ihre Vereidigung und infolge der allgemeinen Abhängig-
keit der Ämter waren die Älterleute ganz und gar Beamte des
J<ates. Sie waren Organe im Dienste der städtischen Obrigkeit.
Durch sie wurden die Beziehungen zwischen Rat und Ämtern
-vermittelt Sie hatten die Aufsicht in den Morgensprachen und
in der Hauptsache die Verantwortung, daß nichts Feindliches
in derselben gegen die Stadt unternommen werde, sie hatten
schließlich auch die Arbeit ihrer Amtsbrüder zu überwachen.
Außer der Leitung der inneren Angelegenheiten hatten die Älter-
ieute die Aufgabe, das Amt nach außen zu vertreten. Als Vor-
steher der Amter wurden die Altericute schließlich noch bei
allen wichtigen Angelegenheiten der Stadt von der Obrigkeit
zu Rate gezogen.
In ähnlicher Weise wie bei der Wahl ihrer Alterleute waren
auch die Knochenhauer in bezugauf die Aufnahme neuer Amts-
genofisen ganz und gar von dem Willen der Obrigkeit abhängig.
Nach jenem bekannten Ereignisse gestattete der Rat nur noch
fünfzig Knoclienhauem die Ausübung ihres Handwerks. Erst
wenn eine Stelle frei wurde, erteilte er einem anderen das Recht,
die vakant gewordene Stelle einzunehmen.*) Sonst war es ganz
dem Ermessen der Amter anheimgestellt, selbst über die Auf-
nahme neuer Genossen zu bestimmen. Trotzdem verblieb dem
«) Wdmn. S. 360, R. d, KnochciUiancr.
> Wdim. S. 68 a. W.
•) W«tirm. S. ».
•3 Wehnn. S. 3M, R. d. Knothaihinrr i. 13«,
Aicbi* fdt Kulluntochkhlt. I, 2.
u
Rate das Recht, eigenmächtig auch solchen das Meisterrecht zu
erteilen, welche nicht allen Pflichten und Voraussetzungen eines
Amtes nachkommen konnten.')
Das Amt war eine juristische Person ; es hatte sein eigenes
Recht, seine Statuten, einen Vorstand und sein eigenes Ver-
mögen. In dieser Eigenschaft konnte es, wenn auch nur mit
Erlaubnis des Rates, Beschlüsse fassen und Vertrage schließen.
Kraft solchen Rechtes wurde im Jahre 1365 myt der herrcn viil-
bort gemakct twischen den knocken howcren unde den garbredem
desse willkore unde upsat.*) Garbräter und Knochenhauer,
welche sich in ihren Gewerbebefugnissen eng berührten, schlössen
mit der Genehmigung des Rates ein Übereinkommen, in dem sie
gegenseitig das Gebiet ihrer gewerblichen Tätigkeit fest nor-
mierten. Analoge Fälle dieser Art sind die Verträge zwischen
den Drechslern und Schachtschneidem,') den Riemern und den
Beutelmachern,*) den Neu- und den Altschneidem^ usw.
Die Autonomie und Selbständigkeit der Ämter in Lübeck
war also doch recht gering. Keine Aktion von Bedeutung, kein
Gesetz, kein Beschluß geschah ohne den Willen des Rates. Wenn
wir daher in dem Aufstande vom Jahre 1384 auch hauptsächlich
das Streben nach Gleichberechtigung erbticken, so dürfte doch
nicht in letzter Linie auch die schon genannte geringe Selb-
ständigkeit und andererseits die zu selbstherrliche Stellung des
Rates als wesentlicher Faktor hinzuzufügen sein. Schon im Jahre
1380^ fand der Aufstand von 1384 ein gewisses Vorspiel. Die
Ämter, an Ihrer Spitze die Knochenhauer, verlangten ohne Erfolg
größere Freiheit in ihren Amtsangelegenheiten, und außerdem
wolden se ere rechticheit unde vryheit schrivcn laten in des
Stades book.
>) Wthnn. S. W, R. d. Lohenber ■- l»0-70; S. »1, R. <t. benuteiodreher
•) Wdim. S. J06. .
»1 Wdirm, S 301 u. S. 201.
•) Wdim. S. m.
*} Wfhnn. S. 42). Vcrgl. uach Wchns. S. ITO, R. d. BMcbcr l 1321; Wekrm.
& 2» A. nn.
*) Chr. d. <lt«:h. St. LAb. 1 S. SW
te.
Die Anfinge des Handwerks in Lübeck.
163
§3. Innere Organisation der Ämter.
1. Das Lehrlings Wesen.
In Lübeck wurden die Begriffe „Lehrling" und „Geselle"
bereits im 14. Jahrhundert scharf auseinander gehalten. In der
Rolle der Lohgerber') wird der Lehrling iuvenis, der Geselle
famulus genannt, in der Rolle der Nädler') begegnen wir den
Bezeichnungen „junge" und „geselle". Die Rolle der Neu-
schneider') nennt den Lehrling nterejunge" und den Gesellen
■knechl", ebenso die Rolle der Goldschmiede*) den Lehrling
„jungen" und den Gesellen „knecht". In der lateinischen Rolle
der Pergamentmachcr/) welche schon aus dem Jahre 1330
stammt, finden wir für Lehrling iuvenis servus und für Geselle
den Ausdruck servus. Bei den Bernsteindrehem*} wird schließ-
lich der Geselle „knecht", „denstknecht", der Lehrling „lere-
junghe" genannt.
Bereits der Lehrling bedurfte einer förmlichen Aufnahme
in das Amt und hatte natürlich dabei gewisse Bedingungen und
Voraussetzungen zu erfüllen. Die Rolle der Lohgerber^) schreibt
vor, daß der aufzunehmende Lehrling nicht jünger als zwölf
Jahre alt sein dürfe und sechs Jahre lernen müsse. Der Meister
hatte die Pflicht, ihn vorerst den Alterleuten vorzustellen, worauf
Mine Aufnahme stattfand. Bei den Nädlem*) war eine vier-
jährige Lehrzelt und ein Jahr Nachdienst erforderlich. Während
dieser Zeit mußte der Lehrlingsich so viele Kenntnisse und Tüch-
tigkeit angeeignet haben, dat he sin brat vordenen mach. Wer
das Schneiderhandwerk ") erlernen wollte, mußte den Nachweis
erbringen, dat he echte und recht geboren sy, d. h. daß er freier
Herkunft und ehelicher Geburt sei. Wenn wir auch nicht der-
selben Forderung für den Lehrling in anderen Rollen begegnen,
") Wthmi. S. 317 t 1350-70.
*] Wehrm. S. 340 i. 1356.
•) WekrTD. S. 412 a. 1370.
*) Wdirm. S. 121 ». 13TI.
») Wdmn. S. 363 i- 1330.
•) Wdirm. S. 350 «. 13M.
") Wehnn. S. 3IT «. njO-70.
•) Weknn. S. 339 R. d. Nidltr >. 1350.
•) Wehnn. S 433 R. d. Ncuuhndd» j. IITO
u
(
so ist doch anzunehmfn, daß dieselbe von den anderen Ämtern
ebenfalls gestellt worden ist. Der Schneiderlehrling hatte femer
bei setner Aufnahme dem Amte eine Tonne Bier 2U schenken.
Mehr Angaben enthalten die Rollen über die Anzahl der Lehr-
linge, die ein Meister halten durfte. Nur einen Lehrling ru halten
war erlaubt den Qoldsch mieden/) den Nädlern») und den Per-
gamentmachem,^ zwei den Bemsteindrehem*) und Grapen-
gießem.*)
Leider sind die Nachrichten in Lübeck über das Lehrlings-
wcsen spärlich. Aus dem 13. Jahrhundert besitzen wir darüber
gar keine Nachrichten, im M. Jahrhundert tauchen dieselben
erst um 1330*} zum ersten Male auf. Weil wir so wenige und
SD späte Mitteilungen über das Lehrlingswesen besitzen, vermögen
wir hier nicht festzustellen, ob von jeher zwischen Lehrlingen
und Gesellen ein Unterschied bestanden hat, oder seit wann
derselbe zum ersten Male gemacht worden istO
2. Das Gesel len wesen.
Hatte der Lehrling seine Zeit beendet, so trat er in den
Gesellenstand ein, er wurde Geselle (geselle, knecht, denstknecht,
bode, servus, famulus). Leider finden wir in den Rollen keine
Angaben, ob derselbe vorher eine Prüfung zu bestehen halte,
noch ob ihm ein Lehrbrief ausgestellt wurde. '^ Auf alle Fälle
mußte jeder Geselle, welcher bei einem Meister einer anderen Stadt
in den Dienst treten wollte, einen Lehrbrief besitzen. So stellten Bür-
germeister und Ratmänncr der Stadt Wartberg*) einem nach Lübeck
wandernden Gesellen einen Lehrbrief aus, in welchem versichert
wird, daß der Geselle neben dem Besitze der nötigen Fach-
kenntnisse sich auch eines guten Rufes erfreue.
1} Wcfann, S. 221 R. d. GolrischnilHle i. 1311.
<) Wrhnn. S^ »0 i. HSb R. d. Nid1«T,
*) Wehnii. S 303 R. d. Peixunentmich« a. IJ30.
•) Wehnti, S 3» R. d (kinilcinriiftier a. 1360.
») W«hnn. S. 237 R, d. Onip«n£ictkr nicl) 1376.
•) Vgl- Anmctliiina 3.
>) ViLlmatleoB. daru von Bttov, Wlbch. d. VotktvIrlKhatt II. Art. Zünfte S. 079.
■) Nadi Techoi. Ham. OacliiüiUbUcicr. Jahr.f. IM? S. 43 Ott ein Produkt dta
16. JahrhandtTtt.
•) U. B. n & 761 L 1345.
Lehrling und GeseUe hatten, weil sie unverheiratet waren,')
beide Wohnung und Kost in dem Hause ihres Meisters und
galten gewissermaßen als FamiÜenmitgUeder. Streng wurde Ihr
sittliches Betragen kontrollierL Fast in jeder Rolle finden wir
Vorschriften über das sittliche Verhalten der Gesellen und Lehr-
linge. Wer bei den Badern*) hoch spielte, würfelte oder wettete,
bezahlte zur Strafe ein halbes Pfund. Bei den Oarbrätem^
vurden über nächtliches und unerlaubtes Ausbleiben (utslapen),
ebenso Würfelspiel und Kegeln streng geahndet Die Gesellen
der Knochenhauer*) bül3ten Schlägerei und üble Reden gegen
Frauen mit einem halben Pfunde. Ebensoviel entrichteten der
Knecht für übernächtlkhes Ausbleiben und der Meister, welcher
dasselbe verschwieg. Worfelte der Herr mit seinem Knechte
höher als um sechs Pfennige, so bezahlten beide drei Mark.
Die Gesellen der Gerber,*) Bernsteindreher') und Riemer^)
wurden für das „utslapen" mit zehn Schillingen bestraft. Meister
und Geselle liei den Perganientmachern^) entrichteten,, wenn
sie zusammen würfelten, zehn Schillinge. Stahl gar ein Geselle
sdnem Meister irgend etwas im Werte von sechs Pfennigen, so
durfte ihn kein Meister mehr in den Dienst nehmen. Dieselbe Rolle
drohte Knechten, welche bei Tage dem Müßiggange huldigten,
die strengste Strafe an. In keiner der fünf wendischen Städte
bnd derjenige Böttcher*) Aufnahme, welcher zweimal heimlich
und unerlaubtausdem Dienste seines Herrn blieb. Dem Schneidcr-
gesellen,*") »de utesleptofle speien geit-, durfte sein Meister sechs
Pfennige von seinem Lohne abziehen. Außerdem war derselbe
verpflichtet, den Gesellen vor die Wette zu bringen. Versamm-
lungen und Gelage waren strengstens untersagt. Am St. Wal-
t) Wrtnn
S. «22 ■
I3T0
R. d
Neuschneider.
») Wdiim.
S. 163 L
13»,
R ä
Bad«.
^ Wdinn.
S. H» L
I37fr.
R. d
CUrbrlier.
*t Wdtns.
S. IftS a.
1385.
R-rf,
Knachrnlmuer.
■) Wclinn.
S. 330 i.
1350
-7U, R. d. Lohgerher.
•> Wtfcnn. S 550 ■
1360,
R. d- Bernstein drEher.
*> WthnD.
S. 376 1,
13*7,
Statut der Rlonc^r
^ Wdtnn.
S. 3U L
1330,
W. d.
Perei Tnenuniehcr.
t Wdinn.
s. nt a.
1321,
R d
Bötlcher .
*) Wchra.
S. (21 1.
1370,
R. d.
NeuKbneidet.
purgistage, einem besonderen Feste der Schneidergesellen, war die
Anwesenheit weiblicher Personen verboten.
Um eine gewisse Gleiclimäßigkeit unter den Anitsbrüdem
zu erhalten und dem Großbetriebe entgegenzuwirken, war die
Zahl der Gesellen, welche jeder Meister halten durfte, fest nor-
miert. Zwei Gesellen durften hallen die Messingschläger,') die
Goldschmiede') und die Grapengießer.') Neben einem Lehr-
ling durften die Pergamentmacher') zwei Gesellen in ihren
Dienst nehmen, drei Gesellen nur dann, wenn es ihnen nicht
gelang, einen Lehrling zu. bekommen.
Sehr sorgfällig war das Verhältnis zwischen Meister und Ge-
sellen geregelt- Kein Meister durfte einen dem Dienste eines an-
deren entlaufenen Knecht mieten.^,) Nur wer in gutem Einver-
nehmen und in Freundschaft seinen früheren Herrn verlassen hatte,
konnte auf Annahme bei einem anderen Meisler rechnen.«) Kam
sogar der Fall vor, daß ein Geselle seinen Meister bcstahl und
heimlich verließ oder beleidigte und schlug, so wurde derselbe
aus dem Amte ausgestoßen. Es stand weder in dem ßeJiebcn
des Meisters noch des Gesellen, das Dienstverhältnis jederzeit
zu lösen, vielmehr war die Zeit, meist waren es sechs Monate, ge-
nau festgesetzt') Nur an einem bestimmten Termine, gewöhnlich
vierzehn Tage vor Ostern und vierzehn Tage vor Michaelis, konnte
der Knecht seine neue Stelle antreten.') Bei den Pergameiit-
machern") allein war der übliche Kündigungstermin das Fest
Maria Geburt Garbräter'") und Böttcher") stiessen jeden Ge-
sellen aus dem Amte aus, welcher zur Zelt der Schonenfahrt
seinen Meister im Stiche ließ. Müßiggänger fanden außerhalb
») U, B. II S, tu : 1330.
V Wehrai. 5. 2il A. 1371, R. d. Qwlöiclimitdr
•) Wehrm. S. 2M a. 13M, H. d. OnpfiiBicWci.
•) Wehnn. S. 303 ■. 1330, R. d. Ptreiment muher.
■) Wdirm. 5. 163 a 13», R. d. Badrr.
0) Wchnn. S. 2« a. 137<!>, R. d. Oartriter.
f> Wdinn. S. 341 i. iVX. R. d. NUI<t; S KU &. I3H, R. d. Badu.
•> Wrhrm. S- 1*2 *. 1356, R. d. Nidkr; S, 3» a. 1370, R. d Plal«iKbll(C( ; S.
421 1. 1370. R. d. KcnschneldHl, S 227 nach 137fr. R. d. OnpentieBer.
») Wdiftn. S. 303 a. UM. R. d, Peteamwimwh«.
•B) Wehnn, S. 305 a. IJlb. R. 4. Oarbillcr.
"J Wehnn. 5- 176 a. Uli, R. d. Bfttlchw.
»
der gewöhnlichen Zeit bei den Böttchern nirgends Aufnahme.
Wer sich bei den Gärtnern zwei Meistern zugleich verpflichtete,
•rurde aus dem Amte aiisgesloüen.^) Die Neuschncider durften
keinen Gesellen mieten, der bei einem Altschneider gedient
hatte.»)
Wenn die mittelalterliche Zunft die Tendenz hatte, die Löhne
überall gleichzustellen, so wollte sie dadurch den Reichen ver-
hindern, durch höhere Löhne die besten Gesellen an sich zu
fesseln und so seinen Amtsbrüdern eine unliebsame Konkurrenz
zu eröffnen. Strengstens war es auch untersagt, den Gesellen
eine Vormede, d. h. ein Geschenk zu geben.*) Die Löhne selbst
»aren teils Zeitlohn teils Stücklohn. Die Gärtner*} bezahlten
ihren Gesellen acht Pfennige Tagelohn. Bei den Bemsteindrehem*)
erhielt der Geselle für das Tausend Steine zu bohren vier
Pfennige, zu schneiden acht Pfennige, zu drehen neun Pfennige.
War derselbe bereits so befähigt, daß ereiner Werkstätte vorstehen
konnte, so durfte ihm mit Zustimmung der Älterleute auch Tage-
lohn zugestanden werden. PDr fe einen Centner Pergament er-
hielten die Gesellen der Pergamentm acher ^) acht Schillinge. In
derselben Rolle wurde es auch strengstens untersagt, „Vormede"
2u geben. Wer bei den Böttchern') seinem Gesellen mehr als
Kht Schillinge lieh, büßte mit drei Mark Silbers und wurde ein
Jahr lang aus dem Amte ausgestoßen. Die Bemsteindrehcr")
durften ihrem Gesellen nur zwei Gulden leihen, die Nädler")
und Neuschneider ^'') dagegen nicht mehr als zehn Schillinge,
abgesehen von Krankheit oder sonstiger schlimmer l-age.
Bevor der Geselle sich sein eigenes Heim und Geschäft
gründete, ergriff er oft nach einmal den Wanderstab. Gerade
•) Wrhnn S. «S a. 1370, R. d. OtMncr.
*) WctaniL S. 122 a. 1370, R, d. Nrauhticidef.
n Wchnn. Sl 161 a. 13». R, d. ßadcr; S. 127 nidi I3T6, R, ä. QnpcngIeßrT
*i Wtiinn. S. 208 I. 1370, H. d. Oirtner.
f) Wriim. S. 350 u. 3S1 ». 1365, R. d. Bem«(F[Ddj-diei. |
•l Wehrm. S, 3ä3 ». 13M, R, d. rergimcnlmach«.
*> Wchm. S. HD a. 133], R. d. B^ttcha.
•> Wfhfin S. 350 «, 1365, R d- B«rr»tdndreher.
^ Wäinn. S. 341 a. 135A. R. d. NlAitt,
*i WAm. S. 413 1. 1370, R. d. Nnitchnejder.
(
die Hansestädte, namentlich aber die fünf wendischen Städte,
hatten gegenseitig durch Verträge ihren wandernden Gesellen
bedeutende Vergünstiglangen geschaffen.') Dadurch gingen die-
selben nicht einer unsicheren Zukunft entgegen, sondern be-
gegneten bekannten Verliältnissen. Rechnete aber der Geselle
auf Aufnahme, so mußte er sich im Besitze eines Lehrbriefes t>e-
finden, in welchem nicht nur über seine Fachkenntnisse, sondern
auch über seine Herkunft und sein vergangenes sittliches Leben
Auskunft erteilt wurde. Wanderzwang hat im 14. Jahrhundert
noch nicht existiert,") sondern derselbe ist erst ein Produkt des
sechzehnten Jahrhunderts.')
3. Das Meisterrecht
Während Lehrling und Geselle im wesentlichen nur Schutz-
genossen des Amtes waren, waren die Meister (sutvesherren) die
Vollgcnosscn. Nicht jeden nahmen die Amlsbrüder in ihren Kreis
auf, sondern nur derjenige fand Aufnahme, welcher allen An-
fordcnmgen des Amtes entsprach. Manche Amter konnten des-
halb keinen mehr zum Meisterrecht gelangen lassen^ weil der
Rat die Zahl der Mitglieder des Amtes bestimmt hatte wie bei
den Knochenhauern oder das Absatzgebiet nicht groß genug
war,*) oder aiich weil dem Amte nur eine bestimmte Anzahl
Verkaufsstätten zur Verfügung stand.*)
Unerläßliche Vorbedingungen für den zukünftigen Meister
waren freie deutsche Abstammung,^ eheliche Geburt und guter
Ruf.*) Doppelzünftigkeit finden wir nur in der Rolle der Gärtner*)
verboten. Bevor der Geselle sich um das Meisterrecht bewerben
durfte, mußte er eine bestimmte Zeit lang bei dem Amte ge-
dient haben. Ein Jahr Dienst verlangten die Grapengießer") und
'> Wehrm. S. 176 ■. 1331, R. d. HSitdirr: S. 136 4. I37ä, R. <t. OTapcnelrK«.
>y Vgl, Wehrm. S. 32Q, R. d. Onpcnjptfler ». UM: veIIc knedil uiden wtK
denen wyll.
1 Kun.QcKhbl. Jahrg. 1397, S. 43.
*) Vleltdclil bei (Im MMilnsM!hli([cm: U. B IT, S. 4T4 ■. 1390.
*\ Wehnn. S. 33V >. 13». R. d. NUla.
*| Wdirm. S. 227 nach 13^6. R. d. OnpcnEi«6er; S. 431 r. 1170, R. d. Schneider.
0 Wdirra. S aw ». 1370. H. d. üirtner.
■> Etxndi.
•) Wchrm. S. 3ZT nidi ir6, R. d. GrapencieB«.
Die Anlange des Handwerks in Lübeck.
I
die Böttcher,') drei Jahre hingegen waren bei den Schneidern")
und Lohgerbern^ erforderlich. Etwas ganz anderes als die Dienst-
zeit vsj- die sogenannte Mutzeit, welche der Geselle bei dem-
selben Meister verbringen mußte. Während dieser Zeit mußte
er das Amt in verschiedenen Morgensprachen eschen^ d. h. for-
dern. Dreimaliges Eschen war erforderlich bei den Gärtnern,*)
Bemsteindrehem^ und den Schneidern.*) Die Qrapengieöer^
verlangten ein Jahr Probedienst und wihrend desselben ein zwei-
maliges Eschen. Fremde eingewanderte Gesellen mußten unter
allen Umständen ein Leumundszeugnis*) oder einen Lehrbrief be-
sitzen.*) Konnte der Geselle dieselben nicht nachweisen, so wurde
ihm ohne weiteres das Meisterrecht versagt.
Waren alle genannten Vorbedingungen erfüllt, so mußte
sich der Bewerber einer Meisterprüfung unterziehen. Dieselbe
bestand im wesentlichen in der Anfertigung des Meisterstückes.
Eine Erwähnung des Meisterstückes geschieht in den Rollen
der Orapengießer,'") der Platenschläger") und der Schneider.")
Die Grapengieüer mußten anfertigen können einen Tiegel, eine
Pfanne und einen Mörser, die Platenschläger einen Brustharnisch
und einen Waffenhandschuh, die Schneider schließlich ein Ge-
wand. Genügte der Schneidergeselle den Anforderungen des
Amtes nicht, so mußte er noch ein ganzes Jahr dienen.
Mit dem Erwerb des Meisterrecht« war zugleich derjenige
des Bürgerrechtes'*) obligatorisch verknüpft. Auüerdem mußte
der Bewerber eine bestimmte Summe eigenen Vermögens nach-
»wsen. Dafür sollten zwei „eghen erve hebbende vrome manne"
'> Wdinn, S, ITT ■. 1360, R. rf, Böticlier,
•) Wrtra, S. 411 a. 1370. R. d. Sdineido.
^ Wehtm. S. 317 i. 1350-70, R. d. Lohgerber.
*> Wchna. S. 21» a. 13TD, R. ä. Cirtncr.
>> Wehem. S. 3SI s. 1305, R. d Benideindrdier
*i Wehnn. S. n\ ». 1370, R- d. Neutchneid«.
•> Vthno. & J27 nicA 1376, R, d- Or«pnii£ießw.
*> U. [) 1 S. 3QS a. 1382. U. B. Ell S. HD u. tll Milte d. U. Jihrhunderli.
*> V. &. ir S. 701 JL 1345.
"i WArm S. 337 nach 1776, R. d. OripoiKießer.
■■) Wclind. S. MS : 1370. R, d. PkltnKhliKCr,
^ Wdinn. S. 431 t. 1370, H. d. Neusclincider.
•^ Wchim. S 227 II. Jahrh.. R. d. OTapcncicOcr.
bürgen. Diese Summe betrug zwanzig Mark bei den Bemstein-
drehem,') Lohgerbern*) und Knochenhauern,') zehn Mark bei
den Qärtnem,*) Böttchern,») Grapengießem,») Sclineidem') und
bei den Plalensch lagern,") sechs Mark bei den Ooldschmieden,*)
nur vier Mark bei den Kädlern.'") Durch dieses Anlagekapital
sollte offenbar einer ungleichmäßigen Grundlage des Betriebes
entgegengesteuert, andererseits auch verhindert werden, daö der
Betrieb mit unzureichenden Mitteln eröffnet und der so kaum
begründete Haushalt mit Schulden begonnen würde. Ganz ver-
schieden von diesem Anlagekapital war das Meistergeld. Das-
selbe wurde pro opere, d. h. für die Erlaubnis, ein Gewerbe
ausüben zu dürfen, dem Rate entrichtet. Nur von den Bäckern
und Fleischhauern wissen wir, daß sie zwölf Schillinge pro operc
bezahlen mußten.")
Zu all dem kamen noch einige Abgaben an das Amt selbst
Die Gärtner") mußten zwei Pfund Wachs to den lichten ent-
richten, die Grapengießer") vier Pfund Wachs für den Altar
der St. JakobikJrche, dem Amte selbst eine halbe Mark und
eine Tonne Bieres. Bei den Knochenliauern") mußte man fünf
Schillinge für die Unterhattung ihres Altares und einen Pfennig
für den Priester desselben bezahlen, FesÜichkeilen und Gelage
waren strengstens untersagt. Beim ersten Eschen gaben die
Schneider") vier Schillinge dem Rate") und vier Schillinge für
■) Wchrm. S. 350 i. 1W>, R. d Benutetnürcher.
») Wfhira- S, na a. 1350-70, R. d. Lihgcrbcr.
*) W«hrm. S. 20O iL 1365, It (1. Knochenhiuer.
•) Wrhrm, S, It» •. 137n, R. J. Olrtnrr,
*t Wthnn. S. 177 a. I3M. R. ct. Bälldier.
•) Wdvm. S. 227 14. Jahdi.. R, d. ampengieBer.
^) Wchrm. S. 43] a. 137D, R. d. Schneider.
1 Wehtim. S- »5 «. 1370, R. d. PUltnichlljtr.
•) U. B. li 5- l(M& fl. i. 1316-38.
»I Wdum. S. 340 >. 13)6, R. d. Nldl«.
>■] Siehe S. 140.
w) Wdirto. S. 209 1. 1370, R, d. Oirtner.
>*) Welirm, S, 337 :*. Jahrü., R. d. OT»pen£iefl«r.
", Wdinu, S. 265 a. I38S. R. d. Knuchcnhann.
>*) Wdinn, S. «I a. IJTO, R. 4. Schneider.
") Vielldchl wurden dioe »ier SdtilltRji« pro opere entrichlet.
Die AnOnge des Handwerks in Lübeck. I7l
Wachs. Erst nach erlangter Meisterschaft durfte der junge Meister
seine Amtsbrüder zu einem Oelage einladen.
Wesentliche Vergünstigungen sichert die Rolle der Loh-
gerber*) dem Sohne eines Meisters und demjenigen zu, welcher
eine Meisterstochter heiratete. Beide waren abgabenfrei bei der
Erlangung des Meisterrechtes. Der Meisterssohn konnte schon
im Alter von zwanzig Jahren selbständig werden. Starb der
Vater frühzeitig, so durfte er mit Erlaubnis des Rates und des
Amtes schon in jüngerem Alter das väterliche Geschäft über-
nehmen.
Der in dem Besitze des Meisterrechts befindliche Hand-
werker genoß alle diejenigen Vorteile, welche dem Amte als
solchem zukamen. Zwei Grundrechte sicherte das Amt seinen
Mitgliedem, erstens absolute Gleichheit der Genossen unterein-
ander, zweitens Ausschluß jeglicher Konkurrenz von außen und
den daraus sich ergebenden alleinigen Anspruch auf Arbeit und
Absatz der Erzeugnisse. Der Inhalt der Gleichheit bedeutete
^iche Produktionsbedingungen. Dadurch setzte einerseits das
Amt der Arbeitskraft der einzelnen Genossen ein festes Ziel,
woraus andererseits sich die Gleichheit des Einkommens ergab;
denn es lag bei der Verschiedenheit individueller Anlagen die
Gefahr nahe, daß der eine oder der andere seinen Amtsgenossen
eine unliebsame Konkurrenz eröffnete. So wurde der Großbetrieb
unterdrückt und ein Unternehmertum im modernen Sinne gänz-
lich ausgeschlossen. Weil die Mittelstandspolitik in ausgeprägtem
Maße herrschte, finden wir Wohlhabenheit unter den Aratsge-
nossen in gleicher Weise verteilt Der Gleichheit innerhalb der
Ämter entsprach die Geschlossenheit nach außen hin. Nach zwei
verschiedenen Richtungen äußerte sich diese, einmal gegenüber
jeder unzünftigen Arbeit, sodann den Konsumenten gegenüber.
Der Zunftzwang als Konkurrenzkampf richtete seine Spitze nicht
nur gegen die einheimischen Produzenten, sondern auch gegen
die von außen kommenden Gäste. Während wir in unserer
Periode von unzünftigen Handwerkern in Lübeck nur ein Mal
•) Wdimi. S. 317 ■. 1350-70, R. d. Lohgerter.
172 Jakob Höhler.
berichtet finde», ist um so scharfer das GästereclU zugunsten
der Amter fixiert. Die Amtsgenossen besaßen ein anerkanntes
Recht auf Arbeit, die Bürger dagegen die Verpflichtung, nur bei
ihnen zu kaufen und arbeiten zu lassen.
Nach dem Zeugnisse der Rollen ') und nach den Aufzeich-
nungen der Kämmereibücher") wurde selbst Frauen die Mit-
gliedschaft des Amtes nicht verwehrt. Dieselben durften sogar
selbständig ein Geschäft betreiben. Zu diesem Zwecke mußten
sie sich zuerst in den Besitz des Bürgerrechtes setzen.*) Die
beiden ältesten Bürgermatrikeln nennen nicht weniger als hundert
Namen von Frauen, welche sich das Bürgerrecht erwarben.*)
Wahrscheinlich fanden meist nur Witwen Aufnahme in einem
Amte. Nach den lübeckischen Rechtssätzen und den Mitteilungen
der Stadtbücher hat schon zu Lebzeiten ihres Mannes die Frau
an dem Geschäfte tätigen Anteil genommen,*) indem sie ihren
abwesenden Gemahl vertrat oder den Verkauf der Ware über-
nahm. So wird es ihnen wohl auch gestattet worden sein, nach
dem Tode ihres Mannes, für und im Interesse ihrer Kinder das
Geschäft weiterzuführen.
4. Die Alterleute.
Den Vorstand der Ämter bildeten die Altericute (mestere,")
olderlude,^) mesterlude,') niagislri.") Die Walil derselben ge-
schah wahrscheinlich von den AmIsbrQdcm In der Morgen-
sprache. Nur die Knochenhauer allein besaßen seit dem Jahre
1384 nicht das Recht, selbst ihre Älterleute wählen zu dürfen,
vielmehr gab der Rat sie ihnen. Hatte man die Alterleute gewählt,
so war vermutlich eine Bestätigung der Wahl von Seiten des
Rates nötig- Zu gleicher Zeit mußten sie vor demselben den
Schwur leisten, ihre Amtspflichten getreulich zu erfüllen. Die
') t. B. R. d. Oimcr. S. »T a. I3T0.
*) U. 5. El S. 1030, lOa u. ICS3.
1 Manwii S. 66.
«) Ebenda.
'I Wehnn. S. I3S u, 136
•) Hscfa n S. 349.
^ Wehnn. S. 216. R. d. Onpengiefin (ucli 1376.
•J Wehm. 5. 341. R. d. Nidler t. I3M: S. 221. R. d Ool dich miede a. 1371.
*) U. B. 11 S, «M ■. 1)40
Die Anfiüige des Handwerks in Lübeclc
m
Zahl der Älterleute ist nirgends in den Rollen bestimmt ange-
geben, nur soviel ist daraus 2u ersehen, daß es immer ihrer
mehrere gewesen sind. Ganz zufällig erfahren wir in den Sta-
tuten der Lefchnamsbrüdcrschaft der Goldschmiede, daß dieselben
vier Älterleute besaßen,'!
Als eine der vichtigsten Funktionen der Älterleutc ist ohne
Zweifel ihr VorsJU in der Morgensprache zu bezeichnen. In
derselben kamen alle wichtigeren Amtsangelegenheiten zur
Sprache. Pflicht der Älterleute war es, Ordnung aufrecht zu
erhalten und dafür zu sorgen, daß darin nictits der Stadt Feind-
liches beschlossen werde. Wie bereits erwähnt, waren die
Knochenhauer und die Piatenschläger die einzigen, welche keine
Morgensprache abhalten durften ohne die Anwesenheit zweier
Morgen Sprachsherren.
Die Ältcrleute übten femer das Aufsich fsrecht über die
Arbeit ihrer Amtsbrüder. Da die QewerbepoHzci in Liibeck sich
ganz in den Händen des Rates befand, so waren die Alterleute
in dieser Eigenschaft nur Beamte der Obrigkeit. Sie besuchten
die Arl)eitsstätten der einzelnen Meister und vcrgewisstrrten sich,
ob dieselben vorschriftsmäßig gutes Material verarbeiteten und
solide Arbeit anfertigten.') Fanden sie dieselbe fehlerhaft gear-
beitet, so mußten sie die Arbeit in Beschlag nehmen und vor
die Wette bringen.*) Zuweilen kam es vor, daß die Älterleute
bei derartigen Untersuchungen nicht gerade die freundlichste
Aufnahme fanden, daß sie vielmehr mancherlei Unannehmlich-
keiten ausgesetzt waren. Daher sah sich der Rat genötigt, die-
selben durch Strafmittel zu schützen.*) Schließlich fand unter
der Aufsicht der Älterleute die Meisterprüfung statt.*)
Für ihre Mühe sind die Älterleute wahrscheinlich entschädigt
worden. Bei den Knochenhauern wenigstens finden wir darüber
•} Vdinn, S. »Ok. IM.
*) Wrtina S. 204, R. d. OirtirltcT; S 231, R. d. QaldKh miede: S 3T6. R. d.
IHcner «. Btsltl midier.
*t Wcfaim. S. 366.
*) Wtfarm. S. 3U a. 1356, R. d. Nldlu.
■) Wcbm. S. 2», R. d. Onp«n2JeB«r nacb 137«.
folgendes;') Vorimer van alle desse broke (Strafe), de ha vor-
screven steit, moghen de mestere hebben sees lubische pcnningtic,
also van isüken manne, de van den hues gheit, de dessc vor-
screven stucke gheweddet hefL Von jeder Strafe also erhielten
die Älterleute der Knochenhauer sechs Pfennige. Außerdem
hatten dieselben die Vergünstigimg, daO sie nicht an der jähr-
lichen Verlosung der Verkaufsstätten teilzunehmen brauchten,
vielmehr daß sie moghen to vorne hebben dat dorde let (die
dritte Verkaufsstätte) van je'relken orde unbelotet. Von sonstigen
lünkünften der Alterleute anderer Amter erfahren wir nichts.
Leider ist es uns nicht möglich, genau den Umfang der
Amtsführung der Älterleute anzugeben. Im allgemeinen hatten
sie als Beamte des Rates für die Beobachtung der in den Anita*
Statuten enthaltenen Gesetze zu sorgen.
Erinnern vir uns noch schließlich, daß die Alterleute in
den Bürgcrschaftsversammlungen eine Rolle spielten, so gelangen
wir zu folgendem Oesaratresultale. Die Älterleute waren in erster
Linie Beamte und Vertreter der städtischen Behörde, in zweiter
Linie Vorsteher und Leiter des Amtes. Sie waren das Mittel,
durch welches die Beziehungen zwischen Rat und Amt unter-
halten wurden. Die Kompetenz der ÄUerleute und die recht-
liche Stellung der Amter im allgemeinen waren korrclate Be-
griffe; denn wie das Amt in erster Linie um der Stadt willen
da war und erst in zweiter Linie um seiner selbst willen, ganz
genau so war es auch bei den Alterieuten der Fall.
g 4. Die Regelung der gewerblichen Arbeit
und des Verkaufs.
I. Die Regelung der Arbeit.
a. Gleiche Produktionsbedingungeii für alte Amtsbrüder.
Wenn wir im Mittelalter den Großbetrieb so gut wie aus-
geschlossen finden, so lag dies hauptsächlich in dem Wesen der
in sich abgeschlossenen Stadtwirtschafl ') und der Tendenz der
Zünfte, alle Mitglieder in jeder Weise gleichzustellen. Die Zunft
«( Wdtrtn, S. 266, R. d, Knochenhiua «. 13B.
>j K. Bactiet. Entttehune d, VelksvinxhaH 1901, 5. 101: rit. duu iie Re-
letiiian von Bclavi, lilit Zbchi. Bd 66: Ober die TheoKw d, wirtKhjftL EntwItUunc
der Välirfr.
I
Die Anfinge des Handwerks in Lübeck.
175
N
I
erstrebte die Mittelstandspolitik. Sie sah es als ihre Aufgabe
an, allen Mitgliedern ohne Ausnalime gleiche Produktionsbe-
"dingungen und daher gleiches Einkommen zu verschaffen. Dieses
Prinzip haben die Ämter in Lübeck mit aller Strenge verfochten
und durchzuführen gesucht
1. Wie wir bereits vorher sahen, fand das Lehrlings- und
Gesellenwesen in Lübeck eine eingehende Regelung hinsichJlicli
der Zahl der Gesellen, welche jeder Meister halten durfte, und
hinsichtlich der Löhne, um nicht dem reicheren und intelligen-
teren Meister zu ermöglichen, eine größere Anzahl tüchtiger Ge-
sdlen an sich zu ziehen und auf diese Weise seine Amtsbrüder
zu benachteiligen.
2. Jeder Meister besaß nut eine Arbeitsstätte, Filialgeschäfte
traren demnach verboten,') Im allgemeinen war die Arbeit der
Handwerker zu Hause in eigener Werkstätte Regel. EJei manchen
Handwerksbetrieben brachte es die Natur der Sache mit sich,
daB man einen Teil der Hantierungen auf offener Straße vor
dem liause erledigte, wie et%a der Schmied das Beschlagen der
Pferde oder der Böttcher das Ausbrennen der Fässer. Sonst
verrichteten die Handwerker gewöhnlich ihre t^liche Arbeit zu
Hause in ihrer Werkstätte. Nur die Goldschmiede*) arbeiteten
in den boden under dem radhuse, also auf dem Marktplätze.
Als Grund dafür führt die Rolle derselben an, dat men openbare
zeen unde weten moghe, wo unde wat he werke. In dem
Känunerei buche vom Jahre 1316 bis 1338*) erfahren wir, daß
das Amt der Goldschmiede 24 Buden besaß. Die jälirliche Ab-
gabe für jede Bude l>etiug vier oder fünf Mark, je nach dem
sie der Straße oder dem Markte zugewandt lag. Auch die Arbeits-
zeit der Goldschmiede wurde von der städtischen Obrigkeit genau
festgesetzt Auf alle fälle war es untersagt nachts zu arbeiten.
Am hl. Abend mußte schon zur Vesperzeit (nachtsangö tid) die
Arbeit ruhen. Sonst finden wir wenig Nachrichten über Ort
und Zeit der Arbeit Der Bäcker durfte kein Backhaus, der Bader
^
'J Wehfm. S. M5 «- 1370, R.d. PUltn«chlIgM □. a«9t, R.d. Ooldsch miede •.I3TI.
■) Wdmn. S. 331, H. d. Oeldschinlcde l 13TI.
»i U, B, n S, 1M7.
m Jakob Hohler.
keine Badstube ohne die Genehmigung des Rates bauen.')
Die Knochenhauer schlachteten ihr Vieh in einem gemeinsamen
Schlachthause, wofür sie jährlich zehn Mark entrichten mußten.*)
Ganz der Natur der Sache gemäß übte die städtische Obrigkeit
gerade bei den Gewerben der Nahrungs- und Oenußmittrlbe-
reitung allein aus sanitären Riicitsichten eine schärfere Kontrolle
als bei jedem anderen Gewerbe.
3. Die Forderung der gleichen Berechtigung aller Amts-
brüder verlangte auch schon gleich beim Ankaufe des Arbeits-
materials, daß das Amt hierbei allen gleich günstige Bedingungen
sicherte. Orientieren wir uns vorerst an der Hand der Quellen,
um daraus ein genaueres Resultat zu gewinnen.
Die Rolle der Böttcher'O verbietet den Mitgliedern des
Amtes, Reife (bende) zu kaufen, welche buten der stad rint
gemaket unde hirbmnen van buten werden gebracht Bei den
Qarbrätem*) wurden die Matcrialeinkäufe van der gantzen kum-
panyc weghene gemacht Von diesen gemeinschafdictien Ein-
käufen erhielt jeder sein twelffte deel. Gesalzenen Stör, Lachs
und Aal, dat over zec kumpt, dat en schal nemand kopen, idt en
sy, dat se dre daghe hebbet gelegen dorch behuff willen der
gemeinen borgere. Der Rat hatte ein Vorrecht auf Wildpret-
In der Rolle der Gärtner") wird folgendes bestimmt Vortmer en
schal neman saad kopen, wen de nyen unde de olden mestere
to nut des menen ammetes. Ausführlichere Nachrichten giebt die
Rolle der Knochenhauer.*) Jeder Borger, der einen Knochen-
hauer beim Kaufe von Vieh traf, konnte dasselbe von dem
Knochenhauer gegen eine feste Entschädigung für sich bean-
spruchen. Die Orte, wo die Knochenhauer Vieh einkaufen durf-
ten, waren genau bestimmt. Es befand sich nämlich vor allen
doren eyn merke, innerhalb deren sie sich das angetriebene Vieh
kaufen und teilen mochten. Zänkereien bei dem Einkaufe wurden
1 Hoch n S. 366 Nr. IST.
*) U. B. II 5. 1046 a. 1316-38.
*i Wdirm, S. 177 ■. 1360, R, d. Mndier.
■q Wehtm. S. 203 .. 1J76, R. tl. Owbriier,
•) Wxihnn. S. 308. R, d. Oirtn« t. 137(1
<} Wthnn, S. 263, »d, M4, R. d. KnochnliiiKr ■■ 13».
I
Die Anfinge des Handwerks in Lübeck-
ITT
bestraft Kam der Fall vor, daß Knochenhauer von Lübeck und
anderen Orten zusammenkamen, um Vieh einzukaufen, so sollten
sie sich den Kauf sofort teilen. Taten sie dies nicht, sondern ver-
kauften sie das Vieh wiederum auf dem Markte zu Lübeck, so
.sollte jeder, der sich bei dem Kaufe beteiligt hatte, ein Jahr
lang aus dem Amte ausgestoßen werden. Unter Androhung
schwerer Strafe war es verboten, krankes Vieh zu kaufen. Die
Schweine wurden beschaut. Bezahlte ein Knochenhauer das ge-
kaufte Vieh nicht trotz wiederholter Mahnungen, so wurde er
für ein Jahr aus dem Amte ausgestoLien. Kein Bernsleindreher')
durfte sich von einem Arbeitgeber das Material stellen lassen,
vielmehr sollte der Meister nur eigenen Stein verarbeiten. Bei
den Nädlem') wurde das Arl>eitsniaterial gemeinsam eingekauft,
damit Arme und Reiche in gleicher Weise daran teil hätten.
Fremde Haken und Ösen (ogenwcrk) zu kaufen, war verboten.
In der Rolle der Lohgerber*} finden sich folgende Bestimmungen.
Treffen sich Lohgerber und Häutckäufer (eraptorcs cudum) bei
dem Einkaufe von Häuten und Fellen, so müssen sie sich in den
Kauf teilen. Kauf aus zweiter Hand ist verboten. Man darf
nur für steh selbst und nicht für andere Material einkaufen.
Ort (loca debita) und Zeit für den Materialeinkauf sind genau be-
fttimmt. Streng wurde die Güte des Materials kontrotliert. Nur
,$elbst gegerbtes Leder darf verarbeitet werden. Das Amt der
Brauer*) wachte streng darüber, daß alle Amtsgenossen vor-
schriftsgemäü gutes Material tiätten, dal nicht brandlch sy unde
nicht kymich sy, d. h. welches nicht angebrannt und schimme-
lig sei
Aus dem Gesagten ergiebt sich kurz folgendes. Das Arbeits-
matcrial stellte der Produzent selbst. Die Materialbeschaffung
geschali teils gemeinschaftlich, teils durch besonders dazu erkorene
Personen, oft durch die Alterleute, teils auch im einzelnen auf
dem offenen Markte oder offener Straße zu einer festgesetzten
1 VAniu S. 350, B. d. Bmisfdndjcher «. 130a
*) Vchnn. S. 340 u. »1, RoUc d. Nidicr l 13eo.
t Vdirm, S. 318 u. 310. R. d. Lohgabcr ■. IU0-7a
«i Vdum. S. 178. R. d. Bnucr a. 13M).
Aidii* fSr KuHurBOchichte. I, 2.
12
r
178 Jakob Höhler.
Zeit. Vorkauf und Zwischenkauf waren strengstens untersagt,
well sie unnötiger Weise die Ware verleuerten und so mit der
clirisUich-ethischen Anschauung des Mittelalters im Widerspruche'
standen. Das Material wurde gleichmäßig' und gerecht verteilt.
Oft wurde auch der Vorteil der Bürger wahrgenommen. Wenn
möglich, mußte einheimisches Material gekaiift werden. Streng
wurde auf die Oute desselben gesehen.
Mit derselben Strenge, mit der die Amter das Arbeits-
material kontrollierten, sorgten sie auch dafür, daR ihre Mitglieder
gute und solide Arbeit lieferten und ferner nicht über ein bc-
stimmtcs Maß hinaus produzierten. Die Aufsicht über die Arbeit
der einzelnen führten die Älterleute der Amter. Fanden sie
eine Arbeit „wandelbar", d. h. fehlerhaft gearbeitet, so brachten
sie dieselbe vor den Rat'), oder es wurde der Verkauf derselben
verboten.*) Die Brauer*) durften nur einmal in der Woche
brauen und zvar nicht mehr als achtzehn Tonnen Bier. Zugleich
wurde bestimmt, wieviel Malz, Qerste und Hafer zu jeder Tonne
verbraucht werden sollten. Jede Tonne mußte mit einem Stempel
des Produzenten versehen sein, um später eine Kontrolle zu
erleichtern. Bei den Qrapengießem') wurde durch Beschluß
der fünf wendischen Städte im Jahre 1354 und 137& das Ver-
hälbiis der Mischung von Kupfer und Zinn bei Herstellung der
Orapen festgesetzt Jeder Meister mußte seine Arbeit mit seinem
eigenen und seiner Stadt Stempel versehen. Außerdem vzr jede
Stadt verpflichtet, zwei Ratmänner und zwei Bürger auszuwählen,
welche zusammen mit den Älterleuten des Amtes die Arbeit
kontrollierten. Die Platensch läger*) sollten die Platten der
Panzer nicht auf Schaf Icder befestigen- In derselben Rolle
wird vorgeschrieben, welches Leder zur AnlerÜgung von
Waffen Handschuhen angewandt werden müsse. Die Riemen-
schneider,«) welche sich im Jahre 1359 von den Bcu-
J
■I Wehrui. 5. 321 u. 221. R. d. noldKhmied« i. mi,
■) Wehrm. S. 20*. R. d Oarbriler i. 1376,
»> Wdirm. S. IM, R. il Biauet », 1363.
t W«hnn. S. 22S u. 226, R, d. 0«p«igießer.
») Wdinn. S. 3«S5, R. d. PlilenschlijEer a. 13T0.
*) Wriinn, S. Ttt, R d. Rii^ntmicfinniS« und Beuicimacher i. I3SQ.
I
Die Anfang« des Handwerks in Lübeck
telmachem trennten, hatten das Recht, die Arbeit der Beutel-
macher kontrollieren zu dürfen. Bei den Gerbern') war das
jährliche Produktionsquantum genau fixiert
Eines großen Rufes scheint sich die Arbeit der Lübecker
Goldschmiede erfreut zu haben. In dem Jahre 1209 gab der
Bischof von Münster einem Goldschmiede von Lübeck den Auf-
iing, ihm ein neues Siegel anzufertigen.*) Das einzige Zeugnis
für unsere Periode, daß nicht alle Handwerker, deren Gewerbe
.zünftlerisch organisiert war, dem Amte ihres betr. Gewerbes
angehörten, gibt uns die Rolle der Nädler.^) In dieser wird den
Alterleuten der Nädler das Recht zuerkannt, jederzeit die un-
zünftige Artieit kontrollieren zu dürfen.
b. Strenge Abgrenzung des Arbeitsfeldes.
Schon die im ersten Kapitel gegebene Statistik der Hand-
werksarten zeigt uns einigermaßen, in welchem Grade in Lübeck
, Berufsteilung vorherrschte. Doch auch die Rollen berichten uns
einiges darüber. Folgen wir vorerst ihnen, um daraus und aus
der Statistik ein Gesamturteil zu gewinnen.
In dem Jahre 1345 wurde über die Ürechsler und Schacht-
Schneider folgend cmiaßen entschieden:*) de dreyere scholen vor-
kopen alle dreyet werk, uthgheiiommen vate (Gefäße) unde
schoten (Schüsseln), unde de schachtsnydere scholen neen dreyet
werk vorkopen. Die Drechsler dürfen keine Schäfte verkaufen,
oder Dinge anfertigen, welche dem Arbeitskreise der Schacht-
schneider angehören. In dem Jahre 1364 wurde folgendes be-
stimmt:*) Die Drechsler und Schachtschneider dürfen nur ver-
kaufen, wes sc maken to crem ampte und anders nicht. Erstcre
dürfen keine gotländisclien Eimer, Mulden, Pfannen, Schaufelt!
und Kesselhaken verkaufen, überhaupt Waren, de de schachlsnider
anroren, de van deme rade darmede vorlent sin. Der Vertrag
zwischen den Neuschneidern und Altschneidern') beginnt in
'1 Wehrm. S. 310, R. d, Uhg«rber ». 13»- 70.
'I U. B. d. BUI. Lüb. I S. 437 1. I»9.
*i Wehrm. S. Ml, R. d. NWlw >. 13».
'I Wftiim. & Ml .. IMS
*) Wchrn. S. 203 i. 13M.
•) Wehtm. S. 4U ■. 1334.
12-
HO Ja^ob Hohl«-.
folgender Weise: WiHik zy, dat wy mestere van dem ampte
der schrodere weren vor unsen heren van Lubeke, alse mit den
oltbotern der schrodere, des deleden uns unse Ueren. Die Alt-
schneider durften keine neuen Kleider anfertigen. Ihre Haupt-
beschäftigung wird wohl in dem Ausbessern alter Kleider be-
standen haben. Den Nädicrn') sind vom Rate die Drahtschtniede
gegeben worden; dat se scholen smeden, wenner wie behofen.
Die Weißgerber'') unterschieden sich von den Lohgerbern darin,
daß sie keine Häute aufler SchafsfeUen mit Lohe gerben durften,
quas cerdones nullatenus büctrire (gerben) debent, in quo separat!
existunl Die Schuhmacher 3} dürfen nur soviel gerben, als sie
zu ihrer eigenen Verwendung gebrauchen. In dem Jahre 1359
teihen sich Riemenschneider und Beutelmacher 0 in ihren
Gewerbebefugnissen folgendermaDen : Die Beutelmacher dürfen
hauptsächUch Hirsch- und Rehleder verarbeiten, während es den
Riemenschneidem gestattet war, alle Sorten Leder zu verarbeiten»
ausgenommen Hirsch- und Rehleder. Zwischen den Garbrätem
und Knochenhauem") bestand folgendes Verhältnis: Während die
Knochenhauer im wesentlichen das Vieh einkauften, schlachteten
und es teilweise verarbeiteten, war es die Aufgabe der Oarbräter»
das Fleisch zu kochen, eßbar zu machen oder metworste to maken.
Die Oarbräter waren gehalten, ihr Fleisch, wenn möglich, bei
den Knochenhauern zu kaufcn-
Aus dem Gesagten ziehen wir folgendes Resultat im Mittel-
alter wie in der Neuzeit finden wir Arbeitsteilung.') Jedoch be-
steht ein wesentlicher Unterschied zwischen mittelalterlicher und
moderner Arbeitsteilung. Diejenige der Neuzeit ist Arbcitszer-
legung, die mittelalterliche Arbeitsteilung dagegen war Bcruf&-
teilung. Während bei der modernen Arbeitszerlegung mehr
1} Wriinn. S. 341 R. d. Nidlcr a. I3S6
*i Wdmn. S. JIS R. d. LoUeabcr i. niO—lO.
■) ebenda.
•) Wehia. S. 376 t. 1350.
•) WcHrm. S. 206 ■. ]3M.
*} VgU KjitI BQch«, EntilebK. d. Volksw. Aulutt: ArMUtdlons.
vcfbc In WUKh. d. VolkswlrUcliAa Ebenda van Belov: Artikel Zünfte.
ArtilKl: 0^. I
Die Anränge des Handwerks in Lübeck.
Hände an der Fertigstellung des gleichen Produktes arbeiten
und so eine Verfrrößerung der einzelnen Betriebe beding;! wird,
beruhte die mittelalterlidie Arbeitsteilung darauf, daä aus einem
umfangreicheren Produktionsgebiete einzelne Teile ausgeschieden
lUnd so neue Berufsarten gebildet wurden. So fanden wir einen
Schmied, Nagelschmied, Pfeilscfimied, Messerschmied, Draht-
schmied, Goldschmied, Hufschmied und klensmed (Schlosser),
ferner Drechsler, Büchsendrechsler, Ringdrechsler und Spindel-
drechsler, einen Bäcker, Haferbrotbäcker, Oblatenbäcker, Figuren-
bäcker, Weggenbäcker und Kuchenbäcker, einen Schuhmacher,
Pantoffelmacher und Flickschuster, einen Pelzer (Uli cum opere
agnino), Buntfutterer (Uli cum opere pulchro) und Zobelpelz-
schneider usw. Die Zahl der Berufe war zwar groß, aber der
Geschäftskreis des einzelnen beschränkt und die Zahl der Pro-
dukte, die jeder anfertigte, gering. Kompagniegeschäfte zu trei-
ben, war strengstens untersagt') Nur bei den Webern und bei
den Nädlem und Drahtschmieden finden wir etwas der modernen
Arbeitsteilung Ahnliches. Wie es sich bei den Nädlem und Draht-
schmicden verhielt, haben wir bereits erfahren, bei den Webern
ersehen wir es aus der Statistik. Hier finden wir nach dem Weber
einen Hanfspinner, Kämmer, Färber, Walker und Tuchscherer ver-
zeichnet Nachdem der Weber die Wolle gekauft hatte, wurde
sie gewaschen und geschlagen. Hierauf kam sie zum Kämmer,
Spinner, Färber, Walker und schließlich zum Weber zurück.
Abgesehen von derartigen Ausnahmefällen finden wir im übrigen
Berufsteilung. Nachdem der Handwerker das Rohmaterial sich
erworben hatte, durchlief dasselbe, womöglich in derselben Werk-
slätie, alle Stufen der Entwickelung.*) Dem Schuhmacher war es,
wie wir ersahen, erlaubt, für eigenen Bedarf Häute zu gerben.
So war derselbe nach dem Ankaufe der Häute ganz auf seine
eigene Tätigkeit beschränkt und betrieb neben dem Schuh-
macherhandwerk auch das der Gerber. Aus dieser Betriebsweise
entsprangen zwei Vorteile: 1) Einschränkung des Kapitalerforder-
I) W«hnn. S. 330 R. d. Lohecrber a, 135D— Ta
*) Bfclier, Wamrbucta d. Volksv, I Art 0«wcrbe S. 3S7 V. as&
182 Jakob Höhler.
und 2) Vermeidung der Gewinnzuschläge und die daraus
sich ergebende Verbitligung der Ware für den Konsumenten.')
2. Die Marktordnung.
a. Verkauf der Handixerksgegenstande.
Der ganze städtische Handel und Verkehr Lübecks zentrali-
sierte sich auf dem Marktplätze; dei;n jeder, der offenen Laden
hielt, muttle ihn auf dem Marktehalten.') Hier befand sich außer
dem Rathause das Gewandhaus^) (donius paniiorum); das Loh-
haus (lohus)*), das Heringshaus (harinchus)*) und schließlich
Verkaufsstande aller Art. Die einzelnen Ämter hatten ihre Ver-
kaufsstände neben einander. Dies erfahren wir teils aus den Amls-
rollcn teils aus den Kam merelbü ehem. Autkr dem Hauptmarkte
gab es noch kleinere Handelszentren, Nebenmärkte, wie der
Fischmarkl/) Salxmarkt,') Rindermarkt*) und der Markt an der
Trave.")
Bevor wir über den Verkauf der VX^aren sprechen, wollen
wir uns an der Hand der Quellen (über die Verkaufsställen orien-
tieren. Die einfachste Art derselben waren die Verkaufstische
(mensae). Solche Verkaufs tische benutzten z. B. die Altflicker")
und ein Teil der Heringswäscher.") Ober die Gröik derselben
und die Abgaben für dieselben gibt uns Folgende Stelle Aus-
kunft:"} ümncs homines aliqua bona vel res aliquas vendcntes
in foro in mensis dant quivis IV solides de Integra mensa serael
in anno, de dimidia vero mensa dat quivis H solidos. Integra
mensa habebit in longitudinc octo pcdes. Mit den Verkaufstischen
nahe verwandt waren die Fleischscharren der Knochenhauer. ")
>)eb«ida.
*] Ptuli S. 48,
>] U. B I S. »S ■. 1361 u. U. B. II S. 1046 «. I316-3&
*) ü. B. I. S. 149 L \»Z
^ U. B. I »0 1. ITSL
*) U. S. IV S. 1» ff. a. 1360—70: uppe den vmclien mirkcde.
*) riofnd» : uppe den tollen ntukede.
•) Wehnii. S. 261 R. d. Knoeh*nhjiirer : uppe dem rindere niiTiKdc
1 Wehnn. S JOS «. !»*■ »elleboderi W dti Trii»en.
"j U. B- IT S. 1023 «. 1283-08.
") U. B, n S. 1054 a. I1I6-3B.
") U. n, II S 1051 a. 1316-38,
«1 U. B. n,S. 1046 ä. 1316- 3R
Dieselben waren kurzfüßigc, leicht ausgehöhlte Rohklötze zur
Schaulegung von Fleisch waren ') Anderer Beschaffenheit waren
die Brolschrangen der EJiäcker.') Dieselben waren eine
Bänkehalle mit darin vereinigten, aber genau abgeteilten Tisch-
und Sitzplätzen.*) Der einzelne Tischplatz wurde let, die jähr-
Kche Abgabe an die Stadt für ein let lethure genannt. Vor
Ostern jährlich warfen die Bäckermeister sowie auch die Fleisch-
hauer das Los um ihre Verkaufsplätze.*) Für jeden Ptatz be-
zahlten die Bäcker um Ostern den Kam merei Herren sechs
Schillinge und sechs Pfennige für Wein, zu Michaelis nur sechs
Schillinge (sex solidos slmpltciter); die Knochenhauer entrichteten
jährlich zu Ostern den Kämmereiherren für jeden Platz eine
Mark und auüerdem sechs Pfennige für Wein.*) Unmittelbar
an die Knochenhauer reihten sich diejenigen, welche Speck und
Eingeweide verkauften (qui lardum et intestina pecorum vendunt).
Dieselben bezahlten zwölf Schillinge für den Verkaufsplatz und
den AUerleiiten des Knochenhaueramtes sechs Pfennige für Wein.
In der Rolle vom Jahre 1385 wurde folgendes über die Vcr-
fcaufsslättcn der Knochenhauer bestimmt : ") Die Älterleute
sollen in jeder Reihe den dritten Laden haben, ohne darum zu
losen. Von jedem Verkaufsstande hat jeder einen Schilling Löse-
geld (lothcgeld) und drei Mark jährliche Miete zu entrichten.
Die Abgaben waren also im Gegensätze zu der früheren Zeit
bedeutend erhöht worden.
Weitaus am meisten fand der Warenverkauf in den Buden
(bcdae, tabernae, boden, selleboden) statt. Die Buden waren
kleine einstöckige Häuschen. Ausserdem finden wir auch in
Lübeck Budenhäuser,') d. h. Einrichtungen einer Anzahl an-
einander gereihter kramartiger Verkaufskammem. Solche Buden-
bfiuser waren z. B. das Gewandhaus (dnmus pannorum), das
*) Oeitgl« S. 137.
*] U. B. U S. 1047 s. I3]«-3S.
*) Ocnsln 5. 1».
•) U. B. I S, 251 ». 13M.
*) U. B. II S. lOM I. 1310-38 Ann. 0.
*) Wehr», S. J6fl i. 1385.
^ Ontgla S. 142.
IM Jakob Höhler.
Lohaus, das Heringshaus und das Haus der Pelzen. In dem
Lohause hatten nicht allein die Lohgerber ihre Verkaufsstätten,
sondern auch die Wollenweber, ') welche einheimische Tücher
verkauften. Die fremden Tücher wurden von den Oewand-
schneidem auf dem Gewandhause ausgeschnitten.*) Beide,
Lohgerber und Wollcnweber, warfen das Los um ihre Plälze in
Gegenwart der Kämmerer. Die Lohgerber bezahlten für ihre
Plälze jährlich acht Schillinge in zwei Raten, ^ler Schillinge um
Ostern und vier Schillinge zu Michaelis"), Die Wollenweber
bezahllen 'jährlich nur vier Schillinge. In dem Hcringshause
(harinchus) befanden sich neun Buden, wofür jeder Herings-
wäscher zu Michaelis nach der Verlosung der Plätze sofort zwei
Mark entrichten mußte'). In dem Hause der Pelzer (domus
pellißcum) hielten die Buntfutterer (iUi cum opere pulchro) und
die Pelzer (iUi cum opere agnino) ihre Waren feil. Beide zu-
sammen entrichteten für jährliche Miete des ganzen Hauses
zwanzig Mark; davon bezahlten die Pelzer vierzehn Mark und
die Buntfutterer sechs Mark.*)
Jedes Amt liatle eine bestimmte Anzahl Buden auf dem
Markte und seinen bestimmten Ort. In manchen Ämtern war
oft die geringe Anzahl von Buden ein Hindernis für die Auf-
nahme von neuen Milgliedern. Dies drückt deutlich die Rolle
der Nüdler in folgenden Worten aus:") Wittlik sy, dal de heren
tho Lübeck buwel hebben vertein (14) stede to behoff der natteler,
de dar sitten in der heren winne, unde nemant schal sicn sulves
werden in den swibagen, dar in sterve ein udt den vertein steden.
Erst wenn ein Nädler starb, konnte ein anderer an seine Stelle
tr^eiL Die Knochcnhaiier hatten vor dem Jahre 13S4 wahr-
scheinlich hundert Fleischscharren, denn nach dem Aufstande
hatte der Rat von den vier Budenreihen zwei abbrechen lassen.^
I
') U- B. I S. 240a. 1162 n U. B. }\ S, IWfta. 13I6-J8.
t V. a. II S. ICH5 u. IMM. 13ie-3l.
•i U. B. n S. 10461. t3lä-3B.
<) U. B. 1 S. 250 a. I2fi2.
*) U. B. I S. 340». 12U.
•) Wdim. S. SWfc. 135S.
T) Chr. d. diKh. St. Llb. II 5. 3M n. 350.
Die AnßLnge des Kaiidverks in Lübeck.
Gleich am Anfange der Rolle vom Jahre 1385 heißt es, dass von
nun an nur noch fünfzig Knochenhauer in dem Amte sein
dürften*). Das Gewerbe der Bechermadier erlange im Laufe
der Zeit eine solche Blüte, daß sich der Rat genötigt sah, neun
neue Buden zu den vorhandenen hinzuzubauen*),
jedes Amt hatte ferner seinen bestimmten Ort für die Ver-
kaufisstände. So befanden sich z. B., wie bereits enrähnl, die
vierundzwanzig Verkaufs- und Arbeilsbuden der Goldschmiede
unter dem Ralhause/) die Verkaufsplätze der Gärtner an den
Ecken des Kirchhofes,') die Nädler') hatten ihre Buden unter
einem Schwibbogen am Markte, die Grapengießer') bei der Wage
and die Heringswäscher teils auf dem Fischmarkte, teils auf dem
Salzmarkte. 0 Die Drechsler hatten ausser ihren Buden auf
dem Markte auch noch .-selleboden bi der Traven",*) wo sie
verkauften, «wes ene aver see gekamen is." Innerhalb der Amier
selbst verloste man die Vcrlcaufsstände, soweit dieselben von
Amtes wegen gemietet wurden, damit die Verkaiifsstände wechselten
und nicht immer dieselben Personen die guten oder schlechten
■ Buden hätten*).
Was schließlich noch das Budeneigentum anbetrifft, so ge-
borten wohl anKnglich alle Buden der Stadt. Im Laufe der
Zdt wurden sie auch von Privatleuten käuflich erworben. Im
vierzehnten Jahrhundert besaß nach Pauli'") Lübeck ausser den
Buden der Goldschmiede kaum mehr wie dreißig Buden als
H volles Eigentum. Ein Teil derselben wurde jähriich oder auf
eine Reihe von Jahren vermietet, ein anderer Teil auch auf Lebens-
zeit") Die meisten anderen Buden waren, wie bereits gesagt,
Privateigentum.
■} Wchnn. S. 150.
^ U. 0. II S. tDS3 U. lOM 1. I3ID-3S,
^ Vthrm. S. 311 R. d. aoldtchmlidc ». 1ITI .
i Ttfcnu. S. a» H. cl. Oärlntr i, 1370.
•J Vrtinn. S. 339 R. d. NHW ». 13».
^ Webmi. S- 22S R. <L OnpeiLgicKct a. t3S4.
0 U. B. IV S, lig 1,, 13Ö0-T0.
^ Wdirm. 203 •. 1164,
n Vtbm. S. 341 R. d. NUler a. l3Se.
■^ Ptnll S. U u. M.
■*) U. B. n S. 1048 m. ni6-38: bibeblt bodtiin «d tomp«» vitu.
186 jakob Höhler.
Über den Warenverkauf berichten die Quellen folgendes:
Wer bei den Nädicm') einen Käufer zu ach herbeiwinkte,
wurde mit drei Mark bestraft. Die einzelnen Arbeiten, Nadeln,
Fischangeln usw. sollen wohlgeordnet und sortiert sein. Von
Haus zu Haus, von Straße zu Straße, an der Travc oder bei
den Schiflen seine Waren feil zu halten, also Hausierhandel, war
verboten. Ungebührliches Benehmen bei dem Verkaufe wurde
mit einem halben Pfunde gebüßt. Wollte ein Nädler Waren
auswärts versenden (udl fhoren), so hatte er die Verpflichtung,
dieselben erst den Älterleuten zu zeigen. Strenge wurde der-
jenige Pcrgamenlmacher') bestraft, der gute Ware mit schlechter
vermischte. Die Schneider") durften niemand um Arbeit an-
sprechen; ebenso dürfen die Bader'j nicht eines anderen Bade-
gast zu sich bitten. In der Rolle der Qrapen gießet ') wurde
verboten, den Ketelbotem d. h. solchen, welche mit alten Kesseln
handelten, etwas zu verkaufen. Die Knochen hau er*) durften
nicht die Käufer zu sich bitten. Die Verkaufszeit derselben war
genau bestimmt. Verkaufte ein Lohgerber') einem Schuhmacher
schlechtes Leder und verschwiegen beide es, so mußten sie von
jedem Stücke Leder ein halbes Pfund Strafe bezahlen. Schuldete
ein Schuhmacher einem Gerber Geld für gekauftes Leder, so
durfte dieser dem Schuhmacher erst dann wieder Leder verkaufen,
wenn derselbe seine Schuld abgetragen halte. Die Lohgerber
durften^ abgesehen von den einheimischen, nur überseeische Felle
und Häute verkaufen, ebenso wie sie nur überseeischen Handel
treiben durften, falls sie Waren auch auswärts versandten (nullus
cerdo debet coreum ad aiiqua loca niitlere nisc ad mare). Die
Rolle der Qarbräter*) verbietet »scheldeword unde ungcvoch"
bei dem Verkaufe. Die Drechsler") hatten auch an der Trave
•) Wehrra. S. 33Q, R. d. Nidlrt >. 13Sti.
*) Wchna. S. 363, R. d. Persimentiiudier ■. \330.
>) Weliim. S. 42% R, d Sclineiiln a. 1370.
*i WrhiTO. S. 1B2. R. d. Bider i, I3i0.
*) Wehrm. 5. I2S, R. d. OmpwiKieß« a, 1354.
*) Wetarai. S. 261 D. 305, K. 0. KnocheniMun i. 1365.
^ Wduin. S. 319, R. d. LAtifcrbcr a. J350-TO.
*) V«4inn. & 205, R. d. Qju-briln a. 1374.
WdmD. S. 303 s. 13M.
Verkaufsbuden (selleboden), wo sie nur solche Waren verkaufen
durften, wes ene aver see gekamen is. Desse scolen up dem
marked nicht utstan bi dren marken sulvers. In der ältesten
LübeckJschen Brotlaxe') aus dem Jahre 1255 werden die Brot-
preise von der städtischen Obrigkeit entsprechend den jeweiHgen
Oetreidepreisen genau fixiert. Das Stadtrecht aus dem Jahre 1294
droht strenge Strafe denjenigen Bäckern'), welche zu kleines
imd schlechtes Brot zum Verkaufe ausstelllen. Eine Ordnung über
den Hopfenverkauf enthält fotgende interessante Nachrichten.^)
Kein Hopfengärtner darf die Preise steigern beim Verkauf der-
selben Sorte, wohl aber darf er den Preis herabsetzen (sed bene
darc potent pro minori). Verkauft ein Gast einem Lübeckischen
Bürger, offenbar einem Hopfengärtner, einen halben Sack voll
Hopfen, so darf der Käufer die Ware nicht teuerer verkaufen, als
sie sein Verkäufer schon verkauft hatte (Üle emptor iiiodium non
dabit carius, sicut venditor prius dedit). Jeder Bürger durfte
nicht mehr als einen Sack Hopfen auf einmal kaufen. Vielleicht
vollte man dadurch verhindern, daß die Bürger heimlich Bier
brauten oder unbefugt mit dem Hopfen Handel trieben. Der
Hopfen durfte nicht ohne besondere Erlaubnis in den fiäusern
scheffelweise verkauft werden sondern nur auf dem Markle. Der
slavischc, märkische und thüringische Hopfen mußten gehörig
sortiert sein. Hopfen auswärts zu versenden, war untersagt. Über
den Verkauf gesalzener Heringe*) wurde folgende Verordnung
erlassen: Die städtische Obrigkeit bestimmte, wieviel Heringe die
Heringswäscher für einen Pfennig geben sollten. Der Preis der
Heringe, welche auf dem Fischmarkte und derjenigen, welche
auf dem Salzmarkte verkauft wurden, war einheitlich. Derselbe
richtete sich «dar na, dat God de tyt ghift." Auf dem Fischmarkte
wurden frische ungesalzene Heringe verkauft, während auf dem
-soltcn markcdc" gesalzene Heringe zum Verkauf ausgestellt
wurden. Die Älterleute der Heringswäscher auf dem «solten
markede scholen mestcre wesen over al sollen ghut", d. h., sie
>) U. B. I S. 205.
*i Hwdi 11 s, i».
•) U. B. II S 9M *. 1)00-1350.
^ U. B. IV. S. 139 I 1340-70,
188 Jakob Höhler.
haben das Recht, Kontrolle auszuüben über alle gesalzenen Fische,
die auf dem markede to Lubeke edder in Straten edder binnen
Liibeke verkauft wurden. Die Brauer') durften eine Tonne
guten Bieres (ghudes enparlghes beres) nicht teuerer verkaufen
als umme XII schillinghe. Irgend welche Beigabe zu schenken,
offenbar um Kunden anzulocken, war untersagt Kein Brauer
durfte Buden halten und daselbst Bier verzapfen. Fremdes*) Bier
durfte nur auf dem Lohause verzapft werden. Wohl aber war
es gestattet, sich von auswärts Bier zu eigenem Gebrauche schicken
zu lassen.
Wir ziehen aus dem Gesagten folgendes Resultat: Ent-
sprechend der mittelalterlichen kanonistischen Wirtschaftstheorte^
sollte Handel und Wandel von christlich-ethischem Geiste durch-
drungen sein, d. h., es sollten alle Produzenten, in unserem Falle
alle Amisbrüder, unter sich beim Verkaufe der Waren gleich-
gestellt sein und den Käufern gute und preiswürdige Ware liefern.
Einerseits sollte demnach der Handwerker nicht durch unerlaubte
Mitld seinen Wohlsland auf Kosten anderer Amisbrüder erhöhen,
anderseits der Käufer einen gerechten Preis, das pretium justum,
bezahlen. Der Handwerker durfte nicht den Käufer herbeilocken.
Um eine Kontrolle um so genauer ausüben zu könneOf war oft
die Verkaufszeit bestimmt und der Hausierhandel verboten. Da-
mit der Käufer nicht betrogen wurde^ mußte die Ware sortiert
sein. Fand ein unreeller Kauf mit Wissen des Käufers und Ver-
käufers statt, so unterlagen beide einer Strafe. Besonders strenge
Aufsicht hinsichflich der Güte der Waren wurde bei den Lebens-
mitteln ausgeübt, zumal wenn dieselben von auswärts kamen.
Der außersläd tische Handel war zwar nicht immer verboten,
wurde aber streng beaufsichtigt. Den Preis zu bestimmen lag
keineswegs in dem Ermessen und Belieben des Verkäufer? sondern
der ÜbrigkeiL Infolgedessen erhielt jeder Handwerker seinen
gerechten und gebührenden Lohn für seine Arbeit und der Käufer
I
1
>> Wehitn. S. 170 R. A- Dniier t. 1M3.
•) Wehnn. S. 18S a. 1380.
■) VctkI. W. Cndrnuiii), Studien tn d. romuiisdi-kanoniit WlrtitbafU- u. Rfchti-
Win. 3 Bde. Berlin l&aj, v. Below, Artikel Zänf» und PrtUUxcn im Wlbch. i. VoEkiw.
I
bezahlte den gebührenden Preis (pretium iustum). Der Preis war
also erstens einheitlich und zweitens gerecht. Schlechte und un-
pünktliche Bezahler fanden keinen Verkäufer mehr,
b) Das Oäälerecht und die Ämter.
Der Zunftzwang als Konkurrenzkampf richtete sich nicht
allein gegen die einheimischen unzQnftigen Produzenten sondern
auch gegen die Fremdenj die Gaste. Unter dem Oästerccht ver-
stand man »das Recht der fremden Kautleute und Handwerker,
die in die Stadt kamen, um ihre Waren daselbst zu verkaufen".*)
Es unterviarf die Gäste gewissen Beschränkungen gegenüber den
einheimischen Gewerbetreibenden, in unserem Falle gegeniJber
den zünftigen Handwerkern. Über das Gästerecht geben uns
die Quellen Lübecks folgende Nachrichten. Die Rolle der Nädler*)
bestimmt: Vortmehr queme ein gast tho Lubeckj de schal
dar mcdc sthan alß eines gaste« recht is, dre dage in dem
jähre, men sochte he koplüde van huse Iho huse, van stratten
Iho stratten, de scheide den heren wedden dre mark sulvers,
Vcrc idt avcrst falsch, meti scholde darmede varen, alse der heren
recht tho sede; were idt aver wandelbaer, so schall he wedden
also mennig half pundt, als dar duscnt is; werct dat dat jemand
koffte van unserm ample, de scholde wedden ein halff pundl,
also dicke idt under eme wurde ghevunden. Vortmehr schal
nein man ofte fruwe in unserm ampte kopen fromcdt ogenwerk;
also mennig dusent, als he koffte, also mennig dre mark sulvers
schal he wedden. Die Gäste durften also nur an ganz beslimmlen
Tagen ihre Waren zum Verkaufe ausseben. Es war ihnen nur
erlaubt, auf dem Markte zu verkaufen, der Hausierhandel war
verboten. Die Qüte ihrer Ware wurde kontrolliert. Wer schlechte
Ware feilhielt, wurde bestraft. Den Nädlern selbst war es bei
Strafe verboten, von den Gästen Waren zu kaufen. In der Rolle
der Knochenhauer finden wir folgendes*); Den Gästen ist es
erlaubt, zwischen Ostern und Pfingsten Lammfleisch und vom St.
Lambertstage (17. Sept.) bis zum St. KatharinenLige (25. Nov.) Rind-
■) V. Bclov, An. Qiaimchl u. Zfinlle im Wtbch. d. Volla*. n. lli.SioUe, Die
Cii1*täi(. d 03(ic[cvht), MRib. Dlw. IWl S. T.
t Wdinn. S. 340 >. 1156.
*> Wchnn. S. 261 a. 13«^
S
190 Jakob Hohler.
fleisch und Hammelfleisch zu verkaufen, abernur in ganz bestimmten
größeren Quantitäten. Wollen sie mehr verkaufen, dat moghen se
don, men nicht myn, unde scholen gheven unser stad van dem rynde
XVI penninghe unde van dem schape ver pennenghe. Was die Gäste
zum Verkaufe auf den Markt bringen und nicht verkaufen, dat
scholen se des anderen daghes nicht veder bringen to vor-
kope. Vergesellschaftung mit den Gästen ist sowohl den Knochen-
hauem wie den Garbrätem *) verboten. Die Lohgerber*)
dürfen den Gästen durchnäßte Felle nur cum sdtu duorum pro-
borum virorum in officio, quod bonum esset et perfectum, ver-
kaufen. Eine Ordnung über den Hopfenverltauf) schreibt
folgendes vor: Hospites stabunt in una linea cum humulo suo
et nostri bui^nses simul stabunt in alia linea ex opposito in
eodem vico nee in stadonibus suis debent pariter commisceri.
Außerdem wird den Bürgern verboten, mit den Gästen Kompagnie-
geschäfte zu treiben.
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so o^ebt sich
im allgemeinen folgendes. Die Gäste durften in Lübeck nur
an ganz bestimmten Tagen verkaufen. Sie hatten ihren be-
stimmten Platz auf dem Markte, gesondert von den ein-
heimischen Verkäufern. Der Hausierhandel war ihnen unter-
sagt Ihre Ware unterlag der Kontrolle. Meist verkauften sie
en gros. Kompagniegeschäfte der Gäste mit Lübeckischen Bürgern
und umgekehrt waren verboten. Die Nädier durften mit den
Gästen keine Kaufgeschäfte abschließen, die Lohgerber nur mit
Wissen von zwei rechtschaffenen Männern.
Schon früh hatte Lübeck einen bedeutenden Markt, da
seine günstige Lage eine Menge fremder Kaufleute anzog. Be-
reits Heinrich der Löwe gab der Stadt das Privileg,*) mene
markede to hebbende 2 dagc in der wekene, des mandages unde
des donderdages; darmede vorgingen de jarmarkede. Friedrich I.
sicherte fremden Kaufleuten die günstigsten Handelsbedingungen'),
>) Wdirm. S. 2M R. d. Oaibriter ■. I37ä.
») Wehrm. S. 320 R. d. Lohgerber «. 1350-70.
^ U. B. II S. 923 1. 1300—1350.
*) Chr. d. dtsch. Slidte, Lüb. I S. 20 i. 1363.
^) U. B. I S. 10 a. 11 1. 1188, SUdtKcht Friedridii [.
Die Anfänge des Handwerks in Liibeck
und sein Enkel Friedrich II scKließlkh erteilte der Stadl das
Recht, jährlich von Pfingsten bis Jacobi eine Reichsniesse
abhalten zu dürfen'). Möglicherweise sind durch die günstigen
Gelegenheiten und Bedingungen für fremde Kaufleute die ein-
heimischen Produzcnlcn geschädigt worden. En diesem Falle
dürfte die Annahme Th. Stolzes nicht unberechtigt sein, daß i.dic
Errichtung der Zünfte als eine Maliregel anzusehen sei, die zu
den Beslrebiingen des Gäslerechts in engster Beziehung stehe")."
• 5. Kirchliche Zwecke der Ämter.
Vergegenwärtigen wir uns die allgemeine mittelalterliche
religiöse Anschauung, so finden wir eine besondere Betonung
des religiös-sittlichen Momentes innerhalb der Amter sehr wohl
»verständlich. Nicht so früh wie in anderen Städten berichten
uns die Quellen von Lübeck über derartige Strömungen inner-
halb der Ämter. Die älteste kirchliche Bruderschaft in Lübeck')
Oberhaupt ist in dem Jahre 1342 von den armen Prieslern und
Schullchrcm der SL Jakobikirche gestiftet worden. Auf Hand-
f werker wird hier nicht Bezug genommen, was natürlich eine
Mitgliedschaft derselben nicht unbedingt ausschließt. Da wir
erst so spät von Bruderechaften hören und auch in den Zunft-
roilen das religiös-sitthche Mamenl nur so ganz beiläufig erwähnt
finden, so können wir bei Lübeck die Ansicht, daß die Amter
aus kirchlichen Bruderschaften entstanden seien, wohl ganz ab-
weisen.*) Wohl haben die Amter ihren Mitgliedern auch religiöse
Pflichten auferlegt und einen Schutzheiligen erwählt, aber es läßt
sich keineswegs eine Bruderschaft als Wurzel des spezifisch ge-
werblichen Verbandes nachweisen. Mit Unrecht bezeichnet Julian
Welter,') der sich hierbei im wesentlichen auf die durchaus
veraltete Ansicht von Nitzsch*) stützt, die Bruderschaft in Harn-
V" " — -'~ - -"-
H q U. B. 1 S. 83 a. 1Z3>.
H •) »dH & 44
^ t V. B. III s. 4a
t TOcI. a Cnwn S. 54 u. ». v. BtU>v. Art Zflalte, VftrtcA. d Votbv. 11,
s. flnu.
•)& 24.
^ Sltaglbcr. d. Bcri. Akidirvle 18Tg S. 13 ff
192 Jakob Höhler.
der Ämter war und blieb, in erster Linie eine geverblidte
Einung zu schaffen. Die mittelalterliche Zunft verehrte einen
Heiligen als Schutzpatron, unterhielt einen eigenen Altar, ver-
sammelte ihre Mitglieder zu gemeinschaftlichen Gebeten, ließ für
die verstorbenen Mitglieder Messen lesen und verfolgte mild-
tätige Zwecke. Derartige religiöse Strömungen dürften wohl in
jedem Amte vorhanden gewesen sein, selbst wenn wir keine
direkten Nachrichten darüber besäßen.
In Lübeck hatten die Grapengießer*) ihren eigenen Altar
in der St Jakobskirche, die Knochenhauer*) in der St Marien-
kirche, die Goldschmiede*) in der hl. Geistkirche. Zur Unter-
haltung des Altares wurden Straf- und EintrittsgebOhren, zum
Teil auch obligatorische Abgaben in Wachs verwandt Die
Knochenhauer*) bestritten die Abgaben für ihren Altar aus den
Eintrittsgeldern der Meister und den Einkünften der Kaven.*)
Welk man de synes sulves werden wil in erem ampte, de schal
gheven unser leven vrowen aise to den knokenhowere altare»
to den lichten unde to anderen stucken, der me dar to bedarf,
vif schillinghe lubesch unde eynen penningh, de schal men anf-
werden den jenen, de dat altar vorstaet") Sie hatten also einen
eigenen Priester und Küster, deren Besoldung hauptsächlich von
den Intraden der Kaven und speziell von wöchentlichen mild-
tätigen Spenden bestritten wurde.') Sie hörten femer gemeinschaft-
lich die Messe, weil sie während der gewöhnlichen Gottesdienstzeit
in ihren Verkaufsbuden weilen mußten dorch bequemicheit willen
der borghere unde der ganteen menheit*)
Nur von einer Bruderschaft innerhalb eines Amtes ver-
nehmen wir in unserer Periode; es ist die der Goldschmiede.*)
Acht Stifter nennt die Urkunde, de de broderschop gemaket unde
') Wchrai. S. 227.
^ Wehrm. S. 263.
•) Wfhnn. S. 4M.
*) Wehnn. S. "AS.
») lt»ve = kl. Schlichtlutii.
•) Wehrm. S. 265.
») Wehrm. S. 2*3.
■> ebenda.
•) Wehnn. S. 4« H.
Die Anßnged« mndva-ks in LQbeck.
I
I
I
gestichtet. Darunter befindet sich auch ein Johannes Oldenborch,
cte schriver. Die Bruderschaft beschränkte sich also nidit allein
auf die Ooldschmiede, sondern auch Leute anderen Standes
■wurden aufgenommen. Über den Zweck der Brüderschaft be-
richtet dieselbe Urkunde weiter: «To ewyghen lyden dach undc
flacht' soll brennen vor dem heiligen Leichname ein Wachslicht,
uppe dal de hillige Lycham sy unse lesle spyse, 1o hulpe unde
lo tröste den seien, de in desser bioderschop sind, unde allen
Christenen seien. Auch Frauen haben Aufnahme gefunden, denn
«s heißt am Anfange der Statuten: we desser brodcrschop begheret
unde dar broder ofle suster inne werden will . . Vielleicht
dürfen wir in den «Schweslem" großenteils Angehörige oder
Vervandte der ubroder", also der Goldschmiede, vermuten.
Diejenigen Mitglieder, welche nicht dem Amte der Qold-
schmiedeangehörten, bildeten die Ausnahme. Jeder, der aufgenommen
zu werden wünschte, muOte zwei Pfund Wachs oder acht Schillinge
entrichten. Die Aufnahme fand statt am Montage nach Frohn-
leichnam, am Tage der jährlichen Zusammenkunft Diese war
fiir alle Mitglieder obligatorisch. An diesem Tage mußte jedes
Mitglied veer Schillinge uthgheven in de bussen to dem liclite.
Erst wenn die Bruderschaft so reich ist, um Renten kaufen zu
können, soSl der Beilrag vermindert werden. Den Vorstand
bildeten twe schaffere, welche das Geld und Gut der Bruder-
schaft in drei Kisten, mit drei verschiedenen Schlössern versehen,
verwahrten. Beide Schaffer muGten anwesend sein, wenn eine
Kiste geöffnet wurde, einer allein durfte sie nicht öffnen. Jedes
Jahr wählte die Bruderschaft einen neuen Schaffer, einer verblieb
im Amte, also dat dat jar zo schal wesen en olt schaffer unde
en nye. Bei wichtigeren Angelegenheiten durfte der Vorstand
die Älterleute zu Rate ziehen und außerdem nocli vier andere
Mitgheder der Bruderschaft. Wer die Bruderschaft um Oeld be-
trog, wurde aus derselben ausgestoßen. Bei Zusammenkünften
wurde ein gesittetes Benehmen verlangt, unbescheidenes Betragen
wurde mit einem halben Pfunde Wachs geahndet. Jedes MitgHed war
gehalten, für seine verstorbenen Mitbrüder ein Vaterunser und
ein Ave Maria zu beteUj ebenso ein Vaterunser und ein Ave
Arebi« fär KulnirgeKlilclite. 1,3. 13
194 Jakob HObkr.
Maria für alle lebenden Mitbriider, dat se God tröste unde starke
in einem guden ievende.
Erst allmählich bildeten sich in Lübeck aus den Ämtern
geistliche Bruderschaften '), welche ihre eigene Rechtssphäre,
ihren eigenen Verwaltungskörper und ihr eigenes Vermögen be-
saßen. Das Vermögen gehörte nicht der Bruderschaft als solcher,
sondern dem Heiligen, dem zu Ehren die Bruderschaft gestiftet
worden war.*)
>) Wehmi. Sl ISO.
■) WdiTiD, S. 265 a. 1385 R. d. KBoehcnhioer: de schtl g^even luuer lerai rrovcn.
Die Klöster des Mittelalto^ im virtschaftlichen Verkehr. 195
Die Klöster des Mittelalters im
wirtschaftlichen Verkehr.
Von RUDOLF GOETTE.
Zu aJIen Ständen haben die Klöster in den mannigfachsten
^rtschaftlichen Beziehungen gestanden. Ihre Bedeutung für das
■staatliche Leben, für Bildung, Kunst, Ackerbau, Handel und Wandel
Tcicht in den vielfältigsten Verästelungen nach allen Richtungen
liin; wollte man sie aus dem mittelalterlichen Leben herausgelöst
■denken, so blieben an Stelle des reichausgestatteten Domes nur
lialtlose Mauertheile zurück.
Die klösterliche Wirtschaftspolitik strebte stetig und erfolg-
TCich nach Vergrößerung des Besitzes, und die Weltanschauung
jenes Zeitalters kam diesem Streben villig entgegen. Den Grund
zu ihrem Reichtum legten Kirche und Klöster unter den Karolingern.
Keiche Landschenkungen und die Verleihung von Einkünften und
l^echten ließen schnell gewaltige mönchische Grundherrschaften
entstehen, die indes zum großen Teil dem Einfluß und der Aus-
nutzung des Reiches unterworfen blieben. Einen Begriff von
der Ausdehnung solcher Gebiete geben folgende Zahlen : Bamberg
in Ostfranken gebietet um 1160 über gegen 600 Hufen, zu
"Weife VI. Zeiten sind es wenig über 1000. Trier besitzt im An-
lang des 13. Jahrhunderts etwa 620 Hufen, das Kloster Metlach
im 10. und 11. Jahrhundert ca. 300, St Marien bei Trier um
1030 etwas über 200; St Maximin bei Trier hat im 12. Jahr-
hundert nach der großen Säkularisation noch über 1000 Hufen,
beinahe ebensoviel das St Liutgerkloster bei Helmstedt
St Emmeran hat um 1031 850 Hufen, St Ulrich in Augsburg
in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts 500, Nienburg zu Anfang
13*
des 13. Jahrhunderts 1650 Hufen in 155 Ortschaften, Gernrode
400 in mehr als 60 Orten. Altenzeil erhält 1 1 62 von
Friedrich I. SÜO reichslehnbare Hufen in Daleminzicn. Hieran
mögen sich sogleich Angaben über die Forderungen reihen,
die nach einem Anschlag für die italienische Fahrt Otto's II. an
die kirchlichen Herrschaften., Bistümer und KlOstcr gestellt wurden;
Mainz, Köln, Straßburg, Augsburg stellen je 100 Panzerreiter,
Trier, Salzburg, Regensbui^ 70, Verdun, Lüttich, Würzburg,
Fulda, Reichenau öO, Eichsladt, Lorsch, Weißenburg 50, Constanz,
Chur, Wonns, Freising, Prüm, Hersfeld, Cllwangen 40, Kempten 30,
Kambrai 12, in Summa 1462 schwere Reiter*). Die Refchsabteien
hatten außerdem regelrechte Abgaben zu liefern. Der Schweine-
zins von Niedermönsler betrug zu Heinrichs IV. Zeilen 70, der von
Obermünster 60 Stück*). Dem starken Gebietszuwachs des geist-
lichen Besitzes wirken allerdings auch bedeutende Verluste, nament-
lich der Klöster entgegen. So wurden schon im Anfang des
10. Jahrhunderts die bayrischen Klöster durch Arnulfs Säkulari-
sationen stark gemindert, und ähnlich verfuhr damals Herzog
Burkard in Schwaben, auch Otto der Große hat bayrische Klöster
beraubt Im Laufe der ^Ceit sind die Reichsklöster mehr und
mehr zusammengeschmolzen; unter Duldung Heinrichs IV. er-
fühlen sie durch Adalbcrt von Bremen bedeutende Einbuße.
Auch die Reformbewegung des 11. Jahrhunderts wirkte darauf
hin, des Reiches Einfluß auf den geistlichen Besitz zu schmälern;
die Klöster der gregorianischen Richtung wollten sich jeder Be-
teiligung am Staalsleben möglichst enthalten. DieSiHe verbreitet sich
Klöster dem heiligen Petrus zu übergeben mit dem Jahreszins
von einer Goldmünze an den Papst, wodurch sie etwaigen An-
sprüchen des Reiches entzogen wurden. Die Schenkungen der
Kaiser an die Kirche hörten seit der Mitte des 11. Jahrhunderts
mehr und mehr aul, wurden aber, was die Klöster betrifft, durch
Überweisungen seitens der Bischöfe und durch Schenkungen
von Privatleuten ersetzt, die während des 11. Jahrhunderts in
großem Umfange stattfinden, an der Wende des Jahrhundc
>) Iiuma — ShratEE. Dnitichc Wlrtsdufneacb. 11, IM I.
^ lädier, OcKhlchlf Biytiiii 1, 737 i.
Die Klösler des Mittelalters im wirtschaftlichen Verkehr.
nachlassen, um dann während des 12. den Klöstern wieder be-
deutende Reichtümer zuzuführen. Die treibende Ursache ist in
dem wachsenden Einfluß der kirchlichen Ideen zur Zeit der
Kreuzzüge zu suchen. Während im Zeitalter der sächsischen
und fränkischen Könige die Schenkungen, dem wirtschaftlichen
Gepräge der Zeil gemäß, meist in Landbesitz bestanden, werden
mit dem 12. Jahrhundert die Einflüsse der Geldwirtschaft bemerk-
bar'); an Stelle liegender Güter treten oft schon Zuwendungen
an Barvermögen. Die große Masse der Landschenkungen be-
steht in einzelnen Hufen, daneben kommen auch gröHere Höfe
und Gruppen von Höfen vor. Der treibende Beweggrund liegt
in der Regel in der Sorge für das Seelenheil. Solche Seelgeräte
sollen dem Schenker oder seinen verblichenen Verwandten un-
mittelbar zu gute kommen; das Mittelalter erkannte nun einmal
in ihnen das beste Mittel, um das Wohlergehen in einer andern
Welt sicher zu stellen. In sehr vielen Fällen werden daher die
Verleihungen an bestimmte Bedingungen geknüpft: Es sollen
Messen für den Geber gelesen, die Brüder oder auch Arme
an bestimmten Tagen in genau vorgeschriebener Weise gespeist
werden, oder es wird wohl auch ein Erbbegräbnis durch die
Schenkung erworben. So vermag ein Ministeriale des Klosters
Obemburg mit Erlaubnis seines Lehnsherrn zwei Hufen für Über-
weisung eines solchen hinzugeben"). Oft ist die Schenkung in
Wirklichkeit ein Verkauf, wie ja die alte Zeit die bedingungslose
Hingabe, die wir danmter verstehen, noch nicht kennt^. So
muß das Kloster Rcichersberg ein als Geschenk überwiesenes Out
mit 120 Pfund Wiener Pfennigen freikaufen, woneben der alte
Eigentflmer noch 10 Pfund erhält*). In vielen fallen ist ftlr
jede Vernachlässigung der Verpflichtungen, die an die Schenkung
geknüpft sind, deren Röckfall vertragsmäßig festgesetzt. Viele
Zuweisungen treten auch erst für spätere Zeit In Kraft; entweder
der Spender vermacht sein Gut ausdrücklich erst nacti seinem
*) LampncM, D. WirtKhjJUIrten t, 3 S. 670 f.
'I Sldf. Utinindcnbuch It, No. 3Tg {um IZ30).
^ Veitf. R. M. Meyer in ZeftKhr. (Cr KulttiTgKch. V, S. laf.
^ A. 1. O. II N. 320.
Ableben, oder er empfängt es vom Kloster sogleich als Lehen
wieder, aber nur für die Zeil seines Lebens — (Prekarienvertrag) -,
oftmals noch durch Klostergut bedeutend vermehrt; oder der
übcrlri^ene Besitz wird ihm und seinen Erben gegen einen be-
stinamten Zins - meist 1 oder 5 Denare, oft auch ein Pfund
Wachs - verliehen. Im allgemeinen waren diese Schenkungen
an die Kirche unanfechtbar; nur unter besonderen Umständen
wurden sie von den nächst berechtigten Erben mit Erfolg bestritten. In
einem Falle machte Kaiser Friedrich I. eine solche Schenkung an
das Kloster Seckau rückgängig, da der Verleiher widerrechtlich
die Güter aus der Mitgift seiner von ihm geschiedenen Gattin
vergeben hatte, und die Geschädigte vor ihm klagte'),
Bei der hier besprochenen Art von Verträgen ist vor allem
der höhere Zweck des ewigen Heiles bestimmend; daneben be-
finden sich aber sehr zahlreiche Abmachungen, die von beiden Seiten
als ein reines Geschäft angesehen werden. Die Klöster sind auch
im weltlichen Sinne Versicherungsanstalten: sie gewährleisten oft-
mals den Verleihern von Landgütern eine Leibrente, eine Ein-
richtung, die von alleinstehenden Frauen häufig benutzt wurde.
Das Kloster Tegemsee entrichtet in einem Falle von einem über-
gebenen Landgutc 10 Schlachltiere, 10 Scheffel Spelt, 10 Scheffel
Roggen und 10 Scheffel Hafer; in einem andern von einer halben
Hufe 2 Rinder oder Kühe, 5 Scheffel Weizen, 2 Scheffel Roggen,
3 Scheffel Hafer; in beiden Fällen zeigt sich der wirtschaftliche
Charakter der Leibrente klar ausgeprägt*). Andere sichern sich
durch Schenkung einer Manse Absteigequartier und Verpflegung
im Kloster. Auch derartige Abmachungen dienten in der R^cl
wohl einer langsamen Vermehnmg des klösterlichen Eigens.
Allerdings mußte die bunte Masse von Leistungen, welche die
Klöster übernahmen, die Einheitlichkeit der Wirtschaft nicht wenig
stören : die Schwerfälligkeit und Buntscheckigkeit des Betriebes
hat eine volle Ausnutzung ihrer Güter selten erlaubt Dazu
kamen die Übergriffe und Bedrückungen der Vögte. Das MitteU
'] Sltlr. Urkundenbuth- I. No. »S.
*) MonumtRU Bolca II. Mon, TcgeratcenM: ClEIni^ Abbu 101T— lOMi
1031 - UMO,
I
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Lan
k
I
I
alter hallt von Klagen über deren Anmaßungen wieder. Mit
<ler Gerichtshoheil (Immunität) war den Klöstern nicht zugleich
die eigene Ausübung der Rechtspflege verliehen worden. Der
König bestellte vielmehr für den Immunitälsbezirk einen welt-
lichen Vogl, da ein Pfalfe nach allem Rechtsgrundsatz nicht
Blutrichtcr sein kann. Diese Vögte übernahmen zugleich den
militärischen Schutz Ihrer Bezirke. Ihnen fiel ein Drittel der
Bußen zu, und außerdem halten sie das Recht der Einquartierung
an Oerichtstagen. Bei dem Einflüsse, den ihre Stellung gewährte,
konnten sie erfolgreichen Druck auf die EIngevogteten ausüben.
Bald werden regelmälüge Abgaben erhoben, die sie immer mehr
zu steigern trachten. Zahlreiche Verordnungen der Kaiser und
Landesherrn suchen dem ein Ziel zu setzen.
Besonders bedeutungsvoll ist hierdasPrivilegiumamplissimum
iedrichs 1. für Tegernsee von 1157. Die Vogtei soll nicht erb-
sein, der Abt vielmehr eine geeignete Person wählen. Unter
Berufung auf ein Gesetz Heinrichs IV. werden dann als jähr-
liche Einkünfte des Vogtes (außer seinem gesetzmäßigen Anteil
an den Bußen) festgesetzt: 2 Scheffel Weizen, 3 Schweine^
3 Krug Meth oder Wein, 10 Krug Bier, 5 Scheffel Hafer,
30 Scheffel Pferdefutter. Die Erhebungen an Getreide bei den
einzelnen Klerikern, Meiern, Mansionariern hatte der Kaiser schon
zuvor untersagt, ebenso Eingriffe in die Verwaltung des Kloster-
gutes sowie Versuche, die Abtwahl zu beeinflussen. Die Ver-
letzung des Privileg wird mit 100 Pfund Buße bedroht').
Heinrich VI. hat 1 IQS die Urkunde erneuert.
Aus gleichen Ursachen bestimmt 1237 der Patriarch zu
Aquileja, ats er die Patronatsreclite der Pfarre Freslau neu ver-
leiht, jede Manse innerhalb der Vogtei solle als Servitium dem
Vogt nicht mehr als eine Metze gemeinen Hafers, 2 Brote und
2 Hühner liefern, außerdem gemäß dem Gebrauche 2 Tage
Feldarbeit auf dem Vogtlande für jeden Bauern^.
Die Tradition von Unfreien an die Klöster zur Zinspflicht
ist eine ungemein häufige Erscheinung. Sie läßt durch ihr
*> MoniuDenta Boica H; Diplomitirium MitctU. S IT] f.
^ Sttir. Cikundoibiia I], Nr. 3».
massenhaftes Vorkommen in allen Urkundensammhingcn bis über
das 12. Jahrhundert hinaus erkennen, daß es für die eigenen
Leute nicht allzuschwer war, ihren Stand zu verbessern. Die
Knechtschaft ist im ganzen milde gewesen, was ja auch Tacitus
von der Urzeit berichtet Bei Eigentums- und Erbschaftsstreitig-
keiten werden die eigenen Leute der Parteien als Zeugen hinzu-
gezogen, Die zur Zinspflicht überwiesenen zahlen meist jährlich
einen oder fünf Denare, selten mehr. Im allgemeinen gilt als
Grundsatz, daß bei dreimaligem Ausbleiben des festgesetzten
Zinses Verkncchtiing eintritt; oftmals ist dies besondere festgesetzt,
bisweilen auch der tJbergebene vertragsmäßig gegen jede Ver-
schlechterung seines Standes geschützt Dem Ade! diente die
Einrichtung ais bequeme Art, seine Kebsweiber und unehelichen
Kinder unterzubringen, die nach dem größeren oder geringeren
Grade der Zärtlichkeit der Vcrknechtung überlassen oder durch
Ausstattung mit einer Mause als Unterpfand des Ziuses geschützt
wurden. Die Übei^be bezog sich naturgemäß immer auch auf
die Nachkommenschaft; nicht immer ist der festgesetzte Zins als
Kopfzins gedacht; es wird mehrfach besonders bestimmt, daß die
Nachkommen insgesamt niemals mehr als die einmal festgesetzte
Abgabe entrichten sollen. Im allgemeinen herrscht großes Ver-
trauen zur Gerechtigkeit und Milde der geistlichen Herrschaft
Auch Frauen edlen Standes ergeben sich, um Schutz und Sicher-
heit zu finden, mit einer jährlichen Abgabe von 5 Denaren in
die Zinspflicht und unterziehen sich der Bestimmung, daß sie bei
mehrmaligem Ausbleiben der Abgabe der Knechtschaft verfallen. ')
Eine höchst bemerkenswerte Erscheinung ist die Aufnahme
von Laien in die Brüderschaften der Mönche. Vereinzelt hat
dergleichen schon unter den Sachsenkaisem staltgefunden, aber
erst die alles umwühlende kirchliche Reformbewegung des 1 1. Jahr-
hunderts bewirkt es, daß sich die Mauern der Klöster mit Kon-
versen freien Standes erfüllen. Zu einer Zeit, wo die Land-
sclienkungen vorübergehend beinahe gänzlich aufhörten, während
des Bürgerkrieges unter Heinrich IV., erachteten es nach Bemolds
Bericht (zu 1083). die, welche einst in der Welt Grafen und
>) MonumcnU Boin U. Cod. Trad. TegemM«. Abt Raodpcrtut 1154—1180.
I
Aiarkgrafen gneescn, für das größte Vergnügen, in der Küche
oder in der Mühle den Brüdern zu dienen oder ihre Schweine
zu hüten. Um 1091 entstanden nach demselben Chronisten be-
sonders in Allemannien ganze Laiengenossenschaften, die sich an
<Jie Mönche anschlössen, nach ihrer Weise lebten und ihr Vermögen
den Klöstern übergaben. Die Bedeutung dieser Brüderschaften
irar während des 12. Jahrhunderts im Wachsen; es werden ver-
schiedene Grade unterschieden, Laienbrüder, welche in die plenaria
fraternitas eintraten, übernahmen damit sämtliche Pflichten der
/Wönche. Nachtwachen, Gebete, Kasteiungen, Fasten, Armenpflege')
usw., während andere sich mit der GebetsgemeinschafI be-
gtiügten und sich besonders dem äußern Dienst zuwandten. So
strömten den Stiftern neben dem Gewinn an beweglichem Out
■^wertvolle Arbeitskräfte zu; dem Konvent der iVlönche gesellte sich
«n Laienkonwnt zu, und die Laien erlangten bald in der klöster-
lichen Wirtschaft wci^ehenden Einfluß; sie zeigten sich naturge-
tmiß in der Führung weltlicher Geschäfte den Mönchen überlegen,
und mehrfach kam die Verwalhmg vorzugsweise in ihre Hände.*)
Die zahlreichen gescliäft liehen Akte der klösterlichen Ver-
'V^ltung, welche den Menschen als Ware betreffen, geben ein Bild
■von der Wertung der nicht vollfreien Persönlichkeit im Mittelalter.
Eigene Leute, die einem geistlichen Stift gesclienkweise in gleicher
Eigenschaft übergeben wurden, durften dies wohl in den meisten
Fällen als eine Verbesserung ihrer Lage begrüßen; solche Übertrag-
ungen sind neben der Übergabe zur Zinspflichl sehr häufig. Leute
unfreien Standes waren nicht nur in der Eheschließung gebunden,
-wie sich das ja auch in den Verhältnissen der Ministerialen bis
zum Ende des 13. Jahrhunderts zeigt, ihre Verbindungen ge-
wannen überhaupt keine eigentliche Rechtskraft. Die Hörigen
verschiedener Herren durften sich nicht ohne deren Erlaubnis
heiraten; milde Gebieter ermöglichten bisweilen die Ehe durch
*1 Stdr. Urkundenbuch 1, N. 236 lum 1150]. Cln In die LafcnefnaumictiAn da
l'RlMtn» Scckau elnl7«lmdcs Ehepuir rdkr Herkunft «Ird VTTpflichlrt : ul vigiliai, tcpol-
' teup, inJ«ui, pulmi, dominic». oratton«, cleinA*lciin 30 di'miTn, carperalem ditciplitikm,
' «^liinriinn. irimurium. uiDivenarium et niftsionci brcvium ti >11)l daustn ds uhibert
MVtrinl 111 cnilibM cuionlco et fnlil in Srccoe coiunvicDU-
■) Lupnchl, •. ■. O. I, : S. 690 1
Obergabe des einen Teils an den Besitzer des andern. Manchmal
ward der Hörige zu diesem Zwecke dem Herrn mit Geld abge-
kauft; derart erwirbt eine Frau aus der familia des Klosters
Tegemsee ihren Gatten von seinem Senior und übergiebt ihn
ihrem Kloster zur Zinspflicht; die Herstellung der Slandesgleich-
heit mußte erst die Ehe ermöglichen.') Kommt ein eheliches
Zusammenleben zwischen den Hörigen verschiedener Senioren
zustande, so werden die Kinder geteilt Ein fidelis von Benedikt-
beuren, der sich außerhalb der Genossenschaft der Klosterleute
verheiratet hat, kauft deshalb seine beiden Knaben um 2 Schillinge
zurflck (Mitte des 13. Jahrhunderts),») In einem andern Falle
erlangt es ein Mann, der in die Familie des Klosters Oberaltaich
aufgenommen zu werden wünscht, aber eine Frau anderswoher
genommen hat, daß seine Gattin von sdneni Stift gegen ein zu
gleichem Satze (5 Denare) tribuJpflichtigesWeib eingetauscht wird.^
Der kirchliche Großgrundbesitz hatte dasselbe Schicksal
wie überhaupt die mittelalterliche Grundherrsdiaft Er verfiel
schon seit dem 1 1 . Jahrhundert einer verhängnisvollen Zer-
splitterung, die schließlich in völlige Zersetzung überging. Die
mittelalterliche Wirtschaft litt in größeren Besitztümern an schwerer
Unbehilflichkeit; die Herrschaft erwies sich mehr oder weniger
zur vollen Ausnutzung ihres Eigentums unfähig, und dadurch
zeigt sich immer wieder ein Zurückstreben zum Bau in einzelnen
wirtschaftlich selbständigen Hufen. Die Kirche hatte einen nicht
geringen Teil des herrenlosen Landes, über welches das König-
luni verfügte, aufgesaugt. In den Zeiten der sächsischen und
fränkischen Kaiser genoß das Königtum die Zinsen dieser Auf-
wendung; mit dem hierarchischen Streit tritt aber eine allmähliche
Entfremdung ein. Friedrich I. war der letzte Kaiser, der den
kirchlichen Besitz kraftvoll für den Reichsdienst auszunutzen ver-
stand. Im 13. Jahrhundert hört die Verfügung über ihn fast völlig
auf, das Kaisertum wird auch von dieser Seite schwer geschädigt
<) Moti. Buica VI. 11 Jahrhundert
*l Man. Bold VII.
*) Mon. Bolea XII, Oxlu traditlDnum N. XVtl.
Die Mystik in sozialer Bedeutung.
Die Mystik in sozialer Bedeutung.
VON TH. ACHELIS.
Der {raurige Irrtum der Aufklärung, die Religion sei eine
zveckmäßige Erfindung schlauer, herrschsüchtiger Priester, um
die brutalen Instinkte der Menschen zu zügeln, ist freilich längst
überholt; hu deutlich reden die Tatsachen einer unbefangenen
Erfahrung, wie sie seitdem die exakte, vergleichende IForschung
auf allen Gebieten des religiösen Lebens zu Tage gefördert hat,
als daß, wenigstens in der kritischen Betrachtung, sich ein solcher
Wahn noch länger hätte halten können. Um so trauriger sieht
es aber in dieser Beziehung in den breiten Schichten der ge-
bildeten Gesellschaft aus, die wie Emerson mit Recht sagt, ent-
weder gedankenlos an den überlieferten Formeln festhält, wobei
denn ein pfauenartiges Zurschautragen von Kirchengebräuchen
and gottesdienstlichen Verrichtungenj verbunden mit Rückfällen in
den römischen Papisitius, hervortritt, oder umgekehrt sei es in
einem konsequenten Radikalismus schwelgt, sei es in einem stumpfen
Indifferentismus erstarrt Das unausbleibliche Ergebnis ist eine
mehr oder minder allgemeine Religionslosigkeit und ein immer
fesler wurzelnder Materialismus. Nur an einzelnen und zwar
kräftigen Symptomen merkt man jetzt eine verheißungsvolle
energische Reaktion, die wieder gegenüber altem hergebrachten
Trödel nach persönlicherVerinneriichung fragt und damit uns das
große Problem vom Sinn des Lebeng nahe rückt
Man mag sich dogmatisch stellen, wie man will, und Gott
sei Dank bildet sieh allem Anschein nach in dieser Hinsicht eine
immer freiere Anschauung und Duldung abweichender Ansichten
heraus, soviel ist für jeden unbefangenen Beurieiler der ganzen
Frage klar, ja selbstverständlich, daß Religion in ihrem Ursprung
nicht das zufällige Produkt irgend eines subjektiven Gedanken-
ganges, sondern im Oegenleil ihrer ganzen Anlage nach das
organische AbbÜd einer großen, umfassenden sozialen Bewegung
ist Es wäre töricht, uns gleich im Beginn unserer Untersuchung
den richtigen Einblick in diese Entwicklung religiöser und
mystischer Gefühle zu verbauen durch elwaige Diskussionen über
den Begriff der Religion und durch die damit meist verknöpfte,
recht verfehlte Frage über religionslose Völker. Hier hat offen-
bar mehr als die bloße psychologische Erwägung das Studium
der Völkerkunde Wandel geschaffen und die richtige Perspektive
erschlossen, so daß wir von diesem Punkt aus mit unserer Dar-
stellung beginnen werden. Vorweg sei dann gleich bemerk-t, daß
für den Ethnologen, der sich ohne vorgefaßte Meinung und den
Zwang der Theorie lediglich an das vorliegende Material hält,
Religion, Mythologie und Kultus ein untrennbares, in einander
fließendes Ganze bilden, so daß auch wir in dieser Beziehung
keine scharfen Grenzen beachten werden. Auch die Mystik, so
sehr sie ursprünglich nur eine Qefühlserregung ist, strebt in
ihrer äußeren Wirksamkeit und Ausbreitung nach einem System
und nach einer, sei es auch noch so schwachen Organisation. Sei
es im Priestertum, sei es in loseren Genossenschaften, sei es end-
lich in gewissen mehr oder minder tiefgreifenden kulturgeschicht-
lichen Einflüssen bricht die bis dahin verhüllte soziale Natur
der Mystik, wie wir uns noch weiter fiberzeugen werden, zu
Tage. Suchen wir uns zunächst durch eine flüchtige Umschau
Ober die Entstehung derselben bei verschiedenen Völkern zu
orientieren, um uns dann einer psychologischen Prüfung ihres
Wesens zuzuwenden.
Bei dem äußerst fein organisierten liellentschen Volk ist
es der Dionysoskult mit seinen wilden aufregenden Tänzen, die
zu einer völligen Raserei führten und anderseits zu bedeutsamen
Enthüllungen der Zukunft den von der GotUieit Begeisterten be-
fähigten, was zunächst unsere Aufmerksamkeil fesselt. Alle Einzel-
heiten dieses Vorganges und die höchst bedeutsamen Parallelen
bei den Naturvölkern (dahin gehört u. a. audi die dabei er-
folgende Heilung von Krankheiten) beweisen för einen unbe-
Die Mystik in sozialer Bedeutung.
*
tangcncn Beobachter, daß wir es hier nicht etwa mit berechnender
Willkür, ja auch nicht einmal ausschließHch mit lediglich per-
sönlichen Dispositionen einzelner zu tun haben, sondern mit
«iner großen weitx'erbreitcten, unwiderstehlichen religiösen An-
schauung, die in dieser Ekstase ihren konkreten Ausdruck findet.
Aus unerforschten Tiefcnj schreibt Rohde, muß die Bewegung
rdigiösen Verlangens mit Macht hervorgebrochen sein, die mitten
im Herzen der griechischen Religion in der ekstalischen Weis-
agung der Delphischen Seherin einen mystischen Keim einpflanzen
Itonnte. Die Einführung der Ekstase in den geordneten Bestand
des delphischen Religionswesens ist selbst nur ein Symptom einer
solchen Bewegung, nicht ihre Ursache. Nun aber, bestätigt durch den
Ootl selbst und die Erfahrungen, welche die delphische Mantik
vor Augen zu rücken schien, mutWe, wie längst im dionysischen
Glauben und Kult, auch in echt und ursprünglicher griechischer
Religion der dieser von Anfang an fremde Glaube sich vollends
befestigen, daü ein Zustand der aufs höchste gespannten Em-
pfindung den Menschen Qber den eingeschränkten Horizont
seines gewöhnlichen Bewußtseins zu der Höhe unbegrenzten
Schauens und Wissens emporreißen könne, daß menschlichen
Seelen die Kraft, auf Momente wirklidi und ohne Wahn mit dem
Leben der Gottheil zu leben, nicht versagt sei. Dieser Glaube
ht der Quellpunkt aller Mystik. (Psyche, Seelenkult und Un-
slerblichkeitsglaube der Griechen 11, 62.) Nachträglich bemächtigte
sich dieser unbewußten Regungen und Affekte der menschlichen
Seele freilich die kluge Spchilation der Priester, die mit dieser
Inspiration und Vision ihr Spiel trieb und an der Leichtgläubigkeit
der wundersüchtigen Menge ihre starke Stütze fand. Selbst die
eigentliche Mystik, der es zunächst nur auf die Verinncriichung
des Gefühls und auf eine damit verknüpfte Erneuerung des
ganzen Lebens in der Vereinigung mit der Gottheit ankommt
(vermöge der bekannten unio mystica) hat sich trotzdem nicht
ganz sozialer Beziehungen entschlagen können, sei es durch die
in der Form der Wiedergeburt gegebenen Vorbilder für andere,
sei es durch bestimmte Orakel oder Offenbarungen oder auch nur
durch Erteilung bestimmter Maßregeln für das praktische Leben,
- die Geschichte der chrisJlichen Kirche lieferl in dieser Be-
ziehuTig von den Gnostikem an bis auf Jac Böhme dafür die
mannigfaltigslen Belege. Viel augenfälliger sind die in Zeiten
religiöser Erregungj unterslülzt durch anderweitige allgemeinere
Ursachen, wie verheerende Seuclien und andere Erschütterungen
der Gesellschaft, auftretenden Erkrankungen des Volksorganismus,
die mit unwiderstehlicher Wucht alle Schichten der Bevölkerung
ergreifen und sich in furchtbaren Expansionen Luft machen.
Hier läßt sich die unheimliche Maclit eines psychischen Contagiums,
das letzten Endes rein mystisch ist, aus den unberührten Tiefen der
menschlichen Seele emporgestiegen, anschaulich beobachten. Dahin
gehört z. B. die am Ende des 14. und Anfang des 1 S.Jahrhunderts in
Deutschland und den angrenzenden Niederlanden ausbrechende
Tanzwut, deren hier nach der gründlichen Untersuchung Heck«s
mit einigen Worten gedacht sein möge. Noch waren
die Nachwehen des schwarzen Todes nicht verwunden
und die Gräber so vieler Millionen kaum eingesunken, als in
Deutschland ein seltsamer Wahn die Gemüter ergriff, und der
göttlichen Natur des Menschen hohnsprechend, Leib und Seele
in den Zauberkreis höllischen Aberglaubens zog. Es war eine
Ver7ückungf welche den Körper wunderbar durchraste und länger
als zweihundert Jahre das Staunen der Zeitgenossen erregte, seit-
dem aber nicht wiedergesehen worden isL Man nannte sie den
Tanz des heiligen Johannes oder des heiligen Veit, bacchantischer
Sprünge wegen, mit denen die Kranken im wilden Reigen
schreiend und wutschäumend den Anblick von Besessenen dar-
boten. Sie blieb nicht auf einzelne Orte beschränkt, sondern
verbreitete sich, vorbereitet durch die herrschende Sinnesart, über
ganz Deutschland und die nordwestlich angrenzenden Länder
durch den Anblick der Leidenden wie eine dämonische Volks-
Krankheit. Zuletzt verjagte man diese unheimlichen Gäste, die den
Beschwörungen der Priester wie den Heilmitteln der Arzte gleich
unzugänglich waren (die Tanzwut, eine Volkskran khett im Mittel-
alter, Berlin 1832 S. 171). In denselben Rahmen gehört die bei
den Abessinicm ausbrechende Tanzwui, genau mit denselben Er-
scheinungen, oder der am Ende des 15. Jahrhunderts in Apulien
p
p
*
auftretende Tarantismus (die Furcht vor dem Bisse der giftigen
Spinne, begleitet von rasenden Tänzen), die Geisslerbüfiungen
und Prozessionen, die Konvulsionärs in Frankreich (am Anfang
des 18. Jahrhunderts), die sogar die französische Revolution über-
dauerten, die Sekte der englischen Jumpers oder Springer, bei denen
die durch den exaltierten Prediger den Gläubigen auf dem Wege
der Suggestion mitgeteilte Erregung alle Anwesenden ergriff, so
dass kein Aller und Geschlecht vom Übel verschont blieb, da-
hin gehört endlich, um noch ein bekanntes Beispiel epidemischer
Massensuggestion namhaft zu machen, die hochgesteigerte Sensi-
bilität, welche den Kreuzfahrern zu ungeahnten Erfolgen verhalf.
Besonders drastisch ist die Szene der Auffindung der heiligen
Lanze in Anliochia, wo bei äußerster Spannung und Erwartung
der Gemüter gegen Anbruch der Nacht noch einmal der Versuch
erneuert wurde. Während nun, vie Stoll erzählt, die Zeugen
betend am Rande der bereits über 12 Fuß tiefen Grube knieten,
sprang Barth^lemi in dieselbe hinab und kam nach kurzer Zeit,
die heilige Lanze in der Hand haltend, wieder zum Vorschein.
Ein Freudengeschrei erhob sich unter den Zuschauem^ und die
Begeisterung teilte sich dem ganzen Kreuzheere mit, so daß auch
die vorher Zaghaftesten wider den Feind geführt zu werden
verlangten. Und derart war die von diesem mystischen Eifer
bewirkte Begeisterung, daß die Christen, die unter den mißlichsten
Umständen fochten, einen glänzenden Sieg über die Sarazenen
davontrugen. So erstaunlich erschien selbst den Muhamedanern
der Sieg von Anliochia, daß ihrer mehrere Hundert den Islam
verließen und zum Chrislenhim übertraten, weil sie fortan den
Gott der Christen für den wahren Gott hielten (Suggestion und
Hypnotismus in der Völkerpsychologie Leipzig 1894 S. 287).
Diese Massensuggestion trat auch in den wunderbaren Kinder-
icreuzzügcn hervor, wo keine Drohung und Abmahnung, keine
Gewaltmaßregeln und Zwang die unheimliche Bewegung be-
meistem konnlen: umgekehrt, wie meist, gewann die Erregung und
Begeisterung nur noch mehr an Umfang und Tiefe. Demselben
mystischen Boden sind, um auch diese unheimliche Erscheinung
noch anzuführen, die Hexenideen entsprossen, bei denen vollends
wie alle zeitgenössischen Schrifteteller berichten, sich eine un-
widerstehliche Ansteckung beobachten läßt Wir beziehen uns
hier auf das kompetente Urteil Bastians, der vom vergleichend
psychologischen Standpunkt aus sich folgendermaßen darüber
ausläßt: Die Reisenden, die diese Verirrungen der Naturvölker
beklagen (es handelt sich um afrikanische Zauberpricslcr), die
ihnen oft die Bruderhand reichen möchten, vergessen gewöhn-
Hdi zu erwähnen, daß wir uns kaum der Herrschaft derselben
Prinzipien entwöhnt haben und daß sie nie zu entsctzh'chercn
Greueln führten als im gesitteten Europa. Wohl mag ein unheim-
hches Grauen den Leser beschleichen, wenn er die Geschichte der
Hexenprozesse aufschlägt, wenn ihn die mephittschen Dünste jenes
Höllenpfuhies der abstrusesten Wirrheiten, der widrigsten Mon-
strositäten betäuben, wohl mag es ihm grausen, wenn er bedenkt,
wie wenige Generationen verflossen sind, seit ihre dicke, schwüle
Atmosphäre den normalen Horizont der Gesellschaft bildete.
Daß noch heute in der Masse des Volkes die bei den Wilden
als Fetischdienst bezeichneten Ideen Verbindungen fortwirken, davon
kann sich jeder aus Gerichtsverhandlungen katholischer wie
protestantischer Länder zur Genüge überzeugen, aber bis zur
neueren Zeit war es die Klasse der Gebildeten selbst, die von
ihnen beherrscht wurde, und gerade beim Anbruch der auf-
klärenden Morgenröte tauchte die europäische Civilisation, das
seit dem Altertum gehätschelte Kind der Geschichte, noch einmal,
tiefer als je, in das wüsteste Chaos des Unsinns unter. Der
Neger wird selten anders aus seinem Stumpfsinn aufgerüttelt, als
wenn das große Verhängnis seiner eigenen Existenz sich seinen
Augen darstellt, wenn er den Tod sein Opfer fordern sieht; dann
springt er auf und hofft Blut mit Blut zu sühnen. Aber soll ich
hier jene jammervollen Albernheiten wiederholen, jene Klatschereien
der MiLchkammem und Spinnstuben, die unseren an dem Verständ-
nis ihrer staubigen Folianten herumklaubenden Richtern genügten,
um altersschwache Frauen, kranke Blödsinnige, unmündige Kinder
ihren Familien zu entreißen, zu martern und foltern, dem grau-
samsten Tode zu weihen? Soll ich jene wahnwitzigen Disser-
tationen erörtern, die verlangten, die Scheiterhaufen auf den
I
p
.Marktplfltzen der Universitäten anzuzünden und Hunderttausende
-von Unschuldigen hinzuschlachten ? Noch 17S3 leuchtete der
«düstere Schein ihrer Fackeln auf deutschem Boden (San Salvador,
Bremen 1859, S.92).
Welche Schlüsse haben wir nun aus diesen Tatsachen,
«Jeren Fülle und Vielseitigkeit hier nur in den ailgenieinsten
IJmrisscn angedeutet werden konnte, auf das Wesen der Mystik
«jnd insonderheit ihre etwaige soziale Bedeutung zu ziehen?
X)a alle Mystik, einerlei welche besondere Formen sie später
.annimmt, die ausgesprochene Vorherrschaft des Gefühls, unbe-
-^pußter Rc^ngen, der Neigung zum Unendlichen voraussetzt, so
"^rd dadurch nur ru leicht das natürliche geistige Gleichgewicht
an uns gestört, so daß, wie unsere Übersicht schon andeutet,
snanche ungesunde Erscheinungen, ja geradezu krankhafte Aus-
-^irüchse sich bilden. Männer, wie z. B. Jacob Böhme, voll tieften
religiösen Empfindens und Sehnens, der sich nur als unwürdiges
<jefäß göttlicher Offenbarung betrachtete und dabei mit pein-
licher Genauigkeit und Sorgfalt seine häuslichen Pflichten und
Obliegenheiten wahrnahm, so daß man fast von einer gebrennten
Buchführung zu sprechen versucht wäre, sind verhältnismäßig
selten. Für gewöhnlich stumpft der unentwegt auf das jenseits
gerichtete starre Blick dieser schwärmerischen Naturen sehr be-
Xreiflicher Weise den Sinn und das Interesse für die hausbackene
*\t'irklichkcit ab. Aber es wäre doch voreilig, die kulturgeschicht-
lichen Segnungen der Mystik zu vergessen; ohne die Mystik
des Neupi-thagoreismus wäre, wie Ed. v. Hartmann erklärt, nie
das Johanncische Christentum entstanden, ohne die Mystik des
Mittelalters wäre der Geist des Christentums im katholischen
Gottesdienst und scholastischen Formalismus untergegangen, ohne
die Mystik der verfolgten Ketzergemeinden seit dem Anfange des
II. Jahrhunderts, die trotz aller Unterdrückungen immer wieder
mit erhöhter Kraft unter anderem Namen von neuem entstanden,
hätten nie die Segnungen der Reformation die finsteren Schatten
des Mittelalters verjagt und der neueren Zeit die Tore geöffnet;
ohne die Mystik in dem GemDt des deutschen Volkes und in
den Heroen der neueren deutschen Dichtung und Philosophie
ARklv Mr KultniEnchtchU. 1, 2. 14
wären wir von dem seichten Triebsande des französischen
Materialismus schon im vorigen Jahrhundert so vollsländig über-
schwemmt worden, daß wir, wer weiß wie lange, die Köpfe nicht
wieder frei bekommen hätten (Philosophie des Unbew. 5. Aufl.
S. 310). Freilich der Erkenntnis dürfen wir uns nicht verschließen,
daß die krankhaften Formen der Mystik, die absichtlichen Über-
reizungen des normalen Zustandcs und Bewußtseins mit all ihren
unheimlichen Konsequenzen auch das stärkste Gift und den ge-
fshrlichsten Ansteckungsstoff in sich tragen; dieser dämonischen
Verführung erliegen die Menschen gewöhnlichen Schlages (noch
ganz abgesehen von den egoistisch gemeinen Instinkten, die da-
bei, wenigstens häufig, entfesselt werden) am leichtesten. Aber
wenn wir anderseits die edelsten und zartesten Blüten des mystischen
Geistes insAugefassen und unter Beiscitelassenjeder ethnographischen
Eigenart den gemeinsamen Charakter, das Typische dieser Richtung
untersuchen, so sind diese Erhebungen Über den gewöhnlichen
Standpunkt des empirischen Ich, diese Ekstase der Heiligen^ dies
Einswerden mit der göttlichen Macht auch von sozialer Bedeut-
sflmkeit.') Vergleichen wir die indischen Fakire, die Mönche auf
dem Berge Athos (bekannt unter dem Namen der Hesychasten
oder Omphalopsychiten), die buddhistischen Heiligen, die un-
unterbrochen das heilige Wort Om wiederholen, die Berichte
über die spanische Nonne Theresia von Jesus (IG. Jahrb.), von
Jacob Böhme u. a., so handelt es sich stets um eine Ertötung des
Willens, um eine Lähmung des normalen Wechsels der Vor-
stellungen, die das menschliche Bewußtsein erfüllen, um so für
himmlische Offenbarungen zugänglich zu werden. Aber eben da
dies intuitive Erfassen höchster Wahrheiten durch die Vision
oder Inspiration oder irgend einen anderen übernatürlichen Vor-
gang stets und ständig sich auf die religiöse Welt beziehlj also aus
dem Kreise der reinen Erkenntnis und Wissenschaft heraustritt,
Bo gewinnen damit diese Gedanken und Gefühle eine praktische
Tendenz und Anwendung. Die stark ausgeprägte soziale Natur
n Vi^. beifigikh da DeUlli «Ine Schrindei Verf.i Die EkfUie tn llirvr kulrurtila
Bedailung. Berlin, Hidc, twn
Die Mystik in soziali»' Bedeutung.
*
P
des Menschen, die in jeder geistigen Betätigung nach einer mehr
cxJer minder starken Wechselwirkung verlangt, macht sich auch
bier geltend, und nur aus dem sehr einleuchtenden Grunde unter-
bleibt meistens ein nachweislicher breiler sozialer Einfluß, weil
eben die wenigsten Menschen im stände sind, Symbol und Idee
zu trennen und sich überhaupt zu der erforderlichen Höhe der
Anschauung aufzuschwingen. Alle großen Religionsstifter waren
im Kern ihres Wesens Mystiker, aber das gewöhnliche Volk ver-
mag sich nur an gröberer, stärkerer Kosl zu sättigen. Der Ge-
•danke des Nirwana, d. h. des Eingehens der individuellen Existenz
in das All und damit das Verschwinden des persönlichen Daseins
äst durchaus mystisch, nur denkbar auf Crund einer höchst ge-
steigerten, völlig unegoistischen Gefühlsregung, aber wie ist
diese feinsinnige Spekulation verunstaltet und vergröbert durch
«lie spätere theologische Behandlung! Deshalb sagt v. Hartmann
•Mn\t Recht: Wer die Symbole der Religion wieder bloß als Symbole
■^ersieht und die hinter ihnen wohnende Idee ergreifen will, der
tritt aus der Rehgion als solcher heraus, welche Buchstaben-
Glauben an die Symbole verlangt und verlangen muß, und
'Wird wieder Mystiker; und dies ist der gewohnliche Wegj auf
^welchem der Mystidsmus sich bildet, indem hellere Köpfe an der
historisch gegebenen Religion ein Ungenüge finden und die
lieferen Ideen erfassen wollen, die hinter den Symbolen derselben
wohnen. Man sieht jetzt, wie nahe verwandt Religion und Mysticismus
sind, und wie sie doch etwas prinzipiell Verschiedenes sind; man
sieht auch, warum eme fertige Kirche der Mystik immer feindlich
sein mu6 (a. a. O. S. 3 1 Q). Ganz besonders aber zu Zeiten ge-
waltiger innerer Krise, auch als Reaktion gegen einen über-
mächtigen äußeren Zwang, der auf dem geistigen Schaffen einer
Epoche lastet, bricht die Gewalt mystischer Gefühle, die eben
zunächst unter Ausschlutl des gegebenen sozialen Zusammen-
banges die Verinnerlichung des Menschen erstreben, das Unend-
liche uns nahe bringen^ unwiderstehlich hervor, um je nach Lage
der Umstände Schaden oder retchen Segen über die Völker zu
bringen. Daß auch wir Erben und Vertreter der stolzen Natur-
wissenschaft noch heutiges Tags solchen revolutionären Oährungen
14«
und Expansionen ausgesetzt sind, möge schließlich ein kurzer
BHck auf die Gegenwart zeigen.
Im Jahre 1879 veröffentlichte der Naturforscher und
Philosoph Fechner ein Buch, betitelt: Die Tagesansicht gegenüber
der Nachtansicht, das einen Sturm der Erregung, ja zum Teil der
Entrüstung hervorrufen sollte, da man meinte, der strenge wissen-
schaftliche Denker habe, mit seiner Vergangenheit gebrochen
und seine bisherigen kritischen Arbeiten, die ihm einen Weltruf
verschafft, im Stich gelassen. Und in der Tat war es unerhört, daß
die moderne Atomistik hier scheinbar mit der Mystik sich in einen
Kompromiß einließ und sich wenigstens fiir die letzte Lösung der
Welträlsel als völligincompetenterklärie. Für einen schärferen psycho-
logischen Blick stellte sich diese Schrift aber als ein Vorstoß gegen den
landläufigen, fast möchte man sagen unverbesseriich dem Menschen
im Blut sitzenden Dualismus heraus, der die ganze Welt in zwei
sich scharf gegen Qberslehende Hälften zerlegt, in das empfindende
Ich und die tote Natur. Darüber hinaus hat die Mystik aller
Zeiten, bald mehr religiös, bald mehr spekulativ- philosophisch,
]e nach dem Stande der sonstigen geistigen Entwicklung im
Monismus einen höheren Einigungspunkt zu erreichen gesucht.
Wir wollen damit durchaus nicht den Spiritismus, der sich an diese
Bewegung anschloß, rechtfertigen, sondern wir konstatieren nur
ganz einfadi die Richlungslinie dieser Sehnsucht nach dem Un-
endlichen, wie man die Mystik vielleicht nennen dürfte. Es ist
bekannt, wie mächtig diese Strömung auch neuerdings das religiöse
Qebiet befruchtet und den Blick von den Dogmen und Formeln
auf eine wahrhafte Verinnerlichung des Gefühls und eine Um-
wandlung des geschichtlichen Gehalts unseres Glaubens gelenkt
hat. Auch unsere Literatur legi nach verschiedenen Richtungen
ein beredtes Zeugnis von dieser tiefgehenden Umgestaltung ab;
es ist wahrlich kein Zufall, daß der moderne Naturalismus neuer-
dings den Symbolismus bevorzugt, daß das uralte Wunderland
des Märchen9 wieder aufgesucht wird und so von allen Seilen
her eine Neu-Romantik emporschießt. Gewiß werden diese An-
sdiauungen und Ideale wieder verblassen, aber daß sie über-
haupt nur eine Zettlang in unserem angeblich so nüchternen.
J
Die Mystik in sozialer Bedeutung. 213
exakten Zeitalter zur Geltung und zur Herrschaft gelangen
Iconnten, ist ein untrügliches Kennzeichen für die unbesiegliche
i4acht mystischer, d. h. transcendenter, aber darum doch sozial
liöchst bedeutsamer Ideen.
\
Selbstbiographie des Stadtpfarrers
Wolfgang Ammon
von Marktbreit (f 1634).
Mitgeteilt von FRANZ HÜTTNER.
II.
Es hat diese andere meine Hauselire kein Kind (wie gern
wirs beede auch geselten und drutn gebetet) mit mir gezeugt,
hat aber meine erete Kinder Heb gehabt und behalten, (leissig
unter der Zucht helffen halten, zu aller Gottesfurcht und weib-
liclien Tugenden und guten Künsten so zum Hausshalten ge-
höm, ohn Unterlass angewiesen, uffgepflanzt und zu aller Erbar-
keit gewehnet
Sich Selbsten auch rein und gern allein oder im Haus ge-
halten, nicht uff den Marckt, nicht in die Mez, nicht in Becken-
häuser, nicht in andere Schwazörter [fol. 69] gangen oder kommen,
einen jeden wohl ungeinet gelassen und um anderer Leute Hauss-
halten, essen oder Trincken sich nit viel bekümmert, ihre Kirchen
besucht, Gottes Wort und sonderlich auch die Passion Christi
lieb gehabt, das Heilig Abendmahl mit Lust besucht. Ist zwar
auch eine gebrechliche Sünderin gewesen, aber dieselbe Mängel
erkannt, bekannt, Gott um Gnad durch Christum getreten und
erlanget, auch stetigs das Leben in Besserung gerichtet, und weil
die Wiz nil vor Jahren kommt^ von Tag zu Tag sich besser in
die Händel funden, demüthtg, geduldig gewesen, wohl trösten
können, aller Hexerey und Teuffelwerck Todfeind. Armea Lcuth
sich allezeit, so weit das Vermögen sich erstreckt, angenommen,
aller Leichtfertigkeil abholt, verziehen und vergeben können auf-
richtig, Unzucht feind und wo Ihr (als einem säubern schAnen
Weib) etwas unerbares angemuthet (wie es dann immer Teuffels-
Selbstbiographie des Stadtpfarrors Wolfgang Ammon etc. 215
Idnder gibet) mir dasselbe wissitch gemacht, wann es gleich vor-
nehme Personen gewesen, elirlicde Geseilschafft geliebet, gerne
schwarze Kleider und lange angelragen, jedermann das seine ge-
gdnnet, meiner gegen das zu nahende Alter wohl gewartet mit
krifftigen Speise und Tranck, soviel der Beutel leiden niö};i;n.
Mal sich nit überlruncken, das Vieh lieb gehabt, auch grossen
Nuzen davon erhoben, viel Pfening aus dicker Milch, Buttermilch,
früem Obst, Weichsel und andern Dingen, so sie erspart, wie
auch aus Garten Gewächsen gelöst, ein Stiegen auf die ander
abgeloffen, ob Sie wohl einen Schaden am Schenckcl (welches
wenig Menschen gcwust) gehabt und viel daran erlitten. (Derselb
Schaden ist anno 28 geheilet.] Ist also mit vielen herrlichen
schönen Tugenden, welches der beste Schmuck am WeibsbiEd ist,
von Gott dem allmächtigen begabt gewesen.
[fol. 71.] Ihre ausgestandene Beschwerden und Kranck-
heiten sind fol. seqq. verzeichnet.
Anno 1630 den 20. April soll zu Marckbernheim (Burgbem-
heim bei Windsheim) ein Engel am Himmel gesehen worden seyn.
(fol. 72.] Anno 1632 hat ein halb Vogel 1 Bazen gölten.
(fol. 74.) Meine ältcsle Tochter Barbara, so Anno 1609
4. Aug. zu Grassolzheim gebohni, hat viel gekranket^ Anno I&27
16. Marl wäre sie bald im Main mit einer Könzen voll Reben
ertruncken.
{fol. 79.] Anno I62Q 13. Jul. hat meine mittlere Tochter
Apotlonia secunda VerlobnJss gehalten mit Lorenz Schäfferj der
allen W^agnerin Sohn, dabey waren auf seiner Seiten Heinrich
Schreiber Schneider, der einen elenden Vortrag thäte, sein Bruder
Claus Schäffer, item Hanns Schäffer, Hanns Weih; uff meiner
Seiten Herr Sebastian Lericin, Gabriel Hartman Schwester Mann,
meines Weibs Schwester Anna Maria, war die Schmöllerin. Herr
Pfarrer allhie copulirts, Herr Alex. Fuchs exul war ein Gast
|B1. 20.) Anno 29 XI. Augusti hat sie Hochzeit gehalten, 18. Augusti
riehen sie mit einander uff Schwcinfurth zu. Anno 34 den 2. Mart.
hat sie ein Sönlein gebohrn, welches Herr Matthias Komacker
aus der Tauff gehoben.
Auf der Hochzeit waren unier andern fdcrcn ohne die
Jungfrauen und Jungen Gesellen gerechnet 108 mit zur Kirche
giengen) nachfolgende ffol. 80] Personen, so etwa zu mercken:
Herr Hieronyraus Dielerich, Pfarrer zu Sommerhausen, Herr
Abraham Cuppelich, Pfarrer zu Sammenheim, Herr Caplan ali-
hie, der Braut Vatter, Herr Georg Conrad, Pfarrer althie (NB. ich
der Schreiber hab ihn aber vor mir gehen lassen), Herr Georg
Cummcr, Schuldhelss allhie^ Herr Stephan Freysinger, Pfarrer zu
Thalmessing, Herr Friederich Alexander Cuppetich, Bürgermeister
und Umgeller zu Feuchtwang; Herr Johann Cuppelich, Pfarrer
zu Erlach, Herr Philipp Schattemann, Secretarius, Herr M. Leon-
hardt Fries, Pfarrer zu Gnodtslatl [Onodsladt bei Ochsenfurt],
Herr Alexander Fuchs, Pfarrer zu Etwashausen [bei Kitzingen],
Herr Valentin Zinck, Pfarrer zu Grassolzheim, Herr Seb. Leriein,
Senior des Raths allhier, Herr Matth. Werdwein Apotheker, Herr
Gcrichtschrciber, Herr Rector Oesterreicher, Herr Canior, H
Joha,n:n Hayn Organist, Herr Georg Conrad, eusser Wirt etc.
[fol. 81.] Frauen.
Frau Pfarrerin von Sommerhaugen, Frau Caplänen allhief
der Braut Mutter, Frau Pfarrerin allhier, Frau Pfarrcrin zu
Thalmessing, Frau PJarrerin zu Erlach, Frau Secrctariussin,
Frau Pfanerin zu Gnotslat, Frau Fuchsin, Frau Pfarrerin zu
Grassolzheim, Frau Limpurgische Schuldheisin zu Grassolzheim,
Frau Lehelin, alte Vögtin zu Grassolzheim, Frau Wirthin am
Main, Frau Rectorin, Frau Ontorin, Frau Organistin etc |
[foi. 82] Anno 1615 23. Decembr. ist meine jüngste Tochter
Anna, so 1612 den, 21. Nov. gebohm, wassersüchtig und hoch-
geschwollen, aber ihr mit etlichen Baden von Hünner und Tauben
Mist durch Gottes Gnad wieder geholffen, sie hinein nöten müssen.
[fol. 83] Anno 1625 22. Sept. bekommt meine jüngste
Tochter Anna die Pest, Gott hilfft aber bald durch Arzney und
verbrachten Schweiss. Sie war vorhin zur Erd gesuncken plözlich,
da dachten wir, nun wflr unser Haus auch angesteckt.
Anno 1632 hab ich meine jüngste Tochter Anna dem Ehr-
würdigen und wohlgelahrten Herrn Georg Egem, Pfarrern zu
Unterickeisheim [bei Uffenheim] und Geisslingen (bei Uffenheim)
den 7, May vermählet, in Beyseyn Herrn M. Friesens,
1
Selbstbiographie des Stadrpfairers Wolfgang Ammon rtc 217
ZU Onotstat, und seines Weibs. Anno 32 12. Jun. haben sie
Hochzeit gemachl zu Brait allhie, darauf unter andern nachfolgende
Gaste, so zu mercken, gewesen: (fol, 84) Herr Pfarrer zu Sommer-
tuLUsen, Herr Pfarrer allhic. Herr Pfarrer zu Onotstat [M. Leonh.
Fries I6I8-I633], Herr Caplan allhie, Blechschmidt, Herr Pfarrer
zu Ainhcim [Enhcim im B. A. Kitzingen bei Marktbreitl- Herr
SebasL Lerleio senior allhie, Herr Georg Kummer, Herr Bürger-
meister allhie, Joliann Wunderlein, Herr Rector allhic, Herr Cantor
jllhie, Herr Friederich Grausen berger, Pfarrpfleger ett, in allem
43 Männer.
(fol. 85] Frauen:
Frau Pfarrerin von Sommerhausen, Frau Pfarrerin allhie,
Frau Pfarrcrin zu Onotstat, Caplanin allhie, Frau Cantorin, Frau
Crausenbcrgcrin etc. in allen 40 Frauen.
Dann 9 Junggesellen und 13 Jungfrauen.
[fol. 83] Anno 33 16. Apr. hat sie das erste Kind geboren,
lodt, um 2 Hör nachmittag. Starben beede (quod alia manus
^didit) an der Plag sammt dem Vatter Herrn Wolfgang
JVmmonio im Oct 1634, [Plochmann S. lf>0] als sie zuvor
grossen Schrecken eingenommen, bey einfallender kayserlicher
Armee, da der Flekk (Mark) au^eplündert, viel Leut umkommen,
Herr Wolfg. Ammonius mit Streichen übel tractirt, dass er die
blauen Flecken [Plochmann S. 147] mit sich ins Grab gebracht
), fol. 86] Mein^Bruder Georg Ludwig Ammonius.
Ist gebom zu Marckhrcit den 27. Julü abends zwischen 10 und
11 Uhr anno 15S3 Sambslags im Zeichen der Fisch, folgenden
Sonntags abends um 4 Uhr gctaufft von Adam Angermann Caplan,
-aus dcrTauff gehoben von Herrn Mafth. Jahn, Voglcn, anstat und
von w^en des hochwohlgcbohmen Herrn Herrn Georg Ludwig
von Sainsheim, des altern Freyherms. Ist seines lieben Valters,
als er etwa sechslhalb Jahr alt, bald entnommen, gen Hämmersheim
[Hemmersheim bei Uffenheim] zu der Mutter Schwester gethan
worden, die Pfarrerin des Orts gewesen, hernach wieder zu der
Mutter kommen, ein alumnus scholae in seiner Heimath worden,
^in Brod ersungen, auch noch bei meinem CantoraL Biss Er
-^tis gnädiger Beförderung der gar allen löblichen und hochwohl-
218 Franz Hüttner-
gebohrnen Freyfrauen, Frauen Barbara von Saitisheim, gebornen
von Hessbiirg (die meinen Vattern seligen, als Gevattern zwifacb
und wohlverdienten Beichtvätern, noch nit vergessen in den
seinen zu lieben und zu befördern) gen Ünolzbach in die Schul
gezogen und bey Ihrer Gnaden ein Zeit lang gessen, ein Zeit lang
beym Herrn Rectore zu Cosl gangen, uff derosciben Besoldung.
Von Onolzbach ist Er gen Rotenburg an der Tauber zum
Herrn Schemelio Rector aus gewissen Ursachen in die Cost ver-
liehen und von Wohlehre ngcdachten Ihren Gnaden Beutel ver-
legt worden, biss dieselbe Todes verbliclien [I6ÜI in Ansbach],
darnach haben die Edlen Erben Hand abgezogen. [Haupterben
waren die Töchter ihrer verstorbenen Schwestetj Frau Emilie
V. Crailsheim und Sophie v. üchtenstein.J
9. Nov. Anno 1604 ist Er nach Wittenberg gezogen, arm-
selig da gelebt und in die Communitaet gangen, wie sein Testi-
monium, 23. Novembr. datlrt, ausweist im Druck.
Es hat Ihm wohl ein Erbarer Rath zu Marckbreit ein
Stipcndiolum oder Beyhülff gethan, darvon ich, weil ich gewust,
was verbunden zu seyn für ein Elend wer, als der ichs erfahren,
Ihn hab beym alten Herrn Groben, Schuldheisen, ausgcbetten
und wieder frey gemacht, anno 1007, wie sein den 19. Mai datirt
Testimonium ausweiset [fol. 87] Anno löOö hat Er den 10. Aug.
sein erste Predigt zu Oülchsheim gethan ins Schwagers Pfarr; in
diesen 1606. Jahre 23. Novembr. ist er uff meinen Vorschlag und
Unterhandtung zu Ingolstat (B. A. Scheinfeld] Schulmeister worden
und zehen Weiss, wie man sagt, von den Nachbarn unterhalten
worden und nur 3 fl. zu Lohn gehabt biss Walpurgis 1607.
Darüber ein gut Zeugniss bekommen 4. May 1607. Anno 1607
3. Dec ist Er Schulmeister zu Walmersbach [bei Uffenheim]
worden, da ich sein Bürg worden wegen statlichen Kirchen-
schmucks, so aufgeweist ward, auch wegen des Diensts; der
alte Herr Wegetein,') Pfarrer zu Adelhofen [bei Uffenheim],
thut ihm viel gnts, weil Er mit unserm Vatier selig als «n
Hebreer sprachenkundiger wohlbekannt und lang guter Freund
n M. J(k. Wcfeldn vu 1587-1592 Pttmr in Schdnftld und lun IS42 all Midier
n«ch Atfelliot« im rMctntte Uflenlieini. VeI, B«ilrice i TT.
[Bl.
Seibstbiographie de SUdtpEarrers Wolfgang Ammon elc 219
,, hilfft auch neben meinen Schreiben Ihn zum Jungk-
gen Franckenberg befördern und zur Pfarr Jeckenheim
'Oeckenheim Im B. A. Uffenheim] bringen. Anno 1608 18. Martii
darauf dazumahl das Fest Marias Verkündigung verlegt vorden)
Er zu Onolzbach ordinirt von Herrn Laur. Laelio, Joh. Mel-
^uerem, ßalthas. Bemhold, Georg Wächter, Joh. Herman, Andr.
IFrandsd, wie das Testimonium ausweist, und hat diesen Tag sein
Tricsteraid (der noch vorhanden) schriffllich geleistet, am 2. Ostertag
ist Er zur Pfarr Jeckenheim inveslirl worden. Anno ]60S2I.Junii
wunderlicher Schickung nach seine Verlöbniss gehalten mit
-Anna M. Johann Herrmanns (Pfarrers zu Rudolffshofen [Rudolz-
hofen im B. A. Uffenheim] und Senioris im Capitel Uffenheim)
Tochter, da ich die Werbung gethan, darauf den 19. Julii Dienstags
Ifol. 89) Hochzeit gemacht daselbst Der Pfarrer zu Pfaffenhoffen
(im B. A. Uffenheim] Herr Johann Heck hat meinen Bruder und
seine Annam copuliret, auch geprediget, unsere Mutler und die
2 Schwestern waren auch Hochzeitgäsle, und meine erste Frau
(selige, als ich das geschrieben, genannt).
2l, fol. 87) Die Hochzeit Gäste siehe im hernachfolgenden BIaL
Hier folgen seine Kinder, nach Inhalt Calendarii Ebcri,
dariniKit er eigenhändig zu End geschrieben.
L Anno I&09 5. Jun. am 2. Pfingsttag eine Tochter, so in
der Geburt todt blieben.
IL Anno 1610 Montags 25. Jun. Nachts zwischen 11 und 12
Anna, die Tochter, gebohrcn, im Zeichen des Steinbokks, Ihr
Tauffdod war Anna, Caspar Bullenheimers HaussfraUj des reichen
Wirths zu Weigenheim [bei Uffenheim] Tochter, wird getaufft
Dienstag 26. Jun. von M. Heinrich Wegeiein, Pfarrer zu Reisch
[Reusch im B. A. Uffenheim]. Wird verheirathet an Herrn
Valentin SchwaneUj damals Rectom zu Markbrait, 18. Febr.
Anno 1641, nachmals Pfarrern zu Gnczhcim (Gnötzheim bei
Marktbreit]. (Dieser Herr Schwan, Georg Schwanen, allhiesigen
Bürgers und Häkkers Sohn, ist gcbohren Anno 1610 den l.Nov.,
»ird Alumnus Anno 1626, zeucht von hier Anno 1631 den 4. May
nach Wittenberg, sludirt daselbst SVt Jahr und langet Anno 39
Mense Nov. im Vatterland wieder an, kommt Anno 1640 zum
Redorat, welches er den 4. Jun. würklich angetreften, wird Anno
1654 zur Pfarr Qnözheim beruffen und den 2Q. Jun., am Petri
und Pauli Tag, allhier ordinirt und Dom. VI. post Irin, durch
Herrn Pfarrer Florum praesentirL Versiehet neben solchen
Amplc noch einige Zeit hiesige Schul und stirbt endlich zu
Gnözheim Anno 1675; den 16. Marl. 1&41 ist er mit Herrn
Georg Ludwig Ammonii, Pfarrern zu Geckenheim, Tochter Anna
copulirt worden. Anno 1643 Donnerstag den 26. Jan. ist ihm
eine Tochter gebohren, Nahmens Anna Barbara. Klein gestorben
Anno 1645 Mittwoch 29. Jan, wieder eine Tochter, Margaret»
Anastasia, die erstl. Anno 1669 7. Sept. Johann Holhen, Bürgern
und Kürschnern, und hernach Anno 1675 15. Jim. Joh. Leonh.
Rohleder, auch Bürgern, Kürschnern und Haubenschneider allhier
zu Marckbreit, verehlicht gewesen, und als Wiftwe noch Anno
1727 am Leben ist.)
Dann Anno 1647 den 26. Apr. eine Tochter, Nahniens
Anna Margareta, hat einen Drechsler zu Rotenburg, Stellmag,
bekommen. Ferner Anno 1649 den 8. April eine Tochter mit
Nahmen Anna Blandina, hat einen Schlosser von Segnfz, Joh.
Kammcrzcller, so nach Lichten gezogen. Wiederum Anno 1651
den 30. Jun. ein Sohn^ Johann Georg, welcher als ein Kind
wieder gestorben.
[ßl. 21*1 111. Anno 1612 8, Febr. am Tag Helenae, einen Tag vor
Septuagesima, Samstag fast um 12 in der Nacht der Sohn, Georg
Ludwig Ammonius, sein Dod war Georg Schmidt, ein Carren-
mann, des Hofbauren Sohn zu Jeckenheim. Taufft ihn Sonntags
Herr Pfarrer zu Reisch, vorhin benannt
[fol. 88] IV. Anno 1614 27. Marlii Sonntags Oculi in der
Nacht zwischen 12 und 1 Uhr die dritte Tochter, Barbara ge-
nannt, geboren^ Ihr Tauffdod Heinrich Hertens, eines Bauren
Haussfrau, auch Barbara mit Nahmen.
V. Anno 1616 7. April Sonntags Quasi modogeniti der zweite
Sohn frühe um 4 Uhr geboren, Wolf Albrecht genannt, der diesen
,Tag noch gelaufft von M. Heinrich Wcgetein und von Jungkem
Wolf Albrecht von Hütten aus der Tauff gehoben vermittelst
Herrn Bernhard Köhlers, Vogtens in Fördern Frankenberg (a\a
Selbstbiographie ds Stadtpfarrcrs Wolfgang Ammon etc. 221
manus). Lemel das MüUerhandverk, kommt in seiner Wander-
schafft unter die Schwedische Soldaten, im Herbst Anno 16'J'> zu
seiner Basen Barbara zu Markbreit, wol zerlumpt und zerrissen,
im Hunger verdorben, voll Unziefer; zu Hauss kleidet ihn ihr
Ehewirth, schikkt sich zum Tisch des Herrn und druf mit einem
Tragoner Xerrischen Regiments auf sein und seines Weibs guts
Anerbieten, sie wollten ihn für ihr Kind halten, ins Welschland,
<lthin der March glenge; hat ihn aber bald wieder bey Donawcrth,
^ie wir dessen gewisse Kundschafft haben^ von sich gejagt Wo
nun der arme Schweiss seyn mag, weiss Gott Vielleicht ist er
-den Bauern zu Theil worden, hat nie recht gut thun wollen, «He
Herr Schwager Gabriel und seine Haussfrau selbsten bekennen.
Sein (meines Bruders Weib) hat ihm zugebracht 50 fl.
Heurathgul und einen Schreinzeug, hat auch, weil sie nit wol eine
Meil von einander gesessen, tägliche Hülfe gehabt, [ßl. 22, fol. 89]
Es wnd aber nachfolgende Herren Pfarrere und Gelehrte Hoch-
zei^äslc da gewesen:
1) Der Bräutigam Georg Lud. Ammonius, Pfaner zu
Occkenheim.
2) Der Herr Schweher, M. Joh. Herrmann, Pfarrer zu
■^udolphshofen.
3) Ich Woifg. Ammonius, Pfarrer zu Qrassolzheim.
4) Friederich Hermann, soceri frater, Pfarrer zu Armuths-
Kofen (Ermetzhofen bei Uffenhetm].
5) Joh. Heck, Pfarrer zu Pfaffenhofen, der die neuen Ehe-
Beute copulirt und geprediget.
6) Conrad Zanner, Spitatpfarrer zu Uffenhetm.
7) Paulus N., Pfarrer zu Seenheim pDei Ermelzhofen).
8) IWcIchior Glaser, Pfarrer zu Buchheim [bei Windsheim].
9) Hannss Knauer^ Pfarrer zu Gollhofen [bei UffenheimJ.
10) Hanss Wilhelm Treu, Pfarrer zu Ippesheim [im B. A.
Uff en heim],
11) Veit Treu, Pfarrer zu Hcrbolzheim (bei Uffenheim).
12) Michel Bucka, Pfarrer zu WaJmcrsbach [B. A. Uffenheim|.
13) Stephan Blümlein, Pfarrer zu Ergersheim [B. A^
Uffenheim].
M) Simon Karg, Schulmeister zu Uffenheim, so hernach
Pfarrer zu Kleinen Langheim [Kleiniangheim bei Kitzingenj worden.
15) Friederich Höfel, Vogt zu Uffenheim, und hernach zu
Ippesheim.
Es isl aber mein lieber Bruder am h. Christlag (fol. 90]
25. Dec Anno 1616 begraben, und hat ihm Herr (M. Heinrich)
Wegelein, Pfarrer m Reisch, die Leichpredigt gethan in Bcywescn
Schwager Gabriel Hartmanns und seines Schwehers Herrn Pfarrers
zu Rudolphshofen, dergleichen wol nil ins Hauss kommen, weil
mein Bruder pesle gebliben, weldie ihm sein arme Bctteldoten
ins Hauss und Scheuren mit grossen Stank und Unlust gebracht.
Ich hab Ihn zwar in der Krankheit bcsuclit; aber zur Leicfa
um des Fcsts vielfältiger Arbeit und sonderlich beeder Mittag-
predi^eii halben nil kommen können noch dörfen.
Anno 1617 I.Jan, isl sein Weib Anna auch peste gestorben,
begraben, darzu ich gleicher ürsadien halben, wie oben ver-
meldet, nit erscheinen können.
(fol 92] Meine Schwester Maria Catharina.
Ist zu Dinckelsbühel in der Reichsstalt geboren 23. April
Anno 1577 Abends zwischen 5 und 6 Uhr, [El. 22'] gctaufft
worden von Herrn Georg Stiften berger, Pfarrer im Closter Rat
[Mönchsroth im B. A. Dinkelsbühl], getioben aus der Tauff von
Frau Catharina DrechsÜn, einer Qeschlechlerin, der) 23. April,
war der Dienstag nach Miscricordias Domini. Calend. Eben 169.
ist bey den Ehern erzogen und unter Georg Zizmann und Clausen
Bauren, der in 17. Blat Erwehnung geschehen, in die Schul gangen,
lesen und beten gelemet, doch sehr versäumt worden, weil der
Vatter seliger viel gekeissen und die Mägde wenig gut gethan.
Hat von des Valters Sachen mehr gewust zu sagen als ich, der
unter die Frembden gemüst Ist auch bei der Mutter nach
Vatters seeligeri lödüichen Hintritt blieben, biss sie gcheyrathet;
jmmittelst der alten Schuld heissin, Herrn Lerleins Wittib, item der
Homungin und andern Reichen zur Hand gegangen und sich
viel genietet, weilen die Mutter nur ein Weinbergleiu gelabt, sich
genau im eigenen Häusslein beholfen und nichts (den Kindern
zum Besten) verkauffcn noch versezen wollen.
Selbstbiographie des Stadtpfaners Wolfgang Ammon etc.
Den 20. Oct. I6Q3 hat Sie mit Herrn Qedeon Sigel, der
ab ein vertriebener aus Oesterreich hiehcr kommen, und weilen
der krumme Caplan (wie man den contracten Herrn Johann
Freundsdiafft poh. Philius, poeta laureatus, Caplan 1602 — 1610]
genannt) sein Ampt nit vcrsechen künnen, eine Zeit lang
Caplansverweser worden um halbe Besoldung, ilir VerlÖbniss
gehalten.
[fol. 93] Auf seiner Seite war Herr Pfarrer Geor^ Conrad,
(Conradi, Caplan 1592-1602, Pfarrer 1602-1631] sein Collega,
uff unser Seiten Herr Valien Ocrter und Herr Lerlein. Sezet er
200 f1., da er ohne Kinder oder Leibe$erben stürbe, oder aber
100 fl.solte seine Tochter zum Voraus haben, darnach aber, van
sie mit einander Kinder zeugeten, gleich erben. Dagegen sötte
meine Schwester 30 fl. innerhalb Jahresfrist ihm zubringen, welches
ich eine Zeit lang hergeliehen, (BI. 23] als der bei den Qe-
schwistrigten ohne Ruhm nicht wenig gelhan, meines Vatters
seeligen Begehren nach bey Hültetiheim [B. A. KitztngenJ einsmals
-an mich gesonnen.
Darauf den 22. Nov. selbigen Jahrs 1603 Sie beede Hochzeit
gemacht in Claus Oertens Behaussung und 3 gestekklen Tiscti
voll gehabt. Anno 1605 14. Aug. kommt Herr Schwager Qedeon,
zum Seehauss aufwartende, wegen Herrn Christians Kindtauff in
Ungnad, weil er etwas bezecht die kranke >X'öchnerin nicht trösten
können, und wird erlassen. Den 30. Jul. zuvor, da er vermeint,
Pfarrer ni Apswin [Abtswind im A. O. Wiescntheid] zu werden,
mit ihm in ungelegen Zeit daselbsten kommen.
Anno IbOb ziehen sie den 9. Sept. miteinander uff die neue
Pfarr Detelsheim. [Neuendettelsau im B. A. Ansbach.]
[fol. 95] Meiner Schwester Catharinae Kinder I. Ehe:
1) Ein Töchterlein, kam nicht zur Tauff.
2) Anno 1606 22. Jul. Johann Nicolaus Sigel gebom, vom
alten Herrn Schuldheisscn Ntcolao Groben aus der Tauff gehoben,
zu Marckbreit [fol. 93] eine geraume Zeit ein armer Schüler ge-
wesen und wol sludirt, auch mit Kuz hätte auf die hohe Schul
liätte mögen vcrschikket werden, in der Pest zur Herbstzeit ver-
schieden. Anno 1625 den 15. Oct begraben.
[fol. 95] 3) Johann Georg, zu Nflmberg bcy Herrn Job.
Jacob Ried, bey S. Lorenz Vesperpredigern, Famulus (1628), stirbt
pesle zu Wittenberg im Herbst Anno 1631.
4) Maria Magdalena, stirbl auch an der Plag, im Octob. zu
Kizingen, bcy Herrn D. Kayssern in Diensten, Anno 1635.
[fol. 93] Anno 1612 20. Jul. hat meine Schwester das
anderemal Hochzeit mit Stephan Freysinger, der vor diesem ein
Edel mann ischer Praeceplor, Marggräfischer Stipendiat und diess-
mals Schulmeister zu Ahaussen [Auhausen bei WassertrQdingen]
war, hernach aber Pfarrer worden zu Oettirtgen (Höttingen bei
Ellingenl, nit weit von der Reichsstatt Weissenburg bey Wildsburg
am Nordgau. Darauf ist er gen Thalmässingen [Thalmässing im
A. G. OrcdingJ kommen und Pfarrer worden in einen grossen
FIckken, [Bl. 23', fol. 94) darinnen 3 Kirchen und 2 Pfarren.
Er aber hat 2 Kirchen zu versehen.
N. B. Anno 1Ö2& 2.Juiii habe ich diese nachfolgende Worte
von ihm beschrieben und mir übersandt empfangen, auch hier
einverleiben wollen. mM
Genealogia a me Stephane Freisingero [vgl. Georgii, Uffen^*
heimische Nebenstunden (1754) II S. 250], pro tempore Pastore
apud Thalmessingenses parochiae superioris, 12. Febr. (quo die
parens carissimus Anno 1616 diem obÜt suum) Anno 1627
conscripta.
Avus a parente. Avus war Geor^ Freysinger, Bürger zu
Aichstätt, pontificiae Religionis, trieb einen Handel mit Schweinen,
kommt auf dem i'elde vom Ross und wird todt funden.
Avia, Maria Kiselin, bürtig von Gunzenhaussen, Augustanae
Confessioni addicta, dabey Sie auch biss an ihr seeliges Ende ver-
blieben; denn, ob sie woi offtmals (sonderlich in ihrer währender
Krankheit) von den Sacrif. angesprengt, hat sie doch weder minis
noch pollicitationibus zum Abfall mögen gebracht werden: darum
Sie, nach ihrem Absterben, also lodt nacti Gunzenhaussen (5 grosser
Meil Wegs) geführet und daselbst ehriich begraben worden.
In währender Ehe haben Sie zween Söhne mit einander er-
zeuget, Georg und Michaelen (meinen lieben Vatler seelig). Jener
Georgius, als er von seiner Wanderschafft anheims kommen (war
Selbstbiographie des Stadtpfarrers Wolfgang Aitunoa etc. 225
seines Handwerks ein Kürssner), die Mutter aber schon mit Tod!
abgangen, hat er sich bcy seiner Stiefmutter Pauli Rom, seines
Stieffbruders, eines Schreiners zu Wengcnhaussen [Weiboldshausen
bei Ellingen], nachmals rechten Mutter, biss er sich möchte an-
richten, aufgehalten, die ihm aber mit Gifft verüben, der Meinung,
ingenuc fateor, ein Erb der Güter zu werden (wie sie nachmals
[Bl 24] in der Tortur Selbsten neben diesem noch 10 Mord be-
kannt) und fürtcrs im Feuer und Rauch fortgeschikket worden.
Mein Vatter aber war noch klein und unmündig nach
Qunzenhaussen gebracht zurti Herrn Jacob Kiseln, seiner Mutter
Bruder, damaligen Stadtvogt daselbsten, der ihn auch das Kürssner-
handwcrk hat lernen lassen,
Avus a matre Leonhart Reyman, börtig von Hall im Kocher,
war erstmals Rector scholae Gunzenhusanae, nachmals Pfarrer zu
MichcKcld, nicht weit von gedachtem Hall; dessen Vatter ist ge-
wesen Ulrich Reuman, der 176 Kindeskinder erlebt, wie [fol. 96]
aus dem aufgerichteten Epitaphio daselbst zu ersehen ist.
Avia Clara Wärncrin, auch von Schwäbischen Hall bürtig;
haben unter andern auch in währender Ehe cr/cugt Barbaram,
meine liebe Mutter seelig, die nach ihrer Eltern Ableiben zu ihrer
Schwester Clara gen Qunzenhaussen, die schon im Ehstand mit
Joh. Bräun, Barbierer, Jodoci Bräunens, Decani alldar, Sohn, lebete
(und lebt noch auf diese Stund bey 80 jähren), gezogen daselbsten
Sie auch meinen lieben Vatter verheyratliet worden Anno Christi
1576 Montag vor Jacobi.
Liberi: In währender Ehe 12 Kinder erzeugt:
1) Jacob, naiiis Anno 1577 die Vcneris ante Dom. Trinit
als 8 Tag zuvorder Blassthurm eingefallen, etliche Personen todt
geschlagen, der Zeit Bürger und Kürssner zu Wasserthruhend Ingen,
«ifxiwc [verschrieben für öi^xrpo-; unvcrmählt, ohne Bett).
2) Michael, Bürger und Kürssner zu Gunzerthaussen, der
bringt berein, was jener versäumt, hat 6 Söhn, 2 Töchter.
3) Stephanus, de quo suo loco.
4) Georgius, stirbt jung hinweg.
5) Sibylla, vldua der Zeit zu Qunzenhaussen, hatte einen
Schreiner, Caspar Eberlein, von Donawerd, hat 2 Söhne.
Archiv tOr Kulturcncbichtt. I, 3- 15
6) Georgj stirbt jung hinweg.
[Bl 24'] 7) Johann, stirbt im 9. Jahr aetatis.
8) ßernhardiis, stirbt im 5. oder 6. Jahr.
9) Ein Töchterlein, mit welchem die Mutter 3 Tag um-
gangen, jämmerlich verderbt, endlich todl auf die Welt kommen.
10) Ein Knäblein, wird nicht getaufft.
11) Hanss, Bürger und Kürssner zu Gunzenhaussen, hat
I Töchterlein, I Sohn: alles todL
12) Margareta, deren Mann Michael Steinbrenncr, ein
Schreiner, der Zeit in meinem Güttein allhier (bürtig aus der
Grafschaft Hohenloe).
Agit animam mater carisslma 2. juU Anno 1626 aeL 73. Jahr,
der Vatter aber Anno lbl6 12. Febr. aeL 63. Jahr.
Nun komm ich wieder uff mein Person: Natus ego Anno
1581 die Venerisa Nativitate Christi, rccipior in numerum Alum-
norum Onoldinoruni Anno 1600, war schon ein alter Gesell, einem
Zwerg gar ähnlich, dann ich hatte bey meinen Eltern nach Noth-
durfft Hunger gelitten. Man dorffte mir so viel Jahr, weil ich so
klein war, nicht zuschäzcn. Ziehe nach Wittenberg mit 14 fl,
weniger darüber oder darunter, so mir Vatter und Mutter, Brüder,
Schwester und gute Freunde gesteuert. Anno 1607 alldar treibt
mich die Noth, dass ich andere musste lehren, dessen ich doch
selbst bedorffte, instiluir einem von Adel seine Kinder, Johann
Heinrich von Holzhaussen, 6 Meil Wegs von Wittenberg, im
FOrstenthum Anhalt, zwo Meli von Zerbst, ein Jahr lang.
Anno 160Q wurde ich von dessen Schwester Mann in gleiche
Dienst genommen nach Magdeburg, Decano bey S. Sebastian,
Joh. Keck de Schwarzbach; handelt aber mit mir wie der um-
gekehrte Nabat, verändert mir [fol. Q7] meine Besoldung; dann
sein Versprechen war, mir des Jahrs zum Tisch 15 Thaler (wie
ichs bey seinem Schwager hatte) zu geben und dann eine Stell
bey den Choratisten besagten Stiffts einzuräumen, da einer 12
Thaler des Jahrs, 6 Scheffel Rocken und so viel Weizen hatte), so
zwar auch geschehen, aber die 15 Thaler sind dahinden blieben,
darum ich nach Ausgang [ßt. 25] des Jahrs seiner Dienst gnug
hatte, denn da war nichts denn fressen und sauffcn, dopein, spielen
Selbstbiographie des Stadlpfarrcrs Woifgang Amraon etc.
P
*
Xc Summa, so gelehrt er auch war, ward er doch seines Hand-
erks ein rechter Epicurer: wolt ich mit Lieb von ihm kommen,
uste meiner Landsmänner einer von Wittenberg aus Brief im
T**^alimen Herrn M. Martini Moningcrs, S. De(»ni zu Gunzen-
l^iaussen, schreiben, ob würde ich von ihme zum Rectoral nach
<IIjunzenh aussen vocirt; da must er mich noiens volens meiner
HDienst entlassen. Anno IGll zog ich wieder in mein patriam,
ti iente ein Jahr lang dem Edlen und vesten Hanss Heinrich von
^>tein, FQretl. Brandenb, Rath und Amplmann zu Hohentrühdingen
[bei Heidenheim], für einen Paedagogum, da mirs besonders wol
^peng, hatte meinen stattlichen ansehnlichen Tisch und 30 fl.
Anno 1612 wurde ich von einem fürstL Brand. Consi^torio
^u Onolzbach zum Schuldienst nach Ahausen (Auhausen im B.
j^. NördJingen] ins Closter promovirt, heyrathete zu meiner lieben
Haussfrauen Maria Catharinaj damals viduae Gedeonis Sigelij
]Z>iaconi Geilsheimü, relictae. Dieser war bürtig von Hohenacker
im Würten bergischen, dcme, als Substihiten zu Marckbrait, so
z-wam ruvom etliche Jahr iang im Exiljo und Viduitat, darein er
in der Qräzerischen Persecution gejagt worden, herumgezogen,
Sie vcrheyralhet worden Anno 1603. Von dannen er nach neuen
Oettelsau [bei HeiLsbronn] von den Edelleuten zum Pfarrdienst
a.ngcnommcn worden, allda Sie mit einander biss ins dritte jähr
gelebt, dann das Sprichwort erfahren müssen: Herrendienst und
Lerchengsang klingt gar wol und währt nicht lang. Item: Edel-
leut-Pfarrer, Buben-Vögel, Juden-Ross versiren in statu periculoso:
denn er seiner Dienst, weil Sie vermerkt, dass er hinweg strebt,
cntsczet worden, bald aber von einem f. Consistorio zu vorbe-
rührtem Diaconat zu Oeitssheim [bei WassertrOdingen] promovirt
worden, da Sie auch in das dritte Jahr wohl mit einander gelebt,
in währender Ehe 4 Kinder erzeugt; wie dann solche und was
nim Bcschluss vermeldt. im 95. Blat oben zu finden.
1*0'- 55.] Ihre Kinder in der andern Ehe:
I. Barbara, Ihre Dod war Frau Magd., fürst. Brand. Verwalters
lu Ahaussen [Auhausen im B. A. Nördlingen), Conrad Rehm Hauss-
frau, Hält Hochzeit zu Gnodstatt den 16. Aug. Anno 1636 mit Herrn
Qeorg Christoph Fristo, Pastor zu Unter Ickelsheim und Qeisslingen.
15'
2. Dorothea.
3. loh, Sebastianus, stirb! an den Blanem, aet. 1 1 Jahr.
4. Joh. Woifgangus, f im 4. Jahr.
5. Ein Knäblein, damit sie o gar ein halb Jahr gangen.
Nun heisstes (wieder Kinder Vatter weiter schreibt); Claudite
jam rivos, pueri, sat prata biberunl. Sind mit unsern lieben Gott
zufrieden, sein Will ist geschehen. Er gebe uns neben seinen h.
Wort auch den edlen Frieden und Gesundheit (doch nach seinem
Willen), dass wier diese vier sammt den dreyen, so ich crhcyralhet
(in einer Summa 7. Habs inner 5 Jahren hoch bracht, habe auf
7 Kinder betteln dürfen) wo! und in der Furcht des Herrn mögen
auferziehen und nach unsern seel. Todt zu ihrer kflnfftigen Hauss-
haltung (neben ein gn. Gott) auch ein Anfang verlassen.
iBl25',fol. 93.] Mein Schwester Barbara.
Anno 10 27. Dez. hält Sie Verlöbniss mit Gabriel Harlmann.
Anno 1611 22. Jan. Hochzeit. Anno 1616 29. Nov. hat er sein
Marggräfisch Hauss erbauet (neben dem herracbaftl. Ampthauss
all hier).
Anno 21 10. Jan. Anna Maria, ihre Tochter, gestorben.
2ö. diess Hanss Christoph ihr Sohn begraben.
Anno 25 24. Aug. Gabriels Kind, Ursula, verschieden. Diess
Jahrs den 1. Sept wird ihm noch eins begraben.
Anno 26 13. Jul. meine Schwester ihre Annam Margaretam
bekommen.
Anno 30 13. Jan. führt ihr Mann Gabriel seinen Sohn
Wilhelm über oder ja in 12 Meilwegs zum Vetter, der gleidies
Handwerks (ein Barchl-Weber), da soll er mehr lernen.
[alia manus.] Dieser Gabriel Hartmann und sein Weib
Barbara sterben ohne Kinder im hohen Alter, Er im End des
1660. Jahrs, und Sie am End des 1666. zu Marckbreit bey zim-
lidien Vennögen (davon ihrer viele geerbet, und hat es lang dess-
wegen Streit gegeben).
[fol. 102.] Ehr mir und den Meinen bewiesen.
Anno 1502 19. April verschreibt mich Herr D. Aurelius
Streitberger, Superint und Prediger zum Hoff, an Secretarium
Hörn.
hk.
Anno 1502 30. Jun. führt mich mein Stubengesell Herbst
•äne dubio Paulus) zu Tisch.
5, Jun. zuvor Herr Matthaeua Herbst mich gen Jena ver-
::Ii rieben.
Anno 1594 29. April bey der Deposition meiner Landsleute
«h. Orts, Nicol. Schirmers, Tobiae Knoblochs) ein Zug erfordert
■-« »nd Mahlzeit mit Rchalten.
[ Anno 1599 den 12. Jul. gn. Herrschafft Liberey zu beschreiben
^»igefangen.
[fol. 103.] Anno 1602 den 25. Jan., ilem 3. und 11. Febr.
*toninit mir allerley Schrifft- und mündliche Anmutliung zu, ich
^^oll die Caplaney zu Brait begehren. Diess Jahrs 27. Mart hab
i<rh Beicht hören helfen uff des Ministerii Gutachleti zu ßrait
tl>ie&s Jahrs 21. Sept. bey Junkern dem alten von Seckendorf in
.^Aarckbreit nach gehaltener (BI. 26] meiner Predigt unglaubliche
Fihr über der Tafel erfahren und Abends bey Herrn Schuld-
l%«is&en Grollen neben meinem Studioso gessen.
Den 22. SepL dem Examini zu Brait auf Begehren beyge-
'^Ä'ohnt und uffm Rathhauss Mahlzeit gehalten.
Anno 1603 19. Oct zur Examens-Mahlzeit aufs Rathhauss
^feermal geladen worden.
Anno 1605 3. Apr. dem Consistorio zum Seehauss bey-
Scvohnt
Diess Jahrs 22. Aug. zu einem kranken Stalljungen, so ein
F*apist gewesen, ihn zu bekehren, ins Schioss gemffcn worden.
Ist Gott Lob gesehen.
Anno IbOö 4. Jun. das Decanat Winsshcim mir befohlen
^»■orden, such oben 45. Bin aber sehr darum geneidet und von
etlichen meinen vermeinten Brüdern gestumpfjrt worden und hätts
auch nicht bchallen, wann mein gn. Herr, Herr Johann Erkinger,
mirs nicht von neuem anbefohlen.
Dies Jahrs 9. Jun. M. Postlers Investitur beygewohnt zu
Northeim.
[fol. 104] Anno 1614 5. und 6. Jul. fragt und hört mich
mein gn. Herr, Herr Johann Erkinger von Selnssheim, wegen
p
230 Franz Hüttner.
meines Pfarrers (Georg Conradi) Tochter, und freyen wir beede
dem Herrn Cuppelich, und wird die Ehe gemacht.
Anno i6t4 1. MarL hab ich 3 Söhne an einen Abend in
3 Dörfern Grassolzheim, Cottenheim und Northeim getaufft,
welclies meine letzte Tauffen daselbst.
Anno 1609 (!j 17. Marl M. Herbst eine Probpredigt zu
Nordtheim gethan, mein Gutachten auch begehrt worden.
Anno 1615 2. Marl, beichtet mir Ehmgedachter mein Gnä-
diger Herr in Lecheleins oberer Stuben etwas geheimes und über-
gehet M. Postlern, der in der untern Stuben und sonst sein
Beichtvatter.
Anno 15 9. Jun, lässt mich ein Erbarer Rath ansprechen,
den Rectorsdienst uff ein Vicrlel-Jahr zu verwalten, wie dann ge-
schehen, ingleichen auch am Abend Pctri Pauli Anno 27 gleicher
Ursachen halben ich von Raths wegen durch den jungen Herrn
Hanss Campen besprochen [Bl. 26'] und eingcwilliget gegen der
Besoldung, und hat gewähret biss uff 6. Mari Anno 29.
Anno 1616 18. Jul. zu Segniz uffm Rathhauss bey des alten
Käsenbrods Leichtnmck, wie auch nachmals den 1. Aug. in diesem
Jahr bey Schulmeisters daselbst (welcher mein successor im
Cantorat zu Brait vor diesem gewesen) Leich.
[fol. 105.) Anno 1617 4 Apr., da die Herren Schneiderin
verbrannt gewesen, hal mich mein gn. Herr J|. E. von Seinss-
heim, da die andern Braiter alle heinigehen müssen, beritten
gcmacht-
NB. Dienstags zuvor, da ich M. Unfugen besucht, als
von mir Beicht gehört, nimmt mein gn. Herr beym allen Herrn
Orohcn mich in dem Nahmen mit, soll Ihm das Geleit biss
zur Mühl uff der Gutsche geben. Was ich aber immer unter-
thänig gebetten, wol mitzugehen, hats doch nicht seyn wollen;
wie ich bey der Möhl bin, soll ich mit bis« gen Obembrait,
zum HIcken, einen Trunck zu thun; daselbst muss ich vollend
biss gen Seehauss in Eil fahren, sprechen Ihro Gnaden, man
werd biss Freytag ohne das Justificiren, da ich bey scyn
müsse. Weiss meine gute Frau biss den andern Tag nil, wo ich
hinkommen.
Anno 17 6. Jul. ins alieti Herrn Schuld lieEssen Hauss zu
=incn gn. Herrn gcniffcn worden wegen Disputirens mit Herrn
'tjcrschuldheisscn und Karges Groben.
Vom 24, Nov. biss den 28. diess grosse Ehre uff Bonifacii
I~I^rtungs erster Hochzeit, da ich ni Outschen hin und wieder
e^^^ührt, ventehrt und zu Schweinfurth uns Braitem der Wein
■V'^Ä-ehret worden.
|fol. 106.] ^ Nov. Anno 1609 die gnädige Gräfin mich
S^«» Seehauss erfordert und begehrt, Ich sotl M. Posllem und M.
•~* erbäten, die uneinige 2 Pfarrer, vereinigen, immassen geschehen.
^S. Febr. Anno 17 nochmalsvon Ihrer Gnaden Commission gehabt
H ^»J Brait wegen vorgemetdler Pfarrern Stritts der Besoldung halben.
H Anno 1616 21. Dez. am Tag Thomae den M. Postler
H ^^farrem zu Erlach, investirt.
1^ Anno 1627 10. Apr. hat Herr Hübsch Hochzeil, darzu ich
**^ii 2. April auch gebetten worden durch seinen Schulmeister.
• ^^-3 Anno 27 31. Aug. Herr Schuldheiss Kummer gut Zeugniss
"^«^T Böt^erschafft meinetwegen Fleisses halben in gemeiner Magel
I ^tfc-wescnd meiner geben, sie sollen ihre Kinder zu mir thun.
i^S. .Aug. Anno 28 hab ich den Qerhardum, Prcussinger, Kiehn,
■^Vjmmer, Schlosser und andere Privates bekommen.
2. Sepl. mit dem Jesuiter in Herrn Qamperts des Jungen
*^auss disputirt, da auch Herr Bezold von Rotenburg Bürger-
■^«stcr mrlgemacht. [vgl. Georgii, Nebenstundeti l[ S- 144.]
Anno 29 6. Pebr. bey der gn. Frauen zum Seehauss Leich-
^^uclion uff Begehren.
(fol. 107-1 Anno 32 1. Febr. Philipp Engel, ein Studiosus,
^om Rath zu mir geschikket worden, ob er tüchtig zum Rectorat
Sey, zu erkundigen.
I[foI. 108]. Krankheiten, so ich au5gestanden(deren sehr
viel, doch habe die meisten bemerken wollen). In der 20. Woche
nieines Alters, als meine Mutter das rothe Weh bekommen, und
mich abgewöhnt, nach Feuchtwangen zu der Antrauen gelhan,
hab ichs (immassen mich die Eltern berichtet) auch bekommen
und bin demnach inner 8 Tagen geholt und wieder angelegt
......
AnTio 1580 um Martini hab idi die rothen Flekken gehabt
Hinnach hab ich das vierdttägliche Feber eine lange Zeit in meiner
Jugend gehabt, auch oft in frembden Orten, als zu Oollhofen
und Bergihcim daran gelegen, wenn ich aiisgesandt gewesen.
Anno 1587 den 3. Maji das Fcber xrieder gehabt.
Anno 1598 19. Sept. wieder, doch nur einen Tag.
Anno 1592 sehr viel Oeschwiir. 27. Jun. eine grosse Beule
am rechten Arm bekommen, welche mir der ßarbirer zu Jena,
so bald ich dahin kommen, um I Orts Quiden geöffnet
Anno 1593 15. und 16. Jun. hab ich keines Qlieds, ob ich
gleich darauf gegriffen, gefühlet und ist alles kalt gewesen.
Anno 1595 24. Dec. gefährlich krank worden, als ein neuer
Ehemann. ■■
(fot. 109.) Anno 1598 3- April ein hmg Fieber gehabt 3"
Tag lang mit unnachl5sslichen Brennen.
|B1. 27'.] Anno 1599 20. Sept in meiner Mutter Weinlesen kommt
mich ein Frost an^ wie auch folgenden Tag neben einer kleinen
aufgeschossenen Beulen; doch bin ich 2 grosser Meil heim gangen
vor Tags und hab meine Predigt verrichtet Darauf unerträglich Hlz
erfolget, ja gleich dabcy wirf ich Blut aus und hab gross Herzweh.
30. Nov. bösen Halss und kranke Seiten zur Plagzeit
Anno 1600 28. April ein dreytägig Feber gehabt, welches
hernach je alllägig worden, mit so grausamen Haupt-VX'eh, dass
ich ganz nichts schlaffen können, je ins Heu, je uff die Erden
und bissweilen uff die Bank für Schmerzen mich gelegt.
Anno 1002 im Jul. das Feber gehabt, sonderlich den 13. Jul.
Anno 1603 2. und 3. Aug. das Feber mit grossen Hauptucch,
9. Oct. das rothe Wehe gehabt
[fol. 110.| Anno 1604 27. Sept Feber und eine gefährliche
Ruhr. 4, Nov. Grimmen oder Cotic erstlich bekommen.
Anno 1605 19. Jan. ein Feberisches Wesen. Anno 1606
25. Jan. Haupts- und Leibeswehc. II. May heftige Grimmen uff
den Ritt nach Rudolpshofen und sehr schwach worden, darzu
auch Hauptweh geschlagen.
Anno 1607 12. Apr. mir das Oifft durch alle Glieder loffen
und Ich so trag worden, dass nicht zu schreiben.
Selbslbiographic des Stacilpfafrerg Wolfßanß Ammon etc. 233
NB. pcstts regiert.
22. 23. Maji gross Hauptweli, als wolle sich der Kopf
spalten. Z SepL gar irr im Haupt worden, Hirn zerrinnen wollen,
im linken Ohr fast niclits gehört und Schlags mich besorgt.
19. Od. Prost und gross Herrwehe.
Anno 1608 20. Febr. die ganze Nacht über an Grimmen
geschrien. 28. 29. diess untrSgl. Hauptweh. [fol. 111.)
Anno 1610 8. Ort. an der Lungensucht erfahren, dass ich
laborire.
Anno 1611 24. Sept ein schrökklicher Fluss mir auf die
Brasl gefollen, greulichen Snuppen und Hauptweh erlitten.
Anno 1613 26. Febr., als ich von WCillensheim [Willanzhdm
im B. A. Kitzingen] heimgangen, den rechten Knoren verstaucht,
schrökklich Frost und Hiz mich ankommen.
!8.] Anno 1014 0. Jun. die ganze Nacht krank und mit einem
Febcr bchafft. 10. diess nach gehaltener Predigt wieder krank
irorden. 1. 2. Nov. das Feber. Im Sept. etliche Tag, item 10.
und 11. Nov. schrökklich Zahnweh, [fol. 112.) Anno IÖI5 um
Medardi etliche Tage die rothe Ruhr gehabt 12. Oct. hefftigen
Frost und eine rothe Ruhr gehabt, nicht schlaffen können.
Anno I6I6 27. Marl krank worden, schrökkl. Frost und
Htz, unsäglichen Durst, Haupl'veh und ein Apostem {Geschwür]
uff der Leber gehabt. 11. Dec. entzündeten Schenkel bekommen.
Anno 1617 4. Maji einen hodigeschwollenen und entzündeten
Arm bekommen und Baders Hölfe wieder brauchen müssen.
13. Jun. und 10. Jul., auch etliche folgende Tag schrökkliche
Melancholcy. 15. Jul. ein Schageii am Schenkel.
Anno 1618 3. Jul. böse Füsse bekommen, da ich Herrn
Fuchsen das Geleit auf Steffi gteb, plözlich am Main mich an-
kommen.
Anno 1619 25. JuL Hiz und Frost etliche Tage nacheinander
neben grossen Hauplweh biss uff 31. Jul., da es wieder besser
worden. 27. Aug. ich das Feber gehabt
Anno 1622 17. Apr. und etliche Tag hernach, wie auch
schon vorher den 5. diess schrökkllchen Schnuppen und Husten
und schrökklichcs Wehe am rechten Schenkel, als wolt er erlahmen.
234 Franz Hültirtr.
Zahnweh und gross Reissen, bey der nöthigsten Arbeit in der
Charvochcn. (fol. 113,] Zu End des Majen und tm Junio am
linken Schenkel oben keine Empfindung, sondern cilcl Kalt, eines
Tellcre gross in der Runde, weiches ich hernach offt geklagt,
sonderlich, wenns sonst am allerheissesten, auch alle Jahr und
noch im 27. 25. Jun. Orimmen und das rothe Weh bekommen,
weil ich auf der Hochzeit Wein und Bier zusammen getrunken.
15. Jul. Brandveins halben, so ich uTf die Nacht zu viel
getrunken, krank worden, welches ich doch gut gemeint der Ver-
dauung halben.
Anno 1623 29. Mart grosse Hiz, Hauptwehe, Husten, Zippcr-
leins Vorspiel, in vorigen Wochen, an der linken grossen Zähen.
NB. IBI. 28'1 Im Nov. thut mein rechter Fuss. als wolle er zu
kurz werden und erlahmen, seiter Dom. Rectoris Junii Verlöbniss,
da ich uffm Eiss gefalien. [Georg Junius, vgl. Georgii II, 194.]
Anno 1624 25. April gross Zittern der Hände und Schlages
Forcht; wie auch den 30. Nov. 1623 Schlagsgefahr mir zugestanden,
in der Kirchen, \t'egen vorigen Tags eingenommenen Schrekkens von
meinen Haussleuten, die einander bey der Mezelsuppe geschlagen.
Anno 25 24. Apr., item 5. Maji gross Grimmen im Leib,
23. Sept. zur Pestzdl schrökkl. Hauptwehe.
9. Dez. hefftigen Schnuppen, Catarrhum, Fussweh, Lenden
Cness erlitten.
Anno 1626 24. Jan. schrökkl. Husten und Schnuppen.
7. Maji ein Blutgeschwür zwischen den heiml. Ort und
Hindern. ^^
Zu End des Nov. etlich Tag Lenden Griess. ^^
Anno 1627 10. Jun. gross Zittern mich ankommen.
3. Nov. Schlagflussgefahr in der Freytagspredigt; 10. diess
frühe unter der Predigt wieder Schlagfliissgefahr.
Anno 1628 6. Jan. ein Feber bekommen nach der Mittags-
predigt
[fol. 114.) Anno 1628 mitten im Jan. schrökkl. Husten und
Halsswehe gehabt, auch etwas von Lungensuchl verspürt Fast
durch den ganzen April dieses Jahres grossen Husten gehabt
5. und 6. Nov. schrökkl. Husten und Halswehc erlitten.
Setbstbiognphie des Stadtpfanrrs Wolfgang Ammon etc. 235
Anno 1629 13. Majt, wie ich in die Betstund zur Sacristcy
«ngehe, bin ich verrenket worden, dass icli diesen Tag fast weder
jehen noch stehen, sizen noch liegen könnnen. Zu End des SepL
seit mir der neue Most gar hart zu an meiner üesundheil mit
Kcichen, Husten, Schnuppen. 3, OcL ich sehr übel auf, abermal
Mosts halben.
1630 19. JuL ein Fieber sich bey mir eräuget, bricht darnach
aus in Tertianam und hab nach dem Mittag (21. Jui.), lange in
keine Kirche mehr gekonnt, bin einstens 24 Stund und dann ein
andermal wieder 20 Stund in der Hiz an einen Stükk gelegen,
ohne was sonst geschehen.
20. diess, als ich ein Vomitorium von Herrn Apotheker
«ingenommen, mich schrökklich einmal oder 5 gewürgt befunden.
Darauf Herrn D. Kaisem, einen treuen Mcdicum, der mich
fast alle Tag besucht und den Urin besehen, gebraucht biss uff
13. Sept, da er nach meinen richtig befundenen Wasser mich
nieder ledig gegeben und gesprochen. Immittelst aber haben
mich viel ehrliche Leute besucht, als Herr Pfarrer, Herr Apolhekcr
St6berlein, Herr Redor, Herr Cantor, Herr LerleiHj Herr Augustus
Wi^fner, Herr Lorenz GamperL
(fol 115.] Nachdem das Feber (da sich auch die Wasser-
sucht anspinnen wollen) ist curirt worden, hat sich ein Leberfiuss
in meinen recliten Fuss gesetzt und mir schrökkliche Schmenen
verursachet, dass ich nicht gehen können eine lange Zeit Da
hat kein Schmieren des TerpentinölSj Wacho3deröls, des Bisenöls
noch Wassers, Menschen schmalz und KalbsgelQngwassers etc. etwas
verfangen oder geholfen, auch Knötlein und Wasser mit Olösslein
im Bckkcnbrod erhr«, nichts geschafft. NB. 16 fl. kostet die
Apotheken, an 8 Eymcrn Most. Ach Gott! Wie hab ich so
manchen Sirup und bittere Ding eingenommen, auch in 13 (24
sagt der Dodor) Habersuppen (die mit Essig gemacht) 13 (24)
PurgierpQlverlein unwissend bekommen.
NB. Freitag 10. SepL bin icli das erste mal aus und in die
Kirche gangen. Und ob ich wol fortan mein Ampt versehen, so
hab ich doch mit keiner Leichprocess gehen können, sondern im
Gottsakker uffgewartet und bin nach allen Leuten allein herab-
236 Franz Hflltner,
gangen, auch meine Predigt sizend verrichtet, auch unter den Qe-
sängeti sizend vor dem Altar mich sehen lassen. Kurz vor
Weyhnachten aber ists etwas besser worden.
29. Oct Anno 30 sehr matt und krank gewesen, auch bey
die 13 StQl gehabt und weiss doch keine Ursach.
4. Dez. Anno 30, als ich Bücher von der Studierstuben in
die fördere getragen, mich schrökklich verrenkt, dass ich sdirökk-
lich geschrien, weder recht stehen, sizen, hegen oder gehen können.
Anno ]ö3l 2fi. Jan. mein rechter Back und Aug sehr ge-
schwollen. Im Anfang des Majen ellich Tag schrökkt. Schmerzen
am rechten Schenkel erliden, folgeiids in diesem Jahr 4. Jul., als
ich von D. Kayssers Mahlzeit heimkommen, schrökki. Wchthum am
rechten Schenkel, wie auch etliche Tag vor und nach gehabt, dass
ich kezerlich geschrien, [Bl. 29'] und erstlich lang weder lii^en,
stehen, sizen noch gehen können.
Im Augusto das Phlegma, Lürcheln und schrökklicher
Husten mir sehr zugesezt.
Anno 32 im Januar das Handzittem mir sehr viel Leids
gethan.
Diess Jahrs 18. Aug. krank worden, DrittSgliches Feber be-
kommen, Samstags und doch folgenden Tags geprediget und das
Nachtmal allein gehallen, weil mein Caplan zu Segniz geprediget
Den 28. diess hals, Gott Lob, nachgelassen; aber schwer Haupt-
weh geblieben. Doch den 7. Sept, erst ausgangcn. [foL 116.]
20. SepL Anno 32 gross Weh am linken Aug ausgestanden.
H. Od. ich eine böse Nacht gehabt und keine Stund geschlaKen.
17. Dez. Montag schrökki. Schnuppen und Hauptweb, auch
Husten,
[fol. 122.] Predigten, extraordinarie gethan.
Anno 1602 19. Sept. zu Brail für den Herrn Pfarrer uff
gn. Herrschaft Befehl geprediget.
2L Sept. wieder für den kranken Caplan geprediget
Anno 1603 4 Predigten zu Marckbreit den 21., 22., 24., 25.
April uff gn. Befehl gehalten, 2 fl. Verehrung und mein Essen
gehabt.
12, und 13. Jun. wiederum zu Brait 2 Predigten gehabt
J
Selbstbiographie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon ett
i
j'\nno I6I4 18. Dec für Herrn Pfarrer Oeorg Conrad, da
s«m ■VC'eib krank.
Anno 1604 17. Jun. zu Dornheim geprediget
Anno 1616 10. Mart zu Erlach, da Herr Sch^echslus mir
•^^chtet 8. Dec auch daselbsl nach seinem TodL
21. Dec daselbst, da ich M. Posllem mvestirl. 25. 26. Dez.
^•■" meinen Herrn Collegam, da sein Weib todL
kl-
— ^1
.30]
k
Anno 1617 von Mariae Verkündigung, da mein Herr Collen
ank, bis uff Quasimodogenili alle Predigten verrichtet neben
^n\ meinen, in der Zeit mein erstes Weib gestorben.
25. Maji für ihn geprediget, da ich ifin ausgelcDndiget
Anno 1619 2. Maji wiederum für ihn.
Anno 1623 10. Juti. für ihn geprediget, da er den Zehenden
verleihen gen Onolzbach gefahren.
Anno 1626 20. Apr., da er zu Remlingen [B. A. Markt-
^eidcnfeldj gc«-esen, und Herrn Husswedeln besucht
Anno 1626 17. SepL 15. Irin., da Herr Pfarrer zu Erlach
ftir den kranken M. Postler laborirt, ich hie gepredigeL
Anno 1627 29. Apr. am Betsonntag für Herrn Pfarrer.
10. Jun. für den Herrn Pfarrer, als er den Herrn Cuppelich
^u Erlach invcslirt, da ich an diesem einigen Tag frühe noch
etliche Beichtkinder gehört, allein alles gelesen, vor dem Glauben
TiOch eine frembde Beicht gehört, gepredigt, 2 Kindstauffen, eine
Leich zu bestatten, die Kinderlehr und Vesper verrichtet und also
mit Gottes Hülf diesen Tag 5 Seegen öffentlich gesprochen in
Kirchenactibus;aber bin sehr darüber zilterend worden.
Anno 31 6. Jul. für Herrn Pfarrern, doch er den Tieylag
für mich,
[fol. 126.) Consistoria, da ich zugezogen worden.
Anno I59Q 13. Febr. mit Herrn Valten Apel herabgefahren
von Crassolzheim zum Consistorio.
Anno 1608 8. Mart. und 30, Aug. im Schloss.
4. Jul. zum Seehau&s einem Consistorio beygewohnt Anno !609.
Anno 16H 29. und 30. Jan. zu Northeim dem Consistorio
beygevohnt.
Anno 1615 25. Oct Consistarium zu BraH worden.
238 Franz HGttner.
J
Anno 1617 12. Sept desgl. 1620 30. 31. Maji. 1622£=
28. Maji. I
Anno 1624 14. Jul. Turners halben, der viel Mühe gemacht, «*
darnach mit dnern Schelm entloffcn, am Consistorialtag den «
22. Febr. Anno 25.
Anno 1625 12. Jan. Anno 1626 U. Jan. und 13. Mart.
1626 6. Apr. 21. Jun. wegen Claus Oerters Tochter. 11. JuL -
12. und 13. Scpt wieder Ihrethalben.
1626. NB. Claus Oerters Tochter wird aufs Rathhauss
verarreslirt, 12. Sept Den 22. diess wieder auf frc)-en Fuss ge-
stcllct. 13. Oct Consistorium, da man ein Schreiben wegen Herrn
Wunderleins und der Ocrtcrin an Sdiöppenstul zu Coburg ab-
gehen lassen.
[Bl. 30'] Anno 1627 9. Jan. wegen Claus Oericrs Tochter, dieweil
sie vemimml, sie zu Herrn Wunderlein wieder gesprochen werde,
enHauffL
(fol. 127.] Anno 1627 wegen Herrn Wunderleins, 27. Mart
18. Jun. 23. Jul. 3. Sept. 4. diesses abermal, da wir sententiam
definilivam aufgesetzt
NB. Anno 1628 7. Apr. das Consistorium zu Markbrait
von Würzbui^ sehr angefochlen bey grosser Straff, keines mehr
zu halten. Item im Junio.
1. Sept. den ganzen Tag Pfanzarts Tochter halben Ehe-
gericht.
18. diess bey 3 Stund, da sie sich dann gestelleL 20. diess
haben wir Consisloriales Ihret- und des Becken halben gen Sec-
haiiss geschrieben und unterschrieben. 25. diess wegen Pfanzarts
abwesenden Tochter, da man D. Görings Schreiben verlesen,
Pflanzarten zu verhören. 30. diess der Handel ausgangen, und
sind sie zusammen gesprochen.
Anno 29 14. Sept. 6. Nov. 23. 25. Nov. 2. Dec Anno
1630 8. Jan. 5. Febr. Anno 1631 27. April (in variis causis).
Anno 1631 27. SepL wegen Apothekers Gesellen und Herrn
Pfarrers Conradi Tochter.
Anno 1632 14. 1633 13. und 16. Maji wegen Hansscn
DüUen Tochter und eines Landknechts als vermeinten Bräutigams.
Selbstbiocn^hie des Siadtpfairets Wolfgang Amnion etc. 239
JVnno 1634 3. Febr. in Herrn Schuldheissen Hauss wegen
Thoinovarts, SchreinerSi Stiefftochter und Ceorg Northeimers, Herrn
Hansen Knecht^ Winkelehe.
(Schlou folEt.)
240 Besprechungen.
Besprechungen.
Max Bauer. Das Oeschlechtaleben In der deutseben Var- ^
Cengenhelt. 2. Aufl. Leipzig. Hermann Seemann Nachf. 1902.(366 5.) 4
Wenn idi vorliegendes Buch in einer Zeitschrift anzeige, die sidi i
in den Dienst der wissenschaftlichen Behandhing kulturgeschichtlicher "
For^htmgen gestellt hat, so ka.[in das von vornherein nur mit einiga
Einschränkung geschehen, denn das Buch ist nicht eigentlich für den \
Gelehrten geschrieben. Ich möchte daher — schon um dem Vcrfass«
nicht unrecht zu tun — nicht mehr aus dem Buche machen als es
in Wirklidikcit ist. Andererseits aber verdient es doch vohl, daß
Kulturhisloriker und deutsche Archäologen darauf aufmerksam gemacht
werden.
Zunächst halte ich es fQr nötig hervorzuheben, was bei dem
heiklen Thema gewiß nicht cinwichlig ist, daß der Verfasser seinen Stoff
Im allgemeinen mit Ruhe und Würde angegriffen hat. Wirt das nicht
der Fall, so würden wir uns hier überhaupt nicht mit ihm befassen. Ijcidcr
hat sich Bauer aber in dem Bestreben nach populärer Ausdrucicsveisc
verleiten lassen, verschiedcmlich einen burschikosen Ton anzuschlagen,
der unter anderen Bedingungen vielleicht nur humorvoll virken wQrde,
der in die Behandlung gerade des Geschlechtslebens aber etwas Prickeln-
des und Kokettierendes hineinbringt, welches an den Vortrag von Pj-
kantcricn erinnert. So kann ich nicht sagen, daiJ mir die Art, in der
auf S. 24/2S die Geschichte von .Klein-lsoldchen' vorgetragen wird,
gefallen könnte, und davon gibt es noch einige Beispiele mehr. In des
Verfassers Stelle würde Ich gerade bei der Art des Themas ingstUch alles
vermieden haben, iras auch nur den Schein eines Slrebens nach un-
lauterer U'irkung erwecken konnte, denn dafi diese letztere von ihm wohl
nicht beabsichtigt ist, räume ich gern ein. Es ist offenbar nur die
Polge einer gewissen Geschmacklosigkeit, die auch sonst verschiedentlich
zw Tage tritt. Wenn z. B. auf S. 274 von der Tanzfreude die Rede ist
und dabei ganz unvermittelt ein Citat aus Berthold von Regensburg
und eins ans Gocihe zusammengestellt werden: ,Bnioder Berthotd, rttle
waz dfl wellest! wir miigen ungetanzet nicht sin*, denn .... .hier ist
des Volkes wahrer Himmel, zufrieden jauchzet Groß und IClein, Hier bin
ich Mensch, hier darf icli's sein!" oder wenn Bauer gar auf S- 266 sagt;
i,Salomc, die Tochter Herodias, ertanzte steh das Haupt Johannes des
Täufers, wenn wir der Legende und Sudermann glauben dürfen*, so
kann icli in sulchcn Geschmacklosigkeiten nur eine Beleidigung für .den
*
E^bildcten Mann und die reif«, denkende Frau" erblicken, an die das
BucVi nach der Vorrede gerichtet ist. In dieser Beziehung wird bei
^»»e» neuen Auflage hoffentlich die Gelegenheit zu manchef Reinigung
**^nuw werden.
Auch sonst wird fQr den Gelehrten noch das eine und andere
^*" xrtnschen übrig bleiben. Erstens nämlich finden sich viele Stellen tn
"^^if^hrungszeichen gesetzt, ohne daß angegeben ist, woher sie entlehnt
****<!, Ich glaube, daß eine genaue Angabe der betr. Quellen, zumal da es
^* <^h hier um eine grolie Reihe von Beispielen handelt, dcti Wert des Buches
^*^ *scnllirii erhöhen würde. Ebendahin gcliört auch eine gröüere Sorgfall
■■*» Drucke von Namen — z. B. Nicolaus Manuel statt Manncl S. 188 —
*■**«! von altdeutschen Citaten, in denen man häufig bemerkt, dat
**^^ni Verfasser offenbar eine gelehrte germanistische Bildung abgeht —
*«> ist z. B. auIS. HQ zu schreiben: wan statt man. S. 196 mehtig statt
*^^etig, S. 324 untz statt nutz, auch S. 19S Über vagatorum statt vaga-
^«^«■um. Schlimmer noch denke ich darüber, wenn S. 334 bei -berlin'
**sas erklilrende „Perlen* mit Fragezeichen versehen ist, und wenn eben-
^ort .mussecken" geradezu falsch mit .Brüsten" erklärt ist, während es
^tsächlich eine aus Frankreich herübergekommene besondere Art des
■Bockes bezeichnet [= italtcn. mozzetta, franz. mossette]- Es ist nun
tiama) so, daß man deutsche Kulturgeschichte ohne Kenntnis des älteren
deutschen Sprachslandes nicht schreiben kann.
Indessen der Gelehrte, dem ich das Buch trotz alledem empfehle,
*inl leicht in der Lage sein, derartige Fehler zu bericlitigen, und er
vird im übrigen das Buch als eine sehr fleißige Zusammenstellung
Jdiitzen Icmcn. Bauer ist, soviel ich sehe, auf die Urquellen nicht
unickgegangen, sondern er hat sich mit der Benutzung der abgeleiteten
modernen Quellen begnügt, was ihm bei seinen mehr populären Zwecken
durchaus nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Jedenfalls aber ist
es ihm gelungen, eine groüe Menge von Stoff zusammenzutragen und
sie zu einem sehr interessanten Buche zu verschiiielzcn. Inhaltlich wird
ja das eine oder das andere noch zu ändern bezw. zu korrigieren sein,
so wire auf S. 9 wohl das Verhältnis von Marienkult und JVtinnedienst
näher und — meine ich — etwas anders, als es geschehen ist, zu be-
leuchten gewesen; so ist die Bemerkung: ^^Die Ahnen im Mittelalter
sdien in absoluter Nacktheit keinen Verstoß gegen die gute Sitte- (S. 39.)
in dieser allgemeinen Fassung sicherlich auch nicht zutreffend. So
fordert es z. B. auch zum Widerspruch heraus, daß Bauer S. 340 sagt:
.Wenn Brunnhofer das Feld des Aberglaubens in vier Gebiete ein-
teilt: das naive, das komische, das tragikomische und das tragische, so
ziehe ich die einfache Zweiteilung in gefährlichen und ungefährlichen
Aberglauben vor". - Ob Brunnhofers Einteilung eine erschöpiende
ist oder nicht, lasse ich dahingesieltlj ich kann es auch nicht völlig
AtAiv tSf KultorgMchtchtt I, 3. lö
Besprediunsen.
beurteilen, jedenfalls aber ist sie aus inneren Beziehungen vorgcnommeit ,
und verdient deshalb unbedingt vor der Bauer'schen den Vorzug, die]
lediglich aus iußeren, noch dazu in den verschiedenen Zeitverhälinlssen
schvankenden Zufälligkeiten abgeleitet ist, und mit der man daher
vissenschaftlich überhaupt nicht operieren kann.
Das alles verschläk't aber zunächst nicht sehr vid, die Hauptsache
an dem Buche auch für den Kulturhtstoriker besteht darin, daß hier ein
sehr wichtiger Tal der deutschen Privatallertümer in einer umfangreichen
Monographie eingehend behandelt ist, und vtmn mir nach der großen
Menge von Auuijgen. die ich selbst mir aus dem Buche gemacht habe,
ein allgemciiter Schliili gestattet wird, so darf ich wohl sagen, daß der
Archäologe grollen Gewinn daraus ziehen kann.
Die Einteilung ist folgende: Das frühe Mittelalter — Das Leben
auf dem Dorfe — Die Klöster — Beilagcr und Ehe — Die feile Liebe
~ Das Badewescti — Tanz und Spiel — Das Sdi5n heilsideal — Die
Kleidung — Liebeszauber und Zauberlicbc. Sie ist etvas kraus, auch
nicht einmal ganz erschöpfend, Bauer hat sie eben nadi seinen ße-
dQrfnissen und so, vne er den Stoff übersah, sich zurcchtgeli^, und es
ist geviU, dall eine wissenschaftliche Systematik der Privataltertümer sie
nicht gebrauchen kann. Dennoch hnbe ich sie angeführt, veil man
daraus scliun ersieht, über welch weile Gebiete der Verfasser zu belehren
vermag, nnd deshalb möchte ich, daß zu der sicherlich großen Menge
nicht fachgelehrter Leser, die sich durch das Thema werden anlocken
lassen, audi eine recht große Zahl deutscher Archäologen sich gesollen
möge. Ein wissenschaftliches Handbuch deutscher I'amilicnaltertünier
fehlt uns leider noch immer, deshalb ist es uns willkommen, daß Bauer?
Blich wenigstens für einen Teil derselben vorläufig einen gewissen
Ersatz bietet.
Die Ausstattung, in die sich leider die moderne »nnlose Art, die
Seitenzählung auf die untere Ecke ru setzen, elngesdilidicn hat, ist im
übrigen sehr zu loben, und es wäre nur zu wünschen, daß alle wissen-
schaftlidien Arbeiten in so handlicher und in bezug auf Papier und
Dnick in so schöner Form herausgegeben würden wie das vorliegende Buch.
Frankfurt a. M. Otio Lauffer.
A. Tille, Die BenedlktlnerabUl S. Martin bei Trier.
(Trierisches Archiv hrsg. von Keuffer, Heft IV.) Trier. Linti. 1900. {<H
und -lO S.)
Ist auch die ins zehnte Jahrhundert zurückreichende Abtei niemals
von Bedeutung gewesen, so gewälirt sie doch als Typus klösterlicher
EnU'itklung einen um so schätzbareren Stoff, als die auf «n keinc&<
wegs reiches, aber sehr zeretrcutes Material geslfitzle Untersudiung mit
großer Exaktheit gef&hrt ist. Ihr Schwerpunkt liegt naturgemäß in der
Behindlung wirtschaftlicher Verhältnisse, und Erwerbspolilik wie Oüier-
venraltung des Klosters erfahren in den durch Lamprechts Wirtechafls-
leben vorsezetchnelen Linien sachkundige Beleuchtung;, die tn den sb-
Sedmcklen Pachtverträgen und Weistömem Erläuterung findet. Daß
\wie in diesem Falle neuieiÜiclie Besitzer allen KtosteTguts die Erforschung
«der Vergangenheit fördern möchten, ist ein Wunsch, der leider vorläufig
noch geringetn Verständnis begegnet. q ij.u.
Wk Mailänder Briefe zur bayerischen und allremeineo Qa*
schiebt* dc> 16. Jahrhunderts. Mitgeteilt von fi. Simpns/eiä. [. IL Aus
«Jen Abhandlungen der K. bayer, Akademie der Wissenschaften. München
»,1902. Verlag der K. Akademie (0. Franz in Commiss.)
Es sind Briefe in ilaUcnischcr und lateinischer Sprache, vornehmlich
"^fon einem Prospero Visconti, daneben in weniger korrekter Form von dessen
'X''etter Gaspaio Visconti und auch von anderen Mailändern an Herzog
"^'ilhcirn V. von Bavcm gcrichtel, die SJmonsfeld zum Teil nach den in
^tünchen befindlichen Originalen, zum Teil, wo jene nicht erhallen, nacii dem
Kon7-cpt-, richtiger Abschriftbuch des Visconti, das sich in der Trivul-
.aiana zu Mailand befindet, hier dem Worttaut nach miltelU. Oelegenttich
sind aber auch nur die in Mfinchen angefertigten deutschen Obersetzungen
<Jer eingelaufenen Briefe erhalten und mitgeteill. Auf den in der 1. Ab-
»teilung vorgelegten, sorgfSitig bearbeiteten Text der Briefe läßt Simonsfeld
sn der 11. die Darstellung der aus ihnen sich ergebenden Resultate für
<lie bayerische und altgemcine, politische und Kulturgeschichte folgen.
tjn letzterer, uns hier interessierender Beziehung ergiebl die Arbeil nun sehr
■viel. Woran der Kenner bei der Leklürc der Briefe auf den ersten Blick
«rinnert wird, das slellt zunächst auch Sinionsfeld fest. Dieser Prospero
'Visconti ist etwas ähnliches wie der berühmte Augsburger Patrizier
Philipp Hainhofer: ein politischer Korrespondent von Fürsten, der zu-
gleich als Agent für die Befriedigung des damals beginnenden Kunst-
Interesses der Höfe diente. Zu solchem Dienste mußte einer an einem
Zcnlrum des Verkehrs und des Kunstgewerbes leben, wie es Augsl^urg,
-wie es Mailand nicht minder war. Auf diese polilischen Agenten
<Icr Fürsten bin ich in meiner Geschichte des deutschen Briefes Bd. It
»S. 112 ff. des näheren zu sprechen gekommen. Die dort angeführte
Stelle aus des Spaten's Sekretariatkuiisl: »die Zeitungsschriflen »erden
von den Förstl. Agenten und Unterhändlern, auch andern, so gegen ein
gewisses Jabrgelt in großen Handelsstädten darzu absonderlich bestellt,
wöchentlich nach Hofe geschickt", paßt auch auf Visconti, zwar nicht in
bezug auf das jährliche Fixum ~ die beiden Visconti erhielten dafür Ge-
schenke, Tilci usw.—, wohl aber in hczug auf die PeriodtzilÜC ihrer Berichte.
Vgl. Simonsleld S. U5: »Wir hören, daß Prospero mindestens schon seit
16*
von Sümpfen und Mooren und einer rationellen Waldwirtschaft. Die
bösen AusdünstungeTi ans den Morästen zusammen mit der Schädlich-
keit der Entwaldung gcstalletcn das Klima Ungarns zu einem für Fremde
geradem mörderischen tattßerordenll. Kontrast npi sehen Tages- und Nacht-,
Sommer- und Wintertemperatur usw.) und die hygienischen Verhällnisse
äufierst ungunstig (nasser Boden, schlechtes Trinkwasser etc.). Da infolge der
Mißwirtschaft sich einstellende aulierordentliche wirtschafttichc Niedergang
zusammen mil den argen Bedrückungen der Bevölkerung durch die krieg-
führenden Parteien (Freund nictil minder wie Feind) brachten es mit sich, dafl
auf der einen Seite völliger Mangel an den nötigsten Lebensbedürfnissen
herrschte und auf der andern ein reichlicher Übcrfluü an allen möglichen
Genüssen, die iiamentlidi den fremden KÜfsvölkern in besonderem Mafle
zu Oebote standen. Da diesen ein Krieg in dem damaligen Ungarn nadi
atigemein herrschender Anschauung dasselbe bedeutete \rie ein sicherer
Tod, so war es nur menschlich, daß sie allen diesen ihnen zum Teil ganz
ungewohnten und deshalb fUr sie um so venlerbltcheren Schwelgereien
in der ausschweilendsten und unmäüigstcn Weise fröhnten. Besonders
toll sollen CS die Deutschen getrieben haben, deren Voracität damals
geradezu sprichwörtlich war und die dazu einen so mangelhaficn hygie-
nischen Sinn zeigten, daU sie darin sogar weit hinter den Türken zurück-
blietien!
Dazu kamen dir vielen Schädlichkeiten des Lagerlebens, die
Strapazen des Krieges, die auf ganz tiefer Stufe stehenden Sanitlts-
einrichtungen (Ärale und Apotheken), alles Momente, die einen äußerst
guten Nährboden fflr die Entstehung und Verbreitung solcher epide-
mischen Krankheiten wie des morb. hung. abgeben und die be-
sondere den Fremden und namentlich den Deutschen verhängnisvoll werden
mußlen [Ungarn hieü damals der »Kirchhof, das Grab der Deutschen !-.)
Die Seuche Ist Übrigens nicht authochlhon in Ungarn entstanden,
sondern, wie Verf. nachweist, 1M2 durch italienische Hilfstruppen
aus Italien, wo sie schon seit langem epidemisch auftrat, in Ungarn
eingeschleppt,
Alles in allem besteht also durchaus keine Berechtigung, .diese
gewöhnliche und allerorts auftretende Krankheit auf den Namen der
Ungarn zu schreiben", wie das schon Fuker 1777 im beleidigten ma-
gyarischen Nattonalstolz hervorhebt. Und wenn Verf. die Worte Fukcr's
an den Schluß seines Bucli^ setzt (im lateinischen Urtext), so zeigt
das am besten den Nebenzweck, den er bei seinen mühsamen Forsdiungen
verfolgte (oder war es der Hauptzweck?), nämlich gewissermaßen eine Ehren-
rettung seines Vaterlandes zu unternehmen, indem er den Beweis erbringt, daU
der morh, hungaricus ebenso wenig etwas spezifisch Ungarisches hat, wie
t B. die Franzoscnkrankheil (tucg) Französisches. Dr. Hübner-
Kleine Mitteilungen und Referate.
Kleine Mitteilungen und Referate.
Zwei schon im Altertum ihres Inhalts beraubte Sarkophaj;e,
den eines karthagischen l*riestcrs zweifellos punJschen Stammes und den
einer ägyptiscli gekleideten Pncsterin mit rein griechischen Zügen hat
H Odattre in einer allen punischen Oräberst^lte bei Bondj-el-Dje<Iid ge-
™ funden. Der Charakter und das Aussehen der darin bestalteten Leichen
crgiebt sich aus ihrer gcnairen plastischen und malerischen Nachbildung
tul den Saikoptiagen selbst, die bei der lleraubung nicht beschSdrgt ist.
■ In der Sammlung der von Qrenfell, Hunt und Smyly herausge-
gcbencn Tebtunispapyri befindet sich ein ziemlich vollständig er-
haltener und sehr ins einzelne gehender Heiratsvertrag in griechischer
Sprache, der 92 v. Chr.. in plolem bischer Zeit, in Kcrkeosiris, einem
IDorf im Oau Arsinoe irischen einem Perser und einer Perserin ge-
tchlossen ist
Ober die jetzt im Museum von St. Oermain-en-Layc befindliche,
prShfitorische römische und gallisch - fränkische Funde enthaltende
Sammlung Moreau belehr! ein Bericht von H. Hubert tR^vuearchL-oIogi-
qu« Sept./OW. lt«)2).
Eine nicht üble kuIturgeschichlHche .Studie' bietet Paal WagUr
in No. 212, 2V\ 219 und 220 der ..Beilaße nir Allgemeinen Zeitung',
Jahrg. 1902 (Modernes im Altertum). W. zeigt „an einer (freilich
sehr bunten) l?eihcvon Beispielen, daß manche Dinge und Erscheinungen
des täglichen Ixbcns, die wir geneigt sind für durchaus modern zu halten,
doch ihre unverkennbaren Vorläufer und Ant icip.it ioncn, gewissermaHcn ihr
primitivste Pendant und Analogen bereits im grauen Altertum aufweisen
können.' Es sind danmtcr Dinge wie Taxameterdrosch Iten, Schlachten-
Oanonuiien, Blitzableiter, Künstliche Bebriitung, Kneippkur. Monocle u. s.v.
Nfachträge liefert ein Aufsatz in dereelbcn Zeitschrift No. 226 von
•^\4. Landau, «Noch etwas modernes im Altertum". Bei manchen Dingen,
'>M^ic z. B. dem Seiltanzen, handelt es sich freilich urn nichts als Über-
^^mefening aus dem Altertum.
^P In den „Summen aus Maria-I.2ach" 1Q02, I, beginnt y. Dahl/nana
^^^inc Abhandlung über „Chinas alte Kultur im Lichte der
.S üngEtea Punde und Eorschutigen."
kDer Artikel Karl Dieter icfi's: Kulturgeschichtliche Orund-
a^d u"*) gegenseitiges Verhältnis der byzantinischen und
^Neugriechischen Literatur (Beilage zur Allgem. Zeitung 1902.
^^o. 279/90) ist der Einleitung zu einer Geschichte der byzantinischen
248 Kleine Mittejlungen und Referate.
und neugriechischen Literatur von dem&elben Verfas^r entnommen. Ein
Hauplßcsichtspunlfl ist der, daQ die by2antinische Periode im Gegensatz
zu der hellenistischen, die eine Hctknisicning des Orients bedeutet, eine
OrientalisTcningdes Oriectienlums involvien, während wieder die Eraanzi-
pierung des Oriechentums vom Orient und sein Wicderanschlufl an die
Kultur des Occidents den ln.h.ilt der neugriechischen Periode bildet.
Andererseits steckt in den Neug:riechen, wenn auch mehr latent, noch
viel vom b>-z2ntinischen Wesen.
Di« zunehmende Verbreitung des Werkes von Joh. Janssen, Ge-
schichte des deutschen Volkes seit dem Ausj^Bng des Mittel-
allers zeigt sich wieder in dem Erscheinen einerneuen (15/6.) von L. Pastor
bearbeiteten Auflage des 5, Bandes (Freiburg i. B., Herder). Ein
näheres Eingehen auf diese Neuauflage erübrigt sich, zumal der Band nicht
zu den kulturgeschichllichen Teilen des Werkes gehört. Natürlich haben
aber die Schilderung der konfessionell (^n Streitigkeiten nnd der Polemik,
die in dem bis 1618 reichenden Bande einen breiten Raum einnimmt,
ebenso die Partien über die Jesuiten auch ihr kulturgeschichtliches Interesse.
Auch hier zeigt es sich nber vieder, daß der Hauptweit des Werkes in
der Darbietung reichen Materials liegt, dessen Virrarbeitung in höherem
Sinne, auch abgesehen von dem j^onfessionellcn Standpunlci, nament-
lich infolge des Prinzips der Quellenstellenzusammenreihung im ganzen
noch aussieht.
Es sind wolil Teile oder zum Teil Teile aus den noch ausstehenden
Bänden seiner „Deutschen Geschichte," die Karl Lamprechi ncucrding
in der Form von Zeilschriftenatifsätzen veiöff entlieht hat. Seine gant«
vielseitige aufnähme- und ausgabei^hige Art spiegeln sie ebenso wieder
«ie sein Streben, den Verlauf der Dinge auf grosse seelische Wandlungen
zurückzuführen. DalJ man die Dinge auch bei gleichem Streben nach
gleichem Ziel anders ansehen kann nnd zuweilen muß, ist aber ebenfalls
zu betonen- In den „Annaleii der Naturphilosophie" Bd. I S. -138 ff.
sucht er Denken und Anschauung der lö.— 18. Jahrhunderts zu begreifen.
(•Der intelleklualistische und ästhetische Charakter des indi-
vidualistischen Zeitalters der deutschen Geschichte"), Ganz
nebenbei bemerkt und ohne Wichtigkeit für den eigentlichen Inhalt des
trotz manchem Anfechtbaren bedeutenden Aufsatzes — die Partie über den
Hexenwahn zeigt merkwürdig gerini^e Einwirkung der letzten Arbeiten,
namentlich Hansens, darüber. Den Beginn der Abhängigkeit der allgemeinen
Kultur von den Höfen wird man noch früher hinaiifriicketi müssen, als es
S. 466 geschieht. Nicht ohne Eigenart stellt sich der Aufsatz in „Nord und
Süd" Heft 304 dar: „Die deu1*chc und niederländische Dichtung
m 16. und 17. Jahrhundert entwicklungsgeschiciitlich betrachtet."
Die Betonung der niederländischen Literatur ist durchaus gutzuheißen.
Wieder ganz nebenbei : bei Ftscharl sind die Züge des Niedergangs, die auch
Kktne Mitteilungen und Referale.
tr rdchlidi verrät, niclil gcaflgem! hei vorschoben. Interessant geschrieben
ist der dritte Aufsatz: „Über die Anlange der dcu fschen Partei-
Ibildung im 18. und 19. Jahrhundert" (Patria, Jahrbuch der
»Hilfe- 1903).
In den „Monatsheften der Comenius-Gesellschafl" Xt, Sl\0 giebt
F. Thadiehum ein ausführliches Bild des für di« Geistesgeschichte so
bedeutenden Lebens und Wirkens von Johann Reu clilin. Er will darin
■ die bisherigen Ergebnisse der Forachung zusammenlassen, zugleich aber
B in manchen Punkten berichtigen und, soviel die Schriften Reuchtins
■ angeht, Tesenilich vervollständigen.
H Aus dem 1. Heft des 13. Jahrgangs der ,, Mitteilungen der
'Ocsellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgcschichte"
seien folgende Beiträge genannt: Privilegium Kaiser Friedrichs III von
1471 für die Stadt Lüneburg zur Errichtung eines Rechtsstudiums von
Ewald Hom, der dem Privileg aber geringere allgemeine Bedeutung
beilegt als Kaufmann; Beiträge zu der Wirksamkeit der Fratcrherren in
Emmerich von Petry, dessen QuellcnmitteÜnngen indes mehr zur Ge-
schichte der ßauledinilc beitragen; Zur OescMchle der Erziehung der
Bayrischen Wittclstvacher von F. Schmidt, der damit seine Nachträge zu
seinem Hauptwerk abschließt; Die Einrichtung einer , .deutschen Schul"
am Gymnasium zu Ooth^ durch Herzog Ernst d. Pr. im Jahre 1662; Die
»crtien 75 Jahre der Berliner Qemeindeschule von L H. fischer.
I In der „Deutschen Revue" Dezember 1902 findet sich ein allgemeitl
interessierender Aufsatz von G. Grober, Die Frauen im M. A. und die
erste Frauenrechtlerin (Christine de Pis»n).
■ Die Heimat, eine natur- u. landeskundliche Monatsschrift fOr
"Schleswig- Holstein bringt in Ho. II des 12. Jahrgangs einen Aufsatz von
Hansen, Zur Geschichte der Personennamen in Schlcswig-
I Holstein.
Zur Geschichte der Spiele trägl der Aufsatz von D. Rtuymaeken,
Une Sorte de football en m. a. ä Tirlemont et ä Jodoigne bei
<Annate$ de la societe d'archtol. de Bruxetles XVI, V^).
O. V. Below veröffentlicht in dtr Beilage zur Allgemeinen Zeitung
(1903No.ll> einen Vortrag: Das kurze Leben einer viel genannten
Theorie (Über die Lehre vom Ureigentum). Es kommt ihm vor allem
darauf an, der vergleichenden Methode auJ den Zahn zu fühlen. Durch
den allerdings erbrachten Kachweis, wie ein cinzehies Resultat derselben,
die Theorie von dem Gemeineigentum am Acäterlande als notwendigem
»Durchgangsstadium bei allen Völkern, eine Anschauung, die eine Zeitlang
pnz allgemein herrschte, nach und nach durch Einzelforechungen wieder
erschüttert wurde, ist aber die Meinung, daB .bei den Theorien, die haupt-
lichlich auf die Verwertung von Analogien gestützt sind, der Fall besonders
250 Kleine Mitteilungen und Referate.
jäh" isl, noch nicht ohne weiteres zulässig. Man könnte dafür zwar auch die
verßieichemieSprachwisscnschafl mit ihren jclitsehr erschriUertenRwultalen
heranziehen. Aus solchen sehr ilankenswerten Nachweisen sollte man
alleeineiti die Konsequenz ziehen, keilte herrschende Theorie als ein noli
mc längere anzusehen, vor allem aber nicht aus der Annahme oder Nlcht-
annatime derselben Schlüsse auf die wissenschaftliche Qualität irgend
jemandes ziehen und weiter sich bptniihen, überhaupt die Schulmeinungen,
die ZtigehöriRkeit zu einer RichtunK, Schule, KMquc nicht ais maßgebend
für die Beurtheilung und äuBere FOidcrutig eines Celehnen zu craditcn.
Aus der Zeilschrifl für die Geschichte des Oberrheins (N. F. XVII, 4)
sei fiine Arbeit von G. Caro hervorgehoben: Zwei Elsüsscr Dürfer
zur Zeit Karls des Grollen; ein Beitrag zur wtrtschaftsgeschrchtlichen
Verwertung der Traditiones Wizenbuigeiises.
Eine weitere Abhandlung G.Caro's, Zur Agrargeschlchte der
Norüostschweiz und angrenzender Gebiete vom 10, bis zum 13. Jahrh.
(Jahrbücher för Nationalökonomie 79,5) sucht vor allem der gangbaren
Meinung, daß in der Karolingerzeit der freie Mann in Hörigkeit versunken,
der kleine Onmdbesitz vom großen verschlungen sei, durch den Nachweis
des fortdauernden Vorhandenseins freier Bauern vom 10. bis 13. Jahr-
hundert entgegenzutreten, wenigstens für das von Ihm gewählte Gebiet.
„Eine durchgreifende Neugestaltung der grundlegenden Verhältni»e ist,
soviel ich sehen kann, überhaupt nidit eingetreten." ,, Bäuerliches Eigen
hat ununterbrochen fortbestanden", „es ist nicht lastenfrei geblieben",
»aber das sind nicht Lasten gruiidherrlichen Ursprungs."
Aus dem 12. Jahrgang der „Heimat" (Schleswig-Holstein) erwähnen
wir einen Aufsatz von W. Jessen, Ein Blick In das Leben eines
Stapelholmer Bauern zur Zeit des 30jährigcn Krieges.
In dem Sepl.(0k1.-Hctt der Revue des etudes historiques beschließt
/H. Marion seine Arbeit: ^tat des classes rurales au IS' s- dnns la
gcniralitt de Bordeaux.
In der »Zeitschrift f. Socialwissenschaff V, 11/12 beginnt P. Frauen'
städt eine Reihe von Studien „Aus der Geschichte der ZfJnfte*' und
behandelt in der ersten („Der Hund in der Gesch. der Zünfte") die
Ursachen, Entsteh ungszeit und praktische Handhabung einer sehr merk-
würdigen Qepllogeiiheit, wonach Handwerker, die einen Hund tot ge-
worfen oder erschlagen hatten, aus der Zunft als unehrlich ausgestoßen
wurden, Das Material bieten ihm die von Zunftsachen handelnden
„Libri Definitiouum" des Breslaucr Stadtarchivs. Die zweite Studie be-
handelt, wieder auf Akten des Breslauer Sladtarchivs, diesmal die Sammlung
von Brcslauer Schöppensprüdien gestützt; „die Verrufungcn". Die
unglauhlliche Engherzigkeit, die formalistische Pedanterie und Prüderie der
Zünfte des 17. Jahrhunderts tritt hier grell hervor, während der Schöppen-
stnhl, der über solche Verrufungen meist von den Ratskollegien als
Kleine Mitledimgen und Referate.
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rechlsbclehreade Instanz angegangen vurdc, diese Vorurteile bekämpfle
und den Unterdrückten beistand. Die Handwerker richten ihre Schnüffelei
bezüglich der tadellosen ehelichen Qcburl, für die sie auch die eheliche
Erzeugung fordern, und der Nichtangehürigkeit zu anrüchigen Berufsständen
jucb Auf die Vorfahren und Angehörigen.
Ein Artikel von Aloys Schulte: Zur Handels- undVerkelirs
geschichtc Südn-estdeutschlands im Mittelalter (Jahrbuch für Ge-
seUgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 27. Jg. I. Helt) verteidigt in
eingehender Begründung eine Reihe von Ansichten, die er in seiner „Qe-
schlclite des mittelalterlichen Handels" etc. ausgesprochen hat. gegen-
über einem Angriffe von ßelows (1. Zur Handelsorganisation. 2. Ist die
Schweiz ein Pafistaat?) Nebenbei bemerkt, wird in dan Artikel auch die
Frage der Existenz eines Standes von Großkauf Leuten berührt und un-
seres Erachtens mit Rechl betont, dafi die hyperkritische Abhandlung
V. B.'s in den , Jahrbüchern f. Nation alökonomie" über den Großhandel im
.Mittelalter keineswegs einwandfrei ist. Wir teilen Seh. 's Empfinden, daß auch
ie Abhandlung von Keuigenj der Below nahe genug steht, (Der Großhandel
im M.-A., Hansische Geschichtsblätlcr 2^, 65—138) im Grunde das Qegen-
'teit von Belows Ansichten nachweist. Die Ansicht des Herausgebers
dieser Zeilschrift über die Großkauf leute, die er in seinem „Kaufmann
in der deutschen Vergangenheit" ohne scharfes Abwägen des Wortes
gelegentlich ausgesprochen und die Below zu Anfang seiner Ab-
handlung herangezogen hat, ist doch woh! nicht so korrekturbedürftig,
als V. B. meint. Auch Oncken in seiner „Geschichte der Nationalökonomie"
ist nicht der Ansiclil Belows.
Nicht ohne einige beachtenswerte Gesichtspunkte ist ein Artikel
^ieinrich SifveAirig's, Die Handelsstellung Süddeutschlands in
/Mittelalter und Neuzeil (Beilage zur Allgem. Zeitung 1902 No. 253f54),
bringt aber sonst kaum Neues.
I Der Schluß der AbEiandlung von K Häbler, DasZclIbuch der
S.3eulschen in Barcelona (1425—1440) und der deutsche Handel mit
V<atalonien bis zum Ausgang des 16. Jh. (Württenib. Vierleljahrshefte für
Ä_andesgcschichlc N. F. 1) Jg., '/,) verbreitet sich über die Handelswcge
xjnd die spätere Geschichte des deutschen Handels mit Katalonien und
-Aragon.
In No. 7 der Bulletins de l'scad^mie royale de Belglque
<Classe des lettres) 1902 setzt DiseaUUs eine Arbeit: Un negocianl
anvcrsois (P. de Bro^ta) i la fin du IS's. fort.
In dnem Aufsatz: „Aus der Handelsgeschichte Japans'
^Jahrbücher für Nationalökonomie" Bd. 70, Heft 5) gibt Kanjo K'sa
einen Überblick über die Mauptzüge der handelsent'orlcklung bei dem
angeblich früher so streng abgeschlossenen japanischen Volk, und zwar
was vertvoll ist, lediglich aus japanischen und chinesischen Oeschichts-
()uellen.
Eine Abhandlung wonjoh. Mäiler {Augsburg) über „Das Steuer-
und Finanzwesen des li. R. Reiches im 16. Jahrh." (Neue Jahrbücher
I. d. klass. Altertum, Qesch. u. Deutsch. Utter. !Q02, I. 9. Heft) be-
schäftigt sich namentiich mit Zacharias Oci7.1kofer, dem Reichspfennig-
meister Rudolfs II. Nachdem „Im Anschluß an die wechselnden Er-
bige d'cr Rcichästeuem zu AnfaitK, Mitte und am Ende des 16. Jh. und
des hiernach wechselnden Anteils der drei großen Ständrgruppen der
Forsten, der Prälaten und Grafen und der Reichsstädte, zunächst die
schier unglatibüdicn Mängel des dainali£cii Reichssleuefsyslems" vorge-
führt sind, werden nach Qeizlkoters hinter lassen en Schriften die Schwierig-
keiten der damaligen FinanzverwaUiing beleuchtet, Schwierigkeiten, die
dem SulJy so vergleichbaren Oeizikofer nicht erlaubten, trotz mancher
Erfolge so s^ensreidi zu wirken wie jener.
Einen zwar nicht erschöpfenden, aber willkommenen Über-
blick über die „Geschichte des Bettelwesens" gibt Ol&hausen in
Sehnwiier's .Jahrbuch für Geseli^cbung, Verwaltung etc.", 26, 4. In
Einzellidten, wie auch bezüglich einiger Gesichtspunkte findet sieb zu dem
Thema übrigens manche Ergänzung indem kürzlich erschienenen zehnten
Bande der „Monogr-iphien «ir deutsthcn Kulturgeschichte" : „Die fahrenden
Leute in der deutschen Vei;gangenhdt" von Th. Hampe.
Bibliographisches.
/?. V. Kralik, Neue Kulturstudien. Mönsler (Vlll, 372 S.J —
Wütgeschichte hng. v. A. F. HelinoH. II. Bd. Ostosicti und Occanicn.
I Der indische Ocean. Von Max v. Brandt, H. Schürte, K. Weule und
E. Schmidt Lpz. (XV). 638 S. 10 Karten, 6 Tai. und 16 Beilagen). —
C. Baold, Kinive und Babylon (Monogr. z. Wellgesch. 18). Bielefeld
(143 S.). — Ed. König. Babylonictis Kultur u, d. WeKgeschictite. E Brief-
vechsel. Gr. Lichterfelde (42 S). — H. Winckler, Die babylonische Kul-
lur in ihren Bezielttingeti zur un&rigen. 2, Aufl. Lpz. (54 S.). — R. E,
Anderson^ Le dviitä cslinte dcirOriente. Torino (244 p.). — G. Sergi,
Oli Arii in Europa e in A&ia: studio etnografico. Torino (VIH, 272 p.).-
W. Dßrpfeld, Troja und llion. Ergebnisse der Ausgrabungen i. d. vor-
histor. u. histor. Schichten v. lllon 1370-18^4. 2 Bde. Athen, {XVIll, 652 S.
I 68 Beilagen, 8 Taf.). —Jak. Burckhardt. Oriech. Kulturgesch. Hrsg. v.Jak.
Oeri. 4. Bd. Berlin (IV, 6C0 S), — Th. SommfHad, DasWirtschaftsprogramin
der Kirche des Mittelalters. E. Beiliag z. Qesdi. d. Nat.-Ök. u. z.
Wirtechaftsgesch, d. ausgeh. Altertums. Lpz. (XV, 223 S.). - Die Altertamer
unserer heidnischen VorzeiL Zusaxn mengest, u. hrsg. v.d. Direktion des räm.
gcrman. Centralmuscums i. Mainz. V. Bd. 1. Hft. Mainz {4,22 S. 6. Taf.).
— Barthtt Sleüts Beschreibung von Schlesien u. seiner Hauptstadt
Breslau 1312^3. In deutsch. Übersetz, v. K. Markgraf. (MilteiL a. d.
Stadiarchiv zu Breslau. H. 6.) Breslau {Vi, 76 S.). — Af. v. Stojentin.
Aus Pommerns Herzogslagen. Kulturgesch. Bilder. Stettin (Vit, 177 S.). —
C Srjw, Kuhurgesch. Bilder aus Mecklenburg. Zauberei u. Hexen-
piozesse im evangelischen Mecklenburg. Unter den Elenden und
Ehrlosen. (Mecklcnb. Gesch. i. Einzddarslcläungeii, 6). Berlin (II, 131 S.).
— Derselbe, Der Landpastor im evangel. Mecklenb. Des Bauern Leben
und Sitte. (Mecklenb. Gesch. in Einzel darstcll., 7.) Ebda. (84 S.). —
J.Joaien, Geschichte der Familie Joeslcn und deren Familienstiflungen.
Zugleich als Beitrag zur rhein. Kutturgesch. niitgel. Bonn {46 S.. 5 Taf.). —
S&cbslsche Volkskunde, hrsg. von A. Wulike. 2. umgearbeitete AuH. 2. Ab-
druck. Lpz. (VIII, 578 S,>. — Beilräge zur dcutsch-böhmischcn Volkskunde
IV, 2 : A. John, Oberlotima. Gesch. u. Volksk. eines egerländ. Dorfes
(X, 196 S.). I, 2: O. C. Laube. Volkslüml. Überliefer. aus Teplitz und
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(IM, 144 S.}. — A. Franklin, Li vie priv6e d'autrefois. Arts et miJtios,
moeurs, usages des Parisiens du 12. au 17. s. La vie de Paris sous Louis
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provencales. 2. p. : les coulisses de l'histoJre 2. ^. AUu^eJlIe (S15 p.). —
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Gedieht V. d. Syphilis oder v. d. Franzosenseuche. Übers, v. H. Oppeo-
heimer. Berlin. (III, 43 S.). — M. Boudet et R. Qrandt Dooiments
injdits suT les grandes £pid£niies. £tude hist- sur les £pid^ies de peste
en Haute-Auvergne (14.— 18. s.). (Extr. de la Revue de la Haute-Auvergne).
Paris (140 p.).
DnitKhe Buch- and Kunstdracicerei, Q. m. b. H., Zotsea - Beriin SV. 48.
Fcslstellungen über den gescheiterten Donau-Main-Kanal etc. 257
Neue Feststellungen über den
gescheiterten Donau-Main-Kanal
Karls des Grossen.
Von OTTO LAUFFER.
Unter den uns bekannten Tiefbauprojekten Karls des Großen ist,
■"«•ric man allgemein weiß, eines der bedeulendslen der Plan,
-Zwischen Donau und Main einen ununterbrochenen Schiffahrts-
'•^reg herzustellen, Im Jahre 793 hat er es versucht, den heute
^%ioch unter dem Namen Fossa Karolina bekannten Kanal zu
fcaiien, aber es ist nur bei dem Versuche geblieben, denn die
-Arbeit ist an den technischen Schwierigkeiten, die sich ihr eni-
[ensteliten, gescheitert.
Was wir über dieses verunglückte Unternehmen wissen,
.gründete sich bislang eigentlich nur auf die wenigen Qiicllenstellen,
-NJielche darüber berichten, und zwar ist darunter in erster Linie
■anzuführen, was Einhards Annalen (Scriptores I, 179) uns mit-
'tteilen: »Cum ei [Karolo] persuasum esset a quibusdam, qui td sibi
^ompcrlum esse dicebant, quod sl inier Kadantlam et Alomonam
~Äluvios ejiismodi fossa duccrctur, qiiac esset navium capax,
^x>sse percommode a Danubio in Rhenura navigari, quia
%onim fluviorum alter Danubio, alter Moeno miscciur, confestim
.^cum omni comitatu suo ad tocum venit, ac magna hominum
i :xnultitudinc congregata, totum autumni tempus in co opere con-
ssumpsit Ducta est ilaquc intcr Moinuni et Danuvium fossa
<luuni milium passuum longitudine, latitudine trecentonim pcdum;
^sed in cassum. Nam propter jugcs pluvias cl terram, quac
palustris erat, nimio humore naturaliter infectam^ opus, quod
-fiebat, consistere non potuit, nam quantum interdiu terrae a
lossonbus fucral egestum, tantuni nuctibus, liumo iteruin in locuni
suum relabente, subsidebat." An diese Darstellung haben vir
Aithiv m KulHirtoctiidile. I, 3. 17
uns bei der Beurteilung des ganzen Unternehmens vor allen
Dingen zu halten. Die übrigen derzeitigen Berichte, die wir,
um einen Überblick über das verfügbare Qu eilen material zu ge-
winnen, ebenfalls anführen müssen, fügen dem kaum etwas
Wesentliches hinzu. Die Lorscher Annalen gehen auf die um-
fangreichen Arbeiten an dem Kanal überhaupt nicht ein, sondern
sie schreiben zum Jahre 793 einfach: «Rex autumnali tempore
de Reganesburg iter navigio faciens, usque ad fossatum magnum
inter Alatiana et Radantia pcrveniL" Dagegen äußern sich etwas
eingehender die Annalcs Mosellani^ welche allerdings den betr.
Bericht versehentlich in das Jahr 792 verlegen, indem sie sagen:
«Hoc anno isdem Karlus Rex In praefata urbe (Regensburg)
nativitate Domini cclebrala totum pene scquente anno ibidem
rescdit, cxccpto qviod circa tempus autiimni ad quendam aquae-
ductum, quem inter Danuvium fluvium et Radantiam alveum
facere caeperat, secessit ibique praefato operl sedulus insistens,
partem hujus anni quc supcrerat pcnc pcrstctit; praeter quod
paucis diebus ante natate Domini ad Sanchim Kilianum prae-
fatum opus imperfectum dereünquens advenit ibique eandcm
nalalem Domini cum fine liujus annj et inilio altcrius celebravit.-')
In der Beschreibung der Einzelheilen muß dieser Bericht, dessen
Schreiber offenbar keine persönliche Vorstellung von dem Werke
hatte, gegenüber den Mitteilungen der Einhardsannalen zurück-
stehen. Immerhin aber nimmt er doch eine selbständige Stellung
ein und unterscheidet sich dadurch vorteilhaft von dem letzlen
Schriftsteller, bei dem wir die Kanalarbeitcn erwähnt finden,
nämlich dem Poeta Saxo. Was dieser sogenannte Dichter
(Scriptores I, 250. Ao. 793 V. 10-37) über das Kanalprojekt und
den mißlungenen Versuch seiner Ausführung zu erzählen weiü,
das ist durchweg nichts anderes als eine in die Hexameterforni
gequetschte Verbreiterung der angeführten Stelle der Einhards-
annalen. Die einschlägigen Verse des Poeta Saxo lauten folgender-
maßen:
nlntcrea suascre sibi, qui nota ferebant
Talia, quod fluvios inter Radantia quorum
Unis habet nomcn, scd et Alcnüona dicitur alter,
') Annaki MoKlIani. Scriptoin X\*[ S. MI.
Festetcllungen übar den gescheiterten Donau-Main-Kanal elc. 259
Si fieret tantus fossa tdlure paratus
Alveus, inducHs. ambos dum tangercl amnes
Gurgitibus, possct puppes ut ferre natantes,
In khenum de Danubio celer efficerelur
Et facilis cursiis ratibus. Radantia namqiie
Se Moino, Moinus Rheno miscere probalur;
Alemona Daniibii rabidis illabitur iindis.
Consiliuni credens igitiir sibi danübus tstiid,
Ipse locLim princeps opeh quem credidit aptum
Expeliit lanto, miiltis quoque milibus illuc
Conductis operatorum, simul omnia poene
Aulumni studio consumpsit lempora casso.
At tarnen in longum passits duo milia ducta
Fossa fuit, pedibus tercetituiTi lata patebat.
Sed noti perfectum polerat consislere prorsus
Hoc opus, assiduus quoniatn nimis offuit imbcr
Et naturalis terram dissoluerat humor,
Egestuiiique fiiit quanlum sudore diiirno,
Kursus humi tantum rcdiit sub noctc rclapsa.
Cumque lutum semper madidis incresceret arvis
Alveus et firmo conslarct litorc ntisquam,
Ima pdens inmensa palus per lubrica FLuxit,
Ac densum scrobibus caenum subsedit in allis.
Cum tarnen in coepto pcrsisteret ipsc labore,
Hunc Iristi tandem fama revocante reliqult
Est totius enim subito defecUo gentis
Saxonum rursus bellum narrata mouentis."
Aus alledeiTi geht nun folgendes hervor, in Regensburg
sitzend, hat Karl die schon längst schmerzlich empfundene
Schwierigkeit der Verbindung mit den westlichen Teilen des
Reiches handgreiflich zu fühlen gehabt, und wie er selbst für
seine Reisen vielfach die Wasserstraßen zu benutzen pflegte,')
so hat er sein Trachten nicht etwa auf die Anlage einer neuen
Hecrstrafie zu Lande, sondern auf den Bau eines Kanals, einer
Donau-Main-Wasserslraßc gerichtet. Schon diese Talsache allein
■J binlKC t)c1tE3lcll<rii üafQr lnbv Ich in meinn Ditt«rUlii>n : .Du Lin^Jidurttbild
DntKhlMid« im ?xiuher der KutoV.aga.- Oatttngcn IBQb. S. M xuummetigolclit
17*
ist für die Beurteilung der Verkehrsverhältnisse sowohl wie des
Mitilärwesens der Zeit von hohem Interesse, und man sollte die
aufftllige Bevorzugung der Wasserstraße gehörig beachten. Karl
hat $ich nun von ortskundigen Leuten über die Möglichkeit einer
derartigen Kanalanlagc Vortrag halten lassen und hat nach ihren
Angaben zunächst im großen die entsprechende Verbindungs-
linie zwischen den beiden Flußgebieten festgelegt Es waren
wirklich verständige Ratgeber, die er herangezogen hat, denn als
sie ihm die Wasserscheide zwischen Rednitz und Altinülii als die
Stelle bezeichneten, wo der Spaten anzusetzen sei, da machten
sie ihm einen Vorschlag, den auch der moderne Techniker im
Besitze aller heutigen kartographischen und geologischen t:rrungen-
scliaften als den richtigen anerkennt Wenn daher die Einhards-
annalen jene Ratgeber offenbar halb verurteilend und halb ver-
ächtlich als Männer bezeichnen, i.qui id sibi compertuin esse
diccbant", so ist das objektiv betrachtet nicht zutreffend, und
wenn jene Stelle den Eindruck machen soll, als ob Karl auf das
Geschwätz von Wichtigtuern hereingefallen sei, so geschieht damit
beiden Teilen ein offenbares Unrecht
Der Kaiser hat die Sache dann mit aller Energie selbst in
die Hand genommen. Den ganzen Herbst des Jahres 793 hat er
selbst mit seinem Gefolge an Ort und Stelle verbracht, man
erkennt daraus, welches Gewicht er der Durchführung des Planes
beigelegt hat, und man kann unmöglich sagen, daß das Unter-
nehmen, auf dessen Fortgang die großen und lebhaften Augen
des Kaisers, von denen Einhard erzählt, kritisierend und an-
spornend geruht haben, nicht mit dem nötigen Nachdruck
betlieben worden sei, wie denn auch die Annales Moscllani
ausdrücklich hervorheben, mit welchem Eifer der Kaiser bei der
Sache gewesen sei. Auch an den nötigen Arbeitskräften fehlte
es nicht, denn Karl ging «cum omni comltatu ac magna hominutn
niuHltudine congregata" ans Werk. Wenn dasselbe trotz alledem
gescheitert ist, so mußte man bislang, nach den historischen
Quellen zu urteilen, zwar anerkennen, daß das Werk wegen der
anhaltenden schweren Regengüsse unter ungünstigen äußeren
Verhältnissen in Arbeit gestanden ist. Im übrigen aber mußten
wir uns dahin entscheiden, daß Karl mit diesem
KanaLprojekt 1
I
k
Fes&trUungen über den gescheiterirn Donau-Main-Kanal etc. 261
seinen Leuten eine Arbeit zugemutet habe, dem ae weder an
praktischer Erfahrung noch mit den zu Gebote stehenden tech-
nischen Mirtcln gexcachsen gewesen seien.
Was nun das einzelne der Kanatarbeilen angeht, so mußte
bislang gerade diejenige Stelle, welche für eine genauere Vor-
^eltung uns den wichtigsten Anhalt geben sollte, auf berechtigtes
Mißtrauen stoßen. Das sind die zahlenmäßigen Angaben, welche
die Einhardsannalen und nach ihnen der Poeta Saxo über die
Ausdehnung des Werkes machen. Die Angabc über die Länge
des Kanals von 2000 Schritt hatte ja nichts Anstößiges, denn seine
Spuren sind noch heute auf etwa 1300 m deutlich zu erkennen.
Was aber sollte man von der Breitenangabe von 300 Fuß halten?
Der Kanal wäre dann ca. 75 m breit gewesen, eine Ausdehnung,
deren Zweck man in Ansehung der beiden bedeutend schmäleren
Wasserläufc der Rctzat und der Altmühl, die doch verbunden
werden sollten, sowie nicht minder in Ansehung der beschränkten
Breite der Flußfahrzeuge Karls unmöglich einzusehen vermochte,
zumal wenn man bedenkt, daß die Wasserspiegelbreite des
heurigen Ludwigskanals nur 15,8 m beträgt. Dazu schienen vor
allen Dingen auch Jene Maliangaben mit den heute erhaltenen
Resten des Kanals nicht iti Einklang gebracht werden zu können.
Es ist klar, auf solche Fragen konnte die Antwort, wenn sie
überhaupt möglich war, nur an einer Stelle gesucht werden,
nimlich bei den Resten des Kanals selbst. Aber gerade die Er-
forschung dieser doch unzweifelhaft wichtigsten Quelle in der
ganzen Angelegenheit war bislang nicht in dem wünschenswerten
Umfange beirieben worder. Erst in allerletzter Zeit ist in dieser
Richtung ein verdienstvoller und^ wie mir scheint, abschließender
Vorstoß gemacht worden. Die Berichte darüber sind aber an
einer Stelle niedergelegt, wo sie den Kullurhislorikem wohl
schwerlich oder nur durch Zufall in die Hände kommen werden,
und die auch mir nur durch die Liebenswürdigkeit des Herrn
Autors selbst bekannt geworden ist. Deshalb hielt ich es für
wünschenswert, hier darüber zu berichten. Der Vorstand des
technischen Amtes des Vereins für Hebimg der Fluss- und KanaU
scfaiffohrt in Bayern, Königl. ESauamtmann Eduard Faber ver-
öffentlichte vor kurzem eine prächtig ausgestattete -Denkschrift zu
dem technisdien Entwurf einer neuen Donau-Main -Wasserstraße
von Kelheim nach Aschaffen bürg" (Verlag des Vereins 1903),
und mit Freude sehen wir daraus, dail dieser her\'orragendc
Fachmann, technisches Können mit historischem Sinne verbindend,
durch seine Arbeilen Veranlassung gefunden hat, sich mit der
Frage der Fossa Karolina eingehend zu beschäftigen (S. 53).
Die dadurch gewonnenen Resultate geben gerade über die beiden
wichiigsten Punkte, die ich oben anzudeuten versuchte, enpönschtcn
Aufschluß. Was zunächst die Breitenangabe der Einhardsannalen
betrifft, so findet Faber keinen Grund, ihre Richtigkeit in Zweifel
zu ziehen, er nimmt das Maß von 300 Fuss nur nicht als Wasser-
spiegelbreite, sondern er bezieht es auf die größte Entfernung,
welche zwischen den aufgeworfenen Dämmen in Höhe ihrer
Krone bestanden hat. Zu solcher Annahme fühlt er sich als
Fachmann um so mehr berechtigt, »als dieses Maß die technische
Bedeutung der Arbeit mehr kennzeichnet als eine Angabe der
Breile der Grabensohlc". En der Tat findet diese Auslegung
ihre völlige Bestätigung durch die vorhandenen Baurestc der
Fossa Karolina. Faber gibt davon einen klaren Begriff durch
die seinem Werke beiliegende Tafel VII. wo er einen „Quer-
schnitt in der Wasserscheide zwischen der AUmüliI und der
schwäbischen Rezat" bietet, der zugleich einen Schnitt durch die
Fossa KaroHna enthält. Derselbe ist an der Stelle genommen,
an der die beiderseitigen Dämme heute noch die höchste Erhebung
zeigen, Daraus ergibt sich nun, daß Karl auf dem nach der
einen Seite ein wenig abfallenden Gelände einen etwa 5 m liefen
Graben ferliggestellt hat, wobei die ausgehobenc Erde auf der
einen Seite etwa 6 m, auf der anderen höher gelegenen etwa 4 m
hoch über der ursprfinglichen Qeländehöhe aufgeworfen ist. Die
Scheitelpunkte der beiden so entstandenen Dämme haben einen
Abstand von 67 m von einander. Diese grolle Breite war deshalb
nötig, weil Karl, um bis zu den bei den beabsichtigten Endpunkten
des Kanals bestehenden mittleren Wasserhöhen der Attmühl und
der schwäbischen Rezat zu gelangen, sich gezwungen sah, etwa
l3Vj m tief unter den gewachsenen Boden zu gehen, und bei
solcher Tiefe mußten natürlich die Dämme, falls sie nicht wieder
abrutschen sollten, entsprechend weil von einander vorgesehen
Feststellung«! über den gescheiterten Donau-Main- Kanal ele. 263
*
Verden. Bei dem Abstand der Dammkronen von Ö7 m fehlen
also auch heute noch nur etwa 8 m, um die von den Annalen
angegebene Breite von 300 Fuß zu erreichen. Von diesem Fehl-
betrage ist aber, wie Faber einleuchtend hervorhebt, noch einiges
abzuziehen, »da doch die Dämme durch Setzen und Abschleifen
an ihrer ursprünglichen Höhe müssen verloren haben". Der Rest
aber darf wohl unbedenklich dadurch erklärt werden, daß die
300 Fuß doch offenbar nur annähernd eine runde Zahl geben,
nicht aber eine bis zum letzten Ccntimeler genaue Vermessung
bieten wollen. Somit ist die sonst bewährte Zuverlässigkeit def
Einhardsannalen auch in diesem Punkte gegenüber den zunächst
berechtigt erscheinenden Bedenken bestehen geblieben.
Die vorhandenen Banreste geben uns aber auch die MflgUdi-
keit, zu einer vemCinfligeren Vorstellung von dem wirklichen Plane
Karls zu gelangen, als die bisherige Anscliauung von der 300 Fuß
breiten Wasserstraße es war. Da wir die oberen Abstände der
Dammkronen kennen, da ferner die praktische Erfahrung, die auch
Karl dem Großen aus seinen anderen Erdarbeiten zu Gebote stand,
ein bestimmtes Maß der Böschungsneigung erfordert, welches
nicht überschritten werden durfte, ohne daß die Wälle wieder
abgerutscht wären, da schließlich, wie oben bereits angedeutet,
die beabsichtigte Höhe des Wasscrspi^els des Kanals durch die
mittleren Wasserhöhen der Altmühl und der Rezat annähernd
gesichert ist, so sind wir in ilcr Lage, den Durchschnitt des be-
absichtigten Kanals zu rekonstruieren, und Faber hat das auf der
erwähnten Tafel VII auch getan. Daraus ergibt sich dann, wie
Faber sagt, ..daß man einen Kanal mit einer Wasserspiegelb reite
von 8- 10 m hat herstellen wollen, einer Breite, die in damaliger
Zeit für den Verkehr der kleinen Kähne sicher entsprochen hätte:
beträgt doch die Wasserspiegel breite des Ludwigs- Kanals nur
15,8 m-.
Weilerhin aber weiß uns der moderne Fachmann auch eine
Antwort zu geben auf die andere Frage, woran es gelegen habe,
daß Karl mit dem Kanal nicht zustande gekommen ist, und es
klingt wie eine späte Ehrenrettung Karls und seiner Werkleute,
wenn Faber sich darüber folgendermaßen äußert; «Versumpfte
Wiesen in Nähe der schwäbischen Rezat, die bei der Wasserscheide
2W :>nc lK:fÄ
et«-2 b IT hütKr ai: di* Aicnüh, arclisr.: .^nr "a= aSH
Beobachtung^: z?igrr, cai his- ir ek- f-i^i -^r
die Sohle d-i OraD-ns ^rrsiziKna^
Es wäre sonacfc aucr. hsue unniür::3: rr- I .. ..i*-.\ ■
Graben n«nntn=«'er zt vriKicr. Dimt ze; ^ ^=
was der Chroms: Einharc ai-- 'jninr "fz- i!= hri
Untemehmens- angib: auä: v-nr nr
Trockenhei: h»rrscner vrürät. Narir^
Bodens u-ären. vk nur. alipenisir briarTr:; tiz- .snr -
wenn das der Boder anfüliendt Oninmr^ar rrrrrr -üiaiii
werden würde.'
Durch diest Pesisieliunger Faiwr? "g^**^ -«^ sr sas:
alle bis jetZT vor;g»:bntdner Frager. üd=- as I»ii^-fcsff-i»
Karls des Oroben ihre Airvor. geiunoat imr — :
nur dann nuch neue Oesicbispunkis si^agL
gehen wollte, mii dcir. Spaten in der Hanz äe
zu untersuchen. Eben wei! duni dit " nr'-»iini"4r ^3ff
ein ge»"isser .ÄLbschluL erreich: is:. sttitt s -srr -nü^ xx
an so versteckler Stelle gegebene, für n=r. f öilrr^aanir ae-
interessante Wyfientiich'jnc inj ZusammsimzzG^ ti -c »■
rischen Berichte" Lif^r ae-: .Kar.cJ hier nmzi'wgrfs: räC^
wie es nOiij; wkr»-, e::; wis'rfTiiha'tijcbe* hsm:: ^nr t ■'"■'"' -^
Archäologie, ev wi.-:;*: zj r;E.r:cher äimiae: ' '3C!»i-J-ü--
wie zu deneri-^jT' jer roraa Ka*":!::!!!., le* "tiitt^ * "^
technisch bfn&h-rer f ä'.h^ej:* mein enfaisirra irirä: "^J^
wir, daii unyrrT '/,•:::. di* vc:; Saura wsps ar ija<3?
Archäolo;jie so r'r:'::.' ih': .'/.""e! i"?»^!!". n fer* xc *
Scherflein -rp'rn'-'rr. tö;^* zjr OrjadiLTu: imr »tsaLL .r -^
Erforschung ct r n'::b;-er:ichen öersehsr MtefTtiÄr=3i
gesetzt isi. fi:> lii': ', 2i>^r müssen wi- aler. ina _wac2S»
Technikern, &;*:.'.•.•.;> 'iän^irjar st:r.. wsnr sc k ihbsks-*
k'genlicit au-, <■ ;."rr;':rr! Ar^'ri^be de: itsireciKr ^rau-iS^ '
ähnlitlKT U'':iv 'i/e'-irr;, nie Faber e- rcan na. Titr^^
ihrer Arl)<i"ri /■: -yT-iahr'rn urd. wein "nitt^ ss ^^
Archiiolojv ti ''' -.' .'.■',!*":ln, wird ezne E-nsuiac tU^ "^
knlliir(;<",(lii(|i'l;';..-'. /•■i-y.hrihen st:-
Von der Enfehung und Ausbildung pommerscher FDrsten etc.
Von der Erziehung und Ausbildung
pommerscher Fürsten
im Reformations - Zeitalter.
Von M. WEHRMANN.
n
I
üer deutschen Erziehungs- und Schulgeschichte hat man seit
einer Reihe von Jahren ein größeres Interesse und weiter gehende
Beachtung zugewandt als früher. Eine planmäßige Erforschung
des groüen Oebieles, dessen Bedeutung für die Erkenntnis des
geistigen und sittlichen Zustandes früherer Geschlechter offen-
kundig ist, hat erst wirklich begonnen, seitdem die Gesellschaft
für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte sich dieser
Aufgabe unterzogen hat. Von ihrer umfassenden Tätigkeit legt
eine stattliche iiahl von Bänden des groüen Sammelwerkes der
Monuments Oermaniae paedagogica neben zahlreichen
kleineren Veröffentlichungen Zeugnis ab.
Bereits in den ersten 1883 durch den Druck veröffentlichten
Plan dieser Monumenta ist aufgenommen die Herausgabe von
Akten über die Erziehung und den Unterricht einzelner Personen,
besonders I'Cirsleii. Es sind bisher solche Publikationen über die
Geschichte der Bayerischen und Pfälzischen Witteisbacher (von
Friedr. Schmidt. M. O. P. Bd. XIV. XIX) erschienen, während
iÜT andere Eüi-s lengeschlechter (llabsburg, Wetün, Hohenzollern,
Inhalt) die Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind. Schon in
<Jen beiden vorliegenden Bänden aber ist ein reicher Stoff zu-
gänglich gemacht, der nicht nur für die betreffende Herrscher-
familie und ihre Länder von grosser Bedeutung ist, sondern zum
Teil ülwrhaupt auf die Fürsteilerziehung früherer Tage ein ganz
neues Üchl wirft Denn wenig hatte man sich bisher im all-
gemeinen darum bekümmert, in welcher Weise die Fürsten er-
zogen und für ihren Beruf und ihre Aufgaben herangebildet
waren.
266 M. Wehmann
Das ist ganz besonders auch der Kall bei dem 1637 erloschenen
pommersclien Herzogshause, von dessen einzelnen Gliedern,
so viele Nachrichleti und Notizen auch ober sie vorliegen mögen,
wir im Grunde herzlich wenig wissen, namentlich was ihren
Charakter, ihre Geistes- und Siltenbildung, inneres Leben und Ent-
wickelung angeht. In der älteren Zeil beruht unsere Kenntnis
fast nur auf den Urkunden^ und dass diese am wenigsten ge-
eignet sind, uns die Persönlichkeiten mit ihren Vorzögen und
Fehlern wirklich vor Augen zu führen, liegt auf der Hand. An
chronikalischen Nachrichten fehlt es uns fast ganz; einheimische
Chroniken des Mittelalters sind gar nicht vorhanden, und die aus-
wärtigen haben nur wenig Gelegenheit, sich mit Pommern und
seinen Fürsten zu beschäftigen. Trat das Land doch nur selten
in nähere Beziehung zum Reiche und neigte zumeist mehr dem
slavischen Osten zu.
Mit dem Beginne etwa des 16. Jahrhunderts tritt die Wendung
ein. Herzog Bogislaw X., der zuerst wieder das ganze Pommern
vereinigte, suctite altmälilich Anschluß an Deutschland und be-
kundete das auch offen durch seine Reise zum Könige Maxi*
mllian 1. (I4Q7J98). Dadurch lernte er die deutschen Verhältnisse
kennen, er näherte sich deutschen Fürsten und knüpfte mit ihnen
verwandtschaftliche Beziehungen an. Er ist auch der erste pom-
mersche Herzog, der seine Söhne zu ihrer Ausbildung nach
Deutschland sendet. So geht ein neues Licht über dem Lande
auf, und CS hängt damit zusammen, daß in dieser Zeit nun auch
die Anfänge einer pommerschen Geschichtsschreibung gemacht
werden. Dadurch wird es für uns möglich, die einzelnen Per-
sönlichkeiten fester ins Auge zu fassen. Da zu gleicher Zeit das
Aktenmaterial anfängtj so erhalfen wir jetzt in ganz anderer Weise
Kunde von intimeren Vorgängen des Fürstenhauses, als wir aus
den Urkunden zu gewinnen vermögen.
So sind die ersten pommerschen Fürsten, über deren
Erziehung und Unterricht wir etwas erfahren, die Söhne und
Enkel Bogislaws X. Aus den hierüber vorliegenden Schrift-
stücken mag einiges mitgeteilt werden, das für die Bildungs-
geschichte dieser Übergangszeit nicht ohne Interesse ist Es zeigt
uns zugleich, wie Pommern, das früher dem geistigen Leben
»
Dtrubchlands
rühn ist
Der älteste Sohn Bogislaws X. und seiner Gemahlin Anna
von Polen ist Georg I., geboren am II. April 1493. Ihn ge-
*^3<^htc der Vater, ebenso wie er eine Zeitlang am polnischen
'Cönigshofe erzogen war,') an einen fremden Fürstenhof zu senden,
*^*>-mit er dort die feineren höfischen Sitten kennen lerne. Bogislaw
^**^*~ auf seiner Fahrt zum Könige Maximilian im Februar 1497
einige Tage in Heidelberg gewesen und dort vom Pfalz^rafen
F*H i lipp freundlich aufgenommen. Dieser starb am 28. Februar 1=»08,
"^■^ seinen Sohn und Nachfolger Ludwig V. schickte der Herzog,
^*'**^ es scheint, noch im Jahre 1508 einen Gesandten mit der
^'^te, der Kurfürst möge doch des Herzogs Sohn p» ungefährlich
^*-*»^ 12 oder 13 Jahren" an seinen Hof nehmen und mit des
^'^^'^torbenen Herzog Ruprechts (t 20. August 1504) Söhnen
^^^tto Heinrich, geb, 1502, und Philipp, geb. 1503,) erziehen lassen.
^ der dem Gesandten gegebenen Instruktion, die erhalten ist, ')
^^*Bt es von dem jungen Prinzen, daß er »bisher nicht anders
**^*\ii der Lehre gefolgt und sonst keins andern Wesen geöbt".
*-^ ist der Wunsch des Herzogs, dafi sein Sohn dort »die Unter-
**^^lung empfange, dass er nicht allein Lehrung, sondern auch zu
^^^en christlichen Tugenden gehalten und also erzogen werde".
Ob die Bitte Bogistaws erfüllt und Oeoi^ an den pfälzischen
Mof gekommen ist, läßt sich nicht ganz sicher angeben. Die
Pommerschcn Chronisten erzählen, er sei 1510 mit seinem Er-
zieher, Erasmus von Manteufel, dem späteren Bischof von Cammin,
*u Herzog Georg von Sachsen geschickt und bei ihm erzogen,
t!s ist aber wahrschein Hchj dass er vorher auch in Heidelberg
^ar und dort Amalia, des Kurfürsten Philipps Tochter, kennen
lernte, die er 1513 heiratete.
Aus dieser Ehe entstammten zwei Söhne, von denen der
ältere Bogislaw ganz jung starb. Der zweite Sohn Philipp (geb.
14. Juli 1515) wurde etwa 1526 von dem Vater nach Heidelberg
zum Oheime, dem Kurfürsten Ludwig V., geschickt, a quo pro
tilio habitus honesle et liberaliter educatus nee non sludiis prin-
I
1| V«rsl. Balt. Slud. N. F. V. S. 145.
■) Kgl. SlMlMrdiiv Sicllin (abcchArit St. A. St.l: v. BohloiKhe Sininvlun{ N. 19.
cipe dignis imbutus est.') Auf die Erziehung Philipps bezieht
sich die Ordcnung^ so dem jungen hertzogen von Pomern
gegeben ist, die in einem Pfälzer Kopialbuch des ürossherzog!.
Badischen Genera ULandesarchives zu Karlsruhe (N. 830 fol. 265 f)
enlhaUen ist.*) Diese Entiehungsordnung zeigt mancherlei Inter-
essanteSj so dali sie hier mitgeteill werden mag:
Zum ersten soll sollicher fürst im somer vor VI und im
winther vor VII auren ufstcen.
Zum andern soll sein scherer nach dem snthun ine
kernen und wasser geben-
Zum dritten darnach sein gebet gegen gott sprechen.
Zum virdcn im sommer und andern zeiten, wan es nlt
feiertae ist, van VI btsz siben uren studirn und im winther
van siben bisz VIII.
Zum fünften zu siben uren die supp mit einer ordenung,
als nachfolgt, und im winther zu VIII uren nemen.
Zum sechsten im somer und winlher in die predig und
das ampt der mess geen.
Zum sibenden nach der mess zu disch geen, wohin er
jederzeit geordent.
Zum VIII. nach dem essen somer und winther zeit zu
zwelf uren wider zur Icr ein follige stund.
Zum IX. zwischen einer und zweycn uren den under-
drun?k zu ncmen.
Zum zehenden nach dem undcrtnmck zu zweyen uren
«■idcr ein stund in die lere somer und wintherzeit
Zum XI. zwischen drien und vier auren auch andern
mussigen zeiten sein kurizwcil zu suchen.
Zum XH. zu vier uren den nachtymbs zu ncnien an
orten, dahin er beschaiden wurde.
Zum dritzehenden nach dem nachtmoll ein virthel stund
latin oder sunst was lustigs zu lernen.
Zum XIIII. soll er im sommer umb VIII auren und im
winther zwischen VII und VIII auren den schlofdninck halten.
>> Val. ib V.kVsttt. vlU Phlllppl [. ilM3t.
't Ervihnt bei F. Schmidl, OMchldite Oet Cnichnnu der Pflli. Vriitdibidier
(Mon. Qemi. Pmi. XIX). S. XX.
Zum XV. im somer zu IX uren und im vinther zu Vlll
auren schlafen geen.
Zum XVI. einmal oder zwey in der wochen zwagen zu
Jossen,
Zum XVII. jeder zeit nach gelegenhait zu paden.
Zum XVIII. mit klaidem und anderer leibs notturft zu
versehen, wie sich einem jungen furslen geburt.
Zum XIX. die erst slund morgens vor essen in der
grammatica zu lernen.
Zum XX. die ander stund nach miltag zu leren in
wesenlichen pocten, der mores lernt (!).
Zum XXI, die driti stund in philosophia, rethorica oder
in hisloriis.
Zum XXII. das vlrtheil nach dem nachtessen latin, wie
in den schulen, danisz latin zu lern.
Zum XXlIl. ob man ellich stund wolt nemcn, das si al
latin und kain deutsch retten, damit sie des tatins gewanten
oder schweigen musten.
Zum XXIIII. wan ye zu Zeiten ein puchlein usz ist, soll
der zuchtmainster das myn gnedigsten hem oder dem
cantzier anzaigen, ein anders zu nemen nach seiner cur-
furstlichen gnaden gefallen.
Zum XXV. das hofmainster und zuchtmainster das also
zu handhaben, ernstlich bevolen werd, und wan sie un«
gehorsam funden, für sie selbs den fursten mit trauw—
Worten und die edeln jungen sunst zu strofen und ernstlich
anhalten dem fursten zu byspiel, nit allein die mit studim
sondern auch die iif den fursten warten. Und wo das nit
verfahren wolt, ineym g. hem oder dem cantzler anzuzeigen,
daruf weither straf zu bevelhen.
Und sollen di suppen, under- und schlofdninck, diewyl
zu dem studim ubermessig essen und drincken nit nutz
und schedlich, nach meyns gnedigsten hem gutbedunken,
gemut und maynung angestelt und gehalten werden.
Nota; ist van noten, das mit des hertzogen hofmainster
emstlicli geredl werd, diewyl er seinem hem vor andern
zugeben und als hofmainster vertraut worden, das er sich
^
zudrinkens umb und by dem hertzogert enthalt, auch dem
hertzogen und jungen Edeln, noch anderm seinem gesind
by im nit gestal noch zu ime zieh, sonder jder zeit darfur
sein, undersagen und verkomen wol, wo sich yemant nit
daran keren woll, das meyri gnedigsteti hern hofmainstcr oder
marschalk anzaig, das abzuschaffen und darfur zu sein wiss.
Nota: dem schulmainsler in sein bestallung zu sctrcn,
disz ordenung zu hallen und, wan der hofmainster die ding
nit halten wurd, meytn gnedigsten hern anzuzaigcn.
Wie diese Ordnung im einzelnen durchgeführt wurde, ist
nicht bekannt, da weitere Nachrichten über die Erziehung Philipps
am pfälzischen Hofe fehlen. Doch muß er dort einen guten
Grund zur Bildung gelegt und den Wert einer geordneten Er-
ziehung schätzen gelernt haben. Denn Herzog Philipp I. ist
später, wie wir sehen werden, bis zu seinem Tode (1560) in
treuer Gemeinschaft mit seiner Gemahlin, Maria von Sachsen, auf
das eifrigste bemüht gewesen, seinen fünf Söhnen, die dem fürst-
lichen Paare geboren wurden und heranwuchsen, eine gründliche
Ausbildung zu geben.
Philipp blieb bis nach dem Tode seines Vaters Georg
(gest. 9./10. Mai 1531) bei seinem Oheim, mit dem er mancherlei
Reisen, z. B. 1531 nach Aachen zur Krönung des römischen
Königs Ferdinand, machte. Bald darauf (Michaelis 1531) kehrte
der löjährige Fürst auf Wunsch seines Oheims, des Herzogs
Barnim XI., in dieljeimat zurück, um mit diesem zusammen die
Regierung zu übernehmen. Ante discessum avunculus Ludovicus
ei utilissima praecepta jnslituendae gubernationis Iradidil, quac
interdum ipse commemorare et laiidare soäebat.')
Der andere Sohn Bogislaxi'S X., der eben genannte Barnim XI.
(geb. Z Dezember 1501) war von seinem Vater 1518 nach Wilten-
berg geschickt, wo er am 15. Septemlier mit seinem Erzieher
Jakob Wobeser und seinem Begleiter Johann von der Osten in
das Album der Universität eingetragen ward.')
Nach der Sitte der Zeit wurde er im Sommer 1519 zum
Rektor der Universität gewählt. Er begleitete am 17. Juni Martin
'( V«l. V. Eielniedi, vila PhlLlppi I.
•) Album icadtm. Vitcbcrg. cd. C E. Förstaninn S. 72.
Von der Erzifhung und Ausbildung pommerecher Fürsten etc. 271
I
I
Luther und Philipp Melanchthon zur Disputation nach Leipzig
und hörte, wie berichtet wird, gespannt dem Wortgefechte zu.
Als er 1520 nach Pommern zurückkehrte, begrüßte ihn zu Berlin
der junge Kurprinz von Brandenbnrg mit einer schönen lateini-
schen RedCj »darauf ihme auch Herzog Barnim, wie er auf solche
unvorschene Sachen zum besten gekunni, tapfer und kurz geant-
wortet-. Der dreijährige Aufenthalt Barnims in Wittenberg, von
dem wir sonst Näheres nicht wissen, ist für die Geistesbildung
und Anschauung des jungen Fürsten natürlich von gröbtem Ein-
flüsse gewesen. Seine Hinneigung zu Luthers Lehre^ die er
allerdings zunächst kaum offen zeigte, ist damals begründet
Sonst zeigt freilich dieser Fürst in seinem späteren Leben weit
weniger geistige Interessen als sein Neffe Philipp. Es hängt das
sicher mit der ihm eigenen Schwerfälligkeit und Unenlschlossen-
heit zusammen, die schlieUlich in fast vollkommene Gleichgültig-
keit ausartete.
Für die Erziehung der Söhne Philipps 1. Hegt eine große
Zahl von Instruktionen, Studienordnungen, Unterrichtsplänen u.
a. m. vor, die Zeugnis ablegen, mit welcher Sorgfalt man aller-
seits bemüht war, die jungen Herren zu tüchtigen, gebildeten
Fürelen heranzuziehen. Aus diesen Dokumenten weht uns ein
ganz anderer Geist entgegen, als ans der oben mitgeteilten Ord-
nung, die für Philipp I. gegeben war. Es ist der unverfälschte
Geist der Reformation, wie er uns in den i^ablreichen Schulord-
nungen dieses Zeitalters deutlich entgegentritt. Evangelisches
Christentum und das klassische Altertum, vornehmlich lateinische
Sprache und Literatur beherrschen fast ausschliesslich den
Unterricht der Fürsten ebenso wie der Zöglinge in den gelehrten
Schulen.
Bereits in der Hofordnung, die der Herzog Philipp vor 1550
erließ,') wird für den ältesten Prinzen Johann Friedrich (geb.
27. August 1542) bestimmt, daß er »den Winter über des Tages
eine Stunde in der Fibel, jedoch nur mit Glimpf und Spiel"
unterrichtet werde; es wird aber für ratsam eraclitet, daß der
junge Herr den größten Teil des Tages sich bei der herzog-
lichen Muüer aufhalle.
') St. A. St.: Woir Arch. TU. 32 N. 22.
Ausführlichere Bestimmungen enthält die Hofordnung von
1551') über die junge Herrschaft, zu der nun außer Johann
Friedrich seine Brüder Bogislaw (geb. 9. August 1544) und
Ernst Ludwig (geb. 2. Nov. 1545) gehören, während Barnim
am 14. Februar 154Q und Kasimir gar erst am 22. März 1557
geboren sind. Es ist ein Pädagogus oder Präzeplor bestellt, der
die jungen Herren mit den ihnen zur Bedienung zugesellten
Jungen «nit allein in der Lehre, sondern auch in guten Sitten
und Tugenden zu instituieren Fleiss thun soll". Es wird unter
andcmi folgendes bestimmt:
»Der Präzeplor soll die jungen Herrn des Abends kurz nach
acht Schlägen aus m. gn. Frauen Gemach führen, und soll der
grosse Knabe Ezechiel Hogensehe die Herrn ausEiehen, ihre Nacht-
kleider anlegen und sie ungefähr halbes oder ein wenig vor
neuncn schlafen legen, die Querbänkc vor ihre Betten setzen und
sein Rollbefte davor rücken, des Nachts ein oder zweimal auf-
stehen und die Herren zurechte legen und decken. Auch soll er
in Acht haben, dass die Betten sauber werden gehalten und, so
ofte es nötig, frische Tücher aufgelegt und den Herrn zweimal
die Woche oder, wenn es nötig, frische Hemden anlegen und
die Füße abwaschen. Des Morgens soll er sie um Zeiger sieben
aufnehmen, doch wann er sie im rechten Schlafe funde, soll er
sie schlafen lassen, so lange es ihnen nötig, und mag eine halbe
Stunde nehmen, die Herrn sauber anzutun, folgende sie beten,
waschen und kämmen und den Catechismum mit seiner Aus-
legung aufsagen lassen.
Damach soll der Pädagogus Herzog Johann Friedrich ein
kurz Latein, die Vokabula zu lernen aufgeben, und, damit die-
selben soviel bau behalten werden, soll er sie zu Reime bringen,
als domus ein Haus, mus eine Maus etc., und dazu die folgende
halbe Stunde bis zu achten nehmen. Wann also der Herr die
gemeinsten Vocabula gelernt, soll er ihm eine kurze gute Sen-
tenlia aufgehen und selbst schreiben lassen, als inidum sapientiae
limor domini etc., und mag den einen Tag ihm dieselbe auslegen
und den andern Tag, wenn er die Worte versteht, auswendig
lassen lernen.
•) Sl, A. SL: Wolf. Arch. Tit. 33. N. » II. Fol. U-U.
*
*
Von der Erziehung und AitsbUdune pommerscher Fürsten elc.
Wann es acht geschlagen, soll er ihnen aufsagen, was er
•ho außer geiemet, und die Suppen holen lassen und ihnen die
Stunde bis um neunen freilassen. Doch soll er Herzog Johann
. '"rietjrich, wann hier oben wird gepredigt, das Evangelium oder
^nst eine Lection aus der Bibel lassen lesen und kurz vor neunen
^ie Herren in m. gn. Frauen Gemach führen.
Die Tage aber, wann nit gepredigt, soll er die Stunde von
'kennen bis gegen zehnen die Grammatik explideren und itzt mit
AtxÄlegung des Pronominis fortfahren. Wann es ungefährlich ein
^'i^rlel vor zehn, soll er sie in m. gn. Frauen Gemach bringen.
Wann es eins geschlagen, soll er sie wieder in ihre Gemach
ha I ^:n und Herzog Johann Friedrichen eine halbe Stunde lassen
scl^ x~eiben und darauf sehen, daß er den Kopf nit zu nahe auf das
'*'*-E>ief lege oder die Augen lerne krümmen. Die ander halbe
•^^'-■»ide mag er ihnen zu ihrem Gefallen leben und züchtiglich
^'^»^len lassen.
Um zwei soll er seine Gnaden lassen wieder aufsagen, was
*-*■" Essen in der Grammalica explicieret, und darnach mit Aus-
_*^^»Xing der Grammatik eine halbe Stunde fortfahren und daran
* «^i daß der Herr nit die Auslegung bei dem Buche hab^ son-
~*~jt von ihm, dem Präzeptori, annotiere und selbst lerne aus-
«n. Auch soll er nil viele nach einander interpretieren, son-
^^■^ in einem jeden Punkt, so lang es S. G. auslegen kann,
'^ »Tioreren. Die ander halbe Stunde soll er ihm ein Vocabulum
^^ deklinircn aufgeben und von Tage zu Tage ordine durch die
^^«dinationes gehen.
Um drei isßt er sie zu Unter-Essen und die Stunde bis um
^■^ren ihren Willen, jedoch züchtiglich, treiben. Wann es vier
^■^Siciilagun, soll Herzog Johann Friedrich eine kurze Regel aus
*^*^»' Orammatica ganz oder zum Teil, wie der Präccptor sieht,
^^■Ü S. F. Q. es begreifen kann, auUen lernen, dieselben aufsagen.
*^tid um ungefähr ein Viertel vor fünfen soll er die Herren
^'»«der in m. gn. Frauen Gemach führen."
Die beiden jüngeren Prinzen werden nur kürzere Zeil be-
schäftigt, zum Teil durch den „grossen Knaben Ezechiel".
Im April 1552 berief Herzog Philipp den GreiEswalder Pro-
'cssor Dr. Andreas Magerius zur Erziehung seiner Söhne nach
Ardiir für Kullargnchklile. ), 2. 18
I
Wolgast. Dieser aus Orleans gebürtige Gelehrte, gewöhnlich
Gallus genannt, var in seiner HcLmat mit dem späteren pom-
nierschen Kanzler Jakob von Zilzewitz bekannt geworden und
bald darauf nach Wittenberg, 1542 aber nach Greifswald gekom-
men. Der treffliche Mann stand bei den Wittenbergem in gutem
Ansehen,'}
Er verfaßte ein ausführliches Outachten de disciplina et
institulione principum et puerorum, qui nostrae fidei commen-
dali sunt') Als Hauptziele der Erziehung bezeichnet er pietas et
virlus und will bemüht sein zu bexpirken, ut omncs puerorum
actioneSj gestus et colloquia aut virtutem sapiant et meutern bonis
ac ingenuis pueris dignam prae se ferant aut ea ad discendas
artes uliles vitae et moribus praedpue comparata esse videanlur.
Quam ad rem cum assiduus latinae aut gailicae tinguae usus
non panim adiumenti afferre possit, dabimus operam, ut non
SQlum in praelecitonibus, repetitionibus ceterisque exercitiis schola-
sticis, sed inter ientandum, prandendum et coenandum latino
aut gallico sermone utantur, non inter sc modo, sed cum suis
etiacn convicloribus et praeceptore collocuturi.
Mit den jungen Herrogen zusammen werden einige junge
Edeileute erzogen. Für sie und den ältesten Prinzen ist eine
Tages- und Studienordnung für die ganze Woche aufgestellL
Auch hier bilden Katechismus und Granrmatik den Mittelpunkt
des Unterrichts , gelesen werden disticha Catonis , Terentius,
epistolac Ciccronis, fabulae Aesopi, odae Horatianae. Außer dem
Lateinischen werden noch Musik, Schreiben {xaJioy^a^fila xai
oQ&fiYQCWpla^ und Französisch getrieben. Bisweilen ist auch Zeit
zum Spielen eingeräumt. Quia puerilia ingenia nequaquam ob-
ruenda sunt immodicis praeleclionibus, ne aut mehnchoham, quae
ceteros humores corporis vitiet, contrahanl aut vehementiores
animi motus inferius ventricuH orificium, quod medici xvltoQÖP
vocant, cum dispendio vatetudinis ila aperiant, ut crudus chilus
ante lempus effundatur, dabitur quotidte iunioribus prindpibus
>) ObtrMaitriiu ist ni vtiKlHiM)« : Corp- Ref. IX. & l»l. 1». 133. I2S. VIU.
5. BIT Koicsartcit. Onch. drr Untvenlilt Otvlfmld [. 5. IK. Prfedllnder,
Mtirikel dcf Univ. Qrdftwild I. S. IQS. 211, IXT. DIhncrI. Pomm. O.bl. U. & I6T.
Ball Studien XLII. S 16f,
>} 51. A. St.: V. BohlRische SamintunB N. 111.
Von dtr Erziehung und Ausbildung pommerscher Fürsten etc. 275
I
■venia ludendi ad duos aut tres quadrantes horae, sed ea lege, ne
•cjuid petulantius designent, deinde ut latiiie aut gallice subinde
loquantur. - Existimamus consultum esse, ut principibus potestas
-subinde Hat exeuiidi vel ad vicinos hortos vel quocunque locoruni
yrincipi Visum fuerit. Nam et hoc ad tuendam valeludinem per-
'tinet et mirifice conducit ad discenda muitaruni rerum vocabula,
aibi pracscrtim monitor et inspector semper adest.
Über die Erziehung der beiden jüngeren Prinzen, Bogis-
3aw und Ernst Ludwig, stellt Magenus folgenden Grundsatz auf:
Sios ad studia literarum blande potius alljciendos arbitramur, quam
Stoica sevcrilate aut metu ferutae cogendos, pracscrtim cum id
-^letatis adhuc sint, ut uiultae doctrinae nequaquam posüint esse
— «Spaces. Daturi aulem sumus operam, ut quam primum recte
legere discant, ac simul, quod in omnibus triviaübus scholis ficri
solel, proponemiis coüecta a viris doctis earum rerum, quae in
«ensus noslros qiiotidie innirrunt, vocabula, ut cum lade semioiiis
•«liant latini cupido quacdam et amor eis instiUctur, eaque voca*
Ibula subinde exigemus, cum ut exerceatur ipsorum ineitioria, tum
ut videamus, an ea discerttli flagrenlcupiditate, qua bonae indolis
pueros fiagrare decet.
Zu derselben Zeit, in der Magerius berufen ward und sein
Gutachten ausarbeitete, schein;! der Herzog Philipp auch seine
Räte Jakob von Zitzewitz und ßallhasar vom Walde aufgefordert
-ZU haben, ihre Gedanken über die Erziehung der jungen Herren
kundzutun. Der Bericht des Kanzlers von Zitzewitz') liegt vor;
da er jedoch undatiert ist, läUt sich nur vermuten, daß er in
diese Zeit gehört.') Zitzewitz hebt nachdrücklich hervor, daß an
der Edukation sehr viel liege und deshalb alle Sorgfalt darauf
zu vens-enden sei. Es ist ein Hofmeister nötig, i,gelehrtj im Re-
giment geübt, der fürstlichen Sitte, Handel und Well, gottfürchlig
tind, so möglich, der hochdeutschen und anderer Sprachen kundig".
Ihm werden ein Pädagogus (d. h. ein älterer Knabe) und der
Qallus (d. i. Magerius) zugeordnet als Präzeptor. Jedem Herren
Verden zwei Knaben beigesellt, die gottesfürchti& fromm, züchtig
und gesund sind.
•) Vcl. &bcr thn Balt. Slud. N. F. I. S. 143fr.
^ St. A. Sl.: V. BoIiImkK« SanrnilDig N. UT
w
Es Tpird entschieden empfohlen, für die Emehung der ältesten
Prinzen einen Ort fern von der unruhigen Hofhaltung zu be-
stimmen. Die jungen Herren müssen die lateinische, hochdeutsche,
französische und polnische oder wendische Sprache lernen.
Schlielllich wird gefordert, daü dem Pädagogus, der noch jung
sei und bisher am Hofe nicht gedient habe, eine Besoldung zu-
gesagt oder Versprechungen für die Zukunft gegeben werden.
Den Herzog bittet Zitzewitz, die Angelegenheit sorgsam zu be-
denken und „nit, wie mit viel anderm geschieht, auf die lange
Bank zu schieben«.
Über die Frage^ ob andere Knaben und welche den jungCTi
Fürsten beizugesellen seien, scheint noch eine längere Verliandlung
stallgefunden zu haben. Es ist ein Schreiben des Andreas Magerius
erhalten, das xrahrscheinlich in dieser Zeit (1552) an den Kanzler
von Zitzewitz gerichtet ist') Er rät, ut tales adiimgantur, qui ad
principum ingenia congnianL Von Johann Friedrich sagt er, daß
er die Lehren der Grammatik und Syntax seinem Alter ent-
sprechend im allgemeinen kenne und von guter Begabung sei.
Alsdann gibt er eine Darstellung, wie er sich den ganzen Tag
über mit den Prinzen zu beschäftigen habe. Mane danda est
opera Friderico, audiendae sacrae precationes, mox aljquid iegen-
dum in Üs autoribus, quos tractare coepi. Post octavam sumitur
ientaculum. Paulo post vcl audienda vel repetenda lectio aut
ingrediendum templum. A prandio obser\'andus est Fridericus et,
si quid fidibus ludere velit, minime negligendus. Sub horam
primam adsidendum est Friderico usque ad leitiam, non eo solura,,
ut caule suBs lectiones describat, sed, ut ediscat, quae ante prae-
scripta fuerunt, deinde ut audtat novam lectionem deque singulis
parlibus orationis rogatiis respondeaL Hora tertia sutnunt principes
merendam ei oblectant se adusque horam fere quartam. Mox
redeunt ad studia et rursus consistendum ad coenam usque. A
coena principes aut canunt aut ludunl fidibus aut in hypocausto
cursitant. Hieraus gehe hervor, daß er sich um andere Knaben,
falls sie nicht im Unterrichte ebenso weit vorgeschritten seien wie
der Herzog, durchaus nicht kömmern könne. Deshalb dürften
ihm nur gleichaltrige und nicht ungebildetere beigegeben werden.
>) Sl. A. Sl.: V. ßohlniKhc SammUne Ho. tlT.
*
I
Ebenso verhalte es sich mit BoKislaw und Emst Ludwig. Aus
•<:iem Schreiben erkennen wir, daü einzelne Edelleutc, vermutlich
-Angehörige des herzoglichen Hofes, sich eifrig bemühten, ihre
^Söhnc an der Erziehung der Pnnzen teilnehmen zu lassen, und
-^:^lAß der Herzog nicht ganz abgeneigt war, diesen Wünschen zu
■^entsprechen.
Auf Grund dieser und anderer Outachten scheint Herzog
■— 'bilipp noch 1552 die ausführliche Instruktion für die Erzieher
^^s-dner Söhne, den Präzeptor und den Pädagogus, erlassen zu
Ä^abcn, die mit dem Motto: Discite iiistitiam moniti et non temnere
"^^ivos vorliegt. Sie enthält in elf Punkten die Grundsätze für die
Mnrziehung der Prinzen und in sieben Paragraphen die Bestimmungen
"^ür die Edelknaben. Vo]unius,utetlJbeii nostrietquotquoleisadiuiicti
-^unt, ita mores suos componant, ul nullum petulantiae vet impro-
Isitalis excmplum ab eis sumi queat^ ac mandamus praeceptori, si
■«ziuis obtemperare nolit, ut aut virgis severissime eum coerceat aut
^ius nomen ad nos deferri curet, ut pro nostro iure contumaciam
^b eo severiter animadvertere posslmus. Herzog Johann Friedrich
soll besonders bei Tische tateiriisch sprechen, ausge^'ähüte Sentenzen
lateinisch und deutsch lernen. Mandamus ctiam praeceptori, ut,
<iuae ad leclioncs, rcpctilioncs, excrcitatlonem styli et id genus
sdiolastica exercitia, quibus puerorum studia continentur, pertincnt,
«mnia sine exccptione commendata esse sinat nee patiatur quem-
<]uam temerc ullos aulores absque fruclu pcrgrassari, sed optimis
quibusquc tantisper imniorari cogat, donec aetas aut factae in
litcris progressiones aliud consilium poslulare vidcanhir. Die
beiden jüngeren Prinzen sollen lesen, schreiben, deklinieren und
konjugieren lernen, täglich müssen ihnen zwei oder drei latemisclie
Vokabeln vorgesprochen werden. Für die leibliche I^lege, gesunde
Küche, Spiel und Spazierengehen wird in der Instruktion Fürsorge
getan. Vohimus, cum liberis noslris aestate sereno coelo in vicinum
aüqucm hortum cxeundi fiel poteslas, ul ibi moderatc sc cxerccanl
nee quicquam dcsignenl praeter decorum, sed cum praeceptore
h«c illuc modeste obambulanles earum herbarum ac arbonim,
quae in sensus quolidie incurrunt, proprias appellationes paulatim
addiscanL Unter den Beslimmungcn über die Erziehung der
Edelknaben ist von Interesse die, welche sich auf die Kleidung
F
278 M. Wdirmanii.
bezieht. Cum adfectalio novi ei scurrilis vestitus, quem nunc
Brunswicensem vocanl, moribus et siudÜs plurimum officiat et
rc\xra ni] aliud sit, quam dislorlae et monstrosae naturae Signum,
«contra autcni liberalis vestitus et ad ttiendam modesliani et ad
augcndam existimationem vehementer et magnopere conducat,
niandamuSr u(, qui noätris libcris ser^Junt, ea vestitus fonna, quam
pracscripluri sumus, poslhac ulantur, praeserlim cum in schola,
quam pudoris et modestiae et himianilatis officinam ac domtcJlium
esse oportet, versentur. ^M
Als Erklärimg und Ergänzung der herzoglichen Instruktioi^l
kann die gewiü aus derselben Zeit stammende deutsche Ordnung
der jungen Herren dienen, welche In einem vielfach kor-
rigierten Konzept und in der Reinschrift erhalten ist') Sie ist ganz
besonders für den Lehrer der Prinzen bestimmt. Er soll sie vor
allem zur Gottesfurcht erziehen, »daneben ihre fürstlichen Gnaden
nil allein tn der Lehre und guten Künsten, sondern auch in guten
Sitten und Tugenden instituieren." «Er wird .... insonderheit
Herzog Johann Friedrichen und die Knaben dazu halten, Latein
zu reden und daß sie außerhalb der Mahlzeit, den Abend und
den Stunden, die ihnen zu Spielen und der Musika vergönnet, sich
der deutschen Sprache, ohne «-ann sie fragen, wie ein Wort
lateinisch oder französisch auszureden, nicht gebrauchen." »Zu
Tische wird er fleißig Aufsehen haben, das sich die Herren sittig
halten, sauber und mäßig essen und trinken, auch alle leichtfertige
Reden und Gebärde vermeiden; neben dem Präceplor wird alle-
wege Doktor Jeronimus") mÜ ihren Gnaden essen und außerhalb
der Hofräte niemand zu Tisch hinaufgefordert oder gestattet werden
ohne sonderlich m. g. Herren oder des Hofmarschalls Befehl.*
Die übrigen Bestimmungen beziehen sich vornehmlich auf die
äußere Ordnung in den Gemächern der jungen Herren, den
Dienst und die Anleitung der Edelknaben.
Der Lehrer der Prinzen, Andreas Magerius, stand seit seinem
Aufenthalte in Wittenberg mit Philipp Meianchthon in schriftlichem
Verkehr. Er scheint ihn für seinen fürstlichen Zögling interessiert
*) SL A. Sl. ' V. BoMf-ntcli« Sammlung No. IlT.
*) Dr. Hicroayiniif Otitcr «ac »eil ungcniic ISJO Holinl des Hcito(> PhUipp ■
VolciH. Koi»irftrieti. Ot«ch. der Unlvcn. OrcIlEvild 1. S. 197.
*
XXX haben, so daß Mclanchthon am 2Z März 1554 an den jungen
/-f erzog einen Brief schrieb, in dem er ihm von den Tode seines
Ot»<ims, des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen (j* 3. MUrz
J S^4) erzählt und dem pommcrschen Prinzen die Tugenden des
'X/'^r^torbenen vorhält.') Am 10. November, Luthers Geburtstage,
tl^^sclben Jahres, üben>andle er ihm, gewiß auch auf Veranlassung
<d^^ .Andreas Magerius, eine ausführliche Studienondnung undl hielt
KSmn-i auch hier und in dem Begleitschreiben das Beispiel seines
l«v» ^-fürstlichen Oheims vor. Den Studienplan unterwarf er zugleich
«J^«-»! Urteile des Magerius.») Dieser Aufsatz des großen Gelehrten
<^^ sludtts illustriss. principis Johannis Friderici, ducis Pomera-
■^<^^x~um etc. ist wiederholt gedruckt und behandelt;') das von einem
^^^VÄreiber geschriebene, von Melanchlhon durchgesehene und unter-
^^^*^i^±nele Original bisher aber nicht benutzt*) Die Lektüre der
"»t>lischen Schriften und die Grammatik, Dialektik sowie die
^^l^mente der Rhetorik hebt Melanchthon als die wichtigsten
^-^ »"undlagen der Bildung des Fürsten hervor. Dazu kommt
■^i^toriae cognitio, qua in re primum complecti omnes homines
'^'^«1 stolidos oportet seriem omnium lemponim mundi, inde usquC
* J3rima rerum crcatione, quam recitat historia tradita ecciesiac,
**Sc^ue ad hanc nostram aetatem, et conferenda sunt huius aetatis
^-^•"tamina ad velcra. Consideranda est etiam series monarchiarum
** cogitandum de periculis huius ultimae senectae mundi, in qua
^^^-*»n crescant confusiones, maiore cura principes ita foveant ec-
*^'^sias, ut ad posleros conserventur nee lales tenebrae sequantur in
^is regionibus, quales nunc sunt in magna parte orbis terrarum,
**^ Asia, Africa et multis Europae partibiis. Im einzelnen entwirft
'^^nn Melanchthon folgenden Plan: Vesperi legantur caput in novo
*^^lamen1o et psalmus ordine et addantur precatio ad Deum et
feratiarum actio. Una hora mane biduo in septimana tribualur
^narrationi epistolarum Ciceronts aut Terentü aut Virgiüi aut Livii.
^cinde ex ea lectione declinationes et coniugationcs aliquac exer-
^«antur et quaerantur regulae syntaxeos. A meridie corpus exer-
>) Corpus Rdorm, VIU. S. ZI-II.
■) Dm BfgIcIlKhieLbea gednuJd Corpu« Rdomi. VIH. S. 331.
>. In Corp. Reform. Vlll. S, 3d'l-387 ecdrackt nach einen WXam Onicbc. Vgl.
Hirttclder. McluchOii>n ali praccepiar OemunUie S, 4T0f.
^ 9L A. St.: «. Bohlensthe S«inmlunK No. 117.
M. Vehmiann.
cendum est et aliquid temporis nmsicae tribuatur. Postea pars
grammaticac, syntaxis repeJatur, et potest addi enarratio seu offi-
dorum Ciceronis seu de amicitia seu historici scripti Sallustü aut
Cominei de Carolo Burgimdo aut lulii Caesaris. Die Mercurii
repctatur catcchesis, et totum reüquum tempus st)'Io tribuatur.
Et ad iudicandum de oratione soluta velini etiam principem di-
scere radoncm faciendonim versuum. Die Jovis et Vcncris matu-
tina hora tribuatur dialecticae, hora post mcridiem rheloricac. Dies
Satumi tribuatur lectioni theologicae et enarreliir principi aliqua
Pauli episiola aut sententiae Salomonis; interdum et psalmus mi-
sceatur. Dies festi tribuanlur historiis; saepe repelat chronicon.
Außer diesen Gegenständen, die Mclanchlhon für den Unter-
richt vorschreibt, empfiehlt er noch ganz besonders die von ihm
bekanntlich so hoch gehaltene Astronomie und Astrologie und ver-
weist dabei auf Hesiods Gedicht Ipya xai i^iiipat. Ebenso rät er
zur Behandlung der Kosniographlc, ut mens cogitel lerranun
metas et reglonum positus et intervalla, und ist der Meinung,
daß CS für einen Fürsten sich zieme, einiges von der Physik,
Anatomie und Medizin zu wissen. Unter die ganze, sorgfältig
durchdachte Aufzeichnung, die von großem Interesse an der Er-
ziehung des jungen Henogs zeugl, hat Melanchthon mit eigener
Hand die Worte geschrieben; Haec brevitei annotavi, cum non
satis possim iudicare absens, quomodo sint inslituenda haec studia.
Quare haec iudicio praeceptoris vere docti et prudentis D. Magiri
permitto. PhiUppus.
Auch später noch hat Melanchthon dem jungen Forsten, um
dessen Ausbildung er sich freundlich gesorgt hat, Teilnahme be-
wiesen. So iSbersendet er 1556 dem Herzoge mit einem längeren
Schreiben Siegmund Schörkels Ausgabe von Helmolds chronica
Slavorum.')
Im Frühjahr oder Sommer 1556 legte Magerius wegen
Krankheit sein Amt als Lehrer der Fürstensöhne nieder und ging
nach Wittenberg, wo er gegen Ende Juli eintraf.") Er hatte zu-
gleich den Auftrag ribernommcn, dort Erkundigungen einzugehen,
'j Corp. Het VIU. S. SUR. Dl> Auifibe traeblen im Au^st liU ui Fnnkftirt
mll dem Brirf« Mebndilhoin,
>) Am t. AoButt I5G6 Khrelbt McliRchthnn ; Nunc t^ MiiRliM, qvl docoll prlncipa
Pomennia«, tiobiiaim wl iCorp. R«f. VUI. S. ilT).
*
^
k
ob es ratsam sei, den Herzog Johann Friedrich auf die Witten-
toerger Universität zu schicken. Dieser Plan wurde schon längere
ZZtii sorgßltig erwogen. Denn bereits im Anfange des Jahres
1-aatte Herzog Philipp Valentin von Eicksledt nach Wittenberg ge-
^s>andl, um in dieser Angelegenheit mit Melanchthon zu verhandeln.
.rf^m 23. März berichtete eicksledt über seine Bemühungen um
^^ine passende Wohnung und seine Unterredungen mit Melanchthon.
H>arauf arbeitete der Kanzler Jakob von Zitzewitz ein Gutachten^)
tiber einen eventuellen Aufenthalt des jungen Herzogs in Wilten-
Ä=ierg aus. Er schlägt darin vor, den Doktor Andreas als Präzeptor
<:zics Prinzen auch auf der Universität zu behalten. Dieser sei auch
tjereit dazu, nur wolle er nicht länger am Hofe bleiben, „aus Ur-
^3jichen, daß er siehet, daß es des Herrn Verderb ist und ihm
^schimpflich, auch sorglichj denn alle Schuld der Versäumnis ihm
v^öchte zugelegt werden". Magerius, der, wie wir hier vernehmen,
»Tiancherlei Verdruß in Wolgast erfahren hatte, schrieb am 7. August
^n Herzog Johann Friedrich einen Brief), in dem er ihm von
^ieineni Leben in Wittenberg und von einer Reise zum Fürsten
Joachim von Anhalt erzählt, der versprochen habe, auch einmal
wiach Wolgast zum Besuche zu kommen. Zugleich bittet er den
Ä^nzcn, doch an Philipp Melanchthon zu schreiben, da das ihm sehr
viOtzen werde, wenn er etwa wirklich die Universität Wittenberg be-
■suchcn werde. Unter das Schreiben hat Johann ßugenhagen folgen-
«Jen Wunsch geschrieben: Obsecro dominos meos clcmentissimos,
jirincipes Pomeraniae etc., inprimis d. johannem Fridericum, ut
studeatis pietati, invocetis dominum jesum Christum et incumbalis
literis bonis, ut possilis prodesse patriae, id quod oro cotidic.
joh. Bugenhagen Pomcranus D., vcstrac cclsjludinis servus.
Magerius erkrankte in den ersten Monaten des Jahres
1557 sehr heftig (habet reliquias aulicae miUtiae satis pericu-
losas, schreibt Melanchthon) und starb zur großen Trauer
seiner Wittenbei^r Freunde am 2. April 1557.') Damit wurde
auch der Plan eines Besuches der Universität durch den Herzog
Johann Friedrich hinfällig und aufgegeben.
^
•) Sl A. SL: V. llDh:«i&che Sammlnnff No. 117. VeL Bilt. SL N. F. I, S. IM,
>) 51. A. St.: V. BoMciKchr Samnilung No. US.
n Vjl. Coq». Ref. IX. S. 1231.
p
Ein anderer Grund dafQr war der Umstand, daß der vier-
zehnjährige Prinz am 28. August 1556 zum evangelischen Bischof
von Gammln postuliert ward. Zwar blieb er natürlich wegen
seiner Jugend der Verwaltung des Stiftes fem. Heinrich von
Normann wurde zum welllichen und Georg Venetus zum geist-
lichen Verwalter bestellt') Man hielt es jedoch jetzt nicht mehr
für angezeigt, den Herzog so weit in die Feme ziehen zu lassen.
So blieb er, so sehr man auch die Schäden der Erziehung am
herzoglichen Hofe selbst erkannte,*) doch zunächst noch mit seinen
Brüdern in Wolgast und setzte seine Studien unter Leitung der beiden
Greifswalder Professoren Gerhard Belowund Balthasar Rhau*)
fort, die am 15. Juni zu fürstliclien Erziehern bestellt wurden.
Auch diese Gelehrten arbeiteten einen ausführlichen Er-
ziehungsplan aus,») in dem sie ihre nach Beratung mit den herzog-
lichen Räten aufgestellten Grundsätze darlegten. Der eigentliche
Verfasser des Schriftstückes scheint Below gewesen zu sein. Er
berichtet auch zugleich über die bisherige Art des Unterrichts.
Die wichtigste Aufgabe ist auch ihm nach Christi Wort (Matth.
6, 33) das Trachten nach dem Reiche Gottes. Deshalb beginnen
die Prinzen den Tag mit dem Hersagen von Abschnitten aus
Luthers Katechismus und der Lektüre eines Kapitels aus der UibeL
Den jüngeren Söhnen des Herzogs wird ein Spruch der Heiligen
Schrift oder eine Sentenz zum Lernen aufgegeben; besonders be-
handelt Magister Balthasar die Sprichwörter Salomonis und die
bekannte Chronik Canons, die Melanchthon bearbeitet hat
Genauer wird in der Denkschrift der Studienplan für Johann
Friedrich aufgestellt Dabei spricht der Magister den Wunsch
aus, daß er auch etwas Griechisch lerne. Existimamus cnim non
mediocre ornamentum addere viro principl, si graece scriptas hi-
slorias sine interprete suo Marte 3egcre et intelllgere possit, ut
interitn taceam, quantum et In sacris praesertim novi tcstamcnti
Hbris et in iurisconsultorum libris recte intetligendis habeat graeca
lingua momenti. Sonst wird besonders die Lektüre der Cicero-
nianischen Schriften betont, für welche das Studium der Gramnw
') Val. Bslt Stud. XXX 5. T XLII S. H».
■; Vcl Ball. Slud. N. P. 1. IQS.
■) Vcl, KotcEarien, Ocscb. der Univ. OmlmOd I. S. 203. IM.
*} St. A. S4.: V. BohlcnKJie Sammlang Nr. 117.
Von der Erziehung und Ausbildung pomnierscbeT Fürsten etc.
*
des Philipp Melanchlhon zu empfehlen und eifrig zu betreiben ist
<3elesen werden VirgilsEkiogen unJBiicolicaundTerenz' Komödien.
Für die jüngeren Prinzen wird die lateinische Qrainmatik
«J^rs Hermann Bonnus empfohlen. Accedlt eliam quotidianum In-
tirasL^ iinguae in omnibus confabulationibus et toto convictu exerci-
liurxi; qui vero deprehenduntur uti lingua vernacula, plectuntur.
■i^i-am Schlüsse seines Berichtes äußert sich Bebw auch über die
^Vfci^ichi, die jungen Prinzen nach Greifswald auf die Hochscliule zu
s^rm cden, und stellt die Forderung auf, daß für diesen Fall ein fester
F^l^ri nicht nur für die Studien, sondern auch für die ganze Ein-
■"»«=l^lung dort aufzustellen sei.
Diesem Gedanken trat man immer näher. Schon im Herbst
^ ^^<ii reichte der herzogliche Kämmerer Michael Küssow ein Gut-
^^^l^tcn über die Einrichtung für die jungen Herren in Greifswald
^* ■'^ - Die weiteren Vorbereitungen dauerten lange Zeit. Am
* ^- Juni 1557 ward Johann Friedrich feierlich im Camminer Dom
^-^■'^ Bischof inauguriert
^P Als dann am 11. Dezember 1557 das Schloß in Wolgast
^■^fc>rannte, da brachte Herzog Philipp seine drei ältesten Söhne
•J^-^^^ann Friedrich, Bogi&law und Ernst Ludwig nach Oreifswald,
^^^^ man sie am 21. Dezember feierlich empfing. Sie wurden vom
"^Ktor und dem Senate berußt, und der fünfzehnjährige Johann
K *~i«drich antwortete in wohlgesetzter lateinischer Rede. Am
^B ■ Februar 1558 wurden die drei Prinzen mit elf jungen Edel-
H ^*-»ten nach alter Sitte deponiert und am 5. Februar immatrikuliert').
Ist auch die Erziehung der Fürsten damit keineswegs abge-
^H ^^Ä^lossen, sondern beginnt namentlich für die jüngeren Söhne des
^P ^^rzogs erst recht eigentlich, so mag doch die Darstellung hier
^^schlossen werden. Auch für den Aufenthalt der Prinzen in
^-* »"eifswald liegt mancherlei inleressantM Malerial namentlich in
^^^reichen Briefen vor. Vielleicht bietet sich später einmal die
^^legenhcit es zu verwerten, ähnlich wie von Medem') es für die
^-^Tiivcrsitätsjahre getan hat,, welche die Herzoge Ernst Ludwig und
^i^mim 1563- 1565 in Wittenberg verlebten.
I» rrledlindtr. Mairikcl von Qreirsvrild I 5. 247, 24S.
■) F. C L. T. Mcdein, Die UnivenitAUiihre der Henoee Ernit L-udvlE und
lUrnim to« Poannn. AdIcImi IBOT. Vgl. auch Ball. Stud. IX. 3 S. K«.
Selbstbiographie des Stadtpfarrers
Wolfgang Ammon
von Marktbreit (f 1634).
Mitgeteilt von FRANZ HÜTTNER.
III.
[rol. 130.) Schreiben, so denkwürdig', an mich abgangen.
I. Jan. Anno 1580 das lezle von meinem seel. Vatter be-
kommen.
Anno 1592 23. August schreibt mir mein bester Freund
ChristoH Jordan (der mit mir in einer Kost 7,um Hof bey der
Löwin gewesen und mit der Zeit Prediger zum Hof worden) von
gesagten Stadt Hof aus gen Jena, ich bekomme gewiss der Löwin
Töchter eine, so ich wrll, die doch wol gezogen und sehr reich
waren, allein ich hab geförchtelj Crämcr Out fasele nicht, und die
Töchter werden stattlich gehalten sein müssen etc.
Anno 1593 13. Apr. Schreiben von meiner gn. Herrschafft,
ich soll jura studiren; denn ich hatte den 13. Martü beederle)'
Facuitäten vorgeschlagen. Es ist aber hernach anderer Bescheid
herauskommen.
[Bl. 31.] Summa Vitae Woifgangi Ammonii Junioris animaruni,
quac Christo in Marckbrait colliguntur, olim pastoris.
Cr ist geborn zu Dinkelsbühel in der Reichsstat 7. Jan.
.\nno 1572 um 2 Hör in der Nacht. Sein Vatter war Herr M.
Woifg. Ammonius, Helfer oder Caplan daselbst, welcher darnach
Anno 157Q hier Pfarrer worden und Anno 89 Todtcs verfahren
26. Jan. Die Mutter, Frl. Maria, Herrn M. WoIfg. Jungens, des
Evangel. oder Reformirten Stiffts zu Feuchtwaiigen letzten Decani,
Tochter. Ist den 8. Jan. dess obgedachtcn 72. Jahre getauffl worden
Selbslbiogrsphie des Stadtpfamcrs Wolfgang Ammon etc. 285
I
von "WoUgangus, nach dem Valter und Anherrn genenntj denn
der Oeratter, Herr Veit Renner, ein Kirchetipf leger, solchen
Nahmen nicht gehabt. WoIFgang heist, nach Herrn Luthcri
Meinung, einer, der den Leuten zu Hfilf gang oder komme.
y\ls er reden gelernt (welches langsam hergangen und bey
An rO lirung eines schnappenden Fisches im Schrekken erstlich
hera.usgestossenf wie die Eltern berichtet) ist er iti die deutsche
Schu 1 zu Dinkelsbühel geschikket vorden, und folgends in die
lateinische päpstische Schul daselbst, weil kein andere vorhanden.
I^oofm dass er nil mit den andern zur Mess und zum Tagampt
gierig^. Weil man ihn aber in ihre Kirchen gelokkel und Kerzen
zu "tx-agcn geben etc., auch Weck zu Lohn, als hat der Vatter
'*'^^*t verstanden und diess Söhnlein, damit es nicht von Papisten
verführet würde, gen Fcuchtwang in die Schul gethan und der
^^fr^auen Kost geniessen lassen.
Anno 79 hat er zu Marckbrait in derselben Schul seine
"^^ndamenta pietalts et artium angefangen zu legen, schreiben,
^^^iniren, conjugiren, exponircn etc. gelernt, unter Herrn Joh.
^^nilein, so hemacher ein Rathsherr worden, dessen Sohn jetzt
^**i Bürger allhier.
Anno 86 zu Rotenburg zu frequenüren angefangen Martini,
^* er seine Lectiones gehabt, auch seine camiina Latina und
^^raeca scripta gemacht. Anno 88 ist er gen Hof ins Voitland
^crschikkt um Laurentü, da er alsobald in primam classem kommen
•-tnd mit Herrn Mchlfi'ihrer, M. Salom. Blechschmid als Commüi-
'^onibus in Kundschafft kommen. 4 Jahr da blieben, gut Sach
^habl und viel durch Gottes Qnad in unguis sorol Ebraica und
^raeca als Utina getasst, den Homenim und ein cydopaediam
artium liberalium gehört
Anno 92 am Tag Petri und Pauli nach Jena kommen und
«la studirt biss 95 unter D. Dort. Oeorgio Mylio, Exoticcs lingua*
>-on M. Christophoro Hammero gehört und den cursum philo-
sophicum mehrentheils absolvirt, aber Armuth halben den Qradum
Magisterii nil annehmen können. Anno 95 von seinem gn. Herrn,
«ton hochwolgebohrenen H. H. Georg Ludwigen von Sainssheim
«lern Jüngern (der iBl. 31'] Jhn sowol als der ältere Herr tic.
etliche jähr zum Studium verlegt) zum vacirenden Cantorat ab-
-286 Fnnz Hflttner.
gefordert von der Acadetnie. 10. Maji angetretten und bissjala>bi
Anno 97 selbigen Dienst venralteL Anno 97 18. Jul. ist ihm
die Pfarr Crassolzheim anvertrauet und er den 24. JuL darzu
ordiniret worden, hat auch das Decanat Winsshdm, wdls ein
ninüe capitulum gewesen, uff Gutachten Herrn Andreae Nagelii,
wohlverdienten Pfarrers daselbsten, Anno 1606 darzu bekomm«!,
und ist also zu bemeldten Qrassolzheim bis ins 17. Jahr Pfarrer
gewesen.
Anno 1614 27. Febr. zum Diaconat gen Marckbrait investirt
worden und 18 Jahr Caplan gewesen und zuweilen, wenn
•die Schuldienst verledige^ ihr officium bis zur Bestellung ver-
sehen.
Anno 1631 4. SepL ist ihm die Pfarr daselbsten anvertrauet,,
-dab^ er biss an sein End geblieben.
Seinen Ehstand betreffend hat Er zum 1. mal Hochzeit- f;it
gemacht anno 95 den 18. Nov. mit Apollonia, Herrn Johanir-K-jo
Cuppelichs, Stadtvogts zu Feuchtwangen seel. hinterlassener-K-sn
Tochter, in ihrem Vaterland und 12 Kinder in w&hrender Eh».Mr3e
mit ihr erzeugt, 4 Sohn und 8 Töchter, davon nodi 3 Töditö^^=r,
^s diess geschrieben (seil. 8. Sept Anno 34) gelebt,
II. Anno 1617 26. Aug. Dienstag nach Barth, mit dcT— 'aer
andern Vertrauten Regina, Herrn M. Hieronymi Theodorici voUM^l-
verdienten alten Limpurgischen Pfarrers zu Sommerhaussen Tochtei m.-^,
Hochzeit gemacht und kein Kind mit ihr erzeugt
Was sein Leben und Wandel anbelangen thut, hat er sich"i^=h
vor groben wissentlichen Sünden, so viel mit Gott immer möglich «ri^
fürgesehen, sein Arapt ihm treues Fleisses angelegen seyn lasseni«"*^i
sich für einen armen Sünder erkannt etc. und die StQkk einei«^^*'
wahren Busse bey sich vermerkt
Das vielfältig Creuz, so ihm von Kindesbeinen an biss in^*"^''
graue Alter an seinem Leib, Weibern, Kindern, Vieh etc. za~9'^^
versuchen gegeben, und das er auch im Wandern, uffn Schulen M"*^
im Schul- und Kirchenampt erlitten, seit wol schwerlich auf ein^^ ■*^'
Kühhaut zu bringen seyn. Doch hat ihm Gott immer vfttterlich-*=^
geholfen und einen Wechsel des Leides und der Freude verliehen, «"»^
auch Gaben des Leibes, Verstands und zeitlicher Nahrung geben, f* "'
so viel ihm nuz und gut gewesen, viel guter Gönner neben derr*^*
Selbstbiographie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc. 287
raissganstigen verliehen, auch wol seine unbillige Feinde Ihm zu
Freunden gemacht
Die Krankheit, so ihm lezlich wiederfahren, ist Gott und
£;uten Leuten bekannt Der darauf gefolgte Todt aber und wie
er abgedrukket, ist dem Schreiber diessmals unbekannt, hoffet
aber, der Herr Jesus, dem er äusserster Möglichkeit nach gedienet
und seine Ehre gerettet, soll ihn mit einen sanfften seeligen End
b^;naden [ist geschehen gestern den 22. Sept 1634 um 7 Uhr
im Sessel und in Armen Conjugis, in s. climacterico magno et
heroico, 63.], von allen Uebel erlösen und zu s. Himmlischen
evigen Reich aushelfen, welchen sey Ehre von Ewigkeit zu
Ewigkeit Amen. Den Text Johann. XII, 25: wo ich bin, [da soll
mein Diener auch sein] etc., bittet der Schreiber coUegialiter ihm
bey der Leichenpredigt zum letzten Ehrendienst, dem Volk aber
zu Unterricht zu erklären.
NB. Dieser Lebenslauff ist also bey der Leiche verlesen.
1- 32, fol. 146.] Creuz, Gefahr, Unglükk, Noth, Widerwärtig-
keit, wie mans nennen will, ohn die Krankheiten, oben 108
beschrieben.
Anno 1591 12. Jan. mir ein Stein in Kopf geworfen, darüber
ich ein Loch bekommen, als ich zum Tanz zusehen wollen,
welches das erste Tanzbesehen war und übel gerathen, darum ich
auch hernach nichts tanzen gelernt
Anno 92 vom 18. Sept biss uff 7. Od. uffm Stroh, Bänken
und blossen Tisch des Nachts geruhet, doch Wilibald HQberlein
sich mein lezlich erbarmet
[fol. 147.] Anno 92 13. Dez. kein paar Schuh vermocht zu
bezahlen. 18. diess 3 dl. um eine blosse Suppe geben, da ich
keine Kost hatte.
Anno 93 28. Febr. von einem Wagen gefallen und ein
Rad über mich gangen, doch keinen Schaden befunden. 30. April
und 1. Maji wiederum keine Schuh gehabt, biss ich mit Schreiben
verdient
Anno 94 im Jun. will Oefftiger zu Jena nit 4 fl. 6 Groschen
borgen g^jen so grosser Verheissung, seine Tochter zu freyen,
vann ich Dienst bekomme; denn ich dieser Zeit fast von allen
JMenschen verlassen war.
|fol. 148.) Anno 95. 30. Marty, nachdem ich zuvor (wtü
mein Stipendium zu lang aufgehalten worden, ohne raein Ver-
schulden, und ich die Kostfrau nicht contentiren können) im
Arrest ufr der Stuben meiner Wohnung innen gehalten, wieder
erlassen, darauf mir gleich ein Bot, Geld 7u holen, zugegeben
worden und von der Academia nach Brait ich gereiset und bald
darauf zu Dienst befördert bin.
Anno 1596 im 16. Oct. Tag in der Kirch zu Marckbreil
anderthalb (NB.) Mann hoch, otKn von dem Gebälk herab uff
die Porkirchen in Beyscyn meines schwängern Weibs gefallen,
und wenn mich Gott nidtt durch der h. Engel Schutz behütet
und ich an den gedrehten Stollen mich gehalten hätte, so wäre
ich gar hinab uff den daselbst stehenden Taufstein gerathen und
zu Todt gefallen, gleich im hoben Mittag, als man die Kirch er-
weitert um diesse Jahrszeit [Plochmann, S. 79].
(fol. 149.] Anno 1603 5. Julii weder Mehl noch Brod noch
Geld gehabt Der Müller aber zu Hambühl [im Amtsgericht
Neustadt a. der Aisch], mein guter Freund, strekkt mir 20 Bozen
vor, dafür soll meine Magd, die Rudel Elss genannt, Brod kaufen;
die laufft 18 Miihlen ihrem Fürgeben nach aus und kan nichts
bekommen, biss sie lezlich zu Steffi [Marktsteft im B, A. Kitzingen]
9 Laiblein Brod, jed«» um 36V) dl., erhielt
[Bl. 32", f. 150.] Anno 1603 20. Sept. Welsche Krämer trozen mich und
meinen Bruder bey Windsheim mit ausgezogenen Degen und
Tolchen. 30. Scpt bcy Albcrhofen (Albcrtshofen im Amtsgericht
Dettelbach], ehe ich gen Grossen Langheim komme, im Holz
grosse Gefahr von Mördern.
4. Oct. Pfaff von Bibarl [Marktbibart im Amtsger. Schein-
feld] stellet mir uff der Ingolstatter Kirbcn, da ich mit meinem
ersten Weib bey dem Wirth als ein geladener Gast, weil ich seine
Kinder inslituirL
Anno 1606 den 31. Mart. weinet mein Weib, dass wir so
wenig Geld hätten und so arm wären.
6. Nov., da dieser Zeit die Plag zu Crassolzheim regiert,
in Gauss Rohnen hauss grossen Jammer gesehen, als Ich die
Kranken besuchen wollen. Die schwache Frau, so an der Plage
lag, zeucht ihren an der Plag gestorbenen Mann selbst an, und
Seltstbiogn^hie des Stadtphuros Wolfgang Amnion etc. 289
Ion ihn doch gar nicht aufe Bett bringen. Dieser Zeit waren
schier kdne Träger mehr zu bekommen.
[fot. 151.] Anno 1605 28. Jan. will sich meine Magd, die
ihren Tauffnahmen verläugnet hatte, henken in meiner Scheuren,
ich zu trösten hatte.
Den 20. Febr. zwischen Obembrait in Bach gefallen, Stegs
verfehlt, da ich allein gangen.
Anno 1606 27. April wirfft mich ein stolzes Ross, da ich
nachm Seefaauss reiten und predigen soll, im Dorf Crassolzheim
noch, über seinen Kopf mit Sattel und all herab.
Anno 1608 26. Febr. bei Mönchsondheim übern ange-
lauffenen Bach auf einem Weidenköpplin fehltretende biss an
Halss in das Wasser gefallen.
Anno 1610 16. Oct hab ich eine Leich zu Dorf Cottenheim
ohne einiges Menschen HQlf, darzu einen Berg hinauf, da Ihr
B^räbniss ndTen der Kirchen is^ besungen.
[fol. 152.] Anno 1610 30. Jul. Leonhardt MQtler, wie mich
mein iOrchner berichtet, hat mir gedrohet, ist aber lang tumiret
worden und hat mirs abbitten und verbürgen müssen, mir nichts
zu thun. Ist die Dräuung herkommen, weil ich der Eheordnung
nicht zuwieder handeln wollen.
Anno 1612 20. )an. zwischen Cottenheim dem Dorff und
Crassolzheim in Schnee und Eis hineingesunken, [Bl. 33] und
mächtig gesdirien und änderst nit gemeint, denn ich bleiben
müsse.
15. Nov. wegen einer Gesezpredigt vom Lechelein aus
herrschaftlichen Befehl besprochen; doch ist man auf Erklärung
mit mir zufrieden.
Anno 1613, den 20. Jun. wirfft mich ein gross Wetter zu
Boden für plözl. Schrekken.
Den 8. Aug. wegen einer Predigt von Kleidern besprochen
zum Seehauss.
Anno 1616 11. Oct wegen des auflegten 7. Oebots Qe-
Ubr zu Brait
Anno 1620 15. jul. Herr Schuldheiss Groh und sein Ver-
weser, [fol. 153] Herr Kummer, wollen mich und Herrn Pfarrern
veridagen, weilen wir dem entleibten Schreiner läuten lassen und
Archiv fb KBltBi-gcKhldite. I, 3. 1?
eine Busspredigt thim wollen. Sie haben ihne aber wehren lassen,
weil wir uns auf dergleichen Prooess zu Obembreit beruften.
Den 10. Aug. wegen einer scharfen Predigt von den
Kirchengütem, am Tag Laurentü gehalten, durch Secrctarium
Schattemann ihrenthalben besprochen.
Anno 1627 4. Mart uff |fol. 154) Gerbers Jörgen Qastung
will mir ein Landsknecht eine Tochter abnöthcn, die Apoltonia,
zuvor ein papistisch Buch abhandeln, giebt mir wider meinen
Willen ein Ring uFfs Buch, giebt darnach vor, er hab ihn meiner
Tochter auf die Ehe gegeben, die doch nit zugegen. Ich war
bald in Jammer und Noth kommen. Jezt kenn ich die Landsknecht
26. diess wiederum Gefahr eines frembden Musterschreibers
halben.
3. Apr. warnet mich M. Fries, wie auch die Krämer»-Maria
wegen der Papisten gedrohten Einfalls in unsere geistliche Häusser-
16. diess ich wieder in grosser Gefahr, denn ich nach
Kalten Sundheim [Kallensondheim im B. A. Kitzingen] (weil M.
Postler todt) wegen der sorglichen Pfarr, damit Bischoff nicht
einfall, soll mich auf etliche Wochen begeben und daselbst auf-
warten, damit mein Herr in Possession bleib.
2Q. April fochten die Landsknecht meine Predigt, an Bet-
sonntag gehalten, w^en einer Historie aus D. Luthem angeführet.
hefftig an. 6. Maji sonderlich auch, [BI. 33') also, dass ich meine
beste Sachen in die Sacristey flöhen müssen. Doch im höchsten
Betrübniss referirt mir Organist Hayn, Er bey Georg Siber auf
meine Gesundheit bey den Soldaten trinken mQssen und BirkneT3
Soldat, ein Papist, mir sagen lassen, er sey gegen mir mit Un-
wahrheil versagt, Ich solle mich nicht förchten. NB. Es ist mir
gedroht gewesen zuvor, wenn ich uff eine Gastung geladen
werd, dabey sie auch scycn, so wollen sie das Tischtuch über mich
dekken und mich rechtschaffen zerblüwen. Peter Weiss hat mich
gevarnet. Ich hab auch etlich, ja wol 8 Tag nicht aus dem
Flekken gedörfft, doch hab ichs lezllcli gewagt und mich meines
guten Gewissens getn'istet und hinaus gelanget.
Anno 1628 21. April bey die 20 Reuter im Döchtel uff
mich kommen, denen ich nicht entgehen können, ist mir doch
Vein Leid geschehen.
Selbstbiographie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc. 291
[fol. 155.) Anno 1629 5. Febr., als ich mit Herrn Kümmern
SchuWhcisscn, und Herrn Oevatem nacher Scehauss zur gn.
Frauen seligen Leichleg ufT der Gulschcn gefahren, gehet der
Verschlag atif, und fall ich heraus und stehet mir (weil der Bauer
nit hören will) das Rad schon am Schenkel, also, dass man das
Zeichen etliche Wo«hen gesehen, und wann meine Beysizer nichl
alUumal dem Bauern zugeschrien und die Gaul noch einen Zug
gethan hätten, so war es um mein Bein geschehen gewesen. Gott
sey Dank jezt und allzeit, der mir so gnädig geholfen.
^ Erbärmliche Sachen,
y [fol. 15S.] Anno 1587 7. Sept. crscheusst sich Hanss Dorsch
zu Brait, der in Wochen (als schon ausgekündet) soll Hochzeit
machen mit Anna, welche hernach den Schubarts Clausen be-
kommen. Schreibt vorhin klägliche und bedrohliche Wort auf
den Tisch (Plochmann, Gesch. v. Marktbr. S. 102). Werden ihm
die Schenkel abgehauen, ins Fass er gespundet und in Main
geworfen.
Anno 1598 7. Nov. meines Weibes Bruder Georg [Bl. 3A\
Cuppelich (von seinem Müller zu Feuchtwang, der Schönmülter
genannt) uff seiner Schwester Hochzeit, da die andern getanzt,
erstochen, doch ehrlich begraben worden. Ich ihm vorgebetet.
Desselben Müllers Sohn, ein Studiosus, ist von einer Tanzboden-
stiegen herab zu Todt wiederum gefallen.
[fol. 139.} Anno löOO 10. Jan. bin ich zu des Vögten
Af\ichael Cbrists zu Norütheim Weib, welche vom bösen Geist um
t^eibeigenschafft gegen viel Gel dsr eich ung angesprochen und gar
rierisch aussähe, geschikket worden, sie zu bekehren, wie geschehen.
Anno 1602 7. Oct mein Pfarrkind, die Schüzin Röserin
ernannt, tasst ihren wassersüchtigen Leib am Nabel öffnen, daraus
^ lAass Wasser geloffen. Hat noch etliche Jahr gelebt und hernach
f^L^t jähling gestorben.
Anno 1603 9. Jul. unsers Kühhirten Georg Bullenheimers
^ind in einer Krautbrühe sich zu todt gebrenneL
Anno 1604 19. Maji ein Mezger von Nürnberg entleibt auf
«inen Hieb den Wirtli von Ezelheim [B. A. Scheinfeld], Stoll genannt.
Anno 1605 23. Febr. Müllen zu Ingolstatt |B. A. Scheinfeld]
I "Cind ertrunken.
ir
292 Pranx Hüttner.
> Anno 1606 9. Sept uff der Qrassolzheimer Kirchweyh ein
Northeimischer Mann im Umgang erschossen worden.
|fol. löO.] Anno 1610 7. OcL Sonntags erfahren, wie der
Rathsherr zu Brait, Oöbel genannt, vorigen Mitwochs im Main
daselbst, als er in voller Weiss fahren wollen, enoffcn.
Anno 1610 7. OcL hat der Doctor Medicus F^abridus den
Apotheker zu Windsheim erstachen.
Anno 16] 1 im Junio gilt ein ?*/■ pfQndiger Leib Brod 72 dl.,
I Mez Mehl 18 Batzen 1 kr. Vergesseis nicht! Hebe Kinder, hebt
das edle Brod schön auf!
Den 2. Aug. gilt ein Drcyling Salz 2 Batzen.
Anno IÖ12 im Sept sind zu Windsheim 3 Menschen (Bl. M'\
im Brunnen zu Hauss, da nun den säubern wollen, von einem
Basilisken gehling getöütet ohne die andern, so das Gesicht ver-
bunden gehabt, den andern zu helfen und doch auch sehr
schwach worden.
In diesem Jahr soll zu Kleinen Langheim ein Quell im Set
daselbsten eitel Blut, eines Arms dikk, aufgetrieben haben und
Herr Dechant Salom. Codman [vgl. Volkmar WJrth, Barth. Diet-
mar 1887 S. 13] davon 2 Predigt haben gethan.
Anno 1613 3. Jul- Anna Christina des Kochs Rcmigii Weib»
ersäufft sich selbst in einem liederlichen Bächlein zu Nordbeim
in Melancotey ohne Gotteslästerung, ist disputirt worden, uff gn»
Herrn Joh. Erkingers Befehl, Ich Hab erhalten, dass sie noch auf
den Qollesakker ohne Gesang und Klang kommen.
|fol. 161. J Anno 1614 2. April HerrSchuIdheissOroh vom Hof-
mdster Etzdorf uffm Feld übcrritlenund in Kopf gehauen worden.
Anno 1614 im Majo wegen langen Schnees (der in die
18 Wochen gelegen) und Schwaben fahrens das Korn, ja alles
Gelraid aufgeschlagen. Den 3. Maji galt ein Malter Kom 7 fL
NB. 1 Leib Brod schlug in einem Tag 20 dl auf, und galt 71 Vi dl
(Addidit nonnemo: 0 lieber Gott, wie jezo? im Martio 1636 gilt
das Malter schon 10 fl. 40 Kr., das Pfund Fleisch 6 Kr.)
Den 28. Maji schlugs Brod wieder ab, 10 dl. auf 1 Tag.
Den 19. Julii erfahren, meinen Bruder, Pfarrer zu Jecken-
heim, hab vor 2 Tagen das Wetter in die Scheuer geschlagen,
3 Sau verbrannt und in 40 fl. Schaden gethan.
Selbstbiographie d« Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc. 2^'
»
»
■u
Anno 1615 15. Febr. des Niciaus Rossen Arzts vermeinte
vassersOchlige Tochter, die wir oft besucht, auch als eine bald
sterbende communidrt und das gemeine Gebet für sie gethan,
gebieret einen Sohn.
1. Dec der junge Claus Groh bat Schlägerey mit Junkher
Zobel und seinem Vogt, kostet dem Junkhem 2 Finger, Vogt
»ird biss aufs Hirn wund, beichtet ein anderer für ihn, giebt er
ein Anzeigen, dass Ihms also gemeint
I Anno 1616 18. Jan. ertrinkt der Sauer, Fischer^ fn trunkener
Weiss und bleibt unterm £iss, wird nach etlichen Wochen zu
Frickenhaussen gefunden zwischen 2 StikkeEn, hieher geführt und
begraben.
35] Den 6. Febr. haben 2 Eyer Q dl. gölten zu Ochsenfurth und
16 Eyer S Schilling. Claus Oerter bezeugts (im Marl 1636 ein
Ey 1 Groschen),
Den 2I.Jun. ein Strahl in neuen Herrschaff tsbau geschlagen,
den Balken wfist zersplittert, doch nicht ange?ündet.
I. Juli eine hier zu todt gefallene Krämerin begraben worden.
Anno 1616 den 25. Oct Edelmann Zobel, der hie gewohnet,
fällt vom Gaul zu todL
Anno 1617 31. Mart M. Unfug gestochen worden, da er
mit meinem gn. Herrn gefochten, hab ich ihm gegen Tag das
Abendmahl gcreicht
[fol. 162.] Anno 19 den 29. August Sonntags Auflauft aus
er Kirchen, ehe man die Predigt angefangen, wegen der Würz-
t»urger Reuter, die förQber zogen; wie sie hinweg waren, hat man
^in Zeichen geläutet und den Actum vollend verficht.
1 21. Dec. 115 Reuter hier eingelegt worden über Nacht
" Anno 1620 3. April ein Schuster, Bastian, zu Sommerhausseti
"Erstochen worden von Herrn Kummer.
Anno 1620 18. April der Ofner, ein Gerichtsperson zu
^II3bernbreit, von unserm Schuldheissen erstochen worden, ist also-
fcald todt blieben.
14. Julij der Schreiner, Hanss Müller genannt, vom Todten-
^räber, der einen alten Orotl ausgelassen, erstochen worden beym
Seidlein, der Schreiner aber hat seinen Feind auch einen Schlag
r
mit dem Messstab geben, dass auch Er folgenden Tag uff der
Cnotstatter [darüber Ehnheimerj Mark lodt funden worden.
27. July der jung Hanss Breunich zu Einersheim vom Wetter
aufm Feld erschlagen worden.
Anno 1621 10. Febr. der Gnot&tatlische Wirlh zu Fricken-
haussen erschlagen vorden.
[fol. 163.] 22. Majt 2 Kinder Schusters und Schneiders im
Main ertrunken.
Anno 1622 3. Febr. Oberschtildhetss zu Obcmbreit sich
erschossen.
Anno 1622 23. Marl. Wcimarisclic Durchzug und grosser
Schrekken in der Nachharschafft
Zu End des Aprilis ein schrökküche Schlacht geschehen,
sollen uff bceden Theilen in 8000 blieben seyn. bey Heilbronn
am Nekkar [bei >X'impfen-Obereisesheini, A^arkgraf Qeorg Fried-
rich von Baden-Durlach von Tilly geschlagen.]
|Bl. 35'.] Item greulicher Jammer Wassers und Wolkenbruchs halben zu
Qossmannsdorf (B. A. Ochsenfurt] und Hczfeld [= Heidingsfeld].
b. jul. Durchzug in der Nach barschaff I, wir in höchsten
Schrekken aufa Rathhaus und in die Kirchen etlichs geflehnet.
Sind von hier aus etliche Musquetirer den Obernbreitem geliehen
worden.
Anno 1623 20. April. Gefahr eJngelogirter Reuter wegen.
Der F3ckk hat sidi mit 200 Thalem abgekaufft
Im April und Majo M. Fink,') Pfarrer zu Obembreit, zu
Ochsenfurt im Tum und Wirthshauss verhafftei und arrestiret
NB. Dieser Anno 28 in Martio seines Dicnsts zu Obembreit gar
entlassen worden aus Ursachen.
Anno 23 10. Maji haben die Feind mit Gewalt herein ge-
wollt, hat man Tag und Nacht hüten müssen.
Im Anfang Augusli soll man blutige Garben gehabt und
Mehl haben sehen regnen.
21. Oct kommt Tylli, ein Kaysserl. Oberster, mit 5000 Reutern
in die Nachbarschafft.
Anno 1624 2. Jan. in dem äussersten ßulleiten Hauss ein
Missgeburt zur Welt gebracht worden, einer Mecrkazen und Affen
^ M. Cup«r PhKk. v|t, Ototfil. Uttmhefmltcht Ntbrnlundtn II S. 2».
Selbstbiographie des Stadtpfuren Wolfsang Ammoti etc
gleich. 6. diess Hanss Prögels Weib, der vorigen Frauen (so die
^ Missgeburth gehabt) Geschwcih, bringt auch eine MissgeburUi«
B die ich neben andern gesehen, nit schreiben m^.
^ (fol. 164.] Anno 1624 14. Jun. zu Obembreit ein Erdfall
71 Schuh tief sich begeben.
21. Maji diess Jahrs zuvor dn Plösser allhier erstochen
Torden.
17. Maji Bure. Schaltemann einen unvorsichtig er^ho&sen.
Im Junio grosse Wassersnoth. Den 11. Jun. die ältest Wi^rzburg.
Gcrichtsperson und Siebner von Onodstalt, Ambrosius Schmidt,
über 80 Jahr alt, zu Obembreit in einem hcfftigcn Wetter und
Wasserfluth ertrunken.
Anno 25 3. Jul. Herbolzheim bekomm! einen Papistischen
Pfaffen.
3. Oct hat man einen Papistischen Pfaffen einsezen wollen
mil Oevalt, 2 Kelch gcstolcn, auch Messgewandt und Agend aus
der Kirche genommen zu Scgniz, Grausamer Jammer gewesen,
dem Marggr. Schuldheissen viel Schaden geschehen.
i^' 36, f. 165.1 Anno 1616 22. Jan. wird dem Lorenz Oampert
«ingebrocben und, wie man sagt, bey 1000 fl. gut Geld ge-
D rommen.
" 13. Febr. fällt sich Herr Weichselius, gewesener Pfarrer zu
I Lindclbach (B. A. Ochsenfurt], zu todt, da er auf den Gaul
^fe steigen will.
H 7. Wart Secretarius Schattemann vom Schlag auf der rechten
" Seiten getroffen.
5, April. Der entleibte, so von Helden aufgearbeitet, be-
graben worden.
^m Im lunio crschrflkkl icher Hunger gewesen und schrökkliche
H Theucrung, das Malter Korn um 13 fl, oder 12 Thaler nit zu be-
H kommen, und war langwierige Dörre, schlug das Brod immer auf.
~ Erfahren, dass in unterschiedlicher Zeit um Würzbiirg viel
Uut todt gefunden worden mit Grass im Mund; dagegen schlag
im JuHo mitten drinnen ein Leib um 18 dl. ab uff einmal.
Bauren im Ländlein ob der Enss haben im Junio eine Auf-
ruhr erregt
Den 21. Jul. 2 Sonnen am Himmel gesehen.
21. Dec. werden die Reuter zu Winter- und Sommerhaussen
eingelegt mit grossen Hauffen, Sie Haussen zu Sommerhaussen
erbärmlich. Haben zu Winlerhausscn einer Wittwc, die ein Jahr
einen Mann gehabt, den Bakken abgehauen, davon sie folgenden
Tags gestorben.
[fol. 166.] Anno 1627 4. Jan., da die Landsknecht kamen,
stürmet man, ziehen sie wieder ab, 200 fl. aber hat man gen
Sommerhaussen geschikkt. Den 10. diess hat man bey 100 Reuter
hier einlogirt, sind 19 Wochen hier blieben und den 22. Maji
mit guten Contento abgereiset, haben Geld darzu bekommen.
[Plochmann, Gesch. v. Marktbreit S. I38.I
IZ Febr. kommt Obcmbreit in grosse Noth und wird ge-
plündert den 14. Maji.
Im Martio grosser Jammer in den Gräfl. Schwarzenbergischen
Pfarren wieder Graf Hanssen (f 1523) Testament, darinnen die-
selben Pfarren dem Herrn Marggrafen verteslirl') worden.
24. Marl, ertrinkt Herr Joh. Ludwig Herbst von Obembrett
der Oberschuldheissin Ehemann, im Wasser jämmerlich.
Sonne scheint mitten im Martio in vielen Tagen nicht
[Bl. 36'.] 28. Marl. 2 Bauers Gesellen, in der Nachbarschafft von
unsem Soldaten erstochen, sollen ihrer noch 4 in dieser Wochen
entleibet seyn.
Im Anfang Maji der Flekke Brait in grosser Gefahr. Man
will plündern oder Geld haben.
13. Jun. der Senior des Ralhs zu Obembreit, 70 jährig, als
er die Kräze wegzubadcn, in einer Wanne sizt, und ist niemand
bey ihm, wird vom Schlag gerührt und ertrinket so bald.
Herrn Zinken Vatter hat einen auf den Todt geschlagen im
Julio, liegt an 2 Ketten gefangen.
20. Aug. hat Herr Schutdheiss Kummer wunderliche Acta
mit etlichen Bürgern, die schier rebellisch worden.
22. diess ein mächh'ger Hauff Soldaten hierum zusammen
gekommen und in der Nachbarschafft übel gehauset, Oberbrait
geplündert. Geissling [Geisslingen Im B. A. Uffenhdm] hat auch
schrökklich eingebüssL
'I Vgl, Kolde. Bdlrlfc tut btfti. Klrchm£»ch. 5.» Kcw»Hs*me Votrtibaiii der
er. Pfurcr ittTT. Bcllrlcc T, llJ-l». boondcn S. Ilft-119.
Selbstbiognphie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc. 2Q7
[fol. 167.] Im Sept grosse Qebhr der Landsknecht halben
Äiitr lind in der Nach barsch affL
Den II. diess 24 Landsknecht in Flekken genommen'worden,
:31. diess alle marchirt.
Den 22. 23. kommt der Ausschuss des Fränkischen Craisses,
.^zeucht ihnen nach.
Anno 28 im Jan. böse Zeitung vegen Schönbergischen
"^'olks [Piochmann, S. 139], das Quartier zu Brait haben will.
In der Marlerwoche alles schwarz voll Kriegsvolk in be-
«lachbarten Orten eingelegt, auch Seinssheim, Bullenheim, Wässem-
"«Jorf, Onodstatt, Steffi.
Im Majo liegts Tast in allen Flekken umher voll Reuter und
Fussvolk.
15. Maji ein schrökkücher Hauff Reuter und Fussgänger
mit langen Spiessen, Musqueten durchkommen, auch mit 1 Fahnen
und Reisswägen. 24. und 30. diess Sachsen-f-awenburgs [Wirth,
S 46] Quariicrmeister einfurirt; sind bey 7 Wochen hier gelegen.
2t. Jun. ist der Fürst eingezogen in Herrn Ludwig Qamperls
Hauss, hat eine Juslitiam oder Qalgen aufm Markt aufrichten lassen.
27. Jun. zeucht der Obnst Schönberger auch herein. [Ott
Friedrich Freiherr und nachmaliger Graf von und zu Schönburg.)
6.Julij Einersheimer Pfarr wird eingenommen. Der Pfarrerin
gehet das Kind zuvor ab, sie stirbt auch, wird gar schk-chl be-
graben in Eil, die [Bl. 37] Pfarrkinder empfangen das Nachtmahl
gar früh« mehrentheils ohne Predigt
15. Aug. ist Meinen gn. Herrn durch 500 BischÖffliche
I,cute das Traid aus der Scheuren zu Erlach genommen worden
IQ der Nadit und bey 18 Wägen gefüllet.
25. Aug. hat man Accord wegen Schönbergers getroffen zur
Contribulion. Herr D. Oöhring und Vogt zum Seehauss wohnen bey.
[fol. 140.) Kizinger Bürger flehnen hieher ihres sorglichen
Auszugs halben Anno 29 6. Jan. [cf. Wirth, Dietmar S. 49.)
Anno 29 10. Jan. nimmt der Bischoff zu Würzburg die
Kizinger in die Huldigung, [cf. Wirth S. 50.)
5. Aug. liegt ein gross Kriegsvolk in der Nachbarschafft,
Bnüt muss auch spendiren.
5. Sept. muss eine fast unsi^Üche Summa Fleisches unter
r
a9B Fnmz H<iw,
andern von hier nach Etnersheim dem Kriegsvolk verechaflet
werden, 800 Pfund.
21. Od. Gröppleins oder Hemt Walchen vielmehr Bauer
läHt sich zu todt
10. Nov. Simon Orts Hauss fällt dn.
31. Dec ein mächtig Volk fürübergezogen und in nächsten
Flekken umher einquartirl worden.
Im Dec sind die Leute zu Brait dem Sehönberger für 27
ausscnständige Wochen Contribution 2080 Reichsthaler schuldig
und solJens inner 8 Tagen auflegen.
13. Dec. mein Eydam hat schrökklich Unglükk wegen seiner
zu Kizingcn beym Loch untergegangen Tonnen, da auch 4 Menschen
ertrunken an unserm Marktag.
1630 4. Jan. 300 Mann gen Erlach im Durchzug einkommen
lind Quartier genommen, wie auch folgenden Tags zu Ktltensond-
heim 2 Scheuren abgebrannt und von Kriegsleuten verwahrloset.
[fol. 141.) Anno 30 mitten im Januario, als ein Mann zu
Kizingen zur Beständigkeit bey der reinen Lehre ermahnet wird
von seinem guten Freund, ersticht er sich selbst, dass ihm die
Därmer aushangen, [cf. Wirth S. 62.]
25. 26. Jan. siehel der Himmel um Essens Zeit zu Abends aus
wie lauter Feuer mit sehr langen Spicse n,da die Spitzen blutig;
es sind auch Qeschoss abgangen, dass der Rauch davongangen.
[cf. Wirth S. 61.| Den ersten Abend haben Ich und die Meinen
(Bl. 37'] solches auf dem Markt in Be)seyn eines sehr grossen
Volks gesehen, ja, man hat diess Wunderzeichen fast überall in
Europa gesehen, so viel mir aus dem Gerücht wisslich.
4. Febr. sdirökkticher Wind, einem Erdbidmen gleich, dass,
mein Bett und Hauss zittert und viel grosser Stein vom neuen
Uau hcrabgelalicn.
In diesem Monat viel Bücher zu Amberg vor dem Thor
verbrannt worden.')
■) Bfin.t, 173-191, Lippctt, BQchcrvfTbrvnnunj: nnd BDrfurvtrbnilSDf In der
Obrrp'tlJi- KarpUli Im J, 1638 nnil Lippm, Ocschlchle drr O»smrrfonrutl0H (n SUM,
Kirch« BMl Sitte 6tT OberpCili - Kurpfiti tuj Zeit d» drnuitöähriKen Kri«tiM 1901 iVfrla^
mn PID] WutMl, Frttbarc im BreUcio) Seit' >33: .,Ani ■iV. Jui. lUQ crtiidttn auf
Rrgirrungunordnunj aWt Sthulcn In An)ti«T|> und bnondm dl« ZAglInge drr JcHiil«! daoi
Vonnitifte ichulfrel. üunH ut dn (iMWti Büchcn'rTbrrniiung »f der 7,\mtatrwiete vor
da Sttdi laKtMBM nsd dt*«n dm NKhkovMto adblai kbuHeR.*'
1
I
J
Setbstbiosnphir da Sladtpfatrvrs WoHgang Ammon etc.
25. fthr. wieder so schrökklicher Wind, dass mein Bett
zitiert. Diese Naciit der Postlerin zu Erlach ihr Haussvirth, Dorst
genannt, als er von Sulzfeld ausgangen, uff Segnitzer Markune
lodi gefunden und folgenden Tags ehrlich zu Segniz begraben
»worden, ich ihm auch das Geleit geben.
Im Martio ein Mühlstein 3 Hoheimer Bürger und Marne-
lutcken, als sie bey einem benachbarten Priore Kom ausgebracht,
erschlagen, [cf. Wirth S. 62 ff.]
Im Aprilig Anfang oder 6. desselbigen 2 mal erfahren, vie
Caspar Meisters Tochter zu Kizingen die Hostien aus dem Mund
und in der Kirchen umhergeflogen. Item ist fürgeben worden,
wie dass Qlessmüllers, des Mamelukken Tochter, als sie beichten
wollen, ganz erstumml und beym Priester kein Wort machen können.
20. Maji alt Organist thut mir grosse Unbilligkeit, da er ein
Mamelukk worden.
28, Mai endlich erfahren, wie Herr Pfarrer, mein Collega,
den Pfarrer M. Cranz zu einem Successore bey seinem Leben
bestellet, um halb Geld, solt von Petri Anno 31 angehen.
(fol. HZJ 13. )un. erfahren, wie der lang ausgewesene
Marggräfischc Marschall von Stauff, als er von der Reise heim-
kommen, folgenden Tags von einer Büchsen ist so jämmerlich
^ums Leben kommen und das Kind auch bald eingebüssct hatte,
so vorhin lang krank gelegen. Pulver scherzet nit
Dem Schuldheissen Kummer ist im Jul ein Onspacher
Mandat hier und zu Obembreit öffentlich angeschlagen worden
wegen seines vor diesem beschehencn Mords.
29. SepL zu So mmerii aussen der Kaysserliche Commissarius
etliche Limpurgische Unterthanen ihm hulden lassen.
In diesem Monat^ wie auch zuvor im Anguslo an vielen Orten
Schwefel geregnet, sonderlich um Windsheim, Gunzenhaussen, Augs-
pui^ eto., mein älteste Schwester hat etwas davon selbst gesehen.
I
\B1. 38.) 23. Od. wird ein Pfinnig Schwein, so die Mezger uff die
Kirben aushauen wollen und sehr theuer gekaufft hatten, über des
Satlers Laden mit einem Stroh-Cränzlein zu Brait gehängel und muss
untern Himmel das feiste Schwein's Pfund um 3 Kr. verkaufft werden.
Anno 1631 3. Jan. läsl Bischoff zu WÜrzburg die Pfarr
Norlhcim und Crassolzheim abkünden, will sie mit Pibstischen
Pfafföi besezen. Derelwegen gn. Herrschafft mir zugeschrieben
um Bericht Ja! es hat der Bischoff auch Sugenheim und Uze!-
hcim [Etzelheim im B. A. ScheinfeldJ sammt den Benachbarten
angesprochen.
5. Febr. ein mächtiger Schrack in unsern Flekken bey Nacht
[fol. 143] Anno 1631 24. Febr. Herrn Wunderlcins AUgd
zu todt gefallen.
5. Maji frühe um 3 Uhr Magel gehalten vorden, dass die
Bürger sollen 100 Thaler herschiessen, dass mans gen Weickers-
heim dem Grafen liefere.
Im Anfang Maji ein Evangelischer Jüngling zu Frikken-
haussen im Main ertrunken.
10. Jun. hier gemustert, Ausschuss gemacht, 17. diess be-
wehrt, auch Bürger geschrieben worden.
Maur zu WQrzburg hat Blut gcschwizl.
13. Diess ein Cänssbub Herrn Wunderleins im Main er-
trunken.
2, Jul. in der Nacht dess Capticiners ScheUerhauff zu Kizingen,
so bcy 200 Rciff gewesen soll seyn, verbrannt worden, wie auch
den Ochsenfurthem mit ihren Britter Häuften dergleichen be-
gegnet und Epstein, der ungefehr auf hergangen, war bald zu
kurz kommen.
10. Jul. erfahren, wie die Herrechafft Sainssheim alle
Monat 168 fl. zu Erhaltung Rcligions- und Profan-Friedens
geben soll und das 72. Monat treiben, I. 5 Jahr, da will
der Kaysser Versicherung Ihun. Da haben die Fürsten
und Stadt eines Theils abgedankt ihre habenden Volk und
sich aus dem Leipziger Schluss begeben zu ihrem merklichen
Sdiaden.
Um den 20. Jul. schrökkliche Rauberey und Morderey von
den Soldaten verübt, mein Herr Vetter, Wolf Jung, hesslich und
fast auf den Todt verwundt.
In dieser 20. Jul. Nacht hat man die Oampcrtsmühl wollen
plündern.
Grosse Durchzug in der Nachbarschafft gesehen worden
kayssertichen Volks, sind Edel und Unedel dieser Tagen viel
bo^ubet, abge$ezt. geschossen, vom Rotemburg bis hiehtr.
Selbstbiographie des Stadtpbrrers Wolfgang Ammon elc
[Bl. 38.) NB. Hat niemand getrauet, nur von Michelfeld hieher zn
gehen u!f eine Meil.
Den 26. Jul. ist sehr herein geflehnl worden. Sollen 10 000
Kaysserliche in der Nachbarschafft durchkommen.
jfol. 144.1 Den 27. und 28. Jun. schrökklicher Jammer wegen
durchziehenden kaysserlichen Volks, viel viel tausend RaisJge und
Fussvolk Iiiedurch kommen. Seuberleins Lorenz geplündert, Oss-
waldin auch sehr, um etliche Thaler geschäzt.
Zu Ainheim die Kirchen uffgebrochen, alles den Leuten
genommen, dass sie nichts weiters haben, denn wie sie gehen und
stehen. Die Zapfen aus den Fässern gezogen, viel in die Erde
lauffen lassen, das Korn in Fahrweg gestreut, druff gangen.
Zu Pfalenheim 20 Häusser und die Kirchen abgebrannt, zu
Onodstatt auch sehr geschandhöfelt, das Rathhauss uffgesch lagen,
ihre Briefe und Sachen alle zerrissen, den Wirth gefangen mit-
geführt Den Appelleins Hanse hier mit einen Slrikk an Halss ge-
worfen und mit geführt, auch andere mehr. Haben in der
Bulleilen auch geplündert. Seuberleins Kuh ist auf der iWarkung
entrissen und wiederkommen.
31. Jul. wieder 2 Compagnien Fussvolk durchkommen.
21. Aug. grosse Gefahr wegen Plündcms allhier. Herr
Schuldheiss und Held wollen, ich soll die Predigt einstellen, ist
aber doch gehalten und desto kürzer durchgangen worden.
28. diess ein grosser Durchzug und Schrckken des Volks,
doch M. Blechschmid in seiner Probpredigt immer fortgefahren»
obgleich die Leute sehr aus und eingeloffen.
29. Aug. M. Friessen, [Leonh. Fries, Pfarrer in Gnodstadt
16I8-IG33I Weib klagt, wie es alles zu Gnotstatt so voll Volks
Heg, auch ihr Herr so krank und betrübt sey.
9. Sept quartirt man wieder 50 Fussgänger ein. Sehr viel
Volks, ja viel 1000 hie und zu Ochsenfurth durchkommen dieser
Tagen, wie auch den 14. zu Ippesheim viel durchmarchirt
1 1. Sept hab ich einen ausgerissenen und wiederbekommenen
NB. Soldaten, so ein Würlenberger und schon etwas alt, das h.
Abendmahl unter freyen Himmel beym Main vor einer ganzen
Compagnia und ihrem Obersten geben; der sich diesen Tag hat
zu Sickershaussen müssen hangen lassen an einen Baum; dem
armen Weib, so einen Fussfall gethan, sind etliche Thaler worden.
Mir bat der Oberst einen Thaler verehrt hab ihn aber dem CapUn, ^
halb geben aus guten Willen. f^
[Bl. 39, fol. 145-1 28- Ort. Anno 31 betrübte Zat der
Landsknechten halben. Gnodstatt geplündert
5. Nov. dem M. Friesen die Schuh von Fßssen durch einen-
Trossen nahe bey unserm Markbreit ausgezogen worden. fl^
17. Oec Wildsburg [im B. A. Wetssenburg] die Vestung
von den Kaysserlichen einbekommen worden.
21. Dec des Schuldheisscn von Mirtensheim (Martinsheim
im B. A. Kitzingenl Sohn zu Segnilz erstochen, hie besungen
neben einer Predigt ^1
Anno 1632 Rotenburg an der Tauber leidet grosse Noth^
um den Obersten, ja bald gar über.
Dies Jahr kein Pfahl ins Land zu Franken geführel worden.
Im Febr. grosse Annuthey im Holz, dass der Bekken-
Paul nit bakken kan, man geb ihm denn Holz. Nichts denn
lauter Jammer und Plündems allenthalben gehöret [Plochmann
S. M2.J Marggraf Hanss Georg liegt hie mit vielen Reutern,
doch 6. Martii wieder abgezogen; dagegen böse traurige Zeitung,
weil der Tilti Hassfurth einbekommen.
Viel Einquartierungen Königs in Schweden vorgegangen.
19. Marl, in die 3000 Schwedisch Kriegsvolk Ober Nacht hie
gelegeUj alle Häusser voll. Kann mich auch mein gn. Herr nil
befreyen in meinem eigenen Hauss, {Herr Major gab mir allen
^ten Bescheid), hab etliclie Soldaten und Huren drinnen liegend
gehalten, beygesteuert, auch meine Pfarrstuben voller Hiesiger und
Onodstalter heute gehabt, sonderlich Gevatter Pfandharts Töchter
und des alten Pfarrers Tochter. Mein eigener Keller ist mir auf-
gebrochen, aber allein der Trinkwein herausgelassen, der Ofen
auch eingeschlagen.
23. Marl Hanss Thomas Seyfert Abends um 8 Uhr zwischen
Eubelstatl und Winterhaussen im Main ertrunken, XI. April ge-
funden und her gebracht worden.
3. April. Landsknecht oder Fussvolk zeucht mit Hauffen her^
ein und wird einquartirt, IS. diess wieder hinweg.
»
Sdbfttbiosnphic des SUdtpfurcn Wolfgang Ammon etc.
XI. Ju!. unsere Bürger uff die Partey geritten. Speckfeld
ist von KaysserlJchen einbekommen und geplündert
[io\. 280) 20. Jul. 1632 die Burgerechaft allhier zu Mark-
brait den ganzen Tag in der Rüstung gestanden um scheinlicher
Gefahr von den Kaysserlichen willen.
6. Aug. Herr Aidam zweynui inner 3 Tagen geplündert
[Bl. 3Q'] 7. Diess Herrn Schneiders Schwchcr ohne alle
gt'gebene Ursach hie erscliossen worden.
Na 13. Aug. gilt ein Dreyhng Salz 3 Bazen.
Den 3. und 4. SepL grosse Gefahr hie wegen besorglichen
Plündems. 4. Sept einer hie erschossen worden, doch nit der
rechlschuldige, der unter die Bürger geschossen, weilen ihm und
seinem Gesellen nil Quartier geben worden.
XI. diess haben 40 Soldaten hereingcwolt, Quartier zu
machen, und sind wir Kirchen- und SchuEdiener bey der [.eich
gejagel worden. Mitten im Oct. wieder grosse Gefahr wegen
Durchzug.
Na 21. Oct hat ein Soldat Claussen Schäffers Sohn ge-
schossen ohn Ursach von dem Ohr zum Mund heraus, dass der
Kiefer und Kthnzähn weg.
24. Oct. haben 300 Tragoner hereingcwolt und der Oberst
«ine grosse Summam Gelds gefordert, aber Gott Lob nichts draus
worden. 5. Nov. unser Ausschuss gen Kizingen gemüst
12. Dec Hanss Weih sich selbst entleibt, den folgenden
Morgen, nach der vemQnfftigen Communion, die Ammefrau ihn
gesegnet, das dann so vol geholfen, dass er sich selber am
heimlichen Ort verletzt und einen Zeugen herausgeschnitten, so
uff die Gasse geworfen; darüber gn. Herrschafft meinen Bericht
beehrt.
Anno 1633 I. Jan. gen Segniz und in die benachbarte
Oerter Soldaten gelegt
8. diess unser Ausschuss fortgemüst; wer aber davon will
ledig seyn, muss einen stellen und jeden Tag deme 6 Bazen
Scben.
15. 19. und 20. Jan. schrökklich Gewässer. 24. Febr. mein
Sohn Loren? greulich zerschlagen worden von Caspar Hofmann,
Pischer.
^ A
[fol. 281.] Anno 1633 31. Jul. Decret wegen der Contri-
bution uns Geistlichen eingehändiget, so uns aber lezlJch erlassen
worden. 3. Sepl. Decrel der Viertel meister wegen etlicher Acd-
dentien.
7. Aug. in die 50 Soldaten hie in Wirths-Häussem gelegen.
14. diess grosse Gefahr wegen der 400 Tragoner, [Bl. 40]
so zu Obernbreit einquarlirt. In dieser vergangenen Nacht hat
man die Heertrummel geschlagen, dass die Bürger zusammen
k3men, auch mit den Klrchenläulcn etwas verzogen worden.
15. Aug., da ist der deutschen Amman Tochter öffentlich
zur Huren gemacht und mit Steinen ausgeworfen zu Obernbreit
und hierdurch, mit Weiden gepeitschel, ins Wasser gesprenget
und ist ganz nakkend in der ßulleitcn zum ärgerlichen Spectacul,
unwissend der Geistlichen, gesessen.
I. Sept war ich bald erwergt an einen Beinlein, mir auch
6. diess ein Grat im Halss bestekket.
3. diess 17 Fussgängcr eingelegt worden, denen, so die
Contribulion nicht geben können.
Im Sept vom 16. bis uff den 2l. kein Pfenning im Hauss
gehabt
II. Oct grosser Jammer in der Nachbarschafft um der
durchziehenden Soldaten willen und Ist viel zu mir geflöhnt
worden im Pfarrhof. Ist auch eine Compagnie hie gelegen und
Bagagewägen einquartirt worden.
22. Oct. in der folgenden Nacht in 500 Reuter von Forch-
heim einen Anschlag auf unter Brait gehabt, so at)er kund worden
und einen Auflauff in der Nacht verursachet hat
Im Nov. der Ooldarbeiterin Mann entloffen und seither
nicht mehr gesehen worden.
28. Dec der Herr Doctor Egerer uff Anstifften meines
Collegae mit mir und ihm von gnädiger Herrschafft wegen geredet
wegen einer Predigt und der Halbirung der Accidentien in Wochen,
ist aber nichts daraus worden damals.
IQ. Dec hat mein Collega M. Cranz auch mit mir von der
Predigt privatim geredt zuvor, als wenn ich uff ihn geprediget hätte.
10. Jan. Anno 1633 ist ein Reuter, so hte getrunken, darauf
im Steinweg erschossen und folgenden Tags begraben worden.
$eIl»lbtognphie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc.
|B1. 40', fol. 232] De Jungiorum Gcncalogia et lamilia
2d paginam numer. II. signatam haec referantur.
Adam Jung, Bürger und Schreiner zu Feuchtwang, und
Dorothea Armpaurerin von Onspach, beede Eheleute, zeugen I)
Ursulam, 2) Martinum anno 1516, 3) Wolffcn Anno 1518, 4)
Carcium, 5) Thoniam, 6) Margarelam.
■ Adam Jung, Bürger und Schreiner zu Feuchtwang, sehr
berühmt selbiger Zeit wegen der sogenannten welschen Arbeit,
Iieucht oder reiset in Franken gen Frankenberg, Junker Ludwig
von Mutten für ellich 100 fl. abgedachter Arbeil abzustehen, thut
im Hinziehen bald hinter Leulcrsh aussen [B. A, Ansbach),
2 Weil von Feuchtwang gelegen, einen starken Trunk in grosser
Hiz aus einem Oninnen, darüber er biss an sein End geklagt und
K am 3. oder 4. Tag hernach gedachten Orts zu Frankenberg,
welches er mit Mühe erreicht, den 14. Marüi, Donnerstags nach
Judica, Anno 1331 gestorben und zu Ippesheim nächst dabey
fccgraben worden.
^ Dieser Adam hat einen Bruder gehabt. Nahmens Ulrich,
" "velcher Anno 1546 den 22. Dec gestorben, und drey Söhn
hinterlassen:
K I) Georgen, so erst Anno 15S9 gestorben und zwey Söhn
Siinterlassen, 1. Oeorgium, 2. Valenlinura,
2) Leonhart, der Anno 1559 gestorben, auch zween Söhn
liintcrla&sen, 1. Leonliartum, 2, Joliainicm. [fol. 233.)
K 3) Wolffiumj welcher Anno 1574 ohne männliche Erben
gestorben; sind alleimit einander lauter Schreiner gewesen, keiner
ausgenommen.
B Adami Eheweib ist gewesen Dorothea Annpeurenn von
Onspach, deren Vattcr Thomas Arnipaurer ist Anno 1518 die
21. Marty am Sonntag judica gestorben, aetatis 71 Jahr, dessen
Eheweib, der Dorothea Mutter, Christiana, ist gestorben den
30. Dccember Anno 1548 am Schlag, aetatis 85.
Diese Dorothea hat einen Bruder zu Onspach gehabt,
Johannes Armpaurer, welcher in der Rittercapell zu Anspach ein
\icarius gewesen ist, [BL4I] folgender Zeil gen Wimpfcn in das
Siifft kommen und daselbst ein Sieben -Pfründer worden und allda
■den 6,Junii am andern fMingst-Tag anno 1552 gestorben und im
Aichiv (6r Kulttusnrhichte. I. 3. 20
Creuzgang begraben worden. Dorothea aber ist nach ihres Ehe-
wirths TodI anno 1545 die 17. Januarii zu Feuchtwang auch ge-
storben bei ihrem Sohn Wolfgang Jungen, als bey welchem sie
10 Jahr in der Kost gewesen.
Es hat aber Adam Jung seine Dorotheam Armpeurerin ge-
heyrathet anno 1509 die 29. Junü, war Memoria sanctorum aposto-
lorurn Petri et Pauli das Verlöbniss gehalten.
Haben folgends mil einander gezeugt:
I. Ursulam, wie Johann Armpeurer in Ephemeride et
privata sua historia bezeuget, stirbt dieses Kind die 6. Martii
(cujus annt, non additum erat) um 10 Uhr Vormittag, ihres Alters
im 8. zu Anspach bey erstgemeiten ihrem Vetter Johann Armpeurtre.
II. Martinus wird gebohm anno I31Ö, welcher, nach des
Vatters Adami Todt das Schrei nerhand werk, welches er bey ihme
Vattern angefangen zu lernen, bey seinem Vetter Georg Jungen,
viel Jahr gewesenen Umgelter zu Feuchtwang, ausgelemel, nach-
mals gewandert, in viel Stätte, Ort und nahmhaFfte Südt kommen,
also, wie seine Arbeit bezeuget, dass ein fQrtreff lieber Meister
diesses Handwerks aus ihm worden wäre, wenn er nicht bald
in der Jugend dem Kriegswesen anhängig worden, da er denn
manchen fömehmen Zug gethan hat Erstlich unter Mai^gra!
Alberto von Brandenburg wieder die N&rnbei^er, Bischöffe zu
Bamberg und Würzburg; wie er dann einsten in solchen Krieg
von denen Winssheimern, als der Nürnberger Bundsgenossen,
gefangen worden. Endlich da das Vattcrland, h. e. Marggrafthum,
dieses Kriegs entgelten müssen, auch die Bezahlung dahinden
bleiben wollen, hat er Urlaub begehrt, desswegen den Marggrafen
selbst mündlich angesprochen, vermeldend, wie er bey sogestalten
Dingen seines Diensts als Lieutenant ganz mfld wäre. [fol. 234.]
Als er nun dieser Dienste erlassen, hat er sich in [Bl. 41']
Frankreich begeben und daselbst dem König viel Jahr gedienet
Er hat auch unter Kaysser Carol V. etliche Züge gethan und ist mit
vor Mez gelegen. Maximüiaiio dem röm. Kaysser, II. dieses
Nahmens, hat er auch zu Zips [in den Karpathen] in Ungarn
und Siebenbürgen wieder den Erbfeind als ein Hauptmann
Dienst gethan, so lang, biss er Alters halben nicht mehr gekönnt,
sich anheim in die Ruhe begeben, da er von Marggraf Georg
Selbstbiographic des Stadtpfarrera Woifgang Amnion etc. 307
Friederich eine statUiclie Besoldung und Jahrgeld biss an sein Ende
gehabt; stirbt in seinem Vatterland anno 1575 die 23 Oct an der
Colica, daran er zu Hoffe, eben damalen, als hochgedachter Marg-
graffe zu Feuchtwang auf der Jagd gewesen, über der Tafel er-
krankt und daran 13 Wochen krank gelegen, mit grosser Oedull,
sanfft verschieden, ohne Leibeserben; wiewoi er zwey Weiber ge-
habt, deren die erste gewesen Barbara, von Reinarfehofen (Rennerls-
hofen im B, A. Neuburg an der Donau], im Lande zu Bayern,
börtig; zu Zips in Siebenbürgen begraben. War ein Gotts
fürcbljger Mann, der nicht bald eine Predigt versäumt, die li.
Sacramenta flcissig besucht und gebrauchet und als ein Soldat
allemal den Tag vor seinem Auszug sich deren theilhafftig ge-
macht, im Feld aber und Zügen seine Bibel, Psalter Davids, Bet-
büchlein, steligs so wol als Wehr und Waffen sich nachführen
lassen; sonderlich ist sein Psahnbüchlein sehr abgcnüzt gewesen
vom täglichen Gebrauch. Unzucht und Hurerey über aUe massen
Feind gewest, ob Zucht und Tugend wie auch ob den Kriegs-
gesetzen har scharff gehalten, immassen diejenige, so unter
seinem Fähnlein gelegen, selbst bezeugt, welches gleichwol theils
an ihme gescholten, ehrliche Leute aber gelobet haben. War in
allen Sachen ernsthaft, sonderlich in Fehden, ob er wol sonsten
wenig Redens gewest; wolbesezten Leibes, gebührlicher Länge,
strengen Zorns, über die massen treue, insonderheit gegen die
Kriegsleute, dessen Tod! viel tapferer Leute und ezliche Adets-
personen, so gern und viel um ihn [Bl. 42] gewesen, hart be-
trauert Gott verleyhe Ihm eine fröUche Auferstehung.
Hl. Wolfgang, Adaini 111. Kind, wird gebohrn die 31. Martii
Anno 1518, als Thomas Armpaurer, dessen mütterlicher Anherr,
eben 8 Tage vorher gestorben.
Dieser ist nach seinem Coden Wolf Qoldachsen, Pfarrern zu
Feuchtwang, also genannt, und hat Herr Johann Armpaurer, Vi-
carius in der RIttercapcll im Stifft zu Anspadi, als seiner Mutter
Bruder, ihn zu sich genommen gen Onspach, lässt ihn allda ihn die
Schul gehen, so lang, biss er von danncn gen \Vimpfen gezogen.
allda er gleichfalls von ihm zur Schule gezogen und ohnlängs
hernach gen Heidelberg auf die Ncccarschul geschikkel worden,
allda ihn sein Praezeptor Johann Bcnlius (Brentius? d. Red.)
20*
308 Franz Hüttner.
sehr ]ieb gehabt, wegen seines Fleisses im Studiren, dessw^cD
auch Herr Bentius ihn gar zu sich genommen, seiner Spcisse, so
er, dem damaligen Gebrauch nadi, vom Hofe holen lassen müssen,
geniessen lassen; hat ihm auch übergeben das officium procuratoris
in gedachter Schul, davon er wöchentlich 9 Heller uffziiheben
gehabt, davon er auf eine Zelt seiner Mutter, der armen Wittxce,
uff einmal über die zween Gulden zugcschikkL [Fol. 235.] Im
3. Jahr kommt er zu der Universität selbigen Orts, und als er
eben in Baccalaureum promoviren soit, wird er von dem Slifft
Feuchtwang zu der Praeceptur und Schulmeisterampt von dannen
beruifen Anno 1536, im 18, Jahr seines Alters.
Er hat aber diese Condition wider Willen, doch auf Ein-
rathen seines mehrgedachten Vettern Amipaurem, VicarÜ zu
Wimpfen, angenommen, sintemalen er noch gern lieber und
länger bey der hohen Schul geblieben wäre. In der Schul
zu Feuchtwang lass er den Terenlium und andere des Orte
gewöhnliche Autores, und ob er wo! mit der Condition ganz
wol vergnügt, trachtete er doch daneben immerdar, wie er
mittler Zeil weiters kommen und in seinen Privatstudiis fOr-
schreiten möchte; zeucht derowegen bald darauf gen Mönichs-
roth [Mönchsroth im B, A. Dinkelsbühl], nit fcrr von Dinkels-
hfihel gelegen, und empfängt allda von Melchiore Rötinger die
erste Weihe (auf Papislisch). UnlAngst hernach wird er Vicarius
und Subcustos zu Feuchtwangen. Desswegen er im offenen
Chor daselbst, welches zuvor nie geschehen, öffentlich gedanket.
Als er nun auch an andern Orlen anfieng bekannt zu werden,
tragt ihm Herr Adam Lienliart, Wörz burgischer Cammermeister,
sein Landsmann, gleichfalls ein Vicariat zu Würzburg an,
welches er recusirte.
Anno 1540 den 3. Febr. resignirt offtangezogener Joh. Am-
paurer, (Bl. 42'] sein Vetter, Vicarius im Stifft zu Wimpfen im
Thal, sein biss daher zu Feuchtwang [vgl. Sieichele Bistum Augs-
burg 3, 3QI.] gehabtes Cananicat, in Willens, seinem Vetter Wolfen
das zu übergeben, welches aber die Canonici und capitulares
keineswegs gestatten und zugeben wollen, dieweil er, Herr Wolf-
gang, der Lehre Lutheri ergeben, dessen Bücher und Schrifften
gern und fleissig gelesen, also, dass die Sache für Marg^raf
o;ra[>hie des StadtpfarrcTs Wolfging Ammon etc.
Oeorgium, so diese Lehr schon längst angenommen und
mit denen ersten Fürsten unterschrieben hatte,') gebracht ward.
Dt dann Herr Wolfgang wider die Capitulares und ihren Willen
einen Befehl erhalten, mit Marggraf Georgen eigener Hand unter-
schrieben, Anno 1542 am 4. Tag nach Trium Regum, d. 10. Januarii,
da eine sondere Tagleistung zu Onolzbach für denen Fürst).
Räthen gehalten worden, wohin beede Parteyen cclirt, die Sacli
erörtert und beygeleget worden. Darauf zeucht er Mitwochs nach
Invocavit [1. März] alsobald nach Wittenberg, allda, seinem vorigen
öfftern Wunsch nach, zu sludiren, Lutherum und Philippum Met.
zu hören. Erreicht den Ort Donnerstags nach Oculi |I0. März]
zu 8 Uhren Anno 1542,*) alldo er Anno 1544 Donnerstags den
letzten oder 31. Jan. laut erhaltenen TestimonÜ von Herrn M.
Erasmo Flock NorimbergensCj Mcdico et Mathetnatum Professorc,
danuligen Facultatis artium Decano, in Magistrum promovirt,
da er, unter 35 Candtdaten oder Magislrandis, die X., sage Zehende
Stelle oder Locum gehabt; bey welcher Promotion Philippus
Melanchlhon die Oration, so noch heutzutag vorbanden, de vita
Aristotelis et phtlosophiae taudibus gehalten. Hierauf hat Er,
nach erhaltenem Beruff, den Weg nach dem Heimat genommen,
stdi aber zuvor, dieweil er, neben andern Leclionibus, auch Luthe-
rum strengicklichen und mit grossem Fleiss gehöret und dero-
wegcn seiner [fol. 236] Lehr und Bekanntniss ein unverholen
öffentlich. Zeugniss zu haben, sich zu Wittenberg, vor seinem
Aufbruch und Verrukken vom Herrn D. Pomerano, Pfarrherr,
zum Predigampt und Ministerio ordiniren lassen. Darauf zeucht
er in sein Vattcrland, allda er unlängst hernach anno 4-1 sich
ehelidi eingelassen mit Jungfrau Sara, Herrn M. Bcrnhardi
Wunelmanns, der Reforniirten Kirchen zu DOnkclsbflhel Pfarrers,
und Margareta Beielsleinin (derer damalcn eine überaus grosse
Freundschafft, beydes zu Heübronn und zu Wimpfen) Toctiter;
und ist gedachter M. Bernh. Wurzelmann wegen des angenommenen
■) Koldc. Bcitricefr, 109: M«rk(n! OcMf hiKc ifl den Jthm ISSa-im die
«liekcidcaitai SfhriiW imr Einfühnwa der Refonruiion in »eiiien rrlnkltchen Oi*leWfi
*\ WtälgMg Jung und üeorc Kopcllcli. beide ron fcBcbtwanj:«», «vrden den un
1* Min IMl inauiTikttlln. FAratenunn. Album lademlM VitebergFruis ib t. Chr. XVlt
«K)K ad *. IMO. Liptlu IS4I, S IM
310 franz HQtlner.
Interims von Dinkelsbühel 11546) hinweg [hl 43] und nadi
Binniken (Benningen] ins Württenberger Land gezogen ohnfero
Marbach, allwo er Pfarrer worden, und den 10. Maji Anno 1554
seelig verschieden. [Beiträge 5, 198 Anni.] Mit dessen Tochter
Sara hält Wolf Jung Handstreich den 9. Octobris, Hochzeit aber
in der Vigilia oder am Abend Simonis und Judae zu DmkclsbOhe!,
wie auch folgenden Mittwoch, den dritten Tag nach vollendeter
Hochzeit die Heimfahrt nach Feuchtwang geschehen, mit vielen
rrembden Leuten begleitet, inmassen auch die Bürgerschafft in statt-
licher Anzahl mit ihrer Rüstung entgegen gezogen und die
Hochzeitleute im Holze vor SchopfEoch [im B. A. Dinkelsbühl]
empfangen. Die Braut Sara war noch sehr jung und nur 16 Jahr
alt, der Ursach sie auch anfänglich von ihrem Vatter ihm ab-
geschlagen worden durch ein Schreiben, so bey D. Adam Jungen
ehemalen noch vorhanden gewesen in original!.
Ihrer Jugend und kindlichen Einfalt, sonderlich Beyspid
mag auch dieses seyn: als Kayssers Caroli V. Arma, unter dem
Commando des von Beuren, eines Niederländers, vor Feuchtwang
[1546] kommen und Ihm nicht gleich auf des geschikkten
Trompeters Auffordern die Thor geöffnet worden, hat der Kaysser
und sein General selbigen Nachmittag und folgende Nacht (war
der Abend vor Andreae ApostoH) sein Quartier und Lager zu
Dorf Güting genommen; folgenden Andreaslag aber die Thore
per force aufhauen und die Stadt plündern lassen, wobey 6 Mann
anfänglich erstochen, 18 aber sehr verwundet worden. Da nun
in des Herrn Wolfgangs Hausse die Krieger geplündert und
auch ihre Kleider und Kleinodien genommen und auf gut
Soldatisch herumgeschlelfft, sprach sie: wie heiloss seyd ihr, bebet
doch diese ein wenig auf und sclionet derer! daraus ihre Einfalt
zu ersehen. Diese Sara ist nach ihres Herrn Todt, mit welchem
sie 31 Jahr und 7 Wochen gehauset, eilf Jahr und 20 Wochen
eine Wittwe gewest und Anno 1587 d. 9. Maji abends zwischen
6 und 7 Uhr seelig an der Wassersucht, mit der sie sich 2 oder
schier 3 Jahr geschleppet, gestorben, ihres Alters 59 Jahr.
Aber wieder uff unsern Herrn Wolfgang Jungen zu kommen,
ist er Anno 1552 von Herzog Christoff zu Wörtenberg durch
den Land Hofmeister Herrn Stephanum von Qültlingen bcruffen
Selbstbiographic des Stadlpfairers Wolfgang Araraon etc. 311
^worden, den 3. April anni dicti, wie er dann an gedachtem Ort
[gute Bekannte gehabt, unter andern [Bl. 43') Valentinum Vannium,
' [Wanncr von Beilslein, vgl. Harlmann, Schnepff S. 60] Abten und
Praelaten zu Maulbronn, insonders Herrn Johann Brcntium, der
Ihm etliche mal zu gesell rirben. Aus was Ursachen er diese
' Vocation [fol. 237] abgeschlagen, ist ohnwissend.
Anno 1560 d. 8. Martij wurde Er an statt des verstorbenen
Herrn D. Valentini HartungSj ulr. jur. D., gedachten Stifte Feucht-
wang Decanus, in welchem Stifft anstatt der Päbstischen Capl-
tularcn allbereit viel feiner fürnehmer Männer und gelehrter Leut
subrogint und der Soft über die massen wol bestellet war, zum
Theil Adelspersonen, zum Teil sonsten berühmte Leute, dergleichen
Ehmgedachter D. Härtung, p. m. Dn. Barlholomaeus Amantius,
j. U. D., der alido Professorj zuvor Tubingae Poeseos, M- Phi-
lippus Berchlhold, M. Johann Frauentraut, wie auch etliche Adels-
personen, von Wirssberg, von Donhaussen etc., und hatte auch
Brentius von Mall aus dahin bewilliget, so aber nachmalen in
das Herzogthum Wfirlenberg kommen.
In währendem Deeanat hat er sich fürgenommcn, drey Ding
dem Stifft rühmlich und nitzllch zu wegen zu bringen, nemlJch
den Stifftthum, darauf jczo die Wacht gehalten wird, dessen
zuvor die Stadt gemangelt, nachmals ein nahmhafte Librarcy,
endlich dem Stifft ein Gefäll und Einkommen am Wein im binde
zu Franken. Das erste hat er, wie der Augenschein giebt, wol
Und glfikklich vollendet; die zwey übrigen aber sind zurükk ge-
blieben, dieweil Marggrafe die Zeit seines Lebens nach Einziehen
gedachten reformirten Sliffls ein nahmhaffle Corapelenz und
Jahrgeld verordnet.
Er stirbt Anno 1575 den 20. Decembr. um 10 Uhr Mitlags
am viertägigen Fieber, daran er den 20. Septembr. ztivor krank
worden, als er eben ein Vierteljahr, keines Tags oder Stund mehr
oder weniger, daran gelegen, 8 Wochen nach seinem Bruder,
Hauptmann, den er zuvom und ehe er selbst krank worden, in
setner Krankheit etliche mal besucht Liegt in der Sttfftskirchen
im Chor vor dem hohen Altar begraben.
U Tag vor seinem Ableiben berufft er alle seine Kinder
jung und alt zusammen, hält ihnen folgenden Morgens frühe vor:
demnach er aus dieser Welt scheiden müsse, wolt er ihnen kurz
einem jeden eine Lehr zur Leze lassen. Hebt derow^en vom
iltesten an bis zum jüngsten, was eines jeden Bcruff seyn soll,
insonderheit der jungen und noch unerzogenen, und da sie gehor-
samen, [Bl. 44] was sie für Glükk, aber bey dem Ungehorsam für
Unglülck haben würden; welcher Segen an seinen Kindern in Wahr-
heit erfüllet worden.
Unter der Mahlzeit vor dem gänzlichen Abschied s«ner
Kinder, da er nit fem vom Tisch in einer niedern Bettladen oder
Kam geletcen, befiehlet er, man solle ihm doch das sch6ne
SMVldein figuriren: Haec est voluntas ejus etc., quartuor vocum;
indeme nun solches gesungen wird, ist er nie so schwach und
krank gewesen als diessnial, docli singt er mit die Clausulam
dessen, so sich zum öfftem repetirt: Et in novissimo die resus-
citabo cum. Die Wort des Gesangs sind diese Joh. VI, da Christus
sagt, vere. 40; Das ist der Wille dess etc. [der mich gesandt hat,
dass, wer den Sohn siehet, und glaubet an ihn, habe das ewige
Leben; und ich werde ihn auferwecken] am jüngsten Tage. So
hat er nun mit heiler Stimme in seiner höchsten Schwachheit sich
damit recht seelig getröstet, darauf lässt er seine Kinder von sich
und diejenige, so ihr Anwesen und häusslichc Wohnung anders-
wo hatten, im Frieden hinziehen und entschlafft hernach auf ob-
gesetzten 20. Decenibr. [fol. 238] in Beyscyn vieler Leute, Edel
und Unedel. Gott beschere seinen hinterlassen cn Kindern und
allen seinen Neffen und Nachkommen auch gleich ermassen ein
rühmliches und seeliges Ende, Amen!
rV. Carolus, der war nicht fast reich, hat auch nie darnach
getrachtet; doch hat er sein Privatleben ohne einzige Handthiemng,
Gewerb oder Handwerk biss daher und uff heutigen Tag (sind
formalia der Schrifft, daraus dieses abgeschrieben worden) in
guter Ruhe, also, dass wahr, was Georg Jung, gewesener Umgcltcr
zu Feuchtwang, uff eine Zeit gesagt hat, nemUch, dass die biss ,
daher erzchlte Jungen die ersten, so den Hobel hingelegt; sinte-
mal der Vatter und Vorvätter bey Menschen Gedenken diesem
Handwerk ergeben gewesen. Aber nicht ohne, dass dieser Fünf
Erlw empfangen und genossen, weil er gelebt hat
V. Thomas, Adami fünftes Kind, zeucht mit seinem Bruder
Selbstbiographie des Sudlpfarrers Wolfgang Ammon etc.
Martino in Krieg und kommt in der ersten Campagne in seiner
blühenden Jugend und besten Jahren ums Leben.
VI. Margareta, Jacob Kisels, Vogts zu Gunzenhaussen Hauss-
frau, stirbt Anno 1562 den 18. Febr.
Anno 1570 hat Kaysser Maximilianus die drey BrQder
Alartinum, Wolfen und Carolum die Jungen (Bl. 44'1 mit einem
Wapen verehrt und begnadigt; den kaysserlichen Brief hat Carolus,
unter diesen dreyen der jüngste, selbiger Zeit in seinen Händen
gehabt; vo er aber hinkommen, dass weiss Gott, wie auch heut
denen Nachkommen unwissend^ wie das Wappen gestalt gewesen,
wann nicht bey denen in Schwaben hin und wieder noch übrigen
und zerstreulen Jungen etwas davon zu erfahren ist
Wolfgang Jung und Sara sein Weib zeugen durch Gottes
Segen folgende Kinder:
1) Maria, meine, der ich dieses abgeschrieben, und meiner
beyden Brüder ührgrossmutter von unserer Mutter her, ist ge-
bohm d. 30. Jenner Anno 1546. Nupsit Anno 1567 d. 22. April
M. Wollg. Ammonio, qui pastor factus est Marcobretanus et
reliquorura pastorum Seinshemicorum, seil. ErlachÜ, Crassolzhemü,
Nortbemii, Cottenhemii etc. Inspector et Superintendens.
2) Adam, nasdtur zu Feuchtwang Anno 1547 d. 1. Mart,
fei Anno 1561 In der Onspachischen Kirchweyh Sonntag vor
taurentiij (wohin? omissum} kommen, sub Ludi magistro Joanne
Veselio, nachmalen 3 Jahr zu Oehringen in der Qrafschaffl Hohen-
lohe sub Joanne Lautcrbachio poeta laureatOj dahin er Anno 1563
d. 29. Januarii kommen.
Den 23. Junii Anno 1566 zeucht er von dannen gen Strass-
burg, bleibt da biss Anno 1571, redit Die paJmarum in Patriam;
(fol. 239] folgendes Anno 1572 d. 2. Jan. zeucht er nach Tübingen,
wird von seinem praeceptorc, Herrn Schegkio, sehr wohl gehalten,
disputirt 2 mal in materia medica. Marggraff Georg Friederidi
hatte Verheissung gethan, die Unkosten zum Doctorat auszulegen;
weil aber hochgedachter Fürst in Preussen verreiset war, begiebt
sich dieser Adam indessen nach Göppingen zu Herrn D. Oswald
Qabelköfer, fürstl. Leibmedico zu Stuttgart in der practica von
Ihm sich zu unterweisen lassen. Anno 1579, nachdem er zuvor
sich post patris obitum zwey Jahr drin aufgehalten, den 23. April
am Tage Qeorgii kommt er gen CAppingen, bleibt daselbst den
Sommer, tierbst und Winter ohne sein Verschen; daselbst ver-
heyrathet er sich Anno 1S80 den II. januarii an Sebastian [Bl. 45]
Lincken, Adelbergischen Pflegers, welcher Anno 1578 zuvor am
Tage Matthaei im Herbst gestorben, seine hinterlassene Wittv^
die 26 Jahr all gewesen. Anno 15S1 d. 18. Januarii doctorirl er,
welches er vorlängst gethan hätte, wann ihm der Marggraf die
versprochenen sumptus oder Unkosten gereichet hätte, die er
nachgchcnds von ihme nicht mehr begehrt, weil er die Mittel
darzii durch diese gitte Heyrath erlangt; stirbt den 18. Martii
Anno 1600 am Dienstag in der Charwochcn, nachdem er mit
Ursula seinem Eheweib erzeugt: 1) Ursulam, 2) Magdalenam,
3) Margaretam, 4} Gottfried, 5) Sabinam, ö) Erhardum 7) Euphro-
synam, 8) Justinam, 9) Georg Friederichenj 10) Justum.
3) Maria Magdalena, nascitur Anno 1548 Sonntag d. 3. Julii,
moritur post 10 seplimanas Montags post Matthaei d. 24. Sept
4) Abel, nascitur anno 154Q Donnerstags nach Mauritii
d. 26. Sept, moritur anno 1551 d. 6. Febr. Donnerstags post
purificat. Mariae.
5) Maria Magdalena, IT. hujus Hominis, nascitur anno 1551
Freitags fx>st ascensionis Mariae d. 21. Augustij stirbt ■wieder im
ersten Jahr.
6) Abraham nascitur anno 1553 Dienstags nach Palmarum
d. 28. Martii, ist Pfarrer worden zu Dorf GQting.
7) Justina, nascitur anno 1 555 Donnerstags nach Ulrici
d. 5. Julii, wird verheyrathel mit Georg Fischern, Pfarrern zu
Schopfloch, der viduus gewesen, anno 1574.
8) Philipp, nascitur anno 1557 Donnerstags nach cinerum
d. 4. Martii, studirt zu Onspach 3 Jahr weniger 3 Wochen und
5 Tage, dahin er anno 1575 d. S.Junii aelal. 18 Jahr 27 Wochen
ß Tage vor Absterben seines Vatters seetig kommen sub Rcctore
Johanne Hertelio; anno 1578 d. 6. Junii zeucht er gen Tübingen,
die Mutter und Wittwe lässt ihn shidiren von ihren eigenen
Mitteln, giebt über den blossen Tisch 25 fl. Kostgeld. Magistiret
Anno 1580 d. 10. Febr., anno I58I redit domum.
Anno 1584 fit Diaconus inferioris Cygneae Suevicae [Unter-
schwaningcn im B. A. Dinkelsbühl] [Bl. 45'] ducit in matrimonium
Selbstbiographie des Stadtpfairers Wolfgang Ammon ete. 315
Job. Majen, consulis Feuchtvangensis, filiam Ottiliam d. 6. Aug.,
Donnerstags vor Laurentii. Nuptiae factae sunt d. 15. Sept die
Nicodemi anno 1584. Anno 1587 d. 20. Julii promovetur ad
parochiam Dorf Gütingen. Anno 94 Petri Cathedra fit pastor et
senior Leutershusanus, anno 1630 d. 18. Majt fer. III obüt Leuters-
husii aet 72 zwischen 7 und 8 Uhren Nachmittag. Herr Joh. Bapt
QradelmüUer, decanus zu Lehrberg, condonem habüit Psalm 37 vers.
25: Idi bin jung gewesen und alt worden. Caplan zu Schwaningen
3 Jahr, zu Lehen GQtingen 7 Jahr, zu Leulershaussen 37 Jahr.
Haben Ihn 8 Geistliche den 21. Maji zu Grab getragen.
Seine Kinder sind gewesen 1. Philipp, 2. Thomas, 3. Johannes,
4. Wolfgang, 5. Paulus, 6. Ottilia, 7. Paulus, 8. Johannes Philippüs
9. Abdias, 10. Margareta, II. Ein Sohn anonymus todt gebühren,
12. Adam Martinus, 13. Fridericus. [fol. 241.]
9) Johann Woifg., nascitur anno 1559 Donnerstags nach
Palmarum seu die viridium d. 23. Martii, moritur anno 1560
Donnerstag nach Judica d. 4. April.
10) Paulus, nasdtur anno 1560 Donnerstags nach Ursula
den 24. Octobr.
11) Euphrosyna, nascitur d. 4. Aug. anno 1563, moritur
eadem Dienstag nach Exaudi den 9. Maji anno 1570 am Stein
in der Blasen, welcher nach dero Todt von ihr genommen und
in der Grösse eines Taubeneyes bestanden, hat gewogen 1 Loth
1 Quinti.
12) Maria Jacobi, nascitur anno 1564 Dienstags den 21. Nov.,
nubit Johanni Hachen, civi et mercatori zu Kirchheim an der
Teck, anno 1500 nuptiae celebr. d. 20. Maji anni dicti.
13) Maria Magd. III. nascitur anno 1567 Dienstag den
23. Julii, war memoria Mariae Magdalenae, nubit Herrn Guilielmo
Mosern, Adelbergischen [Kloster im württ Schurwald] Pfleger zu
Göppingen [Oberamtsstadt], anno 1592 den 29. Aug., Dienstags
nach Barthol. nuptiae factae sunt
14) Georg Friederich, nasdtur Anno 1568 Freitag nach
Othmari den 19. Nov.; ist Herr Marggraf Georg FriedericuS'
sdn Dod gewesen; stirbt Donnerstags nach Judica den 1. Apr;
anno 1574 am Stein und einem Geschwür an der Blasen aus-
vendig. Der Stein ist einer jung Hennen ey gross und rauh gewesen.
|BI. 46, fol. 243.] Anschlag des Weins zu Markbreit, von
etlichen Jahren her, von einem erbarn Ralh daselbsL
Anno 1^20 galt das Fuder 24 f1. 1521 10','„ 22 15, 1523
I4V,. 1524 20. 1525 14'/t. 1526 17, 1527 17'.',, 1528 12. 1529 IZ
Diess ist der Törkenwein genennet worden und so ^-eracht gewesen,
dass ihn kein Fuhrmann zu kauffcn bcf:chrt und hat der Anno
26 enrachsene Wein in diesen 29. Jahr 28 fl., auch minder und
mehr gegolten. Anno 1530 24 fl., 1531 9 fl. In diesem Jahr ist
so viel Wein gevacfasen, dass viel Pass zerronnen und ein Fuder
leere Fass 5 f!. gölten und der Türkcnwein so unwerth gewesen,
dass man ihn auf die Gasse geschüttet 1532 23 fl., 1533 13.
1534 2I'/„ 1535 13, 1536 16'/, fl-, 1537 19V,. 1538 29, 153Q 10.
1540 12'/,, 1541 12'/* 1542 12 IL, 1543 28, 1544 24, 1545 19,
1546 157^ 1547 25, 1548 24, 1549 24. 1550 17, 155125, 1552, 10.
Und sind die Fass in so hohen Werlh gewesen, dass ein Fuder 5.
auch 6 fl. gölten. 1553 14, 1554 24, 1555 16 fl., 1556 19. 1557
19V), 1558 12Vi. 1559 Der Wein so gar erfroren, dass man keinen
Anschlag machen können. 1560 12V„ 1561 24, 1562 23, 1563 22,
1564 25, 1565 25, 1566 19, 1567 19. 1568 21. (fol. 244) üb«s
Jahr dieser Wein 24 fl. gölten. 1569 ist der Wein gar erfroren,
dass kein Anschlag gemacht werden können.
1570 23. 1571 27. 1572 26. 1573 18. 1574 43. 1575
43. 1576 22 fl.
1577 ist der Wein so gar erfroren, dass man keinen Anschlag
machen können.
1578 40 fl. 1579 18. 15S0 39 fl. [Bl. 46') 1581 20 fL
1582 18. 1583 15. 1584 9. 1585 15. 1586 30.
1587 18, 1588 50. 1589 72. 1590 60. 1591 42. 1592
54. 1593 51. 1594 58. 1595 — . 1596 70.
1597 39 n. 1598 39. 1599 39. Anno 1601 galt er 50 f.
und das folgende Jahr 150 fl.
1600 39 n. 1601 45. 1602 80. Dann der Wein im Sommer-
frost also erfroren, dass man keinen grünen Zweig oder Aug
gesehen, desswegen gar wenig, aber sehr gut worden. 1603 42 fl,
1604 38. 1605 25. 1606 24. 1607 49.
Das folgende Jahr 84 fl, wiederum im Folgenden Jahr 95 fl.
und im Zehner Jahr 7J fl., weil gar eia guter Wän .damals ge-
SelbslbJogniphie des Sladtpfarrers VC^otfgang Ammon etc 317
wachsen. Anno 1607 galt das Fuder löOSer 60 fl., 1608 38, 1609
42, 1610 39 fl-, folgender Jahren 59, 72, 65, 100, 90 ö.
1611 30, folgcnds 46, 41, 60 fl., darauf sich verkrochen.
!6I2 50, hemacher 48, 72 oder 70, 72, 60, 58 fl.
Anno 1613 26 fl., hernacher 30 fl.
Anno 1614 24, hernacher 29 fl. Kein Frag mehr nach
II 4er Wein.
Anno 1615 48, hernacher 68, 70 fl., wenig erwachsen,
[fol. 245.J 1616 57 fl., hernacher 60, 57 fl., wciler Anno 20
ICO, auch 110 und 120 fl. gölten, auch im folgenden Jahr 2tXl fl.,
350 fl. beym steigenden Geld anno 21.
1617 20 fl.. folgends 40 oder 38, 160, ISO. 190, 200 fl. beym
s-teigenden Geld, wie auch die folgende Weine biss 22.
I6I8 39, folgends auch 39, 38, 36, auch ums Jahr 20 74 fl.
1619 32, folgends 74 fl.
K 1620 58, ist lezlich beym neuen Geld.
^ 1621 72 fl, im folgenden Jahr hat man keinen mehr trinken
"tollen, weil der neue gut worden, doch 500 fl. im neuen Geld
polten. 1622 54 Reichsthaler oder 540 fl., folgends Jahr 90, 84,
'T'b fl- gölten, also immer abgeschlagen, der Thater auf 18 Bazen
kommen, sonst grosse Theuerung worden.
1623 66, übers Jahr 51, 50, 48 fl. 1624 39 fl.; sehr trefflicher
^osl, gut und viel, der folgendes Jahr um 50, 60, 62, S6, im 27.
Jahr um lOO, 108, lezlich uff 200 fl. und mehr hinauf kommen.
1625 42 n., nicht so gut und etwa halb so viel gewachsen
liat doch Anno 27 noch 86 fl. gölten.
1626 gar kein Wein gewachsen. [Bl. 47] Anno 1627 40 fl.
Sauer und gar wenig; dann ein Morgen uff 2,3 Aimer getragen,
ist dennoch im folgenden Jahr uff 80, ja 100 fl, kommen.
1628 wieder gar ein überaus saurer Wein worden, eiliche
mal im Herbstmonat und Octobr. erfroren.
1629 57 fl. 1630 14 0. 12 Rcichsthaler. I63I 16 0. 1632
14 fl., 12 Reichsthaler, 1633 30 fl.
[ßl. 48, fol. 248.] Korn-Preiss.
Anno 1530 galt das Maller fl. 3, VU. I53I 4'/,, mehr oder
minder. 1540 3 K, 8 H. I54I 8 M. 1542 5 B, auch 1 fl. 1552
im Herbst 2'', f). 1566 15 K. 1567 3V, fl. 1568 2 0. 1569 2.
1570 3'/*. 1571 6. 1572 3'/,. 1573 6. 1574 7. 1575 7'/i. 1576
2. 1578 12 tt. 1579 II V. I5S0 3'l* fl. 1581 2V» fl. 1582
2Vt. 1583 3'/. fl. 1584 2 Thaler. 1585 2*f. fl. 1586:5'/.. 1587 3.
1588 3. 1589 4'/.. 1590 4'li, 5'/.. I59I 2'J.. 1592 3. 1593 3.
1594 3'/.. 1595 ^. 1596 2'!.. 1597 3. 1598 3';.. 1599 2'/,.
1600 3V4. 1601 4 fl. 1602 4 minus 21 dl. 1603 3. 1604 2V« fl.
1605 2. 1606 TU fl. [fol. 248.] 1607 2'/i. 1608; ZV. H.
1609 4 n. 6 Xr. lölO 8 ft. 1611 6. 1612 5. 1613 3.
1614 6. 1615 4V.. 1616 4 minus 5 Xr.
1617 2<i.. 1618 2'/.. 1619 2. das alte 2 fl. 6 Bazen.
1620 5 r., auch ein Ort weniger.
1621 4, auch 6'/i, 7, VI, fl. 1622 I, 2, 3, 4 biss 4'/. Reichs-
thaler, das ist 45 fl.
1623 3'J, n, 4V., 5 n. 1624 5, 6. 7, 7% 6 fl. 1625 5, 6,
6V., 6Vj fl. 1626 7Vi, 8 fl. 1627 3'/, fl., ein reich Korn-Jahr.
1628 3'/» fl., mehr und weniger. 1631 das Korn in curia um 2
Thaler herauskommen, 2 fl. 6 Bazen.
[BL 49, fol. 250-252.] Preiss von Erbsen:
1540 galt die Mez 24 fl., 1542 2 a, auch 5 B. 1552 16 ß.
1572 t n. 1574 ] fl. 1590 25 ß. 1591 II ß. 1592 12 ß. 1593
11 ß. 1594 3 tt 6 dl. 1596 3 w 6 dl. 1597 3 m. 1598 12 ß
1599 3 «.
1600 17 ß. 1601 15 ß. 1602 10 Bazen. 1603 12 Bazen.
1604 11 Bazen. 1605 1 fl. 1606 l fl. 1607 7 Bazen. 1608
5 fl. 1609 und 1610 8 Bazen. 1611 7 Bazen. 1612 t Bazen.
1613 1 fl. 1614 3 ort. I6I5 10, II Bazen. 1616 I fl. 1617
10 Bazen. 1618 10 Bazen. 1619 I fl. 1620 1 fl. 1621 I fl.
1622 wie der Waizen. 1623 5*U, 6. 1624 wie das Korn, an
manchen Orten sehr verdorben. 1625 5'fi Bazen, wol gerathen.
1626 9 Bazen. 1627 8 Bazen.
Preiss von Walzen:
1594 3'itfl. 1596 3'f.. 1597 3V.. 1598 3V*. 1599 2'/,. I60Ö
5'/*. 1601 4 'J,. 1602 4'/.. 1603 3-4'/.. 1604 3, 10 Bazen. 1605
4. 1606 3*/*. 1607 3, 1608 3«/,. 1610 3 fl. 16117. 1612 6.
1613 4. 1614 6'/i. 1615 5'/.. 1616 5. 1617 4»/.. 1618 3 in 15,
18 Xr.
4
Selbstbiogn4>hie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon etc. 319
1619 3. 1620 5, 4, 4% 1621 6V>, 7, 9. 1622 2, 3 H.
mehr als das Korn. 1623 6'/.. 1624 7, 7'/«, 6.
1625 7, 7'/i n. 1626 9. 1627 3'/i, 4 fl.
Preiss von Haber:
1572 4V.fl. 1573 2'/.. 1574 2'/». 1590 3. 1591
1'
1592
1600
1606
1'/.. 1593 IVi. 1594 Vit. 1597 1»/« fl. 1598 Z 1599 Z
2»/.. 1601 2. 1602 2V.. 1603 2V*. 1604 VI*. 1605 VU.
1»/,. 1607 l»/4. 1608 2. 1609 1«/*. 1610 3'/4. 1611 3'/i. 1612 3'/.
1613 2. 1614 3. 1615 4. 1616 3'/.. 1617 2. 1618 IV*, l'/i.
1619 2. 1620 2'/*. 1621 4, 4'/«. 1622 30 fl. oder 3 Reichsthaler.
1623 4'/., 5 fl. 1624 6, 5V., 5. 1625 6, 3. 1626 4, 4'/..' 1627 2'/..
pol. 255.]
Fleisch
, was gölten
1 Pfund
Rind
Kalb
Hammelfleisch
Anno 1603
16 dl.
12 dl.
12 dl.
1604
16 dl.
12 dl.
12 dl.
1605
wieder
wieder
U und 12 dl.
1606
wieder
wieder
wieder
1607
wieder
wieder
,
1608
wieder
wieder
U dl.
1609
15
13
12 und 11 dl.
1610
16
14
12
1611
16
14 und 15
13
1612
1 Bazen
16
14
1613
wieder
wieder
1614
>
■
14 und 13 dl.
1615
1 Bazen
1 Bazen
14, 13, 14
1616
n
»
*
1617
W
*
j»
1618 1 F
>[d. Rind 1 Baz.
. Kalb 1 Baz.. Han
nmelfleisch 1 Baz.,
lezlich 15 dl.
1619 wieder wieder 15 dl.
1620 » , 1 Bazen, 15 dl.
1621 4, 5, 6, 8 Xr. 8 Xr. 10 Xr. 4, 5, 6 Xr.
1622. I fl. 1 fl. I fl.
Schwein 9 Baz.
1623 5 Xr. 7 Xr. 5 Xr.
Schwein 6 Xr.
320 Franz HQttner.
1624 5 Xr., und 18 d!. 8, 6, 5 Xr. 6 Xr, 4 Xr.
1625 5 Xr. 6, 5 Xr. 4 Xr.
Schwein 1 Baz. 5 Xr.
1626 5,4 Xr. 4 Xr. 4 Xr.
Schwein 5 Xr.
1627 1 Bazen 1 Bazen 14 dl
Schwein 1 Baz.
[fol. 250, 251] Linsen
1 Mezen kommen gemeiniglich wie Erbsen, Korn oder Waizen
als Anno 22.
Anno 1616 1 fl. 1617 1 fl. 1625 5'/» Bazen. 1626 9 Bazen.
1627 8 Bazen.
Dinkel das A4alter
1623 4 fl. 1624 3Vi, 47*. 1625 3V4. 1626 5. 1627 5.
Gersten
1617 4 fl. 1623 6 fl. 1624 7 fl. 1625 6"/. fl. 1626 6'/, fl.
1627 4 fl.
Obst Anno 23 zimlich gerathen
[f. 257] Anno 1624 viel Bim, wenig Aepfel. Anno 2S
keines gerathen.
26 auch nicht 27 zimlich Obst
[fol. 253] Scheuben Salz kostet Anno 1570 48 a, die Mez 6 u.
71
3 fl. I Ort
72
2 fl. 3 Ort
73
5 fl. 1 Ort
74
3'/, fl. 1 Ort.
75
4 fl.
76
3 fl.
78
2 fl. 1 Ort
79
2 fl. 1 Ort
80
2 Reichsthaler.
82
2 Reichsthaler.
83
wieder.
84
abermal.
85
2V. fl.
86
2 fl.
87
3 fl.
Selbstbiographie des Sladtp&trreis Wolfgang Aratnon etc. 321
88
2 fl. 3 Ort.
89
3 fl.
90
2V. fl.
91
2 fl. 3 Ort.
92
2V. fl.
93
wieder
94
2 fl. IV» ort
96
2 fl. 3 Ort
97
2Vi fl.
98
wieder.
99
2 fl. 3 ort
1600
3 fl.
1
3 fl.
2
3 fl.
3
3 fl.
4
3 fl.
1605
3 fl. 1 Ort
6
wieder.
1607 wieder. 1608 2 fl. 3 Ort. 1609 3 fl. 10 Xr. 1610
3 fl. 1 Ort 1611 5 fl. 6 Baz. 1612 3»/, fl.
1613 wieder. 1614
3 n. 5 Baz. 1615 2 fl. 1 Ort. 1616 3 fl. 3 Ort. 1617 3 fl. 3 Ort
1618 3V, fl. 1619 4 fl. 1620 wieder. 1621
5, 7, 8. 10 fl. 1622
5, 6 Thaler, ist 56, 60 fl. 1623 5, 5Vi fl.
1624 4, 3Va Thaler.
1625 3 fl. 9 Raren. 1626 3'/i, 4 fl. 1627 4 Reichsthaler.
[fol. 25Z] 1 Centner Ünsslit kostet Anno 1621 50 fl.
22 200 ft.
23 15 fl.
24 15 fl.
25 10 fl.
26 auch.
27 ebenfalls.
[BI. 50] Herr Schechsius, Pfarrer zu Ampferach, kam nach
Erlach Anno 1595 um Ostern, starb Anno 1616, in die 18. Oct.
begraben.
Anno 1597 fin. Jul. Herr Ammonius :
EU Crassolzheim auf-
gezogen.
M. Heinrich Wegelein, Pfarrer zu Reisch Anno 16..
Archiv far KnltnrKCSchichte. I, 3.
21
322
Franz Mtinner.
Paul Herl, Anno 1592 in Jena studirt, gestorben zu Nord-
heim, Anno 1618 den 22 Dec begraben.
Den 9. Jun. Anno 1606 ist M. Postler zu Nordthcim in-
vesiirt worden. Anno 1616 d. 21. Dec ward er zu Erlach in-
vcstirt. Anno 1627 den 18. April begraben.
Anno 1627 d. 10. Jun. Herr Kuppelich zu ErJach investirl
Anno 1602 I. Maji Paul Marlin von Lichtenstein begraben.
Frauen Annae von Seinssheim Bruder; diese Frau Anna, Herrn
Georg Ludwig von Seinssheim jun. Frau Gemahlin, ist Anno
1607 d. 4. Martii begraben worden, ihre Fr. Schwester Eva wurde
Anno 1617 zu Ippcshctm d. 23. Jan. begraben.
Anno 160Ö den 28. Marl. Herr Valcnt. Apelius zu Nord-
heim gestorben.
Anno 1608 8. Maji Herr Georg Bemiuth,') Pfarrer zu
Obembreit.
Anno 1611 14. Sept Herr Pfarrer zu Dornheim begraben.
Anno 1618 7. Dec. M. Michael BrüIer,*J Pfarrer zu ObembreiL
Anno 1629 27. Jun. Herr Raupperl,*) Pfarrer zu Obembreit,
begraben.
Anno 1633 d. ö. Jul. Herr Clemens Gunderus zu Northeim.
Joh. Georg Pfeiffer, Pfarrer zu Segniz, hernach zu Ober-
hochstatt bey Weissenburg [Oberhöchstädt im B. A. Neustadt a.
Aisch.]
[Der Schrift nach stammt das folgende Fragment aus dem
18. Jahrhundert; da das Concept schwer leserlich ist, musste
manches ausgelassen werden.]
[Bl. 50'] 9. Ja weil sich bey deinen Gaben
etwa mein Oemülh erhob,
muss ich einen Fleisch-Pfahl haben
zur bewährten Demuthsprob.
Aber Satan ängslet mich
jezu gar zu jämmerlich,
dass er durch die Fauslesschläge
mich zur Ungedult bewege.
I
■l M. ORprs acnuitr, vgl. Ocontii, UtfuihrimlKltc N«bautiu»I(ii (ITM) II SdlC 231.
■) Vgl. Omrgii, 1. c
•) Pulu RuKhbu. TX]. OtOTKU II. ZU.
Selbstbiograptiie des Stadlpfairers V/olfgang Ammon etc.
10.
n.
12.
Jammer, Jammer über Jammer!
ach! achl ach! was fang idi an?
Soll ich denn zur Höllenkammer
gehn durch die Verzweifflungsbahn ?
Soll ich in so g^rosser Noth
etwan sehn keinen Gott?
Soll ich den und sterben
und an Leib und See! verderben?
Nein, ich schreye: Gnade, Gnadel
Gott, mein Gott! erbarme dichl
Führe mich nach deinem Rathe
wunderlich, nur seeligJich.
Vatter, Vatter, hab Gedult,
Denke nicht der alten Schuld.
Und lasse meine Sünden
im Nebel gleich verschwinden,
Du wilt nicht, dass jemand sterbe^
und dass der Sünder leb
und das Himmelreich ererbe,
drum lass
nur Krafft und Segensfüll
durch dein Herr Wort empfangen
und begehrts Heil erlangen.
(Bl. 51) 13. Du hast ja Für mich gegeben
deinen allerliebsten Sohn,
dass ich durch ihn mechte leben,
litt er Schläge, Spott und Hohn,
ja! den bittern Creuzestod
und die grösste Höllennoth.
Drum will ich beym Teufel sichten,
mich in seine Wunden flüchten.
14. Jesu, Jesu, reich die Hände
Deinem schier gefällten Kind!
Jesu, Jesu, hilf und sende
Deine Engelschaar geschwind
mir zu steten Dienst und Schuz,
21'
p
324 Franz Hättner.
jenem Höllenfcind zu Tmz,
dass er schimpflich unterliege,
aber ich im Glauben siege.
15. Herr, ich schling mit festen Armen
mich um dich und iass dich nicht,
biss zu gnedigra Erbarmen
stärke meine Zuversicht
Mache mich von den Aengsten frey,
Zeige jedem, ich sey
noch von dir nicht ganz vergessen,
auch dem Satan nah gesessen.
16. Tröste wieder meinen Sinn
und iass die Versuchungsqual
ein erwünschtes End genommen,
schenke, Herr Jesu, eine Zierde
deinen werthen h. Geist,
der ja unser Tröster heisst,
dass tT mich erqutkk und labe,
wan ich Seclenkummer habe.
17. Ja das Licht der Gottes Kinder
sehen viele, Herzens Gast
komm, enthalt mich ohne Sünde
Nehre Glautw
18. Nun wirst mich seufzen hören,
heiligste Drey faltigkeit,
dann will Ich dein Lob vernehmen
und den - Kampf und Streit
Pack dich, pack dich, Höllenhund.
Ich kann mit erfreuten Mund
(den Gott lässls mir doch gelingen)
evig Halleluja singen.
IBI. 51'] Herr D. Mich. Walthcr jun., S. Th. Professor zu
Wittenberg, hat Anno Iöö8 Jungfer Euphrosynen, Herrn D. Conradi
h
iiographie des SlEdtpfarrcrs Wolfgang Ammon rtc.
Victoris Schneiden, Med. Prof., Tochter, geheyratheL Uhse P. l
p. 988.
D. Jo. Scharffius, Praeposihis der Schlosskirche zu Witten-
berg und S. Theo!. Professor, hatte zur er&ten ehelichen Frau
Euphrosynam Oaram, Herrn Martini PrestorÜ, Md. Doct u.
Canonid zu S. Nicol, in Magdeburg, Tochter.
Herr Joa. Sauberti, S. Th. et professor zu Altdorf, hatte
Herrn D. Hermanni Conringii, eines berühmten Medici, Tochter
A.nnam Mariam zur Ehe.
D. Nicolaus Hunnius, Siip. zu Lübeck, hatte zur Ehe D.
Emesti HettenbachÜ, Med. prof. in Wittenberg, Tochter.
Herr D. Paulus Hofmann, der Anno 1704 den 18. Mart zu
"Thorn in Preussen als Senior gestorben, vorher aber Superint.
^in Torgau gewesen, hat Johannam Susannam, Herrn Abraham
^feimbaums, churf. Sachsischen Leibmedici Tochter, zur andern
.^^he gehabt
D. joh. Oerhardus, der berühmte Theologus, hatte auch
^ines Medici, nemlich D. Johann Mattcnbergers in Gotha, woselbst
^st auch Bürgenneister gewesen, Tochter Mariam zu seinem andern
^^heweib, die er Anno 1614 genommen.
Also auch D. Woifg. Franzius, Theol. Professor et Praepo-
^itus zu Wittenberg, hat Anno 16I8 als Wittwer mit Jungfer Sabina,
Herrn Ernesti HettenbachÜ, Md. Dr. et Professoris in Wittenberg,
Tochter sich vermählt.
D. Christoph Franckiiis, S. Theol. prof. prim. zu Kiel, hat
.^^nno I6ÖÖ mit Jungfer Catharina, Herrn Malthaei Clausens, Medic.
Ooct u. herzogl. Holstein. Leibmedici Tochter, Hochzeit gehalten,
— h 1704 d- U. Febr.
Herr Andreas Caroli, Abt im St Georgenkloster, welcher
^us Memorabilibus Ecclesiasl. See. XVII. bekannt, hat Herrn
£alth. Simons. Med. D. ei p. p. in Tübingen, Tochter Evam
iMariam zur Ehe gehabt.'!
<t Dleic killen Ztiitlw ■« spilcrer Zeit, die dk HiuflElEcll von Eben von Qdsl-
Itdicn mtt Tfichlern von Anten bewerten ■ollfV, haben mit def SeIt»ibiQK">phi«' »Ichu
mehr m Ihtui.
M
326 Johannes Müller,
Augsburgs Warenhandel
mit Venedig
und Augsburger Handelspolitik im Zeitalter
des Dre issig jährigen Krieges.
Von JOHANNES MÜLLER.
Unter den auf das Rodwesen') bezüglichen Akten des Augs-
burger Stadtarchivs befinden sich zwei einander ergänzende Erlasse
des Augsburger Rates - der eine vom 15. November 1597, der
andere vom 23. Juli 1511 -, die uns durch ihre Bestimmungen
selbst sowie durch die den Erlassen vorausgehenden Verhandlungen
des Rates von Augsburg mit der Augsburger Handelswell höchst
ehrrejche Aurschlüsse sowohl über die Art des Warenhandels
zwischen Augsburg und Venedig als auch über die handeis-
poIitischenAnschauungen des Augsburger Stadtregiments im Zeit-
alter des Dreißigjährigen Krieges gewähren. Wegen dieser doppelten
Bedeutung seien die beiden Ratserlasse hier £unächst im Wortlaut
mitgeteilt und sodann diejenigen Bestimmungen näher erörtert,
die einesteils die Betriebsweise des damaligen deutsch-venetianischen
Warenhandels, andemteils die handelspolitischen Anschauungen
des Augsburger Stadtrates in eine schärfere Beleuchtung rücken.
■) Unter tftoA', der obcrdnilKh«) Form für du Wert RMK, venttnd mm In
MitteLftIter Im OiUlpenfcbict Iniclui. OtBubSndcD lunichst die Rcifacnfolüe, in velcher
die Puhrl«u<e einer Oem«[Rde die xv transportierenden Waren inr Bc<
förderung tnccwlesen cchleltca, «onus dsntt die Dc<Inituii£ ervuthi: Recht des
Ab cils an dem Trantporl von Kaulmanntgütcrn. Später wurde um Wort Rod
la einer liandd»seo|[iaphticheti Beidchnung, indem « gleich dem KhveitcriKbcn aPorl
oder Tdl* einntriU aIi Nunc FQr die einittncn TruiiportvertiBniJc drr OtiaJpaUlader, «je
SfidKhvabm«. Tiralielc. »ndrinlelh alt nrickhnung f&i daa gante TniuportvcKn Aber
die Oiialptn Vervenduni; fand. Verel. hlerrs a. Börün, Die Trampartverfcjiide md
da« Tranipoilrectii dri Seti«e!( im Mlltetaltn
lügsEurgs Warenhandel mit Venedig etc.
Arlicul das Rodwesen beireffend, vom 15. Nov. 1597.
Nachdem ein Ers. Rhat der Stadt Augsbui^ auK deren zu
»ichlich machung deß Rodwesens inn die F. Grafschaft Tirol ab-
Sesanten Relationen sovil berichts empfangen, und es sich sonst
^uch in täglicher erfahrung befindet, das die guelfertiger und ihre
«liener bey dem Rodwesen allerley mißgebräuch erwecken, Un-
ordnungen bcgeen und alle wolbestellte, mit großem uneosten,
«nuehe und arbeit angerichte Rodordnung seLbs brechen und dannen-
liero verursachen, das die Rodfuhrleut, wenn sie schon unrecht
handeln, etlichcrmassen für entschuldigt gehalten und die oberlceit
-auf der Rodfertjgcr amruefen gleichsam bestürzt werden, wellichem
^hail sie glauben oder beiständig sein sollen: so hat ein ersamer
Rhat für ein unvermein den liehe nothurft erachtet, sollichem vcr-
«lerblichem, einrelssendem unhail zeitlich fürzukommen und abzu-
"Miehren und hierin ein solüch mittel anzustellen, damit angcdeute
J^odordnung crhaHcn und die oberkeiten zu schleuniger hülff und
Fortsetzung derselben bewegt werden mugen. Zu dessen würklicher
"handhabung hat wolermelter ein Ers. Rhat hemachfolgende articul
approbirt, auch dabei erkannt und emsttich bevollen, das dieselben
-von den guelfertiger und deren dienern steif und unverbrüchlich
gehalten werden sollen.
1. Sollen die jetzigen guelfertiger, benamHch Hannß
Spaiser, Burgerm ei ster, Christoph Lutzenbcrgcr, beede zu
fbssen, Hannß Eisengrein und Conrad Fischeret Consorten,
Surger alhie, Caspar Mair von Venedig und Christoph Wex
^fon Landspcrg {mit welchen man auf dißmal genugsam versehen)
«Jahin adstringirt, gehalten und verbunden sein, daß irer keiner
awei oder mehr Condutla auf einander anncmcn und
'verfüren, sondern sie sollen sich dem ordenlichen loß unter-
geben und wie sie nach einander im loO troffen werden,
alßo auch außfaren und kainer dem andern ainigcn eingriff
Ihuo; doch soll hierinn der Kauf- oder Handelsmann nit schuldig
sein, eben dem guetfertiger, so der nehlste in dem loß oder Ordnung
ist, sein guet aufzugeben und zu vertrauen, sondern ime bevor und
I Irey steen, welcher ime am besten beliebt, zu gebrauchen.
f 2. Wenn einer oder der andere guetfertiger, wie sieder
Ordnung nach auf einander gecn, keine gueler hatt oder mit
i
denselben nit fertig werden kann, soll derselbe dem
nachfolgenden weichen und sobald der mit sdncn guetem
fertig, ihn unaufgchallen fortfahren lassen.
3. Es sollen auch kaincm guetfertiger auf einmahl mehreres
alß auf der Unteren Strassen 27 in 30 wägen und auf der
Oberen Strassen 35 wägen gebunden und geladen werden,
auch also dadurch die Verhinderung und aufrtig auf der Strassen
verhütet werden.
4. Wann nun die guetfertiger mit ireii guetem nach der
Ordnung auf die Strassen kommen, soll keiner dem andern für-
fahren noch das geringste wider die Ordnung fürnemen, delt-
gleichen kain Qberlohn, Verehrungen, essen noch trunk
geben, dardurch imc die Rodfuhrleut desto williger und genaigter
gemacht wurden, sondern mit seinen güetern bey der Ordnung und
dem Rodlohn verbleiben, und dem, so hernach kombt, kain b&scn
eingang erregen.
5. Sonderlich aber, da einer seine güeter von der Rod
auf die Äx geben wolle oder wurde: Soll derselb darbey
kain falsch gebrauchen, dardurch er dem, so vor ime ist, nach-
zueilen oder fürzufahren und alsdann die Rod wider zu nehmen
vemiainen wolt, und soll er in soUichcn fall dem ersten
Ime allweg drey Rodstett frey und bevor lassen, alsdann
und eher nit mag er, ob er will, einfahren.
6. Im fall aber einer den andern an einer Rodslatt
antreff, und der erst aus aigner Verhinderung nit fort-
fahren kündt oder wolt, soll der ander fortzufahren macht
haben, doch deiihalben von der Oberkait zu seiner desto bessern
beweisung und behelf ein schein fflrbringen.
7. Und damit oberzellem desto würklicher gelebt und
nachgesetzt wcrd; Sollen die Qberdreter obberürter Ordnung
und articul für das erste mahl umb 25 Fl., für das ander
umbSOfl., und für das 3. mahl umb 100 fl., inn der Handels-
gut bOx unabießlich zu bezahlen, gestraft, und sollich
strafgcli zu ablegung der uncostcn vcrwcndt, auch diejenige, so
über des 3. mahl weiter strafwürdig erfunden werden solten, gar
von der Rod abgeschafft werden.
Augsburgs Warenhandel mit Venfdig etc.
8. Also soll auch den verordneten deputierten zum
Rodwesen, so jeder zeit sein werden, mit einem zusalz vier
anderer handelsleut, die sie ihrem belieben nach zu sich ziehen
mj^n, frey und bevor steen, die guetfertiger auf ihr
öbel halten, gar abzusetzen, andere oder mehrere an
ihrer Stadt aufzuncmenj also das sie an ein gewisse anzahl
oder Personen nit gebunden sein sollen. Und sollen diejenige,
'xrelche von inen soUlchergestalt aufgenommen und zugelassen
■werden, dieser Ordnung inn allweg zugeleben und dawider nit zu
liandeln schuldig sein.
9. Weil ich er oder welliche guetfertiger aber inn aintg veg
«jieser Ordnung sich nicht undergeben, sonder sollicher ent-
lieht, und von obgenieUer straf oder andern hierinn begriffnen
^uliculn sich auRschließen wollen: Dem oder denen solle hernach
Scain guet mehr für die hiesige und Ulmische Handels-
leut, oder dern Committenten aufgegeben, auch solHchcs von
jedem handelsmann seinen factom, zur endtlichcn nachrichtung,
sugeschriben und bevohlen werden.
10. Die guetfertiger so wol auch die handelsleut, die
äre gQeter selbst herausroden, sollen auch schuldig sein,
«Jen verordneten Büxen meistern jedesmal ein orden-
lichen außzug zuzustellen und darin zu specificiereni
-v/2t sie auf jede condutta inn allem für hiesige und auswerdige
Handelsleut für wahren aufgenommen und herausgefertigt
Ilaben.
n. Jedoch sollen diejenigen handelsleut, welche durch
sich selbst oder ire aigne diener ire wahren verfürren
^*'olen, nit begriffen, auch dem loß nit underworfen seini
sondern inen diß orihs bevorsteen, wan sie mit Iren wahren gefallt
'Jnd fertig, unverhindert der andern fortzufahren: aber daß sie
sich sonst ebenmeliig der Ordnung inn allen dingen gemäß verhalten.
Ergänzung hierzu vom 23 Juli 1611.
12. Da sich von solcher zcithero (d. i. 1597) in der woll-
"ftndlung eine merkliche enderung zugetragen, so soll derwegen
^Ur befördenmg derOueter hinfOrters ein jeder guetfertiger auf ein-
*^a] mehreres nicht als auf der Untern straß, durch das Calober,
"^•^Agen annemen 15-20, auf der Oberen straß durch das
i
"4
Faicion 20—25. Die Rodleutc sollen auch im loß vie zuvor beide
Strassen abwechseln, damit kein siraß mit guetern allein iiberbäu^^H
die andere dagegen leergelassen wird. ^|
!3. Soll der gutfertiger hinfür jeder Zeit die gueter
in eigener person auf der Strassen heraus biß an die
Und bei den guetern seinj aber von danncn auf dem wasser
herab bis an ir gehörig ort dürfen sie die gueter durch ihre
diencr geleiten lassen, doch dasselbige auf der guctfertiger gcfahr.
Da ein guetfertiger durch Ootles gewralt oder sonst erhebliche
ursach der begieitung der gueter in eigener person nit beiwohnen_
kann, sollen ihm taugcnliche diener hieför zugelassen sein.
14. Die gueter sollen hinfüro längstens in 8-9 wo"
chen heinigeferligt sein; da einer über solche zeit ausbleibt
und die Verzögerung des Iransportes nicht mittelst genügsamer
Urkunden durch Gottes gewalt herbeigeführt ausweist, hat er für
jeden Saum I fl. straf, bei 11 oder 12 wochen ausbleiben fü|
jeden Saum 2 f[. straf zu zahlen.
15. Die handelsleut, so alhie nach Venedig handelt
sind auch nicht befreit, ihr wahren außer der bestellten"
guetfertiger fremden conduUori aufgeben zu lassen oder
für zwei, drei oder mehr handelsleut unter einem oder mehr
zeichen herausziisenden. Da es aber von einem oder andern
nit gehalten wird, soll der, dem das guet gehört gleich sowohl der,
der das guel fertigt, laut ob angefüerter rhatsordnung vom_
15. Nov. 15Q7 gestraft werden.
16. Den guelfertigeni kostet nach bisheriger erfahrung ein'
säum guets von Venedig biß Augsburg mit allen uncosten insgemein
16 fl.: darum sollen den guetfertigern zur Widerlegung ihrer be-
mühung und um desto schleuniger fortfürung der guter willen, für
einen Saum (d. i. 4 Ctr.) von Venedig bis Augsburg I6Vi fl.
gegeben werden. Einen überlohn, so sich nicht über 10 Kr.
erstreckt, sollen die gueterfertiger künftig nidit zu begehren
haben.
17. Die guetfertiger dürfen von einem wollhändler nicht
mehr als 20 ~ 24 Ballen Wolle in condutta aufnehmen, wofern sie bei
anderen woHhändlern auch gebundene gueter haben können. In
mangel derselben soll ihnen alsdann zugelassen sein, über
I
Augsburgs Warenhandel mit Venedig elc 331
bestimmte anzahl der 20-24 Ballen von ihren wollhändlem ein
mehreres zur complirung der völligen condutia anzunelimen,
18. Die guetferciger sollen sich der straß nach Verona künftig
genzlich enthalten und beider Straßen, der unteren und oberen,
lugleich neben einander gebrauchen, sich der abwechslung halber
dorch das loß vergleichen, damit dieselben jeder zeit vermög der
Ordnung gebauet und auf alle fQrfallende weg sowohl in slerbens-
als andern lauften offen erhalten werden.
Zusatz zur Rodordnung vom 15. November 1597.
Demnach auf die solicitation und richtigmachung deß rod-
»esens ein merklicher uncosten aufgangen, so bisher dem gemeinen
¥erk zum besten von Particular Personen verschossen worden,
derowegen ein Ers. Rhat vor diesem bewilligt, daß zu dessen ab-
egung ein Kreutzer auf einen jeden Centner wollen, so von
Venedig hierher geet, geschlagen werden soll.^) Und sich aber be*
indt, das dieße sach und daraus entsteend beneficium nit allein
die wollhändicr, sondern auch alle andere handelsleul, so sich
des Rodwesens auß- und eingebrauchen und insonderheit die
Botzner Händler betrifft: so hat ein Ers. Rhat heut dato erkannt,
das diejenige anlag, welliche die handelsleut nach Botzen zu under-
haltung des Veroneser Bottens und anderer fürfallender angaben
zu einem F*fennig auf jeden Centner irer gfleter verschiner zei
fürgenonimen und bißher continuirt so wol als obberürter Kreutzer
auf jeden Centner wollen aufgehoben und an deren statt eine
durchgehende gleidiheit i;ehalten und nemblich zween Pfennig
auf jeden Centner gucls, so von hinnen nach Venedig
und Botzen wie auch alle orlh in Italia, so sich dieser
landstraß gebrauchen oder hcraußgeet, geschlagen
Verden soll, immer so lang und vil, biß nit allein der uncost
abgelegt, sondern auch ein zimblicher vorrath auf's künftig vor-
handen sein würdt Und sollen entzwischen der Bolzner gewohn-
liche außgaben aus dieser gemeinen büx genommen werden, lis
sollenauch zu der Einnamb zween Büxenmeister, als nemb-
lich einer von Botzncrn und der andere von Venediger
Händlern verordnet werden. Und ist diUmal zum anfang von
■) Dtna Audcblac ^^ I Krcuhrr auf einen Zmtntr Wolle war cnl I. J.
■uf Antna dtT VolIhlntUcr AmtiburEt mm ftit bctcliloiMn vorden.
int
I
332
Johannes Mülier.
Botzncm Gabriel Müller biß zu dem end des 98. Jars und
dann von den Venedigem Thomas fider biß zu end des 99L
Jare verordne! »erden.
Wie aber die Einnamb zu beslellen, damit der betrug und
ungldchheit fürlcommen werd: solliches wördt den außschüssen deft
Rodwescns und den Böxenmaistem zu bedenken von einem Ers.
Rhat bevühlcn und heimgegeben.
Damit auch diu wolbestellte werk deU Rodwesens mit)
desto mehreren! fleiß underhaltcn werd: so hat ein Ers. Rhit
femer erkannt, das glcichwol die jetzige deputierte zum Rodwesen
in allweg darbey verbleiben sollen, wann aber deren einer oder
mehr mit tod verfahren wurden, soll sollichcs durch die ül
den Herrn Stadtpflegern und Geheimen angebracht und durch
alsdann die erledigte stelle ergenlzt werden.
Decretum senatus, 15. November 1597.
ibrigeo.
Ehe wir nun auf diejenigen Bestimmungen dieser Rodordnur
näher eingehen, über deren Notwendigkeit zwischen den Augs-
burger Kaufleuten erhebliche Meinungsverschiedenheiten herrsch- 1
ten, sei auf zwei Erscheinungen des damaligen Transportwesenar]
hingewiesen, die uns, den Kindern einer Ära milden freiesten]
Verkehreeinrichtungen, absonderlich vorkommen müssen, deai
Menschen jener Zeit mit den dürftigsten Verkehrsmitteln aber alsj
etwas durchaus Selbstverständliches erschienen; es ist das 1. deri
für die Quifertiger vorgeschriebene Routenzwang und 2. der]
nach der Bodenbeschaffenheit der einzelnen Rodbezirke obrig-j
keitlich festgesetzte wechselnde Rodlohn.
Aus dem dritten Artikel der Rodordnung von 1597 ist er-
sichtlich, daß wie im Mittelalter so auch in der Neuzeit nun
zwei Handelsstraßen von Süd Westdeutschland nach Venedig be-j
nützt wurden, die Obere Straße durch das Falcion und die)
Untere Straße durch das Katober (Katober - Pievedi Cadore).
Die Obere Straße, ursprünglich die kürzeste Verbindung zwisdiea
Ulm und Venedig herstellend, später aber auch von AugsburgerJ
Kaufleuten benutzt, ging von Füssen über die Ehrenberj
Klause und den Fern paß nach Imsl, von da über üindeck und!
Nauders zum Reschenscheideck und von diesem wichtigen Pafi
Augsburgs Warenhandel mit Venedig etc.
333
^^nrdi das Vintschgau nacli Bozen und nach Trient. Von Tricnt
jjing die Straß« nicht, wie man erwarten sollte, durch das Etsch-
lal nach Verona, sondern schlug die östliche Scitcnrichtung durch
das Val Sugana über Pergine (Persen), Castclnuovo und Grigno
<Grimm) nach Bassano ein und erreichte cndUch über Castel-
franco und Mestrc Venedig.
• Zur Benützung des Va! Sugana lud die Kaufleute, die auf
■der Oberen Straße nach Venedig zogen, nicht blolJ die Erwägung
ein, daß sie dadurch vom mittleren Etschtal auf der kürzesten Route
nach der Adria gelangten, sondern auch der Umstand, daß das
Brentalal eine verhältnismäßig leichte Umgehung des schwierigen
Bergtores der Etsch vor Verona ermöglichte und so die Kauflcule
«ovohl der hohen Zollabgaben zu Roveredo und Verona als der
Plackereien imd Haubanfälle durch die im untern Elschtal besonders
häufig auftretenden Strauchritter überhob.')
Die in dem 12. und 18. Artikel der Rodordnungenthallenc
Anordnung, dal) die Gutfertiger, d. b. Spediteure, die beiden
Straßen, die Unlere und die Obere, abwechselnd gebrauchen
uod sich der Abwechslung halber durch das Los vergleichen sollen,
«rklärt sich daraus, daß die Obere Straße wegen ihrer größeren
Länge um jene Zeit immer seltener benützt wurde, ja daß die-
jenigen Handelsleute, welche ihre Güter nicht auf der Rod, sondern
durch eigene Diener nach Venedig hinein- bezw. von dort heraus-
bcfördem lieKen, die Obere Straße am Anfang des 17. Jahrhunderts
bereits gänzlich mieden. Die Folge dieser Neuerung war außer
einer bclrächllichcn Schädigung derjenigen Outferliger, welchen
durch das Los die Obere Straüe als Route zugewiesen ward, vor
allem die, daß die Rodleute der Oberen Straße wegen der stetig
zunehmenden Unsicherheil der Rodfuhren und der Minderung des
Verdienstes durch den Gütertransport die gänzliche Einstellung
>) Ott In dm Aus^burscr KaUdekrtt von 23. Juli lilll erUuene Verbot, die Stn8(
•ach VfToni bänflin K^niüch lu vprnicidrn, «ar lunichil allerillnK» durch die i. ] IS97
erfolg Stelcrnuig du ZjaMct lu Rnvncda «rranlalll voidtn Aui tintm Bcridil der Ati(»-
knga Huiklflenic in den EUl Uim- Valentidi vom 31. Jimur IMH echt ober deutlich
hervor, daß nch dir Untichcrti«!! drr SinBe in der unicm Ebch — ,,dle ^tnikn an dm
CiMlinieii Tirol» tlnd nIcM aJI-arereln eln(!rlultm vortfen", lautn dk bett. Ste:!? des *n-
tttogenen Scrichla - ein BevcgS'""'' Tür die VpnncidunE dcc EltchUUlrail« Mitem 4s
«hBiKhen HAnddmlC eewttai Ist. Verc>- hierin: HerM'Khe Scmmlung von Merktnlll-
ndKB der Augib. Stmd:- UAd Knritbibliotheli-
der Rod zuerst bloß in Aussicht stcillen, bald aber auch zum guten
Teil ins Werk setzten.')
Führte so das Bedürfnis eines beschleunigten Warenverkehrs
in den folgenden Jahrzehnten selbst dazu, daß solche einengenden
Vorschriften vie die enrähnle v.J. 1611 über die Wahl der Route
seitens der Spediteure tatsächlich beiseite gesetzt wurden und die
Obere Straße mehr und mehr den Charakter eines Verkehrsweges
von lokaler Bedeutung annahm, so bewahrte sich die Untere Straße
vermöge ihrer verschiedenen Vorzüge (geringere Ausdehnung, leicht
überschreitbare f^sse, günstiger Anschluß an stark frequentierte
Seitenstraßen, wie an die untere Inntalstraßc) noch auf lange Zeit
hinaus ihre internationale Bedeutung.
Die Untere Straße oder die durch das Katober ging von
Augsburg über das bayerische Schongau, das zum Kloster
Ettal gehörige Dorf Oberammergau, die dem Bistum Freising in-
korporierten Märkte Partenkirchen und Mittenwald zur Scharnitz
bczw. zum Paß von Seefeld. Von da nach Tirol eintretend, ging die
Straße über Zirl, Innsbruck, Matrei, den Brennerpaß und Sterzing
nach Unterau bei Franzenfeste, bog hier nach Osten in das Puster-
tal ein und verfolgte dasselbe bis Toblach. Von Toblach zog
die Strata d'Allemagna nach Süden über Holenstein oder Landro,
überschritt bei Peutelstein, halbwegs z>R-ischen Landro und Cortuna
d'Anipezzo (Heiden), die venetianischc Grenze, begleitete vom Pieve
di Cadore (Katober), am Verein igungspunkt der BoTta mit der
Piave gelegen, letztgenannten Fluß bis Capo di Ponte, wendete sich
aber hier in genau südlicher Richtung über Seravalte, Concgiiano,
Treviso und Mestre nach Venedig.
Die Untere Straße zerfiel, wie ein Blick auf eine historische
Karle des Ostatpengebietes lehrt, politisch in drei, einander an
Länge (ca. 20 Meilen) fast vollkommen gleiche Teile, die schwäbisch-
bayerische Route, von Augsburg bis Seefeld, die Tiroler Route
von Seefeld bis Peutelstein und die venelianische Route, von Peutel-
stein bis Venedig reichend. Jede dieser Teilstrecken stand unter
der Inspektion von Deputierten der betreffenden Landes- oder Stadi-
regierung, also Augsburgs, Tirols und Venedigs, und umfaßte wieder
'] Verzl. hlcnn den BttitM drr Aueitrarger Wollbhndicr wm 3&. Mm 1611 m
den Angtbargcr Stadcrsi iin Augib. Suiliardiiv.
Aug5bui:gs Warenhatidel mit Venedig etc.
335
dn gewisse Anzahl von Rodstätten, so der schwäbisch -bayerische
Anteil die Rodorle: Spöttingen bei Landsberg, Schongau, Ober-
ammergau, Parten kirchen und Mititenwald. In jeder dieser Rod-
stätten war eine gewisse Anzahl von [Jauem bezw. Büi^ern durch
Verträge, die zum Teil bis in die Mitte des U. Jahrhunderts zu-
rückgingen, zur Rod, d. h. zum unverzüglichen Transport der
ihnen anvertrauten Kaufmannsguter innerhalb ihrer Rodstrecke und
in der sie treffenden Reihenfolge gegen einen gesetzlich fest-
gestellten Lohn verpfhchlct.')
Wie aus dem 16. Artikel der l^odordnung hervorgeht, ward bei
der Berechnung des Rodlohnes ebenso wie bei der Entschädigung
der Guifertiger als Gewichtseinheit ein Saum, d. s. 4 Ztr.,
zu Gründe gelegt; nach den größeren oder geringeren Terraiti-
schwierigkeitcn der einzelnen Rodbezirke wurde sodann für diese
von den Rod deputierten der Lohn für einen Saum auf eine ge-
wisse Reihe von Jahren festgesetzt. ^X'ie nun gegen das Ende des
16. Jahrhunderts infolge der wachsenden Geldnot in Deutschtand
die Preise für alle Lebensbedürfnisse und Arbeitsleistungen rapid
in die Hfthc gingen, so wurde auch von den Rodfuhrleutcn des
Oslalpengebietes etwa seit den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts
auf den Tagsatzungen der Roddeputierten unablässig um Ikssening
ihres Lohnes angehalten und eine solche auch zum großen Teil
erwirkt*) Um an einem Beispiel darzutnn, welche bedeutende
Steigerung die Transportkosten für Waren im 17. Jahrhundert
innerhalb eines Zeilraumes von 60 Jahren erfuhren, seien
die Rodlühne des Jahres 1000 denen des Jahres 1665 für
h CHr Vcrpfllchtnnig wxr In vielen Pillen, t. B. cende bd den RodrtlMcn de*
Kfavibnch-bayeriKchen und dn Tirnler Anteili, eine auch viel «dlCTireliaidc. Indem die
in die Rod «iiicnchriebenen Baurtn bp/>. Etdigti auch fiii rrhiltiinji vnn Wrg und ^kg
Innerhalb ihm Dciirkn ntwit für dir Prb«uunK loe, ßillenhinWT, d. h. Unter«Und»liliurr
Itr dtc KaulmannteUier, in ihren Rod.iallen Scrsc ingen inuBten. Die Zahl der Rod1«nte
In dncr Rodilättr vcchtcltc rucli Zeil und BcFjnücii d« iibtr jrde drei Teilstrecken ein-
neMUten Roddcpmlerlen. So «am nich einer InfonnsUon über dw ichvibiKh-biferftdie
Rodvetcn v. Okiobcr MAI in dem Rodbnirk AuBiburg-SpültinKeii 8 Bauern, im Schüngui
II n&isrr und E KloHmeiiler, im Ul>er*niinrreiiu IS Dauern, In Panenlcirchcn 30 Itaucn.
In MHtenvUd 34 Baoeni in die .Rod* «ngrnomnien. A.u]{ili. Studturhiv.
1 Solche allgcnirine Bnuriungen dn Rädlohnn landen z. B. durch die Tae-
vtzangtn ni Reulte l. J. ]iTl and ni Innsbmck IHl sixti; dtzwtichen «anlen abei auch
d!c Fohrtetine dnielner Roditilttcn, «ic die der Schongaoer in Jahre IS7Q, erblüht.
Auftb. Sladurtklv.
336
loliann« Müller.
die Strecke Augsburg-Innsbruck in tabellarischer Form gegen-
übergestellt:
Namen der Rodstälten.
Augsburg^SpöHiTigeti . .
Spöltingcn-Sdiongau , .
ScJinngau-Oberamniergau .
O beranimerga u -Partenkirchen
Partenkirchcn-Mittenwald .
MiHenwald-Seefeld . . .
Secfeld-Zirl
ZirUlniiübruck
Sa,
Cnlfemungcn
in Meilen
5.
S
2
2
ca- 2
2
2
Lohn prn Siuin, d. b. I Ztr.
in KmitcfD
I. J. i«a>
24 Meilen
4 n. 8 Kr.
i.J 1600
Sfl. 8 Kr.
Die Fracht für einen Zentner gewöhnlichen Gutes — für
Sciciemraren und dergl. waren die Frachtsätze nämlich etwas höher
- betrug also am Anfang des 17. Jahrhunderts ca. 1 fl., um die
Mitte desselben Jahrhunderts 1 fl. 24 kr., ein Unterschied, der bei
den Transporlkoslen von Massengfttern, wie Wolle, Baumwolle,
Metallen etc, für ein grofies Handelshaus wohl ins Gewicht fiel.')
Die stetige Steigerung der Rodlöhne in Verbindung mit der
hierzu seltsam kontrastierenden Verlangsamung des Transportes —
Ende des 16. Jahrhunderts gingen oft 10 bis 12 Wochen, anfangs
des 17. Jahrhunderts gar 15 bis 16 Wochen auf einen Waren-
transport durch die Rod, während diejenigen Kaufleute, welche
ihreüüter auf eigener Achse beförderten, einen Transport von Venedig
nach Augsburg in 6 bis 7 Wochen bewerkstelligten — hatte zur
Folge, daü die Benützung der Rod immer mehr zurückging und
das Roden durch der Handelsleute eigene Diener stetig zunahm.
so daß nach einem Bericht der Augsburger Rod deputierten an den
Rat von Augsburg v. J. 161 1 damals bereits ebensoviel Wolle durch
die Wollhändler selbst als durch die Rodfuhrleutc von Venedig
nach Augsburg kam.
Die Wahrnehmung des stetigen Rückganges des vor wenigen
Jahrzehnten noch so trefflich funktionierenden Rodwesens bcwog
>] Nuh tlatm RalibocbluB ran 16. Joli 1632 erliidira die Outlertieer von «iacm
Saoni Out» von Austborg nadi Vcnetllc. für den >ie bislwr nur Wit fl. «ftultn hiKco.
nunmehr 31 IL
Augs4>urg$ Warenh«ndcl mit Venedig etc.
nun den Rat i. J. 1597 auf die Vorstellungen der damals zum Rod-
vesen deputierten Kaufleutc') hin die oben zitierte Rodordnung vom
15. November 1597 aufzurictiten und damit den oft und nach-
drücklich geäußerten Wünschen der Augsburger Handelswelt nach
Verbesserung des Rodwesens entgegenzukommen. Schon im März
1581 hatten nämlich die nach Italien handelnden Augsburger Kauf-
B kutc in einem an den Rat ihrer Vaterstadt gerichteten Bedenken
ihre Vorschläge gemacht, wie dem immer mehr verfallenden Rod-
Iwesen wieder aufgeholfen werden könnte. Sie halten darin erklärt,
daß an den eingerissenen Unordnungen, vor allem an dem langen
tVerliegenbleiben" der Güter, allein die Gutfertiger schuld seien,
indem dieselben erstens auf eine Condutla oft 50-60, ja zuweilen
sogar 80-100 Wagen annähmen und zweitens bei der Abfahrt
B von Venedig keine Ordnung einhielten. Zur Hintanhaltung solches
eigennützigen Gebarens miJlite den Gutfertigem unter Androhung
entsprechender Geldstrafen auferlegt werden; I) auf eine Condutta
■ nicht mehr als 20 — 25 Wagen aufzunehmen und 2) nach einer
von den Rod deputierten festgestellten genauen Reihenfolge von
Venedig abzufahren. Zum Ersatz für den bei genauer Einhaltung
dieser Ordnungen etwas verminderten Verdienst der Gutfertiger
sollten diese die Güter aller nach Italien handelnden Kaufleute
Augsburgs allein zu befördern das Recht haben. Diejenigen Händler
aber, welche ihre Waren durch ihre eigenen Diener herausbefördern
lassen wollten, sollten von jedem Wagen einen Gulden in die gemeine
• Büchse der Kaufleule zu zahlen schuldig sein und diese Abgabe
zur Bestreitung der für das Rodwesen aufgehenden Unkosten ver-
wendet werden.
Diese Vorschläge der nach Italien handelnden Kaufmanschaft
V. J. I58I machten nun die Roddeputierten d. J. 1596 in ihrem
Anbringen an den Rat von Augsburg vom 19. September 1596 zum
Tdl zu ihren eigenen, indem auch sie die übermäßige Anzahl von
Wigen bei einer Condutta einzuschränken und sodann die Un-
ordnung bei der Abfahrt von Venedig abzuschaffen vorschlugen.
Die Vorschläge der RoddepuUerten v. }. 1596 lauteten, wie
folgl:
■) DI« Ntmtn der tlBinaliKOT Rodd«putkrten varcn: Li^dri, Pfeltclniinn, Rkkllii
■ad Herd.
Ardii« tQr Kuliursnchichl*. t, X 22
i
338
Johannes Müller.
Einfaren und Überlohn abzustellen.
Welcher die Rod an die Hand ncmcn wolle, sowohl Kauf-
mann als Quetfertiger, zuvorderst mit den wollballen, von deren
wegen die Rodordnung angcstelt ist worden, dieweil sich kein
[uhrmann uff keiner Äx in die weite damit zu fahren der unge-
schmcidigkeit halben nicht beladen kan, soll mit den guetem keiner
dem andern einfahren oder seine gueter oder wollbalien auf einer
ax oder mehr Kodstätt umbzufahren oder andern, so vor ihm auf
der Straß, fortzuführen und fortzubringen nicht macht haben,
sondern in der Rodordnung bleiben und also einer nach dem
andern seine wollballen oder güeter auf der Rod fortzutreiben
un verhinderlich sein soll.
Anzal der Rodwägen in einer Condutta und Ordnung
in Fahren.
Ein jeder Quetfertiger, wellicher in Venedig nach Augsburg
und Ulm gueter annemen und auf der rod fertigen will, der soll
auf künftig in einer Condutta mehreres nicht dann bO Elallcn,
d. i. 30 Rodvägen^ auf einmal zu fertigen in condutta an-
nehmen.
SoUche bestimmte anzahl der Rodwägen soll auch uff
den Kaufmann, der seine eigne gueter durch die Rod
herausferligen wolle, verstanden werden.
Wofern aber ein Kaufmann ein mehreres als 60 Ballen in]
Venedig für sein selbs aigen guel auf einmal zu verführen bätte^
soll er uff den nächsten Ballenführer, so ihm nachfolgen würd,
vcriiegen lassen und alsdann abermalen der nächstfolgende nicht
mehr als 60 Ballen uff die straß richten.
Es soll keiner mit seiner condutta dem andern uff der
rodstätten und niederlagen eingriff thun, sondern je einer
andern ordentlich und ohne Underbruch folgen. - Und sol
der Kaufmann, der also sein Ballen selbs fertigen wolle, von]
keinem andern weder wenig noch viel wollbalien anncmnien und
nicht also Ballenführer und Kaufmann mit einander sein, sondern
allein ein Kaufmann oder ein Ballenführer bleiben.
Welcher einmal auf die Rod kommen Ihut, der soll bei der^
Rod bleiben und nicht die axfuhr* mit überhupfung der Rod-j
Stätten annehmen. Die Ordnung soll von den Ballcnführcrn voaJ
I
I
*
*
^
Augsburgs Warenhandel mit Venedig etc. 339
Venedig bis gen Schongau gehalten und voll7ogen werden. Bei
einer namhaflen straff, dann wellidier woIUührer eine aigne con-
dulia »-ill haben und mit derselben durch andere uü oder nebenzu
für andere fahren, um dieselbe in ei! fortzubringen, der würde
ein geringe gcltstraff nicht vil achten, damit er seine Ballen vor
andern hicher bringen möchl. Ob sich dann begebe, daß etwan
einer, der vor den andern ob der straßen väx, uß mangel baren
gelis nicht fortkommen, die aullzahlung nicht thun köndte und
deßhalbcn mit den güetern still ligcn müßte, alßdann solle der
nächstfolgende Guetfertiger zufahren und fortzurücken macht
haben, doch soll er von der Obrigkeit, darunter sich solUches
zugetragen, urkund und schein, daß dem also sey, für den er
gefahren, gelt gemangelt haben, bringen und auflegen."
Die Roddeputierten richteten darnach ihr Augenmerk vor
allem darauf, daß die Unregelmäßigkeiten, die bisher bei der Über-
holung eines Wagenzuges durch einen andern auf der Strecke vor-
gekommen, künftig behoben wurden.') Gerade in letztgenannter
Hinsicht sind damals seitens erfahrener Handelsleute wohl die meisten
Geschäftskniffe angewendet worden; denn immer wieder wurden
Klagen wegen «Einfahrens und Fürbrechens von Hintermännern",
die entweder durch Spendieruiig sog. Überlohns an die Fuhrleute
eines Rodbezirkes oder durch zeitweisen Gebrauch der eigenen
Achse ihre Vormänner ein- und überholten, sowohl bei den Rod-
depulierten wie bei den betreffenden Regierungen seitens dadurch
benachteiligter Rodfuhrleute vorgebracht Um vor altem den Trick
einzelner Handelsleute vorzubeugen, die Kod, sobald sie den
deutschen Boden erreicht hatten, wiedenini zu verlassen, Fuhrleute,
die außerhalb der Rod standen, zu bestellen und durch Überhupfen
der Niederlagen einen Vorsprung vor den auf der Rod ziehenden
Standesgenossen zu gewinnen, schlugen die Augsbiirger Rod-
deputierten vor, daß das zeitweise Fahren milder eigenen Achse
ganz verboten werden solle, d. h. daß diejenigen, die sich der
Hod bei einem Warenlransiwrt zu bedienen angefangen hatten,
auch für die ganze Strecke an dieselbe gebunden sein sollten.
■) Null HncRt Bericht der Rad<]fpuli.trten v. ]. IM6 war ent in frahlins din«s
Jslnr» unter v'tn Baltmrilhmn, dl« mit Itiiui OQlcrn tut dn^r Rodtütl« luMinin^osmoßen
wuta. «egm dn Vci(«.hr«ni ein (letiiMgtt Slicil lu^cbroditn, diB ein« von den vieren
Sil! don Plioc Keblld>«i
22"
I
340 Johannes Müller.
Gegen diese den freien Verkehr doch allzusehr einschränircn- — ^
den Vorschläge der offiziellen Vertreter der Augsburger Handds- — ^
velt wandte sich nun aber mit aller Schärfe ein guter Teil Mm^
der Augsburger Kaufleute unter Führung Daniel Stenglins und M^m
Bernhard Schefflers und erwirkte durch seine energischen Vor- — ~m
Stellungen beim Augsburger Rat wenigstens eine teilweise Zurfidi- — z^it-
Weisung der rückschrittlichen Forderungen der Roddeputierten —
Da die geklärten Anschauungen dieser freihändlerisch gesinnten.
Augsburger Handelsherren über den innigen Zusammenhang^^ xig
zwischen möglichst freien Einrichtungen des Verkehrswesens undE:»flid
erfolgreichem Handelsbetrieb in einem wohltuenden 0^;ensatz ziK-a-^au
den verzopften Ansichten der Roddeputierten stehen, so sollen die— ^^ ^
selben in folgendem etwas näher beleuchtet werden.
Gegenüber dem ersten Vorschlag der Deputierten, daß di^-slie
Zahl der in eine Condutta aufzunehmenden Wägen 25—30 nidi'.«4iit
Überschreiten dürfe, beriefen sich Stenglin und Genossen zunächsr.^s-*st
auf den im Handel allgemein gültigen Grundsatz, daß denw^'^
Kaufmann wie beim Einkaufen seiner Waren bezüglich der Mengr^ge
so auch beim Verschicken derselben kein Maß und Ziel gesLü, ^ t^
werden dürfe. Sodann wiesen sie darauf hin, daß unter den jetzr^ "W
hantierenden Gutfertigem erfahrung^emäß mancher mit 50 uni^^^f'
mehr Wägen bälder aus dem Lande zu kommen wisse ate eitv ^ ^
anderer mit 20 Wägen, daß man also mit der Einschränkung de::;^^^
W^enzahl nur die Uneriahrenheit und Bequemlichkeit unter deiv^^"
Ballenführem prämiiere. Endlich warfen sie die gewiß nicht un^
berechtigten Fragen auf, ob sich die Ballenführer, die künftig nu:
25-30 Wägen in einer Condutta führen dürften, mit ihrer Famili» ^ *
auch noch ernähren könnten, und ob sich die nicht unter dec^^*''
Jurisdiktion des Augsburger Rates stehenden auswärtigen Gufe:*"-*"
fertiger, wie die von Landsberg, Schongau, Füssen eta, auch cinen^r^™
solchen neuen, für sie schädlichen Statut gutwillig unterwerfeE^t-^"
würden. Was die letztgenannten Besorgnisse betrifft, die von der^t^
damaligen Verteidigern der Gewerbefreiheit in Augsburg ofenbai-^*''
in sehr grellen Farben geschildert wurden, so erwiesen sich die^^^~
sdben nadi Annahme des Vorschlags der Roddeputierten durcV^^
den Augsburger Rat in der Folgezeit nur zum Teil b^ründet:^'^!
n CS ist uns wohl von einer Beschwerung der Nahnmg de
.ugsburgs Warenhandel mit Venedig etc.
-JVugsburger BaÜenfQhrer aus dem Jahre 1611,') aber von keiner
■ Opposition der auswärtigen Qutführer gegen das neue Statut in
Hjden Akten d« Augsburger Rodwesens etwas überliefert. Dagegen
KrSchte sich die Verletzung des kaufmännischen Gnincfsatzes von
K^cr unbeschränMen Freiheit des Einkaufs wie der Verschickung
der Handelsgüter insofern, als die Versendung von solchen auf
H <lcr Rod in den folgenden Jahrzehnten, wie bereits oben bemerkt,
P in ganz auffallendem Maße abnahm und das Rodwesen damit in
immer größeren Verfall geriet. Als deshalb Kaiser Leopold I. im
Jahre 1668 «zur Hebung des seit geraumer Zeit in tiefen Abgang
geratenen Rodfuhrwesens durcli Tirol" unter andern Anordnungen
auch die Iraf, daß jede Anzahl von Kaufmannsgütemj seien es
auch 1000 und mehr Zentner, hinfort auf einer Condutta be<
fördert werden dürften, niuflte der Rat von Augsburg wohl oder
übel seine einschränkende Bestimmung vom Jahre 1597 bezw.
■ löl 1 wieder aufbeben und der Meinung der Opponenten vom
Jahre 1596, die der natürlichen Entwickelung des Verkehrs keine
Schranken auferlegt wissen wollten, nachträglich beipflichten,
»Hatte das Augsburger Stadtregiment inbezug auf die Größe
der Condultas ganz dem System der obrigkeillichen Bevormundung
gehuldigt, so stellte es sich gegenüber dem zweiten Vorschlag
der Roddepulierten, demjenigen den Gebrauch der eigenen Achse
ganz zu verbieten, der einmal seine Güter auf die Rod gebracht
habe, auf einen vennillelnden Standpunkt. Daniel Stenglin und
Genossen hatten, um die Absurdität des Vorschlags der Liedel,
Pfeifelmann etc. darzutun, in ihren Schriften zunächst darauf
aufmerksam gemacht, daß in Italien die Achsfuhr des Wassers
halber überhaupt nicht gebräuchlich sei, sondern daß alle von
Italien herauskommenden Güter eo ipso von Venedig aus auf die
Rod gegeben würden. Die tatsächliche P'olge der Annahme des
Liedel - Pfeifel mannischen Vorschlags würde also die sein, daß
überhaupt keine Güter mehr auf die Achsfuhr gebracht werden
■ könnten, ein Zustand, der nicht nur allen seit Jahrhunderten auf-
gerichteten Rodordnungen, sondern überhaupt allem gesunden
^ft ■) Vcr^I. die e^hon. bcdctrt und Oiilichtcn der von dncm En. R>lh TecorOnete«
^V nf der Dcpnlirten dn RodTnnif und du ecmdiKti Wollhinilln t>dli«send« Wechsel-
I
Menschenverstand schnurstracks widersprechen würde. Denn
wegen des handgreiflichen Nutzens, den der Gebrauch eigener
Achsfuhr sowohl für die einheimische Handelsweit als auch für
die Rodfuhricute von je gehabt habe, sei dieselbe auf allen Rod-
stätten zugelassen, ja von der oberöslerreichischen Regierung bis-
her sogar noch begünstigt worden. Die Zoll- und Mauterträge
letzterer wüchsen nämlich in demselben Ma&e, als die fremden,
durch Tirol handelnden Kaufleute die eigene Achse gebrauchten!
den Rodfuhrleulen komme das Achsfahren aber insofern zu nutze,
als sie von jedem Wagen seitens der Kauficutc eine besondere
Rekompens erhielten. Den liauptnulzen von der Achsfuhr habe
aber immer die Augsburger Kaufmannschaft selbst. Erstens
würden die Waren, z. B. Spezercien, Südfrüchte, Weinbeeren,
Malvasier, deren »Verliegenbleiben" für den Kaufmann besonders
nachteilig sei, verhältnismäßig rasch und ohne Schädigung ihrer
Güte an Ort und Stelle gebracht; zweitens würde die Rod. die
vor allem Rohstoffe für die Gewerbe, wie Wolle und Baumwolle,
befördere, durch die Beförderung der Nahrungs- und Genuß-
mittel sowie feinerer Qe Werbeerzeugnisse miilelsl der Aclisfuhr
entlastet und zur Bewältigung des Transportes von Massengütern
erst in den Stand gesetzt Es sei notorisdi, daB einerseits jetzt
weit mehr Güter als vor Jahren auf die Straüen kommen, daß
CS anderseits wegen Mangels an Vieh, der sich teils aus der jetzt
noch anhaltenden Teuerung, teils aus der noch vor kurzem herr-
schenden Infektion erkläre, in Tirol an den nötigen Rodfuhrleuten
fehle. Wenn also ein Kaufmann seine Güter nicht verfaulen,
sondern zur rechten Zeit auf die Märkte und Messen bringen
lassen wolle, so müsse er der Achsfuhr sich bedienen und könne
dabei auch den von den Rodfuhrleuten geforderten, oft ziemlich
hohen Überlohn nicht ansehen.
Dureh die Darlegung dieser Gründe wurde der Augsburger
Rat bewogen, das von den Roddeputierten gestellte Verlangen, den
Gebrauch eigener Achsfuhren von Italien heraus ganz zu ver-
bieten, abzuweisen und in dem 5. Artikel der neuen Rodordnung
die wechselweise Benützung der Rodfuhr und der Achsfuhr wie
bisher, doch unter der Beschränkung zu gestatten, dafl derjenige
Handelsmann, der durchaus die Rod gebrauche und dabei
■^^on einem der eigenen Achse vorübergehend sich bedienenden
«aufmann auf einer Rodstätte eingeholt werde, das Recht habe,
■«Jiesem Hiniermann um drei Rodstälten vorauszufahren. Ob
<i3icse offenbar schwer zu kontrollierende Bestimmung in der Folge-
zeit wirklich durchgeführt wurde, darüber hegen in den Rodwesen-
.Akten des Augsburger Stadtarchivs keinerlei Nachrichten vor. Auf
jeden Fall war aber der praktische Erfolg dieser Maßregel ein
^iehr problematischer, da gerade zu Beginn des 17. Jahrhunderts
<Jie Verschleppung der Rodfuhren, wie schon oben bcmerlrt^ immer
größere Dimensionen annahm.
Die letzterwähnlc Tatsache führte im Jahr löll zu einem
■ letzten Versuch der Anhänger des alten Transportsystems, mit
Hilfe obrigkeitlicher Bestimmungen den freien Verkehr möglichst
zu unterbinden, d. h. in dem gegebenen Fall das Hcrausroden
der Kauf mannsgüter aus Italien mittelst eigener Diener der Handels-
leute zu verhindern. Am 26. April I6II stellten nämlich die Rod-
deputicrten an den Augsburger Rat das Ansuchen, daß die Rod-
ordnung vom Jahre 1597 wegen der inzwischen merklichen Ver-
änderungen im Wollhandel — seit mehreren Jahren wurden große
Mengen von Wolle aus den Niederlanden und Frankreich statt
aus Venedig herbeigeschafft und dadurch der Verdienst der Gut-
fertiger sehr geschmälert - in mehreren Artikeln deklariert und
agcmehrt werden solle, um vor allem den gerechten Beschwerden
der Gutferliger abzuhelfen. Den letzterwähnten Punkt griffen
nun 23 Augsburger Kleinwollhändlefj die durch das Oebunden-
■■«ein der ihre Waren transportierenden Gutfertiger an die beiden
StraÜen durch Tirol gegenüber den nur die kürzere SlraÜe durch
das Katober fahrenden Großhändlern bedeutend im Nachteil
>Bcaren, mit Begierde auf, indem sie am 28. Mai 1611 an den Rat
von Augsburg die dringende Bitte richteten, den fünf Wollhändlem
Augsburgs, die zur Verführung ihrer Wolle aus Italien eigene
Oiener gebrauchten'}^ künftig solches zu verbieten und dieselben
r
■) Dlt Ninirn d<cwr tilnf Oroltliindler AugibunC* lui im« Zdt liml:
fnat Mnriuet, Billhu. Loreiu. Jalcob Scppmchmld, Ltika* Kliclier uitd Zwft.
S<hcff1«T, Die bdd'Cii erxlcrrri crkllrtcti lich auf du Ansuchen d« Slidtraln bereit, auf
^fctie Diener beim lomport ihrer OQWr ru venlchlcn und Eich dem KodirMCn lu unCM-
ttebcn; die dni leutseninnlen jnloch. die i. T. Klb« >U Deputierte über iii Rotli
Kvietit ■rartn, »verturiteii «uf ihrer Oplniftn,"
fl
344 Johsntics Müller.
anzuweisen, sich gleich den gemeinen Wollhändlem bei ih
Warentransporten der Qutferliger zu bedienen oder, wenn 'Ij^y '
Abschaffung der eigenen Diener der Großhändler nicht stattfinden
sollte, den Kleinhändlern zu gestatten, daß ihrer zwei oder drei"
zusammenstehen und sich einen eigenen Diener zur schnellen-
Lieferung ihrer WolEe aus Venedig hallen.
Begründet war diese Bitte der kleineren Augsburger
Wollhändler in folgender Weise: Die Gutfertiger müssen unter
den jetzigen Umständen oft viele Wochen, ja Monate auf ihre
Unkosten zu Venedig liegen ^ bis sie eine völlige Condutta
erlangen, und beschweren sich deshalb mit Recht über die
Becinlrächligung ihrer Nahrung durch die Groliwollhändler;
2) die kleineren Wollhändler, die steh für ihre Transporte
eine eigenen Diener hallen können, werden durch die rasche
Beförderung der Wolle der Großhändler m ihrem Geschäfte
insofern geschädigt, als letztere die rasch wechselnden Kon-
junkturen im Wollhandel durch rechtzeitigen Kauf und Ver-
kauf besser ausnützen können als die ersteren, die mit ihrer Wolle
kaum zweimal des Jahres aus Italien herauskommen. Obwohl
nun die Groliwollhändler in ihrer Replik auf dieses höchst merk-
würdige Ansuchen der gemeinen Wollhändler Augsburgs darauf
hinwiesen, daß die von den Wollhändlern eingebildete Intention,
die sowohl dem gemeinen Gebrauch und Lauf der Kommerzien
als auch dem II. Artikel der 1597er Rodordnung zuwider sei, mit
nächstem mit nicht geringem Spott der Ausländischen wieder auf-
gehoben werden müsse, und den Kleinen den Rat erteilten, um die
Konkurrenz mit den Großen zu bestehen, dahin zu trachten, daß
den Gutfertigem in der Rodordnung eine Präklusivfrist für die
Lieferung ihrer Wolle aus Italien gesetzt werde, so erachtete der
Rat von Augsburg in seinem Dekret vom 12. Juli 1611 .zu Für-
kommung aller Ungelegen heilen und Unordnungen und zu Er-
haltung des wohiangestelhen Rodwesens für das bequemste Mittel,
daß die eigenen Diener beim Herausführen der Wolle aus Italien
gänzlich abgeschafft und alle Wollhändler der bestellten Gutfertiger
sich zu gebrauchen angewiesen werden."
Mit diesem Ralsdekrel war »die Freiheit der Commerclen,
darob nervus rei publicae haftet", wie Daniel btengUn und Genossen
Augsburgs Warenhandel mit Venedig etc.
in ihrer Gegenschrift vom 26. September 1596 gegen die famosen
Vorschläge der damaligen Roddeputierten richtig bemerkt hatten,
fast ganz aufgegeben, den Augsburger Wollhändlern das negotium
und die Straße gesperrt^ dafür aber den fremden und ausländischen
Kaufleuten die Freiheit an die Hand gegeben.
Eine solche Einschränkung der Handeisfreiheit, wie sie der
Rat von Augsburg mit seinem Dekret vom 12. Juli 1611 statuiert
hatte, konnte unmöglich von langer Dauer sein; dieselbe ist denn
auch schon im Jahr 1627^ also nachdem noch nicht ein halbes
Menschcnalter seit ihrer Aufrichtung abgelaufen war, wieder be-
seitigt worden. Das Lehrreichste bei dieser Selbstkorrektur der
handelspolitischen Maßnahmen des Augsburger Rates ist nun aber
das, daü die Urheber des Ratsbeschlusses vom 12. JuH 1611 zu-
gleich die eifrigsten Befönrorter seiner Wiederaufliebung waren.
Am Q. Januar 1627 richteten nämlich die Wollhändler Augsburgs
an einen Ers. Rhat das unterth. Anlangen, wiederum eigene
Diener zu HerausfiJhrung ihrer Wolle von Venedig halten zu dürfen.
Da die Begründung dieses Schriftstückes nach den vorher-
gegangenen diametral enigegengesetzten Bemühungen der bie-
deren Wollhändler auf ein besonderes Inlwesse Anspruch machen
dürfte, 50 sei dieselbe unter Hinweglassung alles Nebensächlichen
hier dem Wortlaut nach mitgeteilt:
.Oleichwte aber ein solches (seil, die Abschaffung eigener Diener
beim Wolltransporl) deren damalen schwebenden zeit und läuff
halber erfolgt ist, also könden E: Oestr., günst u. gnäd. H. etc
wir in untcrthenigkcil nicht verhalten, daB es hierinnen eine große
mulation und endcrung gewunnen, dergestallt und also, daß, wie
man sich vor diesem der ordenlichen Rodstraficn mit spedvcning
der wollen durch die Fürstliche Grafschaft Tyrol gemeiniglich
gebraudit hat, bei jetzigen zeiten und Lauften maistentails der
Straß über Salzburg bedienen thut.')
*) Der Wec über S«Libure< ■I*a Obrr Tanris, ViUach. Frlmch oder Spittal. lUd-
Mdt und Wtrtm «iirde Uli du WccbHlKhrihm du R(>ildcrulimi:n und dcT iSbrigen
Auphu'srr Valihlndlcr tm Jahr 16)1 whon xnfitigB dc% IT. Jahrhundrrtt inn cimdnai
Ancrtwe«* KiuflraUa ttafl der hclden Tiraln StraUcn btnatu. Schon damals klaelen
dlodben übcrr dir grQnrrru Ünkoilpn (bei t tl. m«ht aul Jrden ZtnlnM- lU durch Tirol)
iLna Trimpotl« gt-gcnilber dem Tiansporl durch Tirol.
Demnach aber hiedurch die in wohlgedachter Grafschaft
Tyrol wohl und reiflich erwogene Rodordnung gar bald in abgang
gebracht, hernach aber ohne merkhchen Unkosten nicht wiedemmb
aufgerichtet werden möchte, in betrachlung, daß die Rodfuhrleut
bei abnemung der rodfuhren ihre roß und vieh, so sie derent-
wegen halten, verkaufen und allein ihrem feldbau abwarten, auch
wann schon bisweilen etwas von guetern bei ihnen ankäme, die-
selbige aus Ungeduld femer niclit als wie bisher verführen wur-
den, vermainten wir ein nützliches miltel zu sein, wann den
hiesigen wollhändlern sowohl als vor diesem zu herausführung
ihrer wellen aigene diener vergunt und zugelassen wurden, und
solches neben anderen erheblichen Ursachen auch darumb, die-
weil nicht allein angeregte Rodstraß durch die Graf-
schaftTyrol wiederumb in mehreren gebrauch gebracht,
sondern auch ein jeder wollhändler seine wolt vil
fürderlicher als durch die bestellte guetfertiger (welche
manchmal mit notwendigem gelt auf der stralien nicht fflrschen,
auch bisweilen ohnfleißige knecht haben) zu banden bringen,
auch sein dargeschossenes gelt des jahrs über desto
öfter umbkehren und zu nutzen anwenden köndte, da
er sonsten der guetfertiger halber seine war mit seinem
großen schaden oft manchesmal lange zeit antraten
mufi. Dieweiien dann noch über das jetziger zeit die stralien
nach Satzburg mit guetern sehr überhäuft, aber gar zu lang
unterwegs verliegen bleiben, auch dannenher der säum um etliche
g^ilden mehr als auf der Rod kosten thut, also gelangt an E:
Gestr. On. und großgünsl. herm etc. unser sambtliches unterth.
anrufen und bitten, die geruhen bei solcher gestalt und damit die
wollliandlung bei hiesiger Statt nicht noch mehr ab-, sondern
vielmehr zunehme, ') gnädig und günstig zuzulassen, daß wir uns
gleich als wie vor obangeregtem Dekret (doch denjenigen, so sich
der bestellten guetfertiger gebrauchen wollen, unpräjudicierlich)
zu herausführung unserer wolle von Venedig hinfürters wiederumb
aigener Diener gebrauchen mögen. Dadurch wird gemeine woll-
1 Nuh dem On-Ichl der cenKinm Wallhlntller vom 2S. Mal IQll wat die Zakl
der AugibiiTgvr Wainhlndln Im jähr lötl nur nocli halb to K^il irle dle^ic« ta Cade
dn 10. ^lüitlLandrrli.
handlungbcfürdcrt, derwohlbestellten Rodordnung nichts adrogiert"
»(Unterschriften von den 14 Wollhändlern Augsburgs jener Zeit.)
Der Rat von Augsburg beschloß am 14. Januar 1627 ge-
mifl dem Anlangen der Wollhändler »die Admitü'rung algner
Diener zu Herausführung ihrer Wollen von Venedig", und so
war denn wenigstens der ärgste Mißgriff des Augsburger Rates
I auf handelspolitischem Gebiet zu einer Zeit wieder gut gemacht,
in der die Anspannung aller wirtschaftlichen Kräfte dem süd-
deutschen Handelsem porium noch einige Aussicht auf die Be-
wahrung seiner hervorragenden Slellung in dem damaligen Welt-
handel bot Augsburg hat sich diese Sonderstellung unter den
süddeutschen Handelsplätzen im Zeitaller des DreilJigjährigen Krieges
bekanntlich nicht zu bewahren vermocht, sondern istim Verlauf dieses
I unheilvollen deutschen Bürgerkrieges von seiner stolzen Höhe so tief
I her^gesunken wie wenige deutsche Städte von ähnlicher Bedeutung.
" Gewiss haben die widrigen Schicksale der LechstadI
während des großen Krieges diesen wirtschaftlichen Niedergang
zum guten Teil herbeigeführt. Aber angesichts der fast un-
glaublichen Blölien, welche sich das Regiment der Stadt auf
dem handelspolitischen Gebiet vor dem Ausbruch des großen
Kampfes gegeben hat, wird wohl kaum ein Zweifel darüber be-
stehen, daU Augsburg auch ohne die unglücklichen Ereignisse des
Dreißigjährigen Krieges seine gebietende Stellung unter den großen
Mandelsplätzen Deutschlands verloren hätte. Das damalige Augs-
bui^rStadtregimenl wußte in dem sich eben anbahnenden Verkehrs-
wesen der Neuzeit die großen Rieht- und Zielpunkte, die auf dem
weiten, labyrintliisch verzweigten Meer menschlicher Handelstätig-
keit allein Steuer und Kompaß bilden, nicht herauszufinden, sondern
blieb vielmehr bei seinen handelspoliüschen Maßnahmen stets in
sklavischer Abhängigkeit von den jeweiligen Meinungen der Augs-
burger Kaufmannschaft Da der letzteren aber nach obigen Dar-
l^ungen im großen und ganzen eine tiefere Einsicht in das Wesen
der Volkswirtschaft mangelte, so mußte das von dem Augsburger
Rat eingeschlagene Verfahren zu den ärgsten Mißgriffen in der
Handelspolitik Augsburgs und schließlich zum Ruin des einst so
bliihenüen Handels der Stadt der Fugger und Welser führen.
348 Arthur Kopp.
Eine Liederhandschrift aus der
zweiten Hälfte des 17. Jahrh.
(Berlin, Mgq 720)
Von ARTHUR KOPP.
Mgq 720 besteht aus einem Vorsatzblatt, 143 schon bei der
Anlage durchgezählten Seiten (nebst leerer zu S. 143 gehöriger
Rflckseite) und drei zunächst ursprünglich frei gelassenen Blättern,
auf deren erste drei Seiten Meusebach das von ihm zusammen-
gestellte, alphabetische Register mit Bezeichnung der Nummern
eingetr^en hat Die Handschrift enthält, auch bereits nach ur-
sprünglicher Durchzählung mit römischen Ziffern versehen, 58
Nummern, dabei zweimal dieselben Lieder doppelt: 22 und 32
45 und 5a
Anfang und Schluß, S. 1 bis 63 No. 1 bis 27 und S. 133 bis
143 No. 54 bis 58, sind unverkennbar von derselben Hand ge-
schrieben; von einer zweiten Hand rühren S. 64 bis 121 No. 28
bis 47 her; zweifelhaft scheint es, ob man die dazwischen Uzen-
den Blätter S. 123 bis 127 No. 48 bis 50, S. 129 bis 132 No. 51
bis 53 (S. 122 und 128 leer) auf eine dritte und vierte Hand
zurückführen oder eine davon, vielleicht auch beide, mit der ersten
meistbeteiligten Hand gleichsetzen müsse.
Randbemerkungen Meusebachs geben zu mehreren Liedern
die Quellen an; die Handschrift gehört in die Zeit kurz vor 1700,
Lieder späteren Ursprungs kommen darin nicht vor. Von Druck-
werken bekannter Größen haben Christian Weises Überflüssige
Gedanken (1668 u. ö.) und Adam Kriegers Neue Arien (1676)
mehrfach beigesteuert; der Volkston schlägt öfter durch, obschon
Bestandteile von echt volksmäßigem Ursprünge nicht allzureich
vertreten sind. Studentisches Wesen ist hervorragend berück-
sichtigt; außer einigen auch sonst übeHieferten und neuerdings
Eine Liederhandschrifl aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. 340
»nehrfacb abgedruckten Liedern erweckt Interesse das dichterisch
■ninderwertige, kullurhislorisch bedeutsame Klagelied eines ge-
scheiterten Akademikers (No. 42). Ein paar Lieder sind zu schmutzig,
als daß sie wiedergegeben werden könnten. Bemerkbar machen
sich durch Eigenart noch zwei Tabaksgedichte, deren eins ,Was
ist doch in der Welt" doppelt in der Handschrift vorkomml, das
■ andere »Rosen und Violen" allen Kennern der neuem Schriften
über volkstflmliche Lieder wohlvertraut ist
Die Rechtschreibung ist, obschon es sich in dieser Hand-
schrift nicht um ganz ungebildete Schreiber handeln kann, fehler-
haft und verwildert; ohtie bisweilen ein wenig nachzuhelfen,
kommt man hier nicht weiter. Doch soll meistens die wenn auch
noch so willkürliche Schreibung unverändert bleiben, wo sie nicht
■ Stören kann; der ursprüngliche Lautbestand muß möglichst ge-
■ schont werden, um nicht ein falsches Bild von der Überlieferung
■ zu bewirken. Nur in so nebensächlichen Dingen wie Setzung
großer oder kleiner Anfangsbuchstaben, Unterscheidung von das
und daß, Schreibung von v statt u beim Wortanfang und ähn-
lichen Kleinigkeiten send stillschweigend neuere Grundsätze beachtet
Die Handschrift nach ihrem Entstehungsort zu bestimmen,
hält schwerer und bleibt zweifelhafter, als dieselbe in einen ab-
gegrenzten Zeitraum zu versetzen. Die studentischen Beziehungen
und ein Gedicht, das den zwischen Wolfenbüttel und Helmstedt
gelegenen Elmwald erwähnt, dabei gleichfalls aus dem Zusammen-
hange mit studentischen Verhältnissen hervorgegangen scheint,
weisen mit einiger Deutlichkeit nach der Helmstedler Gegend.
Wenn demnach das Kind mit besonderm Namen zu taufen wäre,
könnte man es füglich Helmstedter Liederhandschrift nennen, und
so würde von dieser nun längst (seil 1809) eingegangenen Uni-
_ vcrsität ein ähnliches, wenn auch lange nicht so bedeutendes Do-
I kument vorliegen, wie es für die gleichfalls (auch 1809) aufge-
hobene Hochschule von Altdorf durch die Liederhandschrift des
Freiherrn von Crailsheim geliefert ist
No. 1:
L Sinn und Witz hat der verlohren,
Der da Lust zum Ehslandt trägt,
350 Anhur Kopp
Der ein freyer Mensch gebohren
Und sich selbsl an Ketten legt,
Der da selbst nach Unglück ringet
Und zum Sdaven sich verdinget,
In dem er sich gar zu fest
Durch die Eh verbinden läüt
2. Denn -»ofOr darf ich jetz sorgen
Als vor meinen eignen Leib,
Frey ich heut, so muti ich morgen
Auch &dion sorgen vor das Weib;
Ach wie süß schmeckt doch das Lieben,
Das ohn Pfaffen wird getrieben,
Denn kompt erst der Pfaff dabey.
Wird aus Lieben Sclaverey.
3. Mein Pferd geht auf allen Weyden,
Alles Graß ist ihm gesund,
Meist mich eine ihr Feld meyden,
Geh ich fori und wisch' den Mund,
Dank für das was ich genoßen,
Bleibe danimb unverdroßen,
Suche meinen Aufenthalt
Wiederumb In frischem Wald.
4. Gelt, mich wird kein Haber stechen,
Soll ich täglich Schule thun,
Ringel rennen, Lanzen brechen
Oder doch auf türkisch nun
Mit den Schevalinen werfen
Und mein Eysen stündlich schärfen,
Stets in Stich und Springen gehn,
Soll ich wie ein Man bestehn?
5. Edle Frcyheit, halbes Leben,
Die du bist der beste Schatz,
Den der Himmel uns gegeben,
Du behältst bey mir den Platz,
Freies Leben, freies Küssen
Eine Liederhandschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. 351
. Und dafür nicht dürfen büssen,
Küssen wenn es mir gefält
Ist das beste auf der Welt
6. Alle Lust kan ich genießen,
Kein Kuß ist für mich zu scharf,
Es mag wen es will verdrießen.
Wenn ich mich nur nennen darf;
Komm ich in der Ehieut Orden,
Und bin gleich ein Vatter worden,
Muß ich doch auf Hoffnung bloß
Frembde Kinder ziehen groß.
7. Was ich jetz aus Lieb verrichte,
Wird Tribut und Schuldigkeit,
Wenn ich mich der Frau verpflichte,
Den[n] sie gehen gar zu weit.
Was die andern Liebe nennen.
Wollen sie vor Pflicht erkennen;
Nur weg mit der Sclaverey!
Wer da kan der bleibe frey.
8. Brüder wolt ihr mich recht hören.
Flieht den Ehstand wie die Pest,
Last euch durch kein Weib bethören,
Ehstand ist ein Hummel-Nest,
Darinn mancher Honig suchet
Und hernach das Nest verfluchet,
Weil er darinn nichts antrifft.
Als nur Stacheln. Staub und GiffL
9. So lang als man noch bestehet
Wie ein Mann recht in der Welt,
So lang als von statten gehet,
Waß der Frauen wohl gefält,
Soll man ja den Ehstand meiden.
Weil das Alter doch mus leyden.
Will ich alt, grau und verstart
Lieber seyn als jung vemart
4 No. 2:
1. Es leuchtet der schönen Amönen Gesichte,
Als breche mit Wonne die Sonne herein.
Die Augen so strahlen mit brennenden Lichte,
Die werden auf Erden mein Morgenstern seyn,
Die Weide, die Freude der Augen ist Sie,
Am6na die schöne die treffliche Die.
2. Die Antvort der schönen Amönen der süssen
Kan immer von neuem erfreuen mein Herz,
Sie lasset mich blöden der Liebe genies[slen,
Womit ich vertreibe den plagenden Schmerz,
Der Himmel soll zeugen, mein eigen ist Sie,
Amöna die schöne die treffliche Die.
X Ich (rücke der schönen Amönen die Hände,
Und rühre ihr prangendes Wangen-Feld an,
So treiben wirs beyde behaglich ohn Ende,
Sie lasset sich wiülig wie billig umbfahn,
Wie Seide zum Kleide noch schöner ist Sie,
Amöna die schöne die zarteste Die.
4. Es lasset die schöne Amöna sich iaissen,
Von keinem als einem, derselbe bin ich.
Was andern beliebte]! und müssen vermissen.
Mit dicssen erfreuet und labet Sie mich,
Sie lieb ich auch innig und küsse nur Sie,
Amöna die schöne die süsseste Die.
5. Amöna wird billig die schöne genen[ne]t,
Ich darf mich ja üben im lieben bey ihr,
Eß hat mir die nette ihr Bette vergön[nlet,
Drumb lob [ichl und preis ich die trefliche Zier,
Ich bleib ihr ergeben, mein Leben tsl Sie,
Amöna die scliöne mein Eigenthumb Die.
S, 6 No. 3:
l. Ich schifft wohl übern Rhein,
ich schifft wohl übern juck juck juck,
ich schifft wohl übern Rhein
Eine Liederhandsdirift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrb. 353
auf einem Lügen-blättelein,
schneldri beldri juck juck juck,
zur herz allerliebsten gir gir gir,
zur herz allerliebsten mein.
2. Und als ich nieber kam . . . ||
da krähten al die Hähne . . . ||
der helle Tag brach an.
3. Ich kam fürs Liebgens Thür . . . ||
die Thür war zugeschlossen . . . ||
der Riegel lag dafür.
4. Schöns Liebgen laß mich hinein . . . ||
ich hab so lang gestanden . . . ||
erfroren möcht ich seyn.
5. Ich lasse dich nicht ein . . . ||
du gereds mir den[n] die Treue dein . . . ||
darnach laß ich dich ein,
6. Die Treu gered ich dir nicht . . . ||
ein klein wenig will ich dich lieb han . . . ||
aber nehmen mag ich dich nicht
7. Sie steckt ihn hinter die Thür . . . |I
biß Vatter und Mutter zu Bette wehm . . . ||
darnach zog sie ihn herfür.
8. Sie führt ihn auf das Haus . . . ||
sie band ihn Hand und Füße . . . ||
zum Fenster warf sie ihn naus.
9. Er fiel auf einen Pflock . . . ||
er fiel drey Ribben im Leib entzwey . . . ||
Darzu ein Loch in Kopf.
10. Der Fall der thät ihm weh . . . ||
gehab dich wohl mein feines Lieb . . . ||
zu dir komm ich nicht mehr.
Ardilv m KnltUTKeschlchtc. I, 3. 23
354 Arthur Kopp.
11. Schöns Lieb verred es nicht . ■ . j|
wenn dir der Schad geheilet ist . . . ||
das naschen lästu nicht
12. Und da der Tag anbrach,
und da der Tag an juck juck juck,
und da der Tag anbrach,
da sprach er ich mus wieder hingehn,
schneldri beldri juck juck juck,
und wo ich nächst gewesen bin,
da mus ich wieder gir gir gtr,
da mus ich wieder hin.
Vgl. Wolkan, Liederbuch aus d. 16. Jahrhundert: Euphorion
6,656 in 10 Str., 1-6 entspr. d. Hdschr. 7te: .Der Schwestern,.
der war drey störendes Einschiebsel. 8— 10 entspr. Hdschr. 8— 10.
Hilarius Lustig von Freuden-Thal, Zeitvertreiber Nr. 194 in
18 Str. u. ö.
S. 9 No. 4: Ich ging auf einer wießen i mit mei ner
Rosilis ... 13 vierz. Str. Neu Weltliches Lieder-Büchlein No. 17;
Hans-guck-in-die-Welt Nr. 10; Zeib^ertreiber Nr. 178; Mgo 231:
Clodius, Hymni Studios. 1669 S. 22; Mgq 722: Liedersammlung
des Frh. v. Crailsheim 1747 S. 466. FI. Bl. London, Brit Mus.
11,522 df 71: „Drey schöne newe Weltliche Lieder« 1663. -
Kopp, Volks- u. Studenten-Lied S. 196.
S. 12 No. 5: ich streif in wäldern hinn und her und
übe meine lust ... 5 zehnz. {in der Hdsch. 8 z. abget.) Str.
ttt Jagdlied mit erotischem Sinn.
S. 13 No. 6: Gestern lag ich auf dem bette i einen
mittag schlaff zu thun ... 8 achtz. Str. fft Vgl. Mgq 722
V. J. 1747 S. 191; Jena, Univ.-Bibl. Ms. Bud. f. 352. I: Bl. 15b
in 14, und noch einmal ebenda Bl. 61a in 9 vierz. Str. Einzel-
drucken, welche das Lied bringen, begegnet man Öfter; die König-
liche Bibliothek zu Berlin besitzt solche in größerer Zahl. —
Kopp a. a. O. S. 102. -
Eine Liederhandschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrb. 355
Der Schreiber der Handschrift muß ebenso wie derjenige der
Jenaer das Lied in mehr als einer Fassung gekannt haben; er
gibt zu den ersten fünf Strophen Varianten und schreibt nach der
fünften Strophe an den Rand: .NB. andere schliessen dieses Lied.
mit dieser Strophe: 6. Endlich zog ich leise abe' . . .
S. 16 No. 7: Seht doch des Amors bauer poflen. .
6 sechsz. Str. ftt
S. 18 No. 8: Guten Abend liebstes Kindt ... 16 vierz.
Str. — Christian Weise, überflüssige Gedanken 1668, 1673 (u. ö.)
V. Dutzend, No. 12, Str. 1 bis 13, 28, 29, 32 von 46 Strophen
im ganzen.
S. 2! No. 9: Als die Venus neulich sasse ... 10 sechsz.
Str. — Zeitv. No. 21; Hansg. No. 18; vgl. Hoffmannsw. I 1695
S. 328, 1725 S. 341 u. ö. - Kopp a. a. O. S. 161 u. 273.
S. 24 No. 10: Daß ist mein blut nicht war i das ich
verliebet sey ... 7 vierz. Str. ttt
S. 25 No. II:
1. Eins stund ich auf des Morgens früh
Und ging in Garten sonder Müh.
Latton iton dara dire lire litton.
2. Da begegnete mir ein Edelman,
Der sprach mich umb ein Küsgen an.
Latton iton dara dire lire litton.
3. Ach mein Herr das kan nicht geschehn,
Mein Man der möchte sauer sehn.
Latton iton dara dire lire litton.
4. Herr seyd ihr toll was kompt euch an?
»Bin ich den toll, so sey es dan.«
Latton iton dara dire lire litton.
5. »Bin ich den toll, so mache mir
Den armen Man zum Hörner-Thier."
Latton iton dara dire lire litton.
23*
5. Meine Frau küß ich wen mirs gefält,
Das Mäügcn, so sie stille hält
Latton ilon dara dire lire litton.
S. 26 No. 12: Coridon. 1. Fillis kanstu dich besinnen i
Dencksl du noch an dein beginnen . . . FiUis. 1. Ja ich weis noch
wohl dein bitten, | Deine recht verbuhlte Sitten . . . zweimal
8 sechsz. Str. = A. Krieger, Neue Arien 1676, II 7. Die I. Voce
enthält außer der Melodie und dem Anfang «Fillis kanstu dich
besinnen" nur die 8 Antwortstropheti der Fillis. Die II. Voce
bietet die S ereten Strophen, die dem Coridon in den Mund ge-
legt werden.
S. 30 No. 13: Florellgen geh mit mir in garten, I die
Pläiungen seynd [schon] pumpelweich ... 8 vierz. Str. ftt
Pflaumenlied mit obszöner Bedeutung, eins von den vielen der-
artigen, zum Teil noch fortlebenden, zum Teil stets neu wieder
aufschieüenden; im Jahre 190] war allgemein verbreitet ein ob-
szönes Pflaumenlied mit dem Kehrreim „An jenem Baume ! Hängt
eine Pflaume" u. 5. w. Siraßenhändler verkauften Ansichtskarten
mit dem scheinbar ganz harmlosen Bilde der berühmten Pflaume,
wobei das Anstößige nur in der Beziehung auf das als bekannt
vorausgesetzte zweideutige Lied steckte.
S. 32 No- 14; Ich armer hausknecht habe nun | Mein
Amptgen angenommen ... 9 sechsz. Str. = Weise, überflUss.
Gedanken II 5; vgl. Liebes-Rose (76 Lieder enthaltend o. J.)
No. 19 (8 Strophen). .
S. 34 No. 15: Ich will es nicht achten, ich will es
nicht thun ... 6 sechsz. Str. = A. Krieger, Neue Arien 1676,
111 6 Zusatz.
S. 36 No. 16: Ihr flammenden haare, 0 schönste
lieblichkeit 1 Vnd güldene waare, wie habt ihr mich erfreut
8 Str. = Krieger, ebenda II 8. (Schluss folgt.)
Müzellen.
*
Miszellen.
Über Kinderselbstmorde im Anfange
des 19. Jahrhunderts.
Von Dieudonnc.
Zu den betrfibendstcn Zeichen unserB j-nci^'ösen" Zeitalters gehört
die in steter Zunahme begriffene Häufigkeit der im kindlich- Jugend liehen
Alter stattfindenden Jugendselbstmorde. Nach EuJenburg betrug die
Zahl der Selbstmörder unter 20 Jahren in Preußen, auf je 100000
Lebende berechnet: im Jahre 1876 21,2, im Jahre 1877 23,0, im Jahre
1878 24,1, im Jahre 189Ü war diese Zahl bereits auf 32,0 gesti^en, also
«n Anwachsen um fast genau 50 Prozent im Verlauf von nur 20 Jahren.
In Berlin, allein betrug im Jahre 1896 die Zahl der Selbstmötxler unter
20 Jahren 43.
Dass aber diese Kinderscibsl morde keineswegs nur in unserer Zeit
vorkommen, ergibt sich aus einer im Anfange des 19. Jahrhunderts er-
schienenen statistischen Arbeit von Casper; Über den Selbstmord
und seine Zunahme in unserer Zeit. (Beiträge zur medizinischen
Statistik und Staatsarzneikuiide. Berlin 182ä). Casper weist darauf hin,
daß mit den Fortschritten der Kultur und mit der zimehmenden Ver-
feinerung der menschlichen Oescllschaft auch die Neigung zum Selbst-
morde in ihr wachsen müsse. .Nirgends zeigt sich diese Schattenseite
der Kultur wohl greüer, als wenn *ir die fast unglaublich scheinende
Zunahme der Kind «selbst morde in den neuesten Zeiten betrachten. In
<lcn zehn Jahren von !788 bis 17y7 hatte sich in Berlin ein einziger
Knabe durch den Strang das Leben genommen; in den zehn folgenden
Jahren von 1798 bis 1807 zählten die Listen schon drei Knabcnselbst-
morde und in den zehn Jahren von 1812 bis 1821 fanden sich schon ein*
unddrciBtg Selbstmorde aufgeführt, bei denen bemerkt wird, daß sie
von (3) Knaben und (2S) Lehrlingen vollzogen wurden!! Leider! zeigt
sich diese Erecheinung, welche beweist, zu wie furchtbaren Resultaten
eine zu rasche Treibhaus- Erziehung führt, die zu früh Gefühle und An-
sichten weckt, welche der unreife Verstand noch nicht gehörig zu be-
herrschen vermag, und wie tiefverderblich von der anderen Seite eine
verwahrloste Erziehung junger Menschen werde, die doch einmal im
Zeitalter der Kultur - und der krankhaften Exaltation aufwachsen,
leider, sage ich, zeigt sich diese beklagenswerte Erscheinung nicht etwa
bloli in Berlin, sondern auch andere Orle geben traurige Belege dafür."
3sa
Mtszellen.
Von den von Casper erwähnten Fällen von Kinderselbshnorden seien
folgende angeführt. In Oleissen (Neumark) erhiSngte sich im Au(^
1820 ein Vieh h&tender Knabe an einem Baume aus Lebensüberdniss-
Der vierzehnjährige Ochsenjunge zu Liebenov erhängte sich im Dezember
1821, weil CS ihm zu schwer wurde, die vom Prediger aufgegebenen
Sprüche ru lernen. Am 21. Mai 1822 machte der Lehrling 8. in einer
Handlung zu S. {Regierungsbezirk Frankfurt) den Versuch, sich zu ent-
leiben, indem er ein bloß mit Pulver geladenes Pistol in den Mund
setzte und abschoß. Da hierdurch bloß starke Verbrennung der Mund-
höhle erfolgte, so schnitt ef sich mit dnent Pacfcniesser in den Hab
nach dem Genick zu. Als auch diese Verwundung; nicht zum Zweck
führte, lud er das Terterol «im zweiten Male und schoH es gegen die
Slime ab, wodurch die Hautbedeckungeti zerrissen wurden, lieber-
Spannung und falsches Elhrgefühl sollen die Triebfeder gewesen sein.
Am 7. Dezember 1823 erhängte sich auf dein Vorwak in Corsenz (in
Schlesien) der Dienstjunge A., sechzehn Jahre alt, weil seine Dienst-
kameraden deshalb, weil er einem Marionettenspieler ein E^ckchen Tabak
entwendet, gedroht haltem, nicht mit ihm dienen zu wollen. Ein Knabe
von dreizehn Jahren in einem Dorfe des Kreises Halle erhängte sich
(1824) mit seinem Halstuche bloß deshalb, weil er daran verzweifelte,
etwas zu lernen und zu begreifen. Am 5. März 1821 vergiftete sich der
siebenzctin jährige Lehrbursche des Buchdruckers K. in Breslau mit Opium,
das er sich zu verschaffen gewußt halte und das er auf zweimal in
Branntwein zu sich nahm aus Lebensiiberdnii), well er noch anderthalb
Jahre zu lernen hatte. Am 21. Oktober 1821 versuchte die zwölfjihrige
Pflegetochter des Tagelöhners R. in Breslau sich am hellen Tage in der
Oder zu ersäufen, angeblich aus Furcht vor Strafe, weil sie eine Kaifee-
tasse zerschlagen hatte. Am 12. Februar 1822 fand man den sechzehn-
jährigen Sclmeiderburschen R. in einer Kirche in Breslau unter den
Bänken, er gestand, dafi er von seinem Meister entwichen sei und eine
Flinte mitgeil onimen habe, um sich zu erschießen, wozu er auch schon
den Versuch gemacht, weil er einen Stock entwendet und verkauft hatte.
Am 21. März 1820 versetzte der wi^en Herumtreibens im Arbeitshause
in Berlin sitzende Korbmach er lehrling K- «aus I.ebensöherdrufi" dem
gleichfalls im Arbeitshause sitzenden Knaben T. mit einem Messer zwei
Stiche, Die dreizetin Jahre alte Tochter des Schleifers N. in Berlin ent-
wandte am 27. November 1820 einer Freundin 3 Thaler 18 Qr. und, aU
diese es entdeckte und dem Vater anzeigte, erhängte sich die kleine
Diebin auf dein Boden des Hauses. Aehnlich ist der versuchte Sellwl-
mord eines gar nur 12 Jahre allen Kindes, der Stieftochter des Seiden-
wirkers Q. in Berlin, die sich am 2. Mai 1821 in die Spree stürzte, um
sich zu crb^nken, weil sie eines von ihr begangenen Diebstahls wegen
von ihrem Pflegevater Züchtigung fürchtete. Der Sclmsterlehrling G.
in Berlin, achtzehn fahre alt, entleibte »ch am 24. Mai 1824, wahr-
I
I
I
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scheinltch aus Furcht vor Strafe, da er bei einer Schlägerei mit seinem
Kameraden diesen blutig geschlagen halle, auf dem Appartement des
Hauses durch Oeffnung der Pulsadern am Halse. Im Jahre 1S18 nahm
sich sogar ein erst acht Jahre altes Kind, von dessen näheren Vcr-
hällntssen nichts bekannt wurde, das Leben.
-Vor diese Oatlerie von KindeRcIbstmördem im Bildersaal der Ge-
schichte der neue&ten Zeit', setzt Casper hinzu, «führen wir die Jugend-
lehrcr und die Wächter für das körperliche und geistige Wohl des Volkes.
So ist denn in unserer Zeit fitrclitbarer Ernst geworden, was Claudius,
den verschrobenen Jflngling Werthtr parodierend, vor fünfzig Jahren
noch in saliriscli-schcrzhafter Ucbcrtreibung dichtete;
Nun mag ich auch nicht länger !d>en,
Verhaßt ist mir das Tageslicht,
Denn sie hat Franze Kuchen gegeben.
Mir aber nicht.
Jeder Zusatz wäre hier überflüssige Dcldamation,"
Casper sieht in diesen Kinderselbstniorden einen schlagenden
Beweis für den EinHuss des Luxus und aller geistigen und sittlichen
Exzentrizität seiner Zeit. Für die Häufigkeil der Selbstmorde im Anfang
des IQ. Jahrhunderts spricht auch das Vorhandensein von .Gescllsdiaften
cler Freunde des Selbstmordes", wovon Casper einige Beispiele an-
fahrt. So erschoß sich im Jahre 1817 ein Seh losserme ister F., Vater
von vier unmündigen Kindern. Er war das letzte Glied einer freund-
schaftlichen Gesellschaft von sechs Personen, deren Grundsatz Selbstmord
gewesen. Drei von ihnen hatten sich m N. in ihren Wohnungen, der
vierte auf dem Grabe seiner Frau daselbst, der fünfte in Eislcben, der
wechsle in Mainz erscliossen. Acht oder neun Jahre hatte ihre freund-
schaftliche Verbindung slattgefunden. Sie schlössen sich ßberall anein-
ander, an öffentlichen Orten hielten sie stets zusammem und man hörte
sehr oft die Grundsätze des Selbstmordes von ihnen anpreisen. Ihre
übrigen, weniger vertrauten Freunde fanden in diesen Aeußcrungcn
einen tächerlicheci Heroismus und wurden nur erst aufmerksam, als der
x«'cite und dritte Selbstmord erfolgte. In Paris halte $ich ebenfalls an-
fangs des IQ. Jahrhunderts eine .Gesellschaft der Freunde des Selbst-
mordes" gebildet, deren Mitglieder sich bis auf zwölf bcliefcn- All-
jährlich wurden nach ihren Gesetzen die Namen derselben in eine Urne
gemischt und durch das Los derjenige bestimmt, der sich in Gegen-
wart der übrigen das Leben zu nehmen hatte. »Jedes Mitglied dieser
Gesellschaft soll erstens ein Mann von Ehre sein, zweitens soll er Er-
fahrung haben von der Ungerechtigkeit der Menschen, der Undankbar-
keit eines Freundes, der Falschheit einer Gattin oder Geliebten und
drittens muss er seit Jahren eine gewisse unbezwlng liehe Leere in der
Seel«, ein Missbehagen an allem haben, was die irdische Welt bietet"
Hlnwel« auf ■achslich-famtlehe Che- und Braut«Unds>
bricffl dea i6. Jahrhunderti. Auf die den kvdrd igen Etieliriefe des
KuHürsleti Moritz zu Sachsen, aus den Jahren 1547-53, habe ich im
„Archiv för die sächsische Geschichte" {N. F. VI. — 1880 — , insb«.
133," i. Verb. m. 138" u. 141/2) bereits nachdrücklich hingewiesen; hier
mache ich auf die zwischen dem Bruder jenes, dem fast 60 jährigen Witwer
und kinderreichen August, und der 12jährigen Agnes Hedvig von
Anhall während deren Braulstandszeil (Ende 1586), gcwrchsellen auf-
merksam. Dieselben werden im K- S. Hanptstaatsarchive (man vergl.
Abt. IM., Bd. 51a) aufbewahrt. — Tbdr. Dstl.-BlsTtz.
Das Rebhutin, dem Kurffirstcn August ein ml ndenr artiges
QedOgel- Zur überaus prächtigen, 1561 in Leipzig gdeieiten Hoclizdt
des Prinzen Wilhelm von Oranien mit dem einzigen hinterbliebenen
Kinde des Kurfürsten Moritz zu Sachsen, Anna, hatten die zur Dienst-
wartung verschriebenen Vasallen u. a. sich zv befleilitgen, Federwildpret,
namenttich Rebhühner, einzuliefern, Der Onkel der Braut, August, hat
dazi) die Randbcmcrloing gesetzt: „Obschon es etwas schimpflich, auch
gastieren läßt" — Tbdr. Ostl.-BlsTtz.
„Zu Abwendung Qberleler Feilte, ein nflzUch Exerdtlum
corporla" sollte, nach einem Befehle des sächsischen Kuradministrators
Friedrich Wilhelm, das (1597) für die Prinzen, insbesondere für den
Herzog Christian (1.), zu Dresden zu errichtende Ballhaus dienen. —
Thdr. Dstl.-Blswtz.
Zum Zustande des Kamburger Theater* vOr der Spiel-
zelt der Neuberln daselbst (1735} gibt der Zettel vom 13. April
gen. Js. einen charakteristischen Beitrag, Es heißt dort: „Den Herren Zu-
schauern zur besseren Bequemlichkeit ist der erste Flat^: Parterre') auf
meine Kosten neu gebaut, erhöht, eben und rein gemacht, so daß man
viel besser, als sonst, gehen, stehen, sitzen und zusehen kann, ohne zu
besorgen, daß man sich die Kleidungen schmutzig mache." —
Thdr. DstL-Blswti.
Ein Zahlsnscberz auf einem Itteren Gamaida.
Das Porträt des I7l)Q gestorbenen Rechen mcislers John(e) (bei der
Schützen -Gesellschaft zu Leipzig) trägt folgende Figur:
2
9
4
7
6
5
1
_3_
3
Ich bemerke dazu, daß je drei unter- und nebeneinander, sowie
die in den Diagonalen stehenden Zahlen zusammen 15 ergeben; man vgL
auch Leasings Kollcktancen. — Thdr. D5tl.-Blswtz.
■) Hier hitlm Dunen kein SHtieehÜ
4
Besprechungen.
Besprechungen.
Karl Lampr«cht, Deutsch« Oeschichtc. Ergätizunßsband I. und IL,
I. Hälfte (A, u. d. T.:) Zur jüngsten deutschen Vergantjciiheit. Bd. I:
Tonkunst, Bildende Kirnst, Dichtung, Weltanschauung. Bd. II, 1 : Wirf-
schaftsLcbcn, Soziale Entwicklung. Freibiirg i. Br., H. Heyfelder, 1902,
1903 (XXI. 471 S.; XVIII, MO S,).
Die Wendung Lamprechts auf die jüngste Oegcn-rart hat sicher-
lich den FachgcHossen allgemeine Überraschung bereitet. Man enrartclc
sdt langemeine unmittelbare Fortsetzung der Darstellung, die er 1895 bei
Bd. V, 2 abgebrochen hatte, und wohlwollende Beurteiler meinten wohl
auch, daß ein besonders tüchtig fundatnentlerter neuer Band besser als
theoretische ErörterunKcn. die einen rechten Widerhall nicht fanden,
dem so scharf angegriffenen Werke förderlich sein würden. Daß freilich
die Sache mit den ursprünglich angekündigten sechs Bonden nicht durch-
geführt werden konnte, war klar. Immerhin ließen sich im bisherigen
Rahmen nur etwa zwei Bände erwarten. Statt dessen hal nun Lamprecht
eine vollständige Umkrempeln iig sein« Werkes vorgenommen und über-
dies den Schlufi zuerst veröffentlicht: die Gründe mag man. ausführIJcIl
im Vorwort zum ersten Ergänzungsband nachlesen. Mir erscheinen sie
aber doch ein wenig künatlich. Indes haben wir danach nicht weiter zu
fragen, sondern zu konstatieren, daß L. für die „neuere" und „neueste"
Zeit mehr Binde braucht, als er ursprünglich beabsichtigte, daß die
„Darstellung des individualistischen Zetlallers (vom 16. bis etwa zur Mitte
des 18. Jahrhunderts) auf vier Bände, die Daretellung dci darauf folgenden
subjektivistischen Zeitaltere auf ebenfalls vier Bände erweitert worden", «der
Anschluß an die Gegenwart endlich durch zwei Ergänzungsbände her-
gestellt" worden ist, „deren einer von der Tonkunst, bildenden Kunst,
Dichtung wnd Wel tausch aming der jüngsten Vergangenheit sprechen soll,
während der andere von Wirtschaft, Gesellschaft, Reich und Volk (dieses
im weitesten Sinne auch auQcrhaib der Reichsgrenzen genommen) berichten
wird". Die beiden Ergänzungsbände legt uns L. nun zuerst vor, wohl
hauptsächlich, weil er, selbst für alle Strömungen der Gegenwart lebhaft
intcressierl, bei einer historischen Analyse derselben nach seiner Art wohl
das allgemeinste Interesse der „Modernen" für seine gesamte Gcschichts-
MiKhauung, die daher auch wiederholt des breiteren dargelegt wird,
erhofft. Jedenfalls ergibt die neue Anlage des Ganzen eine ganz andere
Ausführlichkeit der Darstellung als in den früheren Bänden. ÄuÜerlich
tritt das T. B. in folgendem hervor. Während man im Text der ersJcn
Bände auch die Namen selbst der bedeulendstcn Qewährsnilnner, aur
die sich [jmprechl zuteilen sehr ausgiebig sl&tzt, nicht erwähnt findei -
und in eine flieliende Geschieh tserzaliluiig gehören sie im ganzen auch
nicht hinein -, finden wir bei diesen Erg-anzunjsblnden (immer ist
nur vom Text die Rede) nicht etwa nur bekanntere Namen wie den des
von Lamprecht stark benutrten R. M. Meyer, sondern wir lesen auch Sätze
wie diese: „Das Ganze der neuen Musil« hat dann neuerdings Ritiseh
einer literarischen Untersuchung imlenporfen". Im zweitt-n Bande wird
einmal HflSpach (Verfasser eines Werkes: KnUurproblcme der Oegenwart!)
mit einem „Iraurigeii Wort" herangezogen u, s. w. Doch das nebenbei.
Die G^cnwart, die Zeil, die die beiden Ergänzungsbände behandeln,
nennt Lamprechl — seine Nomenklatur für die früheren von ihm angenom-
menen Zeitalter des Seelenlebens setze ich als bekannt voraus — „die Periode
der Reizsamkeit" (Bd. I, S. VIII). Näher vird das auf Bd. I. S. Vi ausgeführt.
Ich kann mir dabei nicht versagen, eine von Lamprecht doch wohl gekannte,
aber nicht genannte Stelle aus dem Schluß meines 1S93 erschienenen
Vortrags „über den Wandel des deutschen Gefühlslebens" vorher an-
zuführen. Es heiBt bei mir u.a.; „Ein Stichwort für den Charakter des
modernen Gefühlslebens zu geben ist eine unsichere Sache. Aber es
scheint, dali das Wort, das man so vielfach hört, und das man heute
mit besonderer Vorliebe auf das Fühlen tind Empfinden der Zeilgenossen
anwendet, das Wort „Nervosität" in der Tat zu einem solclien Stidiwort
gemacht werden kann, „Nerven" in unserem Sinne haben unsere Vor-
fahren nicht gehabt . . . Erb hat kürzlich den Einfluß der Zeitverhättnisse
auf die Nervosität dargelegt .... Aber er behandelt wesentlich die
pathologische Seite der Erscheinung, die ja nicht zu leugnen »st Ein«
pathologische Bedeutung will ich aber dem Wort, wenn ich es zur Be-
zeichnurig des modernen Gefühlslebens überhaupt verwende, nicht geben.
Die größere Reizbarkeit und Empfindlich keil . . . kann sehr wohl
bestehen und besteht, ohne dall unser Gefühlsleben dadurch krankhaft
geworden ist,- Laimprecht sagt: „Das jüngste groli^ Zeitalter deutschen
Seelenlebens . . . geht . , zu den modernen Zuständen über, die psydiisch
längst als die der Nervosität erkannt sind. Man darf dabei mit dem
Worte „Ner\'osi1äl" nicht ohne weiteres den Begriff des Krankhaften ver-
binden: es handelt sich nur um ein uns in verslirkter Weise bevußt
gewordenes Leben der Nerven, das man vielleicht besser, da emmal das
Wort „Nervosität" bestimmte Neben Vorstellungen erweckt, für den hier
gemeinten Sinn mit dem Worte ,Reizsamkeit' vertauschen wird". Dieser
atsy bezeichnete „Charakter des Seelenlebens" „beherrscht nun die Zeit".
Diese „seelische Oesamthaliting" ist für die Kunst maßgebend wie für
die Dichtung — in beiden äußert sie sich in verschiedenen Formen des
Impressionismus, welcher Begriff hin und wieder für den der Rcizsamkdt
direkt eingesetzt wird-, mit ihr hängen aber auch ,,die modernen ethischen
Besprechungen.
und melaphysi sehen Anschauungen, wie die Entwicklung der Psychologie
und Erkenntnistheorie und die Anfänge einer neuen Wissenschaft" zu-
sammen. Das 2eigt sich bei dem „Wiedergeburtsgedankcn, der die sittliche
Bewegung der Gegenwart beherrscht". «He auf metaphysischem Gebiet
bei der „modernen Sehnsucht nach Befriedigung der Seele in fester und
frommer Weltanschauung". „Auch dieWi&sensthaft folgt diesem Charakter".
und ein gleiches gilt für die , ,soge:;annte materielle Kultur" in ihrem
.Zusammenhange mit der sogenannten grisligen".
Die Art nun, vie Lamprecht, was hier ftberhanpt „zum erstenmal"
geschehen soll, die „lieferen Probleme der jüngsten Kulturentwicklung
zu bcrälligen sucht", die Einschachtelung der Erscheinungen unter be-
stimmte Begriffe ist seiner Ansicht nach ohne Zweifel die einzig wisseM-
schaftUche. Wir finden LiUencrons erste Periode als Beispiel eines
,, naturalistisch -physiologischen Impressionismus", seine zweite Periode
als das eines „idealistisch-physiologischen Impressionismus" bezeichnet; den
,,naluralisli seh -psychologischen Impressionismus" finden wir in der ,, ersten
Ali der Dichtergnippe um George und hofmannslhal; den .jidealistisch-
psychotogi sehen Impressionismus" in der zweiten Art dieser Gruppe. Es
fibt auch einen „neurologischen Impressionismus", und wir hören von
einem „individualpsychologischen" wie einem .sozial psychologischen Im-
pressionismus". Solche Terminologie ist Laniprechts Freude und manch
anderer Leute Ärger. Das letztere weiß er auch ; er kommt einmal darauf,
(laß fdcatismus und Naturalismus zu allen Zeiten vorkommen und daft
man (entsprechend seinen „fünf Zeitaltern der Entwicklung der nationalen
PBydie")„voneinemsymboli£tischen, ornamentalen, typisch-konventionellen,
individualistischen, subjektivistischen Naturalismus sprechen" könne: „sogar
auf die Gefahr hin, die grade unter den Historikern häufigen -Ismenfeinde
■schwer zu verletzen". Es sei aber „in der Wissenschaft Klarheit wichtig«
als ein vielleicht noch so berectitigter künstlerischer Widerwille gegen
Bcgriffsbildung:". Ich blätterie dieser Tage, - ich gestehe, daß ich trotz
des Lärms, der mit dem Buch gemacht wird, es zum ersten Male in die
Hand nahm, legte es auch bald wieder aus der Hand — in Chamberlalns
„Grundlagen da 19. Jahrhunderts" und fand folgenden Salz: „Wissenschaft
ist die von den Germanen erfundene und durchgeführte Methode, die
Weil der Erscheinung mechanisch arieuschauen". Nach dieser Definition
isi Lamprechts Deutsche Geschichteeminent wissenschaftlich. Diesen «wissen-
schafllichcn* Charakter beton! Lamprecht, der einmal letjhafl bedauerte,
daS die Historiker so wenig philosophisch gebildet sden, und seinerseits
die Geschichte wie ein systematisierender Philosoph und Chemiker
zugleich behandelt und mit den nßligen -Ismen ausstaltet, fa auch fort-
während. Eben das Mechanische dieser ,, wissenschaftlichen" Geschichts-
schreibung ist auch ihr Hauptcharakter. Gelegentlich zeigt sich für diesen
Charakter bei Lamprecht auch ein Empfinden, das freilich sofort unter-
drückt wird. Als er einmal mit seinen fünf Zeitaltern auch „naturgemÜJJ"
fünf enfsprechcnde Wandlungen der bild«iden Künste annimmt, meint
er, „diese geschichtlichen Erfahrungen könnten schemalisch und
lußerllch erecheinen", bestreitet das aber energisch. In Wahrheit
ist seine gnnzc Theorie von den Ku]iurzei tattern so schematisch und
luBerlich, so medianisch vie möglich, trotzdem im einzelnen an ihren
Nachweis viel Geist gesetzt ist und manche Erscheinungen auch richtig
gedeutet sind. Aber gerade ihre gesetzliche Stabilienmg (ör die gesamte
Haltung da Menschen der betreffenden Epoche, die gewalttätige Kon-
struktion verdirbt die Sache. Da Lamprecht in diesen Ergänzungsbänden
fortwährend rgcschichtliche Röckblicke" und „geschichtlich vergleichende
Betrachtungen" für „notwendig" hält, um „dem Stoff tiefere Bedeutung
und historischen Charakter" zu verleihen, — üt>crhaupt stellt er den Leser
gern vor Wiedcrhohingen, und auch aus seinctn noch nicht veröffentlichten
Material (ür das 17. und 18- Jalirhuiidert wird viel verwandt, vgl. z. B.
II. Ergänzungsband S. 69—1 14 — darf ich hier den Charakter des gesaraten
Werkes, soweit es bisher vorliegt, kurz bcriihren. Es ist ganz deutlich
lind wird durch Lamprechts Ausführungen in der Vorrede zum l.Ergänzungs-
bande bestätigt, duli die seelischen Kulturzeitalter jetzt viel schärfer zur
Grundlage des Oanzen gemacht werden, als das ursprünglich geschehen
ist: daher die neuen Titelblätter mit den entsprechenden Abteilungen vor
der 3, Auflage des I. Batides, daher die neuen drei Abteilungen u. s. v.
Bekanntlich will nun aber Lamprecht seine Entdeckung womöglich nicht
nur ftir die deutsche Geschichte gelten lassen, sonderti hält es für wahr-
scheinlich, dafi dieselbe Stufenfolge bei anderen Völkern nachzuweisen
ist: daher seine Betonung der allerdings wichtigen vergleichenden Geschichte.
Neuerdings {S. 62) will er daliir nun nicht nur die europäischen Kultur-
völker herangezogen wissen, sondern auch Cnder, Chinesen und „tcilwets
auch" Japaner. „Und kümmern sich unsere Historiker etwa zumeist
um diese Dinge? Nein — die nti3ssen innerhalb des engen Bereichs der
europäischen und womöglich gar nur innerhalb der eigenen nationalen
Qe&clticbte .individuell' verfahren" u.s.w. So möchte L im letzten Grunde
zu einem allgemeinen Entwicklungsschema gelangen (man sieht den
mechnnischen Trieb). Aber haben sich denn ntchl schon die einst an-
genommenen Kulturstufen für die ersten Entwicklungsstadien keineswegs
als ailgemeingtiltig und überhaupt in sich als anfechtbar erwiesen, jene
wirtschaftlichen Kulturstufen der Jäger-, Nomaden-, Hirtenvöllccr? Wird
man nicht hoffentlich auch einmal von den sogenannten Perioden der
Stein-, Bronze-, Eisenzeit als haltlos abkommen? Kommt man nicht
neuerdings auch von dem Irrtum zurück, in den sogenannten Natmvölkem,
die es ganiicht gibt, - denn Kultur ist fiberall ~ Vorstufen zu sehen,
auf denen einst auch die späteren Kulturvölker gestanden haben, und
statuiert nicht vielmehr mit Recht auch bei ihnen eigenartige Entwicklung
jedes Volkes unter mehr od« weniger lebhafter Befruchtung durch fremde,
niedere und höhere Kulturen? Totgendes ist daher meiner Auffassung
Besprech u ngen .
nach Aufgabe einer dctilschen Ocschtdite, wenn sie kullurgeschichllich
orientiert sein will - und ich denke, das demnächst auch in einer
„Deutschen KuUiirgeschtchte" praktisch durchzuführen: der Nachweis der
Entwicklung des deutschen Volkes als Gesamtheit, des deutschen Menschai
oder um ganz Lamprechtsch zu sprechen, der „Entwäclcliing der nationalen
l*s>'chc" ^Frcy tag nannte dies .deulscheVolksseele") unter dem fortwährenden
Einfluß anderer kulturell höher stehender Völker (Römer, Italiener, Franzosen
u. s. f.), also unter Betonung des wechselnden Verhältnisses (Verschnielzung,
Verarbeitung, Umgestaltung. Abstoßung) zwischen fremden Kulturen und
eigener Art; kurz der Nacliweis der Ditstehung der kulturellen äuXIeren
und inneren Hallung jeder Zeit in ihren Elementen, nach allen Richtungen
und in allen Zusammenhängen. Von gröliter Wichtigkeit ist dabei die
Differenzierung der verschiedenen Schichten der Gesellschaft: Träger der
l]j!Jheren Kultur wird zuweilen nur eine, werden zuweilen naehrere Schichten
sein: sie wird zuweilen durch alle Schichten dringen, aber in verschiedener
\('erse, und umgekehrt wird die eigene Art sich reagierend, umgestaltend,
neu schöpfend in den einzelnen Schichten verschieden betätigen. Also
nicht Ziirückführung auf ein üdes Schema, sondern Aufspürung der Fälle
des Lebens, seine Aufdeckung aber nicht in chaotischem Durch- oder
venrtrrendeni Nebeneinander, sondern unter Aufzeigung der grollen Richt-
linien, der wechselnden Zielpunkte der Oesamihewegung, deren Erkenntnis
den Haiiptvcert des Historiker? machen soll. Niemals dabei Isoliertheit der
verschiedenen Bewegungen und Strömungen, immer Nachweis des
Zusammenhangs mit anderen, und immer, darin stimme ich formell ganz
mit Lamprcchl überein. immer Entwicklung. Freilich bei Lamprecht ist
Entwicklung anscheinend nur die gesetzliche nach Schema F- Auch äußert
CT sich einmal, um die Nichterwähnung der noch fortwirkenden allen
Kunst zu rcchtfcrligen, so: ,jdies Buch hat keinen statistischen Charakter,
sondern entwicklungsgeschichtlichen, und darum interessiert hier nicht
alles und jedes an unserer Zeit, selbst nicht einmal alles Bedeutende,
sondern nur der Inbegriff derjenigen Momente, die in entscheidender
Weis« den jüngsten Vorgang der Entwicklung kennzeichnen". Trotzdem
Stimme ich seiner freilich etwas emphatischen Bekämpfung der blofien
„beschreibenden" Darbietung des Stoffes bei. „Fermente, Gärungsmittel
hinein In den Stoff! Zersetzen der rudis indigestaque moles durch Urteil,
durch Vergleich itng!" Ganz meine Meinung, und ebenso twtonc ich dabei
wie er die Richtung auf „die treibenden seelischen Kräfte des geschicht-
lichen Inhalts". Aber diese sind eben nicht so schön paragraphenmäßtg
zu ordnen, wie er es tuL Und wenn er ganz richtig Realismus und
Naturalismus zu allen Zeiten findet, so mag man auch Symbolismus oder
iDdividualismus, selbst „Reiz&amkeit" gelegentlich auch zu anderen Zeiten
entdecken als in den nach ihnen benannten Perioden. Gleichwohl ist
z. B. der ja auch sonst längst erkannte Gegenäatz des mittelalterliclten
KonvenlionaJtsmus zu einem ntodemen Individualismus durchaus anzu-
erkennen, und von einer Periode der „Nervosität" hibc ich ja selbst
gesprochen. Die Frage ist nur. ob mit solchen Bezeidinungen die psychische
Ocsimthaltung genügend erschöpft ist, ob durch die schöne Ordnung,
Klarheit und Einfachheit wirkliciie, über das Dogmatische hiniusgebende
Erkenntnis gewonnen wird.
Indessen diese Kritik der Grundauffassung des Lamprechtschen
Werkes im allgemeinen vie der ErgänzunEsbände im besonderen, die
freilich noch ausführlicher gegeben werden müflte, soll von der eingehenden
LeMöre der Bände nicht abschrecken: man wird vielmehr bei derselben
die Vielsdtigkett des Verfassers, seine geistige Beweglichkeit, die Weite
des Horizonts oft genug zu bewundern Gelegenheit haben, und es ist
sehr wahrsdicinlich, dall kein anderer Historiker der Gegenwart alle hier
behandelten Gebiete gleicherweise beherrscht. Inhaltlich an den Bänden
Kritik zu üben,, ist daher schwer, weil es eine solche Beherrschung
voraussetzen würde. Immerhin lätlt sich feststellen, daß Lamprecht in
vielen Partien stark von andern abhängig ist. Das erkennt aber L. selbst
im Vorwort an und bestreitet das Recht, aus „Spuren und Anklängen
friihercr Darstelliingen" Vorwürfe herzuleiten. „Wer dadurch die
Originalität meines Buches beeintrichttgt glaubt, der mag dieses Glaubens
bleiben." Bei dem zweiten Bande, der Wirtschaftsleben und Gesellschafti-
entwicklung „sozial psychisch und entwickliing:sgcschichl!ich" behandeln
will, betont L. besonders stark, „wieviel sein Buch den Vertretern der
Nationalökonomie verdanke". Dieser zweite Band ist im übrigen vor
allem deshalb bemerkenswert, weil L. hier eine „idealistische Auffassung
der Wirtschaftsentwicklung" zu begründen sudit. Er greift daher hier
auch bis in die Urzeit zurück und sucht zunächst „die bisher geltenden
Lehren von den Wirlschaftsstufeu (von ihnen gilt m. E. dasselbe, was
schon über die sonstigen schematischen Perioden gesagt ist, und gerade
diese Denkweise der Nationalökonomen hat L, wohl zu seinen Kultur-
zeitaltern überhaupt angeregt) durch eine neue psychologische Theorie
dieser Stufen zit ersetzen". Auf sie kann ich hier nicht nSher eingehen:
jedenfalls bleib! der Versuch, auch die materielle Kultur psychologisch
zu orientieren, „die Entwicklung der Wirtschaft unmittelbar und gnind-
sätzlich mil der Enifaltung seelischer Vorgänge zu verbinden", bemerkens-
wert. Die Wirtschaftsstufe der O^enwart ist im übrigen nach L die der
Unternehmung, vor allem der freien Unlemelimwng, die auch wieder
psychologisch anafysierl und mit der „Reizsamkcit" in Beziehung
gesetzt wird, die aber bereits durch „ein Zeitaller der gebundenen Unter-
nehmung" abgelöst zu werden beginnt. Zwischen den Abschnitten
„Wirtschaftsleben" und „Soziale Entwicklung" ist übrigens eine „Merk-
tafel« eingeschoben, die auch jene neuen Wirtschaftsstufen aufführt, und
zwar, um wieder einmal diewissenschaftüch-mechanische Art und Lamprcdits
Bcgriffsbildnereizu illustrieren, „nachdem Einteilungsprinzip der seelischen
Spannung zwischen WirtscbaltsbedOrfois und QenuU (dem Motiv des
I
I
\ Beprtchungen. 36T
n WJrtsdiaftsgedächlnis und Wirlschaftsvoraussicht, der
■^ Wirtschaftstrieb und Wirtachaftsverstand").
X- 'St ein Hislon'ker, der nicht nach der Scliablone zu
sich mit Ihm auseinandersetzen, so unbequem das
' klüger aU viele andere, ist auch ein wirklicher
■'. er wird eine isolierte Erscheinung bleiben,
' jcn Geschichtswissenschaft. Was einleuchtet
.Lstimmen kann, ist mit der älteren kulturgeschicht-
.1 zu verbinden: vas darüber ist, isl atlzu subjektiv,
.ilig, illusorisch, als dalt es die Geschieh tswissenscliaft
.jchertes Gut bergen könnte. Ihm ist die Geschichte mehr
^ener denkhafter Betätigung, ein beliebig dehnbarer Stoff. Für
ücn, hat er merkwürdig geringen Sinn. Es mag dner die zwd
•en Bände Lamprechts eingehend gelesen haben, den wahren Menschen
des späteren 10. Jahrhunderts [bei allen technischen Fortschritten einen
der unsympathischsten und ausser! Ichs ten Menschen aller Zeiten), eine
Neuauflage des Menschen von 1700, wird er nur sehr wenig erfalit haben:
4lenn Lamprecht selbst hat ihn auch nur zum Teil erkannt.
Georg Steinhauscn.
I
I
E. ÜMSobert SctiSnfeld, Der IsISndlBche Bauernhof und
•ein Betrieb zur Sagazeit. Quellen und Forschungen zur Sprach-
und KuUurgeschichte der germanischen Volker. 91. Heft. Slraßburg.
Karl J. Trübncr. 1902 (XI, 2flft S.)
Das Jahr 874 ist das |ahr der Besilzergreifung Islands, und das
Jahr tOOO bedeutet wiederum einen einschneidenden Wendepunkt in seiner
Geschichte, weil in diesem jähre das Christenlum allgemein angenommen
wurde. Die 126 Jahre, die zwischen jenen beiden Daten Hegen, bilden
den Zeitabschnitt, in den der Verfasser den Leser hineiniflhrt, und zwar
hat er einen ganz bestimmten Teil der Hausallerlümer zur Behandlung
sich erwählt. Die Baulichkeiten des isländischen Bauernhofes, also die
eigentlichen WohnungsaJtcrliimer sind — was man aus dem Titel leider
nicht ersehen kann — von der Behandlung ausgeschlossen, mit gutem
Gründe, denn sie sind bereits von Otidmundsson ausfiihrtich dargcstcHl.
Dagegen macht Schönfeld hier zum ersten Male den Versuch,
■die wirtschaftliche Seile von dem Leben des Isländers zur Sagazeit in
größerem Umfange darzuslellen". Ob das lückenlos geschehen Ist, k.inn
ich nicht beurteilen, dazu Übersehe ich das vorhandene Material nicht
deutlich genug. Was aber dargeboten ist, das darf als ein gutes Bild
des dermaligen Wirtschaftsbetriebes auf der nordischen Insel bemchnet
•erden. Im Omnde sind es die Nahnmgsaltcrlümer. deren Schilderung
den Hauptlcll des Buches ausmacht, dazu kommt dann aber noch jn
einer Reihe von einleitenden Kapiteln der Bericht über die HuHeren
Verh2ltnisse, unter denen die Nahrung gewonnen wurde.
366 Besprechungen.
Der isländische Bauernhof zur Sagazeit schied sich in einen
Winterhof und in einen Sommerhof. Jener als Hauplgut lag im Tile,
dieser sIs eine Art Vonrerk lag oben in den Bergen. Das zu ihnen ge- —
hörende Gutsareal finden wir zunächst dargestellt, seine QröBe und -Ki
seine Bewirtschaftung, in welcher, den lokalen Verhältnissen entsprechend, , i,
die Wcidertrischaft und die Viehzucht gegenüber dem Ackerbau weitaus ^^ss
ßbcrwi^en. Wir lernen dann dk Oiitsleute und ihr Gesinde, unter dem m^
die Sklaverd erst um 1300 völlig versdi windet, in ihrem ökononLiscfacn w
tind in ihrem sitth'chen Verhältnis zueinander kennen, es wird uns abo Oi
gewissermaßen äU Grundlage ftlr die weitere Darstellung ein Teil der ~v
nordischen Familienaltertijmer TOTgeführl, der für den Archäologen eine ^"^
sehr willkommene Zugabe des Buch« Wctel. Dann aber wird uns in »^
utiunlerbrochener Folge die ganze Reihe der Quistiert geschildert, an ■^
ihrer Spitze das Plerd, dem der Verfaffier bereits in seiner Dissertation; ^
■Das Pferd im Dienste des Isländeis zur Sagazett- 1900 eine Mono-
graphie gewidmet hat. Es folgen Rind und Schaf, sowie Ziegen, Schweine
und Geflügel, bis das Buch mit der Besprechung der Gesellschaf tstierc
im Besitze des Isländers als Hund, Katze und Hausbär, dieses für unsere
Begriffe etwas ungemütlichen Hausgenossen, seinen Abschluß findet.
Alle diese Tiere werden nicht allein als Wirtschaftstiere und als
wesentlicher Teil des bäuerlichen Besitzstands voriieführt, sondern auch
das gcmütimäfligc Verhältnis de Besitzers zu ihnen, ihre Verwertung
beim Kultus wie zu Keil- und Zauberzwecken und endlich audi be-
sondere an ihnen haftende Sitten und Gebräuche. In letzterer Hinsicht
ULÖdite id] besonders au! die SchLlderung der überaus merkwürdigen
Pferdekämpfe [S. ViS) hinweisen, die einen Hauptbestandteil des lokalen
Sportbetriebes bildeten. Mit alledem rückt das Buch nun aber schon
etwas aus dem engeren archäologischen Beiirke heraus, und es nihert
sich - durchaus nicht zu seinem Schaden - mehr einer Darstellung
des gesamten häuslichen Lebens, und das ist um so mehr der Fall, als es
auch sonst mancherlei Hinweise auf Kleidung, Bewaffnung, Verkehn.vei-
hältnisse etc. bietet, und der Verfasser bei den einzelnen, Wirtsdiafts-
ableilungen immer schrwillkommeneZusammenslellungen des zugehörigen
Hausrates, z, B. der Ackergeräte oder auch der Geräte für Milch- und
Käsebereitung (S. 181) etc. gibt. Aus dieser Rücksicht bedauere ich es,
daß nicht auch über die Baulichkeiten wenigstens eine kurz orientierende
Beschreibung sich findet, umsomehr, da der Verfasser doch gelegentlich
getwungen ist, auf die innere Einrichlung, z.B. des Kuhslalles (S. 173—175}
oder des Schafst&llcs (5.235), einzugehen. Es wäre auf diese Weise, und
bei der vorhandenen Vorarbeit mit leichler Mühe, eine völligere Abrundung
des dargebotenen Bildes erzielt worden.
Dafür entschädigt uns Schönfeld dann freilich reichlich durch
das, was er als wcitjjcreister Mann und als Kenner der gutswirtschafttidien
Praxis, in seine Darstellung zu Vergleichszwecken hineinflicht, tmd dieser
seiner praktischen Erfahrung dürfte es nicht zum wenigsten zu danken
sein, dal) es ihm gelungen ist, die immerhin nur beschränkte Zahl der
Quellen In so anschaulicher Weise zusammenzufassen. Ich will noch
erwähnen, daß er in anerlcennenswcrter Art auch auf den des Altnordischen
nnkuiKiigen Ijcser Rücksidit genommen hat, indem er seinen Citaten
Überall die Überreizung beifügte.
Frankfurt a M. Olto Uuffer.
Teutonia, Arbeiten zur germanischen Philologie. Hrsg. von
Wilhelm Uhl. Heft 1: Walther GloÜt, Das Spiel von den sieben Farben.
Königsberg i. Pr. 1902, Gräfe & Unzer. (Xtl, 92 S.)
Uhl eröffnet seine Sammlung, die dem Gesamtgebiet der germanischen
Philologie gewidmet sein soll und unter den %'er»-andten und benach-
barten Fächern auch KuHurgeschiciite und Altert iimskunde, Märchen
und Sage, Recht und Sitte berücksichtigen will, mit einer Arbeit, die
ein erhebliches kulturgeschichtliches Interesse besitzt. Qloth behandelt
in gründlicher Weise die beiden Redaktionen des Spiels von den sieben
Farben nach der philologischen Seite hin. — die Spiele sind als Tanz-
spielc entstanden und zum Zweck der Fastnachtsbeiustigungen verfaßt,
übrigens nicht von Rosenblüt — schlieltt an diese Untersuchung
aber einen kulturgeschichtlichen Teil, in dem er die Voraussetzung
der beiden Redaktionen behandelt, .die Sitte nämhch, durch bestimmte
Farben des Gewandes bestimmte Zustand lieh keilen des Liebelcbcns zum
Ausdrucke zu bringen*. Diese Ocwandfarbensprache ist im H.Jahrhundert
häufig bezeug! und leitet sich einerseits aus der Farbenfreudigkeit der
Zeit, weiter aus der Veräuüerlichung des ritterlichen Lebens her, die die
Liebe als Spielerei behandelic. Auch die allegorischen Neigungen der
Zeit sowie Einflüsse des Tumierwesens und der Heraldik kommen in
Betracht- Für Deutschland sind aber wesentlich wieder französische
EinHüsse von Wichtigkeit, die Qlolh ausführlich nachweist. Auch in
Frankreich sind Nachweise der Ocwandfarbcnsprache aber nicht vor
dem 14. Jahrhundert möglich. Eingehend bespricht Gloth dann die Be-
doitnog der einzelnen Farben in dieser Sprache, ein Kapitel, das auch
die späteren literarischen Quellen und volksk-undlichc Belege aus der
Gegenwart heranzieht. Hierfür sind zu dem von Qloth gebrachten
reichen Material sicherlich noch manche Ergänzungen möglich. Der
Verfasser plant auch für späler eine größere Arbeit über die Farben-
^ Unche, darf aber des Dankes schon für das hier Gegebene sicher sein.
Georg Steinhausen.
Franz Heinemann, TeIMconographle. Wilhelm Teil und sein
Apfelschuß im Lichte der bildundcn Kunst eines halben Jahrtausends
<15.~20. Jahrh.) mit Beriicksichtigutig der Wechselwirkung der Tell-
Pöesie. Luzem, Oeschw. Dolesclial; Leipzig, Eduard Avenarius. (74 S.)
Archiv für KullurKrtchkhle. 1, 3. 24
k.
F
370
Besprechungen..
Die vorliegende Heißige und eine relative Vollständigkeit erstrebende
Arbeit kann dazu dienen, die bisher bei der Tcllfragc nicht genügend
berücksichtigte .Teil-Tradition« in der Kunst, die Beweise aus .uralter
Zeit" geben sollte, einmal auf ihren Beweiswerl: zu prüfen, hat aber dies»
Ziel der Lösung der Frage nicht zu ihrer eigentlichen Aufgabe gemacht,
vielmehr allgemeine kiinst- und kulturgeschichlliche Tendenz. In ob-
jektiver Weise wird nach Jahrliunderten geordnet, hier zum ersienmal
das erhebliche ikonographische Material dargeboten, der Einfluß der
prosaischen und poetischen Literatur — die also zeitlich vonmgefat — auf
die Tc!I -Darstellung, die volkspsychologische Aitlfassung und zeitliche
Wandlung der künstlerischen Teil-Motive behandeit, dabei das Material
im einzelnen vorgeführt, vie CS Zeichenkunst, vervielfältigende Könste
Buchillustration, Malerei, Plastik, Kunstgewerbe, Heraldik u. s. w. ge-
währen. Eine aiißerordentliche Zahl trefflicher Reproduktionen begleiten
den Text, und der beigefilgte Kommentar gibt literarische, kunst-
geschichtliche und sonstige Einzelnachweise und Anmerkungen, Ein An-
hang behaiidelt die nordische Pfeil&chtiUsage Tokos, Egüs und Wyllyams
in der bildenden Kunst, die Zwischenglieder zwischen jener und der
schweizerischen Apfelschußsage fehlen bekanntlich. Am Schlüsse hebt
H. mit Recht die durch ihn nachgewiesene .lückenlose Fortdauer In
der Kunstseele eines halben Jahrtausends' hervor: das „Teilanden ken"
ist also auücrordentlich lebendig geblieben. Aber andererseits hat H.s
Studie die Hoffnung vernichtet, »dali auf iconographischem Wege der
umstrittenen Tell-Existenr eine Erhärtung oder Befestigung winke*.
Jedenfalls war seine Arbeit verdienstlich und wird auch atigemeine An-
erkennung finden.
Georg Sleinhausen.
Feattcfarift zum fElnfzigjahrigen RegierungsjubitSum S. K. H. des
OroßheriTOgs Friedrich von Baden ehrerbietigst gewidmet von dem
Oroßhcrzogl. Oeneral-Landesarchiv in Karlsruhe Heidelberg, C. >X'intei,
1902 (203 S.).
Die Beiträge dieser Festschrift sind durchweg, ihrem Anlaß ent-
sprechend, einzelnen Persönlich keilen des niarkgräflichen resp. groß-
herzoglichen Hauses gewidmet und bringen andererseits, dem Beruf ihrer
Verfasser entsprechend, meist Mitteilungen aus den archivallschcn SchStzen
des Oencral-landesarchivs. F. v. Wccch veröffentlicht ein höchst inter-
essantes Tagebuch des Prof, Joh. Lor. Böckmann Über »Eine Schwelzerretse
des Markgrafen Karl Friedrich %'on Baden im JuH 1775", bei der er den
Markgrafen begleitete, K. Obser behandelt «Voltaires Beziehungen zu der
Markgräfin Karoline Luise von Biideit-Durladi und dem Karlsruher
Hofe* und stellt im Anhang den Briefwechsel Voltaires mit der geistig
sehr bedeutenden Karoline Luise zum ersten Male vollstindlg zusammen.
Diesen ersten beiden Beiträgen sind reichhaltige Anmerkungen bd-
gegeben. Alb. Kriege« Beitrag: „Die Vermählung des M-irkgrafcn
Friedrich Magnus von B^den-Duriach und der Prinzessin Aiigu&le Marie
von Schieswig-Moistein« bringt unter atiderm einige furetliche Privat-
briefe und einen offiziellen Bericht über den feierlichen Einzug in Dui^
iacb, der in mancher Beziehung sich mit dem Prinzen 'sehen Bericht Qbcr
den der branden burgisdien Prinzessin Domlliea 1700 in Cassel vergleichen
lissi, den Q. Schuster in der «Zeitschntt für Kulturgeschichle" Bd- IX.
H. 1/2 veröffenUichte, ebenso wie die folgenden Mitteilungen Ober die
obligaten Feste u. a. m. Karl Brunnen Arbeit: »Die ErTiehung des
Markgrafen Qeorg Friedrich von Baden-DiirUch entliält nach den Aliten
eine Instruktion für den Prizcplor von 1585, sowie eine lateinische
NcujahiSKraluIatioti und einen Brief Georg Friedrichs als Beilage. Als
Spezinten der neuen, von Lorenz angeregten genealogischen Qeschlchts-
betrachtung präsentiert endlich O. K. Roll« einen gtitgemeinten Versuch,
der uns den F.infhiß der Vererbung zeigen soll : »Zur Charakteristik
des Oroilhetzogs Karl Friedrich", der nur beweist, wie unsichere Resultate
sich aus dieser in ihren Zielen nicht üblen Zukunftshistorie ergeben.
Im ganzen wird gerade der Knllurhistoriker von der trefflichen
Festschrift mit besonderem Danli Notiz nehmen miissen. Eine nicht nur
tür diese, sondern auch für ähnliche Arbeiten geltende Ausstellung
mfidite ich indessen noch vorbringen. Warum setzen die Verfasser
lokal oder persönlich spezialisierter Arbeiten dieselben so wenig in Bfr
Ziehung zu den allgemeinen kulturgeschichtlichen Strömungen oder be-
rühren so wenig die Resultate, die sich gerade aus ihrer Arbeit dafür
ergebm? Der Charakter der Reisen jener ZHt erhält doch durch
V. Weechs Publikation mancherlei Beleuchtung: die ältere Art der auf
den .Nutzen" vergessenen Bildungsreise ist noch nicht ganz geschwunden:
andererseits wird das Naturgefühl schon wichtig, ist zum Teil freilich noch
auf das „angenehnie", .lustige*, .anmutige- gerichtet. Brunner müUte auf
den Charakter der wesentlich noch theologisch-lateinisch gefärbten Försten-
1 oziehung des 10. Jahrhunderts eingehen, konnte aber daneben feststellen,
|p«ie und wann die Kenntnis der französischen und italienisclien Sprache,
das Reisen als Bildungs mittel schon wichtig wird, und ähnliche Belege
von anderen, namentlich westlichen, Höfen bringen. Kurr, ich meine,
jede Spezialarbeit soll zunächst auf eine allgemeine Basis gestellt werden,
manches wird sich dann als gamicht eigenartig, manches als stärker zu
betonen erweisen.
^ Oeorg Steinhausen.
1 Tbonas Spccbt, Geschichte der ehemaligen Universität Ditüngen
(1549- 1804) und der mit ihr verbundenen Lehr- und Erziehimgsanstalten
Ffriburg l Br.. Herder, 1902 [XXIV. 707 S.)
Die heute Im ganzen vergessene Universität Dillingen, deren wsent-
^Oetcllicbte Paulsen in seiner .Geschichte des gelehrten Unteirichts*
24"
372
Besprechungen.
auf einer Seite abmicht, hat nun ihren gründlichen und gewissenhaften
Oesdiichtsschreiber gefunden, der die Anregung zu seinem Werk aus
dem äußeren Umstand empfing, dait das an ihre Stelle gesetzte Lyceum
im Jahre 1904 seine Säkuiorfeier begeht. In der Qeistesgeschichte des
gesamten Deutschlands hat diese Universilät eine hervorragende Rolle
nicht gespiell: von Jena, Leipzig u. a. zu schweigen, sind auch katho-
[ische Universitäten wie Ingohladt wichtiger gewesen. Aber wer in der
Geschichte der Gelehisamkeil in Deutschland etwas zu Hause ist, wird
dem Namen Dillingen doch im 17. Jahrhundert des öfteren begegnet
sein. Es wirkten dort freilich nur Theotogen utid Philosophen und eret
später und nur in geringer Zahl einige Juristen. Die Hauptbedeutung
hat Diilingeti als typische Jesuitenuniversitit. Von Kardinal
Otto Tnichseß von Watdburg 1M9 aus demselben Bedürfnis gegrändet.
das wesentlich auch die Führer der Protestanten zur Reoi^nisation des
verfallenden Schul- und Universitätswesens bestimmte, dem Bedürfnis
nach besser vorgebildeten Geistlichen, war die Universität 1563 an die
Jesuiten übergegangen, in deren Händen sie bis zur Aufhebung des
Ordens blieb — die (ürstbischölliche Periode hat dann zum Eingehen
der Anstalt geführt Gerade Haiilsen hat die Unterrichlstätigkeit der
Jesuiten besonders und wohl etwas zu stark anerkannt, den Ordea auch
geradezu als Sludienorden bezeichnet: das Werk von Specht gibt einen
tiefen Einblick in dieses jesuitische Studienwesen. Wir erhalten auf
Orund zuverlässigen und ziemlich vollständigen QucIlcnTnaterials, das
der Verfasser fleißig gesammelt hat, eine sehr ins Spetielle gehende
Darstellung der Organisation der Studienordnung, der wissenschaftlichen
Tätigkeit der Lehrer, der Konviktc und Scminaricn, d« Verhallens der
Studenten u. s, w. Die erste Blütezeit der Universität und Ihre dritte
Periode treten natEirgemäß gegenüber der Hauptpcriode, der jesuitischoi.
mehr zurdck, sind aber nacli Verhältnis ebenfalls eingehend bctundelL
Als zweiter Teil des Ganzen erscheinen Urkunden und Akten, darunter
namenlUch Lektionsp1!Lne, Statuten sowie Erlasse an die Studierenden.
Keineswegs fehlt es darunter an Quellen, die für die allgemeine Uni-
versilätsKCSchichtc und die Sittengeschichte von Wert sind. Und das
gilt schließlich trotz seiner Spezialisierung und des Sondercharakters
der Dillinger Universität von dem ganzen Werk, dessen rieißige und
sorgsame Ausarbeitung unsem Dank verdient.
Georg Steinhausen.
Duhr, B., S, J. Die Jesuiten an den deutsclien FfUstenhQfen des
16. Jahrhunderts. (ErlKuteningen und Ergänzungen zu Janssen« Oe-
schiditc des deutschen Volkes II, 4). Freiburg i. B., Herder, 1901 (155 S.)
In dieser Zeit, da die Rückkehr der Gesellschaft Jesu den O^en-
stand beveglesten Meinungsaustausches bildet, wü-d das vorliegende
Thema ein lebhaftes, venn auch retn historisches Interesse erwecken.
Der bekannte Verfasser will beweisen, dali die schon von Zeilgenos&eii
behauptete TäKgkeit von Jesuiten als Hofbcichlväter weder den Ordens-
grundsätzen noch den Tatsachen entsprochen habe, vielmehr stark über-
treben worden sei. Was er aus den Beschlüssen der Generalkon-
gregationen wie aus vertraulichen Korrespondenzen dcrOrdecisarchiv« fiber
die Wirksamkeit an den Höfen von Wien, Graz, Innsbruck und München
beibringt, beweis« allerdings, daß die Oberen der dauernden Stellung
eines Mitgliedes als Hofbeichlvater mit Mißtrauen gegenüberstanden in
der nicht unbcgründclen Besorgnis vor einer Schmälerung der Ordects-
inleressen durch höfische Einflüsse. Wir raClssen dann eben annehmen,
dass ihnen andere Wege für ihre Ziele zweckmäßiger erschienen; ihre
erfolgreiche Tätigkeit für die Wiedereinführung des Kaihol izismus be-
streitet wenigstens auch Duhr nicht. Wenn er behauptet, in den evange-
lischen Territorien seien die katholischen Untertanen demselben Druck
ausgesetzt gewesen, so vergißt er dabei nur die Kleinigkeit, daJL deren
Anzahl viel geringer war ah die der evangelischen unter katholisdien
' Füreten. Wenn er meint, der Anteil der Hofbeichtväter an der Oe-
wissenhaftigkeit und Siltearcinheit der Graier Fürsten dürfe nicht ge-
leugnet werden, so scheint uns der Beweis, daß diese Eigenschaften nicht
aucli ohne Jesuiten bestehen könnten, nicht crbradit. jedenfalls bildet
die maßvoll gehaltene Darstellung eine werlvolle Ergänzung zu Loseriitis
Forschungen über die Gegenreformation. Liebe.
y aoldmaon, Satka, Danziger Verfassungskämpfe urtter polnischer
Henschafl (Leipziger Studien VII, 2). Leipzig. Teubner, 1901 (VI und
tl2l S.)
Was dieser Arbeit bcsondcm Wert verleiht, ist die Darlegung dö
Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher und politischer Entwicklung.
Danzigs Macht beruhte auf seiner begünstigten Stellung als einziger
Ausfuhrhafen des kornreichen polnischen Hinterlandes, das, völlig vom
Stromgebiet der Weichsel beherrscht, städtischer Kultur und eigner
Handelstätigkeil entbehrte- Dazu kam die steigende Nachfrage West-
europas im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert infolge ver-
minderter agrarischer l^roduktion. Die natürliche Regierungsform für ein
luf kommerzieller Tliätigkeit beruhendes Gemeinwesen war hier wie stets
eine Aristokratie, deren Lebensinteressen mit denen der Stadt zusamnicn-
fielen und deren Stellung durch die finanzielle Abhängigkeit der pol-
nischen Krone noch besonders gestärkt wurde. Je mehr Danzig infolge
der preußischen und russischen Konkurrenz sein Monopol einbüßte, je
weniger der Rat sich den handelspolitischen Aufgaben gewachsen erwies,
an deren Statt er eine bureaukra tische Vemallungstätigkeit treten ließ,
■ tun so mehr erstarkte die Opposition der Bürgerschaft. Ihr Organ war
H die dritte Ordnung, so genannt im Gegensatz zum Rat und zum Schöffen-
i
kolle; , Später als im Westen erlangt in diesem Kollegium von 100 iManti
die Gcrtieinde 1526 etne Vcrtrelung, die wesentlich den Kaufleutcn zu
gait kam, sich aber weiterhin den Qewcrken nicbt verschlie&en konnte-
Vor ihrem WÄChsenden politischen Einfluß mehr und mehr zurück-
weichend, endlich durch das Auftreten des finanziell selbständigen sSdi-
sischcn Herrscherhauses seines wichtigsten Rückhalts bcranbl, erliegt der
Rat in den Veriassiingskämpfen 174S— 52 der deinokratisclien Strömung.
Ihr siegreiches Fortschreiten hat auf Grund der criialtenen Ordnungs-
rezesse eine Darstellung gefunden, deren Ausführlichkeit wesentlidi lokal-
geschichtlichen Interessen dient. Lidie.
Bruno Woltt-Beckh, Johann Friedrich Böttger, der deutsche Er-
finder des Porzellans. Mit Böltgers Porträt. Stegüti bei Berlin, Friedr.
G. B. Wolff-Beckh (48 S.)
In dieser gewandt geschriebenen Abhandlung berichtet der Ver-
fasser in kurzer Weise über das Leben des deutschen Porzellan -Erfinders
der durch seine Erfindung für den modernen Menschen ebenso bekannt
wie durch seine Lebensführung und I-ebensschicksale eine durchaus ritsel-
haftc PersÖnJichkeit ist. Für die Geschichte der Naturwissenschaften und
der entsprechenden Bildung des Piiblikiims ist die Figur des intelligenten,
aber gründlich liederlichen und verlogenen Apothekers, der sich als
Goldmacher auszugeben wuHle, von größtem Interesse, und vor allem
erscheint es uns kaum glaublich, daß zwei Könige wie Friedrich 1. von
Preussen und August von Sachsen, denen wir geistig verhällnismlflig
so nahe zu stehen glauben, in der Tal noch auf einem derartigen natiw-
wissenschaftlichen Standpunkte sich befanden, daß sie auf den frechen
Schwindel hereimfal len konnten. Bekanntlich ist Böttger von August
jahrelang zwar gefangen gehalten, zugleich aber mit Luxus und Wohl-
leben umgeben worden, weit jener die von ihm zu erhoffenden Gold-
schütze fär sich zu sichern wünschte Bältger hat zwar verschiedentlich
die Freiheit wiedeiTugewinnen gesucht, als das aber vergeblich war,
sich das ihm dargebotene Wohlleben in einer Weise zu nutze gemacht,
daß man sich nur wundem muß, wie es dem 22jührigen Menschen im
Jahre 1707 noch möglich gewesen ist, seine durch den Grafen von
Tschimhausen veranlaßten Bemühungen um die Herstellung des Por-
zellans mit dem bekannten Erfolge zu krönen. Damals ist es ihm ge-
lungen, die braune, sogenannte Böttgemiasse zu finden, mit deren fabrik-
mäliiger Herstellung die Lebensgeschichte Böttgers zugleich in die
Anfangsgeschic htc der Meißener Porzellnnfabrik hinüberteitet. Ebenso
sind auch die anfangs mitilungenen Verbuche, gutes weito Porzellan
herzustellen, noch von Böttger selbst im Jahre 1709 zu Ende geführt,
als er durch einen Zufalil auf die Ausnützung des Kaolins, des Haupt-
bestandteiles des weißen chinesischen PorzeElans, geführt wurde. Böttger
ist dann noch ein sdilechter Fabrikdirektor geworden, bis der Tod im
Besprechungen. 375
13. Mäiz 1719 seinem ausschweifenden Leben ein Ende machte. Er ist
nur 35 Jahre alt geworden.
Das alles sind keine Neuigkeiten, aber der Verfasser hat sie so
Seschickt zu erzählen gewullt, daß seiner Darstellung eine weite Ver-
breitung zu wünschen ist Wenn ich eine Aussetzung an dem populär
geschriebenen Büchlein machen darf, so ist es die, daB das „braune
Zeug" zu wenig beschrieben und auf seine technische und artistische
Verwendbarkeit gamicht eingegangen wird. Auch hätten seine von
vielen gleichzeitigen Fabriken hergestellten Nachahmungen kurz erwähnt
werden müssen, damit endlich auch weitere Kreise sich darüber klar
werden, daß nicht jedes braune Stück aus Böttgers Fabrik hervorgegangen
ist, sondern es sich meist um Nachahmungen der — an und für sich
durch Farbe, Glanz und Oewidit ziemh'ch leicht erkenntlichen — echten
Böttgerware handelt.
Schließlich bemerke ich noch, daß das Bildnis, welches als Bött-
geis Porträt auch von Wolff-Beckh dargeboten wird, meines Wissens
als solches nicht so unwiderl^lich sicher bezeugt ist, daß es nicht
wenigstens mit einer einschränkenden Anmerkung hätte versehen werden
müssen.
Frankfurt a. M. Otto Lauffer.
Kleine Mitteilungen und Referate.
Von nMeycrsOrosscm Konversations-Lexikon«, dessen gäni-
lidi neu bearlKJtetc 6. Auflage wir auch unsern Leseni bei Erscheinen
des 1. Bandes empfohlen haben, liegt bereits der 2. Band (A^tilbe bts
Bismarckl vor, der wieder die Vorzüge dieses ausgezeichneten Naclischla^c-
werks in gutem Lieble zeigt. Was für den gelehrten Benutzer, der es ja
weniger zur Belehrung als zur raschen reststellung von Daten oder kurzer
Orientierung über ihm femerliegende Dinge benutzen «Htd, in erster Linie
in Betracht kcmntl, die Zuverlässigkeit, ist hier wirklich nach Möglichkeit
gewährleistet. Wieder sind sodann die bisaiif die neueste Zeil fortgeführten
und mit Kenntnis ausgewählten üteraturangaben bei einzelnen Artikeln,
die den Suchenden zu ausfuhr! ichercr Belehrung hinlenken, lobend zu
erwähnen. Es ist ferner, was früher ähnliche Werke oft vermissen ließen,
ein System ausgedehnter Verweisungen durchgeführt. Endlich rechtfertigt
die bildliche Ausstattung, namentlich für das Gebiet der natu nie isscnschaft-
lieh -technisch«! Artikel u, s- w., den guten Ruf des Bibliographischen
Instituts durcliaus. Dem Artikel Bildhauerkunst sind die zahlreichsten
Tafeln (20) beigefügt worden, in deni gebotenen Stoff geht das neue Lexiken
zuweilen zu veit. so wird, wie kürzlich schon von anderer Seite bemerkt
wurde, die chemische Terminologie wohl allzu ausgiebig berücksichtigt, was
im vortiegeuden Band namentlich S- v. Aethyl hervortritt, ebenso aber
auch die botanische und zoologische Nomenklatur. Doch mag es anderer-
seits wieder Benutzer geben, denen das gerade angenehm ist.
Von der rüstig fortschreitenden 2. neu bcarbdlclen Auflag des von
katholischen Gelehrten herausgegebenen »Slaatslexikons" haben wir das
Erscheinen des 16,— 29. Heftes anzuzeigen. (Freiburg i. Br., Herder) Den»
auf anderem Standpunkt stehenden Benutzer werden docti auf iieutraleni
Gebiete genug befriedigende Artikel begegnen; das Lexikon behält auch,
ganz abgesehen von seiner Berechtigung als Parteilcxikon, neben dem
u Handwörterbuch der Staaiswissenschaften" durchaus seinen Wert, und es
berührt angenehm, daß einzelne Artikel bei der Liieratnr auf diejenigen
im Kandwärterbuch verweisen. Die Literaturangaben sind indes zuweilen
nicht vollständig genug. Auch lassen manche Artikel gerade für uns eine
liebevollere Behandlung der geschichtlichen Seite wünschen. Die .BedQif-
nisse der Gegenwart", denen ja gerade die Neubearbeitung in vollem MaSe
Rechnung trägt, sind freilich auch hier entscheidend gewesen. Tiefere kullur-
Kleine MiHeilungen und Referate.
gcschtchl liehe Kenntnis z. B. könnte aber veder unseren Nationalökononten
Tjoch unseren Politikern aller Parteien, die die Vergangenheit oft genug in
schreiender Weise verkehrt beurteilen, schaden. Das Lexikon ist mit dem
letzten vorli^enden Heft jetzt bis zur Mitte des IV. Bandes geführt worden
und bricht bei dem Artikel -Papsttum und Kaisertum- ab.
In der -Zeitschrift für SozialwisseiiEchaft- 6. Jahrg. 3. Heft bespricht
Alfred Vierkanät in einem Aufsatz: Die Entwickelung der mensch-
lichen Bedürfnisse anerkennend das ebenso betitelte Buch von
ß. Gurevitsch («schienen als 4. Heft des 19. Bandes von Schmollere
Forschungen) und knüpft daran auslührlichcre kritische und ergänzende
BemerkunBen. Er modifiziert dabei den an sich berechtigten Onind-
gedanken G.'s, daü die Vorkehrungen zur Befriedigung menschlicher
Bedürfnisse keinen wirtschaftlichen, sondern einen sozialen Ursprung haben.
Eine grfliidlidie und allgemein interessierende Studie hat
7h. Siebs über den Kuß in den «Mitteilungen der Schlesisclien Gesell-
schaft für Volksikunde" Heft X. No. 1/2 veröffentlicht (Zur vergleichen-
den Betrachtung volkstümlichen Brauches: der Kuü). Bekanntlich hat
dies Thema als erster K. Nyrop im Jalire 18Q7 behandelt (Kysset og dets
historie), aber mehr vom allgemein geschichtlichen Standpunkt aus, nament-
lich auch unter Heranziehung literarischer Quellen. Siebs legi den Ton auf
■ die deutsche Volkskunde, gibt zunächst aber auch erst einen Ueberblick über
die kullurgesdiichtliche Bedeutung da Kusses überhaupt, insbesondere bei
den Juden, den Römern und in der christlichen Kirche, und lehrt dabei .den
KuB der Liebe, der Verwandtschaft und FrcHniJschalt, den der Versöhnung
und des Friedens, den der Gnade und der Vcrehrtnig, insbesondere des reli-
giJJ&CQ Kultus kennen". Ausführlicli erörtert er dann in einer sprachlichen
Betrachtung die verschiedenen Benennungen für den Kuss, die das deutsche
Sprachgebiet in gröilter Fülle aufweist, und sucht sie unter Heranziehung
venrandter indogermanischer Sprachzweige in ein System zu bnngen, um
am Schluß dann noch einmal auf die kultiirgeschJchtliche Erörtemcig
zurückzugreifen und die Wandlung und Enlwickhmg des Kusses der Uebe,
der Freundschaft, der Verehrung zu beleuchten-
Die erste Probe einer Reihe von «Skizzen aus der Kultur- und
Literaturgeschichte romanischer Länder im Mittelalter" von Leo Jordan
(Beilage zur Allg. Ztg. No. 63) behandelt .Ritterliche Frauenliebe".
und betont einige beachtenswerte Züge, insbesondere auch die Idee des
Liebestodes.
H Ein Aufsatz von Fritz Friedrich. Renaissance und Antike (Bei-
™ tage zur Allg, Ztg. No. 60/1) will einer Behauptung des so außerordent-
lich äberschäizten Chamberlain, daß die Renaissancekultur, speziell Italiens,
ein im Grunde durchaus originalfs Cicwachs, aus dem germanischen Geiste
herausgeboren sei, in ihrem negativen Teil näher prüfen, dabei aber nur
H referierend die Ansichten eines Burckhardt, Voigt, Philippi, Villari u. s. v-
heranziehen. Von der Betrachtung der Kunst und Dichtung zu dt
ds* Weltanschauung gelanKcntl, slelll Pr. ntin fest, liaJl die antiker
Faktoren der Renai^sancekullur recht ansehnlich sind und jene These im
ihrer Unbedingtheit unhaltbar ist. Aber neben diesen Faktoren g^bt
andere, und lange vor Ch. hat schon Burckhardt auf die Cinseltigkdl de
Namens ..Renaissance" hingewiesen und die freie Originalität der Ver-
arbeitung antiken Gutes und die mit ihm weh verbindende Fülle eigen-
tütnlichen Volk^^istes betont.
Aus dem ..Bibliographe moderne" Sept./OkI. 1902 erwihnen wir-
P. Amauidets Beitrag: Catalogue de Is biblioth^que du chätcau.
de Blois en 1518.
Auch ist iriedcr eine Reihe schulgeschichtlicher Beitrlge zu
erwähnen: In den »Annaien des Vereins für nassauj^che Altertumskunde
u. Gesch." 33,1 bringt W. Diehl »Beitrilge rur Schulgeschichte der
Herrschaft Eppstein"; F. Otto setzt dort seine Abhandlung über -Nassauische
Studenten auf Universitäten des Mittelalters" fort. In den »Neuen Jahr-
büchern f. d. klass. Altertum u. s. w." X, 10 gibt E. Schwahe «Bcitiige
zur ältesten Geschichte der FQrstenschule zu Afra in .Meülen'.
Indem Bflchlein von E. O. Eickfo, Die norddeutschen Volks-
stänimc im MAiisgewande (Stuttgart, 1902, Verlag Heintdall) wird dereine
oder andere eine Art Volkskunde zu finden vermuten: es handelt sich aber
nur um ein sehr harmloses, gutgemeintes Sammelsurium von allerlei skizzea-
haften Notizen und Anekdoten über die Volksart der heutigen Ostpreußen,
Pommern, Märkcr u. s. w., die z. T. gajiz amüsant sind und im ganzen
auch eine richtige Grundauffassung verraten.
In der "Zeitschrift für Sozial Wissenschaft" VI, Jahrg. Heft -i/? gibt
A. Löwenstimm (Aberglaube und Verbrechen) weiteres Material.
namentlich aus Rußland, zu seinem 1 897 erschienenen Buch: .At>ergUube
und Strafrecht". Diese in erster Linie für den praktischen Juristen be-
deutsame Beleuchtung des Aberglaubens als Quelle der Verbrechen, z. B.
von GräbcTschändungen, Morden, selbst Diebstithlcn, ist auch für das
Studium des Volkstums recht interessant. Zur Geschichte des Aber-
gUubens liegen weiter Beitrüge vor von T/i. von Liebenau (Von den
Hexen, so in Wallis verbrannt «urdent in den Tagen, do Christoffel
von Siltnen herr und richter war) im Anzeiger für schweizer. Geschichte
34. Jahrg. No. 1, von einem Anonymus (Aberglaube im Amte
Lemberg [1674|) in den Mitteilungen und Umfragen zur bayoischen
Volkskunde 9. Jahrg. No. 3 und von Tetzner (Seelen- und Erd-
xännchenglauben bei Deutschen, Slawen und Balten) Im Qlobos
Bd. 83 No. 14/5.
Aus dem ..Schweizerischen Archiv für Volkskunde" VIl. I
erwähnen wir die Beiträge von; E. Hoffmann-Krayer, Schatzgräberei i. d.
Kleine Mitleilungen und Referate,
Umgebung Basels (1726—1727]; V. Pellatidini, Spigolature di folklore
tidnese; A. Schaer, Balthasar Han's und Hans Heinrich Qrob's nScliiKzen-
ausreden"; J. Pocke, Die hölzernen Milchredinutigen des Tarctschtals.
Schon in VI, 3 erschien ein auch die Historiker mehr interessierender Bei-
trag von S. Singer, Zur VoEkskunde vergangener Zeiten.
Ein Autsatz von L. Wiener (Die Geschichte des Wortes
• Zigeuner") im »Archiv für das SUidium der neueren Sprachen« Bd. 109,
Heft 3/4 geht auf die Geschichte der Zigeuner selbst als auf die Grund-
lage der sprachlichen Erörtening ein, weist nach, daß ihre ersten Spuren
in Europa in Griedienland zu erkennen sind, und machl die althergebrachte
Ansicht von ihrer Herkunft aus Ägypten aufs neue wahrscheinlich.
Die oi^n (S. 371) aufgestellte Forderung, lokale Arbeiten zunächst
in den Rahmen der allgemeinen Entwicklung hineinzustellen und niemals
lokale Dinge ohne Beziehung zu den allgemeinen Strömungen zu behandeln,
wird von Q. Liebe, wie in seinen sonstigen Arbeilen, so jetzt in einem
Artikel der ,rMagdeburger OeschichtsblätterMS. 177- 189); .dieKleider-
ordniingen des Erzstifts Magdeburg* wohl erfüllt. Das lokale
Material geben ihm Akten des Magdeburger Staatsarchivs. ».Die erste
Spur einer städtischen Kleid erordnung, wie sie in Westdeutschland schon
im H. Jahrliundert bekannt sind, erscheint in Magdeburg in dem Streit
der Stadt mit Erzbischof Günther. 1432 beruft sie sich auf ein alther-
gebraciites Recht, Männern und Frauen innerhalb ihres Mauemngs eine
standesgemäüe Kleidung vorzuschreiben."
Die in Frankreich geni publizierten .livrcs de raison" begegnen
uns wieder in Arbeilen vonj. M. Lavoret, Ltudes sur la famÜle d' autre-
fois. Le livre de raison de Fran^ois Quisard (In: Comple
rcnd» du I6< congres des soci^lfe savantes savoisieimcs) und von Mesehinet
de Ridiemond, Extraits du »livre de raison" de Fraii^ois Qillet,
sergent royal k Saintcs {1&41-IÖ92) [Bulletin hisl. et philol. 1902).
Als Sonderabdnick aus dem „Bulletin archfelogique" ist in Paris ein
Invenlaire apres dküs du mobitier de rarcbidiacrc Jacques Orsini i
Sens (1392) erschienen.
Im .Anzeiger dfs Ocrmanischen Nationalmuseums" 1902 IV setzt
H. SUgmann seine Arbeit über ndie Holzmöbel des Germanischen
Museums' fort und behandelt jetzt die bäuerlichen Bettstätten, die meist
die im vomcfimen und bürgerlichen Leben gebräuchlichen Formen des
IT. Jh. aufnehmen und weiterbilden, sowie die Wiegen.
Aus dem ,.Antiqiiary''(Marchl903)sei ein Artikel von CIT-finaoÄrt«)*,
Mcdieval lavalories erwähnt.
ßn anonymer Artikel der .Beilage zur Allgemeinen Zeitung' 1903
No. 37 bringt Notizen über »Ärztinnen aus Salerno-, wesentlich im
Anschluß an das Werk von Melanie Upinska, Histoire des femmcs Me-
380 Kleine Mitteilungen und Referate.
dedns (Paris 1900) und schließt mit einigen Belegen Ober mitteUlterlidie
Arztinnen in Bayern. — Zur Geschichte des ärztlichen Standes erwähnen
wir einen in Sedan erschienenen Sonderdruck aus der «Revue d'Ardennc
von J. VUUUe, Un procte entre un Chirurgien et des mMedns sedanais
en 1646. (27 S.) Ein in Fontainebleau erschienener Abdruck aus den
.Annales de la Sod^t^ historique et archtel. du Qätinois' enthält eine
Publikation von C. Forteau, Comptes de recettes et de d^penses de la
maladrcrie et l^proserie de Saint-Lazare-lez-^tampes de 1552 it 1556 (23 S.),
das >Bulletin historique de la soci£t£ de 1' hist du protestantisme francais
vom 15. Nov. 1902 eine solche von //. Lehr, Un conipte d' apothicaire
du temps de Moli^e aux d£pens de M. A. de Phelipot, pasteur i Sainte-
Foy-la-Qrande, ein Abdruck aus dem .Bulletin de la soci£t£ fran^ise
d'histoire et de mMecine" eine Artieit von V. Nicaise, Notes pour servir
ä l'hist. de l'anatomie au 16« s. et de la päiode pr^v&alienne (Poitieis,
17 S.) Zur Geschichte der Seuchen trägt die Arbeit von O. Brandt bd :
Die Pest der Jahre 1707-13 in der heutigen Provinz Posen, nebst ge-
legentlichen Rückblicken auf frühere Pestepidemien in dieser Gegend (Zett-
schrift der historischen Gesellschaft der Provinz Posen 17,11).
Bibliographisches.
Heinen, Wie läßt sich fßr die kulturhistor. Unterweisungen Im Cie-
schichtsuntcmchl der nötige Raum gewinnen? Projfr. Saarlouls(I4S.). —
E. SchaamkeU, Herder als Kulturhistoriker im Zusammenhang m.d.allgein.
geistig. EntwicltSung dargestellt. Progr. Ludwigslust (74 S.). - Marquis
de La Maziire, Essai sur Tevolution de la civilisation Indieune- T. I. 2.
Paris [446, 630 p.). - Stanley Lane-Poole, Medieval IndJa under
Mohammedan rule (712-1764). London (XVIII, 449 p.). - Annaics
du mus^ Guimet Biblioth^que d'ftudes. T. 14: leRltuel du cultcdivln
journalier cn fegypie, d'apris le papyrus de Berlin cl les textes du temple
de S^ti \rr_ 3 Abydos, par AUx. Moni. Paris {III, 203 p.). - / Kaersf,
Die antike Idee der Ökumene in ihrer politischen und kulturellen Be-
deutung. Lpz. <1II, 34 S.). - L. M. Hartnmnn, Der Untergang der
antiken Welt. lAus: WUsen für aHe.| Wien (tV. 77 S.). - C. jentsch,
Hellenentum und Christentum. Lpz. (VIII, 303 S.) - D. C. HesseUng,
Byzantium {Oeestelijke Voroudere IV). Haarlem (VIII, 403 S.). - Alfr.
FaaiU&^ Esquisse psychologique des peuples europ^s- 2. 6i. Paris
(XIX, 550 S). — R. Petersdorff, Germanen u. Griechen. Überein-
stimmungen i, ihr ältest. Kultur L Anschluß a. die Germania des
Tadtus u. Homer. Wiesbaden 1902. (Itl, 135 5.) - A. Ltjhtrt, Germain»
et Slaves. Origines et croyances. Paris (320 p.). - K Lamprecht, Deutsche
Geschichte. 2. Lrg. Bd. Zur jüngsten deutschen Vergangenheit II. 1.
Hälfte: Wirtsdiaftsleben — Soziale Entwickle, l.u. 2. Aufl. Freiburg i. B.
{XVIII, 520 S.) — ß. Hfil, Die deutschen Städte und Borger im M.-A.
(Aus Natur und Geisteswelt 43.) Lpz. (VIII, 151 S.). — Hansisches Ur-
Icundenbuch.Bd.g. 1463-1470. Bearb. v. ITart. 5/rt>r. Lpr. (XLIll, 751 S.
- A. Schlix, Die Entstehung der Stadtgenieinde Heilbronn, ihre Ent-
wicklung bis zum H. Jahrh. u. das erste Heilbrunner Stadirecht. Diss.
Tübing. (93 S. 1 PI.). - Rieh. Rtymaan, Gesch. der Stadt Bautzen.
Bautzen (VlI, 930 S.). - K- Ooftzke, Gesch. d. Stadt Demmtn, auf Grund
des Demminer Ratsarchivs etc. Demmin (XII, 520 S-). — E. Fnnsdorff,
Die Berlinerinnen im 18. Jh. Berlin (32 S.). — C KUeber^r, Volkskund-
liches aus Fischbach in der Pfalz. (Sanunlungen des Vereins 1. baycr. Volla-
künde I) Kaiscrslatitem (VII, 130 S.). - F. H.J. Chauffoar, Chronique
de Colmar, suivic des listes nominatives des obristmaisters, prcvöts, stetl-
maistres, conseillers et syndics de Colmar p. p. Andr^ Waltz. Colmar
{XI, 189 S.). - Monographien z. deutschen Kulturgesch, hisg. v. G. Stein-
382
Bibliographisches.
hansfn. Bd. II: G. Ltebf, Das Judentum in der dciitschtti VCTgangc
heit Lpz. (127 S.). - / M. Oassner, Aus Sitte und Brauch der Metta
dorficr. E. Beitrag z. siebenbürg .-sä chs. Volkskunde. Progr. Bistri
[96 S.). - Histoire gin^rale de Paris. Registres des dilibirations d
burwu de la villc de Paris. T. X. (1590-1594). Texte idHi et anno
par Paiü Gumn. Paris <XX. 5Iö p.). T. XI (1594-1598). Texte 4
et am, p. AI. Tuetay. ib. (U 737 p.). — fedits de poIice de la ville i
Montrcuil-sur-Mer (1419-1519) p. Georges de Lfiomef. Abbcville (
152 p.). - A. Lediea. L'administratron munidpale i Abbeville au ta
Abbeville (II, 128 p.). - R. Tri^r, L'administration municipak «u
1530-1545 iExlr. d. 1. Rev. bist. du Maine) LeMans (88p.). - />.Ä
Tigne, des origines ä 1900 (gcogr,, hiat, adniinistr., inslnict.,
etc.). Angers (703 p.). - F. Gregorovius, Gesell, d. Stadt Rom
M.-A. 5. vcrb. AuH. Bd. 1. Stuttg. (X. 494 S.). - H. Fertig, Spr
Land und Leute in dem letzten Jahrlmndert vor Christus, Qynin.«P
Bamberg (6S S.). — Moses Neai Amis, Hislorical Raleigh from II*
dation in 1792; descriptive, biographjca.1, cducational etc Raleigh (?
— P. Deschamps, La Russie aii 20 e s.: son origine, ses moeurt, §■
veloppement, sa population etc. etc. Paris (291 p.). — K. R*
Volkskurtdliche StreifzOge. 12 Vorträge über Fragen der deutsdr.
Dresden <VJt, 266 S.). — L. Darapsky, Altes u. Neues v. d. W
rute. Lpz. (70 S.). — F. Tikon, Un proces de sorcHlcrie &
Huy (32 p.). — Atfr. Schoene, Über die beiden Rcnaissancrfjc»
des B. und 18. Jh. Kiel (24 S,). — Aug. Vogel, Oosch. d. C
als Wissenschaft. Nach den Quellen dargestellt. 2. Auq^ '
(Xl[, 410 S.). — 5. 5. Laurie, Siudics in the histoiy of et
üpinion from the renaissance. Cambridge (VI, 261 S.). — F,V
Zur Gesch. d. Lateinschulen in Sachsen, insbes. ihr Verhältais
U. ihr Religionsunten-icht. Progr. Schneeberg (23 S,). —
Neue urkutidliche Beiträge z. Gesch. d. gelehrt. Schulwesen
Herzogtum Zwei brücken. Progr. Zwcibrficken (4S S.) — K
terialien zur Gesch. d. Egercr Lateinschule 1300— HS29. Nj
künden des Egerer Stadtarchivs. Progr. Obcrgymn, CßW
N. Spifgtl, Oelehrtenproletariat und Gaunertum vom Beginn
Mitte d. 16, Jh. Progr. Schweinfurt (58 S.). — F. Tavtm.
nalisme; son histotre; son rÖle politique et religieux. I'
337 p.). — F, Fanck-Brentano, U famUle fait I'£tat. £hK
mation de U societ^ anlic)ue et de la soc moderne. Paris (64
Orandeur et Dfcidence des classcs moyennes, ib. (M p
Grandeur el Dccadeiice des aristocralics, ib. (64 p.). —
Oesch. d, Adels. Urspr. u. EntwickL Berlin (104 S.). —
Genlilshommes campagnards de l'ancienne Trance. £tui
ditiort, r^lat social et les mocurs de la noblesse de pnw'i
18e s. Paris (430 p.), — C. Lftourneau '' "inditi'i
Bibliographisches.
hausen. Bd. U: O. Liebe, Das Judentum in der deutschen VerEanRcn-
heit, Lpz. (127 S). - / M. Oassner. Aus Sitle und Brauch der Mettnv
dorfer. E. Beilrsg z. siebciibürg.-sächs. Volätskunde. Progr. Bistritz
[96 S.)- — Hisloire gen^le de Paris. Registres des d^üMrations du
bureau de la ville de Paris. T. X. (1590-1594). Texte üiii et annole
pnr fiaai Gaeritt. Paris (XX, 516 p.). T. XI (1594-1598). Textet.
et ann. p. AI. Tuetay. ib. (L, 737 p.). — £dits de police de la ville de
Montreuil-sur-Mcr (141Q-I519) p. Oeorg^ de Lhomet. Abbeville (X,
152 p.). - A. Lediea, L'administratton mutiicipale ä Abbeville au 18e s.
Abbeville (II, 128 p.). - /?. Triger, L'administration municipale au Mans
1530— 1M5 (Extr. d. 1, Rev. hist.du Maine) Le Mans (88 pl. - P.SauSseaa,
Tignifv des origines ä 1900 (gcogr., hist-, aditiinistr., instrucl., agricult.
etc). Angers (703 p.). - F. Gregorovius, Oesch. d- Stadt Rom im
M.-A. 5. verb. Aun. Bd. 1. Stuttg. (X, 454 5.). - H. Fertig, Spanien.
Land und Leute in dem letzten Jahrhundert vor Christus. Qymn.-Progr.
Bamberg (68 S.). — Moses Neat Amts, Hi&lorical Raleigh froni its foun-
dation in 1792; descriplive, biographical, educational etc. Raleigh (236 p.).
— P. Desckamps, La Russie au 20 e s.: son origine, ses mceuis, son dt
veloppement, sa popuIation etc. etc. Paris (291 p.). -^ K. ReaseAei,
Volkskund liehe Slreifzüge. 12 Vorträge über Fragen der deutsch. Volksk.
Dresden (VII, 266 S.). — L. Darapsky, Altes u. Neues v. d. Wünschel-
rute. Lp2. (70 S.). — F. Tilton, Uli proc« de sorcellerie k Moxhe.
Huy (32 p.). — Atfr. Schoetie, Über die beiden Renaissancebewegungen
des 15. und IS. Jh. Kiel (24 S.). — Aug. Vogei, OescEi, d. Pidagogik
als Wissenschaft. Nach den Quellen dargestellt. 2. Ausg. QQtersloh
(Xn. 410 S,). — S. 5. Laurie, Sludies in Ihe histoty of educational
opinion from the renaissance. Cambridge (VI, 261 S.). — F. W.Sträver,
Zur Ge$ch. d. Lateinschulen in Sachsen, insbes. ihr Verhältnis zur Kirche
u. ihr Religionsunterricht. Progr. Schnceberg (23 S.). -- P. Ketper,
Neue urkundliche Beiträge z. Gesch. d. gelehrt. Schulwesens im früh.
Herzogtum Zweibrücken. Progr. Zweibrücken (48 S.) — K. Siegt, Ma-
terialien zur Gesch. d. Egerer Lateinschule 1300—1629. Nach den Ur-
kunden des Egerer Stadtarchivs. Progr. Obergymn. Eger (143 S.). -
N. Spiegel, Gelehrt enproletariat und Gaunertum vom Beginn d. 14. bis zur
Mitte d. 16. Jh. Progr. Schveinfuri (58 S.). — f. Tavemier, Du jour-
nalisme; son histoine; son röle politique et religieux. Paris (XXXll,
337 p,). — F. Fanck'Brentano, La famille fall l'ttat. ttude sur la for-
mation de la sociale anlique et de la soc. moderne. Paris (64 p.}. — Ders.,
Grandeur et Dicadeiice des classes moyennes. ib. (64 p.). - Den.,
Orandeur et D&adencc des arislocralies. ib. (64 p.}. — H. v. Büiow,
Oesch. d. Adels. Urspr. u. Enlwickl. Berlin (104 S.). — P. de Vaissiin,
Genlilshommes campagnards de l'ancienne France, tlude sur la con-
dition, r^lat social et les mceurs de !a noblesse de province du 16c au
18e s. Paris (430 p.). — C. Letoumeaa, La condiiion de la femme
BiblioEraphisches.
dans les diverses races et civilüsalions. Paris (XVI, 511 p.). — A. Bnfch,
Die Stellung der Frau in der angelsächsischen Poesie, Dis?, Zürich
(80 S.)- ~ A, Preime, Die Frau i. d. allfranzös. Fabliaux. Diss.
Göttingen (171 S.). — A. Lüdaitz, Die Liebeslheorie der Provenzalcn
bei den Minnesingern der StauferwU. Diss. Berlin (40 5.). — G. Fromm-
hold, Ober den Einfluss der Religion auf das Rechl der Ot-rmanen.
(Festreden der Univ. Oreifswald No. 10.) Greifswald (31 S.) — G. H.
Eüwangv, The pleasure« oi ihe table: an account of gastronomy frora
ancient days to present times with a hist ol ils literature, schools and
mosl distinguished artists. New-York. — L. de Bfyii^, L'hjibitation
byranline. Recherches sur rarchitectur« dvile des Byzantins d son in-
fluence en Europe. Paris (XV, 220 p.). Supplement fies ancicnnes
maisons de Constanlinopie) ib. (X, 29 p.) — K- G. SUpbam, Der
älteste deutsche Wohnbau u. seine Einrichtung. BaTigeschiclitl, Studien.
2. Bd. Von Karl d. Gr. b. z. Ende d. 11. Jh. Lpz. (XV, 705 S.). -
Journal Inikhl d'Amaad d'Anäilty (1624). Publi'^ p. Eugene el Jules
Halphen. Paris lö9 p.). — Journal intime de l'abbc Muht, bibüolhecaire
et grand-prieur de l'abbaye de Saiiit-Victor (17T7— 17821 p. p. M. Tour-
neux. Paris (114 p.). (Extr. des Mfmoires de la soci^-t* de l'hist. de
Paris t. 29.) — P. Rhode, Die Königsb. Schützengilde in 550 Jahren.
Königsb. (X, 308 S.). — Kinderspel cn Kinderlust in Zuid-Ncdcrland
door A. de Cock mjs. TeirUnck II, 3: Dansspelen. Gent (38Q p,). —
L. £. W«/, Die Prosliliition bei allen Völkern vom Altertum bis zur
Neuzeit. Berlin (VII, 282 S.). — James £. Th. Rogers. A hislory of
aericulttire and priees in England from 1259 to 1793. Vol. Vil. 1703
- 1793. 2 parts. Oxford (XV, 966 pO- - / Maliearne, Recherdies
hisL siir ragriciilture dans le pays de Bray. II (1583—1707)- Ronen
(136 p.l. — R. La/argue, L'agricullure en Umousin au I8e s. el Tinten-
dance de Turgot. These. Paris (VlII, 285 p.)- — £- -B«*, Die Geschichte
des Eisens in lechn. und kulturgeschichtl. Beziehung. Abt. V. Das 19. Jh.
Braunschw. (VII, 1419 S.). — W. Feehner, Gesch. des schles. Berg- und
Hüttenwesens 17-11—1806. Nach den Akten des geh. Staatsarchivs etc.
[Aus: Zs. f. d. Berg-. Hfltten- u. Salinenwesen i. prciiss. Staate.] Berlin
(75b S.). — //. Daiicktr, Das mittelaltcrl. Dorfgewerbc (m. Ausschl. der
Nahrungsmittel-Industrie) nach den Wcistumsüberlieferungen. Diss. Lpz.
(XI, 137 S,). — P. Rissen, Hist. soromaire du commerce. Paris 1902
(VI, 384 p.) - IT. Stifda, Über die Quellen der Handelsstalistik im
M--A. (Aus: Abhandlungen der preiiss. Akad. d. Wiss, Anh.] Berlin
(58S.). — O. Vv/r, Le commerce et les marchands dans I'ltalic meridio-
nale au I3e et ati I4e stecEe. [Bibliotheque des ^oles fran^MS
d'Athtncs et de Rome 88.] Paris. — / Latimer, The history of the Society
of merchanl vcnturcrs of the City of Bristol. Bristol (345 p.). —
Invenlaire des archives de la Bourse des marchands de Toulouse ant^
rieures k 1790 par 5. Macary. Toulouse (103 p.). — M. Haisman^
r
382 Bibliograph ischcft.
haasen. Bd. U: O. Litbe, Das Judentum in der deutschen X'er^nKCn-
heit Lpz. (127 S.). - / M. Gassner. Ans Sitte und Brauch der Mrttfrs-
dotftf. E, Beilraß 2. sieben bürg.-säch&. Volltskunde. Progr. Bistritz
(96 S.)- — Hisloire g^n^rale de Paris. Registres des dtüb^rations du
bureau de la ville de Paris. T- X. (1590-1594). Texte *dit* et annot6
p^r Paai Quenit. Paris (XX, 516 p.>. T. XI {1^94- 1598). Texte«.
et ann. p. AI. Taetay. ib. (L, 737 p.). — £dits de police de (a ville de
Monlreuil-sur-Mw (1419-1519) p. Georges de Lhamel. AhhenWt (X,
152 p.), - A. Ledieu. L'administration municipale ä AbbeviTEe au 18e s.
Abbeville [II, 128 p-j. - R. Triger, L'administration municipale au Mans
1530—1545 (Extr. d. 1. Rev. hist.du Maine) Le Maus (88p.). - P.S<umMtt,
Tjgn^r ^^ origines ^ IQOO (geogr.^ hist., administr., instruct, agricuiL
etc.). AiJget? (703 p.). - F. Gregorovius, Oesch. d. Stadt Rom im
M.-A. 5. vert». Aufl. Bd. 1. Stuttg. (X, 494 S.). - M Tfl^iÄ Spanien.
Land und Leute in dem letzten Jahrhundert vor Christus. Gymn.-Progr.
Bamberg (68 S.), — Moses Neal Amh, Historical Raleigh Erom its foua-
dation in 1792; descriptive, biographtcal, educalional cic. Raleigh (236 p.).
— P. Desckamps, La Russie au 20 c s.: son ongine, ses morurs, son de-
veloppement, sa population etc. etc. E^aris (291 p). — K. ReasfhH,
Volkskundliche StreiEzüge. 12 Vorträge über Fragen der deutsch. Volksk.
Dresden (VII, 266 S.). — L. Darapsky, Altes u. Neue v. d, Wünschel-
rute. Lpz. (7ü S.). — F. Tihoii, Un proces de sorcellerie i Moxhc.
Huy (32 p.). — Alfr. Sehoene, Über die beiden Renaissanccbcwegungen
des 15. und 18. Jh. Kiel (24 S.). — Aug, Vogei, Gesch. d. Pädagogik
als Wissenschaft. Nach den Quellen dargestellt. 2. Au%. OfltersJoh
(XII, 410 S.). — 5, 5. Laurie, Studies in Ihc history of educational
opinion from the renaissance. Cambridge [VI, 261 S.). — F. M^. Strüver,
Zur Gesch. d. Lateinschulen in Sachsen, insbes. ihr Verhältnis zur Kirche
u. ihr Religionsunterricht. Progr. Schneeberg (23 S.l. — P. Kaper,
Neue urkund[idbe Beiträge z. Gesch. d. gelehrt. Schulwesens im früh.
Herzogtum Zweibrücken. Progr. Zwdbrßcken (48 S.) — K. Siegt, Ma-
terialien zur Gesch. d. Egercr Lateinschule 1300—1629. Nach den Ur-
kunden des ^crer Stadtarchivs. Progr. Obergymn. Eger (143 S.). -
N. Spiegel, Qelehrtenproletariat und Gaunertum vom Beginn d. 14. bis zur
Mitte d. 16. Jh. Progr. Schweinfurl i58 S.). — E. Tavernitr, Du jour-
nalisme; son histoire; son rö!c pohtique et reügieux. Paris (XXXII,
337 p,}. — F. Funck'Brtatano, La famille fall l'ttat. fetude sur la for-
niation de la societ^ anlique et de la soc moderne. Paris (64 p.). — Den^
Grandeur et Decadence des classes moyennes, ib. (64 p.). — Dfft,
Grandeur et Dteadencc des arislocraties. ib. (64 p.]. — H. v. Bäiaw,
Gesch. d. Adels, ürspr. u. Entwickl. Berlin (104 S.). -P.de Vaissän,
Gentilshommes campagnards de I'ancienne France, ttude sur la con-
dition. I'itat social et les moeurs de la noblesse de province du lOe au
!8e £. Paris ^430 p.). — C. Letourneau, La condition de la fcmmfr
dans les diverses races ei civtlisations. Paris (XVL 511 p.). — A. Brock,
Die StelLutig der Frau in der angelsachsischen Poesie. Diss. Zürich
(80 S.). — A. Preirm, Die Frau i. d. altfran7ös. Fabliawx, Diss.
GöHingen (171 S.). — A. Lüdtritz, Die LJebeslheorie der Provenzalen
bei den Minnesingern der Stnufcrzetl. Diss. Berlin (40 S.)- — O. Fromm-
hold, Über den Einfluss der Keligion auf das Recht der Oerraanen.
(Fesiredcn der Utiiv. Oreifcwald No. 10.) Greifswald (31 S.) — O. H.
Eilwang^, The pleasures of the table: an account of gostrcmomy [rom
ancient days to presenl times with a bist. o\ ils literature, schoots and
mosl distinguishcd artists. Ncw-York. — L. de BeyUi, L'habitation
byranline. Rccherches sur rarchilecture dvile des Byzantins et son in-
fliien« en Eiiropc. Paris (XV, 220 p.). Supplcmenl (.!« ancicnnes
maisons de ConstantinopEe) ib. (X, 2Q p.) — K. G. Stfphani, Der
älteste deutsclie Wohnbau u. seine Einrichtung. Baugechithll. Studien.
2. Bd. Von Karl d. Gr. b. z. Ende d. 11. Jh. Lpz. (XV, 705 S.). -
Journal incdit d'Amaad d'Andäly (1624). Publie p. Eugene et Jules
Halphen. Paris (M p.), — Journal intime de l'abb^ Mulot, bibllolhecaire
et grand-prieur de l'abbaye de Saint-Victor (J777— 1782) p. p. M. Tour-
neux. Paris {\\i p.)- (Extr. des M^moires de la sod^t^ de l'hist. de
Paris t. 29.) — P. Rhode, Die Königsb. SchUtzengilde in 550 Jahren.
Königsb. (X, 308 S.). — Kinderspet en KinderlusI in Zuid-NederUnd
door A. de Coek enjs. Teirlindt H, 3: Dansspekn. Gent (389 p.). —
L. E. Ifira/, Die Prostitution bei allen Völkern vom Altertum bis zur
Neuzeit. Berlin (VII, 282 S.). — James E. Th. Rogers. A hisiory of
agriculture and prices tn England from 1259 to 1793. Vol. VII, 1703
- 1793. 2 parts. Oxford (XV, 966 p). - /. Malieome, Recherches
bist, sur ragiiculture dans le pays de Bray. II (1583—1707). Roucn
(136 p.). — R. Lafargite, L'agricullure en Umousin au 18e s. et l'inten-
dan« de Turgot. These. Paris (Vlll. 285 p.). - I. ßwA. Die Oesdiidjte
des Eisens in lechn. und kulturgcschichl!. Beziehung. Abi. V. Das 19. Jh.
Braunschw. (VII, 1419 S.). — H. Fechner, Oesch. des schles. Berg- und
Hüttenwesens 1741—1806. Nach den Akten des geh. Staatsarchivs elc.
[Aus: Zs. f. d, Berg-, Hütten- u. Salinenwescn i. preuss. Siaate.] Berlin
(756 S-). — H. Dancker, Das mittelalterl. Dorfgewerbe (m. Ausschl. der
Nahrungsmittel- Industrie) nach den Weist umsüberlieferungen. Diss. Lpz.
(XI, 137 S.j. — P. Rissff/t, Hist. sommaire du commerce. Paris 1902
(VI, 364 p.) - W. Stieda, Über die Qudlen der Handdsstatistik im
M.-A. [Aus: Abhandlungen der preuss. Akad. d. Wiss. Anh.] ßerün
(58 S.). — G.Yvfr, Le commerce et les niarcliands dans l'Italie n;eridii>
nale au 13e et au l'le siMe. [BiblioltiiJquc des ^-coles (ran^ises
d'Alheiics et de Rome 88.] Paris. — / Latimer, The history oJ the Sodely
of merchant venturers of the City of Bristol. Bristol (345 p.). —
Inventaire des archives de la Bourse des marchands de Toulouse ant6-
rieures ä 1790 par S. Mücary. Toulouse (103 p.). — M. Haismaa^
382 Bibliographisches.
hausen. Bd. II: G. Llebf, Das Judentum fn der deulschen Vef^pngen-
hdt. Lpz. (127 S.). - y. M. Gassner, Aus Sitte und Brauch der Mettnv
dorfer. E. Beitrag z. sieben biirg.-sächs. Volkskunde. Progr. Bistritz
(96 S.). — Histnire ginhaüz de Paris. R^i&tres des dilib^ttons du
bureau de la »-ille de Paris. T. X. (1590-1594), Texte Mit* et annot*
^ax Paul Gatrin. Paris (XX, 516 p.). T. XI (1594- 1M8). Texte«.
el ann. p. At. Taetay. ib. (L, 737 p.). — fedils de policc de la viüe de
Montreuil-&iir*Mer (1419-1519> p- Georges de Lhomel. Abbtville (X,
152 p.). - A.Ledieu. L'administration munidpale ä AbbeviUe au 18e s.
Abbevilte (II, 128 p.). — R, Triger, L'admJnistntion mumcipale au Maus
1530-1545 (tJrtr. d.i. Rcv.hist. du Maine) U Maus (88 p,). - P.Saasseaa,
Tigne, des origines i 1900 (gcogr,, bist., administr., instruct., agricuH.
etc.). Angers (703 p.). - F. Orrsorovias. Oesch. d. Stadt Rom im
M,-A. 5. verb. Aufl. Bd. I. Stuttg. (X, 494 5.). - H. Fertig. Spanien.
Land und Leute in dem letzten Jahrhundert vor Christus, Gymn .-Progr,
Bamberg (08 S-). — Moses Neal Amts, Historical Raleigh from its (oun-
dation in 1792; descriptive, biographicai, educational etc. Raleigh (236p.).
— P. Dtsckamps, La Russie su 20e s.: son ongine, ses mceure, son de-
veloppement, sa populatton etc. etc. Paris (2Q1 p.). — K. Reusciuly
Vollakund liehe Slreifzüge. 12 Vorträge über Fragen der deutsch. Volksk.
Dresden (VIL 266 S.). - i. Darapsky. Altes u. Neues v. d. WQnscbel-
nite. Lpz. (70 S.), — F. Tihon, Un proces de sorcelleric ä Moxbe.
Huy (32 p.). ~ Alfr, Schoene, Über die beiden Renaissancebewegungen
des 15. und 18. Jh. Kiel (24 S.). — Atig. Vogei, Gesch. d. Pädagogik
ftls WissenschaFL Nach den Quellen dargestellt. 2. Ausg. Gütersloh
(XII, 410 S.}. — S. S. Laarie, Sludies in the hislory of educational
opinion Erom the renaissance. Cambridge (VI, 261 S.), — F. W.Sträver,
Zur Gesch. d. Lateinschulen in Sachsen, insbcs. ihr Verhältnis zur Kirche
u. ihr Reltgionsunierricht. Progr. Schneeberg (23 S.). ~ /■'. Käptr,.
Neue urkundliche Beiträge z. Gesch. d. gelehrt. Schulwesens im früh.
Herzogtum Zweibrücken. Progr. Zweibröcken (48 S.) — K Sügi, Ma-
terialien zur Gesch. d. Egerer Lateinschule 1300—1629. Nach den Ur-
kunden des Egerer Stadtarchivs. Progr. Obergymn. Eger (143 S.). -
N. Spi^el, Gelehrten proletnriat und Gaunertum vom Beginn d. 14. bis zur
Mitte d. 16. Jh. Progr. Schweinfurt (58 S.). — £. Tavernitr, Du jour-
nalisme; son htsloire: son röle polilique et retigieux. Paris (XXXII,
337 p.). — F. Fanek-Brtntano, La fanijlle [ait Tttat. fetude sur la for*
niattun de la societe antiquc et de la soc- moderne. Paris (64 p.). — />rs,
Grandeur et Dtaidence des classes moyennes. ib. (64 p.). — D«»s,
Orandeur et Decadcnce des aristocraties. ib. (64 p.). — H. v. Bälow,
Oesch, d. Adels. Urspr. u. Entirickl. Berlin (104 S.). — P.de Vaissäre.
Gentilshommes campagnards de l'ancienne France. £tude sur la con-
dition, r^tat social et les mceurs de la noblesse de province du I6c au
18e i. Paris (430 p.). — C Ltieameaa, La cundiiion de la femme
Bibliographisches.
rfans les diverses races et dvitisations- Paris (XVI, 511 p.). — A. Brück,
Die Stellung der Frau in der ati gelsächsischen Poesie. Diss. Zürich
|80 S.). ~ A. Pnime, Die Frau i. d. allfranzfts. Fabliaux. Diss.
QöttinEen (171 S.l. — A. Läderitz, Die LiebesÜjeorie der Proveitzalen
bd den Minnesingern der Staufemeit. Diss. Berlin (40 S.). — O. Fromm-
hold, Über den Einftuss der Religion auf das Recht der Germanen.
(Festreden der Univ. Oreifswald No. 10) Qrcifswald 01 S.) — G. H.
EUvranger, The pleasurcs of thc table: an account of gastronomy from
andent days to present times with a hist. of ils literaliire, schools and
raost disHnguished arüsts. New-York. — L. de Beyii^, L'habitation
byzantine. Recherdies sitr rardiilecture dvile des Byzantins et son in-
fliiCHce en Europe. Paris (XV, 220 p.), Supplement <les ancienncs
maisons de Constantinople) ib. (X, 29 p.) — K. G. Stephan!, Der
älteste deutsche Wohnbau u. sdne Einrichtung, Baugeschichll. Studien.
2. Bd. Von Karl d. Gr. b. z. Ende d. 11. Jh. Lpz. (XV, 705 S.). -
Journal inedil d'Arnaud d'Andiüy (1624). Public p. Eugene et Jules
Halphen. Paris (6Q p.). — Journal Intime de l'abbe Mtdot, bibliolhteaire
et grand-prieur de l'abbaye de Saint-Victor (1777—1782) p. p. M. Tour-
neux. Paris (114 p.). (Extr. des M^moires de la soci^i de l'hist. de
Paris t. 29.) — P. Rhodf, Die Königsb. Schütunsilde in 550 Jahren.
Königsb. (X, 308 S,). — Kinderspel en Kinderlusl in Zuid-Nederland
door A. de Coek etijs. Teirünek II. 3: Dansspelen. Gent (389 p.). —
L. E. West, Die Proslilution bei allen Völkern vom Altertum bis zur
Neuzeil. Berlin (Vit, 2S2 S.). — James E. Th. Rogers, A history of
agricullure and prices in England from 1259 to 1793. Vol. VII, 1703
- 1793. 2 parts- Oxford (XV, 966 p.). - /. Maliconie, Rcdierches
hisL sur lagiicuUure datis te pays de ßray. II (1583—1707). Rouen
(136 p.>. — R. Lajargue, L'agricullure en Limousin au 18e s. et l'inten-
dance de Turgot. These. Paris (VIII, 285 p.). - i. ÄwA, Die Oescliichte
des Eisens in techn. und kullurgeschichtl. Berichung. Abt. V. Das 19. Jh.
ßraunschw. (VII, 1419 S.). — H. Fechner. Gesch. des schles. Berg- und
Hüttenwesens 1741—1806. Nach den Akten des geh. Staatsarchivs etc.
(Aus: Zs. f. d. Berg-, Hütten- u. Salincnwcscn i. preuss. Staate.] Berlin
(756 SV — H. Daneker, Das mittclalterl. Dorfgewcrbc (m. Ausschl. der
Nahru3igsmiUel'litdu5lrie) nach den Weistunisüberlieferungen. Diss. Lp2.
(XI, 137 S,). — P. Rissen, Hist. sommaire du commerce. P-iris 1902
(VI, 384 p.) - W. Stieda, Über die Quellen der Handcisstatistik im
M.-A. lAus; Abhandlungen der prcusi Attad. d. Wiss. Anh.] Berlin
(58 S-). — G. Yvrr, Le commerce et les marchands dans l'ttaüe meridio-
nale au 13e et au I4e siecle. [Bibliolti^que des Genies fran^ises
d'Alhenes et de Rome 88.] Paris. — / Latimer, The history of the Society
of merchant vciiturers of Ihe City of Bristol. Bristol (345 p.). —
Inventaire des archivcs de la Boursc des marchands de Toulouse ante-
rieuTCS i 1790 par S. Maeary. Toulouse (103 p.). — M. Haisman.
382 Bibliographisches.
hausen. Bd. II: O. Lifbe, Das Judentum in der deutschen Vergangen-
heit. Lpz. (127 S), - / M. Qassntr, AusSttte und Brauch der Metiers-
dorfer. E. Beitrag z. sicbcnbürg.-sächs. Volkskunde. Progr. Bistritz
(06 S.). — Histoirc g^n^le de Paris. Registres des dflibentions du
bwreau de la ville de Paris. T. X. (1590—1594). Texte editi et annol*
par Paiä Guerin. Paris (XX, 516 p.). T. XI (1594- 1598). Texte Äl.
et ann. p. AI. Tuetay. ib. (Lj 737 p.). — tA\\% de poüce de la ville de
Montreuil-sur-McT (H19-15I9) p. Georges de Lhomel. Abbeville (X,
152 p.). -- A. Ledieu. L'administration municipale i Abbeville au 18e s.
Abbeville (II, 128 p.). - R. Trig^, L'administration municipale au Man».
1530—1545 (Extr. d. 1. Rev. hist. du Maine) Le Mans (88 p.). - P.Saasseaa,
Tigni, des origines k 1900 Ig^ogr., hist., administr., instnict., agricuh.
etc.}. Angers (703 p.). - F. Oregorovias. Oesch. d. Stadt Rom im
M.-A. 5. verb. Aufl. Bd. I. Sluttg. (X, 494 S,). - H. Fertig, Spanien.
Land und Leute in dem letzten Jahrfiundert vor Christus. Qymn.-Progr.
Bamberg (68 S.). — Moses Neai Amis, Historical Raleigh from its foun-
dation in 1792; descriptive, biographical, cdticational etc. Raleigh t236p.|.
— P. Deschamps, La Russie au 20c s.; son origine, ses moeurs, son d^
veloppcmenl, sa population etc. rtc. Paris (291 p.). — K. Reusdid,
Volkskundliche Streifzüge. 12 Vorträge über Fragen der deutsch. VolWsk.
Dresden (VII. 266 S.). — L. Darapsky, Altes u. Neues v. d. Wfinschel-
nile, Lpz. (70 S.). — F. Tihon, Un procfa de sorccllcrie ä Moxhe.
Huy (32 p.). — Alfr. Sehoene, Über die beiden Renaissancebcwegiingcn
des t5. und 18. Jh. Kiel (24 S.). — Aug. Vogel, Gesch. d. Pädagogik
als Wissenschaft. Nach den Quellen dargestellt. 2. Ausg. Gi^tersloh
(XU, 410 S.). — S. S. Laurie, Studies in Ihc history of educational
opinioti from the renaissance. Cambridge (VI, 261 S.). — F.W.Strüva;
Zur Oesch. d. Lateinschulen in Sachsen, insbes. ihr VerhSltnis zur Kirche
u. ihr Religionsunlcrricht. Progr. Schneeberg (23 S.). — P. Köper,
Neue urkundliche Beiträge z. Gesch. d. gelehrt. Schulwesens im früh.
Herzogtum Zweibriicken. Progr. Zweibrücien (48 S.) — K Siegl, Ma-
terialien zur Gesch. d. Egerer Lateinschule I3U0— 1629. Nach den Ur-
kunden des Egerer Stadtarchivs. Piogr. Obergymn. Eger (143 S.). -
M Spitzt, Gelehrten Proletariat und Gaunertum vom Beginn d. 14. btsnir
Mitte d. 16. Jh. Progr. Schweinfurt (58 S,). — E. Tavernitr, Du jour-
nalisme; son histoire; son röle politique et retigieux. Parts {XXXII,
337 p.). — F. Fttncic-Brentano, La famille fait I'ttal. ttude sur la loi-
mation de la soci'flt aniique et de la soc. moderne. Paris (64 p.). — Ders,
Grandcur et Decadencc des ciasses moyennes. ib. (64 p-), — Ders^
Orandeur et D&adence des aristocraties. ib. (64 p.). — //. i*. Bülov,
Oesch, d. Adels. Urspr. u. Entwickl. BerUn (104 S.). ~- P.äe Vaissäre,
Qcntilsliommcs campagnards de Tanciennc France, ttude sur la oon-
dition, l'etat social et les mururs de la noblesse de province du 16e au
18e s. Paris (430 p.>. — C. letaurneaii, la condition de la fentme
dans 1« diver&es races el civil isatfons. Paris (X\'h 511 p,). — A.Broch,
Dir Stellung der Frau in da angdsächsi&clien Poesie. Diss- Zfinch
(SO S.). — A. Prtime, Die Frau i, d. altfranzCs. Fabüaux. Diss.
Göttingen (171 S). — A. Läderitz, Die Liebestheorie der Provenalen
bei den Minnesingern der Statiferzeil. Diss. Berlin (40 S.). ~ 0. Fromm-
h0ld. Über den Cinfluss der Religion auf das Recht der Oermanen.
(Festreden der Univ. Oreifswald No. 10,) Oreifswald (31 S.) — G. H.
EUwangfr, The pleasures of Ihe tabJe: an account Df gastronomy from
ancient days to prcsent limes wilh a hist. of its lilerature, schnols and
mosl distingur&hed arlisis. New-York. — L. d£ Beylif, L'habitation
byzanline. Rechercbes sur l'architeclure civile des Byzantins et son in-
fluencc en Europe. Paris (XV, 220 p.). Supplement (!es rtncicnnes
maisons de Constantlnople) ib. (X, 29 p.) — K. G. SUphani, Der
älteste deutsche Wohnbau u. seine Einrichtung. Baugeschichtl- Studien.
2. Bd. Von Karl d. Gr. b. z. Ende d. 11. Jh. Lpz. (XV, 705 S.). -
Journal inAJn d'Arnaud d'AndUly (1624). Publik p. Eugene et Jules
Halphcn. Paris (69 p.i. — Journal intime de l'abbf Muht, bibliothecaire
et grand-prieur de fabbayc de Saint-Victor (1777—1782) p. p. M. Tour-
neux. Paris (114 p.). (Extr. des M^moires de la SDci>ft^ de l'hist. de
Paris t. 29.) — P. Rhode, Die Königsb. Schützengildc in 550 Jahren.
Königsb. (X, 308 S.). — Kindcrspel en Kitiderlust in Zuid-Nederland
door A. de Cock m Js. TeirUack 11, 3: Dansspelen. Gent (389 p.). —
L. E. \^£si, Die Prostitution bei allen Völkern vom Allcriutn bis zur
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Detttiche Bttch- and Ktuotdruckerri, O. in. b. H., Zossen - Beilia SV. II.
Mittelalterliche Notizen Für die Reise nach JeruHlem.
[ Mittelalterliche Notizen für die
^ft Reise nach Jerusalem.
^K Mitgeteilt von ULRICH SCHMED.
m Als ich vor einiger Zeit behufs Studien zu meiner jüngsl er-
schienenen ilhislrierlen Schrift; »Otto von Lonsdorf, Bischof zu
Passau 1254-1265", Würzburg 1903, in der fürsti. Öttingen-
IWatlersteinschcn Bibliothek zu Maihingen bei Nördlingen i. Ries
veilte, fand ich dank der Güte des dortigen Bibliothekars Dr. Q.Qrupp
in einem Codex aus dem fünfzehnten Jahrhundert (cod. |[ 1,4'*
25 f. 136 ')'J die folgenden Noli/en für die Reise nach Jerusalem.
Obwohl diese Aufzeichnungen nur kleinen Umfang haben, so sind
sie doch sehr bemerkenswert für die Kenntnis der mittelaher-
lichcn Pilgerfahrten nach dem heiligen Lande und dürften daher
I nicht ohne Bedeutung sein für die Kulturgeschichte des ausgehenden
Mittelalter?. Daher wiil ich hier diese charakteristischen Notizen
nebst den nötigen Erklärungen geben.
f. 136': «gen ierusalem ze ziechen.
jtem diß kauf zij venidig: grien imber'), trief), zuckerkandit«),
Confet*), Zuckenosat, zucker, weinbör, inandel, gagen'), zßgade*),
muskatnuJi, Pfeffer gestossen, ymber gestossen, Saffaran, camc-
fistela*), zimmret, triacuß*^, milen keren, manus Christi visu, manus
Christi pro me'"), Riß"), keß, prot daz heißt pischoto*'), ein gemach
stuhl, 2 hämder, 2 näpf, t wasserfäölcin, schmalz, ein tnich alä
breit eure statt im schiff ist, flasch wein, Tällcr vnd löffel, schisEan"),
Tischlach vnd handzwehlen"), 1 pucal, pretzgen, 2 Tesehlen, 2 grofl
fleschen, I schaub'»), pött vnd waz dar zu gehön'"), pieftjroli") fir
daß fieber, pie[t|roli fir die pestelcnlz, pieltjroli fir daß haupt,
pye[t]roll fir die rote riSr, pflaster fir wunden, I kössel mit
I docken»').
Jtem von fenödlg föhrl man gen zara'"), da fint man gut
sur wein«). Jtem von zara gen kurzella"), da fint man auch, wöfl
Arablv 10,1 KuUurgadtldite. 1,4. 2S
man bedarf, jtctn von kurzella gen raguß"), da fint man daBsclbe
gleich. Jtem von raguß gen Corfu, da vint [man] daz selbe gleich.
Jtem von Korfii gen moden"), da vint man cammer vnd all not-
durfft. Jtem von Corfu [moden] gen Kandia'*), da fint man mal-
feser") vnd all notdurfft umb ain recht gelL Jtem von Kandia
gen rodiß"), da fint man auch, wöß man bedarf. Jtem von rodiß
gen zipem daß heißt zu salim*'), da fint man auch allerhi [Konfel],
Jtem von zipern gen gafo**)^ da staut*") man ab uf daß heilig
land. Jtem von gafo gen rome»"), da flndt man auch ze kauften,
waß man will, jtem von roma gen ierusalem, da findet man auch
zu kauffen, waß man will; man mag sich auch in die kost ver.
dingen. Jtem darnach fin man den menschen an all hailig stötL
1) HandKltrlllt'n-Vtridchnlt. I. tilllle S. 31, v. Dr. G. Oiupp, NftnUinsni UVT.
*) logwet, miEcflttiikcndn Mttlcl; ■) triet, diicl bcicichnti eine mll Wein Ectrinktt ■»<
mit QnrOn, Zimmt und ZncktT betlTCule Wcillbrottctidbc ; 'I Kindiizucker; *) Knalekl;
■) gßgta beißt, sich hin und her «icffcn, nicb dem Zuummtnluiie musa ein« Speiie,
OevCri oder dersi, sFinHnl Min; '} iSgide, auch hiervon 2^11 tUuelb«: *i vcmuUich ein
HcUmitle! aus Fdiülimmcl (oimej bcieilct; ") trutull itl Thetitk, ein engrbtiftic« L'niTVrul-
licÜinitlcl (Oei^neiri): ") vihneheinllth seweihu Brote In der form einer Hind: ■') Reit:
»} im. blKOtto, ZwietMck; »} Schllstelii: "l TtKhIULli und lltndlilfhn ; lundcwthl (Cr
Kandluch jelil noch in Sclmbcn jjcbriuchüdi ; ") Khaubc, giubb[ppja (ilil.), jape. (fra.).
trab, Unpr., bntekhnci ein luis««, vdtn bit tat die Ftiik icchtndes Oberkldd, das vdk
beiden ücuhlecbleni EHn£ai vuide; in ein^r andcrm BcdnitunK lil dioe« Wort Jetzt noch
in SüdJeuncItland gebriucblicb, unter Schopm (Jupne, Joppe) vereteltt man itui dai en£-
anliejcende, kurie Obergr»*nd uiTobl dct MinnEr als aiirh der Frauen; *) Im Mhlelalter
vu et Sine, sein Bell mit auf Rtiitn lu nehmen; diese Qevotinheit erhielt »ich bei den
Vomebmen wgat hh 1« dai IQ Jahrliundert; »i vermutlicb eine Arl öl; "j Decke!;
") Zara, an dn dalmatinischen Küste; ") Ptliiivein; ") CuTzola; ") Raguu; ") Mcfhani.
ModO'n; ») Kandii aiil tOeia; 'J MaJviaier, ein im Mttieltller »ehr gtKhAiner Wda:
") Rhodui, dcirl tlarb aiil der Hdmkrhi )«n dn rUgerfahrl nach dem heiligen Lande
Kenoe Chriitopb der Kämpfer von Bayern im Jahre lt93; es schelnv daH der hier ange-
geben e Keiseweg der üblichste war; '^^ Cjpern, SaJamli (Kon«iantit, Hac'os Seistoa);
"t Jafia U<^ppei; "t abilrigtii. *■! Rimlch (Romvla), ein Südtchen in r4läflina an der
SirxJIe von jalfa nach Jerusaieni Gelegen. Im .Milielalter vtt Ramleh die übliche Slstion
der JerutalemplIfCT, daher jetit nocti die (rollen Kospiie doTl.
I
Das Archiv der Ortsgerichten zu Rudelsdorf enthält neben
mehreren alten Aktenstücken einen interessanten kleineren Folianten
in Qroß*Oklav, ein Rechnungsbuch der Kirchfahrt Knobelsdorf mit
Rudelsdorf in der Ephorie Leisnig. Der Band enthält 15 Jahres-
rcchnungcn und umfaßt den Zeitraum von 1586 bis 1601. Er ist
vollständig bis auf den Jahrgang 1591 und gut erhallen. Von
einem 2. Rande, der die folgenden Jahrgänge enthiell, sind nur
wenige Blätter noch vorhanden, Bruchstflckc aus den Jahren 1603,
1612, 1619 und 1626. Sie sind dem ersten Bande lose beigefügt
Wie aus den jeder Jahresrechnung vorangestellten Kopfnoltzen
hervorgeht, geschah die Rechnungslegung alljährlich zu Beginn
des Kirchenjahres durch die beiden Kirchväler, denen neben anderen
Funktionen die Verwaltung des Kirchen Vermögens oblag. Sie war
öffentlich und erfolgte in Gegenwart des Orlspfarrers vor ver-
sammelter Gemeinde. Die Rechnung, die vom Schreiber'), i-do
man Verrechnung hart gehalten", gemäß den Berichten und Be-
legen der Kirchväler angefertigt war, wurde hierbei vorgetragen
und von der Gemeinde richtig gesprochen. Das Fadt zog in den
meisten Fällen, wie aus der Verschiedenheit der Handschrift zu
erkennen ist, der Pfarrer. Im Anschlüsse hieran erfolgte die Neu-
wahl der Kirchväter; aus jedem der beiden Dörfer wurde einer
gewählt.
Die Rechnungslegung war für die Kirchgemeinde ein Fest
Sie geschah Sonntags und zwar in der Wohnung des Knobels-
dorfer Kirchvaters. Und um die ganze Sache nicht zu langweilig
zu machen, wurde aus der Kirchkasse Bier aufgelegt In jeder
Rechnung sind dazu 30 bis 35 Groschen ausgeworfen.
I
■} Schal mdstci.
25*
Von den 15 jaliresrechnungen gebe ich nur die erste voll-
ständig wieder. Sie ist typisch ffir die anderen, die nur noch
in dem Kapitel der »gemeinen Ausgaben' Interesse erveckea
Ich füge darum von diesen Ausgaben noch die Jahrgänge 1594,
1599 und 1600 bei.
Was zunädist die Einnahmen betrifft, so setzen sich dieselben
aus 4 Konten zusammen, den Kuhzinsen, Kapital Zinsen, Kollekten
und den «gemeinen" Einnahmen. Die wichtigste EInnahmequelk
bildete der Zins von den sogen, ewigen Kühen. Diese ewigen
Kühe, auch Qotteskühe oder eiserne Kühe genannt, waren bäuerliche
Realiasten, dauernde Renten, die am Grund und Boden der ein-
zelnen Besitzungen hafteten. Sie datierten schon aus der Zeit der
Kirchengründung und Entstehung der beiden Dörfer. Da die
Kirclie eines festen, laufenden Einkommens nicht entbehren konnte
und zur Dotierung der Pfarrstelle die ausgeworfene Hufe Landes
und der Fruchtzehnt nicht ausreichend erschienen, so war den
Koloni&tenbauern eine aligemeine Kirchenanlage auferlegt worden,
deren Erträgnisse teils dem Kirchenärar, teils dem Pfarrer') zuflössen.
Diese Kirchenanlage basierte auf dem Umfange der bäuer-
lichen >X'irtschaft; sie war zunächst nach der vorhandenen Hufen-
zahl ausgeworfen worden, wobei jede Hufe mit einer Steuer im
Werte eines Groschens belegt wurde. Mit den fortschreitenden
Zeitverhältnissen änderte sich indes die Bewertung dieser Steuer-
einheit im Jahre 1575 betrug sie 2 Groschen, und 1586 ist «e
mit 3 Groschen angesetzt. Diese Steuereinheit hieß im Volksmunde
eine ewige Kuh.
Die Bezeichnung mag daher röhren, daß dem niedergehaltenen,
naiv denkenden Bauern die Größe der Wirtschaft vor allen Dingen
in dem Stande der Viehhaltung zum Ausdruck kam. Der Ver-
mögensstand der einzelnen Sassen wurde nach der Anzahl der
Kühe, die zu halten er im stände oder auch berechtigt war, ab-
geschätzt, und für die der Kirche zu leistenden Gefälle bildete
sich der Ausdruck „Kuhzinsen" heraus im Unterschied von den
Hufcngeldern, die als landesherrliche Steuern in das Amt abzu-
führen waren.
') Vgl. da VcrIitMn Artikel über um .EinkoniiiK» ddPfarren tu Knobcbdotf im
IQ. Jifartiunden* In d4R MKlrilnngen dn Verelni fiür SUltltcll« Volkskmndc; 1903, 3 HcH.
^^^^^^V Aus allen Kirchrech tiungeti.
^B Die Venei}ung der Kuhzinsen auf die beiden Dörfer ist indes
^ nicht einheitlich diirchgeföhrl. Beide Ortschaften sind nach ihrer
I lufenzahl fast gleich groß, und doch erscheint Rudelsdorf ziemlich
um das Dreifache höher belastet Während Knobeisdorf auf seine
20 Hufen 20 Oolieskühe zu versteuern hatte, entfielen auf die
^ 21 Hufen von Rudelsdorf deren 51; während Knobeisdorf 159&
^K ein Neuschock an Kuhzinsen zahlte, brachte Rudelsdorf 2 Neuschock
^1 33 Groschen auf.
^ Der Widerspruch löst sich, wenn man die Zehntregister zinn
I Vei^Ieich heranzieht. Nach den Registern von 1575 und 1617 waren ^^^
H die Rudelsdorfer Bauern von der Leistung eines Zehnten an die ^^H
" Kirche entbunden. Nur 3 waren für ihre Anteile am sogen. Zehnt- ^^H
ffeld mit dem vollen Frlrapszehnt der betreffenden Parzellen nflichtip. m
P
k
ftld mit dem vollen Ertragszehnl der betreffenden Parzellen pfhchlig,
Was die Hgemeinen" Einnahmen betrifft, so sind deren immer
nur wenige. Sie setzen sich hauptsächlich zusammen aus Erb-
2insen von einem Hufengut in Knobeisdorf, aus den Qottespfennigen,
<iie bei Besitzwechseln von dem Käufer, «um desto mehr Glück
«nd Segen" zu haben, der Kirche verehrt wurden, aus etwaigen
"Vermächtnissen und dem Erlös aus Honig und Wachs.
An Vermächtnissen, die der Kirche »beschieden" wurden, finden
sich in den erwähnten Jahren folgende:
1587:30 Groschen von Blasius Kirhach,
1589:30 . N iVlaits Mengen Seligen,
1596:30 ., „ Urban Kirbach,
24 H w Andres Schneider,
1598:1 n. Schock „ Michel Puschmanns Witwe,
1601:30 Groschen „ der alten Urban Kirbachin,
1 gut Schock if Zacharias Weisse.
Um den Bedarf an Wachs zu decken, hielt die Kirche eine
Anzahl Bienenvölker. Die Pflege der Bienen, die in der Rechnung
von 1594 als Gottesbienen aufgeführt werden, lag den Kirch-
vätem ob. Sie schnitten Honig und Wachs und erhielten für
ihre Mühewaltung ein Zehrgeld von 3 Groschen. Ebenso hatten
sie die Kirchenkerzen in gemeinsamer Arbeit anzufertigen, wofür
sie dienfalls 3 Groschen zur Zehrung bekamen. So heißt es 1612:
-3 g. verzertl Als man halt 2 Bar Lichte in die kirchen gemachtt."
Das überschüssige Wachs und der Honig wurden verkauft.
Die Menge des Honigertrajrs ist für die einzelnen Jahre nicht
angegeben. Nur 1602 findet sich der Eintrag: «34 g. Aus Honig-
kauf f, sind 4 kannen gewest.»
Insgesamt stellte sich der Erlös aus der Bienen Wirtschaft in
folgender Weise:
Honig: Wachs:
1586:18 Groschen
1587:46 d 8 Groschen
1588:50 « 18
1589:32 - 3 -
1590:1 Neuschock 38 Gr. 3
1592:54 Groschen
1593:46 . 16
1594; I Neuschock 38 Gr. -
1595:2 Neuschock
1596: - - - Or. -
1597:4'/i Groschen
1598:30
1599:1 Neuschock 12 Gr. 7
1600:1 ,. 45 .. 23 - 9J
Überdies war Zacharias Weisse in Rudelsdorf verpflichtet, im
Bedarfsfälle statt der 3 Groschen Kuhzinsen I Pfund Wachs an
die Kirche abzuführen. Meist entrichtete er aber die Zinsen in
Geld. So heißt es in der Rechnung von 1592: A tt Wachs von
einer Eysern kue hatt Zacharias Weisse 3 g. dafür bezaltt"
Der normale Preis für ein Pfund Wachs betrug also 3 Groschen.
Dem entspricht auch der Erlös aus dem Wachsverkauf vom Jahre
1599, wo aus 2'/, Pfund 7 Groschen ..gemarktet-' wurden.
Bezüglich der Ausgaben ist zu bemerken, daß der größte Teil
der verfügbaren Gelder durch die bauliche Unterhaltung von Kirche,
Pfarre und Schreiberei (d. i. die Schule) aufgebraucht wurde.
Die Gebäude waren alt und erheischten fortwährend Reparaturen.
Schon im Jahre 1539 fanden die Visitatoren die Pfarre in
arg verwahrlostem Zustande. »Die Behausung ist sehr bofl*,
trugen sie in das Protokoll ein; und im Jahre 1555 notierten sie:
-Geringe Behausunge, sollen bauen.« Und wenn ihrer Anordnung
auch Folge gegeben wurde und sie 1575 .ein zinilich behausung'
i
Aus alten Kirchrechnungen. 391
vorfanden*), so blieben weitere Ausbesserungen mehr als zur
Genüge.
Zum Schlüsse meiner Bemerkungen möchte ich einen Posten
der Ausgaben noch besonders hervorkehren, der in den letzten
Jahrgängen unsers Rechnungsbuches oft mit ziemlicher Belastung
auftritt Das sind die Almosen, die die Kirche Hilfesuchenden
gewährte. Sie unterstützte nach ihrem Vermögen die Brandkala-
mitosen in den sächsischen Gemeinden, die notleidende Bevölkerung
des Gebildes in Zeiten der Teuerung und zahlreiche Einzelpersonen,
die bittend an ihre Thüre klopften. So finden sich folgende Einträge:
1595: 1 g. Abgebrantten Leutten von der Windau,
2 g. Ein Armen vertrieben pfarrer,
2 g. Abermals ein vertrieben pfarrer,
1 g. Ein armen vertrieben Schulmeister aus Osterreich,
1 g. Ein Armen Weib von Heintz,
6 ^ dem blinden Schreiber von Mockritz,
l'/i g- Ein vertrieben Capelan aus Osterreich.
1596: 1 g. Einem armen pfarrweib,
1 g. Einem armen Handverggesellen,
3 g. Einem Abgebranntten pfarrer von Reichenau,
2 g. Einem Armen pfarrer der zu koldiz zu Haus ligt,
6 -j Einem Armen Buch Druckergesellen,
1 g. Einer Armen blinden Frau,
l'/i g. Einem Armen vertrieben pfarrer,
1 g- Abgebrantten leutten,
2 g. Abgebrantten pfarrer.
1612: 1 g. Der Schulmeisterin in der glaßhutten,
1 g. M. Georgio steinhart, pfarrer zu Brettenau, von Jesu-
viten wegen der Lutterisch lehr vertrieben,
1 g. Abgebranten von Rochlitz,
1 g. Vertrieben pfarrer Jacob Kneitter von Medeburgk.
1 g. 6 ^ abgebrantten von Langen Wetzendorff,
1 g- abgebrantten Caplan von Vrdrauff.
Des weiteren lasse ich die oben erwähnten Rechnungen selbst
folgen.
^ Vilitatiomprotokolle I. Kgt, Hanptstuturchiv lu Dreiden.
302 Theodor Vogel.
Anno 1586.
Vorzeidinus Aller einnahmen vnd außgiben der Idrdien
zu knobelfi.DorR im 86. Jar geschehen. Dazumall kirdi-
vetter geweßen peter SchUling zu knobelSdorf^ Barttel
Zaspet zu RudelBdorff. Den 9. Decembris 86.
Oeoi^gius Megander,
pferiierr daselbst
Rest des 85. Jahrs.
Sieben Naue schodc Neun vnd Zwanzig groschoi vnd
Adit Pfennige.
Von diesem alten Rest Ist 15 N. seh. 30 g. von Idchvetem
von Merten Mertig vmb 3 N. seh. vnd 42 g. erkauft wnxlen. Wie
den der Zedeln vom ahn ügende Zeigett
Rest im 85. Jar.
3 N. scho. 47 g.
Einnahme.
Kfle Wie viel vnd bey
tnhm sie stehen.
Knobelßdorff:
iij g. Tomas kiiiiach 1 kue
iij g. peter Helsig 1 kue
vj g. Michel Buschman 2 kue
viiij g. Anthonius kidner 3 kue
vj g. Nickel Rudelt 2 kOe
viiij g. Matts Vogel 3 kue
iij g. Michel Mebes 1 kue
iij g. Valten Schilling 1 kue
vj g. Mertten gleisberg 2 kue
iij g. Bendix Lange 1 kue
iij g. Anders Schneider 1 kue
iij g. Blasius kune 1 kue
iij g. der pfarherr 1 kue
Summa 20 Kue.
Dauon die Zinse
j Nau scho. je von einer kue 3 g. Zinse.
Einnahme von Rudetßdorff.
Aus alten Kirchredinuneen. 393
xviij g. Anders fronhuffel
6 kue
iij g. Jacob Weidler
1 kue
iij g. Barttel Behrmann
1 kue
viiij g. Valtten kuhnat
3 kue
iij g. Barttel Schilling
1 kue
vitij g. Mertten merttgen
3 kfle
viiij g. Matts Merttgen
3 kue
XV g. georg möller
5 kue
xij g. Tomas kürschner
4 kue
viiij g. Anders Benwiz
3 kue
viiij g. pauI Benvriz
3 kue
iij g. Hans Lindner
1 kue
vj g. Anders Möller
2 kue
vj g. Hans Lindner
2 kue
iij g. Ilgen Zimmerman
1 kue
iij g. Zacharias Weisse
1 kue
iij g. Asmus Rudeltt
1 kue
vj g. Michel Morgenstern
2 kue
viiij g. Barttel Zaspel
3 kue
XV g. Mertten gleisberg
5 kue
Lat. 51 kue
Dauon
ij N. scho. 33 g.
Summa 71 kue, ie von einer 3 g. facit 3 N. scho. 33 g.
Dauon gehörtt dem pfarher 2 M. scho. 22 g
[. bleibett der kirchen
j scho. xj g.
Einnahme von funff kuhen der kirchen Allein zu stendig
Knobelsdorff
3 g. Petter Zimmerman I
kue
Rudelsdorff
3 g. Mertten mertgen 1
kue
3 g. Asmus Rudelt 1
kue
3 g. Barttel Zaspel 1
kue
3 g. Barttel Behrman 1
kue
Lat 15 g.
Je von einer kue 3 g. Zinse.
Summa Aller kue Zinse der kirchen zu stendig
r
1 I<^ scho. 26 g.
Einnahme des Aufigeliegen geldes von 36 N. sdio. Hauptsummt
Je von einem scho. 3 g. Zinse.
KnobelBdorS.
3 g. peter Helsig 1 scho.
15 g. Midid pusdiman ^ scho.
18 g. Antbonius Iddner 6 sdio.
6 g. Nickel Rudelt ^ sdio.
3 g. Jacob Zimmerman 1 sdio.
IVt g. peter Schilling Junior 30 g.
Lat 15 sdto. 30 g
Dauon die Zinse 46 g. 6 J
Je von einem scha 3 g.
Rudetsdorff
3 g. Matts Mcrttgen I scho.
6 g. Mertten mer^ien 2 sdia
3 g. Oeoige M6Iter t scha
9 g. Anden Bcnviz 3 scha
3 g. paul Benwiz 1 sdio.
6 g. Anders MöUer 2 scho.
3 g. Zacbarias W^sse 1 scho.
6 g. Asmus Rudelt 2 scho.
6 g. Michel Morgenstern 2 scho.
6 g. Barttel Zaspel 2 scho.
lOVs g. Barttel Bermann 3 scho. 30 g.
Suma des geldes 20 scho. 30 g.
Dauon die Zinse j N. scho. IV» g
Suma Aller gelt Zinse j N. scho. 48 g.
Einnahme des erbetten geldes.
xj ^ am Christag
2 g. 4 .,f an purificationis
1 g. 3 -j an sontag Jnuocauit
5 -rf an oculy
1 g. 9 ■;< an Palmarum
3 g. 3 -rf an ostertage
1 g. t ^ an 1. sontag ostem
2 g. 6 -^ an 5. sontag ostern
Aus alten Kirchrechnungen. 395
2 g. 8 -if an pfingsten
1 g. xj -4 an 3. sontag trinitatis
1 g. 6 'S an 9. sontag Trinitatis
2 g. 3 ^ 1 h. am 14. sontag trinitatis
3 g. 1 -j an 19. sontag trinitatis
1 g. xj ^ an 22. sontag Trinitatis
2 g. - •;} an 2. sontag adiients
Ut 29 g. 3 ^ 1 h.
Gemeine einnähme.
17 Vi g. aus Honig kaufftt
5 g. auß alten Schöben von der Schreiberey kaufFtl
6 ^ gottspfenig von Simon Bredschneiders.
XXX g. Erbgelt von Mertten gleisbergic eingehoben.
6 4 von llgen Zimmermans Crbkauff,
UL 53 g. 6 -rf.
Außgab für brott vnd Wein: 86:
9 -j an Christag
1 g. 9 -^ an purificationis mariae.
X -!f an sontag Inuocauit
5 'S in oculi
8 -j an palmarum
1 g. 3 -j an Ostern
6 -:* an 1. sontag ostem
1 g. I -j an 5. sontag ostern
1 g. an pfingsten
1 g. 5 -^r an 3. sontag trinitatis
1 g. 2 .j an 6. sontag trinitatis
6 -!f an 9. sontag trinitatis
1 g. 4 ^ an 14. sontag trinitatis
9 -4 an 17. sontag trinitatis
1 g. am 23. sontag trinitatis
6 -;f an 2. sontag aduentus
Lat 15 g. 2 +
Gemeine Ausgaben 15:86:
34 g. Verzehret An der kirchrechnung vnd Visitation
In der fasten,
vj g. Dem Visitator dismal
3M
Theodor Vogd.
xj g. für Zaunslecken zu des Pfarrers zäune
xiij g. für glockcnslrenge
iij g. Verzehret Wie man hu den Biehnen gesehen hat
1 g. von der Jiirchen aitszureumen vnd von des pfarrers grab
zu fyllen.
1 g. von des Schreibers zäun zu machen
1 g. für ein Bred in die kirchen zu dietlen
2 g. & -i für Nagel In die kirche vnd zu der pfar zu decken
xviij g. für Schoben vff die Schreiberei zu decken
6 V presens dem Schreiber Reminiscere
1 g. von kirchen gerette zu Waschen
6 -4 presens trinilaiis
4 -i für ein Deschgeti in die kirchen
ij g. denen die da haben die Bienen faßen
4 -4 für papier ins Register
4 g. für fenster Remen zu des pfarres fenster.
3 g. für ein Eysseme Schuppen zu den grebem
xij g. den Hern Superten. do er den pfar inuesürt
2'i g. ein potten der ein Schreiben von Hern Superten bracht
5 g. für eine eiche zu einer Rinnen zu des Pfarrers feuermeuer
I g. für ein Bred in die Rinnen zu decken
1 g. zu kunnegelde Herr Adams Erben Bey dem I^arschall
zu Olzdorf eingeleglt
6 -! presens Michel dem Schreiber
6 4 presens Lude
3 g. den Zimmerman, der die Rinnen gemacht iiatt
1 g. zu glockenschmehr
8 g. verzehrt Do man Verrechnung gehallten.
Summa Aller Ausgabe
Sechs Naue schock 13 g. 6 -;.
Summa von Stiiüa gezogen sampl dem Alten Rest des 85. Jahrs
vnd des 86. Jahrs vberdrifft die einame die Ausgabe
funff Naue schock Zwey vnd funffzig groschen 5 y I h.
Welchs die Kirchveler vber ein Jahr sampt dem Andern eiiikomen
Zue berechnen schuldig sein.
Bern. I « Wachs bey Zacharias Weissen
Zue Rudelsdorff.
Aus alten Kirchrecbnungen. 397
1594.
Gemeine Ausgaben im 94. Jare.
xxxij g. An der Idrchrechnung verzehr« vnd do der
Kirchvatter berechnung hat gethan.
6 -4 Quartal den Schreiber
3 g. verzehrtt Als die Kirchvetter zu den Gottes
Bihnen gesehen.
3 g. verzehrtt die kirchvetter Als sie Lichte gemachtt.
3Vs g. vor Ein Eysen zu des pfarres kacheloffen
V g. von des Schreibers Zaun zu machen
36 g. von Schoben in die pfarre zu machen vnd zu
decken
1 g. Einem armen Weibe ,
1 g- Abgebranten leutten von Grünstein
1 g. von kirchengerette zu waschen
6 ^ den Schreiber Reminiscere
6 -i Quartal Trinitatis
2 g. den Armen leutten zue Mei&sen zu erbauen
ihrer Kirchen.
12 g. vor kalck zu der leich Hallen
18 g. dem Maurer von der Leich Hallen zu machen
1 g. vor Ein bredt zu der leich Hallen
3'/i g. dem Zuforder, der dem meuer zufördertt
1 g. vor Nagell zur leich Hall
4 g. vor Zigel zur leich Hall
23 g. vor kalck 2 scheffel
6 g. Furlohn von Zigel vnd kalck von Döbeln raus
zu fuhren.
18 g. vor Mauer vnd Dach Zigl
36 g. vor Weisse
14 g. vor 14 bretter
3 g. vor schvertze
6 4 vor menge
6 ^ Nagell Eisern
42 g. vor Ein fenster
48 g. vor das glasefenster
1 N. scho. 36 g. dtn Meuem lohn
12 g. 6 -d dem Zufördcrer: 5 tag
7 g. 6 rf von den kirchen wider aus reumen
42 g. von des pfarres fenstcm zu machen in nau bici
vnd naue Remen zu sezen vnd eins naue.
8 g. 6 J von des pfarres vnd Schreibers Offen zn bessern
6 .j Quartal Midiel dem Schreiber
12 g. dem pfarrer zum Sinodo
6 g. dem Zimmerman von den nauen Schüblingen
vff der Badstuben vnd nauen Benken vmb
kacheloffen 7U machen
XX g. von des pfarres Born zu machen vnd zu beschütten
X g. von des pfarres thenne zu machen
1 g. zu glockenschmehr
I g. An der grosse glocken zu machen ein rad(
8 g. An der vorrechnung verzehrtt vnd do man halt
die Register vmb geschrieben.')
1590
Gemeine Ausgaben Anno 99.
36 g. An der kirchrechnung vnd do der kirchvaller berechnung
gethan.
6 -d Quartal dem Schreiber Lucie zur presenz
6 -f von der grossen glocken riemen zu bessern
6 ^ von einer Bank in der pfarsluben zu machen
24 g. Zur Visitation vff befel der Herrn Visitatom
2 g. den Armen Leutten von Schein
6 -i Quartal Reminiscerc
15 g. vor glockenstrenge
3 g. für Bande vnd Nagel an kästen
3 g. vorzcrt die kirchvetter, Als sie zu den Bienen gesehen.
IV« g- zugebust als das Bir zur Visitation ist bezaltt vorden.
I g. von kirchengerette zu waschen
6 V Quartal trinilatis dem Schreiber
>) Am Schliiue dn Kjuscnbrrichls Ut noch t-rrnictkl: 1 N. kIid. 40 g-, welche
die Kirchfart n KnobelBdaHt vnd Radclüdorfl einftleet. Ali nun die kirclw renoairl
VTid KTTcttici bty Solchen gelde uln g^veini T Alte icho. BOiniube pmcheii,
do dn kirchvAtier tun 20 vmb ein zulden nehmen mÜMen, Hernicher ibtr bilde veibolien,
äti einm «inb ein s'OKlien halt gellen lotlen, dann iit dem kirehMtler T £. absiuiKeii-
Aus alten Kirchrpchnungen. 399
5 g. von des Schreibers Scheuer zu decken
4 g. vor Schindel Nagel
3 g. vorzert die kirchvetter, als sie Lichte gemacht
3 g. für ein Eyseme schuppen
xj -4 für ein band vnd Na^el in die ober Kirchthüre.
6 4 Quartal Crucis
2 g. von des Schreibers Back Offen hartt zu machen
2 g. zu glockenschmehr
29 g. dem Meuer von zweyen kellern zu machen vnd in der
kirchen von zweyen steinen aus zu hauen
24 g. dem Zimmerman von der keller schwellen vnter zu ziehen
9 g. zu spoln vnd zu kleiben in der Scheune vnd keller
3 g. dem Zuförderer vnd wieder ab zu reumen
8 -4 für ein haspen vnd 2 Eyssen an die kellerihür
1 g 2 ^ vor Nagel.
16 g. für ein Eyche furlohn vnd ab zu hauen
14 g. Bottenlohn nach meissen vffzweymal wegen derpfar bauen
2 g. Botten lohn nach Oschaz, Als der pfarr seit predigen
6 4 Einem armen gebrechlichen manne
2\'a g. von des pfarres fenster zu bessern
29 g. 1 ~i für Brett in der kirchen zu dielen vnd des pfar
Badstuben wie kellerthür vnd gibel zu vorschlagen
4 g. 3 ^ für ßrednagl
l'/s g- für ein band vnd Haspen vnd an wurffgen an de&
pfarres kuestell
1 g. einem Armen feltschreiber
1 g. Einem vortriebenen pfarre
6 -i ein gebrechlichen manne von finsterwalde
1 £• Abgebrantten Becken von meissen
6 4 Eynem Armen lamen mann
37 g. Schindel zu des pfarres feuer meuer wand vnd Schreiber
Scheune damit zu decken
3 g. 3 -!f für Schindel Nj^l dismal
30 g. 1 -rf Arbeitter lohn Etliche tag zu arbeitten, in der
kirchen zu thieln, in der pfar zu decken vnd zu kleiben.
8 g. vorzertt, wie man hatt Verrechnung gehaltten.
400 Theodor Vogel.
1600.
Gemeine Ausgaben.
36 g. An der kirchrechnung vorzert vnd do der kirchvatter
berechnung gethan
4 g. 3 ^ für eine Rodehaue zur kirchen
1 g. Quartal dem kirchner 2 Mal
l'/i g- Armen Abgebranten leutten
1 g. vor kirchen gerette zu waschen
3 g. vorzert die kirchvetter, Als sie zu den bienen ge-
sehen haben.
6 -4 Quartal trinitaL
1 g. von des Schreibers Zeune zu bessern
'7 g. 4 -tT von Schoben in der pfar zu machen
7 g. von Schoben Auff zu decken in der pfarre
6 g. von des Schreibers kessel zu bessern
12 g. dem pfarrer, Als er gen Oschaz zum Sinodo gezogen
1 g. Einem Armen manne
6 ^ Quartal Crucis
3 g. Botten lohn gehn nossen wegen der Rudelßdorffer
band Arbeit in der pfarre
41 g. 6 -j für Zaungertten vnd Arbeitterlohn von des
pfarres nauen krezgartten vnd die Andern Zeune zu
bessern
30 g. An des pfarres Röhrwasser zu Erbeitter lohn
2 Altte scho. von des pfarres Stuben vnd küchen zu kleiben
47 g. für Bretter zu der kirchen
8 g. für eine eiche zur kirchspitzen
2 g. dem Schiffer gesellen Drankgeltt, den han Auff die
Spitze zu setzen
1 scho. 24 g. dem Schiffertecker von den kirchen thurm zu
machen
50 g. für Schiffer steine
4 g. den Zimmerleutten von der kirchen spitze zu machen
1 scho. 12 g. dem Schiffertecker ferner Auff rechnung geben
2 g. von den Sparnen Auff das gewelbe zu machen
I g. dann Auff zu setzen
I gutt scho. dem Schiffertecker Abermals geben
Aus tltoi Kirchrechnungen. 401
4 g. dem furman, der die Bretter in die pfar vnd Anderswo
hingefurt
4 g. Den Beiden Kirchvettern, do sie die Bretter kaufft
vnd eichen geholett zu der pfarstuben schwelle vnd
Nagel geholett vnd sonsten viel mühe gehabett.
38 g. für Zwey Rispen zu der pfarstuben
2 g. die kirchvetter dismal verzehret^ Als sie die Rispen
gekaufft.
xj g. 3 -j die Bauleutte vorzehrtt, Als sie die pfarshiben
vordinget dem Zimmerman.
3 Naue sehe, dem Zimmerman Auff rechnung geben den 10.
sontag trin.
1 g. dem kirchvatter, Als er Schiffer geholet^ Bottenlohn.
2 g. den beiden kirchvettem, Jeden 1 g., Als sie das holtz
zu den shiben fenstem her geschafft haben.
2 g. den beiden kirchvettem, Jeden 1 g., Als sie die Altte
Stuben eingerissen haben.
2 g. dem kirchvatter Jeden, Als sie die klrche dem
Schiffertecker vordinget haben.
2 g. den kirchvettem Jeden 1 g. Als sie das holtz zum
gevelbe hergeschafftt
2 g. den beiden kirchvettem Jeden 1 g., Als sie den
Arbeittem Abgelonett, den Zimmerleutten vnd Schiffer-
teckem.
10 g. von des pfarrs Backoffen zu hauben vnd zu bessern
50 g. für bretter zu dem gewelbe
19 g. Abermals für bretter zu der pfarstuben
2Vi g. für Maß zu der pfarstuben vnd Esterich.
'2yi N. scho. dem Zimmerman das lohn gar entrichtet von der
Stube
14 g. 6^ für Nagel vnd Auch für Spamagel zur kirchen
1 N. scho. 9 g. dem Schifferdecker Abermals entrichtet.
7 g. für einen halben scheffl kalck zur kirchen
4 g. für 2 Stengen holz zur kirch Spitze.
2 g. der den Schiffer Auffgetragen vnd Abgereumet
14 g. für Bretter zur Pfarstuben
22 g. Von der pfarstuben zu dielen
Archiv t&r KnltarKacbldite. I, *. 26
4ttr
Theodor Vofid.
4 g. den ZimergeseHen zu drankgelt geben
10 g, 6 -j dem Meuer von des pf4UTfi$ kachel offen
zu machen ' '. ? j
3Vi g. für ein virtl Italic zu des pferres offen fus
10 g. für ein halb schock kacheln zu des pfarres offen'
8 4 von des Pfarres offen zu machen
42 g. für die fenster in der pfäfstuben
30 g, vorzehrt, Als die Naue stuben ist vorferttigel worden
6 g. vorzertt, Als man hat! die Register vmb geschrieben
2 g. zu glocken scbmehr
'20 g. von den Schiffer steinen zu hellen vff Zwqen mBif'
Suniniä ausgäbe ingemein
21 Scho. i9 g.
1
1
De« ilalicnischen Prieters il Theologen Vincenzo Laurtfici R«'m. 403
Des italienischen Priesters und
Theologen Vincenzo Laurefici Reise
durch Deutschland,
die Niederlande und England (1613).
Von ihm selbst beschrieben.
Mitgeteilt von WALTER FRIEDENSBURO.
I.
Wenn man wol das Reisen zum Vergnügen als eine spezifisch
moderne Erscheinung, die zur Signatur unseres Zeitalters der
Eisenbahnen und Dampfschiffe gehört, bezeichnen mag, so be-
greift sich dochj daß es auch früher in keinem Zeilalter gänzlich
an Leuten gefehlt hat, die man als die Vorläufer der gewaltigen
Massen von Vergnügungs reisenden der Gegenwart wird betrachten
dürfen, nämlich Personen, die sich auf Reisen begaben, ohne
einen geschäftlichen, wissenschaftlichen, gesundheitlichen oder son-
stigen bestimmten Anlaß und ohne ein anderes Ziel zu verfolgen, als
ihre Muße inmitten fremder Gegenden und Menschen in angenehmer
Weise zu verbringen. Allerdings gehörte früher, vor der Erfindung
der Eisenbahnen und der Ausbildung des Völkerrechts, bei der
Mangelhaftigkeit der Verkehrsmittel, den Belästigungen durch Zölle
und sonstige Schranken, mittels derer sich nicht nur ein Staat
gegen den anderen, sondern insgemein auch kleinere und kleinste
Teile eines gröüercn staatlichen Ganzen gegen einander abschlössen,
und vor allem bei der Rechtsunsicherheit, unter der der Fremde
sich bewegte, stets ein gewisser Wagemut dazu, um die relative
Sicherheit der gewohnten heimischen Zustände freiwillig mit allen
Unbequemlichkeiten und selbst Gefahren zu vertauschen, die mit
dem Reisen verknüpft waren.
So sind denn auch Reisebeschreibungen aus der Vorzeit wie
diejenige, die wir hier mitteilen, nicht allzu häufig. Unsere kleine
20*
Waltrr Pnedensbur^.
Schrift rührt von einem italienischen Geistlichen her und gehört
den Zeilen unmittelbar vor Ausbruch des dreißigjährigen Krieges
an. Indem sie uns durch große Teile des südlichen und v-estlichen
Deutschlands, durch die Niederlande und bis nach England führt,
verbindet sie mit der Schilderung der Erlebnisse des Verfassers
vielerlei Mitteilungen über alles das, was lelzlercra in den besuchten
Ländern und Städten charakteristisch erschien, und da der Italiener
ein offenes Auge und im allgemeinen ein unbefangenes Urteil
zeigt, so ist dxis, was er notiert, insgemein gut beobachtet und wird
auch der Aufmerksamkeit des Oeschichtsfrcundcs und insbesondere
des Kulturhistorikers nicht ganz unwert sein.
Wir entnehmen die Reisebeschreibung dem 70. Bande der
Biblioteca Pia oder Piorum des Vatikanischen Archivs, einer von
letzterem im 18. Jahrhundert erworbenen Sammlung von Abschnfl-
bänden vermischten Inhalts, in denen gar manches, sonst nicht er-
haltene Dokument der Nachwelt aufbewahrt geblieben ist Die
Frage allerdings, auf welchem Wege ein Stück in diese Sammlung
gekommen ist, läßt sich nur sehr selten beantworten; auch im
vorliegenden Fall werden wir uns bescheiden müssen zu konstatieren,
daß die vorliegende Abschrift, wenn auch dem verlorenen Original
nicht gleichzeitig, doch anscheinend korrekt und soc^älüg ihre
Vorlage wiedergibt.
Im be2eichneten Sammelband nimmt unsere Reisebeschreibung
die Blätter 115 bis I22a ein; auf der Rückseite des letzten Blattes
wird der Verfasser genannt, es ist »Vincenzo Laurefici, teologo
del signor ca,rdinal Barberino". Dagegen fehlt es an einer Zeit-
angabe oder wenigstens der Bezeichnung des Jahres, in dem die
Reise unternommen wurde; hierfür, wie für alles weitere, sind
wir an die Schilderung selbst und die in ihr etwa dargebotenen
Anhaltspunkte gewlesen.
Und an solchen fehlt es auch nicht. Wir finden vor allem
einen Reichstag erwähnt, der zu Regensburg versammelt ist. Dort,
am Orte des Reichstages, befindet sich unser Autor, er tritt von
dort aus -und zwar in den ersten Septembertagen -seine Reise
an. Welcher Reichstag ist damit gemeint? Die ferneren Angaben
des Verfassers ermöglichen es, diese Frage in einer allen Zweifel
aussch liessenden Welse zu beantworten. Unser Reisender nämlich
trifft in London den gelehrten Isaak Casaubon an; dieser aber
hatte erst nach dem Tode König Heinrichs IV. von Frankreich
L(t Mai 1610), einem Rufe Jakobs I. folgend, seinen Wohnsitz nach
Ifngland verlegt Hier, in der enghschen Hauptstadt, verbrachte
er den Rest seines Lebens und starb bereits am l. Juli 1614.
Somit gewinnen wir für unsere Reisebeschreibung das Jahr 1609
als terminus post quem und 1614 als terminus ante quem. Inner-
halb dieser Periode aber haben sich die Stände des deutschen
Reiches nur einmal versammelt, nämlich im Jahre 1613^ wo Kaiser
Mathias in Regensburg seinen einzigen Reichstag abhielt; auf den
24. April 1613 berulen, wurde die Versammlung am 13. August
eröffnet und am 22. Oktober geschlossen. Damit haben wir also
unsere Reisebeschreibung bis aufs Jahr bestimmt: die Reise
Laurefici's hat 1613 stattgefunden.')
Nicht mit gleicher Bestimmtheit vermögen wir anzugeben,
■wie unser Reisender nach Regensburg gekommen, mit anderen
Worten: wessen Gefolge oder Begleitung er angehört hat; denn
■wir werden nicht annehmen wollen, daß er selbständig und für
sich allein den Reichstag aufgesucht habe oder etwa rein zufällig
nach Regensburg gelangt sei. Das wird auch durch den Schluß
der Rciscbcschreibung ausgeschlossen, wonach Laurefici, nachdem
inzwischen der Reichstag zum Abschluß gekommen war, dem Kaiser
^ nach Oberösterreich nachreist — offenbar, um seinen Herrn,
der In der Begleitung Mathias' verblieben sein muß, wieder auf-
zusuchen. Es fragt sich nun, wer dieser Herr unseres Theologen
gewesen sei? Jedenfalls nicht der Kardinal Barberini, wie man
zunächst veniiuten würde; denn dieser, Maffco Barbcrini, der Be-
gründer der Grolle seiner Familie,^ war nicht in DeutschEand;
I
i>Det SchitiB Ut lotvln^nul, diß n luclt dnivh die Angabe iii Anfang der Reiirbe-
■thrcibunc nicht er»chüriert wird. Autor hat* RtKenibuig »ni .UonncrsWg, dm l.S^pMinlJo-'
VCfliwen. Im Jaht« IdJJ ninillch )i*l d«" *, Scpiriiiber richi lul dnen Donn?[itiiK> "^1
«brt 1614. Oflrnbai liegt rntvrdrr ein ^tirtib- odet dn rrinnM)in£lJchl«r VOT. — Du
Jtia lei* «ire äbrisens, venn es noch veilerei Er4neruns>en btdOrfte, luch dadurcli uatt-
KkkMtcn, cIiU. wir Cauubun, lo auch der von unserem Autor ebcfifitU noch IcbriiiJ aw-
gCBoffRiic Munis Weiler von Augiburg binnen Jthrcstriil clanich emorbm iil (t O- Innl
lftM>. Wir gtTijintn hicriuv iber. ichdnt mir, auch eimen Hinveit auf die Abtanunici-
leil nmerer ReiKbcicJircibung; augriifällifi halle derAutot. da er »ein Werhchen rcdificrlc,
BOtii krtnc Kmdc von dein Tode ittätr Ott Ouaubon, nocA Welten; dl« Abfinung
■ntifi ilao drr RelM telbaC binnen wenigen Monaten grfot[[l «e^n.
^ >| Er batitz 1^23 den päpttlichen Thron alt Urbu VIU (t 1M4I.
■
er versah damals die päpstliche Leg;ation in Bologna.') AU Ver-
treter des Papstes dagegen volinten dem Reichstage von Regens-
biirg der Kardina! Ludwig Madruzzo Bischof von Trient als
apostolischer Legat und der Bischof von Melfi Pladdus de Marra
in der Eigenschaft eines ordentlichen Nuntius bei. Von diesen ver-
ließ Madruzzo den Reichstag bereits am 12. Oktober,*) in einem
Augenblick, da Laurefici, ohne der Heimreise zu gedenken, noch
in der Ferne verweilte; augenscheinhch war er also in seinen
Dispositionen nicht an die Bewegungen Madruzzo's gebunden.
So bleibt als die wahrscheinlichste Annahme, daü Laurefici zur
Begleitung des genannten Nuntius gehört habe, der auch, wie es
seines Amtes war, ohne Zweifel nach dem Reichstag in der Um-
gebung des Kaisers verblieben sein wird. Der Kardinal Bar-
berini, als dessen Theologe unser Autor bezeichnet wird, mag
diesen fDr längere oder kürzere Zeit dem Nuntius beigegeben
haben. Das genauere entzieht sich atleniings unserer Kenntnis^
in den Akten des Kardinals Maffeo aus dieser Zeit^) wird Laure-
fici nicht erwähnt, die Nuntiaturakten des Bischofs von Melfi abtr
sind in Rom nicht vorhanden.*) War jedoch^ wie zu vermuten,
Laurefici dem Nuntius unterslelh und in dessen Begleitung nach
Regensburg gekommen, so fand sich am Reichstag wohl keine Ver-
wendung für ihn, und die Muße, die ihm dergestalt erwuchs, hat
dann Laurefici zu jener Reise benutzt, deren Beschreibung vrir
hier mitteilen.
Laurefici war im Reisen kein Neuling; wie er gelegentlich er-
wähnt, hatte er sieben Jahre früher, also im Jahi^ 1606, schon
einmal - wir wissen nicht, bei welcher Veranlassung - die Nieder-
lande besucht. Klar war ihm, daii er nicht in dem Habtt des
katholischen Geistlichen werde reisen können; erwählte ein Laicn-
■} Ein Britfrtgii'trr Bwbcrinl» all Legtlcn von Bologna, von 1611 bis I6U reichend,
find« Sich Im VMtluniKhw Archiv (Viri» Potiik, \-ol. IM/.
•■[ Ueb« Midntziuii Anlcilnihmc »m K(ifcniburn«r Kciclnüig igt adnc «om
D. NoveinbrT 1613 dili'rrte Rdilioiic della dirta Imprnile Im Vilikan. Archiv Bar^»iaiu I
v&l. llVIlfi, Vel. aach lein Drlctreciitcr in Rom. Bibt. Birbvrfm 0<W Vitikan. AicUv)
UtV, 1.
■) Vsl. oben Anmerkung 1.
*5 Nor find«! »Ich do(t »uch »«n Mam «In B«iiotii ülwr den Reichttag: R«la(iune
dclh dieu iDipcrlale di EtiUiboica dcir anno Ibl3. data da moniicnor di MdN amtiO:
BorElnti. I. vol. 11^/1 IC.
Des italienischen Piieslers u. Theologen Vincenzo Laiirefici Reise. 407
kostüm, das er uns nicht ohne Humor beschreibl; einen Anzug
von mehrfarbigem, wohl karrierten oder gestreiften Londoner Tuch;
dazu kaufte er in Nürnberg ein gutes Schwert Er glich so einem
reisenden Kaufmann; da er indessen nicht für einen solchen gelten
wotlle, so suchte er durch die Wahl einer etwas phantastischen
Kopfbedeckung den alizu soliden Eindruck seiner Erscheinung zu
modifizieren und zog nun, wie er sich ausdrückt, als ein Mittel-
ding zwischen Soldat und Kaufmann einher. Eine bestimmte
Route wählte er nicht, sondern ließ es darauf ankommen, wohin
ihn seine Neigung und jeweils sich darbietende Gelegenheit führen
würde. Nur eine Vor^ichlsmafJregel traf er; er teilte seine Bar-
schaft in zwei gleiche Teile und tat jede Hälfte in eine besondere
Börse, von denen die eine für die Hinreise, die andere für die
Rückreise bestimmt war; die Erschöpfung des ersten Beutels sollte
ihm dergestalt eine Mahnung sein, der Heimreise zu gedenken.
Wir folgen unserem Autor ein wenig auf seinen Fahrten.
Nachdem er am 4. oder 5. September Regensburg verlassen
halte, nahm er seinen Weg auf Nürnberg. Die mannigfaltigen
Industrien der alten Reichsstadt erfüllten ihn mit Bewunderung,
doch kann unser Reisender seine Mißbilligung darüber nicht ver-
hehlen, daß in Nürnberg, wo der katholische Kultus streng ver-
boten ist, gieichwol Katholiken schnöden, irdischen Gewinns halber
sich niedergelassen haben. VonNümbergaus schließt sich nun unser
Autor Kaufleuten derStadt an, die zur Frankfurter Herbstmesse reisen.
Aber die Gesellschaft gefällt dem nüchternen Italiener nicht be-
sonders; er klagt über den großen Aufwand und die Schlemmerei,
der sich seine Begleiter unterwegs hingeben; jede Mahlzeit ge-
staltet sich zu einem förmlichen Gelage, Musik darf nicht fehlen:
sie begleitet zumal das unter sonderlichen Bräuchen sich voll-
ziehende unmäßige Pokulieren. An und für sich ist freilich unser
Autor auch kein Verächter eines guten Trunkes; köstlich nmndet
ihm der Frankenwein in Würzburg, wo gleichzeitig auch sein
katholischer Sinn sein Genüge findet; steht doch schon seit 40
Jahren an der Spitze des Bistums Julius Echter, der aus der Diözese
die Ketzer verjagt hat und die Jesuiten begünstigt; die wahre
Ruhmestat des Bischofs, die Anlegung des Hospitals, das noch
heute seinen Namen fortleben läßt, entgehl freilich dem Blick des
I
406
Walter Friedtnsburg.
Besuchers. Doch vird Wßrzbiirg nur flüchtig berßhrt; es geht
weiter Mainabvrärts auf Frankfurt zu. Barken auf dem Fluß mit
allerlei Waren gefüllt, künden die Nähe der blühenden Stadt an;
in Frankfurt selbst aber nehmen besonders die Bücherläden die
Aufmerksamkeit Laureficis in Anspruch; er zählt deren sechzig,
die, wie er zu seiner Betrübnis konstatieren muß, zu einem guten
Teil Ketzerbücher vertreiben, Drucke aus Genf, Wittenberg und
StraBburg, die die einzelnen Buchführcr gegen einander aus-
tauschen.
In Frankfurt löst sich die Reisegesellschaft auf. So kann
Laurefici hier einige Tage verweilen^ die er benutzt, um das Leben
und Treiben der Messe näher zu beschauen; auch unternimmt er
einen Ausflug nach «Neu-Gcnf", d. i. Hanau, wo kurz zuvor
eine Kolonie gewerb fleißiger calvinistischer Flamländcr entstanden
war, die um ihres Glaubens willen aus dem Vatcrlande vertrieben,
auch in dem streng lutherischen Frankfurt keine Aufnahme ge-
funden, dagegen von dem Landgrafen Ludveig I. von Hessen-
Darmstadt die Erlaubnis erhalten hatten, sich in seinem Gebiet
niederzulassen und dort nach ihren religiösen Bräuchen zu leben.
In Frankfurt fand sich eine neue Reisegesellschaft zusammen,
nämlich zwei Kaufleute, die nach Amsterdam reisten, ein Holländer
und ein Italiener. Mit ihnen zog laurefici zuerst nach
Mainz, wo er das Jesuitenkolleg besuchte, dann ging es zu Schiff
Rheinabwärts. In Bingen ließ sich unser Reisender die Sage vom
M^useturm erzählerij in Koblenz sah er die Mündung der Mosel,
aber erst in Bacharach wurde Station gemacht und zwar um am
Altar des Bacchus (»Bacchi Ära") zu opfern, eine Obliegenheit,
der sich unser Autor mit Vergnügen unterzog; fand er doch
heraus, daß Bacharachs Ruhm als vorzüglicher Weinort nicht un-
berechtigt sei: seinen Wirt aber mit dem weingerötelen Gesicht
vergleicht er einem Silen; dieser erscheint ihm als der Typus des
deutschen Weinwirts überhaupt
In Köln, der Stadt der heiligen drei Könige, wo es so viele
Kirchen geben soll, wie Tage im Jahr, verweilt die Gesellschaft
vier Tage, da der Hollander hier seine ebenfalls des Handels be-
flissenen weiblichen Bekannten aufsuchen will, die sich auch
unsers Verfassers freundlich annehmen. Endlich geht es weiter,
I
I
I
I
an der von Spaniern und Italienern besetiten Festung Rheinberg
vorbei, wo Laurcfici seine Landsleute begrQßl, über die holländische
Grenze; ein dort mitten im Rhein belegenes Fort der Holländer
wird besichtigt, dann geht die Fahrt weiter bis Amhem, wo man
landet. Über Utrecht, wo der Verfasser der nüchternen calvinischen
Art der Gottesverehrung gedenkt, Tührt der Weg, dessen Ziel die
wunderbare Sladt Amsterdam bildet. Deiche, Gräben, schiffbare
Kanäle bezeichnen die Route, die Stadt scheint ganz im Wasser
zu liegen, überragt von dichten Reihen von Mastbäumen; füllen
doch nicht weniger als dreizehnhundert Handelsschiffe den Hafen.
In Amsterdam verlassen unsem Verfasser seine Reisegefährten; er
überbringt aber Empfehlungsbriefe an gewisse Kaufleute in Am-
sterdam, natürlich katholischer Konfession, die ihm dann die Be-
kanntschaft aller Sehenswürdigkeiten vermitteln. Die Katholiken,
vernimmt er bei diesem Anlaß, erfreuen sich bei dem Handelsvolk
weitgehender Toleranz; allerdings ist die Messe verboten, aber
tatsächlich kümmert sich die Regierung nicht um das, was ein
jeder in seinem Hause treibt. Eine nicht unbedeutende Zahl ka-
tholischer Priester lebt in Amsterdam; man kennt sie ganz gut,
läßt sie aber, sofern sie nur nicht selbst die Aufmerksamkeit auf
sich ziehen, unbehelligt
Unser Verfasser staunt über die Größe und BLOte Am-
sterdams und die vielen gemeinnützigen Anstatten, Hospitäler,
Waisenhäuser u. s. w; auch die Töchter der Freude sind ka-
serniert. Im ■ilndienhaus" betrachtet er die Trophäen aus dem
spanischen Kriege. Übrigens ist die Stadt noch in der Er-
weiterung begriffen; ein neues Amsterdam entsteht neben dem
alten - offenbar unter der Einwirkung des hergestellten Friedens
nach so langen kriegerisch-unruhigen Zeiten. Das Straßenbild
Amsterdams erhält seinen Charakter durch die Kanäle („Grachten")
mit baumbcflanzten Kais; zu dem Bilde der Landschaft aber ge-
hören auch die Windmühlen, die ebensowohl einer mannigfachen
Industrie wie der Austrocknung des Bodens dienen. Zwar zum
Anbau von Körnerfrucht eignet sich das Terrain nicht; wol aber
gewährt es saftige Wiesen zu ausgedehntester Viehzucht. Der
holländische Typus tritt dem Verfasser besonders in den Milch-
mädchen entgegen, frisch und anmutig wie aus Milch und Rosen
I
zusammengesetzt, vor allem »blitzsauber«; treibt man doch — so
erscheint es dem Italiener — mit der Reinlichkeit einen förmlichen
Kulhis in Holland.
Nach Amsterdam besucht Laurefici Harlem, dessen feine
Leinwand er rühmt, und Leiden mit seiner vieEgefeienen Hoch-
schule. Unser Verfasser muß zugeben, daU die Lectoren der
Philosophie und der Humaniora vortrefflich sind; die Theologie
freilich riecht ihm nach caJvinischer Ketzerei. Es folgt Haag, welches
im Gegensatz zu dem beweglen Handelszentrum Amsterdam
den Eindruck einer vornehmen Villensladt macht; hier residiert
«Seine Exzellenz", nämlich der Stalthalter Qraf Moritz von Oranten.
Mit der Geschichte der Oranier ist auch das benachbarte Delft —
freilich in trüber Weise — verknüpft; dort endete Wilhelm der
Befreier sein Leben unter dem Dolche des Meuchelmörders. Von
Delft wird noch am gleichen Tage Rotterdam erreicht, der Well-
geschichte angehörend als Geburtsort des Erasmus, dessen
Denkmal unser Reisender bewundert. Dann geht es zu Wasaer
nach Dortrecht und weiter bis in die äußersten Teile von Seeland,
welches von zahlreichen Wasserläufen durchschnitten, aus lauter
einzelnen Inseln zu bestehen scheint.
Der Verfasser gelangt bis Vliessingen, wo ihm die Lust kommt,
nach England überzusetzen. Trotz ungünstigen Wetters akkordiert
er mit einem Schiffer und sticht in See; aber der Weltengang
treibt ihn zurück, nachdem er kaum den Hafen verlassen. Unser
Reisender gibt daher den Plan auf und besteigt statt dessen am
nächsten Tage ein Fahrzeug, das ihn nach Flandern bringen soll;
unterwegs aber gerät er in eine recht bedenkliche Situation. Andert-
halb Stunden vor Sluys nämlich bleibt das Schiff wegen des nie-
drigen Wasserstandes liegen ; erst die nächste Flut kann es wieder
flott machen. Da aber die Mitreisenden es sämtlich vorzogen, obwohl
der Abend nicht mehr fem war, den Weg his zur Stadt auf dem Deich
zu Fuß zu machen, so wollte auch unser Italiener nicht allein auf dem
Schiff ausharren, sondern schloß sich den übrigen an, machte aber
alsbald die unerfreuliche Wahrnehmung, daß er, durch sein Oepick
und einen langen Mantel, sowie den Säbel an der Seite, beschwert,
mit jenen nicht Schritt zu halten vermochte, sondern auf dem
morastigen Boden des Deichs nur langsam und mit Anstrengung
Des italienischen Priesters u. Theologen Vincenzo Ijurefici Reise. 411
vorwärtskam. Darüber brach nichtnurdie Dämmerung herein, sondern
es Itam auch ein dichter Nebel auf, der dem einsamen Wanderer
den Anblick der Stadt, der er zustrebte, sowie selbst den seiner
vor Ihm hergehenden Mitreisenden bald gänzlich entzog. Dabei
(eilten sich die Deiche vielfach und Wind und Regen machten
die Situation noch unbehaglicher. Aitch entsann sich unser Rei-
sender schauriger Geschichten von Fremden, die, in diesen Ge-
genden allein angetroffen, von den Bauern ermordet sein sollten.
So schritt er in nichts weniger als behaglicher Stimmung nur
unsicheren Fußspuren, wo er deren wahrnehmen konnte, folgend,
in fast völliger Dunkelheit geraume Zeit aufs Geratewohl vorwärts,
bis er zu seiner unermeßlichen Erleichterung auf einen Kanalann
stieß, jenseits dessen das Kastell von Sluys emporragte. Man
sandte ihm von dort ein Boot zur Überfahrt und ließ ihn auch
zuvorkommend trotz der späten Shinde in die Stadt ein.
Das dergestalt noch glücklich verlaufene Abenteuer entmutigte
unseren Reisenden so wenig, daß er vielmehr alsbald auf seinen
Plan, den Britischen Inseln einen Besuch abzustatten, zurückkam
und ihn dieses mal auch zur Ausführung brachte. Er ging über
Brügge und Nieuport nach Dünkirchen, wo er ein Schiff fand,
das Im Begriff war, nach England Segel zu machen. Nicht ganz
ohne Gefahr wegen der vorgelagerten Sandbänke gelangte man
in die Mündung der Themse und landete in Gravesend. Hier
wurde eine Barke bestiegen, die in anmutiger Fahrt nach London
führte. Großartig war vom Fluß aus der Anblick der Stadt, über
deren Ausdehnung unser Reisender staunte; im Innern freilich fiel
ihm unliebsam die Unsauberkeit und die Enge der Straßen auf.
Unter den zahlreichen Kirchen notiert er die Paulskirche und
SL Peter, oder, wie wir gewohnt sind zu sagen, die Westmlnster-
abtci, mit den Gräbern der englischen Könige, unter denen Laure-
fici das Grabmal des crsien Tudor hervorhebt; weniger gefällt
ihm das Monument, welches der letzten Tudor, der grollen Feindin
des Katholizismus, Elisabeth, errichtet Ist, und er kann sich nicht
versagen, an der prunkenden Inschrift, die die Ruhmestaten der jung-
fräulichen Königin aufzählt, von seinem Slandpunkl aus Kritikzu üben.
Den regierenden König Jakob I Stuart sah er zu Hamptoncourt
und hernach auch In London, doch gibt er nicht an, welchen
Eindruck er von dem Monarchen erhalten. Aber mehr als alles
inleressiert unseren Beobachter das allgemeine Leben und Treiben
der Weltstadt, wie es sich auf den Straßen und besonders auf
den Märkten kundgibt. Er bewundert die riesenhaften Vorräte,
die er auf diesen aufgestapelt findet. Dabei vermerkt er als eine
England eigentümliche Sitte, daß die Bäuerinnen, die ihre Waren
zu Markt bringen, zu Pferde erscheinen. Auch die Damen der
Gesellschaft reisen zu Pferde: wie unser Berichterstatter meint,
um ihre Schönheit desto besser zu Gesicht zu bringen. Ein ihm
trefflich mundender Leckerbissen sind die Austern; in ganzen Schiffs-
ladungen herbeigeführt, sind sie so billig, daß er sich daran nach
Herzenslust gütlich tun kann, er vergleicht sie den erlesensten
Produkten seiner fieimat. Aber der Aufenthalt in den Tabcmen
wird unserem Reisenden durch eine sehr leidige Gewohnheit
verdorben, der die Engländer seil kurzem fröhnen: das ist das
Tabakrauchenj über das Laurefici die Schale seines Zorns ausgiefit;
wir sehen daraus, eine wie große Verbreitung das Rauchen bereits
damals in England oder wenigstens in der Hauptstadt gefunden
halte.
Erfreulicher für Laurefici war die kirchliche Toleranz, die er
im Inselreich gegen Erwarten antraf. Man hatte ihm geraten,
seine Bücher, unter denen sich ein Brevier und andere geistliche
Lektüre befand, in Flandern zurückzulassen, und er war diesem
Rate gefolgt, fand dann aber, daß die Visilalion beim Eintritt in
England weitaus nicht so streng gehandhabt wurde, wie man ihm
vorgestellt hatte, sodaß er bedauerte, jene Bücher von sich gelassen
zu haben. Auch im übrigen bemerkte er, daß man den Katholiken
nicht allzu scharf auf die Finger passe. Fand er doch bei den
Buchhändlern sogar Schriften von Jesuiten. Auch halle in den
Häusern der katholischen Gesandten täglich Messe statt, und die
Polizei ließ es geschehen, dali selbst Einheimische sich zur Teil-
nahme einstellten. Den Fremden aber kamen sogar die Gastwirte
in der Weise entgegen, daß sie ihnen Freitags und Samstags Fasten-
speisen vorsetzten.
Inzwischen geht die Zeit zu Ende, die sich Laurefid für
den Aufenthalt in England angesetzt hat; aber nur mit Schaudern
gedeiTkt er der Rückfahrt, die in jener herbstlichen Jahreszeit
I>es iUEienisdien Priesters u, Theologen Vincenzo Laiirefici Reise. 4t3
recht stürmisch ru werden verspricht. Oleichwoht muß es gewagt
sein. Er gehl, indem er unterwegs noch Canterbury, die Stadt
des heiligen Thomas, flüchtig kennen lernt, nach Dover und ver-
traut sich einem nach Calais bestimmten Schiffe an. Die Über-
fahrt rechtfertigte dann allerdings seine Befürchtungen. Eine Gondel
■ führt ihn an das außerhalb des Hafens liegende Schiff; während
ersterc von den Wellen geschaukelt wird, muiJ er im Sprunge
_ das von dem Schiff niederhängende Tau ergreifen und sich so
I an Bord schwingen. Da steht er dann an den Mastbaum gelehnt,
die Blicke starr auf einen Punkt geheftet, da ihm der Schwinde!
nicht erlaubt, den Kopf zu bewegen. Ohne Wissen der Passagiere
führt der Kapitän im Schiffsraum Pferde mit, die während des
Sturmes einen entsetzlichen Lärm vollführen, sodaß die Mitreisenden
verlangen, sie ins Meer zu werfen. Nur mit Mühe rettet der
Kapitän seine kostbare Ware. Endlich kommt, nachdem man
zuerst westwärts gegen Boulogne hin abgetrieben war, Calais in
Sicht Kaum gelandet schickt Laurefici ein brünstiges Dankgebet
»zum Himmel; er fühlt sich wie aus enger Haft entronnen, ja
ganz England erscheint ihm wie ein riesiges Gefängnis, dessen
Insassen vom tosenden Meer bewacht wcrdenl
IAls unser Verfasser in Calais eintrafj war der Heringsfang
auf dem Höhepunkt; er bewundert die Menge der Fische, nie
hat er deren so viel beisammen gesehen. Die Weiterreise ging
dann an der Küste entlang über Qravelingen, Dünkirchen, Nieuport
nach Ostende, welches Laurefici noch halbwegs in Trümmern vor-
fand. Von Oslende gelangt er nach ßritgge. Er hätte gewünscht,
I von hier aus durch Lothringen und das burgundische Land die
Schweiz zu erreichen und durch diese nach Oberdeutschland
zurückzukehren; doch fand er keine Reisegesellschaft, und allein
■ zu reisen erschien allzu gewagt. So entschloß er sich, die Route
nach Köln einzuschlagen. Unterwegs sah er den im Bau be-
Igriffenen neuen Schiffahrtskanal, der von Ostende über Brügge
nach Gent führte; dreitausend Arbeiter waren daran tätig. Der
Weg führte über Löwen, an de^en altberühmter Universität, einer
Hochburg des Katholizismus, Laurefici einige der damaligen Größen,
vor allen Dupiiy (Puteanus), den Nachfolger des sieben Jahre
zuvor verstorbenen Justus LipsiuSj hörte. Weiter ging es
über Namur mit der Mündung der Sambre in die Maaß und
dann durch den grollen Kohlen- und Eisenbezirk, dessen
Zentrum Lüttich ist War die Reise bisher meist zu Schiff ge-
gangen, so zog unser Autor auch jetet, statt, wie er anfangs be-
absichtigt hatte, den direkten Weg nach Aachen einzuschlagen, die
Weiterfahrt auf der Maaß vor, die ihn bis Mastricht brachte.
Hier aber, vo er nun den F!uR verlassen mußte, vernahm er zu
seiner Bestürzung, daß der Weg über Land durch Räuber und
allerlei Gesindel unsicher gemacht werde. Er versah sich daher
mit einem bewaffneten Oeleitsmann und kam so auch ungefährdet
nach Aachen, dessen heiße Quellen er bewunderte; er vermerkt
dabei, daß hier, wie Oberhaupt in ganz Deutschland, Frauen auch
die Männer beim Baden zu bedienen pflegen. Auch die QaJmei-
gmben, die einzigen der Welt nach der Versicherung unseres
Autors, besichtigte dieser. Aber mit großer Unruhe sah er der
Fortsetzung der Reise entgegen; nach dem, was man ihm in Aachen
- wo! übertreibend - mitlcille, sollte eine organisierte Räuber-
bande, die ihren Mittelpunkt in Bonn habe, seit zwanzig Jahren
weit und breit die Wege unsicher machen; zahlreiche geheimnis-
volle Mordtaten wurden ihr zur Last gelegt Allerdings sei man
der Bande neuerdings auf die Spur gekommen, aber sie auszu-
rotten sei noch nicht gelungen. Auch abgedankte Soldaten sollten
marodierend umherschweifen. Allein unser Reisender hatte keine
Wahl; die Zeit war schon vorgeschritten, und der bedenklich ab-
nehmende Inhalt seiner zweiten Geldbörse gestattete ihm nicht
mehr, weite Umwege zu machen. Doch nahm er sich zwei
Wallonische Soldaten, denen er freilich auch nicht ganz traute,
mit und bewaffnete sich mit einer Pistole, von der er dann freilich
zu seiner großen Erleichterung keine Gelegenheit fand Gebrauch
zu machen. Einmal nur traf er mit vier Bewaffneten zusammen,
die ihm verdächtig erschienen; aber es stellte sich dann heraus,
daß jene nicht auf Gewalttat sannen, sondern ebenso wie er selbst
zu ihrem Schutz bewaffnet einherzogen; die beiden kleinen Ge-
sellschaften taten sich dann zusammen und passierten mit einander die
gefürchteten Waldungen, ohne weitere Abenteuer zu erleben.
Allein die überstandene Furcht wirkt noch in der Beschreibung
Laureficis nach; er kann sich nicht enthalten, hier einige heftige
Des italienischen Priesters u. Theologen Vincenzo Laurefici Reise. 415
Ausfälle gegen die Deutschen zu machen; deren gepriesene Einfalt,
meini er, sei lediglich Unwissenheit und^ wenn man ihnen nach-
rühme, daß sie frei von Lastern seien, so gelte das höchstens
soweit, wie sie das Laster nicht kennen; haben sie aber mit einem
Lasier Bekanntschaft gemacht, so sind sie darauf mehr versessen
und halten es hartnäckiger fest, als irgend eine andere Nation.
Wir lassen diese Urteile unseres geängstigten Reisenden auf sich
beruhen, indem wir ihnen objektiv nur das entnehmen, d&li unsere
Landsleute bei den Romanen damals in dem Rufe altvaterischer
Ehrbarkeit standen - und ganz unverdient wird dieser gunstige
Leumimd vielleicht nicht gewesen sein.
Um aber zu Laurefici zurückzukehren, dessen Reise sich
bereits ihrem Ende zuneigte, so bot sich ihm von Köln aus die gern
xpahrgenommene Gelegenheit, bis Frankfurt mit dem Posikurier
zu reisen; die Poststraße führte nicht am Rheinstrom entlang,
sondern abzweigend durch die Gebirge oestlich vom Flusse, für
die unser Reisender den viel angewandten, schwer zu lokalisierenden
Ausdruck „Hercynischer Wald" braucht; dieser durchzieht, sagt er,
Deutschland wie ein breites Band. Bei Limburg wurde die Lahn
tjbersehritten; andere Zwischenstationen werden uns nicht namhaft
gemacht. Von Frankfurt aus ging es dann zur Donau, aber nicht
geradeswegs nach Regensburg, sondern unser Reisender gedachte,
«he er zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrte, noch das attbe-
rühmte Augsburg zu besuchen. Direkte Verbindung dorthin fand
er aber nicht, sondern ging über Nürnberg und Weissenburg i. N.
Von Augsburgs Größe und Bedeutung empfing er den günstigsten
Eindruck: er stellt die Stadt noch über Nürnberg, wobei allerdings
der Umstand auf sein Urteil nicht ohne Einfluü geblieben zu sein
scheint, daß Augsburg, anders wie das «perx'erse" Nürnberg, ihm
jioch einen teilweis katholischen Eindruck machte. So rechnete
«r es steh auch zum höchsten Vergnügen an, den Kory-
phäen der katholischen Partei in Augsburg, den gelehrten
Alarcus Welser, dem er einen Empfehlungsbrief überbrachte,
gesehen und gesprochen zu haben. Im besonderen gedenkt
Laurefici unter den Einrichtungen Augsburgs der gerade durch
<jie Einfachheit ihrer Konstruktion imponierenden städtischen
"Wasserkunst.
Von Augsburg ging es weiter nach Ingolstadt Die Reise bo
weder Beschwerden noch Gefahren; doch ließ die Furcht vor de
Pest, die in den anliegenden Landen ausgebrochen war und sich
weiter verbreitete, kein rechtes Behagen aufkommen. In Bayern
versuchte man durch Bewachung der Grenzen sich zu schützen.
So hatte unser Reisender auch am Thore von Ingolstadt dn Verbö
zu bestehen, welches dadurch erschwert Minirdeidaß dieVerstindigung
wegen der Verschiedenheft der Sprachen mangelhaft war. Unser
Autor gibt selbst zu, daß er das Deutsche nur »etnigemianen-
verstand; trotzdem kann er einen Ausfall auf die » Dickköpfigkeit'
der Deutschen nicht unterlassen; in Holland, Flandern, England
und Frankreich sei die Verständigung stets in der einen oder
anderen Weise ohne viel Umstände bewerkstelligt worden, nur
die Deutschen ließen sich nicht herbei, zvim Vorteil der Ausländer
«ine .^gebildete« Sprache zu lernen, Ist der Vorwurf berechtigt,
den übrigens Laurefids Darstellung von seiner ganzen übrigen,
ohne Störung verlaufenen Reise durch Deutschland selbst zu
widerlegen scheint, so müßten seither die Verhältnisse sich gänzlich
in ihr OegenleÜ verkehrt haben.
Daß Ingolstadt als Hauptsilz des Jesuitismus eine Stadt nach
dem Herzen unsers Berichlerstalters war, läßt sich denken. Er
berichlet uns, daß Jesuiten fast alle Lehrstühle, abgesehen von
einzelnen in der juristischen und medizinischen Fakultät, besetzen,
und beschreibt uns das großartige, mit einem Konvikt verbundene
Kolleg des Ordens, das ihm die Brüder bereitirilHg zeigten;
besonders freundlich empfing ihn Pater Jakob Greiser, der ihm
nach deutscher Sitte den Willkommentrunk in vorzüglichem Wein
darbrachte.
Auch die Stadt Ingolstadt hatte unser Reisender, den un-
günstige Witterung dort länger als geplant festhielt, Gelegenheit
zu betrachten. Er rühmt die starken Befestigungen; im Innern
fiel es ihm unangenehm auf, daß die zahlreichen Kühe und Schafe
die Luft in den Straßen verpesteten, was übrigens, fügt er hinzu,
auch in vielen anderen deutschen Städten der Fall sei.
Endlich gestattete das Wetter die Weiterreise. In Regensburg
aber fand Laureftci die Seinen nicht mehr vor. Der Reichstag
■war mittlerweile geschlossen worden und die Mehrzahl der Ver-
sammellen hatte dem Kaiser, der nach Wels in Oberösterreich
gegangen war, das Geleit gegeben. Dorthin eilte auch Laureftci;
in Linz landete er nach fünftägiger Flußfahrt; einen iTag später
erreicht er Wels, wo er das Reisegewand wieder mit dem priester-
lichen Omal verlauschte. Es war, wie er uns mitteilt, der 25. No-
vember, seine Reise hatte also rund 80 Tage gedauert -
m Viaggio per Alemagna, Inghilterra e Fiandra.
II giovedl, che fu alli 4') dt settembre, partii di Ratisbona et il
£iomo segitente arrivai a Norimberga*), ta qiial non solo per 1a molti- Nürnbcra,
tudine degli artefici, per la bellezza delle fabriche et politczia delle strade,
piazze c ponti, t incomparabile con Ic prime cittä di Oermania, tna an-
cora per il sito amenissimo e per il fjume, che con gran destrezza i stato
accomodato all'uso de'molini, da'qiiali net medesimo tempo ^ madnato
il erano e burattata^) sottilmenle la farina. ni corre nel resto oüoso il
Pegnitio, che cosi ^ chiamalo qitesto fiiitnc, ma fe costretto dall'industria
di quella gentc a ridurre ü Ferro in varie sorti di vasi et istntmenli, et
a lirare In ftio il rame e l'ottone; le spetierie et il farro*) son franti col
benefillo delfistasa acqua, con la qiiale viene ancora esercitato l'artefido
della carta. alTlntorno si veggono alcuni giardini as&ai curiosi, dove quei
mercanti Italiani hanno Irasporlato Fichi, naranci°) et altre plante, li cui
frutti, essendo ävi peregriHi, sono moUo stimati, quanto questa dtti mi
piacque nelle cosc sudette, tanto mi fu odiosa et esecrabtie per t'ostinato
Lateran esimo, non pennettendo cssercitio della reÜgion cattolica in tutto
il suo territorio; onde io mi mara^-igiiai di qiiei noslri Kabani che, per
aviditä det guadagno, vi si (rattenesscro, non gli esscndo lecito sentir la
messa se non a trc leghe lontano, che sono 15 miglia de'nostri. su la
giurisditione di Bainberga. le chiese, beitch>t profanate, son nondinieno
da quei ministri Luterani tenute polile con tutte le loro imagini et
ornamenti.
»Voicndo io di qua passare a Francfort, m'accompagnai per piü sicu- Aiifbnich nub
rezza con li mercanti che andavano a quella fjera; ma non restai poi rrwMutt.
sodisfatto della loro compagnia, perch^ pct tutti gli alloggiamenti non si
faccano semplici banchetti, ma nozze mallina e ^iera, le tavotc cran colme
di vivande et trinceralc per dir cosi di bichicroni, che si toccavano l'nn
con l'altro. a&sistevano per tutio li musici con i loro istnintenti, al suon
t t) Vlelmetir d» 5.? ivfl. di« CInIcihitiE).
1 1 Ein« ■ufinhrnclir Sclilldnune NISTiibfres ■»; lUIl^nlKhtr fedtr vom Jihn IMT
(ton OlTOlaino Faldli hat« Ich kfinÜTh <ra K. Krft dn ,,MH'trnuTiiEm dn Veftini fdr
Onchichle ütt Sbdt Näntberg" vcittenl licht.
k>| bnrallarc tißtr »bbiiril<>rr e± bciittln,
tun = Spcli, Dinktl,
•nnd, Apfel sinrnbiuiDC.
Aicbiv tut KulturECKltichl^ 1, I. 27
de'quali si bevea in vari« e »träne foEgic, rt alla fine la fesia st risolvea
per ta plü parte iii inibriachezza; e durö questo ca^^e^'ale quätro giomi,
che mi parvero un niese, per la ütrada si viddero alcune buone terre, e
WirebHrfr passammo per la bclla dtti di Herbipoli, instgne pa jl Meno che la
dividc, e per la copia del viijo che ivi nasce, i) mecltorc che sia in lulla
la Franconia. per le chiese et per il vescovo dcgno di scmpitcma lodc.
havendo cacciato via tiilti gli heretici, arrichito 11 vescovato di nove
Intrite, risloralo nella diocese molti lempÜ et cretlo nella citti un coU^o
nobilissimo de padri Giesiiiti').
In questo paese et airintonio, dovunquc scorre il Meno, lecoUiae
FnnWuri. omate di vigne rendeano urata visla per tutto sino a Francfort, dovc
trovammo il fiuine pieno di barche mercantili et la citta dentro ingom-
brata di varie merci di tutte le parti d'Europa. i librari'), che non
haveano manco di 60 botteghe, spacdavano la lor mercantia senza trovar
trappo danari permtitando Tun con l'altro t libri, de'quaü non piccola
parte era d'herelici vecchi e modemi, usciti principalmente di Otnevra,
Vittemberga et Argentina. qui mi trattcnni piü di qiici die occorreva,
alletlato dalla novitä che giomalmente porgeva h fiera. et ancora per le
carezze fattemi dalli agenti de'signori Torreggiani^), che m'alloggiorono
con grandissima cortesia. non lasdirö dt dire dell'Bbondanza de'
buonisslmi frutti di qtiesta clttä, tra'quali le persiche non cedeano a
quelle d'Italia. prima die di qua partissi, andal in una dni due leghe
Hiniu. vicina, chiamala Affanau*), novamente edificata con bei dtsegno d
architetlura, et habitata tutla da Calvinisti, i qtiali v'han fabricate duc
chiese in fonna rotonda et congiunte insieme, nell'iinadeqiuli »' pndica
in Tranzese et nell'altra in fiamingo, e&^etido tiitti qtiei cittadini o dell'
una o dell'altra natione, e rassembra a puiilo que) logo uni nova Ginevra
d'Alemagna,
Plan bii Ho\. In qucsto lempo io haveva disegnaito d'arrivare a Colonia; nia
land mgehui, jssendomi per sorte incontrato con un Olandese tt un Italtano, ambidue
tiiercanti assai garbati. mi lasciai per^uadere, dovendo essi andare in
Amstcrdamo, di scguir la loro compagnia. ma quel che mi spinse fu il
vedere quel fiume Meno, che sl dotcemente correva aH'ingiCi, et il Reno,
'■} Oenwinl ist Juliua Echter von Meipelbrimei, der von 1^73 bil 1617 der VürtbUTget
Dtfitesc Tonttiid, Du Wür(bui)[cr Jeiaitcitk-QUcK gehl freilich geitiu Kcnoniinrn nicht aal
Julius nirück, londeni et t^atind In W. Khon seit ISOl ein Ovirnutiani, vdcAB IM7
r«orE»nUiert und in ein förmUclie» Jetuilenlcollea iini(£e»inde1l wurür. Jutiiu er»cilertc
dann dies [nititui i.J. 1S8I in einer UniveniUii. an der mciit Jernten lehrten.
1} Über die rrenktuftcr BAclieriiinM, derc]) t'mutx bi« mm Autbrudi dei JOjBirign
Krieget in bctlnndlEtm Sldicn vir. vgl. >ntwn, DeuUche Octchicbl« Vll. S.ttl— «U.
■) Florentiner BanUuui.
<) Sot Der Kinie Ist - *oM durch dm Ati«thrc!bcr - arg enlttetU: «ie iiu dem
fallenden hervaisehl, lit dir Sladl Hanau gemeint, deren neticr Tdl 1597 durtJi calvistuliehe,
au« ilirem Vaterlind verlrlebeiie riamllndFr und Walloiini, die In dem Titherltchen Prenkiart
keine Autnahme tanden, Kc^rundel «urde. Sie führten äeiden- und Walleffreberri, Silt>er'
und Ootdarbelt ein und hoben dadurch die Bedeiitunu und den Wohliland der Stadt.
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De italicnisclitn Priestera u. Theologen Vittcenzo Laurefici Reise.
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benche ancor da nie non vislo, pur mi tiravi 3 pigliars) buona occasione
d'andar a seconda fln'in Gianda, ond'io finalmente m'inbarcai. TUtesso
giorno hebbi tempo di veder Magatiza con tutte le diicse principali,
palazzo vescovile e colEcgio de'padri Qcsuiti'], ma non posseiti parlare
al padre Beccaro, com'io desidenvo. U notte caminammo molte miglia.
et doppo d'esscrci n'posati alquanto in terra continuammo il viaggio,
finctie 1a mati'cia arrivammo ad una piccola terra posta nel tnezo del
Reno, la qiiale, come alcutii prattici d nanorono, Tu ivi da un vescovo
Maguntitiü edificata per lugire il flageilo de'topi. da'quaU nondimcno,
non gli giovando 1a difesa dell'acqua ni delle mura, Fu per divin volcre
finalmente roso et mangiato. al sinistro lato de! Reno, prima che s'arrivi
a Colonia, vi ^orga la Moseila denlro e fa un bellissimo angolo, nel
quale pace Confluentia. cilti assai gcntile dcl vcscovo di Trevere; ma
inanzi che Fussimo a questo loco, smontammo per vedere una terra famosa
in tutta la Germania per il buon vino di Reno che ivi si raccoglie, chia-
mata Bachara, quasi Bachi ara, come da alcuni i interpretata, e da
Tedesch) non solo 6 amata, ma con devotione visilala e riveriti. qui
bisognö che ancor noi sodi$facesinio alTinvIolabil rito di bevere un gran
bichJere, e poi fummo honürati da uno di quei hosti, che pareva apunto
iin Silcno, dun buon vaso d'elelto vino, che ci bastö per molte leghe.
tutto questo tratto che ^ bagnato dat Tlume, i cinlo di colli, che fan non
iolo argine al gran padre Reno, ma ancora corona di fertili viti; onde
con gran curiositä dalla gente Alemanna son coltivate et con gnn
rispetio, anzi religione guardatc, non senza ragione, perchi^ il Liquore i
3I delicato che non cede a qua! si voglia piü suave Albano*) o pi£i
esqtiisito Caprarola, secondo il ginditio che ptiö dame il mic gtisto. il
se^ente niatino si scoprimo le toiri piti alte di Colonia, et poi a poco
habbimo perfettamente la prospettiva della ciltä, nella quale enhrati ci
disputimmo in qua e in li vedendo le co&e piü degne, che sono molte,
ma in particolare ti tre maggi e le reliqule nel tempio di san Qerione e
di sanl'Orsola, vcramcntc amcntrande. il numcro delle chiese di qiiesta
cittä h pari all! giomi dell'anno, e non volendo io al principio consentire
che fussero tarile, poi vedendonc gran. parte, cessai d'essere piü contuinace.
in quRto mezo che d tralcnevamo in Colonia, andamnio a vedere la lanlo
nomtnata forlezza di Mulem '), ma trovammo che non corrispondeva alla
fama. il mercante OLandese della nostra compagnia havea molii parenli
in Colonia, e la maggtor parte erano donne anch'esse mercante^e, dalLe
quali ogni giorno eramo banchettati, et non era possibüe di distacarci,
sc io, vedendo che erano passati quatro giomi, non havessi fatto violenza
■) Hin mit dRCm Oyniniiiunt verbunilcim JciTiK^nkoIkg bdUnd in Maini idt 156),
_ um ]SSt loll « TOO SfhülCT gezlbH htben. Janssen, DfuM^ti« Ucichichie Vit, S. Sit
■ >i Atbano. dns der „Cittelll Roidaiu", der Wdnortr bei Rom, Hiaptart des
I AlbinergebirKct. - CapriToU iit ein ElcrxMldtchen uii*elt Vitetbo. berübnit durch den um
I -Alt MLtte 4n li. JaluhoDtterb ntiiuten prlctiliKen Palusa raraew.
■ ■> MHIhcim ■. R.
ft 27"
D«r
Mluidümi.
Die Mowi-
in Und (IHK.
Cobleni.
QidMracii,
Der
Rhein« ei II.
Käln.
MQItieün,
Fahrt
rhtlnitivlris.
Ciemcrtch ;
Rticlnbfre.
Fort Sehtr
{„Scbcnlcni-
tdiante").
AmhrTn
UU«hL
Asnitmijuii.
RrlMhoMüm,
alle donne, che non voLevano lascJarci parIJre, e liberato da cMC i
compagni, coi quali entrai subito in barca s^uendo U nosiro vlag^,
c menlre radevamo hor una ripa del R«io « hor un'aitra, smoDlavamo
spesso a vedert quei bei luoghi e cittä dello stato di Cleves, tra'qualt
Düsseldorf et Embrig') ci parsero di pn'i coruidentione. Ira queste duc
cittft cRlmberga*) lenula con bunna guamigtone de Spa^nuoli c( Italiani,
coi quali stammo im pCKO a rag^onare; et poi, navigando pii'i a basso,
d accostammo al forte di Schir*) degli Oiandesi siluato nel mezo drl
Rcno, onde h stimato inKpugnabile, il govematore essendo cortese ci
lasciö vedere tutto benlssimo. pi era il terzo giomo che partimmo da
Colonia, quando arrivamtno a Namem*), cittä pur soggetia atli stati e
capi detia Oheldiia, posta dove il Reno si divide in dui bracd e rende
isola tutta I' Gianda, el essendo hormal satü deUa navigatione, d risoi-
vemmo di far il resto della stiada sino ad Amsterdamo per terra, et
montati sui carri , che qui come anco per tutta Olanda si iisano in una
strana foggia senza titnone, come quelli degü antichi, non intenniltendo
di caminare qiiasi tutta ia nolte, il giomo segucTitL" [ummo a Vereche*),
citti bcllissima ei oriiata d'iin supcrbo tcmpto, ma gii contamitiato et
ridotto alla forma Calvinislica, come sono tulli glt altri d'Olanda, che
contengono solo il pulpito, la niensa e le tavole del decalogo. di qua ci
Irasferimiiio in Amsterdamo, et II Camino trii parx'e mintbile perli dicchi.
(ossi e cattali navigabili, tirati per tutio in maniera che per le campagne
non piii si vedcano case et alberi, che vele et antennc- la \nsta d' Amster-
damo era bcllissima, perch^ non solo appanvan H püi eminent! edifidi,
ma ancora a tato alla cittä si scorgea come una gran xlva d'alttssimi
pini, ch'eran l'alberi delle navi in si gran copia ivi adunate. Ia citti e
tiitia in acqua, ma dnla di fortissime mura con le suc porte propor-
lionatf; son perö le mura n^ laterilie") ni di pietra, ma di terra, tanto
ptü slabili quanio men temono il cannone.
Inanzi cti'io eniri in Amsterdamo, dtr^ brevemente come io mi tnn*
nuassi in tante dttä. et genll hereliche, senza che mi fosse mal Fatta una
minima resistenza. prima che io partissi da Rali&bona, ancorch^ non
havessi dcüberato di passar tanto oltre, per 11 buon consiglio di molti
amici mi feci un habito corto di panno mischio di Londra, per poter
senza sospetto caminar per tutto; il che mi riusd assai commodamcnte.
poich^ mai nissun mi guarxtä o dimandö, e tanio piii che il vestito di
colore era accompaKiialo d'ucia buona spada, die havevo cotnpri^} in
>] Emmerich.
*) Rhtlnb«it zwisdint DuSilinri; und ^cmI.
^ Dm Pari nitikrt nkhl mcht, n \U «ohi In der Ocgend
Khinie lu suchen.
•) Anthrm.
>) Wahl eriUielH «iH Ütcrcche.
■) S. V. 1. <li matlonl, von ZicselsielDea.
'j P*r compnl«.
der heutigen Schnifec*> ^^
Des italienischen Priesters u. Theologen Vincenzo Laurefid Rdse. 421
Norimbcrga; ma in ogni modo al!*ap|»ren«i era slimato piü mercante
che soldato, la qiml' opinlone iton volendo die s'haves&e di nte, aggiunsi
al capcLio un cordone alqtianto fanUstico; ma restai tutlavia eteroclito
tra il soldato et il mercante, onde in aicune piazze mercantili non tnanc^
Chi mi si accosUssc per faritii vedere diamanti.
Entrato che fui in Amsterdamo, la compagnia che per tanti giomi
havevo godutä, mi lasdö, es&endo gii arrivata al Hn deE &uo viaggio:
onde io rimasi alquanto maiinconico, finchfe fui consolaio da un mercante
dclla stessa cittä, al quäle portal uiia letlera di raccomandalione, et ne
riceveüi niolte carezze, non solo di Ictiermi scco in buona ricreatione
nella pmpria casa, ma ancora d'accorapagnarmi et farmi vedere minuta-
Riente le cose piü notabili di quella cittä, Ira quali fu la boraa de'mer-
canti, che t una bella machina növamente edlficata sopn un cana.(e con
rieche bot^be nella parte superiore, e te chiese che sono moHe, poiche
cinqiie ne hanno gh Annabaiisti, ahrciante et piii li CaJvinisti, che non
gti bastando le veccfaie ne han fatto due nove assai belle et soniuose;
Ei Luterani et gli hcretici d'Inghiltcrra et altre sette ne posseggono cia-
scheduno una: solo a'Cattolid « denegalo l'essercitio publice della vera
reltgioTie. e ben vero che nelle loro case non gli k falta inqul^tione o
prohibitione ni«$una, eccetfo della predica et della ntessa, che non gli la
voglion permeitere manco in privato, per paura che non si faccin conven-
licoli, che quanto at rcslo non si curano comc ognun vogll crcdcre o
opaare. ma non ostante questo il mio hospite ogni mattina sentlva la
messa, alla quäle io sempre assistei sl per la devotione come per con-
fermargli la mia profcssione, percht egti, quando Io gli resi la lettcra,
m'havcva dimandato, ma con modeslta, se io era cattoüco. la quäl
proposta fu da lui fatta a fin dj potermi invitare al divin sacrifido, che
ivi secrelamente si facea. molti atlri quivi et per tutti II Stati nelle lor
case fan celebrare, con tutto che aicune volle, essendogli fatta la spta,
sian constretti ä pagaie 200 fiorini o essi o li preti, li quali per lutti
quei pae&i sono in buon nuinero e vanno in habilo secolaresco, e non
sono affato incognlti a qucUi herctid ne airi&tesso magistrato.
Si possono ancora annoverare tra le cose segnalate che io viddi di
questa citti, l'hospitale degli huomitii e quello delle donnc, ambidui
molto ben serviti, la casa degli orfaneEli, il serragUo*) di quelle che non
hanno saputo (are se non troppo disonestamente la meretrice, essendo in
quello riiichiusc et severamcnle trattatc. un'altro serraglio ci t delli gio*
vani disubidienti e sviali. a' quali fan segare il durissimo Icgno Brastle.
nutrendoli a pane et acqua fincJie si etnendarto. vi i un altro ho&pltak
per li povcri o vccchi o stropiati, sI huotnini come donne, molto bene
e polilamciite termlo; ma per fare tutte quelle opere hanno havuto assai
fadliU,. havendone edificalo et soslenundone la magglor parte dalla de~
Die Sehent-
vonAmttenUm.
KiUioliUn In
AmitndxBL
Hoopitiler,
AtfniillclM Ot-
tüudc ui«.
>) SemgILg [von Mtnre) bedeutet altpinrin dnea nmMeMtn, dabd In licl) ibft-
KtalMMfin Ort
b
)» Indlcnliiu»
I
Kudlc.
khitltveiliclir.
Wlndmühltn
Vfehzucbt.
slruttione di tanti ronvnti e moiusterii, dt'quaü non solo ä sodousut-
part l'entrate, ma ancora hanno indcgnam«nte tntUlo i luoghi sacri,
comc si vede partrcolannente dove stavano li pidn Certosini, la cni cfaiesa
fl etile son convcrtile in tante lavernc. dovt vanno spesso a imbritctrei.
la ca&a dclle mcrcantie deH'Indie, ndla quak risiede un magistnto par-
Ifeolar«, e diegna d'csstr messa in questo nunicro per li molti aromati
et richezze che conliene, et per li trolei che ivi spiegano delle vinte e
mbbale n&vi Spagnuole. li cinali son beltissimi, perch^ son tulti netti,
lungfai, larghi e dritti, con biiomssiinl ponti congiunti, e d'una parte et
l'altra vi i la strada assaj ampia con una fila d'alberi longo l'acqua, dove
continuamente scherzano i cigni. principalmentc nc'canali d'acqua dolce
che vien dal fiume Amstil, da cui ha preso i1 nnmc ia citti; et qucsti
amalj son separat! da quelli d'acqua salsa con porte di legno, per le
qtiali quando son iroppo pient, 11 fanno sgorgarc ne'salsi. le barche pas-
sano dall'uni aU'altri aspelUndo che call o creschi il mar«; aescendo
entrano ne'canali dolri, c mancando possono passore da'dolci ne'salsJ.
le navi di gabbia'] ch'io conlai aH'hora, erano mitte irecento; ma il
gennaro, quando svemano quasi intte, arrivano, come molü dcgni di fede
aflennano, al numero di dua milla quatrocento. neU'istesso mare stanno
molti galeoni da guerra, ma in panicolare ce re sono quatro novi mira*
bilmente armali.
Li molini a vento atCrove servono solamente a macinare, et qui non
solo a batter fem et far carta, raa ancora a secare') pacsi patudosi e
votar lossi d'acqua, e di quesli se ne vede una gran quantili per tutte
quelle contrade, i qualt, soffiando il venio, lavorano da per se e fan
sbalzar (uora l'acqua con grand'impeto sena che nessuno v'assista, ba-
stando che ogni tanii giomi si riveghino, il lerreiio bcnchf infecondo
di legname ei di grani, che con le navi traggono da pacsi forastieri, e
nondimeno terlilc d'erba, ondc nodtisce motte vacche che fan latte, butiro
et caso') in grandis&ima abondanza, e le contadine vengono giomalmente
con le lor barchette a famc spaccio nella citli, e la natura le ha fatte cosl
candide e belle, che paion miste dell'i&tessa latte con fresche e vermigÜc
rose: e perö mi parc che si possi perdonare a un certo nostro Italiano,
che dis$c: se mi fusse stalo dato in sorte di na^cer contadino, non a(-
trove harei sapulo desiderar la mia contadinanza! riovemo per 11 gbiacd
sono impediti li pascolt, ma havcndo l'cstä raccolto fieno a sufridenza,
con quello mantengono Ic vacrhe grasse nelle case, e le mungono e fanno
i »oliti butiri, essendo propriainente qui dove il latte
,non aestatc novum nee frigore deflL'
■1 Oibbli bcdmtf tul fititta Schiff« der Mankorb: untrr u*i Ü obbll «chrinca
hin — im Ocgtnuii in dn e>1(V"' '^ gunia (Oilttrtn) - die KiuHalirlciKbitlt gftntitii
*a «ein.
1 1>. i-: Mccu*.
•) D. i.: ntcio.
I
I
I
I
Hollludiidic
Relnllcbkeil.
Harlem.
Leiden.
non creda perö atcuno che, perchi ho detto che tengono le vacche nelle
case, pfT qucslo habiiino sordidamenle; anzi piacessc a Dio che molti
nelle citti d'altr« provinde vivesscro cosi politi neue loro case come le
villane d' Gianda, delle citiadine non parlo, perchc nclla ncttera son
tinto curios« che arrivano alSa 5ii|>erslitione. ßran parte deU'istesso ler-
reno, che ingrassa gli animali, ^ buono a hruggiare con molto comtnodo
de'paesani').
La rroUiludine delle genti tli questa citiä scmpre va crescendo, et
essende stata agi^andiU una volta, hora Tamplif 10100 la seconda, et di-
giä si distribuivano i siti delle case.
Essendo stato in Amslerdamo a bastanza, uscü fuora in una di
quelle carrazzette, e caminando sempre sopra un Inngo dieco, arrivai a
.Htfletn, cittä non solo mercantite di tele finissime, ma ancora forte el
'Mit. ma mollo piii bello trovai Leidon, chec il Lugdunutn Batavonim,
do\-e mi trasferii Ü scgttente giorao, el viddi quello studio, et sentit al-
aioi leitori in humanitä (che in questa proressione sono eccellenlissimi)
e qualche filosoFo. mi accostai alla scuola di teologia, ma puz7^va di
Calvinismo, e perö non mi vi fermai.
Non molto lontano da Leidon i la Haia o Haga, piü tosto villa »■0"»«>i»ig
che dttä, ma gentite el deliüosa per i canali, laghetU et boschetti che
dentro contiene. qui risiede il magistrato ü'Otanda et delU Stati. in un
apparlamerito del palazzo publice liabita il conle Mauritio*}, del quale
jvi non si parla sc non col nome üi .Sua Rccellenza-. havendo io mirato
in un gran salone terrcno li lunghi ordini delle bandjere ncmiche ivi
superbamente poste et distese, andai a vedere il detio conle, che, aecom-
pagnato d'allebardieri (privilegio a lui solo concesso, come il tttolo dcll'
eccellenzaj andava alla stalla. viddi ancora il conte Enrico suo fratello"),
c poi partii per Delfe, citti piii bella e cclebre per la morte del principe
d'Orangc*). nel'istesso giomo, per la vidnanza, anivai a Rollorodamo,
nobil riilä e piena per lulte le strade di vascelü mercsniiü e grata al suo
Erasmo, a cul ha eretlo una slatua'). lin a questo luogo venni sempre
per terra, ma qui m'imbarcaj [vr Dort o Dordrccht, ditä anch'cssa belia
e gentile eu la Foce della Mosa, come Rotterodamo su la foce del Rciio;
i qu2lä fiumi ricevendo qui copiosamente il Ilusso dcl marc. paion
l'istesEO niare, onde le grosse navi vi possono commodamente navigare.
di qua bi&ogna necessariamente andar per acqua chi vol far il viaggio di
Zclanda, e perö salito in un vassello passai a Villenslat fortezza '] , et
Manu
von Oranin
Delfl
K otterdun,
DonTcdil.
') Dn VerffttWT (ctieini vcn der Torft>neitime ni «predien: i- v. u.
-) Dtr Sutthtller, Ci>f Moriti von Oruiien, f IU5
>) F:ie4rich Heinrich, licrnitti Mciiiti' Nathlolgti i'ri dti SUIlhiHcrrJKdc
*) HitT «iinle bckanmlicb Wilhelm voa Oiitiicn am ID. Joli 1M4 von Bilihaiar
Otnfi nmordrt.
*) n»t Brr>n»<SUndbild Ott Eniraut in RoTtenliin rOtirt Yon dm tioUlndiscltca
Buiinriiicr und Bilüliau« Hradrlk d» K«y«» (HÖT-1421J hw.
*} WillentOd.
4M VaUer ntedenboEB. i^: -^■
iuü fotjrg^mdn alcune di qudi'lK^ nrinnuBO «UtValdBiiai^ dw«
I'Hltfnia delh ptrte dl ooddeate et di tatte l'inie TifhiicIlAr' U. piA
MMiWtiwa. bdkf per la frequentla de'huKU haUtill et per k cfttt dl MOdebnc^
h qtttle, bendii ^ alqwnto meditcrnuMi, aoadloieno rioeve le gnn
Mvl In MBO et hl buon ooauncrdo dl mercmH. da MOdebaix xm* ^
WMii«aL dM k^ kmtuu FIcmIii^ et vi ri m con i^in guäo md emi. aoo &
ri gnude come MikHnng, ms «ml plik forte poifai snl Itto dd mmi^ o
per dir mcglio te Uto et kj^ al mtxt e ki rioeve par dentn c coa
MK k navl; et easendo ooil gnm forkm, k kotoao aaoon bi pcgno
I i
^ Taktoin mH MUiMImte nd VUoibirN.
^ VlkMiiwa gMtte » dn Phnddldf. dk M dNi AbiAhd te
nriüfen dcü Stattn nd Eaglaail v.J. 13» dw B«ltaden
Mi «I «CM sKii alddnrIdMvWIciEü, ■!■ de nkc ILJAob L HM
. <Uc Nlcdnlnide pwligibcB.
(ScUttBMKg
Eine Liederhandscbrift aus der zveiten Hilfte des 17. Jahrh. 425
Eine Liederhandschrift aus der
zweiten Hälfte des 17. Jahrh.
(Berlin, Mgq 720)
Von ARTHUR KOPP.
II.
S. 36 No. 17: Ihr Freunde last uns lustig seyn t bey
gutem hier und kühlem wein ... 6 zehnz. Str. = Kri^er, ebenda
IV 4; Hoffmann, Jahrbuch d. d. Univ. 1, 407; Keil, Studentenl.
S. 43.
S. 40 No. 18: Ihr leut[e] wolt ihr mein[er] lachen, |
Das ich ein bisgen kleiner bin ... 8 sechsz. Str. ^ Weise,
überfl. Gedanken IV 5.
S. 42 Nr. 19:
1. Komm du schöner Abent-schein
Und ergötze meine Pein,
Die vorhin den langen Tag
Meinen Geist zu martern pflag.
2. Zwar der Morgen zeigte mir,
Daphnis, deines Mundes Zier,
Doch weil alles kunte sehn,
Durfte weiter nichts geschehn.
3. Nun sich Luna zu uns kehrte
Wird der eitlen Furcht gewehrt,
Weil die Zeit der finster[n] Nacht
Unser Küsse[n] süßer macht
4. Phoebus und sein helles Licht
Dienet vor Verliebte nicht,
Liebe mus im Dunkeln seyn —
Koni[m] du schöner Abent-schdn.
426
Arthur Kopp.
Im Bcrgliederbüchlein, das ititl dieser Handschrift etwa gleich-
zeitig') ist, S. 115, steht das Lied mit 3 Strophen, die dritte der
vorstehenden fehlt:
Komm du schöner Abend-Schein
Und verkürz mir meine Pein :[:
Die vorhin die ganze Nacht
Unser Küssen süße macht, die etc.
Zwar der Morgen zeugte mir
Daphnis deines Monden Zier :|:
Doch weil alles konte sehen,
Dorfle weiter nichts geschehen, doch etc.
Venus und sein helles Licht
Diente vor Verliebte nicht :;:
Die Liebe muß in dunkeln seyn,
Komm du schöner Abend-Schein, die etc.
Des Schlesischen Helicons auserlesener Gedichte Ander Teil,
1700 S, 121:
Komm du schöner Abendschein,
Und ergötze meine Pein,
Die vorhin den langen Tag
Meinen Qeist zu martern pflag.
Zwar der Morgen zeigte mir
Daphnis deines Mundes Zier,
Doch weil alles konnte sehn,
Dorfte weiter nichts geschehn.
Nun der Mond zu uns sich kehrt,
Wird der eitlen Furcht gewehrt,
') Man Im Um BrreliedcrbCichlcin blthcr Itnin« in die Zelt um 1740, damit aba
um 4 bli S J^nrtaol« la tpü iniifsclTl. Mm vtird« dibri dnrch <fai 79. Lied (S. 9B>
ircegtlühTl, dmen cnte Strophe UuiM:
AutbeuCh« bit inaii Bieten.
Ttintitii» in den viertiigstm Jahr,
Hondenmahl taniend Ob i den,
Ürri(<ehen liuienj aotli füt»'iht.
Z«ey huncteii nnd lary und Mdrliig
0*b man auf ein QtumI,
D« «Tirden Ktir ertreuet
Der Gevcrken eine {roHC Zahl.
MäAi man sich dk .Uühe, in der Qeichiclile dn »ächiiKhen Bergbaus uchn-
rgrachtn, io linclR man, daß erom IH^US Qnlden im Jahre IMO zu Mar^cnberg aa iiei
Ueverhe verteilt «urden. Im AaKbloS in dleaeri rdcfaen Seien p.h a ein Llrd, „Seyt.l
fronb Ditd rrölicl) alle, aal .Marienbet£e inn der Siai". in li Strophen, vovan 4, Blnlidij
S— II, lU be«Oi>de[«a Lied in ili« «piiere grolle Bergliedeiuminlung SbetKrganKen >iDd.
Eine Liedertaa^dschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jabrh. 427
Weil die Zeit der finstren Nacht
Unser Küssen süße macht
Jener Sonnen helles Licht
Dienet vor Verliebte nicht,
Liebe muB im Dunkeln seyn,
Komm du schöner Abendschein.
S. 43 No. 20: Labellgen schwur hoch und theuer | Sie
traute noch glaubt[e] mir nicht ... 11 vierz. Str.
S. 45 No. 21: Nun sich der Tag geendet hat | Und
keine Sonn mehr scheint, | Schiäfft alles was sich abgematt |
Vnd waß zu vor geweint 10 Str. ■= A. Krieger, Neue Arien 1676
! 8; Bergliederbchl. S. 120 Nr. 104.
S. 47 No. 22:
1. Verschwiegen seyn ist meine Lust,
Das ist die beste Kunst im Lieben,
Wem diesses ist nicht recht bewust,
Muß offt ein Wieder- will betrüben,
Er kompt zum öfftem in Gefahr,
Wenn Er sich last die Zung verführen,
Und muß zu letz auch ganz und gar
Der Liebsten Gunst und Gnad verliehren.
2. Ich halte meine Zung im Zaum,
Waß ich mit Winken kan verrichten,
Ich geb den Worten keinen Raum,
Muß ich auch anders ihr verpflichten,
Ein Winkgen kan niemand verstehn
Als dem es zu verstehn gegeben,
Die Worte so zum Mund ausgehn
Die bleiben offter- mahls bekleben.
3. Drumb zweifei nicht, mein liebes Kind:
Ich bleibe wie ein Stein verschwi^en.
Ich weis du bist ja so gesinnt,
Daß du mir nimmer kanst vorlügen,
428
Arthur Kopp.
Ich will verriegeln meinen Mund,
Will nimmer Zungen Band anschliessen,
Und keinem Menschen machen kund,
Wie ich kan deiner Ounst geniesen.
4. Fahr nur mit deiner Liebe fort
Es soll dich nimmermehr gereuen,
Du hast nun deiner Liebe Wort,
Mich soll erst deine Gunst erfreuen,
Du bist in sicherer Revier,
Ich schwebe noch in trüben Welleti,
Dennoch will ich, mein Kind, nach dir
Mein Schiff, mein Mast und Seegel stellen.
Dasselbe Lied noch einmal unten S. 77 No. 32, nur I 2 in 5
kömpt zu olftem II 1 Zunge in 3 gebe 7 Munde III 1 Drümb
zvcifelt 5 versiegeln 6 aus[s)chließcn 7 keinen 8 genießen
IV 3 Port
S. 48 No. 23: Albanie gebrauche deiner Zeit | Und laB
den liebes lüslcn freycn Zügel ... 6 sechsz. Str. = Herrn von
Hoffmannswaldau u. andrer Deutschen . . . Gedichte I, 16^ S. 3b
{Vf. C H. V. H.), 1725 S. 36 u. ö.
S. 50 No. 24: Fillis lag im Bett allein | als ich tmtt ins
Zimmer ein . . . 13 siebenz. Sb*. Neu Weltliches Lieder- Büchlein
(0. J.) No. 29 in 14 Sh-. I bis V = Hs 1-5, VI fehlt in der Hs,
VII bis IX = 7-9, X = 6, 10 fehlt im Uederbüchleln, XI u.
XU = n u. 12, XIII fehlt in der Hs, XIV = 13. Vgl. noch
Rothmann, Lustiger Poete S. 249 in 15 Str. Kopenh. Ms. Thott. 4
1102 S. 281 No. 128 Fhillis lag im Bett allein, vie ich trat zu
ihr hinein ... 10 Str.
S. 55 No.25: Laureite bleibstu ewig Stein
Str. = Hoffmw. I 1695 S. 327, 1725 S. 340 u. ö.
5 sechsz.
S. 56 No. 26: Daß dich du schwartzer Dieb I Was hastu
da zu naschen ... 25 vierz. Sir. f t t Flohjs^d auf dem Leibe
des Liebchens.
Dasselbe Lied findet man in der Berliner Handschrift Mgo
231: die Hymni Studiosorum des Clodius, Leipzig 1669, ent-
haltend: mit 13 achtzeiligen Strophen. Als Urheber der Melodie
■\pird Schel, als derjenige des Textes, wenn man den verwischten
SchriftzQgen trauen darf, M. Weise, das ist Christian Weise, ge-
nannt Die beiden handschriftlichen Fassungen stimmen recht
£;enau miteinander überein, die vier letzten Zeilen fehlen
jedoch in Mgq 720. Wegen der grenzenlosen Derbheit und
Schlüpfrigkeit dieses Qedicht dem jugendlichen Weise, der noch
f n späteren Jahren fast ebenso schlimme Sachen verfaßt hat, ab-
sprechen zu wolten liegt kein Grund vor.
S. 61 No. 27:')
1. Lustig zu Felde mit Hunden und Winden,
Ob sich noch heute ein Wiltpret mag finden,
Lustig ihr Jäger und Jägers- geschlecht,
Blasset das Hifft- und Jäger- hom recht
I
2. Koppelt mit Koppeln die hurtigen SpQrer,
Führet mit Stricken die Winde, ihr Führer,
Aber was kompt uns da zu Gesicht?
Ein junges Häsgen heut feil es uns nicht.
3. Lasset uns eilen: wir möchten im Thauen
Etwan den Hasen im Lager noch schauen,
Lampo es komm dir zu leyd oder lieb —
Lustig! jetzt gilt es den laurenden Dieb.
4. Löset die Koppeln, dort will ich mich setzen,
Komm ich eins hinter den Hasen zu hetzen,
Lampo, du soll mir die Mühe fürwar
Redlich bezahlen mit Haut und mit Haar.
5. HolEa juch holla, traft tralf nach einander
Wackerloß, Steckerbusch, Keckerbusch, Klander,
Holiah juch holla, juch laut, juch laut.
Trachtet dem Hasen mit Fleis nach der Haut.
6. Hetzet: da laufet, da fliehet der Hase.
Hetzet! da Irückt er sich nieder im Grase,
1) Str. IV Z. 3 (Olt nur nur dir. VI 1 UuRct der fliehet.
Hetzet! da giebt er sich wieder heraus,
Hetzet! nun setzt es den härtesten Strauß.
7. Reite du Jäger-knecht, reite geschwinde,
Rette den Hasen und peitsche die Winde,
Weide du aus, ich will b!assen die weil,
Damit die Stluber bekommen ihr Theil.
8. Ehrlicher Lampo, wie ist dirs ergangen,
Daß du dich giebest so balde gefangen,
Aber nun wird dir die Ehre geschehn,
Daß du gespicket zur Taffei wirst gehn.
5. Deinen Todt wird man zum Tröste der Deinen
Reichlich mit Reinischem Weine beweinen,
Capem, Oliven, auch Gurken zugleich
Folgen als Freunde nebst hinter der Leich.
10. Lustig zu Felde, zu fangen, zu jagen,
Obs gleich nicht glücket zu jeglichen Tagen,
Eine glücksehlichc Stunde dk macht,
Daß an viel böse wird nimmer gedacht
Anders verläuft ein ähnlich beginnendes Gedicht von Joh, Risl:
Parnali 1668 S. 343; Hans^guck-in-die-Welt No. 16; Hil. Lustig
V. Frcudenthal, Zeit-Vertreiber No. 200 .rLustig zum Feld« mit
Pferden und Wagen".
S. &4 No. 28; Die gantze Weldt liebet Vormals habe
ich ieder Zeit, das Lieben gantz veracht ... 11 achtz. Str
Gantz neuer Hans guck in die Welt (o. J.) No. 77 in 14 Str. 1
bis 6, 8, 10, 9, 12, 14 entspr. d. Hs. Jungfern- und Junggesellen-
Lust S. 17 No. 10 in 14 Str. entspr. Hansg. 8le Str Hansg.
= VI, 6 u. 7 = VII u. VIII. Rothmann, Lustiger Poetc S. 291
in II Str. Fl. Bl. Yd. 7910 St. 1.
S. 6S No. 29: Als ein Studiosus in Krieg zog.
I. Wo kämpfet Mars itzundt | Wo donnern die C*r-
thaunen ... 7 achtz. Str. Liebesrosen 1747 No. 25 in 9 Strophen.
Vd 7906 St. 57: Vier schöne Neue Lieder. Das Erste. Wo
k.impft Mars im Feld? Wo sausen die Granaten? ... 6 Str.
Vgl. Hoffmann: Jahrbuch d. deutschen Univ. v. Hnr. Wuttke I
(1842 5. 3Q1 bis 421: Alte Studentenlieder) S. 412. Hoffmann,
Gesellschaftsiteder No. 303. Keil, Studenten lied er S. 129.
S. 71 No. 30: Von der heutigen Freundschafft
1. Wenn ich dieser Erden-bau | Überlege v. recht
beschau | Halt ich daß es ailes sey 1 List Betrug v. Heuchelcy.
16 Str. löte: Dornen stechen hart v. sehr, | Falsche Zungen noch
viel mehr, \ Falsche Freunde haben Gifft, \ Daß durch Leib v.
Seele trifft. Vgl. Des Eibischen Schwanen -Schaffen Hyphantes
(d. i. Q. H. Weber) Poetische Musen, 1661 (Abgewechselte
Liebes-Flammen 1672 Titelauflage davon, wobei nur Bogen A ge-
ändert i^t) Bl. G 8 »Wann ich dieser Erden Bau" 17 vierz. Str.
S. 75 No. 31:
1. Und wans nicht wil], so wil[l| es nicht,
Was soll ich den[n] viel Irauren,
Weil es micr nicht an Mulh gebricht,
Wil[l] ich die Zeit ablauren»
Ich weis, es fält der Tag noch ein.
Daran mein Glück wirdt beßer seyn.
2. Es ist auch nicht gesagt, daß heul
Mus dts undt ienes kommen.
Das Glücke kompt erst zu seiner Zeit
Und wirdt mier nicht benommen,
Drümb wart ich mit Gedult darauf
Und lau den Himmel seinen Lauf.
3. Warümb soll ich mich fCir der Zeit
Ümb dis und ienes gremen,
Wann noch die Stund! ist nicht bereit,
Last Gott sich nichtes nehmen,
Was mier der Himmel zugedacht,
Das mus mier werden wo! gebracM.
4. Wer in der Hoffnung straucheln will,
Der fäll gar leicht zu Boden,
Und wer in Lauf nicht haltet still,
432
Arthur Kopp.
Der stirbt in seinen Odem,
Drümb wer ohn Eyl nur hoffet viel,
Kompt endlich nach gewöndschten Ziel.
S. 77 No. 32: Die Liebe ist verechwiegen. Verschwiegen
seyn ist meine Lust ... 4 achtz. Str. = No. 22.
S. 79 No. 33: Ein anders dergleichen. 1. Ihr Auen, Berg
und Büsche ... 8 vierz. Str. HoHmannsw. III ]703, 1725, S. 90
(u. ö.) in 7 Str. Rothmanns (Rottm.) Lustiger Poete 1711 (I7I8)
S. 225 ebf. in 7 Str. Geländer, Der Verliebte Studenle 1714 S. 3Q3,
QcdicUte 1716 (bezw. 1721) S. 206 in je 14 Str. Es liegt hier
der in damaliger Zeit nicht vereinzelte Fall vor, daß ein Dichter
ein als Prachtstück betrachtetes Gedicht überarbeitete, dann !aber
als Eigentum für sich in Anspruch nahm und mit seinen eignen
Gedichten drucken ließ. Dies Gedicht enthält schon die Berliner
Handschrift Mgo 231: Clodius, Hymni Studios. 1669 S. 21 in
7 Str. FI. Bl. Yd 7909 St 44: Sechs schöne neue WelUiche Lieder»
Das Erste. Wer ist der Juden ihr Antichrist, etc. Das Zwcytc.
Ihr Auen, Bach u. Büsche . . . Das Sechste. Hör an, wer kann
die Liebe trennen, weil etc. (Bildchen). Gedruckt in diesem Jahr.
2. Ihr Auen ... 7 Str. Yd 7^10 St. 5: Sieben schöne Neue
Lieder. Das Erste. Jctzo geht es in das Feld . . . Das Vierte.
Ihr rauhe Berg und Büsche . . . Das Siebente. Kurz sind meine
Lebens-Tage. Ganz neu gedruckt. (78) 4. Ihr rauhen Berg . . .
10 Strophen, mit seltsamen Entstellungen und Fehlem. Femer
Yd 7921. 30; 7925. 42 u. ö.
S. 81 No. 34: Ich armes kindt wie einsam mus ich
leben ... 6 vierz. Str. Chm. Weise, überfl. Qed. 1668 (u. ö.)
III 6 in 9 Strophen, wovon I bis 3, 5, 8 und 9 der Handschrift ent-
sprechen. Yd 7914 SL I »Sammlung Lieder u. Arien« KöIno.J.
No. 26Q.
S. 83 No. 35: Die stumme Liebe. I. Die Lieb ist vol ver-
drus, I Denn was ich einig lieb ich meiden raus . .
7 sechsz. Str.
Eine Uederhandschrift aus der zveften Hälfte des 17. Jahrh. 433
5. 85 Nr. 36: Vnruhige Liebe. 1. Nun hatt die stille
nacht dis runde angetast ... 7 viei^. Str.
S. 87 No. 37: Ach soll ich armes kindt nicht klagen, j
Weil ich in meinen jungen Tagen | Mus ohne Man v. Helffer
seyn ... 9 sechsz. Str.
Yd 7925 St 44 : Fünf auserlesene und neue Abschieds-Arien.
Die erste. Ach soll ich armes Kind nicht klagen ... 5 neunz. Str.
Die Antwort auf das vorige. Ach, ach, was hat mich doch be-
troffen ... 5 neunz. Str.
S. QONo. 38: Falscher Seffer (l- Schäffer)! ist es recht |
Daß du ietz von mier wilt fliehen ... 9 achtz. Str. = Gabr.
Voigtländer, Allerhand Oden u. Liedei' I 1650 No. 65; Neu
Weltl. Lieder-Büchlein o. J. No. 70 ebf. 9 achtz. Str.
S. 94 No. 39:
1. Klippen, Felsen, hohe Berge,
Finstre Wolken, tiefe Thal,
Vogel, Lufft und Waßer-wellen,
Wilde Thier und Echo-schall,
Helfet mein Unglück beweinen,
Höret an mein schweie Klag,
Helfet Felßen, helfet Steine,
Sonst mir niemandt helfen mag.
2. Euch will ich mein Unglück klagen
Und bekennen in der Still,
Was mich also sehr thut plagen
Und was mir geschieht zu viel:
Ich mus nun von Cloris scheiden — ^
Sehet an al meine Pein,
Sag[t] ob auch ein größer Leiden
In der ganzen Welt mög seyn.
3. Unglück spannet seinen Bogen,
Zielt auf mich mit seinen Pfeil,
Hat die Schnur schon aufgezogen,
Will durch schießen mich in Eyl,
Archiv für Kulturgeschichte. 1, A. 28
Und ich weis von keinen Sünden,
Wan ich al mein thun betracht,
Weiß kein Ursach nicht zu finden,
Warumb Unglück mich so plagt')
4. Manche haben lauter Freud [cn],
Ich weis nichts von keiner Freud,
Wißen nichts von keinen Leiden,
Nur von lauter Froäichkeit,
Andre sindt ganz neugebohren
Leben mit BMchcidenheil,
Ich zum Unglück bin erkohren,
Sterben mus in Tra[u]rißkeiL
In 4 nach Reihenfolge und Wortlaut entsprechenden Strophen
bietet diesen Klagegesang auch das Berglicderbüchlein S. 117
No. 101; in 5 Strophen besser und vollständiger die zu Jena be-
findliche Handschrift Ms. Bud. f. 352. I. Bl. 73a; in 10 Strophen
als eigentliches Original ein geistliches Lied eine zu München
bcündlichc Handschrift: Cgm 4038. 4". Bl. 124b. Sehr oft ist das
Lied eingeschachtelt in ein andres, welches beginnt »Alles kommt
zu seinem Ende«. Vgl. Erk-Böhme, Liederh. II S. 469 No. 68L
S. 96 No. 40: Hier lieg ich nun mein Kindt in deinen
Armen ... 7 vierz. Str. ^ Bergliederbüchlein S. 53 No. 43 ebf.
7 Str. Hansg. No. 43 u. 48 z. Bez. d. Weise.
S. 98 No. 41: So solst du nun armseeligster Printz
vergehen ... 5 sechsz. Str. Kehrreim; Ach Schmertz, ach Leid,
ist keine Rettung da? | Stratonica! Dahinter: Strolonica. I. Er-
hebliches Klagen (so für Strat. Vergebt. Klagen] v. Hoffen be-
trigct ... 3 vierz. Stf.
Jungfern- u. Junggesellen-Lust No. 12 So soltstu nun arm-
seiger Printz vergehn . * . 5 Str. entspr. d. Hs.
Die Merckwördige Vater-Liebe Oder Der vor Liebe sterljende
Antiochus Und Die vom Tode errettende Stratonica Von Joh.
Chrn. Hallmann (1684) S. 18; So solstu nun, arrascelgcr Printz,
vergehn ... 5 Str.
>) Str. 111 Z » mit rinwii NB von indcter H«nd iußcfügl.
rhandschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. 437
kaum dediniren
(hen kan Lathein.
Venus, die du micli
Unzucht angetrieben,
wie die Seele sich
^tert ob d^n geilen Lieben,
Ä'ie ein schand-verhurtes Weib
In mier heiße Brunst erwecket
Und mier neulich angestccket
Den sonst frisch gesunden Leib.
tO. Ja es thut mir eben weh,
Daß ich soll ein Vatter heißeii
Und befreyet von der Eh
Gleich wohl etlich Kinder speisen,
So nach mier genennet sindt, •
Welche mier auf freyer Gauen
Keine Ruh und Frieden laßen,
Biß ich etwas für sie find.
U. Undt was fahr ich weiter fort?
Weil ich einmahl untergangen,
Werd ich schwerlich an den Port
Meine[r] Wohlfart mehr gelangen ;
Merke, daß die späte Reu
Offtmals eine matte Seele
Mit vergebncn Sorgen quele —
Scelig, der von Lastern frey!
S. 106 No. 43: Armseeligster Adon, verlaßenster auf
erden ... 5 vierz. Str.
S. 107 No. 44: So ist den schon der stab gebrochen,
I Mein Kindt v. bleibt es dan dabey ... 9 sechsz. Str.
S. HO No. 45: Was ist doch in der Welt | Daß vns
kan recht ergötzen ... II sechsz. Str. Kautzsch, Tobacks-
Bruder 1684 S. 25 bis 28, 1690 S. 20 bis 24 in 13 Str. Jena, Ms.
Bud. f. 332 I BI. 107 a bis 109 in 13 Str. u. ö.
Und ein Zehren-Trank bestellef,
Wen das Glück sich zu gesellet,
Folgen Kummer ohne Zahl.
5. Wenn ich meiner Jahre Frist
Mit spadt reifen Sin erwege,
Find ich, daß mich Glückes List
Auf den breiten WolIust-Siege
Biß her habe eingeführl,
Daß ich eine Stras gegangen,
Wo Narcis und Rosen prangen
Und kein Leide \nrdl verspührt.
6. Meine Keh][el hab ich offt
Mit Lyäus' Kost benetzet,')
Und auf solche Freund' gehofft,
Die bcym schmausen zu gesetzet,
Jetzundt da der Boden lehr,
Last man mich alleine sitzen
Und auf meinen Schultern schwitzen —
Jeder fraget: Wer is der?
7. Bein und Knochen stndt ganz todt,
Mark und Safft ist ausgesogen,
Ich bin nur des Pofels Spotl,
Bachus, du hast mich betrogen
Und zu einem Hohn gemacht,
AI3e Heller sind! versoffen
Und hab doch kein Erb zu hoffen,
Ach, wo hab ich hingedacht!
8. Würfel, Karlen und das Bredt
Haben mier die Zeit geraubet,
Erst siudiren ist zu spät -
Hätt ich dis für längst geglaubet,
Welt ich schon Magister seyn
Undt cum Laude praesidiren,
^ Sir. VI 2 H tu)tniii(hen nnü bcndKl nunmthr KilWift Uwtt
Eine Liederhandschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jabrh. 437
Der ich letz kaum decliniren
Noch verstehen kan Lathein.
9. Falsche Venus, die du mich
Nur zur Unzucht angetrieben,
Siehe, wie die Seele sich
Foltert ob den geilen Lieben,
Wie ein schand-verhurtes Weib
In mier heiße Brunst erwecket
Und mier neulich angestecket
Den sonst frisch gesunden Leib.
10. Ja es thut mir eben weh.
Daß ich soll ein Vatter heißen
Und befreyet von der Eh
Gleich wohl etlich Kinder speisen,
So nach mier genennet sindt, •
Welche mier auf freyer Gaßen
Keine Ruh und Frieden laßen,
Biß ich etwas für sie find.
lt. Undt was fahr ich weiter fort?
Weil ich einmahl untei^angen,
Werd ich schwerlich an den Port
Meine[r] Wohlfort mehr gelangen ;
Merke, daß die späte Reu
Offtmals eine matte Seele
Mit vergebnen Sorgen quele —
Seelig, der von Lastern frey!
S. 106 No. 43: Armseeligster Adon, verlaßcnster auf
erden ... 5 vierz. Str.
S. 107 No. 44: So ist den schon der stab gebrochen,
I Mein Kindt v. bleibt es dan dabey . . . Q sechsz. Str.
S. HO No. 45: Was ist doch in der Welt | Daß vns
kan recht ergötzen ... 11 sechsz. Str. Kautzsch, Tobacks-
Bruder 1684 S. 25 bis 28, 1690 S. 20 bis 24 in 13 Str. Jena, Ms.
Bud. f. 352 I Bl. 107 a bis 109 in 13 Str. u. ö.
438
Arthur Kopp.
S. 115 No. 46: Rosen v. Violen | Mögen Kinder
holen ... 7 sechsz. S(r. Vgl. Kaulzsch, Tobacks- Bruder 16S4
S. 231 u. ft. Hoffmannw. I 1695 S. 380 u. ö. Kopp, Volks- u.
Studenten-Lied S. 215.
S. 118 No. 47: Claris dir zu dienst ich lebe ...
t achtz. Str.
S. 123 No. 48: Bewege dich nicht, was dir auch ge-
schieht ... 9 vierz. Str.
Mit diesen wenigen wolte seinen
Brüderlichen Freind sich bester
maßen recommendiren
. . B.
5 Strophefi dieses Liedes bietet eine Münchner Handschrift:
Cgm 4088. 4". El. I24a .Resignata mens. 1. Bewöge dich nit,
Wan dir was geschiclit" ... 5 Str. (No. 39 in derselben Handschr.)
S. 124 No. 49: Mars last jezt zur Taffei blasen . . .
Ssechsz. Str. Kehrreim außerdem - Hexameter: In bellis lesonant
pomp, pomp, trarara, traratara, puff, puff. [2 Silben zu viel, lies:
p. p. lara tantara p. p.| — Hil. Lustig v. Frcudenth. Zeitvertr.
No. 169; Hansguckindiew. No. 23; Mgo 231: Clodius, Hymni
Studios. 1669 S. 26 in 6 Str. Fl. Bl. Ye 1776 ,Drey schöne newe
Lieder« o. O. u. J. Keil, Studentenl. S. 127.
S. 126 No. 50: Nechst als Mopsus freyen wolte, ging
Er erst zum Doctor hin ... 7 sechsz. Str. Derselbe Stoff ist
behandelt in einem Siteren Liede, beginnend »Ein Jungfrau selbst
den Arzt anspricht" Hil. Lustig v. Fr. Etv. No. 138, und schon
früher bei Demanttus, Conviv. ConcenL Farrago 1609, Melchior
Franck, Recreationes Mus. 1614 u. ö.
S. 129 No. 51: Brunei ich mus gestehn, ich lieb und
bin ganlz fertig ... 5 achtz. Str.
Eine Liederhandschrift aus der zweiten Hilfte des 17.'Jahrh. 439
S. 130 No. 52:
1. Du Elmfen] Wald.
O Aufenthalt,
So viel berühmter Hirten,
Hast mich bisher
Drey Jahr und mehr
Gewürdigt zu bewirten;
Nun aber geh
Ich weg, ade!
Ich mache mich von hinnen
Und suche mir
Ein Lust-Revier
Von andern Dryadinnen.
2. Ich hatte mich
Ganz fast in dich')
O süßer Orth verliebet,
Ob du mich schon
Mit Spot und Hohn
Hast mannigmahl betrüb[e]t,
Die Mi^^nst hat
Manch heifies Bad
Mir zuzurichten pflegen,
Der blaße Neid
Hat allezeit
Gelaurt auf meinen Wegen.
3. Verfolgung schrie:
Hie ist er, hie!
Ich wil ihm eins versetzen;
Verleümbdung sprach:
Ich tracht ihm nach
Wil seinen Ruhm verietzen.
O aber seh^
Mein Unschuld steht
Und schwingt die Sieges-Fahne ;
Es grünt mein Preiß,
Weil ich durch Fldfi
Den Weg zur Tugend bahne.
4. Ein Palmen-Ast
Wird von der Last
Zur Erden nicht gedrücket,
Er steigt empor
Und kömpt hervor
jemehr [er] wird gedrückeL
Der Donner knalt
Im Lorberwald
Und schadet keinen Stamme,
Der Offn und Herd
Macht nur bewehrt
Das Silber durch die Flamme.
5. Auch meinen Muth
Bricht keine Gluth,
Kein Wetter, keine Bürde,
Ich schmiege mich
Geduldiglich
Und bleib in meiner Hürde.
Kein Kröten-Gifft
Kein Unheyl trifft,
Mich gänzlich zuverderben,
Kein Domen-Riß,
Kein Schlangen-Biß
Gereich[e]t mir zum Sterben.')
>) Str. H Z. 3 Ober .guti lut' cetctzte Zahlen a-1 Mllca UmtlelliuiK der Worte
bezeichnen, aber die Umstellung würde den Sinn eher schiditcn als beben.
') V 12 gereicht mir znm verderben, ■verderben* sodann durchsestrichen und .tterbcn'
dafflr getetit.
^■^ 440 Arthur
Kopp. ^^^^^^^H
^^^^ 6. Ich gell und sing
8. Ich werd allein ^^m
^P Aiß guter Ding
Noch übrig seyn ^^H
Und ruhig in Oewiften,
Von denen, die mich plagten, 1
Das grimmich Thier
Die Tag und Nacht ^^1
Der Wolf hat mir
Darauf gedacht, ^^B
Auß Furcht offt weichen müßen.
Wie sie mich bald verjagten; M
Er läuft und flieht,
Nun sind sie fort ^^M
Wenn er mich sieht,
Von diesen Orth, ^^H
Und schlept die lahme Lende,
Und ich muü auch verreisen; ^J
Dis ist die Kraffl
Der Schäffer-zunft ^^M
Und Eigenschafft,
Zusammen-kunft ^^B
Die Unschuld meiner Hände.
Wird mich noch öffter preisen. 1
7. Was hat mein Feind
9. Es ist ja kaum ^^M
Doch wohl gemeint,
In Wald ein Baum. ^^H
Was hat er mich geherret?
Auf deßen weicher Rinde ^^H
Er hat mir doch
Man nicht von mir ^^H
ßishero noch
Bald dort bald hier ^^|
Die Weide nicht gesperret.
Was eingeschnitzet finde, ^^H
Der klare Bach
Drümb gute Nacht! ^^M
Ist vor (wie] nach
Hier ist volbracht ^^M
Von ihm noch ungetrüblcllj
Mein leydcn und ergötzen, ^^H
Die Schäfferin
Ich zieh izt ab, ^^H
Hat wie vorhin
Wil meinen Stab ^^H
Ans Ende mich gcliebct
Von nun an weiter setzen. ^^H
Vorbilder für die in diesem Gedicht angewandte Strophen- 1
form lassen sich seit Beginn des
16. Jahrhunderts ununterbrochen ■
Dutzende nachweisen.
J
S. 132 No. 53: Verzagter,
pfuy dich an! wie stehcstu ^^B
hier und Irlumcsl ... 5 achtz. Str. -^ Hoffmw. IV 1708 S. 132, |
1725 S. 108 u. ö.
_J
S. 133 No. 54:
m
I. Ist ein Leben in
1 der Welt. ^H
Das mir etwan wohl
^H
So ist das Studenten-lcbcn, ^^|
Qott ha^ gegeben,
1
J
Eine Ltederhandschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrii. 441
Merkt mich eben,
Wer der Weisheit Freund seyn mag,
Folge dem Studieren nach.
2. Seynd [e]s nicht Opifices,
Seynd sie doch Artifices,
Wie geschwind auf Instrumenten
Die Studenten
Mit den Händen
Musidren all zu guth,
Daß sich alls erfreuen thut
3. Früh so bald die Sonn aufgeht,
Wenn der Haus-hahn hat gekräht,
Wenn der Schmid fängt an zu schmeißen,
Nimbt das Eisen,
Will es schweisen,
Die Studenten ins gemein
Schon über ihren Büchern seyn,
4. Im Collegio gehts erst an,
Da sieht man was Weisheit kan,
Da mus alles disputlren,
Opponiren,
Refutiren,
Nicht ein Viertel-stündgen klein
Man ein Zeit kan müssig seyn.
5. Andre noch in Betten stecken,
Sich mit weichen Federn decken,
Diesser greift erst nach dem Hemmet
Der sich kemmet,
Jener stemmet
Sich und will doch nicht heraus,
Jener wäscht das Maul erst aus.
6. Wenn sie kommen ins Oottes-haus,
Sind sie geschwind mit Büchern raus,
Thun sich also bald entbinden
Von den Sünden
« .-f * ' - • Artbur Kopp.
Und empfinden
In dem Ha2«i Reu und Uyd
Bitten umb Bumherzig^telt
7. Zu Hause geschwinde nach den Tkdi
Oehn sie an ihr Artieit friadi,
Wenn andere das Olaft umbkelncn,
Bedw lehren,
Laffen hören,
Wenn man Idopfet mit der Kum,
Hebt äch Ihr Studieren an.
8. Wenn ^ denn studieren sdir,
Dafi ihnfn] wird der Kopf so schwer,
Qeb[e^ ^ hcy Nadit späteren,
Musidren
Und voltfahren
Eine solche Lusttnricd^
Dafi sich Leib und Sed erfreut
9. Stört man ihre Lustbarlcdt,
Heben sie bald an einfn] Streif
Greifen alle nach den Degen,
Gehn en^;egen,
Zu erlegen
Den der ihn ['n] was hat gethan -
Trutz, fang einer Händel an!
10. Vivant omnes ins gemein,
Die den Studenten günstig seyn!
Ha sa vivant studiosi,
Generosi,
Animosi,
Vivant omnes Jungferlein,
Die den Studenten gfinstig seyn.
Ohne die siebente Strophe bietet auch Mgq 734 & 586 das
Lied, und zwar vorstehende Strophen in der Reihenfolge 1, 3, 2,
5, 6, 4, 8, Q, 10, mit folgenden Abweichungen: Str. I Z. 3 Ist es
das 4 geben 5 merck II I Seynd sie 2 Sind sie 6 also gut III 4
Eine Uederhandschrift aus der zireiten Hälfte des 17. Jahrh. 443
auf das Eysen 5 schweißen IV 4 ii. 5 speculiren, laboriren 6
Viertelstündiein 7 Können sie da V 1 Wen andre in Federn 2
Betten 3 Jener 6 Sitzt 7 Dieser VI 1 Kommen sie 2 mit den
Büchern herauß VIII 1 studieret 2 ihnen — zu schwer 3 Gehen
5 verführen IX 2 Fangen sie 3 dem Degen 6 Diesen der ihn
waß gethan X l alle 2 Die Studenten gönsti'g seyn 3 Vivant alle
6 und 7 Vivant alle Jungfreulein, die Studenten- Liebsten seyn.
Vgl. Zeitvertr. No. 80; Rothmanns (Rottmanns) Lustiger
Poete, I7I1 (1718) S. 259; Hoffmann: Jahrbuch d. d. Univ. 1,
409; Oesellsclil. Nr. 289 (2. Aufl. II S. 57); Keil, Studenten).
S. 57. Fl. Bl. Yd 7909 St 54 eine der Nachahmungen und
Übertragungen auf andre Stände „Ist ein Leben in der Welt, das
vor andern mir gefällt, ist es das Rothgiesser Leben" . . .
S. 136 No. 55: So nehmet ihr brüder was freudigkeit
bringet ... 6 vierz. Str. = Neu WcUl. Lieder-Büchlein No. 52;
Hoffmann: Jahrbuch d. d. Univ. I, 413; Liebes-Rose No. 38;
Keil, Studenten!. S. 59.
S. 137 No. 56:
1. Guler Freund! Ist der Weg gut drausen?
R. Ich hab ihn nicht geschmeckt
2. Gehen die Wind-Mühlen umb?
R. Es ist mir nie keine begegnet
3. Du magst mir wohl ein wunderhahrer Geselle seyn.
R. Ich bin kein Gesell, ich hab ein Weib.
4. Ey das wer gut
R. Es war mir aber nicht gut
5. Wanimb daß?
R. Sie war gar alt und ungestalL
6. Ey dali war böß.
R. & war mir aber nicht höß.
7. Warumb daß?
R. Sie hat viel Gelt, sie hat viel Gelt
8. Ey das war gut
R. Es war mir aber nicht gut
9. Warumb daß?
R. Es waren lauter, lauter Kupfcr-Pfennige.
^
R. Es war mir aber nicht böß.
11. Wanimb daü?
R. Ich zog auf die Dörfer und betrog die Bauern und
kauft mir Uutcr Sehwein darumb.
12. Ey das war gut
R. Es war mir aber nicht gut
13. Warumb daß?
R. Als ich die Schwein gekaufet hatte, lis ich dieselben
schlachten, meine Frau will Schmak daraus brennen, zünds Haus
an, zQnds Haus an und brennet es ganz hinweg.
14. Ey das war böß.
R. Es war mir aber nicht böl^-
\5. Warumb daß?
R. Ich baute mir wieder ein neues, ein neues.
16. Ey das war gut.
R. Es war mir aber nicht guL
17. Warumb dafi?
R. Als ich das Haus gebauet hatte, will mein[c] Frau
oben auf daselbigc steigen und will sehen wie es gebauei is^ feil
herun-ter und bricht den Hals entrrey.
15. Ey das war böß.
R. Es war mir aber nicht böß.
19. Wanimb daß?
R. Ich nahm mir wieder ein' junge, ein' junge.
20. Ey das war gut
R. Es war mir aber nicht gut
21. Warumb daß?
R. Zuvor als die alte hatte, giengich zu den jungen, nun aber"
ich die junge habe, kommen andere Pursch hin wieder, und vist-
tiren und buchslabiren die meine.
22. Ey das war böft.
R. Es war mir aber nicht böD.
23. Warumb daß?
R. Ich Hab ein freyen Suff dabey, ein freyen Suff dabey.
24. Ey das war gut.
R. Ja das war gut Runda Runda 6tc
Eine Liederbandschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. 445
Vgl. dazu Qoedeke, Gnindr. il» S. 62: Dritter Theil Never
Deutschen Weltlichen Lieder . . . Durch Nie. Zangium, I6I7
No. 17: Dialogus. Guter Freundt ist der Weg gut draußen.
Diese Fassung druckt ab Bolte, Parallelen zu dem Dialoge
von LoUius und Theodericus: Zeitschrift f. vgl. Litteratur-
gesch. N. F. 1, 375. Hier wird auch bereits unserer Hand-
schrift gedacht. Weitere Nachweisungen zu diesem eigen-
artigen Fragespiel gibt Bolte sodann in derselben Zeitschrift 4,
103 u. 226.
Auf irgend welchen geheimen Seitenwegen mufi die launige
Schnurre sich durchzuschlagen und bis auf unsre Zeit im Volks-
munde zu behaupten gewußt haben. Seltsamerweise beginnt eine
Sammlung von Witzen, die steh einführt unter dem Namen
•Mikosch, der ungarische Witzbold" (6. Aufl. 1890, 20. Aufl. 1899)
mit folgender Geschichte :
Mikosch b^egnet seinem Freunde Schandor, den er lange
nicht gesehen; es entspinnt sich zwischen ihnen folgendes
Gespräch:
Mikosch: Servus, Schandor, wie gehfs?
Schandor: Dank' ich — hob' ich g'heirath!
Mikosch: Oh, is das gutt!
Schandor: Nit gonz gutt!
Mikosch: Baratom, warum?
Schandor: Hob' ich Ölte 'kriegt!
Mikosch: Oh, dos ist schlecht!
Schandor: Nit gonz schlecht!
Mikosch: Warum?
Schandor: Hat Ölte Haus g'hobt!
Mikosch: Oh^ is das gutt!
Schandor: Nit gonz gutt!
Mikosch: Warum?
Schandor: Ischtem, ts Haus verbronnt!
Mikosch: Oh, dos is schlecht!
Schandor: Nit gonz schlecht!
Mikosch: Erdek — warum?
Schandor: Is sich Ölte mit verbronnt!
Mikosch: Ohh, — dos — is — gutt!
lichts, wir müssen betteln,
Nimb du den ledern Sack, nJmb ich den Stecken.
2. Wir beyde beyde haben nichts, wir müssen garten,
Geh du in das Dorf hinein^ will ich draussen warten.
3. Wir beyde beyde haben nichts, wir müssen stehlen,
Hernacher wen[n] du henken must, so thu dich Oott be-
fehlen.
4. Wir beyde beyde haben nichts, wir müssen henken.
Wenn du nun auf der Leyter stehst, so wolstu mein ge-
denken.
5. Der Henker gönt dir guts, er läßt dich beten,
Legt dir den Strick umb den Hals darzu die Ketten.
6. Hernach so kompt der schwarze Rab, der ist dein Enge!,
Der Galgen ist der Olocken-stuhl, bistu der Schwengel.
Zusammen hiermit geh&rt das spätere Volkslied .Ick und
mein junges Weib können schön tanza" Erk, Neue Sammlung
deutscher Volkslieder, I.Heft 1849 S. U No. 9; Erk-Böhme,
Liederhorl II S. 748 No. 081 u. ö.
S. 140 No. 58: Was ist doch in der Welt, das uns kan
recht ergötzen ... 11 sechsz. Str. =■ No. 45.
5. N.^^
Ach soll ich armes Kind nicht klagen 87 3'«*«;
Atbanie gebrauche deiner Zeit 48 i^^
Als die Venus neulich säße 21 ^ J
Armseligster Adon, verlassenster auf Erden .... 106 ^3 "
Bewege dich nicht, was dir auch geschieht .... 123 49
Brünett ich muü gcstehn, ich lieb 129 V
Claris dir zu Dienst ich lebe 118 «
Das ist mein Blut nicht wahr, daß ich verliebet sey . 24 '^
DaÜ dich du schwarzer Dfeb 56 ^
Die Lieb ist voll Verdruß 83 ^
Du Elmwald, o Aufenthalt 130 51
Eins stund ich auf des Morgens früh 25 "
Es leuchtet der schönen Amönen Gesichte .... 4 ^
Falscher Schäffer, ist es recht 90 ^^
Fillis kanstu dich besinnen . 26 '^
Eine Liederhandschrift aus der zvdten Hälfte des 17. Jahrh. 447
Fillis lag im Bett allein 50 24
Florellchen geh mit mir in Qarten 30 13
Qester lag ich auf dem Bette 13 6
Outen Abend, liebstes Kiod 18 8
Outer Freund, ist der Weg gut draußen 137 56
Hier lieg ich nun mein Kind in deinen Armen . . 96 40
Ich armer Hausknecht habe nun mein Amptgen an-
genommen 32 14
Ich armes Kind, wie einsam muß ich leben .... 81 34
Ich ging auf einer Wiesen 9 4
Ich schifft wol öbem Rhein 6 3
Ich streif in Wäldern hin und her 12 5
Ich will es nicht achten, ich will es nicht thun . . 34 15
Ihr Auen, Berg und Büsche 79 33
Ihr flammemden Haare, o schönste Lieblichkeit . . 36 16
Ihr Freunde, last uns lustig seyn 36 17
Ihr Leute wollt ihr meiner lachen 40 18
Ist ein Leben in der Welt 133 54
Klüfte, Felsen, hohe Berge 94 39
Komm, du schöner Abendschein 42 19
Labellchen schwur hoch und theuer 43 20
Laurette bleibst du ewig Stein 55 25
Lustig zu Felde mit Hunden und Wagen .... 61 27
Mars läßt jetzt zur Tafel blasen 124 49
Nflchst als Mopsus freyen weite 126 50
Nun hat die stille Nacht dies Runde angetast ... 85 36
Nun sich der Tag geendet hat 45 2 t
O du wechselbares Glück 100 42
Rosen und Violen mögen Kinder holen 115 46
Seht doch des Amors Bauerpossen 16 7
Sinn und Witz hat der verloren 1 I
So ist denn schon der Stab gebrochen 107 44
So nehmet ihr Brüder was Freudigkeit bringet . . 136 55
So sollst du nun armseiger Prinz vergehn .... 98 41
Und wenns nicht will, so will es nicht 75 31
Verschwiegen sein ist meine Lust 47 22
und . 77 32
Verzagter, pfui dich an 132
Vormahls hafa ich jederzeit das Lieben ganz veracht . 64
Wann ich dieser Erden Bau 71
Was ist doch in der Welt HO
und . 140
Wir b^de beyde haben nichts 139
Wo kämpfet Mars jebund ... - 68
Aus dem
Kabinette Friedrichs des Grossen.
Streiflichter auf Personen und Zustände.
Von JULIUS VON PFLUQK-HARTTUNG.
Unter den zahlreichen Aktenstücken aus der Zeit Friedrichs
d« Großen, welche im Geheimen Staatsarchive zu Berlin verwahrt
werden, befindet sich eine Sammlung von starken, tetiwets geradezu
dickleibigen Bänden, welche den Titel führt: »Extracte von denen
im Kgl. Kabinet zum Vortrag gewesenen Sachen". Dieselben
beginnen bald nach dem siebenjährigen Kriege im Jahre 1764.
Anfangs erweisen sie sich noch weniger umfangreich; je für das
einzelne Jahr «in Band. Aber die Menge der Eingänge steigerte
sich, so daß von 1772 bis 1782 zwei Bände für jedes Jahr nötig
wurden, außer 1778. Seit 1783 läßt die verarbeitete Masse nach,
dieses Jahr hat nurnocheinen^ 1784 und 85 bieten sogar zusammen
nur einen Band, worauf das Sterbejahr des großen Königs 1786
wieder deren zwei aufweist — Die einzelnen Bände sind von
verschiedenem Umfange, im Ganzen nehmen sie im Laufe der
Zeit zu.
Der Inhalt der Bände wird durch den Titel angedeutet Es
handelt sich nicht um amtliche und politische Dinge, sondern um
Privatangelegenheiten, um Immediateingaben von Privatpersonen.
Um die Übersicht der bisweilen weitschweifigen Schriftstücke
zu erleichtem, wurden diesell>en nach einem bestimmten Schema
in einen Auszug gebracht und diese tagtäglich unter einander
weg mit Nummern versehen auf lose Bogen geschrieben, und
zwar so, daß sie nur die rechte Seife derselben einnahmen.
Die losen Blätter wurden nach dem Gebrauche zusammengelegt
und schüeülich eingebunden. Die linke Seite jeden Blattes blieb
Anhiv fQr Ku!1urB«chlchtf. 1, 4. 29
4-lS iM^My» ^'' Arthur Kopp.
Verzagter, pfui dich an 132 53
Vormahls hab ich jederzeit das Lieben ganz veracht . Ö4 2S
Wann ich dieser Erden Bau 71 30
Was ist doch in der Welt 110 45
und .140 58
Wir beyde beyde haben nichts 139 57
Wo kämpfet Mars jelzund . &8 29
.J.n -.
Aus dem
Kabinette Friedrichs des Grossen.
Streiflichter auf Personen und Zustände.
Von JULIUS VON PFLUGK-HARTTUNO.
Unter den zahlreichen Aktenstücken aus der Zeit Friedrichs
des Großen, welche im Geheimen Staalsarchivc zu Berlin verwahrt
werden, befindet sich eine Sammhing von starken, teilweis geradezu
dickleibigen Bänden, welche den Titel führt: i.E\tracte von denen
im Kgl. Kabinet zum Vortrag gewesenen Sachen". Dieselben
beginnen bald nach dem siebenjährigen Kriege im Jahre 1764.
Anfangs erweisen sie sich noch weniger umfangreich; je für das
einzelne Jahr ein Band. Aber die Menge der Eingänge steigerte
sich;, so daß von 1772 bis 1782 zwei Bande für jedes Jahr nötig
wurden, außer 1778. Seit 1783 läfJt die verarbeitete Masse nach,
dieses Jahr hat nur noch einen, 1784 und 85 bieten sogar zusammen
nur einen Band, worauf das Sterbejahr des großen Königs 1786
wieder deren zwei aufweist. — Die einzelnen Bände sind von
verschiedenem Umfangej im Ganzen nehmen sie im Laufe der
Zeit zu.
Der Inhalt der Bände wird durch den Titel angedeutet Es
handelt sich nicht um amtliche und politische Dinge, sondern um
Privatangelegenheiten, um Immediateingaben von Privatpersonen.
Um die Übersicht der bisweilen weitschweifigen Schriftstflcke
lu erleichtern, wurden dieselben nach einem bestimmten Schema
in einen Auszug gebracht, und diese tagtäglich uiiter einander
weg mit Nummern versehen auf lose Bogen geschrieben, und
zwar so, daß sie nur die rechte Seite derselben einnahmen.
Die losen Blätter wurden nach dem Gebrauche zusammengelegt
und schließlich eingebunden. Die linke Seite jeden Bialtes blieb
Anhiv ffir Kultiugnchichle. I, 4. 39
450
Julius von PFlugk-Hartlung.
Für die Entscheidung d«s Königs frei. Diese wurde nicht aus-
rührlich, sondern nur in kur/en Schlagworlen und Sätzen mitgeteilt
Es sind die berOhmten Randbemerkungen, in denen der Geist
des Königs so bezeichnend zutage Irill. Erst pflegten sie mit
Tinte, später gewöhnlich, dann ziemhch ausschließlich mit Bleistift
geschrieben zu werden. Anfangs machlc der König seine Be-
merkungen gern selber und zwar eigentlich immer mit Tinte,
daneben kam Vertretung durch Kabinettsscicrctarc auf (zunächst
durch Eichel und Cocpcr), die in dem letzten Jahrzehnte, als
Friedrich alter und schwächer wurde, herrscht. Nunmehr ließ
sich derselbe am frühen Morgen während der Ordnung der
Haarfrisur und des Zopfes die Auszüge von dem belr. Kabinetts^«
Sekretär vorlesen, dem er alsdann seine Antworten dikticrle. ^|
Auch noch eine weitere Eigenschaft der Extractbändc muß
erwShnt werden. Seil dem 30. Juni I77S beginnt man die Ent-
würfe einiger wichtiger Antworten jedem Tage beizufügen. Um
sie leicht kenntlich zu machen, schrieb man sie auf bUugrauel^|
Papier, was bis 1782 mehr oder weniger regelmäßig durch-
gefiihrl war.
Wie schon gesagt, finden sich in diesen Extracten die nicht
amtlichen Eingänge an den König verzeichnet Es sind deßhalb
in ihrer Mehrzahl Gesuche. Schon im Jahre 1744 hatte der König
bekannt gemacht, daß jeder seine Bitten, Gesuche und Beschwerden
eigenhändig bei ihm anbringen und der genauesten Erwägung
versichert sein dürfe. Weil nun aber Jeder Oesuchsstcller seinen
Wunsch begründete, so bieten jene durch 22 Jahre fortlaufenden
aber- und abertiusende von Briefen ein ungemein reiches und
unmittelbares Bild der Vcrhäimisse und Lebensumstände. Für
KuHur- und Familiengeschichte, für Sitten, AckertMu, Handel und
Städicwesen sind die Extracte eine Quelle ersten Ranges. Nicht
minder ausgiebig erweisen sie sich für das Wesen des Königs:
seine Entscheidungen lauten strenge und sachlich und verraten
nicht selten einen geradezu beängstigenden Scharfblick, der sofort
alle Hintergedanken des Bittstellers durchschaut Gemüt zeigt
sich selten, am ersten da, wo es sich um ihm näherstehende
Personen, wie um Zielen, handelt, für dessen Wohlergehen er
sehr besorgt ist Stets hat Friedrich das Wohl seiner Unter-
Aus dem Kabinette Friedrichs des OroOen.
tancn, noch deutlicher das des Staates vor Augen: gegen die
Staatsrftjson tritt altes andere zurück. Entscheidungen werden
deshalb nicht seifen vom Standpunkte der Finanzen getroffen;
allem Produktiven, d. h. wirklich und nicht blos scheinbar Leisten-
den ist der König geneigt, weniger zugänglich hingegen zeigt
er sich für die Not der Witwen und hilfsbedürftigen Töchter.
Die demütigste Bitte ereielt keine Wirkung, wenn sie nicht be-
gründet und berechtigt erscheint, und auch dann wird ihre Er-
füllung oft durch Geldmangel unmöglich. Eine ungemeine
Personal- und Sachkenntnis, ein erstaunliches Gedächtnis, selbst
für Kleinigkeiten, kommt dem gestrengen Landesherrn zu statten.
Unter solchen Umständen kann es gewiß Interesse bean-
spruchen, wenn wir die Zeit des grofien Friedrich durch Mitteilung
einer Auswahl seiner Briefregesten mit ihren Randbemerkungen
dem Leser vor Augen führen. Wir haben dafür eines der spateren
Jahre, nämlich 1780, gewählt, weil sich da die Leiden und
Leidenschaften des Krieges beruhigt hatten und das Land sein
Alltagsgepräge angenommen hatte.
Ueberblicken wir vorher kurz, was jene Briefe uns lehren.
Schroff steht der Adel noch neben dem Bürger, während der
Bauer ständisch dem Düirgcrlichen bereits nahcgerückt ist Rück-
sichtslos nimmt der Künig den Adel für Heer und Staat in An-
spruch, sucht ihndafüraberalsSland und in seinen Privilegien und
Besitzungen zu halten, ohne freilich ausreichende Mittel zu haben,
so dass er ihn in dem Streben zu nützen bisweilen geradezu
schädigt Ein liefer Notstand hat weithin den Adel ergriffen, viele
seiner Glieder sind durch den Krieg verarmt, andere invalide ge-
worden, ganze Familien sind vernichteJ, weil der Vater und die
Söhne vor dem Feinde gefallen, sie Wunden oder schleichenden
Krankheiten erlegen sind, so daü nur noch die Witwe und hilf-
lose Töchter übrig blieben, die bei der erst gering ausgebildeten
Erwerbsmöfilichkeit tatsächlich Hunger leiden. Gegen diese ge-
waltigen Opfer an Gut und Blut, die der Adel auf dem Altäre des
Vaterlandes gebracht hat, kommt die Bevorzugimg desselben bei
Offizierslellen, die Besetzung einiger Dsmenstifter mit adeligen
Frauen und Mädchen, die gelegentliche Aushilfe der Einzelnen
bei weitem nicht auf. Die Rechte des Adels waren in der Not
7SP
^
4S2
JaHus von Pfluglc-Hartutng.
der Zeit vielfach nur zu sehr zii Püichten, zu einer Stärkung der
Krone geworden. Als eine adelige Wirtie bittet, ihren Sohn zu
verabschieden, damit er das in Schulden geratene väterliche Gut
übernehmen könne, vird sie zurückgewiesen; ähnlich ergeht es
einem adeligen unverheirateten Mädthen, deren sechs Brüder im
Kriege gefallen sind. Laufende Pensionen gewührl der König
äußerst selten, gewöhnlich heißt es: „es ist nichts da"; und wenn
er gewährt, so sind es zwei Taler, deren drei und dergleichen.
Während er adeligen angesehenen Frauen jede Unterstützung
versagt, bewilligt er einer Arbeiterfrau zwei Taler. Man sieht,
der König verfuhr keineswegs voreinKt'noninien. Nun besaß der
Adel aber vielfach nicht die Mittel, seine Güter zu halten oder
andere zu erwerben. Daraus entstanden die sonderbarsten Gesuche
an den König, um aus der Bedrängnis herauszukommen. Das
einfachste wäre natürlich gewesen, das Gut zu verkaufen; kauf-
kräftig aber erwiesen sich nur Bürgerliche: das Bürgertum
erschien hier als wirlschafllicli notwendige Ergänzung des
Adels. Diese wichtige Tatsache ließ Friedrich ungcrßhrt: er
wollte nicht adelige Güter in bürgerlichen Händen sehen und schlug
deshalb die Gesuche, einen derartigen Verkauf zu erlauben, ab;
einiual mit der Begründung, die Bürger sollen keine adelige Frei-
heit haben. Die Folge wird in den meislen Fällen nicht Hülfe,
sondern Unglück gewesen sein: der Bankerott des Bittstellers,
Ein wenig von der aristokratischen Denkart liegt auch in der
Entscheidung, daB keine Kanfleute bei den Husaren eingestellt
werden dürfen, und doch hat dies einen tieferen Sinn. Friedrich
wollte bei der Reiterei wesentlich Leute vom Lande haben, die
nicht blos reiten konnten, sondern mit Pferden aufgewachsen
waren und sie deshalb zu behandeln verstanden.
Aber nicht blos in den Kreisen des Adels gab es viele Be-
dürftige, auch die berühmte Dichterin Karschin konnte schreiben,
sie sei bestandig kränklich, und sie erhält dann in Gnaden 4 Taler.
Eine Witwe von 75 Jahren bekommt den Bescheid, sie solle warten,
bis eine Pension frei würde. Eigentümlich mutet uns die Armut
Berlins an. Aus den verschiedensten Gegenden der Stadt liegen
Gesuche von Hausbesitzern vor, daB sie nicht die Mltlcl besäßwi,
ein Haus zu bauen, ein solches zu vergrößern oder auszubessem.
und daß deshalb der König dies tun möge. Auch die Schöne-
berger Bauern beklagen sich, sie seien zu ami, um ihre Häuser
reparieren zu können — jetzt heißen die Leute Millionenbauern.
Eine unsägliche Dürftigkeit und Kleinlichkeil blickt überall her-
vor. Man erkennt, aus wieviel Trübsal, Kummer und Hunger
sich Preußen damals emporgearbeitet hat.
Der König hatte also allen Grund zur größten Spai-samkcit
und zur stärksten Ausprägung des Staatsinteresses. Seine fiska-
lischen Entscheidungen erscheinen oft hart, aber nur so
konnte dem armen Staate aufgeholfen werden. Als eine Witwe
bittet, ihren im Dienste stehenden Sohn zur Bewirtschaftung
ihrer Güter n; entlassen, wird sie abschlägig beschieden, weil sie
sich andere helfen könne; als aber ein Papierfabrikant dem
Könige klagt, er vermöge sich nicht zu hallen, weil seine Gläu-
biger ihn drängten, da bürgt der knauserige Landesherr für ihn,
denn »eine Fabrique ist eine sehr gute Sache, die möchte nicht
gern übern Hauff gehen lassen™. Aus diesen Gründen erklärt
sich auch, daß die Juden bei den verschiedensten Anlässen Por-
zellan der königlichen Fabrik zu Berlin kaufen mußten, selbst,
wenn sie gar keine Verwendung dafür hatten. Es galt dem Gebieter,
seine Fabrik in die Höhe zu bringe». Um alles, selbst die ent-
legensten Dinge, bekünutierte er sich, überall griff er ein mit
staatlicher Bevormundung, selbst in reine Privatangelegenheiten.
In seinen Augen gab es solche eigentlich überhaupt nicht, jeder
Staatsbürger war ihm eben ein Bruchstück des Staates. Als ein
Berliner Glaser Glas aus Ralibor beziehen will, verweist er ihn
auf Löwenberg. Alles soll möglichst im Lande hergestellt werden;
der König selber braucht keine ausländischen Sachen. Er legt
Gewicht darauf^ daß jeder mit dem Platze, den der Staat ihm
angewiesen hat, zufrieden ist, Stellen Veränderungsgesuche lehnt
er durchweg ab. Dabei hält er auf gute Zucht. Die nachträg-
liche Heirat zur Legitimierung eines natürlichen Kindes findet
keine Gnade vor seinen Augen. Nach unserem Empfinden hat
die Allmacht des absoluten Königtums bisweilen etwas geradezu
Schreckliches. So, wenn ein Vater bittet, seinen Sohn, der zehn
Jahre auf Festung gesessen, auf Lebenszeit einzusperren, weit er
sich nicht bessere. Der König genehmigt es, wenn keine Besse-
J
454
Julius von PflugJc-Harttung.
ruDg zu hoffen sei. Nur dadurch wird man mit der furchtbaren
Allgewalt einigermaßen versöhnt, daü sie nicht irillkörlich gehand-
habt wird und alle trifft ohne Ansehen der Person, gleichviel ob
es sich um einen Bettler handelt oder um einen Prinzen.
Von der preußischen Justiz hat der Gestrenge eine hohe
Meinung. Als ein gräflicher Gerichtsherr sich über einen Bauern
beschwert und Untersuchung fordert, meint der Könige da «ürde
so wie so eingeschritten, hierum brauche sich der Beschwerde-
führer nicht zu bekümmern. Sind die Arbeiter widerspenstig,
so greift der starke Ann des Staates ein. In Müüärstrafen erweist
er sich hart, er bestätigt fast immer das Urteil des Kriegs-
Gerichtes. Dabei zeigt er selber starken Qesetzessinn; weil andere
ihre Schranken nicht überschreiten sollen, hit er selber es
auch nicht. Als er gebeten wird, eine Äbtisstnstelle zu besetzen,
lehnt er es ab, weil die Schwestern freies Wahlrecht besitzen.
Die Allmacht des Königs bewirkte, daß man alles von ihm
erwartete. Eigentlich jeder, der etwas auf dem Herzen hatte, fühhc
sich vollauf berechtigt, an den König zu schreiben, wodurch er
der Vertrauensmann seines Volkes wurde. Hier erscheint der ab-
solutistische Staat noch patriarchalisch. Man glaubt, eine große
Familie vor sich zu habenj deren Haupt der KOnig ist So kommt
es denn, daß einige Qesuchsteller förmlich mit ihm handeln nach
der Formel: gewähre mir dies, dann leiste ich dir dafür das.
Naiv erscheinen die Anträge oft, sie konnten aber auch unver-
froren sein, z. B. bat ein früherer österreichischer, also fremder
Oberleutnant, ihm das Haupimannspatent zu verleihen, damit er
eine vorteilhafte Heirat zu schließen vermöge.
Wir lassen jetzt die Excerpte des Jahres 1783 einzeln in sach-
licher Gruppierung folgen, dabei bemerkend, daß die Schreibweise
beibehalten «Tirde, die Namen dagegen durchweg auf die Anfangs-
buchstaben verkürzt sind. Die Auswahl geschah entweder nach
dem Inhalte der Eingaben oder wegen der Randbemerkungen.
Letztere sind nie eigenhändig, stets mit weichem Bleistift flüchtig
hingeworfen, und deshalb bisweilen schwer lesbar, zumal wenn
sich die Buchstaben verwischt haben.
Die Wittwe des verstorbenen General Lieutenant v. K., welcher
vor 4 Jahren, für den Kopff des Alexander, so aus Jaspis ge-
arbeitet, durch den Lccteiir Ca« 800 R. Th. versprochen worden,
bittet ailcrunterthänigst, ihr gedachte 800 R. Th. alEergtiädigst aus-
zahlen zu lassen. - Ich bäte sie, doch Geduld zu haben, jetzundcr
ginge das ohnmögSich an, vielleicht mit der Zeit kauffe es ihr
wohl mahl ab, aber jetzt kann ich das nicht thun.
Die Poetin Karschin hieselbst bittet alleninterlhänigst ihr^ da
sie seit einiger Zeit beständig kränklich ist, eine Gnadensbezeigung
wiederfahren zu lassen. — Vier Thaler.
Eine v. K. zu alt Koltziglow in Pommern, deren 6 Brüder,
welche bey der Armee gestanden, im siebenjährigen Kriege ge-
blieben sind, und welche nichts weiter zu leben hat, bittet aller-
unterthänigst, ihr eine kleine Pension allergnädigst zu accordiren.
— Ist nichts da.
Die Wiltwe eines vor 16 Jahren hieselbst verstorbenen Colo-
nisten Nahmens Bläsigen, welche sich durch schwere Arbeit, so
sie nunmehr in ihrem 72 jährigen Aller, nicht mehr verrichten
kan.zeither erhalten hat, bittet allem nterthän igst, ihr einige Unter-
stützung allergnädigst zu accordiren. — Sollen 2 Thaler geben.
Eine Lieutenants Witlwe v. W. zu Neu Wedell bittet aller-
nnterthänigst in ihrem 75 jährigen Aller, ihr zu ihrem nothdQrff-
tigen Unterhalt eine Pension allergnädigst zu ertheilen. —
Warlen bis was vacant wird.
Eine Wittwe Nahmens F., deren verstorbener Mann als ein
Colonisl anher gekommen war, bittet alleruntcrthänigsl, in ihren
72jährigen Alter ihr zu ihrem Unterhalt eine Unterstützung aller-
gnädigst zu accordiren. — Zwey Gulden geben.
Die Wittwe des im ersten Schlesischen Kriege in anno 1741
gebliebenen Lieutenant v. B., Zielenschen Regiments, welche in
ihrem 40jährigen Wittwcn Stand sich zu Ragnit ihren Unterhalt
kümmerlich erworben hat, bittet allerunterthänigst, ihr in ihrem
nunmehrigen hohen Aller eine kleine Pension allergnädigst zu
accordiren. — Ist nichts da.
Die Wittwe des verstorbenen Obristen und Intendant v. B.
öberschikket alicmntcrthänigst den ihm confenrct gewesenen Orden
pour le merite und bittet allerunterihänigst, ihr zur Erziehung
^
456 Julius von Pflugk-Harttung.
ihrer 4 unenrachsenen Kinder, von welchen sie nicht meldet, ob
es Söhne sind, eine kleine Pension allergnädigst zu ertheiten. -
Wo sollen alle Pensions herkommen, ist Nichts da.
Der Fähnrich v. K., Kellerschen Regiments, bittet allerunter-
thänifist nach nunmehr erfolgtem Absterben der Äbhssin des
Jungfräulichen Oosters ad sanctam Ciaram zu Qlogau, seine Cou-
sine die Baronne von K., welche an diesem Cioster die einzige
von Adel ist, zur Abrissin dabey allergnädigst zu verordnen. -
Sie haben die Wahl; Ich confirmire solches nur und kann also
weiter nichts bey der Sache thun.
Der von dem nunmehrigen von Ingerslebenschen Regiment
in anno 1756 als Obrist Lieutenant dimitlirte Major v. D. bittet
allenmterthänigst, ihm, da er nunmehr in seinem Töjährigen Alter
nichts mehr zu leben hat, eine kleine Pension allergnädigst zu er-
thellen. ~ (Wird abgelehnt).
Der gewesene Obrister v. B., dem es am nothdörftigstcn
Unterhalt fehlet, bittet allcrunterthänigst, ihm eine nur kleine
Pension allergniSdigst zu accordiren. - (Wird abgelehnt).
Der V. T. zu Bernstadt, welcher 5 Söhne zum Dienst erzogen
hat, dadurch aber von Mitteln ganz entblößet worden ist, bittet
allerunterthänigst, ihm eine Unterstützung zu seinem Unterhalt
allergnädigst zu ertheilen. - (Wird abgelehnt).
Der Lieutenant v. B., Braunschen Regiments, meldet aller-
unterthänigst, daß sein Schwager, der gewesene Capitaine v. IC
zu Lillehn in Pommern verstorben, und dessen hintcriasscnc Kin-
der in der grösten Armuth sich befinden, und bittet, zwey seiner
Niecen An wartschafften auf vacant werdende Stellen bey dem Stifte
Heiligengrabe allergnädigst zu ertheilen. — Es sind schon so
viele, und wenn Ich sie auch gebe^ so kommt dabey doch nichts
heraus, denn sie müßen an 30 Jahr warten, so viele sind ihrer schon.
Die Witlwe des verstorbenen Obristen v. W. dancket allcr-
unterthänigst, für die ihr allergnädigst erlheilcte Pension von 100
R. Th. jährlich, und bittet, wegen ihrer gar großen Armuih, ihr
die dieserhalb zu entrichtende Chargen und Stempel Jura aller-
gnädigst zu erlaßen. — üeht an.
Die Wittwe des vor zwey Monathcn verstorbenen Canonrer
Reichelm, dem im vorletzten Kriege bey Welsscnfels ein Bein
durch eine Canonen Kugel weggeschossen worden, bittet alierunter-
Thänigst, in Ansehung ihrer Armuth, ihre beyden Söhne von 12
und 7 Jahren im Potsdanischen Weysen Hause allergnädigst auf-
nehmen zu lassen. - Das geht an.
Die Wittwe des Musquetiers Stellhof bittet allerunterthänigst,
ihren 13Jahre alten Sohn, dem sie keinen Unterhalt länger geben
kann, allergnädigst versorgen zu lassen. - Ins Waysenhaus kann
sie ihn ja bringen.
Der beym Cadetien Corps gestandene Lieutenant v. P. bitte,
allerunterthänigst, da er nichts zu leben hat, ihm eine Versorgung
allergnädigst zu accordiren. - (Wird (abgelehnt).
Der Lieutenant B., Berlinschen Land Regiments, bittet aller-
unterthänigst, wegen seiner unheilbaren Blessuren ihn im Invaliden
Hause allergnädigst aufnehmen zn lassen. - Zwey Thaler
schicken.
Der Premier Lieutenant v. N. vom Bosniacken Regiment, welcher
im letzten Kriege unter dem Commando des Obristcn von Ooelzen
am Neille Fluß gestanden, und mit 40 Mann Dragoner und
Husahren den 13. January a. p. auf einen Troup Österreicher
von 200 Pferden bey Nickelsdorff eingehauen und davon 13
Rerde und 9 Mann zu Gefangenen gemachet hat, bittet aller-
unterthänigst, in Ansehung der den 14i^ Januar>' bey Fugmantel
vom Feinde ihm genommenen 2 Pferde und sämnitlicher Equipage,
die er als ein armer Officier sich wieder anzuschaffen außer Stande
ist, ihm eine Unterstützung allergnädigst zu accordiren. - Ich
habe nicht viel gutes gehört von die Bosniaquen.
Der General Major v. R zeiget auf die ihm erlheilele Ordre
allerunterthänigst an, daß nicht sowohl durch seine langjährige
Dienst faliguen, als durch verschiedene Fälle mit dem Pferde,
sein Cörper dergestalt ruiniret worden, dall er den rechten Ann
nicht mehr recht gebrauchen kann, daß insbesondere die Brust
und das Creutz bey ihm dergestalt gelitten, daß wegen kurlzen
Athen und Stiche in der Brust, er das Reiten nicht mehr aus-
hallen kan, und dali ihm seine Kopf blcssur das Gedächtniß un-
gemein geschwächet hat, und bittet wiederhohlcnllich, ihm den ge-
suchten Abschied mit einer mäßigen Pension, wovon er noihdürftig
leben könne, allergnädigst zu accordiren. - Der Wein wird wohl
mehr Schaden gethan haben wie aJles andere. Bey der Revue
werde ihn sehen.
Ein Tuchmacher Nahmens MülJcr hieselbsl, welcher dutch
den Verlust der Augen sich mit Frau «nd sieben Söhnen in die
elendeste Umstände befindet, bittet allerunlerthänigsl, ihm eine
Unterstützung zu seinem Unterlialt allcrgnädigst zu accordiren.
- Zwei Thaler geben.
Der 21 Jahr bey dem reitenden Feld Jäger Corps gestandene
nunmehro mit dem Förster Dienst zu Köritz, Amts Neustadt an
der Dosse, versorgete Nahmens Berner, bittet allerunterthänigsl,
ihm, da er seinen Dienst nidit gerne mit Schulden antreten möditer
die dieserhalb zu entrichtende 182 R. Th. Chargen und Stcmpel-
Jura allcrgnädigst zu erlassen. - Nein das geht nicht an.
Der invalide Sergeant T. bittet allerunterthänigst, ihm den
Todlen Gräber Dienst zu Halle, den der dimittirte Unter Officier M.
bereits erhalten hat, da derselbe sich eher wie er sich ernähren
kann, allergnädigst ertheilen zu lassen. - Geht an, m'O ich es zu
vergeben habe.
Der gewesene Premier Lieutenant nunmehrige Accise Brigadier
V. F. zu Dirschau in West Preußen bittet allerunterthänigst, der
General Accise und Zoll Administration, daß sie ihn mit einem
convenableren Dienst versorge, allergnädigst Ordre zu erlheilen. —
JVlan kann ihm keinen andern Dienst geben, als den er vor-
stehen kann.
Der Forst RaÜi Reiche zu Alt Ruppin bittet allenmtcrthänigst^
in Ansehung seiner 49jährigen Dienstleistung und kränklichen
Umstände, ihm, seinen Dienst dem gewesenen Regiments Quartier
Meister Kalsch, Hordtschen Frey Regiments, welcher ihn Zeil Lebens
zu unterhalten, sich engagiren wird, abtreten zu dürfen, die Er-
laubniß allergnädigst zu erlheilen. - Ist nichts, geht nicht an; was
versteht ein Quarttermeister von Forsbjpesen.
Zwey Deputirtc aus dem Glalzschcn Creyse bitten allerunter-
thänigst, den Einwohnern desselben, in Ansehung der värcnd dem
letzten Kriege erlittenen Schäden, damit sie sich davon erhohlen
und conserviren können, eine Unterstützung allergnädigst zu
accordiren. Geduld, wenn Ich nach Schlesien komme.
Aus dem Kabinette Friedrichs des GroOen.
Der bey dem ehemaligen Regiment von Nassau -Usingen
gestandene Capitain v. M,, welcher erster Director bey dem Feld-
Lazareth der 2. Armee gewesen ist, bittet allerunterthänigst, bis tm
seiner anderweitigen Versorgung mit einem Dienst, ihm, zu seinem
und seiner famille Unterhalt, eine Unterstützung allergnädjgsl zu
accordiren. — Ist nichts. Windbeutel.
Der V. Th-, welcher, auf die ihm allergnädigst ertheilete Ver-
sicherung, ihn bey einem Husaren Regiment zu placiren, seine
Demission aus Chur-Sächsischen Diensten gesuchet hat und anjetzo
in Berlin sich befindet, - bittet aÜerunterthänigsl, ihn allergnädigst
zu placiren. - Soll nur warten, bis Ich beßer bin.
Der wegen einer bey Collin erhaltenen schweren blessur am
Kopff dimittirte Ritt Meisler v. K., bittet allerunterthänigst, in An-
sehung seiner 22jährigen Dienste, ihm die durch Absterben des
Obristen v. B. erledigte Intendanten Stelle alferginädigst zu er-
theiten. — Ist schon vergeben.
Der gewesene Major des von Wolffendorf sehen Regiments
und nunmehriger Land Rath zu Hagen in der Grafschaft Marck
V. K. bittet allenmterthänigst, seinen zwey Jahr bei dem Märckschen
Cammer Deputations Collegio als Referendare stehenden Sohn
ihm zur Sublevatio bey seinem durch bl«suren geschwächten
Cörper mit Genehmigung der Stände allergnädigst adjungiren zu
taßcn. - Nein, ist nichts. Kinder sollen nicht zu Land-Räthen
genommen werden, das ist wieder die Gesetze.
Der Director der tcutschen Comedie Doeblinj dem seine
Schau Spiele hicselbst bey Gelegenheit der Hoff Trauer auf drey
Wochen untersaget worden, bittet allerLintcrthänigst, da er auf
solchen Fall seine Bande würde mQIien auseinander gehen lassen,
ihm seine Schau Spiele morgen wieder anfangen zu dürfen, aller-
gnädigst zu erlauben. - Zu Anfang künftiger Woche.
Ein in Österreichischen Diensien gestandener Premier Lieute-
nant V. B. zu Halberstadt, welcher in Königlichen Landen sich zu
etabliren willens ist, bittet allerunterthänigst, damit er um so eher
eine vortheilhafte Heyrath außerhalb Landes schließen könne, ihm
ein Capitaine Paten! allergnädigst zu accordiren. - (Keine Antwort.)
Der Sohn eines bemittelten Hamburger Kauffmanns Nahmens
Hasse, welcher hieselbst auf Schulen gewesen und nunmehr
460
Julius von Pflugk-hkrtlung.
22 Jahr all ist, bittet allenintertluinigst, da er im militaire Dienst
sich /u poussiren wünschet und reiten kann^ ihn bey dem Zictcn-
schen Husahren Regiment allergnädigst zu placiren. - Nein, bey
die Hussaren werden keine Kaufleute genommen.
Der bey dem Hordtschcn Frey Regiment gestandene Capitaine
V. L-, welcher bey allen im letzten Kriege vorkommenden Ge-
legenheiten sich distinguirt hat, bittet wiederhohlenüich, ihn als
Stabs Capitaine bey einem Regiment oder als Capitaine in der
Suite anderweitig allergnädigst zu placiren. - Solche {unge Leute,
die nehme Ich nicht als Capitalns. Wenn Er aber wie Lieutenant
dienen will, dann will Ihn bey einem Infanterie Regiment an-
setzen, denn Er inuB nur wilkn, daß ein gruUtr Unterschied ist
zwischen den Frei Regimentern und regulären Irouppen.
Die verwittwete v. U., deren einziger mit ihrem verstorbenen
Mann, dem ehemaligen CaplLain nunmehrigen von Saldenschoi
Regiments, erzeugter Sohn, welcher in der Cadetten -Schute zu
Stolpe erzogen wird, nunmehr das löte Jahr erreicht hat, bittet
alleruntcrthänigst, denselben bey dem van Saldenschen Regiment
allergnädigst zu placiren. - So jung nehmen sie nicht bey die
Regimenter. 15 Jahr ist zu jung, 17, IS wenigstens muß Ex alt
seyn. Muü erst in der Cidclten Schuhle in Stolpe erzogen werden.
Der auf Werbung zu Sladt Um im Schwarlzburgschen comman-
dirte Lieutenant v. U'., Schwartzschen R^iments, bittet allerunter-
thänigst, da er bereits 14 Jahre Off icier und durch den Einschub,
so das Regiment gehabt, erst einer der jüngsten Second Lieutenants
ist, ihn allergnädigst zu avanciren, - Er kann ja nlcltt vor avan-
circn, hatt ja nichts gclhan, vorzüglich, die sich hervorthun, die
werden distinguiret, die aber weiter nichts thun, müssen ihre
tour abwarten.
Der Major und Conimandeur Hessen Casselschen Regiments
V. P., dessen beyden Söhne als älteste gefreylc Corporals bey
gedachtem Regiment stehen, billet allerunterthänigst, da der älteste
davon bey Gelegenheit des Abgangs dc-s Lieutenant v. S., von dem
Obrislcn V. ß. zum Fähnrich in Vorschlag gebracht werden wird,
den zweiten, der ebenfalls die Jahre und Größe hat, bei seinem
gefrcylen Corporals Tractamcnt, auch zum Fähnrich zu avanciren,
welches ihn, da er noch Ö andere Söhne hat, sie ebenfalls gut
erziehen zu lassen, encouragiren «'ird. - Sie haben ein Hauffen
desetlion gehabt in der Campagne, sind nicht fleißig gewesen,
haben nicht gehörig Acht gegeben, die Leute nicht in Ordnung
gehalten, seine Sohne müssen warten, bis der four sie trifft
(Diese beiden v. Pirch haben es bis zu Generalleutnants gebracht
und sich namentlich im Feldzuge 1815 ausgezeichnet.)
Der General von Zielen, welcher sich für Verkältungen sehr
in acht nehmen muli, biltet allerunterthänigst, da die Tieger Decke
nur Qber den leichten Tolniann oder Coriii&ole gelragen werden
kann, ihm allergnädigst zu erlauben^ daß er selbtge zurücklassen
und in dem Parade Peh^ erscheinen und so die Revue mitmachen
dürfe. — Er möchte sich ja hübsch in Acht nehmen und lieber
gamicht mit herausgehen, wenn es gar zu kalt.
Der Staabs Rittmeister v. L., Zietenschen Husahren Regiments,
welcher bey der itzigen Veränderung eines neuen Commandeurs
im Regiment die Escadron, so eben an ihn gestanden, nicht
erhalten hat, bittet allerunterthänigst, da er seinem devoir in
Krieges Zeiten auf das äußerste genflget hat, wovon seine erhaltene
blessuren das sicherste Zeugniß geben, Ihm, in Ansehung seiner
20jährigen Dienste, die Versicherung seines hiemächslen Avance-
ments, zu seiner Rechtfertigung vor der Welt, allergnädigst zu
ertheilen. - Was halt Er denn zu klagen. Commandeure setze
ich, wie Ich will, besonders wo die Regimenter so faul sind, wie
das V. Ziethen. Da muß ich wohl einen Conimandour haben, der
sie ein bisgen wieder In Ordnung bringt.
Der General Major v. E. überschikkel allerunterthänigst die
über den Füsilier C. seines Regiments, wegen Desertions ComplotS
und verschiedener begangenen Diebstähle, abgesprochene Krieges
Rechtliche Senlentz, worin demselben, nach Anleitung der Krieges
Articuls, 30 Mahl großen Lauffen in drey Tagen durch 200 Mann
und zehen jährige Festungsarbeil zuerkannt worden. - Confirmirl.
Der General Lieutenant v. F. überschikket allerunterthänigst
die über dem Füsilier Raat seines Regiments, welcher aus dem
Mccklenburgschen gebürtig ist, und als er wegen unternommener
Desertion gestraffet werden sollen, <iaSi er ein Schinder gewesen,
fälschlich von sich angegeben, abgesprochene Krieges Rechtliche
Sententz, worinn, nach Anleitung des 37. Krieges Articuls, erkannt.
462
Julius von PTIugk-Harttung.
Jan er mit dem Strauphesen bestraffet, zum Schelm gemachet und
auf Zeit Lebens zur Vestuiigs Arbeit abgeliefert werden soll. —
Das wollen wir so machen, da das nicht wahr befunden. Em
aber Spitzruthen laüfeti;, dann 3 Monath auf die Vestung schtckea.
und dann unter ein Garnison Regiment geben. Das ist besser.!
Der V. A. zu Königsberg in Preußen, dessen ältester Sohn in
der Armee placiret gewesen, aber wegen seiner schwidlichen Auf-
führung cflssircl und zu zehen jährigen Vestungs Arrest in Pitlau
condamniret worden, bittet allem nterthän igst, da die Zeit seines
Arrestes zu Ende gehet, und er nicht das geringste Zeichen von
Besserung an sich verspüren lasset^ ihn, damit er sich nicht in
das größte Unglück stürlzen könne, die Zeit seines Lebens in
Arrest zu Pillau aufbehalten zu lassen. - Wenn keine Beßerung
zu hoffen, so habe Ich nichts dagegen.
Der Cammcrherr v. P. bey der Prinzessin von Preußen, dessen
bey dem Regiment von Roeder als Cornet gestandener Sohn zu
seiner Bestrafung und Besserung bis auf weitere ordre auf der
Vcstiing Olalz bleiben sollen, meldet allenmierthänigst, dati sein
anderthalb jähriger Arrest denselben zur Erkcnntniß seiner
Fehler gebracht, und daß der Conimandant Obrist von Regler
ihm das Zeugniß giebet, daß, bey der ihm die letzte Zeit ver-
stattelen mehreren Freyheil, er alle Hoffnung zu einer besseren
Conduite mit Grunde von sich hoffen läßet, und bittet, diesen
seinen einzigen Sol)n die allerhöchste Gnade wiederfahren zu
lassen, Ihr noch ein Mahl bei einem Infanterie Regiment in einer
kleinen Garnison zu placiren. - Ich weilJ nicht, was Kr gethan
hat, ich werde darum erst schreiben.
Der ehemalige Major in der Infanterie v. M., dessen Sohn,
vor beynahe fünf Jahrenj zu seiner CorrecÜon, als gefreyttr
Corporal bey dem von Ingerslebenschen Regiment mit dem Be-
fehl gesetzet worden, daß er nicht vor gänzlich gebesserter
Conduite zum Officier vorgeschlagen werden sollte, bittet aller-
unterthänigst, da nach der Versicherung seines Chefs sowohl als
seines Capitaine er während der letzten Campagne sowohl als
sonst eine untadelhaffte Aufführung geäußert, er auch bereits
26 Jahre alt ist, ihn nach seiner tonr zum Officier allergnädigst
vorschlagen zu lassen. - Wo Er glaubt, daf} Ich das alles noch
Aus dem Kabinette Friedrichs des Qroßen.
wißen soll. Er muß doch was gethan haben. Ich werde mich
also erst darnach erkundigen.
Die Wittwe des verstorbenen Presidenten v. G. gebohrenc
V. B. zu Berlin, deren Sohn, der ehemalige Lieutenant v. G., wegen
seiner damahlige Unarten, auf ihr allem nterthänig^tcs Gesuch
vor drey Jahren zu Vestungs Arrest nach Pülau gebracht worden,
billet allem nie rthänigst, da nunmehr, nach denen ihr von dem in
Piliau comnundirenden Capitaine H. und General Lieutenant v. St
gegebenen Nachrichten, dessen Conduite sich gebessert hat, und
er sittsamer geworden ist, den General Lieutenant von St. zu ge-
dachten ihres Sohns Erlassung allergnädigsl Ordre zu erlheilen. -
tch muß erst wissen, was Er gethan.
Der General Major v. L. überschikket arierunterthänigst die
Dber den Staabs Capilaine v. N. imd die drey Lieutenants v. Seh.
V. H. und v.Y. seines Regiments abgesprochene Krieges Rechtliche
Sententz, in welcher, da obgedachte drey Lieutenants den 26.
October Abends um 9 Uhr einen Apolhecker Gesellen Nahmens
Wolff, der ihnen auf der Straße begegnet, angegriffen und ge-
schlagen, sich dabey der bloßen Degens bedienet, und ihm an der
lincken Hand zwey und im Gesichle eine obgleich nur leichte
Wunden beygebrachl, hicrnechst noch an eben dem Abend um
10 LIhr vor das Quartier des Staabs Capitaine v. N. gegangen,
und als derselbe nach ihrem Verlangen, da er bereits im Bette
gelegen, zu ihnen nicht herausgekommen, sich sehr unanständiger
Worte gegen ihn bedienet^ und am folgenden Tage der Lieu-
tenant von Y. den Stabs Capitaine von N. auf der Parade ange-
rufen, und als er nicht hören wollen, ihn einen schlechten Kerl
und Kirclien Dieb genannt, - auch da ihm die Obristen v. B.
und V. W. befohlen, still zu seyn, diesen Befehlen nicht gehor-
samet, sondern dagegen gesaget, er rede die Wahrheit, und fort-
gefahren zu schimpfen, bis er in Arrest gefiihret worden, dem
Staabs Capitaine v. N., welcher zu dem Verdacht, em Kclchtuch
bey sich gestecket zu haben, dadurch Anlaß gegeben, dal! er, als
ein Bataillon des Regiments v. Luck im letzten Kriege einige Tage
in Johannsberg gestanden, des Abends in der Capelle daselbst
gewesen, und es zweyeii Füsiliers vorgekommen, daß er solches
bey sich gestekket, da es doch nur sein eigenes Schnupfftuch
J
4M
Julius von Pfluglt-Hartlung.
gewesen, auch in der Capcllc kein Kclchtuch vermiftet worden,
ein sechs monatücher Vestungs Arrest denen Lieutenants v.
H., und von S. auch ein sechs monathlicher Vestungs Arrest,
dem Lieutenant v. Y. aber, da er, außer seinen Vergehungen,
auf öffentlicher Parade gegen die Subordination gehandelt, die
Cassation und ein jähriger Vestungs Arrest zuerkannt worden. -
Das ist eine garstige Sache, das Kriegs Recht confimirc ich und
die Officiers werde Ich von hier zuschicken.
Der Graff v. Seh. auf Schoenermarck zeiget alleruntcrthänigst
an, daß ein aufwieglerischer Bauer Zimmermann, aus seinem in
der Ucker Marck gelegenen Gute Schapow, ihn, als seine Ge-
richts Obrigkeit, mit frivolen Klagen über ihn unaufhörlich fati*
guirel, und bittet aller unterlhänigst, da allen Untertlianen gleiches
Recht wiederfahren muß, dieses Bauem Klagen und Aufführung
gegen ihn auf das genaueste untersuchen und ihn, nach befundenen
Umstanden, allen Vasallen zum Beyspiel, oder diesen Bauern
andern aufrührischen Bauem zum Exempel, auf einer eclalanten
Art betreffen zu lassen. - Das wurde so wohl geschehen, darum
hätte er sich nicht zu bekümmern, sonsten hätte noch nichts davon
gehöret
Der Beamte zu Wansleben im Magdeburgschen Amts Rath K^
welcher seit vorigen Trinitalis das Amt Wansleben in Pacht über-
nommen hat, zeiget aüerunterlhänigst an, daß, obgleich er die
dazugehörige Unterthanen auf alle nur mögliche Arth zu conser-
viren suchet und besonders denen Beschwerden, so sie wieder den
vorigen Beamten gefuhret, abhelffliche Maaßegiebet, selbige jedoch
durch Aufwiegelung ihm das Dröschen und verschiedene oeco*
nomische Arbeiten wieder zu versagen anfangen, so sie keines-
wegs umsonst, sondern für Lohn und zwar des Jahrs nur wenig
Tage verrichten müßen; und bittet, da wegen des von denen
Unterthanen verweigerten Dröschens, das gewonnene Qetreyde
nicht nur in den Scheunen liegen bleibet und das Vieh wegen
Mangel des Strohs und Futters beynahe für Hunger umkonnnen
muß, sondern auch der Acker zur künftigen Emdte ungedungen
und völlig unbereitet bleibet, wodurch er an den Bettel Stab kommet
und die Amts Pacht zu bezahlen auUer Stande gesetzet wird, der
Magdeburgschen Cammer ihm eine schleunige Unterstützung
wieder die dasigen Unterthanen zu ihrem eigenen besten zu leisten,
allergnädigst aufzugeben. — Von der Cammer und Justitz müssen
hinschicken an Orth und Slelle und untersuchen die Sache, wer
die Aufwiegeier sind; die Dienste, die sie einmahl schuldig sind,
müssen sie doch leisten.
Die verehelichte Nahmens D., deren im Cleveschen gelegenes
Gut wätirend ihrer Minderjährigkeil verkauffel worden, bittet
ailerunterthänigst, die dasigen Gerichte ihr nunmehr, da sie majo-
renn ist, Rechenschaft diescrhalb zu geben, allergnädigst anhatten zu
lassen. - An die Justitz schicken.
Sieben Bauern aus dem Marien werderschen Stadt Dorff Ober-
feld zeigen ailerunterthänigst an, daß im Monath August a. p.
ihr arbeits- und wirlhschaffts-Vieh, so wie es alle Jahr geschiehet,
von dem Marien wer derschen Acciseamt aufgezeichnet worden, und
daß, weil sie das junge und frembde Vieh, welches niemahls
aitgezeiget worden, nicht angezeiget haben, sie 133 R. Th. Strafe,
welche, da sie bereits 48 R. Th. cxemtions Kosten bezahlen müssen
— sie gänzlich ruiniren würde, bezahlen sollen, und bitten ailer-
unterthänigst, nach erforderten der Marienwerderschen Cammer
Bericht, gedachte Strafe ihnen allergnädigst zu erlaßen. - Wollen
es erlassen vor dies mahl, aber sie sollen dergleichen nicht wieder
thun und ihre Sadi richtig angeben, sonst werden sie desto mehr
gestraft werden.
Der Dr. Bernoulli, Mitglied der Academie der Wissenschaften,
bittet allerunterihanigst, seinen Anverwandten Nauman aus Neu-
schatcl, welcher Kgt. Agent in Parma ist, zu einer Forderung,
so er an zwey Schuldnern in Parma, die eine von 750Ü0 livrcs,
die andere von 12,000 livres, hat, welche er, um viele Chieanes
zu vermeiden, niclit gerne gerichtlich ausklagen möchte, durch ein
Vorschreiben an den Infant Herzog von Parma allergnSdigst zu
verhelfen. - ich bin ja kein advocat Er kann seine Sache ja
selbst ausmachen, wenn sie rechtmätiig ist, und hatt Er nicht recht,
so hilft das alles nichts.
Der Post Meister K. zu Posen, welcher 1772 dem gewesenen
Ritt Meister und Brigade Major v. W. 370 Ducalen auf einen
Wechsel geliehen hatte, und für welche Schuld der verstorbene
General Lieutenant v. B. caviret hat, bittet allerunlerlhänigst, da.
Archiv lür KullurüCKhicWe. 1, i. 30
4fi6
Julius von Pflugk-Harttung.
er mit dieser seiner Schul dforderung vom General Audttoriat
abgewiesen worden, ihn dazu allergnädiest verhelfen zu lassen. -
Ans Gen. Auditoriat. Die können ihm gehörig antwonen, der
W. ist fängst todt.
Der Schäfer Borchert zu Koestin bey Stettin bittet allerunter-
thänigsl, ihm, seines verstorbenen Vaters Bruder Wittwe zu hey-
ralhen, die Dispensation allcrgnädigst zu erthcüen. - Geht an.
Die wegen eingestand liehen Ehebruchs von ihrem Mann dem
Major V. S., Usedomschen Regiments, geschiedene gebohrene
V. N. bittet alle nintcrthän igst, da derselbe seines thcilsauch einen
Ehebruch, ob er zwar dieserhalb vom Krieges Consistorio zum
Reinigungs Eyd gelassen worden, begangen ha), gedachten Major
V. S. von ihrem Vermögen gänzlich abweisen und dagegen ihr,
so lange sie unerheyrathet bleibet, monathlich ein Qewißes zu
ihrer Subsistance zu reichen, auch ihr ihre sämmtlichc Docu-
mente von ihrem Vermögen auszuantwortcn, anhalten zu lassen. -
Das gehört vor die Justitz, kann mich darin nicht mehren.
Die von Steinäcker, welcher der Conscns zur Heyrath mit
dem Commcrcien Rath und juchten Fabriquen Entrepreneur zu
Fiddichow in Pommern W. aus dem Grunde, weil sie vor dessen
Scheidung von seiner ersten Frau einen verdächtigen Umgang
mil ihm gehabt, abgeschlagen worden, bittet allerunterthänigst, sie
und ihr bereits mit demselben gezeigeles Kind auf immer un-
glücklich scyn würden, ihr die Bcwilligimg sich mil dem p. W.
ehelich copuliren zu laßen allergnädigst zu accordiren. - (Ohne
Antwort abgelehnt).
Der Lieulenant von der Artillerie R. bittet allerunterthänigst,
ihm den allerhöchsten Consens zu seiner mit der gelaufften Jüdin T.,
■welche eine solche Erziehung erhallen hat, daß er eine glückliche
Ehe rail ihr zu führen, sich mit Grunde versprechen kann,
verabredeten Heyrath allergnädigst zu accordiren, und verpflichtet
sich dabey, nach seines alten Vaters Tode, sein nicht geringes
Vermögen von Fricdcbcrg in der Wetterau in Königliche Lande
zu ziehen und sich darinn für immer zu etablieren. - Ist nichts.
Der Major Print7 von Holstein -Beck, Seh li eben sschen Regiments
bittet allerunterthänigst, ihm, als eine besondere Gnade, den aller-
höchsten Consens zu seyner verabredeten Heyrath mit der jüngsten
Aus dem Kabinette Friedrichs dC9 OroBen.
Tochter des Etats Minister Grafen von Schlieben zu Königsberg
a11erg:nädigst zu ertheilen, und ihm auf solchen Fall seinen Urlaub,
welcher den 16. FebruarÜ beendiget seyn wird, zur Berichtigung
seiner Heyrath auf 4 Wochen allergnädigst zu verlängern. - An
Gen. Schlieben, bey dem jungen Menschen muß was Obergeschnappt
seyn, solcher junger Mensch, was will der heyrathen, das ist ja
nichts, ßberdem muß er keine gute Erziehung gehabt haben. Ich
weiß gamicht, was das mit ihm ist.
Der Leobschützsche Land Ralh v. H., leget seinen allerunter-
Ihänigsten Dank für das, durch seine Ernennung /um West
Preußischen Cammer Presidenten, ihm bezeigte Vertrauen aller-
höchst Sr. Königl. Majestät zu Füßen, und bittet derselbe, da^
wann er solchen Posten annehmen sollte, seine in Schlesien ge-
legenen Güter, welche er sich zu erhalten wünschet, bey seiner
Entfernung nicht so als seither bewirthschafftet werden möchten,
ihn, von Annehmung des ihm zugedachten Posters, allergnädigst
zu dispensiren, und ihm dagegen das in Leobschützsche ii Creyse
gelegene - dem Jesuiten Orden vormahls zuständige Gut Schillers-
dorff allergnädigst zu conferiren. - Wenn Er es nicht annehmen
will, so werde einen andern nehmen.
Die Gräfin v. M. gebohrene Gräfin v. D., welche, zur völligen
Bezahlung ihrer im Demminschcn Creyse acquirirten Güter Wolde
und Schossow, wozu noch 10,000 R. Th. erfordert werden, um
Aufhebung des von der Ost Preußischen Regierung, auf ihre in
Preußen ausstehende Gelder gelegten Arrest, den 15. Octobcr a. p.
allerunterfliänigst eingekommen, bittet, damit ihr dieserhalb keine
Hindemisse von gedachter Ost Preußischen Regierung weiter Im
Wecge geleget werden mögen, der Pommerschen Regierung, —
welche von der importance und Gewißheit der von erwehnten
Gütern gemachten Acquisition das sicherste Zeugniö wird ablegen
können, Bericht darüber allergnädigst zu erfordern. — Ich kann
nichts gegen die Regierung thun, und da versiert auch das Interesse
ihres Sohns dabcy.
Der schlesisdie Ober Forst Meisler v. W., welcher mit seinem
ohngcfähr 40,000 R. Th- betragenden Vermögen in Schlesien sich
possessioniret zu machen gesonnen ist, bittet allem merthänigst,
ihm das dazu erforderliche Schlesische incolet allergnädigst zu
so*
JuÜHS von PniJeVHärttuBg.
accordieren. - Er kann ja seine Güther in der Neu-Mark oder
wo er sie hat, behalten.
Eine verehelichte v. W. gebohrene v. SL zeiget allerunter-
thänigst an, daß ihr Mann auf seinem bey Stettin gelegenen Oute?
Curow seil einiger Zeit versdiiedene Unglücksfälle geliabt, und
bittet, da solche ihr Vermögen vcn 8000 R. Tli. mit absorbiret
haben, ihr ein Gnaden Geschenk, wovon sie hieniechst leben
könne, allergnSdigst zu ertheilen. - Das ist meine Schuld niclit,
warum halt sie ihr Vermögen nicht besser conserviret.
Der vorniahls bey der Iiöchstseeligen Prinzessin von PreußcnJ
Königl. Hoheit geslandene Camnier Herr Graff v. M., welcher diC'
bey Stettin gelegene Demitowschen Güter besitzet, bittet allenintcr-
thänigst, damit er durch Bezahlung der darauf hafftenden Schulden
sich solche conserviren könne, ihm ein Darlehn von 40 bis
50,000 R. Th. zu 2 pro Cent allergnädigsl zu accordircn. - Ist
nicht gescheit, wenn Er leihen will, muQ er bey Kaufleule gehen.
Ich leihe keine Gelder.
Der Land Rath v. B. des PyrJtzschen Creyses, welcher die in
gedachten Creyse gelegene Güter Schoenenwcrder und Hohen-
walde, um sein darinn stehendes Vermögen zu retten, mit Be-i
friedigung der übrigen Gläubiger, aus dem Concurs übernehmen,
müssen^ bittet alleruntertliänigst, damit er sich und seinen drey in
der Armee dienenden Söhnen diese Güter conserviren könne, ihn»
von denen für Pommern bestimmten Mcliorations Geldern ein A[n)-
lehn gegen mäßige Zinsen, zu Bezahlung der Schulden allergnädigst
zu accordiren. - Das geht nicht an, das sind ja keine MelioraÜons.
Der gewesene Capitaine v. M., dessen 4 Söhne in der Armtc
dienen, und dem vor einiger Zeit der allerhöchste Consens zum
Verkauf! seines in der Neu Marck gelegenen x'erschuldeten Gutes
Sellin an einen Bürgerlichen abgeschlagen worden, bittet aller-
unterthänigst, seinem bey dem Regiment von Zielen als Lieutenant
stehenden Sohn die Erlaubniß, die Wittwc des verstorbenen Jäger
Meister Z., mit welcher er 30,000 Thalcr erhalten, und dadurch
sein Gut bey der Familie conserviret werden könnte, zu heyrathen^
allergnädigst zu erlheilen. - Gut.
Die verwittwete v. W. gebohrene v. Z. zu Schönau jn
Schlesien, deren 4 Söhne in der Armdc dienen, bittet allerunter-
Aus dem Kabinette Fmdricbs des OraBoi.
thänigst, ihrem Sohne dem Rittmeister v. W., welcher die väter-
lichen GQter Rövessdorff im Hirsch bergschen und Linderbusch
und Eisenhul im Lignltzschen Crej'se annehmen müssen, d^mit
er solche ordentlich bewirthschaften könne, die d^mission aller-
gnädigst zu ertheilen. - Sie ist ja selbst da. Sind so viele, die
ihre Qiither administriren lassen und verpachten, also braucht sie
ihn dazu nicht, sie kann es auch so machen.
Die V. K. gebohrene v. Seh. bittet wiederholenüich, ihrem bey
dem Leib Cfirassier Regiment als Cornet stehenden 26 Jahre alten
Sohne, zur Übernehmung seines verstorbenen Vaters Gutes Hohen
Erxleben, den Abschied allergnädigsl zu ertheilen. - Was ihr ein-
fiUIt Sie soll ihren Sohn hübsch da lassen. Wenn alle Leute,
die Güther hätten, den Abschied nehmen wollten, so würde keiner
bey der Armee bleiben.
Der V. B. auf Groß Kloden bey Gurau, dessen drey Söhne
in der Arm« dienen, bittet allerunterthänigst, da bei seynera an-
gehenden Aller er seine Guts Wirthschaft nicht länger besorgen
kann, seinem bey dem von Arnimschen Regiment als Lieutenant
stehenden ältesten Sohne, zum besten seine(r) Familie, den Abschied
allergnädigst zu ertheilen. - Er kann ja sein Guth verpachten.
Es sind ja vielfach Officier bey der Armee, die Oüther haben,
die wohl 6000 R. Th. revenues bringen, und die doch dienen.
Die verwiltwete Obristin v. M. bittet allerunterthänigst, ihr in
der Graffschaft Mark gelegenes sehr verschuldetes Out Rockholtz,
zur Bezahlung der Schulden, an einen Bürgerlichen verkauften zu
können, die Erlaubniß allergnädigst zu ertheilen. - Nein, an
«inen Adelichen muß sie es verkauften.
Der V. G. zu Velpe bittet allerunterthänigst, sein im Kirch-
spiel Ladbergen gelegenes kleines Gut, mit adclichcn Freyheiten,
dem Post Meister Kriege verkauften zu können, ihm, gegen Ent-
richtung von 2(X) R, Th. zur Chargen Gasse, allergnädigst zu
erlauben. - Nein, an einen Bürger nicht, die sollen keine adeliche
Freiheit haben. Geht nicht an.
Der Lieutenant v. Gh., Knobclsdorffschen Regiments, bitte!
allerunterthänigst. seiner Mutter, ihr in PreuUen gelegenes ver-
schuldetes Gütchen Numcitcn, welches sonst unvermeidlich in
Conctirs kommen wird, an den Amts R^th Schimmelpfenig ver-
470
Julius von Pflugk-Harttung.
kaufen zu können, ablergnädfgst zu erlauben. - Nein, an einen
Adelichen, sind schon so viele Oüther in bürgerlichen Händen.
Die am abgewichenen IQ. Juny zu Janickendorff unterm Amte
Zinna abgebrandte Unterthanen, 32 an der Zahl, deren Oehöffte
alle zusammen nur mit 4077 Rthaler in der Feuer Societät ge^cher
gestanden, bitten allerunterthänigst, ob sie zu ihrer Wieder-
herstellung das empfangene Bau HoJtz allein mit 2303 R. Th. be-
zahlen sollen, ihnen die '/itheilige Bezahlung, desselben und das
ganze Stamm Geld, damit sie für dessen Betrag vollends ausbauen
können, allergnädigst zu erlassen. - Kaum, ob das angeht
Der Königl. Enten Fänger Coswig bey Potsdam zeiget aller-
unterthänigst an^ daß die See zum Enten Fang mit Schliff und
Kraut dergestalt verwachsen ist, daU sie, ohne geräumet zu werden,
zum Enten Fangen nicht wie bisher gebrauchet werden kan, und
bittet allerunterthänigst, die zur Räumung derselben nach dem
Anschlage erforderliche Kosten ä 365 R. Th. allergnädigst zu
accordiren, auch ihm, zu Erhaltung seiner vielen Kinder, an seine
Wohnung noch eine Stube, die etwa 150 R. Th. kosten wird, an-
bauen zu lassen. - Nictits.
Der in anno 1764 aus Ba(y)reuth verschriebene und mit einem
halben Mause in Potsdam ctablirte Schmiede Meister Zuleger bittet
allerunterthänigst, ihn mit einem Vorschuß von 200 R. Th^ zu
Anschaffung der nötigen Materialien, damit er sein Melier besser
fortsetzen könne, zu begnadigen. — Nein, das geht nicht an.
Ein ausrangiiler Mousquetier Raninischen Regiments Nahmens
Weber, welcher in Lebus, woselbst er sich mit seiner Frau und
drey Kindern vom Tagctöhnen ernährt, ein ganz baufälliges kleines
Hauß besitzet, bittet alÜerunterthänigst. ihm zum neuen Bau des-
selben, nach dem gefertigten Baukosten Anschlage, 372 R. Tb.
allergnädigst zu accordiren. - An die Cammer, die muB zusehen,
wie ihm in etwas zu helfen.
Der Capitaine v. O., welcher das Schadhafte an dem Orange
Saal zu Monbijou und die verfallene Schalung an der Spree be-
sichtiget hat, meldet allerunterthänigst, daß wegen des auf den
Dächern liegenden Schnee, und wegen des hohen Wassers, die
an beyden zu machende Reparaturen zu bestimmen nicht angehet^
und bittet, ihm allergnädigst 7u erlauben, daß nach einigen
Aus dem Kabinette Friedrichs des Großen.
471
Monathen, wenn der Winter vorüber, das >3fasser etwas gefallen
seyn wird, er diese Reparaturen aufnehmen und einen genauen
Anschlag davon anfertigen möge. - Qul, auf das Frühjahr.
Der Hof Rath Wewer, welcher ohneweit der Langen Brücke
ein HauU besitzet, bittet alleruntertliänigst, ihm die Erlaubniß, ein
eisernes Gitter vor solches zu ziehen, nach darüber von der Bau
Commission erforderten Bericht,, allergnädigsl zu ertheilcn. - Wenn
er keinen Platz von der StraJle nimmt, so dependirt das von ihm
an die Bau Commission.
Ein Glaser Meister hieselbst Nahmens Sachse, welcher an der
sogenannten Insui Brücke ein Hauß, so sehr baufellig ist, und er
nicht repariren lassen kann, weil ihm die Mittel fehlen, besitzet,
bittet alleruntertliänigst, ihm solches allergnädigsl neu erbauen zu
lassen. - Ist nichts.
Die Schwestern des Major v. P., Thadderschen Regiments,
bitten alleruntertliänigst, damit derselbe sein verschuldetes bey
Wollin gelegenes Gut Paulsdorff conserviren und ste ihren Sitz
darauf behalten können, zur Wiederherstellung und Ausbesserung
der darauf befindlichen verfallenen Gebäude, ihnen eine allerhöchst
gefällige Unterstützung allergnädigst zu erthcilcn. - Geht nun
nicht an, wo soll allens herkommen, sie sind nicht recht
gescheut.
Die Colonisten zu Neu Schöneberg bey Berlin, welche ihre
baufällig gewordene Häuser zu repariren aulJer Stande sind, bitten
allerunterthänigst, zur Reparatur derselben, ilmen eine Unter-
stützung allergnädigst zu erlheilen. - Das müssen sie sich selbst
machen, und ihre Häuser hübsch im Standt unterhalten.
Der vor 30 Jahren aus dem Würiernbergschen hieselbst sich
etablirte Lohgerber Meister Goering, welcher, ein ihmeigenthümlich
gehörigen in der Schlesiger Straße belegenen wüsten Heck Landes
zu bebauen, gesonnen ist, bittet allerunterthänigst, ihm die Bau
Materialien dazu allergnädigst zu schenken, und das von ihm zu
erbauende Hauß zum [jeipeluiriichen Frey Hause allergnädigst
zu declariren. Gut, was das Bau Material ist, wegen des andern,
das gehört vorm Magistrat.
Der Berlinsche Bürger und Schlächter Meister Schaefer bittet
allerunterthänigst, sein in der hiesigen Stall Schreiber Gasse in
472
Julius von Pfliigk-Hftrttung.
Cöln besitzendes baufilliges Hauß, welches zu retabljren er keine
Mittel hat, ihm allergnädigst neu erbauen zu lassen. - (Abgelehnt).
Der Strunipff Fabricant Polack, welcher in der Mauer Straße
auf der Friedrichs Stadt hieselbst ein baufälliges Hauli besitzet,
biliet allerunterthänigst, ihm zu dessen Reparatur, einen Vorschuß
von 500 R. Th. allergnädigst zu ertheilen. - (Abgelehnt).
Die Wittwe B., welche ein am Oensdarmes Platz hieselbst ge-
legenes Hauß zum schwartzen Adler genannt, besitzet, bittet aller-j
unterthätiigst, da zu dessen neuen Bftu sie keine Mittel hat, solcliw
aus Königliclier Frcygebigkeit allergnädigst neu erbauen zu lassen. —
Geduld, wird alles successive kommen, alles anfein mahl geht nicht an.
Der Nahmens Nouvel, dessen in der Leipziger Straiie hieselbst
gelegenes Eck Hand, aus Königlicher Freygebigkeil neu erbauet
worden, bittet allerunterthänigst, den Thell dieses Hauses, SO in
der Friederichs StralJe gelegen ist, und welchen er, da er nur.
wenig Mittel und eilf Kinder hat, seinem neuen Hause nU
gleich bauen kann, ihm allergnädigst neu aufbauen zu lassen. -
Geht nicht an, ist schon alles aufgesetzt, was gebauet werden soll.
Der bey dem Münsterschen Frey Regiment gewesene Capi-
taine Weigandt meldet allerunterthänigst, daß er das Geheimnifi
besitzet, mit einem gewiUen Zusatz, der wenig kostet, mit 2 Pfund,
Mehl 3 Pfundt Brodt, welches bey entstehender Theuerung von
guten Nutzen seyn könnte, backen zu lassen; und ist allerunter-
thänigst erbötig, auf dazu erhaltene Ordre, die Probe davon aller-
unterthänigst einzuschikkcn. - (Wird abgewiesen).
Der Elb-Schiffer Nahmens Hering meldet allerunterthänigst,
daß ihm eine Arth Jüttlandischer wollener Strümpfe aus dem Ge-
brauch derselben bekannt, so gegen das Podagra von sehr guten
Gebrauch sind, und fraget an, ober einige Paar davon allerunter-
thänigst presentiren soll. - Ich danke ihn gar sehr, ich brauche
keine ausländische Sachen.
Einer Nahmens Muth in Ba(y)reuth, welcher alle Metalle zu
vergolden, und sie bestandig rein zu erhalten, ohne daß sie ihren
Glantz verlieren, verstehet, bittet allerunterthänigst. ihn allergnädigst
in Diensten zu nehmen. - (Abgelehnt).
Deraus dem Reich gebürtige Berlinsche Seh losser Meister Uebi^
bittet, ein Husaren Säbel Gefäß, so er noch nach seiner InventicmJ
Aus dem Kabinette Friedrichs des Qrofien.
verfertiget hat, ob solches für die Armee von Nutzen seyn könne,
allergiiädigs.t untersuchen zu lassen. - Damit kommt nichts heraus.
Der Ingenieur Lieutenant B. meldet allerunterthänigst, daß
•einer Nahmens Laurent aus Reims, welcher Thierfelle zu Örben
verstehet, eine Färberey in Berlin oder in Königsberg zu etabliren
und dazu Eleves zu formiren Willens ist, und bittet, was er ihm
darauf antworten soll, ihm atlergnädigst zu wißen thun. — Der-
gleichen sind hier schon.
Die Seiden Stoff Fabricanten Jessen und Gordemin hieselbst
überreichen allerunterthänigst einige Probe Stoffe, so sie in ihren
hiesigen Fabriquen verfertigen lassen, und bitten, ihnen die Be-
stellung einiger von den sieben reichen Roben, so allerhöchst
Sr. Königl. Majestät jährlich in denen Baudouinsclien, Girandschcn
und Bernhardschen Fabriquen anfertigen lassen, zur Aufnahme
ihrer Fabriquen^ ailergnädigst zu accordiren. - Ist mir rechtsehr
lieb, daU es so gut ginge, aber Ich kann ihm jezt nichts abkaufen,
sie können es ja verkaufen an andere.
Der Commission Rath K-nieldet, daßermitderfahrenden Post
von BresEau nach Berlin 2 Kisten Ungarische Weintrauben und
2 Kisten Ungarische Mirabellen abgesandt, auch daß der diesjäh-
rige Ungarische Muscateller Most außerordenthch deUcat und
fett und den härleslen Frost eher als warme Witterung beyni
Transport vertragen könne. - Qiii, aber sind halb faul angekommen,
wenn es im November geschehen, so wäre es besser, aber jetzt
(im Januar) ist es zu spät.
Der Buchhändler K- zu Königsberg in Preußen, dem wegen
seiner Papiermacherey die durch die Königsbergsdie Cammer
be/eigete allerhöchste Zufriedenheit zur großen Aufmunterung
dienet, bittet allenmterlhänigst zur Beruhigung seiner in ihn drin-
genden Creditoren, die Zeit, zu welcher er die ausgemittelte
7723 R. Th. zum dedommagemenl des verbaueten Holtzes der
Dämme und Schleusen, so ihm zur Einrichtung seines Etablisse-
ments versprochen worden, und ihm als boniCication zukomtnen,
erhalten soll, ailergnädigst zu bestimmen, und demKönigsbergschen
Hoff Gericht, ihn bis daliin gegen die Zudringlichkeit seiner
Crcditoren zu schützen^ ailergnädigst aufzugeben; weil er sonst,
die mit vielen Kosten ins Land gezogene 10 frembde Papicrfabri-
1
1
474
JuUus von Priugk'Hiirttung.
canten sich zurück zu begeben, nicht abhalten kann, 30 angestellte
Arbeiter brodtlos werden, und 12Coloni$1en Familien nicht würden
können angesetzet werden, auch überhaupt ein Etablissement,
welches das einzige seiner Arth im Lande ist, und durch welches
das ganze Papiermacher Wesen in Preuüen in wenig Jahren auf
einen andern Fuß hätte gebracht werden können, wieder eingehen
wird. - An die Regienmg zu schreiben, sie möchte die Credl-
toren zur Nachsicht persuadiren, so lange, bis ich Ihm was gebe.
Ich sagte gut dafür, daß Er gewiß was kriegen würde, nur nicht
gleich heute oder morgen. Eine Fabriqiie ist eine sehr gute
Sache, die möchte nicht gern übern Hauff gehen laßen.
Der Berlinsche Glaser Meister Holtzmann und Consorten,
welche in anno 1777 einen Paß auf 10 Kistc(n) weiß Tafel GlaS
aus der ohnweil Ratibor befindlichen Glaii Hütte erhalten, bitten
allerunterthänigst, da solches Glali nunmehr verbrauchet ist, ihnen
auf anderweitige 10 Kisten weiß Tafel Glaß von eben daher einen
Pali allergnädigst zu ertheilen. - Warum so weit. Löwenberg ist
näher und das Glas da ist eben so gut, da will ihm wohl einen
Paü accordircn.
Eine Capitaine Wittwe v. R., welche arm ist, und sich in
Berlin aufhält, meldet allenmterthänigst, daß sich daselbst eines
Seyden Fabrikanten Nahmens Combet Sohn an sje adressiret
und ihr versprochen hat, daß, wenn er zur y\nlegung einer Seyden
Zeug Fabrique beneficiret würde, er sie in ihren armen Umständen
gerne assistiren wollte, und bittet, obgedaclUen Seyden Zeug Fabri-
canten 7U seinem Etablissement die erforderliche Unterstützung
allergnädigst zu accordiren. - Ist nichts.
Der bey der Feld Krieges Comniissariats Canzley in Sachsen ge-
wesene Canzelist T., von Qeburth ein Sachse, welcher sich in Berlin
aufhält, bittet allerunterthänigst, damit er seine in Sachsen zuriJck-
gelaßene Familie kom(m)en laßen und sich etabliren könne, ihm eine
anderweitige Versorgung allergnädigst zu accordiren. - An das
General Directorium oder an Scliulenburg. Ich kenne die Leute
nicht, ob sie was nutze sind.
Die Vor und Hinler Pontmersche Gutsbesitzer bitten allerunter-
thänigst, ein Landschaftliches Credit Werck in Pommern, so wie ii»
der Chur und Neu-Mark zu ihrer Conservation allergnädigst
Aus dem Kabindfe Friedrichs des Öroflen. 475
crrichlen zu laßen. — Das wird ein bischen schwer seyn,
bis trinitatis Geduld. Im Junio wollen sehen, wie das zu
machen, in Stargard, wenn ich zur Revue bin, sollen sie
mir einige von ihnen dahin schicken, dali ich mit ihnen
darüber spreche.
Der Driesensche Schutz Jude P. M,, welcher nach beyge-
brachten Attesten, die dasige wollen Zeug nahmentlich Tuch Fab-
riquen, durch die den Tuch Machern gelhane Vorschüsse, in
merkliche Aufnahme, so daß bereits schon feine TQcher in Driesen
fabriciret werden, gebracht hat, blHet allenirterthänigst, ihn von
Übernehmung des auf ihn, für die Ansetzung seiner Söhne, re-
partirten Berliner Porcelaine, so er abzusetzen gar keine Gelegen-
heit hat, damit er denen Driesener Tuch Fabricantcn femer Vor-
schüsse thun und ihnen ihre Tücher abnehmen könne, allergnädigst
zu dispensiren. — G. S.
Das Potsdamsche Uhrmacher Gewerck, welches bereits aus
sechs Meistern inclusive zwey Willwen bestehet, bittet allerunter-
thänigst, in Ansehung ihres sehr geringen Verdienstes, dem Pols-
damschen Magistrat, welcher einen von Wien anhero gekommenen
Uhr Macher Nahmens Claar annoch ansetzen will, solches zu
untersagen. - An den Magistrat.
Der Schulz Jude Mendel Ahraham zu Königsberg in Preußen
bittet allerunterthänigst, damit er seinen Handel mit Nutzen für
Preußen nach Curland, Pohlen und Rußland cxtendiren könne,
ihm und seinen sämmtlichen Desccndenten überall, - gleich denen
christlichen Kauffleuthen, zu handeln und Häuser in allen König-
lichen Staaten zu kauffen, allergnädigst zu erlauben, und ist da-
gegen allerunterthänigst erbötig, — 1500 R. Th. zur Chargen
Casse, 500 R, Th. zur Stempel Casse zu entrichten, auch für 1000
R.Th. Berliner Porceliaine zum auswärtigen d^bit zu übernehmen. -
(Wohl abgelehnt).
Des Schutz Juden zu Stargard Lewin Philipp Ehefrau, welche
in Ansehung ihrer Männer, deren sie bereits 4 gehabt, verschie-
dentlich Porcelaine aus der Berliner Manufactur nehmen müssen,
so sie, da sie auswärtig keine Connoissances hat, nicht absetzen
könne, bittet allerunterthänigst, sie von der ihr abermahls auferlegten
Obemehmung Berliner Porceliaine fflr 300 R. Th., da sie, bey
ihren schlechten UmstStiden, das jährliche Schutz Geld ä l60R.Th.
kaum aufbringen kann, allergnädigst zu dispensiren. - O. S.
Die Kinder des verstorbenen Schutz Juden Moses Isaic
zeigen allerunterthänigst an, daß ihre Schwester, welche zur christ-
Hchen Religion übergetreten und getauffet worden, dabey nur
bloß zur Absicht gehabt, ihrer Passion fär den Artillerie Lieute-
nant R. ungebunden nachzugehen, und bitten den Groß Canzler
V. Carmer, daß sie gegen gedachte Ihre Schwester, nach dem
vorlangst emanirten Juden Reglement, bey dem Testament und
Willen ihres verstorbenen Vaters, nach jüdischen Recht ohne An-
sehung, daß sie eine Christin geworden, gcschülzet «erden soll, allcr-
gnädigst aufzugeben. - Ich habe damit nichts zu thun, ob sie
Jüdisch oder Christlich ist, die Heyrath habe ich untersagt, und
soll sie nur nach ihres Vaters Testament gehen.
Der Professor und Depulirte bei den General Staaten Camper
danket allerunterthänigst für die dtstinguirte Reception, womit er
begnadiget war, und bittet, ihn zum Membre der Berlinschen Aca-
demie der Wissenschaften, da er bereits ein Mitglied der Londner,
Pariser und Peters burgschen Academien ist, allergnädigst aufnehmen
zu lassen. - Er hatt nichts academisches gemacht. Keine Wercks
gesehen von ihm.
Der Chur Sächsische Bibliothecaire Dassdorff bezeiget aller-
unterthänigst seine devoteste Freude über den Eintritt allerhöchst
Sr. König], Majestät Qeburths Tage, und überreichet eine teutschc
Poesie, worin er die Dankbarkeit Sachsens für den durdi Aufrecht-
erhaltung der teutschen Freyhett genoßenen Schutz schildert. -
Compliment.
Der Caminer Diener A- bittet alternnterthSnigst, ihm in diesem
neuen Jahre allerhöchst Sr. Königlichen Majestät sieh zu Füßen
legen zu dürften, die Erlaubniß allergnädigst zu ertlieilcn. — Dank
Der BresSausche Oberanits Ratti v. Haugwitz meldet aller-
unterthänigst seines Vaters Absterben, und empfiehlet die sämt-
liche von Haugwitzsche Familie allerunterthänigst zu femer«
allerhöchsten Gnade und Proleclion. - Es thut mir recht leid,
just habe ihm das Grafen Patent geschickt. Icli hoffe, Sie werden
ihrem Vater folgen, denn das wäre ein sehr ehrlicher Mann gcwwen.
Besprechun£:en.
WeltKeschicht«. Unter Milarbeit von TTiomas Achelis usw, heraus-
gegeben von Hans F. Helmali. Bd. II. Ostasien und Ozeanien. Der
Indische Ozean, Von Max von Brandt, Heinrich Sckiirtt, Kart WfuU
und Emil Schmidt. Mit 10 Karten usv. Leipzig und Wien, Biblio-
graphisches Institut, 1902 <638 S.).
Der vorliegende Band gehört zu denen, die das verdienstliche Ziel
gerade dieses (Unternehmens, der gebildeten Welt auch jene in der Re$;cl
bisher aiiDerhalb der geschichtlichen Betrachtung stehenden Teile der
Menschheit näher zu bringen, besonders denilich zeigen. Japan, China
und Korea werden von M. v. Brandt, Hochasien und &it>irien von
Heinrich Schurtz, Anstralien und Ozeanien von Ksrl Weuie, Indien von
Emil Schmidt, Indonesien von Heinrich Schurtz, die gschichUiche Be-
dentung des Indischen Ozeans von Kari Weule mehr oder weniger aus-
führlich behandelt. Der für die Gesamtgeschichte der Menscliheit
wichtigste und schon immer mit besonderem Interesse angeschene
Teil, Indien, ist auch am besten bearbeitet wonien. Das Kapitel: Die
Erschlienung Indiens durch Europäer und die Kampfe um seine wirt-
schaflliche Beherrschung (1498—1858), das wesentlich äußere Ereignisse
bringt, hätte durch Einfügung eines Überblicks über die begehrten
materiellen Schätze, die Europa Indien verdankt, wie über gewisse indische
Kultureinflüssc auf geistigem Gebiet, denen schon für das Mittelalter vor-
sichtig hätte nachgegangen werden können, nur gewinnen können.
Übrigens betont der Herausgeber im Vorwort seinen bcso^nderen Anteil
an der Überarbeitung gerade der Abschnitte über Indien, wie er fiber-
haupl hcn'orhebt, daH erst durch seine Arbeit das Ganze aus einer Summe
von fünfzig bis sechzig Monographien jtu rCiner wiricUchcn Lebens-
geschichte der Menschheit" gestaltet sei. Wir unsererseits können uns
nicht zutrauen, alle die im Rahmen dieser Weltgeschichte behandetCcn
Gebiete fachgeniäD zu beurteilen, zumal die meisten Bände, wie auch der
vorliegende, mehrere kompetente Kritiker erfordern würden, beschränken
uns zunächst vielmehr unter Vorbehalt einer kritischen Betrachtung dieses
oder jcTien Teiles durch einen Spezialkcnner auf ein Referat vom all-
gemeingeschich Hieben Standpunkt aus. Und da scheint nun gerade der
Zusammenschluß zu einem großen Oamcn nicht immer genügend ge-
lungen, vor allem deshalb, weil tiichi alle Mitarbeitet —es gilt dies namentlich
auch von anderen bänden — von großen allgemeinen Gesichtspunkten
ihren schlechten Umständen, das jlhriichc Schutz -
kaum aufbringen kann, allergnäüigst ^"disp^„,j^„^„,^p^,j^
Die Kinder des verstorbenen Schi^^uung mit wcH«cichicht-
zeigen allerunterthänigst an, daß ihre Sc*,!! darf für den vorHegimdcn
liehen Religion übergetreten und «^irti die Zuverlässigkeit dnKlnrr
bloß zur Absicht gehabt, ihrer P- ■^™" ^,"'"'''*J!r ^"ir^r'
„ , , . , lumenUich von Scliurtt beart>atel«i
nant R. ungebunden nachzuge _^ ^^^^^ ^^^ er sich freiticb weh
V. Carmer, dall sie gegen ^ ,„, eigenen früheren Arbeiten begnügt
vorlängst cmanirlen Jud^ .^ lernen können, und aucti gegen Schuiu
Willen ihres versterbe* ./.■'■ '■ ^ scheinen uns die gerade von ihm
u -. A^a^i^^„»^ .^püiikie über oberfUchliche Allgenieinheiten
sehung, daß Sie eine . ^r>^ ^^^ ^^^ geschichüiche Wichtigkeit de*
gnädigst aufzuge» ^^^ jedenfalls stärken, und weiten Kreisen wM
Jüdisch oder i . .^jdhdten rciclic Belehrung bringen können,
soll sie nur -'-'y' Georg Sleinbausen.
^r«clit. Die altteslameniHche SchXtzung des
begn* i^^und ihre religionsgeschichtliche Grundligc
ile»- ^*%-, Thomas und Oppermann, 1901 (VIII, 144 S.).
r .'j/«Oi'S"i'lc alttcstamentiichc Studie ist von gleich hohem
''^f» dtn Kulturhistoriker wie fßr den Theologen. Qiesebrecfal
^^ flclverhandelte Problem der Bedeutung der Namen und des
VT^tfOii insbesondere in neuer und, wie uns scheint, durchaus zu-
,0^ Weise an. Mit Preudc folut man seiner methodisch trefflidi
f^j^iea und mit gesundem Wirklichkeitssinn durchgeführten Dar-
/*j^Er stein eist das I*roblcm In seiner Bedeutung klar, indem er]
H^ aufmerksam macht, wie häufig in einer uns frecnd geroTdeoen,
''Jiiu'" durch die Bibel noch geläufigen Art die Wendung -der Name
!!Mi" im Alten Testament eisciieinl. Nachdem er dann die mannig-
^jien Verbindungen, in denen sie vorkommt, zusammengestellt und so
jfia Leser einen Oberblick über das Material verschafft bat, führt er ihm
^ bisherigen ErkliSrungsversuche vor Augen, wobei er die theologischen
>u1oritäten meist mil ihren eigenen Worten reden läßt. Eine kune
Kritik zeigt das Ungenügende des bisher gebotenen. Nunmehr wird der
teser auf ein ganz anderes ücbict geslcllt: an der ttand ethnologischer
Werke des Dänen Christoffer Nyrop, des Freiherm von Andrian und
des Engiänders E. B. Tyior, wozu Einzelarbciten von Krotl, Erman,
Zimmern u. a. koninien, wird der Menschheitsglaube Qber die Bedeutung
der Namen dargelegt; »Der Name Uigt für die primitive Menschheit
diniontschen Charakter"; er ist .ein von seinem Träger relativ unab-
hängiges, atxjr für sein Wohl und Wehe hochwichtig« i*arallelwesen zum
Menschen, das seinen Träger zuglddi darstellt und beeinnuill*. Von
hier aus ergibt sich die Anwendung auf das Alte Testament von seilst.
Besprechungen.
\.
^^^^V W Stirfe der prophetischen Religion die ursprftngUche Vor-
^^^^H der dem ausgemfenen Kamen innewohnenden Kraft, den
^^^^H -rufen urtd zu zwingen, in eine höhere, das mecfaanisch-
^^^^1 'nchr abstreifende ethiscEie Anschauung von dem Kultus
^^^^P ikten Onadenmiltel, von dem Gebet als einem ethischen
^^^^^ .1 fibergegangen ist. Aber er hat vollständig recht, jene
^B j betonen und ihre Nachvirkiingen auch In der höheren
^H jrm aufzuweisen. Niemand wird es Q. verargen, dafj er nicht
^H .schlägigen Stellen aush"ihrlich erörtert (einzelne schwierigere sind
^H Anhang besprochen), sondern äidl mit den Hauptfragen begnügt- Sc
!^^ gehandelt er noch die Hyposlasierung des Namens als Repräsentanten der
Gottheit, die man nicht nennen will: .Der Name" oder »Sein Name»
Btehl oft geradezu für Qott; so in einer Reihe merkwürdiger südarabisclier
Eigennamen, über die besonders Hommel gearbeitet hat. Wie im
Heidentum Astarie auch itName Baals- helBt und man von einem genius
Jovis redet, so wird im Alten Testament der Engel Jahves, um ihn mit
Jahve in allernächste Beziehung zu setzen, zum Träger des Natnens
Jahves gemacht. Der Name Jahves im Tempel stellt, ausgehend von der
Anrufung und doch von dieser sich lösend, Jahves lolcale Gegenwart im
Tempel dar, zumal für die fortgeschrittenere Anschauung, die Jahve selbst
nicht mehr so lokalisieren mochte. Das häufig vorkommende feierliche
•Jahve ist sein Name* erklärt sich so als Höhepunltt der Anrufung: Indem
der Name ausgesprochen wird, tritt die darin enthaltene Kraft in Wirksam-
keit. ~ Q. hat sich auf die neutestamentliche Fortsetzung nicht ein-
gelassen: von ihr handeH W. HeitmüUer in seiner Schrift .Im Namen
Jesu", 1902, die ganz unabhängig von O.'s Arbeit entstanden, in der
Hauptsache zu demselben Resultate kommt, daß der Name zunächst als
das ausgesprochene Wort, das mit Kraft b^abt ist, gedacht sei. Wie
weit sich das auf neutestamentlichem Gebiet durchführen läfit, haben wir
hier nicht zu fragen. Die beiden Arbeiten sind charakteristische Zeugen
für eine starke Strömung, die gegenwärtig in der theologischen Forschung
immer deutlicher hervortritt, die biblischen Schriften wirklich historisch,
d. h- ganz aus ihrer Zeit, auch aus den Vorstellungen und Empfindungen
der Zeit zu erklären, deren Abweichung von den unsrigen man sich
immer klarer bewußt wird. Dabei ergibt sich von selbst das Bestreben,
mit der allgemeinen Religionsgeschichte Fühlung zu gewinnen. Eine
solche Eingliederung in das Ganze der Wissenschaften hat noch immer
der Spezialforschung großen Nutzen gebracht. Die theologische Forsdiwng
hat d>er dabei nicht nur zu lernen, sie hat auch zu geben: birgt doch die
von ihr bearbeitete Literatur die zugleich reichste und klarste religions.
geschichtliche Entwicklung, wie Harnack in seiner Kektoratsrede Über
die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religions-
geschrchte (1901) fein dargelegt hat. Gerade In dem religtonsgeschicht-
480
Besprechungen.
liehen Vergleichen ei^bt sich schließlich aucli die rechte Abschätzung
für das, icas die biblische ReligionsentTJckliing über slle inderen
Religionen hinausgeführt hat: die Heilighaltung des Namens Gottes ist
für uns jetit eben doch etwas andere« als ein Namentabu.
von Dobscbülz.
Fr. Kamperl, Alexander der Qrofie und die Idee des Welt-
imperiunis in Prophetie und Sage. Gnindlinien, Materialien und
Forschungen. Freibiirg i. Br., Herder, 1901 (XI, 192 S.). a. u. d. T.
Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte, im Auffrage
der GörresgcseUschnfl und in Verbindung mit der Redaktion d«
Historischen Jahrbuches herausgegeben von H. Grauicrt, l. Band, 2. u-
3. Heft.
Ft. Kampery, ein Schüler von Prof. Orauerl in München, durch
verschiedene Arbeiten zur mitlelalierlichen Kaisersagc schon wohlbekannt,
verfolgt hier dies Thema bis in seine letzten Wurzeln. Er «eigt teil-
veise im Anschluß an Ed. Meyer, wie die Idee des Weltreichs in Assur
und Babylon entstand, wie sie im Perserreich einem großen sittlichen
Gedanken, dem Kampf des Guten (Ahura Mazda) gegen das B6fie
{Angra Maynu} eingeordnet wird und im Judentum die religiöse Weihe
erhült, die im Gedanken der civitas dei bleibende Bedeutung erlangte.
Daneben halten die Griechen über das Herrsdierideal spekuliert: es sollte
den Fürsten und den Weisen vereinigen. Solche Ideen lieben es aber
nicht abstrakt m bleiben: sie werden veranschaulicht in den groflen
Persönlichkeiten, die das Staunen ihrer Zeilgenossen und die Besrundening
der Nachwelt erregen, auf die man darum auch ßberlrägt, was an uralten
mythologischen Konzeptionen im VollcsbevcuOtsein schlummert, so durch
Er^nzung und Korrektur das historische Einzelbild zur Höhe der Idee
erhebend. Nächst Sargon von Akka, Nabuchodonosor von Babel und
dem Perser Kyros bot sich da keine Gestall so sehr als die Alexanders d. Gr.,
dessen unerhörte Erfolge zusammen mit dem Eindruck seiner Person und
der Eigenart seiner Politik den tiefsten Eindnick schon auf die Zeit-
genossen madien mul>ten. So kann es nicht wundernehmen, daS sich um
ihn bald ein reicher Sagenkreis rankte. Und doch ist es ein Problem,
wie es möglida war, daü die wirkliche Alexandergeschidite einen so
völlig verschiedenen Nebenläuter erhielt, wie er sich vor allem in dem
vjclberühmten , das Mittelalter hindurch immer neu bearbeiteten, in alle
Sprachen fibersetzten, mannigfach umgediclileten Alexandenoman des
sogen. IVudokallislhenes darstellt. Kampers sucht nun, von der g^en-
wärtig allgemein angenommenen Anschauung ausgehend, daß dies nicht
Volksdiclitung, sondern gelehrtes Machwerk sei, den Spuren von E. Robde,
Ausfeld, Kroll u. a, folgend^ tiefer in diese Komposition einzudringen.
Er unterscheidet in der Hauptsache drei Elemente: I. das phantastische
Besprechungen.
des damals modernen hellenistischen 'Reiseronians, der ans Alexander ein
Zerrtrild von Abenteurer niachl, der in alle Fabeüänder eindringt und
alle Fabeltiere bekämpft - KhnUche Motive bieten die späteren apokryphen
Apostelgeschichten, wofür ich auf meinen Aufsatz -Der Roman in der
altchrislUchen Ulteraiur- hinweisen kann (Deutsche Rundschau \*taf2. April);
hierher mag man auch mm teil rechnen Alexanders Uegegnung mit den
Brahmanen Indiens, ein Seitenstfick zu der bekannten Dfogenescpisodc,
in der die philosophische Konzeption des Weisen dem Füretenideal ent-
gegentritt. - 2. das orientalisch-mythologische, wonach Alexander, der Sohn
Ammon-Ra's oder des letzten Königs von Ägypten Nektanebo. als ein
solarer Qott, ein Held gleidi Oilgamcb, NiniriKl. Dionysos, Herakles er-
scheint, der unier unsäglichen Mühen sich den Weg zum Lebensquell
oder Lebensbaum bahnt, tiierher gehören die Züge, wie Alexander -
Gilgames ähnlich - sich in die Tiefe des Meeres herabläfit, angeblich
um Perlen zu suchen; ein Tisch verschlingt Ihn samt dem gläsernen
Faß, in dem er taucht, und setzt ihn entfernt ans Ljnd - vgl, die
Jonassage; Kampers kann für dies Motiv auf Useners SintfEutsagen ver-
wcisenj und den dort geführten Beweis, daß sich in dem vom Fisch ans
Land getragenen, wie ursprünglich wohl in dem rctlendcn Fisch scllMt.
die Epiphanle des Gottes darstellt; femer Alexanders Venuch, auf rwei
zusammengekoppelt cn Adlern zur Sonne aulzufliegen; ferner der Zug
Alexanders mit 360 Soldaten auf Stuten, deren junge man im Lager ge-
lassen, durch I2t3giges Finsteiland nach dem OOttergarten , wo alles zu
Oold und Edehtein wird: hier ist auch die glänzende Ixtwnsfiuellc, ein
gesalzener Fisch wird in Ihr sofort lebendig, aber durch seines Koches
Schuld erlangt Alexander selbst nichts von dem Wasser, sondern kehrt,
von zwei Vögeln gewarnt, un verrichteter Sache um; eben damit hängen
aber auch die Enählungen von Alexanders Besuch in der ganz goldenen
Stadt der Sonne, auf dem Oötterbcrg, in der Königsburg des Kyros und
vor allem in der Residenz der Semiramis zusammen, wohin der Erzähler
die Hofhaltung der Königin Kandake von MeroS verlegt. Kampers weist
Überzeugend nach, daß hier eine große geographische Verwirrung vorliegt:
Meroe ist an die Stelle des Oöllerberges Mcru getreten, nicht Äthiopien,
»OTiderr die Gegend am persischen Meerbusen, wo die Qölterinsel gesucht
wurde, ist gemeint; Kandake vertriH die Stelle einer mythischen Figur,
die sowohl in Semiramis als in der Königin von Saba erscheint, und In
Sambele (Sabbe), der chaEdäischen Sibylle, direkt auf die Göttin Sabitu
im Oi!game5-epos zurückgeht; noch in späten rabbinischen und arabischen
Legenden ist sie ein androgyncs Oeistwesen, dem Liebesgespenst Lilith
venrandl. Damit stimmt denn, daß auf den Zug Alexanders zu
Kandake auch seine Begegnung mit dem GoK Sarapis und dem göttlich
gewordenen Wettherrscher Scsonchosis x-erlegt wird; jener entspricht dem
Gott Ea mit dem Kultbeinamcn ^arapsi, dieser dem Ahn Ut-napiätim im
GilgameS-epos. Nur daß in all diesen Episoden der liefe mythische
Anülv Hlr KuliurgeKhiditc. I, 4. 31
482
Besprechungen.
Gedanke ins romanhafi-abenteiierliche verzerrt ist: ja selbst lächerlidie
Züge, wie die, daß Alexander einen WcKweiser nach dnn Land der
Seligen aufstellt, fehlen nicht <Ps. Callisth. II, 41). - Ein 3. Faktor im
Alexa.ndaTQinan ist der jüdiscti-messianische. Alexander wird mit der
alten Wcissagutig von Qog und Magog als den feindlichen Völkern der
EnUzeit (Ezech. 38. 39) in Verbindung gebracht: aber nicht nur, daß er
sie eingeschlossen haben ioll (ein Widerhall seiner Oründiing von
AJexandria Eschate an der Nordostecke der zivilisierten Weit, gegen die
wilden Mongolenhorden), sondern er Ist auch als derjenige gedacht, der
sie am Ende der Tage, wenn sie wieder hervorbrechen, definitiv besiegt,
teils als Messias, teils als Vorlfinfer desselben (Messias ben Joseph,
Dhulqamajm der rabbinisdien und islamischen Tradition, vo »ch die:
Messiasidee in die des Vöikerbczwingeis und die des Friedefflrslen spaltet)
damit ist die Idee der Wiedererfteckiuig des WelthcrrscherSj aber auch die
andere der ReicIisüberEabe an Oott selbst, bezw. Chrislus gegeben. —
Zwischen jener altorictilalisch-mylhischcn und dieser jQdisch-tnessianischen
Auffassung steht gleichsam vermittelnd eine parsistische, welche in
zoroastrischen Weissagungen und in dem sog. Rcfigioiisgespräch am
Hof der Sassaniden vertreten, von dem unter dem Stcni geborenen
Messias handelt. ^ Daß alle diese Gedanken, die teilweise ast in sehr
jungen litterarischen Kompositionen hervortreten, alt sind, beweist Kampers
einmal damit, daß er zeigt, wie ihre Entstehung sich nur unter dem
frühen Eindruck der Persönlichkeit Alexanders begreift, wie sie sogar die
echte historische Tradition bei Arrian beeinfluHlen (die von viele« für
geschieh ttich genommene Erstflnimng der Felsenburg in Sogdiane sweist
sich als Kopie nach einer Ninussage); sodann durch den Hinweis auf
gelegentliche Andeutungen bei alten Zeugen wie Cicero, Josephiis, Plinlus,
schließlich durch die Rolle, welche die Alexanderidec tind der Alexander-
kult in der römischen Kaiscrzcit gespielt hat.
Es ist eine erstaunliche Fülle literarischer Denkmäler, Ober die
Kampers von seiner These aus Licht verbreitet hat — ich erwähne noch,
dafi In geschickter Weise die Resultate in Form eines Vortrages voran-
gestellt, dann als Materialien und Forschungen eine Reihe von Einzel-
untersuchungen beigegeben sind, die u. a. außer Ps. Kaliisthcncs und der
sonstigen Alexanderdidilnng ausführlich die Sage von dem Priesterkönig
Johannes, f^eudo-Methodius, Pseudo-Daniel, die Elias-Apokalypse und die
Tiburtina unter steter Verwertung der neuesten Litteratur und Auidnander-
setzung mit Bousset,Geffken, Sackur u.a. behandeln. Manches w3re vielleicht
durch andere Stoffverteilung noch klarer hervorgetreten. Daß die larktüre
nicht gera,dc zu den leichten gehört, ist freilich teilweise auch In dem etwas
Qberladenen Slil begründet: die Hauptschuld daran trSgt aber der Stoff,
das vDurchcinanderfluten der Sagen". E& gehört angestrengteste Arbeil
und ein nicht geringes Maß von Kunst d*«i, hier mit sichtender Haod
Ordnung und Klarheit zu sclialfen. Das ist Kampers im ganzen vohl.
Besprechungen. 483
gelungen. Ich sehe es gerade in unserer Zeil als ein groRes Verdienst
an, so nachdrücklich wieder die Ideengeschichle zur Geltung zu bringen;
und zumal die kulturgeschichth'che Forschung sollte dies beherzigen.
Ohne Zweifel ist auch die Theorie, daß alte mythologische Stoffe
beliebig auf historische Perwinen übertragen werden, deren Erscheinen
die Phantasie des Volkes bcherrechl, gerade in dieser Anwendunu auf
Alexander d. Gr. in hohem Grade berechtigt. Gegen viele Einzelaus-
föhrungen aber muß ich doch starke Bedenken erheben. Kampers ist
nicht Überall der Gefahren Herr geworden, die diese Methode mit sich
bringt, daß man vielfach etwas souverän mit dem Material umgeht,
beliebig die Zusammenhänge prelit, um neue Kombinationen herzustellen,
Postulate für beM'iesene Tatsachen nimmt, auf denen man dann fröhlich
weiterbaul, über entlegenen mythologischen Znsamraen hängen die natür
lichsten littcrarischen Ableitungen vergilit usw. Einige Beispiele dafür.
In Orac Sibyll. V, 373 heißt es: Gottes Zorn werde sich auf den Gefilden
Mazedoniens entladen; in 374 (wovor übrigens nach Gcfflcen ein Vers
ausgefallen ist); Gott werde hiilfe bringen aus dem Westen, dem König
zum Verderben; Kampers liest aus v. 373 heraus, der vom Ostrn her
wiederlcchrende Kaiser werde nicht nach Rom. sondern nach Mazedonien
ziehen - also sei nicht Nero, sondern Alexander gemeint; aus v. 374:
Alexander werde als der helfende, rettende Herrscher vom Westen ge-
weissagt - für die Orientalen kam ja Alexander vom Westen, aber doch
nicht fijr einen in Macedonien spielenden Entscheidungskampf, der an die
Schlacht bei Philippi gemahnt. Bei Haymo von Halbcrstadt (9. Jahrh.)
glaubt Kanipers noch aHmythologi^che Züge zu finden in der Erzählung :
Evilmorodach sei von seinem Vater Nabuchodonosor zu König Jojakim
ins Gefängnis gesperrt worden und habe nach des Vaters Tode die
Herrschaft nicht zu übernehmen gewagt, weil sein Vater wieder lebendig
werden könnte, bis Ihm Jojakim zum guten geraten habe: ist das mehr
als eine echt rabbinische Klügelei über die Stelle Jer. &2. 3U. (2. KÖn.25,
27 f.) eduxit eum de domo carcerJs et locutus est cum eo bona
unter Verwendung von Dan- 5, 19, der Schilderung königlicher Allmacht
quos volcbal interficiebai et quosvolehat percnticbat {richtiger
vivere Eaciebat) Jn der Umformung quando vult moritur et
quando vult rcsurgit? Ich kann dann nichts von mythischer
Heroisierung Nabuchodonosors und von der Sage vom entschwundenen
und wiederkehrenden Kaiser finden. In einem lateinischen Sermon unter
dem Namen Ephraems oder Isidors, den Caspari publiziert hat, heißt es
et iam regnum RomanornmtolliturdemedioetChristianorum
(vielleicht ist Christi zu lesen) Imperium Iradiiur deo et Patri et
tunc erit consummalio. Wo sieht hier etwas von Alexanders Kron-
niederlegung in Jerusalem? es ist I. Kor. 15, 24 und weiter nichts! Welcher
Zusammenhang besteht zwischen dem Ei. aus dem ein Draclie süilüpft/
bei Alexanders Geburt und der Geschichte der Livia, die aus einem 0
31-
1
ornkeit, oh sie einen Sohn oder eine Tochter gebären wird? Wir können
nicht so alle Einzelheiten hier durchgehen, um zu zeigen, wie weit das
Beweismaterial sich reduziert. Es bedarf dessen auch nicht; denn die
Hauptthese wird trotz alloleni bestehen bleiben. Nur würde diese ganze
Art mythologischer Forschung bedeutend an Kredit gewinnen, wenn sie
es lernte, sich zu bcscli ranken, nicht alles in ihrer Art erklären zu wollen
und, auf das schwache Slützwcrk vieler ehizelner Kleinigkeiten verziditend,
ihren Bau auf wenige massive Pfeiler zu begründen.
von DobschQtz.
Theodor Freiherr v. d. Qoltz, Geschichte der deutschen Land-
wirtschaft Bd. I, Von den CRteri Anfängen bis zum Ausgang des
18. Jahrhunderts. Stuttgart und Berlin 1902, J. G. Cotta Nachfolger
{Vin, 485 S.).
Ein hervorragender Vertreter der Landwirtecluftslehre legt uns hier
ein mit ernster Qriindlichkeit gearbeitetes Werk vor, »das Resultat
25j3.hrigcr Studien*, dessen Haitptwcrt darin besteht, dalS dieses wichtige
Kapitel der Wirtschaftsgeschidite nicht von einem eigentlichen Wirtschafts-
liistohker, sondern von einem historisch stark interessierten genauen
Kenner des betreffenden Gebiets der Wirtschaft selbst geschrieben ist
Wird so der Historiker viel von dem Werke lernen können, so ist der
Verf. bestrebt gewesen, vorher von den Historikern zu lernen. Es mufl
aber doch ansgesprochen werden^ datl in dieser Beziehung insbesondere
fGr das Mittelalter der Verf. sich den Resultaten neuerer historischer
Forschung nicht immer genügend genähert hat. Selbst der von ihm
sidiUich mit besonderer Vorliebe behandelte, auf die schriftlichen Quellen
selbst zurückgehende und mit stark betonten eigenen Resultaten aus-
gestattete Abschnitt über die älteste Zeit der Germanen wird zwar auch
bei manchen Historikern Beifall finden, ist aber doch, ganz abgesehen von
der Möglichkeit anderer Auffassung, gerade nach Seite der Benutzung
neuerer Forschungsergebnisse nicht einwandsfrei. Namentlich das 1901
erschienene Werk von Moriz Heyne Ciber das deutsche Nahrung^wessen
von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert durtle
nicht ignoriert werden, von der Berücksichtigung ^■on Büchern, wie etwa
E. H. Meyer's Deutscher Volkskunde, Schrader's Reallexikon der indo-
germanischen Aätertumsicunde zu schweigen. Gerade die auf die Ergeb-
nisse sprachlicher Studien gestützte wichtige Arbeit Heynes hfltte den Veif.
vielleicht dazu gefllhrt, eine seiner Orundanschauungen, nämlich eine
außerordentlich niedrige Einschätzung des agrarischen Betriebes der
Germanen, cinigermallen zu revidieren, wobei die Annahme eines sehr
niederen Ackerbaus durchaus bestehen bleiben konnte. Auch schlieilt
das nicht aus, daß viele Ausfühningen des Verfassers gerade in diesem
Abschnitt sehr beachtet werden müsben. Sehr richtig wird im allgemeinen
Besprechungen.
vom Verf. auf die große kulturelle Verschied enheit der germanisch en
Stämme hingewiesen, ebenso darauf, daß man bei Verwertung autiker
Quellen, namentlich des Plinius, zu unterscheiden hat, ob sich diese auf
das Land Oetmanien, also auf da* römische Gebiet, oder aiif das
germanische (unabhängige) Volk tieziehen. Werden die Germanen im
ganzen vom Verf. unterschätzt, so wird die Periode Karts des Groflen
in ihrer Bedeutung fCir die deutsche LandvirtschafI wieder über^hätzt.
V. d. Goltz hat sich entgehen lassen, daß das Capilulare de villis neuer-
dings mit Recht als für das eigentlich deutsche Gebiet nicht beweis'
kr.^ftig angesehen wird und wesentlich ft'ir -wc^tfränVische VerhSItnlsse
charakteristisch ist. Die römischen Einflüsse andererseits auch auf Deutsch-
land in einer vid frfiheren Zeil hätten einer eingehenderen Prfifung bedurft,
a]ssieaufS.82ff. vorgenommen wird. Mancherlei Bedenken werden dann die
Ausführungen über die späteren sozialen Verhältnisse erregen, so schon
diejenigen auf S. 94 ff. Für das Mittelalter hat die Niclilbenulzung der
Arbeiten v. Belows dem Werke entschieden geschadei. Eine solche hätte
auch den vom Verf. für das 16. Jahrhundert richtig betonten Unterschied
der bäuerlichen Verhältnisse im Osten und Westen schärfer charakterisieren
helfen können, FQr das 15. und 16. Jahrhundert halte wohl auch
Janssen's Geschichte des deutschen Volkes dem Verfasser zwar nicht durch
den eigenen Text, abw durch Hinweis auf manches Material dienen können.
Der Hauptgesich Ispunirt des Verf, für das Mitlelalter, .daR in ihm
die groHe Masse der deutschen Volksgenossen zu einer den Bedürfnissen
der ganzen Nation entsprechenden Ausübung des Ackerbaues erzogen
wurde", ist richtig und wichtig, ebenso wichtig aber auch die Fest-
stellung in der dem Ganzen vorausgeschickten Übersidit über die Oesamt-
entwickelung, daß trotz lokaler Verbesserungen die Landwirtschaft sehr
lauge auf derselben Stufe blieb und erst um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts die Überzeugung von der Notwendigkeit nner durchgreifenden
Reform Plati griff, für die dann erst im IQ. Jahrhundert freie Bahn
gemacht wurde. .In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben der
landwirtschaftliche Betrieb und die ländliche Bevölkerung grossere Ver-
änderungen durchgemacht als in dem ganzen Jahrtausend vorher.*
Davon wird nun der 2. Band wohl ausführlich berichten, und wenn
wir Goltz hierin als bewährtem Führer folgen werden, so gilt das auch
schon von den letzten Teilen des vorliegenden Bandes, insbesondere dem
3. Abschnitt, der bereits die »Versuche zur Umgestaltung der Landwirt-
schaft in der 2, Hälfte des 18. Jahrhunderts" behandeil. Freilich nntt bei
der nun einsetzenden gröfleren Spezialisierung wie auch schon bei dem
vorhergehenden Kapitel über die «Anfönge der landwirtschaftlichen
Literatur" das Interesse der Historiker vor dem der Fachgenossen des
Verf. etwas zurück. Doch wird dasselbe das verdienstliche Werk durchaus
veiler begleiten. Ceorg Steinhausen.
Paul Webvr Die IveJnbildcr aus dem 13. Jahrhundert
im Hessenhofe zu Srhmalkaldcn. Sondcrabdntck ans dcf -Zeit-
schrifl für liild«de Kunst*. Leipzig und Berlin, Verlag von E. A. Seemann,
1901 (24 Selten mit 10 Abbildungen im Text und 3 TafeSn).
Schon 1890 ist über den Bilderzyklus im jetzigen KellerfTcschoH des
alten „ Hessen hofes" zu Schmalkalden eine mit sieben LJchtdrucktafeln
ausgcslattcte Abhandlung von Otta Gcrland erschienen, die manches ge-
sicherte Forschungsergebnis bietet und u. ». auch bereits festgestellt
hat, dafl es sich bei diesen Wandmalereien nicht, wie man früher annahm,
um Szenen aus dem Leben der heiligen Elisabeth, sondern um Illu-
strationen zu Hartmann von Aues Artusroman «l-weiti mit dem Löwen"
handeil. Inzwischen konnte nun aber eine Anzahl weiterer Darstellungen
in jenem Kel1etT.iiime nachgewiesen und von der dichten Schicht von
Kohlenstaub, Moder und stellenweise noch haftender Tünche, unter der sie
bei mangelnder Beleuchtung bis dahin so gut wie unsichtbar geblieben
waren, befreit werden. Da hierdurch »der Umfang des Bilderkreises
fast um das doppelte gewachsen war', so verlohnte es sich bei der
hohen Bedeutung dieses frühen Denkmals der Profanmalcrci in der Tat.
eine neue Veröffcntltchung davon /u veranstalten, In der vorliegenden
Schrift, die von 11 Textabbildungen und drei farbigen Tafeln, worunter
zwei Doppeltafeln, begleitet wird und gleichzeitig in der Zeitschrift für
bildende Kunst und in einer Sonderausgabe für den Buchhandel erschien,
hat sich im Einverständnis mit Senator O. Qerland Paul Weber dieser
Aufgabe unterzogen. Die Lösung darf als eine in jeder Hinsicht wohl
gelungene bezeichnet werden. Die erwähnten Tafeln geben, was von den
Wandgemälden noch zu erkennen ist. getreu wieder, und der Text der
Abhandlung erörtert mit grolkr Sachkenntnis und überall auch auf die
allgemeinen kulturellen Gründe der Erscheinungen eingehend alle Fragen,
die sich an die tnteressanleti Malereien knüpfen. Der erste Abschnitt
bietet einen Überblick über die Profanmalercten des deutschen Mittelalters
bis zum U.Jahrhundert, wobei auch derSchildeningen bei zeitgenössischen
deutschen und französischen Dichtern verschiedentlich gedacht wird.
Wenn sich an Denkmälern der Profanmalerei vor MOO flberhaupl
wenig genug erhallen hat, so „versagen sie-, wie der Verfasser hervorhebt,
..für das 12. und 13. Jahrhundert, also für die eigentliche Bh'dejeil der
ritterlichen Kultur, fast völlig." Und eben in diese LQcke treten die
Wandgemälde im ehemaligen ErdgeschoH, jetzigen Kellergeschoß im Hes-
senhote, dessen Geschichte und Beschreibung der zweite Abschnitt der
Abliandhing ge^ridmel ist. Der dritte umfaßt die Beschreibung der
Wandgemälde selbst und ihre Erklärung an der Mand von Harlmaiin
von Aucs Dichtung. Dem Verfasser wird « aber schließlich doch iwei-
felhaft, ob der Maler auch wirklich Hartmanns Werk und nicht vjelmclir
die weit küaere Fassung des Iweinstoffes, wie sie uns in der kellischen
Erzählung .Die Dame von der Quelle", dem sog. Mabinogf,
ier kellischen ^^M
erhalten ist. ^H
vor Augen gehabt habe. Indessen hat ntuerding? F. I'arzer in seine
Bwprcchung von Webers Schrift (Literaturblalt für german. und roma-
nische Philologie, XXIV 1Q03 Sp. 150 f.) diese Frage mit schlagenden
Gründen zu Ounslen des Hartmannschen Romans entschieden. Der
vierte Abschnitt behandelt den „Zweck des ausgemalten Gemaches im
Hcssenhofe", das aäs ehemaliac Trinkstube ähnlich der im Hause zur
Zinne zu Dießenhofen in der Schweiz (Anfang des 14. Jahrhunderts), die
mit Wandmalereien nach Neldharts Schwan kdidilung vom .Veilchen',
Darstellungen aus Reinette Fuchs, Sinnbildern Für Wein, Weib und Oe-
sang in tum Teil sehr derber Faasung u. s. w. geschmückt isl, erltannt
wird. Besonders verdienstlich sind sodann die Untersuchungen über die
Technik der Alalereien, Ober die der fünfte Abschnitt berichtet, während
der sechste sich mit der künstlerischen Würdigung der Gemälde
befallL Gerade in diesem Teile der Abhandlung findet sich manche
gute Beobachtung und manche treifende Bemerkung zur deutschen Alter-
tumskunde. Ich verweise beispielsweise auf die Stellen, die von den
konventionellen Bewegungen und Gesten, von den Trachten und Waffen
und ihrer gewissenhaften Wiedergabe durch den Maler handeln, hlüt
Recht wird hier auch hervorgehoben, daß für Art, Anordnung und
Ausführung der Bilder offenbar die Teppichwcriterei vorbildlich gewesen
ist. Ja, es wäre viclleiclit erlaubt gewesen, noch einen Schritt weilerzu*
gehen und die Wandmalereien der Trinkstube geradezu als Surrogate
fiir die iedenfalls viel teuereren gewirkten R&cklaken zu bezeichnen. Der
siebente und letzte Abschnitt endlich beschäftigt sich mit der Entstehungszeit
der Schmal kaldener Wandgemälde, als die auf Grund eingehender stil-
kritischer Vergleichung namentlich auch mit den Denkmälern der
Miniaturmalerei sowie nach den Anhaltspunkten, die insbesondere Tracht
und Bewaffnung ergeben, .die erete Hälfte bis Mitte des 13, Jahrhunderts"
festgestellt wird. Der Verfasser schlielit mit der Ankündigung einer
späteren zusammenfassenden Bearbeitung der Profankunst des 13. Jahr-
hunderts, von der man nach der vorliegenden Probe die besten Erwar-
tungen hegen darf, und mit dem Wunsche, daü inzwischen seine Einzel-
studie dasu beitragen möchte, ,die Fäden zwischen den beiden Schwester-
wis&enschaften, Literatur- und Kunstgeschichte, die sich gegenseitig gerade
für diesen Zdtraum so wenig entbehren können, etwas enger ziehen zu
helfen." Diesem Wunsche können wir uns vorbehaltlos anschließen.
Th. Hampe.
M. Rabenlechner, Der Bauernkrieg in Steiermark (1525).
Freiburg i. B., Herder IWI (Erläuterungen und Ergänzungen zu Jansseos
Geschichte des deutschen Volkes, 11. Bd. 5. Heft). (\'III, 5ö S.)
Der bisherige Mangel einer zusammenfassenden Darslelltcng der
sieirischen Unruhen 1525 mußte wohl eine Anregung zu vorliegender
Schrift geben, aber die gehlen Erwartungen erfülH sie keinesw^.
488
Besprechungen.
Ein Verständnis der damaligen sozialen Erschütlerungen erfordert als
llnl«p'""t' '■■'"P möglichst breit angelegte Würdigung der wirtschaft-
lichen Vcrhällnisse, deren Richtung je nach der Eigenart des behandelten
Terrllorlums verschieden sdn wird. Ein solcher von R. nicht weiter
verfolgter Hinweis liegt in der Tatsache, daß in Steiermark die Haupt-
träger der Bewegung die Bergknappen sind. Für R-, der die Frage des
wirtschaftlichen Drucks nur sfrcift, bleibt das Treibende die Predigt
Luthers von der Vernichtung der geistlichen Fürsten — eine von Janssens
auf einen Zitatenu/usl gestütrien Behauptungen, die schnellfcrtig über-
nommen wird. Ohne auf die kausalen Zusammenhinge einzugeben wird
daTin der im Anschluß an die Salzburger Ereignisse im Jahre 1525 aus-
gebrochene steirische Aufruhr geschildert, der nach einem flüchtigen,
durch die Oehonamsverweigming der R^eningstriippen vemnlaßten
Erfolge mit einer Niederlage endete. Die ausschließliche Benutzung ge-
druckten Materials schließt die Aufdeckung neuer Gesichtspunkte dabei aus.
G. Liebe.
0. Etllaetr, Philipp Meknchthoti. Ein Lebensbild. Berlin 1902.
H. Heyfelder <624 S.)
Seit Karl Schmidts Biographie (1861) ist zur Aufhellung der vid-
.wiiigen reichen Lebensarbeit Melanchthons ein so gewaltiges Material in
Quellen und Einzeluntersuciiuit^en zu Tage gefördert worden, dzll die
Forderung einer neuen zuMmmenlassenden Darstellung dringend geworden
war. Es entspricht durchaus dem Wirken und Wesen des iVUnnes, daß
ein Literarhistoriker sich dieser Arbeit unterzogen hat Ihm ist die Auf-
gabe seines Helden eine doppelte: die Ausbildung einer weltlichen Wissen-
schaft durch die Univer^itätsreform und die entscheidende Formulierung,
der neuen religiösen Errungenschaften. Die Lösung dieser doppelten Auf-
gabe hat £. in einer meist etwas nüchternen, aber klaren und übereicfat-
liehen Darstellung entwickelt; gründliches Ausschöpfen und kritische
Würdigung der ausgedehnten Vorarbeiten wird man ihm nachzurühmen
haben. Aber er hatte sich noch ein höheres Ziel gesteckt: die Veran-
schaulichung von Melanchthons geistiger Pei-sönlichkeit. Sie zu rer-
stehen ist um so wichtiger, als in ihr die Wurzeln verhängnisvoller Ent-
wicklung auf beiden Gebieten ihres Einflusses liegen, der dogmatischen
Streitigkeiten und der Überschätzung klassischer Bildung. Zum psycho-
logischen Verst.indnis dieser nervösen, reflektierenden GeJchrtennatur, bei
der der InteUekl den Willen weit überwog und unter der Milde des Auf-
tretens große Reizbarkeit sich barg, hat E- aahlreidie feine Bemerkungen
beigesteuert. Aber in dem breiten Strome der theologischen Erörterungen
kommen sie nicht recht zur Geltung, und wir werden uns dem Eindruck
nicht entziehen können, dall uns Melanchthons Gestalt bd Hartfelder, wenn
auch nur als Praeceptor Oermaniac behandelt, plastischer entgcgentritu
Bei einer so wenig einheitlichen Peisonlichkeil, deren bedeutende Lei-
siungen grade auf ihrer Eindnicksfähigkeit beruhen, wäre ein (ieferes
Eingehen auf die Zeitströtnungcn erwünscht gewesen, wie es in groß-
zügiger Weise Berger für Luthers Wirken gelungen ist, Was E. in den
höchst anziehenden Anfangs- und Schlufikapiteln über die Stellung
Melanchthons zu den wtsÄnschaftlichen, sittlichen und politischen
Anschauungen der Zeit bringt, erweckt den Wunsch, daß diese Be-
handlungsweise für das ganze Werk batimmend geworden wäre. Ist es
doch die Tragik in Melanchthons Leben, daß er in seiner Seete den
Gegensatz der beiden ringenden Zeilströmungen durchkämpfen muUte,
der wissenschaftlichen Ideale des Humanismus, zu denen ihn seine Neigung
zog, und des überraächügen religiösen Elements, dem jene vor ihrer
vollen Entfaltung weichen mußten. Das beigegebene Bildnis entspricht
weit mehr den oben angedeuteten Charaktenügen als das bekanntere,
dem Dürer lu viel des eignen markigen Wesens beigelegt hat, indessen
härte der Verlag wohl den Urheber (Holbein) beifügen können. Leider
macht sich der Mangel an Quellcnnachweisen auch für den Text bemerkbar.
O. Liebe.
Wilhelm Suida. Die Genredarstellungen Albrechl Dürers
(Sluditn zur deutschen Kunstgeschichte Hefl 27). Straßburg, J. H. Ed.
Hotz <Hel(z di Mündel), 1900 (124 Seilen).
Wenn man, noch ohne das vorliegende Buch zu kennen, sich die
Frage vorlegt, wie müßte eine Arbeit öberdie Genrcdarstellungen Atbrecht
Dürere angepackt werden, um der Wissenschaft wirklich nützliche und
fruchtbare Ergebnisse zu liefern, so wird die Antwort vorzugsweise zwei
Richtungen weisen. Es wird einerseits gefordert werden müssen, daß die
Darstellungen mit den Elementen, aus denen sie steh zusammensetzen,
eine ikonographische Behandlung erfahren, indem ihre Entwicklung
bis auf Dürer und in Dürere Schaffen klar gelegt wird ; datiebcn aber
mütite in sorgßltigem Eingehen auf Dürers Wesen und Wirken gezeigt
werden, welche Bedeutung das Genre in seiner Kunst gehabt, welche
Rolle es darin gespielt hat. Beide Richtungen hat nun auch Suida, das
ist nicht m verkennen, in seinem Buche zu \-erbinden gesucht; aber
er ist seines Stoffes, der in der Tat eine gereifte Kraft erfordert hätte,
leidicr in keiner Weise Herr geworden und hat noch dazu das ganze
wenig geschickt aufgezäumt. Namentlich die ikonographische Entwicklungs-
geschichte ist sehr zu kurz gekommen und als Einleitung von den einzel-
nen Darelellungsgruppen ganz gesondert; den Quellen, wie sie auch
für die bildliche Wiedergabe in der Literatur flieücn, ist kaum nachge-
gangen, und das wenige, was etwa im .Schluß" hieriiber beigebracht
wird, ist wiederum ohne organischen Zusammenhang mildem eigentlichen
Thema. So macht das Buch, wenn auch hübsche und selbst feine Be-
I
4Q0 Besprechungen.
merWungcn und Beobachtungen nichl ganz fehlen, doch im Allgemeinen
den Eindruck einer nach einem ziemlich eiligen Streifzuge durch eine
Annhl grQßerer Museen und Kupferstich liabinette rasch zusammen-
gestellten, unausgereiften Zelte! kästen- Arbeit, bei der weder der Kunsl-
noch der Kulturhistoriker seine Rechnung findet. Th. Hampe.
Hans <\\ugmtt. Die moderne Selbstbiographic als historische Quelle.
Eine Untersuchung. Marburg, N. ü. Elwert, 1903 (VIII, 168 S.).
Der Hauptsatz der vorliegenden Untersuchung ist. daß die moderne
Selbstbiographic - wohl zu unterscheiden von der älteren, kunstlos und
schlicht Süssere Erlebnisse beichtenden Lebensbeschreibung — als eine
Tochter des Romans angesehen werden mu6. Die Hauptquclle dieses
romanhaften Elements ist das Stimm ungsmilieu zur Zdt der Abfassung,
nach dem auch das Vergangene gewertet wird. Den Nachweis dieser B^
hauptung an einem speziellen Fali versucht der 2. Teil durch Prüfung
ausgewählter Abschnitte aus der Selbstbiographie der Fnu Roland. Mehr
aber als die Bedeutung dieses in seiner Allfiemeinheit und Schärfe doch
virileicht nicht ganz unanfechtbaren Satzes für die quellen kritische Bt
handlung der modernen Selbstbiographie interessiert uns an dieser Stelle
die von Olagnu gegebene Entstehungsgeschichte der^Ibai, die das roman-
hafte Element als wesentliches Element von Anfang an aufweist und vor
allem den psychologisch-individua listischen. Grundzug als Hauptcharakter
der Gattung ergibt. Ganz richtig betont Ol. das aufgeregte Innenleben
des 18. Jahrhunderts als wichtigstes Moment, das zur dnseitigen Beachtung
des inneren Menschen, zur Selbstbeobachtung, zum Gefühlskultus, zu der
von Goethe betonten »altgemeinen Offenherzigkeit", zur Bekenntnissucht
und Scelcnbcichte führte. Die Entstehuntc dieser für den Ursprung de
modernen Selbstbiographie wie des psychologischen Romans und Briefes
SO wichtigen innerlichen Strömung hätte aber etwas eingehender be-
handelt werden sollen, zumal darüber bisher noch recht wenig zutrcfTendes
gesagt ist. Die wenigen Andcntungen Ul.'s in dieser Beziehung kon-
statieren mehr die Talsachcn. Zwar wird bei Rousseau betont, .wie viel
er der ihm voraufgehenden literarischen Entwicklung und namentlich dem
Aulschwung des Romans verdankt', aber im Ganzen erscheint doch
bei Gl. der innerliche Zug Rousseaus allzusehr als zuei« von ihm betont.
wenn er auch als erster gerade in die Selbstbiogiaphie .die psycho-
logische Betrachtungsweise einführte". Die Erwähnimg des Einflusses
des enulischen Familienromans hätte den Blick einmaf schärfer auf Et^£-
land richten sollen. Und die zwar wesentlich als ein Kunstwerk
Goethes anzusehctiden, aber doch .in die Seele der Freundin verfaüten-
»Bekenntnisse einer schönen Seele' hätten zur Rückvcrfolgung des aus
religiöser Aufgeregtheit entspringenden Inncnkultus führen können, zu
den ptetistischen Briefwechseln usw., und vielleicht ergab sich dann im
Besprechungen.
letzten Grunde eine unumwundenere Bestätigung des Bezoldschen Salzes:
.Die ßdauschung des eigenen Herzens ist christlichen Ursprungs". OUgau
ist in der Anmerkung auf S. 2G auf ganz richtigem Wege, verfolgt ihr
aber nicht. Übrigens betont er andi bei dem von ihm als Nachfolger
Rousseaus beliandclteii Karl Pbili|)p Moritz, der im .Antun Reiser" die
psychologische Richtung schon in geradwu wissenschaftlicher Absicht
betreibt, den Einfluß des .pietistischen Luftkreises ", in dem der Verf.
aufwuchs.
Bei dem zweiten, die Angaben der Frau Roland an erhaltenen
Briefen kontrollierenden, aber nur auf das von spateren Stimmungen ab-
hängige romanhafte Element gerichteten Teil erscheint zuweilen fraglich,
ob die Abweichungen von der Wahrheit lediglich der ergänzenden
Phantasie und nidil bewul3tem Streben der Eigenliebe entspringen.
Betnibend und charakteristisch für den in neuerer Zeit immer
wachsenden Mangel an Sprachgefühl sind die schwerlich als Druckfehler
anzusehenden .gelungendsten [t) Teile". Im übrigen sei das verdienst-
liche Büchlein der Beachtung unserer Leser empfohlen.
Qeorg Steinhausen.
Paul Kafalmaon, Die öffentliche Meinung in Sachsen wahrend der
Jahre 1806 bis 1812. Gotha (F. A. Perthes) K>02. 8«. 121 S. (= Ge-
schichtliche Untersuchungen hgg. von Karl Lampreclil H. 1).
Die „öffentliche Meinung" ist schon mehrmals O^enstand historischer
Untersuchung gewesen. Ich criunerc hier an Johannes Hallers Deutsche
Publizistik in den Jahren 1668- 1674, Heidelberg 1392, an des Unter-
zeichneten Öffentliche Meinung in Deutschland über den Fall StraBbnrgs.
München 18Q6. und anOeorg Mentz' Vortrag über die deutsche Publizistik im
17. Jahrhundert, Hamburg ISii?. Vor nicht allzulanger Zeit hat ein Dok-
lorand die Hallung der deutschen Publizistik während des nordameri-
kanischen Unabhüngigkeitskrieges bearbeitet, und im vorigen Jahre hat
nun Paul Rühlmann die öffentliche Meinung in Sachsen wihrtnd den
Jatirr 1806 bis 1S12 geschildert.
Der Verfasser hätte seine Schrift gerade so gut »die öffentliche
Meinung in Leipzig" nennen können, denn sowohl Dresden wie das übrige
Sachsen treten in der Abhandlung Leipzig gegenüber ganz bedeutend
zurück. Doch dürfen wirRflhlmann darum nicht unrecht geben, denn Leipzig
ist tHM-eits seit 1750 Mittelpunkt des deutschen Buchhandels und so auch
deutsclie Lifteraturcentrale und beeinflusst auf dies« Weise nicht nur
Sachsen, sondern ganz Deutschland. Das kleine Buch ist in neun Ka-
pitel, denen sich kurze SchluElbemerkungen anschlictten, eingeteilt. Wichtig
ist vor allen Dingen das zweite Kapitel, in dem Methode und Quellen-
material der Untersuchung dargelegt werden, i^itungen kommen nur in
sehr bescheidenem Malte in Betracht, weit radir die übrigen publizistischen
1
i
ErreugnissCj Qelegenheilsschriften, Aufrufe und ProklamaliOTien, zeitge-
nössische Briefe, Tagebücher und Erinnerungen, Reisebeschreibungen,
amtliche Erlasse und Bekancitnuchungen. die Berichte der politiscben
Polizei, endlich die gesamte säclisisclie scliöngeistige Litleratur jener Tage.
Es u-ird lins dann gezeigt, welch' konservaüvem Zugedas gesamte geistige
Leben in Sachsen bis iiir Schlacht bei Jen» gefolgt vtf, in einem Lande,
das seit 1763, auCier einigen Bauernunruhen, keinen Krieg mehr gesehen
hatte. Die 1806 lebende Generation konnte sich einen Feldzug gir
nidil vorstelle]], hi den Wirrnissen der Zeit glaubte man allgemein an
Preußens Mission und an den Sieg seiner Waffen, und zwar ging die
Menge in dieser Zuversicht so -weit, dal! sie die am 13. Oktober 1806 in
Leipzigcncheinenden französischen Patrouillen füreinen Teil derzersprengten
auf der Flucht begriffenen französischen Armee hielt
Der 14. Oktober 1806 und die durch Jena voliständig vcränderlen
polititclien Konjunkturen bceJnf]uHlen natürlich such die .Öffentücbc
Meinung". Kureachsen wird Königreich, Napoleon zeigt sich so liebens-
würdig wie möglich und schützt die Einwohner vor den Härten des
Krieges. Die .Leipziger Zeitung" bringt im November Sdimähartileel
gegen Preußen, den friihercn Bundesgenossen, und verunglimpft seine
k&nigliche Familie. Ihren Möhepunlit erreicht die Napoleonbegeisterung
im Juli 1807, als der Kaiser in der festlich geschmückten Residenz weilte.
Man feiert ihn als Frieden bringer, ats Beschützer von Handel und Ge-
werbe. Doch der Friede will nicht kommen, und die unaufhOriichen
Truppen durchzüge belästigen das Land schwer. Die allgemeine Sehn-
sucht nach Frieden bezeichnet in dieser Zeit der Militirschriftsteiler
August RQhle von Liüenstecn (vgl. Allg. D. Biogr. 29, 611 ff.) mit den
Worten: „Em Krieg, der nicht völüg ausgcfochlen, ein Frieden, der un-
aufhörlich auf den Krieg gerüstet und gefailt ist, sind gleich verderblich
und verwünschenswert." So beginnt die allmähliche Entfremdung gegen-
über dem französischen Sysleuie. Gegen Ende des Jahres 1808 b<tpBnt
die Verbreitung ethisch-pädagogischer Ideen. Die nationale Wieder-
geburt hann nur ducch die türziehung herbeigeführt vcrden, durch
.die Erziehung des Geschlechts zu deutschem Männermui". Doch diese
Gedankenwelt wurde jäh unterbrochen durch die Episode des Jahres 1809.
Die öffentliche Meinung wird von nrcj Strömungen beherrscht: die eine
ist die etwas demokr.ilisc!i «efirbtc, deutsch-nationale, östeneich-freund-
ttche Richtung; diese ist am stärksten zu Anfang des Feldzuges. Die andere
wird hervorgerufen durch die Milicrfolge der österreichischen Waffen und
durch das Auftreten der Braun&chwelger in Sachsen. Sie ist streng sächsisch,
legitimislisch und franzoscn freund lieh und nimmt nach dem Scbönbruoner
frieden den Charakter der Reaktion an. Der Krieg endigt rwar günstig
für Sachsen, für die öffentliche Meinung aber wird er Verhängnis voll.
Die nationale Gefühlswelt war wachgerufen, zugleich wurden aber auch die
glänzenden Hoffnungen vernichtet. Die Folge des Jahres waren die
I
I
Besprechungen.
politische Zensur unJ Polizei. Ein sächsisch-französisches Überwachungs-
sj-slem «-urde organisiert. OroRes Inleressc erregten besonders die Be-
gebenheiten in Spanien- Begreif 11 chei-w-cise war dies der fratiiösisclien
Re^erung sehr unangenehm, und die Nachrichten über Spanien konritea
nur unter dem Deckmantel von ReisebeschreibunEren, die $ich sehr gOnstig
Qber die Bewohner des Landes itiHerten, ins Publikum vandem. Ebenso
war es für PoHliker sehr gefährlich, sich irgendwie »über die Hoffnung
eines Friedens mit England- ausEusprechen. Die Tendenz irar: Unter-
dr(icl<ung der Presse, Die politische Pohzei sollte die Regierung vor
den geheimen politischen Zirkeln, vor allem vor den Umtrieben des
Tugmdbundes schützen, dessen Wirkung man bei weitem flberschShite.
Die Machthaber fürchteten den V'olksauf stand. Das ganze Spionage-
system drückte die öffentliche Meinung zu blolier Oerüehtbildung herab,
und so entstand eineganzenischiedene Abneigung gegen die nipoleonische
Herrschaft, die besondere durch die Konfiszierung und Verbrennung
englischer Waren in Leipzig Nahrung erhielt. In den Kreisen der
litterarisch Gebildeten bewirkten romantische Elemente den Umschwung.
Im Mai 1S12 versammelt Napoleon in Dresden, bevorerg^en Rußland zu
Felde zieht, noch einmal olle seine Satrapen um sich ; doch wird er sehr
kühl aufgeiiomtueit, ganz im Qegen^lz zu dein begeisterten Cnipfangfünf
Jahre früher. Man sucht sich Jetzt über die Verhältnisse in RuOland,
mit dem man sympathisierte, gerade so zu unterrichten wie einige Jahre
vorher Ober Spanien. Die Ankunft von Prlvatnachrichlcn Über den
Brand von Moskau und den Rückzug Napoleons bringt die Volksstimmung
zu offenem freudigem Ausdruck. Am 28. Dezember 1SI2 wurde das
berüchtigte 29. Bulletin in Leipzig bekannt gegeben. Vom Jahre 1813
erwartete man Unerhörtes, wie sich aus einem Briefe August Mahlmanns
(vgl. Allg. D. Biogr. 20, 97 f.) ergiebt: »Die 13 wird sicher ihre Eigen-
schaft bewahren!"
Leider wurden Sachsens Frflhlingshoffnungcn durch dte Schlacht von
OroAgöischen (2. Mai 1813) vernichtet. Die preussi&che Invasion und die
nachfolgenden Ereignisse, die Gefangennehmung des Königs, die Ver-
handlungen des Wiener Kongresses, die «sächsische Präge" dämpften den
nationalen Aufschwung und brachten den auch heute noch bekannten
sächsischen Partikular) smus hervor.
Die Arbeit ist unter Lamprechts Leitung im Historisdien Seminar
der Universität Leipzig entstanden. Sie ist recht flott geschridien, man
«rmOdet beim Lesen keinen Augenblick, und die Spannung wird bis zur
letzten Seite aiifrechlerhaJten. Auf S. 115 hat sich ein kleiner Irrtum
eingeschlichen: der Kaiser von Österreich heiÜt nicht Franz Joseph, son-
dern Franz.
Karl Hötscher.
Jwan Bloch, Der Ursprung der Sypliilis. Eine medizinische und
Ifulturgescliichtliclie Untersuchung. Erste Abteilung. Jena, Oustav Fischer,
1901. (XIV, 313 S.)
Die grauen Volksltrankhdten dürfen neben dem rein medirinisdien
auch ein ganz ausgesprochenes ktilturgeschichthches Interesse beanspruchen.
Oft ist allerdings der enge Zusammenhang zwischen Krankheit und dem
jeweiligen Stande der Kultiir nur zu wenig gewürdigt worden und gerade
in der Medizingescliichte hat dfree Vernachlässigung zu manchen Irrtümern
geführt. Augenfälhger als heute wohl Irelcii uns die großen Krankheiten
früherer Zeilen in ihrer Dgenart entgegen als ein Produkt all der zahl-
reichen Komponenten, die die Kultur des Menschen bilden und die ebenso
in seinen politischen und sozialen, in seinen physischen und psychischen
Verhältnissen, wie in den seiner Kulturarbcir entzogenen atmosphärisdicn
und telliirischen Bewegungen gegeben sind. Kur unter den vorhandenen
kulturellen Verhältnissen konnten sich diese grollen Krankheiten so oder
so gestalten, und wie also Hungersnot, Krieg, Wohnungen, Sittlichkeit,
das gesamte gcscälschaflliche Leben ihren Gang beeinflußte, so war ihre
Wechselwirkung auf all diese Faktoren eine vollkommene.
MuQ also die Geschichtsforschung der großen Seuchen neben der
Ergründung ihres pathologischen Charakters sich jedesmal der kulturellen
Einflüsse aufs Deutlichste bewußt sein, muß sie zur KISnmg dieser oft
dunkeln Erscheinungen das ganze Leben der Mensdiheit und der sie um-
gebenden Natur aufs Innigsie betrachten, so muß sie vor allem auch mit
jenen psychologischen Faktoren sich vertraut machen, die als notwendiger
Ausfluß des Zeitgeistes von entsdieidctidem Einfluß waren auf die Auf-
fassung der beireffenden Krankheit, die Theorie ihrer Entstehung, ihren
Verlauf, ihre Therapie ~ kurz ihre ganze Geschichte. Nur so kann es
der modernen historischen Pathologie gelingen, selbst rein medizinische
Rätsel zu lösen, die bisher der Lösung harrten.
Audi die Frage nacli dem Ursprung der Syphilis wartet noch auf
ihre cndgiltige Entscheidung. Gegenwärtig aar die Ansicht herrschend,
daß die Syphilis schon im Altertum in Europa bekannt gewesen sei und
daß die große Qeschlechlspest, die unerhört grausam am Ende des
15. Jahrhunderts die zivilisierte Welt im Sturmlaul durchzog, nur durch
Veränderung ihres epidemischen Charakters aus einer lokalen zu einer
konstitutionellen Krankheit geworden und als solche ein Novum sei. Für
diese Ansicht wurde eine große Zahl von Belegstellen aus mcdirinisdien
und Laienschriftstellern des .\ltcrtunis und Mittelatlers herangezogen, von
denen viele in der Tat geeignet eischienen, die Existenz der Allertums-
syphiiis wahrscheinlicli zu machen.
Ein sicherer Beweis erechien aber einer Minderzahl von Forschem
nicht erbraclil zu sein : weder waren die allgemein-pathologischen Momente
genügend berilcksichligt, noch konnte die kritische Wünligimg der Quellen
des 15. und lö. Jahrhunderts befriedigen. Diese Minderheit vertrat viel-
i
mehr die Ansfdit, daß die Syphilis durch die Mannschaft des Columbus
1403 nach Spanien j-ebracht und, bfgünsligt durch die politischen Er-
rignisse der Jahre H')4/95 (Karls Vllt. Feldzug in Italien), zu epidemischer
Ausbreiluiig gelanfl sei.
Namentlich bei den Pathologen fand diese Theorie Anklang. Audi
den Krankheiten sind gewisse Grenzen ihrer Eigenheiten gcstccltt, inner-
halb deren sie atierdings Veriincieningen unlerlit^en können. Aber
nirgends haben wir bisher ein Beispiel dafür, daß eine Krankheil aus
einer lokalen eine konstitutionelle verden kann. Das hat tausendfältige
Erfahrung bewiesen.
War also schon hierin für die Skepsis der AUertumssyphilis g^cn-
über ein berechtigter Grund gegeben, so mußte sie immer wieder von
neuem genährt werden durcli die zeitgenössische Schilderung der Epidemie
des 15. Jahrhunderts. Wie eine Sturmflut brauste die Seuche durch die
Welt, wehrlos fand sie die von ihr noch nie berührte jungfräuliche
Menschheil. Das grauenvolle Entsetzen der Laien, die Ratlosigkeit der
Arzte galt einer nie gekannten und geahnten, einer für sie vollständig
neuen Krankheit, bei der sie keinen Anklang fanden in der antiken
Pathologie.
So entstand schon in den ersten Jahren eine sehr große Literatur,
und mehr als 400 Namen für die OESchlcchtspest mußten die Verlegenheit,
die nichts mit den neuen Erscheinungen anzufangen wußte, maskieren.
Diesen Tatsachen gegenüber kann eine rein chronologische Beweis-
führung nichts bedeuten. Aus den Tatsachen muß die Chronologie erklärt
und aufgehellt werden, nicht aus der Chronologie die Tatsachen, und
indem Verfasser diesem Leitsalz folgend in eine sehr gründliche und, wie
es nicht andere sein kann, detaillierende Kritik einfrill, deckt er im ersten
Teil seiner Arbeit die mannigfachen Irrtümer und Fälschungen in der
Geschichtsschreibung der Syphilis auf, die bisher lür bare Münze ge-
nommen wurden, Uud führt die Zahlenangaben auf ihren wahren Wert
zun'ick. Die Angäben dts Dfliaido, P/trus Martyr, Bodmann uTid anderer
Kronzeugen für die Existenz der Syphilis in fiuropa vor 14Q3 können
von jetzt an keine Beweiskraft mehr haben und es muß als feststehend
erachtet werden, daß die Seuche in Spanien 14Q3, in Italien HOl zum
ersten Male auftrat.
Dieser Nachn^eis muIJte unbedingt einmal erbracht werden,
um Überhaupt der Frage näherzutreten, wo die Heimat der netten
Krankheit zu suchen ist. Der zweite TeiL des ß/ocA'schcn Buches gibt
darauf die Antwort. Rückwärtsschreitend von dem gut bekundeten Auf-
treten der Syphilis in lt.iitcn führt uns der Verl, zu ihren friihesten Spuren
nach Spanien. Die zeitgenössischen Aufzeichnungen des Arztes Dfax
de Isla, des Schriftstellers Ovtedo, des Geistlichen Las Casas sind die
Dokumente für den Beweis, daß die Syphilis in Zentralamerika schon
vor CoCtinibus heimisch war und daß sie an Bord der columbischen
496
Besprechungen.
Segler Europa erreichlc Die Art ihrer Ausbreitung über den empfäng-
lichen Boden der ganzen alten Welt schließt die Ke'te der Beweise Für
den amerikanischen Ursprung der Lustseuche,
Wer heutzutage diese Ansicht vertrat, tnulite es sich gefallen lassen,
da£ ihm Dilettantismus, Nachbeterei und andere schöne Dinge vor-
getrorfen wurden, und es gehört die feste Überzeugung, einem der
größten Irrtünier in der Geschichte der Medizin auf der Spur zu sein,
dazu, die mühevollen Untersuchungen noch einmal anzustellen. Man
Icann es dem Verf. nicht absprechen, da^D er mit großer Sachkenntnis und
einer unbestedilichen Krilik an seine Aufgabe gegangen ist und daß er
-- vie K zu fordern ist - neben dem Eingehen auf Details immer den
Blick auf das Ganze der Zeit gerichtet hat. Die Methodik seiner Forschung
erscheint etnwandsfrei und seine Behauptungen sind bewiesen. Bei der
Besprechung dieses Buches war es Pfüchtdö Referenten Partei zu ergreifen.
In der zvcEten Abteilung, die demnächst erscheinen wlrd^ sqII das
behandelt werdenj was nicht bestanden hat, die AKertumssyphilis.
Ernst Heinrich.
Ktdne Mitteilungen und Referate.
Kleine Mitteilungen und Referate.
Der „Allgemeine Verein für deufeche IJtenilur" zu Berlin hat als
neueste Publikation „Kulturgeschichtliche Sludien" von Christian
Meyer herausgegeben (304 S.), sich damit aber schverlich ein Verdienst
eiworb«). Zur Aufkllrung über den sehr industriell veranlagten Verfasser
dieser Studien diene folgendes. Sie sind nicht allein, was man ja, zumal
sie den Untertitel „gesammelte Aufsätze" tragen, ohne weiteres als zulässig
erachten muß, bereits einmal in einer Zeilschrift erschienen — was aber
nirgends gesagt ist — , sondern sämtlich l>ereilE wiederholt abgedrucitt,
ja sie sind meist einzeln ausserdem im Buchhandel cischienen. No. 1 :
„Die Parias der alten Gesellschaft", ist zuerst (oder gibt es noch frühere
Abdrücke?) 1S80 in den „Preußischen Jahrbüchern" 48 S. 207 ff, unter
dem Titel; „Die recht- und friedlosen Leule" trschiencn. wörtlicli auch
als käufliches Heft 193 der „&unm]ung gemeinverständlicher Vorträge',
(Hamburg 1S94|. No. 2: „Zur Geschichte des deutschen Adels" ist zuerst,
in wörtlich derseltwn Fassung, in den ,,Preussischen Jahrbüchern" 46
S. Hoff-, 223ff., 1893 sodann tn der damals von Meyer herausgegebenen
„Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte" IH S. 145ff., 241 ff., ein Teil
davon (in den vorliegenden Studien S. 8ö Ef.) wieder als einzeln käufliches
Heft 103 der -Sammlung gemeinverelandlicher Vorträge- (Hamburg ] 800)
erschienen. No. 3: ■Altöslcrrcichische Kulturbildcr- ist wörtlich in
seinen beiden Teilen zuerst in den ,PrcuR. Jahrbuch em" 46 S. 53 ff.,
47 S- 404 Ef. erschicnenj der II. allein wörtlich unter dem Titel «Österreich
und die deutsche Kultur im vorigen Jahrhundert* 1891 in der -Zeit-
schrift für deutsche Kullurgeschichte' l S. 270fl. und als Heft 250 der
■Sammlung gemeinverelandlicher Vortrage- wieder im Buchhandel
(Hamburg 1896). No. 4 (Schluss): -Die I;ntwtck]ung des moilenien
Slädtebüi^erlums- ist als einzeln käufliches Heft 58 der ..Deutschen Zelt-
und Streitfragen" N. F. IV eischienen, außerdem in der «Zeitschrift für
deutsche Kultiu-geschichte" 1898 111 S. 1 ff. Vielleicht kann man auch noch
mehr Abdrücke dieser »Studien« auftreiben. Wenn ich Zeil hätte, würde ich
mich einmal in den Sonntagsbeilagen der -Vossischen Zeitung", der .Nord-
deutschen Allgemeinen Zeilung", der .Täglichen Rundschau*, die der Verl.
alle gem verborgte, umsehen. Das Schlimme ist endlich, dass der Verf. sich
nicht einmal die Mühe genommen hat, die vor zwanzig und mehr Jahren
Archiv Idr KulturgnchicMc. t, 4. 32
498
Kleine Mitt«ilungtM und Referate.
Reschricbcnen Artikel einiRennaßen den Rcrade auf diesen Gebieten sehr
einschneidenden neueren Forschungen anzupassen oder überhaupt davon
Notiz zu ndinien.
Ein verdienstlicher Aufsatz von Hugo XClnekUr: .Die Bedeutung]
der Phönizier für die Kulturen des Mittelmceres", der in der'
Zeitschrift für Sozial Wissenschaft 1903 Heft 6 und 7 erschienen ist, geht
der hergebrachten, .durch die Brille griechischer Überlieferung« sehenden
Beurteilung der Pliönizier zu Lctbe, in denen .man die Vertreter des
Orients sah und deren Bedeutung man nach der des ganzen Orients
beurteilte". Durch eingehende Prüfung ihrer geschichtlichen VcrhäUnisse
und ihrer, der der Araber in Nordafrika vergleichbaren Ausdehnung slreifl
er ihnen viel von dem .Olanz- abr ader sie in der allen Auffassung uii:-
stnhlte'. Und so vermindert sich auch sehr die kulturelle Stellung der
Phönizier, denen der Grieche alles, was der Orient erzeugte, zuschrieb,
weil sie es ihm als KaiiFleute brachten, W. meint, .daß das kleine
Lätidcfaen, dessen ganze Bedeutung in seineu Häfen lag. nichte vesent*
lichcs in selbständiger Entwicklung der Kultur geleistet haben kinn".
Den Metropolen am Euphrat und Nil gegenüt>er waren die Phönizicr-
städle doch nur tcleine Vennitller der KulturschStze, nicht deren ErTCUger.
In der .Deutschen Monatsschrift für das gesamte Leben der
Oegenwart" Jahrgang II, Heft 7 und 8 handelt Fr. Naaek in ansprechender
Weise über „Antike Kunst und Kultur im Lichte der groUen
Ausgrabungen", d. h. zunächst Ober die grossen Resultate der
Schlieinannschen Ausgrabungen, dann eingehend über diejenigen in
Olympia und dessen kuU- und kulturgeschichtliche Bedeutung.
Aus der Nuova Antotogia Fac. 759 sei ein Aufsatz von C Barha-
gaiio notiert: La rovina economica della Grecia antica.
lu Heft 2 des 91. Bandes der ..Historischen Zeilschrih* lißl
Carl Neumanrt seinen auf der Heidelberger Historikervcrsararalung ge-
haltenen Vortrag: .Byzantinische Kultur und Renaissance-
Kultur" abdrucken. Er will .die Grundlagen der byzantinischen
Kultur, soweit das und wie das in außermechanischen Bereichen möglich
ist, analysieren-, ihr Wesen mit der Renaissance, der das starke antikce
Element gleicherweise iiuiewohnt, kontrastieren und dadurch auch besser
in die Renaissance hineinsehen lehren. In Byzani .blieb ein altes
Element, die römische Überlieferung, Herr und vermochte auf die Dauer
sowohl Christentum wie Barbarentum an ihrer frden Entfaltung zu
hindern-. Anders in Itahen. .Die Betrachtung byzantinischer Kultur
und ihrer Unfruchtbarkeit kann uns von dem Wahn befreien, als sei die
Antike das eigentlich zeugende Leben In der großen iulienischen KuUur-
bewegung des ausgehenden Mittelaltcre gewesen. Wir müssen die Akzente
verschieben, die willkürlich von Humanistenhändcn gesetzt und verteilt
worden sind. Wir werden daran festhalten müssen, üaB die mitteUlter-
Ijche christliche Erziehung und das sogenannic Barbarentum die Lebens-
kräfte der hetkömmlich so bezeichneten Renaissance Ktwcseti sind, und
d»ß die Wiedererweckung der Aniilce ein förderndes und segensreiches
Element nur so lange ge^i-esen ist. als sich die Antike in der Rolle des
Bcglcitens, in der pädagogischen Rolle zufrieden gegeben hat." Bei dem
neuen geistigen Menschen kam es nicht .aul das ürwecken der Antike"
an. sondern «auf ein Reifwerden niittelalteri icher Kultur*.
tn der von imserm Herausgeber früher redigirten Zeitschrift für Kultur-
gesdiichtc Bd. II S. 241 ff. gab H. Simonsfrld überaus intcressajtte Mit-
teilungen aus »einem venelianischen Reisebericht aber SüddeutschEand, die
Ostechweiz und Oberitalien aus dem Jahre H92", der als spätere Abschrift
in einer Handschrift der Markusbibliothek überliefert ist. Jetzt ver-
öffentlicht S. diese Abschrift im italienischen Originaltext unter Heran-
ziehung und Vergleichung einer später gefundenen andern Handschrift
(der Trivulztana) in den Miscellanea della R. Deputazionc Veneta di Storia
Patria Ser. 11 Vol. IX (llinerario di Germania dell'anno 1492, auch
gesondert erschienen). Wir machen auf die bei dem Mangel an ähnlich
detaillierten Quellen über das damalige Deutschland höchst wichtige
Publikation, die uns ja durch jenen früheren Auszug schon näher gebracht
ist, nachdrückiidi aufmerksam.
!n den .Forschungen zur brandenb. u. preuß. Oeachichtt" 16, 1
behandelt P. van Niessen „Städtisches und territoriales Wirt-
schaftsleben im märkischen Odergebiet bis zum Ende des
M. Jahrh.".
Den Überragenden Einflull der französischen Wissenschaft im M.-A.
zcijft der Aufsatz von H. Schuck, Svenska Pariserstudier itnder
medeltiden (Kyrkohistorisk Ärsskrift IM kg.)- Der Beginn der Abhand-
lung findet sich schon im Jahrg. 1 der Zeitschrift.
\m Verlage von C. A. Schwetschke und Sohn in Berlin wird Atm-
x\itcy\^Walter Friedensburg nn „Archiv für Reformationsgeschichtc"
herausgeben, das der Verein für Reformalionsgcschichte unlerslOtzen
wird. Die sich bei der heutigen übermäßigen literarischen Produktion
und insbesondere bei dem Reichtum von Zeilschiiften ergebenden Be
denken gegen eine neue SpezialZeitschrift werden mit dem Hinweis auf
die Wichtigkeil gerade der zu behandelnden Epoche und die Reichhaltig-
keit des für sie noch nicht erschlossenen QucIIenmalerials zerstreut, für
dessen Veröffentlichung das Archiv eine Sammelstelle bilden soU,
Für die satirische Stimmung bei Beginn des 16. Jahrhunderts und
die damalige überaus derbe, volkstümliche Art ist eine Auswahl rech
bezeichnend, A\k Josef K'ieppv aus einer Sammlung des Adelphus MuHng
in den .Studien zur vergleichenden Literalurgescliichte" 111,2 unter dem
Titel: »Sprüche und Anekdoten aus dem elsässischen Humanis-
32'
1
f^
J
soo
Kleine. Milteitungen und Retcrale.
mus* gibt. InsiMsondcrc wird das Bild von dem derben Rcfornieif«r
Geilers von Kii&erberg durch dieselbe tn vieler Beziebung ergänzt.
Wonjanssens deutscher Geschichte (Freiburg i. B., Herder) liegt
nunmehr auch der 6. tiand, der bekanntlich die Fortsetzung der Schilderung^
der „KulturTustande seit dem Ausgang des Mittelalters bis zum Beginn des j
drei Higj ährigen Krieges" enthält und sich mit dem Wirtschaft] ichen, dem
gesellschaftlich eil und dem religiös-sittlichen Leben beschäftigt, in einer]
jieneri, der n. und 14. Auflage vor, die wieder/.. A/ä/ormit großem Fleiß'
besorgt hat. Wir verweisen auf die früher in der Zeilschrift für Kultur-
geschichte gegebene Besprechung dieses reiches Material enthaltenden
Bandes: unsere Ausstellungen stnd wenigstens bezüglich gewisser AuBer-
lichkeiten behoben. Indessen bleibt auch hier das Register 7. T- auf
dem allen fehlerhaflen Standpunkt. Der Reiseschriftsleller Samuel Kiechel'
wird jetzt im Text richtig geniinnt, im Register immer noch Sam. Kircher;
Quade von Kinkelbach und Lauterbeck heiltt es jetzt richtig im Text, im
Register immer noch Quaden und Lauterbecken. Das Register Ist in-
scheinend überhaupt nicht neu bearbeitet: die dort angefCihrten neueren
Schriflsteiler z. B. sind nur mit den schon in der fdiheren Auflage von
ihnen zitierten Stellen aufgeführt, so ist der Hcrdusgcber dieser Zeitschrift,
der in der neuen Auflage, was ihm ja nur erwünscht sein kann, sehr häufig
zitierl ist, im Register nur mit den drei Zitaten der FrtJheren Auflage
vertreten. Übrigens Kälten wir es für richtiger gehalten, wenn die Zu-
sätze der neuen Aufhge sich nicht, wie meist, auf Einfügung von Zitaten
in die Anmerkiinfjcn beschränkt, sondern häufiger eine Verarbeitung des
Textes selbst herbeigeführt hätten. Am meisten hatte sich der Heraus-
geber im Kapitel über das Hexenwesen mit neuen Erscheinungen abzu-
finden, insbesondere mit dem Buch von Hansen, dessen nach unserem
Urleil richtige Onindanschauung natnrgcmäli nicht anerkannt wird.
Daß CS andererseits ganz unzulässig ist, dem Protestantismus gar keine
oder eine geringere Schuld beizumessen, gestehen aber auch wir, ebenso
wie wohl fiaiisen, ruhig z.U.
Von den »Veröffentlichungen der Historischen Landes-
Kommission für Steiermark» (Graz, Selbstverlag der Historisd«
l.andes- Kommission) liegen wieder eine Reihe von Archivberichten vor,
so als No. XIV: Styriaca und Verwandtes im Landespräsidial-Archiv und
in der k. k. Studien-Bibliothek zu Salzburg von V. v. Kroncs (über andere
Salzbui^cr Archive Hegen schon ältere Reiseberichte von v Zahn voi^, als
No. XVI: Milleilunicen aus dem k. k, Statthaltcrci-Archive zu Graz
von Anton Kapper, die aber nur als Anfang anzusehen sind und
mit der CJruppe Acta Misccllanea beginnen. Na. XV btelel eine
gründliche, uns hier aber r-ichl n.iher inlei-essterende Abhandlung von
Felix Zub: Beiträge zur Uenealogie und Qesdiidite der steirischen
Liechtenstelne.
Zwr Ocsthichl« der geisligen Bewegungen imd Slr&mungcn beiru-
tragen, ist ein besondere eifrig gepH^es Ziel der von Ludwig Keller
herausgegebenen „Monatshefle der Comenius-OeseHschaft*.
Wir notieren in dieser Beziehung neuerdings aus Bd. XI Heft 11(12 einen
Aufsatz von Emil Breaning fiber Tlicodor Goltüeb v. Hippel, dessen
geistige und kulturelle Bedeutung wenigstens in einigen Hauptpunkten
charakterisier! wird, und Kfii<f^ Abhandlung: Die i^altgeseUschaftm <Ur
deutschen Meistosingtr und die verwandten Sozietäten. Letiterer geht
von dem Qedanken aus, daQ die der römischen Wellkirche ablehnend
gegenüberstehenden Elemente schon früh die horm genossenschaftlicher
Vereinigung gewählt hätten, um im Rahmen einer ertaubten weltlichen
Tätigkeit ihre verbotenen Kulthandlungen zu bewahren. Wie nach seiner
Meinung im Mittelaller insbesondere die Oilden und Zünfte als Rückzugs-
linie dafür gedient haben, so soll nun auch bei den Meistere] ngeiii unter
dem Mantel der Pflege der Kunst ein religiöses QemcinschaftsJeben be-
standen haben, das in geheimnisvoller Form ein fest« System religiöser
Über^cugting entwickelte und bewahrte. Noch weiler zurück auf diesem
Wege führt Keiien, Abhandlung in Bd- Xll, Heft 3i4: „Die Anfänge der
Renaissance und die Kultgesellschaßen des Humanismus Im 13, und
14. Jahrhundert", die einen engen Zusammenhang zwischen den in Italien
seit dem 13. und 14. Jahrhundert politisch wie gesellschaftlich immer
wichiigeien Gilden und H-indwcrkenränften, in denen uralte Traditionen
des Orients lebten und neue Beziehungen durch den Handel gepflegt
wurden, in denen weilcr die von der Kirche bekämpften, aus Mitgliedern
alter Stände sich rcknitierendeTi Brüderschaften geheimen Charakters ihre
Rücknigslinie gefunden haben soElen, mit den nKuHgescIlschaften* der
Akademien konstruiert. Im w^enllichen handelt er dabei von den Floren-
tiner Sozietäten des 13. und 14. Jahrhunderts. Auf dem Boden dieser Be-
wegungen läßt er nun auch Dante und Petrarca erwachsen sein, wodurch
diese Dinge erst größere Bedeutung für die geistige Entwicklung des Abend-
landes nach seiner Meinung erhalten. Und die groflen Künstler, die das
Erbe Dantes und Petrarcas fortpflanzten, entstammten dem Boden des
Handwerks und fanden in den Akademien nicht nur ihre gesellige, sondern
auch ihre geistige Heimat. - Mit den von Keller immer wieder in den
Vordergrund gestellten geistigen Genossenschaften hangt ferner ein jetzt
aufs neue in Heft 5/7 des Xtl. Bandes vcröflratlichler Aufsalz (Gottfried
Wilhelm Leibniz und die deutschen Sozietäten des 17. Jahrhunderts} zu-
sammen, der im übrigen auch der Bedeutung Leibnizens in mehrfacher
Beziehung genechl ?.u werden suchl. In Heft lj2 des XII. Bandes betont
Keiler auch die noch immer nicht gelösten Probleme, die hinter der
Vehmc stecken, skizziert den Gang der bisherigen Forschung und weist
auf den Zusammenhang der Gerichte mit der Ketzerverfolgung hin („Ober
den Gfkeimbitnd der Vehme und der Vehmgenossen"). In demselben
Heft lindel sich noch ein qucllenmäniger Aufsatz von O. Schuster über
j>^
den 1406 geboren«!! eigenartigen Schvänner „Markgraf Johann von
Brandenburg und seine Beziehungen zur Alctiemie und zum Humints*
mu5". Über die erstercn ist wenifTstens noch etwas tatsÄchliches zu eniteren,
über die letzteren, deren Bedeutung äberhaupt nicht überschätzt werden
darf, gxmichcs sicheres. Eine Rolle wird der auf die Plaesenburg
hrrufene Ariginus gespielt haben.
Zur Ceschichtc des geistigen Lebens tiigt weiter ein Aufsatz von
H. Scknbert, Gelehrte Bildung in Schweidnitz im 15. und
16. Jahrhundert" bei (Zcilschr. des Vereins f. Oesch. und Altertum
Schlesiens Bd. 27).
Im Auftrage der CcsellschaN für Thcatei^eschichte beabsichtigt
Hans Devrient in Weimar ein „Archiv für Thcalcrgeschichte"
herauszugeben. In der Tal Ist auf diesem Oebiet noch viel zu tun, und
eine Zentratslelle für die notwendige Sammelarbelt wird sich bald ein-
bürgern. Der Herausgeber 1^ auch Wert darauf, das Interesse der
Historiker für srin Gebiet zu enrecken. Insbesondere möchten auch die
Archivare den Theaterakten größere Aufmerksamkeit schenken. Rat&-
Protokolle und dergl. sind oft dafür vertvoll. Natürlich soll ,^lles fem
bleiben, vas nicht mit d«T Geschichte de Theaters, sondern: mit der
Geschichte des Dramas zu tun hat".
Im Globus Bd. 84, Heft 1 behandelt R. MieUie „Die Ausbreitung
des sächsischen Bauernhauses in der Mark Brandenburg."
Beachtenswerte allgemeine Bemerkungen über Bauemkullur und
Bauemkunst enthalten die Ausführungen O. Ltuiffen Über „Die
Bauernstuben des Germanischen Museums" (Anzeiger des
germanischen National mtiscu ms 1903, Heftl), denen zunächst einleitende
Bemerkungen über die Entwicklung der bisherigen IJauemhausfofKliung
!^o»■ie Über das deutsche Bauernhaus und seine Einrichtung voraus-
geschickt werden.
Das wachsende Inlerese für die Geschichte aller Ixbensgebietc zeigt
die Existenz einer eigenen Zeitschrift für die Geschichte der Landwirt-
schaft, der „Landwirtschaftlich-historischen Bl älter", die
M. QünU jetsl im 2. Jahrgang hcrau^ibt Aus den uns vorliegenden
Nummern heben vir die Aufsatrreihe des Herausgebers: „Der landwirt-
schaftliche Betrieb in Deutschland im 17. Jahrhundert" hervor.
In dem „Korrespondcnzblalt des Ocsamtvcreins der deutschen Ge-
schieh tsvcreine" wende! sich td. Anthes in einem Aufsatz „Zum Kapitel vod
den römischen Heizungen" gegen das 1901 erschienene Buch des
Technikers O. Krell, AltrOmlsche Heizungen, und sucht nachzuweisen,
ilaD dieser zu seiner Arbeit nicht genügend gerüstet war und es ihm
,.iu keinem Punkt gelungen ist. die iiberiieferte, gleicherweise auf die
Kldne Mitteilungen und Referate. 503
Berichte der antiken Schriftsteller wie auf die Fundberichte geendete
Ansicht von dem Wesen der Hypokausis zu erscbüttem, geschwdge
denn durch die sdnige zu beseitieen".
Aus dem Qiomale degli Economisti (Qennaio 1903) notieren vir
den Beitrag von R. Soidi: L'industria della lana in Firenze dal
secolo XIV al secolo XVI.
Der um die Geschichte der Handelsschulen eifrig bemühte B. Zi^tr
veröffentlicht neuerdings dnen Aubatz Ober ,^as Muster-Kontor als
Unterrichtsprinzip im 18. Jahrhundert" (Verbandsblätter. Kaufmännische
Reform 19. Jahrg., No. 16, 17). Er ei;ganzt den früher in der „Zeitschrift
für Buchhaltung" XI, No. 5 erschienenen Aufeatz dessdben Verfassers:
„Das Muster-Kontor am Ende des 18. Jahrhunderts."
Q. Henning behandelt in den „Deutschoi geogiapfa. Blättern" "26, 1
„den Handel an der Ouineaküste im 17. Jahrhundert".
9M
Bibliographisches.
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54T3 DnitKhe Bnch- ttnd Knnstdnickerd, O. m. b. H., Zossen-Beriln SW.U.
Soebfo xnä In (Im- H«r4*r*«h«ii V«rtBg«h>ndli)ns tu PrallHirf I Br.
tclitrnrn und dutch >1Jc KiidilMnilliii^iKti ru bc^irlira.
Dr. CraH Michael *=;, J. :
Geschichte des deutschen Volkes "^'" •'^"*"»"-
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Frfilitr tlnd tnditcnrri;
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Uch* KÜtäarie nikread dnt dri-Iai^lint*D Jalirhnn4i>H*. Utitt«, imi-
verändertt Auflauf. '^"^ "■ *8i M. i. ; gtb. M. t.tO.
Zvrltrr nand IUIlKiA*>iilttürh» KaiUado, KrKlohUBf uut riit«nifhl
irUrnd 4«a <lr)>l(rhat«n Jahrkiuiilcrtii. &r>lr bt* drille Autlact.
(XXXll u. 410) M. e. ; ei*. M. 6.-
Dm Vcrk M>1J in 6 Itii T lUndrn tmi )c 300 hi* SOO SHIen itn Furtnat und
mit 4tt AüHUltune von }nn^mu (IcvlncHlf dr* d'^iivhcn Vollm fTtrhcmpn.
Johftnnes Janssen:
Geschichte des deutschen Volkes 5SÄ*"'^.'?1?
^ Aditci HtrtiJ: TvIhtnIrlKrkanilrhv, Ki-trllKrhsfllkb* ■■■t rrllglün^dllllflif
^^ Xnallnde. llcxtBi>tii«a and Mfx<«T*rroltiiK bl* (■>■> HmIiib Jpi
PnJtaUibrlflun Krl*f:>f. Elnflmtl und li«rtii«i!rG*tK-n rom Ludwig Pulor.
Drclichiit« uad vict cthnlc. vIcITtch vritin^crlc und rci-
mrhr^c Audd^t il.VI n. 77B) M 'SM; geb. in Lfinwtnd M. 10. ,
m HatlrfrsiK M. lO.oO.
Von dnn linvurineriidrti nnchirhltwrrli li^Kcn bi* (flil S cinfcln Utin)c^<c
Binde vot.
BrlSuterunj^en und Ergänzungen zu Janssens Ge-
schichte des deutschen Volkes. ',1;^';;='"^;^^"" '"*'*"
111 nind. S Heft: Karnaloi In dro fnUahnD lOM-IMT. Von Dt.
Hainrlch Schrobe. (XXtl d. 131) M. JjA
Miertnit iit der III. Band voltsttndic fUV a. »34) M. 9JB0: tck In Orlg.-
Lcin«indbiiid II. }&
fMUii tldt und |Ml*r Rand drr .Crlliitnnnceii' itt rinirin Uvilidi
Die Verschuldung; des Hochstifts Konstanz
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