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Archiv
für
Kultur-Geschichte.
= e= s= Herausgegeben von == = ==
Dr. Georg Steinhausen
=a es Stadtbtbliothekar und Vorsteher ^ es
der Murhardschen Bibliothek der Stadt Cassel.
Zweiter Band.
Berlin • Alexander Duncker Verlag ■ 1904.
Inhalt:
Aufsätze: Seite
Die Beizjagd in Altpreußen I. 11. Von Paul Dahms .... 1, 196
Kinderbriefe einer pommerschen Prinzessin des 16. Jahrhunderts.
Mitteilt von Otto Heinemann 20
Des italienischen Priesters Vincenzo Laurefici Reise durch Deutsch-
land, die Niederlande und England (1613) 11. Mitgeteilt von
Walter Friedensburg 26
Ein deutscher Jesuit (Jakob Bälde) als medizinischer Satiriker. Von
/ Krtepper 38
Konfessionelle und Verwaltungsstreitigkeiten im Bergischen, 176S und
1777. Von Gustav Sommerfeldi 60
Zur Charakteristik der Menschen des 18. Jahrhunderts. Von Ludw.
Gti^r 71
Auslieferung von Deserteuren im 1 8. Jahrhundert. Von C. Oebauer 78
Geldgeschäfte hansischer Kaufleute mit englischen Königen im 1 3. u.
14. Jahrhundert I. II. Von Georg Orosck 121, 26S
Straßburger Frauenbriefe des Ib. Jahrhunderts. Mitgeteilt von Otto
Witidcelmann 172
Die Taufe des Herzogs Philipp Julius von Pommem-Wolgast (1S85).
Von Otto Heinemann 224
Schöne Spielewerk, schöne Rarität ! Von Arthur Kopp ■ . . ... 296
Zur Qeschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern I. II.
Von Ferdinand Lorenz 318, 411
Die Geschichte der Naturwissenschaften und ihre erzieherischen
Bildungswerte. Von Fram Strunz 3S3
Dreizehn Briefe von Jung-Stilling. Mitgeteilt von Rudolf Homburg 364
Armen- und Bettelordnungen. Von Arthur Rickel 393
Die Porträtsammlung Herzog Philipps II. von Pommern. Von Otto
Heinemann 404
Requisitionswesen und Fouragierungen in der Schwarzburgischen
Unterherrschaft 1761. Von Gustav Sommerfeldi 490
Besprechungen:
Bücher, Arbeit und Rhythmus, 3, Aufl. (Achelis) 84
Jahns, Geschichtliche Aufsätze (Liebe) 87
Fastlinger, Die wirtschaftliche Bedeutung der bayrischen Klöster
in der Zeit der Agilulfinger {Steinhausen) 88
Liebe, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit (Steinhausen) 89
i^3iö:
Schmidt, Die katholische Restauration in Königstdn und Rieneck
(Liebe) 92
Schrohe, Kumiainz in den Pestjahren 1666—1667 (Hölscher) ... 92
Schwemer, Restauration und Revolution (Liebe) 95
Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrh. (Steinhausen) 95
Quellenschriften für Kuns^eschichte und Kunsttechnik. N. F. IX
u. X. (Hampe) 98
Schmerber, Beiträge zur Geschichte der Dintzenhofer (Hampe) . . 101
Monographien des Kuns^ewert>es 1 — 3. (Lauffer) 102
Schultz, Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker (Lauffer) 237
Kaindl, Die Volkskunde (Lauffer) 244
Reuschel, Volkskundliche Streifzüge (Lauffer) 246
Tobler, Das Volkslied im Appenzeller Lande (Lauffer) 247
Das deutsche Volkstum. Kerausg^eben von H. Meyer. 2. Aufl.
(Steinhausen) 248
Drechsler, Sitte, Brauch und Volksglaube in Schlesien I (Steinhausen) 250
Steuf von der Match, Völter-Ideale (Liebe) 251
Hellmann, Die Heiraten der Karolinger (Liebe) 252
Knepper, Jacob Wimpfeling (Liebe) 252
Siebert, Das Tanzwunder zu Kölbigk (Liebe) 253
PfQlf, Hermann von Mallinckrodt (Liebe) 254
Tiele, Orundzäge der Religionswissenschaft (v. DobschOtz) ... 380
Frhr. v. Hertling, Augustinus (v. DobsdiÜtz) 381
Heyne, Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer IIl (Lauffer) . . . 382
V. Amira, Die Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspi^els 11
(Lauffer) 385
Zeitschrift für historische Waffenkunde II (Liebe) 388
Cumont, Die Mysterien der Mithra (v. Dobschütz) 497
Dieterich, Eine Mithrasliturgie (v. Dotjschütz) 497
Orass, Geheime heilige Schrift der Skopzen (v. Dobschütz) ... 502
Platen, Der Ursprung der Rolande (Liebe) 503
Meyer, Studien zur Vorgeschichte der Reformation (Hölscher) . . 50S
Reichenberger, Wol^ng von Salm (Liebe) 507
Weiss-Uebersdorf, Das Jubeljahr 1500 in der Augsburger Kunst
(Hampe) 507
Brief von Prof. Karl Lamprecht an den Herausgeber, betr. die Be-
sprechung seines Werkes im Archiv 1, 361 ff. 107
Kleine Mitteilungen und Referate 112,255,390
Bibliographisches 118, 262, 509
I
\
Unter Falkenbeize verstebi man eine Jagd, bei der man
Feder- oder Weines Haarwild von abgerichlelen Raubvögeln
fangen (Aizen = beißen) läßt Sie hat ihre Heimat in den asiatischen
Steppengebieten, wo die Reitervölker vorzügliche Rosse und
Hunde, aber noch kein Feuergevrehr besaßen. Hier wurde die
neue Jagd ersonnen und zu einer gewissen Vollendung gebracht.
Die ersten Angaben, die sie betreffen, sind spärlich und
¥;enig genau. Was uns von dem Bestehen der Beize in China
und Japan in prähistorischer Zeit, in Ass>'rien, einigen Teilen
Griechenlands und Ägypten berichtet wird, ist nicht mit Sicher-
hat erwiesen. Nach Aristoteles wurde in Thrazien mit Sperbern
gejagt, und zwar wurden Rebhühner und Hasen mit ihnen ge-
schreckt und so leichter gefangen. Eine Reihe weiterer Angabe«
SpSterer Schriftsteller wiederholt diese Notiz mehr oder weniger
genau. Jedenfalls hat diese Jagd mit dem Sperber nichts mit
der eigentlichen Bciijagd zu tun; sie hat freiücli eine entfernte
Ahnlichkeil mü einer anderen Jagdarl, die später Jahrhunderte
hindurch in Europa üblich war. In die Nähe von Rebhühnern
und Lerchen brachte man meist einen Lcrchenfalken (Falco
saMuieo Lj, ließ diesen durch eine Drehung des Armes, auf
dem er saß, das Gleichgewicht verlieren und zwang ihn so,
kräftig mit den Flügeln zu schlagen, um seinen alten Sitz wieder
einzunehmen. Durch das Flügeln wurden die kleinen Vögel
eingeschüchtert, drückten sich fest an den Erdboden und konnten
so leicht mit Netzen gefangen werden.
AKhir fttr KnlHireetelilelito. tl. 1
r
Paul Dahn».
D<ii ersteil sicheren Bericht, daß die Besze bereits bei den
Römern bestand und zur Verw'endiing kam, gibt uns Julius
Materniis Firmicus um das Jahr 345 n. Chr. Es läßt sich freilich
nicht behaupten, daß sie damals bereits, vorder Völkerwanderung,
auch im mittleren und nördlidien Europa gepflegt wurde, doch
liegt die Vermutung sehr nahe, daß sie in Deutschland und in
Oa11i«n durch die von Osten her eindringenden Völker und zwar
früher als im Norden bekannt wurde. Dieses ist um so wahr-
scheinlicher, als Julius Caesar und Tacitus nichts von diesem
Jagdbetriebc wissen, während er schon kaum lOO Jahre nach der
Völkerwanderung in Mitteleuropa nachgewiesen werden kann.'}
Wahrscheinlich ist die Beize auf demselben Wege her-
gekommen, auf dem ein großer Teil der heutigen europäischen
Bevölkerung aus dem Osten vorrückte, um sich in den Wäldern
zwischen den Alpen und den nordischen Meeren ein neues
Heim zu gründen. Die neuen Wohnsitze waren freilich weniger
zur Ausübung dieser Jagd geeignet, als die Steppen der alten
Heimal. Hier war es nötig, vor allen Dingen Wisent, Elch und
Bär zu jagen, und auch die Beschaffung der notwendigen Beiz-
vögel bot hier mehr Schwierigkeilen als im Osten. Dieses mag
die Ursache dafQr sein, daß die Ausbreitung der Beize in
Deutschland nur langsam vor sich ging. Erst als die Axt die
weiten Wälder mehr und mehr lichtete^ und als Handelsbe-
ziehungen mit dem Norden leicht gute Jagdvögel beschaffen
Hcßcn, gewann sie mehr und mehr an QebieL Bei den Bur-
gundern und salischen Franken bestand die Beize bereits um
■480, später erst läßt sie sich bei den andern germanischen Völker-
schaften nachweisen. Bei allen diesen war sie hoch angesehen,
und in den Gesetzbüchern werden deshalb ausnahmslos hohe
Strafen auf Verletzung oder Entwendung der Beizvögel gesetzt.
Welch hohen Wert um diese Zeit ein guter Jagdfalke hatte,
geht unter anderem aus dem Preistarife des Ripuarischen Rechtes
hervor.*) Die wertvollsten der aufgezählten Gegenstände waren
1) Di>inbni««ld , Em« v. : Die Bellt. Allgcmduf Eriyklopidie ilcr gnimlnt
fonl' und JaedviswnKliafIcn, heiiuH][. von Raovl Üittct von Dombtowikl. Wien und
Ldpiljt. Morlu Pcrin *S84. Bd. i. S. im. ;ts.
•) Lamprcchl, Kirl; Wirt»ch«It und Recht der Frwlten nir Zeit der VölhcrrKhte.
RaHmen liiitor. Taichenbudi, i. Folge, 1- Jihrg., IH). S, 61-67.
Die Beizjagd in Atlpreußen.
die aus römischen Gebielen eingeführten, wie Schwert, Helm,
Beinschienen und Brünne, während die im Lande gefertigten
Waffen, Speer und Schild, weniger hoch geschätzt wurden.
Wilirend ein Schwert mit Oörtei 280 und eine Brünne sogar
480 Denare kostete, wird für einen gezähmten Falken ebenfalls
der Preis von 480 - für einen Unfreien dagegen nur der von
252 Denaren aufgeführt.
Bis zur Zeit der Kreuzzüge scheint an vielen Orten in
Deutschland die alte Art des Vogelfanges immer noch den Vor-
rang gehabt zu haben, welche auch später verwendet wurde.
Mit Hilfe von Netzen wußte man nach verschiedenen Methoden
zu fangen: Kranich, Schwan, Gans, Star, Ente, Taube, Rebhuhn.
Schnepfen und verschiedene andere große und kleine Vögel.')
Als Deutschland jedoch mit dem Orient in Verkehr trat
und man die Beizjagd mit eigenen Augen kennen lernte, vmrde
WC mehr und mehr allgemein angenommen. Die übrigen Arten
des Vogelfanges, mit Netzen, Schlingen und am Herde, traten
dagegen als weniger standesgemäß immer mehr in den Hinter-
grund. Einen weiteren und bedeutenden Aufschwung gewann
die neue J^dart durch das rege Interesse, das Kaiser Friedrich II.
ihr zuwendete. Unter dem Titel : „De arte venandi cum avibus"
^pSIer gedrucki: com Manptdt irgis additionibus. Augus/ae
Vindeiicoram. i396) hat er sogar ein größeres Werk hinterlassen,
welches auch heule noch vielfach als Quelle benutzt wird. Leider
ist nicht ersichtlich, wieweit der Kaiser deutsche Verhältnisse
schildert, ob er nicht vielleicht mitteilt, was ihn sarazenische
Falkner lehrten und was besonders an seinem Hofe eingeführt
'wurde. Wir erfahren nur, wie die Beize am kaiserlichen Hole
gehandhabt wurde, dürfen aber nicht glauben, daß sie in der-
, selben Weise schon in Deutschland überhaupt zur Anwendung
tarn. Des Kaisers Vorliebe erhob jedenfalls die Beize zur Kunst,
verlieh ihr eine hohe Bedeutung und für Deutschland auf lange
Zeil das Obergewicht Über die von Frankreich her eingeführte
Parforcejagd.
■) Htt1«t, jlohuin xn-d Peyrribmdl, Sgniondl: Andenr Hidl d« aijclkhen Vcyd-
vnfe. nenlich Kilkwcrfj". Hfy«s*n und ffderjpiel etc. Franckfurt «m Miyn. /&ti»nn und
Slznondt reynrnbcndi. i»z, ä. tofl
Paul Dahtns.
Während seiner Regierungszeit zog im Jahre 1226 eine
Schar deutscher Ordensritier nach Preußen, um in bhitigei und
heißen Kämpfen (1226 — 1283) dieses Land zu unterwerfen.
Dieses war von der alten germanischen Bevölkerung seil dem
Ende des IV. Jahrhunderts immer mehr verlassen worden, und
die neuen slavischen Einwanderer, die jetzt ansässig waren, hatten
lange Zeit gebraucht, um die letzten Reste des alten Handels-
verkehrs, welcher bis nach Byzanz und Persien reichte, wieder
aufzugreifen, zu erneuern und zu versüirken. Wiesen die alten
Traditionen auf den Orient hin, so mußte die arabische Kultur,
die in jener Zeit die ganze gebildete Welt beherrschte, auch auf
die neue Bevölkerung einwirken, sobald sie sich in die Verhält-
nisse und Bedingungen der neuen Heimat nur erst hineinge-
funden hatte. Über die Waren, welche während der sog. Arabisch-
Nordischen Epoche ausgeführt wurden, sind wir mit Sicherheit
unterrichtet; neben den Ertragen von Viehzucht und Jagd, Beut-
nerci und Waldwirtschaft werden auch Sklaven und Jagdfalken
aufgezählt') Die Beizvögel wurden sicherlich am Gestade der
Ostsee gefangen und von den jagdliebendert Orientalen gern
erhandelt, vielleicht sogar bei ihrer Heimreise teilweise hier und
dort verkauft.
Während die Bewohner des bewaldeten Preußen lan des kaum
die Beize betreiben konnten, war die letztere im benachbarten
Polen bereits zu hoher Blüte gelangt. Schon im Jahre 1235
sah sich Papsl Gregor IX. gezwungen, an den Erzbischof von
Gnesen, den Bischof von Krakau und den Abt von Andrejow
den Befehl ergehen zu lassen: sie sollten die polnischen Fürsten
ermahnen, ihre Untertanen nicht mit dem Hüten von Falken
und Bibern zu belastigen und nicht mit hohen Geldstrafen bis
zu 70 Mark zu belegen, wenn die Tiere entwichen. Denn die
untergebenen Polen versuchten dann, sich dieser Strafe zu ent-
ziehen, und entflöhen zu den heidnischen Preußen und Russen.*)
Der Orden, welcher sich bereits seit längerer Zeit der
Bcizvögcl bedient hatte, um sie als Geschenke an Fürsten und
») LiiMuer, A.: Die prÜitftorlKlien Doikmller d« Provfrn Weitpiroßen u\w.
Lctpdjt, laar, S. t», im.
AltpTMiI). MonilHdirltl. Bind 11 ; ilw ITüv.-Dl. 17. BwmJ. S. 104,
Die Bcizjagil in Altpreußeii.
Könige zu senden und so Gönner und Beschützer zu gewinnen,
Iiatle während seiner ersten Zeit in Preußen anderes zu tun als
an Werke des Friedens zu denken. Diese GleicIigüUiglceit gegen
die Beizjagd wurde noch dadurch verstärkt, daß das Leben der
Ordensbrüder nur still und einfach dahinging. Kamprübungen
und Ritlerepiele mochten von Zelt zu Zeit das gleichmäßige
Einerlei unterbrechen, dagegen war weltliche Lust streng unter-
sagt und deshalb auch die Feier von Turnieren und anderen
Riticrfcsten und Ritttrspielen, wie man sie im Mittelalter in an-
deren Ländern sehen konnte. Als aber Siegfried von Feucht-
wangen im September 1309 das neu ausgebaute Ordensschtoß
bezog, welches sich bereits durch äußeren Schmuck, durch Qlanz
und Pracht eines obersten Meisters des Spitals zu Jerusalem
würdig zeigte, wurde das bisher stille und einfache Leben des
Konvents ein anderes. Die Zahl der Brüder wurde bis auf das
Drei- und Vierfache verstärkt Täglich kamen Fremdlinge,
Ordensbrüder, Botschafter und Qäste aus den verschiedensten
Ländern und Fürstenhöfen dorthin zusammen, und ihre Ge-
spräche und Schilderungen blieben nicht ohne Wirkung auf
Herz, Bildung und Lebensanschauung ihrer Wirte. Preußen
selbst hörte mit der Erhebung der Marienburg zum Wohnsitze
des Ordenshauptes auf, Provinz zu sein, und nahm in der Ge-
meinschaft der Slaalen Torlan eine ganz neue Stellung ein. Es
wurde selbst ein Reich von großem und reichem Besitz, das mit
fast allen Staaten Europas Berührungen veranlaßte, vden FCirsten
und Königen naher und femer Reiche ein wichtiger Gegenstand
der politischen Beachtung." ')
Als der Hochmeister Konrad von Juiigingen einer Zeit voll
Unruhe und Kampf entgegensah, strebte er eifrig danach, die
Gunst der deutschen Fürsten und der Könige naher Länder zu
gewinnen, um sich so neuer Hilfe gegen Polen und Litauen zu
versichem. Früher schon halte der Orden, als er seinen Sitz
noch nicht in Preußen hatte, ein erfolgreiches Mittel zur Er-
werbung dieser Gunst darin besessen, daß er abgerichtete Falken
ausgesandt und damit der Lieb« der Fürsten zu Vögeljagd und
<} Volel. Johann«: Oeidilchtt Muicnlniisi, dn Stadt nnd da HtknpUunaa da
4aibch«n RiH»-Ordaii In PmiRm Kdnlicibrrf IB34 Ot-btüder Romlrifrr. ä. 6I, 106,
m, IM.
6 Paul Dalima.
r
Federspiel geschmeichelt halte. Mit solchem großen Eifer, so
vielem Aufwände und so glücklichem Erfolge wurde das Ab-
richten von Falker zum JagdvergnOgen nur im Ordenslande be-
trieben! Die Beizvögcl, welche von hier stammten, waren da-
mals in ganz Europa vonugsweise hochgeschätzt, wie man aus
den Danksdireiben der Fürsten eiseheii kann, die mit solchen
Geschenken beehrt wurden. Die Sendungen gingen bis nach
England, Frankreich, Italien, Ungarn, Österreich usw. Die
Quellen, welche über preußischen Falkenfang und preußische
Falkenzucht bekannt sind, reichen von den letzten Jahren des
1 4. Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des I 7. Jahrhunderts.
Auf Grund eines umfassenden Beweismaterials darf be-
hauptet werden, daß im frühen Mittelalter in Deutschland und
Frankreich zur Beizjagd nur der Habicht und der von ihm da-
mals noch nicht unterschiedene Wanderfalke sowie der Sperber
verwendet wurden. Erst nach den Kreuzzugen fanden auch die
größeren Falkenarten Verwendung. Doch auch als durch die
Kreuzzüge orientalische Beizvögel in Menge eingeführt und später
der nordische und norwegische Jagdfalke bekannt geworden waren,
wurden in der Heimat Habicht und Sperber am häufigsten —
gelegentlich wohl; auch der Zwergfalke, Falco afsahn L.^) abge-
tragen, besonders da die von auswärts bezogenen Arien nur
unter großen üeldopfem zu erwerben waren. Vielfach wahrten
sich die Fürsten in jener Zeit auch das Recht, im ganzen Lande
die Horste für sich ausnehmen zu lassen, ohne auf die Besitz-
Verhältnisse Rücksicht zu nehmen.') Als deshalb der Hochmeister
Paul von Ruftdorf im Jahre 1423 der Gattin des Großfürsten
Witold eine Lage Rheinfall und ein Fäßchen Rheinwein verehrt,
weiß sie das Geschenk nicht besser als mit ucyncm Kywer und
einen Par ruwer Hanzken", d. h. mit einem Habichte und rauhen
Handschuhen, zu erwidern.^ Soweit man konnte, benutzte man
freilich den Wanderfalken zur Beize; er ist es auch, den man
meistens auf der Faust des Ritters und dem seidengesticklen
Handschuh des Ritterfräuleins abgebildet findet
■) Rithict. Heinrich: Verzeichnis der jn (M- und MPHtpreutkn vorkainnicndni
WIrWIlm. PrtuB. l'rov..Bl., N. K, Bd. », IW«. S. t.
*] V, Danibnmkl; i. i. O. S. im, S)T, »9.
•] Voiel: t. a. O. S. 311, Anm. 75.
Die Beizjagd in Allpreußen.
Auch im Treßterbuche') ist, wie an anderen Stellen, die
Unterscheidung zmschcn WanderTalk und |-labicht nicht scharf
durchgeführt. So heißt es an einer Steile (S. 506, Z. 6-8)
■ item 36 m.*) vor 18 fällten, dy der herre bischof von Ozelen
unserm honieyster sante. item 6 m. syme dyner geschankt, der
dy Habichte antwerte. item 2 m. 2 knechttn., dy dy falken ge-
tragen hatten". Hier werden also die 18 Beizvögel, welche von
der Insel Osel kamen, bald als Habichte, bald als Falken be^
zeichnet; eine andere Stelle (S. 543, Z. 28, 29) lautet «item 2 m.
dem Rüsen, der den wy&en habich und falken von Wytawlen
brocfite". Auch im Jahre 1657 ist ein scharfer Unterschied noch
nicht vorhanden. «Falcken und Habich werden fast auf eine Weise
erzogä lind anbracht, aiicli schier für ein Geschlecht gehalten;
Doch seynd die Faicken stärkerer Natur dann die Habichen."")
Bevor der Orden nach Preußen kam, wurde - wie er-
wähnt - die Jagd vorwiegend mit Habicht und Sperber betrieben,
während der seltnere Wanderfalke nicht immer leicht zu be-
schaffen war. In Deutschland war er früher freilich häufiger als
jcl2t Er ist nur zur Horstzeit ein eigentlicher Waldvogel, sonst
zieht er Freilagen an Gewässern, von wo aus er die Gegend
gut beobachten und recht weit hin Raubzüge unternehmen kann,
vor. Er ist bald Stand-, bald Zugvogel und folgt gern den ab-
ziehenden Enlenscharen. In ähnlicher Weise mögen auch die
Zuzügler mit Anbruch der Winterzeit an unsere Küsten geiiihil
werden.
Bereils im 13. Jahrhundert hatte Marko Pnlo erwähnt, daß
man in Rußland Geierfalken und andere ausgezeichnete Falken
finge und in die verschiedenen Länder austrüge. Seit dem
14. Jahrhundert besaß Preußen in dieser Beziehung noch einen
viel bedeutenderen Ruf, bis es schlieölich von Holland abgelöst
wurde, dessen beste und zuletzt einzige FaLkenschule im Dorfe
Falkcnwerth in Flandern noch Jahrhunderte lang bestand. Hol-
ländische Falkner haben früher auch an der Koste Pommerns
•) I>ii Maricnburitct Trtßlerbuth der Jthrc I3i»-M0». Hcrautj:ci:cbcn von
. ArdinTkl Dr. Joachim. Köni^berg j, Pr. Thäraai und Oppermvin, 1M6.
>) IVr WtT( dtr prtuSlichni Mark {m.} bttrift für die Jahre 1]91~tl(i7 an
13 ftcichtntaik (i/i, Kir it07-i«io nur IJ,.tO ,1/.
^Bimcr, Vtbn: Pftntltdicjlccr-Biirs. mmbiint, Clifiiloph Dwnl«. <as7, S, ».
8 PsMi D3htn&.
eifrig den hungrig anlangenden Falken nachgestellt und in man-
chem Jahre über hundert davon gefangen.
Die Hauptmenge der jährlich erbeuteten BelzvÖgel lieferte
nach dem Treßlerbuche der Wanderfalke (Falco peregrinus L).
Nach den Falken wird im Treßlerbuche am häufigsten der
muserhabich (müserhabich) genannt,
Es liegt gewiß nahe, zuerst an den gemeinen Bussard
Bateo vulgaris Beckst, zu denken, der auch als Mauser und
Mausefalk bezeichnet wird. Der Bussard wurde aber nicht rar
Beize benutzt, obgleich man wußte, daf5 er junge Hasen, Fasanen
und Rebhühner verzehre. Jedenfalls galt er seiner Natur nach
für unedel, weil er sich vorzugsweise von Mäusen und Fröschen
nährt Erwachsenen Hasen und Rebhühnern könne er - wie
Döbel') schreibt - nicht leicht schädlich werden, da er nicht
schnell genug fliege, daher müsse er sich zur Winterzeil «mit
Mäusen und Luder...*) am meisten behelffen". - Der Mäuse-
bussard lebt ausschließlich von Mäusen, Schlangen, Fröschen
und Gewürm, solan^je sie ihm geboten werden. Diese Nahrung
trägt er auch seinen Jungen zu; gelegentlich wird auch ein junger
Hase herbeigeschleppt, der den Allen gerade über den Weg ge-
laufen ist Im Winter kommt für den Bussard freilich die Zeit
der Entbehrung. Mäuse sind schwer, Frösche gar nicht zu er-
langen; dann trachtet er nach Fraß, woher er ihn nur nehmen
kann, und wird matten Hasen und Feldhühnern gefährlich; ge-
sunde vermag er nur schwer zu fangen, die erstcren kaum zu
bezwingen. Die Hasenläufe, welche man gelegentlich im Horste
des Mausers findet,*) stammen also von jungen oder ermatteten
Tieren, und die Berichte, welche erzählen, wie er kräftige Haus-
hähne und selbst den Stier vor dem Pfluge*) — freilich stets
mit für ihn unglücklichem Abschluß - angegriffen habe, schildern
ihn in einem Wutzuslande, in den ihn der Hunger versetzte.
Bei seiner verhältnismäßig geringen Beweglichkeit und Kraft ist
>) Dttel, Hdnricb Wilhelm: Jiser-Pralttika, od« d« vohlseabte und erfahmie
}iset. 1 Teile Utpiis, Joli Sun. Hdiulus. I7M. I. M, KAp. 111.
<) Au.
>) Knie. E.; JuEdKMdtlrhkdt dn tiautiiH- Dmtwhe JlserJ^dtuns. >1. M..
Nn. 24, 1I9S, S. »9, iM.
*) BrTtimt Tlnlrttm. Dttite. glnilidi nrubarbdutc AunoKc. ISVI. Bd. e, S.)n.
Die Bdzjagd in Altpreußen.
er in Deutschland nie zur Beize benutzt worden, und im taufe
des 12. und 13. Jahrhunderts galt er als ein ganz gemeiner
Vogc] (mas&ir). Der Ausspruch »er veredeil sich wie ein Mauser*
hatte einen wenig erfreulichen Sinn, denn man erzähhe, daß der
jssard in seinem ersten Lebensjahre freilich noch Vögel, si^ter
faber nur Mäuse fange.')
Nchring sieht in dem Mäusehabichte keinen Bussard, spricht
aber die Vermutung aus, daß der Turmfalke (Faleo Hnnancalas LJ
gemeint sei, der ja mil Vorliebe Mäuse kröpft •) Dieser An-
nahme steht aber der verhältnismäßig hohe Preis entgegen, doch
soll auf diesen Punkt erst später eingegangen werden. Jedenfalls
ist der Name Mäusehabicht nicht mit dem Worte »Maus", sondern
mit vMauß oder Mauser" in Beziehung zu bringen. Es ist der
eiste Federwechsel {mhd. mäsen, afr. muer, ml. miitart) gemeint,
vor weldiem die Jagdvögel noch nicht recht z\x brauchen waren.
Erst wenn sie die Mauser überstanden haben, werden sie wert-
voll, sie sind dann zur Beize geeignet und bekommen mit jedem
weiteren Federwcchsel ein schöneres Kleid. Aus der Schönheit
des Gefieders kann man deshalb einen ungefähren Schluß auf
das Alter des Vogels ziehen, dessen Wert mit der Zahl seiner
IL«ben$jahre mehr und mehr wächst Zur Zeit der Mauser
wurden die Bcizvögel in eine besondere Kammer oder in einen
Mauserkorb gebracht und der Haube und Fesseln entledigt')
Daraus kann es nur erkUrt werden, daß die Falken gemausert
»werden«, nach diesem Federwechsel heißen die Tiere dann
« Mäuserfaicken oder auch verniäuste oder Madrierete Falcken*.*)
Man wendete sogar Mittel an, um die Mauser einzuleiten, das
Gefieder zu verändern, ja sogar weiß werden zu lassen und
schließlich den Federwechsel bald zum Abschluß zu bringen.*)
t) 8«halt>, Alvin: Dai hilf Mh« telwn nr Zeil der Minnainger. Lcfpii^, S. HIncI,
1S)9. Bd. I, S. 36«. Anin C.
^ Ndiring, A.: Jagdlich* NMIacn «ii dem •Treftlerbucht* d« OtulMhen Ordmi
1399-1409. DcUlldK JleTT-/>flCil1g, 31. Bd.. Na !4, 11, 36. IIM. - VkI. No. 2«. S. «M.
*1 f, Dombrnvtlri, S. i«1,
ff Dm j[r.ifJii«c Jägpr.HiiiH, »orimim nicht «UHn dir vomfhBirtm und iibllehMen
Kantt-WärtFT ilcr Jl^rtry durch IciiitiK'faitT Bnchrrifaunif ciürti^it. lonJcm iiich cu bcy
dem Vildc im tiaii|>ludillcliitrn. lu bcttidilm iifililijc cic. Ilaint>ui|{, bcy Bi-iijunin
Schitlcm, 1T06, S. •;:.
*> llditt. Jobum wid rcycnbendt, Sienundl. S. ia, 39, 63 b.
10 Paul Dahms.
Deshalb heißt es auch bei Oesner ') ^,Fal£cnes cicurantar, domantar,
condoe^iunt, mansiuscunt Sy werdend gemüßt / und hci'sscnd
den mösserfalcken" und a. a. O.: es ist »ein müszerfaik ein ab-
gerichteter falk, faUo aä aucupium dcctas"') Dementsprechend
finden wir in der älteren Literatur auch eine Reihe verschiedener
Angaben über wvermäuste" Beizvögel, wie z. B. mäsenalke,
müserhabech neben habech tnüzaere, und schließlich mazerspcr-
wacrc neben musersprinze und mazersprinzetin (Astur nisas J(rys.
et BlasJ^)
In dem Ver2eichris der Beizvögel, welche Lnter der Re-
gierung des Hochmeisters Paul von Rußdorf im Jahre 14-32
ausgeschickt werden, finden wir wiederholt den -Musser-Habicht"
und zwar stets zusammen mit einem Hunde angeführt, der da-
rauf abgerichtet ist, mit dem geftügehen Genossen zusammen zu
jagen. So wird auch »den Herren von Burgunden" ein Ge-
schenk von 8 Falken, worunter sich ein Qccrfalkc befindet, über-
reicht und gleichzeitig »ein Musser-Habich! und ein Wynt, der
dem Habichte hilft".*) Die Jagdmethode mit diesem Raubvogel
ist also ähnlich gewesen, wie die mit dem Habichte. Daß
wir es im Treßlerbuche mit einem edlen Falken zu tun haben,
ergibt sich aus der Stellung der Geschenkgeber; diese sind:
Herzog Hannus Symeke, der Landmarschall und der Gebieliger
von Livland, der polnische Hauptmann Peter von Dobrin,') der
Probst von Marienwerder und der Bischof von Ösel. Der den
Überbringern verabreichte Lohn schwankt je nacli der Schönheit
des Vogels und der Stellung und Bedeutung des Gesehen kgebere
zwischen */, m. und ca. l'/, m. für jedes Tier. Im Durchschnitte
wurde für jedes l'/, gezahlt, eine für damalige Zeit bedeutende
Summe, besonders wenn man bedenkt, daß sie nur als Trinkgeld
gegeben wurde. Im Jahre 1404 finden wir den „Mäusehabichl"
I) OaVKT. Cont.: tlisi^riar naturaUmn liier II]. C— t'l <''' ot^hm HnfiTn. AVunini-
/■rf(, 1604, S. 64.
■) Vgt.arimm. JikobtindOrimin, Wilhelme Dnittchn WArlcrbudi, Dd. A, Lajuig,
S. HiRFJ. IStS. S. IS3I.
1) Sckoltf, S. 170 k-nm. and tri Knm.
*) fttirr, Kir)- Von dm prvuBisfhoi Falken, dt» alt Ctfch«nlir tn fremde HOl«
Itbertchlcln wuri)<n. Pmiftlwlm Archiv oaer OitkvftrdijclM'liFii *ii« «Irr Kundp der VoneiC,
hcnDigFccben von K«r1 Fiber. Käi)lexl>rrs, Simnit, i, taM. S. 5S.
°i Altr LanilHhart im ^ildm der untfTcn Drcvcnt mil drr Haupbtidl |[lci<.'lm<
Nadio». dcfli hoiUstn Dutnyn.
Die Bei2}a£d in Altpreußeti.
M
im Treßlcrbuche zum erstenmal notiert (S. J21, Z. 31 -33), dann
verschwinde! die Bezeichnung (1407), um später wieder dauernd
zur Verwendung zu kommen.
Unter den Zitaten, die Ernst von Dombrowski aufführt,
um die verschiedenen Wildarten als Gebeize aufzuzählen, finde
ich freilich auch die folgende: «Der selbe faäzaere j Erflüege
den kninech wol / Wurf in damider. Willehalm, 371, 12."*)
Dieses ist deshalb besonders interessant, weil der Unterschied
zwischen Mäusebussard und vermausertem Beizvogel damals
schon niclii mit Sicherheit durchgeführt wurde.
Zweimal wird im Treßlerbuche der Handfalke (haiitfalk)
erwähnt Der den Boten gereichte Lohn betrug in dem einen
Falle '/i "!■ (S. 366, Z. 26, 27), in dem anderen sogar 2 m.
iß. 435, Z. 3-5). Woher der erstere stammt, erfahren wir
nicht, der zweite ist ein Geschenk des Großfürsten Wytowt von
Litauen. Wie aus einem Briefe des Bischofs Johannes von LcBIau
hervorgeht, haben wr unter einem Handfalken einen vollkommen
abgerichteten Beizvogel zu verstehen.'') Der Bischof fordert den
Hochmeister nämlich in einem Schreiben auf, von seinen Ge-
bietigern in den Niederlanden möglichst große Falken ausnehmen
zu lassen und ihm zuzusenden, er wolle «gitte Handfalken zu
Kranichen" aus ihnen machen.
Ein Edelfalk, der aus dem Südosten Europas stammt und
wegen seiner Kraft und seines Mutes hoch geschalrt wurde, ist
der Sakerfalk {Faico sacer Schteg.); er führie auch den Namen
»Blaufuß", weil im ersten Jahre seine Wachsliaut, Fänge und
OberKhnabel reinblau sind. Nur langsam bürgerte er sich in
Mitteleuropa ein, doch wird er namentlich in Byzanz und dann
durch Einfühning seitens der Mauren in Italien und Spanien
früher benutzt worden sein als die nordischen Falken. Von
dort kam er nach Deutschland selbst, worauf seine beiden mittel-
hochdeutschen Nanien sakker und lanier hinweisen, welche sich
seitdem U. Jahrhundert nachweisen lassen, tmd von denen der
erste orientalischen, der zweite romanischen Ursprungs ist. Die
Einbürgerung der nordischen Falken geschah erst später, als
i> S. M4. Anm.
^ VoiKt, %. vsi.
^^
Paul Dahms.
Handelsverbindungen und Kriege einen Verkehr zwischen Mittel-
und Nordeuropa veranlaßt hatten.') Als diese bisher unbekannten
Falken ebenfalls zur Beize verwendet wurden, zeigte es sich, daß
sie hinter dem BUufuße nicht zurückstanden. Man fand nament-
lich in dem norwegischen Jagdfalken, dem Oer-, Oeer- oder
Geierfalken (Falco gyrofalcp Schleg.) einen Ersatz für seinen süd-
europlischen Genossen und iibcrtrug auf ihn die gleiche Be-
zeichnung «Blaufuß", obgleich dieser nie blaue oder bläuliche
Fänge besitzt - und später auf verechiedene andere Raubvögel,
die man neu kennen lernte. Zum Unterschiede vom Sakerfalken
pflegte man den Geerfalken später auch als »flandrischen Blau-
fuß" zu bezeichnen. Nur so kann ich mir die unglückliche Ver-
wirrung erklären, die in Bezug auf die Bezeichnung «Blaufuß"
eingerissen ist. Sowohl Rathke-) wie Berge") geben deshalb
keinen sicheren Aufschluß, was von den sog. Blaufflßen,, die in
ihrer Heimat früher gefangen wurden, zu hatten ist. Der erstcre
meint, daß die in Preußen gefangenen Blaufüße oder Sakerfalken,
sich gelegentlich dorthin verflogen hätten, der zweite deutet auf
Grund reichlichen Materials darauf hin, daß der Sakerfalke in
früherer Zeit in geeigneten Gegenden Sachsens gebrütet haben möge.
Was das Treßlerbuch von dem Blaufuße berichtet, gilt
freilich weder vom norwegischen Jagdfalker noch vom Saker-
falken, denn der für ihn beim Ankaufe gezahlte Preis ist eir
äußerst geringer. Während für die eingelieferten Falken fast
ausnahmslos i m. gezahlt wird, schwanken die Preise, die für
diesen Raubvogel notiert sind, zwischen Vbo m. (2 Schilling) und
■/,t) m. {9 Schilling) und betragen im Durchschnitte nur '/n ni.
Dagegen wurden bereits im Jahre 1387 für einen nordischen
Jagdfalben aus Flandern 40 m. gezahlt*)
Diese fortgesetzte Verwechselung erklärt uns sowohl den
Umstand, daß der Sakerfalk die verschiedenartigsten Nebenbe-
zeichnungen trägt, und auch den, daß eine Reihe von Raub-
*y T. DombroTtIri, S. 5J>.
■) Anni. 3 n Volp, i--. folkoifuiE und PalheiuufM in PrcuQcn. Nnc PrniS.
ProT.-Bl,, Bd, », i»W, S- SSO. MO,
^ Hnfr, Kohrrt: I)« P'Allcmrri «m Dr««lner Hofe. Omifholoirisrht MoniUbe-
Tlrtitr, hmutsrerten von Prof. Dr, An(. Hdchmbach. Jihrfi 1B, No. i. iiM2. S, DJ. 113.
•J tl'fb«. Lulhar: fmiBcn vor ^UU Jahren in kiiltutliiHor., sUliit. und milltlr.
Bnichnns neb» Spnlsl-QcDsnphlc. Dinelg, ThcodgT DGmii;g. ISIS, S. 176,
Die Beizjagd in Altpreußen. i$
vögeln noch heute die Bezeichnung i'.Bliiufuß" trägt So finden
wir für Falco saccr Sthkg. noch folgende Benennungen: Wüi^cr,
Würgfalke, Schlachlfalke, Stern-, Groß-, heiliger Sakerfalke, Berg-
falke und sogar heiliger Geierfalke. Außer der Waldschnepfe
führen folgende Vögel die Bezeichnung Bhufuß: der Fischadler,
Pandion haliäeios L (weißköpfiger Blaufuß), der nordische Jagd-
falke, FaicQ gyifalca L. (großer B.), der Sakerfalke, F. sacer Schleg.,
der Wanderfalke, F. pcregrinus L. und für die Umgebung des
Zamowitzer Sees in Westpreußen auch die Wiesenweihe, Circas
pyga/güs /„') Als Blaufalken sind ferner bekannt: der Wander-
fiüke, fyilco peregrinus L., der Zwergfalkej F. aesaton L und
das Männchen vorn Kornweih, F. cyaneus L. (blauer Falke).
Selbst für den Fall, daü die Bezeichnung Blaufalk nicht in dem-
selben Sinne wie Blaufuß gehandhabt wurde, wie man aus der
doppelten Benennung -Biaufuß" und »Blaufalk" für den Wander-
falken schließen könnte, zeigt sich immerhin, daß durch diese
beiden, fast gleichlautenden Sammeinamen für weitere Irrtümer
die beste Gelegenheit geboten war.
Als man deshalb später im Ordcnslandc mit großem Eifer
FalkcnJang und Falkendressur betrieb, lernte man die ßcizvögci,
welch« fortgesetzt begehrt wurden, mit bestimmten Namen be-
nennen, während alle minderwertigen oder gar wertlosen Raub-
vögel mit dem Kollektivnamen «ßlaufuß" bezeichnet wurden.
So bittet Graf Georg Ernst von Henneberg den Herzog AI brecht
von Preußen um einen Reif oder einen Käfig mit Falken ,»und
wenn es nicht lauter Falken sein könnten, zum Theil mil Falken
und zum Theil mit Blauföften";') ich glaube aus diesen Zeilen,
herauszulesen, daß die letzteren weniger Wert besaßen als die
Wanderfalken. Die in allen Jägerbüchem niedergelegte Angabe,
daß man die heimischen Blaufüße leicht zur Beizjagd abrichten
könne, ist nach obigem leicht zu verstehen. In den Steppen-
Undem werden auch heute noch die verschiedenartigsten Raub-
vögel zur Eieize abgetragen, wie z. B. Weihe, Bussard und anderei
Von Bedeutung für die im Treßlerbudie vermerkten Blau-
■) Hdtifd, F.; Britilse tur Omii Va<pr«tilkiH. I. Zuno^iRr Scr uod Um-
KCfcna. Sclirllltn d. Ninirf.-Oc«. In Diitilg N. P. IM. 10, HeTl •, >90J. 5. M.
>) Vaigt, jbhinna: Füntmleboi und KüntMtlttc im I6. Jihrhiindtil. Rinmtn
biilOT TiKlicnbitch. }ahrg. t, iaii, S, U7.
F
14 Paul DAhnis.
fiiße ist auch der Umstand, daß sie niemals dem Hochmeister
als Geschenk verehrt oder von den Falkcniereii nach Abschluß
der Fangzeit eingeüefcrl, anderseits aber auch nie fremden Fürsten
lind Gönnern geschenkt \^'urden. Sie werden gelegentlich von
einem Vogler, einem Knechte oder einem »Jungen« erbeutet und
auf das Schloß gebracht.
Weshalb diese Tiere nicht zurückgewiesen, sondern lieber
mit einer kleinen Summe angekauft wurden, kann man sich in
verschiedener Weise erklären. Vielleicht hat der Hochmeister
den Befehl gegeben, nie einen Raubvogel zurückzuweisen, t>c-
sonders da ihm öfter ein guter Falke zum Kaufe angeboten
wurde, und er jede Gelegenheit ergriff, die Häupterzahl seiner
Beizvögel zu vermehren. Eine solche Bestimmung konnte auch
deshalb an der Stelle sein, da Leute, welche sich mit einem ge-
fangenen Raubvogel zur Marienburg begaben, dort aber zurück-
gewiesen wurden, ein zweites Mal nicht wiederkamen. Vielleicht
hat der Hochmeister auch jede Gelegenheit wahrgenomnieti,
seinen Tiergarten zu bereichern. So würde man schließen müssen,
wenn man in dem »Blaufufle" den Fischadler sehen will.')
Jedenfalls haben wir unter der allgemeinen Bezeichnung
»Blaufuß" verschiedenartige Raubvögel von geringerem Werte zu
sehen. Diese wurden gelegentlich auch abgetragen, vielleicht
auch, wie Milane und Bussarde, bei besonderen Veranlassungen
als Gcbcize verwendet.
„Eyne terczel" finden wir im Treßlerbuche nur einmal
erwähnt {S. 448, Z. 32-34) und zwar in Gemeinschaft mit zwei
anderen Falken als Geschenk des Komiurs von ßatga für den
Hochmeister. Das gesamte Trinkgeld, das dem Überbringer aller
drei Vögel gegeben wird, beträgt "/li m.
AlsHerzogAIbrecht später die Qunsl des Königs Heinrich VIll.
von England zu erwerben wünschte und ihm wiederholt Falken-
sendungen zugehen ließ, versuchte er gleichzeitig unier den Be-
ratern und Freunden des Königs besonders Cromwell und Karl
Brandon, den späteren Herzog von Suffolk, für sich zu ^winneti,
Auch hier waren es Bcizvögel, die ihm die Zuneigung der beiden
I) NdirliiK. S. «14.
Die Bdzjagd in Al(prcul5en.
IS
Männer verschafften. Der letztere teille Albrecht daraufhin mit,
daß er ihm demnächst als Gegengabe ebenfalls einige Palken
zusenden werde. Diese waren aber nicht jagdvögel, vielmehr
eine Art groben Geschützes, sog. Falkaunen oder Falkonen; von
diesen hatte der König zwei und der Herzog einen für den Mark-
grafen gießen lassen.'}
Ebenso wie das große Geschütz, dessen Kugel so kräftig
dahinsauste und so gewaltige Wunden schlug, als f^alke bezeichnet
wurile, wurde später nach der italienischen Bezeichnung für den
männlichen Falken „terzeraolo" eine Taschenpistote im Gegen-
salz zur Sattelpistole als Terzerol bezeichnet, entsprechend dem
alten Brauch, Tiernamen auf Feuerwaffen zu übertragen. Da die
Weibchen der Raubvögel im allgemeinen viel gröOer sind als
die Männchen, so werden bei den Beizvögetn im allgemein«!
die größeren und deshalb wertvolleren Weibchen mit ihrem da-
maU üblichen zoologischen Namen, die Männchen dagegen in
vielen Fällen als Terzel bezeichnet. In der einzigen mir be-
kannten Definition *) heißt es freilich nur, daß unter TUixelhtea
die Männchen vom Laneten,^) Schweimer,*) Stein-') und Baum-
falken") zu verstehen seien, doch ist später - im 15. Jahrhundert -
auch von Oecrterzeln, d. h. den Männchen des norwegischen
Jagdfalken, die Rede. Die Bezeichnung „Terz" für die Männchen
von Bcizvögcin tritt dann auch wiederholt in folgender Ver-
deutschung auf: Tertz, Falken - Dörsel , -Dörschel und -Dorsel,
sowie Darzel, und für das Männchen des Gerfalken sogar uGcrz".')
Die wertvollsten Falken aber waren die beiden Jagdfalken
des Nordens, Falco candicans s. groenlandkus Gmel., der etgenl-
liche nordische Jagdfalk, und Falcü gyrfako Schltg., der nor-
wegische Jagdfalke. Ob diese gesonderte Arten oder nur ver-
schiedene Formen des Gerfalken /Faltx) gyrfaico und F. gyrfako
isUuiäiais) darstellen, soll an dieser Stelle nicht erörtert vrerden.
4 V(Ht[l, ).: HFnnK Attiicthli von Pmllen lmin[bcliattlkhe VcrbindutiE mit ära
KiJalcn nnü Köniaiimtn »on Eiialimd. Neue Preufl. Prov -Bl, Bd. 7, 1849, S. Ift
■) Dm K«äffiiflc]i,ilcr->UuQ, S. M.
*) F attain L, f«p. /■'. tmrrimtii L.
•) Vffici, ].; Obtr rnlkttibns und PAthnuvdtt. S. tw, »■.
Piul Dahms.
Jedcnfells ist der norwegische Falke an seiner »intarbigen Ober-
seite und dem stets dunkeln Scheitel, der niemals weiß oder
auch nur hell gestrichelt ist, leicht ru erkennen. Beide Falken
wurden nur zur Jagd vom sog. höheren Flug verwendet. Der
Geier-, Ger-, Qeer- oder Geierfalke hat nacli Qesner seinen Namen
daher, «daß er viel mal rund umb den Raub herumb fleugt:*)
was klein ist, veschmehet er und stoßet allein die großen Vö^
als Kränch, Schwanen und dergleichen"; nach O. Schrader kommt
die Bezeichnung vom allnordischen «geirfalki" = Speerfalke.*)
Auch der weiße Sperber, dMi Herzog Albrecht im Jahre
1 542 einer englischen Königin (Katharina Parr) verehrt,") ist der
isländische Falke. Es gehl das einmal daraus hervor, daß der
Sperber als gewöhnlicher ßeizvogel sonst niemals zum Versand
kommt, und femer daraus, daß Falec candicaas auch als grofier
Sperber, wcißgespcrbcrter Habicht oder Isländer bezeichnet wird.*}
Im Treßlerbuchc wird für den Qeerfalken (gyeifalk, gyr-
falk, gyerfalk, girfatk. gerfalk, geiierz, geeifalk) stets doppell
soviel gczahll, wie für den Wanderfalken, in einem Falle (S. 57,
Z. 12) sogar das Vierfache. Nur einmal erhält ein Falkner für
einen solchen Vogel nur l^/, m. (S. 593, Z. 13, 14), während
der Preis für jeden eingelieferten Wanderfalken 1 m. beträgt.
Der norwegische Jagdfalke verfliegt sich gelegentlich, der
nordische dagegen nur selten nach Deutsehland.
Wie schon erwähnt wurde, legte man auf eine schöne
Flrbung des Federkteides bei den Beirvögcln sehr groß« Qc-
widit: deshalb bittet der Pfalzgraf vom Rhein Philipp den Hoch-
meister im Jahre 1442 auch, die Falken, die ihm zugesandt
worden «möchten getragen werden, auf daß sie bei gutem Gefieder
blieben und auch sonst hübsch seyei".") Nicht nur der Wander-
falke, welcher auch als gefleckter Falke oder edler Habicht be-
zeichnet wurde, sondern auch andere Jagdvögel haben nun auf
ihren Federn Flecken und Schaftstreifen. Waren diese durch
I) gym (kU) Krdi, WiraduiiK-
^ Rnllatlkon drr >Mili>errTnBniirhcn AltniumtkutMlt. Qi-uBdiQst dncr Kultur-
md VÄlherjMdiiehte Altnimpn». Straßbnrg. Katl J. Trübn«!. tMi, S. Jiü,
■> VdlsI > J- : HcnciE Alümlili vun PiniDcn rrcundKlutlllttic Vnblndunii etc.,
S. IT. — Valia, \-, Übte rtlkniUiie etc.. S. 2».
*t D&bd, I, Tt, cap 1)9,
•> Voigl: Oetdiidilt Muienborgt etc., S- SOI.
Die Beizjagd in Altpreußen.
17
die Mauserung lichi so gebildet oder gefirbt, wie man es
wünschte, so sucbte man durch die Kunst der Natur nachzu-
helfen. So wirct im Treßlerbuche wiederholt »färbe zu den
falken» (S. i07, Z. &, 9), »falkenvarbe» (S. 487, Z. 20) und
pfalkenfarbe" (S. 509, Z. 3) notiert. Eine solche Verschönerung
von Tieren scheint im Laufe der Zeiten wiederholt vorgenommen
worden zu sein; noch im Jahre 1829 wurden Tauben zu Läse
in Schlesien «gemalt".*)
Man könnte nun noch die Frage aufwerfen, ob man der-
artige Kunstgriffe nicht bemerkte oder die Malerei nicht unschön
fand. Dem ist entg^en zuhalten, daß die Augen der Menschen
zu gewissen Zeiten für manche Dinge vollkommen unempfindlich
zu sein scheinen. Einen Beweis dafür bietet uns folgende Be-
gebenheit In der Mitte der fünfziger Jahre des 1 9. Jahrhunderts
fand man es besonders schön, wenn die Zigarren gelbe Flecken,
sog. «Wurmstich« besaßen. Da man der lebhaften Nachfrage
aus Mangel an geeignetem Material nicht entsprechen konnte,
griff man zu einem einfachen Mittel (in Danzig im Jahre 1854).
Die Tabaksblätter wurden vor ihrer Verarbeitung auf Tischen
ausgebreitet und mit dünner Ockerfarbe besprengt. Erst später,
als diese Flecken hier und dorf während des Rauchens durch
den Speichel aufgeweicht und verwischt wurden, wendete man
sich geeigneten Chemikalien zu, um weiteren Unannehmlichkeiten
auszuweichen.
Die Entzifferung der späterhin aufgeführten Beizvögel namen
stößt - ähnlich wie wir es bei der Beieichnung MÄusehabicht
und Blaufuß sahen - auf die verschiedenartigsten Schwierig-
keiten. Die eine davon besteht darin, daß die Habichte und
Falken je nach der Art des Fangens und der Fangzeit mit ver-
schiedenen Namen bezeichnet werden konnten.*) Den jungen
Vogel, den man dem Horste entnahm, nannte man „Neslling",
den eben dem Horste entstiegenen, aber noch flugunfähigen
..Astling" und den bereits flijggen, aber nocli jungen Vogel
„Sortis" oder uRotvogcl". Dieser letzlere Name ist darauf
t) I^lKvIU. Jullui von: Dm ronrvcstn von Wolprnilkn in lUlltl., soctiidill.
und »dniinfatfmtiv. H)n»lchl. Berlin, bei Aupiit Rflchcr, it9!, S. 369 Aiim
■) Du fcSKiwte Jt£«r-H«ull, S. 34-36.
Aidilv Hr KultnigeKhlchtr. II.
Paul Dahms.
zurDckzufOhren, daß sowohl der Habicht als auch der Wander-
und der Würgfalke ein mehr oder minder ausgesprochen rost-
rotes Jugendkleid tragen; ältere, eingefangene Vögel erhielten die
Bezeichnung uWildfang". v. Flemming legte femer einer jeden
Falkenart im Jugendalter 5 verschiedene Namen nacheinander
bei. Jeder von diesen sollte gleichsam eine neue Entwicklungs-
stufe andeuten. Der letzte Name war „Hogari^' und bezeich-
nete einen Vogel, der vermausert hatte.
Alle diese Bezeichnungen wurden neben den zoologischen
verwendet, solange die Beizjagd bestand. Doch auch die zoo-
logischen Benennungen waren in jener Zeit äußerst ungenau.
Es mag hier nur an die Merkühe und Merochsen des Treßler-
buches erinnert werden, die sich schließlich als die verschiedenen
Geschlechter des Elches entpuppten ! ^)
Vielfach werden schließlich Bezeichnungen der verschie-
denen Raubvogetgattungen durch die landesübliche Benennung
durcheinander geworfen; so führt der Turmfalke iFaico iinnutt-
cuias L) auch unter anderen die folgenden Benennungen: Rot-
falke (Rölelhuhn), Lerchen sperber, Lerchenäiabichl, Rfittelgeier
und Wiegweich. Eine solche Vielseitigkeit der Bezeichnung wird
noch erhöht, wenn die Namen für Männchen und Weibchen
verschieden sind, wie z. B. beim Komweich (Faico cyaneus LJ.
Die jung dem Nesle entnommenen Falken konnten auf
den Kranich abgerichtet werden. Die, welche sonst irgendwie
gefangen wurden, galten für nicht beherzt genug dazu. Doch
auch die roten Falken - jedenfalls die jungen Wanderfalken -
scheinen besonders hoch geschätzt worden zu sein. So heißt es
in der Insiruktion, die Kaiser Maximilian an seinen Sohn, den
Erzherzog Ferdinand richtete^ und die jetzt in der k. k. Hof-
bibliothek aufbewahrt wird:*) i^Die Kleynen Kupfer färben Edlen
Valkhenn / sind gut zun den Räygem mit den weyten fuessen /
vnd sein gewondlich Pesser / denn // die grossen, darumb soll
deynem Kaufman befelhen, das er auf den Legem nur die
') Treichtl, A,; Der Tingtilcn in Sluhm BKh dmi D, O. TrtOI«liuch(- Zcitwhr.
do Hlstor. Vcr. IDr den Rcsbu. .V4*hmvcT(lcr, Itcll }s, Mit, S. «1— IT und Ndirlng,
5. Wl. 3M.
•] v> DQmbrcmkl, S. 13«, nt.
c
Die Beizjagd in AltpmiBen. 1 9
Kleynen Kupfer färb Valkhen kauff . . . Aber die Preussischen
seindt die Pesten zun Raigemn." Auch Philipp der Großmütige
von Hessen, welcher der Beizjagd sehr ergeben war, liebte die
rötlichen Jagdfalken sehr und bat den Herzog Albrecht häufig
um solche.^) Nur einmal hören wir eine Klage über die « Rot-
vögel", daß sie nämlich »fast alle unbleibüch seien und ver-
recken", sobald man sie nach Böhmen bringe. Jedenfalls gingen
die noch etwas weichlichen und zarten Tiere hier infolge der
veränderten klimatischen Verhältnisse oder einer mangelhaften
Abwartung ein. Ebenso wie der Rotvogel oder der rote Falke
wird auch der Hagardfalke erst im 16. Jahrhunderte erwähnt;
audi er scheint beliebt gewesen zu sein. Der römische König
Ferdinand erbat sich einmal vom Herzog Albrecht drei bis vier
solcher Falken; dieser konnte den geäußerten Wunsch jedoch
nicht ganz erfüllen, er schickte nur einen und entschuldigte sich
damit, daß nicht mehr zu haben gewesen seien.")
Im Treßlerbuche, welches noch zu B^nn der preußischen
Falkenzucht geschrieben wurde, sind alle diese Bezeichnungen
noch nicht zu flnden. Die noch nicht vollkommen ausgefärbten
Beizvögel werden in einem Falle einfach als «junge Falken" be-
zeichnet (S. 166, Z. 2-5), während von der Mitte des 1 5. Jahr-
hunderts an bei den Falkensendungen Geierfalken, Geierterzel
und Mäuserhabichte als solche häufiger angeführt werden.
(Schluß folgt)
■> Volst, J.: Farstenld)cii and FBntentltte etc., 5. ts*, »5.
') Volit, j. : Ober F>]keiifui£ e(c, 5. 25S, 259.
Kinderbriefe
einer pommerschen Prinzessin des 16. Jahrhunderts.
Mitgeteilt von OTTO HEINEMANN.
Aus der Ehe des Herzogs Ernst Ludwig von Pommern-
Wolgast (t 1592) mit Sophie Hedwig von Braunschweig- Wolfen-
bütlel (t 1631) war als ältestes Kind die am 19. Mlrz 1579
geborene Prirze&sir Hedwig Maria entsprossen. Bereits 1582
kam die kleine Prinzessin an den Hof ihres Großvaters, Herzogs
Julius von Braunschweig, nach Wolfenbütlel, wo sie über den
Tod ihres Vaters hinaus blieb. Erst 1598 kehrte sie nach
Pommern zurück.') Einige Jahre später wurde sie mit dem
Herzoge Johann Adolf von Schleswig- Ho Istein (f 1624) verlobt,
starb aber als Braut bereits am 16. April t606.
Aus der Zeit ihres Aufenthalts in Wolfcnbüttel sind zwei
französische Briefe der Prinzessin an ihren Vater erhalten.») Am
19. und 31. Dezember 1586 gesdirieben, stammen sie aus dem
8. Lebensjahre der Prinzessin.
Es entsteht die Frage, ob die kleine Prinzessin die Briefe
selbst geschrieben und verfaßt hat Jenes ist nach dem Schrift-
befund unzweifelhaft zu verneinen. Die Briefe zeigen die voll-
ständig ausgeschriebene Handschrift eines Erwachsenen, keines-
wegs die eines siebenjährigen Kindes. Die in den Briefen
ausgesprochenen Gedanken sind freilich durchaus kindlich; sie be-
dankt sich für einen Brief ihres Vaters, freut sich, gute Nach-
■) V. Belu-Nqctndinck nnd v, Bohlen. DI« PenoiulUii nnd LcUhai-Prazeulonen
der tttiu}ge «on Poiiiinrni (laM). S. zu.
t KkI. SlulMTchlv ni SictUn; Wolf. Atäi. Tit. «3 Na. la.
lOnderbriefe dner pommeiscben Prinzessin des 1 b. Jahrhunderts. 21
richten aus dem elterlichen Hause zu hören, berichtet über das
Wohlbefinden der Großeltern, denen sie die väterlichen Grüße
bestellt hat, und die sie erwidern, sie gelobt ihrem Vater steten
Gehorsam, vergißt nie, ihre Otem in ihr Gebet einzuschließen
und empfiehlt sie dem göttlichen Schutze. Auch in dem zweiten
Briefe meldet sie das Wohlergehen der Großeltern und gratuliert
dann den Eltern zum Neuen Jahre. Trotzdem dürfen wir jedoch
Hedwig Maria auch nicht als Verfasserin der Briefe betrachten.
Wer aber war Verfasser und Schreiber der Briefe? Eine Auf-
klärung geben uns die Briefe selbst.
Beide Briefe weisen eine nicht unerhebliche Anzahl von
Korrekhiren auf, als deren Urheber sich der gelehrte Pariser
Claudius Puteanus '} ergibt. Offenbar hat er nach Eingang der
Briefe auf Veranlassung des Herzogs diese durchgesehen und
die sprachlichen Fehler verbessert. Sein Urteil Ober das Fran-
zösisdi enthält ein beiliegender eigenhändiger Zettel. Man müsse
es, meint er, dem Italiener zugute haltenj wenn er etu-as ver-
sehen habe, jedenfalls befleißige er sich sehr der Erlernung der
französischen Sprache. Dieser Italiener, vermutlich der fran-
zösische Sprachlehrer der kleiner f-'rinzessin, dessen Namen wir
leider nicht erfahren, ist demnach der Verfasser und jedenfalls
auch der Schreiber der Briefe.
Beschränkt sich somit der Anteil Hedwig Marias wohl darauf,
daß sie ihrem Lehrer die Gedanken angab, so sind die Briefe doch
nicht ganz ohne Interesse und der Veröffentlichung nicht unwert
Zur Ergänzung ist die Antwort Herzog Ernst Ludwigs bei-
>) Oh«T CliudlUE Putexiias (vnhl Cliudr Diiimy) tll^lra die Macbrldim tehr
ipirlltli. Narh Nikoliui l^mtingn, Opm omnli (td. Kustrnis 1729) S, 191. der ihn
ClvidluiGallus ncnnl. dicnic t-s dm HTnogfti Ems! Ludvlg und Bamini XII. uil ihm Rdte
fji Fnnkrcich mls Inf^dii-aror und ItAtgcbcr und mirdp spätri von Jenem an den Wfj1|{isler
H«l enattn. Hier lernte ihn 15«! Hmag Philipp II. Icenncti, vnn dem «n Brirl uii
■San jibie IMH an ihn nliultm lil. Vg,\. Oclhclis. HliC.-dipl. BfytriK« 1<I> Ocschifhtc det
OcUtithdl In Pommern (ire7> S. 7i . BiiUiold. Onchkhtc lon Puniincm und Mgi^ IV. Z,
S. 39f, Anm. I. nennt Ihu Cn»l Ludwics Haftbbj. Da« Kei, SUilurchlv |MKr. 111. ii)
i«r**lift »on ihm d« Autogiiph ein*» Oedichti auf die Geburt de» Htrjogt Philipp JuÜu*
(Srb- n. Dn. 1584): De (orl>da«jnio natalf die illuitriisiiiii prindpit ic ttoiaini Philippl
Inlll, Sletinnifliiin. PommnoTum ri Vartdalorum dudi, KuittJtnoniiD princlpis, t.iji-oiiiiii
(OnitU CK., domini nil dmcmiuiml, Ittin ttca per Clmdium Pulnnum, Pirliliiuni (i.1 llUtl).
Htxtt Knut LndviBn Tode vtiöffenilichte ci D« vlU tt pbihi illutttiaiml principis ic dö-
wlxl. d. Enmtt Liidovlti ImililiUiiinaf nirmoriar, Stclinftrjitn, Vammnonim, Canubiorum
ft Vandiloran dudi, Rui^ae prlTidpli, Qiurcvhc conillii etc.. tihri tm.. . prr Cliudlunt
Putonuni, Pixitieiuein. OiyptiltcitdUe, Zx lypvgr. Aug. fcrtwrl MDXCII.
Otto tieinemann.
gefügt, die kidcr nur in einer an mehreren Stellen etwas
verderbten Abschrift erhalten ist
l.
15S6 Dezember 19 WolfenbQttel.
Hedwig Maria an Herzog Ernst Ludwig.
Monsieur/)
Mon tres affectioni seigneur et redoutf pere. La lettre
escrite par*) main de Votre Excellence') et dat^e le XV de no-
venibre demier passf me fut*) delivrfe le XXVI dudict moys,
laquelle m'a extremement") resjouy le coeur, pour") avoir entendu
nouvelles de Votre bonne sant6 et jointement') de madame ma
cordiale*) mere comme aussi de mes dames les princesses mes deux
sccurs") avec mon doiix frere le jeiine prince."*) Nous louons
Die» de ce que par dei;a monsieiir mon grand pere ") auec
madame ma grand mere,'^) noz parens icy, ensemble toute la
maison de Brunsweig se trouvent en assez bonne disposition.
Je les*') ay present^ en V(otre) nom Voz affectueuses salutations.
qui Vous resaluenl pareillemenl lous ensemble. Quant a moy
suivant Votre conim andement et paternelk r^monstrance je Vous
obeiray tousjours, Dieu aidanl, et feray, ce qui soil") digne
estre") faitd''") une vertueuse princesse, et auray sans cesse la
crainte de Dieu cl l'honneiir a rendroid de noz parens en sin-
guliere recommandation, san3 Vous oublier, Monsieur^) mon pere
avec madame ma mcrc trcs amiablc en mes ordinair» prieres,
me recommandant surlout et sans fin ") a la bonne grace de Voz
■) Mensignevf. Pulcuiuv,
I) Hinter pu eingefügt U. P.
*) m'» esi*. r.
*) mcrvrillaiionimt ?.
■Jd'. P.
r) p«rHlItni«nt P.
>) HrdwiH Miria hiw nur ein« 3c1i««<ter. die iiw Etborme CliMbr^ Magdilaic.
ipittr IlrrtD^in von Kurtuid.
i"l Philipp Jiiliui (geb. >«<).
II) Moniilipinir mon pcrc gnnä. P.
") mtn icrand. P,
") leur». P.
><1 «t P.
!■) Vor dir« nnrh d*. P.
■0 ilii. OriB.
Kinderbriefe dner poinmerachen Prinzessin des 16, Jahrhunderts. 2S
illustres*) personnes, qui sera maintenant l'endroict, par ou*)
je prie l'elernel seigneur*) de tenir Voz Excellences tous*) en sa
divine protectior.") De Wolffenbulel, le 19 de decembre 86.
Ma vie durant de Votre Excellence la tres obeissante fille')
Hedewig Marie,') p(rincesse) de Stetin, Potn(mem), Cassuben,
Wenden, Ruigen.
Adresse: A tres illustre, genereux et magnanime prince, mon-
seigneur Ernst Loys, duc de Stetin, Pommern, Cassuben, Wenden,
Ruigen, Conte de Outzkau, nion redout^ sigiieur et pere tres
amtable ä Wolgast.
Ein beiliegender Zettel von, Puteanus' Hand lautet;
Illustrissime d(oinine) princeps, Aequi boni consulcndum
est, si quid crratutn a viro Italo. Apparet autem eum Gallicac
linguae valde studiosum. Non pauci eam profitentur tllo multo
inferiores. Nani hie sunt multae elegantes dicitones et phrases.
Redissime valcal V(estra) Altitudo cum universa familia.
Ciusdem libenüssimus famulus
Claudius Puteanus.
n.
15S6 Dezember 3t WolfcnbüHel.
Hedwig Maria an Hemog Ernst Ludwig.
Monsieur.
Mon redoute seigneur et pere amiabic. Nous espcrons
toul hier a l'endroict de Vostre Excellence et jointemcnt') de
nudame mabicn aymee mere avec toule la maison de Pommcren.')
Kous louons Dieu, que monsicur mon grand pere avec madame
ma grand mere, noz parens avec tous ceux de la maison de Brun-
sweig sommcs encores ") en bonnc santf. Or voyant, quc par la
I) bet hiultci. p.
't tuqtiet tidtt pu oit. P.
>i ir iipint OI«i. P.
*l UulM Vm Hiutteuo. P.
^ bounr Eiace nn tn ta bonnc BUtIf »UM la divin« prolrctlon. P.
1 Oifüi tV V(i>lrc) SiaitItR« ■ )aii]Blt U Irr* «bclsviiitr fillc- P.
1 Hinier M«ric noch nie. P,
q MtM<. P.
•i Ponicnine. P.
«^ DtiD bcintrkl P. un Rande : )! «uct provecU 1111(11, tcnaidiLDi.
Otto Heinemann.
grace du seigncur Dieu sommes arriv^z au bout de Vannfle,
nous avons maticre de louer sans cesse rEternei et luy') prier
de cceur nous vouloir pour l'avenir conduirc en an a'ainte, qui
sera ni«unlcrtant l'cndroit, par ou nous supplions') le souverain
Dicu d'oGtroier Vor") illustres personnes a la bonne grace hiim-
blement ef tres affectueusement. Je prie estre recommandee
toua ensenible nouvelle ann& salutaire, *) felicil6') et longue
vie, voire telles conime poumons pour nous niesmes souhaiter.')
De Wolfenbutet, le dernier de decembre 1S86.
De Vostre Excellence ma vie durant la tres obeissante fille^
Hedewich Maria,') Princesse de Stettin, Pommern.
Adresse: A Ires illustre j genereux et maganirne") prince
Ernst Loys,'") duc de Stelin, Pommeren,") Cassuben, Wenden,
Ruygcn, conte de Qutzkau, nion redoute '*) seigneiir el pere
tres amiable, j Wolgasl.
m.
1583 Januar U Wolgast.
Herzog Ernst Ludwig an Hedwig Maria.
Ma tres chere fille Hedwig Maria. J'ay recu nouvellemant
de Vous deus paires de letlres, l'une dat^e du 19 de decembre,
l'autre du dernier dudit mois, par lesquelles i'ay esle averli *')
de la bonne sanl6 de monsigneur, mon tres honor^ signeur,
Vostre pere grand, madame, ma Ires honorie dame, Vostre mere
grand, et de ceus de par dela, ce qui m'a esl^ fort agreable.
j'ay parellement cntendu par lesditez lettrcs, que Vouz ine '*)
") I». p.
q I« «upiille. P.
q Vor vot dnscffiEl k. P.
*) Mlnnr. P.
t) hatnatt. P.
^ \t sivuliaite 1 noi nrntnt. F.
•) 0«fQr La Im obdiuntc flllc de V(f>ttre) HBultnse, d Dt a |ama!t. P.
«1 Ilinlcr Marie noch ait. P.
■) Dafür tsrt haull, Im noble d tm virtorui. P-
") Emtil Loufi. P.
II) Pomnirninlr, P.
«l tum hoimrt. P.
•) Die Abtchrirt hat tiltr ucrItnE, da« olTaitMr IDr «vcrti oder dn ^monymam da-
von vtrjdiritbeii itt,
H) ma. Abadir.
Kinderbriefe dner potnmerschai Prinzessin des 16. Jahrhunderts. 25
prometez d'obeir soigneusement aus commandemens de nostre
seigneur Dieu et a tous ceus, qui ont Charge de Vous, aussi
d'emploier le iems, pour>) bien apprendre et d'estre bonne fiUe
et sage, ce qui ne m'a pas petttement resjoui, pourveu toutes-
fois que ce, que me mandez par escrit, le meliez en effect et
l'accompltssiez, comme j'en ay bonne esperance vous enjoignani,
qu'ayez a Vouz porter humblement*) et sagement envere touz
ceuz, qui ont Charge de Vouz et de Vouz sativeniere du devoir,
auquel estez tenue. En quoy fesant Vous pourrez attendre cer-
tajnement de moy tout ce que fille honneste et sage doit loyaul-
ment attendre de pere envers eile bien affectionnfe. Dont nostre
signeur Vouz en veuille faire la grace et Vouz tenir tousjours
en sa bonne garde avec touz ceuz de par dela. De Wolgast, le
14 de janvier 1S87. y^^^^ ^^ ^,^1^ p^^e.
Adresse: A ma tres chere fille, dame Hedewig Marie, nie
princesse de Stettin, Pommeranie etc. k Wulffenbutel.
I) pronr. Abschr.
^ tnunUeoKnl. Abschr.
Des italienischen Priesters und Theologen
Vincenzo Laurefici Reise
durch Deutschland,
die Niederlande und England (1613).
Von ihm selbst beschrieben.
Mitgeteilt von WALTER FRIEDENSBURG.
VminKllichlci
Vcnuch, Eng-
tuiil zu er-
rrfclwn.
den Deichm.
I[.
Qui propriamente mi comindA a pimcare 1a fanlastadi passare In
1ng:hilterni ; onde io diedi un' occhiaU alla borsä, nella qua!e sin dal priii-
dpio deli mio viaggio havrva accommoiJato doj borsdlini e spartito in
<£Si ugualmentc i danari, con proposito che mentre durava un burselh'no,
lo caminarci inanzl, ma nianuitdo subito m'apparEcchiarei a1 ritomo.
hör vodendo che ancora avanzava tanlo ch' io poleva arrivarc alla Gran
Bertagna, cominciai a Icncr praltka coi marinari, de' quaü uno piü ardilo
subito fece vela; nta a pcna eraino siargati dul porto, die d bisognö
ritomare per il mal tera[Jo, all' hora io lasciandn ta provisione che havevo
Fatta ne] vascello, saltai fiiora e nonvolsi piü jtnpacdarmi con qud noc-
chiero,') nt far piü quella navigatione. onde il giomo segnente ni' imbarcat
per Fiandra. et essendo quasi iina lega e meza lontano della Feiusa,°)
maneö il fliisso, corac intervicne in qud canatl; onde bisognava aspeltarc
sino all' altro (luiiso; ma 1' allri passaggieri ch' erano in barca, non volendo
ivi pemoltare, st risolsero di smontare et andarscnc a piede per il dieco
sino alla dtlit. avaiizanrio ancora del giorno qiia»i dtie höre, io da uns
parle volevo scjruire la compasnia, ma (ctncvo ta lun£hez22i della strada
ei il peso della mia valiggJa ancorch^ picdola; raa dall' altra parle non
mi pioceva rcstar solo nel vofccllo con qttei marinari Zelandesi, che
havevan dem dl mezzi ladroni. et perö detilierai d'andar insietne con
■> Schirrtfuhxr. KaplUn
t> Olloibar Ui Sluy* (fnnt&Utch ßelute] gmdiM.
t)e$ iUüienischen Printers u. Tlieologcn Vinceiuo Uurefici Reise. 27
-gli altri 3 picdl, tanto piii che c'cran dclk donne, qiiali presuponcva
che non »rebbon piü volenti di me itel caminare. facendod dunque
butUre sul dieco. le buonnc donne perch^ c' era mollo fango, si scalzaronn
e dopo loro gü huomini fecero il simite. io che havevo li slivali, credevo
d'csser mcglio all'ordine per marciare nella via fangosa. ma aggravalo
dalU valtgia, et potrei dirc ancora dalla spada, nii v^go a poco a paco
la&cialo indietro da luttt, che a piü potere s' avanzavaiio pn- arrivare
prima che si serrasse la porta. all' impedtmento de] camiro sopragitmse
la pioceia col vento, e qucl cti'era peggio, ro&cuiilä deiraria, che non
mi lucikva vederc quella genie, che cosi allontanata in ogni modo sin'
hora rai serviva di guida. dovc il dieco si divideva in püi rami. e percht
rn'cni stato detto che in quei liioghi moHi forastieri erano stati aniazzati
da vlllani qtiando eran cotti soIi. oltre la stracchezza del corpo, che era
ersndisima per il novo pcsodel ferrainolo,') dte s'cra inzuppatod'acqtia,
nie sopravenne im grande affanno d'animo, e dove vedewo qualche casetta
de villani, mi parrva che uscissero fuora ad assalinni, perchi all' appanmza
m'havcrian ben cono<^uto che non cro del pacsc, et alla favel!a,'j non
iniendcndo quei dci eontado sc non fiamingo, tanto pii'i facilmente
tn' hahan scoperlo. non läsciavo intanto d'andar sempre a visla dclla
Pelma. ma la fortuna, invidiosa di qiicstn sol rcfiigio che m'era restato.
eon la nebhia piü folta che primn nie la invcAb affatto, si che io caminavo
a caso seguendo 1' orme ') dove <vi polean vedere. alla fine, doppo dtie
groSK bore dt fatica et sudore, mi trovai improvisBmente sul canale di
rimpetlo al ostello della ä(tä. ma non harei potuto passare, se la guardia
vedendoini ivi a quell' hora, non liavesse per sua cortesia mandato un
baltetliero, col quäle trsghettando trovai un di quei capitani ciic leneva
k diiavi in mano per seirar la porta. e mi dissc che essendogli slato
hferto che io ero di ü dall'acqiia, m'haveva aspeltato un biion pezzo;
ondc io gli rrsi moUc gratie, et egli mi fece cortcsementc acconipagnare
sino all' hostaifa.
La mattina diedi una visU alla dttä, la quäle era gü forlissima
in nuiM de'SpagntLoli, ma hora in potcrc di qudla gente 6 dt gran tunga
piil forte e piii munita. Tislesso giorno (iii a Bnige, titlä genlilissinia,
e qui delibcrai di novo di non abbandonarc 1' impre» d' Inghiltcrra. et
pcrö andai a Nimporto, e di lä a Doncherde,") dove trovato un navile
ingolfammo a dirJUura de Tamigi, non ixna qualche insolenza di quH
mare. nel qiiale, ottra la furia de veiiti, si coirca pericolo di uirtare in
qudlc sirli, che son certc strisdc d'arcna, chiamale in quei paesi coin-
munemente banchi. penetrando poi per molte miglia deiilro il fiume,
ranontammo a Oravisenda per rislorarci. et di lä con picciole baichdtc.
-che son sirailissime alte gondole di Ven^itia, ce ne andammo in sei höre
■} knaiaoli) Ul ein policT. die guuc (Vnnii dnliQUcndcr Minwl.
1 Idiom, Spradic.
(} Futttpurt«.
Nmport und IXiililKht'n.
Rintdiiftung
tuch England.
Die Themic.
Ouvuend-
i
Walter Friedensburg.
London.
Kirebcti.
Kfinis Joliob I.
□iubeth
Ünbm*]
K6nls Jakob I.
Auiifm.
a Lotidra. gratissima, fu qimta navigaliotie per loprospctlo dellc coHine,
Irequentia de' navilä, e lascivia de cigni che s* accostavan alla bara; im
la pn'i bella veduta, ch'era <le! ponte et della ciicä, ci la tolse la notle,
benchc poi in quei giorni ch' io dimoni a Londra, tomai piü volte a
godcrla, poiche non si puA a! miO' parere desiderare in qLel paese oota
piü Vagi a. ri^ardare, quanta la positura di quella citiä sul fiume,
stenilendosi piü di cinque migüa su la ripa comprcsi i boighi; et U
fiuine da si solo m reiide j^tisdmo oggetio n gl'occht, parendo hör
fiume mentre corre, hör lago menlre sta quasi femo, et semprc porto
per il actiro ricovro c stanza delle navi, non mi sodisfcce la cittä di
dentrn per la sordidezza et oscuriti delle «trade, che quasi tiitte, levatene
alcune principali, sono streite e con continuatt sporti,') da qiiali restan
quasi coperte. siconie ancora il ponte e di sopnt (encbroso per le ast
che r ingombran da tittte le bände, essendo di Tuora benissimo fabricato.
e porgendo diletto a'riguürd^titi, mentre riceve tra'suol archi, che sono
deciölto o venti, hora im conso dcl fiume, e fra poche höre \m allro
corso contrario, tra Ic chicsc, de quaü vc n'c cina grandissicna molti-
tudine, quell« di san Pictro et san Paolo sono ammirabili per la
luro grandezza et artlFJcio congionto con la bontä et belleza ddla niateria.
in san Pictro, che i vicino a) palazzo regio, vi t ancor rima^ta nel choro
una bella risuretlionc di bronzo, conic nelle foiili e portc della cittä son
pur restate alcutie statue de sanli. in questa medesima ctiiesa sono le
scpolture del re, Ira quali qitclla d' Henrico scttiino e asssi supcrba. ad
emulatione della quäle i stata fatta dal presentc re'} quclla della regina
defonla*^) con la sua statua di marmo, che sta a giaccrc. con l'cpitafio
che conttene te site lodi e l.i sua santitiL, ancordie mcntita. a ine n«
restarono alcune poche parole a mente, che son queste: .religione do-
niestica vindicala, üallia inteslinis belli praecipitJts sublevala^ Bclgio
siisleutato, classe Hispanica profligata." per ciiriositä di vedere il re
andai ad Hantoncurt ; ') ma poi essendo tornato Io reviddi un'eltra rolta
a Londra. la moltitudine delle genti in questa dtli veramente e gran-
dissinia, c la robba di mangiare e l'alfre mercantie son corrispondcnti
in nbondantia. quel che io piü stimai ne1 genere mangiatjvo, furon
rostrictte. che mi panero avanzar in delicalezza ratiimelle di Campo
di Rore et i ficatelli di porta SelÜgnana.*) 1' Inglesi l'anian cradf, ma
io l'appTOvavo piii cotte, et il lor preöto i eosä ba&so, che per havcmc
un ccnto non si speade un mezo reale; et non i meraviglia, perch^ non
vengono a somo o a barcheile, ma a vascelü grossi, d'onde poi son
■) Vorsprüns't Eticr.
*i Jtkol) t.. d«r tritt SHiatI au) dm mcIlictiMi Känlgilhran I60t— 16!S.
i) En»*bcih t «WS,
^ MampIoncDurl, Ptlul m der Tlieniw:, von Kardln«! Walscy crlMut, Iieniach an
di« Krön* Kcnonimai,
») »nlmdle Irt Kilhiirallch., ttciWIli •= (tjplini) tidnr, Irckcr 7iibcrrllclc Ltbtm.
Campo äi liori vor der (Jincrllirli isl riii Plati, «uf drin noch i^Rrnw-iTilg Markt mtlfindH:
die i^urta 5eili][naiik <odci äcllimiuia} am ätidcn der LuiiBxn. beim EintiitI in üat dient-
lldie Tn*tcv«rt>
Des italienischen Priestas u. Theolcgen Vincetuo Lsurefid Reise. 29
dispensate in copia per ogni antonc della cittä. ma qucsta delilia vjen
guasta e corrotta dall'iiso Infame del tsbacco, >| poich^ quasi sempre in
fin della tavota vengono le fistole et iL Fuoco con Ec foclie die qudl' erl>a,
el si succhia il fiimo, invitando II compagn», comc si fa ne'brindis col
viaO. non fu cosa che piu mi disgustasse, et cn diffidlc a Euaniarmcne,
percM non vi t hosteria n^ usa dove non regni queto ahiiso. dal quäle
' respirai alqvaiito in alaini pratisi, a qiiali mi favonmo il signor don
Dleso Sarmleitlo, ambasciator di Spi^na. die per rispetio dd signor don
PaUtn^Bar dl Zuni^a mi fece niolte carezze. et il aignor Pictro Fnscarini,
smbasdator Venelo, che similmenle mi vsb giande liumoniti, ancoreh^
non havcssi Icttcrc nb per l'uno ne per l'altro.
La Iwfsa di questa citti ^ molto ricca e bella, el ail' hora solita
vi i gran concorso de mcranti. in una o due strade delle piü spatiose
si (an Li mercati, a quali si wcggon venire le contadine non In barca
come In Gianda, ma a cavallo; costume che st os^erva ancora dalle
gentildonne quando fan via£E;io, credo per far vcdcrc piii da loiitano la
]or belleaa. la quäl rispetto all'altre nationi ^ singntarissima, ma a loro
i oommune non solo alte nobili, ma ancora alle villane. dcsiderai ptinta
di pftrtire di parlare al Causobano,') per dirgli libeiamente che non s' imbar-
cassc lanto a scrivere contra cattotrci, ma non fu possibitc trovarlo, an-
corch^ Ire volle ftiüsi a cercarlo a casa sita. li librari mi dissero che
havea digiä finito il primo volume deila sua histona et che presto
usdrebbe fiiora.
Esscndo gi& satio di stare in Inghilterra, deliberai d'andarmene a
piOBare a dies per non mi esporre piü a qud Intto di tnare per dove cro
venuto; e perö lomando a Ornve&enda feci il camino per terra sino a
Rodtester, che giacc su un fiiime,') dove stannu li navigli di gucrra drl
re. e di lä a Canlorberi, che e l'isteso che Cantuaria, tii grande ni
bdia, ma nuntcral« tta le inigüori dtli d' Inghilterra, et omata d'iin
nobil tempio tanto pii^ Illustre, quanio che fu consccrato dal sangue del
glorioso Tomaso vescovo dclIa stc%ui chiesn,*) hora gW polluta da qiiclli
beretid. in questo viaggio facenn bdIa visla le campagne, non sol per
la coltura, ma ancora per li monloni el allri animali, che, per esscr il
freddo non troppo acuto et il pertcolo de lupi inuudito, li lasdan di
giomo c dt nolie per lulte le stagioni del 1' anno su i prati; onde han
qudia grassecu, che in ncssun altro pacse si trova.
*) Du Tibaknuchai ««r ent gegen Citde det Regierung Ellixbtthi tn Englind
brkinni e««nnJm.
<) iMili CiMiilioniii. der btkinntc cilviafstiichc Theolog. auch PMtolot and
KritiVti, Kcb. in Clrt\t lüS. gi-il. !fi l.onJfin Bin t.JuH i6u. Er sMnO hi» lu Hdnriclis tV.
Todr (f IS'O) in dnicn Dlrml, bald liermch folgte tr dem Rufe König J^hohi "Ach Eng-
lind. »a tt wli» Itatr Lcbminll verbrachte. Dm hin trvlhnle Werk enchien Im Todei-
laht da Vcttutcn lu [xindon unirr dem Tll«l: .D« nbuf ucrii et tedalulkii. Exer*
dWlODCi lä BvanU pmleKninnw In Anniln-'
•) An Mnl-ra^r-
<i Tomu Beclirt, EreblKihof von Cuterbnry Itfil, tmiordctitri), UM darauf lidllK.
(sprachen.
du
Tubalcnuchen.
B<Srxi
VcrMu-.
niiuibonui.
RoälOtn.
Canttrbnrjr.
Walter Friedensburg.
DoviT.
StfirmlKhe
Öbcrlihn,
Catala.
OtMndc.
Giunto che io fui a Dovre, iion potclli imbarcanni ni in quci
giorno ne in diie allri scgiioili per essere il mar lempesloso, del che io
liavcvo gran disgu&to. c bcndie 1' Inghilterra sia cnsi grandc, nii parca
iiondimeno essere in una stretia prigione per d timore che io havevo
che non si adirasse il mare el mi tratene&se W'i qualche mcx, comc allrc
voEle ad altri era intervenuta. finalmetile parecido un poco acquetata la
fortuna, andammo al lilo per imbarcarci; ms il nocchicro havea tirato il
vascelb in alto niare per non st tasciar coner in secco dal flusso, onde
bisognb passare con un batello al iiavile; el essendo 1' onde giä ingrossate,
non potea accoslani senza urtara l'una con l'altra barca, c perö era
nece&s^rio star 1e&lo, e coine veniva l'onda a ptroposito, con un lancio
arratnpicarsi alle corde della nave d salir su; e qiiesto fu un spcttacolo
che fece impallidJre piii d' im vollo. essendosi falta vela, comincii') a
sentirsi il molo stravaganle, dal qualc inipaurilc Ic donne, che crano sc!
o sctte, accrescevan con i ior gridi spavento agii altri. io me ne stavo
invllupato nel inia raantello d attaccato come un' ostrica ad im Icgno,
non osando minire quci monli e quelle voragini dell'oceano, anzi non
potcndomi reger drilto per I' aggiramcnlo di tesla; ma fui in ogni modo
costretio ad alzarmi, perdie le donne sbigottile mi si buttavano sdosso,
et ancora peichi, oUre il ramore di fitora, si sentiva gran fracasso dentro
ia navc. e questo nascea da certi cavallt. che erano sUli nicssi soUo
wnza che noi Io sapessimo. onde Ire gciitilhiiomini Franzesi, ancorche
nauseati, vcdendo tanlo disordtnc minacciavano con Ic spade nude Ia
mortc al nocchiero, se non geltava quelle bestie in mare; et egli veden-
dosi -oostrclto daila furia franzesa, commandö a' suoi marinari che s' aprisse
Ia coperta et s' aleslissero Tordigni per tirarli. ma in lanta coninstone
passava il tempo e non s'cseguiva nulla. cra nondimeno questa. dimora
non senza artificio del nocchiero, che, avendo molto inanzi previsto la
forza de! vcnto, s'era tcniilo sempre a man dritia per non esser spitUo
ver^o Zelaiida, c apcrava fra poco dovcr guadagnar tanto vantaggio verso
ponente, quaiHo basUva per vollar la navc e pigüar il venio in poppa,
coine fece fra una mcza hora, quando eramo giä b vista üi Bologna di
Francia,') d'onde drizzö la navc verso Calcs; c riccvendo 11 vento non
piii per fianco, ma favorcvole, benchc violcntissiTno, ci messe in poche
höre a salvamento in porto, dove io smonlalo corsi al!a chiesa e baciando
la terra dissi il Te Deiim con tanla allegrezza. che mi parea non esser
in Cales, ma haver digiä finito il viaggiol non ho visto mai a* miei dl
tantl pesci, quant'era la quanlilä del!' aringhc in questa cittä. essendo x
punto alt' hora la pesca di es«, che st fa principalmente in quello sfretto
di mare.
La mattina paitii per Graveligna et indi di novo a Doncherche e
NiuportOj c poi a Oslende, facendo sempre il caniino su U spiaggla are-
nota dell'oceano, che nel suo reilitssu la lascia per gran spatio scopcrta.
•) B«n>Otnr
Des italienischen Priesters u. Thwlogen Vincenzo Laurefici Reise. 31
la inisera ntü d' Ostende ^ cosi ancora mal trattala, che ben si conoscon
li vctigi tfcl lungo c crudcllc asscdio;') la van per6 tiittavja ri^rciendo
e naiando i fossi, dove ancor riirovano »correpla sub iindis sciita virilm
galcasque rt forlia corpora". di lä ritomai a Bnige per pigliar la mia
valigia, perdiä nell'andar in InghilleTra alcuni huomini da bene tn'aver-
lirono che neil'enlrare el nell'iiscire di qtidl'isola si facea inquisitione
di tulto qiiello che si portava; onde io, per esscrv piii sicuro, lasciai non
solo Ib valigia, ndla quäle erano akuni librclti, nia aiicora il breviarlo,
c per 18 o 20 giorni ci riposammo amb-idiie con gran quidc. non trovai
perb, qusndo cro lä, che si facesse diligcnza aicuna, anzi liberameiiic
ognuBO andava e veniva »enza Gser pur guardato. e nelle case de gli
MlbttcfattDri caltolici, dove si dice ogni giorno la messa, et in particolare
in qudia dcli'amhasciator di Spi^ria, nella qiialc se iie dicoTict Ire per
autlna, enlrano et escono li inglesi et 1' Inglese, el i loro officii e corone,
c le tele alcuni di lora si cominunicano in pieiia capelln, et alcune
donne di parto vanno ivi a ricevere la benedittione, come io stesso viddi,
ndlc librarie stan publiramenle i libri de' piü modcrni Ocuiti c d'altri
religiosi, et aggiungo che il venerdi et il sabbato si usa ura gran discie-
tione coi foraslich che gli paioti cattolici, non gli apparecchiando gli
hosti o gif hospiti se non di magro, et 11 simile si fa in Olanda, ma non gi^
ne'luoghi infctti di Germania, dove ci mcttcvan indiscrelamcnlc la carue
iiunzi e bisognava aspellar un gran pezzo per haver ü pesce. non afierriLO
io hora che li Cattolici d' liighilterra sttJii con quella liberlä che hanno i
Cattolici in Olanda, ma solamenle scrivo quel che ini ^ occorso di vedcre.
Di Bruge volevo passare in Lorena e Borgogna, e di lä per li
Svizzeri ridurmi in Agusla; ma per csser riitiasto solo. sÜnmi esser pii'i
a proposilo che io ritomassi a Colonia, e peri> presi la sIradA di Gante
e ncl Camino viddi il canalc che iiovanicRte si fa con di&egno di tirarlo
per Bruge ad Ostende e per esso condurre i vasselli grossi con le lor
mcTcantic, et erano impiegate in quel lavoro da Ire milla persotte. di
Oante urivai a Bruselle con gran consolatione per la buona compagiiia
di Ire monache, die erano sUte in quella ciltä a far provisione di buiiro
salato et se nc tomavano al loro monostcrio, non fui troppo curioso
di fermarmi nelle due predetle ciltä, essendovi stato un'altn volta selte
anni fa, e per6 da Bruselle andiii a Lovanio et ivt ascollai alcuni di
quelli dottori, el In particolare una lettione del Puteano succcssore del
Upsio,*) e parlai col padre Lcssio.^
«J Dk benlhmt* BdiecrunH von Oilmdc hatW von 1001-I6M ilill: sie «irtMe
»il Übaxatc dn liültinJIscIitn I3mt£unK in den ipuiischcn Qcticral Splnola. Vcrgl.
Vtntdburicci, 0-rafhicJili: dtr NlciJnhnUc 11 (1BB6) S. TJMI.
<) Do bcnjhmle Phlloloj^ und KiiliWer Juitu» Clpsiu« Ijöal Lips) -runlc ii*7 in
eblttn kWiioi Otlc iwiKhoi BiQucl unü Löwen ntbüien, war »uenrt l'iofwsor In Jen«
isn-ti7t, Kit I»I6 In t.ÖvcR, tsi«— IJ90 [n Lcydcn, kIL 139: ilierinili l*rafasai in
Uwen, wo « «m J*. \pril 1«« »urti. — Crydu* PulMaut (Hn);y Dupuy) »« lu Vcnloo
IJI4 Ktbown und liMth f*«6 In l.Swt™ al» NRChlolgci da LqiiliM auf dem Ktth«!er der
litHnKrhm Sprache.
*i Leului (Lnmhsrd Ltryi), Jesull und thcoloslsclier SdirltKte'llfT.
BrI limine
von Ollen de.
BiQKKe-
1
Kalholuiimui
in linglMld,
Ocnt.
BcflMd.
l.Jlwca.
Walter Friedeiisburg.
Nvnur.
HunobtI.
Lflttidi.
Mitlrictit.
Unsldicrhclt
^r SIrallcn.
Aachen.
Venendo a quesla dttä m'ero incßntrato nd cocchio ccn un
ingegniero Fiorentino chiamalo Paulo FraEicesco. col quaie ragionando del
mio ritomo in 0«rmania, ini fu molto appTovata ia strada ch' io dicevo
voler fare per Li>^, s) da lui, come dal sito compagno, ambidiie iiiotto
pratict in quei contomi. e perb passando di novo per Brusscile prcsj
il Camino dj Namur^ dtti posta dove Ia Sanibra si congiuage oon )a
Mosa, nella qiiaJc m' imbarcai e pcrvenni a Hunobel castello dclla diocesc
di Liegt,'] ddia qual dttä') per esser arrivato dl noile non potetti
^odcre sino alla matina. e mi riiisci pivi bella di quello m' imaginavo,
81 per il sito, chiese e palazzo del prencipe,') come ancora per I' abondanja
di tulte k cose nccessarie al vitto el iiso humano, et in panicolarc del
ferro, mal operato nondimeno da quei cittadini, che vengono cosi fadl-
mcntc alle mani. 1) carbonc che qui si cava dalle viscere dcLln (cm, i
tanto piü perfetto del carbone ordinario^ quatito che si consuma mcno
e bruggia piil, onde i fabri se ne servono con molto eraolumenlo ad
amnioUire ü ferro.
Volevo io di qua passare in Aquisgtana, ma per Ia contmodilii
del fftiine scesi a Maslricli c Vieh,') ambediie (ortissime piazze di qua e
di lä dclla Mou, ma congiunte con un bei ponle, onde fanro una sola
citlii- qui Ia sera slaiido a cena et infoimandoiiti del Camino per Colonia,
mi vcnnc aHcmiato dall' hoste come Ia strada era per tutto assediata da
ladri et homicidi, cäie gionialmemte conimettfvano qualdie misfatto, non
fu mai antidoto contro Ia fame cosi polenle, come furon per me qucsic
parole; anri non wvlo mi levarono lapeUitö del mangiarc, ma ancora il
sonno, poiclit quasi lutta Ia noHe non dormii, ma pensavo come liavca
a fare irovondomi scnea compagnia. Ia malina per esser piü accertalo,
andai da'canonid di quella chiesa et mi confermarono il medesimo;
trovai li padri Gcsuiti et pur mi diseero l'istesso, a lal clie me ne slavo
in una grau perplessiti, el qiianto aH'hora ») e m'accostai
ad uro di qud capilani, pregandolo che mi presiasse doi soldali, II
quäle non volse conccdcmieli se non fino ad Aquisgrana, e di lä dlsse
che non mt mancarebbc occa»one di buon passaggto. onde cosi
accompagnato feci quelli 20 ml^lia, e rimunerai t soldali. in Aquisgrana
ricorsi al solilo a" miei consigHeri, che eraiio li canonici et li padri
Oesuiti, li quali con Ic sinistrc nuovc mi messono maggior timore dd
primo, perch^ mi raccontavano ccinie non solo era il pericolo ne' boschi
e per Ic stiade, ma ancora nelle hosterie: onde io dimandai come era
possibile che, essende scelcralezze cosi publiche, nnn se gli dava nmedio?
et all'hora il padre rettore de' OesuiU cominci6 in qucsla manicra: i
■) Huy un nunc Holoul?
t Nlmlich Lümch.
') Dei IQiTdiiKh6ni<h« Paiui
•) Wyk,
>} Hin fchll rtwis Im Mamthtlpl, tu dntm Katiuctchimnic ä$» \»\mU DritIcL dtr
Zelle Ikt ttLuscc «cidm lit
Des ilalieniächen Priesteis u. Theologen Vincenzo Liurffici Reise. 33
In Bonn.
vicino. aColonia una terra chiamata Bona su la ripa dd Rcno cdificata, Rjnbwhmd»
in qiKSU da 20 anni m qua nacqiic et tiittavta dura iina sella de ladri,
li quali fra loro congiurati di prima ucddrre e poi nibbare, in breve
acquistorono per molte ieghe all' intorno a»ai compacni, onde lianno
ammorbato il paese, e per essere nien sospelli, noit con arme strepilose
esaliscono o alla scnpcda. ma con cortdii e bastoni, fingendn di salutare,
0 invftando 11 vinndniili alle !or cnse, mentre mangiaito o riposano, ') gll
assassinano. et all' hora entrando nell' hostarice conversando, senm esser
conosduti s« non da compJici, all' improviso tolgon la vita e gli danori.
allri sul Rmo professando di traghetlare 1e persone, ne hau gettate
moltissinx in acqua; onde* intervemito che noTi pochi si son peisi senza
tapeni quel chedi loro fusse successo, aspctlando indamo niolle itiadri e
mo^i i lor nuriti e figii, Imzhh, cssendo scoperla ta scelerata compa£nia,
a son sapute dalle confcssioni d' alcuiti rei tutte te lor frodi e tradimentf,
bavendo revelate I' occisioni nefandc e i corpl di qitclli che si lencan pcr
persi, esser stall parle inghiottiti dal fiume et parte sepolti nelle fosse,
che nelle lor case liavean fade, di questi grart parte n'e slata ntesa su
, le rote, ma non ^ anoora spiantalH tutia 1' iniqua rsjzi, perch^ ogni giomo
senUimo qualchc caso miserabile! aggioitse aitcora il padre che ci era
un'altra sorte de ladri dl certJ soldali affamatf, che con buoni archibwgi
eswsuivano le loro opne esecrabili. al suono dt quesic parolc io
iTTcstai afflittissimo: -steteruntque comae et vox faucibus hacsil!"*) cnoit
tni pettinavo piCi la barba ne la lesta, pensando che In breve dovea «ser
prcda di c(m fieri mostri, äe Dio per sua bontä non tn'aiutsvu. c per piu
rammarico spcsso utii veniva in metite quel veno:
■sqiialletitcm barbam et concretos sanguine crines*,*)
che I'Iiavevo per malissimo augurio. pensai piii volle tomar indietro In
AnvcTsa et ivi accompagnarmi col procaccio') che indi suol partire per
Colonia; ma b lunghezza della stnda pur pcricolosa, il tetnpo che io
hard consumato, el il secondo borsellino che andava tuttavia scemando.
non mi lasciomo cffettuare tal proposilo; et pcrö sopravencndo ia fcsta
iantis&inKi d'ogni santi,») fed le mie devotioni et mi mccoinatidai loro
di vendasimo cuorc; n^ credo havn detto Toffido con piii attentione
come facevo all' hora. con tulto die io fussi in tanta angustJa, non
lasdai di ^xdcrc 1 bagni di questa dlt^, che scaturiscono apunto ncl
centro di essa, et in tnolte case son con Unta politezza el curiositi tenuti,
che solo a vederli tnvilano a bagnarvisi; e vi sarei entralo anch'io, sc
non fusee stato per rispetio di quelle donne, che a pena un poco coperte
Die Biilrr von
1) Hdne Lüdn In der HuiibchTiFl; ob elwu Idill?
^ fug. ABt. II. m.
1 Vir». Am. [t, m.
•) Der rcg«1mUIl; nrifdiM ivti Orin vtrlidiKndt Kurin, der Brft« uni
nMetanndmr-
1 Mlcl1irlll(cn iL Novcmbert.
Walter Friedetisburg.
di semplice tela, e ncl rc3to nude, lavan ü Christian! secondo Tuso
commun« ddia ütrmanu. la ininicra ddia galamina ') 6 propria et
ntlgolarc di iiucsta citli, poichc in ncs$uri aitro luogo del mondo sin
hora si ^ tiovata. quesla f qiielU terra che mista co! rame In pro
porlionc subscsquialtcra, comc 4 Ijbre con sei, Tan diccc d'ottnnc. si
cava (|ui ancora una sorledi terra che bniggia et coitserva sl lenacemente
il fuoco,*) che dura per ^^ horc con gran vigore; otide sc iic scrvon
commiinemente gli habilanti, ancorch^ habbi'no tnolti bosdii vicini.
Essetidomi io tniletiiito in qtiQta dttä d'Aquisgrana diie giorni
con speranza di (rovar fni tanto cumpagnia, non mi riusci il disegno; e
[KTÖ risoluto di parlire e iiienar ineco doi biioni soldati Valloni, come
havevo fatto prima, andai a lic«ntiarnii dal padnt rettorc, per consiglio
det quale comprai una pistola. facendosi qui eccellentissima questa. sorte
d' arme, e ine ne Irovai inolto contento per la sicuruza che poi ml diede
ptr tiitto II Camino, marciando diinqtie con miei Valloni. con Ic pistole
scniprc in iiiano e i cani abbassali, secondo 1' instrultionc dattami da
joikh. alcuiiipraHidJaseraarrivanimoaGiuliers.fortezzabclIissüna, etalloggiamrao
appresso un hnste catfolico, il quäle d avertl che in nessun modo
entrassimo nel bosco, essendod ogni giomo s^uitj amazza-menli per il
gran numero de turfanti che ivä annidano; «ma vi darü", dissc cgii,
,una gutda che vi conduirä scmpre fnora del bosco, ancorehe si slonghi
nna tega". la matina non senza patira ddIa stessa, che non fiisse una
spia, la s^egiiirtimo, e piacquc a Dio che la passammo bene. restava
ancoia a superare il viaggio die era II bosco di Colonia, e mentre
stavamo su l'entrala in un villa^io rinfrcscando i cavalli, sopragiunsero
quairo pur a cavallo e ben armali, i quali sospettosi dt noj sl fermarono
ancli' »si c mtsscro ancor noi in gran sospctlo; nia col saluto amichevole
e con la fronte serena, moatrandod scamhievolmente padfid, d accor-
dammo d' cntrarc in&teme e passare unitamcnte il bosco; il che essendoci
riusdto prosperamcnic, la sera fummo s Colonia, dovc io mi foraii
rendcrc le dovule gralic a Dio, che mi havca Hbcrato, non dir* da
baibari, ina da spietati lestrigoni e cniddi anlropofagi! non lodi alcuno
ciufikiefKiik in inia prescnlia li Tcdcschi per scmplici, pcrdit non i scmplidtä la
der Otubchoi [q^q^ nia ignonintia, c per tanto non sono vitiosi per quanlo non hanno
foTse havuta cognitione dd vitio; mi havendone notitia l'apprendono ei
apprcso Io ritcngono ostinatamcntc piii d' ogn' altra nationc. cscmpio n«
sian H sudetli ladri, de quali nicuni Talti prigioni nella loro essamina
hanno confcssato che non pofcvano astcncrsi d'ammaoare, cosiretti da
un incanto datogli da compagni nel vino, dopo il quale bevuto seenpre
desitleravano sanguc biimano. nia io crcdo che 1* incanto era i! loro
pcTverso d«idcrio et il sangne l'oro, che per püa sieuramente ottcncrio
toglicvan il sanguc c la miscra Wta alla povera gente!
ij Caluiiin*. tuch nlimina = Oilmcj C^nkcn).
)) Nlmlkh Tod (vgl. Bd. ], S *13, t).
Des italienischoi PH^ters u. Theologen Viocenzo Laurefid Reise. 35
Der Hwcy-
ni-irhr Wskl
Llmbtrg
DonauTOrtii.
Auifburi-
In Colonia tni si Offerte occasionc di partire col corricro di ü\t Po«Hinik
fianchfort, !a quäle volentteri abbracciai, essendo la strada che faimo i Kftin-FraiWurt.
corricri piü corta 40 miglia di qiidla che si suot fare per il fiumc. in
questo Camino si marcib continuammte di notle e di giomo per colli e
monti coperti di grandissimi boädii, che son parte della selva Hirciiiin,
ehe com« una gran fiiscia attraverea la Germania, finche finalmente per-
venanmo a Frandifort, non trovando per la strada luogo degno »c iion
Lembrig, dttii a'confini dell' HassiaJ) io volevo da Frandort tira« per
drIUo Camino ad Aujjusla, nta non hebbi cominodita n^ di carrozzc ni
di cavalh, come neanco prima In Colonie, donde saria passato volonüeri
«ella predetia citlä. per non repeterc il medesimo caraino che havtvogiä
faltu all'undare. ml transferü dunque da Francfort a NorimbeTga et indi
■d Augusta, vedendo per la strada Vaisburg*) eTonivert, ambe dttä gi^ Wnßenbnrsi.
impcriali, ma hora la seconda soggtogata dal duca di Bavicra per ven-
dicare la vfolenza che havevan farta i LuCeraiii a' Caltolici nella processione
dcl sanltssimo sacrammto.')
Augusta fra le Germaniche eonlende di bellezza eon Norimberga,
ma senza dubio che Vi fonii e l'ar^enale delli Augustani avanza di
Btasnificcnu di gran longa quellt di Norimberga, oltre che per esser
questa omata di molte diiesc cattolichc con buon numero di religiosi,
lascia mollo indieb'O la perverea Norimberga. nella granc pianiira ch
drtonda Augusta, s'erge im picdol coile cosi doleemenle, che qiiasi
ii^anna il scnso. a qutsto k appoggiata gran parte della dtü, alla qualc
non M polea condurre l'acqua del suo fiume, ehe con diiarissinie onde
le bagna Ic mura e parte inleriore; ina suppli 1' ingegno Augustano la
deboloza del fiumc e della natura itiles^, poictie con bell'arlifido con-
strfnse l'acqua a salir mi diic alti^sime loiri. dove riccviila in diie gran
fonti v^ene indl dislribtiitn nelle piu relevate parti della dtt^. io non
ammiiai l'artifido, ma la scmplidlä dcll'artifida, poiche con ona »ola
niob e Ire o quatro miglia l'acqua h dalla sua proprta forza spinta dc'
cannoni di bronzo c d'un sol lando arriva per essi dall' alveo del fiume
aU'alti dma deUe torri. c ben vero che per haver acqua in molta copia
«on moltiplicaii qnesti iiislromenli, ma son tulti seniplicissimi e ddla
stesa raaoiera- mi fu mostrata iina porta ddla stcssa cittii, ammirablc,
aprendosi e semndo&i da se, e per e&sa entrano i corrieri el altri clie
raigono di notle; non posson per6 entrare a loro benepUdto, sc non
quando il guardiano tnove l'ordigni; et eitlrati che sono, st aerra la
jmma porta e bisogni passiir per la scconda, die Ita il incdcsimo artifido.
I>al bibliotecatio He&chilio, il quäle, bcndic Luterano, e com«
1) E) 1« nbl Llnbare smiclni.
^ WdScnburit im Nordi^au. WnKill* ilrt VrrfuKr ticn UinvfS Ob« dJBC von
dtr dlidclcn RouK *ei1 <rai)lcti ablI(i:GniI« Sudl luliin, lit nli-lil tniclillicli.
t V£l. 511«*. I)n Ifispnins iln 30Jlliri£tii Krlnta i«or— iwj Entn Buch:
Der Ku^ Bin Oonauvöith. (Mündicn iar$,) Uli Elombinc der Staill durch die Biyeni
i
^
Walter Priedeti^mrg.
dotto cosl hirninno, mi fu ntostrata la piibliciL bibltoteca. ma, tuttc queste
cose rai parsero niilli rispelto al favorc, che io hebbi di vcdcre c con«
vcraarc col signor Marco Vtlsero, singoUr omatntnto di quella citÖ.')
io g'll portai iina Idlera c n'hcbbi quelle carezze che soiio cffetto dclU
sua cortcsia.
Oopo d' haver a pleno goduta 1a vista d' Augusta, non mi rcstava
Rt\u tuch altro che, passando per Itiglostadio, candurmi a Rati&bona e fJiiJre U
Incolttedi. mja perE^tnatione; e mi riusci assai bene ia gila in Ingiostadio; ma non
finii il mio viaggio, pcrch&, esscndn disfatla la dieta, I'anibasdatori
segaendo la Maesti Cesarea si traslerirono in Velz, citü d«ll' AiislHa
supcrioie, onde m'avanzaiono, olbt il conlo che io havcvo falto, ancor
ducentö miglia dl viaggio; ma di queste io non cunvo molto, havendo
preso il Damibio per il crine per dir cosl. et possendonii in «sso
Pated«]». Lmbarcare con mio commodo, dopo che io (usei arrivalo in Ingiostadio;
ma qud che mi dava faslidio, na il timore deHa peste, II quate si legeva
giik nclla fronte d'ognuno. c benchö la dura cervice di qüesti Tedcscht
ne habbta teniilo poco conto, nondimeno ta morte, pii'i oslitiala di loro.
Vha finalmcntc impauriti; onde per (utta la Bavicra sl facean buone
Ineoiti»!). guardie, e gionto che io fui alle porte d' Ingiostadio, mi si fcce inanzi
uno di profondissima barba et con un ccrto tibro mi scon^urö, riccr-
eando da mc se Io veniva da luoghi infetti. Io, che non intendevo se
ron a discretione - ne egii n& la mia guida havea discrelione d' intender
me - feci chiamare un di dentro che rispondeae per me, dicendo comc.
doviinqiie ero stato, havevo sempre procuralo d'allojjgiare In case senza
sospetio et che gli pronicltevo quanto al mio corpo esscr per gratia di
Dio sanissimo. e cosl fiil anirnesso nella cilü. in si gian vinggio che
havcvo fatto, non m'occorsc mal far cercar intcrprete sc non qui et in
aleun aJtrn luogo di Germania; ma in Olanda, Zebnda, Fiandnt, Inghll-
tcrra, Francia ero per tutto o con una lingua o con un' altra inteso: sol
queste teste di bronzo non si sono amoüte a ricever qualche linguaggio
piü clvile per comniodtti de' peregrinanti!
In Ingiostadio trovai Io studio publico posseduto da' padri Gesuiti,«)
havendo essl lurte Ic lettioni cccetto alninc dl legge e mediana, il
coltcsio de" padri fe nobili&simo, e nulrisce piü di 12» bocchc della lor
famiglla. cnngiunte coi medesimo coileglo sono le stanze de' convittori,
i quali fanno un grandisslmo numero dt varie ling:ue, conditioni e rcli-
>) Maicu« Wclirr. du bmihmiBle unier ijcn f[elehrtm Oliedern dieses Oeschlechts,
*or USB etboroi und hatW (ich i« lullen geblldeL Sdt HB* slind er im Dlertle seiner
VateniHll, deren (^ttenlliche Amtei er bji tarn hächtlen, dem des SUdtpflegera. durchlief,
Er ««rb nm Z3. Juni 1614, Nehcn »du« pialtliKhcn Tätigkeit bp»JUirte er lidi in be-
dcutmdeti LcialuiiKen xU Oachiehlschrcibcc und Altcilumtforsclici i »in Hiuplverli sind
die IGSl ixTuFfmlUchkn Rerutn llnIcimtR Libri V (bis auf Kirl den OroSen, ipllcr lügle
tr noch ein bl« ii* naehend« e. Bnch hinm}. Weiter wu «troig kUhotlieh. — Vgl.
Rcaidi in der ASg Ocubchcn Bionr. 4i, bt7—it9.
■] In [neolftlndi wurdt luerel 1196 dn Jnuiitnkollcs nrichlrt, Vel. Jinttcn,
Deutsch« Qochlchlc VII. S. l»tt.; und Pranll, Ckichidilc der Ludvig-Mulmlliwi»-
UDlveniUt EU IngoUtult Bd. 1 (IBTl).
Des italienischen Priesters u. Theologen Vincenzo Laurefid Reise. 37
gioni, cssendovi molÜ frati di diverse regole; offidano nondimeno tutti
insieme in una capella, et sl come communicano nello stesso studio e
vitto, aysi ancora mescolano le loro orationi. ricevetti molte cortesie da
questi padri e mi fecero vedere tutto it collegio; ma il mio contento fu
col padre Qrezero,*) che essendo altretanto gentile come dotto, m' accarezzö
all' usanza Tedesca con un par di brindisi d' ottimo vino. s& esU hora
occupato in rispondere al libro del Plessi Momai intitolato .Misterium
Iniquitatis*,*) c la riposta sati degna ddl'autore.
Bastava un giomo per vedere Inglostadio, ma Ic nevi e le nebbie
m' impedirono per doi giomi la navigatione: ma non mi dispiacque la
dimora, perch^ intanto godetti della buona conversatione di quei dottori
e viddi la dtti di fuora con doppii fossi e sodi bastioni, che la rendono
pari a quäl si voglia foriezza. di dentro i gentile, ma sarebbe piä se
non fossero le molte vacche e pecore, che essendovi la nette rinchiuse
cagionano ma) odore per le strade; e questo k commune difetto non
solo delle dttä Baveridie, ma ancora di molte altre di Germania.
II quinto giomo della mia navigatione sul Danubio pervenni a
Linz, che fu 11 2S di novembre, e bendi^ qui m' incontrassi a>n molti Lfau.
amid, da nessuno fui conosduto per I'habito secotaresco; ma il giomo
seguente arrivando a Velz mutai le vesti et misi fine al mio viaggio. ^ct*rS«I*
>) Jakob Oicber uu Scbwaben, gfb. IS63, f i^- Jiitnu t«15, der gddulette nater
den dcDUchai Joniten sdner Zdt, lebrte 24 Jahre Un^ in IngoliUdl PhlloMpUe und
Thcolocle. Sdne Sdirillm endilaen «pUer goimindt in IT Binden foHo (1731— IT41).
Vtf. AIlKEm. Denbche Biognphie 9, 644f.
*) Philippe de Momiy, zeäChnl. Du Pleuli-Monuy, dner der hervomsendttoi
fnBzMtcbcB Pntcituiten, gä>. 1549, f ^6ti, vtrhfile .Le Mytiire d'inJqnitf, cot-t-dlie
I'Hiflofrc de UPapaati, par qneli progris eile ctt monttei c< comble* niw. Saumar i6n in toi.
Ein deutscher Jesuit
als medizinischer Safinker.
Zum Jubiläum Bald» am 4. Januar 1904.
Von J. KNEPPER.
Der elsässische Jesuit und Neulateiner jakob Bälde') gehört
ohne Zweifel zu den Menschen, die man seilen nennen kann:
es war ein in jeder Beziehung bemerkenswerter Charakter, nicht
nur was sein Dichten, sondern auch was sein Denken und Leben
angehl. Was der Mann, von Jugend auf schwächlich und an
Körper armselig, aber stets regen Geistes, geschaffen hat, das
haben seine Zcilgenossen gewuiSt, und sie haben es ihm gedankt,
die Nachwell aber war karg im Lob gegen ihn, bis Herder ihn
wieder ^entdeckte". Originalität ist die starke Seite Baldes, und
in dieser Originalität ist er unerschöpfhch an Witzen und Ein-
fällen, Schrullen und komischen Verdrehungen und Verwicke-
lungen, er war eben ein hervorragend huniorisfisches Talent, das
mit dem attischen Salz zugleich auch herbe Lauge den Menschen-
kindern seiner Zeit zu reichen verstand - Humorist und
Satiriker In glücklichster Verbindung. Nicht schwarzgallig und
roh, nicht alles negierend und begeifernd, nicht hochmütig über
alles die Nase rümpfend, das alles war Bälde als Satiriker nicht,
und so wollte er auch die Satire nicht verstanden wissen; denn
Satire ist bei ihm vorwiegend das, was man so esprit nennt,
übersprudelnde Laune, mit viel Schalkhelt und naiver, oft aller-
dings drastischer Spottlust durchsetzt: „Zuckertörtchen und
Honigäpfel, gemengt mit Wermut und Essig, so eine echte
■) Oefa. «. Jinuir 1604, gm. V. Aue. 16». Nlhat* llbtr thn dnnnlchu ui la-
dEttni Orte.
Ein deutsdier jAHiPBbb Bälde) ils medianischer Satiriker. J9
LatB'ergcmixtur.')" Und dabei war Bälde ein iingemein tiefes
Gemüt, das sich verzehrte in bitlerem Harm iJber den dreißig-
jährigen Krieg, den er von Anfang bis zu Ende mit durch*
kosten mußte.
Ein solcher Mensch und ein solches Leben muß immer
interessant sein, selbst für den, der sonst von Jesuiten nichts
wissen will; dafür ist der Zauber dieser echt originalen Persön-
lichkeit eben doch zu mächtig und stark «nd seine ganze
Individualität zu eigenartig. Es ist deshalb auch nicht auffällig,
wenn von seinen vielen Schriften - Bälde war hauptsächlich
Lyriker und zwar ein sehr großer - selbst solche Beachtung
gefunden haben, für welche auf dem liierarischen Markte im
allgemeinen die Ver^'endung nicht allzu groß ist. Da denke ich
namentlich an Baldes medizinische Satiren,*) welche sogar
vor langen Jahren in Johannes Neiibig (München 1S33) einen
Übersetzer gefunden haben, und zwar einen verständnisvollen,
mit seinem Original vollständig vertrauten Übersetzer, dessen
Arbeit durch kecke Einfälle und einen munteren, flotten und
frischen Stil das Eigentumliche der Vorlage in trefflicher Weise
kopiert. Diese medizinischen Satiren enthallen eine köstliche
Karikatur auf das Leben und Treiben gewisser Kreise, die bald
enger, bald weiter umschrieben sind und im aflgemeinen durch
typische Repräsentanten dargestellt werden. Die Einkleidung in
>) VitkI. win «itnic« Hrkointnit übet wine Mllmch« Art «m Schlüge dn I.Satire.
Dir Stdie möge xiiKttHch iti Prob« i1:lmm:
LimI modo vtii rcffm,
Scd flodhira gnvr* nluüuit nnbili vvltu«,
Undr ]avB Irtrirc ntiiuri« fulmma ciidunr.
HE» Iglnir nutii quiiidoqiiiilFiti urtrnll
Omnli ncc Uiidarc llbrl. ncc carpcrc fu al,
TuHut in mnlio ilnlui drcniiffe cninpo.
Obhinduii iNfnulo«. pil[iiiin »v«rs4tvor M nna
N(c dunn iifc mnllli cto. Pharerralus «lilmini
Nnn minor *t t»pid«ni wulprrn piomiilcre noio.
lUisi cztuiplu, qui >c|^Cii ouilula blotida
Otfcrl ff iu«<i>1 Jil>li>llia ciindil jmiiroi.
Not DdimcU vtio p>rilFri)ui ibiinlhu libro
.Miuuimiii itiLiilumiiii« rl vlm mordmiix icdl
Quo nimbo üuiupcn dtcal pcrinndctc touiR,
Si modo («cu hominuni, qu«c vtdlmui «it^uc vidcmn!.
PoFidnibui poittii lancc cxpcndamui ulrii)ue
1 MedldMc gloriji prr wllru XXtl «ucn« (1"0. Du Werk i>\. ^t übiK« Probe
trigl, in Hnamctrm (CKhncbcn. Dk nntkubliche Otvuidlliril int laldnlictien Auidruch
bin, «I« abtnXi bti Baidr. aucK hi«T an).
J. Knepper,
entsprechende Namen gibt diesen lebenswahr und lebensvoll
gezeichneten Figuren etwas ungemein Interessantes und Packendes.
Es braucht nach dem Gesagten wohl nicht betont zu werden,
daß die Hauptausbeute aus diesen Satiren Baldes auf kultur-
historischem Gebiete liegt, und manches ist nach der Seile hin
sicherlich einzig in seiner Art und für die Beurteilung jener
ganzen Zeit und der Menschen in ihr etienso bedeutungsvoll als
»■itlkommen. Nur eine kleine Auswahl kann ich in tolgendem
bringen, was insofern seine Bedenken hat, als das Ganze aus
einem Gusse besteht und durch Rupfen und Pflüdcen dieser
kösthche Blumenstraufl leider etwas zerzaust wird. Daß ich
mich an die Übersetzung von Neubig, wenigstens im allgemeinen,
halte, wird man verstehen. Im übrigen war eine sklavische
Anlehnung an das Original weder tunlich noch auch beabsichtigt
Die Disposition des Originals beizubehalten, war ganz unmöglich.
Die Ärzte und ihre Wissenschaft haben es Bälde angetan:
er liebt sie schon deswegen, weil sie ihn, »der mit abgemagerter
Haut kaum mehr an dürren Knochen hing", so häufig kuriert
und von seinem elenden Katarrh erlöst haben. Dankbar blickt
er deshalb zu den echten Jüngern des Äskulap auf, aber die
»Affen dieser Kunst-, die « Landstreicher, Marktschreier, Zigeuner,
Pfuscher und pflasJermachenden Weihsbilder", die will er her-
nehmen und sie zur Genugtuung der rechten Ärzte am Grab*
hügel des großen Mediziners Oalenus opfern. Dieses Opfern
besorgt er nun sehr gründlich. Da kommt zunächst ein ganzes
Rudel von Pfuschern, z. B. ist da so ein Marull, ein naseweiser,
auf seine Dummheit stolzer Bursch, der nichts an sich von
Apoll hat außer den leeren Manien, den lausigen HaarbOndel auf
ungeschorenem Pudelkopf und die unbebarteten Knabenwangen.
Dabei dünkt sich das Männchen aber gerade so viel wie ein
alter Praktikus, obschon er Krasis und Krisis nicht unterscheiden
kann, den Brustkrebs verwechselt mit dem Flußkrebs, den Kies
im nächsten Bach in seinem Hirn zusammenwirft mit dem Qries
im kranken Leibe; die Herzwassersucht sitzt nach ihm in der —
Kniescheibe. Anders geartet ist der Prahlschnabel Zuckersüß,
der wohl nur mit bloßem Nägelabsch neiden, Haarausraufen und
mit seiner cinf^tigen Handwerksschere zum höchsten - Gcmord
En deulsdiCT Jesuit (Jakob Bälde) als niediziiiijchcr Satiriktr. 41
(caedes) promovierte, gestern aber noch rasierte, frisierte,
schmierte, Salben um- und einrieb, I^lästerclien aufslrich. Aber
so etwas zieht, das Piiblikum will's, zahlt einem solchen Narren
sein gutes Geld und - kränkelt weiter. Deshalb leben auch
die Charlatane in dulci jubilo. Man sehe !jich nur $0 einen
Heim an. Der WinUtcutel schwingt an jedem Finger zehn
goldene Reifen, und das verschafft ihm Überall offene Türen,
sogar in fürstlichen [glasten. Glaubst du, er durchfurche vor
schautüstcmcn Auj;en des Volkes mit staubaufwirbelnden Küdern
umsonst die Straften, öffnete für nichts und wieder nichts an
Seiner fahrenden Kalesche die schön bemalten Fensler aus feinem
Spiegelglas? Auch er, die leere Null, will eben was sein, will
sich aufblähen zum großen Rang des Hippokrates, wennschon
die stattliche Karosse nichts fßhrt als einen lächerlichen Waldpilz,
dem das Gluck den prächtig gcsHckten Piirpurrock anzog. Aber
man kennt ihn doch nur zu genau. Alle Wetter! wie er so
unausilehlich nach Pomade riecht! Des persischen Königs ein-
balsamierter Leichnam riecht mit allem Oedampf nach größerer
Schmiere nicht Gerade so toll macht es der Herr Schöisclieck.
Er bewundert sich wie ein stolzer PEaii und trägt aus allen
Farben buntgegittert eine Weste bis aufs Knie, dazu kauft er
sich noch den großen Ratslitel - und er will trotz allem mehr
sein als ein gewöhnlicher Quacksalber. Und dann der Herr
Doktor Bär! Den dunkelroten Windfrack am Leibe, spreizet er
die kreu:i:cndon StraÜcn einher in laubigen Stickereien, so daß
Bacchus schwört, Herr Bär habe ihm dieses Gewand entwendet
vom schönsten indischen Rebberge mitsamt den Blättern und
Trauben. Doch was kehrt er sich daran? Sein Rock ist ja
«lies, er weht Ihm den großen Ruf zu! Wie er sich gefällt in
den allerfcinslen Seidenhüten. Die ganze Seidcnwürmcrnation
verzehrt ein einziges Menschlein. Eine Binde spannt sich am
Hals als ungeheures Buch aus und ist zur Rose künstlich ge-
faltet Von den Seufzern des eingewobenen Goldes knarrt sein
Anzug, und von hohem Korke wiehert der Schuh, so daß vom
gravitätisch abgemessenen Tritt in melodischem Doppeltakte die
tönende Erde zurückspringt.
Einfacher schon, aber immer noch phantastisch genug gibt
i
J. KncppfT.
sich d«r Hebräer auf der Straßburger Ktrmes, ein echter Enkel
des Juden Heppeles. Den Kaftan über die Schulter geworfen,
am Halse eine Binde, den bunten TLrban auf dem Kopf, einen
mit Edelsleinen gezierten Dolch an der Seile, so sitzt er auf
seinem bunt geschirrten Rößlein und trommelt di* Leute zu-
sammen. Er versprichl den Kranken und Siechen die Jahre
Methusalems und das hohe Alter des Sandes am Meere, er
schreit aus heiserem Rachen, tischt allerlei Mätzchen auf) und
die Bauern slcht-n herum mit veil aufgerissenem Munde, als ob
der Orakelammon mit Hammelhörnern prophetisch winkte.
Und dann kam das Mittelchen: hübsch rundliche Pillen in
gelben Gläschen, natürlich eitel Dunst, dazu wundenpirkcndcr
Schwefel aus geheim nisvoHcm Stein und als Extra-Oratisbcigabc
noch dreieckige Gesund heitseicheln. Wer von diesen Nüssen
nur eine verschluckte, der hatte gewöhnlich genug für Zeit und
— Ewigkeil. Nicht weit von diesem Hebräer sitzt ein Zigeuner-
weib; dunkel ist ihre Haut, funkelnd das Auge, die ganze Ge-
stalt gehüllt in ein zottiges Bärenfell, nur die linke Schulter und
der Fuß nackt. Wundersames Zeug lehrt sie, Medizinisches und
Astronomisches, und sie weiß von der Nase im Gesicht zu
berichten: „Die aufgestülpte liebt, die krumme betrügt, voll
Argwohn ist die gespitzte, die lange voll Orofimut, trotzig die
schnaubende, dumm die Dicke, die runde furchtsam." Des
Menschen Leben und Gesundheit steht für sie in des Menschen
Hand geschrieben, und sie kann gar voraussehen, ob der Frager
demnächst mit einem Seh merbäuch lein in der Welt herumlaufen
oder als mageres Männlein seine Tage fristen wird.-)
In diesem Zusammenhange verdient namentlich die
XVII. Satire Beachtung. Sie fordert schon um ihres aktuellen
Interesses willen unsere Aufmerksamkeit heraus, richtet sie sich
doch gegen die „lächerlichen Weibsbilder, die da meinen, sie
könnten es den Märrem in der Medizin nachtun, wenn sie sich
nur die nötigen Titel verschaff! hätten." Wir sehen: ganz auf
t) KösUich. vcrn Mcli Mhr Irel, slbt Nciiblg S. nj eine Stelle wioler ,HAnl?
Bd Ihm nieSI ilerr Thnnie lun d«- Krilutu hin, rr mldeckl*? der Sudt Neapel in du
InDmltn Indim. uh ä\t KIi«lii tu der Uni^arn, ilm Don»ii In (Stf tUtlen,*
») t>on Ildlilc lelbil (ditf nie e««»s («hl rrtölAllfh» niH, tb» er nie «crcBSCii
hat, Seine Anivort «ar eine Ohdelse-
Ein deutscher Jeiiil (Jakob Bälde) als mediziniachcr Satiriker. 43
unsere Tage zugesclinitlen, iird so wie heutzutage war es schon
längst! Da ist so eine Prokuleja, die krakehlt mit allen Ärzten
hemm, haucht und faucht sie nur so an. Und dann die
«Aratlerin« Qalla! Sie wirft beständig wiederkauend in ihrem
wässerigen Munde, ich weiß nicht, welch betäubende Wunder-
brocken und Schlafmittel herum, ja sogar allerlei unappetitliche
Gliser und Schmiersalbenschachtdn kramt sie um ihre Pre<ligt-
kanze! mit hochwichtiger Miene aus und preist ihre elenden
Pflaster, Latwergen und haarwegfressenden Pomaden in allen
Tonarten. För eine große Griechin will sie gelten und spricht
nun hochnäsig in alles drein. Wohl mag sie als NGriechlerin"
etwelche griechische Schnaken seziert und umgebracht haben
und kann jetzt, mit Schnakenblut bespritzt, schon uHellas" Ulten
statt ■Griechenland", und das mit emsl gerunzelter Stirn sogar
im Beisein ihres Mannes. Natürlich ist so ein Weib ein Haus-
tyrann. Wenn sie sich mal nicht wohl befindet und gar
im Bette liegt, ach, da plagt sie nicht der gemeine deutsche
Husten, sondern der jonische Husten, so daß sie dazu mit
stotternder Zunge jonische Phrasen radbrichL Denn ihr gefätil
nur dieser feinere Dialekt Schlimmer noch maehts die Pillen-
dreherin Närrina. Die ist der Stolz selbst: sie allein kann und
weiß natürlich alles. So oft sie bei Tische sitzt, kauderwelscht
sie ihrem Manne bei jedem neuen Gange brockenweise die
Lehren der Universität Salcmo her und ißt, trinkt, schläft nicht,
bevor sie wenigstens ein Lehrstück wiedergekaut. Und dabei
steckt sie mit dem Gewä.sch ihre Nachbarinnen, Frau Basen und
Freundinnen an. Da weiß sie dann viel Schönes zu sagen von
ihrer nüchternen Lebensart, die liebe Mäßigkeit selber: sie liebt
)a nur pures Wasser. Aber weit gefehlt! Ganz krumm in die
größten Humpen sich windend, hat sie sich dem EJacchus ver-
pachtet und zeigt durch ihr rotes Kupfergesichl, wie viele Mord-
eimer sie schon gestürzt von Grund aus. Unablässig am Faß,
ach! küßt sie gar zärtlich die liebe Flasche. Säuft sie nicht, so
schwätzt sie doch. Ha, welcher Gott des Schweigens wird end-
lich mit tüchtigem Zapfen ihr stopfen die KlappermQhle des
Mundwerks? In medizinischem p. Wissen" läuft ihr Gevatterin
Bassa den Rang ab; sie hat eine Unmasse von Schachteln mit
J. Knepper,
allerlfi treffliclien Satben und Pillea und sie schwätzt wie eine
Schnatterente und bringt ihre Sache wohl an den Mann; eine
andere, Lecania mit Namen, prSsidiert frech und schneidig einer
ganzen Korona gelehrter Männer - mit höhnischer Rotznase!
«Geht mir weg," schreit sie, nmit euren medizinischen Kapazi-
täten, ich habe was viel Großartigeres entdeckt Nur geschwind
her mit den Ben5)<lauen, nur geschwind mit den Pflastern und
Überschlägen" - und schon hat sie aufgepflaslerL Dann
spilzt sie den Mund zu gar freundlichem LJcheln und spricht:
.Diesen feinen Fladen, diese Geruchpillen gegen stinkenden
Atem habe ich selber bereitet. Ja, dies da habe ich vom Vater
gelernt, dies vom Großvater, das von meiner Frau Base." Und
dabei lögt sie, daß die Mauern zusammenstürzen. Nun sehe
einer dieses »stolze Weibsbild einmal zu Hause an! Ist die
groBwulstige Lockenperückc nebst Federhut, Schleier und Schal
abgelegt und ihre gelehrte Komödie ausgespielt, dann spült die
gelahrte Dame zu Hause ihr Küchcngcschirr ab, fegt das Zimmer,
putzt die Stiegen, webt Baumwollgarn und dreht mit hurtigem
Daumen die Spindel am Rocken.
Nun wird Bälde ernst. Soll für das Weib auf diesem
Gebtete denn nichts übrig bleiben? O ja. Man kann sicher
nichts dagegen haben, daß es dem Kranken die Suppe koche,
das Bett gut richte, die Speise reiche und Wöchnerinnen zur
Seite stehe. Man kann auch nichts dagegen sagen, daß es Berg-
minzen und Wollkraut zu ganzen Haufen auspreßt in wohl-
riechende Tropfen. Es gibt ja Safran, Schmal2blumen, süßes
Sternkraut, blaue Kornblumen, Windröschen, Rosmarin, Oleander,
Wacholder, Thymian, Tausendschön, öhriefende Pinien und
keltische Narden. Soll's pressen und läutern. Aber was erfrecht
sich das Weib, ganz Arztin werden und es den probaten Ärzten
noch zuvortun zu wollen! Daß sie umgeht mit harmlosen
Kräutern, mit alltäglichen Hausmitteln, das gesteht ihr jeder gern
zu, aber sie steckt scharfklug ihre Nase in ein Wieselhirn, be-
sdinüffelt eine Fuch&milz und geheimnisvolles Menschengehirn.
Sic entdeckt allerlei stinkende «Hdl"kräuter, sie hantiert mit
einer Rippe, die einst einer Mumie gehörte, sie macht stark in
Kartenkunststücken, Vogel> und Stcrndeuterci, und dabt;i packt
Ein deutscher Jesuit (Jakob Bälde) als medizinisclier Satiriicer. 45
sie auch die ekelhafteste Krankheit herzhaft an, sie ist eben
stark und schrickt schamlos vor nichts zurOck. Aber dann, bitte,
gleich auch einen Schritt weiter gehen. Sie lege den Weiber-
rodi, die Haube, das Haarband ab und marschiere so in
Manneskleidung los auf Padiia, die große medizinische Hoch-
schLle. Aber um sich trotz dessen ja nicht zu verraten, soll sie
wie ein echter Mann im allertiefsten Baßion brummen, jedes
Wort wuchtig herausbringen, den Haarzopf von hinten nach vorn
ums Kinn binden als Bart und so, mit etlichen Dutzend
Murmehieren umgürtet, auf der Landstraße einherziehen. O, eine
herrliche Tour und deines lö'renbespannten Wagens würdig,
große Mutter Cybele - wenn die gelehrte Doktorin anders
nicht auf einen verliebten Stutzer loskutschiert und das Reisen
lieber aufsteckt
Leider gibt es Ärzte genug, die sich den geschilderten
Gnupi^en nur zu würdig anreihen, oft tüchtige Fachleute, die aber
durch Verfehlungen aller Art dem schätzbaren ärztlichen Stande
nicht zur Ehre gereichen. Da sind z. B. Leute mit den Manieren
eines Schmarotzers, u. a. der Doktor Firiefanz. Dem sollte man
eigenthch den Schädel mit bissiger Lauge ausbeizen und mit
schwarzer Asche durchreiben, denn wo nur immer ein starker
Oenich von fettem Kuchen in seine gespitzte Nase steigt, da
zieht er dieselben jedem chemischen Ofen und persischen
Apotheken vor, und großbackig eilt er lüstern seiner Nase nach.
Toller noch machts der Herr Medicus Sassafras. Wenn ein
reicher Patient ihn ruft, greift er herzhaft zu allen Schüsseln und
läßt sich's gut schmecken, verbietet aber dem «Kranken«, auch
nur ein unschuldiges Pilziein anzurühren; er weiß es dem armen
Patienten hübsch plausibel zu machen, daf^ alles, was ihm schade,
seinem eigenen Magen köstlich bekomme, und je netter er ihm
bei all diesen Tisch herrlich keiten den Mund schließt, desto mehr
kreidet er ihm auf die Rechnung. Gib dich drein, armer Patient,
nimm den Maulkorb und halle hübsch still bis zum Ende! Du
hast den Kücken voll Knollen und ßlasen wie von einer
spanischen Fliege, er aber, dein besorgter Arzt, lacht sich heim-
licli den oRöcken» voll und schmaust unterdes die ..Knollen"
der Erde, leckere Trüffeln. Aber halt, der brave Medicus ist
J. Knepper.
schon weiter. Schon ist ein Flamingo, ein Hase, ein Rebhuhn,
ein Fasan, ja ein Damhirsch mitsamt den dreipfündigen See-
barben in seinen Magen hinabgestiegen. Und was erlaubt er
dir, dem armen Patienten? Ein Zicklein etwa? Bei Leibe nicht,
kaum eine kleine Lerche, höchstens zwei, wenn du auch mehrere
verdientest, dazu im besten Falle ein Händchen voll Erdbeeren
mit Zitronensaft, der nur ein paar Tropfen Honig erhall, während
er selbst den besten Salat mit feinstem Öl sich fertig macht,
Du Ärmster, du darfst im weichen Kissen am schönen Konfekt
nur mit Augen und Nase dich satt sehen, der andere aber, der
ißfs. Und da sieht so mildes Gemüse vom Passauerland auf
dem Tisch. Vielleicht ist das wenigstens für dich Kranken etwas?
Blase, blase! Für dich Armen i&l's ja eben noch 2U heiß, für
den Gaumen deines Arztes aber isfs - kßhl genug. Ein paar
verschimmelte Zwetschen und eine unsagbare Brühe, die gar der
Zuchthäusler mit der Kette am Fuß verschmähte, das ist was für
dich, er aber schnappt dir vom Munde weg Forellen, Austern
und Melonen, denn so was ist ja für dich i.gefährlich", sein
Magen aber verdaut eine ganze Schüssel mit Aiisteni samt der
dicken Salzbrühe. So trinkt er deinen Wein, und du darfst
die Flasche höchstens anbellen wie ein schüchternes Hündchen.
Schmarotzern und den Beutel füllen, das liegt so auf dem-
selben Felde. Manche Ärzte können nie satt kriegen. Da
kommt der Doktor Dickviel zu der kranken Schmallulla ganz
langsam wie ein Faultier herangekrochen um den Lohn zu
erhöhen für jeglichen Tritt. Muß ja all seine Bedienten. Weib
und Kinder, die unterbrochenen Geschäfte zu Hause lassen, und
das macht die Forderung für solche Bemühung und Opfer
natürlich größer, und muß er im Finstern oder bei Tage in zu
großer Hitze weil gehen, kostet es doppell so viel, G Schmallulla^
tu erbarmend deinen Kasten auf! Dein ganzes teures Leben,
es liegt in deinem Portemonnaie. Entweder gib oder geh aus
der Welt! Doktor Ooldschötz machfs ähnlich. Hat er einen
Kranken geheilt, dann schindet und schneidet er ihn bald so
jämmerlich zusammen, daß der Arme wünscht, mit der alten
ungeschorenen Haut nur wieder in die alte Krankheit zurück-
fahren zu können. Ein schlechtes Schlafmixiürchen von etlichen
Ein deutscher Jesuit (Jakob BaJdc) als medizinischer Satiriker. 47
Mohnkörncm und etwas Milch — das kann d«r Börse schon
die Schwindsuchl bringen. Was sol! al&o Dr. Hops zu Mops
gehen? Mops ist ja bettelarm. Nicht einmal ein Scheitchen Holz
im Höfchen, kein Feuer im öfchent Sein Häuschen ein Raum
von zwei Katzensprüngen. Der Doktor kommt zudem nur zu
Pfingsten auf dem Eis, wenn der Kuckuck schreil, denn er riecht
anderswo weit bessere Bewirtung als da, wo man nur Haferbrei
und schimmliches Schwarzbrot mit Zwiebeln und von einem
alten Hammel einen halben Knochen auftischt Ja sogar ins
Testament hinein sich schwärzen kann so ein Döklerchen, und
von einem aus Kassel erzählt man, dal5 er bei Krankenbesuchen
wcKzuschnipfen verstand Schnupf- und Halstücher und Strümpfe.
■.O Kinderchen," rief deshalb Frau Till, »Kinderchen, geschwind
die Wäsche weg! Herr Ripsraps kommt. Fori rasch mil dem
schönen Linnen und den feinen Servietten." Allzu ehrlich
machte es ein Florenzer Heilkünstler, der sich über das Tor
seines prächtigen Palastes schreiben licB:
Vater Oalen ist unser Palron
Hilft er nicht andern, hilft er uns schon.
Aber der Mann hatte eben nur zu sehr rediL Das ganze Haus
spiegelt, von Gold schimmern Sessel und Tische, überall Prunk-
gcßfie von Erz, ringsum Statuen eines Myron, Praxiteles, Polyklet.
Und da gibt es noch Leute, die so etwas in Schutz nehmen.
Was kostet nicht so ein Doktor, namentlich in den ersten drei
Jahren, wie muß er rieht schwitzen auf Welsclilands hohen
Sdiulen, was muß sein armer Schädel nicht alles dulden - so
hört man's, und e& freut sich darob Herr Sparmundus Filzhausen,
Herr von Rutschleder, Herr Bücherl. Aber nun sehe man sich
mal dieses letzteren Bibliothek an. Alles, vom größten medizi-
nischen Folianten bis zum kleinen Journal, fingerdick mit Staub
bedeckt, ein Spielplatz für die Mäuse, denn der Herr hat's ja
nicht mehr nötig. Ein Stündchen Praxis jeden Tag, das genügt
jetzt. Schau dir aber einmal dieses Mannes Salon und Eßzimmer
an! Wie das funkelt und glitzert — Krüge, Pokale, Flaschen,
Ponellan, Bernstein, Glas. Antiquitäten, alles bunt durcheinander,
so ein hübscher Raum, um sein Hirn zu füllen mit Alkohol
J. Kncppcr.
in lust'ger Zechgenossenschaft, altes, weil's die Patienten ja
gern zahlen.
Wie rümpft aber so ein pflichtvergessener Arzi die Nase,
wenn er in die Slube des Armen gerufen wird. O hüte dich,
Korduba, - ruft der Satiriker ernst ans -, den vierschrötigen
Korydon einen rohen Holzklotz höhnisch zu benamsen, den m-in
unbeschadet zersägen dflrfe! Er soll etwa deinetwegen ein
schlankes Spazierslöckchen, ein schmächtiger Krautstengel sein I
Wer weiß, was das Schicksal aus so einem knotigen Bauern
noch machen kann? Auch er hat doch ein Recht auf das Leben.
Liebt ja die rauhe, festgewurzelte Alp^neichc und ihre Art das
bißchen Leben so gut wie die Zeder und ihre Familie, so gut
wie die sülien Kinder der Nyniphenj die auf blühenden Auen
an Queüen und BScIier in stille Veilchen, sanfte Rosen und
liebwonnige Lilien sich ergießen.
Böse spielt den Ärzten auch der Durst mll. Gerade wenn
man den Doktor Hans Feuchtl nötig hatte, dann lag er auf
einem Bauernhöfe und schnarchte den heillosen Rausch aus.
Wie ein Trichter ließ er alles herunterlaufen, und die ringsum
kreiden beschriebene Kneipe zeugte, was er leisten konnte. Da
schniausle, tanzte, sang er, so daß sich der Stutzfrack über den
Kopf schwang. Nüchtern aber war er der gesuchteste Arzt, viel
begehrter als der Abstinenzler StÜrzel, der die Kneipen floh und
nur am Wasser sich labte, aber am Krankenbett immer heilloses
Pech hatte.
Wie unangenehm ist dann nicht ein schwätzender Ai7t?
Der Doktor Glyptos schwadroniert beständig polasgisch-pclasgisch,
mit seinem Gefasel schmiert er selbst Wunden zu. Und der
arme Zips in seinem Bett muß das alles anhören, er wälzt sich
herum, und der Doktor redet weiter, und Zips bleibt krank.
Meinetwegen kann der Ant am Krankenlager stumm sein wie
jener Tölpcl, der einen Maulkorb trug, um ja in keinem Ochsen
die eingewanderte Seele seines seligen Herrn Vaters beißen zu
können. Da tS.\]t mir der Doktor Krembs ein. Er sprach nur
sehr wenig, und selbst dies wenige war nicht milchig, vielmehr
angenehm mürrisch und unterbrochen durch anhaltende Pausen,
Er fühlte den Puls und ging dann schweigend auf und ab: er
Ein deutscher J^uit (Jakob Bälde) als medizinischer Satiriker. 49
entwarf ja den Heilpian, wobei er immer seinen Husten,
Schnupftabak und langwaltenden Bart mit Streicheln zu Rate zog;
dam forderte er Papier, Feder und Tinte und kritzelte sein
Rezept. Dann erst wurde er heiter und fröhlich.
Ja sogar — Bälde kann's allerdings kaum glauben —
Mörder soll's unter den Ärzten geben, Menschen, die schon
Mitlelchen %'issen, miniiebige Kreaturen aus der Welt zu schaffen,
ohne daß mar sonderlich viel davon merkt. Da gilt es zum
Beispiel, eine unglückliche Ehe zu lösen. Der Doktor Lentin
versteht es meisterhaft, hier mit ein paar Pillen das Nötige und
Cevünschte zu erreichen und dem von Zank durchlobten Haus
liefen Frieden zu verschaffen. Neue Hochzcttsfackcln, neue Fesl-
gesichter, neue Brautkränze ~ das alles verdankt der glückliche
Gatte seinem Hausarzt Wie viele von den Kerkcrfesseln des
Körpers erlöste Seelen hat nicht auch der Doktor Tukka auf dem
Gewissen? Man sehe sich ihn nur an, wie er einher]Auft mit
schön gekräuseltem, aber gekauftem Haar, mit aufgeschwollenen
Braivurstlippen, schielend und knimmfäßlg mit verdrehten
Waden. Oleich als solle man sich vor ihm hüten, ist der Kerl
sehr deutlich gezeichnet; von seiner Mutter her ist er ein rot-
haariger Brandfuchs, und sieben große Warzen, in einer Reihe
gar brüderliche Nachbarn, grenzen ihm kenntlich die Stirn ab.
Aber freilich, der Biedere hat's endlich auch weit gebracht: er
sitzt nämlich in einer Stadt Westftilens und ist dort - Schinken-
prosekior. Andere aber von dieser sauberen Zunft leben herr-
lich und in Freuden, sie finden ja dankbare Ehemänner, die sie
von ihren Furien ertösen; so ist mit i-ärztlicher Hilfe" der
Schwäbele Oargel zu Ulm sein zänkisches Weib Poltrina los-
geworden, zu Hamburg Herr von Pimpemell, zu Danzig Schnarch-
gal Acht ganze Weiber hatte der letztere ausgestanden, als er
die neunte unmöglich länger ertragen konnte, da ließ er sie
hinaustragen - nun hat er die gewünschte Ruhe. Mit scharf-
gepfefferter Eisbrühe hat der Pulsgreifer hübsch alles prompt
besorgt. Die hundertlausend ausbedungenen Judasgroschen
gleiten dann in die Tasche des Helfers in der Not, und nach
Jahr und Tag kräht kein Hahn mehr danach. Bälde unterläßt
es natürlich nicht, hier seine Satire mit dem ganzen Ernst eines
Aidkl« nr Kullnriadilditt. It. 4
j. Kneilper.
Mannes zu tlurchlränken, der solch uiiglati bliche Frevel mit
flammender Empörung brandmarken mußte. Desgleichen erregen
namentlich auch die knie seinen Groll, welche sich ßber reli-
giöse Pflichten') und altehrwürdige Gebräuche keck und kühn
hinwegseUen. um nur ja ihrem Portemonnaie nicht zu schaden.
So kommt's denn vor, daß gewisse Herren Doctores den Kranken
gerade in der lustigen Faschingszeit Meerzwiebeln, auf Kar-
freitag aber Schinken verordnen.
Ein abgeschlossenes Bild des Arztes, wie er nicht sein soll,
gibt uns Bälde in seiner letzten Satire. Hören wir ihn: Des
Arztes Ruf, der gute wie der schlechte, bleibt nimmer verborgen,
aber jeder Arzt kann sich selbst seinen guten Namen schalfen
und erhalten. Sieh, wenn du, wie deine Ahnen es machten, tief
bis über beide Ohren in träge Federn begraben, schnarchest,
wo die Kranken dich doch zur Nachtzeit nötig haben, vcenn du
trotzig, bäurisch-roh mit deinen Hoclunutsphrasen den Armen
verachtest und nur dem vollen Geldsack nachläufst, wahrend
doch ein armer Lazarus nach dir seufzt, wenn du endlich ein
unglaubliches Phlegma bist und allmählich in den Geruch
kommst, du hättest mit dem unbarmherzigen Tode einen Pacht-
konlrakt auf regelmäßige Lieferung von Material für Pluto ab-
geschlossen; dann gute Nacht mit dir, erbärmlicher Tropf, und
solltest du auch Gevatter Phübus als Urahn haben und in Titeln
und Orden prangen. Wider dich steht der alte, biedere Hippo-
krates auf, verhüllt sich mit schwarzem Mantel die Augen und
— hangt sich auf ain Balken. Und der berühmte Mediziner
Avicenna, mit dessen Büste du prahlst, sieht in dir einen arm-
sehgen Bastard, und er würde erröten bei deinem Anblick.
Wie ganz anders der Arzt, der Verstand und Herz auf
dem rechten Flecke hat! Er wird gepriesen sein weit und breit,
und sollte er auch armer Leute Kind &ein. Wenn du - ruft
Bälde einem solchen Arzte zu - deine Hilfe immer bereit-
willig den Leiderden zuteil werden läßt, wenn du ihn gesund
machst und nicht ihn quälst mit allerlei Gebräu, dann, und
wärest du auch entstammt einem armseligen Stalle und hätte
■) Ckgen die □Mlnleufnei unter dm kntai tiii< er «n« d£en« iqif«f(«rte S«tln,
dh XII.
Bn deutscher JesMit (Jakob Bälde) als medizinischer Satinkcr. 51
auch dein Vater, ein »dummer" Bauer, mit krummem Pfluge
mühsam die Schollen zerschlitzt, dann stinkesl du nicht mehr
nach Land, und die schwarze Strohhötte ist dir kein Schalten.
Von welches Stammbaums Rinde nur immer dein Name sich
herschreibt, du erhebest die neuer Aste höher als deine Ahnen
von jeher, du stehst dann mit deinem Adelslitel im ewig dauern-
den Buche glorreicher Taten, du, ein einfacher Arzt, gebeutst
Königen: sie legen ihre Krone ab und erwarten aus deinem
Munde ihr Schicksal. Und gerade der echte, rechte Arzt ist so
schlicht und einfach, ja er mag gar das Urbild von Bedürfnis-
losigkeit sein, wenn er seine Kunst nur versteht. So ein Bieder-
mann haßt die duftende Pomade, aber er schmaucht sein Pfeif-
chen mit gewöhnlichem Hanauer Tabak, es riecht nicht gerade
gut, aber es ist lustig, ja er mag sogar mannigmal duften echt
jüdisch nach Knoblauch, er mag ein hartes Lager sein eigen
nennen, einfaches Binscnstroh oder eine Bauern malratze, ja ge-
flickte Lumpen, was verschlägl das alles - er hilft ja, rettet ja,
heilet ja, und so rufen wir zum Vater im Himmel: O gib uns
so einen Mann als Arzt! Ein schönes leeres Balsambüchschen
nötzt uns nichts; da ist mir ein armer Pfenninger tausendmal
lieber, denn der Mann ist fleißig und ehrlich; ihm hat der
Armut scharfer Wetzstein prüfend den Geist geweckt und zu
glänzendem Schwerte geschliffen. Er füllet mit neuer, lebens-
kräftiger Luft dir den faulenden Doppel blasbalg, er wird die
versteinerten Eingeweide, die felsige Milz dir wieder heilend
erweichen. O verachte ihn ja nicht, wenn die Stirn sehr klein
und ungewöhnlich beengt ist, sein Kopf, auffallend zusammen-
geprellt, in einen Zuckerhut sich zuspitzt oder einer viereckigen
Pyramide gleicht oder im Oegenleil mit breilgedrflcklem Schädel
sieh ausdehnt und zu niedriger Haubcnschachlel abgeplattet ist,
oder wenn du gewahrst, wie er, halb mit triefendem Auge blind,
kaum das Allernächste zu erblinzen imstande ist O er sieht
dennoch sehr genau. Um höheren Preis erkaufte der kranke
Rabirius die glicderverstünimeUen Kriippi;!. Nicht jeden Arzt,
nur einen vulkanischen Kriimmbein ließ er zu sich kommen,
weil der eine FulJ kürzer war, sein Haar ganz dimn und aus
allen Farben gemischt und wie abgestandener Salat welk, und
4*
J. Knepper.
dazu an heiserer Gurgel ein siebenpfündiger Kropf hing. Ein
heller Geist *ohnt eben sehr häufig in einem häßlichen Körper,
und i.eiii schöner Kopf hat selten Kopf".
Hast du einen solchen Arzt gefunden, dann frage nicht:
„Woher? Ein Welscher oder Neger? Von Jer Seine gewaschen
oder der Donau?" Führe ihn mit dir geraden Weges ins Eß-
zimmer, als hättest du die Elire, in solch gemeiner Alltagsfigur
den großen Meister Hippokrates selbst bewirten zu dürfen, der
da einst sagte, daß ein von Brei, Kraut, schlechten Zwiebeln und
Bohnen küinmerüch sich nährender Mann oft weit erlauchter sei
als der plumpsatte Dickbauch Herr von Hammelburger, den die
fettgespickten Fasanen gemästet Freilich, auch in diesen Dingen
ist die Mittelstraße die goldene Straße. Keinen Kyklopen will
ich zum Arzt, aber auch keinen schmachtenden Ganymed. Eine
männliche Stirn, nicht sonderlich heiter utid stets vom heiligen
Ernste bewacht, dann rauhe, genmzeltc Wangen und ein Sumpf-
rohriiart, so etwas ist für den Heerbann, der gegen den grau-
samen Tod in die Schlacht zieht, um mit Schrecken den Sensen-
mann zii verscheuchen: vor einem glatten Lockenkopf ist er aber
nicht bange, und das süßlächelnde Gesicht eines Stutzers schllgt
ihn nicht in die Rucht.
Ernst und schön schtießt Bälde seine Betrachtung über den
Arzt und seine Aufgabe an einer Stelle: Ach, stets füllet sich neu
der Mond, die Sonne und Stemlein, untergegangen im Meere^
sie können wieder in schönem Morgenglanze erstehen. Aber
der Mensch, dem einmal im Todesschlummer das Licht des Lebens
erloschen, er schläft die ewige Nacht in plebejischem Staube.
Also ein kostbares Gefäß, doch von Ton ist's, hat der Arzt in
den Händen, so oft er des leidenden Pulses murmelndes Beben
erforscht Wir sind nur brechliches Glas und im Nu durch
schwachen Schlag, Stoß, Fall und Zufall nicht mehr. Gott, wie
oft zerbricht ein unbesonnenes Spiel die Schalen, durch keine
Kunst des Bildners heilbar! Auf dem Boden hegen die Trümmer
zerstreut, nicht fürder tauglich dem Menschen zu schönem Ge-
brauch; man trägt sie hinaus auf die Bahre. Der Unvorsichtige
hätte noch retten können, wenn er ein kluger Wächter gewesen
wäre. O, so lialte denn jedes Leben zurQck mit jeder Kette^
Ein deutscher Jesuit (Jakob Bälde) als racdizinischo Satiriker. 5$
dodi wenigstens nur einen Augenblick, wenigstens den kleinen,
den Iet2ten Rest von des Lebens schwachen Fäden strebe zu
fristen; O rette, relle nur noch die Trümmer der Parzenspindel!
Die du hinuntersendest, sie kehren nie, nie wieder aus dem
traurigen Schattenreiche. Ein guter Arzt, der seiner göttlichen
Kunst den rechllicheti Mann gesellet, strenge Gesittung übt und
heiligen Wandel des Lebens, der hebt sich ütier der Sterblichen
Los. Er schreitet auf Erden als Gottheit, teilet himmlische
Gaben aus mit seiender Hand, Ihm bauen wir wie den ver-
klärten Geistern im Himmel Altäre, ihm weihen wir frommes
Gebet - Wir sehen: der Jesuit wird warm, wo er von den
echten Ärzten spricht; er hatte eine Menge von treuen Freunden
unter ihnen, und so werden vor allem auch diese selbst
sdion im Standesinteresse seinen geharnischten Satiren zugestimmt
haben.
Es war doch eine schöne Zeit, als die Welt, frei von
Krankheiten, die Gesund hei tsrepara tu ren noch nicht kannte. Das
dauerte aber leider nicht lange, denn schon Jupiter klagte dann
und wann nach ambrosischem Trinkgelag friihmorgens über
höllischen Kater. Zwar Juno, sein Weib, ließ ihn brummen und
lachte dazu, und der Kater schwand allmählich, namenthch wenn
Jupiter zu seinem Herrn Sohn Vulkan nach Sizilien kam und
dort die langweilige Zeit verspazierle. Aber bald hatte er wieder
Durst, und die Sache fing von vom an; der Oötterrausch wurde
immer toller, der Kater immer jämmerlicher. Und die Menschen-
kinder ahmten ihren Qott nach, machten die Weinkübcl immer
größer und holten sich mit dem Bnimmschädel das ganze
Register der Krankheilen. Aber man blieb doch noch vemünflig:
man aß noch keine Ameiseneier, man trank noch nicht mit
Wörmcni volle Becher von Quecksilber, man verschluckte noch
nicht die Asche von Wolfszähnen mit Wolfshunger, man kannte
noch nicht die Eingeweide des Flußkrebses, man wußte noch
nichts vom weißen Hundskot, von Bocksblul, von Galle und
Hirn des Adlers, von Igelmilzpulver und gesottenem Hundc-
schmalz. Man kurierte sich einfach mit Kräutern. Und was
tut man heutzutage? Überseeische Wurzeln holt man und ver-
schlingt sie mit Behagen. Cachonde, China, Ouajak, wer von
_^
J. Kneppcr.
den Alten nahm sie? Man zerreibt und trinkt Korallen, Hinter
den Eselsohren lockt man Blut heraus und schlürft es hastig,
ebenso Vipernbrühe, Walrat mit dem Saft aus gtänzender Fäulnis
der Johanniswfirmchen gepreßt. Pulver von Kröten, Eidedisen-
salz, Eingeweide von Fröschen, gemischt mit verfaulten Raben,
ägyptische Pharaonsralten, das alles wüi^l man herunter, ja in
der Not das stinkerde Ekelgemisch vom Atiskehricht, selbst den
Kot des Krokodils, natürlich ohne jeden Zweck. Spanische
Fliegen, Wunden, gebrannt mit glühendem Eisen, windige
Schröpfköpfe, das ist noch das Wenigste. Manche heulen und
lusen sich kochen und überschwefelii in heißen Dampfbädern.
Wollte es der Arzt, sie vFürden brennen wie Neros Fackeln.
Und Irotzdcm, immer m,chr Seuchen und Krankheiten! Krebs,
Gelbsucht, Krätze, Geschwüre, Fieber, Darmfluß, Eitersacke,
Nierenentzündung, Darmbruch, Schlafsucht, Krämpfe, Schlaffheit
in den Gliedern: welch kleiner, kleiner Teil!
Und woher alles? Hauptsächlich voin Schlemmen. Sobald
an runden Tafeln fetter Überfluß und Freßsucht saßen, da
standen auch mit gleichen Schüsseln ganz brüderlich mitgefütten
vierschrötige Kranklieiten mit auf. So ist der Kampf der Ärzte
geworden ein Kampf gegen Küche und Köche. Zwei bis drei
nur aber fechten dort, hier aber steht mit Bratspießen, Messern
und Gabeln ein ungeheures Kriegshecr. Tag und Nacht forl-
glQhend, stehn im Feuer die fettesten Ochsen-, Hühner- und
Gänsebraten, die größten Humpen zu rauschigem Wetlkampf
füllt und kredenzt der Mundschenk. Alte schwingen bezecht den
Thyrsos, alle bersten dickvoM als Überkuchenmeister. So stirbt
der Herr von Schüsselkönig an seinen Fressereien, und Zutzte-
putsch nagt ein sommerlich Eis, wahrhafte Trümmer von
Islands Eisgebirgen, und Zutzlcputsch ist doch ganz erhitzt von
Spiel, von Tanz und glühendem Rheinwein. Aber er will gegen
■ Eis" sich ,.eisem" zeigen, will die winterliche Kühle in seinem
Schlünde, die er empfindet, garnicht empfinden, aber die Glieder
starren ihm, und die schmerzlich grimmende Darnigichl sagt ihm
nur zu spät, er habe wahres Gift verschluckt, sein Könstlich-
gefrorenes. Ist es danim ein Wunder, wenn der Schlemmer
Vielfraß seinen harten Pfau, den er mit ins Bad. auch mit ins
Ein deubcher Jesuit (Jakob Bälde) als inedieinisdier Satiriker. 55
Grab nimmt und erst unter der Erde verdaut? Narren scherzen
eben mil dem Tode.
Grundfalsche Methoden der Arzte spielen in den Satiren
ebenfalls ihre Rolle, manches zeigt natürlich die Zustutzung zum
Übertriebenen und Lächerlichen. Mein Mann nift Bälde in der
2. Satire aus — wäre der ausgediente Oraubarl Bamabas, denn
die jungen Krankenspione quälet noch allzusehr die Mordiust,
und sie studieren nun einmal mühsam darauf, wie sie, mit
frischer BIcifaust zusprechend, den Kranken recht abboxen und
ihm tödliche Gnadenstöße einreiben können. «Junge Bari-
scherer, alte Arzte" heißt's mit Recht Nie soll unter dem Kinn
ein vor Aller zitternder Finger mir spielen und mit gefährlichem
Messer die Haarbuschgurgel zerkratzen, aber es kann der HeÜ-
trank doch recht gesund sein, ob ihn schon eine bebende Hand
rddit - Wie viele Leichname hat so ein Jüngelchen schon
hinabgesandt, wie viele aber auch schon der ArzI, der sein
Handwerk nicht versteht Pansa aus Wien verließ endlich die
heißen Quellen von Karlsbad und warf sich dem Hessen Saufell
hin zur völligen Heilung. Der Ärmste. Es ging täglich
jämmerlicher: das Btul dick, der Puls matt, beinahe blind, denn
stau lindernden Balsam hatte der Hausdoktor ihm Scheidewasser
ins Auge gegossen, das ihm sogar das Wams zerfraß. Eine
Cxtrasalbe sollte alles kurieren, aber sie tat's nicht. Da gibt es
Arzte, die überlassen alles der Natur, andere wieder wollen davon
nichts wssen. Wer den ersten in die Hände fällt, der mag im
Fieber rasen, einen Höllenbrand im fast zerplatzenden Schädel
spüren, ihm mögen die Schläfen zerspringen - man läßt ihn
hübsch ruhig gewähren: die Natur wird's schon bringen. Jawohl,
sie brachte - ihn ins Grab. «Willkommen, mein Gotterbarms,"'
rief so einem Doklor einst der Kirch hofswächtcr in Glogau zu,
prdich nur sehen, so fallen die Leute wie Soldaten in der Schlaclit."
Der Mann hatte recht mit seiner Freude, er hatte ja als Schatz-
gräber im Solde dieses Krankenhelfers die beste Kundschaft,
^hatte die herrlichsten Sümmchen erobert dafür, daß er dessen
Totenlicferungcn in ein Loch verscharrte. Vor so einem Arzte
gehl das Fieber nicht laufen, es höhnt ihn gar. Wie wird denn
so ein zartes Milchlanun, der Doktor ßutterling, die Säge des
J, KnepiKT.
sehen kclzcrsch neidenden Podagras stumpfen, wenn er weder den
Katarrh aus angeschwollener Qurge! vertreiben kann, noch die Gelb-
sucht im Gesicht, ja nicht einmal die hangenden Drüschen am Ohre.
Ahnliche Kumpane sind Hans Lüderlich und sein Gesell Kunz
Alberich, dann Rundbauch, Liebelher?. und Bruder Laufenheimer,
namentlich aber Dr. Qrimmkratt, der in vier Jahren hundert
Leutchen - hinunterpurgiert hat. Man möchte meinen, diese
Herren Dodores wollten sich aus der Unterwelt eine der
Schwarzen Furien holen als Frau Doktorin. Einer von ihnen,
eine offene Seele, machte einst folgendes Gelöbnis: ..So oft einer
meiner Patienten stirbt, rupfe ich mir ein Haar aus." Er tafs,
und in einiuen Jahren war er kahl, als hätte man ihm mit Pcch-
pflaster den Schädel abgeräumt Beim Glas Burgunder gab er
selbst die Sache zum besten.
Als einst die Dame Lovinia gestorben war, forschte man
nach dem Rezept, das ihr der Dr. Matz verschrieben hatte. Es
lautete: wNinim mit Präzipitat das englische Pulver und mische
von siedendem Wasser hinzu sechs Tropfen, dann bei langsamem
Feuer tröpfelnden Vitriol. Überdies Kampfer, rohen Maulbeer-
baum und wasserhaltige Lotos, Neaselsanien und Geigenharz mit
Malven, ferner Keuschlamm und in weißem Wein gekochten
Gamander, dann Quittenäpfeitinktur und Tamarisken. Wirf
hinein Salpeterkögelchen. Wirf hinni Minzenkraut, Alraun,
spanischen Pfeffer, Würzen von Oichtrosen, Seeblumen, schlaf-
rauschiges Opium, Isop, Aloe, zapfentragenden Terpintenbaum,
freudige Fäden von weichgefasertem Safran, endlich Kolokasien
mit Attichbeeren, Geiflbart mit drei Frauenhaaren, in Tau zer-
veicht" Die brave Lovinia starb, aber natürlich nicht dut^h
Schuld der Arzte - denn so ein Rezept mußte doch jeden
retten, sondern weil eine verdächtige Alte sie giftig angehaucht,
ein schwar/er Kater sie geschreckt und ein Uhu sich auf die
Spitze des Daches gesetzt hatte. Was konnte da Herr Matz
machen ?
Was uns an den dargestellten Kuren ganz besonders inter-
essiert, das ist die Art, wie Bälde über die Wasserbehandlung
denkt. Einen Kneipp und Kneippianer gab es noch nicht.
Eine eigene Satire, die 4., befaßt sich mit der Wasserkur,
Ein deutscher Jesuit (J&kob Bälde) als medtzinisdier Satiriker. 57
hauptsächlich der Kur des Wassertrinkens. Da ist so ein Doktor
Quellmann, der sagt zu jedem Kranken: »Will gleich helfen.
Lauf mir zum Wasserfali und trinke, trinke, und der gesunde
Bninncn wird auch dich gesund machen." Der Kranke trinkt,
er jammert über den »-asserverkälleten IVlagen, hilft nichts, weiter
muß er trinken. Bälde aber lenkt ein. denn er war zeitlebens
als echtes Elsässer Kind ein guter Weitikenncr und Weinirinker.
Und so erlaubt er dem Kranken mäßig verdünnten Wein, er
^{önnl dem Wassermann am Krankenbette diesen Sieg über den
tollen Bacchus, aber dieses Misdien ist doch nur angebracht bei
dem hitzigen Wein, beileibe nicht bei jedem, denn das wäre
fluchwürdiges Panischen, Und soll der Kranke reines Wasser
trinken, dann ja nicht den eiskalten Quell. Will dich etwa dein
Wasscrwirl verhunzen zur Kropfgansl Freilich, dem Deutschen
Wasser beizubringen, ist keine Kleinigkeit, denn er machts wie
weiland seine Ahnen, er ruft nach Alkohol, aber nicht nach
Brunnenwasser. Hört er den Namen «Wasser", dann schwitzt,
Werl, zittert, erbleicht er, und sein tapferes Herz hupft unter
Alpdnicken. Noch im Tode verwünscht er den Durst mitsamt
den „wässerigen" Ärzten und sehnt sich hin, wo fern von
Wasscrdokloren die dunkle Traube glüht Einen dieser Wasser-
praclici hätte der Patient neulich beinahe zum Richter geschleppt,
denn der Doktor hatte den Amien ins Bad gesperrt, schnitt und
brannte an ihm hemm mit glühendem Eisen, und der arme
Wassermärlyrer schwitzte fast in siedendem Strudel die ängstlich-
t^eschmolzene Seele aus. Der Gequälte bot hohen Lohn, ver-
gebens, der Doktor verbot ihm, einen Tropfen zu trinken. Und
das alles mitten itn Wasser, in glutdurchkochten Sommertagen.
Das liebe dumme Publikum, das sich in Krankheüsfällen
■.» kopflos und unglaublich töricht bemrhmen kann, bekommt
»tflrlich auch sein gutes Teil ab. Dal! es sich so leicht ködern
läfit durch Chariatane und Pfuscher, durch alte Weiber und
Quacksalber haben wir schon gelesen, wie uns ja auch schon
die Vorliebe gewisser Kreise für Stutzer und Gecken im ärzt-
IkiKn Stande begegnet ist. Da sind Leute, die sich um jeden
iPreis vornehm behandeln lassen wollen. Ein Arzt, zumal ein
schlichter Landdoklor. genügt nicht. Als Tongil etwas im Malse
58 J- Kneppö-
juckte, da mußte schleunigst ein Heer von Ärzten kommen, nicht
zuletzt der Mathemalikiis Stern und der Wahrsager Baustiack
mitsamt dem Dicksien der ganzen Zunft, dem Herrn Wanipus-
wulächl, der gravitätisch langsam nachlrollte. Die Konsultation
beginnt: der eine meint dies, der andere das, endlich einigt man
sich: man schmiert mit unleserlichem Geschreibsel sieben ganze
Seiten voll, ein Gekritzel, wie es die scharrende Henne niachl,
wenn sie ein Ei legen will. Mit diesem Dokument durchläuft
die schwarze Jungfer Rachiinzel alle Gassen bis zum Apotheker,
der schmunzelnd das recipe liest - und unterdessen entschläft
sanft der arme Tongii. Es ist eben ein altes Sprichwort: Viele
Arzte sind des Kaisers Tod. Und dann meint so mancher be-
häbige Philister, so ein Arzt müßte ein weitgereister Mann sein,
sonst verstände er nichts, und so will er auch nur einen Doktor,
der zum wenigsten in Italien gewesen ist. Dieser Narr! Wir
wissen ja alle, wie schon längst die deutschen Affen dieser böse
Erbgrind juckt, daH sie die Heimat verachten und die Fremde
loben. »Welschland, Welschland" lautet also auch die Parole
so manchen Askulapjüngcrs, und nun gehts los in die Kreuz
und Quer. Kommt dann so ein fauler Kraulkopt zurück, dann
doktert er die Leute noch schneller tot, als wenn er hinter dem
heimischen Ofen gehockt hätte, aber freilich, in vornehmen
Häusern gilt er dann was, und es gehört mm guten Ton, ihn
zu rufen. Und doch steckt ihn der giile alte Doktor Schwarz-
kalb, der, in armer Bauernhülte geboren, tiber Donau und Elbe
nie hinausgekommen ist, mit seinem Wissen hundertmal in den
Sack. Und mit was für Mittelchon läfSt sich von solclien HeÜ-
künstlern das liebe Publikum betrügen! Doktor Natta war fünf
Jahre in der Fremde. Als er heimkam, kannte er naiörhch seine
Jugendkameraden nicht mehr, mit denen er früher Stecken-
pferdchen geritten und den Leuten die Fenster eingeworfen hatte,
aber er hatte etwas Großes mitgebracht, ein neues Medikament,
man meint, aus der Schmiersalbe des alten Muffelbuthus: bald
sollte es ihm dieser, bald jener Gelahrte vermacht haben. Sein
kostbarer Stein von der persischen Ziege ist, bei Licht besehen,
— verdichtete Escismilch. Warum da nicht lieber die Hörner
einer alten Kuh nehmen?
En deutscher Jesuit (Jakob Bälde) als medizinischer Satiriker. 5 9
Dieser kärgliche Extrakt aus Baldes 0 Medizinischen Satiren«
mag uns in etwa ein Bild geben von der Art, wie der ebenso
geniale wie joviale Jesuit über sein eigenartiges Thema dachte
und schrieb. Übrigens schrieb er noch eigens eine Satire gegen den
Mißbrauch des Tabaks, obwohl er selbst ein sehr starker Raucher
war, der oft mehr qualmte, als ihm gut und dienlich war: er
war et)cn kein Kostverächter in Sachen von Wein und Pfeife,
die er gar einmal in einer Ode andichtete. Ja, auch die Dicken
und Fetten fanden in ihm einen geharnischten Verteidiger, der
diesen ■ Unglücklichen" zum Tröste eine besondere Satire schrieb,
und speziell widmete er unter den Kranken den Podagristen
seine Sympathie. Zeuge dessen ist sein köstliches, geist- und
witzvolles Solatium Podagricorum, ein «Schlager« für jene Zeit,
die an der ganzen Darstellung ein Vergnügen fand, das auch
wir noch nachempfinden, wenn wir die frischen und flotten
Verse mit den tollen Einfällen, der humorvollen Gnindstimmung
und den oft drastischen Geschichtchen lesen.
Konfessionelle und
Verwaltungsstreitigkeiten im Bergischen,
1765 und 1777.
Von GUSTAV SOMMERFELDT.
Der Siebenjährige Krieg hatte im Gimborn-Neiistädler Lind-
chen, in der heutigen Rheinprovin?, nicht geringe Unordnungen
zur Folge gehabt.^) Es äuBerten sich diese nach geschlossenem
Frieden noch in etlichen langwieriger Prozessen, die sich meist
zwischen der in Qlinbom residierenden Landesherrschaft und
einem Teil der Unlertanen, in zwei Fällen zwischen der Landes-
vertretung, dem sogenannten Amtsvorstand, in Oummerebach und
dem in Wien befindlichen Fürsten Joseph zu Schwarzenberg')
abspielten.
Ein Prozeß, in dem der Herr von Neuhoff, genannt Ley,
für seine Güter Seibach und Lieberhausen, femer der von Om-
phal für LOtzckusen und Herr von Pöppinghaus für sein Out
Bruchhausen wegen der ihnen teilweise bestrittenen Abgaben-
freiheit als Kläger wider den Amtsvorstand eischienen, der durch
die Schöffen und Deputaten Johann Peler Seibach und Johann
Keller und die Vorsteher und Deputaten Johann Christian Pick-
hardl und Johann Friedrich Calwinckel vertreten war,*) nahm in
q P. V, Sybfl, Chronik und unnindnibiKli ilpr Hfmch»*! Olinhoiti-N»u«»ai.
OominenlMch iiao, S. *o.
■> r. V. Sybcl. Bdlriie xur Chronik ton OlmtMrn-Ntuitidl. Oununenbuh 1191.
£ J-ii.
■) F. V. Sybd, Bciltkge *iir Cliiunlk S. 5, der d<e Niuncn dlner Vtrtre*« in un-
KtrauR Schrelljwiic hil. iiMnt unter den KtlKcrn mBa den abm jtenannten Adligen noch
rinn Johann Amtild Hifllrtiunn, V% wai din.« (betif«!!» au! Bnjchh.mtni »ntiMic. lelJle
Irdocti. da ci als ßcix- und llUIlnntitlitnr In rrdhcfTlIcti ItnlmWIirn [>gn»tcn lailg n.r,
•nita' Landet Im Ort Kupferh&tte bei Olpe. Beim Tümcn SdiTtncnbcrG hatte v^n Neuhvtf
Konfessionelle und Vwwaltungsstreitigkeiten im Bergisclien. 61
I
I
seinen Vorbereitungen beim Reichskammergericht zu Wetzlar
schon 1 766 seinen Anfang.
Der sehr energische fürstliche Oberamtmann Franz Göttlieb
Weckbecker auf Schloß Oimborn wußte die Angelegenheit nach
beiden Seiter hin mit vieler Geschicklichkeit zur Geltung zu
bringen.') Die streng katholische Richtung, der er anhing, zog
itam indessen auch bedeutende Anfeindungen zu, so von Seiten
des streitbaren Pastors zu Gummersbach, Johann Moritz Ising.*)
Dieser, einer allen Gunniersbacher Familie entsprossen, hatte von
1723 bis 1743 in selbiger setner Heimatstadt als Vikar gewirkt,
von da bis zu seinem Tode (1. März 1784) als Pastor und Senior
des geistlichen Ministeriums dieser Gebiete. Das Archiv auf
Schloß Qimbom - jetzt im Besitz des Baron von Fürstenberg
befindlich - enthält Ober die Differenzen, die Weckbecker mit
(sing hatte, folgenden aus Gimbom vom 6. Dezember 1765
djlierten „Gehorsamsten Bericht" Weckbeckers an den Fürsten:
■ Wann der Pastor Ising nicht schon in dem am verwichenen
Montag in causa des Closlers Marienheyden contra den Schul-
lector publicirfen Meydel berger Universitätsurtheil *) als ein un-
ruhiger Geist und Aufwiegler erkennet und quia talis zur Strafe
MMt 4l« todcm KiMgm m^r «ehfrn «m l. Min i?£i «q^eh Abgibentrciheit In glcidier
Sache «rne vom AiJvolnlen Johinn Ptter Wtber lufgMMilc BeKhTwdeMhrtfl HnreEchen
han (K|[l. StutMicblv m Wdzlir: l>rniQai Litt. N. Nu. ^S*J<(l:l2. lol. »0-»4). Ei
bl »oth MDSl unhallbif, vcttn «. Sybcl i. a, O du JiJii I7A3 ili Aiitan^iiliT ditsej
ProioKi nennt. Die ZiUtlora dtt RcIclDkRinmfrgrrltlib tn du Obtnmt und Um Anatt-
vortund da- Hctnchifl Oimborn 'NcniUdl erging am 1T. Navonbet iiM> (SUaluichiv
VMtlar rtifndi. Inl. I0-T4t »nd rin mftn AutrurdFruni^tthrrllwn üa K-ddisIcanimer-
SCridll* Ml du nlmllitir Obcnml In Eldclirt Sache im 2*. DFinnber 1I6S (SluUinihiv
Tctilar «bcnda. (o1. iii-ns).
*i J. F. P. V. SMiKn, SpalilccKhichte dw Kirxh»pi*l« OiiriinmbMh. 1. Aufl.
OUBncnbieh tlve. S. so braHelin«l ihn xu i'G6 »li Obtrriehler. und dlner Rtrg, itt
mit dBükniffcn ita Obrmntnuiii» ni Olni1ii>ni virltich verbunden vii, o^nl ihm mch In
am AMa öfiti bdKdcst.
S V SKincn i. a. O. S. «-?8.
^ Magiilet Kar) Chrlttaph Reiche. Hektar der Litnnicliale tu OutnDerstMch (TU
Wl <M1, «af mlil PilFT Kirchhull, dem Pri>l(iiralor d«t Duininlkinerlionvtnli Marienlieide
bd Ohnbom. dei Ihn ITfi* bei riner Pro/r^dorulcier b«clLiin|irt h»1lc, In Hand«! aertlen.
Veddieclicr Ubcrttus dir l'JiTschddune dn Pioinsn , da ilch auü |aiEn ennrtcteltt,
cinKitiK dc( lalhot liehen Fakulil« dei UnJvenltJ'l Heidelberg, and als Ijing lind Reldie
|rfn die f.nlKhridtinji dlr«er F^kulUI proleslienoi, ging die Angelegenhftl rlurch du
OtamI «a den FUriten. Jou[)h ni,c}i Wten. Auf Aimlen det Tüntm kam nn Vergleich
mU daq Mos«» Manmtiddt rimtiuide, v. Sldnen «. t. O. S. iJS-111, Reiche handelte
Ober dlot Zvbliclna'™ !» icincr lu DoMmuiid \7tt cnchimcncn Scüiiift ■Nadiiiditcn >on
der annllldl Llldabchen Schule m >!cr VmIc aurnniirrih4i.ch-, fcmcr HiandriibtiEi: x.\t.
ITTJ: •Ober dM Sdldllche da Predt^erocdeni und deiien Ablndening. ' - Entitandei
«V du Klc»lFr Miririiheide. du ilch bednitendni Ruh ertmile, um du Jihi KIO, Vgl,
Wlpptrtilnlin VoikibUn ibm, tio. 69-n.
Gustav Sommerfeldt
condemnirt worden wäre, so könnte man diesen seinen Cha-
rakler doch gnugsam aus dem mir zum Berichl communidrten
und hiebey gehorsamst obnickgehenden Scripto abnehmen. Dann
was gehen einen Prediger Criminalsachen, gleicliwie die Paß-
und hiackische eine wäre, an? Aus denen einer hachfürstlichen
Commission präscntirlen Inquisitionsactis erhellet des mehreren,
wie die Sache unlersnchl worden seye, und da der Paß duranlc
Inquisitione sich mit der Flucht salviret, des Hacken Tochter
aber durch einen eingehohlten unparlheyischen Rechtsspruch ab-
soiviret worden, so sehe nicht, was der Pastor Ising für eine
Satisfaclion in dieser Sache weiter haben wolle. Hat er etwas
mit dem catholischen Pastor zu Orbach, der den Paß mit des
Hacken Tochter copulirt, noch au Ezii machen, und will er von
diesem vielleichl noch deshnlben Satisfaction haben, so mag er
es mit ihme ausmachen, tmd ihn hey dem Herrn Vicario gene-
rali allenfals verklagen, dieser wird sich aber schon zu recht-
fertigen wisser, indemc er in betreff der Copiilation nichts änderst
gclhan hat, als was ihme von dem Vicariat vorgeschrieben worden.
Denn nachdeme der Pastor zu Orbach sich bey dem Vicariat zu
Collen angelragel, wie er respectii der von dem Paß verlangten
Copulalion sich zu verhalten habe, und er von dort aus die
Weisung bekommen beyde Copulandos zuforderst über gewisse
ihme vorgeschriebene Puncla, in specie ob sie beyderseits noch
tedigen Standes seyen, schwöhren zu lassen, so hat er auch dieses
befolget und hernach mit der Copulalion türgefahren. Vermeint
nun der Pastor Ising, daß solches nicht recht gewesen wäre, so
muß ich ihme überlassen, solches gehörigen Orts anzubringen. —
Es mag vielleicht in seinen Augen ein Ärgernus seyn, daß die
Hacken Tochter, nachdeme sie einmahl zu Orbach die catholische
Religion profitiret hat, dabey beständig geblieben und nicht nur
nicht wieder umsaltelen wollen, sondern auch ihre Schwester
nachhcro diese Religion gleichfall« ergriffen hat. Dosfals will er
sonder Zweiffei darüber seeplidren, dafl ich diese beyde Schwestern
zu meinen Diensten ins Haus genohmen habe. Wann der Pastor
Ising ein Mann wäre, der etaas zu verlieren hätte, so würde er
sich gewiß noch etwas bedencken, so ohne allen Grund in den
Tag hinein zu schreiben und die hochfürstlichen Beamten nach
_W .rf^
Konfessionelle und Verwallungsslreitigiidlcn im Bergischen. 63
seinem Outdiincken durchzuhechein; ich hoffe aber, eine hoch-
fürstliche Commlssion werde ihm dieses so schlethlerdings dan-
noch nichl angehen lassen. Es isl wahr, und läugne ich garnicht,
daß ich die Hacken Tochter, da sie nach ausgestandener Inqui-
sition bey dem einmahl ampleclirten catholischcn Glauben be-
harret, und sie sich nichl gerne zu ihrem Lutherischen Vatter
oder Refreunden zurückbegeben «ollen, sondern eine Zeit lang
hiesiger Gegend aufgehatlen hat, ex coitimiseratione in meine
ienste genolimen. Es isl auch wahr^ dad ihre Schwester, nach-
deme sie schon eine Zeil lang vorher ebenfalls <lie catholische
Religion angenehmen gehabt, gleichmäßig bey mir gedienel
habe, - was gehet das aber den Pastor Ising anj und was mag
derselbe vohl für Ursache haben sich darüber aufzuhalten?
Wenigstens wird er sich doch nicht bcyfallcn lassen wollen über
die Annahme meiner Ehehalten zu critisiren. Was er aber sonstcn
quoad hunc punctum sagen will, begreife ich garnicht. - Was
der Pastor Ising quoad punctum des Handels, so 2U Zeiten der
hier anwesend gewesenen vorigen hochfürstlichen Commission')
wegen eines zur calholischcn Religion übergetreten Knaben vor-
gangen, sagen will, solches verstehe ich auch nicht. Daß der
Paälor Ising damahlen dieser Affaire halber auch Unruhen erreget,
solches zeigen seine Adjuncta. DaB er aber damit nichts aus-
gerichlel, ist ebenfalls landkündtg. Es ist mir aber nicht be-
wußt, daJl in denen 1 5 Jahren, die ich hier bin, jemahls etwas
davon vorgekommen scye- Ebenso wenig weiß ich auch, was
es mit des Johan Peler Hacken Sohn für eine Beschaffenheit
habe, und was er diesfals dem Palron zu Mahenheyden zur Last
legen wolle. - Die von dem Pastoren contra Serenissimum nach
einem Verlauf von mehr als 21 Jahren wieder aufgewärmte
Haberprälension -) des Pasloren zu MüUenbach betreffend, da isl
I) Dn lÜntUclien Ratt» nnd SpniillxrtDlliiiäcliliK'™ lohuin Encclljcit van Eichtrlch,
biiil daiairC und bli tu ^ncni Tode (n. <Tlt) auch alt Obcramliiiunn ui Stelle
r«di^wkcn dir <lr>chli(lf dnOlmboin-NrutUldtct Uiolclirrii vielfgi^li fdlitlr. Briv.Sxbd,
Chmaik und U( künden budi S, S7. Anm. 1 »ird Wwlibwktf tu IMO ila Obnambnann
Bddi anunnt, «un EutierJch hintuen vini Ihm icini iiii«r*lliiil ectxisnv. Eine idii se-
•tadle ErrldtTangMchrlft, die von TKlirticIi in üet S«rhr von NeitlioII und (Icnoism
Jannu II6T an du Ittidulaniincrstricht elnEondte, tichc SUatHithlr tu WcUUr: PrcuBtn
Litt N, N«. Jwfiosr lol. m-i!4
*i Mio KiftrlicfFtungcn. die dri fünf vim EdiwanoibtTg lieh f;ewrif{rrl hitle,
dn MOtlmbtchw Pf«rr«r )Uiillch «rTolgai lu I«m«d.
U
Gustav SO'mtnerfcldt.
mir ebenfalls Zeit meiner Anilirung davon das mindeste nicht
vorgekommen. Ich weiü auch nicht, wie er Pastor sich in diese
Affaire eindringen wolle, da sie ihm im geringsten nichts an-
gehet, sondern er den Pastoren zu MCiilenbach oder den dortigen
Kirchen vorstand dafür sorgen lassen sollte. Da aber diese Sache
schon so lange Jahre ohnbelricben liegen gelassen, so ist wohl
zu muthmaßen, daß sie mit ihrer Prätension contra Seren issimuin
aufzukommen sich nicht getrauet haben, und ist also um so mehr
zu bewundem, daß der hierzu ohnqualificirte Pastor Ising damit
itzo neuerdings wieder herangestochen komme und sothane Prä-
tension noch geltend machen wolle. Wt-Iches dann zu Befolgung
des unterm +. Deccmbris erlassenen hochfürst liehen Commissions-
dccreti gehorsamst berichtlich ohnvorhaltc Qimborn, den
6. Decerabris I76S. F. Q. Weckbecker.-
Zwölf Jahre später richteten die Einwohner des bei Bergneu-
stadt befindlichen Kirchspiels WiedenesI eine »Alleninterlliänigsle
Vorstellung und Bitte« an die Regienmg zu Kleve, aus der wir
ebenfalls das in ganz entgegengesetzter Richtung sich bewegende
Wirlcer Weckbcckcrs und Isings ersehen. Es handelt sich um
die Wiederbesetzung der Schullchrerstelle zu Wiedenest, nach-
dem deren Inhaber Richard Lemmer im Herbst 17 75 gestorben
war. Weckbecker protegierte einen gewissen Schüritiann, den
er zu diesem Zweck auch durch den Neuslädtcr Rektor,
Johann Kaspar Richter, und den Gummersbacher Rektor, Kaspar
Christoph Georg zum Kumpf, prüfen ließ. Die Wiedcncstcr
jedoch suchten die Ernennung von Lemmers Sohn, Johann
Heinrich Lemmer, durchzusetzen, welchem Zweck die genannte
Eingabe vom 27. Juli 1777 dienen sollte.') die durch einen Be-
auftragten M. von Oven verfertigt und der Regierung übergeben
worden ist:
uAllerdurchlauchtigster, großmächiigster König, alier-
gnädigster König und Herr! Euer Königlichen Majestät gcnihcn
allergnädtgst zu erlauben, daß subscriptus Mandatarius hiebci
eine ihm zugekommene allcruntcrthänigslc Vorstcitung, so von
«len Deputirten der mchreslen Eingesessenen des Kirchspiels
1) Ktaifi. Stiatnrdilv in DÜMtldorf: Ctorc-Mirk, Neuftadl-Climbon N«. li.
Konfessionelle und Vcmallungsstreitigkeiten im Berigischeii. 55
Wtedenest tti der fürstlich Seh wartzen bergischen Herrschafft
' Cimborn- Neustadt unterschrieben worden, alleruntertliänigst präsen-
tiren möge. Selbige enthält köralich die gerechte Klage Ober
eine offenbahre Contravention des in anno 16S8 mit dem föist-
tlichen Hause Schwartienberg geschlossenen Vergleichs,') die von
[Euer Königlichen Majestät za Lehn tragende Herrschaft QimiDom
[und Ami Neustadt beireffend, nach dessen ersten Articul die der
Augspurpschen Confession zugethane Geistliche bei dem Mär-
'krschen evangelisch-lutherischen Ministerio und ihrem Excrcitio
religionis verbleiben, und was dem anhängt, imturbiret belassen
werden solle. Diesem Vergleich gemäß haben die supplicirende
Eingesessene den an seines Vaters Stelle zur Wiederbesetzung
des vakanten Schulmeislerdienstes in Vorschlag gekommenen
Sohn Johan Henrich Lemmer bei dem Märkischen Inspedore
von Steinen nach Vorschriffl der daselbst recipirlen Qev-Mär-
kischen Kirdienordnung examiniren lassen. Und obgleich der-
selbe zu diesem Dienste in Qefolge des beigelegten Attestat! des
gedachten Inspcctoris töchüg befunden,") so hat gleichwohl dor-
tiger Prediger Trommerehausen nebst dem Kirchen vorstände sich
an den Fürsten zu Schwartzenberg gewendet und durch ungleiche
Vorstellimg das beigefügte Rescriptiim extrahirct, womach nicht
nur t)e5agter Lemmer von der Wahl gäntzlich ausgeschlossen,
sord«ni sogar aus tandesfürstlicher Macht und Gewalt ein an-
derer nicht kirchcn ordnungsmäßig von dem Inspedore von Steinen,
sondern von denen Rectoribus zu Neustadt und Gummersbach
examinirtcr Namens Schörmann in den Schuldienst eingesetzet,
gar pro futuro dem Kirchen vorstand das Recht der Erwehlung
eines Schulmeisters alleine zuerkannt werden wollen.") Da doch
'J Di«(r sog«i»mitc -Liinlverülcirh' rrschicn im Druck [o. O, Pol. 14 Seilen)
ino, mit .Hklortichsi lind uimtiEm lU desten ErUulEniaK dlnminrn Anm«iimnEcn>
neben. Bd v. Sybrt. Chronik und Urkundcnbuch $. ti3-ii7, Idilcn nidii nur Jl«e
, mbt votvollBi ßtnmtr'aaixai, wnilrrn lucli dtc doi Schliin <ln l.indvcTS!cicltt Mitnl
UndCB Kitf Addlllunilirtlkc) und dnlKC Icinci« AutIQhrungcn, bricht die »pcxicilen
[fkrtdriMine du OinLlnamer vcttirlefcn. Ali du Ditum da l-indvcrfl rieht n«nRt r Sytwl
S. M tai M. Man t6it. doch wurde unter dinrrn Datum nur diri Spruch vnn dm halHT-
MdHB KMBBiMucn. äeai Orafm Itrnitiiin Aitolf nir l.ljipc und dem nfirKcradilrr nnd
tue der tedt KUIn gttait. Da» riernlilclic [Jatura da Vtrelcictii iil da ::. M*] >6M.
VbI- ■■ SdilttB iittn Bclingi.
•) 4- d. Ftammem, dei 14. Min (ff. SUaUardilv Dflueldorf i. i. O.
■> Sdivanaibcnc Wloi. dai :i. Mai tTTJ; WetUNtkcr; Olmbora, den >. tud
IL tni tyJl. Stulurtlilv DilueldaH *. *. O.
ArcU* fBt KullutiirKhichlt. IT. '
^
1
Gustav Sommerfeldl.
solhane Wahl nicht blos dtm Kirchenvorslandc competiref, son-
dern allen Gemeiiisgliedern nach bisheriger Observantz das Recht
zustehet, idazu ihre Stimme ru geben, dergestalt auch der ver-
storbene Schulmeister Richard Lemmer nicht von dem Kirchen-
vorstand alleine, sondern von der ganzen Gemeinde viritim zum
Schulmeisleren, Organisten und Küsleren crwehlet, und was mehr
ist, sothanes Recht besage des beigelegten Zeugenverhörs von
dem Prediger Trommershausen und dem Kirchen vorstand dadurch
selbst anerkandl worden, weil von ihnen selbst die gantze Ge-
meinde dieser Wahl halber 2U wiederholten Mahlen offenllich
bereits convociret und das der gantzen Gemeinde competirende
Wahlrecht noch besonders dadurch eingestanden ist, weil die
Genehmigung der ganzen Gemeinde darüber von dem Pastor
Trommershausen öffentlich begehret worden, ob nach dem Vor-
schlag des Kirchenraths vorhcro einige Subjecta zur Probe vociret
und alsdann über die tüchtig befundene Subjecta mit Ein-
schließung des Lemmers die Stimmen der gantzen Gemeinde
colligirel werden sollten, wie solches ex articuio 7 des gedachten
Zeugenverhörs unter andern constiret. Gleich dem auch aus
dem sub No. 8 beigefügter Protocollo erhellet, daß bei der Wahl
eines Membri des Kirchenraths und sogar eines Armen provtsoris
es auf gleiche Weise gehalten, und dabei von der gantzen Ge-
meinde ebenfalls gestimmet worden.
Dieses sind kürtzlich die Hauptmomente, worauf sich das
in der neben liegenden umständlichen Vorstellung, so allenfalls
pro specic facti dienen kann, enthaltene Petitum gründet, daß
nämlich Euer Königliche Majestät allergnädigst geruhen mögten,
sich der sogar selbst von ihrem Prediger verlassenen Gemeinde
zu Widenest allergnädigst anzunehmen, indem selbige gegen die
seitens der Schwartzenbergischen Regierung wieder den Land-
vergleich angemaßte Verfügung, auch das Decretum des in dieser
protestantischen Kirchenaache incompelenter sich mit eingemischten
römiscli-catliolischen Oberamtmann Weckbecker, appelliret und
ihren Recours ru Euer Königlichen Majestät als allerhöchsten
Compaciscenicn und Lchnhcrrn zu nehmen sich genöthiget ge-
funden hat, damit sie in Gefolge des Land Vergleichs, der reci-
pirten Clev-Mürkischcn Kirchen Ordnung, der noch überdem bei
Konfessionelle und Vcrraltuiigsstceitlgkeilen im Bergischen. 67
Separation der Stadt Neustadt und dazu gehörigen AußetibOrger
von dem Kirchspiel Widenesl etwa vor 20 Jahr') nodi besonders
gemachten schriftlichen Vereinigung und der bisherigen Obscr-
vinlz, bei dem der gantzen Gemeinde zustehenden freien Wahl-
rechte belassen, des vorigen Schuhiieislers Sohn mit in die Wahl
'gesetzet und neben ihm keiner admittiret werden möge, welcher
nicht wie immer von dem inspectore von Steinen kirchenoTd-
iBunRsmäßiR behörig examiniret und tüchtig befunden worden,
'auch deshalb an gedachten Iiis[>ectoreti und sonsten dais Nötliige
dahin allcrgnädigst verfügen, damit Euer Königlichen Majestät
fiind des Märckischen Ministerii Gerechtsame In Ansehung des
Kirchenwesetis im Schwartzenbergischen ungekränkt belassen und
die bisherige vergleichsmäßige Observanz beibehalten werden
möge. Wir getrösten uns allergnädigster Erhörung und ersterben
(fai tiefster Devotion Euer Königlichen Majestät allerunterlhänigstc
Deputirte der niehresten Eingesessenen des Kirchspiels Widerest
in der fürstlich Schwartzenbergischen Herrschaft Qimbom-Neu-
stadt — Cleve, den 27. Juli i777."
Nachdem die Klevische Regierung durch Reskripl vom
3i. Juli 1777 eine Einmischung in diese Kirchenangelegenheit
abgelehnt hatte, hfiren wir nichts über deren weiteren Verlauf.
An der Verfügung, die Weckbecker auf Grund der Entscheidung
'des Fürsten Joseph am i. Juni 1777 erlassen hatte, hieß es:
•Auf Anstehen des Wiedenesler Kirch envorslands wird denen
Erben Lemmer, in specie dem Heinrich Lenimer, anbcfolilen,
das Wiedenester Schulhaus in Zeit von H Tagen zu rüumen,
idque sub poena exmissionis."
Die Additionalartikel des n Und Vergleichs « vom
25. Mai 1658, auf den oben S. 65 Anm. 1 Bezug genommen
ist, lauten nebsl den Zusätzen am Schluß dieser Urkunde;')
»fe haben sich ihre hochgräf fliehe Excellentz auff die
Additionalpuncten folgender gestalt resolviret: 1. So lang das Gut
1 All Tag dn AbtrcnnuRg der KiiehenE*'')^''^' Wiedcnal von derjenigen von
[VrfffnaJI nfnRt WUhitm ÜTiädes NeuiUdler Chfoaik (MonalsubHft des Ber^uhm
(ln(!i)dit(inrlnt i. isuu, S. i») doi ■;;. Juni um: v. Sybel, Chronik utiil Urkundenbuch
S. 46, nhnchcinlich «ciii)(n' (rnxu, dm t. Juli I7IA.
1 SinRiCürcndc PThlcr und ri)1slclluii|{ci] de> Dniclu von 1734 htbc ich hicrbd
Ocistav Sommeifeldt.
aufftn Dannenberg nicht schatzbahr crwissen wird, kan es nicht
schalzbahr gehalten werden, jedoch solle der Ambtsverwalter mit
den anderen Beambten sich in loco um die Beschaffenheit gründlich
erkündigen und den Bektind an ihro hochgräf fliehe Excelientz
zu dero fernere Erltlähning referiren. - 2. Daß die Justitz auff
das schleunigsle befördert und auff der Partheyen Begehren un-
partheyische Rechtsgelchrten oder Universitäten adhibirt, jedoch
das Obergericht') mit anderen Persohnen, so in voriger Instantz
nicht erkant haben, bekleydet werden, und die Procurator«
darbey in Exlrajudiciatibus zur Erspahrung unnöthjger Kosten
und Abschneidung der Weiterung keineswegs zugelassen seyn,
sondern vor allen Dingen Fleiß angewendet werden solle, daß
die streitende Theil in der Güte verglichen; da aber die Sache
altioris indaginis, dieselbe in ordirario ihren Lauff halten und
dahin verwiesen werden sollen. - 3. Daß es wegen der Ver-
hörsgelder bey dem alten Herkommen, so würck- und thätlich
wiederum einzuführen, verbleiben, und das Oerichtsiegei, Protho-
colla, Büclier und Schrifften in eine gemeine Qerichtskisten ge-
legt und darzu drey oder vier verschiedene Schlösser oder
SchtCissel gemacht werden, deren Schlüssel der Vogf) einen,
und die andere die Scheffen haben sollen, gesteh daß die Ver-
siegelung änderst nicht als gerichtlich geschehen, auch zur Zeit
der besitzender Oeriditer und Verhör kein Bier oder Wein ge-
sdienckl werden solle. - 4. Von den verfallenen und nicht be-
wohnten Häuseren, da kein Rauch auffgehet, sollen keine Rauch-
hüner*) gegeben werden. - S. Daß dasjenige, was bey diesem
Vergleich nicht etwa von Wort zu Wort eingerückt noch spcci-
ficirt, doch gleichwohl dem alten Herkommen und Privilegien
gemäß ist, bey diesem Instrumento dergestalt vor gültig erachtet
werden solle, als wann aUes mit austrucklichen Worten seines
Inhalts hicrbey einverleibet stände, gestall dann auch nochmahls
in allen obgeset2ten Posten ihrer churfürstlichen Durchlaucht zu
Brandenburg als Lehnherren nichts zur Präjudiz und Nachthey!
I) Ober dir Funklionni ttrcwlbrn v Sybd. Clirnnlk und Urfcurufenbtidi S, 41.
>) AI) Vimltlni<I(7 dn Fnlra^rnchta zu GumtncribMch ; danialii;cr Vugt war
Ccrhaid Stom. Obtr ilaii I'olcniccHclil vkI. v- Slctnai t. t. 0. S. 138-1(7.
Die üuideub|[*bc d-Di .Rjuchhuhtu* «at uicb tn ipiWm Zdi noch «dir um-
ttritm. V. Sybd. BeliriiK lur Chronflc S- u-ll.
Konfessionelle und Verwaltungsstreitigkeiten im Bergischen. 69
gemeynt, und ihrer hochgräfflichen Excellentz auch das seinige
vorbehalten wird, so deroselben wegen ihrer Immediat und
Tcrritorialjurisdiction competiret"
«Auff der Oimborner Additionalarticul lassen es ihre
hochgräffliche Excellentz (bey) ihrer den 29. Aprilis anno 1656 er-
gangener Resolution bewenden, daB es nemlich der Diensten
halber bey dem alten Herkommen verbleiben solle. Dann aber
die Unterthanen jährlich mit einem Gewissen die gewöhnliche
Dienste redimiren wolten, so werden ihro hochgräffliche Excellentz
sich darüber weiter gnädig erklähren. - 2. Weilen der Anwald
sich erklährt, daB ihme von dem Hofbuch in dem geringsten
nichts wissend seye, und dann die Unterthanen deBfals eine
Copey beyzubringen vermeynen, so wird deren Exhibition, und
dabey beliebet, daß nach Befinden deroselben fernere gemeine
nützliche Verordnung vermittels des Anwalds und der Unter-
thanen Verhandelung zu machen, in alle Wege aber das Hof-
gericht an dem alten gewöhnlichen Ort zu halten. - 3. Die
Fassel-Ochs und Beer^) auff dem Kummeier Hof und Reckling-
haußen seind bewilliget - 4. Die Obergimbomer werden, wie
vor Alters gebräuchlich, bey den Müllen,') Leich- und Kirchw^
gelassen. - 5. Wird den Oimbomer(n) vor die Kleyen das Brey-
meel,') und was zu scharff Bier gebraucht wird, wie vor Alters
gebräuchlich, ohne Molter zu mahlen bewilligt"
»Zu Urkund dessen haben wir die Subdelegirte in Krafft
obangezogener Authorität dieses alles eigenhändig unterschrieben
und mit unseren, gewöhnlichen Pittschafften bekräfftiget So ge-
schehen in Collen, den 14. Monathstag Martii 1658. - Als
haben hochgemelte ihro hochgräffliche Excellentz allsolche
Handlung obeinverleibter maßen in allen ihren Puncten
und Clausulen gnädig bestättigt, und wird den Beamten der
Herrschaft Oimborn und des Ambts Neustadt antrefohlen, sich
ins künfftig darnach allerdings zu achten. Geben Franckfurt
am Mayn den 25. Monathstag Mail des 1658. Jahrs ad man-
I) d. I. Eber.
*i Mahlen veg.
■) Branhefe.
70 Qustav Sommofeldt.
datum illustrissimi et excellentissitni domini comitis. - Christ
Sitbemagel."
Seite 23-24 des Drucks enthält noch d. d. Köln, den
6. Juni 1658 die Unterschriften der beiden Del^'erten, des
Lizentiaten der Rechte und gräflich Lippischen Kommissars
Salomon Cyriaci und des Lizentiaten und Kommissars der Stadt
Köln Peter Copperts, femer die Konfirmation des Landvergleichs,
die der Fürst Adam Franz zu Schwarzenberg aus Anlaß der
Neuhuldigung des Ländchens d. d. Wien, den 13. Februar 1704
vollzog.
Zur Charakteristik
der Menschen des 18. Jahrhunderts.
Von LUDWIG GEIGER.
F. L. W. Meyer gehört zu den rätselhaftes len Persönlich-
keilcn des 18. Jahrhunderts. Als Schriftsteller ist er herzhch
unbedeutend. Seine Dramen und Lyrik haben keinen originalen
Ton, und sein vieilangcführles Leben Scliröders ist kein Kunst-
werk, sondern eine Materiatiensammlung, die sich weder durch
Volbländigkeit noch durch kritische Edition auszeichnet, sondern
ihrem eigentlichen Wert nur darin hat. daß sie eine der frühen
Iheatergeschichtlichen Sammlungen und Darstellungen ist. Aber
Meyer gehört zu den Menschen, die dem Wanderer durch die
liierarischen Pfade des IS. Jahrhunderts auf Schritt und Tritt
begegnen, mag dieser bei den tonangebenden Männern verweilen
oder sich zu den Frauen wenden, die durch Schönheit oder
Geist vorfi hergehend es oder dauerndes Interesse in jener Periode
errcRten.
Unter den Frauen, in deren Leben er eintritt, sind Thcre«
und Karolinc, die schon durch ihre Vornamen erkannt werden,
die beidtn bedeutsamen Nebenbuhlerinnen, die wichtigsten. Beides
Professorentöchter aus Göltingen, beide vom Schicksal arg ge-
prüft, beide geistreich und vielcrfahren.
Sie haben sehr verschiedenartige Beurteilungen erfahren:
Karoline ist meiner Überzeugung nach weit über Gebühr ge-
priesen worden und gilt noch heute, weil die Romantik nun
einmal Mode ist. als großer Geist: ich hoffe, die Zeil noch zu
erleben, daß Therese geborene Heyne, in erster Ehe mit Georg
Ludwig Qdgcr.
Förster, in zweiter mit L. F. Huber verheiratet, den ihr ge-
bCihrenden Ran^ auch in der Meinung der zünftigen Literar-
historiker neben oder über Karoline einnehmen wird, Sie ver-
dient dies im hohen Orade, weniger wegen ihrer dicken Romane
und lan^tmigen Novellen, als wegen ihres Charakters und ihres
Geistes. Trotz mancher Fehltritte ist sie eine rdne Natur, eine
Frau, die Treue wahrt, Hilfe spendet, ihren Kindern eine vor-
xQclkhe Mutter, eine Stütze und ein Hall für Freunde und
Frrundinnen, von einer Unerschrockenheit der Überzeugung, die
wenigen Frauen eigen ist, von kühnem Mute des Urteils beseelt.
von einem Leseeifer erfßllt, der bis zur Unersättlichkeit ging, und
Iroti ihres reichen Wissens fem von jeder Blaustrumpf igkeit, eine
sfut^me, tälige Hausfrau, die ihre häuslichen Pflichten mit der-
selben Lust und dem gleichen Eifer besorgte, wie ihr Amt als
Reitakteurin oder ihren Beruf als Schriftstellerin.
Diese Frau fiel als junges Mädchen Meyer zum Opfer.
Er umgarnte sie, da sie mit Porster verlobt war (1784), er trat,
Mctideni Förster in unbegreiflicher Verblendung ihn als Bruder
begrOßt, mit dem freundschaftlichen Du angeredet, in sein Haus
gezogen hatte, als Störenfried in die Ehe. Er wurde - und
das ist ein Beweis von dem unerklärlichen Zauber, den er aus-
Oble, auch von Therese später nicht losgelassen, nachdem sie
eist seinen Unwert erkannt und die üblen Wirkungen seines
Eindringens verspürt hatte; ja nach dem Tode Hubers suchte
sie, gewiß ohne eigennützige Absichten, den Bund ntit dem
Jugendfreunde zu erneuern, wurde aber von ihm nach anßjig-
lichcr Nachgiebigkeit kühl abgewiesen. Immer aufs neue trat
W »n ihn heran, bis sie ihn schließlich, infolge seines hart-
näckigen Schweigens, aufgeben mußte. Eine solche immer wieder
versuchte Anknöpfung kann, da man bei Therese Schamlosigkeit
vorauszusetzen in keiner Weise berechtigt ist, nur ihr treues Fest-
halten an alten Beziehungen, besonders den in der Jugendzeit
geschlossenen bekunden und mag den Beweis liefern, daß sie sich
jenem Manne gegenüber, so nahe sie dem Verderben gewesen
vnr, von Schuld frei fühlte.
Für dieses Verhältnis zwischen Meyer und Therese gibt es
Momente von hohem kulturhistorischem Wert, die, soweit ihre
tfifa
Zur Charakt«risttlc der Menschen des 18. Jahrhunderts.
73
Benutzung und Veröffentlichung gestattet war, in meinem Buche:
Dichter und Frauen. Neue Sammlung. Berlin 1899, S. 26 -83,
verwertet und gedruckt worden sind; manches ist üavonj freilich
in viel kürzerer Form in mein Werk; Therese Huber, Stuttgart
1901 Obergegangen. Unter den an crstcrer Stelle mitgeteilten
Dokumenten sind psychologisch die Briefe am wichtigsten, die
Therese 17S3 über ihr Verhältnis zu Meyer an ihren Vater, den
Philologen Ch. G. Heyne, schrieb (Dichter und Frauen II, S. 42 ff.).
Unniillelbar an diese Briefe knüpft der nachfolgende von Meyer
an denselben Heyne gericlilete an.') Zum Verständnis dieses
sehr merkwürdigen Aktenstückes müssen nnr die folgenden kurzen
Bemerkungen vorangeschickt werden:
Das Forster^che Ehepaar war aus Wilna, wo es etwa
2*/, Jahre zusammen gelebt halle, nach Qötlingen zurückge-
kommen, wo Forster zuerst die Verwirklichung einer großen
russischen Expedition erwartete und, nach dem Zerschlagen dieser
Aussichten, ohne Amt, ohne eine seine Zeit ausfüllende Beschäf-
tigung verstimmt, nach einer neuen Stellung ausschaute. Solche
Gemütsverfassung kann in einer hingebenden, dem Manne aus-
schließlich angehörenden Gattin ein Korrektiv finden, sie muß
sich vcrschlimmernj wenn ein Dritter plump in das traute Vcr-
h&Itnis hineintritt Meyer war damals in Göttingen. Er durfte
dem Paare sich nähern, denn er war Forsters Freund so gut wie
Theresens. Vielleicht war er entfernt von ehebrecherischen
Wünschen der Frau gegenüber, die durch ihre junge Mutterschaft
iKsser verteidigt war, als ehemals dnrch ihren Brautsland, aber
er war nun einmal da. Schon sein Dasein erregle Forsters
Eifersucht: er, der in der Stimmung vor der Eheschließung den
Herzensräuber an seine Brust gezogen hatte, wollte nun, da er
im gesetzlichen Besitz der Gattin war, den Unbequemen aus
seinem Hause bringen, in diesen Kampf zwischen Weib, Galan
uad Gatten trat der alte Heyne, der zu Forster vielleicht eine
größere Zärtlichkeit besaß als zu seinen leiblichen Kindern, auf
die Seite seines Schwiegersohnes und klagte die Tochter an,
die früher sein Herzblatt gewesen war. Ihre Verteidigungsbriefe
•) Cr bt mir cnl Utigtrr /cd, nadidcm Jene Vctfllfcnllktiiinacn .TBenclilostai und
grtniUI wann, dureli einen die Dokumcnic vergangener Tsge MtKum tiOlendai Null*
^'TTnl^TTT dt* ■Itn Hcyni rar Vrrlügang gcstdll vordn.
^
14 Ladwie Odger.
siad a. «. Ol tniq^neilt «tmlm. Sie sind aus den letzten Tagen
desjaniar iTU, wie die auf den Briefen angebrachten Empfangs-
mglbwi des pedaafech genauen Heyne bezeugen, der selbst,
«Tfio sräi Oemüt aufe höchste etregl war, nie versäumte, das
lundwertsniBige Geschäft des Briefordnens peinlich zu erfüllen.
Fonkf «ar dunals nach Berlin gereist, weil seine zeitweilige
BmletWt HiT alle Beteiligten nützlich schien. Unterdessen
sacte der alte Heyne die Sache in Ordnung zu bringen, nach-
dCM Sun Forster nicht eben in sehr männlicher Weise unter
TMhb sein Leid geklagt hatte. Wie billig fing er bei Meyer
UL SeiQ Brief oder sdne mündliche Aussprache ist nicht bekannt
Die Ant«-or1 des Angeklagten hat sich erhallen. Sie lautet so:
F. L W. Meyer an Heyne.
Mdge das, was ich ihnen zu sagen habe, eine gute Stelle
finden! Möge der gekränkte Vater sicli erinnern, dafi es Herren
{iebt die nicht UYniger zerrissen sind! Ich will so kurz seyn
wie möglich, abef ich darf nicht ungerecht gegen Ihre Tochter
utrden um edel gegen Forster zu scheinen. - Wir haben nie
«ine Maske getragen, wir haben nie Worte vertauscht und ge-
misbraucht, wir haben uns nie Sophistereien gegen einen recht-
achiffenen Mann bedient. Diese Mittel sind unedel und würden
dennoch, wie es zuweilen die Wirkung einer unedeln Ursach ist,
Forslere Ruhe befördert haben, indem sie seiner Eitelkeit ge-
schmeichelt hätten. Darin fehlte Therese, daß sie das Oute was
sie von mir d.ichte, nie verborgen hat und mir ihre Unzufrieden-
heit mit mir nur unter vier Augen bezeugte. - Sie hat so lange
ich sie kenne nichts verheimlicht als ihre Tugenden. Sie be-
trüben sich darüber, daß Forsters gegründete Eifersucht sein
hJiußliches ülück gestört habe und ich der ihn näher beobachtet
habe, würde in dieser verzweifelten Lage der Umstände noch
Trost darin finden, wenn das der Fall wäre. Ihre Tochter hat
von dem besten BJut ihres Vaters. Sie ist setner und des edelsten
Mannes wehrt und kan die Ausbrüche gekränkter Uebe nicht
blos verzeihen sondern schäzcn, sie kennt nun den Charakter
ihres Mannes und wird nicht wieder einem Fremden Zutrauen
bezeugen: aber Disharmonie der Temperamente, angebohme
Zur Charakteristik der Menschen des 1S. Jahrhunderts.
35
durch alle Lager seines Lebens vermehrte Unzufrieden heil, werden
Foretem nie glüklich werden lassen; er ist bestimmt, immer zu
beehren was er nicht hat und wird an die Stelle der Eifersucht
die keine Nahrung weiter findet, eine andre Qual in seinem
Herzen entstehn lassen. Er war unzufrieden und begehdich
gegen seine Frau, ehe er eifersüchtig auf mich werden konte, er
war es in Wilna, wohin ich ihr doch so selten und so kalt
schrieb, daß er selbst mir Vorwürfe darüber machte, ja er ward
hier zulezt nur eifersüchtig, um seiner Unzufriedenheit eine be-
sümmtv Richtung zu geben.
Unverstellt und mit Entschlossenheil, von der er selbst
gewahr ward, daß sie meine Gesundheit erschüttere, bot idi ihm
vor sechs Wochen an uns zu trennen. Er bestand unter den
heiligsten Belli eurtingen darauf daß ich bleiben soite, er schwor
er habe nichts gegen mich^ er behauptete überzeugt zu seyn daß
ich nicht in seinem Wege stehe. Das that er nicht des Haus-
friedens wegen. Seit wann sind Sie gerecht nur gegen einen
Menschen? Haben seine Thränen Ihrer Tochter Flecken geben
können, deren der wütendste Neid sie nie beschuldigt hat? Ich
handelte nach einer Überzeugung, von der ich Ihnen glaube,
diB sie irrig war, aber wer nach Überzeugung handelt, verfährt
niclit unedel- Ich blieb. Aber meine Freude war getödtcl, Ihre
Tochter hat mir kein liebkosendes Wort mehr gesagt, ich habe
mich kaum nach ihrer Gesundheit erkundigt, aus Furcht zu
zlrtiich besorgt zu scheinen, meine Gespräche waren mit Forstern,
ernsten Inhalts, oft zu absiracten für ein Tischgespräch. In Ihrem
Hause, an Ihrem Tisch habe ich freyer mit Ihrer Tochter geredet,
freyer aber nicht schmeichelnder, ich habe ihr nie geschmeichelt,
ich habe keine der Künste angewand, die das Weib bethören
und den Mann herabsezen. Doch von dem was zu meiner Ent-
schuldigung, selbst gegen Ihren Kummer gereichen kann, kein
Wort. Ich nehme den Willen Ihrer väterlichen Freundschaft an
ohne zu grübeln, ich bin diesem Willen zuvorgekommen, ehe
ich ihn vernommen hatte. Försters Entfernung für einige Zeit
war nothwendig; sie ist ein Opfer, aber er bringt dieses Opfer
auch sich selbst. Das Leben Ihrer Tochter war in Gefahr.
Glauben Sie dem Arzt, wenn Sie dem Freund nicht glauben
^
wollen. Sie hat nie ihr Leber geliebt, in ihrer Verzweiflung
war es ihr lästig. Wem wird es erhalten als Förstern und welche
Hotnung begleitet ihn in die Arme der Freundschaft, und unter
Zerstreuungen der großen Welt die er gern hat? Verzeihen Sie
mir, daß ich nicht alles von der netnlichen Seite ansehe wie Sie.
Über das was Sie von mir verlangen, Icomt Ihnen mein
Herz desto williger entgegen. Sobald Theresens Vater, oder ihr
Mann, oder irgend eine achtiirgswürdige Person, meine Gesell-
schaft ihrer Ehre nachtheilig finden, muß sie selbst mich hassen
wenn ich mich zu ihr dränge. Und sie soll mich nicht hassen
durch meine Schuld, da wir nicht mehr zusammen essen, so
ßllt schon die Gelegenheit weg uns täglich zu sehn. Wenn ich.
sie nur zu Zeiten im väterlichen Hause treffe, wenn ich sie
etwa noch einmal ins Concert führe, so wird die Welt wenig-
stens irre gemacht
Auf Assembleen und Piquenics bin ich ihr nie gefolgt. Ihre
eigne Wohnung wcrd' ich immer seltner betreten. Aber Sie
fühlen auch, daß alles dieses mit übertriebner Härte gethan, eine
ganz andre Wirkung hervorbringen würde, wie wir als gute
Menschen bezwecken wollen. Lassen Sie uns nicht strenge scheinen,
wo weiter nichts als Gleichmuth erforderlich ist. Überlassen Sie
mir, Ihrer Tochter nicht bloß zu sagen, was geschehen muß.
Geben Sie nicht zu, daß Therese die för Empfindung und Auf-
richtigkeit leidet, sich von dem vernachlässigt glaube um dessent-
willen sie der erste Vorwurf trift, nun die treue zärtliche Liebe
ihres Vaters sich sogar auf eine Zeitlang in Ernst verwandelt
Auch mir steht die Stunde meines Todes bevor die Stunde wo
ich dem Richter in mir selbst von jedem wichtigen Schritt meines
Lebens Rechnung ablegen werde; lassen Sic mich nicht in Ver-
zweiflung sterben, weil ich das zu schnei) und heftig gethan
habe, was nur langsam und schonend geschehn muß, wenn es
fruditcn soH.
Leben Sie wohl! Richten Sie mich, ladein Sie mich, ver-
werten Sie mich, wenn Sie können. Ich habe keinen Ansprudi
auf Ihre Liebe und nehme jedes Scherflein derselben an, wie
ein Dürftiger eine unverdiente Wohhhat. Aber Sie, der Sic das
Herz und die Leidenschaften kennen, wenn Sic selbst getrösteter
Zur Charakteristik der Menschen des 18. Jahrhunderts. 77
sind, wenn der muthige Qehorsam Ihrer theuren Tochter Ihnen
Ruhe und eine fröhlichere Aussicht wiedergegeben hat, wenn,
wie ich wünsche, niemand mehr leidet außer mir; so nehmen
Sie, in einem mitleidigen Augenblick den Vorwurf zurück, daß
ich unedel gehandelt habe. Ich kan ihn in Ihrem Munde nicht
ertragen und Sie selbst können einem unedeln Menschen nicht
anbieten, sein Freund und sein Vater zu seyn, wie Sie mir
anbieten.
den 23. Januar. Morgens.
Bald nach diesem Briefe entfernte sich Meyer aus Qöttingen.
Die Katastrophe der Forsterschen Ehe wurde durch seinen Rück-
zug nicht aufgehalten.
Auslieferung von Deserteuren
im 18. Jahrhundert.
Von C. GEBAUER.
Die großen Kriege des 18. Jahrliunderls und der Größen-
wahn der deutsclien Fürsten hatten einen erhöhten Bedarf an
Soldaten in allen Staaten des Heiligen Römischen Reiches herbei-
geführt. Lfm diesen Bedarf zu decken, war man bei der
Werbung genötigt, alle möglichen Kniffe und Ränke, sogar
offene Gewalt anzuwenden, da mar sonst nicht die erforderlichen
Rekruten erhielt Daß die also Angeworbenen hinterher aber
jede Gelegenheit ergriffen, sich dem verhauten Dienst durch die
Flucht zu entziehen, kann unter diesen Umständen nicht wunder-
nehmen, zumal der Dienst selbst sich für die Soldaten infolge
der iiberall eingerissenen rohen Behandlung der Untergebenen
und der grausamen Strafen zu einem äußerst peinigenden ge-
staltete. In Massen verließen daher die Oequillen heimlich ihre
Truppenteile und fanden dabei unter der Bevölkerung in Stadt
und Land nur zu bereitwillige Helfer. Sie entkamen bei der
damaligen politischen Zerstückelung Deutschlands leicht über die
nahen Grenzen des Werbestaats, und das TerritorialpHrtzip ver-
hinderte eine Verfolgung der Delinquenten jenseits der Grenz-
pfähle. So blieb also den deutschen Fürsten nur der Ausweg
öbrigj mit ihren Nachbarn Verträge über die Auslieferung der
Flüchtlinge zu schließen, und sie haben diesen Ausweg reichlich
benutzt. Da diese im allgemeinen nach einem gewissen Schema
entworfenen Verträge ein kulturhistorisches Interesse bieten, will ich
hier der Auslieferungsfrage eine kurze Betrachtung widmen, und
Auslieferung von Deserteuren im IS. Jahrhundert.
79
zwar an der Hand zweier mir vorliegender Mandate, wie solche
auf Grund der Verträge in den paktierenden Staaten behufs
Publikation zur Nachachtung für jedermann erlassen zu werden
pflegten. Es ist dies zunächst ein „Mandat Ihro Hochrürstl.
Durchlaucht zu Sachsen-Gotha und Allerburg, das wegen reci-
prodrlicher Auslieferung der Deserteurs von den Fürst!. Sachsen-
Golhaischen und FürsII. Sachs. Weimar- und Eisenach ischen
Trouppen erneuerte Carte! betreffend", gedruckt in Ootha .rinit
Reyherischen Schriften T 756", das andere ein »Mandat Ihro
Herzog!. Durchlaucht zu Sachsen-Gotha und Altenburg, das
wegen reciprocirlicher Auslieferung der Deserteurs von den
Fürstl. Sachsen-Gothaischen und Fürstl. Hessen-Casselischen
Trouppen erneuerte Carte! betreffend", im gleichen Verlage IT68
erschienen. Das erste ist im folgenden Text mit t, das zweite
mit II bezeichnet, während die arabischen Ziffern die Paragraphen
der Mandate angeben.
Als Deserteure sollten alle in Diensten («in der Pflichtbar-
keit") eines der Paktierenden stehenden Soldaten jederlei Truppen-
gattung einschlieöl ich des Trosses angesehen und behandelt werden,
welche ohne glaubhaften Paß oder Abschied im Gebiet des
andern Paktierenden entweder im Felde oder bei den Besatzungen
oder in den Quartieren oder sonstwo angetroffen würden,
mochter sie im übrigen innerhalb oder außerhalb ihres Landes
stationiert oder auch an fremde vPuissancen" tiberlassen sein.
Dergleichen Deserteure sollten sowohl auf Reklamation des ge-
schädigten Teiles als auch ohne solche festgenommen und nach
luvoriger Notifikation der vorgesetzten Generalität, welche die
Abholung veranlaRte. ausgeliefert werden (1 i, II U. Es wird
noch erläuternd hinzugesetzt, dali auch solche Deserteure aus-
zuliefern wären, welche inzwischen in der Armee des andern
Vertragschließenden Dienste genommen halten (I 11, II tO).
Von dem Auslieferungszwange gab es aber auch einige
Ausnahmen.
1. Wenn ein von den Werbern des einen der paktierenden
Tdle mit Gewalt oder wider seinen freien Willen (beispielsweise
in künstlich verursachter Trunkenheit) angeworbener Untertan
des andern Teils in sein Vaterland desertiert war, so sollte er
80 C- Ocbauer.
nicht ausgeliefert; werden. Er hatte vielmehr nur seine Montierung,
also Uniform, Waffen und Pferd, zurückzugeben oder ihren
Sf/^n zu erstatten, war auch frei von Untersuchungskosten. Sehr
bemerkenswert ist die rein fiskalische ratio dieser Bestimmung.
Die teure Menschenware fand Schulz nur g^en Übergriffe der
fremden Macht, nicht auch g^^en die Handlanger des eigenen
Landesherrn. Dieser konnte in seinem Lande fast unbeschränkt
zu Werke gehen; gewaltsame Werbung fand, wie bekannt, trotz
gewisser Verbote hinterher immer die Billigung des Fürsten, und
jedenfalls gab sie an sich dem davon Betroffenen nicht das Recht
zu eigenmächtiger Entfernung von der Fahne. Das oben erwähnte
Auslieferungsverbot bezog sich übrigens auch auf diejenigen
Soldaten, welche über ihre Kapitulationszeit hinaus, also wider-
rechtlich, im fremden Dienste zurückgehalten worden waren
(1 2, II 2, 3). In beiden Fällen bestand für die vorgesetzten
Militärbehörden aber außerdem die Verpflichtung, den Ange-
worbenen nötigenfalls von Amts wegen zu entlassen, sobald die
mangelnde Berechtigung, den Rekruten förderhin. zurückzuhalten,
bekannt wurde (1 2, II 2, 3). Besondere Bestimmungen regelten
noch behufs Vermeidung von nUnterschleif und Unordnung"
das hierbei zu beobachtende Emiitteliingsverfahren, insbesondere
die Verpflichtung der Offiziere zur Vorzeigung ihrer Muster-
oder Zahlungslislen (I $, II 4).
2. Wenn ein von den fremden Werbern mit seinem Willen
Angeworbener desertiert war und sich in seinem Valerlande »häus-
lich niedergelassen", «angesessen ■ oder Hangekaiift' hatte, (welche
Ausdrücke promiscue gebraucht werden), bevor die Deserüon
.kund" geworden oder Reklamation erfolgt war, so sollte er
gleichfalls nicht ausgeliefert werden, sondern nur die Montur
zurückgeben und 12 bis 20 Taler Strafe zahlen (Mi, 11 io).
Man wird sich hierbei billig vorzuhalten haben, daß diese auf-
fallende Befreiung der mit Onmdbesitz Begüterten vom Aus-
lieferungszwange schwerlich sentimentalen, menschenfreundlichen
Erwägungen ihr Dasein verdankte, sondern vielmehr in den dem
landesherm aus der Steuerpflicht des Grundbesitzes erwachsenden
Vorteilen eine sehr materielle Ursache hatte.
In den Auslieferungsverträgen war gewöhnlich auch der
Allslieferung von Desöieuren im is. Jahrhundert.
81
schon erwähnte Fall vorgesehen, daB ein Soldat der einen Ver-
traKSmach! desertierte und Uei der andern Dienste nahm. Dieser
Fall wurde verschieden geregelt, je nachdem der vorgeselzlc Offizier
bd Annahme des Deserteurs bona oder mala fide gehandelt
hatte. War die Annahme in Kenntnis der Desenion erfolgt, so
mußte der Offizier den Deserteur nebst seiner etwa mitgebrachten
Montierung »ohne Entgeld" ausliefern, verfiel auch überdies in
nachdrückliche Strafe. Hatte dagegen der Rekrut bei der An-
werbung die Desertion aus dem früheren Dienste verschwiegen,
so brauchte der Offizier ihn nur gegen eine Entschädigung für
das von ihm verauslagte Werbegeld und die sonstigen ihm ent-
standenen Unkosten auszuliefern. In unserm Beispiel I beträgt
die Entschädigung für jeden Deserteur von der Infanterie 6 Taler,
für den Berittenen aber 12 Taler (!). Außerdem sind an Unter-
hallskosten für die Zeit von der Reklamation bis zur Abholung
des Deserteurs pro Mann täglich l Groschen, pro Pferd
3 Groschen, dazu noch 5 Groschen ..SchlieBgeld" zu zahlen
(I 5). Etwas anders ist die Entschädigung itn Beispiel II normiert,
wonach für jeden Soldaten ohne Unterschied der Waffengattung
nur 6 Taler gezahlt werden sollten (M 6).
Besondere Kautelen gewährieisteten die Durchführung der
gedachten Bestimmungen. Alle Militär- und Zivilbehörden
waren verpflichtet, ein wachsames Auge auf die Deserteure zu
haben, sie allenthalben festzunehmen und zur Auslieferung zu
bringen, Untertanen, Molche einen Soldaten zur Desertion an-
stifteten oder sich der Begtinstigung schuldig machten, verfielen
summarischer Bestrafung „ohne processualische Weitiäuftigkeit»
(nach I 7 Geldstrafe von 12 Talern). Auch Nachlässigkeit, z. B.
in Abfordcrung der Pässe, war strafbar (II 9). Wer aber einem
Deserteur Montierung, Gewehr, Pferd „oder andere Kriegs-
Oerlthschafft" abkaufte, hatte solches ohne Entschädigung heraus-
zugeben oder, wenn es nicht mehr vorhanden war und er
«■issentlicb gehandelt hatte, vorbehaltlich der Bestrafung den
Wert der Sachen zu ersetzen (1 7, [l 9). Auf die Denunziation
der Flüchtlinge waren laxierte Prämien gesetzt, die das Kriegs-
ärar des geschädigten Staates auszahlte (I S, II 9). Im übrigen
war den Offizieren (und Behörden) untersagt, Deserteure «außer-
Anhir tflr Kulnircachlchte. II. ^
J. Oebaiier.
halb ihrer Fürstlichen Herrschaften territoriis verfolgen und auf-
heben zu lassen"; vielmehr hatten sie die Beamten und Einwohner
des Nachbarstaates um Festnahme und Auslieferung derselben la
ersuchen (I 9).
Wer »noch nicht wirklich als Soldat enroliret" war, sich
aber, um der Aushebung zu entgehen, in das Gebiet der andem
Vertragsitiacht flüchtete, sollte einem Deserteur gleichgeachtet
werden. Wurde er ausgeliefert, so waren die entstandenen
«Atzungs-, Wacht- und Ocrichtskosten" zu erstatten (II 9).
Seh ließlich wurde dritten auswärtigen Mäcliten Überhaupt die
Berechtigung zur Anwerbung von Rekruten in den Landen der
Paktierenden aberkannt. Wer Untertanen des einen oder des
andern zum Eintritt in den Dienst dritter Mächte. verleitete oder
ihnen hierzu vorsätzlich oder fahrlässig behilflich war, machte
sich gleicher strafbarer Anstiftung und Begünstigung schuldig,
als ob es sich um Deserteure gehandelt hätte (II 9).
Einer gewissen Milde entbehrt nicht die den Verträgen ein-
gefügte Klausel, wonach ein Untertan der einen Vertragsmacht,
der bei der andern freiwillig Dienste genommen, aber »los-
zukommen begehret, um sich wieder in sein Vaterland zu be-
geben ■•, gegen Stellung eines andern tüchtigen Rekruten oder
Erlegung von 12 Talern und Zurücklassung der Montur seinen
Abschied »ohnweigeriich" bekommen sollte. Selbstverständlich
war anderseits auch der Landcsherrschaft bezw. dem komman-
dierenden General die Befugnis eingeräumt, die in den Dienst
des andem Paktierenden Eingetretenen unter den gleichen Be-
dingungen zu requirieren {I 10, II 8). Das Rüekiriltsrecht des
Geworbenen war aber zuweilen auf Friedenszeiten beschränkt (11 8).
Die Auslieferungsverträge oder »Kartelle« wurden, wie es
scheint, regelmäßig nur auf eine bestimmte Reihe von Jahren, in
unsem Fällen auf 6 Jahre, abgeschlossen (112, II II), jedoch
nach Ablauf der Dauer häufig erneuert Nach dem Eingang
von II waren zwischen Gotha und Hesäen-Kassel bereits in den
JaJiren 1333, 1739, 1745 und 1751 solche Abkommen getroffen.
Die gegen eingefangene Deserteure zur Anwendung
kommenden Strafen, über welche sich unsere Auslieferungs-
verträge natürlich nicht auslassen, gewähren ein recht trübes
Auslieferung von Deserteuren im 18. Jahrhundert 83
Bild nicht nur von den militärischen Zuständen, sondern auch
von den sittlidien Anschauungen des Absolutismus im 18. Jahr-
hundert ßberhaupL Entehrende Behandlung vor der Front, wie
Zerbrechen des Degens, Leibesverstümmlung wie Abschneiden
von Nase und Ohren, Stockprügel, Spießrutenlaufen, Zwangs-
arbeit und Strang wurden je nach Umständen verhängt Die
Grausamkeit dieser Strafen, deren Hauptzweck offensichtlich der
war, um jeden Preis von der Nachahmung abzuschrecken, läßt
deutlich ersehen, daß trotz des raffinierten Systems der Aus-
lieferungsverträge Desertionen in damaliger Zeit noch überaus
häufig blieben.
Besprechungen.
K. BQcher. Arbeil und Rhythmus 3. stark vam. Aufl. Leipzig,
Teubner. i')02. (X, 455 S.. 1 Taf.j
Das Leben des diiKetnen ist immer nüchterner geworden; die
Arbeil ist ihm nichl mehr Musik und Poesie zugleich; die Produktion
für den MarM bringt ihm nicht mehr persönliche Ehre und Ruhm, wie
die Produktion für den eigenen Gebrauch; sie verlangt Dutzendware und
wflrdc individuellen künstlerischen Neigungen keine Beläligung gestatten,
auch wenn sie vorhanden wären; die Kunst selbst gehl nach Brot. Die
beruflich ausgestaltete Tätigkeit ist nicht heitres Spiel und froher GenuÜ,
sondern cmste Pflicht und oft schmerzliche Entsagung. Aber es darf
daneben nicht übersehen werden, was die Gesamtheit bei diesem Ent-
wicklungspn>z,el) gewonnen hat Technik und Kunst haben sich, durch
Differenzierung und Arbcitäteilung zu einer ungeahnten Leistungsfähigkeit
entwickelt; die Arbeit ist produktiver, unsere Ausstattung inil wirlschaft-
lichen Gütern reicher geworden, und es darf die Hoffnung nicht auf-
gegeben werden, daR es gelingen wird, Technik und Kunst dereinst in
einer höheren rhythmischen Einheit zusammen j^ufassen, die dem Geiste
die glücWiche Mdlerkeit und dem Körper die harmonische Ausbildung
wiedergibt, durch welche sich die besten unter den Nainrvölkem aus-
zeichnen. In diesen Worten hat der Verfasser des vortrefflichen Werkes
die weil entlegenen Entwicklungsstadien der verhältnismäftig einfachen
sozialen Organisation bei den Nalurvolkcni und unseres gegenwärtig
höchst komplizierten Daseins einander gegcniibergestellt, um so den
Blick für die psychologische Zcfgliederung der ticiden Extreme zu schärfen.
In der Tat ist dies ein nicht zu nnlerschälzender Gewinn, den wir der
völkcTpsychologischen Untersuchung verdanken, daß wir uns gewöhnen,
die betreffenden einzelnen Kulturgüter in ihre organischen Elemenle ju
terlegen, aus denen sie im Laufe der Zeit zusammengewachsen sind. Das,
was uns jetzt als unversöhnlicher Ocgensatz erscheint, ist aus einer ur-
sprfingliciim Einheit hcrvoigewachscn, so daß wir noch ganz unzweideutig
die bedeutungsvollen Keime nachzuweisen vermögen. Du Endglied dieser
tangcn Kette sind die sogenannten ÜberUbscl, die Tylor so vorzüglich
Besprecbungen.
SS
211 \-erwa)den verstanden hat, Nim värc es freilich falsch, in optimistisch*
sentimentaler Anschaming das Leben der Natiirvöllrer im Lichte einer
beneidenswerten IdyMt erblicken zu wollen^ durch keinen blutigen Emsl
und keine Monotonie getrübt - ganz abgesehen davon, d3l3 hier auch
das NAturel! einzelner Völker und Rassen eine verhingnlsvolle Rolle spielt
-, aber cincrscib haben wir es auf den Stufen primitiver Gesittung mit
einfacheren Lebensverhältnissen überhaupt zu tun, und sodann stellt die
Tätigkeit des Mensctien dort eine Einheit, ein untrennbares Ganze dar. das
sich unter iinsereti Ständen in eine ganze Gruppe r«inlich von einander
gclrennlcr Bcrufszwcige zerlegt hat. Deshalb hat sich auch mit Nol-
vcDdigkeit der B^riff der Arbeit, selbst verständlich auch ihr Umfang,
vollkommen veränderl. Die Arbeit, für uns ein ziiäammenhdngendes
System unendlich vieler Einzelheiten, nach den leitenden Motiven von
einander verschieden - rein wirtschalilich nnd mechanisch die Herstellung
bestimmter Gegenstände, deren Wert sich nach Angebot und Nachfrage
regelt, ethisch die Eifüllung von Berufspflichlen in sieb schließend -,
ist bd den Nalur%-5Ikcm stets Bedarfeatbcit für den unmittelbaren Augen-
blidc; deshalb fehlt ihr auch bei aller Mühseligkeit <ias [>lanmäi;if;e und
Stetige, und daher der iin vermittelte Gegensatz zwischen iinmenschliclicr
Überlastung (die namentlich die Frauen so hart trifft) «nd tierischer
Trägheit, in der die soeben erzielten Vorräte sofort wieder verpraJlt
werden. Nur dürfen vir, wie schon angedeiitcl, darin etwas Charäkter-
tsiische«. für die Naturvölker sehen, daJi hier Arbeit, Musik und Dichtung
unmittelbar mit einander vcischniild und ^war durch den jede mechanische
Verrichtung b^leitcnden und sie erleichternden Rhythmus. Bücher hat
diesen organischen Vorgang, daß sich eben an jedes Tun ganz von selbst,
IvfcKsch schon durch die dabei entstehenden Geräusche, ein bestimmter
Takt anschlieltl, durch ein sehr rciclics, bis auf unsere Gegenwart hinab-
reichend« Material veranschaulicht, In erster Linie kommt dabei die
menschliche Stimme selbst in Bch-acbt, erst dann etwaige besondere In-
strumcnle. Die Wirkung dieser Arbeitsgeräusdie (heißt es}, soweit sie
rhythmischen Verlauf von sich aus haben oder durch das Zusammen-
wirken mehrerer Arbeiter erhalten, ist zweifellos eine musikaüsdie. Sie
' ngen un<a-illkfirLtth ^ur vokalen Nachahmung an, wie wir noch an unseren
Kindcriicdan beobachten können, welche das Klappern der Dreschflegel und
die verschiedenen HandwerksgerSusche in Worten nachbilden, ebenso aber
auch an den votkstilmlichenToden, welche in manchen Qcgcndcndem Klange
de^oiigen Musikinstmmentes untcrgelqjt werden, das in seiner Wirkung
"den Arbeitigcräuschcn am meisten verwandt ist, der Trommel (S. 3S1).
Nun bedarf es allerdings, um die unmittelbare Handhabung des Rhythmus
zu verstehen, einer maßgebenden Voraussetzung bei den Naturvölkern,
nSmlich daB sie in gani anderer Weise Herr ilires Körpers und ihrer
Ctieder sind, als wir. Bekannt ist ihre Geschtcldichkeil in der Aus-
flutzuoK der FüUe, die noch fast als Greiforgan dienen. Sodann unter-
(
Besprecilungcn.
stützt der nackte Körper selbstverständlich nicht »-cnig die rhythmiKhcn
Btwe^aiigen, wie das z. B. ganz besonders anschaulich beim Tanz her'
vorlriti, dessen pantomimische Bedeutung sonst geradezu unverständlich
werden wfirde. Aber auch ganz nüchterne alltägliche Verrichtungen ge-
bfiren hierher, wie das Treten der Wäsche bei Homer, das Stampfen der
Ähren beim Dreschen, der Tücher beim Walken, der Felle beim Gerben,
der Trauben beim Kellern, das Kneten des Teigs mit den Füßen beim
Backen, des Tons bei der Arbeit des Töpfers usw. Immer bleibt (so
schreibt Buchet) der laute, gleichgemesscne Schall der Tagesarbeit das br*
?eichnendc Merkmal friedlichen, seßhaften Zusammtnlebens der Menschen.
Wie der Dreitakt des Dreschflegels zu dem in vrinterücher Ruhe daliegen-
den deutschen Dorfe, so gehört das regelmäßige Klopfen der Färber zur
sudanesischen Sladt, der laute Scliall des Tapaschlägets zur Niederlassung
des Südseeinsulaners, der liumpfe Ton der Rcisstanipfc zum Campong der
Mainyen, der Otelchlclang des hölzernen Oetreidemörsers zum Negerdori,
das helle Läuten des Kaffeemörsers und das schwerfällige Geräusch der
HandmQhle zum 2eltdorf des Beduinen. Und so hM unter einfachen
landwirlschaftlichen Belriebsverhältnissen fast jede Jahreszeit ihr besonderes
Arbeitsgeräusch, jede Arbeit ihre eigene Musik, im Spitherbstc singt ia
unscm Dörfern die Flachsbreche ihr inutitcres Lied; im Winter mischt
sich in den Ton des Drcscliflegcls auf der Tenne der aus dem Stall da-
neben kommende kurz abgebrochene Schall des Fultcr^Iöllers; im Früh-
jahr erklingt von der Rasenbleiche her das tautklatschendc Schlagen der
von kräftigen HSnden geführten Bläuel, mit denen die Leinwand am
Bache bearbeitet wird, im Sommer erschalll aus jedem HoF das Dengeln
der Sensen, aus jeder Wiese und jedem Kornfeld der scharfe Strich des
Wetzsteines, der tnkimäßig über Sichel und Sense geführt wird. Wenn
die Propheien des Alten Tesiaments in prägnanter Weise den Untergang
einer Stadt bezeichnen wollen, so lassen sie die Slimme der iWühle ver-
stummen und das Lied des Keltertreters. L'nd wenn auf dem Lande die
Stille des Sonntags als wahrer Friede craplutiden wird, so rührt es nicht
am wenigsten daher, daß dann der gewohnte Schall der Arbeil schweigt,
der hier den Kampf ums Dasein bezeichnet (a. a O. S. So).
Wir haben dic&en Ausführungen gegenüber nur einen Vorbehalt
zu machen, der vielleicht manchem Leser ob seiner Einfachheit fiber-
flÜEsig erscheinen mag; so wichtig die Vermittlung der oben geschilderten
Anregungen ist, aus denen die Dichtkunst auf dem W^e des Rhythmus
ent&tandcii ist, so gilt das doch nur unter der maßgebenden Voraussetzung,
daß auf diese Weise eine innere Empfindung in dem Menschen aus-
gelöst wurde. Ohne diese schö[)fer Ische Stimmung würde jener innere
Resonanzboden, wie wir ihn der Kürze halber nennen wollen, stets ton-
los, ohne Schwingung geblieben sein. Das lehrt schon ein fluchtiger Blick
»uf die mitgeteilten Texte, die stets irgendwie die charaktcristisdie Situation
in und aus dem Qemüte der Singenden wi«ier»!piegeln, und zwar gilt
Besprechungen.
87
das ebenso sehr von der feierlichen Majtstät de für den Kultus berechiieien
Sanges wie von dem schüchlcn Liebeslied. Man könnte fast den Spielt
umdrehen und behaupten, daß von diesem innertn Quellpunlct aus auch
die gewöhnliche Arbeit mil hineingezogen wurde in die Sphäre künst-
lerischer Gestaltung: oder Idealisierung, jedenfalls muß aber zu der SuJteren
Veranlassung auch die innere Erregung hinzutreten, sonst würde es zu
keiner, selbst nicht der einfachsten Melodie kommen. Eben weil dem
modetncn Menschen diese innere Freudigkeit leider immer mehr abhanden
kommt, de^alb verschwindet auch (von der Umgestaltung der Technik noch
ganz abgesehen) die Poesie aus dem Bereich unserer Arbeit und unseres
Berufslebens, das deshalb auch so oft den Zug des Übethasteien, Müden,
Abgestumpften erhält. Ini fibrigen wird sich das vortreffliche Buch, da^
in der neuen Auflage eine erhebliche Erweiterung erfahren hat {allein iiber
7D Gesänge sind hinzugefügt), zu den alten Liebhabmi ohne Zweifel noch
viele neue Freunde erwerben, und zwar nicht nur bei den eigentlichen
Vcitreterii der Fachwissenschaft (Psychologen, Nationalökonomen, Philo-
logen und Musikern), sondern auch in den weiten Kreisen der gebildeten
Gesellschaft.
Th. Achells.
M. Jihns, Ueschichtliche Aufsätze. Ausgewählt und herausgegeben,
sowie mit einer biographischen Einleitung versehen von K. Koelschau,
nebst einem Anhang .M. J. als mihtärischer Schriftsteller" von A. Meyer.
Berlin. Partei, 1905 (540 S.).
Das vielumstrittene Wesen kulturgeschichtlicher Forschung zu er-
Uutcm ist die reiche Lebensurbeit von Max Jihns vornehmlich geeignet,
der seit»! in jungen Jahren die deutsche Kulturgeschichte als die Quelle
seiiia' wissenschaftlichen flestrebungcn bezeichnet hat. Die von Schiller
an den Dichter gestellte Forderung, das Individuelle und Lokale zum
allgenieinen zu «lieben, umschreibt am kürzesten auch die Pflicht de*
Kullurhistorikcrs. Ihre Vernachlässigung und das leidige Miszcllcnwcseu
haben zum großen Teil die falsche Voislellung verschuldet, von der die
heutige Polemik der politischen Historiker auszugehen pflegt. Bei Jühns
wird auch die kleinste Spezialuntereuchung durch eine Idee beherrscht.
Er, der vorzugsweise als Mililärechrifbleller gcwünügte. hat jede Seite des
Kricgvresens nie anders als im Zusammenhange der Oesamlkultur des
Volke» betrachtet. Dieser Grundsatz und ein feiner Schönheitssinn be-
fähigten ihn, die unendliche Fülle der Einzelheiten unter die Herrschaft
weniger großer Gedanken zu zwingen, so daß selbst seine umfangreichsten
Werke eine straffe Konzentricrthcit und durclisidiligc Klarheit bewähren.
Die hier gesammelten Aufsätze werden die vielseitige, ijl;iniende
Persönlichkeit des I9U0 Heimgegangenen noch einmal seinen zahlreichen
Verehrern vor Augen stellen. Der erate -die Kriegskunst als Kunst«
S8
Besprechungen.
beznchnet mit seiner geistvoll durchgeführten Parallele von Kriegslninsf
und Architektur wohl die vollendetste Kuiisiforni, iit der reichstes Wissen
sielt offeiibart-ii kann. Die vier falgetiden, die Schlachlen Karls des
Kühnen, die von Pavia, den Großen Kurfijrsicn bei FchrbelUn und auf
ROgen behandelnd, leigen den Meister dramatischer Oestaltiing vic den
uirsichtigcn Qucllcnliriliker. Daran schließt sich die feinsinnige, be-
gdsterungsvolle Würdi^ng Kaiser Willielnis I, nnd der SchluÜAufsatz
über Walter von der Vogelweide offenbart das liefe literarische Vct-
sttndnis des dichterisch selbst Begabten. Aber die Arbeiten von Jahns
sind nicht bloß wissenschaftliche Leistungen, sie s.ind in einem lieiite immer
seltener werdenden Maße Ausdruck seines rdn menschlichen Wesens. Es
spl^elt sich nieder in der vornehmen Schönheit seines Stils «-ie in der
strengen Sittlichkeit, die seine ganze Anschauung vom Kriege durchdringt,
die vor allen den Qedanlten der allgeineitien Wehrpllichi zu einem Leit-
motiv ffir ihn machte. Den wissenschaftlichen, ästhetischen und sittlichen
Qehall dieses seltenen Lebens bringt der Herausgeber in würdig schöner
Weise zur Darstellung, unterstfiitzt durch eignes fcinfs Vcr^Undnis wie
durch Mitteihmgeti der Familie, Wie viele werden hier Ihre eignen Er-
fahrungen wiederfinden., die nun zu Erinnerungen geworden sindl Jahns
war, was in unseren ruhelosen Tagen so selten geworden ist, eine harmo-
nische Persönliclikeil. und es ist von hohem Reiz, an der Hand des Bio-
graphen d'\^ strenge Folgerichtigkeit ihrer immer reicheren Entfaltung zu
Iwohachten. Nicht weniger wird es erilaunlich und hoffentlich auch be-
lehrend sein zu vernehmen, diiO der Mann, dessen sccüschcs Oleichgewicht
und Schönheitsgefüht den Namen eines wahrhaft hetiem^en Geistes
rechtfertigen, - eine lateinlosc Schule besucht hat. Wie fruchtbar seine
umfassendeit Studien fdr seinen speziellen Beruf geworden sind, dem Jahns
mit Leidenschaft und Pflichttreue angehörte, erfahrt von militärischer
Seite noch besondere Beleuchtung. Rechnen wir daiu seine Tätigkeit in
einer Reihe nationaler Vereine, so sehen wir in diesem reichen Menschen-
leben die edelsten Kräfte unseres Volkstums zusammengefaßt, tin Denk-
nul großer V'ergangenh^t , eine Mahnung schorichlicher Gegenwart,
dunkler Zukunft.
0. Liebe.
Mu FutlJnger, Die wirtschaftliche Bedeutung der Ba^Tischen KlÖsier
in der Zeit der Agilulfingcr (Studien und Darstellungen aus dem Ge-
biete der 0<schichtc, hrsg. von H. Graucrt, Bd. 11, Heft 2 i), Freiburg
I. Br. (Herder). (XII. 182 S.)
Die außerordentliche Bedeutung d« Mftnchstums för die Wirt-
uhaftsgeschichte des Mittelalters, insbesondere des frühern, wird in dem
vorliegenden, imt aufferordcnllichem Fleiß und ebenso groltcm Scharfsinn
gearbeilelen Buch fijr einen beslimmlen Landesleil in eindringlicher Wei«e
beleuchtet, Zugleich beweist der Reichtum der F>gcbnisse des Buches,
Besprechungen.
89
d&B ihnllchr Arbeiten auch för andere detilsdie Landsclinften ein dringen'
Ats Erforttemh sind, und daß erst mil Hilfe solcher detailherten For-
schungen der bereits begonnene Bau dner deutschen Wirtschaftsgeschichte
ill«itig befriedigend vollendet werden ksnn. Der Hnuptgedenke des Buches
ist der. daß die bayrischen Klöster der Agiliilfingcrzeit vor allein zu einem
wirtschaftlichen Zweck gegriindct sind. „Seit der Einwanderung der
Bajtimren bis nui\ s. j»lirliiinderl war für die Venitehrung des anbau-
fihigen Bodens nichts Durchgreifendes geschehen. Große Landstriche
lagen wüst und waldbedeckt. Bevor m.in daran denken konnte, ver-
edelten Bodcnbsu in breiterem Umfange zu betreiben, galt es, Sümpfe
auszutrocknen und Wälder 211 roden, um neues Ackerland ?m gewinnen
und PlaT; ffir neue Siedlungen, Nur eine im Mönchtiim großartig
organisierte Arbeiterschaft konnte damals mit Aussicht auf raschen Erfolg
die Kultivierung ganzer Länderstriche wagen. Unter diRem Ocsichts-
winbfl betrachtet erscheint die Pflege de Klosterwesen^ gerade durch die
agilulfingischcn Herzoge des 8. Jahrhunderts im neuen Licht. Entsprechend
ihrer vorwiegend Nfirtschaf Hieben Aufgabe zeigen darum die Klöster der
Agilulfinger Periode in der äußeren Anlage fast durchgehends weit aus-
einander geschobene Veihäitnisse. Auch insofern stellen sie eine eigene
Periode dar." „Wie die damaligen tuyrischen Klöster als vorwiegend
wirtschaftliche Stiftungen oder doch nach ihrer wirtschaftlichen Seite hin
infolge eigenartig geologischer, vegetativer, kirchlicher oder politischer
Einflüsse den Typen einheimischer und fremd! and ischer Klöster sich nähern
oder von ihnen entfernen, das ni untersuchen, sei die Aufgabe dieser
kulturgeschichtlichen Darstellung." Das Eigenartige der Lösung dieser
Aufgabe liegt nun in der Art der Quellen, auf welche der Verfasser
haiiptüchlich sich stfllzt. Es sind das nicht sowohl die sdiriftllchen
Quellen. Urkunden (Schenkungsurkunden!, Oütervcrzeichnisse, Heiligen-
leben usw., obgleich diese natfirlicfi sämtlich benutzt werden, sondern
die Ortsnamen und die Bodcngestaltung, sowie die Kirchen patrozinicn, die
Schutzheiligen der Mönchshtlturen. Mögen im einzelnen abercilte Schluß-
folgerungen fesigestellt werden, an der TOchligkcit der Arbeit und ihrer
allgemeineren Bedeutung wird nicht gezweifelt werden können.
Georg Sieinhausen.
Georg Liebe, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit. <Mono-
graphien zur deutschen Kulturgeschichte, hr^. von Georg Steinhausen,
Bd. 11.) Mit 106 Abbildungen und Beilagen nach Originalen, größterj-
tab aus dem 15, bis 18. Jahrhundert. Leipzig. Eugen Diedcrichs, isoj
(127 S.).
Diese in einer von mir herau^egebeuen Sammlung erechienene
Monographie wenigistens in dieser Zeitschrift selbst anzuzeigen, halle ich
i
Besprechungen.
fQr dos einfachste und batt. Denn d«r eine oder andere Leser möchte
selbst bei einem anderen Rerercnten in diesem Falle eine gewisse Vorein-
genommenheit zugunsten des Buclics voraussetzen, obgleich ich mich
nie dagegen sträuben würde, auch eine liiigfinKtige Besprechung seitens
eines einmal gcvähltni Kritikers aiii'itii nehmen. Ich habe aber auch
andere Gründe zur Abfassung dieser Anzeige. Einmal möchte ich
den Verfasser vor etwaigen SchlfiMcn, die aus dem Charakter der vom
Verleger ausgewälilten und eingefügten Bilder auf das Vorhandensein
einer anliscmitischen Tendenz gezogen werden köiinlen, schützen. Der
Verfasser hat sich die äußerste Objeklivilät in der schwierigen und gerade
in dieser Beziehung von hüben und drüben leicht anfechtbaren Bear-
beitung des heiklcri Themas zum Ziele gesetzt. Er hat sogar die Ein-
(üßung eines Teil« der Bilder, eben um nicht falsche Voistellutigcn auf-
kommen zu lassen, lebhaft bekämpft und auch das Fortbleiben einer Reih«
dcreellien durchgesetzt. An andern hat der Verleger festgehalten, nicht
8115 antisemitischer Tendenz, snndcin weil er auch die Karikatur als
tj u eilen maß iges Abbild früherer Zeitstimmungen nicht entwehren wollte.
Jedenfalls ist an dem Streben Liebes nach Sachlichkeit und Friedlichkeit
nicht zu zweifeln. Einem anders gcirtetcn Text würde ich aU Heraus-
geber und als Gegner des Antisemilismus auch nicht zugestimmt haben.
Anderseits schien mir der Hauptgedanke Liebes, daU nämlich die Heraus-
bildung der Kluft zwischen Deutschen und Juden nicht durch Religion
oder Abstammung der Juden, sondern durch ihren Beruf, durch ihre
wirtschafil iche Rolle zu erklären sei, zwar etwas zu scharf betont, aber
gegenüber der bisherigen Behandlung der jüdischen Geschichte doch der
nähern Begründung wert. Die Geschichte der Juden in Deuuchland nur
als eine Kette von Verfolgungen aus leiigiösen Moliven iin zusehen, geht
in der Tat nichl an. Immerhin würde ich den Einfluß des demokrati sehen
itiedern Klerus im späteren Miltelalter, der sicherlich oft auch hinter an-
deren sozialen Bewegungen stand und namentlich Einfluß auf die Hand-
werker halte, mehr betont haben. Aber auch flir diesen Klerus sind die
antikapitalistischen Motive vielleicht entscheidender als die religiösen,
wenn auch diese direkt ausgesprochen wurden. Übrigens gesteht Liebe
selbst zu, dall ,rbei der religiösen GrundAtinimuiig des Mittelalters der
Haß gegen die Andcrsgläithigen eine starke Einwirkung gettbl", freilich
nur noch die Mammen geschürt habe. - Verzichten mußte Liebe, sdion
wegen der Sprache der betreffi-nden Quellen, nuf eine Schilderung des
innerjüdischcn Lebens: im ganzen steht vielmehr das Verhältnis der
Deutschen zu den Juden und die Rolle der letzteren im deutschen Leben
im Vordergrund der Darstellung. Trotzdem wird zur untnittetbarcn
Charakterisierung der Juden selbst doch manches twijjetragen. Sehr
hübscti ist die Art und Weise, wie Liebe die Urkunden, namentlich
[»rivalurkundai, Sdiuldbricfe, städtistiie Akten, Briefe, vor allem auch die
Volksliieratur, insbesondere die poetische, heranzuziehen wdli. In seiner
Bespreahiingen.
91
Monc^^phie über den -Soldaten« hat er in dieser Beziehung schon treff-
licli« Proben seines Oeschicks wie seiner Belesenheil Begeben. Weiter
mein« ich, daß Liebe dem wenigstens von mir verfolgten Ziel der
Monographien, nämlich Menschengcschichlezu geben, den inneren Menschen
der Vergangenheit aufzuschließen, von allen Mitarbeitern om meisten nahe-
gekommen ist. Vor allem «Ar das bei dem .Soldaten- der rall. Aber
gerade dieses Ziel der Muno^raphien ist vom groBcn Publikum wie von
den Lobhudlern der Presse, abcrauch von wisscnichafliichen Kdlihem (einige,
*ie Kötschke, in den ..Jahrcshfrichtcn der Ocscliichlswissenschaft-, nehme
Ich aus) wenig begriffen, feinere Absichten sind vor plumpen äußerlictien
Anforderungen übersehen wonlen. Mancher Offizier dachte sich etwa beim
vSokJaten in der deutschen Vergangenheit" eine Zusammenfassung einiger
\J'ctVc über das ältere Kriegswesen, rfimpftc die Nase über den nicht-
mililärischen Verfasser und las das Buch nicht. Daß darin ganz etwas
anderes steckte, daß der Soldat der Vei^ngenheit in seiner moralischen
HaltunE, in seinen Interessen, in seiner sozialen Beurteilung durch die
ßbrigen Stände, kurz als Mensch geschildert war, das ahnte er nicht, und
wenn er es merkte, interessierte es ihn wenig. Genau so vcdanEtt etwa ein
Kritiicervon meinem -Kaufmann i. d. deutsch. Vergangenheit- eine Art Hand-
buch der deutschen Haiidclsgcsch ichte, trotzdem ich mich dagegen gleich zu
Anfang des Buches verwahrl halle, freilich auch die äuliere Entwicklung
des Handels nicht beiseite gelassen habe. Und es ist charakteristisch, daß
eine Monographie, die meiner Anschauung recht wenig Rechnung trägt,
die Mummenhoffs, dct nur eine äußere Geschichte des Handwerks gibt
und den Handwerker als Menschen kaum ra fassen sucht, von einem
Kritiker als eine der enipfehlenswertesten bezeichnet wurde. Unsere Siißer-
lidie Zeil gehl eben überall nur aufs vSußcrc, Formale, im Leben wie in
der Wissenschaft. Bemerkt sei übrigens-, daß einige Druckfehler in den
Unterechiiftcn der Bilder, trotzdem ich sie verbessert halle, stehen geblieben
sind, weil der belreffcnde Bogen ausgedruckt wurde, ohne daß meine Kor-
rektur bciücksichiigt war. So muües bei Abb. 'Ja i,a,l5 jüdischer Nährmutter"
sowie bei Abb. 32: Kolbergen (wie wiederholt verbe^crt war) heißen.
Ahnliches ist auch bei Untctschrificn der Monographie Hampcs fiber
die fahrenden Leute passiert. Dort sind solche nach meiner letzten Kon^kttir
noch neu eingefügt oder geändert, ohne daß ich sie vor dem Dnick ver-
bessern konnte. Das hat sich dann natürlich gerächt Im übrigen war
alles, was sich auf die Bilder be/og. Sache des Verlegers, und auch wo ich
(vic CS bei allen Monographien sehr oft geschehen mußte) bczüglidi der
Auswahldei Bilder, wie vor allem ihrer Anordnung, Reihenfolge etc.eindring-
liche Ander 11 ngsvoiMrhlitge gemacht habe, ist denselben keineswegs immer
vom Verleger entsprochen worden, [cli habe also Anlaß, die Verant-
vorlung für alles, was die Bilder .■iiigchl, erst reclil ab/ulchneii, trotzdem
ich zur Verbessening der Unterschriften gent4gend beigetragen habe. Es
soll damit der Wert des illustrativen Tdlcs flbrigcns nicht hcrabgcsdzt
92
Besprechungen.
wtrnleii, der ja audi schon oft genug anerbannt ist. Aber da ich
bisher nie Gel^entieit hafte, auch einmal meinerseits ein Wort Aber
die Monographien z.a. sagen, wollte ich diesen Punkt, der auch auf
dem Vorblatt jeder Monographie festgeslellt ist, doch eni'ihnen. Ich
möchte dabei weiter einmal aussprechen, »laß alle die Prospekte, die mit
verechiedenem Inhalt des öfiem ausgegeben sind, ausschließlich vom Ver-
leger herrühren, auch recht oft weder mit meinen Anschauungen noch mit
meiner Schreibart zu vereinen sind. Dasselbe gilt von der Ankündigung
au! dem Umschlag der Monographien. Die Opferwiliigkeit und die
Mühen des Verlegen seien aber ausdrücklich anerkannt.
Georg Steinhausen.
Jacob Schmidt, Die katholische Restauration in den ehemaligen
Kurmainzer Herrschaften Königstein und Ricneck (Erläuterungen und Er
giln«in;jeil zu JansseiisGcsrhichtedes deutschen Volkes Ilt, H. 1), Freiburg
Herder, t902 (XII und 124 S.)
Wenn auch einseitig nach den kurmainzischen Akten im Kreis-
archiv Ml Wtifzburg bearl)citet, gibt die Sdirift lehrreiche Aufschlüsse über
das Verfahren der Gcgeureforrnation. Die genannten Herrschaften waren
bei ihrem Anfall an Kurmainz 155^ und I5öl bereits evangelisch und in
ihrer Religionsübung während des sediszchnten Jahrhunderts ungestört ge-
blieben, obgleich mit der 1S6I einsetzenden Tätigkeit der Jesuiten in
Mainz die polemische Richtung an Macht zunahm. Erel unter dem Iboi
zur Regienmg gekommenen Johann Adam und seinem Nachfolger Johann
Schweikart setzte sie sieh in Taler um. Man ging in der Weise vor, daß
man erledigte evangelische Pfarr^tellen mit katholischen Ocisliichcn be-
setzte, die auf das Volk durch Btflehrung wirken sollten, wobei allerdings,
wie Schmidt zugestehen mitfi, der Mainzer Klerus geeignete Kräfte nicht
reichlich darbot. Das Verhalten der evangelischen Untertanen hielt sich
durchaus in gesetzlichen Schranken, aber auf ihre rvtiiioneii folgten erst
ausweichende Bescheide, später wurde den Überbringeni »ein guter fiis
gelesen," Schheüiich griff man zu Geldstrafen und .Ausweisungen, die
in den einneluen Ortschaften oft ein Drittel bis die Külfte der Einwohner
betrafen, damnter vorzugsweise Staats- imd Kommunalbcamte, soziale und
intellektuelle Auslese. Es ist zu bedauern, daß der Zustand des Quellen-
materials schwei'lich eine andere Darstellung als vom Standpunkt des
Sirecrs ermöglichen wird.
™ O. Liebe.
Heinrich Schrohe, Kiirmainz in den Pe4tjs.hren It*t>-I667 (Er-
Hutcrungen und rrgSnznngen zu Jan^seus Geschichte des dnitschen
Volktt. Hgg. von Ludwig Pastor. Üd. III, H. 5.) Erdburg i. Br.,
Herder, \Wi. (XV und läJ S.)
Besprechungen.
93
Däs KtircrebisdiiTi Mainz itti siebzehnten Jahrhundal isl uns im
wTgangcncn Jahrzehnt in ZN^ei trefflichen Studien jccKiiildert worden:
ich meine die Werke von Karl Wild, Johann Philipp von Schönbom,
Kurfürst von Mainz, genannt der deutsche Salomo. Heidelberg (Winter)
isW). und Ocorg Mcntz, Johann Philipp von Schönbom, Kurfürst von
Mainz, Teil I Jena (.Fischer) IS96. Teil II ebenda 1899. Zu diesen beiden
Untereuchuiigen geiellt sich in diesem Jahre eine dritte, welche sich nur
mit zwei Jahren der Rcgieningsieil des berühmten KurfDreten befaflt, mit
den Pestjahreti von I66t) bis 1667. Der Verfasser, Heinrich Schrohe,
Oberlehrer in Benshcim, ist im vorigen Jahre durch seine Arbeit über
den Kampf der Oegenkönige Ludwig und Friedrich um das Reich bis
zur Entscheidungsschlacht bei MühUorf (Historische Studien, hgg, von
Ehering, Heft 29, Berlin ^W2) bekannt geworden. Das uns vorliegende Buch
hat die merkwürdige Eigenschaft, sowohl vom Standpunkte der KutCur-
geschidite wie von dem der Medizin aus gewürdigt werden zu Icönncn,
und die Nr 34 der Deulsdien LileraluiOTitung liOä trägt diesem Doppel-
»-<a<n auch Rechnung: sie zeigt die Studie unter der Rubrik .Neuere
Geschichte* an und läßt sie ein paar Seiten weiter unter .Medizin*
besprechen.
In der Tal zerfällt die Arbeil in drei Teile: in einen handeb-
politischen, einen hygienischen und einen religiösen Abschnitt. Nachdem der
Verfasser in der Einleitung die sanitären Maßregeln des Mainzer Kur-
staates in der Zeil von 1526 bis 1665 skizziert hat, kommt er im ersten
Abschnitt auf die handelspolitischen Korrespondenzen zwischen Kurmainz
und Frankfurt, veranlaßt durch die Petgefahr, zu sprechen. Wir erfahren
hier, daH die schreckliche Seuche von Holland aus seit i()&3 sowohl nach
England hin als atich den Rhein hinauf sich verbreitete. \bbi tobte sie
in Köln, und in dem heiRen Sommer von IGöö zog sie aufwärts bis nach
Mainz, Prankfurl und DarmstadI, Der Verfasser gibt uns eine lange,
vom Straßburgcr Rate angefertigte Liste von gangbaren Handetsgcgen-
stinden, die filr uns sehr interessant ist. Wir lesen dann von den Hinder-
nissen, denen die Rheinschiffahrt selbst in gesunden Zeiten ausgesetzt war,
vom Mainzer Stapelrecht, von Abspemingsmaßr^cln gegen verseuchte
Orte, von der Quarantäne, vom Verbot des Besuches der Frankfurlei
Messe usw. Das zweite Kapitel behandelt die für das ganze Erzslift
gdtextden sanitAren Maßregeln und ihre Durcliführung. Hier und in den
folgenden Abschnitten tritt uns die Gcstall des Statthaltcre und Dom-
dcdunten Johann von Heppenheim, genannt von Saal, sympathisch ent-
gegen. Der Kurfürst, der zu^leidi Bischof von Würzburg und Worms
war, hatte sieh, als die ereten Pcstßlle in Mainz vorkamen, nach Würzburg
begeben. Es war naHiHich fOr die Mainzer Regierung nicht immer und
nicht Qberall leicht, ihren Anordnungen den gehörigen Gehorsam zu ver-
schaffen, böondcrs nicht in dcmbckannlcn WcinortcHochhcimamMain.de
cnt verfialtnismaiiig spät von der Kontagion ergriffen wurde und, wie es
Besprechungen.
scheini, nichl viel dnvnii zu leiden hatte. D;as Domkapitel tihgt im
Januar 1067 über die dort dngtrisBenc Zügcllosigkdt, Der licißc Sommer
von 1666 hatte nämlich den Hoehheimern eine reiche Weitiemtegexeitigt;
es nimmt den Referenten peisSnlicli gar kein Wunder, wenn sie sich
dessen freuten und ihren Lebenssaft möglichst schnell seiner natiirlichen
Destiinmung /u«ifflhreii gcdachlen. Dafl derselbe lieiße Sommer den
Mainzern drüben eine so entselzlidie Krankheit bradite. war den Hoch-
tieimern in ihrem Oeniisse ziemlich gleichgültig. Refcrenl ist in einer
Weingegend, niclil weit von Hochheim und Mainz, in Kreuznach, zu
Hause: er hat selbst äftcrs von dem guten Weinjatir 1840 erzählen hörnt,
wo man nicht genügend Ffisscr hatte, den edlen Sloff aufeufangen und
deshalb vieles aueisnfen lassen mußte. Daß das »gule» Weirjnhr i S4ft aber
anderswo infolge seiner Dürre, die zwar die Trauben gcddhen ließ, den
Notstand von 1847 zeitigte, der dann die Revolution von lS4fi mitvorbe-
rdten half, davon spricht niemand. In dieser Hinsicht mödile man
wirklich versucht sein zu glauben, daß der Wein ein Getränk s«, das auf
die Nächstenliebe niolil lördcmd einwirkt. Doch dies mir nebenbei.
Das dritte Hauptstück belehrt uns fiber die zum Schutze der Stadt
Mainz erlassenen Verordnungen, über die Reinigung der Straßen, die
Wegräumung des Kehrichts, die Abschaltung von Cünscn, Tauben und
Schweinen .des bösen Geruches wegen". Trotz aMer gutgemeinten Maß-
regdn drang die Pest zwischen dem 30. Juni und 6. Juli 1666 in Mainz
ein und raffte die meisten Opfer Ende Juli hinweg. Im Frühling 1667
war die Stadt wieder seuchenfrei, während die Krankheit in der Umgegend
noch 16«8 wütete.
Das Auftreten der Epidemie machte die Errichtung dnes Gesundhdb-
amt«, des »officium sanitatis", notwendig, wovon das vierte Kapitel handelt
Wir hören hier von der gefahrvollen Titigkeil der Pfarrer, der Schließung
vereeuchter Häitser, ihrer Wiedereröffnuiig, der Tolenbestattung, der Ab-
schaffung der Matistiere, von Zusam inen kOnf teil, von der Unterbringung
der Soldaten und Auswdsung des Ge^indeU. Einige Priester wurden aus
den Klöstcni ausgesetzt, um den Kranken die Sterbesakramente zu reichen
und den Armen in jeglicher Not bdzustehcn. Auch ein Armenarzt und
ein städtischer Barbier wurden bestellt, Medikamente kostenlos verabreicht.
Vcrsdiiedene Ärzte werden namhaft gemadit, worunter vielleicht der be-
kannteste der Dekan der medizinisdnen Fakultät, Dr. Ludwig von Hörnigk
(Homlck^ist. Er ist der Vater des österrdchischen Nationalökonomen Philipp
Wilhelm von Homick (1658-1712), Unter den Medikamenten werden
auch »Sccjcta gegen die Koiilagion" eruähnt, also Ochcimmitld, die aber
eher Schaden als Nutzen stifteten. Zu loben ist die ausgedehnte Mild-
lätigkdt des Offiziums, das auch die kurfürstliche Hofküche zur Vcr-
köstigung der im Lazarett befindlichen Kranken in Anspruch nahm. Mit
dem f&nflen Kapitel, das die damals gebrfiuch liehen medizinischen HeiU
milld betrifft, schiidilt der hygienisdie Teil der ArbdL Als dn Straf-
Besprecttungm.
95
gericht Oott« -wurde die Pest angesehen, und sowohl in Bingen wie in
Älunz gelobte man Kapellen zu Ehren der heiligen Roclius und Scbastianus,
nachdem man dne Anliphom- und eine Betslunde angeordnet halle. Mit
dem Bau der Seb»sfiaiiska peile iit M.iiiiz war der Ktirfünt zuerst niclit
ganz cinveislflnilen , da er lieber gesehen hätte, wenn das üdd für
die nollcidendcn Hnusarmcn verwendet worden wäre. Am Scbnstianstage
wurde wegen Abnahme der Kranklieit ein Dankfest abgehalten. Andere
Orte des Erzstifte bcbindetcn auf ähnliche Weise ihre Dankbarkeit für
das Abnehmen der Epidemie. So weit das sechste Kapitel. Das siebente
ist dem unerschrockenen Domprediger Dr. Voliasius und dem religiösen
Leben in Mainz zur Pcatzeit gewidmet.
Ein zusammen fassendes SchluUworl weist auf die vielen erhebenden
Momente hin. an denen die Tage der schweren Not reich waren. Der
Kurfünt ist auch in der Feme für das Wohl der Stadt besorgt, der Statt-
halter und Domdechant Johann von Heppenheim, genannt von Saal, ver-
dient, wie das officium sanctalis, alle Anerkenrung. Von den Ärzten sind
drei die Opfer ihres Benifes geworden, und die ganze Tätigkeit der Qeisl-
Hchen war gcwiJl eine derartige, daß die Gefahr der Ansteckung groß war.
Wer heiitzulage mit dem Schiffe an Bingen vorbeifährt, sieht auf
dem UcrcfC über der Stadt eine schöne Kapelle. Das ist die neue Rodius-
kapdle. Das alte nnscheinbare Golleshaiis, das der fromme Sinn der
Bürger v&n Bingen im Jahre 1666 erbaute, ist am 12. Juli i&S^, durch
einen Blitzstrahl entzündet, gänzlich niedergebrannt. Die Erinnerung an
das große Sterben ist aber im Rheingau noch wach, und viele Wallfahrer
ersteigen am 16, August, dem Tage des heiligen Rochus, den Berg, um
dort in der Kapelle ihr Gebet zu verrichten.
Karl Höischcr.
R. Scliwemer, Restauration und Revolution (Aus Nalur und ücistes-
welt Bdchen il). Leipzig, Teubner, 1902 {151 S.).
Eine Sammlung von Vorträgen, die im Anschluß an die groDen
liistorischen Werke die Entwicklung des deutschen MaiionBlsLaat» bis 1849
in übersichtlicher und flüssiger Darsteiliing einem weiteren Kreise ver-
mittelt. Das Schwergewi du liegt natürlich auf der Politik, nur ein Ai>-
Khnitt ist dem Erstarken der nationalen Arbeit gewidmet.
O. Liebe.
Werner Sombart. Die deutsche Volkswirtschaft im neunzehnten
Jahrhundert. Berlin, O. Bondi, 1WJ (XVlIt, MS S.).
■Wer ängstlich abwägt, sagt gamicbts" (Fontane) lautet dncs der
beiden -Vorworte" zu dem vorliegenden höchst lesenswerten und tfich-
|]gen Budi, und man wird nicht leugnen kSnnen, dal) der Verfasser in
96
Beqnediuiistii.
der Tat reclit frisch ins Zeug geht, Datiebeii fällt sofort ein nicht gcrsde
geringes Selbstbewußtsein auf, das sich am mdslcii in der Art, vic er
von seinem »Hauptverk'; »Der moderne Kapitalismus* redet, ausprägt.
<Vgl. übrigens auch die merkwrinlige Stelle auf S. 529.) Das vorliegende
Buch ist auch gleichsam nur eine Vorstufe ru diesem Allerheiligsten,
Jenes zweibarKÜge, gewiß wichtige, aber auch, nainenllich in seinen hi-
storischen Partien, keineswegs einwandfreie Werk ist nun auch in den
Augen des Verfassers anscheinend allein das wissenschaftliche Werk: den
voriiegcndcn recht slalttichcu Band betrachte! er mehr als eine Art
populärer l^iauderei. Er ist deshalb auch einer «verehrten Freundin*
zugcdarhl, die wiederholt als Leserin apostrophiert wird. Gewiß gibt
es genug gebildete Frauen, die der Lektüre des Buches nicht nur für die
schildernden Anfangskapitcl gewachsen sind, aber im ganzen werden die
Leser doch wohl sehr überwiegen. Und unter ihnen such wieder die
ernsteren. Wozu also ein gesucht salopper To^n, als ob man für .Nicht-
fachleute- nicht eine cdte Sprache zu reden brauche? Es steckt darin eine
Unlcfschäfcfung des gebildeten Lesern Auch klingt dieser leichte Ton nur
sehr gekünstelt und berühit dalicr um so unschöner. «Die W^e! Du
meine Zeit! War das eine Nol!» (S. 4). „Das gab a Hetz» {S. 21).
■Die wir arme Hascherin sind mit unsem paar Ideen und unsem paar
-unpraktischen" Kenntnissen." (S. 19;.) Solche Wendungen sind nicht gerade
geschmackvoll. Hingegen werden die «Gebildeten" öfters den Voraus-
setzungen in anderer Beziehung nicht entsprechen. .Das Thomas-OIl-
christsche Verfahren beruht, wie wiederum jeder Gebildete weiß, auf einer
nicht sauren, sondern basischen SchlackenbUdung usw." {S. 180). Die
meisten Leser, namentlich von der sympathischen allen, nicht lechniscti
imd naturwissenschaftlich gerichteten Generation, werden das Verfahren
nur sehr vom Hörensagen kennen.
Aber das alles sind Kleinigkeiten, und a.uch die wichtigeren gewiß
nicht fehlenden Punkte, die zu sachlichem Widenipruch reizen, sowie
die Neigung zu Einseitigkeiten, und ein zuweilen gewaltsames Hinein-
zwängen der Fülle der EfKiheinungen in den Rahmen der vom Verfasser
dargclcgicn Entwicklung kann uns nicht abhalten, das Buch als eine her-
vorragende Erscheinung zu bezeichnen, der wir auch unter den Historikern
recht viele Leser wünschen
Das erste Verdienst des Buches ist, die Erkenntnis, dafi das 19- Jahr-
hundert auf allen wirtsdiaftlichen Gebieten einen gröflern Wandel erlebt
habe als die ganzen Jahrtausende vorher, einmal mit aller Ausführlichkeit
und In großem Zusammenhang begründet zu haben. Im allgemeinen
Sinn ist diese Dlikeimtnis schon öfter ausgesprochen, für einzelne Gebiete
ebenso, z. B. noch neuenlingi für die Landwirtschaft von v. d. Goltz:
aber der Nachweis im einzelnen und die Formulierung der tieferen Grund-
lage des Alten wie des Neuen ist Sombart zu danken. Die Absicht seines
Buches ist. das Werden des neudeutschen Wirtschaftslebens lu schildern.
Boprechungen.
97
Das bedeutet für Sombirt das Hcraiiswachsen der kapitalistischen Wirt-
scluft aus der vorkapitaüMisdien Organis,ition.
Zimichst wird der Leser daher mit dieser letzteren, mit den Zu-
ständen vor 100 Jatiren. den äiiüem und inrern Verhaltnissen des da-
ifiulisicn Wirtschaftslebens, bclcannl gemacht, dann mit den treibenden
Kräften der neuen Wirtschaft, dein -ZMeck&ireben kapitaliatischer Unter-
nehmer-, weiter mit den sonstigen Bedingungen für den Sieg jener Wirl-
schattsffinn, die er in vier Qnippen r Land, Leute, R«lit,Technikaiiseinandcr-
ictzt Dann folgt die aiisführliclie Darstellung des modernen kapitalistisclien
[Wirtschaftslebens, zunächst der Gebilde, die de^en Geist ganz rein ver-
[körpem, der Banken und Börsen, weiter des Handels, des Verkehrs, ds
' Gewerbes und der der kapitalistischen Organisation am meisten M-iderslre-
benden Landwirtschaft. Daran wird noch ein Kapitel über „die deutsche
Voliswirtschat't und den Vt'cUraarVt" geschlossen, in dem eigenartige An-
schauungen entwielcelt werden. Die Pointe der Umwälzung ist, daß
heute Deut:>chland der Boden und immer vteder Boden fehlt. Ein letzter
Tei! endlich legt die -Orundzfigc der neuen Oesellsdiaft* dar: hier finden
*ir auch manclie geistreiche Bemerkung über den Wandel des inneren
Menschen. Es werden die Versclitebtingen in den Berufsverhältnisscn,
die Änderungen in der Einkommensverteilung, die im übrieeii und
trotz des allgemein gestiegenen Wohlstandes dieselbe blribl wie frtltier,
endlich die grundstÜRcnden Wandlungen in der höchst kompliziert ge-
wordenen Klassenbildting betrachtet. Sehr mit Re«:ht wird zum Schluß
mf den Nicckrg.ing idealen Geistes hingewiesen. Die Brutalität der rein
2uBcrlidien modernen ,.Ku!lur" hätte sogar noch viel schärfer betont
«erden können, namentlich auch in beziig auf ihre Folgen Ifir den Cha-
nklcr. Was uns vor allem fehlt und erst wiederzugewinnen ist, ist m. E. das
Herz. Somb*n vemiifll mehr die Bildung, worin er auch recht hat,
und beklagt den offenbaren Gegensatz von Politik und Bildung deshalb
nicht, weil unsdessen Erkenntnis daran „erinnere, daß das teuerste Erbsttick,
das uns Intellektuellen die Grötitcn und Besten unseres Volkes hinterlassen
haben, der unpolitische Sinn ist, der schon fast abhander zu kommen
schien Ihn wieder zu pflegen, inmitten der großen Öde, in die uns
unsere materielle Kultur %-erstoßen hat, dünkt mich wohl des Schweißes
der Edlen wert. Wir wollen wieder mehr in Goethe leben. Das tut uns
bitter not." Den Pessimismus in bczug auf die niodcmc Kultur,
der aus solchen und andern Worten spricht, teile ich durchaus. Ich
hege ihn aber auch bezüglich der Art und der Anschauungen von «uns
Imellcktuellen",
Das. Sombartsehe Buch habe ich erhalten, als ich gerade bei der Ab-
fassung des Sclilußkapiteis meiner demnächst erecheineitden „Geschichte der
deutschen Kultur- war. Manches, was ich neues ^u sagen glaubte, namentlich
bezOglicb der Charaktcrisiening des gleichmäßig durchgreifenden Um-
schwunjp auf allen Gebieten und der Feststellung der Gleichartigkeit der
An&W tOr KullurgiMhIdile. It. 7
Besprccliimgen.
Anfangszeit unsers Jahrhunderts mit friSheren, ja mit mittcUltcrlichen
Zeiten, ist nun schon von ihm gesagt worden. Ich habe ihm daher Jetzt
folgen miissen, habe es aber auch gern in Punkten getan, deren Erkennt-
nis idi ihm erst verdanke. Auch andere werden dem Buch mant^hcs
verdanken: ich wiederhole meine w^rnie Empfehlung desselben.
Ceorg Steinhausen.
Francisco de Nollindi, Vier GesprXcbc über die Maicrci, geffihrt
zu Rom 1538. Origjnallexl und ÜberseUnng, Einteilung, Beilagen und
Erläuterungen von Joaqtiim de Vasconcellos (Quellenschriflen für
Kunstgeschichte und Kunsttechnilt des Mittelalters und der Neuzeit N. F.
Bd. IX). Wien, Verlag von Carl Gracscr. 18ti9, {CLX und 240 Seiten.)
Des Augsbiirger Pitriilers Philipp Hiinhofcr Reisen nach tnnsbnick
und Dresden. Von Dr. Oscar Docriiig (Quellen Schriften für Kunst-
geschichte etc. N. F. Bd. X). Wien, Verlag von Carl Üraeser tS Co.,
1V01. (309 Seiten.)
Von den ursprünglich von Eitelberger begründeten, dann von
Albert Ilg fortgeführten und jetzt von Camillo List rediKierten „Quellen-
schriften (ür Kunstgeschichte", denen »ir im Deutschen Reich leider noch
immer kein ähnliches Unlcritehinen an die Seile zu Mclkn haben,')
\pährend Österreich- Ungarn in den Regesten-Publikationen des Hof-
jahrbuchs sogar noch ein zweites Quellenv?erl( dieser Art von mindestens
gleich hoher Bedeutung hal zur Tal werden lassen, liegen mir die beiden
letzlerschienenen Dände zur Besprechung vor. Beide bieten wiederum,
wie ihre Vorgänger, eine reiche Fülle des Materials und in Einleitung,
Anmerkungen, Erläuterungen und Exkursen auch bereits reiche Ergebnisse
nicht nur für die spcueLI kunstgeschictitliche Forschung;, sondern auch
für die ^t'eite^e Kuiluigeschichte. Ist ja doch überdies die rein historisch
verfahrende Kunstgeschichte nur als ein Zweig der Kulturgeschichte und
Altertumskunde, vielleicht als deren wichtigsler. aufzufassen. Es verlohnt
sich also wohl, auf den nach Ort und Zeit so verschiedenen Inhalt der
beiden Bände auch in dieser Zeitschrift in Kürze einzugehen. - Die
■vier Gespräche über die Malerei" bilden den zweiten und vrertvollslen
Teil ds Malcrbuchcs ~ ..Da Pintura Antiga' tautet der eigenttidie
Titel — , das wicdcnim als das literarisch bedeutsamste unter den Werken
des portugiesischen Malers und Schriftstelleis Francisco de Hollanda
(tSIJ— 1SS4> bezeichnet werden muü. Sie führen uns in die Zeil der
blühendsten ilalictiischeii Renaissance, und in ihrem Mittelpunkt steht die
gewaltige Gestalt .Meisler Michaels», d. h. Michelangeios. Der junge
■J OuiE ncuETdiiiei ii< ludi xura Jahrbuch der kgi. pTcufi, KumtummliinBrn und
mr nim XXIV. t]>ndr (I9<i!i) ein .Scihdl- mit «rchlvaliitlicn ründiungen endilcnen,
du fcoflentlith Mehl aHrriche Nachfolp Tindct, Tti. H.
rfi^
portuKicsischc Künstler war durch die Gunst der Vltloria Cobnna mit
dmi Meister bekannt geworden und verehrte ihn bsld mit solcher Inbrunst,
■daß', wie er selbst schreibt, »wenn immer ich ihn uaf, es sei im Hause
des Papstes oder auf der Straße, ich mich nicht eher von ihm zu trennen
wrmochle, als bis die Sterne uns gehen hicfien". Die Mardicsa war «
auch, die dann in den der ersten Bekanntschaft folgenden Zusoninien-
k&nften den sonst in solchen Dingen wortkargen Freund zu größerer
Mittdlsunkcit und jenen Äußerungen über die Kunst namentlich der
Malerei anzuregen vermochte, die den eigentlichen Kern eben der »vier
Gespräche- ausmachen. Wie weit freilich Holbnd^ Worte und Ansichten
Michelangelos unverfälsclu fiberliefert hat, ist schwer zu sagen, doch
dörfen wir bei der unb^renzteii Verehrung des Jüngers fiir den Meister
vohi annehmen, daß er sich wenigstens bestrebt hat, das Gehörte treu
zu bewahren und dein Sinne nach genau wiederzugeben. Ocrailc darauf
beniht ohne Zweifel zum guten Teil der kii nstgeschichtüchc Wert der
•Oespriche'', die hier zum ersten Male außer im Urtext auch in deulschB*
Oboseteunj - eine Übertragung ins Französische durch den Maler
Roquemont war schon um die Mitie des vorigen Jahrhunderts von dem
Grafen Raczynaki veranlaßt worden - vor uns erscheinen. Die in den
Dialogen berührten allgemeinen Fragen: -Bildimg und Chamkler des
Künstler«', ..Über die soziale Stellung des Malers", «Stellung der FQn>tcn
und des Adels zur Kunst", „Rangverhältnis der bildenden Künste ru
einander" und «Preise der Malcrwerkc und Hollandas Vorliebe für die
Cnuaden" (eine Goldmünze), d. h. seine angebliche Qeldgier, neben
denen vom kulturgeschichtlichen Standpunkt freilich noch manche andere
Beathunfiien der Erörterung wert wären, wurden vom Herausgeber selbst
twrdts im vierten Abschniite der Einleilimg ausführlich behandelt. Die
iibriecn Abschnitte haben Hollandas Leben, seine Schriften und deren
Qurilen, sowie seine Beziehungen zur älteren hispanischen Kunst (d. h.
der Kunst in Spanien und Portugal zu Ende des 15. und in der ersten
HlUte des Ib. Jahrhunderts) Kuni Gegenstand und werden durch zwölf
Beilagen crginzl. die einzelne Epochen oder Gebiete der portugiesischen
Kunst genauer beleuchten oder allerlei Wechsellxrzieli iingen zwischen ihr
und der Kunstentwicklung anderer Länder, namentlich Italiens, betreffen,
ücrade auch diese darstellenden Abschnitte des BwcheSj die so recht aus
dem \'otlen schftpfcn und Ereignisse und Persönlichkeiten flberall auf
dem Hintergründe der allgetneineu Zeitverhältnisse schildern, zeigen uns,
wie sehr Joaquim de Vasconcellos seinen Stoff beherrscht; und die
Glätte und Eleganz der Darstellung wie des Ausdrucks ist zugleich eine
Oeväbr dafürj daß an der Richtigkeit und Trefflichkeil der Verdeutschung
der vier Gespräche, die im einzelnen und in ihren Feinheiten nach-
ruprüfen Kennern des Portugiesischen vorbehalten blelb^en muß, nicht
gerweifell i\i weiden braucht. — Int Anschluß an die in dem Buche nieder-
gelegten Forschungen über die portugiesische Malerei des ib. Jahrhunderts
7»
:r^i:=v5
100 Besprechungeti.
mag hier endlich noch die Notiz Pbtz finden, daß auch in Nürnberger
Atdiivalien gelegentlich ein Maler Edewarl begegnet, der als ,.von I'orlegal"
bezeichnet wird, offenbar die Frankfurter Messen besuchte und IS10 auf der
Rückkchrvon Frankfurt denNQmbergerBürgerJobslErlenindsffine Hausfrau
zum Dank fiJr die Freundlichkeiten, die Ericr ihm erwiesen, |>ortiüticrtc. Di
er die zwei gemalten Tafeln nachmals aber unterdeinVors'ande, sie Willibald
Pirkheimcr sehen zu lassen, dem Erler wieder abverlangte und an Hans
Hiltprant, ebenfalls BQrger zu Nürnberg, verkaufte, so kam es zum Prozeß
zwischen Erler und HiJtprant, bei dem crstercr auf RQckerstaltiing der
Oemäldc oder fünf Oiilden Schadenersatz klagte. (Vgl. Nürnberger
Stadtarchiv, Libii lilteraruui Bd. 2i> fol. iBbff., vom 5. August (H"J)
Aus dem Italien und Portugal des siniicnirohen und kunstgewaltigen
RenaissancezeiLilters finden wir uns, wenn wir nun zu dem andern der
hier zu besprechenden Binde der - Quellenschriften" greifen, nach Deutsch-
land und in die Zeilen des Dreißigjährigen Krieges versetzt. Wenn auch
diese Zeit künstlerisch nicht entfernt an jene Epoche heranreicht, so vrird
man dennoch, wenn man den Nachdruck mehr auf das kiiiturgeschichtlichc
al^ auf das rein ästhetische Momenf legt, die neue Veruffcnt Hebung in
hohem Maße wlllkoinmen heiflen. Denn Philipp HflinhoEer ist durch sein
Kunstverständnis, seine eigentümliche Tätigkeil als »Verleger- - wie
mau früher gesagt haben würde - von Qegensländen der Kunst oder
Vermittler rstischen den Augsburger Kunsthandwerkern und den zumeist
fürstlichen Kaufern, dann duich die Beziehungen, die sich fiir ihn eben
hieraus crgatwn, und die vielen Reisen, die er gemacht und ülwr die er
stets ausführliche Relationen verfallt hat, ohne Zweifel eine interessante
und um unsere Kenntnis namentlidi des Augsburger Kiiiistlebeits. seiner
Zeit sehr verdiente Persönlichkeit. Schon im sechsten Bande der neuen
Folge der Qucilensciiriften hatte Oscar Doering aus den Hamlioferechen
Manuskripten, namentlich seiner Korrespondenz, ein reichhaltiges Material
zur Kenntnis der Beziehungen Halnhofers zu Herzog Philipp II. von
Pommern-Stctlin , dem er bekanntlich den berühmten upommerwjjen
Kunslschrcin" besorgte und übermittelte, dai^cboten, dasselbe durch An-
merkungen erläutert und durch sorgfallige Register bequemer Benul/itng
zugänglich gemacht. Die neue Veröffentlichung steht der älteren an
Trefflichkeit nicht nach. Dankenswert ist vor allem die Übersicht über
Hainhofers gesamie literarische Produktion, welche einen Teil der Ein-
teilung ausmacht, sowie der Anhang, der im wesentlichen Halnhofers
eigene Kunstsainmluiigen iiini Gegenstände h.it , auHerdem die von
Hatnhofer verfaHie genaue Beschreibung des ^tlt an Herzog August den
Jüngeren von Brautisdiweig gelieferten Kunstschrankes enlhAh. Bei der
Wiedergabe des Textes der Reisebeschreibungen selbst liegt der Nach-
druck auf den oft nach vorhandenen Inrentaicn oder nach mündlichen
Angaben vcrfaHlen Schilderungen und AiifzÄhltingen der Kunstgegenständc,
die Hainbofcr in Innä)nick, Dresden usw. gesehen. Alles nicht auf Kunst
* jL
Besprediiingen.
101
und Kflnstler berügliche ist vom Herausgeber mit Riicksiclit auf den
ZuTcIc der Quellenschriften nur mit wenigen Woiten kurz angedeut«
«Orden. Dis bleibt freilich vom Standpunkt des Kulturhistorikers hin
und nieder recht zu bed^itiern, und auch Ininstgeschichllich wäre es
vielleicht nicht uninteressant gewesen, ctvos Näheres beispielsweise Ober
die Begegnung Haicihofers mit dem leidenscliaftliclien Nürnberger KunU-
frciind Georg Forstenhauser {S. H3) zu erfahren. Er liaf ihn auf der
Reise nach Dresden, die wesentlich den Zweck hatte, dem Kurförsten
Johann Gcor^ die Sache der Evangelischen rcchl an* Herz zu legen,
Anfang September 1629 in R^ensburg und ward von ihm nach Nüm-
' berg eingeladen. Die im Jahre zuvor unlemomniene Innsbnicker Reise
betraf daRcscn wiederum die Abliefening eines von Erzherzog Leopold
»ohl 1625 bei Hainhoter bcstclllen Kunstschrankes, von dem auch zwd
Al^ildungen (da Schrank geschlossen und geOfinct) dem Buche Doerings
beigegeben sind. Es ist dies der vierte von Hainhofer besorgte Augs-
buiger Kunatsdirein großen (nicht monumentalen!) Stüei, von dem wir
' vissen- Ober die beiden hervorr^endslen Arbeiten dieser Art, den
. »pommcredien Kunstschrei n" und jenen ßcher- und inhaltrcichcn
Pfichlschrank, den 1632 die StadI Augsburg dem Könige Gustav Adolf
verehrte, werden gerade gegenwärtig von Berlin (Oeheimrat Le»ing) und
Stockholnn (Direktor Böttiger) aus umfassende Publikationen vorbereitet.
Auch ihnen wird jedenfalls die Veiörfenllichuiig Doerings zu gute kommen.
Th. Hampe.
Hnso Schfflerber. Beitrage zur Geschichte der Dintzenhofer (For-
schungen zur Kunsigescliichte Bölimens. veröEfenll icht von der Gesellschaft
zur Ffirdcning deutscher Wissenschatl, Kunsl und üteralui in B6hmen,
IV). Prag, Vtm, y O. Calvesche k, u. k. Hof- und Universitäls-Biich-
handlung (Josef Koch). (61 Seiten, mit 7 Tafeln und 27 Abbilduiigeii
im Texte.)
In den Veröffentlichungen über BaaidenkniSler und zur Geschichte
der Architektur, namentlich wo es sich um Tafelwerke handelt, übemegt
beute die Rücksicht und das [nleressc für die allerjängste Entwicklung
und ihre Mervorbringungen so sehr, und unter den Verfassern und Heraus-
,gd)eni treten Architekten selbst oder äsihetisiercnde Kritiker gegenüber
den historisch foRtchenden und auf sicherer kulturgeschichtlicher Grund-
lage aufbauenden Kunstgetehrten so stark hervor, daß ein Werk wie das
vorliegende doppell Freudig begrüßt werden muß. Allerdings behandelt
. nur einen kleinen Teil aue dem namentlich auf dem Gebiete der
Palastarchitcktiir so überreichen und bedeutenden Bauschaffen der zweiten
Hilfte des 17, und ersten Hälfte des la. Jahrhimderts, nämlich die Tätig-
keit der Baumeisterfamilie Dintzenhofer. und hier wiederum insbesondere
die Werke der in Böhmen tätig gewesenen Christoph und Kilian Ignaz
DJnüxnhofer. Indem sich aber genaueste Kenntnis der Literatur wie der
102
Besprechungen.
Denkraftlcr mit eingehenden, oft nur la mühseligen srchivalisdien For-
schungen und einem feinen, aus tiichtigetn kulturgeschichtlich cm Studium
resultierenden Verständnis für die 2eil gepaart hat, ist ein Werlc entstanden,
das nach verschinlcnen Richtungen als mustergültig bezeichnet werden
darf und gewiß zu äiinlichcn Spczial arbeiten anregen wird. Auch die
Diktion de ganzen - mit Ausnahme höchstens der etwas gar tu apho-
ristisch gehaltenen, mit Baug auf Prag die Vorshten der Enl-s-icUung mehr
andeutenden als schildernd«! Etnleilting - tr;lgt wesentlich zu diesem
{Eindruck bei und nicht minder die ganz vcirtrefiliche Ausst^ittung des
Werkes mit sieben großer Photcitypien auf Kiipfeittntckpapier und zahl-
reichen Abbildungen und Grundrissen im Text, durch die sich die Oc-
seCIschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft usw. in Böhmen noch
ein ganz besonderes Verdienst erworben hat.
Th, Hampe.
Monogriphien des Kunstgewerbe. Herausgegeben von Jean Louis
Sponscj. Leipzig, Hermann Seemann Nachf.
I. Wilh Bode, Vorderasiatische Knfipfteppiche. (1J6S. mit I Farben-
tafel und 88 Abb.)
II. Qust. E. Päzaurek, Mnderne Qläser. (133 S. mit 4 farbigen Bei-
lagen und M9' Abb)
[]I. Ad. Brfining, Die Schmiedekunst seit dem Ende der Renaissance.
(»44 S. mit ISO Abb,)
Drei sehr schOn au^e5taltcte Bücher und, was noch mehr sagen
will, drei vortreffliche Arbeiten li^en vor mir Lernen wir zunichsl ihren
Inhalt, besonders soweit er für die Kulturgeschic]i1e in Betracht kommt,
nach einander kennen:
Wilh. Bode, der ausgezeichnete Kenner und auf diesem Gebiete
auch eifrige Privatsammler, gibt einen Überblick tiber die Geschichte der
vorderasiatischen Knüpfteppichc, soweit sich dieselbe bislang übersehen
läßt. Die Altersbestimmung ist früher auf Orund der Inschriften auf den
Teppichen versucht worden, hat aber auf diesem Wege vielfach zu sehr
unsicheren Resullatcu geführt, da man es häufig nur mit viel späteren
Kopien zu tun hat, dazu auch eine JahresMh! bislang nur an einem ein-
zigen Stück nachgewiesen worden ist (US'), Abb. 361. Das Aller muß
daher slilfcritisch besiimml werden. OlOcldidtierweise findet aber diese
mit großen Schwierigkeiten verknüpfte und, wie man aus Erfahrung weiS,
oft auch noch ziemlich unsichere stitkritische Methode dadurch eine
kMftigc Stni/e, dafi das Studium der auf allen Ocmälden vorkommenden
Teppiche sich als eine zuverlässige und ergiebige Quelle für die Kenntnis
der vorderasiatischen Kunstteppiche und ihrer butwicklung erwiesen hat.
Diese Studium bildet auch für Bode nebenden erhaltenen orientaliEchen
Teppichen die wesentlichste Grundlage. Oleich am Beginne der Dar-
stellung nun liegt eigentlich der einzige Punkt, wo Ich vom kulturgochicht-
B«^rediungen.
103
IkÜMll Standpunkte aus etwas vermisse, nämlich eine einleitende Bemerkung
flbff die allgemeine Oeschidile des Teppichs im Abendlande. Die antike
Kultur l*ennt ncar die Teppiche, aber doch nur in beschränklercm Maße,
sie hängt die Teppiche nur an Decke und Wand oder breitet sie über
die Kline, die Liegebaiik, Der Fußleppich aber fclill ihr völlig. Es ist
daher z B. auch nicht richlig, wenn man wohl angenommen hat, daß
du Mosaik aus dem Fiiflieppich sich cniwickell habe, vielmehr gehl die
Entstehung des Mosail« vom Estrich ans. Der Fnßteppich scheint selbst
der byzantinischen Kultur zu fehlen, und er ist wohl erst mit der asiatischen
Kultur eingedningen , deren sogenannter ..Kiiltiirhorizont" unmitielbar
über dem trdboden lieirf, d. h. deren Träger auf dem Fußboden selbst
sitzen. Wandteppiche also gab es im Abendlande schon vor der Bc-
iUhrung mit orienulischer Kultur, speziell vor den Kreuzifigen. aber Fuß-
tcppichc finden sich hier erst seit dieser Zeil, Das seit den Kreuzzügen
mit dem Orient eng verbundene Venedig besorgte den Import, und es
brachte damit nicht nur der abend lündischen Wohnung ein neues Aus-
staltungsstiick, sondern auch der abend tändiüchen Kunst eint? mächtige
Anregung. Den koloristischen Einfluß der orientalischen Teppiche auf
die veneriantsche Malerei des 15. Jahrhunderts schlägt Bode sehr hoch
an. Es ist das eine künslkrisch befruchtende Kraft, die sich noch zwei
J.ihrhnnderte später ir gleicher Stärke eneeist, als sie ihren Einfluß aus-
übt auf die vlämische und in höhwem M-iße noch -luf die holländische
Schule, wohin die persischen Teppiche erst durch Spanien und dann durch
direkte Handelsbeziehungen gelangten. Damals bildeten sie in den Bürger-
wohnungcn einen sehr oft angetroffenen Hausrat (S. 4}. Ebenso haben
»eit jener Zeit auch in England die orientalischen Teppiche den Farben-
sinn kräftig erhallen.
Die vorderasiatischen Teppiche - abgesehen vnn der Behang-
tcppichcn der Moscheen ausschließlich Fußleppiche stammen, soweit
sie uns erhallen sind, aus dem t«. bis ts. Jahrhundert, nur wenige aus
dnn 15, lind vielleicht H. nur einer aus dem 13. Jahrhundert. Auch auf den
Bildern kann man sie bis in den Ausgang des 1 3. Jahrhunderts verfolgen,
■•ndn eine historische Entwicklung kann doch nur für die neuere Zeit
-gegeben wcrtltn.
Bodc beginnt mit der Darstellung der berühmten Jagd- und Tier-
lqi[nche, welche der Dynastie der Saftden angehören (t502-- 1T!6), Da-
ran schließt CT die ihnen verwandten kostbaren sogenannten Polenteppiehe,
[die regelmäßig aus Seide auf einem Grunde von Silber- oder Goldfäden
'geknüpft sind und reinen Pflaii /endekor ;?eigen, Sie lassen sich bis in die
erste Fiilfle des 17. Jahrhunderts zurück verfolgen und dürfen wohl sicher
als orientalische Arbeiten gelten, aber Bode möchte sie nicht, wie man
lirüber annahm, nach Konstantinopel, sondern nach Damaskus verlegen.
- Die nädisle, zweite Gruppe bilden in der [>arsleUung die Älteren
Tcppche mit reiuetn f^flanzendekor oder geometrischen Mustern, dieweil-
1 04 Besprechungen.
aus den größten Teil des Erhaltenen ausmachen. Ihr Alter und ihr«
Herkunft sind meist noch striMiji, allein Bode gibt durch den Va^lcidi
mit manchen Bildern doch zeilliche Fixierungen. Die meist ain Ausgange
des IS. Jahrhundffts cntetandtncn Oebetslepiwclin; stammen nach ihm
wahrscheinlich meist aus der europäischen Türkei, wohl vorwiegend aus
der Nähe von Konstaittinopel. Dagegen sind diejenigen Teppiche, bd denen
das Innenfeld ein kleineres, mehr oder weniger oft darin wiederkehrendes
Mnster zeigt, als sarazenisch anzusehen und nach Ktcinasicn und Syrien
zu verlegen {S. 86). Sie slammeii last ausschließlich ans dem 16. Jahr-
hundert, wenige sind älter, aber ihr Ursprung geht bis ins hohe Mittet-
slter zurück. Bei der sich anschließenden Behandlung und zeittJchen
BeS'timmnng vcrwliiedencr anderer, flechlwerkartiger. siemartiger usw.
Muster bewährt sich Bodes crslaunhche DenJcmäLer- und Bilderkenntnis
glänzend. Die etwa gleichzeitig mit den frQlicstcii geomelrisehen Mustern
aufiretcnden Tcppiche mil Tiöen bespricht er eingehend, weil sie bi&Uns
noch ganz unbeschrieben sind, und schließ! daran verschiedene Aden von
Teppichen mü Mitte des 15. bis Ende des 17. Jahrhunderts mit erstarrten
vegetabilischen oder geometrischen Formen in sclmchbrettaniger Anord-
nung, deren früher angenommene Herkunft aus Pcr^icn mehr als unwahr-
scheinlich igt, und die wohl eher nach Kleinasien zu verlegen sind.
Als dritte Gnippe gibt Bode die nichtasiatischen Teppiche, zu denen er
auch die Smyrnateppichc rechnet, weil sie auf europäische Bestellung, teils
sogar unter europäischer Aufsicht entstanden sind (S. 1 1^), wahrend anderer-
seits die seil dem Anfang des 16. Jahrhunderts entstehenden sogenannten
Marokkoteppiche wohl aus Kleinasien oder wahrscheinlicher aus Syrien
(Damaskus) stammen. Ebenso sind viclle-icht die im 16, Jahrhundert ge-
fertigten sogenannten spanischen Wotlleppiche nach den griechischen Inseln,
besonders Rhodos, zu verlege». Neben diesen verschiedenen Sorten gibt
es aber auch, seit»! von der TiJrkei und ihren slavischen Provinzen al>
gesehen, rein europäische .\rbeitcn, welche Polen, Spanien und Skandinavien
ihren Ursprung verdanken. Auch diese bespricht Bode kurz, um zum
Schluß eine übersichtliche Zusammenfassung der Geschichte der einzelnen
Knüpfteppich atlen, soweit sie sich feststellen ließ, sowie ihrer stilistischen
und technischen Merkmale zu geben -
Die zweite Monographie, Pazaur^ks Werl< über moderne Gläser,
i$t ganz dem neuzeitlichen Kunstgewerbe gevidniet, indem der Verfasser
hier die für die Praxis bestimmten Resultate »äner Porschungen zu*
sammenstellt. Aber wenn es richtig ist, was Pazaurek Seite 63 sagt, das
allen künstlcri»:hcn Deslrcbungen unserer Tage Gemeinsame sei vorläufig
hauptsächlich eine Negation, nämlich die Negation historischer Remini-
szenzen, - so macht er diese an »ich wohl natürliche Reaktion gegen den
vorausgegangenen übertriebenen Historismus nicht kritiklos mit. Er isl
selbst einer der besten Kenner der Entwicklung, die das Glas von alten
her genommen hat, wie der verschiedenen Stilarten, in denen es zu be-
.V. ^
Bespreditineen. \ 05
I
artidten ist. Im Altertuin wnien der nin.'^tll und di^r Kristallstil gleich-
wertig iW^n einander in Ocltutig. Nachdem aber im MitteUlIcr der
Kristallstil mehr und mehr in den Hintei^ind gedrSngt war, gelangte
im 16. Jahfhunderi du Olasslil infolge der vciiclianUchcn Triumphe ^ur
Alleinherrschaft, bis 16(io in Prag Kaspar Lehmann aus CUeii dem Kristall-
stil in Böhmen neben dem Qlasstil wieder die Gleichberechtigung erringt.
)t seit elvt 1700 erobert der Kristallstil auf anderthalb Jahrhunderte den
Weitmarkt, bis in der 2. Hälite des \H. Jahrhunderts das Gleichgewicht
zwischen Glas- und Kristallstil wieder hergesteClt wird. (S. 1S/4.> Aus
der Kenntnis dieses Entwicldungsgang« weiK der Verfasser viele ParalEden
zur Abschätzung der neuen Eraclieinungen heranzuziehen, und auf dieser
Kenntnis beruhen die vielen Werturteile, die in dem für die moderne
Praxis geschriebenen Buche gefällt werden. Es ist daher gewifi, daß jeder,
der die Oläser der Vergangenheit beurteilen lernen will, auch in dieser
Würdigung moderner Arbeiten sehr viel Anregung finden wird. -
Auf rein historischen Pfaden führt itns dagegen Brüning, wenn
er die Enluicklung der Schniiedekunst seit dem Ende der Renaissance
Khildert, In einer Einleitung befaßt er sich zunächst mit der Technik
der Bearbeitung des Schmiedeeisens und zeigt, wie im Altertum und
Mittelalter der Schlosser selbst die Rohluppe zum Eisenslab oder Blech
ausrecken mußte, bis etwa im H. Jahrhundert die Pochwerke ihm diese
Arbeit abnahmen, z^i dcacit am Ende des 17, Jahrhunderts die Watz- und
Schneidewerke in gröllereni Umfange dazu Icamen. Zur weiteren künst-
lerischen Verarbeitung des Eisens lernen wir dann die Techniken des
Schmiedens, Streckens, Stauchens kennen, das Schmieden in Gesenken,
das Treiben, die Gravierung, den Eisenschnitt, das Atzen, das Zusamnioi-
fetzen der einzelnen Teile durch Schweifen, Nieten und Löten, ihrem
(irbigcn Schmuck durch Tauschierung. Blaumalcrd, Obcrziehen mit anderen
MetäJlen, endlich durch die ßemakmg mit Öl- oder Lackfarben. Auf
Grund dieser technologischen Einleitung werden dann die einzelnen Pe-
rioden der Schiniedekunst in den besonders dafür in Betracht kämmenden
UUidern Frankreich, England und Deutschland beschrieben: die fran-
zische Schmiedekunst zu der Zeit, wo Ludwig XIV. ihr so reiche Auf-
gaben steille, die englische nach der Restauration, wo ihr Höhepunkt
durch Jean Tijou herbeigclührt - mit der Rcgieningszeit des Oranicr*
Wilhelm III (16SS- no^) lusammenfäJlt. Zwei folgende Kapitel behandeln
die deutsche Schniiedekunst von der Mitte des i7. bis t\in\ Anfange des
IS. Jahrhunderts und das Laub- und Bandelwerkin derdcutschcn Schmiede-
kumt. ÄusderZeit Ludwig XV. und Ludwig XVI, welcher letztere selbst den
Hammer mit Geschick zu fuhren wufite, und unter dem die Verbindung von
Eisen und Bronze beliebt wurde, finden besonders die prachtvollen Ar-
bdloi, die Laniour in Nancy für Stanislaus geachaffeii hat, die gebührende
Wrirdigung. Andererseits stehen unter den deutschen Schmiedearbeiten zur
Zeit lies Rokoko- und Zopfstils die Würzburger Leistungen des Schlosser-
Ä ^
Besprechtingcn.
tndsters Oegg und des Architekten Balthasar N«uinann im Mittelpunkte
der Darstellung. -In der sogenaiinlen Empirezeit kommen geschmiedete
Arbeiten von künstlerischer FoTm iasl gar nicht mehr vor, an die Stelle
der Seh mied earbeil Int nun der Eisenguß, der für eine längere Zeil das
Feld behaupten sollte" (S. lO'O- In einem Schtullkapitcl wird die weitere
Enl«iekhiiig d.irn bis in unsere Tage hinauf verfolgt.
Die unumwundene Anerkennung, die wir diesen drei auf genauer
Spezialkenntnis beruhenden Einzeluntersuchungen schulden, mtissen wir
in gleicher Weise der geschmackvollen Ausstattung wie auch der reichen
und guten lllustriening zollen. Daher sind, schon nacti solchem Anfange
zu urldten, diese Monographien des Kunstgewerbes eines großen EifolgPi
gewiß, und für cintn guten Fortgang bürgen die Namen der gewonnenen
Mitarbeiter. Von den meisten gröficnen deutschen Museen haben Direktoren
und Beamte Beiträge zugesichert. Auf dem Boden der deutschen Museums-
arbeit sind diese Monographien in er^er Linie erwachsen, und sie werden
der deutschen Miiseologic zur Ehre gereichen. Freilich gibt der Über-
blick über ihr Programm auch manches emsl i\i denken, und ich ergreife
gern die Gelegenheit, in dieser kulturgeachicht liehen Zcitschrilt mit allem
Nachdruck darauf hinzuweisen. Die kunstgewerblichen Monogisphien
sind ein deutliches Spiegelbild für die Strönningen, die heute den rausco-
logisehcn Betrieb fast völlig beherrschen. Wenn wir von Galerien und
Skuliiturensaminlimgeu absehen, so kann es keinem Einsichtigen ver-
borgen bleiben, daH heute fast sämtliche anderen Musecu, die sich mit
mtllelalteTlidicn und neueren Denkmälern befassen, bewußt oder unbewußt
im kunstgewerblichen Fahrwasser schwimmen. Der großartige und an
und för sich wirklich verdienstvolle Einfluß einiger hervorragender Per-
sönlichkeiten, vor allem Leasings und Brinclimanns, hat in dieser Hinsicht
die bestimmte Richtung angegeben und gibt sie noch heule an. Die
reinen Ktinstgewerbcniuscen wären zit dieser Beeinflussung nur zu be-
glückwünschen, aber auch die historischen Museen haben sich ihr mit
nur wenigen Aiisnahraen fast ganz hingegeben, und was dabei in der
allerbedauerlichsten Weise zu kurz kommt, das ist die deutsche Archäologie.
Die Altertumswissenschaft kann, wie jedermann wdß, nur im engsten
Zuaniineidungc mit den Realien beirieben werden , und lunial die
Univcreilälslchrer sich nur ganz vereinzelt mit ihr befassen - liier wire
wieder Moritz Heyne ein groUcr Kuhmeskranz zu flecliten - , sind die
historischen Museen die natUrliclien Pflegestfltten ffir die wia^nschafiliehe
Archäologie. Aber von wie wenigen dieser Museen kann man das heute
mit Recht sagen! .^n dem Tage, da am Germanischen National-Museum
Essenwetn das in einzelnen Punkten praktisch viirlleichl unausführbare.
vJssenschaftlich aber wohlgegründete und sehr fein durchdachte Programm
des Frcihcrm v. Aufscll umgesIfirM hat, an jenem Tage hat die deutsche
Archlologie einen schweren Schlag erlitten, von dem sie sich bis heute
noch nicht erholt hat Seit jener Zeit sind nicht nur die deutschen Ar-
Besprechungen.
107
chiologtn mehr und mehr verwaist geworden — das ließe sich ja noch
täglich bessern - sondern man lial aticli, was viel schlimmer isl. seit
jefiar Zeil nngefsngen, die Denkmäler mehr und mehr nur nach kitnst-
geschichtlichcn Rücksichten zu beurteilen, und so sind viele Stücke, die
in dieser Hinaichl wertlos waren, vernachlässig oder zu Grunde g^angen,
wenn sie audi ffir die Alterttimswisscnschaft noth so bedeutend gewesen
wären. Deshalb müssen die historischen Museen aufhören, die Kunst-
igochlditc als das einrJg beslimmende imd ordnende Prinzip fijr ihre
Sammlungen zii betrachten, sie müssen sich in erster Linie auf geschicht-
lichen und germanisli sehen Grundlagen aufbauen, sie müssen anfangen,
die künstlerische Form z«-ar als solche hochzuschätzen . sie aber nur als
ems von verschiedenen gleichberechtigten historischen Daten zu betrachten.
Sie müssen Entwicklungen der Einzelsh'rckc darstellen, sie müssen die
»US bestimmten Qesellschafts- oder Anschauungsformen ensTichscnen Denk-
mJlcr, z- B. FamilicnaHerlÜmcr, Staats- und Gemein dealtertfinier, Zunft-
alteriümer usw., hu gesclilossenen Qnijipen zusammenstelkn und sie also
in der Umgebung, für die sie geschaffen sind, vorfuhren, sie müssen
[endlich auch die jeweiligen lokalgeschichtlichen Aufgaben nicht nur so
nebenher, sondern mit allem Ernst crlüUcn. Mit einem Worte: nicht nach
vorherrschend ästhetischen, sondern in erster Unic nach historischen Oe-
sicht.'ipunlden müssen die historischen Museen s.mnmeln und ordnen.
Dann enst wird auch die deutsche Allertums Wissenschaft ihre wahre Heim-
sUtle wieder gefunden haben, dann erst wird man erkennen, dal! ein
historisches Museum ebenso wie ein naturhistorisches Museum in Wesen
und Wirken grundverschieden ist von einer Kunstsammlung, Dann auch
würden wir bald in der Lage sein, eine Sammlung von Monographien
der deutschen Altertumswissenschaft tu beginnen, Sie würden ebenso
Iwohl gegröndet, ebenso vielseitig und wi^enschattl ich ebenso cTTcünscht
'idn xrie die Monographien des Kimslgewerbes, denen wir heute mit An-
erkennung und, ich gestehe es offen, mit Neid gegenüberstehen.
Frankfurt a. M. Otto Laulfer.
Zu der vom Herausgeber verfaßten Besprediung der ErgSnzungs-
_ Jeder Deutschen Oeschichle von Karl Lainprecht in Bd. (
des »Archivs-, p. 361 ff,, sendet der Herr Verfasser demselben folgendes
Schreilwn, das wir ungekürzt und nur von wenigen Anmerkungen begleitet
mm Abdruck bringen:
Florenz, IS. 9. I90J.
Hochverehrter Herr DireklorJ
Besten Donk für die freundliche Zusendung Ihrer Besprechung
der Itrizloi beiden Bände meiner Deutschen Geschichte. Ich finde das
darin von meiner Tätigkeit und meiner Natur gezeichnete Bild zwar nicht
i
Besprechuiigeii-
zutreffend, aber das hat am Ende nichts zu sagen. Wir werden uns über
solclie Fragen wie z. B. die, ob ich das Leben kenne oder nicht, ')
schwerlich veretändigen. Dagegen li^ mir daran, doch einige Stellen,
sei es vor Ihnen oder, falls Sic das Für angemessen halten, auch vor dein
Publikum Ihrer Zeitschrift richtig zu stellen. Über solche Stellen wäre
etwa zu sagen:
\. Die Auffassung, daß die Denkweise der Nationalökonomcn,
insofern sie in der Theorie der Wirlschaftsstiifen ihren Ausdruck findet,
mich zu meiner AuJfassiing^ der Kullurzei tal Icr angeregt habe, trifft nicht
zu. Die Idee der Kulturzeitalter ist mir früher aufgegangen, als ich
überhaupt von Wirtschaftsslufen gehört habe, und iiiclit eine der
geringstea Schwierigkeiten ist es für mich gewesen, gerade das Verhältnis
zwischen den gefundenen Kulturzcilaltem und den angenommenen Wirt-
schaltsslufen zu begreifen. Wie Ihnen gegenwärtig <*in wird, glaube ich des
Ritsels Lösung erst in der in der ereten Hälfte des zweiten Ergänzungs-
bandes vorgenommenen Psychisiening der Wirtsehafisstufen gefunden zu
haben. Diese Psychisienmg der Wirlschaflsstufen ist auch meines Er-
messens das wissenschaftlich Wesentlichst« an der crsleti Hälfte des
zweiten Ergänzungsbandes, und ich würde Ihnen ganz besonders dankbar
gewesen sein, wenn Sie auf die in dieser Richtung geäulierten Ideen in
Ihrer Rezension eingegangen wären.») Denn hier vor allem liegt der
Punkt, wo steh eine hoichtbare Diskussion an den Inhalt dieses Er-
gänzungsbandes kn(i[>fen Icönnte.
2. Auch die Motivierung, daß ich die lieiden Ergänzungsbände
fniher ausgearbeitet hätte als die späteren Bände des ganzen Werkes,
vornehmiich weil ich bei einer historischen Analyse der Gegenwart wohl
das allgemeinste Inlerewe der Moderiten für meine OeschichUanschsuung
erhofft habe, ist unzutreffend. Ich habe midi über meine Motive in der
Einleitung zum ersten Ergänzungsbande eingehend und offen geäußert,
und ich darf daher wohl hoffen, dail diesen ÄulJerungcn nicht durch
gegenteilige, wie gesagt, unzutreffende Vermutungen ein Teil ihrer Qlaub-
wfirdlgkeii genommen wird,^)
3. Sehr interessant ist mir die von Ihnen am Schlussc Ihres im
Jahre 1S95 erschienenen Vortrags ober den Wandel des deutschen Gefühls-
lebens angeführte Stelle gewesen. Es gehl d.trnu5 hervor, dafl Sic für
die Oesamlcharakteristik des heutigen Oefühltlebem schon damnls genau
.F6r du Lrtitfi IMI er
I) In Ufa Fonn ift du Zlui nte1)I rielMg. Ich tehrl«b :
mcrkWirdii: t.'n'lniftii Sinti,* D. II.
1) Aut den -Venucli. »ich ilk mitttifllc Kuiciir p»T«hQliO|£l»cli oi orlcntlrmi-, lii
von mlc «It ■bcinrrlicniTnl-' hlnerrlcvn. .Diilciuiian'Cn- tictbclxu führen, l«g nicht in du
Ab»icltl mrincr RnprrchwnK D. H.
') H* kfinn«! hfl rtnci HüniUting unhrwulll Mortre maflgcbcnd sein, die olnrin
Hcoliichlcr Jilarrr cnchrincn mOzni xli dnn Hindclndm sclbit. Icli biincrtr lediglkh eine
VcrmutunE, die mit piydioloßlKh «hrschclnlich kIiIch, Die uffcn iJiiicrIq[trn Motive
LwnprKliU lialx kli ali dn milic .liSnallklt" bncichrii:!, tic ücnUcttr inlf mit indtm
Wonrtl nlchl, du« luJlergMfÄlinllchc Vert»hr™ tu wlliiini. D. H.
Besprechungen.
109
denselben Standpunkt vertrelen haben, den ich viel spätw in dem - ich
dfnke, an ditser Stelle im Jahre 1898 oder 1899 ausgearbeiteten - Teile
de ersten Erginzunijsbandes dngcnominen hab«. Ich beruße zutijlchst
die Identmt der Auffassungen als etwas sehr Wesentliches, wenn auch
nicht Unerhörtes. Denn vcnn ich die zahireichen Kritiken und Kor-
respondenzen durchgehe, welche mir die Publikation dc5 ersten Ergänzungs-
bandes eingetragen hat. so finde ich eine beinahe vollkommene Übercin-
slimmung dahin, daü mil dem Begriff dessen, was Sie Reizbarkeit und
Empfindlichkeit, ich aber R«?,saml(eit nenne, in der Tat der zenfrale
Begriff für die Chnraktt-ristik des inodempn Gefühlslebens gegeben ist.
Ob ich dabei Ihren Vortrag im Jahre 1893 oder 1S94 oder auch später
in den Jahren, die näh« an die Zeit der Abfassung meines Buclies
heranreichen, gelesen habe, ist mir nicht mehr gegenwärtig, aber an sich
kdn«s<*-eg» ausgesclilossen. Ich kann aber darauf für die Fixierung unseres
gegenseitigen Abhängigkeilsverhättniss« kein grolJes Gewicht legen.')
Denn wie gesagt, der Gedanke, wie er bei uns beiden wiederkehrt, lag
in der Luft, und es konnte ja am Ende nicht anders sein, als daß er in
der Luft lag, wenn er richtig sein sollte. Mehr Gewicht lege ich dagegen
auf den zwischen uns bestehenden Unterschied in der Nomenklatur ds
neuen Ocfühialebcns. Sie sprechen von Reizbarkeit und Empfindlichkeit,
ich von Reizsamkeil. Natürlich sind mir, als ich das Oesamtgefühl zu
charakterisieren versuchte, zunächst auch die Ausdrücke Reizbarkeit utid
Empfindlichkeit durch den Kopf gegangen, aber ich hi»be sie abgelehnt,
w<il sie entweder technisch ganz anders verwende! waren wie Reizbarkeit,
dn Wofi, das in der Psychologie eine Rolle spielt, oder aber den Neben-
sinn des Krankhaften halten, wie EjnpfindlicfiJceit. Darauf aber kam es
meiner Anschauung nach an, ein Wort zu schaffen, das das neue Qefühls-
lelwn in seinem besonderen Ton, zugleich aber als etwas Gesundes bezw.
aus der Entwicklung nicht wieder ru Beseitigendes bezeichne. Ich habe
damals nach einem langen Hin und Her der Berntungen mit Freunden,
namentlich befreundeten Philologen, das Wort Reizsamkeit gewählt, das
mir die Sache zu decken schien, während von philologischer Seite anfangs
Bedenken gegen die Wnribildiing gellend gemacht wurden, die spater
freilich zunJckgccogen worden sind, Natürlich glaubte ich damals mit
dem Worte etwas Neues geschaffen zu haben, und diese Empfindung traf
subjektiv auch zu. Spater ist mir aber bekannt geworden, daß das Wort
schon bei Nietzsche vorkommt, wenn auch freiiich in einem etwas anderen
Sinne. Man kann daraus ersehen, wie schwer es unter Umständen ist,
Prioritätsstreite zu führen und wie Priorität keineswegs immer mit
Originalität identisch zu sein bezw. in Originalität aufzugehen braucht.
>) Auch Ich leg* dxrant keia Ocwfdit Im OtirJem hu L. incli bänglich .dn
Wattn .Nervnsim* ricmUdi w«nlldi duselbe »le iclt gew^t. tiui witi *r Man .ptxbo-
logiKb- .knnkWi'. D. H.
Besprechungen.
4. Ein Gcsamliirteil über nieine bishenge Tätigkeit haben Sie
S. 367 in den Worten gegeben: „Was einleuchtet und worin man ihm
beistimmen kann, ist mit der Slteren kiillurRescIiicIillidieii Ridilung wohl
zu \-erbinden: v/ss drüber ist, ist allzu subjektiv, willkürlich, «inseitig,
itiusoriscli, als daß es die Geschieh Iswisscnschaft spÄlcr ab gesichertes
Out iKTßCn könne." Sollte bei diesem meine TStigkeil imorganiseh mitten
durch schneidenden Urteil nicht ein bekannter, übrigens häufig zu
beobachtender Rezeiisionsliorizont vorschweben, innerhalb dessen nur
anerkannt wird, «is dem eigenen Denken entspricht, so daß der Beiirteihing
ein ntateriales und stoffliches Prinzip statt des (onualen Prinzips einer
Erfassung der (remelen Leistung als solcher zugrunde gelegt erscheint?
Natürlich läßt sich bei Anwendung eines materialen Prinzips nur eine
Abgren/.uitg der bestehenden Anffassungen gegen die neue erreichen,
wird also nichts über die generelle Bedeutung dieser ausgesagt. Folge
ist dann, wie das in dem soeben ?iticrt«i Satze sehr anschaulich hervor-
tritt, daß die Persönlichkeit, welche der fremden Leistung zugrunde
liegt, nicht erfaUt wird. Naeh dem zitierten Satze produziere ich ein-
Icuchlend und illusorisch, bin ich einseitig und nahezu selbstverständlich
zugleich:') der eigentliche Kern meines Sdiaffens wird nicht bloßgelegt,
und demgeraäll empfinde ich ihn auch — und hier bin ich der kom-
petenteste Richter — als unberührt.
5. Gemeint ist mit dem Illusorischen wohl meine Lehre von den
Kulturstufen.*) Und gewiß kann an dieser Stelle Fremder Zweifel am
ehesten einsetzen: wenngleich stutzig machen sollte, daß i>ehr hervor-
ragende Zeitgenossen der Oegenwart, welche Geschichte gemacht haben
und maehen, meine unter Anwendung dieser Lehre gegebene Darstellung
der Geschichte der Gegenwart und jüngsten Veigangcnhcit als dieser
konform und somit als tatsächlich zutreffend bezeichnet haben: so diO
auf die Lehre etwas wie ein Experiment gemacht worden ist und sie
dieses Experiment bestanden hat.') Der Momente, die sie den Fach-
genos-en gkichwolil noch vielfach verdäclilig machten, sind wohl naniciit*
lieh zwei. Einmal gehört zu ihrem Verständnis von vornherein die dn-
t) Dk Dtduktian L.i beruht auf ein« Urgicrnng und falichm InKrpicticruns d«r
Wwdutis; .V!'«» elnI(T]<htrt,- Fi llcgl mir rftirrhau* ftrn, damll Mw« Sub]plnivt* aui-
dnickai zu «oltm. a ^tctil nicht di. wit mir ndrr iint rlnlcuclitrL Vlrlmrhr wird man
den Sinn mil der Waldung TiFdtTgrbm kAnnrn: -»Dialtm iirtcibtihitiai Leuten dnlruchlet
Qnrift soll dei Ktitikrt dir ficmde PttiJ-nlithl'rit iii ctfüMcn »uchm: «ibfr n itlnJ doeh
»In Uricit liFvitirm Uiiifcii, Unisrkrhrl trijfl I-a l':m«>nd i;eiaiic, «ic- will «r «irh min
MitteUb tller Dlngr mxliL tr IUIi)R sli vahr. und damit itt ei «>. Du iit phm dfti,
VU Idl alt illuwitiidi büeldme. Nur all/u ull vcrUhit « lo auch in uinti ..Dcutachcn
OcacUchle-. ILi ticlit die Mciitdicii unil Dinicc oft nicht ta v)c ile tind, toiiUcm durtb
dne Dtlllc. 1^ unicc, liliidn, rttduchkrl, «nidct, drdil. und dM Orvolltc tteht dt. Seine
AuifQhntnj^ bfnihoi in diMcm Fall« auf llluiianen d«t VcrluiMr«. D. H.
>) Nein! Wai ich meine, habe >ch eben uigedeutet. I^bcr die KulluraFufen nnd die
Oefihi dM An>eriiiuns irlicnialiitlirr Siulcn iiih-iIiilii|M habe Ich mich S. ^M drr
Boprechune sHußett Dir doctlfm l^lnwlnilr tvnilifl L in Ni. S leider nictal. D. H.
■) Auch diaet ■Bevei*' schält «olil In dai Qeblet der llluilon. D. H.
w y ._
Bespreiiiungei).
11!
, gehende Kenntnis mehrerer Zcilslter derselben Kultur, also mindestens
des deutschen Mittelalters und der deutschen neueren Zeiten, womög-
lich abei aucäi die Kenntnis verschiedener Kulturen überhaupt. Damit
sind aber Forderungen ausgesproirhen, die der heutigen Teilarbeit auf
geschichtlichem Gebiete praktisch vielfach aidasprechen, ') Und weiterhin
verkenne ich keinen AugenWicfc. daß die Lehre, so lange sie nur an dem
Beispiele der deutschen Ocsclüchlc vongetragen und erldärt isl, leicht den
EiFidnick einer bloßt:n Hypothese machen kann. Es ist das aber ein
methodologisch wohl begriindeCer Übelstand. So einschneidende neue
Anschauungen, wie sie die Lehre von den Kulturstufen enthalt, können
zunüchsl nur in isolierender Methode an einem ern2igen Stoffe gewonnen
»erden; Isolierung aber ist nicht denkbar ohne Hypothese. Und so muB
sich ein Forscher, der sich auf den liier vorgeschriebenen Weg begibt,
einen Weg, der n\.n\ vollen Begehen Jahrzehnte erfordert, eben auch Jahr-
Eehnte dem ZwdfeJ der Fachgenossen aussetzen. Gegen diesen Ziisainmen-
hang ist kein Kraul gewachsen, erleichtert wird die Lage subjektiv
.höchstens durch klare Einsicht in sie und den stetigen Willen tapferen
Ausharrens, Ein voller Beweis aber kann erst nach Erledigung des
isolierenden Prozesses auf verschiedenem Wege und dann in Spezial-
forschungen - gewonnen werden. Diese Forschungen stehen mir natflr-
Uch nach Abschluß der deutschen Geschichte bevor; ich habe sie s^lion
sril längerer Zeit voibereilet, und sie sind bisher soweit gefühil, daß ich
l schon jetzt aussprechen kann, dalt sie den klaren Beweis für die allgemeine
Richtigkeit der Kulturstufen ergeben werden (! D. H.), wenn auch deren
CharakEeriätik gegenüber der ersten von ihr vorgetragenen Darstellung in
manchem Punkte zu ändern und zu präzisieren sein wird.
Vielcs, was ich sonst noch gegenüber Ihrer Besprechung auf dem
Kerzen habe, erörtern wir wohl einmal gclegenllich einer persönlichen
Zusammenkunft.
Mit hoch achtungsvollem Gruße
Ihr erget)en&tcr
Lampredit.
Bezüglich des in Bd, I S. -199 des »Archivs" erwähnlen neuen
■Archivs für Reformationsgeschichte" geht uns von dem Verlage
lesselben die Bitte um einen Hinweis darauf zu, daß die Unterstützung
'desBelben durch den .Verein für Reformationsgeschichte" sidi lediglich
«nf die literarische, nicht die finanzielle Seile bezieht. Das finanzielle
Ittsilto Wgl der Verlag ohne Beihilfe.
■) DaB dl«xn Eiimnd ui^tadi! E^xen n'ch nicht zulrim. vint L, vtellddrt mriiw
■Ocxkichlt dn dcubdicii Kultur* cclgrn.
Kleine Mitteilungen und Referate.
\onMfyen „Großem Ko nversations- Lexikon', das in sechster
gAnillich neubcarbditter Auflage erscheint. Hegen jetzt Band 3 und 4 vor
(Leipzig. Bibliographisches Institut). Aus dem Inhal» der Bände, die bis
zum Stichwort Differenz reichen, heben wir vim zaiilreicheii größeren,
durch trcftlichc Illustrationen veranschaulichten nalurwisäcnsduftüchcn
und historischen Artikeln diejenigen Über Böhmen (Oeschidite), Börse.
Brasilien, Brief, Buch, Buchbindtrn, Buchdnickerkunst, Buchhandel, Burg,
Chemie, China, Dänemark, Deutsche Literatur, Deutschland besonders
hervor. Doch liegt der Schwerpunkt des monumentalen WerJts natürlich
in der Fülle der kleinen Artikel, die z. B. auf biographischem Gebiete
weitestgehenden Ansprüchen genügen.
Von dein im Auftrage der Oötrö - Gesellschaft herausgegebenen
»Staatslexikon". 2. Auflage (Freiburg i. B.. Herder) sind Heft iO-36
erschienen. Der 4. Band ist damit beendet, und der Abschluß des
ganzen Werkes bevorstehend. Wir heben besonders die Artikel Rußland,
Sachsen. Sdiweden, Schweiz, Schwui^erichle, Seeschiffahrt hervur. Einige
biographische Artikel werden speziell die katholischen Leser, f{)r die das
Werk lieslimml ist, interessieren und gehen uns hier nicht näher an.
In dem nArchiv für die gesamte Psychologie" I, 4 findet sich ein
Bericht A. Vicrkandts über die Erscheinungen auf dem Gebiete der
Völkerpsychologie, der Kultur- und Oescllschaftalehr« im
Jahre 1902.
„Die indoKernianische Frage archäologisch beantwortet" be-
titelt sich eine Abhandhing G. Kossinitas in der »Zeitschrift für Ethnoloigic"
1902, Heft S, die sich in der Hauptsache a9s Streitschrift gegen Much
und Betonung eigener Verdienste darstellt. Nach K, ist allein die
Archäologie „in der bevorzugten Lage, durch eine Fülle unverfälschter
Zeugnisse uns heule noch mitlm Innein in die Femäten Urzeiten xu
führen*. Die „neue Methode der exakten archäologischen Betrachtungs-
weise" aber stamme von ihm, und er habe mit dereclben auch «als Ur-
heimat der Germanen die westlichen Küstenländer der Ostsee, sowie die
angrenzenden Qebieleder Nordsee- tcstgeslellt Nun sei Much .vollständig
auf seine Schulter gestiegen und habe die von ihm erkannte Heimat der
Germanen lUgleich als Heimat der Indogcrmatten erklirt", von dcreii Zu-
sammenfallen K. selbst längst überzeugt sei. Mit der Darlegung derAii»»
brcitung des »Un-olks" aber begännen sogleidi die Irrtümer Muclis, und K.
«cht nun seinerseits diese Ausbreitung unter methodischer Betrachlimg der
Steinzeit-Kulturen von Nord- und Mitteldeutschland und ihr« Verhältnisses
zu einander näher zu bestimmen, zieht dafür auch weiter die älteste Bronze-
kultur heran. Er konstniicrtdamiis bestimmte Völkerbewegungen. Eine solche
gleicht den ursprfinglich groBen Gegensatz zwischen Nord- und Mittel-
deutschland zeilwcise ans. Mit diesem OeKeiisatz ist seiner Ansicht nach auch
der zwischen Indogennanen und Nichtindogermanen ausgedrückt. Von
jenen ziehen wohl zu Anfang des 3 Jahrtausends zwei Ströme nach
Söden (Kugel- Amphoren und BcrnbuTECr Typus), itn Westen längs der
Elbe und Saale nach Thüringen, im Osten die Oder hinauf. Aus dem
westlichen Slamnie soll sich durdi Verbindung snit Ausläufern der süd-
osteurop3i<4:hen Slänime (Band-Keramik) eine Abart der Indogermanen
entwickelt haben (Rössen-Albsheimer Typus), aus der um aooo zwei Volks-
stimme, italik«- und Kelten, hervorgingen. Weiter ist nun eine Bewegung
zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. von Norden (Elbe und Saale) nach
Süden (Nordästerreich), aber auch von der Oder nach Osten und Sfld-
osten anzunehmen. Ans den erstgenannten Stammen (Österreich) seien
niyner und Oiiecheti hervorgegangen usw. usw. Wir gestehen, dat) wir
trotz der »Methode" Kosainnas alle diese Dinge nach wie vor überaus
sltqrtisch betrachten, und geben den Misti^rikem den dringenden Ral,
solche Resultate nicht voreilig zu übernehmen. Atbu schnell haben sie
sich seinerzeit der grollen spradiwisscnschafllichen Hypothese der Indo-
gCfnunen angeschlossen und vergessen, dafl diese doch nur eben Hypothese,
das »Urwolk- eine Konstruktion ist. Schon Lindenschmit ist den heutigen
Kritikern, wie Krelschmer, in der Skepsis vorangegangen. Aber auch die Ar-
chäologen sollten doch bei der Inbezieh ungsetzung von arcliäologisclicm
Ataterial und Völkcrstammen wenigstens nicht mit dem Selbstbewußtsein
auftreten, wie es K. tul. Auch bei ihm wird übrigens das konstruierte
indofcrmanische »Urvolk" unbesehen übernommen. Wir lehnen die neue
Wissenschaft nicht ab, freuen uns der emsigen Forschung, geben ancli
zu, daß die Archäologie die gesundeste Grundlage für urgcschichtlichc
Fofschü ngcn ist , aber wir verhallen uns als Nichtarchäologen auch
durchaus abwartend - trotz der „bis jetzt sicliersten imd in den Cinzel-
heiteti bestimmtesten Aufklänmgen" Kossinnas.
In einem .Aufsalz der Revue historique (Vol. 76 und 77); L'^tude
des origines grecques betont V. Bi^rard die Wichtigkeit der Topoiogic
und Toponyniie für die Erforechung der Anfänge der griechischen Kultur.
Die Rivista dt Storia antica N. S. VII, 2/3 bringt einen wirtschafts-
gochichtlichen Beitrag von E. Breccia: Storia dclla bauche cdei
banchtcri neu' ctä classica.
Ardii« rar KuliurKnchichle. II. 8
I Ardii« rar I
Das schon in der Zdtscihrifl ffir Kiilliirge&chtchtc Bd. VI, Sl 367 f. aus-
führlich baprochtne, von Hans Mcycr herausgegebene Irefflicbe Sammel-
werk „Das deutsch« Volkstum" beginnt in zweiter ncubearbeileter
und erweiterter Auflage za erscheinen. (Leipzig und \C'ien, Bibli«^-
phiscltcs Institut.)
Ein Bericht des Nflniberger Archivsekreläis Scliri'ittcr über -den
Stand der OeschichtsfoT'icIiung in Franken" (Kontspondenzblatl
des Oesamtvereins der deulsdien Geschieh Isverdne, 51. Jahrg.) ist in seinem
(II. Teile (No- **] der r. Kult Urgeschichte" gewidmet Leider weist dieser
Bericht erhebliche Lücken auf. So ist z- B. der von Ocorg Steinhausen
&ts 204. Publikation des Lilerarischen Vereins in Slutti;art herau^e-
gebene bilturgeschtchttich überaus wertvolle .Briefwechsel des Balthasar
Paumeartner mit seiner Gattin Magdaknc geb. Behaim 1582—48" über-
sehen worden. Auch die Mitteilungen des Nürnberger Oeschichlswereins
haben merlcwürdigcrweise davon keine Notiz genommen. DasSdilimne
in freilich, daU jene Publikationen nicht im Buchhandel enuhcinen; aber
um so mehr nnißte darauf aufmerksam gemacht werden. Welche Fülle
von Material in jenem Briefwechsel steckt, zeigt das neue Werk von
Alwin Schultz über das häusliche Leben der europäistlien Kulturvölker,
der denselben fortwährend zitiert. Übrigens hat Schrötter tiuch andere
Briefpu bükst ionen, z. B. die von Kamann in der Zeitschrift Für Kultur-
Beschichle Bd. VI und VII herausgegebenen Fraiienbriefe atti dem Brigitten-
Kloster Maihingen, ignoriert.
Ernst Samters Auh^tz .Antiker und moderner Volks-
brauch* {Beilage zur Allgemeinen Zeitung i'iOi, No. ll(i) will vom
Qe&ichtsptmkt der notwendigen Verbindung von Altcrtumswisäenschafl
und Volkskunde die oft überraschende Übereinstimmung zwischen antikem
nnd modernem Brauch an einigen Beispielen zeigen, bei denen durch
gegenseitige Vergleichung die Bedeutung der einzelnen Bräuche hervor-
tritt. Als solche sind Qeburts- und Hochreibriten behandelt.
Arthur Hermann gibt in einem Artikel i „Ölwahisagtinsc bei
den Babyloitiern" (Allgemeine Zcilung. Beilage No, 23*), gatützl auf
Itcilinschriftliche Texte sowie auf zwei neue in den »Semilistischen Stu-
dien" veröffentlichte Texte, eine Einführung in die kultischen Oebräudie
bei der Olwahrsagung, die im Altertum nur bei den Babylomem anzu-
treffen ist.
Ein Aufsa.tz von R. F. Kaindl, Eisen und Schneidewerk*
zeuge im Zaubcrglaubcn (Allgcm. Zeitung, Beilage No. 2«2). sldU
för das Üslkarpathvngebiel (Rulhenen und RnmHncn) die bezüglichen
Z.iuberbntuclie und Überlieferungen zusammen. Die Hauptrolle spielt
da^ McssKT.
Aus dem „Nineteenth Century" (June l'io3) erwähnen wir den
BHtng von H, Lea, «Wcsscx witchcs, witchciy and witchcraft-"
fin Aufsatj- Borges über MittcUltcrlicbe Menschen (i^reu-
Kleine Mittdiimgen und Referate. 115
Hische Jahrhllcher, Juli) sieht in dem Bauern dm eigentlichen Vertreter
des Mtttdaltas.
Ein Aufeate von V. Schmidt nnd A. Picha in den »Mitta-
lungen des Vereins ffir GöchJchtc der Deutschen in Böliinen" 42, i be-
handelt rdas v'iascnschaftliche Leben und den Humanismus in
Krummaii im tS. Jshrlnmdert".
H. Schubert handdl in der -Zeitschrift der Vereins für Ge-
schichte Schlesien^' 37. Bd. über .Oelehrte Bildung in Schweidnitz im
15. und 16. Jahrhundert."
■Kleine Noti»n zur spätmittelalterhchen Gelehrten- und Bücher-
gesdiidite' gibt Q. K oh fei dt in den .Beiträgen zur Geschichte der Stadt
RosKhÜc- III, 4
Die Ocseilschaft ffir deutsche tirriehungs- u. Schulgcschichte
bestrebt steh neuertlings, in ihren periodischen Veröffentüchiingen Ar-
beiten aus bestimmten landschaftlichen Gebieten zusammenztifassen. So
ist als 3. Heft des 1 i. Jahrgangs der -Mitteilungen" ein .Messen-Nassau-
Hrft" enchicncn. Wir heben daraus den für die real-wissensctiafl-
lichen Bestie bun|;;:cn £u Anfang des 18- JahrhundccU bezeichnenden »Plan
einer In Csssel oder in Karlshafen einzurichtenden niaUieinatischen Tugend-,
Knnst-, Werk- und Wci&hcil&sdtule aus dem Jahre 1720" hervor, den
K Knabe nach dnem Manuskript der Cssseler Landesbibliothelc verftffenl-
KchL Hand seh rifl liehe Stöcke (Ordnungen cic.) veriiff entlicht auch Nra-
mann: -drei Beiträge zur Schulgewiiirhte von Frankfurt am Main aus
dem 17. und t». Jahrhundert -, Als i. Heft da .Beihefte der Mit-
teilungw* wird weiter der 3. Teil der „Beitrji4:e zur Ocschichte der E^
ziriiung und des Unlerrichls in Bayern' geboten, der sich mit den
Vollisschulen beschäftigt. So behandelt J. fiartl diejenigen der Obcrpfdz
Iflr das Jahr 1643, J. Harnes gibt Beiträge zur Geschichte derjenigen
in Franken vom 15. bis 13. Jahrhundert, und F. Schmidt behandelt die
im Hochstift Wflr^burg für den Ausgang des 1 8. Jahrhunderts. Auch
hier «ird wesentlich archivalischs Material geboten.
In den .ßlülteni ffir das Oymnasialwescn " Bd. 39, Vll/Vlll macht
ttm ein Beitrag ^-on K. Köberlin, „Pädagogische Bedenken des
Präccptors Resch 1693" mit den Rclormgcdanlteti eines Lehrers am
alten St. Anna-Oymnasiuni in Augsburg bekannt, die trotz Fcsthallcns an
der huministiiichen Grundlage doch schon die Einflüsse des Raiichius
und Comenius zeigen.
Im .Neuen Lausitzisclten Magazin" Bd. 'S. schildert TI1. Stock
■dneOberlausitzer Kleinstadt (Kothenburg) um 160U"; P. Borchardt
behandelt den ullaushalt der Stadt Essen am Ende des iä. und An>
bng des 17. Jahrhunderts" in den oBdträgen zur Geschichte von Stadt
ttnd Stift Essen" Heft 2-t/S, O. t.icbe .Vermögenstand und Aus-
rüstung in den Städten des MitteblterE" in der «Xeitschrift für
hbtorBcbe Waffcnkundc- III, 3.
Kleine Mitteilungen und ReFerate.
Wesentlich mil städtischer Tätigkeit beschäftigt sich audi der in
der «Festsdind zur Tagung des Hansischen Oeschichlsvereins" 1903 in
Magdeburg vcröffentlichle Beitrag G. Liebes: i.Dcr Slraßenschutz
des Mittelalters im Erasüft Magdeburg". Auch liier war es die BündnJS-
polilik derSlädle, diirdi dicsie im Interesse ilircr «-irtsehaftlichen Zwecke
die Straßen sicherten, bis die einheitliche Verwaltung der Fürsten diese
Sicherheit besser verbiirgte.
Bcaclilcnswcrte Anregungen gibi der Artikel Paul Webers über
.Thfiringische Ortsmuseen, Bericht i'iher den Stand dieser Unter-
nehniungeti im Sommer 1^03" (Deutsche Gesdiichtsblätler V, I). Er hält
die „Heimalsmuseen" ffir nützlicher als die „Kunstmnseen", betoni aber
mit Recht, daß ihr Bestreben daraiif gerichtet sein mCirae, das Individuelle
herauszuarbeiten auf ortsgeschichtlicher und Jiidturgeschichtlicher Grund-
lage.« Lfnter den nicht wenigen schon bestehenden Thüringer Museoi,
die hier behandelt werden, bspricht der Verfasser eingehender dasjenige
zu Jena, dessen Leiter er ist
Jn der «Zeibchrift des Vereins (ür Volkskunde* iy03, Heft 3 be-
handelt O, Lauffer, „Neue Forschungen über Wohnbau, Tracht
und Bauernkunst tn Deutschland- (von v. Tröllsch, Schönfeld, Ste-
phani v. a-l In der Einleitung bemerkt er einiges über das Wesen der
Volkskunde, die er nnr als einen Teil der deutschen Altertumswissen-
schaft betrachtet.
In dem .Nhovo Archtvio Vcncto" N. S. V, 2 beendet A. Truffi
seitie Studie: ,,AppHnti per la storia della vita privata in Crema
durantc il dominio vcnclo."
Far die Lebenshaltung der Fürsten des \6. Jahrhunderts ist ein
Beitrag M. Wehrmanns beachlenswerl : Die Aussteuer der Herzogin
Anna zu ßraunschvcig und Lüneburg bei ihrer VennÜhlung mit
Her20g Barnim XI von Pommern (1525)" Jahrbuch des Geschieh (svercins
für das Herzogtum Braunschweig 1902),
In der Beilage zur »Allgem. Zeitung" 1903, No. 112/3 und 117/8
behandelt O. Stiehl «die Entwicklung des mittelalterlichen
Rathauses in Deutschland", ein bisher vernachlässigtes Gebiet, von den
einfachsten bis zv den Itompliiicrlcsteii und glänzendsten Formen in ein-
heitlichem Fortschreiten, indem er den anscheinenden Wirrwarr unter
dem Gesichtspunkt der Ausbtklung des Grundrisses nach Hcraus-
schllung des alten Kcms in bestimmte Gruppen bringt und die heraus-
geschälten Typen durch Beispiele belegt. r)ie chronologische Folge ist
dabei nicht maßgebend, wie ja auth das Slädtewcsai selbst ganz ver-
schiedene Stadien gleichzeitig aufweist. Betont wird vielmehr der Zu-
sammenhang der Formai mit der wirtschaftlichen Entwicklung im all-
gemeinen. Als wichtigsten Charakterziig stellt er die strenge Sachlichkeit
fest, mit der die Bauten nicht nach vorgcfaßlcu crlcniten Regeln, sondern
in jedesmal neuer Anpassung an die Erfordernisse des einaeincn falle
Kleine Mitttilungen und Referate,
117
aus dem Wesen der g:es<elUeii Aufgabe entwickelt sind. Ein Turm hat
flbrigetis nicht zu dem Büd eines Rathauses im alten deutschen Volis-
j^cbict [wohl aber im Kolonialgebiet) gehört. Der Aufsatz soll in er-
weiterter Form im Budihandel eisdieineit.
Die umfangreiche Abhandlung von CI. Lupi, La casa PIsana
e i suoi annessi nel roedio evo wird in dem Arctiiviostorico Italiano 31,2
und 3 noch fortgesetzt.
Im .Anzeiger des Germanischen National • Museums* 1903 11
setzt H. Stegmanii seine Uritersuclnmgen über „Die Holziiiiibel des
Germanisclien Museums" fort und bespricht eingehend die Bank und den
Stuhl in ihrer Entwicklung.
Das Journal of English and Germany Philology V, t bringt dne
-kulturgescliichtliche Studie" von Cli. H. Handschin, Die Küche
des 16, Jaltrhiinderts nach Joh. Fischarl.
im Heft 2 des Archivio storico llaliano fmdet sich dn Aufsatz von
L. Moimcnli, 1.^ corruzione dei costumi vcncziani ncl Rina-
sdmento.
Zur Agrargcschichic des 1 s. Jahrhunderts trägl ein Aufsatz A. Ago-
stinisinder .Rivista italianadi f^ciologia' VII, 1/^ bei: Le condizioni
dei contadini salariati in Sardegna alla vigiüa delU rivoluzJotie
francese.
Als Beispiel für eine wohl ziemlich seltene mittelalterliche Orga*
niäaijon des Fischcreige-a'crbcs. die sich fiber eine größere Teilstrecke
dB MuHlaufes erslreckl, behandeil ein aus dem Nachlaß Alfr. KöberlJns
stamnirndcf Aufsatz in der Allg. Ztg., Beil. No. 197 diejenige am Bam-
bcrgischen Obermain, deren Mittelpunkt das Fisch meisteramt zu Uchten-
fds var. (sDic Organisation des Ftscltercigcwerbes am Ober-
main.")
Der diesjährige Jahrgang der „Hansisclicn Ocwhichlsblätter" (Jahrg.
1902, 1903 crsdiienen), die in ihrem vorigen Heft den trcffüclicn Vortrag
Keutgens über -den Groflhande! im Mittelalter" brachten, enthält neue Bei-
bigc zur Handels- und Vcrkehrsgeschiditc in dem Aufsatze von E. Da nel 1,
•Der Ostseeverkehr und die Hansesl.ldte von der Mitte des 14.
bis zur Mille des ISJahrhuiidcrls und in der auf neue Dokumente gestützten
Untersuchung' W. Steins über „die älicslen Privilegien der
deutschen Hanse in Flandern und die ältere Handelspol rlik Lübecks«,
(als deren Gnmdzug das Streben nach Freiheit des Oäslehandcls erscheint).
Bibliographisches.
O. Montelias, Die älteren Kiilturpcriodcn im Orient «nd in
Europa I. Die Mctliodc. Slockliolni. (110, XVI) — G. ir So«, Les Pre-
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Kultur. Anfänge einer neuen Zeit. Slutlg. (X, 592 S.) — God. Kurtk,
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Hrsg. von Emmy Vofiberg. Breslau (II, 124 5.) — M, Targe, Professeurs
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im tb, Jahrh. (Quellen und Darstell, zur Gesch. Niedei^chsens 12.)
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(Samm). nalionalökon. und statist. Abhandl. des staa4s«-i». Seminars zu
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(106 S.) — D. TM&sm, Beiträge i. OescIi. d. Handwerks in Plreußen.
Diss, Tfibingen (250 S.) — E. Fttd, Les anciejis corps d'arts et mfticrs
de Nant». T. I, Nantes (471 p.) — W. Vor^s, Der deutsche Handel
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In labellar. Ütxirsicht auf Grund der Lübecker Pluitdzollbücher. Diss.
Marburg (64 S.) — A. Men/it The risc and progress ol the Company of
menchants of the city of Edinbui-gh iftst I')02. Edinb. (XV, 400 p,) —
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— E. Minvieiif, Li nKklcdne au temps de Hoiii !V. (Mnlecins; makdies;
autopsie du roi) Paris (2ftJ p.) — F. Chavant, La pcste Ji Orenoble
<t410-1643). Thisc. Paris {8J p.)
Geldgeschäfte hansischer Kaufleute
mit englischen Königen im 13. und U.Jahrhundert.
Von GEORG GROSCH.
Einleitung.
Mil dem König Heinrich II. (1154-1189) beginnen die
dauernden urkundlichen Nachrichlen über den Handel der Deut-
sehen mit England.')
Der Handelsverkehr selbst, der von Seiten der Bewohner
Deutschlands mit England unterhalten wurde, ist ohne Zweifel
schon sehr alt; schon in der Römerzeit wird von Germania
magna, besonders von Colonla Agrippina aus Handel getrieben
worden sein mit den englischen Küsten platzen, vor allem mit
Londinium, das ja nach Tacitus*) damals schon »copia negotia-
torum et commealuum" sehr berühmt war.
Die Besitznahme des Landes durch Sachsen, Friesen und
jöten, die ■Angelsachsen", — wahrscheinlich eine Folge des
schon seit längerer Zeit unterhaltenen Handelsverkehrs — hat
ohne Zweifel die durch den Sturm der Völkerwandening ge-
lockerten Bande *ieder fes^eknQpft Angelsächsische Missionare
fahren auf säclisischen und friesischen Schiffen nach Deutsch-
Land, und auch tinter den Karolingern und den Ottonen reißt
■) Vgl. für ist IcIgTfidEn Ansführnneen : }. M. L4pp«ob«rc, Urlrandllche Ortthlchte
da hatuliditn suhlliofn lu Lnn^lon. HunburK tSSi. S. 3n. K. ttÖMtmm. Zur Or-
•dddllc der dnitulirn hlai»i In Enelnnil. HanilKhe dncMchlthUltcT. JUiikuk ISI3.
S, JlH. K. Koppmuin, HojKTmei« 1 Bd EmI. S. XXVff Die AnOnBe der Hnua.
V. Omninghain, Tht grovlli of Engllth Induilry uii tomtarttt duriits Hit «rly und
mMdleafB Cimbrldet ibvo. S. Kitf.
t C. Tidtui. Ab ne. d. Au^ l-- XIV. c. 31.
Aldiir fQr KulInrKCKhlditt. tl, 9
122 Georg Grosch.
dieser Verkehr nicht wieder ab. Er wurde noch dadurch ge-
fördert, daß sich Otto der Große mit Eadgythe, der Tochter des
Königs Aethelstan vermählte und mit ihm und dessen Nachfolger
in enge politische Beziehungen trat.
So sehen wir, daß um das Jahr 1000, unter dem König
Aethelred II., die deutschen Kaufleule in dem Reditc von London
schlechthin als »die Leute des Kaisers, welche in ihren Schiffen
kommen" bezeichnet werden und schon eine vor den andern
Fremden bevorzugte Stellung einnehmen, daß sie ferner gemein-
sam am Weihnachtsabend und zu Ostern bestimmte Abgaben zu
ertrichlcn haben, eine Genteinschaf tüchkeit, welche bereits eine
engere Verbindung unter diesen „Leuten des Kaisers* zur
Voraussetzung hat.') In der Folgezeit finden sie sich hie und
da erwähnt; freilich schein! nicht immer Eintracht unter ihnen
geherrscht zu haben, was ja auch für diese Frßhzeit deutschen
Handels als ein Wunder anzusehen wäre. So berichtet Alpertus
von Metz,') daß 1018 die Kaufleute aus Tiel am Waal klagend
vor Kaiser Heinrich II. erschienen, weil ihnen die f'riesen an den
Mündungen des Waal und der Maas die Überfalirt nach Eng-
land erschwerten und dem Volke der britannisclien Insel den
Verkehr nach Tiel auf die Dauer schädigten.
Können wir schon aus diesen mehr zufättigen Erwähnungen
auf einen ziemlich regen Handelsverkehr zwischen Deutschland
und England schließen, so werden wir durch die dauernden
urkundlichen Nachrichten seil der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts darüber belehrt, daß die Handelsbeziehungen zwischen
den beiden Ländern immer bessere werden, daß vor allem der
Aufenthalt in England selbst den Deutschen durch Privilegien
und Freibriefe immer mehr erleichtert wird.
Das älteste dieser königlichen Privilegien,*) das nachweis-
lich in die Jahre 11 S4 bis 1 1 79 fällt, ist ausgestellt ftlr die
Kölner KaufEeute und bringt die Bestätigung des königlichen
Schutzes für das Haus der Kölner zu London, worunter wohl
t tJIppnibctS a. m. O. i ♦, Hantrithn UrkmiulcnbiiL-h. 1. Rä. No. ).
*l Mon. Genn. hisl. S. S. *. S. 7I8.
■I Lijiptnbcrjt a. « O. S. &
schon die Gildhalle, der spätere Stahlhof,^ m verstehen ist,
sowie für ihre Pereonen und Waren. Ein anderes Privilcjpitni
Heinrichs II, beEÜnstigt speziell den Handel der Kölner mit
Wein, und ein drittes, vom St Johannisabend des Jahres 1175,
erstreckt den vom König den ,rBürgem, Kaufleuten und Leuten
von Köln" für ihre Besitzungen und Waren erteilten Schutz auf
alle Länder des Königs in Frankreich wie in England.
Diese alte Hansa') der Kölner Kaufleute erhätt dann von
Richard Löwenherz am 6. Februar 1 1 94 einen Freibrief als eine
recht wesentliche neue Begünstigung, denn sie wurde dadurch
der jährlicher Abgaben von zwei englischen Schillingen von
ihrer Gildhalle zu London, aber auch aller anderen Abgaben an
den König enthoben, welche von ihren Personen und Waren in
jener Stadt und in ganz England zu entrichten waren. Diesen
Freibrief bestätigte Johann trotz seiner enger politischen Ver-
bindung mit Köln erst am 24. Juli 1213 in vollem Umfange,
weil ihm die Zugeständnisse, die sein Bruder den deutschen
Kaufleuten gemacht hatte, doch zu weit gingen.
Diese Hansa der Kölner, die sich im Laufe der Zeit zu
einer thcinisch-wcslfäl Ischen erweitert hatte,') bestand bis zum
letzten Drittel des 13. Jahrhunderts als alleinige Verbindung der
Deutschen in England. Angehörige andrer deutscher Land-
schaften fanden nur unter Schwierigkeiten Zulassung zu dieser
Genossenschaft, ja wurden sogar von den Kölnern bedrückt und
durch widerrechtlich geforderte Abgaben in ihrem Handel ge-
hemmt, wie ein Privileg Friedrichs des Staulers vom Juni des
Jahres 1226 zeigt.*) Es ist erlassen für die lübischen Kaufleute;
der Kaiser gebietet darin, »daß die Kölner Kaufleute die lübischen
iBfirger, die bisweiten nach England reisten, zu dem schnöden
Mißbrauch und den willkürlichen Schätzungen, welche jene gegen
diese erfunden halten, durchaus nidil zwingen und die einen
mit den andern gleiche Rechte genießen sollten."
ij Cb« -Siahlliof- vgl. Huiil^che OraehichisbUlIrr. i*hnat- ""• S. Hin, Ober
die den Kälimn vnliFhcncn rrivilcgicn vgl.: K. HßbIbJtum, Kßlnt illeile Handels.
privihstei. JthiKX- 'S'!- s. im.
*t Vgl R. fuili. Aufircini unil Bedeutung in Woda Htnia In IZn£liiid. Hon-
ItodM 0«»cfaic}itiblltiit. Jihr^ i»7! S ii[t Vgl. ludi: O. Scluni, Englltch^Hiadel*-
poliUk 2FSBI End« aa Mitielilint t. f\ö. S. ir:tf.
>) K Knnic. Kinuakicn üus Engluii] IZ7S— Itia. Halle 1091 S. IR.
'j Lipptnbeni i. a- O, S. 9.
9'
i
Georg Crosch.
Köln hatte also den Versuch gemacht, seine Stellung in
England zu einer ausschließlichen 711 machen und den andern
Deutschen, die nicht zur Kölner Hansa gehörten, den Handel
dahin womöglich ganz zu verleiden. Indessen gerade in dieser
Zeit verschoben sich die Verhältnisse in der Heimat zu Ungunsten
der Kölner; der Elb- und der Ostseehandel gewann immer mehr
an Bedeutung, und Hamburg und Lübeck,*) die Vorstädte und
Träger dieses Handelsverkehrs, schlössen sich 1256 mit Bremen
zu einem Bündnis zusammen, das Bekämpfung der Seeräuber
und Schutz gegen unrechtmäßige Bedrückungen bezweckte. Be-
sonders die Stadt LQbeck ist es, die in Deutschland immer
größere Wichtigkeit für den gesamten Handel erlangt Als sich
dann Lübeck bei den bekannten Thronslreitigkeiten während des
Inlerregnums für Richard von Comwaliis erklärte, bekam es
durch dessen Vermittlung am t5. Juni 1260*) einen Freibrief
van Heinrich 111. «für diejenigen deutschen Kaufleute, welche
die Gildlialle zu London besitzen™, ein Beweis dafür, daß die
Ifibischcn Kaufleule Aufnahme in der Qildhalle gefunden hatten.
In der Versammlung zu Kenilworth,") wo nach den mannig-
fachen Wirren unter Heinrich III. die Magna Charta neue An-
erkennung fand, wurde am S. November 1266 den Kaufleuten
Hamburgs das Recht erteilt, eine eigene Hansa zu bilden nach
dem Muster der kölnischen, natürlich gegen Abgabe der schul-
digen und gewohnten Steuern, und wenige Wochen später
empfing Lübeck dieselbe Gunst.
Es gereichte nun dem deutschen Handel sehr zum Segen,
und man hat den gewalligen Aufschwung, den der Handels-
verkehr der Hansen mit England gerade im 14. Jahrhundert
nahm, besonders dem Umstand auf die Rechnung zu stellen, daß
'i Du eriK .BCndnLc zvischm Hamburg und Ldlicck wird 1!4) gcKhlotKn.
(Kunburser Uifcundcnbucli 1. No C9t. LlibiKhn Urimniluilnich t. No. S9.) Vgl. daiD
K. Koppmann, D*r VMni); xwiKhrn l.flbrrt nnd H»mbiirj{ v. }. il«i. Hanilieh» Oe-
Khichiibllltor, Jdirm;, Uli S. 6»tt. Koppminii Ifgt ilrni Vcflng krinr jUgrinclnf hin-
ilKhc, (oniltm nur rlnc pinHaiUc-hlstflriichc llnlmlung bei: ibcr die Tinidic lit dncb
(Dr die tunilwhc Ocichkliu Ibcrhaupl Inltrtiatnt und TJchlic-
ff Hiniiuhn Urkundcnbuch I, iii. Vel.duu! R. Pauli. Enj{llKhcO«KblcIiti 111,
S. »**l Kanu. Kuunkln. £>nl, S. I.
•) R. Piuli a. ■. O. Ul, S. NT. Ober dl« SondcthuiM von HimbvrB vgl. Han-
«tadUi UrhindHibuch I. No. iJ!. dl« von LGb«k [ram t. Jui \}f,1) (btndi 6U. Vgl.
■adii K. Knppnunn. tlatnlnurGt Slcllunü in dr-r Hanu. Hansltcht OcKhlchttMItUr.
Jtluia- >B75 S. ttt.
c
Geldgeschäfte hanstsdier Kaufleute mit mgtischen Königen. 125
die Deutscher hier einmal ihr altes Erbübel überwunden, daß
sie sich nicht in gegenseitigem Ocschäftsneid Ein- und Verkauf
erschwerten, sondern sich zusammenschlössen und einander nach
Möglichkeit förderten. Zur Bildung einer solchen Genossenschaft
^brachten es die Italiener, die zunächst den Hansen im Handel
' weil überlegen waren, niemals, sondern sie machten sich unter-
einander stets die schlimmste Konkurrenz. Dagegen schlössen
sich die Hansen der Deutschen sehr bald zu einer gemeinsamen
Hansa Alemanniens zusammen, in die alle deutschen Kaufleute
ohne Ausnahme und ohne besondere Schwierigkeiten auf-
genommen wurden.
Der Zeitpunkt für diese Vereinigung') läßt sich nicht
ermitteln; gefördert wurde sie jedenfalls durch das Privileg
von 1260 für Lübeck, das sich diese Stadt 12S1 von Eduard 1.
wieder bestStigen lief!; vermutlich war es gerade dieses Privileg,
das den lübischen Bürgern Aufnahme in die Oildhalle gewÄhrte
und sie den Kölnern auch sonst gleich stellte, das die Kölner
veranlaßte, nachzugeben.') t2S2 ist der Zusammenschluß dann
vollzogen, denn aus diesem Jahre datieren die ersten urkund-
, liehen Zeugnisse für die gemeinsame deutsche Hansa.')
Man kann die Bedeutung dieses Zusammenschlusses nicht
hoch genug anschlagen, denn je stärker die Hansen dem Könige
gegenüber auftreten konnten, umsomehr war für die einzelnen
Mitglieder Sicherheit ihrer Personen und Schutz für die Waren zu
erwarten; für die Gesamtheit, die Genossenschaft, bestand ebenso
viel eher die Möglichkeit, sich Privilegien zu erwerben und in
*) Die Danldlung h^Mbaiinii vlidnt nidil gani [uiiriroid, Zunldi^l hildm ilih
«dMD der hAlniidioi die Sanderhansen Hjnihurt^ und Lfibecke, die gleichfalli iliicn SIU
in der Ofldlialle haben; allnihlllch vcnfhmFiiBi lie dann tu rmcr gcmcinumcn Hxnu
AI«BUDa>«m.
<4 KSIn tritt illnlhllch vAtllit zurück, ,.di« VertTching der Ititrrasen d« Otleni,
(0Vto dn ipsamtn] luufininnlichcii AngtlCiCtnlidtm hat Icirun LQb«cJc.* Hählbaum i. x.
O- 8. ID. Höhtbuiiii )ial cnlschtnlm irclit, ■citn et dm [«liliictinL Vorginetn E« d«
Htfnal dh Sclrnld elbl lat du 7.iirQcktideii KOliit In £»KU"d. ti teiirl «i»; .Wir {[chcn
IM khl ntl der Aniuhinc, difl die dputtchcn Dinge dihciin ihre Wirkung auf dtn WeD-
fflrHt in der Frttndr jefibl. B«sond«rt in KVWn lotipn kÜ Jahr/^hiilni Kimpff, deren
[ Schl^ «rii zu vsTiEhmcn lind. Die ZwJcIndil iwitchm der Sud! und Ihrai KctTRi, vor-
iBdiHlkk mll Kontad von Uochitidcn, äk raiiclutiücn in der Oemcindc. die Fcitdcn mil
I rBnIn und Hetrcn schtiiwii di« AntpannunK d*r KHtfle nach luilTii betlrnktich ettehwert
LSB hifcn- Zudem <riirTle de« Blick durch die Tcllnihnic <tn Bunde der aberrheiniHhen
fMdtt II3S5) luch eitler indem Stile cclenkt.« H^hlbauni ■. ■. O. S. Zlf. Aut dai EJnpor*
dam 6a lüblsi'hcn Mitht iil ulim hint;tvinai.
1 Hamlictiia UrkunüRibudi 1. tw und 90Z Kon». tIanKalilcn No. t und s.
r
I2ß Georg Grosch.
der dadurch: geschaffenen Sicherheit neue Handcisgebiete zu
ersch ließen.
Im Mittelalter bestand bekanntlich der Grundsatz, daß nur
der Angehörige des eigenen Landes volle Handelsfreiheit und
Sicherheil besitze; der Fremde, der Gast, wurde durchaus nicht
gastlich aufgenommen.^} Er war in dem fremden Lande ursprtlng-
lich völlig rechtlos, und erst bei steigender Kultur bildete sich
ein Fremden- oder Oästerecht aus. das aber immer noch den
Fremden in vieler Hinsicht in seiner Verkehrsfreiheit einschränkte
und ihm mannigfache Abgaben und Beschwerungen auferlegte.
i.Das System der Abwehr und der strengen Abweisung der
Fremden wurde nur seilen zugunsten des auf religiösen An-
schauungen beruhenden Asylrechtes - dem wir bei allen
Völkern begegnen - durchbrochen; aber es treten bald wirt-
schaftliche Gründe und Röcksichlen in den Vordergrund, welche
die Aufgaben der staatlichen Fremden pol izei erweitern zugunsten
des kraftvoll aufsteigenden Verkehrsbedürfnisses. Innerhalb dieses
jüngeren Systems sehen wir, wie der Fremde mit Hilfe beson-
derer Rechtsschutzmittel: Peregrinenrecht Roms, der Königsfriede
des deutschen Rechts, freies Geleite, durch ein besonders günstig
gestaltetes Berufsrecht (Handels-, See- und Wechselrecht des
mitlelallerlichen Kaufmanns) zum Verkehr, also zum Gebiets-
cintritt veranlatil oder stellenweise sogar durch die Aussicht auf
eine dauernd begünstigte Rechtslage zur Einwanderung und
Niederlassung bestimmt werden soll."-)
Bei dieser Stufe des Verkehrslebens kam es dann darauf
an, vom Landeshcrm Privilegien zu erlangen, die dem einzelnen
Händler oder ganzen Gruppen von Kaufleuten mit Umgehung
der beschwerlichen Bestimmungen des Gästerechls größere
Handelsfreiheit und mehr Sicherheil im Verkehr zubilligte und
die driid(endcn Abgaben ihnen erleichterte.
>> .Jt «cilcr «Ir dLti Hllck von uRnrrrr vtrlirhnrrlthcii Z«ii *b- und den llt«r««i
Ptriodoi dn tlMtUchrai Ld>ent ruwmdm, umiiiimehi nJüicra wir iin» drm VortlHlungi-
krd«, In «tlditm die Frcmdlinpir-iKciHchttll von vomhcrrlii dncii tOr die CiUtcnt da
bthUidn Vccbanda fei nd liehen, üdcr ilixh miiv(lc»to» bolrohcndcn Charakler «nnimnil
Du SCadimn ds miciilvlckcllcn, gering luigcbildewn VtrkehnlelKns wird dllier dur<li die
tchirf ahlriinmde StellunjE erkennbar, die dei SUil dein In wlnen Ben-Ich seLuiicenden
rrcmdpn sescnOber dnnlinmi ' Artllcl: rrerndcnpoUiel Im Kindwltrlerbuch der STutt-
vlncrsctiattcn, 1. Aufl. Jeiui.
^ Ebcnil*- Vgl. daiu <l[e AnflordeiunG Cdiiardi t, an die Kinien {nlclMlc iKlteJ.
Geldgeschäfte hansischer Kaufleule mit englischen Königen. 127
Das Verdienst, für die Deutschen in England solche Privi-
legien erlangt zu haben, überhaupt daselbst bahnbrechend vor-
gegangen zu sein, gebahrt Köln, das ja wohl auch am lingsten
Handelsbeziehungen mit England unterhielt und darum schon
friihzeifig vom abenteuerlichen zum planvollen, regelmäßigen
Handel überging.') Wenn dann später die Kölner ihre Vormacht-
stellung in England zu behaupten suchten, indem sie den andern
Deutschen gegenfiber selbst wenig ehrenwerte Mittel anwandten,
so darf man ihnen daraus keinen so schweren Vorwurf machen.
Sic hatten es sich genug Opfer kosten lassen, hatten selbst Leib
und Leben daran gewagt, um neue Gebiete dem Handel zu er-
schließen; ebenso hatte die Vaterstadt Köln zuweilen ihre ganze
Politik in den Dienst ihrer Söhne gestellt, damit diese in Eng-
land eine günstigere Stellung erlangten.')
Umso erfreulicher ist es, daß die kölnische mit den beiden
andern Hnnsen sich zu einer gemeinsamen deutschen Hansa
zusammenscliloß, und daß dies geschah gerade in der Zeit, wo
ein kraftvoller Fürst, Eduard I., den englischen Thron bestiegen
hatte. Dieser König begflnstigtc nicht nur offen den Handel
der Fremden - so forderte er beispielsweise am 26. Scpt 1293
in «inem Erlaß aus Bristol die deutschen Kaufieute und Schiffer
auf, Handel in England zu treiben, indem er ihnen sicheres
Geleit und Schutz vor Beschwerung verspricht^) - sondern er
besaß auch die Macht dazu, seinen Willen gegen Volk und
Parlament durchzusetzen. Er benützte den inneren Frieden, der
mil seinem Regierungsantritt begann, zu großen Reformen des
Mflnz- und Finanzwesens, gestaltete das Rechlsleben um und
regelle auch das Rechtsverhältnis der in England Handel treiben-
den Kaufieute neu.
Mit dem Plane dazu mochte er sich schon länger getragen
■) So «u der VHnhindcl KOIm mit Zneftni achon idir IrUh ein eint rFirlniiBLarr.
1 T«l5ächlich rirll die «nn« Politik der Sladl Köln von mii. nsO-liiO nur
dahin, mil ilem eiglisclirn K5nij: im bntcn Einvcmchmai lu ttdioi. So steht Köln
ntnlehtt tat dir Seite dtr Knhrnilnulrn, da Frirdnch Bartiiiosu mit Hpinricl) II. von
Enalind brfmindd isi. Din» urlil die Sfadt m doi Wcticn üb«, dir durch Heinrich dm
lüwcn mit dm PlanUi^mcI) vnvindl niidcn, und hürrl Irtu txrl Odn IV. iUi. Tofüt lich
Jotmin d«R Kiiln«rn *dM ciUnnllich Kiei. Fcmtr td «inncrl an die Verbindung Köln*
nil Htinrich in. bei dawi Bnlrcbcn, ein Bündnit mit Friolrtcli dem Stautcr iu«tinJe
n InhifHi, und ichtleBlIrh an die l;ez>ehuni[«n, dir Köln m Ediurd 111. bei deum (rui-
BAtbchen Kricgm timlt. Es wiid djvnii <(i.llci nocli die Rede inn,
t Hanibcbcx Urkundcnbudi. 1. Dd, No. UZi.
0«jrg Grosch.
haben. Da er nämlich im Jahre 1266 von seinem Vater
Heinrich III. zum Protektor aller in England Handel treibenden
Fremdkauflcule ernannt worden war mit der Vollmacht, Bewilli-
gungen nach seinem Gutdünken zu erteilen oder vorzuenthalten,')
ao war er in diese Verhältnisse schon längst eingeweiht. Gerade
er konnte darum zu einer Neuordnung schreiten.
Der von Eduard I. allen fremden Kaufleuten im Jahre 1303
erteilte Freibrief, die ..orLi mercatoria«, *) die aus einer Ver-
einbarung zwischen dem Fürsten und den Kaufleuleit ohne jede
Befragung des Parlaments hervorging, bedeutet einen Bruch mit
dem alten OästerechL Sie ist so recht ein Beweis daftir, einen
wie hohen Standpunkt England oder wenigstens sein Fürst
damals schon einnahm.
Den fremden Kaufkuteit wird nämlich ein ausgedehnter
Rechtsschutz und eine sehr wenig beschränkte Handelsfreiheit
zugestanden; ebenso werden die lästigen Binnenzölle sowie alle
andern über den bestehenden Zolltarif und über den neuen Zoll
hinausgehenden Abgaben erlassen. Der neue Zoll bedeulete für
die Hauptaugfuhrarlikcl, Wolle und Leder, gegen früher eine Er-
höhung um SO^/c.. Aber die fremden Kaiificute bewilligten den-
selben gern als Gegenleistung für den Freibrief, ein Beweis,
wie wichtig ihnen die carta war. Nur durch einige Ein-
schränkungen im Großhandel war der Ausländer benachteiligt;
dies wurde aber durch die andern Begünstigungen, sogar vor
dem Einheimischen, mehr als aufgewogen.
Freilich, so ohne weiteres, ohne Opposition traten die
Wirkungen der carta mercatoria nicht in kraft Vor allem waren
es die englischen Kaufleute, die durchaus nicht damit einver-
standen waren. WflJirend der auswärtige Handel sich fast durch-
gängig ir den Händen der fremden Kautleute befand, befaßten
sich die schon seit dem 11. Jahrhundert zu Kaufmannsgilden")
■} R. Piuli, Onchlchl« vnn r-tigtind Hl. S. Mit.
•) Hin»l>etiß Urkundenbucti n. No, Ji. VkI, lUrn Kuiiir, tlwiKiliCni. CInl. S. IVt.
■) Charit« Qitnx The Oild Mccchut. A wntribullon to Britiih miinicip«.! hiitory.
3 Voll. Oüfonl IBM. I. S. Jtf. Ult («(Ol Er»lliiiiuiB(fi dw ,Glld Mer(h«nf iinchem
In ml undatierten Urkundm (IdüI-IiM); .«lon tfientuäf, ilvi-lnü l^r tpien of Henry I.
Ihe Qlld Mrrchuil «ppoin in vxrloui munifipel charim-; dann Irnin« hiüfiüer onler
Hdnricli 1].. Rldivd I uni] Jolunn. Vgl, auch R. Ma>T. Lclirbtieli der Hvidtlauachidih
Wien IM1. S. )9l. Über OroB- und Klrlnhandel (-in iponw und .in riblllo') S. i^
knm. *. Sowie Cuim inghun >, i. O. S. 9611.
J_ J^ fc_
Geldgeschäfte hansischer Kaufleute mit englischen Königen. i29
vereinigten einheimischen Händler nur mit dem Kleinhandel im
Inlande; sie waren den kapitalkräftigen und unlernehniungslustigcn
Fremden niclil gewachsen, hatten es darum als Wohhal empfunden,
daß die fremden Kaufleute im Binnenlarde den vielen Ein-
schränkungen unterworfen waren und der Vemiitllung der Ein-
heimischen für dei Handel daselbst bedurften. Darin sahen
diese sich jetzt bedroht, u'eshalb unter ihnen eine gewisse Er-
bitterung gegen die Fremdenpolitik des Königs entstand. Einige
wenige von ihnen Ijatten allerdings dem König den Vorschlag
gemacht,') es sollten auch die Einheimischen den neuen Zoll
tragen, aber dafür die Qleichstellutig aEier Handeltreibenden
durchgeführt werden, die Fremden also den Vorspning, den sie
in gewissen Punkten erlangt hatten, wieder verlieren, worauf der
König sofort einging, indes eine Abordnung englischer Kauf-
Icute aus zwei und vierzig Städten, die am 25. Juni 1303 in York
zusammentrat, lehnte diesen Vorschlag nmdweg ab, denn in
ihrem Interesse lag es, die Fremden vom Handel möglichst aus-
zuschließen. Darum wotlle man lieber die Begünstigung der
Fremden einstweilen dulden, als ihre Gleichstellung anerkennen
und sich so für die Zukunft binden.
Die Hoffnung, die sie sich dabei machten, war die, daß
eine bessere Zeit einen Umschlag in der Fretndenpolitik^) herbei-
führen wüiTle, was in der Tat auch recht bald geschah.
Denn auf den kraftvollen und energischen Eduard I., den
englischen Justinian, der durch sein legislatorisches Wirken fQr
England so große Bedeutung erlangt hat, folgte 1307 sein Sohn,
der schwache Eduard II. Dieser fügte sich wie in so vielen
anderen Forderungen auch darin willig dem Drängen seines
Parlamentes, daß er 1309 zunächst den neuen Zolltarif aufhob-
Durch die sogen. Ordonnanzen, aufgestellt von der Regierungs-
kommission,") welche der durch die Mißwirtschaft des Königs
erbitterte Adel und Klerus dem König im März I3t0 auf-
gezwungen hatte, und angenommen im Herbstparlament I3it
I) Kunif, Htniralloi. S. VI
t für hnclind rtt dir frcmdciilmindlictie Polilik lunichtt entschltilni van Vor-
Hil: die btdenlenilncn Fdltllcn itiKtc" >icli darum in dIcKn fihrhunileitcn alte frtmilm-
trMndlich.
t R, Piull, Oetdiichtc von Enuland VI. S. llifl. Hol, Ptrliim. BJ. t. i*»l. S, Ml
r
130 Georg Grosdi.
wurden alle seit der Krönung Eduards I. eingeführten Zölle auf-
gehoben und die carla mercatoria für nichtig erklärl. Das letztere
begründete man damit, daß sie mit der magna carta libertatum
im Widerspruch stehe, gegen die Freiheit von London verstoße
und ohne Zustimmung der Barone zustande gekommen sei.
Die fremden feindliche Stimmung, die sich in diesen Be-
schlüssen deutlich kundgab, richtete sich in erster Linie gegen
die Italiener, weil man ihnen die völlige Zerrüttung des Finanz-
wesens schuld gab und sie der Aussaugung des Staates be-
schuldigte.^) Weniger ging dies gegen die stammverwandten
Hansen, die nun nach Aufhebung der carta mercatoria wieder
auf ihre alten Privilegien zurückgriffen, Noch im Juni 13(I
era-irkten sie sich vom König eine Bestätigung des Privilegs
Eduards I. v. J. 128t;-) 13t4 fügte dann Eduard II. ein neues
hinzu, in welchem er die ausschließliche Haftbarkeit des Haupl-
schuldners und seiner Bürgen festsetzte, während bis dahin die
ganze Genossenschaft für jedes ihrer Mitglieder hatte haften
mGssen. 1317 wird dann in einem großen, die bisherigen
Privilegien zusammenfassenden Freibrief der Genuß aller der in
ihm enthaltenen Vorrechte ausdrücklich auf die Mitglieder der
deutschen Hansa beschränkt')
Es folgen dann neue Wirren, aus denen jedoch der König
als Sieger hervorgeht; wohl aus diesem Grunde muß 1322 das
Parlament die Ordonnanzen widerrufen, womit die carta mercatoria
wieder in kraft getreten war. Tatsächlich wird der Zoll von 1303
von jetzt ab wieder erhoben.
Aber die Hansen blieben bei ihren Privilegien, wahrschein-
lich deshalb, weil sie sich bei dem heftigen Unwillen des eng-
tischen Volkes gegen die carta und bei der Unbeständigkeit des
Königs von dem wiedererstandenen Freibrief für alle Kaufleute
keine lange Dauer versprachen, zumal der Fremdenhaß in Eng-
land immer mehr zunahm. Zudem ermöglichten ihnen ihre
Privilegien, die noch den Vorteil hatten, daß sie ihnen allein
zustanden, den Handel in der bisherigen Weise forlzu treiben.
0 So «cnloi bciipiclswciie die Ftltcotuildl vrrbannt und llirrOOlcr bHdilaenihiiil
Kmu, Hanmliicn S. IX
») HanjlMhn IfrliunilcTibuch II No. <9«.
V HinilMb« Urkundeibtich I). No. »3 und 315.
Oeldgeschäfle hansischer Kaufleulc mit englischen Königen. 131
Sie brauchten den Freibriet des Jahres 1303 gar nicht, der vom
Jahre 1517, den Ihnen Eduard It. verliehen halte, genügte für
sie vollständig, weshalb sie ihn von dem jungen Eduard IH.
gleich nach seinem Regierungsan tritt, am 14. März 1327, be-
stätigen lassen,') um auch unter dem neuen Regiment dem
Handel in Sicherheil und Ruhe obliegen zu können.
Mit Eduard III. begann für den Handel der hansischen
Kaufleute in England eine neue Phase, denn nunmehr befaßten
sie sich auch mit größeren Geldgeschäften, beteiligten sich am
Geldhandel und traten bald in erfolgreiche Konkurrenz mit den
bisherigen Kronbankiers, den italienischen Gcldleuten, während
sie bis dahin nur mit dem Londoner Kleinbürgerstand unbedeu-
tende Leih- und Weckslergeschätte gemacht hatten.') Eduard III.
selbst wurde bei seinen Unternehmungen gegen seinen Vater,
die ihn auf den Thron führten, schon durch hansisches Geld
unterstützt*) Die Hansen ihrerseits, die imstande waren, Geld-
geschäfte größten Umfanges abzuschließen, verfügten über eine
solche Kapitalkraft, dafj sie auch im Ausfuhrhandel die andern
Kaufleule weit hinter sich zurückließen.
Der Handel in der Zeit überwiegender Naturalwirtschaft, auf
jener Stufe der Entwicklung eines Volkes, die man als die Periode
des höheren Ackerbaus bezeichnen könnte (Pflugbau durch den
Mann mit Wein- und Gartenbau, Hof- oder Dorfwirtschaft),*) ist
vornehmlich Tauschhandel. Der fremde Händler bringt in
unregelmäßigen Zwischenräumen die Produkte seines Landes
und tauscht sie gegen die der Fremde aus. Daß dabei der ganze
Handel, der überhaupt einen recht abenteuerlichen Anstrich hat,
nur in bescheidenem Umfange betrieben werden, daß von einem
ausgedehnten Großhandel nicht die Rede sein kann, Ist ohne
weiteres klar. Erst wenn nicht mehr Ware gegen Ware - ein
recht umständlicher Vorgang - gelauscht wird, sondern wenn
der Wert einer Ware in einer bequemeren Art, in Geld, berechnet
^t, MqittltveiK Kunze, HanMaklcn, 1^—19.
<^ K1UII6 H«iiwak!«i im Enjjlond, 9S. Hansiuha Urlaindcnbudi II, SM, Ferner
Alk. I. Mo. t oBd i.
<> Vel. fDr dir VlmduIUiTufrn der Mmschbcil. £. OroH«, Fornicn d«r ramlllt
and Forma dtt Wlructijft. (Ftciliuii; und Lcipiic} M96. K. Büclirr, Enlilcliiing der
V«)k)v>rttch*ft. }. Aufl. Tübineca tX».
L
Georg Orosch.
und ausbezahlt werden kann, kurz ei-st dann, wenn der Kauf-
handel den Tauschhandel verdrängt, vermag der Handelsverkehr
einen größeren Umfang anzunehmen. Das HandelsJeben wirkt
seinerseits wieder befruchtend auf die allgemeine Wirtschaft ein;
das Oeld- und Kreditwesen zumal erfährt den notwendig ge-
wordenen Ausbau, denn Geld ist die Seele des Handels, und so
wird der Übergang zur Geldwirtechaft hergestellt.
In Ergland Ififit sich dieser Vorgang recht gut verfolgen
einmal dadurch, daß man der Entwicklung des Münzwesens in
den Übergangsjahrhunderten (II. bis 13. Jahrhundert genau wie
in Deutschland) nachgeht Über das ältere Mürzwesen gibt uns
eine englische Darstellung') Aufschluß;
»Previous to the Norman Conquest," heißt es da, »the
mode of reckoning by the Anglo-Saxons «as by pounds or pence.
The Saxon pound weighed S400 grains, and a Saxon penny
22'/s Rrains troy: 240 of the latter made a pound as at present;
bul there was only one description of coJn, and that was the
penny: all other monies, such as the Hbra or pound, the mark,
Ihc ora, and the Shilling, were merely ideal monies or denomi-
nations, or ways of reckoning, for conventcnce.
The penny continued lo be the only coin known in Eng-
land tili long after the date of Domesday book, the haütpenny
and tlie farthing being litteraly fractions or broken parts of the
penny.
h is recorded that William the Conqueror introduced into
England the method of accounts as pracliscd in Normandie, viz.
that of reckoning by pound^ Shillings and pence, or by pounds,
ounces, and penny weighls,"
Der Münzfuß der Normandie, den also Wilhelm der Er-
oberer in England einffihrte, geht auf die Milnzreform Karls des
Großen zurück.*} Aus einem Münzpfund (etwa 409 Gramm)
wuTxJeti 240 Silberdenare (Pfennig) geprägt, von denen 12 auf
1} W. ). Li»K)n, Thf hiHory of bjntrinj etc. Sccond EdiHon. London iSü.
S. ll. Über da ^Oamaütiy Bank' rsl. CunnlnKhitn «- i. O. S. IM: DomniliY Book,
iriicrt Ibe nutom» und» tlie Confmor (Hduiid dtr »ckmnrt lOO- 1066) «rc dMCtlbrd,
>) Die kuDllntlKlii Münrrdonn, die min gevfJhntli^li als den Cbericins lurSIlber-
rthning danteil I. bstand bekinnlllch lUiin, diO luf Jen aoldiclillliiiii t7 DrnuF icuechnet
vatdcn. Dict« nnic SoliduSi tlrt ein Dilticl det iltm - ru *<> DoiBrni - wurde
Geldgesdiälte hansischer Katifleute mit englischen Königen, i 33
einen Solidus oder Schilling gerechnet wurden. «The pound
weight of silvcr was divided into twelve Shillings", fahrt darum
auch unsere englische Darslellung fort, «composed of twenty
pennies each. corresponding lo pounds, ounces, and pennyweights,
or twenly Shillings, of twelve pennies each, bul it was not tili some
time afterwards Ihat it obtained the denoniination of the pound
«Sterling"."') Dieser letztere MCnzfuß hat dann allmählich
allgemeine Geltung erlangt; freilich war damit das Münzwesen
noch lange nicht derart, daß es den Anspriichen eines geld-
wirtschaftlichen Zeilalters genügt hätte.
Die Ansätze zu einem ausgeprägteren Geldwesen finden
sich erst unter Johann,*) denn der König selbst gibt schon Kredit-
und Wechselbriefe seinen Gesandten nach Rom und anderen
'Städten des Festlandes mit,^) indem er sich verpflichtet, den
vollen Wert der Summe dem Leiher wieder zu erstatten. Bei
den Schöffen von Ypern hatte er in den Kriegsjahren 1213 und
1214 gleichsam wie bei einer Bank Geld deponieri. Aber doch
sind diese Vorkommnisse noch vereinReli Das Münzwesen zu
seiner Zeit ist noch recht dürftig; an kurrenter Münze ist nur
der Siiberpfcnnig vorhanden, Schillinge, Mark und Pfund sind
noch imaginäres Geld, wie ja auch unter Karl dem Großen und
dann erst recht unter seinen Nachfolgern fast nur Denare
geprägt werden.
Unter Heinrich 111. wurde mehrere Male die Aufmcrksam-
Veit der Regelung und Verbesserung des Münzwesens zugewendet;*)
1238 wurde eine Kommission von sechs Goldschmieden ernannt,
um das richtige Karat festzustellen; sein Bruder wurde mit der
Einführung einer reuen Münze betraut. Freilich der Versuch
des Königs, 12S7 eine Goldmünze von zwanzig Schillingen Wert
einzuführen, scheiterte, die Stücke wurden wieder eingezogen.*)
>) Ober die ErklinniB dra Worta .Sicrifns*. bMoniton itti Znummcnhane mll
Ctnrline. vgl. ä\e AusfüTirnneFn Lavsoni ». «. O. S. 51.
1 R. Pauli, Onchichti: van Eni:Und Ul. S, Wlf. Die EntvkklnnE dn mi-lLBchot
Siuctiutilil], lilailngs mil amt <l^i(1i|{cn AiitfdhruiiKcn Qbtr ilic tttcft, alto unicn Zeil.
(iM Q- Cohn, Sj-ston dci Njtyonak.konomie l5.tullgirt t8S9 ) Bd. II J 47J H.
1 Im VerlaufF unieicr DiiilcilvjTik: hr ilnvün noch dir Ktilc-
<) R. Piull t. ■. O. in. S M3ff.
*t AIm tilnf Jahn, ludidtm In Florcai d<c cnitn OoMmtnien eachlascn vordot
a, die in dt> FalgnrJl sich üba du guixe Abmdland rcrbrdletm - ilt dir ihrrt
Fcingflultt 9tpn vlrt jtrthml«! Fiomen -, wlnJ Mhon (n En^and der Vfnuch pntdil.
ifentill« Oaldniaiiirn prleen lu lusen.
r
1 34 0«rg Qrosdi.
Über eine wcüere Münzprägung unter Eduard I. berichtet
■wieder unsere englische Darstellung,') die aber die BcmOhungcn
um das Münzwesen unter Heinrich III. nicht erwähnt Es heißt
nämlich daselbst; »No ordinances respecting the Standard of Ihe
coins have been preservcd from Die Norman conquesi lo the
g"* of Edward the First, when according to Stow, Gregor)' de
Rokesley, niayor of London being chief inasler or minister of
the King's Exchange, 3 new coin was agreed upon - the pound.
or easterling motiey - to contain 1 2 ounces of fine silver, such
3S was then made in the foil, and was commonly called silver
of Qutheron's Lane, now called Qulter Lane. This pound was
to weigh twenty Shillings and Ihree pence in account, each ounce
twenty pence, and every penny twenty-fonr grains and a half. In
the IS"" of Edward the Third we find the Standard of a gold
coin was the old Standard or Sterling of twenty-three carais Ihree
graJns and a half fine^ and half a grain alloy."
Das treibende Moment in dieser Entwicklung war naturlich
der allgemeine wirtschaftliche Fortschritt des englischen Volkes;
eine wesentliche Förderung indes erfuhr sie durch die Fremden,
welche nach England Handel trieben, besonders durch diejenigen,
welche sich hauptsächlich mit Geldangelegenheiten befaßten:
durch die Juden und die Italiener.
Die Juden,') seit den KreuzzClgen vollständig aus dem
Warcnhajidel verdrängt, da sie in keine Gilde mehr aufgenommen
und zu den Messen nicht zugelassen wurden, hatten sich, wie in
andern Ländern der abendländischen Christenheit so auch in
England mit Geld- und Wechslergeschäftt-n befant Es war dies
Für sie ein sehr günstiges Feld, da sie als NichtChristen von
dem Wucher\'erbot des kanonischen Rechts nicht betroffen wurden,
ein Vorteil, den sie nach Möglichkeit ausbeuteten. «The Jews')
were originally introduced into England by William the Con-
queror, and lo them belongs the merit of bencfiting commerce
by thfll important improvement ~ the inveitting biils of exchange.
■> Li-non LI. O. S. ef,
i) Vgl. R. EhrenbcTK, D« ZtilUter d« faggrr. 1 Bde. Joi« IS98. 1. Bd. S, ♦! M,
Fftr DniUthlincI : Mu Nruminn, Oachichtc da Wuchrri in Dniticliluid bli inr Be-
KrOndunc >ln hntHzm ZlniencUc (i»<]. Halle >U3 S. »irr. rrnitr R. SchrMct,
Ldirbodi der dculichcn Rectitssochichlc. 4. Aufl. Leiinig i9d:. S. t47tf.
■) U*wii 1. *. U S Sttf Vgl. uKh W Cnnningham a. a O. S. ilTff.
Grldg««chift0 hansischer Kaitftevte mit englischen Königen. 135
Thär industry and frugaÜtv caused them I0 accumulate vast
sums of money, »hich the idieness and profusion common to
the English. nobility in those days enabied them to lend out al a
high rate of interest, upon the security of property. They wcrc
not, however. permitted to enjoy Ihc profits of their trade urmo-
lestcd; for each successive tnonarch exiorted from Ihem largc
sums of money, and thal frequenlly by the tnosl barbarous and
cniel methods.« Diese Judenverfolgungen ') in England waren
nicht minder gewalttätig und grausam wie die in Deutschland,
Aber in England ging man noch weiter, mar verbannte die
gesamte Judenschaft außer Landes. Unter Eduard I. wurde
eine allgemeine Razzia auf die Juden veranstaltet, IS 000 wurden
aufgegriffen, aJI ihres Besitztums beraubt und außer Landes ver-
wiesen. Zu dieser Maßregel schritt man im Jahre 1290, nachdem
sich verschiedene andere als fruchtlos erwiesen hatten, wie man
vermutete auf Betreiben der Königin Mutter.*) Erst lange nach
der Reformation, unter Karl II., durften die Juden den englischen
Boden wieder betreten.*)
An die Stelle der Vertriebenen traten die Italiener; sie
überwanden bald «the great incorvenience", die das Vertreiben
der Juden zunächst verursachte, weil das Wechslergeschäft völlig
slodtte und der König niemand hatte, der ihm Gelder hätte vor-
strecken können. Ebenso gerieben wie die Juden und etwa auf
derselben Stufe stehend wie diese, mit denen sie schon seit
längerer Zeil in Konkurrenz getrelen waren, füllten sie den Platz
der Vertriebenen bald völlig aus.*)
Während der Regierungszeit Heinrichs 111. war es, daß,
veranlaßt durch die Feilschereicn und Bedrückungen von seiten
■) Lawion handflt da niherai von (U««n Verfalguni;«!.
^ R. Ptiili, Oochkhu von Cngland IV, S. )ä!,
t .Mttr Clili evenl, na iruc ol the ridstcnce ol Ük }ewt in Enetind tan bc
hnnd tili »liet ihc Rcfi>nn*tIoDi, not a ll ntccauy tor ui 10 iiacc Üitm luilhcr; t>ut
(inply lo rKOtd-vvtnorJinary ■* 11 niiy ipp«a>c, ui<l yet wh>t Irom our rFsnidin vc
tlnd-lhil Ihii opptT^sMl pctiplf piU nnrly ane Ihlrt of (bt «hcle rrvmue of Ihr kinjf-
ikai.* LawioD S. 30.
t Vax. Bond, Extracli itbtive In Innat tuppUrd by Ihr lullui mErdianb 10 tlir
ktam ot Encland. Archa<:i>lai'b XXVllT. (London 1140,} S. 207— ):c. fcmtr: O. Cahn,
Sptcm dtr KilIoiiatAJionoiiilc. Bd, II. S§ 470 Ff. A. S<hulM. Qochkhlc des mittdalterlklKn
Huidels und Vtrk»hn njtthcn WäldculKhlind und lullen mll Auuchliill von Venedig,
I Bd*. L(i|MiK 1WO. I. Bd. & UI If, Ebmui: W. Nniinann *. n. O. S 36blf,
Ocorg Drosch.
der römischen Kurie, die ihnen den Aufenthalt in ihrem Heimat-
lande verleidete, Scharen von Oeldleulen ans Oeniia, Siena, Rom
und nicht zuletzt aus Florenz nach England kamen.*) Sie
wandten sich hier entweder dem Handel zu und exportierten die
vielbegehrtc englische Wolle, ebenso Wollfelle und Häute, oder
begannen Geldgeschäfte tu treiben; gewöhnlich taten sie beides.
Zu größerer Bedeutung gelangten dann die Banksozietitenj
die als päpstliche Kollektoren England aufsuchten. Eine Folge
gerade ihrer Tätigkeit im Dienste des Papstes war, daß sie zur
Krone in Beziehungen traten und so Einfluß auf das englische
Finanzwesen überhaupt erlangten. So ließ sich am 25. Juli 1302
der Dekan von 51. Paul in London, „execuior super decimis et
obventionibus dorn. Edwardo d. g. regi Anglic ... in subsidium
terre sancte per sex annos concessis", bekunden, daß er für das
vierte Jahr des Zehnten t3 540 Ibr. 1I d. sterlingorum verein-
nahmt und an die »niercatores camerac dorn, papac" von den
Sorieläten der Mozzi und Spini (von Florenz) und der Chiarenli
(von Pisloia) abgeführt habe.*) «If has been frequently stated,
that the Lombards and other Italians first seUled in the north
as agents for the collection and transmission of papal taxation,
bot it js clear, that they at any rate carried on a large niercantile
business at ihe same timc or developed it afler they arrived.
The proof of the export ot woo! to llaly shows that it was
perfedly possible to remit tlie value o( the paymenls to Rome
vilhoul denuding the couniry of the precious melals."*)
Die Stadt Florenz brachte allmählich den gesamten von der
Kurie abhängigen Oeldhandel an sich;*) sie schob langsam ihre
Rivalin Siena auf die Seite, Pisa verwendete die ganze Geldkraft
auf dem Meere, dessen Herrschaft allerdings durch die unglück-
liche Schlacht von Melloria auf Genua überging. Deshalb
führten schon unter Eduard I. hauptsächlich Florentiner Firmen
1) R, Pftuli. OcKhicbl« von Ensluid III. Bd. S. WS.
t F. Davldiohn, Fortcliunsvi« tat OeKhldile von Florcni. 3 Bdt. B«r1!n 18«.
III. Bd. S. tl» Na. «ob.
■) W. CuDmngluiin a. a. O. S. IBSf. Für dit 1(bt« B«ni«rkuiie vgl. W. v. nttim-
ka<nlri. Eii|[lui(l4Birlic}iirillch«Enl«icklan2lm Auteinedct Millclallir«, JcnalB» S. teif.
<) Srhullt 1. ( O S. iK. Vgl. luch Orare Schncidtr. Die Itnuitldlm BcziebnriEcn
fl«r tlorwlirlHhcn llinklrrt lui Kirche von H«! bii i>0« Sdimullcu slaiti' und sozlal-
TlHcnKlufillchT FonctiunecD. Bd. XVII. fitfi i. Ldptlc \t99.
I
Cddgcschäflc hansischer Kxurieute mit englisctien Königen. 137
I
die Geldgeschäfte der Krone; sie wurden für ein halbes Jahr-
hundert die eigentlichen Kronbankiers in England. Es sind
ganz beträchtliche Summen, die sie dem König vorstreckten.
1297 betrug die QesamtschLid Eduards I. bei ihnen 28000 £,
bei scineni Tode war sie sogar auf 118000 £ angewachsen; zu
ihrer Sicherung waren ihnen sämtliche Zölle des Reiches vcr-
pföndet.») -
Es ist ziemlich genau eingegangen worden auf die Tätig-
keil der Juden und der Italiener in England, weil wir uns
dadurch von der Beanhportung der Frage, wann die Oetdwirt-
schaft die Naturalwirtschaft in diesem Lande verdrängt habe,
nicht etwa entfernen, im Gegenteil, ihr gerade näher kommen.
Zu diesem Zwecke wollen wir noch die Reformen untersuchen,
die Eduard I, durchgeführt hat. Mag er mit mancher seiner
Bestimmungen seiner Zeit vorausgeeilt sein, im großen und
ganzen ist er doch wohl nur deshalb an die Reformen heran-
gegangen, weil sie sich als notwendig erwiesen hatten, weil es
gsH, vorhandenen Schwierigkeiten abzuhelfen oder den Forde-
rungen der Zeil Rechnung zu tragen.
In der älteren Zeit wurden alle Abgaben und Steuern an
den König in Naturalien, »in provisions and necessaries Tor his
Household- geleistet, und ebenso empfingen die Orundherren
solche Naturalabgaben von ihren Grundholden und Hintersassen.')
Indes schon das Dom esday- Book berechnet den Wert und den
Ertrag der ländlichen Besitzungen in Geldsummen, und als der
an steh schon schwaclie Feudalismus in England mehr und mehr
zersetzt wurde, da gewann das Geld auch hier ein Obergewicht
aber die Dienste und Naturalleistungen. Sehr viel trug die
fiskalische Tendenz der normannischen Monarchie dazu bei; auf
den königlichen Domänen wurden diese meistens schon unter
Heinrich I. in Geld umgewandelt
Derselbe Vorgang findet sich im Zollwesen.') Ein wich-
tiges Vorrecht der Krone war das Prisenrecht, das sich in natura
') Boad i. ■■ O. Ü43 2*7. ..Tlicy also acconndjlcd Ihe klngi □( England «llk
IMM el tfMtwy; out ihey irwr more tortunaw ihon Oie Jnri, for thfy ttceii«! meny
norki ot (avDvi and ipprobilion.' Laincin a. a. O. S. )1. ZtinicEiil tonen tit licher
CniAeB Nuucii iu ilirtn Dulchcfi
*| fk d« lolgend«: Ochcnkoikl, EtisIlKhc WlHsdiifliKndilthtc S. »H.
«) Kamt. HanMoBcWn. S. XXXVf.
ArcHIv tOr KuUonErKhldiW. II. 10
138 Oeorg Orosch.
I
I
I
für den Wein erhalten hatte bis in die Zeit Eduards I. Von
jedem Schiff nämlich, das mindestens 10 FaB bradite, stand dem
König ein Faß zu, wofür er gewöhnlich 1 £ zahlte, was zur Zeit
Eduards I. etwa der Hälfte des wahren Wertes entsprach. In ■
der carta mercatoria setzte der König für die Weinprise einen
Einfuhrzoll in Geld fest, für jedes Faß 2 s-, die sogenannte
Butlerage. Ferner hatte er 1275 mit Zustimmung des Parlaments
für die Ausfuhrwaren einen bestimmten Zollarif aufgestellL In
älterer Zeit war woh! auch bei der Ausfuhr eine Abgabe io
natura zu leisten; sie war abgelöst worden durch eine schwankende
Abgabe in Geld, gewöhnlich 6^/1 bis 10 Prozent des Wertes.
Eduard I. fixierte den Ausgangszoll; er betrug für die wichtigsten
Exportartikel: V, Mark für jeden Sack Wolle oder 300 Wollfelle
und 1 Mark fQr die Last Häute.
Eine noch bedeutsamere Reform Eduards I. indes ist die
Regelung des Schuldwesens; ') diese besonders ist ein Beweis da-
fijr, daß nunmehr ein regerer Geldbetrieb eingesetzt hatte. Das
häufigere Eingehen von Obligationen sowohl seitens der Krone
als auch seitens der englischen Bürger verlangte dringend einen
stärkeren rechtlichen Schutz des Gläubigers dem Schuldner gegen-
über, zumal die Gläubiger gewöhnlich Ausländer waren. Sollten
sie von den Geldgeschäften nicht für immer abgeschreckt werden,
dann mußte man dafür sorgen, daß der gesetzliche Schulz ihnen
ihre Dadehen genügend sicherte. Eduard I. führte dies durch in
dem ifStatutum de mercatoribus", das vereinbart wurde im Par-
lament von Acten -Bumell 128J und Ergänzungen erfuhr im
Parlament von Westininster 1285. Nach diesem Statut wurde
die Obligation durch öffentliche Eintragung entweder beim
Mayorsgerichl oder bei den königlichen Gerichten, dem Kingsbench-
gerichlshof und der königlichen Schatzkammer, rechtlich gesichert
Ebenso wurde die gerichtliche Geltendmachung der Forderung
und der etwa daraus entstehende Schuldprozeß zum Vorteil der
Fremden wesentlich erleictitert und beschleunigt.
Den Übergang von der Natural- zur Qeldwirtschaft könnte
man, wenn man das Ergebnis der letzten Darlegungen zusammen-
faßt, für England in die Regiemngszeit Eduards I. verlegen,
■) Knnn, Kantcalitcn. S. XXVUltl.
Geldgeschäfte hansischer Kauncul« mit engÜscticn Königtn. i59
ohne daß man natürlich für eine solche Eittwicklung ein be-
stimmies Jalir oder Jahrzehnt festsetzL') Etwa um die Wende
\oni 13. zum 14. Jahrhunderl hatte sich der Übergang vollzogen;
schon Eängsl vorbereitet beherrschte von da ab die geldwirt-
schaflliche Tendenz die Ökonomie des englischen Volkes, und
wem auch im 14. Jahrhundert noch einmal eine Reakiior ein-
setzte,-) wahrscheinlich eine Folge der durch die Pest hervor-
gerufenen Entvölkerung, so bezog sich diese doch nur aufs platte
Land und mißglückte auch da.
In den Städten behauptete sich seit Eduard I., dessen Re-
gierungszdf ein englischer Darsteller als nzenith of mediaeval
prospcrily" bezeichnet.^ siegreich die Qeidwirtschalt; hier zeigt
sich von da ab ein gewaltiger Aufschwung auf allen Gebieten.
■The end of Ihe thirleenth and beginning of the fourteenth
Century may by taken as the cultninating point of a long period
of steady and solid progress.*) The towns which were the centres
of commercial life were prospering greatly, and niany of Ihcm
had sccured füll powers of self-government. So much attention
had been given to the good govemment of the country generally
thal intercommiinication was more easy and commerce more
secure. Muntcipal regulations were nol sensibly weakened, because
thcy were reinforced and their scope extended by parliamentary
authority. So far both these powers were working harmoniously
>| Der Obcrmnt von der Nituril- lur OcldvirUchafl in EnEland Ist vcin mir hier
lehr frilh angocUI Toiden. Die Begründung, die ich ittii gebe. mflDlc viel mclir tot
rirxMJnr grhrn. um meine B-rhaiiptung vollitindLg zu beveifon, iloch dis vürdr über den
Rahmrn der vorUtjendcn Arbeit »dl hinauseehwt. Allgemrin machte ich hetneTlicn, d*S
Run IBr lolrhe Tiluchtn der EnlTicklung Ittl iW\ einen viel zu späten Zeltraum fd-
■dili man i;< nänilirh nur zu xhr genrlict. doi tIMiepunkl einer EntrlcklunK ili denn
E)iirclibrudi ancijichcn. So a^ beUpicIiiFci» Ocheitkonki (a. a. O. S. 11): lEi cntei-
Utgt kdncBi Zvcitd. dali im 14. Jahrhundert («ird verschicJcno jtngeführt) ....
nf einoi ForlschrJH und tut einen dnrdiEChlagenden EinduB da geldvirtithillliclini
Spttm deulel. Sa tmmktnnbir und enUckietten «Ich die Züge der erräbnlen Tenden;
•Or MlUcin AuEeti di[><clleii, tu iil üict dennoch eine Tcndtnz, ein erst tidi ciilsillirintler
Pnnd und keinei^egv eint volUndeit T«isJiclic* Vgl. luclt W. Slolfc, Zur Vorgochichle
dH Buenikii«gc4 (Sehinollers Fonchungtn Band XVIII, Hefl t). der die Epoeht der
•mn«)!* OrldvfrHchiiFI - vms er darnit meint, itl ilwi xilil selbet nicht sum \\.u. vle J*
tdne gante Arbeli ahnf hnondem Ergehnit itl, Studien loltlc inui nirhi «en^llenl liehen —
fii Dnflichland crsi mil dem 1» Jahrhundert ticelnncn läül (S, I) und daiu kunoicr Vciie
beoKtta: .Die Avfhcbuni; der Pjitnmoni4l£ehchttbari>ei1 cifuli^c betuintlich ertl tBtd in
Prtn&n.' lEbendi Ancn. 1 ) Siehe lu dleier Ftttge meine AusfQhrungm in Abtctin 11 u. IM.
»I Ochenlio«sld S. tJH,
'l Cunninsham ». ». O. chap. 94.
t Dieacr rurtsdirill tsl eben dtr CbcrEUiE nt CcMiirBclulL
on the whole, and there werc admirable social fadlities for
commercial and industrial progress." ']
An dieser Entwicklung hatten die Fremdkau fleiite großen
Anteil; ihnen wiederum kamen die Reformen und Neuordnungen,
die in dieser Zeil vorgenommen wurden, zugute- So hatten
von der Regelung des Finanzwesens und der Sicheretellung der
Gläubiger in erster Linie die Italiener Nutzen; ihre Interessen
hatten vielleicht das Agens in dieser ganzen Bewegung gebildet
Aber mit der Zeit fangen, wie schon erwähnt, auch die Hansen
an, sich mehr und mehr an den Geldgeschäften zu beteiligen.
Aus kleinen Anfängen, aus unbedeutenden Wechslergeschäften mit
dem einheimischen Bügerstand wachsen die Darlehen der Hansen
sich allmählich zu großer Bedeutung aus. Die Italiener hatten
ihnen vorgearbeitet. Von ihnen, die ja überhaupt im Ocddent ■
zunächst neben den Juden, dann allein das Verständnis für das
Geldwesen und eine bessere Finanzkunde verbreiteten - denn
den Arabern war das Abendland verschlossen - haben die
hansischen Kaufleute hier auf englischem Boden gelernt, derartige
OeschÄfte in Angriff zu nehmen und durchzuführen.') Daraus
ist es zu erklären, daß sie unter Eduard 111. eine Zeillang das
ganze englische Kreditwesen beeinflussen, daß sie, wenn auch
nicht vollständig und mühelos, die Italiener nach dem großen
Finanzkrach 13.J9 zu ersetzen vermögen, weil sie sich mit dem
Finanzwesen genau vertraut gemacht hatten.
Eduard III. selbst knüpfte nach seiner Thronbesteigung an
die Fremdenpolitilc Eduards 1. an. Der Enkel ist dem Qroß-
vatcr ja in vieler Hinsicht ähnlich, nur daß er seinen Ehrgeiz
nicht durch Regelung der internen Verhältnisse betätigte. Er i
b^ann vielmehr Eroberungspläne gegen Frankreich zu schmieden;
er erhob Ansprüdie auf den fran!:ösi3chcn Thron, weil er als
Sohn einer Tochter Philipps IV. mehr Anrecht darauf habe als
I
I) CuTinlnjihini i. >. 0. 5. nt I-
■) Auch ä\r F In;»» kund irlll firlmit trln, und dat Krtdllmni iU tnl iu Prodokt
einer tirmlidi liuhcn Kuliuntufc. hin Vnlk, tUu »di dimil IirfAÜIc, h>ttc 3Üian cinr Ulli«
CnlvtckluoK hinter ikh; a rnuAlc du ZcItiJlcr der Naluntvirudiafl dptcliU'Ulcn habcfl,
ehe s in die Pertode dei OEldvlrlidmf I elnlrdm kuiinle. Diu «ar tovohl der Fall bti dem
Jltcn Kullurvntk« d« Judm (vgl Nfliminn i. «. O. S 7M> alt «itch bei den lahmern, dif
dem NoTdrn t^iiropati in der Kiilliii voraui vticii. .Sic lehren den Norden die nocli
uobckuinte Technik dei KcedlM und der riiunikuntl, der Lotlctie unü drr Tonlineti.*
Sirfie O. Cohn, Bd. li. S. «<-
Geldgeschäfte hansischer Kauflcute mit englischen König«n. \4t
das Haus Valois, denn, das satische Erbfolgegeselz erkannte man
in England nicht an. Daraus entspann sich dann der mehr aJs
hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich.
Zu seinem Vorhaben jedoch bedurfte Eduard III. vor allem
Qeld. Deshalb begünstigte er offen den Handel der F-"remden,
die Ein- und Ausfuhrzölle bildeten ja die Hauptquelle der eng-
lischen Kroneinnahmen. Außerdem aber waren nur die Fremden
imstande, ihm die für den Krieg nötigen Oeidmittet im voraus
zu gewähren, da seine Untertanen sich erst unter seiner Regierung
den Geldgeschäften zuzuwenden begannen.
Bereits 1 328 bestätigte er den Kaufleuten von Aragon,
Katalonien und Majorka die Fremdencharte:') 1329 erhielt Dinanl,
eine Stadt, die man allgemein zur deutschen Hansa zählte, einen
Freibrief, der mit dem den Spaniern verliehenen Obereinstimmte,')
und 1331 wird die carla mercatoria den Spaniern abermals be-
satigl.") Immer größere Begtinstigungei erfuhren die Fremden
in ihrem Handel. Als bei einer Preissteigerung der Waren, die
man auf den Zwischenhandel des Bürgertums zurückführte, die
nichlstädtische Bevölkerung darauf drang, daß alle Bestimmungen,
velche einen direkten Verkehr der fremden Kaufleute mit der
ländlicher Be\'ölkerung entgegenständen, aufgehoben vürden,
entsprach man 1334 auch dem,') Im folgenden Jahre wurde
der obligatorische Zwischenhandel der Städter vom Parlamente
aufgehoben. Es geschah dies, um der ausgebrochenen Teuerung
zu begegnen. Nunmehr durften alle ohne Ausnahme, Fremd-
kaufleutc und Inländer, ihre Waren ohne Einschränkung auf allen
Markten und in den StAdIcn an beliebige Personen, sei es im
Großen oder im Kleinen, verkaufen. Damit war für die fremden
Kaufleute die völlige Handelsfreiheit durchgeführt.
Zwei Jahre danach, im Jahre 1337, gehen endlich die
Hansen daran, sich die carta mercatoria zu sichern; sie lassen
sich dieselbe zunächst für ein Jahr bestätigen.') In den folgenden
Jahren geschieht dasselbe, und 1354 wird die Fremdencharte
4 Hantischcs ürkundrnbuch [[, 4SI. Ann. i. Knnic. Hanioklcii. S. XIV.
*> HsDilKhn Urkunilcnbuch II, 4M,
fj HanilKha Ürkundrnbuch II, *K. Kam. 1.
1 Kiin». K«RtEiktcn. S. XV. Oclienknvthl, S. 9».
^ Hantiithn Uikuiidenbudi U. Bd. No. M3.
i
1
t] HunrKhn Urlnindnbu^h III »d. Nr. ;as
*i ebenda II. Bd. Anh. I. Nr 3! und Anm. 3
') VeI. die ScIiuldptainiE gcKBi 'tiilcmui von l.lmberK b«l Kunir, Hinxaicten
16), IM und itJ, die all noch nihct kmnrn Irrncn vrcdci), Kcmci HaniJKtin Urkiudm-
buch 11. Bd. Anh. I. 103.
•) KuntF. Huiwiklai IBl iit wohl w iv vtniebtfu
4 V£l. R. Pauli. Onchichu- von England. 111. i. J»IT. $ M»lr.
(
f 42 Georg Orosdi.
und der Freibrief Eduards II. vom Jahre 1317 als einheitliches
Privilegium den Hansen zugesichert')
So hat diese Bewegung zunächst ihren Abschluß gefunden;
auf Grund ihres Privilegiums konnten die Hansen in Ruhe Handel
treiben , und für die Folgezeit hallen sie nur dafür zu sorgen,
daß ihre Rechte und Freiheiten respelcliert wurden, daß man
ihren ..Staat im Staate" in Frieden ließ.
Unter Eduard III. hatten sie einen Angriff kaum zu fürchten.
Wie die meisten der groß angelegten Naturen hatte Eduard IM.
die eine Eigenschaft, daß er sich dankbar erwies gegen die,
welche sich um ihn verdient gemacht hatten. Geht er darin
doch sogar so wdt, daß er am 20. Januar 1340 den Esteriing
Hildebrand von Dortmund {Sudermann) für die Ermordung des _
Estertings Johann Rustekyn straflos ausgehen läßt, weil er ihm, f
wie aus einem Erlaß vom 23. Januar desselben Jahres hervor-
geht, pekuniär verpflichtet ist.'J In den fünfziger Jahren erläßt
er dem Tideniann von Limberg mehrmals Summen bis zum
Betrage von 5000 £, ") die die Barone des Schatzamtes noch
nachlräglich von ihm forderten, und nimmt ihn auch sonst
gegen Schädigungen in Schutz,') weil er ihm in den vierziger
jähren so gule Dienste geleistet hat
Doch wenden wir uns jetzt, nachdem wir den historischen
Hintcrgnmd des näheren geschildert haben, der speziellen Be-
trachtung der OeJdgeschäfte zu.
I. Die Geschichte der Geldgeschäfte.
Die Veranlassung zu den Geldgeschäften Johanns mit han-
sischen Kaufleulcn war die Unterstützung, die er seinem Neffen
Otto IV. bei dessen Kampfe mit Philipp von Schwaben um die
Kaiserkrone zuteil werden , und dann die Übersendung von
Sub&idicngeldern, die er an Otto gelangen Heß, weil er von
diesem bei seinem Kampfe mit Frankreich unterstützt wurde.')
Ofldgeschäfte hansischo' Kautleule inil englischen KOnigen.
I Der König Johann, kleinlich, wie er nun einmal war, und
W gerade das Gegenteil von seinem hochsinnigen Bruder Richard
I Löwenherz, hatte anfänglich von einer tätigen Anteilnahme an
I dem Geschick seines Neffen nichts wissen wollen; er hatte ihm
■ zwar eine Summe von 2 t 25 Mark auf Kaufleulc in Piacenza an-
' »■eisen lassen, damit Otto seine Ausgaben in der päpstlichen
Kanzlei beslreilen könnte, doch dabei ließ er es anfänglich be-
■ wenden. Erst als er in den Krieg mit Frankreich verwickelt
wurde und dabei die Hilfe seines Neffen recht notwendig brauchen
konnte, trat er zu ihm in ein engeres Bündnis. Noch im Frflh-
ling des Jahres 1202 ließ er sich daher von seiner Schatzkammer
zu Westminster 1000 Mark auszahlen 2ur schleunigen Über-
sendung an Otto IV.; ferner begünstigte er gerade in dieser Zeit
die Kölner Kaufleule in ihrem englischen Handel in jeder Weise
und vrerpflichtete die Stadt Köln durch mehrere Briefe für seinen
I Neffen, um dessen Stellung in Deutschland zu stärken, i)
Aber für Otto folgte Mißerfolg auf Mißerfolg; auch der
Umstand, daß der Papst Innoccnz III. mit seinem ganzen Ein-
fluß für ihn eintrat, vermochte seine Sache nicht zu bessern.
Als schließlich im Jahre 1206 die Stadt Köln, die am längsten
(auf seiner Seite ausgeharrt hatte, doch dem Hohenstauten Philipp
ihre Tore öffnen mußte, da schien für ihn alles verloren. Er
hoffte einzig und allein noch Hilfe von England, und deshalb
begab er sich 1207 unter dänischem Schutze persönlich nach
London. König Johann hatte ihm durch seinen deutschen Kämmer-
ling Dietrich lOO Mark, die dieser bei dem flandrischen Kauf-
mann Waller Sprok*) zu diesem Zwecke aufgenommen hatte, über-
geben lassen zur Beslreilung der Reisekosten; in London selbst
stellte er ihm eine Anweisung von 6000 Mark an seine Schatz-
I
*) HaaiiKbei Urkandcnbuch 1. Nr. 59; Bricl vom }. Juni I30t; cbcnii Kr. 41:
Brief MMB II. A^l 120«; cbend* Nr. 60: von 15. Dnonber UO*.
■) Haatixhet L'iluindenbiich 1, 73. Ihn und Simon Stphir, bddc von Oent, hAl
« idwn Ml 39. Juli >10t von ihrer Scliuld gtgta dk Ifinf Hiltn im Kctrigc von 100 Mark
h<t|)Hllinliiii . .um K6nig Otloi v111«i* |Hani. Urliiindcnbuch i. M>; fbtnM dm Simon
StfUt Iftr U Mllfc. rPhnidi Ko. U.) ninr tirldFn Kiuflrtilc vfrdm von Ihm lutlridi^ni
Ancb Fnibrirtc ichr bcganiligl <Vgl. Mint. Ilrkundoibuch t. r,t. too und loe), und am
M. Hin ttn *itd Sinion SiphJr lum .kSnlglithtn Kaufminn' «minnt, •und Ihm ici gc-
rtttHri, biB M Sack WnlEr in HngTand anrukaufrn und nich F1u>cT«m ju führm,* (FbmdA
Mb tl.) Obeldeh dlsc bddei niclil ipcilell hitisiidi«. stmdmi liindriKhe Kaufleule ilnd,
Milai 9ire OddstKliifS mit Jotunn etvluemißcn ili EInfdIinins d«ieesldll «crdm.
karnmer aus, denn der König hatte durch den auf einer Reichs-
vcrsammliing zu Oxford am 2. Februar 1207 ihm gewähnen
Dreizehnten eine Summe von etwa 30000 Mark aufgebracht;')
femer lieferte er ihm noch seine Reichskleinodien aus, damit er
sie in der äußersten Not verpfänden könnte. So weit scheint es
aber nicht gekommen zu sein, denn schon am 9. Dezember 1207
erhielt sie der König unangetastet zurück.
Aber weder diese englischen Hilfsgelder noch die Begön-
sligung voit seilen des Papstes vermochten der Sache Ottos IV.
zum Siege zu verhelfen; erat die Mordtat Ottos von Witteisbach
hatte mit der Tötung des Königs Philipp auch die vorläufige
Vernichtung der staufischen Sache zur Folge. Freilich Geld
brauchte Otto trotzdem noch; darum begab sich gegen Ende des
Jahres 120S sein Bruder, der Pfalzgraf Heinrich, nach England
und kehrte mit einer Summe von lOOO Mark zurück; auch in
den folgenden Jahren gingen ständig Boten hin und her, die ge-
wöhnlich in finanziellen Angelegenheiten geschickt sein mochten.
Der englische König durfte seinem Neffen gegenüber nicht karg
sein, denn er war es jetzt, der der IJnterstüzung im Kriege mit
Frankreich dringend bedurfte. Der Ausgang dieses Krieges ist
bekannt; durch die Schlacht von Bouvines am 27. Juli 1214, in
der Philipp August von Frankreich so glänzend aber die Ver-
bündeten siegte, war deren Sache fCir immer verloren. Infolge
dieses Schlages vennochtc Otto IV. auch in Deutschland seine
Stellung nicht mehr zu behaupten, der junge Friedrich erringt
Erfolg auf Erfolg, und der schwache Widerstand der Weifen ver-
mag ihn nicht mehr aufzuhalten.
Die Gelder, die nun noch Otto IV. von seinem Oheim
empfängt, dienen mehr dazu, seine Lebenshaltung zu verbessern;
sie sind weniger bestimmt, die Fortführung des Krieges gegen
den staufischen Nebenbuhler zu ermöglichen. So läßt unmittel-
bar nach der Schladtt Johann seinem Neffen 1000 Mark an-
weisen, wahrscheinlich um ihn vor der ersten Not zu schützen;
am 24. November I214 gebietet er dem Bischof von Winion,
seinem Kanzler Richard von Mariso und Wilhelm Brewer - es
waren wohl die Vorsteher der königlichen Schatzkammer - dem
"i Pudl a. ■■ O. S. au.
rih
Octdgesdiäfle hati&isch« Kaufleute mit englischen Königen. t4S
Oberbringcr Boidin Lcne 200 Mark auszuliefern für Walter Sprok
und Simon Saphir, die jene Sunime dem Kaiser Ollo hatten zu-
gelien lassen,') und am 23. Januar des folgenden Jahres beauf-
tragt er Qerhard de Rodes, Simon Saphir und Walter Sprok
das königliche Geschenk von 700 Mark der Gemahlin Kaiser
Ottos auszuhändigen. Er verspricht es demjenigen wieder-
zuerstalien, welcher zuerst mit einer Empfangsbescheinigung der
Kaiserin nach England kommt.*)
Heinrich IIL, der auf Johann folgte, hat während seiner so
langen Rcgicrungszeit mit Hansen wohl nur wenige, vielleicht
nur einmal Geldgeschäfte abgeschlossen. Als er sich nämlich
darum bemühte, mit Friedrich dem Slaufer in engere freund-
scliaftliche Beziehungen zu treten, da nach dem Tode Ottos (1218)
das Verhältnis zu den Hohenstaufen allmählich ein anderes wurde,
schickte er mehrere Male in den zwanziger Jahren des 13. Jahr-
hunderts Gesandte nach Deutschland. Diese hatten fCir ihren
persönlichen Bedarf Anleihen aufnehmen müssen, und deshalb
befiehll Heinrich III. am 'j.4. Juni 1225 seinem Schatzmeister
und Kämmerer, dem Heinrich Lupus, Kaufmann aus Groningen
aus dem Lande des Kaisers,') 40 £ auszuzahlen, welche er tOr
die in königlichen Angelegenheiten in Deutschland weilenden
Abgesandten, den Bischof von Cirlisle und Colin de Molis ver-
wendet hatte, ferner 20 Mark als Ersatz für die um den Lon-
doner Kanzler Heinrich, der in derselben Sache tätig war, ge-
habten Auslagen.*)
Ob hansische Kaufleule irgendwie als Vermittler oder Über-
bringer der iOOOO Mark in Silber,*) die nach dem beschworenen
Ehekontrakt Friedrich der Slaufer infolge seiner Vermählung mit
Isabclla von Heinrich IIL in bestimmten, zu London fälligen
Raten erhallen sollte, sich beteiligten, ist nicht bekannt; vermut-
lich hatten nur die Juden dabei zu tun, die ja während seiner
Regierung fast ausschließlich die Geldgeschäfte der Krone besorgten.
^
^
■> HmsiKlits Urinindtntnidi I, tir. Boidin Leite »t du Ktnlmann >di Cent.
{Ebtnib MV)
)) KÜ»tuh«t Urkunden buch I. 1II.
^ Oddtbdtfe für llin: Huuiwhet Urlrnndenlxieh. I, itS; 101.
4 H«Ml*ch«* Urlnintlmbuch. 1, N«. tS9.
■) PmiU «. *. O. III. S. «1B, s. ma.
r
145 Georg Qrosch.
Denn Geld brauchle Heinrich 111.') ebensogut wie seine
Vorfahren. Angesichts der immer wiederkehrenden Auflagen ist
es eine unzutreffende Behauptung, daß er von allen Königen seit
der Eroberung von seinen Untertanen die wenigsten Steuern ge-
fordert habe. Auch die Outhaben, die ihm noch von seinem
Vater her zustanden, trieb er darum recht sorgfältig ein. So
befiehlt er am I. April 1227 den Sherifs von London, alle in
London befindlichen Güter der Kautleute von Vpern sofort zu
arrestieren, bis diese dem Bischof Paul von Wintoa die 740 £
und 500 Mark entrichtet hätten, die sie bereits dem König Jo-
hann schuldeten,») und am 18. Juni 1237 bescheinigt er Gent
den Empfang von 500 Mark Silber durch Robert, Vogt von
Bethune, eine Summe, die Gent dem König aus der Zeit seines
Vaters noch schuldig war,*)
Unter Eduard I. führen, wie schon in der Einleitung er-
wähnt worden ist, die Italiener fast ausschließlich die Geldgeschäfte
des Königs. Nur einmal erfahren wir, daß Eduard 1. eine An-
leihe bei hansischen Kaufleuten macht;*) er bekennt sich nämlich
am 21. November 1299 zu einer Schuld von 500 Mark Sierlingen
gegen Tyecard Fleischer, Hildebrand Sconeweder, Arnold Wasscmod,
Ekbert von Werle, Richard Swerre und die fibrigen Kaufleufe
von der deutschen Hansa.
Im Vergleich zu den großen Summen, die Eduard l. den
Italienern schutdele, ist dieses Geldgeschäft recht unbedeutend,
und CS ist nur insofern bemerkenswert, als nich^ nur eine Gruppe
von fünf Kaufleutcn dabei beteiJigt ist, sondern daß auch die
übrigen deutschen Kaufleule von der Hansa als Darleiher genannt
werden. Bei einem Rückschluß auf die Kapitalkraft der Hansen
stellt sich diese als recht mäßig dar.
Werfen wir einen Blick auf den Ausfuhrhandel in dieser
i> O Cobn. Synm\ der NitionilAkonanile ttd. H. S. 681 Hhdnt docb zu Qbo-
trdticn, »cnn er uj-l: .Der tnte Köiiiic, von driwti Sctiuldm dk Qiirlim Ix-nrliini, ist
Heinrich III.: ci hatte «llei vcncUli die Kronjuvclcn, die SluUtewlndTi, iclbit den
Rcliquioischieln da hHllgcn Ediuxl ; rr hati« «o vitlr Sctinlden. dp^ rr lanm ätfrntlgch
mrhflnoi konnlr, ohne du S«hmcn irlncr C1Utibl|;Tr zu hCVrrti; |a rr sotl Allrtiilich
nkUit haben, er sei In to crnitrr NoI. daß ci li*tintierzl|jer «el. Ihm Odd tu sehen, ili
einmi Iklikr an üci Hauaiurc* Poiili atflll ei «noiliich andFis du.
*t Ituuitchrt Uikunddibucl:. I. No. 11t.
't Mtnilidi« Urlaiibd*nbiKh. I. Na. ZS4.
<) HtiufKhn Urkund«nbuch. 1. No. i)ls.
QeldgeschSfte hansdsdier Kaufleute mit englischen Königen. |4T
I
Zeil, und zwar an der Hand einer Übersicht über die Ausfuhr-
lizenzen für Wolle von 1277 bis Januar 1278,*) so finden wir,
daß hier die Verhältnisse ganz ähnlich hegen, daß an der Spitze
der fremden Nationen Italien steht. Seine 26 Kaufleiite haben
eine Ausfuhr von 42iS Sack Wolle oder etwa SQ "/o des ge-
samten WoUe:iportes, und zwar in Lizenzen bis 300 Sack, im
Durchschnitt 16J Sack; an zweiter Stelle folgt Frankreich mit
21,8 "/o, die Ausfuhrlizenzen enthalten im Durchschnitt 46 Sack;
dann Holland mit 20,8 "/n- Erst an vierter Stelle steht Deutsch-
land; mit 37 KauHeulen hat es nur 11,6 "/o der gesamten Aus-
fuhr, nicht viel mehr als das Herzogtum BrabanI, dessen 20 Kauf-
Icutc tO,3 "/o der Gesamtausfuhr haben.
Doch die Verhältnisse verbesserten sich zusehends für die
hansischen Kaufleute. Bereits 1303 entrichten sie ungefähr den
dritten Teil der Nova cusfuma, und 1310 war ihr Anteil daran
schon auf mehr als die Hälfte, auf 54 */„ gestiegen.*)
Die Unsicherheit, die die ersten Regierungsjahre Eduards II.
für die fremden Kaufleute im Gefolge hatten, wurde bekanntlich
für die Hansen recht bald behoben. 1318, also ein Jahr nach
der Verleihung des Freibriefes, nimmt der König einige Anleihen
bei den Hansen auf; es sind dies mehrere Kaufleute, die Revele
heißen, und die walirscheinlich miteinander verwandt sind. Sic
gen'ähren dem König mehrere Darlehen, denn im Jahre 1337
bitten: Oodekin von Revele eine Summe von i 72 jC 1 1 s 4 d,")
Hermann von Revele 20 X Ss 9d,*) ebenso Ludebrecht von
Revele 14 £ i4 s 3 d, Alwin von Revele 12 £ 4 s 3 d, Oodekin
von Hewdt nochmals 123 £ 11 s 9 d, Qotfried von Revele 73 £
10 i^) -- die beiden ersten haben das Geld dem König zu
Boston, die anderen zu Kingston upon Hüll geliehen - auf die
Woll- u. a, Zölle zu verrechnen, im ganzen sind es also
416 £ 8 s 2 d.
Aber einen ganz anderen Umfang nehmen die Geldgeschäfte
an, welche die hansischen Kaufleute mit Eduard III. abschließen.
>) ZawRimcngCTltltt bd Kunic, tlanwaklen. No }M. S. m. Sldie Anlife 1.
Dmlidiluid li( hin gkkhbrdfrutcnd niil dem Gebiete der KuMi.
q Kuni«. mn^nkttn. Cinl S XLII
^ fcinif. Jlanspililrn fo*.
■) Huslichd ürkundcnbudi- U. Anh. I. N». «.
>) Haiuiifbis Urkunden buch. U. Anh. t, 1,
1
Ocorg Orosciu
Dieser Zeitabschnilt, in dem deutscht Kaufleute sich nicht nur
her^'orragend im Großhandel betätigen, sondern sich auch als
gewiegle Finanzleuie mit bedeutender Kapitalkraft und großem
Unternehmungsgeist erweisen, so daß sie zeitweilig die ganzen
Finanzen Englands in der Hand haben, gehört dadurch zu den
glänzendsten der deutschen Hansa überhaupt Solche Errungen-
schaften auf geschäftlichem Qebiete sind jedenfalls höher zu ver-
anschlagen als irgendwolche kriegerischen Großtaten gegen Räuber
gewöhnlichen oder fürstlichen Standes, wie sie der Verlauf der
hansischen OeschicMe ja auch aufzuweisen hat
Zwar im Eingang der Regierungszeit Eduards III., im ersten
Jahrzehnt etwa, sind die Geldgeschäfte der Hansen noch recht
bescheiden. Es sind nach genau so geringe Summen, die die
Hansen dem König leihen wie frQher, und wenn etwas daiaa
aufföllig ist, so ist es die Saumseligkeit, mit der die Rückzahlungen
geleistet werden oder die Anrechnung der Debita auf die Wolt-
zölle geschieht So verlangt Johann von Attendorn Ende Ja-
nuar 1331 die Summe von 108 Mark 3 s 'i d, welche der
König von ihm zu Boston entliehen hat und für die I330 das
Parlament Zahlung versprochen, aber nicht geleistet hat; ^) ebenso
bitten Godekin von Rcvelc und Konrad von Afflen 1328 den
König, eine Summe von 211 £ 3 s 8 d, welche er von ihnen
entliehen hat und schon vergangene Ostern halte zurückzahlen
mflssen. auf die Woll- und anderen Zölle bei ihrer nächsten
Ausfuhr in Boston verrechnen zu lassen.*)
Noch kleinere Summen finden sich in der Aufzählung der
Kaufleute aus Boston, die dem König bei seiner Landung Geld
geliehen haben, worunter die deutschen Kaufleute Johannes de
Raceburgh mit 14 Mark 2 s, Heinrich Hellewaen mit 19 Mark
9 s 3 d, Herbert Shepniarket mit 15 Mark 10 s 4 d und Hein-
rich de Souch mit 19 Mark 3 s 1 d erwähnt sind.') Diese
werden einfach das dargeliehen haben, was sie ohne besondere
Mühe entbehren konnten; es galt für sie, nicht etwa ein Geld-
geschäft zu inachen, sondern den König mit Oeldmilteln zu
>) lUralscliti Urknnümbuch, it. Bd. Nr. «9».
*Ö KmUT, lUntnklcir. 9>.
^ HuttilchM UrkundenbiLch. [I, Bd. Aoli. I. Ko. I.
Oeldgeschifte hansischer Kaufleufe mit englischen Königen. 149
unterstützen, um sich dessen Dankbarkeit zu sichern. Auch die
Befehl« zur Abtragung königlicher Schulden vom 16, Oktober
und 1J. November 1J31') an zwei Konsortien deutscher Kauf-
leute — die Hauptbeteütgten bei dem einen sind die Revele und
Johann von Attendorn, bei dem andern die Ktipping und Johann
alte Wolde - beweisen, daß die Deutschen noch keine größeren
Geldgeschäfte machteUj denn bei deip einen beteiligen sich acht
Kaulleule, und sie geben im ganzen ein Darlehn von 255 Mark
4 s I Heiler. »)
In den nächsten sieben Jahren hören wir von Geld-
geschäften zwischen Hansen und dem englischen Könige gar
nichts. Eduard 111., mit den Vorbereitungen für den Krieg mit
Frankreich beschäftigt, die ganz beträchtliche Summen verschlangen,
hatte sich zunächst mit den Florentinern eingelassen, die fa seit
Eduard 1. die Bankiers der Krone, die «mercatanti dcl Rc" waren.
Es waren hauptsächlich die Bankfinnen der Bardi und Peruzzi,
die dem König in ausgiebigster Weise Darlehen gewährten.')
Die bedeutendere der beiden Banksozietiten ist die Compagnie
der Bardi, die schon vor 1305 in päpstliche Dienste getreten war.
Dieses Jahr wurde dann für sie von größter Bedeuhmg
denn mit der Verlegung ihrer Residenz nach Avignon hörten die
Päpste auf, nach der Herrschaft Über Toskana zu streben; es
war nun für sie gJeichgflltig, welche Bankfirma den meisten Ein-
fluß ir Florenz hatte.*) Nicht politische Rücksichten waren mehr
maßgebend in der Wahl der Bank, die die Geldgeschäfte und
die Kollekteni der Kurie besorgen sollte, sondern es entschied
nur noch die Finanzmacht der betreffenden Sozietät. Es gelang
darum den Bardi, vi qualc crano slati i maggiori Mercatanti
>| HanliK})«* Urlmnilenbiidi. 11. Bd. Anh. I. No. 1 und «benda No. HM.
*] K*. 506.
•1 Vßl, oboi die EioIcituiiE S. täS— 137, Fcroir Ocotg Schneidet, Die fininiWlai
Baithaagtn ätt florcnlbg (chrn Baniiitfri lur Kircht 11SS hli 1304, Schimnllcn «luit- und
wd*l*;uflisclialllic:h<r roiM^huiiKni Dd. XVJI. Heft i. Lci|iiU ^»99. S. I.. Prnuii,
iBiDrtidcI cmiiDiCTcio < dd banchieri i!i Fircn« konnte nidii beigaogen irerdro. dt et
frcB mchiniilliicr Reklamation vum italioiiichen Vctkucr nichl lu bekommen wat; o
«dtdal Tcrgrilhn t-u idii,
*) tnA der hrlditum auch pclltlaclic Midii ichaft», datür iil dai bcate Beiapld
dk (plkre HemdiatI der Mtdlci lii Rorcni. Cbcr dai potilltclic Hcrvorlreten der BanU
«gl. Stip. XrnmlnM litoric florcntln; (Fimur MDCXXXXVK) Congiun de Bardi *
rnicdbaldl. L. IX. S. 4)6. Fem» 3. *Jt.1.. S. «ii ir.
d'ltalia",') bald über alle Nebenbuhler am Hofe zu Avignon
emporzusteigen, denn sie waren - von den Peruzzi zunächst
abgesehen - den andern Banken weil überlegen, besonders seit
sie die Spini aus dei Geschäften des Papstes und vom päpst-
lichen Hofe überhaupt verdrängt hatten. Andere Finnen, die
nicht mehr mil iJinen konkurrieren konnten, schlössen sich nun
einfach an sie an, so z. B. das bedeutende Haus Femicci, dessen
einer Sozietär, Niccolo Femicci, die Bardi später in Avignon
vertrat.')
Die Sozietät Bardi bestand — nach dem Geheimbuch dieser
Gesellschaft") _ - aus 15 Sozien, darunter 10 Mitglieder der
Familie Bardi und als ein weiterer Haupibeteiligter, nämlich mit
12717 libr. Einlage, Boninsegnia Angiolini Malchiavelli. Die
Gesamtsumme der Einlagen beliefen sich am 1. Juli 1310 auf
91307 libr. (d. h. auf etwa ebensoviel Florenen). Das varen
aber nur die Einlagen der Sozietäre, nicht etwa das üesamt-
kapital, mit dem die Gesellschaft arbeitete. Es kamen hinzu
umfangreiche Qeschäftseinlagen in Form von Depositen, die je
mit 6 oder 7 v. H. verzinst — die Verzinsung wurde natürlich
als donum bezeichnet - und außerdem mit einem Anteil am
Gewinn bedacht werden.*)
Diese Depositen in 19 Posten betrugen 257S1 libr., wozu
aber noch erhebliche Depositen bei den Filialen hinzugekommen
sein müssen; im Geheimbuch wird nur die Zentrale aufgeführt
Während, wie wir gleich sehen werden, das Siammkapilal der
Gesellschaft sich nicht viel über die oben erwähnte Höhe erhob,
scheinen die Depositen im Laufe der Zeit immer mehr zuge-
nommen zu haben, denn es bemerkt in bezug auf die Summen,
die sie dem König von England vorschössen, Villani: «E nota,
che i detti danari non erano La niaggior parte delle dette com-
t) Sa btHichnct lie Olavuinl Vlltonl (Hiitflr!« PieToilinr. Renim lltllcarum 5l S.
Tom. VIII, Meliolanj MDCCXXV111 S. t»<), ätt ttlbM «n dn So'lütM ürt Ptniü
beteniei lii.
t) O. SchRdder a ». O. S. 71. Anm. 2 Arrh. iter Kil. IV. p. 463, «60,
*) R. Oivtd.Dlin, ForKhunKcn lur Onchicklf von Klorm». Berlin ISflfi, III. M.
S. 301 ; Qchetnibuch der Soildil Hunll.
«) Für du OocUttitüir vum 1. Juli Uli t>l* iü. Juni IStS nnkn al* Supcr-
gwinn 6hrt die Veniniung an die Deponenten & v. H. aiUB^tthll, Hmll Insgetunt
II bli 11 V. II.
Geldgeschäfte hansischer Kaufleute mit englisciien Königen.
I
pagnie: An/i gli baveano in acccmanda e in diposito d! ptä
ciltadini e forestieri".'}
Am 27. August iit4 ernennen die Oesellschaften der
Sozietät Prokuraloren, sämtlich Florentiner Kau deute, und zwar
für England fünf, für Flandern sechs^ für Frankreich, Champagne,
Paris vier, unter diesen ein Mitglied der Familie Bardi;') als
die Gesellschaft am i. Juli 1320 erneuert wird, betragen die Ein-
lagen der sechzehn Sozien 149 796 libr.') Daß sie auch kleinere
Geldgeschäfte nicht verschmähten, gehl hervor aus einem Doku-
ment vom 9. Juni 1311, das besagt, daß sie an den Prokurator
zweier Studenten aus England, Robert de Halyton und Gualterius
de Hogheon, die in Bologna studierten, 97'/, Qoldgulden pro
cambio zahlten, wofür die in England residierenden Vertreter
der Gesellschaft den Gegenwert erhielten.*)
Gewissermaßen ihre SchwestergeseiUchaft ist die Sozietät
der Peruzzi, den Bardi in einer Weise innerlich verwandt, daß
ihr gemeinsames Operieren gar nicht zu verwundern ist. Frei-
lich geschah dies bei völliger Trennung und Selbständigkeil der
beiden Firmen, sie arbeiteten einander nur in die Hand und
gingen an manche Unternehmungen bloß gemeinsam heran.
Auch das Einlagekapital der Sozietät des Giotto d'Amoldo
Penizzi bewegte sich etwa auf derselben Höhe wie das der
Bardi, es betrug in den Jahren U03 - 1J08 124000 libr.*) Am
1. November 1308 begann die Geschäftsführung auf Grund eines
n«uen GeseMschaftsvertrages, wobei das Einlagekapital sich auf
130000 libr. belief. ■) Daneben bestand noch die Gesellschaft
des (Tomaso de' Peruzzi e compa.gni, cambiatori de la tavola",
die zwar mit der ersteren zusammenarbeitete, doch so, daß sie
das eigentliche Wcchslergeschäft besorgte.')
Erneuert wird die Sozietät des Giotto Peruzzi am 1. No-
vember 1^10, und zwar mit etwas erhöhtem Einlagekapital, nütn-
■J VitiMll a. 1. O. S. Sitl.
*) R. Dividsohn, Forsdiunsm. III. Bd. S. Mi, Ho. MS.
^ Ochninliuch der BanSi.
1) IHMldmhn, Fll. Bd. S. I19, No. «08.
«) Schntider i. i. O. S. «i. Anin. i.
1 tbtnda S. V>i : Du Ocliaiiiliu;;h drr Pertiiii.
1 Zu dincr. vemiutd Divldtohn, habt Vtllknl Jtehftil, ««II er unlti dtn Soiicn
dd andfrii nicht gcmnnt vird. Vielleichl hat «r bloB rin t)«po(ituin bei ihnen ingdtfl.
Georg Orosch.
lieh 147000 libr. Ferner werden, gelegentlich der Zinszahlung,
diejenigen encülint, die »(hanno) tenuti i danari fuori dal corpo
del la compagnia", also die mit Depositen Beteiligten; doch ist
die Qesamtsumine der Depositen nicht zu ermitteln.
Die beiden Gesellschaften machten in den ersten Jahrzehnten
des 14. Jahrhunderts glänzende Geschäfte, wie aus den Gewinn-
berechnungen hervorgeht, die sich in den Geheimbüchem finden.')
Es ergibt sich bei den Bardi für die Jahre 1310 — MiO, unter
Ausschaltung der Periode vom 1. Juli 1320 bis 30. Juni 1322,
für die die Resultate nicht ermittelt werden konnten, als Jahres-
gewinn nach Abzug des Verlustes während einer Zweijahrsperiode
(1313—1316 ein Verlust von 4,07 v. H,) etwas Ober 20 v. H. im
Durchschnitt. Bei den Peruzzi ergibt sich für die Zeit von
1308—1324 als durchschnittlicher Jahresgewinn 16 v. H.
Aber bereits in den 30 er Jahren macht die Coinpagnie der
Peruzzi recht schlechte Geschäfte; so hatte sie vom i. Juli t331
bis I. Juli 1335 5922S libr. 10 sol. a fior. mehr Verlust als
Gewinn. Den Grund hierfür haben wir im englischen Geschäft
zu suchen. Eduard III. nahm sie bald so in Anspruch, daß sie
außerstande waren, aus eignen Mitlein alle Anforderungen, die
der König an s.ie stellte, zu erfüllen.*) Sie halfen sich vorläufig
damit, daß sie sich für den König verbürgten, um Anleihen bei
anderen Kaufleuten zu ermöglichen, wie aus einem in Antwerpen
ausgefertigten königlichen Erlaß vom 11. August 1333 hervor-
geht.*) Eduard III. verspricht in demselben, vier italienische Kauf-
leute, und zwar Gcrard Bonenseigne und Dinus Forsctti, die
Agenten der Gesellschaft der Bardi, und Johannes Baroncd und
Thomas de Peniche von der Gesellschaft der Pcnizzi, welche
sich für ihn gegen vier seiner deutschen Gläubiger*) verbürgt
haben, bei etwaigen Verlusten zu entschädigen.
Dabei wurden die Rückzahlungen, die ihnen Eduard III.
leistete, immer seltener, da er alle Kroneinkünfte, wenn er es
') Diit nraiRnbctcchnung in dm Oflifimbüclicni iil rine *riit unitbn'.
q In dmrthrn Lage viren trbher auch. 6ie üplnl. wie der Pipct tn Ednvd I. von
Eetlcnd «chrcibl. Band «. b. O. S. IM.
^ Kunic, Kiniaklcn. 1D7.
*) \U lind dla Hild«t>r«n(I Sudttiiiiiin, Hclnricli von Br«kc1, lldnrich Sudcrninitn
und Qnvinui Smilhons. dcn«n er für Ihn grtditple i;ou £ (rdr Wolltuifuhr von
iviiichit 4i)i> Sadc vcnprocliM halte.
Oeldgschäfie hansischer Kauficule mil englischen Königen. \ 53
irgend machen konnte, an sich zog oder anderen verpfändete,
um von diesen Mittel für der nunmehr begonnenen Krieg zu
erhalten. Im Jahre 1339 stellte er die Zahlungen an sie ganz
ein. »This -slop of the Exchequer" must have aded almost as
effectually as a formal expulsion in rendering It^Iian bankers
unvilling to sojourn in England; in conjunction with one or two
other disasters this blow served to shake the prosperity- of
Florcnce to its very foundafons." ')
In der Tat war die Finanzkraft von Florenz, denn hinter
den beiden Banken stand fast ganz Florenz, in dieser Zeit nicht
schon derartig, daß der Schlag hätte übent'unden werden können.
Cekraclit hatte es daselbst schon lange:') dem anfänglichen
rapiden Aufschwung war eine schwere Krisis gefolgt. So waren
die Pulci gefallen, 1308 die Mozzi, um 1310 die Franzesi und
bei der Sozietät der Cerchi bianchi hatten sich Zahlungsschwierig-
keiten eingestellt') 1312 hatten die Frescohaldi Bankerott ge-
macht,') und zum 13. November t32t werden die Sindici des
Falliments der Sozietät Cerchi bianchi erwähnt, die die Commune
ernannt hatte.') 1326 fallierten auch die Scalt, nach 120 jährigem
Bestehen der Firma.
Am schwersten jedoch wurde Florenz getroffen durch das
Zusammenbrechen der beiden bedeutendsten Firmen, der Bardi
und Peru^zi, das im. Januar des Jahres 1345 erfolgte; also noch
5 Jahre hatten sie sich nach der Zahlungseinstellung Eduards 111.
gehalten. Giovanni Villani, der fCorentinische Geschichtschreiber,
der bei diesem Bankerott auch sein Geld verlor und ins Schuld-
gcfängnis kam, berichtet des näheren von diesem Vorgang:*)
■ I^ cagione fu, ch'ellino havieno messo^ come feciono t
Penizzi il loro, e I'altrui nel Re Adoardo d'lnghilterra, e in
quello di Cicilia. Che silrovarono aricevere dal Re lornato dalV
06le detta, tra di capitale, e provisioni, e riguardi fatti loro per lo
Re piü di cento otlanta migliaja di marchi di sterlini. E' Peruzzi
•) Cunnlnclum i. ■- O. S. in. Ridiaril Ehrrnbcig, Du Zdtiller ätt Függa.
t 8dc. jrM 11» t. S, 41.
*) 5<hrnder a. a. O S M,
>) B. Dividsehn. OehWmhiifh Act Prrazxi.
<) Woh]clIlc^~oteF<J(TMJllrrecl^llK.dlrllei^Eng1«K]n1tlh^«ll. SI(lHS.tM. Amn.l.
*) OctKiatbMüi der Pcriuii.
^ Oioiuini Vitltni. XII, )4: Del laMinwnlo dtllj srinde c poMcnlc Cixnptxnii
de-Bwdi. Duv vgl. XI, B7.
Arm* far Kultnrsnchichtc. 11. 1 1
1S4 Oeore Orosch.
ptü di 155 mJIa di marchi di slarlini, .... che montava piO
d'un miglione e 565 mila fiorini d'oro, che valeano un Reamc
Die Bardi hatten also im ganzen vom König von England für
ihr Kapital, ihren Aufwand und die ihnen versprochenen
Geschenke etwa 900000 Qoldflorenen, und vom König von
Sizilien lOOOOO Goldflorenen, die Penizzi von Eduard III. etwa
600000OoIdflorenenundvom KönigvOn Sizilien etwa 100000 Gold-
florenen zu beanspruchen. Sie waren dagegen den Bürgern und
Fremden, die bei ihnen Depositen gemaclil oder ihnen Darlehen
gewährt hatten, auch beträchtliche Summen schuldig, die Bardi
dwa SSOOOO Goldflorenen und die Penizzi etwa 350000; da-
ninler waren viele kleinere Compagnien und einzelne Personen,
die nun ihrerseits wieder fallierten, als die beiden Großfirmen
ihre Zahlungen einstellten.
Ein wirkliches Unglück brach deshalb über Florenz herein.
«Per lo quäle fallimento de' Bardi e Penizzi, e degli Acciajuoli,
e Bonaccorsi, Cocchi, Antellesi, Corsini, que' de Uzzano, PerondoH,
e ptü altre ptccole Compagnie, e singulari artefici, che fallirono
in questi tempi, e prima per gl' inearichi del Comune, e per le
disordinale prestanze fatte a'Signon, onde adietto^ fatta menztone,')
ma perö non di lutli, che troppo sono a contare, fu alla nosira
Citti di Firenze maggiore rovina e sconfitta, che nuUa che mai
havessc il nostro Comune.«') »E questo basti," schließt VUlani
seinen Bericht, »e forse che troppo havero detto sopra qucsta
vergnosa niateria, ma no si dee tacere il vero perchi a fare
memoria delle cose notabili, che occorono, per dare asemplo a
quelli, che sono s venire di migliore guardia. Con tutio noi
d scusiamo, che in parte per lo detto caso tocchi a noi Autorc,
onde ci grava e pesa, ma tutto aviene per la fallabile fortuna
delle cose tcmporali dl questo misero Mondo."
Eduard III. mußte das für die Kriegführung nötige Geld
nehmen, woher er es irgend bekommen konnte, nachdem die
beiden Florentiner Bankfirnien ihm keine neuen Darlehen mehr
I
<J Du «Un firl nitCirllch bei einer tviclicn Kiliis «cbvcr in» Qcvickil. wibrtni
\«rdan liU Z*«ngMnleibcn da SudbtuI« mll Idthtcr Mühe «ufetbnchl vmjcn koanlcn.
Übtt drn Kluihill Um Stadt Florcni vgl Oiovjjini Villani. XI, »1-93, XU, *I-
>( Amtnirato S. <»( luHnl ihnlich: linptriwitg «mza powr pmder tiato, öl tm
ncdaimu tcmpo %' iatoe l' ulttnto lalllmnita <g Bardi. che quui iMorbi OilU le Kdwue
de privib.
OcldgeschäHe hansischer Kaufleute mit englisch«» Königen. 155
gewahren konnten. Einen ßeisland für seine finanziellen Unter-
nehmangen hatte er schon längere Zeit an einein seiner Unter-
tanen, dem englischen Groß kauf mann William de la Pole ge-
funden,') und schon am to. Januar 1338 erhallen deutsche
Kaufleiite, unter ihnen Hildebrand Sudermann, Joh. Klipping und
Heinrich von Revele, Lizenzen zur zollfreien Ausfuhr von im
ganzen 600 Sack Wolle, weil sie schon ienseits des Meeres 40 s
für den Sack an William de la Pole gezahlt haben.*) Auch die
Weileren Darlehen desselben Jahres,*) am 12. Mürz 350 £, am'
1 1. August 1200 £, am 20. Okiober [900 £| und am 8. November
400 £, wofür die Kaufleute Lizenzen zur Ausfuhr von [18O] Sack,
400 Sack, 460 Sack und 200 Sack erhalten, sind wohl gleich-
falls an den nunmehrigen ..Kaufmann des Königs", an William
de la Pole geleistet worden, ebenso wie die Summen von 1000 £,
800 £ und 163 £ 6 s S d,') die der König im nächsten Jahre
von der Hansen zu Antwerpen aufnimml. Von den 1000 £,
die die deutschen Kauficute Godekin von Revele, Johann von
Klingenberg und Alwin von Revele auszahlen, wird es ausdrück-
lich erwähnt*) Ebenso erhalten am 10. August 1339 die
deutschen Kaiifleute Qodekin von Revele, Wynand von Revele,
Alwin von Revele und Konrad von Afflc die zollfreie Ausfuhr
von 600 Sack Wolle nach Antwerpen zugesichert, «weil sie die
custunia und das subsidiuni - d. h. den Zoll - unserm lieben
Kaufmann William de U Pole zu unserm Bedarf zur Erledigung
unserer Geschäfte, die wir jenseits des Meeres in unseni Ländern
führen, bezahlt haben".")
<l Er I1I ein f-nifiniSet »m Klngstan^upnn-Mutl. i]3iS gcwslirte er dtm KünlE
lln I>Mk(i«n von UM« £, Kun«. Huiwalitni 109. S. 74 \nin. 1.
t) Haniischn U rkundmbiich H Bdr Anh. I, Ni>, A.
)) )taniitchc3 UrkundaiLuch. II. Bd. No. MS. Kunw, Hwueakloi. 107 und lOB.
KuHiitho Urkundcnbuch. 11. Bd. Anh. 1, Nr iD.
*) Kunze. Hiniaktcn 10» Hinsiich« Urlninikntmch. It. Bd, Anh. I, No. i< a. S8.
*) Came noni (ornt mandti par nai lutm IcttKs t% «titlun df not mslumcs cn
fM de !■ une de Sciiil Bolulfr. glli luctrreiil nui bicn aiirn Oudfkyn ir licvlc. Johin
4r Orncniberch tl Alvyn de Kcvic oii Init aiomra ai cclt( p«rt)n, itulls puiKtiil aklpo-
Ol <Bl pott cynk <cnl uki de leine tl mclnia Ici Icincs tiUt uiier tmlque u poru de
d«c(a U mirr um cuilirmc oii lubiidr rut piirr »noas. par cause qUE la dilr maicheuib
SRI paln dcvinl 1> mein a nn^Irr ehlcr marehnnl Willlwn 6r li Hole rs parlin de (Ucm
1 nocm irpi nilllt li>Tn pavi \n ciiituin« dci dites trlnn, utid zvu «0 i lär den SmIi,
alM den den tnllndmi bc«illii;lni Vur'ujiaioll . Kuntc, tl.inKaklcn 109.
*t . . . pru ro tiucjil ipii adoii cuiiumim et lubiidlum dltccM noilto WlUielmo
dcb Polcad »pus nosUuin pro cxpcdidonc ciei^cloniiii rosiiuium In [WiliLnu InniouiInL
MhtnaL Kiuue, tljinie*kten KO.
ir
Georg Orosdi.
Das Jahr 1339 i&t schön für die hansischen Kaufleute ein
glänzendes, denn sie erhahen im ganzen Ausfuhrlizenzen \-on
5511 Sack/) daninter eine einzige von 1500 Sack, eine von 800^
mehrere von 500 und 300 Sack; eine volle Entfaltung der han-
sischen Ocldkraft bringt aber erat das Jahr 13+0.
Schon am 23. Januar dieses Jahres erfahren wir, daß der
König in seinen überseeischen Unternehmungen dem Hildebrand
Sudermann, Heinrich Wale und Heinrich von Rc\'ele 1894 jC
13 s S d schuldet, die er eigenUich schon im November 1339
hätte zurückzahlen müssen.") Am 14. März bekennt sich dann
der König als Schuldner von Johann, Sohn Simons von Gent,
und Tideman von Limbcrg. deutschen Kauflcutcn, für ein
Darlehen von 1000 £.»)
Hier erscheint zum ersten Male der Mann, der für das
nächste Jahrzehnt an fast allen bedeutenderen Geldgeschäften der
Deutschen mit Eduard III. beteiligt ist, der, wie wir noch sehen
werden, auch allein und selbst in Gemeinschaft mit Engländern
Geldgeschäfte mit dem König abschließt: Tideman von Limbcrg.
Er wird, nachdem er einmal in diese Bewegung eingetreten ist.
so recht der Träger dieser Geschäfte, er ist die Seele aller dieser
Unternehmungen, sein Beispiel reißt seine Genossen mit fort.
Man kann ihn darum nicht einmal mehr einen Kaufmann nennen,
ein Finanzgenic ist er, ein kapitalistischer Unternehmer größten
Stiles für diese Zeit; Icein Warenhlndler mehr, ein QeldhSndler.
der Vorgänger der Fugger und Welser, der Baumgartner und
Gossembrot, die im 16. Jahrhundert den Geldmarkt beherrschten.
Er ist unstreitig der bedeutendste unter den Hansen ; am nächsten
kommt ihm nicht der hjiufig mit ihm genannte Johann atte Wolde,
sondern Hildebrand Sudermann, aber der erreicht ihn auch nur
in seinen Untaten.
Oleich im nächsten Erlaß des Königs finden wir Tideman
von Limberg wieder und zwar an hervorragender Stelle. Der
Wichtigkeit wegen muß auf dieses Schriftstück etwas näher ein-
I) Soviel vmigilcns iil in dem varlltgoidM UrkundcnmattriAl utgrföhrt: Hut-
iltclir» i;rkuiiiteiliucli IT. Rd. Anh. 1, No. 14-29. Kun«. miKMkttn, to^-lil. Vul- die
Zuummnulcl'unic in drr Anligc II.
*t MuiiiKhn Uikunilcnbuch 11. Bd. Anh [. >I.
»i Eboid* Anh. I. Ni. 14. Obct die a«ldgach«lc LIinbag* v^, die Anlage III.
I
gegangen werden, denn durch die Urkunde vom 8. Mai 1340')
werden zum ersten Male den hansischen Kaufleulen die englischen
Hafenzölle verpfändet.
Dreizehn deutsche Kaufleute: Heinrich von Muddepenyng,
Tideman von Limberg, Konrad von Affle, Siegfried Spissenaghet^
Alwin von Revele, Johann atte Wolde, Tirus attc Wolde, sein Bruder,
Heinrich von Revele der Jüngere, Johann Klipping, Hertwin von
Beck, Wcssel von Berg und Konrad von Revele haben dem
König Unterstötzungen und Darlehen jenseits des Meeres gewährt,
deren Qesarntsumme sich auf 18100 £ erstreckt') Ferner haben
sie sich verpflichtet, in Brüssel zu zahlen 4000 £ in Qoldschilden
TU iSTurnosen innerhalb to Tagen von dem T^c an, wo Kon-
rad Klipping in Flandern landet, und ebenso 4300 £ innerhalb
1 5 Tagen nach jener Bezahlung. Dafür verpfändet ihnen der König
die Wollzölle aller englischen Hlfen bis 27. Mai 1541, nämlich
40 s för den Sack Wolle von Engländern und Flandrem und
40 s 40 d für den Sack von den Fremden, bis sie ihre Summen
und die, die sie ihm noch leihen werden, wieder vollständig
zurückerhalten haben. Als Generalbevollmächtigte sind von dem
Konsortium für alle Häfen Tideman von Limberg und Johann
atte Wolde ernannt, was der König durch Erlasse vom selben
Tage seinen Zolleinnehmem kundtut. Wohl im Anschluß daran
erhallen sie am &. August 1 340 eine Ausfuhrlizenz von 3386 Sack.")
Der Ausdruck; Gesellschaft,*) wie «selschap" oder socictas,
oder ein ähnlicher, die Gemeinschaft der darleihenden Kaufleute
bezeichnender Ausdruck wird nicht gebraucht; und doch haben
wir*« hier mit einer Handelsgesellschaft zu tun, und zwar mit
einer «socictas ccrtae pecuniae". Ihr Zweck war, durch gemein-
same Geldmittel, die sie zusammenschössen, dem König eine
Anleihe in einer Höhe zu gewähren, woran ein einzelner unmög-
lich hätte denken können. Gleichzeitig beireiben diese Kaufleute
t) Kwu«, HiMolilen, TI4. Dai Rc][eiI aud: HaiuJMhei Uilnindrnbud), U. Bd.
Kuh. I, H.
<).-.«( que ia toUi »mputalii ditnpni» n caiUbiu IukIb prcminm et nuninini
TimfTinttft ad ISIDO Ib, »Icrlinitoruin tt aiiinsiiiit . . . Kiintc, KuiMikln, IM.
*i Hiiutechn Ürltundnibuch, [l. Bd^ Anh. I. No. IT.
■) Vfl. 'duu ] . A. O, S<hmtdl, Hinddsgctclltchaf'cn in deutschen StultrKhti-
(irlTm ea Mittelsten. Oicrkn [.'ntmnrhungeii Hefl M. IDBl. 0«ld<chiii(dl, Univcnal-
»Hill Im dt« ttindrUrechb. 3. Autl. tasi. ä :;7i-I9il. B«oiidErs: W.SIIcda. haniltch-
natriuilKhc Himilclibtilchungm Im 15. Jahiliundcn. RMtock M9t. S. 37fl.
l
r
lS8 Georg Qrosch.
und fhre Genossen gemeinschafllich Wollhandel, sie gleichen also
völlig den Bardi und Penizzi. Nur scheint der Zusammenhang
der deutschen Qeselisciuft zunächst noch viel loser gewesen zu
sein als der bei den italienischen; darin liegt wohl der Grund, daß
die Bezeichnung Gesellschaft auf sie noch nicht angewendet wird.
Auch für die Vereinigungen zum gemeinsamen Wollhandel,
denen wir vielfach begegnen, sowie für Konsortien zum gemein-
schaftlichen Bergbaubetrieb und Handel mit Metallen ') finde!
sich kein gemeinsamer Name; es werden stets die einzelnen Teil-
nehmer namentlich angeführt FreiHchj Gesellschaften sind es;
innerhalb der großen Genossenschaft der Hansa haben sie sich
gebildet -zu dem Zwecke, eine Unternehmung gemeinsam durch
gemeinsame Geldmittel und Tätigkeit zur Ausführung zu bringen,
um höheren Vorlei! daran zu haben, ats ihn Einzelmittel und
Einzelkräfte erlangen können".')
Was die einzelnen Mitglieder dieser Gesellschaften anlangt,
so sind sie entweder miteinander verwandt oder zum mindesten
doch einander sehr gut Ijekannt, da sie, wie wir noch sehen
werden, derselben Stadt enislamincn. Ganz fremde Kaufleute,
auch wenn sie Hansen gewesen «äreii, wurden nicht zur Gesell-
schaft zugelassen, die Gesellschaft war ein von dem gegenseitigen
Vertrauen ihrer Mitglieder getragenes Verhältnis.
Der Vertrag nun, den die Gesellschaft der dreizehn Kauf-
leute mit dem König Eduard III. schlössen, vor allem das Ver-
sprechen, für ihn S300 £ zu Brüssel zu bezahlen, war für ihn
so recht Hilfe in der Not Bereits halten sich die Herzöge von
Brabant und Geldern, seit 1337 seine Verbündeten gegen Frank-
reich, sowie Otto von Cuyk und Simon de Haie in Brüssel für
Eduard Ilt. als Geiseln gestellt Diese befreite Konrad Klipptng
durch Bezahlung jener Summen,') die er noch 14 T^e vor dem
vereinbarten Termin vornahm. Seine Rückfahrt nach England
beschleunigte er, weil er die Anwesenheit der französischen Flotte
in Zwijn ausgekundschaftet hatte, *) und meldete seine Wahr-
■) Vgj. unten S, M*t. Nui Tldcmui von Limbcrg untcmlmint olldn tolche Ot-
tchinr. die in dir««r 2dl lonsl nur von dncr Ondlichall untcniominai ««rdtit konntitn
") Sdiiniilt 1. M O. S (t.
■) Kunn. Hantnikicn. ti6 und Anm. ).
*l Vit). R, Paul]. Geschichte von Cngtind, IV. S. 3fi»ti.$. 371. H>iubcbe» Ur-
ImndNibuch. 11. M- Knh- I, Mo. 4«, Anin. t.
Geltleeschäfte hansischer Kitirieiite mit englischen Königeti. 159
nehmung in England. Er leistete also dem englischen König
Spionendiemle, die diesem sehr zu statten kamen. Denn da
man nun die Stellung der französischen Flotte kannte, siegle die
vereinigte englische und flandrische Flotte bei Sluys über die
Feindin; am 1. September — die Seeschlacht hatte am 24. Juni
stallgefunden — verpflichtet sich Eduard Itl., dem Konrad Klipping
als Belohnung und für seine gehabten Auslagen 187 £ 10 s 9 d
zu bezahlen.
Im Vergleich mit den Anleihen, die der König bei den
Italienern gemacht hatte, mag die Summe 26 400 £, die ihm die
dreizehn deutschen Kaufteute vorschössen, etwas gering erscheinen.
Aber wenn man bedenkt, daß der Verlust jener 240000 £ eine voll-
ständige Deroute in der florentinisehen Bankwelt zur Folge hatte,
weil fast ganz Florenz sich an der Aufbringung derselben beteiligt
hatte, wenn man femer bedenkt, daß zu jener Zeit das Geld
etwa den vierfachen Wert ') von heute hatte, so bekommt man doch
alle Achtung vor der Kapitalkraft, die diese 1 3 Hansen entwickelten.
Außerdem aber hatten sie noch beträchtliche Summen im Woll-
handel stecken, denn auch den trieben sie eher verstärkt als
geschwächt trotz der Anleihen des englischen Königs fort.
Sie waren ja auch nur die hauptsächlichsten Darleiher,
denn neben ihnen steht der König noch bei vielen andern, bei
Engländern, bei Flandrern und auch bei Deutschen in schuld.
So weist er am 2f. Mai 1340 dem deutschen Kaufmann Qodekin
von Revele eine Jahresrente von 1 DO Mark aus den Zöllen in
Boston an,*) zahlbar in gleichen Raten Johanni und 8. September,
dasselbe') tal er am 10. März und 16. Mai 1341 wieder für
Qodekin von Revele, ein Beweis dafürj daß ihm dieser hansische
Kaufmann Geld vorgestreckt hatte. Am 1S. Februar 134+ über-
trägt er auf die Bitte des Matbäus Camaceo eine demselben ver-
1} R. Ptnli, llt, S. «3 -Der alte Schilling brtrlp a t 9% d moderner Münie.
iiEillgl ama mm «ndUcK, diS auch dri Prrli dn Waren, obvohl bin g" keine itilittiu)i«n
iiinCItKii forllcstn, dn brdculmd n<cilrlect g^rrcscn w!n mtiD, vic man vermutet lünfmil
' atcdflccr llf der Etgen villi sc, m vird der Werl einer Summe im l] JaJirhuildetl fast
lÜHflllHllwIi li^her u:in nl) im 19 Jahrti^milrrl." Avenel, Hislnirc ^nomique, I, S. V
te(llain( dtn Oeld*«n von mii-lint) ftwx xal du «lache, von I3M-1J5I1 auf du
iVitacfer vom Tieutlzm. Atinlirh K. Limpiwht [Cnnntti; JahTbOcber. N F. Hd. XI- S. W)
\m II. JahrtronileH etva ^-lUitial. 120O-T13D rtva ä-7inal, 11)0-1*04 cm «mal *o
bodi vk heute
t Kunu. H»niailif«i, "s.
^ HimiKhn Urkunduibudi. U. Bd.. Anh 1., Nr. 41 ii. 58
1
liehene Jahresrente im Betrage von 50 £, zahlbar aus den Zöllen
von London, auf dessen Gläubiger Johann atte Wolde und
Tideman von Limbcrg. ') Es kommt aber auch vor, daß eine
jährliche Rente wegen besonderer Verdienste vom König aus«
gesetzt wird; so z. B. werden dem Hermann Klipping für die
guten Dienste, die sein Oheim Konrad Klipping dem König ge^
leistet hat, am 20. Januar 1345 20 Mark jährliche Rente zuge-
wieser,') doch werden die zuerst erwähnten Renten wohl wegen
Darlehen bestellt worden sein.
Audi die Bardi und Peruzzi sind noch am Platze, ihr
völliger Zusammenbruch erfolgte ja erst später. 1340 Übernehmen
sie es, für die Überweisung des einjährigen Steuerertrages In
verschiedenen Grafschaften Schulden des Königs mit Wolle zu
bezahlen, den Sack zu 6 £ gerechnet; es erhalten von ihnen die
Kaufleute von Löwen 580 Sack, die Kaufleute von Mecheln für
6000 £ und gewisse deutsche Kaufleute für 1 900 £ Wolle aus-
geliefert')
Daß Bezahlungen mit Wolle geleistet werden, Ist gar nidil
selten. Es erinnert dies nur wenig noch an den TauschhandeL
denn Wolle war ein so gesuchter Artikel, daß sie barem Geldc
einfach gleichkam. Das ersehen wir besonders aus einem dieser
Geschäfte. Der König schuldete dem Jacob Sculteler von Brügge
und Cläre, der Gemalilin des verstorbenen Michael Joce von
Paris. lOl Sack Wolle, die Tideman von Limberg und Genossen
diesen zustellen wollen.*) Dafür erhalten sie die Erlaubnis zur
zollfreien Ausfuhr von 500 Sack Wolle, sie verdienen also, und
es ist interessant, daß man einmal erfährt, welchen Profit die
Kaufleule aus diesen Geschäften ziehen, dabei rund 200 £, da
der Einkaufspreis des Sacks Wolle 6 £ beträgt. Ferner bezahlt
auch die Gesellschaft der Leopardj einmal röckständigen Zoll in
I
I
>| Kunit, Haniakim, il«.
*) Hansiuhn tlrlnindaibudi, D. ßi., Anh. I, >4 Dlne grviiwTiiiallrn stkundlrcn
Vortrllr, die den Kiurlniten aui thrrr fininilelln Tiltt|[kcl' fnrtirhien, finitm vir atieh <n
Ilillm. Su vrrlcihl it-rncdici XI. an t^rmio di Crtclil dn DRiEfii «Irr DIOzfk IVnntt.
an tdncn \'civiiidtTn cino dci Diämc Amio, an Pifro di Ctrchi cini «ut Flciok. Vgf
O. Sthneidcr i. n O. S. JO,
*) KunR, llan>c«liicn, ii?u. Anm. t.
•) EbentUAnni, 1, Vi^. K Bficher, EriKtrhtiiii) der Volkivirtiduft l.Aufl. S IM.
Southampton mit 59 Serpier Wolle an Tideman von Limberg
und Genossen. 0
Die Wollzölle, deren Erträge das Konsortium der Dreizehn
bis zum 27. Mai 1341 beziehen sollte, blieben ihnen über diesen
Termin hinaus verpßndet Am 2. Juni 1541 nämlich weist sie
der König für ein Darlehen von 2400 £, das sie ihm für die
Besoldung des Dietrich, Herrn von Monljoie, Falkenburg und
Voome, Burggrafen von Seelard vorgeschossen haben, auf die
Wollzölle. ■) Dasselbe geschieht am 7. Juni') und am ll. Sep-
tember übergibt ihnen, wie schon erwähnt, die Gesellschaft der
Leopardi 59 Serpler Wolle als Abschlagszahlung für rückständige
Zölle in Southamplon.
Durch die ziemlich großen Einnahmen aus den Zöllen*)
indes wurden die Schulden des Königs doch erheblicli gemindert
lJ+2 haben darum die Dreizehn nicht mehr die vollen Wollzölle
im Besitz, sondern der König weist ihnen am 20. Juni von den
40 s auf den Sack Wolle 1 iVtark, von 40 s auf 300 Wollfclle
1 Mark und von den 6 Mark auf die Last Häute 2 Mark an,*)
und ara 15. September verpfändet er ihnen für ein weiteres
Darlehen von tOOO £ von dem Sack Wolle 20 s, von je 300 Woll-
fellen 20 s und von der Last Häute 40 s,") so daß ihm immer
noch von den beiden ersten ^/, Mark und von der Last Häute
1 Mark zur Verfügung standen.
Um seine Gläubiger vor Benachteiligung zu schützen, setzte
sie Eduard lll. bei der Verpßndung der Zölle in den Besitz des
>) Kunir. Huitciklcn, ll-O.
■) hwisiKhcs Urkunden buch. U. Bd, An1i. I, No. S».
t\ Ebwil« Nu. «.
■) Die Voll-, Voltfell- und Hiutn&llc «inn die CLnindUgr der rngUKhcn
XtDfirinniliniai. fiii drn KAntg bncindm dcsholb von Wert, wrll a dunii niith Ourdlinkm
Iduliai und nltm konnir, ohne dai rarlamenl bdiSEen ru mOuen. ÜIkt dir Herde-
Bad WeldevtitKliKft vgl. Gehen hiiwski *. a. O. S. :ilf.
>) HaiulKhR Urkunden buch, II. ild., An!) 1, No 73.
■l K'mize, Hinseflkten, i'^i. Die Bercehnung [il falgcnde:
Wolle
Wflilfella
Häul«
Zon
«1 = 3 Mtrk = 2 £
40 i = 3 Mark = i £
80 » = ö Marl = * £
lU Juni Tltl
n s t d ^ 1 Mark
n 1 4 d ^ 1 Mark
26 s S d ^ * Muh
i>. Stpl
tO * = IVi Mark
10 t =1 I >() Mark
*a t ^ 3 Mark
Rcft
»»»i = </,M«1i = '/a£
S»a4 = if,Mwk = 'f,£
iJt*d = i H«rli = %£
Vgl- S. m. Ann. I, *a die Urkunde im Auinge gegeben ist.
Zollsiegels, des sogenannten coket. Da diese Maßregel noch
nichl aiiszureich<!n schien, befahl er im Jahre 1342 seinen Woll-
zöllnem und dem Wäger zu Kingston-upon-Hnll nur in Oeßcn-
wart Johann atte Woldes und Tideman von Limbergs Wolle da-
selbst zu wiegen. ') Es mochten wohl Unregelmäßigkeiten
vorgekommen sein, die aber nicht auf das englische Maß- und
Gewichtssystem zurückzuführen sind, sondern auf die Personen,
die dabei beteiligt waren. Denn wie die englische Regierung
sich die grollte Möhe um das Münzwesen gab, so sorgte sie
auch für Bestimmung des Maßes und Gewichts, für Verfertigung
der Normalmaße und stellte Kontrotlmaßregeln auf, welche die
Einhalliiig der bezüglichen Gesetze sichern sollten. War doch
schon durch die Magna Charta bestimmt worden, daß Maß und
Gevicht im ganzen Reiche eiitheillich sein sollten, und an diesem
Prinzip hielt man in der Folgezeit fest.
Das Jahr 1343 bringt dann ein neues größeres Geldgeschäft
zwischen dem König Eduard Hl. und den 13 deutschen Kauf-
leulen, nämlich die Auslösung der großer Krone, die er an
Kaufleute in Köln verpfändet hatte und eigentlich schon längst
hätte einlösen müssen. Denn schon am 14. Februar 1342 dankt
er in einem Schreiben an Köln fair die vorläufige Beschwichtigung
seiner Pfand gläubiger und meldet die erfolgte Zahlungsanweisung.*)
Indes erst im Mai des folgenden Jahres schließt er mit dem be-
kannten Konsortium einen dahingehenden Vertrag ab,') in welchem
diese sich verpflichten, die große Krone für 4500O florins, den
nGulden" zu 43 den. Sterlinge gerechnet, also für 8062 £, aus-
zulösen, und diese Summe wollen sie in drei Raten zahlen:
2000 £ vor dem nächsten Johannisfcst, 4000 £ zwischen 1. Au-
gust und I. September und vor dem nächsten Michael isfeste den
Rest. Zu ihrer Sicherheit dürfen sie die ausgelöste Krone, unterm
'') HuiBiichn Urkunden buch, II. Bd„ N>a. lOS. Ober dw en{llKtM Maft- und
0c»lchlj4y»ieiii vgl, OchwiWejki a «. O' 5. in.
>) Hansiichf* l IrlniBilCTibiif'h, U. Bd., No «OT.
^ Ebcndi Anh. I, 16. Kunic. HmsniWm. 132: Cnlr endrntiKt .... t«moliti»,
que \a diu nnuclianli om cmprii ile piiri pir dda li iticcr pani nichilrr liKnwt corane
noitic dii sdgncur le rol um quc a 1« aonimc dt 4) MO (lorlni ■ Incti, tl taitt y eovägat
mrt(iT on tiitrt ot a li v*lue; lui qticl (Dvm«n( «lonl 1« «Uli mirchiui«! paiet de
SÜOO tv i1fv*nt U fnl« <!t It ti*tivtlf srieil fo\ui prMhcinc. et «itrc U primn- jour d'Auil
ci !c pnintr loiir dr Stirtrinbre dp *i»0o Iv., ft (Irvant le kIjiI Michel prcK^^ln* de loul U
rcmciunt ....
Öeidg«chäfte hansischer Kaufleute mit englisdien Königen. 1^5
Siegel Sir Philipps de Weslone und Sir Williams de Northwell,
so lange in Bewahrung behalten, bis sie für alle ihre Auslagen
voll befriedigt sind. Damit dies geschieht, weist ihnen der K'önig
den ihm zustehenden Rest aus den Zöllen an, und für Wolle
und WollfeÜc 10 s extra, die ihm inzwischen vom Parlament
wohl bewilligt worden sind.') Unter denselben Bedingungen
verpflichten sie sich 1344, die Juwelen des Königs, welche die
Kölner Kaufleule Johann de Specgel, Rigwin Gryn, Wilh. de
Kowolt und Genossen im Pfandbesitz haben.') für 4400 Gold-
guldcn auszulösen und nach England zu bringen.')
Freilich verzögerte sich die Übergabe der großen Krone,
obwohl schon am 23. Dezember 1343 wohl auf das Drängen
der Konlrahenlen, die sich rechtzeitig sichern wollten, Eduard III.
eine Urkunde erlassen halle, in der er versichert, seine Krone
unversehrt wieder erhalten zu haben und auf alle Nachfordenmgen
an die Deutschen verzichtet.'') Erst am 10. März des nächsten
Jahres befiehlt er den hansischen Kaufleuten, die Krone den
Brüdern Melchebum zu übergeben, und von diesen wird sie am
24. April an Schatzmeister und Kämmerer ausgeliefert,') Aber
noch im Jahre 1345 erfolgen mehrere Male Befehle zur Abtragung
von Schulden an Tideman von Limberg und Johann alte Wolde
nebst Genossen.*)
Um seine alten Schulden los zu werden, vor allem aber,
um neue Geldmittel zu erhallen, hatte Eduard III. zu Beginn des
Jahres 1344 einer englischen Qesellschafl von t2 Kaufleulen,
deren Bevollmächtigte die Brüder Thomas und Wilhelm von
Melchebum waren, auf 3 Jahre alle Zölle, ausgenommen die
1} . ■ ■ ID inldr oatTt it dtmy mxrf pour riunclcnc cAuslimii, rt de lOO pauv
Itmut «nlmtnl. M de chaeun iMt ärs quin >t aflenni, icsquc« «tinl qtU iairnt pldnFmoiI
et Ritlcnnml pur vaid tle tont Imidin, Vgl. dazu - , . . na;, volenm prcfitls mnaloribus
ik dict)) inini tl). ulisficri, concnsimus cli 'iO ^ ät quolibcl uicco linc, vo i de i|ultiu»'
C(b« 300 pctilbut liiiutlt, *i) s dt quollt« ImIo coriocuHi hulu* iii«H il^ tubjidio predkto,
viddiol antra inutam fle sicco, 1 irur^Bin d« JOD p«lllbiu lanutii d I minin de Utie
coriorurn, quu pfiui iudi concetionnn nottrim pndlcUm ilc diclo subildlo pcKTpcniitl :
tt ulin hoc diiDidum murcari de ucco. '/i marram de KO pell, lin, H un«n rnarcum dr
bsio corlaniin. Kun«, KuiKiktni, i:i.
*i Hansiiclio Urkunden buch. II. Bd.. Anh. I, No. a*.
■) Ebeitdi Nc. Id. Kunze, Hansmlilcn, I3I.
•) Hanilidia Urkunilcnbucb, U. Bd., Anh. I, No ■:. Kun«, H*n«iklen, lö.
•) lUnilKh« Urkuiidrnbuch, 11. Bd., Anh. t, No. S3.
«i ebenda No. D2-9*.
custuma von 2 s auf das Faß Wim verpfändet;*) am 3. MSrz
befiehlt er darum deti deutschen Kaufleuten Tidemaii von LimberK
und Genossen, die bisher die Zölle inne gehabt hatten, die Aus-
lieferung der noch in ihrem Besitz befindlichen Zollsiegel an
diese englischen Kaufleute, welche dem König für die Verpfändung
50000 £ zu zahlen sich verpflichteten.')
Tidcman von ümberg war durch diese Verpfändung der
Zölle etwas beiseite geschoben; er halte zwar auch in den nächsten
Jahren mit dem König in Geldgeschäften zu tun, da die Engländer
nicht allein das ganze Qeldbedilrfnis des Königs zu befriedigen
imstande sind So löst Tideman 1344 die Juweten des Königs
in Köln aus und 1346 wird ihm die kleinere Krone verpfändet*)
Indes im atigemeinen hören wir in dieser Zeit wenig von ihm,
nur finden sich mehrmals Befehle des Königs zur Abtragung
von Schulden an ihn, die teilweise noch von der Verpfändung
der großen Krone herrühren.*)
Auf diese Weise sammelte Limberg das ausgeliehene Geld
allmählich wieder an, und so geht er 1347 an einige neue
Unternehmungen heran. Am 25. Juni 134T') schlielJt er näm-
lich mit dem Sohne des Königs, dem Prinzen Eduard von
Wales - dem bekannten «schwarzen Prinzen", der 1356 bei
Maupcrtuis den Sieg davontrug über Johann II., den Outen,
von Frankreich und den König gefangen nahm - einen Pacht'
vertrag ab. Der Prinz Eduard, zugleich Herzog von Cornwalcs,
dem daher die Zinnbergwerke dieses Gebietes zustanden, über-
läßt nach diesem Vertrag dem Tideman von Limberg den Schlag-
scliatz aus sämtlichen Zinnbergwerken in Cornwalcs vom 24. Juni
bis 29. September über drei volle Jahre ohne Einschränkung
und Widerruf mit dem Köndigiingsrecht Tidemans am 1 5. Au-
gust des ersten oder zweiten Jahres; ferner überträgt er ihm den
ganzen Zinnhandel in Comwales und Devonshire und die ge-
■) Kunic, Hanttakten, tt5 acut Anm. 3.
*t Vir die Ktnsen wuidltn sich alsa audi ilic dnhrinilsclitti Ktudculc UDlct
EJtun! III. dm ücUgeKhittrr im Orolltn rii l)it !i»ailirhni Kaiitleu« »Im « ibcr in
dncm Ircmdoi Lftnd; cie dtid >ucli im Htitdcl am Enitlinjetn übnlcu^. <1> *<' rtttumcf
siBd «l( die»«- Öbtr die EnfUndrr vgl. Ochcnkoviki * m. O, S. m(l.
t ttuulKh«* Urlmndcnbuch. II, Bd.. Anti. I. Ng.». Sic «Ird uaiT.Ptbi. IM)
vledn uiigd&it iiiid in d«r Schatikainincr in eint Klitc Kdegl, Ebenda Anm.
«) Ebenda No. ta-v».
•j Hindictin Urkundenbudi, III. Bä., No 100.
Oddg^chäftc liansischer Kautleule mit englischen Königen. 1^5
samten Einnahmen aus dem Ausfuhrzoll, über die er itn Exchequer
zu Westininster Rechenschaft abzulegen hat. Dafür übergibl ihm
Tideman lOOO Mark bar für die Zeit bis 29. September und
2000 Mark für das folgende Jahr, während er den Rest von
1500 Mark 211 gleichen Teilen am 25. Dezember, Ostern, am
24. Juni und am 29. September des nächsten Jahres entrichten will.
Solche Pachtverträge scheinen nicht selten zu sein, denn
von Eduard III. findet sich ein ähnlicher vom 11, März 13+4,')
in welchem er vier Kölner Kaiificuten*) die Orubenwerke von
Northumberland , Cumberland und Westmordand auf 10 Jahre
verpachte}.
Bei Tideman von l.imberg kam noch hinzu Ausschließung
aller Kaufleute vom Zinnhandel, auch der englischen. Als diese
sich am 15. Januar 1348 vor dem Parlament darüber beschwerten,
daß Tideman von Limberg allein alles Zinn aus Comwales kaufe
und exportiere, da wurden sie abgewiesen, weil jenes Monopol
zum Vorteil des Prinzen bestehe.*)
An umfangreicheren Geldgeschäften beteiligte sich Tidenun
von Limbcrg ebenfalls wieder, aber weil aus den Geldgeschäften
des Jahres 1347 einige Prozesse entstehen, die gegen ihn zu
Anfang der fGnfziger Jahre vor der königlichen Schalzkatnmer
gefOhrt werden, wollen wir diese am Schlüsse dieses Abschnitts
verfolgen und uns zunächst den weiteren zuwenden.
In den Jahren 1348 und 1350 erhalt Umberg vom König
Güter in den Grafschaften Somerset, Wills, Southampton, Bucks,
Northampion, Canterbury und Suffolk von dem eingezogenen
Klostergul »auf lOOO Jahre" übertragen.*) Vielteichl hatte er
die Absicht sich dauernd in England niederzulassen, oder er ver-
sucht es einmal mit Bodenspekulationen, wozu die Einziehung
des Kirchengutes allerdings die beste Gelegenheit bot. In der-
selben Zeit schließt er auch Oeldgeschilfle mit Privaten ab, z. B.
.leiht er am 26. Juni 1349 gegen Verpfändung von Onmdbcsitz
') Hintlachc« Urkundmtiuch, III. Dd., Nachtder. Nu «I.
■) E* Taren Wilhelm Oodtmvyk (Oorrwilli ba DonbunE In Qcldcrn). Heinrich
a Ord (Oorlo bei Vcnrui in Llinburit), Arnold tu Anne (vahl Sl, Aiuu bd Nlm-
•cfm) nnd Albol Millyng (Millingm in Oeldem), Sic «artn al»a nichl van Kätn, dieMS
fill aber iirnim' noch iJi ihre Vantidl
*\ llintlKhn ütktmtlenbiicli, 111. M.. HicMiiaf- No 6V. Ann). i
•) tlMttKhn Uikundmbuch, III. IM.. No. n, Anm. 1.
166 Georg Groscli.
und Habe dem Londoner Kaufmann Picard 500 i)') und am
26. Juli 1350 dein Prior von WJlmington 100 Mark.')
im selben Jahre werden ihm noch einmal die Wollzölle
verpfändet;*) doch dann folgt die Zeil der beiden Schuldprozesse
gegen ihn, die ihm wohl manche schweren Tage bereitet haben
mögen und ihn geschäftlich sehr schwer schädigten. Von da ab
^werden die Nachrichten seltener; 1354 erhalten Limberg und
Genossen eine Anweisung auf 1000 £ aus den WoUzöUen ; *) am
22. August 1359 bekennt sich der König noch einmal als sein
Schuldner für lOOO JC*) und weist am selben Tage die Wollzölle
an, zunächst 100 £ zurückzuzahlen.^ Es geschah dies fast un-
mittelbar nachdem der König ihn und Genossen von diesen
5000 J^ 2 s 6 d freigesprochen hatte, die die Barone des Schatz*
amts von ihnen noch von der Verpfändung der Krone her nach-
träglich gefordert hatten.')
Ob die Forderung wirklich ungerechtfertigt war, oder ob
sie gerecht gewesen und nur erlassen wurde durch einen Gnaden*
akl des Königs, können wir natürlich auf Grund des dürftigen
Regcstcs nicht enischeiden. Leider waren solche Nachfordern ngen
gerade in den 50 er Jahren einige Male mit gutem Grunde er-
hoben worden, und Nachprüfungen der mit den, hansischen
Kaufleuten abgeschlossenen Geldgeschäfte sehr wohl am Platze.
Dies gilt auch von denen, die Tideman von Limberg im Jahre
1347 unternommen hatte.')
In diesem Jahre war das Tricnnium abgelaufen gewesen,
während dessen Eduard III. dem Konsortium der zwölf englischen
Kaufleute die Wollzölle verpflndel hatte. Nun schloß er Jm
April U47 einen neuen Verpfändungsvertrag ab mit zwei Lon-
•) Kumt, Hinmkim, ut. Vgl. ttKnüt 1 38.
») Ebend* 1*J-
*) HuisiKha Urkundcnbach. UI. Bd., No t), Anm, S.
•) HaniiKhn DrkumlTnbuch, Tl. Bd , Anh I, No IM.
s) ^heR(li IM.
*\ Ebciiids 10 (,
>) Efacndi 101.
*) Ich iccbc im tolactnilcn dnc dnUche DanIclIunK der Schul dproMatt, *ic ticiidi
diPoncleilKb »bjöpirll h»I«iu Ich dsnhc nichl (Ur»n, im Pioreß «!> Juriil M»i «i
verlol|[Ri und die Un«llr die Fruchm, lu prüren. Dib iil vltllrlchl iib«rliaupl nkhl ful
tnöclicb. «lieh Tcirn {i«t £«iiic Aklctimikrttl , dit nvr in niTnw ijninickt voillcxt,
vorhuidcn wlrc; intbcwiiliJerc hat a icinc SThv[CTit!:llel'tm , iclbil dn Urtrll In dlcvt
Sache r.a Hllcn, Dmi> b tchdnl, iln hittm tkh dir Bdcvli);kn Jrlbit nicht mrht tai*-
gÜttiMt, alt Mi die UrClie da OddgochilH üb«T itirtn MotiaonI blMuigegiitgeii.
Gelügesdiähe hansischer Katifleute mtt englisciier Königen. 157
doner Kaufleuten, Walter von ChJriton und Gilbert von Wend-
lyrigburgh, denen er alle custumae und subsidia in den Ausfuhr-
häfen bh auf gewisse Assignationen, die er sich vorbehielt,
verpfändete, wofür diese ihm 40000 Mark versprachen.') Für
ihre Auslagen und ihren Aufwand sollten sie 20000 £ erhalten,
die ihnen aus dem Zehnten und dem Fünfzehnten, soweit diese
noch zu zahlen und nicht bereits andern verpfändet waren, an-
gewiesen werden.')
Indes die beiden Kaiifleute waren nicht imstande, die
Summen aufzubringen, «sie hatten", wie es heifitj »nicht genug
bares Geld bereit liegen, so daß sie sich gezwungen sahen, eine
Anleihe von mindestens 20000 Mark anderswo aufzunehmen."
Darum wandten sie sich an Johann von Wesenham, einen andern
Londoner Kaufmann, mit der Aufforderung, sich an diesem Ge-
schäfte zu beteiligen. Dieser war nicht kapitalkräftig genug, und
so richtete er an Tideman von Limberg, der unter den Geld-
leulen damals ein bekannter Mann war, die gleiche Aufforderung,
»weil das Geschäft recht nutzbringend sei." So wurde in einem
Zimmer des Tidemanschen Hauses, »in warda de Themsestreete"
in London, am 23. April 1347 ein Vertrag abgeschlossen,") in
welchem sich Limberg und Johann von Wesenham verpflichteten,
bis zum 3. Juni den beiden andern Kontrahenten die Summe
von 20000 Mark zu bezahlen, wogegen ihnen diese 13 000 Mark
als Gewinnanteil zusichern. Zu ihrer besonderen Sicherheit er-
hallen sie die große Krone als Faustpfand.
Damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen können, ge-
stattete der König seinen neuen Gläubigem, daß sie sich bei der
deutschen Kaufleulen Konrad Femol, Johann Konyng und Ge-
nossen - also Tideman hatte sich wieder mit diesen assoziiert -
20000 Mark leihen dürfen, wofür er ihnen von den Zöllen i Mark
für den Sack Wolle, I Mark für 3O0 WoLlfelle und 2 Mark für
die Last Häute anwies. Ihren Oewinnanteil - 13 000 Mark -
1) KnniF, H<n«alitai. I3& . . . . C(incni«rlniut dv iiuoil iptl hitmnr rt pcrcipiint
«naia cuininu» d mbsldu nnbls drblti In tlneuJIi ponltnii ngai noilri AnKlIc. ....
^BOU*(|uc ciHlnn Wiltero ti OilbcHo rt kkiis tu» de pndictis i)UBdn|[iiiti milibui mar-
amn fuerli uüifanum . . -
fi Ktinif, HinwiktRi. i«3: •. . . et ifuod de pmllcitt ZOOM) Ib. tln«t eis iHiffnitlo
Hptr «ttclmlft n qulntii dcclnli regi concml», qve »dlinc futnini lolvmde n nan itllli
mleiute . . .-
9 Kunie, NulMaklair I}).
168 Qeorg Qrtscfa.
sollten sie aus dem Zehnten und Fünfzehnten erhalten, und diese
Summe sollte den Engländern in Abzug gebracht werden.*)
Am 12. Juli 1352*) nun erheben Walter de Chtriton und
Gilbert de Wendlyngbui^h g^en Tideman die Klage w^en
einer Nachfordening von 3000 Mark. Sie behaupten, Ttdeman
habe für die versprochene Summe von 10000 £, die er zu den
20000 leisten wollte, 9000 Mark von den 13000 Mark erhalten,
welche sie ihren Gläubigem als Gewinnanteil zugesichert hatten;
ffir seine 10000 £ sei er mit 15 000 Mark aus den Wollzöllen
befriedigt worden. Er habe aber die 10000 £ nicht voll bezahlt,
sondern JOOO Mark davon zurückbehalten, die sie nun bean-
spruchen. Limberg bestreitet dies, der Prozeß zieht sich fast ein
Jahr lang hin und endet schließlich mit einem Vergleich: Chiriton
und Wendlyngburgh stellen ihm eine Generalquittung aus Ober
alle seine Verpflichtungen g^;en sie, ausgenommen eine Forderung
von 2500 Mark. Limberg gibt eine gleiche Quittung unter Vot-
behalt seiner Forderung von 10000 £.
Eine weitere Forderung gegen Tideman von Limberg er-
heben zur selben Zeit die Barone des Schatzamtes, und zwar
verlangen sie 13000 Mark zurück, die Tideman an sich ge-
nommen hat.*) Dieser Prozeß zieht sich gleichfalls ein Jahr
lang hin, vom 11. Juni 1352 bis 16. Juli 1353; Tideman und
Wesenham, die die Summe unter sich geteilt haben, werden am
26. Juni 1352 verurteilt, die 13000 Mark an den König abzu-
liefern. Da sie erklären, so viel Geld nicht bereit zu haben,
werden sie in den Schuldturm geworfen und das dem Limberg
gehörige Zinn wird zu London arrestiert Sie werden am 9. Fe-
bruar 1353 wieder auf freien Fuß gesetzt; nach längeren Ver-
handlungen steht der König am 16. Juni von seiner Forderung
ab, verlangt aber am 1 0. Juli von den Verurteilten die Zahlung von
6000 £. Limberg erklärt sich bereit, die Hälfte dieser Summe
zu zahlen, was er im nächsten Jahr auch tut')
Es ist nun leider nicht möglich, auf Grund des vorltegen-
>) D>i Regnt: HanilKhei Urknndenbacb, IL Bd., Anh. I, No. M itt redit dOrflic
ja fihch. Vgl. Kunze, Huisetkten No. 13« und 163.
>) Kunze, Huueakttn, 167.
^ Ebenda 163,
*] Ebenda S. 166: Ratenuhlung Tidemans.
Qeldgeschäfte hansischer Kaufleute mit englischen Königen. i£9
den Materials den Qang des Prozesses genau zu verfolgen, ins-
besondere zu entscheiden, ob Tideman sich die t3 000 Mark
wideTFcchtlidi angeeignet hal, oder ob er bei dem Abschluß des
Vertrages mit den beiden Engländern Waller de Chiriton und
Gilbert de Wendlyngburgh vielleicht übervorteilt worden Ist*)
Man neigt sidi aii& verschiedenen Gründen eher der ersten als
der ardern Meinung zu. Da frappiert vor allem sein Verhallen
gegen Johann von Wesenham.
Gegen diesen seinen Sozius erhebt er zur selben Zeil die
Schuldklage; auch dieser Prozeß zieht sich über ein ganzes Jahr
lun, vom 6. Juli 1352 bis 16. Juli 1353.^) Tideman greift sogar
auf die carta mercatoria zurück und erlangt es, daß die eine
Hälfte der Geschworenen aus deutschen Kautleuten genommen
wurde; er setzl also alle Hebel in Bewegung, um seinen Prozeß
zu einem günstigen Ende zu führen. Aber am 16. Juli, also
6 Tage nachdem der König seine Forderung auf öooo £ er-
maßigt und dieser Prozeß nun sein Ende hat, da steht er von
allen Real- wie Personatklagen gegen Wesenham ab, was doch
sehr dafür zu sprechen scheint, daß er den ganzen Scheinprozeß
nur deshalb angestrengt hal, um in dem andern möglichst die
gekränkte Unschuld spielen zu können.
In diesen Jahren häufen sich aber geradezu die Prozesse
gegen die deutschen Kaufleute, speziell gegen die um Tideman.
Wenn man die Ergebnisse derselben zusammenfaßt, wird einem
die viclgerühmte Ehrlichkeit der Deutschen recht zweifelhaft.*)
Denn den englischen Gerichten kann man wohl nicht Parteilich-
keil oder Voreingenommenheit gegen die Deutschen schuld geben.
Dagegen sprechen die Urteile, die sie in andern Angelegenheiten
gefllli haben, und mit denen sie völlig auf dem Boden des
Recfals stehen.')
') Man kAnitlr dni Ktiotm rfntac-h diirrtiliMrn, IncJFin man onnlmml, dad TlfllWU
die IIKO M*rk Orrlnn lOTGhl van doi beiden CnelkndcTti «li von den ßaroncn da
Sdaliainln triiiltcn hatte \ba ipscn die ctitcicn bchlll er sldi ja eine l'onleninK wn
mODD £ »0/, £<iöil lil luth «o die t'rtgc niehf.
>) Kunir. Hinieaklm, 166.
8 Dieter Vorviirf trHIiM eine AbKhTichunji cinnial im MInblick üanur. lUD im
bcivortdiung iteti vorkomint. (<m«r, dall In dieser Zeit satdt pdct Bdruf dn
tlljernein« und ■ndiiiemdri Li^lrt* itt. Vgl, Ochcnliowiki ■ i, O. S, IT. S. ¥]■
*) V|(l. iirv Künrt. HiiMaklen, 119- IJer PtortR Konrids von Afflm und Radulph
Deck* pscn tm. käntgllcliF Itramtc «rsen iwanpwelwr WollhelminB In HuTitlnBdan.
AicUv tue tCulturx«di>ditc. II. 1 =
170 Oeotg Qrosdi.
Zur selben Zeit nämlich, in der gegen Limberg vorgegangen
wird, ist gegen zwei andere, vielgenannte deutsche Kaufleute,
gegen Hildebrand Sudemiann und Heinrich Brakel ein Prozeß
anhängig wegen Unterschleifs.*) Diese beiden hatten die Er-
laubnis zur zollfreien Ausfuhr von 80 Sack Wolle erhallen, weil
sie, wie sie angaben, 160 £ dem William de la Pole vorausbezahlt
halten. Auf Befragung beslritl dieser aber sowohl den Empfang
des Geldes als auch Kenntnis der ganzen Angelegenheil; trotz
mehrmaliger Vorladung erscheinen die beiden Handelsgenossen
nicht; sie verduften aus England, ohne daß man hier je wieder
etwas von ihnen hört.
1363 vt'erden dann Heinrich Copyn, Constantin Smythusen,
Hildebrand Bereswort, Heinrich Orenepape und Gottschalk
Grenepape, sein Genosse, Winand von Revele und Thidkinns
Spissenaghel wegen Überschreitungen und Betrügereien geächtd,
und ihr Vermögen in der Grafschaft York wird beschlagnahmt.')
Auch Tideman von Limberg muß aus England auf eine
recht unsaubre Art verschwinden. Wir erfahren das aus einem
Prozesse gegen den unglijcklichen Michael de la Pole, Grafen
von Suffolk und Kanzler Richards 11.') Unter den vielen An-
klagepunkten, die das Parlantenl gegen ihn aufstellte, und die zu
seiner Verurteilung zum Tode führten, war auch der, er habe
dem Limberg eine Rente abgekauft, die dieser strafrechtlich ver-
wirkt hatte.*) „Denn ein gewisser Neel Hakeneye sei durch
seine f-rau, seine Magd und den besagten Tideman von Limberg
getötet worden^ dieser habe sich seiner Bestrafung durch die
Flucht entzogen.* *)
Die Freude über den Aufschwung des deutschen Handels
in der Mitte des t4. Jahrhunderts in England und über die Be-
il Kmie. KuiHikCtn, ie.2 u. im. Sudenaun tcboa «Inoul wcsm drxt Mordut
von Kiinle bcgnidigt. 5. iti.
I) Kunze. niui«ai:tni, IB«.
■) lir isl der Sohn Williin«! de li Pole, dn bekunloi QronkiDdnuin* luiler
Edoird m
■} Es liandrll tloh um die Rmte, die MalhJliis C>m>R« «n LimUig und Johann
itK Wolde hatiF äbnlnitm luini. Noch 1Bb) btficKll der Kfinig äie KamMaag von
I* £ an TidMnan. Ditvn fitmllBI tit an MIchul dr li Pole tOr tine Fordtniiis von
lllPO Maill. Xunzr, lioniuklin fSI.
>) Ebtnd» Anm t.
Oddgtsdiäfte hansischer Kaufleute mit englischen Königen. i ^ i
deutung der deutschen Kaufleute für das Geldwesen in dieser
Zeit wird angesichts solcher Tatsachen doch merklich herabgestimmt.
Denn es sind gerade die bedeutendsten unter den Hansen, welche
üdi solcher Mordtaten und solcher Betrügereien schuldig machen,
die wohl die Moral des 14. Jahrhunderts nicht so schwer nahm
wie unsre heutige, aber die damals doch schon aufs schärfste
verurteilt wurden.
<Sdütifi folBt)
12'
Straßburger frauenbriefe
des 16. Jahrhunderts.
MÜgeteilt von OTTO WINCKELMANN.
I
Von dem Herausgeber dieser Zeitschrift ist wiederholt auf
den großen kulturgeschichllichen Wert der deutschen Pamilien-
briefe hingewiesen worden.') In der Tat gewähren die uns aus
früheren Zeiten überÜeferten vertraulichen Privatkorrespondenzen
des Börgerstandes die (ehrreichsten und zuverlässigsten Einblicke
in Lebensführung, Denkart und Gesittung unserer Vorfahren,
und CS ist nur zu bedauern^ daß diese köstliche Quelle der Er-
kenntnis für das Mittelalter und selbst noch für Jen Beginn der
Neuzeit nicht ergiebiger fließt. Die bisher bekannt gewordenen
borgerlichen Familienbriefe gehören zumeist dem (ränkischen
Volksslamnie, insbesondere dem Bereich der alten Reichsstadt
Nürnberg, an. Im folgenden soll nun eine Anzahl von Frauen-
briefen mitgeteilt werden, die uns alemannisches Wesen veran-
schaulichen, und zwar wesentlich aus der Stadt Straßburg, dem
Mittelpunkt der großen geistigen Reform beetrebungen des 16- Jahr-
hunderts im Südwesten des Reichs. Daß diese Briefe von Frauen
herrühren, deren Männer a.n hervorragender Stelle tätig waren,
wird ihren kulturhistorischen Werl gewiß nicht beeinträchtigen;
vielmehr dürften sie um dieser Eigenschaft willen auch dem Bio-
graphen und Lokal historiker willkommen sein. Zum besseren
Verständnis mögen hier einige Erläuterungen über die Briefe, ihre
Urheber und Empfänger Platz finden.
I) SWtihauwn, OixIilcWf <!« iJmMchfR Brietet Bd I, rr. - Deutiche Prival-
brlrlc drt Minclallc-m Dd. t, tiinldt. - tirlctirccIi'K'l DAlihiur Paumoinntn mit scinci
Oatlln, £inlcll. - Ztiadirlfl 1, KulturKOchlchie. Neiic («.] Fvlt« 1, 9i.
Straßburger FrauenbTiefe des 16. Jahrhunderte. 173
Die drei ersten Stücke zeigen sich noch unberührt von den
Einflüssen der kirchüchen Reformen, die erst seil 1523 in Straß-
burg allmählich durchdrangen. Der Adressat, Bernhard Wurmscr,')
gehörte einer angesehenen Straßburger Palrizierfanülic an, die
seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Stadladel ge-
zählt wurde. Er stieg zu den höchsten Ämtern und Würden,
die die Stadt zu vergeben hatte, empor, war Mitglied des Kolle-
giums der Dreizehn und zwischen 1520-1540 mehrmals Städt-
meister. Im Jahre 1522 vertrat er seine Stadt im Reich sregimenl,
1522 — 24 auf den Reichslagen in Nürnberg; 1532 befehligte er
die Straßburger Hilfstruppen, die dem Kaiser gegen die Türken
zur Verfügung gestellt wurden. Seit 1S23 bekannte er sich offen
zur evangelischen Lehre, im Gegensatz zu seinem Bruder Nikolaus,
dem Dekan des St. Thomasstifts, der im alten Glauben verharrte.
Bernhard war in erster Ehe mit Susanna Mieg, in zweiter mit
Susanna Berer vermählt') Bei der Gleichheit der Vorramtn und
wegen des Mangels genauerer Daten muß es dahingestellt bleiben,
welche der beiden Frauen die vorliegenden Briefe geschrieben
hat. Jedenfalls hat die Verfasserin ihrem Gemahl das Leben
nicht leicht gemacht; denn ihre Schreibweise läßt darauf schließen,
daß sie eine recjit temperamentvolle, nichts weniger als sanft-
mütige Hausfrau war, die ihre Meinung sehr entschieden und
rädcsichtslos auszusprechen liebte. Dabei stand ihr eine gute
Dosis Humor und Ironie m Gebote; doch lief ihr auch mitunter
die Galle ober, und dann machte sie ihrem Herzen in recht
derben Ausdrücken Luft. Von idealen Regungen Ist in ihren
Briefen nichts zu spüren; alles scheint sich bei ihr um Geld
und materielle Wohlfahrt gedreht zu haben.
Wie grundverechieden davon ist der Ton der folgenden
Stücke, die freilich aus einer ganz andern Sphäre, nämlich aus
den Kreisen der maßgebenden evangelischen Geistlichkeit, stammen !
Hier wird alles Tun und Trachten vorwiegend von dem Gedanken
an Gott, von dem innigen Wunsch, ihm und seiner Kirche zu
dienen, beherrscht. Die Sprache zeigt allenthalben unverkenn-
bare Abhängigkeit von der heiligeti Schrift und der evangelischen
■) Vgl. FkVn und Winckrlmuin, HtndtchrlfTmpmbcn de« ie, Jihrhtindrrti I, I.
^ Bactlinui, ChmanU II. SUtotmUfcI Wurnuet.
i 74 Otto WindcdnuntL
Predig^ ohne jedoch in die frömmelnde, von Salbung triefende
Manier zu verfallen, der man in späterer Zeit zum Überdruß
begegnet Das Verhältnis der Predigersfrauen zu ihren Gatten
und Söhnen erscheint in diesen Korrespondenzen von wohl-
tuender Herzlichkeit und Natürlichkeit Wahrhaft rührend sind
insbesondere die von echt mütterlichen Empfindungen beseelten
Briefe der Wibrandis und der Elisabeth Bucer an ihre jugend-
lichen Söhne.
Der erste, zu dieser theologischen Gruppe gehörende Frauen-
brief unserer kleinen Sammlung rührt von Agnes Fagius her,
der Gattin des Straßburger Predigers und berühmten Hebnü^en
Paul Fagius,*) der 1549 mit Martin Bucer nach England hatte
flüchten müssen, weil er gleich jenem durch leidenschaftliche
Bekämpfung des Interims den Zorn des Kaisers gereizt hatte.
Bei den glaubensverwandten Briten hatten die beiden Reformatoren
nicht nur eine höchst ehrenvolle Aufnahme, sondern auch einen
glänzenden Wirkungskreis gefunden, der ihrem Schaffensdrange
vollauf genügte; nur konnten sie sich als echte Süddeutsche beim
besten Willen nicht in die so ganz fremdartigen Sitten und Ge-
wohnheiten des Landes finden und litten namentlich ungemein
unter dem englischen Klima und der englischen Kost «Hier ist
eine mir ganz ungewöhnte Speisung, die immer Fleisch und
Reisch ist, nichts oder gar selten etwas von Eiem, Kraut oder
irgend Gemüse," klagt Bucer seiner Frau in einem Briefe,*) und
Fagius hebt noch gelegentlich hervor, wie Bucer - und wohl
auch er selbst - darunter leiden, daß sie so »selten Wein oder
wenigstens nur Bier zum Trank« bekommen') Die von ihnen
in die Heimat entsandten Briefe*) verdienen auch sonst wegen
zahlreicher interessanter Einzelheiten die Beachtung des Kultur-
historikers.
Fagius wurde schon nach halbjährigem Aufenthalt in Eng-
land das Opfer eines bösartigen Fiebers, während der bedeutend
ältere und schon lange kränkelnde Bucer, dank der treuen Pfl^e
1) Vgl. Fickti und Winckelminn, Hindschriftenproben II, 6).
*i Baum, Capito und Butler 5S7.
■) Ebenda 553.
*) Baum a. a. O. gib! nur einige Auszüge aus den Briefen, die min In volUttn-
digEr Abschrift im Theaaurus Baumianui der Univ.- und Landesbibliothek StnSbnfC findet.
StraBburger Frauenbriefc des 16. Jahrhunderts.
seiner inzwischen herbeigeeilten Gattin, den sdiEimmen Folgen
des Exils elwas länger slandhielL
Über Bucers Gattin Wibrandia, die uns In dem welter
unten abgedrucktcT) Briefe so lebendig und sympathisch entgegen-
tritt, ist sonst nicht gerade vielra bekannt.') Aber schon das
wenige, was wir von ihren äußeren Lebensschicksalen wissen,
nuchl sie zu einer ungewöhnlichen Erscheinung. Sie war eine
Tochter des Ritters Johann Rosenblatl, der unter Kaiser Maximilian
als Feldoberst gedient haben soll, und heiratete in jungen Jahren
den Magister Ludwig Keller (Cellarius) in Basel. Nach dessen
frühem Ende wurde sie IS26 die Gattin des bekannten Baseler
Reformators Oekolampadius, der ihr 1S3I ebenfalls durch den
Tod entrissen wurde. Nur vermählte sie sich 1S32 in dritter
Ehe mit dem Straßburger Theologer. Wolfgang Capito, und als
auch dieser sie 1541 als Witwe zurückließ, reichte sie seinem
Preunde und Kollegen, Martin Bucer, die Hand zum Bunde.
Aber auch er ging ihr 1551 in die Ewigkeit voran, worauf sie
sich mit ihren Kindern nach Basel zurückzog. Dort ist sie am
1. November 1564 gestorben. Ab Merkwürdigkeit sei nodi
erwähnt, daß sogar ihre Mutter die vier Schwiegcreöhne Keller,
Oekolampad, Capito und Bucer überlebte!')
Von Oekolampad hatte Wibrandis einen (früh verstorbenen)
Sohn und zwei Töchter, Irene und Ahthia, von denen die letztere
sich mit Bucers Gehilfen und Freund, dem aus Tirol gebürtigen
Straßburger Prediger Christoph Soll , verheiratete.*) Von ihr
veröffentlichen wir einen Brief, den sie im Frühjahr 1S52 an
ihren Mann richtete, als er zur Vertretung Strafiburgs mit Marbach
auf dem Konzil in Trient weilte. Wenige Monate später verlor
sie den erst 35 jährigen Gatten nach kurzer Krankheit, schloß
■) Vg\- Blum I. 1. O. pitulm. RetotwatioiU'AIintiuch ib}i, S. 187, wo auch dn
PortriU üdi tiDCin Orlt[>n>lKnnildt, das «ich in Piivilbnltz belliiiJc^l, ecgrboi <it
1) Dia Kdit u» Büren Inin rar sHnnn Todr itK^lBl)<<^i KodiTÜI (Blum 5T1)
tttnor. Di« .Omflinutiw ■wird lucli in ilcii Famllirabiklcii öti« cr»älinC. i. B. »m
EdiluB da Sditclbciu dci Alidiia Süll (vgl. unrinl, feiner bei Bjum »6, vo dit Stelle
onnbat tnil UtirNhl auf Kiicrn Stidmultcr brangm sitJ-
*) In annmi KixliiiH hil sich Bucer bflrrft» feiner Sli*(kitidw eiiK merl'»ütdi m:
VmvduliuiK 7iitdiuldcn bonnsm iiswn. Indem rr von iwti norh Itbcnden TAchKra
OipUB» nnil nur einer Todilrr Oekabinpuls ipridil, Tatilcblldi «arm von letitEiciu
4ie (vd oben crvUinlen Töchlcr (vgl. SUdUrchIv Contr. T. ZA) vorhuiddi. während
Ctpiia nur eine Tccblcr (Ak»») hintcilaucu liiltc.
Otto WindieLmsnii.
I
aber schon 1553 einen neuen Ehebund mit einem gewissea
Hans von Lampartcn.')
Aus der Verbindung zwischen Wibrandis und Capilo gingen
zwei Kinder, Hans Simon und Agnes, hervor. An ersleren, der
1557 in Marburg sludierle, hat Wibrandis den prächtigen Brief
gerichtet, den wir unten abdrucken") Wir ersehen daraus, daß
ihr dieser Sohn, dessen späteres Schicksal im Dunkel liegt, vid M
Kummer und Sorgen bereitete. Die Tochter Agnes verheinlete
sich nach Buceis Tode mit dem Pfarrer Jakob Meyer in Basel,
der später in badische Dienste trat
Von Bu«r endlich hatte Wibrandis eine 1543 geborene
Tochter, die zur Erinnerung an Bucers erste Gattin den Namen
Elisabeth erhielt Sic folgte der Mutter 1S49 nach England, 1553
nach Basel. Hier wurde sie 1565 die Frau des Ralsherren und
Landvogts zu Waidenburg, Karl Gleser, dem sie nicht weniger als
acht Söhne und fünf Töchter schenkte. Von ihr geben wir den
schönen Brief, den sie an ihren (1578 geborenen) Sohn Adatbert ■
richtete, als sich dieser gegen Ende des 16. Jahrhunderts zum
Studium nach England begeben hatte. Elisabeth überlebte ihren
Mann um 27 Jahre und erreichte gleich ihrer Mutler und Qroßmutter
ein hohes Alter. Sie starb zu Basel am 10. November 1618.»)
Zum Schluß bringen wir noch einige Briefe der Gattin
von Johann Karl Lorcher,*) der 1562 Ratsherr wurde und seit
1567 wiederholt als Ammeister an der Spitze der Straßburger
Regierung stand. Im Jahre l566 war er der städtischen Gesandt-
schaft zugeteilt, die den Reichstag zu Augsburg besuchte und
dort das kaiseriiche Privileg zur Verwandlung des Straßburger
Gymnasiums in eine Akademie erwirkte. Während dieses Augs-
burger Aufenthalts empfing er von seinen Verwandten und
Freunden zahlreiche Briefe, die uns zum größten Teil erhalten
^^StIBflb. Thom, Aich. äJ. BnicIisICck dnHochfcItsbuchxtci Neutn Kirtlic. Ober
sali vgl. KAhrIch. Mllt i. Qaeh. d. n»ni. Kirdic d« üImB Ul. ;ii K.
^ t-in ilAek divon «ird In Pilulmilc bri Plekn und Winrhflminti It, M ib|tr-
dmckl »enlen.
•) Die Notliai über de und ehre Pimille verdanke ich Iteundlkhei Mitidluns dea
SlMlurchlvt tvucl. VkI. tatli Biuri S6a und Orouius, Urbi) Builitniit cpittphia. vo
dk Ocibtdirifi CliMbctlu gedrucki Ut.
1 Vil. Aber ihn Melchior Sebii, SInflb. Gymnull chrltlllcti«« Jobellnt (StnfU».
1MI) S. II!.
Slraßburger Fniuenbriefe des 16. J«}irhuRdert&
177
sind,*) darunter auch die seiner Frau Elisabeth, geb. Hirtz. Zwei
von den letzteren sind eigenhändig; die übrigen sind nach
Elisabeths Anleitung von Sekretaren verfaßt und an den Eigen-
heiten des Kanzieistiis sofort zu erkennen. Aus der Häufigkeit der
religiösen Phrasen und Anrufungen Gottes braucht man in dieser
Zeit keineswegs auf besondere Frömmigkeit zu schließen. Ihre
Anwendung gehörte damals zum guten Ton und erfolgte ziemlich
schablonenmäßig, ohne daß man sich viel dabei dachte. Sonst
gibt sich Elisabeth Lorcher in ihren Briefen, wenn sie selbst die
Feder führtp einfach und natürlich.
Auf eine - wie mir scheint - charakteristische Äußerlich-
keit, die allen hier abgednicktcrt Fraiicnbriefeni eigen ist, möchte
ich schließlich noch hinweisen, nämlich auf das vollständige
Fehlen jeder Interpunktion. DaB selbst die besten Schriftsteller
des 16. Jahrhunderts mit Punkten und Kommatcn sehr nachlässig
und villkflrlich umgegangen sind, ist ja eine bekannte Talsache;
aber eine so konsequente Vermeidung jedes Interpunktionszeichens
wie in unsern Frauenbriefen habe ich bei Männern doch selten
gefunden. Dem Mangel ist beim Abdruck, so gut es ging, durch
sinngemäße Einfügung der fehlenden Zeichen abgeholfen worden.
Bei Wiedergabe der Orthographie habe ich mich im großen
und ganzen an die Grundsätie gehalten, die Steinhausen im ersten
Bande der Zeitschrift für Kulturgeschiclite (1894) S. 93 ff- ange-
wendet hat. Hie und da habe ich offenbare Flüchtigkeitsfehler
ohne weiteres verbessert; von mir herrührende Zusätze stehen in
«kiger Klammer.
Susanna Wurmser an ihren Gatten Bernhard Wurmser,
Slraßburger Gesandten in Nürnberg.
Stnißb. St.-Arch. IV, }.
f.
(Straßburg, 2. Oktober iS22.)
Mynen frintlich grüß und alles gut, lieber her. viß ■) mich
gesunl, got hab lob. solchs beger ich alle zit von dier zu
*) Nrtiai Famillcnnoilinchiei tipicrlcn in dlaen MItteittmeen die EmlmiidcKten,
bcMitdcn rat dm Wdn- und GrtrcidrhDndtl, eine froRc Rollt.
*l üo: r>D' ^'c hier, toKhrclbl die VciiuierinBUchianit milVorlkbc v tlM V.
1
hören, lieber her, ich veiß dier uff diß mol nil zu schriben,
dati dz min her von Stroßburg') Jocop*) erloupt hat, dz du
velet") vo! heren wureL ist mir nit vo! gelegen, dz ich In über
mir muß haben und nll zu dün hat. ist mir die zit lang und
woll gern, dz er ein andren heren heL er bedarff sin let*) nit;
öch ist er ein holtzigelig*) mensch, dz man fro ist, dz man sin
lidjg wurt doch veiß ich die ursach nit fast vol. du wursl
cß vol erfaren, vilt du dich dar zu schicken, ich meint, er
solt mit im gon Nterenberg siit geriten. so ist eß nit und got
do und durfft, dz tch in uff ein nugs'} kleit, sol er do gon
und ein gassen Juncker sin. van ich vll gelt het, ich voll sin
vol nit*) im lidig werden, du solts im schriben, ducht eß dich
et^ gut sin, dz er umb ein andrer heren lügt und sich selb in
die sach schickt dan vier in nit do heim ziehen kinen. er
mein, dz er ob uiiß leg zu sugen. *) hant vier sust noch
genüg, van idi wen/) ich wel sparen, so kumpt atwegen etwafl,
dz doch vier nit behalten, vier migen unß nit behelffen. vier
miessen lechen,'*) dz dün ich vasst gern, hindcr sich.
Lieber her, ich hab verstanden, wie du dockter Niclaussen ")
umb vin schribest gon Nierenberg zu schicken, dz mich freud
het, dz du ander liten vill geben und dier niemanß nit düL ist
eß nit genüg, dz du vemet'*) geschickt hast, und machtst deß
dingß zu fil. betest du sorg, dz vir inß huß vin hetcn und
ander ding, dz vir nohirfflig weren, ver nitzer.'') aber du hast
alB vir ander lit sorg und nit vir uns. vaß hat man dier heim
1} Du h«lDt: Der ttitcliof von Straüburg. Wilhelm von H'Olicnilein
*1 Wir aus don falgcndni Brief dniUkl-j htrvorsehl, <nr Jalinb ein Sohn Bernhard
Vurmieti. Dils|ir«chai(1 der danioUem SIlw. daB die PaltizI ermahne tu lliiec Ausblldnni!
im mllilirisdicn oder diplomKluilia] Dioist rar cmizt Zdl %\üi dnem rfirsUn oüaOtBfrn
«i»ch)oucn, v>r Ji.k'ab an den triKhüllidicn Hol gebnctit worden.
»} VtUt= vielleicht? Id = leicht?
«) SIC Bedeutims?
») nuji = neu«,
*t Ntt i« »ahfsthdntldi veradirichtn »Utt mit. Der Sinn Ist: Woin Ich nodi «i
viel Odd hitlr. «i ■müiit ich es durch Jhn bald Int vcrihn.
1 H = rt»l ?
t lugrn = utugm? ^Sinn: difl er aitf um liegt um un« lunauugm.)
*l •«) = »shiie, meine.
"Ulethen =■ legen f
"> Der Bnidcf Oetnhaid Vurnucn. Dekan da 81. Thamautitt». Vgl. Knoi), df«
StifUhenoi von Sl. Thomii lu StraBburg (PiDj^. tt9!} S. 17.
"I vem« = Im verjaneenen Jshr (Seher*. OIms,).
I*) vcr nllrer — Tire nfllilkher.
Straßburger Frauenbnefe des 1&. Jahrhunderts.
gesdiick nit also?') du üch gedenck an dir Sachen. Geh van
i«r einer dier ein kint vcrwjrgt oder üch ewaß dct. so gin eß
hien.«) aber den Ion im buch») enwegtragen, ist nit nütz, du
kanst sust uff diß niol nit anderß werdienen. loß den win
dockter Niciausen; er dar(f in selb; er ist unwilig. eß ist genug
Und nimp mich fremd, dz du so doret*) bist, aber die hofTart
düt dier so vol, dz du diner armüt nit gedenckts. heten vier
den rock bezalt, dz unß got genod det, so mecht ich gcliden,
dz der n'chslag ein end he(; aber ich kan vol gedenckcn, dz eß
unß zu vil ver zu bezalen und loß mfitwilig ding underwegen.
nit mc dan got geb dier gesuntheil und sin liebe möter. geben
uff dunderstag noch sanl Qeronimuß tag an o xx" jor.*) dz meß
Keterin bcltz*) ist in einen brieft. wan min her von Stroßburg
kumptj so wurt man dier in geben. Susana Wurmserin.
Adresse: Dem strengen und vesten her ßernhart Wiirmser
riter, mim besunder lieben heren.
11.
(Straßburg, Herbst 1522.)
Mynen frintlichen grüß und altes gut, lieber her. ich han
din gesunthett verstanden, danck ich gol dem almechligen siner
genoden. viH mich und uns alle gesunt, got hab lob. lieber
her, du hast mir geschriben, ich schrib dier numen narenwerg.
so weiß ich dier nit wiß') zQ schriben; dan man mich noch
nit in rot gesetz hat; doch hof ich uff diß winachtcn so! ich
wiscr werden, lieber her, ich mein, ich schrib dier zu vil, dz
du mied werdest miner geschrifft; ouch veiß idi dier nit von
vi! gell zu schriben, van du veist vol, vaß du mir gelossen
hast hetesi du mir III oder 1111^ gülden gelossen, voll ich dier
gern schriben, vie eß drum stind. susI hab ich sy nit, veiß ich
nit wisers zu schriben. lieber her, viß dz ich noch uff dissen
>) ei hilf fdiwa, dine SlUc zu vcnichen, umsomdii, d« Im Oiiüliul Jede [nter-
ponklloa (dhlt [Ich Khlai:« vo> : . . heltTi gc$(liicli ? nil (= nicKb, vgl. S. tio oboi). aUo
da Mi. scdnh« in din utlirn <i<h. l>. HM.)
■) Sa etnic fi hin, d. h. v> kOnnte min «ich niftitden erben.
■) Buch =i Diucli.
*l doret ^ töricht,
f, UM OUtober 1.
•} Du Maß an Prli«, den tfch Wonntert TochWr Kilhinni vdiuchle. Vgl unttn
Kathahnu Brfrf ui Ititcn Vaiei.
n a. h. «Ltc.
Otto Winckclmann.
düg iiit enpfangcn hab von unscrn Zinsen dan xxV gülden uff
Brümt') und sust kliter zinsel ') von Vendenheim, Norßwilei
und vaß uff sanl Martintag*) gefalen sint kleine zi'nß, aber sust
keinen, dan do obgeschriben stol. und viß, dz mir der kieffer
ein stick vin koufft, hall xxx' omen, kost dz stick win xx' gülden,
und sust ein halb füder, dz fuder xin guMen öberrinsch') vin.
do macht') du vol gedenckenj vaß ich noch vir gelt hab und
SUSI ain erlös (?] ') und vaß man bedarff inß huß. und viß, dz
ich noch nit vil gilt ') hab. mir ist noch nit von Vendenheim
worden noch von Hangenbielen noch von Ilkirch, dan Clauß
X f[iertel). sust veiß ich dir nit zu schriben, dz viß ist, lieber
her. die trow lol dicr vil Eüis sagen und bit dich, kumpt
Eichhargus, so soll du im ein par gülden geben, dz er hemd
kouff.*) so vil sy dier eß wider geben; doch nil tne, hat sy
mir befolen. vil er dun alß unser sün,") so macht er schuld
gcnQg darzö. lieber her, du hast mir geschriben unser? syenß *")
halb mit sim heren.**> so veiß ich nit, vaß er by im düL er
lot in nil mit im riten und lil do, vic ein mcstsu*') und lert
nit dan essen und trinck und gell verdün und ist doch nit genüg
domil; die schuld muß ouch darby sin. liß du selb, vaß daruß
wurt, dz gut ist. und vil ein grosser Juncker sin nil mitsywer-
lichkeit,'') nunien mit wüst, ich voll dier eß gcni nit schriben,
van eß mir ve dfit, dz ich sol sparen und eß so übel angeleit
ist- mein ich, du soltest im uff lügett und an dich heben und
im nit zu vil geben, dan eß verloren ist. weger,") er wein dan
') Hnim»lh, ein Ort im t'nltifls»!),
I| Klltlemntd = kleiM ZInvn. Vgl OTimm i. v KHtlcrsrhuld.
q Die EiwUinung de MtrtinKnges (Nav. ii.) gibl einen Anhalt [Cr die Diljeruiig
des Bli<fB. Vgl, unlcn Anm,
*) obnTheinifch.
■) ZwnfelhiKe Usut,
*) aaiid), Natiiii]tti|{Rt>m.
*) Welche .rrju" hier trmcint Ut. tUU sich lu* dem Drlct nicht cnlndiincn:; wahr-
icfarinllch ßcmhanli Mullrr Agn», grbomc Eilln v. Hoiburg. Fär d ine Annahme ipricht
auch ätr \int*Hn4, daß drr mriI nicht gtnäe Idulip Vornimt Kkhhirpu, d. h Euduriu«.
in d<r Funllie trlln niclivrliliar lit. Im Jthrc tSM tlndm wit einai Cucturlus Erlfai Im
Rii der Suilt. (Siadtarclilv, Daigtrtucbi.)
") Sohn, Vi:l, ilcn voriRcn Brief.
«i Söhnt.
u) Hertwi. d. h. dw BUchof von Sttiiibura. Vgl. den vorigen Brief.
>*) .MMlUU.
u) Sluberlidikdi.
••) mctr •■ betwr
Straßburger Fraueobricfe des 16. Jahrhunderts.
wir. nil me, dan gol der alimechtig und sin liebe mQter weEIen
dier gKuntheit verliehen, dz bellz halb, so sy so dir^) sint,
loß underwegen; ich darff mir selb rit so vil drum geben,
blibt eß vol an.')
Adresse: Dem strenger und vestcn her Bernhart Wurmser
rilcr. mim besunder lieben heren zu banden.
Katharina (Wurmser) an ihren Vater Bernhard Wurirscr.
Str. SJ.-Arch. IV, J.
Mynen frinilichen grüß und als gCitz zövor, lieber her und
vatter. ich laß uch wissen, das ich frisch und gesunt bin von
den genoden gottes. solliches beger ich alwegen von iich zu
herren. lieber her und valier, ich woll uch gern bitten, das ier
mier nit vergessen mit den 2epfenj und wolt uch gern bitten,
das ier mir ein nuwen beltz wellen koufren. nit me, dan got
spar uch gesunt. ,, „ .
Kattcmn
uger d *)
Agnes Fagius an ihren Gatten Paul Fagius in England.
Straßburg, 2S. Mai 15+9.
Stnißb. Univ.-Bibl. Thesaurus Baum. XX, 72 (Moderne Abschrift).')
■Mehrung götlicher gnaden und alles guten wünsch ich
eucli, freundlicher lieber herr und liauswirL wie hoch mich ewer
vier briefe erfrewet haben, kan ich euch nit genugsam schreiben,
noch vi! weniger gott, unserem himlischen vatter gedanken, der
euch bede so gar vcHeriichen geleitet und jetzund in ewer ge-
warsame und zu seiner kirchen in Engeiland gutem und besaerung
zu rüge gebracht hat," ... Es ^Igen Äußerungen frornrrur Ho/f-
nungfn unä WQnsche, sodann MUkUangen ziemlich aUgemeiaer
Art über die Siraßirurger Kirche.
') imm.
■) Unnnchrtfi und Di-tum khim; äixh kinn nich Inlnili, HandMlntftBBlAdKHe
Un Znird kIiii d>B der Brief gleich dtm vorigen lan fvusuiiu Wuraucr IWTSlirt Md
•iJmtlwinlldi in d« zweiten Hälfte dis November 15!! ReKtiricben irf.
*) Die UrucncNritl i« mm Ti-Il ibgcrksm. Adrew f^hll: doth rührt dtr Brief
oRoiliar von der Kitliiiina Wannirt licr, die sm Schlüsse des ersten BrIKe» von Susaniu
Wurmirr (oben S. W9> er>ihn1 vinl.
*| Du Onitlnil bHciid iklt in der Bibliothek d«s protaLuitiichtn Sciofcwn lu
SinBtiurg und iit mit dioei ISIV veibrtnnl.
II Meine einsame und kiimmcrniis wurffe ich immer uff in
|Qott], der laßt mich on trost nit; auch erbieten sich vil guter
gunner vil guts gegen mir; gott seie ir lohn, ich binn am
Osler zinstag hinuff gehn Richeiiwiler mit unserem Johannesen
und der Charitas gefaren und bei Xllll tagen alda bliben. hat
mich zwar die fart nit all zum besten empfangen, dan ich aber
(die Wahrheit zu sagen) ettu-as, doch nur an henden ongieiching^)
worden ; doch gotl lob bessert es sich taglich, und wa d. Andemadi ^
mirs rahlel, wolt ich in ein bad, damit ich nichs, dus gottes guttc
mittel sind, versäumete. Zu Richenwiler, die zeit ich da ge-
wesen, ist die predig verbotten worden von den rhäten des alten
hertzogen;') doch wirdt in den frügebetten und catechismo kein
ermanung gesparet, und hab ich die letzt predig von inen mit
gantz bekümertem hertzen gehöret und darnach bede, hem
Niclauscn und hern Malisen,*) sehen mit einander dahinziehen
zu irem herren, grave Jörgen.*) doch hat man unseren Johannesen
nit gcurlaubet, der mir sein und der seinen wolfart vor 4- stunden
hat zugeschriben. got habe lob und erhalte doch etwas warheit
hin und wider und steuhe") allen gotsfeinden hie und allent-
halben, so fil ewer ermanung, unser liebe Charitas belangend,
in sich hatt, wil ich deren, hertzlieber hauswirt und gemahd,
vleißig nachkommen, wie auch allen den anderen, so ir mir
freundtlich zugeschriben haben, nit not, alles von stück zu stOck
zu eräferen. ich hab gern gehört, das ir inn ewer glücklichen
reise und ankörnen unseren Pauluni gefunden (den ich seer
freuntlich thu grießen) und lassen in euch nur wol dienen; dann
damit dienet er gott, seinem vatter selbs, mir, im und seinen
gescJiwisterten; dan ewer leben auch unser heil ist und bringet
so laß ich mir auch das vertresten des Timothei halben gefallen;
■) Es iil m«ltc1h«rt, ob der KapM lUi Wait richtls geleien htl, und wu a be-
ilfutcn Ulli, Nich cf<'in ZuMmnirRhanit M an rinc KmlhFil, vicllacbt Oidit, n licnkm,
)) Dr. Wintrr von AndMitith, der bcrahmtc SirxKbtiTgFr Ant. Vgl. Beniiyi In da
ZBchr, f. Oodi. d. Obeirhtint XVI, liff.. »o lul S. *1 r. i lucl; der vorllcitrndF Brief
trwihnl l»t.
*) I>u evuiKcllKhc Rcichcnvtier K^lifirte lu den diJiMtKhcii Enitrungcn Wüiileni
hfTp und hittc (baiM> wie StriDburg unicr dem Druck de^ Intcrlmi von iS4l lu leiden,
blt Ctrsf Oforg, der Bruder da .allwi* Uttfoti Ulrich, die evsnEelischen Predleei vleder
tIniRiK. Vel. RMinch, QcKh. d. Kctorm. Im tlluO II, 2bZ.
*i MIcotBU* K£ni|i und Matliiu Erb.
*) Orir OcoiK befind ilch datnali in Sad Utk Im Wallii. ft6)iridi a. a. O.
*i fleuhc - (teure?
StraßburgeT Frauenbhcfe des 16. Jahrhunderts.
der liebe goH gebe das gedeien. idi hab ein gute alte miiter
bei mir, die mir und dem kind vil lieb und Irewe erzeigt, dan
Bärbel ist uff der ostermonlag hinweg und kompl vor Johannis
nit Widder, wie ir selbs wisset auch sind wir noch in unserem
haus, darinn ich bleibe, bis das man mich heißet ausziehen, wie
mir dann gute freunde haben geraJilen hausraths halben zu be-
balten bis uff ewer weiteren bescheid, auch des Versehens mit
der tinwaht werd ich mich ewers raihs und geheißes halten, und
anders, so euch lieb und gefellig sein wirdt, wie es Schwager^
Schwester und anderen gange, habt ir aus iren beigelegten brieven
zu ersehen, es grießen euch sonders freundlich alle und mehr,
dann ir mir bevolhen haben zu grießen, on not, aller namen zu
setzen, und besonders die alte muter, bei deren ir einmal in
M. Anthoni Scherers haus gcßen haben, grießet euch seer, vast
fOraus ewer liebe ChariJas, die immer von irem Heben vatter
sagt und bitt, ir sollen bald widerkommen, sunst weis ich jelz.
weiters nicht, dann grießet mir h. Martin zu M mal und dabei
euch auch selbs in herren und alle gute Herren unsre gönner
bei euch, wie ich mich mit dem Timotheo solte hallen, wann
ich von euch abgefordert würde, und anderem, lasset euch kein
schreiben bedauren. hicmit M guter nacht, biß ich selbs der
bott würde, der segen des herren walte über euch und uns
alle. amen. Straßburg uff Urbani MDXLIX.
E. hertzlieber gmahel Agnes B.*)
Alithia SölI an ihren Gatten Christoph Süll [in TricnlJ.
[Strasburg] 16. April [15S2I.
Straßb. St.-Areh. AA 576 a.
Gnad, sterckh und trost an leib und seil verleyhe euch
gott der vatter durch seinen lieb son unseren einigen heren und
heyland Jesum Christum in krafft gottes des h. geyst, amen,
ach mein herr, weyset, das ich ewer schriben vemumen haben,
dcrhalben Ich ser erfrewet worden bin, das ier so gleöcklich
>) Agna w Dne ecbormc Ruchhaiiai. Figlui nennt «It in der Drldt^dreue vom
U. ]bU tf*9 mil iiescni ttuntn (Thrt. Bium. XX, III),
inen') kumen seind. ich hab imcrdar sorg, « stant nit recht
mit euch iind weys doch, das gott schützen und schirmen kann
vor gcwait und allem ibcl, den er, der guettig gott, ist allein
gewaltig und mechtig zu erhallten zu seinem lob all^ die im
vertruwen. so weis ich, das ier eweren trost zu disen tels Christi
haben allso gefaßt, das ier den gewalt der erden nit ferchlen
werden und sollen in auch nit ferchten. was zu der er des
herren Jesum Christi dient, das sollen ier fürder und efich gar
nit entsetzen, warin man euch ratts tragt, da sollen ier grad
nach dem wort gottes ratten und in keynerk-y bewitigen, gott
£eb, wie seys") machen, wen wier unschuldig sind, so band
wier gnug. vergend') min herren Christo nütt; er kann euch woll
erhallten, ferchten euch nit. wie woll ich weys, das ier des-
selben sins sind, so mies ich euch doch lasen wisen, wie es in
minem hertzen stand, damit ier dester bas megen handelen. min
gcmidt ist wie das ewer, darob zu sterben und leben, wie es
min gott gcfatt. gott gebe glauben und sterckc, amen, der
almechtig gott hett mich abermal auffgericht. dem sey lob, ehr
lind dank, wie woll ichs nit werd*) beyn, das er mier so gnedig
und barmhertzig ist. die kirch ist zümlich woll versehen, wie
ich mich dorinn verstant es verseycht*) euch herr Jacob im
bladerhauß*) ewer amptt, wie woll ich jetz nit dusen beyii, das
ich sehe, wie es drin zugang, den ursach halben, wier seind alle
drey krank worden, so hett uns die muotler heym genumen, so
beir ich noch imer bynen, aber herr Gal ^ het Maria heyinge|nl-
umen, das ich nil weys, wie Ich mich halden sol, ob ich ein
andere deyngen") soll; ich ferchl, es sey nimen vir mich, des
weins halbenj wie ier mir befollen. haben ich sollen eyttwcderst
dem pfarer oder dem herr Tiebald geben, so hent sey nit
nemen well, herr Cuorad hett den roden wein auch nit neraen
wellen, so beyn ich der hoffung, ier werden ebald") kumen;
■) Inen s Innen, d. h. hinein (nidi TrietiQ.
^ *\t «.
•) vrr)[B»rni1 = vergtAI,
^ wrrt = vdRlie.
•1 »craidit, d h vcrttill,
*) BUntttuin. üu stlilliichc Splul für Syphltiliichc.
^ Der Ninic iit tclit unjculllch Kc*cbtidlcn uad bSnnl« iuth inden nt Ictcn Kin
•) dingen.
• ■) Du « 1(1 ciirmtlkh von .bkid» in tKUun. Ci bedNtet In dw MiuHlut etwa
w vld wie .ohaebln* oda >Jm docb'.
so bein ich woll zu früden, das ich den wein noch hab. des
scheider ^) halben derffen ier Weyn sorg han, dan es schon auß-
gericht. ich hett noch veyll zu schriben ; so wissen ier, wie ich
eyn schribrin bein. drum jetz so vir gutt, nil mehr auff dis
mall, sind gort befollen; es gries die mutter, groQniutt, Anges,
Margredle, Irene, Elleisbel, und seilen von unseretwegen herr
dock[t]er Marbach *} frindlich gries und alle fr[u]tne brieder,
Dathifn den xvi tag abrelen (1552). ^uthig Söllin ewere
verlruwle hau6frauw.
Adresse; Mein freundüichen lieben herren Christoffel
Seil zu banden.
L
Frau Wibrandis an ihren Sohn Johann Simon Capita
in Marburg.
Basel, 14. März 1557.
Straßb. Thom.-Arch. 2t.
vOnad und drost und vill wisheit und Ier von gott durch
unseren hercn Jhesum Christ, lieber Hans Simon, ich hab kein
bottschaft von dir, sidcr das der bott von Margburg by mir ist
gesin, ich versieh mich aber woll, wen ich schon bottschaft
von dir haben würt, das sy mich nit erfrewen würt; den es ist
din alter brüch, das ich nütt den crüz von dir hab. o, das ich
den tag erleben solt, das ich euch ettv.'as gutta von dir hört.
Wolt ich darnach mit freuden sterben, din gesellen, die mit dir
pakclary ■) sind worden, die sind schon alle maislcr*) und bredigcn
All ins margrafenland. darum lug und schik dich auch, das du
<lin gelt nit vergeben verdügest, und wen du din dt erlebest,
Uas du oöch den lütten nüz syest es sol kein mensch leben,
er sol lügen,') das sien leben gott und den menschen nüzlich sy.
du weist wollj worzu du von dim lieben vatter seligen verordnet
bist lug und Vüm im nach; du bist nümen so kindesch, du
weist woll, was du dun solt, was wol und übel statt ich wolt
t V«rKhrie(Mn »laH .sehnriilH-*? Oder rin Eigtiuiam*?
^ Die tnir Sllbt 4es titmem ist luum Iscrllth: rt lonn lieh tbrr mir um den
ThcolosBi Marbach, :n dnicn Btulcilung (ich SAU Driind, huiddn.
*) Bjcciiiurcl.
*l d. h. MtglalcT.
ArM* (Cr Kultursncliicliir II. 18
gar gern wüsen, wie es dir gieng und wie dö dich hieltest oder
wo du ru disdi gicngest. lug und gesel dich zu fromen Ifttteii
und gnis mir den lieben Herren doüor Jonhanes Lonyzenius,')
din rektor, der dir underschrlbeti hatt, und bttt in, das er nit zürn,
das ich im iiit selber schrib. du wei&i wo], das ich nit wol kan
grosen heren schriben; aber wo ich im aJs ein arme wiltwe
kontte dienen, wolt ich alle zitt willig sin. din vogt würt dir
die XVIII gülden schicken by gewiscr bottschaft do lug und
«und. halt dich, das kein klag köm, und nim aiweg disen guttcn
Herren zu ralt, was du dun wilt. das gell sol dim rektor uber-
anttwortt werden on feilen.*) lug und schik mir kein botien me;
den der kost gati allen us dim sckel. lug, bys aperlich') und
studier nisig. gang dim befelch trüllich nach, bis goltsforchtlg,
trink nit, spill nit, lüg nit, bis ufrecht in allen dingen, butt dich
vor huren und bcser geselschaft , erweli dirs gutt und las das
bos, do mit du mögest sin ein tempell gottes. fluch die bos
weit mit allen iren lüslen und erwell dir zu sin ein diencr
Christe, wie din lieber vattcr selig gsin ist; so wurst du mir, der
grosmuler, dinen lieben Schwester und schweger und der ganzen
fruntschaft ein gros freud und wolgefallen (hun. es ist keins
UTider uns, es wurd Üb und gut zu dir sczen, wen du nümen
ein wenig dich schikesL süst werden wir dich das din lasen
vcrthun, und wen du grech *) bist, so mOstu lugen, wo du ander
ubvrkümest; den do ist niemen, der ein heller für dich geb.
darnach wus dich zÜ richtten. hiemit bis gott befollen. es grusel
dich die großniutter, Irene, Lisenbettlin.*) geben Base! am XIIII
tag merzen im Ivii jor.
Angnes und syn man») sind ins margrafenland, hand ein
guttcn siz, gatt inen gar woll, hand ein jor beser dan hundert
gülden, und hatt der margraf ein stipcnd angericiit hie zu Basel
für XII jungen; gibt eim ein jor XXX gülden, wen du hie
wcrest und wollest recht thun, ich wolt dir wol eins überkämen.
I
I
r'l Johanna Ixnilctnii, Profninr In M>tbii>E- fl
^ Ohne Fehlen, unfrhlbu ^
'1 Johanna Ixnilctnii, Profninr In Matbii>E-
■) Ohne Fehlen, unfrhlbu
^ bii iper!l«ii ^ Mi rptn^m,
«I Mm kbiinit anntilh auch leten: slKh. Bedratung' Vgl- Hllddinndt Arltlvt
■ Kntkc* in Orimm'i Wßrteibuch
>) Ell»ibct3i l>u«(. dk VcrfuKriii dn unten ibifnliucklca BiMt.
^ Aprci Capito udJ ihr Mann, der Pfarrer Jakob Meyer,
L
Straßburger Frauenbriefe des 16. Jahrhunderts. 187
das gib ich dir zu bedenken, wilstu recht thun, so küm heim;
wiltu nit, so thun was du willt; ich riet aber, du sparttest das dine.
ich schik dir hie ein gut jor.
Wibrand din getruwe mutter.
Adresse [von fremder Hand]: Dem dugensamen und ge-
lerten johan Simon Kapido Studios jetz zu Marburg, minem lieben
sun zu banden.
Elisabeth Qleser, geb. Butzer, an ihren Sohn Adelberg.
[Basel zwischen 1595-1600].
Str. Thom.-Arch. 21. Orig.
Meitterliche *) triw und alles gutz mit hertzlicher weinschung
alles gleicks, heil und wolvart wele dir, lieber son, alle zitt
■widervaren. weiters, lieber son, so wis, das der herr Hugo
Bruchton weider hie ist, welcher zum tocker*) gesagt hatt, wie
«r dir ein gutte virgeschrift geben habe, und so dir gott ins land
lieilft, das du als haben würst, so du terftest^, das ich worlich
vir ein sonderliche anschickung gottes halte, dan dus gegen im
nicht verteinen *) hast kenen, aber du wol erachten magst, dan *)
CS dir umb deins gelen har wilen nicht widervaren ist oder umb
deins hohen verstants Teilen, sonder umb deins fromen groß-
■vatters weilen, der dir solches mit surer arbeit verteint hatt und
in sein leib und leben kost hatt, do mein liebe mutter und ich
und meine geschwesterte seiner heilf gar zu freig band meisen
beraubt werden, und diewil wirs nun nimermehr geneisen megen,
-weder aleinig du und vetter Wolfgang, so bite dich, das du die
zitt und die gutt gelegenheitt, die dir von gott kumbt, wot an-
l^en, wie vetter Wolfgang, do jetz seine elltem mit grosen
freiden seiner ankunft erwartten. dan es dir gar ibel anston
würde, wan du die zeit verlieren leißest, diewil du selber on
min wilen und on mein rot dich in den weiten weg begeben
hast, das ichs denocht mus im verfocht sein, ich hab dir heimlich
1) Die VerfisKiln enetzt mit Vorlidw ie und fl dnt^ d tucb di, vo n ^Dt tm-
Ji^cbncht itl ; so hier .meltterlich- stitt .mfitterlich-, .veinKlituiK- ttttt (Wämcbans* rtc
I) Doktor ? Die LcMil ist ivdlellitft.
■) bedörite.
*) verdienen.
^ Wohl VEncbrieben fGr „daß:
13«
dorzu gehulfen. das weist gott und du audi wol, das es nicht
est; dan ich dirs atc zit gewerdt hab, es sei dan sacJi, das du
maister seist aber es halt dir allso gefalen; dan du mir ein ^
grosen kumer zur lelze gelesen hast, wil dus doch ehe im sin ■
hast, hetest dus doch mit wisen und willen geton des h. weders ')
Jacoben und deinen Butzeyem,») dan ich niemand ansehen darft [?]
und mich schämen muß; aber ich muß dem lieben gott befelen,
der mich allso in alweg brobirt, gott wil mir die gnod verleichen,
das ich die brob meg außsteen. dorumb bit ich dich, das du
die zitl deines jungen lebens wo! anlegest und kein stund ver-
geblich heinschlichen lost; dan es kein greseren verlaust ist, dan
wan die jugcnd ir zit tbel anleiht, dan sie nimer zu gewinc ist
wie gelt oder gut! dorumb bis fkisig. vas du hie versaumbt ^
hast, das weisest") du villfeEtig wider ersetzen, das es nicht demfl
allten Sprichwort nochgange, das ein gans iber mehr fleig und
ein gans widerkum; dan mir der all herr Bruchton seit, das er
dir ein firgeschrift geben hab, das man dich erhalten meise vott
wegen deins fromen grosvatters, so du deisig seiest und dich
wol halteHs. dorumb bit gott lag und nacht, das er dir den
heiligen geist verleichen wel, das du allem dem nachkumen meges^
was dir zu leib und seien nutz sei, das du auch ein steicklein an
deim fromen h. grosvatter ersetzest, dan es gar scheimflich were,
wan so vefreimbt*) leiten keinder sich ybel heilten, dorumb
bit gott, das er dir die gnod verliehen wele, das du niegest
altem besen, altem augenlust, allem fleischeslust noch alles, wa^i
in deiser weit herlich seirt, megest orla..*) geben und feind
sein und dir nicrgend mer angelegen sein losen; dan als") das^
[nitj ^ zu gottes lob und ehr teinnen mege. weiters, so gib du f
mir ein bericht von den zum enge!,') was du im geben hast; dan
er nicht mehr geston wil, dan das du im ein mol geben 16 i^.
I
') HtctTm) Vttitn? Mci;Iicho*d»C I« a tudi ein FamillcnnBmc.
*) Dk BuUcrxhc VcrvMdtKhaft?
■) Zwcifclinttt ta*n. Vtrachrirben für >wrllnl-?
*) rarreJmbl «- btrflliini.
*} uiUub? r^ M in dlncr Stcllr dn hMta dn kicinr* StOtli a&ecriMtn.
") ntlo? 1 Hirt I» ein Slfickda Bloim ibKcMucn Ich vennute, d«BdaiVorT
■nit- darauf KnUndoi hil, |,nl(' muß «ohl «t](fillciii .nitigcnd am' und ,4ut ab' le-
h&rcn luumiiiBi. D. R.j
*| Bciiehl lidi offcnlur Ulf nn WlrUKout .luni Engrl*.
Straßbiirger Fraucnbiiefe des 16. Jahrhunderte.
I
I
I
I
das andr mal 6 5** etlich scheilig.') mir inein(eii], das du im
vem geben hast, das sei nich aufgeschriben worden, so bricht
du uns, was du im geb«n hast und wem dus geben hasl, domit
mir in kenen bericliten, dan ich noch sunst gnug zu zaien hab,
dan ich in den schulden sterben mus. welest auch dem alten
herren Bruchton und dem Englender wider schriben, dan es der
zum Wolf gar ybcl bcschmocht*) hatt, das du in nichts gesdireiben
hast aus der Frankfurter mes, und in tinken, dan ontankbarkeit
ist ein lastcr. so du gelegenheit haben magst, so schrib inn und
allen gulten fnnden und unserm schwoger, von dem du doch
kein Urlaub genumen hast, vis auch, das mir nur ein brif
«nbpfangen haben und der Graser ein, der gesagt hat, wie du
seinen bruder brelf geben hast, welthe uns nicht worden seind.
bit auch den veter Wolfgang, das er wir'') des lands gelegenheit
Weis, den [wenn] einer 13 jor an eim ort gesein ist. magstu wol
erkenen, das er teil mehr wise und auch einem andern rotten
kene, der das land noch nicht erkundiget hat und sein art nicht
Weist; dan dus in alweg beser hast dan veler Wolfgang, dan er
niemand kanft) hat, der inn underwisen hat, wie er dir tun kan.
"welest dich auch das mul nicht losen yberylen, das du nicht
Speisen est, die dir schaden mechten, dan du ein bleden tnagen
'hast o beheilfe dich in allem dem, so du haben magst, das
vir dich ist; denk an deiner mutter teist;*} dan soltl du kranck
werden, so het du niemand, der dir wart, und sumbt dich am
studyeren, dan die krancken seind in denen bnden nith wert
und deins namens halben bleib du by dcins vatlcrs namen, der
auch ein fromer erlicher man gewesen ist, des du dich nith be-
schcmcn solt, so du dyn ') endern wiltt, so schrib dich Oleser
genant ßutzer, wie dein schwoger h. J. . nit mehr, dan bis gott
bevolen in seinen schütz und scheirm, der wele dir ein engel
senden, dich leiten und fier[enl auf allen gottseligen wegen, es
grcist dich a!e mein keinder und freind und die Bärbel, so du
kanst, so greis uns den veter Wolfgang zu vill tusend molcn.
1 »diitliniE.
>l bnfhmlkt, d h. geUdelt,
•I Vrrwhrlcbrn für .dlr-f
<t Sic! = Ti>ch? (WüJil = idfitjäi, DJfiiit. vel. weh S, t90. D. RKt.|
■t ZvrildhafW Lmrl. Dyn = deinen (Namen) ?
r
Datum') II tag aberelen*) von mir Elisabeth Butzrin, din lieb
bekimert") mutler bis in tod.
Dein gesundheil haben mir in deinen scliriben ventxn,
welches uns wo] freit, wis das mir auch alc gesund seind. gott si
fob. gottwoSe dich und uns alle in guter gesundheit erhalten, sage-
dem veter Wolfgang, ich het im gern ein klein zetlin geschriben,
aber die zeitt wils nicht gäben, sag im meinen frindlichen grüß,
welligen teinst gott wele, das ich halt mit grosen freiden ken mit
im reden; will ich bed in gcllichen segen bevolcn haben von
mir Elisabeth Gleserin leibc schwrstcr bis in tod, in groscr eil.
[Am Rande:| Vergis aunser nicht; mir vergesen deiner nicht
wan du schriben kanst, so schnb; dan du din muttr nicht bas
«rfreien karst, dan mit einem brief.
Adresse: Deiser breif gehert meinem leiben son Adelberg
O lesen
Elisabeth Lorcher an ihren Gatter Johann Karl Lorcher.
Straßb. Sl-Arch. IV, J.
].
(Eigenhindig.)
L D.*) S.*) auff mendag vor sandt Jergen tag ö6. [22. April 1566.)
Meinen frindlichen grüß und alles guts zu for herlz lieber
Karle, wise, das ich din schreiben empfangen hab, velches mich
gar wol[ erfreigt halt, das ier mit gesundheitt dar kumen sindt
und loB dich wisen, wie es mier gett wie du fon mier bist ge-
retsl, das ich gar kranck bin gewesen, wie du dan woH weist
aber gott hab lob, es ist bald beser») um mich worden, aber
iber Vlll tag bin ich gar kranck worden, das ich in IUI tagen
nie auB mim beCt bin kumcn, da.s ich weder sten noch gen noch
ligen noch sitzen hab kinen.') aber gott dem heren sig lob
und danck geseit, es ist be&er mit mier worden, ich weiß dicr
■I OnrliTlrbcn itl: DVM. Dir Jihrmihl hinn ä\n mrinn r.nchtrni nldil bfdMIsi.
l| April
*i Znifelhaftr Lesart.
<^ U D. = Law Dco, die in Kouftiunnibriricn bcMndtn bcUelilr £inK*iiK»tonn([.
^ S. = Scrlptun.
^ b«Mpr.
n Lorchen 5chartner, Daiiltl Biiucli, bcricliicl aber dlnc Kraiiktiell der Tnu im
1$. April : •Ul e'cl'c'K'vl die IriuT vcTKhlnnttic vacli clllcbc Ug nlchl viit vol n pa0
RFvncti, «ondcr vFhrlngFn itn rucli«i imd Icndm gchipt, ttmt gM lob jrtimali wider fein
und ilmllch vn9iut.>
Straßburger Frauenbriefe des 16. Jahrhundoll.
19t
auff dis moll nit mc zu schreiben, wie dan der Dangel ') dicr
auch geschribeti hat wer min frindliche bil an dich, das du
midi auch liest wisen, wan dier unser lieber her gott wider heim
wot*) helfen, das bit ich dich, das du miers nit welest fer halten
und michs wisen loßen- ich hab es nit kinen fer halten und
dier ein kleines briefel miesen schreiben, das du siest, das ich
an dich gedenck; dan ich und min Schwester sin allein gewesen,
dan nit me auff dismol, dan goH geb djer fil glick und gesund-
heit gott wel, das du mit freiden wider zu mier kumbst. lost
dich jtriesen min scliwager Israhel und Berbel iind feter Peter
und besei An,*) die alt und die jung, und feler Marx und feter
Ascnmus. ich habs nit bescr kindt.*) nemen so fer gut,»)
lieber schwogcr,*) und fer gesen unaers kroms ') nit am cnd.*)
Adresse: Dem für sichigen und weußen hem Johan Karle
l-Orcher, minem lieben haußwürtt zu handen in Augspurg. [Da-
runter von Lorchers Hand:] Recepi per postam 4. Maij 66.
II-
(Eigfnhändig.)
Straßburg. (9. Mai l566.
Meinen frindlichen grüß und alles guts zuvor, hertztieber
Karle, ich loß dicli wisen, das ich din schrtben cnpfangen hab,
welches mich gar hertzlich woll erfreigt, das ier alle frisch und
gcsundt sindt gott der allmechdig geb witer gnad. vise, das
ich in zimlicher gesundheii bin, wie min alter bnich ist, gott
hab lob. wise, das ich dier nermals hab geschriben, du solsst
niier blogen kelsch*) kauffen, wer min frindliche bit an dich, so
I) Dmld BirKdi, der Sekretir und OfilervcrviJtn Lorcber«. Vgl. nötigt Anm.
«) wolt
■) Bliclc Aniu.
*) ettioniti.
•J iurWA.
*t Wer nag mit dem Sdivifcr gemeint «wa? VleUeidil einer von den Bcgttllcni
Lordiei»?
■> MjI drin .Kram- sind volil die von der BrlefKhrdberln eevänichlen kleinen
FtalAAi in Aaipbori: gcnieint.
•) Unlerwhntl tfhit
*i Blauer Kel^di nder KAlüdi (r1i>ni)hch KAtlnIvh), ein bBoniicrs lu BpntvnäKtn
gefemchlcr Stnff. (Vgl. Qrinim). Duiicl Bitlich hwtc im Aullng ücr fnu «hnn im
■ ). Mai sekclitlcben, »ir luac blltcn, .ir waltmt ir ein ituck hüpKtien gtoti CMlnMi und
«in t.iu<k niillf]! Cällniich lu bellen klittidcn ; dann et umb rizi litnlichct seltt zu Anfapurg
dMll liihir lu hckhommen". Auflentem hiitt« Blfbeb «m B, April folErnde Bitlc CllubMtu
Mdl AoiLilmre ütict in Hielt - -Ii TülLeiil Ir rtvinn ein duUet Echäne lintgen mit dem; pnlln
Mkk m cuTcren htnibdem khauttcn.*
in.
(Ausfertigung von Jakob KyUmeyer,)")
Straßburg, 20, Mai t56fr.
Meinn freundlichenn gniß, eheliche lieb unnd all« gutte
bevor, lieber hauüwurth. wüß unns alle, gotl loh, noch inn gutter
I) tirul.
)) Übo (Eine Anüctci^hFit schreibt Birttcli im 13, Mii; .SvnMrn Litclilcialcicgn
(liHfdiKliIrr, ihr Hnlri, vüilli liu m<»j:rn dm 14. üiH iiioimti lu kirchen gehn unnd die
hochKJtt In Nnivriler halt halnm: hibm der franven ^r i'Frgnwn und nie nldiT pUdmn.
hettF vrnnclnt, lie <räsüen movere liiuifiiuv Irin rusiririii absHm «bcn tomt ali inn
gCKrnwIn CAr dn timnilln cikiiiiil uml lur liixlitrin titnilltn lulK-nn,-
t Bezieht »Ich votil «itf eine Umlihri dn Jungw Pum mit den Vervandttn uod
t) WpUch und Trommeln.
>> liricl Oicis, ihr Schwig«. Sein Brief iil cbcnfiili noch vor3i*ndm.
4 Ei wsi äEhtlfiin Uutdicr«. Mchrctc Bride rem ihm m Kincn
I
du es kanst, mier auch etn wisen barchant mit blogen stricben
bredist. wisc, das die besel An ein schwere kranclcheit hat gehan;
aber es ist beser worden und der klein Iscrtiel') hat ein hert
feber; gott nems im ab. wise, das man mich nit zu Samsson
doch[t)er hochzit geladen hat.*) icb bin kein besel do. man hat
mich auff das außfieren") geladen, aber ich bin nit kumen. wer
ich auch Pafen geschlechl, so hat man mich auch geladen,
Hodap, Rishoff, Schwend, die heren, sindt do gewesen, heriich
und kestlicti zugangen, die Hochzeit ist in dem Nugwiler hoff
gewesen, mit pifen und dnimen *) gedantz. aber ich wil es ge* I
dencken ; ich hab mich woll darauff gefreigt. ich weis dier nit
fil zu schreiben; dan gott der almechdig geb dier fil glidc und
gesundheit gott geb, das mier mit freiden zamenkumen. die
wil ist mier gar lang, das wise gott ich hab es dier nit kinen
ferhalten und ein kleines brieflln gesriben in groser kimemus, wie
du dan in in Iserhels') brief warst finden, domit du es sicst,
das mier zwo an dich gedenken, der sreiber, der den bricf hat
geschriben , kenen ier an der schrifft wol. lost uch frindlich
griesen und ale gute frind. Datunib auff den sundtag den
ninzehen mai 66. Ellisbct Lorcherin iger
lieben hausfrow.
Adresse: Dem emhafften firnemen und wisen her Johan
Karle Lorcher mim lieben hußwurt zu banden in Augspurg.
[Darunter von Lorchers Hand:) Recepi 26. Maij 66.
1
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I
i1i*ndm. fl
ncn HtRCB dMMk.. J
gesundtheytt. dergleichenn von euch m hören, vernimm ich
gem. gott wolle untis inn gnadenn unnd langwüriger gesundt-
he)1t lang gtfristen. amen.
Dcinn schrcybenn, lieber haußwürth, ane inich den il^^so
dann den 14"" maij außgangenn, liab ich wol empfangen, fug
derohalbenn dir zu wideranlwurti auFf dato des ersten brteffs, das
mir die zwey zugesanten bOchlinn QberiQffert, welche ich em-
pfangen und deinem bevelch nach auch gericht habe.
Florianum unnd seinn hausfrauw von wegen dein, deß-
gleichen Matheusen, Florians bruder, zu gnissen, ist beschehenn,
und hallt sieht die sach mtlt der Hester nicht am bessten; datin
ir kranckheytt immer wehrend!, dheinn besserung zu gewarthenn.
gQtt wolle scinn gnad verleyhenn. - -
Die abcontrafactur des wustenn crocolillen hab ich vor langem
bey unnsenn Venningem ersehen, das ich vetler Marxen, dero-
gleichenn sein hausfrauw dochtermann unnd dochter, schwager
Israhelen, Barbaren unnd alle unnsere verwanndte unnd gutte
freund! grüssen soll, hab ich sollichs >:um thcyll außgcricht; dann
bcscl Anna ettliche tig nicht am besstenn auff gewesen, so hatt
steh donnerstags den 1 6*" huius mit! schwager ErafJmo Heltem ein
sonderer Unfall zugetragenn, das namhch ein dielen vonn der
Mößingcr gadcn, so die werckleuth auffzogen, herabgeschlagcnn
unnd ime den einen fuß im fürübergöhn (das bnett wie mans
nennt) erwüscht, dasselbig mursch entzwey geschlagenn, also das
er grossen schmertzcn Icydet unnd man ihnen auff einem sessel zu
hauß tragen müssen, item sambstags hernach das jung khindlinn,
so Schwager Israhel unnd Barbell durch den s^en gotles be-
khonimen, hatt der allmechtig gott zu seinen banden beruffen.
der wolle unns vor weitheren laydt behütlen unnd bewahren,
welche ich dann besuchet, des andern brieffs irnhalt, welches
datum 14"" huiusj das es cosllich zugange, ist sich nicht zu
verrundem; dann der arme mann muß das haar darstreckenn,
so seindt mir auch die schreybenn durch docior Ludwig
Oremppen botten zukhommen. sovil hab auff difjmal zu ver-
nemmen unnd veerner nichts, dann ich thu dich sampt unnserm
gantzcn haußgesündl inn gottes schirm zu langer gesundtheytt
bcfchlenn. unnd ist meinn pitt, wollest mir euwer zukhunfft mit
1
ncchstcr bottschaft vcretenndigcn. datum Straßburg d«n 20«" maij
anno etc. 66. p^j^ gdreuwe hausfrauw
Elisabetha Hirizinn.
Adress«: Meinem freundtüdieti liebenn haußwürth Johann
Caroto Lorchertin inn Augspurg zu selbs hanndenn. (Rccepi 26.
mai <66.}
IV.
{Ausfertigung des SekretSrs Daniel Birlsch.)
Strasburg 27. Mai 1566.
Mein freQndtlichen gruR, eheliche lieb und treuw, auch alles
giitts sampl wünschung viler glücVseltiger zeitt und gutter ge-
siindtheilt zubevor, geliebter herr unnd hauBwQrth. dein ane mich
den 20. maij dißes 66. jars schreiben auß Augspurg hab ich
empfangenn, darauß deine gesimdtheitt mit großer freuden ver-
nommen, desgleichen wiB von mir und dem gantzen haußge-
sindt auch, der liebe gott wolle unns inn solcher lang gefristen
und unns ein gesunde und fröliche zusammenkhunffl gnediglichen
mittheilen, amen.
FQge dir demnach zu wissenn, das meiner Schwester Barbein
khindt, so ir gott den ii. diß inonats geben, den 18. bemelis
moitals wider mit todt abgangen ') und es gott der allmechüg
auß dißem jamnierthal als sein creatur wider zu sich erfordert,
welcher er ein fröliche aufferslehung verleihenn wolle-
Sovil den Cöllnisch betrifft,') hab ich auf dein begeren
nachfragens gehapt urnd erfarenn, das mann ein stück der aller
grösien gattung umb 3^/, R, ein stück der mittlem umb 2 thaler,
und die 2 cleinesten gattungen verkhaufft mann bey der eilen,
je 6 eilen für ein gülden, demwegen mein bitt, du wollest mir
jeder gattung ein stuck, wie du dann hierinn ligendt zu er^ehenn,
unnd des barchats zu deckbettcnn, wie ich dir nehermals zuge-
schribenn, khauffen.
<) fnu I.archCT hiite alhnbu- vcretMoi, daO «Je dloeUw NidiriiAl Khon In dem
VoruiKchtndni Brlri hallt mitulloi imeci.
*) V£\. Qbtn S. tt\, AniK 9.
Straßburger Frauenbriefe des 16. Jahrhunderts. \9S
Juncker Rudolff Wilhelm Böcklin hatt seines vettern abgang')
nichts verhindert, sonder ist nicht destoweniger seinem fQrhabenn
nach den 7. maii verschinnen zu kirchen gangen,«) wie dir dann
Daniel vor diBem den 29. aprilis geschribenn.
Weitheis weiB ich dir auff dißmals nichts zu schreiben
dann dz mein beeren, du wollest mich verstenndigen, wann ir
vermeinet wider zu khommenn, und ob du dein pferdt, den
schimmell, noch oder verkhaufft habest du möchtest villeicht
gelegenheitt haben, denselbigen zu Augspurg zu verkhauffen oder
zu verthauschen unnd etwann ein schönners unnd das ein andere
htrb dann dißes bekhommenn. hiemitt thue ich dich sampt unns
alle dem allmechtigen zu gnaden unnd gesundtheitt bevelhenn.
es laßenn dich vetter Marx, baß Anna, die Iren unnd alle gutte
freündt ganntz freündtlich grießen unnd alle wolfartt wünschen,
datum Straßburg montags den 27. maii anno etc. 1S66. dein
jeder zeitt getreuwe unnd gehorsame haußfrauw
Elisabeth Hirtzin.
Dem fÜTsichtigenn, achtbaren und veisenn Herrenn, Johann
Carolo Lorchern, dreyzehenera unnd bürgern zu Straßburg,
meinem freündtlichen lieben herrenn unnd hauQwürth, jetzmals
inn Augspurg, zu selbs hanndenn.
[Empfangsvennerk Lorchers:} Recepi 31. maii 66.
■) Boidit lidi auf den Stldtncltter Clindius BOcktln, der - «le venchiedniF
Cleidi2dtlge Briete melden - am 30. April ptObllch ee^rbn *ar.
■) Nlmlldi rar Einsegnung seiner Cbe. Die Traunns fand in Dorllsheini itatt,
die Hodtzdt in Moiihdm, wie au* dtm oben crvibnten Briefe Daniel Bltlsdii nt ent-
adunen itt.
Die Beizjagd in Altpreußen.
Von PAUL DAHMS.
a
Der Fang der Beizvögel wurde mit verschiedenen Arien von
Netzen, mit eigenartigen Faüer, Leimruter, Schlingen und durch
Ausnehmen aus dem Neste betrieben.
Die Falkenstöße und Falkenrönnen oder -rinnen wurden so
hergestellt, daß man zunächst 4 Säulen im Quadrat einrammte.
Diese wurden mittels Lallen verbunden und je mit einem Bohlen-
stücke so benagelt, daß es nach außen etwas überragte. Dann
wurde der obere Teil des Fanggerüsles mit Brettern verechaU
und in jedes Bohlenstück ein danmendickes Loch gebohrt. In
diesen wurden lange Holzstäbe befestigt, die unten, in der
Mitte und oben Kerben hatten. Die unteren verliefen schräg
nach oben, die oberen und mittleren schräg nach unten. In den
Kerben wurde ein Fangnetz so befestigt, daß es die obere Öffnung
des Fanggestelles genau umschloß und nicht zu fest eingeklemmt
war. In der Mitte des verschalten Bodens wurde dann eine
helle Taube gesetzt Wenn Falk oder Habicht schräg auf sie
herabstießen, prallten sie heftig gegen das Garn, warfen es aus
den Kerben und wurden von ihm umschlungen. Um den Falken,
der oft auch senkrecht stößt, zu fangen, brachte man über den
Fangapparal noch kreuzweise dünne Leinen an, die man in den
oberen Saum des Netzes band. Der Falke berührte diese beim
Herabstoßen und riß das Netz aus den Kerben und über sich.
In ebenen Gegenden wandten die Falkner auch folgende
Fangart an. Zur Ztigzcit nahmen sie einen Beutel, der eine
oder mehrere Tauben enlhielt, an sich und spähten nach den
Die Beizjagd in Aitpreußen.
Raubvdgeln aus. Hatten sie einen solchen entdeckt, so nahmen
sie eine womöglich weiße Taube und banden an ihr Bein einen
Leinwand- od«r Tudislreifen, welcher mit Vogelleim bestrichen
war. Der Streif war unten mit einem Steinchen beschwert,
welcher der Taube das Fliegen nicht unmöglich machen, aber
doch so erschweren sollte, daß sie nur langsam von der Stelle
kam. Dann warf man dk Taube empor und entfernte sich.
Alsbald hatte der Falke sie erspäht und stieß auf sie hernieder.
Dabei blieb er vielleicht schon an dem Anhängsel kleben, oder
er wurde durch ihr so gehindert, daß er mit seiner Beute herunter-
kam. Am Erdboden klebte er dann an dem Streifen auf jeden
Fall fest und zwar um so sicherer, je mehr er sich bemühte
loszukommen. - Diese Methode war freilich nicht sehr beliebt,
da die Sch-ipung- und Schwanzfedern der gefangenen Raubvögel
dabei häufig verbrochen wurden.')
In Gegenden, wo sich Falken zu gewissen Zeilen in großer
Menge einstelllen, wie an den Küsten der Ostsee, wurde ein
verwickelter Fangapparat angelegt In den Hauptzögen ist dieser
M beschaffen. Der wohl verborgene Falkner hält an einem etwa
100 m langen Faden eine Taube, welche frei auf der Erde sitzt.
Der Faden führt etwa 40 m vom Falkner durch einen durch-
lochten Holzpfiock, neben dem ein kleines Schlagnelz so ange-
bracht ist, daß es jederzeit leicht verwendet werden kann. Ist
ein Falke in der Nähe, so wird die befestigte Taube durch einen
Ruck am Faden zum Aufschwingen veranlaßt. Der Falke eilt
herbei, schlägt die Taube und krallt sich an ihr so fest, daß der
Falkner alle beide am Faden bis zum Schlagnett ziehen kann,
das dann sofort über beide zugeworfen wird. Um sogleich zu
erfahren, wenn ein Falke in der Nähe war, bediente man sich
eines Raubwürgers (Lanius excubitor L). Er wurde in der Nähe
der Taube angefessell, begann laut zu schreien, sobald er einen
Raubvogel erspähte, und flüchtete dann eiligst in einen Schlupf-
winkel, den man für ihn bereitet hatte. Eine ausführliche Be-
schreibung einer solchen Fangvorrichtung nach dem «Traitc de
Eauconnerie» gibt O. von Ricscnthal.')
>) Heller vnd Pefcnbendt, &. 36.
f) KiewDitial, O. von Jagd-Uiikon. LeipÜE- Bibliograph. Iniil tut. KM. S.UMM.
Paul Dahms.
Die vom Hochmeister ausgesandten Falkner scheinen ihr
Handwerk besonders auf der kiinschen Nehrung beirieben zu
haben. Diese war damals noch vollständig mit Wäldern bedeckt
und besaß nur zwei freie Plälze, von denen der eine Falkenlieidc
und der andere Kaliüand hieß.') Als die Wälder später nach und
nach ausgeholzt wurden, fing man auch viele Falken zu Nidden,
Pilkoppen und Sarkau; die Falkenlager von Sarkau, Papensee(?)
und Falkenheide werden noch im IT. Jahrhundert erwähnt.
Falkenlager oder Lagerstätten (Falkenbuden) standen auch im
Samlande, soweit es zum Ordensgebiete gehörte. Desgleichen
war die Falkenstitte auf der frischen Nehrung, die ihre besonderen
Falkner halle, sehr ergiebig. Ferner werden im Amte Rhein
gegen Ende des 16. Jahrhunderts mehrere «Falkengestände"
erwähnt.')
Auch der Falkenfang in Kurland gehört in späterer Zeit
dem Herzog von Preußen; desgleichen war auf Golland, das
der deutsche Orden eine Zeitlang besaß, ein ziemlich reichlicher
Fang. Dorthin sandte der Hochmeister deshalb äfter seinen
Falkner, um Einkäufe an Beizvögeln zu machen.
Die Hauptmenge der Falken wurde nach den Daten des
Treßlerbuches jedes Jahr auf der kuriächen Nehrung gjefangen.
Hier wurden sie in geschätzten Hütten (lege, legde, löge) unter-
gebracht, bis die Fangzeit zu Ende war; vielleicht wurden sie
hier bereits etwas eingewöhnt. Für jeden Vogel, den die Falkner
von dort dem Hauskomtur nach Königsberg brachten, wurde
ihnen 1 m. ausgezahlt; jedenfalls wurden sie dadurch veranlaßt,
die Fangzeit, welche vom Ende des Oktober bis zur Mitte des
Dezember währte, nach i^löglichkeit auszunutzen. Außer diesem
Oelde erhielten sie einen jährlicher Lohn von 4 m. und i'/, m.
Hauszins, Der Hauskomtur bestritt für den Hochmeister auch
sonst die Unkosten der Falkcner«i, er ersetzte die nötigen Aus-
lagen und zahlte für jede außerordentliche Mühewaltung. Mit
>l CrIcDivts Prmüen oder loterlEieTi« Anmeilningcn elc. KAnigsbcrg. t7U.
Band *. XI von der CuriJchcn Ndiranj. S. «9. HL - 5. 171, ,ln Ncrlitita Cunmeul
plaoltlM afflooM r«Ick(nhelil, ui iixa qnadnaDa nilllarit wnpU, « Kulud, dlraldli
mlllluit longa, ubi aucupa rl FalrniBHI lugurioU Fückcnbudcn habcnt, et mulloi FtlcOMi
puldiMn fipliint, quot nilionlbui nlrmli vndunl,*
*) Voigt. }.-. Über rallientang Hc., S. Hl. lU.
Die Bdzjagd in Altpreufien.
199
der Kopfzahl der gefangenen Raubvögel schwanken für die dn-
zelnen Jahre selbstverständHch auch die Kosten für die notwendigen
Käfige, für Fütterung und Transport, dagegen bheb die jährliche
Ausgabe ffir die erforderlichen Hauben und die Ausrüstung der
KSfigc mit Leinwand von Jahr zu jähr gleich. Für die Jahre
1406 bis 1409 wurde für die Bekleidung der Käsen oder Käfige
freilich die frühere Summe von l m. auf '/, tti. heruntergesetzt,
und im Jahre 1401 mußte für Hauben eine aufierordentliche Zu-
rahlung von 1 m. gemacht werden. Da der Lohn für den
Falkner, Hauszins, sowie die Ausgabe für Leinwand und Hauben
so gut wie unverändert bleiben, wird für jeden Falken außer
seinem Einkaufepreise um so mehr angelegt werden müssen, je
geringer der Fang gewesen ist. Ais im Jahre 1400 an 75 Falken
tingeliefert werden, kommt zum Einkaufspreise noch ein Zuschlag
von 28"/(„ im Jahre 1404 dagegen auf jeden der 20 Vögel ein
solcher von rund 84''/n, und im Durchschnitt muß für jeden
nind 4J "/o zugezahlt werden. Jeder eingelieferte Raubvogel
kostet den Orden also ungefähr i'/, m., in ungünstiger Zeit so-
gar fast 2 m.
Außer durch den Hauskomtur zu Königsberg erfährt der
Hochmeister noch von Qrobin, Windau und ösel fast in jedem
Jahre eine Vermehrung seiner Falken. Die beigefügte, aus den
aufgestellten Konten berechnete Tabelle zeigt, wieviel die Sendungen
im ganzen betrugen; wir ersehen, daß die Zahl der hinzukommen-
den Beizvögcl von den 3 zuerst angeführten Orten zusammen
fast genau nur i'/imal soviel beträgt, als die von den Falknern
auf der Nehrung.
Herkunft der
Fal ken
Qe»tntsumine
in 1 1 Jahren
Mittel für
jedes Jahr
Größte und kleinste
Sendung
Qrobin
263 +3G.')
24
43
7
Windau
254
23
54
7
Osel
169
15
33
17
Ober Königsberg
544 +5 0.
49
78 + 1 0.
20
i)0— Ocrftlke.
1
Paul Oahms.
r
Urler Michael Küchmeister von Sternberg hat der Komtur
von Windau auch Falken nach Königsberg gesandt. Wir erfahren
davon aus einem Briefe,') den «r mit nweißen Falken" an ihn
schickt, und in dem er bittet, diese Tiere mit dem neuen Gddc
zu bezahlen. Ihm sei zuletzt für die Falken das früher gebräuch-
liche Papiergeld gegeben worden, und dadurch sei er um die
Hälfte von dem, was ihm zustand, gekommen. Er ersuche den
Hochmeister daher, ihm den Schaden zu ersetzen oder ihm ein
Fäßchen Thorner Weines zu senden, den er auf des Hochmeisters
Wohl trinken wolle, denn bei ihm sei dieses Jahr der Weir nicht
gediehen. Sollte der Hochmeister weiter mit dem alten Gelde
zahlen, so müsse er, der Komtur, sein Falkcnhaus O^gge) ein-
gehen lassen.
Für jeden Falken, der von Grobin, Windau oder Ösel
komml, wird gewöhnlich ein Kaufgeld von 2 m. gegeben. Wenn
man bedenkt, daß der Hochmeister bei Ungunst der Verhälmisse
selbst fast dieselbe Summe für jeden Beizvogel verausgaben
mußte, so kann nun diese für nicht zu hoch und ihre Ab-
rundung nach oben hin erklärlich finden. Selbstverständlich ist
es zurückzuweisen, daß der Einkaufspreis von i m. fiir kleinere,
häufigere Arten (?), der von 2 m. für die mittelgroßen, zu denen
auch der Wanderfalke gehörte, gezahlt worden seien.*)
Doch auch als Geschenke treffen größere Falkensendungen
ein, vor allem von dem Bischöfe von Saratand, ferner vom
Bischof von Heüsberg, dem Komtur von llalga, sowie dem von
Brandenburg und dem Vogte von Soldau, selbst von dem Komlur
zu Windau. Auch für den Großkomtur und seltener für den
Treßlcr kommen Falken an. Immer werden die Boten belohnt,
und auch die beiden Gebietiger reichen dem Falkner aus der
Ordenskassc eine Gabe, wenn sie Beizvögel erhalten. Boten,
welche wiederholt Falken nach der Marienburg gebracht haben,
erhalten sogar vom Großkomlur gelegentlicli eine Geldgabe, auch
wenn er selbst nicht mit Beizvögeln bedacht worden ist (Tr.-B.,
S. 323, Z. 22-24). jedenfalls suchte er den Falkner dadurch
I
■> Hnnie. Cnit; Lueit Dividt pmiBiKV Ctiranik. Band T. KBnlBibefc. Har-
(uncKhc Hiirlidiuclicrrl, 1115. S. 60 Anm.
■> Nchrlng. S. toi.
Die Beüsjagd In Allpreußen.
201
zu veranlassen, beim nächsten Transport von Beizvögdn auf diese
wertvollen Tiere möglichst achtzugeben. Erwähnt muß werden,
daß auch der Oroßkomttir Falkengeschenke machte; so schickt
er einmal, als der Hochmeister seinen Falkner mit Beizvögeln zii
dem polnischen Könige nach Krakau sendet, auch von seinen
Tieren mit und zahlt als Botenlohn i m. (Tr.-B., S. 186,
Z. 24-26).
Die Falkner haben auch sonst die Verpflichtung, für die
■Vermehrung des Falkenbestandes niöglidist zu sorgen. Sie fangen
die Vögel auf Ootland und Heia, dann zu Oorke oder Qorken
in der Nahe von Marienwerder, zu Reichenbach (Kr. Pr. Holland),
Orloff im Großen Werder, Hohendorf und Marienburg, schließ-
lich im Heilsberger Gebiete und zu WormdiH in diesem. Größere
Einkäufe machten sie im Samland, einen kleineren auf Ootland.
Wiederholt wird ihnen eine Summe auf Rechnung gegeben, um
im Gebiet« des Bistums lirmland oder im Königsberger Gebiete
Falken aufzukaufen oder sonstwie zu erwerben. An einigen
Stellen ist freilich nicht zu ersehen, ob sie die Falken gefangen
oder gckauift haben.
Jeden Falken, der frisch gefangen ist, gibt der Falkner ge-
wöhnlich gegen Entgelt von 1 m. ab; ist ein weiter Transport
Bolwendig gewesen, ist der Falkenfang in dem Jahre nicht be«
P «Midcrs reichlich au^efallen oder haben die Tiere längere Zeit
gefüttert werden müssen, bis sie von ihrem Fangorte abgeholt
■wurden, so steigt der für sie gezahlte Preis durch die entstandenen
Ontcosicn.
Die Falkner wurden für ihre Tätigkeit so belohnt, daB sie
in keiner Weise Schaden hatten und möglichst guten Mutes blieben.
Auch toi eingelieferte Beizvögel werden bezahlt und zwar mit
demselben Preise wie lebende, und lör einen allen Falken, der
wegen seiner Untauglich keit die Freiheit wiedererhält, finden wir
»y, m. notiert (Tr-B., S. 403, Z. 15, 16).
Eine Reihe von Person iichkeilen sucht den Hochmeister
durdt die Übersendung von Falken zu erfreuen, wie Herr
Steynwonczer in Schweden (S. »23, Z. 29-31). der Landvogt
von Einsiedel (S. 325, Z. 7, 8) imd Herr Adam Suynchen
(S. 508, Z. 16, 17). Auch die Jungfrau von Juneächaw, die
14
Arebiv lüt Kulhit£t*chidite. II.
202 Paul Dahms.
I
Tochter des alten Landrichters von Danzig, verehrt dem Hoch-
meister einen abgetragenen Habicht und erhält als Gegengabe „
6 m. (S. 4-85, Z. 1-3). Auch in anderer Weise wird auf die |
Liebhaberei des Hochmeisters Rücksicht genommen. So kauft
Herr Techvricz, der Vogt auf Ootland und spätere Oroßschäffer
zu Marienburg, dem Falkner des Meisters 3 Falken ab und
sendet sie dann dem letzteren zu (S. StO, Z. 12- IS), während
der Oroßschäffer von Marienbiirg einen Mann, der ihm 5 goi-
ländische Falken zum Kaufe anbietet, an den Hochmeister weist
<S. 273, Z. 22-24).
Es schien mir von Interesse, die im Trcßlcrbuche nieder-
gelegten Ziffern und Zahlen zusammenzutragen, um so einen
LJberblick über die Ausdehnung der Falkenerei zu gewinnen.
Dieses Unternehmen stieß jedoch auf eine Reihe von Schwierig-
keiten der verschiedenartigsten Natur. Eini^ von den gemachten
Angaben sind unrichtig, andere ungenau. Bald sollen auf Sam-
land 19 Falken für 31 m. gekauft worden sein, jeder für 3 m.
und 1 m. Zehrgeld, bald sind 12 Falken im Bistum Heilsbrrg
für 18 m. erworben, jeder zu 2 m. Dann wird an anderer
Stelle dem Falkner Geld ~ bis zu 20 m. - auf Rechenschaft
zum Ankaufe von Falken gegeben, ohne daß wir etwas weiteres
Über die Zahl der erworbenen Vögel erfahren (S. 593, Z. 2S — 27;
S. 311, Z. 7. 8; S. 403, Z. 4. 5 etc.), oder es wird kurz an-
gegeben, daß für Falken vom vorigen Jahre noch 38*/ii m. gezahlt
worden seien (S. 465, 2. 38-40). Femer werden gelegentlich
die ausgegebenen Summen gleichzeitig für Falken und andere
Tiere, meist Hunde, zusammen angegeben, so daß es unmöglich
ist, Klarheit zu gewinnen, oder zu erfahren, ob die Hunde z. B.
xur Beizjagd bestimmt waren. (S. 35, Z. S — 8; S. 483, Z. 39,
40 etc.) Dann erfahren wir auch, daS die Falkner dazu benutzt
wurden, Botschaften auszutn^en (S. 369, Z. 3-5; S. 525,
Z. 20, 21), so daß andere Angaben über ihre Entsendung ohne
eine nähere Bezeichnung nicht ohne weiteres richtig gedeutet
werden können. Schließlich ist noch anzuführen, daß der Kurs
für das Schock böhmischer Groschen und der des ungarischen
Gulden oder Dukaten schu'ankt, ohne daß dabei genaue Angaben
oder Regelmäßigkeiten vorliegen.
t
Die Beizjagd in Altpreußcti.
Da diese ungenauen Angaben den anderen gegenüber trotz-
dem nur in versdiwindend kleiner Anzahl vorhander sind, so ist
der Versuch gemacht worden, alle sicheren Angaben zu einem
Bilde zusammenzufügen, alle unklaren sind übergangen. Dabei
ist zu bemericen, daß die erhallenci Zahlenwerte sich zusammen-
setzen: aus den sicheren Angaben der Hauptkonlen, aus denen,
die im Tcxle zerstreut sind, und aus einigen wenigen, die sich
nach den Angaben der Hauptkonten aus anderen umrechnen
ließen. So mußte einige Male aus dem für das Tragen der
Käfige gezahlten Gelde, die Anzahl dieser bestimmt werden
(S. 76, Z. 9-11; S. 123, Z. 26-29). Wo diese sich nicht
klar ergab, sondern innerhalb gewisser Grenzen lag, wurde der
kleinste Wert zur Berechnung gewählt Auch die an den Groß-
komtur und den Trcßlcr gesandten Falken sind mi^ezählt, da
die Ordenskasse auch für sie Idie sog. Ehrungen zahlte und der
QroBkomtur Seinerseils auch an Freunde des Ordens Beizvögcl
sandte.
Hiemach erhalten wir folgende Werte. Von 1399 bis 1409
lamen wenigstens 1555 Falken nach Marienburg, der Mittelwert
für die jährlich neu hinzukommenden Beirvögcl beträgt 141, der
größte 203 und der kleinste 69 Falken.
Wie schon erwähnt wurde, war der deutsche Ritterorden
in Preußen für die Beize in Mitteleuropa von der höchsten Be-
deutung. Er versah alle Fürstenhöfe mit nordischen Beizvögeln,
ähnlich wie der Hochmeister des Johann iterordens die Fürsten
rnit Falken aus Südeuropa und dem Oriente versorgte.*)
Bereits im Jahre 1 396 schuf Conrad von Jungingen zu
AAarienburg eine Falkensdiule und veriieh ihrem ersten Meister
Namens Peter ein Stück Grund und Boden, und zwar in der
Vorstadt am Mühlengraben, wo auch die Schule angelegt wurde,
Wir Nutzung für sich und seine Nachkommen. Doch sollten
diese das Lehen auf Verlangen des Hochmeisters gegen eine
«ntsprcchende Ablösung an den folgenden Falkenmeister abh-etcn.
— Dem Falkner Peter waren -wahrecheinlich 4 Leute unter-
geordnet, denn an einer StelEe des Treßlerbuches heiBt es, daß
I) von Dombrovtkl, S, S19.
14'
er »I m. . . . vor 4 par slefelen syren knechten" erhält (S. 474,
Z. 9. 10).
Auch im Samlande, bei Königsberg, in Üvland zu Windau
und Grebin, und an anderen Orten befanden sich solche Schulen,
in denen die Vögel »zur Bcirc abgetragen" wurden.
Die aus den Schulen hervorgehenden Falken gingen als
beliebte Geschenke ins Ausland an FQrstenhöfe und Gönner des
Ordens. Aus Briefen und Dankschreiben hören wir, wie sie
geschätzt wurden; jedes Jahr wurden sie ausgetragen, sogar bis
nach England, Frankreich, Italien, Ungarn und Österreich, und
in Deutschland gab es kaum irgend einen Füisten von Be-
deutung, der nicht hin und wieder durch ein Geschenk von
Beizvögeln erfreut worden wäre; der Kaiser, der römische König
und die vornehmsten Fürsten erhielten freilich die besten Tiere.
a\ii einen guiten Beizjäger werden hohe Anforderungen ge-
stellt Bereits Kaiser Friedrich II. zählt in seinem Werke .De
arte venandi cum avibus" eine Reihe von Tugenden auf, die
jeder Falkner besitzen solle, und mit mehr oder weniger Ab-
inderungen finden wir in späterer Zeit angegeben, wie er ge-
wünscht wird. Er soll unverdrossen, wachsam, hurtig, geduldig,
wohl erfahren, stark, mannhaft, gesund, beherzt, aller Vorteile,
die das Wild gebraucht, und wie ihnen zu begegnen, kundig,
ausdauernd bei Hitze und Kälte, bei gutem und bösem Welter,
trotz Hunger und Durst, bei Tag und Nacht sein. Er soll
schnelle Schenkel und starke Knochen haben, geschwind in seinen
Bewegungen sein, von scharfem Auge und feinem Gehör, mil
anschlägigem und verschmitelem Kopfe, begierig auf Wild, arg-
listig und sorgßltig es aufzuspüren, zu verfolgen und zu er- ■
haschen. Er soll wohl laufen, reiten, springen und schwimmen
können') usw. Es muß der Falkner neben den Eigenschaften, die ,
man Im Mittelalter von einem tttehtigen Weidmann verlangte^ 1
noch eine genaue Kenntnis von den Arten, Eigentümlichkeiten,
dem Benehmen, der Wartung, der Pflege und den Krankheiten
der Beizvögel haben. Er muß wissen, wie bei dem Ankauf und
dem Abrichten der Falken vorzugehen ist, und vor allem Liebe
zu ihnen besitzen.
)) Du ctOrfnete Jiccr-HauS, S. 44, 4S, «t.
\
Die Beizfsgd in AUprcuBcn.
205
I
I
I
Da ein solcher Mann nicht überall leicht zu finden ist,
nahm zur Blütezeit der Beizjagd an den Höfen ein tüchtiger
Beizjäger vielfach eine viel höhere Stellung ein, als ihm seinem
Range nach eigentlich zukam. Deshalb ist es auch erklärlich,
wenn solche körperlich und geistig gesunden Männer gelegentlich
dazu benutzt werden, Botschaften auszutragen. Da die deutschen
Falkner nur selten die notwendige Pflege jnd die zweckmäßige
Abrichtiing der Jngdvögel verstanden, baten die Fürsten die Hoch-
meister und später den Herzog Albrecht entweder um Lehrmeister
in diesem Fache, oder sie sandten ihre Falkner nach PreuQen,
um dort zu lernen, wie tnan Beizvögel zu behandeln habe.
Einem Falkner (Nidus) wird sogar Geld anvertraut, um einen
Ritter (Clauwts Sack), dem der Orden Quartier in der Sladl an-
Ecwiesen hatte, aus der Herberge zu lösen (Tr.-B., S. 46i,
Z. 30-32; S. 166, 2. 25. 26).
Der frisch eingefangene Beiz^ogel wurde zuerst verkappt
Die dazu verwendete Haube bestand aus Leder und war stets
genau nach dem Kopfe des Tieres gearbeitet. An der Stelle der
Augen mußte sie Ausbiegungen haben. Der Vogel wurde mit
ihr ^verblendet", damit er still säße und sich nicht die Federn
Xerschlöge oder irgendwie verietzle.'} Solche Hauben mußten (ür
jeden Vogel neu angefertigt werden,*) und deshalb finden wir
die für sie gemachten Unitosten auch in jedem Jahre notiert.
Das Aussenden von Falken ist eine alte Sitte des deutschen
Ordens. So bittet der Großvater des berühmten Grafen Ulrich
Von Glli den Hochmeister um Falken und sagt dabei: «Man
hab seynem vattcr und allen scyncn Vorvardem als latige als
der Orten hat gesessen in Steyem und in Kernten järiich falken
l^c&anl, dorunie sy auch gelrewe Schirmer des Ordens gewesen
sint in denselben Landen.""') Auch Kaiser Maximilian sagt in
der bereits erwähnten Instruktion für seinen Sohn Ferdinand:
■ Item der Hochmcystcr auß PreuHen gibt auch einem Fürsten
von Osterreich zu Schirm gcldt seines Ordens: 12: Stuckh
Valkhcnn';*) und der Herzog Albrecht von Sachsen und Lünc-
I) (MM. II. ity
n Hdlct cnd Pfjtnbwidt, S t9.
*t Valgl: Qrxhiüilc MoriaibucE) etc. S. lOS.
4 von DombcoTikl, S. It«.
a06 Paul Dahms.
bürg versprichl Heinrich von Plauen auf ein Falken-Geschenk
hin, ^em alles zu tun, was diesem und dem Orden gedeihlich
sein könne.')
Doch auch zu anderem Ziele wurden gelegentlich Beizvögel
versandt. - Von den Weinen des Auslandes, im Gegensatz zu
den in Preußen gewonnenen, trank man am liebsten den Rhein-
wein. För die Tafel des Hochmeisters lieferte ihn der Komtur
von Koblenz und machte sich dafür aus den Einnahmen der
Komturci bezahlt. Gewöhnlich erließen die Landesherren, durcli
deren Gebiet der Wein geschafft wurde, den zu entrichlenden
Zoll, wogegen ihre Jagdhäuser mit Falken aus Preußen versorgt
wurden.^
In einem Gedenkbuche des Kaisers Maximilian I. sind
22 Fürsten notiert, an weldie der deutsche Orden Falken
sandte, im Treßlerbuche habe ich 33 Fürsten und hervorragende
Personen gezählt, die in solcher Weise geehrt wurden. Aus dem
Oedenkbuche geht hervor, daß der Kaiser die Lieferung von
Beizvögeln durch den deutschen Orden an die verschiedenen
Fürsten regelte: -Der Ro. Kay. Mt. Maynung ist das der Hoch-
maister in Prewßen den hernachvolgeiidcn füreten valken sdiicken
solle und den andern lit . . . . Enuraerantur Principes imperii
quindecim.'i ■)
Aus den im Treßlerbuche gemachten Angaben zeigt sidi,
daß die Zahl der neu hinzukommenden und die der fortgehen-
den Falken in ?inem gewissen Verhältnisse steht, indem beide
gleichmäßig steigen und sinken. Die größte Zahl der ausgesandten
Falken betrügt 135, die kleinste 40; durchschnittlich wurden in
iedcm Jahre 97 Beizvögcl verschickt. Werden die Werte der
fortgehenden Vögel auf die der hinzukommenden bezogen und
in Prozenten ausgedrückt, so ist der mittlere rund 69 "/o. der
kleinste rund 55 "/o und der größte lOO'^/o.
Recht erheblich waren die Unkosten bei einem Transport
von Falken nadi England. Im Jahre 1400 werden 2 Käsen dort-
hin gesandt. Die beiden Falkner, welche sie forisch äfften, erhielten
t) Ptha, s. Jt.
■) Hmnig, S. £1 Anm,
*j von Oonabro«iki, S^ 119 Anm.
I
Die Beiz-jagd in AUprcußcii.
r
I
I
4 m., die sie von dem Augenblicke an, wo sie den englischen
Boden beiraten, bis zu ihrer Ankunft an dem königlichen Hofe
als Zehrgeld benutzen soilicn. So lange sie sich auf dem Schiffe
befanden, wurden sie beköstigt. Für die Falken wurden 2 Schock
Hühner und 10 Schock Eier als Nahrung während der Oberfahrt
mi^enommen, und als Nahrung für die Hühner wieder 5 Scheffel
Gerste. Dann wurde Leinwand gekauft, um die Käfige damit zu
bedecken, und noch '/b "i- Lohn dafür gezahlt, die Falken bis
an die Weichsel münde zu schaffen. Der Hauskomtur von Danzig
sorgte für die Überfahrt und machte die notwendigen Auslagen
(S. 76, Z. 13-22). Die gesamten Unkosten betrugen - das
Sdiiffsgcld ungerechnet - g'/t m.
Ein anderer Transport ist vom Jahre 1406 beschrieben.
Ober die Zahl der versandten Tiere erfahren wir nichts, doch
die beiden mitziehenden Falkoniere erhallen wieder 4 m,; dieses
Mal ist angegeben, daß sie dafür die Vögel jenseits der See
[üttcm sollen. Der Großschäfter von Marienburg besorgte für
sie Nahrung, Schiff und Überfahrt. Eingekauft wiarden noch vor
iJer Einschiffung 129 Hühner, 10 Schock Eier, Leinwand zu den
Käsen, 2 Hühnertförbe, 1 6 Scheffel Oersle sowie 1 Scheffel Weizen
für die Hühner und 4 Tonnen zur Aufnahme der Gerste und des
Wassere. Der Schiffsherr Peter Beyer, der die Falken mit Zubehör
überfährt und die sie begleitenden Falkner bekösligl, erhält !l m.
(S. 384, Z. 15-21 und S. 393, Z. 37-41). Außer dem Werte
für die Falken selbst betragen die Qesamtkosten für diese Sen-
dung 2i'/t ni.
Auch die Angaben, welche sich auf den weiBen Falken,
<jei] isländischen oder nordischen Jagdfalken beziehen, sind von
Interesse. Die eine schildert uns, wie ein russischer Falkner, der
einen solchen Beizvogcl von Wytowt, dem Großfürsten von
Litauen bringt, 2 ra. erhält und samt seinen Knechten mit
Kleidungsstücken beschenkt wird (S. 471, Z. 30—33; S. 543,
Z. 28, 29); und eine andere beriditet daß der Falkner Hannu$
4'/« m. zu einem Pferde und */* "•• ^" einem Schlitten erhält,
um auf diesem einen weißen »Habicht" zum Markgrafen von
Meißen zu bringen (S. 469, Z 23-2S). Eine letzte Stelle
schildert uns den Transport eines solchen edlen Beizvogels nach
Paul Dahnu.
I
Burgund. Es werden für ihn 4 Sdiöpsen und 50 Hühner ge-
kauft, sowie 2 Decken, 2 Strohsäcke und 2 Rosse für den
tragenden Russen und den begleitenden Oberfalkonier oder
Habich lab rieh ler, den Bosstsclien Gott*) Beide erhalten Belohnung,
der Oberfalkner wird außerdem neu bekleidet, und der Scliiffs-
herr erhält 2 m. für die Überfahrt (S. 542, Z. 12-18 und
20, 21). Die Belohnung des Falkners für den Transport ist an
dieser Steile nicht angegeben, doch erhält er später i m. (S. 58$,
Z. 13—15), jedenfalls nach der glücklichen Ablieferung des
wertvollen Vogels. Die Gesamtkosten für diesen Transport be-
tragen, ausgeschlossen den Wert für den Falken selbst, ungefähr
12 in.
Der gewöhnliche Preis für das Tragen einer Käse ist 4 ra.
und nach Frankreich für je 2 Käsen 17 m. (S. 27), Z. 40, 41
und S. 272, Z. 1). Nach Ungarn wird als Lohn für 2 Käsen
einmal 1t m. notiert (S. 37, Z. 1, 2), ein anderes Mal für nur
eine Käse derselbe Werl (S. 506, Z. 24. 25), und ein drittes Mal
wird dem Falkner Peter für das Tragen von Falken dorthin,
ohne jede weitere Angabe der Zahl wiedenini 1 1 m. gegeben.
Diese «Ehrung", welche den Falkonieren sonst von Fürsten ge-
boten wurde, zahlte der König von Böhmen nicht! Der Bote
erhält deshalb vom Hochmeister nachträglich 4 m., „die her
vorzerel hatte" {S. 23, Z. 25-27), und als wieder Falken nach
Böhmen .lusgesandl werden, erhäh der mitziehende Falkner 2 m,
im voraus, -senthemol der Konig den Knechten keyne erunge
gebet" {S, 7 7, Z. 22-24). Wie in diesem Falle wußte der
Hochmeister auch bei anderer Gelegenheit seine Leute bei gutem
Mute zu erhalten, wenn sie das erwartete Geldgeschenk nicht er- M
hielten; so gibt er auch einmal 1 m. den Knechten, die Hengste
zu Wytowt brachten und kein it2^umgeld" bekamen (S. 339,
Z. 5^7).
Bei der Dressur der Falken im Freien und später bei der
Beize mußte darauf geachtet werden, daß die Jagdvögel nie dem
Winde den Rücken, sondern stets die Brtisl zuwendeten. Qab
man hierauf nicht genügend acht, so wurden die Federn der
') Ttcichcl, A. : Der IIouIkIic Apl£Ot da Dcubth-Ordmt-Trcßlcrlnitli«. ZdUdir.
da Hbwr- Verein» für dm Rcsbn M»riai»«tder. li«. Hdt 3t. S- M— *i,
Die Beizjagd in AltpreuActi.
20»
Tiere aufgeblasen und diese dadurch beunruhigt Während man
sonst gewähnlich den Jagdfalken auf der linken Hand trug,
mußte man ihn deshalb, wenn der Wind von dieser Seite Wies,
auf die rechte Hand setzen. Hinzu kommt, daß der Vogel mit
dem Winde nur schwer auffliegt, und daÖ man ihn deshalb stets
so trug, daß er jederzeit gegen den Wind geworfen werden
konnte. Auf Bildern, die uns einen Falkner mit mehreren ßeiz-
vögeln zeigen, sind diese deshalb auch alle mit ihrer Brust nach
derselben Seile hingekehrt. Wenn der Hochmeister seine Falken
von den Fadgplätzert herbeiholen ließ oder an Könige, Fürsten
und Gönner des Ordens versandte, so stellte es sich für die
tragenden Knechte als Unmöglichkeit heraus, den Käsen stels die
rechte Stellung gegen den Wind zu geben. Deshalb sind diese
möglichst zweckentsprechend eingerichtet Wie wir aus dem
TreBlerbuche ersehen, waren sie mit Leinwand überzogen, so daß
sie einen luftigen und trotzdem vor dem Winde geschützten
Aufenthaltsort boten. Außer der Bezeichnung »uf die käsen"
finden wir auch folgende: «zu ricken in die Käsen, zu den ricken,
under die ricke".
Die Ricke, der Ricke oder der Reck ist die Sitzstange im
KUig. Da der Versand in den letzten Monaten des Jahres vor
sich ging, so waren die Beizvögel nicht nur vor den kräftigen
Herbststürmen, sondern auch vor der Kälte zu schützen. Bei
ihrer dauernden Untätigkeit während des Transportes ist also eine
Umwicklung der Stangen notwendig gewesen, um einerseits die
Fänge vor der Einwirkung des Frostes zu schützen, anderseits
aber wohl auch, um ihnen einen sidieren Haltepunkt zu ge-
währen.
Wie in den alten Werken über Falkenerei angegeben wird,
soll die Ricke in Manneshöhe oder noch höher angebracht und
in der Mitte gekerbt sein, damit man dort die Langfcssel an-
binden könne; wenn sie niedriger war, so mußte jedenfalls streng
darauf gesehen werden, daß der Schwanz des Vogels den Boden
nicht berührte. In den Käsen war es schwer, dem Vogel einen
geeigneten Platz anzuweisen. Die Käfige sollten nicht zu klein,
dann aber auch nicht zu hoch oder zu groß sein, um nicht
Schwierigkeiten beim Tragen zu t>ereiten. Eine ungelenke ße-
210 P^I Dahms.
wegung des Trägers konnte die Tiere zum Schlagen mit den
Schwingen und zum Abflattern oder, wenn der Frost die Fänge
gelähmt hatte, sogar zum Abfallen von den Stangen bringen.
Deshalb war wohl die untere Fläche des Käfigs mit Leinwand
bedeckt, um ein Zerstoßen der Schwanzfedern möglichst zu ver-
hüten. Durch einen solchen Unfall wurde der Beizvogel in
seiner Manöverierfähigkeit beeinträchtigt, doch konnte der Schaden
wieder gutgemacht werden. Derart zerbrochene Schwung- oder
Schwanzfedern verstand man zu schifften oder Schäften, d. h. auf
einen neuen Schaft zu bringen. Diese Kunst ist jeden&lls bereits
mit der Beize in Europa eingezogen und nicht etwa erst später
entstanden. Die Jagd mit Raubvögeln war in ihrer alten Heimat
bereits hoch entwickelt, und dort wird auch jetzt noch ein ver-
unglückter guter Beizvogel mit neuen Schwung- und Schwanz-
federn versehen. So traf Radde im Süden des Kaukasus einen
Kurdenstamm an, dessen Häuptling mit Eifer die Beizj^^ mit
Habichten, Sperbern und Schreiadlem betrieb. Hier sah Radde
einen Raubv<^el, der seinem Körperbau nach ein Sperber, seinem
Schwänze nach ein Turmfalke war. Da eine Bastardbildung un-
denkbar war, so wurde dieser eigenen Erscheinung nachgeforscht,
und es ergab sich, daß der Sperber sich den Schwanz derart
zerstoßen hatte, daß er zur Jagd unbrauchbar geworden war,
und daß ihm der Häuptling den Schwanz des Turmfalken künst-
lich hatte einsetzen lassen.^)
Aus den Abrechnungen des Hochmeisters mit dem Haus-
komtur zu Königsberg, die den Transport der neu gefangenen
Beizvögel nach Marienburg betreffen, erfahren wir, daß jede Käse
Va m. kostet Deshalb können wir aus der Summe, die in jedem
Jahre für Käfige au^;egeben wird, die Zahl der letzteren fest-
stellen. Die Eintr^ungen in das Treßlerbuch vom Jahre 1409
weisen femer im Gegensatze zur sonstigen Weise der Buchführung
nicht die Zahl der Käsen, sondern die für ihren Transport ge-
zahlten Gelder auf, sowie die Angabe, daß nach Frankreich in
einer Käse 1 0 Falken und in einer zweiten 8 Falken und i Qerfolk
gelragen worden sind (S. 593, Z. 39-41). An einer anderen
Stelle wird berichtet, daß 10 Falken nach Friedeck geschickt
>) Btthm, S. 380.
Die Beizjafd in Altprcußcn.
■werden, und zwar 6 für der König von Ungarn und 4 für den
Bischof von Kulmsee (S. 77, Z. 34-37). Mit der Bezeichnung
Käse ist deshalb nicht nur der Käfig, sondern auch die Zahl der
Vögel gemeint, die beim Transport in ihm untergebracht wenden
können. Eine ganz bestimmte Größe hatte sich aus praktischen
Gründen für jede Käse als die vorteilhafteste erwiesen, jede bot
nur genügend Raum (Qr 10 Tiere- Zwangen die Verhältnisse
dazu, mehr Falken in ■einen Käfig zu setzen, so lag die Gefahr
vor, daß während des Transportes einige von ihnen eingingen-
So sind einmal, im Jahre Ii99, 82 Falken und 1 Gerfalk
in nur 7 Käfige gesperrt Auf dem Transporte gingen 4 Tiere
ein. Für die nächsten 5 Jahre finden wir die Falken fast immer
nur zu je 10 gemeinsam untergebracht; nur hin und wieder
wird diese Zahl um einen Beizvogel vermehrt. Als dann 140S
wieder SO Vögel in 6 Käfigen untergebracht werden, gehen unter-
wegs 2 ein. Dafür setzte man bei dem Transporte im nächsten
Jahre in 3 Käfige auch nur je 10 und in den vierten sogar nur
9 Vßgel. In den Jahren 1408 und t+09 wurden freilich wieder
ungefähr je ll Tiere zusammen getragen.
Wenn man diese neu eingefangenen und noch nicht abge-
tragenen Tiere bereits nach Möglichkeit zu erhalten suchte, so
galt das noch viel mehr für die zur Jagd abgerichteten Beizvögel.
Deshalb setzte man für den oben erwähnten Transport nach
Frankreich nurlO Falken in den einen und 8 Falken und einen
Gerlerzen in den anderen, wohl um bei dem hohen Werte des
letzteren, der das Doppelle von dem eines gewöhnlichen Falken
betrug, wegen guter Ankunft an den Ort der Bestimmung mög-
lichst sicher sein zu können.
Trotz aller Vorsorge konnten die Faäken während ihres
Transportes krank und unbrauchbar werden und sogar eingehen;
deshalb wurde sorgfältig darauf geachtet, daß ein erfahrener
Falkner einen solchen Transport leitete. So bittet z. B. Graf
Oeoi^ Ernst von Henneberg den Markgrafen Aibrecht Achilles
von Brandenburg um Beizvögel und weiter dsrum, den Boten
unterrichten zu lassen, wie sie gewartet würden. Anderenfalls
möchte er selbst einen Boten, der mit Falken umzugehen ver-
stehe, mitgeben, damit die Vögel nicht verwahrlost zu ihm
kämen.') Herzog Ferdinand von Österreich teilt dagegen dem
Herzog Albrecht mit, daß die ihm übersandten Falken nicht be-
sonders brauchbar gewesen seien. Diese UntÜchtigkeit führt er
darauf zurück, daß der Falkendiencr sie »nicht wohl gewartet
habe". Wie er später als Kaiser regelmäßig jedes Jahr 10 bis 12
der schönsten Falken erhielt, teilte er in einem Briefe mit, daß
von dem letzten Falkengeschenke statt der gesandten 10 nur 6
an ihn gelangt seien, die anderen seien unterwegs infolge der
Unbeständigkeit des Wettere verrecScL*)
Die mit einer solchen Sendung ziehenden Falkner werden
ihrer Verantwortlichkeit wegen entsprechend belohnt. Nach dem
Treßlerbuche erhalten sie bei größeren Sendungen, wie sie meist
von dem Vogte von Qrobin, dem Bischof von ösel und dem
Komtur von Windau kajnen, je nach den Umständen 4 bis S'/a
und sogar 6 m. Bei einer Qabe von + m. werden meist noch
i7s ni- »vor 6 elen gewandes" hitizugefügt, zuweilen heißt es
auch kurz »S'/i m. vor syn hofegewaiit" oder einem Diener ge-
schenkt, der die Falken brachte, zu seinem Mofgcwand. Die
Gesamtsumme der gezahlten Belohnung übersteigt jedoch niemals
die Höhe von 6 tn. Die tragenden Knechte erhalten gewöhnlich
je I m. - Bei anderen Sendungen wird den Überbringern von
Bcizvögcln eine angemessene Belohnung gereicht, während die
russischen Falkner fast ausschließlich eingekleidet (S. 483, Z.27, 28)
oder durch ein Geschenk von Stiefeln und Schuhen erfreut
werden (S. 487, Z. 20, 21; S. SOS, Z. 1. 2).
Um den Beizvogti später bei der Jagd jedesmal zum Zu-
rückkehren zu veranlassen, gewöhnte man ihn an das sog.
Federsp'iel. Dieses bestand vielfach aus dem ausgestopften Rumpfe
mit den Flügeln einer hellen Taube, welchen man in die Höhe
warf. Als Rumpfteil verwendete man auch vielfach ein Holzstück,
an welchem mittels eines Hakens ein FIcischstOck befestigt werden
konnte. Nicht Anhänglichkeit fesselte den Vogel an den Falkner,
wie etwa den Hund an den Jäger, sondern einzig die Befriedigung
der Frcßlust Daraus geht wieder hervor, daß bei der ersten sich
bietenden Gelegenheit auch der beste Falke sich aus dem Staube
>] Volgl. Joh«nnn; rüntmlrbcn «tc.. S. 3ST.
1 Volgii, JoruniHi: Filnicnlttwn <tc., S. as», »4.
Die Bdzjagd in Altpreußen.
2(3
ZU machen suchte. Wurde der Vogel durch stärkere Raubvögel
selbst gejagt, wurde er verscheucht oder bei der Jagd durch seine
Beule zu weit fortgeführt, so war es schwierig, ihn wieder-
zubekommen. Dann war es die mühsame Aufgabe des Falkners,
ihn aufzusuchen und durch Lockspeise und Zuruf wieder ein?u-
fangen. Hatte das Tier sich in ein Dorf oder in einen Wald
verflogen, so war es von Vorteil, auf die Vögel zu achten, welche
ihm schreiend naclijagten, wie Krähen, Elstern, Amseln und andere
Dem Falkner stand dabei eine Reihe von Mitteln zu Ge-
bote, um sich des wertvollen Flüchtlings zu bemächligen. Der
Beizvoge! war stets mit zwei Ausrüstungsstücken versehen, die
sein Einfangen erleichterten. Man befestigte an seiner Kurzfessel
oder an dem Oeschuhe, Lederriemen, die er stets trug, zwei
kleine Schellen. Diese werden auch zweimal im Treßlerbuche
erwähnt; für 40 von ihnen wird i m. gezahlt (S. 259, Z. 37, 3S}.
Außer diesen trug jeder Beizvogel bei der Jagd ein Schildchen,
das den Namen oder das Namenszeichen seines Besitzers trug.
Auch die Jagdfalken, die dem Hochmeister sein Vogler nachtrug,
Waren mit goldenen oder silbernen Schildchcn versehen, in die
das Wappen des Hochmeisters geritzt war. Die Ausgaben für
die Schildchen sind im Treßlerbuche ebenfalls nur selten - es
liegen nur 3 Notizen vor -, da sie nur an den Beizvögeln be-
festigt wurden, mit denen der Hochmeister gerade jagte. Diese
Schildchen sind deshalb von einer gewissen Bedeutung, weil der
Vogel, der in den ersten 3 Tagen nach der Flucht gefangen wird.
Von dem Fänger dem Besitzer zurückgegeben werden muß. Wird
das Tier aber erst am vierten Tage oder noch später eingefangenj
So gehört es von Rechts wegen dem Fänger. Hat es aber ein
Zeichen an sieb, so nuiß es zurückgegeben werden, wieviel Zeit
^uch verstrichen sein mag.') Mit Hilfe solcher Schildchen können
die Besitzer verflogener Falken leicht ermittelt werden; nach dem
Treßlerbuche werden zwei solcher Beizvögel eingefangen und
an ihre Herren nach Graudenz und nach Thorn zurückgebracht
{S. (63, Z. 35, 36; S. 164, Z. 21, 22).
Wie man erzählt, wurde ein Falke in Preußen gefangen und
an den Marquis de Villa nuova verhandelt. Er entfloh aber von
') Brontr, S. S6.
1
214
Paul Dahms.
dort, kehrte nach Preußen zurück, verlor hier abennils seine
Freiheit und gab durch die auf seinem silbernen Haisblech ge-
schriebenen Worte Marquis de Villa nuova del Rio den Namen
seines Besitzers an. tn der Sarkauer Schenke sod lange Zeit eine
kleine Schelle und ein Haisband aufgehoben worden sein, das
den Namen Jakobs V. von England, nach anderen freilich den
Namen eines französischen Königs trug. Auch dieses wurde viel-
leicht einem seinerzeit gefangenen Falken abgenommen.')
Außer den FalVei, die versandt oder durch ihre Flucht
verloren wurden, gingen viele mit dem Tode ab. Abgesehen von
denen, die einer Krankheit unterlagen, waren die Beizvögel
höchstens 3 oder 4 jähre brauchbar; daraus ist auch die Not-
wendigkeit ihrer fortgesetzten Erneuerung zu ersehen.
Nach Voigt ') betragen die Ausgaben über Ankauf und Ver-
sendung der Falken im Jahre 1401 sn 346^jt ni., 1402 an 239 m.,
1404 rund 17t m. und 1405 an 3 76 m. Zähl! man jedoch zu
diesen Werten, die den Hauptkonten entnommen sind, die Aus-
gaben hinzu, welche zerstreut im Texte des TreÖlerbuchcs an-
gegeben sind, so erhält man die Gesamtausgaben in folgenden
abgerundeten Zahlen (m.).
Jaltr.
ZusammeasleÜungen
in den Konten.
Vcreinzellc Angaben
im Text-
Gcsamlkosten.
1399
374%
toVi
3$5
1400
440
17
457
1401
345V.
6
351
1402
236
23
259
1403
216»/.
20
337
1404
171
39%
211
140S
375V,
17%
393
1406
166Vg
7S"/«i
242
1407
ie4V,
77'/«
242
1408
259
122"/«
382
1409
168%
56"/.o
226
■) Bock, ftitatidi SunucL Vcnvch <lnrr vlttiduflUchcn NkUircndihhlc von dem
KAnlfrclcli 0>i- und Wntpmilkn. B<] 4. Dniau, i'l«, S. 169. 170.
*i Qeutilrhtr Mirlmburp. S. HO.
I
Die Beizjagd in Altpreiißcn.
Die Tabelle zeigt, daß die vereinzelten Ausgaben im Jahre 1 408
fast die Hälfte der größeren ausmachen und daß im Jahre 1400
der gröBte, 1+04 der kleinste Aufwand getrieben wurde. Als
Mittelwert für die jährlichen Qesamtkosten wurden 317 m. be-
rechnet.
Die sog. edlen Falken haben die Eigentümlichkeit, den Raub
zu stoßen, und deshalb ist es notwendig, daß ihre Beute fliegt
Sitzenden und laufenden Tieren können sie nichts anhaben, weil
sie bei der Gewalt des von ihnen ausgefßhrlen Stoßes sich be-
schädigen würden. Man benutzte deshalb bei der Beizjagd zu-
sammen mit den Falken abgerichtete Hunde, welche das Wild
zu stellen und zur rechten Zeit aufzuscheuchen halten. Femer
mußten sie die gejagten Vögel, welche sich auf den Boden ge-
flüchtet hallen, um dort der ihnen drohenden Gefahr zu entgehen,
aufspüren und aufjagen. In älterer Zeit war der Beiz- oder
Vogelhund wohl ein einfacher Slöberhund, vom 13. Jahrhundert
verwendete man dagegen vorzugsweise -vorliegende«, d. h. Vor-
stehhunde, wie heule bei der Schießjagd. Im Treßlerbuche werden
.Vogelhlinde" zweimal erwähnt (S- 496, Z. 22, 23; S. S36, Z. 14);
wir erfahren beide Male, daß sie Gänse zerrissen haben^ und
daß der Hochmeister den von ihnen angerichteten Schaden ver-
gütet Auch vras wir sonst von den preußischen Jagdhunden
jener Zeit hören, ist nichts besonders Gutes; Dressur und Rasse
scheinen nicht allzubesi gewesen zu sein. Wiederholt fallen sie
würgend in die Schafherden ein und richten große Blutbäder an,
in einem Falle zerfleischen sie 15, im andern 21 Stück.
Gelegenilich wird uns der Hochmeister jagend vorgeführt
Im Okiober 1403 finden wir ihn jagend auf der Qanswiese am
Weichselstrome (S. 270. Z. 19, 20); reiste er im PreuBenlande
umher, um die wichtigsten Städte und Ordenshäuser, welche bei
einem feindlichen Oberfalle am meisten gefährdet waren, aufzu-
suchen, so betrieb er bei dieser Gelegenheit mit Eifer die Jagd.')
Am besten konnte er sich freilich dem edlen Federspiel und der
Jagd in Sluhm hingeben, das von Marienburg leicht erreicht
i> Volft- QcMhiditt W«ri«nhufB« elc., S. JS6. — Voigt Jcluuinwr Dm SHlIl«t*it
dn Hochmrl'^tm Ja druluhrn Orilmi und umd Filrslmliot. tüumrn hitlor, TiKhrnbucb.
Jahrit. I. itiv. s. iou-ao:.
1
L
werden kann. Hier hklt er sich in seinem Sommerhause wäh-
rend des Sommers öfter auf, hier waren alle Einrichtungen und
Anstalter zur Ausübung des hochgeschäteten Weidwerks getroffen,
Bald jagte der Hochmeister auch in der Scharffau (Scharpau)
oder auf der damals noch reichbcwatdclcn frischen Nehrung.
Dorthin hatte dann sein Kumpan die nötigen Lebensmittel zu
schaffen, und auch der hoch meisterliche Koch und Keilermeister
mußten ihrem Herrn donhin nachfolgen.
Das Jagdvergnügen war außer dem Hochmeister freilich
nur den oberetcn Gebietigem und Komturen erlaubt, und durch
«in bestimmtes Gesetz war verordnet, daß außer dem Komtur und
dem Hauskomtur in einem Konvente kein anderer Ritterbruder
Jagdhunde halten oder Federspiel und Weidwerk betreiben durfte,
und den ersteren beiden war dabei zur Pflicht gemacht, sich dem
Vergnügen der Jagd nur mit Maß hinzugeben. Doch zuweilen
erlaubte der Hochmeister den Konvenisbrüdern ausdrücklich die
Jagd und ließ ihnen das dazu erforderliche Geld auszahlen, und
ähnlich verhielten sich mitunter die Komture gegen die ihnen
unterstellten RiKerbrüder. So erhalten die «jungen Herren* zu
Elbittg regelmäßig von dem Großkomlur und Trefiler 2 m. zur
Ausübung der Fischerei, «die sie noch ostem pflegen zu haben*
(Tr.-B., S. 341; Z. M, 12), in einem Falle aber zur Jagd vom
Hochmeister J m. und vom Großkomlur 1 m. <S. 475, Z. 25-27).
Doch auch die jungen Ritterbrüder in Königsberg und einmal
auch die in Danzig werden zur Ausübung der Jagd mit Geld-
mitteln unterstützt, die letzteren, um „\r gam zu bessern" (S. 469,
Z. 40, 41). Diese Jagd brachte Abweclislung in das Einerlei des
täglichen Lebens und wurde um so höher geschätzt, als die
Ordensbrüder vom Verkehr mit der Well ziemlich abgeschieden
leben mußten. Die Jagd war bei den jungen Rittern vielleicht
auch mehr den praktischen Bedürfnissen der Küche gewidmet
Man beizte meist auf Qeflflgel, das den Jäger nicht so nahe
herankommen ließ, daß er mit Armbrust oder Bogen einen sicheren
Schuß abgeben konnte. Man jagte den Reiher, den Kranich und
den Schwan, ferner Trappen, Fasane, Feldhühner, wilde Gänse,
Enten und Tauben, Brachvögel, Kiebitze, tlstern, Krähen, Raben,
Milane, Bussarde, Stare, Lerchen und viele andere kleine Vögel.
Die Brt7jagd (n Aitpreußen, 3^7
Da in damaliger Zeit auch Kraniche, Reiher, Schwäne und sogar
Rohrdommeln als ganz gut eßbar galten, so läßt es sich ver-
stehen, wenn der König von Polen dem Hochmeister Kraniche
lind Wildpret als Geschenk übersendet (S. 354, Z. 2S-27).
Als nach Heinrich von Plauens Entsetzung Michael KQch-
meister von Stemberg Hochmeister geworden war, wurde es im
Ordenshausc immer stiller. Der Streit mit Polen trat mehr in
den Hintergrund und wurde auf der Kirchen Versammlung zu
Koslnit2 und auf anderen Verhandlungslagen zu schliciiten gesucht.
Der Meister ergötzte sich in seinen Mußestunden gern mit seinem
falkenspiele. Die besten Vögel ließ er sich aus Kurland kommen
und beschenkte den Komtur von Windau dafür mit Thomer Land-
wein. Auch der nächste Hochmeister, Paul von Rußdorf, sah
mehrere Jahre in Ruhe und Frieden durch das Land gehen.
Durch die Obersendung von Falken versuchte er sich die Gunst
der Fürsten zu sichern, das weitere Sinken des Ordens aufzuhallen
und die widrige Stimmung zurückzudrängen, welche an verschie-
denen deutschen Höfen der Friedensschluß am See Meino her-
vorgerufen halte. Unter anderem sandle er auch 4 der schönsten
Stoßfalken nach Berlin an Friedrich I., den Kurfürsten von
Brandenburg; auch den König von Polen erfreute er durch
Übersendung eines Beizvogels.')
Was die Anzahl der Falken belrifft, die jahrlich als Ge-
schenke ausgesandt wurden, so ist sie von dem mehr oder weniger
reichlichen Einkauf und Einfang, und dieser von den günstigeren
oder ungünstigeren Witlerungsverhällnissen abhängig. Voigt stellt
für eine Reihe von Jahren die Zahlenwerle zusammen. Die
Falkensendung betrug im Jahre 1398 an 88 Stück, 1+07 an 43,
1408 an 97, 1413 an 76, 1431 an 1S2, 1450 an 117, 1452 an
tl6 und 1532 an 124 Stück.
Die Erfindung des Schießpulvers vermochte die Jagd mit
Falken an fürstlichen Höfen mit ihrem eigenartigen Reiz in keiner
Weise störend zu beeinflussen, die Falkenbeize herrschte vielmehr
noch mächtiger als früher. So schickt Kaiser Maximilian im
Jahre 1502 seinen eigenen Falkcnmeistcr nach Preußen und bittet
den damaligen Hochmeister um 14 der besten Falken, »damit
1) Voip: Qewhkh» Mirimburi* t\e., S. }14, 3«, M3, 33«.
Archiv m KuIturKTutirchtc. II. IS
i
derselbe Falkner sie iinserm Befehl abrichten mag". Besonders
weifle Falken, also nordische Jagdfalk«n, liebte er sehr und ba(
ausdrückhch, ihm womöglich einige dieser An zuzuschicken.
Auch auf seine Enket, den Kaiser Karl V. und den römischen
König Ferdinand, übertrug er diese Liebe zum Federspiel. So-
gar die Schwester des letzteren, Maria, Gemahlin des Königs
Ludwig II. von Ungarn und nachmalige Statthalterin der Nieder-
lande, wurde eine leidenschaftliche Falkenjägerin und sandte 1532
einen Falkner nach PreulJcn, um dort für sie Beizvögel einzu-
kaufen.
Besonders interessant sind die Bemühungen des Herzogs
Albrecht, sich die Gunst des englischen Königshofes zu erwerben
und zu erhallen.') Als er im Jahre 1534 die Nachricht erhielt,
das kaiserliche Kammergericht habe in betreff seiner Achterklärung
ein Exekutorial-Pönalmandat gegen ihn verfögt und publiziert,
suchte er sich in nähere Verbindung mit Heinrich Vlll. zu setzen,
Ctbersandtc ihm 12 ausgezeichnete Falken und wiederholte im
nächsten Jahre sein Geschenk (10 Falken).
Zti demselben Ziele übei-sandle er jedenfalls auch dem
Schwager des Königs, dem Grafen Archimbald Duglas, 10 Beiz-
vfigel. Der Herzog fuhr fort, alljährlich seine Sendungen zu
wiederholen, und erhielt jedesmal freundliche Dankschreiben.
Auch die Gunst des Königlichen Großsiegelbewahrers und
Kammcrherm Thomas Cromwell wußte er sich zu erwerben, in-
dem er ihm Falken und weiBen Bernstein überreichen ließ. Als
Albrecht freilich die alte Ordensburg Brandenburg herstellen
lassen wellte und gelegentlich einea weiteren Falkengeschenkes
den König um seine Unterstützung bat, wies dieser auf die krie-
gerischen Zeiten hin und bedauerte, den geäußerten Wunsch nicht
erfüllen zu können; es bleibe nichts übrig, womit man gute
Freunde unterstützen könne. Auch um die Gunsl des Günsthngs
von König Heinrich, Karl Branden, bewarb sich der Herzog und
errang diese durch ein Geschenk von S schönen Jagdfalken.
Ähnliche Beziehungen wie zu Heinrich VlII. suchte und fand
Albrecht zu dessen Sohn Eduard VI. und zu Herzog Eduard
*) Voigt, }.: HcraoK Albrcchli von PmiOcii (rmndKliantiäic VtrblmlaiiK etc.,
S. 1-M.
Die Ddzjagd in Allpreußen.
219
Somerset, der für den jungen König mehrere Jahre lang die
ZQgel der Regierung (ilhrte. Auch die streng katholische Königin
Maria wurde mit Falken bedacht. Ihre Antwortschreiben ließen
freilich erkennen, daß sie dem ketzerischen Herzoge nicht wohl
gesinnt sei, während ihre Nachfolgerin Elisabeth für jedes Ge-
schenk in freundlicher Weise ihren Dank abstaltete.
Aus dem Verzeichnis, welches auf Veranlassung des Herzogs
1533 angelegt und bis 1567 fortgesetzt wurde, lernen wir teils
die Namen der beschenkten hohen Persönlichkeilen, teils die An-
zahl der ihnen übersandten Falken kennen. Nach ihm wurden
während dieser Zeit an die Könige und Königinnen von England
299, an englische Herzoge und andere wichtige Staatsmänner
außerdem über 100 Falken verschenkt. Werden zu diesen die-
jenigen hinzugerechnet, welche an die ßbrigen Könige, Fürsten
und Großen Europas versandt wurden, so erreicht die Zahl
der im ganzen verschenkten Beizvögel die stattlidie Höhe von
1939 Stück.
Es ist interessant, daß der Herzog Albrecht trotz der großen
Falke nsendungeUj welche er machte, selbst für die Beizjagd wenig
Neigung hatte, denn während seiner Regierung wird ihrer in den
Jagdakten auch nicht mit einer Silbe gedachi.')
Zur Zeit der Ordensherrschaft war der Falkenfang den
Bisehöfen auf ihrem Gebiete, jedem Eigentümer auf seinem Be-
sitztum freigegeben, sogar dem Bauer in seinem Garten, und nur
<die von den Falknern des Hochmeisters und der Ordensbcanilen
licsonders eingerichteten Lagerslätten wurden benutzt Winrich von
Kniprodc verordnete zunächst, daß nur der Hochmeister die Be-
rechtigung haben sollte, Falken ins Ausland zu senden.*) Zur Zeil
^es Herzogs Albrecht sah man jedoch den Falkcnfang schon mehr
-cib ein dem Landesherm allein zustehendes Regal an. Ein beson-
«icrcr Falkmeister oder Falkenfaher erhielt meist für 2 Jahre eine
Bestallung, mit der Verpflichtung, alle Falken, die er auf der
Lagerstätte oder sonst irdcndwo finge, nur dem Herzog abzuliefern
t) Bd|uIi, J, O.^ 0««cWehte ie» PmißiKhco Jagdmciu rtc. Prwfl, Prov.-Sl.,
Bind n. tl39, S. 514.
») Ebmdi. -- Vzl. «uch Uedtke, F.: Btitrifir lur OcKfilchtt der Jied In F.ralind
Bnd AtlpiruHrn. Zcitidir. f. d. Ucsch. und Allciluiiitkiiiiilr Eimlanil]. BuunibtTK.
Buul tV. 19»«. S, »9.
15*
220
Paul Dahms.
und daneben einen jungen Mann in dem Fange gehörig zu
unterrichten. Fßr jeden Falken sollte er eine Mark und für jeden
Geierfalken das Doppelle erhalten.
Da bei Fang und Transport vielfach Betrflgereien betrieben
wurden, so sollte die Bestallung jedes zweite Jahr erneut und so
der Eifer und Fleiß des Falkners immer rege und lebhaft er-
halten werden. Weil der herzogliche Falkner mehrmals die Bciz-
vögel vertauscht und nur die schlechten abgeliefert hatte, so teilte
der Herzog den Fürsten, die er beschenkte, mit: er habe jedem
Falken eine Feder aus dem Schwänze ausstechen lassen. Diese
befand sich in einem Briefe und gestattete durch einfachen
Vergleich die Beurteilung, ob die zugesandten Vögel auch die
echten seien.
Der Herzog erhicil durch seine Falken meister immer hin-
reichend Jagdfalken, um die ihm befreundeten Könige, Fürsten
und Gönner beschenken zu können, und die «Falkenbriefe", die
von Falkenbeize und -zucht handelten, machten einen großen Teil
seiner Korrespondenz aus. In manchen Jahren war der Falken-
fang ergiebiger als sonst, so daß zu den Gönnern und Freunden'
Albrechts noch neue durch Übersendung von Beizvögeln ge-
wonnen werden konnten. Dem Römischen Könige wurden im
Jahre 1555 z. B, 28 Falken, und darunter ein Oeierfalk übersandt
Auch unter Albrechts Sohn und Nachfolger, dem Herzog
Albrecht Friedrich, wurde der Falkenfang fortgesetzt. Der neue
FalkenjJiKer tibernimmt die Verpflichtung, alle Falken, die er im
Laufe des Jahres gefangen, gekauft oder sonstwie an sich gebracht
hat, dem Herzog zur Verftigung zu stellen. Dieser will dann
seiac Auswahl treffen. Der Falkenfänger soll für jeden Vogel
1 m. erhalten, daneben aber auch auf seine Kosten die Falken,
die an den Kaiser, den Römischen König und die Fürsten gehen
sollen, an ihren Bestimmungsort bringen und über die Ablieferung
Beweisscheine vorlegen. Alle anderen Falken sollen ihm zu je
einer Mark gelassen werden, und mit ihnen soll er freien Handel
treiben können. Die herzoglichen Falkenmeistcr blieben jedocli
um diese Zeit nie lange Em Dienste.
Wenige Jahre später brach sogar ein eigenartiger Streit in
beireff des Falkenfanges in Preußen aus.
I
Die Beizjagd in Altpreußen.
221
Noch im Anfange des 17. Jahrhunderts war das Aussenden
von Falkengescherken an auswärtige Fürstenhöfe in Gebrauch.
Auch der Kurfürst Johann Sigismund wollte bei Antritt seiner
Regierung (lfi08) derartige Geschenke machen, erfuhr aber von
sdnem Falkenmeister Schwierigkeiten. Dieser erklärte, er sei auf
Grund seines Kontraktes vom Jahre 1600 nur soviel Beizvögel
an den Kurfürsten zu liefern verpflichtet, als dieser »zu seiner
Lust" verlange. Von ihm und seinem Vorgänger seien aber nie
mehr nls 14 bis t6 Stück gefordert worden, und soviel wolle
er auch dieses Mal liefern. Würden mehr Beirvögel begehrt,
so hoffe er, daß mit ihm darüber ein Abkommen getroffen werde.
Wie die Forderung aufgenommen wurde, ist unbekannt,
doch setzte der Kurfürst im nächsten Jahre fest, wieviel Stück
nach auswärts geschafft werden sollten. Dann verlangte er, um
für seine Falkencrei feslere Bestimmungen zu haben, einen An-
schlag der Unterhaltungskosten für einen Falkenhof, sowohl für
die Vöge! wie für die erforderlichen Personen und Pferde.
Der Falken meisler, Johann von Winkelrode, beantragte
v6 Vögel zu Reihern, 6 zu Enten, 6 zu Krähen, 3 t\i Elstern,
dann 6 Blaufüße, 5 Habichte und 3 Sperber. Für diese Vögel
müfJten unterhalten werden 6 Personen zu Pferde und 2 zu Fuß^
welche die Vögel zu tragen hätten. Ihr Lohn und ihre Be-
kleidung werde auf 300 ThIr. kommen, dazu freier Tisch. Unter
den Vögeln müßten notwendig 6 Geierfalken seyn, deren jeder
zu 30 Thaler zu stehen komme, 6 Stück also 1 80 Thaler kosten
würden. Zum Aas der Vögel seyen täglich 4 Hühner, S Tauben
und 5 Pfund Rindfleisch erforderlich. Auflerdem müßten in
einem besonderen Reiherhaus noch 15 Reiher unterhalten werden,
die man mit Plautz und Fischen ernähre. Endlich erhalte der
Falkenmeister freie Wohnung, Holz und Licht".')
Der Kurfürst genehmigte den Anschlag und nahm den
Falkenmeister mit allen seinen früheren Rechten wieder in seinen
Dienst. Als nach Johann von Winkelrodes Tod sein Sohn
Wilhelm an die Stelle des Vaters tritt, heißt es in seiner Be-
stallung (1617): Er solle zur Jagd auf Reiher, Krähen und
Elstern je einen Flug Falken auf seine Kosten besorgen und
>) Voigt: Ober Filknilant elt., S. IM, 9».
Paul Dahms.
unterhalten und jederzeit zu Diensten bereit sein. Auch solle er
dafür sorgen, daß die Lager zur rechten Zeit in acht genommen
und bestellt würden und die Zahl von Falken, zum eigenen
Gebrauch und zu den Sendungen, geliefert werden könne. Da- fl
für werden ihm jährlich ..400 Reichsgulden aus der Hofrcnlci,
für 4 Pferde das geordnete Monaisgeld, der gewöhnliche Schade-
stand, für &eine Person der Tisch bei den Kammerjunkem, freie
Wohnung und jährlich 6 wilde Falken und + Dörzel' zu-
gesichert.')
Es ist unbekannt, wie lange noch die Palkenjagd am
Brand enburgischen Hofe betrieben wurde. Wahrscheinlich hat ihr '
der Dreißigjährige Krieg mit den Leiden, die er ober die Marie
brachte, den Todesstoß gegeben.
Bcrcits mit Beginn der Reformation begann ein Niedei^ng
der Beizjagd. Die Jagdvögel waren in die Kirche mitgenommen
und die Andacht durch sie gestört worden, die Saaten waren
durch die Hufe der Rosse zerstampft, die Steuö-n in kleinen
Stiaten teilweise durch sie zu einer gewaltigen Höhe empor-
getrieben, da ihre Fürsten denen großer Under bezüglich ihres
Beizetats nicht nachstehen wolhen. Viele Adelsfamilien gingen in-
folge des übertriebenen Aufwandes zugrunde, und viele Fürsten
vergaßen über ihrem Federspiel ihr Land und Volk und die
Pflichten gegen diese. Ein Aufgeben der fortgesetzt gesteigerten
Pracht war bei dem Geiste, welcher die Zeil von der Refor-
mation bis in das IS. Jahrhundert durchwehte, immöglich. Aber
auch ein Stillstand war nicht möglich. Außerdem hatte die maf^
lose Ausübimg der Beize überall das Wild stark vermindert,
stellenweise sogar ausgerottet. Die fortschreitende Kultur hatte
dem edelsten Bcizwüde in manchcrGegend die Existenzbedingungen
genommen, und viele Regierungen forderten, daß der angerichtete
Schaden vergütet werde.*) ■
Bereits größere Kriege mit ihren Unruhen und Ocldopfcni
brachten die Beizjagd zum Stillsland oder gar zum Untergange.
So verwiegen in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges die
Mitteilungen über die sächsische Falknerei und beginnen er
>) Voint; Ober Filkcnfins etc.. 5, W-ttt.
■) ron Oombionki, S. »i, 921.
Die Beizjagd in Aitpreußen.
223
«leder mit dem jähre 1632, während der Siebenjährige Krieg ihr
ein jähes Ende bereitete; die letzte Falkenjagd in Sachsen fand
am 2. Juni 1756 statt.') Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde
die Beize in Holland betrieben, im Jahre 1840 wurde schließlich
unter Elaron Pindalls Leitung und unter dem Protektorate des
Prinzen Alexander der Niederlande sogar eine Beizgenossenschaft
gegründet. Ihren Sitz hatte sie auf dem Jagdschloß Loo; einge-
stellt waren 45 Falken und schon im Oründungsjahre 237 Reiher.
Die Gesellschaft löste sich jedoch nach Ablauf eines Dezenniums
wieder auf. In Frankreich hatte die Revolution der Beize bereits
den Boden genommen, das Jahr 1848 ließ sie voltstindig ver-
schwinden. Freilich versuchte die Kaiserin Eugenie im Verein
mit dem Prinzen von der Moskwa und dem Baron de Pierre im
Jahre i861 ihre Wiederbelebung und halte zu Molte-Beuvron
bereite einen vollständigen Falkenhof einrichten lassen, aber dieser
Versuch blieb ohne jede nachhaltigen Folgen. In Deutschland
wird die Beize gegenwärtig nirgends mehr geübt; erwähnt mag
sein, daß auf der Jagdausstellung ?u Cleve im Jahre ISSI dis
letzte Schauspiel einer Beizjagd geboten wurde, das freilich nicht
ganz glockllch ausfiel.^ Dagegen hat in Rußland die Zucht von
Jagdfalken in gewisser Hinsicht Auferstehung gefeiert, insofern
als man vor ungefähr 1 2 Jahren daranging, Beizv6gel abzutragen
und sie zum Abfangen von Brieftauben zu verwenden.')
■) Betgt. S. tl9. 131.
f) von OombroTski. S. MI. SJO, iss. at.
*• VtTtJ. Cctaldn, KuX: Ütüdtl lUxr die Lciilun|-cn auf dem Ocbiclc der Font-
*nd laidxiMlccI«. Jihrg. >, <l90i Frenlrfurl t. M., 1991.
Die Taufe des Herzogs
Philipp Julius von Pommern-Wolgast
0585^
Vor OTTO HEINEMANN.
Eine stattliche Zahl von fürstlichen Pereonen wie fürstlichen
und städtischen Abgesandten sah der 2. Februar 1585 in den
Mauern Wolgasts vcrsammeSt. Es mußte eine ganz besondere
Veranlassung sein, die sie hier zusammengeführt hatte. Und
sicherlich war es das, galt es doch, die Aufnahme des neu-
geborenen Prinzen von Pommern-Wolgast in den Schoß der
christlichen Kirche zu feiern. Am 27. Dezember 1584 war dem
Herzoge Ernst Ludwig und seiner Qemahhn Sophia Hedwig nach
siebenjähriger Ehe, der seither nur zwei Töchter entsprossen
waren, der ersehnte Sohn geboren. Noch am gleichen Tage
gingen die Nachrichten von der Geburt und die Einladungen
zu der auf den 2. Februar festgesetzten Taufe hinaus nach allen
Himmelsrichtungen. Man muß dem Ereignis, daß der Wolgaster
Linie endhch ein Erbe geboren war, eine hervorragende Be-
deutung beigemessen haben,') denn die Taufe keines der Kinder
aus dein pommerschen FCirslenhause ist wohl mit solchem
Prunke und Aufwände gefeiert, wie die des Herzogs Philipp
Julius, und gewiß hat keines Patengeschenke von solchem Werte
erhalten wie dieser.
Als Taufpaten wurden geladen: König Friedrich von Däne-
mark Lnd seine Genialilin Sophia, Herzog Julius von Braun>
1) Enitl Ludvip frrund. den e^lrlmtm Pirltrr Clnudiut Puinnui, bccrlMrrtr
die Qcbnit tu dncm Ooltditc van9M HcuuntUtn, denen Autugtaph Im Kcl. Stuinrdilve
rn Slcttin (Mikr. HC, 11} verwahrt iriid. Vgl. In dlc»rr ZcilKhrift S. 31, Ann. t.
Die Taufe des Herzogs Philipp Julius von Pommem-WolgasL 225
schweig- Wolfen büttel und seine Gemahlin Hedwig,") die Heraoge
Johann Friedrich, Barnim XII. von Pommern und ihre Ge-
mahlinnen, sowie die Herzoge Kasimir IX. und Philipp II., femer
die Herzoge Heinrich Julius und Philipp Sigismund von Braun-
schveJg-WolfenbQtte],') die Herzogin Magdalena Elisabeth von
Braunschweig-LQneburg,') Herzog Ulrich IIl. von Mecklenburg-
Schwerin und seine Gemahlin Elisabeth,') der Herzog Franz III.
von Sachsen- Lauenburg und seine Gemahlin Maria,') Graf
Adolf XIII. von Schaumburg und seine Gemahlin Elisabeth,
Graf Anton 11. von Oldenburg, der dänische Kanzler Nits Kaas
und die Städte Danzig, Lüneburg, Stettin, Stralsund, Oreifswald,
Anklam, Deinmin, Pasewalk und die rügische Ritterschaft, ins-
gesamt nicht weniger als dreißig Paten.^ Persönlich erschienen
in Wotgasl von fürstlichen Personen nur Herzog Johann Friedrich
und Erdmuthe, Herzog Kasimir IX. und der zwölfjährige Herzog
Philipp II., sowie Herzog Ernst Ludwigs Schwester Anna als
Vertreterin der Herzogin Hedwig von Braunschweig, der Qrofi-
muttcr des Täuflings. Außerdem war Herzog ßogislaw XIII.
und seine Gemahlin Anna Maria anwesend, die nicht als Paten
geladen waren, aber in dem unten abgedruckten Verzeichnisse
unter den Paten aufgeführt sind. Vielleicht traten sie an die
Stelle des Herzogs Franz III. von Sachscn-Lauenburg und seiner
Gemahlin, die weder selbst gekommen waren noch Vertreter
gesandt hatten. Die übrigen Fürstlichkeiten schickten Gesandte,
ebenso die Städte ein oder mehrere Mitglieder des Rats. Für
sämtliche Taufgäste war auf dem herzoglichen Schlosse in Wol-
gast Unterkunft vorgesehen. Eine erhaltene Übersicht gibt uns
genau darüber Auskunft, wo die einzelnen Personen untergebracht
waren, und welche Mitglieder des pommerschen Adels zur Dienst-
)] Die Eltern drf Heni>gln 5«ph<> Hedwig.
tt nie Bruder dc^ Kmuein Soptiii Hnlvfu.
t Sic «ir die Sclivnlcr der KcrtOKln tlcdvls vgn SnunschTrlE-WollcnbUtlcl
mut die Wllvc dn Hcnr>Kt l^nlii Oilo von DimruchsrlK-LQncli'UtK (t *]5S).
*t Die Eltern diT Kdnisln Soplila von DJncmork,
q Ktraoj Ftoni tu In cnlcr Ehr inil Hcriui; Enwt Ludvi):« Sch»cskr MiJi-inlr
(t tM<) TtnnÜiIi. Seine («citc liittiti «t die Scftiml« drr HcnOKiii SopMi llcdvig,
tbeiuo vi« dl« Qrilin EliuihPlh vnn ^houmburg.
*t WuIb- Ardi. TU- t-p. No. 37, Bl- 3. D»ll d»» In Anlajc I abacdnickle V*r-
«dcteiii der TiotpftUn nur Ji Nnm-mtm aufwpitl. crldtrt ikh üoilurch. diK iii«( dir
rtglK}» Rillcncliift tcMI und Mcrios Philipp Slgüinund van BriuntchvclK IicIik be-
tOodiTC Nuaifflci h«ti sondern unter lU nilUufscfühn iit.
Otto Hein«miinn.
I
leistung bei ihnen befohlen waren. Da für die Menge der zu
erwarlenden Gäsle die Silberkammer Ernst Ludwigs nicht aus-
reichte, so stellte Johann Friedrich auf Ansuchen seines Bruders
aus der seinigen das Fehlende zur Verfügung.
So ging der Monat Januar mit den Vorbereitungen, Kor-
respondenzen mit dem Adel des Landes und der Sorge für die
Tafelgenösse hin. Schon am 31. Januar begannen die Tauf-
gäslc sich zu versammeln. Am 2. Februar fand dann die Taufe
statt. Leider berichten die Akten über die Tauffeierlich Veiten
selbst nichts. Die Taufe vollzog der Qeneralsuperintcndent
Jakob Runge.') Der junge Prinz erhielt nach den beiden Grofi-
välern die Namen Philipp Julius. Die der fürstlichen Wöchnerin
und dem Täuflinge überbrachten Geschenke repräsentierten einen
Werl von insgesamt 7832 Talern 9 Schillingen, Das uns er-
haltene Verzeichnis der einzelnen Geschenke und ihres Wertes ist
kulturhistorisch gewiß interessant genug, um einmal veröffentlicht
zu werden.-) Nicht weniger Interesse bieten die ebenfalls hier
mitgeteilten Verzeichnisse der ganz erheblichen Quantitäten an
Schlachtvieh, Wild, Fisch, Eiern, Butter, Gewürz usw., sovie an
Wein und Bier, die in jenen Tagen in Wolgast vertilgt sind.")
Für die I*ferde der Taufgäste und des zu ihrer Aufwartung be-
fohlenen Adels wurden in der Zeit vom 31. Januar bis 7. Februar
nicht weniger als 13 Last 3 Drömt 6 Scheffel 2 Maß Hafer
verbraucht.
Die Hoffnungen, die auf den jungen Thronerben gesetzt
waren, dessen Taufe mit solchem Gepränge gefeiert wurde, haben
sich später nicht erfüllt Seine im Alter von noch nicht 20 Jahren
mit der brandenburgischen Prinzessin Agnes geschlossene Ehe
blieb kinderlos, wie die seiner Vettern Philipp IL, Franz,
Bogislaw XiV. und Ulrich, Am 6. Februar 1625 sank er, wenig
über 40 Jahre alt^ ins Grab, und sein Gebiet fiel an die Stettiner
Linie, aus der Herzog Bogislaw XIV. noch einmal die Herrschaft
über ganz Pommern In seiner Hand vereinigte, bis mit ihm
1637 das pommerschc Färstenhaus im Mannesstamme ausstarb.
>| Mrtriliel der Univ. OrtDimld <«d. E. Fritdliemltt) I, S. tw.
^ Anl*4( I.
q Anlisni II- IV.
Die Taufe d« HcrTogs Philipp Julius von Pommem-WolgHst. 227
Philipp Julius' Witwe vermählte sich einige Jahre nach dem Tode
ihres Ocmahls mit dem Herzoge Franz Karl von Sachscn-Lauenburg,
starb aber schon nach nur achtmonatlicher Ehe am 20. März 1629.
Bl. 1. I.
Hertzogen Philipp! Julii zue Stettin-- Pommern Kitidtauff und
was darauf von den Gevattern verehret worden.')
Bl. 2. Philippas Julius,
illustrissimus princeps ac dominus, dominus nobilium rcgionutn,
Stettinensium, Pomeranorum, Cassubiorum et Vandalorum dux,
Rugianoriim princeps, GLitzcovionim comes, Leoburgentium et
Buthovionim dominus etc., Wolgasti patre Emesto Ludowico,
matre Sophia Hedewiga, vigisimo septimo die Decembris, duode-
cim minulis ante decimam horam meridianam, anno post natum
Christum MDLXXXV iiichoafo, quod felix et faustum sit, nascitur.
Bl. 2* enthält das Horoskop des jungen Prinzen.
Bl. 3. Com patres vel susceptores, quj fuerunl
praesenles vel per legatos*) rem effecerunt
I. Loco Friderici, regis Daniae et Norwegiae, praesens
erat nobilis Johannes Blome,*)
II. Loco Sophiae, *) reginae Daniae, missus erat Bene-
dictus ab Ancfeltd,*) marisachallus.
111. Loco Julii, ducis Brunswicensis, d ducis Philippi
Sigtsmundi Bninswicensis Otto ab Hcym.')
UM. Anna virgo, Philippi ducis Pomeraniac filia, loco
uxoris Julii, ducis Brunswicensis.
V./Vl. Johannes Fridericus, dux Sfettinensiuni et Pomera-
norum, cum illustrissima coniuge Erdimuda prac-
Sentes fuerunl,
■) SUiUrehlv zn Sreltln; SifH Ardi. P t . T1I. 46, No >i (A). Ein drubfliet
Vcr«irhnU iKr QncliFnkE findrl (ich cbtnda: Wol«. Aith Til. 6/7, No. IT. Bl. 70;-2n.
El lii Icdodi dis Utclnlschc -ü: du luilQhrllchrrc lUKFitnilc ncleut. dntcn Scltrcltier
«Iktdmip <«in groBcr Rtchtnkünjilrr ifccr-stn iru icin jcheint, di die Summ« der Seilen
Im nlrfinids richiiK Isi. Die Viriinttn und rtrilfttn Fri^nriingm d« drulachen V«r-
idchni^set sind In dm Anmcrliunsrn mli R nollcri.
•) Die Nuncri der Qcuindlcn tind Ifilwriiir »rg vctii^mmcll. Die litlitieen «nü
I Aktasläcke^ Sfole- Aidt, Tit. «/T, No. n cnlnoniniFn.
^ Hani von Blonic m Sediendart,
•) EI£Mb*(»i«p. A-
°) Hrntdllit von Ahlrleldl, Aintiitniin tu Cnmpc.
i Otto von Hoyin auf E&bcck, hcrxoglichci KamnitrrM.
Otto Heinetnann.
Bugslaus, Pomeranorum diix, cum illustrissima con-
iuge Clara praesentes fuerunt.
Loco Barnimi, Pomeranorum ducis, Oeorgius
Belovius.*)
X. Loco eius illuslrissimae coniugjs Petrus Citzcvitz.')
XI. Casimirus, Stcttincnsium et PomcraTiorum dux et
episcopus Caminensis, praesens fuit
XII. Philippus, Bugslai fiüus, adfuit.
XIII. Loco Ulrici, ducis M«gapolensi&, Wernerus Hanc.')
XIIII. Loco eius illustrissime coniugis Joachimus Cruse.*)
XV. Loco ducissae') Luncburgcnsis Ludowicus Mericher.^
Bl. 3"^ XVI. Loco Henrici") Julü, ducis Brunswicensis et Lune-
bnrgensis, episcopi Halberstaciensis, Levinus von
Bösen.")
XVII./XVIIL Vice Adolplii, comitis a Schowenborch, et loco eius
coniugis Simon Werpug.*)
XIX. Loco Antonii, comltis Aldenburgensis, Johan von
Vukenfeldt«)
XX. Vice Nicolai Caes, Daniel regni cancellarii, Johannes
Blome.")
XXI. Nomine reipub(licac) Dantiscanac Christian Christedt
et Daniel Brandt.")
XXII. Loco Luneburgensium M. Valentinus von Rode.'")
•) Qtorg von Belov auf Sallnke.
■) ['clcr von ZUiewlIi ml l'mlrl.
Q Werner Hahn auf Baacdov.
*) Joachim Kni«e auF Vercbentln.
10 duclf. A.
*) Ludwig MAmcr. Hiupbtiinn m Cfaorin.
') Henrici fehll, A.
').... LuncburjEcnsli, Lcvlnut von Bdmii, epiKOput HalbentHtcnila. A. —
L^vln von Dorntcl vir Rjt lini! Vii(-Hofinei)l«r dei Henog» Heinrich Juliui von Bruin-
■divcIg.VroKoilKlnrl, Hiuholi von HilbenUdl.
*) Simon Wcrpupp, Ünnl lu Pinnrboil.
■1 Johinn van. Fikcnsatl (l'lclini<i»ldt].
I)> Sieh« oben S. 2-17 Anm. %,
■*t VcrlrHer dtr Stadt Daniig vir Dalil«L Zlcrenbcri (Cilrcnberg), kIL isn R«t»-
hnr. t "W'
■^ Die Stadt LGncbwg vcrtni der Pri>toaotw V*tcfiila ChOden tt iS"')
Die Taufe des Herzogs Philipp Julius von Pommem-Wolgast. 229
XXIII. Vice reipub(licae) Stralsundensis Doctor Joachimus
Kethelius, ') consul , Nicolaus Sasse et Thomas
Brandeburg. •)
XXIIII. Nomine Stettinensium consul Conradus Brinck") et
Doctor Christophorus Friderid, syndicus.
XXV. Loco Oryphiswaldensium Johannes Engelberti, con-
sul, et Johannes Volschow.*)
XXVI. Vice Anglamensium Magister Henricus de Vesalia
et Conradus de Tessino, consules.*)
XXVII. Nomine Demminensium Martinus Elver, consul.
XXVni. Loco reipublice Pasewaicensis Magister Eusebius
Mevius, syndicus, Petrus Swarterock, consul, Cas-
parus Dargatz, camerarius.
Bl. 4. Munera ducissae puerperae vel infanti
oblata peracto baptismo.
I. Fridericus, Danorum et Norwegiae rex, ducissae illustris-
simae puerpere dono dedit torquem valoris quadringentorum
talerorum, infanti recens baptizato xtt/trjXiw valoris DCC Joachi-
micorum.
II. Sophia, illustrissima regina Daniae, ducissae dono dedit
catenam ex ducentis et duobus Hungaricis aureis confectum,
valoris trecentorum et viginti duorum talerorum,") si aureus Hun-
garicus duobus aureis Pomeranicis et quatuor gp'ossis') existi-
mabitur.
Philippo Julio infanti iam baptizato dono dedit deauratum
magnum poculum ponderis decem marcarum decem untiarum
semis,^ quaelibet marca octo unciis taxata, conficit centum septua-
ginta unum taleros.
III. Julius, dux Brunswicensis, fili^ puerper? dono dedit
") Dr. Jur. JoKhim Kdel (t •«"). Bürgmnriiter *eit 1S78.
*t BnndebnrKcnsii. A. Es Ist voht der ipitere BürKenndster (t 1619).
•) Konrad Brink <t 1999) war seit 1SBI Rtttherr ni Stettin.
*) Über Johann Engclbrecht <t<!9e), BBr^ennritter KitiMO, und Johtna VeUdiov
(t tS8B), Ratsherr «eil 1S7B, vgl. Pyl, Pom. Genealogien V, S. 371 f. No. 416, 417,
>) Mae. Heinrich von Wesel (f tSBS) und Konrad Tcssin (t l«U).
*l 322 Tal. minus 4 Schill. Sund. B.
t) Jeden Ungirlschtn fl. m 2 n. 1 Dicken geredinel. B,
*) Wiest 10 Marii 11 Lott. B.
Otto Hetnemann.
argcntcam massam') valoris HO') thaleronim triutn marcarum')
et Uli sulidorum Sundensium. Infant) nepli dedit argenteam
amphoram valoris nonaginta taleroruni.
IUI. Julii coniunx duciss^ fitiae dono dedit xti/j^ltov valoris
350 lalerorum alque iiiniori principi dedit dentiscalpium ')
aureum cstimatum 5oo taleris.
Summa lateris
2643«) taleri et dimidius
3 ordl
Bl. 4" 8 Lubecetises soüdi.
V. Hinricus Julius,*) episcopus Haiberstadensis, «tifi^hov
taxatum 320 taleris, ilem x*//i^>liw psitico ornalum extstimalum
«ntym triginta taleris.
VI. Ducissa Luneburgcnsis obtulit patinam gemmis omatam
taxatam ccntum iriginta taleris. llcm equulum «./j'jii<(> omatam
cstimatum octoginla Joachimicis nummis.
VII. Uxor Hinrici Julii'^ *#i^^i«or valoris centum viginli
taleromm.
Item equulum taxatum 80 taleris.
VIII. Ulricus, dux Megapolcnsis, oblulitcerulcum gryphum,')
quae sunt insignia Rostochianae rdpubt(icac); taxatus est ad taleros
quadringentos.
Deauratum poculum valoris centum et decem talerorum.
IX. Elisabetha, eius illustrissima coniunx, dt^auralum poculum
valoris 90 ') talerorum.
Infanti iam baptizato offert poculum deauratum valoris
96 Joachim icoruni.
X. Johannes Fridericus, dux Stettinensium, poculum duplex
deauratum valoris centum et ocio talerorum.
■) El» Silber kvchn. B.
^ )M. A.
*) 3 orti*. B.
*! = Zihnttochn.
1 3M3. A. Die OruiitUuniinc tllmnil nichl. I Ort <= 14 SdillUnKc) + SSc)iit<
linp rünJcn tincn Titcr uitinaclicii. ütc Summe «Im 264«'/) Take bctrasm. Di «bei die
von der Kinijcin Sophia gcxlimlitc Krtlc nicht M», toiidcin nui MI Tnitr II SchlllinfC
w«n wtr und In dm WrrtuiB«b*ii d« OwfhwWe t Sthillingp Lüb. (ir Bieht, «ondcm nur
4 Scliflllnjtc Sund. varkoniniPn . lo Itt i3\r rlchliifr Summr 2Mi'l, Tiln » Schlllinse.
1 Von udcici ManJ tibFr£nchrirbcn itilt rhlMpTiu-t Sli^imundui.
•) Von iiideret Maiiü übcrEacliticbtii itall lliilippi Sisiuniuidi.
^ remmFrittLcn Oreiff. B.
q K. B,
Die Taufe des Herzogs Philipp Julius von Pommem-Wolgast. 33 1
Item aliud poculum duplex deauratum. quod cxistimabitur
praetio 85 Joachimicorum.
Item deauratum poculum valorls triginta duorum nummonim
uncialium.
Summa lateris
1523'} laleronim.
Bl. 5
XI. Erdtmudis, eius illustrissima coniunx, dedit duplex
poculum tos talerorum. Item aliud duplex poculum deauratum
85 talerorum valoris. Pelvim-) triginta duorum Joachimicorum.
XII. Barnimus, Pomeranorum dux, xti/t^lw» sexaginta tale-
rorum. Annulum aureum laxatum 44- laleris.
Xin. Anna") Maria, eius illustrissima coniunx, dedit xH/ttiiio»-
taxatum 50 taleris, annulum valons XXX talerorum.
XlIIl. Casimirus, dux Pomeranorum, episcopus Camiiiensis,
quinque Portugalenses exislimatosseptuagintaquinque Vallensibus.'')
XV. Ptiilippus, Poinemnorum dux, dedit annulum 50 taleris
estimatum. Item duas nobiles rosas.*) Conficiunt Septem taleros
et dimidium.
XVI. Antonius, iUustris comes Aldenburgensis, mi^i}:Liw
taxatum 140 Jnachimicis.
XVII. Eius illustris coniunx") Jnfanti iam rccens baptizato
dono dedit pelicanum') estimatum LXXX taleris.
XVIII. Adolphus, generosus comes Schowenburgensi«,
H«/fi$J«ov 150 talerorum, duplex poculum deauratum 80 talerorum.
XIX. Illustris coniunx dedit KUfd^Xioy 96') Joachimicorum.
Infanti dedit duplex deauratum poculum valoris LXXVI tale-
rorum.
Summa lateris
1163 taleri et dimidius.*)
■) Riditipr IS» Taler.
»3 = Becken.
*! Anna von uidercr Hand nadiKrtraecn.
•) = Tal«.
^ = Rownnobcl.
*> Onl Anlun II. von Oldientnir« «ar MM iwch unvennlhU. C« li«ffl ilia tin
Vtnrhni vai. In B htlllt a: Der OnTf von AlloilntK < Kldnolt. mciaxirK «ul MU Tal«.
IB. g. Tnivcn. Dem jungen Hon I Pttticanichcn. geUxicrlt lut SO Tftltr.
»> = Pdi.
•) ISO. B.
*) RläitlKcr t2tl*kTti«t.
Otto Hciiiemann.
BI. S»
XX. Nicolaus Kaas, regni Daniel cancellarius, cledil m^num
argenteiim deauratum cantamm ') valoris 92 *) taleronim.
XXI. Equestris ordo principalus Rugie duplex deauratum
poculuin, in quo continebanfur ducenti viginti quioque taJeri et
duccnü aurcj.*)
Infant! duos Portugalesios*) nummos valoris quadraginta
quinque taleronim.
XXII. Respublica DanÜscana dedit duplex poculum deau-
ratum 192 talerorum.
Infant! ISO taleros.
XXlil. Limeburgenses dedenint duplex poculum deauratum,
item aliud poculum deauratum ledum CGI talcris taxatum.
XXIIII, Stralsundenses offcrunl duplex poculum deauratum
113") taleris estimatum. nummum aureum, ut vocant, compatris
vel suaceptonim, in quo reipub(!icae) insignia fucrunt impressa,
vatoris 99 talerorum et dimidii,') sedecim dupüces ducatos valoris
LX talerorum,') 18 tastas cerevisiae Sundensis, XXI vasa Rh«naiii
vini. Octo salelütes viridi colore vestitos misenint.')
XXV. Stetlinenses duplex deauratum poatlum, item aliud
duplex deauratum pocutum valoris 205 talerorum.
XXVI. Orypbiswaldenses duplex deauralum poculum valoris
130 talerorum.
Inbnti 79 taleros.«)
Summa laterJs
Bl. 6 1800 taleri.")
XXVII. Anglamenscs duplex deauratum poculum scxaginta
quatuor talerorum.
') = Kanne.
)) Die RlncTKharit Ruinen 1 voiBuUctcn Sdiner vlKt 1 Mirk 3 LoU. ]cdt Mwlc
KU Ifl Ttler, Ihnen «3 T»Ier, dirin Kind K» T»]« mit a» Qoltl-fl. gnreten. B,
•j l I'orWinilfflfr. B.
*) II«. B.
•l ?9 TbIm 6 Dlckf. B- »= 99 Til« 19 Schillinge.
*) 16 doppritr Ounicit, {«den lu > Tutcr, thuctl 41 Tilcr, * P^rluciliwr, ]t4cn
n 19 T*l«r, Uiun M Tkter. B.
^1 Die <i Utt Stntiiunitlwhen Blem, II FiS Rhdnrrin und die R Tnbanmi
nvltini tl. niclii.
»1 Dcmiunpn Heni 2i Roten obcl. )«]en zu )fl., Uiuttl rs>/)T«teT ie Schill. Sund. B.
D» ib«r dtr Uuldtn U SdilUins« htUt. *o tlnd ivi Oiitd«n ricbUtct = ft Ttler U SdiilL
odfT J»Vt 1'ilrr B ScMtl.
»>> KIdiUeet («00 Taler 10 SchlllUlCB.
I
3
Die Taufe des Hn'/ogs Philipp Julius von Pommern-Wolgast 233
Infant! prindpi centum Rhenanos aureos, fadunt 113') taleros.
XXVIII. Deminenses duplex deauratum poculum valoHs
quadraginta sex taleronim.
Infant) principi quinquaginta coronatos GalHcos*) valoris
75 taleronim.
XXIX. Pasewalcenses duplex deauratum poculum valoris
nonaginta sex taleronim.
Infant! prindpi duplicem Portugalensem valoris tri^pnta
Septem talerorum,*) in cuius latere primo fuit ims^o Johannis
Friderid, electoris Saxonici captivi, in altero iatere imago Philipp!,
lantgravii Hassiae. Quod munusculum Emesto Ludovico admo-
dum erat gratum.
Item duos Portugalenses valoris 30 taleronim.
Tres Hungaricos aureos 4*/, taleronim, 9 Lub. sol. taxatos.*)
Quinquaginta quatuor Rhenanos aureos taxatos') 60*/, taleros
€t odo solidos Lubecenses.
Trigintaquinque simplices milresios; confidunt 54'/« taleros.')
Duplicem") ducatum taxatum tribus Joachimids. Anglicum
aureum taxatum duobus taleris 8 Lub. sol. Duos ducatos cruce
signatos, tres Joachimicos.
16 Hungaricos aureos; confidunt 26'/, taleros.
Duos integres milresios sex taleros 8 Lub. sol.*)
Quadraginta vasa cerevisif Pasewalcensis. Confidunt
120 taleros.')
Pasewalchum in summa dedit 536 taleros.
Summa lateris
744 taleros 23 Lub. sol.*)
■) tiii/|. B.
*) 50 frantzoslsche Cronen. B.
f) 1 Stocke Qoltt wlgt 2 Portn^ilner, thut 30 Tiler. B.
*) tvull. A.
^ Noch 3! halbe Milresen, jede zu 2 n. 4 Schill., thuett 54V, T«ler 6 Schill. Lab.
^ In a ist die Reihenfolge etvu ander». Hier helBt es:
Noch 16 Ungriache (I., jeden zu S fl. I Dicken, IJ>/i Taler.
Noch I gantze Milresen, jeden zu 3 Taler 8 Schill. Sund, thuett« Taler B Schill.
Lub.
Noch I doppelten Ducatcn, zu 3 Talem, 3 Taler.
Noch 1 EtigelloUen, zu 3 fl., thuett 2 Taler S SdilU. Lub.
Noch 2 kortzc Creutixlncaten, Jeden lu 3 fl., Umett 3 Taler
>) In B fehlen diese 40 FaB Pasewalker Bier.
•) Richtiger 723 Tiler 23 Schill. LOb.
Archiv fSr KulInrgeKhichte. II. 16
234 Otto Heinemann,
Sutnmanim omnium, quae uftfi^im (/}, poculis deauralis et
pracsenti pecunia dono data sunt, 7832 taleri 9 Lub. $o1. Thudt
am Pomrisken were 10443J)
Auf Bl. 6* und 7 folgt da.nn ein Meilenzdger, der die
Entfernung 161 alphabetisch geordneter Orte von Kolberg an-
gibt Er kommt für uns liier weiter nicht in Frage, be-
merkt aet nur, daß die am weitesten entfernten Orte Damaskus
(486 Meilen), Bethlehem (478 Meilen), Jerusalem (475 Meilen),
Nazareth (468 Meilen), Lissabon (410 Meilen), St Jago da
Compostella (376 Meilen) und Malta (310 Meilen) sind.
If,
Uff der fürstlichen KinlTauffe anno 1585 uffgegan.^
20 Ochsscn, 200 Hemmel, t08 Kelber, 46 Schwine,
10 Spanferckcn, 246 Qense, 400 Honer, 90 Schock Eyer.
Ahnn Wiltbrede, so frisch angeschickt und geschlagen.
VI Stuck Hochwill, IX grote Schwine, XVIIl Poicke,«)
127 Rehe, 142 Hasenn, 134 Raphoner,*) 12 Schwane.*)
An Pekelflesch war:
IXV« Tunnen Wiltbrcdt, VIII Tunnen Pekel-Rintflesch,
X Tunnen Pekel-Schafflcsch.
An drogen Flesch war:
LXXVI Siden Speck, XXX Ferndel droch Schafnesch.
XX grote und XXXIX klene Metwurst
LXX ff Ris, VV, Schepcl Hersegrutle, II Schepel Bockweiten-
gniUe, V Schepel Qerstgrutle, II Schepel Habergrutle, VIII Schepel
Erwetten.')
n 10449 (1. < Schill. Lub, 8. — In B folgt dum noch cinic ZuitnunenitclluiiK dn
WtrKs dtr Finzrinen Sorten von Oeuhenktn:
K[flnwllen 3*»* TiKt
Kctic der KAcileln von Dlncninrk Bti T. 18 SdilU.
Sllbttlcuchen und Kanne de Hmoii Jullns von Bnuoxhvets Zw T. IB Schill.
Becher ... 3Sl9 T.
Q(W »iw T. IT Sdilil.
na T. 9 SchUl.
*) Wolß, Arch. TIt (S/i No. 17. Bl. SUt.
•) Vendinlllmc Eber
*i Rebhuhn«,
B) Schrlne mm Enten «erdm >H(ft »oatt «rvihnt, V^. Klcnpin, Dipl. 86-
nigr %. JH.
*> Eitnen.
Die Taufe des Herzogs I^ilipp Julius von Pommem-Wolgast. 235
IV.
An Pettelvisch war:
IX Tunnen Nordischen Hering, V Tunnen Dorsch, 1 Tunne
Fcmdel Laß,') '/« Tunne Stoer, XII frische Stoer.
An drogen Visch war:
Vi Tunne Berger Visch, 150 WtUing/)
250 Schullen,
1 drogen La5,
'/, Tunne Spurten,') II Bunt Rtgische BuHen,
III Achtendel Negenogen.
An Bottcr und Kehsen.
IX Tunnen 11'/« Femdel Botter, V rugianschCj IUI holkn-
dische Kese, 11 Tunnen Schaff-j V Tunnen Kokcsc,*) ein grol
Stucke Parmesankäse.
Ahnn CewQrtz.
XXVII! ff Peper, XXIX'/, ff Engfer.») III ff V Lot Saffran,
IUI tf VIS Lot Zimptring, IUI ff VIU Lot Negeln, II ff Mus-
chatcnblomen, LXII ff Plumen,») XV ff Dadelenn, XX ff Vigenn,')
162 ff Canariensucker, 184 ff Tomassucker, 83 ff Mandeln,
68 ff grotcn Rosin, 34 ff klenen Rosin, 84 ff allerley Confect,
22 Dossin Leck-Kuken.*)
Das Ingemachle ist nil nachgewogen, weil vast alle Qefesser
ledig worden und nur Sirup und Suppe darin vorhanden.
180 Linionien, VI Stop Olifen, I Fcmdel Kesseberferbc,*)
XVIII ff Capern, INI Vetken Rode Roven, III Vetken Mustert,»»)
I Tunne sulte Melck.'') I Schepel Sennip, XVI ff Husblasenn,")
II fcmdel Honnig, XII Ferndel Zwistgoldt,'«) P/, Tunnen Wein-
cssig, X Dreling Bieressig, X Tunnen Lunenborger SoldL
Die frischen Vische, so ufgangen, mugcn ungcfer 1 20 fl.
wert gewesen sein, wie dan Roggen-und Weitenmehl ulf 25 fl. gesetzt.
Slocknich. Vgl. Schnitr-Lüliben, Mnd, wgrlcrtiodi V, S. TS1.
Orinickiitic Kehlvückr. Kchlfiitcn vom Stoddiicli. Vgl. Schitier -Llbbcn, ».
S. ?;■> itpoidcn).
KuhlcJM.
InSnr.
[flmnifn ,
Fcigtn .
31 D(>s«n Lccbrr'Kuchm.
Kinchmfifbc,
Moitiich.
SüDc Milch.
I UiMcnblMcn.
KniiwrEnld.
Otto Heinemann.
Hollzkohleti nit gerechnet
XX fl. den rrembden Kuchen, so arbeiden helffen und
VI gewesen, gegeben.
III.
Unterschidliche Weine, so die Ktnttauffe seinn autfgangen.')
II Ohme Kananirenn Wein.')
X Ohmen allenn Ungrisclien rotenn Wein.
XXI Ohmen Frantzsche Weinn.
XVill Ohmen roten Lantlwein.
XVIII Ohmen blancken Lanttwein.
XXX Ohmen Reinschen Wein.
XVI Ohmen vom Sundischen Reinschen Wein.*)
IIV, Ohme Pastartt.*)
IV« Lage Malffaßier.
Summa aller Weine Summarum:
114- Ohmenn ungeferlich ohne süße Weine.
IV.
Des Biers ist in der Kindtdope verspeiset.*)
l hundert! undt 93 Vathe mil den Sundi&chen, Bardischen undt
Lassanschen.
An Thunnen gerechnet
5 hundert undt 80 Thunnen.
Ist noch in Vorraht
35 Vathe Pasenelle.")
17 Vathe Pultcglavisch.')
47 Vathe Wolgastisch.
9 Valhe Stolpisch.
75 Vathe tldenowisch.
2 Last Sundisch minus eine Tbunne.
Summa des Vorrades
1 hundert und 89 Vathe.
•] Wolf. Areh. Tit. bp. No. ;7, B1. aia.
■) CantriKlwii W«iii.
*l Der vm dn SUdt smliund en^hcnktc R)idn*eln.
^ Butard, ein »paniwhCT lüBtr Wein.
•) Wolj. Areh. Til, «/J, No. SJ. Bl 2\J.
t Piuvallcrr Bier.
») Pudailjcr Bier.
V£i. obM s. in.
Besprechungen.
Handbwch der mittelalterlichen und neueren Geschichte. Herauf,
von Q. V. Belaw und V. Mcinecke. Abteilung IV: Hilfswissenschaften
und Altertürner. Alwin Schaitz. Das häusliche Leben der europäischen
Kulturvölker vom Mitlelallerbis zur zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts.
Mßnchen und Berlin, R. Oldenbout^. 1fl03 (VIII. 432 Sdten).
Wem in einem großen Handbuche inittelallerlicheT und neuerer
Geschichte auch den AHertümem eine eigene Ab(eilunE Eegönnl wind, so
Ist diese Tatsache an sich freudigst zu begrüßen. Die Archäologen sind
ja in dieser Hinsicht nicht gerade vcrwöhnl, wenigstens nicht in Deutsch-
land, welches nach dieser Richtung hin Urgc Zeit zu dem benachbarten
Frankreich in einem bemerkenswerten O^ensatze gestanden hat. Freilich
enthält das Arbeitsgebiet der deutschen Archäologie noch an allen Orten
und Enden unbebauten Boden, und die Reihe derer, die ihn zu bestellen
sich bemühen, läßt sich buchstäblich an den zehn Fingern abzählen. Es
mag daher für die Herausgeber des vorliegenden Handbuches, die in
deutscher Allerlunishunde selbst nur gelegentlich sich betätigen, keine
ganz leichte Aufgabe gewesen sein, die Altertumskunde in dem grolien
System ihres Handbuches richtig geordnet unterzubringen. Diese Schwierig-
keit erkenne Ich gern an, weil die deutsche Archäologie eben leider noch
an allem Anfang ihrer Arbeiten steht. Allein eben weil es so ist, halten
die Herausgeber selbst wohl gut daran getan, die Altertümer durch einen
Fachmann in ihr Programm einordnen zu lassen. Das aber, was sie bis-
Ung in dieses Programm eingesetzt haben, kann unseren Ansprüchen
nicht genfigen, denn wir finden dort nur zaei Bände vorgesehen, deren
einer „Deutsche Altertumskunde", der andere .das häusliche Leben der
europäischen Kulturvölker vom i^itletalter bi& zur zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts' umlaßt
Nun weiß ich natürlich nicht, was dort unter der »Deutschen
Altertumskunde' alles verstanden wird, Soll der Band nur die vor- und
frflhgeschlchtllchen Denkmäler umfassen, vss ich nicht glaube, dann
blieben weile Gebiete der deutschen Archäologie unbehandelt. Sollen
dag^en dort wirklich alle deutschen Aitedilmer abgehandelt werden, so
scheint mir, daß bei genftgender Bearbeitung der Band sehr beträchtlich
anschwellen müßte, wohl iiberhaupt für ein einziges Buch viel zu starlc
werden würde. Vor allem aber liegl es auf der Hand, daß dann viele
^ ^
238 ß^prcdiungeii.
Teile der deutschen Alterteiinsktiiide in jenem Bande behandelt verdtn
tnüssen, die jew Alwin Schultz in seinem -häuslichen Leben" schon in
den Kreb seiner Betiachtiing gezogen hat.
Was ich also aussetze, d.ts ist die in der Inhaltsb befiehl \-orgf-
selrcne Disposition der Abteilung -Altert um er". Zum Teil läßt sich in
dieser Beziehung ja noch helfen, aber docli nur zum Teil, denn der Band
über gdas häusliche Leben" liegt fettig vor uns.
An diesem Buche habe ich nun zunächst den Titel zu bemängln.
Der Ausdruck „häusliches Leb^n" ist ein recht unglilcklicher, denn niemand
weiR, was unter diesem Naincn alles r.usanimenge[afit ist, und deshalb
sollten wir rechtzeitig verhüten, dafl er in Deutschland zum technischen
Atisdnicke werde. Schultz fühlt diesen Mangel selbst und tlberselzt daher
in der Vorrede: das häusliche Leben = la vic privfe. So wissen wir
also, was wir von dem Buche eni-arteu sollen. Es ist die Behandlung
der PrivataltMtimeT, und eben diesen Titel „Privatalte«ümer° wünscht
unzwcifdiiaft jeder Archaolog auf dem Umschlage des Buches zu finden.
Anderseits würden vir dann aber die zeitliche Einsdiränkung: »bis zur
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts" gern vermissen, ja vir können von
einem Handbuche der PrivataHeilümer wohl mit Recht verlangen, daJt
dieselben bis ans Ende behandelt werden, soweit weingsleiis die Wissen-
schaft sie bislang erforscht hat. Auf dem Standpunkte, ihre Arbeiten mit
dem Beginn des IQ. Jahrhtimlerls abzuschließen, steht die deutsche Archäo-
logie glücllidiervcisc schon lange nicht mehr, und ebenso durften die
reichen Erkenntnisse, welche für die neuesten Zeiten die Volkskunde ge-
zeitigt hat, unmöglich umgangen werden. Jeder, der sich mit den Arbeiten
dieser Wissenschaft vertraut gemacht hat, weiil genau, dafi sie im innigsten
Zusammenhange mit der deutschen Altertumswissenschaft steht, und volkv
kundliche Studien bieten daher dem Ardiüologen nicht minder reiche
Ergebnisse, als die von Schultz zumeist benutzten kunsthistorischen Arbeiten
es tun. Oasselbe gilt in dem gleichen Umfange von den archäologischen
Resultaten der deutschen Wortforschung, die zur Erkenntnis der äuüereii
Denkmäler höchst schätzbar, in vielen Pillen unentbehrlich ist.
Zu der leitüchcn Beschränkung tritt also auch eine sehr belricht-
liche Beschränkung der beriicksichtigten Quellen, beides aber ist in einem
Hnndbuche unstatthaft. Diejenigen Quellen,, auf denen sich dos Buch
fast allein .itifbaul, sind in erster Linie kunstgcschichtlichcr, daneben
kulturgeschichtlicher Art, und gern erkenne ich es an, daß es dem be-
kannten und nunmehr Über vierzigjährigen Sammeleifer des Verfasers
gelungen ist. «n sehr reichhaltiges Material zur Geschichte der Fiivat-
altertämcr zusAmmeiizutragen. Das gilt besonders [ür die deutschen Ver-
tlUitlissc, und auf die kommt es dem Verfasser ebenso vic uns zumeist
an. Es werden daher alle deutschen Archäologen das, was Schultz hier
darbietet, in sehr vielen Fällen mit großem Nutzen heranziehen können,
was umsomehr hervorgehoben werden muß, als eine zusammenfassende
I
I
JL
Besprechungen.
Darstellung der üeschichte der deutschen PrivataltertömeT bislang noch
nicht versucht worden ist, während fflr die iiiißerdeutschcii Verhältnisse,
■ für Italien, Englami, Skandinavien und besonders für Frankreich um-
fassende Bearbeitungen vorliegen.') Wenn ich hier erwähne, daß sn
deutschen Quellen sehr viel mehr veröffeti flieht worden Ist, als Schulti
tatsächlich benutzt hat, so bitte ich das nicht ah großen Vorvurf aufru-
sen. Einmal dient d^für der bereits erwähnte Mangel an zusAmmen-
'lissenden Dar^tclluiägen als Entschuldigung, und sudann, wer dem Kunst-
[historiker - und das ist Schultz bekanntlich - die Übergehung der
[dnen oder anderen kutlurgeschlchLlidien Quelle vorwerfen wollte, der
möge bedenken, daß einem Kullurhistoroker in dem gleichen Falle sicher
viele fcunsthistorische Belege entgangen wären, die jetzt Schultz sich
reichlich zunutze gemacht hat.
Anders freihch steht es um die Frage, wie weit die Privatallertörier
in gleichmäßigem Schritte durch die Jahrhunderte der milleblterlichen
und neueren Oeschichle verfolgt worden sind. In dieser Beziehung finde
ich manches auszusetzen. Da.3 das 19. Jahrhundert ganz ausgeschaltet
ist, erwähnte ich bereits. Aber auch die mittelalterlichen Verhältnisse
^nd gegen diejenigen des 16. bis IS. Jahrhunderts in einer Weise zunick-
gestellt, die mir in einem Handbuchc, welches doch die gan« zeitliche
Entwicklung gleichmäßig berücksichtigen soll, wieder unstatthaft erscheint.
Und wenn das eine oder andere Jahrhundert bereis in einem gr&ßeren
Werke eingehend behandelt ist, so darf es darum meines Erachtens in einem
Handbuche nicht gegen andere Zeilen zunickgesetzt werden. Schultz hat
für die mittelalterliche Kulturgeschichte selbst zwei bekannte umfangreiche
Arbeiten geliefert, er hatte deshalb umso weniger Gnind, jene früheren
Zeiten fast durchgehends so unverhältnismäßig kurz zu behandeln. Wenn
daher auf dem Obcrtilel, ich weiß nicht ob mit oder ohne Zutun d^
Verfassers, da; Buch sogar als „das häusliche Leben im Mittelalter" er-
Khcint, so ist das völlig irreführend.
Mit alledem sind aber meine Ausstelliiiigen an dem Buche leider
noch nicht erschöpft, der größte und schwerwiegendste fehlt noch. Er
beirillt die Disposition des Werkes. Eines der größten Verdienste, welches
der Verfasser sich hätte erwerben können, betraf die Disposition seines
Materials, und von einem Handbuche durfte man vielleicht nicht ganz
mil Unrecht erwarten, daß es endlich einmal die so dringend nötige
systematische Anordnung der archäologischen Arbeiten, hier also der
Privataltertümcr bieten würde. Leider hat uns auch diese Hoffnung ge-
tiusdit, denn Schultz ha) hier ihnlich wie in seinen fri^hereii kultiirge-
schichßichen Werken eine Anordnung gewählt, die man als eine rein
durchgeführte systematische und restlose Einteilung der gesamten Privat-
') MefIrmllTdIicrwti« li«i Schult*, «it mir sdiclnt, iilchi liciiutil: Ttioiii. Trtatii,
The honici of othrr dayt. London <S'i, dRi (Qr viele friitenaiich heute noch bnuchbir 1*1.
altertDmer nicht anerkennen kann. Er gliedert seinen Stoff in (otgcnde
Kapild: I. Die Wohnung. U. Die Famiüe. II!. Die Kleidung. IV. Essen
vnd Trinken. V. Beschäftigung und Unterhaltung. VI, Tod und Bc-
gTübnis. Dabei schildert er dann in Unlerabldlungen zunächst die fürst-
lichen, dann die bfirgcrl ichen und schließlich die bäuerlichen Vcriiällniise.
Die Folge dieser Unlerableilimgcn ist die, daß das höfische Leben fiberall
im Vordergründe steht, sehr mit Unrecht, denn es komml auf diese Weise
das Wichtigste, nämlich das Oemeinsame in den Anschauungen der Zeil,
die typische Beurteilung der einzelnen kiillurgeschichllichcn Mumente 211
kurz. Es sollte dah>eT umgekehrt die Reihenfolge: Dorf. Stadt, l'ürst ge-
wählt sein, damit doch das Gemeinsame ziieret kiar u-Qrde. Ich persönlidi
vürde auf diese Einteilung nach Ständen überhaupt vcrdchlcn.
Aber auch damit wäre noch nicht viel geholfen, weil die Anord-
nung der Einreiheiten fast mehr aus Zufall als nach einem wohlbedachten
System erfolgt zu sein schcim. Ich verweise in dieser Hinsicht x. B. auf
den Al>5at£, der die Erziehung der Kinder an Ffirstenhöfen behandelt
(S. I85ff.), oder auf die Stelle, welche die Hunde unter dem Kapitel
■Kleidung- bespricht (S. 289-291). Weiter beachte man die -Unter-
lialtungen der Bürger» (S. 360-400), die sich folgendermaßen einteilen;
Schützenfeste, Tanr, Schauspiele. Oper, fahrende Leute, Hausmusik, Spiele,
Leibesübungen, Fischfang. Jagd, Schwören und Fluchen, Zweikampf, Reiten,
Wagen und ähnliche Verkehren! ittcl, Spaziergang, Feste (kirchliches Jahr),
Einzüge der FHreten, Kaffeekränzchen, geselliger Verkehr, Krankheiten und
Hausmittel, Umgangsformen, Reisen, Wirtshäuser, Unsicherheit der Straßen,
Raiibriltcr, Landsknechte, Vaganten, Hinrichtungen. Badereise und Bäder,
Französische Sitte. Diese Dinge gehören zum Teil überhaupt nicht mehr
2U den Privatalterlümcm , femer kann man sie doch wohl kaum alle
unter der Obeischrift „Unterhaltungen* lusnmracnfasscn, und schiielUich
kommen sie gn^ßcnteils nicht nur für das brirgerliclie Leben, sondern in
gleicher Weise auch für die anderen Stände in Betracht.
Wenn ich also an der Disposition sowohl der AI lerlUmcr- Abteilung
do ganzen Handbuches wie auch an der des vorliegenden Bandes mehr-
fache Aussetzungen gemacht habe, so sehe ich mich genötigt, Ijei diesem
überaus wichtigen Punkte noch etwas zu verweilen, und zn-ar scheint es
mir nötig, selbst eine allgemeine Einteilung der gesamten Altertums-
wissenschaft und sodnim eine besondere der Privatallertümer hier zu
versuchen. Ich hoffe damit mehrere Ziele zugleich zu erreichen. Zu-
nächst wird man darin eigentlich erst die nähere Begründung filr die
obigen Aussetzungen finden. Sodann aber hoffe ich damit auch der
deutschen Altertumswissenschaft und ebenso auch der deutschen Volks-
kunde einen kleinen Dienst zu erweisen, denn (ur beide Wissenschaften
ist es sehr nötig, daß eine grundsätzliche £inig\mg über die allgemeine
Anlage der zusammenfassenden Darstellungen crciell 'werde. Ohne eine
lolche Einigung werden wir kaum Jemals Übersichtlichkeit und
I
^
i Klarheit |
Besprechungen.
241
in nnso? Daretellungcn oder ein System in unsere wtssenschaftlicJie Arbeil
bekommen. Schließlich möchte ich mit einem solchwi Versuch auch
einen unmittelbaren Nuizen schaffen. Die Herausgeber schreiben selbst
in dem ProEiumm des Handbuches: wie Ihnen bei der Vorbereitung ihres
Unternehmens manch fördernder Rat van seilen der Fachgenossen zuteil
geworden x'i, so würden sie auch in seiner Durchführung dankbar sdn
für jeden praktischen Vorschlag, der noch verwirklicht werden könne.
Wenn sie durch das folgende zu einer emeitteii eingehenden Prilfung
ihres InhitlseiitwiiKes ftir die Ableilung -AltcrtftmcT" sich veranlaßt sehen
möchten, so würde ich mit diesem ErfoEge reichlich zufrieden sein. Daß
ich die folgende Disposition nicht für unanfechtbar halte, versteht sich
von selbst Sie bleibt nur ein Versuch.
Demnach wiirde ich die gesamten Altertümer einteüen in: IVivat*
alieitOmer, Staats- und QemeindeaHertfimer. Kriegsallerlümer, Rechtsaller-
tßmcr. Christliche oder wohl besser OJaubensaltcririnier, Kiinstallertlinicr
und Wisserschaftlichc Altertümer.
Die PrivatflllerlfJmcr , bei deren Disposition icli mich zum Teil
scbon an Moritz Heynes höchschützbare „Deutsche Hausallerlümer'' .in-
Khlieficn kann, würde ich folgendermaßen einteilen.
1. Die Familie: Kindheit - Jugend - Geschlechter - Liebe (Sittlich-
keit, Liebe und Heirat, Unkeiiscliheit) - Die (Begattung, Seliwanger-
schafl, Geburt, Kindbett, Oatlenliebe, Ehczwisl, Ehebruch) - Familicn-
glieder - Gesinde - Tod - Erbseliaft - Leiche und Be^bnis.
2. Die Wohnung: Bauwesen Haus und seine Teile - Hof— Wasser-
versorgung - Möbeln, Wohngerät und Gewebe - Küchengerät -
Bdeuditung und Leuchtgeräl ~ Fciierbereitung - Ofen.
3. Der Landbau und die Tierzucht: Jahreszeiten - Ackerbau - Frucht
und Ernte - Weide - Garten - Weinbau - Baummcht und Wald -
Pferd — Esel - Rind - Zuggeschinr - Ziege, Schaf und Schwein -
Hirt und Herde - Nnirvögel, Bienen und Seidenraupe - Hund -
Katze und Ma«s - Luxustiere.
4. Die Nahrung: Küchenwesen ~ Leckerei und Einzelgeschmack -
Suppe, Braten, Kochtlcisdi und andere flcischspciscn , Rschc und
Eier - OewOrz Süße Speisen - OemQse und Obst - Fastenspeise -
Qebick - Milch - Wein. Bier und Mineralwasser.
5. Der Verkehr: Verkehrestraßen - Landreise - Schiffahrt.
6. Der Handel: Zahl, Maß und Gewicht - Münze - Eigentum - Leih-
gtschäfl - Markt und Ware - Wannenkrimer, Kaufmann und Kauf-
laden, Ka Urgesellschaft - Einkauf und Verkauf - Monopol - Preise
und Rcellität.
7. Das Gewerbe: Handwcrkslebcn - B.iuendes Gewerbe (Maurer, Berg-
arbeiter, ZimmcHcutc, Tischler, Schmiede, Goldschmiede, Kessler,
Glockengießrr, Münzer, Hafner, Kaniinkehrer) - Wellendes Gewerbe
(Weber, Tuchmacher, Schneider, Korbflechter. Kürschner, Gerber.
342 Besprechungen.
Schuster) - Speisegewwbe (Müller, Bäcker, Metager, fbchcr, Kflfw
und Kclterer, Schenkwirt) — Gewerbe zur Leibespflege (Scherer.
Bsder, Totengräber).
S. Die 1-eibcspllege: Nackter Leib und Sctiöiiheitsiileal - Hautpflege
und Bad - Pflege und Tracht der Haare - Pflege von Mund und
Allgen - Wolilgenich — Ungeziefer,
9. Schmuck und Tracht: Blumenschmuck - Edelschmuck - Wechsel
und Behandlung der Kleider - Mode - Kleidervorral und Kleider-
luxus - Tuch, Farbe und Schnitt der Kleider - Pelzwerk und
Stickerei - Einzelne Kleidiingsstiicke [Unterkleider, Hose, Rock,
Maiilcl, Kopfbedeckungen. Fußbekleidung, Handschuh, Oiirtel und
Seckel) - Amts- und Handwerkstrach I - Trauer- und Fasten bekleidung.
10. Gesellschaftlich« Leben: Zeiteinteilung - Alltagsleben - Wribüche
Handarbeit - Umgangsformen (Körperhaltung und Gesicht, Anstand,
Gruß, Unterhaltung, Ehrerbietung und Schmeichelei, Hochmut und
Prahlerei, Hohn und Zorn, Beschimpfung) - Witz — Sprichwort —
Freundschaft - Gnstinahl mid Tischzuciit - Wlrtshauslebeii - Bade-
reise - Weltliche Feste - LeibesiJbung - Spiel - Tanz - Jagd und
Vogelfang - Fischfang.
Wieweit Schnitz den Ansprfichen nachkommt, die in vorstehendem
Dispositionscnta'urfe stillschweigend eingeschlossen sind, das kann ich
hier im einzelnen nicht verfolgen. Wer Oieser Frage selbst nachgeht,
der wird finden, daß das vorliegende „Handbuch" manche Dinge in den
Kieis seiner Betrachtung iieht, die zu den Privaialtetiilmern kaum g^
rechnet werden können, während anderseits vicleä nicht erwähnt ist, was
unbedingt dahin gehört, dessen Erwähnung wir verlangen können, well
das Buch ein Handbuch sein will und also einen Überblick über die ge-
samten Pri va la U eil n liier verspricht.
Sehr zu bedauern ist es aucli, daß Schultz ohne einen ersichllichen
Orund die für die übrigen Teile des Handbuches vorgesehene sehr prak-
tische äiiRcrc Einrichtung vcrsdimäht. Dieselbe soll sich nach dem (Pro-
spekt derjenigen von J. v, Müller? Handbuch der klassischen Altertums-
wissenschaft anschließen. Sie soll von ihm die durchgehende Einteilung
der einzelnen Darstellungen in kurze Paragraphen und die Unlerecheidung
in dem Gebrauch des großen iiiid kleinen Druckes übernehmen, wotwi
den Paragraphen besw. Unterabteilungen der Paragraphen der Überblick
Ober die belreflende Literatur in kleinem Druck nachgestellt werden solL
ich glaube, schon wenn Schultz sich diesen äußeren Ikstimmungcn unter-
worfen hatte, so wäre das Buch in manclier Beziehung besser ausgefallen.
So aber macht es - ich bedaurc das aussprechen zu müssen - den Ein-
druck einer etwas zu eilig angefertigten Zusammenfassung des reichen
Materials, welches dem Verfasser aus seinen Sammlungen besondere für
das 16. bis ts. Jahrhundert noch zur Verlügung sland. Dieser Eindnick
der Eile wird auch dadurch bestätigt, daß z. B. die Abbildungen weder ge-
zShIt noch mit Zeitangabcii versehen sind, daß nirgends im Texte auf sie
hingewiesen isl, und daB der Leser durch sehr viele Druckfehler gestArt wird.
Hervorheben muß ich. daß die Daretdlung zwar hlckcnhaft. sonst
aber, soweit ich es beurteilen kann, zutreffend ist. Zur tatsächlichen Be-
richtiping gehe ich nur auf die Stehe ein, wo Scliultz (S. 406) über den
Stlbstmord handelt und dazu bemerkt; .« dauerte sehr lange, ehe die
Menschen in Europa sich mit dem Gedanken befreundeten, ihren Leiden
und Ocbrechen durch den Sell^lmord ein Ende zu machen: im Mittel-
aller scheint diese Sitte noch gänzlich unbekannt." Das trifft nicht zu.
Ich ntftchte in dieser Hinsicht auf eine Stelle in Hugo von Triuibcrgs
Renner verweisen, die negen der Atisliihriuig des Selbslmordes, sowie
vegen der milden Beurteilung desselben so interessant ist, daß ich sie
hier ganz anführen will. In der vom Bamberger historischen Vereine
hcrgcstcütcn Ausgabe (Bamberg 1833) heißt es dort Vers i375ff.:
•Niemant ze sere sich krcnkcn sot
Mit vasten, mit ii^chen, daz stet aifoI,
Daz er ihl an dem letbe verderbe,
vir hilzel loii«s der scle crwertie,
wanne mazze mit bescheidenheit
aller tvgent kröne treil.
Zv gvtele gibt der tevfel rete,
Daz vasten, wachen vn lanc gcbete
Der levle gedanke so swinde krenkent,
Daz si sich hcnltenl, oder eitrenkcnl,
Oder in in selber so gir verderbenl,
Daz sie kein Eon vmb got crwetbent.
Ich wciz ein clo^tcr, in dem ieh hin
einen sun, mit dem sich ein junc man
Begab, der lebt fumf jar also,
Daz sin heriz nie wart fro,
vn nie kern mensch in sach lachen,
an vasten, an beten, vn an wachen
Het er wol die pcsten teil,
Dem riet der tevfei, daz er ein seil
Nam, vn in einen stadel gieng,
vii sich an einen balken hieng,
vn do er zwirbcti hin vn her.
Do pradi du seil, zchant lief er
in einen weier, vn ertrank,
Daz sein gvtel so deinen dsnli
vmb gol verdint, des iamert mich.
gotcs tugent sinl vngrvndlich,
wer vciz, in welheni sinne er was,
Ob er leihte an der sclc genas.
Besprechungen,
vnd daz vns dvnket vngelievr,
du leid er vur s!n vegfevr.
Nienia,nl den andern vrleiln sol;
got vieiz VHS« aller herlz wol,
DiiTC iemcrdichcT martcrer
wiut leider ein epyaller.
Den ich oftc hau gesehen,
vnd horte im heiliges lebens iehen."
In demselben toleranten Sinne äußert sich 200 Jahre später Geiler
von Kaisersberg (Granatapfel fol. I III b): »Ulr sehen, daz etliche eines
ungewonltchen lodes sterben, der uns nit gut dunckt, als so einer im
krieg umbkorapt. Der ander stirbt gachlingen. Der dritt ertrcncW
sich selbst. Der vierd erhencJd sich oder ander dergleichen wcisr. Not
dester minder, so mag yot dlse ding allesameii wenden zu eines jegüclien
nutz... Darumb sol man an keinem verzweiflcn, sein vcrdamnüsi: wacr
dann offenbar und kiinllich.* Dagegen läQl Geiler an einer anderen
Stelle deutlich erkennen, wie man um die Wende des 15. und 16. Jahr-
hunderts im allgemeinen über den Selbstmord urteilte, wenn er Narren-
sdiiff fol. 193a sagt; »Sich selber tödlen, das ist dn große sünd und ist
wider die natürliche neigung ze behalten sich selbs, Es ist wider gött-
liche liebe, waii er verliirt leib und seel. fis ist auch wider die gercchtig-
keit, wan die gemein beraubt «■ eins glids, Darumb so werden si von
der offen gerechligVeit gesehen!, wan man zücht sie nnder der schwellen
uszhin, man schlecht sie in ein fasz und würffl es in dn vasser.»
Wenn sich Schultz also audi in derartiger Einzelheil versehen hat,
so darf ihm doch kein schwerer Vorwurf daraus gemacht werden. Hier
gewährt der Müngd an Vorarbeiten reichliche Entschuldigung. Und eben
wdl auf dem Gebiete do deutschen AUcrtumskundc noch so wenig ge-
arbeitet worden ist, so wird das vortiegende Buch unzweifelhaft sehr viel
benutzt werden, und es verdient das auch, weil es eine sehr beträchtliche
Malerialsainmlung bietet. Freilich ein Handbuch der Privalaltertümer
oder, wenn wir mit den Worten des Titels sprechen sollen, des .häus-
lichen Lebens der europäischen Kulturvölker vom Mittelalter bis zur
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts" ist es leider nicht.
Prankfiirt a. M. Otto Lauffcr.
Raimunil f^riedrich Kaindt, Die Volkskunde. Ihre Bedeutung, ihre
Ziele und ihre Mclliode mit besonderer Berüdistchtigung ihres Verhill-
nisses zu den historischen Wissenschaften. Ein Lettfaden zur Einführung
in die Volk-sforschiing. Mit 59 Abbildungen im Texte. Leipzig und
Wien, Fr. Deuticke, l9ü.i (Xl, H9 S.). (XVII. Teil von; Die Erdkund«.
Eine Darstellung ihrer Wissensgebieie, ihrer Hiltewisscnschaflcn und der
Methode ihres Üiilcrrichtes. Hrsg. Maxim. Klar.)
t
Karl Rcnschel. VolkskundUchc Strelfzflfi:«. Zwölf Vorträgr über
Fragen der deutschen Volkskunde. Dresden und Leipzig, C. A. Koch,
1903 (VII. 266 S.).
Alfred Tobler, Das Volkslied im Ajipenieilerlande. Nach münd-
licher Überlieferung gcsammell. Schritten der Schweizerischen Gesell-
Khsfl für Volkskunde. H. J. Zürich, Verlag der Gesellschaft, 1903 (H7S.).
Indem ich dk drei gciiannlen Werke aus dem der Kuitui^eschichte
benachbarten \X/issenschaftsgeb!cle der Volkskunde zur Anzeige bringe,
stelle ich billigerweise das umf^sendstc an erste Stelle.
Kalndls Schrift hat einen doppelten Zweck: sie soll zunächst dss
Interesse für die Volkskunde in weitere Kreise tragca, indem sie deren
Wichtigkeit und ihr Ziel klarlegt; ferner soll sie, soveit dies im Rahmen
ein« Leitfadens und bei dem Stande der gegenwärtigen Kenntnisse möglich
ist, die Methode der Volkskunde darttm. Diese Umschreibung des
Zweckes der Schrift gibt zugleich ihre Disposition ru erkennen. Käindl
versucht es, in kurzen Zögen die Volkskunde als Wissenschaft nicht so
scKr gegen die Nachbarwissenschaften abzugrenzen, als sie als einzelnes
Kettenglied einzureihen in das groJJc Gebiet der Volkswissenschaf l (Eth-
nologie), deren Entwicklung und Verhältnis zu den verwandten Disziplinen
er zum Ausgangspunkt seiner Darstellung nimmt. Ei gibt einen sehr
guten IJberbtick über die Geschichte und Literatur der Volksktinde und
ihren Beirieb bei den verschiedenen Völkern, so daß das Buch sich als
brauchbares Handbuch bewähren wird. Uns interessieren hier am meisten
diejenigen Abschnitte, in denen Kaindl das Verhältnis der Volkskunde
zur Kulturgeschichte behandelt. Er ist selbst in erster Unie Historiker,
aber er hat - nach den Worten der Vorrede S. Vf - die Volkskunde
mit Eifer nebenbei betrieben, weil er zu der Oberzeugung gelangt ist,
daß dieselbe eine wichtige Hilfswissenschaft der Geschichte ist oder werden
könnte. Seinen Standpunkt der Kulturgeschichte gegenüber präzisiert er
S. 7 mit den Worten: -die Kultur einej Volkes lerne ich nicht daraus
kennen, daß ich einzelne Raritäten aus derselben in einem Kabinette ver-
einige; ich muß vielmehr bestrebt sein, das zu erfor^hen, was gemeinsam,
typiscli ist, was alle Köpfe lenkt und leitet-, und von ditscr Anschauung
aus betont er überall die Wechselwirkung zwischen der Volkskunde und
den historischen Wissenschaften niil Nachdruck. So sagt er S. Si/H : »Mit
Recht hat man sich jetzt mehr der Kulturgeschichte zugewendet; statt der
bloßen Erzählung politischer Ereignisse, der Kriege und FricdcTisschUlsae
beginnt man der Arbeit des Volkes und seiner Entwicklung größere Auf-
merksamkeit at schenken. Haben in der früheren Geschichtsschreibung
die bcN-orzugten Häupter und Stände des Staates die Hauptrolle gespielt,
so bceinnl nun die Masse des Volkes, sein Leben. Streben und Wirken
größere Bcaclilurig zu erregen... Die Volkskunde ist nun in dem von
uns gekennzddineten Sinne in der Kulturgeschichte ganz unentbehrlich.
i
Sie ist es, «-eiche die ursprfing'ljche naive Stufe der mensdiltclien Kultur
I kennieictincl, sie allein riclitig erkennen läßt und viclc5, was uns in älteren
, Berichten unventändUdi erscheint, klärt. In diesem äinne ist die VoIJcs-
kunde eine notwendige Ergänzung der «blichen Knllurgeschichte.« Ich
schlicfic midi diesen Ausführungen, die Kaindt nodi weiter - bcsondos
S. SS - erläulerl, durchaus an, möchle freilich, ohne mich auf das leidige
Oebiel theorelischer Abgrenzung einzelner Wissenschaften einzulassen.
nodi hinzuftigcn, daß ich sie nur dann rüekhaltlas gelten lasse, wenn sie
vom Standpunkte der historischen Volkskunde, den Kalndl in der
I Tat vertritt, gesprochen werden, d. h. wenn man dabei nicht vergißt, dsfi
allein durch kulturgeschichlHch-archäologische Studien den Volkskundlern
I die Kritik ermöglicht wird, die dns wahrhaft naiv Volkstömliehe in scheiden
vermag von dem, was nur ein modifizierter Niederschlag dner vergangenen
' höheren Kultur ist.
Besonders henrorhcljen möchte ich auch eine Forderung des V«^
fassers. die wohl eigentlich als sclbstvcrstindlidi ascheinen möchte. Sie
betrifft die Sprachkenntnis, und Kaindl sagt von ihr S. 122. da es un-
möglich sei, ein Volk griindlich kennen zu lernen, wenn man sein« Sprache
nicht beherrscht, so sei ihre Kenntnis ein wichtiges Hilfsmittel des Volks-
forschers. Ich möchte das noch vcretärken, indem ich dieSpraclikenntnts
für eine unerläliliche Vorbedingiing erkläre. Das gilt nicht nur für v-olks-
kiindliche, sondern ebenso sehr auch (fir kullurgeschichllidie Arbeiten.
Bezüglich des Sammeins von volksfcundlichem Material bespricht
Kaindl die beiden Fragen, wie und was gesammelt wirrden solle. Ergibt
dabei ein sehr brauchbares Beispiel fOr einen volkskundIJchen Fragebogen,
und da er sich in allen diesen Dingen aul viele eigene Erfahrungen stützen
kann, so wirkt er darin sehr khrrcich.
In den einzelnen Kapiteln ist ein guter l^'berblick über die bis-
herige volkskundlidie Liter^itur dargeboten, und so hält das Buch, was es
versprochen hat: einen brauchbaren Lettfaden darzubieten zur Einführung
in die Volksforschung.
Auch Karl RcuKheis Buch will im Gründe eine Einführung in
die Volkskunde sein, aber nicht in dem Sinne, daß er einen Gesarat-
tltierblick darböte, sondern daß er durch nähere Behandlung einzelner
Kapitel der Volkskunde die Anregung zu weiteren Studien gäbe. Zur
Einführung behandelt er den Begriff und die Geschichte der Volkskunde,
sowie ihre Bedeutung, indem er dem Leser in angenehmer Form eine
, Anschauung von diesen Fragen und ihrer wissenschaftlichen Behandlung
I vermittelt Im übrigen ist der weitaus größte Teil des Budies der Be-
handlung des Volksliedes gewidmet. Der Begriff „Volkslied' und im
^ Gegensatz dazu die in den Volksniund überg^angencii Kunstlieder werden
behandelt, wobei Reuschel vielfach fremde, zum Teil g^ensdtzliche Mei-
nungen vorlrägl, denen gegenüber er wohl hie und da den eigenen
Standpunkt etwas entschiedener liälle hervorlretcn lassen können.
I. Sodann J
Beaprcchtingen.
A4»
bfhflndcU er die Entziehung der Volksdidiiung aus dem Arbeitsgesang
zumeist in Anlehnung an Büchere .Arbeil und Rhythmus"; recht ein-
gehend bespricht er das Schtiaderhüpfel unter Beiiulzuiif; mancher eigener
Forechiingen. Auf die Davslellunu des Stile des Volksliedes lolgt ein
Kapitel .die deutschen Landschaften und da.'i Volkslied", worin der Ver-
fasser den Ztisammcnhsng zwiKhen Volkslied und Stamm escharahter zu
emiilleln sucht und dabei einen guten Überblick über die Resultate der
lokalen Volkslied forschuns gibt. Ein lettter Teil Aber die kulturgeschicht-
liche Bedeutung des Volkslieder ist (Qr uns von besonderer XTichligkeil
Er stützt sich vor allem auf Hildebrands einschligige Arbeiten und baut
sie jiim Tel! weiter aus. Hier weiß er zum Verständnis vieler Eirzel-
hcitcn im Volksliede kiillur^cschichtliclie Erklärungen bcizubrinEcn, und
indem er dadurch aufs neue den engen Zusammenhang zwischen Volks-
kunde und Allerlumskunde erweist und damit zugleich auch die Bedeutung
des Volksliedes als kulturj^escliichtiicher Quelle erhärlel. hat er eine Arbeit
getan, die besonders in dieser Zeitschrift dankbar anerkannt werden muß.
Ein letzter Abschnitt des Buches berichtet über die volkskund liehe Be-
handlung von Sage, Märchen und Abergtaiibc. Zur Einfflhrung in die
von ihm behandelten Teile der Volkskunde wird Reuschels Buch manche
guten Dienste leisten. Es gibt einen Überblick über die verschiedenen
gdehrlcn Meinungen und führt auch die Literatur in ihren wichtigsten
Erscheinungen an. Gelegentlich bemerke ich, daß es im Hinblick auf
die leichtere Beniitzbarkeil wohl besser gewesen wilre, die Anmerkungen
nicht am Schluß des Buches, sontlerTi jeweils unlerdem Text anzubringen. -
Eine volkskundliche Qiiellcnsammlung, stofflich und landschaftlieh
wohl umgrend, gibt A. Toblen genanntes Buch ober das Volkslied im
Appenzeller! an de, ■srclches sich den Schriften der nihrigen schweizerischen
Oesellscliafl fOr Volkskunde sls neue« Olöcd anreiht. In einen verbindenden
Text eingeschoben, werden im ganzen HD Volkslieder mitgeteilt, wobei
Toblcr meist angibt, bei welchen Oelegenheiten die Lieder gesungen sind.
Dieselben sind zum kleineren Teile nach schriftlichen Quellen gesammelt,
meist aber unmittelbar der mündlichen Überliefenmg entnommen, und
hierin liegt besonders deshalb ein großer Vorzug, weit Tobler mil Recht
den engen Zusammenhang von Text und Melodie betont. So sind denn
»uch die bei den Appenzellem durchweg heileren Melodien überall mit-
geielll, und sie geben den Liedern eigentlich erst die richtige Stim-
mung und I^bung, ohne sie könnten z. B. die Jodcl (S. 7'*ff.) und
ebenso die Kuhreihen (S. Iisff.) überhaupt nicht aufgezeichnet werden.
In einer Einleitung stellt Toblcr zunächst die frühere Literatur über die
Appenzeller Lieder zusammen und sucht »dann kurz das Wesen des
Volialiedes zu erklären D^bei wird frcfilich die von ihm gegebene De-
finition des Volksliedes kaum allgemeinen Bdfall finden, die er S. 6
auKpricht mil den Wohen: .Unter Volksliedern vcretehc ich solche
diBÜnimigc Lieder, deren Dichter und Komponisten wir nicht
kciitien (!), ÜK vom ganzen Volke gesungen werden, lange schon
GeitidTigut des Volkes geworden sind und mit diesen wesentlichen Volks-
lied-Merknialpn Naivetäl, Natürlichkeit und Kindlichkeit verbinden.-
Durchaus einverstanden bin icK dagegen mit dem Verfasser, venn er das
Volkslied mit der sogenannten Volkskunst in Verbindung zu bringen
sucht, indem er sagt (S. 2/3); „Wie jodcs Volk eine ihm eigentümliche
Art und Weise hat, die Wohnungen und Ställe zu bauen, mit den pmk-
tisciiai Bedürfnissen einen gewissen Kunst- und Schönheitssinn zu ver-
binden, wie es in seiner Weise Haitser, Scheunen, Kasten, Truhen. Ge-
schirre bemalt und mit Sprächen veiziert, so zeigt es seine E^tgensrt auch
im Volksliede. Wir können in all diesen Fällen von einer Volkskunst
reden." Wohl bedarf diese Äußerung in den Einzelheiten gewisser Modi-
fikationen und Bericliligungen, ebenso wie man sich auch zumal bei Einzel-
heiten immer die Frage vird vorlegen müssen, wie weil jene PaniLklc
gezogen werden darf, .^ber im groHen imd ganzen bleibt der Vergleich
zwisdien Volkslied und den volkstQ milchen äußeren Denkmälern berechtigt,
und idi bin überzeugt, daß sich zumai für die Behandlung des Volks-
liedes und seine Unterscheidung von dem in den Völksmund überge-
gangenen Kunstliede viele gute Anregung aits jenem Vergleich wird
ziehen lassen.
Toblers Buch, das such für manche kulturgcschiclitMche Erschtinung
oder Anschauung Qudlenmaleriäl darbietet, slelll dem Sammeleifer des
Verfassers ein gutes Zeugnis aus und wird auch der lierausgebenden Ge-
sellschaft zur Ettrc gereichen.
frankfurt a. M. OUo Lauffer.
c_
I
1
Das deutsche Vollrilum. Unter Mitarbeit von Hans Hclmolt,
Alfred Kirchhoff, H. A. Kösllin, Adolf Lobe, Eugen Mogk, Karl Sdl,
Henry Thodc, Oskar Weise, Jakob Wychgram, Hana Zimmer heraus-
fegeben von Hans Meyer. 2. neubearbeitete und vermehrte Auflage.
I. Tdl. Mit 1 Karle und 20 Tafeln. II. Teil. Mit 2J Tafeln. Leipzig
und Wien, Bibliographisches Institut 1903, (VIII, 402; II, i3S S.)
Bei seinem ersten Erscheinen habe ich das vorhegende Werk in
der vZeitschrift für KuHurgeschidite" als rechtes deutsches Hausbuch
empfohlen, und ich möchte diese Empfehlung nach Erscheinen der zweiten
Auflage durchaus wiederholen. Äußerlich unterscheidet sich diese von
der ersten durch die Teilung in zwei nicht zu starke Binde, wozu Nrohl
mnichst der bedeutende Umfang - es ist ein ganz neuer Abschnitt
hinzugekommen - vcranlaßle. Aber ich finde, daß diese Fonn die Hand-
lichkeit gc?;eni^ber den üblichen schweren Bäntlen des Verlages bedeutend
erhöht, und möchte sie für die Zukunft beibehalten wünKhcn. In- ■
baltlich untei^cidet sich die neue Auflage vor allem durch die Hinzu-
fügung jenes neuen Abschnitts; .Die deutsche Erzielmng und die deutsche
I
Besprechungen.
Wisstnsdiaft" von Hans Ziitimer; doch sind aucli in d«i übrigen Ab-
schnitten naliirgemäö Änderungen, Absiriche wie Zusätze, erfolgt. Sehr
dngrcifmd sind diese Änderungen aber, soweit ich wenigstens Vet^leiche
gemacht habe, nicht. Eine, die ich nacli der Besprechung der ersten Auf-
iagc cij^cntlich erwartet häHe, ist nicht erFalgl, Audi jetzt wird mit dem
Vorwort derselben der Satz wiederholt, daß ..im Ziisanimenlüiiig der
deutsche Volkscharaltter noch vor. keinem dargeslellt worden" sei. Irotr-
don ich eingehend auf die freilich nicht allzu bedeutende Vnrgängerschaft
Wilhelm Wachsmuths (Geschichte deutscher Nutiunalität 186üf.) hin-
gewiesen hsbe. für eine spätere dritte Auflage möchte ich diesen Hin-
weis wiederholen, mgleidi aber itoch folgende Wßiischc aussprechen. lijn
sehr hübsches Zu,sal2kapiteE zu einem Abschnitt wäre meines Eraditens
eine Oberlicht über die Zensuren, die die Deutschen von anderen Völkern
erhalten haben, wie sie uns nicht nur in Sprichwörtern und Redens
arten, sondern auch in den schrifdichen Quellen, namentlich ernsthafter
Natur, irahlreich erhallen sind, ich würde mit einer ganzen Reihe
bisher wenig oder gar nicht beachteter Stellen dienen können. Derartige
Urteile — von H, Meyer auf S. IS übrigens im allgemeinen crwühnt —
sind Tiatflrlich häufig befangen, schärfen aber anderseits den Blick für
unsere Fehler und Schwächen. Das führt mich auf eine nllgcmeiniC Be-
merkung bezüglich des Charalders unseres Btiches. Mir scheinen die
Fehler und die abstoßenden Eigenschaften der Deutschen, trotzdem sie
z. B. in der Einleitung von Hans Meyer Öfter energisch betont (S. 13
und 21), von Melmolt , Weise und anderen gel^entlich imd von
H. Zimmer (tl, S. 405) in ihrer Allgemeinheit hervorgehoben werden, doch
etwas 2u sehr zurückzutreten. Das Buch zeichne! im ganzen ein etwas zu
ideales Bild vom Deutschen. Namentlich gilt das von dem an sich an-
ziehenden Beitrage Alfred Kirchholfs: ,Dic deutschen Landschaften und
Stämme-, der die Schaltenseiten doch zu sehr unterdrückt. Manches
hätte schon die überhaupt auch sonst wohl erforderhclie Berflcksichiigung
der gegenseitigen Neckereien der Stämme, Städte, Dörfer, die eben Wachs-
mulh sehr eingehend behandelt hat. ergeben. Allein daü Zurücktreten
solcher Züge isl doch wohl crkläriich. Das Buch hat die Absicht, vor
kllcm die Lust am Deutschtum zu wecken, und wenn auch sein Hauptziel
ist, objektiv erkennen zu lehren, was deutsch isl, so spricht doch der
Herausgeber selbst ais seine Absicht aus, »2« ftbcrzeugen, daß es nichts
Größeres und Schöneres in allein Menschentum gibt als das deutsche
Volkstum-- Solch warme Begeisterung läßt das Unerfreuliche lieber bei-
seite. Aber das zugestanden, so ist mir zuweilen der apologetische Zug,
dennoch zu stark. Die unzweifelhaft vorhandene Servilllät dts Deutschen,
der gleichzeitig freilich neben anderen Kontrasien em starkes Unabhilngig-
keit^filhl nufwcKi, wird nicht allein nicht ermähnt, sondern von Helmott
luch (I, IS8(.) im ganzen bestritten. Wie reimt »ich da<t n.imetillieh zum
17. und zu der ersten Hälfte des 1 s. Jahrhunderts? Hu anderer, weniger
Ar
Archiv (Qr Kuhurerechichle. 11, ^J
Besprechungen.
abstoßender Zug dfirfle "roh! mehr fibersehen sein: es ist dies die Um-
ständlichkeit und Zercmonialitäl des Deutschen - nur vom FormaäU-inua
im {{echt ist gelegentlich die Rede. Jenen Zug hebt aber (v^l, meine
■Ceschichte ds deutschen Bncfes" II, S. 53} icbon um 16UU ein Italiener
bei dem Deutschen hervor: »Ogni cosa « celcbri con apparaio e con
solcnniti." Die Steifheit und gesellige Ungewandtlieit anderseits hätte aul
S. 36 ausdrficklich erwähnt werden können.
Um riocti einiges vorzubringen, iind zwar aus dein Interesse an dem
Werke selbst heraus, so scheint sich mir Helmolts Abschnitt in seinem
ersten Teile vielfach mit Meyers hQbscher Einleitung zu kreuzen, wenn
auch neues Material bei Helmolts großer Belesetiheit , die ihre Frfichte
aber sehr durcheinander wirft, gegeben wird, Herrn Christian Meyer
würde ich in Helmolts Stelle mit einem Urteil nicht zitieren (S. 167), und
ich glaube auch nicht, daß aut den ernster zu nehmenden Freybe vom
Herausgeber hingewiscn zu werden braucht. Freybe kennt die Ver-
gangenheit nur aus dritter und vierter Hand und redet mehr erbaulich
und weitschweifig über die Dinge. Das Urteil Helmolts über die Hansa
(S. 189) ist wohl etwas zu schroff. Doch Einzelheiten anzuführen, will
ich mir versagen, vielmehr die Lcktfire da Buches selbst von neuem
warm empfehlen. Alle Mitarbeiter haben ihr bestes gegeben, wenn sie ■
auch nicht alle auf derselben Höhe sind, und durch das Ganze weht der *
gleiche anregende Oeisl. Die Vorzüge der Einzelnen will ich nicht weiter
ausführen und nur erwähnen, daD auch die jüngste Hlnzufügunt; von
Zimmer durchaus anzuerkennen ist, In seinem zweiten Teil .Das dculadie
Volkstum in der modernen deutschen Erziehung und Wissenschaft
werden übrigens altamodcrnste Strömungen und Personen ausgicbiecr
herangezogen als dies in den übrigen Abschnitten der Fall ist.
Qeorg Steinhausen.
Paul Oreehsler, Sitte, Bratich und Volksglaube in Sclilesicn ].
Mit Buchschmuck von M. Wislicenus. (Schlesiens volkstümliche Über-
lieferungen, herausgegeben von Friedrich Vogt, Bd. II.) Leipzig,
B. Q. Teubner, lyüi {XIV, 34ü S).
Mit einem gewissen Neid müssen die wenigen ernsten Forscher auf
dem Gebiet der Kulturgeschichte die rege und lebhafte Arbeit aui dem
Felde der Volkskunde, die vor allem audi von Oerm-mlsten von Fach eifrig
gefördert wird, betrachten! nur das Bewußtsein, daß die besten und tiefsten,
noch kaum recht erstrebten Resultate dieser Arbeit doch der Kultur-
geschichte zugute kommen werden, kann darüber trösten. Zu den sdi6nen
volkskundlichcn Werken über Braunschweig , Sachsen, Baden, Mecklen-
burg ist nun auch ein solches über Schlesien gekommen, in letzter Linie
auf eine illteie Anregung Wcinholds zurückgehend und von der titigen
Schlcsischen Ocsellsehali für Volkskunde durch Rat und Tat unterstützt.
Das meiste ist aber der Sammelarbeit des Verfassers selbst zu danken.
I
1
Besprechungen.
251
Er bdont jedoch, daß sein Bitch nur die Vorarbeit zu einer schiieslschen
Vollukuiidc sein soll, nicht diese selbst, die seines Erachtens erst durch
viele Berichligiingen und eingehend« Ergänzimgeii seines Buches ru-
Stande kommen kann. Aber man wird die von ihm geleistete Arbeit
gern anerkennen und dankbar benutzen, was er über Glauben und Brauch,
nadl dem Kreislauf cEcs Jahres und den Festzeiten, nach den Lebens-
stationen, Geburt und Kindheit, Jugendzeit, Liebe und Ehe, Ehelosigkeit,
Tod und Begräbnis geordnet, ziisammengebraclit und o(t auch in seinen
Spuren in der Vergangenheit verfolgt hat. Der fwette Teil, der das
hAusliche Leben behandeln wird, soll binnen Jahresfrist erscheinen. In-
IcrcBierl hat mich an den vom Verfasser zitierten anregenden Worten
Weinholds von 1862. wie jene ältere Oeneialion doch immer und jjewiil
mit größtetn Recht von vornherein auf die historischen Zusammenhänge
gerichtet war. Denn Weinhold schätzt das etwa zu Sammelnde als --be-
deutenden Stoff für die Sittengeschichte Schlesiens, für seinen Ziisammen-
hang mit der allen Hdmal seiner ersten deutschen Ansiedler." Ein
engeres Band zwischen Volkskunde und Geschichte wird sich auch, gliube
ich, bald als Bedürfnis herausstellen. Anaätze zeigen sich schon.
Oeorg Stetnhausen.
OttokAT SUuf ron der Muxb, Völker- Ideale, Bdtiäge zur Vöikei^
Psychologie. I. Germanen und Griechen. Leipzig, t^oi, J, Werner C O,
(XVII und 437 S.).
Die Wechselwirkung zwischen Politik und Wiswnschaft hat rine
Reihe von Arbeiten gezeiligt, die die Wurzeln unser» jetzt wieder er-
starkenden nationalen Bewußtseins bloßzulegen bemüht sind, wie es am
grQndlichsten von Fr. 0. SchulthciÖ geschehen ist. Als bestes Erläutc-
ruBgsmittel de& typisch Nationalen bot sich der Vergleich mit andern
Völkern dar; so hat schon Q. Freytag in den Bildern aus dem Mittel-
alter auf die Verschiedenheit deutschen und antiken Heldentums hinge-
wiesen. Diese einzelnen Hinweise erweitert das vorliegende Werk zu
einer zusammenfassenden Vci^leichung der für Germanen und Griechen
maflgebenden sittlichen Ansch.iuungen auf Orund der ältesten Heldcii-
dicbtungen. Was sich aus diesen an typischen Vorstellungen über den
Heiden, das Weib und die Oötler ergibt, ist mit anerkennenswerter Bc-
Icscnhcil gesammell und mit Geschick gruppiert worden, sodaJi die Fülle
der herandrängenden Zitate durchaus nicht ermildend wirkt. Das Ergebnis
kann auf alten drei Gebieten natürlich nur sein, daß die germanische
Sittliche Empfindung an Reinheit^ Starke und GeschloBsenheit der grie-
chischen weil überlegen ist. Nicht unangebracht wäre es gewesen, auch
das Märchen heranzuziehen, das unter wechselndem Gewände viele clia-
ralctcristisclic Züge aiis des Volkes Jugendzeit bewahrt hat. Es ist kein
visaen&chdtlichc» Werk: es hat »ich die Stärkung des nationalen OefQhls
17'
A
252 Besprechungen.
gegenüber der pltrasenhaflen Allerlumssdiwärnierei zur Aufgabe gcsetsl,
und daran tnitziihcKcn ist es um seiner Wahrheilsliebe und schwungvollen
Begeisterung willen wohl gce-ignel. Die Freude an diesen Eigenschaften
sollen uns aiicli die stilistischen Geschinacklosigkeiten des Einlcitungv
und Schlußkaptlels nicht verkümmern, die nun einmal der österreichischen
Fürbiitii^ unseres Nation algefühU eigentümlich z\i äcin sdieinen.
Mafdeburg. G. ticbe.
S. KelEminn, Di« Heiraten der Karolinger. S. A. aus Festgsbe för
C. Th. V- Hcificl. München. Hanshaltcr {ss S).
Erfreulic]! mehren sich die Versuche, das genealogische Material
stalistisL'li zu behandeln und so statt der bisherigen atomistischen zu-
Mumicnfassende Resultate Zugewinnen, die der Wissenschaft dienen, nicht
nur dem Ahnens;port. So hat sich Devrient') mit Oh"ick bemüht, einen
physisclicn und psychischen Typus der altem Emcstincr aufeuslellen. Für
M. ergibt eine nullerordenlltch gründliche Durchforschung der Quellen
eine Anzahl fester R^ultatc hinsichtlich der politi:«chen, rechtlichen und
persönlichen Stellung der mit den Karolingern legitim und illegitim ver-
bundenen Frauen, die zu der Erkenntnis führen, daß diese einen starken,
für die Behauptung des wcstfränkischen Thrones geradezu entscheidenden
Einfluß geübt haben.
Magdeburg. 0. Liebe.
J. Knepper, Jacob Winipfcling. Sein Leben und seine Werke.
(Erläuterungen und Ergänzungen m Jansens Ueschidite des deutschen
Volkes. IUI. Bd., 2.-4. Heft.) Freiburg i. B., Herder, 19ü2 {XX und
375 S.).
Das bleibendste an dem Lebenswerke des Elsä^er Humanisten ist
sein bahnbrechendes Wirken für die Kulturgechichle, unter der er -
richtiger als nianclier Meutige - nicht die Autlerlichlceiten des Daseins,
sondern den geistigen Werdegang des Volkes veislclit. Für diese An-
schauung wie für zahlreiche Einzelheiten sind vomehmlidi seine Schriften
Epitome reruni Oerrnanicarum und De arte Imprcssuria wertvolle Quellen.
Neben dieser EinwiTkiing ist es besonders die pädagogische des ersten
praeceptor Geriiianiae. wie ihn Bezold mit Recht genannt hat, die auch
in unscrn Tagen unvergessen sein soll. Wendel sich doch der erfahrene
Sachkenner bereits mit ebensoviel Sarkasmus wie Entschiedenheit gegen
die gram matisdien Spitzfindigkeiten und die Bela.'ttung de» Unterridtb
mit Ocdächtuiskraiii, Diesen Seiten von Wimpleliiigs Tätigkeit ist Kn.
in wijrdiger Wei.sc gerecht gewotdcn, wie ja überhaupt das Verdienst der
ErMuteningen wie des Janssensclien Werkes selbst wesentlich in der Er-
schließung kulturhistorischen Maicn'als liegt. .Anch ijcn krausen Lcbcns-
■t Ylertcljahrachcift dn Herold i«»1.
Besprechungen,
gang seines Helden, dereiner zusammenfassenden Darstellung seit langem
entbchrlc, hat er mit FleiO und Oriindliclikeit verfolgt und dessen Ein-
fluö auf seine vielseitige liierarische Tätigkeit klarzustellen sich bemüht;
das chroriologisthe Schriftenverzeichnis ist eine höchst schälzcnswcrle
Oabc. Nicht ohne Widerspruch dagegen wird seine Schätzung des
Patrioten Wimpfcling bleiben. Ebensowenig wie in seiner froheren Arbeit
über den nationalen Gedanken bei den elsüssischen Humanisten vermag
Kn. hier den Eindruck abzusdiwächcn, daß wir es vielfach mit huma-
nistischer Rhetorik zu tun haben. Auch die übertriebene Verehrung
Maximilians, Ifir den Wimpfeling publizistisch tätig war. vrird sich kaum
für seine polilische Oberzeugung ins Feld führen lassen. Ea muß gestAtlet
sein, hier ebensowohl persönliche Beweggriinde anzunehmen wie bei der
Polemik gegen die Schäden des geistlichen Standes, als deren Ursache
Kn. immer wieder die gelauschten Hoffnungen Wimpfelings auf eine
Pfründe anführt. Djiß der echte Vertreter des nzahmen" Humanismus
ein gehoreamer Sohn der Kirche und von fedcr tieferen reforuiatorischen
Absidit weit entfernt geblieben ist. bedurfte allerdings nichi wiederholter
ängstlicher Vcr^ichoting, Der letzte Abschnitt, dss Auftreten der Uithe-
rischcn Lehre im heimatlichen SchlettstadI, wohin sich der Vielgewanderte
als Greis zurückgezogen halle, beniht wesentlich nuf Genys Darstellung
<Die Reich<£ta.dl Schlettstadt H'i0-I5ib) in der gleichen Sammlung.
Die beigefügten Gedichte und Briefe von und an Wimpfcling dürften
t>ei der Willkür ihrer Aitsu-ahl nlchl gceigneJ sein, ein klares Bild der
PeraÖnl ichkeil zu geben.
Magdeburg O, Liebe,
H. Si«li<rt, Das Tanzwunder zu Kölbigk und der Berahurger
Heil'gc Christ. Festschrift des BcrnburgerQeschichlsvcreins. Leipzig, 1902,
Siebert <IS S.).
Es handelt sich um den frühesten Fall einer jener Gemüfskrank-
hüten, welche durch den unlieimlichcii Trieb der Nachahmung die Volks-
massen des Mitlebllers in ihren Bann schlugen, der Tanzwul, von Hecker
ausführlich behandelt und von Meinardus zur Erklärung der Hameter
Rattenfängersage herangezogen.') Der Vorgang wird von der Magdeburger
Schöffenchronik ins Jahr t02ft, von Lambert von Hei^fcld 1038 geseUt.
Hat E. Schröder von letzterem, dem ältesten Zeugnis, ausgehend der
literarischen Entwicklung der Sage eine gründliche Unleisuchnng gewidmet
(Zischr. (. Kirchengesch. ISMf»), so will S. der volkstümlichen Fortbildung
nachgehen. Wie bereits Hecker sieht er in dem Priester Rodberl, dessen
Ruch den in der Christnacht vor der Kirche geübten Tanz fortdauern
ließ, die Urform de« Knecht Ruprecht und stützt sich dabei auf die
vollomillige Redewendung vom Benibiirger Heil'gen Christ. Indessen
q Zbdir. <t. hlit Verdiu I NitderuchMU isa;.
i
0. Pfaif.SJ., Hermann von Matlinckrodt. Geschichte seines Lebens.
2. Aun, Mit 11 Abbildungen. Freiburg i. Br, Herder, 19ot (XI, 5!l S.).
Gleich der 1899 im selben Verlage erschienenen Biographie August
Reichcnspergers von Pastor feien auch diese in erster Unie den streitbaren
Führer der Ultramontanen und Mitbegründer des Zentrums, wodurch an
vielen Stellen der Widerspruch poUlischer Anschauungen herausgcfordeit
wird. Wie jene ist sie aber von Wert durch die ausgiebige Benutzung
von Briefen, die ihr stellenweise Meuioireiicharakler verleiht und zahl-
reiche Einzelzüge zur Kenntnis der Zustände beisteuert. Der Vorzug des
preußischen Verwaltungsbeamten. Land und I^utc der verschiedensten
Gegenden gründlich kennen zu lernen, hat schon manche anziehende
Selbsfbiograpliie gezeitigt (z. B. die von Ernst liausens) und auch M.s Briefe
bieten eine Fülle scharfer Beobachttingen, denen ein starker Heimata-
und Familiensinn einen wohltuenden Hintergnind gibt. Freilicti, neben
den kalhoüschen und den westfälischen Interessen treten die nationalen
zurflck - ein charakteristisches Beispiel für die Richtung des Ultramonts-
nismiis, der nur Individuen kennt, keine Völker. Der Schwerpunkt des
Buches liegt natürlich in der porlimcnlarischen Tätigkeit, deren Einfluß
(ein aus M-S Charakter hergeleitet wird. In anerkennciiswerler Weise be-
tont die Darstellung neben dem polemischen Element d^ versöhnliche,
das. seine Oeniütseigenschaften ihn auch im Kampfe nie verleugnen ließen.
Magdeburg. G. Liebe.
I
I
I
Kleine Mitteilungen und Referate.
Tn den „Anna.!cn der Nalurphüosophie", Band II, veröffentlicht
K. Liiniprecht eine imprünglich für den 2. Ergänzungsband seiner
•Deutschen Geschichte" bötimmte Abhandlung «Über den Begriff
der Oeschiclite und i'ibcr Itislorische und psychologisdie Gesetze',
die in der Hauptsache eine neue Variation ober das Thema -Kultur-
stufen" und eine Betonung der von Lampredit als das „wissenschaftlich
Wcsentliclistc' in jenem Band aiisesehcnen I'sydiisierung der Wirlschafts-
stufen darstellt.
In den .Jahrbüchern fflr Natinnalökonomic und Stati&lilc, IM. Folge,
B(1.2&(Nov.) Lind 27 (Jan.) beginnt Rieh, Thiirnvrald eine Abhandlung
Über iiStaot und Wirtschaft in Babylon zu Haminiirabis Zeit" zu vcr-
Wf entliehen. Er "rill auf Qrund von H. Wincklem Übereetzung zusammen-
fassen, was mit einiger Sicherheit unmittelbar aus dem Gesetzeswerke
abgeleitet werden kann. „Zur Ergänzung wurde auch die Brief- und
Kontraktliterattir aus altbabylonischer Zeit herangezogen.*- .Die große
Bedeutung des Gesetzeswerkes besteht darin, daB wir hier zum ersten
Male in eine große geschlossene systematische Ordnung der L-ebcnsvei-
hältnisse eines alten wohloi^nisicrtcn Staatswesens Einsicht erlangen, eines
Volkes, das teilweise zu unseren loilturelleit Vorfahren zu ^hlen ist." Es ist
also auch der Gesichtspunkt der Kulturbeeinflussung, unter dem Thum-
walds DarsteUung Interrase haben wird, obgleich sich die Arbeit selbst
nur anl die Schilderung der babylonischen Vcrliältnissc - und Harn-
munit>ls Zeit ist eine Biatezeit der babylonischen Kultur - beschränkt.
titwas verspätet verweisen wir auf eine nicht üble vergleichende
Kultur^ludie von M. Siebourg, L&ndliches Leben bei Homer und
im deutschen Mittelalter (Rheinisches Museum, N. F. 57, 2).
Das Novembcrhefl der Theologisch Tijdschrift bringt einen auch
kuhuTgeschichtUch bcachlcnswerten Beitrag von G, Visser, Humor en
godsdienst in de middcieewvren.
Von dem bekannten Werk L. Pastors, Geschichte der Papste
seil dem Ausgang des Mittelalters (Freiburg i. Br.r Herder) ist so-
eben Dd. 11 (Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance von der
Thronbesteigung Pius' II. bis zum Tode Sixtus' IV.) in 3. und i., viel-
i
2S6 Kleine Mitteilungen und Referate.
fach umgearbeileter und vermehrter Auflage erschienen (IJC, S16 S.). Die
seil 1S94 erschienene Uleratiir ist natiirgcmäß lierangczogen , abtr auch
neues archivalische« Maleriat. In erstercr Beziehung ist insliesondere den
kunstgeschlchtlicheit Absduiittcii des Bandes das von Pastor sehr anerkannte
Werlt Sldnmanns ütter die Sixtinische Kapelle zugute gekommen. Doch
bleibt Paslor bei dessen Erldärmigcn der Fresken nicht immer stehen, er-
gänzt sie auch teilweise. Geistes- und Kimslgeschiclite finden in diesem
Bande sowohl in dem Kapitel über Pins 11. iind die Rcnai<sance wie
namentlich eben in demjenigen über Sixtus IV. atä Forderer von Wisscn-
achaft und Kunst ihre ReclinunK. Mit Recht vergleicht der Verfasser
Sixtus' Bedeutung für Rom mit derjenigen deä Coäinio de' Metlici fiir
Floren2. Auf geiüte^gescliiclitlicheiii Gebiet ist sein Hauptverdienst die
Neugründung und Eröffnung der Vatikauischen Bibliothek. Weit mehr
aber als die Literatur hat er beicanntermaßen die Kunst gefördert, die
unter ihm ihren Höhepunkt in dem Rotn des 1;. Jahrhunderts erreichL
Was jenen Freskenzykliis der Sixtiniurhen Kapelle angeht, so findet P. in
ihm neben der Ausgestallimg der Idee der dreifachen Gewalt der Rlpste
als zweiten Onindgedatiken den »in der Glaubenslehre des Alten und
Neuen Bundes tief begründeten Satz von der Notwendigkeit einer recht-
mäßigen Berufung, Sendung und Vorbereitung zur Ausübung der Befug-
nisse des heiligen Amtes". Anzuerkennen ist das Streben des Verfassers,
Einwürfe von Kritikern ^u prüfen und auch zu£ueet>cn, Nt-ic überhaupt,
z. B. in der Charakteristik Sixtus' IV., der Verfasser sichtlich objektiv zu
urteilen bentßht ist. .Auf den mit größleni Fleill gearbeiteten diploniatisch-
politisch-historisetien und kirchenhislortschen Hauplteil des Bandes, gehen
wir hier nicht ein.
Aus der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheina, N. F. 1S,4,
notieren wir die Abhandlungen von O, Winckclmann, Straßburgs
Verfassung und Verwaltung im 16. Jahrhundert und von F. Breining,
Bruchstücke der allen Sladlordnnng von Besigheim.
Von der in der »Zeibchrifl für Kulturgeschichte" bereits M'ieder'
holt erwähnten Arbeit Otto Rieders über -Die vier Erbäniter des
Hochstifls Eichstätf (im »Sainmelblatt des histonächen Vereins Eich-
slätt') liegt eine Fortsclzung vor. Nach Erbmarschallamt und ErbkAin-
mereramt wird in der früheren verdienstlichen, gründlichen Weise nunmehr
das Erbsclienkenaint, über welches die Nachrichten ilbrigens in eine frühere
Zeit zurückgehen als fiber jene, in seiner Entwicldung verfolgt, zunSrhM
bei den Schenken von Arberg, dann in der Eybselien Familie (seit 1S5J).
Unter dem Titel: »Die älteste Heimatkunde Wcstfalcns-
würdigt Julius Pistor in dem ..Orcnztwtcn " Nr. äo das Werk Wemer
Rolevinks .De laude veteris SüxontBc. nunc Westphaliae dictae", die eine
Landes- und Volkskunde aus der Zeit des trühhumanismus darstellt, und
gibt in einzelnen Zügen ein flild von dem kulturgeschichtlich zwar nichl
erschöpfenden, aber wertvoltcn Inhalt desselben.
I
Kleine Mitteilungen und Referate.
I
O. Hasscbrauk schildert im . Braunschweigischen Magazin",
1903, Nr. ;/S Das Volkslebi^Ti in der Sladt BraiinschweiK am Vor-
atxnd de 30jiihngen Krieg«, riiin r<il nach neuen Quellen.
Reclit anziehende »Bilder aus dem häuslichen und gesel-
ligen Leben Stralsunds in der nachrefonnatorischen Zeit \2. Hälfte
des XVI.Jalirhiinderts)" veröffentlictit Max Israel in den „Pomracischen
[ohrbüchem" Kl. Ls hi ein lebendig achildemdcr Vortrag, der nach dem
von Zober herausgegebenen „Tagebuch des BOrgeriiieisJer^ Nicolatis
Oentzkow Haus und Geselligkeit und auch die Menschen der Zeit wieder
aufleben zu lassen sucht. Kann er uns Fachmänner anregen, die Quelle
selbst einmal melir heran zuziehen, so mag er andern als gutes Beispiel
zur Nachachtung empfohlen sein, um Laien durch Vorträge kultur-
hi$torisch zu interessieren.
Die Edinburgh Review No. ■las (July 1903) bringt einen Essay
über .London and ils people in the 18* Century."
VO'n einigen biographischen Beiträgen bietet ein ältere Zeiten be-
treffender für unsere Zwecke nur wenig, die von O. Som merlcldt nach
einer Krakauer Handschrift veröffentlichte lateinlsclie »LeLchenprcdigC
des Magisterü Matthias von Liegnitzauf den Tod des Prager
Erzbischofä Johann von Jenstein" ft 1400), wenn dieser auch als
Kirchenflirsl wie als Gelehrter bedeutend hervorgetreten isl.
Im .,He!aenland", XVII. Jahrg., Nr. 22/2i veröffentlicht K. Knctsch
die .Selbstbiographie des Johann Sigmund Arend, hessisch. Berg-
und Hütteninspeklors und Amtmanns zu Nentershauscn" Die Bio-
graphie reicht nur bis 17:38 und enthält interKsante Mitteilungen über
die Studien- und (damals als Bildungsmittcl obligatorischen) Reisejahrc
sowie über die Bcamtenzeii des Verfassers und sein Kamilienleben.
Nicht ohne IntcrcBe auch fiir uns sind die Mitteilungen H. Funchs
in der nZeitächrift für die C^chichte des Oberrhcins", N. F. 18.4 über
-Lavalers Aufzeichnungen über seinen Aufenthalt in Karls-
ruhe im Jahre 17S2" nach einem in der Züricher Sladtbibliothck befind-
lichen Tagebnch,
Zur Geschichte des Erziehung«- und Bildungswesens ist vor allem
die von allgemeinen Gesichtspunkten getragene, tiefer gräfende Abhand-
lung P. Barths: «Die Geschichte der Erziehung in sozio-
logischer Bedeutung" (Vierteljahrsschrifl für wissenschaftliche Philo.
Sophie 27, 1/2) zu erwähnen, Wir hoffen, nach ihrem Abschluf! darauf
zurückkommen zu können, — In dem i Jahresbericht des ^JiibilSums-
Rcalgymnasiunis in Korneuburg Hos- beginnt Gustav Strakosch-
Oraßmann eine gröfiere Arbeit über ^Erziehung und Unterricht
im Hause Habsburg". Er unterscheidet eine Periode, in der die Habs-
buiger eine vorwi^cnd deutsch-österreichische Familie sind und ihre
Kinder durch einheimische Schiilnieis.ter mehr oder minder nach dem
S'orbilde berühmter Pädagogen Italiens unterrichten lassen, eine zweite
{1478-1519), in der die Habsburger im wesentlichen als ritterliche Fran-
zosen herangebildet «-erden, eine dritte (i51<)— 1586), in der der deutsche
Humanismus die Ausbildung der Erahenoge beherr^hl, und Btie vierte,
in der die Jesuiten und eifrige katholische Aristokraten die Erziehung
leiten. Die «hr fleißige Arbeit verdient alle Beachtung. — Die Zeit-
schrifl für die Geschichte des Obenrheins. N, F-, is,^ enthält einen Bei-
trag von L. Pfleger »Aus der Studienzeit des Markgrafen
Philipp II. von Baden". - Einer auch sonst bestätigten Zeilrichtung,
der beginnenden Kavalierkultur, entsprechen die Absichten, von denen
M. Thamm im Pädagogischen Archiv, 45. Jahrg., Heft tt berichtet:
nlnstitute für Edelknaben und Edelfräulein gcplani zu Hei-
delberg 1393". — Mit einem n&clt kaum behandelten Stoff, nämlich
dem Waldbnider, dem Klausner als Lehrer, beschäftigt sich die Arbeit
Joh. Heigenmoosers, .Eremitenschulen in Altbayern-. Ein Bei-
lrag zur bayrischen Schutgeschichte im IS. Jahrhundert (Texte und For-
schungen zur Geschichte der Erachung usw. VEI. Berlin, A. Hofmann
& Co,, t<*OJ). Auf umfassende archivaüsche Forschungen namentlich ge-
stübtt, bespriclit der Verfasser S1 Eremitenschulen in Oberbayem, 45 in
NietlETbayem und Oberpfalz, nachdem er zunächst allgemeines über die
Schultätigkdl der Eremiten tiis zu ihrer Aufhebung gebracht liat. Im
weiteren charakterisiert er Schulen wie Lehrer, deren Bildung z. T. größer
als die der sonstigen Landlehrer war. Der Verfa^i^cr meint ihre Tätigkeit
wenigstens für das bayrische Volk im 18. Jahrhundert als verdienstlich
hinstellen zu sollen. — Als .Bayern-Hcfl" stellt sich auch das neue Heft
(XIII, 4) der .Mittellungen der GesellschafI fOr deutsche Er-
ztehungs- und Schulgeschichte- dar. Wir heben darai^s die Ab-
handlung von Siegmund Günther, ™ Geographischer Unterricht an einer
deutsehen Hochschule [Erlangen] des tS. Jahrhunderts" und diejenige von
Onrg Lan, „Zur Geschichte der bayerischen Schulrcformation in der
A ufkürungsepoche* hervor. Bei Iclzterer handelt es sich einmal darum,
wie weit die Schulordnungen dieser Zeit, besonders die vom Jahre 1774 zur
Geltung und tatsächlicher Anwendung kamen, und sod-inn darum, welche
Persönlichkeit unter den Gegnern Brauns eigentlich die Führung hatte.
Als solche wird der hinter Bucher stehende Lori hingestellt. HättRer
druckt einige Aktenstücke aus dem Würzburger Krci&archiv ab, die -Kart
Theodor Freilierm von Dalberg als Voreitzenden der Schulkommtssion
für das Hochstift Würzburg" zeigen. — »Unser EgcHand" {VII, Nr. S/6)
bringt einen Beitrag von Hetsinger „Aus der Sehulgetehich te des
EgerUndes."
M. Harrwitz in Berlin W. iS versendet einen Antiquanats-Katalog
No. 87: Zur Geschichte des Kalenders, der eine ganze Sammlung
dieser namentlich kulturgeschichtlich interessanten Druckwerke entli<
In dem Jahresbericht des Oymna,siums zu Dortmund 1S03 ver-
öffentlicht P. Sartori eine ziemlich umfangreiche Abhandlung über >Dit
Kleine Mitteilungen und Referate.
Speisung der Tote«". Sie lümmt in der Pflci^ der Toten, die auf
der Vorstellung eines Weiterlebens der Seele beruht und sicli in irgend
einer Gestall überall findet, den ersten Platz ein. Sarlori will die mannig-
fnclien Formen der Tolenspeisung in Beispielen zusammenstellen und er-
klärend beleuchten. Er unterschddet die Pflege der einzelnen Seele, die
sich schon vor der Bestallung, \reiler in der Mitgabe von Speisen an
Tote, im Leichenschmaus der Hinterbliebenen und in der forldauernden
Speisung der Toten äußert, und die Allersttlenpflege (durch gelegentliche
Speisung oder eine solche zu bestimmten Zeilen). Daß die Hinterbliebenen
die Speisen veraehren, soll übrigens den Toten zugute kommen. Es gibt
aber auch die ettenfalls von Sarlori besprochene Form des Traucrfastens
zugunsten der Toten. Sartori fügl endlich Erörterungen über die Vor-
stellungen »wie die Toten essen" und über den »Übergang der Oatwn
an Tote in Opfer für Tote- hinsu. Die fleißige Matcrialsammlung wird
um so %'iilkommener sein, als die Einzelheilen mit ruhigem Urteil gruppiert
und erörtert werden,
Eduard Wiepens Büchtein: Palmsonntagsprozession und
Patmesel, eine kiillur- und kiinstgeschichHich-volksltundlichc Abhand-
lung 2um Kölner Palmesel der kunslhislorischen Ansstellung zu Düssel-
dorf 1^02 (Bonn, P. Hanslein), behandelt ein Thema, über das zuletzt
V. Strele eingehend und anregend geschrieben liat. Wiepen will auch
diese Arbeil und eine früüiere Stückelbergs mehr ergänzen, anderseits sein
Thema entwickln ngsgcsdiichtlich behandeln und ihm möglichst vielseitige
Besiehungen abgewinnen. Die Anregiing gab ein geschnitzter PalmeseJ der
Sammlung Schnütgen auf jenei AussteUung. Wir weisen biesonders auf den
kulliiigeschicbtiichen Abschnitt, der die Sitte im allgemeinen und in Köln
im bcsondcni behandelt, wie auf den voJkskundlichen hin, der die Um-
wandlung des kirchlichen Gebrauchs in einen Volksbrauch und das Ein-
dringen de5 Palmescls in die Volkssprache zum Gegenstand hat Das
Hauptergebnis der Arbeit i5t, daß der Palmesel ehemals auch in Nopd-
deulschland viel weiter verbreitet gewesen ist, als man bisher annahm,
E. Hoffmann-Kraycr behandelt im Schweizeribchen Archiv fOr
Volkskunde VII die -Nciijahrslcicr im alten Basel und Verwandtes-,
sucht durch Quellenstudium den Ursprung der einzelnen Bräuche, des
Herumsingens, der Maskeraden, Owchenksitten usw. fesiziislellen und
weist n. a. gegenüber der Sucht, alles auf das germanische Heidentum
zurfiekzuftihren, auf den auch unseres Erachtens nie lu überschätzenden
Einfluß der römischen Provinmlkullur filr manche Dinge hin.
•Japanische Qeschenksitten' schildert E. Schiller in den
• MitleiUmgen der deut^hen OesellschafI für Natur- und VölkcFkunde
Oslflsiens- IX.
Hagedorn veröffentlicht aus dem Lübecker Staatsarchiv ein höchst
interessantes Einladungsschreiben, das die Armbrustschätzen der Stadt
Strasburg zu einem im Juh 147J abzuhaltenden Schießen ergehen ließen.
A_^ L
260 Kleine Miltdiungen und Refenlc-
(«Das StraßbuTgcr Scliützen[c5( von 1 473" in .Jahrbucli für Ge-
schieht*, Sprache und Literatur Elsaß-Lot liringetis"). Die genauen Angaben
über die Ordnung des Schidiens, über die Preise, über deii Glücksh^fcn,
und ein Pferderennen sind um so wertvoller, als «'ir ähnlich delaülierle
Mitteilungen sonst erst aus detn t6. Jahrhundert haben, z. B. über den
groJien Nürnberger Olöckshafen von 1579.
■Die Handfeste des Passargekrugs bei Liebsladt vom
Jahre 1394* bringt G, Sommerfeldt in der Alt preußischen Monats-
schrift, Bd. 59. Heft l/n nach einer Abschrift des 17. Jahrhunderts im
Königsberger Staatsarchiv jiim Abdruck «iid fügt daran Notizen über
einen späteren Rechtsstreit des PassargekrCgers Sommerfeldt bezüglich
seiner Brau- und Schankgerechtigkeit.
In den Wririlemberg. Vierteljahrsheflen ffir Landesgeschichle N, F. S,
Beilage, findet sich eine Mitteilung v. Sfettcns: Spiclmannsordnung
von Kocherstetten 1797.
.Der Kachelofen in Friitkfurl" betitelt sich «n auch als
Sonderabdruck pischieneiier Beitrag Ollo LauElers zur Festschrift zur
Feier des 2Sj5hrigen Bestehens des Städtischen Historischen Museums in
Frankfurt a. M, Zunächst wird für die ältere Zeit meist an der Haind
vcm Stücken des Frankfurter Museums die Ttötperliche Gestaltung der
Kachel in der allgemeinen Entwicklung verfolgl; unter anderem wendet
er sich gegen Meringers Vermuiung, daß zwischen römischem Wölblopf
und deutscher Kadiel eine direkte Verbindung besteht. - Dann folgt
nach einer Ctbersicht über die äußeren Verhältnisse des Hafnerhand wcrlcs
in Frankfurt die Schildening der in Frankfurt üblichen Ofenformen und
die Darstellung der kunstgewerblichen Ausgestaltung der speziell Frank-
fiirtischcn Kacheln. Auch sie haben aber in ihrer Fonnenentwicklung
und ihren Qualttitten ein allgemeinere Interfsse,
The gardens of ancicnt Rome and whal grew in thcra betitelt
»ch ein Beitrag J. O. Qodards in The Nineleenlh Cenlur>', Odober.
Ü. Caro unterzieht in den Deutschen Oeschichtsbl altern (VI, 10)
den Betriff der «Hufe" einer Revision und betont die Unmöglichkeit,
frühere und spätere Entwicklnnyszeilen bei ihr gteichzuselzen. Für das
\on ihm schon mehrfach bearbeitete Gebiet, den Südwesten in karo-
lingisdier Zeit, lehnt er den Begriff der Hufe als des normalen Grund-
besitzes des Freien ab.
VC. Bnichmßllcrs ansprechende Abhandlung „ZOge märkischen
Bauernicbens vergangener Zeiten* (Nfttd und Süd, Heft 322> beschränkt
sieb auf die Zeit nach dem DreifliEJülingen Kriege. Nach D.iretellung
der allgnneinen Reclilsvcrhähnissc der Bauern jener Zeil wird das ge-
wonnene Bild durch EinKizüge aus dem Leben der Bauern in einigen
Dfirfern d« Crossenschen Kreises in der Nciimark lebensvoller gestaltet.
Dm Material entstammt den Ifarrarchivcu der Dürfer. Übrigens fällt bei
der Arbeit auch etwas für die Geschichte der Vornamen ab.
KIdae Mitteilungen und Referate.
In der Zeitschrift «LabibliofiHa- V. 7/5 findet sich eine Milteitung
von E. Spadolini, Lo sUliito de' eaizolari in Ancona [1S6S).
Aus dem Anzeiger für schweizerische Oeschiclile, XXXIV, Jahrg.
No. 4 erwähnen vnr den Beitrag von O. Caro, Ein Basier Kaufmann
in Genua 1216.
A. Tilles Aufsatz: Leipzig im Weltverkehr (Die Zukunft,
XII. Jahrgang, No. 15) gibt eine Übersicht ülwr die Handelsgeschiclitc
Leipzigs, das grölicre Bedeutuni; etwa um 139ü erhält
in der .i Viertel] ahrsschritt fflr Sozial'- und WirtscJiahsgeschichte".
hd. 1, Heft 2 behandelt Johannes MQMcr untcf Heranziehung neuen
aichivalisclien Materials .den Zusanimeiibriich des Welserischen
Handelshauses im Jahre IftH-, der besonders lehrreich durch die
Art seiner Entstehung ist, Irotzdetn es sich nur um den .,2usammenslut3
eines in seinem Kern längst verfaulten Banmes" handelt.
Im ,. Hessenland", Jahrgang XVÜ, No, isff, handelt L Armbrust
nach Melsunger Amtsredinungon und Gcldr^istern der Mekungcr Schull-
hdBcn {beide im Marburger Staatsarchiv) über »Geldeswert und Geld-
bußen im 15. Jahrhundert" und bringt zunächst Notizen über r*reisc.
In den ■Beiträgen jur Geschichte der Stadt Rostock-, III. 4 teilt
E. Dragendorff die -Rechnung des Ratsherrn Andreas Schmal'
bach wegen seiner Reise nach Halle und Wolfenbüttel im Jahre
ibbO' mit.
Die interessante Studienreihe des Vicomte G. d'Avenel Lc mhs.-
nisme de l.a vie moderne wird in der Revue des deux mondes (1" f^
vricr 1103) mit einem Artifeel (iber .Les moyens de transports ur-
bfliiis" fortgesetzt.
Zur Geschichte der Medizinalverhältnisse früherer Zeiten
Ingen die Aufsätze von ff. Braun, Hessische Medizinalvcrhältnisse im
18. Jahrhundert (Hcsscnland IMä, No. 8— ii), der sich anf die unter
Landgraf Friedrich H. erlassene Mcdizinaiordnung stützt, Claes, Die
MalJnahmen zur Bekämpfung der Pest in Mtihlhaiisen 1683 (Mrihlhäuser
Geschieh tsbEälter, 4. Jahrg.), f. Speakman, Mediaeval hospitals {The
Dublin Review, October), sowie eine Reihe französischer Arbeiten bei:
LamouzHe, Quclqura documents in6dils sur les chirurgicns-barbicr^ de
Toulouse (30. Bulletin) de la sociöe archiologli:]ue du midi), V. Nicaise,
Chirurgieiis ei barblcrs aux 13< et H* siHcs (Bulletin de la soci^ti frant.
d'histoire de !a medecine 1902), E. Boutineaii, Maure mWicales en Tou-
ralnc au t7cslfde. (Ebenda,)
J.V.Ncgelein behandelt im Globus, Bd. LXXXIV. No. 22, .Die
Stellung des f^erd« in der Kulturgeschichte."
r%
Bibliographisches.
O. Frtytag. Vermischte Aufsätze ans tlcii Jahrcti 1848—18*4. Hrsg,
von Emst Eisler. II. Bd, Leipzig (XIII, 45b S.). - L. Waüis, An CKami-
nalion of sociely from Ihe Standpoint of evolittion. Coluiiibus (Ohio)
(i27 p.) — £. Drtrup, Homer. Die Anfängt der liellenisdien Kultur
(Weltgeschichte in Charakterbildern. I. Abteil.) München (IV, 146 S.) -
K- Lampreckt, Deutsche Geschichte, 1. Abt. 2 Bd., i. duichgcs. Auflage.
Berlin (XVII, 411 S.) — O. liennf am Rhyn, Kiiltiirgesch. des (Jeulschcn
Volkes. 3. Aun. 3. u. 4. (SchluO-l Halbband. Berlin. — Das dcuteclie
Volkstum. Unter Milarbeit von H. Helmoll, Alfr. Kirclihoff usw. hrsg.
von Hans Meyer. 2. Aufl. Teil I, II. Leipzig. (VIII, 402 S., I Kanc.
20 Tat.; VI, 15S S., 25 Tai.) — C. Hessler, Hessische Landes- u. Volls-
kimde Bd. IL Hessische Volkskunde. Marburg (XVL f)ö2 S.) — t. Ä/tt,
Die ältere Geschichte des Vestes und der Stadt Recklinghausen. Di».
Essen (VIII, 1H4 S.) — H. Eiekhoff, Geschichte der Sladl und Gemeinde
Gütersloh. Gütersloh (VIII, J2? S.) - Aä. Kober, Studien zur mittelalt.
Geschichte der Juden in Köln a. Rli., insbes. ihn» Onindbcsitzcs I. Diss.
Breslau (41 S.J -— H. Carstens, Wanderungen durch Dithmttndien mit
geschichllichen, altertumstcundllchen und volkskundlichen Bemerkungen
und ErlSulerungen, Lundcn (IV, 140 S.) — O. Wiligerotk, Bilder aua
Wismars Vergangenheit. Wismar (VI, 365 S.) — Bruno Schumacher,
Niederländische Ansiedelungen im Herzogtum Preußen zm Zeit Herzog
Albrechls (152S— 1568) (Publik, d, Vereins für Gesch. von Ost- u. West-
prcußcn). Ldpdg (XII, 204 S.) — A. if^ispel, Entwicklungsgeschichte d.
Stadt Naumburg a. S., nebst einem Anhang. Naumburg (Vlll, 120 S.) -
M. Oeser, Geschichte der Stadt Mannheiin. Mannheim (XII, &76 S.) —
F. Walter, Friedrichsfeld. Geschichte einer pfälzischen Hugenottenkotonie.
Mannheim (III, 50 S-, S Tat., 1 Karte). — E. v. Rodt. Bern im 1b. Jahr-
hundert. Bern (IV, IS6 S.) — Th. Ortvay, Geschichte der Stadt Prcß-
buig. Deutsche Ausgabe. II. Bd. 4. Abt.: Das Familienleben und das
matenclle, intellektuelle und religiös-sittliche Leben der Bevölkecung der
Stadt IJOÜ— t52ö. Pceßburg (XV, 519 S.) — Quellen ziir Oewhichte
der Stadt Wien. IL Abteilung. Regesten aus dem Archive der SiadI
Wien. J. Band. Verzeichnis der Original - Urkunden des städtischen
Archives nSß— 1493. Bearbeitet von Karl Uhlirz. Wien (VIII, cSO S.) —
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(91 S.) - R. F. Kaindl, Geschichte der Bukowina von den ältcslai Zeiten
bis zur Oegcnwan mit besonderer Berücksichtigung der KutturverhSltnisse.
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Celles depuis les lenips les plusanctens jusqu'en l'.in 100 avant notre ire.
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roraans d'aventure. Paris (XXIII, HS p.) - O'ro Ferrari, Com' cra am-
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syslem and law, religton, learitiiig aiid art, trades, Industries and commerce,
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London (XXIII, 632; 651 p,) — Ed. Aaveda, Notas y apuntcs. Con-
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Die Sozietät der Maurer und der älteren Sozietäten. Eine geschichtliche
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intendenten Joachim Westphal aus den Jahren I5äo — 1S75 bearbeitet
und erläutert von C. H. W. SiUm, l. (Schluß-) Abteilung. li3^-Iä7S.
Hamburg (IX, S. 3S9— 733.) - Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir,
mit verwandten Schriftstücken ge»ammel1 und bearbeitet von F. v. Bezold.
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der nltfninzQSischen Dichtung. (Abhandlungen zur Geschichte der Me-
dUin S|. Breslau (VII, 147 S.) -- F. üae, Hislotre de l'hospice gtofra)
de Ronen (1^l02-1S^o). Rouen (331 p.)
I
II.
II. Ober die Herkunft der Kaufleute.
Es ist bisher im allgemeinen vermieden worden, die Her-
leunft der einzelnen Kaufleule näher zu bestimmen; sie wurden
nur schlechthin als Hansen oder als deutsche Kaufleule bezeichnet.
Es dürfte indes doch wohl von Interesse sein, den Kaufleuten
einmal nach Deulschtand und zwar in ihre engere Heimal zu folgen.
Denn wenn sie sich auch bisweilen eine ganz beträchtliche
Zeit hindurch in England aufhielten, so war ihr Verweilen da-
selbst stets als ein vorübergehendes anzusehen, ihren Wohnsitz
hatten sie alle in Deutschland.*) Hier waren sie Bürger, In Eng-
land nur Händler, die entweder die heimischen Erzeugnisse
oder die Produkte des Ostens vertrieben und dafür englische
Waren und englisches Qeld nach Hause brachten oder sich am
Zwischenhandel zwischen England und dem Festland beteiügten.
Kehrten sie aus England in ihre Vaterstadt zurflctt, dann ver-
lauschten sie den ölgetränkten Rock des Seefahrers und das un-
saubere Oewand des Handelsmannes, der selbst mit Hand anlegt
b«m Export von OiJtem und Waren, mit dem Mantel und der
Schaube des ehrsamen Borgers oder der reichen Amtstracht des
Ratsherrn und Bürgermeisters. Gewiß waren sie auch daheim
nicht untätig, aber hier war ihre Stellung mehr die eines großen
Handelsherrn, eines Großkaufmanns,*) der es verschmäht, in seiner
1) Ei kam natUrllrh vor, daß s.lc 9li:h tn Lnndan oArr In rlnri indrrrn >uill du
Börgerrechl tmiboi und öisclüit il«urnidcii Aiulcnth»» tuhnwn. Vel, Kunte, Huue-
iklm. S. XXV n.
*i Oamll totl nicht gcugt Min, daJI *ie alle Oraßlutiflealc In unterem Sinn gcvcicn
Wini VkI dir (n1|;rndr Sri<F Kan\. 1 Cbrr .OroOluuil«)' vgl. O. v. Bdov. Oroßhindlo und
KWnIhtnilIrr Iiti Jnilichrn .Miltdiltrf. Cnnrtdi Jahrbüchtr. 111. FolgF, IVOU, Stf. 70 ÜTCitl-
hindcl und Kleinhandel gthtn ilurchrlnindcl.
Archiv lOi Kttllurg«Klilchte. II. 17 "
Handlung die Dienste eines Knechtes zu verrichten. Drüben
freilich mag es ihnen nicht erspart worden sein. Doch gerade
durch Ihre Anstrengungen und ihre regsame Tätigkeit in der
Ferne erwarben sie sich jene Mittel, die ihnen daheim zugute
kamen. Den Reichtum nämlich, den sie aus ihren Handelsfahrten
gewannen, das Geld, das sie sich durch ihre Geldgeschäfte ver-
dienten, alles brachten sie in ihre Heimatsstädte. Denn wo waren
sie eigentlich her?
In den nordwestlichen Landschaften des deutschen Kaiser-
reiches, im Gebiet des Mittel- und Unterrheins und in dem Mün-
dungsbecken von Rhein, Maas und Scheide, etwa da, wo sich die
franken endgültig nledei^lassen hatten, und wo schon unter den
Karolingern der Sitz der Kultur war, entfaltete sich auch das
Städtewesen am frühesten in seiner Bedeutung. Während im
Innern Deutschlands, natürlich noch mehr im slawischen Osten,
ja seltist in den südlichen Teilen die sogen. Städte eigentlich nur
größere Dörfer waren, finden sich hier schon im 12. und in
großer Anzahl dann im 13. Jahrhundert völlig durchgebildete
Städte mit Stadtrecht, regster gewerblicher Tätigkeit und vor
allem mit ausgebildetem Handel und weitreichenden Handels-
beziehungen.
Gerade der Handel ist es, der der Stadt ihr eigentümliches
Gepräge verleiht; es sind Marktstädle; die Bürger werden schlecht-
hin als Kaufteule bezeichnet, wenn sie auch nach dem Einkaufen
so genannt sind, aber doch ist der Sta^nd der eigentlichen Kauf*
leute der einflußreichste und mächtigste in ihnen.*)
Unter diesen Städten werden nun bald wieder diejenigen
die bedeutendsten, die sich am frühester dem Handel im Großen')
zuwenden, da dadurch das Machtmittel der Stadt, das Geld, ihnen
im reichsten Maße zugeführt wird. Dieser Zufluß an Geld hat
einmal zur Folge, daß man der Verwaltung und Ordnung des
'] VbI. R. Schlüter. Lchrbuclj üct dcutsEticn Rechts gochiclite. 4. Aufl. 5. «ti IT.
hrt lUCh S. RiclMhtl, Markt und SUdt lu ihrem fwMlichcii VcrhiHni«. ISW. K. Mtber,
Entilchuns der VolluiclTUchilL i. Aun. ivol. S. I3SII.
>) Ich niAcht» TQr UMer«n Zcllrauin in[l .OniBhanilFJ* den fcnihtnüel . alw d«n
Hwidd In nCltirrKrlKhc- ndrrwdt mtfcml liegende Lindstiichc unil den Importhandri aus
aiaen bnrJchncn. Ali Kldnliaiidcl, •KnunhindFl-. wütde lich dinn der Hindtt crecbcn.
itei nur lür dir llrinrsUitaili unJ iJü) nächstll tuende platte Luid ifbclitl und Auf dincm
engen Qrblel dir dureh den Üralihind»! «injrtühfltn Waren und Prudukle itnieibt.
Geldgeschäfte hansischer Katifleute mit «flglisch«« Königen. 267
städtischen Finanz- und Münzweaens*) die größte Aufmerksamkeit
zuwendet, was derOeldwirtschaft zum Durchbruch verhilft. Ferner
hebt er den Gesamtwohlstand, und auf dieser vorzüglichen
materiellen Grundlage baute sich dann die reiche Kultur bei uns
auf, die ihren Abschluß fand in den Werken und Schöpfungen
der sogen. Renaissance.
Was hier im allgemeinen gesagt ist, das gilt im besonderen
von den flandrischen Städten, die in unserm Zeitraum — kulturell
wenigstens ^ ganz zu Deutschtand gehören. Welch ein reiches
Gewerbs- und damit Hand in Hand gehend, das eine das andere
befruchtend und fördernd, welch ein bedeutendes Handelsleben
pulsierte in ihren! Die Handelsbeziehungen mit den italienischen
Stadtstaaten, von da weiter mit dem Orient, der Verkehr mit
England und Norwegen und nicht zuletzt mit den Städten der
deutschen Hansa, die wiederum den Handel mit dem Osten und
Südosten Europas vermittelten, machten Flandern für eine ganze
Epoche zum Mittelpunkt des gesamten Handels im Abcndlande.*)
Die Folge davon ist eine herrliche geistige Kultur. Be-
sonders die bildenden KQnste haben hier eine wirkliche Heim-
stätte. Es braucht da nur erinnert zu werden an die Rat- und
Kaufhäuser und an die Tuchhallen gerade in diesen Städten, die
so beredtes Zeugnis ablegen von ihrem Kunstsinn wie von ihrem
Rdchtum.') Man möchte im Hinblick darauf beinahe den Grund-
satz aufstellen: .Geld schafft Kunst",*) denn soviel ist sicher,
erst wenn für des Lebens Nahrung und Notdurft gesorgt ist,
nur bei guter materieller Lage wendet sich das Interesse der
Kunst, zumal der bildenden Kunst zu.
")D*rir IwdieSUdivorblWIiehfürdMTenitorinm. Vgl 0. v. Bslow. D(e lUdtisdie
Vcrwillnni dci MiltcUKm alt Vorbild der tpäwtm TcrriloiijilvcrviltunK Cb« rininiVMtn
S. AH n.) HiitDtiäche ZeiUchiiH 7J. 5. JV6"«h>.
*) Die Bnlniltiita rianilrmi lür den ipllmlltcUlltrlichen Ucumlhandel im lu be-
kinnl, alt OaS r% nutli der HcIcuf (Urüi bedürft«.
") Vgl ««in Scliuli, Dciitwhn i^bcn Im XIV. u- XV. Jh. Lrfp/iit '«« 1. H»ltrt-
5.4(1. Ducltnl ■b^cbildct die Tvchliille von Vpcni. Mehr nrbaibci sd trrihat, daS fut
jede dicMT (iuiiliiichcTi Slldic ihren groBcti Maler hat: t» Ooil icinc beiden vui Eytia
(IW6-1440^ Briit»el den Rojct v»f« ärt tt'eydtn |i]S9-i«»), Biügge s*ii>ni Hugo van der
OoH (t<*>2). und bri QuFTitLn Mfiuyi (1490—15]«) sagt sdion tdn Beliume, «o er lebH:
ulJrr SrJinilrd mtv Aniwciprn- »irrt er geiuuinl. £j siiiil das Meiilct, die in der tleuuchoi
Kniuitgcidilchtc all batinbrcthend Rellca.
•I DJe Kimsl alw tin Kind des RcidiBitm. Ms Bcnl) tüi die«« S»ti teicii hcrtn-
ptDgm bes. die Handel*- und Oi:1drtid.U; lUkleai, ferner lii Deutidiluid : Käln, Augibur^
Närnbers und StnHbiirg.
17'
<
268
Qeors Qrosch.
Aus flanden nun stammen die Kaufleute, die, wie wir
fanden, zuerst von allen Deutschen Oeldgeschifte mit dem eng-
lischen König abgeschlossen lütten. Simon Saphir, Walter Sprok
und Boidin Lene werden ausdrücklich als Kauflcule aus Gent
bezeichnet;') Gerhard de Rodes, der mit ihnen genannt wird,
wird wohl auch ein FUndrer gewesen sein.
Unter Heinrich III. hatte es einmal ein Heinrich Lupus
mit der englischen Krone in Geldangelegenheiten zu tun;') er
war Kaufmann aus Groningen aus dem Lande des Kaisers,
seine Herlcunft weist also auf Köln. Denn dies war die Vor-
stadt für holländisch- westfälische Städte. Hier war es wohl auch,
WO er den englischen Abgesandten, die sich bekanntlich danim
bemühten, durch den Einfluß des Er^bischofs Engelbert von
Köln den Kaiser Friedrich ]\. für ein Bündnis mit England zu
gewinnen» die Gelder vorgestreckt hatte.
Köln, hinter dessen noch aus der Römerzeit herrührenden
Mauern das ganze frühere Mittelalter hindurch eine verhältnis-
mäßig große Menge Menschen Wohnung gefunden, das als Sitz
eines Erzbischofs und mehrerer Äbte und Prülaten schon fröh-
zeitig in der deutschen Geschichte eine große Bedeutung erlangt
halte, ist eine der ersten wirklich durchgebildeten Stfldte. Hier und
in Worms regte sich ja auch das Bürgertum zum ersten Male; im
Kampf« mit dem Episkopat ward es sich seiner Kraft erst eigentlich
bewußt.') Diesen Frühlingsstürmen des Jahres 1074 folgten noch
manche Kämpfe, bis die Kölner sich ihre Unabhängigkeit vom
Erzbischof erstritten hatten, und auch damit war in die nun-
mehrige Freistadt die Ruhe noch nicht eingekehrt*) Aber diese
Kämpfe waren mehr ein Zeichen des Aufschwungs als des
Sinkens stadt kölnisch er Macht, v^-enn es natürlich für das Ge-
deihen der Stadt erspricßliclier gewesen wäre, wären ihr diese
wilden Gärungen erspart worden.*)
C
t] siehe obai & <n, Anm. t.
t Vg\. Obta S. )tt. Ob et lur K«1nK tlanu a^hfin hat, wird nicht scsagt.
*) Liniptrtl Mtiulf« tM. MollJer-rmtw. Anno lOH Apr. 3u; füiWurnn illtVcnnibuiis
Adilbcrti ton Nov. Ci .Vlon. Ormn. bUl CKui. rl Upt. IS»j S. IIB It. u S iftr
«I Vbü. K. Httel SUdtt und Qtldctt der tcrminliclwi VOIkcr Im MItttUllei. 3 Bdc
ia»l. II. Bd. & 30 tl. Kfrla.
■) Vgl ebat S. HS, Ann. *.
Geldgeschäfte hansisdiei- Kaufleute mit otglisclien Königen. 269
För den Oesannihandcl freilich hatte Köln niemals die Be-
jng wie die flandrischen Städte,') aber im Westen und
Nordu'e&len Deutschlands besaß es unbedingt den Vorrang im
Handel noch über das 13. Jh. hinaus. Vielleicht ist es geradfe
sein Beispiel ge\^'esen, das diese Landschaften dem Handel eist
zuführte. Jedenfalls aber ist Köln für Geldern mit Holland*) so-
wohl wie für Westfalen unbedingt die Vorstadt. Besonders die
westfälischen Städte, wie Dortmund, Münster, die schon friih-
zeitig dem Großhandel sich zuwandten, und die wir um die
Mitte des 1 3. Jahrhunderts schon recht zahlreich durch ihre An-
gehörigen in England vertreten finden,') hatten ursprünglich wohl
nur über Köln gehandelt Erst als Lübeck im 13. Jh. das Ost-
seebecken dem Handel erschloß, befuhren sie auch diese Handels-
straßen.
Obwohl nun der Kölner Handel zur Zeit Eduards 111.
gewiß noch auf seiner alten Höhe stand und die Kölner Kauf-
Icute überall begegnen, haben sich an den Geldgeschäften mit
Eduard IM. doch nur wenige Kölner beteiligt.
Da tsl zunächst Konrad von Afflen zu nennen, der einer
alteingesessenen Kölner Kaiitmarnisfamilie entstammte, welche
schon lange Handel nach England trieb. Schon am 20. Juli 13tl
werden neben anderen Kölner Kaufleuten Albert, Johann und
Tidemami von Afflen in einer Urkunde Eduards II. erwähnt*)
Konrad selbst erscheint zum ersten Male erwähnt 1327; am
4. Juni 1327 nämlich erhält er und Godckin von Rcvclc von
Eduard Hl. einen Schutzbrief ausgestellt, irsofern sie gesetzmäßig
Handel treiben und die schuldigen Abgaben zahlen."*) Durch
diesen Qodekin von Revele mag er zur Teilnahme an den Geld-
geschäften bewogen worden sein.
Die Revele (Reval, RevJl, RevJe) — ein Name, der in
dieser Zeil unter den hansischen Kaufleuten einen guten Klang
'i Di.riii itt Köln den flaii[lriu!h«n Stidtcn bnondcn ninlich, difi n eine HelmiUlte
dnindier Kiinii M. Mei«ler *lt W/nrfch vmi Wewi (um 1401)) und SWphan Lodiner
jIMt-ltSI jeine BlCtcieil) bridttm öle Kölner Kunsl zii hohem Aiiulien.
*i Vit. oben S. IM und die Cinlcllune S. IZ3.
1 Vel, a, I. Dorlniundcc (.'rkun den buch, tKarbrltct von Kjrl RDb«! I. (M. I. Nr.
)«; (etriT loJ; Vdimit vom. Juni IMI. iManslichra Urkundcnliuch 1. 90i.) Unlcr den T
Kmllnilcn. die lüi die ilcutiEhc Hinu den Vcrtciiii unten ciclinciii tinden licli i »a» Oortmiuid.
•) HuiiiKlin Uikuaümbuch II, Nr, iM.
^ Kuue. Iluix^len, n.
I
GeorE Oiosch.
I
hat — waren reich« kölnische Kaufherren und Bürger. Sie
stifteten daselbst 131 1 das noch besiehende AilerheiligenhospiUl,
aber die Mitglieder der Familie blieben nicht ille in Köln; viel-
leicht infolge der regen Beziehungen oder auch durch Heirat
verbreiteten sie sich in den andern hansischen Städten. Im
14. Jh. sind sie in Dortmund vertreten, ein Johannes de Revele
Vommt 1332 als Bürger von Soest vor;') 13 tS wird ein Otto
von Revele ah Bürger von Bremen erwähnt,*) und am 26. Juni
tj49 verwenden sich Bürgermeister, Schöffen und Rat von
Brügge bei Eduard 11. für ihren Mitbürger Winand von Revele,
dessen Schiff .Sainte Marie», Kapitän Jchans \x Vos von Sluys,
in London unter Arrest gelegt ist,*)
In England werden schon in den Ausfuhrlisten von Boston
V. J. 1303') mehrere Revele, dann 1308 ein Heinrich und ein
Cäsar von Revele erwähnt Diese und andere Kaufleutc waren
auf einer Handelsfahrt von Canterbury nach London mit Waren
im Betrage von 860 £ auf offener Heerstraße überfallen worden;
Eduard IL befahl darum am 20. Juli 1308 die unverzügliche
Untersuchung dieses Raub- und Mordanfalls. °) Am 28. April
1313 wird das zu Lynn fälschlicherweise arreslierte Schiff -La
Kalelyne», welches den Esterlingen Ludebrecht von Revele und
Johann von Brandenburg gehörte, freigegeben;*) aus solchen Tat-
sachen koinmt man immer wieder zu dem Schlult, daß der
Aufenthalt in England für die Fremden doch mit mannigfacher
Gefahr verknüpft war.
An den Geldgeschäften beteiligt erscheinen Alwin von Revele,
Heinrich von Revele der Jüngere, Konrad von Revele und der
schon erwähnte Godekin von Revele. Aber infolge der weiten
Verbreitung der Familie ist es schwer, den Wohnsitz jedes
einzelnen auszuforschen, werden doch außer den genannten noch
Alwin der Jüngere, Franko, Oerolf, Gottfried, Heinrich und
') H«nsiKhra Urkundmbueh, III, S. »TS, Ann. t.
^ M«n»lichfs Urkundaibadi II, Nr. 3>r.
■) Kumt, HknMBktni. 141.
4) Kiinir, I1«ii»nliim, Sil.
*) Hiniltchn Urlnindmbiith ]l, IM.
■
Oeldgeschätte hansischer Kauflnite mit englischen Königen. 27 J
Tideman von Revele erwähnt, teils als Kaufleute in den Nieder*
landen, teils in England.
Selbst bei dem vielgenannten Tideman von Limberg (Lym-
berghe, Lemberghe) ist nur soviel sicher, daß seine Familie aus
Dortmund stammt. 1297 bekundet nämlich Dortmund an Lübeck,
daB der lübische Bürger Johannes von Limburg guter und
rechtmäßiger Abkunft sei,*) und in einem Verzeichnis der neu
aufgenommenen Bürger zu Dortmund aus den Jahren 1 298 - 1 300
wird ein TiJemannus de Lemberge erwähnt.*) Der Tydcman
de Lymbergh, der 1277 eine Ausfuhrlizenz von 60 Sack Wolle
aus Boston erhält,') ist vielleicht mit ihm identisch. Ob nun
unser Tideman von dem nach Lübeck verzogenen oder von dem
in Dortmund ansässig gebliebenen Limberg abstammt, ist nicht
zu ermitteln; bei seinem fast ständigen Aufenthalt in England
geschieht seiner eben in der Heimatsstadt keine Erwähnung- Er
scheint sich mit dem Gedanken getragen zu haben, überhaupt in
England zu bleiben; wenigstens deutet der Umstand darauf hin,
daß er sich vom König Eduard 111. so ausgedehnten Grund-
besitz anweisen läßt.') Doch diese Absicht wird vereitelt durch
die Mordtat, in die er verwickelt wird, vielleicht selbst anstiftet;
er muß England verlassen, um rieht dem Strafrichler zu verfallen,
und mit diesem traurigen Abgang verschwindet er völlig aus der
Geschichte, nirgends geschieht seiner mehr Erwähnung.
Anders ist es mit einem Rotger Limberg, der am 22. Nov.
1342 in England genannt wird;') das ist wohl derselbe, der
1364 im Dortmunder Rat sitzt*) Dieser genießt also die Früchte
I «einer Tätigkeit, und während das Lebensende seines viel be-
I dculenderen Namensbruders völlig in Dunkel gehüllt ist, wird
I er Ratsherr, erreicht also das Ziel, was einem jeden Kaufmann
I der damaligen Zeit als höchstes vorschwebte: dem Rate der
I Stadt anzugehören. Denn wenn man nicht zu den alteingesessenen
I Patrizierfamilien gehörte, da war es recht schwer, «ratsßhig" zu
■) Dotlmandn Urkmidentmch i. Bd, T, Mt,
*) Eliendi 97».
^ Kunit, Manxaklcn. 36).
*) V|[I ob«i S 16S.
*] HarulKtics Urlnindtnbudi II, tib.
*) Dortmunda Urkundcnbuch i . Bd II, S. «lO.
272
Georg GrOGCh.
werden; man mußte iich schon ein recht bedculendcs Vermögen
erwerben, bis man von den andern Patriziern als berechtigt er-
achtet wurde, im Rate der Stadt zu sitzen.
Zwei solche alte Patrizierfamilien Dortmunds sind die der
Sudermann und der Klipping.
Die Sudermann sind eine recht alte und vornehme ..Rab-
famjlie" in Dortmund. Schon im Ratsverzeichnis von 1230
wird ein Walbertus Sudermann genannt,») und im Ratsventeichnis
von 1239 enichcinl ein Engelbert derselben Familie.*) 1275
taucht dann schon ein Hilbrandus Sudermann als Ratsherr auf;*)
am 3. August 1278 wird ein Schriftstück von i.. . . . W. de Is-
peLincrode, Waltero de Reclinchusen, H. Sudermann consulibus
exislentibus' unterzeichne!,*) und 1287 und i289 ist Hille-
brandus Sudermann immer noch Ratsherr.') 1294 erscheint ein
Berlraramus Sudermann in der gleichen Eigenschaft*}
In der Folgezeit stößt man am häurigsten auf den Namen
Hildebrand Sudermann; auf Grund der vorliegenden Urkunden
ist CS möglich, drei Träger dieses Namens zu unterscheiden, die
wir freilich im Auslande, denn wie es scheint, haben sich alle
drei im Qroßbandel betätigt, nicht eben so leicht bezeichnen
können, da ihnen in der Fremde die nähere Bezeichnung fehlt.
Der oben erwähnte Ratsherr, also der älteste Hildebrand
hat in einer Bürgschaft von 1306 den Beinamen Hmaior",') im
Gegensalz zu einem 1303 aufgeführten Hildebrandus iunior;")
dieser ist es wohl, der in einem Ratsverzeichnis von 13i2 ein-
fach wieder als Hildebrandus vermerkt wird; der ältere war in-
zwischen wohl vcrstorbcT). Als seine Brüder werden genannt
Johannes') und Arnold Sudermann."*) Einen Hildebrand Suder-
mann iunior finden wir dann wieder 1322;") zu gleicher Zeit
I) tJotHnunder Urkundenbudi 1. Bd, (, Nr. W.
^ Ebtndi Nr. ift.
ff Eboidi Nr. 149.
*j ElMnda Nr. 1(3.
>') Ebnda Nr. I» u. IM.
f) Ebenda Mr. 340,
1 Difnd* Ni. 104.
^ Ebmda Nr. »I.
<i EboKU Nr. 136.
«) Ebenda Nr. m.
)t] DorüBundct UrkundcnbiKh i. Bd. IL & Mf.
I
credieint auch ein Johannes iunior.') Außerdem werden in den
viemger Jahren noch erwithnt ein Konrad, Heinrich und ein
Hannekin und zwar in England, wo im Jahre 1408 dann wieder
ein HildebraTid Suderma.nn als Kaufmann weitt.*)
Der Name HiLdebrand Sudcrmann erscheint auch in den
Urkunden am häufigsten, die sich speziell auf den Handel be-
ziehen. So wird 1304 ein Bürgschaftsbrief für Hiidebrand
Sudcrmann »ad comiteni Jacobum de Norwegia" ausgestelU. ■)
Die Fahrt nach Norwegen fiel für ihn aber recht schlecht aus,
denn am 10. Juli 1307 befiehlt Eduard I. den Baillifs des Bischofs
von Norwich zu Lynn die Freigebung des bei dem Kaufmann Selone
Süsse von Qotland arrcstierten 7910 Pfund Kupfer (auf 80 £
geschätzt), welche mit arderen Waren den deutschen Kaufleuten
Hildebrand von Neuenhof') und Hildebrand Sudermann durch
norwegische Seeräuber weggenommen worden waren, gegen die
sichere Zusage Setone, dem König und den beiden Kaufleuten
genug zu tun.*)
Eduard Tl. nimmt dann am 19. April 1324 einen Hilde-
brand Sudermann in Schutz;*) dies mag der nunmehrige jüngere
sein, denn der ältere hatte sich wohl vom Handel zurückgezogen,
finden wir ihn doch schon 1312 auf Ui3 als Ratsherrn in
Dortmund. Ais dann König Eduard II. gefangen gesetzt wird,
erklären Mayor, Aldermäntier und Gemeinheit von London am
16. Nov. 1326') in einem an die Königin Isabella von England
und den zum Reichsverweser ■) ernannten Prinzen Eduard
gerichteten Schreiben, daß sie trotz der besonderen Empfehlung
dem Hildebrand Sudcrmann den Aufenthalt in Engtand nicht
gestatten können, weil er för einen Verräter zu halten sei. Aber
schon am 12. Febr. 1327 erhält dann Hildebrand Sudcrmann
einen Qeleitbrief von Eduard III. ;°) dies ist nun der Hildebrand,
■) Dartmund« Utkundcnbudi i. Dd. II, S. «0«.
^ Kunie, HuMikicn, JOS.
»I HaiulKlin Uikundcnbudi II. Nr. 4». Ann, 1.
•> De nov* Cnri'. ludi ■■» Dortmuni].
•) HuislKhcs UrkuniScnbiich II, Mr. 1 10.
^ Xunic, HanKsUten, li.
I) KMislsdin Urkundcnbudi II. Hr. 453 h. Ann. ), Hl. 4M.
•] H. I^ull. Onchtcliiic von rnglind IV, 197.
*i Kuiue, MuiKdktcn, SV.
Georg Oiosch,
der in den vierziger Jahren eine so bedeutende Rolle im Handels-
leben spielt und eine hervorfagende Stellung unter den Hangen
einnimmt Denn wenn er sich auch wenig an den Geldgeschiften
der hansischen Kaufleuie mit Eduard II!. beteiligt, so dürfen wir
seine Bedeutung für die damalige Zeit nicht unterschätzen.
In erster Linie Großkaufmann, hat er sein Kapital lieber für den
Handel als zu Geldgeschäften verwandt. Aber auch diesen
zeigte er sich nicht abgeneigt. So slreckte er mit seinem Bruder
Johannes am 20. Sept 1344 dem Herzog Rainald III. von Geldern
die Summe von 34000 kleinen Quiden vor, wofür Amheim die
Bürgschaft übernahm,*) ein Beweis für die Kapitalkraft der
Famlie Sudermann.
In Dortmund und in England werden noch verschiedene
dieses Namens genannt. Zur selben Zeit ist ein Verwandter
von ihnen, Heinrich Sudermann aus Dortmund, Ratsherr in
Krakau.') Ein Heinrich Siidermann von Dortmund wird 1326
in die deutsche Nation der Universität Bologna aufgenommen, —
er wurde später Archidiakon zu Lütlich, war Dr. tun utr. und
eques auralus - und ^$2^ wurde ein Bertram Sudennann an
derselben Universität immatrikuliert.*)
Zu Anfang des 15. Jhs. lassen sich mehrere dieser Familie
in Köln nieder.*) 1411 wanderte ein Heinrich Sudermann in
Köln ein; ein Johann Sudcrmarn aus Dortmund erhielt t4i5
das Bürgerrecht; im Jahre 1444 wurde derselbe in den Rat
gewählt, nachdem er 1421 schon unter die Münzerhausgvnossen
aufgenommen worden war. U85j 1502, 150S und 1S21 finden
wir andere Mitglieder dieser Familie im Kölner RaL Ein Her-
mann Sudennann wurde 1541 Oebrechsherr und dann zum
Bürgermeister gewählt; bis zu seinem Tode iS72 versah er jedes-
mal nach Ablauf des dreijährigen Turnus dieses hohe Ehrenamt.
Er war vennählt mit der Ursula Huype; aus dieser Ehe ging
der hansische Syndikus Heinrich Sudermann hervor.
M Hintiich«* Urkundtnbuch 11, Anh. 1, Nr. K.
*) HaniiicliM Urkundnibiich II, Nr. *S9. Anm. I.
»1 Kunt*, Hain««lil<Ti, T5. Anm. ?.
*) Vgl. Lronhaid £nnm, Dtr himiKhr Sjndikni Krinricli Sodcnaann uw KSa.
FIxutKhe nm-hichtmuun. JBhre. ieta, S. ii.
^
3
Ocldgescliäite hansischer Kaufleute niil englisdien Königen. 27S
Der BertMiin Sudermann, der 1327 das akademische Bürger-
recht der Universität Bologna erwarb und später deshalb den
BeinaniCT clericus führt, ging nach Beendigung seiner Studien
nach Dorlmund zurück. 1332 ist er in einer wichtigen Mission
t2tig, er ist nämüch mit Hermann Klipping als Abgesandter des
Rates von Dortmund beim Kaiser Ludwig IV. zu Nürnberg;
sie erreichen ihr Ziel, wie es scheint, vollständig, denn am
25. August erwirken sie vom Kaiser verschiedene Erlasse zu-
gunsten ihrer Vaterstadt. Einmal fordert der Kaiser nämlich den
Grafen Ludwig IL von Flandern auf, den Kaufleuten aus Deutsch-
land ihre Privilegien zu erneuern und insbesondere den Bewohnern
Dortmunds seinen Schutz angedeihen zu lassen;') femer empfiehlt
er dem Grafen Wilhelm von Holland, Seeland und Hennegau
die Stadt Dortmund und bittet ihn, diese Stadt und ihre Bürger
in seinen besonderen Schutz m nehmen.*) Das dritte Privileg,
das er den Dortmundern *in Anerkennung ihrer vortrefflichen
Haltung" erteilt, ist für die Stadt von besonderer Wichtigkeit,
denn es werden nicht nur alle früheren der Stadt zugebilligten
Vorrechte bestätigt, sondern auch noch neue gewährt.")
in dieser letzten Bulle Ludwigs IV. waren die vier Artikel Ober
die Ratswahl nicht enthalten gewesen; diese waren in Dortmund
erst nachträglich hinzugefügt worden, ein Verfahren, das in der
Stadt viel böses Blut erregt hatte. Denn am 5- Mai richtet, um
die beiden Geschäftsträger zu enliastcn, Ludwig IV. ein langes
Schreiben an Dortmund.*) »Bertram Sudermann", heißt es darin,
.habe ihm eine Abschrift der den Dortmundern erteilten Bulle
zur nochmaligen Bestätigung vorgelegt, weil in der ersten vier
Artikel vergessen worden seien. Er habe dem Wunsche Bertrams
entsprochen; sie sollten sich darum streng an die Bulle halten,
und den Bertram Sudermann und den Hermann Klipping nicht
weiter wegen der vier Artikel über die Rat&wahl anklagen und
verdächtigen." Zum Schlüsse läÜt der Kaiser ausführen, ..daß
das Geld, welches er empfangen habe, ihn keineswegs für Dort-
■>KinslichM UilnindtntittchII.Nr.nl. DorUnandrr Ucknmlentnicli, i. B«LI. Nr.4W.
)) £bciii]i Nr. 487
■) Dwndi N(. 48».
«} CbcnCiA Nr. 4»«.
276
Georg Orosctl.
mund verpflichte, sondern nur die Buße fQr vergangene Ver-
brechen sei. ^)
Also auch in Dortmund wie in den andern Reichsstädten*)
in dieser Zeil haben einige Ratsgcschtechter die Diklatur über
die ganze Stadt, zumal da sie mit Hilfe ihres Geldes vom Kaiser
alles erwirken können. Die in Innungen und Zünfte gegliederte
Handwerker^chalt hat am Regiment der Stadl keinen Anteil, bis
sie durch die bekannten Zunftrevolutionen (in Speyer schon
1304, in Mainz 1329, Strasburg 1332 usw.) gewaltsam den Ein-
tritt in den Rat erzwingt Bis dahin waren nur die Geschlechter
ratsfähig, an deren Spitze in Dortmund die Sudermann und die
Klipping stehen.
Die Klipping (Cleppyng, CÜppinge, Knipping) stammen
wohl aus Läbeck, denn am 18. März 1275 erteilt Eduard I. dem
Johann Klipping, einem lijbischen Kaulmarn, einen Geleilsbrief,*)
wem er niclit etwa bloß deshalb „von Lübeck" genannt wird,
weil er ober Lübeck Handel trieb. Ein Helmingus Clipping
föhrt in den Jahren 1286 und 1287 aus Lyon 20 Sack 4 Stein
Wolle aus.*)
Im Dortmunder Rate sitzen sie zum ersten Male 131 1,
aber von da ab sehr häufig. Am nieisten begegnet der Name
Konrad Klipping. 1312 sitzt er im Rate; 1316 verbürgt er sich
ffir Briefe nach Riga und Lübeck; 1319 ist er wieder im Rate,
1320 erscheint er als senior, 133S als -Conrad Clepping dcy
alle im rate", und fortan wird er steb als der ältere bezeichnet,
so 1336, 1342 usw. Neben ihm erscheint ein iunior 1335, der
1344 als Ratsherr erwähnt wird.') Dieser ist vemiutlich der
bekannte Kompagnon der Dreizehn, der sich auch sonst um
Eduard 111. sehr verdient machte. Auf das angelegentlichste emp-
fiehlt ihn deshalb der englische König am 28. Juni 1341 seinen
Untertanen, da er ihm bereitwillig und oft „absque cuiusqu«
1) . . . Novcrltlt cllatR. mileitiKtn nain«m i>ccunl*ni nobl* datain non ptosritU
vobii fatt«. Mtl tuplom pto tnnctiril* conin linccHUInn nontnin pfrprtiatli cxnnitiiu
(Mtreplfu.
*\ Z. B. siiiiiir«R8 In K&ln; .In den Rllra dcrSbdt «iclinderRIchH-itchc hnruhtnl
dit QctrtilechlFr. Selbil die Korpoimtiäti«! der OfftzJaln In Oen Parachln Khlostoi «iA
Im I«. Jh. tri tlo krall Kh ipgrtt dir uciinifcrv BKiitrkliMC tb.* K. Hcgti a a. O. S. Mt
*) Kvntr. Manwaklen. i Wirdrttiolt 11T6. Nor. Ifi. Ebenda 4.
*) Eboidi Nr. 3Ö7,
■) DDrlmund«! Urkutidetibudi. 1. fid. 11, 5. 4M.
Geldgeschäfte hansischer KAufleute mit englischen KCaigeo. 277
cupidilalis seu rniqtiitatis scrupulo* unterstützt habe. *) Auch der
Burggraf Dietrich von Seeland verleiht allen Dortmundern um
der Dienste willen, die ihm ihr Mitbürger Konrad Klipping
geleistet, sicheres Geleit in seiner Herrschaft zu jeder ZeiL")
In England ist die Familie außerdem vertreten durch
Hermann, Detmar, und Albert Klipping (1320),») Siwert Klip-
ping (1326)/) und dann zu Beginn der vierziger Jahre durch
Johann Klipping, den Enkel Korrads (des älteren), und Oott-
schalk Klipping. Detmar Klipping ist Ralshcrr zu Dortmund im
Jahre 1 347 ; hier läßt sich die Mehrzahl der genannten nachweisen.
Eine Dortmunder Ratsfamilie sind auch die Ariest,') deren
lilestcr Vertreter im Rate Lutbertus de Ergiste (1278) ist In
England treiben sie etwa zur selben Zeit Handel; schon in den
Zolllistcn von 1277 werden mehrere erwähnt/) und den be-
kannten Vertrag vom Juni 1282') unterzeichnet ein Johannes
de Ercste mit.
Dortmunder Kaufmanns- und (^tsfamilien") sind femer die
Brakel oder Brakene, die WaJe, Fcmol, Koning oder Rex und
die Smythusen; diese sehen wir gewissermaßen einziehen in die
Reichsstadt Dortmund, denn 1295 gestattet der Rat gegen eine
Summe Geldes den Brüdern Qerwin und Constanlin Stnylhusen,
erbliche Güter im Bezirke der Stadt zu besitzen;^) femer die
Beresword oder »Area Apri» und die Ispelincrode. Audi sie
Bind schon altangesessene Geschlechter, dagegen ist Heinrich
Muddepenyng ein einfacher Dortmunder Bürger.
Vielleicht gehören auch die Spissenaghel (Spicenayl), in
England vertreten 1308 durch Franz, Hartlcf undWoland"*) und
13-10 durch Siegfried und Zenard, nach Dortmund,") da auch
>] Hanritdics Urlmndmliach II. Nr. tlU Ann. 1.
•i ebenda Nr, 6]i ri>n i}tt, Juni S.
*) Ebtnlla Nr. J7I.
<) Fbtnda Nr, i*i.
•) Donniiinilcr lIitiunilrnliDicIi, 1. tM It, S. lOft lit dne ZnuirnnmilclIutiE dlocr
Punilloi votKOiDinnicn. ik aber nicht voIliUll'dlg llt.
*) KaiiM, Hanwikien, ai.
0 HwitiKlio Vrkundenbuch I, Nr. H>.
*j Vgl, die ZtUAmniniUcMunc im DorlTiiundcr UrlrnndrnbucK, ). Bd. II, «HIT.
1 Oorlniundcr Ut künden buch, <. Bd. I. Ni. Hi.
»I Hamixim Utkundntbudi It, Nr, t».
U] Albtrl SplttciMitd tm Roiiock : Hi,niiKhn Urkundoibuch. I, Nr. m. In UniflaiKt
IM«: Kunic, lluiK*hlen. ie>. Höhlbuim «tJtl diac ramlllc ntcb Roitock,
Georg Qrosch.
hier Träger dieses Namens vorkommet!. In England erscheinen
die Spissenaghel stets in Verbindung mit Dortmundern, was doch
sehr dafür zu sprechen scheint, daß die in England Handel
Ireibenden Spissenaghel aus Dortmund stammen.
Johann atte Wolde endlich, der engere Genosse Tideman
von Limbcrgs - eine Urkunde vom 6. Nov. 1351 erwähnt ihn
als verstorben') - scheint in Wipperfürth dahcini zu sein.
Wenigstens ist sein Bruder Tirus 1344 dort ansässig.*) Aller-
dings wird auch in einer Beschwerdeschrift Wismars über die
seinen Bürgern vom Crafen Johann IH. von Holstein zugefügten
Unbilden - vom 30. Nov. 1342 — ein Thidekinus de Wolde
erwähnt,") aber irgend welche Beziehungen zwischen ihm und
den Brüdern alte Wolde lassen sich nicht nachweisen. Damit
ist nahirlich nicht gesagt, daß solche nicht bestanden hätten.
Wie die Sudermann und die Revele in Dortmund und Köln
und anderen Hansastädten miteinander verwandt sind, so können
sehr wohl auch diese Wolde derselben Pamihe angehören.
Die weniger genannten Kaufleute, wie Hertwin von Beck,
Wessel von Berg und andere werden wohl denselben Städten
wie die bisher genannten entstammen, nämlich Köln und den
Städten um Köln : der Kölner Hansa möchte man in Erinnerung
an die frühere Zeit sagen. So kommen wir also zu dem Schlüsse,
daß diejenigen deutschen Kaufleute, die am längsten in England
Handel treiben, sich zuerst mit Geldgeschäften im Großen be-
fassen, die Flandrer zunächst und dann die Kaufleute von der
alten kölnischen Hansa. Diese spe2iell gewähren nach dem Zu-
sammenbruch der Florentiner Banksozietäten dem König Eduard III.
die für die Fortführung des Krieges nötigen Darlehen.
Sie haben sich also ihren allen Vorrang vor den andern
hansischen Kaufleuten in England wenigstens auf geschäftlichem
Gebiete behauptet Denn die Basis für ihre finanziellen Unter-
nehmungen war und blieb ihr Handel. Aus diesem zogen sie
die Gelder, die sie Eduard 111. vorstreckten, und Leute, die solche
Summen ausleihen konnten, mußten doch ein ganz betiächtUdies
11 KuilKhn Urlninddibucti. It. Anh. I. Hr. 101.
)} Knnic, Itinsokten. U1. Anin. Z.
t) Huiiiichn Urkundtnbucii, It, Nr. I».
Qddgeschäft« }iansjscher Kaufleutc mit englischen Königen. 279
Kapital im Großhandel stecken haben, was uns ganz wohl zu
dem Schluß berechtigt, daß sie die andern hansischen Kaiifleute,
ihre Genossen von der gemeinsamen Hansa, weit überragen.
Zugleich ist die Tatsache, daß sie Geldgeschäfte solch großen
Stiles zu unternehmen wagten, ein Beweis dafür, daß sie auch
in geistiger Beziehung hervorragend waren. Es setzt dies für
die damalige Zeit eine immense Kenntnis und eine Weite des
Blickes voraus, wie man es nur bei KaufleuCen finden konnte,
die einer langen Tradition folgend völlig auf der Höhe ihrer
Zeit standen.
Freilich waren sie tn erster Linie eben Kaufleute, die Kredit-
geschäfte betrieben sie mehr nebenbei. Sie hatten gemerkt, daß
die Italiener durch die finanziellen Operationen bedeutenden Ge-
winn gehabt hatlen, darum waren auch sie an die Geldgescliäfte
herangetreten, indes mehr, um ihren Handel zu fördern. Der
von ihnen finanziell vollständig abhängige König mußte ihnen,
denen ja die sämtlichen Woll- und andere Zölle verpfändet
waren, Ausfuhrlizenzen bis zu jeder beliebigen Höhe gewähren.
Nur Tideman von Limberg macht darin eine Ausnahme;
er ist kein Warenhändler mehr, und wie die Kölner Hansen die
andern übertrafen, so erhob sieh dieser gewaltige Mensch, seiner
Zeit schon vorausgeeilt, weit über die durchaus nicht unbe-
deutenden Genossen.
III. Das Wesen der Anleihea.')
Das spätere Mittelalter charakterisiert sich vornehmlich da-
durch, daß im Gegensatz zu der vorauf gehenden Periode, die
sich als eine der Naturalwirtschaft darstellt,*) die Geldwirtechaft
zum Durchbruch kommt.
)) Anleihe iit kla nichl im mod^nlM rMhnl^chcn Sinn von StutMnIeihi gebraucht:
tx sind älmil bnclchnrt die Anleihen, dir die tngl Ischen KAnige bei den Manten luCiuhntol;
d*& di»c mehr priviirechdichct Nalur vtmt. Tird spilcr noch Jussctührt AuB« der
noch £u crrihncndcn Lilciilur tg\ : W . Rosther, Syitcm der Valks«in^luft, Bd IV, 4, Avil.
18«*, SiHS'f O C«hn, Syslem dM NalionnIAkrtnomie, Bd. II, IBB-). S. 6T0 t[ K- Th Eh^
berj. FinuiivitsenKhan, «Aufl. IMI. S. wnfl. Pwitm- die ARIkd ..Anleibw und .SMjüi-
KhalOni* im ■HindaOrKrbuch der Slunwisscnschiften*
■) Ihr« Höhe arrlchuie In Deululilinü riiilderDurdi(ühiunB(?D. R(i].)dFi .Cipits*
Ure de vlllis vd curlis Imperil.* Vg], K Q«tti(, Die LtnltratcrDTilnuns KalMT KatIb de»
Ctoficn, Berlin <I9S. Cinldtuns- Es kann Ha nicht n^cf duaul cingcsuitcen wttdcu-
OcoTE OnKch.
Es i&t schon ein leitungsweise ausgeführt worden, und es
wurde im Verlaufe der Darsiellung immer von neuem darauf
hingewiesen, daS die Entstehung der Slädtc diese Entwicklung
im Gefolge hatte. Infolge des zunehmenden Handelslebens in
ihnen wurde das Geld der allgemeine Wertmesser; nach dem
Oeldbesit2 in des Wortes weitester Bedeutung, nicht mehr nach
Onindbesitz wurde der Reichtum des einzelnen bemessen ; die
noch aus dem vorigen Zeitraum herrührenden Naturalabgaben
wurden alimählich in Qeldzinse umgeifandeU, indem zunächst
der Betrag in Geld fixiert und dann gewöhnlich auch bezahlt
wurde; ferner erhob die Stadt von Anfang an für ihre Bedürf-
nisse Oeldsteuern, denn die Überschüsse aus den stidtischen
Anstalten, das Bürgergeld, die Oerichtsgefälle, Erbschaftssteuer,
femer die direkten und die indirekten Steuern, Schoß und Accise,
ailes waren Qeldabgabcn und Geldsteuem.
So geht Stadtwirtschaft und Oeldwi rischaft Hand in Hand,
wie bis dahin Hof- oder Dorfwirtschaft und Naturalwirtschaft
nebeneinander hergegangen waren.
Die Geld wirtschaff blieb natürlich nicht auf die Stadt be-
schränkt; auch für die weiteren Verbände,') für das Territorium —
die Reichsstädte sind ja schon als Territorien anzusehen — und
den Staat bestand nun der Finanzbedarf in Geldbedarf, auch an
den Staat mußten alle Leishmgen und Steuern in Geld entrichtet
werden.
Daneben entwickelte sich das Kreditwesen,*) dem Geld-
wesen gewissermaßen als der negative Pol gegenöberslehend.
Da man nunmehr überall Ocld brauchte^ stellte sich von selbst
zuweilen Geldmangel ein, und der vorhandenen Nachfrage nach
Qeld mußte genügt werden, So gaben diejenigen Geld leih-
weise her, die entweder welches übrig hatten, das sie nirgends
anders verwenden konnten, oder die eben mit ihrem Gdde
Geschäfte machen wollten: die berufsmäßigen Gcldlcther traten
in Aktion. Hatte man vordem entstandenen Schwierigkeiten durch
Verpfändung von Grundbesitz oder der Bezüge daraus abgeholfen,
>] Vgl. Adolph Vaencr, rinminiunKtitlt, lUO-M. I. Tdl, % 9*.
f) Vom Krtdil »*iil O. COhn a. i O; .Der Ktfild iit cinf Fracht dn Ißrttchreittiideti
Knllur; er iitdn NtcderKhta||d<r*l111icl>«nAtni(»pluÜT elpcs Volkes und Z<itnlt«r», vclchn-
dct Olicrlrtjiuiig ran Kf^lalnutiun)^ dirastbkr gtmacht vird.*
I
J
Geldgeschäfte hansischer Kaufleule mit englischen Königen. 2&1
SO beseitigte man dieselben jetzt dadurch, daß man sich eine
Summe Geldes borgte oder im Großen Anleihen aufnahm, was
rechtlich natürlich in der damaligen Zeit dasselbe war.
Wieder sind es die Städte, die zuerst zu solchen Anleihen
im Großen schreiten, zunächst, schon im 12. und 13. Jh., die
italienischen Stadtstaaten, dann — im 14. und 15. Jh. — auch
die deutschen Städte.*) Bei ihnen sind Schulden, und zwar
häufig sehr hohe Schulden, bald eine gewohnte Erscheinung;
schon in der zweiten Hälfte des 14. Jh. (in Basel zuerst 1 365 - 66)
kommt die Anleihe der Städte als ständige Finanzoperation vor,
die sich nahezu jährlich wiederholte.
Diese Anleihen wurden aufgenommen, weil für die Aus-
gaben der Stadt, in der Regel sind es die außerordentlichen, die
Einnahmen lange nicht zureichten. Es sind weniger die eigent-
lichen kommunalen Angelegenheiten, wie Schule, Kirche, Armen-
itnd Krankenpflege — damit hatte die Stadt selten zu tun,
dies war zum größten Teil der privaten Fürsorge überlassen —
als vielmehr die staatlichen Aufgaben der Stadt, die das Sladt-
budgel so schwer belasteten. «Nicht der verfeinerte Zuschnitt
des städtischen Lebens bedang regelmäßig eine stärkere nach-
haltige Ausgabe, sondern die Aufrechterhaltung der bedrohten
Selbständigkeit."") Ein imcrwarteter Krieg, die Gelegenheit nir
Erwerbung von Hoheilsrechten, rur Erweiterung des Stadtgebietes,
die Wiedererwerbung der Reichslfrciheil nach geschehener Ver-
pfändung von Seiten des Kaisers: alle diese Ausgaben für Be-
schaffung des Schutzes nach außen und nach innen und ffir
die Bestreitung der Repräsentationskosten nötigten die Städte, zu
^öffentlichen Anleihen ihre Zuflucht zu nehmen. Denn wenn
man es in Köln*) gelegentlich auch einmal versuchte, freilich
mit geringem Erfolge, einen honds für unvorhergesehene Fälle,
besonders für Kriegszwecke, also eine Art Kriegsschatz zu schaffen,
im allgemeinen ließ sich die Höhe der Ausgaben niemals voraus-
•J Vel O.SehUnbtni. Fin»n*rtTMItn[wcilcrStKllBMf1 Im t*.u."! Jh HI», Rod.
Sohm. SCJitliichc Witt^hjf) Im lt. u il J1i. Knnrulii ]*htbüchcr, <BSO. Bd. !-i, S. lAt-tM.
W SHrda. SCUtttchr l'lnimni Im MlttrUlttr KonnctiJihTttücheT, IR99. tU. Voigt. Dd. IT.
*. Krtl. S. I— S4.
*) W. SllMla X. 1. O. & 13.
■j B>«ndi S. u.
Ardil* tQr Kullurgncblchtc. II. 18
Georg Grosch.
sehen; sobald sie nötig wurden iind Finanznot einsetzte, schritt
man darum immer wieder zu einer neuen Anleihe.
Das war ein so bequemes Mittel, sicli aus der Not zu
helfen, daß man es bis zum Mißbrauch anwandte. So wurde
in Köln 14S1 die große Schuldenlast für den Frieden der Sl^dt
verhängnisvoll;*) in Dortmund') war das städtische Budget schon
t397 so sehr mit Schulden belastet, daB die Stadl direkt zahlungs-
unfähig war.
Diese Schulden der Städte sind schon öffentlich-rechtlicher
Nilur;') mehr pri\'atrechllich dagegen sind die Anleihen des
Staates, denn nicht dieser macht Schulden, sondern der Fürst
als sein Inhaber, dem darum die Finanzen des Staates zustehen.
Fürst und Staat sind eine finanzpolitische Einheit, die Ausgaben
des Fürsten sind mit den Staatsausgaben vermengt Daher kommt
es denn manchmal, daß der Fürst für die im Interesse des ganzen
Staates eingegangenen Verbindlichkeiten oftmals sogar mit eigener
Person haften mußte, und diese auch nur für seine Person
galten. Sein Nachfolger übernahm seine Schulden öfters gar nicht
oder nur bedingt.
Gewitzigt durch soIcheVorkommnisse, verlangten dieQläubiger
sehr bald andere, reale Garantien. Diese wurden ihnen gewährt
durch Verpfändung von Edelsteinen, Kronkletnodien und sonstigen
beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen; femer durch
Stellung von Bürgen und Geiseln, sowie durch das sogen. Ein-
lagCT, das seinen Ursprung in Frankreich hatte.*) Es waren
dies nicht neue Arten von Sicherstellung, die die Anleihen im
Großen etwa erst geschaffen hätten. Man hatte vielmehr das,
was bei den kleinen Wechsler- und Wuchergeschäften gebräuchlich
wsFj einfach auf die bedeutenderen Geldgeschäfte übertragen.
Zumal das LombardgeschäFt, das Darlehen gegen Faustpfand,
wurde von den Lombarden sowohl, von denen es ja seinen
Namen hat, wie von den .Wechslern von Cabors", den Kawcrzcn,
und den Juden tagtäglich betrieben.
■) W. SiinU 1. ■. o. S, *4.
») F, K Röbd. Dortinundct FInini- und Slnitrwn«). IS« Bd. 1, S «-M
■) Dnrn vrlWrm Otund iti dlncn Mändigm Anidlim ilchl fokm a, i. O. dann,
daJI di« Stadl Binlisnctiilirrtclbl; dk SiullTird lum Dinkicr. DlacSdtcdci CaOkklunc
tJn Krrditvnm« k^nm vir hier riicht «rilrr v^rfol^m,
•J H. SchrAdrr, UhttnKh dti dntadwn Rcdit^gnchichlc. *. Aull., S. »3-
I
Geldffeschlfle hansischer Kaufleute mit DigUschen Königen. 283
Da aber das Qetd immer häufiger wurde und infolge
dessen immer größere Summen ausgeliehen werden konnten, so
reichten jene etwas roher Formen für die großen Anleihen nicht
mehr aus. Am frühesten behalf man sich auf andere Weise
in Oberitalien, wo ja die Stadtstaaten Überhaupt keine Kron-
kleinodien zu verpfänden hatten und kein fürstliches, lebenslänglich
regierendes Oberhaupt sich zum Einlager verpflichten konnte.
Den Staatsgläubigern -wurden hier schon im 13. Jh. für ihre
Forderungen die Einnahmen aus der Staatseinkünften angewiesen;
da gerade die Italiener es sind, die in der Frühzeit der Geld-
wirtschaft zu Gläubigem von Fürsten und Städten nördlich der
Alpen wurden, so fand diese Art Sichcrstellung überall Ver-
breitung.
Es wurden zunächst die Einkünfte aus den Domänen ver-
pfändet, aber auch ganze Landesteile wurden den Oläubigem
überlassen. Sie hatten in dem verpfändeten Bezirk die erforder-
lichen Ausgaben zu bestreiten, und dafür flössen ihnen die Ein-
nahmen so lange zu, bis sie für ihre Forderungen voll befriedigt
waren. Besonders auf Hafen- und Binnenzölle wurden die
Schulden «fundiert"; diesen Schulden standen als ..schwebende'
diejenigen gegenüber, die noch der Regelung harrten, gleichsam
noch in der Schwebe waren.') Es lassen sich auch die Anleihen
mit kurier Rückzahlungsfrist als »schwebende- Schulden be-
zeidinen, während man die Bestellung von Renten zu den «kon-
solidierten" zu rechnen verpflichtet ist. War bei einer Anleihe
eine Zins- oder Leibrente bestellt, so war die Schuld sicherer
fundiert, als wenn dem Gläubiger bestimmte Einnahmen ver-
pfändet waren; aber im letzteren Falle konnte er ein besseres
Geschäft machen. Seine Forderung ging nämlich nunmehr na-
tOrlich noch auf das dargeliehene Kapital, aber es kam hinzu
die Berechnung für die Verwaltung: er mußte den betreifenden
ihm verpfändeten Lindstrich oder die Zollerhebung in eigene
Ver\\'altung nehmen. Diesen Umstand benützte so mancher, um
möglichst viel für sich herauszuschlagen. Ferner kamen hinzu
■) So unicfuJiddfn itcti In urKTcm Zciliaiun, abrclchnid von do heutigen Tcrml*
nolOKic. .schTcbendt- mi ttuadicrtc- ^uldtn.
18"
284
Oeore Orosdi.
die Zinsen, die allerdings gewöhnlich schon zum Kapital
geschlagen waren.
Zins zu nehmen,') also Wucher zu treiben war freilicJi
nach kanonischem Recht verboten; dieses Verbot hat indes gar
nichts gefruchtet, im Gegenteil, es hat nur die ruhige und stett
Entwiciitung des Kreditwesens gehemmt und dem wirklichen
Wucher Vorschub geleistet. Getreu der Vorschrift des Evange-
listen: »Mutuum date nihil inde sperantes" verbot die Kirche
nicht nur das Darlehen und die Antichrese, sondern sie unter-
sagte sogar jeden Nutzen beim Verkauf. Ein jedes Rechtsgeschäft
konnte demnach wucherisch sein, sobald es för einen der Kontra-
henten mit irgend welchem Nutzen verknOpft war; das Darlehen
mußte es immer sein, Dieses Veto der Kirche wirkte geradezu
lähmend auf das Emporkommen der Celdwirtschait, ohne es
freilich auf die Dauer verhindern zu können. Am meisten kam
es den faulen Schuldnern zugute. „Die Kapitalbesitzer wurden
durch die Erfahrung immer aufs neue belehrt, daß das Wucher-
verbot von jedem zahlungsunfähigen Schuldner, besonders aber
von bankerotten Fürsten noch jederzeit benutzt werden konnte,
um die Abschüttelung finanzieller Verpflichtungen nicht nur zu
erleichtem, sondern obendrein mit dem Schein des Rechts zu
umgeben. Sie wußten femer, daß dies von den Untertanen des
Fürsten, soweit sie nicht selbst dessen Gläubiger waren, aufs
sehnlichste gewünscht wurde, daß also ein fCirstliclier Bankerott
ein volkstümlicher Akt war, was die Versuchung, es auf einen
solchen ankommen zu lassen, wesentlich verstärkte."') Die Folge
war die, daß man das Verbot einfach umging,') und ferner, daß
die Darleiher den Zinsfuß nach ihrem Risiko festsetzten und die
Schuldner geradezu auspreßten.
Bei einem Kreditgeschäft war dies nicht so leicht möglich.
>) V(l. W Nwmann, Gwchlchw dn Tuchrn, S. H If. VhI. aucli die EinldtnnE.
■The prindpal crime lald M Cht chinci of tht Jen ui<t tlit Lumbudi vultul otprKliUBe
mufy; thit olffli« «m in llientlmilloii ot Ui« Chuidi >□ ti^lnou». tiitt It ltivirl*blx piKcd
%Ü Vtou *ho loolt mottey at uatry in Ihe highol rank of ncamnrunlcattd pcniMU' toXKh
•Fmnni)uC(t1 Ihr omittini ot rv«ry eiwd anilmiiiailItltisol«VHy«vil,' Lawmw i.a O.S n,
»J R. rhrrnbfrg ■. n. O, I, ij.
•J V|ti. W. J, Aihlcy, KnRlliehr WlrUftiifNirfwhirhW, Dnitichr Obmdninf M
Brcnuno und LncT: Sammlung lllcrrr und imiftn stutiTincnicIuitlllcli.cTSctirlftm. Nr 1.
n. >. Ldpiii it?«. II, ff!.
UeLdgesdiäfte tuiisischer Kaufleute mit englischen K&nigcn. 285
beim Renienkauf. *) Das Verhalten der Kirche diesem Rechts-
geschäft gegenfiber war zweifelhaft; nach streng kanonischem
Recht fiel es unter das Zinsverbot; indes die Ansichten der
tcanonistischen Rechtslehrer gingen hierüber auseinander, die einen
hielten es für erlaubt, die andern verwarfen es vollständig. Als
endlich der Karthäuser-Prior Roland von Köln auf dem Konzil
zu Kostnitz wieder die Frage zur Erörtening brachte, ob diese
Verträge erlaubt oder sündig seien, entschied sich die große Mehrzahl
der anwesenden Autoritäten für die Billigung des Rentenkaufs, han-
delte es sich doch dabei um die Einkünfte des Karthäuscrordens.
Diese Entscheidung förderte noch die Verbreitung des Renten-
kaufs; er hatte aber schon bis dahin einen großen Umfang an-
genommen, zumal in den Städten. Die Stadt schloß hauptsachlich
ihre Anleihen in der Form ab, daß sie Zins- und Leibrenten
verkaufte,") und die Kapitalbesitzer gaben ihr Geld gern gegen
solclie Art der Sichcrsiellung. Die Beteiligung an diesen Finanz-
operationen war eine weilreichende, wie ein Blick auf die Zahl
der Geldleiher in den verschiedenen Städten zeigt. ■) Es war
überflüssiges Kapital vorhander, und der Renlenkauf wurde als
ein Mittel begrüßt, dieses sicher und fest anzulegen, da der Geld-
geber ausdrücklich auf Rückzahlung des Dargeliehenen verzichlete.
Wollte er sein Darlehen ja wieder haben, so konnte er es nur
dadurch erlangen, daß er die Rente weiter verkaufte.
Was das Wesen derselben anlangt, so stand von Anfang an
die fortdauernde Renlenberechtigung im nahen Zusammenhang mit
dem Grundstück und teilte ihren Platz zwischen dem Forderungs-
und Sachenrecht: sie hatte als un körperlicher Teil des Gmnd-
stQcks den Charakter einer Immobilie, der Rentenkäufer hatte
eine Gewere an der Rente. Der Verkauf derselben kam deshalb
dem eines Grundstücks gleich, da er nur im Wege der Auf-
lassung, vor Gericht oder Ral, geschehen konnte.
Aber nicht nur die Städte, auch die Fürsten bedienten
sich bald dieses Kreditgeschäftes; sie zumal bestellten gerne
1) R. ChrcntMcric •. a. O. S. 1. R. SchrMcr l a. 0. S. »Tt. O. Cohn, Syitcm
dcf Naiioiulokanainie U. Bd. $ 411 u. j 04, W. Nriiniann ■, ■ O. S. Ii;-»9.
') W Sfirda i. i. O S. 1*K, t\tni\t aut den Porachunscn SlioJu gehl die B«>
dntuned« ZtiM- und RmWikaufa für Alt Flnuintinxhaft. J* Kr dl< Wlm<liaf( drr StadI
im iptlcmi Mltlelaltcr ilbrrtiaiipl, emiiituirn lirrvor.
>) Für MainliiitB ttellt « auumiiitn Sll«da a> a. O. S. 19.
Georg Grosch.
Leibrenten, die mit dem Tode des Inhabers erloschen. In größerer
Ausdehnung findet es sich allerdings erst dann,, als die Anleihen
der Fürsten ihren prJvatrechtlichenCharakter mehr und mehr verloren.
In England speziell geschah schon recht früh ein weiterer
Schritt nach der öffentlich-rechtlichen Sdte hin. Es wurde hier
Sitte, daß sich das Parlament für den König mit verbürgte.
Ferner war gerade in England eine Institution geschaffen worden,
die den Zweck hatte, die Ftnanzverwallung zu zentralisieren, was
ebenfalls zur Verstaatlichung derselben hinleitete: die königliche
Schatzkammer. »The first public Institution in England partaldng
somewhat of the nature of a Bank was the Exchequer, founded
by William the First. The original name of the Exchequer
was Scaccarium. Sometimes, when money was paid in or ten-
dered to the Exchequer, supposed to be alloyed beneath the l^:al
Standard, it was brought lo the fire to be tested: this was calied
combuslio examen. The Exchequer was originally a court of
conservation of the prerogaiives as well as the revenues of the
Crown. 11 was Ihe especial duty of the Treasurer and Barons
of the Exchequer to see that the rights of the Crown were not
invaded by such as claimed liberties or exemptions." *)
Freilich solange noch die Einkünfte einzelner Landschaften
oder die Zölle aus bestimmten Häfen oder Teilbeträge aus den
zollen an einzelne Qeldleute und an Konsortien von Kaufleuten
verpfändet wurden, konnte von einer einheitlichen Finanzver-
waltung nicht die Rede sein. Es gab immer soviele Einzelver-
waltungen, als Verpfändungen vorgenommen waren. Die Schatz-
kammer hatte aber doch das Gute, daß sie den Gläubigem der
Krone auf die Finger sah und diese möglichst vor Betrügereien
74J schützen suchte. Bei einigen Pfandverträgen wird auch
ausdrücklidi bestimmt, daß die Abrechnung vor dem »Royal
Exchequer* zu geschehen habe.*) '
■) UwMMi >. *. O. S. i*tt. Die Darddlung CuiuiicighinH (a, a. O. S. Dllf.)
whtitfll «kh Im aIIg«mFinoi in die Lavioni. ii\r ich hicf Bu»iLt,>^vnie g«gebni tiibe. an,
nur Brhr « ii»hrr lul öw »Diilnipn de Scacx»ho* an fli^rliol» KichirJ von I.onJon »In,
dec a\t laiiEkcU und Or£anlul!nn dn Cxchrqucr unla Hclnilcli U, bnrhrritit Dir ftc-
incbnuns .Satorlum- leitet Lavion hec .ftom Kicvtiin «t Kucrtii, Ihc .chni-tioan]*,
bmuM- 1 (hrquertd clalh vtiui«] il th( Exfhrq,urr- ilw von dpr gchichbivtUrU [ Ifirrlcrtm
KTHditni der .■noniiiUn'ti ol ihr tichniaer.*
<) Z- B bd ilem Pachivntiae ivischtn Tidemtn von Umbrrs unddtm Khwarxen
Pximea,
Qddgeschiftt hansischer Kaufleute mit englischen Königen. 237
Soweit waren die VerhäÜnlssc also gediehen, a!s die han-
sschen Kaufleute anfingen, mit dem englischen Konig Qeldgeschäfle
im Großen zu betreiben.') Deshalb finden wir bei diesen alle
die Arien von Sicherstcllung wieder, wie sie die Entwicklung des
Kreditwesens bis dahin geschaffen hatte.
Da ist zunächst noch recht häufig die Anleihe, die gegen
Bestellung eines Faustpfandes aufgenommen wird. Die hansischen
Kaufleute erhalten für ihre Darlehen die große Krone, die kleine
Krone und andere Kleinodien des Königs 2U Pfandbesitz, wobei
der englische König stets die Vorsicht gebrauchte, daß «r seine
Wertstücke unter Siegel legen ließ, damit nicht etwa edle Steine
herausgebrochen oder mit unechten vertauscht worden.*)
Auch von einem «Einlager" erfahren wir,") denn 1340
hatten sich für den König seine VerbQridetcn, die Herzöge von
Brabant und Geldern, sowie Otto von Cuyk und Simon de Haie
in Brüssel als Geiseln gestellt, bis sie durch Bezahlung von
8300 £ von Seiten der dreizehn deutschen Kaufleute befreit
wurden. Für diese selbst war aber diese Art von Sicherstcllung
zu unbequem, ja beinahe undurchführbar, denn sie konnten die
« Einlieger" doch nicht gut nach Köln oder Dortmund kommen lassen.
Darum war für die fremden Gläubiger das bequemste
Mitte! zur Sicherung ihrer Darlehen und zugleich zum Wieder-
empfang des geliehenen Geldes die Verpfändung der Staatsein-
nahmen, besonders der Hafenzölle, die ja in England unter allen
Einnahmen die größten Summen lieferten. Bei dem steten
Geldbedarf der englischen Könige war schon früh die Unsitte
eingerissen, den Zoll sich im Voraus bezahlen zu lassen und
dem Kaufmann, der so seiner Verpflichtung bereits nachgekommen
war, die Lizenz zur zollfreien Ausfuhr des betr. Exportartikels
>) R. Elircnbcrs a. >. O. 1, t* I. t«Ut für dit Ajildhm im Qroßrn nnd rts*l-
iniBt(^ rnuwnhiFlFn AftHi)patlon«n «inr viel i^tet« Zctt an. FQr Encland M n ininalilU
laiJtUtttä. *<( die Salehiineen zcischcn du Kronffunil den itilioicm und hinrni bnciun
ra» llilitn »gl. OcoiK Schneider, Die Ilnanrirllm Bcilehungcn ücr floimdniitheii Banltitn
inr Kirche *on U)f bis 1394. FQr Ociificliland *tiit eJn grOlkm GrliI|{T^diilt am >1bii
Anhng des IS. Jh n>«h: W Stitdn, Ein Ocl<t|;Bcliifl K*iset Slirisiilundi uil huislschen
KwflenUn, Hamlirhe OBiThidibblälter. 1S17. S. a»H, \'si. »udi wun dmt^Hliai Anloi
4ie trwU\^^e Untrirucliuni : SUdllschc Flnanioi im MLItcUttcr.
'I . . . La itilr orDTif m li üirlc da diu mirchinU pir deli dctout Im te*l» urc
PtKlippcdcWrtliHicelsitT WilLiani ilc NoiÜiTclIc. . , Kunjc, KtnKditm. 121. CbcnM tJI.
Der Z*«li lil Uu.
>) Ob« S. m.
2S8
Oeore CroedL
bis zur Höbe des gezahlten Betrages zu gein-ihren.') ^^«i
nun die Vorausbezahlungen derart, daß die fremden Kaufleule
tnt durch jahrelange Ausfuhr wieder zu Üirem Gdde gekommen
wiren, so war der unmittelbare Anlaß zur Verplandung der
Hafenzölle gegeben. Später wurde sie bd Qcwähning von Dar-
lelien Qberbaupl zur Bedingung gemadit Tklenun von Limberg
ließ sich einmal noch überdies die Krone als Faustpfand bestellen,
bis er seine Summe aus den 2IÖlIen wieder hätte.')
Auch die Einnahmen aus dem Binnenlande, wie der Zehnte
und Fünfzehnte, werden den Fremden verp&ndet Freilich der
Unsicherheit und der Umstand llchketl halber haben sich damit
mehr die Einheimischen als die Ausländer befaßt Tideman
von Limberg kommt bczeichnender^'eise zu einem solchen
Geschäft erst durch einen Vertrag mit zwei Einheimischen.
Die Verpachtung der Bergwerke schließlich, die infolge des
Bergr^als den F&rslen zustanden, kam insofern einer Verpfändung
gleich, als der Pächter eine Abschlagssumnie im voraus bezahlen
mußte. Dieses Vorausbezahlen war überhaupt erst die Bedingung
für den Abschluß des Pachtvertrages, den man gewöhnlich nur
deshalb einging, weil man eben in Geldverlegenheit war.
Neben den durch Antizipationen der Kroneinnahmen er-
möglichten Anleihen beschaffte sich der englische König aber
auch dadurch Darlehen, daß er den Gläubigem jährliche Renten
aussetzte, die auf bestiminte Einkünfte fundiert wurden und an
gewissen Tagen auszuzahlen waren. ^) Wir dürfen uns aber nicht
wundern, daß wir diese Rentenbestcllung für hansische Kaufleute
nicht häufiger angetroffen haben, denn auch diese Art der Sichcr-
steilung und der Schuldentilgung eignete sich mehr für die
Inländer als die Fremden. Wir müssen immer bedenken, daß
die Hansen nur als Händler, d. h, immer nur vorübergehend in
England waren, was die Einforderung der Rente, die an einem
') Ahnirch vrrtilll rt t!ch mll drn AnlHhm drr Pipalc: dlKC hmult«« die Bitikni,
dlt «le mit d« Kollrki» dt» Zchntfn, d« PclPUptmnlE» "*■• bclmK haben. i\% Kirditbankm,
Sic nehmen tlat Anirllic bd der b<tr. ßank aul unil ftradim >ic liaiin lul die Kollekte
V|t. 0- Sdtnddcr r s. 0.. ba. K^iiLtcl III.
^ In 4tm Ixkuintcn Vcrtiiü cvJKticn jah. von Wocnhini uikI Tideman von Llni>
box eintftdl* und W. dcChtilln« und 01tl>, de Wciidlyngbm^h .andcnciU. K'iin». Hmm«-
■klcn III : .... In Kvinldilz Wiul« el Qilbol pnr k'^i''^ tuiic liiic de I« cuvRianU
nidJiM on ballln t tn •utnldiu jahui rt Tydrmm U Html raionnc noilrr Mrenour It rol.*
■) tjic Bnlcllung von ttcnlcn von srltrn drr l'UrtIcn Ulli ticli Uta Khan Fllr dtc
Mllie dn <*. Jht. mctivciicn' DUi gcacn Chrcnlxrg • «. 0, S. 39t.
Ocldgeurtiältc hansischer Kaunnite mit englischen Kflnigen. 289
bestimmten Tennin ßllig war, außerordentlicti erschwerte, femer,
daS sie ihr Kapital nicht dauernd festlegen wollten, weil sie es
immer wieder für den Handel oder m neuen Geldgeschäften
brauchten. Vielleicht hatte sich Qodelcln von Revele, dem drei-
mal eine jährliche Rente von je lOO Mark ausgesetzt ward, mit
dem Gedanken getragen, das Indigenat zu erwerben, was vor
ihm schon mancher deutsche Kaufmann getan hatte, ^) Die Emp-
fänger der zweiten Rente, Tideman von Limberg und Johann
atle Wolde haben sie erst als Gläubiger eines Engländers, für
den sie eigentlich bestellt war, empfangen. Als dann Tideman
von Limberg England für immer verlassen muß. da verkauft er
sie wieder an einen Einheimischen.
Auch auf das im fr&heren Mittelalter so beliebte Mittel,
Kirchengut einzuziehen und sich durch Verlehnung desselben
aus seiner Notlage zu helfen, greift Eduard III. zurück. 1348
und USO überträgt er dem Tideman von Limberg in den ver-
schiedenen Grafschaften Landbesitz aus dem eingezogenen Kloster-
gut.') Die alten Formen sterben eben, wenn die Entwicklung
auch nach einer andern Richtung fortschreitet, nicht völlig ab,
sondern gehen immer noch neben den vollJtommneren her.
Anlage 1.
Übersicbt der Wollausfabr 1277 bis Jan. 1278.
Herkunft
Lizenzen
Antdl
an der
Ausfuhr
der
Kaufleute
Zahl
Oesanil-
Betrag
(Sack)
Klein-
tier
QrSBItc
betrag
Durcli-
schnittt'
Malten . . .
26
4235
20
300
163
29,6
Frankreich . .
67
3119
3
140
46
21,8
Holland . . .
79
2974
2
100
38
20. S
Deutschland
37
1655
10
100
45
11,6
Brabant . . .
26
1478
4
100
57
10,3
Spanien . . .
2
100
50
50
50
0,1
Irland . . .
)
23
-
-
-
0,2
Unbestimmt
14
717
6
100
51
5,0
Au(^ PRO. Tower Mlicrtl. Rollt. Nc
BxtxM bd Kunze, HanMaktoi Ni. 3»,
». *2. S
Edw. 1. u
jid a Ed
w. 1. ZuMniinai*
■J Vgl. K. Kvau. HuMakun. Elnl. {
i. XXVH
1 Oben S. I6t.
Georg Orosch.
Anlage II.
Lizenzen zur WollaosTuhr Tür deutsche Kaufleute im Jahre 1339.
Ditum
Ausstellungs-
ort
Jan. 6.
Jan. &.
Jan. 10.
Jan. 26.
Febr. i.
April 12.
Aug. 3.
Aug. 3.
Aug. 8.
Antwerpen
Berkhamp-
stead
Bcrkhamp-
slcad
Lizenzen
Berkhamp-
stead
Windsor
Antwerpen
Windsor
Windsor
(Windsor)
Für Qodekin von Revele, Johann v.
KUngcnbcrg und Alwin v. Revele
für SOO Sack
Kun«, Hanseakten, 10*)
Für Godekin d. Älteren und Alwin
V. Revele für Wollenausfuhr.
Hansisches Urkunden buch, II. Anh. I, 11
Für Konrad Sudermann, Ludckin v.
Ariesl, Heinr. Wale, Johann Klip-
ping, Heinr. v. Revele, Goswyn v.
Lydynghausen; für Hildebrand
Sudermann, Heinrich v. Brakel
und Hiidebr. Beresworlh.
Hansisches Urkundenbuch, M. Anh. 1,15
FQr Johann Brun von Lydynghausen
und Richard Sudcrland
Hansisches Urkundenbuch, II. Anh. 1,16
Für OodeWn von Revele, Joh. von
Klingenberg und Alwin v. Revele
für 500 Sack
Hansisches Urkundenbuch, 11. Anh. 1.17
För Hiidebr. Sudermann, J. Brakel,
Joh. Sudermann und H. v. Berea-
worih für 106 Sack . . . .
Hansisches Urkundenbuch, II. Anh. 1, 18
Für Hiidebr. Sudcrmann und Joh.
Brakel für 90 Sack
Hansisches Urkundcnbuch. II. Anh. I, 19
Für Hildebrand und Johann Suder-
mann, Heinr. Wale, Tileman von
Revele und Johann Sudermann jun.
für 300 Sack
Hansisches Urkundcnbuch, 11. Anh. 1, 20
Für dieselben für 300 Sack aus
London, 500 Sack aus Boston
Kunze, Hanscakten, 111. Anm. l.
SOO
500
10fi
90
300
800
Sa. i 2296
r
Geldgeschäfte hansischer Kaufleule mil englischen Königen. 291
Datum
Ausstellungs-
ort
Aug.
10.
Aag.
29.
Scpt
1.
Sepl.
16.
OkL 10.
Okt.
to.
Dez
A.
Dez.
14.
Windsor
Windsor
Brüssel
Windsor
Windsor
Windsor
Langley
Antwerpen
Lizenzen
Übertrag
Für Godckin von Revele, Winand
von Revele, Alwin von Revele und
Konrad von Afflen für 500 Sack
Kunze, Hanseakten, tto. Hansisches
Urkundenbirch. U. Anli. I. 21
Für Konrad Sudcrmann, Konrad und
Hildebr. Beresworth für 20 Sack
aus London, 180 Sack aus Boston
u. 50 Sack ausKingston-upon-Hull
Kunze, Hanseakten. 111. Hansisches
Urkwndenbuch, H, Anh, I, 22
Für Konrad Klipping, Heinr. Mudde-
penyng, Oottschalk atte \\^olde und
seine BrQder Johann und Tirns,
Zenard Spissenaghcl, Oottschalk
Klipping, Albert Klipping, seine
BrQder Johann und Konrad und
Wessel von Berg für 1500 . .
Hansisches Urkundenbtich, II. Anh. I, 2i
Für Radulph de Coten und Richard
Suderland für 15S Sack . . .
Kunze, Hanseakten, 112
Für Johann atte Wolde, Const Smyt-
husen, Job. Klipping, Wessel von
Lossynghcn, Hildcbr. Eckholt, Joh.
Slerrenberghe, W.von Ispelincrode,
Heinr. Grcnepape für 240 Sack
Hansisches Urkundcnbuch, IL Anh. I, 24
Für dieselben für 170 Sack . . .
Hansisches Urkundeitbiich, IL Anh. I, 25
Für Hildebrand Sudermann, Heinr.
Wale, Tileman von Revele und
JohannSudemiannjnn. für 300 Sack
Hansisches Urkunden buch, II. Anh. I, 28
FQrConstantinSmythusenfCiriOOSack
Hansisches Urkundcnbuch, II. Anh. f, 39
250
1S00
ISS
240
170
300
100
Sa. I S511
292
Georg Qrosdi.
Anbgc tu.
Geldgeschäfte, an denen Tidcman von Unberg beteiligt ist.
Datum
Mirz u.
Mai 8.
1340
Aug. 8.
1340
1340/41
Jan. 26.
134J
Juni 2.
1341
AusstelliiRg*-
ort
Das Geldgeschäft
Westmi liste r^j Der König bekennt sich als Schuldner
von Johann, Sohn Simons von
Oent, und von Tidcman von Lim-
berg für 1000 £
Hansisches Urkundenbuch, |[. Anh. 1, 34
Eduard III. verpfändet 13 genannten
deutschen Kaufleuten , darunter
Limberg, für Darlehen im ganz«
von 264Ö0 £ die WolU u. a. Aus-
fuhrzölle big 27. Mai 1341 . .
Hansisches Urkundenbuch, M, Anh. I, 36.
Kunze, Hansealrtcn, 114
Berkhanip- Für Konrad von Afflcn, Tidemati
stcad von Limberg, Johann atte Wotde
und Qen. eine Ausfuhrlizenz im
Betrag von 3386 Sack.
Hansisches Urkundenbuch, II. Anh. 1, J7
Nach den Zollisten erhalten die
deutschen Kaufleute Tidenian von
Limberg und Gen. eine Lizenz zur
zollfreien Ausfuhr von 500 Sack,
um für den König 100 Sack Wolle
zu bezahlen
Kurue, Hanseaktetr, 117. Anm. 2
Wcstminsfcr Tidcman von Limberg und Gen,, für
die Summen, die ihnen der König
> schuldet, von neuem auf die Zölle
I gewiesen.
I Hansisches Urkundenbuch, U. Anh. I, 46
Tower
iTideman von Limberg und Qen. fQr
2400 £, die sie dem König zur
Besoldung des Burggrafen von
Seeland vorgeschossen, auf die
Wotizölle gewiesen
I Hansisches Urkundenbuch, II. Anh. I, 59
Betrag
1000
26400
1000
2400
Oddgeschäfle hansischer Kaufloite mit englischen Königen. 293 ^^^^|
^H
DAtum
AusslelluRgs-
ort
Das Geldgeschäft
Beirag ^^^|
(£) ^H
Juli 28.
Havering
Eduard III. bekennt sich als Schuldner
^H
1341
atle Bure
von Konrad Küpping, Oodekin
von Revele und Liinberg und Gen.
^H
für 723 £ 4s 4d
723 ^^1
Hansisches Urkunden buch, II. Anh. [, bl
^^H
Juni 20.
Walmer
Limberg und Gen. erhalten von der
^^H
1342
von der Kauf mar nschafl jüngst
bewilligten Subsidie von 40 s auf
den Sack Wolle, 40s auf 300 Woll-
felle und 6 Mk. auf die Last Häute
je 1 M., 1 M. und 2 M.
Hansisches Urkunden buch. II, Anh. 1, 73
■
. Sept 1 5.
Fastry
Eduard 111. verpfändet den deutschen
t342
Kaufleulen Limberg und Gen. für
ein Darlehen von 1000 £ weitere
20s, 20s und 40s vom Zoll . .
1000
Kunze. Hanscaktai, 121
Okt 1.
IT
Eduard III. an die Wollzöllner und
1343
den Wäger zu Kingslon-upon-Hull:
befiehlt, nur in Gegenwart Johann
atte Woldes und Tidemans von
Limberg Wolle daselbst zu wiegen.
Hansisches Urkundnibucli , 11. Anh. I, 705
Mai 23.
Wcstminslei
Vertrag zwischen Eduard III. und
1343
den deutschen Kaufleuten Limberg,
Wolde und üen. behufs Auslösung
der großen Krone für 45 000 fl.
8062
Hansisches Urkundenbuch, II. Anh. t, 7fr
(45000
Kun«, Hanseaklen, 132
fl)
Febr. 15.
■
Eduard 111. überträgt auf Bitte des
1344
Mathäus Carnaceo eine demselben
jfihrl.
Rente
verliehene Jahresrentc von 50 X
auf dessen Gläubiger Johann atte
von
Wolde und Limberg ....
Kunze, Hanseaklen. 124
25
MIIZ3.
■•
Befehl an Limberg und Gen. zur
1344
Auslieferung der Zollsiegel; die
Wollzölle an t2 englische Kauf.
leute verpfändet.
Kunze, HanMaMen, 125 1
^^H 294 Georg Grosch.
f ^^^^^^^^^^^1
■
^^^V Datum
AurteUangs-
ort
Das Ocldgeschift
Betrag ■
" Dez. 20.
Hoxne
Limberg wird für 4400 Goldgulden.
1
1344
die er zur Auslösurtgder Kleinodien
des Königs zu Köln hergegeben
hat, auf btstJmmle Summen der
4
Wolknsteuer verwiesen . . .
800
Hansisches Urkundenbuch, II. Anh. I, 88
1345
Mehrmals Befehle zur Abtragung von
Schulden an Limberg und Gen.
Hansisches Urkundentmch, II. Anh, I,
April 4.
London
Verpfändung der zweiten königlichen
U46
Krone an Limberg.
Hansiscltes Urkundcnbucli, 11. Anh. 1, 95
^
April 2J.
ir
Vertrag zwischen Limberg und Johann
■
1347
von Wesenham mit zwei Londoner
Kaufleuten, Wauter de Chiriton
und Gilbert de Wendlyngburgh:
sie beteiligten sich an einem dem
König gewährten Darlehen mit
20000 Mark, wofür sie auf die
Wollzölle verwiesen werden; sie
sollen als Anteil am Gewinn 1 3000
Mark aus dem Zehnten und Fünf-
zehnten erhalten. Tideman von
Limberg und Genossen geben
1O0OO £ und sollen 6000 £ als
10000
Kunze, Han»eakten, MZ
Juni 25.
u
Abschluß des Pacht\'ertrags über den
1347
Zinnhandel und die Zinnbergwerke
in Comwales und Devorshire mit
Eduard, Prinzen von Wales; Lim-
berg zahlt 4500 Mark ....
3000
Hwslsches Urkundenbuch. MI. Nr. 100
1348
Der König bestätigt Limberg «auf
1 000 Jahre" Güter in verschiedenen
Grafschaften.
Hansisches Urkundenbuch, III, Nr. 55.
Anm. J
Mlj 2t.
Weslminster
Ritter William, Sohn Richards de la
U4«
Pole, Schuldner LimbergsfürZOOjC
l Kiin«, HsnsMWen, 13«
200 M
J
^^^^^^^^^^
Geldgeschäfte hansischer Kaufleulc mit etiglischen Königen. 295 ^M
1
Datum
A.ssletlungs-[ Das O.ldgeschäft
ort
Beirag ■
(£) ■
Juni 26.
Westrain ster
Der Londoner Kaufmann Heinrich
■
1349
Picard Schuldner ümbergs für
■
500 JE
500
Kiinic, Hanseakten, H2
U50
Limberg und Gen. sind wieder im
Besitze der Wollsteuer.
Hansisches Urkunden buch, III. Nr. 71.
Anm. 3
April 6.
ri
Dem Limberg wird abermals von dem
1350
eingezogenen Klostergut über-
tragen.
Hansisches Urkundcnbuch, IL Anh. 1, 100
Juni 26.
■
Der Trior von Wilminglon Schuldner
1350
Liirbergs für lOO Mark . . .
Kunze, Hanseaklen, 1-43
66
1 352 bis
Die Prozesse
t3S3
gegen Tideman von Limberg.
März 26.
Limberg und Qen. erhalten eine An-
1354
Weisung auf 1O0O £ ,de dono
tooo
Hansisches Urkundenbuch, 11. Anh. 1, 102
Juli 30.
»
DtT König spricht Limberg und Gen.
1359
von den 5000 £ 2s 6d frei, die
die Barone de& Schalzamleä von
der Verpfändung der Krone her
noch von ihm fordern.
Hansisches Orkundenbucli, II Anh. 1, 103
Aug. 22.
1359
n
Der König bekennt sich gegen Tide-
man von Limberg zu einer Schuld
■ w V '
von 1000 Mark
66 &
Hansisches Urkundenbueh. II. Anh. 1, 104
Nov. 8.
if
Eduard tIL an die Zolleinnchmer in
t3«3
Kingston-upon-Hull: er befiehlt
von der an Tideman von Limberg
und den verstorbenen Johann atte
Wolde verliehenen Jahresrente von
50 £ die zu Michaelis fällige Hälfte
an Tideman von Limberg auszu-
zahlen.
Kunze, Hanseakten. 181.
j_
Schöne Spielewerk, schöne Rarität!
Von A. KOPP.
Zediere «Großes vollständiges Universal-Lexikon" SO (i 741),
891 enthält hinter einem Abschnitt, in veichem die Bedeutung
eines Raritäfen-Kabinetls oder einer Raritäten-Kammer aus-
einandergesetzt ist, auch einen kleineren Abschnitt über ein jetzt ver-
schollenes, damals noch allgemein bekanntes Hilfsmittel anspruchs-
loser Belustigung und Unterhaltung, den Haritäten-Kaslen:
1. Raritäten-Kasten - so liest man in dem alten Universal-
Lcxikon - ist ein Kasten, in welchem diese oder jene alle oder
neue Geschichte im kleinen und durch darzu verfertigtes Puppen-
werck, so gezogen werden kan, vorgestellel wird. Es pflegen ge-
meine Leute, so mehrenthcils Italiäner von Geburth, mit solchen
Kasten die Messen in Deutschland zu besuchen, auf den Gassen
herum zu lauffen und durch ein erbärmliches Qcschrey: Schöne
Rarität! Schöne Spiel werck! Liebhaber an sich zu locken, die
vors Geld hinein sehen. Weil nun solche Dinge mehr vor Kinder
als erwachsene und angesehene Leute gehören, so pfleget man
daher Dinge, die man herunter und lächerlich machen will, Schöne
Raritäten, schöne Spielwercke zu nennen.*
Das bunte Spiel des gewöhnlichen Lebens und auch den
allgemeinen Weltlauf mit den schnell vorüberhuschenditn Er-
scheinungen eines Guck- oder Raritäten-Kastens, eines Puppen-
Oder Schatten-Spiels In Vergleich zu setzen, ist ein dichterisch
wirksamer, dabei sehr nahe liegender Gedanke. Wenn zumal die
großen Haupt- und Staals-Aktionen auf der Bühne der Welt,
wenn großmäclitige Herrscher, hochberühmte Held«n, altehr-
Schöne Spielnferk, schöne Rarität!
würdige Patriarchen, heilige biblische Gestalten unter die Ver-
kleincrungslinse gesetzt vor dem geistigen Auge zusammen-
sdimmpfen, während jene kleinen armseligen Puppen und Ab-
bilder ebenso durch angebrachte Vergrößerungslinsen wie durch
starke Nachhilfe der Einbildungskraft vor dem inneren Auge
kindlich einfacher Personen als wirkliche Wesen in ganzer Größe
bei vollem Leben erscheinen, so verwischt sich der Unterschied
zwischen Sein und Schein - und indem durch Aufbauschen und
Emporschrauben einerseits, durch Verengem und Herabholen
anderseils Großes und Kleines, Hohes und Niedriges, Gerühmtes
und Verachtetes einander angenähert und in Beziehung mitein-
ander gebracht wird, kann ein wilzbegabter Geist vortreffliche
komische Wirkungen erzielen. Diese Wirkungen wurden dadurch
noch besonders erleichtert, daß dieses Raritäleti kästen- und
Schattenspiel-Gewerbe fast ganz iti den Händen welscher Fremd-
linge war,, deren gebrochenes Deutsch und seltsames Gebähten
die Menge zum Lachen reizte. Die radebrechende Vortragsweise
solcher Halbwelschen, Savoyarden, Deutsch-Italiener, Deutsch-
Franzosen nachzuahmen, war in der ersten Hälfte des achtzehrten
Jahrhunderts, wo Messen und Märkte von jenen possierlichen
Gestalten wimmelten, ein beliebter Spaß, und Leasings Riccaut
de la Marliniere hatte, was die Sprechweise behifft, seit langem
Vorbilder genug, sowohl in der Wirklichkeit als in Schriften.
Gewisse stets wiederkehrende Wendungen und kleine drollige
ReimsprQcbe jener Seh au kästen besitzet waren allgemein bekannt,
jedem Jahrmarktsbesucher ohnehin, und ein einmaliger, wenn auch
nur .der Wissenschaft halber- unternommener Jahrmarkisbesuch
mußte schon genügen, ja war nicht einmal nötig, um solche
schnurrigen Anpreisungen und Ausrufe zu vernehmen und zu
tiehallen. In Anlehnung daran, entweder in der Art wirklicher
von den Besitzern vorgetragener Schau kastenüeder ähnliche, nur
witzigere für gebildete Kreise zu verfassen oder solche mit Benutzung
jener kuriosen Formeln für den Kehrreim und abgesehen von
der Beibehaltung des marktschreierischen Kolorits frei zu erfinden,
würde selbst jetzt keine große Kunst sein und war es um so
weniger in den Zeiten, als noch zahlreiche lebende Vorbilder
herumzogen und sich fiberall aufdringlich zei:^cn.
ArtWv lar KuliUTgtsehlditr 11. '9
A. Kopp.
Das literarische Vorbild für alle gedruckten Schöne- Raritäten-
und Qudckasten-Gedjchte folgt hier:
Schöne Raritäten-Kasten | Schöne Spielwerck j alles
lebendig alles lebendig [ zu sehen \ In die Kasten von
die Wetlisch Mann, | vor i. viertel Grosch | vor der
Meß, in der Meß und nach der Meß. | (4 Bl. 4* o. O. &J.
Königliche Bibliothek zu Berlin, Yk 981)
RaritJlten Multum!
1. Ich bin ein armer Welscher Mann,
Man sieht es mir an Augen an,
DiB Ich so vet bin hergelcommen,
Und habe auch mit mir genommen,
Schöne Raritäten, schöne Spiel-Wcrck, la bella Calhuine
Channante Margretha, schöne Rarität :/: schöne SpicI-Werck.
3. Nun möchstu sag'n, mein Welscho" Mann,
Wer hat dir was zu Leid eethan.
Das du durch stänckerst alle Löcher,
Und schreysl darzu wie ein Zahn- Brecher, schöne etc.
3. Jetzt thu ich meinen Kasten auf.
Ein Mann legt mir ein'n Groschen drauff,
Eine Frau legt mir eine Kanne Bier.
Ein Kind drey Pfenge und schaut dafür, schöne ete.
4. Nun sdiaut und stehet alle still,
Seht hier sind der Oesichter viel.
Sie wertfen die Au^en Kugcl-mnd,
Als lebten sie (riKh und gesund, tchöne etc.
5. Hier «trt der Pabst auE seinem Thron,
Oezicrt mit einer dreyfadien Cron,
Du siehst dabey viel tausend Platten,
Die müssen die Reverenz abstatten, schöne etc
6. Seht wie des Käysers Majestät,
In dem Proccss andächtig geht,
Herr Pater Wolff schleicht auch mit ein.
Und will mit in den Schalf-Stall seyn, schöne elc
7. Hier sind die Könige ailzumahl.
Aus Englland, Ungarn, Portiigall,
Aus Schweden, Denntinarck und Preusscn,
Und wie die andern mögen heissen, schöne etc.
8. Hier zeigt sich Carl von Ocsleneidi,
An klugen Sinn dem Vater gleich.
Nur in der Spanschen Monarchie,
Kam ihm Philippus gar 2u früh, schöne elc.
Schöne SpJelewerk, schöne Ruitit! 299
9. Nun Rath einmahl, wer mag der seyn,
An Titul groß an Thaten klein,
Er hat sein I^btag nichts verbracht.
Denn nur dn Testament gemacht, schöne.
10. Augustus der geprießne Held,
Sucht wieder sein verlohmes Feld,
Hitt er Qelück, wie Recht und Muth,
Dem Feinde kostets Halß und Blut, schöne.
It. Seht Pctem den berühmten Czaar,
Der sonst ein wilder Barbar war.
Der setzt sich durch des Teutschen Rath,
In einen formidablen Staat, schöne.
12. Die Königin von Engelland,
Ist durch die Klugheit längst bekannt,
Ihr Volck und Geld sammt HolUnds Waffen,
Die machen Franckrdch viel zu schaffen, schöne.
13. Hier sitzt der grosse Ludewig,
In Cabinäte säuberlich.
Die Maintenon sieht gar betrübt,
Daß sich Turin nicht auch ergiebt, schöne.
14. Der Dauphin ist dn guter Mann,
Nur daß er nichts in Bette kan,
Madam de Forae kan nichts dafür.
Und strafft das Leyem vor der Thür, schöne.
15. Der Hertzog von Burgund ist da,
Der Ldb von seinem Qroß-Papa,
Daß er ihm ins Qehäge geht,
Ob gleich sdn Alter schlecht besteht, schöne.
16. Duc de Berry ist ein braver Held,
Doch kommt er nidit viel in die Welt,
Wenn seine Brüder zu Felde gehn.
Und oben an der Spitze stehn, schöne.
17. Hier ist der Hertzog von Anjou,
Der Churfürst zu Bayern auch darzu,
Rago:^ und sonst viel Rebellen,
Und andre Teuffels Spieß-Oesellen, schöne.
IS. Colins Churfürst ist in grosser Noth,
Und frisset Franckrdchs Qnaden-Brodt,
Er bringt Calender aub Tapet,
Da nicht viel rothes drinnen steht, schöne.
19. Den Pohlen ist es doch gethan,
Sehn Schweden vor ein Vater an,
Es wird der erste Stanislaus,
Dadurch kommen von Hoff und Hauß, schöne.
19"
300 A. Kopp.
20. Wallis der gerne K&rtig hieß,
Wenns ihm sein Müllers Stand zuließ,
Paler Chaise mit den Paler Noster,
Portocaitcro aller Schelmen Muster, schöne.
21. Der Qroß-Sullan ist auch allhier.
Der Muftti und der Groli-Vczicr.
Der reichste Mogul von der Welt,
Sitzt hier mit seinem Cut und Gelt, schöne.
22. Der Kiyser von China und von Cham,
Die von Japan und Tartar Mann,
Die Möhren und die Hottentotten.
Die freesen die Därmer ungesotlen, schönt
2J. Marocccns Printz und Fräuleins Fetz,
Oraff Futfack mit dem Haasen Netz,
Und ander dergleichen OttergeziSchte.
Daß kriegt man allhier zu Gesichte, schöne.
24. Eugentus ein Mann im Feld,
Und Marlboroug der brave Held,
Und Printzens Lovis Leber hier,
Die wiegt neun Pfund das glaubet mir, schöne;
25. Monsieur teTallart reist hier ab.
Ohne Degen und ohne Marschalls-Stab,
Man hat viel Fahnen und Standarten,
In Londen von ihm zugewarten, schöne.
26. Savoyen hat es gut gespielt,
Und schiert den Schwager daB ers fühlt,
Venedig, Schweitz und Genua,
Sind hier Rundatincllula. schöne.
27. Antiquitäten schcns Tcrth,
Bekommt zu schauen, wer^ begehrt,
Dnim veit sie ziemlich neue seyn.
So guckt mit Fleiß in Kasten nein, schöne.
2S. Des ersten Vaters Hosen-Knopff,
Von Evcns Haaren dieser Zopff,
Der Trauerschleyer den Eva trug.
Als Cain ihren Abel etschtitg. schöne.
29. Des Mördws seine grosse Kful.
Stack Ertz und Thon von Sethens Seil,
Der grosse Baß aus Jubais Cammer,
Und Tubal Cain Schmiedehammer, schöne.
SO. Des Noah Abendsegeiibuch,
Von Japhets Mandel ein Stück Tuch,
Von Esaus ünsen noch ein Maaß,
Da tf die Ersigcburth verfraß, «ch6ne.
Schöne Spidewerb, schöne Rarität!
)i. Ein Hom aus Esaus jägcrey.
Ein Leiter-Sprossf auch dabey,
Die Jacob hat im Traum erblickt.
Als er sich aul den Weg geschickt, scliönc.
32. Ein Band das Rahel hat geneht.
Wenns ihr nach Weiber Weise geht.
Von DicTiens Rocke eine Spitze,
Und der Debora Zipffel -Mütze, schöne.
ii. Aus Pharao Traum eine dürre Kuh,
Die sieben Jahre auch darzu,
Der Galgen dran der Beclicr hieng,
Und seinen letzten Lohn empfing, schöne.
J4. Hier kommet eine L.auß gerannt,
Die Pharao im Slrumpffe fand,
Sie ist so groß als eine Ratt,
Die Moses ihm gemachet hat, ichöne.
35. Des Bitcams sein Reuter-Pferd,
Ist wegen der Sprache Goldes werth,
Ein Krijgelgen von Thränen gut.
Von Jephtha Tochter wohlgeniuth, schöne,
56. Nun schaut ihr Herren allzumahl.
Von Simsons Thieren eine Zahl,
Gebrauchet in Philister Lande,
Es reucht die Stund noch nsch dem Brande, schöne.
37. Daß Taß dahinter Sau] gesteckt,
Das Loch da er die Füsse deckt,
Der Spieß als wie ein Weberbaum,
Voll Qohath hat hier auch Raum, schöne.
JS. Der Stein der Abimelech schlug,
Pantoffeln, die die Esther Inig.
Eine Pfrieme von den Baals Plalfen,
Ein Schwantz von Salomonis Affen, schöne.
39. Ein Esels-Ohr icht ('.| auch allda,
Gefressen in Samaria,
Des Davids neue Hirten Tasche,
Der Hagar grosse Wasser-Flasche, schön«.
40. Hier kömmt das Schminck-OUß ohngeßhr
Der sloltzen Isabellen her,
Um dieses Schfirtzgen ist es schade,
Wcils Bathseba gebraucht im Bade, schöne.
41. Der Traub aus dem gelobten Land,
D«n Strick damit man Sim&on band,
Der Gsels-Backcn und die Zähne,
Von Hamans Galgen diese Späne, schöne.
302 A, Kopp.
42. Hier ist des ilten Tobias Odst,
Dem «ine Schvalbe ins Auge schmdst,
Das Wedeln das der Hund begeht,
Mit dem Schwantz der ntemahls stille steht, schöne.
43. Susannen-Brüder sitzen hier.
Und drinckeii Eiilcnbiirgcr Bier,
Der Bei zu Babel ist dabey,
Und Habaculcs sein Wasser-Brey, schöne.
A4. Die heiligen drey Könige, mit dem &tem
Aus Morgen-Land der klare Kern,
Herodcs auch der alte Fuchs,
Der liegt hier sine lux & cruK, schöne.
45. Der Zebedeus Lobcsan,
bt hier mit seinen Schiffer-Kahn,
Zacheus auf dem Maulber-Baum,
Hat auch in diesen Kasten Raum, schöne.
Ab. Des reichen Manns Sauff-Compagnie,
Saufft durch die Nacht biß Morgens frfih,
Dr halb Schock Qergesener Sauen,
Das Ohr so Petrus abgehauen, schöne.
41. Der Ertz-Schelm Judas und sein Barth,
Der Beutel, den er hat bewahrt.
Von klaren Gold ein Silberling,
Der Strick, damit er sich erhieng, schöne.
48. Die Lcycr so des Orpheus war,
Eine Orille au! Piatonis Haar,
Seht Aristoleüs Paruqve,
Des Oyogis Ring ein Mcistcr-Stückc, schöne.
49. Von Mida «in groß Eseis-Ohr,
Zu Paniß Flöte dieses Rohr,
Hier vird ein altes Weib gebracht,
So die Medea jung gemacht, sdiöne.
50. Aesopus und sein Mantel-Kragen,
Protagons Stab den er getragen,
Seht Epicteti Lampe strahlt.
Davor mancher viel Qeld beuhll. schöne.
H. Cupido will auch mit mir ziehn,
Und hat den Flügel hergeliehn,
Actaeons Honi hier zuletzt,
Das ihm Diana aufgesetzt, schöne.
52. Das Pferd so auf des Käysers Schloß,
Zum Bürger-Meister werden muß,
Domiliam [!] hat vor die Fliegen,
Hier seine Fliegen-Klatsche liegen, schöne.
Schöne Spielewrrlt, schöne Rarität!
53. Dioginis sein höltzern Faß,
Do- Stuhl, da Ponts Pilatus saB,
Des Socralis DaemoRium
Und auch ein Lyripipium, schöne elc.
SA. Des Conti lange Naß aus Fohlen,
Ein Strick den Nico! List gestohlen,
Jean Baxlhens lange Tobacks-PfaHe,
Zwey Klauen von dem Vogel Orcifte, schöne.
SS- Dm Ermel fiihrl der Schildsche Rath,
Oantz Ehrcnvcsl zu seinem Statt,
Von Eulen-Spiegels Hauß ein Sparren,
Rock, Wamms und Hosen von Clauß Narren, schöne.
56. Der Weisenlelsche Bauer-Hund,
Der lebet noch frisch und gesund,
Weil CT den treusten Cammerad
An den Hanß Arsch von Rippach hat, schöne.
57. Hier kt der seeige PoKcr Hanß,
Und frisset eine rohe Ganß,
Seht -wie die Pwrechc der Prindpalen,
Das Oeld vor ihr Ocbackens zahlen, schöne.
58. Matz Vogt von DreBden und von Zcitr.
Die sitzen beysammen beyderseits,
Marcolphus und der Reincke-fuchs
Von Rübezahl ein grosser Kucks, schöne.
59. Ein Leipziger Stiidciilen-Spiegel,
Ein Hällschen Jubelisten-Prügel,
Ein Schlage-Degen von Jena raus,
Ein Wittenbergischer Saufaus, schöne.
60. Solch und dergleichen Rarität
Sind hier, lauffl zu, die ihr da sieht,
Und guckei ver da gitcken mag,
Ihr seht das Ding nicht alle Tag. schöne.
6t, Jetzt schließ ich meinen Kasten zu,
Und geh nach Hauß zu meiner Ruh,
Bleibt ihr den Welschen Mann gewogen, .
Ob er euch gleich hat brav betrogen,
Schöne Rarität, schone Spidwer|ck], la Belli Catharine.
Charmante Margretha, schöne Rarität :/: schöne Spielwerck.
Der Bantl Vk 3161. 4' enthUt zusammengebunden vier
verschiedene Drucke jenes merkwürdigen, auch in Menantes' An<
leilung zur galanten Poesie zum Schluß als Prurkstßck vor-
liegenden QedichLs nMoralisches Hundelob*, ausführlicher be-
zeichnet als nLob-Gedichte des so genannten Bauer-Kundes, Oder
304 A- Kopp.
Förstl. Leib-Hundes zu Weißenfels". Dieses Gcdichl, das ver-
mutlich den jungen Neumeister zum Verfasser hat, erfreute sich
seinerzeit großen BeifaDs. Auf den ■ Weißenfelsischen Bauem-
hLnd- spielt Qörther einmal in einem Hochzeitscherz an, und
auch in der 56ten Strophe des Raritätenkastens wird er zusammen
mit dem bekannten .Hans A— von Rippach* aufgeführt, der
seinerseits wieder mit etwas anständigerem Namen ats -Hans
Tumm von Rippach« auch im Bauemhunde') vorkommt Der
letzte von den vier in Yk 3161 vereinigten Drucken des Bauem-
hundes bietet zugleich den Raritätenkasten und noch ein satirisches
Gedicht «Dignum patella operciiliim-. Alle diese derb-komischen
Stücke, zu denen man bestimmt auch das Spottgedicht auf den
riMagister Lobesan« rechnen kann, sind wohl auf Neumeisler
zurückzuführen, der in jungen Jahren Vorlesungen über Dicht-
kunst hielt und in zahlreichen Gedichten spielende Leichtigkeit
tti Vers und Sprache, rege Einbildungskraft und überschwengliche
Gedankenfülle, sprudelnden Witz und ergötzliche Laune, dabei
stets und überall ein derb-gesundes, urwüchsiges Wesen zeiglc.
Der Druck des Raritälenkastens weicht nur unbedeutend von
Yk 951 ab:
Lob-Gedichte des so genannten Bauer-Hundes, Oder
Fürstl. Leib-Hundes zu WeissenFels, Mit allerhand Sitten, Lehren
und angenehmen Galanterien Moralisch vorgeslellet, Nunmehro
mit neuen Anmerckungen neuer Begebenheiten an unterschiedenen
Orten versehen von einem Tugend-Freund und Laster-Feind . . .
Gedruckt in diesem 1722len Jahre. (22 Bl. 4" o. O. Bogen A
bis E u. F,F 2. Darin Bogen E:)
Schöne Raritäten-Kasten, [ Schöne Spielwerck, |
alles lebendig, alles lebendig \ zu sehen 1 In die Kasten
von die Wellisch Mann, | vor 1. viertel Grosch, | vor
der Meß, in der MeB und nach der Meß. ] Manche Druck-
fehler von Yk 981 sind hier gebessert:
<) MoiMin, AtlnaniciW Art S. »»; Vk »6i Druck I S- 35. II » IH C 4b, TV
(Iftt) D Ib. Fln#n Druck dB Baunnhundt« b«*flzl uch die DinntadM- Hafblbllothtk :
L«b-Ocdldne d« «o s^iufuilm Biuer-HiiiidM, Oder fQntl, t^IvftundM lu W>it«ni-
Irlfl . Colin. &»y Peto M«U»u (M Bl. 4° o }.). - Porlliclie rt^aute . , , Von Vtfl-
Boniuilqueraiw iiDi) $. ni Tm (*dum cQlIqcluin. I Oic Nirtcniiuiftl iit nun bey-
. • ■ (DariB 9. 1M:) lluni Rippach thul CTwhncklicVi tliunim . . ,
Schöne Spiclewerk, sch&nc Rarität!
Str. 1 Z. 4 Spiel-Werck 6,4 in dem l3,2Cabmete 14,2 im
Bette 21,4 Geld 30,2 Mantel 41,2 Der Strick 43,2 trircken
4S,2 mit seinem 45,3 Maul-Beer-Baum 45,4 in diesem 46,2
Säufft S2,3 Domi*fan S3,l Diogenis 5 3,4 schöne etc. 55,2 Staat,
56,1 Weissenfe Ische 58,3 Reincke Fuchs 59,2 Ein HälJscher
61,5 Spielwerck . . .
Im übrigen stimmen die beiden Drucke so genau milein-
ander, daß sogar die Seitenabteilung dieselbe geblieben ist. Be-
merkenswerte Verschiedenheiten von diesen beiden zusammen-
gehörigen Drucken weist ein dritter Druck der Königlidien
Bibliothek auf: Yk 982:
Schöne RARItäten- | Kasten, | Schöne Spielwerck |
alles lebendig, alles lebendig | zu sehen | In die Kasten
von die Wellisch Mann, | vor ein viertel Orosch ) Vor
der Meß, in der Meß und nach der Meß. | (4 Bl. 4" o. O.
u. j, Rückseite des ersten Blatts leer.) Dieser Druck enthill
62 Strophen, wobei die Verse nicht abgesetzt sind, mit folgenden
Abweichungen von den vorigen Drucken;
Str. 2. Nun möchtstu . . . schöne Rarität etc. 3 ein Frau
gibt mir ein Kanne Bier . . . Pfennige . . . Rarität, etc 6 in den
Schaaf-Stall seyn, schöne Rarität, etc 7 dazu aus Dennemarck
und Preussen . . . schöne Rarität etc.
10. Doch aber, ey! wie wunderlich! seht wie das Spiel
verändert sich, Carol der grosse Schweden-Held, stellt sich vor
Leipzig in das Feld, schöne Rarität etc
lt. Der tapffere Friederich August, kömmt zu der Sachsen
Freud und Lust nebst Stanisiaum auch herbey, da seht ihr hier
der Könige drey, schöne Rarität etc
12. Hierauf wird nun der Fried geschlossen, das macht
den Russen grossen Possen; sie rültzen, stincken wie die Schwein^
von Knobelauch und Brandewein, schöne Rarität clc
An Stelle dieser 3 Strophen finden sich in den beiden
anderen Drucken nur 2, so daß nun die I3te Strophe dieses
Druckes der sonstigen I2ten entspricht usw.
14 (bezw. 13) die Maintenon w&nscht nicht zu leben, weil
sich Turin nicht hat ergeben, schöne Rarität etc.
A. Kopp-
15 (14) Madame de Force 16 (15) der leid von seinem
Groß-Papa 17 (t6) praver Held 18 (t7) in Bayern
20. Hier ist der höflich Orleans, macht in Savoyen einen
Tanfz, es ist ihm aber sehr mißlungen, drum isl er schnell ins
G'bürg gesprungen, schöne Rariläl. elc. (19 der anderen Drucke
fehlt hier.)
24 (23) Fräulein Fetz 25 (24) Marlebourg der brave Held,
Louis von Baaden sihts mit an, weil er nicht allzeit helffen kan,
schiene Rarität, etc.
26 (statt 25). Der Bayer-Fürst siht traurig drein, machl
liebst dem Villeroy lange Pein (I, Bein'); fast Braband und gantz
Niederland, wird König Carlen zugcN/andt, schöne Rarität etc.
30 (29) gröste Keul ... der grosse Paß (st BaB) . . .
Tubal-Cains 36 (35) voll Thränen 42 (41) den Strick 43 (42)
den eine Schwalb ins Auge scheist . . . Schwantz niemahls . . .
45 (44) liegt hie 49 (48) Gygis Ring 34 (53) Dioginis 57 (56)
Weisenfelsche . . . den Ireuesten Cammerad ... 58 (57) seel.
Poller-Hanß ... die Pursch ... 59 (58) Zeitz, sitzen . . . Reincke-
Fuchs ... 60(59) ein Hälüscher Pietisten Prügel 62(61) den
Welschen Mann . . . Margaretha . . .
Die Ereignisse, die hier in den Strophen io bis 12 er-
wähnt werden, fallen in das Jahr 1706 (24. Sept Altranstädter
Friede), während jene davon abweichende Fassung, von der zwei
Drucke beschrieben sind, die Begebenheiten unmittelbar im An-
schluß an die Schlacht bei Höchslädt 1704 (13. Aug.) darstellt
und jedenfalls als die frühere gelten muß.
Von der Beliebtheit und Verbreitung des Raritäten-Liedes
legen Zeugnis ab zahlreiche Dichterstellen, welche dazu Nach-
ahmungen und Anspielungen bieten:
Poetische Fricass^e . . . von Verimontaniquerano,
Colin 1715 S 6t (= Musophili Vergnügter Poetischer
Zeitvertreib, Dreßden u. Lpz. 1717 S. 189): Quodlibet
Die Welt liegt itzt im argen, Runda, Sie will das Geld zusanimen
kargen, Sa, sa . . . Darin S. 64:
Schöne Raritilcn, schöne Spietwocke,
La bella Catharina,
Cbarmanlc Rosina,
Schöne Spidewerk, sdione Rarität!
Hc, habt ihre denn noch nicht vemommcn?
Daß wiedemmb ein Mann aus Wclschland angekommen,
Ihr könnet vor drey Ptcmige hier die schönsten Wunder-Sachen
Ma foi, in diesem Kasten sehn, die vürdig zu belachen.
Doch acht ich dacht es wohl, es riti das Volle mit Haufen
Mit Lust herzu zu laufen.
Heran, heran, ich thu nun meinen Kasten auf . . .
In einem Singspiel «Le Bon Vivant, Oder die Leip-
ziger Messe" (i'io, Hamburg) erscheint im siebenten Auf-
tritt der ersten Handlung «ein Savoyard mit einem Raritttcn-
Kasten« und ruft:
Schöne Rarität, schöne SpielewcrcV.
La bella Catharina,
La Santa Magdalena.
Die sieben Chur Fürsten von Heydelberg,
Schöne Raritäl, schöne Spielewerck.
Nachdem Andreas, der Diener, für Katharina, das Kammer-
mädchen, und für sich seSber je einen Dreier bezahlt hat, vStecken
sie den Kopf in den Kasten, der Savoyard singt":
5d thu ich meinen Kasten auf.
Ein jeder legt ein Dreyer drauf,
Seht hier die schöne Rarität:
Wie dort die heü'ge Magdalena steht
Da sind die heil'gcn drcy Könige zarl,
Mit weissen, rohten, und schwartzen Bart,
Die schöne Cathrin auf ihrem Trohn,
Sie giänlzt wie Mond und Sterne schon.
Die sieben Chiirförsten von Heydelberg,
Dort sitzen sie am grünen Berg.
Die Hirsch' und Rehe jung und ah,
Und so war Simson ehe gestallt.
Hier ist die schöne Helena,
Auch sitzt der König Salomon da.
Hier ist des Königs von Babel Schmaufi^,
I7nd damit ist mein Kasten aus.
Schöne Rariiät!
Schone Spielewerck!
(Wie er ausgesungen hat, kommen sie wieder mit den
Köpfen unterm weißen Tuch hervor.)
Im Kehrreim dieser Gesänge bildet außer dem allgemeinen
Hiawds auf die gebotenen Herrlichkeiten durch die Worte
r
308 A. Kopp,
■Schöne Spielewerk, schöne Rarität" die «bella Catharina" ständige
Zutat, während an zweiter Stelle die Namen schwanken, am
hSungsten jedoch die «charmante Margaret" auftritt
Besonders bei lustigen Darstellungen zu Hochzeiten ist der
welsche Mann oder Savoyer mit seinem Rarilatenkasten eine
beliebte Figur:
Hominer, Musen-Cabinet, Lpz. 1708, S. 1185: Cou-
rante Margarete, schöne Spiele-Wercke bey der ... Hochzeit in
Ldpzig den 24. OcL 1698 vorgestellel . . .
Du schwartzer Bräutigam, und Kunsterfahmer Mann,
Der in Savoyer sich so wohl verstellen kan . . .
Schaut schdne Spiele-Werek, schaut schöne Rarität,
SfincC liUracl, Catharin, courante Mu^arel.
Seht, hier wird der Friede zu Ryttwick geschlossen,
Und dort ein Marqvis im Duell erschossen . . .
O schöne Spielewerck! O schöne Rarität!
Sanct hüncE, Catharin, courante Maigaret . . .
Geländers Vcriicbte-Galante, Sinn-Vermischle und
Qrab-Qedichle (Hamburg und Lpz. 1716. TJtelauflage
davon in: Sammlung Allerhand Sinnreicher Qedichte,
Stockholm 172 1) entlialten (S. 414) ein Hochzeitsgedicht,
welches überschrieben ist «Allerhand schöne Raritäten und schöne
Spiele-Wercke", und worin «der Teutsche Welsche Mann" aus-
ruft: Schaut schöne Rarität! schaut schöne Spiele-Werck!
Ein Hochzeils-Quodlibet Picander-Henricis (3, 1732,
S. 2S4) twginnt und schließt mit .Schön Spielwerck! schöne
Raritäten" und wiederholt auch zwischendrein diese ständigen
Worte. In einem andern Hochzeits-Quodhbet desselben Dichters
vom Jahre 1737 (5,84) »Du kleines Närrchen, schmolle nicht»
hdßt es im weitem Verlauf: Wer guckt in meinen Kasten nein,
( Seht schöne Raritäten . . .
Anderweitige Stellen, die sich auf das alte Raritälen-üed
beziehen, sind folgende:
Jean Chrct Toucement Des Deutsch-Francos
Schrifften 1736 S. 383 (1772 S. 29t):
O! schöne Rant^! o! schön« Spiele Werck!
Komm her ihr liet>e Leut. und ihu darauf vohl merck.
La belle Catharine. charmante Margareth
Und nock viel schöne Sack tind schöne Rarität.
Schöne Spielewerk, schöne RaritAt!
Jeßund ick Ihu die Kaste auf,
Ehn Mann er l^k ehn Krosch darauf,
Ehn Frau sie kcb ehn Kanne Bier,
Ehn Kind kar nicks und schau dafür
Viel schotie Spiclewcrck, viri schöne Raiitfe . . .
Auch das Titelbild zu des Deutsch- Franzosen Trömer
Schriften in beiden Ausgaben, 1 736 und 17 70, stellt einen
Raritätenschrank dar mit der Aufschrift „Schöne Rarität, schöne
Spielewerk", und im zweiten Teil beginnt ein Gedicht (S. 44):
An Augustus Tagk. 1741. Messeurs, Madames komms ehr! ihr
etwas iß SU seh, | Da verd sie seh, was denn? kroß schöne
Raritees, \ Nicks belle Catharinc, nicks Urschel Margarelh, | Nicks
kroße tod Monarehk uf sein Paradebett . . .
Eine Schritt über .Leben, Übelthaten und gerechtes
Urtheil . . . Süß Oppenheimers" 1738 beginnt: Holla he!
Herbei ihr Juden und Christen! Wer will sehen? Jetzt thu ich
meinen Kasten äuf, und will euch zeigen schöne Spielewerck,
schöne Rarite . . .
Eine Handschrift der Darmslädter Hofbibliothek enthält
Partituren von Endler, darunter .Der Raritaeten Mann in
einer Cantata, den 16. Apr. 1747. Poesie Par Mons.
Büchner, et Comp, j S Endler."
Uff di mein Parol womit iks besterk mein Sak is dismohl
rekt lustik su seh o sena Spilawerk o sena Rarit^.
Un daß sis wol merk si gomm nur bey Seit ik vcis irs
nok eut un morken nit me o sena Spilawerk o sena Rarite.
A sa, keb si wol akt, ik presentir si, was kans Europa
maki . . . Nun seh si swey hok hok Thron uff der ein siz
Kerektikeil un Majeslet in voller Klans, das is si der klorreik
Roemis Geiser Frans, uff der ander siz Liebe un Soenheit in
groser Sahl, das is si sein unferkleikelik sena sena KemahL O
bella Maria o bclla Teresa so ruff bey diser Seit all di mein
Landes Leut un das mit kar groß Rekt, Ma ma bella Catarina
e bella Margaretha das ruff si kar nit mer, ik saks ir bey mein
Ehr, es klink si kar su slekt . . .
Es würdet! sich noch viele Stellen ähnlicher Art aus der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts anführen lassen; später wurde
A. Kopp.
der Raritätenschrank scilener, und jenes ursprüngliche Lied vmrde
bei veränderter Gestalt in mehr oder minder enger Anlehnung
daran, einschließlich des Kehrreims, auf den Guckkasten über-
tragen. Sehr bekannt ist Klamer Schmidts Lied, welches noch
bis in die neueste Zeit volkstümlicher Beliebtheit sich erfreut hat;
Frischbier, Ostpreußische Volkslieder 1893. gibt als Nr. 99: »Ich
bin ein aller deutscher Mann, das seht ihr meiner Nase an".
Ein Guckkastenlied »aus Hildburghausen 1854«, leider ohne
Kehrreim, der gewiß nicht gemangeil haben wird, findet man in
Erk-Böhmes Liederhort III, S. 5lS, Nr. 1721, woselbst die erste
von S Strophen im ganzen, dem Tonfall nach dem Schmidtschen
wie dem alten Raritäten-Lied e durchaus entsprechend, also lautet:
Herbei, ihr Lcutel, komint zu Häuf!
Jetzt mach ich euch den Guckkuten auf.
Für einen Batzen schauet ihr
Viel Wundeibaies - komint nur hier . . .
Alle diese Ouck- und Raritäten- Kasten-Gesänge scheinen
mehr Nachahmungen des großen, oben vorangestellten Gedichtes,
das wahrscheinlich Neumeister zum Verfasser hat, als wirklicher
von leibhaften Rariläten-Männcrn gesungener Lieder zu sein,
während jene Neumeistersche Karikatur wohl nach dem Leben
gearbeitet und aus der Wirklichkeit geschöpft ist Die stärkste
Familienähnlichkeit mit diesem Muster weist ein bisher nur aus
(liegenden Einzeldrucken bekanntes Gedicht auf, das durch ein
paar Zwischenstufen mit allmählicher Umarbeitung und bei fort«
gesetzter, im Anschluß an wichtige Zeilbegebenheiten schrittweise
folgender Abwandlung vielleicht sogar unmittelbar aus jenem
Uteren Stammgedicht hervorgegangen sein könnte. Auch dieses
verdient, vollständig abgedruckt zu werden.
I. Das ist der Khöne Leichenzug,
Als man Jakob zu Grabe trug;
Dort seht ihr Flor und Tiicher wetin,
Und vorn den Jungen mit dem Kreuze gehn.
Schöne Spidewerk! Schöne Rarität!
O bcltit Kathrinc! scharmante Marereth!
O schöne Spielewcrk, o schöne Rarität!
3. Den großen Cubachs Foliant
Mit galdnem Schnitt tn schwarEeiii Band,
I
Schöne Spielewerk, schöne Rarität! 311
Mit dem sichs kläglich zugetragen,
Daß Hans hat seine Qret' erschlagen.
Schöne SpieJererk etc.
3. Da seht ihr's schöne ParaddB,
Der Mond scheint klar, die Sonne heiß.
Und Eva greift mit lüsterm Gaurn
Zum Apfel hin auf jenem Baum.
Schöne Spielewerk etc.
4. Den großen Mogul hab' ich auch,
Schwarz im Gesicht, am Leibe rauch;
Es glänzt sein großer Diamant,
Vor ihm beugt sich ein Elephant
Schöne Spielewerk etc
5. O Kriegsgeschrey, Kanonenknall,
Der Schwerdter Lärm und Paukenschall;
Die ganze Welt erhebet sich,
Sieh da: zwey Mäusldn beißen sich.
Schöne Spielewerk etc
6. Stolz steht der große Riesenmann,
Und David kömmt getrost heran,
Zidt recht und wirft ihn an den Kopf,
Da purzelt Goliath der Tropf.
Schöne Spielewerk etc.
7. Das ist der schöne Absalon,
Des frommen König Davids Sohn,
Hangt mit den Haaren an einem Baum,
Und Joab macht seiner Seele Raum.
Schöne Spielewerk etc
8. Herr Elliot dn braver Mann,
Der feur'ge Kugeln speyen kann;
Der Spanier und Franzosen Häuf
Wohl sperret Maul und Nase auf.
Schöne Spielewerk etc
9. Das schöne Weibchen Bathseba
Sitzt säuberlich im Bade da;
Durchs Perspectiv schaut David her
Und guckt und Ucht und freut sich sehr.
Schöne Spidewerk etc
10. Hans Sachse, ah! dn großer Schuh
Macher und auch Poet dazu,
Kömmt schön allhier heranspaziert,
Mit Pech und Dinte brav beschmiert
Schöne Spidewerk etc
3t 2 A. Kopp.
11. Ein Mädchen schSn und tiigendsam
Geht, als sie schier vom Tan» kam,
Und bringt in einer Schüssel schwer
Johannis blutgen Kopf datier.
Schöne Spielewcrlc etc.
13, Dahier speiÖt man die Kirmesgans,
Hans MichcS fidelt auf zum Tanz;
Zum raschen Sprunge stampft der Knecht,
Und schwenkt die pttimpe Mieltc recht
Schöne Spielcwcrlc etc-
U. Nun »hant wohl auf und guckt hin«n;
Das vird das Alterletzte seyn.
Sieh da, ich will es euch nur sagen:
Die ganze Welt mit Brettern bcschEagen,
Schöne Spielewerk etc.
14. Dort zeigt auch ein Schulmeister sich
Mit seinem Zepter fürchterlich;
Er paukt den Takt aus aller Macht,
Die Jungen schreyen, daß es kracht.
Schöne Spielcwcxk etc.
!S. Dort hält des Nachbars junRC Magd
Mit ihren Flehen eine Jagd;
Jetzt fing sie einen übem Knie,
Das war ein ungeheures Vieh.
Schöne Spiclewcrk elc.
16. Zachfius auf dem Maulbeerbaum
Hitl auch in meinem Kasten Raum;
Doch weil ich ihn nicht hab bekommen,
Hab ich ihn auch nicht milgcnommcn.
Schöne Spieiewcrk etc.
17. Zuletzt kommt noch was nimches vor:
Ein Riese - und in seinem Ohr
Ein Zwerg, der giebt von da herilber
Ihm mit der Holzaxt Nasenstüber.
Schöne SpieleTcerk etc.
18. Habt Dank für eure Audieni,
Und was ihr gebt zum Recompenz -
Und wer sagt, daß ich ihn betrogen,
Der hat es wie ein Schelm gelogen.
Schöne Spiclewcrk de.
19. Nun schließ ich meinen Kasten zu,
Und geh nach Haus in guter Ruh -
Und wer sagt, dafl ich ihn betrogen.
Schöne Spielcwerk, schöne Riritäl!
Der hats in seine Giisch' gelogen.
Schöne Bpidewtrkl Schöne Raritäl!
O belU Katlirinel scharminte Margreth!
O schöne Spielevak, o schöne Rarilitl
So findet sich das Gedicht im wesentlichen Dbercinstimniend,
mit iußerst geringfügigen Abweichungen in folgenden vier Eitizel-
dnicken, die wohl sämtlich aus der Solbrigschen Buchdruckerei
stammen, wenn auch nur der erste äne ausdrückliche Angabe
darüber aufzuweisen hat:
Vier Lieder. Das Erste. An dem schönsten Frühlingsmorgen.
Das Zweyte. Als in dem verfloflnen Jahr, Leipziger Ostermesse
war. Das Dritte. Das ist der schöne Leichenzug, als man Jakob
zu Grabe trug. Das Vierte. Ein Madchen sah ich jüngst im
Traum, hört nur was da geschehen. Leipzig, in der Solbrigschen
Buchdruckerey. 32 (Yd 7912 SL 82).
Vier schöne Lieder, Das Erste. Als In dem verfloßnen
Jahr, Leipziger Oslermesse war. Das Zweyte. Das ist der schöne
Leichenzug . . . Das Dritte. Ein Mädchen sah ich jüngst im
Traum . . - Das Vierte. Ey nun so schlag der Plunder drein . . .
Gedruckt in diesem Jahr. (32) (Vd 7901. 111).
Vier schöne neue Lieder, Das Erste. Als in dem verfloßnen
Jshr . . . Das Zweyte. Das ist der schöne 1-eichenzug . . . Das
Dritte. Ein Midchcn sah ich fängst im Traum . . . Das Vierte.
Ey nun so schlag der Plunder drein . . . Gedruckt in diesem
Jahr. (32) (Yd 790i. IV).
■Vier schöne neue Lieder . . . (32-. Dieser Druck (Vd 7920
St. 29) stimmt so genau mit demjenigen in Yd 790t, Band IV,
Qberein, daß man sie für gleich ansehen könnte, doch sind es
voneinander verschiedene Drucke.
Ein fünftes Liederheftchen, welches diesen heitern Gesang
enthilt, stammt aus einer Berliner Druckerei: Fünf ganz neue
Gesinge. Me!. Dem Teufel verschreib' ich mich nicht. 1. Es lebe
auf Erden der Mann ... 4. Das ist der schöne Leichenzug . . .
S. Wer lebt im Kirchspiel, sage mir. Zu bekommen bey dem
Buchdrucker Littfas in Beriin [112] (Yd 7904. III). Hier ist die
fünfzehnte Strophe wegen ihrer Derbheit weggelassen, sonst finden
Ardiio nr Kulturpschicblc. [I. SO
314 A. Kopp.
sich nur unwesentliche Versdiiedenheitcn von den andern Drucken
bis auf den Schluß:
Und v«r sagt, dafi ich ihn betrogen,
Der hat es wahrlich nicht gelogen.
Außerhalb dieser ganzen Gruppe, die nach Kehrreim und
Strophenbau gemeinsamen Ursprung verrät, steht für sich allein
auf einer noch niedrigeren Stufe des Witzes ein anderes welsch-
deutsches Raritätenlied,') welches beginnt nRaritäte sein ßu sehn,
schöne Raritäte". Satirische Streiflichter auf merkwürdige Zcit-
begebenheiten, auf berühmte Tagesgrö&en finden sich hierin nicht,
ebenso wenig werden karikierte Bilder aus der deutschen, griechi-
schen, römischen Geschichte, Sagenwelt, Volkskunde vorgeführt,
die Raritäten beschränken sich durchaus auf biblische Stoffe, wobei ■
nur gelreue Nachbildungen davon gegeben werden und in dem
drolligen Kauderwelsch der Sprache sich der schwache Humor
erschöpft - nicht daß wie bei Neumeister sogar die biblischen
Dinge mit überlegener und kecker Laune behandelt würden oder
wie bei dem späteren Schößling des allen Stammes diese Dinge
mit unheiligei und niedrigen kunterbunt untereinandergeworfen
und vermengt wären. Übrigens haben di«e beiden späteren
Raritäten- Lieder viele Figuren und Stoffe gemeinsam. In beiden
kommt vor das Paradies mit Adam und Eva; David und Goliath,
David und Bathseba, Joab und Absalon sind vertreten. Biblische
Figuren mögen wohl in jedem wirklichen Raritäten kästen den
Hauptbestandteil ausgemacht haben, sie verloren im bunten Wechsel
der Zeit niemals von ihrer Anziehungskraft für Kinder und volks-
tümliche Kreise, wogegen Erscheinungen der Zeitgeschichte bis-
weilen sehr schnell ihre Volkstümlichkeit einbüßten und aus dem
Gedächtnis der Mitwelt und vollends der Nachwelt verdrängt
wurden. Wie sollte der armselige Kramj woraus der Inhalt jener alten
Raritäten kästen meist bestand, immer dem Wellenlauf zu folgen,
beständig Neues mit einigem Schein herausgeputzt zu bieten und
Veraltetes auszuscheiden in der Lage gewesen sein? Gewiß läßt
sidi annehmen, daß man oft ältere Figuren einfach umgetauft oder
I
I
I
l) Cilt-Iimo H.V, S- 4«, Nf. JO In II Sil Rik-IlnKnir, ticdttliort UI, S JH. Ni.
IT« risent. 11 S(r. Fl Bl. Vd 7901. IV: Fönf «hönr neue Urdcr Du Enle. lUriüncn
itn lU idtn . . 14 Mr. Yil I90I llt: .Sleboi Nnce Aricti* |B«ilin, Z£ni|[lbl IS) 6. Mt
(inn lulltntKbcn Kukkuttn-Munn. Rtrilitc iqrn *u Mhii . . . rj Su.
Schöne Spieleverk, schöne Raritäl!
nach Bedürfnis für andere Zwecke zugestutzt habe. Eine so große
MannigfaJtigkeit der Gegenstände, wie sie das Gedicht Neumeisters
vorführt, mag in Wirklichkeit schwerlich jemals vorhanden ge-
wesen sein, abgesehen davon, daß dort im Scherz unmögliche
Dinge wie .aus Pharaos Traum eine dürre Kuh" oder solche,
die nur in parodisdschem Sinne verwendbar sind, wie «der Stein
der Abimelech schlug', wofür der erste beste Feldstein dienen
könnte, zwischendrein genannt werden. Im Reiche der Ein-
bildungskraft kostet es nur ein Mundaufmachen, um die größte
Mannigfaltigkeit und Fülle der Gestalten vors Auge zu zaubern;
in Wirklichkeil sieht es hier wie sonstwo dürftiger aus. Ein
geistreicher Dichter vermochte die engen Wände des Raritäten-
kastens unendlich zu erweitern und für gebildete, frohgesinnte
Leute mit geringer Mühe die ganze Welt auf belustigende Weise
darzustellen. Derjenige, der wie jeden andern brauchbaren Faden
frtiherer Dichtkunst auch diesen einmal weilerspann und ihn dabei
mit Glanz und Farbe seines reichen Geistes versah, war Goethe.')
Sein njahrmarktsfest von Plundersweilem " beruht im letzten
Grunde auf Ertnnerungsbtldernj die sich ihm von Jahrmärkten
und Straßen her eingeprägt hatten, worunter neben andern Messe-
lautem und Schaustellern auch die Raritätenmänner eine gewisse
Rolle gespielt haben mögen.
Daß jene früheren Bänkelsängerlieder mit Raritäten- oder
Quckkasten-Einkleidung selbst jetzt noch immer nicht ganz ver-
schollen sind, daß ihnen Liebhaber erstanden, die ihnen Beach-
tung schenkten und sie der Nachahmung für würdig hielten, das
mag ein Lied aus dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts be-
weisen : « Des alten Deutsch- Franzosen Guckkastenbilder vom
Berliner Frauenkongreß 1896", wovon die beiden ersten und die
beiden letzten Strophen also lauten:
■> Wix Hirrmnnn h«i iih*r Qanhn J iltmi»rlrt»(Mi m PiundenvHlimi tin Baeh
von bcltuihr 3<k SdtFit VEttißt (IMpD) AfchiRt dei oben «vitinEcn BcIripIclIcTi lind bcrriU
bd Hcnrnann lu fndm. Ihm wv jnlocli drr Dnflull d« Ritrilllcnponte auf Oocthc dir
HutpOathc. und er AtHTKhltn dloen F-inru(1, Eine Methode, die hei )edcr tLlnicIhdL
bei ftdeni Wutt und jedem Oedinkm die gmaue Stufenlalge von Kc»m. Wichiluin und
Reite rcbi! ebrnio cmtuer ZeitbrnlrnmuTiii IBi itäe Sliite elautil ritnlK^ln rn knnnpr, mun
noMeniliG dii Herhir vrtfrhicn und in IrrlUnier geraten. Hat JahnntrkUlen vnn I'limdct»-
weilrm aber «■Urde. wetm n nicht Oocilin Nimm irlice. ylcJkldit lum •tttloioi litcn-
rtKhen Schott sererbnti v«drn und keln«l(.>1i eine k> mlkroikopiiiche Behwidlun); vetdiniea.
20"
A. Kopp.
Ick bin die kuter Deiitsch-Fnnßos,
Bin Cberall, wo etwas los.
Will Beigen - sehr von Interess' —
Euk Bilder von die Fraunkongieß.
O sehre schöne Spieleverlt, o schöne Rarität!
El, sfi&e Kathrins! hm, sittliche Lina! pst, holde Maigrd!
Ach, rdzende Lilyl
Kile, kile, kily!
O kIixc schöne Spiciewcrk, o schöne Rarißt!
Wie leuktct schön die Morgenstern!
Schon ist die eile Tag niclit fem;
Die Frauen tagen unverßagt,
Bis daß es ank an 'immel tagt.
O sehre schöne Spiclcweik etc.
• • ■ >
« *
Dem freien Weibe freie Bahn!
Djis 'enne kräht, es schweigt die ahn;
Seht 'ier kanz bloß geschlagne Mann,
Und sie 'at 'osen seiner an.
O sehre schöne Spielevcerk etc
■ •
tck bin die armer Deutseh-Franßos,
KeFlickt und schickt ist meiner "os;
Will eine kaufen von mes dames?
Da liegt sie — Plalt-ü? Ah, mon äme!
O sehre schöne Spielcwerkj o schöne Rarität!
Ei, süße Kathrins! hm, göUliche Lina! pst, holde Margret!
Adi, reizende Lilyl
Kile, kile, kily!
O sehre schöne Spielewerk, o schöne Rarität!
• ■
•
Eine vom Rarilätenkaslen ganz verschiedene, wiewohl damit
zusamtiienhängende, ja durch Personalunion wohl öfter datnit
eng verbundene VolksbelLsügung und Jahrmarlrtsfreude stellt sich
im Schattenspiel dar. Auch dieses hatte seine Lieder, gewöhnlich
eljenfalls in französisch-deutscher Radebrechung, weil dieses ganze
Schau kastengewcrbc größtenteils in Händen von Welschen lag;
bisweilen kommt auch eine italienische Beimischung vor. Der
Berliner Sammelband fliegender jahrmarktsd rucke Yd 7905 ent-
hUl zwei solcher Lieder;
Schön« Spidewcrk, schöne Radtitl
SchJittoi-Spid-Lied eines Savojardcn, von Adam und Er».
WoU si schatte Schattenspiel ?
Hab sie Spaß, und darf nit viel
Mir daffir bezahlen.
Ick vill euck hier an die Wand
Durck die Schallen, allerhand
Kanß posirlig mahlen.
Dreh dasu die Orgel um:
Diedel - diedel - diedeldum -
Schöne Schattenspiele!
Das Lied besteht aus 1 1 Strophen mit dem Kehrreim :
■ Diedel - diedel - diedeldum - Schöne Schattenspiele!«
Während in diesem Liede der Kehrreim »Schöne Schatten-
spiele" an die Raritätenlieder anklingt, stimmt im folgenden der
Strophenbau damit überein:
Schattcnsptd-Lied eines Savojarden,
aus der Ceschichle Samsons.
Messieurst Mesdam's! ick prisentir:
Wie ebne Löve altacldr
Die Samson. auf die grüne Plaz,
Als er vill keh su seine Schu.
Cospctto qua! cospctio ia! I, a, ha, ha!
Dies Lied verläuft in 24 Strophen mit dem Kehrreim:
•Cospetio qua! cospctto 1a! i, a, ha, ha!"
Es ist sicher kein Zufall, daß in beiden Liedern ebenfalls
wieder biblische Stoffe gewählt sind; solche haben in allen der-
artigen Schaustellungen offenbar überwogen.
In Goethes Jahrmarktsfest tritt ein Schattenspiel mann auf,
nicht aber ein Rantätenmann. Weshalb ein RarilSfenkasfen den
großen Dichter zu seinem Schön bartspiel am stärksten begcislcrt
und veranlaßt haben sollle, läßt sich nicht einsehen; Puppen- und
Schatten -Spiel-Darstellungen haben mindestens einen ebenso großen
Einfluß geübt. Erinnerungen an Jahrmarkts- und Siraßen-Bitder
hafteten in Goethes Gedächtnis, tauchten gelegentlich darin auf
und machten ihm Lust, sie mit kräftigen, derben Strichen wieder-
zugeben. Viel mehr wird sich über das ganze nicht sagen lassen
und verlohnt sich nicht zu sagen.
Zur Geschichte der Zensur und des
Schriftwesens in Bayern.
Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung, nach archivalischen
Quellen bearbeitet
Von FERDINAND LORENZ.
Einleitung.
Aufklärungsgeschichte hat viele Lebensäußerungen zu be-
achten. Je nachdem sich diese gegeneinander verschieben, fallt
darauf ein anderes Licht. Nichts steht außer Zusammenhang. Es
ist v^ie in einem großen Spiegelsaal, der die Vorgänge in seinem
Innern tausendfältig zuriickwirft.
So vermag folgender Beilrag zur Geschichte der Zensur
und des Schriftwesens manches von einer eigenen Seite zu zeigen.
Schon im Jahre 1803 verwunderte sich Christoph Aretin,') daß
ncch keine Geschichte der Bücheizensur geschrieben sei, da doch
ihr Nutzen in vielfacher Rücksicht sehr groß und ihre Bearbeitung
schon von mehreren Gelehrten gewünscht worden sei. Er er-
innerte an die allseitig diesem Gegenstand gezollte Teilnahme von
Königen und Literaten, wies auf Schlözers Briefwechsel, den
deutschen Merkur, auf den unglücklichen Helder von Werelä,*)
der bereits IJ74 eine sorgfällige Erwägung der Preßgesetze emp.
fahl und die nicht geniißbrauchte Preßfrcilidt zu Ansehen brachte,
deren bescheidene Weisung einen Karl XL vor verhaßten Neue-
rungen, einen Karl XII. vor Herrschsucht hätte bewahren können.
Als die Tätigkeit des Geistes sich zu einer mächtigen Reg-
samkeit emporschwang und allgeprägle Meinungen in Religion
i| B«itneF lUT Ocschlchl* und Lilcnlur. Mflnehn IUI. IN. W.
*| SchJdMn Unchrechscl V[l, 11 I.
I
Zur 0«chichte der Zensur und des Schriftwesen» ia Bayern.
und Sitte der Obhut der Aulorilät entriß, erschienen i486 Kurfürst
Bcrihold von Mainz und zehn Jahre darnach Papst Alexander VI.
mit einem Machtspnicli der Entmündigung. Der Speyerer Reichs-
tagsabschied vor 1529 verhalf der Zensur zum Leben. Kurz
vorher und bald darauf erschienen die ersten bayerischen Zensur-
mandate,*) und iS6i wurde eine Zensurkomniission mit den
Jesuiten. Canisius und Peltanus bestellt. Max IM. Josef begründete
durch das Mandat vom I. August 1769') das Bücherzensur-
kollegiiim in München und machte dessen Urteil für «alle Bücher,
Schriften, Theses, Zeitungen, Monat- und Wochenstücke« ver-
bindlich, die im Inland erscheinen oder von außen eingeführt-
würden. Die Maut- und Al{2isämier an der Grenze hatten die
Büchereinfuhr zu beaufsichtigen. Die einzuführenden Bücher
bedurften eines Freipasses des Kollegiums; mangels solchen waren
sie an das Kollegium abzuliefern. Bücherhausierer mußten mit
einem Paß oder üzenzzettel des Kollegs versehen sein. Ver-
botene Bücher wurden konfisziert Das Kollegium wurde am
10. April 1799 durch eine Bücherzensur-Spezialkommission in
unmittelbarer Unterordnung unter das Ministerium der geistlichen
Angelegenheiten ersetzt und diese Kommission durch Verordnung
vom 13. Juni 180J beseitigt Die allgemeinen Polizeibehörden
handhabten von nun an auch die Prelipolizei. Wir erfahren, daß
jene erste Umwandlung unter Max IV. Josef Unfolgsamkeit und
Geringschätzung verursacht habe. Auch vorher wandte man alle
Mittel auf, sich den Zensurverordnungen zu entziehen. Alle ge-
schichtliche bis auf die Capitularien Karts des Großen zurück-
greifende Erörterung, alle Festlegung unverrückbarer Gesichts-
punkte der Religion, Sitte und landesfürstiichen Gerechtsame, zu
deren Schirmung die Zensur sich angeblich für berufen hielt,
konnte dieser Einrichtung die Befugnis nicht mehr sichern, die
Mittel der Verständigung feslzuschließen.
Die Geschichte der Zensur ist nicht nur eine solche ihrer
Gesetze. Sie hat nicht nur zu zeigen, was Rechtens war.
Jeder Tag konnte gewissenhafte Zensoren vor neue rätselhafte
^ Rinltr, Ondiidile B4y«mi IV, )(H.
^1 O. K- Mijrr, Sjunniliing dtt nois! und mcrWürdl fiten churbalrr. Qenerillen and
Luidaveruidnunucn. ITi, S. iVi. Max Stydcl, B«yerisch« SlMtirecliI, Freibufg Hl', I,
12 I. und I2V.
Ferdinand Lorenz.
Fälle stellen, die nach eirem Ausdruck Freybergs arbitrarisch zu
behandeln waren. Im Hinblick auf die Entwicklung der Zensur-
verbältnissc Deutschlands') gewahren wir, daß die verordnende
Staatsgewalt, im Reich wie in einzelnen Territorien, bestimmte
Regeln oder Grundsätze für die Handhabung der Zensur nicht
gab. Städtische und ständische KÖTJcrschaften, welche die Prcß-
polizci ausübten, bildeten diese Grundsätze selbst oder schalteten
mit Willkür. Infolge des Dreißigfährigen Krieges bößlen diese
Körperschaften in der Zerrüttung aller staatlichen und gesell-
schaftlichen Verhiltnissc ihre Selbständigkeit ein. Die erstarkende
Staatsgewalt suchte von nun ab die Handhabung der Zensur
eigenen oder in katholischen Gegenden ergebenen kirchlichen Or-
ganen zu übertragen oder da, wo das alte Verhältnis äußerlich
bestehen blieb, die bisherige selbständige Wirksamkeit derartiger
Körperschaften in siaalliche Abhängigkeit zu bringen. Auch die
neu geschaffenen gesetzlichen Bedingungen für die Freizügigkeit
literarischer Erzeugnisse konnten nicht so abgezirkelt werden,
daß die schiedsrichterliche Erledigung entbehrlich geworden wäre.
Die jeweilige Ansicht über das We3«n der Preßfreiheit mußte
den Ausschlag geben.
In der Neuen Hamburger Zeitung*) erschien im Oktober
1795 »Eine Fabel" von Mathias Claudius und »Keine Fabel' von
J. H. VoB, Dort will der Löwe den Brummelbär Zensor wieder
losgemacht haben ob der Traktätchenschreiberei der Scekälber,
Skorpionen, Füchse, Kreuzspinnen, Paviane, Luchse. Bei Voß
erscheint der in düsteren Synagogen genährte Kauz vor dem
Adler mit der AnWage gegen den Hahn, den gellenden Trompeter
der unglöcksschwangeren Aufklärung, der als wahrhaftiger lUuminal
die Sonne emporkrähe. »Der Adler tat als hört' er nicht, und
sah ins junge Morgenlicht*
Dies ein Abbild des noch weit ins t9. Jahrhundert hinein-
spielenden Kampfes um das Wesen der Preßfreiheit. Gesetzlichen
Einspruch hielt Friedrich der Große") für nötig, damit die Freiheit
nicht mißbraucht werde. Dem Wohl und der Sicherheit der
I) ArehU füi GrKhlchlt dn dtiibcticn Buchhandtli, l.flp(it iSfl ff. V, ItStf. XV,
IIS. SttBjpt, WäHntuch des dcutirhni VrmltunsirKhli, Fraiburg ll»0.
■) Oetprachnna im Jontmal .DniKchluid* ITH S. 91.
i Im 37. Briet M ilAleml)«!.
I
Zur Qeschichte der Zensur und des Schriftvesens in Bayern. 32I
bürgerlichen Oesellschaft zuwiderlaufend s«! das Pasquill, »Prefl-
frechheit" geißelte Moser,') «Zügellosigkeit" meinte verSclUlich der
Landshuter Universitätsprofessor Gönner.*) Der Annalist Keyser
nannte die Preßfreiheit ein Problem, dessen OröBe man noch nicht
durchgehends gefaßt zu haben scheine. Bei Kant rzum ewigen
Frieden" ist Publizität als Prtifstein für den Wert einer Maxime
angegeben. Der Wandel der Persönlichkeit muß auch hier die
Meinung beeinflussen. Die freien Anschauungen, die Oentz gcgen-
ßber dem Preußenkönig bekundete,'^) mußten sich im Gefolge
Mettcmichs verflüchtigen. Er schrieb nämlich 1818 im ersten
Jahrgang der »Wiener Jahrbücher der Literatur" von einem re-
lativen Begriff, der durch die Zensur erst größere Bestimmtheit
und Sicherheil erhalte. Und Mcltcrnich*) gewährte in der Tat
dem deutschen Buchhandel nur unter der strikten Bedingung
präventiver Maßregeln den staatlichen Schutz. Der bayerische
Minister Abel bekämpfte das Zensuredikt des Ministers Schenk
und suchte etliche Jahre später die Presse zu unterdrücken.
Die Neubelcbiing der Zensur durch Max III. Josef schien
etwas wie ideale Absicht zu haben. Westenrieder sagt in der
Denkrede auf Kennedy, daß die Bücherzensur «keineswegs zur
Unterdrückung der Denk- und Preßfreyheil, sondern vielmehr
2um Schutz und Sicherheit derselben' errichtet worden sei.
Geraume Zeil später haben Morawitzky und Montgclas erkannt,
daß ideale Absichten und Zensur unverträglich seien. Und sie
brauchten nicht sämtliche Plugschriften zu lesen, um die allgemeine
Anklage zu hören. Man rief nach dem «Staatsminister", der dem
Pursten, den Landständen und dem Volk gegenüber nicht heuchelt
und die Regierung niemals irre leitet; der aber nicht die Züge
eines Pariser Fischweibes anzunehmen braucht Man sah in der
Zensur eine aus mißtrauischen Vorurteilen erwachsene Frucht, die
bei gegenseitigem Vertrauen zwischen Volk und Henrecher über-
reif werde. Und ein »aufrichtiger Baicr" versäumte nicht, ISOI
<] Patriot. AnMr Xt. 110.
■) ObenUeVtrinilcnineil«' RcIIglontabuni legen den Ziitrtnddn Norniillihrn. iBnz,
^KldiKTC Schriften von rrlediich van Utnii. hcriu*c. von Ouiiav Schi nler, Mtno-
Mn IB38, I,
<] Atchi« i. a d. d B. 1, S1.
r
322
Ferdirand Loma.
in sein politisches Olaubensbekenntnis aufzunehmen: «Ich glatibp,
daß Max Joseph der aufgestellten Censurcommisston die ewige
Rulie allgedeihen lassen v/erdv, da alle Censtiranstalten nur Werk-
zeuge des Obscurantismus sind, alle literarischen Häscher suchen
nur Böses!" Und so geschah es auch am i^. Juni 1S03. Monlgelas
gibt von dem Vorgang folgende Rechenschaft:') « Die Aufklärung
des Jahrhunderts vcrlargte die Beseitigtjng dieser Fessel, weldie
den freien Umlauf der Gedanken hemmte. Die Geister hatten
sich schon zu gut geschult, als daß man die Fessel hätte erfolg-
reich handhaben können.«
Die beliebte Gegenüberstellung der Zeit Karl Theodors und
der seines Nachfolgers nach rechtlichem und tatsächlichem Gehalt
verwehrt nicht die WeKerftlhning der Zensurgeschichle nach den
gegebenen Gesichtspunkten. Wohl auf keinem anderen Gebiet
isl apodiktische Anordnung so schwer. Es war zuweilen nur ein
Spiel mit Begriffen. Auch die Preßgesetze Max Josefs IV. tragen
manche alten Züge. Jla die späteren schienen wieder auszulöschen,
was die ersten freimütig darboten. Die der gänzlichen Verände-
rung der äußeren und der Oebictsverhältnisse Bayerns zur Seite
gehende Neugeslaltung der inneren Staalseinrichtungen auf Grund
der modernen Slaatsideen begünstigte die Abschaffung einer förm-
lichen Organisation der Zensur. Montgelas hegte den Grund-
gedanken der Einheitlichkeit und Zusammenfassung, und die Bei-
behaltung seitheriger Zensurverhäl Inisse wäre auch auf raumliche
Schwierigkeiten gestoßen. Aber die Anschauungen Montgelas'
behielten einen absolutistischen und bureauk ratischen Hauch, und
je mehr Stimmen verlauteten, daß die Preßfreiheit die Panacee
eines konstilutioncllen Staates sei, desto mehr schien jener geneigt,
die freiheitlichen Weisungen der ersten Jahre zu entkräften und
offenherzige Beurteiler seiner Maßnahmen zu beschränken. Die
an die Spitze des ^Genius von Bayern" gestellte Verordnung
vom März 1 801 hatte die Gelehrten zur literarischen Würdigung
der Regierungsbegebenheiten ermuntert, in der Überzeugung,
I
I) Muimillwi Gnf VDn Munruclis. Coni])tc mi-du nu Rot »u( It untlon da d^rlc-
mmls Ort «Hiim «Iranttm. iln nutncrt d dt l'Tnt^ricuf iicfnti» le 16 Mvrler I7?9 |iit-
qu'*u t rtvficr iHir. K. Mol- und Sualitiibliotlirk MOndim.Cod. sill. U9. — Ichscbcdle
Sitlleu Cutui und am dm Uittftn üeulsch.
daß jede mil reinen Absichten geführte Staalsverwaltung von der
Puhlizifät der Handlungen nichts zu fürchten, sondern die woht-
tätigsteti Folgen zu erwarten habe. Freudig stimmte A. Aretin
dahin ein, daß über die bestehenden Gesetze des Staates, seine
Einrichtung und Verwaltung freimütige Untersuchung angestellt
werde. Für den an hoher Steile des Generalschuld ireklori ums
stellenden Frauiiberg nimmt es nicht ein^ wenn er «die Bande
jener Männer", welche die kurfürstlichen Verordnungen ernst-
haft prüften, verwünschte und anzeigte. Die Konstitution von
1S08, welche anderseits von Gewissensfreiheit redete, bestätigte
die Gdlligkeit von Preßgesetzen, die inzwischen durch augen-
blickliche Rücksichten entstanden waren und den Vorteil der
früheren vernichteten.
Allerdings hat die keineswegs eindeutige Sprache der Oe-
set7e zu verschiedener Auslegung und schon in der nächsten
Zeil zu Meinungszwist Anlaß gegeben. Franz von Spaun') hat
die Ansicht vertreten, daß durch den Wortlaut der Verordnung
vom 13. Juni 1803, welche «bei politischen und statistischen
Schriften keine bestimmte Einschränkung" machte, die Zensur
dieser Schriften autgehoben war. Döllinger*) behauptet aus den
Verordnungen vom 6. November 1804 und vom 17. Februar 1806
die fortlaufende Gültigkeit der einschlägigen Vorschrift vom
6. September 1799. Solche Mißverständnisse zogen sich noch
jahrelang hin. Spaun ^) hätte noch der Konstitution von 1818
einen Zusatz gewünscht, daß alle alleren Verordnungen, sofern
die Konstitution ihnen derogiere^ abgeschafft wären und jede Be-
rufung darauf als Verleliung der Verfassung angesehen werden
solle. Trotz des allen Rechtsaxioms, daß durch das neue Gesetz
das ältere aufgehoben wird, sah man letzteres wie zur Reserve
nachhinken- Man griff selbst in die 60er und 70er Jahre des
vorhergehenden Jahrhunderts zurück und suchte sich mit ver-
schimmelten Tartschen zu decken. Ein geordneter Rechtszusland
war dadurch erschwert. Schon die grundlegende Zensurver-
>) fnni von Spiuni iMlItlfchn TnUmcnt. Ein 5cllne cur Qnchlchtt drr PrcA-
Irrihtil iRL «Uacmcincn utiC In b«0(n1«cr Mlntlchl »u1 Biycni. Itcrouti «. Fivnmann.
Crhitam le^i S. ?ii.
I) Saniinlune der ... . Vn-ordnuRnTTi III, !9S. München 18)0.
1 a. ft O, IM.
7ur Geschichte der Zensur und d«s Schriftwesens in Bayern. 325
ificn nicht, »weil eben nicht allezeit Folianten und Quar-
iiejenigen Schriften sind, welche den größten Einfluß auf
urd Auflcläning haben.- Der AnnaEist Keyser*) erblickte
sehr natürliche Erscheinung, wenn gegenwärtig der Brochüren,
Verbesserung zu bezwecken suchen, immer mehrere werden ;
Qnind liegt in der früheren Beschränkung und einem fflrchter-
iien Stillstand, während das Ausland kriftig fortschritt" Im
jerichtswesen treffe man nirgends weniger Publizität als in
Bayern. Als aber Baader 1802 seine »Aussichten, Wünsche
und Beruhigung fürs Vaterland" schrieb, meinte Keyser, »daB
Männer, die sich einmal so geistesfrei als der Verfasser gemacht
haben, die Literatur im Fluge verachten und auch bei Brochüren
die Ansprüche an Gründlichkeit befriedigen- sollten. Es gelte
in Bayern eine vielseitige Einseitigkeit zu bekämpfen.
Die Zeit der Revolution war Überhaupt derartigem Schrift-
wesen hold. Französische Musenalmanache brachten poCsies
fugitives von Voltaire, Marmontel, Laharpe, S. Lambert als gern
gesehene Angebinde in Festlichkeit und gelehrter Gesell rgkeil.^
Und wenn der eiserne Arm, der den Janustempel Öffnete, das
Reich der Musen schloß, die Schwätzer ließen sich nicht ver-
scheuchen. Darum ist nach Feuerbachs Mitteilung") ein Artikel
des 1822 neu veröffentlichten Strafgesetzbuches -als eine gerechte
Würdigung der von unserer Ständeversammluiig zweiter Kammer
mchrßltig erhobenen Beschwerden über die Vielschreiberei" zu
betrachten.
Eine charakteristische Begleitencheinung ist die Anonymität
Denn nicht jeder hatte den Mut wie Babo in seinem Jugend-
druma Arno, die Herkunft der in die Welt gesandten begeisterleti
neuen Kunde zu verraten. Oft legte der Stand dem Schreiber
einen Zwang auf, etwa wenn der Bcnedtktinerabt Rupert Kom-
mann Theaterstücke schrieb. Es ahnten wohl wenige, daß der
gelehrte Streiter für Klostcrduldung ländliche Sitlengemälde mit
Gesang in fünf Aufzügen fertigte.*) Schon die Zeitgenossen
1) Annln isoi, X, i>, n»
^ V£l. Auron. Zciluhcifl im d«ni lüdlichra DcutMhluid, tSftt, Nr. 9.
t A. FeucrtMclit Dioei Nuhtatl II. ut, AnhuiE
') Biader, Lcxllicin vmlorbcncr bi)rTi»ditr SchriftsIclUr da l( niui >9, J^rhnndnti
und 4tc BWwrtnddiiilwe g^ta AufKbluB öbtr »eridvrifjeD« Verf«Mcr.
n*
FerdEssnd Lorenz.
ordnunjE vom i. August 1769 hitte ein mertcrürdiges ScliidcsiL
Sie wurde namlkh durch das bald nachfolgende Erläuienings-
mandit bis zum Encheinen eines Cstalogus libronim prohibitonim
luigetettt. Ein solcher erschien aber nicht, wurde erst in den
90<f Jthren wieder angeregt - und du Zctisurcdtkt hätte bis
dahin eigentlich unwirksam bleiben müssen. Man wird an die
Stelle in Längs Memoiren erinnert: »Das Beste bleibt, daß man
«ich in ßnyern zufrieden giebl, wenn ein Gesetz nur einmal gedruckt
lil, auf den wirklichen Vollzug sieht hernach Niemand mehr.'
Im allgemeinen war die Zensur während des Bestehens einer {
eigenen Behörde eine vcrwalliingsrcchlliche Maßregel und hatte
vorbeugenden Charakter. Durch Überweisung an die allgemeinen i
Polizeibehörden wurde sie fiberwiegend strafrechtlich. Das polU |
zeilichc Verfahren sollte den Vollzug der richterliclien Entscheidung
sichern, griff aber derselben häufig vor und vereitelte sie. ^^
Es hat noch manchen Kampf gekostet, bis Maximilian 11-^^
tn den Otsctien zur Abänderung der Verfassung die volle Preß-
freihcil verherrlichte. Gesetze zum Schutz gegen Mifibrauch I
folgten, aber noch hat kein freimütiger Urleiler solche verdammt
Solche Gesetze greifen tief ins Leben des Volkes, und ein Wort
KOntg Ludwigs hat hier statt: >) .Erfahrung er^t zeigt manches,
WM Theorie nicht lehren kann.- Geschichte der Prcfifreihcit ist
AufkUrungsgcschtchlc. Bold gibt man aus voltcti Händen, bald
kArgltch. Berge und T&ler H-ediseln immer ab.
M
I. LcMStoff und Leselnst
im au<^henden achuehnten Jahrhandert die
WtaMa3(ebieK ausgebaut waren, so gro6 war die
SducibwKckcA AttA dk Lc$c)ust Betüditige Zisdnuer etselmtm
ttettt nnwn tlrnKstriV alt« VnnOCip zn vcibcemMa, dangt aar
te WtrtwUc ibi^ bleibe ckkk den QoM des Fphr'airVn
TtM9«te.*V Wtt^kr 1nt6 tum Ertusc^en cDabeieBkadcr AB-
WotderJ
r^AM*'
r
Zur Geschidite der Zensur und des Schriftveiens in Bayern. j2S
Flugschriften nicht, »weil eben nichl allezeit Folianten und Quar-
tanten diejenigen Schriften sind, welche den größten Einfluß au!
Sitten und Aufklärung habtrn." Der Annalist Keys«') erblickte
«eine sehr natflriirhe Erscheinung, wenn gegenwärtig der Brochüren,
die Verbesserung zu bezwecken suchen, immer mehrere werden ;
der Grund liegt in der früheren Beschränkung und einem fürchter-
lichen Sliltstand, während das Ausland kräftig fortschritL" Im
Gerichtswesen treffe man nirgends weniger Publizität als in
Bayern. Als aber Baader 1802 sane »Aussichten, Wünsche
und Benihigung fürs Vaterland" schrieb, meinte Keyser, rrdaß
Minner, die sich einmal so geistesfrei als der Verfasser gemacht
haben, die Literatur im Fluge verachten und auch bei Brochüren
die Ansprüche an QriJndlichkeit befriedigen" $oltten. Es gelle
in Bayern eine vielseitige Einseitigkeit zu bekämpfen.
Die Zeit der Revolution war überhaupt derartigem SchrJfl-
wcscn hold. Französische Musenalmanache brachten poesies
fugitives von Voltaire, Marmontel, Laharpe, S. Lambert als geni
gesehene Angebinde in Festlichkeit und gelehrter Qeseltigkeit*)
Und wenn der eiserne Arm, der den Janustempel öffnete, das
Reich der Musen schloß, die Schwätzer ließen sich nicht ver-
scheuchen. Darum ist nach Feuerbachs Mitteilung") ein Artikel
des 1822 neu veröffentlichten Strafgesetzbuches ..als eine gerechte
Würdigung der von unserer StändeveiBammlung zweiter Kammer
mehrßltig erhobenen Beschwerden über die Vielschreibcrei" zu
betrachten.
Eine charakteristische Begleiterscheinung ist die Anonymität
Denn nicht jeder hatte den Mut wie Babo in seinem Jugend-
drama Arno, die Herkunft der in die Welt gesandten begeisterten
neuen Kunde zu verraten. Oft legte der Stand dem Schreiber
einen Zwang auf, etwa wenn der Benediktinerabt Rupert Kom-
mann Theaterstücke schrieb. Es ahnten wohl wenige, daß der
gelehrte Streiter für Klosterduldung ländliche Sittengemälde mit
Gesang in fünf Aufzügen fertigte.*) Schon die Zeitgenossen
■) Annil« itn. X. n, ii6
<) Vfl. AHRiri. ZtlUfhnlt mt d>m «adliehcn Dnlichluid, ISM, Nr. 9.
f) A. Feoertwchi Bingi Niehlafl U, Jtft Anhwit
•) Buder, Lexikon vmtarbcii<Tbi/ri(dierS«hr<fUtellct de* 19. und 19. JihrIluadMil
Bitd di« Bfidwrvcnnctaniisc geben AuftchluA über Tcrtchvitgcie Vcriauer.
r
326 Ferdinand Lorenz.
gaben die verscTiietlensten Urteile über eine Erscheinung ab, die
das ZensurJcoÜeg sehr schmerzte. Es haben eben Berufene und
Unberufene zur Feder gegriffen. Von jenen sagl Baader: »Die
kleine Schrifi enthält oll mehr Kraft als das größle Gemälde, und
nicht selten charakterisieren den Oeist des Schriftstellers seine
kleinen Schriften und Aufsätze mehr als seine übrigen gelieferten
Bücher." Kennedy aber verwarf die durch Kürze bedingte Häufig-
keit, die eine moralisch und physisch nicht zu schlecht gestellte
Welt nicht bedürfe.') Auch mittelmäßige Leistungen fanden
Fürsprache, etwa wenn Iselin an Moser schrieb:') »Es brauciil
Schriften für alle Arten von Fähigkeiten . . . Das menschliche
Geschlecht ist den mitlelmäßigen Schriftstellern nicht wenig Dank
schuldig." Und bei dieser begegnet zuweilen eine köstliche
Unbefangenheil.
Dabei spielten die Schmähschriften eine große Rolle; doch
wurden sie wegen der schon unter Karl Theodor getroffenen Mafl-
rcgeln meist insgeheim verbreitet. Gegen die Pasquillanlen erging
Verruf, und Siibaltembeamle wurden durch hohe Belohnungen
zur Ermittelung von Verfassern und Verbreitern ermuntert. Die
Zeilungsblätler durften jedoch keine Rechtfertigungen unschuldig
Angegriffener aufnehmen.*) Erst 1802 brachte die Oberdeutsche
Literaturzeitung eine Notiz vor Kajetan Weiller, wonach ein ihn
betreffender Fall der erste sei, daß ein Pasquill von einem Münchener
Bürger öffentlich verkauft werde. Und doch drohte solchen
Libellen strenge Ahndung. Das Hofgericht mußte einmal an-
gewiesen werden, nicht allzu hart zu verfahren und die Bestim-
mungen des Kriminal kodex durch neuere BuchhändlergcscLze zu
mildem. Freilich hatten nicht alle Flugschriften, die von einer
in ihren Vorrechten bedrohten Partei verketzert wurden, einen
gefährlichen Anstrich. Adel und Prälaten haben auch den
Minister Hompcsch als Revolutionär verschrieen, der aufklärende,
teils von ihm selbst verfaRfe Schriften gern in den Händen des
Volkes wußte, um dadurch der Regierung den Sieg ßber die
privilegierten Stände zu erieichlern. Sein getreuer Anhänger
<| VWtntricdcn fVnkrcil« $. U.
1 Mma, Piiiloi Archiv XI, »i.
5 München« SlidUrcblT, RiUfitalohotle, '»* I; Rnkr. t. I, f*.
1
Flugschriften nicht, .rweil eben nicht allezeit Folianten und Quar-
tanten diejenigen Schriften sind, welche den größten Eitifliiß auf
Sitten und AufWäning haben.» Der Annalist Keyser') erblickte
■ein« sehr natürliche Erscheinung, wenn gegenwärtig der Brochüren,
die Verbesserung zu bezwecken suchen, immer mehrere werden;
der Gmnd liegt in der früheren Beschränitung und einem fürchter-
lichen Stillstand, während das Ausland kräftig lortschritt" Im
Gerichtswesen treffe man nirgends weniger Publizität als in
Bayern. Als aber Baader 1S02 seine itAussicliten, Wünsche
und Beruhigung fürs Vaterland" schrieb, meinte Keyser, »daß
Männer, die sich einmal so geistesfrei als der Verfasser gemacht
haben, die Literatur im Fluge verachten und auch bei Brochüren
die Ansprüche an Gründlichkeit befriedigen" sollten. Es gelle
in Bayern eine vielseitige Einseiligkeit zu bekämpfen.
Die Zeit der Revolution war überhaupt derartigem Schritt-
wesen hold. Französische Musenalmanache brachten pofeies
fugitives von Voltaire, Marmontel, Laharpe, S. Lambert als gern
gesehene Angebinde in Festlichkeit und gelehrter Geselligkeit •)
Und wenn der eiserne Arm, der den Janustempel öffnete, das
Reich der Musen schloß, die Schwätzer ließen sich nicht ver-
scheuchen. Darum ist nach Feuerbachs Mitteilung') ein Artikel
des 1822 neu veröffentlichten Strafgesetzbuches >rats eine gerechte
Würdigung der von unserer Stände Versammlung zweiler Kammer
mehrfäJtig erhobenen Beschwerden üb«r die Vielschreiberci" zu
betrachten.
Eine charakteristische Begleiterscheinung ist die Anonymität.
Denn nicht jeder hatte den Mut wie Babo in seinem Jugend-
drama Arno, die Herkunft der in die Welt gesandten begeisterten
neuen Kunde zu verraten. Oft legte der Stand dem Schreiber
einen Zwang auf, etwa wenn der Benediktinerabt Rupert Kom-
mann Theaterstücke schrieb. Es ahnten wohl wenige, daß der
geldirte Streiter für Klosterduldung ländliche Sitlengemälde mit
Gesang in fünf Aufzügen fertigte.^} Schon die Zeitgenossen
*) Annftint 1B«. X. ». iiJ.
'l Vtf. Auion, ZeliKlirili ms dem tSdlldicii D«ulKli1aoiI. lio«. Nr. v.
t A. reucrbBcht BlofT. N>cli1tl1 U, 146 Anhuis.
*) ßatia, Lcxlkan vcrtlnrtmirt tuytltchrr SctinlUttllcr Ca is. und 19, Jalirhundcrb
und die BQcheivcncIclmlssc geben AulKhlufl über rcnchvlccoic VrrTuicr.
Perdinxnd Lcrnnz.
bemängelt. In den Erinnerungen Christoph von Schmids lesen
wir, wie derSchilCerfreundliche, Für Heldenideale begeisterte Priester
den sittlich ernsten geschichtlichen Egmont durch Goethe zu nnem
Bonvivant verkümmert sah und Lessings Urleil über Werther be-
Icräftigle, das ein Brief an Eschenburg enthält: «Wenn ein so
warmes Produkt nicht mehr Unheil als Gutes stiften soll, meinen
Sie nicht, daß es noch eine kleine kalte Schlußrede haben mOBte?"
Auch Claudius schien ihm das Rechte getroffen zu haben, der
an Werthers Grab die menschliche Schwachheit beweinen wollte.
Aber es M-ar nicht immer so gewesen. Der Dichter des
Götz hatte auch in Bayern helle Begeisterung entflammt Zählten
doch Madame Hetgel, «die Zierde unserer Bühne", die Stella
und Hcigel den Klavigo zu ihren Voizugsrollen, Wem Qörrcs
der Faust von einem naturberauschten Dichter herzurühren schien,
der mehr Licht bedürie,') so konnte der Professor und Hofrats-
sekrctär Ludwig Frohnhofer, der, unter Kart Theodor verkannt,
mit Vcrrweiflung scheuchendem Frohlocken eines lange um sein
Bestes Betrogenen Max Joseph entgegensang und unter ihm noch
einmal zu Ehren kam, sich ftber Goethes lichte Klarheit herzlich
freuen. Eine von ihm 1779 in der Akademie gehaltene Rede be-
klagt, daß «Deutschlands belletrisches goldenes Jahrhundert, wenn's
so fortgeht, so gut als vorbei" sei. Auch England und Frank-
reich schienen ihm zu verlöschen und nur Sterne und Voltaire —
■ er selbst an sich allein schon eine ganze Oeniegeneration" —
den sinkenden Ruhm noch zu halten, r- Deutschland, Deutsch-
land! ... Deine Rabener, Halter, Gelierte und Hagedorne sind
zu ihren Vätern versammelt. Deine Weisse, Ramler, Wielande,
Lessinge stehen noch vor dem Risse und halten dich auf. Aber
wie lange? Ach dafl sie sterblich sind und deine Klopstockc
und deine Goethe, ob sie wohl könnten, dich nicht retten wollen'«
Und doch kam er nach einigen durch die Anhänglichkeit
an Gottscheds Epoche bedingten Ausstellungen zu einem günstigen
Urteil über Goethe- KlopsJock konnte er hinsichtlich seiner
Gelehrten republik und der Fragmente Ober Sprache und Dicht-
kunst nicht beistimmen. Im «Götz von Berlichingen« mißfiel ihm
<} Vgl. Chrittoph von 3chml4, Erlnnenuicm i-t Augibarx UM, S>3t1(f.
Rugschriften nicht, rweil eben nicht allezeit FoHanten und Quar-
tanten diejenigen Schriften sind, welche den größten Einfluß auf
Sitten und Aufklärung haben." Der Annalist Keyser») erblickte
Meine sehr natürliche Erscheinung, wenn gegenwärtig der Brochüren,
die Verbesserung zu bezwecken suchen, immer mehrere werden;
der Grund liegt in der früheren Beschränkung und einem fürchter-
lichen Stillstand, während das Ausland kräftig fortschritL" Im
Gerichlswesen treffe man nirgends weniger Publizität als in
Bayern. Als aber Baader 1802 seine «Aussichten, Wünsche
und Beruhigung fürs Vaterland" schrieb, meinte Keyscr, »daß
Männer, die sich einmal so geislesfrei als der Verfasser gemacht
haben, die Literatur im Fluge verachten und auch bei Brochören
die Ansprüche an Gründlichkeit befriedigen" sollten. Es gelte
in Bayern eine vielseitige Einseitigkeit zu bekämpfen.
Die Zeit der Revolution war überhaupt derartigem Schrift-
wesen hold. Französische Musenalmanache brachten poesies
fugitivcs von Voltaire, Marmontel, Laharpe, S. Lambert als gern
gesehene Angebinde in Festlichkeit und gelehrter Geselligkeit^
Und wenn der eiserne Ann, der den Janustempel Öffnete, das
Reich der Musen schloß, die Schwätzer ließen sich nicht vei^
scheuchen. Darum ist nach Feuerbachs Mitteilung^ ein Artikel
des 1822 neu veröffentlichten Strafgesetzbuches »als eine gerechte
Würdigung der von unserer Ständeversammlung zweiter Kammer
mehrfältig erhobenen Beschwerden über die Viebchreiberci" zu
betrachten.
Eine charakteristische Begleiterscheinung ist die Anonymität
Denn nicht jeder hatte den Mut wie Babo in seinem Jugend-
drama Arno, die Herkunft der in die Welt gesandten begeisterten
neuen Kunde zu verraten. Oft legte der Stand dem Schreiber
einen Zwang auf, etwa wenn der Benediktinerabt Rupert Korn-
mann Theaterstücke schrieb. Es ahnten wohl wenige, daß der
gelehrte Streiter für Klosterduldung ländliche Sirtengemälde mit
Gesang in fünf Aufzögen fertigte.*) Schon die Zeitgenossen
<) Annilai im. X. T), U6
*) Vgi. Auren, ZctUcliiilt tui dcni ladUclicn DcuUclilMtd, 'WM, Nr. 9.
•) A. PenerbKhi Rlasi Narhlifl II. m Anhang.
*J Budec, Lexikon vmtorbcncr bayiliditr SchrltlilcUci des is. und ft. Jitirhvoderli
nnd die BüclieivendctinlsM; gfbto AuticIiIuQ Aber vcncbvtcKcnE Vcrluia.
330
Perdinsnd Lorenz.
großen Beliebtheit überzeugt und bei Visitation des Landshuter
Buchdruckers Hagen sie sämtlich vergriffen gefunden harte.*)
Ein Gegenstück zum Absatz Goethescher Werke ! Auch die
«Annalen der leidenden Menschheit" betrachten Wicland als Be-
förderer der Aufklärung. Kennedy') sah mit ihm die Literatur
überhaupt aufgehen und vasinken. Alois Dietl. der Schöngctsl
in der Soutane,') las ihn neben Geßner, und man muß aus Längs
Memoiren ersehen, wie ihn die Abderiten, der Amadis. Lukian
und Oberon .mit wahrem Zauber erfülhen." Wieland an erster
und letzter Stelle, in der Klosterzelle und im Salon ! Dem Wiener
Professor Alois Hoffmann*) war 1772 ein Schreckensjahr, wo die
Gründung des deutsdien Merkurs der brandstifterischen Auf-
kläningssucht der wilden Genies ein Wahrzeichen stiftete. Freyberg
sagt in seiner bekannten Gedenkrede, daß auch Monfgelas Wieland
vor Goethe stellte, die Grazie vor die Klarheit Und so mochten
viele die Zierblüten mit ihren ausgesuchten Duften lieber liaben
als einen frischen farbenschlichten FeldblumenstrauB.
Doch war Jacobi nicht der einzige, der schließlich empfand,
daß Goethe ihm eine neue Seele gab. Chr. Aretin') bekannte
1803 die uungemcine Wirkung", die Schiller und Goethe mit
dem »Versuch eines freieren Versbaues" hahen. Eindrucksvoll
schildert jener französische Offizier,') wie nach der Schlacht bei
Hohenlinden nachts im Wirtshaus in Ainzing Desollcs in «Her-
mann und Dorothea" las und in Erregung rief: Mais c'est char-
mant, c'est si simple, si vrai et si attachant, quoique te sujet
n'ait ricn d'extraordinaire. II faul que le General Morcau Ic lisel
— Und er hat es mit Vergnügen gelesen^ sechs Stunden nacll
einer der furchtbarsten Schlachten !
Die Theaterzensur unter Karl Theodor hat Heigel in den
»Forschungen zur bayrischen Geschichte" behandelt. In seinen
<| M. K. A. tiTfit: aDle Zm«ur dcrftrtmtlich tnxuidgcndtn mii dein Unirnchiedt
der In die Zcl1ung»b11rte[ oder die sclelirlc Zeltung grrlcseixn BQchcr Mmt dtn Veticldi-
nlMcn . ."
^ WMtmrltdert DmIcrMl* S. n
t HriBcl, Kiel. Vorträge iind Shidien, ', Folgt, Münchn IISJ,
*] Hcipl. Dfubchr Ütachichle vom Tode Ptiedrichi dnOr. bit lurAofl&innxdes
tiHn Reidia I. »t.
•) Bdtrlct IUI Ondi. nnd Lil IV, 91.
«1 Bri*fe rinn fniMS*itd>«n Otfirifn. gnehridKn In Jihre 1800 au Sldermark,
Kimtti(n, llitlrn. dn ArliTrli, Haynn nnd Saltburn. l.dpiis <BUI. Hcraiug. v. d, Vtxt.
C. Brklc üb. rnnkr. and lullen- - 19. Qrld.
I
I
I
Zur Geschichte der Zensur und da Schriftwtscns in Bayern. 325
Ftugschrifter nicht, »weil eben nicht allezeit Folianten und Quar-
tanten diejenigen Schriften sind, welche den größten Einfluß auf
Sitten und Aufklärung haben.- Der Annalist Keyscr^) erbliclcte
»eine sehr natürliche Erscheinung, wenn gegenwärtig der Brochüren,
die Verbesserung zu bezwecken suchen, immer mehrere werden ;
der Grund liegt in der früheren Beschränkung und einem fürchter-
lichen Stillstand, während das Ausland kräftig förtschritL" Im
Gerichtswesen treffe man nirgends weniger Publizität als in
Bayern. Als aber Baader 1802 seine »Aussichten, Wünsche
und Beruhigung fürs Vaterland" schrieb, meinte Keyser, »daß
MSnner, die sich einmal so geistesfrei als der Verfasser gemacht
haben, die Literatur im Huge verachten und auch bei Brochüren
die Ansprüche an Gründlichkeit befriedigen" sollten. Es gelte
in Bayern eine vielseitige Einseitigkeit zu bekämpfen.
Die Zeit der Revolution war überhaupt derartigem Schrift-
wesen hold. Französische Musenalmanache brachten poesies
fugitives von Voltaire, Marmontel, Laharpe, S. Lambert als gern
gesehene Angebinde in Festlichkeit und gelehrter Geselligkeit.')
Und wenn der eiserne Arm, der den Januslempel öffnete, das
Reich der Musen schloß, die Schwätzer ließen sich nicht ver-
scheuchen. Darum ist nach Feuerbachs Mitteilung*) ein Artikel
des I &22 neu veröffentlichten Strafgesetzbuches ..als eine gerechte
Würdigung der von unserer Ständeversammiung zweiter Kammer
mehrfältig erhobenen Beschwerden über die Vielschreiberei" zu
betrachten.
Eine charakteristische Begleiterscheinung ist die Anonymität
Denn nicht jeder hatte den Mut wie Babo in seinem Jugend-
drama Arno, die Herkunft der in die Welt gesandten begeisterten
neuen Kunde zu verraten. Oft legte der Stand dem Schreiber
einen Zwang auf, etwa wenn der Benediktinerabt Rupert Kom-
mann Theaterstücke schrieb. Es ahnten wohl wenige, daß der
gelehrte Streiter für Klosterdutdung ländliche Sitfengemälde mit
Gesang in fünf Aufzügen fertigte.*) Schon die Zeitgenossen
<) AniMkn <tn, X. n, nS
t Vel. Aurora, Zduchtilt au* dem i&dllchen DniitcMuiil, 18CK. Nr. *.
t K. fntcrbuli^ BloKT. Nuchlilt U, 3*6 Anhing.
*) Budcr, Lrilkon vrrttorbcncr bayiiidWr Sctifilblcllci dci 1B. und 19. Johihundcftt
■nd die BQdurvtttclduliic güxa AufichiuB über -veocbwlcscnt Vctfiucr.
Ferdinand Lorenz.
Lesestoff war in Fülle vorhanden, wenn auch die Zensur
oft den wertvollsten verwehrte. Wie steht es nun mit der Lese-
lust? Die Schwierigkeit einer derartigen Untersuchung wächst
durcli den Widerspruch der Berichterstalter, der sich aus der
Verschiedenheit ihrer Qrun danschau ungen und Beobachtungen
erklärt. Nach der Ansicht Weslenrieders*) war die Teilnahm«
der in eintönigem Dienst verknöchernden Beamten an literarisch
bedeutsamen Schöpfungen recht gering. Die Anregung der
Schule hielt nicht lange an. Die Beförderung nach Qunst über-
hob auch die Anwärter höherer Stellen der Notwendigkeit,
wenigstens die Fortschritte ihrer Fachwissenschaft zu verfolgen.
Besonders von den Juristen hatte Westenriedcr eine geringe
Meinung: ein Lessing oder Wieland sei mehr als ein Präsident
von zehn Justizkollegien. Die richtige Oeschmacksbüdung werde
die Lesefreudigkeil in richtige Bahnen leiten und dem Dikaslerianlen
zeigen, daß es außer dem gewöhnlichen Kanzleistil auch eine ge-
heiligte Kunstsprache gebe. Auch Zeitmangel und Mittellosigkeit
müsse den Aktenmann der Literatur entfremden. Auf dem Lande
müsse eine vcrvollsündigte Schulbildung die Freude am Lesen
mehren. Noch 180S meinte der Kalenderschreiber, daß Lese-
lustige erst aus den Schulen hervorgehen müßten. Dennoch soll
der Bücherabsalz auf dem Land zeitweilig größer gewesen sein
als in der Stadt') Die fortschreitende Aufklärung mußte ein
Streben nach Selbstbetehnmg erwecken, und die verlangt nadi
Bfichem. In der Gedenkrede auf Osterwald sagt Westenrieder:
nWer ein Gefühl hat, den rührt es bis zu Thiänen, auf einem
Frühlingshügel zu stehen, den die Moi^ensonne bescheinet, und
mit dem letzten Blick hinab in die fliehenden Schatten zu sehen.
Da stehen wir. Damals las niemand, niemand als die Wenigen
in ihrer einsamen Hüllt mit sich selbst vergnügt; aber nun
empfinden wir, daß zwischen . . . Erfindungsgeist und dem Oeist
der trägen Genügsamkeit ein Unterschied sey, und haben den
Stolz, denjenigen, der nichts thul, zu verachten." Dann kam die
Zeit der großen Uminderungen mit neuen Zeichen und tief-
>) Bdliiice ri] UM. S. JTQll.L Woher kämwl n, daS Dikulniintcn keinen
OcKhiHick in der Lilcrutui tmiucn, extet dctiKlbcn vcrUcicn!'
1 Hclscl,icimrv««cnin\tttM;ern,Nciie)ilii. VonrlgciuidAiiblUc. Manchen im.
Zur Geschichle der Zensur und de Scliriftwesens in Bavem. 333
gehenden Fragen, und die auslegenden Tendenzschriften wurden
von den leitenden Stellen in viele Hände gespielt Die Bemerkung
Montgelas') ist deutlich: «Das Lesen französischer Werke und
Schriften hatte die Verbreitung von Grundsätzen erleichtert, welche
ehemals nur wenigen bekannt waren." Zwar wurde hier noch
Sprachkenntnis erfordert. Aber auch der gemeine Mann brauchte
nicht zu darben. Wie hatten sdl langem die Jesuiten durch das
den Buchhändlern verleidete Institut des «gotdenen Almosens**')
zur Verbreitung von Schriften beigetragen! Wenn man von den
Eigenschaften der Lektüre absieht, muß man sagen, daß sich
jedermann leicht versehen konnte.
Auch der Neugründung von Lesegesellschaften ist hier zu
gedenken. Daö man sie mit den llluminaten so nachhaltig be-
kämpft hatte, war eine »Quelle wachsenden Mißvergnügens".
1804 verkündete das »Blaue Blatt« die Entstehung einer solchen
in Passau, die zu fieundschartlicher Mitleilung verlocken sollte
und von mancher Seite, auch in den Annalen Keysers, als ein
günstiges Zeichen beglückwünscht wurde. Denn um die Dauer
bangte man, nachdem noch nicht lange der Kurfürst von Trier
durch Verbot ein BeispieE gegeben.') Dem schwäbischen Mädchen,
das bei Schubart singt:
Das Selueitien, Tändeln, Lesen
Macht Mäddicn liiderlich.
Der Mann itir mich erlesen,
Der schreibt und liest för mich —
kann man den Kritiker des Schulplans vom 24. September 1799
entgegenstellen, der die Medaillen als Preise venrirfl zugunsten
guter Bücher. «Bei müßigen Stunden liest der Vater, die Mutter,
der größere Sohn, die erwachsene Tochter, der Knecht und die
Magd mit Nutzen." Wir werden auch beachten, daß das Wori
■ Belletrist"*) schon anfangs der 80er Jahre einen hämischen
Nebensinn gewann. Ein Erlaß*) an die neugebildete Kommission
fürs Schulwesen besagte, mehr auf Bildung guter Christen und
1) Contpte rtniJu S. t4i(,
^ Lipoviky. 0(*cblchl« dn Schulen in Bayern. MOnchcn i(15. $. U3.
*) Biucr, Odch. d.PoIilili. KallHT, AufkUruoadta is.jihth, diirlCFilciiliiirgiSlJ/«.
4| CcliarUhuKn. ,EinIliifi der KbCncn Wittcuiciikllcn lul dl< RctbUetldiiun
trdt. irai.
•) Vflcn ». Htrtnlmonits t7B0. SladUtchlv MUntbni (=M,S.A,), Stmnknx rvn
Verordnungen de innli isi4-iw>B,
334
Ferdiiund Lorenz.
nQtelicher Staatsglieder als bloßer Belletristen die Aufmerksamkeit
zu richten. Auf öffentlichen Spaziergängen sah man Leute in
Journale und Broschüren vertieft Ein besorgter Berichterstatter
vom geistlichen Seminar in Regensburg führte die Alumnen nicht
auf die schöne Allee, weil »der lange in schwarzer Kleidung ab-
stechende Zug der Seminarislen manchen Spazierenden in ihrer
Lektüre oder im freundlichen Gespräch oder stillen Denken Hin-
dernis machen könnte."
Wäre die Lesefreudigkeit kümmerlich gewesen, dann hätte die
Zensur keine so fieberhafte Tätigkeit zu entfalten brauchen, wie
es wirklich geschah.
II. MHglieder der Bücher-Zensur^Spezial-Kommission.
Westenrieder sagt von Kennedy, daß er an dreißig Jahre
der durch Max III. Joseph »aus wohlüberdachtcn Gründen"
entstandenen Schöpfung treu blieb. Solche Ausdauer war selten.
Die BeteiEigten unterzogen sich nur mit Unbehagen, neben ihrem
eigentlichen Beruf, der unbesoldeten und doch mit großer Auf-
regung und Anspannung verknüpften Arbeit
Westenrieder^) berichtet von einer noch unter Karl Theodor
stattgehabten neuen Verfassung und Neuaufnahme von Mitgliedern.
Von ihm erfahren vir auch, daß der ehemalige Präsident von
Neuburg Graf Sigmund von Spreti, den die bayrische Auf-
kllnmgsgeschichte im Kapitel der Feiertagsschulen und auch sonst
günstig zu nennen hat, in Sachen der Zensur kühl und gleich-
güllig war. Der Archivar Karl von Eckartshausen') wurde 1780
Zensurrat und suchte 1793 seine Entlassung nach, Fj mochte
ihm nahe gegangen sein, daß er durch die von ihm selbst be-
diente Institution seine eigenen Werke beanstandet sah und nicht
die Freiheit haben sollte, mit Sterzinger den Hexenwahn zu be-
schimpfen.") Auch andere traf das ironische Geschick. Westen-
rieder selbst mochte durch ähnliche Erfahrung dazu gekommen
sein, den Gang ins •.Narrenkollegium" nicht verlockend zu finden.^
■) Oochichlc der Akulanie S. I71I,
I] V|[l Budct, Dl) Kclrltn« Btytm odtt tnihnn ill«' Schrifnwilcr . ••
f) M. K. A. ;SB|i<l: Criichtune von Lrlh- und Lncblbllollickcn.
*} Vgl. laucUiohn. Biyr. BIb:i<>t)Mlt Ni 13.
Zur Oeschichte der Zensur und des Schriltwtsens in Bayern. 33s
Der gegen Kant aufgetretene Stattler, dem es gemäß seiner strengen
Anschauung hätte darauf ankommen müssen, die Zensur lebendig
zu erhatten, nahm 17 94 die wiederholt nachgesuchte Entlassung.
■ Aus den Papieren eines Illuminaten«') erkennen wir die Häufung
der Ämter in einer Hand, so daß das eines Zensors nur als letzte
Beigabe erscheint. Trotz alledem ist denen ein gewisser Ernst
in der leidigen Qeschäftsverwaltung nicht abzusprechen, die Max
Joseph bis 1803 als Zensoren noch beibehielt. Ihre Persönlich-
keiten helfen das vielfarbige Bild zusammensetzen, das die Zensur
darstellt Es sind, in üblicher Reihenfolge, die Namen Flurl,
Klein, Babo, Mann, Imhof, Westenrieder.')
Zur Würdigung Westen rieders ist immer wieder darauf
hinzuweisen, daß viele Menschen nicht nur von ihrer Zeit abhingen,
sondern auch von dem Maß der Tage, die sie vollendet Man kann
hier daran erinnern, wie J. B. Erhard 1798 den ewig nörgelnden
Nicolai abfertigte:") »Sie haben als Schriftsteller Ruhm erworben
und haben dadurch alle Rechte auf ein ehrenvolles und ruhiges
Alter, und Sie setzen nun dies alles aufs Spiel, weil Sic sich in
den Geist einer Philosophie nicht mehr hineindenken können,
die Ihrer gewohnten Art zu philosophieren entgegengesetzt ist?*
Wcstenrieders Zensurtätigkeit erstreckte steh vielfach auf die BfS
darfserörtcrung, auf den Schutz des Bestehenden, auch auf heil-
same Vorechläge gegen Geschmacks- Verwilderung, wie er ja selbst
eine Einleitung in die schöne Wissenschaft schrieb. Er wollte
die Einbürgerung der lehrreichsten Romane von Cervantes, Le
Sage, Sterne, Richardson, Fielding, Nicolai, La Fontaine, die in
vortrefflichen Übersetzungen vorhanden seien. Das Wort .liberal"
bchagic ihm nicht und bedeutete für ihn eine niedrige Wertung.
Aber er urteilte nicht schematisch, wenn er schrieb:*) «Wenn
man Bibliotheken sammelt, sammelt man oft freUidi Gutes und
Schlimmes durcheinander, und die Herren möditen wohl zu
>} Da Moulin Cdiart. FonclmitsHi lur QcMtildit« Baycnu, tIE, IM.
*) Ihre ChaMltcriHcniBB dörftp h(ef utoioitidir erfolgen, ili die Allgroi. DmMrhf
DleciiphiF dk hier bchinüeltt Tillgkcit enlmler )^ nicht oder nnr rorübcnichaid be>
aditd, Sie eocliirht rorvicscnd lut Grund dn Ini K. KrciMrcbiv München vorvrtunilcncn
tiotchtlBigcD, för »orlitgenilM Thcm« mtbäplend \^t^mn^ctal Mileul»
lAn Heim Fritdridi Nitolii von J. B. Erhard. ^TK.
•) An •». XII. <m. M. K. A.. 7«:/l« .Die Im Slulx-, tarthen- und Untreml.
hl«Mrl9eh«n P«ehe tmgtpbeaai loitiotcn and privilegierten Werkt . . .•
unterscheiden wissen." Noch 1799 zeigte er ZugänglJchkeit für
freie Ideen, indem er die Herausgabe von Baaders Reisen bewirkte,
einer sehr offenherzigen Schilderung.') Schon 1791') hatte er
geäußert, einigermaßen ärgerlich über die Weitläufigkeit der Ge-
schäfte: wich bin auch ex officio der Meinung, daß Bücher,
welche an so bekannte Männer . . . gehen, gar nicht angehalten,
überhaupt aber weiteres keine Bücher von entfernten Mautämtem
hierher gesendet werden sollen. Es ist genug, wenn sie angezeigt
werden und indeß in loco liegen bleiben.- Als die Universität")
in die lebhaften Kompetenzstreitigkeiten hineingezogen wurde,
vertrat er ihre tnteressen. Wenn er der General landesdtrektion
Zensurrechle absprach, geschah es in der Überzeugung der Un-
erläßlichkeit einer Konzentration und «wohlbestehenden Ordnung,
vermöge deren alles Dnickwesen und Bücherverl^en nacli einem
Mittelpunkt gerichtet bleiben soll".*)
Nach der Angabe des Hof- und Staatskalenders uurde
Westenrieder im Jahre 1780 2um Bticherzensurrat ernannt Die
allmählich sich einstellende Erkaltung ist somit durch eine lange
Dienstleistung und unerquickliche Erfahrungen begreiflich. Schon
Ende der SOer Jahre wagte sich gemeine Denunziation*) an
Westenrieder heran in der Person des Bojerschwirmers und Oe-
heimkanzlisten Vinzenz Fall, der dadurch das scharfe Urteil in
Längs Memoiren, das ihn als niedrigsten Libellenschreiber auf-
deckt, zu bestätigen scheint Als nämlich Wfötenrieder eine von
jenem und Flurl zusammen herausgegebene Schulgcographie länger
zurückbehielt, bezichtigte Pall denselben zweifelhafter Grundsätze.
Er habe ganz andere Sachen durchgelassen, weil er mit dem
Buchhändler Strobel iiin gutem Verständnisse und vielleicht gar
in einer monopolischen Parthy gestanden. Solche »Vielleicht"
wagte der Herr Geheimkanzlist!
Daß Westenrieder auch als Mitglied eine strikte Befolgung
der kleinlichsten Vorschriften zu beachten habCj wurde dem offen-
bar anders Meinenden nach Vollendung des ersten Teils vom
1) Dwgl.
^ M. K, A. ISiP: Fmchlnne von Büchrnpcdilioncn bri den HiuptnumUmleni.
1) M K. A. ;»/3«: Zdltchrttten b«tr
■) M- K. A. 3Hfl.
■) II, 13S.
Zur Oediichtc der Zensur und des Schriftwesens in Bayern.
sechsten Band der Beiträge klar gemacht. Ein von Graf Spreti
im Namen Karl Theodors ausgefertigtes Schreiben'} bedeutet«,
■daß ihr in Hinkunft eure Schriften mittelst eines förmlichen
und gewöhnlich ermaßen stilisirten Anlangens ad CoiEegium ein-
reichen, das Imprimatur der oberen Schrift behörig Vordrucken
lassen und die gewöhnlichen sechs Exemplare anher einsenden
sollet." Früher schon hatte Buchhändler Strobel in einem Verh&r
durch den Stadtsyndikus sich gerechtfertigt, kein Werk Westen-
rieders habe noch Zensur gehabt, da er als kf. Zensurrat, auch
als Akademiemitglied zensurfrei wäre. Diese Punkte sind unten
näher zu behandeln. Seine Erdbeschreibung der bayrisch -
pfälzischen Staaten') hatte er überhaupt ganz der Zensur aus dem
Weg getragen, was ihm eine Warnung zuzog, da er doch als
Zensurrat am besten mit den vorgeschriebenen Bedingungen ver-
traut sein müsse. Hieran knüpfte sich auch die bekannte Be-
schwerde des Pfalzgrafen Wilhelm von Birkenfetd . in betreff
dessen, was . . . von dem Pfalzbürkenfeidschen Stamm so unrichtig,
daß es den Abkömmlingen hievon unmöglich gleichgültig sein
kann, eingedruckt worden ist." Sie beanstandete die noch heute
geläufige Benennung nach der Reichsstadt Gelnhausen und die
an den Söhnen Johann Karis angeblich vollzogene Kaiserliche
Fürstenmäßigkeitserklärung, die nur eine durch Reichshofrats-
spruch vom 11. April 1715 geschehene Verurteilung eines eigen-
nützigen Agnaten gewesen sei.
»Ohne Geräusch beilegen" war Westenrieders Wahlspruch
auch noch nach 1800. Solche Tatsachen sind der Meinung
Kluckhohns'') immerhin an die Seite zu halten, daß Westenrieder
gerade durch seine Hartnäckigkeit zur Aufhebung der Zensur
beigetragen habe. Was er, um sich treu zu bleiben, auch als
Zensor verleidigen mußte, war sein bibelfester Glaube. Und eine
Glaubensprüfung bedeulete die ihm obliegende Zensur historischer
Abhandlungen. Wir kommen darauf, wenn wir einiges Be-
achtenswerte über Geschichtswissenschaft hier einfügen.
II M. K A. 792j2i: Dir Irn hvft. hittar. Fache, <n gaiiim and ir b«iand(m
Tclltn aui|ptIcb(Ticn. zciuieilcn untl priviincicrtcn Wcikc, inonyiii wvulil ili nich detn
hlnlit txKriffncn Atpliibctt. iMi-twa - Scbnibcii vom lt. Oliiolxr 17S'.
f) Onsf,
*) Am dm huidKlHlltikhcD NichliS WnKnrltdcn. MQnchen 18U-
338
Ferdinand Lorenz.
Da Wcslcnrieder Historiker war und seine Wissenschaft vielfach
bei der Zensur heranziehen mufite, sei es gestattet weiter auszuholen.
Die verschiedenen, alte Vorrechte bewachenden Parteien be-
sannen sich auf den Vorteil, den ein Zurilckgehen in geschicht-
liche Vergangenheit gewähren könne. Montgelas berichtet von
den s^ances des Etats g^n^raux und als deren einziges Resultat:
^laircir quelques points obscurs de notre histoire! Dem Adel
waren KUrlcundensammler aus dem Mittelalter die wichtigsten
Sctiriftslcllcr, sollten dieselben noch so einseitig, noch so falsch
sein; wenn sie nur dazu dienten, die Puppe des Mittelalters auf-
zuschQrzen" - zflmt eine Flugschrift') der beim Kurfürsten sich
einschmeidielnden Herren. Die Freunde der Klöster holten aus
weit zurückliegenden Zeiten deren Verdienste um Unterricht und
Volksbildung hervor, die Eiferer der Säkularisation zu versöhnen.
Indem so einerseits die Geschichte tendenziöse Vergewaltigung
erlitt, ward bei anderen die OewißheÜ rege, daß sie frei zu schalten
habe. Christoph Aretin*) bekannte 1S08, sich selbst verleugnend,
daß ein Geschichbchreiber sich weder zu einem Glauben noch
zu einem Vaterland bekennen solle. Bei vielen, denen das Können
gegeben ward, sei das Wollen durch Voriiebe, Haß, Provinzial-
und Standesvorurteile beschränkt oder entkräfteL Die selbst-
süchtigen Beimischungen dilettantischer Traklätchenschreiber waren
das Haupthindernis einer aufblühenden Geschichtswissenschaft.
Es war viel mehr als das .Unterbewußtsein", welches die Arbeit
auch des unparteiischsten Forschers beeinflußt
Freudig gewahren wir ein zunehmendes Streben nach philo-
sophischer Vertiefung und quellenmäßiger Gründlichkeit; wenn
auch manchem im Spiegel der Vergangenheit die Gegenwart
als Zerrbild vorkam und Mosers^) Wort überzeugend schien:
»Wer Königen und Fürsten dienen will . . ., enthalte sich die
Alten und viele pragmatische Geschichlschrciber zu lesen." An-
erkennung des »Urteils derer, denen der entscheidende Ton in
Kirchen und Staatssachen zukömmt," ließ sich bei den meisten
'> Mix Jotcph Cliuifflnl von PUlibalem ansOhr und Hcn gnproditn; Ertlutcmde
*> Allg. Anictgcf (ür Llleralui unil Kungl. II. Jahrtans <BOS Kl. <9: rrDdramoa
mtinei [itenrfMchichllichtn Hindbucfat über Bilem« Qnchichtf und Slatittik
<) f'ilrlolllch« Archiv XI. %*'.
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern. 339
wohl mit »deutscher FreitnQtigkeit" vereinigen, welche das Qe*
schichtsmäQige »ohne FQmiß" in der Blöße hinstellen wallte, die
sich aus bekannten Quellen entgegenwarf. Aber es wurde dodi
wieder nach einem System geiraditet
Die einschneidenden Zeilereignisse brachten Aretin') auf
den Gedanken einer anderen Einteilung und Geslallimg. Er
malte sich aus, wie die Zukunft von der Aufhebung der Klöster
WC ehemals von der Beseitigung des Faustrechts eine neue Zeit-
rechnung anfangen würde. Den Ruinen der Abteien werde man
mit denselben gemischten Gefühlen nahen, womit wir jetzt die
Trümmer der alten Raubschlösser betrachten. Und wir meinen
die Romantik sprechen zu hören, wenn ein anderer Historiker,
der Oeheimrat und Referendarius Johann Nepomuk Gottfried
von Krenner, der in den Geist der Pütter, Qatterer, Schlözer
hineingewachsen war, für die Schlösser eine Lanze brach. Es wurde
ja eine Hauptklage Rcisachs") gegen Montgelas: Die schönsten
Schlösser sind verkauft oder zerstört! Krenner zürnte 1799 in
den »Ephemeriden« von Schrank und Hellersberg: «Alle Grund-
pfeiler der ganzen bairisclien Erdbeschreibung des Mittelalters
sind fOr ewige Zeiten getilgt; Ampeck, Aventin, Hund verlieren
ihre Zeugen; Landesurkunden werden unverständlich bei mehreren
Orten gleichen NamensI'J 1778 hätten die Oesterreicher statt
einer ehemaligen Feste Sulzbtdi das Überamt dieses Namens
fälschlich besetzt
Nach Epochen wollte Aretin Geschichte studiert und ge-
schrieben haben. «Nicht an einzelne Regenten, noch seltener an
ganze Fürstenhäuser knüpft sich der Faden der philosophischen
Gesdiichte an." So wollte er eine Geschichte von Bayern. Ich
erinnere daran, wie Döderlein') später in der extremen Weiter-
führung des universellen Gedankens von einer bayrischen Ge-
schichte überhaupt nichts wissen wollte. Es gäbe nur eine Chronik
des bayrischen Regentenhauses und der Gebietsteilungen.
Seitdem 1727 in Ingolstadt ein eigener Lehrstuhl für die
allgemeine, deutsche und bayrische Geschichte errichtet worden
*) Bdirlgc I. vt
*) Bifcrn unter dec Rcpcruns da Minrstm MonlKilas. Dnibdiland tlo,
■) Du liayrttctie QyniMililTfKn einti ani jetj^. Eriniicrunecn jn OUcitctn von
dncm etiaii4li|{«i Schiller dcndbco. Ertuigen MM
FerdiniLnd Lorenz.
I
und dadurch die Jesuiten sich veranlaßt gesehen, bayrische Ge-
schichte auch als Lehrgegensland der Schule zu würdigen, wandle
man sich mehrfach ihrer Behandlung zii. In den Zensuraklen be-
gegnen die Namen Westenrieder, Attendorfer, Mederer, Gmelner, M
Lang und Blondeau. Lori schrieb seinen „chronologischen Aus- "
zug* der Geschichte des Volkes, das mil jedem anderen, ..welches
in Deutschland als ein Urvo9k erschienen, den Vorzug" behauptet, fl
Das Werk wurde als Anregung zur Herstellung eines bayrischen
Kirchenrechts begrüHt ') Seine AusfQhningen über die falschen
Dekrelalen betrafen einen Gegenstand, der in den kirchenpolifischen
Fragen des ausgehenden Jahrhunderts wieder große Wichtigkeit
gewann. Die Geistlichkeit gebrauchte diese Handhabe gegen die
Anmaßungen des Nuntius Zoglio.^)
Weiterhin lesen wir bei Lori; »Mit einer gewaltigen Macht
erscheint die Nation schon in ihrer fröhcien Bekanntschaft mit
den Römern, Gothen, Franken und Langobarden, und ihre Auf-
tritte sind allenthalben zu Denkmälern geworden."
Die Zusammenstellung mit den Langobarden hatte schon
seit zwei Jahren eine literarische Fehde hervorgerufen,") Der
Comes Palatinus Maximilian Einzinger von Einzing, einer von
den adligen Schreibern, die dem Kurhaus stetig mit Bitten um
Übernahme der Papier- und Druckkoslen mit einer Weinen Auf-
zahlung für ihre erschütternden Darlegungen, aber meist vergebhch,
anlagen, glaubte zum Ruhme der Bojer und zur Ehre der Nation
die Abhandlung eines Regensburgers bekämpfen zu müssen mit
einer «Kritischen Prüfung über die wahre Abkunft der bairischen
Nation, es ist eine Wiederlegung des Plato, genannt Wild,
München 177 7". Dieser Gg. Gottlieb Plato hatte herausgegeben:
»Mutmaßungen, daß die Baiowarü nicht von den Gallischen Bojis
scndeni von den Langobardis abstammen und ein Zweig dieser
Nation seien." Diese Ansicht hatte vor der verbreiteten fehler-
haften, besonders dann von Pall beliebten, den Vorzug, einen
Ursprung anzunehmen, der wenigstens richtig auf die auch die
f) Mltblllm Antillen Ul. 9f.
*) AU «in S«ttra4ia;li zu der bn Kngcl. Disch. QHch. 1, ist uigrffihricn Fliifwhrift
kann die 11 J»hrr ipKrt rtwliirnmr -AnWoit an baitiKhtti Klnus aal d«i von Herrn
Enbluchol von Dunulmi, ipo*to)lK-hcn NunClui In Mllnchrn, rrluwnrn hlrlmtiilrt* ecltcn
El gibt keine Itildoiiichai OtkttUlen:
^ M. K. A. 791131. Zboui hbloiiidier Scbrilten.
I
Markomannen, die später von Zeufi als Stammväter geselzten, um-
fassende suevisch-erminonische Gruppe deutete.') Ich möchte
hierzu die freudige Überraschung bemerken, die Aretin überkam,
als er 1803 die Editio princeps Langobardoruni legum auffand.'')
Durch Abweisung von Werken, welche Qiiclten vernach-
lässigten oder nicht anführten, erwarben sich Westenrieder nnd
andere Zensoren ein erzieherisches Verdienst. So geschah es 1798
mit den Elements d'Histoire generale par Mr. I'abbe Millol,^)
obwohl die daraus sprechende papsifeindliche Gesinnung auch
nicht belanglos sein konnte. Mangel an Belegstellen aus Archiv
und Urkunden wurde auch dem Neuburger Reichsgrafen Pranz von
Reisach*} verhängnisvoll, da er seine genealogische Geschichte des
dchl. Pfalzgräflichen Hauses Zweibrücken geschrieben hatte. Ster-
zinger beanstandete überdies, daß er 1276 einen gewissen Wecker
Pfalzgraf von Zweibrücken sein ließ, was er unter Beachtung der
origines Blpontinae des Crollius ändern sollte. Reisach berief
sich vergebens auf «inen Gewährsmann Pütter, „der ansonst als
ein geschickter Mann von Jedermann gehalten, verehret, und sein
Handbuch auf allen Universitäten vorgelesen wird." Im Historisch-
politischen Handbuch hatte er nämlich einen Grafen Wecker für
das Jahr l27iS aufgeführt gefunden. Genealogische Abhandlungen
wurden auch sonst gern gelieferL
Das Verhältnis der Geschichte zu den anderen Wissen-
schaften war noch unbestimmt. Obwohl man zu ihrem Ver-
ständnis ein umfassendes Wissen forderte/) gönnte man ihr doch
nicht die Selbsthcrrlichkeil. Sehr bezeichnend faßte sie Eckarts-
hausen als schöne Wissenschaft,') die dem Studium der Gesetze
Hilfe leisten solle durch Herz- und Sittenverfeinerung. Wir
stellen hier in einer Zeit noch wenig ausgebildeten Differenzierungs-
strebens, wo manches im Diensiv'erhältnis stand, was heute eben-
I) Vgl. Riut«. »«yrischc OcKbidile I, ».
>l BdtrlgF t, 102
'i M. K A i'niit. Suau^, Kirchen- und Univert«Ihi)li>rie.
«I M. K A. 734/1 und 797/2S.
>) Z, B. MitlBilui FlngtrJ« in idncT von Rinpci* (Ehnncnin^n I, m) mit Un-
ivcht hemnicrenciitFn ^htilt: NC'ozii ilnd Ocliillclic di? >8B0 und iSos, - D*nt) Paul
Kinaurr, Aluil. Ktdr von drm »jtitm Orbt»aclic it« Qocllidllc *li don cigailllclutm
Mittel die «llgtmdnsn und tiUrKcr liehen Tugmden In einem Landr lu »erbteit*nl im.
*} R«dc von dem Einfluß der Mhdiwn WlttentctulUn auf die RMbUgckhrumkdt
iHt. S. I*.
342 Ferdinand Lorenz.
>| Aus; de Aiiei" Scicnl Üb. II. rp. 4; Uad. Red« von dem Nalioi der Qt-
Kbichic und Kennmi« dn GMCttiditichKibcr
■l M. K- A. m/17: Dit Im ponitclMn, itirtorlMhen. phllmophiuhAi, blonraphluliai
nnd libertuopt mnitHKhcfi fache utigcKclxnni, Knilenm unil privlltglcitcn Wtike
«> M. K. A. ;9t/16.
•] M. K- A. m/».
I
börtig rebencitiander glänzt Anton Johann Lipowski,') S<Itreär
der liistorisdien Klasse, hielt es mit Bako von Verulanis Meinung:
»Historia Mundi absque literaria Hisloria Statuae Polyphemi Oculo
emto non absimiiis ccnseri potest. cum ea Pars Imaginis dcsit, quae
Ingenium et Indolcm Personae maximc rcfcrt." Dann fällt noch
in die Augen die Vcrquickung mit kirchlichen Absichten und
dogmatischen Gegensätzen. Der verschiedentlich durch gesunden
Freimut sich auszeichnende Thealiner Slerzinger verlangle 1782
sogar bei »geographischen Tabellen oder Spielkarte von Baiem
und der oberen Pfalz mit historischen Anmerkungen" die Be-
nutzung einer vorher erschienenen Kirchcngeschichle. Und die
Zensoren wurden umso hartnäckiger, jemehr moderne Autoren
den Schöpfungsbericht angriffen,') mit Vernel in seinem esprit
des histoircs die Sünde Adams beim Namen nannten oder mit
dem Abb^ Lubet den durch die extravagance des Allen Testaments
entstellten Oottesbegriff beklagten oder Mendelssohn das Wort in
seinen Briefen an Yonng nachfühlten: i^Dle schönen Taten unserer ■
Väter liegen durch Torheiten und Laster aufgewogen leer vor
meinen Augen." Westenrieders Zensur') zu Qasparis Erd-
bcschreibung 1 7 99 lautet: * Der Verfasser erklärt die sechs f
Schöpfungstage und die SändfLut nach der neuesten Art, und als
wenn sich alles nach und nach aus der Natur allein entwickelt
und ergeben hätte. Die Sündflul entstand ihm daher, weil das
Meer die Erde ausgewQhlt und diese mit einem Mal wieder ■
größten Teils verschlungen haben soll. Da die Bibel diese Sünd-
flut ganz anders vorträgt, so meine ich, daß jene Meinung, mithin
auch das Buch bei uns nicht passieren könne.* Ähnliche At>>
sagegründe lagen vor bei Campes und Nicolais Reisebeschreibun-
gcn,*) Es war eben die Zeit, da die BoswetI, Johnson, Förster auf
Entdeckungen gingen und die Berichte nur zu gern angesichts
der erweiterten Erfahrung dem religiösen Bekenntnis eins ver-
setzter. Auch der Göttinger Hofrat Eichhorn und der Altdorfer
\
I
3
Zur Oeschichl« lier Zensur und des Schriftvesens in Bayern. 343
Professor Oablcr schrieben eine «Urgeschichte zur immer besseren
Einsicht der Schöpfungsgeschichle", nicht zum Wohlgefallen des
hohen Kollegiums.') Es ist gul geweser, daß der Erfolg der
Absicht nie ganz entsprach, sonst hätte Bayern von den geschicht-
lichen Produktionen eines Ignatz Schmidt, der für Lang die erste
lesbare deutsche Geschichte fertigte, sobald nichts erfahren. Humc,
Schiller, Posseil, Poelitz wären große Unbekannte geblieben.
Die Zukunft erheischte als weitere Aufgabe, den Spott des
J. H. VoB^ zu nichte zu machen, der den Lehrplinen der neuen
Regierung mit der Vernachlässigung der Humaniora auch die der
Geschichte schuld gab. !n dieser Angelegenheil hat Westenrieder,
der uns bei diesen Ausführungen über Qesrhichtswissenschaft
vielfach nahe trat, mitunter ein kräftiges Wort gesprochen. Er
hatte immer das Volk im Auge, wenn es die Segnung der Wissen-
schaft galt, hatte gerade deshalb die Zurückweisung von Reisachs
Genealogie bedauert, „weil allerdings zu wünschen, daß gegen-
wSrtig in betreff der höchsten Landesagnaten dem Publico jede
nützliche Wissenschaft mitgeteilt werden möchte." Er hatte im
ersten Bande des Jahrbuchs der Menschen geschieh tc allgemeine
Begriffe einer Staatsverfassung für )eden Bürger und Einwohner
gegeben und damit einen wiederholt berührten Gedanken als
wahr erkannt, daß Verfassungsunkenntnis Ursache der Ent-
fremdung ist.
•Mit der Meinung des Titl. Herrn Direktors ganz ein-
verstanden" war ein beliebtes Votum des Augustinerpaters
Maximus Imhof.') In dieser bequemen Art lag zugleich die
Einräumung der Unzuständigkeit und der Schwierigkeit des Urteils
über fernliegende Gegenstände. ifSein Charakter war förtrefflich;
er war so gut, dall wer ihm nicht gut war, kaum unter die
guten Menschen gezählt werden darf- - sagt Baader von ihm.
Darum ließ sich Westenrieder von ihm leicht überzeugen, daß
viele wertlose Schreibereien trotz des gekrönten Namenszuges
vom Hunger in die Feder diktiert würden. Sehr genau nahm es
Imhof mit Verstoßen gegen Glaubenssätze. Der durch seine
1) M. K. A. li^lM: CtUlopit libr prnhlb.
■) Bmnrllune its neaen bayriichen LtiifpUni ff)r dlt amllchn Intpfalt&tyriMhMi
MJlWItdiulm. tvn.
*) M. K. A. lUltO m. m.
Schultätigkeit*) ausgezpichnde Weltpriester Eberl [and darum mit
der K Leidensgeschichte der edlen Römerin Cäcilte" keine Gnade:
,.Er müsse mit seiner Erklärung der Dreieinigkeit dem theologi-
schen Begriff der kalhoirschen Religion sich mehr nähern, den
heiligen Geist nicht aus dem Vater oder Sohn allein, sondern
aus beiden hervorkommen lassen und in den nachkommenden
Zeilen dem Vater das Geschäft der Erschaffung, dem Sohn da$
der Erlösung und dem heiligen Geist das der Heiligung zueignen.*
Nichts half dagegen die Versicherung des Autors, daß er die
Auffaäauitg der Heiligen selbst gegeben und das Original 1724
unter päpstlichem Ansehen gedruckt worden sei.
Inihof wurde 1802 von der Akademie mit Chr. Aretin zum
akademischen Aufseher vorgeschlagen, da man die Vereinigung
mit der Hofbibliothek erwog.') Er hatte in München durch
physikalische Vorlesungen und Abhandlungen einen Ruf. Die
Nachricht Sibers*) jedoch, daß er der anerkannten Oxydation»-
Iheorie von Lavoisicr nicht beipflichten wollte, zeigt ihn als ängst-
lichen Bewahrer auch wissenschaftlicher Meinungen.
Imhof ähnlich durch Eingeständnis der beschränkten Be-
lesenheil und durch Verteidigung des kanonischen Ansehens des
Allen Testaments war der im Leipziger Literarischen Anzeiger im
September 1 79& als Exjesuil und Franziskanerzensurrat ver-
schrieene Joseph Klein.*) «Ein mit vieler Kondition verfaßtes
Manuskript, wodurch das kanonische Ansehen des Buches Tobias
gegen die Ansprüche alter und neuer Reformatoren vindiziert
wird", rühmte er einer Abhandlung des rhein pfälzischen Professors
Dereser nach. Wir sehen ein stetes Gewappnetscin gegen kritische
Bibelauffassung! Gern witterte er Ubiqulstcn und Socinianer.
Als letzterer galt ihm der von Kot?ebue geschmähte Philanthropist
■ Bahrdl mit der eisernen Stirn', der Anfediter des Kirchen-
glaubens. Da DietI von Stattler in gleicher Weise als Anhänger
des Socin bloßgestellt wurde, wäre also die Lehre der Unitarier
auch in Bayern umgegangen. Doch sind derartige Benennungen
I
■) ein autiichtiKrr Blick in du Inncic tlcr tlcubdien SuJU und Lamtldiultn im
Vticriudc Bayern, is».
1 Stengcli, Rede luni Stlttuncitcsi der Akidciolc >»».
t Thutdiiu Siben ScLbnbioer>i|ihk, hcriiuE. v. M. RattmirinR, MBncbn UM, S. Ml
<J M. K A. mjzi und 10. IJ4/1. JsSflO und i». ;^3.
Zur Geschichte der Zensur und d© Sdirifiwfsens in Bayern. J45
nicht immer voilflcertig zv nehmen, sondern oft vom Äi^er Über
irgend eine Abweichung vom strengen Katholizismus erprellt
Zu Fraunbergs 5chmerz genehmigte Klein die gegen den frei-
denkenden Lyzeal Professor K. Weiller gerichteten maßlosen An-
griffe der Gegner des »Hypokriten". Den Widerstand gegen
schöne Literatur rechtfertigte er mit der für Lernbegierige be-
stehenden Zugänglichkeit der Hofbibliothek. Er machte Jagd nach
orthographischen Fehlem und rief dadurch einen Meinungsstreit
Ober die Natur des Zensoramts hervor. Freunde gewann ihm
die Anerkennung eines Vorschlags, die Pfarreien nach Fähigkeiten
ru verteilen und den Patronen nur die Oberaufsicht zu lassen.
Einmal stellte er sich in einen auffallenden Gegensatz zu
allen anderen Votanten.') Am J.Juni 1797 beschwerte sich der
geistliche Rat über das Verbot der Schrift »Veremund von Loch-
stein für und wider die geistliche Immunität in zeitlichen Dingen",
die Max III. Joseph dem Freisinger Ordinariat zum Trotz als
seine landesherrlichen Gerechtsamen betreffend 1766 freigegeben
hatte. Das Zensurkolleg entschuldigte sich:') »Das frcisingische
Ordinariat unteriieß, sein Verbotspatent vor der Affizirung Seiner
churfärstlichen Durchlaucht zur vorgängigen Einsicht und Beg-
nehmigung zu insinuiren, und dies war ein Eingriff in die
diesortigen Landeshoheitsrechte." Der Abnahmebefehl sei nur
als Beispiel erfolgt, »daß in Baiem keine geistliche Verordnung
ohne vorhergehende landesherrliche Einsicht und B^nehmigung
ad affectum gebracht vrerden dürfe". Eine Approbation sei damit
nicht erfolgt, zudem habe der Verfasser Osterwald, der kein
Theolog oder Kanonist gewesen, dem Minister Baumgarten über
die Kirchen- und Religionsunschädlich keil eine eigennützige Dar-
stellung gegeber und somit das Reskript erschlichen. Das Verbot
werde nun durch die betrübende Einsicht gefordert, daß die
Antilochsteiniana und Antifebroniana seitdem keinen Schutz mehr
gefunden hätten. Da kam nun Klein mit dem Sondervotum, nach
Hinweis auf die gute Katholizität der Schrift: „Sellret die Ordi-
nariate sehen das seichte und grundlose Gebäude der Decretalistcn
t> Diese AuifälininiiCn crKinim dss von H<:ie<=l SIkt du ■Zensurrntn [n AJl-
b«y«ni* QaagK. ]cd«nfi1li wirft die RechtfcrtigunK do Kollqt* dn nnici LizM tul du
SdiielcMl der Schrift Oiunraldt.
■) M. K. A. 714/1-
Archl« Mr KultuiEcichldile. II. 22
Ferdinand Lorenz.
ein, daher s«lb« eine Zeither ihre venneintiichen Gerechtsame an
ganz andern Oründen darthun vollen, wie mehrere neuere
Ordinariatssch reiben und Vorstellungen, die in der churfürstlichen
geheimen Rathskanzlcy verwahr! liegen, den Beweis geben. Selbst
Seine itzt regierende Päpslliche Heiligkeit haben während ihrer
langen und preiswürdigen Regierung der ganzen Welt zu erkennen
gegeben, daß es H&chstselben mit den gegenseitigen Grundsätzen
gar nicht gedient sey, durch die in der Kirche Gottes ehedem
soviel Unheil und Irrtum gestiftet worden.'
Eine ihrer strengen Gläubigkeit nichts vergebende geistliche
Person zeigt sich hier von dem neuen Zug berührt Und immer
wieder Kampf gegen Pseudoisidorl
Der Revisionsrat Karl Christian von Mann auf
Tüchlem ') warnte vor den Fehlem der vorigen Zensur bd der
Aufstellung neuer Kataloge, hielt sich in zweifelhaften FUlen
Strikte an den Buchstaben der Instruktion, verdeckte alles Illumi-
natische und konnte sehr verschnupft sein, wenn sein Votum
durch ein anderes alteriert wurde
Im Geist der neuen Regierung handelten Babo und Flurl.
Matthias von Flurl,') Bergral und Direktor in der
Oenerallandesdirektion, schrieb am 2. Dezember 1 799 an Westen-
ricdcr: .Das Verzeichniß der verbotenen Bücher ist, wie ich sehe,
von den Verboten des verstrichenen Censurcoll«^ums hergenom-
men. Ich sehe wahrlich nicht, wie man dem hödisten Willen
Seiner churfürstlichen Durchlaucht entspricht, wenn man auf diese
noch jemals bauen will . . . Die wenigsten im vorliegenden Ver-
zeichnisse angezeigten Bücher schlagen zwar in meine Kenntniß
ein, aber soviel ersehe ich doch, daß man sich gegen den Sinn
der Zeit versündigen würde, wenn man die alten Verbote hicbci
wollte stehen lassen. Ich zähle unter die verbotenen Bücher
nur einige . . ."
Er war zu praktisch, um nicht die Illusion eines Verbotes
von solchen Büchern einzusehen, die in »jcdcnnanns Händen -
waren. Auch teilt er mit, wie gewisse Schriften dissimulando
umliefen, .denn es ist unmöglich, gewisse Schriften, welche be-
ll M, K. a. jur%6: miti und H.
1) M. K. A. TUM: inm: Tivi.
I
I
Zur Geschieht« der Zensur und des Schriffvesens in Bayern.
sonders auf die Landesverfassung Bezug haben, mit einem landes-
herrlichen Imprimatur zu sanctionieren-. Eine Entschließung vom
20. Januar 175? hatte über Rittershausens ■ KaÜiolischcr Gottes-
dienst nach dem römischen Meßbuch" entschieden, dem Vorstand
des Zensurkollegiums, jedoch nur mündlich, zu «öffnen, den
Verkauf inner Landes zu dissimulieren. Also bei allem, was als
■ noii me längere« betrachtet wurde!
Die praktische Seite hatte auch Joseph Marius Babo') im
Auge, wenn er schrieb: vDer größte Schaden, der durch . . .
LekTQre entstehen kann, scheint mir der Zeitverlust zu sein." Un-
willig aber rief er: »Warum soll Burke, der entschiedenste An-
tagonist der französischen Revolution, verboten sein?« Dabei war
er auf die Wahrung des katholischen Interesses nicht unachtsam,
wollte 1794 die Oeschichte des Hussitenkrieges von L'Enfant «ob
protestantischer Prinzipien gemäß der Glaubenslehre des Ver-
fassers" nicht allgemein gestatten. Merkwürdig berührt es, wenn
er als der jüngere eine philosophische Abhandlung »Die VolU
endung des Menschen" Westenrieder mißbilligend zuschob mit
der Begründung: «Ich muß bekennen, daß ich mil dem Geist
meiner Zeit, der Paradoxien oben, Inconsequcnzen in der Mitte
und die uralte Verworfenheit überall unten mit sich führt, nicht
genau mehr bekannt bin. Ich bitte daher das Directorium, dieses
Werklin selbst . . . durchzulesen." Wenn sich ein geweckter Geist,
der sich in seinen dichterischen Entwürfen zu hohem Flug auf-
schwang, so benahm, wie wächst dann das Verdienst derer, die
ihr Volk zum Verständnis tieferer Lebensfragen fuhren wollten.
Dabei kannte Babo keine Ängstlichkeit, indem er etwa schrieb:
-Das gegenwartige Blatt wollte ich ungeachtet der Thorheiten
fliegen lassen; denn das gute Baiem ist ja noch ganz andere
Dinge gewöhnt!" Und 1 796 schrieb er im Bewußtsein, wie
machtlos die Zensoren der Wirklichkeit gegenüberstanden: »Daä
die Jenaer Litteraturzeitting so allgemein verboten sein soll, kann
ich kaum glauben, weil sie . . . unter allen litterarischen Anzeigen
in Europa die beste und vollständigste ist und solch ein Blatt
auch überall, aucli unter böoliscbem Himmelsstrich immer Eingang
■) M K. A. »S/IOi TnfI6 fZeibcbrifte» brir.); 3M/T (EirichtDnx von BGckn-
tpeditloncn bdr.|.
J48
Ferdinand Lorenz.
finden wird, indem es von den Postämlem oder den Heraus-
gebern dieser Zeitung abhängt, die Exemplarien, welche bis zur
Stunde öffentlich ausgetragen werden, unter ordentlichen Bächer-
couvcrts zu versenden, wie es hier allez«t mit den verbotenen
Zeitungen geschehen sein soll," Spann bestätigt dies und be-
gründet damit die eingebitdete tauschende Wirkung der Zensur.
Auch Babo konnte es keine Aufmunterunj;; seilt, daß sein
auswärts bejubeltes nBörgerglück" noch Mitle der neunziger Jahre
vom Kollegium behindert wurde durch die rigorose Maßregel,
welche alle 60 Bände der deutschen Schaubühne und damit aucli
Kotzebue, Schiller, Schikaneder vor die Tore wies.
Anläßlich der Änderung des Zensurwesens unter Max
[V. Joseph schreibt Montgelas im compte rendu: ■ Das Zcnsurkolleg
erhielt am 2. April 1799 eine neue Organisation, man schrieb
ihm einen freieren Weg vor und setzte es aus den besten Personen
zusammen, welche man finden konnte. Dies ist dem Eifer und
der Einsicht des verstorbenen Grafen Morawitzky zu danken . . ."
Mit dem von ihm derart ausgezeichneten und vorgeschobenen
Heinrich Theodor Graf Topor Morawitzky hat aucJi Montgelas
im Zensurwesen eine Rolle gespielt Beide waren früher durch
das Kollegium hindurchgegangen, beide trafen sich in Rastadt,
dessen Vorgänge die Zensur in neue Bewegung brachten. Die
neugegründete Bücherzensur-Spezialkoinmission wurde dem ge-
heimen Ministerialdepartement der geistlichen Angelegenheilen
untergeordnet, an dessen Spitze Morawitzky trat. Aber bei den
nicht fest umrissenen Zuständigkeitsverhältnissen wurde vor allem
das von Montgelas geleitete Ministerium der auswärtigen An-
gelegenheilen mit dem Geschällsgang oft in Berührung gesetzL
Daß Montgelas schon vor tS06, wo er das Ministerium
des Innern selbst übernahm, allen staatlichen Vorgängen nahe*
stand, ist schon für die n&chstzeitliche Geschichtsschreibung eine
ausgemachte Tatsache.') Und daß der «Staatsmann, Weltmann
und Hofrnann",') der den Geist der Zeit genau kannte,*) der
■) erlnnrningrn in die Wlrlmmlwl'l an Onfen Mac JoHfih von Monterlu, ctw-
cniliKcn tairb. Stuumlnlalm unter Ott R{8lcrung> Mai t, 2 Udc. SturiEin ib98.
*| Ttirottor Olln, Udil and Scli>.ttcn. Cl>«rll«yemi Sluliverw*ilitnsiinlcr Mm I.
u)4 StutioiniiUr Oiaf Monlcclu, Ldp4lg illfr.
■) Hdnilch Schenk an Jacobi, Eai IUI. S. im.
t
Zur Cesehichte der Zensur und des Schriftweseiu in Bayern. 349
„verdienslvolle, rastlose, patriotische Staatsdiener"*) bei aller An-
strengung auch eine nur mittelbar ihn angehende Obliegenheit
ernst nahm, läßt sich woh! behaupten bei einem Grundsalz, wie
er ihn später am 6. Dezember 1832 an Julie von Zerzog^ er-
öffnete: «Ich halte daran fest, daß man mit einer Stelle die Ver-
pflichtung öbemimmt, ihre Aufgaben zu erfüllen, ohne sich unter
irgend einem Vorwand dem zu entziehen, was das Wohl des
Landes und der Dienst des Königs erheischen kann." Dann ist
zu beachten, daB der ob technischer Übcrbördung befehdete
Schuiplan für die Gymnasien und Lyzeen von IS04 Montgelas'
Namen trägt, und daß der AbendsCrahl dieser Periode noch den
jungen Fallmerayer^} erfreute, während er nach seiner Fahrt durch
die Länder klassischer Kultur einen Rückgang fand in Schute und
Wissenschaft und in Thiersch einen verzweifelten Kämpfer, der
steh in einem Irrgarten wähnle. Gerade die Geschichte der Schul-
geselzgebung kann einem den Glauben bestärken, der in der
Periode Montgeias ein sonniges Eiland auftauchen sieht, das bald
wieder versinkt im Meer der Meinungen und der Zeilen. Als
die Stellung des Ministers erschüttert wurde, stimmte der Schul-
plan vom 16. September I816 eine ganz andere Weise an. Alle
Fachlehre für Philosophie und Mathematik wurde abgeschafft.
Der Religionsunterricht schaute rückwärts und putzte die alten
Schemen der Fides, Spes und Charitas, die Zöglinge eines Clau-
dius Aquaviva.*) Der verdienstvolle K. Weiller wurde 1823 vom
Lyzeum entfernt. Den Grund CTTählt uns Lerchenfeld :") .weil
seine phüosophi sehen Ansichten den Finsterlingen, deren Einfluß
sich allmählich immer fühlbarer zu machen begann, anstößig waren«.
Montgeias stand nicht allein, Morawitzky war ihm eben-
bQrtig. Die Unterfertigung von Erlassen läßt nicht auf die Autor-
schaft eines Ministers schließen. Hier möge zur Charakteristik
Morawitzkys, den die ..Empfindungen eines Baiers" bei der Rück-
kehr von Rastadt 1J99 verherrlichten, angeführt werden, was sich
*) Der £Hcnl]iche AnI[Ugn-. von BonUatlua Philanthrop. )30J.
*l Brich de« Slulfmlnfitct» Oial M. J. von Mcntgcluv «d. Jalk von Z^nog,
Rcgniiburs S. A.
t ThoniM, Ober fiHmtttya alt Sebulmmn.
•) Uait, Kttaoinn II, 19S
<9 Octdiidil« Bayenn* uater Kfnig Mui Jowpb I. itil. 8. aBJ
durch handschriftliches Vergleichen von Entwürfen und aus der
lebhaften amtlichen Korresponden?: mit den vielbeschäfligtcn
Referendaren Zentner und Branka ihm zueignen läßt. Am
to. März 1800 schrieb er an die Kommission mit einer idealen
Forderung:') »Es möclite gut sein, wenn die Spezial-Commisston
neben der litterarisdien Pohzcy in engerem Verslande sich mit
der Leitung der Denlcensart und des Oeschmacks näher befassen
könnte. Den , , . Zweck mag also die Wiener Censur, deren
Verfassung sich mit der hiesigen nicht vergleichen läßt,') dadurch
zum Theil erreichen, daß sie Geister- und Ritter- und Klosler-
romane verbietet. Bezüglich des Visingerechen Katalogs ist aus
dem Titel nicht zu ersehen, ob sie bei den Lesern . . . Neigung
zur Don Quichotterei her\'orbringen, sie mögen auch historisch
und satirisch sein; wo nicht, so werden sie von selbst Makulatur
und nicht einmal für die Langeweile gelesen werden . . ,■
Morawtizlcy vertraute dem guten Geschmack. Dessen Er-
ziehung wäre ihm als ein würdiger Beruf der Zensur erschienen.
Das Ziel aber war schwer zu erreichen. Montgelas äußert sich
in diesem Sinn seines Amisgenossen: »Die Kritiker bedachten
nicht, wenn das neubegründele Zensurkolleg auf die Güte der
unaufhörlich in großer Anzahl erscheinenden Werke den wohl-
tuenden Einfluß nicht halte, den man vielleicht erwartete, dafl
die Herrschaft des guten Geschmacks schwerer aufrecht zu er-
halten und auszuüben ist als die Zensur, die bloße Verwaltungs-
maßregel ist"
Am JO. )uli 1802 schrieb Morawitzky an Zentner und
Branka:*} »Ich habe in meinem Leben nie Polemik als Studium
getrieben, ja ich verabscheue sie sogar als Nebenstudium . . .
Die beiliegende Censurcommissionsfehde ist aber von der Natur,
daß sie, wenn man sie blos nach dem trocknen Geschäftsgang
fortführen wollte, Auftritte, . . . leidenschaftliche, an sich selbst
aber zum wenigsten unnQt2e Disputen, Verbesserungen und
Kämpfe herbeiführen kann, die wir meines Dafürhaltens nicht
>) M. K. A. TSa/ID: Eirichhing von Lcili- und L««l)ibUaÜi«)i«i
*) Onf Smbu ilrebhr fün Theater die Z^nimtetreiung »olehcr SiücIk an. wcith«
die W(*n«r Ztn»at p»*»(Frt halttn. Vjl. Ht\gr\. Di» ThejleneimiT untrr Kuftartt Karl
ITieodot. bei Hflnh»rilttüitncr
I] M. K A. 7»/l.
I
I
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern.
nötig haben. Ich glaube, daß Westenrieder mit Recht sagt, man
Sollte die Sache ohne Geräusch beilegen."
Sehr bedeutsam ist die Anregung:') »Eine andere Fn^e ist,
ob nicht zuweilen auch Schriftstellerei mit dem Interesse des
Staates zusammentreffen kann, und ob nicht vielmehr die Preß-
freiheit auch in dicMr Hinsicht Begünstigung verdiente, weil sie
ein Rügegericht bildet, das gewiß unschädlicher und der reinen
Staatsform anpassender Ist als heimliche Denunziation."
An mehreren Stellen finden wir zwischen Morawitzky und
Montgelas förderliche Übereinstimmung. Und die Anschauung
des Kurfürsten, dem diese beiden Minner dienten, möge aus dem
Rcslcript vom 15. Mai I80T') erhellen, wo eine Untersuchung mil
der Begründung abgewiesen wird, daß »durch die Wichtigkeit,
welche man auf dergleichen Werke legt, die Aufmerksamkeit des
Publikums nur desto mehr gereizt wird, und endlich der Zweck
einer genauen Untersuchung, wenn sie auch möglich wäre, nicht
abzusehen ist."
Max Joseph war doch nicht nur repräsentative Figur auf
dem Throne. Schon der Prinz erledigte seine Angelegenheiten
mit großem Eifer.') Die nächste Folgezeit bereits hat sich daran
gewöhnt, nach seinem persönlichen Eingreifen zu fragen, wenn
sie auch etwa mit J. von Dall'Armi zum Ergebnis kam, daß der
König kein Schultechniker war und sein großes Verdienst darin
bestand, die rechten Leute zu finden. Es war bedeutsam, daß
die Volksschullehrer lange Jahre vermittels! des Ministerial-
departements ihre Ernennung vom Kurfürsten zu gewärtigen
hatten.*) So konnte sich das erquickliche Verhältnis zwischen
Fürst und Volk herausbilden, das Vertrauen, welches Gcntz König
Friedrich Wilhelm als beglückend dai^estelU; die wechselseitige
Liebe zwischen Haupt und Gliedern, wonach Moser in seinen
Tagen so schmerzlich sjcli gesehnt Es hat nichts versclilagen,
daß der Jurist Feßmaier damals den Grundsatz aufstellte, der
1) M. K. A. U\li6: Dm Profe»»or Sil<l «gen der Bn»chflrc .Der rortKhritt da
Lidllt In Bilern* bclr
1} M. K. A. »afM.
^ Du Moulln Eclcul, Reinh. FoncliiitiKea Kt. 2iS Anm. <if.
*) J. <taa Dair Anni, DIf Schutlehrcr In Bajrrm. Eine voLInwirHctuiFtlicIic, gctfhjehl-
Uche. MiÜpoütiiche Unlendchuiif. Au^iburf XtSi.
352 Fodinand Lorenz.
Souveiin habe lauter Rechte, keine Zwangspftichten.*) Jacobs*)
stellte als Tatsache hin, daß es keinen Monardien gebe, der sich
nidit, wenn er wolle, allen Ödstes bemächtigen könne, der sidi
in seinem Bereich befinde; Mon^elas rühmte seinem Ffitsten
nach, alle Leute von Verdienst zu ermutigen und zu gebrauchen.
Darum verden viele dem Professor Salat beigestimmt haben,
wenn er in einer Rechtfertigung*) mit zitternder Hand die Worte
niederschrieb von einer »innigen Verehrung für eine R^erung,
der ich so viel, der ich besonders meine Rettung aus den Händen
der Pfeffere! und des Obscurantismus zu danken habe'. Und
die w^;en ihres ungezwungenen Qebahrens vielfech mit scheelen
Augen angesehenen Emigranten feierten Max Joseph, der auch in
ihrem Vaterland zu Gast gewesen:
Moi qui te vis dans ma ch^ patrie
F€14 de grands et chiri de nos Rois;
J'ai perdu tout hors l'honneur et la vie,
J'ai tout gagn£, si je vis sous tes loix.
>) HfUrlai Bieder, Budihlndlcr zn Mündwn, in Hut SuA» von Straobing. IS«.
*) VennitcMe Reden, Ooth« IBZI, XVtll.
«) M. K. A. 741/2*.
(ScMuB folet.)
Die Geschichte der Naturwissenschaften
und ihre erzieherischen Bildungswerte/)
Ein Beitrag zum kulturgeschichtlichen Unterrichl.
Von FRANZ STRUNZ.
.Du Bntc. *Rt »it van da Oothlcht« hibni.
Im der CnthluiUlDUl, den sie CfrqEt»
Oodht.
Heute wo der geschulte historische Sinn den ältesten Kul-
turen sogar ein weitgehendes und warmes Interesse entgegen
bringt, ihren geistigen und religiösen Auswirkungen, dürfte
auch die Erzählung von der Stellungnahme der Menschen zur
Natur, mehr und mehr an Wichtigkeit gewinnen, Die
Geschichte der Natu rbetrach hing und Naturerkenntnis ist das
Fachgebiet, welches uns diese Entwicklungsreihen von den
äElesten Anfängen an zeigen und begründen soll. Aber wie
zu begründen? Natürlich nicht durch einseitige Betonung des
rein experimentellen Resultates. Ich meine vielmehr, indem die
Geschichtswissenschaft die theoretischen Ideengänge und ihre
psychischen Voraussetzungen herausschält, indem sie natur-
wissenschaftliche Entwicklungen auf denselben Hinlergrund proji-
ziert, auf den man z. B. Geschichte der Philosophie, der Kunst,
der Religion u. a. zu sieller pflegt. Das Verständnis für Wirlc-
l| Dfcici Thcnu habe ich lucli einer uidcrtn Sdtt liin auch in dtx BrrUgF nir
JMl2">>(in"i Zätiing* (1901. Nr. 3SI in eirwr Skiiie .Aotpben und Zftle <Ib hinnrlifh-
nilunnt4m><ciilMlchui Unltrrichli* lu cr<tTlrm \criucht- Die elnEcii^d' und lattlnmcnde
B«ptftliiinE dieser D»rlegunKen durch den Dawlet DnlvefaltlB-fioleiaur Dl. Qeuit *.
A, Kihlbaum in Ni. I uni] 4 da •MJKcilunGcn lur Ooctudite da MeJIiin um] ilct
NstiirvineniehafleR' (IVOl. Vrtli| von l.eop Vcti in Himbatj) vcnuillßt mich, an dlC
Miheren Oedinkei im Ifllcoiden «anknüpftn.
Franz Stranz.
lichkeilsföhlcr, -wollen und -empfinden scheint mir überhaupt
das Kemhafte jeder geschichtlichen Behandlung der Natur-
wissenschaften zu sein. Auch diese Geschichte ist Leben, auch
an ihr sind Menschen beteiligt gewesen mit Seelen, durch die alles
hindurch mußte: individuelle Eigenart und Kraft der Vorstellung,
nüchterne Erfahnmgsin halte und logische Gesetze. Ganz besonders
diese Geschichte hat einen starken Kontakt mit dem Leben.
Geschichte der Naturwissenschaften isl Erforschung, Be-
urteilung und Darstellung desjenigen geschichtlichen Prozesses,
der sich auf das Werden der naturbetrachtenden und natur-
wissenschaftlichen Forschungsgebiete bezieht Sie sagt daß
das, was heute als Dogma der Naturbetrachtung gilt, es nicht
immer war, sie zeigt, wie der Mensch seine Stellung zur Natur
gewechselt hat, wie »Gesetz" von »Gesetz" abgelöst wurde, Hypo-
these von Hypothese, Forscher von Forscher, Vulgärbetrachtung
von Vulgärbetrachtung. Schon das fuhrt zu tieferer Einsicht:
Was früher geschah, kann immer wieder eintreffen, d. h. da3
eine Wertung von einer neuen abgelöst wird. Auch unser
Natur- und Weltbild ist nicht für Ewigkeiten. Wenn es auch im
groben Onindplan kaum anders werden wird. Aber wer kann
das wissen? Wir sehen bei dieser geschichtlichen Betrachtung
in ein Labyrinth von vergangenen Lehrmeinungen, in Irrtumer,
die durch ihre Methode fesseln, in Generalisierungen von mangel-
hafter oder enthusiastischer Denkzucht, aber dann wieder auch
in die Kindheil ernster, treuer Forscherarbeit und Ausdauer.
Wir sehen die Stimmungen, in denen geboren wurde, was heute
gemeine Meinung ist oder grundlegender Lemstoff des Schul-
knaben. Und dies Entwicklungsbild wird immer farbensattcr,
je mehr man sich unseren Zeilen nähert, einfacher, blasser, desto
mehr man sich von ihnen entfernt. Freilich isl diese Ge-
schichte nicht so geräuschvoll, festlich und überwältigend, wie
die Abwandlung eines Völkerlebens oder einer Kunstgeneration,
50 gefühlsbetont wie Persönlichkeiten, an denen sich das religiöse
Leben einer ganzen Zeit entzündet hat, nein, es waren meist
stille Worte, die von Naturforschern ausgingen und die ge-
waltigsten Umwertungen sind nicht immer als gewaltige Tat ur-
sprünglich erlebt worden. Allerdings gibt es ja auch große Männer
Die Geschichte der Natunrissenschaften.
dieser Wissenschaft, die nicht so kamen und ihre Neubotschaft
keineswegs zagtnd ausspTachen. Mit einer ans NVunderbarc gren-
zenden Furchtlosigkeit setzten sie das durch, was sie ihrer Zeit zu
sagen hatten. Sei es als Neuschauende oder Neiikombinierende,
als Entdecker oder Erfinder. Das ist gerade das Seltsame am ge-
schichtlichen Prozesse dieser Wissenschaft - es berührt auch
das erzieherische Moment - , daß die Farbe des Persönlichen
einer Hervorbringung so gern bleichen, malt wetxjen will, wie
alle verwahrloste Handschrift, so daß später oft nur mühsam
angedeutet werden kann, was Leben und Olut war, was der
reine Sinn des Ganzen und wie ihn ein heute totes Geschlecht
als Zeitgegnerisches und Zeit brecherisch es erlebt hat Und das
tat doch fast jede Mensch heilsstufe anders: anders der Hoch-
sommer der Antike, anders die hellenistische Renaissance oder
•vie ganz anders die Tage des gro6en induktiven Naturforschers
und Künstler? Leonardo da Vinci! Auf eine wissenschaftliche
Neubotschaft im Jahrhundert Luthers fiel anderes üchl als auf
die Forschung im Jahrhundert Voltaires. Daß sie eben anders
erlebt wurde, das war der Grund verschiedenartiger Aufnahme.
Zeit und Forscherpersönlichkeit gehören zusammen, um zu ver-
stehen, was ein Problem historisch wert ist. Die letztere genügt
allein nicht Sie bietet uns nur die BliJte, nicht die Wurzel mit
ihren Haftoi^nen an die große Erde, Im Bild: die Wurzel ist
Zeit, die Haftorgane sind Triebe, Instinkte und Fähigkeiten
derselben, die große Erde das Wissens- und Kulturkapital der
Vergangenheit Wer also dieser Geschichte näher treten will,
muß mit denselben Werten kommen, wie mit denen für Ge-
schichte ßljerhaupt Alte Geschichte - und besonders Kultur-
und Wissenschaftsgeschichte - ist Leben, alle Geschichte ist
Psychologie in praxi! Sie ziehen an uns vorbei, die Gestalten,
die uns die Geschichte heraufführt und treten ins blendende
Heute - reden sie roch mit der Frische eines erst kürzlich
vertdungenen Tages, so war mühsame Forscherarbeit nicht um-
sonst, denn man glaubt an sie. Aber: Historische Statisten
mit den echten Gewändern oft gründlichster Gelehrsamkeit sind
zeiUebens tot und uninteressant, ohne Per^nlichkcit und Seele.
Sie werden nie zu uns reden. Sie bleiben Akten, leb sagte
35«
fraia Strunz.
schon oben, daß auch in unserer Oeschichtsdiszipün die Stimmung
gezeichnet werden muß, aus der eine Welt oder Naturbetrachtung
heraus entsteht.') ja, da liegt der Kern. Aber auch das Scliwcrste,
was in der Verarbeitung des geschieh! liehen Materials erstrebt
werden kann. Vorausgesetzt, man will den Geist des Ver-
gangenen und nicht platte Kritiklosigkeit.
Schon vom Standort dieser Gedanken können wir uns der
Frage nach dem Biidungswert und den erzieheri^ien Kräften
der Ocschichte der Naturwissenschaft nähern. Man muß aber
erst darüber klar zu werden versuchen, in welchem Lehrfach
der bildende und erzieherische Einfluß dieser Disziplin zu Worte
kommen darf. Von einem neuen Unterrichtsgegenstand ist selbst^
versländlich nicht die Rede. Auch nicht von einem Lehretoff
für die Unterstufe. Es sollen Anregungen sein, Förderung
bereis wachgerufener Interessen am Werdenden und Gewordenen
in der Geschichte der Naturforschung, dann Em-eitening des
biographischen Momentes im Geschichtsunterricht überhaupt und
die daraus folgende Rücksichtnahme auf die führende Person-
lichkeit und ihr Werk. Das letztere weist dann ganz besonders
auf die erstere zurück, d. h. auf die Werkstatt der Hervor-
bringung.') Geschichte des denkenden Naturbctrachtens ist doch
eine Geschichte des kritischen Sehens und Unterscheidungsvcr-
mögens! Sic ist eine Geschichte des menschlichen Auges. Wenig-
slens zuerst Dann wurde sie die Geschichte einer breiten und
kräftigen Theorie der Erfahningswissenschaften. Wie sollten auch
nicht da die »großen Persönlichkeiten" und der «Zeitgeist" fehlen
oder höhere kulturgeschichtliche Momente, «welche Taten hen'or-
gerufen, sie bestimmt und geleitet haben, ja selbst die höchsten
Taten der Menschheit genannt werden müssen" ? ') Ist die
darstellende Wiedergabe dann auf der Höhe der Fähigkeit, das
Zuständliche in dieser Geschichte in ein Geschehendes d. h. in
■) D«i gilt nicht illrln Mr dm Qeidil(hblnr;c)ier mid -fccti tttilti. urniUrv
iiubsondne für dm OochichisdatiteUci. Und dn leUicrc Iti auch der Ldiier im
UntctfichiT.
■] Du M rint rr*xt (Qr tkh, die un> Ediurd PUUbon-Lr)cunc (n »incia KhCncn
Budic; .Wak und PendnlliJikeit- jiu etno Theorie der [HoKripbk|i, Minden i.V. IWJ,
*li Anlimonie der Blop-iphtc beuichnel [S. 2i*\
t Vgl. LrhjpUn ünti ln?*ttiHi(inen föt d«n l'ntmkht «n an Oynanitn in
öiterrrlth. 2 Auie. Wim 1900. S. t^at Hier vicil mll Krclil tat den groBn Wert dcr
WlufiKchxIlitmrMFhlc hinEr*ievn.
I
I
Die Geschichte der Nalun»issenschaflen. 357
wirklich keitsfrisches Leben umzuwerten - freilich mit feiner
wählender Absicht des Lehrers - , so kann im Unterricht ein
weseniliclter, bis heute so gut wie nicht beachteter Bildungsfaktor
gewonnen werden. Vorausgesetzt, daß der Lehrer anschaulich,
einfach und lebendig Bcrzählen' kann und seine Schilderung
in der leicht err^baren Seele des Schülers als gefühlsbetonte
Begeisterung nachklingt, als Enthusiasmus, von dem Goethe ge-
sagt hat, da(l er das Beste ist, »was wir von der Geschichte
haben". Aber damit ist immer noch nicht die Kernfrage gelöst,
die wir oben berührten, nämlich nach der Eingliederung dieser
Anregungen. Wird sie der Lehrer der Naturwissenschaften
[besonders der Phj'sik und Chemiel oder der des Oeschichls-
unlerrichles zu berücksichtigen haben? Die Literaturgeschichte
vertritt bekanntlich der Deutsch- Lehrer, sollte da nicht auch der
Naturwissenschaftslehrer die Geschichte seiner Wissenschaft in
seinen Unterricht einbeziehen? Aber man könnte dann wieder
sagen: »Ja, Geschichte der Naturforschung ist Wissenschafts-
geschichte und daher auch Geschichte der geistigen Kultur, also
gevissermaßen Kulturgeschichte. Sie fällt dem Fachhistoriker
zu." Nun, das sind Fragen , die nur erfahrene Praktiker
entscheiden können und daher außerhalb meiner Kompetenz
liegen. Ziel der Lehrtätigkeit soll es ja sein, womöglich
Zusammenhängendes in einer Lehrkraft zu vereinigen. Dann
gehören die Anregungen geschichtüch-nahirwissenschafthcher Ar!
in den Geschichtsunterricht, denn dieser soll die Menschheits-
stufen in ihren verschiedenen, also auch in ihren gedanken-
mäßigen Empfindungsnachbildungen würdigen. Aber doch hat
das wieder seine Schwierigkeit. Ist der Geschichtsichrer — trotz
aller kulturgeschichtlichen Befthigung — auch imstande, rein
naturwissenschaftlich bedingte Probleme des Einst vergleichsweise
mit dem Jetzt zu beurteilen und darzustellen? Und wieder um-
gekehrt, kann der Leiter des naturwissenschaftlichen Unlerrichles ein
bestimmtes Geschichtsbild seiner Wissenschaft auch aus dem ge-
schichtlichen Prozeß unversehrt herauslösen^ ohne Ursache, Be-
dingung und Anlaß zu verwischen? Wird er dem psycho-
logischen a priori der geschichtlichen Handlung gerecht werden?
Ich lasse die Fragen offen.
Beinahe möchte ich glauben, daS es dem naturvissenschaft-
lieh gebildeten Lehrer näher liegt, diese geschichtlichen Exkurse
in seinem Unterricht aufzunehmen. Denn es ist ja die Ge-
schichte seines Berufstudiums. Der Lehrer, der den Schüler
mit dem an österreichischen und reichsdeutsch en Mittelschulen
ßberreichen und Lehr- und Lerneifer veriangcnden Ausmaß
exakt-natumvi&sen schaftlicher Bildung zu beschenken hat, dürfte
aber trotz alledem genugsam Ruhepunkte im Gange der Stoff-
abwicklung finden, wo er historisch zusammenfassen und re-
gistrieren kann, ich will nicht sagen, muß. Ist es da aus einem
inneren Erlebnisse des Lehrers selbst sinnerzieherisch geschehen,
mit feiner, aber doch zielbewußter Abzweckung auf ein allerdings
recht unkompliziertes kullurgeschichtiiches Verständnis, das aber
doch im Grunde aus naturwissenschaftlichem Interesse zugleich
heraus kommt, so sind zwei Ziele auf der Hand liegend: Einer-
seits wird viel Sprödes und Unverdauliches angenehmer und
lehr- und lembarer gemacht, anderseits bieten sich die großtn
naturwissenschaftlichen Grundwahrheiten und Gesetze, weil sie
mit dem starken Leben einer Persönhchkeit und der Frische
einer Zeit organisch verbunden werden, durchsichtiger und
zwingender dar. Wenn der Schüler sieht, wie ein Naturforscher
auf eine vergangene Zeit gevrirkt hat, so wird auch er der
Wirkung sich nicht so leicht entziehen, als wenn das i,Gesetz"
oder die «Ableitung" nur starre, trostlose Forme! sind. Wir
müssen das Werk wieder persönlich machen und individualisieren,
das Werk, udas sich aus der Personalunion gelöst hat, in der es
zu einem denkenden Hirn, zu einem lebenden Körper und einer
«fühlenden Brust" stand."') Daß weiter solche zugrunde ge-
legte historische Methoden die Vorführung des ganzen natur-
wissenschaftlichen Hauptfaches zu beleben die Kraft haben und
eindrilcklicher machen, glaube ich annehmen zu dürfen. Wie
das 2H geschehen hat, wird der individuelle pädagogische Takt
des einzelnen vorschreiben, und es ist klar, daß hierbei immer
die epochale naturwissenschaftliche Entdeckung als Folie
dienen muß, die also schon an und für sich eine kurze Dar-
legung des Enideckungsweges verlangt Details natürlicli würden
)) Ed. PlMaolf-Ldwu. (fcd. s. ».
Die Geschichte der Natu ncissensc haften.
mehr schaden als nCitzen. Das Wichtige muß aber auch weiter
so aufgebaut sein, daß der höhere Schüler jederzeit das Un-
^wollte in der historischen Schilderung herausspürt und »ana-
lytisch" die einzelnen Bcstandstücke feststeilen tann. Schon da
vermag er auch für den allgemeinen Geschichtsunterricht zu
lernen d. h., diß Geschichte und insbesondere die der Wissen-
schaften keine kalte Addition von Episoden und Resultaten ist,
unter die man unten den Strich macht, auch kein nüchterner
Maßstab mit einer Skala von Jahreszahlen und formulierten Ge-
setzen. Allerdings verlangt eine solche zusammenfassende
historische Darlegung des exakten Resultates von heute, den Ein-
satz der ganzen Hingabc an die Sache, wenn sie von ent-
scheidender Tragweite sein soll. Und ganz besonders auch Fein-
fühligkeit, um in den heikein Fragen der metaphysiKhen Grenz-
gebiete nicht religiös zu verletzen. Soll doch keiner so viel
Versöhnlichkeit vertreten als gerade der Lehrende und in er-
höhtem Maße der, der die Liebe zur Natur in die Seele des Knaben
legt, die Natur des modernen Menschen als Gesetzeswissenschaft
und mit dieser letzleren zugleich - wie wir es hier anzuregen
versuchen - die Liebe zu ihrem Werden. Selten hat sich das
«Menschliche' so scharf abgespiegeil wie in dieser Gedankenwelt.
Wo man aber das Geschichtliche einzuschalten hat, daß darzu-
tun kann nicht Aufgabe dieser Zeilen sein. Auch das ist des
Lehrers Sache. Aber um nur einiges zu nennen: die Ge-
schichte der Physik mit ihrem reichen Schatz naturphitosophischcr
Charakterbilder aus der Bewegungslehre und Astronomie, aus
Optik und Wellenichre bietet dem einsichtigen Lehrer die Ge-
legenheit, fem von allem tabellarischen Zahlen- und Namenwust
lebendige Zusammenhänge dem Schüler an die Hand zu geben,
wo »Problem- und »Persönlichkeit- wie auch »Erfolg- und
•■Weiterentwicklung* bereits durchschimmern müssen. Oder die
Geschichte der Chemie. Bei der Schilderung der Atomiheorie:
ihre Geschichte ist voll von inicressanten Wandlungen, bei
Schilderung der Reform Lavoisiers: die Geschichte seiner Mit-
und Vorarbeiter ergibt sich da von selbst, Geschichte der AI-
chemie, der Jatrochemie und des Phlogistons. Bei Besprechung
einzelner chemischer Präparate finden sich hunderte Wege zur
J.
360
Franz Strunz.
chemischen Technologie der Antike oder zum Sunde der Kennt-
nis in der alleren Alchemistenzeit. Die Besprechung der Metalle
wie Kupfer, Silber, Gold und der wichtigsten Kupferlegierungen
gibt eine geeignete Gelegenheit, das praktische und theoretisch-
dialektische Wesen der sogenannten „Melalltransmntation* der
Alchemie zu beleuchten u. a, m. Oder es kann in den be-
schreibenden Naturwissenschaften die Bedeutung des auf der
NatLr beruhenden physiologischen Systems des Aristoteles klar
gemacht werden oder das Samnücrtalent des Plinius, es können
erwähnt werden die großen MineraLkenntnisse der Antike,
insbesondere in bezug auf die technologisch verwerteten Erze.
Ganz zu schweigen von den Errungenschaften neuerer Zeit etwa
seit der Renaissance. Ihre naturforschenden Klassiker sind im
Schulunterricht immer noch Fremdlinge! - Doch das muß genügen.
Die Frage, ob dem erzielieri sehen Bildungswerte der Ge-
schichte der Naturwissenschaft wirklich soviel Bedeutung beizu-
legen ist, wurde schon oben zu erklären versucht. Nur noch
einige knappe allgemeine Bemerkungen sollen letztlich das Ge-
sagte zu modernen ßildungsproblemen in Beziehung bringen.
Geschichte der Naturwissenschaften ist nicht allein Ge-
schichte des denkenden Naturbetrachtens, sie ist Geschichte von
Menschen, schauender Menschen, ihres Empfindens und Sinnens.
Sie ist in dieser Hinsicht Menschheitsgeschichte und darum auch
Kulturgeschichte. Die Natur, die von jeher auf uns so über-
mächtig gewirkt, sie im Spiegel der menschlichen Reflexion zu
sehen in all den Strahlenbrechungen, die Zeiten veranlaßt haben,
das ist das Eine. Aber dann: ihre kästlichste Anregung kommt
auch von der Seite ihres Wesens, an die sich andere Spekulationen
angesetzt haben. Besonders Mathematik, Philosophie und Religion.
Die erstere erzeugte in ihr die Gesetzeswissenschaft, das Nomo-
thetische, die Philosophie eine natürliche Metaphysik und die
Religion den geföhlsbetonenden Akzcnl für beide. Und die
Männer, die nach diesen verschiedenen Richtungen hin die
Naturwissenschaften vertraten und ausbauten, sind uns dalier
interessant und erforschungswert Das Moment der persönlichen
Innenschau, seelischen Verfassung oder inneren Situation, Impulse
und WiDensakte, Gewolltes und Gefühltes, das ja In jeder Oe^
I
Die Qeschichte der Naturvissenschaften. 36 t
schichte den Schlüssel bietet zum Verständnis des Menschen, der
in ihr hindelt, muß daher bei den großen Führenden im
Wesen klarzustellen versucht werden. Das alles ist ja auch an
die Naturwissenschaften herangetreten und ist wieder mit einer
neuen Welt belastet aus ihr geboren worden im fortdauernden
Wechsel und Austausch. Gründe genug, um auch in der Ge-
schichte der Naturbetrachiung und -erlcenntnis rein psychische
Vorgänge aller theoretischen und praktischen Gedankerarbeit a3s
Folie zu unterle^n. Ich habe Oben gesagt, sie hätte nichts
Theatralisch-pathetisches, diese Geschichte, damit soll aber nicht
behauptet werden, sie wäre für die modernen Bildungsinleressen
banal, schwerfällig oder gar langweilig. Keineswegs. Die Pfade,
auf denen die großen Denker über die Natur gekommen sind,
führen aus einem nWunderland" heraus, aus der Heimat der
Dämonen, der mythischen Personifikation und der Naivctäl, aus
VoEksgUube und sinnlicher, grob bildlicher Naturwertung. Müh-
sam gehts aufwärts durch die Rätsel und Rader der Zeit Noch
ist sich der damalige unkomplizierte Mensch selbst der Wertungs-
maßstab, nach welchem Natur geschätzt und erklärt wird. Und
dann fällt sie in seine Seele, wie ein keimender Morgen, die
Natur, die Sinnbild des Geistigen isL Dann ist s i e Selbstzweck
und nielit der Mensch. Immer höher führen nie geahnte Pfade,
hinauf in die küliie, nüchterne Re^on der frostigen Kritik und
des »Gesetzes'. Und wie Todesschauer kommt es über Natur-
gefühl und senHmentales f:rleben, über landschaftlichen Natur-
sinn und persönliche Wiedergeburt des Gesehenen. Dann
trennen sie sich: die Natur der Kunst und die Natur der Wissen-
sdiafi, das ästhetische Genießen und die harte Tatsachen- und
Ursachen prüf ung. Und vor die letztere stellt sich die riesen-
hafle Frage: Wie kommt die Außenwelt zustande und was
sind Anfang und Tod? Es begann ein Naturforschen des Ex-
perimentes, ein fieberhaftes Finden und Erfinden von Bedingung
und Anlaß. Freilich trug der Mensch von seinem Wege noch
die Spuren — und sie waren überreichlich vorhanden — , auch
als er gelernt hatte seine Erlebnisse an der Natur völlig andere
zu verarbeiten, als Naturbetrachten und Nalurcrkenncn längst
nidit mehr dasselbe Maaren. Diese ganze Nalurwertung war
JMiiv m KultnrKodiklitc. II. 23
363
Franz Strunz.
scheinbar für Ewigkeiten ersonnen, diese Vorstellungen, wie All
das wirklich Große, was die Antike uns fiberlassen hat, sie
waren so täuschend im Aussehen, daß die Natur mit Ihnen ver-
wechselt wurde und umgekehrt sie mi( ihr. Aber das alles liegt
zwischen den Blättern der Geschichte der Naturforschung. Nur
suchen muß man es. Und der wirklich ehrliche Bildungseifer
wird es finden. Wie viel Menschen führen doch heute das
Wort NatUfforBchung im Munde und ahnen nicht, wie sie
geworden ist? Sollte diese Geschichte einer besonders in unsem
Tagen so herrschenden Wissenschaft wirklich so nebensächlich
sein? Ist sie nicht vielmehr Geistes- und Kulturgeschichte in
einem zusammen? Und warum sollte daher die Entwicklung
dieser Denkwege unserer reiferen Jugend verschlossen bleiben?
Möchte sie doch wenigstens den Sinn dafür mitbringe auf die
hohe Schule ! Und diese weitschichtigen Interessen dürften dann
im späteren Leben gewiß mehr solides Bildungsstreben erzeugen
und wachhalten, als die ungesunde, aus geistiger Befangenheit
entspringende Sucht nach dem Neuen, ohne das Alte innerlich
erlebt zu haben. Leider hat die moderne Jugend diese Tendenz.
Die tiefe, warme Liebe und Ehrfurcht fär das Empfangene, das
uns innerlich reich gemacht, hat sie nicht Immer mehr auf das
Aktuelle, Geräuschvolle sind Sinn und Einbildungskraft gerichtet
Der Enthusiasmus der Geschichte fehlt mit dem gefühlsbetonten
Instinkt für das Ergreifende und Leidenschaftliche, das sie herauf-
geführt hat. Man nennt das altmodisch. Soll es das sein!
Auch Verehrung ist altmodisch und der daraus entspringende
sittliche Bildungswert, aber ihre Kraft steht ..zweifellos in enger
Verbindung mit der Gesundheit des Menschen und seinen
höchsten Geisteskräften, so daß sie tn gewisser Hinsicht zu
einer Quelle des Lebens wird. Alle großen Zeitalter sind
Zeitalter des Glaubens gewesen. Ich meine: sobald eine außer-
gewöhnliche Kraftentfallung sich zeigte, eine große nationale
Bewegung begann, die Künste erblühten, Helden auftauchten,
große Dichtungen entstanden, dann war Ernst und tiefe Er-
r^ung in der Menschenseelc, und ihre Gedanken waren auf
geistige Wahrheiten gerichtet mit einem so festen und strengen
Griff, wie die Hand sonst den Schwertgriff, Stift oder Meißel
Die Qeschichte der Nätunrissenschaften
feßt*.*) Und überhaupt was ist denn Bitdung? Dieses Wort
das man so gern weiter gibt? Gewiß ist sie nicht banales Sloff-
und Stückwissen, keine trostlose Käimerarbtit, Sie sind beide
notwendig zur Erreichung von Bildung, aber ihr Wesen sind sie
nicht Auch einseilige Fachkenntnis ist nicht Bildung, wenn
die letztere auch durch die erstere bedingt wird. Vielmehr:
Immer ist Bildung geistiges und gefühlsmääiges Auf-
geschlosserscin gegenüber der Welt und den Menschen,
ruhige Aufnahmebereitschaft und Aufnahmefähigkeit
Also Eindrucksempfänglichkeit. Niemals ist Bildung
Einseitigkeit und rechthaberischer DQnkeL Bildung
ist individuelle Selbsterziehung und starke Lebens-
führung. Wir wissen das Nietzsche-Wort durchaus zu wür-
digen, daB der .historische Sinn, wenn er ungetiändigt waltet
und alle seine Konsequcnren zieht, die Zukunft entwurzelt",
aber daß er trotzdem heute - fast in allen Wissenschaften -
einen mächtigen Erziehungsfaktor bildet, dieser Tatsache könneo
wir uns einmal nicht verschlieBen. Möchte das bald auch für
die Geschichte der Nalurwissenschaften zutreffen. An ernster
Arbeit und Schaffensfreude fehlt es nicht.*)
1 Ralph ViMo ERicnan. Euiyt, 1. Folge. Am dem En^ifcbai flhtrlugw
»on Wilhflm SehölwmMin, l.HinieiWl, (Vtrlis von EuiEm Dl«(]nfcht.| S. II1. Oder wenn
Ic)] «n dir Wcrlung äa Mnge-\%Ugns Jolin Ruikln denke, die nun tn liHistcn aal das
VonatibUlt dne> jeden historbdicii Hudies ictiteibcn möchte: -In der Vtrthrunc li«Kt
dl* Hiyptfrcucle vnd Kraft dir^f^ Lebens: iri drr Vcrtlrmiiif für allrt, vii rrin und hell
Itt In Bnwtct Jnsmi]. t« «iht und rrpinbl isl Im AlUi. wu Rnmutls iil itnier dni
Lvhmdni, grot uaiei den Talen und iinverElnKlldi «undcrbif in dm Krlttm. dir nicht
aictbm Injnnm.- iVoitragjc ubei die Knnai. Aus dem Enelttchen Ton Wllbdni Sdiäla-
nMin VcrUs '">" Euitcn Dicdcrichi, Leipiie iw. S- '£)-
t) Ich mtlivc die un HambuiKtr NWurforidwrtjisc (I9«i> gegiAndett .Ovntidie
OeHtlirhilt für Oochichte dct Mnüiiit und N»lurBi««rnchlll^" Ihr« ilpcnj »ls«n-
KfeantiiHlfn .Miltrilunncii* (V«l»|( von Ltoji Vnw, llamhuiE) •^ii'i lrrtlllc}i und tnilpoßer
Untirht rcdlelcrt. Auch dir mrdiiiliiiicli-hltlariichc l'aditdtichnfC •Juiui- (Amitcr-
dam) kann ledcm. der licti t<U Onchldite der Naturvinoudiatlcn IntcrcMlnl, empfohlen
»•
Dreizehn Briefe von Jung-Stilling.
Mi^efrilt von
RUDOLF HOMBURG.
Wie hoch der Herausgeber dieser Zeitschrift die deutschen
Familienbriefe als Zeugnisse für die geistige, gemütliche und ge-
sellschaftliche Entwicklung unseres Volkes schätzt, ist erel im
vorigen Heft wieder hervorgehoben worden.^) Familienbriefe
vermögen in der Tat recht beachtenswerte Beilräge zur Kultur-
geschichte ihrer Zeit zu liefern: schon deshalb, weil — wenn
überhaupt je - in ihnen offen und frei vom Zwang einer
sonst wohl gebotenen Vorsicht geredet wird. Was wir also über
Peisonen und Zustände hören, hat für uns den Wert eines Ur-
teils, das der Überzeugung des Schreibenden tatsächlich entspricht
So ennöglicht er uns, einen Maßstab an seine eigene und seiner
Umgebung im weiteren Sinne gesamte kulturelle Höhe an-
zulegen. Ist er dazu noch ein bedeutenderer Mann seiner Zeit,
so werden die Streiflichter, die gelegentlich auf Land und Leute
hllen, Für den Kulturhistoriker umso zuverlässiger und wertvoller
sein. In letzterem Betracht werden nun freilich die mitgeteilten
Briete von Jung-Stilling großes Aufsehen nicht erregen. Aber
immerhin werden die in ihnen eingestreuten zei^eschichtlichen
Bemerkungen einige Beachtung - auch von selten des Literw-
und Lokalhistorikers - finden. Wer aber diesen edlen Mann
aus seiner von ihm selbst verfaßten Lebensgeschichte kennen und
vereliren gelernt hat, wird sich über ihre Veröffentlichung sicherüdi
freuen: sie fügen zur Schilderung des letzten Abschnittes seines
■) Stn£tiurg*r Fiauoibridc dn ib Jahrituoderis
Aidilv f, KultnrBCKh. Jl, Bd. 3. Htli. S illft.
Milgctellt von O. Wiflckclmann,
Dreizehn Briefe von Jung-Stilling.
Lebens anziehende Einzelheiten hinzu und zeigen, wie Jung-Stilling
auch im Kreise seiner Verwand tachaft, getreu äeinem eigenen
Onindsatz, »für das Reich des Herrn zu wirken', und dem Auf-
trag des Kurfürsten von Baden, «durch Briefwechsel und Schrift-
stellerei Religion und praktisches Christentum zu befördeni", ge-
horsam, unablässig tätig war. Im besonderen dürften sie die
Aufmerksamkeit hessischer Leser erregen: mancher wird vielleicht
unter den erwähnten Namen einen Vorfahren antreffen; und wer
etwa erfahren möchte, welch treffliche Nachkommenschaft das oft
genannte Kind Jettchen dem Hessenlande geschenkt, dem steht
eine Auskunft zu Diensten. Sollten aber diese Briefe den einen
oder anderen Leser, den sie .-erreichen", dazu anregen, die ihm
noch unbekannte Lebensgeschichte Jung-Sti]lings, dieses an christ-
licher Erfahrung so reiche und bezüglich seiner ersten Teile auch
schriftstellerisch hoch zu bewertende Buch, zu lesen, dann hätten
sie, glaube ich, ihren besten Zweck erfüllt. Experto credel
Die Empfänger sind der Rat und Senator Dietrich Christoph
Cnynm zu Cassel (f 12. Juli 1307) und seine mit ihm in dritter
Ehe verbundene Gattin Maria Marg. Elisabethj die wie auch
Jung-Stillings dritte Gattin eine Tochter des Marburger Theologie-
professors Johann Franz Going war.
Bemerkenswert erscheint noch, daß sämtliche Briefe die
vollkommen gleichen klaren und schönen Schriftzüge aufweisen.
Durchstreichungen. Auslassungen, nachträgliche Einfügungen, Ab*
kürzungen und dgl. finden sich äußerst selten. In den letzten
zwei Briefen ist die Unterschrift durch ein in J geschlungenes S
at^lcürzt.
\
Mart>urg 13. JuE. 18ü3.
Mein theuersler Herr Bruder!
Unser Schicksal ist entschieden, unter sehr angenehmen
Bedingungen ziehen wir nächsten September in die Pfalz. Schwester
Mickchen weiß daß die Just. Qerh. Duisingsche Erben ein ge-
wisses Capital zu Darmstadt stehen hatten. Dies tauschten RüpeP)
1) Wohl der lUt und Rcg.-Sakrdir RQppel. - Hamicr mr Kit«g«nL
366
Rudolf Homburg.
und Hamkr ge^en Frankfurther Obligationen ein, deren wir also
zwo, jede zu tausend Gulden Frankf. Währ, bekamen.
Jetzt wollen nun die Kraftisctien Kinder meiner Frauen und
der Matchen Antheil am Wollmarschen Zehnden an sich kaufen,
und meine Frau möchte dann auch gern der Matchen ihren An-
theil am Heskämmer Hof) übernehmen; um das zu können
wollen sie gern eine von den Frankfurtiier Obligationen von
tausend Gulden verkaufen. Wir oferiren Ihnen bester Herr
Bruder! diese Obligation zuerst, weil es uns ani liebsten ist,
vean sie bty der Familie bleibt. Die Obligation ist sehr sicher
im Jahr I8OI auf 9 Jahr ausgestellt. Die gehörigen Coupons
sind dabey, und die Interessen sind 4 proct
Sollte es aber nicht Ihre Gelegenheit seyn die Obligation
zu kaufen, so bitte um baldig Antwort
Wir Alle großen Sie und die liebe Schwester von Herzen.
Ich bin mit der herzlichsten Liebe Ihr
treuer Bruder
He. Jung
ir
Heydelberg 30. 9br. 1804.
Herzlich geliebter Herr Bruder, und innigst geliebte Schwester)
Mit wahrem Vergnügen haben wir Deinen Heben Brief vom
16t L. M. erhalten. Wir freuer uns herzlich Ihrer Beyder Wohl-
ergehen, und Ihres vorzöglichen häuslichen Glücks, welches allen
rauschenden und so bald vorüber gehenden sinnlichen Vergnügen
weil vorzuziehen ist.
Vielen Seegen aus der Höhe, fortdauerndes irrdisches Wohl-
ergehen, und Gnade und Friede aus der Fülle der ewigen Liel>e,
wünschen wir Alle Dir Herzens Schwester zu Deinem Geburls-
tage! Der Herr erfülle unsere Wünsche! Amen!
■) Hitnu uhrlrb mir Kfrr Steuert nipckiat t. lu M*rbure In dankemveftn
Oeunliikril : •Vihnchdnlich limJ mil dm Antelni am .Wullmanchm Zchnilfn' An-
teile in Ocßllm IDI Wollminclicn Zdinirn (= rcliE'UliKil)^} unridnl. Toltmti jii
dn Dorf nßnll. vwi Mutars in der i luilumbtttri Kieiiticnie- lawlelrrn da Drid-
Klircibci mil «ZchnKn* mit din« OcinarkuiiH )i>I in: [(«icIiuriE i1thfii könnoi. cntiJtht
tich märttr ReurtPilntij;. -- Ke«km> Itt «Int Onschift tHdl, v<in Mai^arg; iintor .Hnkiirintr
Hol- iit •ohl Hn Hof in dletn OiBcIuII zu vcralctien.«
I
I
Dreizehn Briefe von Jung^tilling.
Der Vorfall mit der hat uns Alle, besonders audi
mich beynahc zu Boden gedrückt - indessen wird sie allem
Ansehen nach glücklicher werden, als sie es )e mit . . . . geworden
wäre — .... machl Schuldenj ist kein Haiishältcr, und es will
Überhaupt auf keine Weise mit ihm fort. Sie ist vorige Woche
copulirt worden, und jeW noch bey uns, künftige Woche wird sie in
ihr Logis riehen, ihr Mann bleibt aber hier im Dienst, er ist
Handels Bedienter, heißt Francois Gaccon von Neufchatel in der
Schweiz; er ist ein rechtschaffener treuer ansehnlicher ftciÖigcr
und betriebsamer junger Mann rcformirter Religion. Seine
Muttersprache ist die französische, er spricht aber auch schön
Teulsch. Er bat mich kniend um Verzeihung, die ihm dann
auch gewährt wurde.
Meine Frau leydel noch immer am Catharr, und die beyden
kleine Mädchen haben den Stickhusten, doch wird es nichts zu
sagen haben. Sie schreiben beyde an die liebe Tante Miekehen.
Schwarz,') Männchen und die Kinder sind alle froh und
munter, es wird ihnen hier wohl gehen, das sehe ich schon zum
Voraus.
In Mannheim sind sie*) auch gesund und wohl, und jetzt
ist auch ein Theil der restirenden Weinbesoldung ausbezahlt
worden, folglich ist auch die Sorge gehoben.
Der Sie Theil meiner Lebensgeschichtc Heinrich Stillings
Lehrjahre sind nun in Berlin herausgekommen, und in Frank-
furth a. M. bey H, Buchhändler Joh. Christ. Hermann zu haben.
Das Buch ist aber unerlaubt Iheuer, l Tbl. 16 ggr. und ich be-
kam nur sechs Frey Exemplare, so daß ich nicht einmal alle
damit versehen kann Denen ich Eins geben muß, ich muB
also noch kaufen.
Wir Alle, auch Schwarzens und Julie grüöen Sie lieben
Beyde, auch Ihre lieben Kinder, besonders auch den Herrn Bruder
Romme!,*) die Frau Schwester, und ihre lieben Kinder.
Ich bin mit der herzlichsten Liebe
Ihr ewig treuer Bruder
J. H. Jung Slilling
<> Der ThcAlogitprotrucr Sehwin In H(ldtlb«r2 wir d«r Schvirgtraohn von
Jun2-Stlllinj[.
<) In Muinhcim Idilc Jnns'SUIliiiei Sohn Jilrob üi Hofserichtinil.
*t Rontmcl wv Kon(J*iDrl«lri>t. SupciintnilRii und Obcthafpmligrr lu Cittd,
Rudolf Hamburg.
Hier kommen auch zween Briefe von Amalie und Tinchen.
Letztere hat ein besonderes Talent zum Zeichnen. Sieh einmal
auf der Rückseite Ihres Bnefchens, ohne gelernt zu liaben, und
in 2. 3. Minuten ists fertig.
III
Baden bey Rastatt d. ISten Tbr. 1806.
Mein theuerster und geliebter Herr Bruder!
Welch eine Freude uns Ihr liebes Schreiben verursacht hat,
das können Sie sich kaum vorstellen, denn
wir hatten Sorge, es möchte gar zu schwer hergehen; nun bit
der Herr durchgeholfen, Er sey gelobet! - Er erfülle nun das neu-
geborene liebe Kind früh mit seinem Geist und seiner Gnade,
und Ihnen gebe Er Gesundheit und Leben, damit Sie es auch
noch zu seiner Ehre mögen erziehen können. Welch eine Be-
ruhigimg und dankbare Empfindung gegen Gott diese Nachridil
in uns aufgeregt hat, das glauben Sie nicht Ja der Herr ist mit
Coings*) Kindern, und der Eltern Segen ruht auf Ihnen, dies
wird auch in Mannheim der Fall seyn, wenn die Lieben genug
geprüft, und in der Probe bestanden sind. Seegen Gottes ruhe
auf Henriettchen bis ins Aller, bis vor den Thron unseres viel-
gekrönten Königs. Küssen Sie unsere Iheuere Kindbetterin
von mir, und sagen Sie Ihr, daß sie mein Gebät allewege be-
gleiten werde.
Ich gehe meinen merkwürdigen Lebensgang in der Gegen-
wart des Herrn fort; weit und breit, in allen Welttheilen würk-
sam, durch Correspondenz und Schriften, und Augeneuren, wendet
Er mir nun auch das innigste Vertrauen unseres frommen Oros-
herzogs*) zu, sodaß ich Ihm von nun an bis an sein Ende, so
viel von meiner Zeit widmen muß, als nur immer möglich ist;
ich werde also wohl von nun an wenigstens die Hälfte der Zeit in
Orlsnihe seyn. Es kostet mich freilich viele Verläugnung so oft,
und so lang von meiner Familie getrennt zu seyn, und meine
Frau weint schon jetzt wenn es ihr einfällt, allein es ist des Herrn
Wille und meine Pflicht. Ich speise immer, auch in Carlsruhe
1] S. dU Einl. «m SdiloR
^ Karl Pricdrlch f <> Ju"! <><i.
Dreizehn Briefe von Jung-StilUng. 3^9
mil Ihm und Seiner Gemalin an der Tafel, und werde nicht
anders als ein besuchender Freund, und nicht als Diener behandelt
Meinen herzlichsten Qruß an Sie, an die tiebe Miekcheti,
an Ihre sämtlichen Kinder, und an die Frau Sekretanus Dehn.
Ich bin ewig und von Herzen Ihr
treuster Bruder
Jung Stilling
IV
HcydelbcTig Zi. xbr. ISO«.
Herzlich und innigst geliebter Herr Bruder!
Herzlich und innigst geliebte Schwester Miekchen!
Über die Lage, in welcher Sie sich jetzt befinden') schreibe
ich Ihnen kein Wort; der Herr hat sie über das nördliche Teutscii-
land verhäng!, Er wird auch denen die auf Ihn trauen, mächtig
durchhelfen. Sie werden nun auch einsehen, wie gütig und weise
mein himmlischer Fahrer fflr mich und die Meinigen gesorgt
hat, daß Er mich von Marburg weggeführt hat: denn da ich aus
der Chatoulle des Kurfürsten mein ganzes Cehalt empfiengj so
stünde ich jetzt sehr Übel. Oott lob daS ich mit meiner Familie
hier bin!
Auch hier nimmt meine Lage eine sonderture sehr merk-
würdige Wendung: der Qrosherzog wünscht mich bey sich 7u
haben, so lang Er lebt, und so viel es meine Reisen erlauben;
folglich muß ich nun diesen Winter in Carlsruhe seyn, wo ich
im Schloß ein paar mit allen möglichen Bequemlichkeiten ver-
sehene Zimmer habe, ich gehe mit an die Qrosherzo gliche Tafel,
und bin also Mittags von V«2 bis '/«*. ""d des Abends von 7
bis 10 Uhr bey dem frommen Fürsten. Die Gbrige Zeil kann
ich dann meinem Schriftsteller Beruf abwarten.
Vor vier Wochen gieng ich nun nach Carlstuhe, allein am
verwichenen Mittwochen bekam ich Nachricht, daß meine Frau
krank sey. Ich fuhr also den ersten Christtag hierher, und fand
daß sie die Gicht in den Kopf- und Halsmuskeln, und im rechten
Ann hatte, sie litte schrecklich, indessen fängt sie doch nun an,
I) N«polniii lid) rx*ch iJer SchUdii bei Jcii KurhaKn durcti dn Herr b«mn;
KurfOrst Wilhelm 1. niuflic am 1. Hot. 1M6 Biehen.
370 Rudolf Homburg.
sich wieder zu bessern, und ich werde nächsten Freytag wieder
nach Carlsruhe zurückkehren, es sind 13 Stunden bis dabin.
Meine Frau und Caroline werden mir bald dahin nachfolgen, ich
werde ihnen dofi ein paar Zimmer miethen und sie sollen sich
dam von einem Traiteur speisen lassen. Wie gut hat es der
Herr gemacht, daß Julie jetzt mil den Kindern in Marburg, und
der Friedrich bey Schwarz ist! Jetzt wird die Haushaltung auf-
gehoben, lind das Haus zugeschlossen, die Mägde gehen zu ihren
Eltem, bis wir sie wieder brauchen. Wie lang nun dicÄT Zu-
stand währen wird, das hängt vom himmlischen Fuhrer ab, dessen
Leitung ich unbedingt folge.
In Mannheim ist alles wohl, die Amalie erwartet ihre Nieder-
kunft. Der Friedrich macht sich außerordentlich gut, Schwarz
nähert sich der wahren Christusreligion mit starken Schritten, er
ist und wird ein vortrefflicher Mann.
Unsere Caroline pflegt ihre Mutler mit unaussprechliche!
Liebe und Treue, zwischen diesen beyden edlen Seelen hat sich
eine seltene Freundschaft und ein so hoher Grad der Liebe ge-
bildet, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Die Caroline passirt
überall für die Krone der Mädchen in Heydelberg, ihr religiöser
Sinn, ihre herzliche Qutmüthigkeit, und ihr feiner Anstand, macht
sie allgemein beliebt. Der Qrosherzog und seine Gcmalin, die
sie im Herbst in Baden kennen lernten, sprechen oft von meiner
Frauen und Carolinen, als von ausgezeichnet edlen Menschen.
Qott lob! Was sagt aber nun Kunkel!'') — Wie macht der
Herr so viele schöne Plane und Aussichten zu nichte!
Wir alle grüßen Sic lieben Beyde, und alle Ihre Kinder
von Herzen. Das kleine niecgen bitte zu küssen. Gottes Seegen
Ruhe und Frieden zum neuen Jahr. Mit der herzlichsten Liebe
Ihr Beyder treuster Bruder
beiliegenden Brief bitte zu besorgen. Jung Stilling
V
Baden bey RasUdt d 27slei] Jul. 1807.
Liebe Herzens Schwester!
Mein Herr und mein Gott welch eine Nachricht! Du gute
>) Och- Ril und Rc^ctunEi-Vir-cpraiidmr Kutic:licl v. L&wtnilnn. Uruca frau «ir
mil Jung-Slitlinci Oilfin vcrrtnilt tlin ichiutc StllUni Kbi hoch.
I
I
Dreizehn Briefe von June-Stilling,
Seele schon Wittwel ganz unerwartet kam uns aber doch diese
Trauerpost nicht; denn Dein letzter Brief hatte uns vorbereitet,
wir erschraken beyde als wir die Stelle von der Engigkeit der
Brust lasen, denn wir schlössen gleich auf eine Brustwassersucht
und tjefürchteten langes Leyden, dies hat nun der Herr verhütet
und den lieben Mann schnell zu sich hinüber gerufen. Daß
Du tief trauerst ist recht und billig, aber Deine christliche
Aeußerungen haben uns sehr beruhigt, Du wirst wie eine Chrislin
trauern, Religion und Zeit werden Dich dann wieder trösten.
Es freut mich, daß die Kinder des Seeligen so freund-
schaftlich sind, indessen wirst Du doch wohl thun, wem Du
Dicli mit Kunkel über Alles besprichst, der wird Dir mit Rath
und That beystehen.
Jetzt liebe liebe Schwester! jetzt steht es bey Dir, mit
Deinem Jettchen wieder zu uns zu kommen, wir werden Dich
mit offenen Armen empfangen, wir Eeben in Carlsnihe sehr ein-
gezogen, weit mehr als in Marburg; ich bin den Tag über an
Hof, aber auch da bin ich einsam in meinen Zimmern, außer an
der Tafel, und die Stunden die ich mit dem Grosherzog zubringe.
ich grüße Dich herzlich mit unendlicher Liebe. Orüße
auch die Cnyrimischen Kinder, und küsse Dein liebes Jetichen.
Mit vollem und weichem Heacn Dein
treuer Bruder
Jung Stilling
VI
Carlaruhe S. jul. laos.
Meine Iheuersle und innigst geliebte Herzens Schwester!
Ja! Gott sey Dank! mein Sohn ist nun aus seiner drückenden
Lage heraus, freilich wird er noch keine Schulden bczalen können,
denn 1400 Gulden reichen in Mannheim kaum zu, um bey einer
sparsamen Haushaltung durch zu kommen, aber er ist doch nun
in so fem sorgenfrey, und unsre Amalie ist auch besser. Wie
sehr sich aber der Jakob veredelt hat, das glaubst Du nicht Er
ist ein vortreflicher Mann und wahrer Christ geworden. Deine
Lage, meine Beste! geht uns sehr nahe. Du bist in einer heißen
und harten Prüfung; hätte der gute liebe Bruder seinen Tod
Rudolf Homburg.
I
so bald geahnet, oder nur vermuthel, daß ,
so hätte er gewiß eine Disposition gemacht, mir soll das ein
warnendes ßeyspiel seyn, alles vor meinem Tod aufs Rdne zu
bringen. Indessen der Herr wird mil Dir, und Deinem Jettchen
seyn, halte Du Dich mit vestem Glauben und Vertrauen an Ihn,
Er wirds am Ende wohl machen, und sollte Dich der Herr früher
abfordern, welches ich aber nicht vermuttie, so ist Dein Jettchen
mein, darauf verlaß Dich!
Uns geht es hier, Oott sey Dank! recht wohl, an Kreuz
und Leyden fehlts nicht, aber es giebl doch Iteine Menschen die
uns Verdrus machen, Ich bin am Hof ein Einsiedler, ich lebe
hier im Schloß einsam und sehe niemand als den Qrosherxog,
seine Qemalin, und Kinder, und dann wer etwa zur Tafel ge-
bätcn wird, des Mittags vor der Tafel, und dann des Nachts bin
ich bey meiner Famiüe. Meine liebe Frau ist immer noch so
wie Du sie gekannt hast, aber munter und thätig. Die Caroline
ist aber noch nicht völlig gesund, sie soll das Bad brauchen;
wie sich auch das Mädchen veredelt hat, das ist unbeschreiblich,
sie ist meiner Frauen hülfreicher Engel, und ich habe nie eine solche
Liebe zwischen Mutter und Tochter erlebt, welch' ein seltenes
Beyspiel! Wir leben zusammen wie die Engel, dies versüßt dann
auch freilich manche Leyden und Beschwerden des Lebens.
Ob ich Dich liebe? - ich denke doch nicht daß Du daran
zweifelst, könntest Du uns nur einmal mit Deinem Jettchen be-
suchen. Die Eisenträgerin ist jetzt bey uns. Das hiesige Land
ist ein Paradies Oottcs, Frieden und Ruhe herrscht überall, und
die Fruchtbarkeit ist überschwenglich, und doch ist alles sehr theucr. ■
Nun der Herr sey mil Dir, Er sey Dir nahe, Er segne Dich
nach Seel und Leib, und bilde dein Jettchen zu einer waJiren
Chrbtin, kCsse das liebe Kind von uns Allen. H
Wir alle grüßen Dich mit der herzlichsten und beständigsten
Liebe, besonders ich als Dein ewig treuer Bruder
Jung Stilling
Hat man Dir denn geschrieben, daß
ich ohne mein Suchen und Wünschen
Geheimer Hofrath geworden bin?
Ich bitte einliegenden Brief ja nicht zu vergessen sondern
bald zu besorgen.
Dreizehn Briefe von Jung-Stilling.
VII
Carlsnihe 21. April 1S09.
Meine liebe Herzens Schwester!
Dein Brief hat uns allen Freude gemacht, denn ob wir
gleich daraus Deine fortdauernde Leyden erkannten, so vissen
wir uns aus eigner Erfahrung wohl zu bescheiden, daß jeder
von uns sein zugemeBenes Theil davon tragen muß, weil es uns
im christlichen Leben und Wandel fördert, bleibe Du bei Deinem
geraden und duttenden Gang. Am Ende wirst Du mit innigem
Dank erkennen daß der Herr alles wohl gemacht habe.
Die verwichene Carwoche war uns allen sehr feyerlich, ich
war in beynahe zweyen Jahren nicht zu Heydelberg und Mann-
heim gewesen, ich, meine Frau, die Caroline, Malchen, und Tinchcn
fuhren also den Dienstag hin und kehrten bey unserem Schwarz
ein. Den Mittwochen, wurde unser Friedrich, nebst noch einem
gewissen Marillac von Dtllenburg, der auch bey Schwarz im
Instihit war, in der heiligen Geist Kirche von Herrn Inspcctor
Bahr in unserer, H. Kirchenrath Miegs, einiger Aelteslen, und
noch anderer angesehenen Personen Gegenwart sehr feyerlich
confirmirl. Ich habe nie einer so rührenden Scene beygewohnt
Bahr ist ein vortreflicher Mann, dem es recht darum zu thun ist,
Christo Seelen zu gewinnen. Den Carfreytag communizirlen wir
mit einander und ich hatte das hohe Vergnügen den Friedrich
zum Altar zu führen, und Bahr brach uns beyden das Brod zu-
gleich. Den Samstag fuhr ich am Abend mit meiner Frauen
und Tinchen nach Mannheim (!), mein Sohn und die liebe Malchen
empfiettgen uns mit ihren fünf Kindern mit lautem Jubel in der
Hausthür. Den ersten Ostertag waren wir ruhig beysammen, den
Ostermontag Morgen kam Hannchen mit der Caroline und dem
Friedrich von Mannheim (!), und den Mittag nach Tisch kam auch
Schwarz mit seiner Mutter, und seinen acht Kindern. Da hatten
wir nun unsre ganze Familie beysammen, unsre 6 Kinder, Schwieger
Sohn und Schwieger Tochter, und alle 13 Enkel. Sie stellten
sich alle in Kreysen vor uns hin und setzten mir und meiner
Frauen einen Lorbeer Kranz auf. Eine herzerhebende, durch
Mark und Bein gehende Scene. Dann reisten die Heydelberger
wieder fort, und den Dienstag fuhren wir dann wieder hierher.
374 Rudoli Homburg.
Die Hebe Malchen siehl zwar ziemlich gul aus, aber wir ver-
muthen alle, daß es doch in Länge nicht gut Ibun wird, denn
sie ist sehr schwächlich. Ihre Umstände sind noch immer nicht f
besser, er ist Hofgerichts Rath, und einer von den Aeltesfen, es
wird auch immer von Besoldungs Erhöhung gesprochen, aber
der Krieg verhindert die Ausführung, indessen wird es doch auch
am Ende dazu kommen. Der Jakob erzieht seine Kinder vor-
treflich, es ist eine Freude da zu seyn. Das Christcnthum ist
in dieser lieben Familie herrschend. Auch im Schwarzischen
Hauß in Heidelberg ist es eben so. Wenn Dein Enkelsohn
nach Heidelberg geht, so schreibe doch an Schwarz, daß er sich
seiner annimmt
Mit meiner Frauen gehts etwas erträglicher, sonst hätte sie
die Reise nicht mit iins machen können. Die Caroline leydet
auch immer sehr, besonders am Zahnweh, und Krampfhusten.
Sie wächst am innem wahren Chrislenthum sehr, und ist eine
von Qott begnadigte Seele. Dies kann ich auch von meiner
Frauen sagen und die beyden jüngsten treten treulich in ihre
Fußslapfen. Wir führen ein himmlisch Leben zusammen, Gott
sey Lob und Dank!
Wie sehr wünschten wir Dich und dein liebes Jettchen
einmal bey uns zu haben. Der gute Qott wolle es docli ein-
mal niöghch machen. Wir denken oft mit heißer Liebe an Dein
Töchterchen, und ich bitte Gott, daß Er diesem lieben Kinde
seinen heiligen Geist schenken, und es Dir und uns allen zur
Freude seegnen wolle. Küsse es herzlich von uns allen. Wir
alle grüßen Dich mit innigster Liebe. Dein
treuster Bruder
Jung gt. Stilling
viir
Carlsruhe 2S. 7br. 1810.
Meine Iheuersle und innigst geliebte Schwester!
Verzeyhe daß ich Dir so selten schreibe, es ist warlich
nicht Mangel an Liebe, die Menge der Briefe die ich noihwendig
beantworten muß und meine übrigen Geschäfte ennüden mich
so daß ich Abends auf dem Sofa ausruhen muß. Dazu kommt
d
Dreizehn Brief« von Jutig-StiUing.
dann auch das Alter, denn ich habe nun das Tisle Jahr ange-
tretten. Für Deinen treuen schwesterlichen Wunsch danke ich
Dir mit gerührter Seele, der Herr erfüJIie ihn! Dich aber wolle
Er auf Deiner schweren und einsamen Pilgerbahn gnädig und
väterlich leiten bis zum glänzenden Ziel. Dort werden wir uns
Seiner, auch noch so harten und schweren, Führung höchlich
freuen. Amen !
Der Geist unseres Herrn Jesu Christi sey Dein Lehrer in
aller Wahrheit, Dein Führer auf Deinem Lebenswege, Dein Tröster
im Leyden, Dein Licht in der Dunkelheit, Dein Vollender bis
zur Siegeskron, und Dein Heiligmacher durch das Blut des Er-
lösers! Ich küsse und umarme Dich im Ceisl als Dein
ewig treuer Bruder.
Meine Frau schickte mir ihren
beyliegenden Brief hierher
ins Schloß, ich mußte ihn wieder
aufbrechen, und anders falten, damit
er ins Paket passen möchte.
IX
Carlsruhc 25. 7br. 1510.
Mein liebes Herzens Jettchen!
Ich danke Dir recht herzlich für Deinen lieben Wunsch
zu meinem Geburtstag. Der liebe Gott schenke Dir Gesundheit;
sey hübsch fromm und gehorsam Deiner lieben Mutter, habe
auch den Herni jesum lieb, denn Er liebt die Kinder, und auch
mein liebes Jcttchen recht herzlich, Frage immer die Mutter,
was wohl der Herr Jesus gern hätte daß Du thun sollst. Das
thue dann hübsch, und bäte fleißig. Ich, die liebe Tante, Deine
Cousinen, und der Vetter Friedridi grüßen Dich herzlich. Ich
liebe Dich herzlich als Dein treuer Onkel
Jung Stilline
X
Carlsruhc d. 25sten April 1811.
Meine thcuerete innigst geliebte Herzens Schwesterl
Du sowohl als der Herr Oberhofralh Pidcrit,») Ihr Beydc
I) Pbll. Jikob Pld«rti war Obcrhotral and Uitnni Ott Kurttnien.
Rudolf Homburg.
beurtheilt den Canzley Holm ganz richtig: gleich von seinem
ersten Brief an schien er mir ein unruhiger Mann, voller Präten-
sion an Andere zu seyn. Doch wir wollen nicht lieblos Ober
ihn urtheilen. Man hat ihn in Dänemark schrecklich hart be-
handelt Diese Behandlung hat er drucken lassen, und die
Dänische Regierung schxpeigt dazu, da muß etwas vorge-
gangen seyn, das weder Heim noch der Dänische Hof oeffenilich
sagen darf, was ich vtrmulhet, das darf ich dem Papier nicht an-
vertrauen. Er schrieb mir ein [er?] wollte ein Buch drucken lassen,
das Erbauung stiften sollte. So wie er es mir damals angab.
so hatte ich nichts dagegen, um ihm Subscribenlen zu verschaffen;
im letzten Brief aber schickt er mir nun die Ankündigung, die
ich im 24slen Stück des grauen Mannes einrücken soll. Da
finde ich nun daS er seine Erbauungslehren auf That-
sachen aus seiner Geschichte gründen will. Davon bin
ich aber weit entfernt; bewahre mich der Herr daß ich an seiner
Privatsache Theil nehmen, und mir den Dänischen Hof auf den
Hals laden sollte. In einliegendem Brief habe ich das Alles
christlich, briiderlich, und liebreich auseinander gesetzt, und ihm
feierlich erklärt, daß ich auf die Weise nie auf die entfernteste
Art an seinen Schriften und an seinen Angelegenheiten Theil
nehmen könnte.
Du kannst also versichert seyn, Herzens Schwester! daß
ich mich fernerhin ganz und gar nicht mehr mit Ihm einlassen
werde. - Wir wünschen so sehnlich wie Du, daß uns der
Herr doch noch einmal zusammenführen möchte, allein wir
[müssen] das der Führung Seiner Vorsehung überlassen; Du
wdßt, ich reise nie als wenn mich der Herr ruft. Innerhalb
vier Wochen werden wir auf einige Wochen ins Elsas jensdt
Strasburg, ins Vogesische Gebürge reisen, wo ich Operationen zu
machen habe; meine Frau [wird] da eine Milch- und Kräutercur
brauchen, Caroline gehl zu ihrer Aufwartung mit Die beyden
jüngeren Malchen und Tinchen bleiben so lange im Oraimber-
gischen Institut, und der Friedrich ist bey seinem Bruder in
Rastadt, ^) wo er sein Studiren fortsetzt; er hat nun gesehen, dafi
die Handlung nicht für ihn ist.
) äülliotk Stihn jtliob TU ron Muuihejm nach R. mscbi «ordcn.
Dreizehn Briefe von Jung-StilUng,
Es freut uns recht sehr, daß Dein Jeltchen Dir Freude
macht, und daß die Religion Wurzel in ihrem Herzen schlägt.
Man empfindet ihr«n Werl nie stärker als im Leyden. Das
hast Du nun auch erfehren. Mein Leben war immer ein Weg
durch den dunkeln Glauben — auch da zu glauben, wo man keine
Hand vor Augen sieht, und dies ist auch jetzt noch immer der Fall,
aber ich weiß der Herr wird mich in meinem hohen Alter nicht
stecken lassen. Ich bin im 71stenjlahr, und hab im eigentlichen
Sinn nie Mangel gehabt. Hallcluja! Er sey gelobt und verherrlicht!
Oröße H. O. H. R. Pidcrit recht herzlich von mir, auch
bey Gelegenheit Deine Kinder und Kindes Kinder. Wir alle
grüßen und küssen Dich und Dein Jettchen mit ewiger Liebe.
Dein treuster Bruder
Jung Stillin g
XI
CarlsTuhe d, 24steii ^br. 1812.
Ich danke Dir herzlich theuere Schwester! für Deine Er-
innerung an uns, an unserm 23sten Hochzeilstag, für Dein Oebät
für uns, für Deine Liebe und Treue. Was ich an Euch Ge-
schwistern gethan habe, war weiter nichts als Pflicht, und unser
Herr sagt, wenn ihr weiter nichts gethan habt, als was ihr zu Ihun
schuldig seyd, so sagt: wir sind unnütze Knechte, wir haben gethan,
was wir schuldig waren. Nächstens ist auch Dein Geburtstag;
der Herr seegne Dich von den ewigen HQgeln mit allen leiblichen
und geistlichen Segen, und schenke Dir und Deinem lieben Jettchen
Frieden und Freuden; besonders befördere Er in Euch Lieben das
Werk der Heiligung durch Seinen Geist Grüße den lieben Super-
intendenten Rommelj und auch H. G. R. Piderit herzlich von uns.
Wir hangen auch wieder recht am Glaubens- Faden, aber
der Herr der mir von Jugend auf durchgeholten, wird mich in
meinem hohen Alter nicht stecken lassen.*)
Wir Alle grüßen Dich recht herzlich. Ewig Dein
Kuß und Gruß dem treuer Bruder
lieben Jettchen von ihrem Jung Stilling
____^__ <"»cl<-
'l Vermullich m bnifhm wl LlmitiDclF, dl* der Tod des OroBIwriop Kwl Friedrieb
fOr JnnE-Stilllns mll ilch irhnKht.
Afchiv f&r KultursHchlchte. U. 2^
378 Rudolf Hombui^.
XII
Carlsnihe d. 3tcn Sbr. 1815.
Meine theuersle und innigst gelieble Schwester!
Herzlich danken wir Alle Dir für Deine Liebe, der Herr
wolle Dich dafür «egnen, und Dir seinen erhabenen Frieden,
der über alle Vernunft geht, nie feien lassen. Du wiret denken,
wir seyen lau oder gar undankbar, daB wir Dir nicht eher auf
Deinen so lieben herzlichen Brief geantwortet haben, aber wir
erhielten Dein liebes angenehmes Geschenk erst vor einigen Tagen.
Für die Nachrichten alle die Du uns von Marburg und
sonst mittheilsl, danken wir Dir auch herzlich, Du wirst wohl
wissen, daß die Cousine Eisenträger wieder in Marburg, und
zwar bcy der Frau von Bode, gebohmc Soober, wohnL Von
der Gräfin Reventlow weiB ich jetzt nichts, sie schreibt mir nur,
oder läßt nur schreiben, wenn Sie etwas von mir verlangt. Ich
habe seit ein Paar Jahren nichts von ihr gehört, ich glaube aber,
daß sie noch lebt. fl
Kirchhofer ist gesund, glücklich und brav mit seiner Fran
und Kindern, er ist Pfarrer zu Stein am Rhein, zwischen Con-
stanz und Sdiafhausen ; sein alter Vater lebt noch, er geht noch
etliche Meilen weil zu Pu6 zu seinem Sohn, und predigt aucb
noch wohi für ihn.
Das Schatzkäsitein ist noch nicht gedruckt, ich glaube aber,
daß es doch noch geschehen wird. ^
Daß meine Schriften nicht alle in Kunkcls Bibliothek waren,
kommt wohl daher, daß er sie der Kurfürstin brachte, die sie
dann wird behalten haben. ^|
Orüße Deine lieben Kinder alle für uns, besonders Dein
liebes Jetlchen. Ich bitte Dich, halte Wort, und komme einmal
zu uns. Gruße auch alle Deine Freunde. Ewig Dein
treuer Bruder
Jung Slilling
XIII
Carlsnihe d. ZSsten 9br. ISIS.
Meine theuerste und innigst geliebte Schwester!
Ich danke Dir von Herzen und von Grund meiner Seelen'
für Dein liebes Andenken an unserer Silbernen Hochzeil Unser
d
Dreizehii Briefe von Jung-Stilling;.
Weg war schwer diese 25 Jahre durch, Du erinrtenl Dich wohl
noch meines Gleichnisses, wenn ich sagte: meine Haushaltung
sey gleich einem schwer beladenen Güterwagen, der langsam
durch gute und schlimme Wege fortkracht, aber doch dem Ziel
immer näher kommt, und nirgends stecken bleibt, so giengs
auch fort bis daher. Ich habe nun mein 76stesjahr, und meine
Frau schon im Frühjahr ihr 60stes angetrettcn. Mein Magen-
krampf hat sich seit im Herbst wieder eingestellt, indessen das
hindert mich nicht sonderlich an meinem Bemf, außer dem bin
ich noch wie vor 25 Jahren. Die Führung des Herrn ist seit
anderthalb Jahr her wieder außerordentlich heilig und hehr ge-
wesen. Zu seiner Zeit wirst Du Alles erfahren. Jetzt ist es
noch zu früh, noch nicht alles reif.
Du feyerel nun auch nächsten Sonntag Deinen Geburtstag.
Dir hat der Herr auch bisher — aber durch schwere Proben
geholfen. Er wird auch femer helfen, solche Proben sind uns
nöthig, damit vir immer bewährter werden. Der Herr seegne
und behüte Dich, der Herr EaJS leuchten sein Angesicht über Dir,
und sey Dir gnädig, der Herr erhebe sein Antlitz über Dich
und gebe Dir Frieden.
Es ist uns lieb, daß Du den Berggarlen behältst. Meine
Frau wird Dir nächstens schreiben. Grüße Dein liebes Jettdien,
und wen Du sonst noch von uns gegrüßt haben willst. Wir
alle grüßen und umarmen Dich mit innigster Liebe. Ewig Dein
treuer Bruder Jung Stilling
24'
C P. Tiüt. OrundzüfTc der RellgflonsrtwemdMft- Etne Iniiz-
gefaßte Einfühmng in das Studium der Religion und Hirer Gcsdiiditc
Deutsche Bearbeitung von P, Oehrich. Tübingen, J. C. B. Mohr, 19*4,
(VII, 70 S.).
Der bekannte, 1902 leider verstorbene holländische Rellgiom-
historika- C. P. Tide, Professor in Lcydcn, der hochverdiente Verfasser
der Oeschidite der Religion im Altertum, deren deutsche Übeisetmng
von P. Gehrich den Lcsmu dieser Zeitschrift bekannt sein wird (vgl.
Zeitschr, f. Kullurgesch. V, llti.), hat den reichen Ertrag seiner rehgions-
philosophischen Studien in einer Reihe von ?0 Qifford-Iectures nicder-
gd«gl, die derselbe Übersetzer unter dem Titel: .rEinleitung in die
Religionswissenschaft", Gotha 1899-1901, verdeutscht hat. Eine kurze
Zusammenfassung und in mancher Hinsicht eine Ergänzung bieten die
knappen Paragraphen, die Tiele seiner Vorlesung über Religion sphilosophie
zugrunde legte und die er noch kurz vor seinem Tode herausgegeben
hat. Es ist dn wirkliches Veniienst, das sich P. Gehrich dadurch enrorben
hat, daß er auch diese vortreffliche Orientierung einem weiteren deutschen
Leserkreis zugänglich gemacht hat. Die Übersetzung liest sich gut; nur
S. 53. Z. 3 fcliU wohl ein >als-.
Tieles Gesamtauffassung zeugt ebenso von sicherern Bücic und
nüchterner Besonnenheit wie von gediegener Gelehrsamkeit: er sucht alle
Einseitigkeiten zu vermeiden, unparteiisch aus der Fülle der religiösen
Erscheinungen das wesentliche, allgemeingültige herauszufnden und auch
für das wechselnde eine gewisse Oeselzmaßigkeit nachzuvcisen Sein
Standpunkt ist am besten durch seine Antwort auf die f^rage nach dem
Ursprung der Religion bezeichnet, S. (it>: «Alles Endliche lOTit der
Mensch erst durch Erfahnmg kennen, das Unendliche hal et in sidi.
Nur oberflächlicher Malerialismus oder Rationalismus kann dies dne
Illusion nennen.' Das wesentliche an der Religion ist ihm die Frömmig-
keit, d. h. das Menschlich'subjektive (S. 62), aber er «riß doch, daß
Religion erst zur vollen Entfaltung komml in der Reziprozität des Ver-
kehrs mit Gott, bei dein der Mensch mehr empfingt als gibt (insofern
ist das Siebecks Behaiiphjng (aber die Wechselwirkung zwischen Rdi^oo
und Religiosität entgegengestellte Bild von Schale und Kern nicht ganz
Eutrcffend). Auch Tiele gibt eine feinsinnige Unterauchung der religiösen
I
Besprechungen.
Bildersprache, aber im Unterechied von der realistischen Morphologie
der Kulteedanken bei Dieterich, MithnisUturgie, betont Tiele gerade den
BildcharaJrtcr und legt den Nachdruck au! das Innere Wesen des Ge-
dankens, nicht die Form der Darstellung. Im G^ensatz zur rein empirisch-
statistisch vorgehenden Religion^ Wissenschaft behauptet Tiele eine in der
Geschichte der Religionen sich vollziehende Entwicklung der Religion
des Menschen oder der Menschheit als von Natur religiöser. Dabei
wird aber der Begriff der Entwicklung nicht meiihanisch-evolutionistisch,
sondern durchaus sachgemäß angewendet. Tiele kennt das Gesetz des
Gleichgewichts {als Umbildung des Johnsonscheu Gcsebes vom t-'ort-
schritt durch Reaktion). Neben der Stufenfolge der Religionen nimmt
er noch Religionsfamilicn an, die teils auf Volks- und Sprachverwandt-
schaft beruhen, teils aus Spaltung vorhandener Religionen hervorg^angen
^nd. Nur in dem Beispiel hierfür scheint er uns nicht gißcklich: er
liSt aus dem Christentum dureh Spaltung erst den orientalischen und
den occi den lali sehen Zweig hervorgehen nach dem Gegensatz: orthodoxe
Lehre und praktische Weltherrschaft, dann letztere sich auf Gnmd de«
Gegensatzes von Einheit und Individualismus in römischen Katholimmus
und Protestantismus spalten. Der römische Katholizismus lint aber doch
mit dem griechischen eine Grundlage gemein, die der Protestantisraus
ganz ablehnt. Das Beispiel ist lehrreidi dafür, wie kern pl liniert solche
Falle sind: so gewiß der Protestantismus nur von der abendländischen
Abzweigung aus veiständlich wird, gehen seine tiefsten Wurzeln doch
noch aber jene erste Spaltung hinaus: es ist ein neuer Wurwilricb; und
doch war es ein Irrtum, wenn die Reformatoren glaubten, der griecliischcn
Kirche als dem ältesten Zweig näher zu stehen.
von Dobschütz.
Gco Frh. r. Hertling. Augustin. Der Untergang der antiken Kultur
(Weltgeschichte in Charakterbildeni. 1. Abtl. Altertum) Mainz, Kirch-
heim, 1902 (IV, 112 S.).
Atigustins Lebensbild auf dem Hintergrund der eigenartigen Kultur
jener Zeit, des Unterganges der antiken Kultur, zu zeichnen, ist eine reiz-
volle Aufgabe; aber überaus schwierig ist es, die bunlbew^e, von den
gewaltigsten Erschütterungen des ganzen Slaatslebens durchwühlte Zeit-
geschichte mit dem Leben eines Mannes zu verbinden, an dem die grollten
politischen Ereignisse fast spurlos vorii hergegangen sind, desen ganze Be-
deutung auf dem Gebiete des Kirchlichen, der Theologie und der Frömmig-
keit, liegt Hertling hat sich bemüht, dieser Doppelaufgabe gerecht zu
werden: er erzählt zugleich Auguslins Leben und die Geschichte des
rßtnischen Reiches von Julians Tod bis zum Einfall der Vandalen in
Afrika. Aber man kann nicht sagen, daß es ihm gelungen sei, der darin
Uzenden Schwierigkeiten ganz Herr zu werden. Er nimmt die Bio-
graphie zum leitenden Motiv und teilt das Ganze in die 4 Abschnitte:
1. Augustins Gcistc^:ang bis zu sdner Bekehrung; 2. Die Zeit der Vor-
F
3S3 Besprediungea
bereitung. Auguslins Philosophie; 3. Die Kirche in Afrika. Augustinus
ab Lehrer und Verteidiger des katholischen Dogmas; 4. du Ende des
Heidentums und der Unlerging des west-römiächen Reichs. Augustitis
Werk vom OotlessUat. Sdion diese Überschriften zeigen zur Ocnügc
das Schwankende in der Behandhing von Vorder- und Hintergrund.
Innerhalb der einzelnen Teile wird der Ltser fortwahrend hin und her
geworfen. Oft sind es nur ganz lose Idecnauoziationen, welche die
Unlerldle miteinander verlcniäpfen : nnc Äußerung des Pauhn von Noia
über Augustins ßisdiofswah! führt auf den Verkehr mit dieaeni Dichter,
bei Gelegenheit des pelagtanischen Streites werden die Beziehungen zu
Hieronyniuä ei ngefloditcn , statt daB uns dieser ganze kulturgcsdiicbtlich
so interessante Literalenltreis mit sdnen eifrigen Korrespondenzen, sanen
wissenschaftlichen Interessen und kleinen persönlichen Reibereien im
Zusammenhang vorgeführt würde. Am meisten leidet atier bd dieser
Behandlung die Persönlichlcd t Augustins selbst. Von ihrer Oröftc und
fiberragenden Bedeutung ist zwar viel die Rede, aber worin sie dgentlich
besteht, erfährt der Leser iuum Den Eindruck des Gesch Josse neu macht
der Abschnitt über Augustins Philosophie, der bei der unmittelbar auf
die Belcehrung folgenden Periode stiller Sammlung eingeschoben «nrd:
hier ist Hcrtling offenbar auf sdnem Feltle. Aber Augustins Theologie
erschein! nur in den Auseinandersetzungen mit den verschiedenen
■Häresien". Das eigenartig Neue in der frommen Stimmung und in dem
theologischen üenicen Augustins kommt dabei nirgends zur Odtung und
kann es nicht; denn Augustins Bekehrung ist für Hcrtling »der Willens-
ertschluö, sich der Autorität der Kirche za unlencerfen* S. 37, und in
seiner Irinilafischen Spekulation .will Auguslin doch nur die Lehre der
Kirche vortragen« S. ^5. Will man einen wirklichen Eindruck von
Augustin erhallen, so wi^d man ihn besser als bei Hertling in dem be-
treffenden Abschnitt des 3. Bandes von Hamacfcs groß« Docmcn-
geschichte empfangen, der in seiner wundervollen Sprache auch weit mehr
von der glühenden Beredsamkeit des großen Afrikaners an sich hat als
der etwas nüchterne Ton des neuesten Biographen. So lose wie die
Zeitgeschichte ist mit diesem Charakterbild die Illustration verknüpft, die
tdU den Fresken zyklus aus dem Leben Augustins von Benozzo Gozzotl
und andere Augustinbilder des Mittdallers, teils Kaisemiünzcn und
allerlei Archäologisches aus Nordafrifca bietet.
von Dobschfltz.
Moriz Hcjuc. Fünf Bücher deutscher Hausailertümer von den
ältesten Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. Cin Lehrbuch. III. Band.
Körperpflege und Kleidung. Mit 96 Abbildungen im TexL Leipzig,
S. HirecL 1901, (J75 Sdten.)
Wenn Moriz Heyne einen neuen Band sdner .Hausallertfimer*
vorlegt, so bedeutet dos jedesmal dn Erdgnis für die deutsche Altertums-
Besprechungen.
vissenschsft. c4n Ereig^nis, dessen Bedeutung wohl nur diejenigen ganz
erfassen können, die sich selbst bestreben, die deutsche Archäologie zu
der ihr gebührenden Anerkennung innerhalb aller der Disiziplinen, die
sich mit der Vergangenheit des deutschen Volkes beschifligen, bringicn
zu helfen. Jeder neue Band ist von höchster prinzipieller Bedeutung,
er *irlrt wie ein siegtiafter Feldzug, der dem Reiche der deuisctieii Alter-
tumswissenschaft neue Anhinger gewinnt, und das teste daran ist, daß
dieser Erfolg in keiner Weise bestritten werden kann. Nicht durch lange
theoretische Auseinandersetzungen hat Heytie eä versucht, seine An-
schauung von dem Wissenschaft]] dien Betriebe der deutschen Archäologie
zur Qeltung zu bringen, sondern er hat dazu den weitaus erfolgreicheren
Weg gewählt, indem er mit einem umfangreichen Ijchrbuche einen großen
Teit der Altertumskunde, nämlich die Hausallertümer, selbst in Arbeit
nahm und damit ein Werk schuf, welches für die wissenschaftliche Be-
handlung der übrigen Teile der Archäologie als Vorbild dient und sich
den zum Muster genommenen «Deutschen Rechtsallertümem* von Jakob
Qrimm würdig an die Seile stellt.
Das Charakteristische in Heynes wisscnschafllichcr Art besteht in der
Vereinigung der äußeren Denkmäler mit dem, was die sprachlichen und
literarischen Quellen zur Erläuterung jener Denkmäler zu sagen haben,
und in dieser Art beruht zugleich die große prinzipielle Bedeutung der
■Hausallertümer". Denn es werden auf diese Weise aJIc diejenigen, die
die äußeren Denkmäler behandeln, nachdrQckiich darauf hingewiesen,
daß für sie die germanistischen Kenntnisse ebenso sehr wie die geschicht-
lichen unentbehrlich sind. AuSerdem aber wird der unlösliche Zusammen-
hang zwischen prähistorischer und deutsch-archäologischer Forschung in
der augenscheinlichsten Weise dargetan, ein Zusammenhang, der, so selbst-
«-enländlich er auch ist. doch vielfach sogar von kenntnisreichen Männern
geleugnet wird. Somil bildet Heynes Buch nidit nur ein Programm für
die wissenschaftliche Behandlung der deutschen Altertümer, sondern eben-
sosehr auch für die auf sie bezügliche Sainmelllätigkeit, das heißt für die
Arbeit der historischen Museen.
Damit habe ich nun schon die Gründe dargelegt, aus denen ich
auch dem vorliegenden dritten Bande ebenso wie den beiden vorher-
gehende» die weiteste Verbreitung wünsche. Eine Inhaltsangabe des
Buches zu versuchen, ist bei der überaus großen Menge von Einzelheiten,
aus denen es sich mosaikartig zu einem großen Bilde zuMmmensetxt,
fast unmöglich. Ich muß mich drahalb darauf beschränken, mitzuteilen,
daß der erste Abschnitt über die Körperpflege zunächst die äußere Er-
scheinung, dann die Sorge für die Gesundheit, die Reinlichkeit und Zier-
lichkeit und endlich die Krankheiten und deren Heilung behandelt,
wfthrend der zweite Abschnitt über die Kleidung zuerst die Stoffe und
ihre Bereitung, danuf die einzelnen Kleidungsstücke und ihren Schnitt,
zuletzt aber den Schmuck bespricht Alle diese Gebiete sind soweit be«
I
riicleidtfi|{1 vordeti, als sie Teile der Hausalferlümcr bilden. Das vcr-
stehl sich nach dem Tilel des Oesamtwerkes eigenllich von s;^!)«!- Troti-
dem ist es vielleicht nicht nutzlos, susdrijcklich darauf hinzuvctsen,
damit di« Fminde der deutschen ATchäologie nicht etva meinen, daB
nach Heynes trcfnicliem Werke Fdr sie auf manchen bcröhrtcn Oebteten
Tiiclits mehr zu tun fibrig bliebe. So macht das Kapitel Qber die iußere
Erscheinung nicht etwa eine Monographie Überflüssig, die neben dem
deutschen Lande auch die Leute tiehandeln wollte. Ebenso biete! der
§ 5 .Krankheiten und deren Heilung" nicht etwa eine Geschichte der
Medizin im modernen Sinne, sondern es handelt sich dabei nur um dne
Erklärung der populären Krankhcitsbezeichnungen und der ihnen ni-
gninde liegenden Anschauungen sowie um die Behandlung der Qestind-
heitsrcgeln, die .teils auf praktischen fJeobachtungen Ixrriihen und sozu-
sagen votksmäßjg sind, teib aber auch den Niederschlag gdchrtti
medizinischer Lehren bilden" (S. 104). Die Geschichte der Medizin als
Wissenschaft liegt selbstversländlidi außerhalb des von Heyne zu be-
handelnden Gebietes, sie wird nur dann gestreift, wenn sie zur Erklärung
volksniifliger Anschauungen oder Heilmiltel nötig ist.
Sodann möchte idi darauf hinweisen, daß auch die Kapitel, <vclcbe
Heyne in dem Werke abhandelt, trotz aller Gelehrsamkeit und Sorgfalt
des Verfassers doch das Thema noch nicht völlig ausschöpfen. Wa
z. B. die bekannten kastümgeschichtlichen Angaben der Limburgtr
Chronik studiert, der wird mehr als einem Ausdrucke begegnen, den
Heyne unbesprochen läßt. Zugleich aber bitte ich eindringlichst, dies«
Bemerkung nicht etwa als Voni'uri aufzufassen, es soll damit nur gesagt
Verden, daß es bei der unendlichen Fülle literarischen Materials für einen ^
einzelnen — noch dazu in dem Rahmen eines Handbuches — ganz un*fl
möglich ist, lückenlose Zusammenstellungen zu bieten, und daß nieniand
zu fürchten braucht, hier, wo ein König gebaut hat, bleit» für die
K&rrner nichts mehr zu tun übrig. ^
Bcrüglich der von Heyne benutzten Quellen erlaube ich mir nur™
eine Bemerkung. Sie betrifft den liekannten Plan von St. Galten, und
so schmcniich mir das auch im Inter^se der deutschen Altertumskunde
ist, so glautie ich doch vor einer Ausnutzung jenes Planes zu deutfA*
archäologischen Zwecken warnen zu sollen. Daß der Plan kein Spezäl*
plan ist, sondern nur ein Idealplan, daß er also als St. Oaltische LokaK
quelle nur bedingten Wert hat, ist längst bekannt. Aber auch fikr das
übrige Deutschland kann ich ihn, wenigstens was die HausallertQiner
angeht, bis auf weiteres nicht (Ür beweiskräftig halten, Der Plan zeigt
in den Grundrissen der Profanbauten eine Reihe von Erscheinungen, die
mit denen des deutschen Hauws, des niederdeutschen sowohl wie des
hier einzig in Betracht kommenden oberdeutsdien. in keiner Weise in
Einklang zu bringen sind, ich habe das jüngst in der Zetlsctirift des
Vereins für Volkskunde in Berlin (1«H, 111, 334) etwas näher aus-
geführt. Will man niso den Plan als beweisend für den deutschen Wohn-
b»v gc'len la$sen, so müßte man alle Ergebnisse der deutschen Hatia-
(orschung, zum mindesten der oberdeutschen, filr Calscli erkiäreir, was
man bislang nicht tut und, ^ne mir scheint, auch nicht tun ttann. Es
wird deshalb vor der Hand niclils übrig bldben, als den Plan (ür die
Arbeit eines Ausländers, vroh! eines Romanen, zu halten und ihn für die
deutschen Hausaltcrtümer größtenteils aulier Betracht zu setzen. Jeden-
falls verdient der vielbesprochene und «ichlige Plan daraufhin eine erneute
Untersuchung. (Vgl. dazu Keutgen, Äniler und Zünfte S. 2b. D. Red.)
Heynes Buch ist mit gutgewählten Abbildungen ausgestaltet, welche
den Text durch die zngehörenden äußeren Denkmäler erklären und er-
gänzen. Meine unbedingte Empfehlung des vortrefflichen Werkes hoffe
ich mit der nötigen Klarheit zum Ausdmck gebracht zu haben.
FranWurt a. M. Otto Lauffer.
Karl V. Anlnu Die Dresdener Bilderhan d&chrift des Sadisen>
spi^els. Fakimile-Band. Zweite Hälfte, Tafe!91-1S4. Mit einer Ein-
leitung (34 S.). Leipzig, Karl W. Hier&emann. 1902.
Als ich in dieser Zeitschrift 1. 108 den ersten Teil des vorliegenden
Werkes zur Anzeige brachte, da nalim ich den Illustrationen des Sachsen-
spiegels gegenüber ungefähr dieselbe Stellung ein, die Homeycr und
O. Stobbe und nach ihnen Wattenbach vertreten hatten, indem sie an-
nahmen, dalt die Bilder - wie Amira es S. 20 ausdrückt - -den Text
nicht sowohl für den Lesensunleundigen wiederholen, sondern crläutemj
die Glossen ersetzen, also eine iuristlsche Belehrung bieten" sollten. Diese
Anschauung kann nach allem, was Amiraf zugleich mit der zweiten
Hälfte des Faksimile- Bandes erschienene sor^gfiltige Einleitungsunter-
suchung darüber feststellt, nicht mehr aufrecht erhalten werden. Indem
er Hämlich die bei der Illustrierung obwaltenden Absichten zu erkennen
sucht, kommt er (S. 20 b ff.) zu dem Ergebnis, dali das Mengenverhältnis
der Bilder zu den Rechtssätzen des Textes die Annahme ausschließt, als
solle dem Lesensunkundigen das Wort durch das Bild ersetzt werden.
Nicht alle Paragraphen des Gesetzbuches wurden mit Bildern versehen^
und sodann verrät sich auch bei denen, die tatsSchlich iHustricrt sind,
durchaus nicht das Bestreben, den Text auch nur mit annähernder Voll-
sUndigkeit zu verbildlichen. .Es wird also — sagt der Verfasser S. 21b
- kaum ein anderes (ihrig bleiben, als mit Ooethe den Zweck unserer
Codices picturati einfach in der Befriedigung do Anschauungstriebes zu
erblicken, womit ebensowenig geleugnet werden soll, daß die Illustration
an denjenigen Stellen, wo sie sich aus künstlerischen Gründen zur Inter-
pretation genötigt sieht, giossenhafl werden kann, wie daß die Darslellungs-
ralttel des Künstlers teilweise ins BilderschriftmäQige ausarten. Die Be-
steller wollten und sollten, wenn auch nicht alles, so doch einiges von
dem mit Augen sehen, was sie lasen. Es ist derselbe Zweck, dem noch
heute die Bilder in Jugendschriften dienen. Auf Leibhaftiges soll der
r
386
Besprediungen.
Finger deuten können, sobald das Wort eine Vorstellung erreckt hat,
wi>l>ei denn der verfügbare Raum des Budies der Menge des Leibhaftigen
ihre Oreiwen lieht.-
Diese Erklärung der Illustrierung, die mit vielen Beweisen erhärtet
wird, scheint mir unabweisbar zu sein. Sie bildet eines der wichtigsten
Ergebnisse der Einleilung. Aber der Verfasser gibt auch hier schon be-
deutend mehr. Freilich die reclitsarchäologische Behandlung unserer
Handschrift wird erst in einem besonderen Erläuterungsbande erfolgen,
aber die Einleitung bespricht schon alles, u-as die geschichtliche, ins-
besondere die kunstgeschichtliche Stellung des Kodex betrifft, und es
muß besonders hervorgehoben werden, mit welcher Sorgfalt und mit
welch scharfem Blick Amira auch diese, seinem eigensten Arbeitsgebiet
etwas femer liegende Aufgabe gelöst hat.
Nach einer eingehenden Beschreibung der Handschrift stellt Amira
zunächst fest, daß Ihre Mundart ostmitteldeutsch ist und alles in dlem
am meisten der in den Meißner Urkundeti fiblichen gleicht. In dieelbe
Gegend -ft-eiscn nuch einige der ausgeführfen Wappenschilde, und so
dürfte die Heimat des Dresdener Kodex im Meinenschen, wenn nicht
gar in der Stadt Meißen selbst zu suchen sein. Zu ihrer Altersbestimmung
weist der Verfasser darauf hin, daß in den Bildeni die päpstliche Tiara
mit dreifacher Lilienkrone erecheirl, die sonst zufrühest IJft9 bezeugt ist.
Die bischöfliche Mitra zeigt verschiedentlich noch die ältere niedrige Form
mit geradlinijfen Kanten der Com ua, wie sie bis gegen IJSO üblich «-ar,
daneben aber auch die jüngere Form, überhöht und mit eingebogenen
Kanten der Comua, die für Söddeutschland in der Form unserer Hand-
schrift erst um I3SS bezeugt ist. Ebenso kann nach der Form der heral-
dischen Schilde und nach dem Auftreten des Kragenherseniers, welches
der Beckenhaube anhangt, die Hs. nicht vor 13S0 angesetzt werden.
Anderseits ergibt sich aus dem Verhällnis zu der Wolfenbüttlei Hs. des
Sachsenspiegels, daß die vorliegende Dresdener nicht jünger ah 1S7S sein
bann, wodurdi also die Entstehungszett deiselben auf die Jahre Mio bis
137S leslgelegl ist.
Bezuglich der kunstgcschichtlichen Behandlung der Hs. haben vir
bereits gesehen, daß Amira sie in die Reihe der Bucht II uslration einfügL
Er bespricht demnach zunächst ihre Vorläufer auf diesem Gebiete und
beliandeli dann ihre eigenen kfmsllerischen Qualitäten. Indem er die
darzuslellendcu Themata anführt, bespricht er die künstlerischen Mittel,
mit denen sie bewältigt werden. Er betont, daß die Zeitgenossen von
der Malerei nicht die Wiedergabe der Wirklichkeit der Erscheinung, son-
dern nur ein Zeichen davon verlangten und dafür auch noch in der
Wirklichkeit Zeichen von Außersinnlichem erblickten. Sehr eingehnid
finden wir die Attribute, die die verschiedenen Stände charakterisieren,
sowie die KlcfderFarben behandelt. Bezüglich der Gebärden scheidet
Amira hier schon zum Teil das, was der objektiven RechtssymboHk an-
Bnprechungen.
gehört, von dem, was lediglich aus den Absichten der Illustration hervor-
gegangen ist (in welcher Hinsicht der Textbiind eine genaue Zusammen-
sldlung geben soll), und er kommt zii dem Schluß, daß nicht nur an
System alisciiei Ausbildung der Qebäxdensprache im vettolen Sinne, auch
vo diese nicht dem Rechtskben enllehnt ist, sondern Jiuch In der matinig-
Taltigen Darstellung der Gebärden die Sachscnspicgcl-illuslration alle
früheren La&tuugen in Deulscliiand übertrifft (S 29 bj, .,Ini gan«n -
so urteilt der Herausgeber - liürfte D. stilistisch solchen Werken nahe
stehen, wie wir sie in der gletchfalls ostaitteideutschen (schlesischen )
Armenbibel zu Konstanz und in derjenigen zu 'Wolfenbrittel, deren Illu-
mination allerdings völlig abweicht, vor uns haben" (S. 31a). Amin»
vermutet, daß es böhmische Einflüsse sind, die auf den Stil von D. ein-
gewirkt haben.
Was im übrigen das Verhältnis der verschiedenen Sachsenspiegel-
Illustrationen untereinander anlangt, so wird festgestellt. daB atToiz dem
nahen gen^Iogischen Zusammenhang, der unter ihnen obwaltet, jede ein-
zelne einen ihr eigentümlichen Wert in der Geschichte der Buchmalerei
behauptet.* ..Wir haben <« demnadi nicht mit einem einzigen Werke,
sondern mit einer Geschichte von Werken zu tun, die am Ausgang des
hohen Mittelalters anhebt und in einer Dauer von, drei Vierteln eines
Jahrhunderts sich ins Spätmittelalter hinein erstreckt." Im Anschtiift an
die Schilderung der Sachsenspiegel-Illustration wirft die Einleitung dann
noch einen Blick aul die Buchilttistration der folgenden Zeil, die zwar
andere Wege eingeschlagen hat, immerhin aber an der Rechtsliteratur
nicht achtlos vorüberg^angen ist.
Ich habe es für wertvoll erachtet, in kunsem Auszüge die Resultate
zu geben, die des Verfassers Sorgfalt und vielseitige Kenntnis in der Ein-
leitung des Faksimilebandes ausgebreitet hat. Was aber d:e unendliche
Fülle von Illustrationen im Zusammenhang mit dem Wortlaut des Rechts-
buches für die Kulturgeschichte darbietet, das faßt .^mira seit«! zusammen,
wenn er S. 20a Goethes Interesse für die SachsenspiegcMlluslration schil-
dert und dann fortfährt: »Wohl ahnte man, was sich für fast alle Zweige
der Kulturgeschichte aus diesen Handschriften könnte gewinnen lassen, die
in vielen Hunderlen von Zeichnungen und Malereien die Gewänder, die
Waffen, die Haus* und Ackergeräte, die Abwichen der Menschen ihrer
Zdl. ihre Wohnungen, Beschäftigungen und Wirtschaftsgebäude, ihre Ar-
beiten und Kämpfe, ihre Geschäfte und Rechtsstände, ihre Missetaten und
Strafen schildern. Auch die Hauptsache, daß uns in diesen Handschriften
Denkmäler sowohl des Rechtes selbst als der Kunst erhalten seien, geriet
(seit Goetheji nicht wieder in Vergessenheit.- Wenn es trotzdem zu einer
umfassenden Würdigung und zu einer systematischen Ausbeutimg bislang
nicht gekommen war. so dürfen wir uns heute der vorliegenden Publi-
kation um so mehr freuen, denn die WJedei^be der Handschrift und
ihrer Bilder ist wie im ersten so auch in dem vorliegenden zweiten Teile
Besprechungen.
dne ganz vortrefflich c, und selbst von der Koinrieriiiig, die&ldl in Rflct
sieht 8uf die großen Kosten nicht durchweg reproduzieren lieB, dod uns
auf sechs sehr schönen Tafeln in Forbendruclc gute Proben gegeben. Die
wissenschaftliche BearJjeitung liegt, wie die Einiciluiig beweist, in den
besten Händen und läßt uns von dem Textbandc als kulturgeschiditlicher
Leistung nur Oules erhoffen
Einen Nachtrag zu der Behandlung der Sachsenspiegpl-Illustrition
als Teil der miltelalterUchen ßuchillustralion hat Arnim inzwischen geliefert
in dem Aufsätze: „Die große Bilderhandschrift von Wolfrinis
Willchalm' (Sltzungsber. d. phil-hisl. u. d. bist. Kl. d. Kgl. Bayr. Akad.
d- Wis&ensch. mui, H. II. S- 213-240). Er bespricht dort ane nur mehr
in Bruchslücken tu Heidelberg, München und Nürnberg erlialtene große
Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm, die als eine der nächsten Vor-
läuferinnen der Sachsenspi^eMUustralion erscheint. Ihre Heimat ergibt
sich aus den mundftrtHchcn Eigenheilen des Textes, die überwiegend
mitteldeutsch, und zwar überwiegend ostmitteldeutsdi crecheinen, während
ihre Entstehungszeit aus Gründen des Kostüms und der Bewnffnung auf
12SÜ-127S anzusetzen ist Amira weist nun auf dte „nahe Verwandtschaft,
die sowohl hinsichtlich des Zwecks und Stils der Zeichnungen als auch
in beziig auf die äußere Anlage zwischen den Bilderhandschriften des
Sachsenspiegels einer- und jener des Willehalm anderseits obwaltete
{S. 233), und er kommt zu dem Resultat, wdches er S. 239 folgendemußen
formyUerl: „Fällt nun die große Bilderhandschrift des Willehalm ins
dritte Viertel des 13. Jahrhunderts, vielleicht eher noch um 1250, so ist
damit das Mittelglied gefunden, das die große Sachsenspiegel-Illustration
(1291—1295) ') mit der älteren profanen Buchillustration verbinde!. Die
Beziehungen zur kirchlichen . . . brauchen wir darum nicht in Abrede zu
stellen. Daß aber in der Gcsamtanlage wie in Einzelheiten, namentlich
auch solchen der subjektiven Symbolik, die Wiilehalm-Handsdirift dem
enlen llhistmtor des Sachsenspiegels zum Muster diente, werden wir jetzt
um so weniger bezweifeln, als wir wissen, daß auch er in Ostmittel-
deutschland arbeitete.- Kulturgeschichtlich wie kunstgcschichtlich ist
dieses Ergebnis von großer B«lcutung, denn jetzt erst erkennen wir, daß
um 1250 mit der großen Bilderhandschrift des Willchalm eine zweite"
Süchsiscli- thüringische Ilhistrationsschule anhebt, deren jüngste Arbeiten
nach andcrtlialb Jahrhunderten die Bilderhandschriften des Sachsenspiegels
zu Dresden und Wolfenbüttcl sind.
Frankfurt a. M. Otto Lauften
Zcltschrirt Für historische Waffenlrnnde. Schriftleitung : Dr. Koel-
schau, Direktor des Königl. historischen Museums ru Dresden. Bd. 11.
Leipzig, Expedition der Zeitschrift.
') Es hindcll licli um die cnic $uhBni)picscl'IMi>ilr«üu«, a]N die Vorllaicria da
Dtaitatt KuidKtirin.
Besprechungen.
Die von dem verdienten W. Boeheim begründete Zeitschrift ver-
folgt unter der nthrigen neuen Leitung mit Eifer die Aufgabe, die
Waffenicundc mit der aligemeinen Kultur in Verbindung zu setzen, wie
dies von M- Jahns wiederholt in meisterhafter Weise geschehen ist. Ein-
geleilet werden diese Bestrebungen durch einen feinen und grOndh'ch
durchdachten Aufsatz von P. Reimer; Die historische Waffenkunde
auf kuUurgeschichtlicher Qruiidlage. Während bisher wesentlich die
EiiizclTaffe als Rarität oder Kunst^genstand gevürdigt wurde, will
Reimer sie als Typus einer Oattting betraditet wissen und bezeichnet
als vornehmsten Zweck historisdicr Waftenkunde die Betrachtung der
Waffe als Kulturfaktor. Denn wie bereits in Stofl und Konstruktion
der Waße Kuliurzustand und Volkscharakter sich widerspiegeln, so
sieht ihr Oebrawch in den mannigfachsten Beziehungen zu Recht
und Stte, Gewerbe und Handel, Literatur und Kunst. So eröffnet
Reimers Abhandlung; Die Erscheinung des Schusses und seine bildliche
Daretelluny anziehende Ausblicke auf die historische Treue malerischer
Wiedergabe in ver^ti icdcncn Perioden. Als Beispiel sei die ßcobichtung
angeführt, daß die älteren hol lind Jüchen Maler den F^lverbliti nicht rot,
sondern gelb darstellen, denn der aus ostindischen Handelsbe^icliungen
gewonnene Salpeter war mit Natrium versetzt, das diese Wirkung hervor-
bringt. Kaiser Maximilians I. Jagdbucb, Tiber das Sdiönberg-Diener
handelt, erlaubt Schlüsse niclit nur auf das Jagdwesen der Zeit, sondern
auch auf den Charakter seines Verfassers. Als Quelle für das slidlische
Kri^swcsen wie für die Kenntnis der Fabrikationsstätten würdigt Boehdm
die einzig dasteliende Emdcncr Rüstkammer. Beiträge zu dem so all-
gemein geläufigen und in seinen Einzelheiten so wenig bekannten Tumicr-
wesen sind Baron Potiers Glossen zu Lebere Rüstmeister-Vokabular und
des Unterxcidincteti Aufsatz: Das Turnier in den Briefen deutscher
Fürsten am Ausgang des Mittelalters (nach Steinhausens .Deutsche
Privatbricte des Mittclallers* I). Im Anschluß stn früher veröffentlichte
kriminalistische Betrachtungen über das Oenuesermesser erörtert Baron
Potter die mögliche Verwendung der an Dolchen sich findenden, zum
Abschrauben eingerichlclen, starken Nadeln als Bandifenwaffe. Soziale
Beziehungen der Waffe behandeln meine Abhandlungen: Die sooale
Wertung der Artillerie und; das Recht des Waffentragens.
Daß die Zeitschrift durch ihne ilypographische Ausslaltung einen
ungewöhnlich vümehiucn Charakter trägt und rail herrlichen Abbildungen
\-on zimi Teil wirklich malerischer Wirkung geschmückt ist, soli rühmend
hervorgehoben werden.
Magdeburg. Liebe.
Kleine Miüeilungen und Referate.
Von Kurt Breysig, dem b^abten Vorkämpfer einer mdir be-
grifflich gerichteten Oeschichtswissenschaft, hegen mehrere, seine Auf-
fassung ausbauende und ergänzende Aufsätze vor. Eine bereits im
Januar 1902 in der .Zukunft" (10. Jahrg., Nr. 15—17) erschienene Auf*
satzreihe soll von «dem altgemeinsten Ergebnisse' seiner großen .Kultur-
geschichte der Neuzeit*, deren Titel jetzt von Breywg selbst als nidit recht
zutreffend hingestellt vird, .Rechenschaft get>en*. Der bekannte, von Br^-
sig in jenem Werke (nidit ohne Vorgänger) aufgestellte Parallelismus der
griechisch-römischen und germanisch -romanischen Geschichte wird .in
größter Kürze* unter Heranziehung von Vergleidispunkten namcntlidi
aus der Geschichte der .Staats- und Qesellschaft[s]ordnung*, doch auch
aus der der geistigen Entwicklung aufe neue dargel^. Aus diesem .nur er-
fahrungsmäBig vorgetragenen und zwar schon geordneten, dodi immer erst
in reiner Beschreibung dargebotenen Stoff' sucht er dann weiter .die be-
grifflichen Folgerungen zu zi^en*. Ausgehend von Lamprechls mit großem
Stob; verkündeter, aber doch jedes Beweises bisher ermangelnder Ent-
deckui^, daß dessen (von uns bereits genugsam behandelte) .Kulturstufen*
■schlechthin allgemeingültig seien*, also sich bei allen Völkern finden,
nimmt er unabhängig ausgesprochene ähnlidie Gedanken für sich in An-
spruch und betont, daß er eben den Erträgen aus dem Nachweis jenes
»überraschenden* Parallelismus die Bedeutung von Gesetzmäßigkeiten —
vorläufig ausdrücklich auf die europäische Geschichte eingeschränkt und
nur vorbereitend behauptet — zusdireiben möchte. Um das, was man
■Gesetze* nennt, und wogegen wir unsere wiederholt au^esprodiene
Skepsis hier nochmals betonen, handelt es sich aber hierbei kaum, unseres
Eraditens mehr um F^ndung einer normalen, organischen, natürlichen Ent-
wicklung der Völker, analog derjenigen der einzelnen Menschen. Den Nach-
weis dersdben einmal ohne Prüfung zugestanden, wird aber, genau wie
beim einzelnen Menschen, so beim einzdnen Volk die besondere Ent-
wicklung doch immer das Hauptziel sein müssen, dne Aufgabe, die Breystg
übrigens gelegentlich selbst als wichtig hinstellt. Frdlich meint er nicht ohne
Grund, zur Erkenntnis der »tiefen und zarten Besonderheiten* gehöre eist
■Ausschddung* des durch Vcrgleichung gefundenen .gemdnsamen Gutes*.
Ein praktisdies Beispiel gewissermaßen, wie man nach Breysigs Auf-
fassung Geschichte zu schreiben hat (was nach ihm nichts weiter bedeutet
als in dem »in Ewigkeit* glddien Stoffe, natürlich ohne Bindung an die
Chronologie, .Ordnung zu schaffen"), bietet sein Aufeatz .Archaische
Kulturen' («Die Zukunft*, 12. JshrEang, Nr. it), in dem er, nun berate
unter Hennziehung von Afrika, Amerika, dem Orient, der Stufenfolge des
■Altertumsslaales" belzukommen sucliL Von eraten Keiiti Formen führt er
uns - bereits fällt da& entschiedene Wort vöm »Zvangslauf des Werdeganges
der Ocscllschaff - bis zu den höchsten Errimgcnschaften dieses Stufciialters,
d«s$en gewaltigste Erzeugnis der chinesische Staat sei. Die große Er-
rungenschaft dieser Stufe ist .das mächtige Königtum, der überstarkc Ein-
zelne, der die Masse, der selbst die freie Oenossenschaftder Urzeit lieh unter-
worfen hat". Was Brcysig im Oninde vertritt, Ist einmal die sehr viin-
scheiiswcrtc .vergleichende Geschiditsforsdiung", gegen die niemand ct«^
einwenden hann, es ist zweitens, um aus einem weileren AufsaU Hreysigs
(■Einzigkeit und Wiederholung geschichtlicher Tatsachen' in Schmollen
Jahrbuch, XVIII, Heft 1) zu zitieren, .denkende Betrachtung des Verlaub
der Geschichte- — ■Oeschichtsphllosophic also, wie man frdher zu
sagen pflegte-. Hier gibt Breysig sell^isl das Stichwort, das wir schon lange
hätten aussprechen mögen. Wir bcdaucnt durchaus das seit Jahrzehnten
zurückgegangene Interesse an diesem Zveige; auch andere, wie Bemheim.
haben das wiederholt getan. Wir freuen uns der Neubelebung d«-
selben durch Breysig und meinen allerdings, daß die Oeschichtswissen-
schaft von einer ernst betriebenen Oewhichisphilosophte iiwr Nutzen er-
mrten kann. Wir möchten aber auch, daß Breysig geicditcr über die-
jenigen denkt, die die von ihm eingeschlagene Riditimg nicht für die
einzig verfolgcns"rcrte halten. Auf dem Gebiet der Kulturgescliichte
im engeren Sinne z. B. ist noch so viel nachzuholen - Bre>-sig selbst
betont, manchmal allzuscharf, die große Löcite in dieser Beziehung -,
daß hier, ohne gleich auf die letzten «Stichworts und Formeln zu gehen,
die »aiisfijhrendc- oder .werktalige- Gcschichtöchrcibung , me er aie
gelegentlich nennt, noch groüe Aufgaben hat.
Des Referenten jetzt erscheinendes Werk (-Oeschichte der
deutschen Kultur* von Georg Steinhausen; durch diese Notiz
seien die Leser vorläufig damuf hingewiesen; Verlag des .Bibliographischen
Instituts', IS LieEetungcn) hat, abgesehen von der auf diesem Gebiet auch
noch notwendigen OeMmtdarstellung der Resultate eigiener und anderer
Spezialforschung, doch gerade auch um die .Ordnung" des Stoffes sich
lebhaft bemüht. Und bei dem Nachweis treibender Onindkräfte, etwa des
diirchgchends sichtbaren Einflusses des Volkstums, auch des niederen, seit
dem 13. Jahrhundert wird man doch auch wohl dcnkhaft vorgehen müssen.
Gerade die Kulturgeschichte interessiert übrigens der zuletzt erwähnte Auf-
satz Breysigs naher. Er selbst meint, daß sich auf die firige nach Einzig-
keit und Wiederholung die ffir uns besonders wichtige frage .Mann
oder Zeit* zurückfühmi Ins», und so werden wir auf diesen Aufsatz
später nälier zurQckkommen. Der dort öfter gebrauchte Ausdruck Qe-
schichte des Menschen ist gerade von uns des öfteren verwandt.
Auf dem Gebiete der Oetstesgeschichte ist neuerdings Fr. Strunz,
392
Kleine Mitteilungen und Refentie.
P
der Verfasser eines Aulsktzes in diesem Heft, eifrig titig; in^tesonctcce
wieder für die Oeschidite der Naturwissenschaft und der Naturphilosophie
liegen Beiträge von ihm vor. Methodologischer Natur iri der .geschichts-
philosophische Versuch": -Zum Wesen der ööchichte der Natunrissen-
schaflen- (Zcitsclirift für Naliirwissenschaften, Bd, 7&. S. 103/109). Auch
die Geschichte der Naturwissensdiaften hat nach SlniM die Psychologie
zur Voraussetzung. Ein anderer Aufsalz (Die Natur als psychische Lebens-
maehl im antiken Phantasie- und Geistesleben. Ebenda S. 401;'T6) (ind«t
in dem kürzlich erschienenen Buch des Verfassers ■Nalurbctrachtiing und
Naturericenntnis" ausführlichere Behandlung. Mehr Ausführung verdient
auch der kurze Artikel: «Das Wesen des ildietnlsti seilen Problems- (Deut-
sche Arbeit, III, 1). Mit van Helmont, den Strunz bereits mehrfach be-,
handelt hat, beschäftigen sich die Aufsätze: .Die Entstehungsgeschichte der
Lehre von den Oasen" (Janus, VIII, livr. 2/3) und .Joh, Bapt. van Hd-
monts. .Traumschilderungen', ein Beitrag zur naiurphilosophisdien Poesie
de» 16. und 17. Jahrhunderts" (Die medizinische Woche 1903. Nr. 3,^),
Allerlei interessante Einzelheiten zur Qcschichle des Büchenresens
enthält die als Manuskript gedruckte Broschüre von Prof. M. Grolig in
Wien: Aus meiner Bflchersammlung. (Wien 1904), insbesondere
bezüglich der Pilgcrfahrlen einzelner Exemplare.
An wenig zugänglicher Stelle (Unterhaltungsblntt da Frirkischett
Kurier, 1^04, Nr. 1, 3, S, 7) findet sich eine beachtenswerte Aufsatzreihe
von Emil Reicke, »Willibald Pirckheimers Vorfahren', die vor aUcm
wegen der r. T. neues archivalisches Material heranziehenden Darstdlung
des LicbcshandcEs der Mutter P.'s (Barbara.) sitteng cschichtliches Interose hat
Die größtenteils auf handschriftlichem Material beruhende Abhand-
lung Hugo Brunners: .Theophilus Neubcrger, Lebensbild eines
Seelsorgers und Superintendenten aus den Zeiten des Dreißigjährigen
Krieges (1593— )6S6)- (Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. 24, Heft 3/1),
ist auch in kulturgeschichtlicher Beziehung mehrTach interessant, so für
die sittlichen Zustände der Geistlichkeit der Kasseler Diözese, für dasi
zum erstenmal behandelte Vorgehen gegen die Juden und die vorherigen
mißlungenen Versuche ihrer Bekehrung u, a.
Im »Utiterhaltungsblatt" des Fränkischen Kurier, 1901, Nr. 2t -25
beschäftigt sich ein Aufsatz E. Reickes, -Zu dem Altnüm berger Faschings-
lebcn" mit der UnglaubwOrdigkcit von Vulpius' Kuriositäten, die er bezüglich
einer angeblichen Fastnachtsschilderung aus dem ife. Jahrhundert nachweist
und die zur vorsichtigen Benutzung VuIpiusscherAngabeufibcrhaupt mahnt.
Nicht ohne Anregung auch für den Historilter der abendländisdien-j
Wirtschaft ist ein Aufsatz von dem veretorbenen Heinrich Schurtz Ober
■Türkische Bazare und Zünfte (Zeitschrift für Sozialwisscnschaft VI,
Heft 2), obgleich der Verfasser selbst den wirtschaftsgeschichtlichen For-
schungen wohl ziemlich fern stand.
Armen- und Bettelordnungen.
Ein Beitrag zur Geschichte der öffentlichen Armenpflege.
Vor ARTHUR RICHEL
Kranke und Notleidende waren während des Mittelalters
fast ausschließlich auf private Wohltätigkeit und auf die Unter-
stützungen seitens geistlicher Genossenschaften angewiesen. Erst
als die von der Kirche begünstigte Bettelei überhand nahm, als
Bettler und Landstreicher der schlimmsten Sorte zu einer Landplage
geworden waren, begannen die welllichen Behörden dagegrn ein-
zuschreiten, eine nach bestimmten Grundsätzen geregelte Armen-
pflege einzurichten und zur Ausübung derselben eine besondere
Annenpolizei zu schaffen. Es entstanden die ersten Armen-
und flcttelordnungcn, zunächst in den wohlhabenden Reichs-
stidlen. wie Nürnberg, Frankfurt a. M., Slraßburg, dann aber
auch im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts in den zahlreichen
übrigen Territorien des deutschen Reiches. Zweck dieser Ver-
ordnungen war, mit dem artieitsscheuen Gesindel, das, aus der
Bettelei ein Gewerbe machcndj das g;anzc Land brandschatzte,
aufzuräumen, die zur Untenttül^ung der wirklieh Bedürftigen
erforderlichen Mittel zusammenzubringen und nach dem Maß der
Bedürftigkeit zu verteilen.
Um ISOO erschier ein Schrifichen, ,Liber vigatorum, der
Bettler Orden" beiitell, welches in ausführlicher Weise die damals
Qblichen Arten des Bettels schildert und vor dem Betrug der
Landstreicher waml. Mit einer Vorrede Luthers wurde es im
AkMv Nr Kulnirtdctiididc. II. 25
16. und 17. Jahrhundert unter dem Titel ..Von den falschen
Bettlern und ihrer BOberei» häufig gedraclrt. Aber auch viele
andere Schriftsteller dieser Zeit fuhren Klage über das Anw*achsen
und die Frechheit der Vagabunden, welche aus Liebe zum Müßig-
gang zum Bettelstab griffen, um auf Kosten der Leichtgläubigkeit
und Mildtätigkeit der arbeilsamen Bevölkerung ein fideles Leben
führen zu können; so namentlich Brant und Geiler von Kwsers-
berg in ihrem nNarrenschiff', Ambrosius Pape in seinem »Bettel
und Garfteufel". Gegen die in diesen Schriften aufgedeckten
sozialen Schäden richteten sich in erster Linie die Bettelord-
nungen. Zu den gewerbsmäßigen Bettlern rechnete man außer
den gewöhnlichen Landstreichern alle Almosen sammelnden Ver-
krüppelten und Kranken, deren Leiden (Fallsucht, Aussalz, Tollheil)
und ki&rperliche Gebrechen häufig simuliert waren, abgedankte
Soldaten, verbummelte Studenten, betrijgerische Kolleklantenj
Pilger, Büßer, Konvertiten und Türken gefangene, sowie eine ge-
wisse Sorte fahrender Leute, die scheinbar irgend einen Handel,
ein Gewerbe oder eine Kunst betrieben, in Wirklichkeit den Bettel
der Arbeit vorzogen. !n Bergs Handbuch des deutschen Polizei-
rechts, IV, 2, S. 625, werden zu diesen Kostgängern des
Publikums gezählt: Band- und Kleiderjuden, herumziehende
Krimer, die mit allerlei kurzen Waren, Zunder, Feuersteinen,
hölzernen Löffeln, Glas, schlechtem Fayence, Töpfer- und Oalanlerie-
warcn handeln, Arznei-, Ol- und Farbenhändler, Aftcrärztc, Ope-
rateure, Kammerjäger und Rattenfänger, ZinngieÖer, Blankschmiede,
Kesselflicker, Korbmacher^ Scherenschleifer, Spielieute^ Marionetlcn-
spielcr, Gaukler, Seiltänzer, Würfelspieler und Riemcn&techer,
Kamel- und Bärentreiber, Rarißtenkaslenträger usw.
Durch die landes- und ortspolizeilichen Verordnungen
suchte man zunächst solches Gesindel nach Möglichkeit von den
Grenzen fernzuhalten. Grcnzjägem, Zöllnern und Torschreibem
wurde strenge Kontrolle aller Fremden anbefohlen, Gastwirten
unter Androhung schwerer Straten verboten, Personen, die sich
nicht genügend ausweisen konntenj aufzunehmen, Fuhrleuten und
Schiffern, sie weiter zu befördern. Selbst das Almosengeben an
fremde Bettler wurde stellenweise mit Strafe bedroht, so in Würz-
burg mit 10, in Hamburg mit 5 Rthl. Die Furcht vor diesen
Armen- und Bettelordnun^en.
395
StraTen war aber nicht so groß, wie die Angst vor den tuch-
süchligen Landstreichern, die den, der sie abg^ewiesen, häufig
genug mit Diebstahl und Brandstiftung heimsuchten. An den
Qrenzen, auch an den Eingängen der Ortschaften stellte man
PRlhlc mit Warnungstafeln auf. In Braunschweig (LandesveronJ-
nung 1735) waren Blcchtafeln vorgeschrieben mtt der AuBchrifl:
■Auswärtige Bettier, Landslreicher und anderes liederliche Ge-
sindel sollen diese Lande bei Strafe des Karrenschiebens oder
anderer Strafe meiden.« Zuweilen waren die angedrohten Strafen
auf diesen Warnungstafeln bildlich dargestellt durch einen Qalgen
oder einen Gefangenen mit der Karre. Die Verordnungen gegen
das lästige Bettelvolk wurden öffentlich angeschlagen, von Zeit
zu Zeit auch durch Öffenthches Vorlesen seitens der Ortsbehörden
und Qildenmcistcr oder durch Verkündigung von den Kanzeln
bekannt gemacht
Zum Einfangen oder Vertreiben der eingeschlichenen
fremden Bettler hatte man besondere niedere Polizeibeanile, die
Bettelvögte, auch Armen- und Prachervögtc, Beltelrichler, Bettel-
wächter oder Sferzel meiste [■ genannt, eingesetzt Als Beamte
»waren sie den Feldhütern, Nachtwächtern, Totengräbern und
Gassenkehrern gleichgestellt Sie waren wenig geachtet und un-
beliebt, so daß in verschiedenen Bettelordnungcn die Bürger
I unter Androhung von Strafen gewarnt wurden, sie zu verhöhnen
oder bei Ausübung Ihres Dienstes ihnen Schwierigkeiten zu
machen. Eine Ratsverordnung von 1776 verbietet der Jugend
von Frankfurt, den Bettelvöglen Schimpfworte nachzurufen und
sie mit Schneeballen zu werfen; ein Braunschweigisches Kdikt
von 1732, die Bettelvögte und ihre Angehörigen fiJr unehrlich
zu hatten und ihre Kinder vom Handwerk auszuschließen. Eine
ähnliche Verordnung bestand für Altenburg. Die Bcttclvögte,
häufig frühere Almosenempfänger, galten für äußerst gewalttätig,
zu Erpressungen geneigt und ließen sich leicht bestechen. In
einer kleinen satirischen Schrift des 17. Jahrhunderts') heißt es
von den ehrgeizigen und unbarmherzigen Beitelvögten: »Wann
I die ehrliche Bettelleute auf einer guten Weide gehen und in den
'J Don Ire mil »dncin durthloidiU'E- und hodibcrühmiiEn Bdtelicunul
Amalo HMcnn, HinBU leei, S. »6f.
25-
festen Oedanicen stehen, nun werden sie ihren großen Beltelsack
voll machen: siehe, so kommt ihnen unverinuthet der lose und
ehrgeizig« ESettelvogI auf den Hals, fraget, woher, und was sie
an der und der Thür zu thun hatten, lasset ihnen auch nicht so ■
viel Zeit, daß sie sich ein wenig besinnen können, seitdem eilet
mit ihnen entweder auf den Wall zur schweren und unerträg-
lichen Arbdt, oder zum Thor hinaus ... Icn Fall die grvisscn-
haften Bettler dem gestrengen Herrn Beitelvogt mit einem und
andern Geschenke sein Herz erweichten, ich weiß, er ließ sich
weisen, er vergönnete ihnen an den vornehmste» Thüren das
heilige Almosen zu betteln und einzusammeln." Die TSIigIceit
der Beitelvögte bestand im wesentlichen In der Säubening der
Straßen von allem bttlelnden Gesindel, das sie je nach den Um-
sländen verjagten oder aufgriffen und der Polizei zur Abstrafung
auslieferten. Betrügerischen Kollektanten nahmen sie die falschen
Bettelbriefe ab; an manchen Orten vollzogen sie auch die Prügel-
strafe an den aufgegriffenen Landstreichern. Außer der Aufsicht
über die Bettler hatten sie noch andere Obliegenheiten, la fl
Halbersiadt (Ordnung von 1 S64) wo der Betlelvogt böswillige "
Bettler mit der I'eitsche zu vertreiben hatte, mußte er auch »die
spazier Junkern unter der predigt vor dem thor und auf dem ■
kirchhofc mit einer peitschen in die kirche treiben, auch voc er
die brantewein seufer unter der predigt vcmimpt". In Regens-
bürg (Dekret von. 17lS) trieben sie an Sonn- und Fcsllagen die
unbändigen bösen Buben von den Kirchen weg. In Frankfurt,
WD bereits 1489 Betlelnieister , später Bettelvögte und Armen-
knechte genannt, eingeführt waren, führten sie die Kinder des
Armenhauses aus. Um von den Bettlern nicht erkannt zu werden.
mußten sie dort von Zeil zu Zeit die Quartiere wechseln; die
ursprünglich glcichmäftigc Kleidung wurde ihnen später aus dem-
selben Grunde in verschiedenen Farben geliefert
Ihren Lohn empfingen die Bettelvügte gewöhnlich aus der
Alniosenkasse, so in Kitzingen (Bettelordnung von iS23). Der
Halberstädter Bettelvogi, der gleichzeitig Totengräber war, bezog
wöchentlich 2 Groschen oder jährlich S Quiden aus der Armen-
kasse; außerdem war er zum Empfang von Trinkgeldern bei
Hochzeiten und Begräbnissen berechtigt Für eine halbstündliche
I
Armen> und Bettel Ordnungen.
Begleitung zugelassener fremder Kollektanten hatte er 18 F^g.
zu fordern. Der Frankfurter Berteimeister erhielt wöchentlich
2 Laib Brot aus der Almosen kasse.
Viele Behörden bewilligten auch Fanggeld für encischte
Landstreicher; eine Verordnung von Schwedisch Pommern (1763)
setz! fflr jeden eingefangeneii Bettler 2 Rthlr. aus, eine von
Brandenburg (1748) i Thlr., eine von Baden-Durlach (1771)
30 Kreuzer, eine Frankfurter (t776) 4 Kreuzer, eine Hamburger
<t79l) I Mark.
Die einfachste Straf« für einen cpffischten Vagabunder war
die Landesverweisung. Man scliaffte ihn entweder direkt zur
Qrcnze oder lieferte Ihn an den Ort ab, den er zuletzt passiert; die
dortige Behörde mulSte ihn zur Strafe, daß sie ihn ungehindert
durchgelassen halte, verpflegen unti weiter zwrückbef ordern, bis
er auf demselben Wege, den er gekommen, an der Orenze an-
langte. Die d«s Gehens Unfähigen wurden im Frondienst auf
den sogenannten fiettler- oder Kröppelfiihren von Ort zu Ort
transportiert Die Fuhrleute, ärgerlich über die ihnen aufge-
zwungene Arbeit, verfuhren wenig siuberlich mit dem lästigen
Bettelpack. «Ich weiß," schreibt ein unbekannter Schriftsteller,')
■ daß, wenn durch eine solche Krüppelfuhre einige Kranke sind
in eine Gemeinde gebracht worden, und man sich besorget, sie
möchten auslöschen und der Gemeinde, dahin sie gebracht worden
sind, daher einige Unkosten wegen der BegräbnuB zuwachsen,
man solche Kranke schleunigst wieder auf einen Karren gebunden
und über Hals und Kopf damit wieder nach einem andern Dorfe
gceilet, auch sodann im härtesten Winter einen solchen Kranken
wie einen Misthaufen in den Schnee oder Koth von dem Karren
herabgeworfen und wieder davon geeilet, da öfters der Kranke
nidit noch eine VierteKlunde gelebt. Ich geschweige, daß solche
Patienten vielmals gar unterwegs gestorben und hernach unter
denen benachbarten Gemeinden ein Disput entstanden, welche
die Begrab nulikosten zu tragen schuldig gewesen." Die Braun-
schweigische Kastenordnung von 1569 verbietet dieses unmensch-
■) D*r«r hiufi j;ai und gottlo««« B«(lt«r «cnnthrtM Zug, «chlndlichn Lug und Trag
iifid Khlfllirhrr Unfue, ml) «tlrhnn dt dl* ^nie l.ind iltnthilbn nfailen. «ntdcekM
durch Atetindtm ton WirnBinllnd«. I7fi. S. III.
liehe Verfahren aufs strengste; ebenso eine Armenordnung für
das Eichsfeld von 1 7 78.
Sehr scharf gingen einzelne Behörden gegen diejenigen
fremden Vagabunden vor, die frei von körperlichen Gebre<heit
waren, aber die Arbeit scheuten. Prügel, Brandmarkung, Ohren-
abschneiden und schwere Schanzarbeit dienten zu ihrer Besserung;
erwischte man sie zum zweitenmal, so Ikamen sie in ein Zucht-
oder Arbeitshaus oder an den Galgen.
Der zweite und wichtigste Gegenstand der auf das Almosen*
wesen bezüglichen Verordnungen betraf die Versorgung der ein-
heimischen Notleidenden. Es ist das Verdienst der Reformaloren,
auch auf dem Gebiet der Armenpflege Reformen venuilaOt zu
haben; an Stelle des bisherigen unterschiedslosen Almosengebens
lediglich zur Förderung des eigenen Seelenheils verlangten sie
eine geregelte, von werktätiger Nächstenliebe geleitete Versorgung
der Kranken und Schwachen. Während sie den Bettel für stttiicfa
verwerflich erklärten, brachten sie die Verpflichtung, den Kranken
und Schwachen vor Hunger und Elend zu schützen, zum Be-
xpulitsein. Luther hat in seiner Schrift »An den Christlichen
Adel deutscher Kation" den Grundsatz aufgestellt, daß jede Stadt
ihre Armen selbst zu unterhalten und eine Armen Verwaltung ein-
zurichten habe. Im Gegensatz zu den wenigen Verordnungen
des 14. und 1 5. Jahrhunderts, die das Betteln erlaubten und nur
die ärgsten Mißstände zu beseitigen suchten, dringen die zahl-
reichen Armen Ordnungen des 16. Jahrhunderts auf vollständige
Abschaffung oder möglichste Einschränkung der Bettelei und auf
Einführung einer öffenllichen Armenpflege. Zur Durchführung
dieser Organisation galt es vor allem ausreichende Mittel zusammen-
zubringen. An Stelle der kirchlichen Organe übernahmen die
weltlichen Behörden die Verwaltung der bestehenden Armen- und
Krankenstiftungen; die Erträge flos.sen in eine besondere Armen-
kasse, die von einem unter Aufsicht des Magistrats stehenden
Armenkollegium verwaltet wurde. Der Inhalt des Klingelbeutels
und der in den Kirchen aufgestelHen Almosenkasten und Becken
kam ebenfalls in die Armenkasse. Da die auf diese Weise
zusammengebrachten Geldbeträge bei den großen Notständen
nicht ausreichten^ griff man noch zu andern Hilfsmitteln. Bei
I
I
I
I
I
Armen- und Bettdordnungen. J99
öffentlichen Lustbarkeiten, an Jahrmärkten, bei Hochzeiten, Kind-
taufen und Beerdigungen, in Postwagen ließ man Armenbüchsen
umgehen; beim Abschluß von Kaufverträgen mußte der Armen
gedacht werden; auch gewisse Slrafgelder wurden der Armen-
kasse überwiesen. Man veranstallele regelmäßige öffentliche
Sammlungen durch besteJlie Bürger, Schulmeister, Küster oder
Bettelvögte, je nach Bedürfnis ein- bis zweimal wöchentlich,
monatlich oder vierteljährlich. Außer Oeld wurden auch Lebens-
mittel, namentlich Brot, für die Armen eingesammelt Die
württembergische Kaslenordnung von 1S36 bestimmt, daß zwei-
mal in der Woche gesammelt würde; die dazu verordneten Per-
sonen Irugen auf dem Rücken einen Brotkorb, in der einen
Hand eine verschlossene Büchse, in der andern eine Schelle oder
Glocke. In Eßlingen (Armenordnung von i528) fuhr wöchent-
lich einmal der h Brotkarren " in der Stadt herum; 1620 wurde der
Karren abgeschafft; von da ab ging der Bettelvogt, begleitet von
einem Firdelknaben, mit einer Glocke von Haus zu Haus die
Armenspenden aufbeben. Die fürsten bergische Beitelordnung
von 1770 schreibt vor: «Es sollen in den Städten und großen
Dorfgemeinden gewisse Tage in der Woche zum Almosensammeln
bestimmt, ein vertrauter Bettelvogt bestellt und unter dessen An-
fuhrung von sämtlichen mit dem (Bettel-) Zeichen versehenen
Armen in einem Haufen mit laut betendem heiligen Rosenkranz
das Almosen von Haus zu Haus geheischet, das erhobene Geld
in eine verschlossene Buchs gethan, das Brot aber in Körben
nachgetragen und nach geendigtem Umgang die ganze Sammlung
nach Proportion der Köpfe und Zeichen unter Aufsicht eines
Vorgesetzten getreulich ausgeteilt, dem Bettelvogt aber eine doppelte
Portion zugeschieden werden." In Würzburg (Annenordnung
1720) gingen zweimal wöchentlich die Viertelsdiener mit Brot-
Irägern von Haus zu Haus Gaben einfordern; 1772 wurde an-
geordnet, daß die Armen , angeführt vor einem Vierleisdiener,
unter Voranlragung eines Kreuzes, betend durch die Stadt ziehen
und betteln sollten; seit 1 787 gingen nur roch vier Arme, zwei
Männer und zwei Frauen, mit einem Kreuz, geführt vom Bettel-
aufseher, herum. Auch von durchreisenden Fremden erhob man
vielfach eine freiwillige Armensteuer; man stellte deshalb außer
in den Kirchen und Annenhlusern auch in den Oasthäuseni,
Schenken und Krügen, sogar an den Straßen vor den Toren ver-
schlossene ArmenbQchsen auf.
Eine geregelte Armenpflege erforderte die Aufslellung und
Führung von Armen registern durch die Qemeinde, wie sie Luther
bereits vorgeschlagen hatte.') Man teilte die Armen in zwei
Klassen ein, indem man zwi&chcn gänzlich arbeitsunfähigen, die
vollständig zu unterhalten waren, und solchen unterschied, die
in ihrer Erwerbsfähigkeit nur beschränkt waren und gelegentlich
für sich und ihre Familien einer Unterstützung bedurften. In
Straßburg führten die Zunflmeister die Armenbücher, die viertel-
jährlich geprüft wurden (.Polizeiordnung von 1628). Nur die in
die Armenlisien Aufgenommenen hatten Anspmch auf Öffentliche
Unterstütz ung. Die Verteilung der Geldspenden und Lebens-
mittel fand gewöhnlich ein- oder zweimal in der Woche durch
den Spend- oder Kastenmeister statt. In Schaffhausen (Armen-
ordnung von IS24) erhielten die Hausarmen Samstags je sieben
Spenden Brot, dazu die Alten einen Batzen, die Jungen einen
Kreuzer. Iti vielen Gemeinden teilte man die Armenspenden
nach Schluß eines Gottesdienstes aus. unwürdige, in erster Linie
solche, die ihren kirchlichen Verpflichdmgcn nicht nachkamen
oder sich in Wirlshänsern herumtrieben, konnten von der öffent-
lichen Unterstützung ausgeschlossen wenden. In Braiinschweig
war die Kontrolle des Kirchenbesuchs der Alnioscncmpßnger
den Bettelvögleni übertragen. Die Nürnberger Ordnung von 1609
entzieht demjenigen die Unterstützung, der sich einen Hund
zulegt, die Slraßburger von 1628 dem, der Hunde, Schweine und
anderes Vieh hält
Die in die Register eingetragenen Armen erhielten als
Legitimation einen ihre Dürftigkeit bescheinigenden schriftlichen
Ausweis (bayrische Landes^ und Polizeiordnung von I5t6; ober-
bayrische landcsordnung von 1599; Offenburger Armenordnung
von l60l; Leipziger Armenordnung von 1695 u, Ä.) oder ein
besonderes Zeichen, das Bettclzcichen, ausgehändigt In Slraßburg.
wo den Zünften die Armenpflege übertragen war. nannte man
die Scheine «Zuriftzettel'; in der Ordnung von 1628 ist folgendes
<) I Sil in der Vorrede lur KcuaufliEc dct llber vneitonini.
Almen- und Bettdordnungen.
Formular daför vorgeschrieben: .Anna N., ihres Alters N. Jahr,
eine Wittib, hat N. Kinder, kann dieselben und sich Leibes-
blödigkeit wegen nicht ernähren, ist von den Verordneten der
unterschriebenen Zunft des Almosens würdig geachtet." Die
Scheine hatten nur für eine bestimmte Zeit Gültigkeit und mußten
nach Abiauf derselben erneuert werden. In Bayern hatte der
Besitzer einer solchen Armutsbescheinigung die Erlaubnis, ein
Jahr lang in seinem heimatlichen Bezirk zu betteln.
Um die Almoscnempfänger auch äußerlich zu kennzeichnen,
führten viele Behörden die Bettelzeichen ein. Es waren meistens
kleine Blechschild c mit irgend einem Abzeichen, gewöhnlich
dem Stadtwappen; sie wurden den UnterstiJtzurgsbedürftigen
unentgeltlich verabreicht und waren von diesen auf den Kleidern
an einer sichtbaren Stelle zu tragen. In Nürnberg bestanden sie
schon im 14. Jahrhundert, in Frankfurt seit 148^, in Augsburg
seit 1*91. In Nürnberg erhielten sie nur diejenigen, die ihre
Bedürftigkeit durch zwei oder drei glaubwürdige Zeugen nach-
weisen konnten. Anfang? waren diese Zeichen wirkliche Bettler-
abzeichen, d. h. der wohltätige Bürger konnte daran die zum
Betteln Berechtigten erkennen und von den arbeitsscheuen Müßig-
gängern unterscheiden; später, nach Neuordnung des Armen-
wesens durch die weltliche Übrigkeit, kennzeichneten sie den
Empfänger des öffentlichen Almosens und erleichterten die
Kontrolle über dessen Lebenswandel. Im braunschweigischcn
Gebiet (Armenordnung von 1702) empfingen die in die Annen-
register Eingetragenen unentgelllich Zeichen mit S. P. (= Signum
paupertatis), die beständig auf der linken Brust über den Kleidern
zu tragen waren; in Würzburg (AlniosenorÜnung von 1720) war
ein auf dem rechten Ärmel anzubringender Buchslabe A vor-
geschrieben; im Fürsten bergischen Blechschilde mit dem Anfangs-
buchstaben der Herrschaft; in Halberstadt (Armenordnung
von 15ii4) wurden kupferne Zeichen ausgegeben, in Alienburg
(Kastenordnung von 1527) Messingscliilde. Im Hochslift Eich-
siAtt niuBlen die Zeichen beim Almosensatnmeln um den Hals
getragen werden. Im Orlenauischen Gebiet bekamen die Almosen-
empfänger einen mit einer Spange versehenen Zetlel; eine ähn-
liche Einrichtung scheint für Straßbiirg bestanden zu haben, vo
402
A. Richc).
P
das von den Armen jederzeit öffentlich zu tragende Abzekhen
die »Spang' genannt wurde. Die Almosenempfänger schämleo
sich dieses Zeichens der Armut; daher finden wir in so vielen
Armenordnungen als Strafe für das Verheimlichen derselben
vorübergehende oder gänzliche Entziehung der Unlerstützutig
ausgesetzt. Die Nürnberger Ordnung von 1609 erklärt den seines
Anrechtes auf öffentliches Almosen für verlustig, der sein Armen-
zeichen versetzt, verliert oder verleiht Wer es bei der Almosen-
Verteilung tiicht vorzeigen kann, erhÄlt nichts.
Diejenigen Armen, die nur vorübergehend unterstützt
wurden, waren gewöhnlich von dem Tragen des Bettelzeichens
befreit Audi auf verschämte Arme nahm man Rücksidil; in
manchen Gemeinden brachte man ihnen ihr Almosen ins Haus;
in Kitzingen trug man sie nur in das Armenbuch ein und ent-
ließ ihnen das Tragen des Zeichens; in Braunschvcig schrieb
i?ian ihre Namen auch nicht in die Armenlistcn. Die Nürnberger
Betlelordnung von 147S hatte schon beslimrnt, daß diejenigen,
die sich schämten am Tag zu betteln, besondere Zeichen erhalten
sollton mit der Erlaubnis, im Sommer zwei, im Winter drei
Stunden nach Anbruch der Nacht mit Licht zu betteln.
Zu den Almosen empfängern gehörten auch die armen
Schüler; meistens hatten sie Erlaubnis, vorausgesetzt, daft sie
gute Zeugnisse ihres Fleißes und ihrer Sitten aufzuweisen hatten,
ihren Unterhalt zusa.mnien zu betteln oder durch Singen vor den
Häusern zu verdienen. Im Jülichschen Land durften sie vor den
Türen betteln (PoÜzetordnung von 1S54); in Würzburg erhielten
die armen Studenten einen Teil der in den Straßen gesammelten
Almosen. In Nürnberg und Augsburg waren die armen Schüler
zum Tragen der Bettlerabzeichen verpflichtet; in Schaffhausen,
wo 1524 der Rat das Singen abstellte, nur bis zum 12. Lebensjahr.
Eine besondere Stellung nahmen die wandernden Handwerks-
burschen in den Armenordtiungen ein. Wo sie nicht von den
Zünften mit Geldbeiträgen unterstützt wurden, gab man ihnen
vielfach eine beschränkte Erlaubnis vor den Häusern zu betteln.
In Regensburg (Ratsverordnung von 1678) empfingen sie am
Tor einen zwei Tage gühigen Aufenthaltsschein und in den
Herbergen von den Handwerksvätem eigens dazu vcrfert^te
I
i
I
I
I
■M
Armen- und Bettdordnungen. 403
Hand Werkszeichen, die sie berechtigten, die zwei Tage bettelnd
die Stadt zu durchziehen.
Die zahlreichen Bettel- und Armenordnungen hatten nur
geringen Erfolg, trotzdem sie, erweitert und verbessert, immer
wieder von neuem eingeschärft wurden. Die Menge der fremden
Landstreicher und Qauner nahm nicht ab, und die Zahl der ein-
heimischen Unterstützungsbedürftigen wurde immer größer. In
Augsburg zählte man im Jahre 1566 800, 1569 1700 und 1625
3000 Atmosenempfänger. Das Almosenamt der Stadt Leipzig
verausgabte allein in den fünf Jahren 1708—1712 67485 Rthtr.,
3 Gr. 2 Pfg. für Armenzwecke. Die Schuld an dieser traurigen
Erscheinung trug vor allem der durch UnßUIe und Mißstande
verschiedener Art hervorgerufene wirtschaftliche Niedergang, dann
aber auch die mangelhafte, unfähigen und pflichtvergessenen
Beamten überlassene Durchführung der Armenordnungen.
Die Porträtsammlung Herzog Philipps II.
von Pommern.
Von OTTO HEINEMANN.
Mehrere Male bereits war die Gemäldesarnnilung d« kunst-
sinnigen Herzogs Philipp II. von Ponimem-St eltin der Gegenstand
einer eingehenden Untersuchung durch den um die Erforschung
der Geschichte der Kunst und ihrer Denkmäler in Pommern
hochverdienten Juliiis Mueller. Schon vor vierzig Jahren hat
er einen Katalog dieser Geniildegaleric von i605 veröffentlicht.')
Eine Er^nziing gab er vierzehn Jahre später in dem Kataloge
der »Oeniahlten Conterfeitps von Brusthildern in miiins gnadigen
Fürsten und Herrn Herzogs Ulrich Losament", dessen Abfassung
er spätestens in das Jahr 1617 setzt') Nunmehr haben sich
vor kurzem zwei Bruchstücke des „Catalogus bibliothecae" Herzog
Philipps 11. gefunden,') deren eines den Katalog der Sammlung
antiker, hauptsächlich römischer Kaisermiinzen,*) das andere aber
einen Katalog der Porirätsammlung des Herzogs enthält, der
offenbar älter ist als die beiden bisher bekannten und noch ein
besonderes Interesse dadurch gewinnt, daß er unzweifelhaft von
Philipp II. eigenhändig geschrieben ist.")
>t DuItlKlx: Sludl>cn XX. 1 iiS64). S, lOSIf.
•) ßtil. &tDdlM XXVlIt (tgTR>. S. I5tff Die \b(u»ingucil lääl lieh jcdodi noch
guiiuer totimnm, Üi Miiihiu (Ni lO) nur aU tu Boh«niii« t>«icichnvt «irtf. lo jit
6iti KiUidi; {cdcntRili vor der im li. Juni t6i2 rrtolgtrn Wihl M>itliiM' lum ICiiwi ab-
grfaSI, rnidiTnci» «her auch nach dem it. Aprfl ifiii, dem Tagt der AlitrcniBi
Bühmoi! duith Kiiscr Rudolf 11 «n »*incn Bnidci
I) Kel. SuatJaffhlv 7U SIrtiiB : «rtctL Areh. P. I, Ttt. *6, Nf, SO.
*i Ohft di«cn «iril an anderer 51ellr nihens bcrichlrt werden.
1 Muelln icrmultt du auch von dem Kiulo|ic von IM? <■. a. O S. Iltl. Ldder
lt[ et noU Aller Nuh[«nchunetn biihcr irlcJit |[clun|[tn, den vom Aichivu 0. KtAU in
diiniligen Pcrmmenchni Proviniularchivc unter uiif^ardnclen Papieren grfundcnni KiUlOf •
In tai BMlindt« dn SbutMrthivt ni SlftHn luitlndii; tu niichen Eine PMtiMlIunt; der
IdcnliUI der Hindtchrlflrn iit daher nicht tnOülicb gnmrn
Die PorträUammlune Herzog Philipps 11 von Pommern. 403
Bevor wir auf den Katalog näher eingehen, ist es zweck-
mäßig, ihn zunächst im Worttaute hier folgen zu lassen*):
Imagines bibliothecae Philippi II., ducis Pomeraniae.
1. AlntanderMagnus. [B JI.C12.!
2. Att3la,flagelluTnDci.lB55.Clä.|
5. Totilas. rex Oolhorum. (B 56.
C 15-1
i, Carolus Magnus, Rom(aiionim)
iinp(erator). ')
5. Fndericus I., Roin(aiiorum)
tmpfaator), cognomcnto Bar-
barossa. [B I12.|
6. TamerUnus, Scyumm inip(e-
rator), orientis icnor, [B 34.
C N.|
7. AlphorisuB, tex Arragonensis
et NcapoliUmis. [B i2, C 16.|
8. Cosinus Medios, pater patria«.
[B U. C. 42,|
q. Scanderbegus, Epiri princeps,
[B 2S. C 25,1
10. Laurenciuä Medien, musarum
(XLtroniisircomparabilis. [B2ii.
C 43.)
11. Christopborus Columbiis, novi
orbis rqwrtor. [B 21. C 26.|
12. Atnericus Vcspuaus. [B 65.
C27.1
13. Ludovlcu» Stortia, dux Medio*
lancnsi». (B 3D. C 3q.|
14. TerdinandusCorduba, magnus
(lux. )B 5. C J4.1
15. FerdinaiidusMflgHliiniis. |B2J.
C 2S.)
16. Ferdinandus Cortcsius, Indo-
rum ilomilor. |B 1i. C 2^.]
17. LAurentius Mediccs, dux Ur-
btni, Caiharinac. rcginae
Oalliae. pater. (U 2. C 44]
•) Kwi der OroBc
IS. Joannes Paulus Baleoniue.
|B 14. C 37.)
19. Leo X., pont(ifex} inax(imtis).
[B 67. C J.|
20. Adrianus VI., pont(ifex) maxi-
raus. [B 1S. C 2.]
21. Jo<annes) Franciscus,') marchi»
Pescariae. [B 22. C 31.]
22. Antonius') Borbonius. |B e..
C 30.)
23. Odcttus Pusius Lotrechius.
IB 9. C 36.1
24. CleniensVll.,ponti(exm«ximus.
[B 68. C 4.]
25. Antoiuus Lcva, |B tj. C äi-l
26. Alphonsus, marchio Guasti.
[B I. C 32 I
27. Alexander Medice», primus
dux Florentiae. (B 48. C 43.]
2». Hyppoülus Mediccs, ardinaüs.
jB 47. C 9.)
29. Carolus V., Rom(anoniin) tm-
p(cr3lor). |B 99.|
30. Ferdinandus, Rofn(anonini)
inip(crator), [B 11 u.)
31. JoanncsRantzoviuseiju(S.reg(is>
Daniae «u minus belli dux.
[B 1«S|
32. Arjadeims Barbaroisa. (B 45.
C 38.)
33. I*etms Slrozza. 113 10, C 41.1
34. Andreas Doria, [B 11. C 3i.]
35. Daniel Ran/ovius, summus
belli dux contra Sueciim. [B91.1
*) Vohl vrrKhiiffbm *t>lt rcnliruadui.
*t W«hl ranchhelMn iMt Cuoli«.
T Die Nummern der KiUInüe von IMJ (8) und itii;"2 (C) (iind tiinlei irtciii
Bilde tn i-| vrnncTici, Vqiui do du-sotclK™ Ptiwnen wird ml Mucllcii snchichtllchc
AnBCrhvnscn m drtn ICilalflgr von IMS vcrvtctcn. Nur Für die dort tehlMid«ii Bitdcr
tlwl Mer knrrc ErUuWnuicni eteeb« und etnip Ansalxn Mudlcn bniebllxt «arden.
^^M 40fi Otto Heinenmiin. ^^^^^H
^^H 36. Cosintis Mediccs, magnus dux
SS. Elysabelha. rcgina Angltae*)
^^H ülruriac piimus. [B M. C 4b.]
59. Ferdinandus Medices, mafnus
^^1 }7. Joannes Basilides, magniis dux.
dux Etruriae III. [B S5. C4S,I
^^f princrps Moscoviae. [B 4. C 54.)
60. Pelnis Mediccs, dus (raW.
K JS, Oregorius XIII., pontife»
[B S9. C 49.1
" maximus. (B 6ft, C S]
61. Joannes Medices, eiuB fnter.
39. Mflximillinus IL, Romfsna-
[B 32. C 50.]
nim) impieratffr}. [B IH-I
62. Ludovicus cardinalis Madru-
40. Joannes Albertus, dux Mcga-
cius. [B 24. C 10^11-1
politaiius. [B las.]
6J. Mauritius, conies Nassortw,
41. OulieLmus, princepa Auranius,
unitanim Belgii provindanun
suminus belli dux. [B 75.)
Bdgii gubernator. [B 107.|
42. Franciscus IE., magntis duv
64. Homcrus. |B iO. C 55,] ^i
Etniriac [B 62. C 47.1
6S. Hesiodus. [B. 29. C 56.] ^^M
43. Qothardus, dux Curlandiae
66. Plalo. (B 40. C 57.J
primus. |B 109-1
67. Aristoteles. (B U7. C SS.)
44, Stephaniis Bathori, rex Polo-
68. Pctrardia, pocU. [3 46. CS9.I
niae. (B 95.\
69. Joannes Boccatius, orator et
45. Fridericus 11-, rex Daniac.
historicus, [B 39. C öO.|
(B 111.]
70. Jacobus SaJiozarius, pocta.
46. EmcslusLudovicus, diixPotne-
IB 64.1
ranise. [B JOO.I
71. Petrus Bcmbus, cardinalis.
47. Hiiiricus Ouistus, interfectus
IB 23_ C 5.1
Jussu n^sQalliae. IB5S.C5S.|
72. Paulus Jovius, historicus. IB7.)
4S. Alexander Famesius, diix Par-
73. Franciscus Cuicciardinus, hi-
mensis, Belgii giibemator.
storicus. IB 54-1
[B 61. C 52.1
74. Ludovicus Ariostus. pofts.
4». Hinricus III.. rcx Oalliac.
(B 20.]
IB 17. C 17.|
75. Joannes Ambrosius Calcpinus.
50- SixtusV., pont(ifcx) raaic{Eirus).
1B3.1
(B 16. C 6.1
lt>. VilonusAretinus.poft*. 1353.]
51. F«rdinandus,archiduxAii8triae.
77. Petrus Viciorius, philosoptlus.
IB 12. C 21.1
IB 51-1
52. Erneslus, arctiiduK Austriae.
7S. Doctor Navarrtis, Martinus ab
(B 57. C 22-1
Adspilcucta. IB 66,]
S3, Alplionsus tl., dux Pcrrariac
79. Michael Aiigrlus. pidor et
iiltimus. [B St. C 51.)
slaluarius. IB 8,)
54. aemens VIII., pont(ifex)
SO. Joannes Gulielmus, dux Saxo-
^H niax(imus). [ß 27. C 7.]
iiiae- [B 104.]
^^B 55. Ruüolptius If., Koin(anoTuin)
81. Auguslus,duxSa)coniae,elector.
^H inip(erator). |B US.]
|B 88,]
^^B 56. Phlljppus II., rex HUpaniie.
^m iB
&2. Christianus, dux Sax(oniac),
etcctor. (B 83,1
^^M 57. Hinricus IV., rex Qalliae et
1) eiiubelfa. KAalein *h ENglind.
^K^ Navarrac. [B 42. C 18.}
rt 160).) 4
1
Die Portiätsainniliiiig HerTog Philjp|»s 11. von Pommem. 407
83. Fridericus Cutielmus, dux
Saxoniae, tiitor el electöratus
administntor. [Q St.|
84. Hinricus Ramovius, prodiix
Cimbricus. IB 79.)
85. Sciymus II., Turcaruin iiiip(c-
nitor). [B 93.|
S6. Joannes, dux Mcgapolitanus.
|B 90.)
87. UJricus, diu Mtsapolitaniu.
[B 92]
88. Otho, dux LunaebvrgcnsH.
|B U4.|
89. Hinricus.duxLunaeburgensis.')
90. franciscus, dux Lunaeburgen-
sis. (B 76.]
91. Philippu5,landgravlusHas«ae.*)
92. Albcrtus,duxBorussiae.(B 122-1
95, Maximilianus , archidux Au-
slriat |B 131.1
94. Desiderius Eiasmus Rotcro-
damus. (B 94. |
95. Martinus Lutherus, [B 9&.\
96. Philippus Mclanchlon. |B 96,|
93. Joannes Ponlanus, medicus.
(B IUI
98. Joannes Rosa, phüosophus.
IB 97-1 •)
99. Bartbolomeus Gerardi, Iheo-
loffus. [B 106,]
100. Tilemsnnuä Heshusius, iheo
logus. |B 101.]')
101. Matheus Wcscabedus, I, U.
I) Heinrich drr MMIIere, Henog
von SnunichvelK-I-llncburK It ml), On>ß-
v«.tfr der Mutter Philipp It.
>) Philipp der Oroßmülifc, Und-
gnl von HtsKii {t <tA<)'
>) V(M nicht d«T RcirnnburK« AtiL
wie Mudter indnl, londcrn <Jct Plillotopti
Johann Ron. \ Ii73 1I1 Piofsiar dcr
Tliealoglc und R^or der Unlvmflit J«ii
*) TlUmattn MeDliu«<ut (Mucllcr
Ilal KdltiuilDi], itTTTKCT luthrdschrl Thco-
l«Se, t '1*1 •!* Prott*Mr in Hclmilnlt,
*) Mitthluf Vfirnbrek, '■«St-
wboirt UrdiMi-Ficfaner. t ifWilt pRiIcuor
in WitKiiticis.
t02, Cervasius Marstatlems, me-
dictts.»)
103. Bemhardus, prineeps Anhalti-
nus. IB 130.)
104. Hinricus iuitior, burggrafius
Misnensis. [B 127.]
105. Christianus II„ cicctor Saxo-
niae, (B S4.]
tü6, Albertus, marchio Branden-
bur^nsis. <|B S0.\
107. Nicolaus, comts Scrinensis.
[B 89] ')
108. Philippus, eleclor Pabtinus.
|B 102.|
109. Amalia,«)eiusconiunx.(BlOJ.)
110. Joachimus Fridericus, elector
BrandciibuTgensis. [B 85.]
111. Katharina, eius conlunx, [B 36.)
112. ClAra Maria Poincrana, dux
Megapolitana,»)
113. Joachimus Siedingk.")
114- Slaug «Raot. [B 117]
1)5. ^.5ril»:i^C^iI^tlm«t(Nr.83)
fficmo^L IB 82.)")
tt6. £1. ;irTart)Dan£iinc&urg(Nr.9a)
«mQ^I. |B l2b|«M
I1T te% Watflgralen »on SKti^ta
(Nr. 104} Qtcma^l. |B 12S.]
113.
^
•jOervitiui MtrtUller, t <>"
1.I1 tiortnl Hrrrag Vllhrlm* von Br«an>
idiwcie-l.Qncbure.
r) Nlklii Qril vonZrlnfl [f I9fifi\
der tapfere Vcrtcidiccr von SdKclh.
■} Wohl vcndincboi Ifii Miriptrrtha.
*) Citri Miti)i von Pi>miiimi(t t6(M),
SdivMtcr PhiU|ipt [[.. ml itsi OenuhUn
Kmoi! SiitiimuniJAuEUitivonMccklffiburi.
"^ Joichim Sledinf, hwnofl.
Ilinptminii im Barth.
■ 'I Clara von Sochien - Lanmburg
(t isie). Mutter der MulM Phillppi tl
!■) Killiarina von Braun Khvcig'
LQinrburi; (f UM), SchwcMer drr Oanililttl
DoElaUn XIII,
408
Otto Heinemann
I
Den Kafalog C können wir weilerhin ganz außer acbt
lassen, da er ja im wesentlichen mit B übereinstimmt Von den
sechszig Nummern in C fehlen in dem neu aufgefunderien Kata-
loge, den wir in der Folge als den äUesten kurz mit A be-
zeichnen wollen, nur C Nr. 1, 19, 20, 23'), 24 und 40.
Wenn wir B mit A vergleichen, so ergibt sich, daß bei
weitem die meisten Bilder in beiden Katalogen zu finden sind.
Von den in B verzeichneten fehlen in A die siebenundzwanzig
Bilder B Nr. I9, 3S-37, 41, 63, 69-74, 77, 87, 1l5, 116,
118-121, 123, 125, 129, T31, 132, 135,136. Andrerseits da-
gegen sind in B auch acht Büder von A nicht aufgeführt,
nämlich A Nr. 4. 58, 89, 91, 101,102,112,113, darunter auch
das Bild Kaiser Karls des Großen (Nr. 4), das in Philipps II.
Briefwechsel mit Heinrich von Ranizau erwähnt wird,*) und das
schon J. Mueller in B vermißte.^) Vermutlich befanden sich
diese acht im Jahre 1605 nicht mehr in der Sammlung; aus
welchem Onindc, steht dahin. ■
Wie die Reihenfolge der Bilder in B und C eine ver-
schiedene war, so stimmt auch die von A weder mit B noch
mit G Mithin Ist A ein selbständiges, zu einer anderen Zeit
als B und C angefertigtes Verzeichnis. Daß A älter ist als B,
läßt sich aus dem Fehlen der oben erwähnten sicbeninidzwanzig
Bitder schließen, die erst nach Autstellung von A in die Sammlung
gelangt sind. Wann aber ist die Aufnahme von A erfolgt? Den
terminus post quem ergibt der oben erwähnte Briefwechsel; es
ist das Jahr 1593.*) Schwieriger ist die Ermittlung des terminus
ante quem. Gab bei der Bestimmung dcL Abfassungszeit von B
die persische Oesandtschaft .in Kaiser Rudolf II. (1604) uns den
terminus posi quem, so dürfen wir ans dem Kehlen der Bilder
der persischen Gesandten (B 7 4 und 115) wohl folgern, daß A
früher als 1604 abgefaßt ist. Vielleicht ließe das Fehlen des
Bildes der Stiefmutter Philipps II., Anna von Holstein (B 132),
I
I
■) Nr, 10. » Ich!» auch In B, lind alto waM erat nach IM» in dir licnoiUdK
Samolunit Ectui|[l, Nr. ^0 ttvt letl (rag), oben S. *(■•, Ann), Q.
>) Dilm«n. Tonim BiblioUlCk It, S ^V2.
r) B»ll. Studien XX, i. S. i!f; XXVIII. S. IM. Ann. 171.
«; Auch hfintek «nt un 7. Okt i»3 Cl*n Muia van Pommtra (A III) tt»
Kerwz SiKiunun*) Augnil v«n M«ekl«nburs-Srti«trln.
:kL
I
I
I
I
Die Portr&tsammluiig Herzog Philipps II. von Pominern.
die Möglichkeit zu, daß A vor 1601 aufgestellt sei. Da jedoch
auch Bogislaw XIII. selbst und seine erste Qatlin, Clara vor Braun-
schweig (B 129 und 131) niclit vertreten sind, so kann man
einen sicheren Schluß nicht ziehen. Wir können also nur sagen,
daß A zwischen i593 und U04 entstanden sein muß.
Sehen wir den Kalalog A etwas näher an. Schon bei
einer oberflächiichen Betrachtung heben sich deutlich zwei
Gruppen heraus: Nr. 1 -63 und Nr. 64 - 79. Die erste Gruppe
umfaßt llberwiegend fürstliche Personen, darunter von An-
gehörigen des pommerschen Fürstenhauses nur Herzog Ernst
Ludwig, denen sich eine Anzahl höherer geistlicher und welt-
Udier Würdenträger, Staatsmänner, Feldherren, sowie auch
Christoph Colunibus, Amerigo Vespucd, Ferdinand Magellan und
Ferdinand Cortez zugesellen. Die zweite Qruppe umfaßt nur
Dichter, Gelehrte und Künstler. Beide Gruppen sind in steh
chronologisch geordnet.') Es folgt eine dritte Qruppe (Nr. 80 93),
die wieder im wesentlichen fürstliche Personen umfaßt, zu denen
nur Heinrich von Rantzau, Philipps II. Freund und Berater in
Kunstsachen, kommt Eine vierte Gruppe (Nr. 94- 102) bilden
ausschließlich Gelehrte, darunter auch die Reformatoren Martin
Luther und Philipp Melaiichthon. Im ersten Augenblicl(e könnte
man geneigt sein anzunehmen, daß bei der Aufstellung des
Verzeichnisses etwa nur die beiden ersten Gruppen vorhanden
gewesen, die dritte und vierte dagegen erst später daiu gekommen
seien. Dieser Annahme widerstreitet aber der niehrfacli erwähnte
Briefwechsel Philipps IL mit Heinrich von Ranizau. Nach diesem
sind dessen eigenes Bild und das des Sultans Selim II. (A 84, SS)
gleichzeitig mit dem des Johann und D.iniel von Rantzau (A J1
und 3S) am 16. November 1593 dem Herzoge übersandt,-) und
doch treffen wir diese in der ersten, jene in der dritten Gruppe.
In der ersten Orupiie finden wir auch die erst am 26. Dczcm-
ber 1593 dem Herzoge über^chickten Bilder Kaiser Karls des
Großen und Kaiser Friedrichs I. Barbarossa (A 4, 5). Auch an
eine Gruppierung nach der Nationalität der dargestellten Personen
I) Btl ä*t («eilen UM allcrdinKE Qultion« van Arrao |A7fti die chrDnolotitetw
folp Et 1(1 nchliscT vcir I'rtrtic] CA tt) clnxnrcibtn.
>1 Dilinen i. ■. O. S. i«t.
Afthi* fdi Kulturjcodiicltlc. II.
2«
I
würde höchstens für die zweite und vierte Gruppe gedacht
werden können, von denen jene nur Nichtdeutsche, diese nur
Deutsche enthäli In der ersten überwiegen zwar die Nicht-
deutschen, in der dritten die Deutschen, aber streng geschieden
sind sie nicht. Aus welchen Gründen also die dritte und vierte
Gruppe nicht in die erste und zweite eingereiht sind, ist nicht
recht ersichtlich.
Wir mtisscn also annehmen, daß die 102 ersten Bilder
im Besitze Philipps II. waren, als A angelegt wurde. Das wird
auch durch die Schrift bestätigt; denn bis Nr. 102 scheint das
Verzeichnis in einem Zuge geschrieben zu sein. Die folgenden
Nummern sind sieher später nachgetragen: ob alle gleichzeitig
oder je nach dem Eingange, rauli dahingestellt bleiben. Merk-
würdig ist, daß die vier letzten Eintragungen in deutscher f
Sprache erfolgt sind. Wie sich auch aus der NichtausfüUung
der letzten Nummer zu ergeben scheint, dürfen; wir wohl an-
nehmen, daß A zugleich eine Art Zugangsverzeichnis war, das
nach der Übersiedelung Philipps II. von Barth nach Stettin (1603)
durch B ersetzt wurde.
Auf die Bilder selbst näher einzugehen, eriäbrigt sich, da
die Ausführungen J. Muellers auch für diese Bilder im wcscnt*
liehen durchaus zutreffen.
Ist der Gewinn, den uns dieser neuaufgefundene Katalog
bringt, auch nicht erheblich, immerhin wird die Zahl der in der
herzoglichen Portrltsammlung vorhandenen bekannten Bilder
doch um sieben vermehrt, und so wird diesem kleinen Bausteine
zur Geschichte der Kunstsammlungen Philipps II. ein gewisser
Wert nicht abzusprechen sein.
I
Zur Geschichte der Zensur und des
Schriftwesens in Bayern.
Ein Beitrag zur Qeschichte der Aufklärung, nach archivalischen
Quellen bearbeitet.
Von FERDINAND LORENZ.
HI. Schwankende Zuständigkeitsverhältnisse in Zensursachen.
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Befugnisse
der Zensurbeamten durch die Eingriffe anderer Behörden ins
Schwanken kamen. Dies erinnert an eine noch in die Zeit Max IV.
Josephs reichende ganz aUgemeiite Erscheinung, worüber wir bei
Lerchenfcld die Angabe finden:») „Die gänzliche Verwirrung
der Begriffe über die Grenzen der Zuständigkeil der einzelner
Behörden, eine Folge der Auflösung der alten wohlgegtiedcrten
Reichsverfassung und der Entwicklung der immer mehr nach
Unabhängigkeit strebenden Macht der Reichsstände, welche ihren
Höhepunkt erst in der miöverstandeiien Machtvollkommenheit
(Souveränetät) im Sinne Ludwigs XIV. erreichte, welche leider
noch heute gar vielen als der Zustand der Legitimität einer wahr-
haften väterlichen Regierung im Sinne der götth'chen Anordnung
gilt. — hatte auch in Bayern tiefe Wurzeln geschlagen." Ja,
gerade weil Max Joseph der Kompetenzstreitigkeiten möde war.
wollte er nur einen Minister und nicht drei. So wurde Mont-
gelas der Nachfolger Kreitmayrs, der auch MMinisterissimus"
gewesen war. Im Grunde wurde erst durch das wichtige Gesetz
vom 28. Mai 1 850 Wandel geschaffen, welches Vorschriften ßber
') OcKbidiu
J«ttcph I. UM. S. <>.
26«
Ferditund Lorens.
die Entscheidung von Kompelenzkonflikten zwischen Gerichten
wie zwischen Gerichten und Vencalhingsbehörden gab. *)
Die Beziehung des Ministeriums des Auswärtigen zur Zensur
veranschaulich! schon ein Votum Oefeles:*) »Das Manuscript, so
den Tilel führt «Einleitung zur valerländischen Geschichte lör
die dritte Klasse der chiirbairischen Gymnasien" kann bis zu dem
Bogen 26 exclusive einstweilen gedruckt werden, da aber der
Autor die Geschichte bis auf die neuesten Revolutionen fortführt,
so gehört eigentlich die Untersuchung zu dem d6partement des
affaires etrang^res, und kann solches ein Privat-Censor nit auf
sich nehmen, zumal diese Einleitung ein lehr- und Normalbuch
vorstellen soll.«
Ausländer mußten sich durch die Gesandten an den Kur-
fürsten wenden. Lcrchenfeld empfahl so 1776 den Emigranten
Chevalier de Paoli, daß er den Mctxure universel in Stadtamhof
verfassen und drucken dürfe; derselbe hatte ein Zertifikat von
Mettemich vorgezeigt und von ihm ein Empfehlungsschreiben
an den Grafen von Seilern in München erhalten.
Mitunter wurde die Durchlassung persönlicher Anzüglich-
keiten von anderen Mächten verübelt So (ibersandle der Justiz-
minisler Hertling an das Kolleg ein Promemoria des preußischen
Geschäftsträgers Harnier wegen einer im Wochenblatt vom
11. Dezember 1796 vom Buchhändler Lindauer angezeigten
Schrift «Herrn von Bülows amtliclie Berichte über ilen h'riedens-
congreß zu Basel."') Im Interesse der guten Beziehungen beider
Höfe dürfe das nicht geschehen, Babo wies darauf hin, dtS
solche politische Broschüren häufig zirkulierten, in Regensburg*)
unter den Augen des Reichstags und sämtliclier Gesandtschaften,
I
>} Vogel. DaiSbihKchl da K^nlercitht Bitytm. Kreiburg und Tübingen I8«i, S. 31.
1^ Vom 14- Fehrwr li;6, M, K A, 7«;2S
■} M K A imjM: Slaat«-, Kirdirn- und tinivrtulhiiloric - Heinrich WTIhtliB
v»n BOlo«. iT(l lu Bninireüii Im BriunKhw. {rb., Ktmtncrl unker und RFelrtunemt,
1790-91 privitiilcrtni], dann ia Baie\ und nchlicUlicti in I'irii. «i> er 1748 auf DtMlT dM
DltrldDiium* Ycrhiftct wurde. Schiiib luliti xm^rintcc Schilft rint AMianiliiinü über Qr.
stlLtthlc und VcifiiiiunK de» HdchilaK« In 1 Teilen. (Itudoli
*i Dodi txluiiptctcti die OoandtKhilten dncn lUimcndcii CinflLßiuf dU Rediktlon
polilitclier ßliti«. .Et exiilieric zvir (ine bi»ondere Ceniitr ; ntlein venn irgtai eine
von jenen einwi ihr «n»löt)tBeii Aitlkfl land, w »uide nlrJil io»«ilil niK f!« I««««« d«-
lalh ROcktpiicbe ernnmnim. iDndcm, lener Crnniii uni^;ichlcl, dM '/ciauietvalavti, n(
eine oll pcrtbnllch hcicidlaende VcIk, lot du jeMniltichiftliclic Farnm eetorderl . ..•
Ktytm Annalen tl«, S. 301 Anm.
I
Zur Oeschichte der Zensur und de Schriftwcsois in Bayern.
und auch gekauft würden. In einzelnen Punkten führte er die
RechtEertigung weifer aus. Eine Beleidigung des Königs sei ihm
nicht erinnerlich, manches sei trotz seiner Verächtlichkeit nicht
ohne weiteres zu verhindern. Ein Verbotsantrag hätte bewiesen,
■ daß jene Stellen ein größeres Gewicht und einen stärkeren Ein-
druck bei mir gemacht haben müßten, als man sonst solchen
Gegensländen, die an sich schon verachtungswDrdig sind, zuzu-
gestehen pflegt." Harnier scheine den Geist der Zensuranstalt
nicht zu kennen, Verkaufslizenz sei nicht mit Beifall und Aulo-
risierung identisch, ein Einfluß auf das freundschaftliche Einver-
nehmen der Höfe sei un ersichtlich. Ungezählte Broschüren
dürften in den preußischen Staaten verkauft werden, die als den
kurfürstlichen Hof beleidigend erachtet werden.
Auf diese Weise "lollte der mit der Zensur der Schrift
betraut gewesene und nun vom Direktorium zur Erklärung auf-
geforderte Babo einen Bericht ad Intimum formuliert haben, zu-
gleich mit der Anregung, «wie äußerst heikel das Censurgeschäft
werden würde, wenn es nun vollends auch noch in politisch-
diplomatische Verwicklung kommen sollte."
Es erging nun ein Promemona an Hamter zurück, falls
er nicht beruhigt sei, wolle man die vorhandenen Exemplare
obsignieren und dem Herrn Geschäftsträger gegen beliebigen
Ersatz an die Buchhiändler zustellen lassen.
So unempfindlich, wie Babo es darstellt, war man in Mönchen
aber doch nicht. Am 7. Dezember 1794 erhielt der preußische
Geschäftsträger von Schultz die Nachricht von einem Erlaß des
Preußenkönigs, welcher dem Buchhändler Lübeck in ßaireutb
und der Grauischen Buchhandlung zu Hof den Verkauf der
Schrift uGallerie churpfatzbaierischer Staatsdiener und -beamten"
untersagte.^) Im September 1798 fährte das Kollegium bei der
kurf. sächsischen Regierung zu Dresden Klage wegen der dem
Zensurrat Klein vom Leipziger Literarischen Anzeiger zugefügten
Beleidigung.
Solche Reibungen hatte die Zensur anscheinend von jeher
Buszuhaltcn. Schon t TS8 hatte Lerchenfeld von Regensburg an
■) M. K. A. 7S4II: In Fr«nUart t. M. nutgeftriip von Hardenbers «n 2t. Ok-
tober 1794.
den Kurfürst geschrieben,') daß der holländische Gesandle von
Qatlieris von der boshaften Schilderung des holländischen Nalioiul-
charakters im Münchener Intelligenzblatt äußerst befremdet sei.
Und unmittelbar vorher war ein Verbot der nAusbreitung aus-
ländischer spötisch und ehren rührerischer Zeitungen und Jour-
nale" ergangen.
Montgelas aber wies den Einspruch fremder FOrsten in
Zersurangclegenheiten tunlich zurück. Er teÜIe der Kommission
die dem Kurfürst Clemens Wenzesiaus von Trier überschickte
geharnischte Antwort mit, als dieser den Münchner Professor Salat
wegen einer Schrift «Auch die Aufklärung hat ihre Gefahren'
zur Veranlxportung ziehen wollte.') Die Kommissionseriaubnis
sei bindend. Nur die bekannten Augsburger Tlieologen nähmen
Anstoß, und es sei ein Qcistcsdcspotismus zu befürchten, «wenn
Obere von der Art, wie diejenigen sind, vfelche in Augsburg
das geistliche Wesen leiten, nach ihren beschränkten subjektiven
Talenten und Einsichten oder gar nach noch unreineren Neben-
absichten über Wahrheit und Irrtümer absprechen dürften."
Die Zustand igkeitef rage wurde wiedemm aufgerollt durch
die Requisition der fürslenbergischen Regierung zu Donau-
cschingen wegen Vernehmung des Rektors Weüler ober eine an-
gebliche Injunenschrift.') Das auswärtige Ministerialdepartemenl
bahnte die Unterhandlung an und setzte sich dann mit dem
geistlichen in Verbindung. Über einen andern Fall im Jahre 1805
äußerte sich Montgelas: «Die erste Einleitung in [der] Unter-
suchung wurde auf Anzeige des Qeneralschuldirektoriums bei der
unterzeichneten Behörde behandelt, thcils weil die genannte
Schrift bei der Köhlcrschen Buchhandlung in Ulm aufgelegt
worden war, thtils wegen Beziehungen zum Ausland..."
Daß nicht immer Klarheit herrschte und auch nach Be-
seitigung der Kommission ein fester Weg nicht abgesteckt war,
beweist eine Zuschrift Hertlings,*) worin das auswärtige Departe-
') M. K A. 7*j/ft»: Mütielioi«, in- und ■iiilindl»chc Zdtnnim nnd IfttclUieni-
hUHer, dtrni Zcntur und Diuckgttutlune bclr.
t M. K. A. 7J>/1.
*i M. K. A. 741/20 Dk von ttem hlctlioi Lycolrcktor uud t^roteuor Tdllcr fär
tei Fänltn1»rsl«hen Holmt Baltl« verlaDtc OracWctiritt bclr. IB03.
') M. K. A. J*»/«; Vom 10, Sept. IMl. IVoI. StUt betr.
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern, 415
menl zugibt, aus Versehen gegen einen Professor verfahren zu
haben, und daß die Angelegenheit, «sie mag als Justiz-, Polizei-
oder Disciplinarsache betrachtet werden, unter keiner Beziehung
zu dem diesseitigen Departement sich femer eignet"
Es wurden mitunler Versuche gemacht, durch direkte An-
frage und Einsendung beim geistlichen Departement das strenge
Verfahren der Kommission zu umgehen und günstigeren Be-
scheid zu erwirken. Darum warnte Westenrieder, dem Drängen
des Landesarchivars Visinger in Amberg, der eine weitläufige,
reicht}esetzte Leihbibliothek errichten wollte, nachzugeber], i)
Die Behandlung, welche die Presse den Rastadter Ver-
handlungen zuteil werden ließ, besonders dem Ereignis, das in
so jäher Weise den Abschluß begleitete, veranlaßte eine neue
lebhafte Erörterung ihrer Befugnisse. Wie der Rastadler Bericht
in der Neuesten Weltkunde, der späteren Allgemeinen Zeitung,
den Österreichischen Gesandten in Stut^art zum Einspruch be-
stimmte,*) wurde noch im gleichen Jahre nach den reichstäg-
liehen Abstimmungen über das kaiserliche Hofdekret anläßlich
der Ermordung des französi seilen Gesandten von Bamberg auf
eine schärfere Zensur mehrerer öffentlicher Blätter und strengere
Aufsicht über anonyme Schriften angetragen.') Ebenso bezeigten
Augsburg und Fürstenberg ihren besonderen Unwillen i'iber die
bei den Rastadter Vorfällen gezeitigten Mißbräuche der Preß-
freiheit und äußerten dert Wunsch, der Kaiser möchte dieses
Unwesen beschränken. Vorbildlich war ihnen Paul I., welcher
die Biichdruckereien beaufsichtigte und die Hafenzensur einführte.
Daß auch nach München die Erregung gelragen wurde, geht
ausfolgendem Schreiben Montgelas' vom 1. März 1800 hervor:*)
wln der Piece «-über den Sinn für historische Wahrheit
und über einen Aufsatz in dem historischen Journal des Herrn
Kriegsraths Qentz, die Ermordung des französischen Gesandten
betrcKend, Gotha beij. Perthes 1799"" finde ich nichls, was der
1 M. K. A. 7M/10: Ldh- und LeMblbliathekm,
■) Ed. Htycli. Die Allgemein« ZdtunE WM-IIM, Btitnlsc Euc Qodiicbtir da
dcuUchai Presse, Mfinclicn 1S9I. S. ift
t Ein Wink la DrntKhlinili RcemUn Qbcr die KbUltchcn Minbriuchc da
dcitbchcn Prtfllidhdt 1» Bttot 'u' «Icn SImI und dcucn Veriuning mit Zutüctvdiung
auf dit hlrrütMT txuchcndm LlUiai und nnirrei Rdchig«irtn. Onrnanitn DOC.
*i M. K. A. J«/M: SlaiB., Kiwhfn- und Univmdhltlörlr,
4t6
Ferdinand Lorenz.
K. K. Qesandlschaft zu einer gegrürdetcn Klage w^en dem Ver-
kauf dieses Buches Anlaß geben Icönnle; es müßte ihr denn viel-
leicht der Säte auffallen, daß solange nicht erwiesen ist, daß die
Gesandten Mörder keine Szeklerhusaren waren, das Publicum
immer glauben muß, da,0 sie es gewesen sind — eine Wahrheit (!)
welche man aber auch ohne dies Buch gelesen zu hal>cn von
selbst aus dem Munde des Publicum? hören wird. Übrigem
wäre sehr zu wünschen, daß dergleichen Picccn, von welchen
man erwarten kann, daß sie irgend einer Gesandtschaft anstößig
sein könnten, nicht in den Buchläden an den Fenstern oder
Thüren aufgehängt würden; so könnte vielleicht manches vor-
treffliche Buch wegen einiger vermeintlichen Anzüglichkeiten ver- fl
boten werden und den Buchhändlern dadurch selbst Schaden
zuwachsen."
Durch solche Vorkommnisse wird es erklärlich, warum die
am 6. September 1799 angeordnete und am t3. Juni 1803 auf*
gehobene Zensur för Schriften politischen Inhalts am 1 7. Feb-
ruar 1806 wiederum eingeführt wurde. Theodor Qacln hat in
seiner Besprechung bayrischer Verhältnisse die Rücksicht auf
fremde Staaten als Beweggrund angesehen. Franz von Spaun ')
nennt den Mächtigen, unter dessen Auspizien die neue Verord-
nung durchging; es war Napoleon.
In den Zensurakten begegnet Napoleons Name mefarmalfi.
Die Kommission war ängstlich bemüht, Venmgl Impfungen zu
vertuschen, Das 25. Stück der Münchner Oberdeutschen Staats-
zeitung vom 10. Februar ISOO räsonierte:*) «Der Oberkonsul
Buonaparte hatte in der ersten Proklamation, die ihm den Weg
2U der Oberherrschaft bahnen sollte, sogleich den äußeren und
inneren Frieden versprochen. Allein kaum war der Schritt
gethan und glücklich ausgeführt, so sprachen alle Proklamationen
der Konsuln, der Minister und Generale von nichts als Krieg.
Zwar wurde dem Worte Krieg, weil es bei dem Publicum ge-
hässig und unerträglich ist sorgfaltig ausgewichen, aber dagegen
wie schon von dem Directorio die Definition
I
I) PdilfMha TMUmoii, s. M, in, im-
^ M. K. A. ntpS: Itlttorltctia Fub.
Tfi uDd puiitn.
m desselben und d
Zur Geschichte der Zensur und des Schriflwesens in Bayern. 417
zwar des angreifendsten aller Kriege an Piatz gesetzt, auch der-
«Ibc nur von seiner erwünschten Seile dargestellt. . ."
Aber nicht jeder sah mit dem Landshutcr Prokurator
Seb. Meidinger in Napoleon nur den avanturier. Die FluR-
schriften umschkierten die Herkunft des ..Helden Bonaparte".
Da war sein Vater ein Marquis und Befehlshaber in Korsika und
seine Mutter eine korsikanische Schauspielerin und Tänzerin.
-Kinder der Liebe sind große Genies!" Dann finden wir ein
Schreiben »in betreff der mit dem Inlelligenzblatte im Lande
herum wandernder Hetdenthaten von Bonaparte." Da klagt der
Korse Salicetli dem jungen Napoleon über die königliche Tyrannis.
Das i/bairische Vaterunser" aus jener Zeit betete: Ich glaube an
Kaiser Napoleon . . . Max Joseph den Sohn unseres Herrn . . .
geboren aus dem achtzehnten Jahrhundert! Überschwänglich zeigt
sich ein Bürgermeister und Bürgerkoinniandant in dem dramati-
sierten ..Bairischen BflrgerfesI des Jahres 1806, gefeiert den
14. Jänner," indem er Napoleons Bild auf einer Dose küßt: Einziger!
Sieger bei Austerlitz! Vater des Jahres 18061 Und da dem, den
Hegel die Wellseele nannte, seine Schöpfung unter den Händen
zerronnen, schrieb Lerchenfeld') von dem neuen Prometheus, den
nian an Helenas Felsen schmiedete. Schon 18IJ hatte es Platen
zum Bekenntnis gedrängl: »Wenn die Welt und das Schicksal
gegen einen großen Mann verschworen sind, wer anders muß
noch seine Partei ergreifen als der Dichter? Der Kaiser, von
den Seinen verlassen, darf nun im Unglück, was er im Glück
nicht gedurft, auf unsere Neigung Anspruch machen.«
Ob man nun vom Eroberer sprechen will, dem auf dem
Schlachtfeld das rein Menschliche sich entfremdele, oder mit
Johannes von Müller in dem Soldatenkaiscr den Olückbringer
des Friedens ahnen mag, um dann den machlberaubten Helden
sich ergreifend vorzustellen, wie er verzweifelt vom hohen Felsen
in die tosende Brandung stiert — die bayrische Aufklänings-
geschichle wird ihm ein eigenes Kapitel zu widmen haben, zu-
mal es im Geistesleben nicht nur aufs Urbild ankommt, sondern
auch auf seine Spiegelung, nicht nur auf die Farben eines Bildes,
a. O. i. H.
sondern auf deren Verlcbcndigung in der Seele des sinnenden
Beschauers.
Die Art, wie wir die drei einschlägigen Verordnungen oben
in Beziehung setzten, Irägt der Auffassung Spauns Rechnung,
wonach drei Jahre keine Zensur politischer Schriften ausgeübt
wurde. Der Wortlaut der Verordnung von 1806 und einer
vorhergehenden vom 6. November 1804 läßt allerdings durch-
blicken, daß die Regierung ihre Preiniüligkeil bereute. Es wird
so dargestellt, als ob die Verordnung von 1799 durch die
spätere von 1803 nicht außer Wirkung gesetzt worden wäre.
Und doch macht die letztere »bei politischen und statistischen
Schriften keine bestimmte Einschränkung" und hält nur die Staats-
diener, die dienstliche Erfahrungen verarbeiten, an, die könig-
liche Erlaubnis zu erbitten. Die von Spaun mitgclcille Bezeich-
nung als Napoleonisches Diktat wirft auf die Verordnung vom
17. Februar 1806 ein eigentümliches Licht. Die Ermordung
Palms Sllt in diese Zeit. Es ist erklärlich, daß bei dieser Ver-
anlassung die deutsche Presse in noch engere Bande gelegt
wurde. Die Wiedererweckung der Zeitungszensur cischeint so
als eine MaJlnahme des Gehorsams gegen den Allmächtigen und
die Abfassung wie eine Entschuldigung des VernachUssiglen. Die
Autoren mußten mittelst Vorlegung des Planes die Genehmigung
zur Herausgabe erwirken. Die Polizei hat sich ungerechterweise
auch noch nach 1818 daran gehalten, wo eine Abändemng des
Ediktes vom 13. Juni 1803 erfolgte.
Nach Spauns Darlegungen vertraute dieses der Polizei-
Obrigkeil die Aufsicht, den Gerichten die Bestrafung der durch
Schriften begangenen ..Verbrechen" an. Dabei ist zu beachten,
daß damals der Unterschied von Verbrechen, Vergehen und Über-
tretung noch nicht geklärt war. Die Polizei durfte nur die in
die Gewerbssphäre des Bücherabsatzes einschlagenden Über-
tretungen bestrafen, illegale Angriffe auf eine physische oder
moralische Person sollte sie anzeigen. Der polizeilichen Willkür
aber wurde ein Feld geschaffen durch die zwischen stell ige Wei-
sung des Artikels 8, auch gegen solche Schriften vorzugehen.
in welchen sie zwar kein gesetzliches Verbrechen gefunden habe,
welche sie aber in ROcksicht auf MoralitSI oder physisches Wohl
Zur Oeschidite der Zensur und des Schriftweens in Bayern. 4| 9
der Staatsbürger fDr schädlich halte. Spauns Klage, daß die
Polizei häufig sütt Beschlagnahme und von gerichtlicher Ent-
scheidung abhängig zu machenden Verfahrens sofort Konfiskation
habe eintreten lassen, gewinnt an Olaubüchkeit durch die damals
noch nicht vorgeschriebene, erst in der Verfassungsurkunde ver-
ordnete öffentliche Bekanntgabe der Entscheid ungsgrtinde, eine
Errungenschaft auf dem Weg, der am 26. November 1827 zur
unbeschränkten Lehr- und Lesefreiheit führte.
Das Edikt vom 26. Mai 1828 ließ zwar der Polizei auch
Strafgewalt, aber bei der inzwischen erfolgten Trennung von
Justiz und Verwaltung wurde sie mit letzterer in Verbindung
gesetzt, und zudem war eine Berufung an den Staatsrat möglich.
Was bei der Verordnung von 1 806 Spaun besonders he-
mängellCj war das s(ercot>'pe Zensurrezept, nichb gegen Staat,
Kirche und Sitten, gegen gekrönte Häupter und deren Regierung
passieren zu lassen. Dann bildete sich das sonderbare Verfahren
heraus, trotz erteiltem Imprimalvir nicht den Zensor, sondern den
Redakteur bei nachträglichen Beschwerden zu belangen. Diese
hätten im Falle der Weigerung ihr Privilegium gefährdet Die
Preßiegislation schwieg über die Strafbarkeit der Zensoren, «die
doch umso größer, da mit ihrer Vergehung zugleich eine Ober-
tretung der Amtspflicht verbunden ist" Die wahre Lage wird
schon durch ein Votum des Zensurrales Schiber gekennzeichnet:')
Die Zensur hat keine Verantwortung notwendig!
Dali die Polizei mitunter auch zu tatkräftigerer Exekution
und periodischen Visitationen angehalten wurde, ist dem Vorher-
gehenden nicht widersprechend.') Und daß die Kommission
ihre Befugnisse achtele, beweist ein Schreiben, worin sie sich
das Recht erbittet, von Druckschriften, Traumbüchern Exemplare
erheben zu dürfen. Das immerhin gemißigle Verhalten der
Kommission bewog nach ihrer Beseitigung Spaun zu dem Aus-
spruch: «Übrigens möchte es erat darauf ankommen, ob eine
Censur-Commission, wie die 1*99 in Bayern errichtete, welcher,
nach dem Eingang des Preßgesetzes von 1803, ein bescheidenes
und liberales Verfahren zur Pflicht gemacht war, nicht wirklich
•) M. K K. t9ifli.
«) M. K- X, miMC -hen ««T-llOS.
Ferdinand Lorenz.
liberaler und bescheidener sein möchte, als ein dermalijjer polizd-
Ucher Censor.« Zu alledem mag- gewürdigt werden, vras für
Erwägungen Ansclm Feuerbach noch 1822 anstellte, da über
eine Polizeistrafgesetzgebung nachgesonnen wurde, daß .von
jeher das eigentümliche Wesen der Polizei, wenigstens einer
guten Polizei, gerade darin gesetzt wurde - Strafen zu ver-
holen . . ."
Zu den Instanzen, mit denen sich die Zensuxbehörde ge-
schäftlich auseinanderzusetzen hatte, gehörten die 1779 zur Ent-
lastung des Hofrats errichtete Oberlandesrcgierung, die ober-
pfälzische t^ndesregierung. und nach der durchgreifenden Reform
der obersten Landeskollegien vom 23. April 1799 die Landcs-
direktionen.')
Hertting übersandte dem Kollegium eine Schrift Krenners")
über Lind-, Hofmarks- und Dorfgerichtc in Bayern mit einer
Erinnerung der Oberiandesregierung, wohin dieser Oegenstand
vorzüglich einschlage. Westenrieder antwortete spit;, wenn sich
der Autor um das Imprimatur diesorts melde, werde man ordnungs-
gemäß verfahren.
In einem Bericht an den Kurf örstcn ''') nahmen Vizepräsident,
Vizekanzler und Räte der Oberiandesregierung Stellung zu einem
Reskript, das ihnen die Kloster- und Sladtgcschichtc Donauwörths
vom Pater Stocker mit dem Auftrag übermittelt hatte, dieses
Werk in politischer Hinsicht ebenfalls förderlich zu prüfen. Die
Antwort führte aus, daß eine Zensur von Regicrungs wegen nicht
nötig gewesen sei. Da der Kurfürst das Werk nicht unter seiner
Autorität drucken lassen wolle und ein Privatschriftsteller dessen
Gerechtsame nicht beeinflussen könne, sei eine Prüfung über-
flüssig. (.Wenn es aber bei dieser von Regierungs wegen ver-
fugten Censur die Meinung hätte, daß darin keine andern Sätze
enthalten sein sollten, als welche von Seite Eurer ChurfQrstlicheo
Durclilaiicht selbst als richtig angenommen werden, oder daß
Höchstdiesel ben auch allem demjenigen, was darin enthalten ist,
beitreten, so wäre es besser die Schnft ganz zu unterdrücken als
I
I
I
') Kxx Scidrl, B4ycnMho SuaiitccM I, «:, m. »4. (Freiburi I. B. lUf J
*i 4. SepL UM. M. K A. 'Klli. HütoriKbn Fach.
■) IT. Okl, UM. M- K. A. 7J«/I.
Zur Cechichte der Zensur und dts Schriftwesens in Bayent. 42 1
durch deren Beförderung zum Druck irgend eine Gelegenheit
zum Mißbrauch zu geben, wofür weder ein Coliegium noch ein
Referml verantwortlich sein könnte. Aus diesen Oninden sind
wir daher der unterihänigsten Meinung, daß die Schrift ohne Er-
wähnung einer vorhergegangenen Regierungscensur als eine bloße
Privatschrift unbedenklich gedruckt u-erden könnte . . ."
So geschah es. Der viel erörterte Begriff eines Privat-
schriflsteilers soll unten zusammenhängend g<;geben werden.
Eine Mitteilung des Kollegs an die Oberlandesrcgicrung't
beanstandete magistratische Einmischung. »Dbrigenä weiß die
churf. Oberlandesregierung von selbst gefällig zu emiiessen, daß
der Gegenständ der Bücher Censur und Aufsicht keine der
ordinairen Instanzen oder Polizeisachen, sondern eitie in die
höhere Staatsadinjnislration unmittelbar einschlagende Sache sei,
bei welcher die Magistraturen mehr verderben als gut machen,
und es auch gegen alle bisherige Observanz laufen wfirde. indem
das Vorschreiben des Magistrats zu Landshul wegen Einmischung
des hiesigen Magistrats elc. ausdrücldicli falsch, auch dem hiesigen
Magistrat ebenso wenig bisher eingefatlien, so etwas zu verlangen,
als solches bei dem vielfach nötigen schnellen Vorkehren mög-
lich wäre."
Diese Auffassung wurde indes dem Kolleg durch einen ab-
schriftlich mitgeteilten Erlaß an die Oberlandesregierung') ver-
wiesen, der Visitationsangelegenheiten als offenbaren Polizei-
gegensland erklärte und zum Benehmen mit der den Magistraten
nahestehenden Oberlandesregienmg verpflichtete. Es wurde ent-
schieden, daß der Landshuter Magistrat »bei den ihm unter-
gebenen Bürgern, Buchbindern und Buchhändlern eine Unter-
suchung in den bürgerlichen Häusern privative und von erster
Instanz vorzunehmen befugt sei, sofort auch der churf. Regierung
von Ober Polizey Direktionswegen zustehe, bei Eintritt offenbarer
Saumseligkeit dra Magistrats, dann sich ergebender Eile oder
andern besonderen Umständen dergleichen Büdiervisilationen
jedoch mit Beiziehuiig eines mündlich vorzurufenden vertrauten
Magistratsgliedes selbst zu veranstalten . . . wodurch sich von
1} ». April tr9i. M. K-A. n&l?: BathenpolltioaM bei dm Huiptnuuiimiem beb.
^ ID. Mii \nt.
selbst ergiebt, wem bei vorkommenden Straffällen die Judicatur
gebühre, "
Das Kolleg bemerkte darauf, es hab« die Ahndung nidit
verdient, es habe nach der Verordnung vom 4. Oktober 179t gt-
handelt Das Benehmen mit der Oberlardesregierung sei zu
weitläufig und würde die Obsorge vereiteln, ohne Aufsehen
schädliche Bücher ni unterdrücken. Vollends unwillig aber ver-
wies es dem Vizepräsidenten Reichsfreiherm von Weichs die
förmliche Approbation von Büchern, wodurch sich das Zeitung^-
kontor für ermächtigt gehalten habe.
Tatsächlich war der Stadtmagisirat München schon frQher
bei Visitationen zugezogen, ^) hatte sogar eine hoheitsvollc Miene
aufgesetzt und dem Kolleg, ,.wetches unseres Wissens nicht ein-
mal mit einer jurisdiclion begab! ist," ein Rechl dazu bestritten.
Die Zustand ig keitsf rage wurde in den achtziger Jahren mehrfach
erörtert. Der Magistrat wurde aufgefordert,*) seinem Anerbieten
gemäß Vorschläge zur höchsten Stelle zu übergeben, wie man
die Jurisdiktionsbefugnis des Hofoberrichlers und des Stadtober-
richters abgrenzen könne. Der Buchhändler Strobel wurde wegen
Zcnsurvermeidung zur VeranNt-ortung gezogen und belehrt,
«daß gleichwie er für keine gtfrcyte Person sondern nur für
einen Bürger und Buchhändler zu achten seye, derselbe dem
Magistrat als seiner Obrigkeit allen schuldigen Gehorsam und
Respcct zu bezeigen habe,"*) Ein paar Jahre später bezeich-
nete es ein Reskript') als irrigen Grundsatz, daß kein Bürger
ohne Zuziehung eines Magistratsgliedes vorgerufen und ver-
nommen werden könne. Solche widerrechtliche Anmaßung Über-
triebener magistraiischer Freiheiten widerspreche den ersten Be-
griffen einer guten Staatsverfassung. Die Liebe und Sorge des
Regenten gebe den Bürgern mehr Sicherheit 1792 wurden
zwei Räte, die die städtische Verfassung kannten, mit einer Unter-
suchung beauftragt. Der Magistrat solle alle Privilegien mitteilen,
woraus er in Polizei-, Komraerzial-, Justiz-, Kameral- und anderen
•} M. K. A. 7»tliy
*} MQndincr Sndtardiiv, Rjii»proloko]le ii8t. II.
•) De»tl. iJ«, 1.
■) tu. Datmbv 17||.
Zur Qesdiichie der Zensur und des Schriflwesens in Bayern. 423
Gegenständen das jus de non appellando ableiten wolle. Jedenfalls
solle er sich den Irrtum benehmen, daß die slädti&chen Privi-
legien mit den standischen Qeneralfrei heilen etvas gemein haben
könnten. Max IV. Joseph wandte sich gegen die Appellations-
privilegien in dem Mandat vom IS. Juli 17 99. Doch wollte
sich Monlgelas noch 1801 herbeilassen, in einem Verfahrengegen
Strobel auf dessen Behauptung, daß der Magistrat als seine gesetz-
mäßige Obrigkeit ihn allein untersuchen und richten könne, ein
Magistralsglied beizuziehen. Nur die Weitläufigkeit des Magistrats,
der ei^t schriftliche Präliminarien wollte, brachte ihn davon ab.
Die Arabeigische Landesregierung kümmerte sich ebenfalls
um die Zensurbeh^rde wenig. Sie fand es auffallend, ') daß das
Kollegium der zu einem von höchster Slelle allein abhängigen
Landeskolleg konsohdierten Landesregierung Befehle erteile. Bine
Verordnung brachte dann die Aufklärung: .Die Gründe des
unlerthänigslen Berichts vom 1. vorigen Monats August, womit
das churfürstliche Bücher Ccnsur Collcgium seine anmaßliche
Art, die Regierungen Neiiburg und Ambcrg mit Befehlen wie
untergeordnete Stellen zu behandeln, rechtfertigen will, sind
keineswegs befriedigend. Gedachten Regierungen kommet im
Grund die Befugnis der Censur in ihrem Bezirk von Selbsten
zu.' Nur der Einförmigkeit halber sei dem Kolleg die Zensur
auch in jenen Bezirken öbertragen, es habe aber nur in gewöhn-
lichen Schreiben mit den Regierungen zu verhandeln.
Unter den neuen Verhältnissen, wie sie durch Max IV. Joseph
herbeigeführt wurden, gab die oberpfälzischc Landesdirekiion zu
ernstlicher Unzufriedenheit Anlaß, Ein Beweis daför ist die
Verordnung vom 20. Januar I 800:^ ™Wir erwarten am wenigsten
von Unseren Stellen, daß selbe, nachdem sie Eine Lesebibliothek
für überflüssig ansehen, auch selbst noch mehrere neue zu er-
wecken beflissen sein sollten, woraus wir allerdings leidenschaft-
liche Absiditen zu vermuten widerwillig gezwungen wären . . .■
Unterm 23. April 1799 wurde die Generallandes>
direktion errichtet und bestand bis zum iS. August iS03 unter
■> M K. A. £>«;) : Ditfntriitn mi( dmi IJiuplunsurkolIqi betr.
^ M. K. A. T8I/10; Ulli, und Lcwbiblloltiekni.
Ferdinand toraiz.
diesem Namen fort') Weslenrieder tadelte sie in eineni Bendht
ans Ministerialdcpartenient. ') Sie hatte eine Dniclcerlaiibnts erteilt
Jener besorgte, daß wdiescr Schritt zuversichtlich nur der Antane
vieler anderer dieser Art sein und dabei die Bücher Ccnsnr
Spectal CommisäJon oder vielmehr das Hohe geheime MinisterUI>
departement in geistlichen Dingen in der Folge gänzlich auf die
Seite gesetzt werden und dadurch manche widitige Unordnung
entstehen dürfte . , ,"
Ahnlich klagte Weslenrieder wegen der einem Ingolstikäler
zur Errichtung eines Wochenblattes erteilten Bewilligung und bat
.um eine höchste Weisung, wie sich, falls mehrere solche mit
Umgehung des geheimen Ministerialdepartemente gefertige Be-
willigungen erfolgen sollten, von Seite der BOcher Censur Special
Commission benommen werden soll." Eine Erwiderung hierauf
ist nicht 2u finden. Doch wurde in der erwähnten fürsten-
bergischen Angelegenheit gegen Weiiler die Oenerallandesdirektion
mit der Einleitung eines rechtlichen Verfahrens betraut Das
deutet auf ein genähertes Verhältnis zur Zensur Das Oeneral-
schuldtrektorium und die Spezialkommis^ion in Klostersachcn,
die erslereiii wiederum vorwarf, sich nicht vtrrtrauensvoli ihren
Aufklärungsbestrebungen angeschlossen zu haben, unterhandelten
mit der Ocncrallandcsdirclclion, wo es die Aufspürung bildungs-
feindlicher Schriften galt.*] Und daß die von fortschrittlich ge-
sinnten Schulinspektoren bedienten Landgerichte dieses Streben
der neuen Regierung talkräftig unterstützten, konnte bilHg der
Zensurkonimission kein Anstoß sein und erlangte nach ihrer
Auflösung größere Bedeutung.
An lächerliche Spionage gemahnt es, wenn der Hofober-
richter meldete, daß sich in dem Trühel eines Delinquenten die
•.gefährlichen und ungangbaren" Reden an den Esel von Lorenz
Sterne gefunden hätten.
Nicht erfreulich ist die Mitteilung Morawilzkys:*) -Dem
verehrlichen kurfürstlichen geheimen Ministerialdepartement der
auswärtigen Angelegenheiten Ist übrigens selbst bekannt, wie
liSKfOä ». ■. a 1, «♦— IT.
•) M. K A. »M/1-
■) M. K A. m/i: Qdchitc Sidim iTöT-in«.
>) M. K- A. 7«l/2«: Prof. SalBt betr.
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern.
wenig der Geist der Jiistizstellen, insbesondere des hiesigen Hof-
^richts den humanen Regierungsanslalten günstig sei, und wie
oft sich die Staatsgewalt schon gezwungen gesehen, den Aus-
artungen Schranken zu setzen."
Dabei ist zu beachten, daß es nach der Verordnung vom
5. November 1802^) der Hofrat in München war, der die Be-
zeichnung Hofgerichl führte und der obersten Justizstclle, dem
Revisorium, direkt unterstand.
Wenn man dazu rechnet, daß die städtischen Magistrate
immer wieder opponierten, wenn es die Durchführung einer
neuen Verordnirng galt,') kann man die Schwierigkeiten ermessen,
die das Aufkläningsstreben zu beslehen hatte.
Die früher besprochene Schrift Osterwaids «Vereinund von
Lochstein* zeigte, daß noch ein anderes schon in den ersten
Stadien des Kollegiums in den Zensurbetrieb hineinspielle, um
erst durch den Widerspruch der Regierung Max IV. Josephs
seinen Einfluß zu verlieren: das Kanonische Rechl.') Ganz
im Anfang war der Einfluß noch gering. Bei geistlichen Schriften
war zwar die ȟbliche Lizenz" der geistlichen Oberen nachzu-
suchen und der Autor hatte sich darüber auszuweisen. Das
Zensurkolleg war aber dadurch in seiner Entscheidung nicht ge-
bunden. Erst das Mandat vom 2. September I 780 verfügte, daü
bei Schriften, „welche das Glaubens- und Rcligionsgeschäft für-
nehmlich berühren, der mehreren Behutsamkeit willen mit ein so
anderen Ordinariat die vertrauliche Communication gepflogen"
werden solle. Das Kolleg verwahrte sich jedoch hiergegen.*)
Der Prior bei St. Emmeran Roman Zirngiebl sandte I78T
einen historischen Katalog der Äbtissinnen zu Obermünster mit
dem Bemerken ein,'} daß das Regensburgcr Konsistorium seit
einiger Zeit das Zensurrecht nicht nur in thcologicis, sondern
4 8«rdd •. ■. O. I. US.
Q QcKhlchtc da Straubingcr Autrahn und seiner Qvdlen, itO£.
*k FrQhzdtiKC' Auuchidlvngcn da gtistlichcn Recht) im allgciDcInen vurdcn dwlurch
vcrbttet, d>B tdnt Lehn bis ivf t'^rdlnind Mirii der juritlitrhen Fakiiltit lugcteilt ge-
raoi wii. Jmrr Kurfär«! übennic dl« Lehre der Iheäl-o^tschen Paliuhil utid le|;Ie tip itTi
riifM In die Kinde der fcsuilrn. Sa blieb ci aurh. noch unter Mi< Ul. Joseph. SdtM
Icknull hat bei icinet (TuJUrtigen Oreanistllon der iariiHschcn Kilulllt du EclMlidit
Recht rieht juiückerobrrl. — Lipovtky, QcKh. d. Schulen, nach Mnlcm, S. 1S6-7.
') Scydd 1. a. 0. l. i3. Anm. 1.
•) M. K. A. m^}.
Archiv Ifii KutturKcKhidite. II. 27
436
Ferdfnind Lortnz.
atich in philosophicts fordere und virlclicti ausübe. Auf die An-
frage, ob er auch Icritisch-historische und durchaus weltliche
SachtTi der Konsistonalzensur zu unterstellen habe, wurde ihm
der kurfürstliche Befehl, bei dem Ordinariat keine Zensur zu er-
holen und sich mit beifolgendem Ausweis zu rechtfertigen.
Nach der Stimmung einzelner Mitglieder war das Kolleg
nicht abgeneigt, den Ordinariaten einen Anteil zu be^^'iIligcn.
Da war der im Ruf eines geschickten Reclitsgelehrten stehende,
sonst aber finsterblickende Franz Og. von Dittcrich. Er »ar
20 Jahre Lehrer des geistlichen Staatsrechts in Sh^aßburg, wo
Kardinal Rohan dasselbe noch einmal neu belebte. I 790 flüchtete
er nach München, wurde im Reichsvikariat nobilitiert und Bücher-
zensurrat, um, nach Baaders Worten^ ein System zu begünstigen,
das Bayerns Ruf im Ausland und der Literatur im Inland täglich
nachteiliger wurde. Daß Max Joseph diesen Mann schleunigst
entfernte, ist aus der Herrschaft des neuen Geistes erklärlich.
So sehen wir noch im Lauf der neunziger Jahre, wie das Kolleg
sogar bei moralischen Schriften , die einen Kleriker zum Ver-
fasser hatten, die Ordinariatsapprobation verlangte. So wurde
beschlossen ober die Sittenreden des Wayamer Chorherm Albert
Kirchmair, der seine Schrift zuerst der geheimen Schulkuraiel
eingesandt hatte, die sie weiterbeförderte, »da gedachte Reden auf
das Erziehungswesen oder die st\idierende Jugend nicht unraitlel-
bar Bezug haben.« Also wieder eine Instanz, die be-
stimmte Schriften ihrer Entscheidung vorbehielt!
Unwillig schrieb Westenrieder am 9. April 1800') an das
geistliche Minlsterialdepartcmont, das Freisinger Ordinariat belS-
stige den geistlichen Rat mit mntmaßlichen Nachrichten ober den
Verfasser einer Schritt «Neuer Himmel und neue Erde."*) Der
Kommission habe man abschriftliche Protokolle in der irrigen
Voraussetzung übermittelt, daß diese Stelle zum Vollzug solchen
Ansinnens, wie das Ordinariat Freising an den geistlichen Rai um
Einleitung einer förmlichen Pcrsonalinquisition stelle, ge-
il m. K A. Ml/3»; CMe DnitkKhhft .Nenn Hlmni«! und nme EM«* hrlr.
*) D«m Münchner ProlMMr Sebaitiin MulKhctlc (IT'9— ISOO], einem dtrisen An*
Ungtr Km», d«r Iran vor ii^lnrm Tode eine Bmilung nach K&nlgiberx ethleft, «unlfB
auf dlew V>l«e irlne Iclitai Tage BTÜndllch vciblttm. Di* Anrahnr mIimt Avlonchlll
Ul iptiiullat Vgl. PraflU in tkr A. D. B.
I
I
I
i
Zur Qeschichte der Zensur und des Schriflwesens in Bivern.
eignet sei. «Da die diesortige Stelle das Buch unfersucht und
selbes wegen dem wirklich unzulänglichen Inhalt verboten, so hat
sie gethan, was sie zu thun verpFItchtet und einzig geeignet ist"
Diese Mitteilung gibt eine weitere Erklärung ab, auf
welche Weise die Justizslellen mit Zensurangelegenheiten in
Zusammenhang kamen. Der Verfasser einer beaTistanüeten Schrift
konnte von dem Betroffener nach den strengen Vorschriften des
alten Kriminalkodex in einen Kriminalprozeß oder doch in einen
Zivilprozeß verwickelt werden. Wenigstens konnte er zu einer
Privatsatisfaktion genötigt werden.^) In dieser Hinsicht wurde
anscheinend sehr übertrieben. Darauf läßt eine Erkläning Mora-
witzkys schließen, wonach zu einem Verbrechen (in dem schon
angedeuteten allgemeinen Sinn) immer eine wirkliche Beleidigung
vorauszusetzen sei. Diese könne aber nicht durch bloBe Er-
zählung und Behauptung zugefügt werden. Eine Absicht zu be-
leidigen mQsse damit verbunden sein. Vermutung reiche nicht
aus. Gewährsmann war fQr Morawitzky der Rostocker Rechts-
lehrer Adolf Dietrich Weber. Dieser hatte in einer Abhandlung
über Injurien und Schmähschriften dem Angeklagten und dem
Sachwalter manches zu sagen und zu schreiben erlaubt, was
sonst fiJr Beleidigung gehalten werden könne.
Ein andermal sandte der Pfarrer Biirk zu Weidenwang eine
Abhandlung fiber die Buße ein und wurde ebenfalls zur vor-
herigen Beibringung der Ordinariatsapprobation ermahnt Er
hatte anscheinend von dem gestrengen Rat Klein mehr Weit-
herzigkeit erhofft als von jener hohen Stelle.
Sehr bezeichnend ist ein Votum des Referendars von Branka
in der fürstenbergischen Sache gegen Weiller:*) »Nach den bis-
herigen Grundsätzen des kanottischett Rechts und der Concor-
datc gehörte diese Vernehmung, wenn sie gerichtlich geschehen
sollte, zum Ordinariat Freising. Allein wenn es auch nicht den
neu angenommenen Staatsgrundsätzen angemessener wäre, die
Fälle zu vermeiden, welche zur Fortsetzung dieser nachtheitigcn
Exemtion von der ordentlichen weltlichen Gerichtsbarkeit Anlaß
■) M. K. A. 7*11-16 : Prof Silil bttr.
9 M. K. A. Mi/ia.
27'
428 Ferdinand Lorenz.
geben dürften, so treten doch auch ardere Gründe ein, welche es
mißrieten, diese Sache in den ordentlichen Rechtsweg einzuleiten.'
Am 12. April 1803 erging ein Mandat ans Hofgericht
wegen Einleitung eines gesetzlichen Verfahrens gegen den Priester
von Rittershausen, dessen Schmähschrift gegen Wciller den
Oeneralschuldirektor Fraunberg zum Schützer seines Untergebenen
gemacht hatte. M 'n dem Mandat war auf ein rein gesetz-
liches Verfahren angetragen mit Abweisung der bischöflichen
Konkurrenz, wenn nicht die Art der Strafe eine solche erfordere.
Das Hofgericht ließ jedoch noch ein weiteres » Promotoriale"
über sich ergchen, bezichtigte die Landesdirektion der Saum-
seligkeit, die ihrerseits nach einer gemächlichen Ruhepause den
Polizeidirektor mit Liebenswürdigkeit überhäufte, da er die Excm»
plare nicht eingesammelt habe, worauf dieser meldete, sie seien
vergriffen. Ein umständliches Aufgebot!
Tatsache aber ist, daß in Bayern schon damals Ernst damit
gemacht wurde, was die »Winke ans Vaterland* 1806 erflehten;
mit der Einschränkung des geistlichen Rechts. Hofgerichtsadvokat
Josef Zintel schrieb 1804 in seinen »Betrachtungen über die
kirchlichen und politischen Einrichtungen in Baiern«: »Der
Souverän legt den kanonischen Rechten nur inbezug auf Ordi-
nationen, auf den innerlichen Kultus und auf Dogmen eine gesetz-
liche Kraft und Verbindlichkeit bei, doch därfen sie mit den all-
gemeinen Gesetzen des Staates in keine Kollision kommen."
Und Montgclas gibt uns die Auskunft:') n Hinsichtlich d« Kultus
und der Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit dachte Eure
Majestät seit Ihrer Ankunft die Erklärung vom 16. August 1779
zu bekräftigen, wovon man sich in den letzten Jahren des ver-
storbenen Kurfürsten zu weit entfernt hatte. Das Edikt vom
1. August 1769, das den weltlichen Gerichten die Zuständigkeit
bei Verlöbnissen öbertnig, wurde erneuert und durchgeführt
Man strebte den weltlichen Gerichten allmählich alle Vorrechte
zurückzugeben, die sie durch Gewohnheit und durch die Concor-
date mit den Offizialatcn hatten teilen müssen."
■) M. K. A, TuyiA: Ue von Herrn ran RltttnluiMen vcnaHlc DnickirtirUt «Zuib
neuen Jahn Aa tljrpDkHMn [n Bttlcm* bdr.
■) Cotapie rcndii, S. t6^.
I
I
I
Zur OesehlchtederZen&ur und des Schriftwsens tn Bayern. 429
Sämtliche Entscfaeidungen des Kollegiums und auch noch
der Kommission sind im Namen des Kurfürsten aiisgeferligl bis
zum üriaß vom I. September ISOI, worüber Monlgelas berichtet:
»Dieser Erlaß beseitigte den Brauch, woran sich alle Kollegien
seil undenklicher Zeil gehallen hatten, nämlich ihre Urteik und
Entscheidungen im Namen Eurer Majestät auszufertigen." Diese
Änderung war durch entstandene Widersprüche herbeigeführt
worden und beließ nur den letzten Instanzen das Vorrecht, im
höchsten Namen zu zeichnen.
Im Zensurwesen aber war die Zeichnung kurfürstlicher
Vollmachl nicht immer Pürmlichkeit gewesen. Es tagen öfters
Anlässe vor, die höchste Stelle zu unmitlelbaieni Eingreifen zu
bewegen. Gelegentlich des von Wilhelm von Birkenfeld Ober
Wcstenrieders genealogische Thesen geäußerten Unwillens schrieb
das Kolleg dem Stadtmagistrat, ') der Buchhändler Strubel dürfe
ohne vorhergehende Zensur nicht das mindeste drucken lassen,
»umsoweniger, als eines Theils weder ein Ccnsurrath noch ein
academisches Mitglied für sich, sondern nur das coipus acadt-
micum selbst von . . . Ccnsur befreie! ist und sogar diesortigcs
Collcgium über die in die Landesverfassung oder das poli-
tische Fach einschlagenden Druckschriften vermög erhaltener
Weisung vom 27. August 177S und 26. November 1781 bei
Höchster Stelle sich anfragen muß.-
Die Akademiker halten sicli anscheinend von Anfang an
vor der Zensur sicher gefühlt. 1 772 war Loris Abhandlung von
Herzog Ludwig dem Reichen ohne Zensur erschienen, was der
Akademie einen Verweis eintrug,*) da der § 2 der konstituierenden
Verordnung von 1 769 nur landesherrliche Verordnungen ausnehme.
Der Statthalter Qraf Holnstein sandte 17 94 aus Amberg
eine bereits mit Druckerlaubnis vom Regensburger Konsistorium
begabte revolutionsfeindliche Schrift eines Pfarrers einj*) «da diese
Consistoriilerlaubnis erst dann ihre Kraft erhält, wenn Eure
Ch urfürstliche Durchlaucht den Abdruck dieses Werkes inner
Landes gnädigst genehmigen, wir uns ^cr bei den dermaligen
9 II. Mtl im. M- K. A. »1/15: HInorisdtct Fieh.
*) M. X. A. 157/14: In Zcitungiblltteni und In der gddirlcn Zeiliiii( ■nzunisende
BüchcF betr.
•) M. K. A. 714/1.
politischen Verhältnissen nicht getrauen, dieses Werk ohne spezial
hiczu erhaltene Erlaubnis zum Druck befördern zu lassen.-
Eine andere Verordnung') bezeichnete als .. pfüchtangemessen,
Schriften, wenn sie schon nicht gegen die Religion, Sitten und
Staat offenbar anstoßen, doch aber unkluge Anlässe zu schäd-
lichen Folgen in einem Land sein können, wie deren Sdiriftcn
Beispiele wShrend dem gegenwärtigen Krieg mehrere bekannt
sind, entweder zum Druck gleich von selbst nicht zuzulassen,
od«r bei etwaigem Zweifel höchsten Orten unlerthänigst anzu-
tragen." Über Feßmaiers »Versuch einer pragmatischen Staats-
geschichte der Oberpfalz, seitdem sie Oberpfalz heißet", besagte
die Zensur 1798, daß «nach den bestehenden höchsten Weisungen
alle mit den juribus Principis in Verbindung stehende Vater-
ländisch statistische Werke vor Ertheilung des Imprimatur....
Höchster Stelle eingesendet werden müßten." Ein Polizeiober-
direktlonsberichi erging 1798 ad manum des Kurfürsten mit der
seltsamen Motivierung des Freiherrn von Wcichs: »Da ich ohn-
möglich die Verbreitung von Grundsätzen verhindern kann, die
ich selbst nicht kenne."
In jener Huldigung und Lobgesang reichlich hervor-
bringenden Zeit kam der Kurfürst mit ungezählten Zusdiriften
in Berührung, deren zwanglose Übersendung aus folgendem Wort
Babos hervorgeht: ') «Ob übrigens ein Serenissimo unter Be-
ziehung auf . . . schmeichelhafte Aufnahme vorhergegangener Ar-
beiten des Autors dedicirte Schrift nicht zur höchsten Eingebt
gebracht oder wenigstens um die dortige Annahme oder Ver-
werfung der Dedication angefragt werden müsse, weiß ich nicht»
Eine auf dem Gnadenweg von höclisler Stelle zu erwirkende
Zensurbefreiung war Westenrieder zuwider. Besondere den
Universitälsprofessoren suchte er sie zu verlegen.
Noch ein anderes landesherrliches Recht wird passend hier
zur Sprache gebracht, weil es auch das Zensurwesen betraf:
der gebührenfreie postamtHchc Verkehr der Behörden.
Schwankungen blieben auch hier nicht aus.
I
■
I
t) 14. AuplM 1797. AI. K. A. 7«;«.
)) M. K. A. 79UI6: ä<uU-, Klichm. und UnlvriuIhltliMl«.
Zur Geschichte der Zensur und des Schriltwesens in Bayrm.
An das Hau ptmau tarnt in Sulzbach erging 1795 eilK
mihnende Anfrage, wanim seit geraumer Zeit keine zweifelhaften
Bücher ans Kolleg eingesandt worden seien, von deren Eintreffen
man doch wohl überzeugt sein dürfe. Die Maut- und Akzis-
ämter hatten nämlich mit Freipaß nicht versehene Bücher cin-
zuiiefem. Der Haupimautner rechtfertigte sich, die meist für
dai Schulgebrauch oder für geistliche Bedürfnisse berechneten
Bücher seien in loco Simullaneo nicht zu hindern. Dann könne
auch nicht dem Mautgast, der solche Bücher bringen lasse, oder
dem Hauptmautanil das Postgeld aufgelaslet werden. Ein Bescheid
bestand aber darauf, die Bücher einzusenden, da die Pakete als
causae Domlni zu gelten hätten und demgemäß portofrei wären.
Daß man davon nicht allgemein unterrichtet war, zeigt auch
eine Zuschrift des Buch erspedi teure von Straubing:') «Daß be-
züglich des ad locum unde und des Einsendens zum Censur-
collegium die auszulegenden Unkosten als Frachten, Postgelder,
Tninsitomauten von denen herein und aus dem Lande wieder
relour gehenden Büchern und andere zufällige Auslagen nicht
allemal von dem Versender oder Buchhändler noch von dem-
jenigen, an den Bücher geschickt werden, so ganz sicher erholt
werden können," Es erfolgte ein ähnlicher Bescheid wie nach
Sulzbach.
Mehr Klarheit gibt das am 23. November 1795 ans Kolleg
erlassene Edikt:*) »Aus dem von der Oberlandesregierung am
16. hujus bei Gelegenheil der behauptenden Portofreiheit der
Paquete in causis Dni auf den Postmagen eßtatteten Bericht ist
zu ersehen, daß das Censur Collegium alle Bücher von den
Gränzstationen auf den Postwagen hieher zur Einsicht schicken
laßt" Eine solche Übertreibung des kf. Postfreiheilsbefugnisses sei
von dem kaiserlichen Rcichsoberpostamt zu Regensburg beklagt
worden, und das Kolleg habe Anlässe zu derartigen Beschwerden
zu vermeiden.
Das Kolleg antwortete am 9. Dezember, die Oberlandes-
regierung gefalle sich in Exlrahierung unverdienter Verweise,
k die Post sei nicht überanstrengt. Am gleichen Tage erfolgte
■) I«. Ausuit 17». M, K, A.SM/7: ErrklitunK MiMiMhrilllch« Bachtnpnlltloncn brtr.
4 M. K. A. ZiClI.
F
432
PcrdinAnd Lorenz.
dann das Reskript:') »Daß eine allenfalsige Ausrede der Reicfas-
Postämier, als wären die Paqiiele in Qiusis Domini auf dem
Postwagen nicht Porto frey, keines(wegs) angenommen, sondern
dergleichen Paquete allzeit frey auf dem Postwagen gegeben und
von solchem abgelaugt werden sollen . . . daß nicht gar zu große
Paquete oder Aden dem Postwagen aufgegeben werden . . ."
Der Füi^t von Thum und Taxis hielt fest an dem Vertrag,
den Karl Theodor 1784 mit ihm abgeschlossen hatte.') Schon
oben sahen wir in einem Bericht Babos, wie die Postämter durch
die Zeitungen in Briefkuverts den Zensurbemühungen dn
Schnippchen schlugen. Die k. k. Oberstrcichspostamtszeitungs-
expedition verteilte avcrtissements trotz Einfuhrverbot.') Die
Postämler trieben noch in den neunziger Jahren zum Nachteil
der Buchhändler auch BQcherverschleiß, wie auseiner Ankündigur^
hervorgeht: mDcu Herrn Collekleurs, seien es die löblichen Post-
ämter, Buchhandlungen oder Privatpersonen, wird das 10. Exem-
plar oder der Werlh dafür gut gerechnet"
Gegen Änderung in den Reichspostverhältnissen legte der
Fürst von Thurn und Taxis feierlichst Verwahrung ein.*) Der
§ 13 des Deputation srezesses garantierte die Erhaltung des Reichs-
postwesens nach dem Status des Lüneviller Friedens, Doch hat
in Bayern die Verordnung vom 14, Februar 1806 die Rechte
des Erbland postme isters beschränkt und die vom l. März 1808
das Pcstwescn völlig verstaatlicht.") Und da besUnd die Kom-
mission nicht mehr, die auch in dieser Beziehung mehrfach in
die Enge getrieben worden war.
IV. Buchgewerbe und Bibliotheksweseti.
Um die Jahrhundertwende machte ein angesehener Münchener
Bürger viel von sich reden, der Professor und Buchhändler Johann
Baptist Strobel. In seiner Bildersammlung bewunderte man
die besten Meister; in einem Saale, wie ihn keine Galieric auf-
■) M»ye, Sammlunc der dipttb Mg. u. bes. t-aadaverordnuneen V (i'Sr}, tti.
■) S«rJel >. *. O. I, 19. Anm
■) Bericht Lerclieiifelili aut RcgoubnrB vom lö, Mira 17(1. M. K K ;«i«.
*l Natloiuü-ZdtunB der Tcuttdicri 'Kl, S. 17.
•; Scydel I, 3» v. K*.
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern.
wies, sah man über zweihundert Porträts verdienter bayerischer
Oelehrlen, meist von dem berühmten Hofmaler Etlinger gemalL
Joseph Hazzi und Lorenz Hübner haben in dieser Privatsammlung
genußvolle Stunden verbracht und ihrem Bcsiteer alle Anerkennung
gezollt.') Hübner fflhrl ihn auch unter den Münchener Schrift-
slellem auf.
Strobel war ein Sdiäfflerssohn aus Aichach. In München als
uStudios" schlug er sich mühselig durch. »Itzt hab ich schon bald
t4cn tag kein Brod mehr ghabt", schreibt er nach Hause,*)
«und ist das Lithyney betten verbotten, es darf kein Student mehr
betten, und niemand darf man nichts mehr gehben." In Ingol-
stadt studierte er nicht nach seiner anfänglichen Absicht die
Rechte, sondern Theologie, r-lch habe auch 4 Lehr- Meister.
Da geht es freilich anders her als in München. Man kann auch
mehrer lehmen." 1775 berichtet er als Professor von Straubing,
wohin er nach kurzem Aufenthalt in München zurückkehrte.
1778 finden wir ihn wieder in München, wo er sich verheiratete
und die Buchhandlung des Theodor Osten erwarb, Die anderen
Buchhändler beschwerten sich beim Magistrat und wünschten die
Aufhebung der Gerechtigkeit, da Strob«! die Erwerbung des
Bürgerrechts verzögerte.')
Mit Strobel haben sich später die Buchhändler Lcnfner
und Lint^auer zur Verfechtung ihrer Standesintercssen einmütig
zusammengeschlossen. Joseph Lentner, ein Kistlerssohn aus Egem
am Tegemsee, machte sich 1783 auf die Gerechtigkeit des Johann
Nepomuk Fritz ansässig.*) Dessen Vorgänger war sein Schwieger-
vater Gastl gewesen, der auch in Stadtamhof eine Buchhandlung
betrieben hatte Leniners erstes großes Verdienst war die Druck-
legung von Brauns deutscher Sprachkunst. Als Buchhändler
Kritz seine Qerechtigketl 1786 an Joseph Lindauer aus der Nähe
von Mumau ohne Vorwissen des Magistrats abtrat, wies dieser
nachdrücklich darauf hin, -daß die hiesigen bürgerlichen Gerechtig-
keiten so besdiaffen sind, daB sie weder ohne Consens des
■) KDbncr. Bnehr Her kb. Hpi.- u. Rm.iI MOnchtn tl, **s. «4«, - Huil, Stt-
HiUkIif AulKhtüiK über Om Haiogtum Balccn, <SD3, Ilt, J79.
*! i: Bticf« Dm Besitz dn Hitl Vereint v. Obcttnyrcn. M(k. I79*.
q M. S. A.: Ritspiotokollc irre, 11 and 1779, I. StniM lil wohl tJ*» tübon».
*) Ratfpraiakellf irs«, 1.
434
Fotlinand Lorenz.
Stadimagistrate cediert, alieniert oder hypothedert werden dflrfen.'
Sonst fallen sie an die Stadtkammer mrüclc.
Die Münchener Buchhändler bücben lange in der Dreizahl.
Und als Wcstenrieder 1812 von einer inzwischen erfolgten Ver-
mehrung der Buchhandlungen berichtete, stellte er zugleich
Betrachtungen über deren Unzweckmäßigkcit an, da sie nur
durch Vertrieb zweifelhafter Ware äich erhalten könnten.*)
Der Kampf um ihr Recht bedeulele bei den Buchhindlcm
meist einen Kampf mit der Zensur. Diese beobachtete alle gp-
schäftlichen Gepflogenheiten und suchte auch dann einzuschränken,
wenn die Buchhändler hinsichtlich, ihres ernstlichen geschSftlichen
Vorteils ^rnicht anders handeln konnten. Letztere legten dabei
ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein an den Tag, das sie ihre
Nebenbuhler geringschätzen ließ. Wenn Klopstock in seiner Ge-
le hrtenrepublik von ihrem Stand als von Laternenträgem sprach,
hätten sie diesen Titel sicher energisch zurückgewiesen.
Im Jahre 1383') verwahrten sich Kratz, Fritz und Strobel,
daß der Horkammerrat Franz von Kohlbrenner,*) dem schon vor-
her wegen Erwähnung einer „allhier vorhabenden Kirchen reform
und Aufhebung milder Stiftungen" die Entziehung des Intelligenz-
blattes angedroht worden, in diesem Bücher anzeige. Der »Ir-
telligenzer" und seine Mithelfer seien nichts weniger als Kenner
der Literatur und des Literarischen Verdienstes.
DaB sie für sich diese Kenntnis in Anspruch nahmen, zeigt
ihr unablässiges Bemiähen, in die Wochenblätter Einrückungen
machen zu dürfen. Das Verbot vom 11. Februar 1783,*) in
Zeitungen oder Intelligenzblältern Bücher oder Druckschriften
anzukündigen, war immer lästiger empfunden worden. 1793
schrieben Strobel, Lindauer und Lentner - diesem wurde damals
») B«ytiigt 9. J81.
^ M.K.A 9S1/H: Di« in di« ZdtvngiMiHtr uru) plehiit Zfltuns gc^sMoen BOdMr.
■) In der RMidmi München vaieii liitFlljgm;.blätt«r frülicr all politiudcZcitunca
«ortiiTOlcn r>u .Manrhnrr lnrell>],-tiiFl>li(t iiim DiFiiitc iln- SUilt- und LandwlmduR, des
NlbrenEwundn und der Handlung' vurdc \J&i von KnfkintniFiril von KoMbrcnnei an-
sAngen und luch dcucn Twl von SckrrUt l'inaucr fnngftQliTl. Ja tirfcrlc die nUm
ttitiitlKhm Nichrithlm von Barrm und b»hnW »icl«n Schriften in dlcicni Fieh dm W«j.
WUirmd iti bfldm VIHri«lc 17D0-1W cnlhiflt « illr dnichUeleM Nött7cn. tTW-n
aetttitb k der t)i>(1iamnicriliirulil Bufshnlm. Dinn Idm rt in SIrobel. Ntcolil Mhrt
«» in wintti .Rdmi duidi Druischlind- «nf. — Annalm d. b L». IBOJ, S. W)J«.
4J lldiicl, Zcniurvocn in Alltwi-cin a. a O.
Zur Qodiichte der Zensur und des Sciiriftwcse« in Bdtyem. 43s
der verhältnisinäBig erfolgreichste Buchhandel zugesprochen —
ans Kollegium:') ./Wir leiden schon dadurch bei unserer Handlung
einen nicht unbeträchtlichen Schaden, daß wir nur sehr wenige,
ja fast gar keine BQcher in den Wochenblättern mehr anzeigen
därfen und uns bei den meisten des gelehrten Bogens') bedienen
sollen, der nicht nur gauz selten erscheint, sondern auch in sehr
wenige, ja nicht cinnul in die Hände der Gelehrten kommt.
Es wäre beinahe so gut, die BQcher ganz unangezeigt zu lassen
als in einem solchen fast unbekannten Blatt. Allein wenn der
Buchhändler seine von der Zensur erlaubten Bücher nicht all-
gemein anzeigen darfj so ist es gerade soviel, als hätte er Steine
feil, und seine Handlung bekömmt auf diese Weise den Stoß
zum Verderben."
Am 26. März 1794^} einigten sich die drei mit dem Kotleg,
die Anzeigen und dem Druck bestimmte Kataloge dem Spediteur,
einem inzwischen zu schnellerer Geschäftsführung ernannten
Beamten, zu überreichen, der sie dann in die Wochenblätter und
die »gelehrle Zeitung" verteilen sollte; auf welchem Grxind, war
lange strittig.
Das Kolleg machte eine Vorstellung bei höchster Stelle.*)
Auf seinen Vorschlag vom 26. April 17 93 war dem Mittwochs-
blatt nur allgemein Nützliches, der »gelehrten Zeitung" die Behand-
lung höherer Gegenstände zugeteilt worden. Damals beurteilte
man die BQcher großenteils nach den Titeln. Nun aber
war es Pflicht des Spediteurs, die Bücher zu lesen (?) und so
nur unverfängliche und nützliche zur Ankündigung zuzulassen.
Die „gelehrte Zeitung" wurde auf dem Land garnicht, in München
wenig gelesen. «Sollten nun alle jene BQcher, die einen höheren
Gegenstand haben, auch solche Schriften, welche gegen irreligiöse
Gnindsätze zur Bestärkung unserer heiligen Religion oder zur
Verteidigung Höchstdero Gerechtsame selbst auf Höheren Befehl
hin verfertigt werden, nur in der gelehrten Zeitung angekündigt
1} M. K. \ liS^i- Errlchtuni; -nrn Mchentitüiliinen.
>) Der •velthrlc Ragt«' cnchim monatlich und *«r mit don Mittwuchi- und
SonTubradibtitl cinr EteitiKr dtr mtcn pulillschm ZdtuRi; in München, die ils iStutt-i
grsrlini wurde. Sit «ir die Vorliulrriit der Obrrwuttehai Suiuidlung van Loraii HQbiHf,
die n hohem An«d>ni kam. — Aiuialm dn B. Ut. IM», S. HU.
*i M. K A. 2i6ft.
•t M. K A. Mi/It.
I
r
436
Ferdinand Lorenz.
werden dürfen, wohin sie ihres höheren Gehalts wegen bei be-
stehendem Normal verwiesen werden müssen", so wäre der Er-
folg, daß auch die besten Bücher dem Publikum unbekannt
blieben und dem Publikum Schaden erwüchse.
Darauf wurde im Sinne des Kollegiums entschieden.*)
Ein Gebiet indes sollte nach wie vor dem profanen Blick der
Menge verhüllt und der »gelehrten Zeitung" vorbehalten bleiben:
die Hebammenkunst!
Daß auch BCicheranzeigen von auswärts, die in Münchencr
Blättern veröffentlicht werden sollten, der Genehmigung des Direk-
toriums bedurften, wurde t7 9S dem Landshuter Buchhändler
Hagen eingeschärft
Das Selbstbewußtsein der Herren rang schwer nach Auf-
ri^chlerhallung. Noch 1S03 schimpfte das Nationalblatt für die
Kf. B. Fürstentümer in Franken: ..Die Buchhändler sind Krämer,
die auf Dreyer spekuheren, sich mit Commissionswaaren miihsam
fortbehelfen, die den Schriftsteller mit stolzen Augen messen, ob
er & la Hofrath frisiert sei? Die dem Geschichtschreiber Schmidt
kaum ein paar Gulden Honorar geben wollten, die käum eine
dreiviertel Presse haben."
Indes waren die Rechte des Gewerbes nicht geschützt und
der Absatz bei dem vielfach auf Qeheimwegen beschafften Bedarf
nicht groß. Zu Beginn der neunziger Jahre drohte den Münchner
Buchhändlern und Druckern durch ein Zensuredikt Karl Theodors
neue Schädigung.
Da flüchteten sie sich an die Öffentlichkeit und ließen
durch den »ihrem Gewerbe eigentümlichen Mechanismus der
Presse" dem Fürsten ihre Wünsche bekannt werden.^ Diese
wichtige und instruktive Vorstellung möge hier ausführlicher
behandeil werden.
Es galt die Erneuerung des inzwischen vergessenen Zcnsur-
•1 Mndil vom 13. funitr im.
f) Die VonlcilQng blieb «rlolflos, die Supitlikiiiitrn mitBtm unltr den hirtaicn
BcdrobunEcn all« «othaiidnim Excmiilxr« d« BLtUi-hcitlauillrtcm, dltr dinn in dieArdiipe
vindcTlcn, Om Itlncndcii tcii[lc man Obcrdin 5lltl«chrdem «uf, und v> konnloi die
Obtliunnlni Schndd« von N«ydsfflnl und Dicticiidi Uii Unsocn wEltcnrdtMn.
I7W hiKhlrn ilc .Omiui d»r Z»it- von Aiig Henninp und dcf .Wlgtititln« LiltniliclK
AnirlECT-' dir Vontrlluntc vlrdrr tum Abdrudi In letzteren S. 1110T u tl. Die Vani«!lun{
liilt du Ditum vom iw. üeumbct IJ«I.
Zur Oeschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern. ^37
edikts von 1 769 zu verhüten. Dieses hatte eigentlich die ginze
Boche rschr«iberei verrufen, obschon der freie Buchhaidel gestützt
Verden sollte. Schleichhändler und Privatpersonen lachten sich
ins Fäustchen, während die rechtlichen Buchhändler warteten, bis
das Zensurkoileg geprüft hatte. Noch strenp:ere Maßnahmen
mußten sie verderben.
Bücher erhalten ihr Interesse von den Zeitumständen und
finden nach der endlichen Erteilung der Verkaufslizenz keine
Käufer mehr Das Publikum versieht sich anderweitig, da
Wien und Mannheim mit dem Gewünschten aufwarten. Die
Technik des Buchhandels ist von dem Edikt von 1769 verkannt und
hat sich auch inzwischen verändert. Der größte Betrieb des
Buchhandels besteht in solchen Waren, die von auswärtigen
Verlagshand lun gen unversch rieben pro novitate zugeschickt werden.
Die Lage Münchens zwischen den Reichs- und den k. k. Erblanden
verleiht dem Durchgangs- und dem offenen Spedilionshandel hohe
Wichtigkeit Nach Auswahl aus den übersandten Partien fClr das
eigene Sortiment werden die übrigen Bücher ohne Anweisung
des Verlags nach eigenem Gutdünken an solche Orte geschickt,
die einen guten Absatz versprechen. Die Unzulänglichkeit der
Verordnung von 1 769 in praktischer Hinsicht erklärt auch ihre
völlige Verleugnung seit 22 Jahren. Der im bald nachfolgenden
Erläuterungsmandat verheißene Catalogus iibrorum prohibitorum
als Bedingung der Gültigkeit des Edikts blieb aus. Nun wollen
die Hetzer gegen die freie Wissenschaft das Wort ■Aufklärung*'
verfemen und damit auch ihre Mittlerinnen, die Buchhandlungen.
Die Revolution überm Rhein hat nichts mit riclitiger Auf-
klärung gemein, und der Verfasser des einzigen Buches, das
Wissenschaft, Lektüre und Aufklärung verdammt, hat auch die
Gleichheit der Stände gepredigt. Gegen Sittenverderbnis muß
man sich wenden, nicht gegen Aufklärung. Es gibt kein Buch,
das den Richter lehrt, sich erkaufen zu lassen; keines, das den
Beamten in der Kunst unterweist, sein Amt zu seinem Vorteil
zu benutzen. Die Regenten haben keine wohlmeinenderen Freunde
als die Bücher! Das Selbstdenken ist erwacht, und die Menschen
selbst sind lebendige Bücher und teilen sich Grundsätze und
Meinungen unvermerkt, aber wirksamer mit Schutz von Wissen-
A.
438
Ferdinand Lorenz.
sdiaft und Buchhandel ist das einzige Gegengewicht, eine Zensur,
die um der schädlichen Schriften willen auch die Verbreitung der
guten erschwert, richtet sich selbst.
Der Buchhandel darf sich den wichtigsten Komnietrziatzweigen
gesellen. Karl Theodors Sammlungen und Denkmale erhalten
4urch Wissenschaft und Lektüre Geist, Teilnahme und Wirksam-
keit. Der Buchhandel unterrichtet durch seinen Absatz über die
Denkart des Volkes und ermöglicht dessen Fühning und Belehrung.
Der Umsatz kann ffir den Staat ein beträchtlicher Gewinn werden.
Die Städte Leipzig und Götlingen haben durch ihren Buchhandel
groüen Vorteil. Frankfurt, das ehedem mit Leipzig wetteiferte,
verdarb sich diese Finanzquelle durch Zensuredikte. Die meisten
Gewölbe der Buchgassc sind in Weinschenken verwardell.
In München ernährt der Blichhandel trotz seiner Beschränkung
veniiittelst der von ihm abhängigen Gewerbe der Drucker,
Binder und Papiermacher immerhin an die 300 Personen, die
durch eine neue Zensurverschärfung verarmen müssen. Inländische
Schrittsteller werden dann ihre Werke im Ausland verlegen und
Bayern um den Vorzug bringen, bedeutsame literarische Produkte
aus der Taufe zu heben. Ein rechtlich denkender Autor erkennt
überhaupt nur solche Männer als seine Richter an, die sich durch
dtfeniliche Beweise ihrer Gelehrsamkeil, philosophischen Einsicht
und ihres Geschmackes legitimiert haben. .
Die Ediktserneuerung muß die bayerischen Buchhändler zu
ausschließlichen Kommissionären auswärtiger Verleger herabsetzen,
die sich zudem schwerlich der Gefahr au^ctzen werden, etwa
'/, ihrer Artikel als Kontrebande erklärt zu sehen. Und bei
den nahen reichsstädtischen freien Buchhandlungen winkt jedem
Bücherlreund Befriedigung seiner Wünsche, Sic brauchen ja
bayerische Verordnungen nicht zu befolgen. Und auch der Durch-
handd, bisher die Hauptnahrungsquelle, geht zugrunde.
Dabei sind erst in jüngster Zeit gnädige Verheißungen
ergangen, die bürgerlichen Gewerbe gegen jede Beeinträchtigung
zu schützen. Die Gerechtigkeit erfordert, die Vorteile der Buch-
händler zu Mannheim, Heidelberg, Frankentha! und Düsseldorf
auch hier zu sichern. Denn die Münchener sollen nicht lesen,
■worüber sich die Brüder am Rhein schon lange freucnl
Zur Oeschiclite der Zensur und des Schriftw^ens in Bayern.
Ein ZensurkoÜegium, das die Oeist«vormiindschaft ober
eine Million Menschen zu verwalten hat, muß eine andere
Verfassung haben. Zensur darf nicht überanstrengten Beamten
als Nebensache aufgebürdet werden. Ein Zensor muß mit dem
Geist seiner Zeit, mit der ganzen Üleraturgeschichtc, die täglich
Zu'wachs und Änderungen erhält, mit dem Charaldcr der
bedeutendsten Schriftsteller vertraut sein. Es ist physisch unmög-
lich, die Existenz eines Buchbandeis mit der erneuten Zensur-
verordnung zu vereinbaren. Ein Fortbcstehen der Zensur bedingt
ein Kollegium von eigens ernannten und besoldeten Beamten.
Naturgemäß soll sich die Sorge derselben nur auf die einheimische
Lektüre richten und darf den Durch- und Speditionshandel nicht
behindern. Die Begutachtung durch benachbarte bischöfliche
Behörden kann die Zeiisurbehörde einer nochmaligen Prüfung
überheben. Das neugierige Volk geht ohnehin nach dem Frey-
singischen Dorf Vehring, um Zeitungen, die daheim verboten
sind, zu lesen. —
Die RichtigVeit dieser Ausführungen llßl sich anderweitig be-
stätigen. Die volkswirtschaftlichen Nachteile der Zensur hat kein
Geringerer als Friedrich der Große in seinen Briefen an d'Alcmbert
erkannt,') wo er schrieb, daß das Verbot der Werke Voltaires den
Buchhändlern Hollands, Deutschlandsund der Schweiz den Gewinn
zugetragen habe. Darum stellte das Edikt vom 13, Juni 1S03
anheim, den Verkauf zweifelhafter Werke außerhalb Bayerns zu
versuchen. Schon 1796 hatte ein wohlmeinender Zensor dem
Hofrat Piaggino geraten, sein «Volksbuch für alle Stände nach
auswärts zu verwenden. Aber was half es den Buchhändlern,
wenn die Autoren immer mehr ihre SchriNen im Ausland selbst
verlegten, wie Professor Schrank »zur Vermeidung aller weiteren
Unannehmlichkeiten" wegen der mit Hellersberg herausgcgetjenen
Ephcmeriden androhte;') wenn Professor Kandier I80t in einer
Eingabe sich zur besonderen Empfehlung schrieb, daß er «außer-
halb Landes oder anonym bei der Wahrheil seiner Theorie nicht
wollte veröffentlichen."') Darum standen auch die auswärtigen
>] Spaun, PoliL TvUmcnl nf.
*) M. K. A. Tttn*. Zduchriricn
•1 M. K. A. rn!i6: Stut»-. Kireboi- uod univerwUHitorfKlia fsch.
r
440
fcrditiAnd Lorenz.
Buchhändler in Verruf, noch lange nachdem man Joseph Milbiller
wegen Verdachts, daß er mit auswärtigen Journalisten und Bucb-
hindleni in Korrespondenz stehe, vertrieben hatte.')
Die Buchhändler hatten eine gewaltige Konkurrenz zu be-
stehen. Die von ihnen mißgünstig angesehene Stiftung des Goldenen
Almosens war aus einer Einrichtung der Herzöge Wilhelm V.
und Maximilian hervorgegangen, um geistliche Bücher zu verlegen
und zu wohlfeilem Preise unter dem Volke zu verbreiten. *)
Später wurde diese Fundation mit dem Schulfond vereinigt und
nach einer Mitteilung von 1 799 ') rum Verlag äußerst inkorrekter,
schlechl gedruckter Schulbücher verwendet die n rucksichtüch des
äußeren und inneren schlechten Gehalts leuer genug \'erkauft
wurden.* Hübner*) hatte eine bessere Meinung von diesem
Institut, lobte die eigene Druckerei mit guten Pressen, die wohl-
geordnete Buchhandlung und den günstigen Zweck, Schul- und
Erziehungsbücher um einen von den gewöhnlichen Buchhändler-
preisen sehr verschiedenen und herabgesetzten Preis zu liefern
und dadurch die Aufnahme der vaterländischen Schulen zu
befördern. Alle Lehrbücher, Tabellen und Kupferstiche für die
bürgerlichen Schulen gingen aus den Pressen des Goldenen
Almosens hervor und ermöglichten eine Unterstützung der armen
Landesjugend, deren Eltern sich vielfach der Anschaffung der
erforderlichen Lehrmittel widersetzten.
Aber Schul- und Erziehungsbücher waren noch die einzigen«
welche in Bayern einen nennenswerten Abgang fanden. Und
wenn diese Artikel, die allein dem Buchhandel einen inländischen
Betrieb verschaffen konnten, von dem Staat oder dem Kurfürsten
unter der Firma des Goldenen Almosens verlegt und verkauft
mirden, wenn dieses Goldene Almosen seine Geschäfte weiter
ausdehnte und sich nachweislich auch mit dem Nachdruck be^te,
so ist der ungeheure Nachteil ersichtlich, den die bürgerlichen
Buchhindler zu erleiden hatten.
Noch andere maßten sich den Handel mit den ([angbaren
1) Bud«. Lecfknn.
1J Upoviky. Oetch. dtr Schuloi. lu.
>] Ober die Qndlai da vichiendm MiHvcrenfifcm in Biiern. Niditng lar Ab-
handlune ü.btr den Werlli unil die rotsm der lUndrschm rrtlheilcn Id Baiern. im.
•) SuliiUk da H. ü. R^tudl Manchen. II. >9t.
I
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern. 44t
Büchern an. Noch am 28. April 1S04 wurde einem Aktuar in
Neuburg die Errichtung eines Schulbüdicrverlags übertragen.
Darum erließ das -Taschenbuch fxir das Jahr 18OS" einen Auf-
ruf, nicht den Buchhandel durch die Sorge für das physische
Bestehen zum odiösen Geschäft zu maclien. Das Schuldirektorium
solle in den Personen der Akluare nicht ebenso viele Buchhändler
aufetellen. Der Regent möge gleich Preußen Schutzgesetze
verfügen und den Nachdnick verächtlich machen. Schließlich
wurde ein Buch händlerrat zur Wahrung der Standesinteressen
vorgeschlagen.
Buchbinder und Buchdnicker vertrieben Schul- und Qetet-
büchcr. 1734') wurden die Buchbinder ermahnt, sich ihren
Bedarf wenigstens inländisch zu beschaffen und höchstens zur
Dultzeit ausländische Bücher zu verkaufen. Die letzte Bezeichnung
gemahflt jedoch daran, daß damals das Ausland schon hinltr den
Grenz ]>fäh!eri begann. Damals zählte man in München zwftlf
bürgerliche Buchbinder, die den Buchhändlern durch derartige
Gewcrbsbceinträchtigungen sehr schaden konnten. 1776 verxcies
der Magistrat dem Buchbinder Franz Loos den Handel mit
ungebundenen Werken und die Übernahme von gebundenen aus
privatem Besitz. Der Buchbinder Holzer vermochte 179'6 sogar
durchzusetzen, dafi seine gebundenen Gebetbücher in den In-
telligenz- und Mittwoch blättern angezeigt wurden.
Dazu kamen die Hausierer und KraxentrSger, die unter
der Hand einen schwungvollen Handel mit kleineren Schriften
betrieben. Wenn solche Zwischenhändler ihren Bedarf von den
drei Münchenerr bezoger, war ja von diesen nichts einzuwenden.
.^be^ daß dies der Magistrat öfters einschärfen mußte, verrät
andere Gepflogenheiten. So stellte er 1791 an den Bücher-
händlcr Hölzl das Ansinnen, sich lieber irgendwo auf dem Lande
niederzulassen, als die berechtigten Buchhändler durch seine
Manipulationen zu ärgern, Personen, die gar keine Beziehung
zum Buchgewerbe hatten, zogen zeitweilig aus dem Vertrieb von
Drucksachen Nutzen. 1797 wurde dem Post- und Stadttheater-
zcttelträgcr Wunderer die Verkaufslizenz für die bereits gcdnicWc
Piece »Thränen biederer Baicr auf die Urne Ihrer ChurfürbÜichcn
>] Koliript vom 31. Mai. M. S. A. Rattprntokoll« l'H 1.
ArtMv Hr KulturgMchiehte. II. 28
443
Fsdiiund Lorenz.
Durchlaucht Maria Anna Sophie . . ." bewilligt') Solche Hul-
digungen fanden leicht Verbreitung.
Die Bücher wurden so immer wohlfeiler angeboten. Am
4, Januar 1800 zeigte J. B. öttl bei St Peter eine Herabsetzung
der im Gymnasium vorgeschriebenen Braunschen Ausgabe
römischer Klassiker im Intelligenzblatt an. Damach kostete
Cornelius Nepos 10 Kreuzer, Sallust 5, Tadtus' Germania 12,
Cicero, Orationes 14, Cäsars Gallisclier Krieg 12 Kr., der ganze
Vergil 1 fl. Man möge zum Vergleich beachten, daß damals
für einen Volkskalcnder 24 Kreuzer bezahlt wurden.
Weiter fand der akademische Buchhandel nach Mitteilung
Milbillers") viele Kunden, denen die Lentner, Lindauer, Strotiel
traurig nachsahen. Die Akademie hatte dazu den Vorteil einer
eigenen Druckerei. Da sich die Drucker in der Wahrnehmung
ihrer eigenen Interessen mit den Buchhändlern meist solidarisch
fohlten, möge ihnen hier Beachtung geschenkt werden. Jene
wichtige Vorstellung vom 19. Dezember 1791 ist von den da-
maligen Münchener Buchdruckern Franz, Zangel und Hflbsch-
mann mit unterzeichnet.
H.i22i urteil! nicht schmeichelhaft über die damaligen Buch-
druckereien:') "Es giebt deren nur drei. Auf elegante Leitern
und Druck befleißigt sich keine. Dieses und der Umstand, daß
alles, was hier gedruckt wird, noch der Zensur und dem impri-
matur unterworfen ist, macht, daß nicht viel in München gedruckt
wird, sondern alle Produkte im Ausland erscheinen." Zwei
Jahre später schreibt Hübner,*) dem ein milderes Urteil eignete,
daß sich die Druckereien geschmackvoller Auflagen und reineren
Druckes befleißigen und genügend beschäftigt sind.
Bereits 1772 gedachte Hofkammerrat von Kohlbrenner eine
vierte Druckerei in großartiger Ausstittiing zu errichten, «damil
nicht aus Mangel hinreichender Bestellung mit Letlern, Ziffern
und Linien, endlich bey derzeiligem Gang verschiedener Tabellen
und besonderer Charaktere der Lettern das Geld auBer Landes
>) M. K. K. m/M,
■) AnBilm dtr D üt. I, Mit (iiti) S. U.
■) SUOidKhe AuhchlUtie ni. ]3«.
*i Sbtltlik II, 412.
I
I
Zur Opsrhichtp der Zensur und des Schriftvesens ir Bayern.
geschicket werde."') Wegen der ungenügenden Mittel inländischer
Drucker muBten sich die Ingolstädter Professoren meist an aus-
wärtige wenden, trotzdem die Oberlandesregierung dies mehr-
mals tadelte. Die einheimischen Drucker waren »an den Schriften
nicht so reichhaltig, daß man die benötigten Gattungen darin an-
treffen wird, wie sich solches bey den morgen ländischen Sprachen
gleich bey hiesigen und anderen Druckereyen an Tage leget."*)
Kohlbrenner wurde abschlägig beschieden, und ein Mandat
verbot die Errichtung einer vierten Druckerei ohne das gnädigste
Vorwissen überhaupt') Bald darnach wurden die Druckereien
an das Bestehen eines Zensurkollegs nachdrflcklidi erinnert und
bei Sicherheit ihrer Gerechtigkeit von der Ehrerbietung gegen
diese Behörde abhängig gemacht.*)
Als der Zeitungsverleger von Drouin und Sekretär Finauer
sich 17S3 um die Verieihung einer neuen Gerechtigkeit bewarben,
erging der kf. Befehl:'*) «Man gedenket . . . weder die hiesigen
Buchdruckereyeii zu vermehren noch dieses bürgeriichc Gcwcrb
von jemanden, der nicht von Bürgerstande und auf die Druckerey
gdehmet ist, treiben zu lassen." Erst 1790 kam Drouin zum
Ziel, indem ihm der Druck seiner Zeitungen, Anzeigen und
gelehrten Blätter durch eine eigene Anstalt erlaubt wurde. Wegen
dieser begrenzten Befugnis zählte sie jedoch nicht unter die all-
gemeinen.
Man kann den Münchner Magistrat nicht der Gleich gClltigkeit
gegen die Druckereien bezichtigen. Als Buchdrucker Mayr 1 783
starb, wurde sein Geschäft durch den Stadtkimmerer und den
Sladtobcrrichler bis zur Tauglichkeit seines minderjährigen Sohnes
in Gewahrsam genommen. 1 785 wurde Zangel Mayrs Schwieger-
sohn und Nachfolger.
Im Jahre 1782 bereits hatte das Findelhaus beim Heüigen-
geistspilale die vierte Druckereigerechtigkeit erhalten.") Durch
I) M. S A. Rvipralokolle i!T3. I.
1) Unlvtnltiturchlv München B 4: Die Drncktraibelt der von den ProIcMotai
vertiBlHi Schriflen btti. 1781.
1 Rilipioliikollc )7T5, I.
•) RaUprvIuliOllF U79. I.
i) M. S, \ RaMproloknll« ITBl. I, Mindil vgni id. April.
4 RiUprutokollr ua*. II. Mindti vom i. Nov. UK.
38'
I
Mandat vom 11. Mai 1793 wurde jedoch diese Druckerei d«
Münchner dreien gegen eine Jahreäpacht von 40 fl. an die Stifb-
kasse überlassen.^)
Der Widerspruch der drei verursachte auch 1789 die Ab-
weisung des Grafen Törring zu Seefeld, der in seiner Hofmirk
Haydhausen eine vierte Druckerei errichten wollte.')
Das Mandat vom 22. Augus) 1792") bewilligte dem Schul-
fond auf Antrag des geistlichen Rats zum Vorteil des Schul-
bücherverlags und zum allgemeinen Besten die Führung einer
eigenen Presse, mit dem Verbot des Druckes nicht pädagogischer
Schriften. Und diesmal wehrten sich die drei vergebens. fl
Die Buchdruckerei des Schutfonds war privilegiert;*) ebenso
die des Zeitungskontors, die im Anschluß an das Privilegium
Drouins Hübner I8i>2 bestätigt erhielt. ■
Eine weitere Druckerei errichtete 1801 der Buchhändler
Esaias Seidl,*) Er war Inhaber einer privilegierten Buchhandlung
und Druckerei in Sulzbach und wurde ermächtigt, sein Geschäft
in vollem Umfang auch in München zu betreiben. Die Beschwerde
der Münchner erzielte nur die Zusicherung, das Privileg des
Schulfonds neuerdings zu untersuchen.
Seidl fühlte sich in München nicht am rechten Ort, zumal ■
kein öffentliches Gebäude zum Betriebe seines Gewerbes zur
Verfügung stand. Darum verkaufte er 1803 mit höchster Er-
laubnisseine Handlung und Leihbibliothek an Joseph Schcrcr.*)
Dieser hatte schon im Vorjahr in Gemeinschaft mit Ferdinand
Bastien eine Handlung für auswärtige Literatur errichlen dürfen,
unter der Bedingung, sich darauf zu beschränken, die Lasten
wie jeder andere Bürger zu tragen, keine besondere Begünstigung
durch ausschließliche Abnahme von Büchern für die Hofbibliothek
oder durch Vorschusse zu erhoffen und für das Publikum immer
eine hinreichende Auswahl von Schriften bereit zu halten.
'} Rtt»proi(ik«Uc MSi, II.
^ RiUprolokollc 1791, I,
•) RiUprolokolle itm, III.
*) .Einig« Qcwcrbc »trden, il» penSnllche OemhllekclKn, von dem Hofe uikI
Wlter dcntn Schuli« tätlichen. Mm ncnnl Ihre Inhobn HoJuhuliticfrpilc (in frähcrm
ZdMa koantn »Ic unlrr i1tr Hrnranuni; HoI«c)>ilUI»r vur). unil lür hnbrn nicht näthiK.
BOrivr ni »r(n ; unirrlirscn luch drn bä'KCillctiai Absibtn rieht* — lläbnn 4, i, O. :t«,
•) Rmproicliclle iki, III.
•) Kcxktipt vuin 9 Min igo3. RibprotolioUe 1S0}. I.
■
Zur Q«scliiclite der Zensur und des SchriftweseiK in Bayern.
Von 1801 ab zählte München also fünf Buchhandlungen,
auBer den drei bürgerlichen der Lentner, Lindauer und Strobel
die zwei privilegierten des Schulfonds und von Seidl- Scherer.
Nebenbei seien die zahlreichen Winkelpresscn erwähnt, die
mit Produkten obskurer Skribler das rechtliche Verdienst gefähr-
deten. Die Eigentümer waren mehrfach Juden. Ein «Wink an
Deutschlands Regenten- iSoo regte unter Hinweisung auf ältere
Reichsschlüsse an. sie aufzuheben. Der Bücherspeditcur von Bube
berichtete 17 98 aus Sulzbach, daß sich unter der dortigen Juden-
schaft drei oder vier Winkelpressen befänden.
Die Münchner Buchhändler legten dem Goldnen Almosen
auch den Nachdruck zur Last. In einer Zeit, wo das geistige
Eigentum des Autors noch so wenig gesichert war - nur ein-
mal fand ich eine abfällige Bemerkung des Rats Schiber, daß
sich der Landshuler Meidinger eines plagü aus Kreitimayrs
Staatsrecht schuldig gemacht habe — , konnten die Maßregeln
gegen den Nachdruck schwerlich weit gediehen sein. 179S
noch meinte Strobel gegenüber der Oberlandesregierung, ') daB
mit der Entfernung des Verlagsorts, Berlin oder Leipzig etwa,
die Schuld des Nachdrucks sich mindere. Er spornte den Buch-
drucker Seybold in Pappenheim zu schleuniger Lieferung von
Hufelands Makrobiotik an, als ein Retchsbuchhändler eine neue
Auflage ankündigte, ließ sich aber selbst durch ein Mandat^)
gegen den Nachdruck von Saüers «Vemunftlehre für Menschen,
wie sie sind" durch den Augsburger Buchhändler Verhalsl
schützen.
Nun war aber die Aufschrift eines größeren Verlagsoris
ohne Rücksicht auf die Richtigkeit ein beliebtes Mittel, den
Büchern eine gute Empfehlung zu geben. So berichtete der
Grenzmautner 1796, daß die Salzburger Nachdrucke von Sailers
Vemunftlehre, worauf durch Reskript vom 5. März d. J. Strobel
ein Privileg erhalten hatte, Frankfurt oder Leipzig als Er-
scheinungsort angäben.
Am 12. April 1803 wurde von höchster Stelle ein Gesetz
gegen den Nachdruck eingefordert, da sich die drei Münchner
•) M. K- A. ;sr;i: BflthcniBchdnick b«r.
*i Vom 9. Stpi. 1791. RaUpiaUikalli 1791, Itl.
ober den Augsburger Kranzfelder beklagten. Eine merkwürdige
Ansicht schien ihr Anwall zu haben, indem er den Aufschwung
der Literatur und den Buchhandel im Verhältnis der Ware zun
Flor ihrer Fabriken betrachtete. Aber er konnte aus Kants Meta-
physik der Hechlslehre die Unrechtlichkeil des Nachdrucks
belegen.
Auswärtige Buchhändler, die sich Ober bayrische Nachdrucke
beschwerten, fanden ihr Recht, Ein Reskript vom 18. April 1805')
schützte einen Buchhändler in Berlin.
Da erging am 12. August 1805 ein Mandat') an die
Oenerallandesdirektion: «Wir haben bereits unterm 12. April 1803
von Euch gutachtliche Vorschläge iiber den Entwurf eines zweck-
mäßigen Gesetzes gegen den Büchernach druck abgefordert. Da
Ihr dieselbe noch nicht ganz vorgelegt habt, so erneuem wir
Unsere vorige Weisung."
Hinten auf dem Akt steht die Notiz: «Durch Erweiterung
des Reiches 1808 beruht dieser Gegenstand auf sich." Und
dies ist ein Gesichtspunkt, unter welchem die Milderung der
Zensur fiberhaupt zu betrachten ist.
Es ist nicht zu verwundem, wenn die Buchhändler sich
nicht immer redlicher Miltel bedienten, ihre Einnalinien zu bessern.
Auszüge aus verscliiedenen Werken beliebter Schriftsteller wie Karl
von Eckartshausens ■) wurden als deren neueste Schöpfungen aus-
gegeben. Eckarlshaiisen war auch außerhalb Bayerns beliebt
und begehrt. Lindauer bat den Pappenheimer Drucker Seybold
in einem Brief vom 2. Februar 1800,*) ihm Eekartshausens Reden
noch bis Ostern zu liefern, da er sie auf der Leipziger Messe
gut verwerten könne.
Dorthin zog auch Palm aus Nürnberg. Dieser gab 1800
dem dortigen Magistrat in einem Verhör an,') für Schriften, die
das l'reisinger Ordinariat beanstandete, in Leipzig Käufer gefunden
zu haben. Johann Qg. Hcinzmann schrieb 1 795 im «Appcl an
i) Dd DOllltifftr.
i) M, K. \ rar/j,
1 DHdcn Uxlkon und M. K. A. isrfli: Cat llbr. proli.
*j K. *l\g. Rrlchurirhlv. JuttlimlnlilrrlaUklai IX, m/t. DteUntmachiins gesrn
dl< Vcriantr und Hctaut^bct mdiccr«r zu Manchen mcliicncncTi anonfnicn SchVlIlm
poliÜKhnt Inhslh bdr 1101. (An* dm NichUD von ZcnMcn).
t) .M. K A. Ititu.
I
1
Zur CeschJdite d«r Zensur und da Sdiriftwesens in Bayern.
meine Nation": »Wer aiif einer Leipziger Messe das Hin- und
Herrenn«n der Autoren und Buchhändler einmal mit angesehen
hat, der bekömmt fast Widerwillen gegen sonst sehr berühmte
Namen von Gelehrten. Sie niachei dem Buchhändler die Auf-
wartung zu Tag und Naclit; sie haben Manuskripte nach der
Wahl und zu Dutzenden; selbst auf Richters Caffeehaus sah ich
solche, die ihrem Herrn Verleger damit aufpaßtenl"
In Bayern wurden die Werke weniger in VerEag, den viel-
mehr der Autor selbst übernmhm, als in Spedition gegeben.')
Immer neue Kunststückchen! Als der deutsche Kirchen-
gesang sich mehr und mehr Freunde gewann, kam eine Masse
Makulatur mit neuer Jahreszahl und Firma ans Tageslicht') Man
suchte mit allen erdenklichen Gründe» in Beschlag genommene
Volks&chriften, die immer ihre Abnehmer fanden, zu befreien.
J. M. Kaltenegger in Burghausen bat 1S05 um Rückgabe der
Traumbüchlein, da mit der zunehmenden Volksbildung der Wert
ja ohnehin abnehme, so aber Sensation denselben hinauftreibe
oder gar das Spiel außer Landes begünstige und das Ansehen
alter Mütter steigere.
Bei allen den schweren Erwerbsverhiltnissen lastete auf den
BuchhändLem nun weiter die Bedingung, an gewisse Stellen
Exemplare von Werken abzuliefern.
Der Ingolstädter Attenkofer machte am 9. Mai 1800*) eine
Vorstellung an die Zensurkommission wegen des vor Professor
Lorenz Kappler herausgegebenen «Kleinen Magazins für katho-
lische Religionslehrer" : », . . sollte ich mit der tinsendung der
Exemplare fortfahren und an die Universität noch zwei andere
abgeben müssen, wider welche Forderung ich mich als Unterthan
der Universität nicht setzen kann, so erwachsen aus diest-r neuen
Einrichtung für mich doppelte Unkosten, die um so empfindlicher,
da ich auch ein Freiexemplar nach Eichstädt, ein anderes an
Höchstdero Hofbibliothek einzusenden liabe und bei den jetzigen
Kriegslauften der Buchhandel fast ganz damicdcrlicgt."
Bis zum 9. April 1799 waren, wie aus einer Spcditions-
I) M. K. A. nijM: Zetbchrifloi bdr.
*| tntdIllieraiblaH ISO]
•) K K. A. m/i*.
US
Ferdinand Lorenr.
amtscrinTiening von Bubes') ra ersehen ist, 6 Cxemplare altein
zur Kommission einzusenden; nachher 2, je 1 für den Zensor
und zur Aufbewahrung beim einschlägigen Akt. Am 20. Dezember
1799 wurde ein drittes Exemplar für die Hofbibliotliek befohlen.
Dieses Recht gründete sich auf einen Befehl Ferdinand Marias von
16S3*): «Bei allen Buchdruckereien im Land, wie es anderer
Orten gebräuchlich, zu verfügen, daß von allen neu ausgehen den
Büchern ein Exemplar zur kurfürstl. Bibliothek eingeschickt
werde." Dieser Befehl wurde unter Karl Theodor erneuert und
unter seinem Nachfolger, nach Hübners Mitteilung, schlieOlich auf
2 Exemplare ausgedehnt.
Anfang 1802 machte Bube die Anzeige, daß für die von
den Akten separierten Bücher kein Platz sei, und schlug deren
Unterbringung in die Hofbibliothek vor, von wo sie aber immer
bei Bedarf verabfolgt werden müßten. Ein ReskripC) entschied
in diesem Sinne.
In Wirklichkeit begnügten sich die Buchhändler Öfters mit
Einsendung nur eines Exemplares an die Kommission, Dem wurde
mit der Begründung gewehrt, daß dann die Hofbibliothek eine
Menge anonymer Schriften mit erborgter Verlagsfirma, deren
Verfasser und Verleger bloß der Kommission bekannt wären,
nicht erhalten und abfordern könne. Auch sei die Kommission
in Verlegenheit, falls Einsendung ans geheime Ministcrialdepartc-
ment oder die Qeneratlandesdirektion oder 'die Beurteilung
zweier Zensoren notwendig würde.
Westenrieder trat für Beibehaltung des Brauches ein gegen-
über der Universität, die sich überhaupt der Zensur zu entziehen
suchte, indem er schrieb*): r.Da die Commission Kenntniß der
im Land in Druck erscheinenden Schriften erhallen müsse, aus
I) Vom 10. Mal iSOi. M. K.A.18B/8: EInMiidane von EnmpUmi dn DrackuftrttMi.
•I Hbbncr «. •_ O. 11, 4».
s) Vom 1. Fctir liOl. — Du -Contwiloriuni ctn CaimmllFfciutn«* vor Ober-
miunj ta brvaticm. hillc die vein doi Z«i>uiT31m bcdaumr Veroi^lnung irom 9. Mint ITM
(M. K. A> 78B;it| dm SlUmvichtem dnm tcliliiiimcn fHidcli enpidl. Die TliMIlnn tiattm
tj»t ihr« BIblloIhtk durch Pmcnbruntl »crlorcn Der Probst i' Piiit Arezio von ThnM
Mnn luf Emti nnd leim auf dm mcrlnrürdigm Ocdanlifn, vom Kurfünt äie konSltxlemn
BtichCT drr j'«n(iir tu «blll«! Und Kill Tlimdor «IIKahrlr Da Inlixit eUiMliwf volltt
nir rilinkdl und nnlinimung d»r c;iioTlinTii nlrtit techi pnucn,
•) Am :. Mil UOO. M. K. A. litt»: Dn Bclrclungjtnhl drt Unlimitlt laeol*
tUdI, duin Landfhol >on der oidcnllkhcn zur Sctüiliensut.
Zur Oeschichie der Zensur und des Scliriftwocns in Bayan. 449
bloßen Titeln in Bflchervcrzcichrissen, Anzeigen, Recensionen
keineswegs die UniversitAts-Approbation ersehen werden kann, in
München auch die geringsten Blätter einlcomtnen, in Verzeichnis
gebracht und bei diesortiger Registratur aufbewahrt werden, so
möge auch die Universität sowie alle anderen Censurbefrefte zur
Ablieferung der 2 Exemplare angehalten werden."
So wurde auch von der geheimen Universitätskuratel an-
geordnet. Das Reskript vom 7. April 1801 aber nahm von
der Forderung Abstand, da die Universität Für sich 2 Exemplare
verlange und die Abgabe zweier weiteren eine Bescliränkung der
Preßfreiheit sein würdtp p.als dergleichen Beschränkungen über-
haupt der Lilteralur in Baiern besondere bei größeren Werken
hinderlich sind, auch vorzüglich den Schriftstellern der hohen
Schulen lästig sein müssen, welche zum Theil ihres Amtes wegen
dnicken zu lassen gehalten sind und wenigstens Werke liefern,
die kein großes Lese -Publicum haben." Eine vollständige Samm-
lung werde kaum erreicht, wohl aber der Verlag- und Dnick-
gewinn dem Ausland zugetrieben.
Selbst die geschäftlichen Gepflogenheiten des Buchhandels
blieben seitens der hartnäckigen Zensur nicht unangefochten.
Strobel meldete einmal, daß er die dem Millwoclisblatl zur Anzeige
zugedachten und bei Durchsichl der Anzeigen vom Kolleg ver-
langten Bücher ad locum unde rückspediert habe. Man stehe
vor Schluß der Jahresrechnung, und es sei Obser%'anz, daß, wenn
die ad speculationem von auswärtigen Buchhandlimgen zuge-
schickten Bücher bei der gewöhnlichen Jahresrechnung nicht wieder
rückspediert wären, sie nicht mehr vergütet und abgeschrieben
würden. Es ändere daran nichts, wenn sie auch das Sj^edilions-
amt selbst nachträglich zurückbesorge.
Das Kolleg wollte sich damit nicht begnügen und verlangte
sdilirßÜch für die Rücksendung ein Zeugnis.
Es konnte nidit anders sein, wenn das Gewerbe aufreclit
bleiben wollte, als Montgelas es auffaßt:') «Man mußte die Augen
schließen Ober die Übertretungen, die sich die Buchdrucker des
Landes gestatteten, um die nicht zu verderben, denen der Absatz
kleiner Werke ihren Unterhalt verschaffte. Man umging das
') Conple renitu, tn.
Gesetz Dberhaupi, wo man es nicht zu verletzen wg^, und die
Hindernisse, denen man Jn dieser Hinsicht begegnete, sind noch
nicht ganz gehoben."
Eine Untersuchung gegen den Buchdniclttr Johann Jakob
Seybold in Pappenheim, die iSOI auf kf. Requisition hin erfolgte,
unterrichtet über den geschäftlichen Verltehr, den ündaucr und
Strobe] mit jenem unterhielten.') Dabei fand man eine Anzahl
Schriften, die durch ihren aktuellen Inhalt auffielen und meistens
von Strobcl in Druck gegeben waren. Sie behandelten die Fragen
einer Steuerperäquation, des jüdischen Freihandels, der Landstände
und sonstige Dinge, welche die Gegenwart einer zeitgemäßen
Neuordnung empfahl.
Daraufhin wurde auch Strobel in Untersuchung gezogen.
Denn seine Briete an Seybold ließen über seine Beteiligung keinen
Zweifel. Sie zeigen auch, zu welchen Airswegen die mißliebige
Zensur verleitete. Von der Schrift «.Leben und Tliaten des
berüchtigten und landverderblichen D. Herkommens auch Obser-
vsntiiis genannt", als deren Verfasser sich später Minister Hom-
pesch herausstellte, ließ Strobcl in Pappenheim nur Titel und
Aversseite drucken. ^Das Piece ist in einer andern Dmckeity
gegeben worden, der ich nicht wissen lassen will, wie eigentlich
der Titel heißen soll."
Ein andermal dringt Strobel auf die Verwendung guten
Schweizer Papiers und weist an: »Halten Sie die Manuskripte
wcitläuftig, das heißt recht durchschossen, damit desto mehrere
Bögen in Druck gehen.« Aus diesem Grund wünscht «r auch
den Gebrauch großer Lettern.
«Wenn ich nur die Schrift von der Landschaft bald er-
halte", schreibt er am 14. Oktober 1799. «&n dieser ist mir viel
gelegen, und machen Sie nur, daß kein Exemplar aufkommt, und
man den Druckort nicht so leicht erfährt"
■Von der Frohnen und Scharwerk werden nach beyliegen-
dem Muster 1000 Exeniplarien aufgelegt, dieses Manuskript dürfen
Sie schon ein wenig enger halten, es ist gar weitschichtig ge-
schrieben."
Eine Schrift Chr. v. Aretins behandelt er in folgendem:
•) K. allg. RridiNUclilT, JunlLinltiliirilaUkini IX. mü.
i
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern. 45 1
«Der Bundbrief ist gestern hier verbothen worden, ohiigeachtet er
zweymal ist nachgedruckt worden. Ich schreibe Ihnen dies des-
wegen: damit Sie sich darnach richten können. Sie haben diesen
Bundbrief nicht gedruckt, wenn sie gefragt werden sollen.
Die hiesigen Landstände haben dieses erwirkt Lassen Sie sich
dieses gesagt sein, daß Sie mich nicht verralhen."
Mit Ungeduld erwartete SIrobcl der Ingolstädter Boten, den
Postwagen oder die Fuhrleute, die ihm die besagten Schriften
überbrachten. Er hatte sicheriich nicht nur den Gesch5ttsvor-
teil beim Vertrieb im Auge: dem Freund Ulzschneiders, den er
zum Abschied dichterisch verherrlichte, und dem Vertrauten Hom-
peschs mußte auch aus ideellen Gründen die Verbreitung auf-
klärender Schriften am Herzen liegen. Denn Hazzi sagt, daß
sich Strubel viele Verdienste tim die Verbesserung der Volks-
aufklärung erwarb. ') Aber seine Vorsicht machte ihn auf die
Möglichkeit einer Unteisuchung ständig bedacht, und kurz bevor
sie ihn betraf, schrieb er an Seyboid: „Es fängt die Inquisition
vermuthlich auch bei uns nach und nach wieder an und ich ersuche
Sie nochmals, nichts von dem wissen zu lassen, was ich bei Ihnen
alles habe seit einiger Zeit drucken lassen."
Dieser wahrscheinlich auf der Post aufgefangene Brief vom
19. Juni wurde die Veranlassung der Untersuchung. Waren-
lager, Buchiaden, Manualbuch und Korrespondenz sollten
auf kuri. Befehl durchgesehen werden, „-mit Gesetzmäßigkeit und
Vorsicht, ohne Erregung eines besonderen Aufsehens." Der
Hofoberrichter von Hofstetten und Polizeidirektor Baumgariner
berichteten :
bEs ist bei Buchhändleruntersuchungen immer äußerst
schwer, den verbothenen Artikeln auf den Qrund zu kommen,
wenn man bedenkt, daß die Buchhändler die verbothenen Artid
in ihren Büchern mit Titeln von laufenden unbedenklichen Picccn
zu taufen pflegen. Unter solchen Titeln verstehen sie sich dann
in ihren Rechnungen. - Ebenso pfäegen säe die Lagen der
bedenklichen Arlicl unter die Ballen von andern Werken ein-
zutheilen, indem sie die Titelbögen sorgfältig zu verbergen suchen.
I) SUUittMlw AulMhiei«e llt, 3U.
r
452
Ferdinand Lorenz.
nWenn also nicht in einem Buchladen und Waarenlager
Blatt für Blatt der in Ballen liegenden Bücher in albis in die
Hand genohmen wird, so ist es unmöglich darür zu stehen,
daß von derley verboltcnen Schriften nichts mehr vorhanden sey,
gleichwie denn auch wir, da dieß im StrobJischen Oe«-ölbe und
Waarenlager eine Arbeit von mehreren Monaten für 20 Menschen
wäre, im vorliegenden Fall nicht dafür bürgen könnten."
Spät abends wurde Strobels Wohnung in der Neuhauser-
gasse obsigiiierl und bis nach Mttlernach! sein Gewölbe in der
Kaufingergasse durchsucht. Monigelas woüle gründlich verfahren
haben und kehrte sich wenig an Strobels deutlichen Einspruch,
unter magistratischer Jurisdiktion ra stehen.
Nachdem man konstatiert hatte, daß sich das Handbuch
in Unordnung und Illegalität befinde, wurde Strobel zur Aus-
kunft ober die nichtgenannten Verfasser genötigt. Er bezeichnete
die Broschüren als solche, <> welche einzig und allein das Wohl
des Landes und Folglich auch der Fürsten zum £ndz\veck hatten.'
Noch vor Jahresfrist seien die das landschaftliche Wesen be-
treffenden Schriften gang und gäbe und bei Hof und Ministerium
angenehm gewesen. Hompesch habe ihn ermuntert, in seinem
löblichen Eifer ferner fortzufahren.
Als Strobel Simon Rottmanncrs »Bemerkungen über das
Laudemi alwesen in Baiern" Hompesch überreichte, habe sich dieser
geäußert: „das sei recht, er werde das Buch S. Cht. D. selbst
behändigen, weil er noch niemals etwas so Gründliches über eine
so verwirrte Sache gelesen, es seje ihm lieb, daß er Befragten
kennen gelernt, er werde ihm Öfters etwas zuschicken, um es zum
Druck zu befördern."
In der Tat freute sich Hompesch dieses Oesinnung^enossen
und hielt Wort. Er überwies die Schrift: „Die Lindslände in
Baiem, was waren sie, was sind sie. was sollen sie seyn?«
Die »Materialien zu einem künftigen Landtag" und die
„Präliminarien eines neuen Landtags" rührten von Utzschneider
her. Dieser behändigte auch den «Pfalzncuburgischen Depu-
titionsabschied."
Strobel verwahrte sich ernstlich gtgcn die ganze nnieder-
drückendc und kränkende Inquisition". Die Flugschriften waren
I
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern. 453
während der französischen Okkupierang allenthalben ausgestreu!
worden. Hübner kündigte sogar einige in seiner Literatur-
zcilung an.
Strubel betonte sodann das Eigentumsrecht Die Regierung
möge ihm die mißliebigen Exemplare ablösen, „zumalen kein
Verboth vorausgegangen und das Ansehen jener Personen, von
welchen er solche erhalten, eine allenfallstge Censur-Erfordtmiß
allerdings supplirl"
Der verdrossene Adel und die Prälaten sahen natürlich
Strobe! nicht gern als Inhaber des Intel! igenzblattes. Das Gerücht
entstand, daß ihm der Verlag entzogen werden solle. Er wies
die Untersuchungskommission auf die rechtmäßige Erwerbsart
hin. Er hatte den Verlag der Witwe Finauer um eine Summe
an ihre Gläubiger und eine Jahrcsrenle von 200 f1. abgekauft,
mithin titulo oneroso erworben, imd die Regierung hatte den
Wechsel bestätigt.')
Nach der Untersuchung schrieb er an Seybold unlerm
14. Juli 1S01 folgenden Brief:
«Die Schrift über die Landstände, die Frohne und das
Scharwerkswesen in Baiem und die Bemerkungen über das
Laudemialwesen verlegt zu haben, rechne ich mir zur Ehre; bei
den Zeichen der Zeit ^) und den 10 Oebolhen') wäre ich nicht
verlegen, das mögen also die Aulhoren verantworten. Sehen Sie,
ich halte mich für so rein, daß ich nicht einmal an die Amnestie
des Lüneviller Friedens zu appellieren für nothwendig halle, ob-
schon mir es viele Menschen, die an meinem Schicksal Theil
nehmen, anralhen. Der Zeitungsscli reiber Lorenz Hübner wil
sich mein Privilegium wegen dem Intelligenz Blatt zu eignen,
ist also wider mich und setzt also seine Anhänger Krenner, Bei^-
niiller, Seinsheim in Bewegung. Ohne richterlichen Spruch wird
man mirs aber nicht abnehmen können; denn ich habe nichts
verbrochen. Wir haben keinen Minister wie Hompesch mehr,
der mit dem gelt: Ref: Utzschneider denen landesverderblichen
Mißbrauchen warm zu Leibe ging, man macht dießem letzteren
>) Rnkrlpt vom i fcbi. irH.
•> V«rf»ict Hofral Leib
t V*rf»»Kr H«(i.
jm
Villen Verdruß ganz unverdienter Maßen, er steht aber standhaft
wie ein Fdß, der sich um die Wellen nicht kümmert Ich habe
wider den Fürsten und das Vatlerland niemals was tintemommen,
und würde mich schämen an Pasquillen wie z: B: Überblick,
Dankaddresse,') patriotische Lieder, die Biographie des Ministers
Montgelas einen Theil zu haben.
Also wohlgemuthet, lieber Freund, ich schreibe Ihnen
nächstens eine neue Arbeit, worauf ich meinen Nahmen vorsetzen
lassen werde.
Ich bin Ihr gelcränckter Strobel Professor, Buchhändler."
Wir sehen in dem Buchhändler Strobel einen freimütigen
Mann, der seine Handelsgerechtigkeit durch mutiges Einstehen
für Schriften fortschrittlich gesinnter Freunde öfters gefährdete,
weil er solche Manifeste der Zensur aus dem Wege h^cn
mußte, um sie nicht zu vernichten. Schon 1780 war ihm die
Entziehung seiner Buchhandlung angedroht worden und wiederum
1794,') da er die «Vertraulichen freundschaftlichen Briefe eines
Geistlichen in Bayern" unerlaubt dmcktc.
Strobel starb 1806. Der Vorkämpfer für die Rechte eines
freien Buchhandels hatte sich Ansehen und Wohlstand erarbeitet.
Seine Sammlungen erwähnten wir schon. Er war Eigentümer
des ehemals Fürsifreisingschen Landgutes Ottenburg, einige
Stunden von München.") Sein Nachfolger wurde der Buchhaller
Ernst August Fleischmann.*)
Noch eine andere Ursache ist ausfindig zu machen, welche
die gedrückten Erwerbsverhältnisse der Buchhändler begreifen
läßt. Es werden öffentliche und private Bibliotheken aufgezählt
mit namhaftem Bestand. Aber viele kümmerten sich nicht um
deren Erhaltung und Erweiterung, sondern erblickten in ihrem
Bücherbesitz ein zuverlässiges Mittel, sich durch Versteigerung
aus finanziellen Nöten zu befreien.
Vornehme Familien wie die Grafen von Setnsheim und
Preising wurden wegen des Sammeleifers, womit sie sich eine
>) Ein OfUtltt KrDdcflvInky toll Zansl mit dem Dnic-Ic betvftngl habm, um dit
iFrügtn ExpmpliTc ini Hanptquullcr nicb Nymptitnburs lo lldon.
■) Ritiprotokollc i;v4, IV.
^ HUbncr. Suiiitlk, 419.
*> RattproleLolle ilK, I.
Zur Oeschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern.
Bibliothek geschaffen, belobt.*) Hübner rühmte den Legationsral
Rheinwald, der .,eine ansehnliche Sammlung von rheinpfälzischen,
rweibriicJiischen und baierischen Büchern und Manuskripten"
besaß. -Eine kostbare Sammlung von Boicis hal Hr. Christ
B. von Aretin, kurfürsU. Oberbibliolhekar, seit mehreren Jahren
vcranstahet. Andere reichhaltige Böchereammlungen, besondere
in cinzctrtn Fächern, sind in den Wohnungen einiger Adeligen,
der höheren Beamten und der Gelehrten anzutreffen."')
Aber es wair doch ein unfruchtbarer Besitz, insofern nur
wenige die literarischen Schätze genießen konnten, und in diesem
Sinne hat Eckarishausen von prächtigen Mausoleen gesprochen,
die der Mann des Volkes nur von aufien beschauen darf.') Man
hat allmählich in maßgebenden Kreisen dem Gedanken gehuldigt,
dem Volke solche Bildungsmittet darzubieten. Noch früher als
das Taschenbuch für 1805 die Errichhing von Bibliotheken in
Städten und Märkten begutachtete, hat ein Landshuter Professor
am Namenstag der Kurfürstin 100 fl. als Beitrag zu einer Volks-
bibliothek beigesteuert*) Und in Landshut entstand dann auch
die Karolinische Schul- und Volksbibliolhek, in deren Listen
Hufeland, Kant, Herbari heimisch wurden. Nicht nur leichte
Ko8t wollte man so den Leuten auftischen.
Wenn dabei die Birchhändler ein oder das andere Werk
absetzen mochten, konnten sie doch den Schaden nicht wert
machen, der ihnen eben durch jene Versteigerungen zugefügt
xrurde. Die Veranstalter suchten die Zensur tunlichst zu umgehen,
da ihnen sonst durch Beschlagnahme von Werken^ die vor Er-
richtung derselben zur BiblioUiek gekommen waren, Abbruch
geschehen wäre. Das Kolleg ließ es an Wachsamkeit nicht fehlen.
Es verständigte den Hofkriegsrat wegen der von Qeheinirat und
QeneralleulnanI von Peglioni hinteriassenen Bücher.*) Eis wollte
die ihm zu allgemeiner Aufsicht über das Böchersyslem obliegen-
den Pflichten erfüllen, „welcher Aufsicht die Privalbibliothekcn
>} Xanr Antvotl inf die unedicudselle AbfmIgMni; drr KriUlun und Erinntninicm
Qticr dir kl. b. Vctotdnunf die lyillitiichui und KymnutlKhcn Schnltn bttr. Augsbuni KOO-
»J mbntr «16
•) W»f tragt am riditeii luf Rruolutiuii itiiani Zäun liei? tT9l.
•I Inlrtllemzblill 1803.
4 M. K. A. nsill.
r
45«
Ferdin&nd Lorenz.
eben deswegen, weil sie Privalbibliollieken sind, wenn sie nach
dem Tode ilires Besitzers in weitere Privathände kommen, infolge
bestehender höchster Verordnungen sich nicht entziehen Itönncn.'
Ein vergebliches Gesuch um Dispens machte im gleichen
Jahre 1792 Gg. Jos. Eder, »der Rechten Candida! und gewesEer
nunmehr allerlebler Schreiber, allhier wohnhaft neben dem
Taschenihurm im Bierzapflerhaus." Seine Bibliothek war durch
die Bücher des ihm verpflichteten verstorbenen Advokaten auf
3000 Bände angewachsen. Die wollte er nun, da die Händler
nichts zahlten, an der hierzog Max- Burg, im Hofgaricn und bei
den Englischen Fraulein versteigern. Das Vorhandensein des
Terenz, Horaz, des Conciltum Tridentinum genügte den Zensoren
zur Abweisung.
Eine bedeutsame Neuerung brachte das Jahr 1798. Der
Hofrat stellte den Verleger Falter als ßüchcrschätzcr an und
verpflichtete ihn, die Bibliotheken, die nicht vererbt oder ver-
steigert würden, um den Schätzungspreis selbst zu übernehmen.
Auf diese Weise brachte Falter 56000 Bände an sich, und die
Zensur war davon wohl unterrichtet.')
Die neue Regierung war auch hier nachsichtiger. Max Joseph
erteilte 1803 die Erlaubnis, die nachgelassene Bibliothek des
Siadtkämmerers von Hepp, der nach Angabe der Kinder sein
ganzes Vermögen in Büchern angelegt hatte, ohne Einsicht der
Kommission 2U versteigern. Westenrieder war mit einer der-
artigen Begünstigung einverstanden, wenn geistliche oder welt-
liche ordentliche Bibliotheken Abnehmer waren, bei welchen die
zweideutigen Bücher abgesondert aufbewahrt wurden.
Westenrieder sah am liebsten die Einsendung eines Kata-
logs vor der Versteigerung, um die darin verzeichneten Schriften
einzeln mit Kennzeichen zu versehen. In solchen Ocleitsbriefen
alliierte sich immer wieder die überzeugte Vorsicht, Unheil durch
unverstandene Lektüre zu verhüten.
Unter den veräußerten Bibliotheken sind die des Reichs-
grafen vor Törring zu Seefcld und des Barons von Gumppen-
berg besonders zu er«'ähncn.
'I R«U|irol«kolte iDS, Itl, Schreiben du Zcn)UTkoll(gs an den Magiithit vom
*. Augtut.
Zur Oeschichle der Zensur und des Sctiriftvcsens in Bayern.
Man könnte nun annehmen, wenn in dem hier behandelten
Zeilraum von Gründung eigener Bibliotheken seitens verschiedener
Behörden berichtet wird, daß dabei für die Buchhändler ein Ver-
dienst hätte abfallen müssen. Aber Anweisungen ans Hofzahlamt
finden sich selten. Im Gbrigen handelte es sich nur um sogenannte
Bibliotheksäb ertragungen.')
An die erste Deputation der Generatlandesdirekfion wurden
die Oberstlehenshofbibllothck: und die beim Reich svikarialshof-
gericht 1 790/92 angeschafften, nachher in geheimer Staatsregislratur
hinterlegten Werke überschrieben.') Auch aus Privalsammlungen
wurden Bücher für das Departement in Landschaflssachen angekauft
Und als nun gar über die Kloster das Urteil gesprochen wurde,
war reichlich Gelegenheit gegeben, die anderen Bibliotheken zu
ergänzen.
Welchen Wert derart überwiesene Werke darstellten, lißt
sich schwer sagen. Denn über die Beschaffenheit der Biblio-
theken waren die Zeitgenossen geteilter Meinung- Montgelas
berichtet: „Als die Klosterbibliotheken nicht mehr bestanden, ver-
loren die großen litterarischen Erzeugnisse, die große Begünstigung
verlangen, einen gesicherten Absatz." Wir wollen hier nur vor-
übergehend der literarischen Verdienste einzelner Orden gedenken.
Auch Baader urteilt vorteilhaft über die Klosterbibliotheken.
Man darf aber nicht alle Orden unter diesem Gesichbpunki
betrachten. Daß die Bettelorden literarisch nicht auf der Höhe
der Benediktiner, Jesuiten, Augustiner standen, ist bekannt
Chr. Aretin. dem die Fürsorge für die Hofbibliothek über-
tragen wurde, während Paul Hupfauer die Universitätsbibliothek
und Joachim Schubauer sämtliche Schulbibliolhekcti zu versehen
halten,') machte namentlich bei den Benediktinern überraschende
Funde. Von Benediktbeuern schreibt er:*) 4>Auffallend war
es uns, hier ein eigenes Behältniß von verbotenen Büchern an-
zutreffen, das meistens mit protestantischen Theologen angefüllt
war. Andere von Rom aus verdammte Bücher fanden wir unver-
)) M. K. A,ISi/8: Anleeune Hnn eigenen BIblioltiekffIrdleOMiaillatidnclirdrilan.
*] Am 26. juiiur 1199.
■) Joi. P-ctil, Du Botrcbcn dei Ret[ienui|[ vcin Bueni lut Vivbipituns (miän-
nOtilKCt Wiiicnichaficn. isut.
*; Im i. Siück iäntr btlMge.
Arthiv IDf Kultur&Bchlchtt. 11- 29
458
Ferdinand Lorenz.
sperrt, und bey der bekannten Monarchia Solipsorara war sogar
die Bemerkung eingeschrieben: non est prohibtrtis über Jste. Ein
Zug, der fOr den kündigen Ocschichtsschreiber der Ordensanti-
pathien nicht verloren gehen darf.' Bei den regulierten Cbor-
herrn in Poiling fand er Freimaurer- und Illuminatcnschriften
und solche über die Reformation und die französische Revolution.
Auch sonst wird der Schriftenreichtum der Benediktiner
mit Ehren erwähnt. Der Hofrat Zapf beschrieb 1782 seine lite-
rarische Reise in einem Teil von Bayern, Franken und Sdiwaben.
In St- Emmeran hatte P. Roman ZimgibI als Bibliothekar des
Reichsslifts erfolgreich gewirkt, und unter einem Abt wie Frobc-
nius Forster, der 20 Jahre hindurch für seine Alkuinausgabe*) sich
Mühe und Kosten nicht verdrießen; ließ, mußte es um die Bücherei
wohl bestellt sein. Einen erstaunlichen Tiefstand fand Zapf nur
in Pnlfening, und die geringen Revenuen des Klosters schienen
ihm eine unpassende Entschuldigung. Vielleicht hat der Abt
Rupert Kornmann bei seiner kostspieligen Vorliebe für technische
Apparate för Bücher nichts mehr aufwenden können. Die Bene-
diktiner von St. Ulrich in Augsburg besaßen über 700 Bände
Handschriften,') und Willibald Frcymüller hat 1870 veröffent-
licht, was in Metten zu holen war.*)
Man muß daher die Ansicht des Annalisten Keyser,') daß
die Orden ihre Bibliotheken nach t'ngen Rücksichten zusammen-
stellten, mit Einschränkung hinnehmen oder den systcmatiKhen
Aufbau leugnen und die Entstehung des Büchervorrats dem Zu-
fall zuschreiben, der dem blollcn Sammeleifer Verschiedenartiges
zutrug. Hübner traute den Mönchen eine litcrarisclie Würdigung
ihres Besitzes, der in der zveiten Hälfte des 1S. Jalirhunderls
nicht ebenbürtig fortgewachsen sei, nicht zu.*) Die Blätter der
Zeitgeschichte kämen nicht in die Abteien, sie müßten denn
eine Schmähung auf die Regiening enthalten. «In ner Klöstern
traf ich scientifische aber wenig unterstützte Geschäftsmänner,
■) NIdic clnmtl *l( Tiutch gr|[ca andere SctirilKci valllen lie die Buclibindicr in-
aehmeit. (Zipl.)
*) L Sdi^nchcn. Zui Onchkbtc der VatkibüduiiE und lia Untcrricbti in Sdivabcn
Bnd MmlHirg- (Bavuli-]
■) ROckl^lkfcuil du &cn«diktliientlfi atid die SluiÜeuniUll Metten. iBiSV/70, lldgabc
*| Anmlen der B. LH. i!04.
<) In 49. Slfldt Klna W<Khcnbl4tR>. <«3.
I
I
Zur Gesdiichte der Zensur und des Schriflwesens in Bayern.
drei für Literatur willfSbrige aber ökonomische Prilalen und ein
paar Wortmänner an.''
Vielleicht ließen auch die Mönche in der Voratinung der
Säkularisation die Hände sinken, denn schon lange vor Ausgang
des 18. Jahrhunderts wurde ihr Kommen gefürchtet oder gewünscht.
Man erinnerte sich,') wie lebhaft Friedrich d. Gr. den Gedanken
aufgegriffen habe. Daraus hatte Voltaire in einem Briefe an der
Minister Amelot 1743 kein Geheimnis gemacht Und während
die einen das Dominium eminens, das landesherriiche Notrecht
über Kirchengut in Erörterung zogen,') verteidigte 1791 der
Mainzer Kanoniker von Horix, wohl derselbe, der nach Mitteilung
Christoph von Schmids die Diilinger Studenten als Gast Sailers
zu einem solchen Lehrer beglückwünschte,*) an der erzbischöfl.
Universitit zu Salzburg cum censura et adprobatione facullatis
theologicae et juridicae den Satz: ,ln primitiva Ecclesiae aetatc
vota monastica non erant cognita; contra dei voiuntatem, Evan-
gelii menti adversantia, contra Ecclesiae utilitatem esse videntur.')
Solche Gedanken konnten nicht isoliert bleiben und mußten den
Eifer treu haushaltender Ordensbrüder lähmen. Dann mochte
auch jener römische Mönch mit seinem Wunsch nicht allein
stehen, den Goethe in einem Brief an Karl August (1 7. Nov. 1 787)
sagen läßt: «Wenn ich nur noch in meinen alten Tagen erleben
sollte, daß der Kaiser käme und uns alle aus den Klöstern jagte,
selbst die Religion würde dabei gewinnen."')
Aus vorurteiligen Nachrichten muü man das Tatsächliche
lösen und immer dabei die Ungleichheit der literarischer Verdienste
der Orden im Auge behalten. Bei Einverieibung der Augustiner-
bibliothek in die Hofbibliothek*) zeigte sich, daß gar viele von
den Mendikantenschriften vorhanden waren, deren Eindringen ins
Volk die Pfarrer beklagten. Der Regensburger Domherr von
■> Cwundn odir dri neue l'rophd Micha Aber dk &Uni1iri»IIan nnd Ihrt Fg1|^,
Oemunlni 1701.
•> Wider tinigi! |[clil!ichc Piojekte In KIStlen. IHI.
<) EiUncmnjefl U. 31.
t^ Meine Onindi viilrt die 1 hierllchen OTdeniselObde bdm AnUB einer Bitb«hrift
jui S. Kf, D in Pfb. M J. IV. i«w
•) Htigel, Didi- OMch. !. H7
■} M. K. A. 7lltlv- Einvcrl. d Aagniltnerblbl. f. Mflnchtn und Lauingen in dit
Mofb.. VemUhninu «idir9inni|t«f MAichtbOchcr
Fraunberg, der Leiter des Oeneralschuldircktoriums, wollte die
Spezialkoiiimission in Klostersachen zu durchgreifenden Maßregeln
veranlassen. Diese wünschte aber in der Hoffnung, daß sich die
jungen Religiösen nur die beste Lektüre aussuchen würden. Er- f
bitlcrung zu vermeiden und für die Dauer des Münchner Zentral*
konvenis die Gefache nicht bis zur Leere zu plündern. Der
Augustinerpater Konstantin Wadenspanncr zwar machte keine fl
Schwierigkeiten und gestattete sogar Aretin mehr Bewegungs-
freiheit als an höchster Stelle gefiel. In einer Session, an der der
Oberhofbibtiolhekar Häffelin, der Kustos Pezcl, der Sekretär
Bernhart und die Akademiker Aretin und Imhof am 1 i. März 1805
teilnahmen, war beschlossen worden, bis die von der Speziat-
kommission in Kloslersachen - einem engeren Ausschuß der
Oenerallandesdirektion unter Vorsitz des Frh. von Weichs - er- H
betenen Kataloge einträfen, einstweilen Aretin und den Sekretär
im Interesse der Hofbibtiothek nach dem Aiigustinerklostcr abzu-
senden. Aretin nahm dann einige ägyptische und arabische Texte
an sich. Schon am 21. Juli 1802 hatte Graf Seinsheim den
Sekretär zur Untersuchung der noch bestehenden Kloslerbiblio-
theken ermächtigt, verantwortete sich aber am 28. März 1805 vor
dem Kurfürsten, daß er die Augustinerbibliothek nicht mit-
begriffen habe. Am t8. Mai 1805 erging dann ein Mandat im
Sinne von Hertling, Morawitzky und Monigelas, die noch als
Zenlralkonvente fortbestehenden KIdster zu schonen. Ich fiihrc dies
an, weil man gewöhnlich nur über die Minister oder über .den
Minister" wegen der durch fibereilige Exekution entstandenen
Schädigung das Schuldig sprechen hört.')
Auch die Pfarrhöfe hätten gern von den Büchervonätcn
etwas gewonnen, obwohl man sich nach Ausmusterung für so
viele Stellen nichts Gutes mehr versprach.*) Denn die uOber-
nahme der Pfarreyen kostet insgemein gar zu viel Aufwand',
schreibt der Berichterstatter vom geistlichen Seminar zu Regens-
bürg. Daher blieben viele lieber ohne allen ßüchervorral, als
daß sie im Jahr einige Qulden darauf verwandten. Karl Theodor
■] Zagutittta MonlRclu' SAltl,
*} Die Rumfarillichc Svppmiritill Kr S«c]«or^ odir «rliutnridt OcdtiÜKii ttwr
die FluBidtrift Obn Vci Itiriluiiu il^r IfitiriFfi uiid ilnoldune der Orlilllchkdl tn Baien.
Von Jcr. Sdiwu^rock. Pf(, zu MarthauKiL i90t.
I
I
1^1
Zur Qeschichte der Zensur und des Sdiriftvcsens in Bayern. 461
hatte 1 784 die Ruraldcchanten mit der Anlage von Bibliotheken
bei jedem Pfarrhof und Dekanat betraut.') Sehr bezeichnend ist
eine gleichzeitige Bittschrift eines Pfarrers aus Loizenldrchen im
Dekanat Dingolfing: „Den Dekanen aber verbiete man auf das
Schärfste, daß sie bei Todes Falle der Pfarrer die HausbibÜo-
theken nicht berauben därfen."
Bibliotheks Versteigerung und -Übertragung stellten also auch
eine Verkürzung buchhändlerischen Verdienstes dar. Man erhoffte
nun von dem Betrieb von Leihbibliotheken Entschädigung.
Aber auch hier warer andere Bewerber hinderlich.
Schon 17 76 war ein Gesuch um Enichturg eines Lektur-
kabinetts abschlägig besctiieden worden. Der Landesarcbivar
Visingcr rief 1795 durch Übersendung seiner Bibliolheksh$te ein
Mandat hervor,-) daß der Kurfürst eine förmliche Lesegesellschafi
niemals dulden werde. Doch dijrfe Visinger die schon rezen-
sierten Bücher ausleihen, um nicht Verluste zu haben. Nach
dem Thronwechsel brachte derselbe sein Anll^en wieder vor.
Westenriedcr ersuchte das Departement in geistlichen Dingen, ihn
abschlägig zu bescheiden, falls er vorstellig werde. Durch Auf-
nahme von Romanen nach dem Geschmack des Publikums hatte
er angestoßen, Babo schrieb jedoch: » Eine Lesebibliothek ohne
alle Romane wird nie zu Stande kommen. Es wäre daher zu
wünschen, daß die Vorfrage zuerst entschieden würde, nämlich
ob öffentliche Lesebibliotheken erlaubt sein sollen?"
Nachdem in einer Verordnung'} an die oberpfälzische Landes-
direktion von Zwang in wissenschaftlichen Dingen abgesehenwar,
mochte man auch dieser Einrichtung nicht mehr entgegentreten.
Da hätte nun Westenrieder, wie schon aus einem früheren Schreiben
nach Amberg hervorgeht, den Buchhändlern gern ein Vorrecht
geschaffen. Doch was für Mitbewerber drängte« sich in nädister
Zeit herzul Schulmeister, Benefiziaten, Kantoren und Landrichter!
In München wurden von der Schererschen und Lindauerschen
Buchhandlung Leihbibliotheken errichtet. Ein Partikulier Lorenz
lieh ebenfalls gegen Bezahlung Bücher aus. Sodann beendeten
1) M. K. A. TUfli: Ajilige von Ptarr- oder KftpilcLbibliotlitlKfi.
^ M K. A. 718/10; Ldh- tmd LMeblblialheka.
^ Vcmh SD. ;«n. MM.
4« 2
faxlinand Lorenz.
das 180^ enislandene Museum im Redoulenhaus und die Har-
monie im Gebäude des Regensburger falircndcn Boten in der
Kaiifingcr Gasse Leseinstituie.')
Buchhändlerische Privilegien wurden in den seltensten
Fällen und da anscheinend mehr auf Zeitungen erteilt. Kohl-
brenner wurde nS3 die Entziehung des Privilegiums des Intelligena-
blatles angedroht. Als 1 793 der um Geld stets schreiblustige Lands-
huter Hrolcuralor Meidinger*) für ein topographisches Lexikon ein
Privileg erbat, wurde ihm vom Kolleg der Bescheid, daß die Her-
stellung eines solchen jedem Privaten freistehe.") Noch 1 7 99 konnte
die Freiin Antonia von Xylander zur Begründung eines Wochen-
blatts ein Privilegium exciusivum nicht erlangen. 1S02 dagegen
hören wir, daß Hübner in seinem auf die Münchner Zeitung
tilulo oneroso act^uirierten Privileg geschützt wurde.
Die Zeitungen vermehrten sich zusehends. Legte ein Zeitungs-
besitzer eine eigene Druckerei an. so erstrebte sein seitheriger
Drucker wohl selbst die Genehmigung eines Tagblatts zur Ent-
schädigung. Dem Stadibuchdrucker Zangcl wurde t804 »bei der
zu großen Anzahl solcher Druckschriften" die beabsichtigte Heraus-
gabe der nMünchner Ephemeriden« verwehrt Dies hinderte aber
seinen Gesellen nicht, ein paar Wochen später um Errichtung eines
uBairischen Gesetz- und Volksfreundes" einzukommen. Auch das
1802-3 von Zangel herausgegebene «Münchner Tagblatt" war
von der Regierung unterdriickt worden. Es hatte zu Hühners
Schmerz vaterländische Vorfälle und landesherrliche Verordnungen
gebracht, Zangel ließ nicht nach und bestürmte noch 1805 die
Polizetdirektion mit neuen Qesuclicn.
In der Strobelschcn Buchhandlung erschien das kurpfalzb,
Regicrungs- und das Intelligenzblatt. Die Münchner Slaatszeitung
kam unter der Redaktion Hübneis heraus, welcher auch einen
wöchentlichen Anzeiger und ein kurpfalzb. Wochenblatt, dieses
besonders für Volksaufktäning, besorgte. In seinem Verlag er-
schien auch die Oberdeutsche allgemeine Literaturzeitung. 1804
gesellten sich dazu die Aurora der Schererschen Buchhandlung
I
I
■) Kübn« [1, •'?.
•) AU SittcitKtii Iderar wiH ci »ich In der Schrill: D«r Vcifall cuter S4ttea mtn
dem wh6n«i CtKhlMhl oder df« Mun Folgen it% Krieget. Luid]dsul iBOa.
^ M. K. A. WStSi: HittoriicbR Fidi.
Zur Gcschichle der Zensur und des Sdirirtwesens in Bayern. 46}
und das Blaue Blatt einer besonderen Oesellscliaft. ') Dann gab
es noch ein illustriertes Intelligenzblatt, das in 9 Tafeln ÖHenÜidi
anKCSchlagen wurde.') Die Ansiedlung vieler Franzosen und
Ausländer rief auch ein französisches Blatt heni'or. Doch konnte
sich der noch von Karl Theodor bestätigte Courier de l'Empire,
Journal historiquc, potitique et lileraire, gegen den benachbarten
Regensburgcr Mercure nicht behaupten, wofür wir oben Lcrchen-
feld und Metternich eintreten sahen.
Der n. Febniar 1806 brachte die Zensur der politischen
und statistischen Zeitungen zurück unter Bezugnahme auf die
Verordnung vom 6. September 1799. Diese hatte den relativen
Vorteil, den Zeitungsschreibern »die Aufnahme auffallender und
nicht genug verborgter Nachrichten wegen des Wertes, welchen
das Publikum gewöhnlich auf alle Nachrichten legt," zu verslatten.
Nur sollte die Quelle immer genau angegeben werden.
Etwas anderes war die Protektionf der sich gewisse Zeitungs-
gründer erfreuten. Hardenberg') empfahl 1 796 als Kammer-
direktor von Baireuth die Volkszeitung des Regislrators Qries-
hammer dem Zensurkolleg. Die Pläne hatte er aber wahrscheinlich
nicht angesehen. Denn ein stehendes Kapitel dieser Volkszcitung
versprach auszuführen, .,was man thut, daB Gewitter, Drachen,
Irrlichter, Nordscheine weder dem Körper noch den Gütern schäd-
lich sind".
Es war von Segen, daß die benachbarte Oberpfalz zwei
Blätter hatte, mit denen die Herausgeber Ehre einlegten. Beide
gingen aus der Seideischen Kunst- und Buchhandlung zu Amberg
und Sulzbach hervor. Landesdirektionssekretär von Schleiß besorgte
das seit 1794 erscheinende Oberpfälzische Wochenblatt. Sein In-
halt war hauptsächlich Statistik, Der Assessor Kcyser begründete
1801 mit der Weltchronik eine politische Zeitung, die sich durch
«Überblicke und durch Tendenz zu Befriedigung der Bedürfnisse
des Tages" auszeichnete.*)
Alles Heil sollte von den Zeitungen kommen. 1 794 wollte ein
■) HQbncT n, 4i3f.
t) Annolen il« S. L<t. 1101. 207-8.
t M. K A JW(3»: ZctttthrilWn
<) R(!t«ii»lan in dcuni Annilcn, S. 101 dutth Htrrn v. SchTinkopt. Kurtuiuiov.
Ferdinand Lorenz.
gewesener Professor Klein, der Bruder des Zensors, durch -deutsche
patriotische Beiträge" für Veredlung der Menschheil wirken. Nur
Schilderung guter Handlungen sollte aufgenommen und nach Jahres-
frist der schönsten Tat eine Belohnung von 100 fl. zugesprochen
werden. Der brüderlichen Liebe gelang es nicht, diese Absicht
durchzusetzen. Dies erinnert an die damals unter Schulmännern
«fbreitete Neigung, in der Schute nicht nur die Arbeitslust, son-
dern auch das sittliche Betragen durch Prämien anzustacheln.')
Die Buchhändler aber mußten ergeben zusehen, wie die
Verordnung vom 24. März 1802') jedem Kaffeeschenken unbe-
nommen ließ, nicht verbotene Zeitungen zu halten; so hatte
der Traileur Vavocque im Intelligen^blatt ein «Casino rcsp.
Lcsegestllschaft" angekündigt, ohne sich um die Zensur zu
kümmern. Dieser Vavocque hatte zehn Jahre vorher die Auf-
merksamkeit des HofoberrichJers erregt, da sich insgeheim immer
einige Franzosen bei ihm aufhielten.*) Bei der bekannten Juris-
diktionsunsicherheit war er damals unter Aufsicht des Polizei- und
Personal beschreibungsaktuari US Drechsel gestellt worden.
Die Furcht vor den Nachteilen der Romanlektüre konnte
das Institut der Leih- und Lraebibliotheken auch nicht begünstigen.
Wie Milbiller in seiner „Aufkläningsgeschichte von Baiem"
schreibt, war noch unter Max IIL Joseph «irgend ein kleines
Oebethbüchlein nebst der Legende der Heiligen und etwa einem
alten Ritterromane das einzige Buch, welches bei Vornehmen und
Geringen bekannt war". Karl Theodor erließ ein förmliches Ver-
bot gegen Liebesromane,*) aber eine Wirkung desselben ist nicht
zu verspQren. Einige dachten durch die Lektüre der Geschichte
von den abgeschmackten Romanen wegzuziehen. In einer Flug-
scbrift**) heißt es: nVerdicnste kann man sich sammeln, wenn man
vermoderte Romane aufu'ärmt und dem Publicum Für eine wahre
Geschichte auftischt Man sehe nur die Liebesgeschichte der
Agnes Bernauerin, welche kürzlich von einem sogenannten
baierisdien Historiker gar historisch geschildert wurde!" Vielleicht
I
I) So d0 OynilusUlrekWr Michul Lechncr In «ton Rede am 31. Aofnl ISDO.
•) M. K. A. 7M/10.
*) lUttpretokoElc iTM, 11.
<} A» <r Nov. tJ9*. Hdgct. Tttmrwnat In Altbaycrn. ■. i. Oi
*i Mix JoMjth Chnri. von P1«lib«iern an* Ohr und Herr jwproehoi.
Zur Oeschichte der Zensur und dis ScUriftwesüns in Bayern.
hat Lipowski den Hieb gespürt Die Augsburger Postzeitung
vom 21. Nov. 1804 erörterte den Kalalog der letzten Leipziger
Michael isitiesse mit seinen 125 Romanen, «womit für das lesende
Publicum sorgende Manner uns beschenkt haben, welches als
Beweis unserer steigenden Aufklärung dienen kann."
Dieser spöttische Kommentar zeigt den Orund der Besorgnis
an und die aus kleinlichen Bedenken erlassenen Verbote der
Werke gtxjßer Dichter in grellem Licht. Denn die allein hätten
minderwertige Erzeugnisse entthronen können. In dieser Absicht
schrieb auch Eckartshausen im Jahre 1802 Erzählungen, »die besser
sind als Romane." Aber Babo hatte recht. Der Zensurkrieg
gegen die Romane war nur Scheingefecht, und der Ral und
Spediteur von Bube hat selbst anonym Romane veröffentlicht.
Sollte aber die Rezension in den Tagesblättern keinen
Einfluß auf die Wahl der Lektüre gehabt haben? Ein Mandat
vom Jahre 1 783 ') freilich hatte den Zeitungs- und Intelligenz-
blättera die Rciension von Büchern und Druckschriften verbotenj
• indem solches über ihr Fach und Spheram ohnehin weit hinau.s-
gehet." Die Anpreisung des von Fritz und Strobel verkauften
Buches «Unterweisung der Glückseligkeit nach der Lehre Jesu"
war der Zensur sehr ungerechtfertigt erschienen, weil darin der
äußerliche Gebrauch von Taufe und Abendmahl für nutzlos er-
klärt war. Aber von Dietls geistlichen Briefen-) hören wir, dal5
sie wegen günstiger Beuneilung in bekannten Literaturzeitimgen
Deutschlands, auch im Landboten,') Freunde gewannen. Das
Mandat vom 10. März ISOO*) verpflichtete Visinger, in seiner
Leihbibliothek nur in guten Journalen vorteilhaft rezensierte Bücher
zu hatten.
Aber die Kritik wird im aligemeinen nicht auf der Höhe
der Oöttinger gelehrten Anzeigen gestanden haben, die am
13. Okt 1794 bekannten: »Es war nie unser Gebrauch Kleinig-
keiten hervorzuziehen, noch weniger, darnach ru bcurthcilcn;
■) Ratiprotakolk ITS3, I.
^ M. K. A y^VV: Dit im focliKhcm, thrtori>chcii, phlloiophi»chai, bio^nphlKhcn
und lU)rrhlupt irllitiichrri F:ich iLiiurgFbtnfn und imiirt\ea Schnftrn.
») [>er ..Biierischf Landbolht< wv «ine Wochenachrlft, vddi« L K. Winlerjberj«T
1790 (u Milnchen hcimusgob.
•] M. K. A. 789110.
^
466
Fcrditund Lokbl
es kömml bey einem Werk auf den Tolaleindnidc an.- DaS
dieser hohen Forderung der Durchschntti der zünftigen Beurteiler
nicht entsprach, beweisen die vielen Klagen, von der Zeit an, da
Bodmer in den Literarischen Denkmalen 1779 rief: .Die Furcht
schreckt mich am wenigten ab, dait ich den Recensenten-jungen
in die AUuler komme', bis zu der schonungslosen Satire,
womit Byron den ,£nglish bards and Scotish ^e^ie^t-e^s' heim-
leuchtete, und weiter bis zum Bekenntnis Platens an Thiench
1825: «Der Beifall einzelner Vortrefflicher ist der einzige Lohn,
den der Dichter eines recensirenden Volkes erwarten darf.-*)
Die Zensoren sahen sich nicht veranlaßt, über die Qöte
der Werke auszusagen. Der Rat Schiber schrieb 1S00 über eine
Schrift Meidingers:*) »Es wäre freilich zu wünschen, die Censur
Commission könnte auch solch elende Produkte verwerfen, allein
die mitgetheille Instruction extendirt sich nicht bis dahin." Oder:
■ Die Censur hat engere Schranken als eine Recension, erstere
hat nur zu wachen, daß keine dem Staat, Religion und guten
Sitten gefährliche Schriften an das Tageslicht tretten." Ähnlich
im folgenden Jahre gegen den Orthographiewächter Klein: ^Censur
ist keine Recension."
Aber einige Zeit friiher, als man mit der deutschen Sprache
noch auf gar feindlichem Fuße stand, linden sich entrüstete Vota,
so 1 779 Ober Grammatikalfehl^r in dem in Fragen und Antworten
eingeteilten Codex Maximilianeus des Regierungssekrelärs Fruit
Wagner in Landshut.") Und aus dem Jahr 1784, da MontgelaS
das Zensoramt bekleidete, findet sich von ihm ein Urteil, daß
nVorrcde und Dedication etwas pöbelhaft geschrieben" sind.*)
Mit rauherer Hand, als sie Schiber eignete, hat Babo 1802 Bach-
lehners »Cypresscnzweig auf das Grab des Erbprinzen von Baaden*
geknickt:") .Dies Gedicht oder was es sein soll, enthält zwir
nichts Ccnsurwidrigcs, aber es ist auch so ganz von allem poe-
tischen Werll) entblößt, daß es weder dem Verfasser nodi der
LitteraUir Ehre machen kann. Selbst Sprachfehler finden sich
t) Fr. Thicndii Üben I. ni.
n M. K. A. nilU: HiitoriKhn Pacb.
•) M. K. A. »4/1.
•) M. K- A. 79z;2S.
•) M K. A T»rui: Sluts-, Klrcbcn- und UnlmifMlhlfloric
I
I
I
I
I
dlrin und von Rythmus k«nc Spur. Indessen Imprimatur wenns
dem Autor twlicbL«
Westenrieder verordnete indes, das Werk des Dichterlings
ohne Imprimatur zu drucken. Und das bedeuicte bei offiziellen
Schriften einen Abbruch. Man hatte sich vietcrseits gewöhnt,
in dem Imprimatur eine Empfehlung des Inhalts zu erblicken.
Der Stadtschreiber Luber bestellte für seine Geschichte der Stadt
Friedberg eigens einen MCorrecteur," um statt der bloßen Druck-
lizenz das Imprimatur zu eriangen. Der Ingolstädter Altenkofer
bat sogar, ausführlich einem Werk Kapplers') Vordrucken zu
dürfen: ..Mil ErlaubniÖ der hochlöblichen churfürstlicheii BDcher-
censur Special Commission!" Wir stoßen so auf eine Reihe
von Zwischenbegriffen, die uns wieder in die Werkstatt der
Zensur zurückführen, um die allmähliche Erlahmung des buch-
händlerischcn Oeschäftsbeinebes mil anzusehen.
Palm rechtfertigte sich 1800 vor dem Nürnberger Mistral,
der Zcnsursckreär Sommer in München habe die in Rede stehende
Schrift »Neue Erde und neuer Himmel" nicht verboten, sondern
nur den Öffentlichen Verkauf untersagt Abgewiesene kamen mit
der Bitte um „Leuteration" der Resolutionen ein, worauf die
Zulassungsfrage von neuem aufgerollt wurde. Schweren Herzens
erteilte Erlaubnis wurde mit wohlmeinenden Ratschlägen begleitet,
daß es f&r den Verfasser rühmlicher wäre, die Schrift nicht zu
drucken.
Merkwürdig und ansdieinend durch persönliche OtfOhle
bedingt ist das Benehmen Weslenriedere gegenüber der Schrift
ffdie Hypocriten in ßaiem," welche K. Weiller befehdete.*)
Dieser macht daher bis zur Entdeckung des Verfassers') in einer
■) M. K. A. rBSfl4.
»t M. K. A. UilK: Dii von Htm v. Rlmrthinwn vcriattlm Dnifkvlirirt Mr.
*) DtT VrH. war dir PriaUr O. S. Riltnvhiaicn. (Bctncr künden üihtt dir Hyjio-
IriTn III» am Briefen ein« Thffllajni in Mütichfii nich R . . 1102). BU im nl^hslejthf
mg alcti dir in ahlirichm Huirjchtiflcn umiltitlmf AiiiitlpjjtnliriE hin. (D* HypulirilH«-
Ritlo, Ehre und Pasqnill, näJalclho, Bniicrkuii^rn über du Puquill iDic tlyiiulintcn in
Üiim'. Zam iicuoi Jihr für die Ifirpcikrilcn In B. •10).) Ol« Mr. R«lit«ii*tnlc Wd1kn
MhÜUt Kult fcgcn dir Regvnloi i-on Pn«lF(SPmlnirai. die Ihn Für einen .bexiFfeo« Mann*
(TkUitoi. Mutuhelle liibr lein« lolholliche Moni auf Üint iiifitchaut IVnr nkhl e*nt
iTd Jahren liilte ei clicwni Ke*lnnunirtver*andtcn rteiiiirtr die Dmliirilc echallm ) Tt gelle
nidit ein poleniluhrt, kaiulallulm oder «pckulillrrs Chrlitentuni. nicht rinn lür OranjE-
Utam oder nach Thomu Sanch«. Nach dem Sinn d« Heilandi wll die Kirche die ipnn
tor Vernunft pieitle M«iMhli«il auf jtdtta in6g)lcb«n Orad d«r hiihtrm Kulnir umUH«.
i
es kömmt bey ein
dieser hohen '
nicht enispr
Bodmer ip
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womi* '^^^^ .Mi
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vcrantwoTlItdi. Es
^ Ui^lauben, welcher in
ir^ '■'^&tT am Ende des ersten
'^ ^.^\^ Vfriesunp derLyzeisten mit
^^^aldlung gehalten hatte. Westen-
■BT hat sich niclit angefragt, ob er
in den Druck legen dürfe, wohl
en, als dieser persönlich ein Exem-
aMfi, ob die Sdirift wohl verboten werden
.iTKTzcichneten die buchstäbliche Antwort
^ im der \^crkauf von der Bücher Special
^. «lersagt und höchstwahrscheinlich auch von
eniger eingestellt werden dürfte, als >a auch
le ebenfalls ohne alie vorgängige Anfrage und
_ gdesen, zugleich in den Druck gelegt und
.■jf vorden ist Unterzeichneter erlaubte dem Buch-
aus dieser Äußerung kein Qeheimniß zu machen,
glaubt, daß der Professor Schuirccior Weiler (aus
weil er durchaus keinen Widerspruch ertragen kann)
Z|li£|rigt sein könne, mit seinen Sätzen und Meinungen
errschaft zu behaupten, und daß er sich die Folgen
selbst zuschreiben müsse, wenn er auf seltsame Se-
en (solche finden sich ja doch in seiner sog. Rede auf
Reiten) seilsame Antworten erhält"
Wciller antwortete darauf an den Kurfürsten, es sei ihm
Unbescholten heil seines Charakters zu tun. Dann aber
HUlMi wir bei ihm eine neue Ausrede, warum er sich den Weg
par Zensur gcKhenkt habe: Westenrtcder sei selbst als Kommissär
)4i Verlesung der Rede zugegen gewesen und habe nachher
ftcundlich mit ihm gesprochen.
pbe n dntn itillraivhcn. rnnzAtltchni: dmtidien. dmn SUdt- and Mirktflwkm*
llliitnus und kUncn .cruni^hKlicn'. >Dink dnonjuii IQr idoen Vonchl«g nr Ciii<
einer lArmllchm Inquiilliun. Dink cintn voRwhoKii iWlimiichcii Piifahi i
__ Vllllcnbilleu, uil vtkhcn dir l{rli|[lan von LA«ia gjoatgm, über nrqBcbdMtJ
Mtaiidim fährt!* ~ Dm jihr MHi tuitc dii<n tndgdwn HerbsL DiS die Huaiuma
Wtbllffcm. dann v» K. Wctiler tdmld. vie eifl .PmdiDl n dm Mrpoltritm In Bt[«i
n kliern sulllc
Zur Qe&chichle der Zensur und des Schiiftwesens in'Bayern. 4fi9
V. Kataloge und SpedHeure.
Die Zensoren vermochten sich mit strengen Verfügungen
dem unaufhaltsamen Siegeszug freimütiger Verkijndigiingen nicht
enlgegenzu werfen. So mußten sie ihre Absichten auch bei einer
Einrichtung beschränken, die vielen von ihnen die mißliche Natur
des Zensurwesens so recht zum Bewußt&ein brachte und von dessen
weiterer Pflege zurückschreckte. Wenn man auch im einzelnen
nicht anstand, einem Werk den Freipaß zu versagen, so wider-
strebte doch vielen die Aufstellung eines förmlichen literarischen
Sündenre^sters: die Katalogisierung verbotener Bijcher. Andere
mochten die von dem Zeitgeist abgerungene Übencugung
Schibers mit Beklemmung teilen, der die schriftliche Behandlung
von Ereignissen v^-iderriet, »die wenn auch noch so wahr doch
nicht ohne Kollision auf diese Art in unangenehme Rück-
erinnerung gebracht werden dürfen," ') Wir wissen aus der
Vorstellung der Buchhändler von 1791, daß ein catalogus libro-
rum prohibilorum seit 22 Jahren nicht erschienen war. Dies
halte den Nachteil, daß vor diesem Zeitraum erschienene Werke
immer noch nach der ersten Einschätzung behandelt wurden;
und für die inzwischen herausgekommenen hatte man keine end-
gültige Norm. Deren Schicksal hing dann von der augenblick-
licher Stimmung des Zensors ab, denn ..mancher ist Vormillagt
liberaler als Nachmittags, früh anders als Abends",') Die nach-
teilige Maßgeblichkeit veralteter Vota haben nach der Umwand-
lung zur Kommission Flurl und Mann gegeißelt, wie bei ihrer
Charakteristik oben schon ausgeführt ist
Erst am 30- Mai 1795 hatte der Kurfürst auf Antrag des
Kollegs beschlossen,*) daß der iltere bisher zur Norm dienende
Katalog der verbotenen Bücher noch einmal durchgegangen und
die Dtliberalion hierüber in Pleno vorgenommen werden sollte.
Bei der nun erfolgenden Revision wurden einige Namen ge-
sfrichen und in den Katalog der erlaubten Bücher übergeschrieben.
Was auf diese Weise erhöht wurde, war nicht von weiterem
1) M, K, *. TMf!5
>} SpBDD. Pollt. Fnumcnl. Ul.
^ M, K. A. IKfi: EinfUhnine dt* Bturoeni in ilcn unterm kl. Ljuidcn . . .
Perdinind Lorenz.
es kömmt bey einem Werk auf den Totaleindruck an." Daß
dieser hohen Forderung der Durchschnitt der zQnfligen Beurleiler
nicht entsprach, beweisen die vielen Klagen, von der Zeit an, da
Bodmer in den Lilerarischen Denkmalen 17 79 rief: «Die Furcht
schreckt mich am wenigten ab, daß ich den Reccnsentcn-Jungen
in die M&uI«t komme", bis m der schonungslosen Satire,
womit Byron den ,English bards and Scotish reviewers' heim-
leuchtete, und weiter bis zum Bekenntnis Platens an Thiersch
1825; i.Der Beifall einzelner Vortrefflicher ist der einzige Lohn,
den der Dichter eines recensirendcn Volkes crrarten darf."')
Die Zensoren sahen sich nicht veranlaßt, über die Güte
der Werke auszusagen. Der Rat Schiber schrieb 1800 über eine
Schrift Meidingers:*) «Es wäre freilich zu wünschen, die Censur
Comraission könnte auch solch elende Produkte verwerfen, allein
die mitgetheille Instruction exte ndirt sich nicht bis dahin.* Oder:
»Die Censur hat engere Schranken als eine Recension, erstere
hat nur zu wachen, daß keine dem Staat, Religion und guko
Sitten gefährliche Schriften an das Tageslicht tretten." Ahnlich
im folgender jähre gegen den OrthographiewäcKter Klein: «Censur
ist keine Recension."
Aber einige Zeit fniher, als man mit der deutschen Sprache
noch auf gar feindlichem Fuße stand, finden sich entrüstete Voti,
so 1779 über Grammatikal fehler in dem in Fragen und Antworten
eingeteilten Codex Maximüianeus des Regiemngssekretärs Franz
Wagner in Landshut.*} Und aus dem Jahr 1784, da Montgelas
das Zensoramt bekleidete, Findet sich von ihm ein Urteil, daß
«Vorrede und Dedication etwas pöbelhaft geschrieben- sind.*)
Mit rauherer Hand, als sie Schiber eignete, Kat Babo 1802 Bacli-
lehners «Cypresscnrweig auf das Grab des Erbprinzen von Baadcn"
geknickt:') .Dies Gedicht oder was es sein soll, enthält zwar
nichts Censurwidriges, aber es ist auch so ganz von allem poe-
tischen Werth entblößt, daß es weder dem Verfasser ntxrh der
Littetatur Ehre machen kann. Selbst Sprachfehler finden sich
<) Pr. Thicndu Lcbca t. 17?.
<) M, K. A, T»/U: HiiMriKhn Fach.
•! M. K. A. J»('-
•) M K. \. TS2(I!.
t) M K. A. 1»S/»: Slulv, Klrüun- und Unlvtnalhisiodc
4
darin und von Rythmus keine Spur. Indessen Imprimatur wenns
dem Autor beliebt,"
Westenriedcr verordnete indes, das Werk des Dichterlings
ohne Imprimatur zu drucken. Und das bedeutete bei offiziellen
Schriften einen Abbnich. Man hatte sich viclcrscits gewöhnt,
in dem Imprimatur eine Empfehlung des Inhalts zu erblicken.
Der Stadtschreiber Luber bestellte für seine Geschichte der Stadt
Friedberg eigens einen »Correcleur," um statt der bloßen Druck-
lizenz das Imprimatur zu erlangen. Der Ingolstädter Atlenkofcr
bat sogar, ausführlich einem Werk Kapplers') Vordrucken zu
dürfen: «Mit Erlaubniß der hochlöblichen churfii retlichen Böchcr-
censur Special Commission!" Wir stoßen so auf eine Reihe
von Zwischenbegriffen, die uns wieder in die Werkstatt der
Zensur zurückführen, um die allmähliche Erlahmung des buch-
händlerischen Geschäftsbetriebes mit anzusehen.
Palm rechtfertigte sieh 1800 vor dem Nürnberger Magistrat,
der Zensureekretär Sommer in München habe die in Rede stehende
Schrift -Neue Erde und neuer Himmel" nicht verboten, sondern
nur den öffentlichen Verkauf untersagt Abgewiesene kamen mit
der Bitte um „Leuleration " der Resolutionen ein, worauf die
Zulassungstrage von neuem aufgerollt wurde. Schweren Herzens
erteilte Erlaubnis wurde mit wohlmeinenden Ratschlägen begleitet,
daß es für den Verfasser rühmlicher wäre, die Schrift nicht zu
drucken.
Merkwürdig und anscheinend durch persönliche Gefühle
bedingt ist das Benehmen Westenrieders gegenüber der Schrift
«die Hypocriten in Baiern, " welche K. Weiller befehdete.")
Dieser macht daher bis zur Entdeckung des Verfassers") in einer
•; M. K. A. Ttsfu.
^ M. K. A. 7«3/S«: Die von Herrn v. RiRmhuisni verisBlm Dniclschrifl betr.
^ Dn Verf. wt tler Pries«» Q. S. Rlncnhinsen IBemM-lningen übtr dit Hyp»-
krttm tut d«o Briefen rinn Tlirolomn in MGucIifii ciacli R . miil>| Bit im nlchslcjihr
io£ ilch die in ahlicithcii riinitdififlm iimitrittair AngdcBCnhnf hin. (Die Hyi>i>iiTiicn-
Riltir, Ehrt und Fuqnlll. PhiUlcihcs, Dcmcikungai Uki du Puqultl .Die tlypokriioi in
Baiern*- Zan nnioi J>lir IQr die Hypokril» in B. Itü3.) Die bHr ttekloraisrcdr Wdllrn
MfaüBt Klnt pgn die Xepnten von Priciterwininim, die Ihn fflr einen .Ivesoflenen Mann'
ttklirUn MuHclitilf h*l>f atiat kiCholiwhe Mnnt auf Kant «uli^biui (Vor Rlchl gani
i»el Jihren h*tie cröiwein KoInnuncivrrTinütcr Freunde die ücnkirdc gehalten.) Ei gelte
nlchl dn pokralKha, kuulstiidici oder ipelmUitiviB Chrislcnluoi, nichl cina IQr OnuiX'
Utuw ode> luch Thamai Sanchn. Nirh dem Sinn des Hrilsmlt loll die Kirche die fMBMt
cot Vcnnuitl ffrdlu McnKhhelt lul jrdnn mö-glkhen und der hähncn Kullnr ainfuial.
Ferdinand Lorenz.
es kömmt bey einem Werk auf den Totaleindruclc an." Daß
dieser hohen Forderung der Durchschnitt der zünftigen Beurteiler
rieht entsprach, beweisen die vielen Klagen, von der Zeil an, da
Bcw:lnier in den Literarischei Denl<rnaJen 1779 rief: .Die Furcht
schreckt mich am weniglen ab, daß ich den Recensenten-Jungen
in die Mäuler komme', bis zu der schonungslosen Satire,
womit Byron den ,English bards and Scotish reviewers' heim-
leuchtete, und weiter bis zum Bekenntnis Platens an Thicrsch
1825: »Der Beifall einzelner Vortrefflicher ist der einzige Lohn,
den der Dichter eines recensirenden Volkes erwarten darf.-*)
Die Zensoren sahen sich nicht veranlaßt, über die Oütc
der Werke auszusagen. Der 1^1 Schiber schrieb 1800 über eine
Schrift Meidingere:') »Es wäre freilich zu wünschen, die Censur
Commission könnte auch solch elende Produkte verwerfen, allein
die mitgethcilte Instruction extendirt sich nicht bis dahin.' Oder:
»Die Censur hat engere Schranken als eine Recension, erstere
hat nur zu wachen, daß keine dem Staat, Religion und guten
Sitten gefährliche Schriften an das Tageslicht tretten." Ähnlich
im folgenden Jahre gegen den Orthographiewächter Klein: pCensur
ist keine Recension.« ■
Aber einige Zeit früher, als man mit der deutschen Sprache
noch auf gar rcindlichcm Fuße stand, finden sich entrüstete Vota,
so I 779 über Qrammatikaifchler in dem in Fragen und Antworten
eingeteillen Codex MaximiUancus des Regierungssekretärs Franz M
Wagner in LandshuL*) Und aus dem Jahr »784, da Monlgelas
das Zensoramt bekleidete, findet sich von ihm ein Urteil, daß
«Vorrede und Dedication etwas pöbelhaft geschrieben™ sind.')
Mit rauherer Hand, als sie Schiber eignete, hat Babo 1 802 Bach>
lehners «Cy pressen zweig auf das Grab des Erbprinzen von Baadcn"
geknickt:^) nDies Gedicht oder was es sein soll, enthält zwar
nichts Censurwldriges. aber es ist auch so ganz von allem poe-
tischen Werth entblößt, daß es weder dem Verfasser roch der
Litteratur Ehre machen kann. Selbst Sprachfehler finden ach
•) Fr. ThicTwAs LetKO I, Ui.
•) M. K. \. »IJIJ; Hltlorltdiei Ticb.
•) M. K. A. 793^35.
■) M K. A, KltU: Stutt', Klrduti- loul UnlvoMlhbUrie
I
I
I
I
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftvesens in Bayern.
darin und von Rythmus keine Spur. Indessen Imprimatur wenns
dem Autor beliebt."
Wesfenricder verordnete indes, das Werk des Dichterlings
ohne Imprimatur zu drucken. Und das bedeutete bei offiziellen
Schriften einen Abbruch. Man hatte sicli vielerseils gewöhnt,
in dem Imprimatur eine Empfehlung des Inhalts zu erblicken.
Der Stadtschreiber Liiber bestellte für seine Geschichte der Stadt
Friedberg eigens einen BCorrecleur," um statt der bloßen Druck-
lizenz das Imprimatur zu eriangen. Der Ingolstädter Attenkofer
bat sogar, ausführlich einem Werk Kapplers') Vordrucken zu
dflrfen: »Mit Erlaubniß der hochlöblichen churfürstiichen ßüeher-
censur Special Commisslon!" Wir stoßen so auf eine Reihe
von Zwischenbegriffen, die uns wieder in die Werkstatt der
Zensur 2ur(ickführen, um die allmähliche Erlahmung des buch-
händlerischen Geschäftsbetriebes mit anzusehen.
Palm rechtfertigte sich 1800 vor dem Nürnberger Magistrat,
der Zensursekretär Sommer in München habe die in Rede stehende
Schrift »Neue Erde und neuer Himmel" nicht verboten, sondern
nur den öffentlichen Verkauf untersagt. Abgewiesene kamen mit
der Bitte um „Leuteration " der Resolutionen ein, worauf die
Zulassungsfrage von neuem aufgerollt wurde. Schweren Herzens
erteilte Erlaubnis wurde mit wohlmeinenden Ratschlägen begleitet,
daß es für den Verfasser rühmlicher wäre, die Schrift nicht zu
drucken.
Merkwürdig und anscheinend durch persönliche Gefühle
bedingt ist das Benehmen Wcstenrieders gegenüber der Schrift
„die Hypocriten in Baiem," welche K. Weiller befehdete.")
Dieser macht daher bis zur Entdeckung des Verfassers*) in einer
•j M. K. A. ise/M.
^ M. K. A. it)/Mt Die von Hettn v. Ritwnhiiutn vtHtStm Dtnelnchrift b«tr.
*l Der Verl. wi der Prieslec O. S. RiHcrshauieo. (ilcincrkuitgni Qb«r die H^po-
krtton aut den Briet« enrs Theologm in Miini^liRi nicli R . . isu'J). Bis ins nSchstc filir
:roe lieh die In zalilnidlcn riueschrillrn iitnitn11eiie Angctcjicnhcit hin. (Die Hypolirltcn>
Klnet. FHiie anil Pasquill, Phllalclhcs, BcinerkunEcii über du Pa&i|ulll .Die Hypukiitcn In
BaUiB*. Zum neuen Jahr (it die Hyiraknicn In B. <Sa3,) Die bclr Rclctoribmlc WdUrrv
•cbdlil Kult gelten die Rcgenlen von Pti-nlrrteminiren. die ihn für einen .betoffenen Mittn*
erkürten. Mnuchclle hibr leine kithuliidie Moni lut Kirtl »jfijietiiul. (Vnr nlcbt ([ini
t«ei Jihroi haue ti«llc»em Ke»inn«nB»veT»»niJlcn Firnmlcille tteikrtöegdLillen.) Ei |[c[te
nicht ein polemiKhe«, ktiuhllKhes oder »pckulativa Chiislaitum. nicht eines tüi OrwiR-
UlBn oder nach Thamu Sanchci. Nuh dem Sinn da KeiUndi k>II di« Kiiehr die ganze
zvr Vemunlt gerelhe Mentchheit ■ul jeden) mSgbchen Und der höheren Knltnr onifknen.
Ferdinand Lorenz.
es kömmt bey einem Werk auf der TotaJeindrucJc an." Daß '
dieser hohen Forderung der Durchschnitt der zünftigen Eicurleiler
nicht entsprach, beweisen die vielen Klagen, von der Zeit an, da
Bödmet in den Literarischen Denltmalen 1779 rief: r Die Furcht
schreckt mich am wenigten ab, daß ich der Recenscnten -Jungen _
in die Mftuler komme", bis zu der schonungslosen Satire, f
womit Byron den .English bards and Scotish reviewers' heim-
leuchtete, und weiter bis zum Bekenntnis Platens an Thietsch
1825: »Der Beifall einzelner Vortrefflicher Ist der einzige Lohn,
den der Dichter eines recensirenden Volkes erwarten darf.- ')
Die Zensoren sahen sich nicht veranlaßt, über die Gülc
der Werke auszusagen. Der Rat Schibcr schrieb 1800 über eine
Schrift Meidingers:') »Es wäre freilich zu wünschen, die Censur
Commission könnte auch solch elende Produkte verwerfen, allein
die milgetheille Instruction exlcndirt sich nicht bis dahin." Oder:
"Die Censur hat engere Schranken als eine Recension, erstcre
hat nur zu wachen, daß keine dem Staat, Religion und guten
Sitten gefährliche Schriften an das Tageslicht tretten." Ahnlich
im folgenden Jahre gegen den Orthographiewächter Klein: »Censur
ist keine Recension.«
Alwr einige Zeit früher, als man mit der deutschen Sprache
noch auf gar feindlichem Fuße stand, finden sich entrüstete Vota,
so 1 779 über Qrammatlkalfehler in detti in Fragen und Antworten
eingeteilten Codex Maximiliancus des Regieningssekretira Franz
Wagner in Landshut.*) Und aus dem Jahr 1784, da Montgelas
das Zensoramt bekleidete, findet sich von ihm ein Urleil, daß
«Vorrede und Dedication etwas pöbelhaft geschrieben" sind*)
Mit rauherer Hand, als sie Schiber eignete, hat Babo 1 802 Badi-
lehners «Cypressenzweig auf das Grab des Erbprinzen von Baaden*
geknickt:^) »Dies Gedicht oder was es sein soll, enthält zw
nichts Censurwidriges, aber es ist aucli so ganz von allem poe-
tischen Wertli entblößt, daß es weder dem Verfasser nodi der
Litteratur Ehre machen kann. Selbst Sprachfehler finden sich
I) fr. Thtendu Lebx» I, z».
•> M. K. \, nilti 1 HI»orl»chn rieb.
*) M. K. A. 73*lK
') M. K. A. mfl5.
') M K. A. rvi/ia: StuB-, Kiidini- und UnlTOMJhislorle.
I
I
Zur Oescbicbte d«r Zensur und des Schriftwesens in Bayern.
darin und von Rythmuä keine Spur. Indessen Imprimatur wenns
dem Autor beliebt."
Westenrieder verordnete indes, das Werk des Dichterlings
ohne Imprimatur zu drucken. Und das bedeutete bei offiziellen
Schriften einen Abbruch. Man halte sich vielerseils gewölinl,
in dem Imprimatur eine Empfehlung des Inhalts zu erblicken.
Der Stadtschreiber Luber bestellte für seine Geschichte der Stadt
Friedberg eigens einen «Correcleur," um statt der btoRen Druck-
lizenz das Imprimatur zu eriangen. Der !ngo!städter Attenkofer
bat sogar, ausführlich einem Werk Kapplers') Vordrucken zu
dürfen: i.Mit Erlaubniß der hochlöblichen churförstlichen Bücher-
censur Spedal Conimission!" Wir stoßen so auf eine Reihe
von Zwischenbegrtffen, die uns v;ieder in die Werkstatt der
Zensur zu röckf (ihren, um die allmähliche Erlahmung des buch-
händlerischen Geschäftsbetriebes mit anzusehen.
Palm rechtfertigte sich 1S00 vor dem Nürnberger Magistrat,
der Zensursekretär Sommer in München habe die in Rede stehende
Schrift »Neue Erde und neuer Himmel" nicht verboten, sondern
nur den Öffentlichen Verkauf untersagt. Abgewiesene kamen mit
der Bitte um „Leuteration" der Resolutionen ein, worauf die
Zulassungsfrage von neuem aufgerollt wurde. Schweren Herzens
erteilte Erlaubnis wurde mit wohlmeinenden Ratschlägen begleitet,
daß es für den Verfasser rühmlicher wäre, die Schrift nicht zu
drucken.
Merkwürdig und anscheinend durch persönliche Gefühle
bedingt ist das Benehmen Westenrieders gegenüber der Schrift
«die Hypocriten in Baiem," welche K. Weiller befehdete.')
Dieser macht daher bis zur Entdeckung des Verfassern ') in einer
1] M. K. A. TU/14.
^ M, K. A. T43Ji6: Die VMi Herrn v. Rlnmhiuwn vtrf«ät«n DnickMliHlt betr.
4 Ott Verf. ssr drr Prietler O. S. RtMrnhauieit. (Benitrlainem 6.btt die Hypa-
krtUm »u« a™ Briefen eines Theoloem in München nich R . . laoJi. Bii ini aädislejahr
los iLch dir In lahliclchni FInuKhriricn iim^tritlcnc Anudcirrnlicil i\in. (Die Hypotrriten-
Ritter. Ehre und Pascinlll, PliiliJettm, Bciiicikuneni üki du PutiuüL .ric llyiiolirilm in
Balem*. 2iun neu«n J>lir für die Hypokrilen in 0. lioy) Die bctr RekCoralircde Vejilcr»
KhOtit KmiI pgen di« Rtjenten von Prietleneminutn, die Ihn für einen .hooftenen Munit'
crtlMaL MabOdle habe »eine kittiolltche Moni *ul Kant «uluelHitl iVnt niehl e*nz
xwö Jabrea halll crdiotm t!niivniaeivcr*iiKlteii Ftnindc die Ucnlirrde gelullen.) Es gette
nldd dn pB^Hcbo. kuDlsllidiei oder ipetuUtlrea Chrislentuin, nicht cina lär Oinne-
Utu» oder luch Thonta» Sandin. Nach dem Sinn des Heibiidi soll die Kirche die gan«'
rnr Vernunft gereifte Menichheit auf jedem mÄ^llchen Gnd der höheren. Xullor umlisMn.
es kömmt bey einem Werk auf den Tolaleindruck an.* Daß
dieser hohen Forderung der Durchschnitt der zünftigen Beurteiler
nicht entsprach, beweisen die vielen Klagen, von der Zeit an, da
Bödmet in den Uterarischen Denkmalen 1779 rief: .Die Furcht
schreckt mich am weniglen ab^ daß ich den Recensenten-Jungen
in die Mäuler komme", bis zu der schonungslosen Satin,
womit Byron den .English bards and Scotish reviewers' heim-
leuchtete, und weiter bis zum Bekenntnis Platens an Thiersch
1825: »Der Beifall einzelner Vortrefflicher ist der einzige Lohn,
den der Dichter eines recensirenden Volkes erwarten darf." ')
Die Zensoren sahen sich nicht veranlaßt, über die Gflte
der Werke auszusagen. Der Rat Schiber schrieb 1800 über eine
Schrift Meidinge rs:") »Es wäre freilich zu wünschen, die Censur
Commission könnte auch solch ctcnde Produkte verwerfen, allein
die mitgetheilte Instruction extendirt sich rieht bis dahin." Oder:
«Die Censur hat engere Schranken als eine Recension, crslere
hat nur zu wachen, daß keine dem Staat, Religion und guten
Sitten gefährliche Schriften an das Tageslicht tretter.» Ahnlich
im folgenden Jahre gegen den Orthographiewächter Klein: «Censur
ist keine Recension."
Aber einige Zeit froher, als man mit der deutschen Sprache
noch auf gar feindlichem Fuße stand, finden sich entrüstete Vota,
so 1779 über Orammatikal fehler in dem in Fragen und Antworten
eingeteilten Codex Maximilianeus des RegierungssekreHrs Franz
Wagner in LandshuL*) Und aus dem Jahr 1784, da MontgeUs
das Zensoramt bekleidete, findet sich von ihm ein Urteil, daß
«Vorrede und Dedication etwas pöbelhaft geschrieben" sind.*)
Mit rauherer Hand, als sie Schiber eignete, hat Babo 1802 Bach-
Ichners nCy pressenzweig auf das Grab des Erbprinzen von Baaden*
geknickt:') »Dies Gedicht oder was es sein soll, enthält zwar
nichts Censurwidriges, aber es ist auch so ganz von allem poe-
tischen Wertli entblößt, daß es weder dem Verfasser noch der
Litteratur Ehre machen kann. Selbst Sprachfehler finden sich
I
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I
I
I) Fr. TTilendw Leben I. ns.
*) M. K, A. JM/as4 HiitoriKh« Picli.
1 M. X. A. tuii.
•) M. K. A. mm.
•) M. K. A. m/U: Slub-, Kirchen- nad VnirnMlhlilorie.
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern
darin und von Rythmus keine Spur. Indessen Imprimatur wenns
dem Autor beliebt."
Westtnriedcr verordnele indes, das Werk des Dichterlings
ohne Imprimalur zu druclcen. Und das bedeutete bei offiziellen
Schriften einen Abbruch. Man hatte sich vtelerseils gewöhnt,
in dem Imprimalur eine Empfehlung des Inhalts zu erblicken.
Der Stadtschreiber Lubcr ttestellte för seine Gescliichte der Stadt
Friedberg eigens einen uCorrecleur," um statt der bloßen Druck-
lizenz das Imprimatur zu eriangen. Der Ingolstädter Attenkofer
bat sogar, ausführlich einem Werk Kapplers') verdrucken zu
dürfen: «Mit Erlaubniß der hochlöblichen churfürsttJchen Bücher-
censur Special Commission!" Wir stoßen so auf eine Reihe
von Zwischenbegriffen, die uns wieder in die Werkstatt der
Zensur zurückführen, um die allmähliche Erlahmung des buch-
händlerischen QeschMtsbelriebes mit anzusehen.
Palm rechtfertigte sich 1800 vor dem Nürnberger Magistrat,
der Zensursekrelär Sommer in Müncheti habe die in Rede stehende
Schrift »Neue Erde und neuer Himmel" nicht verboten, sondern
nur den öffentlichen Verkauf unlersagL Abgeviesene kamen mit
der Bitte um „Leutcration* der Resolutionen ein, worauf die
Zulassungsfrage von neuem aufgerollt wurde. Schweren Herzens
erteilte Eriaubnis wurde mit wohlmeinenden Ratschlägen begleitet,
daß es für den Verfasser rühmlicher wäre, die Schrift nicht zu
drucken.
Merkvifürdig und anscheinend durch persönliche Gefühle
bedingt ist das Benehmen Westenrieders gegenüber der Schrift
»die Hypocriten in Baiern," welche K- Weiller befehdete.*)
Dieser macht daher bis zur Entdeckung des Verfassers*) in einer
^ M. K. A. TtffSt- Die VW HWTir v Rlnmh«iBWi vtrlMtn Dmclnehrtfl J>«r.
•) Der Verf. ■war der Pries«« Q. S. SiHCT»h«dt«i. (Hemerkuniim 5hci die Hypi>-
Icritm IUI im Brtefoi dn« TTieoloe«< >" Udnchm nach R . . iBOii). Uli; Im nichulpjahr
tat ''tli iie '" "lilreichen Fluescttrilicii umiLritltnc Aninrle([fiihfü hin. (Die Hypoitiltni-
RIITcT. Ehic und Putjaill, PhiUlcthcs, BrnrnkiinEcn über du Puquill •Die Hypukrilcn io
Bdern*. Zum neuen )ihr Iti die Hri»l<tilcii In S. i»].) Ol« brlr. Reklorttiitde Wcillcra
kIiQIiI Kant gtgat die ReEenln van Prieilerwnninirai, die ihn fbr einen .betoffenen Minn^
erkIJrten Matvhetle hibe teine kalholitchc Moral auf Kmi lufjivbiiil (Vor nidit cant
tvd Jahcra hat» «-diocni ue:iliiitii'!|£>vervaii(llm riruKiledir Dmkrrdc ethaltrn ) r* eclle
ntthi ein polcmiKhct, k» will (seil es oder spekulfiiivn Oirtglentum, nlclil eine» ßr Onng-
UlU» odei nach Hkkiiu Suichei. Nachdem Sinn d« Heilindi loli die Kirche die ^Ha«
«IT Vemunlt gereifte Maitchhcil i.ul jedem möglichen Orad der höheren Kultur unfUMa.
Eine besondere Rücksichtnahme galt e$ gegen die k. k.
Offiziere, die in diesseitigen Landen kantonierten. Wegen der
vom Ausland an diese gelangenden Bücher erbat Spediteur
von Schmöger 1 798 VerhaUungs maß regeln. Er befürchtete, daß
die Schriften beim Wegzug der Reichsarinee im Lande blieben,
da sie die österreichische Zensur nicht bestehen könnten. Eine
Verordnung') nahm nun die k. k. Offiziere von der Zensur aus
und hielt Prälaten und Beamte zur Wachsamkeit an, daß nidits
verliehen werde.
Im gleichen Jahre kam noch ein anderer Vorfall zur Spntche,
welcher den Herren viel Kopfzerbrechen machte. Ein Oral
Lamberg wollte sich das Ewig -Weibliche auch wissenschaftlich
näher bringen imd hatte sich darum ein Werk über Gynäkologie
verechrieben. Das war strafbarl Er verweigerte entschieden, sieh
als quittierter Offizier der Regierung in [.andshul 7u stellen.
Das Zensurkolleg deutelte nun an der betreffenden hofkriegs-
rällichei Verordnung hemm und kam zum Schluß, daß diese
nur «wirklich militärische Offiziers" in gewöhnlichen Zivilfällen,
nicht aber bei allgemeinen landespolizeilidien Gegenständen der
Zivilgerichtsbarkeit entziehe. Weiteres Bedenken verursachte, daß
der Graf gerade in den Fideikommißgütern und der fürstlichen
Würde sukzediert war. Die Zensoren stimmten dafür, daß er
auch dadurch von der Landeshoheit nicht befreit sei.
Die Errichtung von Fideikommißgütern und die im Reichv
vikariat zahlreich vorgenommenen Nobilitierungen verursachten
überhau pl den Zensoren manch schwere Stunde. Das eigentüni.
liehe Erbfotgerecht nötigte die Nachgeborenen zu einem andern
Emerb. ■') So unterschied man in den höheren Beamienkoltefficn
eine Ritter- und Oelehrtenbank. So konnte auch der «Aufruf an die
katholischen Fürsten 1802" bekritteln: .Die Bischöfe, die gewählt
komincn n lutta: j«dodi toll iLicioin»! mit Unscrtm inÄilieilcn ipcdil Vorvltstfi «ad
gcg^ «iMlfnmdrn Hrvcn fcnchc-hvii, tiali d^mclhnt nicht wrjtrr l^rjfctKfi, londrtn nm diu
falm Kndxvvclce. und »llttilill) drt Wlderlegiinit halber bcgphrct vrrdm.-
F.illDtcrutiazD.Nov. ITMiS*: .lal Unicrtri «citeieticniiliiritcr ßHrhl. d>l>|>iwBacluf,
vcSchc an eine hirliiiiliidic öffrntlichc. Kciil- oder vclflichr Bibliutheli addicfilrct Und, and
wo «ujclrkh ein init den Üidcntobci'i , ttinh*bcr oder BnotK«r dei Bibliothek KbriftUcb
gttcrtigUi Atim bcygcbncht «Hrd. s«g«n lontüE^r Bcuhlung de* bctreHendai Maolh- s>d
Aediqiujiti )wy Unwrn Miiulta- unil Zoliimtcni ohne OmurvliiUlion frrjr und unctlÜRdm
dam «erden uiUm.-
1) Vom ■. Juni nn
q Sdunclile. Der StuBhuuhati det hcnogiuKH Bayvrn, S. M.
I
I
I
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftvcscns in Bayern.
werden, sind größtentheils nidits als überflüssige SprcKSen ge-
wisser Familsen, welche sich dem Kirdiendienst offenbar ir keiner
anderen Absicht gewidmet hatten als um ansehnliche Einkünfte
zu ziehen, ohne viel erlernen und thun zu dürfen; ihre Ahnen-
reihe gilt ihnen mehr als die Gnade der Taufe." Das Zensur-
kolicg aber bestürmten adlige Sprossen mit Oesucheo um Ge-
nehmigung eines Wochenblattes, mit Huldigungsgedichten, mit
wisscnsdiaftlichen Aufsätzen und waren erfreut, wenn ihnen von
oben «ohne Consequcnz" ein klingender Dank wurde. Solche
Dürfligkeil ist mehrfach bdegt Sie wird begreiflich durch die
Stalislik von 1794, die 5249 Adlige aufzählt, und durch die
Tatsache, daß auch bei Allodialbesitz die Nachgeborenen einen
geringeren Anspruch hatten. Und als in der Zeit von 1199
bis 1808 die Fideikom misse des Adels aufgegeben wurden, war
nach Ansicht Lerchenfelds die Schöpfung neuer gutsherrlicher
Gerichte eine unheilvolle Entschädigung. Nach einem Jahrzehnt
kamen sie wieder auf.
Mit der Zeil wurde auch den Professoren an den Kur-
fürstlichen Schulhäuaern das Recht des freien Biicherbezuges
zuerkannt.^) Am 23. Mai 1794 wurde es den Professoren zu
Amberg, am 10. Okt. d. J. sämtlichen Schulhäusem zugestanden.
Das Zensurkollegium drückte sein Bedauern aus, da die Studenten
von nun an die von ihren Lehrern vernommene freie Kunde ins
Land tragen wurden. Und die Herren machten lange Gesichter,
als der Benediktinerpater Edmund HochhoUcr nun auf einmal
WieUnds sämtliche Werke als „Erklärungsschriften" zum lehr-
anitlichen Gebrauch benötigen wollte. Nun erhielt auch die
Jenaer Literatumeitung in Bayern das Gastrecht, »da diese Zeitung
zu jedem wissenschaftlichen Fache sehr nötige Kenntnisse enthält
und mit beiträgt die Professoren in VerhSitniß mit den immer-
dauernden Fortschritten der gelehrten Welt zu halten."
Am 30. Dezember 1798 wurde der kf. Militärakademie die
freie Wahl der Lehrmittel anheim gestellt, da Zensurrat Babo dort
Studiendirektor sei. Das Kolleg striubte sich auch hier und
schützte die Amtsgeschäfte Babos vor. Dann gab es zu bedenken,
■] M. K. A. «;/>': Dw Reclil dtr freitn BöditrÖMichung oder Vcnchidbnnc Iflr
jJk M «Icn kt, SdiulUiucrn «nBCilclllcn Prafmaren.
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Die Piutuwiij der Uaiversitat*) uJmjfiM adt das Ce-
rnn, CHK der jcaacr cbeaUrtige LifcriluiigihMg za
beenden. Duo «ar aber fiienrisdie LTitahhangigkeii erfordertieh.
Pnkmor nm LeveSoc Uikfchfc. mkra 24. Mm 1794:
■ Endndi w6nie es pnz unmO^KB sein, dv Vortuben, wddics
mi der hiesiges Hocfaxfanle scbon öften in Voncfabg gdmdtt,
aber wegen gewisser Hindernisse nocfa nicht ausgeführt wurde,
zu Stude zu bhngeo, eine LHlcfattirzeimng oder aadere perio-
diflcbe ScfariR oadi dem Beispiel anderer UnivcniäfaB bera»-
zugeben, weil es ganz untbonlicfa sein würde, alle Wocfacn die
feadtriebenen Botfea erst an das Ccnsur G)Ilegiun) einzusenden
und von dieser Stelle die Censur zu bewirken.'
Eine Gegenvorstellung des Kollegs vom 9. Juli gibt eise
gedrängle Obcrsichl Qber die auf die Zensurverhältnissc der
Univcrshäl bezüglichen Daten:
■ Die Universität von Ingolstadt war nach dem generali \*on
1769 der Censur des diesorligen Collegü unstrittig unterworfen;
in dem Jaltre 1771 durch gnädigstes Rescrip( vom 4. September
wurde zur schleunigeren Befördenii^ des Dnidces jener Schriften,
welche in das jus publicum et civile einschlagen, der Geheim- I
rnih von Ickstadt als eines unserer wirtdichen Mi^iedem als
besonderer Censor in Ingolstadt, jedoch dergestalt ernannt daß
er das von ihm censirte Manuscript sammt seiner Censur vor
dem wirklichen Druck zum churfürstlichen Bücher Censur College
um das Imprimatur jedesmal wie auch die von ihm selbst etwa
verfertigten Werke glach andern allforderst einschicken solle."
Doch schon 1772 strebte die Universität nach Zcnsurfrei-
hcil. Das Kolleg stemmte sich dagegen, weil hier andere Ver-
hältnisse vorlägen als bei der Akademie, die gemiß ihren Gesetzen
keine die Gottcsgcichrtheit und geistlichen Rechte betreffenden
Gegenstände behandeln dürfe.
Erst die Verordnungen vom 7. Juli und 17. August 1781
schufen Wandel. Jene untem-arf die ».dtsputation und theses*
■] M. K. A- IM/I: Dh 8«lr«lun2»«l>' <^ Unrv. Ingglitadl, dann Landibul etc.
Zur Ücschichte der Zensur und des Schriftweiens iti Bayern. 451
ausschließlich der Durchsicht der einschUgigen Faltultat, empfalü
eine vorsichtige Auswalil der Abhandlungen, verpflichtete zur
Behutsamkeit gegen religiöse, sittliche und staatlidie Grundsätze
und machte den Verfasser mit verantwortlich.') Die zweite Ver-
ordnung ermächtigte die Universität, die Abhandlungen der
Professoren zu zensiren und nach dem Beispiel der Heidelberger'')
zu approbieren.
Als für die Folge die Doktoranden der Billigkeit wegen sich
vielfach von nichtbayrischen Druckern bedienen ließen, mahnte
ein Erlaß") zur Berücksichtigung der einheimischer.
Schon Max IM. Joseph hatte der Sache großen Werl bei-
gemessen und ihre Regelung von einer im Universitätsarchiv
ettt'a befindlichen, die bischöfliche Approbation erlassenden päpst-
lichen Bulle abhängig machen wollen. Der Senat hatte geant-
wortel, daß die kf. Befehle von 16S4 und I6«2 genug besagten,
auch falls keine Bulle zu finden sei.
Die seil t782 vorgesetzte Schulkuratel nahm zugunsten
der Universität Stellung. Selbst der strenge Exjesuil Slattler
meinte, daß das Einvernehmen zwischen Bibliothekar, Rektor und
Dechanl und eine Separation gewisser Bücher eine hinreichende
Vorsicht bedeute.
Trotzdem machte die Verordnung vom 17. August 1792
die ein Jahrzehnt genossene Freiheit zunichte; nach Mitteilung
des Kollegs wegen verschiedener inzwischen vorgekommener Auf-
tritte. Und daß dies .cassatorische Rescript" Levcling in dem
eingangs erwähnten Bericht so gänzlich mißachtete, indem er den
>| l'itivcnXilHrchlv MQnchrn U * - Dir Prntmnrcn tiallrn ilcli HIkt den dem
cwid med. Pctcr Engclhart vom ZensnrWIltiR grvotdtncn BcKheid getrtrcrt und itnat
diesen Etl*ß criicll.
") Dis Etcispiet von Hcidrlhcrii wuntt «uch IT91 hnunjjriiiijfTi , ili di* Univ. von
der Kanwi ein* Bcisleuer ta dm Dmclkaslen erwirlcw »oUIp. F-i wunlc nicht viillihrt:
■jedei Vcifu^et rinet Dclrhrlen ScEirjll. wenn lolrlic mdklcchatl nuti^enrbtilct liL , «itij
leichl dmcii Vrtleaet und ilabH den Erut/ witict «tififtvandlen Känni (Indfri ViJnnm
Der von der Clmitdrtll UriivcrtlUt dlcQfill» dca 13. M*i (eliLhite Anlri|[, von
der einen Hüllte der Submitilonigelder den Betrag von (chl Dnic)i1>2gni ui jede Fibillll
abinerben. hat alw nittil SutI
Auch itl du in oblsFm Herichi ai>2''l">^'ilF llcitplrl von dei hohm Srlnilr m
Heldriberc nlcUI anwriKlhii, dj dorl Icdrni Protraat nur ein von der UnlveTilUti (Uiaa
bcMbltei Dnickbufm bcrilliEl Ist, und dicBn daher rührt, veil jeder ordrRtlicher Hro-
JcMor wfne Vorlrransen ai» Minj^l AltMitllcher Anzeigen divon. clwlFni durch ein ge-
drocklM Procramm lul Kfolen der Unlvenllil ininkiiivdl|pn pOcste.* (Oeh. Ktiratel m
Uni«. Ins. na II Juli 179) Univ. Aitfa. B 4j
■) V4im tl. Hai 1781.
482
PMhttiid Lorenz.
angeschuldigten Buchhändler Krüll verleidigte, daß er unter Uni-
versitätsjurtsdiktion stehe und ffir eine Schrift Prof. Spengels ein
Zertifikat der theologischen Fakultät erhallen habe, entflüinmte
die Zensurräle zum Zom. Von der beabsichtigten Liieratur-
zeitung befürchteten sie die Verbreitung von Gedanken, wie
sie Lorenz Hübner in der oberdeutschen hegte. Das Beispie)
Heidelbergs und anderer Universitäten sei für Ingolstadt ohne
Belang, ..weil gewiß ist, daß bei einer anderen als bloß aka-
demischen Ccnsur - wo bekannilicli kein Mitglied des lieben
Friedens wegen sich klüger als ein anderes dünken will - weder
das so viel Lärm machende Protluct des Heidelberger Professor
Wedekind') noch so viele andere von deutschen Universitäten
ans Licht gekommen sein würden, worüber jetzt Kirche und
Staat seufzen."
Und wieder geschah ein wechselvolles Spiel. Die Ver-
ordnung vom 7. Juli 1794 hatte kaum das Recht der Zensur
verslattet, als es die vom 26. d. M. wieder benahm. Nicht ein
Jahr verging, da wurde es von neuem erteilt.*) Zwar durfte das
Kolleg die Bücher einsehen, doch sollten alle jene Bücher ohne
nochmalige Zensur erlaubt sein, »die in der gelehrten Well und von
ganz Deutschland mit einem entschiedenen Beifall aufgenommen sind
und wahren inneren Werth haben, oder die von einem Ordinariat
oder von einer Universität oder anderen zuverlSssigen Slellea im
katholischen Auslande mit Recht gu^eheißen worden sind und
sonst von einem bewährten Druck- und VerJagsoric kommen.*
Die Sclbstzcnsur wurde der Universität ausdrücklich zurückgcgcbetu
Bald wurde den Professoren auch diese zu langwierig. Als
Franz von Paula Schrank und Karl von Hellersberg 1799 mit
den ..Litlerarisclien Ephemeriden" Ernst machen wollten,') wandten
sie sich an den Kurfürsten mit der Bitte um volle Zenaur-
frciheit Erfüllung trauten sie Max Joseph zu. Da jedoch Westen-
rieder die Sache in die Hand bekam, in einem «unziclsctzlichen
Antrag" erat die Grundsätze kennen zu lernen empfahl und
■I WedtUnd «if «in Vorklmplcr lEllfpöiEr Duldune.
>) Am 6. Mal 1795 Oinc und die vothcrsrii. Vcronlnunir auch brl SrydH I, 1^4
•) M. K.A. T»/)«: /«itKhnften. PrinU lt. 69dj nennt Sdinnk Hnen .luA*ra*irab-
utncn U«nn, »rlclicr «uch rt!dilidi in IKtcrarfidwai Lcütlnnitn *kh bcthtUctc* Er w
Bounlkcc, HdlcntKru Jurial.
I
I
zweideutig forderte, die Ephemerideii «von der Censur nicht
auszunehmen," zogen sich die Supplikanten wieder auf die
Zensurfreiheit der Universität rurück.
Westenrieder erklärte nun, er habe nur das Interesse der
Universität im Auge gehabt. Ihr Privilegium würde durch einen
Präzedenzfall von höchster Stelle zu erwirkender Befreiung
bedroht Er habe von vornherein die Professoren in diesem
Falle als Privatschriftsteller nicht mißkannt und sie als solche
behandelt wissen wollen, wenigstens bis man sehe, wie ihre
Schriften beschaffen wären. Seinetwegen könne man den beiden
persönliche Freiheit bewilligen, falls die Universität nichts da-
gegen habe.
Aber das lange umklammerte Recht, das, wie wir beim
Buchhandel sahen, erst 1801 beseitigt wurde, sollte auch hier
wirksam bleiben: am t. März ISOO wurden dem Buchhindler
KnJll die Pflichtexemplare abverlangt.
Da erließ nun Schrank die geharnischte, im ersten Satz
unrichtige Antwort; »Mich wundert, wie man zu München affek-
tiren könne nicht zu wissen, daß die Professoren an der Universität
niemal ein anderes Censur Forum gehabt haben als die Universität
selbst. Die Herausgeber der Ephemeriden haben auch nie etwas
anderes nachgesucht als die Exemtion auch von diesem Forum,
und das nicht von einer untergeordneten Stelle, sondern von
Seiner Kurfurstl. Durchlaucht selbst. Daß die Sache einen anderen
Gang genommen, geschah bloß aus Unverstand ..."
Den Frieden brachte die Verordnung vom 29. April 1800
an die Kommission:') uDamit Unsere über die ErtheÜung des
gewöhnlichen Imprimatur bey den in den heroberen Landen
gedruckten Schriften unterm 14. März d. J. erlassene Verordnung
zum Naehtheil der Unserer Universität gnädigst bewilligten Censur-
freiheit nicht mißverstanden werden möge, so erklären wir die-
selbe dahin, daß zwar zur Beybehaltung der Gleichförmigkeit
auch in Ansehung sämmllicher von erwähnter Unserer UniversiÜt
oder ihrer Mitgliedern herauskommenden Schriften jedesmal das
Imprimatur, welches auf die Rückseite des Blattes zu setzen ist,
nachzusuchen, dieses aber von der Universität selbst dergestalt
■) M. K- A neu
.J
F-
Privatsckrütstelleii Dies ist
kr'm rfer Zeit der
IM MdhModerdMfta M wrUrai. (e
»PlrtnbGfcflAMetttr' flMbr oder pui^tr Rfcliir zsfaä&glL
r>k BiOe KlekiiiMyiM. Mtoc KkA
dtr Oqptndai nAd Sbdt jovarü mr .als OednkcB a htm-
tdk% dfe voa einem prival .Mann faaicot&aten, der
OcwiM dft Abtklit hH, Macbtsprücbe zu geben oder
wer et inmer »eye. an den Befugnissen zu vcricäraea,- kan*
/<khnddieAiifEMwnK,dienun bei den mafigcbcnden SkUcn begle.
ElOC eigene Beleuchtung erfährt der Begriff, Teno er auf
etnen Staatodlcncr angewandt wurde, der auch von Amts wegen
»ich tchriftitdlcriidi beUtigen mußlc. Dessen Werke sind daher
icil» offiziell ticbersiellende teils beratende, vorschlagende, wissen-
ftchaftlich forlbiklcndc Darlegungen noch werdender oder durch
lange Vergangenheit verdunkelter Zustände. So wurde dem
Oberregicrungurat Krenner 1 794 erlaubt, seine Schrift über Land-,
Mofmark»- und Dorfgerlchle in Bayern als .Privatmeinung* zu
drucken, um den Diplomatikern und Historikern zur Prüfung
Oelcgenheit 2U geben.') Im gleichen Jahre wurde die Geschichte
I) M. K. A. tw/a»; HUM- rieh,
I
I
Zur Oechichte der Zensur und des Schriftweens in Bayan. 485
Donauwörths von Stocker der Oberlandcsregierung zur Begut-
achtung iibermiltelL") Diese hielt die Prüfung für überflüssig,
Inda ein Privalschrif {steiler Höchstdero landesherrlichen Gerechl-
sarac so wenig etwas geben als benehmen kann."
Neue Meiniings Verschiedenheit über die Rechte privater
Tätigkeit rief das Streben hervor, nicht nur durch das geschriebene,
sondern auch durch das lebendige gesprochene Wort neuen
wissenschaftlichen und ethischen Errungenschaften zu dienen.
Art und Mittel der Erstehung wollte man weiterbilden.
In Nürnberg war schon 1794 Daniel Qoeß Privatlehrer
der Philosophie und gab eine „Darstellung der Kantschen Ver-
nunft Kritik."') In den Reichsstädten waren die Feuer nie er-
loschen, die nach der pohtischen Eingliederung das ganze Land
öberstrahlten, nachdem schon vorher die Funken weit über ihren
Herd gestoben waren.
Auch in München wurde man mitteilsam, als die Stadt den
neuen Kurfürsten tn ihren Toren aufgenommen, W. Rothammer
wollte poliUsche Vorträge hatten.*)
Weslenrieder war rallos. Er forderte die Kollegen zum
Urteil auf über diese philosophisch- politische Vorlesung, ob der
Druck der Ankündigung 2u gestatten oder die Vorlesung selbst
zur Einsicht zu fordern sei, ..indem, da schon die Auswahl
des Gegenstandes etwas Sonderbares zu sein scheint, in der Aus-
führung desselben noch etwas Sonderbareres vorkommen und
die Bücher Censur compromittiret werden dürfte.*
Rat Mann entschied, das Imprimatur auf die Ankündigung
zu erteilen, die Entscheidung über öffentliche Vorlesungen indes
der höchsten Steile zu überlassen. Babo pflichtete bei, die Ein-
ladung könne fiffentlich durch Druck geschehen, ..sonst wäre
ich mit einem Bericht ad Intimum wegen der vielen Bedenkltch-
kciten, die man dergleichen Privatunterricht in Vorlesungen im
Onind entgegenstellen kann, verstanden."
Das geheime Ministerialdepartemcnt wurde mit der Sache
betraut — und die Genehmigung nicht erteilt Und doch hat gerade
)| M. K A. TM/1.
■) M. K. A. »t;iS: Catol l p.
q M K. A- miu-
Ferdinand Lorenz.
Morauntzky die Rechte eines Privatschriftstellers spitcr jedwelchem
Beamten zugesprochen und dadurch die ganze Kontroverse gegen-
standslos gemacht.
Westenriedcr wollte sich soweit nicht verstehen. Eine Er-
scheinung machte ihn bedenklich, auf die wir großen Nachdruck
legen. In vollem Umfang zeigte sich in der Geistlichkeit das
Streben nach sittlicher Durchbildung und einem geläuterten
Christentum, das im Leben Früchte tragen sollte. Möge der ein-
schlägige Bericht Wcstcnrieders ans geh. Minislcrialdepartement
vom 29. Juli 1802 hier folgen:')
uDer hiesige Professor und Schulrcclor Cajetan Weiler hat
auf seinen Vorschlag die ErlaubniB erhalten, an den Sonnt^cn
abwechslungsweise untnittelbar nach der Messe und an dem Orte,
wo diese gelesen wurde, in seiner Kleidung seinen Studenten
Moralreden vorlesen m dürfen. Diese hat er denn auch wirk-
lich gelesen, und nun will er sie, wie er sie las, auch in den
Druck legen lassen. Sein Verleger Lindauer schickte 10 Stücke
zur Censur ein. Den 6 ersten Reden wurde als unanstößigen
Vemunftreden das Imprimatur ohne Anstand ertheilt. In Betrcf
der 4 übrigen aber, besondere der 7 und Sien, urlheilten die
bei der Böcher Censur angestellten zween uneingenommenen
Rälhe Klein und Maximus Imhof als Theologen, daß besagte
Reden iinläugbar alles nicht bloß katholische sondern christliche
Dogma schlechterdings verkennen und ausmlrzen. Das bei-
liegende von gedachten beiden Räthen unterschriebene Original-
votum, aus dem sich kein Auszug mehr machen läßt, enthält das
Mehrere.
Da die Sache in mehr als einem Betracht unendlich ernst-
haft und bedenklich ist; da ferner kein öffentlicher Lehrer in
Religions Sachen behigl ist und sein kann als Privatmann, falls
er als solcher eine besondere Überzeugung für sich erhalten zu
haben meinet, aufzutreten und etwas anderes in wesentlichen
Dingen zu lehren als was er bei seiner Anstellung mittels des
vollständigen und gnädigsten Vertrauens des Landeshcmi zu
lehren übernominen und versprochen; da endlich in betreff der
7 und 8ten Rede eine Verbesserung schweriich möglich ist, da
^ M. K A. 7U]i.
Ä
Zur Oeschichte der Zensur und des Sehriftwesens in Bayern
titl. Wdler des Auffallenden und Anstößigen in seinen Reden
wahrscheinlich sich nicht mehr (von vielem Hineindenken in sein
System) bewußt ist: So ist Unterzeichneter der unzielsetzlichen
Meinung, daß diese Sache ohne Geräusch beigelegt, daß die
Herausgabc der 4 letzten Reden eingcstclli und daß kfinftiges
Schuljahr, da der Gottesdienst in der ehemaligen Camieüterkirche
gehalten wird, mit Hinweglassung der weilerischen Vernunftreden
(welche an die ehemaligen Pariserreden erinnern möchten) katho-
lische Predigten und keine andern angeordnet werden sollen."
Das wohne Geräusch beilegen" leuchtete Morawttzky ein.
Zudem übersandte Weiller eine Vorerinnerung, die alles beseitigte,
was gegen die Lehre der katholischen Kirche von der Gnade hätte
anstößig scheinen können. Morawilzky bemerkte auf der Meldung des
Referendars von Zentner: -Soviel ich einsehen kann, so können sich
mit den am Ende der Vorerinnerung imterstfiehenen Worten . . .
die rüstigsten Orthodoxe begnügenj ja noch mehr die Katholische
als selbst die Protestantische Orthodoxen, welche nach dem be-
kannten älteren Schuistreit die Werke nach der Erlösung für un-
wirksam erklären, mithin die ganze Heüsordnung außer der
Sphäre des zu Heilenden setzen." - Das Imprimatur wurde
erteilt!
Weiüers Tat erinnert an das Verlangen von Fingerlos')
nach einer systematischen volkstümlichen Religionsbelehrung, der
auch die Zeremonien als symbolische Bilditngsmittel sich unter-
zuordnen IwHen: uDiese Stunden dürfen auch, nachdem in ihnen
die übrigen vorschriftsmäßigen kirchlichen Ceremonien sind ver-
richtet worden, zu nichts anderem, nicht zu Rosenkränzen, Lita-
neien, Kreulzgängen u. s. w., nicht einmal zu Katechisation für
Kinder verwendet werden."
Man kann hier auch erinnern, daß Sailer als Professor in
Landshut ein für alle Landessöhne obligatorisches Religions-
kolleg las. ^)
Philosophischen Unterricht betraf die fortschrittliche Ver-
ordnung vom IJ. Dezember 1803,^) also nach Aufhebung der
") Woai sind Qdsllicheda? S. MH.
*) Annalen drr Iciilcmlai Mcnidiltinl, IM\
t M. K. A. 74ifiil. - den Prof. S*l«t brtr.
4S$ Fettinand Lorenz.
Kommission. Dem Pagerielehrer Ferdinand Mahir wurde erlaubt,
Liebhaber und Wißbegierige bei sich zu versammeln und über
literarische OegensUnde ohne N'ersiumnis der Berufsgesehäfte
sich frei mil ihnen zu benehmen. Doch solle er keine formtcHe
Schule bilden. Noch einige Tage vorher war die Verteilung
einer gedruckten Ankündigung verboten worden, weil sie die
Naturphilosophie zu sehr in den Vordergrund gestellt hatte. Und
doch glaubte AUhir auf diese Weise vor dem Generalschuldirek-
torium sich auszeichnen zu können.
Am 30. August endlich legte Morav^itzky*) zugunsten des
vom Hofgericht verfolgten Professors Salat das entschiedene Be-
kenntnis ab: .Es thut auch nicht zur Sache, daß ein Professor
Verfasser [dieser Schriften] sein soll. Durch Übernahme
dieses Amtes hat er die Rechte des Schriftstellers nicht
verloren.«
Die spezifische Bezeichnung » Privatschriftsteller* kam ab.
Auch den Staatsdienern engte die Rücksicht auf ihr Amt das
Gewissen nicht mehr ein. Als die neue Organisationsakte der
Universitäten das Privatdozententum olfizieli zuließ, b^ann man
den Meinungsstreit zu vergessen, den die B^eichnung »privat*
eine Zeitlang hervorgerufen hatte. Jenes Wort begriff nun ein
äußeres Merkmal, nicht mehr die Art der Lehre und ihres schrift-
lichen Niederschlags.
Die Zensurgeschichte spielte weiter, nachdem die Behörde
beseitigt war, deren Wirken als Kolleg und Kommission vor-
liegende Untersuchung hauptsächlich galt
Abfällige Urteile über Zensurwesen aus verschiedenen Zeilen
sehen sich merkwürdig ähnlich. Wir sind im Laufe der Dar-
stellung dem Gedanken mehrfach begegnet, den der sächsische
Staatsminister von Friesen in den «Erinnerungen aus meinem
Leben" mit Bezug auf das Jahr 1848 ausführt daß die Zensur. .
«nur dazu diene, die verflachenden und zersetzenden revolutio-
nären Elemente in der Litleratur, die alte, auch die verwerflichsten
Mittel und meist mil Erfolg versuchten, um die Zensur zu
täuschen und Haß und Verachtung gegen die Regierungen zu
verbreiten, mit einem gewissen, ganz unverdienten Nimbus zu
■} M. K. A. 7111».: den Prot. SaU( Mi.
Zur Geschichte der Zensur und des Schriftresens in Bayern. 439
umgeben und dadurch ihr vergiftendes Treiben erst recht gefähr-
lich zu machen.«
Es ist nichts anderes, wenn Oentz dem König von Preußen
zurief: »Die nüchternsten Scribenten fangen an für helle Köpfe
zu gelten, und die feilsten erheben sich auf einmal zu Märtyrern
der Wahrheit"
Die Sprödigkeit und Unzulänglichkeit von Zensurverord-
nungen erschwert deren Auslegung und Anwendung und muS
bei engherzigen Richtern alle Teilnehmer des Schriftwesens in
den Rechten verkürzen, die in der Freiheit und in der Wahrheit
wurzeln.
Archiv für Ku[turi;eschidite [I. 31
Requisitionswesen und Fouragierungen
in der Schwarzburgischen Unterherrschaft, 1761.
Von GUSTAV SOMMERFELD!.
Nach dem Erfolge, den die Preußen und Hannoveraner
unter den Generalen von Syburg und von Spoercken am
IS. Februar 1761 in dem Gefecht von Langensalza über die
Franzosen davongetragen hatten, ') die infolgedessen auch zeit-
weilig auf Kassel "} zurückgingen, war Thüringen in kurzem
wieder den verderblichen Heereszflgen der Franzosen preis-
gegeben.*) General Malmaison lag mit 1000 Mann Dragonern
und Infanterie in der Zeil vom 23. Oktober bis 1 1. November 176t
in Langensalza.*) Das Hauptquartier jedoch wurde die Stadt
Mühlhausen. Hieriier mu!3te nicht nur die Langensafzacr
Bürgerschaft Palisaden, Faschinen und anderes Belagerungsgerit
in betrichtlichen Mengen liefern,») sondern auch Getreide, Heu,
Stroh, Magazingegenstande aller Art wurden, soviel man in den
thüringischen Landschaften davon erlangen konnte, nach Mühl-
I
)] L. V. Slchart. Ondildnc du Wliil(lldi Htnnov;ncti« \natt , tll, Abt I.
Hinnovcf iS70, S, lM-2u. A. Rüb»i.m«n. Du FQnImmni Schv^iciburc-ItDdolitMll im
ilcb<nphriji«n KricKC. RudoMidl IIOQ. 5. :&.
*> K. V. d. Kntielicck. rcnjinan^, HrnOB lu Biauntchwelg und LOacbars,
vfhrcnd dcc ticbmjJUtriEcn Kri«2**' ". Hminnvcr tes8, S. 21fr— !4I.
t) Vg\. für die SchTtnburc^tche Unlerli«fnclu(t £. SehoeBaa tnt rtankctiUiu«r
IniFUidoiibliii. Jb- »ig, Nr JT-3».
1 K. W. V, ScIiAnlns, 0er (idwnjllirise Kri«it nuh der OneiDalkorrttpOMkiu
rtiedrichs dM Orolkn nc HE. PoodtTn 1SK, S tl-i» O u. tl. SctiatE, ChronDi der
Sudt LjiiernMiza. IMO, S. 3SB, «D onrlchdc ■Onndnitlion-',
'1 Schflix. ■. a. 0„ S. ua. rr, V. E. Lchminn, DIt Oocliicbte dtr SiMit
Kdbrj «, K. HiUc )»<»
Requisit! onsvesen und Fouragieningen. 49i
hausen zusammengebracht. So erließ der Marquis de Lamberth,
Generalquartiermeister der Armee zn Mühlhauscn, ein vom 25. Ok-
tober 1 761 datiertes Edikt an die fürstlich schwarzburgische
Regierung zu Franke nhausen, das die bevorstehende Ankunft des
Juden Samuel Aaron ankündige, der beauftragt war, im Umkreise
der ganzen Landschaft Getreide zu einem solchen Preise aufzu-
kaufen, wie er bereits auch mit der Behörde zu Sondershausen
vereinbart halte.') ~ «Mühlhauscn, den 25. Octobris 1761. Meine
Herren! Ich habe die Ehre Ihnen zu berichten, dass der be-
nahmte Samuel Aaron, Bevollmächtigter des Herrn Hirsch Behr,
welcher Ihnen diesen Brief überantworten wird, befehliget ist in
dem Umkreise Ihrer Landschaft Getreide einzukaufen. Ich habe
also die Ehre Sie zu bitten, die gemessenste Ordre zu erlheilen,
damit Ihre Einwohner ihr Getreide ausdrescheii und es ihm um
den jet2t gewöhn liehen Preis verkaufen nach der Einrichtimg, die
er mit der Regierung zu Sonde rsliausen getroffen hat. Dieses
Getreide muß in das königliche Magazin nach Mühlhausen ge-
bracht werden. Ich bin überzeugt, daß Sie zu dieser Einrichlung,
die zum Nutzen Ihres Landes gereichet, desto williger die Hand
bieten werden, weil Sie sonst, wenn Sie es nicht thun, sich in
den Fall setzen werden, daß Ihnen durch besondere Trouppcn-
abschickung Ihr Getreide weggenommen werde, und wenn es
gleich bezahlt würde, dennoch es viel Ungelegenheil Ihnen ver-
ursachen könnte. Ich habe die Ehre mit besonderer Conside-
ration und Hochachtung zu seyn, meine Herren, Ihr unterthänigst
gehorsamer Diener le marquis de Lamberth. aide mar^chal g^nfral
des logis de l'armfe."
Der Bürgermeister Martin Ritter zu Franken Iiausen und der
Syndikus Johann Friedrich Müldener*) nahmen sich infolge eines
Befehls der schwarzburgischei Regierung vom gleichen Tage der
Durchführung der spezielleren Maßnahmen in dieser Angelegen-
1} Sladlarchiv ra Fr(nliaih>ti«cn , Fach A 3i Act« den Koiiiniuidxnlen tu MM-
Itfnten bÄreltnid, i'fil. Vgl. in allgnrulnfii noch AnfmAller, Johann Friedrich, Fünt
lu Schvinbaif-Kuddttutc. ^11l~^}t1. Kudohtidl UM. R. Jorilin, D« Cbcrsme
der kaiMTl. freien Reich ifMiIl Mohlhiutcn «i PrcuOcn. 1807. roUchiitt üet Sladi MQhl-
bMien )9M, S, 1311.
*) Einen Abriß dtr leben ibodirefbiiin dion ■vcidknlen fianltenhäuitn , dir lu-
gt«kh all hiilorisdirr SchriilsIcLl« rinr Rc:]hr li>lulj{r>chi<hllgchcr -und (mnloeiuhec Ab-
Ikindlungfn \cr£ff<n(llchu, bu F.. Schocniu In -AUgtinrlnc dmtseh; BiogniphI«* 31,
S, 4»-4U ergeben.
3t'
^
492 Qustav Sommerfeldt.
heitan. Es bedurfte indessen nochmaliger Mahnung der schvarz-
burgischen Regierung an die Bürgerschaft, ehe diese sich eni-
schloß ein Kapital von 1000 Talern, das ihr der Hofrat Wemer
in Frankenhausen vorschoß, aufrunehmen und zum Ankauf zu
verwenden.
Die Regierung hatte am 3. November verfügt:') „Unsere
freundliche Dienste zuvor. Achtbare und wohlweise gute Freunde!
Was wir wegen ZusammcTibringung der Mühlhäussischen Fourage-
gelder unterm 22, Februar a, c. an Euch rescribiret, dessen seyd
Ihr sonder Zweifel noch wohl eingedenk. Naclidem nun dem
Vernehmen nach diese Gelder noch immer nicht völUg einge-
gangen, und dtessfalls von denjenigen, die mit ihren Forderungen
darauf vertröslel worden, verschiedentlich Beschwerde geführet
wird, als ist an des durchlauchtigsten unsers gnädigsten Fürsten
und Herrn statt unser Begehren hiermit, Ihr wollet sothancn
unserm Rescripto annoch sonder Anstand nachgehen, oder warum
solches nicht geschehen könne, berichten. Wir versehen uns
dessen also und sind Euch übrigens freundlich zu dienen willig.
Datum Frankerhaussen, den 3. Novembris 1 762. Forstlich
Schwartzburgische Regierung verordnete Vicecanzlcr und Rithe.
Sommer."
Am 6. November waren die erforderlichen Mengen Roggen
und Weizen bereitgestellt, denn zum gleichen Tage heißt es in
einer dem Frankenhäuser SudtkAmmerer Fischer erteilten Voll-
macht: »Vorzeiger dieseSn Herr Kimmerer Johann Christoph
Fischer ist befehliget, auf hiesigen, zu der fürstlich Schwartzbuig
Rudolst-idtischen Unterherrschitft Landen gehörigen Ort reparlirles
Quantum an 100 Scheffel Roken und Tunffzig Scheffel Waitzen
Nordhäusischen Gemäses in das königlich Franzüsisdic Magazin
zu Mühlhausen abzuliefern und die accordirte Bezahlung dafür
in Empfang zu nehmen, wcshalben denn jedermann geziemend
ersucht wird, denselben nebst bey sich habenden Personen frey
passiren und repassiren zu lassen. Frankenhausen, den 6. No-
vember 176t. Bürgermeister und Rath alda."
Mehr Umstände machte die Lieferung von 20000 Rationen
Hafer, Heu und Stroh, die der Rcgimcntsquarticrmcistcr Lattcux
<) SadUrthiv Frank cnhiuiBi. ehoida-
I
Rtqiii&ilionsa'cscn und Fouragieningen. 493
des Regimenis du Haynault, welcher am 24. November persön-
lich in Franken hausen erschien, der Rudolstädler Unterherrschaft
auferlegte. Nachdem 1*000 dieser Ratioaen in Mflhlhatisen end-
lich eingeliefert waren, mußte wegen des Rests Zuangsbeilreibung
erfolgen. Müidener hat darüber folgende Aufzeichnung gemacht:
«Actum Franckenhausen, den 2. Decembris 1761. Nach
12 Uhr Mittags nickle der königlich Frantzösischc Capilaine de
Bernardc mit 40 Mann leichten Dragonern vom Regiiiienl Volon-
tairs du Haynault in hiesige Stadt ein und sofort vor des Herrn
Raih und Amtmanns Dr. Striives Haus, alwo derselbe sofort die
Eröffnung that, dass er Ordre habe die ermangelnden 6000 Ra-
tionen Hafer und Heu von hiesiger Sladt und Lande beyzu-
treibcn, und dass 7ii deren Transportirung ohne den geringsten;
Anstand die behörige Veranstaltung getroffen, auch in jedes Stadtthore
sogleich verschlos&en, exclusive des Wasserthors 2 Mann Bürger-
wache gesteht werden sollte. Wie nun dieses Letztere sogleich
befolget worden, also hat auch hierauf der Herr Capitaine sein
Quartier nebst 20 Mann in dem Gasthofe zum güldenen Ringe
erhalten, die übrigen aber sind in den Gasthof zum rothen Hirsch
einquartirel worden- Eodem Abends gegen 5 Uhr befahl auch
der Capitaine, daß vom Rath und Amt 200 Schaufeln, 200 Äxte,
200 Pikken nach Mühlhausen geliefert und jetzo mittransportirt
werden sollte, wobey er befohlen, daß die Stadt 50 Stück von
jeder Sorte liefern sollte. Weshalber in contJnenti durch die
Rathsdiener von Hauß zu Haiiß angesaget worden, daß bey
S Reichsthaler Strafe derjenige, welcher dergleichen habe, aufs
RaihhauH liefern sollte." „Franckenhausen, den 3. Decembris 1761.
Vormittags nach 9 Uhr sind von hiesiger Stadt 3 vierspännige
Wagen, I dreispänniger Wagen, I zweispänniger Wagen, 9 zwei-
spännige Käme mit 775 Rationen Hafer, I80 Rationen Heu und
61 Stück Schaufeln, Hakken und Äxten, auch I^kkcn auf Mühl-
hausen abgegangen, worauf auch der Herr Capitaine de Bemardt
mit seinem Delachement sogleich aus hiesiger Stadt wieder fort-
marchiret. Nachrichtlich Joh. Friedr. Müidener, Syndicus."
Unterm 6. Dezember merkt Müidener in derselben Auf-
«ichnung dann an : « Acto sind die sammtlichen Geschirre,
welche Hafer- und Heurationen nach Mühlhausen gefahren, in
494 Oustav Sommerfeldt.
hiesige Sladt wieder zurückgekommen, welches nachrichüich an-
zumerken gewesen."
Damit hatten die Requisitionen indessen keineswegs ihr
Ende erreicht Zum 13. Dezember I76i heißt es a. a. O. Fach
A2 weiter: nAciO Mittags um 12 Uhr nickte ein Lieutenant mit
15 Husaren von dem königlich Frantzösischen Berchinischen
Hussarertregiment Lieulenant Hernesy alhier ein und verlangte
Quartier und Verpflegung, worauf dieselben bey Herrn Hart-
mannen im Gasthofe zum gehami&cliten Mann einquarliret
worden." - »Franckenhausen, den 1+. Decembris 1761. Heute
Morgen gegen 7 Uhr ist dieses Detachement wieder von hier
abgegangen. Nachrichtlich Joh. Fnedr. Müidener, Syndicus,"
Und endlich ging die französische Generalität in Mühl-
hauaen selbst so weit, Betten zu verlangen, die von der schwarz-
biirgischen Unterherrschaft dorthin geliefert werden sollten.
MOldener bemerkt: »Franckcnhauscn, den 14. Decembris t76l.
Acto lief eine Ordre von dem königlich Frantzösischen Komman-
danten Herrn General Comte de Chabo an hiesiges fürstliche
Amt und Magistrat ein, kraft deren bey Vermeidung militärischer
Execution befohlen worden, dass Stadt und Amt binnen zu'cymah)
24 Stunden JOO Stück Bette für die Garnison zu gedachten
Mühlhausen abzulieferen, und sollte jedes Bette in 2 Federbetten,
worunter eines zur Decke dienlich sey, und einem Pföhl oder
Küsäen bestehen, exciusive einer höltzernen Bettstelle. Wie nun
hierauff diese Sache bey fürstlicher Regfierung in Deliberation
gezogen worden, so wurde daselbst beschlossen, dass man einst-
weilen mit tOO Stücken den Anfang machen wolle, wozu die
Stadt 30 bis 33 Stück abzugeben hätte. - Eodem wurden
die sämmtlichen Tischer zu Ralhhause erfordert, um dieselben
dahin zu vermögen, dass sie in der Geschwindigkeit eine gen'isse
Quantität hftltzerner Bette machen müssten etc"
Mit dieser Requisition hatte es die Generalität so eilig, daß
schon am I9, Dezember zur Anwendung einer Zwangsmaßregel
geschritten wurde. Müidener erwähnt;
w Franckenhausen, den 19. Decembris 1761. Heute Mittags
nach 12 Uhr kam ein Kommando königlich Frantzösischer Dra-
goner vom Regiment Orl>i^ns hierher, und der dabey befind-
k^
Rcquisitionswcscn und Fouragtenittgen. 495
liehe Marechal dt logis aufs Raihhaus, producirte eine Order
nach welcher er sich erkundigen sollte, wie der Magistrat die
Ordre wegen Lieferung der Betten befolget hätte, unter der Be-
drohung, dass, wenn solche nicht wörtlich vollstreclcet würde,
solche durch mügliche Execution beygetrieben werden würde
Magistratus gab zur Antwort, da&s die Stadt und Amtsdörfer
bereits lOO Stück bereitete Betten geliefert hätte, und würde man
Anstalt machen, dass auf den Montag wiederum ein Transport
auf Mühlhausen abgehen würde. — Eodem. Nachdem acto hier-
von sofort bey hochfürsliicher Regierung vom Stadlralh Anzeige
gelhan worden, so wurde daselbst beschlossen, einen nochmaligen
Transport von tOO Betten zusanimcnzubiingen und auf den
Montag nach Miihlhausen abgehen zu lassen. - Franckenbausen,
den 20. Decembris 1761. Aclo ist zwar der Anfang zur Collec-
tion der Betten gemachet worden, allein weil gegen I Uhr Nach-
mittags ein Corps königlich Frantzösischer Reutere/ Dragoner
und Htissaren von 300 Mann ohngefähr alhier eingerücket und
Quartier verlanget, so ist die Lieferung auf heute verschoben
und dieses nachrichtlich anhero regislriret worden. Job. Friedr.
MQldener. Francken hausen, den 21. Decembris 1761.»
Die Aufzeichnungen des Jahres I76i schließen damit, daS
Möldener bemerkt, dieses Korp$ Reiterei sei am 21. Dezember
morgens 9 Uhr wieder aufgebrochen.
Welche Mühe es machte, die für alle diese Requisitionen
erforderlichen Geldmittel flüssig zu machen, zeigen die ebenfalls
zahlreich erhaltenen RalsprotokoUc der Verhandlungen des fol-
genden Jahres sowie das nachstehende Schreiben der schwarz-
burgischen Regierung an den Frankenhäuscr Stadtrat vom
27. Februar 1762; (.Unsere freundliche Dienste zuvor. Achtbare
und wolilweise gute Freunde! Bey uns haben der Secretär Land-
graff und Actuarius Arends die geführten Rechnungen über die
in das königlich Franlzösische Magazin nach Mühlhauscn zu
zweyen unterschiedenen Mahlen gelieferten und respeclive von
dar nach Götiingen transporlJrten NaHiratien übergeben. Gleich-
wie nun daraus die ges.mnmlen dieserhalb autgelaufenen Kosten
und Vorschüsse benebst dem Geldbeträge derer zuletzt abge-
lieferten und zu MUhlhausen nicht bezahlt erhaltenen Naturalien
49& Qustav Sommofeldl. Requisitionswesen und Fouragimingen,
an Hafer und Heu und S(roh zu einem Liquido von 5119 Tlialern
anerwachsen, wessen hcsondere Ausschreibung und Beybringung
um deswillen zu beschleinigen seyn will^ damit vorzQglicIi die-
jenigen ihre Befriedigung erhalten mögen, vor welche der zuerst
abgelieferte Rocken und Waitzen benebst den Qöttingischen
Transportkosten bezahlet worden, als die sogleich nicht verthcilet
werden können, jedem derselben sofort wiederum zu der bald
darauf erfolgten pressanten Hafer-, Heu- und Strohlieferung die
Nolhdurfft erfordert, über dieses aucli die sonst hierzu erborgten
herrschaftlichen und andere Gelder fördersamst bezahlet werden
mfissen, damit nicht inmittelst das Interesse davon höher an-
wachsen als es zur Zeit in Ansat7 kommen. Als ist an des
durchlauchtigen unsers gnädigsten Fürsten und Herrn Statt unser
Begehren hiennit, Ihr wollet die also baar anhcro abzuhlhrenden
963 Thaler 23 Groschen li 4 ^o"" andern von der BQrgcrschafft
durch Aussagung so viel extraordinaircn Termine, als hierzu von
nölhcn, ungesäumt zusammenbringen und die Münzsorlen, wie
das unterm 6. Februar c a. diessfalls ei^angene Re&cript anzu-
nehmen erlaubet, gegen Quiitung anhero einsenden. Wir ver-
sehen uns dessen und sind Euch übrigens freundlich zu dienen
willig. Datum Franckcnliausen, den 27. FebruarÜ I762. Zur
forstlichen Regierung alliier verordnete Vicecanrlcr und Rathe.
G. H- Zahn."
Die Unterherrschaft mußle im übrigen auch die erste
Hälfte des Jahres 1762 hindurch noch mil den Lieferungen
nach MQhlhausen fortfahren. Diese hörten erst auf, als das
Kriegsuniemehnien , welches Prinz Heinrich im Herbst 1 762
mit so glänzendem Erfolg nach Franken hin ausführte,') den
Franzosen, die vor den verbündeten Engländern und Hannove-
ranern aufs neue nach Kassel hatten zurijckgehen müssen, end-
gültig die Lust benahm, thüringische Gebiete mit ihren Zügen
heimzusuchen.
i| Vjjl, FriKlridKilw Qtofteti vorberritmiltiSdirBbai in Priti» Hrirrichau» Br«dw
voni 16- Min 1762 über die in SchTnibuif unil indrrm Ocbli'tcn lU crlitt>cildcn Kontri-
butiono), bd v. SchSnine. Der tiebcniihriife Kitce, UI, S. i')i- Im *llEoi>dncii M. C,
Kl hin, Einfall dci PiciiBcn in du >lochi(ifl Qunbcrg irihirnd dn »«baijlhngcn Krieg«
im Novcmlwr '761 («i. Bcridii äti hlirorlichn Ve7tti\i tu Bamberg v. J. iB't) oiU
t. Reicke, 0«*clilcliie iJtr RtlchuUdt MOmbnit. NCmbnit ilW, S. IWI-IOO*.
Besprechungen.
F. CDtnont. Die Mysterien der Mithra. Ein Beitrag zur Religions-
geschichte der römischen Kaiserzeit. Autorisierte deutsche Ausgabe von
Geo. Oehrich, Leipzig, B. 0. Teubner, 1903 pCVl, 176 S.)
Alb. Dieterich. Eine Mithrasliturgie. Erläutert. Leipzig, B. G.
Teubner, 1903 (X, 230 S.)
Fr, Cumont hat das große Verdienst, den Mithraskult, dessen hohe
Bedeutung für die römische Kaiserzeit man bisher mehr ahnte als kannte,
in das heilste Licht gerückt zu haben. In seinem imposanten zweibändigen
Werk Textes et monuments figurfe relatife aux mysteres de Mithra, Brüssel
1896/99, hat er alle irgendwie erreichbaren Quellen, die nicht eben zahl-
reichen literarischen sowohl wie die über das ganze weite Gebiet des
.römischen Imperiums von Tarsus bis zu den agri decumates der Rhein-
grenze und dem vallum Hadriani im Piktenlande zerstreuten monumentalen,
gesammelt und auf Grund dieses erstaunlichen Materials Wesen und Ge-
schichte des Mithraskulles zum erstenmal urkundlich genau dargestellt.
Der 2, Band enthält die Texte, Inschriften und Monumente; der 1 . außer der
Critique des documents (S. 1 - 220) ausführliche Conclusions (S. 221 - 3S0).
Letztere, die zusammenfassende Darstellung, hat der Verfasser mit Recht
durch eine nur in Einzelheiten umgearbeitete Sonderausgabe (ohne die
Anmerkungen) einem weiteren Leserkreise zugänglich gemacht (1900), die
bereits in 2. Auflage erscheinen konnte. Es ist dankbar zu b^;rüßen,
daß der schon durch treffliche Übersetzungen der religionsgeschichtlichen
Arbeiten des Holländers Tiele bekannte P. Gehrich auch dies wichtige
Werk des belgischen Gelehrten dem deutschen Publikum nahegebracht
hat. Die mit Unterstützung des Verfassers gemachte, um einige Zusätze
bereicherte Obersetzung liest sich durchweg gut (immerhin ist ein Ver-
gleich von S. 121/2 mit der Übersetzung bei Dieterich S. 86/7 lehrreich;
störend aufgefallen ist mir S. 91 Revolution st. Umdrehung; S. 142 des
Christus st. Christi). Die Ausstattung mit einer Karte über die Verbreitung
des Kult im römischen Reich und gut gewählten Beispielen mithrischer
Denkmäler verdient vollste Anerkennung.
Cumont teilt seinen Stoff in 6 Kapitel: die Anfänge; die Aus-
breitung im römischen Reich; Mithras und die Kaiserliche Gewalt; die
Lehre der Mysterien; die Liturgie, der Klerus und die Gläubigen; Mithras
498 Besprecliungen.
und die Religionen des KaisefTcichs. Wir lernen den Mithraskult kennen
als eine Abzweigung der MazdAlsdieii Religion der Peisei ans der Zeil
vor der zoroastrischeii Reform; mit mazdäischen Mythen sind Zügt der
chaldaischen Astrolheologie verbunden, Durch Auswanderung von Magiern
nach KIcinasien setzte sich der Kult in den hilborientalischen Rciclica
von Annenien und Kappadozien und unter den xfüden RAuhentämnien
der Kitikischcn Berge fest, sich teils mil dort einheimischen Kultidccn be-
reichernd, teils einen hellenistischen MysterienfirtiisaimehmeHd. In dieser
Form dringt Mithras vom Ende des 1. clirisllichcn Jahrhunderts an gen
Westen vor, nicht durch systematische Mission, sondern durch die im
Reich hin und h«r versetzten Soldaten., die überallhin vordringenden orien-
talischen Händler und die aus dem Orient importierten Sklaven aus-
gebreitet. Das sich seit Cotninodus geltend machende, unter Diocictian
und wieder bei Julian am stärksten hervortretende Interesse der Kaiscr
an diesem Kult eiklän C daraus, daß seine Theologie besser als die
irgend einer andern gleichzeitigen Religion dem absolutistischen Gedanken
ein« götth'chen Wesens im Herrscher zur Stütze dienen konnte. Daß
diese übrigens höchst unklare, einzelne sublime philosophische Ideen mit
krassester Superslilion verbindende Mysterienlehre so viele Anhänger zu-
mal unter den Soldalen fand - zcilv.-cilig ereclieint sie fast als die Re-
ligion des Heeres — , erklärt sich neben dem Einfluß von oben her durch
die Verheißung zuktjnfliger Seligkeil, die sie ihren Adepten gab. durch
ihre zu mutigem Kampf stählende Ethik, durch die militärähnlichc straffe
Organisation in ihren verschiedenen Graden und das geheimnisvolle Dunkel
ihres Kultes. Schließlich hat Mithras es verstanden, sich niil den andern
Kulten im Reiche gut zu stellen, speziell mit dem seit langem anerkannten
Dienst der Magna Mater sich so zu verbinden, daÜ dieser gleichsam als
der zugehörige Franenorden erschien und ersetzte, was dem Mithmskull
durch den prinzipiellen Ausschluß der Frauen an Einfluß abging. Nur
mit dem Chriitentum gab es keine Verständigung: hier mußte es zum
Kampf auf Leben und Tod kommen. Daß das Chrislentum trotz Julians
Bemühungen zugunsten des Mitbraskultes gesiegt hat, ivill Cuniont haupt-
sächlich daraus erklären, dall diesem noch zuviel pereiscli-orien talisches
anhaftete; umgekehrt habe das Chrislentum im Orient wenig Erfoäg ge-
habt. Letzteres ist unrichtig: nach der heftigen Verfolgung unter den
Sassanidcn im 4. und 3. Jahrhundert erhob sich in Persien eine blühende
nestoriinische Kirche, die sich bis über den Mongoleneinfall des U. Jahr-
hunderts hinaus erhielt. Die Gründe für den Sieg des Christentums
liegen doch noch tiefer. Cumoni selbst betont, daß bei mancher augen-
ßlligen Vcm-and tschaft eine fundamentale Differenz zwisclien beiden
besteht: der Mithraskult bleibt bei aller philosophischen Vcrgeistigung
und ethischen Vertiefung eben doch Naluritull; das Christentum Ist rdne
ethische Religion.
Sehr dankenswert ist der Anhang über die mithrische Kunst, von
I
I
Besprechungen. 499
der das ylciche gilt wie von der altchristlichen: sie will nichl nach den
ibthetischcn Maßstäben der klassischen gewerlet sein, sondern ais Aus-
druck religiöser Ideen. Der Verfasser zeigt, daß die Typen noch von
hellenistisclien Künstiem geschaffen winden: die römfsclicr Steinmetzen
kopierten und variierten nur. Er macht es wahrscheinlich, <ViB attch die
christliche Kunst einige dieser niithrischen Sujets umdeutend übernahm.
Cumont beklagt S. 111 den Verlust aller liturgiselieii Schriflei
dieses Kultes: Fiwenii dn glücklicher Zufall uns eines Tages irgend ein
mithrisch« Missale in die Hände spielte, so wärdcn wir mit seiner Hilfe
diese allen Bräuche studieren und im Geist der Feier des Gotlesdienstes
beiwohnen können." Üieser Wunsch schien sofort in Ecfüllnng gehen zu
sollen, nicht durch einen Zufall, sondern durch eine überaiie scharfsinnige
Beobachtung A. Dietcrichs. der einen Text, den übrigens auch Cumont
schon kannte, in seiner wahren Bedeutung erkannt lu haben meint.
Schon 188S Iiatte C. Wessely in den Denkschriften der Wiener Akademie
aus einem Pariser Papynis (suppl. grec 57-1) der Zeit Diokletians eine
Masse Zauberbücher herausgegebeil, darunter den soe.'A.iaÖavatin>i6: «Un-
«terblichmachimg'. Dieterich will nun hierin eine von ägyptischen Zau-
berern ihren Zwecken dienstbar gemachte Mithrasliturg^e sehen, die Weihe
der Mysten höchsten Grades nach dem Ritual eines ägyptischen Mithn»*
kultes vom Anfang des 2. Jahrhunderts. Seine Cumont gewidmete Aus-
gabe des Textes auf Qrund einer Nachvcrglcichung von W. Kroll mit
Verbesserungen von Sudhaus, Wendland und Wünsch, soll den vermeint-
lich ursprünglich milhrischen Text unter Ausscheidung alles zauberischen
Beiwerks (in Pelilschrift) darbieten. Der gründliche für Sprachgeschichte
und Realien gleich wertvolle Kommentar schien diese Hauptihese
sicherzustellen, so bestreitbar auch im einzelnen manches war. In
D.'s Interpretation schien sich der Text trefflich in das von Cumont auf
Grund der Denkmaler gewonnene Bild des MitliraskuUes einzufügen; ja
D. glaubte auf Qrund desselben einzelne Deutungen Cumonts ergänzen
und berichtigen zu können, Dennoch hat Cumont selbst in der Revue
de I'instniction publique en Bclgiijue XLVII, 1^04, l -10 D.'s Auffassung
abgelehnt, und sein Votum verdient die vollste Beachtung. Die Aus-
scheidung des „zauberischen Beiwerks" erscheint ihm willkürlich; charakte-
ristisch mithrische Anschauungen, wie die von den 7 Himmeln fehlen;
vieles findet sich, was im reinen Mithraskult unbezeugt Ist, In der Tal
hat D. seine Zuflucht zu einem syiikretistischcn, stark ägyptisch infizierten
Mithraskult nehmen müssen, um altes zu erklären. Cumoni will dafür
lieber bei einer hermetischen Schrift stehen bleiben, in die nur vorn der
Name Mithras für Serapis cingochmuggell sei, um ihr größere Verbreitung
zu geben. Ein Vergleich mit hermetischen Stücken bei Stolöus stütrt
diese Auffassung. Es ist nicht unsere Sache^ hier definitiv zu entscheiden.
Der Fall ist charakteristisch lür die Unsicherheit auf diesem Gebiet, eine
virkssine Warnung, sich von Hypothesen, so bestechend sie scheinen,
500 Besprechungen.
nicht blenden zu lassen. Übrigens behSlt der Text auch so als liturgisches
Denkmal seinen Wert.
Die Bedeutuns der Dieterichfdien Schrift geht aber über das, was
der Titel bcsigi. weil hinaus, durch den 2. Teil; -Die limrgisctieii Bilder
des .Withrasraystcriums". Hier ist der Versuch gemacht, eine Biologie und
Morphologie der religiösen ßildersprache uberhaiipi zu geben. Ausgehend
davon, daU der Zentralgedan kc aller Religio» Einigung tiiit der Gottheit
sei, siichi D. zu zeigen, wie diese zunächst ganz sinnlich als ein körp«^
liches ineinsscin gedacht wird; dafür treten als vergeistigte Nebenformen
der NaiTie und der Göst der Gottheit ein, in denen der Mensch ist, bczw.
die im Menschen sind. Jene leibliche Einigung mal der Gonheit wird
auf der Stufe de> Kannibalismus erzielt durch Insichaufiiehmen auf dem
Wege do Vcrzclireiis; auf höherer Stufe durch vermcintUchc Vermischung
im Sinne geschlechtlicher Gemeinschaft; dann durdi den Gedanken der
Zeugung lus der Gottheit, der Gotleskiiutschak: sdiließlich durch ein
Sterben und Wiedcraufcrstchcn, eine Neuschöpfung, Wiedergeburt. Für
D. sind das Stufen, in denen sich die rehgiäse Vorstellung und der
dieser entsprechende kultischt Brauch allmählich von der Stufe des
Kannibalismus zu immer höheren, vergeistigten und vcrsintichten, hinauf-
gearbeitet hat. Aber — und darauf legt er den größlai Nachdruck -
die tinteren Stufen bleiben, und gerade in Perioden starker religiöser Be-
wegung dringen aus dem Urgrund der religiösen Voptiellungswdt die
primitivsten Formen wieder an die Obcrfläclic: «s wäre Falsch, die nebcn-
einanderliegcnden religiösen Ausdnicksformen nur als Bilder zu werteu,
nun muß sie vielmehr in ihrem ganzen Rcali&mus erfassen. Wie in
vielen Mysterien (besonders dem Dionysoskull), so liegt auch im Miihras-
kult und im Chnstcntuni nach D. der kannibalische Gedanke, daß das
Reisch der Gottheit verzehrt Unsterblichkeit wirke, in vollem Realismus
vor (tuch D. auch schon bei Paulus und Johannes). Der antike Kult-
bnueh des iiä n&uiov Itiin und die mittebllerüche .Mystik liefern Bei-
spiele für die gan; sinnliche Auffassung der Gottesbiiiite. Cott bczw.
der ihn vertretende Priester gilt als Vater des Einzuweihenden. DaÖ der
Neophyt in der Taufe gestorben und zu neuem Leben erweckt sei. ist
nach allgnech lachen Kultbräuchen eines Schein begräbni^scs, wie sie im
heuiigeii Mönchumi fortleben, zu verstehen u. s. f. Es ist nicht mäglidi,
ein Bild von der Fülle höchst interessanten Maicnals zu geben, das
Dieterich mit der ihm eigenen umfassenden Belesenheil ans den Literaturen
aller Völker und aller Zeiten - besonders auch aus modernen Volks-
und Zauberbüchem - hier zusanimengetngen hat. Jeder wird hier
reiche Belehrung und Anregung finden und dafür dankbar sein. Aber
gegen die Theorie, die D. darauf aufbaut, und gegen ihre Anwendung
erheben sidi doch schwere Bedenken. Der Realismus entspricht einem
Zuge unserer Zeit, der sich auch in der theologischen Forschung geltend
macht; ebenso die damit ziuanimenhäni^ende hVeude an den niederen
I
I
Bespredtungen. 501
Formen der Religion; aber leider auch das unterschiedslose Zusammen-
fasseti der verschiedenarligslen Dinge. D. selbst gibt la. daR viele der
Bitdcr gelegentlich nur noch als Bilder empfunden tpcrdcri. Wie soll
man entscheiden, wo im einzelnen Falle die reali^^tische oder die bildliche
Deiilung am Platze ist? Docli nicht indem man gleichsam im LJngs-
•chnitt alle möglichen früheren oder späteren Analogien heraiträgl, snndern
indem man im Qucrachnltt den jeweiligen Zusamnierhang der Stelle, den
Ipnzcn Charalrter der Schrift, die Gesamtan^ehattiing des betreffenden
Vertawers festlcgl, nicht durch reiigionsgcschichllJche Exkurse zur Eiriel-
stelle, sondern durch sorgßltige Exegese des Zusammenhangs. So -srird
man einem Paulus und Johannes nicht einen größeren Reaüsmiis lu-
schreiben als ihren späteren Auslegern, D. hat ganz Recht, sich scharf
gegen die Wegdeutung des klaren U'ortsinnes irgend welcher Dogmatik
zu gefallen zu erklären; ebenso muß aber gegen realistische Eindeutungcn
in einen ganz und gar ethisch durchgeistigten Zusammenhang, der Theorie
des „von unten" ni Hebe, &'nspnich erhoben werden. Es ist jene Iso-
lierung einzelner Äußenmgen in Verbindung mit einer gevi$sen souveränen
Oleichgdlljgkeit gegen das Detail'), welche so schiele Zusammenstellungen
emögtichl wicS. 139 die (aus der ) Od i sehen M'eisheitslitcratur stammende)
Anrede .mein Sohn» der Didache und das ,.Aiis Oott geboren sein*
I. Joh, S.i. Zu dem Oedanken, daß der Neophyl durch den Priester an-
stelle des Gottes gezeugt wird, und den den Oeburlsvorgang zuweilen
höchst realistisch darstellenden Riten {die sich ähnlich auch noch bei
studentischen Fuchslaufeti finden!) leoindert man sich Gal. 4,1^ und
I. Kor. 4,lS nicht angefahrt ni finden: oder sollte hier D. selbst das rtin
bildliche der Ausdnickswcise sich aufgedrängt haben? Die Behauptung
der Einheit zwischen dem Vater (Gott) und dem diesen gan? offenbarenden
Sohn (dem Menschen Jesus) in /oh. 10.30 ist etwas lotal anderes als die
Vercinerleiung von Mithras und Helios, die an anderen Stellen audi
unterschieden werden, je nachdem die mazdSischen oder die chaldäischen
Elemente der Lehre das Übergewicht haben, Dielerich selbst weiß da
tro «9 gilt, sich mit einer der seinen sehr verwandten AusdcuUmg der
religionsgesch ich t liehen Piiänomene im Sinne der babylonischen Mode-
krankheil auseinanderzusetzen, sehr feine Unterschiede ru machen: man
solle die Seelenreise ins Jenseits, den Seelenabstieg in den Hades und den
Seelenaufstieg in den Himmel ja nicht verwechseln: letztere Vonteilung
finde sich nur in Ägypten und im Pythagoreismus, durch Poseidonios
fibcrgeleitet In die Sto*; weder in der Religion Babylons (Am) noch Im
Parsi$miis (Dousset) sei davon di^ Rede. Dabei spricht D. die sehr
»I TAaen nur «heinbur stnr. unterceonfnenn Mtg titertlir entnehitiffi rir $ tis.
Ann. : .twi MfrmiH silnclle näaxttv iiä toü Ardfiatot X^iorov". Oin« nnin&enchi
Vcndunj nndet licti nie; einmal 5, tX, ii.i n. jtä t« Sfoua Xp., S. IX. tl,t {irif
i«0 ö,, wfM IrnnwT tritirv loö it.
r
502 Besprechungen,
richtigen Worte aus (S, i^ä): .Es gehört zu den schümmsitn Pchlern
einer lieule immer zuversichtlicheren religiou^eschichllidien Furschung,
daß das Näctistliegende uiibemierkt bleibt, ja ignoriert und umgangen
wird, um das Ecitfenitc auf j:usii dien und dort die Anaiogien, die oft für
den ungetrübten Blick gar nicht zu s«)ien sind, durcli die seltsaniGten
Methoden zu erzwingen." Wir fürchlcn, D. hat damit die Kritilt eines
großen Teiles seiner eigenen Forschungen geschrieben. Er behauptet
iwar hierin immer mißverstandcni zu werden, aber die Häufung von
■Analogien* aus allen Religionen und allen Zeiten hat doch nur Sinn
und v-ird auch von ihm selbst so gedeutet, dafi dadurch ZuummenhXnge,
^religiöse Denl^esetzc bewiesen werden sollen.
Doch wir brechen ab, den Leser aelbsl an die Lektüre der beiden
interessanten, in hohem Orade belehrenden und anregenden Werke veisead.
Wie immer man über die Theorie Dietcrichs denken möge: sdne Aus-
führungen sind kultur- wie religionägeschiditUch von hödister Bedeutung.
V. Dobschütz.
K. K. Qnss. Die geheime heilige Schrift der Skop7er (russische
SeibstveriNliimmler). Kritische Ausgabe auf ürund der russischen Druclie
in deutscher Übersetzung, Leipzig, Hinrichs, 1904 (77 S.).
In u^underliche Vcrinungen religiösen Wahnsinns führt uns Graf)
ein. In den Jahren 1 VT'D - 1 ^2 lebte und wirkle unter dem (angenommenen)
Namen Seliwaiiow ein ru&si&cher Bauer, der weder schreiben noch (ver-
mutlich) lesen konnte, sich aber für den (17o2 ermordeten) Zar Peter 1)1.
ausgab, der als Qott-Erlöser das Evangelium wieiierhcrstcUen oder vollenden
solle. Um sein ganzes Auftreten zu begreifen, muß man sidi das von
Leroy-Beaulieu, Das Reich der Zaren und die Russen (1KS9) HI, JI2f(^
Ispeziell ^S\H.) trefflich gcscliiiderle Treiben der zalilreichen russi^rheii
Sekten vergegenwärtigen, in denen uralte dualistisch-manichäische Lehren,
von dem russischen Nationalcharaktcr begünstigt, fruchtbaren Boden
gefunden hatten. Selbst Leo Tolstois Romane sind erst von hier lus
ganz verstindlich. Seiiwanows Predigt spe7.ieil ei^cheint als Reaktion
ernster Bemühung utn Reinheit gegenüber den sinnlichen Ausschweifungen
der unter dem Namen -Oäliler- (ChlystiJ bekannten schwärmerischen
Sekte der .üultcsnienächcn-. Als Radikalmittel gegen sinnliche Lust
forden Seiiwanow das «königliche Siegel" der Selbstverstümmelung, und
diese Predigt hat - unglaublich aber wahr - eine siaitliche Sekte um
sich gesammelt, die durch vielerlei Verfolgungen hindurch noch heute
l>esteht. die „Skopzen".
In ihren Versammlungen werden neben bezw, vor der Bibel ab
heilige Schriften einige Äußerungen des Stifters gebraucht, die nur hand-
schriftlich verbreitet und vor den Andersgläubigen streng gehdm gehaltai,
gelegentlich doch durch Konfiskalion bekannt geworden und so tu^
von niuisdicn Gelehrten abgedruckt worden sind. Diese sind es, die
I
l L .
Besprechungen.
Oraß hier zum erstenmal in deutscher Übersetzung vorlegt, indem er
(leider in etwas umstand li eher Weise) aus den voneinander sehr ab-
weichenden Dnieken einen kritischen Text za konstruieren sucht. Zur
Erklärung verweist er auf eine kfinttigc Arbeit ßber russische Sekten,
Doch hätte schon bei der Tcxtausgahe das eigenartige Vcrhäituis dieser
..heiligen Schriften der Skopzcu" zu den biblischen Büchem klargelegt
wcrdai sollen. Es kann näinlicti keiiiem Zweifel unterliegen, daß in der
Mauplschrifl, den ^Leiden", eine Parallele zu dem Evangelium beab-
sichtigt ist (die verschiedenen Relationen Weten ein intcressanles Analogon
zu dem sog. synopirschen Problem der Evangelienkrilik), während die
Sendschreiben den apostolischen Briefen entsprechen. Speziell sind es
die johanneischen Schriften, die in beiden stark nachklingen, schon in der
Anrede „Kindlein"; dann in der wiederholten Hcrx'orhebung der Unvoll-
ständigkeit (joh. 2U,30; ai,'Jj). Gerade das macht diese Eraählungen aus
dem Leben eines russischen Bauern mit ihrem eigenartigen Lokalkolorit
so merkwürdig, dall bewußt und unbcwulit überall Züge des Lebens
Jesu hineinsjiieleii. Von Jesus lesen wir bei Joh. immer wieder, daß er
den Nachstellungen der Feinde wunderbar entging: ,und er verbarg sich-
8,59; l2,Sb. Das hat Selii-anow in seiner Art höchst wörtlich wieder-
holl; eine ganze .Anzahl Epiäoden seiner Leiden handeln davon, wie er
sich unter der Diele, in Oar1>eiibiindeln, in der Schweinekufe, in der
Mistgrwbe und sonst verbirgt, dabei oft seine Verfolger ffröbüch irre-
fljhrend. Der Wahrhafligkeilssinn ist bei ihm, wie so oft b«i den Sekten,
fast verloren gegangen. Dafür tun wir merkwürdige Einblicke in die
unter Chlyslen und SKopzen eifrig gtpflegle prophetische Ekstase. Ver-
einzelt finden sich Zuge, die an den Doketisinus der allen gnostischen
Johanncsakten erinnern. Die ganze volkätüm liehe Erzähiuiigs weise bietet
eine A!enge kulturgeschichtlich interessanten Stoffes. So Ist die Ver-
öRentlicbung dieser geheimen Schriften dankliar zu bcgri^f^en.
V. Dobsehüte.
P. Platen. Der Ursprung der Rolande. (Jahreibcrichl desVitzlhum-
schen Gymnasiums 1001.) Dresden.
Es kann Erstaunen erwecken, mit welchem Eifer eine rein theoretische
Frage wie die nach detn Wesen der Rolande in den letzten Jahren er-
örleit worden ist, ein Beispie! von dem unzerstörbaren Reiz des Geheimnis-
vollen, das diese ehrwürdigen Zeugen der Vergangenheit umweht, nach-
dem sich Jahrhunderte vergeblich bemüht haben, den Schleier zu lüften.
Unbeslreilbar ist es das Verdienst Platcns, durch seine erste Abhandlung:
Zur Frage nach dem Ursprung der Rolandsiulen (ebenda 1S99> der Dis-
kussion eine ncnc Anr^^ng gegeben zu haben. Der gefundene Wider-
spruch hat die zweite Sdirift veranlaUt. die in der im vergangenen Jahre
EClegenllich der Suidtc- Ausstellung unter gleichem Titel veröffcn dichten
nur einen weiteren Ausbau in formengejchichtücher Richtung erfahren hat.
-^
504 Besi>r«diiiiigen.
Von neuem verficht Plalen seine Ansicht, daß die Rolande, Ober
deren Errichtung keine historischen Nachrichlen bestehen, die Nachfolger
von Bildsvcrken seien, die bereits in heidnischer Zeit crrichict wurden.
Die lolcale Beschränkung; auf die ostfälisch-engernschen Lande und die
riesenhafte Qataltiing; liel^ Plalen zuerst wie schon J. Grimm den Gon
Donir als Objekt der Daretellung annehmen, während er sich naierdings
für den Schwertträger Saxnct cntschcidel. Ein weit tibcr die bisherigen
rückwärts reichendes Zeugnis glaubt er in dem Briefe Gregors VII. von
lOtit geüinden zu haben, der im Aiuchluli an die berichtete Übertragung
des besi^ten Sachsens an den heiligen Petrus von Karl dem Großen
schreibt: poEuit Signum devotionis et libertalis — damnis also, meint
Platen, kannte man »clion den Utsprung der Bilder nicht mehr, wenn
sich eine in handgreiflich unniöglidie Sage bilden konnte. Auf diese
Bildsäulen von vodunkdtcr Bedeutung sei im Anfang des vierzehnten
Jihrhunderti der Name Roland übertragen worden infoige des Bekannt-
Werdens der Chronik Turpins, die dem Helden eine entscheidende Be-
deutung für Karls Kricjie beilegt.
Der Gedanke, etwas heute noch mit Augen Geschaut« aU in
grauer Vorzeit wurzelnd zu en»-cisen, hat viel Bestechend«, und Platcns ge-
wandte Dialektik Ülit leicht die Schwächen seiner Beweisführung übersehen.
Die Verknüpfung der vielfach höchst anziehenden Einzdbemerkungcn ist
indes^n eine nur zu willkürliche, und den Schlußfolgerungen fehlen die
gesicherten Unterlagen. Seinem Hauptargtiniait, dem Orcgorbrief, wird
schon durch Qiesebrechts Auffassung des Signum als Peterszini der Boden
«itEogen. Auf ihre ausführlidie Begründung durch Scheffer-Boichorat
hat neuerdings Werminghoff aufmerksam gemacht >)
Somit btdbt es dabei, daß über das Alter der Rolande nichts fest-
zustellen ist und den besten Au^angspunkt für ihre Erkllrung die SUtte
ihrer Aufstellung bildet: der Markt Ex dient dem Handel und der Ge-
richtsbarkeit: zu erstereiti hat Schröder den Roland in Beziehung zu
setzen versucht indem er ihn als persönliche .^usgesuitiuig des niil des
Königs Leibzeichen, dem Handschuh, behangcnsn Fncdekrcuzcs eriJMe.
Indessen hat Sellos kritische Musterung gerade die Schröder sur Stütze
dienenden Rolande ab unechte erwiesen. Sellos eigne Auffassung fils
Königsbilder, die »reklamehaft" die Stadtgründung und -Privilegierung
bezeugen, entbehrt der Begründung, da nichts auf typische fürstliche Dar-
stellung hinweist. Seine Erklärung der lolialen Begrenzung und der
Riesengestalt durch nordisdie und slavische Einflüsse Ußt sich auch bei
anderer Auslegung verwerten.') Die typischen Kennzeichen der Bar-
hiuptigkeit und des aufijereckten Schwertes, dem keine Scheide cr.t5|mchl,
weisen in Veihindung mit der Ortüchkeit auf Begehungen zur Gerichts-
I
I) KarmpondenitlatI der deubctLcn QnditclittTerrlne 1904. 3. )t.
■) Znleut in der Schrift: Der Rolind xu äitmta IMI.
Besprechungen. 505
barkcil. Am ein leuchtendsten muß immer noch die Auffassung des
Rolands als eines Sinnbildes def hohen Oerichtsbsrkeit erscheinen, wie
sie bereits von Zöpfl aiiegefeprochen, neuerdings von Rietschel schärfer
formuliert worden ist.*) Ob die überraschenden Konjekturen von Hdd-
mann und Jostes (Zeitschr. für rheinisch -westfälische Volkskunde I) eine
Klärung herbeiführen >renicn, bleibt abzuwarten.
Liebe.
Arnold Oskar Meyer, Slndteii ztir Vorgeschichte der Reformation,
Aus schtcsischcn Quellen. (Historische Bibliothek. Hrsg. von der Re-
daktion der Historischen Zeilschrift, Bd. XIV.} München und Berlin^
Oideiibourg, 19u3. fXIV iittd \T> S.),
■Studien zur Vorgeschichte der Reformation. Aus schlesischen
Ouetlen," So nennt der Verfasser sei» Buch, das er mit demselben
Rechte als „Kirchliche Geschichte von Breslau im letzten halben Jahr-
hundert vor der Reformation" hätte bezeichnen können,.
,.Das Bild der romischen Kirche in Schlesien am Ausgang des
Mittelalters trägt im wesentlichen die Züge der allgemeinen Entwicklung.
Viel, sehr viel, an der Kirche und ihren Priestern, au Bräuclien und Per-
sonen, ist verdorben und faul. Doch nicht nwr im gegnerischen Lager
der Weltlichen, sondern aiidi unter den Dienern der Kirche selbst gib!
es noch M^änner genug mit imbefangen kritischem Blick für die sittlichen
Gebrechen ihres eignen Standes, Nur entspricht dem ehrlichen WIten,
bessernde Hand anzul^en, nicht die Kraft, von innen hemus ohne Zer-
brechen der alten Form Wandel zu schaffen. Daher wird Luthers Tat
schon fnih in ihrem sinlichen Wert erkannt und gewiirdigt."
Diese Sätze des Autors lassen den Inliall seines Buches ahnen. In
Schlesien, einem Teil der deutschen Ostmark, kommen zu den kirchlichen
Kämpfen noch solche nationaler Art, und der Streit z-wischen deutschem
und slavischcm Einfluß hat etoRc Bedeutung. Seit dem Jahre tOOO
stand das Bistum Br^Iau unter dem Entbistum Onesen, und seit der
Mitte des H. Jahrhunderts teilte Sclilesicii, sehr zum Vorteil Für Handel
und Wohlstand des l-audes, die Schicksale der Krone Böhmen, ohne daß
die Territorial herren, die piastischcn Herzöge, in ihren Rechten geschmälert
wunden. Die Bischöfe verfoditen meist den deutschen Charakter der
schlesischen Kirche, und Peter Eschenloer, Chronist und Stadtschreiber
von Breslau, preist die Breslaucr Kirche glücklich, dall sie nach der
Herrschaft eires Tschechen , des Jodocus von Rosenberg, wieder einen
deutschen Überhirten eriialten habe, den apostolischen Legaten Rudolf
von Rfldesheim (llftS). Schlesien ist deutsches Kolonisalionsgebiet; seine
Kullur war naturgemäß jiJngcr imd infolgedessen gröber als die des
Mutteriandes. Im Jahrhundert vor der Reformation haben Weltliche wie
9) Zalttn: ItittorUchE ZäBchnri LXXXIX. & 45Tt.
Anhiv für Kulturcctcbilchtc. U. 32
S06
Besprechungen.
Oeisiliche hinsiclitticb ihrer Lebensführung und ihres sittlichen Windeis
einander niclits vorzuwerfen. In den Reihen der Qdstlichen hemchlen
zudem noch sozIaIc Mißstände, ähnlich denen in Frankreich vor I7lj9.
Doch trotzdem die Diener der Kirche sich nur geringer Beüebtheil er-
freuten, war der religiöse Eifer im Lande nicht erstorben, und kirchhcher
Sinn tat sich überall hervor, getreu der miiielalter liehen Weltanschauung,
nach der das Leben nur insofern einen Werl halte, als ca zu einer Vor-
bereitung auf das Jenseits gemacht wurde. Der Kirche *ar der tnittel-
allerliche Christ treu ergeben, obgleich die Geistlichen ihr Amt miß-
brauchten und sognr die Strafe des Bannes als Mittel zur Steitereintreibung
benutzten, 'aie es in der Diözese Breslau oft geschah.
Dem weltlichen Stande bot der geistliche viele Angriffspunkte dar.
Der crstcre befand sich keinem geschlossenen Heerlager gegenüber, denn
de* Klerus war in Paitcien zerspalten. Nicht nur, daiJ Welt- und Kloster-
geistlichkeit sich bitter befehdeten, daß Pfarrer und Altaristen einander
feindlich gegen überalauden, d&ll die einheimischen Pn'esler von den fremden
nichts wissen wollten, das Domkapitel bevormundete auch in unwürdigster
Weise die beiden Bischöfe Johannes IV. Rot, cinai Deutschen, und seinen
Nachfolger Johannes V. Tiirzo, den Sohn eines magj'irischen Bergrwerks-
besitzer5.
Um das Jahr üüo mm gerieten das Domkapitel und der Bpcslauer
Rat der Stadtbefestigung, der Oderri^licning und volkswirtschaftlicher
Fragen wegen in Streit, zu dessen Beilegung König Wladislaw. der Nach-
folger des Matthias Corvinus, den Kanzler von Böhmen, Albrecht von
Kolowrat auf Liebenstein, und seinen Hofmarschall Cziecz von Ncmytzevsky
als Bevollrnaclitigte an den Breslauer Rat sandte (t1. August 1Sü3); allein
der von den genannten Herren zwischen beiden Parteien vereinbarte Ver»
trag entsprach so wenig den Wünschen des Klerus, daß daraus nur
neue Streitigkeiten ertiichsen, Die «coni|Mctata dticum. civitatum et
comniunitatum Slesiac" waren in der Tat ein Vertrag niclit des welüidieo
mit dem geistlichen Stande, sondern ein Bund der Weltlichen gegen die
Kirche. Im Jabrc 1516 erst crklürtc Leo X. den Vergleich für ungültig.
So unsicher fühlte sich das Domkapitel in der letzten Zeit vor der Re-
fonnation, daß die Herren der Breslauer Doniinsel allen Eniste» den
Plan eru'Ogeii, sich durcli eine Zugbrücke vor plötzlichen Übereilen der
Breslau CT zu schützen.
Der schon genannte Bischof Johannes V. Turzo (1506-1520) wax
dn Kind seiner Zeil. d. h. du fein gcbildaer Humanist und kunsisinniger
Mücen, den man für die Witttnberger Reformation schon darum nicht
in Anspruch nehmen kann, weil er seine Pflichten der Kirctie gt^iflber
zu leidit nahm. Seines vorwurfsvollen Lebens wegen erteilte ihm das
Domkapitel am y, Koi-cmber iSli einen Venreis, eben das Breslauer
Domkapitel, das selbst eine .reformatio niorum" sehr nötig hatte. Zwar
enibelirt die Qestalt des Domherrn und bischöflichen Kanzlers Apicius
I
I
I
Besprechungen.
Colo, der von seiner Beischläferin Helene ..aus Gesundheitsrücksichten"
nicht lassen will und kann, durchaus nicht eines gewissen Humors, doch
wohltuender wirkt die Lobpreisung des ehelichen Lebens durch den
Kanoniker Heinrich Ribscli. genannt Philocahis, der auch selbst die Kon-
sequenzen seines Ratschlajp zu ziehen wußte: die evangeÜKhc Pfarr-
kirche zu St. Elisabeth birgt das Oabdenkmal des einsiigen Domherrn
und seiner Gattin.
Im ganzen ist es ein recht nnerfreiiliches Bild, das der Verfasser
in floUer Diktion von der Breslauer Kirche und ihren Dienern entwirft;
doch CS ist icaum anzunehmen, daß es anderswo in der römisch-katholischen
Chiistenheit tiir selben Zeit sehr viel anders ausgesehen hat.
Karl HdUchcr.
R. Reiehenberger, \X'olfg.ing von Salm, Bischof von Passau
(15-10-55). tSludien und Dantdlungen aus dem Gebiete der Gescln'chtc.
Heratisg^ebcn von Oranert 11,1.) Rreiburg i. Br., Herder, 1902. (84 S.)
Der bisher nur in seinem Einfluß auf die bayrische Politik ge-
würdigte Kirchenfürst erfährt hier eine eingehende Darstellung hinsicht-
lich seiner Stellung zm Reformation, seiner Reidispolitik und ^Iner
Tätigkeit für Wissenscliaft und Landesverwallung. Der Hauptgewinn ist
die Erkenntnis, wie hoch hinauf in die Kreise der Geistlichkeit die
S/mpathic mit der neuen Lehre reichte. Für Bischof Wolfgang waren
wie fftr den Eichstätler Domherrn Bernhard Adelmann ') seine huma-
nistischen Neigungen das Verbindungsglied. Die im Jahre seines zu
frühen Todes vorgenommene Visitation ergab in seiner Diözese außer-
ordentliche Fortschritte der Refonnationj sehr entgegai den Bdiauptungen
von Lingg und Knieb, die filr Bamberg und das Eichsfcld nur im Druck
der adligen Grundbesitzer die treibende Kraft sehen.
Liebe
J. E. Weiss -Uebcrsdorf, Das Jubeljahr 1500 in der Augsburger
Kunst. Eine Jubiläumsausgabe (iir das deutsche Volk. In zwei Teilen
mit über 100 Illustrationen nach Originalphotopraphien. München, l^ui,
Allgemeine Vcrlagsgesellschaft m. b. H. (IX, 241 S,).
In den Mittielpunkt seines Buches hat der Verfasser die Geschichte
und Itfinsllerische Würdigung jener -Basilikenbildcr" gestellt, die, von
den Nonnen des Kalharinenkioätcrs in Augsburg zum Dank für die
ihnen von Papst Innoceiiz VIII. gewährten reichen Ablässe, Gnaden
und Freiheiten in Auftrag gegeben und von einigen der trefflichsten
JMaicr des damaligen Augsburg, namenüich von Hans Holbein dem
ilteren und Hans Burgkmair, zu Anfang des 16. Jahrhunderts ausgeführt,
■) Vft. ErllntauittTn in Jantsen II, 1-
3»'
•I
50g Besprechungen.
beute zu den hervorragendsten Schätzen der königlichen RlialgemSIde-
^lerie, die sich bekanntlich in den Räumen des ehemaligen Prauen-
klosters SL Katharina befindet, zahlen. Die ältere wie die neuere
einschUgige Lilcraiut, Alfred Woltinanns Schriften, Franz Stocdtnets
Dissertation fiber Hans Holbeiii d. iL, Alfred Schrnids Forschungen über
Burgkmair ii. a. m. finden ^ich dabei sorgßltig benutzt und - teilv-clse
sogar etwas allzu ausführlich - im Wortlaute angezogen.
Um diesen Kern henim ist dann vieles angeordnet, was man
nach dem Titel kaum in dem Buche erwarten würde. Als katholischer
Theologe und christlicher Archäologe hat der Verfasser den Eröneningen
über Entstehung, Bedeutung und Verlauf der kirchlichen Jatirhundcrt-
und Halbjahrhundertfeiern und insbesondere des von Papst Alexander VI.
am 21). Dezember H*« ^trltündigtcn Jubeljahrs ISoo einen breiten Raum
in seinem Werke verstattet. Wenn er sich auf diesem Gebiete auch etvas
seibsländiger bewegt, so wäre doch auch hier — zumal bei einer
,Jubiläumsgabe fUr das deutsche Volk", 'xeniger des Gebotenen siclicrlich
mehr gewesen. Die ausführliche Inhaltsübersicht über Hermiiin Usenen
.Religion3^:eschichlliche t'ntefsuchungcn- 2. B. und die ebenso unreife
wie anmaliende Polemik gegen dieses Buch, in dem der Verfasser den
■ heftigsten und gefährlichsten Angriff" sieht, Fider in den IcUten zehn
oder r«'ölf Jahren auf das gesamte Christentum gemacht wurde", hatte
unbeschadet des eigentlichen Wertes seines Buches wegbleiben können;
ein solcher ForKall würde vidmehr dem Budie nur zum Vorteil
gereicht haben.
Auf der anderen Seite wird von der rein kunstgcschichtlichen Er-
zählung ausgiebigst auf das Nebcngebiel der Ikonographie hinfiber-
ge$chweift, und gerade auf diesen Abschnitten, die durch die treffÜchcR
Kenntnisse des Verfassers in der Kullgeschidile und Lcgendcnforschung
an Relief gewinnen, scheint mir der HaupUert des Wciss'schcn Buches
iit beruhen. Vielleicht tritt er setbsl einmal dem „Gedanken diter
systematischen Legendengeschichte, einer übersichtlichen Heiligen kult-
geschichtc", den er im Vorwort äußert, näher. Auch in der eigentlichen
Ikonographie bedarf es noch vieler, namentlich ordnender und eusammen-
fflssender Arbeit, wenn dieser Wissenszweig insbesondere ffir die Kunst-
geschichte wahrhaft fruchtbringend werden soll.
Daß der Veriasäer ausgesprochenermaßen, wenn auch nicht überall
mit Erfolg, bestrebt gewesen ist, bei seinen Untersuchungen der histo-
rischen Methode den Vorrang vor dem theologisch-dogmittischen Stand-
punkt einzuräumen, sei noch besonders hervorgehoben, und endlich mit
uneingeschränktem Lobe der vorzüglichen Ausstattung des >X'erkes mit
zahlreichen nacii Originalpholognphien hergestellten Autotypien gedadit,
die Handzeichnungen und Gemälde oder Ausschnitte aus letzteren ver-
»chiedeneii Maßstabs in zumeist sogar den Zwecken der Slilkntik ge>
nügendcr Weise wiedergeben.
Th. Hainpe.
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Bibliographisches.'^
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Bcjtrag zur Gewli. der Kmderhcilkundc im Mitlelallcr. Wien (4S S.J
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ARCHIV
FÜR
KU LTU R-
GESCHICHTE
HF.RAUSC1EOEBF.N VON
D5 GEORG STEINHAUSEN
STADTBIBLIOTHEKAR i:ND VORSTEHER
DER MURHARDSCHEN BIBLIOTHEK
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II. BAND
4. HEFT
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ARCHIV FÜR KULTURGESCHICHTE
II. Band. '"■- Heft 4,
Inhalt;
Armen- und Bctt«lordnungen. £in Bäxraf zur Ocschichle der
öffentlichen AnntnpDcge. Von Bibliothdcar Dt. K fVeM in
hrankiurl a. .Vl_ J9S
Dir Porlrilsanttniung Hcnog Htilllpp« 11. von PantmenL
Von Archivar ßr. Olto Hdatmaim in Stettin ...... 4M
Zur Geschichte der Zensur und des Schiiftvetcna in
Bayern. 11^ Von E>r. Perdmind Lorm in Mfindien . . <n
Kequisiliotisvesrn und Fouragieruaffen In d«r Sctiw«r<-
hur^i^chen Unlethcrrtcliart 1761. Von OtKrldirer
Dr. Gustav SommfffMt in Kötitgsberc j. Pr. tW
Btsprodien »wn «7
UmveraiidBpro- _^,
fawrDrrCÄ- ^'
Besprecbtiiigcn.
Cumoiit, Die MyMdicti der Mitlira
Dirterich, Eine MiihrMliturgic ,
Gns6, Qcheime hciliKC Schrift der Skopzcn . ) siAäb in Jou 5V2
Plaiei», Der Ursprung der RoUikIc Besprochen vom Ardiivar
Dr. Oeorg Itfftc m Alagdcburij SOS
Mcj'cr, Studien zur Vorgeschichte der Refocnullon. iHisJonsche
Ril)tint1ick, XIV.) Besprochen «^m Dr Karl ttßtsrhfrin Casd SOS
RcklwrnbCTgcr. Wolfgang von Salm Boprochrn vnm .Archivir
Dr. Georg Liebt in Magdedurg ■ ^03
■*'dss-Ud)(»dorf. Das Jubeljahr I5ü0 in der Augshjr^er Kun«:.
Besprodien vom BiWiolliekjr Dr. TIl Hampr in S'iiTTjhcrK Si)7
Bibliographisclies (.VUrz-Mai) vom Herausgeber . -5W
(Die Bibliographie ffir Mai-.\uKust miiltle w^eii Riuninuugefe eben«o
^iirüik^talelll wtrdcn, wie ük .Kleinen Mincilungcn'.J
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