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Full text of "Archiv für Kulturgeschichte"

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Archiv 

für 


Kultur-Geschichte. 


=  e=  s=  Herausgegeben  von  ==  =  == 

Dr.  Georg  Steinhausen 

=a  es  Stadtbtbliothekar  und   Vorsteher  ^  es 
der  Murhardschen   Bibliothek  der  Stadt  Cassel. 


Zweiter  Band. 


Berlin  •  Alexander  Duncker  Verlag  ■  1904. 


Inhalt: 


Aufsätze:  Seite 

Die  Beizjagd  in  Altpreußen  I.  11.    Von  Paul  Dahms     ....    1,   196 
Kinderbriefe  einer  pommerschen  Prinzessin  des   16.  Jahrhunderts. 

Mitteilt  von  Otto  Heinemann 20 

Des  italienischen  Priesters  Vincenzo  Laurefici  Reise  durch  Deutsch- 
land, die  Niederlande  und  England  (1613)  11.  Mitgeteilt  von 

Walter  Friedensburg 26 

Ein  deutscher  Jesuit  (Jakob  Bälde)  als  medizinischer  Satiriker.    Von 

/  Krtepper 38 

Konfessionelle  und  Verwaltungsstreitigkeiten  im  Bergischen,  176S  und 

1777.    Von  Gustav  Sommerfeldi 60 

Zur  Charakteristik  der  Menschen  des  18.  Jahrhunderts.    Von  Ludw. 

Gti^r 71 

Auslieferung  von  Deserteuren  im  1 8.  Jahrhundert.    Von  C.  Oebauer     78 
Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleute  mit  englischen  Königen  im  1 3.  u. 

14.  Jahrhundert  I.  II.    Von  Georg  Orosck 121,  26S 

Straßburger  Frauenbriefe  des  Ib.  Jahrhunderts.    Mitgeteilt  von  Otto 

Witidcelmann 172 

Die  Taufe  des  Herzogs  Philipp  Julius  von  Pommem-Wolgast  (1S85). 

Von  Otto  Heinemann 224 

Schöne  Spielewerk,  schöne  Rarität !    Von  Arthur  Kopp  ■    .    .    ...    296 
Zur  Qeschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern  I.  II. 

Von  Ferdinand  Lorenz 318,  411 

Die   Geschichte   der   Naturwissenschaften  und   ihre  erzieherischen 

Bildungswerte.    Von  Fram  Strunz 3S3 

Dreizehn  Briefe  von  Jung-Stilling.    Mitgeteilt  von  Rudolf  Homburg    364 

Armen-  und  Bettelordnungen.    Von  Arthur  Rickel 393 

Die  Porträtsammlung  Herzog  Philipps  II.  von  Pommern.    Von  Otto 

Heinemann 404 

Requisitionswesen  und  Fouragierungen  in  der  Schwarzburgischen 

Unterherrschaft  1761.    Von  Gustav  Sommerfeldi 490 

Besprechungen: 

Bücher,  Arbeit  und  Rhythmus,    3,  Aufl.    (Achelis) 84 

Jahns,  Geschichtliche  Aufsätze  (Liebe) 87 

Fastlinger,   Die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  bayrischen   Klöster 

in  der  Zeit  der  Agilulfinger  {Steinhausen) 88 

Liebe,  Das  Judentum  in  der  deutschen  Vergangenheit  (Steinhausen)  89 


i^3iö: 


Schmidt,  Die  katholische  Restauration  in  Königstdn  und  Rieneck 

(Liebe) 92 

Schrohe,  Kumiainz  in  den  Pestjahren  1666—1667  (Hölscher) ...  92 

Schwemer,  Restauration  und  Revolution  (Liebe) 95 

Sombart,  Die  deutsche  Volkswirtschaft  im  19.  Jahrh.  (Steinhausen)  95 
Quellenschriften  für  Kuns^eschichte  und  Kunsttechnik.    N.  F.  IX 

u.  X.    (Hampe) 98 

Schmerber,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Dintzenhofer  (Hampe)    .    .  101 

Monographien  des  Kuns^ewert>es  1 — 3.    (Lauffer) 102 

Schultz,  Das  häusliche  Leben  der  europäischen  Kulturvölker  (Lauffer)  237 

Kaindl,  Die  Volkskunde  (Lauffer) 244 

Reuschel,  Volkskundliche  Streifzüge  (Lauffer) 246 

Tobler,  Das  Volkslied  im  Appenzeller  Lande  (Lauffer) 247 

Das  deutsche  Volkstum.    Kerausg^eben  von  H.  Meyer.    2.  Aufl. 

(Steinhausen) 248 

Drechsler,  Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  in  Schlesien  I  (Steinhausen)  250 

Steuf  von  der  Match,  Völter-Ideale  (Liebe) 251 

Hellmann,  Die  Heiraten  der  Karolinger  (Liebe) 252 

Knepper,  Jacob  Wimpfeling  (Liebe) 252 

Siebert,  Das  Tanzwunder  zu  Kölbigk  (Liebe) 253 

PfQlf,  Hermann  von  Mallinckrodt  (Liebe) 254 

Tiele,  Orundzäge  der  Religionswissenschaft  (v.  DobschOtz)      ...  380 

Frhr.  v.  Hertling,  Augustinus  (v.  DobsdiÜtz) 381 

Heyne,  Fünf  Bücher  deutscher  Hausaltertümer  IIl  (Lauffer)     .    .    .  382 
V.  Amira,   Die  Dresdner  Bilderhandschrift  des  Sachsenspi^els  11 

(Lauffer) 385 

Zeitschrift  für  historische  Waffenkunde  II  (Liebe) 388 

Cumont,  Die  Mysterien  der  Mithra  (v.  Dobschütz) 497 

Dieterich,  Eine  Mithrasliturgie  (v.  Dotjschütz) 497 

Orass,  Geheime  heilige  Schrift  der  Skopzen  (v.  Dobschütz)     ...  502 

Platen,  Der  Ursprung  der  Rolande  (Liebe) 503 

Meyer,  Studien  zur  Vorgeschichte  der  Reformation  (Hölscher)     .    .  50S 

Reichenberger,  Wol^ng  von  Salm  (Liebe) 507 

Weiss-Uebersdorf,  Das  Jubeljahr  1500  in  der  Augsburger  Kunst 

(Hampe) 507 

Brief  von  Prof.  Karl  Lamprecht  an  den  Herausgeber,  betr.  die  Be- 
sprechung seines  Werkes  im  Archiv  1,  361  ff. 107 

Kleine  Mitteilungen  und  Referate 112,255,390 

Bibliographisches 118,  262,  509 


I 


\ 


Unter  Falkenbeize  verstebi  man  eine  Jagd,  bei  der  man 
Feder-  oder  Weines  Haarwild  von  abgerichlelen  Raubvögeln 
fangen  (Aizen  =  beißen)  läßt  Sie  hat  ihre  Heimat  in  den  asiatischen 
Steppengebieten,  wo  die  Reitervölker  vorzügliche  Rosse  und 
Hunde,  aber  noch  kein  Feuergevrehr  besaßen.  Hier  wurde  die 
neue  Jagd  ersonnen  und  zu  einer  gewissen  Vollendung  gebracht. 

Die  ersten  Angaben,  die  sie  betreffen,  sind  spärlich  und 
¥;enig  genau.  Was  uns  von  dem  Bestehen  der  Beize  in  China 
und  Japan  in  prähistorischer  Zeit,  in  Ass>'rien,  einigen  Teilen 
Griechenlands  und  Ägypten  berichtet  wird,  ist  nicht  mit  Sicher- 
hat erwiesen.  Nach  Aristoteles  wurde  in  Thrazien  mit  Sperbern 
gejagt,  und  zwar  wurden  Rebhühner  und  Hasen  mit  ihnen  ge- 
schreckt und  so  leichter  gefangen.  Eine  Reihe  weiterer  Angabe« 
SpSterer  Schriftsteller  wiederholt  diese  Notiz  mehr  oder  weniger 
genau.  Jedenfalls  hat  diese  Jagd  mit  dem  Sperber  nichts  mit 
der  eigentlichen  Bciijagd  zu  tun;  sie  hat  freiücli  eine  entfernte 
Ahnlichkeil  mü  einer  anderen  Jagdarl,  die  später  Jahrhunderte 
hindurch  in  Europa  üblich  war.  In  die  Nähe  von  Rebhühnern 
und  Lerchen  brachte  man  meist  einen  Lcrchenfalken  (Falco 
saMuieo  Lj,  ließ  diesen  durch  eine  Drehung  des  Armes,  auf 
dem  er  saß,  das  Gleichgewicht  verlieren  und  zwang  ihn  so, 
kräftig  mit  den  Flügeln  zu  schlagen,  um  seinen  alten  Sitz  wieder 
einzunehmen.  Durch  das  Flügeln  wurden  die  kleinen  Vögel 
eingeschüchtert,  drückten  sich  fest  an  den  Erdboden  und  konnten 
so  leicht  mit  Netzen  gefangen  werden. 

AKhir  fttr  KnlHireetelilelito.   tl.  1 


r 


Paul  Dahn». 


D<ii  ersteil  sicheren  Bericht,  daß  die  Besze  bereits  bei  den 
Römern  bestand  und  zur  Verw'endiing  kam,  gibt  uns  Julius 
Materniis  Firmicus  um  das  Jahr  345  n.  Chr.  Es  läßt  sich  freilich 
nicht  behaupten,  daß  sie  damals  bereits,  vorder  Völkerwanderung, 
auch  im  mittleren  und  nördlidien  Europa  gepflegt  wurde,  doch 
liegt  die  Vermutung  sehr  nahe,  daß  sie  in  Deutschland  und  in 
Oa11i«n  durch  die  von  Osten  her  eindringenden  Völker  und  zwar 
früher  als  im  Norden  bekannt  wurde.  Dieses  ist  um  so  wahr- 
scheinlicher, als  Julius  Caesar  und  Tacitus  nichts  von  diesem 
Jagdbetriebc  wissen,  während  er  schon  kaum  lOO  Jahre  nach  der 
Völkerwanderung  in   Mitteleuropa   nachgewiesen   werden   kann.'} 

Wahrscheinlich  ist  die  Beize  auf  demselben  Wege  her- 
gekommen, auf  dem  ein  großer  Teil  der  heutigen  europäischen 
Bevölkerung  aus  dem  Osten  vorrückte,  um  sich  in  den  Wäldern 
zwischen  den  Alpen  und  den  nordischen  Meeren  ein  neues 
Heim  zu  gründen.  Die  neuen  Wohnsitze  waren  freilich  weniger 
zur  Ausübung  dieser  Jagd  geeignet,  als  die  Steppen  der  alten 
Heimal.  Hier  war  es  nötig,  vor  allen  Dingen  Wisent,  Elch  und 
Bär  zu  jagen,  und  auch  die  Beschaffung  der  notwendigen  Beiz- 
vögel bot  hier  mehr  Schwierigkeilen  als  im  Osten.  Dieses  mag 
die  Ursache  dafQr  sein,  daß  die  Ausbreitung  der  Beize  in 
Deutschland  nur  langsam  vor  sich  ging.  Erst  als  die  Axt  die 
weiten  Wälder  mehr  und  mehr  lichtete^  und  als  Handelsbe- 
ziehungen mit  dem  Norden  leicht  gute  Jagdvögel  beschaffen 
Hcßcn,  gewann  sie  mehr  und  mehr  an  QebieL  Bei  den  Bur- 
gundern und  salischen  Franken  bestand  die  Beize  bereits  um 
■480,  später  erst  läßt  sie  sich  bei  den  andern  germanischen  Völker- 
schaften nachweisen.  Bei  allen  diesen  war  sie  hoch  angesehen, 
und  in  den  Gesetzbüchern  werden  deshalb  ausnahmslos  hohe 
Strafen   auf  Verletzung   oder   Entwendung  der  Beizvögel  gesetzt. 

Welch  hohen  Wert  um  diese  Zeit  ein  guter  Jagdfalke  hatte, 
geht  unter  anderem  aus  dem  Preistarife  des  Ripuarischen  Rechtes 
hervor.*)     Die  wertvollsten  der  aufgezählten  Gegenstände  waren 


1)  Di>inbni««ld ,  Em«  v. :  Die  Bellt.  Allgcmduf  Eriyklopidie  ilcr  gnimlnt 
fonl'  und  JaedviswnKliafIcn,  heiiuH][.  von  Raovl  Üittct  von  Dombtowikl.  Wien  und 
Ldpiljt.    Morlu  Pcrin     *S84.    Bd.  i.  S.  im.  ;ts. 

•)  Lamprcchl,  Kirl;  Wirt»ch«It  und  Recht  der  Frwlten  nir  Zeit  der  VölhcrrKhte. 
RaHmen  liiitor.  Taichenbudi,  i.  Folge,  1-  Jihrg.,  IH).    S,  61-67. 


Die  Beizjagd  in  Atlpreußen. 


die  aus  römischen  Gebielen  eingeführten,  wie  Schwert,  Helm, 
Beinschienen  und  Brünne,  während  die  im  Lande  gefertigten 
Waffen,  Speer  und  Schild,  weniger  hoch  geschätzt  wurden. 
Wilirend  ein  Schwert  mit  Oörtei  280  und  eine  Brünne  sogar 
480  Denare  kostete,  wird  für  einen  gezähmten  Falken  ebenfalls 
der  Preis  von  480  -  für  einen  Unfreien  dagegen  nur  der  von 
252  Denaren  aufgeführt. 

Bis  zur  Zeit  der  Kreuzzüge  scheint  an  vielen  Orten  in 
Deutschland  die  alte  Art  des  Vogelfanges  immer  noch  den  Vor- 
rang gehabt  zu  haben,  welche  auch  später  verwendet  wurde. 
Mit  Hilfe  von  Netzen  wußte  man  nach  verschiedenen  Methoden 
zu  fangen:  Kranich,  Schwan,  Gans,  Star,  Ente,  Taube,  Rebhuhn. 
Schnepfen  und  verschiedene  andere   große   und   kleine  Vögel.') 

Als  Deutschland  jedoch  mit  dem  Orient  in  Verkehr  trat 
und  man  die  Beizjagd  mit  eigenen  Augen  kennen  lernte,  vmrde 
WC  mehr  und  mehr  allgemein  angenommen.  Die  übrigen  Arten 
des  Vogelfanges,  mit  Netzen,  Schlingen  und  am  Herde,  traten 
dagegen  als  weniger  standesgemäß  immer  mehr  in  den  Hinter- 
grund. Einen  weiteren  und  bedeutenden  Aufschwung  gewann 
die  neue  J^dart  durch  das  rege  Interesse,  das  Kaiser  Friedrich  II. 
ihr  zuwendete.  Unter  dem  Titel :  „De  arte  venandi  cum  avibus" 
^pSIer  gedrucki:  com  Manptdt  irgis  additionibus.  Augus/ae 
Vindeiicoram.  i396)  hat  er  sogar  ein  größeres  Werk  hinterlassen, 
welches  auch  heule  noch  vielfach  als  Quelle  benutzt  wird.  Leider 
ist  nicht  ersichtlich,  wieweit  der  Kaiser  deutsche  Verhältnisse 
schildert,  ob  er  nicht  vielleicht  mitteilt,  was  ihn  sarazenische 
Falkner  lehrten  und  was  besonders  an  seinem  Hofe  eingeführt 
'wurde.  Wir  erfahren  nur,  wie  die  Beize  am  kaiserlichen  Hole 
gehandhabt  wurde,  dürfen  aber  nicht  glauben,  daß  sie  in  der- 
, selben  Weise  schon  in  Deutschland  überhaupt  zur  Anwendung 
tarn.  Des  Kaisers  Vorliebe  erhob  jedenfalls  die  Beize  zur  Kunst, 
verlieh  ihr  eine  hohe  Bedeutung  und  für  Deutschland  auf  lange 
Zeil  das  Obergewicht  Über  die  von  Frankreich  her  eingeführte 
Parforcejagd. 


■)  Htt1«t,  jlohuin  xn-d  Peyrribmdl,  Sgniondl:  Andenr  Hidl  d«  aijclkhen  Vcyd- 
vnfe.  nenlich  Kilkwcrfj".  Hfy«s*n  und  ffderjpiel  etc.  Franckfurt  «m  Miyn.  /&ti»nn  und 
Slznondt  reynrnbcndi.    i»z,  ä.  tofl 


Paul  Dahtns. 


Während  seiner  Regierungszeit  zog  im  Jahre  1226  eine 
Schar  deutscher  Ordensritier  nach  Preußen,  um  in  bhitigei  und 
heißen  Kämpfen  (1226 — 1283)  dieses  Land  zu  unterwerfen. 
Dieses  war  von  der  alten  germanischen  Bevölkerung  seil  dem 
Ende  des  IV.  Jahrhunderts  immer  mehr  verlassen  worden,  und 
die  neuen  slavischen  Einwanderer,  die  jetzt  ansässig  waren,  hatten 
lange  Zeit  gebraucht,  um  die  letzten  Reste  des  alten  Handels- 
verkehrs, welcher  bis  nach  Byzanz  und  Persien  reichte,  wieder 
aufzugreifen,  zu  erneuern  und  zu  versüirken.  Wiesen  die  alten 
Traditionen  auf  den  Orient  hin,  so  mußte  die  arabische  Kultur, 
die  in  jener  Zeit  die  ganze  gebildete  Welt  beherrschte,  auch  auf 
die  neue  Bevölkerung  einwirken,  sobald  sie  sich  in  die  Verhält- 
nisse und  Bedingungen  der  neuen  Heimat  nur  erst  hineinge- 
funden hatte.  Über  die  Waren,  welche  während  der  sog.  Arabisch- 
Nordischen  Epoche  ausgeführt  wurden,  sind  wir  mit  Sicherheit 
unterrichtet;  neben  den  Ertragen  von  Viehzucht  und  Jagd,  Beut- 
nerci  und  Waldwirtschaft  werden  auch  Sklaven  und  Jagdfalken 
aufgezählt')  Die  Beizvögel  wurden  sicherlich  am  Gestade  der 
Ostsee  gefangen  und  von  den  jagdliebendert  Orientalen  gern 
erhandelt,  vielleicht  sogar  bei  ihrer  Heimreise  teilweise  hier  und 
dort  verkauft. 

Während  die  Bewohner  des  bewaldeten  Preußen lan des  kaum 
die  Beize  betreiben  konnten,  war  die  letztere  im  benachbarten 
Polen  bereits  zu  hoher  Blüte  gelangt.  Schon  im  Jahre  1235 
sah  sich  Papsl  Gregor  IX.  gezwungen,  an  den  Erzbischof  von 
Gnesen,  den  Bischof  von  Krakau  und  den  Abt  von  Andrejow 
den  Befehl  ergehen  zu  lassen:  sie  sollten  die  polnischen  Fürsten 
ermahnen,  ihre  Untertanen  nicht  mit  dem  Hüten  von  Falken 
und  Bibern  zu  belastigen  und  nicht  mit  hohen  Geldstrafen  bis 
zu  70  Mark  zu  belegen,  wenn  die  Tiere  entwichen.  Denn  die 
untergebenen  Polen  versuchten  dann,  sich  dieser  Strafe  zu  ent- 
ziehen, und  entflöhen  zu  den  heidnischen  Preußen  und  Russen.*) 

Der  Orden,  welcher  sich  bereits  seit  längerer  Zeit  der 
Bcizvögcl    bedient    hatte,    um   sie  als  Geschenke  an  Fürsten  und 

»)  LiiMuer,  A.:  Die  prÜitftorlKlien  Doikmller  d«  Provfrn  Weitpiroßen  u\w. 
Lctpdjt,  laar,  S.  t»,  im. 

AltpTMiI).  MonilHdirltl.  Bind  11  ;   ilw  ITüv.-Dl.  17.  BwmJ.  S.  104, 


Die  Bcizjagil  in  Altpreußeii. 


Könige  zu  senden  und  so  Gönner  und  Beschützer  zu  gewinnen, 
Iiatle  während  seiner  ersten  Zeit  in  Preußen  anderes  zu  tun  als 
an  Werke  des  Friedens  zu  denken.  Diese  GleicIigüUiglceit  gegen 
die  Beizjagd  wurde  noch  dadurch  verstärkt,  daß  das  Leben  der 
Ordensbrüder  nur  still  und  einfach  dahinging.  Kamprübungen 
und  Ritlerepiele  mochten  von  Zelt  zu  Zeit  das  gleichmäßige 
Einerlei  unterbrechen,  dagegen  war  weltliche  Lust  streng  unter- 
sagt und  deshalb  auch  die  Feier  von  Turnieren  und  anderen 
Riticrfcsten  und  Ritttrspielen,  wie  man  sie  im  Mittelalter  in  an- 
deren Ländern  sehen  konnte.  Als  aber  Siegfried  von  Feucht- 
wangen im  September  1309  das  neu  ausgebaute  Ordensschtoß 
bezog,  welches  sich  bereits  durch  äußeren  Schmuck,  durch  Qlanz 
und  Pracht  eines  obersten  Meisters  des  Spitals  zu  Jerusalem 
würdig  zeigte,  wurde  das  bisher  stille  und  einfache  Leben  des 
Konvents  ein  anderes.  Die  Zahl  der  Brüder  wurde  bis  auf  das 
Drei-  und  Vierfache  verstärkt  Täglich  kamen  Fremdlinge, 
Ordensbrüder,  Botschafter  und  Qäste  aus  den  verschiedensten 
Ländern  und  Fürstenhöfen  dorthin  zusammen,  und  ihre  Ge- 
spräche und  Schilderungen  blieben  nicht  ohne  Wirkung  auf 
Herz,  Bildung  und  Lebensanschauung  ihrer  Wirte.  Preußen 
selbst  hörte  mit  der  Erhebung  der  Marienburg  zum  Wohnsitze 
des  Ordenshauptes  auf,  Provinz  zu  sein,  und  nahm  in  der  Ge- 
meinschaft der  Slaalen  Torlan  eine  ganz  neue  Stellung  ein.  Es 
wurde  selbst  ein  Reich  von  großem  und  reichem  Besitz,  das  mit 
fast  allen  Staaten  Europas  Berührungen  veranlaßte,  vden  FCirsten 
und  Königen  naher  und  femer  Reiche  ein  wichtiger  Gegenstand 
der  politischen  Beachtung." ') 

Als  der  Hochmeister  Konrad  von  Juiigingen  einer  Zeit  voll 
Unruhe  und  Kampf  entgegensah,  strebte  er  eifrig  danach,  die 
Gunst  der  deutschen  Fürsten  und  der  Könige  naher  Länder  zu 
gewinnen,  um  sich  so  neuer  Hilfe  gegen  Polen  und  Litauen  zu 
versichem.  Früher  schon  halte  der  Orden,  als  er  seinen  Sitz 
noch  nicht  in  Preußen  hatte,  ein  erfolgreiches  Mittel  zur  Er- 
werbung dieser  Gunst  darin  besessen,  daß  er  abgerichtete  Falken 
ausgesandt   und  damit  der  Lieb«  der  Fürsten  zu  Vögeljagd  und 

<}  Volel.  Johann«:  Oeidilchtt  Muicnlniisi,  dn  Stadt  nnd  da  HtknpUunaa  da 
4aibch«n  RiH»-Ordaii  In  PmiRm      Kdnlicibrrf  IB34     Ot-btüder  Romlrifrr.     ä.  6I,  106, 

m,  IM. 


6  Paul  Dalima. 


r 


Federspiel  geschmeichelt  halte.  Mit  solchem  großen  Eifer,  so 
vielem  Aufwände  und  so  glücklichem  Erfolge  wurde  das  Ab- 
richten von  Falker  zum  JagdvergnOgen  nur  im  Ordenslande  be- 
trieben! Die  Beizvögcl,  welche  von  hier  stammten,  waren  da- 
mals in  ganz  Europa  vonugsweise  hochgeschätzt,  wie  man  aus 
den  Danksdireiben  der  Fürsten  eiseheii  kann,  die  mit  solchen 
Geschenken  beehrt  wurden.  Die  Sendungen  gingen  bis  nach 
England,  Frankreich,  Italien,  Ungarn,  Österreich  usw.  Die 
Quellen,  welche  über  preußischen  Falkenfang  und  preußische 
Falkenzucht  bekannt  sind,  reichen  von  den  letzten  Jahren  des 
1 4.  Jahrhunderts  bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  des  I  7.  Jahrhunderts. 
Auf  Grund  eines  umfassenden  Beweismaterials  darf  be- 
hauptet werden,  daß  im  frühen  Mittelalter  in  Deutschland  und 
Frankreich  zur  Beizjagd  nur  der  Habicht  und  der  von  ihm  da- 
mals noch  nicht  unterschiedene  Wanderfalke  sowie  der  Sperber 
verwendet  wurden.  Erst  nach  den  Kreuzzugen  fanden  auch  die 
größeren  Falkenarten  Verwendung.  Doch  auch  als  durch  die 
Kreuzzüge  orientalische  Beizvögel  in  Menge  eingeführt  und  später 
der  nordische  und  norwegische  Jagdfalke  bekannt  geworden  waren, 
wurden  in  der  Heimat  Habicht  und  Sperber  am  häufigsten  — 
gelegentlich  wohl;  auch  der  Zwergfalke,  Falco  afsahn  L.^)  abge- 
tragen, besonders  da  die  von  auswärts  bezogenen  Arien  nur 
unter  großen  üeldopfem  zu  erwerben  waren.  Vielfach  wahrten 
sich  die  Fürsten  in  jener  Zeit  auch  das  Recht,  im  ganzen  Lande 
die  Horste  für  sich  ausnehmen  zu  lassen,  ohne  auf  die  Besitz- 
Verhältnisse  Rücksicht  zu  nehmen.')  Als  deshalb  der  Hochmeister 
Paul  von  Ruftdorf  im  Jahre  1423  der  Gattin  des  Großfürsten 
Witold  eine  Lage  Rheinfall  und  ein  Fäßchen  Rheinwein  verehrt, 
weiß  sie  das  Geschenk  nicht  besser  als  mit  ucyncm  Kywer  und 
einen  Par  ruwer  Hanzken",  d.  h.  mit  einem  Habichte  und  rauhen 
Handschuhen,  zu  erwidern.^  Soweit  man  konnte,  benutzte  man 
freilich  den  Wanderfalken  zur  Beize;  er  ist  es  auch,  den  man 
meistens  auf  der  Faust  des  Ritters  und  dem  seidengesticklen 
Handschuh  des  Ritterfräuleins  abgebildet  findet 

■)   Rithict.  Heinrich:   Verzeichnis  der  jn  (M-   und  MPHtpreutkn   vorkainnicndni 
WIrWIlm.    PrtuB.  l'rov..Bl.,  N.  K,  Bd.  »,  IW«.  S.  t. 
*]  V,  Danibnmkl;  i.  i.  O.  S.  im,  S)T,  »9. 
•]  Voiel:  t.  a.  O.  S.  311,  Anm.  75. 


Die  Beizjagd  in  Allpreußen. 


Auch  im  Treßterbuche')  ist,  wie  an  anderen  Stellen,  die 
Unterscheidung  zmschcn  WanderTalk  und  |-labicht  nicht  scharf 
durchgeführt.  So  heißt  es  an  einer  Steile  (S.  506,  Z.  6-8) 
■  item  36  m.*)  vor  18  fällten,  dy  der  herre  bischof  von  Ozelen 
unserm  honieyster  sante.  item  6  m.  syme  dyner  geschankt,  der 
dy  Habichte  antwerte.  item  2  m.  2  knechttn.,  dy  dy  falken  ge- 
tragen hatten".  Hier  werden  also  die  18  Beizvögel,  welche  von 
der  Insel  Osel  kamen,  bald  als  Habichte,  bald  als  Falken  be^ 
zeichnet;  eine  andere  Stelle  (S.  543,  Z.  28,  29)  lautet  «item  2  m. 
dem  Rüsen,  der  den  wy&en  habich  und  falken  von  Wytawlen 
brocfite".  Auch  im  Jahre  1657  ist  ein  scharfer  Unterschied  noch 
nicht  vorhanden.  «Falcken  und  Habich  werden  fast  auf  eine  Weise 
erzogä  lind  anbracht,  aiicli  schier  für  ein  Geschlecht  gehalten; 
Doch  seynd  die  Faicken  stärkerer  Natur  dann  die  Habichen."") 

Bevor  der  Orden  nach  Preußen  kam,  wurde  -  wie  er- 
wähnt -  die  Jagd  vorwiegend  mit  Habicht  und  Sperber  betrieben, 
während  der  seltnere  Wanderfalke  nicht  immer  leicht  zu  be- 
schaffen war.  In  Deutschland  war  er  früher  freilich  häufiger  als 
jcl2t  Er  ist  nur  zur  Horstzeit  ein  eigentlicher  Waldvogel,  sonst 
zieht  er  Freilagen  an  Gewässern,  von  wo  aus  er  die  Gegend 
gut  beobachten  und  recht  weit  hin  Raubzüge  unternehmen  kann, 
vor.  Er  ist  bald  Stand-,  bald  Zugvogel  und  folgt  gern  den  ab- 
ziehenden Enlenscharen.  In  ähnlicher  Weise  mögen  auch  die 
Zuzügler  mit  Anbruch  der  Winterzeit  an  unsere  Küsten  geiiihil 
werden. 

Bereils  im  13.  Jahrhundert  hatte  Marko  Pnlo  erwähnt,  daß 
man  in  Rußland  Geierfalken  und  andere  ausgezeichnete  Falken 
finge  und  in  die  verschiedenen  Länder  austrüge.  Seit  dem 
14.  Jahrhundert  besaß  Preußen  in  dieser  Beziehung  noch  einen 
viel  bedeutenderen  Ruf,  bis  es  schlieölich  von  Holland  abgelöst 
wurde,  dessen  beste  und  zuletzt  einzige  FaLkenschule  im  Dorfe 
Falkcnwerth  in  Flandern  noch  Jahrhunderte  lang  bestand.  Hol- 
ländische  Falkner   haben   früher  auch   an   der  Koste  Pommerns 


•)    I>ii    Maricnburitct   Trtßlerbuth  der   Jthrc   I3i»-M0».      Hcrautj:ci:cbcn   von 
.  ArdinTkl  Dr.  Joachim.    Köni^berg  j,  Pr.    Thäraai  und  Oppermvin,  1M6. 

>)   IVr  WtT(   dtr  prtuSlichni    Mark    {m.}   bttrift   für  die  Jahre   1]91~tl(i7   an 
13  ftcichtntaik  (i/i,  Kir  it07-i«io  nur  IJ,.tO  ,1/. 

^Bimcr,  Vtbn:  Pftntltdicjlccr-Biirs.   mmbiint,   Clifiiloph  Dwnl«.  <as7,  S,  ». 


8  PsMi  D3htn&. 


eifrig  den  hungrig  anlangenden  Falken  nachgestellt  und  in  man- 
chem Jahre  über  hundert  davon  gefangen. 

Die  Hauptmenge  der  jährlich  erbeuteten  BelzvÖgel  lieferte 
nach  dem  Treßlerbuche  der  Wanderfalke  (Falco  peregrinus  L). 
Nach  den  Falken  wird  im  Treßlerbuche  am  häufigsten  der 
muserhabich  (müserhabich)  genannt, 

Es  liegt  gewiß  nahe,  zuerst  an  den  gemeinen  Bussard 
Bateo  vulgaris  Beckst,  zu  denken,  der  auch  als  Mauser  und 
Mausefalk  bezeichnet  wird.  Der  Bussard  wurde  aber  nicht  rar 
Beize  benutzt,  obgleich  man  wußte,  daf5  er  junge  Hasen,  Fasanen 
und  Rebhühner  verzehre.  Jedenfalls  galt  er  seiner  Natur  nach 
für  unedel,  weil  er  sich  vorzugsweise  von  Mäusen  und  Fröschen 
nährt  Erwachsenen  Hasen  und  Rebhühnern  könne  er  -  wie 
Döbel')  schreibt  -  nicht  leicht  schädlich  werden,  da  er  nicht 
schnell  genug  fliege,  daher  müsse  er  sich  zur  Winterzeil  «mit 
Mäusen  und  Luder...*)  am  meisten  behelffen".  -  Der  Mäuse- 
bussard lebt  ausschließlich  von  Mäusen,  Schlangen,  Fröschen 
und  Gewürm,  solan^je  sie  ihm  geboten  werden.  Diese  Nahrung 
trägt  er  auch  seinen  Jungen  zu;  gelegentlich  wird  auch  ein  junger 
Hase  herbeigeschleppt,  der  den  Allen  gerade  über  den  Weg  ge- 
laufen ist  Im  Winter  kommt  für  den  Bussard  freilich  die  Zeit 
der  Entbehrung.  Mäuse  sind  schwer,  Frösche  gar  nicht  zu  er- 
langen; dann  trachtet  er  nach  Fraß,  woher  er  ihn  nur  nehmen 
kann,  und  wird  matten  Hasen  und  Feldhühnern  gefährlich;  ge- 
sunde vermag  er  nur  schwer  zu  fangen,  die  erstcren  kaum  zu 
bezwingen.  Die  Hasenläufe,  welche  man  gelegentlich  im  Horste 
des  Mausers  findet,*)  stammen  also  von  jungen  oder  ermatteten 
Tieren,  und  die  Berichte,  welche  erzählen,  wie  er  kräftige  Haus- 
hähne und  selbst  den  Stier  vor  dem  Pfluge*)  —  freilich  stets 
mit  für  ihn  unglücklichem  Abschluß  -  angegriffen  habe,  schildern 
ihn  in  einem  Wutzuslande,  in  den  ihn  der  Hunger  versetzte. 
Bei  seiner  verhältnismäßig  geringen  Beweglichkeit  und  Kraft  ist 


>)  Dttel,  Hdnricb  Wilhelm:  Jiser-Pralttika,  od«  d«  vohlseabte  und  erfahmie 
}iset.    1  Teile    Utpiis,  Joli  Sun.  Hdiulus.    I7M.    I.  M,  KAp.  111. 
<)  Au. 
>)  Knie.   E.;    JuEdKMdtlrhkdt  dn  tiautiiH-    Dmtwhe  JlserJ^dtuns.     >1.  M.. 

Nn.  24,   1I9S,  S.  »9,  iM. 

*)  BrTtimt  Tlnlrttm.    Dttite.  glnilidi  nrubarbdutc  AunoKc.    ISVI.   Bd.  e,  S.)n. 


Die  Bdzjagd  in  Altpreußen. 


er  in  Deutschland  nie  zur  Beize  benutzt  worden,  und  im  taufe 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  galt  er  als  ein  ganz  gemeiner 
Vogc]  (mas&ir).  Der  Ausspruch  »er  veredeil  sich  wie  ein  Mauser* 
hatte  einen  wenig  erfreulichen  Sinn,  denn  man  erzähhe,  daß  der 
jssard  in  seinem  ersten  Lebensjahre  freilich  noch  Vögel,  si^ter 
faber  nur  Mäuse  fange.') 

Nchring  sieht  in  dem  Mäusehabichte  keinen  Bussard,  spricht 
aber  die  Vermutung  aus,  daß  der  Turmfalke  (Faleo  Hnnancalas  LJ 
gemeint  sei,  der  ja  mil  Vorliebe  Mäuse  kröpft •)  Dieser  An- 
nahme steht  aber  der  verhältnismäßig  hohe  Preis  entgegen,  doch 
soll  auf  diesen  Punkt  erst  später  eingegangen  werden.  Jedenfalls 
ist  der  Name  Mäusehabicht  nicht  mit  dem  Worte  »Maus",  sondern 
mit  vMauß  oder  Mauser"  in  Beziehung  zu  bringen.  Es  ist  der 
eiste  Federwechsel  {mhd.  mäsen,  afr.  muer,  ml.  miitart)  gemeint, 
vor  weldiem  die  Jagdvögel  noch  nicht  recht  z\x  brauchen  waren. 
Erst  wenn  sie  die  Mauser  überstanden  haben,  werden  sie  wert- 
voll, sie  sind  dann  zur  Beize  geeignet  und  bekommen  mit  jedem 
weiteren  Federwcchsel  ein  schöneres  Kleid.  Aus  der  Schönheit 
des  Gefieders  kann  man  deshalb  einen  ungefähren  Schluß  auf 
das  Alter  des  Vogels  ziehen,  dessen  Wert  mit  der  Zahl  seiner 
IL«ben$jahre  mehr  und  mehr  wächst  Zur  Zeit  der  Mauser 
wurden  die  Bcizvögel  in  eine  besondere  Kammer  oder  in  einen 
Mauserkorb  gebracht  und  der  Haube  und  Fesseln  entledigt') 
Daraus  kann  es  nur  erkUrt  werden,  daß  die  Falken  gemausert 
»werden«,  nach  diesem  Federwechsel  heißen  die  Tiere  dann 
« Mäuserfaicken  oder  auch  verniäuste  oder  Madrierete  Falcken*.*) 
Man  wendete  sogar  Mittel  an,  um  die  Mauser  einzuleiten,  das 
Gefieder  zu  verändern,  ja  sogar  weiß  werden  zu  lassen  und 
schließlich  den   Federwechsel   bald   zum  Abschluß  zu  bringen.*) 


t)  8«halt>,  Alvin:  Dai  hilf Mh«  telwn  nr  Zeil  der  Minnainger.  Lcfpii^,  S.  HIncI, 
1S)9.  Bd.  I,  S.  36«.  Anin   C. 

^  Ndiring,  A.:  Jagdlich*  NMIacn  «ii  dem  •Treftlerbucht*  d«  OtulMhen  Ordmi 

1399-1409.     DcUlldK  JleTT-/>flCil1g,  31.  Bd..  Na  !4,  11,  36.  IIM.  -   VkI.  No.  2«.  S.  «M. 

*1  f,  Dombrnvtlri,  S.  i«1, 

ff  Dm  j[r.ifJii«c  Jägpr.HiiiH,  »orimim  nicht  «UHn  dir  vomfhBirtm  und  iibllehMen 
Kantt-WärtFT  ilcr  Jl^rtry  durch  IciiitiK'faitT  Bnchrrifaunif  ciürti^it.  lonJcm  iiich  cu  bcy 
dem  Vildc  im  tiaii|>ludillcliitrn.  lu  bcttidilm  iifililijc  cic.  Ilaint>ui|{,  bcy  Bi-iijunin 
Schitlcm,  1T06,  S.  •;:. 

*>  llditt.  Jobum  wid  rcycnbendt,  Sienundl.  S.  ia,  39,  63  b. 


10  Paul  Dahms. 


Deshalb  heißt  es  auch  bei  Oesner ')  ^,Fal£cnes  cicurantar,  domantar, 
condoe^iunt,  mansiuscunt  Sy  werdend  gemüßt  /  und  hci'sscnd 
den  mösserfalcken"  und  a.  a.  O.:  es  ist  »ein  müszerfaik  ein  ab- 
gerichteter falk,  faUo  aä  aucupium  dcctas"')  Dementsprechend 
finden  wir  in  der  älteren  Literatur  auch  eine  Reihe  verschiedener 
Angaben  über  wvermäuste"  Beizvögel,  wie  z.  B.  mäsenalke, 
müserhabech  neben  habech  tnüzaere,  und  schließlich  mazerspcr- 
wacrc  neben  musersprinze  und  mazersprinzetin  (Astur  nisas  J(rys. 
et  BlasJ^) 

In  dem  Ver2eichris  der  Beizvögel,  welche  Lnter  der  Re- 
gierung des  Hochmeisters  Paul  von  Rußdorf  im  Jahre  14-32 
ausgeschickt  werden,  finden  wir  wiederholt  den  -Musser-Habicht" 
und  zwar  stets  zusammen  mit  einem  Hunde  angeführt,  der  da- 
rauf abgerichtet  ist,  mit  dem  geftügehen  Genossen  zusammen  zu 
jagen.  So  wird  auch  »den  Herren  von  Burgunden"  ein  Ge- 
schenk von  8  Falken,  worunter  sich  ein  Qccrfalkc  befindet,  über- 
reicht und  gleichzeitig  »ein  Musser-Habich!  und  ein  Wynt,  der 
dem  Habichte  hilft".*)  Die  Jagdmethode  mit  diesem  Raubvogel 
ist  also  ähnlich  gewesen,  wie  die  mit  dem  Habichte.  Daß 
wir  es  im  Treßlerbuche  mit  einem  edlen  Falken  zu  tun  haben, 
ergibt  sich  aus  der  Stellung  der  Geschenkgeber;  diese  sind: 
Herzog  Hannus  Symeke,  der  Landmarschall  und  der  Gebieliger 
von  Livland,  der  polnische  Hauptmann  Peter  von  Dobrin,')  der 
Probst  von  Marienwerder  und  der  Bischof  von  Ösel.  Der  den 
Überbringern  verabreichte  Lohn  schwankt  je  nacli  der  Schönheit 
des  Vogels  und  der  Stellung  und  Bedeutung  des  Gesehen kgebere 
zwischen  */,  m.  und  ca.  l'/,  m.  für  jedes  Tier.  Im  Durchschnitte 
wurde  für  jedes  l'/,  gezahlt,  eine  für  damalige  Zeit  bedeutende 
Summe,  besonders  wenn  man  bedenkt,  daß  sie  nur  als  Trinkgeld 
gegeben  wurde.    Im  Jahre  1404  finden  wir  den  „Mäusehabichl" 

I)  OaVKT.  Cont.:  tlisi^riar  naturaUmn  liier  II].  C—  t'l  <'''  ot^hm  HnfiTn.  AVunini- 
/■rf(,  1604,  S.  64. 

■)  Vgt.arimm.  JikobtindOrimin,  Wilhelme  Dnittchn  WArlcrbudi,  Dd.  A,  Lajuig, 
S.  HiRFJ.  IStS.  S.  IS3I. 

1)  Sckoltf,  S.  170  k-nm.  and  tri  Knm. 

*)  fttirr,  Kir)-  Von  dm  prvuBisfhoi  Falken,  dt»  alt  Ctfch«nlir  tn  fremde  HOl« 
Itbertchlcln  wuri)<n.  Pmiftlwlm  Archiv  oaer  OitkvftrdijclM'liFii  *ii«  «Irr  Kundp  der  VoneiC, 
hcnDigFccben  von  K«r1  Fiber.  Käi)lexl>rrs,  Simnit,  i,  taM.  S.  5S. 

°i  Altr  LanilHhart  im  ^ildm  der  untfTcn  Drcvcnt  mil  drr  Haupbtidl  |[lci<.'lm< 
Nadio».  dcfli  hoiUstn  Dutnyn. 


Die  Bei2}a£d  in  Altpreußeti. 


M 


im  Treßlcrbuche  zum  erstenmal  notiert  (S.  J21,  Z.  31  -33),  dann 
verschwinde!  die  Bezeichnung  (1407),  um  später  wieder  dauernd 
zur  Verwendung  zu  kommen. 

Unter  den  Zitaten,  die  Ernst  von  Dombrowski  aufführt, 
um  die  verschiedenen  Wildarten  als  Gebeize  aufzuzählen,  finde 
ich  freilich  auch  die  folgende:  «Der  selbe  faäzaere  j  Erflüege 
den  kninech  wol  /  Wurf  in  damider.  Willehalm,  371,  12."*) 
Dieses  ist  deshalb  besonders  interessant,  weil  der  Unterschied 
zwischen  Mäusebussard  und  vermausertem  Beizvogel  damals 
schon  niclii  mit  Sicherheit  durchgeführt  wurde. 

Zweimal  wird  im  Treßlerbuche  der  Handfalke  (haiitfalk) 
erwähnt  Der  den  Boten  gereichte  Lohn  betrug  in  dem  einen 
Falle  '/i  "!■  (S.  366,  Z.  26,  27),  in  dem  anderen  sogar  2  m. 
iß.  435,  Z.  3-5).  Woher  der  erstere  stammt,  erfahren  wir 
nicht,  der  zweite  ist  ein  Geschenk  des  Großfürsten  Wytowt  von 
Litauen.  Wie  aus  einem  Briefe  des  Bischofs  Johannes  von  LcBIau 
hervorgeht,  haben  wr  unter  einem  Handfalken  einen  vollkommen 
abgerichteten  Beizvogel  zu  verstehen.'')  Der  Bischof  fordert  den 
Hochmeister  nämlich  in  einem  Schreiben  auf,  von  seinen  Ge- 
bietigern  in  den  Niederlanden  möglichst  große  Falken  ausnehmen 
zu  lassen  und  ihm  zuzusenden,  er  wolle  «gitte  Handfalken  zu 
Kranichen"  aus  ihnen  machen. 

Ein  Edelfalk,  der  aus  dem  Südosten  Europas  stammt  und 
wegen  seiner  Kraft  und  seines  Mutes  hoch  geschalrt  wurde,  ist 
der  Sakerfalk  {Faico  sacer  Schteg.);  er  führie  auch  den  Namen 
»Blaufuß",  weil  im  ersten  Jahre  seine  Wachsliaut,  Fänge  und 
OberKhnabel  reinblau  sind.  Nur  langsam  bürgerte  er  sich  in 
Mitteleuropa  ein,  doch  wird  er  namentlich  in  Byzanz  und  dann 
durch  Einfühning  seitens  der  Mauren  in  Italien  und  Spanien 
früher  benutzt  worden  sein  als  die  nordischen  Falken.  Von 
dort  kam  er  nach  Deutschland  selbst,  worauf  seine  beiden  mittel- 
hochdeutschen Nanien  sakker  und  lanier  hinweisen,  welche  sich 
seitdem  U.  Jahrhundert  nachweisen  lassen,  tmd  von  denen  der 
erste  orientalischen,  der  zweite  romanischen  Ursprungs  ist.  Die 
Einbürgerung   der   nordischen    Falken    geschah    erst    später,    als 


i>  S.  M4.  Anm. 
^  VoiKt,  %.  vsi. 


^^ 


Paul  Dahms. 


Handelsverbindungen  und  Kriege  einen  Verkehr  zwischen  Mittel- 
und  Nordeuropa  veranlaßt  hatten.')  Als  diese  bisher  unbekannten 
Falken  ebenfalls  zur  Beize  verwendet  wurden,  zeigte  es  sich,  daß 
sie  hinter  dem  BUufuße  nicht  zurückstanden.  Man  fand  nament- 
lich in  dem  norwegischen  Jagdfalken,  dem  Oer-,  Oeer-  oder 
Geierfalken  (Falco  gyrofalcp  Schleg.)  einen  Ersatz  für  seinen  süd- 
europlischen  Genossen  und  iibcrtrug  auf  ihn  die  gleiche  Be- 
zeichnung «Blaufuß",  obgleich  dieser  nie  blaue  oder  bläuliche 
Fänge  besitzt  -  und  später  auf  verechiedene  andere  Raubvögel, 
die  man  neu  kennen  lernte.  Zum  Unterschiede  vom  Sakerfalken 
pflegte  man  den  Geerfalken  später  auch  als  »flandrischen  Blau- 
fuß"  zu  bezeichnen.  Nur  so  kann  ich  mir  die  unglückliche  Ver- 
wirrung erklären,  die  in  Bezug  auf  die  Bezeichnung  «Blaufuß" 
eingerissen  ist.  Sowohl  Rathke-)  wie  Berge")  geben  deshalb 
keinen  sicheren  Aufschluß,  was  von  den  sog.  Blaufflßen,,  die  in 
ihrer  Heimat  früher  gefangen  wurden,  zu  hatten  ist.  Der  erstcre 
meint,  daß  die  in  Preußen  gefangenen  Blaufüße  oder  Sakerfalken, 
sich  gelegentlich  dorthin  verflogen  hätten,  der  zweite  deutet  auf 
Grund  reichlichen  Materials  darauf  hin,  daß  der  Sakerfalke  in 
früherer  Zeit  in  geeigneten  Gegenden  Sachsens  gebrütet  haben  möge. 

Was  das  Treßlerbuch  von  dem  Blaufuße  berichtet,  gilt 
freilich  weder  vom  norwegischen  Jagdfalker  noch  vom  Saker- 
falken, denn  der  für  ihn  beim  Ankaufe  gezahlte  Preis  ist  eir 
äußerst  geringer.  Während  für  die  eingelieferten  Falken  fast 
ausnahmslos  i  m.  gezahlt  wird,  schwanken  die  Preise,  die  für 
diesen  Raubvogel  notiert  sind,  zwischen  Vbo  m.  (2  Schilling)  und 
■/,t)  m.  {9  Schilling)  und  betragen  im  Durchschnitte  nur  '/n  ni. 
Dagegen  wurden  bereits  im  Jahre  1387  für  einen  nordischen 
Jagdfalben  aus  Flandern  40  m.  gezahlt*) 

Diese  fortgesetzte  Verwechselung  erklärt  uns  sowohl  den 
Umstand,  daß  der  Sakerfalk  die  verschiedenartigsten  Nebenbe- 
zeichnungen  trägt,   und  auch  den,  daß  eine   Reihe  von   Raub- 


*y  T.  DombroTtIri,  S.  5J>. 

■)  Anni.  3  n  Volp,  i--.  folkoifuiE  und  PalheiuufM  in  PrcuQcn.  Nnc  PrniS. 
ProT.-Bl,,  Bd,  »,  i»W,  S-  SSO.  MO, 

^  Hnfr,  Kohrrt:  I)«  P'Allcmrri  «m  Dr««lner  Hofe.  Omifholoirisrht  MoniUbe- 
Tlrtitr,  hmutsrerten  von  Prof.  Dr,  An(.  Hdchmbach.   Jihrfi  1B,  No.  i.  iiM2.  S,  DJ.  113. 

•J  tl'fb«.  Lulhar:  fmiBcn  vor  ^UU  Jahren  in  kiiltutliiHor.,  sUliit.  und  milltlr. 
Bnichnns  neb»  Spnlsl-QcDsnphlc.    Dinelg,  ThcodgT  DGmii;g.  ISIS,  S.  176, 


Die  Beizjagd  in  Altpreußen.  i$ 


vögeln  noch  heute  die  Bezeichnung  i'.Bliiufuß"  trägt  So  finden 
wir  für  Falco  saccr  Sthkg.  noch  folgende  Benennungen:  Wüi^cr, 
Würgfalke,  Schlachlfalke,  Stern-,  Groß-,  heiliger  Sakerfalke,  Berg- 
falke und  sogar  heiliger  Geierfalke.  Außer  der  Waldschnepfe 
führen  folgende  Vögel  die  Bezeichnung  Bhufuß:  der  Fischadler, 
Pandion  haliäeios  L  (weißköpfiger  Blaufuß),  der  nordische  Jagd- 
falke, FaicQ  gyifalca  L.  (großer  B.),  der  Sakerfalke,  F.  sacer  Schleg., 
der  Wanderfalke,  F.  pcregrinus  L.  und  für  die  Umgebung  des 
Zamowitzer  Sees  in  Westpreußen  auch  die  Wiesenweihe,  Circas 
pyga/güs  /„')  Als  Blaufalken  sind  ferner  bekannt:  der  Wander- 
fiüke,  fyilco  peregrinus  L.,  der  Zwergfalkej  F.  aesaton  L  und 
das  Männchen  vorn  Kornweih,  F.  cyaneus  L.  (blauer  Falke). 
Selbst  für  den  Fall,  daü  die  Bezeichnung  Blaufalk  nicht  in  dem- 
selben Sinne  wie  Blaufuß  gehandhabt  wurde,  wie  man  aus  der 
doppelten  Benennung  -Biaufuß"  und  »Blaufalk"  für  den  Wander- 
falken schließen  könnte,  zeigt  sich  immerhin,  daß  durch  diese 
beiden,  fast  gleichlautenden  Sammeinamen  für  weitere  Irrtümer 
die  beste  Gelegenheit  geboten  war. 

Als  man  deshalb  später  im  Ordcnslandc  mit  großem  Eifer 
FalkcnJang  und  Falkendressur  betrieb,  lernte  man  die  ßcizvögci, 
welch«  fortgesetzt  begehrt  wurden,  mit  bestimmten  Namen  be- 
nennen, während  alle  minderwertigen  oder  gar  wertlosen  Raub- 
vögel mit  dem  Kollektivnamen  «ßlaufuß"  bezeichnet  wurden. 
So  bittet  Graf  Georg  Ernst  von  Henneberg  den  Herzog  AI  brecht 
von  Preußen  um  einen  Reif  oder  einen  Käfig  mit  Falken  ,»und 
wenn  es  nicht  lauter  Falken  sein  könnten,  zum  Theil  mil  Falken 
und  zum  Theil  mit  Blauföften";')  ich  glaube  aus  diesen  Zeilen, 
herauszulesen,  daß  die  letzteren  weniger  Wert  besaßen  als  die 
Wanderfalken.  Die  in  allen  Jägerbüchem  niedergelegte  Angabe, 
daß  man  die  heimischen  Blaufüße  leicht  zur  Beizjagd  abrichten 
könne,  ist  nach  obigem  leicht  zu  verstehen.  In  den  Steppen- 
Undem  werden  auch  heute  noch  die  verschiedenartigsten  Raub- 
vögel zur  Eieize  abgetragen,  wie  z.  B.  Weihe,  Bussard  und  anderei 

Von  Bedeutung  für  die  im  Treßlerbudie  vermerkten  Blau- 


■)  Hdtifd,  F.;  Britilse  tur  Omii  Va<pr«tilkiH.  I.  Zuno^iRr  Scr  uod  Um- 
KCfcna.    Sclirllltn  d.  Ninirf.-Oc«.  In  Diitilg     N.  P.  IM.  10,  HeTl  •,  >90J.  5.  M. 

>)  Vaigt,  jbhinna:  Füntmleboi  und  KüntMtlttc  im  I6.  Jihrhiindtil.  Rinmtn 
biilOT   TiKlicnbitch.  }ahrg.  t,  iaii,  S,  U7. 


F 


14  Paul  DAhnis. 


fiiße  ist  auch  der  Umstand,  daß  sie  niemals  dem  Hochmeister 
als  Geschenk  verehrt  oder  von  den  Falkcniereii  nach  Abschluß 
der  Fangzeit  eingeüefcrl,  anderseits  aber  auch  nie  fremden  Fürsten 
lind  Gönnern  geschenkt  \^'urden.  Sie  werden  gelegentlich  von 
einem  Vogler,  einem  Knechte  oder  einem  »Jungen«  erbeutet  und 
auf  das  Schloß  gebracht. 

Weshalb  diese  Tiere  nicht  zurückgewiesen,  sondern  lieber 
mit  einer  kleinen  Summe  angekauft  wurden,  kann  man  sich  in 
verschiedener  Weise  erklären.  Vielleicht  hat  der  Hochmeister 
den  Befehl  gegeben,  nie  einen  Raubvogel  zurückzuweisen,  t>c- 
sonders  da  ihm  öfter  ein  guter  Falke  zum  Kaufe  angeboten 
wurde,  und  er  jede  Gelegenheit  ergriff,  die  Häupterzahl  seiner 
Beizvögel  zu  vermehren.  Eine  solche  Bestimmung  konnte  auch 
deshalb  an  der  Stelle  sein,  da  Leute,  welche  sich  mit  einem  ge- 
fangenen Raubvogel  zur  Marienburg  begaben,  dort  aber  zurück- 
gewiesen wurden,  ein  zweites  Mal  nicht  wiederkamen.  Vielleicht 
hat  der  Hochmeister  auch  jede  Gelegenheit  wahrgenomnieti, 
seinen  Tiergarten  zu  bereichern.  So  würde  man  schließen  müssen, 
wenn    man    in    dem    »Blaufufle"    den    Fischadler    sehen    will.') 

Jedenfalls  haben  wir  unter  der  allgemeinen  Bezeichnung 
»Blaufuß"  verschiedenartige  Raubvögel  von  geringerem  Werte  zu 
sehen.  Diese  wurden  gelegentlich  auch  abgetragen,  vielleicht 
auch,  wie  Milane  und  Bussarde,  bei  besonderen  Veranlassungen 
als  Gcbcize  verwendet. 

„Eyne  terczel"  finden  wir  im  Treßlerbuche  nur  einmal 
erwähnt  {S.  448,  Z.  32-34)  und  zwar  in  Gemeinschaft  mit  zwei 
anderen  Falken  als  Geschenk  des  Komiurs  von  ßatga  für  den 
Hochmeister.  Das  gesamte  Trinkgeld,  das  dem  Überbringer  aller 
drei  Vögel  gegeben  wird,  beträgt  "/li  m. 

AlsHerzogAIbrecht  später  die  Qunsl  des  Königs  Heinrich  VIll. 
von  England  zu  erwerben  wünschte  und  ihm  wiederholt  Falken- 
sendungen zugehen  ließ,  versuchte  er  gleichzeitig  unier  den  Be- 
ratern und  Freunden  des  Königs  besonders  Cromwell  und  Karl 
Brandon,  den  späteren  Herzog  von  Suffolk,  für  sich  zu  ^winneti, 
Auch  hier  waren  es  Bcizvögel,  die  ihm  die  Zuneigung  der  beiden 


I)  NdirliiK.  S.  «14. 


Die  Bdzjagd  in  Al(prcul5en. 


IS 


Männer  verschafften.  Der  letztere  teille  Albrecht  daraufhin  mit, 
daß  er  ihm  demnächst  als  Gegengabe  ebenfalls  einige  Palken 
zusenden  werde.  Diese  waren  aber  nicht  jagdvögel,  vielmehr 
eine  Art  groben  Geschützes,  sog.  Falkaunen  oder  Falkonen;  von 
diesen  hatte  der  König  zwei  und  der  Herzog  einen  für  den  Mark- 
grafen gießen  lassen.'} 

Ebenso  wie  das  große  Geschütz,  dessen  Kugel  so  kräftig 
dahinsauste  und  so  gewaltige  Wunden  schlug,  als  f^alke  bezeichnet 
wurile,  wurde  später  nach  der  italienischen  Bezeichnung  für  den 
männlichen  Falken  „terzeraolo"  eine  Taschenpistote  im  Gegen- 
salz zur  Sattelpistole  als  Terzerol  bezeichnet,  entsprechend  dem 
alten  Brauch,  Tiernamen  auf  Feuerwaffen  zu  übertragen.  Da  die 
Weibchen  der  Raubvögel  im  allgemeinen  viel  gröOer  sind  als 
die  Männchen,  so  werden  bei  den  Beizvögetn  im  allgemein«! 
die  größeren  und  deshalb  wertvolleren  Weibchen  mit  ihrem  da- 
maU  üblichen  zoologischen  Namen,  die  Männchen  dagegen  in 
vielen  Fällen  als  Terzel  bezeichnet.  In  der  einzigen  mir  be- 
kannten Definition  *)  heißt  es  freilich  nur,  daß  unter  TUixelhtea 
die  Männchen  vom  Laneten,^)  Schweimer,*)  Stein-')  und  Baum- 
falken") zu  verstehen  seien,  doch  ist  später  -  im  15.  Jahrhundert  - 
auch  von  Oecrterzeln,  d.  h.  den  Männchen  des  norwegischen 
Jagdfalken,  die  Rede.  Die  Bezeichnung  „Terz"  für  die  Männchen 
von  Bcizvögcin  tritt  dann  auch  wiederholt  in  folgender  Ver- 
deutschung auf:  Tertz,  Falken  -  Dörsel ,  -Dörschel  und  -Dorsel, 
sowie  Darzel,  und  für  das  Männchen  des  Gerfalken  sogar  uGcrz".') 

Die  wertvollsten  Falken  aber  waren  die  beiden  Jagdfalken 
des  Nordens,  Falco  candicans  s.  groenlandkus  Gmel.,  der  etgenl- 
liche  nordische  Jagdfalk,  und  Falcü  gyrfako  Schltg.,  der  nor- 
wegische Jagdfalke.  Ob  diese  gesonderte  Arten  oder  nur  ver- 
schiedene Formen  des  Gerfalken  /Faltx)  gyrfaico  und  F.  gyrfako 
isUuiäiais)  darstellen,  soll  an  dieser  Stelle  nicht  erörtert  vrerden. 


4  V(Ht[l,  ).:    HFnnK  Attiicthli  von  Pmllen  lmin[bcliattlkhe  VcrbindutiE  mit  ära 
KiJalcn  nnü  Köniaiimtn  »on  Eiialimd.    Neue  Preufl.  Prov  -Bl,  Bd.  7,  1849,  S.  Ift 
■)  Dm  K«äffiiflc]i,ilcr->UuQ,  S.  M. 

*)  F  attain  L,  f«p.  /■'.  tmrrimtii  L. 

•)  Vffici,  ].;  Obtr  rnlkttibns  und  PAthnuvdtt.  S.  tw,  »■. 


Piul  Dahms. 


Jedcnfells  ist  der  norwegische  Falke  an  seiner  »intarbigen  Ober- 
seite und  dem  stets  dunkeln  Scheitel,  der  niemals  weiß  oder 
auch  nur  hell  gestrichelt  ist,  leicht  ru  erkennen.  Beide  Falken 
wurden  nur  zur  Jagd  vom  sog.  höheren  Flug  verwendet.  Der 
Geier-,  Ger-,  Qeer-  oder  Geierfalke  hat  nacli  Qesner  seinen  Namen 
daher,  «daß  er  viel  mal  rund  umb  den  Raub  herumb  fleugt:*) 
was  klein  ist,  veschmehet  er  und  stoßet  allein  die  großen  Vö^ 
als  Kränch,  Schwanen  und  dergleichen";  nach  O.  Schrader  kommt 
die  Bezeichnung  vom  allnordischen    «geirfalki"    =  Speerfalke.*) 

Auch  der  weiße  Sperber,  dMi  Herzog  Albrecht  im  Jahre 
1 542  einer  englischen  Königin  (Katharina  Parr)  verehrt,")  ist  der 
isländische  Falke.  Es  gehl  das  einmal  daraus  hervor,  daß  der 
Sperber  als  gewöhnlicher  ßeizvogel  sonst  niemals  zum  Versand 
kommt,  und  femer  daraus,  daß  Falec  candicaas  auch  als  grofier 
Sperber,  wcißgespcrbcrter  Habicht  oder  Isländer  bezeichnet  wird.*} 

Im  Treßlerbuchc  wird  für  den  Qeerfalken  (gyeifalk,  gyr- 
falk,  gyerfalk,  girfatk.  gerfalk,  geiierz,  geeifalk)  stets  doppell 
soviel  gczahll,  wie  für  den  Wanderfalken,  in  einem  Falle  (S.  57, 
Z.  12)  sogar  das  Vierfache.  Nur  einmal  erhält  ein  Falkner  für 
einen  solchen  Vogel  nur  l^/,  m.  (S.  593,  Z.  13,  14),  während 
der  Preis  für  jeden  eingelieferten  Wanderfalken   1  m.  beträgt. 

Der  norwegische  Jagdfalke  verfliegt  sich  gelegentlich,  der 
nordische  dagegen  nur  selten  nach  Deutsehland. 

Wie  schon  erwähnt  wurde,  legte  man  auf  eine  schöne 
Flrbung  des  Federkteides  bei  den  Beirvögcln  sehr  groß«  Qc- 
widit:  deshalb  bittet  der  Pfalzgraf  vom  Rhein  Philipp  den  Hoch- 
meister im  Jahre  1442  auch,  die  Falken,  die  ihm  zugesandt 
worden  «möchten  getragen  werden,  auf  daß  sie  bei  gutem  Gefieder 
blieben  und  auch  sonst  hübsch  seyei".")  Nicht  nur  der  Wander- 
falke, welcher  auch  als  gefleckter  Falke  oder  edler  Habicht  be- 
zeichnet wurde,  sondern  auch  andere  Jagdvögel  haben  nun  auf 
ihren   Federn   Flecken   und  Schaftstreifen.     Waren   diese   durch 


I)  gym  (kU)  Krdi,  WiraduiiK- 

^  Rnllatlkon  drr  >Mili>errTnBniirhcn  AltniumtkutMlt.  Qi-uBdiQst  dncr  Kultur- 
md  VÄlherjMdiiehte  Altnimpn».    Straßbnrg.  Katl  J.  Trübn«!.  tMi,  S.  Jiü, 

■>  VdlsI  >  J- :  HcnciE  Alümlili  vun  PiniDcn  rrcundKlutlllttic  Vnblndunii  etc., 
S.  IT.  —  Valia,  \-,  Übte  rtlkniUiie  etc..  S.  2». 

*t  D&bd,  I,  Tt,  cap    1)9, 

•>  Voigl:  Oetdiidilt  Muienborgt  etc.,  S-  SOI. 


Die  Beizjagd  in  Altpreußen. 


17 


die  Mauserung  lichi  so  gebildet  oder  gefirbt,  wie  man  es 
wünschte,  so  sucbte  man  durch  die  Kunst  der  Natur  nachzu- 
helfen. So  wirct  im  Treßlerbuche  wiederholt  »färbe  zu  den 
falken»  (S.  i07,  Z.  &,  9),  »falkenvarbe»  (S.  487,  Z.  20)  und 
pfalkenfarbe"  (S.  509,  Z.  3)  notiert.  Eine  solche  Verschönerung 
von  Tieren  scheint  im  Laufe  der  Zeiten  wiederholt  vorgenommen 
worden  zu  sein;  noch  im  Jahre  1829  wurden  Tauben  zu  Läse 
in  Schlesien  «gemalt".*) 

Man  könnte  nun  noch  die  Frage  aufwerfen,  ob  man  der- 
artige Kunstgriffe  nicht  bemerkte  oder  die  Malerei  nicht  unschön 
fand.  Dem  ist  entg^en zuhalten,  daß  die  Augen  der  Menschen 
zu  gewissen  Zeiten  für  manche  Dinge  vollkommen  unempfindlich 
zu  sein  scheinen.  Einen  Beweis  dafür  bietet  uns  folgende  Be- 
gebenheit In  der  Mitte  der  fünfziger  Jahre  des  1 9.  Jahrhunderts 
fand  man  es  besonders  schön,  wenn  die  Zigarren  gelbe  Flecken, 
sog.  «Wurmstich«  besaßen.  Da  man  der  lebhaften  Nachfrage 
aus  Mangel  an  geeignetem  Material  nicht  entsprechen  konnte, 
griff  man  zu  einem  einfachen  Mittel  (in  Danzig  im  Jahre  1854). 
Die  Tabaksblätter  wurden  vor  ihrer  Verarbeitung  auf  Tischen 
ausgebreitet  und  mit  dünner  Ockerfarbe  besprengt.  Erst  später, 
als  diese  Flecken  hier  und  dorf  während  des  Rauchens  durch 
den  Speichel  aufgeweicht  und  verwischt  wurden,  wendete  man 
sich  geeigneten  Chemikalien  zu,  um  weiteren  Unannehmlichkeiten 
auszuweichen. 

Die  Entzifferung  der  späterhin  aufgeführten  Beizvögel namen 
stößt  -  ähnlich  wie  wir  es  bei  der  Beieichnung  MÄusehabicht 
und  Blaufuß  sahen  -  auf  die  verschiedenartigsten  Schwierig- 
keiten. Die  eine  davon  besteht  darin,  daß  die  Habichte  und 
Falken  je  nach  der  Art  des  Fangens  und  der  Fangzeit  mit  ver- 
schiedenen Namen  bezeichnet  werden  konnten.*)  Den  jungen 
Vogel,  den  man  dem  Horste  entnahm,  nannte  man  „Neslling", 
den  eben  dem  Horste  entstiegenen,  aber  noch  flugunfähigen 
..Astling"  und  den  bereits  flijggen,  aber  nocli  jungen  Vogel 
„Sortis"   oder    uRotvogcl".       Dieser    letzlere    Name    ist    darauf 


t)  I^lKvIU.  Jullui  von:    Dm  ronrvcstn  von  Wolprnilkn  in  lUlltl.,  soctiidill. 
und  »dniinfatfmtiv.  H)n»lchl.    Berlin,  bei  Aupiit  Rflchcr,  it9!,  S.  369  Aiim 
■)  Du  fcSKiwte  Jt£«r-H«ull,  S.  34-36. 


Aidilv  Hr  KultnigeKhlchtr.  II. 


Paul  Dahms. 


zurDckzufOhren,  daß  sowohl  der  Habicht  als  auch  der  Wander- 
und der  Würgfalke  ein  mehr  oder  minder  ausgesprochen  rost- 
rotes Jugendkleid  tragen;  ältere,  eingefangene  Vögel  erhielten  die 
Bezeichnung  uWildfang".  v.  Flemming  legte  femer  einer  jeden 
Falkenart  im  Jugendalter  5  verschiedene  Namen  nacheinander 
bei.  Jeder  von  diesen  sollte  gleichsam  eine  neue  Entwicklungs- 
stufe andeuten.  Der  letzte  Name  war  „Hogari^'  und  bezeich- 
nete einen  Vogel,  der  vermausert  hatte. 

Alle  diese  Bezeichnungen  wurden  neben  den  zoologischen 
verwendet,  solange  die  Beizjagd  bestand.  Doch  auch  die  zoo- 
logischen Benennungen  waren  in  jener  Zeit  äußerst  ungenau. 
Es  mag  hier  nur  an  die  Merkühe  und  Merochsen  des  Treßler- 
buches  erinnert  werden,  die  sich  schließlich  als  die  verschiedenen 
Geschlechter  des  Elches  entpuppten !  ^) 

Vielfach  werden  schließlich  Bezeichnungen  der  verschie- 
denen Raubvogetgattungen  durch  die  landesübliche  Benennung 
durcheinander  geworfen;  so  führt  der  Turmfalke  iFaico  iinnutt- 
cuias  L)  auch  unter  anderen  die  folgenden  Benennungen:  Rot- 
falke (Rölelhuhn),  Lerchen sperber,  Lerchenäiabichl,  Rfittelgeier 
und  Wiegweich.  Eine  solche  Vielseitigkeit  der  Bezeichnung  wird 
noch  erhöht,  wenn  die  Namen  für  Männchen  und  Weibchen 
verschieden  sind,   wie  z.  B.  beim  Komweich   (Faico  cyaneus  LJ. 

Die  jung  dem  Nesle  entnommenen  Falken  konnten  auf 
den  Kranich  abgerichtet  werden.  Die,  welche  sonst  irgendwie 
gefangen  wurden,  galten  für  nicht  beherzt  genug  dazu.  Doch 
auch  die  roten  Falken  -  jedenfalls  die  jungen  Wanderfalken  - 
scheinen  besonders  hoch  geschätzt  worden  zu  sein.  So  heißt  es 
in  der  Insiruktion,  die  Kaiser  Maximilian  an  seinen  Sohn,  den 
Erzherzog  Ferdinand  richtete^  und  die  jetzt  in  der  k.  k.  Hof- 
bibliothek aufbewahrt  wird:*)  i^Die  Kleynen  Kupfer  färben  Edlen 
Valkhenn  /  sind  gut  zun  den  Räygem  mit  den  weyten  fuessen  / 
vnd  sein  gewondlich  Pesser  /  denn // die  grossen,  darumb  soll 
deynem   Kaufman   befelhen,    das   er   auf   den    Legem    nur   die 


')  Treichtl,  A,;   Der  Tingtilcn  in  Sluhm  BKh  dmi  D,  O.  TrtOI«liuch(-   Zcitwhr. 
do  Hlstor.  Vcr.  IDr  den  Rcsbu.  .V4*hmvcT(lcr,  Itcll  }s,   Mit,  S.  «1— IT  und  Ndirlng, 

5.  Wl.  3M. 

•]  v>  DQmbrcmkl,  S.  13«,  nt. 


c 


Die  Beizjagd  in  AltpmiBen.  1 9 

Kleynen  Kupfer  färb  Valkhen  kauff . . .  Aber  die  Preussischen 
seindt  die  Pesten  zun  Raigemn."  Auch  Philipp  der  Großmütige 
von  Hessen,  welcher  der  Beizjagd  sehr  ergeben  war,  liebte  die 
rötlichen  Jagdfalken  sehr  und  bat  den  Herzog  Albrecht  häufig 
um  solche.^)  Nur  einmal  hören  wir  eine  Klage  über  die  « Rot- 
vögel", daß  sie  nämlich  »fast  alle  unbleibüch  seien  und  ver- 
recken", sobald  man  sie  nach  Böhmen  bringe.  Jedenfalls  gingen 
die  noch  etwas  weichlichen  und  zarten  Tiere  hier  infolge  der 
veränderten  klimatischen  Verhältnisse  oder  einer  mangelhaften 
Abwartung  ein.  Ebenso  wie  der  Rotvogel  oder  der  rote  Falke 
wird  auch  der  Hagardfalke  erst  im  16.  Jahrhunderte  erwähnt; 
audi  er  scheint  beliebt  gewesen  zu  sein.  Der  römische  König 
Ferdinand  erbat  sich  einmal  vom  Herzog  Albrecht  drei  bis  vier 
solcher  Falken;  dieser  konnte  den  geäußerten  Wunsch  jedoch 
nicht  ganz  erfüllen,  er  schickte  nur  einen  und  entschuldigte  sich 
damit,  daß  nicht  mehr  zu  haben  gewesen  seien.") 

Im  Treßlerbuche,  welches  noch  zu  B^nn  der  preußischen 
Falkenzucht  geschrieben  wurde,  sind  alle  diese  Bezeichnungen 
noch  nicht  zu  flnden.  Die  noch  nicht  vollkommen  ausgefärbten 
Beizvögel  werden  in  einem  Falle  einfach  als  «junge  Falken"  be- 
zeichnet (S.  166,  Z.  2-5),  während  von  der  Mitte  des  1 5.  Jahr- 
hunderts an  bei  den  Falkensendungen  Geierfalken,  Geierterzel 
und  Mäuserhabichte  als  solche  häufiger  angeführt  werden. 

(Schluß  folgt) 


■>  Volst,  J.:  Farstenld)cii  and  FBntentltte  etc.,  5.  ts*,  »5. 
')  Volit,  j. :  Ober  F>]keiifui£  e(c,  5.  25S,  259. 


Kinderbriefe 

einer  pommerschen  Prinzessin  des  16.  Jahrhunderts. 

Mitgeteilt  von  OTTO  HEINEMANN. 


Aus  der  Ehe  des  Herzogs  Ernst  Ludwig  von  Pommern- 
Wolgast  (t  1592)  mit  Sophie  Hedwig  von  Braunschweig- Wolfen- 
bütlel  (t  1631)  war  als  ältestes  Kind  die  am  19.  Mlrz  1579 
geborene  Prirze&sir  Hedwig  Maria  entsprossen.  Bereits  1582 
kam  die  kleine  Prinzessin  an  den  Hof  ihres  Großvaters,  Herzogs 
Julius  von  Braunschweig,  nach  Wolfenbütlel,  wo  sie  über  den 
Tod  ihres  Vaters  hinaus  blieb.  Erst  1598  kehrte  sie  nach 
Pommern  zurück.')  Einige  Jahre  später  wurde  sie  mit  dem 
Herzoge  Johann  Adolf  von  Schleswig- Ho  Istein  (f  1624)  verlobt, 
starb  aber  als  Braut  bereits  am  16.  April  t606. 

Aus  der  Zeit  ihres  Aufenthalts  in  Wolfcnbüttel  sind  zwei 
französische  Briefe  der  Prinzessin  an  ihren  Vater  erhalten.»)  Am 
19.  und  31.  Dezember  1586  gesdirieben,  stammen  sie  aus  dem 
8.  Lebensjahre  der  Prinzessin. 

Es  entsteht  die  Frage,  ob  die  kleine  Prinzessin  die  Briefe 
selbst  geschrieben  und  verfaßt  hat  Jenes  ist  nach  dem  Schrift- 
befund unzweifelhaft  zu  verneinen.  Die  Briefe  zeigen  die  voll- 
ständig ausgeschriebene  Handschrift  eines  Erwachsenen,  keines- 
wegs die  eines  siebenjährigen  Kindes.  Die  in  den  Briefen 
ausgesprochenen  Gedanken  sind  freilich  durchaus  kindlich;  sie  be- 
dankt sich  für  einen  Brief  ihres  Vaters,  freut  sich,  gute  Nach- 

■)  V.  Belu-Nqctndinck  nnd  v,  Bohlen.  DI«  PenoiulUii  nnd  LcUhai-Prazeulonen 
der  tttiu}ge  «on  Poiiiinrni  (laM).  S.  zu. 

t  KkI.  SlulMTchlv  ni  SictUn;  Wolf.  Atäi.  Tit.  «3  Na.  la. 


lOnderbriefe  dner  pommeiscben  Prinzessin  des  1  b.  Jahrhunderts.    21 


richten  aus  dem  elterlichen  Hause  zu  hören,  berichtet  über  das 
Wohlbefinden  der  Großeltern,  denen  sie  die  väterlichen  Grüße 
bestellt  hat,  und  die  sie  erwidern,  sie  gelobt  ihrem  Vater  steten 
Gehorsam,  vergißt  nie,  ihre  Otem  in  ihr  Gebet  einzuschließen 
und  empfiehlt  sie  dem  göttlichen  Schutze.  Auch  in  dem  zweiten 
Briefe  meldet  sie  das  Wohlergehen  der  Großeltern  und  gratuliert 
dann  den  Eltern  zum  Neuen  Jahre.  Trotzdem  dürfen  wir  jedoch 
Hedwig  Maria  auch  nicht  als  Verfasserin  der  Briefe  betrachten. 
Wer  aber  war  Verfasser  und  Schreiber  der  Briefe?  Eine  Auf- 
klärung geben  uns  die  Briefe  selbst. 

Beide  Briefe  weisen  eine  nicht  unerhebliche  Anzahl  von 
Korrekhiren  auf,  als  deren  Urheber  sich  der  gelehrte  Pariser 
Claudius  Puteanus '}  ergibt.  Offenbar  hat  er  nach  Eingang  der 
Briefe  auf  Veranlassung  des  Herzogs  diese  durchgesehen  und 
die  sprachlichen  Fehler  verbessert.  Sein  Urteil  Ober  das  Fran- 
zösisdi  enthält  ein  beiliegender  eigenhändiger  Zettel.  Man  müsse 
es,  meint  er,  dem  Italiener  zugute  haltenj  wenn  er  etu-as  ver- 
sehen habe,  jedenfalls  befleißige  er  sich  sehr  der  Erlernung  der 
französischen  Sprache.  Dieser  Italiener,  vermutlich  der  fran- 
zösische Sprachlehrer  der  kleiner  f-'rinzessin,  dessen  Namen  wir 
leider  nicht  erfahren,  ist  demnach  der  Verfasser  und  jedenfalls 
auch  der  Schreiber  der  Briefe. 

Beschränkt  sich  somit  der  Anteil  Hedwig  Marias  wohl  darauf, 
daß  sie  ihrem  Lehrer  die  Gedanken  angab,  so  sind  die  Briefe  doch 
nicht  ganz  ohne  Interesse  und  der  Veröffentlichung  nicht  unwert 

Zur  Ergänzung  ist  die  Antwort  Herzog  Ernst  Ludwigs  bei- 


>)  Oh«T  CliudlUE  Putexiias  (vnhl  Cliudr  Diiimy)  tll^lra  die  Macbrldim  tehr 
ipirlltli.  Narh  Nikoliui  l^mtingn,  Opm  omnli  (td.  Kustrnis  1729)  S,  191.  der  ihn 
ClvidluiGallus  ncnnl.  dicnic  t-s  dm  HTnogfti  Ems!  Ludvlg  und  Bamini  XII.  uil  ihm  Rdte 
fji  Fnnkrcich  mls  Inf^dii-aror  und  ItAtgcbcr  und  mirdp  spätri  von  Jenem  an  den  Wfj1|{isler 

H«l  enattn.  Hier  lernte  ihn  15«!  Hmag  Philipp  II.  Icenncti,  vnn  dem  «n  Brirl  uii 
■San  jibie  IMH  an  ihn  nliultm  lil.  Vg,\.  Oclhclis.  HliC.-dipl.  BfytriK«  1<I>  Ocschifhtc  det 
OcUtithdl  In  Pommern  (ire7>  S.  7i .  BiiUiold.  Onchkhtc  lon  Puniincm  und  Mgi^  IV.  Z, 
S.  39f,  Anm.  I.  nennt  Ihu  Cn»l  Ludwics  Haftbbj.  Da«  Kei,  SUilurchlv  |MKr.  111.  ii) 
i«r**lift  »on  ihm  d«  Autogiiph  ein*»  Oedichti  auf  die  Geburt  de»  Htrjogt  Philipp  JuÜu* 
(Srb- n.  Dn.  1584):  De  (orl>da«jnio  natalf  die  illuitriisiiiii  prindpit  ic  ttoiaini  Philippl 
Inlll,  Sletinnifliiin.  PommnoTum  ri  Vartdalorum  dudi,  KuittJtnoniiD  princlpis,  t.iji-oiiiiii 
(OnitU  CK.,  domini  nil  dmcmiuiml,  Ittin  ttca  per  Clmdium  Pulnnum,  Pirliliiuni  (i.1  llUtl). 
Htxtt  Knut  LndviBn  Tode  vtiöffenilichte  ci  D«  vlU  tt  pbihi  illutttiaiml  principis  ic  dö- 
wlxl.  d.  Enmtt  Liidovlti  ImililiUiiinaf  nirmoriar,  Stclinftrjitn,  Vammnonim,  Canubiorum 
ft  Vandiloran  dudi,  Rui^ae  prlTidpli,  Qiurcvhc  conillii  etc..  tihri  tm.. .  prr  Cliudlunt 
Putonuni,  Pixitieiuein.    OiyptiltcitdUe,  Zx  lypvgr.  Aug.  fcrtwrl  MDXCII. 


Otto  tieinemann. 


gefügt,    die    kidcr    nur   in    einer    an    mehreren    Stellen   etwas 
verderbten  Abschrift  erhalten  ist 

l. 
15S6  Dezember  19  WolfenbQttel. 
Hedwig  Maria  an  Herzog  Ernst  Ludwig. 
Monsieur/) 
Mon  tres  affectioni  seigneur  et  redoutf  pere.  La  lettre 
escrite  par*)  main  de  Votre  Excellence')  et  dat^e  le  XV  de  no- 
venibre  demier  passf  me  fut*)  delivrfe  le  XXVI  dudict  moys, 
laquelle  m'a  extremement")  resjouy  le  coeur,  pour")  avoir  entendu 
nouvelles  de  Votre  bonne  sant6  et  jointement')  de  madame  ma 
cordiale*)  mere  comme  aussi  de  mes  dames  les  princesses  mes  deux 
sccurs")  avec  mon  doiix  frere  le  jeiine  prince."*)  Nous  louons 
Die»  de  ce  que  par  dei;a  monsieiir  mon  grand  pere ")  auec 
madame  ma  grand  mere,'^)  noz  parens  icy,  ensemble  toute  la 
maison  de  Brunsweig  se  trouvent  en  assez  bonne  disposition. 
Je  les*')  ay  present^  en  V(otre)  nom  Voz  affectueuses  salutations. 
qui  Vous  resaluenl  pareillemenl  lous  ensemble.  Quant  a  moy 
suivant  Votre  conim andement  et  paternelk  r^monstrance  je  Vous 
obeiray  tousjours,  Dieu  aidanl,  et  feray,  ce  qui  soil")  digne 
estre")  faitd''")  une  vertueuse  princesse,  et  auray  sans  cesse  la 
crainte  de  Dieu  cl  l'honneiir  a  rendroid  de  noz  parens  en  sin- 
guliere  recommandation,  san3  Vous  oublier,  Monsieur^)  mon  pere 
avec  madame  ma  mcrc  trcs  amiablc  en  mes  ordinair»  prieres, 
me  recommandant  surlout  et  sans  fin  ")  a  la  bonne  grace  de  Voz 

■)  Mensignevf.    Pulcuiuv, 

I)  Hinter  pu  eingefügt  U.     P. 

*)  m'»  esi*.    r. 

*)  mcrvrillaiionimt    ?. 

■Jd'.     P. 

r)  p«rHlItni«nt      P. 

>)  HrdwiH  Miria  hiw  nur  ein«  3c1i««<ter.  die  iiw  Etborme  CliMbr^  Magdilaic. 
ipittr  IlrrtD^in  von  Kurtuid. 

i"l  Philipp  Jiiliui  (geb.  >«<). 

II)  Moniilipinir  mon  pcrc  gnnä.     P. 
")  mtn  icrand.    P, 

")  leur».    P. 

><1  «t    P. 

!■)  Vor  dir«  nnrh  d*.    P. 

■0  ilii.  OriB. 


Kinderbriefe  dner  poinmerachen  Prinzessin  des  16,  Jahrhunderts.    2S 


illustres*)  personnes,  qui  sera  maintenant  l'endroict,  par  ou*) 
je  prie  l'elernel  seigneur*)  de  tenir  Voz  Excellences  tous*)  en  sa 
divine  protectior.")     De  Wolffenbulel,   le   19  de   decembre  86. 

Ma  vie  durant  de  Votre  Excellence  la  tres  obeissante  fille') 
Hedewig  Marie,')  p(rincesse)  de  Stetin,  Potn(mem),  Cassuben, 
Wenden,  Ruigen. 

Adresse:  A  tres  illustre,  genereux  et  magnanime  prince,  mon- 
seigneur  Ernst  Loys,  duc  de  Stetin,  Pommern,  Cassuben,  Wenden, 
Ruigen,  Conte  de  Outzkau,  nion  redout^  sigiieur  et  pere  tres 
amtable  ä  Wolgast. 

Ein  beiliegender  Zettel  von,  Puteanus'  Hand  lautet; 

Illustrissime  d(oinine)  princeps,  Aequi  boni  consulcndum 
est,  si  quid  crratutn  a  viro  Italo.  Apparet  autem  eum  Gallicac 
linguae  valde  studiosum.  Non  pauci  eam  profitentur  tllo  multo 
inferiores.  Nani  hie  sunt  multae  elegantes  dicitones  et  phrases. 
Redissime  valcal  V(estra)    Altitudo  cum  universa  familia. 

Ciusdem  libenüssimus  famulus 
Claudius  Puteanus. 

n. 

15S6   Dezember  3t   WolfcnbüHel. 
Hedwig  Maria  an  Hemog  Ernst  Ludwig. 
Monsieur. 

Mon  redoute  seigneur  et  pere  amiabic.  Nous  espcrons 
toul  hier  a  l'endroict  de  Vostre  Excellence  et  jointemcnt')  de 
nudame  mabicn  aymee  mere  avec  toule  la  maison  de  Pommcren.') 
Kous  louons  Dieu,  que  monsicur  mon  grand  pere  avec  madame 
ma  grand  mere,  noz  parens  avec  tous  ceux  de  la  maison  de  Brun- 
sweig  sommcs  encores  ")  en  bonnc  santf.    Or  voyant,  quc  par  la 


I)  bet  hiultci.     p. 

't  tuqtiet  tidtt  pu  oit.    P. 

>i  ir  iipint  OI«i.    P. 

*l  UulM  Vm  Hiutteuo.    P. 

^  bounr  Eiace  nn  tn  ta  bonnc  BUtIf  »UM  la  divin«  prolrctlon.     P. 

1  Oifüi  tV  V(i>lrc)  SiaitItR«  ■  )aii]Blt  U  Irr*  «bclsviiitr  fillc-     P. 

1  Hinier  M«ric  noch  nie.    P, 

q  MtM<.     P. 

•i  Ponicnine.    P. 

«^  DtiD  bcintrkl  P.  un  Rande :  )!  «uct  provecU  1111(11,  tcnaidiLDi. 


Otto  Heinemann. 


grace  du  seigncur  Dieu  sommes  arriv^z  au  bout  de  Vannfle, 
nous  avons  maticre  de  louer  sans  cesse  rEternei  et  luy')  prier 
de  cceur  nous  vouloir  pour  l'avenir  conduirc  en  an  a'ainte,  qui 
sera  ni«unlcrtant  l'cndroit,  par  ou  nous  supplions')  le  souverain 
Dicu  d'oGtroier  Vor")  illustres  personnes  a  la  bonne  grace  hiim- 
blement  ef  tres  affectueusement.  Je  prie  estre  recommandee 
toua  ensenible  nouvelle  ann&  salutaire,  *)  felicil6')  et  longue 
vie,  voire  telles  conime  poumons  pour  nous  niesmes  souhaiter.') 
De  Wolfenbutet,  le  dernier  de  decembre  1S86. 

De  Vostre  Excellence  ma  vie  durant  la  tres  obeissante  fille^ 
Hedewich  Maria,')  Princesse  de  Stettin,  Pommern. 

Adresse:  A  Ires  illustre j  genereux  et  maganirne")  prince 
Ernst  Loys,'")  duc  de  Stelin,  Pommeren,")  Cassuben,  Wenden, 
Ruygcn,  conte  de  Qutzkau,  nion  redoute '*)  seigneiir  el  pere 
tres  amiable,  j  Wolgasl. 

m. 

1583  Januar  U  Wolgast. 

Herzog  Ernst  Ludwig  an  Hedwig  Maria. 

Ma  tres  chere  fille  Hedwig  Maria.  J'ay  recu  nouvellemant 
de  Vous  deus  paires  de  letlres,  l'une  dat^e  du  19  de  decembre, 
l'autre  du  dernier  dudit  mois,  par  lesquelles  i'ay  esle  averli  *') 
de  la  bonne  sanl6  de  monsigneur,  mon  tres  honor^  signeur, 
Vostre  pere  grand,  madame,  ma  Ires  honorie  dame,  Vostre  mere 
grand,  et  de  ceus  de  par  dela,  ce  qui  m'a  esl^  fort  agreable. 
j'ay  parellement  cntendu   par   lesditez   lettrcs,   que  Vouz   ine  '*) 


")  I».  p. 

q  I«  «upiille.    P. 
q  Vor  vot  dnscffiEl  k.    P. 
*)  Mlnnr.    P. 
t)  hatnatt.    P. 

^  \t  sivuliaite  1  noi  nrntnt.    F. 

•)  0«fQr  La  Im  obdiuntc  flllc  de  V(f>ttre)  HBultnse,  d  Dt  a  |ama!t.    P. 
«1  Ilinlcr  Marie  noch  ait.     P. 
■)  Dafür  tsrt  haull,  Im  noble  d  tm  virtorui.     P- 
")  Emtil  Loufi.    P. 
II)  Pomnirninlr,    P. 
«l  tum  hoimrt.     P. 

•)  Die  Abtchrirt  hat  tiltr  ucrItnE,  da«  olTaitMr  IDr  «vcrti  oder  dn  ^monymam  da- 
von vtrjdiritbeii  itt, 

H)  ma.    Abadir. 


Kinderbriefe  dner  potnmerschai  Prinzessin  des  16.  Jahrhunderts.    25 

prometez  d'obeir  soigneusement  aus  commandemens  de  nostre 
seigneur  Dieu  et  a  tous  ceus,  qui  ont  Charge  de  Vous,  aussi 
d'emploier  le  iems,  pour>)  bien  apprendre  et  d'estre  bonne  fiUe 
et  sage,  ce  qui  ne  m'a  pas  petttement  resjoui,  pourveu  toutes- 
fois  que  ce,  que  me  mandez  par  escrit,  le  meliez  en  effect  et 
l'accompltssiez,  comme  j'en  ay  bonne  esperance  vous  enjoignani, 
qu'ayez  a  Vouz  porter  humblement*)  et  sagement  envere  touz 
ceuz,  qui  ont  Charge  de  Vouz  et  de  Vouz  sativeniere  du  devoir, 
auquel  estez  tenue.  En  quoy  fesant  Vous  pourrez  attendre  cer- 
tajnement  de  moy  tout  ce  que  fille  honneste  et  sage  doit  loyaul- 
ment  attendre  de  pere  envers  eile  bien  affectionnfe.  Dont  nostre 
signeur  Vouz  en  veuille  faire  la  grace  et  Vouz  tenir  tousjours 
en  sa  bonne  garde  avec  touz  ceuz  de  par  dela.  De  Wolgast,  le 
14  de  janvier  1S87.  y^^^^  ^^  ^,^1^  p^^e. 

Adresse:  A  ma  tres  chere  fille,  dame  Hedewig  Marie,   nie 
princesse  de  Stettin,  Pommeranie  etc.  k  Wulffenbutel. 


I)  pronr.    Abschr. 

^  tnunUeoKnl.    Abschr. 


Des  italienischen  Priesters  und  Theologen 
Vincenzo  Laurefici  Reise 

durch  Deutschland, 
die  Niederlande  und  England  (1613). 

Von  ihm  selbst  beschrieben. 
Mitgeteilt  von  WALTER  FRIEDENSBURG. 


VminKllichlci 

Vcnuch,   Eng- 

tuiil  zu  er- 

rrfclwn. 


den  Deichm. 


I[. 

Qui  propriamente  mi  comindA  a  pimcare  1a  fanlastadi  passare  In 
1ng:hilterni ;  onde  io  diedi  un'  occhiaU  alla  borsä,  nella  qua!e  sin  dal  priii- 
dpio  deli  mio  viaggio  havrva  accommoiJato  doj  borsdlini  e  spartito  in 
<£Si  ugualmentc  i  danari,  con  proposito  che  mentre  durava  un  burselh'no, 
lo  caminarci  inanzl,  ma  nianuitdo  subito  m'apparEcchiarei  a1  ritomo. 
hör  vodendo  che  ancora  avanzava  tanlo  ch'  io  poleva  arrivarc  alla  Gran 
Bertagna,  cominciai  a  Icncr  praltka  coi  marinari,  de'  quaü  uno  piü  ardilo 
subito  fece  vela;  nta  a  pcna  eraino  siargati  dul  porto,  die  d  bisognö 
ritomare  per  il  mal  tera[Jo,  all'  hora  io  lasciandn  ta  provisione  che  havevo 
Fatta  ne]  vascello,  saltai  fiiora  e  nonvolsi  piü  jtnpacdarmi  con  qud  noc- 
chiero,')  nt  far  piü  quella  navigatione.  onde  il  giomo  segnente  ni'  imbarcat 
per  Fiandra.  et  essendo  quasi  iina  lega  e  meza  lontano  della  Feiusa,°) 
maneö  il  fliisso,  corac  intervicne  in  qud  canatl;  onde  bisognava  aspeltarc 
sino  all'  altro  (luiiso;  ma  1'  allri  passaggieri  ch'  erano  in  barca,  non  volendo 
ivi  pemoltare,  st  risolsero  di  smontare  et  andarscnc  a  piede  per  il  dieco 
sino  alla  dtlit.  avaiizanrio  ancora  del  giorno  qiia»i  dtie  höre,  io  da  uns 
parle  volevo  scjruire  la  compasnia,  ma  (ctncvo  ta  lun£hez22i  della  strada 
ei  il  peso  della  mia  valiggJa  ancorch^  picdola;  raa  dall' altra  parle  non 
mi  pioceva  rcstar  solo  nel  vofccllo  con  qttei  marinari  Zelandesi,  che 
havevan  dem  dl  mezzi  ladroni.    et  perö  detilierai  d'andar  insietne  con 


■>  Schirrtfuhxr.  KaplUn 

t>  Olloibar  Ui  Sluy*  (fnnt&Utch  ßelute]  gmdiM. 


t)e$ iUüienischen  Printers  u.  Tlieologcn  Vinceiuo  Uurefici  Reise.    27 


-gli  altri  3  picdl,  tanto  piii  che  c'cran  dclk  donne,  qiiali  presuponcva 
che  non  »rebbon  piü  volenti  di  me  itel  caminare.  facendod  dunque 
butUre  sul  dieco.  le  buonnc  donne  perch^  c'  era  mollo  fango,  si  scalzaronn 
e  dopo  loro  gü  huomini  fecero  il  simite.  io  che  havevo  li  slivali,  credevo 
d'csser  mcglio  all'ordine  per  marciare  nella  via  fangosa.  ma  aggravalo 
dalU  valtgia,  et  potrei  dirc  ancora  dalla  spada,  nii  v^go  a  poco  a  paco 
la&cialo  indietro  da  luttt,  che  a  piü  potere  s' avanzavaiio  pn-  arrivare 
prima  che  si  serrasse  la  porta.  all'  impedtmento  de]  camiro  sopragitmse 
la  pioceia  col  vento,  e  qucl  cti'era  peggio,  ro&cuiilä  deiraria,  che  non 
mi  lucikva  vederc  quella  genie,  che  cosi  allontanata  in  ogni  modo  sin' 
hora  rai  serviva  di  guida.  dovc  il  dieco  si  divideva  in  püi  rami.  e  percht 
rn'cni  stato  detto  che  in  quei  liioghi  moHi  forastieri  erano  stati  aniazzati 
da  vlllani  qtiando  eran  cotti  soIi.  oltre  la  stracchezza  del  corpo,  che  era 
ersndisima  per  il  novo  pcsodel  ferrainolo,')  dte  s'cra  inzuppatod'acqtia, 
nie  sopravenne  im  grande  affanno  d'animo,  e  dove  vedewo  qualche  casetta 
de  villani,  mi  parrva  che  uscissero  fuora  ad  assalinni,  perchi  all'  appanmza 
m'havcrian  ben  cono<^uto  che  non  cro  del  pacsc,  et  alla  favel!a,'j  non 
iniendcndo  quei  dci  eontado  sc  non  fiamingo,  tanto  pii'i  facilmente 
tn' hahan  scoperlo.  non  läsciavo  intanto  d'andar  sempre  a  visla  dclla 
Pelma.  ma  la  fortuna,  invidiosa  di  qiicstn  sol  rcfiigio  che  m'era  restato. 
eon  la  nebhia  piü  folta  che  primn  nie  la  invcAb  affatto,  si  che  io  caminavo 
a  caso  seguendo  1'  orme ')  dove  <vi  polean  vedere.  alla  fine,  doppo  dtie 
groSK  bore  dt  fatica  et  sudore,  mi  trovai  improvisBmente  sul  canale  di 
rimpetlo  al  ostello  della  ä(tä.  ma  non  harei  potuto  passare,  se  la  guardia 
vedendoini  ivi  a  quell' hora,  non  liavesse  per  sua  cortesia  mandato  un 
baltetliero,  col  quäle  trsghettando  trovai  un  di  quei  capitani  ciic  leneva 
k  diiavi  in  mano  per  seirar  la  porta.  e  mi  dissc  che  essendogli  slato 
hferto  che  io  ero  di  ü  dall'acqiia,  m'haveva  aspeltato  un  biion  pezzo; 
ondc  io  gli  rrsi  moUc  gratie,  et  egli  mi  fece  cortcsementc  acconipagnare 
sino  all'  hostaifa. 

La  mattina  diedi  una  visU  alla  dttä,  la  quäle  era  gü  forlissima 
in  nuiM  de'SpagntLoli,  ma  hora  in  potcrc  di  qudla  gente  6  dt  gran  tunga 
piil  forte  e  piii  munita.  Tislesso  giorno  (iii  a  Bnige,  titlä  genlilissinia, 
e  qui  delibcrai  di  novo  di  non  abbandonarc  1'  impre»  d'  Inghiltcrra.  et 
pcrö  andai  a  Nimporto,  e  di  lä  a  Doncherde,")  dove  trovato  un  navile 
ingolfammo  a  dirJUura  de  Tamigi,  non  ixna  qualche  insolenza  di  quH 
mare.  nel  qiiale,  ottra  la  furia  de  veiiti,  si  coirca  pericolo  di  uirtare  in 
qudlc  sirli,  che  son  certc  strisdc  d'arcna,  chiamale  in  quei  paesi  coin- 
munemente  banchi.     penetrando  poi   per  molte   miglia  deiilro  il  fiume, 

ranontammo  a  Oravisenda  per  rislorarci.  et  di  lä  con  picciole  baichdtc. 

-che  son  sirailissime  alte  gondole  di  Ven^itia,  ce  ne  andammo  in  sei  höre 

■}  knaiaoli)  Ul  ein  policT.  die  guuc  (Vnnii  dnliQUcndcr  Minwl. 
1  Idiom,  Spradic. 
(}  Futttpurt«. 
Nmport  und  IXiililKht'n. 


Rintdiiftung 
tuch  England. 
Die  Themic. 


Ouvuend- 


i 


Walter  Friedensburg. 


London. 


Kirebcti. 


Kfinis  Joliob  I. 
□iubeth 
Ünbm*] 


K6nls  Jakob  I. 


Auiifm. 


a  Lotidra.  gratissima,  fu  qimta  navigaliotie  per  loprospctlo  dellc  coHine, 
Irequentia  de' navilä,  e  lascivia  de  cigni  che  s*  accostavan  alla  bara;  im 
la  pn'i  bella  veduta,  ch'era  <le!  ponte  et  della  ciicä,  ci  la  tolse  la  notle, 
benchc  poi  in  quei  giorni  ch'  io  dimoni  a  Londra,  tomai  piü  volte  a 
godcrla,  poiche  non  si  puA  a!  miO'  parere  desiderare  in  qLel  paese  oota 
piü  Vagi  a.  ri^ardare,  quanta  la  positura  di  quella  citiä  sul  fiume, 
stenilendosi  piü  di  cinque  migüa  su  la  ripa  comprcsi  i  boighi;  et  U 
fiuine  da  si  solo  m  reiide  j^tisdmo  oggetio  n  gl'occht,  parendo  hör 
fiume  mentre  corre,  hör  lago  menlre  sta  quasi  femo,  et  semprc  porto 
per  il  actiro  ricovro  c  stanza  delle  navi,  non  mi  sodisfcce  la  cittä  di 
dentrn  per  la  sordidezza  et  oscuriti  delle  «trade,  che  quasi  tiitte,  levatene 
alcune  principali,  sono  streite  e  con  continuatt  sporti,')  da  qiiali  restan 
quasi  coperte.  siconie  ancora  il  ponte  e  di  sopnt  (encbroso  per  le  ast 
che  r  ingombran  da  tittte  le  bände,  essendo  di  Tuora  benissimo  fabricato. 
e  porgendo  diletto  a'riguürd^titi,  mentre  riceve  tra'suol  archi,  che  sono 
deciölto  o  venti,  hora  im  conso  dcl  fiume,  e  fra  poche  höre  \m  allro 
corso  contrario,  tra  Ic  chicsc,  de  quaü  vc  n'c  cina  grandissicna  molti- 
tudine,  quell«  di  san  Pictro  et  san  Paolo  sono  ammirabili  per  la 
luro  grandezza  et  artlFJcio  congionto  con  la  bontä  et  belleza  ddla  niateria. 
in  san  Pictro,  che  i  vicino  a)  palazzo  regio,  vi  t  ancor  rima^ta  nel  choro 
una  bella  risuretlionc  di  bronzo,  conic  nelle  foiili  e  portc  della  cittä  son 
pur  restate  alcutie  statue  de  sanli.  in  questa  medesima  ctiiesa  sono  le 
scpolture  del  re,  Ira  quali  qitclla  d'  Henrico  scttiino  e  asssi  supcrba.  ad 
emulatione  della  quäle  i  stata  fatta  dal  presentc  re'}  quclla  della  regina 
defonla*^)  con  la  sua  statua  di  marmo,  che  sta  a  giaccrc.  con  l'cpitafio 
che  conttene  te  site  lodi  e  l.i  sua  santitiL,  ancordie  mcntita.  a  ine  n« 
restarono  alcune  poche  parole  a  mente,  che  son  queste:  .religione  do- 
niestica  vindicala,  üallia  inteslinis  belli  praecipitJts  sublevala^  Bclgio 
siisleutato,  classe  Hispanica  profligata."  per  ciiriositä  di  vedere  il  re 
andai  ad  Hantoncurt ; ')  ma  poi  essendo  tornato  Io  reviddi  un'eltra  rolta 
a  Londra.  la  moltitudine  delle  genti  in  questa  dtli  veramente  e  gran- 
dissinia,  c  la  robba  di  mangiare  e  l'alfre  mercantie  son  corrispondcnti 
in  nbondantia.  quel  che  io  piü  stimai  ne1  genere  mangiatjvo,  furon 
rostrictte.  che  mi  panero  avanzar  in  delicalezza  ratiimelle  di  Campo 
di  Rore  et  i  ficatelli  di  porta  SelÜgnana.*)  1' Inglesi  l'anian  cradf,  ma 
io  l'appTOvavo  piii  cotte,  et  il  lor  preöto  i  eosä  ba&so,  che  per  havcmc 
un  ccnto  non  si  speade  un  mezo  reale;  et  non  i  meraviglia,  perch^  non 
vengono  a  somo  o  a  barcheile,   ma  a  vascelü  grossi,  d'onde  poi  son 

■)  Vorsprüns't  Eticr. 

*i  Jtkol)  t..  d«r  tritt  SHiatI  au)  dm  mcIlictiMi  Känlgilhran  I60t— 16!S. 

i)  En»*bcih  t  «WS, 

^  MampIoncDurl,  Ptlul  m  der  Tlieniw:,  von  Kardln«!  Walscy  crlMut,  Iieniach  an 
di«  Krön*  Kcnonimai, 

»)  »nlmdle  Irt  Kilhiirallch.,  ttciWIli  •=  (tjplini)  tidnr,  Irckcr  7iibcrrllclc  Ltbtm. 
Campo  äi  liori  vor  der (Jincrllirli  isl  riii  Plati,  «uf  drin  noch  i^Rrnw-iTilg  Markt  mtlfindH: 
die  i^urta  5eili][naiik  <odci  äcllimiuia}  am  ätidcn  der  LuiiBxn.  beim  EintiitI  in  üat  dient- 
lldie  Tn*tcv«rt> 


Des  italienischen  Priestas  u.  Theolcgen  Vincetuo  Lsurefid  Reise.    29 


dispensate  in  copia  per  ogni  antonc  della  cittä.  ma  qucsta  delilia  vjen 
guasta  e  corrotta  dall'iiso  Infame  del  tsbacco,  >|  poich^  quasi  sempre  in 
fin  della  tavota  vengono  le  fistole  et  iL  Fuoco  con  Ec  foclie  die  qudl'  erl>a, 
el  si  succhia  il  fiimo,  invitando  II  compagn»,  comc  si  fa  ne'brindis  col 
viaO.  non  fu  cosa  che  piu  mi  disgustasse,  et  cn  diffidlc  a  Euaniarmcne, 
percM  non  vi  t  hosteria  n^  usa  dove  non  regni  queto  ahiiso.  dal  quäle 
'  respirai  alqvaiito  in  alaini  pratisi,  a  qiiali  mi  favonmo  il  signor  don 
Dleso  Sarmleitlo,  ambasciator  di  Spi^na.  die  per  rispetio  dd  signor  don 
PaUtn^Bar  dl  Zuni^a  mi  fece  niolte  carezze.  et  il  aignor  Pictro  Fnscarini, 
smbasdator  Venelo,  che  similmenle  mi  vsb  giande  liumoniti,  ancoreh^ 
non  havcssi  Icttcrc  nb  per  l'uno  ne  per  l'altro. 

La  Iwfsa  di  questa  citti  ^  molto  ricca  e  bella,  el  ail'  hora  solita 
vi  i  gran  concorso  de  mcranti.  in  una  o  due  strade  delle  piü  spatiose 
si  (an  Li  mercati,  a  quali  si  wcggon  venire  le  contadine  non  In  barca 
come  In  Gianda,  ma  a  cavallo;  costume  che  st  os^erva  ancora  dalle 
gentildonne  quando  fan  via£E;io,  credo  per  far  vcdcrc  piii  da  loiitano  la 
]or  belleaa.  la  quäl  rispetto  all'altre  nationi  ^  singntarissima,  ma  a  loro 
i  oommune  non  solo  alte  nobili,  ma  ancora  alle  villane.  dcsiderai  ptinta 
di  pftrtire  di  parlare  al  Causobano,')  per  dirgli  libeiamente  che  non  s'  imbar- 
cassc  lanto  a  scrivere  contra  cattotrci,  ma  non  fu  possibitc  trovarlo,  an- 
corch^  Ire  volle  ftiüsi  a  cercarlo  a  casa  sita.  li  librari  mi  dissero  che 
havea  digiä  finito  il  primo  volume  deila  sua  histona  et  che  presto 
usdrebbe  fiiora. 

Esscndo  gi&  satio  di  stare  in  Inghilterra,  deliberai  d'andarmene  a 
piOBare  a  dies  per  non  mi  esporre  piü  a  qud  Intto  di  tnare  per  dove  cro 
venuto;  e  perö  lomando  a  Ornve&enda  feci  il  camino  per  terra  sino  a 
Rodtester,  che  giacc  su  un  fiiime,')  dove  stannu  li  navigli  di  gucrra  drl 
re.  e  di  lä  a  Canlorberi,  che  e  l'isteso  che  Cantuaria,  tii  grande  ni 
bdia,  ma  nuntcral«  tta  le  inigüori  dtli  d'  Inghilterra,  et  omata  d'iin 
nobil  tempio  tanto  pii^  Illustre,  quanio  che  fu  consccrato  dal  sangue  del 
glorioso  Tomaso  vescovo  dclIa  stc%ui  chiesn,*)  hora  gW  polluta  da  qiiclli 
beretid.  in  questo  viaggio  facenn  bdIa  visla  le  campagne,  non  sol  per 
la  coltura,  ma  ancora  per  li  monloni  el  allri  animali,  che,  per  esscr  il 
freddo  non  troppo  acuto  et  il  pertcolo  de  lupi  inuudito,  li  lasdan  di 
giomo  c  dt  nolie  per  lulte  le  stagioni  del  1' anno  su  i  prati;  onde  han 
qudia  grassecu,  che  in  ncssun  altro  pacse  si  trova. 

*)  Du  Tibaknuchai  ««r  ent  gegen  Citde  det  Regierung  Ellixbtthi  tn  Englind 
brkinni  e««nnJm. 

<)  iMili  CiMiilioniii.  der  btkinntc  cilviafstiichc  Theolog.  auch  PMtolot  and 
KritiVti,  Kcb.  in  Clrt\t  lüS.  gi-il.  !fi  l.onJfin  Bin  t.JuH  i6u.  Er  sMnO  hi»  lu  Hdnriclis  tV. 
Todr  (f  IS'O)  in  dnicn  Dlrml,  bald  liermch  folgte  tr  dem  Rufe  König  J^hohi  "Ach  Eng- 
lind.  »a  tt  wli»  Itatr  Lcbminll  verbrachte.  Dm  hin  trvlhnle  Werk  enchien  Im  Todei- 
laht  da  Vcttutcn  lu  [xindon  unirr  dem  Tll«l:  .D«  nbuf  ucrii  et  tedalulkii.  Exer* 
dWlODCi  lä  BvanU  pmleKninnw  In  Anniln-' 

•)  An  Mnl-ra^r- 

<i  Tomu  Beclirt,  EreblKihof  von  Cuterbnry  Itfil,  tmiordctitri),  UM  darauf  lidllK. 
(sprachen. 


du 

Tubalcnuchen. 


B<Srxi 
VcrMu-. 


niiuibonui. 


RoälOtn. 
Canttrbnrjr. 


Walter  Friedensburg. 


DoviT. 


StfirmlKhe 
Öbcrlihn, 


Catala. 


OtMndc. 


Giunto  che  io  fui  a  Dovre,  iion  potclli  imbarcanni  ni  in  quci 
giorno  ne  in  diie  allri  scgiioili  per  essere  il  mar  lempesloso,  del  che  io 
liavcvo  gran  disgu&to.  c  bcndie  1' Inghilterra  sia  cnsi  grandc,  nii  parca 
iiondimeno  essere  in  una  stretia  prigione  per  d  timore  che  io  havevo 
che  non  si  adirasse  il  mare  el  mi  tratene&se  W'i  qualche  mcx,  comc  allrc 
voEle  ad  altri  era  intervenuta.  finalmetile  parecido  un  poco  acquetata  la 
fortuna,  andammo  al  lilo  per  imbarcarci;  ms  il  nocchicro  havea  tirato  il 
vascelb  in  alto  niare  per  non  st  tasciar  coner  in  secco  dal  flusso,  onde 
bisognb  passare  con  un  batello  al  iiavile;  el  essendo  1'  onde  giä  ingrossate, 
non  potea  accoslani  senza  urtara  l'una  con  l'altra  barca,  c  perö  era 
nece&s^rio  star  1e&lo,  e  coine  veniva  l'onda  a  ptroposito,  con  un  lancio 
arratnpicarsi  alle  corde  della  nave  d  salir  su;  e  qiiesto  fu  un  spcttacolo 
che  fece  impallidJre  piii  d'  im  vollo.  essendosi  falta  vela,  comincii')  a 
sentirsi  il  molo  stravaganle,  dal  qualc  inipaurilc  Ic  donne,  che  crano  sc! 
o  sctte,  accrescevan  con  i  ior  gridi  spavento  agii  altri.  io  me  ne  stavo 
invllupato  nel  inia  raantello  d  attaccato  come  un'  ostrica  ad  im  Icgno, 
non  osando  minire  quci  monli  e  quelle  voragini  dell'oceano,  anzi  non 
potcndomi  reger  drilto  per  I' aggiramcnlo  di  tesla;  ma  fui  in  ogni  modo 
costretio  ad  alzarmi,  perdie  le  donne  sbigottile  mi  si  buttavano  sdosso, 
et  ancora  peichi,  oUre  il  ramore  di  fitora,  si  sentiva  gran  fracasso  dentro 
ia  navc.  e  questo  nascea  da  certi  cavallt.  che  erano  sUli  nicssi  soUo 
wnza  che  noi  Io  sapessimo.  onde  Ire  gciitilhiiomini  Franzesi,  ancorche 
nauseati,  vcdendo  tanlo  disordtnc  minacciavano  con  Ic  spade  nude  Ia 
mortc  al  nocchiero,  se  non  geltava  quelle  bestie  in  mare;  et  egli  veden- 
dosi  -oostrclto  daila  furia  franzesa,  commandö  a'  suoi  marinari  che  s'  aprisse 
Ia  coperta  et  s' aleslissero  Tordigni  per  tirarli.  ma  in  lanta  coninstone 
passava  il  tempo  e  non  s'cseguiva  nulla.  cra  nondimeno  questa.  dimora 
non  senza  artificio  del  nocchiero,  che,  avendo  molto  inanzi  previsto  la 
forza  de!  vcnto,  s'era  tcniilo  sempre  a  man  dritia  per  non  esser  spitUo 
ver^o  Zelaiida,  c  apcrava  fra  poco  dovcr  guadagnar  tanto  vantaggio  verso 
ponente,  quaiHo  basUva  per  vollar  la  navc  e  pigüar  il  venio  in  poppa, 
coine  fece  fra  una  mcza  hora,  quando  eramo  giä  b  vista  üi  Bologna  di 
Francia,')  d'onde  drizzö  la  navc  verso  Calcs;  c  riccvendo  11  vento  non 
piii  per  fianco,  ma  favorcvole,  benchc  violcntissiTno,  ci  messe  in  poche 
höre  a  salvamento  in  porto,  dove  io  smonlalo  corsi  al!a  chiesa  e  baciando 
la  terra  dissi  il  Te  Deiim  con  tanla  allegrezza.  che  mi  parea  non  esser 
in  Cales,  ma  haver  digiä  finito  il  viaggiol  non  ho  visto  mai  a*  miei  dl 
tantl  pesci,  quant'era  la  quanlilä  del!'  aringhc  in  questa  cittä.  essendo  x 
punto  alt'  hora  la  pesca  di  es«,  che  st  fa  principalmente  in  quello  sfretto 
di  mare. 

La  mattina  paitii  per  Graveligna  et  indi  di  novo  a  Doncherche  e 
NiuportOj  c  poi  a  Oslende,  facendo  sempre  il  caniino  su  U  spiaggla  are- 
nota  dell'oceano,  che  nel  suo  reilitssu  la  lascia  per  gran  spatio  scopcrta. 


•)  B«n>Otnr 


Des  italienischen  Priesters  u.  Thwlogen  Vincenzo  Laurefici  Reise.    31 


la  inisera  ntü  d'  Ostende  ^  cosi  ancora  mal  trattala,  che  ben  si  conoscon 
li  vctigi  tfcl  lungo  c  crudcllc  asscdio;')  la  van  per6  tiittavja  ri^rciendo 
e  naiando  i  fossi,  dove  ancor  riirovano  »correpla  sub  iindis  sciita  virilm 
galcasque  rt  forlia  corpora".  di  lä  ritomai  a  Bnige  per  pigliar  la  mia 
valigia,  perdiä  nell'andar  in  InghilleTra  alcuni  huomini  da  bene  tn'aver- 
lirono  che  neil'enlrare  el  nell'iiscire  di  qtidl'isola  si  facea  inquisitione 
di  tulto  qiiello  che  si  portava;  onde  io,  per  esscrv  piii  sicuro,  lasciai  non 
solo  Ib  valigia,  ndla  quäle  erano  akuni  librclti,  nia  aiicora  il  breviarlo, 
c  per  18  o  20  giorni  ci  riposammo  amb-idiie  con  gran  quidc.  non  trovai 
perb,  qusndo  cro  lä,  che  si  facesse  diligcnza  aicuna,  anzi  liberameiiic 
ognuBO  andava  e  veniva  »enza  Gser  pur  guardato.  e  nelle  case  de  gli 
MlbttcfattDri  caltolici,  dove  si  dice  ogni  giorno  la  messa,  et  in  particolare 
in  qudia  dcli'amhasciator  di  Spi^ria,  nella  qiialc  se  iie  dicoTict  Ire  per 
autlna,  enlrano  et  escono  li  inglesi  et  1'  Inglese,  el  i  loro  officii  e  corone, 
c  le  tele  alcuni  di  lora  si  cominunicano  in  pieiia  capelln,  et  alcune 
donne  di  parto  vanno  ivi  a  ricevere  la  benedittione,  come  io  stesso  viddi, 
ndlc  librarie  stan  publiramenle  i  libri  de' piü  modcrni  Ocuiti  c  d'altri 
religiosi,  et  aggiungo  che  il  venerdi  et  il  sabbato  si  usa  ura  gran  discie- 
tione  coi  foraslich  che  gli  paioti  cattolici,  non  gli  apparecchiando  gli 
hosti  o  gif  hospiti  se  non  di  magro,  et  11  simile  si  fa  in  Olanda,  ma  non  gi^ 
ne'luoghi  infctti  di  Germania,  dove  ci  mcttcvan  indiscrelamcnlc  la  carue 
iiunzi  e  bisognava  aspellar  un  gran  pezzo  per  haver  ü  pesce.  non  afierriLO 
io  hora  che  li  Cattolici  d'  liighilterra  sttJii  con  quella  liberlä  che  hanno  i 
Cattolici  in  Olanda,  ma  solamenle  scrivo  quel  che  ini  ^  occorso  di  vedcre. 
Di  Bruge  volevo  passare  in  Lorena  e  Borgogna,  e  di  lä  per  li 
Svizzeri  ridurmi  in  Agusla;  ma  per  csser  riitiasto  solo.  sÜnmi  esser  pii'i 
a  proposilo  che  io  ritomassi  a  Colonia,  e  peri>  presi  la  sIradA  di  Gante 
e  ncl  Camino  viddi  il  canalc  che  iiovanicRte  si  fa  con  di&egno  di  tirarlo 
per  Bruge  ad  Ostende  e  per  esso  condurre  i  vasselli  grossi  con  le  lor 
mcTcantic,  et  erano  impiegate  in  quel  lavoro  da  Ire  milla  persotte.  di 
Oante  urivai  a  Bruselle  con  gran  consolatione  per  la  buona  compagiiia 
di  Ire  monache,  die  erano  sUte  in  quella  ciltä  a  far  provisione  di  buiiro 
salato  et  se  nc  tomavano  al  loro  monostcrio,  non  fui  troppo  curioso 
di  fermarmi  nelle  due  predetle  ciltä,  essendovi  stato  un'altn  volta  selte 
anni  fa,  e  per6  da  Bruselle  andiii  a  Lovanio  et  ivt  ascollai  alcuni  di 
quelli  dottori,  el  In  particolare  una  lettione  del  Puteano  succcssore  del 
Upsio,*)  e  parlai  col  padre  Lcssio.^ 

«J  Dk  benlhmt*  BdiecrunH  von  Oilmdc  hatW  von  1001-I6M  ilill:  sie  «irtMe 
»il  Übaxatc  dn  liültinJIscIitn  I3mt£unK  in  den  ipuiischcn  Qcticral  Splnola.  Vcrgl. 
Vtntdburicci,  0-rafhicJili:  dtr  NlciJnhnUc  11  (1BB6)  S.  TJMI. 

<)  Do  bcnjhmle  Phlloloj^  und  KiiliWer  Juitu»  Clpsiu«  Ijöal  Lips)  -runlc  ii*7  in 
eblttn  kWiioi  Otlc  iwiKhoi  BiQucl  unü  Löwen  ntbüien,  war  »uenrt  l'iofwsor  In  Jen« 
isn-ti7t,  Kit  I»I6  In  t.ÖvcR,  tsi«— IJ90  [n  Lcydcn,  kIL  139:  ilierinili  l*rafasai  in 
Uwen,  wo  «  «m  J*.  \pril  1««  »urti.  —  Crydu*  PulMaut  (Hn);y  Dupuy)  »«  lu  Vcnloo 
IJI4  Ktbown  und  liMth  f*«6  In  l.Swt™  al»  NRChlolgci  da  LqiiliM  auf  dem    Ktth«!er    der 

litHnKrhm  Sprache. 

*i  Leului  (Lnmhsrd  Ltryi),  Jesull  und  thcoloslsclier  SdirltKte'llfT. 


BrI  limine 
von  Ollen  de. 


BiQKKe- 


1 


Kalholuiimui 
in  linglMld, 


Ocnt. 


BcflMd. 


l.Jlwca. 


Walter  Friedeiisburg. 


Nvnur. 
HunobtI. 
Lflttidi. 


Mitlrictit. 


Unsldicrhclt 
^r  SIrallcn. 


Aachen. 


Venendo  a  quesla  dttä  m'ero  incßntrato  nd  cocchio  ccn  un 
ingegniero  Fiorentino  chiamalo  Paulo  FraEicesco.  col  quaie  ragionando  del 
mio  ritomo  in  0«rmania,  ini  fu  molto  appTovata  ia  strada  ch'  io  dicevo 
voler  fare  per  Li>^,  s)  da  lui,  come  dal  sito  compagno,  ambidiie  iiiotto 
pratict  in  quei  contomi.  e  perb  passando  di  novo  per  Brusscile  prcsj 
il  Camino  dj  Namur^  dtti  posta  dove  Ia  Sanibra  si  congiuage  oon  )a 
Mosa,  nella  qiiaJc  m'  imbarcai  e  pcrvenni  a  Hunobel  castello  dclla  diocesc 
di  Liegt,']  ddia  qual  dttä')  per  esser  arrivato  dl  noile  non  potetti 
^odcre  sino  alla  matina.  e  mi  riiisci  pivi  bella  di  quello  m'  imaginavo, 
81  per  il  sito,  chiese  e  palazzo  del  prencipe,')  come  ancora  per  I'  abondanja 
di  tulte  k  cose  nccessarie  al  vitto  el  iiso  humano,  et  in  panicolarc  del 
ferro,  mal  operato  nondimeno  da  quei  cittadini,  che  vengono  cosi  fadl- 
mcntc  alle  mani.  1)  carbonc  che  qui  si  cava  dalle  viscere  dcLln  (cm,  i 
tanto  piü  perfetto  del  carbone  ordinario^  quatito  che  si  consuma  mcno 
e  bruggia  piil,  onde  i  fabri  se  ne  servono  con  molto  eraolumenlo  ad 
amnioUire  ü  ferro. 

Volevo  io  di  qua  passare  in  Aquisgtana,  ma  per  Ia  contmodilii 
del  fftiine  scesi  a  Maslricli  c  Vieh,')  ambediie  (ortissime  piazze  di  qua  e 
di  lä  dclla  Mou,  ma  congiunte  con  un  bei  ponle,  onde  fanro  una  sola 
citlii-  qui  Ia  sera  slaiido  a  cena  et  infoimandoiiti  del  Camino  per  Colonia, 
mi  vcnnc  aHcmiato  dall' hoste  come  Ia  strada  era  per  tutto  assediata  da 
ladri  et  homicidi,  cäie  gionialmemte  conimettfvano  qualdie  misfatto,  non 
fu  mai  antidoto  contro  Ia  fame  cosi  polenle,  come  furon  per  me  qucsic 
parole;  anri  non  wvlo  mi  levarono  lapeUitö  del  mangiarc,  ma  ancora  il 
sonno,  poiclit  quasi  lutta  Ia  noHe  non  dormii,  ma  pensavo  come  liavca 
a  fare  irovondomi  scnea  compagnia.  Ia  malina  per  esser  piü  accertalo, 
andai  da'canonid  di  quella  chiesa  et  mi  confermarono  il  medesimo; 
trovai  li  padri  Gcsuiti  et  pur  mi  diseero  l'istesso,  a  lal  clie  me  ne  slavo 

in  una  grau  perplessiti,  el  qiianto  aH'hora »)  e  m'accostai 

ad  uro  di  qud  capilani,  pregandolo  che  mi  presiasse  doi  soldali,  II 
quäle  non  volse  conccdcmieli  se  non  fino  ad  Aquisgrana,  e  di  lä  dlsse 
che  non  mt  mancarebbc  occa»one  di  buon  passaggto.  onde  cosi 
accompagnato  feci  quelli  20  ml^lia,  e  rimunerai  t  soldali.  in  Aquisgrana 
ricorsi  al  solilo  a"  miei  consigHeri,  che  eraiio  li  canonici  et  li  padri 
Oesuiti,  li  quali  con  Ic  sinistrc  nuovc  mi  messono  maggior  timore  dd 
primo,  perch^  mi  raccontavano  ccinie  non  solo  era  il  pericolo  ne'  boschi 
e  per  Ic  stiade,  ma  ancora  nelle  hosterie:  onde  io  dimandai  come  era 
possibile  che,  essende  scelcralezze  cosi  publiche,  nnn  se  gli  dava  nmedio? 
et  all'hora  il  padre   rettore  de'  OesuiU  cominci6  in  qucsla  manicra:  i 


■)  Huy  un  nunc  Holoul? 
t  Nlmlich  Lümch. 
')  Dei  IQiTdiiKh6ni<h«  Paiui 
•)  Wyk, 

>}  Hin  fchll  rtwis  Im  Mamthtlpl,  tu  dntm  Katiuctchimnic  ä$»  \»\mU  DritIcL  dtr 
Zelle  Ikt  ttLuscc  «cidm  lit 


Des  ilalieniächen  Priesteis  u.  Theologen  Vincenzo  Liurffici  Reise.    33 


In  Bonn. 


vicino.  aColonia  una  terra  chiamata  Bona  su  la  ripa  dd  Rcno  cdificata,  Rjnbwhmd» 
in  qiKSU  da  20  anni  m  qua  nacqiic  et  tiittavta  dura  iina  sella  de  ladri, 
li  quali  fra  loro  congiurati  di  prima  ucddrre  e  poi  nibbare,  in  breve 
acquistorono  per  molte  ieghe  all'  intorno  a»ai  compacni,  onde  lianno 
ammorbato  il  paese,  e  per  essere  nien  sospelli,  noit  con  arme  strepilose 
esaliscono  o  alla  scnpcda.  ma  con  cortdii  e  bastoni,  fingendn  di  salutare, 
0  invftando  11  vinndniili  alle  !or  cnse,  mentre  mangiaito  o  riposano, ')  gll 
assassinano.  et  all'  hora  entrando  nell'  hostarice  conversando,  senm  esser 
conosduti  s«  non  da  compJici,  all' improviso  tolgon  la  vita  e  gli  danori. 
allri  sul  Rmo  professando  di  traghetlare  1e  persone,  ne  hau  gettate 
moltissinx  in  acqua;  onde*  intervemito  che  noTi  pochi  si  son  peisi  senza 
tapeni  quel  chedi  loro  fusse  successo,  aspctlando  indamo  niolle  itiadri  e 
mo^i  i  lor  nuriti  e  figii,  Imzhh,  cssendo  scoperla  ta  scelerata  compa£nia, 
a  son  sapute  dalle  confcssioni  d'  alcuiti  rei  tutte  te  lor  frodi  e  tradimentf, 
bavendo  revelate  I'  occisioni  nefandc  e  i  corpl  di  qitclli  che  si  lencan  pcr 
persi,  esser  stall  parle  inghiottiti  dal  fiume  et  parte  sepolti  nelle  fosse, 
che  nelle  lor  case  liavean  fade,  di  questi  grart  parte  n'e  slata  ntesa  su 
,  le  rote,  ma  non  ^  anoora  spiantalH  tutia  1'  iniqua  rsjzi,  perch^  ogni  giomo 
senUimo  qualchc  caso  miserabile!  aggioitse  aitcora  il  padre  che  ci  era 
un'altra  sorte  de  ladri  dl  certJ  soldali  affamatf,  che  con  buoni  archibwgi 
eswsuivano  le  loro  opne  esecrabili.  al  suono  dt  quesic  parolc  io 
iTTcstai  afflittissimo:  -steteruntque  comae  et  vox  faucibus  hacsil!"*)  cnoit 
tni  pettinavo  piCi  la  barba  ne  la  lesta,  pensando  che  In  breve  dovea  «ser 
prcda  di  c(m  fieri  mostri,  äe  Dio  per  sua  bontä  non  tn'aiutsvu.  c  per  piu 
rammarico  spcsso  utii  veniva  in  metite  quel  veno: 

■sqiialletitcm  barbam  et  concretos  sanguine  crines*,*) 

che  I'Iiavevo  per  malissimo  augurio.  pensai  piii  volle  tomar  indietro  In 
AnvcTsa  et  ivi  accompagnarmi  col  procaccio')  che  indi  suol  partire  per 
Colonia;  ma  b  lunghezza  della  stnda  pur  pcricolosa,  il  tetnpo  che  io 
hard  consumato,  el  il  secondo  borsellino  che  andava  tuttavia  scemando. 
non  mi  lasciomo  cffettuare  tal  proposilo;  et  pcrö  sopravencndo  ia  fcsta 
iantis&inKi  d'ogni  santi,»)  fed  le  mie  devotioni  et  mi  mccoinatidai  loro 
di  vendasimo  cuorc;  n^  credo  havn  detto  Toffido  con  piii  attentione 
come  facevo  all' hora.  con  tulto  die  io  fussi  in  tanta  angustJa,  non 
lasdai  di  ^xdcrc  1  bagni  di  questa  dlt^,  che  scaturiscono  apunto  ncl 
centro  di  essa,  et  in  tnolte  case  son  con  Unta  politezza  el  curiositi  tenuti, 
che  solo  a  vederli  tnvilano  a  bagnarvisi;  e  vi  sarei  entralo  anch'io,  sc 
non  fusee  stato  per  rispetio  di  quelle  donne,  che  a  pena  un  poco  coperte 


Die  Biilrr  von 


1)  Hdne  Lüdn  In  der  HuiibchTiFl;  ob  elwu  Idill? 
^  fug.  ABt.  II.  m. 
1  Vir».  Am.  [t,  m. 

•)  Der  rcg«1mUIl;    nrifdiM    ivti  Orin    vtrlidiKndt   Kurin,    der  Brft«  uni 
nMetanndmr- 

1  Mlcl1irlll(cn  iL  Novcmbert. 


Walter  Friedetisburg. 


di  semplice  tela,  e  ncl  rc3to  nude,  lavan  ü  Christian!  secondo  Tuso 
commun«  ddia  ütrmanu.  la  ininicra  ddia  galamina ')  6  propria  et 
ntlgolarc  di  iiucsta  citli,  poichc  in  ncs$uri  aitro  luogo  del  mondo  sin 
hora  si  ^  tiovata.  quesla  f  qiielU  terra  che  mista  co!  rame  In  pro 
porlionc  subscsquialtcra,  comc  4  Ijbre  con  sei,  Tan  diccc  d'ottnnc.  si 
cava  (|ui  ancora  una  sorledi  terra  che  bniggia  et  coitserva  sl  lenacemente 
il  fuoco,*)  che  dura  per  ^^  horc  con  gran  vigore;  otide  sc  iic  scrvon 
commiinemente  gli  habilanti,  ancorch^  habbi'no  tnolti  bosdii  vicini. 

Essetidomi  io  tniletiiito  in  qtiQta  dttä  d'Aquisgrana  diie  giorni 
con  speranza  di  (rovar  fni  tanto  cumpagnia,  non  mi  riusci  il  disegno;  e 
[KTÖ  risoluto  di  parlire  e  iiienar  ineco  doi  biioni  soldati  Valloni,  come 
havevo  fatto  prima,  andai  a  lic«ntiarnii  dal  padnt  rettorc,  per  consiglio 
det  quale  comprai  una  pistola.  facendosi  qui  eccellentissima  questa.  sorte 
d'  arme,  e  ine  ne  Irovai  inolto  contento  per  la  sicuruza  che  poi  ml  diede 
ptr  tiitto  II  Camino,  marciando  diinqtie  con  miei  Valloni.  con  Ic  pistole 
scniprc  in  iiiano  e  i  cani  abbassali,  secondo  1'  instrultionc  dattami  da 
joikh.  alcuiiipraHidJaseraarrivanimoaGiuliers.fortezzabclIissüna,  etalloggiamrao 
appresso  un  hnste  catfolico,  il  quäle  d  avertl  che  in  nessun  modo 
entrassimo  nel  bosco,  essendod  ogni  giomo  s^uitj  amazza-menli  per  il 
gran  numero  de  turfanti  che  ivä  annidano;  «ma  vi  darü",  dissc  cgii, 
,una  gutda  che  vi  conduirä  scmpre  fnora  del  bosco,  ancorehe  si  slonghi 
nna  tega".  la  matina  non  senza  patira  ddIa  stessa,  che  non  fiisse  una 
spia,  la  s^egiiirtimo,  e  piacquc  a  Dio  che  la  passammo  bene.  restava 
ancoia  a  superare  il  viaggio  die  era  II  bosco  di  Colonia,  e  mentre 
stavamo  su  l'entrala  in  un  villa^io  rinfrcscando  i  cavalli,  sopragiunsero 
quairo  pur  a  cavallo  e  ben  armali,  i  quali  sospettosi  dt  noj  sl  fermarono 
ancli'  »si  c  mtsscro  ancor  noi  in  gran  sospctlo;  nia  col  saluto  amichevole 
e  con  la  fronte  serena,  moatrandod  scamhievolmente  padfid,  d  accor- 
dammo  d'  cntrarc  in&teme  e  passare  unitamcnte  il  bosco;  il  che  essendoci 
riusdto  prosperamcnic,  la  sera  fummo  s  Colonia,  dovc  io  mi  foraii 
rendcrc  le  dovule  gralic  a  Dio,  che  mi  havca  Hbcrato,  non  dir*  da 
baibari,  ina  da  spietati  lestrigoni  e  cniddi  anlropofagi!  non  lodi  alcuno 
ciufikiefKiik  in  inia  prescnlia  li  Tcdcschi  per  scmplici,  pcrdit  non  i  scmplidtä  la 
der  Otubchoi  [q^q^  nia  ignonintia,  c  per  tanto  non  sono  vitiosi  per  quanlo  non  hanno 
foTse  havuta  cognitione  dd  vitio;  mi  havendone  notitia  l'apprendono  ei 
apprcso  Io  ritcngono  ostinatamcntc  piii  d' ogn' altra  nationc.  cscmpio  n« 
sian  H  sudetli  ladri,  de  quali  nicuni  Talti  prigioni  nella  loro  essamina 
hanno  confcssato  che  non  pofcvano  astcncrsi  d'ammaoare,  cosiretti  da 
un  incanto  datogli  da  compagni  nel  vino,  dopo  il  quale  bevuto  seenpre 
desitleravano  sanguc  biimano.  nia  io  crcdo  che  1*  incanto  era  i!  loro 
pcTverso  d«idcrio  et  il  sangne  l'oro,  che  per  püa  sieuramente  ottcncrio 
toglicvan  il  sanguc  c  la  miscra  Wta  alla  povera  gente! 


ij  Caluiiin*.  tuch  nlimina  =  Oilmcj  C^nkcn). 
))  Nlmlkh  Tod  (vgl.  Bd.  ],  S  *13,  t). 


Des  italienischoi  PH^ters  u.  Theologen  Viocenzo  Laurefid  Reise.    35 


Der  Hwcy- 

ni-irhr  Wskl 


Llmbtrg 


DonauTOrtii. 


Auifburi- 


In  Colonia  tni  si  Offerte  occasionc  di  partire  col  corricro  di  ü\t  Po«Hinik 
fianchfort,  !a  quäle  volentteri  abbracciai,  essendo  la  strada  che  faimo  i  Kftin-FraiWurt. 
corricri  piü  corta  40  miglia  di  qiidla  che  si  suot  fare  per  il  fiumc.  in 
questo  Camino  si  marcib  continuammte  di  notle  e  di  giomo  per  colli  e 
monti  coperti  di  grandissimi  boädii,  che  son  parte  della  selva  Hirciiiin, 
ehe  com«  una  gran  fiiscia  attraverea  la  Germania,  finche  finalmente  per- 
venanmo  a  Frandifort,  non  trovando  per  la  strada  luogo  degno  »c  iion 
Lembrig,  dttii  a'confini  dell'  HassiaJ)  io  volevo  da  Frandort  tira«  per 
drIUo  Camino  ad  Aujjusla,  nta  non  hebbi  cominodita  n^  di  carrozzc  ni 
di  cavalh,  come  neanco  prima  In  Colonie,  donde  saria  passato  volonüeri 
«ella  predetia  citlä.  per  non  repeterc  il  medesimo  caraino  che  havtvogiä 
faltu  all'undare.  ml  transferü  dunque  da  Francfort  a  NorimbeTga  et  indi 
■d  Augusta,  vedendo  per  la  strada  Vaisburg*)  eTonivert,  ambe  dttä  gi^  Wnßenbnrsi. 
impcriali,  ma  hora  la  seconda  soggtogata  dal  duca  di  Bavicra  per  ven- 
dicare  la  vfolenza  che  havevan  farta  i  LuCeraiii  a'  Caltolici  nella  processione 
dcl  sanltssimo  sacrammto.') 

Augusta  fra  le  Germaniche  eonlende  di  bellezza  eon  Norimberga, 
ma  senza  dubio  che  Vi  fonii  e  l'ar^enale  delli  Augustani  avanza  di 
Btasnificcnu  di  gran  longa  quellt  di  Norimberga,  oltre  che  per  esser 
questa  omata  di  molte  diiesc  cattolichc  con  buon  numero  di  religiosi, 
lascia  mollo  indieb'O  la  perverea  Norimberga.  nella  granc  pianiira  ch 
drtonda  Augusta,  s'erge  im  picdol  coile  cosi  doleemenle,  che  qiiasi 
ii^anna  il  scnso.  a  qutsto  k  appoggiata  gran  parte  della  dtü,  alla  qualc 
non  M  polea  condurre  l'acqua  del  suo  fiume,  ehe  con  diiarissinie  onde 
le  bagna  Ic  mura  e  parte  inleriore;  ina  suppli  1' ingegno  Augustano  la 
deboloza  del  fiumc  e  della  natura  itiles^,  poictie  con  bell'arlifido  con- 
strfnse  l'acqua  a  salir  mi  diic  alti^sime  loiri.  dove  riccviila  in  diie  gran 
fonti  v^ene  indl  dislribtiitn  nelle  piu  relevate  parti  della  dtt^.  io  non 
ammiiai  l'artifido,  ma  la  scmplidlä  dcll'artifida,  poiche  con  ona  »ola 
niob  e  Ire  o  quatro  miglia  l'acqua  h  dalla  sua  proprta  forza  spinta  dc' 
cannoni  di  bronzo  c  d'un  sol  lando  arriva  per  essi  dall'  alveo  del  fiume 
aU'alti  dma  deUe  torri.  c  ben  vero  che  per  haver  acqua  in  molta  copia 
«on  moltiplicaii  qnesti  iiislromenli,  ma  son  tulti  seniplicissimi  e  ddla 
stesa  raaoiera-  mi  fu  mostrata  iina  porta  ddla  stcssa  cittii,  ammirablc, 
aprendosi  e  semndo&i  da  se,  e  per  e&sa  entrano  i  corrieri  el  altri  clie 
raigono  di  notle;  non  posson  per6  entrare  a  loro  benepUdto,  sc  non 
quando  il  guardiano  tnove  l'ordigni;  et  eitlrati  che  sono,  st  aerra  la 
jmma  porta  e  bisogni  passiir  per  la  scconda,  die  Ita  il  incdcsimo  artifido. 

I>al  bibliotecatio  He&chilio,  il  quäle,   bcndic  Luterano,  e  com« 


1)  E)  1«  nbl  Llnbare  smiclni. 

^  WdScnburit  im  Nordi^au.  WnKill*  ilrt  VrrfuKr  ticn  UinvfS  Ob«  dJBC  von 
dtr  dlidclcn  RouK  *ei1  <rai)lcti  ablI(i:GniI«  Sudl  luliin,  lit  nli-lil  tniclillicli. 

t  V£l.  511«*.  I)n  Ifispnins  iln  30Jlliri£tii  Krlnta  i«or— iwj  Entn  Buch: 
Der  Ku^  Bin  Oonauvöith.    (Mündicn  iar$,)    Uli  Elombinc  der  Staill  durch  die  Biyeni 


i 


^ 


Walter  Priedeti^mrg. 


dotto  cosl  hirninno,  mi  fu  ntostrata  la  piibliciL  bibltoteca.  ma,  tuttc  queste 
cose  rai  parsero  niilli  rispelto  al  favorc,  che  io  hebbi  di  vcdcre  c  con« 
vcraarc  col  signor  Marco  Vtlsero,  singoUr  omatntnto  di  quella  citÖ.') 
io  g'll  portai  iina  Idlera  c  n'hcbbi  quelle  carezze  che  soiio  cffetto  dclU 
sua  cortcsia. 

Oopo  d'  haver  a  pleno  goduta  1a  vista  d'  Augusta,  non  mi  rcstava 

Rt\u  tuch     altro  che,   passando   per   Itiglostadio,   candurmi  a  Rati&bona  e  fJiiJre  U 

Incolttedi.  mja  perE^tnatione;  e  mi  riusci  assai  bene  ia  gila  in  Ingiostadio;  ma  non 
finii  il  mio  viaggio,  pcrch&,  esscndn  disfatla  la  dieta,  I'anibasdatori 
segaendo  la  Maesti  Cesarea  si  traslerirono  in  Velz,  citü  d«ll' AiislHa 
supcrioie,  onde  m'avanzaiono,  olbt  il  conlo  che  io  havcvo  falto,  ancor 
ducentö  miglia  dl  viaggio;  ma  di  queste  io  non  cunvo  molto,  havendo 
preso   il   Damibio    per   il    crine    per   dir    cosl.    et   possendonii    in   «sso 

Pated«]».  Lmbarcare  con  mio  commodo,  dopo  che  io  (usei  arrivalo  in  Ingiostadio; 
ma  qud  che  mi  dava  faslidio,  na  il  timore  deHa  peste,  II  quate  si  legeva 
giik  nclla  fronte  d'ognuno.  c  benchö  la  dura  cervice  di  qüesti  Tedcscht 
ne  habbta  teniilo  poco  conto,  nondimeno  ta  morte,  pii'i  oslitiala  di  loro. 
Vha   finalmcntc  impauriti;    onde   per   (utta  la  Bavicra   sl   facean    buone 

Ineoiti»!).  guardie,  e  gionto  che  io  fui  alle  porte  d'  Ingiostadio,  mi  si  fcce  inanzi 
uno  di  profondissima  barba  et  con  un  ccrto  tibro  mi  scon^urö,  riccr- 
eando  da  mc  se  Io  veniva  da  luoghi  infetti.  Io,  che  non  intendevo  se 
ron  a  discretione  -  ne  egii  n&  la  mia  guida  havea  discrelione  d'  intender 
me  -  feci  chiamare  un  di  dentro  che  rispondeae  per  me,  dicendo  comc. 
doviinqiie  ero  stato,  havevo  sempre  procuralo  d'allojjgiare  In  case  senza 
sospetio  et  che  gli  pronicltevo  quanto  al  mio  corpo  esscr  per  gratia  di 
Dio  sanissimo.  e  cosl  fiil  anirnesso  nella  cilü.  in  si  gian  vinggio  che 
havcvo  fatto,  non  m'occorsc  mal  far  cercar  intcrprete  sc  non  qui  et  in 
aleun  aJtrn  luogo  di  Germania;  ma  in  Olanda,  Zebnda,  Fiandnt,  Inghll- 
tcrra,  Francia  ero  per  tutto  o  con  una  lingua  o  con  un'  altra  inteso:  sol 
queste  teste  di  bronzo  non  si  sono  amoüte  a  ricever  qualche  linguaggio 
piü  clvile  per  comniodtti  de' peregrinanti! 

In  Ingiostadio  trovai  Io  studio  publico  posseduto  da'  padri  Gesuiti,«) 
havendo  essl  lurte  Ic  lettioni  cccetto  alninc  dl  legge  e  mediana,  il 
coltcsio  de"  padri  fe  nobili&simo,  e  nulrisce  piü  di  12»  bocchc  della  lor 
famiglla.  cnngiunte  coi  medesimo  coileglo  sono  le  stanze  de' convittori, 
i  quali  fanno  un  grandisslmo  numero  dt  varie  ling:ue,  conditioni  e  rcli- 

>)  Maicu«  Wclirr.  du  bmihmiBle  unier  ijcn  f[elehrtm  Oliedern  dieses  Oeschlechts, 
*or  USB  etboroi  und  hatW  (ich  i«  lullen  geblldeL  Sdt  HB*  slind  er  im  Dlertle  seiner 
VateniHll,  deren  (^ttenlliche  Amtei  er  bji  tarn  hächtlen,  dem  des  SUdtpflegera.  durchlief, 
Er  ««rb  nm  Z3.  Juni  1614,  Nehcn  »du«  pialtliKhcn  Tätigkeit  bp»JUirte  er  lidi  in  be- 
dcutmdeti  LcialuiiKen  xU  Oachiehlschrcibcc  und  Altcilumtforsclici i  »in  Hiuplverli  sind 
die  IGSl  ixTuFfmlUchkn  Rerutn  llnIcimtR  Libri  V  (bis  auf  Kirl  den  OroSen,  ipllcr  lügle 
tr  noch  ein  bl«  ii*  naehend«  e.  Bnch  hinm}.  Weiter  wu  «troig  kUhotlieh.  —  Vgl. 
Rcaidi  in  der  ASg   Ocubchcn  Bionr.  4i,  bt7—it9. 

■]  In  [neolftlndi  wurdt  luerel  1196  dn  Jnuiitnkollcs  nrichlrt,  Vel.  Jinttcn, 
Deutsch«  Qochlchlc  VII.  S.  l»tt.;    und  Pranll,    Ckichidilc   der  Ludvig-Mulmlliwi»- 

UDlveniUt  EU  IngoUtult  Bd.  1  (IBTl). 


Des  italienischen  Priesters  u.  Theologen  Vincenzo  Laurefid  Reise.    37 

gioni,  cssendovi  molÜ  frati  di  diverse  regole;  offidano  nondimeno  tutti 
insieme  in  una  capella,  et  sl  come  communicano  nello  stesso  studio  e 
vitto,  aysi  ancora  mescolano  le  loro  orationi.  ricevetti  molte  cortesie  da 
questi  padri  e  mi  fecero  vedere  tutto  it  collegio;  ma  il  mio  contento  fu 
col  padre  Qrezero,*)  che  essendo  altretanto  gentile  come  dotto,  m'  accarezzö 
all'  usanza  Tedesca  con  un  par  di  brindisi  d'  ottimo  vino.  s&  esU  hora 
occupato  in  rispondere  al  libro  del  Plessi  Momai  intitolato  .Misterium 
Iniquitatis*,*)  c  la  riposta  sati  degna  ddl'autore. 

Bastava  un  giomo  per  vedere  Inglostadio,  ma  Ic  nevi  e  le  nebbie 
m'  impedirono  per  doi  giomi  la  navigatione:  ma  non  mi  dispiacque  la 
dimora,  perch^  intanto  godetti  della  buona  conversatione  di  quei  dottori 
e  viddi  la  dtti  di  fuora  con  doppii  fossi  e  sodi  bastioni,  che  la  rendono 
pari  a  quäl  si  voglia  foriezza.  di  dentro  i  gentile,  ma  sarebbe  piä  se 
non  fossero  le  molte  vacche  e  pecore,  che  essendovi  la  nette  rinchiuse 
cagionano  ma)  odore  per  le  strade;  e  questo  k  commune  difetto  non 
solo  delle  dttä  Baveridie,  ma  ancora  di  molte  altre  di  Germania. 

II  quinto  giomo  della  mia  navigatione  sul  Danubio  pervenni  a 
Linz,  che  fu  11  2S  di  novembre,  e  bendi^  qui  m'  incontrassi  a>n  molti        Lfau. 
amid,  da  nessuno  fui  conosduto  per  I'habito  secotaresco;  ma  il  giomo 
seguente  arrivando  a  Velz  mutai  le  vesti  et  misi  fine  al  mio  viaggio.         ^ct*rS«I* 

>)  Jakob  Oicber  uu  Scbwaben,  gfb.  IS63,  f  i^-  Jiitnu  t«15,  der  gddulette  nater 
den  dcDUchai  Joniten  sdner  Zdt,  lebrte  24  Jahre  Un^  in  IngoliUdl  PhlloMpUe  und 
Thcolocle.  Sdne  Sdirillm  endilaen  «pUer  goimindt  in  IT  Binden  foHo  (1731— IT41). 
Vtf.  AIlKEm.  Denbche  Biognphie  9,  644f. 

*)  Philippe  de  Momiy,  zeäChnl.  Du  Pleuli-Monuy,  dner  der  hervomsendttoi 
fnBzMtcbcB  Pntcituiten,  gä>.  1549,  f  ^6ti,  vtrhfile  .Le  Mytiire  d'inJqnitf,  cot-t-dlie 
I'Hiflofrc  de  UPapaati,  par  qneli  progris  eile  ctt  monttei  c<  comble*  niw.  Saumar  i6n  in  toi. 


Ein  deutscher  Jesuit 

als  medizinischer  Safinker. 

Zum  Jubiläum  Bald»  am  4.  Januar  1904. 
Von  J.  KNEPPER. 


Der  elsässische  Jesuit  und  Neulateiner  jakob  Bälde')  gehört 
ohne  Zweifel  zu  den  Menschen,  die  man  seilen  nennen  kann: 
es  war  ein  in  jeder  Beziehung  bemerkenswerter  Charakter,  nicht 
nur  was  sein  Dichten,  sondern  auch  was  sein  Denken  und  Leben 
angehl.  Was  der  Mann,  von  Jugend  auf  schwächlich  und  an 
Körper  armselig,  aber  stets  regen  Geistes,  geschaffen  hat,  das 
haben  seine  Zcilgenossen  gewuiSt,  und  sie  haben  es  ihm  gedankt, 
die  Nachwell  aber  war  karg  im  Lob  gegen  ihn,  bis  Herder  ihn 
wieder  ^entdeckte".  Originalität  ist  die  starke  Seite  Baldes,  und 
in  dieser  Originalität  ist  er  unerschöpfhch  an  Witzen  und  Ein- 
fällen, Schrullen  und  komischen  Verdrehungen  und  Verwicke- 
lungen, er  war  eben  ein  hervorragend  huniorisfisches  Talent,  das 
mit  dem  attischen  Salz  zugleich  auch  herbe  Lauge  den  Menschen- 
kindern seiner  Zeit  zu  reichen  verstand  -  Humorist  und 
Satiriker  In  glücklichster  Verbindung.  Nicht  schwarzgallig  und 
roh,  nicht  alles  negierend  und  begeifernd,  nicht  hochmütig  über 
alles  die  Nase  rümpfend,  das  alles  war  Bälde  als  Satiriker  nicht, 
und  so  wollte  er  auch  die  Satire  nicht  verstanden  wissen;  denn 
Satire  ist  bei  ihm  vorwiegend  das,  was  man  so  esprit  nennt, 
übersprudelnde  Laune,  mit  viel  Schalkhelt  und  naiver,  oft  aller- 
dings drastischer  Spottlust  durchsetzt:  „Zuckertörtchen  und 
Honigäpfel,   gemengt    mit  Wermut    und    Essig,    so    eine    echte 


■)  Oefa.  «.  Jinuir  1604,  gm.  V.  Aue.  16».    Nlhat*  llbtr  thn  dnnnlchu  ui  la- 
dEttni  Orte. 


Ein  deutsdier  jAHiPBbb  Bälde)  ils  medianischer  Satiriker.       J9 


LatB'ergcmixtur.')"  Und  dabei  war  Bälde  ein  iingemein  tiefes 
Gemüt,  das  sich  verzehrte  in  bitlerem  Harm  iJber  den  dreißig- 
jährigen  Krieg,  den  er  von  Anfang  bis  zu  Ende  mit  durch* 
kosten  mußte. 

Ein  solcher  Mensch  und  ein  solches  Leben  muß  immer 
interessant  sein,  selbst  für  den,  der  sonst  von  Jesuiten  nichts 
wissen  will;  dafür  ist  der  Zauber  dieser  echt  originalen  Persön- 
lichkeit eben  doch  zu  mächtig  und  stark  «nd  seine  ganze 
Individualität  zu  eigenartig.  Es  ist  deshalb  auch  nicht  auffällig, 
wenn  von  seinen  vielen  Schriften  -  Bälde  war  hauptsächlich 
Lyriker  und  zwar  ein  sehr  großer  -  selbst  solche  Beachtung 
gefunden  haben,  für  welche  auf  dem  liierarischen  Markte  im 
allgemeinen  die  Ver^'endung  nicht  allzu  groß  ist.  Da  denke  ich 
namentlich  an  Baldes  medizinische  Satiren,*)  welche  sogar 
vor  langen  Jahren  in  Johannes  Neiibig  (München  1S33)  einen 
Übersetzer  gefunden  haben,  und  zwar  einen  verständnisvollen, 
mit  seinem  Original  vollständig  vertrauten  Übersetzer,  dessen 
Arbeit  durch  kecke  Einfälle  und  einen  munteren,  flotten  und 
frischen  Stil  das  Eigentumliche  der  Vorlage  in  trefflicher  Weise 
kopiert.  Diese  medizinischen  Satiren  enthallen  eine  köstliche 
Karikatur  auf  das  Leben  und  Treiben  gewisser  Kreise,  die  bald 
enger,  bald  weiter  umschrieben  sind  und  im  aflgemeinen  durch 
typische  Repräsentanten  dargestellt  werden.     Die  Einkleidung  in 


>)  VitkI.  win  «itnic«  Hrkointnit  übet  wine  Mllmch«  Art  «m Schlüge  dn  I.Satire. 
Dir  Stdie  möge  xiiKttHch  iti  Prob«  i1:lmm: 

LimI  modo  vtii  rcffm, 
Scd  flodhira  gnvr*  nluüuit  nnbili  vvltu«, 
Undr  ]avB  Irtrirc  ntiiuri«  fulmma  ciidunr. 
HE»  Iglnir  nutii  quiiidoqiiiilFiti  urtrnll 
Omnli  ncc  Uiidarc  llbrl.  ncc  carpcrc  fu  al, 
TuHut  in  mnlio  ilnlui  drcniiffe  cninpo. 
Obhinduii  iNfnulo«.  pil[iiiin  »v«rs4tvor  M  nna 
N(c  dunn  iifc  mnllli  cto.   Pharerralus  «lilmini 
Nnn  minor  *t  t»pid«ni  wulprrn  piomiilcre  noio. 
lUisi  cztuiplu,  qui  >c|^Cii  ouilula  blotida 
Otfcrl  ff  iu«<i>1  Jil>li>llia  ciindil  jmiiroi. 
Not  DdimcU  vtio  p>rilFri)ui  ibiinlhu  libro 
.Miuuimiii  itiLiilumiiii«  rl  vlm  mordmiix  icdl 
Quo  nimbo  üuiupcn  dtcal  pcrinndctc  touiR, 
Si  modo  («cu  hominuni,  qu«c  vtdlmui  «it^uc  vidcmn!. 

PoFidnibui  poittii  lancc  cxpcndamui  ulrii)ue 

1  MedldMc  gloriji  prr  wllru  XXtl  «ucn«  (1"0.  Du  Werk  i>\.  ^t  übiK«  Probe 
trigl,  in  Hnamctrm  (CKhncbcn.  Dk  nntkubliche  Otvuidlliril  int  laldnlictien  Auidruch 
bin,  «I«  abtnXi  bti  Baidr.  aucK  hi«T  an). 


J.  Knepper, 


entsprechende  Namen  gibt  diesen  lebenswahr  und  lebensvoll 
gezeichneten  Figuren  etwas  ungemein  Interessantes  und  Packendes. 
Es  braucht  nach  dem  Gesagten  wohl  nicht  betont  zu  werden, 
daß  die  Hauptausbeute  aus  diesen  Satiren  Baldes  auf  kultur- 
historischem Gebiete  liegt,  und  manches  ist  nach  der  Seile  hin 
sicherlich  einzig  in  seiner  Art  und  für  die  Beurteilung  jener 
ganzen  Zeit  und  der  Menschen  in  ihr  etienso  bedeutungsvoll  als 
»■itlkommen.  Nur  eine  kleine  Auswahl  kann  ich  in  tolgendem 
bringen,  was  insofern  seine  Bedenken  hat,  als  das  Ganze  aus 
einem  Gusse  besteht  und  durch  Rupfen  und  Pflüdcen  dieser 
kösthche  Blumenstraufl  leider  etwas  zerzaust  wird.  Daß  ich 
mich  an  die  Übersetzung  von  Neubig,  wenigstens  im  allgemeinen, 
halte,  wird  man  verstehen.  Im  übrigen  war  eine  sklavische 
Anlehnung  an  das  Original  weder  tunlich  noch  auch  beabsichtigt 
Die  Disposition  des  Originals  beizubehalten,  war  ganz  unmöglich. 
Die  Ärzte  und  ihre  Wissenschaft  haben  es  Bälde  angetan: 
er  liebt  sie  schon  deswegen,  weil  sie  ihn,  »der  mit  abgemagerter 
Haut  kaum  mehr  an  dürren  Knochen  hing",  so  häufig  kuriert 
und  von  seinem  elenden  Katarrh  erlöst  haben.  Dankbar  blickt 
er  deshalb  zu  den  echten  Jüngern  des  Äskulap  auf,  aber  die 
»Affen  dieser  Kunst-,  die  « Landstreicher,  Marktschreier,  Zigeuner, 
Pfuscher  und  pflasJermachenden  Weihsbilder",  die  will  er  her- 
nehmen und  sie  zur  Genugtuung  der  rechten  Ärzte  am  Grab* 
hügel  des  großen  Mediziners  Oalenus  opfern.  Dieses  Opfern 
besorgt  er  nun  sehr  gründlich.  Da  kommt  zunächst  ein  ganzes 
Rudel  von  Pfuschern,  z.  B.  ist  da  so  ein  Marull,  ein  naseweiser, 
auf  seine  Dummheit  stolzer  Bursch,  der  nichts  an  sich  von 
Apoll  hat  außer  den  leeren  Manien,  den  lausigen  HaarbOndel  auf 
ungeschorenem  Pudelkopf  und  die  unbebarteten  Knabenwangen. 
Dabei  dünkt  sich  das  Männchen  aber  gerade  so  viel  wie  ein 
alter  Praktikus,  obschon  er  Krasis  und  Krisis  nicht  unterscheiden 
kann,  den  Brustkrebs  verwechselt  mit  dem  Flußkrebs,  den  Kies 
im  nächsten  Bach  in  seinem  Hirn  zusammenwirft  mit  dem  Qries 
im  kranken  Leibe;  die  Herzwassersucht  sitzt  nach  ihm  in  der  — 
Kniescheibe.  Anders  geartet  ist  der  Prahlschnabel  Zuckersüß, 
der  wohl  nur  mit  bloßem  Nägelabsch neiden,  Haarausraufen  und 
mit  seiner  cinf^tigen  Handwerksschere  zum  höchsten  -  Gcmord 


En  deulsdiCT  Jesuit  (Jakob  Bälde)  als  niediziiiijchcr  Satiriktr.       41 


(caedes)  promovierte,  gestern  aber  noch  rasierte,  frisierte, 
schmierte,  Salben  um-  und  einrieb,  I^lästerclien  aufslrich.  Aber 
so  etwas  zieht,  das  Piiblikum  will's,  zahlt  einem  solchen  Narren 
sein  gutes  Geld  und  -  kränkelt  weiter.  Deshalb  leben  auch 
die  Charlatane  in  dulci  jubilo.  Man  sehe  !jich  nur  $0  einen 
Heim  an.  Der  WinUtcutel  schwingt  an  jedem  Finger  zehn 
goldene  Reifen,  und  das  verschafft  ihm  Überall  offene  Türen, 
sogar  in  fürstlichen  [glasten.  Glaubst  du,  er  durchfurche  vor 
schautüstcmcn  Auj;en  des  Volkes  mit  staubaufwirbelnden  Küdern 
umsonst  die  Straften,  öffnete  für  nichts  und  wieder  nichts  an 
Seiner  fahrenden  Kalesche  die  schön  bemalten  Fensler  aus  feinem 
Spiegelglas?  Auch  er,  die  leere  Null,  will  eben  was  sein,  will 
sich  aufblähen  zum  großen  Rang  des  Hippokrates,  wennschon 
die  stattliche  Karosse  nichts  fßhrt  als  einen  lächerlichen  Waldpilz, 
dem  das  Gluck  den  prächtig  gcsHckten  Piirpurrock  anzog.  Aber 
man  kennt  ihn  doch  nur  zu  genau.  Alle  Wetter!  wie  er  so 
unausilehlich  nach  Pomade  riecht!  Des  persischen  Königs  ein- 
balsamierter Leichnam  riecht  mit  allem  Oedampf  nach  größerer 
Schmiere  nicht  Gerade  so  toll  macht  es  der  Herr  Schöisclieck. 
Er  bewundert  sich  wie  ein  stolzer  PEaii  und  trägt  aus  allen 
Farben  buntgegittert  eine  Weste  bis  aufs  Knie,  dazu  kauft  er 
sich  noch  den  großen  Ratslitel  -  und  er  will  trotz  allem  mehr 
sein  als  ein  gewöhnlicher  Quacksalber.  Und  dann  der  Herr 
Doktor  Bär!  Den  dunkelroten  Windfrack  am  Leibe,  spreizet  er 
die  kreu:i:cndon  StraÜcn  einher  in  laubigen  Stickereien,  so  daß 
Bacchus  schwört,  Herr  Bär  habe  ihm  dieses  Gewand  entwendet 
vom  schönsten  indischen  Rebberge  mitsamt  den  Blättern  und 
Trauben.  Doch  was  kehrt  er  sich  daran?  Sein  Rock  ist  ja 
«lies,  er  weht  Ihm  den  großen  Ruf  zu!  Wie  er  sich  gefällt  in 
den  allerfcinslen  Seidenhüten.  Die  ganze  Seidcnwürmcrnation 
verzehrt  ein  einziges  Menschlein.  Eine  Binde  spannt  sich  am 
Hals  als  ungeheures  Buch  aus  und  ist  zur  Rose  künstlich  ge- 
faltet Von  den  Seufzern  des  eingewobenen  Goldes  knarrt  sein 
Anzug,  und  von  hohem  Korke  wiehert  der  Schuh,  so  daß  vom 
gravitätisch  abgemessenen  Tritt  in  melodischem  Doppeltakte  die 
tönende  Erde  zurückspringt. 

Einfacher  schon,  aber  immer  noch  phantastisch  genug  gibt 


i 


J.  KncppfT. 


sich  d«r  Hebräer  auf  der  Straßburger  Ktrmes,  ein  echter  Enkel 
des  Juden  Heppeles.  Den  Kaftan  über  die  Schulter  geworfen, 
am  Halse  eine  Binde,  den  bunten  TLrban  auf  dem  Kopf,  einen 
mit  Edelsleinen  gezierten  Dolch  an  der  Seile,  so  sitzt  er  auf 
seinem  bunt  geschirrten  Rößlein  und  trommelt  di*  Leute  zu- 
sammen. Er  versprichl  den  Kranken  und  Siechen  die  Jahre 
Methusalems  und  das  hohe  Alter  des  Sandes  am  Meere,  er 
schreit  aus  heiserem  Rachen,  tischt  allerlei  Mätzchen  auf)  und 
die  Bauern  slcht-n  herum  mit  veil  aufgerissenem  Munde,  als  ob 
der  Orakelammon  mit  Hammelhörnern  prophetisch  winkte. 
Und  dann  kam  das  Mittelchen:  hübsch  rundliche  Pillen  in 
gelben  Gläschen,  natürlich  eitel  Dunst,  dazu  wundenpirkcndcr 
Schwefel  aus  geheim nisvoHcm  Stein  und  als  Extra-Oratisbcigabc 
noch  dreieckige  Gesund heitseicheln.  Wer  von  diesen  Nüssen 
nur  eine  verschluckte,  der  hatte  gewöhnlich  genug  für  Zeit  und 
—  Ewigkeil.  Nicht  weit  von  diesem  Hebräer  sitzt  ein  Zigeuner- 
weib; dunkel  ist  ihre  Haut,  funkelnd  das  Auge,  die  ganze  Ge- 
stalt gehüllt  in  ein  zottiges  Bärenfell,  nur  die  linke  Schulter  und 
der  Fuß  nackt.  Wundersames  Zeug  lehrt  sie,  Medizinisches  und 
Astronomisches,  und  sie  weiß  von  der  Nase  im  Gesicht  zu 
berichten:  „Die  aufgestülpte  liebt,  die  krumme  betrügt,  voll 
Argwohn  ist  die  gespitzte,  die  lange  voll  Orofimut,  trotzig  die 
schnaubende,  dumm  die  Dicke,  die  runde  furchtsam."  Des 
Menschen  Leben  und  Gesundheit  steht  für  sie  in  des  Menschen 
Hand  geschrieben,  und  sie  kann  gar  voraussehen,  ob  der  Frager 
demnächst  mit  einem  Seh merbäuch lein  in  der  Welt  herumlaufen 
oder  als  mageres  Männlein  seine  Tage  fristen  wird.-) 

In  diesem  Zusammenhange  verdient  namentlich  die 
XVII.  Satire  Beachtung.  Sie  fordert  schon  um  ihres  aktuellen 
Interesses  willen  unsere  Aufmerksamkeit  heraus,  richtet  sie  sich 
doch  gegen  die  „lächerlichen  Weibsbilder,  die  da  meinen,  sie 
könnten  es  den  Märrem  in  der  Medizin  nachtun,  wenn  sie  sich 
nur  die   nötigen   Titel  verschaff!  hätten."     Wir  sehen:  ganz  auf 


t)  KösUich.  vcrn  Mcli  Mhr  Irel,  slbt  Nciiblg  S.  nj  eine  Stelle  wioler  ,HAnl? 
Bd  Ihm  nieSI  ilerr  Thnnie  lun  d«-  Krilutu  hin,  rr  mldeckl*?  der  Sudt  Neapel  in  du 
InDmltn  Indim.  uh  ä\t  KIi«lii  tu  der  Uni^arn,  ilm  Don»ii  In  (Stf  tUtlen,* 

»)  t>on  Ildlilc  lelbil  (ditf  nie  e««»s  («hl  rrtölAllfh»  niH,  tb»  er  nie  «crcBSCii 
hat,    Seine  Anivort  «ar  eine  Ohdelse- 


Ein  deutscher  Jeiiil  (Jakob  Bälde)  als  mediziniachcr  Satiriker.       43 


unsere  Tage  zugesclinitlen,  iird  so  wie  heutzutage  war  es  schon 
längst!  Da  ist  so  eine  Prokuleja,  die  krakehlt  mit  allen  Ärzten 
hemm,  haucht  und  faucht  sie  nur  so  an.  Und  dann  die 
«Aratlerin«  Qalla!  Sie  wirft  beständig  wiederkauend  in  ihrem 
wässerigen  Munde,  ich  weiß  nicht,  welch  betäubende  Wunder- 
brocken und  Schlafmittel  herum,  ja  sogar  allerlei  unappetitliche 
Gliser  und  Schmiersalbenschachtdn  kramt  sie  um  ihre  Pre<ligt- 
kanze!  mit  hochwichtiger  Miene  aus  und  preist  ihre  elenden 
Pflaster,  Latwergen  und  haarwegfressenden  Pomaden  in  allen 
Tonarten.  För  eine  große  Griechin  will  sie  gelten  und  spricht 
nun  hochnäsig  in  alles  drein.  Wohl  mag  sie  als  NGriechlerin" 
etwelche  griechische  Schnaken  seziert  und  umgebracht  haben 
und  kann  jetzt,  mit  Schnakenblut  bespritzt,  schon  uHellas"  Ulten 
statt  ■Griechenland",  und  das  mit  emsl  gerunzelter  Stirn  sogar 
im  Beisein  ihres  Mannes.  Natürlich  ist  so  ein  Weib  ein  Haus- 
tyrann.  Wenn  sie  sich  mal  nicht  wohl  befindet  und  gar 
im  Bette  liegt,  ach,  da  plagt  sie  nicht  der  gemeine  deutsche 
Husten,  sondern  der  jonische  Husten,  so  daß  sie  dazu  mit 
stotternder  Zunge  jonische  Phrasen  radbrichL  Denn  ihr  gefätil 
nur  dieser  feinere  Dialekt  Schlimmer  noch  maehts  die  Pillen- 
dreherin  Närrina.  Die  ist  der  Stolz  selbst:  sie  allein  kann  und 
weiß  natürlich  alles.  So  oft  sie  bei  Tische  sitzt,  kauderwelscht 
sie  ihrem  Manne  bei  jedem  neuen  Gange  brockenweise  die 
Lehren  der  Universität  Salcmo  her  und  ißt,  trinkt,  schläft  nicht, 
bevor  sie  wenigstens  ein  Lehrstück  wiedergekaut.  Und  dabei 
steckt  sie  mit  dem  Gewä.sch  ihre  Nachbarinnen,  Frau  Basen  und 
Freundinnen  an.  Da  weiß  sie  dann  viel  Schönes  zu  sagen  von 
ihrer  nüchternen  Lebensart,  die  liebe  Mäßigkeit  selber:  sie  liebt 
)a  nur  pures  Wasser.  Aber  weit  gefehlt!  Ganz  krumm  in  die 
größten  Humpen  sich  windend,  hat  sie  sich  dem  EJacchus  ver- 
pachtet und  zeigt  durch  ihr  rotes  Kupfergesichl,  wie  viele  Mord- 
eimer sie  schon  gestürzt  von  Grund  aus.  Unablässig  am  Faß, 
ach!  küßt  sie  gar  zärtlich  die  liebe  Flasche.  Säuft  sie  nicht,  so 
schwätzt  sie  doch.  Ha,  welcher  Gott  des  Schweigens  wird  end- 
lich mit  tüchtigem  Zapfen  ihr  stopfen  die  KlappermQhle  des 
Mundwerks?  In  medizinischem  p. Wissen"  läuft  ihr  Gevatterin 
Bassa  den  Rang  ab;  sie  hat  eine  Unmasse  von  Schachteln  mit 


J.  Knepper, 


allerlfi  treffliclien  Satben  und  Pillea  und  sie  schwätzt  wie  eine 
Schnatterente  und  bringt  ihre  Sache  wohl  an  den  Mann;  eine 
andere,  Lecania  mit  Namen,  prSsidiert  frech  und  schneidig  einer 
ganzen  Korona  gelehrter  Männer  -  mit  höhnischer  Rotznase! 
«Geht  mir  weg,"  schreit  sie,  nmit  euren  medizinischen  Kapazi- 
täten, ich  habe  was  viel  Großartigeres  entdeckt  Nur  geschwind 
her  mit  den  Ben5)<lauen,  nur  geschwind  mit  den  Pflastern  und 
Überschlägen"  -  und  schon  hat  sie  aufgepflaslerL  Dann 
spilzt  sie  den  Mund  zu  gar  freundlichem  LJcheln  und  spricht: 
.Diesen  feinen  Fladen,  diese  Geruchpillen  gegen  stinkenden 
Atem  habe  ich  selber  bereitet.  Ja,  dies  da  habe  ich  vom  Vater 
gelernt,  dies  vom  Großvater,  das  von  meiner  Frau  Base."  Und 
dabei  lögt  sie,  daß  die  Mauern  zusammenstürzen.  Nun  sehe 
einer  dieses  »stolze  Weibsbild  einmal  zu  Hause  an!  Ist  die 
groBwulstige  Lockenperückc  nebst  Federhut,  Schleier  und  Schal 
abgelegt  und  ihre  gelehrte  Komödie  ausgespielt,  dann  spült  die 
gelahrte  Dame  zu  Hause  ihr  Küchcngcschirr  ab,  fegt  das  Zimmer, 
putzt  die  Stiegen,  webt  Baumwollgarn  und  dreht  mit  hurtigem 
Daumen  die  Spindel  am   Rocken. 

Nun  wird  Bälde  ernst.  Soll  für  das  Weib  auf  diesem 
Gebtete  denn  nichts  übrig  bleiben?  O  ja.  Man  kann  sicher 
nichts  dagegen  haben,  daß  es  dem  Kranken  die  Suppe  koche, 
das  Bett  gut  richte,  die  Speise  reiche  und  Wöchnerinnen  zur 
Seite  stehe.  Man  kann  auch  nichts  dagegen  sagen,  daß  es  Berg- 
minzen und  Wollkraut  zu  ganzen  Haufen  auspreßt  in  wohl- 
riechende Tropfen.  Es  gibt  ja  Safran,  Schmal2blumen,  süßes 
Sternkraut,  blaue  Kornblumen,  Windröschen,  Rosmarin,  Oleander, 
Wacholder,  Thymian,  Tausendschön,  öhriefende  Pinien  und 
keltische  Narden.  Soll's  pressen  und  läutern.  Aber  was  erfrecht 
sich  das  Weib,  ganz  Arztin  werden  und  es  den  probaten  Ärzten 
noch  zuvortun  zu  wollen!  Daß  sie  umgeht  mit  harmlosen 
Kräutern,  mit  alltäglichen  Hausmitteln,  das  gesteht  ihr  jeder  gern 
zu,  aber  sie  steckt  scharfklug  ihre  Nase  in  ein  Wieselhirn,  be- 
sdinüffelt  eine  Fuch&milz  und  geheimnisvolles  Menschengehirn. 
Sic  entdeckt  allerlei  stinkende  «Hdl"kräuter,  sie  hantiert  mit 
einer  Rippe,  die  einst  einer  Mumie  gehörte,  sie  macht  stark  in 
Kartenkunststücken,   Vogel>  und  Stcrndeuterci,    und    dabt;i    packt 


Ein  deutscher  Jesuit  (Jakob  Bälde)  als  medizinisclier  Satiriicer.       45 


sie  auch  die  ekelhafteste  Krankheit  herzhaft  an,  sie  ist  eben 
stark  und  schrickt  schamlos  vor  nichts  zurOck.  Aber  dann,  bitte, 
gleich  auch  einen  Schritt  weiter  gehen.  Sie  lege  den  Weiber- 
rodi,  die  Haube,  das  Haarband  ab  und  marschiere  so  in 
Manneskleidung  los  auf  Padiia,  die  große  medizinische  Hoch- 
schLle.  Aber  um  sich  trotz  dessen  ja  nicht  zu  verraten,  soll  sie 
wie  ein  echter  Mann  im  allertiefsten  Baßion  brummen,  jedes 
Wort  wuchtig  herausbringen,  den  Haarzopf  von  hinten  nach  vorn 
ums  Kinn  binden  als  Bart  und  so,  mit  etlichen  Dutzend 
Murmehieren  umgürtet,  auf  der  Landstraße  einherziehen.  O,  eine 
herrliche  Tour  und  deines  lö'renbespannten  Wagens  würdig, 
große  Mutter  Cybele  -  wenn  die  gelehrte  Doktorin  anders 
nicht  auf  einen  verliebten  Stutzer  loskutschiert  und  das  Reisen 
lieber  aufsteckt 

Leider  gibt  es  Ärzte  genug,  die  sich  den  geschilderten 
Gnupi^en  nur  zu  würdig  anreihen,  oft  tüchtige  Fachleute,  die  aber 
durch  Verfehlungen  aller  Art  dem  schätzbaren  ärztlichen  Stande 
nicht  zur  Ehre  gereichen.  Da  sind  z.  B.  Leute  mit  den  Manieren 
eines  Schmarotzers,  u.  a.  der  Doktor  Firiefanz.  Dem  sollte  man 
eigenthch  den  Schädel  mit  bissiger  Lauge  ausbeizen  und  mit 
schwarzer  Asche  durchreiben,  denn  wo  nur  immer  ein  starker 
Oenich  von  fettem  Kuchen  in  seine  gespitzte  Nase  steigt,  da 
zieht  er  dieselben  jedem  chemischen  Ofen  und  persischen 
Apotheken  vor,  und  großbackig  eilt  er  lüstern  seiner  Nase  nach. 
Toller  noch  machts  der  Herr  Medicus  Sassafras.  Wenn  ein 
reicher  Patient  ihn  ruft,  greift  er  herzhaft  zu  allen  Schüsseln  und 
läßt  sich's  gut  schmecken,  verbietet  aber  dem  «Kranken«,  auch 
nur  ein  unschuldiges  Pilziein  anzurühren;  er  weiß  es  dem  armen 
Patienten  hübsch  plausibel  zu  machen,  daf^  alles,  was  ihm  schade, 
seinem  eigenen  Magen  köstlich  bekomme,  und  je  netter  er  ihm 
bei  all  diesen  Tisch  herrlich  keiten  den  Mund  schließt,  desto  mehr 
kreidet  er  ihm  auf  die  Rechnung.  Gib  dich  drein,  armer  Patient, 
nimm  den  Maulkorb  und  halle  hübsch  still  bis  zum  Ende!  Du 
hast  den  Kücken  voll  Knollen  und  ßlasen  wie  von  einer 
spanischen  Fliege,  er  aber,  dein  besorgter  Arzt,  lacht  sich  heim- 
licli  den  oRöcken»  voll  und  schmaust  unterdes  die  ..Knollen" 
der   Erde,  leckere  Trüffeln.     Aber  halt,  der  brave  Medicus  ist 


J.  Knepper. 


schon  weiter.  Schon  ist  ein  Flamingo,  ein  Hase,  ein  Rebhuhn, 
ein  Fasan,  ja  ein  Damhirsch  mitsamt  den  dreipfündigen  See- 
barben in  seinen  Magen  hinabgestiegen.  Und  was  erlaubt  er 
dir,  dem  armen  Patienten?  Ein  Zicklein  etwa?  Bei  Leibe  nicht, 
kaum  eine  kleine  Lerche,  höchstens  zwei,  wenn  du  auch  mehrere 
verdientest,  dazu  im  besten  Falle  ein  Händchen  voll  Erdbeeren 
mit  Zitronensaft,  der  nur  ein  paar  Tropfen  Honig  erhall,  während 
er  selbst  den  besten  Salat  mit  feinstem  Öl  sich  fertig  macht, 
Du  Ärmster,  du  darfst  im  weichen  Kissen  am  schönen  Konfekt 
nur  mit  Augen  und  Nase  dich  satt  sehen,  der  andere  aber,  der 
ißfs.  Und  da  sieht  so  mildes  Gemüse  vom  Passauerland  auf 
dem  Tisch.  Vielleicht  ist  das  wenigstens  für  dich  Kranken  etwas? 
Blase,  blase!  Für  dich  Armen  i&l's  ja  eben  noch  2U  heiß,  für 
den  Gaumen  deines  Arztes  aber  isfs  -  kßhl  genug.  Ein  paar 
verschimmelte  Zwetschen  und  eine  unsagbare  Brühe,  die  gar  der 
Zuchthäusler  mit  der  Kette  am  Fuß  verschmähte,  das  ist  was  für 
dich,  er  aber  schnappt  dir  vom  Munde  weg  Forellen,  Austern 
und  Melonen,  denn  so  was  ist  ja  für  dich  i.gefährlich",  sein 
Magen  aber  verdaut  eine  ganze  Schüssel  mit  Aiisteni  samt  der 
dicken  Salzbrühe.  So  trinkt  er  deinen  Wein,  und  du  darfst 
die  Flasche  höchstens  anbellen  wie  ein  schüchternes  Hündchen. 
Schmarotzern  und  den  Beutel  füllen,  das  liegt  so  auf  dem- 
selben Felde.  Manche  Ärzte  können  nie  satt  kriegen.  Da 
kommt  der  Doktor  Dickviel  zu  der  kranken  Schmallulla  ganz 
langsam  wie  ein  Faultier  herangekrochen  um  den  Lohn  zu 
erhöhen  für  jeglichen  Tritt.  Muß  ja  all  seine  Bedienten.  Weib 
und  Kinder,  die  unterbrochenen  Geschäfte  zu  Hause  lassen,  und 
das  macht  die  Forderung  für  solche  Bemühung  und  Opfer 
natürlich  größer,  und  muß  er  im  Finstern  oder  bei  Tage  in  zu 
großer  Hitze  weil  gehen,  kostet  es  doppell  so  viel,  G  Schmallulla^ 
tu  erbarmend  deinen  Kasten  auf!  Dein  ganzes  teures  Leben, 
es  liegt  in  deinem  Portemonnaie.  Entweder  gib  oder  geh  aus 
der  Welt!  Doktor  Ooldschötz  machfs  ähnlich.  Hat  er  einen 
Kranken  geheilt,  dann  schindet  und  schneidet  er  ihn  bald  so 
jämmerlich  zusammen,  daß  der  Arme  wünscht,  mit  der  alten 
ungeschorenen  Haut  nur  wieder  in  die  alte  Krankheit  zurück- 
fahren zu  können.    Ein  schlechtes  Schlafmixiürchen  von  etlichen 


Ein  deutscher  Jesuit  (Jakob  BaJdc)  als  medizinischer  Satiriker.       47 


Mohnkörncm  und  etwas  Milch  —  das  kann  d«r  Börse  schon 
die  Schwindsuchl  bringen.  Was  sol!  al&o  Dr.  Hops  zu  Mops 
gehen?  Mops  ist  ja  bettelarm.  Nicht  einmal  ein  Scheitchen  Holz 
im  Höfchen,  kein  Feuer  im  öfchent  Sein  Häuschen  ein  Raum 
von  zwei  Katzensprüngen.  Der  Doktor  kommt  zudem  nur  zu 
Pfingsten  auf  dem  Eis,  wenn  der  Kuckuck  schreil,  denn  er  riecht 
anderswo  weit  bessere  Bewirtung  als  da,  wo  man  nur  Haferbrei 
und  schimmliches  Schwarzbrot  mit  Zwiebeln  und  von  einem 
alten  Hammel  einen  halben  Knochen  auftischt  Ja  sogar  ins 
Testament  hinein  sich  schwärzen  kann  so  ein  Döklerchen,  und 
von  einem  aus  Kassel  erzählt  man,  dal5  er  bei  Krankenbesuchen 
wcKzuschnipfen  verstand  Schnupf-  und  Halstücher  und  Strümpfe. 
■.O  Kinderchen,"  rief  deshalb  Frau  Till,  »Kinderchen,  geschwind 
die  Wäsche  weg!  Herr  Ripsraps  kommt.  Fori  rasch  mil  dem 
schönen  Linnen  und  den  feinen  Servietten."  Allzu  ehrlich 
machte  es  ein  Florenzer  Heilkünstler,  der  sich  über  das  Tor 
seines  prächtigen  Palastes  schreiben  licB: 

Vater  Oalen  ist  unser  Palron 

Hilft  er  nicht  andern,  hilft  er  uns  schon. 

Aber  der  Mann  hatte  eben  nur  zu  sehr  rediL  Das  ganze  Haus 
spiegelt,  von  Gold  schimmern  Sessel  und  Tische,  überall  Prunk- 
gcßfie  von  Erz,  ringsum  Statuen  eines  Myron,  Praxiteles,  Polyklet. 

Und  da  gibt  es  noch  Leute,  die  so  etwas  in  Schutz  nehmen. 
Was  kostet  nicht  so  ein  Doktor,  namentlich  in  den  ersten  drei 
Jahren,  wie  muß  er  rieht  schwitzen  auf  Welsclilands  hohen 
Sdiulen,  was  muß  sein  armer  Schädel  nicht  alles  dulden  -  so 
hört  man's,  und  e&  freut  sich  darob  Herr  Sparmundus  Filzhausen, 
Herr  von  Rutschleder,  Herr  Bücherl.  Aber  nun  sehe  man  sich 
mal  dieses  letzteren  Bibliothek  an.  Alles,  vom  größten  medizi- 
nischen Folianten  bis  zum  kleinen  Journal,  fingerdick  mit  Staub 
bedeckt,  ein  Spielplatz  für  die  Mäuse,  denn  der  Herr  hat's  ja 
nicht  mehr  nötig.  Ein  Stündchen  Praxis  jeden  Tag,  das  genügt 
jetzt.  Schau  dir  aber  einmal  dieses  Mannes  Salon  und  Eßzimmer 
an!  Wie  das  funkelt  und  glitzert  —  Krüge,  Pokale,  Flaschen, 
Ponellan,  Bernstein,  Glas.  Antiquitäten,  alles  bunt  durcheinander, 
so  ein   hübscher  Raum,  um  sein   Hirn  zu  füllen   mit  Alkohol 


J.  Kncppcr. 


in  lust'ger  Zechgenossenschaft,  altes,  weil's  die  Patienten  ja 
gern  zahlen. 

Wie  rümpft  aber  so  ein  pflichtvergessener  Arzi  die  Nase, 
wenn  er  in  die  Slube  des  Armen  gerufen  wird.  O  hüte  dich, 
Korduba,  -  ruft  der  Satiriker  ernst  ans  -,  den  vierschrötigen 
Korydon  einen  rohen  Holzklotz  höhnisch  zu  benamsen,  den  m-in 
unbeschadet  zersägen  dflrfe!  Er  soll  etwa  deinetwegen  ein 
schlankes  Spazierslöckchen,  ein  schmächtiger  Krautstengel  sein  I 
Wer  weiß,  was  das  Schicksal  aus  so  einem  knotigen  Bauern 
noch  machen  kann?  Auch  er  hat  doch  ein  Recht  auf  das  Leben. 
Liebt  ja  die  rauhe,  festgewurzelte  Alp^neichc  und  ihre  Art  das 
bißchen  Leben  so  gut  wie  die  Zeder  und  ihre  Familie,  so  gut 
wie  die  sülien  Kinder  der  Nyniphenj  die  auf  blühenden  Auen 
an  Queüen  und  BScIier  in  stille  Veilchen,  sanfte  Rosen  und 
liebwonnige  Lilien  sich  ergießen. 

Böse  spielt  den  Ärzten  auch  der  Durst  mll.  Gerade  wenn 
man  den  Doktor  Hans  Feuchtl  nötig  hatte,  dann  lag  er  auf 
einem  Bauernhöfe  und  schnarchte  den  heillosen  Rausch  aus. 
Wie  ein  Trichter  ließ  er  alles  herunterlaufen,  und  die  ringsum 
kreiden  beschriebene  Kneipe  zeugte,  was  er  leisten  konnte.  Da 
schniausle,  tanzte,  sang  er,  so  daß  sich  der  Stutzfrack  über  den 
Kopf  schwang.  Nüchtern  aber  war  er  der  gesuchteste  Arzt,  viel 
begehrter  als  der  Abstinenzler  StÜrzel,  der  die  Kneipen  floh  und 
nur  am  Wasser  sich  labte,  aber  am  Krankenbett  immer  heilloses 
Pech  hatte. 

Wie  unangenehm  ist  dann  nicht  ein  schwätzender  Ai7t? 
Der  Doktor  Glyptos  schwadroniert  beständig  polasgisch-pclasgisch, 
mit  seinem  Gefasel  schmiert  er  selbst  Wunden  zu.  Und  der 
arme  Zips  in  seinem  Bett  muß  das  alles  anhören,  er  wälzt  sich 
herum,  und  der  Doktor  redet  weiter,  und  Zips  bleibt  krank. 
Meinetwegen  kann  der  Ant  am  Krankenlager  stumm  sein  wie 
jener  Tölpcl,  der  einen  Maulkorb  trug,  um  ja  in  keinem  Ochsen 
die  eingewanderte  Seele  seines  seligen  Herrn  Vaters  beißen  zu 
können.  Da  tS.\]t  mir  der  Doktor  Krembs  ein.  Er  sprach  nur 
sehr  wenig,  und  selbst  dies  wenige  war  nicht  milchig,  vielmehr 
angenehm  mürrisch  und  unterbrochen  durch  anhaltende  Pausen, 
Er  fühlte  den  Puls  und  ging  dann  schweigend  auf  und  ab:  er 


Ein  deutscher  J^uit  (Jakob  Bälde)  als  medizinischer  Satiriker.      49 


entwarf  ja  den  Heilpian,  wobei  er  immer  seinen  Husten, 
Schnupftabak  und  langwaltenden  Bart  mit  Streicheln  zu  Rate  zog; 
dam  forderte  er  Papier,  Feder  und  Tinte  und  kritzelte  sein 
Rezept.     Dann  erst  wurde  er  heiter  und  fröhlich. 

Ja  sogar  —  Bälde  kann's  allerdings  kaum  glauben  — 
Mörder  soll's  unter  den  Ärzten  geben,  Menschen,  die  schon 
Mitlelchen  %'issen,  miniiebige  Kreaturen  aus  der  Welt  zu  schaffen, 
ohne  daß  mar  sonderlich  viel  davon  merkt.  Da  gilt  es  zum 
Beispiel,  eine  unglückliche  Ehe  zu  lösen.  Der  Doktor  Lentin 
versteht  es  meisterhaft,  hier  mit  ein  paar  Pillen  das  Nötige  und 
Cevünschte  zu  erreichen  und  dem  von  Zank  durchlobten  Haus 
liefen  Frieden  zu  verschaffen.  Neue  Hochzcttsfackcln,  neue  Fesl- 
gesichter,  neue  Brautkränze  ~  das  alles  verdankt  der  glückliche 
Gatte  seinem  Hausarzt  Wie  viele  von  den  Kerkcrfesseln  des 
Körpers  erlöste  Seelen  hat  nicht  auch  der  Doktor  Tukka  auf  dem 
Gewissen?  Man  sehe  sich  ihn  nur  an,  wie  er  einher]Auft  mit 
schön  gekräuseltem,  aber  gekauftem  Haar,  mit  aufgeschwollenen 
Braivurstlippen,  schielend  und  knimmfäßlg  mit  verdrehten 
Waden.  Oleich  als  solle  man  sich  vor  ihm  hüten,  ist  der  Kerl 
sehr  deutlich  gezeichnet;  von  seiner  Mutter  her  ist  er  ein  rot- 
haariger Brandfuchs,  und  sieben  große  Warzen,  in  einer  Reihe 
gar  brüderliche  Nachbarn,  grenzen  ihm  kenntlich  die  Stirn  ab. 
Aber  freilich,  der  Biedere  hat's  endlich  auch  weit  gebracht:  er 
sitzt  nämlich  in  einer  Stadt  Westftilens  und  ist  dort  -  Schinken- 
prosekior.  Andere  aber  von  dieser  sauberen  Zunft  leben  herr- 
lich und  in  Freuden,  sie  finden  ja  dankbare  Ehemänner,  die  sie 
von  ihren  Furien  ertösen;  so  ist  mit  i-ärztlicher  Hilfe"  der 
Schwäbele  Oargel  zu  Ulm  sein  zänkisches  Weib  Poltrina  los- 
geworden, zu  Hamburg  Herr  von  Pimpemell,  zu  Danzig  Schnarch- 
gal  Acht  ganze  Weiber  hatte  der  letztere  ausgestanden,  als  er 
die  neunte  unmöglich  länger  ertragen  konnte,  da  ließ  er  sie 
hinaustragen  -  nun  hat  er  die  gewünschte  Ruhe.  Mit  scharf- 
gepfefferter Eisbrühe  hat  der  Pulsgreifer  hübsch  alles  prompt 
besorgt.  Die  hundertlausend  ausbedungenen  Judasgroschen 
gleiten  dann  in  die  Tasche  des  Helfers  in  der  Not,  und  nach 
Jahr  und  Tag  kräht  kein  Hahn  mehr  danach.  Bälde  unterläßt 
es  natürlich  nicht,  hier  seine  Satire  mit  dem   ganzen  Ernst  eines 

Aidkl«  nr  Kullnriadilditt.   It.  4 


j.  Kneilper. 


Mannes  zu  tlurchlränken,  der  solch  uiiglati bliche  Frevel  mit 
flammender  Empörung  brandmarken  mußte.  Desgleichen  erregen 
namentlich  auch  die  knie  seinen  Groll,  welche  sich  ßber  reli- 
giöse Pflichten')  und  altehrwürdige  Gebräuche  keck  und  kühn 
hinwegseUen.  um  nur  ja  ihrem  Portemonnaie  nicht  zu  schaden. 
So  kommt's  denn  vor,  daß  gewisse  Herren  Doctores  den  Kranken 
gerade  in  der  lustigen  Faschingszeit  Meerzwiebeln,  auf  Kar- 
freitag aber  Schinken  verordnen. 

Ein  abgeschlossenes  Bild  des  Arztes,  wie  er  nicht  sein  soll, 
gibt  uns  Bälde  in  seiner  letzten  Satire.  Hören  wir  ihn:  Des 
Arztes  Ruf,  der  gute  wie  der  schlechte,  bleibt  nimmer  verborgen, 
aber  jeder  Arzt  kann  sich  selbst  seinen  guten  Namen  schalfen 
und  erhalten.  Sieh,  wenn  du,  wie  deine  Ahnen  es  machten,  tief 
bis  über  beide  Ohren  in  träge  Federn  begraben,  schnarchest, 
wo  die  Kranken  dich  doch  zur  Nachtzeit  nötig  haben,  vcenn  du 
trotzig,  bäurisch-roh  mit  deinen  Hoclunutsphrasen  den  Armen 
verachtest  und  nur  dem  vollen  Geldsack  nachläufst,  wahrend 
doch  ein  armer  Lazarus  nach  dir  seufzt,  wenn  du  endlich  ein 
unglaubliches  Phlegma  bist  und  allmählich  in  den  Geruch 
kommst,  du  hättest  mit  dem  unbarmherzigen  Tode  einen  Pacht- 
konlrakt  auf  regelmäßige  Lieferung  von  Material  für  Pluto  ab- 
geschlossen; dann  gute  Nacht  mit  dir,  erbärmlicher  Tropf,  und 
solltest  du  auch  Gevatter  Phübus  als  Urahn  haben  und  in  Titeln 
und  Orden  prangen.  Wider  dich  steht  der  alte,  biedere  Hippo- 
krates  auf,  verhüllt  sich  mit  schwarzem  Mantel  die  Augen  und 
—  hangt  sich  auf  ain  Balken.  Und  der  berühmte  Mediziner 
Avicenna,  mit  dessen  Büste  du  prahlst,  sieht  in  dir  einen  arm- 
sehgen  Bastard,  und  er  würde  erröten  bei  deinem  Anblick. 

Wie  ganz  anders  der  Arzt,  der  Verstand  und  Herz  auf 
dem  rechten  Flecke  hat!  Er  wird  gepriesen  sein  weit  und  breit, 
und  sollte  er  auch  armer  Leute  Kind  &ein.  Wenn  du  -  ruft 
Bälde  einem  solchen  Arzte  zu  -  deine  Hilfe  immer  bereit- 
willig den  Leiderden  zuteil  werden  läßt,  wenn  du  ihn  gesund 
machst  und  nicht  ihn  quälst  mit  allerlei  Gebräu,  dann,  und 
wärest  du   auch   entstammt    einem   armseligen   Stalle    und   hätte 

■)  Ckgen  die  □Mlnleufnei  unter  dm  kntai  tiii<  er  «n«  d£en«  iqif«f(«rte  S«tln, 
dh  XII. 


Bn  deutscher  JesMit  (Jakob  Bälde)  als  medizinischer  Satinkcr.       51 


auch  dein  Vater,  ein  »dummer"  Bauer,  mit  krummem  Pfluge 
mühsam  die  Schollen  zerschlitzt,  dann  stinkesl  du  nicht  mehr 
nach  Land,  und  die  schwarze  Strohhötte  ist  dir  kein  Schalten. 
Von  welches  Stammbaums  Rinde  nur  immer  dein  Name  sich 
herschreibt,  du  erhebest  die  neuer  Aste  höher  als  deine  Ahnen 
von  jeher,  du  stehst  dann  mit  deinem  Adelslitel  im  ewig  dauern- 
den Buche  glorreicher  Taten,  du,  ein  einfacher  Arzt,  gebeutst 
Königen:  sie  legen  ihre  Krone  ab  und  erwarten  aus  deinem 
Munde  ihr  Schicksal.  Und  gerade  der  echte,  rechte  Arzt  ist  so 
schlicht  und  einfach,  ja  er  mag  gar  das  Urbild  von  Bedürfnis- 
losigkeit sein,  wenn  er  seine  Kunst  nur  versteht.  So  ein  Bieder- 
mann haßt  die  duftende  Pomade,  aber  er  schmaucht  sein  Pfeif- 
chen mit  gewöhnlichem  Hanauer  Tabak,  es  riecht  nicht  gerade 
gut,  aber  es  ist  lustig,  ja  er  mag  sogar  mannigmal  duften  echt 
jüdisch  nach  Knoblauch,  er  mag  ein  hartes  Lager  sein  eigen 
nennen,  einfaches  Binscnstroh  oder  eine  Bauern  malratze,  ja  ge- 
flickte Lumpen,  was  verschlägl  das  alles  -  er  hilft  ja,  rettet  ja, 
heilet  ja,  und  so  rufen  wir  zum  Vater  im  Himmel:  O  gib  uns 
so  einen  Mann  als  Arzt!  Ein  schönes  leeres  Balsambüchschen 
nötzt  uns  nichts;  da  ist  mir  ein  armer  Pfenninger  tausendmal 
lieber,  denn  der  Mann  ist  fleißig  und  ehrlich;  ihm  hat  der 
Armut  scharfer  Wetzstein  prüfend  den  Geist  geweckt  und  zu 
glänzendem  Schwerte  geschliffen.  Er  füllet  mit  neuer,  lebens- 
kräftiger Luft  dir  den  faulenden  Doppel  blasbalg,  er  wird  die 
versteinerten  Eingeweide,  die  felsige  Milz  dir  wieder  heilend 
erweichen.  O  verachte  ihn  ja  nicht,  wenn  die  Stirn  sehr  klein 
und  ungewöhnlich  beengt  ist,  sein  Kopf,  auffallend  zusammen- 
geprellt,  in  einen  Zuckerhut  sich  zuspitzt  oder  einer  viereckigen 
Pyramide  gleicht  oder  im  Oegenleil  mit  breilgedrflcklem  Schädel 
sieh  ausdehnt  und  zu  niedriger  Haubcnschachlel  abgeplattet  ist, 
oder  wenn  du  gewahrst,  wie  er,  halb  mit  triefendem  Auge  blind, 
kaum  das  Allernächste  zu  erblinzen  imstande  ist  O  er  sieht 
dennoch  sehr  genau.  Um  höheren  Preis  erkaufte  der  kranke 
Rabirius  die  glicderverstünimeUen  Kriippi;!.  Nicht  jeden  Arzt, 
nur  einen  vulkanischen  Kriimmbein  ließ  er  zu  sich  kommen, 
weil  der  eine  FulJ  kürzer  war,  sein  Haar  ganz  dimn  und  aus 
allen   Farben  gemischt   und  wie  abgestandener  Salat  welk,   und 

4* 


J.  Knepper. 


dazu  an  heiserer  Gurgel  ein  siebenpfündiger  Kropf  hing.  Ein 
heller  Geist  *ohnt  eben  sehr  häufig  in  einem  häßlichen  Körper, 
und  i.eiii  schöner  Kopf  hat  selten  Kopf". 

Hast  du  einen  solchen  Arzt  gefunden,  dann  frage  nicht: 
„Woher?  Ein  Welscher  oder  Neger?  Von  Jer  Seine  gewaschen 
oder  der  Donau?"  Führe  ihn  mit  dir  geraden  Weges  ins  Eß- 
zimmer, als  hättest  du  die  Elire,  in  solch  gemeiner  Alltagsfigur 
den  großen  Meister  Hippokrates  selbst  bewirten  zu  dürfen,  der 
da  einst  sagte,  daß  ein  von  Brei,  Kraut,  schlechten  Zwiebeln  und 
Bohnen  küinmerüch  sich  nährender  Mann  oft  weit  erlauchter  sei 
als  der  plumpsatte  Dickbauch  Herr  von  Hammelburger,  den  die 
fettgespickten  Fasanen  gemästet  Freilich,  auch  in  diesen  Dingen 
ist  die  Mittelstraße  die  goldene  Straße.  Keinen  Kyklopen  will 
ich  zum  Arzt,  aber  auch  keinen  schmachtenden  Ganymed.  Eine 
männliche  Stirn,  nicht  sonderlich  heiter  utid  stets  vom  heiligen 
Ernste  bewacht,  dann  rauhe,  genmzeltc  Wangen  und  ein  Sumpf- 
rohriiart,  so  etwas  ist  für  den  Heerbann,  der  gegen  den  grau- 
samen Tod  in  die  Schlacht  zieht,  um  mit  Schrecken  den  Sensen- 
mann zii  verscheuchen:  vor  einem  glatten  Lockenkopf  ist  er  aber 
nicht  bange,  und  das  süßlächelnde  Gesicht  eines  Stutzers  schllgt 
ihn  nicht  in  die  Rucht. 

Ernst  und  schön  schtießt  Bälde  seine  Betrachtung  über  den 
Arzt  und  seine  Aufgabe  an  einer  Stelle:  Ach,  stets  füllet  sich  neu 
der  Mond,  die  Sonne  und  Stemlein,  untergegangen  im  Meere^ 
sie  können  wieder  in  schönem  Morgenglanze  erstehen.  Aber 
der  Mensch,  dem  einmal  im  Todesschlummer  das  Licht  des  Lebens 
erloschen,  er  schläft  die  ewige  Nacht  in  plebejischem  Staube. 
Also  ein  kostbares  Gefäß,  doch  von  Ton  ist's,  hat  der  Arzt  in 
den  Händen,  so  oft  er  des  leidenden  Pulses  murmelndes  Beben 
erforscht  Wir  sind  nur  brechliches  Glas  und  im  Nu  durch 
schwachen  Schlag,  Stoß,  Fall  und  Zufall  nicht  mehr.  Gott,  wie 
oft  zerbricht  ein  unbesonnenes  Spiel  die  Schalen,  durch  keine 
Kunst  des  Bildners  heilbar!  Auf  dem  Boden  hegen  die  Trümmer 
zerstreut,  nicht  fürder  tauglich  dem  Menschen  zu  schönem  Ge- 
brauch; man  trägt  sie  hinaus  auf  die  Bahre.  Der  Unvorsichtige 
hätte  noch  retten  können,  wenn  er  ein  kluger  Wächter  gewesen 
wäre.    O,  so  lialte  denn  jedes  Leben   zurQck  mit  jeder  Kette^ 


Ein  deutscher  Jesuit  (Jakob  Bälde)  als  racdizinischo  Satiriker.       5$ 


dodi  wenigstens  nur  einen  Augenblick,  wenigstens  den  kleinen, 
den  Iet2ten  Rest  von  des  Lebens  schwachen  Fäden  strebe  zu 
fristen;  O  rette,  relle  nur  noch  die  Trümmer  der  Parzenspindel! 
Die  du  hinuntersendest,  sie  kehren  nie,  nie  wieder  aus  dem 
traurigen  Schattenreiche.  Ein  guter  Arzt,  der  seiner  göttlichen 
Kunst  den  rechllicheti  Mann  gesellet,  strenge  Gesittung  übt  und 
heiligen  Wandel  des  Lebens,  der  hebt  sich  ütier  der  Sterblichen 
Los.  Er  schreitet  auf  Erden  als  Gottheit,  teilet  himmlische 
Gaben  aus  mit  seiender  Hand,  Ihm  bauen  wir  wie  den  ver- 
klärten Geistern  im  Himmel  Altäre,  ihm  weihen  wir  frommes 
Gebet  -  Wir  sehen:  der  Jesuit  wird  warm,  wo  er  von  den 
echten  Ärzten  spricht;  er  hatte  eine  Menge  von  treuen  Freunden 
unter  ihnen,  und  so  werden  vor  allem  auch  diese  selbst 
sdion  im  Standesinteresse  seinen  geharnischten  Satiren  zugestimmt 
haben. 

Es  war  doch  eine  schöne  Zeit,  als  die  Welt,  frei  von 
Krankheiten,  die  Gesund  hei  tsrepara  tu  ren  noch  nicht  kannte.  Das 
dauerte  aber  leider  nicht  lange,  denn  schon  Jupiter  klagte  dann 
und  wann  nach  ambrosischem  Trinkgelag  friihmorgens  über 
höllischen  Kater.  Zwar  Juno,  sein  Weib,  ließ  ihn  brummen  und 
lachte  dazu,  und  der  Kater  schwand  allmählich,  namenthch  wenn 
Jupiter  zu  seinem  Herrn  Sohn  Vulkan  nach  Sizilien  kam  und 
dort  die  langweilige  Zeit  verspazierle.  Aber  bald  hatte  er  wieder 
Durst,  und  die  Sache  fing  von  vom  an;  der  Oötterrausch  wurde 
immer  toller,  der  Kater  immer  jämmerlicher.  Und  die  Menschen- 
kinder ahmten  ihren  Qott  nach,  machten  die  Weinkübcl  immer 
größer  und  holten  sich  mit  dem  Bnimmschädel  das  ganze 
Register  der  Krankheilen.  Aber  man  blieb  doch  noch  vemünflig: 
man  aß  noch  keine  Ameiseneier,  man  trank  noch  nicht  mit 
Wörmcni  volle  Becher  von  Quecksilber,  man  verschluckte  noch 
nicht  die  Asche  von  Wolfszähnen  mit  Wolfshunger,  man  kannte 
noch  nicht  die  Eingeweide  des  Flußkrebses,  man  wußte  noch 
nichts  vom  weißen  Hundskot,  von  Bocksblul,  von  Galle  und 
Hirn  des  Adlers,  von  Igelmilzpulver  und  gesottenem  Hundc- 
schmalz.  Man  kurierte  sich  einfach  mit  Kräutern.  Und  was 
tut  man  heutzutage?  Überseeische  Wurzeln  holt  man  und  ver- 
schlingt sie  mit  Behagen.    Cachonde,  China,   Ouajak,  wer  von 


_^ 


J.  Kneppcr. 


den  Alten  nahm  sie?  Man  zerreibt  und  trinkt  Korallen,  Hinter 
den  Eselsohren  lockt  man  Blut  heraus  und  schlürft  es  hastig, 
ebenso  Vipernbrühe,  Walrat  mit  dem  Saft  aus  gtänzender  Fäulnis 
der  Johanniswfirmchen  gepreßt.  Pulver  von  Kröten,  Eidedisen- 
salz,  Eingeweide  von  Fröschen,  gemischt  mit  verfaulten  Raben, 
ägyptische  Pharaonsralten,  das  alles  wüi^l  man  herunter,  ja  in 
der  Not  das  stinkerde  Ekelgemisch  vom  Atiskehricht,  selbst  den 
Kot  des  Krokodils,  natürlich  ohne  jeden  Zweck.  Spanische 
Fliegen,  Wunden,  gebrannt  mit  glühendem  Eisen,  windige 
Schröpfköpfe,  das  ist  noch  das  Wenigste.  Manche  heulen  und 
lusen  sich  kochen  und  überschwefelii  in  heißen  Dampfbädern. 
Wollte  es  der  Arzt,  sie  vFürden  brennen  wie  Neros  Fackeln. 
Und  Irotzdcm,  immer  m,chr  Seuchen  und  Krankheiten!  Krebs, 
Gelbsucht,  Krätze,  Geschwüre,  Fieber,  Darmfluß,  Eitersacke, 
Nierenentzündung,  Darmbruch,  Schlafsucht,  Krämpfe,  Schlaffheit 
in  den  Gliedern:  welch  kleiner,  kleiner  Teil! 

Und  woher  alles?  Hauptsächlich  voin  Schlemmen.  Sobald 
an  runden  Tafeln  fetter  Überfluß  und  Freßsucht  saßen,  da 
standen  auch  mit  gleichen  Schüsseln  ganz  brüderlich  mitgefütten 
vierschrötige  Kranklieiten  mit  auf.  So  ist  der  Kampf  der  Ärzte 
geworden  ein  Kampf  gegen  Küche  und  Köche.  Zwei  bis  drei 
nur  aber  fechten  dort,  hier  aber  steht  mit  Bratspießen,  Messern 
und  Gabeln  ein  ungeheures  Kriegshecr.  Tag  und  Nacht  forl- 
glQhend,  stehn  im  Feuer  die  fettesten  Ochsen-,  Hühner-  und 
Gänsebraten,  die  größten  Humpen  zu  rauschigem  Wetlkampf 
füllt  und  kredenzt  der  Mundschenk.  Alte  schwingen  bezecht  den 
Thyrsos,  alle  bersten  dickvoM  als  Überkuchenmeister.  So  stirbt 
der  Herr  von  Schüsselkönig  an  seinen  Fressereien,  und  Zutzte- 
putsch  nagt  ein  sommerlich  Eis,  wahrhafte  Trümmer  von 
Islands  Eisgebirgen,  und  Zutzlcputsch  ist  doch  ganz  erhitzt  von 
Spiel,  von  Tanz  und  glühendem  Rheinwein.  Aber  er  will  gegen 
■  Eis"  sich  ,.eisem"  zeigen,  will  die  winterliche  Kühle  in  seinem 
Schlünde,  die  er  empfindet,  garnicht  empfinden,  aber  die  Glieder 
starren  ihm,  und  die  schmerzlich  grimmende  Darnigichl  sagt  ihm 
nur  zu  spät,  er  habe  wahres  Gift  verschluckt,  sein  Könstlich- 
gefrorenes.  Ist  es  danim  ein  Wunder,  wenn  der  Schlemmer 
Vielfraß  seinen  harten  Pfau,  den  er  mit  ins  Bad.   auch   mit   ins 


Ein  deubcher  Jesuit  (Jakob  Bälde)  als  inedieinisdier  Satiriker.       55 


Grab  nimmt  und  erst  unter  der  Erde  verdaut?    Narren  scherzen 
eben  mil  dem  Tode. 

Grundfalsche  Methoden  der  Arzte  spielen  in  den  Satiren 
ebenfalls  ihre  Rolle,  manches  zeigt  natürlich  die  Zustutzung  zum 
Übertriebenen  und  Lächerlichen.  Mein  Mann  nift  Bälde  in  der 
2.  Satire  aus  —  wäre  der  ausgediente  Oraubarl  Bamabas,  denn 
die  jungen  Krankenspione  quälet  noch  allzusehr  die  Mordiust, 
und  sie  studieren  nun  einmal  mühsam  darauf,  wie  sie,  mit 
frischer  BIcifaust  zusprechend,  den  Kranken  recht  abboxen  und 
ihm  tödliche  Gnadenstöße  einreiben  können.  «Junge  Bari- 
scherer, alte  Arzte"  heißt's  mit  Recht  Nie  soll  unter  dem  Kinn 
ein  vor  Aller  zitternder  Finger  mir  spielen  und  mit  gefährlichem 
Messer  die  Haarbuschgurgel  zerkratzen,  aber  es  kann  der  HeÜ- 
trank  doch  recht  gesund  sein,  ob  ihn  schon  eine  bebende  Hand 
rddit  -  Wie  viele  Leichname  hat  so  ein  Jüngelchen  schon 
hinabgesandt,  wie  viele  aber  auch  schon  der  ArzI,  der  sein 
Handwerk  nicht  versteht  Pansa  aus  Wien  verließ  endlich  die 
heißen  Quellen  von  Karlsbad  und  warf  sich  dem  Hessen  Saufell 
hin  zur  völligen  Heilung.  Der  Ärmste.  Es  ging  täglich 
jämmerlicher:  das  Btul  dick,  der  Puls  matt,  beinahe  blind,  denn 
stau  lindernden  Balsam  hatte  der  Hausdoktor  ihm  Scheidewasser 
ins  Auge  gegossen,  das  ihm  sogar  das  Wams  zerfraß.  Eine 
Cxtrasalbe  sollte  alles  kurieren,  aber  sie  tat's  nicht.  Da  gibt  es 
Arzte,  die  überlassen  alles  der  Natur,  andere  wieder  wollen  davon 
nichts  wssen.  Wer  den  ersten  in  die  Hände  fällt,  der  mag  im 
Fieber  rasen,  einen  Höllenbrand  im  fast  zerplatzenden  Schädel 
spüren,  ihm  mögen  die  Schläfen  zerspringen  -  man  läßt  ihn 
hübsch  ruhig  gewähren:  die  Natur  wird's  schon  bringen.  Jawohl, 
sie  brachte  -  ihn  ins  Grab.  «Willkommen,  mein  Gotterbarms,"' 
rief  so  einem  Doklor  einst  der  Kirch hofswächtcr  in  Glogau  zu, 
prdich  nur  sehen,  so  fallen  die  Leute  wie  Soldaten  in  der  Schlaclit." 
Der  Mann  hatte  recht  mit  seiner  Freude,  er  hatte  ja  als  Schatz- 
gräber im  Solde  dieses  Krankenhelfers  die  beste  Kundschaft, 
^hatte  die  herrlichsten  Sümmchen  erobert  dafür,  daß  er  dessen 
Totenlicferungcn  in  ein  Loch  verscharrte.  Vor  so  einem  Arzte 
gehl  das  Fieber  nicht  laufen,  es  höhnt  ihn  gar.  Wie  wird  denn 
so  ein   zartes  Milchlanun,   der  Doktor  ßutterling,   die  Säge  des 


J,  KnepiKT. 


sehen kclzcrsch neidenden  Podagras  stumpfen,  wenn  er  weder  den 
Katarrh  aus  angeschwollener  Qurge!  vertreiben  kann,  noch  die  Gelb- 
sucht im  Gesicht,  ja  nicht  einmal  die  hangenden  Drüschen  am  Ohre. 
Ahnliche  Kumpane  sind  Hans  Lüderlich  und  sein  Gesell  Kunz 
Alberich,  dann  Rundbauch,  Liebelher?.  und  Bruder  Laufenheimer, 
namentlich  aber  Dr.  Qrimmkratt,  der  in  vier  Jahren  hundert 
Leutchen  -  hinunterpurgiert  hat.  Man  möchte  meinen,  diese 
Herren  Dodores  wollten  sich  aus  der  Unterwelt  eine  der 
Schwarzen  Furien  holen  als  Frau  Doktorin.  Einer  von  ihnen, 
eine  offene  Seele,  machte  einst  folgendes  Gelöbnis:  ..So  oft  einer 
meiner  Patienten  stirbt,  rupfe  ich  mir  ein  Haar  aus."  Er  tafs, 
und  in  einiuen  Jahren  war  er  kahl,  als  hätte  man  ihm  mit  Pcch- 
pflaster  den  Schädel  abgeräumt  Beim  Glas  Burgunder  gab  er 
selbst  die  Sache  zum  besten. 

Als  einst  die  Dame  Lovinia  gestorben  war,  forschte  man 
nach  dem  Rezept,  das  ihr  der  Dr.  Matz  verschrieben  hatte.  Es 
lautete:  wNinim  mit  Präzipitat  das  englische  Pulver  und  mische 
von  siedendem  Wasser  hinzu  sechs  Tropfen,  dann  bei  langsamem 
Feuer  tröpfelnden  Vitriol.  Überdies  Kampfer,  rohen  Maulbeer- 
baum und  wasserhaltige  Lotos,  Neaselsanien  und  Geigenharz  mit 
Malven,  ferner  Keuschlamm  und  in  weißem  Wein  gekochten 
Gamander,  dann  Quittenäpfeitinktur  und  Tamarisken.  Wirf 
hinein  Salpeterkögelchen.  Wirf  hinni  Minzenkraut,  Alraun, 
spanischen  Pfeffer,  Würzen  von  Oichtrosen,  Seeblumen,  schlaf- 
rauschiges  Opium,  Isop,  Aloe,  zapfentragenden  Terpintenbaum, 
freudige  Fäden  von  weichgefasertem  Safran,  endlich  Kolokasien 
mit  Attichbeeren,  Geiflbart  mit  drei  Frauenhaaren,  in  Tau  zer- 
veicht"  Die  brave  Lovinia  starb,  aber  natürlich  nicht  dut^h 
Schuld  der  Arzte  -  denn  so  ein  Rezept  mußte  doch  jeden 
retten,  sondern  weil  eine  verdächtige  Alte  sie  giftig  angehaucht, 
ein  schwar/er  Kater  sie  geschreckt  und  ein  Uhu  sich  auf  die 
Spitze  des  Daches  gesetzt  hatte.  Was  konnte  da  Herr  Matz 
machen  ? 

Was  uns  an  den  dargestellten  Kuren  ganz  besonders  inter- 
essiert, das  ist  die  Art,  wie  Bälde  über  die  Wasserbehandlung 
denkt.     Einen  Kneipp  und  Kneippianer  gab  es  noch  nicht. 

Eine  eigene  Satire,  die  4.,  befaßt  sich  mit  der  Wasserkur, 


Ein  deutscher  Jesuit  (J&kob  Bälde)  als  medtzinisdier  Satiriker.       57 


hauptsächlich  der  Kur  des  Wassertrinkens.  Da  ist  so  ein  Doktor 
Quellmann,  der  sagt  zu  jedem  Kranken:  »Will  gleich  helfen. 
Lauf  mir  zum  Wasserfali  und  trinke,  trinke,  und  der  gesunde 
Bninncn  wird  auch  dich  gesund  machen."  Der  Kranke  trinkt, 
er  jammert  über  den  »-asserverkälleten  IVlagen,  hilft  nichts,  weiter 
muß  er  trinken.  Bälde  aber  lenkt  ein.  denn  er  war  zeitlebens 
als  echtes  Elsässer  Kind  ein  guter  Weitikenncr  und  Weinirinker. 
Und  so  erlaubt  er  dem  Kranken  mäßig  verdünnten  Wein,  er 

^{önnl  dem  Wassermann  am  Krankenbette  diesen  Sieg  über  den 
tollen  Bacchus,  aber  dieses  Misdien  ist  doch  nur  angebracht  bei 
dem  hitzigen  Wein,  beileibe  nicht  bei  jedem,  denn  das  wäre 
fluchwürdiges  Panischen,  Und  soll  der  Kranke  reines  Wasser 
trinken,  dann  ja  nicht  den  eiskalten  Quell.  Will  dich  etwa  dein 
Wasscrwirl  verhunzen  zur  Kropfgansl  Freilich,  dem  Deutschen 
Wasser  beizubringen,  ist  keine  Kleinigkeit,  denn  er  machts  wie 
weiland  seine  Ahnen,  er  ruft  nach  Alkohol,  aber  nicht  nach 
Brunnenwasser.  Hört  er  den  Namen  «Wasser",  dann  schwitzt, 
Werl,  zittert,  erbleicht  er,  und  sein  tapferes  Herz  hupft  unter 
Alpdnicken.  Noch  im  Tode  verwünscht  er  den  Durst  mitsamt 
den  „wässerigen"  Ärzten  und  sehnt  sich  hin,  wo  fern  von 
Wasscrdokloren  die  dunkle  Traube  glüht  Einen  dieser  Wasser- 
praclici  hätte  der  Patient  neulich  beinahe  zum  Richter  geschleppt, 
denn  der  Doktor  hatte  den  Amien  ins  Bad  gesperrt,  schnitt  und 
brannte  an  ihm  hemm  mit  glühendem  Eisen,  und  der  arme 
Wassermärlyrer  schwitzte  fast  in  siedendem  Strudel  die  ängstlich- 

t^eschmolzene  Seele  aus.    Der  Gequälte  bot  hohen  Lohn,  ver- 
gebens, der  Doktor  verbot  ihm,  einen  Tropfen  zu  trinken.     Und 
das  alles  mitten  itn  Wasser,  in  glutdurchkochten  Sommertagen. 
Das  liebe  dumme  Publikum,    das  sich    in   Krankheüsfällen 

■.»  kopflos  und  unglaublich  töricht  bemrhmen  kann,  bekommt 
»tflrlich  auch  sein  gutes  Teil  ab.  Dal!  es  sich  so  leicht  ködern 
läfit  durch  Chariatane  und  Pfuscher,  durch  alte  Weiber  und 
Quacksalber  haben  wir  schon  gelesen,  wie  uns  ja  auch  schon 
die  Vorliebe  gewisser  Kreise  für  Stutzer  und  Gecken  im  ärzt- 
IkiKn  Stande  begegnet  ist.     Da  sind  Leute,   die  sich  um  jeden 

iPreis  vornehm   behandeln    lassen  wollen.     Ein  Arzt,    zumal    ein 

schlichter  Landdoklor.  genügt  nicht.     Als  Tongil  etwas  im  Malse 


58  J-  Kneppö- 

juckte,  da  mußte  schleunigst  ein  Heer  von  Ärzten  kommen,  nicht 
zuletzt  der  Mathemalikiis  Stern  und  der  Wahrsager  Baustiack 
mitsamt  dem  Dicksien  der  ganzen  Zunft,  dem  Herrn  Wanipus- 
wulächl,  der  gravitätisch  langsam  nachlrollte.  Die  Konsultation 
beginnt:  der  eine  meint  dies,  der  andere  das,  endlich  einigt  man 
sich:  man  schmiert  mit  unleserlichem  Geschreibsel  sieben  ganze 
Seiten  voll,  ein  Gekritzel,  wie  es  die  scharrende  Henne  niachl, 
wenn  sie  ein  Ei  legen  will.  Mit  diesem  Dokument  durchläuft 
die  schwarze  Jungfer  Rachiinzel  alle  Gassen  bis  zum  Apotheker, 
der  schmunzelnd  das  recipe  liest  -  und  unterdessen  entschläft 
sanft  der  arme  Tongii.  Es  ist  eben  ein  altes  Sprichwort:  Viele 
Arzte  sind  des  Kaisers  Tod.  Und  dann  meint  so  mancher  be- 
häbige Philister,  so  ein  Arzt  müßte  ein  weitgereister  Mann  sein, 
sonst  verstände  er  nichts,  und  so  will  er  auch  nur  einen  Doktor, 
der  zum  wenigsten  in  Italien  gewesen  ist.  Dieser  Narr!  Wir 
wissen  ja  alle,  wie  schon  längst  die  deutschen  Affen  dieser  böse 
Erbgrind  juckt,  daH  sie  die  Heimat  verachten  und  die  Fremde 
loben.  »Welschland,  Welschland"  lautet  also  auch  die  Parole 
so  manchen  Askulapjüngcrs,  und  nun  gehts  los  in  die  Kreuz 
und  Quer.  Kommt  dann  so  ein  fauler  Kraulkopt  zurück,  dann 
doktert  er  die  Leute  noch  schneller  tot,  als  wenn  er  hinter  dem 
heimischen  Ofen  gehockt  hätte,  aber  freilich,  in  vornehmen 
Häusern  gilt  er  dann  was,  und  es  gehört  mm  guten  Ton,  ihn 
zu  rufen.  Und  doch  steckt  ihn  der  giile  alte  Doktor  Schwarz- 
kalb, der,  in  armer  Bauernhülte  geboren,  tiber  Donau  und  Elbe 
nie  hinausgekommen  ist,  mit  seinem  Wissen  hundertmal  in  den 
Sack.  Und  mit  was  für  Mittelchon  läfSt  sich  von  solclien  HeÜ- 
künstlern  das  liebe  Publikum  betrügen!  Doktor  Natta  war  fünf 
Jahre  in  der  Fremde.  Als  er  heimkam,  kannte  er  naiörhch  seine 
Jugendkameraden  nicht  mehr,  mit  denen  er  früher  Stecken- 
pferdchen  geritten  und  den  Leuten  die  Fenster  eingeworfen  hatte, 
aber  er  hatte  etwas  Großes  mitgebracht,  ein  neues  Medikament, 
man  meint,  aus  der  Schmiersalbe  des  alten  Muffelbuthus:  bald 
sollte  es  ihm  dieser,  bald  jener  Gelahrte  vermacht  haben.  Sein 
kostbarer  Stein  von  der  persischen  Ziege  ist,  bei  Licht  besehen, 
—  verdichtete  Escismilch.  Warum  da  nicht  lieber  die  Hörner 
einer  alten  Kuh  nehmen? 


En  deutscher  Jesuit  (Jakob  Bälde)  als  medizinischer  Satiriker.       5  9 

Dieser  kärgliche  Extrakt  aus  Baldes  0 Medizinischen  Satiren« 
mag  uns  in  etwa  ein  Bild  geben  von  der  Art,  wie  der  ebenso 
geniale  wie  joviale  Jesuit  über  sein  eigenartiges  Thema  dachte 
und  schrieb.  Übrigens  schrieb  er  noch  eigens  eine  Satire  gegen  den 
Mißbrauch  des  Tabaks,  obwohl  er  selbst  ein  sehr  starker  Raucher 
war,  der  oft  mehr  qualmte,  als  ihm  gut  und  dienlich  war:  er 
war  et)cn  kein  Kostverächter  in  Sachen  von  Wein  und  Pfeife, 
die  er  gar  einmal  in  einer  Ode  andichtete.  Ja,  auch  die  Dicken 
und  Fetten  fanden  in  ihm  einen  geharnischten  Verteidiger,  der 
diesen  ■  Unglücklichen"  zum  Tröste  eine  besondere  Satire  schrieb, 
und  speziell  widmete  er  unter  den  Kranken  den  Podagristen 
seine  Sympathie.  Zeuge  dessen  ist  sein  köstliches,  geist-  und 
witzvolles  Solatium  Podagricorum,  ein  «Schlager«  für  jene  Zeit, 
die  an  der  ganzen  Darstellung  ein  Vergnügen  fand,  das  auch 
wir  noch  nachempfinden,  wenn  wir  die  frischen  und  flotten 
Verse  mit  den  tollen  Einfällen,  der  humorvollen  Gnindstimmung 
und  den  oft  drastischen  Geschichtchen  lesen. 


Konfessionelle  und 
Verwaltungsstreitigkeiten  im  Bergischen, 

1765  und  1777. 

Von   GUSTAV  SOMMERFELDT. 


Der  Siebenjährige  Krieg  hatte  im  Gimborn-Neiistädler  Lind- 
chen,  in  der  heutigen  Rheinprovin?,  nicht  geringe  Unordnungen 
zur  Folge  gehabt.^)  Es  äuBerten  sich  diese  nach  geschlossenem 
Frieden  noch  in  etlichen  langwieriger  Prozessen,  die  sich  meist 
zwischen  der  in  Qlinbom  residierenden  Landesherrschaft  und 
einem  Teil  der  Unlertanen,  in  zwei  Fällen  zwischen  der  Landes- 
vertretung, dem  sogenannten  Amtsvorstand,  in  Oummerebach  und 
dem  in  Wien  befindlichen  Fürsten  Joseph  zu  Schwarzenberg') 
abspielten. 

Ein  Prozeß,  in  dem  der  Herr  von  Neuhoff,  genannt  Ley, 
für  seine  Güter  Seibach  und  Lieberhausen,  femer  der  von  Om- 
phal  für  LOtzckusen  und  Herr  von  Pöppinghaus  für  sein  Out 
Bruchhausen  wegen  der  ihnen  teilweise  bestrittenen  Abgaben- 
freiheit als  Kläger  wider  den  Amtsvorstand  eischienen,  der  durch 
die  Schöffen  und  Deputaten  Johann  Peler  Seibach  und  Johann 
Keller  und  die  Vorsteher  und  Deputaten  Johann  Christian  Pick- 
hardl  und  Johann  Friedrich  Calwinckel  vertreten  war,*)  nahm  in 

q  P.  V,  Sybfl,  Chronik  und  unnindnibiKli  ilpr  Hfmch»*!  Olinhoiti-N»u«»ai. 
OominenlMch  iiao,    S.  *o. 

■>  r.  V.  Sybcl.  Bdlriie  xur  Chronik  ton  OlmtMrn-Ntuitidl.  Oununenbuh  1191. 
£  J-ii. 

■)  F.  V.  Sybd,  Bciltkge  *iir  Cliiunlk  S.  5,  der  d<e  Niuncn  dlner  Vtrtre*«  in  un- 
KtrauR  Schrelljwiic  hil.  iiMnt  unter  den  KtlKcrn  mBa  den  abm  jtenannten  Adligen  noch 
rinn  Johann  Amtild  Hifllrtiunn,  V%  wai  din.«  (betif«!!»  au!  Bnjchh.mtni  »ntiMic.  lelJle 
Irdocti.  da  ci  als  ßcix-  und  llUIlnntitlitnr  In  rrdhcfTlIcti  ItnlmWIirn  [>gn»tcn  lailg  n.r, 
•nita'  Landet  Im  Ort  Kupferh&tte  bei  Olpe.    Beim  Tümcn  SdiTtncnbcrG  hatte  v^n  Neuhvtf 


Konfessionelle  und  Vwwaltungsstreitigkeiten  im  Bergisclien.       61 


I 


I 


seinen    Vorbereitungen    beim    Reichskammergericht    zu    Wetzlar 
schon  1 766  seinen  Anfang. 

Der  sehr  energische  fürstliche  Oberamtmann  Franz  Göttlieb 
Weckbecker  auf  Schloß  Oimborn  wußte  die  Angelegenheit  nach 
beiden  Seiter  hin  mit  vieler  Geschicklichkeit  zur  Geltung  zu 
bringen.')  Die  streng  katholische  Richtung,  der  er  anhing,  zog 
itam  indessen  auch  bedeutende  Anfeindungen  zu,  so  von  Seiten 
des  streitbaren  Pastors  zu  Gummersbach,  Johann  Moritz  Ising.*) 
Dieser,  einer  allen  Gunniersbacher  Familie  entsprossen,  hatte  von 
1723  bis  1743  in  selbiger  setner  Heimatstadt  als  Vikar  gewirkt, 
von  da  bis  zu  seinem  Tode  (1.  März  1784)  als  Pastor  und  Senior 
des  geistlichen  Ministeriums  dieser  Gebiete.  Das  Archiv  auf 
Schloß  Qimbom  -  jetzt  im  Besitz  des  Baron  von  Fürstenberg 
befindlich  -  enthält  Ober  die  Differenzen,  die  Weckbecker  mit 
(sing  hatte,  folgenden  aus  Gimbom  vom  6.  Dezember  1765 
djlierten  „Gehorsamsten   Bericht"  Weckbeckers  an  den  Fürsten: 

■  Wann  der  Pastor  Ising  nicht  schon  in  dem  am  verwichenen 
Montag  in  causa  des  Closlers  Marienheyden  contra  den  Schul- 
lector  publicirfen  Meydel berger  Universitätsurtheil  *)  als  ein  un- 
ruhiger Geist  und  Aufwiegler  erkennet  und  quia  talis  zur  Strafe 


MMt  4l«  todcm  KiMgm  m^r  «ehfrn  «m  l.  Min  i?£i  «q^eh  Abgibentrciheit  In  glcidier 
Sache  «rne  vom  AiJvolnlen  Johinn  Ptter  Wtber  lufgMMilc  BeKhTwdeMhrtfl  HnreEchen 
han  (K|[l.  StutMicblv  m  Wdzlir:  l>rniQai  Litt.  N.  Nu.  ^S*J<(l:l2.  lol.  »0-»4).  Ei 
bl  »oth  MDSl  unhallbif,  vcttn  «.  Sybcl  i.  a,  O  du  JiJii  I7A3  ili  Aiitan^iiliT  ditsej 
ProioKi  nennt.  Die  ZiUtlora  dtt  RcIclDkRinmfrgrrltlib  tn  du  Obtnmt  und  Um  Anatt- 
vortund  da-  Hctnchifl  Oimborn 'NcniUdl  erging  am  1T.  Navonbet  iiM>  (SUaluichiv 
VMtlar  rtifndi.  Inl.  I0-T4t  »nd  rin  mftn  AutrurdFruni^tthrrllwn  üa  K-ddisIcanimer- 
SCridll*  Ml  du  nlmllitir  Obcnml  In  Eldclirt  Sache  im  2*.  DFinnber  1I6S  (SluUinihiv 
Tctilar  «bcnda.  (o1.  iii-ns). 

*i  J.  F.  P.  V.  SMiKn,  SpalilccKhichte  dw  Kirxh»pi*l«  OiiriinmbMh.  1.  Aufl. 
OUBncnbieh  tlve.  S.  so  braHelin«l  ihn  xu  i'G6  »li  Obtrriehler.  und  dlner  Rtrg,  itt 
mit  dBükniffcn  ita  Obrmntnuiii»  ni  Olni1ii>ni  virltich  verbunden  vii,  o^nl  ihm  mch  In 
am  AMa  öfiti  bdKdcst. 

S  V  SKincn  i.  a.  O.  S.  «-?8. 

^  Magiilet  Kar)  Chrlttaph  Reiche.  Hektar  der  Litnnicliale  tu  OutnDerstMch  (TU 
Wl  <M1,  «af  mlil  PilFT  Kirchhull,  dem  Pri>l(iiralor  d«t  Duininlkinerlionvtnli  Marienlieide 
bd  Ohnbom.  dei  Ihn  ITfi*  bei  riner  Pro/r^dorulcier  b«clLiin|irt  h»1lc,  In  Hand«!  aertlen. 
Veddieclicr  Ubcrttus  dir  l'JiTschddune  dn  Pioinsn ,  da  ilch  auü  |aiEn  ennrtcteltt, 
cinKitiK  dc(  lalhot liehen  Fakulil«  dei  UnJvenltJ'l  Heidelberg,  and  als  Ijing  lind  Reldie 
|rfn  die  f.nlKhridtinji  dlr«er  F^kulUI  proleslienoi,  ging  die  Angelegenhftl  rlurch  du 
OtamI  «a  den  FUriten.  Jou[)h  ni,c}i  Wten.  Auf  Aimlen  det  Tüntm  kam  nn  Vergleich 
mU  daq  Mos«»  Manmtiddt  rimtiuide,  v.  Sldnen  «.  t.  O.  S.  iJS-111,  Reiche  handelte 
Ober  dlot  Zvbliclna'™  !»  icincr  lu  DoMmuiid  \7tt  cnchimcncn  Scüiiift  ■Nadiiiditcn  >on 
der  annllldl  Llldabchen  Schule  m  >!cr  VmIc  aurnniirrih4i.ch-,  fcmcr  HiandriibtiEi:  x.\t. 
ITTJ:  •Ober  dM  Sdldllche  da  Predt^erocdeni  und  deiien  Ablndening. '  -  Entitandei 
«V  du  Klc»lFr  Miririiheide.  du  ilch  bednitendni  Ruh  ertmile,  um  du  Jihi  KIO,  Vgl, 
Wlpptrtilnlin  VoikibUn  ibm,  tio.  69-n. 


Gustav  Sommerfeldt 


condemnirt  worden  wäre,  so  könnte  man  diesen  seinen  Cha- 
rakler  doch  gnugsam  aus  dem  mir  zum  Berichl  communidrten 
und  hiebey  gehorsamst  obnickgehenden  Scripto  abnehmen.  Dann 
was  gehen  einen  Prediger  Criminalsachen,  gleicliwie  die  Paß- 
und  hiackische  eine  wäre,  an?  Aus  denen  einer  hachfürstlichen 
Commission  präscntirlen  Inquisitionsactis  erhellet  des  mehreren, 
wie  die  Sache  unlersnchl  worden  seye,  und  da  der  Paß  duranlc 
Inquisitione  sich  mit  der  Flucht  salviret,  des  Hacken  Tochter 
aber  durch  einen  eingehohlten  unparlheyischen  Rechtsspruch  ab- 
soiviret  worden,  so  sehe  nicht,  was  der  Pastor  Ising  für  eine 
Satisfaclion  in  dieser  Sache  weiter  haben  wolle.  Hat  er  etwas 
mit  dem  catholischen  Pastor  zu  Orbach,  der  den  Paß  mit  des 
Hacken  Tochter  copulirt,  noch  au Ezii machen,  und  will  er  von 
diesem  vielleichl  noch  deshnlben  Satisfaction  haben,  so  mag  er 
es  mit  ihme  ausmachen,  tmd  ihn  hey  dem  Herrn  Vicario  gene- 
rali allenfals  verklagen,  dieser  wird  sich  aber  schon  zu  recht- 
fertigen wisser,  indemc  er  in  betreff  der  Copiilation  nichts  änderst 
gclhan  hat,  als  was  ihme  von  dem  Vicariat  vorgeschrieben  worden. 
Denn  nachdeme  der  Pastor  zu  Orbach  sich  bey  dem  Vicariat  zu 
Collen  angelragel,  wie  er  respectii  der  von  dem  Paß  verlangten 
Copulalion  sich  zu  verhalten  habe,  und  er  von  dort  aus  die 
Weisung  bekommen  beyde  Copulandos  zuforderst  über  gewisse 
ihme  vorgeschriebene  Puncla,  in  specie  ob  sie  beyderseits  noch 
tedigen  Standes  seyen,  schwöhren  zu  lassen,  so  hat  er  auch  dieses 
befolget  und  hernach  mit  der  Copulalion  türgefahren.  Vermeint 
nun  der  Pastor  Ising,  daß  solches  nicht  recht  gewesen  wäre,  so 
muß  ich  ihme  überlassen,  solches  gehörigen  Orts  anzubringen.  — 
Es  mag  vielleicht  in  seinen  Augen  ein  Ärgernus  seyn,  daß  die 
Hacken  Tochter,  nachdeme  sie  einmahl  zu  Orbach  die  catholische 
Religion  profitiret  hat,  dabey  beständig  geblieben  und  nicht  nur 
nicht  wieder  umsaltelen  wollen,  sondern  auch  ihre  Schwester 
nachhcro  diese  Religion  gleichfall«  ergriffen  hat.  Dosfals  will  er 
sonder  Zweiffei  darüber  seeplidren,  dafl  ich  diese  beyde  Schwestern 
zu  meinen  Diensten  ins  Haus  genohmen  habe.  Wann  der  Pastor 
Ising  ein  Mann  wäre,  der  etaas  zu  verlieren  hätte,  so  würde  er 
sich  gewiß  noch  etwas  bedencken,  so  ohne  allen  Grund  in  den 
Tag  hinein  zu  schreiben  und  die  hochfürstlichen  Beamten  nach 


_W  .rf^ 


Konfessionelle  und  Verwallungsslreitigiidlcn  im  Bergischen.       63 


seinem  Outdiincken  durchzuhechein;  ich  hoffe  aber,  eine  hoch- 
fürstliche  Commlssion  werde  ihm  dieses  so  schlethlerdings  dan- 
noch  nichl  angehen  lassen.  Es  isl  wahr,  und  läugne  ich  garnicht, 
daß  ich  die  Hacken  Tochter,  da  sie  nach  ausgestandener  Inqui- 
sition bey  dem  einmahl  ampleclirten  catholischcn  Glauben  be- 
harret, und  sie  sich  nichl  gerne  zu  ihrem  Lutherischen  Vatter 
oder  Refreunden  zurückbegeben  «ollen,  sondern  eine  Zeit  lang 
hiesiger  Gegend  aufgehatlen  hat,  ex  coitimiseratione  in  meine 
ienste  genolimen.  Es  isl  auch  wahr^  dad  ihre  Schwester,  nach- 
deme  sie  schon  eine  Zeil  lang  vorher  ebenfalls  <lie  catholische 
Religion  angenehmen  gehabt,  gleichmäßig  bey  mir  gedienel 
habe,  -  was  gehet  das  aber  den  Pastor  Ising  anj  und  was  mag 
derselbe  vohl  für  Ursache  haben  sich  darüber  aufzuhalten? 
Wenigstens  wird  er  sich  doch  nicht  bcyfallcn  lassen  wollen  über 
die  Annahme  meiner  Ehehalten  zu  critisiren.  Was  er  aber  sonstcn 
quoad  hunc  punctum  sagen  will,  begreife  ich  garnicht.  -  Was 
der  Pastor  Ising  quoad  punctum  des  Handels,  so  2U  Zeiten  der 
hier  anwesend  gewesenen  vorigen  hochfürstlichen  Commission') 
wegen  eines  zur  calholischcn  Religion  übergetreten  Knaben  vor- 
gangen, sagen  will,  solches  verstehe  ich  auch  nicht.  Daß  der 
Paälor  Ising  damahlen  dieser  Affaire  halber  auch  Unruhen  erreget, 
solches  zeigen  seine  Adjuncta.  DaB  er  aber  damit  nichts  aus- 
gerichlel,  ist  ebenfalls  landkündtg.  Es  ist  mir  aber  nicht  be- 
wußt, daJl  in  denen  1 5  Jahren,  die  ich  hier  bin,  jemahls  etwas 
davon  vorgekommen  scye-  Ebenso  wenig  weiß  ich  auch,  was 
es  mit  des  Johan  Peler  Hacken  Sohn  für  eine  Beschaffenheit 
habe,  und  was  er  diesfals  dem  Palron  zu  Mahenheyden  zur  Last 
legen  wolle.  -  Die  von  dem  Pastoren  contra  Serenissimum  nach 
einem  Verlauf  von  mehr  als  21  Jahren  wieder  aufgewärmte 
Haberprälension -)  des  Pasloren  zu  MüUenbach  betreffend,  da  isl 


I)  Dn  lÜntUclien  Ratt»  nnd  SpniillxrtDlliiiäcliliK'™  lohuin  Encclljcit  van  Eichtrlch, 
biiil  daiairC  und  bli  tu  ^ncni  Tode  (n.  <Tlt)  auch  alt  Obcramliiiunn  ui  Stelle 
r«di^wkcn  dir  <lr>chli(lf  dnOlmboin-NrutUldtct  Uiolclirrii  vielfgi^li  fdlitlr.  Briv.Sxbd, 
Chmaik  und  U( künden budi  S,  S7.  Anm.  1  »ird  Wwlibwktf  tu  IMO  ila  Obnambnann 
Bddi  anunnt,  «un  EutierJch  hintuen  vini  Ihm  icini  iiii«r*lliiil  ectxisnv.  Eine  idii  se- 
•tadle  ErrldtTangMchrlft,  die  von  TKlirticIi  in  üet  S«rhr  von  NeitlioII  und  (Icnoism 
Jannu  II6T  an  du  Ittidulaniincrstricht  elnEondte,  tichc  SUatHithlr  tu  WcUUr:  PrcuBtn 
Litt  N,  N«.  Jwfiosr  lol.  m-i!4 

*i    Mio    KiftrlicfFtungcn.    die    dri    fünf  vim  EdiwanoibtTg  lieh  f;ewrif{rrl  hitle, 
dn  MOtlmbtchw  Pf«rr«r  )Uiillch  «rTolgai  lu  I«m«d. 


U 


Gustav  SO'mtnerfcldt. 


mir  ebenfalls  Zeit  meiner  Anilirung  davon  das  mindeste  nicht 
vorgekommen.  Ich  weiü  auch  nicht,  wie  er  Pastor  sich  in  diese 
Affaire  eindringen  wolle,  da  sie  ihm  im  geringsten  nichts  an- 
gehet, sondern  er  den  Pastoren  zu  MCiilenbach  oder  den  dortigen 
Kirchen  vorstand  dafür  sorgen  lassen  sollte.  Da  aber  diese  Sache 
schon  so  lange  Jahre  ohnbelricben  liegen  gelassen,  so  ist  wohl 
zu  muthmaßen,  daß  sie  mit  ihrer  Prätension  contra  Seren issimuin 
aufzukommen  sich  nicht  getrauet  haben,  und  ist  also  um  so  mehr 
zu  bewundem,  daß  der  hierzu  ohnqualificirte  Pastor  Ising  damit 
itzo  neuerdings  wieder  herangestochen  komme  und  sothane  Prä- 
tension noch  geltend  machen  wolle.  Wt-Iches  dann  zu  Befolgung 
des  unterm  +.  Deccmbris  erlassenen  hochfürst  liehen  Commissions- 
dccreti  gehorsamst  berichtlich  ohnvorhaltc  Qimborn,  den 
6.  Decerabris  I76S.     F.  Q.  Weckbecker.- 

Zwölf  Jahre  später  richteten  die  Einwohner  des  bei  Bergneu- 
stadt befindlichen  Kirchspiels  WiedenesI  eine  »Alleninterlliänigsle 
Vorstellung  und  Bitte«  an  die  Regienmg  zu  Kleve,  aus  der  wir 
ebenfalls  das  in  ganz  entgegengesetzter  Richtung  sich  bewegende 
Wirlcer  Weckbcckcrs  und  Isings  ersehen.  Es  handelt  sich  um 
die  Wiederbesetzung  der  Schullchrerstelle  zu  Wiedenest,  nach- 
dem deren  Inhaber  Richard  Lemmer  im  Herbst  17  75  gestorben 
war.  Weckbecker  protegierte  einen  gewissen  Schüritiann,  den 
er  zu  diesem  Zweck  auch  durch  den  Neuslädtcr  Rektor, 
Johann  Kaspar  Richter,  und  den  Gummersbacher  Rektor,  Kaspar 
Christoph  Georg  zum  Kumpf,  prüfen  ließ.  Die  Wiedcncstcr 
jedoch  suchten  die  Ernennung  von  Lemmers  Sohn,  Johann 
Heinrich  Lemmer,  durchzusetzen,  welchem  Zweck  die  genannte 
Eingabe  vom  27.  Juli  1777  dienen  sollte.')  die  durch  einen  Be- 
auftragten M.  von  Oven  verfertigt  und  der  Regierung  übergeben 
worden  ist: 

uAllerdurchlauchtigster,  großmächiigster  König,  alier- 
gnädigster  König  und  Herr!  Euer  Königlichen  Majestät  gcnihcn 
allergnädtgst  zu  erlauben,  daß  subscriptus  Mandatarius  hiebci 
eine  ihm  zugekommene  allcruntcrthänigslc  Vorstcitung,  so  von 
«len    Deputirten    der    mchreslen    Eingesessenen    des    Kirchspiels 


1)  Ktaifi.  Stiatnrdilv  in  DÜMtldorf:  Ctorc-Mirk,  Neuftadl-Climbon  N«.  li. 


Konfessionelle  und  Vcmallungsstreitigkeiten  im  Berigischeii.       55 


Wtedenest  tti  der  fürstlich  Seh wartzen bergischen  Herrschafft 
'  Cimborn- Neustadt  unterschrieben  worden,  alleruntertliänigst  präsen- 
tiren  möge.  Selbige  enthält  köralich  die  gerechte  Klage  Ober 
eine  offenbahre  Contravention  des  in  anno  16S8  mit  dem  föist- 
tlichen  Hause  Schwartienberg  geschlossenen  Vergleichs,')  die  von 
[Euer  Königlichen  Majestät  za  Lehn  tragende  Herrschaft  QimiDom 
[und  Ami  Neustadt  beireffend,  nach  dessen  ersten  Articul  die  der 
Augspurpschen  Confession  zugethane  Geistliche  bei  dem  Mär- 
'krschen  evangelisch-lutherischen  Ministerio  und  ihrem  Excrcitio 
religionis  verbleiben,  und  was  dem  anhängt,  imturbiret  belassen 
werden  solle.  Diesem  Vergleich  gemäß  haben  die  supplicirende 
Eingesessene  den  an  seines  Vaters  Stelle  zur  Wiederbesetzung 
des  vakanten  Schulmeislerdienstes  in  Vorschlag  gekommenen 
Sohn  Johan  Henrich  Lemmer  bei  dem  Märkischen  Inspedore 
von  Steinen  nach  Vorschriffl  der  daselbst  recipirlen  Qev-Mär- 
kischen  Kirdienordnung  examiniren  lassen.  Und  obgleich  der- 
selbe  zu  diesem  Dienste  in  Qefolge  des  beigelegten  Attestat!  des 
gedachten  Inspcctoris  töchüg  befunden,")  so  hat  gleichwohl  dor- 
tiger Prediger  Trommerehausen  nebst  dem  Kirchen  vorstände  sich 
an  den  Fürsten  zu  Schwartzenberg  gewendet  und  durch  ungleiche 
Vorstellimg  das  beigefügte  Rescriptiim  extrahirct,  womach  nicht 
nur  t)e5agter  Lemmer  von  der  Wahl  gäntzlich  ausgeschlossen, 
sord«ni  sogar  aus  tandesfürstlicher  Macht  und  Gewalt  ein  an- 
derer nicht  kirchcn ordnungsmäßig  von  dem  Inspedore  von  Steinen, 
sondern  von  denen  Rectoribus  zu  Neustadt  und  Gummersbach 
examinirtcr  Namens  Schörmann  in  den  Schuldienst  eingesetzet, 
gar  pro  futuro  dem  Kirchen  vorstand  das  Recht  der  Erwehlung 
eines  Schulmeisters  alleine  zuerkannt  werden  wollen.")    Da  doch 


'J  Di«(r  sog«i»mitc  -Liinlverülcirh'  rrschicn  im  Druck  [o.  O,  Pol.  14  Seilen) 
ino,  mit  .Hklortichsi  lind  uimtiEm  lU  desten  ErUulEniaK  dlnminrn  Anm«iimnEcn> 
neben.  Bd  v.  Sybrt.  Chronik  und  Urkundcnbuch  $.  ti3-ii7,  Idilcn  nidii  nur  Jl«e 
,  mbt  votvollBi  ßtnmtr'aaixai,  wnilrrn  lucli  dtc  doi  Schliin  <ln  l.indvcTS!cicltt  Mitnl 
UndCB  Kitf  Addlllunilirtlkc)  und  dnlKC  Icinci«  AutIQhrungcn,  bricht  die  »pcxicilen 
[fkrtdriMine  du  OinLlnamer  vcttirlefcn.  Ali  du  Ditum  da  l-indvcrfl rieht  n«nRt  r  Sytwl 
S.  M  tai  M.  Man  t6it.  doch  wurde  unter  dinrrn  Datum  nur  diri  Spruch  vnn  dm  halHT- 
MdHB  KMBBiMucn.  äeai  Orafm  Itrnitiiin  Aitolf  nir  l.ljipc  und  dem  nfirKcradilrr  nnd 
tue  der  tedt  KUIn  gttait.  Da»  riernlilclic  [Jatura  da  Vtrelcictii  iil  da  ::.  M*]  >6M. 
VbI-  ■■  SdilttB  iittn  Bclingi. 

•)  4-  d.  Ftammem,  dei  14.  Min  (ff.    SUaUardilv  Dflueldorf  i.  i.  O. 
■>  Sdivanaibcnc   Wloi.   dai  :i.  Mai   tTTJ;   WetUNtkcr;   Olmbora,  den  >.  tud 
IL  tni  tyJl.    Stulurtlilv  DilueldaH  *.  *.  O. 

ArcU*  fBt  KullutiirKhichlt.  IT.  ' 


^ 


1 


Gustav  Sommerfeldl. 


solhane  Wahl  nicht  blos  dtm  Kirchenvorslandc  competiref,  son- 
dern allen  Gemeiiisgliedern  nach  bisheriger  Observantz  das  Recht 
zustehet,  idazu  ihre  Stimme  ru  geben,  dergestalt  auch  der  ver- 
storbene Schulmeister  Richard  Lemmer  nicht  von  dem  Kirchen- 
vorstand  alleine,  sondern  von  der  ganzen  Gemeinde  viritim  zum 
Schulmeisleren,  Organisten  und  Küsleren  crwehlet,  und  was  mehr 
ist,  sothanes  Recht  besage  des  beigelegten  Zeugenverhörs  von 
dem  Prediger  Trommershausen  und  dem  Kirchen  vorstand  dadurch 
selbst  anerkandl  worden,  weil  von  ihnen  selbst  die  gantze  Ge- 
meinde dieser  Wahl  halber  2U  wiederholten  Mahlen  offenllich 
bereits  convociret  und  das  der  gantzen  Gemeinde  competirende 
Wahlrecht  noch  besonders  dadurch  eingestanden  ist,  weil  die 
Genehmigung  der  ganzen  Gemeinde  darüber  von  dem  Pastor 
Trommershausen  öffentlich  begehret  worden,  ob  nach  dem  Vor- 
schlag des  Kirchenraths  vorhcro  einige  Subjecta  zur  Probe  vociret 
und  alsdann  über  die  tüchtig  befundene  Subjecta  mit  Ein- 
schließung des  Lemmers  die  Stimmen  der  gantzen  Gemeinde 
colligirel  werden  sollten,  wie  solches  ex  articuio  7  des  gedachten 
Zeugenverhörs  unter  andern  constiret.  Gleich  dem  auch  aus 
dem  sub  No.  8  beigefügter  Protocollo  erhellet,  daß  bei  der  Wahl 
eines  Membri  des  Kirchenraths  und  sogar  eines  Armen provtsoris 
es  auf  gleiche  Weise  gehalten,  und  dabei  von  der  gantzen  Ge- 
meinde ebenfalls  gestimmet  worden. 

Dieses  sind  kürtzlich  die  Hauptmomente,  worauf  sich  das 
in  der  neben  liegenden  umständlichen  Vorstellung,  so  allenfalls 
pro  specic  facti  dienen  kann,  enthaltene  Petitum  gründet,  daß 
nämlich  Euer  Königliche  Majestät  allergnädigst  geruhen  mögten, 
sich  der  sogar  selbst  von  ihrem  Prediger  verlassenen  Gemeinde 
zu  Widenest  allergnädigst  anzunehmen,  indem  selbige  gegen  die 
seitens  der  Schwartzenbergischen  Regierung  wieder  den  Land- 
vergleich angemaßte  Verfügung,  auch  das  Decretum  des  in  dieser 
protestantischen  Kirchenaache  incompelenter  sich  mit  eingemischten 
römiscli-catliolischen  Oberamtmann  Weckbecker,  appelliret  und 
ihren  Recours  ru  Euer  Königlichen  Majestät  als  allerhöchsten 
Compaciscenicn  und  Lchnhcrrn  zu  nehmen  sich  genöthiget  ge- 
funden hat,  damit  sie  in  Gefolge  des  Land  Vergleichs,  der  reci- 
pirten   Clev-Mürkischcn   Kirchen  Ordnung,  der  noch  überdem  bei 


Konfessionelle  und  Vcrraltuiigsstceitlgkeilen  im  Bergischen.       67 


Separation  der  Stadt  Neustadt  und  dazu  gehörigen  AußetibOrger 
von  dem  Kirchspiel  Widenesl  etwa  vor  20  Jahr')  nodi  besonders 
gemachten  schriftlichen  Vereinigung  und  der  bisherigen  Obscr- 
vinlz,  bei  dem  der  gantzen  Gemeinde  zustehenden  freien  Wahl- 
rechte belassen,  des  vorigen  Schuhiieislers  Sohn  mit  in  die  Wahl 

'gesetzet  und  neben  ihm  keiner  admittiret  werden  möge,  welcher 
nicht  wie   immer  von   dem    inspectore   von  Steinen  kirchenoTd- 

iBunRsmäßiR   behörig  examiniret  und   tüchtig  befunden  worden, 

'auch  deshalb  an  gedachten  Iiis[>ectoreti  und  sonsten  dais  Nötliige 
dahin   allcrgnädigst  verfügen,   damit   Euer   Königlichen   Majestät 

fiind  des  Märckischen  Ministerii  Gerechtsame  In  Ansehung  des 
Kirchenwesetis  im  Schwartzenbergischen  ungekränkt  belassen  und 
die  bisherige  vergleichsmäßige  Observanz  beibehalten  werden 
möge.     Wir  getrösten  uns  allergnädigster  Erhörung  und  ersterben 

(fai  tiefster  Devotion  Euer  Königlichen  Majestät  allerunterlhänigstc 
Deputirte  der  niehresten  Eingesessenen  des  Kirchspiels  Widerest 
in  der  fürstlich  Schwartzenbergischen  Herrschaft  Qimbom-Neu- 
stadt  —  Cleve,  den  27.  Juli   i777." 

Nachdem  die  Klevische  Regierung  durch  Reskripl  vom 
3i.  Juli  1777  eine  Einmischung  in  diese  Kirchenangelegenheit 
abgelehnt  hatte,  hfiren  wir  nichts  über  deren  weiteren  Verlauf. 

An  der  Verfügung,  die  Weckbecker  auf  Grund  der  Entscheidung 

'des  Fürsten  Joseph  am  i.  Juni  1777  erlassen  hatte,  hieß  es: 
•Auf  Anstehen  des  Wiedenesler  Kirch envorslands  wird  denen 
Erben   Lemmer,   in   specie  dem  Heinrich    Lenimer,  anbcfolilen, 

das  Wiedenester  Schulhaus  in  Zeit  von  H  Tagen  zu  rüumen, 
idque  sub  poena  exmissionis." 

Die  Additionalartikel  des  n  Und  Vergleichs «  vom 
25.  Mai  1658,  auf  den  oben  S.  65  Anm.  1  Bezug  genommen 
ist,  lauten  nebsl  den  Zusätzen  am  Schluß  dieser  Urkunde;') 

»fe  haben  sich  ihre  hochgräf fliehe  Excellentz  auff  die 
Additionalpuncten  folgender  gestalt  resolviret:  1.  So  lang  das  Gut 


1  All  Tag  dn  AbtrcnnuRg  der  KiiehenE*'')^''^'  Wiedcnal  von  derjenigen  von 
[VrfffnaJI  nfnRt  WUhitm  ÜTiädes  NeuiUdler  Chfoaik  (MonalsubHft  des  Ber^uhm 
(ln(!i)dit(inrlnt  i.  isuu,  S.  i»)  doi  ■;;.  Juni  um:  v.  Sybel,  Chronik  utiil  Urkundenbuch 
S.  46,  nhnchcinlich  «ciii)(n'  (rnxu,  dm  t.  Juli  I7IA. 

1  SinRiCürcndc   PThlcr   und   ri)1slclluii|{ci]  de>  Dniclu   von   1734  htbc  ich  hicrbd 


Ocistav  Sommeifeldt. 


aufftn  Dannenberg  nicht  schatzbahr  crwissen  wird,  kan  es  nicht 
schalzbahr  gehalten  werden,  jedoch  solle  der  Ambtsverwalter  mit 
den  anderen  Beambten  sich  in  loco  um  die  Beschaffenheit  gründlich 
erkündigen  und  den  Bektind  an  ihro  hochgräf fliehe  Excelientz 
zu  dero  fernere  Erltlähning  referiren.  -  2.  Daß  die  Justitz  auff 
das  schleunigsle  befördert  und  auff  der  Partheyen  Begehren  un- 
partheyische  Rechtsgelchrten  oder  Universitäten  adhibirt,  jedoch 
das  Obergericht')  mit  anderen  Persohnen,  so  in  voriger  Instantz 
nicht  erkant  haben,  bekleydet  werden,  und  die  Procurator« 
darbey  in  Exlrajudiciatibus  zur  Erspahrung  unnöthjger  Kosten 
und  Abschneidung  der  Weiterung  keineswegs  zugelassen  seyn, 
sondern  vor  allen  Dingen  Fleiß  angewendet  werden  solle,  daß 
die  streitende  Theil  in  der  Güte  verglichen;  da  aber  die  Sache 
altioris  indaginis,  dieselbe  in  ordirario  ihren  Lauff  halten  und 
dahin  verwiesen  werden  sollen.  -  3.  Daß  es  wegen  der  Ver- 
hörsgelder bey  dem  alten  Herkommen,  so  würck-  und  thätlich 
wiederum  einzuführen,  verbleiben,  und  das  Oerichtsiegei,  Protho- 
colla,  Büclier  und  Schrifften  in  eine  gemeine  Qerichtskisten  ge- 
legt und  darzu  drey  oder  vier  verschiedene  Schlösser  oder 
SchtCissel  gemacht  werden,  deren  Schlüssel  der  Vogf)  einen, 
und  die  andere  die  Scheffen  haben  sollen,  gesteh  daß  die  Ver- 
siegelung änderst  nicht  als  gerichtlich  geschehen,  auch  zur  Zeit 
der  besitzender  Oeriditer  und  Verhör  kein  Bier  oder  Wein  ge- 
sdienckl  werden  solle.  -  4.  Von  den  verfallenen  und  nicht  be- 
wohnten Häuseren,  da  kein  Rauch  auffgehet,  sollen  keine  Rauch- 
hüner*)  gegeben  werden.  -  S.  Daß  dasjenige,  was  bey  diesem 
Vergleich  nicht  etwa  von  Wort  zu  Wort  eingerückt  noch  spcci- 
ficirt,  doch  gleichwohl  dem  alten  Herkommen  und  Privilegien 
gemäß  ist,  bey  diesem  Instrumento  dergestalt  vor  gültig  erachtet 
werden  solle,  als  wann  aUes  mit  austrucklichen  Worten  seines 
Inhalts  hicrbey  einverleibet  stände,  gestall  dann  auch  nochmahls 
in  allen  obgeset2ten  Posten  ihrer  churfürstlichen  Durchlaucht  zu 
Brandenburg  als  Lehnherren  nichts  zur  Präjudiz  und  Nachthey! 


I)  Ober  dir  Funklionni  ttrcwlbrn  v   Sybd.  Clirnnlk  und  Urfcurufenbtidi  S,  41. 

>)   AI)   Vimltlni<I(7   dn   Fnlra^rnchta    zu    GumtncribMch ;   danialii;cr   Vugt  war 
Ccrhaid  Stom.    Obtr  ilaii  I'olcniccHclil  vkI.  v-  Slctnai  t.  t.  0.  S.  138-1(7. 

Die  üuideub|[*bc  d-Di  .Rjuchhuhtu*  «at  uicb  tn  ipiWm  Zdi  noch  «dir  um- 
ttritm.    V.  Sybd.  BeliriiK  lur  Chronflc  S-  u-ll. 


Konfessionelle  und  Verwaltungsstreitigkeiten  im  Bergischen.       69 

gemeynt,  und  ihrer  hochgräfflichen  Excellentz  auch  das  seinige 
vorbehalten  wird,  so  deroselben  wegen  ihrer  Immediat  und 
Tcrritorialjurisdiction  competiret" 

«Auff  der  Oimborner  Additionalarticul  lassen  es  ihre 
hochgräffliche  Excellentz  (bey)  ihrer  den  29.  Aprilis  anno  1656  er- 
gangener Resolution  bewenden,  daB  es  nemlich  der  Diensten 
halber  bey  dem  alten  Herkommen  verbleiben  solle.  Dann  aber 
die  Unterthanen  jährlich  mit  einem  Gewissen  die  gewöhnliche 
Dienste  redimiren  wolten,  so  werden  ihro  hochgräffliche  Excellentz 
sich  darüber  weiter  gnädig  erklähren.  -  2.  Weilen  der  Anwald 
sich  erklährt,  daB  ihme  von  dem  Hofbuch  in  dem  geringsten 
nichts  wissend  seye,  und  dann  die  Unterthanen  deBfals  eine 
Copey  beyzubringen  vermeynen,  so  wird  deren  Exhibition,  und 
dabey  beliebet,  daß  nach  Befinden  deroselben  fernere  gemeine 
nützliche  Verordnung  vermittels  des  Anwalds  und  der  Unter- 
thanen Verhandelung  zu  machen,  in  alle  Wege  aber  das  Hof- 
gericht an  dem  alten  gewöhnlichen  Ort  zu  halten.  -  3.  Die 
Fassel-Ochs  und  Beer^)  auff  dem  Kummeier  Hof  und  Reckling- 
haußen  seind  bewilliget  -  4.  Die  Obergimbomer  werden,  wie 
vor  Alters  gebräuchlich,  bey  den  Müllen,')  Leich-  und  Kirchw^ 
gelassen.  -  5.  Wird  den  Oimbomer(n)  vor  die  Kleyen  das  Brey- 
meel,')  und  was  zu  scharff  Bier  gebraucht  wird,  wie  vor  Alters 
gebräuchlich,  ohne  Molter  zu  mahlen  bewilligt" 

»Zu  Urkund  dessen  haben  wir  die  Subdelegirte  in  Krafft 
obangezogener  Authorität  dieses  alles  eigenhändig  unterschrieben 
und  mit  unseren,  gewöhnlichen  Pittschafften  bekräfftiget  So  ge- 
schehen in  Collen,  den  14.  Monathstag  Martii  1658.  -  Als 
haben  hochgemelte  ihro  hochgräffliche  Excellentz  allsolche 
Handlung  obeinverleibter  maßen  in  allen  ihren  Puncten 
und  Clausulen  gnädig  bestättigt,  und  wird  den  Beamten  der 
Herrschaft  Oimborn  und  des  Ambts  Neustadt  antrefohlen,  sich 
ins  künfftig  darnach  allerdings  zu  achten.  Geben  Franckfurt 
am   Mayn  den  25.  Monathstag  Mail   des  1658.    Jahrs  ad  man- 


I)  d.  I.  Eber. 
*i  Mahlen veg. 
■)  Branhefe. 


70  Qustav  Sommofeldt. 


datum  illustrissimi  et  excellentissitni  domini   comitis.   -    Christ 
Sitbemagel." 

Seite  23-24  des  Drucks  enthält  noch  d.  d.  Köln,  den 
6.  Juni  1658  die  Unterschriften  der  beiden  Del^'erten,  des 
Lizentiaten  der  Rechte  und  gräflich  Lippischen  Kommissars 
Salomon  Cyriaci  und  des  Lizentiaten  und  Kommissars  der  Stadt 
Köln  Peter  Copperts,  femer  die  Konfirmation  des  Landvergleichs, 
die  der  Fürst  Adam  Franz  zu  Schwarzenberg  aus  Anlaß  der 
Neuhuldigung  des  Ländchens  d.  d.  Wien,  den  13.  Februar  1704 
vollzog. 


Zur  Charakteristik 
der  Menschen  des  18.  Jahrhunderts. 


Von  LUDWIG  GEIGER. 


F.  L.  W.  Meyer  gehört  zu  den  rätselhaftes len  Persönlich- 
keilcn  des  18.  Jahrhunderts.  Als  Schriftsteller  ist  er  herzhch 
unbedeutend.  Seine  Dramen  und  Lyrik  haben  keinen  originalen 
Ton,  und  sein  vieilangcführles  Leben  Scliröders  ist  kein  Kunst- 
werk, sondern  eine  Materiatiensammlung,  die  sich  weder  durch 
Volbländigkeit  noch  durch  kritische  Edition  auszeichnet,  sondern 
ihrem  eigentlichen  Wert  nur  darin  hat.  daß  sie  eine  der  frühen 
Iheatergeschichtlichen  Sammlungen  und  Darstellungen  ist.  Aber 
Meyer  gehört  zu  den  Menschen,  die  dem  Wanderer  durch  die 
liierarischen  Pfade  des  IS.  Jahrhunderts  auf  Schritt  und  Tritt 
begegnen,  mag  dieser  bei  den  tonangebenden  Männern  verweilen 
oder  sich  zu  den  Frauen  wenden,  die  durch  Schönheit  oder 
Geist  vorfi  hergehend  es  oder  dauerndes  Interesse  in  jener  Periode 
errcRten. 

Unter  den  Frauen,  in  deren  Leben  er  eintritt,  sind  Thcre« 
und  Karolinc,  die  schon  durch  ihre  Vornamen  erkannt  werden, 
die  beidtn  bedeutsamen  Nebenbuhlerinnen,  die  wichtigsten.  Beides 
Professorentöchter  aus  Göltingen,  beide  vom  Schicksal  arg  ge- 
prüft, beide  geistreich  und  vielcrfahren. 

Sie  haben  sehr  verschiedenartige  Beurteilungen  erfahren: 
Karoline  ist  meiner  Überzeugung  nach  weit  über  Gebühr  ge- 
priesen worden  und  gilt  noch  heute,  weil  die  Romantik  nun 
einmal  Mode  ist.  als  großer  Geist:  ich  hoffe,  die  Zeil  noch  zu 
erleben,  daß  Therese  geborene  Heyne,  in  erster  Ehe  mit  Georg 


Ludwig  Qdgcr. 


Förster,  in  zweiter  mit  L.  F.  Huber  verheiratet,  den  ihr  ge- 
bCihrenden  Ran^  auch  in  der  Meinung  der  zünftigen  Literar- 
historiker neben  oder  über  Karoline  einnehmen  wird,  Sie  ver- 
dient dies  im  hohen  Orade,  weniger  wegen  ihrer  dicken  Romane 
und  lan^tmigen  Novellen,  als  wegen  ihres  Charakters  und  ihres 
Geistes.  Trotz  mancher  Fehltritte  ist  sie  eine  rdne  Natur,  eine 
Frau,  die  Treue  wahrt,  Hilfe  spendet,  ihren  Kindern  eine  vor- 
xQclkhe  Mutter,  eine  Stütze  und  ein  Hall  für  Freunde  und 
Frrundinnen,  von  einer  Unerschrockenheit  der  Überzeugung,  die 
wenigen  Frauen  eigen  ist,  von  kühnem  Mute  des  Urteils  beseelt. 
von  einem  Leseeifer  erfßllt,  der  bis  zur  Unersättlichkeit  ging,  und 
Iroti  ihres  reichen  Wissens  fem  von  jeder  Blaustrumpf igkeit,  eine 
sfut^me,  tälige  Hausfrau,  die  ihre  häuslichen  Pflichten  mit  der- 
selben Lust  und  dem  gleichen  Eifer  besorgte,  wie  ihr  Amt  als 
Reitakteurin  oder  ihren  Beruf  als  Schriftstellerin. 

Diese  Frau  fiel  als  junges  Mädchen  Meyer  zum  Opfer. 
Er  umgarnte  sie,  da  sie  mit  Porster  verlobt  war  (1784),  er  trat, 
Mctideni  Förster  in  unbegreiflicher  Verblendung  ihn  als  Bruder 
begrOßt,  mit  dem  freundschaftlichen  Du  angeredet,  in  sein  Haus 
gezogen  hatte,  als  Störenfried  in  die  Ehe.  Er  wurde  -  und 
das  ist  ein  Beweis  von  dem  unerklärlichen  Zauber,  den  er  aus- 
Oble,  auch  von  Therese  später  nicht  losgelassen,  nachdem  sie 
eist  seinen  Unwert  erkannt  und  die  üblen  Wirkungen  seines 
Eindringens  verspürt  hatte;  ja  nach  dem  Tode  Hubers  suchte 
sie,  gewiß  ohne  eigennützige  Absichten,  den  Bund  ntit  dem 
Jugendfreunde  zu  erneuern,  wurde  aber  von  ihm  nach  anßjig- 
lichcr  Nachgiebigkeit  kühl  abgewiesen.  Immer  aufs  neue  trat 
W  »n  ihn  heran,  bis  sie  ihn  schließlich,  infolge  seines  hart- 
näckigen Schweigens,  aufgeben  mußte.  Eine  solche  immer  wieder 
versuchte  Anknöpfung  kann,  da  man  bei  Therese  Schamlosigkeit 
vorauszusetzen  in  keiner  Weise  berechtigt  ist,  nur  ihr  treues  Fest- 
halten an  alten  Beziehungen,  besonders  den  in  der  Jugendzeit 
geschlossenen  bekunden  und  mag  den  Beweis  liefern,  daß  sie  sich 
jenem  Manne  gegenüber,  so  nahe  sie  dem  Verderben  gewesen 
vnr,  von  Schuld  frei  fühlte. 

Für  dieses  Verhältnis  zwischen  Meyer  und  Therese  gibt  es 
Momente  von  hohem  kulturhistorischem   Wert,   die,  soweit  ihre 


tfifa 


Zur  Charakt«risttlc  der  Menschen  des  18.  Jahrhunderts. 


73 


Benutzung  und  Veröffentlichung  gestattet  war,  in  meinem  Buche: 
Dichter  und  Frauen.  Neue  Sammlung.  Berlin  1899,  S.  26 -83, 
verwertet  und  gedruckt  worden  sind;  manches  ist  üavonj  freilich 
in  viel  kürzerer  Form  in  mein  Werk;  Therese  Huber,  Stuttgart 
1901  Obergegangen.  Unter  den  an  crstcrer  Stelle  mitgeteilten 
Dokumenten  sind  psychologisch  die  Briefe  am  wichtigsten,  die 
Therese  17S3  über  ihr  Verhältnis  zu  Meyer  an  ihren  Vater,  den 
Philologen  Ch.  G.  Heyne,  schrieb  (Dichter  und  Frauen  II,  S.  42  ff.). 
Unniillelbar  an  diese  Briefe  knüpft  der  nachfolgende  von  Meyer 
an  denselben  Heyne  gericlilete  an.')  Zum  Verständnis  dieses 
sehr  merkwürdigen  Aktenstückes  müssen  nnr  die  folgenden  kurzen 
Bemerkungen  vorangeschickt  werden: 

Das  Forster^che  Ehepaar  war  aus  Wilna,  wo  es  etwa 
2*/,  Jahre  zusammen  gelebt  halle,  nach  Qötlingen  zurückge- 
kommen, wo  Forster  zuerst  die  Verwirklichung  einer  großen 
russischen  Expedition  erwartete  und,  nach  dem  Zerschlagen  dieser 
Aussichten,  ohne  Amt,  ohne  eine  seine  Zeit  ausfüllende  Beschäf- 
tigung verstimmt,  nach  einer  neuen  Stellung  ausschaute.  Solche 
Gemütsverfassung  kann  in  einer  hingebenden,  dem  Manne  aus- 
schließlich angehörenden  Gattin  ein  Korrektiv  finden,  sie  muß 
sich  vcrschlimmernj  wenn  ein  Dritter  plump  in  das  traute  Vcr- 
h&Itnis  hineintritt  Meyer  war  damals  in  Göttingen.  Er  durfte 
dem  Paare  sich  nähern,  denn  er  war  Forsters  Freund  so  gut  wie 
Theresens.  Vielleicht  war  er  entfernt  von  ehebrecherischen 
Wünschen  der  Frau  gegenüber,  die  durch  ihre  junge  Mutterschaft 
iKsser  verteidigt  war,  als  ehemals  dnrch  ihren  Brautsland,  aber 
er  war  nun  einmal  da.  Schon  sein  Dasein  erregle  Forsters 
Eifersucht:  er,  der  in  der  Stimmung  vor  der  Eheschließung  den 
Herzensräuber  an  seine  Brust  gezogen  hatte,  wollte  nun,  da  er 
im  gesetzlichen  Besitz  der  Gattin  war,  den  Unbequemen  aus 
seinem  Hause  bringen,  in  diesen  Kampf  zwischen  Weib,  Galan 
uad  Gatten  trat  der  alte  Heyne,  der  zu  Forster  vielleicht  eine 
größere  Zärtlichkeit  besaß  als  zu  seinen  leiblichen  Kindern,  auf 
die  Seite  seines  Schwiegersohnes  und  klagte  die  Tochter  an, 
die  früher  sein  Herzblatt  gewesen  war.     Ihre  Verteidigungsbriefe 

•)  Cr  bt  mir  cnl  Utigtrr  /cd,  nadidcm  Jene  Vctfllfcnllktiiinacn  .TBenclilostai  und 
grtniUI  wann,  dureli  einen  die  Dokumcnic  vergangener  Tsge  MtKum  tiOlendai  Null* 

^'TTnl^TTT  dt*  ■Itn  Hcyni  rar  Vrrlügang  gcstdll  vordn. 


^ 


14  Ladwie  Odger. 

siad  a.  «.  Ol  tniq^neilt  «tmlm.  Sie  sind  aus  den  letzten  Tagen 
desjaniar  iTU,  wie  die  auf  den  Briefen  angebrachten  Empfangs- 
mglbwi  des  pedaafech  genauen  Heyne  bezeugen,  der  selbst, 
«Tfio  sräi  Oemüt  aufe  höchste  etregl  war,  nie  versäumte,  das 
lundwertsniBige  Geschäft  des  Briefordnens  peinlich  zu  erfüllen. 
Fonkf  «ar  dunals  nach  Berlin  gereist,  weil  seine  zeitweilige 
BmletWt  HiT  alle  Beteiligten  nützlich  schien.  Unterdessen 
sacte  der  alte  Heyne  die  Sache  in  Ordnung  zu  bringen,  nach- 
dCM  Sun  Forster  nicht  eben  in  sehr  männlicher  Weise  unter 
TMhb  sein  Leid  geklagt  hatte.  Wie  billig  fing  er  bei  Meyer 
UL  SeiQ  Brief  oder  sdne  mündliche  Aussprache  ist  nicht  bekannt 
Die  Ant«-or1  des  Angeklagten  hat  sich  erhallen.     Sie  lautet  so: 

F.  L  W.  Meyer  an  Heyne. 
Mdge  das,  was  ich  ihnen  zu  sagen  habe,  eine  gute  Stelle 
finden!  Möge  der  gekränkte  Vater  sicli  erinnern,  dafi  es  Herren 
{iebt  die  nicht  UYniger  zerrissen  sind!  Ich  will  so  kurz  seyn 
wie  möglich,  abef  ich  darf  nicht  ungerecht  gegen  Ihre  Tochter 
utrden  um  edel  gegen  Forster  zu  scheinen.  -  Wir  haben  nie 
«ine  Maske  getragen,  wir  haben  nie  Worte  vertauscht  und  ge- 
misbraucht,  wir  haben  uns  nie  Sophistereien  gegen  einen  recht- 
achiffenen  Mann  bedient.  Diese  Mittel  sind  unedel  und  würden 
dennoch,  wie  es  zuweilen  die  Wirkung  einer  unedeln  Ursach  ist, 
Forslere  Ruhe  befördert  haben,  indem  sie  seiner  Eitelkeit  ge- 
schmeichelt hätten.  Darin  fehlte  Therese,  daß  sie  das  Oute  was 
sie  von  mir  d.ichte,  nie  verborgen  hat  und  mir  ihre  Unzufrieden- 
heit mit  mir  nur  unter  vier  Augen  bezeugte.  -  Sie  hat  so  lange 
ich  sie  kenne  nichts  verheimlicht  als  ihre  Tugenden.  Sie  be- 
trüben sich  darüber,  daß  Forsters  gegründete  Eifersucht  sein 
hJiußliches  ülück  gestört  habe  und  ich  der  ihn  näher  beobachtet 
habe,  würde  in  dieser  verzweifelten  Lage  der  Umstände  noch 
Trost  darin  finden,  wenn  das  der  Fall  wäre.  Ihre  Tochter  hat 
von  dem  besten  BJut  ihres  Vaters.  Sie  ist  setner  und  des  edelsten 
Mannes  wehrt  und  kan  die  Ausbrüche  gekränkter  Uebe  nicht 
blos  verzeihen  sondern  schäzcn,  sie  kennt  nun  den  Charakter 
ihres  Mannes  und  wird  nicht  wieder  einem  Fremden  Zutrauen 
bezeugen:    aber    Disharmonie   der   Temperamente,    angebohme 


Zur  Charakteristik  der  Menschen  des  1S.  Jahrhunderts. 


35 


durch  alle  Lager  seines  Lebens  vermehrte  Unzufrieden  heil,  werden 
Foretem  nie  glüklich  werden  lassen;  er  ist  bestimmt,  immer  zu 
beehren  was  er  nicht  hat  und  wird  an  die  Stelle  der  Eifersucht 
die  keine  Nahrung  weiter  findet,  eine  andre  Qual  in  seinem 
Herzen  entstehn  lassen.  Er  war  unzufrieden  und  begehdich 
gegen  seine  Frau,  ehe  er  eifersüchtig  auf  mich  werden  konte,  er 
war  es  in  Wilna,  wohin  ich  ihr  doch  so  selten  und  so  kalt 
schrieb,  daß  er  selbst  mir  Vorwürfe  darüber  machte,  ja  er  ward 
hier  zulezt  nur  eifersüchtig,  um  seiner  Unzufriedenheit  eine  be- 
sümmtv  Richtung  zu  geben. 

Unverstellt  und  mit  Entschlossenheil,  von  der  er  selbst 
gewahr  ward,  daß  sie  meine  Gesundheit  erschüttere,  bot  idi  ihm 
vor  sechs  Wochen  an  uns  zu  trennen.  Er  bestand  unter  den 
heiligsten  Belli eurtingen  darauf  daß  ich  bleiben  soite,  er  schwor 
er  habe  nichts  gegen  mich^  er  behauptete  überzeugt  zu  seyn  daß 
ich  nicht  in  seinem  Wege  stehe.  Das  that  er  nicht  des  Haus- 
friedens wegen.  Seit  wann  sind  Sie  gerecht  nur  gegen  einen 
Menschen?  Haben  seine  Thränen  Ihrer  Tochter  Flecken  geben 
können,  deren  der  wütendste  Neid  sie  nie  beschuldigt  hat?  Ich 
handelte  nach  einer  Überzeugung,  von  der  ich  Ihnen  glaube, 
diB  sie  irrig  war,  aber  wer  nach  Überzeugung  handelt,  verfährt 
niclit  unedel-  Ich  blieb.  Aber  meine  Freude  war  getödtcl,  Ihre 
Tochter  hat  mir  kein  liebkosendes  Wort  mehr  gesagt,  ich  habe 
mich  kaum  nach  ihrer  Gesundheit  erkundigt,  aus  Furcht  zu 
zlrtiich  besorgt  zu  scheinen,  meine  Gespräche  waren  mit  Forstern, 
ernsten  Inhalts,  oft  zu  absiracten  für  ein  Tischgespräch.  In  Ihrem 
Hause,  an  Ihrem  Tisch  habe  ich  freyer  mit  Ihrer  Tochter  geredet, 
freyer  aber  nicht  schmeichelnder,  ich  habe  ihr  nie  geschmeichelt, 
ich  habe  keine  der  Künste  angewand,  die  das  Weib  bethören 
und  den  Mann  herabsezen.  Doch  von  dem  was  zu  meiner  Ent- 
schuldigung, selbst  gegen  Ihren  Kummer  gereichen  kann,  kein 
Wort.  Ich  nehme  den  Willen  Ihrer  väterlichen  Freundschaft  an 
ohne  zu  grübeln,  ich  bin  diesem  Willen  zuvorgekommen,  ehe 
ich  ihn  vernommen  hatte.  Försters  Entfernung  für  einige  Zeit 
war  nothwendig;  sie  ist  ein  Opfer,  aber  er  bringt  dieses  Opfer 
auch  sich  selbst.  Das  Leben  Ihrer  Tochter  war  in  Gefahr. 
Glauben  Sie  dem  Arzt,  wenn   Sie  dem  Freund  nicht  glauben 


^ 


wollen.  Sie  hat  nie  ihr  Leber  geliebt,  in  ihrer  Verzweiflung 
war  es  ihr  lästig.  Wem  wird  es  erhalten  als  Förstern  und  welche 
Hotnung  begleitet  ihn  in  die  Arme  der  Freundschaft,  und  unter 
Zerstreuungen  der  großen  Welt  die  er  gern  hat?  Verzeihen  Sie 
mir,  daß  ich  nicht  alles  von  der  netnlichen  Seite  ansehe  wie  Sie. 

Über  das  was  Sie  von  mir  verlangen,  Icomt  Ihnen  mein 
Herz  desto  williger  entgegen.  Sobald  Theresens  Vater,  oder  ihr 
Mann,  oder  irgend  eine  achtiirgswürdige  Person,  meine  Gesell- 
schaft ihrer  Ehre  nachtheilig  finden,  muß  sie  selbst  mich  hassen 
wenn  ich  mich  zu  ihr  dränge.  Und  sie  soll  mich  nicht  hassen 
durch  meine  Schuld,  da  wir  nicht  mehr  zusammen  essen,  so 
ßllt  schon  die  Gelegenheit  weg  uns  täglich  zu  sehn.  Wenn  ich. 
sie  nur  zu  Zeiten  im  väterlichen  Hause  treffe,  wenn  ich  sie 
etwa  noch  einmal  ins  Concert  führe,  so  wird  die  Welt  wenig- 
stens irre  gemacht 

Auf  Assembleen  und  Piquenics  bin  ich  ihr  nie  gefolgt.  Ihre 
eigne  Wohnung  wcrd'  ich  immer  seltner  betreten.  Aber  Sie 
fühlen  auch,  daß  alles  dieses  mit  übertriebner  Härte  gethan,  eine 
ganz  andre  Wirkung  hervorbringen  würde,  wie  wir  als  gute 
Menschen  bezwecken  wollen.  Lassen  Sie  uns  nicht  strenge  scheinen, 
wo  weiter  nichts  als  Gleichmuth  erforderlich  ist.  Überlassen  Sie 
mir,  Ihrer  Tochter  nicht  bloß  zu  sagen,  was  geschehen  muß. 
Geben  Sie  nicht  zu,  daß  Therese  die  för  Empfindung  und  Auf- 
richtigkeit leidet,  sich  von  dem  vernachlässigt  glaube  um  dessent- 
willen  sie  der  erste  Vorwurf  trift,  nun  die  treue  zärtliche  Liebe 
ihres  Vaters  sich  sogar  auf  eine  Zeitlang  in  Ernst  verwandelt 
Auch  mir  steht  die  Stunde  meines  Todes  bevor  die  Stunde  wo 
ich  dem  Richter  in  mir  selbst  von  jedem  wichtigen  Schritt  meines 
Lebens  Rechnung  ablegen  werde;  lassen  Sic  mich  nicht  in  Ver- 
zweiflung sterben,  weil  ich  das  zu  schnei)  und  heftig  gethan 
habe,  was  nur  langsam  und  schonend  geschehn  muß,  wenn  es 
fruditcn  soH. 

Leben  Sie  wohl!  Richten  Sie  mich,  ladein  Sie  mich,  ver- 
werten Sie  mich,  wenn  Sie  können.  Ich  habe  keinen  Ansprudi 
auf  Ihre  Liebe  und  nehme  jedes  Scherflein  derselben  an,  wie 
ein  Dürftiger  eine  unverdiente  Wohhhat.  Aber  Sie,  der  Sic  das 
Herz  und  die  Leidenschaften  kennen,  wenn  Sic  selbst  getrösteter 


Zur  Charakteristik  der  Menschen  des  18.  Jahrhunderts.  77 

sind,  wenn  der  muthige  Qehorsam  Ihrer  theuren  Tochter  Ihnen 
Ruhe  und  eine  fröhlichere  Aussicht  wiedergegeben  hat,  wenn, 
wie  ich  wünsche,  niemand  mehr  leidet  außer  mir;  so  nehmen 
Sie,  in  einem  mitleidigen  Augenblick  den  Vorwurf  zurück,  daß 
ich  unedel  gehandelt  habe.  Ich  kan  ihn  in  Ihrem  Munde  nicht 
ertragen  und  Sie  selbst  können  einem  unedeln  Menschen  nicht 
anbieten,  sein  Freund  und  sein  Vater  zu  seyn,  wie  Sie  mir 
anbieten. 

den  23.  Januar.     Morgens. 


Bald  nach  diesem  Briefe  entfernte  sich  Meyer  aus  Qöttingen. 
Die  Katastrophe  der  Forsterschen  Ehe  wurde  durch  seinen  Rück- 
zug nicht  aufgehalten. 


Auslieferung  von  Deserteuren 

im  18.  Jahrhundert. 

Von  C.  GEBAUER. 


Die  großen  Kriege  des  18.  Jahrliunderls  und  der  Größen- 
wahn der  deutsclien  Fürsten  hatten  einen  erhöhten  Bedarf  an 
Soldaten  in  allen  Staaten  des  Heiligen  Römischen  Reiches  herbei- 
geführt. Lfm  diesen  Bedarf  zu  decken,  war  man  bei  der 
Werbung  genötigt,  alle  möglichen  Kniffe  und  Ränke,  sogar 
offene  Gewalt  anzuwenden,  da  mar  sonst  nicht  die  erforderlichen 
Rekruten  erhielt  Daß  die  also  Angeworbenen  hinterher  aber 
jede  Gelegenheit  ergriffen,  sich  dem  verhauten  Dienst  durch  die 
Flucht  zu  entziehen,  kann  unter  diesen  Umständen  nicht  wunder- 
nehmen, zumal  der  Dienst  selbst  sich  für  die  Soldaten  infolge 
der  iiberall  eingerissenen  rohen  Behandlung  der  Untergebenen 
und  der  grausamen  Strafen  zu  einem  äußerst  peinigenden  ge- 
staltete. In  Massen  verließen  daher  die  Oequillen  heimlich  ihre 
Truppenteile  und  fanden  dabei  unter  der  Bevölkerung  in  Stadt 
und  Land  nur  zu  bereitwillige  Helfer.  Sie  entkamen  bei  der 
damaligen  politischen  Zerstückelung  Deutschlands  leicht  über  die 
nahen  Grenzen  des  Werbestaats,  und  das  TerritorialpHrtzip  ver- 
hinderte eine  Verfolgung  der  Delinquenten  jenseits  der  Grenz- 
pfähle. So  blieb  also  den  deutschen  Fürsten  nur  der  Ausweg 
öbrigj  mit  ihren  Nachbarn  Verträge  über  die  Auslieferung  der 
Flüchtlinge  zu  schließen,  und  sie  haben  diesen  Ausweg  reichlich 
benutzt.  Da  diese  im  allgemeinen  nach  einem  gewissen  Schema 
entworfenen  Verträge  ein  kulturhistorisches  Interesse  bieten,  will  ich 
hier  der  Auslieferungsfrage  eine  kurze  Betrachtung  widmen,  und 


Auslieferung  von  Deserteuren  im  IS.  Jahrhundert. 


79 


zwar  an  der  Hand  zweier  mir  vorliegender  Mandate,  wie  solche 
auf  Grund  der  Verträge  in  den  paktierenden  Staaten  behufs 
Publikation  zur  Nachachtung  für  jedermann  erlassen  zu  werden 
pflegten.  Es  ist  dies  zunächst  ein  „Mandat  Ihro  Hochrürstl. 
Durchlaucht  zu  Sachsen-Gotha  und  Allerburg,  das  wegen  reci- 
prodrlicher  Auslieferung  der  Deserteurs  von  den  Fürst!.  Sachsen- 
Golhaischen  und  FürsII.  Sachs.  Weimar-  und  Eisenach ischen 
Trouppen  erneuerte  Carte!  betreffend",  gedruckt  in  Ootha  .rinit 
Reyherischen  Schriften  T  756",  das  andere  ein  »Mandat  Ihro 
Herzog!.  Durchlaucht  zu  Sachsen-Gotha  und  Altenburg,  das 
wegen  reciprocirlicher  Auslieferung  der  Deserteurs  von  den 
Fürstl.  Sachsen-Gothaischen  und  Fürstl.  Hessen-Casselischen 
Trouppen  erneuerte  Carte!  betreffend",  im  gleichen  Verlage  IT68 
erschienen.  Das  erste  ist  im  folgenden  Text  mit  t,  das  zweite 
mit  II  bezeichnet,  während  die  arabischen  Ziffern  die  Paragraphen 
der  Mandate  angeben. 

Als  Deserteure  sollten  alle  in  Diensten  («in  der  Pflichtbar- 
keit")  eines  der  Paktierenden  stehenden  Soldaten  jederlei  Truppen- 
gattung einschlieöl  ich  des  Trosses  angesehen  und  behandelt  werden, 
welche  ohne  glaubhaften  Paß  oder  Abschied  im  Gebiet  des 
andern  Paktierenden  entweder  im  Felde  oder  bei  den  Besatzungen 
oder  in  den  Quartieren  oder  sonstwo  angetroffen  würden, 
mochter  sie  im  übrigen  innerhalb  oder  außerhalb  ihres  Landes 
stationiert  oder  auch  an  fremde  vPuissancen"  tiberlassen  sein. 
Dergleichen  Deserteure  sollten  sowohl  auf  Reklamation  des  ge- 
schädigten Teiles  als  auch  ohne  solche  festgenommen  und  nach 
luvoriger  Notifikation  der  vorgesetzten  Generalität,  welche  die 
Abholung  veranlaRte.  ausgeliefert  werden  (1  i,  II  U.  Es  wird 
noch  erläuternd  hinzugesetzt,  dali  auch  solche  Deserteure  aus- 
zuliefern wären,  welche  inzwischen  in  der  Armee  des  andern 
Vertragschließenden  Dienste  genommen  halten  (I  11,  II  tO). 

Von  dem  Auslieferungszwange  gab  es  aber  auch  einige 
Ausnahmen. 

1.  Wenn  ein  von  den  Werbern  des  einen  der  paktierenden 
Tdle  mit  Gewalt  oder  wider  seinen  freien  Willen  (beispielsweise 
in  künstlich  verursachter  Trunkenheit)  angeworbener  Untertan 
des  andern  Teils  in  sein  Vaterland  desertiert  war,  so  sollte  er 


80  C-  Ocbauer. 

nicht  ausgeliefert;  werden.  Er  hatte  vielmehr  nur  seine  Montierung, 
also  Uniform,  Waffen  und  Pferd,  zurückzugeben  oder  ihren 
Sf/^n  zu  erstatten,  war  auch  frei  von  Untersuchungskosten.  Sehr 
bemerkenswert  ist  die  rein  fiskalische  ratio  dieser  Bestimmung. 
Die  teure  Menschenware  fand  Schulz  nur  g^en  Übergriffe  der 
fremden  Macht,  nicht  auch  g^^en  die  Handlanger  des  eigenen 
Landesherrn.  Dieser  konnte  in  seinem  Lande  fast  unbeschränkt 
zu  Werke  gehen;  gewaltsame  Werbung  fand,  wie  bekannt,  trotz 
gewisser  Verbote  hinterher  immer  die  Billigung  des  Fürsten,  und 
jedenfalls  gab  sie  an  sich  dem  davon  Betroffenen  nicht  das  Recht 
zu  eigenmächtiger  Entfernung  von  der  Fahne.  Das  oben  erwähnte 
Auslieferungsverbot  bezog  sich  übrigens  auch  auf  diejenigen 
Soldaten,  welche  über  ihre  Kapitulationszeit  hinaus,  also  wider- 
rechtlich, im  fremden  Dienste  zurückgehalten  worden  waren 
(1 2,  II 2, 3).  In  beiden  Fällen  bestand  für  die  vorgesetzten 
Militärbehörden  aber  außerdem  die  Verpflichtung,  den  Ange- 
worbenen  nötigenfalls  von  Amts  wegen  zu  entlassen,  sobald  die 
mangelnde  Berechtigung,  den  Rekruten  förderhin.  zurückzuhalten, 
bekannt  wurde  (1  2,  II 2,  3).  Besondere  Bestimmungen  regelten 
noch  behufs  Vermeidung  von  nUnterschleif  und  Unordnung" 
das  hierbei  zu  beobachtende  Emiitteliingsverfahren,  insbesondere 
die  Verpflichtung  der  Offiziere  zur  Vorzeigung  ihrer  Muster- 
oder Zahlungslislen  (I  $,  II  4). 

2.  Wenn  ein  von  den  fremden  Werbern  mit  seinem  Willen 
Angeworbener  desertiert  war  und  sich  in  seinem  Valerlande  »häus- 
lich niedergelassen",  «angesessen  ■  oder  Hangekaiift'  hatte,  (welche 
Ausdrücke  promiscue  gebraucht  werden),  bevor  die  Deserüon 
.kund"  geworden  oder  Reklamation  erfolgt  war,  so  sollte  er 
gleichfalls  nicht  ausgeliefert  werden,  sondern  nur  die  Montur 
zurückgeben  und  12  bis  20  Taler  Strafe  zahlen  (Mi,  11  io). 
Man  wird  sich  hierbei  billig  vorzuhalten  haben,  daß  diese  auf- 
fallende Befreiung  der  mit  Onmdbesitz  Begüterten  vom  Aus- 
lieferungszwange schwerlich  sentimentalen,  menschenfreundlichen 
Erwägungen  ihr  Dasein  verdankte,  sondern  vielmehr  in  den  dem 
landesherm  aus  der  Steuerpflicht  des  Grundbesitzes  erwachsenden 
Vorteilen  eine  sehr  materielle  Ursache  hatte. 

In   den  Auslieferungsverträgen   war   gewöhnlich   auch   der 


Allslieferung  von  Desöieuren  im  is.  Jahrhundert. 


81 


schon  erwähnte  Fall  vorgesehen,  daB  ein  Soldat  der  einen  Ver- 
traKSmach!  desertierte  und  Uei  der  andern  Dienste  nahm.  Dieser 
Fall  wurde  verschieden  geregelt,  je  nachdem  der  vorgeselzlc  Offizier 
bd  Annahme  des  Deserteurs  bona  oder  mala  fide  gehandelt 
hatte.  War  die  Annahme  in  Kenntnis  der  Desenion  erfolgt,  so 
mußte  der  Offizier  den  Deserteur  nebst  seiner  etwa  mitgebrachten 
Montierung  »ohne  Entgeld"  ausliefern,  verfiel  auch  überdies  in 
nachdrückliche  Strafe.  Hatte  dagegen  der  Rekrut  bei  der  An- 
werbung die  Desertion  aus  dem  früheren  Dienste  verschwiegen, 
so  brauchte  der  Offizier  ihn  nur  gegen  eine  Entschädigung  für 
das  von  ihm  verauslagte  Werbegeld  und  die  sonstigen  ihm  ent- 
standenen Unkosten  auszuliefern.  In  unserm  Beispiel  I  beträgt 
die  Entschädigung  für  jeden  Deserteur  von  der  Infanterie  6  Taler, 
für  den  Berittenen  aber  12  Taler  (!).  Außerdem  sind  an  Unter- 
hallskosten für  die  Zeit  von  der  Reklamation  bis  zur  Abholung 
des  Deserteurs  pro  Mann  täglich  l  Groschen,  pro  Pferd 
3  Groschen,  dazu  noch  5  Groschen  ..SchlieBgeld"  zu  zahlen 
(I  5).  Etwas  anders  ist  die  Entschädigung  itn  Beispiel  II  normiert, 
wonach  für  jeden  Soldaten  ohne  Unterschied  der  Waffengattung 
nur  6  Taler  gezahlt  werden  sollten  (M  6). 

Besondere  Kautelen  gewährieisteten  die  Durchführung  der 
gedachten  Bestimmungen.  Alle  Militär-  und  Zivilbehörden 
waren  verpflichtet,  ein  wachsames  Auge  auf  die  Deserteure  zu 
haben,  sie  allenthalben  festzunehmen  und  zur  Auslieferung  zu 
bringen,  Untertanen,  Molche  einen  Soldaten  zur  Desertion  an- 
stifteten oder  sich  der  Begtinstigung  schuldig  machten,  verfielen 
summarischer  Bestrafung  „ohne  processualische  Weitiäuftigkeit» 
(nach  I  7  Geldstrafe  von  12  Talern).  Auch  Nachlässigkeit,  z.  B. 
in  Abfordcrung  der  Pässe,  war  strafbar  (II  9).  Wer  aber  einem 
Deserteur  Montierung,  Gewehr,  Pferd  „oder  andere  Kriegs- 
Oerlthschafft"  abkaufte,  hatte  solches  ohne  Entschädigung  heraus- 
zugeben oder,  wenn  es  nicht  mehr  vorhanden  war  und  er 
«■issentlicb  gehandelt  hatte,  vorbehaltlich  der  Bestrafung  den 
Wert  der  Sachen  zu  ersetzen  (1  7,  [l  9).  Auf  die  Denunziation 
der  Flüchtlinge  waren  laxierte  Prämien  gesetzt,  die  das  Kriegs- 
ärar des  geschädigten  Staates  auszahlte  (I  S,  II  9).  Im  übrigen 
war  den  Offizieren  (und  Behörden)  untersagt,  Deserteure  «außer- 

Anhir  tflr  Kulnircachlchte.    II.  ^ 


J.  Oebaiier. 

halb  ihrer  Fürstlichen  Herrschaften  territoriis  verfolgen  und  auf- 
heben zu  lassen";  vielmehr  hatten  sie  die  Beamten  und  Einwohner 
des  Nachbarstaates  um  Festnahme  und  Auslieferung  derselben  la 
ersuchen  (I  9). 

Wer  »noch  nicht  wirklich  als  Soldat  enroliret"  war,  sich 
aber,  um  der  Aushebung  zu  entgehen,  in  das  Gebiet  der  andem 
Vertragsitiacht  flüchtete,  sollte  einem  Deserteur  gleichgeachtet 
werden.  Wurde  er  ausgeliefert,  so  waren  die  entstandenen 
«Atzungs-,  Wacht-  und  Ocrichtskosten"  zu  erstatten  (II  9). 
Seh ließlich  wurde  dritten  auswärtigen  Mäcliten  Überhaupt  die 
Berechtigung  zur  Anwerbung  von  Rekruten  in  den  Landen  der 
Paktierenden  aberkannt.  Wer  Untertanen  des  einen  oder  des 
andern  zum  Eintritt  in  den  Dienst  dritter  Mächte. verleitete  oder 
ihnen  hierzu  vorsätzlich  oder  fahrlässig  behilflich  war,  machte 
sich  gleicher  strafbarer  Anstiftung  und  Begünstigung  schuldig, 
als  ob  es  sich  um  Deserteure  gehandelt  hätte  (II  9). 

Einer  gewissen  Milde  entbehrt  nicht  die  den  Verträgen  ein- 
gefügte Klausel,  wonach  ein  Untertan  der  einen  Vertragsmacht, 
der  bei  der  andern  freiwillig  Dienste  genommen,  aber  »los- 
zukommen begehret,  um  sich  wieder  in  sein  Vaterland  zu  be- 
geben ■•,  gegen  Stellung  eines  andern  tüchtigen  Rekruten  oder 
Erlegung  von  12  Talern  und  Zurücklassung  der  Montur  seinen 
Abschied  »ohnweigeriich"  bekommen  sollte.  Selbstverständlich 
war  anderseits  auch  der  Landcsherrschaft  bezw.  dem  komman- 
dierenden General  die  Befugnis  eingeräumt,  die  in  den  Dienst 
des  andem  Paktierenden  Eingetretenen  unter  den  gleichen  Be- 
dingungen zu  requirieren  {I  10,  II  8).  Das  Rüekiriltsrecht  des 
Geworbenen  war  aber  zuweilen  auf  Friedenszeiten  beschränkt  (11  8). 
Die  Auslieferungsverträge  oder  »Kartelle«  wurden,  wie  es 
scheint,  regelmäßig  nur  auf  eine  bestimmte  Reihe  von  Jahren,  in 
unsem  Fällen  auf  6  Jahre,  abgeschlossen  (112,  II  II),  jedoch 
nach  Ablauf  der  Dauer  häufig  erneuert  Nach  dem  Eingang 
von  II  waren  zwischen  Gotha  und  Hesäen-Kassel  bereits  in  den 
JaJiren  1333,  1739,  1745  und  1751  solche  Abkommen  getroffen. 
Die  gegen  eingefangene  Deserteure  zur  Anwendung 
kommenden  Strafen,  über  welche  sich  unsere  Auslieferungs- 
verträge   natürlich    nicht   auslassen,   gewähren   ein    recht   trübes 


Auslieferung  von  Deserteuren  im  18.  Jahrhundert  83 

Bild  nicht  nur  von  den  militärischen  Zuständen,  sondern  auch 
von  den  sittlidien  Anschauungen  des  Absolutismus  im  18.  Jahr- 
hundert ßberhaupL  Entehrende  Behandlung  vor  der  Front,  wie 
Zerbrechen  des  Degens,  Leibesverstümmlung  wie  Abschneiden 
von  Nase  und  Ohren,  Stockprügel,  Spießrutenlaufen,  Zwangs- 
arbeit und  Strang  wurden  je  nach  Umständen  verhängt  Die 
Grausamkeit  dieser  Strafen,  deren  Hauptzweck  offensichtlich  der 
war,  um  jeden  Preis  von  der  Nachahmung  abzuschrecken,  läßt 
deutlich  ersehen,  daß  trotz  des  raffinierten  Systems  der  Aus- 
lieferungsverträge Desertionen  in  damaliger  Zeit  noch  überaus 
häufig  blieben. 


Besprechungen. 


K.  BQcher.  Arbeil  und  Rhythmus  3.  stark  vam.  Aufl.  Leipzig, 
Teubner.  i')02.    (X,  455  S..  1  Taf.j 

Das  Leben  des  diiKetnen  ist  immer  nüchterner  geworden;  die 
Arbeil  ist  ihm  nichl  mehr  Musik  und  Poesie  zugleich;  die  Produktion 
für  den  MarM  bringt  ihm  nicht  mehr  persönliche  Ehre  und  Ruhm,  wie 
die  Produktion  für  den  eigenen  Gebrauch;  sie  verlangt  Dutzendware  und 
wflrdc  individuellen  künstlerischen  Neigungen  keine  Beläligung  gestatten, 
auch  wenn  sie  vorhanden  wären;  die  Kunst  selbst  gehl  nach  Brot.  Die 
beruflich  ausgestaltete  Tätigkeit  ist  nicht  heitres  Spiel  und  froher  GenuÜ, 
sondern  cmste  Pflicht  und  oft  schmerzliche  Entsagung.  Aber  es  darf 
daneben  nicht  übersehen  werden,  was  die  Gesamtheit  bei  diesem  Ent- 
wicklungspn>z,el)  gewonnen  hat  Technik  und  Kunst  haben  sich,  durch 
Differenzierung  und  Arbcitäteilung  zu  einer  ungeahnten  Leistungsfähigkeit 
entwickelt;  die  Arbeit  ist  produktiver,  unsere  Ausstattung  inil  wirlschaft- 
lichen  Gütern  reicher  geworden,  und  es  darf  die  Hoffnung  nicht  auf- 
gegeben werden,  daR  es  gelingen  wird,  Technik  und  Kunst  dereinst  in 
einer  höheren  rhythmischen  Einheit  zusammen j^ufassen,  die  dem  Geiste 
die  glücWiche  Mdlerkeit  und  dem  Körper  die  harmonische  Ausbildung 
wiedergibt,  durch  welche  sich  die  besten  unter  den  Nainrvölkem  aus- 
zeichnen. In  diesen  Worten  hat  der  Verfasser  des  vortrefflichen  Werkes 
die  weil  entlegenen  Entwicklungsstadien  der  verhältnismäftig  einfachen 
sozialen  Organisation  bei  den  Nalurvolkcni  und  unseres  gegenwärtig 
höchst  komplizierten  Daseins  einander  gegcniibergestellt,  um  so  den 
Blick  für  die  psychologische  Zcfgliederung  der  ticiden  Extreme  zu  schärfen. 
In  der  Tat  ist  dies  ein  nicht  zu  nnlerschälzender  Gewinn,  den  wir  der 
völkcTpsychologischen  Untersuchung  verdanken,  daß  wir  uns  gewöhnen, 
die  betreffenden  einzelnen  Kulturgüter  in  ihre  organischen  Elemenle  ju 
terlegen,  aus  denen  sie  im  Laufe  der  Zeit  zusammengewachsen  sind.  Das, 
was  uns  jetzt  als  unversöhnlicher  Ocgensatz  erscheint,  ist  aus  einer  ur- 
sprfingliciim  Einheit  hcrvoigewachscn,  so  daß  wir  noch  ganz  unzweideutig 
die  bedeutungsvollen  Keime  nachzuweisen  vermögen.  Du  Endglied  dieser 
tangcn  Kette  sind  die  sogenannten  ÜberUbscl,  die  Tylor  so  vorzüglich 


Besprecbungen. 


SS 


211  \-erwa)den  verstanden  hat,  Nim  värc  es  freilich  falsch,  in  optimistisch* 
sentimentaler  Anschaming  das  Leben  der  Natiirvöllrer  im  Lichte  einer 
beneidenswerten  IdyMt  erblicken  zu  wollen^  durch  keinen  blutigen  Emsl 
und  keine  Monotonie  getrübt  -  ganz  abgesehen  davon,  d3l3  hier  auch 
das  NAturel!  einzelner  Völker  und  Rassen  eine  verhingnlsvolle  Rolle  spielt 
-,  aber  cincrscib  haben  wir  es  auf  den  Stufen  primitiver  Gesittung  mit 
einfacheren  Lebensverhältnissen  überhaupt  zu  tun,  und  sodann  stellt  die 
Tätigkeit  des  Mensctien  dort  eine  Einheit,  ein  untrennbares  Ganze  dar.  das 
sich  unter  iinsereti  Ständen  in  eine  ganze  Gruppe  r«inlich  von  einander 
gclrennlcr  Bcrufszwcige  zerlegt  hat.  Deshalb  hat  sich  auch  mit  Nol- 
vcDdigkeit  der  B^riff  der  Arbeit,  selbst  verständlich  auch  ihr  Umfang, 
vollkommen  veränderl.  Die  Arbeit,  für  uns  ein  ziiäammenhdngendes 
System  unendlich  vieler  Einzelheiten,  nach  den  leitenden  Motiven  von 
einander  verschieden  -  rein  wirtschalilich  nnd  mechanisch  die  Herstellung 
bestimmter  Gegenstände,  deren  Wert  sich  nach  Angebot  und  Nachfrage 
regelt,  ethisch  die  Eifüllung  von  Berufspflichlen  in  sieb  schließend  -, 
ist  bd  den  Nalur%-5Ikcm  stets  Bedarfeatbcit  für  den  unmittelbaren  Augen- 
blidc;  deshalb  fehlt  ihr  auch  bei  aller  Mühseligkeit  <ias  [>lanmäi;if;e  und 
Stetige,  und  daher  der  iin vermittelte  Gegensatz  zwischen  iinmenschliclicr 
Überlastung  (die  namentlich  die  Frauen  so  hart  trifft)  «nd  tierischer 
Trägheit,  in  der  die  soeben  erzielten  Vorräte  sofort  wieder  verpraJlt 
werden.  Nur  dürfen  vir,  wie  schon  angedeiitcl,  darin  etwas  Charäkter- 
tsiische«.  für  die  Naturvölker  sehen,  daJi  hier  Arbeit,  Musik  und  Dichtung 
unmittelbar  mit  einander  vcischniild  und  ^war  durch  den  jede  mechanische 
Verrichtung  b^leitcnden  und  sie  erleichternden  Rhythmus.  Bücher  hat 
diesen  organischen  Vorgang,  daß  sich  eben  an  jedes  Tun  ganz  von  selbst, 

IvfcKsch  schon  durch  die  dabei  entstehenden  Geräusche,  ein  bestimmter 
Takt  anschlieltl,  durch  ein  sehr  rciclics,  bis  auf  unsere  Gegenwart  hinab- 
reichend«  Material  veranschaulicht,  In  erster  Linie  kommt  dabei  die 
menschliche  Stimme  selbst  in  Bch-acbt,  erst  dann  etwaige  besondere  In- 
strumcnle.  Die  Wirkung  dieser  Arbeitsgeräusdie  (heißt  es},  soweit  sie 
rhythmischen  Verlauf  von  sich  aus  haben  oder  durch  das  Zusammen- 
wirken mehrerer  Arbeiter  erhalten,  ist  zweifellos  eine  musikaüsdie.    Sie 

'  ngen  un<a-illkfirLtth  ^ur  vokalen  Nachahmung  an,  wie  wir  noch  an  unseren 
Kindcriicdan  beobachten  können,  welche  das  Klappern  der  Dreschflegel  und 
die  verschiedenen  HandwerksgerSusche  in  Worten  nachbilden,  ebenso  aber 
auch  an  den  votkstilmlichenToden,  welche  in  manchen  Qcgcndcndem  Klange 
de^oiigen  Musikinstmmentes  untcrgelqjt  werden,  das  in  seiner  Wirkung 

"den  Arbeitigcräuschcn  am  meisten  verwandt  ist,  der  Trommel  (S.  3S1). 
Nun  bedarf  es  allerdings,  um  die  unmittelbare  Handhabung  des  Rhythmus 
zu  verstehen,  einer  maßgebenden  Voraussetzung  bei  den  Naturvölkern, 
nSmlich  daB  sie  in  gani  anderer  Weise  Herr  ilires  Körpers  und  ihrer 
Ctieder  sind,  als  wir.  Bekannt  ist  ihre  Geschtcldichkeil  in  der  Aus- 
flutzuoK  der  FüUe,  die  noch  fast  als  Greiforgan  dienen.     Sodann  unter- 


( 


Besprecilungcn. 


stützt  der  nackte  Körper  selbstverständlich  nicht  »-cnig  die  rhythmiKhcn 
Btwe^aiigen,  wie  das  z.  B.  ganz  besonders  anschaulich  beim  Tanz  her' 
vorlriti,  dessen  pantomimische  Bedeutung  sonst  geradezu  unverständlich 
werden  wfirde.  Aber  auch  ganz  nüchterne  alltägliche  Verrichtungen  ge- 
bfiren  hierher,  wie  das  Treten  der  Wäsche  bei  Homer,  das  Stampfen  der 
Ähren  beim  Dreschen,  der  Tücher  beim  Walken,  der  Felle  beim  Gerben, 
der  Trauben  beim  Kellern,  das  Kneten  des  Teigs  mit  den  Füßen  beim 
Backen,  des  Tons  bei  der  Arbeit  des  Töpfers  usw.  Immer  bleibt  (so 
schreibt  Buchet)  der  laute,  gleichgemesscne  Schall  der  Tagesarbeit  das  br* 
?eichnendc  Merkmal  friedlichen,  seßhaften  Zusammtnlebens  der  Menschen. 
Wie  der  Dreitakt  des  Dreschflegels  zu  dem  in  vrinterücher  Ruhe  daliegen- 
den deutschen  Dorfe,  so  gehört  das  regelmäßige  Klopfen  der  Färber  zur 
sudanesischen  Sladt,  der  laute  Scliall  des  Tapaschlägets  zur  Niederlassung 
des  Südseeinsulaners,  der  liumpfe  Ton  der  Rcisstanipfc  zum  Campong  der 
Mainyen,  der  Otelchlclang  des  hölzernen  Oetreidemörsers  zum  Negerdori, 
das  helle  Läuten  des  Kaffeemörsers  und  das  schwerfällige  Geräusch  der 
HandmQhle  zum  2eltdorf  des  Beduinen.  Und  so  hM  unter  einfachen 
landwirlschaftlichen  Belriebsverhältnissen  fast  jede  Jahreszeit  ihr  besonderes 
Arbeitsgeräusch,  jede  Arbeit  ihre  eigene  Musik,  im  Spitherbstc  singt  ia 
unscm  Dörfern  die  Flachsbreche  ihr  inutitcres  Lied;  im  Winter  mischt 
sich  in  den  Ton  des  Drcscliflegcls  auf  der  Tenne  der  aus  dem  Stall  da- 
neben kommende  kurz  abgebrochene  Schall  des  Fultcr^Iöllers;  im  Früh- 
jahr erklingt  von  der  Rasenbleiche  her  das  tautklatschendc  Schlagen  der 
von  kräftigen  HSnden  geführten  Bläuel,  mit  denen  die  Leinwand  am 
Bache  bearbeitet  wird,  im  Sommer  erschalll  aus  jedem  HoF  das  Dengeln 
der  Sensen,  aus  jeder  Wiese  und  jedem  Kornfeld  der  scharfe  Strich  des 
Wetzsteines,  der  tnkimäßig  über  Sichel  und  Sense  geführt  wird.  Wenn 
die  Propheien  des  Alten  Tesiaments  in  prägnanter  Weise  den  Untergang 
einer  Stadt  bezeichnen  wollen,  so  lassen  sie  die  Slimme  der  iWühle  ver- 
stummen und  das  Lied  des  Keltertreters.  L'nd  wenn  auf  dem  Lande  die 
Stille  des  Sonntags  als  wahrer  Friede  craplutiden  wird,  so  rührt  es  nicht 
am  wenigsten  daher,  daß  dann  der  gewohnte  Schall  der  Arbeil  schweigt, 
der  hier  den  Kampf  ums  Dasein  bezeichnet  (a.  a  O.  S.  So). 

Wir  haben  dic&en  Ausführungen  gegenüber  nur  einen  Vorbehalt 
zu  machen,  der  vielleicht  manchem  Leser  ob  seiner  Einfachheit  fiber- 
flÜEsig  erscheinen  mag;  so  wichtig  die  Vermittlung  der  oben  geschilderten 
Anregungen  ist,  aus  denen  die  Dichtkunst  auf  dem  W^e  des  Rhythmus 
ent&tandcii  ist,  so  gilt  das  doch  nur  unter  der  maßgebenden  Voraussetzung, 
daß  auf  diese  Weise  eine  innere  Empfindung  in  dem  Menschen  aus- 
gelöst wurde.  Ohne  diese  schö[)fer Ische  Stimmung  würde  jener  innere 
Resonanzboden,  wie  wir  ihn  der  Kürze  halber  nennen  wollen,  stets  ton- 
los, ohne  Schwingung  geblieben  sein.  Das  lehrt  schon  ein  fluchtiger  Blick 
»uf  die  mitgeteilten  Texte,  die  stets  irgendwie  die  charaktcristisdie  Situation 
in  und  aus  dem  Qemüte  der  Singenden  wi«ier»!piegeln,  und  zwar  gilt 


Besprechungen. 


87 


das  ebenso  sehr  von  der  feierlichen  Majtstät  de  für  den  Kultus  berechiieien 
Sanges  wie  von  dem  schüchlcn  Liebeslied.  Man  könnte  fast  den  Spielt 
umdrehen  und  behaupten,  daß  von  diesem  innertn  Quellpunlct  aus  auch 
die  gewöhnliche  Arbeit  mil  hineingezogen  wurde  in  die  Sphäre  künst- 
lerischer Gestaltung:  oder  Idealisierung,  jedenfalls  muß  aber  zu  der  SuJteren 
Veranlassung  auch  die  innere  Erregung  hinzutreten,  sonst  würde  es  zu 
keiner,  selbst  nicht  der  einfachsten  Melodie  kommen.  Eben  weil  dem 
modetncn  Menschen  diese  innere  Freudigkeit  leider  immer  mehr  abhanden 
kommt,  de^alb  verschwindet  auch  (von  der  Umgestaltung  der  Technik  noch 
ganz  abgesehen)  die  Poesie  aus  dem  Bereich  unserer  Arbeit  und  unseres 
Berufslebens,  das  deshalb  auch  so  oft  den  Zug  des  Übethasteien,  Müden, 
Abgestumpften  erhält.  Ini  fibrigen  wird  sich  das  vortreffliche  Buch,  da^ 
in  der  neuen  Auflage  eine  erhebliche  Erweiterung  erfahren  hat  {allein  iiber 
7D  Gesänge  sind  hinzugefügt),  zu  den  alten  Liebhabmi  ohne  Zweifel  noch 
viele  neue  Freunde  erwerben,  und  zwar  nicht  nur  bei  den  eigentlichen 
Vcitreterii  der  Fachwissenschaft  (Psychologen,  Nationalökonomen,  Philo- 
logen und  Musikern),  sondern  auch  in  den  weiten  Kreisen  der  gebildeten 
Gesellschaft. 

Th.  Achells. 


M.  Jihns,  Ueschichtliche  Aufsätze.  Ausgewählt  und  herausgegeben, 
sowie  mit  einer  biographischen  Einleitung  versehen  von  K.  Koelschau, 
nebst  einem  Anhang  .M.  J.  als  mihtärischer  Schriftsteller"  von  A.  Meyer. 
Berlin.  Partei,  1905  (540  S.). 

Das  vielumstrittene  Wesen  kulturgeschichtlicher  Forschung  zu  er- 
Uutcm  ist  die  reiche  Lebensurbeit  von  Max  Jihns  vornehmlich  geeignet, 
der  seit»!  in  jungen  Jahren  die  deutsche  Kulturgeschichte  als  die  Quelle 
seiiia'  wissenschaftlichen  flestrebungcn  bezeichnet  hat.  Die  von  Schiller 
an  den  Dichter  gestellte  Forderung,  das  Individuelle  und  Lokale  zum 
allgenieinen  zu  «lieben,  umschreibt  am  kürzesten  auch  die  Pflicht  de* 
Kullurhistorikcrs.  Ihre  Vernachlässigung  und  das  leidige  Miszcllcnwcseu 
haben  zum  großen  Teil  die  falsche  Voislellung  verschuldet,  von  der  die 
heutige  Polemik  der  politischen  Historiker  auszugehen  pflegt.  Bei  Jühns 
wird  auch  die  kleinste  Spezialuntereuchung  durch  eine  Idee  beherrscht. 
Er,  der  vorzugsweise  als  Mililärechrifbleller  gcwünügte.  hat  jede  Seite  des 
Kricgvresens  nie  anders  als  im  Zusammenhange  der  Oesamlkultur  des 
Volke»  betrachtet.  Dieser  Grundsatz  und  ein  feiner  Schönheitssinn  be- 
fähigten ihn,  die  unendliche  Fülle  der  Einzelheiten  unter  die  Herrschaft 
weniger  großer  Gedanken  zu  zwingen,  so  daß  selbst  seine  umfangreichsten 
Werke  eine  straffe  Konzentricrthcit  und  durclisidiligc  Klarheit  bewähren. 

Die  hier  gesammelten  Aufsätze  werden  die  vielseitige,  ijl;iniende 
Persönlichkeit  des  I9U0  Heimgegangenen  noch  einmal  seinen  zahlreichen 
Verehrern  vor  Augen  stellen.     Der  erate  -die  Kriegskunst  als  Kunst« 


S8 


Besprechungen. 


beznchnet  mit  seiner  geistvoll  durchgeführten  Parallele  von  Kriegslninsf 
und  Architektur  wohl  die  vollendetste  Kuiisiforni,  iit  der  reichstes  Wissen 
sielt  offeiibart-ii  kann.  Die  vier  falgetiden,  die  Schlachlen  Karls  des 
Kühnen,  die  von  Pavia,  den  Großen  Kurfijrsicn  bei  FchrbelUn  und  auf 
ROgen  behandelnd,  leigen  den  Meister  dramatischer  Oestaltiing  vic  den 
uirsichtigcn  Qucllcnliriliker.  Daran  schließt  sich  die  feinsinnige,  be- 
gdsterungsvolle  Würdi^ng  Kaiser  Willielnis  I,  nnd  der  SchluÜAufsatz 
über  Walter  von  der  Vogelweide  offenbart  das  liefe  literarische  Vct- 
sttndnis  des  dichterisch  selbst  Begabten.  Aber  die  Arbeiten  von  Jahns 
sind  nicht  bloß  wissenschaftliche  Leistungen,  sie  s.ind  in  einem  lieiite  immer 
seltener  werdenden  Maße  Ausdruck  seines  rdn  menschlichen  Wesens.  Es 
spl^elt  sich  nieder  in  der  vornehmen  Schönheit  seines  Stils  «-ie  in  der 
strengen  Sittlichkeit,  die  seine  ganze  Anschauung  vom  Kriege  durchdringt, 
die  vor  allen  den  Qedanlten  der  allgeineitien  Wehrpllichi  zu  einem  Leit- 
motiv ffir  ihn  machte.  Den  wissenschaftlichen,  ästhetischen  und  sittlichen 
Qehall  dieses  seltenen  Lebens  bringt  der  Herausgeber  in  würdig  schöner 
Weise  zur  Darstellung,  unterstfiitzt  durch  eignes  fcinfs  Vcr^Undnis  wie 
durch  Mitteihmgeti  der  Familie,  Wie  viele  werden  hier  Ihre  eignen  Er- 
fahrungen wiederfinden.,  die  nun  zu  Erinnerungen  geworden  sindl  Jahns 
war,  was  in  unseren  ruhelosen  Tagen  so  selten  geworden  ist,  eine  harmo- 
nische Persönliclikeil.  und  es  ist  von  hohem  Reiz,  an  der  Hand  des  Bio- 
graphen d'\^  strenge  Folgerichtigkeit  ihrer  immer  reicheren  Entfaltung  zu 
Iwohachten.  Nicht  weniger  wird  es  erilaunlich  und  hoffentlich  auch  be- 
lehrend sein  zu  vernehmen,  diiO  der  Mann,  dessen  sccüschcs  Oleichgewicht 
und  Schönheitsgefüht  den  Namen  eines  wahrhaft  hetiem^en  Geistes 
rechtfertigen,  -  eine  lateinlosc  Schule  besucht  hat.  Wie  fruchtbar  seine 
umfassendeit  Studien  fdr  seinen  speziellen  Beruf  geworden  sind,  dem  Jahns 
mit  Leidenschaft  und  Pflichttreue  angehörte,  erfahrt  von  militärischer 
Seite  noch  besondere  Beleuchtung.  Rechnen  wir  daiu  seine  Tätigkeit  in 
einer  Reihe  nationaler  Vereine,  so  sehen  wir  in  diesem  reichen  Menschen- 
leben die  edelsten  Kräfte  unseres  Volkstums  zusammengefaßt,  tin  Denk- 
nul   großer    V'ergangenh^t ,    eine   Mahnung   schorichlicher    Gegenwart, 

dunkler  Zukunft. 

0.  Liebe. 


Mu  FutlJnger,  Die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Ba^Tischen  KlÖsier 
in  der  Zeit  der  Agilulfingcr  (Studien  und  Darstellungen  aus  dem  Ge- 
biete der  0<schichtc,  hrsg.  von  H.  Graucrt,  Bd.  11,  Heft  2  i),  Freiburg 
I.  Br.  (Herder).  (XII.  182  S.) 

Die  außerordentliche  Bedeutung  d«  Mftnchstums  för  die  Wirt- 
uhaftsgeschichte  des  Mittelalters,  insbesondere  des  frühern,  wird  in  dem 
vorliegenden,  imt  aufferordcnllichem  Fleiß  und  ebenso  groltcm  Scharfsinn 
gearbeilelen  Buch  fijr  einen  beslimmlen  Landesleil  in  eindringlicher  Wei«e 
beleuchtet,    Zugleich  beweist  der  Reichtum  der  F>gcbnisse  des  Buches, 


Besprechungen. 


89 


d&B  ihnllchr  Arbeiten  auch  för  andere  detilsdie  Landsclinften  ein  dringen' 
Ats  Erforttemh  sind,  und  daß  erst  mil  Hilfe  solcher  detailherten  For- 
schungen der  bereits  begonnene  Bau  dner  deutschen  Wirtschaftsgeschichte 
ill«itig  befriedigend  vollendet  werden  ksnn.  Der  Hnuptgedenke  des  Buches 
ist  der.  daß  die  bayrischen  Klöster  der  Agiliilfingcrzeit  vor  allein  zu  einem 
wirtschaftlichen  Zweck  gegriindct  sind.  „Seit  der  Einwanderung  der 
Bajtimren  bis  nui\  s.  j»lirliiinderl  war  für  die  Venitehrung  des  anbau- 
fihigen  Bodens  nichts  Durchgreifendes  geschehen.  Große  Landstriche 
lagen  wüst  und  waldbedeckt.  Bevor  m.in  daran  denken  konnte,  ver- 
edelten Bodcnbsu  in  breiterem  Umfange  zu  betreiben,  galt  es,  Sümpfe 
auszutrocknen  und  Wälder  211  roden,  um  neues  Ackerland  ?m  gewinnen 
und  PlaT;  ffir  neue  Siedlungen,  Nur  eine  im  Mönchtiim  großartig 
organisierte  Arbeiterschaft  konnte  damals  mit  Aussicht  auf  raschen  Erfolg 
die  Kultivierung  ganzer  Länderstriche  wagen.  Unter  diRem  Ocsichts- 
winbfl  betrachtet  erscheint  die  Pflege  de  Klosterwesen^  gerade  durch  die 
agilulfingischcn  Herzoge  des  8.  Jahrhunderts  im  neuen  Licht.  Entsprechend 
ihrer  vorwiegend  Nfirtschaf Hieben  Aufgabe  zeigen  darum  die  Klöster  der 
Agilulfinger  Periode  in  der  äußeren  Anlage  fast  durchgehends  weit  aus- 
einander geschobene  Veihäitnisse.  Auch  insofern  stellen  sie  eine  eigene 
Periode  dar."  „Wie  die  damaligen  tuyrischen  Klöster  als  vorwiegend 
wirtschaftliche  Stiftungen  oder  doch  nach  ihrer  wirtschaftlichen  Seite  hin 
infolge  eigenartig  geologischer,  vegetativer,  kirchlicher  oder  politischer 
Einflüsse  den  Typen  einheimischer  und  fremd! and ischer  Klöster  sich  nähern 
oder  von  ihnen  entfernen,  das  ni  untersuchen,  sei  die  Aufgabe  dieser 
kulturgeschichtlichen  Darstellung."  Das  Eigenartige  der  Lösung  dieser 
Aufgabe  liegt  nun  in  der  Art  der  Quellen,  auf  welche  der  Verfasser 
haiiptüchlich  sich  stfllzt.  Es  sind  das  nicht  sowohl  die  sdiriftllchen 
Quellen.  Urkunden  (Schenkungsurkunden!,  Oütervcrzeichnisse,  Heiligen- 
leben usw.,  obgleich  diese  natfirlicfi  sämtlich  benutzt  werden,  sondern 
die  Ortsnamen  und  die  Bodcngestaltung,  sowie  die  Kirchen patrozinicn,  die 
Schutzheiligen  der  Mönchshtlturen.  Mögen  im  einzelnen  abercilte  Schluß- 
folgerungen fesigestellt  werden,  an  der  TOchligkcit  der  Arbeit  und  ihrer 
allgemeineren  Bedeutung  wird  nicht  gezweifelt  werden  können. 

Georg  Sieinhausen. 


Georg  Liebe,  Das  Judentum  in  der  deutschen  Vergangenheit.  <Mono- 
graphien  zur  deutschen  Kulturgeschichte,  hr^.  von  Georg  Steinhausen, 
Bd.  11.)  Mit  106  Abbildungen  und  Beilagen  nach  Originalen,  größterj- 
tab  aus  dem  15,  bis  18.  Jahrhundert.  Leipzig.  Eugen  Diedcrichs,  isoj 
(127  S.). 

Diese  in  einer  von  mir  herau^egebeuen  Sammlung  erechienene 
Monographie  wenigistens  in  dieser  Zeitschrift  selbst  anzuzeigen,  halle  ich 


i 


Besprechungen. 


fQr  dos  einfachste  und  batt.  Denn  d«r  eine  oder  andere  Leser  möchte 
selbst  bei  einem  anderen  Rerercnten  in  diesem  Falle  eine  gewisse  Vorein- 
genommenheit zugunsten  des  Buclics  voraussetzen,  obgleich  ich  mich 
nie  dagegen  sträuben  würde,  auch  eine  liiigfinKtige  Besprechung  seitens 
eines  einmal  gcvähltni  Kritikers  aiii'itii nehmen.  Ich  habe  aber  auch 
andere  Gründe  zur  Abfassung  dieser  Anzeige.  Einmal  möchte  ich 
den  Verfasser  vor  etwaigen  SchlfiMcn,  die  aus  dem  Charakter  der  vom 
Verleger  ausgewälilten  und  eingefügten  Bilder  auf  das  Vorhandensein 
einer  anliscmitischen  Tendenz  gezogen  werden  köiinlen,  schützen.  Der 
Verfasser  hat  sich  die  äußerste  Objeklivilät  in  der  schwierigen  und  gerade 
in  dieser  Beziehung  von  hüben  und  drüben  leicht  anfechtbaren  Bear- 
beitung des  heiklcri  Themas  zum  Ziele  gesetzt.  Er  hat  sogar  die  Ein- 
(üßung  eines  Teil«  der  Bilder,  eben  um  nicht  falsche  Voistellutigcn  auf- 
kommen zu  lassen,  lebhaft  bekämpft  und  auch  das  Fortbleiben  einer  Reih« 
dcreellien  durchgesetzt.  An  andern  hat  der  Verleger  festgehalten,  nicht 
8115  antisemitischer  Tendenz,  snndcin  weil  er  auch  die  Karikatur  als 
tj  u  eilen  maß  iges  Abbild  früherer  Zeitstimmungen  nicht  entwehren  wollte. 
Jedenfalls  ist  an  dem  Streben  Liebes  nach  Sachlichkeit  und  Friedlichkeit 
nicht  zu  zweifeln.  Einem  anders  gcirtetcn  Text  würde  ich  aU  Heraus- 
geber und  als  Gegner  des  Antisemilismus  auch  nicht  zugestimmt  haben. 
Anderseits  schien  mir  der  Hauptgedanke  Liebes,  daU  nämlich  die  Heraus- 
bildung der  Kluft  zwischen  Deutschen  und  Juden  nicht  durch  Religion 
oder  Abstammung  der  Juden,  sondern  durch  ihren  Beruf,  durch  ihre 
wirtschafil iche  Rolle  zu  erklären  sei,  zwar  etwas  zu  scharf  betont,  aber 
gegenüber  der  bisherigen  Behandlung  der  jüdischen  Geschichte  doch  der 
nähern  Begründung  wert.  Die  Geschichte  der  Juden  in  Deuuchland  nur 
als  eine  Kette  von  Verfolgungen  aus  leiigiösen  Moliven  iin zusehen,  geht 
in  der  Tat  nichl  an.  Immerhin  würde  ich  den  Einfluß  des  demokrati sehen 
itiedern  Klerus  im  späteren  Miltelalter,  der  sicherlich  oft  auch  hinter  an- 
deren sozialen  Bewegungen  stand  und  namentlich  Einfluß  auf  die  Hand- 
werker halte,  mehr  betont  haben.  Aber  auch  flir  diesen  Klerus  sind  die 
antikapitalistischen  Motive  vielleicht  entscheidender  als  die  religiösen, 
wenn  auch  diese  direkt  ausgesprochen  wurden.  Übrigens  gesteht  Liebe 
selbst  zu,  dall  ,rbei  der  religiösen  GrundAtinimuiig  des  Mittelalters  der 
Haß  gegen  die  Andcrsgläithigen  eine  starke  Einwirkung  gettbl",  freilich 
nur  noch  die  Mammen  geschürt  habe.  -  Verzichten  mußte  Liebe,  sdion 
wegen  der  Sprache  der  betreffi-nden  Quellen,  nuf  eine  Schilderung  des 
innerjüdischcn  Lebens:  im  ganzen  steht  vielmehr  das  Verhältnis  der 
Deutschen  zu  den  Juden  und  die  Rolle  der  letzteren  im  deutschen  Leben 
im  Vordergrund  der  Darstellung.  Trotzdem  wird  zur  untnittetbarcn 
Charakterisierung  der  Juden  selbst  doch  manches  twijjetragen.  Sehr 
hübscti  ist  die  Art  und  Weise,  wie  Liebe  die  Urkunden,  namentlich 
[»rivalurkundai,  Sdiuldbricfe,  städtistiie  Akten,  Briefe,  vor  allem  auch  die 
Volksliieratur,  insbesondere  die  poetische,  heranzuziehen  wdli.     In  seiner 


Bespreahiingen. 


91 


Monc^^phie  über  den  -Soldaten«  hat  er  in  dieser  Beziehung  schon  treff- 
licli«  Proben  seines  Oeschicks  wie  seiner  Belesenheil  Begeben.  Weiter 
mein«  ich,  daß  Liebe  dem  wenigstens  von  mir  verfolgten  Ziel  der 
Monographien,  nämlich  Menschengcschichlezu  geben,  den  inneren  Menschen 
der  Vergangenheit  aufzuschließen,  von  allen  Mitarbeitern  om  meisten  nahe- 
gekommen ist.  Vor  allem  «Ar  das  bei  dem  .Soldaten-  der  rall.  Aber 
gerade  dieses  Ziel  der  Muno^raphien  ist  vom  groBcn  Publikum  wie  von 
den  Lobhudlern  der  Presse,  abcrauch  von  wisscnichafliichen  Kdlihem  (einige, 
*ie  Kötschke,  in  den  ..Jahrcshfrichtcn  der  Ocscliichlswissenschaft-,  nehme 
Ich  aus)  wenig  begriffen,  feinere  Absichten  sind  vor  plumpen  äußerlictien 
Anforderungen  übersehen  wonlen.  Mancher  Offizier  dachte  sich  etwa  beim 
vSokJaten  in  der  deutschen  Vergangenheit"  eine  Zusammenfassung  einiger 
\J'ctVc  über  das  ältere  Kriegswesen,  rfimpftc  die  Nase  über  den  nicht- 
mililärischen  Verfasser  und  las  das  Buch  nicht.  Daß  darin  ganz  etwas 
anderes  steckte,  daß  der  Soldat  der  Vei^ngenheit  in  seiner  moralischen 
HaltunE,  in  seinen  Interessen,  in  seiner  sozialen  Beurteilung  durch  die 
ßbrigen  Stände,  kurz  als  Mensch  geschildert  war,  das  ahnte  er  nicht,  und 
wenn  er  es  merkte,  interessierte  es  ihn  wenig.  Genau  so  vcdanEtt  etwa  ein 
Kritiicervon  meinem -Kaufmann  i.  d. deutsch.  Vergangenheit-  eine  Art  Hand- 
buch der  deutschen  Haiidclsgcsch ichte,  trotzdem  ich  mich  dagegen  gleich  zu 
Anfang  des  Buches  verwahrl  halle,  freilich  auch  die  äuliere  Entwicklung 
des  Handels  nicht  beiseite  gelassen  habe.  Und  es  ist  charakteristisch,  daß 
eine  Monographie,  die  meiner  Anschauung  recht  wenig  Rechnung  trägt, 
die  Mummenhoffs,  dct  nur  eine  äußere  Geschichte  des  Handwerks  gibt 
und  den  Handwerker  als  Menschen  kaum  ra  fassen  sucht,  von  einem 
Kritiker  als  eine  der  enipfehlenswertesten  bezeichnet  wurde.  Unsere  Siißer- 
lidie  Zeil  gehl  eben  überall  nur  aufs  vSußcrc,  Formale,  im  Leben  wie  in 
der  Wissenschaft.  Bemerkt  sei  übrigens-,  daß  einige  Druckfehler  in  den 
Unterechiiftcn  der  Bilder,  trotzdem  ich  sie  verbessert  halle,  stehen  geblieben 
sind,  weil  der  belreffcnde  Bogen  ausgedruckt  wurde,  ohne  daß  meine  Kor- 
rektur bciücksichiigt  war.  So  muües  bei  Abb. 'Ja  i,a,l5  jüdischer  Nährmutter" 
sowie  bei  Abb.  32:  Kolbergen  (wie  wiederholt  verbe^crt  war)  heißen. 
Ahnliches  ist  auch  bei  Untctschrificn  der  Monographie  Hampcs  fiber 
die  fahrenden  Leute  passiert.  Dort  sind  solche  nach  meiner  letzten  Kon^kttir 
noch  neu  eingefügt  oder  geändert,  ohne  daß  ich  sie  vor  dem  Dnick  ver- 
bessern konnte.  Das  hat  sich  dann  natürlich  gerächt  Im  übrigen  war 
alles,  was  sich  auf  die  Bilder  be/og.  Sache  des  Verlegers,  und  auch  wo  ich 
(vic  CS  bei  allen  Monographien  sehr  oft  geschehen  mußte)  bczüglidi  der 
Auswahldei  Bilder,  wie  vor  allem  ihrer  Anordnung,  Reihenfolge  etc.eindring- 
liche  Ander  11  ngsvoiMrhlitge  gemacht  habe,  ist  denselben  keineswegs  immer 
vom  Verleger  entsprochen  worden,  [cli  habe  also  Anlaß,  die  Verant- 
vorlung  für  alles,  was  die  Bilder  .■iiigchl,  erst  reclil  ab/ulchneii,  trotzdem 
ich  zur  Verbessening  der  Unterschriften  gent4gend  beigetragen  habe.  Es 
soll  damit  der  Wert  des  illustrativen  Tdlcs  flbrigcns  nicht  hcrabgcsdzt 


92 


Besprechungen. 


wtrnleii,  der  ja  audi  schon  oft  genug  anerbannt  ist.  Aber  da  ich 
bisher  nie  Gel^entieit  hafte,  auch  einmal  meinerseits  ein  Wort  Aber 
die  Monographien  z.a.  sagen,  wollte  ich  diesen  Punkt,  der  auch  auf 
dem  Vorblatt  jeder  Monographie  festgeslellt  ist,  doch  eni'ihnen.  Ich 
möchte  dabei  weiter  einmal  aussprechen,  »laß  alle  die  Prospekte,  die  mit 
verechiedenem  Inhalt  des  öfiem  ausgegeben  sind,  ausschließlich  vom  Ver- 
leger herrühren,  auch  recht  oft  weder  mit  meinen  Anschauungen  noch  mit 
meiner  Schreibart  zu  vereinen  sind.  Dasselbe  gilt  von  der  Ankündigung 
au!  dem  Umschlag  der  Monographien.  Die  Opferwiliigkeit  und  die 
Mühen  des  Verlegen  seien  aber  ausdrücklich  anerkannt. 

Georg  Steinhausen. 


Jacob  Schmidt,  Die  katholische  Restauration  in  den  ehemaligen 
Kurmainzer  Herrschaften  Königstein  und  Ricneck  (Erläuterungen  und  Er 
giln«in;jeil  zu  JansseiisGcsrhichtedes  deutschen  Volkes  Ilt,  H.  1),  Freiburg 
Herder,  t902  (XII  und  124  S.) 

Wenn  auch  einseitig  nach  den  kurmainzischen  Akten  im  Kreis- 
archiv Ml  Wtifzburg  bearl)citet,  gibt  die  Sdirift  lehrreiche  Aufschlüsse  über 
das  Verfahren  der  Gcgeureforrnation.  Die  genannten  Herrschaften  waren 
bei  ihrem  Anfall  an  Kurmainz  155^  und  I5öl  bereits  evangelisch  und  in 
ihrer  Religionsübung  während  des  sediszchnten  Jahrhunderts  ungestört  ge- 
blieben, obgleich  mit  der  1S6I  einsetzenden  Tätigkeit  der  Jesuiten  in 
Mainz  die  polemische  Richtung  an  Macht  zunahm.  Erel  unter  dem  Iboi 
zur  Regienmg  gekommenen  Johann  Adam  und  seinem  Nachfolger  Johann 
Schweikart  setzte  sie  sieh  in  Taler  um.  Man  ging  in  der  Weise  vor,  daß 
man  erledigte  evangelische  Pfarr^tellen  mit  katholischen  Ocisliichcn  be- 
setzte, die  auf  das  Volk  durch  Btflehrung  wirken  sollten,  wobei  allerdings, 
wie  Schmidt  zugestehen  mitfi,  der  Mainzer  Klerus  geeignete  Kräfte  nicht 
reichlich  darbot.  Das  Verhalten  der  evangelischen  Untertanen  hielt  sich 
durchaus  in  gesetzlichen  Schranken,  aber  auf  ihre  rvtiiioneii  folgten  erst 
ausweichende  Bescheide,  später  wurde  den  Überbringeni  »ein  guter  fiis 
gelesen,"  Schheüiich  griff  man  zu  Geldstrafen  und  .Ausweisungen,  die 
in  den  einneluen  Ortschaften  oft  ein  Drittel  bis  die  Külfte  der  Einwohner 
betrafen,  damnter  vorzugsweise  Staats-  imd  Kommunalbcamte,  soziale  und 
intellektuelle  Auslese.  Es  ist  zu  bedauern,  daß  der  Zustand  des  Quellen- 
materials schwei'lich  eine  andere  Darstellung  als  vom  Standpunkt  des 
Sirecrs  ermöglichen  wird. 

™ O.  Liebe. 


Heinrich  Schrohe,  Kiirmainz  in  den  Pe4tjs.hren  It*t>-I667  (Er- 
Hutcrungen  und  rrgSnznngen  zu  Jan^seus  Geschichte  des  dnitschen 
Volktt.  Hgg.  von  Ludwig  Pastor.  Üd.  III,  H.  5.)  Erdburg  i.  Br., 
Herder,  \Wi.    (XV  und  läJ  S.) 


Besprechungen. 


93 


Däs  KtircrebisdiiTi  Mainz  itti  siebzehnten  Jahrhundal  isl  uns  im 
wTgangcncn  Jahrzehnt  in  ZN^ei  trefflichen  Studien  jccKiiildert  worden: 
ich  meine  die  Werke  von  Karl  Wild,  Johann  Philipp  von  Schönbom, 
Kurfürst  von  Mainz,  genannt  der  deutsche  Salomo.  Heidelberg  (Winter) 
isW).  und  Ocorg  Mcntz,  Johann  Philipp  von  Schönbom,  Kurfürst  von 
Mainz,  Teil  I  Jena  (.Fischer)  IS96.  Teil  II  ebenda  1899.  Zu  diesen  beiden 
Untereuchuiigen  geiellt  sich  in  diesem  Jahre  eine  dritte,  welche  sich  nur 
mit  zwei  Jahren  der  Rcgieningsieil  des  berühmten  KurfDreten  befaflt,  mit 
den  Pestjahreti  von  I66t)  bis  1667.  Der  Verfasser,  Heinrich  Schrohe, 
Oberlehrer  in  Benshcim,  ist  im  vorigen  Jahre  durch  seine  Arbeit  über 
den  Kampf  der  Oegenkönige  Ludwig  und  Friedrich  um  das  Reich  bis 
zur  Entscheidungsschlacht  bei  MühUorf  (Historische  Studien,  hgg,  von 
Ehering,  Heft  29,  Berlin  ^W2)  bekannt  geworden.  Das  uns  vorliegende  Buch 
hat  die  merkwürdige  Eigenschaft,  sowohl  vom  Standpunkte  der  KutCur- 
geschidite  wie  von  dem  der  Medizin  aus  gewürdigt  werden  zu  Icönncn, 
und  die  Nr  34  der  Deulsdien  LileraluiOTitung  liOä  trägt  diesem  Doppel- 
»-<a<n  auch  Rechnung:  sie  zeigt  die  Studie  unter  der  Rubrik  .Neuere 
Geschichte*  an  und  läßt  sie  ein  paar  Seiten  weiter  unter  .Medizin* 
besprechen. 

In  der  Tal  zerfällt  die  Arbeil  in  drei  Teile:  in  einen  handeb- 
politischen,  einen  hygienischen  und  einen  religiösen  Abschnitt.  Nachdem  der 
Verfasser  in  der  Einleitung  die  sanitären  Maßregeln  des  Mainzer  Kur- 
staates in  der  Zeil  von  1526  bis  1665  skizziert  hat,  kommt  er  im  ersten 
Abschnitt  auf  die  handelspolitischen  Korrespondenzen  zwischen  Kurmainz 
und  Frankfurt,  veranlaßt  durch  die  Petgefahr,  zu  sprechen.  Wir  erfahren 
hier,  daH  die  schreckliche  Seuche  von  Holland  aus  seit  i()&3  sowohl  nach 
England  hin  als  atich  den  Rhein  hinauf  sich  verbreitete.  \bbi  tobte  sie 
in  Köln,  und  in  dem  heiRen  Sommer  von  IGöö  zog  sie  aufwärts  bis  nach 
Mainz,  Prankfurl  und  DarmstadI,  Der  Verfasser  gibt  uns  eine  lange, 
vom  Straßburgcr  Rate  angefertigte  Liste  von  gangbaren  Handetsgcgen- 
stinden,  die  filr  uns  sehr  interessant  ist.  Wir  lesen  dann  von  den  Hinder- 
nissen, denen  die  Rheinschiffahrt  selbst  in  gesunden  Zeiten  ausgesetzt  war, 
vom  Mainzer  Stapelrecht,  von  Abspemingsmaßr^cln  gegen  verseuchte 
Orte,  von  der  Quarantäne,  vom  Verbot  des  Besuches  der  Frankfurlei 
Messe  usw.  Das  zweite  Kapitel  behandelt  die  für  das  ganze  Erzslift 
gdtextden  sanitAren  Maßregeln  und  ihre  Durcliführung.  Hier  und  in  den 
folgenden  Abschnitten  tritt  uns  die  Gcstall  des  Statthaltcre  und  Dom- 
dcdunten  Johann  von  Heppenheim,  genannt  von  Saal,  sympathisch  ent- 
gegen. Der  Kurfürst,  der  zu^leidi  Bischof  von  Würzburg  und  Worms 
war,  hatte  sieh,  als  die  ereten  Pcstßlle  in  Mainz  vorkamen,  nach  Würzburg 
begeben.  Es  war  naHiHich  fOr  die  Mainzer  Regierung  nicht  immer  und 
nicht  Qberall  leicht,  ihren  Anordnungen  den  gehörigen  Gehorsam  zu  ver- 
schaffen, böondcrs  nicht  in  dcmbckannlcn  WcinortcHochhcimamMain.de 
cnt  verfialtnismaiiig  spät  von  der  Kontagion  ergriffen  wurde  und,  wie  es 


Besprechungen. 


scheini,  nichl  viel  dnvnii  zu  leiden  hatte.  D;as  Domkapitel  tihgt  im 
Januar  1067  über  die  dort  dngtrisBenc  Zügcllosigkdt,  Der  licißc  Sommer 
von  1666  hatte  nämlich  den  Hoehheimern  eine  reiche  Weitiemtegexeitigt; 
es  nimmt  den  Referenten  peisSnlicli  gar  kein  Wunder,  wenn  sie  sich 
dessen  freuten  und  ihren  Lebenssaft  möglichst  schnell  seiner  natiirlichen 
Destiinmung  /u«ifflhreii  gcdachlen.  Dafl  derselbe  lieiße  Sommer  den 
Mainzern  drüben  eine  so  entselzlidie  Krankheit  bradite.  war  den  Hoch- 
tieimern  in  ihrem  Oeniisse  ziemlich  gleichgültig.  Refcrenl  ist  in  einer 
Weingegend,  niclil  weit  von  Hochheim  und  Mainz,  in  Kreuznach,  zu 
Hause:  er  hat  selbst  äftcrs  von  dem  guten  Weinjatir  1840  erzählen  hörnt, 
wo  man  nicht  genügend  Ffisscr  hatte,  den  edlen  Sloff  aufeufangen  und 
deshalb  vieles  aueisnfen  lassen  mußte.  Daß  das  »gule»  Weirjnhr  i  S4ft  aber 
anderswo  infolge  seiner  Dürre,  die  zwar  die  Trauben  gcddhen  ließ,  den 
Notstand  von  1847  zeitigte,  der  dann  die  Revolution  von  lS4fi  mitvorbe- 
rdten  half,  davon  spricht  niemand.  In  dieser  Hinsicht  mödile  man 
wirklich  versucht  sein  zu  glauben,  daß  der  Wein  ein  Getränk  s«,  das  auf 
die  Nächstenliebe  niolil  lördcmd  einwirkt.     Doch  dies  mir  nebenbei. 

Das  dritte  Hauptstück  belehrt  uns  fiber  die  zum  Schutze  der  Stadt 
Mainz  erlassenen  Verordnungen,  über  die  Reinigung  der  Straßen,  die 
Wegräumung  des  Kehrichts,  die  Abschaltung  von  Cünscn,  Tauben  und 
Schweinen  .des  bösen  Geruches  wegen".  Trotz  aMer  gutgemeinten  Maß- 
regdn  drang  die  Pest  zwischen  dem  30.  Juni  und  6.  Juli  1666  in  Mainz 
ein  und  raffte  die  meisten  Opfer  Ende  Juli  hinweg.  Im  Frühling  1667 
war  die  Stadt  wieder  seuchenfrei,  während  die  Krankheit  in  der  Umgegend 
noch  16«8  wütete. 

Das  Auftreten  der  Epidemie  machte  die  Errichtung  dnes  Gesundhdb- 
amt«,  des  »officium  sanitatis",  notwendig,  wovon  das  vierte  Kapitel  handelt 
Wir  hören  hier  von  der  gefahrvollen  Titigkeil  der  Pfarrer,  der  Schließung 
vereeuchter  Häitser,  ihrer  Wiedereröffnuiig,  der  Tolenbestattung,  der  Ab- 
schaffung der  Matistiere,  von  Zusam inen kOnf teil,  von  der  Unterbringung 
der  Soldaten  und  Auswdsung  des  Ge^indeU.  Einige  Priester  wurden  aus 
den  Klöstcni  ausgesetzt,  um  den  Kranken  die  Sterbesakramente  zu  reichen 
und  den  Armen  in  jeglicher  Not  bdzustehcn.  Auch  ein  Armenarzt  und 
ein  städtischer  Barbier  wurden  bestellt,  Medikamente  kostenlos  verabreicht. 
Vcrsdiiedene  Ärzte  werden  namhaft  gemadit,  worunter  vielleicht  der  be- 
kannteste der  Dekan  der  medizinisdnen  Fakultät,  Dr.  Ludwig  von  Hörnigk 
(Homlck^ist.  Er  ist  der  Vater  des  österrdchischen  Nationalökonomen  Philipp 
Wilhelm  von  Homick  (1658-1712),  Unter  den  Medikamenten  werden 
auch  »Sccjcta  gegen  die  Koiilagion"  eruähnt,  also  Ochcimmitld,  die  aber 
eher  Schaden  als  Nutzen  stifteten.  Zu  loben  ist  die  ausgedehnte  Mild- 
lätigkdt  des  Offiziums,  das  auch  die  kurfürstliche  Hofküche  zur  Vcr- 
köstigung  der  im  Lazarett  befindlichen  Kranken  in  Anspruch  nahm.  Mit 
dem  f&nflen  Kapitel,  das  die  damals  gebrfiuch liehen  medizinischen  HeiU 
milld  betrifft,  schiidilt  der  hygienisdie  Teil  der  ArbdL     Als  dn  Straf- 


Besprecttungm. 


95 


gericht  Oott«  -wurde  die  Pest  angesehen,  und  sowohl  in  Bingen  wie  in 
Älunz  gelobte  man  Kapellen  zu  Ehren  der  heiligen  Roclius  und  Scbastianus, 
nachdem  man  dne  Anliphom-  und  eine  Betslunde  angeordnet  halle.  Mit 
dem  Bau  der  Seb»sfiaiiska peile  iit  M.iiiiz  war  der  Ktirfünt  zuerst  niclit 
ganz  cinveislflnilen ,  da  er  lieber  gesehen  hätte,  wenn  das  üdd  für 
die  nollcidendcn  Hnusarmcn  verwendet  worden  wäre.  Am  Scbnstianstage 
wurde  wegen  Abnahme  der  Kranklieit  ein  Dankfest  abgehalten.  Andere 
Orte  des  Erzstifte  bcbindetcn  auf  ähnliche  Weise  ihre  Dankbarkeit  für 
das  Abnehmen  der  Epidemie.  So  weit  das  sechste  Kapitel.  Das  siebente 
ist  dem  unerschrockenen  Domprediger  Dr.  Voliasius  und  dem  religiösen 
Leben  in  Mainz  zur  Pcatzeit  gewidmet. 

Ein  zusammen  fassendes  SchluUworl  weist  auf  die  vielen  erhebenden 
Momente  hin.  an  denen  die  Tage  der  schweren  Not  reich  waren.  Der 
Kurfünt  ist  auch  in  der  Feme  für  das  Wohl  der  Stadt  besorgt,  der  Statt- 
halter und  Domdechant  Johann  von  Heppenheim,  genannt  von  Saal,  ver- 
dient, wie  das  officium  sanctalis,  alle  Anerkenrung.  Von  den  Ärzten  sind 
drei  die  Opfer  ihres  Benifes  geworden,  und  die  ganze  Tätigkeit  der  Qeisl- 
Hchen  war  gcwiJl  eine  derartige,  daß  die  Gefahr  der  Ansteckung  groß  war. 

Wer  heiitzulage  mit  dem  Schiffe  an  Bingen  vorbeifährt,  sieht  auf 
dem  UcrcfC  über  der  Stadt  eine  schöne  Kapelle.  Das  ist  die  neue  Rodius- 
kapdle.  Das  alte  nnscheinbare  Golleshaiis,  das  der  fromme  Sinn  der 
Bürger  v&n  Bingen  im  Jahre  1666  erbaute,  ist  am  12.  Juli  i&S^,  durch 
einen  Blitzstrahl  entzündet,  gänzlich  niedergebrannt.  Die  Erinnerung  an 
das  große  Sterben  ist  aber  im  Rheingau  noch  wach,  und  viele  Wallfahrer 
ersteigen  am  16,  August,  dem  Tage  des  heiligen  Rochus,  den  Berg,  um 
dort  in  der  Kapelle  ihr  Gebet  zu  verrichten. 

Karl  Höischcr. 


R.  Scliwemer,  Restauration  und  Revolution  (Aus  Nalur  und  ücistes- 
welt  Bdchen  il).    Leipzig,  Teubner,  1902  {151  S.). 

Eine  Sammlung  von  Vorträgen,  die  im  Anschluß  an  die  groDen 
liistorischen  Werke  die  Entwicklung  des  deutschen  MaiionBlsLaat»  bis  1849 
in  übersichtlicher  und  flüssiger  Darsteiliing  einem  weiteren  Kreise  ver- 
mittelt. Das  Schwergewi  du  liegt  natürlich  auf  der  Politik,  nur  ein  Ai>- 
Khnitt  ist  dem  Erstarken  der  nationalen  Arbeit  gewidmet. 

O.  Liebe. 


Werner  Sombart.  Die  deutsche  Volkswirtschaft  im  neunzehnten 
Jahrhundert.     Berlin,  O.  Bondi,  1WJ  (XVlIt,  MS  S.). 

■Wer  ängstlich  abwägt,  sagt  gamicbts"  (Fontane)  lautet  dncs  der 
beiden  -Vorworte"  zu  dem  vorliegenden  höchst  lesenswerten  und  tfich- 
|]gen  Budi,  und  man  wird  nicht  leugnen  kSnnen,  dal)  der  Verfasser  in 


96 


Beqnediuiistii. 


der  Tat  reclit  frisch  ins  Zeug  geht,  Datiebeii  fällt  sofort  ein  nicht  gcrsde 
geringes  Selbstbewußtsein  auf,  das  sich  am  mdslcii  in  der  Art,  vic  er 
von  seinem  »Hauptverk';  »Der  moderne  Kapitalismus*  redet,  ausprägt. 
<Vgl.  übrigens  auch  die  merkwrinlige  Stelle  auf  S.  529.)  Das  vorliegende 
Buch  ist  auch  gleichsam  nur  eine  Vorstufe  ru  diesem  Allerheiligsten, 
Jenes  zweibarKÜge,  gewiß  wichtige,  aber  auch,  nainenllich  in  seinen  hi- 
storischen Partien,  keineswegs  einwandfreie  Werk  ist  nun  auch  in  den 
Augen  des  Verfassers  anscheinend  allein  das  wissenschaftliche  Werk:  den 
voriiegcndcn  recht  slalttichcu  Band  betrachte!  er  mehr  als  eine  Art 
populärer  l^iauderei.  Er  ist  deshalb  auch  einer  «verehrten  Freundin* 
zugcdarhl,  die  wiederholt  als  Leserin  apostrophiert  wird.  Gewiß  gibt 
es  genug  gebildete  Frauen,  die  der  Lektüre  des  Buches  nicht  nur  für  die 
schildernden  Anfangskapitcl  gewachsen  sind,  aber  im  ganzen  werden  die 
Leser  doch  wohl  sehr  überwiegen.  Und  unter  ihnen  such  wieder  die 
ernsteren.  Wozu  also  ein  gesucht  salopper  To^n,  als  ob  man  für  .Nicht- 
fachleute-  nicht  eine  cdte  Sprache  zu  reden  brauche?  Es  steckt  darin  eine 
Unlcfschäfcfung  des  gebildeten  Lesern  Auch  klingt  dieser  leichte  Ton  nur 
sehr  gekünstelt  und  berühit  dalicr  um  so  unschöner.  «Die  W^e!  Du 
meine  Zeit!  War  das  eine  Nol!»  (S.  4).  „Das  gab  a  Hetz»  {S.  21). 
■Die  wir  arme  Hascherin  sind  mit  unsem  paar  Ideen  und  unsem  paar 
-unpraktischen"  Kenntnissen."  (S.  19;.)  Solche  Wendungen  sind  nicht  gerade 
geschmackvoll.  Hingegen  werden  die  «Gebildeten"  öfters  den  Voraus- 
setzungen in  anderer  Beziehung  nicht  entsprechen.  .Das  Thomas-OIl- 
christsche  Verfahren  beruht,  wie  wiederum  jeder  Gebildete  weiß,  auf  einer 
nicht  sauren,  sondern  basischen  SchlackenbUdung  usw."  {S.  180).  Die 
meisten  Leser,  namentlich  von  der  sympathischen  allen,  nicht  lechniscti 
imd  naturwissenschaftlich  gerichteten  Generation,  werden  das  Verfahren 
nur  sehr  vom  Hörensagen  kennen. 

Aber  das  alles  sind  Kleinigkeiten,  und  a.uch  die  wichtigeren  gewiß 
nicht  fehlenden  Punkte,  die  zu  sachlichem  Widenipruch  reizen,  sowie 
die  Neigung  zu  Einseitigkeiten,  und  ein  zuweilen  gewaltsames  Hinein- 
zwängen der  Fülle  der  EfKiheinungen  in  den  Rahmen  der  vom  Verfasser 
dargclcgicn  Entwicklung  kann  uns  nicht  abhalten,  das  Buch  als  eine  her- 
vorragende Erscheinung  zu  bezeichnen,  der  wir  auch  unter  den  Historikern 
recht  viele  Leser  wünschen 

Das  erste  Verdienst  des  Buches  ist,  die  Erkenntnis,  dafi  das  19- Jahr- 
hundert auf  allen  wirtsdiaftlichen  Gebieten  einen  gröflern  Wandel  erlebt 
habe  als  die  ganzen  Jahrtausende  vorher,  einmal  mit  aller  Ausführlichkeit 
und  In  großem  Zusammenhang  begründet  zu  haben.  Im  allgemeinen 
Sinn  ist  diese  Dlikeimtnis  schon  öfter  ausgesprochen,  für  einzelne  Gebiete 
ebenso,  z.  B.  noch  neuenlingi  für  die  Landwirtschaft  von  v.  d.  Goltz: 
aber  der  Nachweis  im  einzelnen  und  die  Formulierung  der  tieferen  Grund- 
lage des  Alten  wie  des  Neuen  ist  Sombart  zu  danken.  Die  Absicht  seines 
Buches  ist.  das  Werden  des  neudeutschen  Wirtschaftslebens  lu  schildern. 


Boprechungen. 


97 


Das  bedeutet  für  Sombirt  das  Hcraiiswachsen  der  kapitalistischen  Wirt- 
scluft aus  der  vorkapitaüMisdien  Organis,ition. 

Zimichst  wird  der  Leser  daher  mit  dieser  letzteren,  mit  den  Zu- 
ständen vor  100  Jatiren.  den  äiiüem  und  inrern  Verhaltnissen  des  da- 
ifiulisicn  Wirtschaftslebens,  bclcannl  gemacht,  dann  mit  den  treibenden 
Kräften  der  neuen  Wirtschaft,  dein  -ZMeck&ireben  kapitaliatischer  Unter- 
nehmer-, weiter  mit  den  sonstigen  Bedingungen  für  den  Sieg  jener  Wirl- 
schattsffinn,  die  er  in  vier  Qnippen  r  Land,  Leute,  R«lit,Technikaiiseinandcr- 
ictzt  Dann  folgt  die  aiisführliclie  Darstellung  des  modernen  kapitalistisclien 
[Wirtschaftslebens,  zunächst  der  Gebilde,  die  de^en  Geist  ganz  rein  ver- 
[körpem,  der  Banken  und  Börsen,  weiter  des  Handels,  des  Verkehrs,  ds 
'  Gewerbes  und  der  der  kapitalistischen  Organisation  am  meisten  M-iderslre- 
benden  Landwirtschaft.  Daran  wird  noch  ein  Kapitel  über  „die  deutsche 
Voliswirtschat't  und  den  Vt'cUraarVt"  geschlossen,  in  dem  eigenartige  An- 
schauungen entwielcelt  werden.  Die  Pointe  der  Umwälzung  ist,  daß 
heute  Deut:>chland  der  Boden  und  immer  vteder  Boden  fehlt.  Ein  letzter 
Tei!  endlich  legt  die  -Orundzfigc  der  neuen  Oesellsdiaft*  dar:  hier  finden 
*ir  auch  manclie  geistreiche  Bemerkung  über  den  Wandel  des  inneren 
Menschen.  Es  werden  die  Versclitebtingen  in  den  Berufsverhältnisscn, 
die  Änderungen  in  der  Einkommensverteilung,  die  im  übrieeii  und 
trotz  des  allgemein  gestiegenen  Wohlstandes  dieselbe  blribl  wie  frtltier, 
endlich  die  grundstÜRcnden  Wandlungen  in  der  höchst  kompliziert  ge- 
wordenen Klassenbildting  betrachtet.  Sehr  mit  Re«:ht  wird  zum  Schluß 
mf  den  Nicckrg.ing  idealen  Geistes  hingewiesen.  Die  Brutalität  der  rein 
2uBcrlidien  modernen  ,.Ku!lur"  hätte  sogar  noch  viel  schärfer  betont 
«erden  können,  namentlich  auch  in  beziig  auf  ihre  Folgen  Ifir  den  Cha- 
nklcr.  Was  uns  vor  allem  fehlt  und  erst  wiederzugewinnen  ist,  ist  m.  E.  das 
Herz.  Somb*n  vemiifll  mehr  die  Bildung,  worin  er  auch  recht  hat, 
und  beklagt  den  offenbaren  Gegensatz  von  Politik  und  Bildung  deshalb 
nicht,  weil  unsdessen  Erkenntnis  daran  „erinnere,  daß  das  teuerste  Erbsttick, 
das  uns  Intellektuellen  die  Grötitcn  und  Besten  unseres  Volkes  hinterlassen 
haben,  der  unpolitische  Sinn  ist,  der  schon  fast  abhander  zu  kommen 
schien  Ihn  wieder  zu  pflegen,  inmitten  der  großen  Öde,  in  die  uns 
unsere  materielle  Kultur  %-erstoßen  hat,  dünkt  mich  wohl  des  Schweißes 
der  Edlen  wert.  Wir  wollen  wieder  mehr  in  Goethe  leben.  Das  tut  uns 
bitter  not."  Den  Pessimismus  in  bczug  auf  die  niodcmc  Kultur, 
der  aus  solchen  und  andern  Worten  spricht,  teile  ich  durchaus.  Ich 
hege  ihn  aber  auch  bezüglich  der  Art  und  der  Anschauungen  von  «uns 
Imellcktuellen", 

Das.  Sombartsehe  Buch  habe  ich  erhalten,  als  ich  gerade  bei  der  Ab- 
fassung des  Sclilußkapiteis  meiner  demnächst  erecheineitden  „Geschichte  der 
deutschen  Kultur-  war.  Manches,  was  ich  neues  ^u  sagen  glaubte,  namentlich 
bezOglicb  der  Charaktcrisiening  des  gleichmäßig  durchgreifenden  Um- 
schwunjp  auf  allen  Gebieten  und  der  Feststellung  der  Gleichartigkeit  der 

An&W  tOr  KullurgiMhIdile.   It.  7 


Besprccliimgen. 


Anfangszeit  unsers  Jahrhunderts  mit  friSheren,  ja  mit  mittcUltcrlichen 
Zeiten,  ist  nun  schon  von  ihm  gesagt  worden.  Ich  habe  ihm  daher  Jetzt 
folgen  miissen,  habe  es  aber  auch  gern  in  Punkten  getan,  deren  Erkennt- 
nis idi  ihm  erst  verdanke.  Auch  andere  werden  dem  Buch  mant^hcs 
verdanken:  ich  wiederhole  meine  w^rnie  Empfehlung  desselben. 

Ceorg  Steinhausen. 


Francisco  de  Nollindi,  Vier  GesprXcbc  über  die  Maicrci,  geffihrt 
zu  Rom  1538.  Origjnallexl  und  ÜberseUnng,  Einteilung,  Beilagen  und 
Erläuterungen  von  Joaqtiim  de  Vasconcellos  (Quellenschriflen  für 
Kunstgeschichte  und  Kunsttechnilt  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit  N.  F. 
Bd.  IX).    Wien,  Verlag  von  Carl  Gracscr.  18ti9,    {CLX  und  240  Seiten.) 

Des  Augsbiirger  Pitriilers  Philipp  Hiinhofcr  Reisen  nach  tnnsbnick 
und  Dresden.  Von  Dr.  Oscar  Docriiig  (Quellen Schriften  für  Kunst- 
geschichte etc.  N.  F.  Bd.  X).  Wien,  Verlag  von  Carl  Üraeser  tS  Co., 
1V01.    (309  Seiten.) 

Von  den  ursprünglich  von  Eitelberger  begründeten,  dann  von 
Albert  Ilg  fortgeführten  und  jetzt  von  Camillo  List  rediKierten  „Quellen- 
schriften (ür  Kunstgeschichte",  denen  »ir  im  Deutschen  Reich  leider  noch 
immer  kein  ähnliches  Unlcritehinen  an  die  Seile  zu  Mclkn  haben,') 
\pährend  Österreich- Ungarn  in  den  Regesten-Publikationen  des  Hof- 
jahrbuchs  sogar  noch  ein  zweites  Quellenv?erl(  dieser  Art  von  mindestens 
gleich  hoher  Bedeutung  hal  zur  Tal  werden  lassen,  liegen  mir  die  beiden 
letzlerschienenen  Dände  zur  Besprechung  vor.  Beide  bieten  wiederum, 
wie  ihre  Vorgänger,  eine  reiche  Fülle  des  Materials  und  in  Einleitung, 
Anmerkungen,  Erläuterungen  und  Exkursen  auch  bereits  reiche  Ergebnisse 
nicht  nur  für  die  spcueLI  kunstgeschictitliche  Forschung;,  sondern  auch 
für  die  ^t'eite^e  Kuiluigeschichte.  Ist  ja  doch  überdies  die  rein  historisch 
verfahrende  Kunstgeschichte  nur  als  ein  Zweig  der  Kulturgeschichte  und 
Altertumskunde,  vielleicht  als  deren  wichtigsler.  aufzufassen.  Es  verlohnt 
sich  also  wohl,  auf  den  nach  Ort  und  Zeit  so  verschiedenen  Inhalt  der 
beiden  Bände  auch  in  dieser  Zeitschrift  in  Kürze  einzugehen.  -  Die 
■vier  Gespräche  über  die  Malerei"  bilden  den  zweiten  und  vrertvollslen 
Teil  ds  Malcrbuchcs  ~  ..Da  Pintura  Antiga'  tautet  der  eigenttidie 
Titel  — ,  das  wicdcnim  als  das  literarisch  bedeutsamste  unter  den  Werken 
des  portugiesischen  Malers  und  Schriftstelleis  Francisco  de  Hollanda 
(tSIJ— 1SS4>  bezeichnet  werden  muü.  Sie  führen  uns  in  die  Zeil  der 
blühendsten  ilalictiischeii  Renaissance,  und  in  ihrem  Mittelpunkt  steht  die 
gewaltige  Gestalt   .Meisler  Michaels»,  d.  h.  Michelangeios.     Der  junge 


■J  OuiE  ncuETdiiiei  ii<  ludi  xura  Jahrbuch  der  kgi.  pTcufi,  KumtummliinBrn  und 
mr  nim  XXIV.  t]>ndr  (I9<i!i)  ein  .Scihdl-  mit  «rchlvaliitlicn  ründiungen  endilcnen, 
du  fcoflentlith  Mehl  aHrriche  Nachfolp  Tindct,  Tti.    H. 


rfi^ 


portuKicsischc  Künstler  war  durch  die  Gunst  der  Vltloria  Cobnna  mit 
dmi  Meister  bekannt  geworden  und  verehrte  ihn  bsld  mit  solcher  Inbrunst, 
■daß',  wie  er  selbst  schreibt,  »wenn  immer  ich  ihn  uaf,  es  sei  im  Hause 
des  Papstes  oder  auf  der  Straße,  ich  mich  nicht  eher  von  ihm  zu  trennen 
wrmochle,  als  bis  die  Sterne  uns  gehen  hicfien".  Die  Mardicsa  war  « 
auch,  die  dann  in  den  der  ersten  Bekanntschaft  folgenden  Zusoninien- 
k&nften  den  sonst  in  solchen  Dingen  wortkargen  Freund  zu  größerer 
Mittdlsunkcit  und  jenen  Äußerungen  über  die  Kunst  namentlich  der 
Malerei  anzuregen  vermochte,  die  den  eigentlichen  Kern  eben  der  »vier 
Gespräche-  ausmachen.  Wie  weit  freilich  Holbnd^  Worte  und  Ansichten 
Michelangelos  unverfälsclu  fiberliefert  hat,  ist  schwer  zu  sagen,  doch 
dörfen  wir  bei  der  unb^renzteii  Verehrung  des  Jüngers  fiir  den  Meister 
vohi  annehmen,  daß  er  sich  wenigstens  bestrebt  hat,  das  Gehörte  treu 
zu  bewahren  und  dein  Sinne  nach  genau  wiederzugeben.  Ocrailc  darauf 
beniht  ohne  Zweifel  zum  guten  Teil  der  kii nstgeschichtüchc  Wert  der 
•Oespriche'',  die  hier  zum  ersten  Male  außer  im  Urtext  auch  in  deulschB* 
Oboseteunj  -  eine  Übertragung  ins  Französische  durch  den  Maler 
Roquemont  war  schon  um  die  Mitie  des  vorigen  Jahrhunderts  von  dem 
Grafen  Raczynaki  veranlaßt  worden  -  vor  uns  erscheinen.  Die  in  den 
Dialogen  berührten  allgemeinen  Fragen:  -Bildimg  und  Chamkler  des 
Künstler«',  ..Über  die  soziale  Stellung  des  Malers",  «Stellung  der  FQn>tcn 
und  des  Adels  zur  Kunst",  „Rangverhältnis  der  bildenden  Künste  ru 
einander"  und  «Preise  der  Malcrwerkc  und  Hollandas  Vorliebe  für  die 
Cnuaden"  (eine  Goldmünze),  d.  h.  seine  angebliche  Qeldgier,  neben 
denen  vom  kulturgeschichtlichen  Standpunkt  freilich  noch  manche  andere 
Beathunfiien  der  Erörterung  wert  wären,  wurden  vom  Herausgeber  selbst 
twrdts  im  vierten  Abschniite  der  Einleilimg  ausführlich  behandelt.  Die 
iibriecn  Abschnitte  haben  Hollandas  Leben,  seine  Schriften  und  deren 
Qurilen,  sowie  seine  Beziehungen  zur  älteren  hispanischen  Kunst  (d.  h. 
der  Kunst  in  Spanien  und  Portugal  zu  Ende  des  15.  und  in  der  ersten 
HlUte  des  Ib.  Jahrhunderts)  Kuni  Gegenstand  und  werden  durch  zwölf 
Beilagen  crginzl.  die  einzelne  Epochen  oder  Gebiete  der  portugiesischen 
Kunst  genauer  beleuchten  oder  allerlei  Wechsellxrzieli iingen  zwischen  ihr 
und  der  Kunstentwicklung  anderer  Länder,  namentlich  Italiens,  betreffen, 
ücrade  auch  diese  darstellenden  Abschnitte  des  BwcheSj  die  so  recht  aus 
dem  \'otlen  schftpfcn  und  Ereignisse  und  Persönlichkeiten  flberall  auf 
dem  Hintergründe  der  allgetneineu  Zeitverhältnisse  schildern,  zeigen  uns, 
wie  sehr  Joaquim  de  Vasconcellos  seinen  Stoff  beherrscht;  und  die 
Glätte  und  Eleganz  der  Darstellung  wie  des  Ausdrucks  ist  zugleich  eine 
Oeväbr  dafürj  daß  an  der  Richtigkeit  und  Trefflichkeil  der  Verdeutschung 
der  vier  Gespräche,  die  im  einzelnen  und  in  ihren  Feinheiten  nach- 
ruprüfen  Kennern  des  Portugiesischen  vorbehalten  blelb^en  muß,  nicht 
gerweifell  i\i  weiden  braucht.  —  Int  Anschluß  an  die  in  dem  Buche  nieder- 
gelegten Forschungen  über  die  portugiesische  Malerei  des  ib.  Jahrhunderts 

7» 


:r^i:=v5 


100  Besprechungeti. 


mag  hier  endlich  noch  die  Notiz  Pbtz  finden,  daß  auch  in  Nürnberger 
Atdiivalien  gelegentlich  ein  Maler  Edewarl  begegnet,  der  als  ,.von  I'orlegal" 
bezeichnet  wird,  offenbar  die  Frankfurter  Messen  besuchte  und  IS10  auf  der 
Rückkchrvon  Frankfurt  denNQmbergerBürgerJobslErlenindsffine  Hausfrau 
zum  Dank  fiJr  die  Freundlichkeiten,  die  Ericr  ihm  erwiesen,  |>ortiüticrtc.  Di 
er  die  zwei  gemalten  Tafeln  nachmals  aber  unterdeinVors'ande,  sie  Willibald 
Pirkheimcr  sehen  zu  lassen,  dem  Erler  wieder  abverlangte  und  an  Hans 
Hiltprant,  ebenfalls  BQrger  zu  Nürnberg,  verkaufte,  so  kam  es  zum  Prozeß 
zwischen  Erler  und  HiJtprant,  bei  dem  crstercr  auf  RQckerstaltiing  der 
Oemäldc  oder  fünf  Oiilden  Schadenersatz  klagte.  (Vgl.  Nürnberger 
Stadtarchiv,  Libii  lilteraruui  Bd.  2i>  fol.  iBbff.,  vom  5.  August  (H"J) 
Aus  dem  Italien  und  Portugal  des  siniicnirohen  und  kunstgewaltigen 
RenaissancezeiLilters  finden  wir  uns,  wenn  wir  nun  zu  dem  andern  der 
hier  zu  besprechenden  Binde  der  -  Quellenschriften"  greifen,  nach  Deutsch- 
land und  in  die  Zeilen  des  Dreißigjährigen  Krieges  versetzt.  Wenn  auch 
diese  Zeit  künstlerisch  nicht  entfernt  an  jene  Epoche  heranreicht,  so  vrird 
man  dennoch,  wenn  man  den  Nachdruck  mehr  auf  das  kiiiturgeschichtlichc 
al^  auf  das  rein  ästhetische  Momenf  legt,  die  neue  Veruffcnt  Hebung  in 
hohem  Maße  wlllkoinmen  heiflen.  Denn  Philipp  HflinhoEer  ist  durch  sein 
Kunstverständnis,  seine  eigentümliche  Tätigkeil  als  »Verleger-  -  wie 
mau  früher  gesagt  haben  würde  -  von  Qegensländen  der  Kunst  oder 
Vermittler  rstischen  den  Augsburger  Kunsthandwerkern  und  den  zumeist 
fürstlichen  Kaufern,  dann  duich  die  Beziehungen,  die  sich  fiir  ihn  eben 
hieraus  crgatwn,  und  die  vielen  Reisen,  die  er  gemacht  und  ülwr  die  er 
stets  ausführliche  Relationen  verfallt  hat,  ohne  Zweifel  eine  interessante 
und  um  unsere  Kenntnis  namentlidi  des  Augsburger  Kiiiistlebeits.  seiner 
Zeit  sehr  verdiente  Persönlichkeit.  Schon  im  sechsten  Bande  der  neuen 
Folge  der  Qucilensciiriften  hatte  Oscar  Doering  aus  den  Hamlioferechen 
Manuskripten,  namentlich  seiner  Korrespondenz,  ein  reichhaltiges  Material 
zur  Kenntnis  der  Beziehungen  Halnhofers  zu  Herzog  Philipp  II.  von 
Pommern-Stctlin ,  dem  er  bekanntlich  den  berühmten  upommerwjjen 
Kunslschrcin"  besorgte  und  übermittelte,  dai^cboten,  dasselbe  durch  An- 
merkungen erläutert  und  durch  sorgfallige  Register  bequemer  Benul/itng 
zugänglich  gemacht.  Die  neue  Veröffentlichung  steht  der  älteren  an 
Trefflichkeit  nicht  nach.  Dankenswert  ist  vor  allem  die  Übersicht  über 
Hainhofers  gesamie  literarische  Produktion,  welche  einen  Teil  der  Ein- 
teilung ausmacht,  sowie  der  Anhang,  der  im  wesentlichen  Halnhofers 
eigene  Kunstsainmluiigen  iiini  Gegenstände  h.it ,  auHerdem  die  von 
Hatnhofer  verfaHie  genaue  Beschreibung  des  ^tlt  an  Herzog  August  den 
Jüngeren  von  Brautisdiweig  gelieferten  Kunstschrankes  enlhAh.  Bei  der 
Wiedergabe  des  Textes  der  Reisebeschreibungen  selbst  liegt  der  Nach- 
druck auf  den  oft  nach  vorhandenen  Inrentaicn  oder  nach  mündlichen 
Angaben  vcrfaHlen  Schilderungen  und  AiifzÄhltingen  der  Kunstgegenständc, 
die  Hainbofcr  in  Innä)nick,  Dresden  usw.  gesehen.    Alles  nicht  auf  Kunst 


*        jL 


Besprediiingen. 


101 


und  Kflnstler  berügliche  ist  vom  Herausgeber  mit  Riicksiclit  auf  den 
ZuTcIc  der  Quellenschriften  nur  mit  wenigen  Woiten  kurz  angedeut« 
«Orden.  Dis  bleibt  freilich  vom  Standpunkt  des  Kulturhistorikers  hin 
und  nieder  recht  zu  bed^itiern,  und  auch  Ininstgeschichllich  wäre  es 
vielleicht  nicht  uninteressant  gewesen,  ctvos  Näheres  beispielsweise  Ober 
die  Begegnung  Haicihofers  mit  dem  leidenscliaftliclien  Nürnberger  KunU- 
frciind  Georg  Forstenhauser  {S.  H3)  zu  erfahren.  Er  liaf  ihn  auf  der 
Reise  nach  Dresden,  die  wesentlich  den  Zweck  hatte,  dem  Kurförsten 
Johann  Gcor^  die  Sache  der  Evangelischen  rcchl  an*  Herz  zu  legen, 
Anfang  September  1629  in  R^ensburg  und  ward  von  ihm  nach  Nüm- 
'  berg  eingeladen.  Die  im  Jahre  zuvor  unlemomniene  Innsbnicker  Reise 
betraf  daRcscn  wiederum  die  Abliefening  eines  von  Erzherzog  Leopold 
»ohl  1625  bei  Hainhoter  bcstclllen  Kunstschrankes,  von  dem  auch  zwd 
Al^ildungen  (da  Schrank  geschlossen  und  geOfinct)  dem  Buche  Doerings 
beigegeben  sind.  Es  ist  dies  der  vierte  von  Hainhofer  besorgte  Augs- 
buiger  Kunatsdirein  großen  (nicht  monumentalen!)  Stüei,  von  dem  wir 
'  vissen-  Ober  die  beiden  hervorr^endslen  Arbeiten  dieser  Art,  den 
.  »pommcredien  Kunstschrei  n"  und  jenen  ßcher-  und  inhaltrcichcn 
Pfichlschrank,  den  1632  die  StadI  Augsburg  dem  Könige  Gustav  Adolf 
verehrte,  werden  gerade  gegenwärtig  von  Berlin  (Oeheimrat  Le»ing)  und 
Stockholnn  (Direktor  Böttiger)  aus  umfassende  Publikationen  vorbereitet. 
Auch  ihnen  wird  jedenfalls  die  Veiörfenllichuiig  Doerings  zu  gute  kommen. 

Th.  Hampe. 

Hnso  Schfflerber.  Beitrage  zur  Geschichte  der  Dintzenhofer  (For- 
schungen zur  Kunsigescliichte  Bölimens.  veröEfenll  icht  von  der  Gesellschaft 
zur  Ffirdcning  deutscher  Wissenschatl,  Kunsl  und  üteralui  in  B6hmen, 
IV).  Prag,  Vtm,  y  O.  Calvesche  k,  u.  k.  Hof-  und  Universitäls-Biich- 
handlung  (Josef  Koch).  (61  Seiten,  mit  7  Tafeln  und  27  Abbilduiigeii 
im  Texte.) 

In  den  Veröffentlichungen  über  BaaidenkniSler  und  zur  Geschichte 
der  Architektur,  namentlich  wo  es  sich  um  Tafelwerke  handelt,  übemegt 
beute  die  Rücksicht  und  das  [nleressc  für  die  allerjängste  Entwicklung 
und  ihre  Mervorbringungen  so  sehr,  und  unter  den  Verfassern  und  Heraus- 
,gd)eni  treten  Architekten  selbst  oder  äsihetisiercnde  Kritiker  gegenüber 
den  historisch  foRtchenden  und  auf  sicherer  kulturgeschichtlicher  Grund- 
lage aufbauenden  Kunstgetehrten  so  stark  hervor,  daß  ein  Werk  wie  das 
vorliegende  doppell  Freudig  begrüßt  werden  muß.  Allerdings  behandelt 
.  nur  einen  kleinen  Teil  aue  dem  namentlich  auf  dem  Gebiete  der 
Palastarchitcktiir  so  überreichen  und  bedeutenden  Bauschaffen  der  zweiten 
Hilfte  des  17,  und  ersten  Hälfte  des  la.  Jahrhimderts,  nämlich  die  Tätig- 
keit der  Baumeisterfamilie  Dintzenhofer.  und  hier  wiederum  insbesondere 
die  Werke  der  in  Böhmen  tätig  gewesenen  Christoph  und  Kilian  Ignaz 
DJnüxnhofer.    Indem  sich  aber  genaueste  Kenntnis  der  Literatur  wie  der 


102 


Besprechungen. 


Denkraftlcr  mit  eingehenden,  oft  nur  la  mühseligen  srchivalisdien  For- 
schungen und  einem  feinen,  aus  tiichtigetn  kulturgeschichtlich  cm  Studium 
resultierenden  Verständnis  für  die  2eil  gepaart  hat,  ist  ein  Werlc  entstanden, 
das  nach  verschinlcnen  Richtungen  als  mustergültig  bezeichnet  werden 
darf  und  gewiß  zu  äiinlichcn  Spczial arbeiten  anregen  wird.  Auch  die 
Diktion  de  ganzen  -  mit  Ausnahme  höchstens  der  etwas  gar  tu  apho- 
ristisch gehaltenen,  mit  Baug  auf  Prag  die  Vorshten  der  Enl-s-icUung  mehr 
andeutenden  als  schildernd«!  Etnleilting  -  tr;lgt  wesentlich  zu  diesem 
{Eindruck  bei  und  nicht  minder  die  ganz  vcirtrefiliche  Ausst^ittung  des 
Werkes  mit  sieben  großer  Photcitypien  auf  Kiipfeittntckpapier  und  zahl- 
reichen Abbildungen  und  Grundrissen  im  Text,  durch  die  sich  die  Oc- 
seCIschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft  usw.  in  Böhmen  noch 
ein  ganz  besonderes  Verdienst  erworben  hat. 

Th,  Hampe. 


Monogriphien  des  Kunstgewerbe.  Herausgegeben  von  Jean  Louis 
Sponscj.     Leipzig,  Hermann  Seemann  Nachf. 

I.  Wilh  Bode,  Vorderasiatische  Knfipfteppiche.  (1J6S.  mit  I  Farben- 
tafel und  88  Abb.) 

II.  Qust.  E.  Päzaurek,  Mnderne  Qläser.  (133  S.  mit  4  farbigen  Bei- 
lagen und  M9'  Abb) 

[]I.  Ad.  Brfining,  Die  Schmiedekunst  seit  dem  Ende  der  Renaissance. 
(»44  S.  mit  ISO  Abb,) 

Drei  sehr  schOn  au^e5taltcte  Bücher  und,  was  noch  mehr  sagen 
will,  drei  vortreffliche  Arbeiten  li^en  vor  mir  Lernen  wir  zunichsl  ihren 
Inhalt,  besonders  soweit  er  für  die  Kulturgeschic]i1e  in  Betracht  kommt, 
nach  einander  kennen: 

Wilh.  Bode,  der  ausgezeichnete  Kenner  und  auf  diesem  Gebiete 
auch  eifrige  Privatsammler,  gibt  einen  Überblick  tiber  die  Geschichte  der 
vorderasiatischen  Knüpfteppichc,  soweit  sich  dieselbe  bislang  übersehen 
läßt.  Die  Altersbestimmung  ist  früher  auf  Orund  der  Inschriften  auf  den 
Teppichen  versucht  worden,  hat  aber  auf  diesem  Wege  vielfach  zu  sehr 
unsicheren  Resullatcu  geführt,  da  man  es  häufig  nur  mit  viel  späteren 
Kopien  zu  tun  hat,  dazu  auch  eine  JahresMh!  bislang  nur  an  einem  ein- 
zigen Stück  nachgewiesen  worden  ist  (US'),  Abb.  361.  Das  Aller  muß 
daher  slilfcritisch  besiimml  werden.  OlOcldidtierweise  findet  aber  diese 
mit  großen  Schwierigkeiten  verknüpfte  und,  wie  man  aus  Erfahrung  weiS, 
oft  auch  noch  ziemlich  unsichere  stitkritische  Methode  dadurch  eine 
kMftigc  Stni/e,  dafi  das  Studium  der  auf  allen  Ocmälden  vorkommenden 
Teppiche  sich  als  eine  zuverlässige  und  ergiebige  Quelle  für  die  Kenntnis 
der  vorderasiatischen  Kunstteppiche  und  ihrer  butwicklung  erwiesen  hat. 
Diese  Studium  bildet  auch  für  Bode  nebenden  erhaltenen  orientaliEchen 
Teppichen  die  wesentlichste  Grundlage.  Oleich  am  Beginne  der  Dar- 
stellung nun  liegt  eigentlich  der  einzige  Punkt,  wo  Ich  vom  kulturgochicht- 


B«^rediungen. 


103 


IkÜMll  Standpunkte  aus  etwas  vermisse,  nämlich  eine  einleitende  Bemerkung 
flbff  die  allgemeine  Oeschidile  des  Teppichs  im  Abendlande.  Die  antike 
Kultur  l*ennt  ncar  die  Teppiche,  aber  doch  nur  in  beschränklercm  Maße, 
sie  hängt  die  Teppiche  nur  an  Decke  und  Wand  oder  breitet  sie  über 
die  Kline,  die  Liegebaiik,  Der  Fußleppich  aber  fclill  ihr  völlig.  Es  ist 
daher  z  B.  auch  nicht  richlig,  wenn  man  wohl  angenommen  hat,  daß 
du  Mosaik  aus  dem  Fiiflieppich  sich  cniwickell  habe,  vielmehr  gehl  die 
Entstehung  des  Mosail«  vom  Estrich  ans.  Der  Fnßteppich  scheint  selbst 
der  byzantinischen  Kultur  zu  fehlen,  und  er  ist  wohl  erst  mit  der  asiatischen 
Kultur  eingedningen ,  deren  sogenannter  ..Kiiltiirhorizont"  unmitielbar 
über  dem  trdboden  lieirf,  d.  h.  deren  Träger  auf  dem  Fußboden  selbst 
sitzen.  Wandteppiche  also  gab  es  im  Abendlande  schon  vor  der  Bc- 
iUhrung  mit  orienulischer  Kultur,  speziell  vor  den  Kreuzifigen.  aber  Fuß- 
tcppichc  finden  sich  hier  erst  seit  dieser  Zeil,  Das  seit  den  Kreuzzügen 
mit  dem  Orient  eng  verbundene  Venedig  besorgte  den  Import,  und  es 
brachte  damit  nicht  nur  der  abend lündischen  Wohnung  ein  neues  Aus- 
staltungsstiick,  sondern  auch  der  abend tändiüchen  Kunst  eint?  mächtige 
Anregung.  Den  koloristischen  Einfluß  der  orientalischen  Teppiche  auf 
die  veneriantsche  Malerei  des  15.  Jahrhunderts  schlägt  Bode  sehr  hoch 
an.  Es  ist  das  eine  künslkrisch  befruchtende  Kraft,  die  sich  noch  zwei 
J.ihrhnnderte  später  ir  gleicher  Stärke  eneeist,  als  sie  ihren  Einfluß  aus- 
übt auf  die  vlämische  und  in  höhwem  M-iße  noch  -luf  die  holländische 
Schule,  wohin  die  persischen  Teppiche  erst  durch  Spanien  und  dann  durch 
direkte  Handelsbeziehungen  gelangten.  Damals  bildeten  sie  in  den  Bürger- 
wohnungcn  einen  sehr  oft  angetroffenen  Hausrat  (S.  4}.  Ebenso  haben 
»eit  jener  Zeit  auch  in  England  die  orientalischen  Teppiche  den  Farben- 
sinn kräftig  erhallen. 

Die  vorderasiatischen  Teppiche  -  abgesehen  vnn  der  Behang- 
tcppichcn  der  Moscheen  ausschließlich  Fußleppiche  stammen,  soweit 
sie  uns  erhallen  sind,  aus  dem  t«.  bis  ts.  Jahrhundert,  nur  wenige  aus 
dnn  15,  lind  vielleicht  H.  nur  einer  aus  dem  13.  Jahrhundert.  Auch  auf  den 
Bildern  kann  man  sie  bis  in  den  Ausgang  des  1 3.  Jahrhunderts  verfolgen, 

■•ndn  eine  historische  Entwicklung  kann  doch  nur   für  die  neuere  Zeit 

-gegeben  wcrtltn. 

Bodc  beginnt  mit  der  Darstellung  der  berühmten  Jagd-  und  Tier- 
lqi[nche,  welche  der  Dynastie  der  Saftden  angehören  (t502-- 1T!6),  Da- 
ran schließt  CT  die  ihnen  verwandten  kostbaren  sogenannten  Polenteppiehe, 

[die  regelmäßig  aus  Seide  auf  einem  Grunde  von  Silber-  oder  Goldfäden 

'geknüpft  sind  und  reinen  Pflaii /endekor  ;?eigen,  Sie  lassen  sich  bis  in  die 
erste  Fiilfle  des  17.  Jahrhunderts  zurück  verfolgen  und  dürfen  wohl  sicher 
als  orientalische  Arbeiten  gelten,   aber   Bode  möchte  sie  nicht,   wie  man 

lirüber  annahm,  nach  Konstantinopel,  sondern  nach  Damaskus  verlegen. 
-  Die  nädisle,  zweite  Gruppe  bilden  in  der  [>arsleUung  die  Älteren 
Tcppche  mit  reiuetn  f^flanzendekor  oder  geometrischen  Mustern,  dieweil- 


1 04  Besprechungen. 


aus  den  größten  Teil  des  Erhaltenen  ausmachen.  Ihr  Alter  und  ihr« 
Herkunft  sind  meist  noch  striMiji,  allein  Bode  gibt  durch  den  Va^lcidi 
mit  manchen  Bildern  doch  zeilliche  Fixierungen.  Die  meist  ain  Ausgange 
des  IS.  Jahrhundffts  cntetandtncn  Oebetslepiwclin;  stammen  nach  ihm 
wahrscheinlich  meist  aus  der  europäischen  Türkei,  wohl  vorwiegend  aus 
der  Nähe  von  Konstaittinopel.  Dagegen  sind  diejenigen  Teppiche,  bd  denen 
das  Innenfeld  ein  kleineres,  mehr  oder  weniger  oft  darin  wiederkehrendes 
Mnster  zeigt,  als  sarazenisch  anzusehen  und  nach  Ktcinasicn  und  Syrien 
zu  verlegen  {S.  86).  Sie  slammeii  last  ausschließlich  ans  dem  16.  Jahr- 
hundert, wenige  sind  älter,  aber  ihr  Ursprung  geht  bis  ins  hohe  Mittet- 
slter  zurück.  Bei  der  sich  anschließenden  Behandlung  und  zeittJchen 
BeS'timmnng  vcrwliiedencr  anderer,  flechlwerkartiger.  siemartiger  usw. 
Muster  bewährt  sich  Bodes  crslaunhche  DenJcmäLer-  und  Bilderkenntnis 
glänzend.  Die  etwa  gleichzeitig  mit  den  frQlicstcii  geomelrisehen  Mustern 
aufiretcnden  Tcppiche  mil  Tiöen  bespricht  er  eingehend,  weil  sie  bi&Uns 
noch  ganz  unbeschrieben  sind,  und  schließ!  daran  verschiedene  Aden  von 
Teppichen  mü  Mitte  des  15.  bis  Ende  des  17.  Jahrhunderts  mit  erstarrten 
vegetabilischen  oder  geometrischen  Formen  in  sclmchbrettaniger  Anord- 
nung, deren  früher  angenommene  Herkunft  aus  Pcr^icn  mehr  als  unwahr- 
scheinlich igt,  und  die  wohl  eher  nach  Kleinasien  zu  verlegen  sind. 

Als  dritte  Gnippe  gibt  Bode  die  nichtasiatischen  Teppiche,  zu  denen  er 
auch  die  Smyrnateppichc  rechnet,  weil  sie  auf  europäische  Bestellung,  teils 
sogar  unter  europäischer  Aufsicht  entstanden  sind  (S.  1 1^),  wahrend  anderer- 
seits die  seil  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  entstehenden  sogenannten 
Marokkoteppiche  wohl  aus  Kleinasien  oder  wahrscheinlicher  aus  Syrien 
(Damaskus)  stammen.  Ebenso  sind  viclle-icht  die  im  16,  Jahrhundert  ge- 
fertigten sogenannten  spanischen  Wotlleppiche  nach  den  griechischen  Inseln, 
besonders  Rhodos,  zu  verlege».  Neben  diesen  verschiedenen  Sorten  gibt 
es  aber  auch,  seit»!  von  der  TiJrkei  und  ihren  slavischen  Provinzen  al> 
gesehen,  rein  europäische  .\rbeitcn,  welche  Polen,  Spanien  und  Skandinavien 
ihren  Ursprung  verdanken.  Auch  diese  bespricht  Bode  kurz,  um  zum 
Schluß  eine  übersichtliche  Zusammenfassung  der  Geschichte  der  einzelnen 
Knüpfteppich atlen,  soweit  sie  sich  feststellen  ließ,  sowie  ihrer  stilistischen 
und  technischen  Merkmale  zu  geben    - 

Die  zweite  Monographie,  Pazaur^ks  Werl<  über  moderne  Gläser, 
i$t  ganz  dem  neuzeitlichen  Kunstgewerbe  gevidniet,  indem  der  Verfasser 
hier  die  für  die  Praxis  bestimmten  Resultate  »äner  Porschungen  zu* 
sammenstellt.  Aber  wenn  es  richtig  ist,  was  Pazaurek  Seite  63  sagt,  das 
allen  künstlcri»:hcn  Deslrcbungen  unserer  Tage  Gemeinsame  sei  vorläufig 
hauptsächlich  eine  Negation,  nämlich  die  Negation  historischer  Remini- 
szenzen, -  so  macht  er  diese  an  »ich  wohl  natürliche  Reaktion  gegen  den 
vorausgegangenen  übertriebenen  Historismus  nicht  kritiklos  mit.  Er  isl 
selbst  einer  der  besten  Kenner  der  Entwicklung,  die  das  Glas  von  alten 
her  genommen  hat,  wie  der  verschiedenen  Stilarten,  in  denen  es  zu  be- 


.V.      ^ 


Bespreditineen.  \  05 


I 


artidten  ist.  Im  Altertuin  wnien  der  nin.'^tll  und  di^r  Kristallstil  gleich- 
wertig iW^n  einander  in  Ocltutig.  Nachdem  aber  im  MitteUlIcr  der 
Kristallstil  mehr  und  mehr  in  den  Hintei^ind  gedrSngt  war,  gelangte 
im  16.  Jahfhunderi  du  Olasslil  infolge  der  vciiclianUchcn  Triumphe  ^ur 
Alleinherrschaft,  bis  16(io  in  Prag  Kaspar  Lehmann  aus  CUeii  dem  Kristall- 
stil in  Böhmen  neben  dem  Qlasstil  wieder  die  Gleichberechtigung  erringt. 
)t  seit  elvt  1700  erobert  der  Kristallstil  auf  anderthalb  Jahrhunderte  den 
Weitmarkt,  bis  in  der  2.  Hälite  des  \H.  Jahrhunderts  das  Gleichgewicht 
zwischen  Glas-  und  Kristallstil  wieder  hergesteClt  wird.  (S.  1S/4.>  Aus 
der  Kenntnis  dieses  Entwicldungsgang«  weiK  der  Verfasser  viele  ParalEden 
zur  Abschätzung  der  neuen  Eraclieinungen  heranzuziehen,  und  auf  dieser 
Kenntnis  beruhen  die  vielen  Werturteile,  die  in  dem  für  die  moderne 
Praxis  geschriebenen  Buche  gefällt  werden.  Es  ist  daher  gewifi,  daß  jeder, 
der  die  Oläser  der  Vergangenheit  beurteilen  lernen  will,  auch  in  dieser 
Würdigung  moderner  Arbeiten  sehr  viel  Anregung  finden  wird.  - 

Auf  rein  historischen  Pfaden  führt  itns  dagegen  Brüning,  wenn 
er  die  Enluicklung  der  Schniiedekunst  seit  dem  Ende  der  Renaissance 
Khildert,  In  einer  Einleitung  befaßt  er  sich  zunächst  mit  der  Technik 
der  Bearbeitung  des  Schmiedeeisens  und  zeigt,  wie  im  Altertum  und 
Mittelalter  der  Schlosser  selbst  die  Rohluppe  zum  Eisenslab  oder  Blech 
ausrecken  mußte,  bis  etwa  im  H.  Jahrhundert  die  Pochwerke  ihm  diese 
Arbeit  abnahmen,  z^i  dcacit  am  Ende  des  17,  Jahrhunderts  die  Watz-  und 
Schneidewerke  in  gröllereni  Umfange  dazu  Icamen.  Zur  weiteren  künst- 
lerischen Verarbeitung  des  Eisens  lernen  wir  dann  die  Techniken  des 
Schmiedens,  Streckens,  Stauchens  kennen,  das  Schmieden  in  Gesenken, 
das  Treiben,  die  Gravierung,  den  Eisenschnitt,  das  Atzen,  das  Zusamnioi- 
fetzen  der  einzelnen  Teile  durch  Schweifen,  Nieten  und  Löten,  ihrem 
(irbigcn  Schmuck  durch  Tauschierung.  Blaumalcrd,  Obcrziehen  mit  anderen 
MetäJlen,  endlich  durch  die  ßemakmg  mit  Öl-  oder  Lackfarben.  Auf 
Grund  dieser  technologischen  Einleitung  werden  dann  die  einzelnen  Pe- 
rioden der  Schiniedekunst  in  den  besonders  dafür  in  Betracht  kämmenden 
UUidern  Frankreich,  England  und  Deutschland  beschrieben:  die  fran- 
zische  Schmiedekunst  zu  der  Zeit,  wo  Ludwig  XIV.  ihr  so  reiche  Auf- 
gaben steille,  die  englische  nach  der  Restauration,  wo  ihr  Höhepunkt 
durch  Jean  Tijou  herbeigclührt  -  mit  der  Rcgieningszeit  des  Oranicr* 
Wilhelm  III  (16SS-  no^)  lusammenfäJlt.  Zwei  folgende  Kapitel  behandeln 
die  deutsche  Schniiedekunst  von  der  Mitte  des  i7.  bis  t\in\  Anfange  des 
IS.  Jahrhunderts  und  das  Laub-  und  Bandelwerkin  derdcutschcn  Schmiede- 
kumt.  ÄusderZeit  Ludwig  XV.  und  Ludwig  XVI,  welcher  letztere  selbst  den 
Hammer  mit  Geschick  zu  fuhren  wufite,  und  unter  dem  die  Verbindung  von 
Eisen  und  Bronze  beliebt  wurde,  finden  besonders  die  prachtvollen  Ar- 
bdloi,  die  Laniour  in  Nancy  für  Stanislaus  geachaffeii  hat,  die  gebührende 
Wrirdigung.  Andererseits  stehen  unter  den  deutschen  Schmiedearbeiten  zur 
Zeit  lies  Rokoko-  und  Zopfstils  die  Würzburger  Leistungen  des  Schlosser- 


Ä ^ 


Besprechtingcn. 


tndsters  Oegg  und  des  Architekten  Balthasar  N«uinann  im  Mittelpunkte 
der  Darstellung.  -In  der  sogenaiinlen  Empirezeit  kommen  geschmiedete 
Arbeiten  von  künstlerischer  FoTm  iasl  gar  nicht  mehr  vor,  an  die  Stelle 
der  Seh  mied  earbeil  Int  nun  der  Eisenguß,  der  für  eine  längere  Zeil  das 
Feld  behaupten  sollte"  (S.  lO'O-  In  einem  Schtullkapitcl  wird  die  weitere 
Enl«iekhiiig  d.irn  bis  in  unsere  Tage  hinauf  verfolgt. 

Die  unumwundene  Anerkennung,  die  wir  diesen  drei  auf  genauer 
Spezialkenntnis  beruhenden  Einzeluntersuchungen  schulden,  mtissen  wir 
in  gleicher  Weise  der  geschmackvollen  Ausstattung  wie  auch  der  reichen 
und  guten  lllustriening  zollen.  Daher  sind,  schon  nacti  solchem  Anfange 
zu  urldten,  diese  Monographien  des  Kunstgewerbes  eines  großen  EifolgPi 
gewiß,  und  für  cintn  guten  Fortgang  bürgen  die  Namen  der  gewonnenen 
Mitarbeiter.  Von  den  meisten  gröficnen  deutschen  Museen  haben  Direktoren 
und  Beamte  Beiträge  zugesichert.  Auf  dem  Boden  der  deutschen  Museums- 
arbeit  sind  diese  Monographien  in  er^er  Linie  erwachsen,  und  sie  werden 
der  deutschen  Miiseologic  zur  Ehre  gereichen.  Freilich  gibt  der  Über- 
blick über  ihr  Programm  auch  manches  emsl  i\i  denken,  und  ich  ergreife 
gern  die  Gelegenheit,  in  dieser  kulturgeachicht liehen  Zcitschrilt  mit  allem 
Nachdruck  darauf  hinzuweisen.  Die  kunstgewerblichen  Monogisphien 
sind  ein  deutliches  Spiegelbild  für  die  Strönningen,  die  heute  den  rausco- 
logisehcn  Betrieb  fast  völlig  beherrschen.  Wenn  wir  von  Galerien  und 
Skuliiturensaminlimgeu  absehen,  so  kann  es  keinem  Einsichtigen  ver- 
borgen bleiben,  daH  heute  fast  sämtliche  anderen  Musecu,  die  sich  mit 
mtllelalteTlidicn  und  neueren  Denkmälern  befassen,  bewußt  oder  unbewußt 
im  kunstgewerblichen  Fahrwasser  schwimmen.  Der  großartige  und  an 
und  för  sich  wirklich  verdienstvolle  Einfluß  einiger  hervorragender  Per- 
sönlichkeiten, vor  allem  Leasings  und  Brinclimanns,  hat  in  dieser  Hinsicht 
die  bestimmte  Richtung  angegeben  und  gibt  sie  noch  heule  an.  Die 
reinen  Ktinstgewerbcniuscen  wären  zit  dieser  Beeinflussung  nur  zu  be- 
glückwünschen, aber  auch  die  historischen  Museen  haben  sich  ihr  mit 
nur  wenigen  Aiisnahraen  fast  ganz  hingegeben,  und  was  dabei  in  der 
allerbedauerlichsten  Weise  zu  kurz  kommt,  das  ist  die  deutsche  Archäologie. 
Die  Altertumswissenschaft  kann,  wie  jedermann  wdß,  nur  im  engsten 
Zuaniineidungc  mit  den  Realien  beirieben  werden ,  und  lunial  die 
Univcreilälslchrer  sich  nur  ganz  vereinzelt  mit  ihr  befassen  -  liier  wire 
wieder  Moritz  Heyne  ein  groUcr  Kuhmeskranz  zu  flecliten  -  ,  sind  die 
historischen  Museen  die  natUrliclien  Pflegestfltten  ffir  die  wia^nschafiliehe 
Archäologie.  Aber  von  wie  wenigen  dieser  Museen  kann  man  das  heute 
mit  Recht  sagen!  .^n  dem  Tage,  da  am  Germanischen  National-Museum 
Essenwetn  das  in  einzelnen  Punkten  praktisch  viirlleichl  unausführbare. 
vJssenschaftlich  aber  wohlgegründete  und  sehr  fein  durchdachte  Programm 
des  Frcihcrm  v.  Aufscll  umgesIfirM  hat,  an  jenem  Tage  hat  die  deutsche 
Archlologie  einen  schweren  Schlag  erlitten,  von  dem  sie  sich  bis  heute 
noch  nicht  erholt  hat    Seit  jener  Zeit  sind  nicht  nur  die  deutschen  Ar- 


Besprechungen. 


107 


chiologtn  mehr  und  mehr  verwaist  geworden  —  das  ließe  sich  ja  noch 
täglich  bessern  -  sondern  man  lial  aticli,  was  viel  schlimmer  isl.  seit 
jefiar  Zeil  nngefsngen,  die  Denkmäler  mehr  und  mehr  nur  nach  kitnst- 
geschichtlichcn  Rücksichten  zu  beurteilen,  und  so  sind  viele  Stücke,  die 
in  dieser  Hinaichl  wertlos  waren,  vernachlässig  oder  zu  Grunde  g^angen, 
wenn  sie  audi  ffir  die  Alterttimswisscnschaft  noth  so  bedeutend  gewesen 
wären.    Deshalb  müssen  die  historischen  Museen  aufhören,  die  Kunst- 

igochlditc  als  das  einrJg  beslimmende  imd  ordnende  Prinzip  fijr  ihre 
Sammlungen  zii  betrachten,  sie  müssen  sich  in  erster  Linie  auf  geschicht- 
lichen und  germanisli sehen  Grundlagen  aufbauen,  sie  müssen  anfangen, 
die  künstlerische  Form  z«-ar  als  solche  hochzuschätzen .  sie  aber  nur  als 
ems  von  verschiedenen  gleichberechtigten  historischen  Daten  zu  betrachten. 
Sie  müssen  Entwicklungen  der  Einzelsh'rckc  darstellen,  sie  müssen  die 
»US  bestimmten  Qesellschafts-  oder  Anschauungsformen  ensTichscnen  Denk- 
mJlcr,  z-  B.  FamilicnaHerlÜmcr,  Staats-  und  Gemein dealtertfinier,  Zunft- 
alteriümer  usw.,  hu  gesclilossenen  Qnijipen  zusammenstelkn  und  sie  also 
in  der   Umgebung,   für  die  sie  geschaffen   sind,   vorfuhren,   sie  müssen 

[endlich  auch  die  jeweiligen  lokalgeschichtlichen  Aufgaben  nicht  nur  so 
nebenher,  sondern  mit  allem  Ernst  crlüUcn.  Mit  einem  Worte:  nicht  nach 
vorherrschend  ästhetischen,  sondern  in  erster  Unic  nach  historischen  Oe- 
sicht.'ipunlden  müssen  die  historischen  Museen  s.mnmeln  und  ordnen. 
Dann  enst  wird  auch  die  deutsche  Allertums Wissenschaft  ihre  wahre  Heim- 
sUtle  wieder  gefunden  haben,  dann  erst  wird  man  erkennen,  dal!  ein 
historisches  Museum  ebenso  wie  ein  naturhistorisches  Museum  in  Wesen 
und  Wirken  grundverschieden  ist  von  einer  Kunstsammlung,  Dann  auch 
würden  wir  bald  in  der  Lage  sein,  eine  Sammlung  von  Monographien 
der  deutschen   Altertumswissenschaft  tu   beginnen,      Sie   würden   ebenso 

Iwohl  gegröndet,  ebenso  vielseitig  und  wi^enschattl ich   ebenso  cTTcünscht 

'idn  xrie  die  Monographien  des  Kimslgewerbes,  denen  wir  heute  mit  An- 
erkennung und,  ich  gestehe  es  offen,  mit  Neid  gegenüberstehen. 
Frankfurt  a.  M.  Otto  Laulfer. 


Zu  der  vom  Herausgeber  verfaßten  Besprediung  der  ErgSnzungs- 
_  Jeder  Deutschen  Oeschichle  von  Karl  Lainprecht  in  Bd.  ( 
des  »Archivs-,  p.  361  ff,,  sendet  der  Herr  Verfasser  demselben  folgendes 
Schreilwn,  das  wir  ungekürzt  und  nur  von  wenigen  Anmerkungen  begleitet 
mm  Abdruck  bringen: 

Florenz,  IS.  9.  I90J. 
Hochverehrter  Herr  DireklorJ 

Besten  Donk  für  die  freundliche  Zusendung  Ihrer  Besprechung 
der  Itrizloi  beiden  Bände  meiner  Deutschen  Geschichte.  Ich  finde  das 
darin  von  meiner  Tätigkeit  und  meiner  Natur  gezeichnete  Bild  zwar  nicht 


i 


Besprechuiigeii- 


zutreffend,  aber  das  hat  am  Ende  nichts  zu  sagen.  Wir  werden  uns  über 
solclie  Fragen  wie  z.  B.  die,  ob  ich  das  Leben  kenne  oder  nicht, ') 
schwerlich  veretändigen.  Dagegen  li^  mir  daran,  doch  einige  Stellen, 
sei  es  vor  Ihnen  oder,  falls  Sic  das  Für  angemessen  halten,  auch  vor  dein 
Publikum  Ihrer  Zeitschrift  richtig  zu  stellen.  Über  solche  Stellen  wäre 
etwa  zu  sagen: 

\.  Die  Auffassung,  daß  die  Denkweise  der  Nationalökonomcn, 
insofern  sie  in  der  Theorie  der  Wirlschaftsstiifen  ihren  Ausdruck  findet, 
mich  zu  meiner  AuJfassiing^  der  Kullurzei tal Icr  angeregt  habe,  trifft  nicht 
zu.  Die  Idee  der  Kulturzeitalter  ist  mir  früher  aufgegangen,  als  ich 
überhaupt  von  Wirtschaftsslufen  gehört  habe,  und  iiiclit  eine  der 
geringstea  Schwierigkeiten  ist  es  für  mich  gewesen,  gerade  das  Verhältnis 
zwischen  den  gefundenen  Kulturzcilaltem  und  den  angenommenen  Wirt- 
schaltsslufen  zu  begreifen.  Wie  Ihnen  gegenwärtig  <*in  wird,  glaube  ich  des 
Ritsels  Lösung  erst  in  der  in  der  ereten  Hälfte  des  zweiten  Ergänzungs- 
bandes vorgenommenen  Psychisiening  der  Wirtsehafisstufen  gefunden  zu 
haben.  Diese  Psychisienmg  der  Wirlschaflsstufen  ist  auch  meines  Er- 
messens das  wissenschaftlich  Wesentlichst«  an  der  crsleti  Hälfte  des 
zweiten  Ergänzungsbandes,  und  ich  würde  Ihnen  ganz  besonders  dankbar 
gewesen  sein,  wenn  Sie  auf  die  in  dieser  Richtung  geäulierten  Ideen  in 
Ihrer  Rezension  eingegangen  wären.»)  Denn  hier  vor  allem  liegt  der 
Punkt,  wo  steh  eine  hoichtbare  Diskussion  an  den  Inhalt  dieses  Er- 
gänzungsbandes kn(i[>fen  Icönnte. 

2.  Auch  die  Motivierung,  daß  ich  die  lieiden  Ergänzungsbände 
fniher  ausgearbeitet  hätte  als  die  späteren  Bände  des  ganzen  Werkes, 
vornehmiich  weil  ich  bei  einer  historischen  Analyse  der  Gegenwart  wohl 
das  allgemeinste  Inlerewe  der  Moderiten  für  meine  OeschichUanschsuung 
erhofft  habe,  ist  unzutreffend.  Ich  habe  midi  über  meine  Motive  in  der 
Einleitung  zum  ersten  Ergänzungsbande  eingehend  und  offen  geäußert, 
und  ich  darf  daher  wohl  hoffen,  dail  diesen  ÄulJerungcn  nicht  durch 
gegenteilige,  wie  gesagt,  unzutreffende  Vermutungen  ein  Teil  ihrer  Qlaub- 
wfirdlgkeii  genommen  wird,^) 

3.  Sehr  interessant  ist  mir  die  von  Ihnen  am  Schlussc  Ihres  im 
Jahre  1S95  erschienenen  Vortrags  ober  den  Wandel  des  deutschen  Gefühls- 
lebens angeführte  Stelle  gewesen.  Es  gehl  d.trnu5  hervor,  dafl  Sic  für 
die  Oesamlcharakteristik  des  heutigen  Oefühltlebem  schon  damnls  genau 


.F6r  du  Lrtitfi  IMI  er 


I)  In  Ufa  Fonn  ift  du  Zlui  nte1)I  rielMg.    Ich  tehrl«b : 
mcrkWirdii:  t.'n'lniftii  Sinti,*    D.  II. 

1)  Aut  den  -Venucli.  »ich  ilk  mitttifllc  Kuiciir  p»T«hQliO|£l»cli  oi  orlcntlrmi-,  lii 
von  mlc  «It  ■bcinrrlicniTnl-'  hlnerrlcvn.  .Diilciuiian'Cn-  tictbclxu  führen,  l«g  nicht  in  du 
Ab»icltl  mrincr  RnprrchwnK      D.  H. 

')  H*  kfinn«!  hfl  rtnci  HüniUting  unhrwulll  Mortre  maflgcbcnd  sein,  die  olnrin 
Hcoliichlcr  Jilarrr  cnchrincn  mOzni  xli  dnn  Hindclndm  sclbit.  Icli  biincrtr  lediglkh  eine 
VcrmutunE,  die  mit  piydioloßlKh  «hrschclnlich  kIiIch,  Die  uffcn  iJiiicrIq[trn  Motive 
LwnprKliU  lialx  kli  ali  dn  milic  .liSnallklt"  bncichrii:!,  tic  ücnUcttr  inlf  mit  indtm 
Wonrtl  nlchl,  du«  luJlergMfÄlinllchc  Vert»hr™  tu  wlliiini.     D.  H. 


Besprechungen. 


109 


denselben  Standpunkt  vertrelen  haben,  den  ich  viel  spätw  in  dem  -  ich 
dfnke,  an  ditser  Stelle  im  Jahre  1898  oder  1899  ausgearbeiteten  -  Teile 
de  ersten  Erginzunijsbandes  dngcnominen  hab«.  Ich  beruße  zutijlchst 
die  Identmt  der  Auffassungen  als  etwas  sehr  Wesentliches,  wenn  auch 
nicht  Unerhörtes.  Denn  vcnn  ich  die  zahireichen  Kritiken  und  Kor- 
respondenzen durchgehe,  welche  mir  die  Publikation  dc5  ersten  Ergänzungs- 
bandes eingetragen  hat.  so  finde  ich  eine  beinahe  vollkommene  Übercin- 
slimmung  dahin,  daü  mil  dem  Begriff  dessen,  was  Sie  Reizbarkeit  und 
Empfindlichkeit,  ich  aber  R«?,saml(eit  nenne,  in  der  Tat  der  zenfrale 
Begriff  für  die  Chnraktt-ristik  des  inodempn  Gefühlslebens  gegeben  ist. 
Ob  ich  dabei  Ihren  Vortrag  im  Jahre  1893  oder  1S94  oder  auch  später 
in  den  Jahren,  die  näh«  an  die  Zeit  der  Abfassung  meines  Buclies 
heranreichen,  gelesen  habe,  ist  mir  nicht  mehr  gegenwärtig,  aber  an  sich 
kdn«s<*-eg»  ausgesclilossen.  Ich  kann  aber  darauf  für  die  Fixierung  unseres 
gegenseitigen  Abhängigkeilsverhättniss«  kein  grolJes  Gewicht  legen.') 
Denn  wie  gesagt,  der  Gedanke,  wie  er  bei  uns  beiden  wiederkehrt,  lag 
in  der  Luft,  und  es  konnte  ja  am  Ende  nicht  anders  sein,  als  daß  er  in 
der  Luft  lag,  wenn  er  richtig  sein  sollte.  Mehr  Gewicht  lege  ich  dagegen 
auf  den  zwischen  uns  bestehenden  Unterschied  in  der  Nomenklatur  ds 
neuen  Ocfühialebcns.  Sie  sprechen  von  Reizbarkeit  und  Empfindlichkeit, 
ich  von  Reizsamkeil.  Natürlich  sind  mir,  als  ich  das  Oesamtgefühl  zu 
charakterisieren  versuchte,  zunächst  auch  die  Ausdrücke  Reizbarkeit  utid 
Empfindlichkeit  durch  den  Kopf  gegangen,  aber  ich  hi»be  sie  abgelehnt, 
w<il  sie  entweder  technisch  ganz  anders  verwende!  waren  wie  Reizbarkeit, 
dn  Wofi,  das  in  der  Psychologie  eine  Rolle  spielt,  oder  aber  den  Neben- 
sinn des  Krankhaften  halten,  wie  EjnpfindlicfiJceit.  Darauf  aber  kam  es 
meiner  Anschauung  nach  an,  ein  Wort  zu  schaffen,  das  das  neue  Qefühls- 
lelwn  in  seinem  besonderen  Ton,  zugleich  aber  als  etwas  Gesundes  bezw. 
aus  der  Entwicklung  nicht  wieder  ru  Beseitigendes  bezeichne.  Ich  habe 
damals  nach  einem  langen  Hin  und  Her  der  Berntungen  mit  Freunden, 
namentlich  befreundeten  Philologen,  das  Wort  Reizsamkeit  gewählt,  das 
mir  die  Sache  zu  decken  schien,  während  von  philologischer  Seite  anfangs 
Bedenken  gegen  die  Wnribildiing  gellend  gemacht  wurden,  die  spater 
freilich  zunJckgccogen  worden  sind,  Natürlich  glaubte  ich  damals  mit 
dem  Worte  etwas  Neues  geschaffen  zu  haben,  und  diese  Empfindung  traf 
subjektiv  auch  zu.  Spater  ist  mir  aber  bekannt  geworden,  daß  das  Wort 
schon  bei  Nietzsche  vorkommt,  wenn  auch  freiiich  in  einem  etwas  anderen 
Sinne.  Man  kann  daraus  ersehen,  wie  schwer  es  unter  Umständen  ist, 
Prioritätsstreite  zu  führen  und  wie  Priorität  keineswegs  immer  mit 
Originalität  identisch  zu  sein  bezw.  in  Originalität   aufzugehen  braucht. 


>)  Auch  Ich  leg*  dxrant  keia  Ocwfdit  Im  OtirJem  hu  L.  incli  bänglich  .dn 
Wattn  .Nervnsim*  ricmUdi  w«nlldi  duselbe  »le  iclt  gew^t.  tiui  witi  *r  Man  .ptxbo- 
logiKb-  .knnkWi'.    D.  H. 


Besprechungen. 


4.  Ein  Gcsamliirteil  über  nieine  bishenge  Tätigkeit  haben  Sie 
S.  367  in  den  Worten  gegeben:  „Was  einleuchtet  und  worin  man  ihm 
beistimmen  kann,  ist  mit  der  Slteren  kiillurRescIiicIillidieii  Ridilung  wohl 
zu  \-erbinden:  v/ss  drüber  ist,  ist  allzu  subjektiv,  willkürlich,  «inseitig, 
itiusoriscli,  als  daß  es  die  Geschieh  Iswisscnschaft  spÄlcr  ab  gesichertes 
Out  iKTßCn  könne."  Sollte  bei  diesem  meine  TStigkeil  imorganiseh  mitten 
durch  schneidenden  Urteil  nicht  ein  bekannter,  übrigens  häufig  zu 
beobachtender  Rezeiisionsliorizont  vorschweben,  innerhalb  dessen  nur 
anerkannt  wird,  «is  dem  eigenen  Denken  entspricht,  so  daß  der  Beiirteihing 
ein  ntateriales  und  stoffliches  Prinzip  statt  des  (onualen  Prinzips  einer 
Erfassung  der  (remelen  Leistung  als  solcher  zugrunde  gelegt  erscheint? 
Natürlich  läßt  sich  bei  Anwendung  eines  materialen  Prinzips  nur  eine 
Abgren/.uitg  der  bestehenden  Anffassungen  gegen  die  neue  erreichen, 
wird  also  nichts  über  die  generelle  Bedeutung  dieser  ausgesagt.  Folge 
ist  dann,  wie  das  in  dem  soeben  ?iticrt«i  Satze  sehr  anschaulich  hervor- 
tritt, daß  die  Persönlichkeit,  welche  der  fremden  Leistung  zugrunde 
liegt,  nicht  erfaUt  wird.  Naeh  dem  zitierten  Satze  produziere  ich  ein- 
Icuchlend  und  illusorisch,  bin  ich  einseitig  und  nahezu  selbstverständlich 
zugleich:')  der  eigentliche  Kern  meines  Sdiaffens  wird  nicht  bloßgelegt, 
und  demgeraäll  empfinde  ich  ihn  auch  —  und  hier  bin  ich  der  kom- 
petenteste Richter  —  als  unberührt. 

5.  Gemeint  ist  mit  dem  Illusorischen  wohl  meine  Lehre  von  den 
Kulturstufen.*)  Und  gewiß  kann  an  dieser  Stelle  Fremder  Zweifel  am 
ehesten  einsetzen:  wenngleich  stutzig  machen  sollte,  daß  i>ehr  hervor- 
ragende Zeitgenossen  der  Oegenwart,  welche  Geschichte  gemacht  haben 
und  maehen,  meine  unter  Anwendung  dieser  Lehre  gegebene  Darstellung 
der  Geschichte  der  Gegenwart  und  jüngsten  Veigangcnhcit  als  dieser 
konform  und  somit  als  tatsächlich  zutreffend  bezeichnet  haben:  so  diO 
auf  die  Lehre  etwas  wie  ein  Experiment  gemacht  worden  ist  und  sie 
dieses  Experiment  bestanden  hat.')  Der  Momente,  die  sie  den  Fach- 
genos-en  gkichwolil  noch  vielfach  verdäclilig  machten,  sind  wohl  naniciit* 
lieh  zwei.    Einmal  gehört  zu  ihrem  Verständnis  von  vornherein  die  dn- 


t)  Dk  Dtduktian  L.i  beruht  auf  ein«  Urgicrnng  und  falichm  InKrpicticruns  d«r 
Wwdutis;  .V!'«»  elnI(T]<htrt,-  Fi  llcgl  mir  rftirrhau*  ftrn,  damll  Mw«  Sub]plnivt*  aui- 
dnickai  zu  «oltm.  a  ^tctil  nicht  di.  wit  mir  ndrr  iint  rlnlcuclitrL  Vlrlmrhr  wird  man 
den  Sinn  mil  der  Waldung  TiFdtTgrbm  kAnnrn:  -»Dialtm  iirtcibtihitiai  Leuten  dnlruchlet 
Qnrift  soll  dei  Ktitikrt  dir  ficmde  PttiJ-nlithl'rit  iii  ctfüMcn  »uchm:  «ibfr  n  itlnJ  doeh 
»In  Uricit  liFvitirm  Uiiifcii,  Unisrkrhrl  trijfl  I-a  l':m«>nd  i;eiaiic,  «ic-  will  «r  «irh  min 
MitteUb  tller  Dlngr  mxliL  tr  IUIi)R  sli  vahr.  und  damit  itt  ei  «>.  Du  iit  phm  dfti, 
VU  Idl  alt  illuwitiidi  büeldme.  Nur  all/u  ull  vcrUhit  «  lo  auch  in  uinti  ..Dcutachcn 
OcacUchle-.  ILi  ticlit  die  Mciitdicii  unil  Dinicc  oft  nicht  ta  v)c  ile  tind,  toiiUcm  durtb 
dne  Dtlllc.  1^  unicc,  liliidn,  rttduchkrl,  «nidct,  drdil.  und  dM  Orvolltc  tteht  dt.  Seine 
AuifQhntnj^  bfnihoi  in  diMcm  Fall«  auf  llluiianen  d«t  VcrluiMr«.    D.  H. 

>)  Nein!  Wai  ich  meine,  habe  >ch  eben  uigedeutet.  I^bcr  die  KulluraFufen  nnd  die 
Oefihi  dM  An>eriiiuns  irlicnialiitlirr  Siulcn  iiih-iIiilii|M  habe  Ich  mich  S.  ^M  drr 
Boprechune  sHußett    Dir  doctlfm  l^lnwlnilr  tvnilifl  L  in  Ni.  S  leider  nictal.    D.  H. 

■)  Auch  diaet  ■Bevei*'  schält  «olil  In  dai  Qeblet  der  llluilon.    D.  H. 


w      y ._ 


Bespreiiiungei). 


11! 


, gehende  Kenntnis  mehrerer  Zcilslter  derselben  Kultur,  also  mindestens 
des  deutschen  Mittelalters  und  der  deutschen  neueren  Zeiten,  womög- 
lich abei  aucäi  die  Kenntnis  verschiedener  Kulturen  überhaupt.  Damit 
sind  aber  Forderungen  ausgesproirhen,  die  der  heutigen  Teilarbeit  auf 
geschichtlichem  Gebiete  praktisch  vielfach  aidasprechen, ')  Und  weiterhin 
verkenne  ich  keinen  AugenWicfc.  daß  die  Lehre,  so  lange  sie  nur  an  dem 
Beispiele  der  deutschen  Ocsclüchlc  vongetragen  und  erldärt  isl,  leicht  den 
EiFidnick  einer  bloßt:n  Hypothese  machen  kann.  Es  ist  das  aber  ein 
methodologisch  wohl  begriindeCer  Übelstand.  So  einschneidende  neue 
Anschauungen,  wie  sie  die  Lehre  von  den  Kulturstufen  enthalt,  können 
zunüchsl  nur  in  isolierender  Methode  an  einem  ern2igen  Stoffe  gewonnen 
»erden;  Isolierung  aber  ist  nicht  denkbar  ohne  Hypothese.  Und  so  muB 
sich  ein  Forscher,  der  sich  auf  den  liier  vorgeschriebenen  Weg  begibt, 
einen  Weg,  der  n\.n\  vollen  Begehen  Jahrzehnte  erfordert,  eben  auch  Jahr- 
Eehnte  dem  ZwdfeJ  der  Fachgenossen  aussetzen.  Gegen  diesen  Ziisainmen- 
hang    ist    kein    Kraul    gewachsen,    erleichtert   wird    die   Lage    subjektiv 

.höchstens  durch  klare  Einsicht  in  sie  und  den  stetigen  Willen  tapferen 
Ausharrens,  Ein  voller  Beweis  aber  kann  erst  nach  Erledigung  des 
isolierenden  Prozesses  auf  verschiedenem  Wege  und  dann  in  Spezial- 
forschungen  -  gewonnen  werden.  Diese  Forschungen  stehen  mir  natflr- 
Uch  nach  Abschluß  der  deutschen  Geschichte  bevor;  ich  habe  sie  s^lion 
sril  längerer  Zeit  voibereilet,  und  sie  sind  bisher  soweit  gefühil,  daß  ich 

l  schon  jetzt  aussprechen  kann,  dalt  sie  den  klaren  Beweis  für  die  allgemeine 
Richtigkeit  der  Kulturstufen  ergeben  werden  (!  D.  H.),  wenn  auch  deren 
CharakEeriätik  gegenüber  der  ersten  von  ihr  vorgetragenen  Darstellung  in 
manchem  Punkte  zu  ändern  und  zu  präzisieren  sein  wird. 

Vielcs,  was  ich  sonst  noch  gegenüber  Ihrer  Besprechung  auf  dem 
Kerzen  habe,  erörtern  wir  wohl  einmal  gclegenllich  einer  persönlichen 
Zusammenkunft. 

Mit  hoch  achtungsvollem  Gruße 

Ihr  erget)en&tcr 
Lampredit. 


Bezüglich  des  in  Bd,  I  S.  -199  des  »Archivs"  erwähnlen  neuen 
■Archivs  für  Reformationsgeschichte"  geht  uns  von  dem  Verlage 
lesselben  die  Bitte  um  einen  Hinweis  darauf  zu,  daß  die  Unterstützung 
'desBelben  durch  den  .Verein  für  Reformationsgeschichte"  sidi  lediglich 
«nf  die  literarische,  nicht  die  finanzielle  Seile  bezieht.  Das  finanzielle 
Ittsilto  Wgl  der  Verlag  ohne  Beihilfe. 


■)  DaB  dl«xn  Eiimnd  ui^tadi!  E^xen  n'ch   nicht  zulrim.   vint  L,  vtellddrt  mriiw 
■Ocxkichlt  dn  dcubdicii  Kultur*  cclgrn. 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


\onMfyen  „Großem  Ko nversations- Lexikon',  das  in  sechster 
gAnillich  neubcarbditter  Auflage  erscheint.  Hegen  jetzt  Band  3  und  4  vor 
(Leipzig.  Bibliographisches  Institut).  Aus  dem  Inhal»  der  Bände,  die  bis 
zum  Stichwort  Differenz  reichen,  heben  wir  vim  zaiilreicheii  größeren, 
durch  trcftlichc  Illustrationen  veranschaulichten  nalurwisäcnsduftüchcn 
und  historischen  Artikeln  diejenigen  Über  Böhmen  (Oeschidite),  Börse. 
Brasilien,  Brief,  Buch,  Buchbindtrn,  Buchdnickerkunst,  Buchhandel,  Burg, 
Chemie,  China,  Dänemark,  Deutsche  Literatur,  Deutschland  besonders 
hervor.  Doch  liegt  der  Schwerpunkt  des  monumentalen  WerJts  natürlich 
in  der  Fülle  der  kleinen  Artikel,  die  z.  B.  auf  biographischem  Gebiete 
weitestgehenden  Ansprüchen  genügen. 

Von  dein  im  Auftrage  der  Oötrö  -  Gesellschaft  herausgegebenen 
»Staatslexikon".  2.  Auflage  (Freiburg  i.  B..  Herder)  sind  Heft  iO-36 
erschienen.  Der  4.  Band  ist  damit  beendet,  und  der  Abschluß  des 
ganzen  Werkes  bevorstehend.  Wir  heben  besonders  die  Artikel  Rußland, 
Sachsen.  Sdiweden,  Schweiz,  Schwui^erichle,  Seeschiffahrt  hervur.  Einige 
biographische  Artikel  werden  speziell  die  katholischen  Leser,  f{)r  die  das 
Werk  lieslimml  ist,  interessieren  und  gehen  uns  hier  nicht  näher  an. 

In  dem  nArchiv  für  die  gesamte  Psychologie"  I,  4  findet  sich  ein 
Bericht  A.  Vicrkandts  über  die  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der 
Völkerpsychologie,  der  Kultur-  und  Oescllschaftalehr«  im 
Jahre  1902. 

„Die  indoKernianische  Frage  archäologisch  beantwortet"  be- 
titelt sich  eine  Abhandhing  G.  Kossinitas  in  der  »Zeitschrift  für  Ethnoloigic" 
1902,  Heft  S,  die  sich  in  der  Hauptsache  a9s  Streitschrift  gegen  Much 
und  Betonung  eigener  Verdienste  darstellt.  Nach  K,  ist  allein  die 
Archäologie  „in  der  bevorzugten  Lage,  durch  eine  Fülle  unverfälschter 
Zeugnisse  uns  heule  noch  mitlm  Innein  in  die  Femäten  Urzeiten  xu 
führen*.  Die  „neue  Methode  der  exakten  archäologischen  Betrachtungs- 
weise" aber  stamme  von  ihm,  und  er  habe  mit  dereclben  auch  «als  Ur- 
heimat der  Germanen  die  westlichen  Küstenländer  der  Ostsee,  sowie  die 
angrenzenden  Qebieleder  Nordsee-  tcstgeslellt  Nun  sei  Much  .vollständig 


auf  seine  Schulter  gestiegen  und  habe  die  von  ihm  erkannte  Heimat  der 
Germanen  lUgleich  als  Heimat  der  Indogcrmatten  erklirt",  von  dcreii  Zu- 
sammenfallen K.  selbst  längst  überzeugt  sei.  Mit  der  Darlegung  derAii»» 
brcitung  des  »Un-olks"  aber  begännen  sogleidi  die  Irrtümer  Muclis,  und  K. 
«cht  nun  seinerseits  diese  Ausbreitung  unter  methodischer  Betrachlimg  der 
Steinzeit-Kulturen  von  Nord-  und  Mitteldeutschland  und  ihr«  Verhältnisses 
zu  einander  näher  zu  bestimmen,  zieht  dafür  auch  weiter  die  älteste  Bronze- 
kultur heran.  Er  konstniicrtdamiis  bestimmte  Völkerbewegungen.  Eine  solche 
gleicht  den  ursprfinglich  groBen  Gegensatz  zwischen  Nord-  und  Mittel- 
deutschland zeilwcise  ans.  Mit  diesem  OeKeiisatz  ist  seiner  Ansicht  nach  auch 
der  zwischen  Indogennanen  und  Nichtindogermanen  ausgedrückt.  Von 
jenen  ziehen  wohl  zu  Anfang  des  3  Jahrtausends  zwei  Ströme  nach 
Söden  (Kugel- Amphoren  und  BcrnbuTECr  Typus),  itn  Westen  längs  der 
Elbe  und  Saale  nach  Thüringen,  im  Osten  die  Oder  hinauf.  Aus  dem 
westlichen  Slamnie  soll  sich  durdi  Verbindung  snit  Ausläufern  der  süd- 
osteurop3i<4:hen  Slänime  (Band-Keramik)  eine  Abart  der  Indogermanen 
entwickelt  haben  (Rössen-Albsheimer  Typus),  aus  der  um  aooo  zwei  Volks- 
stimme, italik«-  und  Kelten,  hervorgingen.  Weiter  ist  nun  eine  Bewegung 
zu  Beginn  des  2.  Jahrtausends  v.  Chr.  von  Norden  (Elbe  und  Saale)  nach 
Süden  (Nordästerreich),  aber  auch  von  der  Oder  nach  Osten  und  Sfld- 
osten  anzunehmen.  Ans  den  erstgenannten  Stammen  (Österreich)  seien 
niyner  und  Oiiecheti  hervorgegangen  usw.  usw.  Wir  gestehen,  dat)  wir 
trotz  der  »Methode"  Kosainnas  alle  diese  Dinge  nach  wie  vor  überaus 
sltqrtisch  betrachten,  und  geben  den  Misti^rikem  den  dringenden  Ral, 
solche  Resultate  nicht  voreilig  zu  übernehmen.  Atbu  schnell  haben  sie 
sich  seinerzeit  der  grollen  spradiwisscnschafllichen  Hypothese  der  Indo- 
gCfnunen  angeschlossen  und  vergessen,  dafl  diese  doch  nur  eben  Hypothese, 
das  »Urwolk-  eine  Konstruktion  ist.  Schon  Lindenschmit  ist  den  heutigen 
Kritikern,  wie  Krelschmer,  in  der  Skepsis  vorangegangen.  Aber  auch  die  Ar- 
chäologen sollten  doch  bei  der  Inbezieh ungsetzung  von  arcliäologisclicm 
Ataterial  und  Völkcrstammen  wenigstens  nicht  mit  dem  Selbstbewußtsein 
auftreten,  wie  es  K.  tul.  Auch  bei  ihm  wird  übrigens  das  konstruierte 
indofcrmanische  »Urvolk"  unbesehen  übernommen.  Wir  lehnen  die  neue 
Wissenschaft  nicht  ab,  freuen  uns  der  emsigen  Forschung,  geben  ancli 
zu,  daß  die  Archäologie  die  gesundeste  Grundlage  für  urgcschichtlichc 
Fofschü  ngcn  ist ,  aber  wir  verhallen  uns  als  Nichtarchäologen  auch 
durchaus  abwartend  -  trotz  der  „bis  jetzt  sicliersten  imd  in  den  Cinzel- 
heiteti  bestimmtesten  Aufklänmgen"  Kossinnas. 

In  einem  .Aufsalz  der  Revue  historique  (Vol.  76  und  77);  L'^tude 
des  origines  grecques  betont  V.  Bi^rard  die  Wichtigkeit  der  Topoiogic 
und  Toponyniie  für  die  Erforechung  der  Anfänge  der  griechischen  Kultur. 

Die  Rivista  dt  Storia  antica  N.  S.  VII,  2/3  bringt  einen  wirtschafts- 
gochichtlichen  Beitrag  von  E.  Breccia:  Storia  dclla  bauche  cdei 
banchtcri  neu'  ctä  classica. 

Ardii«  rar  KuliurKnchichle.  II.  8 


I  Ardii«  rar  I 


Das  schon  in  der  Zdtscihrifl  ffir  Kiilliirge&chtchtc  Bd.  VI,  Sl  367  f.  aus- 
führlich baprochtne,  von  Hans  Mcycr  herausgegebene  Irefflicbe  Sammel- 
werk „Das  deutsch«  Volkstum"  beginnt  in  zweiter  ncubearbeileter 
und  erweiterter  Auflage  za  erscheinen.  (Leipzig  und  \C'ien,  Bibli«^- 
phiscltcs  Institut.) 

Ein  Bericht  des  Nflniberger  Archivsekreläis  Scliri'ittcr  über  -den 
Stand  der  OeschichtsfoT'icIiung  in  Franken"  (Kontspondenzblatl 
des  Oesamtvereins  der  deulsdien  Geschieh Isverdne,  51.  Jahrg.)  ist  in  seinem 
(II.  Teile  (No-  **]  der  r.  Kult  Urgeschichte"  gewidmet  Leider  weist  dieser 
Bericht  erhebliche  Lücken  auf.  So  ist  z-  B.  der  von  Ocorg  Steinhausen 
&ts  204.  Publikation  des  Lilerarischen  Vereins  in  Slutti;art  herau^e- 
gebene  bilturgeschtchttich  überaus  wertvolle  .Briefwechsel  des  Balthasar 
Paumeartner  mit  seiner  Gattin  Magdaknc  geb.  Behaim  1582—48"  über- 
sehen worden.  Auch  die  Mitteilungen  des  Nürnberger  Oeschichlswereins 
haben  merlcwürdigcrweise  davon  keine  Notiz  genommen.  DasSdilimne 
in  freilich,  daU  jene  Publikationen  nicht  im  Buchhandel  enuhcinen;  aber 
um  so  mehr  nnißte  darauf  aufmerksam  gemacht  werden.  Welche  Fülle 
von  Material  in  jenem  Briefwechsel  steckt,  zeigt  das  neue  Werk  von 
Alwin  Schultz  über  das  häusliche  Leben  der  europäistlien  Kulturvölker, 
der  denselben  fortwährend  zitiert.  Übrigens  hat  Schrötter  tiuch  andere 
Briefpu bükst ionen,  z.  B.  die  von  Kamann  in  der  Zeitschrift  Für  Kultur- 
Beschichle  Bd.  VI  und  VII  herausgegebenen  Fraiienbriefe  atti  dem  Brigitten- 
Kloster  Maihingen,  ignoriert. 

Ernst  Samters  Auh^tz  .Antiker  und  moderner  Volks- 
brauch* {Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung  i'iOi,  No.  ll(i)  will  vom 
Qe&ichtsptmkt  der  notwendigen  Verbindung  von  Altcrtumswisäenschafl 
und  Volkskunde  die  oft  überraschende  Übereinstimmung  zwischen  antikem 
nnd  modernem  Brauch  an  einigen  Beispielen  zeigen,  bei  denen  durch 
gegenseitige  Vergleichung  die  Bedeutung  der  einzelnen  Bräuche  hervor- 
tritt.   Als  solche  sind  Qeburts-  und  Hochreibriten  behandelt. 

Arthur  Hermann  gibt  in  einem  Artikel i  „Ölwahisagtinsc  bei 
den  Babyloitiern"  (Allgemeine  Zcilung.  Beilage  No,  23*),  gatützl  auf 
Itcilinschriftliche  Texte  sowie  auf  zwei  neue  in  den  »Semilistischen  Stu- 
dien" veröffentlichte  Texte,  eine  Einführung  in  die  kultischen  Oebräudie 
bei  der  Olwahrsagung,  die  im  Altertum  nur  bei  den  Babylomem  anzu- 
treffen ist. 

Ein  Aufsa.tz  von  R.  F.  Kaindl,  Eisen  und  Schneidewerk* 
zeuge  im  Zaubcrglaubcn  (Allgcm.  Zeitung,  Beilage  No.  2«2).  sldU 
för  das  Üslkarpathvngebiel  (Rulhenen  und  RnmHncn)  die  bezüglichen 
Z.iuberbntuclie  und  Überlieferungen  zusammen.  Die  Hauptrolle  spielt 
da^  McssKT. 

Aus  dem  „Nineteenth  Century"  (June  l'io3)  erwähnen  wir  den 
BHtng  von  H,  Lea,  «Wcsscx  witchcs,  witchciy  and  witchcraft-" 

fin  Aufsatj-  Borges  über  MittcUltcrlicbe  Menschen  (i^reu- 


Kleine  Mittdiimgen  und  Referate.  115 


Hische  Jahrhllcher,  Juli)  sieht  in  dem  Bauern  dm  eigentlichen  Vertreter 
des  Mtttdaltas. 

Ein  Aufeate  von  V.  Schmidt  nnd  A.  Picha  in  den  »Mitta- 
lungen  des  Vereins  ffir  GöchJchtc  der  Deutschen  in  Böliinen"  42,  i  be- 
handelt rdas  v'iascnschaftliche  Leben  und  den  Humanismus  in 
Krummaii  im  tS.  Jshrlnmdert". 

H.  Schubert  handdl  in  der  -Zeitschrift  der  Vereins  für  Ge- 
schichte Schlesien^'  37.  Bd.  über  .Oelehrte  Bildung  in  Schweidnitz  im 
15.  und  16.  Jahrhundert." 

■Kleine  Noti»n  zur  spätmittelalterhchen  Gelehrten-  und  Bücher- 
gesdiidite'  gibt  Q.  K  oh  fei  dt  in  den  .Beiträgen  zur  Geschichte  der  Stadt 
RosKhÜc-  III,  4 

Die  Ocseilschaft  ffir  deutsche  tirriehungs-  u.  Schulgcschichte 
bestrebt  steh  neuertlings,  in  ihren  periodischen  Veröffentüchiingen  Ar- 
beiten aus  bestimmten  landschaftlichen  Gebieten  zusammenztifassen.  So 
ist  als  3.  Heft  des  1  i.  Jahrgangs  der  -Mitteilungen"  ein  .Messen-Nassau- 
Hrft"  enchicncn.  Wir  heben  daraus  den  für  die  real-wissensctiafl- 
lichen  Bestie bun|;;:cn  £u  Anfang  des  18- JahrhundccU  bezeichnenden  »Plan 
einer  In  Csssel  oder  in  Karlshafen  einzurichtenden  niaUieinatischen  Tugend-, 
Knnst-,  Werk-  und  Wci&hcil&sdtule  aus  dem  Jahre  1720"  hervor,  den 
K  Knabe  nach  dnem  Manuskript  der  Cssseler  Landesbibliothelc  verftffenl- 
KchL  Hand  seh  rifl  liehe  Stöcke  (Ordnungen  cic.)  veriiff  entlicht  auch  Nra- 
mann:  -drei  Beiträge  zur  Schulgewiiirhte  von  Frankfurt  am  Main  aus 
dem  17.  und  t».  Jahrhundert -,  Als  i.  Heft  da  .Beihefte  der  Mit- 
teilungw*  wird  weiter  der  3.  Teil  der  „Beitrji4:e  zur  Ocschichte  der  E^ 
ziriiung  und  des  Unlerrichls  in  Bayern'  geboten,  der  sich  mit  den 
Vollisschulen  beschäftigt.  So  behandelt  J.  fiartl  diejenigen  der  Obcrpfdz 
Iflr  das  Jahr  1643,  J.  Harnes  gibt  Beiträge  zur  Geschichte  derjenigen 
in  Franken  vom  15.  bis  13.  Jahrhundert,  und  F.  Schmidt  behandelt  die 
im  Hochstift  Wflr^burg  für  den  Ausgang  des  1 8.  Jahrhunderts.  Auch 
hier  «ird  wesentlich  archivalischs  Material  geboten. 

In  den  .ßlülteni  ffir  das  Oymnasialwescn "  Bd.  39,  Vll/Vlll  macht 
ttm  ein  Beitrag  ^-on  K.  Köberlin,  „Pädagogische  Bedenken  des 
Präccptors  Resch  1693"  mit  den  Rclormgcdanlteti  eines  Lehrers  am 
alten  St.  Anna-Oymnasiuni  in  Augsburg  bekannt,  die  trotz  Fcsthallcns  an 
der  huministiiichen  Grundlage  doch  schon  die  Einflüsse  des  Raiichius 
und  Comenius  zeigen. 

Im  .Neuen  Lausitzisclten  Magazin"  Bd.  'S.  schildert  TI1.  Stock 
■dneOberlausitzer  Kleinstadt  (Kothenburg)  um  160U";  P.  Borchardt 
behandelt  den  ullaushalt  der  Stadt  Essen  am  Ende  des  iä.  und  An> 
bng  des  17.  Jahrhunderts"  in  den  oBdträgen  zur  Geschichte  von  Stadt 
ttnd  Stift  Essen"  Heft  2-t/S,  O.  t.icbe  .Vermögenstand  und  Aus- 
rüstung in  den  Städten  des  MitteblterE"  in  der  «Xeitschrift  für 
hbtorBcbe  Waffcnkundc-  III,  3. 


Kleine  Mitteilungen  und  ReFerate. 


Wesentlich  mil  städtischer  Tätigkeit  beschäftigt  sich  audi  der  in 
der  «Festsdind  zur  Tagung  des  Hansischen  Oeschichlsvereins"  1903  in 
Magdeburg  vcröffentlichle  Beitrag  G.  Liebes:  i.Dcr  Slraßenschutz 
des  Mittelalters  im  Erasüft  Magdeburg".  Auch  liier  war  es  die  BündnJS- 
polilik  derSlädle,  diirdi  dicsie  im  Interesse  ilircr  «-irtsehaftlichen  Zwecke 
die  Straßen  sicherten,  bis  die  einheitliche  Verwaltung  der  Fürsten  diese 
Sicherheit  besser  verbiirgte. 

Bcaclilcnswcrte  Anregungen  gibi  der  Artikel  Paul  Webers  über 
.Thfiringische  Ortsmuseen,  Bericht  i'iher  den  Stand  dieser  Unter- 
nehniungeti  im  Sommer  1^03"  (Deutsche  Gesdiichtsblätler  V,  I).  Er  hält 
die  „Heimalsmuseen"  ffir  nützlicher  als  die  „Kunstmnseen",  betoni  aber 
mit  Recht,  daß  ihr  Bestreben  daraiif  gerichtet  sein  mCirae,  das  Individuelle 
herauszuarbeiten  auf  ortsgeschichtlicher  und  Jiidturgeschichtlicher  Grund- 
lage.« Lfnter  den  nicht  wenigen  schon  bestehenden  Thüringer  Museoi, 
die  hier  behandelt  werden,  bspricht  der  Verfasser  eingehender  dasjenige 
zu  Jena,  dessen  Leiter  er  ist 

Jn  der  «Zeibchrift  des  Vereins  (ür  Volkskunde*  iy03,  Heft  3  be- 
handelt O,  Lauffer,  „Neue  Forschungen  über  Wohnbau,  Tracht 
und  Bauernkunst  tn  Deutschland-  (von  v.  Tröllsch,  Schönfeld,  Ste- 
phani  v.  a-l  In  der  Einleitung  bemerkt  er  einiges  über  das  Wesen  der 
Volkskunde,  die  er  nnr  als  einen  Teil  der  deutschen  Altertumswissen- 
schaft betrachtet. 

In  dem  .Nhovo  Archtvio  Vcncto"  N.  S.  V,  2  beendet  A.  Truffi 
seitie  Studie:  ,,AppHnti  per  la  storia  della  vita  privata  in  Crema 
durantc  il  dominio  vcnclo." 

Far  die  Lebenshaltung  der  Fürsten  des  \6.  Jahrhunderts  ist  ein 
Beitrag  M.  Wehrmanns  beachlenswerl :  Die  Aussteuer  der  Herzogin 
Anna  zu  ßraunschvcig  und  Lüneburg  bei  ihrer  VennÜhlung  mit 
Her20g  Barnim  XI  von  Pommern  (1525)"  Jahrbuch  des  Geschieh (svercins 
für  das  Herzogtum  Braunschweig  1902), 

In  der  Beilage  zur  »Allgem.  Zeitung"  1903,  No.  112/3  und  117/8 
behandelt  O.  Stiehl  «die  Entwicklung  des  mittelalterlichen 
Rathauses  in  Deutschland",  ein  bisher  vernachlässigtes  Gebiet,  von  den 
einfachsten  bis  zv  den  Itompliiicrlcsteii  und  glänzendsten  Formen  in  ein- 
heitlichem Fortschreiten,  indem  er  den  anscheinenden  Wirrwarr  unter 
dem  Gesichtspunkt  der  Ausbtklung  des  Grundrisses  nach  Hcraus- 
schllung  des  alten  Kcms  in  bestimmte  Gruppen  bringt  und  die  heraus- 
geschälten Typen  durch  Beispiele  belegt.  r)ie  chronologische  Folge  ist 
dabei  nicht  maßgebend,  wie  ja  auth  das  Slädtewcsai  selbst  ganz  ver- 
schiedene Stadien  gleichzeitig  aufweist.  Betont  wird  vielmehr  der  Zu- 
sammenhang der  Formai  mit  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  im  all- 
gemeinen. Als  wichtigsten  Charakterziig  stellt  er  die  strenge  Sachlichkeit 
fest,  mit  der  die  Bauten  nicht  nach  vorgcfaßlcu  crlcniten  Regeln,  sondern 
in  jedesmal  neuer  Anpassung  an  die  Erfordernisse  des  einaeincn  falle 


Kleine  Mitttilungen  und  Referate, 


117 


aus  dem  Wesen  der  g:es<elUeii  Aufgabe  entwickelt  sind.  Ein  Turm  hat 
flbrigetis  nicht  zu  dem  Büd  eines  Rathauses  im  alten  deutschen  Volis- 
j^cbict  [wohl  aber  im  Kolonialgebiet)  gehört.  Der  Aufsatz  soll  in  er- 
weiterter Form  im  Budihandel  eisdieineit. 

Die  umfangreiche  Abhandlung  von  CI.  Lupi,  La  casa  PIsana 
e  i  suoi  annessi  nel  roedio  evo  wird  in  dem  Arctiiviostorico  Italiano  31,2 
und  3  noch  fortgesetzt. 

Im  .Anzeiger  des  Germanischen  National  •  Museums*  1903  11 
setzt  H.  Stegmanii  seine  Uritersuclnmgen  über  „Die  Holziiiiibel  des 
Germanisclien  Museums"  fort  und  bespricht  eingehend  die  Bank  und  den 
Stuhl  in  ihrer  Entwicklung. 

Das  Journal  of  English  and  Germany  Philology  V,  t  bringt  dne 
-kulturgescliichtliche  Studie"  von  Cli.  H.  Handschin,  Die  Küche 
des  16,  Jaltrhiinderts  nach  Joh.  Fischarl. 

im  Heft  2  des  Archivio  storico  llaliano  fmdet  sich  dn  Aufsatz  von 
L.  Moimcnli,  1.^  corruzione  dei  costumi  vcncziani  ncl  Rina- 
sdmento. 

Zur  Agrargcschichic  des  1  s.  Jahrhunderts  trägl  ein  Aufsatz  A.  Ago- 
stinisinder  .Rivista  italianadi  f^ciologia' VII,  1/^  bei:  Le  condizioni 
dei  contadini  salariati  in  Sardegna  alla  vigiüa  delU  rivoluzJotie 
francese. 

Als  Beispiel  für  eine  wohl  ziemlich  seltene  mittelalterliche  Orga* 
niäaijon  des  Fischcreige-a'crbcs.  die  sich  fiber  eine  größere  Teilstrecke 
dB  MuHlaufes  erslreckl,  behandeil  ein  aus  dem  Nachlaß  Alfr.  KöberlJns 
stamnirndcf  Aufsatz  in  der  Allg.  Ztg.,  Beil.  No.  197  diejenige  am  Bam- 
bcrgischen  Obermain,  deren  Mittelpunkt  das  Fisch meisteramt  zu  Uchten- 
fds  var.  (sDic  Organisation  des  Ftscltercigcwerbes  am  Ober- 
main.") 

Der  diesjährige  Jahrgang  der  „Hansisclicn  Ocwhichlsblätter"  (Jahrg. 
1902,  1903  crsdiienen),  die  in  ihrem  vorigen  Heft  den  trcffüclicn  Vortrag 
Keutgens  über  -den  Groflhande!  im  Mittelalter"  brachten,  enthält  neue  Bei- 
bigc  zur  Handels- und  Vcrkehrsgeschiditc  in  dem  Aufsatze  von  E.  Da  nel  1, 
•Der  Ostseeverkehr  und  die  Hansesl.ldte  von  der  Mitte  des  14. 
bis  zur  Mille  des  ISJahrhuiidcrls  und  in  der  auf  neue  Dokumente  gestützten 
Untersuchung'  W.  Steins  über  „die  älicslen  Privilegien  der 
deutschen  Hanse  in  Flandern  und  die  ältere  Handelspol rlik  Lübecks«, 
(als  deren  Gnmdzug  das  Streben  nach  Freiheit  des  Oäslehandcls  erscheint). 


Bibliographisches. 


O.  Montelias,  Die  älteren  Kiilturpcriodcn  im  Orient  «nd  in 
Europa  I.  Die  Mctliodc.  Slockliolni.  (110,  XVI)  —  G.  ir  So«,  Les  Pre- 
mier« civilisations.  Paris  i(620  S.)  —  C.  Pataiufuf,  Lc  Nil  h  l'^poquc 
pharaoniqiie;  son  nMe  et  s.on  nillcen  ^evpte-  (Rill,  de  l'fcolc  d«  hautes 
Stades  UV  fase.)  Paris  (XIV,  132  p.)  —J.  de  Mot,  U  Grece  de  Minos 
et  d'Agamcmnon  (Les  dvJlisalions  primitives  cn  Qitoe).    Druxeltes  (Jl  p.) 

—  Tit.  Littäner,  Weltgescitidite  seil  der  Völkcrwanderune;.  Bd.  3.  Vom 
13.  Jalirli.  bi5  xum  Ende  der  Koiixile.  Die  abendländisch -christliche 
Kultur.  Anfänge  einer  neuen  Zeit.  Slutlg.  (X,  592  S.)  —  God.  Kurtk, 
Les  origin«  de  la  civilisatioti  moderne.  5.  M.  2  vols.  Bnixelles  (XXXIX, 
326;  3S3  p)  -  Henne  am  Rhyn,  KiilturKcschichtc  des  deutschen  Volkes. 
3.  Aufl.  HalbM.  I,  BeHin  (VIII,  S.  1  ^  272).  —  Das  deutsche  Volkstum. 
Hrsa.  von  A/.  Afo'T.  2.  AuH.  Teil  1.  Leipzig  (VIII.  *02  S)  —  r.  SMo/ft; 
Die  IhflriTsg,  Siedeliingsnamen  in  ihrer  Bedeutung  f.  d.  altdeutsche  Lindes- 
imd  Vollskuiidc.  Diss.  Halle  (37  S.)  —  A.  Heinr,  ürundifige  der  Vcr- 
(assung^cschichtc  de*  Harzgaiies  ira  12.  u.  13.  Jahrh.  Diss,  Götlingen 
(70  S.)  — J.  Btytr,  Bilder  aus  iter  Geschichte  Bremens  im  19,  Jthrh. 
Bremen  (VII,  231  S.)  —  K-  Hoffmann,  Zur  deutschen  Kulturbedcutung 
BOhiTieii^  iiTä  H.  Jahrh.    |S.  A.  aus  ..Deutsche  Arbeit-  11,  11]   Mfinchen, 

—  K  da  Bled,  La  sodfli  franipwe  du  16<^  s.  au  20' s.  i-^siJr.  (XVI  et 
XVII  si&cles):  la  societ^,  les  femines  au  Ift's,;  le  Roman  de  l'AsIree;  la 
Cour  de  Henri  IV;  rHölel  de  Rimiboiiillet;  les  Aniis  du  cardinal  de 
Richelieu;  la  Socieft  et  Port-Royal.  Nouv.  Edition  revue  et  aiiginenl6e. 
Paris  (XXXI,  3S+  p.)  -  P.  Bonnifon.  Iji  snciftf  francaisc  du  17«  3- 
Lccturcs  cxtraitcs  des  mcmoireset  des  corrcspondances.   Paris  (XV,  *2f>  p.) 

—  C.  Jamot,  Invenlairc  gfn^l  du  vicuK  i.yon  (Maisons ,  Sculptures. 
Inscriptions).  Extr.  de  la  Rcmic  dliistoire  de  Lyon.  Lyon  (6^  p.)  — 
A.  Lemaitrr,  Briouze  ä  traveis  les  Ages.  Etüde  spMale  de  la  condition 
des  cultivateure  et  payaans  briouzains  sous  le  rfgimc  feodal.    Paris  (^2S  p.) 

—  A.  Boargpffis,  Une  periode  de  la  vie  oomtnunaic  d'Epernay  (1S40-- 
1752).  Paris  (1(i*>  p.)  —  H.  Labaumssf,  Aneicns  Us,  Couttimcs,  Lfgendes, 
SuperaHtions,  Prf  jugfe  eic.  du  d^jartement  de  la  Meuse.    Bal■-l<^•Dllc  (227  p.) 

—  L.  PoToni' Grande,  Uomini  c  cosc  mcsslnest  dc'secoH  XV  c  XVI. 


Bibliographisches. 


119 


MesBiiia  {i>4  p.)  —  /?.  SaitschirA,  Mcüsciien  it.  Kunst  d.  itaJ.  Renaissance. 
Bcriin  (X,  5M  S.)  —  Meniomls  ot  Old  Northamplonsliirc.  Ed.  by 
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Chotcrficld.  Its  history,  Ic^^cnds  and  progrcss.  Chcstcrb.  (338  p.)  — 
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V.  Mtn/y,  Li  magie  daiis  lande  antiquc.  Paris  (XXXIX.  288  p.)  — 
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Fr,  Slmax,  Theophrastus  Paraceliiis  sei»  Lebe»  u  seine  Persönlidikeit. 
Ein  Beitrag  z.  Qeisicsgesch.  d.  deutsch.  Renaissance,  Lpz.  (127  S.  S  Taf. 
2  Facsim.)  —  Oiacomo  Nigitto- Dhnisi,  L'accademia  della  fudna  di 
Mnsina  ()6i9-lö7S(  ne'  suoi  rapporti  con  1a  storia  della  oiltitra  in 
Sidlia.  Catania  (-"O  p.)  —  G.  Stmkesch- Großmann,  tr^ichung  und 
UnterricJit  im  Hause  Habsbiirg.  Progr.  Wie»  (IV,  S2  S.)  —  W.  DieJil, 
Die  Schulordnungen  des  Oroßhcrz.  Hessen  1.  Die  höherer  Schulen  der 
Undgrafschaft  H essen -Danns ladt  1.  Die  Texte  (Monum.  Gcrman.  pacda- 
gogica  XXVll).  Berlin  (XIV,  SOü  S.)  —  F.Jorde.  Oesch,  d.  Schulen  v. 
tlbcrfeld  inll  bes.  Bcriicksicht.  des  ällest.  Schulwesens,  tlbtrfcld  (Vtll. 
513  S.)  —  R,  Lampredtt,  Die  j^roUc  Stadlachulc  von  Spandau  von  ca. 
ti00-18SJ.  Piogr.  Gymnas.  Spandau  (9b  S.)  —  /  Rohleder,  Zur 
Ocsch.  der  Rcabchitle  u,  d.  lateinlosen  U nterricbtswcscns.  Pro£r.  Rcalsch. 
Slargard  i.  P.  {2*  S)  —  G.  Toef>ke,  Die  Matrikel  der  Univcrs.  Heidel- 
berg IV.  170-1-1807.  Hrsg.  von  P.  Hintzelmann.  Nebst  einem  Anhang. 
Heidelb.  (XII,  656  S.)  —  Er.  Mareks.  Die  Universität  Heidelberg  im 
19.  Jahrb.  Fcsöedc.  Heidelberg  (15  S.)i  —  Heidetbergcr  Professoren 
L  d.  19.  Jahrh.  Festschrift  der  Universitit  zur  Zentcnarfeier.  2  Bde. 
Heidelberg  (XVIf.  -loS;  IV.  47'»  S.)  —  E.  Dietz,  Neue  Beiträge  z.  Giscli. 
des  Heidelberger  SUidcnlenlebeiis.  Heidelberg  (V,  1ü4  S.)  —  Akten  u. 
Urkunden  d.  Universität  Fianitftirl  a.  O.  Hrsg.  von  0.  Kaufmann  und 
O.  Baueh.  Hch  5:  Urkunden  z.  Oülcnerwallung  d.  Univ.  Frajikfurt  a.  O. 
Hrsg.  von  Emmy  Vofiberg.  Breslau  (II,  124  5.)  —  M,  Targe,  Professeurs 
et  r^nts  de  coll^  dans  l'aiicieiine  Univereile  de  Puiis  (17<  et  1S<  s.) 
Puis.  —  B.  Mandi,  Das  jüd,  Schulwesen  in  Ungarn  unter  Kaiser  Joi^ef  II. 
Posen  (V,  49  S.)  —  Privalbriefe  Kaiser  Leopold  I.  an  den  Grafen  1'.  E. 
Pötting  1^62- 167 J,  Hr^.  von  Aifr.  Fr.  Pribram  und  Mar.  Landwehr 
V.  Prageaaa.  I.  (Fontes  rcium  austriacanim.  11.  Abt.  Bd.  Sb).  Wien 
(XCIV,  430  S.)  —  Joachim  Brandis'  des  Jüngeren  Diarium,  ergänzt  aus 
Tilo  Brandts'  Ann.ilen  i52Ji-I6üv.  Hrsg.  von  M.  Buhlere.  Hildesheim 
(XUl,  632  S.)  —  Denkwürdigkeiten  und  üinncrungcn  eines  Arbeiters. 
Hng.  von  P.  Göhre.  2,  Aufl.  (Leben  und  Wissen  II,)  Lpz,  (XII,  S«l  S,) 
—  J- Joeger,  Klosterlcbcn  im  M,-A.  Lin  Kullurbild  a.  d.  Glanzperiode 
des  Cteleraiemerordens.  Wttrtburg  (IV,  W  S.)  —  /  Nietxoid,  Die  F-he 
in  Ägypten  zur  ptolemäisch 'römischen  Zeit.  Nach  d.  griech.  Hdrats- 
contnden  und  verwandten  Urkunden.  Lpz.  (VI,  Iü8  S.)  —  Ed.  Otto, 
Deutsches  Fmuenlebcii   im  Wandel  der  Jahrliunderte.    (Aus  Natur  und 


i 


Bibliographisches. 


Geisleswelt.  Bd.  45.)  Lpz.  (VI.  154  S)  —  P.  WilaUky.  Vorgechiclite 
des  Rechts,  Prähistorisches  Reclil  III.  Teil:  S.  Statu mesvcrfassiing  und 
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Aber  d-  alkoholgcgncrisclien  Bestri-bungen  aller  Kiilt«rl3tidcr  seil  d.  ältest. 
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Gesindes  in  Preußen  am  Ausg.  d.  M.-A,    Diss.  Königsberg  (VllI,  77  S.) 

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(Samm).  nalionalökon.  und  statist.  Abhandl.  des  staa4s«-i».  Seminars  zu 
Halle  40.)  Halle  (XV,  311  S.)  (Zum  Teil  .lucli  ak  Dtss,  erschienen.)  ~ 
O.  Adkr,  Über  die  Epochen  der  deutschen  Handwerkerpol itik.  Jena 
(106  S.)  —  D.  TM&sm,  Beiträge  i.  OescIi.  d.  Handwerks  in  Plreußen. 
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de  Nant».  T.  I,  Nantes  (471  p.)  —  W.  Vor^s,  Der  deutsche  Handel 
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In  labellar.  Ütxirsicht  auf  Grund  der  Lübecker  Pluitdzollbücher.  Diss. 
Marburg  (64  S.)  —  A.  Men/it  The  risc  and  progress  ol  the  Company  of 
menchants  of  the  city  of  Edinbui-gh  iftst  I')02.  Edinb.  (XV,  400  p,)  — 
W.  Gilbfy,  Early  carriagc  and  roads.  London  (15<)  p,)  —  W.  Ebstein, 
Die  Medizin  im  Neuen  Testament  und  im  Talimid.    Stuttgart  (VlI,  i3S  S.) 

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autopsie  du  roi)  Paris  (2ftJ  p.)  —  F.  Chavant,  La  pcste  Ji  Orenoble 
<t410-1643).    Thisc.    Paris  {8J  p.) 


Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleute 

mit  englischen  Königen  im  13.  und  U.Jahrhundert. 

Von  GEORG  GROSCH. 


Einleitung. 

Mil  dem  König  Heinrich  II.  (1154-1189)  beginnen  die 
dauernden  urkundlichen  Nachrichlen  über  den  Handel  der  Deut- 
sehen  mit  England.') 

Der  Handelsverkehr  selbst,  der  von  Seiten  der  Bewohner 
Deutschlands  mit  England  unterhalten  wurde,  ist  ohne  Zweifel 
schon  sehr  alt;  schon  in  der  Römerzeit  wird  von  Germania 
magna,  besonders  von  Colonla  Agrippina  aus  Handel  getrieben 
worden  sein  mit  den  englischen  Küsten  platzen,  vor  allem  mit 
Londinium,  das  ja  nach  Tacitus*)  damals  schon  »copia  negotia- 
torum  et  commealuum"  sehr  berühmt  war. 

Die  Besitznahme  des  Landes  durch  Sachsen,  Friesen  und 
jöten,  die  ■Angelsachsen",  —  wahrscheinlich  eine  Folge  des 
schon  seit  längerer  Zeit  unterhaltenen  Handelsverkehrs  —  hat 
ohne  Zweifel  die  durch  den  Sturm  der  Völkerwandening  ge- 
lockerten Bande  *ieder  fes^eknQpft  Angelsächsische  Missionare 
fahren  auf  säclisischen  und  friesischen  Schiffen  nach  Deutsch- 
Land,  und  auch  tinter  den  Karolingern  und   den  Ottonen   reißt 


■)  Vgl. für  ist  IcIgTfidEn  Ansführnneen :  }.  M.  L4pp«ob«rc,  Urlrandllche  Ortthlchte 
da  hatuliditn  suhlliofn  lu  Lnn^lon.  HunburK  tSSi.  S.  3n.  K.  ttÖMtmm.  Zur  Or- 
•dddllc  der  dnitulirn  hlai»i  In  Enelnnil.  HanilKhe  dncMchlthUltcT.  JUiikuk  ISI3. 
S,  JlH.  K.  Koppmuin,  HojKTmei«  1  Bd  EmI.  S.  XXVff  Die  AnOnBe  der  Hnua. 
V.  Omninghain,  Tht  grovlli  of  Engllth  Induilry  uii  tomtarttt  duriits  Hit  «rly  und 
mMdleafB     Cimbrldet  ibvo.    S.  Kitf. 

t  C.  Tidtui.  Ab  ne.  d.  Au^  l--  XIV.  c.  31. 

Aldiir  fQr  KulInrKCKhlditt.    tl,  9 


122  Georg  Grosch. 


dieser  Verkehr  nicht  wieder  ab.  Er  wurde  noch  dadurch  ge- 
fördert, daß  sich  Otto  der  Große  mit  Eadgythe,  der  Tochter  des 
Königs  Aethelstan  vermählte  und  mit  ihm  und  dessen  Nachfolger 
in  enge  politische  Beziehungen  trat. 

So  sehen  wir,  daß  um  das  Jahr  1000,  unter  dem  König 
Aethelred  II.,  die  deutschen  Kaufleule  in  dem  Reditc  von  London 
schlechthin  als  »die  Leute  des  Kaisers,  welche  in  ihren  Schiffen 
kommen"  bezeichnet  werden  und  schon  eine  vor  den  andern 
Fremden  bevorzugte  Stellung  einnehmen,  daß  sie  ferner  gemein- 
sam am  Weihnachtsabend  und  zu  Ostern  bestimmte  Abgaben  zu 
ertrichlcn  haben,  eine  Genteinschaf tüchkeit,  welche  bereits  eine 
engere  Verbindung  unter  diesen  „Leuten  des  Kaisers*  zur 
Voraussetzung  hat.')  In  der  Folgezeit  finden  sie  sich  hie  und 
da  erwähnt;  freilich  schein!  nicht  immer  Eintracht  unter  ihnen 
geherrscht  zu  haben,  was  ja  auch  für  diese  Frßhzeit  deutschen 
Handels  als  ein  Wunder  anzusehen  wäre.  So  berichtet  Alpertus 
von  Metz,')  daß  1018  die  Kaufleute  aus  Tiel  am  Waal  klagend 
vor  Kaiser  Heinrich  II.  erschienen,  weil  ihnen  die  f'riesen  an  den 
Mündungen  des  Waal  und  der  Maas  die  Überfalirt  nach  Eng- 
land erschwerten  und  dem  Volke  der  britannisclien  Insel  den 
Verkehr  nach  Tiel  auf  die  Dauer  schädigten. 

Können  wir  schon  aus  diesen  mehr  zufättigen  Erwähnungen 
auf  einen  ziemlich  regen  Handelsverkehr  zwischen  Deutschland 
und  England  schließen,  so  werden  wir  durch  die  dauernden 
urkundlichen  Nachrichten  seil  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts darüber  belehrt,  daß  die  Handelsbeziehungen  zwischen 
den  beiden  Ländern  immer  bessere  werden,  daß  vor  allem  der 
Aufenthalt  in  England  selbst  den  Deutschen  durch  Privilegien 
und  Freibriefe  immer  mehr  erleichtert  wird. 

Das  älteste  dieser  königlichen  Privilegien,*)  das  nachweis- 
lich in  die  Jahre  11 S4  bis  1 1 79  fällt,  ist  ausgestellt  ftlr  die 
Kölner  KaufEeute  und  bringt  die  Bestätigung  des  königlichen 
Schutzes   für  das  Haus  der  Kölner  zu  London,    worunter  wohl 


t  tJIppnibctS  a.  m.  O.  i  ♦,    Hantrithn  UrkmiulcnbiiL-h.    1.  Rä.  No.  ). 
*l  Mon.  Genn.  hisl.  S.  S.  *.  S.  7I8. 
■I  Lijiptnbcrjt  a.  «  O.  S.  & 


schon  die  Gildhalle,  der  spätere  Stahlhof,^  m  verstehen  ist, 
sowie  für  ihre  Pereonen  und  Waren.  Ein  anderes  Privilcjpitni 
Heinrichs  II,  beEÜnstigt  speziell  den  Handel  der  Kölner  mit 
Wein,  und  ein  drittes,  vom  St  Johannisabend  des  Jahres  1175, 
erstreckt  den  vom  König  den  ,rBürgem,  Kaufleuten  und  Leuten 
von  Köln"  für  ihre  Besitzungen  und  Waren  erteilten  Schutz  auf 
alle  Länder  des  Königs  in  Frankreich  wie  in  England. 

Diese  alte  Hansa')  der  Kölner  Kaufleute  erhätt  dann  von 
Richard  Löwenherz  am  6.  Februar  1 1 94  einen  Freibrief  als  eine 
recht  wesentliche  neue  Begünstigung,  denn  sie  wurde  dadurch 
der  jährlicher  Abgaben  von  zwei  englischen  Schillingen  von 
ihrer  Gildhalle  zu  London,  aber  auch  aller  anderen  Abgaben  an 
den  König  enthoben,  welche  von  ihren  Personen  und  Waren  in 
jener  Stadt  und  in  ganz  England  zu  entrichten  waren.  Diesen 
Freibrief  bestätigte  Johann  trotz  seiner  enger  politischen  Ver- 
bindung mit  Köln  erst  am  24.  Juli  1213  in  vollem  Umfange, 
weil  ihm  die  Zugeständnisse,  die  sein  Bruder  den  deutschen 
Kaufleuten  gemacht  hatte,  doch  zu  weit  gingen. 

Diese  Hansa  der  Kölner,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit  zu 
einer  thcinisch-wcslfäl Ischen  erweitert  hatte,')  bestand  bis  zum 
letzten  Drittel  des  13.  Jahrhunderts  als  alleinige  Verbindung  der 
Deutschen  in  England.  Angehörige  andrer  deutscher  Land- 
schaften fanden  nur  unter  Schwierigkeiten  Zulassung  zu  dieser 
Genossenschaft,  ja  wurden  sogar  von  den  Kölnern  bedrückt  und 
durch  widerrechtlich  geforderte  Abgaben  in  ihrem  Handel  ge- 
hemmt, wie  ein  Privileg  Friedrichs  des  Staulers  vom  Juni  des 
Jahres  1226  zeigt.*)  Es  ist  erlassen  für  die  lübischen  Kaufleute; 
der  Kaiser  gebietet  darin,  »daß  die  Kölner  Kaufleute  die  lübischen 
iBfirger,  die  bisweiten  nach  England  reisten,  zu  dem  schnöden 
Mißbrauch  und  den  willkürlichen  Schätzungen,  welche  jene  gegen 
diese  erfunden  halten,  durchaus  nidil  zwingen  und  die  einen 
mit  den  andern  gleiche  Rechte  genießen  sollten." 

ij  Cb«  -Siahlliof-  vgl.  Huiil^che  OraehichisbUlIrr.  i*hnat-  ""•  S.  Hin,  Ober 
die  den  Kälimn  vnliFhcncn  rrivilcgicn  vgl.:  K.  HßbIbJtum,  Kßlnt  illeile  Handels. 
privihstei.  JthiKX-  'S'!-    s.  im. 

*t  Vgl  R.  fuili.  Aufircini  unil  Bedeutung  in  Woda  Htnia  In  IZn£liiid.  Hon- 
ItodM  0«»cfaic}itiblltiit.  Jihr^  i»7!  S  ii[t  Vgl.  ludi:  O.  Scluni,  Englltch^Hiadel*- 
poliUk  2FSBI  End«  aa  Mitielilint  t.  f\ö.  S.  ir:tf. 

>)  K  Knnic.  Kinuakicn  üus  Engluii]  IZ7S— Itia.    Halle  1091  S.  IR. 

'j  Lipptnbeni  i.  a-  O,  S.  9. 

9' 


i 


Georg  Crosch. 


Köln  hatte  also  den  Versuch  gemacht,  seine  Stellung  in 
England  zu  einer  ausschließlichen  711  machen  und  den  andern 
Deutschen,  die  nicht  zur  Kölner  Hansa  gehörten,  den  Handel 
dahin  womöglich  ganz  zu  verleiden.  Indessen  gerade  in  dieser 
Zeit  verschoben  sich  die  Verhältnisse  in  der  Heimat  zu  Ungunsten 
der  Kölner;  der  Elb-  und  der  Ostseehandel  gewann  immer  mehr 
an  Bedeutung,  und  Hamburg  und  Lübeck,*)  die  Vorstädte  und 
Träger  dieses  Handelsverkehrs,  schlössen  sich  1256  mit  Bremen 
zu  einem  Bündnis  zusammen,  das  Bekämpfung  der  Seeräuber 
und  Schutz  gegen  unrechtmäßige  Bedrückungen  bezweckte.  Be- 
sonders die  Stadt  LQbeck  ist  es,  die  in  Deutschland  immer 
größere  Wichtigkeit  für  den  gesamten  Handel  erlangt  Als  sich 
dann  Lübeck  bei  den  bekannten  Thronslreitigkeiten  während  des 
Inlerregnums  für  Richard  von  Comwaliis  erklärte,  bekam  es 
durch  dessen  Vermittlung  am  t5.  Juni  1260*)  einen  Freibrief 
van  Heinrich  111.  «für  diejenigen  deutschen  Kaufleute,  welche 
die  Gildlialle  zu  London  besitzen™,  ein  Beweis  dafür,  daß  die 
Ifibischcn  Kaufleule  Aufnahme  in  der  Qildhalle  gefunden  hatten. 
In  der  Versammlung  zu  Kenilworth,")  wo  nach  den  mannig- 
fachen Wirren  unter  Heinrich  III.  die  Magna  Charta  neue  An- 
erkennung fand,  wurde  am  S.  November  1266  den  Kaufleuten 
Hamburgs  das  Recht  erteilt,  eine  eigene  Hansa  zu  bilden  nach 
dem  Muster  der  kölnischen,  natürlich  gegen  Abgabe  der  schul- 
digen und  gewohnten  Steuern,  und  wenige  Wochen  später 
empfing  Lübeck  dieselbe  Gunst. 

Es  gereichte  nun  dem  deutschen  Handel  sehr  zum  Segen, 
und  man  hat  den  gewalligen  Aufschwung,  den  der  Handels- 
verkehr der  Hansen  mit  England  gerade  im  14.  Jahrhundert 
nahm,  besonders  dem  Umstand  auf  die  Rechnung  zu  stellen,  daß 


'i  Du  eriK  .BCndnLc  zvischm  Hamburg  und  Ldlicck  wird  1!4)  gcKhlotKn. 
(Kunburser  Uifcundcnbucli  1.  No  C9t.  LlibiKhn  Urimniluilnich  t.  No.  S9.)  Vgl.  daiD 
K.  Koppmann,  D*r  VMni);  xwiKhrn  l.flbrrt  nnd  H»mbiirj{  v.  }.  il«i.  Hanilieh»  Oe- 
Khichiibllltor,  Jdirm;,  Uli  S.  6»tt.  Koppminii  Ifgt  ilrni  Vcflng  krinr  jUgrinclnf  hin- 
ilKhc,  (oniltm  nur  rlnc  pinHaiUc-hlstflriichc  llnlmlung  bei:  ibcr  die  Tinidic  lit  dncb 
(Dr  die  tunilwhc  Ocichkliu  Ibcrhaupl  Inltrtiatnt  und  TJchlic- 

ff  Hiniiuhn  Urkundcnbuch  I,  iii.  Vel.duu!  R.  Pauli.  Enj{llKhcO«KblcIiti  111, 
S.  »**l     Kanu.  Kuunkln.  £>nl,  S.  I. 

•)  R.  Piuli  a.  ■.  O.  Ul,  S.  NT.  Ober  dl«  SondcthuiM  von  HimbvrB  vgl.  Han- 
«tadUi  UrhindHibuch  I.  No.  iJ!.  dl«  von  LGb«k  [ram  t.  Jui  \}f,1)  (btndi  6U.  Vgl. 
■adii  K.  Knppnunn.  tlatnlnurGt  Slcllunü  in  dr-r  Hanu.  Hansltcht  OcKhlchttMItUr. 
Jtluia-  >B75  S.  ttt. 


c 


Geldgeschäfte  hanstsdier  Kaufleute  mit  mgtischen  Königen.     125 


die  Deutscher  hier  einmal  ihr  altes  Erbübel  überwunden,  daß 
sie  sich  nicht  in  gegenseitigem  Ocschäftsneid  Ein-  und  Verkauf 
erschwerten,  sondern  sich  zusammenschlössen  und  einander  nach 
Möglichkeit  förderten.  Zur  Bildung  einer  solchen  Genossenschaft 
^brachten  es  die  Italiener,  die  zunächst  den  Hansen  im  Handel 
'  weil  überlegen  waren,  niemals,  sondern  sie  machten  sich  unter- 
einander stets  die  schlimmste  Konkurrenz.  Dagegen  schlössen 
sich  die  Hansen  der  Deutschen  sehr  bald  zu  einer  gemeinsamen 
Hansa  Alemanniens  zusammen,  in  die  alle  deutschen  Kaufleute 
ohne  Ausnahme  und  ohne  besondere  Schwierigkeiten  auf- 
genommen wurden. 

Der  Zeitpunkt  für  diese  Vereinigung')  läßt  sich  nicht 
ermitteln;  gefördert  wurde  sie  jedenfalls  durch  das  Privileg 
von  1260  für  Lübeck,  das  sich  diese  Stadt  12S1  von  Eduard  1. 
wieder  bestStigen  lief!;  vermutlich  war  es  gerade  dieses  Privileg, 
das  den  lübischen  Bürgern  Aufnahme  in  die  Oildhalle  gewÄhrte 
und  sie  den  Kölnern  auch  sonst  gleich  stellte,  das  die  Kölner 
veranlaßte,  nachzugeben.')  t2S2  ist  der  Zusammenschluß  dann 
vollzogen,  denn  aus  diesem  Jahre  datieren  die  ersten  urkund- 
,  liehen  Zeugnisse  für  die  gemeinsame  deutsche  Hansa.') 

Man  kann  die  Bedeutung  dieses  Zusammenschlusses  nicht 
hoch  genug  anschlagen,  denn  je  stärker  die  Hansen  dem  Könige 
gegenüber  auftreten  konnten,  umsomehr  war  für  die  einzelnen 
Mitglieder  Sicherheit  ihrer  Personen  und  Schutz  für  die  Waren  zu 
erwarten;  für  die  Gesamtheit,  die  Genossenschaft,  bestand  ebenso 
viel  eher  die  Möglichkeit,  sich  Privilegien  zu  erwerben   und  in 


*)  Die  Danldlung  h^Mbaiinii  vlidnt  nidil  gani  [uiiriroid,  Zunldi^l  hildm  ilih 
«dMD  der  hAlniidioi  die  Sanderhansen  Hjnihurt^  und  Lfibecke,  die  gleichfalli  iliicn  SIU 
in  der  Ofldlialle  haben;  allnihlllch  vcnfhmFiiBi  lie  dann  tu  rmcr  gcmcinumcn  Hxnu 
AI«BUDa>«m. 

<4  KSIn  tritt  illnlhllch   vAtllit  zurück,   ,.di«  VertTching  der   Ititrrasen   d«  Otleni, 

(0Vto  dn  ipsamtn]  luufininnlichcii  AngtlCiCtnlidtm   hat  Icirun  LQb«cJc.*    Hählbaum  i.  x. 

O-  8.  ID.    Höhtbuiiii  )ial   cnlschtnlm  irclit,   ■citn   et  dm   [«liliictinL  Vorginetn   E«   d« 

Htfnal  dh  Sclrnld  elbl  lat  du  7.iirQcktideii  KOliit  In  £»KU"d.    ti  teiirl  «i»;  .Wir  {[chcn 

IM  khl  ntl  der  Aniuhinc,  difl  die  dputtchcn  Dinge  dihciin  ihre  Wirkung  auf  dtn  WeD- 

fflrHt  in   der   Frttndr  jefibl.     B«sond«rt   in   KVWn    lotipn    kÜ  Jahr/^hiilni  Kimpff,    deren 

[  Schl^  «rii  zu  vsTiEhmcn  lind.   Die  ZwJcIndil  iwitchm  der  Sud!  und  Ihrai  KctTRi,  vor- 

iBdiHlkk  mll  Kontad  von  Uochitidcn,  äk  raiiclutiücn  in  der  Oemcindc.  die  Fcitdcn  mil 

I  rBnIn  und  Hetrcn  schtiiwii  di«  AntpannunK  d*r  KHtfle  nach  luilTii    betlrnktich  ettehwert 

LSB  hifcn-    Zudem  <riirTle  de«  Blick  durch  die  Tcllnihnic  <tn  Bunde  der  aberrheiniHhen 
fMdtt  II3S5)  luch  eitler  indem  Stile  cclenkt.«   H^hlbauni  ■.  ■.  O.  S.  Zlf.   Aut  dai  EJnpor* 
dam  6a  lüblsi'hcn  Mitht  iil  ulim  hint;tvinai. 

1  Hamlictiia  UrkunüRibudi  1.  tw  und  90Z    Kon».  tIanKalilcn  No.  t  und  s. 


r 


I2ß  Georg  Grosch. 


der  dadurch:  geschaffenen  Sicherheit  neue  Handcisgebiete  zu 
ersch  ließen. 

Im  Mittelalter  bestand  bekanntlich  der  Grundsatz,  daß  nur 
der  Angehörige  des  eigenen  Landes  volle  Handelsfreiheit  und 
Sicherheil  besitze;  der  Fremde,  der  Gast,  wurde  durchaus  nicht 
gastlich  aufgenommen.^}  Er  war  in  dem  fremden  Lande  ursprtlng- 
lich  völlig  rechtlos,  und  erst  bei  steigender  Kultur  bildete  sich 
ein  Fremden-  oder  Oästerecht  aus.  das  aber  immer  noch  den 
Fremden  in  vieler  Hinsicht  in  seiner  Verkehrsfreiheit  einschränkte 
und  ihm  mannigfache  Abgaben  und  Beschwerungen  auferlegte. 
i.Das  System  der  Abwehr  und  der  strengen  Abweisung  der 
Fremden  wurde  nur  seilen  zugunsten  des  auf  religiösen  An- 
schauungen beruhenden  Asylrechtes  -  dem  wir  bei  allen 
Völkern  begegnen  -  durchbrochen;  aber  es  treten  bald  wirt- 
schaftliche Gründe  und  Röcksichlen  in  den  Vordergrund,  welche 
die  Aufgaben  der  staatlichen  Fremden  pol  izei  erweitern  zugunsten 
des  kraftvoll  aufsteigenden  Verkehrsbedürfnisses.  Innerhalb  dieses 
jüngeren  Systems  sehen  wir,  wie  der  Fremde  mit  Hilfe  beson- 
derer Rechtsschutzmittel:  Peregrinenrecht  Roms,  der  Königsfriede 
des  deutschen  Rechts,  freies  Geleite,  durch  ein  besonders  günstig 
gestaltetes  Berufsrecht  (Handels-,  See-  und  Wechselrecht  des 
mitlelallerlichen  Kaufmanns)  zum  Verkehr,  also  zum  Gebiets- 
cintritt  veranlatil  oder  stellenweise  sogar  durch  die  Aussicht  auf 
eine  dauernd  begünstigte  Rechtslage  zur  Einwanderung  und 
Niederlassung  bestimmt  werden  soll."-) 

Bei  dieser  Stufe  des  Verkehrslebens  kam  es  dann  darauf 
an,  vom  Landeshcrm  Privilegien  zu  erlangen,  die  dem  einzelnen 
Händler  oder  ganzen  Gruppen  von  Kaufleuten  mit  Umgehung 
der  beschwerlichen  Bestimmungen  des  Gästerechls  größere 
Handelsfreiheit  und  mehr  Sicherheil  im  Verkehr  zubilligte  und 
die  driid(endcn  Abgaben  ihnen  erleichterte. 


>>  .Jt  «cilcr  «Ir  dLti  Hllck  von  uRnrrrr  vtrlirhnrrlthcii  Z«ii  *b-  und  den  llt«r««i 
Ptriodoi  dn  tlMtUchrai  Ld>ent  ruwmdm,  umiiiimehi  nJüicra  wir  iin»  drm  VortlHlungi- 
krd«,  In  «tlditm  die  Frcmdlinpir-iKciHchttll  von  vomhcrrlii  dncii  tOr  die  CiUtcnt  da 
bthUidn  Vccbanda  fei nd liehen,  üdcr  ilixh  miiv(lc»to»  bolrohcndcn  Charakler  «nnimnil 
Du  SCadimn  ds  miciilvlckcllcn,  gering  luigcbildewn  VtrkehnlelKns  wird  dllier  dur<li  die 
tchirf  ahlriinmde  StellunjE  erkennbar,  die  dei  SUil  dein  In  wlnen  Ben-Ich  seLuiicenden 
rrcmdpn  sescnOber  dnnlinmi  '  Artllcl:  rrerndcnpoUiel  Im  Kindwltrlerbuch  der  STutt- 
vlncrsctiattcn,     1.  Aufl.    Jeiui. 

^  Ebcnil*-    Vgl.  daiu  <l[e  AnflordeiunG  Cdiiardi  t,  an  die  Kinien  {nlclMlc  iKlteJ. 


Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleule  mit  englischen  Königen.     127 


Das  Verdienst,  für  die  Deutschen  in  England  solche  Privi- 
legien erlangt  zu  haben,  überhaupt  daselbst  bahnbrechend  vor- 
gegangen zu  sein,  gebahrt  Köln,  das  ja  wohl  auch  am  lingsten 
Handelsbeziehungen  mit  England  unterhielt  und  darum  schon 
friihzeifig  vom  abenteuerlichen  zum  planvollen,  regelmäßigen 
Handel  überging.')  Wenn  dann  später  die  Kölner  ihre  Vormacht- 
stellung in  England  zu  behaupten  suchten,  indem  sie  den  andern 
Deutschen  gegenfiber  selbst  wenig  ehrenwerte  Mittel  anwandten, 
so  darf  man  ihnen  daraus  keinen  so  schweren  Vorwurf  machen. 
Sic  hatten  es  sich  genug  Opfer  kosten  lassen,  hatten  selbst  Leib 
und  Leben  daran  gewagt,  um  neue  Gebiete  dem  Handel  zu  er- 
schließen; ebenso  hatte  die  Vaterstadt  Köln  zuweilen  ihre  ganze 
Politik  in  den  Dienst  ihrer  Söhne  gestellt,  damit  diese  in  Eng- 
land eine  günstigere  Stellung  erlangten.') 

Umso  erfreulicher  ist  es,  daß  die  kölnische  mit  den  beiden 
andern  Hnnsen  sich  zu  einer  gemeinsamen  deutschen  Hansa 
zusammenscliloß,  und  daß  dies  geschah  gerade  in  der  Zeit,  wo 
ein  kraftvoller  Fürst,  Eduard  I.,  den  englischen  Thron  bestiegen 
hatte.  Dieser  König  begflnstigtc  nicht  nur  offen  den  Handel 
der  Fremden  -  so  forderte  er  beispielsweise  am  26.  Scpt  1293 
in  «inem  Erlaß  aus  Bristol  die  deutschen  Kaufieute  und  Schiffer 
auf,  Handel  in  England  zu  treiben,  indem  er  ihnen  sicheres 
Geleit  und  Schutz  vor  Beschwerung  verspricht^)  -  sondern  er 
besaß  auch  die  Macht  dazu,  seinen  Willen  gegen  Volk  und 
Parlament  durchzusetzen.  Er  benützte  den  inneren  Frieden,  der 
mil  seinem  Regierungsantritt  begann,  zu  großen  Reformen  des 
Mflnz-  und  Finanzwesens,  gestaltete  das  Rechlsleben  um  und 
regelle  auch  das  Rechtsverhältnis  der  in  England  Handel  treiben- 
den Kaufieute  neu. 

Mit  dem  Plane  dazu  mochte  er  sich  schon  länger  getragen 

■)  So  «u  der  VHnhindcl  KOIm  mit  Zneftni  achon  idir  IrUh  ein  eint  rFirlniiBLarr. 

1  T«l5ächlich  rirll  die  «nn«  Politik  der  Sladl  Köln  von  mii.  nsO-liiO  nur 
dahin,  mil  ilem  eiglisclirn  K5nij:  im  bntcn  Einvcmchmai  lu  ttdioi.  So  steht  Köln 
ntnlehtt  tat  dir  Seite  dtr  Knhrnilnulrn,  da  Frirdnch  Bartiiiosu  mit  Hpinricl)  II.  von 
Enalind  brfmindd  isi.  Din»  urlil  die  Sfadt  m  doi  Wcticn  üb«,  dir  durch  Heinrich  dm 
lüwcn  mit  dm  PlanUi^mcI)  vnvindl  niidcn,  und  hürrl  Irtu  txrl  Odn  IV.  iUi.  Tofüt  lich 
Jotmin  d«R  Kiiln«rn  *dM  ciUnnllich  Kiei.  Fcmtr  td  «inncrl  an  die  Verbindung  Köln* 
nil  Htinrich  in.  bei  dawi  Bnlrcbcn,  ein  Bündnit  mit  Friolrtcli  dem  Stautcr  iu«tinJe 
n  InhifHi,  und  ichtleBlIrh  an  die  l;ez>ehuni[«n,  dir  Köln  m  Ediurd  111.  bei  deum  (rui- 
BAtbchen  Kricgm  timlt.    Es  wiid  djvnii  <(i.llci   nocli  die  Rede  inn, 

t  Hanibcbcx  Urkundcnbudi.     1.  Dd,    No.  UZi. 


0«jrg  Grosch. 


haben.  Da  er  nämlich  im  Jahre  1266  von  seinem  Vater 
Heinrich  III.  zum  Protektor  aller  in  England  Handel  treibenden 
Fremdkauflcule  ernannt  worden  war  mit  der  Vollmacht,  Bewilli- 
gungen nach  seinem  Gutdünken  zu  erteilen  oder  vorzuenthalten,') 
ao  war  er  in  diese  Verhältnisse  schon  längst  eingeweiht.  Gerade 
er  konnte  darum  zu  einer  Neuordnung  schreiten. 

Der  von  Eduard  I.  allen  fremden  Kaufleuten  im  Jahre  1303 
erteilte  Freibrief,  die  ..orLi  mercatoria«,  *)  die  aus  einer  Ver- 
einbarung zwischen  dem  Fürsten  und  den  Kaufleuleit  ohne  jede 
Befragung  des  Parlaments  hervorging,  bedeutet  einen  Bruch  mit 
dem  alten  OästerechL  Sie  ist  so  recht  ein  Beweis  daftir,  einen 
wie  hohen  Standpunkt  England  oder  wenigstens  sein  Fürst 
damals  schon  einnahm. 

Den  fremden  Kaufkuteit  wird  nämlich  ein  ausgedehnter 
Rechtsschutz  und  eine  sehr  wenig  beschränkte  Handelsfreiheit 
zugestanden;  ebenso  werden  die  lästigen  Binnenzölle  sowie  alle 
andern  über  den  bestehenden  Zolltarif  und  über  den  neuen  Zoll 
hinausgehenden  Abgaben  erlassen.  Der  neue  Zoll  bedeulete  für 
die  Hauptaugfuhrarlikcl,  Wolle  und  Leder,  gegen  früher  eine  Er- 
höhung um  SO^/c..  Aber  die  fremden  Kaiificute  bewilligten  den- 
selben gern  als  Gegenleistung  für  den  Freibrief,  ein  Beweis, 
wie  wichtig  ihnen  die  carta  war.  Nur  durch  einige  Ein- 
schränkungen im  Großhandel  war  der  Ausländer  benachteiligt; 
dies  wurde  aber  durch  die  andern  Begünstigungen,  sogar  vor 
dem  Einheimischen,  mehr  als  aufgewogen. 

Freilich,  so  ohne  weiteres,  ohne  Opposition  traten  die 
Wirkungen  der  carta  mercatoria  nicht  in  kraft  Vor  allem  waren 
es  die  englischen  Kaufleute,  die  durchaus  nicht  damit  einver- 
standen waren.  WflJirend  der  auswärtige  Handel  sich  fast  durch- 
gängig ir  den  Händen  der  fremden  Kautleute  befand,  befaßten 
sich  die  schon  seit  dem  11.  Jahrhundert  zu  Kaufmannsgilden") 


■}  R.  Piuli,  Onchlchl«  vnn  r-tigtind  Hl.  S.  Mit. 

•)  Hin»l>etiß  Urkundenbucti  n.  No,  Ji.    VkI,  lUrn  Kuiiir,  tlwiKiliCni.  CInl.  S.  IVt. 

■)  Charit«  Qitnx  The  Oild  Mccchut.  A  wntribullon  to  Britiih  miinicip«.!  hiitory. 
3  Voll.  Oüfonl  IBM.  I.  S.  Jtf.  Ult  («(Ol  Er»lliiiiuiB(fi  dw  ,Glld  Mer(h«nf  iinchem 
In  ml  undatierten  Urkundm  (IdüI-IiM);  .«lon  tfientuäf,  ilvi-lnü  l^r  tpien  of  Henry  I. 
Ihe  Qlld  Mrrchuil  «ppoin  in  vxrloui  munifipel  charim-;  dann  Irnin«  hiüfiüer  onler 
Hdnricli  1]..  Rldivd  I  uni]  Jolunn.  Vgl,  auch  R.  Ma>T.  Lclirbtieli  der  Hvidtlauachidih 
Wien  IM1.  S.  )9l.  Über  OroB-  und  Klrlnhandel  (-in  iponw  und  .in  riblllo')  S.  i^ 
knm.  *.    Sowie  Cuim inghun  >,  i.  O.  S.  9611. 


J_     J^ fc_ 


Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleute  mit  englischen  Königen.    i29 


vereinigten  einheimischen  Händler  nur  mit  dem  Kleinhandel  im 
Inlande;  sie  waren  den  kapitalkräftigen  und  unlernehniungslustigcn 
Fremden  niclil  gewachsen,  hatten  es  darum  als  Wohhal  empfunden, 
daß  die  fremden  Kaufleute  im  Binnenlarde  den  vielen  Ein- 
schränkungen unterworfen  waren  und  der  Vemiitllung  der  Ein- 
heimischen für  dei  Handel  daselbst  bedurften.  Darin  sahen 
diese  sich  jetzt  bedroht,  u'eshalb  unter  ihnen  eine  gewisse  Er- 
bitterung gegen  die  Fremdenpolitik  des  Königs  entstand.  Einige 
wenige  von  ihnen  Ijatten  allerdings  dem  König  den  Vorschlag 
gemacht,')  es  sollten  auch  die  Einheimischen  den  neuen  Zoll 
tragen,  aber  dafür  die  Qleichstellutig  aEier  Handeltreibenden 
durchgeführt  werden,  die  Fremden  also  den  Vorspning,  den  sie 
in  gewissen  Punkten  erlangt  hatten,  wieder  verlieren,  worauf  der 
König  sofort  einging,  indes  eine  Abordnung  englischer  Kauf- 
Icute  aus  zwei  und  vierzig  Städten,  die  am  25.  Juni  1303  in  York 
zusammentrat,  lehnte  diesen  Vorschlag  nmdweg  ab,  denn  in 
ihrem  Interesse  lag  es,  die  Fremden  vom  Handel  möglichst  aus- 
zuschließen. Darum  wotlle  man  lieber  die  Begünstigung  der 
Fremden  einstweilen  dulden,  als  ihre  Gleichstellung  anerkennen 
und  sich  so  für  die  Zukunft  binden. 

Die  Hoffnung,  die  sie  sich  dabei  machten,  war  die,  daß 
eine  bessere  Zeit  einen  Umschlag  in  der  Fretndenpolitik^)  herbei- 
führen wüiTle,  was  in  der  Tat  auch  recht  bald  geschah. 

Denn  auf  den  kraftvollen  und  energischen  Eduard  I.,  den 
englischen  Justinian,  der  durch  sein  legislatorisches  Wirken  fQr 
England  so  große  Bedeutung  erlangt  hat,  folgte  1307  sein  Sohn, 
der  schwache  Eduard  II.  Dieser  fügte  sich  wie  in  so  vielen 
anderen  Forderungen  auch  darin  willig  dem  Drängen  seines 
Parlamentes,  daß  er  1309  zunächst  den  neuen  Zolltarif  aufhob- 
Durch  die  sogen.  Ordonnanzen,  aufgestellt  von  der  Regierungs- 
kommission,") welche  der  durch  die  Mißwirtschaft  des  Königs 
erbitterte  Adel  und  Klerus  dem  König  im  März  I3t0  auf- 
gezwungen hatte,  und  angenommen  im  Herbstparlament  I3it 


I)  Kunif,  Htniralloi.    S.  VI 

t  für  hnclind  rtt  dir  frcmdciilmindlictie  Polilik  lunichtt  entschltilni  van  Vor- 
Hil:  die  btdenlenilncn  Fdltllcn  itiKtc"  >icli  darum  in  dIcKn  fihrhunileitcn  alte  frtmilm- 
trMndlich. 

t  R,  Piull,  Oetdiichtc  von  Enuland  VI.  S.  llifl.    Hol,  Ptrliim.  BJ.  t.  i*»l.  S,  Ml 


r 


130  Georg  Grosdi. 


wurden  alle  seit  der  Krönung  Eduards  I.  eingeführten  Zölle  auf- 
gehoben  und  die  carla  mercatoria  für  nichtig  erklärl.  Das  letztere 
begründete  man  damit,  daß  sie  mit  der  magna  carta  libertatum 
im  Widerspruch  stehe,  gegen  die  Freiheit  von  London  verstoße 
und  ohne  Zustimmung  der  Barone  zustande  gekommen  sei. 

Die  fremden  feindliche  Stimmung,  die  sich  in  diesen  Be- 
schlüssen deutlich  kundgab,  richtete  sich  in  erster  Linie  gegen 
die  Italiener,  weil  man  ihnen  die  völlige  Zerrüttung  des  Finanz- 
wesens schuld  gab  und  sie  der  Aussaugung  des  Staates  be- 
schuldigte.^) Weniger  ging  dies  gegen  die  stammverwandten 
Hansen,  die  nun  nach  Aufhebung  der  carta  mercatoria  wieder 
auf  ihre  alten  Privilegien  zurückgriffen,  Noch  im  Juni  13(I 
era-irkten  sie  sich  vom  König  eine  Bestätigung  des  Privilegs 
Eduards  I.  v.  J.  128t;-)  13t4  fügte  dann  Eduard  II.  ein  neues 
hinzu,  in  welchem  er  die  ausschließliche  Haftbarkeit  des  Haupl- 
schuldners  und  seiner  Bürgen  festsetzte,  während  bis  dahin  die 
ganze  Genossenschaft  für  jedes  ihrer  Mitglieder  hatte  haften 
mGssen.  1317  wird  dann  in  einem  großen,  die  bisherigen 
Privilegien  zusammenfassenden  Freibrief  der  Genuß  aller  der  in 
ihm  enthaltenen  Vorrechte  ausdrücklich  auf  die  Mitglieder  der 
deutschen  Hansa  beschränkt') 

Es  folgen  dann  neue  Wirren,  aus  denen  jedoch  der  König 
als  Sieger  hervorgeht;  wohl  aus  diesem  Grunde  muß  1322  das 
Parlament  die  Ordonnanzen  widerrufen,  womit  die  carta  mercatoria 
wieder  in  kraft  getreten  war.  Tatsächlich  wird  der  Zoll  von  1303 
von  jetzt  ab  wieder  erhoben. 

Aber  die  Hansen  blieben  bei  ihren  Privilegien,  wahrschein- 
lich deshalb,  weil  sie  sich  bei  dem  heftigen  Unwillen  des  eng- 
tischen Volkes  gegen  die  carta  und  bei  der  Unbeständigkeit  des 
Königs  von  dem  wiedererstandenen  Freibrief  für  alle  Kaufleute 
keine  lange  Dauer  versprachen,  zumal  der  Fremdenhaß  in  Eng- 
land immer  mehr  zunahm.  Zudem  ermöglichten  ihnen  ihre 
Privilegien,  die  noch  den  Vorteil  hatten,  daß  sie  ihnen  allein 
zustanden,   den   Handel   in   der  bisherigen  Weise    forlzu treiben. 

0  So  «cnloi  bciipiclswciie  die  Ftltcotuildl  vrrbannt  und  llirrOOlcr  bHdilaenihiiil 
Kmu,  Hanmliicn  S.  IX 

»)  HanjlMhn  IfrliunilcTibuch  II   No.  <9«. 

V  HinilMb«  Urkundeibtich  I).  No.  »3  und  315. 


Oeldgeschäfle  hansischer  Kaufleulc  mit  englischen  Königen.     131 


Sie  brauchten  den  Freibriet  des  Jahres  1303  gar  nicht,  der  vom 
Jahre  1517,  den  Ihnen  Eduard  It.  verliehen  halte,  genügte  für 
sie  vollständig,  weshalb  sie  ihn  von  dem  jungen  Eduard  IH. 
gleich  nach  seinem  Regierungsan tritt,  am  14.  März  1327,  be- 
stätigen lassen,')  um  auch  unter  dem  neuen  Regiment  dem 
Handel  in  Sicherheil  und  Ruhe  obliegen  zu  können. 

Mit  Eduard  III.  begann  für  den  Handel  der  hansischen 
Kaufleute  in  England  eine  neue  Phase,  denn  nunmehr  befaßten 
sie  sich  auch  mit  größeren  Geldgeschäften,  beteiligten  sich  am 
Geldhandel  und  traten  bald  in  erfolgreiche  Konkurrenz  mit  den 
bisherigen  Kronbankiers,  den  italienischen  Gcldleuten,  während 
sie  bis  dahin  nur  mit  dem  Londoner  Kleinbürgerstand  unbedeu- 
tende Leih-  und  Weckslergeschätte  gemacht  hatten.')  Eduard  III. 
selbst  wurde  bei  seinen  Unternehmungen  gegen  seinen  Vater, 
die  ihn  auf  den  Thron  führten,  schon  durch  hansisches  Geld 
unterstützt*)  Die  Hansen  ihrerseits,  die  imstande  waren,  Geld- 
geschäfte größten  Umfanges  abzuschließen,  verfügten  über  eine 
solche  Kapitalkraft,  dafj  sie  auch  im  Ausfuhrhandel  die  andern 
Kaufleule  weit  hinter  sich  zurückließen. 

Der  Handel  in  der  Zeit  überwiegender  Naturalwirtschaft,  auf 
jener  Stufe  der  Entwicklung  eines  Volkes,  die  man  als  die  Periode 
des  höheren  Ackerbaus  bezeichnen  könnte  (Pflugbau  durch  den 
Mann  mit  Wein-  und  Gartenbau,  Hof-  oder  Dorfwirtschaft),*)  ist 
vornehmlich  Tauschhandel.  Der  fremde  Händler  bringt  in 
unregelmäßigen  Zwischenräumen  die  Produkte  seines  Landes 
und  tauscht  sie  gegen  die  der  Fremde  aus.  Daß  dabei  der  ganze 
Handel,  der  überhaupt  einen  recht  abenteuerlichen  Anstrich  hat, 
nur  in  bescheidenem  Umfange  betrieben  werden,  daß  von  einem 
ausgedehnten  Großhandel  nicht  die  Rede  sein  kann,  Ist  ohne 
weiteres  klar.  Erst  wenn  nicht  mehr  Ware  gegen  Ware  -  ein 
recht  umständlicher  Vorgang  -  gelauscht  wird,  sondern  wenn 
der  Wert  einer  Ware  in  einer  bequemeren  Art,  in  Geld,  berechnet 


^t,  MqittltveiK  Kunze,  HanMaklcn,  1^—19. 

<^  K1UII6  H«iiwak!«i  im  Enjjlond,  9S.  Hansiuha  Urlaindcnbudi  II,  SM,  Ferner 
Alk.  I.  Mo.  t  oBd  i. 

<>  Vel.  fDr  dir  VlmduIUiTufrn  der  Mmschbcil.  £.  OroH«,  Fornicn  d«r  ramlllt 
and  Forma  dtt  Wlructijft.  (Ftciliuii;  und  Lcipiic}  M96.  K.  Büclirr,  Enlilcliiing  der 
V«)k)v>rttch*ft.    }.  Aufl.  Tübineca  tX». 


L 


Georg  Orosch. 


und  ausbezahlt  werden  kann,  kurz  ei-st  dann,  wenn  der  Kauf- 
handel den  Tauschhandel  verdrängt,  vermag  der  Handelsverkehr 
einen  größeren  Umfang  anzunehmen.  Das  HandelsJeben  wirkt 
seinerseits  wieder  befruchtend  auf  die  allgemeine  Wirtschaft  ein; 
das  Oeld-  und  Kreditwesen  zumal  erfährt  den  notwendig  ge- 
wordenen Ausbau,  denn  Geld  ist  die  Seele  des  Handels,  und  so 
wird  der  Übergang  zur  Geldwirtechaft  hergestellt. 

In  Ergland  Ififit  sich  dieser  Vorgang  recht  gut  verfolgen 
einmal  dadurch,  daß  man  der  Entwicklung  des  Münzwesens  in 
den  Übergangsjahrhunderten  (II.  bis  13.  Jahrhundert  genau  wie 
in  Deutschland)  nachgeht  Über  das  ältere  Mürzwesen  gibt  uns 
eine  englische  Darstellung')  Aufschluß; 

»Previous  to  the  Norman  Conquest,"  heißt  es  da,  »the 
mode  of  reckoning  by  the  Anglo-Saxons  «as  by  pounds  or  pence. 
The  Saxon  pound  weighed  S400  grains,  and  a  Saxon  penny 
22'/s  Rrains  troy:  240  of  the  latter  made  a  pound  as  at  present; 
bul  there  was  only  one  description  of  coJn,  and  that  was  the 
penny:  all  other  monies,  such  as  the  Hbra  or  pound,  the  mark, 
Ihc  ora,  and  the  Shilling,  were  merely  ideal  monies  or  denomi- 
nations,  or  ways  of  reckoning,  for  conventcnce. 

The  penny  continued  lo  be  the  only  coin  known  in  Eng- 
land tili  long  after  the  date  of  Domesday  book,  the  haütpenny 
and  tlie  farthing  being  litteraly  fractions  or  broken  parts  of  the 
penny. 

h  is  recorded  that  William  the  Conqueror  introduced  into 
England  the  method  of  accounts  as  pracliscd  in  Normandie,  viz. 
that  of  reckoning  by  pound^  Shillings  and  pence,  or  by  pounds, 
ounces,  and  penny weighls," 

Der  Münzfuß  der  Normandie,  den  also  Wilhelm  der  Er- 
oberer in  England  einffihrte,  geht  auf  die  Milnzreform  Karls  des 
Großen  zurück.*}  Aus  einem  Münzpfund  (etwa  409  Gramm) 
wuTxJeti  240  Silberdenare  (Pfennig)  geprägt,  von  denen  12  auf 


1}  W.  ).  Li»K)n,  Thf  hiHory  of  bjntrinj  etc.  Sccond  EdiHon.  London  iSü. 
S.  ll.  Über  da  ^Oamaütiy  Bank'  rsl.  CunnlnKhitn  «-  i.  O.  S.  IM:  DomniliY  Book, 
iriicrt  Ibe  nutom»  und»  tlie  Confmor  (Hduiid  dtr  »ckmnrt  lOO-  1066)  «rc  dMCtlbrd, 

>)  Die  kuDllntlKlii  Münrrdonn,  die  min  gevfJhntli^li  als  den  Cbericins  lurSIlber- 
rthning  danteil  I.  bstand  bekinnlllch  lUiin,  diO  luf  Jen  aoldiclillliiiii  t7  DrnuF  icuechnet 
vatdcn.     Dict«    nnic   SoliduSi    tlrt   ein  Dilticl   det  iltm    -   ru  *<>  DoiBrni      -    wurde 


Geldgesdiälte  hansischer  Katifleute  mit  englischen  Königen,     i  33 


einen  Solidus  oder  Schilling  gerechnet  wurden.  «The  pound 
weight  of  silvcr  was  divided  into  twelve  Shillings",  fahrt  darum 
auch  unsere  englische  Darslellung  fort,  «composed  of  twenty 
pennies  each.  corresponding  lo  pounds,  ounces,  and  pennyweights, 
or  twenly  Shillings,  of  twelve  pennies  each,  bul  it  was  not  tili  some 
time  afterwards  Ihat  it  obtained  the  denoniination  of  the  pound 
«Sterling"."')  Dieser  letztere  MCnzfuß  hat  dann  allmählich 
allgemeine  Geltung  erlangt;  freilich  war  damit  das  Münzwesen 
noch  lange  nicht  derart,  daß  es  den  Anspriichen  eines  geld- 
wirtschaftlichen Zeilalters  genügt  hätte. 

Die  Ansätze  zu  einem  ausgeprägteren  Geldwesen  finden 
sich  erst  unter  Johann,*)  denn  der  König  selbst  gibt  schon  Kredit- 
und  Wechselbriefe  seinen  Gesandten  nach  Rom  und  anderen 
'Städten  des  Festlandes  mit,^)  indem  er  sich  verpflichtet,  den 
vollen  Wert  der  Summe  dem  Leiher  wieder  zu  erstatten.  Bei 
den  Schöffen  von  Ypern  hatte  er  in  den  Kriegsjahren  1213  und 
1214  gleichsam  wie  bei  einer  Bank  Geld  deponieri.  Aber  doch 
sind  diese  Vorkommnisse  noch  vereinReli  Das  Münzwesen  zu 
seiner  Zeit  ist  noch  recht  dürftig;  an  kurrenter  Münze  ist  nur 
der  Siiberpfcnnig  vorhanden,  Schillinge,  Mark  und  Pfund  sind 
noch  imaginäres  Geld,  wie  ja  auch  unter  Karl  dem  Großen  und 
dann  erst  recht  unter  seinen  Nachfolgern  fast  nur  Denare 
geprägt  werden. 

Unter  Heinrich  111.  wurde  mehrere  Male  die  Aufmcrksam- 
Veit  der  Regelung  und  Verbesserung  des  Münzwesens  zugewendet;*) 
1238  wurde  eine  Kommission  von  sechs  Goldschmieden  ernannt, 
um  das  richtige  Karat  festzustellen;  sein  Bruder  wurde  mit  der 
Einführung  einer  reuen  Münze  betraut.  Freilich  der  Versuch 
des  Königs,  12S7  eine  Goldmünze  von  zwanzig  Schillingen  Wert 
einzuführen,    scheiterte,   die  Stücke  wurden  wieder  eingezogen.*) 


>)  Ober  die  ErklinniB  dra  Worta  .Sicrifns*.  bMoniton  itti  Znummcnhane  mll 
Ctnrline.  vgl.  ä\e  AusfüTirnneFn  Lavsoni  ».  «.  O.  S.  51. 

1  R.  Pauli,  Onchichti:  van  Eni:Und  Ul.  S,  Wlf.  Die  EntvkklnnE  dn  mi-lLBchot 
Siuctiutilil],  lilailngs  mil  amt  <l^i(1i|{cn  AiitfdhruiiKcn  Qbtr  ilic  tttcft,  alto  unicn  Zeil. 
(iM  Q-  Cohn,  Sj-ston  dci   Njtyonak.konomie      l5.tullgirt  t8S9  )     Bd.  II  J  47J  H. 

1  Im  VerlaufF  unieicr  DiiilcilvjTik:  hr  ilnvün  noch  dir  Ktilc- 

<)  R.  Piull  t.  ■.  O.  in.  S   M3ff. 

*t  AIm  tilnf  Jahn,  ludidtm  In  Florcai  d<c  cnitn  OoMmtnien  eachlascn  vordot 
a,  die  in  dt>  FalgnrJl  sich  üba  du  guixe  Abmdland  rcrbrdletm  -  ilt  dir  ihrrt 
Fcingflultt  9tpn  vlrt  jtrthml«!  Fiomen  -,  wlnJ  Mhon  (n  En^and  der  Vfnuch  pntdil. 
ifentill«  Oaldniaiiirn  prleen  lu  lusen. 


r 


1 34  0«rg  Qrosdi. 


Über  eine  wcüere  Münzprägung  unter  Eduard  I.  berichtet 
■wieder  unsere  englische  Darstellung,')  die  aber  die  BcmOhungcn 
um  das  Münzwesen  unter  Heinrich  III.  nicht  erwähnt  Es  heißt 
nämlich  daselbst;  »No  ordinances  respecting  the  Standard  of  Ihe 
coins  have  been  preservcd  from  Die  Norman  conquesi  lo  the 
g"*  of  Edward  the  First,  when  according  to  Stow,  Gregor)'  de 
Rokesley,  niayor  of  London  being  chief  inasler  or  minister  of 
the  King's  Exchange,  3  new  coin  was  agreed  upon  -  the  pound. 
or  easterling  motiey  -  to  contain  1  2  ounces  of  fine  silver,  such 
3S  was  then  made  in  the  foil,  and  was  commonly  called  silver 
of  Qutheron's  Lane,  now  called  Qulter  Lane.  This  pound  was 
to  weigh  twenty  Shillings  and  Ihree  pence  in  account,  each  ounce 
twenty  pence,  and  every  penny  twenty-fonr  grains  and  a  half.  In 
the  IS""  of  Edward  the  Third  we  find  the  Standard  of  a  gold 
coin  was  the  old  Standard  or  Sterling  of  twenty-three  carais  Ihree 
graJns  and  a  half  fine^  and  half  a  grain  alloy." 

Das  treibende  Moment  in  dieser  Entwicklung  war  naturlich 
der  allgemeine  wirtschaftliche  Fortschritt  des  englischen  Volkes; 
eine  wesentliche  Förderung  indes  erfuhr  sie  durch  die  Fremden, 
welche  nach  England  Handel  trieben,  besonders  durch  diejenigen, 
welche  sich  hauptsächlich  mit  Geldangelegenheiten  befaßten: 
durch  die  Juden  und  die  Italiener. 

Die  Juden,')  seit  den  KreuzzClgen  vollständig  aus  dem 
Warcnhajidel  verdrängt,  da  sie  in  keine  Gilde  mehr  aufgenommen 
und  zu  den  Messen  nicht  zugelassen  wurden,  hatten  sich,  wie  in 
andern  Ländern  der  abendländischen  Christenheit  so  auch  in 
England  mit  Geld-  und  Wechslergeschäftt-n  befant  Es  war  dies 
Für  sie  ein  sehr  günstiges  Feld,  da  sie  als  NichtChristen  von 
dem  Wucher\'erbot  des  kanonischen  Rechts  nicht  betroffen  wurden, 
ein  Vorteil,  den  sie  nach  Möglichkeit  ausbeuteten.  «The  Jews') 
were  originally  introduced  into  England  by  William  the  Con- 
queror,  and  lo  them  belongs  the  merit  of  bencfiting  commerce 
by  thfll  important  improvement  ~  the  inveitting  biils  of  exchange. 

■>  Li-non  LI.  O.  S.  ef, 

i)  Vgl.  R.  EhrenbcTK,  D«  ZtilUter  d«  faggrr.  1  Bde.  Joi«  IS98.  1.  Bd.  S,  ♦!  M, 
Fftr  DniUthlincI :  Mu  Nruminn,  Oachichtc  da  Wuchrri  in  Dniticliluid  bli  inr  Be- 
KrOndunc  >ln  hntHzm  ZlniencUc  (i»<].  Halle  >U3  S.  »irr.  rrnitr  R.  SchrMct, 
Ldirbodi  der  dculichcn  Rectitssochichlc.    4.  Aufl.    Leiinig  i9d:.    S.  t47tf. 

■)  U*wii  1.  *.  U   S  Sttf    Vgl.  uKh  W   Cnnningham  a.  a    O.  S.  ilTff. 


Grldg««chift0  hansischer  Kaitftevte  mit  englischen  Königen.     135 


Thär  industry  and  frugaÜtv  caused  them  I0  accumulate  vast 
sums  of  money,  »hich  the  idieness  and  profusion  common  to 
the  English.  nobility  in  those  days  enabied  them  to  lend  out  al  a 
high  rate  of  interest,  upon  the  security  of  property.  They  wcrc 
not,  however.  permitted  to  enjoy  Ihc  profits  of  their  trade  urmo- 
lestcd;  for  each  successive  tnonarch  exiorted  from  Ihem  largc 
sums  of  money,  and  thal  frequenlly  by  the  tnosl  barbarous  and 
cniel  methods.«  Diese  Judenverfolgungen ')  in  England  waren 
nicht  minder  gewalttätig  und  grausam  wie  die  in  Deutschland, 
Aber  in  England  ging  man  noch  weiter,  mar  verbannte  die 
gesamte  Judenschaft  außer  Landes.  Unter  Eduard  I.  wurde 
eine  allgemeine  Razzia  auf  die  Juden  veranstaltet,  IS  000  wurden 
aufgegriffen,  aJI  ihres  Besitztums  beraubt  und  außer  Landes  ver- 
wiesen. Zu  dieser  Maßregel  schritt  man  im  Jahre  1290,  nachdem 
sich  verschiedene  andere  als  fruchtlos  erwiesen  hatten,  wie  man 
vermutete  auf  Betreiben  der  Königin  Mutter.*)  Erst  lange  nach 
der  Reformation,  unter  Karl  II.,  durften  die  Juden  den  englischen 
Boden  wieder  betreten.*) 

An  die  Stelle  der  Vertriebenen  traten  die  Italiener;  sie 
überwanden  bald  «the  great  incorvenience",  die  das  Vertreiben 
der  Juden  zunächst  verursachte,  weil  das  Wechslergeschäft  völlig 
slodtte  und  der  König  niemand  hatte,  der  ihm  Gelder  hätte  vor- 
strecken können.  Ebenso  gerieben  wie  die  Juden  und  etwa  auf 
derselben  Stufe  stehend  wie  diese,  mit  denen  sie  schon  seit 
längerer  Zeil  in  Konkurrenz  getrelen  waren,  füllten  sie  den  Platz 
der  Vertriebenen  bald  völlig  aus.*) 

Während  der  Regierungszeit  Heinrichs  111.  war  es,  daß, 
veranlaßt  durch  die  Feilschereicn  und  Bedrückungen  von   seiten 


■)  Lawion  handflt  da  niherai  von  (U««n  Verfalguni;«!. 
^  R.  Ptiili,  Oochkhu  von  Cngland   IV,    S.  )ä!, 

t  .Mttr  Clili  evenl,  na  iruc  ol  the  ridstcnce  ol  Ük  }ewt  in  Enetind  tan  bc 
hnnd  tili  »liet  ihc  Rcfi>nn*tIoDi,  not  a  ll  ntccauy  tor  ui  10  iiacc  Üitm  luilhcr;  t>ut 
(inply  lo  rKOtd-vvtnorJinary  ■*  11  niiy  ipp«a>c,  ui<l  yet  wh>t  Irom  our  rFsnidin  vc 
tlnd-lhil  Ihii  opptT^sMl  pctiplf  piU  nnrly  ane  Ihlrt  of  (bt  «hcle  rrvmue  of  Ihr  kinjf- 
ikai.*  LawioD  S.  30. 

t  Vax.  Bond,  Extracli  itbtive  In  Innat  tuppUrd  by  Ihr  lullui  mErdianb  10  tlir 
ktam  ot  Encland.  Archa<:i>lai'b  XXVllT.  (London  1140,}  S.  207— ):c.  fcmtr:  O.  Cahn, 
Sptcm  dtr  KilIoiiatAJionoiiilc.  Bd,  II.  S§  470 Ff.  A.  S<hulM.  Qochkhlc  des  mittdalterlklKn 
Huidels  und  Vtrk»hn  njtthcn  WäldculKhlind  und  lullen  mll  Auuchliill  von  Venedig, 
I  Bd*.    L(i|MiK  1WO.     I.  Bd.  &  UI  If,    Ebmui:  W.  Nniinann  *.  n.  O.  S  36blf, 


Ocorg  Drosch. 


der  römischen  Kurie,  die  ihnen  den  Aufenthalt  in  ihrem  Heimat- 
lande  verleidete,  Scharen  von  Oeldleulen  ans  Oeniia,  Siena,  Rom 
und  nicht  zuletzt  aus  Florenz  nach  England  kamen.*)  Sie 
wandten  sich  hier  entweder  dem  Handel  zu  und  exportierten  die 
vielbegehrtc  englische  Wolle,  ebenso  Wollfelle  und  Häute,  oder 
begannen  Geldgeschäfte  tu  treiben;  gewöhnlich  taten  sie  beides. 

Zu  größerer  Bedeutung  gelangten  dann  die  Banksozietitenj 
die  als  päpstliche  Kollektoren  England  aufsuchten.  Eine  Folge 
gerade  ihrer  Tätigkeit  im  Dienste  des  Papstes  war,  daß  sie  zur 
Krone  in  Beziehungen  traten  und  so  Einfluß  auf  das  englische 
Finanzwesen  überhaupt  erlangten.  So  ließ  sich  am  25.  Juli  1302 
der  Dekan  von  51.  Paul  in  London,  „execuior  super  decimis  et 
obventionibus  dorn.  Edwardo  d.  g.  regi  Anglic  ...  in  subsidium 
terre  sancte  per  sex  annos  concessis",  bekunden,  daß  er  für  das 
vierte  Jahr  des  Zehnten  t3  540  Ibr.  1I  d.  sterlingorum  verein- 
nahmt und  an  die  »niercatores  camerac  dorn,  papac"  von  den 
Sorieläten  der  Mozzi  und  Spini  (von  Florenz)  und  der  Chiarenli 
(von  Pisloia)  abgeführt  habe.*)  «If  has  been  frequently  stated, 
that  the  Lombards  and  other  Italians  first  seUled  in  the  north 
as  agents  for  the  collection  and  transmission  of  papal  taxation, 
bot  it  js  clear,  that  they  at  any  rate  carried  on  a  large  niercantile 
business  at  ihe  same  timc  or  developed  it  afler  they  arrived. 
The  proof  of  the  export  ot  woo!  to  llaly  shows  that  it  was 
perfedly  possible  to  remit  tlie  value  o(  the  paymenls  to  Rome 
vilhoul  denuding  the  couniry  of  the  precious  melals."*) 

Die  Stadt  Florenz  brachte  allmählich  den  gesamten  von  der 
Kurie  abhängigen  Oeldhandel  an  sich;*)  sie  schob  langsam  ihre 
Rivalin  Siena  auf  die  Seite,  Pisa  verwendete  die  ganze  Geldkraft 
auf  dem  Meere,  dessen  Herrschaft  allerdings  durch  die  unglück- 
liche Schlacht  von  Melloria  auf  Genua  überging.  Deshalb 
führten  schon  unter  Eduard  I.  hauptsächlich  Florentiner  Firmen 


1)  R,  Pftuli.  OcKhicbl«  von  Ensluid  III.  Bd.  S.  WS. 

t  F.  Davldiohn,  Fortcliunsvi«  tat  OeKhldile  von  Florcni.  3  Bdt.  B«r1!n  18«. 
III.  Bd.  S.  tl»  Na.  «ob. 

■)  W.  CuDmngluiin  a.  a.  O.  S.  IBSf.  Für  dit  1(bt«  B«ni«rkuiie  vgl.  W.  v.  nttim- 
ka<nlri.  Eii|[lui(l4Birlic}iirillch«Enl«icklan2lm  Auteinedct  Millclallir«,  JcnalB»   S.  teif. 

<)  Srhullt  1.  (  O  S.  iK.  Vgl.  luch  Orare  Schncidtr.  Die  Itnuitldlm  BcziebnriEcn 
fl«r  tlorwlirlHhcn  llinklrrt  lui  Kirche  von  H«!  bii  i>0«  Sdimullcu  slaiti'  und  sozlal- 
TlHcnKlufillchT  FonctiunecD.    Bd.  XVII.    fitfi  i.    Ldptlc  \t99. 


I 


Cddgcschäflc  hansischer  Kxurieute  mit  englisctien  Königen.     137 


I 


die  Geldgeschäfte  der  Krone;  sie  wurden  für  ein  halbes  Jahr- 
hundert die  eigentlichen  Kronbankiers  in  England.  Es  sind 
ganz  beträchtliche  Summen,  die  sie  dem  König  vorstreckten. 
1297  betrug  die  QesamtschLid  Eduards  I.  bei  ihnen  28000  £, 
bei  scineni  Tode  war  sie  sogar  auf  118000  £  angewachsen;  zu 
ihrer  Sicherung  waren  ihnen  sämtliche  Zölle  des  Reiches  vcr- 
pföndet.»)   - 

Es  ist  ziemlich  genau  eingegangen  worden  auf  die  Tätig- 
keil der  Juden  und  der  Italiener  in  England,  weil  wir  uns 
dadurch  von  der  Beanhportung  der  Frage,  wann  die  Oetdwirt- 
schaft  die  Naturalwirtschaft  in  diesem  Lande  verdrängt  habe, 
nicht  etwa  entfernen,  im  Gegenteil,  ihr  gerade  näher  kommen. 
Zu  diesem  Zwecke  wollen  wir  noch  die  Reformen  untersuchen, 
die  Eduard  I,  durchgeführt  hat.  Mag  er  mit  mancher  seiner 
Bestimmungen  seiner  Zeit  vorausgeeilt  sein,  im  großen  und 
ganzen  ist  er  doch  wohl  nur  deshalb  an  die  Reformen  heran- 
gegangen, weil  sie  sich  als  notwendig  erwiesen  hatten,  weil  es 
gsH,  vorhandenen  Schwierigkeiten  abzuhelfen  oder  den  Forde- 
rungen der  Zeil  Rechnung  zu  tragen. 

In  der  älteren  Zeit  wurden  alle  Abgaben  und  Steuern  an 
den  König  in  Naturalien,  »in  provisions  and  necessaries  Tor  his 
Household-  geleistet,  und  ebenso  empfingen  die  Orundherren 
solche  Naturalabgaben  von  ihren  Grundholden  und  Hintersassen.') 
Indes  schon  das  Dom esday- Book  berechnet  den  Wert  und  den 
Ertrag  der  ländlichen  Besitzungen  in  Geldsummen,  und  als  der 
an  steh  schon  schwaclie  Feudalismus  in  England  mehr  und  mehr 
zersetzt  wurde,  da  gewann  das  Geld  auch  hier  ein  Obergewicht 
aber  die  Dienste  und  Naturalleistungen.  Sehr  viel  trug  die 
fiskalische  Tendenz  der  normannischen  Monarchie  dazu  bei;  auf 
den  königlichen  Domänen  wurden  diese  meistens  schon  unter 
Heinrich  I.  in  Geld  umgewandelt 

Derselbe  Vorgang  findet  sich  im  Zollwesen.')  Ein  wich- 
tiges Vorrecht  der  Krone  war  das  Prisenrecht,  das  sich  in  natura 

')  Boad  i.  ■■  O.  Ü43      2*7.     ..Tlicy   also  acconndjlcd    Ihe  klngi    □(  England  «llk 

IMM  el  tfMtwy;  out  ihey  irwr  more  tortunaw  ihon  Oie  Jnri,  for  thfy  ttceii«!  meny 
norki  ot  (avDvi  and  ipprobilion.'  Laincin  a.  a.  O.  S.  )1.  ZtinicEiil  tonen  tit  licher 
CniAeB  Nuucii  iu  ilirtn  Dulchcfi 

*|  fk  d«  lolgend«:  Ochcnkoikl,  EtisIlKhc  WlHsdiifliKndilthtc    S.  »H. 

«)  Kamt.  HanMoBcWn.    S.  XXXVf. 

ArcHIv  tOr  KuUonErKhldiW.    II.  10 


138  Oeorg  Orosch. 


I 


I 
I 


für  den  Wein  erhalten  hatte  bis  in  die  Zeit  Eduards  I.  Von 
jedem  Schiff  nämlich,  das  mindestens  10  FaB  bradite,  stand  dem 
König  ein  Faß  zu,  wofür  er  gewöhnlich  1  £  zahlte,  was  zur  Zeit 
Eduards  I.  etwa  der  Hälfte  des  wahren  Wertes  entsprach.  In  ■ 
der  carta  mercatoria  setzte  der  König  für  die  Weinprise  einen 
Einfuhrzoll  in  Geld  fest,  für  jedes  Faß  2  s-,  die  sogenannte 
Butlerage.  Ferner  hatte  er  1275  mit  Zustimmung  des  Parlaments 
für  die  Ausfuhrwaren  einen  bestimmten  Zollarif  aufgestellL  In 
älterer  Zeit  war  woh!  auch  bei  der  Ausfuhr  eine  Abgabe  io 
natura  zu  leisten;  sie  war  abgelöst  worden  durch  eine  schwankende 
Abgabe  in  Geld,  gewöhnlich  6^/1  bis  10  Prozent  des  Wertes. 
Eduard  I.  fixierte  den  Ausgangszoll;  er  betrug  für  die  wichtigsten 
Exportartikel:  V,  Mark  für  jeden  Sack  Wolle  oder  300  Wollfelle 
und  1  Mark  fQr  die  Last  Häute. 

Eine  noch  bedeutsamere  Reform  Eduards  I.  indes  ist  die 
Regelung  des  Schuldwesens; ')  diese  besonders  ist  ein  Beweis  da- 
fijr,  daß  nunmehr  ein  regerer  Geldbetrieb  eingesetzt  hatte.  Das 
häufigere  Eingehen  von  Obligationen  sowohl  seitens  der  Krone 
als  auch  seitens  der  englischen  Bürger  verlangte  dringend  einen 
stärkeren  rechtlichen  Schutz  des  Gläubigers  dem  Schuldner  gegen- 
über, zumal  die  Gläubiger  gewöhnlich  Ausländer  waren.  Sollten 
sie  von  den  Geldgeschäften  nicht  für  immer  abgeschreckt  werden, 
dann  mußte  man  dafür  sorgen,  daß  der  gesetzliche  Schulz  ihnen 
ihre  Dadehen  genügend  sicherte.  Eduard  I.  führte  dies  durch  in 
dem  ifStatutum  de  mercatoribus",  das  vereinbart  wurde  im  Par- 
lament von  Acten -Bumell  128J  und  Ergänzungen  erfuhr  im 
Parlament  von  Westininster  1285.  Nach  diesem  Statut  wurde 
die  Obligation  durch  öffentliche  Eintragung  entweder  beim 
Mayorsgerichl  oder  bei  den  königlichen  Gerichten,  dem  Kingsbench- 
gerichlshof  und  der  königlichen  Schatzkammer,  rechtlich  gesichert 
Ebenso  wurde  die  gerichtliche  Geltendmachung  der  Forderung 
und  der  etwa  daraus  entstehende  Schuldprozeß  zum  Vorteil  der 
Fremden  wesentlich  erleictitert  und  beschleunigt. 

Den  Übergang  von  der  Natural-  zur  Qeldwirtschaft  könnte 
man,  wenn  man  das  Ergebnis  der  letzten  Darlegungen  zusammen- 
faßt,   für  England    in   die   Regiemngszeit   Eduards   I.   verlegen, 

■)  Knnn,  Kantcalitcn.    S.  XXVUltl. 


Geldgeschäfte  hansischer  Kauncul«  mit  engÜscticn  Königtn.     i59 


ohne  daß  man  natürlich  für  eine  solche  Eittwicklung  ein  be- 
stimmies  Jalir  oder  Jahrzehnt  festsetzL')  Etwa  um  die  Wende 
\oni  13.  zum  14.  Jahrhunderl  hatte  sich  der  Übergang  vollzogen; 
schon  Eängsl  vorbereitet  beherrschte  von  da  ab  die  geldwirt- 
schaflliche  Tendenz  die  Ökonomie  des  englischen  Volkes,  und 
wem  auch  im  14.  Jahrhundert  noch  einmal  eine  Reakiior  ein- 
setzte,-) wahrscheinlich  eine  Folge  der  durch  die  Pest  hervor- 
gerufenen Entvölkerung,  so  bezog  sich  diese  doch  nur  aufs  platte 
Land  und  mißglückte  auch  da. 

In  den  Städten  behauptete  sich  seit  Eduard  I.,  dessen  Re- 
gierungszdf ein  englischer  Darsteller  als  nzenith  of  mediaeval 
prospcrily"  bezeichnet.^  siegreich  die  Qeidwirtschalt;  hier  zeigt 
sich  von  da  ab  ein  gewaltiger  Aufschwung  auf  allen  Gebieten. 
■The  end  of  Ihe  thirleenth  and  beginning  of  the  fourteenth 
Century  may  by  taken  as  the  cultninating  point  of  a  long  period 
of  steady  and  solid  progress.*)  The  towns  which  were  the  centres 
of  commercial  life  were  prospering  greatly,  and  niany  of  Ihcm 
had  sccured  füll  powers  of  self-government.  So  much  attention 
had  been  given  to  the  good  govemment  of  the  country  generally 
thal  intercommiinication  was  more  easy  and  commerce  more 
secure.  Muntcipal  regulations  were  nol  sensibly  weakened,  because 
thcy  were  reinforced  and  their  scope  extended  by  parliamentary 
authority.    So  far  both  these  powers  were  working  harmoniously 


>|  Der  Obcrmnt  von  der  Nituril-  lur  OcldvirUchafl  in  EnEland  Ist  vcin  mir  hier 
lehr  frilh  angocUI  Toiden.  Die  Begründung,  die  ich  ittii  gebe.  mflDlc  viel  mclir  tot 
rirxMJnr  grhrn.  um  meine  B-rhaiiptung  vollitindLg  zu  beveifon,  iloch  dis  vürdr  über  den 
Rahmrn  der  vorUtjendcn  Arbeit  »dl  hinauseehwt.  Allgemrin  machte  ich  hetneTlicn,  d*S 
Run  IBr  lolrhe  Tiluchtn  der  EnlTicklung  Ittl  iW\  einen  viel  zu  späten  Zeltraum  fd- 
■dili  man  i;<  nänilirh  nur  zu  xhr  genrlict.  doi  tIMiepunkl  einer  EntrlcklunK  ili  denn 
E)iirclibrudi  ancijichcn.    So  a^  beUpicIiiFci»  Ocheitkonki   (a.  a.  O.  S.  11):    lEi  cntei- 

Utgt  kdncBi  Zvcitd.  dali  im  14.  Jahrhundert («ird  verschicJcno  jtngeführt)  .... 

nf  einoi  ForlschrJH  und  tut  einen  dnrdiEChlagenden  EinduB  da  geldvirtithillliclini 
Spttm  deulel.  Sa  tmmktnnbir  und  enUckietten  «Ich  die  Züge  der  erräbnlen  Tenden; 
•Or  MlUcin  AuEeti  di[><clleii,  tu  iil  üict  dennoch  eine  Tcndtnz,  ein  erst  tidi  ciilsillirintler 
Pnnd  und  keinei^egv  eint  volUndeit  T«isJiclic*  Vgl.  luclt  W.  Slolfc,  Zur  Vorgochichle 
dH  Buenikii«gc4  (Sehinollers  Fonchungtn  Band  XVIII,  Hefl  t).  der  die  Epoeht  der 
•mn«)!*  OrldvfrHchiiFI  -  vms  er  darnit  meint,  itl  ilwi  xilil  selbet  nicht  sum  \\.u.  vle  J* 
tdne  gante  Arbeli  ahnf  hnondem  Ergehnit  itl,  Studien  loltlc  inui  nirhi  «en^llenl liehen  — 
fii  Dnflichland  crsi  mil  dem  1»  Jahrhundert  ticelnncn  läül  (S,  I)  und  daiu  kunoicr  Vciie 
beoKtta:  .Die  Avfhcbuni;  der  Pjitnmoni4l£ehchttbari>ei1  cifuli^c  betuintlich  ertl  tBtd  in 
Prtn&n.'   lEbendi  Ancn.  1  )   Siehe  lu  dleier  Ftttge  meine  AusfQhrungm  in  Abtctin   11  u.  IM. 

»I  Ochenlio«sld  S.  tJH, 

'l  Cunninsham  ».  ».  O.  chap.  94. 

t  Dieacr  rurtsdirill  tsl  eben  dtr  CbcrEUiE  nt  CcMiirBclulL 


on   the  whole,   and    there   werc   admirable   social   fadlities   for 
commercial  and  industrial  progress." '] 

An  dieser  Entwicklung  hatten  die  Fremdkau fleiite  großen 
Anteil;  ihnen  wiederum  kamen  die  Reformen  und  Neuordnungen, 
die  in  dieser  Zeil  vorgenommen  wurden,  zugute-  So  hatten 
von  der  Regelung  des  Finanzwesens  und  der  Sicheretellung  der 
Gläubiger  in  erster  Linie  die  Italiener  Nutzen;  ihre  Interessen 
hatten  vielleicht  das  Agens  in  dieser  ganzen  Bewegung  gebildet 
Aber  mit  der  Zeit  fangen,  wie  schon  erwähnt,  auch  die  Hansen 
an,  sich  mehr  und  mehr  an  den  Geldgeschäften  zu  beteiligen. 
Aus  kleinen  Anfängen,  aus  unbedeutenden  Wechslergeschäften  mit 
dem  einheimischen  Bügerstand  wachsen  die  Darlehen  der  Hansen 
sich  allmählich  zu  großer  Bedeutung  aus.  Die  Italiener  hatten 
ihnen  vorgearbeitet.  Von  ihnen,  die  ja  überhaupt  im  Ocddent  ■ 
zunächst  neben  den  Juden,  dann  allein  das  Verständnis  für  das 
Geldwesen  und  eine  bessere  Finanzkunde  verbreiteten  -  denn 
den  Arabern  war  das  Abendland  verschlossen  -  haben  die 
hansischen  Kaufleute  hier  auf  englischem  Boden  gelernt,  derartige 
OeschÄfte  in  Angriff  zu  nehmen  und  durchzuführen.')  Daraus 
ist  es  zu  erklären,  daß  sie  unter  Eduard  111.  eine  Zeillang  das 
ganze  englische  Kreditwesen  beeinflussen,  daß  sie,  wenn  auch 
nicht  vollständig  und  mühelos,  die  Italiener  nach  dem  großen 
Finanzkrach  13.J9  zu  ersetzen  vermögen,  weil  sie  sich  mit  dem 
Finanzwesen  genau  vertraut  gemacht  hatten. 

Eduard  III.  selbst  knüpfte  nach  seiner  Thronbesteigung  an 
die  Fremdenpolitilc  Eduards  1.  an.  Der  Enkel  ist  dem  Qroß- 
vatcr  ja  in  vieler  Hinsicht  ähnlich,  nur  daß  er  seinen  Ehrgeiz 
nicht  durch  Regelung  der  internen  Verhältnisse  betätigte.  Er  i 
b^ann  vielmehr  Eroberungspläne  gegen  Frankreich  zu  schmieden; 
er  erhob  Ansprüdie  auf  den  fran!:ösi3chcn  Thron,  weil  er  als 
Sohn  einer  Tochter  Philipps  IV.  mehr  Anrecht   darauf  habe  als 


I 


I)  CuTinlnjihini  i.  >.  0.  5.  nt  I- 

■)  Auch  ä\r  F In;»» kund  irlll  firlmit  trln,  und  dat  Krtdllmni  iU  tnl  iu  Prodokt 
einer  tirmlidi  liuhcn  Kuliuntufc.  hin  Vnlk,  tUu  »di  dimil  IirfAÜIc,  h>ttc  3Üian  cinr  Ulli« 
CnlvtckluoK  hinter  ikh;  a  rnuAlc  du  ZcItiJlcr  der  Naluntvirudiafl  dptcliU'Ulcn  habcfl, 
ehe  s  in  die  Pertode  dei  OEldvlrlidmf  I  elnlrdm  kuiinle.  Diu  «ar  tovohl  der  Fall  bti  dem 
Jltcn  Kullurvntk«  d«  Judm  (vgl  Nfliminn  i.  «.  O.  S  7M>  alt  «itch  bei  den  lahmern,  dif 
dem  NoTdrn  t^iiropati  in  der  Kiilliii  voraui  vticii.  .Sic  lehren  den  Norden  die  nocli 
uobckuinte  Technik  dei  KcedlM  und  der  riiunikuntl,  der  Lotlctie  unü  drr  Tonlineti.* 
Sirfie  O.  Cohn,  Bd.  li.  S.  «<- 


Geldgeschäfte  hansischer  Kauflcute  mit  englischen  König«n.     \4t 


das  Haus  Valois,  denn,  das  satische  Erbfolgegeselz  erkannte  man 
in  England  nicht  an.  Daraus  entspann  sich  dann  der  mehr  aJs 
hundertjährige  Krieg  zwischen  England  und  Frankreich. 

Zu  seinem  Vorhaben  jedoch  bedurfte  Eduard  III.  vor  allem 
Qeld.  Deshalb  begünstigte  er  offen  den  Handel  der  F-"remden, 
die  Ein-  und  Ausfuhrzölle  bildeten  ja  die  Hauptquelle  der  eng- 
lischen Kroneinnahmen.  Außerdem  aber  waren  nur  die  Fremden 
imstande,  ihm  die  für  den  Krieg  nötigen  Oeidmittet  im  voraus 
zu  gewähren,  da  seine  Untertanen  sich  erst  unter  seiner  Regierung 
den  Geldgeschäften  zuzuwenden  begannen. 

Bereits  1 328  bestätigte  er  den  Kaufleuten  von  Aragon, 
Katalonien  und  Majorka  die  Fremdencharte:')  1329  erhielt  Dinanl, 
eine  Stadt,  die  man  allgemein  zur  deutschen  Hansa  zählte,  einen 
Freibrief,  der  mit  dem  den  Spaniern  verliehenen  Obereinstimmte,') 
und  1331  wird  die  carla  mercatoria  den  Spaniern  abermals  be- 
satigl.")  Immer  größere  Begtinstigungei  erfuhren  die  Fremden 
in  ihrem  Handel.  Als  bei  einer  Preissteigerung  der  Waren,  die 
man  auf  den  Zwischenhandel  des  Bürgertums  zurückführte,  die 
nichlstädtische  Bevölkerung  darauf  drang,  daß  alle  Bestimmungen, 
velche  einen  direkten  Verkehr  der  fremden  Kaufleute  mit  der 
ländlicher  Be\'ölkerung  entgegenständen,  aufgehoben  vürden, 
entsprach  man  1334  auch  dem,')  Im  folgenden  Jahre  wurde 
der  obligatorische  Zwischenhandel  der  Städter  vom  Parlamente 
aufgehoben.  Es  geschah  dies,  um  der  ausgebrochenen  Teuerung 
zu  begegnen.  Nunmehr  durften  alle  ohne  Ausnahme,  Fremd- 
kaufleutc  und  Inländer,  ihre  Waren  ohne  Einschränkung  auf  allen 
Markten  und  in  den  StAdIcn  an  beliebige  Personen,  sei  es  im 
Großen  oder  im  Kleinen,  verkaufen.  Damit  war  für  die  fremden 
Kaufleute  die  völlige  Handelsfreiheit  durchgeführt. 

Zwei  Jahre  danach,  im  Jahre  1337,  gehen  endlich  die 
Hansen  daran,  sich  die  carta  mercatoria  zu  sichern;  sie  lassen 
sich  dieselbe  zunächst  für  ein  Jahr  bestätigen.')  In  den  folgenden 
Jahren   geschieht  dasselbe,    und    1354   wird    die  Fremdencharte 


4  Hantischcs  ürkundrnbuch  [[,  4SI.    Ann.  i.    Knnic.  Hanioklcii.    S.  XIV. 

*>  HsDilKhn  Urkunilcnbuch  II,  4M, 

fj  HanilKha  Ürkundrnbuch  II,  *K.     Kam.   1. 

1  Kiin».  K«RtEiktcn.  S.  XV.    Oclienknvthl,  S.  9». 

^  Hantiithn  Uikuiidenbudi  U.  Bd.  No.  M3. 


i 


1 


t]  HunrKhn  Urlnindnbu^h  III   »d.  Nr.  ;as 

*i  ebenda  II.  Bd.  Anh.  I.  Nr  3!  und  Anm.  3 

')  VeI.  die  ScIiuldptainiE  gcKBi  'tiilcmui  von  l.lmberK  b«l  Kunir,  Hinxaicten 
16),  IM  und  itJ,  die  all  noch  nihct  kmnrn  Irrncn  vrcdci),  Kcmci  HaniJKtin  Urkiudm- 
buch  11.  Bd.  Anh.  I.  103. 

•)  KuntF.  Huiwiklai  IBl  iit  wohl  w  iv  vtniebtfu 

4  V£l.  R.  Pauli.  Onchichu-  von  England.  111.    i.  J»IT.    $  M»lr. 


( 


f  42  Georg  Orosdi. 

und   der  Freibrief  Eduards  II.  vom  Jahre  1317  als  einheitliches 
Privilegium  den  Hansen  zugesichert') 

So  hat  diese  Bewegung  zunächst  ihren  Abschluß  gefunden; 
auf  Grund  ihres  Privilegiums  konnten  die  Hansen  in  Ruhe  Handel 
treiben ,  und  für  die  Folgezeit  hallen  sie  nur  dafür  zu  sorgen, 
daß  ihre  Rechte  und  Freiheiten  respelcliert  wurden,  daß  man 
ihren  ..Staat  im  Staate"  in  Frieden  ließ. 

Unter  Eduard  III.  hatten  sie  einen  Angriff  kaum  zu  fürchten. 
Wie  die  meisten  der  groß  angelegten  Naturen  hatte  Eduard  IM. 
die  eine  Eigenschaft,  daß  er  sich  dankbar  erwies  gegen  die, 
welche  sich  um  ihn  verdient  gemacht  hatten.  Geht  er  darin 
doch  sogar  so  wdt,  daß  er  am  20.  Januar  1340  den  Esteriing 
Hildebrand  von  Dortmund  {Sudermann)  für  die  Ermordung  des  _ 
Estertings  Johann  Rustekyn  straflos  ausgehen  läßt,  weil  er  ihm,  f 
wie  aus  einem  Erlaß  vom  23.  Januar  desselben  Jahres  hervor- 
geht, pekuniär  verpflichtet  ist.'J  In  den  fünfziger  Jahren  erläßt 
er  dem  Tideniann  von  Limberg  mehrmals  Summen  bis  zum 
Betrage  von  5000  £, ")  die  die  Barone  des  Schatzamtes  noch 
nachlräglich  von  ihm  forderten,  und  nimmt  ihn  auch  sonst 
gegen  Schädigungen  in  Schutz,')  weil  er  ihm  in  den  vierziger 
jähren  so  gule  Dienste  geleistet  hat 

Doch  wenden  wir  uns  jetzt,  nachdem  wir  den  historischen 
Hintcrgnmd  des  näheren  geschildert  haben,  der  speziellen  Be- 
trachtung der  OeJdgeschäfte  zu. 

I.  Die  Geschichte  der  Geldgeschäfte. 

Die  Veranlassung  zu  den  Geldgeschäften  Johanns  mit  han- 
sischen Kaufleulcn  war  die  Unterstützung,  die  er  seinem  Neffen 
Otto  IV.  bei  dessen  Kampfe  mit  Philipp  von  Schwaben  um  die 
Kaiserkrone  zuteil  werden ,  und  dann  die  Übersendung  von 
Sub&idicngeldern,  die  er  an  Otto  gelangen  Heß,  weil  er  von 
diesem   bei  seinem  Kampfe   mit  Frankreich   unterstützt  wurde.') 


Ofldgeschäfte  hansischo'  Kautleule  inil  englischen  KOnigen. 


I  Der  König  Johann,  kleinlich,  wie  er  nun  einmal  war,  und 

W  gerade  das  Gegenteil  von  seinem  hochsinnigen  Bruder  Richard 
I  Löwenherz,  hatte  anfänglich  von  einer  tätigen  Anteilnahme  an 
I     dem  Geschick  seines  Neffen  nichts  wissen  wollen;   er   hatte  ihm 

■  zwar  eine  Summe  von  2  t  25  Mark  auf  Kaufleulc  in  Piacenza  an- 
'     »■eisen    lassen,    damit    Otto    seine    Ausgaben    in    der    päpstlichen 

Kanzlei  beslreilen  könnte,    doch   dabei    ließ  er  es  anfänglich    be- 

■  wenden.  Erst  als  er  in  den  Krieg  mit  Frankreich  verwickelt 
wurde  und  dabei  die  Hilfe  seines  Neffen  recht  notwendig  brauchen 
konnte,  trat  er  zu  ihm  in  ein  engeres  Bündnis.  Noch  im  Frflh- 
ling  des  Jahres  1202  ließ  er  sich  daher  von  seiner  Schatzkammer 
zu  Westminster  1000  Mark  auszahlen  2ur  schleunigen  Über- 
sendung an  Otto  IV.;  ferner  begünstigte  er  gerade  in  dieser  Zeit 
die  Kölner  Kaufleule  in  ihrem  englischen  Handel  in  jeder  Weise 
und  vrerpflichtete  die  Stadt  Köln  durch  mehrere  Briefe  für  seinen 

I  Neffen,  um  dessen  Stellung  in  Deutschland  zu  stärken,  i) 
Aber   für    Otto    folgte  Mißerfolg   auf  Mißerfolg;    auch    der 
Umstand,   daß  der  Papst  Innoccnz  III.    mit  seinem   ganzen  Ein- 
fluß für  ihn  eintrat,  vermochte  seine  Sache  nicht  zu  bessern. 
Als  schließlich   im  Jahre  1206  die  Stadt  Köln,   die   am   längsten 

(auf  seiner  Seite  ausgeharrt  hatte,  doch  dem  Hohenstauten  Philipp 
ihre  Tore  öffnen  mußte,  da  schien  für  ihn  alles  verloren.  Er 
hoffte  einzig  und  allein  noch  Hilfe  von  England,  und  deshalb 
begab  er  sich  1207  unter  dänischem  Schutze  persönlich  nach 
London.  König  Johann  hatte  ihm  durch  seinen  deutschen  Kämmer- 
ling  Dietrich  lOO  Mark,  die  dieser  bei  dem  flandrischen  Kauf- 
mann Waller  Sprok*)  zu  diesem  Zwecke  aufgenommen  hatte,  über- 
geben lassen  zur  Beslreilung  der  Reisekosten;  in  London  selbst 
stellte  er  ihm  eine  Anweisung  von  6000  Mark  an   seine  Schatz- 


I 


*)  HaaiiKbei  Urkandcnbuch  1.   Nr.  59;    Bricl  vom  }.  Juni  I30t;  cbcnii  Kr.  41: 
Brief  MMB  II.  A^l  120«;  cbend*  Nr.  60:  von  15.  Dnonber  UO*. 

■)  Haatixhet  L'iluindenbiich  1,  73.    Ihn  und  Simon  Stphir,  bddc  von  Oent,  hAl 

«  idwn  Ml  39.  Juli  >10t  von  ihrer  Scliuld  gtgta  dk  Ifinf  Hiltn  im  Kctrigc  von  100  Mark 
h<t|)Hllinliiii  .  .um  K6nig  Otloi  v111«i*  |Hani.  Urliiindcnbuch  i.  M>;  fbtnM  dm  Simon 
StfUt  Iftr  U  Mllfc.  rPhnidi  Ko.  U.)  ninr  tirldFn  Kiuflrtilc  vfrdm  von  Ihm  lutlridi^ni 
Ancb  Fnibrirtc  ichr  bcganiligl  <Vgl.  Mint.  Ilrkundoibuch  t.  r,t.  too  und  loe),  und  am 
M.  Hin  ttn  *itd  Sinion  SiphJr  lum  .kSnlglithtn  Kaufminn'  «minnt,  •und  Ihm  ici  gc- 
rtttHri,  biB  M  Sack  WnlEr  in  HngTand  anrukaufrn  und  nich  F1u>cT«m  ju  führm,*  (FbmdA 
Mb  tl.)  Obeldeh  dlsc  bddei  niclil  ipcilell  hitisiidi«.  stmdmi  liindriKhe  Kaufleule ilnd, 
Milai  9ire  OddstKliifS  mit  Jotunn  etvluemißcn  ili  EInfdIinins  d«ieesldll «crdm. 


karnmer  aus,  denn  der  König  hatte  durch  den  auf  einer  Reichs- 
vcrsammliing  zu  Oxford  am  2.  Februar  1207  ihm  gewähnen 
Dreizehnten  eine  Summe  von  etwa  30000  Mark  aufgebracht;') 
femer  lieferte  er  ihm  noch  seine  Reichskleinodien  aus,  damit  er 
sie  in  der  äußersten  Not  verpfänden  könnte.  So  weit  scheint  es 
aber  nicht  gekommen  zu  sein,  denn  schon  am  9.  Dezember  1207 
erhielt  sie  der  König  unangetastet  zurück. 

Aber  weder  diese  englischen  Hilfsgelder  noch  die  Begön- 
sligung  voit  seilen  des  Papstes  vermochten  der  Sache  Ottos  IV. 
zum  Siege  zu  verhelfen;  erat  die  Mordtat  Ottos  von  Witteisbach 
hatte  mit  der  Tötung  des  Königs  Philipp  auch  die  vorläufige 
Vernichtung  der  staufischen  Sache  zur  Folge.  Freilich  Geld 
brauchte  Otto  trotzdem  noch;  darum  begab  sich  gegen  Ende  des 
Jahres  120S  sein  Bruder,  der  Pfalzgraf  Heinrich,  nach  England 
und  kehrte  mit  einer  Summe  von  lOOO  Mark  zurück;  auch  in 
den  folgenden  Jahren  gingen  ständig  Boten  hin  und  her,  die  ge- 
wöhnlich in  finanziellen  Angelegenheiten  geschickt  sein  mochten. 
Der  englische  König  durfte  seinem  Neffen  gegenüber  nicht  karg 
sein,  denn  er  war  es  jetzt,  der  der  IJnterstüzung  im  Kriege  mit 
Frankreich  dringend  bedurfte.  Der  Ausgang  dieses  Krieges  ist 
bekannt;  durch  die  Schlacht  von  Bouvines  am  27. Juli  1214,  in 
der  Philipp  August  von  Frankreich  so  glänzend  aber  die  Ver- 
bündeten siegte,  war  deren  Sache  fCir  immer  verloren.  Infolge 
dieses  Schlages  vennochtc  Otto  IV.  auch  in  Deutschland  seine 
Stellung  nicht  mehr  zu  behaupten,  der  junge  Friedrich  erringt 
Erfolg  auf  Erfolg,  und  der  schwache  Widerstand  der  Weifen  ver- 
mag ihn  nicht  mehr  aufzuhalten. 

Die  Gelder,  die  nun  noch  Otto  IV.  von  seinem  Oheim 
empfängt,  dienen  mehr  dazu,  seine  Lebenshaltung  zu  verbessern; 
sie  sind  weniger  bestimmt,  die  Fortführung  des  Krieges  gegen 
den  staufischen  Nebenbuhler  zu  ermöglichen.  So  läßt  unmittel- 
bar nach  der  Schladtt  Johann  seinem  Neffen  1000  Mark  an- 
weisen, wahrscheinlich  um  ihn  vor  der  ersten  Not  zu  schützen; 
am  24.  November  I214  gebietet  er  dem  Bischof  von  Winion, 
seinem  Kanzler  Richard  von  Mariso  und  Wilhelm  Brewer  -  es 
waren  wohl  die  Vorsteher  der  königlichen  Schatzkammer  -  dem 

"i  Pudl  a.  ■■  O.  S.  au. 


rih 


Octdgesdiäfle  hati&isch«  Kaufleute  mit  englischen  Königen.     t4S 


Oberbringcr  Boidin  Lcne  200  Mark  auszuliefern  für  Walter  Sprok 
und  Simon  Saphir,  die  jene  Sunime  dem  Kaiser  Ollo  hatten  zu- 
gelien  lassen,')  und  am  23.  Januar  des  folgenden  Jahres  beauf- 
tragt er  Qerhard  de  Rodes,  Simon  Saphir  und  Walter  Sprok 
das  königliche  Geschenk  von  700  Mark  der  Gemahlin  Kaiser 
Ottos  auszuhändigen.  Er  verspricht  es  demjenigen  wieder- 
zuerstalien,  welcher  zuerst  mit  einer  Empfangsbescheinigung  der 
Kaiserin  nach  England  kommt.*) 

Heinrich  IIL,  der  auf  Johann  folgte,  hat  während  seiner  so 
langen  Rcgicrungszeit  mit  Hansen  wohl  nur  wenige,  vielleicht 
nur  einmal  Geldgeschäfte  abgeschlossen.  Als  er  sich  nämlich 
darum  bemühte,  mit  Friedrich  dem  Slaufer  in  engere  freund- 
scliaftliche  Beziehungen  zu  treten,  da  nach  dem  Tode  Ottos  (1218) 
das  Verhältnis  zu  den  Hohenstaufen  allmählich  ein  anderes  wurde, 
schickte  er  mehrere  Male  in  den  zwanziger  Jahren  des  13.  Jahr- 
hunderts Gesandte  nach  Deutschland.  Diese  hatten  fCir  ihren 
persönlichen  Bedarf  Anleihen  aufnehmen  müssen,  und  deshalb 
befiehll  Heinrich  III.  am  'j.4.  Juni  1225  seinem  Schatzmeister 
und  Kämmerer,  dem  Heinrich  Lupus,  Kaufmann  aus  Groningen 
aus  dem  Lande  des  Kaisers,')  40  £  auszuzahlen,  welche  er  tOr 
die  in  königlichen  Angelegenheiten  in  Deutschland  weilenden 
Abgesandten,  den  Bischof  von  Cirlisle  und  Colin  de  Molis  ver- 
wendet hatte,  ferner  20  Mark  als  Ersatz  für  die  um  den  Lon- 
doner Kanzler  Heinrich,  der  in  derselben  Sache  tätig  war,  ge- 
habten Auslagen.*) 

Ob  hansische  Kaufleule  irgendwie  als  Vermittler  oder  Über- 
bringer der  iOOOO  Mark  in  Silber,*)  die  nach  dem  beschworenen 
Ehekontrakt  Friedrich  der  Slaufer  infolge  seiner  Vermählung  mit 
Isabclla  von  Heinrich  IIL  in  bestimmten,  zu  London  fälligen 
Raten  erhallen  sollte,  sich  beteiligten,  ist  nicht  bekannt;  vermut- 
lich hatten  nur  die  Juden  dabei  zu  tun,  die  ja  während  seiner 
Regierung  fast  ausschließlich  die  Geldgeschäfte  der  Krone  besorgten. 


^ 


^ 


■>  HmsiKlits  Urinindtntnidi   I,  tir.  Boidin  Leite  »t  du  Ktnlmann  >di  Cent. 
{Ebtnib  MV) 

))  KÜ»tuh«t  Urkunden  buch   I.  1II. 

^  Oddtbdtfe  für  llin:  Huuiwhet  Urlrnndenlxieh.  I,  itS;  101. 

4  H«Ml*ch«*  Urlnintlmbuch.  1,  N«.  tS9. 

■)  PmiU  «.  *.  O.  III.  S.  «1B,  s.  ma. 


r 


145  Georg  Qrosch. 


Denn  Geld  brauchle  Heinrich  111.')  ebensogut  wie  seine 
Vorfahren.  Angesichts  der  immer  wiederkehrenden  Auflagen  ist 
es  eine  unzutreffende  Behauptung,  daß  er  von  allen  Königen  seit 
der  Eroberung  von  seinen  Untertanen  die  wenigsten  Steuern  ge- 
fordert habe.  Auch  die  Outhaben,  die  ihm  noch  von  seinem 
Vater  her  zustanden,  trieb  er  darum  recht  sorgfältig  ein.  So 
befiehlt  er  am  I.  April  1227  den  Sherifs  von  London,  alle  in 
London  befindlichen  Güter  der  Kautleute  von  Vpern  sofort  zu 
arrestieren,  bis  diese  dem  Bischof  Paul  von  Wintoa  die  740  £ 
und  500  Mark  entrichtet  hätten,  die  sie  bereits  dem  König  Jo- 
hann  schuldeten,»)  und  am  18.  Juni  1237  bescheinigt  er  Gent 
den  Empfang  von  500  Mark  Silber  durch  Robert,  Vogt  von 
Bethune,  eine  Summe,  die  Gent  dem  König  aus  der  Zeit  seines 
Vaters  noch  schuldig  war,*) 

Unter  Eduard  I.  führen,  wie  schon  in  der  Einleitung  er- 
wähnt worden  ist,  die  Italiener  fast  ausschließlich  die  Geldgeschäfte 
des  Königs.  Nur  einmal  erfahren  wir,  daß  Eduard  1.  eine  An- 
leihe bei  hansischen  Kaufleuten  macht;*)  er  bekennt  sich  nämlich 
am  21.  November  1299  zu  einer  Schuld  von  500  Mark  Sierlingen 
gegen  Tyecard  Fleischer,  Hildebrand  Sconeweder,  Arnold  Wasscmod, 
Ekbert  von  Werle,  Richard  Swerre  und  die  fibrigen  Kaufleufe 
von  der  deutschen   Hansa. 

Im  Vergleich  zu  den  großen  Summen,  die  Eduard  l.  den 
Italienern  schutdele,  ist  dieses  Geldgeschäft  recht  unbedeutend, 
und  CS  ist  nur  insofern  bemerkenswert,  als  nich^  nur  eine  Gruppe 
von  fünf  Kaufleutcn  dabei  beteiJigt  ist,  sondern  daß  auch  die 
übrigen  deutschen  Kaufleule  von  der  Hansa  als  Darleiher  genannt 
werden.  Bei  einem  Rückschluß  auf  die  Kapitalkraft  der  Hansen 
stellt  sich  diese  als  recht  mäßig  dar. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  den  Ausfuhrhandel  in  dieser 


i>  O  Cobn.  Synm\  der  NitionilAkonanile  ttd.  H.  S.  681  Hhdnt  docb  zu  Qbo- 
trdticn,  »cnn  er  uj-l:  .Der  tnte  Köiiiic,  von  driwti  Sctiuldm  dk  Qiirlim  Ix-nrliini,  ist 
Heinrich  III.:  ci  hatte  «llei  vcncUli  die  Kronjuvclcn,  die  SluUtewlndTi,  iclbit  den 
Rcliquioischieln  da  hHllgcn  Ediuxl ;  rr  hati«  «o  vitlr  Sctinlden.  dp^  rr  lanm  ätfrntlgch 
mrhflnoi  konnlr,  ohne  du  S«hmcn  irlncr  C1Utibl|;Tr  zu  hCVrrti;  |a  rr  sotl  Allrtiilich 
nkUit  haben,  er  sei  In  to  crnitrr  NoI.  daß  ci  li*tintierzl|jer  «el.  Ihm  Odd  tu  sehen,  ili 
einmi  Iklikr  an  üci  Hauaiurc*     Poiili  atflll  ei  «noiliich  andFis  du. 

*t  Ituuitchrt  Uikunddibucl:.  I.  No.  11t. 

't  Mtnilidi«  Urlaiibd*nbiKh.  I.  Na.  ZS4. 

<)  HtiufKhn  Urkund«nbuch.  1.  No.  i)ls. 


QeldgeschSfte  hansdsdier  Kaufleute  mit  englischen  Königen.     |4T 


I 


Zeil,  und  zwar  an  der  Hand  einer  Übersicht  über  die  Ausfuhr- 
lizenzen für  Wolle  von  1277  bis  Januar  1278,*)  so  finden  wir, 
daß  hier  die  Verhältnisse  ganz  ähnlich  hegen,  daß  an  der  Spitze 
der  fremden  Nationen  Italien  steht.  Seine  26  Kaufleiite  haben 
eine  Ausfuhr  von  42iS  Sack  Wolle  oder  etwa  SQ  "/o  des  ge- 
samten WoUe:iportes,  und  zwar  in  Lizenzen  bis  300  Sack,  im 
Durchschnitt  16J  Sack;  an  zweiter  Stelle  folgt  Frankreich  mit 
21,8  "/o,  die  Ausfuhrlizenzen  enthalten  im  Durchschnitt  46  Sack; 
dann  Holland  mit  20,8  "/n-  Erst  an  vierter  Stelle  steht  Deutsch- 
land; mit  37  KauHeulen  hat  es  nur  11,6  "/o  der  gesamten  Aus- 
fuhr, nicht  viel  mehr  als  das  Herzogtum  BrabanI,  dessen  20  Kauf- 
Icutc   tO,3  "/o  der  Gesamtausfuhr  haben. 

Doch  die  Verhältnisse  verbesserten  sich  zusehends  für  die 
hansischen  Kaufleute.  Bereits  1303  entrichten  sie  ungefähr  den 
dritten  Teil  der  Nova  cusfuma,  und  1310  war  ihr  Anteil  daran 
schon  auf  mehr  als  die  Hälfte,  auf  54  */„  gestiegen.*) 

Die  Unsicherheit,  die  die  ersten  Regierungsjahre  Eduards  II. 
für  die  fremden  Kaufleute  im  Gefolge  hatten,  wurde  bekanntlich 
für  die  Hansen  recht  bald  behoben.  1318,  also  ein  Jahr  nach 
der  Verleihung  des  Freibriefes,  nimmt  der  König  einige  Anleihen 
bei  den  Hansen  auf;  es  sind  dies  mehrere  Kaufleute,  die  Revele 
heißen,  und  die  walirscheinlich  miteinander  verwandt  sind.  Sic 
gen'ähren  dem  König  mehrere  Darlehen,  denn  im  Jahre  1337 
bitten:  Oodekin  von  Revele  eine  Summe  von  i  72  jC  1 1  s  4  d,") 
Hermann  von  Revele  20  X  Ss  9d,*)  ebenso  Ludebrecht  von 
Revele  14  £  i4  s  3  d,  Alwin  von  Revele  12  £  4  s  3  d,  Oodekin 
von  Hewdt  nochmals  123  £  11  s  9  d,  Qotfried  von  Revele  73  £ 
10  i^)  --  die  beiden  ersten  haben  das  Geld  dem  König  zu 
Boston,  die  anderen  zu  Kingston  upon  Hüll  geliehen  -  auf  die 
Woll-  u.  a,  Zölle  zu  verrechnen,  im  ganzen  sind  es  also 
416  £  8  s  2  d. 

Aber  einen  ganz  anderen  Umfang  nehmen  die  Geldgeschäfte 
an,  welche  die  hansischen  Kaufleute  mit  Eduard  III.  abschließen. 


>)  ZawRimcngCTltltt  bd    Kunic,    tlanwaklen.     No   }M.  S.   m.    Sldie   Anlife  1. 
Dmlidiluid  li(  hin  gkkhbrdfrutcnd  niil  dem  Gebiete  der  KuMi. 
q  Kuni«.  mn^nkttn.    Cinl    S  XLII 
^  fcinif.  Jlanspililrn    fo*. 
■)  Huslichd  ürkundcnbudi-  U.  Anh.  I.  N».  «. 
>)  Haiuiifbis  Urkunden  buch.  U.  Anh.  t,  1, 


1 


Ocorg  Orosciu 


Dieser  Zeitabschnilt,  in  dem  deutscht  Kaufleute  sich  nicht  nur 
her^'orragend  im  Großhandel  betätigen,  sondern  sich  auch  als 
gewiegle  Finanzleuie  mit  bedeutender  Kapitalkraft  und  großem 
Unternehmungsgeist  erweisen,  so  daß  sie  zeitweilig  die  ganzen 
Finanzen  Englands  in  der  Hand  haben,  gehört  dadurch  zu  den 
glänzendsten  der  deutschen  Hansa  überhaupt  Solche  Errungen- 
schaften auf  geschäftlichem  Qebiete  sind  jedenfalls  höher  zu  ver- 
anschlagen als  irgendwolche  kriegerischen  Großtaten  gegen  Räuber 
gewöhnlichen  oder  fürstlichen  Standes,  wie  sie  der  Verlauf  der 
hansischen  OeschicMe  ja  auch  aufzuweisen  hat 

Zwar  im  Eingang  der  Regierungszeit  Eduards  III.,  im  ersten 
Jahrzehnt  etwa,  sind  die  Geldgeschäfte  der  Hansen  noch  recht 
bescheiden.  Es  sind  nach  genau  so  geringe  Summen,  die  die 
Hansen  dem  König  leihen  wie  frQher,  und  wenn  etwas  daiaa 
aufföllig  ist,  so  ist  es  die  Saumseligkeit,  mit  der  die  Rückzahlungen 
geleistet  werden  oder  die  Anrechnung  der  Debita  auf  die  Wolt- 
zölle  geschieht  So  verlangt  Johann  von  Attendorn  Ende  Ja- 
nuar 1331  die  Summe  von  108  Mark  3  s  'i  d,  welche  der 
König  von  ihm  zu  Boston  entliehen  hat  und  für  die  I330  das 
Parlament  Zahlung  versprochen,  aber  nicht  geleistet  hat;  ^)  ebenso 
bitten  Godekin  von  Rcvelc  und  Konrad  von  Afflen  1328  den 
König,  eine  Summe  von  211  £  3  s  8  d,  welche  er  von  ihnen 
entliehen  hat  und  schon  vergangene  Ostern  halte  zurückzahlen 
mflssen.  auf  die  Woll-  und  anderen  Zölle  bei  ihrer  nächsten 
Ausfuhr  in  Boston  verrechnen  zu  lassen.*) 

Noch  kleinere  Summen  finden  sich  in  der  Aufzählung  der 
Kaufleute  aus  Boston,  die  dem  König  bei  seiner  Landung  Geld 
geliehen  haben,  worunter  die  deutschen  Kaufleute  Johannes  de 
Raceburgh  mit  14  Mark  2  s,  Heinrich  Hellewaen  mit  19  Mark 
9  s  3  d,  Herbert  Shepniarket  mit  15  Mark  10  s  4  d  und  Hein- 
rich de  Souch  mit  19  Mark  3  s  1  d  erwähnt  sind.')  Diese 
werden  einfach  das  dargeliehen  haben,  was  sie  ohne  besondere 
Mühe  entbehren  konnten;  es  galt  für  sie,  nicht  etwa  ein  Geld- 
geschäft   zu    inachen,    sondern    den    König   mit   Oeldmilteln    zu 


>)  lUralscliti  Urknnümbuch,  it.  Bd.  Nr.  «9». 

*Ö  KmUT,   lUntnklcir.  9>. 

^  HuttilchM  UrkundenbiLch.  [I,  Bd.  Aoli.  I.  Ko.  I. 


Oeldgeschifte  hansischer  Kaufleufe  mit  englischen  Königen.     149 


unterstützen,  um  sich  dessen  Dankbarkeit  zu  sichern.  Auch  die 
Befehl«  zur  Abtragung  königlicher  Schulden  vom  16,  Oktober 
und  1J.  November  1J31')  an  zwei  Konsortien  deutscher  Kauf- 
leute —  die  Hauptbeteütgten  bei  dem  einen  sind  die  Revele  und 
Johann  von  Attendorn,  bei  dem  andern  die  Ktipping  und  Johann 
alte  Wolde  -  beweisen,  daß  die  Deutschen  noch  keine  größeren 
Geldgeschäfte  machteUj  denn  bei  deip  einen  beteiligen  sich  acht 
Kaulleule,  und  sie  geben  im  ganzen  ein  Darlehn  von  255  Mark 
4  s  I  Heiler. ») 

In  den  nächsten  sieben  Jahren  hören  wir  von  Geld- 
geschäften zwischen  Hansen  und  dem  englischen  Könige  gar 
nichts.  Eduard  111.,  mit  den  Vorbereitungen  für  den  Krieg  mit 
Frankreich  beschäftigt,  die  ganz  beträchtliche  Summen  verschlangen, 
hatte  sich  zunächst  mit  den  Florentinern  eingelassen,  die  fa  seit 
Eduard  1.  die  Bankiers  der  Krone,  die  «mercatanti  dcl  Rc"  waren. 
Es  waren  hauptsächlich  die  Bankfinnen  der  Bardi  und  Peruzzi, 
die  dem  König  in  ausgiebigster  Weise  Darlehen  gewährten.') 
Die  bedeutendere  der  beiden  Banksozietiten  ist  die  Compagnie 
der  Bardi,  die  schon  vor  1305  in  päpstliche  Dienste  getreten  war. 

Dieses  Jahr  wurde  dann  für  sie  von  größter  Bedeuhmg 
denn  mit  der  Verlegung  ihrer  Residenz  nach  Avignon  hörten  die 
Päpste  auf,  nach  der  Herrschaft  Über  Toskana  zu  streben;  es 
war  nun  für  sie  gJeichgflltig,  welche  Bankfirma  den  meisten  Ein- 
fluß ir  Florenz  hatte.*)  Nicht  politische  Rücksichten  waren  mehr 
maßgebend  in  der  Wahl  der  Bank,  die  die  Geldgeschäfte  und 
die  Kollekteni  der  Kurie  besorgen  sollte,  sondern  es  entschied 
nur  noch  die  Finanzmacht  der  betreffenden  Sozietät.  Es  gelang 
darum   den   Bardi,   vi  qualc  crano   slati   i   maggiori   Mercatanti 


>|  HanliK})«*  Urlmnilenbiidi.  11.  Bd.  Anh.  I.  No.  1  und  «benda  No.  HM. 
*]  K*.  506. 

•1  Vßl,  oboi  die  EioIcituiiE  S.  täS— 137,  Fcroir  Ocotg  Schneidet,  Die  fininiWlai 
Baithaagtn  ätt  florcnlbg (chrn  Baniiitfri  lur  Kircht  11SS  hli  1304,  Schimnllcn  «luit-  und 
wd*l*;uflisclialllic:h<r  roiM^huiiKni  Dd.  XVJI.  Heft  i.  Lci|iiU  ^»99.  S.  I..  Prnuii, 
iBiDrtidcI  cmiiDiCTcio  <  dd  banchieri  i!i  Fircn«  konnte  nidii  beigaogen  irerdro.  dt  et 
frcB  mchiniilliicr  Reklamation  vum  italioiiichen  Vctkucr  nichl  lu  bekommen  wat;  o 
«dtdal  Tcrgrilhn  t-u  idii, 

*)  tnA  der  hrlditum  auch  pclltlaclic  Midii  ichaft»,  datür  iil  dai  bcate  Beiapld 
dk  (plkre  HemdiatI  der  Mtdlci  lii  Rorcni.  Cbcr  dai  potilltclic  Hcrvorlreten  der  BanU 
«gl.  Stip.  XrnmlnM  litoric  florcntln;  (Fimur  MDCXXXXVK)  Congiun  de  Bardi  * 
rnicdbaldl.    L.  IX.    S.  4)6.    Fem»  3.  *Jt.1..  S.  «ii  ir. 


d'ltalia",')  bald  über  alle  Nebenbuhler  am  Hofe  zu  Avignon 
emporzusteigen,  denn  sie  waren  -  von  den  Peruzzi  zunächst 
abgesehen  -  den  andern  Banken  weil  überlegen,  besonders  seit 
sie  die  Spini  aus  dei  Geschäften  des  Papstes  und  vom  päpst- 
lichen Hofe  überhaupt  verdrängt  hatten.  Andere  Finnen,  die 
nicht  mehr  mil  iJinen  konkurrieren  konnten,  schlössen  sich  nun 
einfach  an  sie  an,  so  z.  B.  das  bedeutende  Haus  Femicci,  dessen 
einer  Sozietär,  Niccolo  Femicci,  die  Bardi  später  in  Avignon 
vertrat.') 

Die  Sozietät  Bardi  bestand  —  nach  dem  Geheimbuch  dieser 
Gesellschaft")  _  -  aus  15  Sozien,  darunter  10  Mitglieder  der 
Familie  Bardi  und  als  ein  weiterer  Haupibeteiligter,  nämlich  mit 
12717  libr.  Einlage,  Boninsegnia  Angiolini  Malchiavelli.  Die 
Gesamtsumme  der  Einlagen  beliefen  sich  am  1.  Juli  1310  auf 
91307  libr.  (d.  h.  auf  etwa  ebensoviel  Florenen).  Das  varen 
aber  nur  die  Einlagen  der  Sozietäre,  nicht  etwa  das  üesamt- 
kapital,  mit  dem  die  Gesellschaft  arbeitete.  Es  kamen  hinzu 
umfangreiche  Qeschäftseinlagen  in  Form  von  Depositen,  die  je 
mit  6  oder  7  v.  H.  verzinst  —  die  Verzinsung  wurde  natürlich 
als  donum  bezeichnet  -  und  außerdem  mit  einem  Anteil  am 
Gewinn  bedacht  werden.*) 

Diese  Depositen  in  19  Posten  betrugen  257S1  libr.,  wozu 
aber  noch  erhebliche  Depositen  bei  den  Filialen  hinzugekommen 
sein  müssen;  im  Geheimbuch  wird  nur  die  Zentrale  aufgeführt 
Während,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  das  Siammkapilal  der 
Gesellschaft  sich  nicht  viel  über  die  oben  erwähnte  Höhe  erhob, 
scheinen  die  Depositen  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr  zuge- 
nommen zu  haben,  denn  es  bemerkt  in  bezug  auf  die  Summen, 
die  sie  dem  König  von  England  vorschössen,  Villani:  «E  nota, 
che  i  detti  danari  non  erano  La  niaggior  parte  delle  dette  com- 


t)  Sa  btHichnct  lie  Olavuinl  Vlltonl  (Hiitflr!«  PieToilinr.  Renim  lltllcarum  5l  S. 
Tom.  VIII,  Meliolanj  MDCCXXV111  S.  t»<),  ätt  ttlbM  «n  dn  So'lütM  ürt  Ptniü 
beteniei  lii. 

t)  O.  SchRdder  a   ».  O.  S.  71.    Anm.  2     Arrh.  iter  Kil.  IV.  p.  463,  «60, 

*)  R.  Oivtd.Dlin,  ForKhunKcn  lur  Onchicklf  von  Klorm».  Berlin  ISflfi,  III.  M. 
S.  301 ;  Qchetnibuch  der  Soildil  Hunll. 

«)  Für  du  OocUttitüir  vum  1.  Juli  Uli  t>l*  iü.  Juni  IStS  nnkn  al*  Supcr- 
gwinn  6hrt  die  Veniniung  an  die  Deponenten  &  v.  H.  aiUB^tthll,  Hmll  Insgetunt 
II  bli  11  V.  II. 


Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleute  mit  englisciien  Königen. 


I 


pagnie:   An/i   gli    baveano    in   acccmanda  e   in    diposito  d!    ptä 
ciltadini  e  forestieri".'} 

Am  27.  August  iit4  ernennen  die  Oesellschaften  der 
Sozietät  Prokuraloren,  sämtlich  Florentiner  Kau  deute,  und  zwar 
für  England  fünf,  für  Flandern  sechs^  für  Frankreich,  Champagne, 
Paris  vier,  unter  diesen  ein  Mitglied  der  Familie  Bardi;')  als 
die  Gesellschaft  am  i.  Juli  1320  erneuert  wird,  betragen  die  Ein- 
lagen der  sechzehn  Sozien  149  796  libr.')  Daß  sie  auch  kleinere 
Geldgeschäfte  nicht  verschmähten,  gehl  hervor  aus  einem  Doku- 
ment vom  9.  Juni  1311,  das  besagt,  daß  sie  an  den  Prokurator 
zweier  Studenten  aus  England,  Robert  de  Halyton  und  Gualterius 
de  Hogheon,  die  in  Bologna  studierten,  97'/,  Qoldgulden  pro 
cambio  zahlten,  wofür  die  in  England  residierenden  Vertreter 
der  Gesellschaft  den  Gegenwert  erhielten.*) 

Gewissermaßen  ihre  SchwestergeseiUchaft  ist  die  Sozietät 
der  Peruzzi,  den  Bardi  in  einer  Weise  innerlich  verwandt,  daß 
ihr  gemeinsames  Operieren  gar  nicht  zu  verwundern  ist.  Frei- 
lich geschah  dies  bei  völliger  Trennung  und  Selbständigkeil  der 
beiden  Firmen,  sie  arbeiteten  einander  nur  in  die  Hand  und 
gingen  an  manche  Unternehmungen  bloß  gemeinsam  heran. 

Auch  das  Einlagekapital  der  Sozietät  des  Giotto  d'Amoldo 
Penizzi  bewegte  sich  etwa  auf  derselben  Höhe  wie  das  der 
Bardi,  es  betrug  in  den  Jahren  U03  -  1J08  124000  libr.*)  Am 
1.  November  1308  begann  die  Geschäftsführung  auf  Grund  eines 
n«uen  GeseMschaftsvertrages,  wobei  das  Einlagekapital  sich  auf 
130000  libr.  belief. ■)  Daneben  bestand  noch  die  Gesellschaft 
des  (Tomaso  de'  Peruzzi  e  compa.gni,  cambiatori  de  la  tavola", 
die  zwar  mit  der  ersteren  zusammenarbeitete,  doch  so,  daß  sie 
das  eigentliche  Wcchslergeschäft  besorgte.') 

Erneuert  wird  die  Sozietät  des  Giotto  Peruzzi  am  1.  No- 
vember 1^10,  und  zwar  mit  etwas  erhöhtem  Einlagekapital,  nütn- 


■J  VitiMll  a.  1.  O.  S.  Sitl. 

*)  R.  Dividsohn,  Forsdiunsm.  III.  Bd.  S.  Mi,  Ho.  MS. 

^  Ochninliuch  der  BanSi. 
1)  IHMldmhn,  Fll.  Bd.  S.  I19,  No.  «08. 
«)  Schntider  i.  i.  O.  S.  «i.  Anin.  i. 
1  tbtnda  S.  V>i :  Du  Ocliaiiiliu;;h  drr  Pertiiii. 

1  Zu  dincr.  vemiutd   Divldtohn,  habt  Vtllknl  Jtehftil,  ««II  er  unlti  dtn  Soiicn 
dd  andfrii  nicht  gcmnnt  vird.    Vielleichl  hat  «r  bloB  rin  t)«po(ituin  bei  ihnen  ingdtfl. 


Georg  Orosch. 


lieh  147000  libr.  Ferner  werden,  gelegentlich  der  Zinszahlung, 
diejenigen  encülint,  die  »(hanno)  tenuti  i  danari  fuori  dal  corpo 
del  la  compagnia",  also  die  mit  Depositen  Beteiligten;  doch  ist 
die  Qesamtsumine  der  Depositen  nicht  zu  ermitteln. 

Die  beiden  Gesellschaften  machten  in  den  ersten  Jahrzehnten 
des  14.  Jahrhunderts  glänzende  Geschäfte,  wie  aus  den  Gewinn- 
berechnungen hervorgeht,  die  sich  in  den  Geheimbüchem  finden.') 
Es  ergibt  sich  bei  den  Bardi  für  die  Jahre  1310 — MiO,  unter 
Ausschaltung  der  Periode  vom  1.  Juli  1320  bis  30.  Juni  1322, 
für  die  die  Resultate  nicht  ermittelt  werden  konnten,  als  Jahres- 
gewinn nach  Abzug  des  Verlustes  während  einer  Zweijahrsperiode 
(1313—1316  ein  Verlust  von  4,07  v.  H,)  etwas  Ober  20  v.  H.  im 
Durchschnitt.  Bei  den  Peruzzi  ergibt  sich  für  die  Zeit  von 
1308—1324  als  durchschnittlicher  Jahresgewinn  16  v.  H. 

Aber  bereits  in  den  30  er  Jahren  macht  die  Coinpagnie  der 
Peruzzi  recht  schlechte  Geschäfte;  so  hatte  sie  vom  i.  Juli  t331 
bis  I.  Juli  1335  5922S  libr.  10  sol.  a  fior.  mehr  Verlust  als 
Gewinn.  Den  Grund  hierfür  haben  wir  im  englischen  Geschäft 
zu  suchen.  Eduard  III.  nahm  sie  bald  so  in  Anspruch,  daß  sie 
außerstande  waren,  aus  eignen  Mitlein  alle  Anforderungen,  die 
der  König  an  s.ie  stellte,  zu  erfüllen.*)  Sie  halfen  sich  vorläufig 
damit,  daß  sie  sich  für  den  König  verbürgten,  um  Anleihen  bei 
anderen  Kaufleuten  zu  ermöglichen,  wie  aus  einem  in  Antwerpen 
ausgefertigten  königlichen  Erlaß  vom  11.  August  1333  hervor- 
geht.*) Eduard  III.  verspricht  in  demselben,  vier  italienische  Kauf- 
leute,  und  zwar  Gcrard  Bonenseigne  und  Dinus  Forsctti,  die 
Agenten  der  Gesellschaft  der  Bardi,  und  Johannes  Baroncd  und 
Thomas  de  Peniche  von  der  Gesellschaft  der  Pcnizzi,  welche 
sich  für  ihn  gegen  vier  seiner  deutschen  Gläubiger*)  verbürgt 
haben,  bei  etwaigen  Verlusten  zu  entschädigen. 

Dabei  wurden  die  Rückzahlungen,  die  ihnen  Eduard  III. 
leistete,   immer  seltener,  da  er  alle  Kroneinkünfte,   wenn  er  es 


')  Diit  nraiRnbctcchnung  in  dm   Oflifimbüclicni  iil  rine  *riit  unitbn'. 

q  In  dmrthrn  Lage  viren  trbher  auch.  6ie  üplnl.  wie  der  Pipct  tn  Ednvd  I.  von 
Eetlcnd  «chrcibl.    Band  «.  b.  O.  S.  IM. 

^  Kunic,  Kiniaklcn.  1D7. 

*)  \U  lind  dla  Hild«t>r«n(I  Sudttiiiiiin,  Hclnricli  von  Br«kc1,  lldnrich  Sudcrninitn 
und  Qnvinui  Smilhons.  dcn«n  er  für  Ihn  grtditple  i;ou  £  (rdr  Wolltuifuhr  von 
iviiichit  4i)i>  Sadc  vcnprocliM  halte. 


Oeldgschäfie  hansischer  Kauficule  mil  englischen  Königen.     \  53 


irgend  machen  konnte,  an  sich  zog  oder  anderen  verpfändete, 
um  von  diesen  Mittel  für  der  nunmehr  begonnenen  Krieg  zu 
erhalten.  Im  Jahre  1339  stellte  er  die  Zahlungen  an  sie  ganz 
ein.  »This  -slop  of  the  Exchequer"  must  have  aded  almost  as 
effectually  as  a  formal  expulsion  in  rendering  It^Iian  bankers 
unvilling  to  sojourn  in  England;  in  conjunction  with  one  or  two 
other  disasters  this  blow  served  to  shake  the  prosperity-  of 
Florcnce  to  its  very  foundafons." ') 

In  der  Tat  war  die  Finanzkraft  von  Florenz,  denn  hinter 
den  beiden  Banken  stand  fast  ganz  Florenz,  in  dieser  Zeit  nicht 
schon  derartig,  daß  der  Schlag  hätte  übent'unden  werden  können. 
Cekraclit  hatte  es  daselbst  schon  lange:')  dem  anfänglichen 
rapiden  Aufschwung  war  eine  schwere  Krisis  gefolgt.  So  waren 
die  Pulci  gefallen,  1308  die  Mozzi,  um  1310  die  Franzesi  und 
bei  der  Sozietät  der  Cerchi  bianchi  hatten  sich  Zahlungsschwierig- 
keiten eingestellt')  1312  hatten  die  Frescohaldi  Bankerott  ge- 
macht,') und  zum  13.  November  t32t  werden  die  Sindici  des 
Falliments  der  Sozietät  Cerchi  bianchi  erwähnt,  die  die  Commune 
ernannt  hatte.')  1326  fallierten  auch  die  Scalt,  nach  120 jährigem 
Bestehen  der  Firma. 

Am  schwersten  jedoch  wurde  Florenz  getroffen  durch  das 
Zusammenbrechen  der  beiden  bedeutendsten  Firmen,  der  Bardi 
und  Peru^zi,  das  im.  Januar  des  Jahres  1345  erfolgte;  also  noch 
5  Jahre  hatten  sie  sich  nach  der  Zahlungseinstellung  Eduards  111. 
gehalten.  Giovanni  Villani,  der  fCorentinische  Geschichtschreiber, 
der  bei  diesem  Bankerott  auch  sein  Geld  verlor  und  ins  Schuld- 
gcfängnis  kam,  berichtet  des  näheren  von  diesem  Vorgang:*) 

■  I^  cagione  fu,  ch'ellino  havieno  messo^  come  feciono  t 
Penizzi  il  loro,  e  I'altrui  nel  Re  Adoardo  d'lnghilterra,  e  in 
quello  di  Cicilia.  Che  silrovarono  aricevere  dal  Re  lornato  dalV 
06le  detta,  tra  di  capitale,  e  provisioni,  e  riguardi  fatti  loro  per  lo 
Re  piü  di  cento  otlanta  migliaja  di  marchi  di  sterlini.    E'  Peruzzi 

•)  Cunnlnclum  i.  ■-  O.  S.  in.  Ridiaril  Ehrrnbcig,  Du  Zdtiller  ätt  Függa. 
t  8dc.    jrM  11»     t.  S,  41. 

*)  5<hrnder  a.  a.  O    S   M, 

>)  B.  Dividsehn.  OehWmhiifh  Act  Prrazxi. 

<)  Woh]clIlc^~oteF<J(TMJllrrecl^llK.dlrllei^Eng1«K]n1tlh^«ll.  SI(lHS.tM. Amn.l. 

*)  OctKiatbMüi  der  Pcriuii. 

^  Oioiuini  Vitltni.  XII,  )4:  Del  laMinwnlo  dtllj  srinde  c  poMcnlc  Cixnptxnii 
de-Bwdi.    Duv  vgl.  XI,  B7. 

Arm*  far  Kultnrsnchichtc.   11.  1 1 


1S4  Oeore  Orosch. 

ptü  di  155  mJIa  di  marchi  di  slarlini,  ....  che  montava  piO 
d'un  miglione  e  565  mila  fiorini  d'oro,  che  valeano  un  Reamc 
Die  Bardi  hatten  also  im  ganzen  vom  König  von  England  für 
ihr  Kapital,  ihren  Aufwand  und  die  ihnen  versprochenen 
Geschenke  etwa  900000  Qoldflorenen,  und  vom  König  von 
Sizilien  lOOOOO  Goldflorenen,  die  Penizzi  von  Eduard  III.  etwa 
600000OoIdflorenenundvom  KönigvOn  Sizilien  etwa  100000 Gold- 
florenen zu  beanspruchen.  Sie  waren  dagegen  den  Bürgern  und 
Fremden,  die  bei  ihnen  Depositen  gemaclil  oder  ihnen  Darlehen 
gewährt  hatten,  auch  beträchtliche  Summen  schuldig,  die  Bardi 
dwa  SSOOOO  Goldflorenen  und  die  Penizzi  etwa  350000;  da- 
ninler  waren  viele  kleinere  Compagnien  und  einzelne  Personen, 
die  nun  ihrerseits  wieder  fallierten,  als  die  beiden  Großfirmen 
ihre  Zahlungen  einstellten. 

Ein  wirkliches  Unglück  brach  deshalb  über  Florenz  herein. 
«Per  lo  quäle  fallimento  de'  Bardi  e  Penizzi,  e  degli  Acciajuoli, 
e  Bonaccorsi,  Cocchi,  Antellesi,  Corsini,  que'  de  Uzzano,  PerondoH, 
e  ptü  altre  ptccole  Compagnie,  e  singulari  artefici,  che  fallirono 
in  questi  tempi,  e  prima  per  gl'  inearichi  del  Comune,  e  per  le 
disordinale  prestanze  fatte  a'Signon,  onde  adietto^  fatta  menztone,') 
ma  perö  non  di  lutli,  che  troppo  sono  a  contare,  fu  alla  nosira 
Citti  di  Firenze  maggiore  rovina  e  sconfitta,  che  nuUa  che  mai 
havessc  il  nostro  Comune.«')  »E  questo  basti,"  schließt  VUlani 
seinen  Bericht,  »e  forse  che  troppo  havero  detto  sopra  qucsta 
vergnosa  niateria,  ma  no  si  dee  tacere  il  vero  perchi  a  fare 
memoria  delle  cose  notabili,  che  occorono,  per  dare  asemplo  a 
quelli,  che  sono  s  venire  di  migliore  guardia.  Con  tutio  noi 
d  scusiamo,  che  in  parte  per  lo  detto  caso  tocchi  a  noi  Autorc, 
onde  ci  grava  e  pesa,  ma  tutto  aviene  per  la  fallabile  fortuna 
delle  cose  tcmporali  dl  questo  misero  Mondo." 

Eduard  III.  mußte  das  für  die  Kriegführung  nötige  Geld 
nehmen,  woher  er  es  irgend  bekommen  konnte,  nachdem  die 
beiden  Florentiner  Bankfirnien  ihm  keine  neuen  Darlehen  mehr 


I 


<J  Du  «Un  firl  nitCirllch  bei  einer  tviclicn  Kiliis  «cbvcr  in»  Qcvickil.  wibrtni 
\«rdan  liU  Z*«ngMnleibcn  da  SudbtuI«  mll  Idthtcr  Mühe  «ufetbnchl  vmjcn  koanlcn. 
Übtt  drn  Kluihill  Um  Stadt  Florcni  vgl   Oiovjjini  Villani.  XI,  »1-93,  XU,  *I- 

>(  Amtnirato  S.  <»(  luHnl  ihnlich:  linptriwitg  «mza  powr  pmder  tiato,  öl  tm 
ncdaimu  tcmpo  %'  iatoe  l'  ulttnto  lalllmnita  <g  Bardi.  che  quui  iMorbi  OilU  le  Kdwue 
de  privib. 


OcldgeschäHe  hansischer  Kaufleute  mit  englisch«»  Königen.     155 


gewahren  konnten.  Einen  ßeisland  für  seine  finanziellen  Unter- 
nehmangen  hatte  er  schon  längere  Zeit  an  einein  seiner  Unter- 
tanen, dem  englischen  Groß  kauf  mann  William  de  la  Pole  ge- 
funden,') und  schon  am  to.  Januar  1338  erhallen  deutsche 
Kaufleiite,  unter  ihnen  Hildebrand  Sudermann,  Joh.  Klipping  und 
Heinrich  von  Revele,  Lizenzen  zur  zollfreien  Ausfuhr  von  im 
ganzen  600  Sack  Wolle,  weil  sie  schon  ienseits  des  Meeres  40  s 
für  den  Sack  an  William  de  la  Pole  gezahlt  haben.*)  Auch  die 
Weileren  Darlehen  desselben  Jahres,*)  am  12.  Mürz  350  £,  am' 
1 1.  August  1200  £,  am  20.  Okiober  [900  £|  und  am  8.  November 
400  £,  wofür  die  Kaufleute  Lizenzen  zur  Ausfuhr  von  [18O]  Sack, 
400  Sack,  460  Sack  und  200  Sack  erhalten,  sind  wohl  gleich- 
falls an  den  nunmehrigen  ..Kaufmann  des  Königs",  an  William 
de  la  Pole  geleistet  worden,  ebenso  wie  die  Summen  von  1000  £, 
800  £  und  163  £  6  s  S  d,')  die  der  König  im  nächsten  Jahre 
von  der  Hansen  zu  Antwerpen  aufnimml.  Von  den  1000  £, 
die  die  deutschen  Kauficute  Godekin  von  Revele,  Johann  von 
Klingenberg  und  Alwin  von  Revele  auszahlen,  wird  es  ausdrück- 
lich erwähnt*)  Ebenso  erhalten  am  10.  August  1339  die 
deutschen  Kaiifleute  Qodekin  von  Revele,  Wynand  von  Revele, 
Alwin  von  Revele  und  Konrad  von  Afflc  die  zollfreie  Ausfuhr 
von  600  Sack  Wolle  nach  Antwerpen  zugesichert,  «weil  sie  die 
custunia  und  das  subsidiuni  -  d.  h.  den  Zoll  -  unserm  lieben 
Kaufmann  William  de  U  Pole  zu  unserm  Bedarf  zur  Erledigung 
unserer  Geschäfte,  die  wir  jenseits  des  Meeres  in  unseni  Ländern 
führen,  bezahlt  haben".") 


<l  Er  I1I  ein  f-nifiniSet  »m  Klngstan^upnn-Mutl.  i]3iS  gcwslirte  er  dtm  KünlE 
lln  I>Mk(i«n  von  UM«  £,     Kun«.  Huiwalitni  109.    S.  74  \nin.  1. 

t)  Haniischn  U rkundmbiich    H    Bdr  Anh.   I,  Ni>,  A. 

))  )taniitchc3  UrkundaiLuch.  II.  Bd.  No.  MS.  Kunw,  Hwueakloi.  107  und  lOB. 
KuHiitho  Urkundcnbuch.  11.  Bd.  Anh.  1,  Nr   iD. 

*)  Kunze.  Hiniaktcn  10»    Hinsiich«  Urlninikntmch.  It.  Bd,  Anh.  I,  No.  i<  a.  S8. 

*)  Came  noni  (ornt  mandti  par  nai  lutm  IcttKs  t%  «titlun  df  not  mslumcs  cn 
fM  de  !■  une  de  Sciiil  Bolulfr.  glli  luctrreiil  nui  bicn  aiirn  Oudfkyn  ir  licvlc.  Johin 
4r  Orncniberch  tl  Alvyn  de  Kcvic  oii  Init  aiomra  ai  cclt(  p«rt)n,  itulls  puiKtiil  aklpo- 
Ol  <Bl  pott  cynk  <cnl  uki  de  leine  tl  mclnia  Ici  Icincs  tiUt  uiier  tmlque  u  poru  de 
d«c(a  U  mirr  um  cuilirmc  oii  lubiidr  rut  piirr  »noas.  par  cause  qUE  la  dilr  maicheuib 
SRI  paln  dcvinl  1>  mein  a  nn^Irr  ehlcr  marehnnl  Willlwn  6r  li  Hole  rs  parlin  de  (Ucm 
1  nocm  irpi  nilllt  li>Tn  pavi  \n  ciiituin«  dci  dites  trlnn,  utid  zvu  «0  i  lär  den  SmIi, 
alM  den  den  tnllndmi  bc«illii;lni  Vur'ujiaioll .    Kuntc,  tl.inKaklcn  109. 

*t  .  .  .  pru  ro  tiucjil  ipii  adoii  cuiiumim  et  lubiidlum  dltccM  noilto  WlUielmo 
dcb  Polcad  »pus  nosUuin  pro  cxpcdidonc  ciei^cloniiii  rosiiuium  In  [WiliLnu  InniouiInL 
MhtnaL    Kiuue,  tljinie*kten  KO. 

ir 


Georg  Orosdi. 


Das  Jahr  1339  i&t  schön  für  die  hansischen  Kaufleute  ein 
glänzendes,  denn  sie  erhahen  im  ganzen  Ausfuhrlizenzen  \-on 
5511  Sack/)  daninter  eine  einzige  von  1500  Sack,  eine  von  800^ 
mehrere  von  500  und  300  Sack;  eine  volle  Entfaltung  der  han- 
sischen Ocldkraft  bringt  aber  erat  das  Jahr  13+0. 

Schon  am  23.  Januar  dieses  Jahres  erfahren  wir,  daß  der 
König  in  seinen  überseeischen  Unternehmungen  dem  Hildebrand 
Sudermann,  Heinrich  Wale  und  Heinrich  von  Rc\'ele  1894  jC 
13  s  S  d  schuldet,  die  er  eigenUich  schon  im  November  1339 
hätte  zurückzahlen  müssen.")  Am  14.  März  bekennt  sich  dann 
der  König  als  Schuldner  von  Johann,  Sohn  Simons  von  Gent, 
und  Tideman  von  Limbcrg.  deutschen  Kauflcutcn,  für  ein 
Darlehen  von   1000  £.») 

Hier  erscheint  zum  ersten  Male  der  Mann,  der  für  das 
nächste  Jahrzehnt  an  fast  allen  bedeutenderen  Geldgeschäften  der 
Deutschen  mit  Eduard  III.  beteiligt  ist,  der,  wie  wir  noch  sehen 
werden,  auch  allein  und  selbst  in  Gemeinschaft  mit  Engländern 
Geldgeschäfte  mit  dem  König  abschließt:  Tideman  von  Limbcrg. 
Er  wird,  nachdem  er  einmal  in  diese  Bewegung  eingetreten  ist. 
so  recht  der  Träger  dieser  Geschäfte,  er  ist  die  Seele  aller  dieser 
Unternehmungen,  sein  Beispiel  reißt  seine  Genossen  mit  fort. 
Man  kann  ihn  darum  nicht  einmal  mehr  einen  Kaufmann  nennen, 
ein  Finanzgenic  ist  er,  ein  kapitalistischer  Unternehmer  größten 
Stiles  für  diese  Zeit;  Icein  Warenhlndler  mehr,  ein  QeldhSndler. 
der  Vorgänger  der  Fugger  und  Welser,  der  Baumgartner  und 
Gossembrot,  die  im  16.  Jahrhundert  den  Geldmarkt  beherrschten. 
Er  ist  unstreitig  der  bedeutendste  unter  den  Hansen ;  am  nächsten 
kommt  ihm  nicht  der  hjiufig  mit  ihm  genannte  Johann  atte  Wolde, 
sondern  Hildebrand  Sudermann,  aber  der  erreicht  ihn  auch  nur 
in  seinen  Untaten. 

Oleich  im  nächsten  Erlaß  des  Königs  finden  wir  Tideman 
von  Limberg  wieder  und  zwar  an  hervorragender  Stelle.  Der 
Wichtigkeit  wegen  muß  auf  dieses  Schriftstück  etwas  näher  ein- 


I)  Soviel  vmigilcns  iil  in  dem  varlltgoidM  UrkundcnmattriAl  utgrföhrt:  Hut- 
iltclir»  i;rkuiiiteiliucli  IT.  Rd.  Anh.  1,  No.  14-29.  Kun«.  miKMkttn,  to^-lil.  Vul-  die 
Zuummnulcl'unic  in  drr  Anligc  II. 

*t  MuiiiKhn  Uikunilcnbuch  11.  Bd.  Anh   [.  >I. 

»i  Eboid*  Anh.  I.  Ni.  14.    Obct  die  a«ldgach«lc  LIinbag*  v^,  die  Anlage  III. 


I 


gegangen  werden,  denn  durch  die  Urkunde  vom  8.  Mai  1340') 
werden  zum  ersten  Male  den  hansischen  Kaufleulen  die  englischen 
Hafenzölle  verpfändet. 

Dreizehn  deutsche  Kaufleute:  Heinrich  von  Muddepenyng, 
Tideman  von  Limberg,  Konrad  von  Affle,  Siegfried  Spissenaghet^ 
Alwin  von  Revele,  Johann  atte  Wolde,  Tirus  attc  Wolde,  sein  Bruder, 
Heinrich  von  Revele  der  Jüngere,  Johann  Klipping,  Hertwin  von 
Beck,  Wcssel  von  Berg  und  Konrad  von  Revele  haben  dem 
König  Unterstötzungen  und  Darlehen  jenseits  des  Meeres  gewährt, 
deren  Qesarntsumme  sich  auf  18100  £  erstreckt')  Ferner  haben 
sie  sich  verpflichtet,  in  Brüssel  zu  zahlen  4000  £  in  Qoldschilden 
TU  iSTurnosen  innerhalb  to  Tagen  von  dem  T^c  an,  wo  Kon- 
rad Klipping  in  Flandern  landet,  und  ebenso  4300  £  innerhalb 
1 5  Tagen  nach  jener  Bezahlung.  Dafür  verpfändet  ihnen  der  König 
die  Wollzölle  aller  englischen  Hlfen  bis  27.  Mai  1541,  nämlich 
40  s  för  den  Sack  Wolle  von  Engländern  und  Flandrem  und 
40  s  40  d  für  den  Sack  von  den  Fremden,  bis  sie  ihre  Summen 
und  die,  die  sie  ihm  noch  leihen  werden,  wieder  vollständig 
zurückerhalten  haben.  Als  Generalbevollmächtigte  sind  von  dem 
Konsortium  für  alle  Häfen  Tideman  von  Limberg  und  Johann 
atte  Wolde  ernannt,  was  der  König  durch  Erlasse  vom  selben 
Tage  seinen  Zolleinnehmem  kundtut.  Wohl  im  Anschluß  daran 
erhallen  sie  am  &.  August  1 340  eine  Ausfuhrlizenz  von  3386  Sack.") 

Der  Ausdruck;  Gesellschaft,*)  wie  «selschap"  oder  socictas, 
oder  ein  ähnlicher,  die  Gemeinschaft  der  darleihenden  Kaufleute 
bezeichnender  Ausdruck  wird  nicht  gebraucht;  und  doch  haben 
wir*«  hier  mit  einer  Handelsgesellschaft  zu  tun,  und  zwar  mit 
einer  «socictas  ccrtae  pecuniae".  Ihr  Zweck  war,  durch  gemein- 
same Geldmittel,  die  sie  zusammenschössen,  dem  König  eine 
Anleihe  in  einer  Höhe  zu  gewähren,  woran  ein  einzelner  unmög- 
lich hätte  denken  können.    Gleichzeitig  beireiben  diese  Kaufleute 


t)  Kwu«,  HiMolilen,  TI4.  Dai  Rc][eiI  aud:  HaiuJMhei  Uilnindrnbud),  U.  Bd. 
Kuh.  I,  H. 

<).-.«(  que  ia  toUi  »mputalii  ditnpni»  n  caiUbiu  IukIb  prcminm  et  nuninini 
TimfTinttft  ad  ISIDO  Ib,  »Icrlinitoruin  tt  aiiinsiiiit     . .  .  Kiintc,  KuiMikln,  IM. 

*i  Hiiutechn  Ürltundnibuch,  [l.  Bd^  Anh.  I.  No.  IT. 

■)  Vfl.  'duu  ] .  A.  O,  S<hmtdl,  Hinddsgctclltchaf'cn  in  deutschen  StultrKhti- 
(irlTm  ea  Mittelsten.  Oicrkn  [.'ntmnrhungeii  Hefl  M.  IDBl.  0«ld<chiii(dl,  Univcnal- 
»Hill Im  dt«  ttindrUrechb.  3.  Autl.  tasi.  ä  :;7i-I9il.  B«oiidErs:  W.SIIcda.  haniltch- 
natriuilKhc  Himilclibtilchungm  Im  15.  Jahiliundcn.    RMtock  M9t.    S.  37fl. 


l 


r 


lS8  Georg  Qrosch. 


und  fhre  Genossen  gemeinschafllich  Wollhandel,  sie  gleichen  also 
völlig  den  Bardi  und  Penizzi.  Nur  scheint  der  Zusammenhang 
der  deutschen  Qeselisciuft  zunächst  noch  viel  loser  gewesen  zu 
sein  als  der  bei  den  italienischen;  darin  liegt  wohl  der  Grund,  daß 
die  Bezeichnung  Gesellschaft  auf  sie  noch  nicht  angewendet  wird. 

Auch  für  die  Vereinigungen  zum  gemeinsamen  Wollhandel, 
denen  wir  vielfach  begegnen,  sowie  für  Konsortien  zum  gemein- 
schaftlichen Bergbaubetrieb  und  Handel  mit  Metallen ')  finde! 
sich  kein  gemeinsamer  Name;  es  werden  stets  die  einzelnen  Teil- 
nehmer namentlich  angeführt  FreiHchj  Gesellschaften  sind  es; 
innerhalb  der  großen  Genossenschaft  der  Hansa  haben  sie  sich 
gebildet  -zu  dem  Zwecke,  eine  Unternehmung  gemeinsam  durch 
gemeinsame  Geldmittel  und  Tätigkeit  zur  Ausführung  zu  bringen, 
um  höheren  Vorlei!  daran  zu  haben,  ats  ihn  Einzelmittel  und 
Einzelkräfte  erlangen   können".') 

Was  die  einzelnen  Mitglieder  dieser  Gesellschaften  anlangt, 
so  sind  sie  entweder  miteinander  verwandt  oder  zum  mindesten 
doch  einander  sehr  gut  Ijekannt,  da  sie,  wie  wir  noch  sehen 
werden,  derselben  Stadt  enislamincn.  Ganz  fremde  Kaufleute, 
auch  wenn  sie  Hansen  gewesen  «äreii,  wurden  nicht  zur  Gesell- 
schaft zugelassen,  die  Gesellschaft  war  ein  von  dem  gegenseitigen 
Vertrauen  ihrer  Mitglieder  getragenes  Verhältnis. 

Der  Vertrag  nun,  den  die  Gesellschaft  der  dreizehn  Kauf- 
leute  mit  dem  König  Eduard  III.  schlössen,  vor  allem  das  Ver- 
sprechen, für  ihn  S300  £  zu  Brüssel  zu  bezahlen,  war  für  ihn 
so  recht  Hilfe  in  der  Not  Bereits  halten  sich  die  Herzöge  von 
Brabant  und  Geldern,  seit  1337  seine  Verbündeten  gegen  Frank- 
reich, sowie  Otto  von  Cuyk  und  Simon  de  Haie  in  Brüssel  für 
Eduard  Ilt.  als  Geiseln  gestellt  Diese  befreite  Konrad  Klipptng 
durch  Bezahlung  jener  Summen,')  die  er  noch  14  T^e  vor  dem 
vereinbarten  Termin  vornahm.  Seine  Rückfahrt  nach  England 
beschleunigte  er,  weil  er  die  Anwesenheit  der  französischen  Flotte 
in    Zwijn    ausgekundschaftet   hatte,  *)    und    meldete   seine   Wahr- 

■)  Vgj.  unten  S,  M*t.  Nui  Tldcmui  von  Limbcrg  untcmlmint  olldn  tolche  Ot- 
tchinr.  die  in  dir««r  2dl  lonsl  nur  von  dncr  Ondlichall   untcniominai  ««rdtit  konntitn 

")  Sdiiniilt  1.  M  O.  S  (t. 

■)  Kunn.  Hantnikicn.  ti6  und  Anm.  ). 

*l  Vit).  R,  Paul].  Geschichte  von  Cngtind,  IV.  S.  3fi»ti.$.  371.  H>iubcbe»  Ur- 
ImndNibuch.  11.  M-  Knh-  I,  Mo.  4«,  Anin.  t. 


Geltleeschäfte  hansischer  Kitirieiite  mit  englischen  Königeti.     159 


nehmung  in  England.  Er  leistete  also  dem  englischen  König 
Spionendiemle,  die  diesem  sehr  zu  statten  kamen.  Denn  da 
man  nun  die  Stellung  der  französischen  Flotte  kannte,  siegle  die 
vereinigte  englische  und  flandrische  Flotte  bei  Sluys  über  die 
Feindin;  am  1.  September  —  die  Seeschlacht  hatte  am  24.  Juni 
stallgefunden  —  verpflichtet  sich  Eduard  Itl.,  dem  Konrad  Klipping 
als  Belohnung  und  für  seine  gehabten  Auslagen  187  £  10  s  9  d 
zu  bezahlen. 

Im  Vergleich  mit  den  Anleihen,  die  der  König  bei  den 
Italienern  gemacht  hatte,  mag  die  Summe  26  400  £,  die  ihm  die 
dreizehn  deutschen  Kaufteute  vorschössen,  etwas  gering  erscheinen. 
Aber  wenn  man  bedenkt,  daß  der  Verlust  jener  240000  £  eine  voll- 
ständige Deroute  in  der  florentinisehen  Bankwelt  zur  Folge  hatte, 
weil  fast  ganz  Florenz  sich  an  der  Aufbringung  derselben  beteiligt 
hatte,  wenn  man  femer  bedenkt,  daß  zu  jener  Zeit  das  Geld 
etwa  den  vierfachen  Wert ')  von  heute  hatte,  so  bekommt  man  doch 
alle  Achtung  vor  der  Kapitalkraft,  die  diese  1 3  Hansen  entwickelten. 
Außerdem  aber  hatten  sie  noch  beträchtliche  Summen  im  Woll- 
handel stecken,  denn  auch  den  trieben  sie  eher  verstärkt  als 
geschwächt  trotz  der  Anleihen  des  englischen  Königs  fort. 

Sie  waren  ja  auch  nur  die  hauptsächlichsten  Darleiher, 
denn  neben  ihnen  steht  der  König  noch  bei  vielen  andern,  bei 
Engländern,  bei  Flandrern  und  auch  bei  Deutschen  in  schuld. 
So  weist  er  am  2f.  Mai  1340  dem  deutschen  Kaufmann  Qodekin 
von  Revele  eine  Jahresrente  von  1  DO  Mark  aus  den  Zöllen  in 
Boston  an,*)  zahlbar  in  gleichen  Raten  Johanni  und  8.  September, 
dasselbe')  tal  er  am  10.  März  und  16.  Mai  1341  wieder  für 
Qodekin  von  Revele,  ein  Beweis  dafürj  daß  ihm  dieser  hansische 
Kaufmann  Geld  vorgestreckt  hatte.  Am  1S.  Februar  134+  über- 
trägt  er  auf  die  Bitte  des  Matbäus  Camaceo  eine  demselben  ver- 

1}  R.  Ptnli,  llt,  S.  «3     -Der  alte  Schilling  brtrlp  a  t  9%  d  moderner  Münie. 

iiEillgl ama  mm  «ndUcK,  diS  auch  dri  Prrli  dn  Waren,  obvohl  bin  g"  keine  itilittiu)i«n 

iiinCItKii  forllcstn,  dn  brdculmd  n<cilrlect  g^rrcscn  w!n  mtiD,  vic  man  vermutet  lünfmil 

'  atcdflccr  llf  der  Etgen  villi  sc,    m  vird  der  Werl   einer  Summe   im   l]  JaJirhuildetl   fast 

lÜHflllHllwIi   li^her   u:in  nl)   im    19   Jahrti^milrrl."     Avenel,    Hislnirc   ^nomique,  I,    S.  V 

te(llain(   dtn   Oeld*«n  von   mii-lint)    ftwx  xal  du  «lache,    von   I3M-1J5I1   auf  du 

iVitacfer  vom  Tieutlzm.  Atinlirh  K.  Limpiwht  [Cnnntti;  JahTbOcber.   N  F.  Hd.  XI-  S.  W) 

\m  II.  JahrtronileH  etva  ^-lUitial.  120O-T13D  rtva  ä-7inal,    11)0-1*04  cm  «mal  *o 

bodi  vk  heute 

t  Kunu.  H»niailif«i,  "s. 

^  HimiKhn  Urkunduibudi.  U.  Bd..  Anh  1.,  Nr.  41  ii.  58 


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liehene  Jahresrente  im  Betrage  von  50  £,  zahlbar  aus  den  Zöllen 
von  London,  auf  dessen  Gläubiger  Johann  atte  Wolde  und 
Tideman  von  Limbcrg. ')  Es  kommt  aber  auch  vor,  daß  eine 
jährliche  Rente  wegen  besonderer  Verdienste  vom  König  aus« 
gesetzt  wird;  so  z.  B.  werden  dem  Hermann  Klipping  für  die 
guten  Dienste,  die  sein  Oheim  Konrad  Klipping  dem  König  ge^ 
leistet  hat,  am  20.  Januar  1345  20  Mark  jährliche  Rente  zuge- 
wieser,') doch  werden  die  zuerst  erwähnten  Renten  wohl  wegen 
Darlehen  bestellt  worden  sein. 

Audi  die  Bardi  und  Peruzzi  sind  noch  am  Platze,  ihr 
völliger  Zusammenbruch  erfolgte  ja  erst  später.  1340  Übernehmen 
sie  es,  für  die  Überweisung  des  einjährigen  Steuerertrages  In 
verschiedenen  Grafschaften  Schulden  des  Königs  mit  Wolle  zu 
bezahlen,  den  Sack  zu  6  £  gerechnet;  es  erhalten  von  ihnen  die 
Kaufleute  von  Löwen  580  Sack,  die  Kaufleute  von  Mecheln  für 
6000  £  und  gewisse  deutsche  Kaufleute  für  1 900  £  Wolle  aus- 
geliefert') 

Daß  Bezahlungen  mit  Wolle  geleistet  werden,  Ist  gar  nidil 
selten.  Es  erinnert  dies  nur  wenig  noch  an  den  TauschhandeL 
denn  Wolle  war  ein  so  gesuchter  Artikel,  daß  sie  barem  Geldc 
einfach  gleichkam.  Das  ersehen  wir  besonders  aus  einem  dieser 
Geschäfte.  Der  König  schuldete  dem  Jacob  Sculteler  von  Brügge 
und  Cläre,  der  Gemalilin  des  verstorbenen  Michael  Joce  von 
Paris.  lOl  Sack  Wolle,  die  Tideman  von  Limberg  und  Genossen 
diesen  zustellen  wollen.*)  Dafür  erhalten  sie  die  Erlaubnis  zur 
zollfreien  Ausfuhr  von  500  Sack  Wolle,  sie  verdienen  also,  und 
es  ist  interessant,  daß  man  einmal  erfährt,  welchen  Profit  die 
Kaufleule  aus  diesen  Geschäften  ziehen,  dabei  rund  200  £,  da 
der  Einkaufspreis  des  Sacks  Wolle  6  £  beträgt.  Ferner  bezahlt 
auch  die  Gesellschaft  der  Leopardj  einmal  röckständigen  Zoll  in 


I 
I 


>|  Kunit,  Haniakim,  il«. 

*)  Hansiuhn  tlrlnindaibudi,  D.  ßi.,  Anh.  I,  >4  Dlne  grviiwTiiiallrn  stkundlrcn 
Vortrllr,  die  den  Kiurlniten  aui  thrrr  fininilelln  Tiltt|[kcl'  fnrtirhien,  finitm  vir  atieh  <n 
Ilillm.  Su  vrrlcihl  it-rncdici  XI.  an  t^rmio  di  Crtclil  dn  DRiEfii  «Irr  DIOzfk  IVnntt. 
an  tdncn  \'civiiidtTn  cino  dci  Diämc  Amio,  an  Pifro  di  Ctrchi  cini  «ut  Flciok.  Vgf 
O.  Sthneidcr  i.  n   O.  S.  JO, 

*)  KunR,  llan>c«liicn,  ii?u.  Anm.  t. 

•)  EbentUAnni,  1,    Vi^.  K  Bficher,  EriKtrhtiiii)  der  Volkivirtiduft    l.Aufl.  S  IM. 


Southampton  mit  59  Serpier  Wolle  an  Tideman  von  Limberg 
und  Genossen.  0 

Die  Wollzölle,  deren  Erträge  das  Konsortium  der  Dreizehn 
bis  zum  27.  Mai  1341  beziehen  sollte,  blieben  ihnen  über  diesen 
Termin  hinaus  verpßndet  Am  2.  Juni  1541  nämlich  weist  sie 
der  König  für  ein  Darlehen  von  2400  £,  das  sie  ihm  für  die 
Besoldung  des  Dietrich,  Herrn  von  Monljoie,  Falkenburg  und 
Voome,  Burggrafen  von  Seelard  vorgeschossen  haben,  auf  die 
Wollzölle. ■)  Dasselbe  geschieht  am  7.  Juni')  und  am  ll.  Sep- 
tember übergibt  ihnen,  wie  schon  erwähnt,  die  Gesellschaft  der 
Leopardi  59  Serpler  Wolle  als  Abschlagszahlung  für  rückständige 
Zölle  in  Southamplon. 

Durch  die  ziemlich  großen  Einnahmen  aus  den  Zöllen*) 
indes  wurden  die  Schulden  des  Königs  doch  erheblicli  gemindert 
lJ+2  haben  darum  die  Dreizehn  nicht  mehr  die  vollen  Wollzölle 
im  Besitz,  sondern  der  König  weist  ihnen  am  20.  Juni  von  den 
40  s  auf  den  Sack  Wolle  1  iVtark,  von  40  s  auf  300  Wollfclle 
1  Mark  und  von  den  6  Mark  auf  die  Last  Häute  2  Mark  an,*) 
und  ara  15.  September  verpfändet  er  ihnen  für  ein  weiteres 
Darlehen  von  tOOO  £  von  dem  Sack  Wolle  20  s,  von  je  300  Woll- 
fellen  20  s  und  von  der  Last  Häute  40  s,")  so  daß  ihm  immer 
noch  von  den  beiden  ersten  ^/,  Mark  und  von  der  Last  Häute 
1  Mark  zur  Verfügung  standen. 

Um  seine  Gläubiger  vor  Benachteiligung  zu  schützen,  setzte 
sie  Eduard  lll.  bei  der  Verpßndung  der  Zölle  in  den  Besitz  des 


>)  Kunir.  Huitciklcn,  ll-O. 

■)  hwisiKhcs  Urkunden  buch.  U.  Bd,  An1i.  I,  No.  S». 

t\  Ebwil«  Nu.  «. 

■)  Die    Voll-,    Voltfell-    und    Hiutn&llc    «inn     die    CLnindUgr    der   rngUKhcn 

XtDfirinniliniai.  fiii  drn  KAntg  bncindm  dcsholb  von  Wert,  wrll  a  dunii  niith  Ourdlinkm 
Iduliai  und  nltm  konnir,  ohne  dai  rarlamenl  bdiSEen  ru  mOuen.  ÜIkt  dir  Herde- 
Bad  WeldevtitKliKft  vgl.  Gehen hiiwski  *.  a.  O.  S.  :ilf. 

>)  HaiulKhR  Urkunden  buch,   II.  ild.,  An!)    1,  No    73. 

■l  K'mize,  Hinseflkten,  i'^i.    Die  Bercehnung  [il  falgcnde: 


Wolle 

Wflilfella 

Häul« 

Zon 

«1  =  3  Mtrk  =  2  £ 

40  i  =  3  Mark  =  i  £ 

80  »  =  ö  Marl  =  *  £ 

lU  Juni  Tltl 

n  s  t  d  ^  1  Mark 

n  1  4  d  ^  1  Mark 

26  s  S  d  ^  *  Muh 

i>.  Stpl 

tO  *  =  IVi  Mark 

10  t  =1  I  >()  Mark 

*a  t  ^  3  Mark 

Rcft 

»»»i  =  </,M«1i  =  '/a£ 

S»a4  =  if,Mwk  =  'f,£ 

iJt*d  =  i  H«rli  =  %£ 

Vgl-  S.  m.    Ann.  I,  *a  die  Urkunde  im  Auinge  gegeben  ist. 


Zollsiegels,  des  sogenannten  coket.  Da  diese  Maßregel  noch 
nichl  aiiszureich<!n  schien,  befahl  er  im  Jahre  1342  seinen  Woll- 
zöllnem  und  dem  Wäger  zu  Kingston-upon-Hnll  nur  in  Oeßcn- 
wart  Johann  atte  Woldes  und  Tideman  von  Limbergs  Wolle  da- 
selbst zu  wiegen. ')  Es  mochten  wohl  Unregelmäßigkeiten 
vorgekommen  sein,  die  aber  nicht  auf  das  englische  Maß-  und 
Gewichtssystem  zurückzuführen  sind,  sondern  auf  die  Personen, 
die  dabei  beteiligt  waren.  Denn  wie  die  englische  Regierung 
sich  die  grollte  Möhe  um  das  Münzwesen  gab,  so  sorgte  sie 
auch  für  Bestimmung  des  Maßes  und  Gewichts,  für  Verfertigung 
der  Normalmaße  und  stellte  Kontrotlmaßregeln  auf,  welche  die 
Einhalliiig  der  bezüglichen  Gesetze  sichern  sollten.  War  doch 
schon  durch  die  Magna  Charta  bestimmt  worden,  daß  Maß  und 
Gevicht  im  ganzen  Reiche  eiitheillich  sein  sollten,  und  an  diesem 
Prinzip  hielt  man  in  der  Folgezeit  fest. 

Das  Jahr  1343  bringt  dann  ein  neues  größeres  Geldgeschäft 
zwischen  dem  König  Eduard  Hl.  und  den  13  deutschen  Kauf- 
leulen,  nämlich  die  Auslösung  der  großer  Krone,  die  er  an 
Kaufleute  in  Köln  verpfändet  hatte  und  eigentlich  schon  längst 
hätte  einlösen  müssen.  Denn  schon  am  14.  Februar  1342  dankt 
er  in  einem  Schreiben  an  Köln  fair  die  vorläufige  Beschwichtigung 
seiner  Pfand  gläubiger  und  meldet  die  erfolgte  Zahlungsanweisung.*) 
Indes  erst  im  Mai  des  folgenden  Jahres  schließt  er  mit  dem  be- 
kannten Konsortium  einen  dahingehenden  Vertrag  ab,')  in  welchem 
diese  sich  verpflichten,  die  große  Krone  für  4500O  florins,  den 
nGulden"  zu  43  den.  Sterlinge  gerechnet,  also  für  8062  £,  aus- 
zulösen, und  diese  Summe  wollen  sie  in  drei  Raten  zahlen: 
2000  £  vor  dem  nächsten  Johannisfcst,  4000  £  zwischen  1.  Au- 
gust und  I.  September  und  vor  dem  nächsten  Michael isfeste  den 
Rest.    Zu  ihrer  Sicherheit  dürfen  sie  die  ausgelöste  Krone,  unterm 


'')  HuiBiichn  Urkunden  buch,  II.  Bd„  N>a.  lOS.  Ober  dw  en{llKtM  Maft-  und 
0c»lchlj4y»ieiii  vgl,  OchwiWejki  a   «.  O'  5.  in. 

>)  Hansiichf*  l IrlniBilCTibiif'h,  U.  Bd.,  No  «OT. 

^  Ebcndi  Anh.  I,  16.  Kunic.  HmsniWm.  132:  Cnlr  endrntiKt  ....  t«moliti», 
que  \a  diu  nnuclianli  om  cmprii  ile  piiri  pir  dda  li  iticcr  pani  nichilrr  liKnwt  corane 
noitic  dii  sdgncur  le  rol  um  quc  a  1«  aonimc  dt  4)  MO  (lorlni  ■  Incti,  tl  taitt  y  eovägat 
mrt(iT  on  tiitrt  ot  a  li  v*lue;  lui  qticl  (Dvm«n(  «lonl  1«  «Uli  mirchiui«!  paiet  de 
SÜOO  tv  i1fv*nt  U  fnl«  <!t  It  ti*tivtlf  srieil  fo\ui  prMhcinc.  et  «itrc  U  primn-  jour  d'Auil 
ci  !c  pnintr  loiir  dr  Stirtrinbre  dp  *i»0o  Iv.,  ft  (Irvant  le  kIjiI  Michel  prcK^^ln*  de  loul  U 
rcmciunt  .... 


Öeidg«chäfte  hansischer  Kaufleute  mit  englisdien  Königen.     1^5 


Siegel  Sir  Philipps  de  Weslone  und  Sir  Williams  de  Northwell, 
so  lange  in  Bewahrung  behalten,  bis  sie  für  alle  ihre  Auslagen 
voll  befriedigt  sind.  Damit  dies  geschieht,  weist  ihnen  der  K'önig 
den  ihm  zustehenden  Rest  aus  den  Zöllen  an,  und  für  Wolle 
und  WollfeÜc  10  s  extra,  die  ihm  inzwischen  vom  Parlament 
wohl  bewilligt  worden  sind.')  Unter  denselben  Bedingungen 
verpflichten  sie  sich  1344,  die  Juwelen  des  Königs,  welche  die 
Kölner  Kaufleule  Johann  de  Specgel,  Rigwin  Gryn,  Wilh.  de 
Kowolt  und  Genossen  im  Pfandbesitz  haben.')  für  4400  Gold- 
guldcn  auszulösen  und  nach  England  zu  bringen.') 

Freilich  verzögerte  sich  die  Übergabe  der  großen  Krone, 
obwohl  schon  am  23.  Dezember  1343  wohl  auf  das  Drängen 
der  Konlrahenlen,  die  sich  rechtzeitig  sichern  wollten,  Eduard  III. 
eine  Urkunde  erlassen  halle,  in  der  er  versichert,  seine  Krone 
unversehrt  wieder  erhalten  zu  haben  und  auf  alle  Nachfordenmgen 
an  die  Deutschen  verzichtet.'')  Erst  am  10.  März  des  nächsten 
Jahres  befiehlt  er  den  hansischen  Kaufleuten,  die  Krone  den 
Brüdern  Melchebum  zu  übergeben,  und  von  diesen  wird  sie  am 
24.  April  an  Schatzmeister  und  Kämmerer  ausgeliefert,')  Aber 
noch  im  Jahre  1345  erfolgen  mehrere  Male  Befehle  zur  Abtragung 
von  Schulden  an  Tideman  von  Limberg  und  Johann  alte  Wolde 
nebst  Genossen.*) 

Um  seine  alten  Schulden  los  zu  werden,  vor  allem  aber, 
um  neue  Geldmittel  zu  erhallen,  hatte  Eduard  III.  zu  Beginn  des 
Jahres  1344  einer  englischen  Qesellschafl  von  t2  Kaufleulen, 
deren  Bevollmächtigte  die  Brüder  Thomas  und  Wilhelm  von 
Melchebum    waren,   auf    3  Jahre  alle  Zölle,   ausgenommen  die 


1}  .  ■  ■  ID  inldr  oatTt  it  dtmy  mxrf  pour  riunclcnc  cAuslimii,  rt  de  lOO  pauv 
Itmut  «nlmtnl.  M  de  chaeun  iMt  ärs  quin  >t  aflenni,  icsquc«  «tinl  qtU  iairnt  pldnFmoiI 
et  Ritlcnnml  pur  vaid  tle  tont  Imidin,  Vgl.  dazu  -  ,  .  .  na;,  volenm  prcfitls  mnaloribus 
ik  dict))  inini  tl).  ulisficri,  concnsimus  cli  'iO  ^  ät  quolibcl  uicco  linc,  vo  i  de  i|ultiu»' 
C(b«  300  pctilbut  liiiutlt,  *i)  s  dt  quollt«  ImIo  coriocuHi  hulu*  iii«H  il^  tubjidio  predkto, 
viddiol  antra  inutam  fle  sicco,  1  irur^Bin  d«  JOD  p«lllbiu  lanutii  d  I  minin  de  Utie 
coriorurn,  quu  pfiui  iudi  concetionnn  nottrim  pndlcUm  ilc  diclo  subildlo  pcKTpcniitl : 
tt  ulin  hoc  diiDidum  murcari  de  ucco.  '/i  marram  de  KO  pell,  lin,  H  un«n  rnarcum  dr 
bsio  corlaniin.    Kun«,  KuiKiktni,  i:i. 

*i  Hansiiclio  Urkunden  buch.  II.  Bd..  Anh.  I,  No.  a*. 

■)  Ebeitdi  Nc.  Id.     Kunze,  Hansmlilcn,  I3I. 

•)  Hanilidia  Urkunilcnbucb,    U.  Bd.,  Anh.  I,   No  ■:.    Kun«,   H*n«iklen,   lö. 

•)  lUnilKh«  Urkuiidrnbuch,  11.  Bd.,  Anh.  t,  No.  S3. 

«i  ebenda  No.  D2-9*. 


custuma  von  2  s  auf  das  Faß  Wim  verpfändet;*)  am  3.  MSrz 
befiehlt  er  darum  deti  deutschen  Kaufleuten  Tidemaii  von  LimberK 
und  Genossen,  die  bisher  die  Zölle  inne  gehabt  hatten,  die  Aus- 
lieferung der  noch  in  ihrem  Besitz  befindlichen  Zollsiegel  an 
diese  englischen  Kaufleute,  welche  dem  König  für  die  Verpfändung 
50000  £  zu  zahlen  sich  verpflichteten.') 

Tidcman  von  ümberg  war  durch  diese  Verpfändung  der 
Zölle  etwas  beiseite  geschoben;  er  halte  zwar  auch  in  den  nächsten 
Jahren  mit  dem  König  in  Geldgeschäften  zu  tun,  da  die  Engländer 
nicht  allein  das  ganze  Qeldbedilrfnis  des  Königs  zu  befriedigen 
imstande  sind  So  löst  Tideman  1344  die  Juweten  des  Königs 
in  Köln  aus  und  1346  wird  ihm  die  kleinere  Krone  verpfändet*) 
Indes  im  atigemeinen  hören  wir  in  dieser  Zeit  wenig  von  ihm, 
nur  finden  sich  mehrmals  Befehle  des  Königs  zur  Abtragung 
von  Schulden  an  ihn,  die  teilweise  noch  von  der  Verpfändung 
der  großen  Krone  herrühren.*) 

Auf  diese  Weise  sammelte  Limberg  das  ausgeliehene  Geld 
allmählich  wieder  an,  und  so  geht  er  1347  an  einige  neue 
Unternehmungen  heran.  Am  25.  Juni  134T')  schlielJt  er  näm- 
lich mit  dem  Sohne  des  Königs,  dem  Prinzen  Eduard  von 
Wales  -  dem  bekannten  «schwarzen  Prinzen",  der  1356  bei 
Maupcrtuis  den  Sieg  davontrug  über  Johann  II.,  den  Outen, 
von  Frankreich  und  den  König  gefangen  nahm  -  einen  Pacht' 
vertrag  ab.  Der  Prinz  Eduard,  zugleich  Herzog  von  Cornwalcs, 
dem  daher  die  Zinnbergwerke  dieses  Gebietes  zustanden,  über- 
läßt nach  diesem  Vertrag  dem  Tideman  von  Limberg  den  Schlag- 
scliatz  aus  sämtlichen  Zinnbergwerken  in  Cornwalcs  vom  24.  Juni 
bis  29.  September  über  drei  volle  Jahre  ohne  Einschränkung 
und  Widerruf  mit  dem  Köndigiingsrecht  Tidemans  am  1 5.  Au- 
gust des  ersten  oder  zweiten  Jahres;  ferner  überträgt  er  ihm  den 
ganzen  Zinnhandel   in  Comwales  und  Devonshire   und  die  ge- 


■)  Kunic,  Hanttakten,  tt5  acut  Anm.  3. 

*t  Vir  die  Ktnsen  wuidltn   sich  alsa  audi  ilic  dnhrinilsclitti  Ktudculc   UDlct 

EJtun!  III.  dm  ücUgeKhittrr  im  Orolltn  rii  l)it  !i»ailirhni  Kaiitleu«  »Im  «  ibcr  in 
dncm  Ircmdoi  Lftnd;  cie  dtid  >ucli  im  Htitdcl  am  Enitlinjetn  übnlcu^.  <1>  *<'  rtttumcf 
siBd  «l(  die»«-    Öbtr  die  EnfUndrr  vgl.  Ochcnkoviki  *  m.  O,  S.  m(l. 

t  ttuulKh«*  Urlmndcnbuch.  II,  Bd..  Anti.  I.  Ng.».  Sic  «Ird  uaiT.Ptbi.  IM) 
vledn  uiigd&it  iiiid  in  d«r  Schatikainincr  in  eint  Klitc  Kdegl,    Ebenda  Anm. 

«)  Ebenda  No.  ta-v». 

•j  Hindictin  Urkundenbudi,  III.  Bä.,  No   100. 


Oddg^chäftc  liansischer  Kautleule  mit  englischen  Königen.     1^5 


samten  Einnahmen  aus  dem  Ausfuhrzoll,  über  die  er  itn  Exchequer 
zu  Westininster  Rechenschaft  abzulegen  hat.  Dafür  übergibl  ihm 
Tideman  lOOO  Mark  bar  für  die  Zeit  bis  29.  September  und 
2000  Mark  für  das  folgende  Jahr,  während  er  den  Rest  von 
1500  Mark  211  gleichen  Teilen  am  25.  Dezember,  Ostern,  am 
24.  Juni  und  am  29.  September  des  nächsten  Jahres  entrichten  will. 

Solche  Pachtverträge  scheinen  nicht  selten  zu  sein,  denn 
von  Eduard  III.  findet  sich  ein  ähnlicher  vom  11,  März  13+4,') 
in  welchem  er  vier  Kölner  Kaiificuten*)  die  Orubenwerke  von 
Northumberland ,  Cumberland  und  Westmordand  auf  10  Jahre 
verpachte}. 

Bei  Tideman  von  l.imberg  kam  noch  hinzu  Ausschließung 
aller  Kaufleute  vom  Zinnhandel,  auch  der  englischen.  Als  diese 
sich  am  15.  Januar  1348  vor  dem  Parlament  darüber  beschwerten, 
daß  Tideman  von  Limberg  allein  alles  Zinn  aus  Comwales  kaufe 
und  exportiere,  da  wurden  sie  abgewiesen,  weil  jenes  Monopol 
zum  Vorteil  des  Prinzen  bestehe.*) 

An  umfangreicheren  Geldgeschäften  beteiligte  sich  Tidenun 
von  Limbcrg  ebenfalls  wieder,  aber  weil  aus  den  Geldgeschäften 
des  Jahres  1347  einige  Prozesse  entstehen,  die  gegen  ihn  zu 
Anfang  der  fGnfziger  Jahre  vor  der  königlichen  Schalzkatnmer 
gefOhrt  werden,  wollen  wir  diese  am  Schlüsse  dieses  Abschnitts 
verfolgen  und  uns  zunächst  den  weiteren  zuwenden. 

In  den  Jahren  1348  und  1350  erhalt  Umberg  vom  König 
Güter  in  den  Grafschaften  Somerset,  Wills,  Southampton,  Bucks, 
Northampion,  Canterbury  und  Suffolk  von  dem  eingezogenen 
Klostergul  »auf  lOOO  Jahre"  übertragen.*)  Vielteichl  hatte  er 
die  Absicht  sich  dauernd  in  England  niederzulassen,  oder  er  ver- 
sucht es  einmal  mit  Bodenspekulationen,  wozu  die  Einziehung 
des  Kirchengutes  allerdings  die  beste  Gelegenheit  bot.  In  der- 
selben Zeit  schließt  er  auch  Oeldgeschilfle  mit  Privaten  ab,  z.  B. 
.leiht  er  am  26.  Juni  1349  gegen  Verpfändung  von  Onmdbcsitz 


')  Hintlachc«  Urkundmtiuch,  III.  Dd.,  Nachtder.  Nu  «I. 

■)  E*  Taren  Wilhelm  Oodtmvyk  (Oorrwilli  ba  DonbunE  In  Qcldcrn).  Heinrich 
a  Ord  (Oorlo  bei  Vcnrui  in  Llinburit),  Arnold  tu  Anne  (vahl  Sl,  Aiuu  bd  Nlm- 
•cfm)  nnd  Albol  Millyng  (Millingm  in  Oeldem),  Sic  «artn  al»a  nichl  van  Kätn,  dieMS 
fill  aber  iirnim'  noch  iJi  ihre  Vantidl 

*\  llintlKhn  ütktmtlenbiicli,  111.  M..  HicMiiaf-  No   6V.  Ann).  i 

•)  tlMttKhn  Uikundmbuch,  III.  IM..  No.  n,  Anm.  1. 


166  Georg  Groscli. 


und  Habe  dem  Londoner  Kaufmann  Picard  500  i)')  und  am 
26.  Juli  1350  dein  Prior  von  WJlmington  100  Mark.') 

im  selben  Jahre  werden  ihm  noch  einmal  die  Wollzölle 
verpfändet;*)  doch  dann  folgt  die  Zeil  der  beiden  Schuldprozesse 
gegen  ihn,  die  ihm  wohl  manche  schweren  Tage  bereitet  haben 
mögen  und  ihn  geschäftlich  sehr  schwer  schädigten.  Von  da  ab 
^werden  die  Nachrichten  seltener;  1354  erhalten  Limberg  und 
Genossen  eine  Anweisung  auf  1000  £  aus  den  WoUzöUen ;  *)  am 
22.  August  1359  bekennt  sich  der  König  noch  einmal  als  sein 
Schuldner  für  lOOO  JC*)  und  weist  am  selben  Tage  die  Wollzölle 
an,  zunächst  100  £  zurückzuzahlen.^  Es  geschah  dies  fast  un- 
mittelbar nachdem  der  König  ihn  und  Genossen  von  diesen 
5000  J^  2  s  6  d  freigesprochen  hatte,  die  die  Barone  des  Schatz* 
amts  von  ihnen  noch  von  der  Verpfändung  der  Krone  her  nach- 
träglich gefordert  hatten.') 

Ob  die  Forderung  wirklich  ungerechtfertigt  war,  oder  ob 
sie  gerecht  gewesen  und  nur  erlassen  wurde  durch  einen  Gnaden* 
akl  des  Königs,  können  wir  natürlich  auf  Grund  des  dürftigen 
Regcstcs  nicht  enischeiden.  Leider  waren  solche  Nachfordern ngen 
gerade  in  den  50  er  Jahren  einige  Male  mit  gutem  Grunde  er- 
hoben worden,  und  Nachprüfungen  der  mit  den,  hansischen 
Kaufleuten  abgeschlossenen  Geldgeschäfte  sehr  wohl  am  Platze. 
Dies  gilt  auch  von  denen,  die  Tideman  von  Limberg  im  Jahre 
1347  unternommen  hatte.') 

In  diesem  Jahre  war  das  Tricnnium  abgelaufen  gewesen, 
während  dessen  Eduard  III.  dem  Konsortium  der  zwölf  englischen 
Kaufleute  die  Wollzölle  verpflndel  hatte.  Nun  schloß  er  Jm 
April  U47  einen  neuen  Verpfändungsvertrag  ab  mit  zwei  Lon- 


•)  Kumt,  Hinmkim,  ut.    Vgl.  ttKnüt  1 38. 

»)  Ebend*  1*J- 

*)  HuisiKha  Urkundcnbach.  UI.  Bd.,  No   t),  Anm,  S. 

•)  HaniiKhn  DrkumlTnbuch,  Tl.  Bd  ,  Anh    I,  No    IM. 

s)  ^heR(li  IM. 

*\  Ebciiids  10  (, 

>)  Efacndi  101. 

*)  Ich  iccbc  im  tolactnilcn  dnc  dnUche  DanIclIunK  der  Schul dproMatt,  *ic  ticiidi 
diPoncleilKb  »bjöpirll  h»I«iu  Ich  dsnhc  nichl  (Ur»n,  im  Pioreß  «!>  Juriil  M»i  «i 
verlol|[Ri  und  die  Un«llr  die  Fruchm,  lu  prüren.  Dib  iil  vltllrlchl  iib«rliaupl  nkhl  ful 
tnöclicb.  «lieh  Tcirn  {i«t  £«iiic  Aklctimikrttl ,  dit  nvr  in  niTnw  ijninickt  voillcxt, 
vorhuidcn  wlrc;  intbcwiiliJerc  hat  a  icinc  SThv[CTit!:llel'tm ,  iclbil  dn  Urtrll  In  dlcvt 
Sache  r.a  Hllcn,  Dmi>  b  tchdnl,  iln  hittm  tkh  dir  Bdcvli);kn  Jrlbit  nicht  mrht  tai*- 
gÜttiMt,  alt  Mi  die  UrClie  da  OddgochilH  üb«T  itirtn  MotiaonI  blMuigegiitgeii. 


Gelügesdiähe  hansischer  Katifleute  mtt  englisciier  Königen.     157 


doner  Kaufleuten,  Walter  von  ChJriton  und  Gilbert  von  Wend- 
lyrigburgh,  denen  er  alle  custumae  und  subsidia  in  den  Ausfuhr- 
häfen bh  auf  gewisse  Assignationen,  die  er  sich  vorbehielt, 
verpfändete,  wofür  diese  ihm  40000  Mark  versprachen.')  Für 
ihre  Auslagen  und  ihren  Aufwand  sollten  sie  20000  £  erhalten, 
die  ihnen  aus  dem  Zehnten  und  dem  Fünfzehnten,  soweit  diese 
noch  zu  zahlen  und  nicht  bereits  andern  verpfändet  waren,  an- 
gewiesen werden.') 

Indes  die  beiden  Kaiifleute  waren  nicht  imstande,  die 
Summen  aufzubringen,  «sie  hatten",  wie  es  heifitj  »nicht  genug 
bares  Geld  bereit  liegen,  so  daß  sie  sich  gezwungen  sahen,  eine 
Anleihe  von  mindestens  20000  Mark  anderswo  aufzunehmen." 
Darum  wandten  sie  sich  an  Johann  von  Wesenham,  einen  andern 
Londoner  Kaufmann,  mit  der  Aufforderung,  sich  an  diesem  Ge- 
schäfte zu  beteiligen.  Dieser  war  nicht  kapitalkräftig  genug,  und 
so  richtete  er  an  Tideman  von  Limberg,  der  unter  den  Geld- 
leulen  damals  ein  bekannter  Mann  war,  die  gleiche  Aufforderung, 
»weil  das  Geschäft  recht  nutzbringend  sei."  So  wurde  in  einem 
Zimmer  des  Tidemanschen  Hauses,  »in  warda  de  Themsestreete" 
in  London,  am  23.  April  1347  ein  Vertrag  abgeschlossen,")  in 
welchem  sich  Limberg  und  Johann  von  Wesenham  verpflichteten, 
bis  zum  3.  Juni  den  beiden  andern  Kontrahenten  die  Summe 
von  20000  Mark  zu  bezahlen,  wogegen  ihnen  diese  13  000  Mark 
als  Gewinnanteil  zusichern.  Zu  ihrer  besonderen  Sicherheit  er- 
hallen sie  die  große  Krone  als  Faustpfand. 

Damit  sie  ihren  Verpflichtungen  nachkommen  können,  ge- 
stattete der  König  seinen  neuen  Gläubigem,  daß  sie  sich  bei  der 
deutschen  Kaufleulen  Konrad  Femol,  Johann  Konyng  und  Ge- 
nossen -  also  Tideman  hatte  sich  wieder  mit  diesen  assoziiert  - 
20000  Mark  leihen  dürfen,  wofür  er  ihnen  von  den  Zöllen  i  Mark 
für  den  Sack  Wolle,  I  Mark  für  3O0  WoLlfelle  und  2  Mark  für 
die  Last  Häute  anwies.     Ihren  Oewinnanteil    -    13  000  Mark  - 


1)  KnniF,  H<n«alitai.  I3&  .  .  .  .  C(incni«rlniut  dv  iiuoil  iptl  hitmnr  rt  pcrcipiint 
«naia  cuininu»  d  mbsldu  nnbls  drblti  In  tlneuJIi  ponltnii  ngai  noilri  AnKlIc.  .... 
^BOU*(|uc  ciHlnn  Wiltero  ti  OilbcHo  rt  kkiis  tu»  de   pndictis  i)UBdn|[iiiti  milibui  mar- 

amn  fuerli  uüifanum  .     .  - 

fi  Ktinif,  HinwiktRi.  i«3:  •.  .  .  et  ifuod  de  pmllcitt  ZOOM)  Ib.  tln«t  eis  iHiffnitlo 
Hptr  «ttclmlft  n  qulntii  dcclnli  regi  concml»,  qve  »dlinc  futnini  lolvmde  n  nan  itllli 
mleiute  . .  .- 

9  Kunie,  NulMaklair  I}). 


168  Qeorg  Qrtscfa. 


sollten  sie  aus  dem  Zehnten  und  Fünfzehnten  erhalten,  und  diese 
Summe  sollte  den  Engländern  in  Abzug  gebracht  werden.*) 

Am  12.  Juli  1352*)  nun  erheben  Walter  de  Chtriton  und 
Gilbert  de  Wendlyngbui^h  g^en  Tideman  die  Klage  w^en 
einer  Nachfordening  von  3000  Mark.  Sie  behaupten,  Ttdeman 
habe  für  die  versprochene  Summe  von  10000  £,  die  er  zu  den 
20000  leisten  wollte,  9000  Mark  von  den  13000  Mark  erhalten, 
welche  sie  ihren  Gläubigem  als  Gewinnanteil  zugesichert  hatten; 
ffir  seine  10000  £  sei  er  mit  15  000  Mark  aus  den  Wollzöllen 
befriedigt  worden.  Er  habe  aber  die  10000  £  nicht  voll  bezahlt, 
sondern  JOOO  Mark  davon  zurückbehalten,  die  sie  nun  bean- 
spruchen. Limberg  bestreitet  dies,  der  Prozeß  zieht  sich  fast  ein 
Jahr  lang  hin  und  endet  schließlich  mit  einem  Vergleich:  Chiriton 
und  Wendlyngburgh  stellen  ihm  eine  Generalquittung  aus  Ober 
alle  seine  Verpflichtungen  g^;en  sie,  ausgenommen  eine  Forderung 
von  2500  Mark.  Limberg  gibt  eine  gleiche  Quittung  unter  Vot- 
behalt  seiner  Forderung  von  10000  £. 

Eine  weitere  Forderung  gegen  Tideman  von  Limberg  er- 
heben zur  selben  Zeit  die  Barone  des  Schatzamtes,  und  zwar 
verlangen  sie  13000  Mark  zurück,  die  Tideman  an  sich  ge- 
nommen hat.*)  Dieser  Prozeß  zieht  sich  gleichfalls  ein  Jahr 
lang  hin,  vom  11.  Juni  1352  bis  16.  Juli  1353;  Tideman  und 
Wesenham,  die  die  Summe  unter  sich  geteilt  haben,  werden  am 
26.  Juni  1352  verurteilt,  die  13000  Mark  an  den  König  abzu- 
liefern. Da  sie  erklären,  so  viel  Geld  nicht  bereit  zu  haben, 
werden  sie  in  den  Schuldturm  geworfen  und  das  dem  Limberg 
gehörige  Zinn  wird  zu  London  arrestiert  Sie  werden  am  9.  Fe- 
bruar 1353  wieder  auf  freien  Fuß  gesetzt;  nach  längeren  Ver- 
handlungen steht  der  König  am  16.  Juni  von  seiner  Forderung 
ab,  verlangt  aber  am  1 0.  Juli  von  den  Verurteilten  die  Zahlung  von 
6000  £.  Limberg  erklärt  sich  bereit,  die  Hälfte  dieser  Summe 
zu  zahlen,  was  er  im  nächsten  Jahr  auch  tut') 

Es  ist  nun  leider  nicht  möglich,  auf  Grund  des  vorltegen- 


>)  D>i  Regnt:  HanilKhei  Urknndenbacb,  IL  Bd.,  Anh.  I,  No.  M  itt  redit  dOrflic 
ja  fihch.    Vgl.  Kunze,  Huisetkten  No.  13«  und  163. 
>)  Kunze,  Huueakttn,  167. 
^  Ebenda  163, 
*]  Ebenda  S.  166:  Ratenuhlung  Tidemans. 


Qeldgeschäfte  hansischer  Kaufleute  mit  englischen  Königen.     i£9 

den  Materials  den  Qang  des  Prozesses  genau  zu  verfolgen,  ins- 
besondere zu  entscheiden,  ob  Tideman  sich  die  t3  000  Mark 
wideTFcchtlidi  angeeignet  hal,  oder  ob  er  bei  dem  Abschluß  des 
Vertrages  mit  den  beiden  Engländern  Waller  de  Chiriton  und 
Gilbert  de  Wendlyngburgh  vielleicht  übervorteilt  worden  Ist*) 
Man  neigt  sidi  aii&  verschiedenen  Gründen  eher  der  ersten  als 
der  ardern  Meinung  zu.  Da  frappiert  vor  allem  sein  Verhallen 
gegen  Johann  von  Wesenham. 

Gegen  diesen  seinen  Sozius  erhebt  er  zur  selben  Zeil  die 
Schuldklage;  auch  dieser  Prozeß  zieht  sich  über  ein  ganzes  Jahr 
lun,  vom  6.  Juli  1352  bis  16.  Juli  1353.^)  Tideman  greift  sogar 
auf  die  carta  mercatoria  zurück  und  erlangt  es,  daß  die  eine 
Hälfte  der  Geschworenen  aus  deutschen  Kautleuten  genommen 
wurde;  er  setzl  also  alle  Hebel  in  Bewegung,  um  seinen  Prozeß 
zu  einem  günstigen  Ende  zu  führen.  Aber  am  16.  Juli,  also 
6  Tage  nachdem  der  König  seine  Forderung  auf  öooo  £  er- 
maßigt und  dieser  Prozeß  nun  sein  Ende  hat,  da  steht  er  von 
allen  Real-  wie  Personatklagen  gegen  Wesenham  ab,  was  doch 
sehr  dafür  zu  sprechen  scheint,  daß  er  den  ganzen  Scheinprozeß 
nur  deshalb  angestrengt  hal,  um  in  dem  andern  möglichst  die 
gekränkte  Unschuld  spielen  zu  können. 

In  diesen  Jahren  häufen  sich  aber  geradezu  die  Prozesse 
gegen  die  deutschen  Kaufleute,  speziell  gegen  die  um  Tideman. 
Wenn  man  die  Ergebnisse  derselben  zusammenfaßt,  wird  einem 
die  viclgerühmte  Ehrlichkeit  der  Deutschen  recht  zweifelhaft.*) 
Denn  den  englischen  Gerichten  kann  man  wohl  nicht  Parteilich- 
keil oder  Voreingenommenheit  gegen  die  Deutschen  schuld  geben. 
Dagegen  sprechen  die  Urteile,  die  sie  in  andern  Angelegenheiten 
gefllli  haben,  und  mit  denen  sie  völlig  auf  dem  Boden  des 
Recfals  stehen.') 


')  Man  kAnitlr  dni  Ktiotm  rfntac-h  diirrtiliMrn,  IncJFin  man  onnlmml,  dad  TlfllWU 
die  IIKO  M*rk  Orrlnn  lOTGhl  van  doi  beiden  CnelkndcTti  «li  von  den  ßaroncn  da 
Sdaliainln  triiiltcn  hatte  \ba  ipscn  die  ctitcicn  bchlll  er  sldi  ja  eine  l'onleninK  wn 
mODD  £  »0/,  £<iöil  lil  luth  «o  die  t'rtgc  niehf. 

>)  Kunir.  Hinieaklm,  166. 

8  Dieter  Vorviirf  trHIiM  eine  AbKhTichunji  cinnial  im  MInblick  üanur.  lUD  im 
bcivortdiung   iteti  vorkomint.  (<m«r,  dall  In   dieser  Zeit  satdt  pdct  Bdruf  dn 
tlljernein«  und  ■ndiiiemdri  Li^lrt*  itt.    Vgl,  Ochcnliowiki  ■  i,  O.  S,  IT.  S.  ¥]■ 

*)  V|(l.  iirv  Künrt.  HiiMaklen,  119-  IJer  PtortR  Konrids  von  Afflm  und  Radulph 
Deck*  pscn  tm.  käntgllcliF  Itramtc  «rsen  iwanpwelwr  WollhelminB  In  HuTitlnBdan. 

AicUv  tue  tCulturx«di>ditc.    II.  1  = 


170  Oeotg  Qrosdi. 


Zur  selben  Zeit  nämlich,  in  der  gegen  Limberg  vorgegangen 
wird,  ist  gegen  zwei  andere,  vielgenannte  deutsche  Kaufleute, 
gegen  Hildebrand  Sudemiann  und  Heinrich  Brakel  ein  Prozeß 
anhängig  wegen  Unterschleifs.*)  Diese  beiden  hatten  die  Er- 
laubnis zur  zollfreien  Ausfuhr  von  80  Sack  Wolle  erhallen,  weil 
sie,  wie  sie  angaben,  160  £  dem  William  de  la  Pole  vorausbezahlt 
halten.  Auf  Befragung  beslritl  dieser  aber  sowohl  den  Empfang 
des  Geldes  als  auch  Kenntnis  der  ganzen  Angelegenheil;  trotz 
mehrmaliger  Vorladung  erscheinen  die  beiden  Handelsgenossen 
nicht;  sie  verduften  aus  England,  ohne  daß  man  hier  je  wieder 
etwas  von  ihnen  hört. 

1363  vt'erden  dann  Heinrich  Copyn,  Constantin  Smythusen, 
Hildebrand  Bereswort,  Heinrich  Orenepape  und  Gottschalk 
Grenepape,  sein  Genosse,  Winand  von  Revele  und  Thidkinns 
Spissenaghel  wegen  Überschreitungen  und  Betrügereien  geächtd, 
und  ihr  Vermögen  in  der  Grafschaft  York  wird  beschlagnahmt.') 

Auch  Tideman  von  Limberg  muß  aus  England  auf  eine 
recht  unsaubre  Art  verschwinden.  Wir  erfahren  das  aus  einem 
Prozesse  gegen  den  unglijcklichen  Michael  de  la  Pole,  Grafen 
von  Suffolk  und  Kanzler  Richards  11.')  Unter  den  vielen  An- 
klagepunkten, die  das  Parlantenl  gegen  ihn  aufstellte,  und  die  zu 
seiner  Verurteilung  zum  Tode  führten,  war  auch  der,  er  habe 
dem  Limberg  eine  Rente  abgekauft,  die  dieser  strafrechtlich  ver- 
wirkt hatte.*)  „Denn  ein  gewisser  Neel  Hakeneye  sei  durch 
seine  f-rau,  seine  Magd  und  den  besagten  Tideman  von  Limberg 
getötet  worden^  dieser  habe  sich  seiner  Bestrafung  durch  die 
Flucht  entzogen.*  *) 

Die  Freude  über  den  Aufschwung  des  deutschen  Handels 
in  der  Mitte  des  t4.  Jahrhunderts  in  England  und  über  die  Be- 


il Kmie.  KuiHikCtn,  ie.2  u.  im.  Sudenaun  tcboa  «Inoul  wcsm  drxt  Mordut 
von  Kiinle  bcgnidigt.  5.  iti. 

I)  Kunze.  niui«ai:tni,  IB«. 

■)  lir  isl  der  Sohn  Williin«!  de  li  Pole,  dn  bekunloi  QronkiDdnuin*  luiler 
Edoird  m 

■}  Es  liandrll  tloh  um  die  Rmte,  die  MalhJliis  C>m>R«  «n  LimUig  und  Johann 
itK  Wolde  hatiF  äbnlnitm  luini.  Noch  1Bb)  btficKll  der  Kfinig  äie  KamMaag  von 
I*  £  an  TidMnan.  Ditvn  fitmllBI  tit  an  MIchul  dr  li  Pole  tOr  tine  Fordtniiis  von 
lllPO  Maill.    Xunzr,  lioniuklin  fSI. 

>)  Ebtnd»  Anm  t. 


Oddgtsdiäfte  hansischer  Kaufleute  mit  englischen  Königen.     i  ^  i 

deutung  der  deutschen  Kaufleute  für  das  Geldwesen  in  dieser 
Zeit  wird  angesichts  solcher  Tatsachen  doch  merklich  herabgestimmt. 
Denn  es  sind  gerade  die  bedeutendsten  unter  den  Hansen,  welche 
üdi  solcher  Mordtaten  und  solcher  Betrügereien  schuldig  machen, 
die  wohl  die  Moral  des  14.  Jahrhunderts  nicht  so  schwer  nahm 
wie  unsre  heutige,  aber  die  damals  doch  schon  aufs  schärfste 
verurteilt  wurden. 

<Sdütifi  folBt) 


12' 


Straßburger  frauenbriefe 

des  16.  Jahrhunderts. 

MÜgeteilt  von  OTTO  WINCKELMANN. 


I 


Von  dem  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  ist  wiederholt  auf 
den  großen  kulturgeschichllichen  Wert  der  deutschen  Pamilien- 
briefe  hingewiesen  worden.')  In  der  Tat  gewähren  die  uns  aus 
früheren  Zeiten  überÜeferten  vertraulichen  Privatkorrespondenzen 
des  Börgerstandes  die  (ehrreichsten  und  zuverlässigsten  Einblicke 
in  Lebensführung,  Denkart  und  Gesittung  unserer  Vorfahren, 
und  CS  ist  nur  zu  bedauern^  daß  diese  köstliche  Quelle  der  Er- 
kenntnis für  das  Mittelalter  und  selbst  noch  für  Jen  Beginn  der 
Neuzeit  nicht  ergiebiger  fließt.  Die  bisher  bekannt  gewordenen 
borgerlichen  Familienbriefe  gehören  zumeist  dem  (ränkischen 
Volksslamnie,  insbesondere  dem  Bereich  der  alten  Reichsstadt 
Nürnberg,  an.  Im  folgenden  soll  nun  eine  Anzahl  von  Frauen- 
briefen mitgeteilt  werden,  die  uns  alemannisches  Wesen  veran- 
schaulichen, und  zwar  wesentlich  aus  der  Stadt  Straßburg,  dem 
Mittelpunkt  der  großen  geistigen  Reform beetrebungen  des  16-  Jahr- 
hunderts im  Südwesten  des  Reichs.  Daß  diese  Briefe  von  Frauen 
herrühren,  deren  Männer  a.n  hervorragender  Stelle  tätig  waren, 
wird  ihren  kulturhistorischen  Werl  gewiß  nicht  beeinträchtigen; 
vielmehr  dürften  sie  um  dieser  Eigenschaft  willen  auch  dem  Bio- 
graphen und  Lokal historiker  willkommen  sein.  Zum  besseren 
Verständnis  mögen  hier  einige  Erläuterungen  über  die  Briefe,  ihre 
Urheber  und  Empfänger  Platz  finden. 

I)  SWtihauwn,  OixIilcWf  <!«  iJmMchfR  Brietet  Bd  I,  rr.  -  Deutiche  Prival- 
brlrlc  drt  Minclallc-m  Dd.  t,  tiinldt.  -  tirlctirccIi'K'l  DAlihiur  Paumoinntn  mit  scinci 
Oatlln,  £inlcll.  -  Ztiadirlfl  1,  KulturKOchlchie.    Neiic  («.]  Fvlt«  1,  9i. 


Straßburger  FrauenbTiefe  des  16.  Jahrhunderte.  173 


Die  drei  ersten  Stücke  zeigen  sich  noch  unberührt  von  den 
Einflüssen  der  kirchüchen  Reformen,  die  erst  seil  1523  in  Straß- 
burg allmählich  durchdrangen.  Der  Adressat,  Bernhard  Wurmscr,') 
gehörte  einer  angesehenen  Straßburger  Palrizierfanülic  an,  die 
seit  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  zum  Stadladel  ge- 
zählt wurde.  Er  stieg  zu  den  höchsten  Ämtern  und  Würden, 
die  die  Stadt  zu  vergeben  hatte,  empor,  war  Mitglied  des  Kolle- 
giums der  Dreizehn  und  zwischen  1520-1540  mehrmals  Städt- 
meister. Im  Jahre  1522  vertrat  er  seine  Stadt  im  Reich sregimenl, 
1522  —  24  auf  den  Reichslagen  in  Nürnberg;  1532  befehligte  er 
die  Straßburger  Hilfstruppen,  die  dem  Kaiser  gegen  die  Türken 
zur  Verfügung  gestellt  wurden.  Seit  1S23  bekannte  er  sich  offen 
zur  evangelischen  Lehre,  im  Gegensatz  zu  seinem  Bruder  Nikolaus, 
dem  Dekan  des  St.  Thomasstifts,  der  im  alten  Glauben  verharrte. 
Bernhard  war  in  erster  Ehe  mit  Susanna  Mieg,  in  zweiter  mit 
Susanna  Berer  vermählt')  Bei  der  Gleichheit  der  Vorramtn  und 
wegen  des  Mangels  genauerer  Daten  muß  es  dahingestellt  bleiben, 
welche  der  beiden  Frauen  die  vorliegenden  Briefe  geschrieben 
hat.  Jedenfalls  hat  die  Verfasserin  ihrem  Gemahl  das  Leben 
nicht  leicht  gemacht;  denn  ihre  Schreibweise  läßt  darauf  schließen, 
daß  sie  eine  recjit  temperamentvolle,  nichts  weniger  als  sanft- 
mütige Hausfrau  war,  die  ihre  Meinung  sehr  entschieden  und 
rädcsichtslos  auszusprechen  liebte.  Dabei  stand  ihr  eine  gute 
Dosis  Humor  und  Ironie  m  Gebote;  doch  lief  ihr  auch  mitunter 
die  Galle  ober,  und  dann  machte  sie  ihrem  Herzen  in  recht 
derben  Ausdrücken  Luft.  Von  idealen  Regungen  Ist  in  ihren 
Briefen  nichts  zu  spüren;  alles  scheint  sich  bei  ihr  um  Geld 
und  materielle  Wohlfahrt  gedreht  zu  haben. 

Wie  grundverechieden  davon  ist  der  Ton  der  folgenden 
Stücke,  die  freilich  aus  einer  ganz  andern  Sphäre,  nämlich  aus 
den  Kreisen  der  maßgebenden  evangelischen  Geistlichkeit,  stammen ! 
Hier  wird  alles  Tun  und  Trachten  vorwiegend  von  dem  Gedanken 
an  Gott,  von  dem  innigen  Wunsch,  ihm  und  seiner  Kirche  zu 
dienen,  beherrscht.  Die  Sprache  zeigt  allenthalben  unverkenn- 
bare Abhängigkeit  von  der  heiligeti  Schrift  und  der  evangelischen 

■)  Vgl.  FkVn  und  Winckrlmuin,  HtndtchrlfTmpmbcn  de«  ie,  Jihrhtindrrti  I,  I. 
^  Bactlinui,  ChmanU  II.  SUtotmUfcI  Wurnuet. 


i  74  Otto  WindcdnuntL 


Predig^  ohne  jedoch  in  die  frömmelnde,  von  Salbung  triefende 
Manier  zu  verfallen,  der  man  in  späterer  Zeit  zum  Überdruß 
begegnet  Das  Verhältnis  der  Predigersfrauen  zu  ihren  Gatten 
und  Söhnen  erscheint  in  diesen  Korrespondenzen  von  wohl- 
tuender Herzlichkeit  und  Natürlichkeit  Wahrhaft  rührend  sind 
insbesondere  die  von  echt  mütterlichen  Empfindungen  beseelten 
Briefe  der  Wibrandis  und  der  Elisabeth  Bucer  an  ihre  jugend- 
lichen Söhne. 

Der  erste,  zu  dieser  theologischen  Gruppe  gehörende  Frauen- 
brief unserer  kleinen  Sammlung  rührt  von  Agnes  Fagius  her, 
der  Gattin  des  Straßburger  Predigers  und  berühmten  Hebnü^en 
Paul  Fagius,*)  der  1549  mit  Martin  Bucer  nach  England  hatte 
flüchten  müssen,  weil  er  gleich  jenem  durch  leidenschaftliche 
Bekämpfung  des  Interims  den  Zorn  des  Kaisers  gereizt  hatte. 
Bei  den  glaubensverwandten  Briten  hatten  die  beiden  Reformatoren 
nicht  nur  eine  höchst  ehrenvolle  Aufnahme,  sondern  auch  einen 
glänzenden  Wirkungskreis  gefunden,  der  ihrem  Schaffensdrange 
vollauf  genügte;  nur  konnten  sie  sich  als  echte  Süddeutsche  beim 
besten  Willen  nicht  in  die  so  ganz  fremdartigen  Sitten  und  Ge- 
wohnheiten des  Landes  finden  und  litten  namentlich  ungemein 
unter  dem  englischen  Klima  und  der  englischen  Kost  «Hier  ist 
eine  mir  ganz  ungewöhnte  Speisung,  die  immer  Fleisch  und 
Reisch  ist,  nichts  oder  gar  selten  etwas  von  Eiem,  Kraut  oder 
irgend  Gemüse,"  klagt  Bucer  seiner  Frau  in  einem  Briefe,*)  und 
Fagius  hebt  noch  gelegentlich  hervor,  wie  Bucer  -  und  wohl 
auch  er  selbst  -  darunter  leiden,  daß  sie  so  »selten  Wein  oder 
wenigstens  nur  Bier  zum  Trank«  bekommen')  Die  von  ihnen 
in  die  Heimat  entsandten  Briefe*)  verdienen  auch  sonst  wegen 
zahlreicher  interessanter  Einzelheiten  die  Beachtung  des  Kultur- 
historikers. 

Fagius  wurde  schon  nach  halbjährigem  Aufenthalt  in  Eng- 
land das  Opfer  eines  bösartigen  Fiebers,  während  der  bedeutend 
ältere  und  schon  lange  kränkelnde  Bucer,  dank  der  treuen  Pfl^e 


1)  Vgl.  Fickti  und  Winckelminn,  Hindschriftenproben  II,  6). 
*i  Baum,  Capito  und  Butler  5S7. 
■)  Ebenda  553. 

*)  Baum  a.  a.  O.  gib!  nur  einige  Auszüge  aus  den  Briefen,  die  min  In  volUttn- 
digEr  Abschrift  im  Theaaurus  Baumianui  der  Univ.-  und  Landesbibliothek  StnSbnfC  findet. 


StraBburger  Frauenbriefc  des  16.  Jahrhunderts. 


seiner  inzwischen  herbeigeeilten   Gattin,   den   sdiEimmen   Folgen 
des  Exils  elwas  länger  slandhielL 

Über  Bucers  Gattin  Wibrandia,  die  uns  In  dem  welter 
unten  abgedrucktcT)  Briefe  so  lebendig  und  sympathisch  entgegen- 
tritt, ist  sonst  nicht  gerade  vielra  bekannt.')  Aber  schon  das 
wenige,  was  wir  von  ihren  äußeren  Lebensschicksalen  wissen, 
nuchl  sie  zu  einer  ungewöhnlichen  Erscheinung.  Sie  war  eine 
Tochter  des  Ritters  Johann  Rosenblatl,  der  unter  Kaiser  Maximilian 
als  Feldoberst  gedient  haben  soll,  und  heiratete  in  jungen  Jahren 
den  Magister  Ludwig  Keller  (Cellarius)  in  Basel.  Nach  dessen 
frühem  Ende  wurde  sie  IS26  die  Gattin  des  bekannten  Baseler 
Reformators  Oekolampadius,  der  ihr  1S3I  ebenfalls  durch  den 
Tod  entrissen  wurde.  Nur  vermählte  sie  sich  1S32  in  dritter 
Ehe  mit  dem  Straßburger  Theologer.  Wolfgang  Capito,  und  als 
auch  dieser  sie  1541  als  Witwe  zurückließ,  reichte  sie  seinem 
Preunde  und  Kollegen,  Martin  Bucer,  die  Hand  zum  Bunde. 
Aber  auch  er  ging  ihr  1551  in  die  Ewigkeit  voran,  worauf  sie 
sich  mit  ihren  Kindern  nach  Basel  zurückzog.  Dort  ist  sie  am 
1.  November  1564  gestorben.  Ab  Merkwürdigkeit  sei  nodi 
erwähnt,  daß  sogar  ihre  Mutter  die  vier  Schwiegcreöhne  Keller, 
Oekolampad,  Capito  und  Bucer  überlebte!') 

Von  Oekolampad  hatte  Wibrandis  einen  (früh  verstorbenen) 
Sohn  und  zwei  Töchter,  Irene  und  Ahthia,  von  denen  die  letztere 
sich  mit  Bucers  Gehilfen  und  Freund,  dem  aus  Tirol  gebürtigen 
Straßburger  Prediger  Christoph  Soll ,  verheiratete.*)  Von  ihr 
veröffentlichen  wir  einen  Brief,  den  sie  im  Frühjahr  1S52  an 
ihren  Mann  richtete,  als  er  zur  Vertretung  Strafiburgs  mit  Marbach 
auf  dem  Konzil  in  Trient  weilte.  Wenige  Monate  später  verlor 
sie  den  erst   35  jährigen   Gatten    nach  kurzer  Krankheit,  schloß 


■)  Vg\-  Blum  I.  1.  O.  pitulm.  RetotwatioiU'AIintiuch  ib}i,  S.  187,  wo  auch  dn 
PortriU  üdi  tiDCin  Orlt[>n>lKnnildt,  das  «ich  in  Piivilbnltz  belliiiJc^l,  ecgrboi  <it 

1)  Dia  Kdit  u»  Büren  Inin  rar  sHnnn  Todr  itK^lBl)<<^i  KodiTÜI  (Blum  5T1) 
tttnor.  Di«  .Omflinutiw  ■wird  lucli  in  ilcii  Famllirabiklcii  öti«  cr»älinC.  i.  B.  »m 
EdiluB  da  Sditclbciu  dci  Alidiia  Süll  (vgl.  unrinl,  feiner  bei  Bjum  »6,  vo  dit  Stelle 
onnbat  tnil  UtirNhl  auf  Kiicrn  Stidmultcr  brangm  sitJ- 

*)  In  annmi  KixliiiH  hil  sich  Bucer  bflrrft»  feiner  Sli*(kitidw  eiiK  merl'»ütdi m: 
VmvduliuiK  7iitdiuldcn  bonnsm  iiswn.  Indem  rr  von  iwti  norh  Itbcnden  TAchKra 
OipUB»  nnil  nur  einer  Todilrr  Oekabinpuls  ipridil,  Tatilcblldi  «arm  von  letitEiciu 
4ie  (vd  oben  crvUinlen  Töchlcr  (vgl.  SUdUrchIv  Contr.  T.  ZA)  vorhuiddi.  während 
Ctpiia  nur  eine  Tccblcr  (Ak»»)  hintcilaucu  liiltc. 


Otto  WindieLmsnii. 


I 


aber  schon    1553  einen    neuen    Ehebund    mit   einem   gewissea 
Hans  von  Lampartcn.') 

Aus  der  Verbindung  zwischen  Wibrandis  und  Capilo  gingen 
zwei  Kinder,  Hans  Simon  und  Agnes,  hervor.  An  ersleren,  der 
1557  in  Marburg  sludierle,  hat  Wibrandis  den  prächtigen  Brief 
gerichtet,  den  wir  unten  abdrucken")  Wir  ersehen  daraus,  daß 
ihr  dieser  Sohn,  dessen  späteres  Schicksal  im  Dunkel  liegt,  vid  M 
Kummer  und  Sorgen  bereitete.  Die  Tochter  Agnes  verheinlete 
sich  nach  Buceis  Tode  mit  dem  Pfarrer  Jakob  Meyer  in  Basel, 
der  später  in  badische  Dienste  trat 

Von  Bu«r  endlich  hatte  Wibrandis  eine  1543  geborene 
Tochter,  die  zur  Erinnerung  an  Bucers  erste  Gattin  den  Namen 
Elisabeth  erhielt  Sic  folgte  der  Mutter  1S49  nach  England,  1553 
nach  Basel.  Hier  wurde  sie  1565  die  Frau  des  Ralsherren  und 
Landvogts  zu  Waidenburg,  Karl  Gleser,  dem  sie  nicht  weniger  als 
acht  Söhne  und  fünf  Töchter  schenkte.  Von  ihr  geben  wir  den 
schönen  Brief,  den  sie  an  ihren  (1578  geborenen)  Sohn  Adatbert  ■ 
richtete,  als  sich  dieser  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  zum 
Studium  nach  England  begeben  hatte.  Elisabeth  überlebte  ihren 
Mann  um  27  Jahre  und  erreichte  gleich  ihrer  Mutler  und  Qroßmutter 
ein   hohes  Alter.     Sie  starb  zu  Basel  am    10.  November  1618.») 

Zum  Schluß  bringen  wir  noch  einige  Briefe  der  Gattin 
von  Johann  Karl  Lorcher,*)  der  1562  Ratsherr  wurde  und  seit 
1567  wiederholt  als  Ammeister  an  der  Spitze  der  Straßburger 
Regierung  stand.  Im  Jahre  l566  war  er  der  städtischen  Gesandt- 
schaft zugeteilt,  die  den  Reichstag  zu  Augsburg  besuchte  und 
dort  das  kaiseriiche  Privileg  zur  Verwandlung  des  Straßburger 
Gymnasiums  in  eine  Akademie  erwirkte.  Während  dieses  Augs- 
burger Aufenthalts  empfing  er  von  seinen  Verwandten  und 
Freunden    zahlreiche    Briefe,   die   uns  zum  größten  Teil  erhalten 


^^StIBflb.  Thom,  Aich.  äJ.  BnicIisICck  dnHochfcItsbuchxtci  Neutn  Kirtlic.  Ober 
sali  vgl.  KAhrIch.  Mllt  i.  Qaeh.  d.  n»ni.  Kirdic  d«  üImB  Ul.  ;ii  K. 

^  t-in  ilAek  divon  «ird  In  Pilulmilc  bri  Plekn  und  Winrhflminti  It,  M  ib|tr- 
dmckl  »enlen. 

•)  Die  Notliai  über  de  und  ehre  Pimille  verdanke  ich  Iteundlkhei  Mitidluns  dea 
SlMlurchlvt  tvucl.  VkI.  tatli  Biuri  S6a  und  Orouius,  Urbi)  Builitniit  cpittphia.  vo 
dk  Ocibtdirifi  CliMbctlu  gedrucki  Ut. 

1  Vil.  Aber  ihn  Melchior  Sebii,  SInflb.  Gymnull  chrltlllcti««  Jobellnt  (StnfU». 
1MI)  S.  II!. 


Slraßburger  Fniuenbriefe  des  16.  J«}irhuRdert& 


177 


sind,*)  darunter  auch  die  seiner  Frau  Elisabeth,  geb.  Hirtz.  Zwei 
von  den  letzteren  sind  eigenhändig;  die  übrigen  sind  nach 
Elisabeths  Anleitung  von  Sekretaren  verfaßt  und  an  den  Eigen- 
heiten des  Kanzieistiis  sofort  zu  erkennen.  Aus  der  Häufigkeit  der 
religiösen  Phrasen  und  Anrufungen  Gottes  braucht  man  in  dieser 
Zeit  keineswegs  auf  besondere  Frömmigkeit  zu  schließen.  Ihre 
Anwendung  gehörte  damals  zum  guten  Ton  und  erfolgte  ziemlich 
schablonenmäßig,  ohne  daß  man  sich  viel  dabei  dachte.  Sonst 
gibt  sich  Elisabeth  Lorcher  in  ihren  Briefen,  wenn  sie  selbst  die 
Feder  führtp  einfach  und  natürlich. 

Auf  eine  -  wie  mir  scheint  -  charakteristische  Äußerlich- 
keit, die  allen  hier  abgednicktcrt  Fraiicnbriefeni  eigen  ist,  möchte 
ich  schließlich  noch  hinweisen,  nämlich  auf  das  vollständige 
Fehlen  jeder  Interpunktion.  DaB  selbst  die  besten  Schriftsteller 
des  16.  Jahrhunderts  mit  Punkten  und  Kommatcn  sehr  nachlässig 
und  villkflrlich  umgegangen  sind,  ist  ja  eine  bekannte  Talsache; 
aber  eine  so  konsequente  Vermeidung  jedes  Interpunktionszeichens 
wie  in  unsern  Frauenbriefen  habe  ich  bei  Männern  doch  selten 
gefunden.  Dem  Mangel  ist  beim  Abdruck,  so  gut  es  ging,  durch 
sinngemäße  Einfügung  der  fehlenden  Zeichen  abgeholfen  worden. 

Bei  Wiedergabe  der  Orthographie  habe  ich  mich  im  großen 
und  ganzen  an  die  Grundsätie  gehalten,  die  Steinhausen  im  ersten 
Bande  der  Zeitschrift  für  Kulturgeschiclite  (1894)  S.  93  ff-  ange- 
wendet hat.  Hie  und  da  habe  ich  offenbare  Flüchtigkeitsfehler 
ohne  weiteres  verbessert;  von  mir  herrührende  Zusätze  stehen  in 
«kiger  Klammer. 

Susanna  Wurmser  an   ihren  Gatten  Bernhard   Wurmser, 

Slraßburger  Gesandten  in  Nürnberg. 

Stnißb.  St.-Arch.  IV,  }. 

f. 
(Straßburg,  2.  Oktober  iS22.) 
Mynen  frintlich  grüß  und  alles  gut,  lieber  her.    viß  ■)  mich 
gesunl,    got   hab  lob.     solchs   beger   ich   alle  zit  von  dier  zu 

*)  Nrtiai  Famillcnnoilinchiei  tipicrlcn  in  dlaen  MItteittmeen  die  EmlmiidcKten, 
bcMitdcn  rat  dm  Wdn-  und  GrtrcidrhDndtl,  eine  froRc  Rollt. 

*l  üo:  r>D'    ^'c  hier,  toKhrclbl die  VciiuierinBUchianit  milVorlkbc  v  tlM  V. 


1 


hören,  lieber  her,  ich  veiß  dier  uff  diß  mol  nil  zu  schriben, 
dati  dz  min  her  von  Stroßburg')  Jocop*)  erloupt  hat,  dz  du 
velet")  vo!  heren  wureL  ist  mir  nit  vo!  gelegen,  dz  ich  In  über 
mir  muß  haben  und  nll  zu  dün  hat.  ist  mir  die  zit  lang  und 
woll  gern,  dz  er  ein  andren  heren  heL  er  bedarff  sin  let*)  nit; 
öch  ist  er  ein  holtzigelig*)  mensch,  dz  man  fro  ist,  dz  man  sin 
lidjg  wurt  doch  veiß  ich  die  ursach  nit  fast  vol.  du  wursl 
cß  vol  erfaren,  vilt  du  dich  dar  zu  schicken,  ich  meint,  er 
solt  mit  im  gon  Nterenberg  siit  geriten.  so  ist  eß  nit  und  got 
do  und  durfft,  dz  tch  in  uff  ein  nugs'}  kleit,  sol  er  do  gon 
und  ein  gassen  Juncker  sin.  van  ich  vll  gelt  het,  ich  voll  sin 
vol  nit*)  im  lidig  werden,  du  solts  im  schriben,  ducht  eß  dich 
et^  gut  sin,  dz  er  umb  ein  andrer  heren  lügt  und  sich  selb  in 
die  sach  schickt  dan  vier  in  nit  do  heim  ziehen  kinen.  er 
mein,  dz  er  ob  uiiß  leg  zu  sugen.  *)  hant  vier  sust  noch 
genüg,  van  idi  wen/)  ich  wel  sparen,  so  kumpt  atwegen  etwafl, 
dz  doch  vier  nit  behalten,  vier  migen  unß  nit  behelffen.  vier 
miessen  lechen,'*)  dz  dün  ich  vasst  gern,  hindcr  sich. 

Lieber  her,  ich  hab  verstanden,  wie  du  dockter  Niclaussen  ") 
umb  vin  schribest  gon  Nierenberg  zu  schicken,  dz  mich  freud 
het,  dz  du  ander  liten  vill  geben  und  dier  niemanß  nit  düL  ist 
eß  nit  genüg,  dz  du  vemet'*)  geschickt  hast,  und  machtst  deß 
dingß  zu  fil.  betest  du  sorg,  dz  vir  inß  huß  vin  hetcn  und 
ander  ding,  dz  vir  nohirfflig  weren,  ver  nitzer.'')  aber  du  hast 
alB  vir  ander  lit  sorg  und  nit  vir  uns.    vaß  hat  man  dier  heim 


1}  Du  h«lDt:  Der  ttitcliof  von  Straüburg.  Wilhelm  von  H'Olicnilein 

*1  Wir  aus  don  falgcndni  Brief  dniUkl-j  htrvorsehl,  <nr  Jalinb  ein  Sohn  Bernhard 
Vurmieti.  Dils|ir«chai(1  der  danioUem  SIlw.  daB  die  PaltizI ermahne  tu  lliiec  Ausblldnni! 
im  mllilirisdicn  oder  diplomKluilia]  Dioist  rar  cmizt  Zdl  %\üi  dnem  rfirsUn  oüaOtBfrn 
«i»ch)oucn,  v>r  Ji.k'ab  an  den  triKhüllidicn  Hol  gebnctit  worden. 

»}  VtUt=  vielleicht?    Id  =  leicht? 

«)  SIC    Bedeutims? 

»)  nuji  =  neu«, 

*t  Ntt  i«  »ahfsthdntldi  veradirichtn  »Utt  mit.  Der  Sinn  Ist:  Woin  Ich  nodi  «i 
viel  Odd  hitlr.  «i  ■müiit  ich  es  durch  Jhn  bald  Int  vcrihn. 

1  H    =  rt»l  ? 

t  lugrn  =  utugm?    ^Sinn:  difl  er  aitf  um  liegt  um  un«  lunauugm.) 
*l  •«)  =  »shiie,  meine. 
"Ulethen  =■  legen  f 

">  Der  Bnidcf  Oetnhaid  Vurnucn.  Dekan  da  81.  Thamautitt».  Vgl.  Knoi),  df« 
StifUhenoi  von  Sl.  Thomii  lu  StraBburg  (PiDj^.  tt9!}  S.  17. 

"I  vem«  =  Im  verjaneenen  Jshr  (Seher*.  OIms,). 
I*)  vcr  nllrer  —  Tire  nfllilkher. 


Straßburger  Frauenbnefe  des  1&.  Jahrhunderts. 


gesdiick  nit  also?')      du  üch  gedenck  an  dir  Sachen.      Geh  van 

i«r  einer  dier  ein  kint  vcrwjrgt  oder  üch  ewaß  dct.   so  gin  eß 

hien.«)    aber  den  Ion  im  buch»)  enwegtragen,  ist  nit  nütz,    du 

kanst   sust  uff  diß   niol   nit   anderß   werdienen.      loß   den   win 

dockter  Niciausen;  er  dar(f  in  selb;  er  ist  unwilig.    eß  ist  genug 

Und    nimp   mich  fremd,    dz  du  so  doret*)  bist,   aber  die  hofTart 

düt  dier  so  vol,   dz  du   diner  armüt  nit  gedenckts.     heten  vier 

den   rock   bezalt,   dz  unß  got  genod  det,   so  mecht  ich  gcliden, 

dz  der  n'chslag  ein  end  he(;  aber  ich  kan  vol  gedenckcn,  dz  eß 

unß  zu  vil  ver  zu  bezalen  und   loß  mfitwilig  ding  underwegen. 

nit  mc  dan  got  geb  dier  gesuntheil  und  sin  liebe  möter.    geben 

uff  dunderstag  noch  sanl  Qeronimuß  tag  an o  xx"  jor.*)    dz  meß 

Keterin  bcltz*)  ist  in  einen  brieft.    wan  min  her  von  Stroßburg 

kumptj  so  wurt  man  dier  in  geben.  Susana  Wurmserin. 

Adresse:  Dem  strengen  und  vesten  her  ßernhart  Wiirmser 
riter,  mim  besunder  lieben  heren. 

11. 
(Straßburg,  Herbst  1522.) 
Mynen  frintlichen  grüß  und  altes  gut,  lieber  her.  ich  han 
din  gesunthett  verstanden,  danck  ich  gol  dem  almechligen  siner 
genoden.  viH  mich  und  uns  alle  gesunt,  got  hab  lob.  lieber 
her,  du  hast  mir  geschriben,  ich  schrib  dier  numen  narenwerg. 
so  weiß  ich  dier  nit  wiß')  zQ  schriben;  dan  man  mich  noch 
nit  in  rot  gesetz  hat;  doch  hof  ich  uff  diß  winachtcn  so!  ich 
wiscr  werden,  lieber  her,  ich  mein,  ich  schrib  dier  zu  vil,  dz 
du  mied  werdest  miner  geschrifft;  ouch  veiß  idi  dier  nit  von 
vi!  gell  zu  schriben,  van  du  veist  vol,  vaß  du  mir  gelossen 
hast  hetesi  du  mir  III  oder  1111^  gülden  gelossen,  voll  ich  dier 
gern  schriben,  vie  eß  drum  stind.  susI  hab  ich  sy  nit,  veiß  ich 
nit  wisers  zu  schriben.     lieber   her,    viß  dz  ich  noch  uff  dissen 


>)  ei  hilf  fdiwa,  dine  SlUc  zu  vcnichen,  umsomdii,  d«  Im  Oiiüliul  Jede  [nter- 
ponklloa  (dhlt  [Ich  Khlai:«  vo> :  .  .  heltTi  gc$(liicli  ?  nil  (=  nicKb,  vgl.  S.  tio  oboi).  aUo 
da  Mi.  scdnh«  in  din  utlirn  <i<h.     l>.  HM.) 

■)  Sa  etnic  fi  hin,  d.  h.  v>  kOnnte  min  «ich  niftitden  erben. 

■)  Buch  =i  Diucli. 

*l  doret  ^  töricht, 

f,  UM  OUtober  1. 

•}  Du  Maß  an  Prli«,  den  tfch  Wonntert  TochWr  Kilhinni  vdiuchle.  Vgl  unttn 
Kathahnu  Brfrf  ui  Ititcn  Vaiei. 

n  a.  h.  «Ltc. 


Otto  Winckclmann. 


düg  iiit  enpfangcn  hab  von  unscrn  Zinsen  dan  xxV  gülden  uff 
Brümt')  und  sust  kliter  zinsel ')  von  Vendenheim,  Norßwilei 
und  vaß  uff  sanl  Martintag*)  gefalen  sint  kleine  zi'nß,  aber  sust 
keinen,  dan  do  obgeschriben  stol.  und  viß,  dz  mir  der  kieffer 
ein  stick  vin  koufft,  hall  xxx'  omen,  kost  dz  stick  win  xx'  gülden, 
und  sust  ein  halb  füder,  dz  fuder  xin  guMen  öberrinsch')  vin. 
do  macht')  du  vol  gedenckenj  vaß  ich  noch  vir  gelt  hab  und 
SUSI  ain  erlös  (?] ')  und  vaß  man  bedarff  inß  huß.  und  viß,  dz 
ich  noch  nit  vil  gilt ')  hab.  mir  ist  noch  nit  von  Vendenheim 
worden  noch  von  Hangenbielen  noch  von  Ilkirch,  dan  Clauß 
X  f[iertel).  sust  veiß  ich  dir  nit  zu  schriben,  dz  viß  ist,  lieber 
her.  die  trow  lol  dicr  vil  Eüis  sagen  und  bit  dich,  kumpt 
Eichhargus,  so  soll  du  im  ein  par  gülden  geben,  dz  er  hemd 
kouff.*)  so  vil  sy  dier  eß  wider  geben;  doch  nil  tne,  hat  sy 
mir  befolen.  vil  er  dun  alß  unser  sün,")  so  macht  er  schuld 
gcnQg  darzö.  lieber  her,  du  hast  mir  geschriben  unser?  syenß  *") 
halb  mit  sim  heren.**>  so  veiß  ich  nit,  vaß  er  by  im  düL  er 
lot  in  nil  mit  im  riten  und  lil  do,  vic  ein  mcstsu*')  und  lert 
nit  dan  essen  und  trinck  und  gell  verdün  und  ist  doch  nit  genüg 
domil;  die  schuld  muß  ouch  darby  sin.  liß  du  selb,  vaß  daruß 
wurt,  dz  gut  ist.  und  vil  ein  grosser  Juncker  sin  nil  mitsywer- 
lichkeit,'')  nunien  mit  wüst,  ich  voll  dier  eß  gcni  nit  schriben, 
van  eß  mir  ve  dfit,  dz  ich  sol  sparen  und  eß  so  übel  angeleit 
ist-  mein  ich,  du  soltest  im  uff  lügett  und  an  dich  heben  und 
im  nit  zu  vil  geben,  dan  eß  verloren  ist.    weger,")  er  wein  dan 


')  Hnim»lh,  ein  Ort  im  t'nltifls»!), 

I|  Klltlemntd  =  kleiM  ZInvn.    Vgl   OTimm  i.  v   KHtlcrsrhuld. 
q  Die  EiwUinung  de  MtrtinKnges  (Nav.  ii.)  gibl  einen  Anhalt  [Cr  die Diljeruiig 
des  Bli<fB.    Vgl,  unlcn  Anm, 
*)  obnTheinifch. 

■)  ZwnfelhiKe  Usut, 

*)  aaiid),  Natiiii]tti|{Rt>m. 

*)  Welche  .rrju"  hier  trmcint  Ut.  tUU  sich  lu*  dem  Drlct  nicht  cnlndiincn:;  wahr- 
icfarinllch  ßcmhanli  Mullrr  Agn»,  grbomc  Eilln  v.  Hoiburg.  Fär  d ine  Annahme  ipricht 
auch  ätr  \int*Hn4,  daß  drr  mriI  nicht  gtnäe  Idulip  Vornimt  Kkhhirpu,  d.  h  Euduriu«. 
in  d<r  Funllie  trlln  niclivrliliar  lit.  Im  Jthrc  tSM  tlndm  wit  einai  Cucturlus  Erlfai  Im 
Rii  der  Suilt.    (Siadtarclilv,  Daigtrtucbi.) 

")  Sohn,    Vi:l,  ilcn  voriRcn  Brief. 

«i  Söhnt. 

u)  Hertwi.  d.  h.  dw  BUchof  von  Sttiiibura.    Vgl.  den  vorigen  Brief. 

>*)  .MMlUU. 

u)  Sluberlidikdi. 
••)  mctr  •■  betwr 


Straßburger  Fraueobricfe  des  16.  Jahrhunderts. 


wir.  nil  me,  dan  gol  der  alimechtig  und  sin  liebe  mQter  weEIen 
dier  gKuntheit  verliehen,  dz  bellz  halb,  so  sy  so  dir^)  sint, 
loß  underwegen;  ich  darff  mir  selb  rit  so  vil  drum  geben, 
blibt  eß  vol  an.') 

Adresse:  Dem  strenger  und  vestcn  her  Bernhart  Wurmser 
rilcr.  mim  besunder  lieben  heren  zu  banden. 

Katharina  (Wurmser)  an  ihren  Vater  Bernhard  Wurirscr. 

Str.  SJ.-Arch.  IV,  J. 

Mynen  frinilichen  grüß  und  als  gCitz  zövor,  lieber  her  und 

vatter.    ich   laß  uch  wissen,   das  ich  frisch  und  gesunt  bin  von 

den   genoden  gottes.    solliches  beger  ich   alwegen   von  iich  zu 

herren.    lieber  her  und  valier,  ich  woll  uch  gern  bitten,  das  ier 

mier  nit   vergessen   mit   den   2epfenj   und  wolt  uch  gern  bitten, 

das  ier  mir  ein  nuwen   beltz  wellen  koufren.    nit  me,   dan  got 

spar  uch  gesunt.  ,,  „     . 

Kattcmn 

uger  d *) 


Agnes  Fagius  an  ihren  Gatten  Paul  Fagius  in  England. 

Straßburg,  2S.  Mai  15+9. 
Stnißb.  Univ.-Bibl.  Thesaurus  Baum.  XX,  72  (Moderne  Abschrift).') 
■Mehrung  götlicher  gnaden  und  alles  guten  wünsch  ich 
eucli,  freundlicher  lieber  herr  und  liauswirL  wie  hoch  mich  ewer 
vier  briefe  erfrewet  haben,  kan  ich  euch  nit  genugsam  schreiben, 
noch  vi!  weniger  gott,  unserem  himlischen  vatter  gedanken,  der 
euch  bede  so  gar  vcHeriichen  geleitet  und  jetzund  in  ewer  ge- 
warsame  und  zu  seiner  kirchen  in  Engeiland  gutem  und  besaerung 
zu  rüge  gebracht  hat,"  ...  Es ^Igen  Äußerungen  frornrrur  Ho/f- 
nungfn  unä  WQnsche,  sodann  MUkUangen  ziemlich  aUgemeiaer 
Art  über  die  Siraßirurger  Kirche. 


')  imm. 

■)  Unnnchrtfi  und  Di-tum  khim;  äixh  kinn  nich  Inlnili,  HandMlntftBBlAdKHe 
Un  Znird  kIiii  d>B  der  Brief  gleich  dtm  vorigen  lan  fvusuiiu  Wuraucr  IWTSlirt  Md 
•iJmtlwinlldi  in  d«  zweiten  Hälfte  dis  November  15!!  ReKtiricben  irf. 

*)  Die  UrucncNritl  i«  mm  Ti-Il  ibgcrksm.  Adrew  f^hll:  doth  rührt  dtr  Brief 
oRoiliar  von  der  Kitliiiina  Wannirt  licr,  die  sm  Schlüsse  des  ersten  BrIKe»  von  Susaniu 
Wurmirr  (oben  S.  W9>  er>ihn1  vinl. 

*|  Du  Onitlnil  bHciid  iklt  in  der  Bibliothek  d«s  protaLuitiichtn  Sciofcwn  lu 
SinBtiurg  und  iit  mit  dioei  ISIV  veibrtnnl. 


II  Meine  einsame  und  kiimmcrniis  wurffe  ich  immer  uff  in 
|Qott],  der  laßt  mich  on  trost  nit;  auch  erbieten  sich  vil  guter 
gunner  vil  guts  gegen  mir;  gott  seie  ir  lohn,  ich  binn  am 
Osler  zinstag  hinuff  gehn  Richeiiwiler  mit  unserem  Johannesen 
und  der  Charitas  gefaren  und  bei  Xllll  tagen  alda  bliben.  hat 
mich  zwar  die  fart  nit  all  zum  besten  empfangen,  dan  ich  aber 
(die  Wahrheit  zu  sagen)  ettu-as,  doch  nur  an  henden  ongieiching^) 
worden ;  doch  gotl  lob  bessert  es  sich  taglich,  und  wa  d.  Andemadi  ^ 
mirs  rahlel,  wolt  ich  in  ein  bad,  damit  ich  nichs,  dus  gottes  guttc 
mittel  sind,  versäumete.  Zu  Richenwiler,  die  zeit  ich  da  ge- 
wesen, ist  die  predig  verbotten  worden  von  den  rhäten  des  alten 
hertzogen;')  doch  wirdt  in  den  frügebetten  und  catechismo  kein 
ermanung  gesparet,  und  hab  ich  die  letzt  predig  von  inen  mit 
gantz  bekümertem  hertzen  gehöret  und  darnach  bede,  hem 
Niclauscn  und  hern  Malisen,*)  sehen  mit  einander  dahinziehen 
zu  irem  herren,  grave  Jörgen.*)  doch  hat  man  unseren  Johannesen 
nit  gcurlaubet,  der  mir  sein  und  der  seinen  wolfart  vor  4-  stunden 
hat  zugeschriben.  got  habe  lob  und  erhalte  doch  etwas  warheit 
hin  und  wider  und  steuhe")  allen  gotsfeinden  hie  und  allent- 
halben, so  fil  ewer  ermanung,  unser  liebe  Charitas  belangend, 
in  sich  hatt,  wil  ich  deren,  hertzlieber  hauswirt  und  gemahd, 
vleißig  nachkommen,  wie  auch  allen  den  anderen,  so  ir  mir 
freundtlich  zugeschriben  haben,  nit  not,  alles  von  stück  zu  stOck 
zu  eräferen.  ich  hab  gern  gehört,  das  ir  inn  ewer  glücklichen 
reise  und  ankörnen  unseren  Pauluni  gefunden  (den  ich  seer 
freuntlich  thu  grießen)  und  lassen  in  euch  nur  wol  dienen;  dann 
damit  dienet  er  gott,  seinem  vatter  selbs,  mir,  im  und  seinen 
gescJiwisterten;  dan  ewer  leben  auch  unser  heil  ist  und  bringet 
so  laß  ich  mir  auch  das  vertresten  des  Timothei  halben  gefallen; 


■)  Es  iil  m«ltc1h«rt,  ob  der  KapM  lUi  Wait  richtls  geleien  htl,  und  wu  a  be- 

ilfutcn  Ulli,     Nich  cf<'in  ZuMmnirRhanit  M  an  rinc  KmlhFil,    vicllacbt  Oidit,  n  licnkm, 

))  Dr.  Wintrr  von  AndMitith,  der  bcrahmtc  SirxKbtiTgFr  Ant.  Vgl.  Beniiyi  In  da 
ZBchr,  f.  Oodi.  d.  Obeirhtint  XVI,  liff..  »o  lul  S.  *1  r.  i  lucl;  der  vorllcitrndF  Brief 
trwihnl  l»t. 

*)  I>u  evuiKcllKhc  Rcichcnvtier  K^lifirte  lu  den  diJiMtKhcii  Enitrungcn  Wüiileni 
hfTp  und  hittc  (baiM>  wie  StriDburg  unicr  dem  Druck  de^  Intcrlmi  von  iS4l  lu  leiden, 
blt  Ctrsf  Oforg,  der  Bruder  da  .allwi*  Uttfoti  Ulrich,  die  evsnEelischen  Predleei  vleder 
tIniRiK.    Vel.  RMinch,  QcKh.  d.  Kctorm.  Im  tlluO  II,  2bZ. 

*i  MIcotBU*  K£ni|i  und  Matliiu  Erb. 

*)  Orir  OcoiK  befind  ilch  datnali  in  Sad  Utk  Im  Wallii.    ft6)iridi  a.  a.  O. 

*i  fleuhc  -  (teure? 


StraßburgeT  Frauenbhcfe  des  16.  Jahrhunderts. 


der  liebe  goH  gebe  das  gedeien.  idi  hab  ein  gute  alte  miiter 
bei  mir,  die  mir  und  dem  kind  vil  lieb  und  Irewe  erzeigt,  dan 
Bärbel  ist  uff  der  ostermonlag  hinweg  und  kompl  vor  Johannis 
nit  Widder,  wie  ir  selbs  wisset  auch  sind  wir  noch  in  unserem 
haus,  darinn  ich  bleibe,  bis  das  man  mich  heißet  ausziehen,  wie 
mir  dann  gute  freunde  haben  geraJilen  hausraths  halben  zu  be- 
balten bis  uff  ewer  weiteren  bescheid,  auch  des  Versehens  mit 
der  tinwaht  werd  ich  mich  ewers  raihs  und  geheißes  halten,  und 
anders,  so  euch  lieb  und  gefellig  sein  wirdt,  wie  es  Schwager^ 
Schwester  und  anderen  gange,  habt  ir  aus  iren  beigelegten  brieven 
zu  ersehen,  es  grießen  euch  sonders  freundlich  alle  und  mehr, 
dann  ir  mir  bevolhen  haben  zu  grießen,  on  not,  aller  namen  zu 
setzen,  und  besonders  die  alte  muter,  bei  deren  ir  einmal  in 
M.  Anthoni  Scherers  haus  gcßen  haben,  grießet  euch  seer,  vast 
fOraus  ewer  liebe  ChariJas,  die  immer  von  irem  Heben  vatter 
sagt  und  bitt,  ir  sollen  bald  widerkommen,  sunst  weis  ich  jelz. 
weiters  nicht,  dann  grießet  mir  h.  Martin  zu  M  mal  und  dabei 
euch  auch  selbs  in  herren  und  alle  gute  Herren  unsre  gönner 
bei  euch,  wie  ich  mich  mit  dem  Timotheo  solte  hallen,  wann 
ich  von  euch  abgefordert  würde,  und  anderem,  lasset  euch  kein 
schreiben  bedauren.  hicmit  M  guter  nacht,  biß  ich  selbs  der 
bott  würde,  der  segen  des  herren  walte  über  euch  und  uns 
alle.    amen.    Straßburg  uff  Urbani  MDXLIX. 

E.  hertzlieber  gmahel  Agnes  B.*) 


Alithia  SölI  an  ihren  Gatten  Christoph  Süll  [in  TricnlJ. 

[Strasburg]  16.  April  [15S2I. 
Straßb.  St.-Areh.  AA  576  a. 

Gnad,  sterckh  und  trost  an  leib  und  seil  verleyhe  euch 
gott  der  vatter  durch  seinen  lieb  son  unseren  einigen  heren  und 
heyland  Jesum  Christum  in  krafft  gottes  des  h.  geyst,  amen, 
ach  mein  herr,  weyset,  das  ich  ewer  schriben  vemumen  haben, 
dcrhalben    Ich    ser  erfrewet    worden   bin,    das    ier   so   gleöcklich 


>)  Agna  w  Dne  ecbormc  Ruchhaiiai.    Figlui  nennt  «It  in  der  Drldt^dreue  vom 
U.  ]bU  tf*9  mil  iiescni  ttuntn  (Thrt.  Bium.  XX,   III), 


inen')  kumen  seind.  ich  hab  imcrdar  sorg,  «  stant  nit  recht 
mit  euch  iind  weys  doch,  das  gott  schützen  und  schirmen  kann 
vor  gcwait  und  allem  ibcl,  den  er,  der  guettig  gott,  ist  allein 
gewaltig  und  mechtig  zu  erhallten  zu  seinem  lob  all^  die  im 
vertruwen.  so  weis  ich,  das  ier  eweren  trost  zu  disen  tels  Christi 
haben  allso  gefaßt,  das  ier  den  gewalt  der  erden  nit  ferchlen 
werden  und  sollen  in  auch  nit  ferchten.  was  zu  der  er  des 
herren  Jesum  Christi  dient,  das  sollen  ier  fürder  und  efich  gar 
nit  entsetzen,  warin  man  euch  ratts  tragt,  da  sollen  ier  grad 
nach  dem  wort  gottes  ratten  und  in  keynerk-y  bewitigen,  gott 
£eb,  wie  seys")  machen,  wen  wier  unschuldig  sind,  so  band 
wier  gnug.  vergend')  min  herren  Christo  nütt;  er  kann  euch  woll 
erhallten,  ferchten  euch  nit.  wie  woll  ich  weys,  das  ier  des- 
selben sins  sind,  so  mies  ich  euch  doch  lasen  wisen,  wie  es  in 
minem  hertzen  stand,  damit  ier  dester  bas  megen  handelen.  min 
gcmidt  ist  wie  das  ewer,  darob  zu  sterben  und  leben,  wie  es 
min  gott  gcfatt.  gott  gebe  glauben  und  sterckc,  amen,  der 
almechtig  gott  hett  mich  abermal  auffgericht.  dem  sey  lob,  ehr 
lind  dank,  wie  woll  ichs  nit  werd*)  beyn,  das  er  mier  so  gnedig 
und  barmhertzig  ist.  die  kirch  ist  zümlich  woll  versehen,  wie 
ich  mich  dorinn  verstant  es  verseycht*)  euch  herr  Jacob  im 
bladerhauß*)  ewer  amptt,  wie  woll  ich  jetz  nit  dusen  beyii,  das 
ich  sehe,  wie  es  drin  zugang,  den  ursach  halben,  wier  seind  alle 
drey  krank  worden,  so  hett  uns  die  muotler  heym  genumen,  so 
beir  ich  noch  imer  bynen,  aber  herr  Gal  ^  het  Maria  heyinge|nl- 
umen,  das  ich  nil  weys,  wie  Ich  mich  halden  sol,  ob  ich  ein 
andere  deyngen")  soll;  ich  ferchl,  es  sey  nimen  vir  mich,  des 
weins  halbenj  wie  ier  mir  befollen.  haben  ich  sollen  eyttwcderst 
dem  pfarer  oder  dem  herr  Tiebald  geben,  so  hent  sey  nit 
nemen  well,  herr  Cuorad  hett  den  roden  wein  auch  nit  neraen 
wellen,    so  beyn  ich  der  hoffung,  ier  werden  ebald")  kumen; 

■)  Inen  s  Innen,  d.  h.  hinein  (nidi  TrietiQ. 

^  *\t «. 

•)  vrr)[B»rni1  =  vergtAI, 

^  wrrt  =  vdRlie. 

•1  »craidit,  d   h    vcrttill, 

*)  BUntttuin.  üu  stlilliichc  Splul  für  Syphltiliichc. 

^  Der  Ninic  iit  tclit  unjculllch  Kc*cbtidlcn  uad  bSnnl«  iuth  inden  nt  Ictcn  Kin 

•)  dingen. 
•  ■)  Du  «  1(1  ciirmtlkh  von  .bkid»  in  tKUun.    Ci  bedNtet  In  dw  MiuHlut  etwa 

w  vld  wie  .ohaebln*  oda  >Jm  docb'. 


so  bein  ich  woll  zu  früden,  das  ich  den  wein  noch  hab.  des 
scheider  ^)  halben  derffen  ier  Weyn  sorg  han,  dan  es  schon  auß- 
gericht.  ich  hett  noch  veyll  zu  schriben ;  so  wissen  ier,  wie  ich 
eyn  schribrin  bein.  drum  jetz  so  vir  gutt,  nil  mehr  auff  dis 
mall,  sind  gort  befollen;  es  gries  die  mutter,  groQniutt,  Anges, 
Margredle,  Irene,  Elleisbel,  und  seilen  von  unseretwegen  herr 
dock[t]er  Marbach  *}  frindlich  gries  und  alle  fr[u]tne  brieder, 
Dathifn  den  xvi  tag  abrelen  (1552).  ^uthig  Söllin  ewere 

verlruwle  hau6frauw. 

Adresse;    Mein   freundüichen   lieben   herren   Christoffel 
Seil  zu  banden. 


L 


Frau  Wibrandis  an  ihren  Sohn  Johann  Simon  Capita 
in  Marburg. 

Basel,  14.  März  1557. 

Straßb.  Thom.-Arch.  2t. 

vOnad  und  drost  und  vill  wisheit  und  Ier  von  gott  durch 

unseren  hercn  Jhesum  Christ,  lieber  Hans  Simon,    ich  hab  kein 

bottschaft  von  dir,  sidcr  das  der  bott  von  Margburg  by  mir  ist 

gesin,     ich   versieh   mich   aber   woll,   wen  ich   schon   bottschaft 

von  dir  haben  würt,   das  sy  mich  nit  erfrewen  würt;    den  es  ist 

din  alter  brüch,  das  ich  nütt  den  crüz  von  dir  hab.    o,  das  ich 

den   tag  erleben  solt,  das  ich  euch   ettv.'as  gutta  von  dir  hört. 

Wolt  ich  darnach  mit  freuden  sterben,    din  gesellen,  die  mit  dir 

pakclary  ■)  sind  worden,  die  sind  schon  alle  maislcr*)  und  bredigcn 

All  ins  margrafenland.    darum  lug  und  schik  dich  auch,  das  du 

<lin   gelt  nit  vergeben   verdügest,   und   wen   du  din  dt  erlebest, 

Uas  du  oöch  den   lütten   nüz  syest    es  sol  kein  mensch  leben, 

er  sol  lügen,')  das  sien  leben  gott  und  den  menschen  nüzlich  sy. 

du  weist  wollj  worzu  du  von  dim  lieben  vatter  seligen  verordnet 

bist     lug  und    Vüm   im   nach;    du    bist  nümen  so  kindesch,  du 

weist  woll,   was  du  dun  solt,  was  wol  und  übel  statt     ich  wolt 


t  V«rKhrie(Mn  »laH  .sehnriilH-*?    Oder  rin  Eigtiuiam*? 

^  Die  tnir  Sllbt  4es  titmem  ist  luum  Iscrllth:  rt  lonn  lieh  tbrr  mir  um  den 
ThcolosBi  Marbach,  :n  dnicn  Btulcilung  (ich  SAU  Driind,  huiddn. 
*)  Bjcciiiurcl. 
*l  d.  h.  MtglalcT. 

ArM*  (Cr  Kultursncliicliir    II.  18 


gar  gern  wüsen,  wie  es  dir  gieng  und  wie  dö  dich  hieltest  oder 
wo  du  ru  disdi  gicngest.  lug  und  gesel  dich  zu  fromen  Ifttteii 
und  gnis  mir  den  lieben  Herren  doüor  Jonhanes  Lonyzenius,') 
din  rektor,  der  dir  underschrlbeti  hatt,  und  bttt  in,  das  er  nit  zürn, 
das  ich  im  iiit  selber  schrib.  du  wei&i  wo],  das  ich  nit  wol  kan 
grosen  heren  schriben;  aber  wo  ich  im  aJs  ein  arme  wiltwe 
kontte  dienen,  wolt  ich  alle  zitt  willig  sin.  din  vogt  würt  dir 
die  XVIII  gülden  schicken  by  gewiscr  bottschaft  do  lug  und 
«und.  halt  dich,  das  kein  klag  köm,  und  nim  aiweg  disen  guttcn 
Herren  zu  ralt,  was  du  dun  wilt.  das  gell  sol  dim  rektor  uber- 
anttwortt  werden  on  feilen.*)  lug  und  schik  mir  kein  botien  me; 
den  der  kost  gati  allen  us  dim  sckel.  lug,  bys  aperlich')  und 
studier  nisig.  gang  dim  befelch  trüllich  nach,  bis  goltsforchtlg, 
trink  nit,  spill  nit,  lüg  nit,  bis  ufrecht  in  allen  dingen,  butt  dich 
vor  huren  und  bcser  geselschaft ,  erweli  dirs  gutt  und  las  das 
bos,  do  mit  du  mögest  sin  ein  tempell  gottes.  fluch  die  bos 
weit  mit  allen  iren  lüslen  und  erwell  dir  zu  sin  ein  diencr 
Christe,  wie  din  lieber  vattcr  selig  gsin  ist;  so  wurst  du  mir,  der 
grosmuler,  dinen  lieben  Schwester  und  schweger  und  der  ganzen 
fruntschaft  ein  gros  freud  und  wolgefallen  (hun.  es  ist  keins 
UTider  uns,  es  wurd  Üb  und  gut  zu  dir  sczen,  wen  du  nümen 
ein  wenig  dich  schikesL  süst  werden  wir  dich  das  din  lasen 
vcrthun,  und  wen  du  grech  *)  bist,  so  mOstu  lugen,  wo  du  ander 
ubvrkümest;  den  do  ist  niemen,  der  ein  heller  für  dich  geb. 
darnach  wus  dich  zÜ  richtten.  hiemit  bis  gott  befollen.  es  grusel 
dich  die  großniutter,  Irene,  Lisenbettlin.*)  geben  Base!  am  XIIII 
tag  merzen  im  Ivii  jor. 

Angnes  und  syn  man»)  sind  ins  margrafenland,  hand  ein 
guttcn  siz,  gatt  inen  gar  woll,  hand  ein  jor  beser  dan  hundert 
gülden,  und  hatt  der  margraf  ein  stipcnd  angericiit  hie  zu  Basel 
für  XII  jungen;  gibt  eim  ein  jor  XXX  gülden,  wen  du  hie 
wcrest  und  wollest  recht  thun,  ich  wolt  dir  wol  eins  überkämen. 


I 


I 

r'l  Johanna  Ixnilctnii,  Profninr  In  M>tbii>E-  fl 

^  Ohne  Fehlen,   unfrhlbu  ^ 


'1  Johanna  Ixnilctnii,  Profninr  In  Matbii>E- 
■)  Ohne  Fehlen,  unfrhlbu 
^  bii  iper!l«ii  ^  Mi  rptn^m, 

«I  Mm  kbiinit  anntilh  auch  leten:  slKh.    Bedratung'    Vgl- Hllddinndt  Arltlvt 
■  Kntkc*  in  Orimm'i  Wßrteibuch 

>)  Ell»ibct3i  l>u«(.  dk  VcrfuKriii  dn  unten  ibifnliucklca  BiMt. 
^  Aprci  Capito  udJ  ihr  Mann,  der  Pfarrer  Jakob  Meyer, 


L 


Straßburger  Frauenbriefe  des  16.  Jahrhunderts.  187 

das  gib  ich  dir  zu  bedenken,  wilstu  recht  thun,  so  küm  heim; 
wiltu  nit,  so  thun  was  du  willt;  ich  riet  aber,  du  sparttest  das  dine. 
ich  schik  dir  hie  ein  gut  jor. 

Wibrand  din  getruwe  mutter. 

Adresse  [von  fremder  Hand]:  Dem  dugensamen  und  ge- 
lerten  johan  Simon  Kapido  Studios  jetz  zu  Marburg,  minem  lieben 
sun  zu  banden. 

Elisabeth  Qleser,  geb.  Butzer,  an  ihren  Sohn  Adelberg. 

[Basel  zwischen  1595-1600]. 
Str.  Thom.-Arch.  21.  Orig. 

Meitterliche  *)  triw  und  alles  gutz  mit  hertzlicher  weinschung 

alles   gleicks,   heil  und  wolvart  wele  dir,  lieber   son,  alle  zitt 

■widervaren.      weiters,   lieber  son,  so  wis,   das    der   herr   Hugo 

Bruchton  weider  hie  ist,  welcher  zum  tocker*)  gesagt  hatt,  wie 

«r  dir  ein  gutte  virgeschrift  geben  habe,  und  so  dir  gott  ins  land 

lieilft,  das  du  als  haben  würst,  so  du  terftest^,  das  ich  worlich 

vir  ein  sonderliche  anschickung  gottes  halte,  dan  dus  gegen  im 

nicht  verteinen  *)  hast  kenen,  aber  du  wol  erachten  magst,  dan  *) 

CS  dir  umb  deins  gelen  har  wilen  nicht  widervaren  ist  oder  umb 

deins  hohen  verstants  Teilen,   sonder  umb  deins  fromen  groß- 

■vatters  weilen,  der  dir  solches  mit  surer  arbeit  verteint  hatt  und 

in  sein  leib  und  leben  kost  hatt,  do  mein  liebe  mutter  und  ich 

und   meine  geschwesterte  seiner  heilf  gar  zu  freig  band  meisen 

beraubt  werden,    und  diewil  wirs  nun  nimermehr  geneisen  megen, 

-weder  aleinig  du  und  vetter  Wolfgang,  so  bite  dich,  das  du  die 

zitt  und  die  gutt  gelegenheitt,  die  dir  von  gott  kumbt,   wot  an- 

l^en,    wie    vetter  Wolfgang,   do  jetz  seine  elltem    mit   grosen 

freiden   seiner  ankunft  erwartten.     dan   es  dir  gar   ibel   anston 

würde,  wan  du  die  zeit  verlieren   leißest,   diewil   du  selber  on 

min  wilen  und   on   mein   rot  dich  in  den  weiten  weg  begeben 

hast,  das  ichs  denocht  mus  im  verfocht  sein,  ich  hab  dir  heimlich 


1)  Die  VerfisKiln  enetzt  mit  Vorlidw  ie  und  fl  dnt^  d  tucb  di,  vo  n  ^Dt  tm- 
Ji^cbncht  itl ;  so  hier  .meltterlich-  stitt  .mfitterlich-,  .veinKlituiK-  ttttt  (Wämcbans*  rtc 
I)  Doktor  ?    Die  LcMil  ist  ivdlellitft. 
■)  bedörite. 
*)  verdienen. 
^  Wohl  VEncbrieben  fGr  „daß: 

13« 


dorzu  gehulfen.    das  weist  gott  und  du  audi  wol,  das  es  nicht 
est;    dan    ich  dirs  atc  zit  gewerdt  hab,    es  sei  dan  sacJi,    das  du 
maister  seist     aber  es  halt   dir   allso    gefalen;    dan    du    mir  ein  ^ 
grosen   kumer  zur  lelze  gelesen  hast,   wil  dus  doch  ehe  im  sin  ■ 
hast,    hetest  dus  doch  mit  wisen  und  willen  geton  des  h.  weders ') 
Jacoben  und  deinen  Butzeyem,»)  dan  ich  niemand  ansehen  darft  [?] 
und  mich  schämen  muß;  aber  ich  muß  dem  lieben  gott  befelen, 
der  mich  allso  in  alweg  brobirt,  gott  wil  mir  die  gnod  verleichen, 
das  ich   die   brob  meg  außsteen.    dorumb  bit  ich  dich,   das  du 
die  zitl  deines  jungen  lebens  wo!  anlegest  und  kein  stund  ver- 
geblich heinschlichen  lost;  dan  es  kein  greseren  verlaust  ist,  dan 
wan   die  jugcnd  ir  zit  tbel  anleiht,  dan  sie  nimer  zu  gewinc  ist 
wie  gelt  oder  gut!    dorumb  bis  fkisig.    vas  du  hie  versaumbt  ^ 
hast,  das  weisest")  du  villfeEtig  wider  ersetzen,   das  es  nicht  demfl 
allten  Sprichwort  nochgange,  das  ein   gans  iber  mehr  fleig  und 
ein  gans  widerkum;    dan  mir  der  all  herr  Bruchton  seit,    das  er 
dir  ein  firgeschrift  geben  hab,  das  man  dich  erhalten  meise  vott 
wegen   deins  fromen   grosvatters,   so  du   deisig  seiest  und  dich 
wol  halteHs.    dorumb  bit  gott  lag   und    nacht,  das   er   dir  den 
heiligen  geist  verleichen  wel,  das  du  allem  dem  nachkumen  meges^ 
was  dir  zu  leib  und  seien  nutz  sei,  das  du  auch  ein  steicklein  an 
deim  fromen  h.  grosvatter  ersetzest,  dan  es  gar  scheimflich  were, 
wan    so   vefreimbt*)   leiten    keinder    sich    ybel    heilten,     dorumb 
bit  gott,   das  er   dir   die  gnod    verliehen   wele,  das  du  niegest 
altem  besen,  altem  augenlust,  allem  fleischeslust  noch  alles,  wa^i 
in  deiser    weit   herlich    seirt,    megest    orla..*)    geben  und  feind 
sein  und  dir  nicrgend  mer  angelegen  sein  losen;  dan  als")   das^ 
[nitj  ^  zu  gottes  lob  und  ehr  teinnen  mege.    weiters,  so  gib  du  f 
mir  ein  bericht  von  den  zum  enge!,')  was  du  im  geben  hast;  dan 
er  nicht  mehr  geston  wil,   dan  das  du  im  ein  mol  geben   16  i^. 


I 


')  HtctTm)  Vttitn?    Mci;Iicho*d»C  I«  a  tudi  ein  FamillcnnBmc. 

*)  Dk  BuUcrxhc  VcrvMdtKhaft? 

■)  Zwcifclinttt  ta*n.    Vtrachrirben  für  >wrllnl-? 

*)  rarreJmbl «-  btrflliini. 

*}  uiUub?    r^  M  in  dlncr  Stcllr  dn  hMta  dn  kicinr*  StOtli  a&ecriMtn. 

")  ntlo?  1  Hirt  I»  ein  Slfickda  Bloim  ibKcMucn  Ich  vennute,  d«BdaiVorT 
■nit-  darauf  KnUndoi  hil,  |,nl('  muß  «ohl  «t](fillciii  .nitigcnd  am'  und  ,4ut  ab'  le- 
h&rcn  luumiiiBi.    D.  R.j 

*|  Bciiehl  lidi  offcnlur  Ulf  nn  WlrUKout  .luni  Engrl*. 


Straßbiirger  Fraucnbiiefe  des  16.  Jahrhunderte. 


I 


I 

I 

I 


das  andr  mal   6  5**  etlich   scheilig.')    mir  inein(eii],   das  du  im 

vem  geben  hast,   das  sei  nich    aufgeschriben  worden,     so  bricht 

du  uns,  was  du  im  geb«n  hast  und  wem  dus  geben  hasl,  domit 

mir  in  kenen  bericliten,  dan  ich  noch  sunst  gnug  zu  zaien  hab, 

dan    ich    in   den  schulden    sterben  mus.     welest  auch  dem  alten 

herren  Bruchton  und  dem  Englender  wider  schriben,  dan  es  der 

zum  Wolf  gar  ybcl  bcschmocht*)  hatt,  das  du  in  nichts  gesdireiben 

hast  aus  der  Frankfurter  mes,  und  in  tinken,  dan  ontankbarkeit 

ist  ein  lastcr.    so  du  gelegenheit  haben  magst,  so  schrib  inn  und 

allen  gulten   fnnden   und  unserm  schwoger,  von  dem  du  doch 

kein    Urlaub   genumen    hast,      vis  auch,    das   mir   nur   ein  brif 

«nbpfangen  haben  und  der  Graser  ein,   der  gesagt  hat,   wie  du 

seinen  bruder  brelf  geben  hast,   welthe  uns  nicht  worden  seind. 

bit  auch  den  veter  Wolfgang,  das  er  wir'')  des  lands  gelegenheit 

Weis,  den  [wenn]  einer  13  jor  an  eim  ort  gesein  ist.  magstu  wol 

erkenen,  das  er  teil   mehr  wise  und  auch  einem  andern  rotten 

kene,  der  das  land  noch  nicht  erkundiget  hat  und  sein  art  nicht 

Weist;  dan  dus  in  alweg  beser  hast  dan  veler  Wolfgang,  dan  er 

niemand  kanft)  hat,  der  inn  underwisen  hat,  wie  er  dir  tun  kan. 

"welest   dich  auch   das   mul  nicht   losen  yberylen,  das  du  nicht 

Speisen  est,  die  dir  schaden  mechten,  dan  du  ein  bleden  tnagen 

'hast     o  beheilfe  dich   in   allem   dem,   so  du  haben  magst,  das 

vir  dich  ist;  denk  an  deiner  mutter  teist;*}  dan  soltl  du  kranck 

werden,  so  het  du   niemand,   der  dir  wart,  und  sumbt  dich  am 

studyeren,   dan  die   krancken  seind   in   denen  bnden  nith  wert 

und  deins  namens  halben  bleib  du  by  dcins  vatlcrs  namen,  der 

auch  ein  fromer  erlicher  man  gewesen  ist,  des  du  dich  nith  be- 

schcmcn  solt,     so  du  dyn ')  endern  wiltt,  so  schrib  dich  Oleser 

genant  ßutzer,  wie  dein  schwoger  h.  J. .  nit  mehr,   dan  bis  gott 

bevolen   in   seinen   schütz  und  scheirm,   der  wele  dir  ein  engel 

senden,  dich  leiten  und  fier[enl  auf  allen  gottseligen  wegen,    es 

grcist  dich  a!e  mein  keinder  und  freind  und  die  Bärbel,    so  du 

kanst,   so  greis    uns   den    veter  Wolfgang  zu  vill  tusend  molcn. 


1  »diitliniE. 

>l  bnfhmlkt,  d    h.  geUdelt, 

•I  Vrrwhrlcbrn  für  .dlr-f 

<t  Sic!  =  Ti>ch?    (WüJil  =  idfitjäi,  DJfiiit.  vel.  weh  S,  t90.    D.  RKt.| 

■t  ZvrildhafW  Lmrl.    Dyn  =  deinen  (Namen)  ? 


r 


Datum')  II  tag  aberelen*)    von  mir  Elisabeth    Butzrin,   din    lieb 
bekimert")  mutler  bis  in  tod. 

Dein  gesundheil  haben  mir  in  deinen  scliriben  ventxn, 
welches  uns  wo]  freit,  wis  das  mir  auch  alc  gesund  seind.  gott  si 
fob.  gottwoSe  dich  und  uns  alle  in  guter  gesundheit  erhalten,  sage- 
dem  veter  Wolfgang,  ich  het  im  gern  ein  klein  zetlin  geschriben, 
aber  die  zeitt  wils  nicht  gäben,  sag  im  meinen  frindlichen  grüß, 
welligen  teinst  gott  wele,  das  ich  halt  mit  grosen  freiden  ken  mit 
im  reden;  will  ich  bed  in  gcllichen  segen  bevolcn  haben  von 
mir   Elisabeth  Gleserin  leibc  schwrstcr  bis  in  tod,  in  groscr  eil. 

[Am  Rande:|  Vergis  aunser  nicht;  mir  vergesen  deiner  nicht 
wan  du  schriben  kanst,  so  schnb;  dan  du  din  muttr  nicht  bas 
«rfreien  karst,  dan  mit  einem  brief. 

Adresse:  Deiser  breif  gehert  meinem  leiben  son  Adelberg 
O  lesen 

Elisabeth  Lorcher  an  ihren  Gatter  Johann  Karl  Lorcher. 
Straßb.  Sl-Arch.  IV,  J. 

]. 

(Eigenhindig.) 
L  D.*)  S.*)  auff  mendag  vor  sandt  Jergen  tag  ö6.  [22.  April  1566.) 

Meinen  frindlichen  grüß  und  alles  guts  zu  for  herlz  lieber 
Karle,  wise,  das  ich  din  schreiben  empfangen  hab,  velches  mich 
gar  wol[  erfreigt  halt,  das  ier  mit  gesundheitt  dar  kumen  sindt 
und  loB  dich  wisen,  wie  es  mier  gett  wie  du  fon  mier  bist  ge- 
retsl,  das  ich  gar  kranck  bin  gewesen,  wie  du  dan  woH  weist 
aber  gott  hab  lob,  es  ist  bald  beser»)  um  mich  worden,  aber 
iber  Vlll  tag  bin  ich  gar  kranck  worden,  das  ich  in  IUI  tagen 
nie  auB  mim  beCt  bin  kumcn,  da.s  ich  weder  sten  noch  gen  noch 
ligen  noch  sitzen  hab  kinen.')  aber  gott  dem  heren  sig  lob 
und  danck  geseit,   es  ist  be&er  mit  mier  worden,    ich  weiß  dicr 

■I  OnrliTlrbcn  itl:  DVM.    Dir  Jihrmihl  hinn  ä\n  mrinn  r.nchtrni  nldil  bfdMIsi. 

l|  April 

*i  Znifelhaftr  Lesart. 

<^  U  D.  =  Law  Dco,  die  in  Kouftiunnibriricn  bcMndtn  bcUelilr  £inK*iiK»tonn([. 

^  S.  =  Scrlptun. 

^  b«Mpr. 

n  Lorchen  5chartner,  Daiiltl  Biiucli,  bcricliicl  aber  dlnc  Kraiiktiell  der  Tnu  im 
1$.  April :  •Ul  e'cl'c'K'vl  die  IriuT  vcTKhlnnttic  vacli  clllcbc  Ug  nlchl  viit  vol  n  pa0 
RFvncti,  «ondcr  vFhrlngFn  itn  rucli«i  imd  Icndm  gchipt,  ttmt  gM  lob  jrtimali  wider  fein 
und  ilmllch  vn9iut.> 


Straßburger  Frauenbriefe  des  16.  Jahrhundoll. 


19t 


auff  dis  moll  nit  mc  zu  schreiben,  wie  dan  der  Dangel ')  dicr 
auch  geschribeti  hat  wer  min  frindliche  bil  an  dich,  das  du 
midi  auch  liest  wisen,  wan  dier  unser  lieber  her  gott  wider  heim 
wot*)  helfen,  das  bit  ich  dich,  das  du  miers  nit  welest  fer  halten 
und  michs  wisen  loßen-  ich  hab  es  nit  kinen  fer  halten  und 
dier  ein  kleines  briefel  miesen  schreiben,  das  du  siest,  das  ich 
an  dich  gedenck;  dan  ich  und  min  Schwester  sin  allein  gewesen, 
dan  nit  me  auff  dismol,  dan  goH  geb  djer  fil  glick  und  gesund- 
heit  gott  wel,  das  du  mit  freiden  wider  zu  mier  kumbst.  lost 
dich  jtriesen  min  scliwager  Israhel  und  Berbel  iind  feter  Peter 
und  besei  An,*)  die  alt  und  die  jung,  und  feler  Marx  und  feter 
Ascnmus.  ich  habs  nit  bescr  kindt.*)  nemen  so  fer  gut,») 
lieber  schwogcr,*)  und  fer  gesen  unaers  kroms ')  nit  am  cnd.*) 
Adresse:  Dem  für  sichigen  und  weußen  hem  Johan  Karle 
l-Orcher,  minem  lieben  haußwürtt  zu  handen  in  Augspurg.  [Da- 
runter von  Lorchers  Hand:]    Recepi  per  postam  4.  Maij  66. 

II- 

(Eigfnhändig.) 

Straßburg.   (9.  Mai   l566. 

Meinen  frindlichen  grüß  und  alles  guts  zuvor,  hertztieber 
Karle,  ich  loß  dicli  wisen,  das  ich  din  schrtben  cnpfangen  hab, 
welches  mich  gar  hertzlich  woll  erfreigt,  das  ier  alle  frisch  und 
gcsundt  sindt  gott  der  allmechdig  geb  witer  gnad.  vise,  das 
ich  in  zimlicher  gesundheii  bin,  wie  min  alter  bnich  ist,  gott 
hab  lob.  wise,  das  ich  dier  nermals  hab  geschriben,  du  solsst 
niier  blogen  kelsch*)  kauffen,  wer  min  frindliche  bit  an  dich,  so 

I)  Dmld  BirKdi,  der  Sekretir  und  OfilervcrviJtn  Lorcber«.    Vgl.  nötigt  Anm. 

«)  wolt 

■)  Bliclc  Aniu. 

*)  ettioniti. 

•J  iurWA. 

*t  Wer  nag  mit  dem  Sdivifcr  gemeint  «wa?  VleUeidil  einer  von  den  Bcgttllcni 
Lordiei»? 

■>  MjI  drin  .Kram-  sind  volil  die  von  der  BrlefKhrdberln  eevänichlen  kleinen 
FtalAAi  in  Aaipbori:  gcnieint. 

•)  Unlerwhntl  tfhit 

*i  Blauer  Kel^di  nder  KAlüdi  (r1i>ni)hch  KAtlnIvh),  ein  bBoniicrs  lu  BpntvnäKtn 
gefemchlcr  Stnff.  (Vgl.  Qrinim).  Duiicl  Bitlich  hwtc  im  Aullng  ücr  fnu  «hnn  im 
■  ).  Mai  sekclitlcben,  »ir  luac  blltcn,  .ir  waltmt  ir  ein  ituck  hüpKtien  gtoti  CMlnMi  und 
«in  t.iu<k  niillf]!  Cällniich  lu  bellen  klittidcn ;  dann  et  umb  rizi  litnlichct  seltt  zu  Anfapurg 
dMll  liihir  lu  hckhommen".  Auflentem  hiitt«  Blfbeb  «m  B,  April  folErnde  Bitlc  CllubMtu 
Mdl  AoiLilmre  ütict  in  Hielt  -  -Ii  TülLeiil  Ir  rtvinn  ein  duUet  Echäne  lintgen  mit  dem;  pnlln 
Mkk  m  cuTcren  htnibdem  khauttcn.* 


in. 

(Ausfertigung  von  Jakob  KyUmeyer,)") 
Straßburg,  20,  Mai  t56fr. 
Meinn   freundlichenn    gniß,   eheliche   lieb   unnd  all«  gutte 
bevor,  lieber  hauüwurth.     wüß  unns  alle,  gotl  loh,  noch  inn  gutter 

I)  tirul. 

))  Übo  (Eine  Anüctci^hFit  schreibt  Birttcli  im  13,  Mii;  .SvnMrn  Litclilcialcicgn 
(liHfdiKliIrr,  ihr  Hnlri,  vüilli  liu  m<»j:rn  dm  14.  üiH  iiioimti  lu  kirchen  gehn  unnd  die 
hochKJtt  In  Nnivriler  halt  halnm:  hibm  der  franven  ^r  i'Frgnwn  und  nie  nldiT  pUdmn. 
hettF  vrnnclnt,  lie  <räsüen  movere  liiuifiiuv  Irin  rusiririii  absHm  «bcn  tomt  ali  inn 
gCKrnwIn  CAr  dn  timnilln  cikiiiiil  uml  lur  liixlitrin  titnilltn  lulK-nn,- 

t  Bezieht  »Ich  votil  «itf  eine  Umlihri  dn  Jungw  Pum  mit  den  Vervandttn  uod 

t)  WpUch  und  Trommeln. 

>>  liricl  Oicis,  ihr  Schwig«.    Sein  Brief  iil  cbcnfiili  noch  vor3i*ndm. 

4  Ei  wsi  äEhtlfiin  Uutdicr«.    Mchrctc  Bride  rem  ihm  m  Kincn 


I 


du  es  kanst,  mier  auch  etn  wisen  barchant  mit  blogen  stricben 
bredist.  wisc,  das  die  besel  An  ein  schwere  kranclcheit  hat  gehan; 
aber  es  ist  beser  worden  und  der  klein  Iscrtiel')  hat  ein  hert 
feber;  gott  nems  im  ab.  wise,  das  man  mich  nit  zu  Samsson 
doch[t)er  hochzit  geladen  hat.*)  icb  bin  kein  besel  do.  man  hat 
mich  auff  das  außfieren")  geladen,  aber  ich  bin  nit  kumen.  wer 
ich  auch  Pafen  geschlechl,  so  hat  man  mich  auch  geladen, 
Hodap,  Rishoff,  Schwend,  die  heren,  sindt  do  gewesen,  heriich 
und  kestlicti  zugangen,  die  Hochzeit  ist  in  dem  Nugwiler  hoff 
gewesen,  mit  pifen  und  dnimen  *)  gedantz.  aber  ich  wil  es  ge*  I 
dencken ;  ich  hab  mich  woll  darauff  gefreigt.  ich  weis  dier  nit 
fil  zu  schreiben;  dan  gott  der  almechdig  geb  dier  fil  glidc  und 
gesundheit  gott  geb,  das  mier  mit  freiden  zamenkumen.  die 
wil  ist  mier  gar  lang,  das  wise  gott  ich  hab  es  dier  nit  kinen 
ferhalten  und  ein  kleines  brieflln  gesriben  in  groser  kimemus,  wie 
du  dan  in  in  Iserhels')  brief  warst  finden,  domit  du  es  sicst, 
das  mier  zwo  an  dich  gedenken,  der  sreiber,  der  den  bricf  hat 
geschriben ,  kenen  ier  an  der  schrifft  wol.  lost  uch  frindlich 
griesen  und  ale  gute  frind.  Datunib  auff  den  sundtag  den 
ninzehen  mai  66.  Ellisbct  Lorcherin  iger 

lieben  hausfrow. 

Adresse:  Dem  emhafften  firnemen  und  wisen  her  Johan 
Karle  Lorcher  mim  lieben  hußwurt  zu  banden  in  Augspurg. 
[Darunter  von  Lorchers  Hand:)  Recepi  26.  Maij  66. 


1 


I 

I 


i1i*ndm.  fl 

ncn  HtRCB  dMMk..  J 


gesundtheytt.  dergleichenn  von  euch  m  hören,  vernimm  ich 
gem.  gott  wolle  untis  inn  gnadenn  unnd  langwüriger  gesundt- 
he)1t  lang  gtfristen.    amen. 

Dcinn  schrcybenn,  lieber  haußwürth,  ane  inich  den  il^^so 
dann  den  14""  maij  außgangenn,  liab  ich  wol  empfangen,  fug 
derohalbenn  dir  zu  wideranlwurti  auFf  dato  des  ersten  brteffs,  das 
mir  die  zwey  zugesanten  bOchlinn  QberiQffert,  welche  ich  em- 
pfangen und  deinem  bevelch  nach  auch  gericht  habe. 

Florianum  unnd  seinn  hausfrauw  von  wegen  dein,  deß- 
gleichen  Matheusen,  Florians  bruder,  zu  gnissen,  ist  beschehenn, 
und  hallt  sieht  die  sach  mtlt  der  Hester  nicht  am  bessten;  datin 
ir  kranckheytt  immer  wehrend!,  dheinn  besserung  zu  gewarthenn. 
gQtt  wolle  scinn  gnad  verleyhenn.   -  - 

Die  abcontrafactur  des  wustenn  crocolillen  hab  ich  vor  langem 
bey  unnsenn  Venningem  ersehen,  das  ich  vetler  Marxen,  dero- 
gleichenn  sein  hausfrauw  dochtermann  unnd  dochter,  schwager 
Israhelen,  Barbaren  unnd  alle  unnsere  verwanndte  unnd  gutte 
freund!  grüssen  soll,  hab  ich  sollichs  >:um  thcyll  außgcricht;  dann 
bcscl  Anna  ettliche  tig  nicht  am  besstenn  auff  gewesen,  so  hatt 
steh  donnerstags  den  1 6*"  huius  mit!  schwager  ErafJmo  Heltem  ein 
sonderer  Unfall  zugetragenn,  das  namhch  ein  dielen  vonn  der 
Mößingcr  gadcn,  so  die  werckleuth  auffzogen,  herabgeschlagcnn 
unnd  ime  den  einen  fuß  im  fürübergöhn  (das  bnett  wie  mans 
nennt)  erwüscht,  dasselbig  mursch  entzwey  geschlagenn,  also  das 
er  grossen  schmertzcn  Icydet  unnd  man  ihnen  auff  einem  sessel  zu 
hauß  tragen  müssen,  item  sambstags  hernach  das  jung  khindlinn, 
so  Schwager  Israhel  unnd  Barbell  durch  den  s^en  gotles  be- 
khonimen,  hatt  der  allmechtig  gott  zu  seinen  banden  beruffen. 
der  wolle  unns  vor  weitheren  laydt  behütlen  unnd  bewahren, 
welche  ich  dann  besuchet,  des  andern  brieffs  irnhalt,  welches 
datum  14""  huiusj  das  es  cosllich  zugange,  ist  sich  nicht  zu 
verrundem;  dann  der  arme  mann  muß  das  haar  darstreckenn, 
so  seindt  mir  auch  die  schreybenn  durch  docior  Ludwig 
Oremppen  botten  zukhommen.  sovil  hab  auff  difjmal  zu  ver- 
nemmen  unnd  veerner  nichts,  dann  ich  thu  dich  sampt  unnserm 
gantzcn  haußgesündl  inn  gottes  schirm  zu  langer  gesundtheytt 
bcfchlenn.    unnd  ist  meinn  pitt,  wollest  mir  euwer  zukhunfft  mit 


1 


ncchstcr  bottschaft  vcretenndigcn.    datum  Straßburg  d«n  20«"  maij 
anno  etc.  66.  p^j^  gdreuwe  hausfrauw 

Elisabetha  Hirizinn. 

Adress«:  Meinem  freundtüdieti  liebenn  haußwürth  Johann 
Caroto  Lorchertin  inn  Augspurg  zu  selbs  hanndenn.  (Rccepi  26. 
mai  <66.} 

IV. 

{Ausfertigung  des  SekretSrs  Daniel  Birlsch.) 
Strasburg  27.  Mai  1566. 

Mein  freQndtlichen  gruR,  eheliche  lieb  und  treuw,  auch  alles 
giitts  sampl  wünschung  viler  glücVseltiger  zeitt  und  gutter  ge- 
siindtheilt  zubevor,  geliebter  herr  unnd  hauBwQrth.  dein  ane  mich 
den  20.  maij  dißes  66.  jars  schreiben  auß  Augspurg  hab  ich 
empfangenn,  darauß  deine  gesimdtheitt  mit  großer  freuden  ver- 
nommen, desgleichen  wiB  von  mir  und  dem  gantzen  haußge- 
sindt  auch,  der  liebe  gott  wolle  unns  inn  solcher  lang  gefristen 
und  unns  ein  gesunde  und  fröliche  zusammenkhunffl  gnediglichen 
mittheilen,    amen. 

FQge  dir  demnach  zu  wissenn,  das  meiner  Schwester  Barbein 
khindt,  so  ir  gott  den  ii.  diß  inonats  geben,  den  18.  bemelis 
moitals  wider  mit  todt  abgangen ')  und  es  gott  der  allmechüg 
auß  dißem  jamnierthal  als  sein  creatur  wider  zu  sich  erfordert, 
welcher  er  ein  fröliche  aufferslehung  verleihenn  wolle- 

Sovil  den  Cöllnisch  betrifft,')  hab  ich  auf  dein  begeren 
nachfragens  gehapt  urnd  erfarenn,  das  mann  ein  stück  der  aller 
grösien  gattung  umb  3^/,  R,  ein  stück  der  mittlem  umb  2  thaler, 
und  die  2  cleinesten  gattungen  verkhaufft  mann  bey  der  eilen, 
je  6  eilen  für  ein  gülden,  demwegen  mein  bitt,  du  wollest  mir 
jeder  gattung  ein  stuck,  wie  du  dann  hierinn  ligendt  zu  er^ehenn, 
unnd  des  barchats  zu  deckbettcnn,  wie  ich  dir  nehermals  zuge- 
schribenn,  khauffen. 


<)  fnu  I.archCT  hiite  alhnbu-  vcretMoi,  daO  «Je  dloeUw  NidiriiAl  Khon  In  dem 
VoruiKchtndni  Brlri  hallt  mitulloi  imeci. 
*)  V£\.  Qbtn  S.  tt\,  AniK    9. 


Straßburger  Frauenbriefe  des  16.  Jahrhunderts.  \9S 

Juncker  Rudolff  Wilhelm  Böcklin  hatt  seines  vettern  abgang') 
nichts  verhindert,  sonder  ist  nicht  destoweniger  seinem  fQrhabenn 
nach  den  7.  maii  verschinnen  zu  kirchen  gangen,«)  wie  dir  dann 
Daniel  vor  diBem  den  29.  aprilis  geschribenn. 

Weitheis  weiB  ich  dir  auff  dißmals  nichts  zu  schreiben 
dann  dz  mein  beeren,  du  wollest  mich  verstenndigen,  wann  ir 
vermeinet  wider  zu  khommenn,  und  ob  du  dein  pferdt,  den 
schimmell,  noch  oder  verkhaufft  habest  du  möchtest  villeicht 
gelegenheitt  haben,  denselbigen  zu  Augspurg  zu  verkhauffen  oder 
zu  verthauschen  unnd  etwann  ein  schönners  unnd  das  ein  andere 
htrb  dann  dißes  bekhommenn.  hiemitt  thue  ich  dich  sampt  unns 
alle  dem  allmechtigen  zu  gnaden  unnd  gesundtheitt  bevelhenn. 
es  laßenn  dich  vetter  Marx,  baß  Anna,  die  Iren  unnd  alle  gutte 
freündt  ganntz  freündtlich  grießen  unnd  alle  wolfartt  wünschen, 
datum  Straßburg  montags  den  27.  maii  anno  etc.  1S66.  dein 
jeder  zeitt  getreuwe  unnd  gehorsame  haußfrauw 

Elisabeth  Hirtzin. 

Dem  fÜTsichtigenn,  achtbaren  und  veisenn  Herrenn,  Johann 
Carolo  Lorchern,  dreyzehenera  unnd  bürgern  zu  Straßburg, 
meinem  freündtlichen  lieben  herrenn  unnd  hauQwürth,  jetzmals 
inn  Augspurg,  zu  selbs  hanndenn. 

[Empfangsvennerk  Lorchers:}  Recepi  31.  maii  66. 


■)  Boidit  lidi  auf  den  Stldtncltter  Clindius  BOcktln,  der  -  «le  venchiedniF 
Cleidi2dtlge  Briete  melden  -  am  30.  April  ptObllch  ee^rbn  *ar. 

■)  Nlmlldi  rar  Einsegnung  seiner  Cbe.  Die  Traunns  fand  in  Dorllsheini  itatt, 
die  Hodtzdt  in  Moiihdm,  wie  au*  dtm  oben  crvibnten  Briefe  Daniel  Bltlsdii  nt  ent- 
adunen  itt. 


Die  Beizjagd  in  Altpreußen. 

Von  PAUL  DAHMS. 


a 

Der  Fang  der  Beizvögel  wurde  mit  verschiedenen  Arien  von 
Netzen,  mit  eigenartigen  Faüer,  Leimruter,  Schlingen  und  durch 
Ausnehmen  aus  dem  Neste  betrieben. 

Die  Falkenstöße  und  Falkenrönnen  oder  -rinnen  wurden  so 
hergestellt,  daß  man  zunächst  4  Säulen  im  Quadrat  einrammte. 
Diese  wurden  mittels  Lallen  verbunden  und  je  mit  einem  Bohlen- 
stücke so  benagelt,  daß  es  nach  außen  etwas  überragte.  Dann 
wurde  der  obere  Teil  des  Fanggerüsles  mit  Brettern  verechaU 
und  in  jedes  Bohlenstück  ein  danmendickes  Loch  gebohrt.  In 
diesen  wurden  lange  Holzstäbe  befestigt,  die  unten,  in  der 
Mitte  und  oben  Kerben  hatten.  Die  unteren  verliefen  schräg 
nach  oben,  die  oberen  und  mittleren  schräg  nach  unten.  In  den 
Kerben  wurde  ein  Fangnetz  so  befestigt,  daß  es  die  obere  Öffnung 
des  Fanggestelles  genau  umschloß  und  nicht  zu  fest  eingeklemmt 
war.  In  der  Mitte  des  verschalten  Bodens  wurde  dann  eine 
helle  Taube  gesetzt  Wenn  Falk  oder  Habicht  schräg  auf  sie 
herabstießen,  prallten  sie  heftig  gegen  das  Garn,  warfen  es  aus 
den  Kerben  und  wurden  von  ihm  umschlungen.  Um  den  Falken, 
der  oft  auch  senkrecht  stößt,  zu  fangen,  brachte  man  über  den 
Fangapparal  noch  kreuzweise  dünne  Leinen  an,  die  man  in  den 
oberen  Saum  des  Netzes  band.  Der  Falke  berührte  diese  beim 
Herabstoßen   und  riß  das  Netz  aus  den  Kerben   und  über  sich. 

In  ebenen  Gegenden  wandten  die  Falkner  auch  folgende 
Fangart  an.  Zur  Ztigzcit  nahmen  sie  einen  Beutel,  der  eine 
oder  mehrere  Tauben  enlhielt,   an   sich   und   spähten    nach  den 


Die  Beizjagd  in  Aitpreußen. 


Raubvdgeln  aus.  Hatten  sie  einen  solchen  entdeckt,  so  nahmen 
sie  eine  womöglich  weiße  Taube  und  banden  an  ihr  Bein  einen 
Leinwand-  od«r  Tudislreifen,  welcher  mit  Vogelleim  bestrichen 
war.  Der  Streif  war  unten  mit  einem  Steinchen  beschwert, 
welcher  der  Taube  das  Fliegen  nicht  unmöglich  machen,  aber 
doch  so  erschweren  sollte,  daß  sie  nur  langsam  von  der  Stelle 
kam.  Dann  warf  man  dk  Taube  empor  und  entfernte  sich. 
Alsbald  hatte  der  Falke  sie  erspäht  und  stieß  auf  sie  hernieder. 
Dabei  blieb  er  vielleicht  schon  an  dem  Anhängsel  kleben,  oder 
er  wurde  durch  ihr  so  gehindert,  daß  er  mit  seiner  Beute  herunter- 
kam. Am  Erdboden  klebte  er  dann  an  dem  Streifen  auf  jeden 
Fall  fest  und  zwar  um  so  sicherer,  je  mehr  er  sich  bemühte 
loszukommen.  -  Diese  Methode  war  freilich  nicht  sehr  beliebt, 
da  die  Sch-ipung-  und  Schwanzfedern  der  gefangenen  Raubvögel 
dabei  häufig  verbrochen  wurden.') 

In  Gegenden,  wo  sich  Falken  zu  gewissen  Zeilen  in  großer 
Menge  einstelllen,  wie  an  den  Küsten  der  Ostsee,  wurde  ein 
verwickelter  Fangapparat  angelegt  In  den  Hauptzögen  ist  dieser 
M  beschaffen.  Der  wohl  verborgene  Falkner  hält  an  einem  etwa 
100  m  langen  Faden  eine  Taube,  welche  frei  auf  der  Erde  sitzt. 
Der  Faden  führt  etwa  40  m  vom  Falkner  durch  einen  durch- 
lochten Holzpfiock,  neben  dem  ein  kleines  Schlagnelz  so  ange- 
bracht ist,  daß  es  jederzeit  leicht  verwendet  werden  kann.  Ist 
ein  Falke  in  der  Nähe,  so  wird  die  befestigte  Taube  durch  einen 
Ruck  am  Faden  zum  Aufschwingen  veranlaßt.  Der  Falke  eilt 
herbei,  schlägt  die  Taube  und  krallt  sich  an  ihr  so  fest,  daß  der 
Falkner  alle  beide  am  Faden  bis  zum  Schlagnett  ziehen  kann, 
das  dann  sofort  über  beide  zugeworfen  wird.  Um  sogleich  zu 
erfahren,  wenn  ein  Falke  in  der  Nähe  war,  bediente  man  sich 
eines  Raubwürgers  (Lanius  excubitor  L).  Er  wurde  in  der  Nähe 
der  Taube  angefessell,  begann  laut  zu  schreien,  sobald  er  einen 
Raubvogel  erspähte,  und  flüchtete  dann  eiligst  in  einen  Schlupf- 
winkel, den  man  für  ihn  bereitet  hatte.  Eine  ausführliche  Be- 
schreibung einer  solchen  Fangvorrichtung  nach  dem  «Traitc  de 
Eauconnerie»  gibt  O.  von  Ricscnthal.') 


>)  Heller  vnd  Pefcnbendt,  &.  36. 

f)  KiewDitial,  O.  von  Jagd-Uiikon.  LeipÜE-  Bibliograph.  Iniil tut.  KM.  S.UMM. 


Paul  Dahms. 


Die  vom  Hochmeister  ausgesandten  Falkner  scheinen  ihr 
Handwerk  besonders  auf  der  kiinschen  Nehrung  beirieben  zu 
haben.  Diese  war  damals  noch  vollständig  mit  Wäldern  bedeckt 
und  besaß  nur  zwei  freie  Plälze,  von  denen  der  eine  Falkenlieidc 
und  der  andere  Kaliüand  hieß.')  Als  die  Wälder  später  nach  und 
nach  ausgeholzt  wurden,  fing  man  auch  viele  Falken  zu  Nidden, 
Pilkoppen  und  Sarkau;  die  Falkenlager  von  Sarkau,  Papensee(?) 
und  Falkenheide  werden  noch  im  IT.  Jahrhundert  erwähnt. 
Falkenlager  oder  Lagerstätten  (Falkenbuden)  standen  auch  im 
Samlande,  soweit  es  zum  Ordensgebiete  gehörte.  Desgleichen 
war  die  Falkenstitte  auf  der  frischen  Nehrung,  die  ihre  besonderen 
Falkner  halle,  sehr  ergiebig.  Ferner  werden  im  Amte  Rhein 
gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  mehrere  «Falkengestände" 
erwähnt.') 

Auch  der  Falkenfang  in  Kurland  gehört  in  späterer  Zeit 
dem  Herzog  von  Preußen;  desgleichen  war  auf  Golland,  das 
der  deutsche  Orden  eine  Zeitlang  besaß,  ein  ziemlich  reichlicher 
Fang.  Dorthin  sandte  der  Hochmeister  deshalb  äfter  seinen 
Falkner,  um  Einkäufe  an  Beizvögeln  zu  machen. 

Die  Hauptmenge  der  Falken  wurde  nach  den  Daten  des 
Treßlerbuches  jedes  Jahr  auf  der  kuriächen  Nehrung  gjefangen. 
Hier  wurden  sie  in  geschätzten  Hütten  (lege,  legde,  löge)  unter- 
gebracht, bis  die  Fangzeit  zu  Ende  war;  vielleicht  wurden  sie 
hier  bereits  etwas  eingewöhnt.  Für  jeden  Vogel,  den  die  Falkner 
von  dort  dem  Hauskomtur  nach  Königsberg  brachten,  wurde 
ihnen  1  m.  ausgezahlt;  jedenfalls  wurden  sie  dadurch  veranlaßt, 
die  Fangzeit,  welche  vom  Ende  des  Oktober  bis  zur  Mitte  des 
Dezember  währte,  nach  i^löglichkeit  auszunutzen.  Außer  diesem 
Oelde  erhielten  sie  einen  jährlicher  Lohn  von  4  m.  und  i'/,  m. 
Hauszins,  Der  Hauskomtur  bestritt  für  den  Hochmeister  auch 
sonst  die  Unkosten  der  Falkcner«i,  er  ersetzte  die  nötigen  Aus- 
lagen und  zahlte  für  jede  außerordentliche  Mühewaltung.     Mit 


>l  CrIcDivts  Prmüen  oder  loterlEieTi«  Anmeilningcn  elc.  KAnigsbcrg.  t7U. 
Band  *.  XI  von  der  CuriJchcn  Ndiranj.  S.  «9.  HL  -  5.  171,  ,ln  Ncrlitita  Cunmeul 
plaoltlM  afflooM  r«Ick(nhelil,  ui  iixa  qnadnaDa  nilllarit  wnpU,  «  Kulud,  dlraldli 
mlllluit  longa,  ubi  aucupa  rl  FalrniBHI  lugurioU  Fückcnbudcn  habcnt,  et  mulloi  FtlcOMi 
puldiMn  fipliint,  quot  nilionlbui  nlrmli  vndunl,* 

*)  Voigt.  }.-.  Über  rallientang  Hc.,  S.  Hl.  lU. 


Die  Bdzjagd  in  Altpreufien. 


199 


der  Kopfzahl  der  gefangenen  Raubvögel  schwanken  für  die  dn- 
zelnen  Jahre  selbstverständHch  auch  die  Kosten  für  die  notwendigen 
Käfige,  für  Fütterung  und  Transport,  dagegen  bheb  die  jährliche 
Ausgabe  ffir  die  erforderlichen  Hauben  und  die  Ausrüstung  der 
KSfigc  mit  Leinwand  von  Jahr  zu  jähr  gleich.  Für  die  Jahre 
1406  bis  1409  wurde  für  die  Bekleidung  der  Käsen  oder  Käfige 
freilich  die  frühere  Summe  von  l  m.  auf  '/,  tti.  heruntergesetzt, 
und  im  Jahre  1401  mußte  für  Hauben  eine  aufierordentliche  Zu- 
rahlung  von  1  m.  gemacht  werden.  Da  der  Lohn  für  den 
Falkner,  Hauszins,  sowie  die  Ausgabe  für  Leinwand  und  Hauben 
so  gut  wie  unverändert  bleiben,  wird  für  jeden  Falken  außer 
seinem  Einkaufepreise  um  so  mehr  angelegt  werden  müssen,  je 
geringer  der  Fang  gewesen  ist.  Ais  im  Jahre  1400  an  75  Falken 
tingeliefert  werden,  kommt  zum  Einkaufspreise  noch  ein  Zuschlag 
von  28"/(„  im  Jahre  1404  dagegen  auf  jeden  der  20  Vögel  ein 
solcher  von  rund  84''/n,  und  im  Durchschnitt  muß  für  jeden 
nind  4J  "/o  zugezahlt  werden.  Jeder  eingelieferte  Raubvogel 
kostet  den  Orden  also  ungefähr  i'/,  m.,  in  ungünstiger  Zeit  so- 
gar fast  2  m. 

Außer  durch  den  Hauskomtur  zu  Königsberg  erfährt  der 
Hochmeister  noch  von  Qrobin,  Windau  und  ösel  fast  in  jedem 
Jahre  eine  Vermehrung  seiner  Falken.  Die  beigefügte,  aus  den 
aufgestellten  Konten  berechnete  Tabelle  zeigt,  wieviel  die  Sendungen 
im  ganzen  betrugen;  wir  ersehen,  daß  die  Zahl  der  hinzukommen- 
den Beizvögcl  von  den  3  zuerst  angeführten  Orten  zusammen 
fast  genau  nur  i'/imal  soviel  beträgt,  als  die  von  den  Falknern 
auf  der  Nehrung. 


Herkunft  der 
Fal ken 

Qe»tntsumine 
in  1 1  Jahren 

Mittel  für 
jedes  Jahr 

Größte  und  kleinste 
Sendung 

Qrobin 

263   +3G.') 

24 

43 

7 

Windau 

254 

23 

54 

7 

Osel 

169 

15 

33 

17 

Ober  Königsberg 

544      +5  0. 

49 

78  +  1  0. 

20 

i)0— Ocrftlke. 


1 


Paul  Oahms. 


r 


Urler  Michael  Küchmeister  von  Sternberg  hat  der  Komtur 
von  Windau  auch  Falken  nach  Königsberg  gesandt.  Wir  erfahren 
davon  aus  einem  Briefe,')  den  «r  mit  nweißen  Falken"  an  ihn 
schickt,  und  in  dem  er  bittet,  diese  Tiere  mit  dem  neuen  Gddc 
zu  bezahlen.  Ihm  sei  zuletzt  für  die  Falken  das  früher  gebräuch- 
liche Papiergeld  gegeben  worden,  und  dadurch  sei  er  um  die 
Hälfte  von  dem,  was  ihm  zustand,  gekommen.  Er  ersuche  den 
Hochmeister  daher,  ihm  den  Schaden  zu  ersetzen  oder  ihm  ein 
Fäßchen  Thorner  Weines  zu  senden,  den  er  auf  des  Hochmeisters 
Wohl  trinken  wolle,  denn  bei  ihm  sei  dieses  Jahr  der  Weir  nicht 
gediehen.  Sollte  der  Hochmeister  weiter  mit  dem  alten  Gelde 
zahlen,  so  müsse  er,  der  Komtur,  sein  Falkcnhaus  O^gge)  ein- 
gehen lassen. 

Für  jeden  Falken,  der  von  Grobin,  Windau  oder  Ösel 
komml,  wird  gewöhnlich  ein  Kaufgeld  von  2  m.  gegeben.  Wenn 
man  bedenkt,  daß  der  Hochmeister  bei  Ungunst  der  Verhälmisse 
selbst  fast  dieselbe  Summe  für  jeden  Beizvogel  verausgaben 
mußte,  so  kann  nun  diese  für  nicht  zu  hoch  und  ihre  Ab- 
rundung  nach  oben  hin  erklärlich  finden.  Selbstverständlich  ist 
es  zurückzuweisen,  daß  der  Einkaufspreis  von  i  m.  fiir  kleinere, 
häufigere  Arten  (?),  der  von  2  m.  für  die  mittelgroßen,  zu  denen 
auch  der  Wanderfalke  gehörte,  gezahlt  worden  seien.*) 

Doch  auch  als  Geschenke  treffen  größere  Falkensendungen 
ein,  vor  allem  von  dem  Bischöfe  von  Saratand,  ferner  vom 
Bischof  von  Heüsberg,  dem  Komtur  von  llalga,  sowie  dem  von 
Brandenburg  und  dem  Vogte  von  Soldau,  selbst  von  dem  Komlur 
zu  Windau.  Auch  für  den  Großkomtur  und  seltener  für  den 
Treßlcr  kommen  Falken  an.  Immer  werden  die  Boten  belohnt, 
und  auch  die  beiden  Gebietiger  reichen  dem  Falkner  aus  der 
Ordenskassc  eine  Gabe,  wenn  sie  Beizvögel  erhalten.  Boten, 
welche  wiederholt  Falken  nach  der  Marienburg  gebracht  haben, 
erhalten  sogar  vom  Großkomlur  gelegentlicli  eine  Geldgabe,  auch 
wenn  er  selbst  nicht  mit  Beizvögeln  bedacht  worden  ist  (Tr.-B., 
S.  323,  Z.  22-24).     jedenfalls   suchte   er  den  Falkner  dadurch 


I 


■>  Hnnie.  Cnit;    Lueit  Dividt  pmiBiKV  Ctiranik.   Band  T.   KBnlBibefc.    Har- 
(uncKhc  Hiirlidiuclicrrl,  1115.  S.  60  Anm. 
■>  Nchrlng.  S.  toi. 


Die  Beüsjagd  In  Allpreußen. 


201 


zu  veranlassen,  beim  nächsten  Transport  von  Beizvögdn  auf  diese 
wertvollen  Tiere  möglichst  achtzugeben.  Erwähnt  muß  werden, 
daß  auch  der  Oroßkomttir  Falkengeschenke  machte;  so  schickt 
er  einmal,  als  der  Hochmeister  seinen  Falkner  mit  Beizvögeln  zii 
dem  polnischen  Könige  nach  Krakau  sendet,  auch  von  seinen 
Tieren  mit  und  zahlt  als  Botenlohn  i  m.  (Tr.-B.,  S.  186, 
Z.   24-26). 

Die  Falkner  haben  auch  sonst  die  Verpflichtung,  für  die 
■Vermehrung  des  Falkenbestandes  niöglidist  zu  sorgen.  Sie  fangen 
die  Vögel  auf  Ootland  und  Heia,  dann  zu  Oorke  oder  Qorken 
in  der  Nahe  von  Marienwerder,  zu  Reichenbach  (Kr.  Pr.  Holland), 
Orloff  im  Großen  Werder,  Hohendorf  und  Marienburg,  schließ- 
lich im  Heilsberger  Gebiete  und  zu  WormdiH  in  diesem.  Größere 
Einkäufe  machten  sie  im  Samland,  einen  kleineren  auf  Ootland. 
Wiederholt  wird  ihnen  eine  Summe  auf  Rechnung  gegeben,  um 
im  Gebiet«  des  Bistums  lirmland  oder  im  Königsberger  Gebiete 
Falken  aufzukaufen  oder  sonstwie  zu  erwerben.  An  einigen 
Stellen  ist  freilich  nicht  zu  ersehen,  ob  sie  die  Falken  gefangen 
oder  gckauift  haben. 

Jeden  Falken,  der  frisch  gefangen  ist,  gibt  der  Falkner  ge- 
wöhnlich gegen  Entgelt  von  1  m.  ab;  ist  ein  weiter  Transport 
Bolwendig  gewesen,  ist  der  Falkenfang  in  dem  Jahre  nicht  be« 
P  «Midcrs  reichlich  au^efallen  oder  haben  die  Tiere  längere  Zeit 
gefüttert  werden  müssen,  bis  sie  von  ihrem  Fangorte  abgeholt 
■wurden,  so  steigt  der  für  sie  gezahlte  Preis  durch  die  entstandenen 
Ontcosicn. 

Die  Falkner  wurden  für  ihre  Tätigkeit  so  belohnt,  daB  sie 
in  keiner  Weise  Schaden  hatten  und  möglichst  guten  Mutes  blieben. 
Auch  toi  eingelieferte  Beizvögel  werden  bezahlt  und  zwar  mit 
demselben  Preise  wie  lebende,  und  lör  einen  allen  Falken,  der 
wegen  seiner  Untauglich keit  die  Freiheit  wiedererhält,  finden  wir 
»y,  m.  notiert  (Tr-B.,  S.  403,  Z.  15,  16). 

Eine  Reihe  von  Person iichkeilen  sucht  den  Hochmeister 
durdt  die  Übersendung  von  Falken  zu  erfreuen,  wie  Herr 
Steynwonczer  in  Schweden  (S.  »23,  Z.  29-31).  der  Landvogt 
von  Einsiedel  (S.  325,  Z.  7,  8)  imd  Herr  Adam  Suynchen 
(S.  508,   Z.  16,  17).     Auch   die  Jungfrau    von  Juneächaw,   die 

14 


Arebiv  lüt  Kulhit£t*chidite.   II. 


202  Paul  Dahms. 


I 


Tochter  des  alten  Landrichters  von  Danzig,  verehrt  dem  Hoch- 
meister einen  abgetragenen  Habicht  und  erhält  als  Gegengabe  „ 
6  m.  (S.  4-85,  Z.  1-3).  Auch  in  anderer  Weise  wird  auf  die  | 
Liebhaberei  des  Hochmeisters  Rücksicht  genommen.  So  kauft 
Herr  Techvricz,  der  Vogt  auf  Ootland  und  spätere  Oroßschäffer 
zu  Marienburg,  dem  Falkner  des  Meisters  3  Falken  ab  und 
sendet  sie  dann  dem  letzteren  zu  (S.  StO,  Z.  12- IS),  während 
der  Oroßschäffer  von  Marienbiirg  einen  Mann,  der  ihm  5  goi- 
ländische  Falken  zum  Kaufe  anbietet,  an  den  Hochmeister  weist 
<S.  273,  Z.  22-24). 

Es  schien  mir  von  Interesse,  die  im  Trcßlcrbuche  nieder- 
gelegten Ziffern  und  Zahlen  zusammenzutragen,  um  so  einen 
LJberblick  über  die  Ausdehnung  der  Falkenerei  zu  gewinnen. 
Dieses  Unternehmen  stieß  jedoch  auf  eine  Reihe  von  Schwierig- 
keiten der  verschiedenartigsten  Natur.  Eini^  von  den  gemachten 
Angaben  sind  unrichtig,  andere  ungenau.  Bald  sollen  auf  Sam- 
land  19  Falken  für  31  m.  gekauft  worden  sein,  jeder  für  3  m. 
und  1  m.  Zehrgeld,  bald  sind  12  Falken  im  Bistum  Heilsbrrg 
für  18  m.  erworben,  jeder  zu  2  m.  Dann  wird  an  anderer 
Stelle  dem  Falkner  Geld  ~  bis  zu  20  m.  -  auf  Rechenschaft 
zum  Ankaufe  von  Falken  gegeben,  ohne  daß  wir  etwas  weiteres 
Über  die  Zahl  der  erworbenen  Vögel  erfahren  (S.  593,  Z.  2S  — 27; 
S.  311,  Z.  7.  8;  S.  403,  Z.  4.  5  etc.),  oder  es  wird  kurz  an- 
gegeben, daß  für  Falken  vom  vorigen  Jahre  noch  38*/ii  m.  gezahlt 
worden  seien  (S.  465,  2.  38-40).  Femer  werden  gelegentlich 
die  ausgegebenen  Summen  gleichzeitig  für  Falken  und  andere 
Tiere,  meist  Hunde,  zusammen  angegeben,  so  daß  es  unmöglich 
ist,  Klarheit  zu  gewinnen,  oder  zu  erfahren,  ob  die  Hunde  z.  B. 
xur  Beizjagd  bestimmt  waren.  (S.  35,  Z.  S  — 8;  S.  483,  Z.  39, 
40  etc.)  Dann  erfahren  wir  auch,  daS  die  Falkner  dazu  benutzt 
wurden,  Botschaften  auszutn^en  (S.  369,  Z.  3-5;  S.  525, 
Z.  20,  21),  so  daß  andere  Angaben  über  ihre  Entsendung  ohne 
eine  nähere  Bezeichnung  nicht  ohne  weiteres  richtig  gedeutet 
werden  können.  Schließlich  ist  noch  anzuführen,  daß  der  Kurs 
für  das  Schock  böhmischer  Groschen  und  der  des  ungarischen 
Gulden  oder  Dukaten  schu'ankt,  ohne  daß  dabei  genaue  Angaben 
oder  Regelmäßigkeiten  vorliegen. 


t 


Die  Beizjagd  in  Altpreußcti. 


Da  diese  ungenauen  Angaben  den  anderen  gegenüber  trotz- 
dem nur  in  versdiwindend  kleiner  Anzahl  vorhander  sind,  so  ist 
der  Versuch  gemacht  worden,  alle  sicheren  Angaben  zu  einem 
Bilde  zusammenzufügen,  alle  unklaren  sind  übergangen.  Dabei 
ist  zu  bemericen,  daß  die  erhallenci  Zahlenwerte  sich  zusammen- 
setzen: aus  den  sicheren  Angaben  der  Hauptkonlen,  aus  denen, 
die  im  Tcxle  zerstreut  sind,  und  aus  einigen  wenigen,  die  sich 
nach  den  Angaben  der  Hauptkonten  aus  anderen  umrechnen 
ließen.  So  mußte  einige  Male  aus  dem  für  das  Tragen  der 
Käfige  gezahlten  Gelde,  die  Anzahl  dieser  bestimmt  werden 
(S.  76,  Z.  9-11;  S.  123,  Z.  26-29).  Wo  diese  sich  nicht 
klar  ergab,  sondern  innerhalb  gewisser  Grenzen  lag,  wurde  der 
kleinste  Wert  zur  Berechnung  gewählt  Auch  die  an  den  Groß- 
komtur  und  den  Trcßlcr  gesandten  Falken  sind  mi^ezählt,  da 
die  Ordenskasse  auch  für  sie  Idie  sog.  Ehrungen  zahlte  und  der 
QroBkomtur  Seinerseils  auch  an  Freunde  des  Ordens  Beizvögcl 
sandte. 

Hiemach  erhalten  wir  folgende  Werte.  Von  1399  bis  1409 
lamen  wenigstens  1555  Falken  nach  Marienburg,  der  Mittelwert 
für  die  jährlich  neu  hinzukommenden  Beirvögcl  beträgt  141,  der 
größte  203  und  der  kleinste  69  Falken. 

Wie  schon  erwähnt  wurde,  war  der  deutsche  Ritterorden 
in  Preußen  für  die  Beize  in  Mitteleuropa  von  der  höchsten  Be- 
deutung. Er  versah  alle  Fürstenhöfe  mit  nordischen  Beizvögeln, 
ähnlich  wie  der  Hochmeister  des  Johann iterordens  die  Fürsten 
rnit  Falken  aus  Südeuropa  und  dem  Oriente  versorgte.*) 

Bereits  im  Jahre  1 396  schuf  Conrad  von  Jungingen  zu 
AAarienburg  eine  Falkensdiule  und  veriieh  ihrem  ersten  Meister 
Namens  Peter  ein  Stück  Grund  und  Boden,  und  zwar  in  der 
Vorstadt  am  Mühlengraben,  wo  auch  die  Schule  angelegt  wurde, 
Wir  Nutzung  für  sich  und  seine  Nachkommen.  Doch  sollten 
diese  das  Lehen  auf  Verlangen  des  Hochmeisters  gegen  eine 
«ntsprcchende  Ablösung  an  den  folgenden  Falkenmeister  abh-etcn. 
—  Dem  Falkner  Peter  waren  -wahrecheinlich  4  Leute  unter- 
geordnet,  denn  an  einer  StelEe  des  Treßlerbuches  heiBt  es,  daß 


I)  von  Dombrovtkl,  S,  S19. 

14' 


er  »I  m. . .  .  vor  4  par  slefelen  syren  knechten"  erhält  (S.  474, 
Z.  9.  10). 

Auch  im  Samlande,  bei  Königsberg,  in  Üvland  zu  Windau 
und  Grebin,  und  an  anderen  Orten  befanden  sich  solche  Schulen, 
in  denen  die  Vögel  »zur  Bcirc  abgetragen"  wurden. 

Die  aus  den  Schulen  hervorgehenden  Falken  gingen  als 
beliebte  Geschenke  ins  Ausland  an  FQrstenhöfe  und  Gönner  des 
Ordens.  Aus  Briefen  und  Dankschreiben  hören  wir,  wie  sie 
geschätzt  wurden;  jedes  Jahr  wurden  sie  ausgetragen,  sogar  bis 
nach  England,  Frankreich,  Italien,  Ungarn  und  Österreich,  und 
in  Deutschland  gab  es  kaum  irgend  einen  Füisten  von  Be- 
deutung, der  nicht  hin  und  wieder  durch  ein  Geschenk  von 
Beizvögeln  erfreut  worden  wäre;  der  Kaiser,  der  römische  König 
und  die  vornehmsten  Fürsten  erhielten  freilich  die  besten  Tiere. 

a\ii  einen  guiten  Beizjäger  werden  hohe  Anforderungen  ge- 
stellt Bereits  Kaiser  Friedrich  II.  zählt  in  seinem  Werke  .De 
arte  venandi  cum  avibus"  eine  Reihe  von  Tugenden  auf,  die 
jeder  Falkner  besitzen  solle,  und  mit  mehr  oder  weniger  Ab- 
inderungen  finden  wir  in  späterer  Zeit  angegeben,  wie  er  ge- 
wünscht wird.  Er  soll  unverdrossen,  wachsam,  hurtig,  geduldig, 
wohl  erfahren,  stark,  mannhaft,  gesund,  beherzt,  aller  Vorteile, 
die  das  Wild  gebraucht,  und  wie  ihnen  zu  begegnen,  kundig, 
ausdauernd  bei  Hitze  und  Kälte,  bei  gutem  und  bösem  Welter, 
trotz  Hunger  und  Durst,  bei  Tag  und  Nacht  sein.  Er  soll 
schnelle  Schenkel  und  starke  Knochen  haben,  geschwind  in  seinen 
Bewegungen  sein,  von  scharfem  Auge  und  feinem  Gehör,  mil 
anschlägigem  und  verschmitelem  Kopfe,  begierig  auf  Wild,  arg- 
listig und  sorgßltig  es  aufzuspüren,  zu  verfolgen  und  zu  er-  ■ 
haschen.  Er  soll  wohl  laufen,  reiten,  springen  und  schwimmen 
können')  usw.  Es  muß  der  Falkner  neben  den  Eigenschaften,  die  , 
man  Im  Mittelalter  von  einem  tttehtigen  Weidmann  verlangte^  1 
noch  eine  genaue  Kenntnis  von  den  Arten,  Eigentümlichkeiten, 
dem  Benehmen,  der  Wartung,  der  Pflege  und  den  Krankheiten 
der  Beizvögel  haben.  Er  muß  wissen,  wie  bei  dem  Ankauf  und 
dem  Abrichten  der  Falken  vorzugehen  ist,  und  vor  allem  Liebe 
zu  ihnen  besitzen. 

))  Du  ctOrfnete  Jiccr-HauS,  S.  44,  4S,  «t. 


\ 


Die  Beizfsgd  in  AUprcuBcn. 


205 


I 

I 

I 


Da  ein  solcher  Mann  nicht  überall  leicht  zu  finden  ist, 
nahm  zur  Blütezeit  der  Beizjagd  an  den  Höfen  ein  tüchtiger 
Beizjäger  vielfach  eine  viel  höhere  Stellung  ein,  als  ihm  seinem 
Range  nach  eigentlich  zukam.  Deshalb  ist  es  auch  erklärlich, 
wenn  solche  körperlich  und  geistig  gesunden  Männer  gelegentlich 
dazu  benutzt  werden,  Botschaften  auszutragen.  Da  die  deutschen 
Falkner  nur  selten  die  notwendige  Pflege  jnd  die  zweckmäßige 
Abrichtiing  der  Jngdvögel  verstanden,  baten  die  Fürsten  die  Hoch- 
meister und  später  den  Herzog  Albrecht  entweder  um  Lehrmeister 
in  diesem  Fache,  oder  sie  sandten  ihre  Falkner  nach  PreuQen, 
um  dort  zu  lernen,  wie  tnan  Beizvögel  zu  behandeln  habe. 
Einem  Falkner  (Nidus)  wird  sogar  Geld  anvertraut,  um  einen 
Ritter  (Clauwts  Sack),  dem  der  Orden  Quartier  in  der  Sladl  an- 
Ecwiesen  hatte,  aus  der  Herberge  zu  lösen  (Tr.-B.,  S.  46i, 
Z.  30-32;  S.  166,  2.  25.  26). 

Der  frisch   eingefangene  Beiz^ogel   wurde  zuerst  verkappt 

Die  dazu  verwendete  Haube   bestand   aus  Leder   und   war  stets 

genau  nach  dem  Kopfe  des  Tieres  gearbeitet.    An  der  Stelle  der 

Augen    mußte  sie  Ausbiegungen    haben.     Der  Vogel  wurde  mit 

ihr   ^verblendet",  damit  er  still  säße   und  sich  nicht  die  Federn 

Xerschlöge  oder  irgendwie  verietzle.'}    Solche  Hauben  mußten  (ür 

jeden  Vogel    neu   angefertigt  werden,*)    und    deshalb    finden  wir 

die   für  sie  gemachten  Unitosten  auch  in  jedem  Jahre  notiert. 

Das  Aussenden  von  Falken  ist  eine  alte  Sitte  des  deutschen 

Ordens.     So  bittet  der  Großvater   des  berühmten  Grafen  Ulrich 

Von  Glli   den  Hochmeister  um   Falken   und   sagt  dabei:    «Man 

hab  seynem  vattcr  und   allen  scyncn  Vorvardem   als   latige  als 

der  Orten  hat  gesessen  in  Steyem  und  in  Kernten  järiich  falken 

l^c&anl,  dorunie  sy  auch  gelrewe  Schirmer  des  Ordens  gewesen 

sint    in    denselben    Landen.""')     Auch  Kaiser  Maximilian    sagt  in 

der    bereits    erwähnten    Instruktion   für  seinen   Sohn  Ferdinand: 

■  Item  der  Hochmcystcr  auß  PreuHen   gibt  auch  einem  Fürsten 

von    Osterreich    zu    Schirm    gcldt    seines   Ordens:    12:   Stuckh 

Valkhcnn';*)  und  der  Herzog  Albrecht  von  Sachsen  und  Lünc- 

I)  (MM.  II.  ity 

n  Hdlct  cnd  Pfjtnbwidt,  S  t9. 

*t  Valgl:  Qrxhiüilc  MoriaibucE)  etc.  S.  lOS. 

4  von  DombcoTikl,  S.  It«. 


a06  Paul  Dahms. 


bürg  versprichl  Heinrich  von  Plauen  auf  ein  Falken-Geschenk 
hin,  ^em  alles  zu  tun,  was  diesem  und  dem  Orden  gedeihlich 
sein  könne.') 

Doch  auch  zu  anderem  Ziele  wurden  gelegentlich  Beizvögel 
versandt.  -  Von  den  Weinen  des  Auslandes,  im  Gegensatz  zu 
den  in  Preußen  gewonnenen,  trank  man  am  liebsten  den  Rhein- 
wein. För  die  Tafel  des  Hochmeisters  lieferte  ihn  der  Komtur 
von  Koblenz  und  machte  sich  dafür  aus  den  Einnahmen  der 
Komturci  bezahlt.  Gewöhnlich  erließen  die  Landesherren,  durcli 
deren  Gebiet  der  Wein  geschafft  wurde,  den  zu  entrichlenden 
Zoll,  wogegen  ihre  Jagdhäuser  mit  Falken  aus  Preußen  versorgt 
wurden.^ 

In  einem  Gedenkbuche  des  Kaisers  Maximilian  I.  sind 
22  Fürsten  notiert,  an  weldie  der  deutsche  Orden  Falken 
sandte,  im  Treßlerbuche  habe  ich  33  Fürsten  und  hervorragende 
Personen  gezählt,  die  in  solcher  Weise  geehrt  wurden.  Aus  dem 
Oedenkbuche  geht  hervor,  daß  der  Kaiser  die  Lieferung  von 
Beizvögeln  durch  den  deutschen  Orden  an  die  verschiedenen 
Fürsten  regelte:  -Der  Ro.  Kay.  Mt.  Maynung  ist  das  der  Hoch- 
maister  in  Prewßen  den  hernachvolgeiidcn  füreten  valken  sdiicken 
solle  und  den  andern  lit  .  .  .  .  Enuraerantur  Principes  imperii 
quindecim.'i  ■) 

Aus  den  im  Treßlerbuche  gemachten  Angaben  zeigt  sidi, 
daß  die  Zahl  der  neu  hinzukommenden  und  die  der  fortgehen- 
den Falken  in  ?inem  gewissen  Verhältnisse  steht,  indem  beide 
gleichmäßig  steigen  und  sinken.  Die  größte  Zahl  der  ausgesandten 
Falken  betrügt  135,  die  kleinste  40;  durchschnittlich  wurden  in 
iedcm  Jahre  97  Beizvögcl  verschickt.  Werden  die  Werte  der 
fortgehenden  Vögel  auf  die  der  hinzukommenden  bezogen  und 
in  Prozenten  ausgedrückt,  so  ist  der  mittlere  rund  69  "/o.  der 
kleinste  rund  55  "/o  und  der  größte  lOO'^/o. 

Recht  erheblich  waren  die  Unkosten  bei  einem  Transport 
von  Falken  nadi  England.  Im  Jahre  1400  werden  2  Käsen  dort- 
hin gesandt.   Die  beiden  Falkner,  welche  sie  forisch  äfften,  erhielten 

t)  Ptha,  s.  Jt. 

■)  Hmnig,  S.  £1  Anm, 

*j  von  Oonabro«iki,  S^  119  Anm. 


I 


Die  Beiz-jagd  in  AUprcußcii. 


r 

I 

I 


4  m.,  die  sie  von  dem  Augenblicke  an,  wo  sie  den  englischen 
Boden  beiraten,  bis  zu  ihrer  Ankunft  an  dem  königlichen  Hofe 
als  Zehrgeld  benutzen  soilicn.  So  lange  sie  sich  auf  dem  Schiffe 
befanden,  wurden  sie  beköstigt.  Für  die  Falken  wurden  2  Schock 
Hühner  und  10  Schock  Eier  als  Nahrung  während  der  Oberfahrt 
mi^enommen,  und  als  Nahrung  für  die  Hühner  wieder  5  Scheffel 
Gerste.  Dann  wurde  Leinwand  gekauft,  um  die  Käfige  damit  zu 
bedecken,  und  noch  '/b  "i-  Lohn  dafür  gezahlt,  die  Falken  bis 
an  die  Weichsel  münde  zu  schaffen.  Der  Hauskomtur  von  Danzig 
sorgte  für  die  Überfahrt  und  machte  die  notwendigen  Auslagen 
(S.  76,  Z.  13-22).  Die  gesamten  Unkosten  betrugen  -  das 
Sdiiffsgcld  ungerechnet   -    g'/t  m. 

Ein  anderer  Transport  ist  vom  Jahre  1406  beschrieben. 
Ober  die  Zahl  der  versandten  Tiere  erfahren  wir  nichts,  doch 
die  beiden  mitziehenden  Falkoniere  erhallen  wieder  4  m,;  dieses 
Mal  ist  angegeben,  daß  sie  dafür  die  Vögel  jenseits  der  See 
[üttcm  sollen.  Der  Großschäfter  von  Marienburg  besorgte  für 
sie  Nahrung,  Schiff  und  Überfahrt.  Eingekauft  wiarden  noch  vor 
iJer  Einschiffung  129  Hühner,  10  Schock  Eier,  Leinwand  zu  den 
Käsen,  2  Hühnertförbe,  1 6  Scheffel  Oersle  sowie  1  Scheffel  Weizen 
für  die  Hühner  und  4  Tonnen  zur  Aufnahme  der  Gerste  und  des 
Wassere.  Der  Schiffsherr  Peter  Beyer,  der  die  Falken  mit  Zubehör 
überfährt  und  die  sie  begleitenden  Falkner  bekösligl,  erhält  !l  m. 
(S.  384,  Z.  15-21  und  S.  393,  Z.  37-41).  Außer  dem  Werte 
für  die  Falken  selbst  betragen  die  Qesamtkosten  für  diese  Sen- 
dung 2i'/t  ni. 

Auch   die  Angaben,  welche  sich  auf  den   weiBen  Falken, 

<jei]  isländischen  oder  nordischen  Jagdfalken  beziehen,  sind  von 

Interesse.    Die  eine  schildert  uns,  wie  ein  russischer  Falkner,  der 

einen    solchen    Beizvogcl    von    Wytowt,    dem    Großfürsten    von 

Litauen    bringt,    2  ra.   erhält   und   samt    seinen    Knechten    mit 

Kleidungsstücken    beschenkt    wird    (S.   471,    Z.    30—33;    S.  543, 

Z.  28,  29);    und  eine  andere  beriditet  daß  der  Falkner  Hannu$ 

4'/«  m.  zu  einem  Pferde   und  */*  "••  ^"  einem  Schlitten  erhält, 

um   auf   diesem   einen   weißen  »Habicht"   zum   Markgrafen   von 

Meißen    zu    bringen    (S.    469,    Z   23-2S).      Eine    letzte    Stelle 

schildert  uns  den  Transport  eines  solchen  edlen  Beizvogels  nach 


Paul  Dahnu. 


I 


Burgund.  Es  werden  für  ihn  4  Sdiöpsen  und  50  Hühner  ge- 
kauft, sowie  2  Decken,  2  Strohsäcke  und  2  Rosse  für  den 
tragenden  Russen  und  den  begleitenden  Oberfalkonier  oder 
Habich  lab  rieh  ler,  den  Bosstsclien  Gott*)  Beide  erhalten  Belohnung, 
der  Oberfalkner  wird  außerdem  neu  bekleidet,  und  der  Scliiffs- 
herr  erhält  2  m.  für  die  Überfahrt  (S.  542,  Z.  12-18  und 
20,  21).  Die  Belohnung  des  Falkners  für  den  Transport  ist  an 
dieser  Steile  nicht  angegeben,  doch  erhält  er  später  i  m.  (S.  58$, 
Z.  13—15),  jedenfalls  nach  der  glücklichen  Ablieferung  des 
wertvollen  Vogels.  Die  Gesamtkosten  für  diesen  Transport  be- 
tragen,  ausgeschlossen  den  Wert  für  den  Falken  selbst,  ungefähr 
12  in. 

Der  gewöhnliche  Preis  für  das  Tragen  einer  Käse  ist  4  ra. 
und  nach  Frankreich  für  je  2  Käsen  17  m.  (S.  27),  Z.  40,  41 
und  S.  272,  Z.  1).  Nach  Ungarn  wird  als  Lohn  für  2  Käsen 
einmal  1t  m.  notiert  (S.  37,  Z.  1,  2),  ein  anderes  Mal  für  nur 
eine  Käse  derselbe  Werl  (S.  506,  Z.  24.  25),  und  ein  drittes  Mal 
wird  dem  Falkner  Peter  für  das  Tragen  von  Falken  dorthin, 
ohne  jede  weitere  Angabe  der  Zahl  wiedenini  1 1  m.  gegeben. 
Diese  «Ehrung",  welche  den  Falkonieren  sonst  von  Fürsten  ge- 
boten wurde,  zahlte  der  König  von  Böhmen  nicht!  Der  Bote 
erhält  deshalb  vom  Hochmeister  nachträglich  4  m.,  „die  her 
vorzerel  hatte"  {S.  23,  Z.  25-27),  und  als  wieder  Falken  nach 
Böhmen  .lusgesandl  werden,  erhäh  der  mitziehende  Falkner  2  m, 
im  voraus,  -senthemol  der  Konig  den  Knechten  keyne  erunge 
gebet"  {S,  7  7,  Z.  22-24).  Wie  in  diesem  Falle  wußte  der 
Hochmeister  auch  bei  anderer  Gelegenheit  seine  Leute  bei  gutem 
Mute  zu  erhalten,  wenn  sie  das  erwartete  Geldgeschenk  nicht  er-  M 
hielten;  so  gibt  er  auch  einmal  1  m.  den  Knechten,  die  Hengste 
zu  Wytowt  brachten  und  kein  it2^umgeld"  bekamen  (S.  339, 
Z.  5^7). 

Bei  der  Dressur  der  Falken  im  Freien  und  später  bei  der 
Beize  mußte  darauf  geachtet  werden,  daß  die  Jagdvögel  nie  dem 
Winde  den  Rücken,  sondern  stets  die  Brtisl  zuwendeten.  Qab 
man   hierauf  nicht  genügend  acht,   so   wurden   die  Federn   der 

')  Ttcichcl,  A. :  Der  IIouIkIic  Apl£Ot  da  Dcubth-Ordmt-Trcßlcrlnitli«.  ZdUdir. 
da  Hbwr-  Verein»  für  dm  Rcsbn  M»riai»«tder.  li«.  Hdt  3t.  S-  M— *i, 


Die  Beizjagd  in  AltpreuActi. 


20» 


Tiere  aufgeblasen  und  diese  dadurch  beunruhigt  Während  man 
sonst  gewähnlich  den  Jagdfalken  auf  der  linken  Hand  trug, 
mußte  man  ihn  deshalb,  wenn  der  Wind  von  dieser  Seite  Wies, 
auf  die  rechte  Hand  setzen.  Hinzu  kommt,  daß  der  Vogel  mit 
dem  Winde  nur  schwer  auffliegt,  und  daÖ  man  ihn  deshalb  stets 
so  trug,  daß  er  jederzeit  gegen  den  Wind  geworfen  werden 
konnte.  Auf  Bildern,  die  uns  einen  Falkner  mit  mehreren  ßeiz- 
vögeln  zeigen,  sind  diese  deshalb  auch  alle  mit  ihrer  Brust  nach 
derselben  Seile  hingekehrt.  Wenn  der  Hochmeister  seine  Falken 
von  den  Fadgplätzert  herbeiholen  ließ  oder  an  Könige,  Fürsten 
und  Gönner  des  Ordens  versandte,  so  stellte  es  sich  für  die 
tragenden  Knechte  als  Unmöglichkeit  heraus,  den  Käsen  stels  die 
rechte  Stellung  gegen  den  Wind  zu  geben.  Deshalb  sind  diese 
möglichst  zweckentsprechend  eingerichtet  Wie  wir  aus  dem 
TreBlerbuche  ersehen,  waren  sie  mit  Leinwand  überzogen,  so  daß 
sie  einen  luftigen  und  trotzdem  vor  dem  Winde  geschützten 
Aufenthaltsort  boten.  Außer  der  Bezeichnung  »uf  die  käsen" 
finden  wir  auch  folgende:  «zu  ricken  in  die  Käsen,  zu  den  ricken, 
under  die  ricke". 

Die  Ricke,  der  Ricke  oder  der  Reck  ist  die  Sitzstange  im 
KUig.  Da  der  Versand  in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  vor 
sich  ging,  so  waren  die  Beizvögel  nicht  nur  vor  den  kräftigen 
Herbststürmen,  sondern  auch  vor  der  Kälte  zu  schützen.  Bei 
ihrer  dauernden  Untätigkeit  während  des  Transportes  ist  also  eine 
Umwicklung  der  Stangen  notwendig  gewesen,  um  einerseits  die 
Fänge  vor  der  Einwirkung  des  Frostes  zu  schützen,  anderseits 
aber  wohl  auch,  um  ihnen  einen  sidieren  Haltepunkt  zu  ge- 
währen. 

Wie  in  den  alten  Werken  über  Falkenerei  angegeben  wird, 
soll  die  Ricke  in  Manneshöhe  oder  noch  höher  angebracht  und 
in  der  Mitte  gekerbt  sein,  damit  man  dort  die  Langfcssel  an- 
binden könne;  wenn  sie  niedriger  war,  so  mußte  jedenfalls  streng 
darauf  gesehen  werden,  daß  der  Schwanz  des  Vogels  den  Boden 
nicht  berührte.  In  den  Käsen  war  es  schwer,  dem  Vogel  einen 
geeigneten  Platz  anzuweisen.  Die  Käfige  sollten  nicht  zu  klein, 
dann  aber  auch  nicht  zu  hoch  oder  zu  groß  sein,  um  nicht 
Schwierigkeiten  beim   Tragen  zu    t>ereiten.    Eine  ungelenke  ße- 


210  P^I  Dahms. 


wegung  des  Trägers  konnte  die  Tiere  zum  Schlagen  mit  den 
Schwingen  und  zum  Abflattern  oder,  wenn  der  Frost  die  Fänge 
gelähmt  hatte,  sogar  zum  Abfallen  von  den  Stangen  bringen. 
Deshalb  war  wohl  die  untere  Fläche  des  Käfigs  mit  Leinwand 
bedeckt,  um  ein  Zerstoßen  der  Schwanzfedern  möglichst  zu  ver- 
hüten. Durch  einen  solchen  Unfall  wurde  der  Beizvogel  in 
seiner  Manöverierfähigkeit  beeinträchtigt,  doch  konnte  der  Schaden 
wieder  gutgemacht  werden.  Derart  zerbrochene  Schwung-  oder 
Schwanzfedern  verstand  man  zu  schifften  oder  Schäften,  d.  h.  auf 
einen  neuen  Schaft  zu  bringen.  Diese  Kunst  ist  jeden&lls  bereits 
mit  der  Beize  in  Europa  eingezogen  und  nicht  etwa  erst  später 
entstanden.  Die  Jagd  mit  Raubvögeln  war  in  ihrer  alten  Heimat 
bereits  hoch  entwickelt,  und  dort  wird  auch  jetzt  noch  ein  ver- 
unglückter guter  Beizvogel  mit  neuen  Schwung-  und  Schwanz- 
federn versehen.  So  traf  Radde  im  Süden  des  Kaukasus  einen 
Kurdenstamm  an,  dessen  Häuptling  mit  Eifer  die  Beizj^^  mit 
Habichten,  Sperbern  und  Schreiadlem  betrieb.  Hier  sah  Radde 
einen  Raubv<^el,  der  seinem  Körperbau  nach  ein  Sperber,  seinem 
Schwänze  nach  ein  Turmfalke  war.  Da  eine  Bastardbildung  un- 
denkbar war,  so  wurde  dieser  eigenen  Erscheinung  nachgeforscht, 
und  es  ergab  sich,  daß  der  Sperber  sich  den  Schwanz  derart 
zerstoßen  hatte,  daß  er  zur  Jagd  unbrauchbar  geworden  war, 
und  daß  ihm  der  Häuptling  den  Schwanz  des  Turmfalken  künst- 
lich hatte  einsetzen  lassen.^) 

Aus  den  Abrechnungen  des  Hochmeisters  mit  dem  Haus- 
komtur  zu  Königsberg,  die  den  Transport  der  neu  gefangenen 
Beizvögel  nach  Marienburg  betreffen,  erfahren  wir,  daß  jede  Käse 
Va  m.  kostet  Deshalb  können  wir  aus  der  Summe,  die  in  jedem 
Jahre  für  Käfige  au^;egeben  wird,  die  Zahl  der  letzteren  fest- 
stellen. Die  Eintr^ungen  in  das  Treßlerbuch  vom  Jahre  1409 
weisen  femer  im  Gegensatze  zur  sonstigen  Weise  der  Buchführung 
nicht  die  Zahl  der  Käsen,  sondern  die  für  ihren  Transport  ge- 
zahlten Gelder  auf,  sowie  die  Angabe,  daß  nach  Frankreich  in 
einer  Käse  1 0  Falken  und  in  einer  zweiten  8  Falken  und  i  Qerfolk 
gelragen  worden  sind  (S.  593,  Z.  39-41).  An  einer  anderen 
Stelle  wird   berichtet,  daß    10   Falken    nach   Friedeck   geschickt 

>)  Btthm,  S.  380. 


Die  Beizjafd  in  Altprcußcn. 


■werden,  und  zwar  6  für  der  König  von  Ungarn  und  4  für  den 
Bischof  von  Kulmsee  (S.  77,  Z.  34-37).     Mit  der  Bezeichnung 
Käse  ist  deshalb  nicht  nur  der  Käfig,  sondern  auch  die  Zahl  der 
Vögel  gemeint,  die  beim  Transport  in  ihm  untergebracht  wenden 
können.     Eine  ganz  bestimmte  Größe  hatte  sich  aus  praktischen 
Gründen  für  jede  Käse  als  die  vorteilhafteste  erwiesen,   jede  bot 
nur  genügend   Raum   (Qr  10  Tiere-     Zwangen  die  Verhältnisse 
dazu,  mehr  Falken  in  ■einen  Käfig  zu  setzen,    so  lag  die  Gefahr 
vor,   daß  während   des  Transportes  einige  von  ihnen  eingingen- 
So  sind  einmal,  im  Jahre  Ii99,  82  Falken  und  1   Gerfalk 
in  nur  7  Käfige  gesperrt     Auf  dem  Transporte   gingen  4  Tiere 
ein.    Für  die  nächsten  5  Jahre  finden  wir  die  Falken  fast  immer 
nur  zu  je   10   gemeinsam   untergebracht;    nur   hin   und   wieder 
wird  diese  Zahl  um  einen  Beizvogel  vermehrt.    Als  dann  140S 
wieder  SO  Vögel  in  6  Käfigen  untergebracht  werden,  gehen  unter- 
wegs 2  ein.     Dafür  setzte  man  bei  dem  Transporte  im  nächsten 
Jahre  in  3  Käfige  auch  nur  je  10  und  in  den  vierten  sogar  nur 
9  Vßgel.    In  den  Jahren    1408  und    t+09  wurden  freilich  wieder 
ungefähr  je  ll   Tiere  zusammen  getragen. 

Wenn  man  diese  neu  eingefangenen  und  noch  nicht  abge- 
tragenen Tiere  bereits  nach  Möglichkeit  zu  erhalten  suchte,  so 
galt  das  noch  viel  mehr  für  die  zur  Jagd  abgerichteten  Beizvögel. 
Deshalb  setzte  man  für  den  oben  erwähnten  Transport  nach 
Frankreich  nurlO  Falken  in  den  einen  und  8  Falken  und  einen 
Gerlerzen  in  den  anderen,  wohl  um  bei  dem  hohen  Werte  des 
letzteren,  der  das  Doppelle  von  dem  eines  gewöhnlichen  Falken 
betrug,  wegen  guter  Ankunft  an  den  Ort  der  Bestimmung  mög- 
lichst sicher  sein  zu  können. 

Trotz  aller  Vorsorge  konnten  die  Faäken  während  ihres 
Transportes  krank  und  unbrauchbar  werden  und  sogar  eingehen; 
deshalb  wurde  sorgfältig  darauf  geachtet,  daß  ein  erfahrener 
Falkner  einen  solchen  Transport  leitete.  So  bittet  z.  B.  Graf 
Oeoi^  Ernst  von  Henneberg  den  Markgrafen  Aibrecht  Achilles 
von  Brandenburg  um  Beizvögel  und  weiter  dsrum,  den  Boten 
unterrichten  zu  lassen,  wie  sie  gewartet  würden.  Anderenfalls 
möchte  er  selbst  einen  Boten,  der  mit  Falken  umzugehen  ver- 
stehe,   mitgeben,    damit   die   Vögel    nicht   verwahrlost   zu    ihm 


kämen.')  Herzog  Ferdinand  von  Österreich  teilt  dagegen  dem 
Herzog  Albrecht  mit,  daß  die  ihm  übersandten  Falken  nicht  be- 
sonders brauchbar  gewesen  seien.  Diese  UntÜchtigkeit  führt  er 
darauf  zurück,  daß  der  Falkendiencr  sie  »nicht  wohl  gewartet 
habe".  Wie  er  später  als  Kaiser  regelmäßig  jedes  Jahr  10  bis  12 
der  schönsten  Falken  erhielt,  teilte  er  in  einem  Briefe  mit,  daß 
von  dem  letzten  Falkengeschenke  statt  der  gesandten  10  nur  6 
an  ihn  gelangt  seien,  die  anderen  seien  unterwegs  infolge  der 
Unbeständigkeit  des  Wettere  verrecScL*) 

Die  mit  einer  solchen  Sendung  ziehenden  Falkner  werden 
ihrer  Verantwortlichkeit  wegen  entsprechend  belohnt.  Nach  dem 
Treßlerbuche  erhalten  sie  bei  größeren  Sendungen,  wie  sie  meist 
von  dem  Vogte  von  Qrobin,  dem  Bischof  von  ösel  und  dem 
Komtur  von  Windau  kajnen,  je  nach  den  Umständen  4  bis  S'/a 
und  sogar  6  m.  Bei  einer  Qabe  von  +  m.  werden  meist  noch 
i7s  ni-  »vor  6  elen  gewandes"  hitizugefügt,  zuweilen  heißt  es 
auch  kurz  »S'/i  m.  vor  syn  hofegewaiit"  oder  einem  Diener  ge- 
schenkt, der  die  Falken  brachte,  zu  seinem  Mofgcwand.  Die 
Gesamtsumme  der  gezahlten  Belohnung  übersteigt  jedoch  niemals 
die  Höhe  von  6  tn.  Die  tragenden  Knechte  erhalten  gewöhnlich 
je  I  m.  -  Bei  anderen  Sendungen  wird  den  Überbringern  von 
Bcizvögcln  eine  angemessene  Belohnung  gereicht,  während  die 
russischen  Falkner  fast  ausschließlich  eingekleidet  (S.  483,  Z.27,  28) 
oder  durch  ein  Geschenk  von  Stiefeln  und  Schuhen  erfreut 
werden  (S.  487,  Z.  20,  21;  S.  SOS,  Z.   1.  2). 

Um  den  Beizvogti  später  bei  der  Jagd  jedesmal  zum  Zu- 
rückkehren zu  veranlassen,  gewöhnte  man  ihn  an  das  sog. 
Federsp'iel.  Dieses  bestand  vielfach  aus  dem  ausgestopften  Rumpfe 
mit  den  Flügeln  einer  hellen  Taube,  welchen  man  in  die  Höhe 
warf.  Als  Rumpfteil  verwendete  man  auch  vielfach  ein  Holzstück, 
an  welchem  mittels  eines  Hakens  ein  FIcischstOck  befestigt  werden 
konnte.  Nicht  Anhänglichkeit  fesselte  den  Vogel  an  den  Falkner, 
wie  etwa  den  Hund  an  den  Jäger,  sondern  einzig  die  Befriedigung 
der  Frcßlust  Daraus  geht  wieder  hervor,  daß  bei  der  ersten  sich 
bietenden  Gelegenheit  auch  der  beste  Falke  sich  aus  dem  Staube 

>]  Volgl.  Joh«nnn;  rüntmlrbcn  «tc..  S.  3ST. 
1  Volgii,  JoruniHi:  Filnicnlttwn  <tc.,  S.  as»,  »4. 


Die  Bdzjagd  in  Altpreußen. 


2(3 


ZU  machen  suchte.    Wurde  der  Vogel  durch  stärkere  Raubvögel 
selbst  gejagt,  wurde  er  verscheucht  oder  bei  der  Jagd  durch  seine 
Beule    zu   weit    fortgeführt,   so   war  es  schwierig,    ihn   wieder- 
zubekommen.   Dann  war  es  die  mühsame  Aufgabe  des  Falkners, 
ihn  aufzusuchen  und  durch  Lockspeise  und  Zuruf  wieder  ein?u- 
fangen.     Hatte  das  Tier  sich   in  ein  Dorf  oder  in  einen  Wald 
verflogen,  so  war  es  von  Vorteil,  auf  die  Vögel  zu  achten,  welche 
ihm  schreiend  naclijagten,  wie  Krähen,  Elstern,  Amseln  und  andere 
Dem  Falkner  stand  dabei  eine  Reihe  von  Mitteln  zu  Ge- 
bote,  um   sich  des  wertvollen  Flüchtlings  zu  bemächligen.     Der 
Beizvoge!   war  stets  mit  zwei  Ausrüstungsstücken   versehen,  die 
sein  Einfangen  erleichterten.     Man  befestigte  an  seiner  Kurzfessel 
oder  an    dem    Oeschuhe,    Lederriemen,    die   er  stets    trug,    zwei 
kleine  Schellen.     Diese  werden   auch  zweimal  im  Treßlerbuche 
erwähnt;  für  40  von  ihnen  wird  i  m.  gezahlt  (S.  259,  Z.  37,  3S}. 
Außer  diesen   trug  jeder  Beizvogel    bei  der  Jagd  ein  Schildchen, 
das  den  Namen   oder  das  Namenszeichen  seines  Besitzers  trug. 
Auch  die  Jagdfalken,  die  dem  Hochmeister  sein  Vogler  nachtrug, 
Waren  mit  goldenen   oder  silbernen  Schildchcn  versehen,  in  die 
das  Wappen   des  Hochmeisters  geritzt   war.     Die  Ausgaben  für 
die  Schildchen  sind  im  Treßlerbuche  ebenfalls  nur  selten    -   es 
liegen  nur  3  Notizen  vor   -,  da  sie  nur  an  den  Beizvögeln  be- 
festigt wurden,   mit  denen  der  Hochmeister  gerade  jagte.     Diese 
Schildchen  sind  deshalb  von  einer  gewissen  Bedeutung,  weil  der 
Vogel,  der  in  den  ersten  3  Tagen  nach  der  Flucht  gefangen  wird. 
Von  dem  Fänger  dem  Besitzer  zurückgegeben  werden  muß.    Wird 
das  Tier  aber  erst  am  vierten  Tage  oder  noch  später  eingefangenj 
So  gehört  es  von  Rechts  wegen   dem  Fänger.     Hat  es  aber  ein 
Zeichen  an  sieb,  so  nuiß  es  zurückgegeben  werden,  wieviel  Zeit 
^uch  verstrichen  sein  mag.')     Mit  Hilfe  solcher  Schildchen  können 
die  Besitzer  verflogener  Falken  leicht  ermittelt  werden;  nach  dem 
Treßlerbuche    werden    zwei    solcher    Beizvögel    eingefangen    und 
an  ihre  Herren  nach  Graudenz   und  nach  Thorn  zurückgebracht 
{S.  (63,  Z.  35,  36;  S.  164,  Z.  21,  22). 

Wie  man  erzählt,  wurde  ein  Falke  in  Preußen  gefangen  und 
an  den  Marquis  de  Villa  nuova  verhandelt.    Er  entfloh  aber  von 

')  Brontr,  S.  S6. 


1 


214 


Paul  Dahms. 


dort,  kehrte  nach  Preußen  zurück,  verlor  hier  abennils  seine 
Freiheit  und  gab  durch  die  auf  seinem  silbernen  Haisblech  ge- 
schriebenen Worte  Marquis  de  Villa  nuova  del  Rio  den  Namen 
seines  Besitzers  an.  tn  der  Sarkauer  Schenke  sod  lange  Zeit  eine 
kleine  Schelle  und  ein  Haisband  aufgehoben  worden  sein,  das 
den  Namen  Jakobs  V.  von  England,  nach  anderen  freilich  den 
Namen  eines  französischen  Königs  trug.  Auch  dieses  wurde  viel- 
leicht einem  seinerzeit  gefangenen  Falken  abgenommen.') 

Außer  den  FalVei,  die  versandt  oder  durch  ihre  Flucht 
verloren  wurden,  gingen  viele  mit  dem  Tode  ab.  Abgesehen  von 
denen,  die  einer  Krankheit  unterlagen,  waren  die  Beizvögel 
höchstens  3  oder  4  jähre  brauchbar;  daraus  ist  auch  die  Not- 
wendigkeit ihrer  fortgesetzten   Erneuerung  zu  ersehen. 

Nach  Voigt ')  betragen  die  Ausgaben  über  Ankauf  und  Ver- 
sendung der  Falken  im  Jahre  1401  sn  346^jt  ni.,  1402  an  239  m., 
1404  rund  17t  m.  und  1405  an  3  76  m.  Zähl!  man  jedoch  zu 
diesen  Werten,  die  den  Hauptkonten  entnommen  sind,  die  Aus- 
gaben hinzu,  welche  zerstreut  im  Texte  des  TreÖlerbuchcs  an- 
gegeben  sind,  so  erhält  man  die  Gesamtausgaben  in  folgenden 
abgerundeten  Zahlen  (m.). 


Jaltr. 

ZusammeasleÜungen 
in  den  Konten. 

Vcreinzellc  Angaben 
im  Text- 

Gcsamlkosten. 

1399 

374% 

toVi 

3$5 

1400 

440 

17 

457 

1401 

345V. 

6 

351 

1402 

236 

23 

259 

1403 

216»/. 

20 

337 

1404 

171 

39% 

211 

140S 

375V, 

17% 

393 

1406 

166Vg 

7S"/«i 

242 

1407 

ie4V, 

77'/« 

242 

1408 

259 

122"/« 

382 

1409 

168% 

56"/.o 

226 

■)  Bock,  ftitatidi  SunucL  Vcnvch  <lnrr  vlttiduflUchcn  NkUircndihhlc  von  dem 
KAnlfrclcli  0>i-  und  Wntpmilkn.   B<]    4.   Dniau,  i'l«,  S.  169.  170. 
*i  Qeutilrhtr  Mirlmburp.  S.  HO. 


I 


Die  Beizjagd  in  Altpreiißcn. 


Die  Tabelle  zeigt,  daß  die  vereinzelten  Ausgaben  im  Jahre  1 408 
fast  die  Hälfte  der  größeren  ausmachen  und  daß  im  Jahre  1400 
der  gröBte,  1+04  der  kleinste  Aufwand  getrieben  wurde.  Als 
Mittelwert  für  die  jährlichen  Qesamtkosten  wurden  317  m.  be- 
rechnet. 

Die  sog.  edlen  Falken  haben  die  Eigentümlichkeit,  den  Raub 
zu  stoßen,  und  deshalb  ist  es  notwendig,  daß  ihre  Beute  fliegt 
Sitzenden  und  laufenden  Tieren  können  sie  nichts  anhaben,  weil 
sie  bei  der  Gewalt  des  von  ihnen  ausgefßhrlen  Stoßes  sich  be- 
schädigen würden.  Man  benutzte  deshalb  bei  der  Beizjagd  zu- 
sammen mit  den  Falken  abgerichtete  Hunde,  welche  das  Wild 
zu  stellen  und  zur  rechten  Zeit  aufzuscheuchen  halten.  Femer 
mußten  sie  die  gejagten  Vögel,  welche  sich  auf  den  Boden  ge- 
flüchtet hallen,  um  dort  der  ihnen  drohenden  Gefahr  zu  entgehen, 
aufspüren  und  aufjagen.  In  älterer  Zeit  war  der  Beiz-  oder 
Vogelhund  wohl  ein  einfacher  Slöberhund,  vom  13.  Jahrhundert 
verwendete  man  dagegen  vorzugsweise  -vorliegende«,  d.  h.  Vor- 
stehhunde, wie  heule  bei  der  Schießjagd.  Im  Treßlerbuche  werden 
.Vogelhlinde"  zweimal  erwähnt  (S-  496,  Z.  22,  23;  S.  S36,  Z.  14); 
wir  erfahren  beide  Male,  daß  sie  Gänse  zerrissen  haben^  und 
daß  der  Hochmeister  den  von  ihnen  angerichteten  Schaden  ver- 
gütet Auch  vras  wir  sonst  von  den  preußischen  Jagdhunden 
jener  Zeit  hören,  ist  nichts  besonders  Gutes;  Dressur  und  Rasse 
scheinen  nicht  allzubesi  gewesen  zu  sein.  Wiederholt  fallen  sie 
würgend  in  die  Schafherden  ein  und  richten  große  Blutbäder  an, 
in  einem  Falle  zerfleischen  sie  15,  im  andern  21   Stück. 

Gelegenilich  wird  uns  der  Hochmeister  jagend  vorgeführt 
Im  Okiober  1403  finden  wir  ihn  jagend  auf  der  Qanswiese  am 
Weichselstrome  (S.  270.  Z.  19,  20);  reiste  er  im  PreuBenlande 
umher,  um  die  wichtigsten  Städte  und  Ordenshäuser,  welche  bei 
einem  feindlichen  Oberfalle  am  meisten  gefährdet  waren,  aufzu- 
suchen, so  betrieb  er  bei  dieser  Gelegenheit  mit  Eifer  die  Jagd.') 
Am  besten  konnte  er  sich  freilich  dem  edlen  Federspiel  und  der 
Jagd   in   Sluhm   hingeben,    das  von   Marienburg   leicht   erreicht 


i>  Volft-    QcMhiditt  W«ri«nhufB«  elc.,  S.  JS6.  —  Voigt  Jcluuinwr  Dm  SHlIl«t*it 

dn  Hochmrl'^tm  Ja  druluhrn  Orilmi  und  umd  Filrslmliot.    tüumrn  hitlor,  TiKhrnbucb. 
Jahrit.  I.  itiv.  s.  iou-ao:. 


1 


L 


werden  kann.  Hier  hklt  er  sich  in  seinem  Sommerhause  wäh- 
rend des  Sommers  öfter  auf,  hier  waren  alle  Einrichtungen  und 
Anstalter  zur  Ausübung  des  hochgeschäteten  Weidwerks  getroffen, 
Bald  jagte  der  Hochmeister  auch  in  der  Scharffau  (Scharpau) 
oder  auf  der  damals  noch  reichbcwatdclcn  frischen  Nehrung. 
Dorthin  hatte  dann  sein  Kumpan  die  nötigen  Lebensmittel  zu 
schaffen,  und  auch  der  hoch  meisterliche  Koch  und  Keilermeister 
mußten  ihrem   Herrn  donhin  nachfolgen. 

Das  Jagdvergnügen  war  außer  dem  Hochmeister  freilich 
nur  den  oberetcn  Gebietigem  und  Komturen  erlaubt,  und  durch 
«in  bestimmtes  Gesetz  war  verordnet,  daß  außer  dem  Komtur  und 
dem  Hauskomtur  in  einem  Konvente  kein  anderer  Ritterbruder 
Jagdhunde  halten  oder  Federspiel  und  Weidwerk  betreiben  durfte, 
und  den  ersteren  beiden  war  dabei  zur  Pflicht  gemacht,  sich  dem 
Vergnügen  der  Jagd  nur  mit  Maß  hinzugeben.  Doch  zuweilen 
erlaubte  der  Hochmeister  den  Konvenisbrüdern  ausdrücklich  die 
Jagd  und  ließ  ihnen  das  dazu  erforderliche  Geld  auszahlen,  und 
ähnlich  verhielten  sich  mitunter  die  Komture  gegen  die  ihnen 
unterstellten  RiKerbrüder.  So  erhalten  die  «jungen  Herren*  zu 
Elbittg  regelmäßig  von  dem  Großkomlur  und  Trefiler  2  m.  zur 
Ausübung  der  Fischerei,  «die  sie  noch  ostem  pflegen  zu  haben* 
(Tr.-B.,  S.  341;  Z.  M,  12),  in  einem  Falle  aber  zur  Jagd  vom 
Hochmeister  J  m.  und  vom  Großkomlur  1  m.  <S.  475,  Z.  25-27). 
Doch  auch  die  jungen  Ritterbrüder  in  Königsberg  und  einmal 
auch  die  in  Danzig  werden  zur  Ausübung  der  Jagd  mit  Geld- 
mitteln unterstützt,  die  letzteren,  um  „\r  gam  zu  bessern"  (S.  469, 
Z.  40,  41).  Diese  Jagd  brachte  Abweclislung  in  das  Einerlei  des 
täglichen  Lebens  und  wurde  um  so  höher  geschätzt,  als  die 
Ordensbrüder  vom  Verkehr  mit  der  Well  ziemlich  abgeschieden 
leben  mußten.  Die  Jagd  war  bei  den  jungen  Rittern  vielleicht 
auch  mehr  den  praktischen  Bedürfnissen  der  Küche  gewidmet 
Man  beizte  meist  auf  Qeflflgel,  das  den  Jäger  nicht  so  nahe 
herankommen  ließ,  daß  er  mit  Armbrust  oder  Bogen  einen  sicheren 
Schuß  abgeben  konnte.  Man  jagte  den  Reiher,  den  Kranich  und 
den  Schwan,  ferner  Trappen,  Fasane,  Feldhühner,  wilde  Gänse, 
Enten  und  Tauben,  Brachvögel,  Kiebitze,  tlstern,  Krähen,  Raben, 
Milane,  Bussarde,  Stare,  Lerchen  und  viele  andere  kleine  Vögel. 


Die  Brt7jagd  (n  Aitpreußen,  3^7 


Da  in  damaliger  Zeit  auch  Kraniche,  Reiher,  Schwäne  und  sogar 
Rohrdommeln  als  ganz  gut  eßbar  galten,  so  läßt  es  sich  ver- 
stehen, wenn  der  König  von  Polen  dem  Hochmeister  Kraniche 
lind  Wildpret  als  Geschenk  übersendet  (S.  354,  Z.  2S-27). 

Als  nach  Heinrich  von  Plauens  Entsetzung  Michael  KQch- 
meister  von  Stemberg  Hochmeister  geworden  war,  wurde  es  im 
Ordenshausc  immer  stiller.  Der  Streit  mit  Polen  trat  mehr  in 
den  Hintergrund  und  wurde  auf  der  Kirchen  Versammlung  zu 
Koslnit2  und  auf  anderen  Verhandlungslagen  zu  schliciiten  gesucht. 
Der  Meister  ergötzte  sich  in  seinen  Mußestunden  gern  mit  seinem 
falkenspiele.  Die  besten  Vögel  ließ  er  sich  aus  Kurland  kommen 
und  beschenkte  den  Komtur  von  Windau  dafür  mit  Thomer  Land- 
wein. Auch  der  nächste  Hochmeister,  Paul  von  Rußdorf,  sah 
mehrere  Jahre  in  Ruhe  und  Frieden  durch  das  Land  gehen. 
Durch  die  Obersendung  von  Falken  versuchte  er  sich  die  Gunst 
der  Fürsten  zu  sichern,  das  weitere  Sinken  des  Ordens  aufzuhallen 
und  die  widrige  Stimmung  zurückzudrängen,  welche  an  verschie- 
denen deutschen  Höfen  der  Friedensschluß  am  See  Meino  her- 
vorgerufen halte.  Unter  anderem  sandle  er  auch  4  der  schönsten 
Stoßfalken  nach  Berlin  an  Friedrich  I.,  den  Kurfürsten  von 
Brandenburg;  auch  den  König  von  Polen  erfreute  er  durch 
Übersendung  eines  Beizvogels.') 

Was  die  Anzahl  der  Falken  belrifft,  die  jahrlich  als  Ge- 
schenke ausgesandt  wurden,  so  ist  sie  von  dem  mehr  oder  weniger 
reichlichen  Einkauf  und  Einfang,  und  dieser  von  den  günstigeren 
oder  ungünstigeren  Witlerungsverhällnissen  abhängig.  Voigt  stellt 
für  eine  Reihe  von  Jahren  die  Zahlenwerle  zusammen.  Die 
Falkensendung  betrug  im  Jahre  1398  an  88  Stück,  1+07  an  43, 
1408  an  97,  1413  an  76,  1431  an  1S2,  1450  an  117,  1452  an 
tl6  und  1532  an   124  Stück. 

Die  Erfindung  des  Schießpulvers  vermochte  die  Jagd  mit 
Falken  an  fürstlichen  Höfen  mit  ihrem  eigenartigen  Reiz  in  keiner 
Weise  störend  zu  beeinflussen,  die  Falkenbeize  herrschte  vielmehr 
noch  mächtiger  als  früher.  So  schickt  Kaiser  Maximilian  im 
Jahre  1502  seinen  eigenen  Falkcnmeistcr  nach  Preußen  und  bittet 
den  damaligen    Hochmeister  um  14  der   besten  Falken,   »damit 

1)  Voip:  Qewhkh»  Mirimburi*  t\e.,  S.  }14,  3«,  M3,  33«. 
Archiv  m  KuIturKTutirchtc.   II.  IS 


i 


derselbe  Falkner  sie  iinserm  Befehl  abrichten  mag".  Besonders 
weifle  Falken,  also  nordische  Jagdfalk«n,  liebte  er  sehr  und  ba( 
ausdrückhch,  ihm  womöglich  einige  dieser  An  zuzuschicken. 

Auch  auf  seine  Enket,  den  Kaiser  Karl  V.  und  den  römischen 
König  Ferdinand,  übertrug  er  diese  Liebe  zum  Federspiel.  So- 
gar die  Schwester  des  letzteren,  Maria,  Gemahlin  des  Königs 
Ludwig  II.  von  Ungarn  und  nachmalige  Statthalterin  der  Nieder- 
lande, wurde  eine  leidenschaftliche  Falkenjägerin  und  sandte  1532 
einen  Falkner  nach  PreulJcn,  um  dort  für  sie  Beizvögel  einzu- 
kaufen. 

Besonders  interessant  sind  die  Bemühungen  des  Herzogs 
Albrecht,  sich  die  Gunst  des  englischen  Königshofes  zu  erwerben 
und  zu  erhallen.')  Als  er  im  Jahre  1534  die  Nachricht  erhielt, 
das  kaiserliche  Kammergericht  habe  in  betreff  seiner  Achterklärung 
ein  Exekutorial-Pönalmandat  gegen  ihn  verfögt  und  publiziert, 
suchte  er  sich  in  nähere  Verbindung  mit  Heinrich  Vlll.  zu  setzen, 
Ctbersandtc  ihm  12  ausgezeichnete  Falken  und  wiederholte  im 
nächsten  Jahre  sein  Geschenk  (10  Falken). 

Zti  demselben  Ziele  übei-sandle  er  jedenfalls  auch  dem 
Schwager  des  Königs,  dem  Grafen  Archimbald  Duglas,  10  Beiz- 
vfigel.  Der  Herzog  fuhr  fort,  alljährlich  seine  Sendungen  zu 
wiederholen,  und  erhielt  jedesmal  freundliche  Dankschreiben. 
Auch  die  Gunst  des  Königlichen  Großsiegelbewahrers  und 
Kammcrherm  Thomas  Cromwell  wußte  er  sich  zu  erwerben,  in- 
dem er  ihm  Falken  und  weiBen  Bernstein  überreichen  ließ.  Als 
Albrecht  freilich  die  alte  Ordensburg  Brandenburg  herstellen 
lassen  wellte  und  gelegentlich  einea  weiteren  Falkengeschenkes 
den  König  um  seine  Unterstützung  bat,  wies  dieser  auf  die  krie- 
gerischen Zeiten  hin  und  bedauerte,  den  geäußerten  Wunsch  nicht 
erfüllen  zu  können;  es  bleibe  nichts  übrig,  womit  man  gute 
Freunde  unterstützen  könne.  Auch  um  die  Gunsl  des  Günsthngs 
von  König  Heinrich,  Karl  Branden,  bewarb  sich  der  Herzog  und 
errang  diese  durch  ein  Geschenk  von  S  schönen  Jagdfalken. 
Ähnliche  Beziehungen  wie  zu  Heinrich  VlII.  suchte  und  fand 
Albrecht  zu   dessen  Sohn   Eduard  VI.   und   zu   Herzog   Eduard 

*)  Voigt,  }.:    HcraoK  Albrcchli  von   PmiOcii   (rmndKliantiäic  VtrblmlaiiK  etc., 
S.  1-M. 


Die  Ddzjagd  in  Allpreußen. 


219 


Somerset,  der  für  den  jungen  König  mehrere  Jahre  lang  die 
ZQgel  der  Regierung  (ilhrte.  Auch  die  streng  katholische  Königin 
Maria  wurde  mit  Falken  bedacht.  Ihre  Antwortschreiben  ließen 
freilich  erkennen,  daß  sie  dem  ketzerischen  Herzoge  nicht  wohl 
gesinnt  sei,  während  ihre  Nachfolgerin  Elisabeth  für  jedes  Ge- 
schenk in  freundlicher  Weise  ihren  Dank  abstaltete. 

Aus  dem  Verzeichnis,  welches  auf  Veranlassung  des  Herzogs 
1533  angelegt  und  bis  1567  fortgesetzt  wurde,  lernen  wir  teils 
die  Namen  der  beschenkten  hohen  Persönlichkeilen,  teils  die  An- 
zahl der  ihnen  übersandten  Falken  kennen.  Nach  ihm  wurden 
während  dieser  Zeit  an  die  Könige  und  Königinnen  von  England 
299,  an  englische  Herzoge  und  andere  wichtige  Staatsmänner 
außerdem  über  100  Falken  verschenkt.  Werden  zu  diesen  die- 
jenigen hinzugerechnet,  welche  an  die  ßbrigen  Könige,  Fürsten 
und  Großen  Europas  versandt  wurden,  so  erreicht  die  Zahl 
der  im  ganzen  verschenkten  Beizvögel  die  stattlidie  Höhe  von 
1939  Stück. 

Es  ist  interessant,  daß  der  Herzog  Albrecht  trotz  der  großen 
Falke nsendungeUj  welche  er  machte,  selbst  für  die  Beizjagd  wenig 
Neigung  hatte,  denn  während  seiner  Regierung  wird  ihrer  in  den 
Jagdakten  auch  nicht  mit  einer  Silbe  gedachi.') 

Zur    Zeit    der  Ordensherrschaft    war    der    Falkenfang   den 
Bisehöfen  auf  ihrem  Gebiete,   jedem  Eigentümer  auf  seinem  Be- 
sitztum freigegeben,  sogar  dem  Bauer  in  seinem  Garten,  und  nur 
<die  von  den  Falknern  des  Hochmeisters  und  der  Ordensbcanilen 
licsonders  eingerichteten  Lagerslätten  wurden  benutzt  Winrich  von 
Kniprodc  verordnete  zunächst,  daß  nur  der  Hochmeister  die  Be- 
rechtigung haben  sollte,  Falken  ins  Ausland  zu  senden.*)   Zur  Zeil 
^es  Herzogs  Albrecht  sah  man  jedoch  den  Falkcnfang  schon  mehr 
-cib  ein  dem  Landesherm  allein  zustehendes  Regal  an.    Ein  beson- 
«icrcr  Falkmeister  oder  Falkenfaher  erhielt  meist  für  2  Jahre  eine 
Bestallung,   mit  der  Verpflichtung,   alle   Falken,  die  er  auf  der 
Lagerstätte  oder  sonst  irdcndwo  finge,  nur  dem  Herzog  abzuliefern 


t)  Bd|uIi,  J,  O.^   0««cWehte  ie»  PmißiKhco  Jagdmciu   rtc.     Prwfl,  Prov.-Sl., 
Bind  n.  tl39,  S.  514. 

»)  Ebmdi.  --  Vzl.  «uch  Uedtke,  F.:  Btitrifir  lur  OcKfilchtt  der  Jied  In  F.ralind 

Bnd   AtlpiruHrn.      Zcitidir.    f.    d.    Ucsch.    und    Allciluiiitkiiiiilr    Eimlanil].      BuunibtTK. 
Buul  tV.     19»«.     S,  »9. 

15* 


220 


Paul  Dahms. 


und  daneben  einen  jungen  Mann  in  dem  Fange  gehörig  zu 
unterrichten.  Fßr  jeden  Falken  sollte  er  eine  Mark  und  für  jeden 
Geierfalken  das  Doppelle  erhalten. 

Da  bei  Fang  und  Transport  vielfach  Betrflgereien  betrieben 
wurden,  so  sollte  die  Bestallung  jedes  zweite  Jahr  erneut  und  so 
der  Eifer  und  Fleiß  des  Falkners  immer  rege  und  lebhaft  er- 
halten werden.  Weil  der  herzogliche  Falkner  mehrmals  die  Bciz- 
vögel  vertauscht  und  nur  die  schlechten  abgeliefert  hatte,  so  teilte 
der  Herzog  den  Fürsten,  die  er  beschenkte,  mit:  er  habe  jedem 
Falken  eine  Feder  aus  dem  Schwänze  ausstechen  lassen.  Diese 
befand  sich  in  einem  Briefe  und  gestattete  durch  einfachen 
Vergleich  die  Beurteilung,  ob  die  zugesandten  Vögel  auch  die 
echten  seien. 

Der  Herzog  erhicil  durch  seine  Falken meister  immer  hin- 
reichend Jagdfalken,  um  die  ihm  befreundeten  Könige,  Fürsten 
und  Gönner  beschenken  zu  können,  und  die  «Falkenbriefe",  die 
von  Falkenbeize  und  -zucht  handelten,  machten  einen  großen  Teil 
seiner  Korrespondenz  aus.  In  manchen  Jahren  war  der  Falken- 
fang ergiebiger  als  sonst,  so  daß  zu  den  Gönnern  und  Freunden' 
Albrechts  noch  neue  durch  Übersendung  von  Beizvögeln  ge- 
wonnen werden  konnten.  Dem  Römischen  Könige  wurden  im 
Jahre  1555  z.  B,  28  Falken,  und  darunter  ein  Oeierfalk  übersandt 
Auch  unter  Albrechts  Sohn  und  Nachfolger,  dem  Herzog 
Albrecht  Friedrich,  wurde  der  Falkenfang  fortgesetzt.  Der  neue 
FalkenjJiKer  tibernimmt  die  Verpflichtung,  alle  Falken,  die  er  im 
Laufe  des  Jahres  gefangen,  gekauft  oder  sonstwie  an  sich  gebracht 
hat,  dem  Herzog  zur  Verftigung  zu  stellen.  Dieser  will  dann 
seiac  Auswahl  treffen.  Der  Falkenfänger  soll  für  jeden  Vogel 
1  m.  erhalten,  daneben  aber  auch  auf  seine  Kosten  die  Falken, 
die  an  den  Kaiser,  den  Römischen  König  und  die  Fürsten  gehen 
sollen,  an  ihren  Bestimmungsort  bringen  und  über  die  Ablieferung 
Beweisscheine  vorlegen.  Alle  anderen  Falken  sollen  ihm  zu  je 
einer  Mark  gelassen  werden,  und  mit  ihnen  soll  er  freien  Handel 
treiben  können.  Die  herzoglichen  Falkenmeistcr  blieben  jedocli 
um  diese  Zeit  nie  lange  Em  Dienste. 

Wenige  Jahre  später  brach  sogar  ein  eigenartiger  Streit  in 
beireff  des  Falkenfanges  in  Preußen  aus. 


I 


Die  Beizjagd  in  Altpreußen. 


221 


Noch  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  war  das  Aussenden 
von  Falkengescherken  an  auswärtige  Fürstenhöfe  in  Gebrauch. 
Auch  der  Kurfürst  Johann  Sigismund  wollte  bei  Antritt  seiner 
Regierung  (lfi08)  derartige  Geschenke  machen,  erfuhr  aber  von 
sdnem  Falkenmeister  Schwierigkeiten.  Dieser  erklärte,  er  sei  auf 
Grund  seines  Kontraktes  vom  Jahre  1600  nur  soviel  Beizvögel 
an  den  Kurfürsten  zu  liefern  verpflichtet,  als  dieser  »zu  seiner 
Lust"  verlange.  Von  ihm  und  seinem  Vorgänger  seien  aber  nie 
mehr  nls  14  bis  t6  Stück  gefordert  worden,  und  soviel  wolle 
er  auch  dieses  Mal  liefern.  Würden  mehr  Beirvögel  begehrt, 
so  hoffe  er,  daß  mit  ihm  darüber  ein  Abkommen  getroffen  werde. 

Wie  die  Forderung  aufgenommen  wurde,  ist  unbekannt, 
doch  setzte  der  Kurfürst  im  nächsten  Jahre  fest,  wieviel  Stück 
nach  auswärts  geschafft  werden  sollten.  Dann  verlangte  er,  um 
für  seine  Falkencrei  feslere  Bestimmungen  zu  haben,  einen  An- 
schlag der  Unterhaltungskosten  für  einen  Falkenhof,  sowohl  für 
die  Vöge!  wie  für  die  erforderlichen  Personen  und  Pferde. 

Der  Falken  meisler,  Johann  von  Winkelrode,  beantragte 
v6  Vögel  zu  Reihern,  6  zu  Enten,  6  zu  Krähen,  3  t\i  Elstern, 
dann  6  Blaufüße,  5  Habichte  und  3  Sperber.  Für  diese  Vögel 
müfJten  unterhalten  werden  6  Personen  zu  Pferde  und  2  zu  Fuß^ 
welche  die  Vögel  zu  tragen  hätten.  Ihr  Lohn  und  ihre  Be- 
kleidung werde  auf  300  ThIr.  kommen,  dazu  freier  Tisch.  Unter 
den  Vögeln  müßten  notwendig  6  Geierfalken  seyn,  deren  jeder 
zu  30  Thaler  zu  stehen  komme,  6  Stück  also  1 80  Thaler  kosten 
würden.  Zum  Aas  der  Vögel  seyen  täglich  4  Hühner,  S  Tauben 
und  5  Pfund  Rindfleisch  erforderlich.  Auflerdem  müßten  in 
einem  besonderen  Reiherhaus  noch  15  Reiher  unterhalten  werden, 
die  man  mit  Plautz  und  Fischen  ernähre.  Endlich  erhalte  der 
Falkenmeister  freie  Wohnung,  Holz  und  Licht".') 

Der  Kurfürst  genehmigte  den  Anschlag  und  nahm  den 
Falkenmeister  mit  allen  seinen  früheren  Rechten  wieder  in  seinen 
Dienst.  Als  nach  Johann  von  Winkelrodes  Tod  sein  Sohn 
Wilhelm  an  die  Stelle  des  Vaters  tritt,  heißt  es  in  seiner  Be- 
stallung (1617):  Er  solle  zur  Jagd  auf  Reiher,  Krähen  und 
Elstern   je  einen   Flug   Falken  auf  seine   Kosten   besorgen   und 

>)  Voigt:  Ober  Filknilant  elt.,  S.  IM,  9». 


Paul  Dahms. 


unterhalten  und  jederzeit  zu  Diensten  bereit  sein.  Auch  solle  er 
dafür  sorgen,  daß  die  Lager  zur  rechten  Zeit  in  acht  genommen 
und  bestellt  würden  und  die  Zahl  von  Falken,  zum  eigenen 
Gebrauch  und  zu  den  Sendungen,  geliefert  werden  könne.  Da-  fl 
für  werden  ihm  jährlich  ..400  Reichsgulden  aus  der  Hofrcnlci, 
für  4  Pferde  das  geordnete  Monaisgeld,  der  gewöhnliche  Schade- 
stand,  für  &eine  Person  der  Tisch  bei  den  Kammerjunkem,  freie 
Wohnung  und  jährlich  6  wilde  Falken  und  +  Dörzel'  zu- 
gesichert.') 

Es   ist    unbekannt,    wie    lange    noch    die    Palkenjagd    am 
Brand enburgischen  Hofe  betrieben  wurde.  Wahrscheinlich  hat  ihr ' 
der  Dreißigjährige  Krieg  mit  den  Leiden,  die  er  ober  die  Marie 
brachte,  den  Todesstoß  gegeben. 

Bcrcits  mit  Beginn  der  Reformation  begann  ein  Niedei^ng 
der  Beizjagd.  Die  Jagdvögel  waren  in  die  Kirche  mitgenommen 
und  die  Andacht  durch  sie  gestört  worden,  die  Saaten  waren 
durch  die  Hufe  der  Rosse  zerstampft,  die  Steuö-n  in  kleinen 
Stiaten  teilweise  durch  sie  zu  einer  gewaltigen  Höhe  empor- 
getrieben,  da  ihre  Fürsten  denen  großer  Under  bezüglich  ihres 
Beizetats  nicht  nachstehen  wolhen.  Viele  Adelsfamilien  gingen  in- 
folge  des  übertriebenen  Aufwandes  zugrunde,  und  viele  Fürsten 
vergaßen  über  ihrem  Federspiel  ihr  Land  und  Volk  und  die 
Pflichten  gegen  diese.  Ein  Aufgeben  der  fortgesetzt  gesteigerten 
Pracht  war  bei  dem  Geiste,  welcher  die  Zeil  von  der  Refor- 
mation bis  in  das  IS.  Jahrhundert  durchwehte,  immöglich.  Aber 
auch  ein  Stillstand  war  nicht  möglich.  Außerdem  hatte  die  maf^ 
lose  Ausübimg  der  Beize  überall  das  Wild  stark  vermindert, 
stellenweise  sogar  ausgerottet.  Die  fortschreitende  Kultur  hatte 
dem  edelsten  Bcizwüde  in  manchcrGegend  die  Existenzbedingungen 
genommen,  und  viele  Regierungen  forderten,  daß  der  angerichtete 
Schaden  vergütet  werde.*)  ■ 

Bereits  größere  Kriege  mit  ihren  Unruhen  und  Ocldopfcni 
brachten  die  Beizjagd  zum  Stillsland  oder  gar  zum  Untergange. 
So  verwiegen  in  der  ersten  Hälfte  des  Dreißigjährigen  Krieges  die 
Mitteilungen   über   die  sächsische   Falknerei   und    beginnen    er 


>)  Voint;  Ober  Filkcnfins  etc..  5,  W-ttt. 
■)  ron  Oombionki,  S.  »i,  921. 


Die  Beizjagd  in  Aitpreußen. 


223 


«leder  mit  dem  jähre  1632,  während  der  Siebenjährige  Krieg  ihr 
ein  jähes  Ende  bereitete;  die  letzte  Falkenjagd  in  Sachsen  fand 
am  2.  Juni  1756  statt.')  Bis  in  das  19.  Jahrhundert  hinein  wurde 
die  Beize  in  Holland  betrieben,  im  Jahre  1840  wurde  schließlich 
unter  Elaron  Pindalls  Leitung  und  unter  dem  Protektorate  des 
Prinzen  Alexander  der  Niederlande  sogar  eine  Beizgenossenschaft 
gegründet.  Ihren  Sitz  hatte  sie  auf  dem  Jagdschloß  Loo;  einge- 
stellt waren  45  Falken  und  schon  im  Oründungsjahre  237  Reiher. 
Die  Gesellschaft  löste  sich  jedoch  nach  Ablauf  eines  Dezenniums 
wieder  auf.  In  Frankreich  hatte  die  Revolution  der  Beize  bereits 
den  Boden  genommen,  das  Jahr  1848  ließ  sie  voltstindig  ver- 
schwinden. Freilich  versuchte  die  Kaiserin  Eugenie  im  Verein 
mit  dem  Prinzen  von  der  Moskwa  und  dem  Baron  de  Pierre  im 
Jahre  i861  ihre  Wiederbelebung  und  halte  zu  Molte-Beuvron 
bereite  einen  vollständigen  Falkenhof  einrichten  lassen,  aber  dieser 
Versuch  blieb  ohne  jede  nachhaltigen  Folgen.  In  Deutschland 
wird  die  Beize  gegenwärtig  nirgends  mehr  geübt;  erwähnt  mag 
sein,  daß  auf  der  Jagdausstellung  ?u  Cleve  im  Jahre  ISSI  dis 
letzte  Schauspiel  einer  Beizjagd  geboten  wurde,  das  freilich  nicht 
ganz  glockllch  ausfiel.^  Dagegen  hat  in  Rußland  die  Zucht  von 
Jagdfalken  in  gewisser  Hinsicht  Auferstehung  gefeiert,  insofern 
als  man  vor  ungefähr  1 2  Jahren  daranging,  Beizv6gel  abzutragen 
und  sie  zum  Abfangen  von  Brieftauben  zu  verwenden.') 


■)  Betgt.  S.  tl9.  131. 

f)  von  OombroTski.  S.  MI.  SJO,  iss.  at. 

*•  VtTtJ.  Cctaldn,  KuX:   Ütüdtl  lUxr  die  Lciilun|-cn  auf  dem  Ocbiclc  der  Font- 
*nd  laidxiMlccI«.  Jihrg.  >,  <l90i  Frenlrfurl  t.  M.,  1991. 


Die  Taufe  des  Herzogs 
Philipp  Julius  von  Pommern-Wolgast 

0585^ 

Vor  OTTO  HEINEMANN. 


Eine  stattliche  Zahl  von  fürstlichen  Pereonen  wie  fürstlichen 
und  städtischen  Abgesandten  sah  der  2.  Februar  1585  in  den 
Mauern  Wolgasts  vcrsammeSt.  Es  mußte  eine  ganz  besondere 
Veranlassung  sein,  die  sie  hier  zusammengeführt  hatte.  Und 
sicherlich  war  es  das,  galt  es  doch,  die  Aufnahme  des  neu- 
geborenen Prinzen  von  Pommern-Wolgast  in  den  Schoß  der 
christlichen  Kirche  zu  feiern.  Am  27.  Dezember  1584  war  dem 
Herzoge  Ernst  Ludwig  und  seiner  Qemahhn  Sophia  Hedwig  nach 
siebenjähriger  Ehe,  der  seither  nur  zwei  Töchter  entsprossen 
waren,  der  ersehnte  Sohn  geboren.  Noch  am  gleichen  Tage 
gingen  die  Nachrichten  von  der  Geburt  und  die  Einladungen 
zu  der  auf  den  2.  Februar  festgesetzten  Taufe  hinaus  nach  allen 
Himmelsrichtungen.  Man  muß  dem  Ereignis,  daß  der  Wolgaster 
Linie  endhch  ein  Erbe  geboren  war,  eine  hervorragende  Be- 
deutung beigemessen  haben,')  denn  die  Taufe  keines  der  Kinder 
aus  dein  pommerschen  FCirslenhause  ist  wohl  mit  solchem 
Prunke  und  Aufwände  gefeiert,  wie  die  des  Herzogs  Philipp 
Julius,  und  gewiß  hat  keines  Patengeschenke  von  solchem  Werte 
erhalten  wie  dieser. 

Als  Taufpaten  wurden  geladen:  König  Friedrich  von  Däne- 
mark Lnd  seine  Genialilin   Sophia,   Herzog  Julius  von   Braun> 


1)  Enitl  Ludvip  frrund.  den  e^lrlmtm  Pirltrr  Clnudiut  Puinnui,  bccrlMrrtr 
die  Qcbnit  tu  dncm Ooltditc  van9M  HcuuntUtn,  denen  Autugtaph  Im  Kcl.  Stuinrdilve 
rn  Slcttin  (Mikr.  HC,  11}  verwahrt  iriid.    Vgl.  In  dlc»rr  ZcilKhrift  S.  31,  Ann.  t. 


Die  Taufe  des  Herzogs  Philipp  Julius  von  Pommem-WolgasL     225 


schweig- Wolfen büttel  und  seine  Gemahlin  Hedwig,")  die  Heraoge 
Johann  Friedrich,  Barnim  XII.  von  Pommern  und  ihre  Ge- 
mahlinnen, sowie  die  Herzoge  Kasimir  IX.  und  Philipp  II.,  femer 
die  Herzoge  Heinrich  Julius  und  Philipp  Sigismund  von  Braun- 
schveJg-WolfenbQtte],')  die  Herzogin  Magdalena  Elisabeth  von 
Braunschweig-LQneburg,')  Herzog  Ulrich  IIl.  von  Mecklenburg- 
Schwerin  und  seine  Gemahlin  Elisabeth,')  der  Herzog  Franz  III. 
von  Sachsen- Lauenburg  und  seine  Gemahlin  Maria,')  Graf 
Adolf  XIII.  von  Schaumburg  und  seine  Gemahlin  Elisabeth, 
Graf  Anton  11.  von  Oldenburg,  der  dänische  Kanzler  Nits  Kaas 
und  die  Städte  Danzig,  Lüneburg,  Stettin,  Stralsund,  Oreifswald, 
Anklam,  Deinmin,  Pasewalk  und  die  rügische  Ritterschaft,  ins- 
gesamt nicht  weniger  als  dreißig  Paten.^  Persönlich  erschienen 
in  Wotgasl  von  fürstlichen  Personen  nur  Herzog  Johann  Friedrich 
und  Erdmuthe,  Herzog  Kasimir  IX.  und  der  zwölfjährige  Herzog 
Philipp  II.,  sowie  Herzog  Ernst  Ludwigs  Schwester  Anna  als 
Vertreterin  der  Herzogin  Hedwig  von  Braunschweig,  der  Qrofi- 
muttcr  des  Täuflings.  Außerdem  war  Herzog  ßogislaw  XIII. 
und  seine  Gemahlin  Anna  Maria  anwesend,  die  nicht  als  Paten 
geladen  waren,  aber  in  dem  unten  abgedruckten  Verzeichnisse 
unter  den  Paten  aufgeführt  sind.  Vielleicht  traten  sie  an  die 
Stelle  des  Herzogs  Franz  III.  von  Sachscn-Lauenburg  und  seiner 
Gemahlin,  die  weder  selbst  gekommen  waren  noch  Vertreter 
gesandt  hatten.  Die  übrigen  Fürstlichkeiten  schickten  Gesandte, 
ebenso  die  Städte  ein  oder  mehrere  Mitglieder  des  Rats.  Für 
sämtliche  Taufgäste  war  auf  dem  herzoglichen  Schlosse  in  Wol- 
gast  Unterkunft  vorgesehen.  Eine  erhaltene  Übersicht  gibt  uns 
genau  darüber  Auskunft,  wo  die  einzelnen  Personen  untergebracht 
waren,  und  welche  Mitglieder  des  pommerschen  Adels  zur  Dienst- 


)]  Die  Eltern  drf  Heni>gln  5«ph<>  Hedwig. 

tt  nie  Bruder  dc^  Kmuein  Soptiii  Hnlvfu. 

t  Sic  «ir  die  Sclivnlcr  der  KcrtOKln  tlcdvls  vgn  SnunschTrlE-WollcnbUtlcl 
mut  die  Wllvc  dn  Hcnr>Kt  l^nlii  Oilo  von  DimruchsrlK-LQncli'UtK  (t  *]5S). 

*t  Die  Eltern  diT  Kdnisln  Soplila  von  DJncmork, 

q  Ktraoj  Ftoni  tu  In  cnlcr  Ehr  inil  Hcriui;  Enwt  Ludvi):«  Sch»cskr  MiJi-inlr 
(t  tM<)  TtnnÜiIi.  Seine  («citc  liittiti  «t  die  Scftiml«  drr  HcnOKiii  SopMi  llcdvig, 
tbeiuo  vi«  dl«  Qrilin  EliuihPlh  vnn  ^houmburg. 

*t  WuIb-  Ardi.  TU-  t-p.  No.  37,  Bl-  3.  D»ll  d»»  In  Anlajc  I  abacdnickle  V*r- 
«dcteiii  der  TiotpftUn  nur  Ji  Nnm-mtm  aufwpitl.  crldtrt  ikh  üoilurch.  diK  iii«(  dir 
rtglK}»  Rillcncliift  tcMI  und  Mcrios  Philipp  Slgüinund  van  BriuntchvclK  IicIik  be- 
tOodiTC  Nuaifflci  h«ti  sondern  unter  lU  nilUufscfühn  iit. 


Otto  Hein«miinn. 


I 


leistung  bei  ihnen  befohlen  waren.  Da  für  die  Menge  der  zu 
erwarlenden  Gäsle  die  Silberkammer  Ernst  Ludwigs  nicht  aus- 
reichte,  so  stellte  Johann  Friedrich  auf  Ansuchen  seines  Bruders 
aus  der  seinigen  das  Fehlende  zur  Verfügung. 

So  ging  der  Monat  Januar  mit  den  Vorbereitungen,  Kor- 
respondenzen mit  dem  Adel  des  Landes  und  der  Sorge  für  die 
Tafelgenösse  hin.  Schon  am  31.  Januar  begannen  die  Tauf- 
gäslc  sich  zu  versammeln.  Am  2.  Februar  fand  dann  die  Taufe 
statt.  Leider  berichten  die  Akten  über  die  Tauffeierlich  Veiten 
selbst  nichts.  Die  Taufe  vollzog  der  Qeneralsuperintcndent 
Jakob  Runge.')  Der  junge  Prinz  erhielt  nach  den  beiden  Grofi- 
välern  die  Namen  Philipp  Julius.  Die  der  fürstlichen  Wöchnerin 
und  dem  Täuflinge  überbrachten  Geschenke  repräsentierten  einen 
Werl  von  insgesamt  7832  Talern  9  Schillingen,  Das  uns  er- 
haltene Verzeichnis  der  einzelnen  Geschenke  und  ihres  Wertes  ist 
kulturhistorisch  gewiß  interessant  genug,  um  einmal  veröffentlicht 
zu  werden.-)  Nicht  weniger  Interesse  bieten  die  ebenfalls  hier 
mitgeteilten  Verzeichnisse  der  ganz  erheblichen  Quantitäten  an 
Schlachtvieh,  Wild,  Fisch,  Eiern,  Butter,  Gewürz  usw.,  sovie  an 
Wein  und  Bier,  die  in  jenen  Tagen  in  Wolgast  vertilgt  sind.") 
Für  die  I*ferde  der  Taufgäste  und  des  zu  ihrer  Aufwartung  be- 
fohlenen Adels  wurden  in  der  Zeit  vom  31.  Januar  bis  7.  Februar 
nicht  weniger  als  13  Last  3  Drömt  6  Scheffel  2  Maß  Hafer 
verbraucht. 

Die  Hoffnungen,  die  auf  den  jungen  Thronerben  gesetzt 
waren,  dessen  Taufe  mit  solchem  Gepränge  gefeiert  wurde,  haben 
sich  später  nicht  erfüllt  Seine  im  Alter  von  noch  nicht  20  Jahren 
mit  der  brandenburgischen  Prinzessin  Agnes  geschlossene  Ehe 
blieb  kinderlos,  wie  die  seiner  Vettern  Philipp  IL,  Franz, 
Bogislaw  XiV.  und  Ulrich,  Am  6.  Februar  1625  sank  er,  wenig 
über  40  Jahre  alt^  ins  Grab,  und  sein  Gebiet  fiel  an  die  Stettiner 
Linie,  aus  der  Herzog  Bogislaw  XIV.  noch  einmal  die  Herrschaft 
über  ganz  Pommern  In  seiner  Hand  vereinigte,  bis  mit  ihm 
1637  das  pommerschc  Färstenhaus  im   Mannesstamme  ausstarb. 


>|  Mrtriliel  der  Univ.  OrtDimld  <«d.  E.  Fritdliemltt)  I,  S.  tw. 

^  Anl*4(  I. 

q  Anlisni  II-  IV. 


Die  Taufe  d«  HcrTogs  Philipp  Julius  von  Pommem-WolgHst.     227 


Philipp  Julius'  Witwe  vermählte  sich  einige  Jahre  nach  dem  Tode 
ihres  Ocmahls  mit  dem  Herzoge  Franz  Karl  von  Sachscn-Lauenburg, 
starb  aber  schon  nach  nur  achtmonatlicher  Ehe  am  20.  März  1629. 

Bl.  1.  I. 

Hertzogen  Philipp!  Julii  zue  Stettin-- Pommern   Kitidtauff  und 
was  darauf  von  den  Gevattern  verehret  worden.') 
Bl.  2.  Philippas  Julius, 

illustrissimus  princeps  ac  dominus,  dominus  nobilium  rcgionutn, 
Stettinensium,  Pomeranorum,  Cassubiorum  et  Vandalorum  dux, 
Rugianoriim  princeps,  GLitzcovionim  comes,  Leoburgentium  et 
Buthovionim  dominus  etc.,  Wolgasti  patre  Emesto  Ludowico, 
matre  Sophia  Hedewiga,  vigisimo  septimo  die  Decembris,  duode- 
cim  minulis  ante  decimam  horam  meridianam,  anno  post  natum 
Christum  MDLXXXV  iiichoafo,  quod  felix  et  faustum  sit,  nascitur. 

Bl.  2*  enthält  das  Horoskop  des  jungen  Prinzen. 

Bl.  3.  Com  patres  vel  susceptores,  quj  fuerunl 
praesenles  vel  per  legatos*)  rem  effecerunt 

I.  Loco  Friderici,  regis  Daniae  et  Norwegiae,  praesens 
erat  nobilis  Johannes  Blome,*) 

II.  Loco  Sophiae,  *)  reginae  Daniae,   missus   erat  Bene- 
dictus  ab  Ancfeltd,*)  marisachallus. 

111.  Loco  Julii,  ducis  Brunswicensis,  d   ducis  Philippi 

Sigtsmundi  Bninswicensis  Otto  ab  Hcym.') 
UM.  Anna   virgo,  Philippi   ducis   Pomeraniac   filia,   loco 
uxoris  Julii,  ducis  Brunswicensis. 
V./Vl.  Johannes  Fridericus,  dux  Sfettinensiuni  et  Pomera- 
norum, cum   illustrissima  coniuge   Erdimuda  prac- 
Sentes  fuerunl, 


■)  SUiUrehlv  zn  Sreltln;  SifH  Ardi.  P  t .  T1I.  46,  No  >i  (A).  Ein  drubfliet 
Vcr«irhnU  iKr  QncliFnkE  findrl  (ich  cbtnda:  Wol«.  Aith  Til.  6/7,  No.  IT.  Bl.  70;-2n. 
El  lii  Icdodi  dis  Utclnlschc  -ü:  du  luilQhrllchrrc  lUKFitnilc  ncleut.  dntcn  Scltrcltier 
«Iktdmip  <«in  groBcr  Rtchtnkünjilrr  ifccr-stn  iru  icin  jcheint,  di  die  Summ«  der  Seilen 
Im  nlrfinids  richiiK  Isi.  Die  Viriinttn  und  rtrilfttn  Fri^nriingm  d«  drulachen  V«r- 
idchni^set  sind  In  dm  Anmcrliunsrn  mli  R  nollcri. 

•)  Die  Nuncri  der  Qcuindlcn  tind  Ifilwriiir  »rg  vctii^mmcll.  Die  litlitieen  «nü 
I  Aktasläcke^  Sfole-  Aidt,  Tit.  «/T,  No.  n  cnlnoniniFn. 

^  Hani  von  Blonic  m  Sediendart, 

•)  EI£Mb*(»i«p.    A- 

°)  Hrntdllit  von  Ahlrleldl,  Aintiitniin  tu  Cnmpc. 

i  Otto  von  Hoyin  auf  E&bcck,  hcrxoglichci  KamnitrrM. 


Otto  Heinetnann. 


Bugslaus,  Pomeranorum  diix,  cum  illustrissima  con- 

iuge  Clara  praesentes  fuerunt. 

Loco     Barnimi,     Pomeranorum    ducis,     Oeorgius 

Belovius.*) 

X.  Loco  eius  illuslrissimae  coniugjs  Petrus  Citzcvitz.') 

XI.  Casimirus,    Stcttincnsium    et   PomcraTiorum  dux  et 
episcopus  Caminensis,  praesens  fuit 

XII.  Philippus,  Bugslai  fiüus,  adfuit. 

XIII.  Loco  Ulrici,  ducis  M«gapolensi&,  Wernerus  Hanc.') 
XIIII.  Loco  eius  illustrissime  coniugis  Joachimus  Cruse.*) 

XV.  Loco  ducissae')  Luncburgcnsis  Ludowicus  Mericher.^ 

Bl.  3"^  XVI.  Loco  Henrici")  Julü,  ducis  Brunswicensis  et  Lune- 
bnrgensis,  episcopi  Halberstaciensis,  Levinus  von 
Bösen.") 

XVII./XVIIL  Vice  Adolplii,  comitis  a  Schowenborch,  et  loco  eius 
coniugis  Simon  Werpug.*) 

XIX.  Loco  Antonii,    comltis  Aldenburgensis,   Johan  von 
Vukenfeldt«) 
XX.  Vice  Nicolai  Caes,  Daniel  regni  cancellarii,  Johannes 
Blome.") 

XXI.  Nomine  reipub(licac)  Dantiscanac  Christian  Christedt 
et  Daniel  Brandt.") 

XXII.  Loco  Luneburgensium   M.  Valentinus  von  Rode.'") 

•)  Qtorg  von  Belov  auf  Sallnke. 

■)  ['clcr  von  ZUiewlIi  ml  l'mlrl. 

Q  Werner  Hahn  auf  Baacdov. 

*)  Joachim  Kni«e  auF  Vercbentln. 

10  duclf.    A. 

*)  Ludwig  MAmcr.  Hiupbtiinn  m  Cfaorin. 

')  Henrici  fehll,    A. 

')....  LuncburjEcnsli,  Lcvlnut  von  Bdmii,  epiKOput  HalbentHtcnila.  A.  — 
L^vln  von  Dorntcl  vir  Rjt  lini!  Vii(-Hofinei)l«r  dei  Henog»  Heinrich  Juliui  von  Bruin- 
■divcIg.VroKoilKlnrl,   Hiuholi  von  HilbenUdl. 

*)  Simon  Wcrpupp,  Ünnl  lu  Pinnrboil. 

■1  Johinn  van.  Fikcnsatl  (l'lclini<i»ldt]. 

I)>  Sieh«  oben  S.  2-17  Anm.  %, 

■*t  VcrlrHer  dtr  Stadt  Daniig  vir  Dalil«L  Zlcrenbcri  (Cilrcnberg),  kIL  isn  R«t»- 
hnr.  t  "W' 

■^  Die  Stadt  LGncbwg  vcrtni  der  Pri>toaotw  V*tcfiila  ChOden  tt  iS"') 


Die  Taufe  des  Herzogs  Philipp  Julius  von  Pommem-Wolgast.     229 

XXIII.  Vice  reipub(licae)  Stralsundensis  Doctor  Joachimus 
Kethelius, ')  consul ,  Nicolaus  Sasse  et  Thomas 
Brandeburg.  •) 

XXIIII.  Nomine  Stettinensium  consul  Conradus  Brinck")  et 
Doctor  Christophorus  Friderid,  syndicus. 

XXV.  Loco  Oryphiswaldensium  Johannes  Engelberti,   con- 
sul, et  Johannes  Volschow.*) 

XXVI.  Vice  Anglamensium  Magister  Henricus  de  Vesalia 
et  Conradus  de  Tessino,  consules.*) 

XXVII.  Nomine  Demminensium  Martinus  Elver,  consul. 
XXVni.  Loco    reipublice    Pasewaicensis    Magister    Eusebius 
Mevius,   syndicus,   Petrus  Swarterock,   consul,  Cas- 
parus  Dargatz,  camerarius. 

Bl.  4.  Munera  ducissae  puerperae  vel  infanti 
oblata  peracto  baptismo. 

I.  Fridericus,  Danorum  et  Norwegiae  rex,  ducissae  illustris- 
simae  puerpere  dono  dedit  torquem  valoris  quadringentorum 
talerorum,  infanti  recens  baptizato  xtt/trjXiw  valoris  DCC  Joachi- 
micorum. 

II.  Sophia,  illustrissima  regina  Daniae,  ducissae  dono  dedit 
catenam  ex  ducentis  et  duobus  Hungaricis  aureis  confectum, 
valoris  trecentorum  et  viginti  duorum  talerorum,")  si  aureus  Hun- 
garicus  duobus  aureis  Pomeranicis  et  quatuor  gp'ossis')  existi- 
mabitur. 

Philippo  Julio  infanti  iam  baptizato  dono  dedit  deauratum 
magnum  poculum  ponderis  decem  marcarum  decem  untiarum 
semis,^  quaelibet  marca  octo  unciis  taxata,  conficit  centum  septua- 
ginta  unum  taleros. 

III.  Julius,   dux  Brunswicensis,  fili^   puerper?  dono  dedit 


")  Dr.  Jur.  JoKhim  Kdel  (t  •«").  Bürgmnriiter  *eit  1S78. 
*t  BnndebnrKcnsii.    A.    Es  Ist  voht  der  ipitere  BürKenndster  (t  1619). 
•)  Konrad  Brink  <t  1999)  war  seit  1SBI  Rtttherr  ni  Stettin. 
*)  Über  Johann  Engclbrecht  <t<!9e),  BBr^ennritter  KitiMO,  und  Johtna  VeUdiov 
(t  tS8B),  Ratsherr  «eil  1S7B,  vgl.  Pyl,  Pom.  Genealogien  V,  S.  371  f.  No.  416,  417, 
>)  Mae.  Heinrich  von  Wesel  (f  tSBS)  und  Konrad  Tcssin  (t  l«U). 
*l  322  Tal.  minus  4  Schill.  Sund.    B. 
t)  Jeden  Ungirlschtn  fl.  m  2  n.  1  Dicken  geredinel.    B, 
*)  Wiest  10  Marii  11  Lott.    B. 


Otto  Hetnemann. 


argcntcam  massam')  valoris  HO')  thaleronim  triutn  marcarum') 
et  Uli  sulidorum  Sundensium.  Infant)  nepli  dedit  argenteam 
amphoram  valoris  nonaginta  taleroruni. 

IUI.  Julii  coniunx  duciss^  fitiae  dono  dedit  xti/j^ltov  valoris 
350  lalerorum  alque  iiiniori  principi  dedit  dentiscalpium ') 
aureum  cstimatum  5oo  taleris. 

Summa  lateris 

2643«)  taleri  et  dimidius 
3      ordl 
Bl.  4"  8      Lubecetises  soüdi. 

V.  Hinricus  Julius,*)  episcopus  Haiberstadensis,  «tifi^hov 
taxatum  320  taleris,  ilem  x*//i^>liw  psitico  ornalum  extstimalum 
«ntym  triginta  taleris. 

VI.  Ducissa  Luneburgcnsis  obtulit  patinam  gemmis  omatam 
taxatam  ccntum  iriginta  taleris.  llcm  equulum  «./j'jii<(>  omatam 
cstimatum  octoginla  Joachimicis  nummis. 

VII.  Uxor  Hinrici  Julii'^  *#i^^i«or  valoris  centum  viginli 
taleromm. 

Item  equulum  taxatum  80  taleris. 

VIII.  Ulricus,  dux  Megapolcnsis,  oblulitcerulcum  gryphum,') 
quae  sunt  insignia  Rostochianae  rdpubt(icac);  taxatus  est  ad  taleros 
quadringentos. 

Deauratum  poculum  valoris  centum  et  decem  talerorum. 

IX.  Elisabetha,  eius  illustrissima  coniunx,  dt^auralum  poculum 
valoris  90  ')  talerorum. 

Infanti  iam  baptizato  offert  poculum  deauratum  valoris 
96  Joachim icoruni. 

X.  Johannes  Fridericus,  dux  Stettinensium,  poculum  duplex 
deauratum  valoris  centum  et  ocio  talerorum. 


■)  El»  Silber kvchn.    B. 

^  )M.    A. 

*)  3  orti*.    B. 

*!  =  Zihnttochn. 

1  3M3.  A.  Die  OruiitUuniinc  tllmnil  nichl.  I  Ort  <=  14  SdillUnKc)  +  SSc)iit< 
linp  rünJcn  tincn  Titcr  uitinaclicii.  ütc  Summe  «Im  264«'/)  Take  bctrasm.  Di  «bei  die 
von  der  Kinijcin  Sophia  gcxlimlitc  Krtlc  nicht  M»,  toiidcin  nui  MI  Tnitr  II  SchlllinfC 
w«n  wtr  und  In  dm  WrrtuiB«b*ii  d«  OwfhwWe  t  Sthillingp  Lüb.  (ir  Bieht,  «ondcm  nur 
4  Scliflllnjtc  Sund.  varkoniniPn .  lo  Itt  i3\r  rlchliifr  Summr  2Mi'l,  Tiln  »  Schlllinse. 

1  Von  udcici  ManJ  tibFr£nchrirbcn  itilt   rhlMpTiu-t  Sli^imundui. 

•)  Von  iiideret  Maiiü  übcrEacliticbtii  itall  lliilippi  Sisiuniuidi. 

^  remmFrittLcn  Oreiff.    B. 

q  K.    B, 


Die  Taufe  des  Herzogs  Philipp  Julius  von  Pommem-Wolgast.     33 1 


Item  aliud  poculum  duplex  deauratum.  quod  cxistimabitur 
praetio  85  Joachimicorum. 

Item  deauratum  poculum  valorls  triginta  duorum  nummonim 
uncialium. 

Summa  lateris 

1523'}  laleronim. 
Bl.  5 

XI.  Erdtmudis,  eius  illustrissima  coniunx,  dedit  duplex 
poculum  tos  talerorum.  Item  aliud  duplex  poculum  deauratum 
85  talerorum  valoris.     Pelvim-)  triginta  duorum  Joachimicorum. 

XII.  Barnimus,  Pomeranorum  dux,  xti/t^lw»  sexaginta  tale- 
rorum.   Annulum  aureum  laxatum  44-  laleris. 

Xin.  Anna")  Maria,  eius  illustrissima  coniunx,  dedit  xH/ttiiio»- 
taxatum  50  taleris,  annulum  valons  XXX  talerorum. 

XlIIl.  Casimirus,  dux  Pomeranorum,  episcopus  Camiiiensis, 
quinque  Portugalenses  exislimatosseptuagintaquinque  Vallensibus.'') 

XV.  Ptiilippus,  Poinemnorum  dux,  dedit  annulum  50  taleris 
estimatum.  Item  duas  nobiles  rosas.*)  Conficiunt  Septem  taleros 
et  dimidium. 

XVI.  Antonius,  iUustris  comes  Aldenburgensis,  mi^i}:Liw 
taxatum  140  Jnachimicis. 

XVII.  Eius  illustris  coniunx")  Jnfanti  iam  rccens  baptizato 
dono  dedit  pelicanum')  estimatum  LXXX  taleris. 

XVIII.  Adolphus,  generosus  comes  Schowenburgensi«, 
H«/fi$J«ov  150  talerorum,  duplex  poculum  deauratum  80  talerorum. 

XIX.  Illustris  coniunx  dedit  KUfd^Xioy   96')  Joachimicorum. 
Infanti  dedit  duplex  deauratum  poculum  valoris  LXXVI  tale- 
rorum. 

Summa  lateris 

1163  taleri  et  dimidius.*) 


■)  Riditipr  IS»  Taler. 

»3  =  Becken. 

*!  Anna  von  uidercr  Hand  nadiKrtraecn. 

•)  =  Tal«. 

^  =  Rownnobcl. 

*>  Onl  Anlun  II.  von  Oldientnir«  «ar  MM  iwch  unvennlhU.  C«  li«ffl  ilia  tin 
Vtnrhni  vai.  In  B  htlllt  a:  Der  OnTf  von  AlloilntK  <  Kldnolt.  mciaxirK  «ul  MU  Tal«. 
IB.  g.  Tnivcn.     Dem  jungen  Hon  I   Pttticanichcn.  geUxicrlt  lut  SO  Tftltr. 

»>  =  Pdi. 

•)  ISO.     B. 

*)  RläitlKcr  t2tl*kTti«t. 


Otto  Hciiiemann. 


BI.  S» 

XX.  Nicolaus  Kaas,  regni  Daniel  cancellarius,  cledil  m^num 
argenteiim  deauratum  cantamm ')  valoris  92  *)  taleronim. 

XXI.  Equestris  ordo  principalus  Rugie  duplex  deauratum 
poculuin,  in  quo  continebanfur  ducenti  viginti  quioque  taJeri  et 
duccnü  aurcj.*) 

Infant!  duos  Portugalesios*)  nummos  valoris  quadraginta 
quinque  taleronim. 

XXII.  Respublica  DanÜscana  dedit  duplex  poculum  deau- 
ratum 192  talerorum. 

Infant!  ISO  taleros. 

XXlil.  Limeburgenses  dedenint  duplex  poculum  deauratum, 
item  aliud  poculum  deauratum  ledum  CGI  talcris  taxatum. 

XXIIII,  Stralsundenses  offcrunl  duplex  poculum  deauratum 
113")  taleris  estimatum.  nummum  aureum,  ut  vocant,  compatris 
vel  suaceptonim,  in  quo  reipub(!icae)  insignia  fucrunt  impressa, 
vatoris  99  talerorum  et  dimidii,')  sedecim  dupüces  ducatos  valoris 
LX  talerorum,')  18  tastas  cerevisiae  Sundensis,  XXI  vasa  Rh«naiii 
vini.    Octo  salelütes  viridi  colore  vestitos  misenint.') 

XXV.  Stetlinenses  duplex  deauratum  poatlum,  item  aliud 
duplex  deauratum  pocutum  valoris  205  talerorum. 

XXVI.  Orypbiswaldenses  duplex  deauralum  poculum  valoris 
130  talerorum. 

Inbnti  79  taleros.«) 

Summa  laterJs 
Bl.  6  1800  taleri.") 

XXVII.  Anglamenscs  duplex  deauratum  poculum  scxaginta 
quatuor  talerorum. 

')  =  Kanne. 

))  Die  RlncTKharit  Ruinen  1  voiBuUctcn  Sdiner  vlKt  1  Mirk  3  LoU.  ]cdt  Mwlc 
KU  Ifl  Ttler,  Ihnen  «3  T»Ier,  dirin  Kind  K»  T»]«  mit  a»  Qoltl-fl.  gnreten.    B, 

•j  l  I'orWinilfflfr.  B. 

*)  II«.    B. 

•l  ?9  TbIm  6  Dlckf.  B-  »=  99  Til«  19  Schillinge. 

*)  16  doppritr  Ounicit,  {«den  lu  >  Tutcr,  thuctl  41  Tilcr,  *  P^rluciliwr,  ]t4cn 
n  19  T*l«r,  Uiun  M  Tkter.     B. 

^1  Die  <i  Utt  Stntiiunitlwhen  Blem,  II  FiS  Rhdnrrin  und  die  R  Tnbanmi 
nvltini  tl.  niclii. 

»1  Dcmiunpn  Heni  2i  Roten obcl.  )«]en  zu  )fl.,  Uiuttl  rs>/)T«teT  ie Schill.  Sund.  B. 
D»  ib«r  dtr  Uuldtn  U  SdilUins«  htUt.  *o  tlnd  ivi  Oiitd«n  ricbUtct  =  ft  Ttler  U  SdiilL 
odfT  J»Vt  1'ilrr  B  ScMtl. 

»>>  KIdiUeet  («00  Taler  10  SchlllUlCB. 


I 


3 


Die  Taufe  des  Hn'/ogs  Philipp  Julius  von  Pommern-Wolgast    233 

Infant!  prindpi  centum  Rhenanos  aureos,  fadunt  113')  taleros. 

XXVIII.  Deminenses  duplex  deauratum  poculum  valoHs 
quadraginta  sex  taleronim. 

Infant)  principi  quinquaginta  coronatos  GalHcos*)  valoris 
75  taleronim. 

XXIX.  Pasewalcenses  duplex  deauratum  poculum  valoris 
nonaginta  sex  taleronim. 

Infant!  prindpi  duplicem  Portugalensem  valoris  tri^pnta 
Septem  talerorum,*)  in  cuius  latere  primo  fuit  ims^o  Johannis 
Friderid,  electoris  Saxonici  captivi,  in  altero  iatere  imago  Philipp!, 
lantgravii  Hassiae.  Quod  munusculum  Emesto  Ludovico  admo- 
dum  erat  gratum. 

Item  duos  Portugalenses  valoris  30  taleronim. 

Tres  Hungaricos  aureos  4*/,  taleronim,  9  Lub.  sol.  taxatos.*) 

Quinquaginta  quatuor  Rhenanos  aureos  taxatos')  60*/,  taleros 
€t  odo  solidos  Lubecenses. 

Trigintaquinque  simplices  milresios;  confidunt  54'/«  taleros.') 

Duplicem")  ducatum  taxatum  tribus  Joachimids.  Anglicum 
aureum  taxatum  duobus  taleris  8  Lub.  sol.  Duos  ducatos  cruce 
signatos,  tres  Joachimicos. 

16  Hungaricos  aureos;  confidunt  26'/,  taleros. 

Duos  integres  milresios  sex  taleros  8  Lub.  sol.*) 

Quadraginta  vasa  cerevisif  Pasewalcensis.  Confidunt 
120  taleros.') 

Pasewalchum  in  summa  dedit  536  taleros. 
Summa  lateris 

744  taleros  23  Lub.  sol.*) 


■)  tiii/|.   B. 

*)  50  frantzoslsche  Cronen.  B. 

f)  1  Stocke  Qoltt  wlgt  2  Portn^ilner,  thut  30  Tiler.  B. 

*)  tvull.    A. 

^  Noch  3!  halbe  Milresen,  jede  zu  2  n.  4  Schill.,  thuett  54V,  T«ler  6  Schill.  Lab. 

^  In  a  ist  die  Reihenfolge  etvu  ander».    Hier  helBt  es: 

Noch  16  Ungriache  (I.,  jeden  zu  S  fl.  I  Dicken,  IJ>/i  Taler. 

Noch  I  gantze  Milresen,  jeden  zu  3  Taler  8  Schill.  Sund,  thuett«  Taler  B  Schill. 
Lub. 

Noch  I  doppelten  Ducatcn,  zu  3  Talem,  3  Taler. 

Noch  1  EtigelloUen,  zu  3  fl.,  thuett  2  Taler  S  SdilU.  Lub. 

Noch  2  kortzc  Creutixlncaten,  Jeden  lu  3  fl.,  Umett  3  Taler 
>)  In  B  fehlen  diese  40  FaB  Pasewalker  Bier. 
•)  Richtiger  723  Tiler  23  Schill.  LOb. 

Archiv  fSr  KulInrgeKhichte.   II.  16 


234  Otto  Heinemann, 


Sutnmanim  omnium,  quae  uftfi^im  (/},  poculis  deauralis  et 
pracsenti  pecunia  dono  data  sunt,  7832  taleri  9  Lub.  $o1.  Thudt 
am  Pomrisken  were  10443J) 

Auf  Bl.  6*  und  7  folgt  da.nn  ein  Meilenzdger,  der  die 
Entfernung  161  alphabetisch  geordneter  Orte  von  Kolberg  an- 
gibt Er  kommt  für  uns  liier  weiter  nicht  in  Frage,  be- 
merkt aet  nur,  daß  die  am  weitesten  entfernten  Orte  Damaskus 
(486  Meilen),  Bethlehem  (478  Meilen),  Jerusalem  (475  Meilen), 
Nazareth  (468  Meilen),  Lissabon  (410  Meilen),  St  Jago  da 
Compostella  (376  Meilen)  und  Malta  (310  Meilen)  sind. 

If, 
Uff  der  fürstlichen  KinlTauffe  anno  1585  uffgegan.^ 
20    Ochsscn,     200    Hemmel,     t08    Kelber,    46    Schwine, 
10  Spanferckcn,  246  Qense,  400  Honer,  90  Schock  Eyer. 

Ahnn  Wiltbrede,  so  frisch  angeschickt  und  geschlagen. 
VI    Stuck   Hochwill,    IX  grote   Schwine,   XVIIl    Poicke,«) 
127  Rehe,  142  Hasenn,  134  Raphoner,*)  12  Schwane.*) 

An  Pekelflesch  war: 
IXV«    Tunnen    Wiltbrcdt,    VIII    Tunnen    Pekel-Rintflesch, 
X  Tunnen  Pekel-Schafflcsch. 

An  drogen  Flesch  war: 

LXXVI  Siden  Speck,  XXX  Ferndel  droch  Schafnesch. 
XX  grote  und  XXXIX  klene  Metwurst 

LXX  ff  Ris,  VV,  Schepcl  Hersegrutle,  II  Schepel  Bockweiten- 
gniUe,  V  Schepel  Qerstgrutle,  II  Schepel  Habergrutle,  VIII  Schepel 
Erwetten.') 


n  10449  (1.  <  Schill.  Lub,  8.  —  In  B  folgt  dum  noch  cinic  ZuitnunenitclluiiK  dn 
WtrKs  dtr  Finzrinen  Sorten  von  Oeuhenktn: 

K[flnwllen 3*»*  TiKt 

Kctic  der  KAcileln  von  Dlncninrk Bti  T.  18  SdilU. 

Sllbttlcuchen  und  Kanne  de  Hmoii  Jullns  von  Bnuoxhvets  Zw  T.  IB  Schill. 

Becher ...  3Sl9  T. 

Q(W »iw  T.  IT  Sdilil. 

na  T.  9  SchUl. 
*)  Wolß,  Arch.  TIt  (S/i  No.  17.  Bl.  SUt. 
•)  Vendinlllmc  Eber 
*i  Rebhuhn«, 

B)  Schrlne  mm   Enten  «erdm  >H(ft  »oatt  «rvihnt,     V^.    Klcnpin,    Dipl.   86- 
nigr  %.  JH. 

*>  Eitnen. 


Die  Taufe  des  Herzogs  I^ilipp  Julius  von  Pommem-Wolgast.    235 


IV. 


An  Pettelvisch  war: 
IX  Tunnen  Nordischen  Hering,  V  Tunnen  Dorsch,  1  Tunne 
Fcmdel  Laß,')  '/«  Tunne  Stoer,  XII  frische  Stoer. 

An  drogen  Visch  war: 


Vi  Tunne  Berger  Visch,     150    WtUing/) 


250    Schullen, 
1  drogen   La5, 


'/,  Tunne   Spurten,')    II  Bunt   Rtgische   BuHen, 
III  Achtendel  Negenogen. 

An  Bottcr  und  Kehsen. 

IX  Tunnen  11'/«  Femdel  Botter,  V  rugianschCj  IUI  holkn- 
dische  Kese,  11  Tunnen  Schaff-j  V  Tunnen  Kokcsc,*)  ein  grol 
Stucke  Parmesankäse. 

Ahnn  CewQrtz. 

XXVII!  ff  Peper,  XXIX'/,  ff  Engfer.»)  III  ff  V  Lot  Saffran, 
IUI  tf  VIS  Lot  Zimptring,  IUI  ff  VIU  Lot  Negeln,  II  ff  Mus- 
chatcnblomen,  LXII  ff  Plumen,»)  XV  ff  Dadelenn,  XX  ff  Vigenn,') 
162  ff  Canariensucker,  184  ff  Tomassucker,  83  ff  Mandeln, 
68  ff  grotcn  Rosin,  34  ff  klenen  Rosin,  84  ff  allerley  Confect, 
22  Dossin  Leck-Kuken.*) 

Das  Ingemachle  ist  nil  nachgewogen,  weil  vast  alle  Qefesser 
ledig  worden  und  nur  Sirup  und  Suppe  darin  vorhanden. 

180  Linionien,  VI  Stop  Olifen,  I  Fcmdel  Kesseberferbc,*) 
XVIII  ff  Capern,   INI  Vetken  Rode  Roven,    III  Vetken  Mustert,»») 

I  Tunne  sulte  Melck.'')  I  Schepel  Sennip,  XVI  ff  Husblasenn,") 

II  fcmdel  Honnig,  XII  Ferndel  Zwistgoldt,'«)  P/,  Tunnen  Wein- 
cssig,  X  Dreling  Bieressig,  X  Tunnen  Lunenborger  SoldL 

Die  frischen  Vische,  so  ufgangen,  mugcn  ungcfer  1 20  fl. 
wert  gewesen  sein,  wie  dan  Roggen-und  Weitenmehl  ulf  25  fl.  gesetzt. 


Slocknich.    Vgl.  Schnitr-Lüliben,  Mnd,  wgrlcrtiodi  V,  S.  TS1. 
Orinickiitic   Kehlvückr.   Kchlfiitcn  vom  Stoddiicli.    Vgl.  Schitier -Llbbcn,  ». 
S.  ?;■>  itpoidcn). 
KuhlcJM. 
InSnr. 
[flmnifn , 
Fcigtn . 
31  D(>s«n  Lccbrr'Kuchm. 

Kinchmfifbc, 
Moitiich. 
SüDc  Milch. 
I  UiMcnblMcn. 
KniiwrEnld. 


Otto  Heinemann. 


Hollzkohleti  nit  gerechnet 

XX  fl.  den    rrembden    Kuchen,    so  arbeiden    helffen    und 
VI  gewesen,  gegeben. 

III. 

Unterschidliche  Weine,  so  die  Ktnttauffe  seinn  autfgangen.') 
II  Ohme  Kananirenn  Wein.') 
X  Ohmen  allenn   Ungrisclien  rotenn  Wein. 
XXI  Ohmen  Frantzsche  Weinn. 
XVill  Ohmen  roten  Lantlwein. 
XVIII  Ohmen   blancken   Lanttwein. 
XXX  Ohmen   Reinschen  Wein. 
XVI  Ohmen  vom  Sundischen  Reinschen  Wein.*) 
IIV,  Ohme  Pastartt.*) 
IV«  Lage  Malffaßier. 
Summa  aller  Weine  Summarum: 
114-  Ohmenn  ungeferlich  ohne  süße  Weine. 

IV. 
Des  Biers  ist  in  der  Kindtdope  verspeiset.*) 

l  hundert!  undt  93  Vathe  mil  den  Sundi&chen,  Bardischen  undt 
Lassanschen. 

An  Thunnen  gerechnet 
5  hundert  undt  80  Thunnen. 

Ist  noch  in  Vorraht 
35  Vathe  Pasenelle.") 
17  Vathe  Pultcglavisch.') 
47  Vathe  Wolgastisch. 
9  Valhe  Stolpisch. 
75  Vathe  tldenowisch. 
2  Last  Sundisch  minus  eine  Tbunne. 

Summa  des  Vorrades 
1  hundert  und  89  Vathe. 


•]  Wolf.  Areh.  Tit.  bp.  No.  ;7,  B1.  aia. 

■)  CantriKlwii  W«iii. 

*l  Der  vm  dn  SUdt  smliund  en^hcnktc  R)idn*eln. 

^  Butard,  ein  »paniwhCT  lüBtr  Wein. 

•)  Wolj.  Areh.  Til,  «/J,  No.  SJ.  Bl    2\J. 

t  Piuvallcrr  Bier. 

»)  Pudailjcr  Bier. 


V£i.  obM  s.  in. 


Besprechungen. 


Handbwch  der  mittelalterlichen  und  neueren  Geschichte.  Herauf, 
von  Q.  V.  Belaw  und  V.  Mcinecke.  Abteilung  IV:  Hilfswissenschaften 
und  Altertürner.  Alwin  Schaitz.  Das  häusliche  Leben  der  europäischen 
Kulturvölker  vom  Mitlelallerbis  zur  zweiten  Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts. 
Mßnchen  und  Berlin,  R.  Oldenbout^.  1fl03  (VIII.  432  Sdten). 

Wem  in  einem  großen  Handbuche  inittelallerlicheT  und  neuerer 
Geschichte  auch  den  AHertümem  eine  eigene  Ab(eilunE  Eegönnl  wind,  so 
Ist  diese  Tatsache  an  sich  freudigst  zu  begrüßen.  Die  Archäologen  sind 
ja  in  dieser  Hinsicht  nicht  gerade  vcrwöhnl,  wenigstens  nicht  in  Deutsch- 
land, welches  nach  dieser  Richtung  hin  Urgc  Zeit  zu  dem  benachbarten 
Frankreich  in  einem  bemerkenswerten  O^ensatze  gestanden  hat.  Freilich 
enthält  das  Arbeitsgebiet  der  deutschen  Archäologie  noch  an  allen  Orten 
und  Enden  unbebauten  Boden,  und  die  Reihe  derer,  die  ihn  zu  bestellen 
sich  bemühen,  läßt  sich  buchstäblich  an  den  zehn  Fingern  abzählen.  Es 
mag  daher  für  die  Herausgeber  des  vorliegenden  Handbuches,  die  in 
deutscher  Allerlunishunde  selbst  nur  gelegentlich  sich  betätigen,  keine 
ganz  leichte  Aufgabe  gewesen  sein,  die  Altertumskunde  in  dem  grolien 
System  ihres  Handbuches  richtig  geordnet  unterzubringen.  Diese  Schwierig- 
keit erkenne  Ich  gern  an,  weil  die  deutsche  Archäologie  eben  leider  noch 
an  allem  Anfang  ihrer  Arbeiten  steht.  Allein  eben  weil  es  so  ist,  halten 
die  Herausgeber  selbst  wohl  gut  daran  getan,  die  Altertümer  durch  einen 
Fachmann  in  ihr  Programm  einordnen  zu  lassen.  Das  aber,  was  sie  bis- 
Ung  in  dieses  Programm  eingesetzt  haben,  kann  unseren  Ansprüchen 
nicht  genfigen,  denn  wir  finden  dort  nur  zaei  Bände  vorgesehen,  deren 
einer  „Deutsche  Altertumskunde",  der  andere  .das  häusliche  Leben  der 
europäischen  Kulturvölker  vom  i^itletalter  bi&  zur  zweiten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts'  umlaßt 

Nun  weiß  ich  natürlich  nicht,  was  dort  unter  der  »Deutschen 
Altertumskunde'  alles  verstanden  wird,  Soll  der  Band  nur  die  vor-  und 
frflhgeschlchtllchen  Denkmäler  umfassen,  vss  ich  nicht  glaube,  dann 
blieben  weile  Gebiete  der  deutschen  Archäologie  unbehandelt.  Sollen 
dag^en  dort  wirklich  alle  deutschen  Aitedilmer  abgehandelt  werden,  so 
scheint  mir,  daß  bei  genftgender  Bearbeitung  der  Band  sehr  beträchtlich 
anschwellen  müßte,  wohl  iiberhaupt  für  ein  einziges  Buch  viel  zu  starlc 
werden  würde.    Vor  allem  aber  liegl  es  auf  der  Hand,  daß  dann  viele 


^ ^ 


238  ß^prcdiungeii. 


Teile  der  deutschen  Alterteiinsktiiide  in  jenem  Bande  behandelt  verdtn 
tnüssen,  die  jew  Alwin  Schultz  in  seinem  -häuslichen  Leben"  schon  in 
den  Kreb  seiner  Betiachtiing  gezogen  hat. 

Was  ich  also  aussetze,  d.ts  ist  die  in  der  Inhaltsb befiehl  \-orgf- 
selrcne  Disposition  der  Abteilung  -Altert  um  er".  Zum  Teil  läßt  sich  in 
dieser  Beziehung  ja  noch  helfen,  aber  docli  nur  zum  Teil,  denn  der  Band 
über  gdas  häusliche  Leben"  liegt  fettig  vor  uns. 

An  diesem  Buche  habe  ich  nun  zunächst  den  Titel  zu  bemängln. 
Der  Ausdruck  „häusliches  Leb^n"  ist  ein  recht  unglilcklicher,  denn  niemand 
weiR,  was  unter  diesem  Naincn  alles  r.usanimenge[afit  ist,  und  deshalb 
sollten  wir  rechtzeitig  verhüten,  dafl  er  in  Deutschland  zum  technischen 
Atisdnicke  werde.  Schultz  fühlt  diesen  Mangel  selbst  und  tlberselzt  daher 
in  der  Vorrede:  das  häusliche  Leben  =  la  vic  privfe.  So  wissen  wir 
also,  was  wir  von  dem  Buche  eni-arteu  sollen.  Es  ist  die  Behandlung 
der  PrivataltMtimeT,  und  eben  diesen  Titel  „Privatalte«ümer°  wünscht 
unzwcifdiiaft  jeder  Archaolog  auf  dem  Umschlage  des  Buches  zu  finden. 
Anderseits  würden  vir  dann  aber  die  zeitliche  Einsdiränkung:  »bis  zur 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts"  gern  vermissen,  ja  vir  können  von 
einem  Handbuche  der  PrivataHeilümer  wohl  mit  Recht  verlangen,  daJt 
dieselben  bis  ans  Ende  behandelt  werden,  soweit  weingsleiis  die  Wissen- 
schaft sie  bislang  erforscht  hat.  Auf  dem  Standpunkte,  ihre  Arbeiten  mit 
dem  Beginn  des  IQ.  Jahrhtimlerls  abzuschließen,  steht  die  deutsche  Archäo- 
logie glücllidiervcisc  schon  lange  nicht  mehr,  und  ebenso  durften  die 
reichen  Erkenntnisse,  welche  für  die  neuesten  Zeiten  die  Volkskunde  ge- 
zeitigt hat,  unmöglich  umgangen  werden.  Jeder,  der  sich  mit  den  Arbeiten 
dieser  Wissenschaft  vertraut  gemacht  hat,  weiil  genau,  dafi  sie  im  innigsten 
Zusammenhange  mit  der  deutschen  Altertumswissenschaft  steht,  und  volkv 
kundliche  Studien  bieten  daher  dem  Ardiüologen  nicht  minder  reiche 
Ergebnisse,  als  die  von  Schultz  zumeist  benutzten  kunsthistorischen  Arbeiten 
es  tun.  Oasselbe  gilt  in  dem  gleichen  Umfange  von  den  archäologischen 
Resultaten  der  deutschen  Wortforschung,  die  zur  Erkenntnis  der  äuüereii 
Denkmäler  höchst  schätzbar,  in  vielen  Pillen  unentbehrlich  ist. 

Zu  der  leitüchcn  Beschränkung  tritt  also  auch  eine  sehr  belricht- 
liche  Beschränkung  der  beriicksichtigten  Quellen,  beides  aber  ist  in  einem 
Hnndbuche  unstatthaft.  Diejenigen  Quellen,,  auf  denen  sich  dos  Buch 
fast  allein  .itifbaul,  sind  in  erster  Linie  kunstgcschichtlichcr,  daneben 
kulturgeschichtlicher  Art,  und  gern  erkenne  ich  es  an,  daß  es  dem  be- 
kannten und  nunmehr  Über  vierzigjährigen  Sammeleifer  des  Verfasers 
gelungen  ist.  «n  sehr  reichhaltiges  Material  zur  Geschichte  der  Fiivat- 
altertämcr  zusAmmeiizutragen.  Das  gilt  besonders  [ür  die  deutschen  Ver- 
tlUitlissc,  und  auf  die  kommt  es  dem  Verfasser  ebenso  vic  uns  zumeist 
an.  Es  werden  daher  alle  deutschen  Archäologen  das,  was  Schultz  hier 
darbietet,  in  sehr  vielen  Fällen  mit  großem  Nutzen  heranziehen  können, 
was  umsomehr  hervorgehoben  werden  muß,  als  eine  zusammenfassende 


I 


I 


JL 


Besprechungen. 


Darstellung  der  üeschichte  der  deutschen  PrivataltertömeT  bislang  noch 
nicht  versucht  worden  ist,  während  fflr  die  iiiißerdeutschcii  Verhältnisse, 
■  für   Italien,    Englami,  Skandinavien   und   besonders  für   Frankreich  um- 
fassende Bearbeitungen   vorliegen.')     Wenn    ich   hier   erwähne,   daß   sn 
deutschen  Quellen  sehr  viel   mehr  veröffeti flieht  worden   Ist,  als  Schulti 
tatsächlich  benutzt  hat,  so  bitte  ich  das  nicht  ah  großen  Vorvurf  aufru- 
sen.    Einmal   dient  d^für  der  bereits  erwähnte  Mangel  an  zusAmmen- 
'lissenden  Dar^tclluiägen  als  Entschuldigung,  und  sudann,  wer  dem  Kunst- 
[historiker   -    und  das  ist  Schultz  bekanntlich   -  die  Übergehung  der 
[dnen   oder  anderen   kutlurgeschlchLlidien   Quelle  vorwerfen  wollte,   der 
möge  bedenken,  daß  einem  Kullurhistoroker  in  dem  gleichen  Falle  sicher 
viele   fcunsthistorische   Belege   entgangen    wären,    die   jetzt  Schultz  sich 
reichlich  zunutze  gemacht  hat. 

Anders  freihch  steht  es  um  die  Frage,  wie  weit  die  Privatallertörier 
in  gleichmäßigem  Schritte  durch  die  Jahrhunderte  der  milleblterlichen 
und  neueren  Oeschichle  verfolgt  worden  sind.  In  dieser  Beziehung  finde 
ich  manches  auszusetzen.  Da.3  das  19.  Jahrhundert  ganz  ausgeschaltet 
ist,  erwähnte  ich  bereits.  Aber  auch  die  mittelalterlichen  Verhältnisse 
^nd  gegen  diejenigen  des  16.  bis  IS.  Jahrhunderts  in  einer  Weise  zunick- 
gestellt,  die  mir  in  einem  Handbuchc,  welches  doch  die  gan«  zeitliche 
Entwicklung  gleichmäßig  berücksichtigen  soll,  wieder  unstatthaft  erscheint. 
Und  wenn  das  eine  oder  andere  Jahrhundert  bereis  in  einem  gr&ßeren 
Werke  eingehend  behandelt  ist,  so  darf  es  darum  meines  Erachtens  in  einem 
Handbuche  nicht  gegen  andere  Zeilen  zunickgesetzt  werden.  Schultz  hat 
für  die  mittelalterliche  Kulturgeschichte  selbst  zwei  bekannte  umfangreiche 
Arbeiten  geliefert,  er  hatte  deshalb  umso  weniger  Gnind,  jene  früheren 
Zeiten  fast  durchgehends  so  unverhältnismäßig  kurz  zu  behandeln.  Wenn 
daher  auf  dem  Obcrtilel,  ich  weiß  nicht  ob  mit  oder  ohne  Zutun  d^ 
Verfassers,  da;  Buch  sogar  als  „das  häusliche  Leben  im  Mittelalter"  er- 
Khcint,  so  ist  das  völlig  irreführend. 

Mit  alledem  sind  aber  meine  Ausstelliiiigen  an  dem  Buche  leider 
noch  nicht  erschöpft,  der  größte  und  schwerwiegendste  fehlt  noch.  Er 
beirillt  die  Disposition  des  Werkes.  Eines  der  größten  Verdienste,  welches 
der  Verfasser  sich  hätte  erwerben  können,  betraf  die  Disposition  seines 
Materials,  und  von  einem  Handbuche  durfte  man  vielleicht  nicht  ganz 
mil  Unrecht  erwarten,  daß  es  endlich  einmal  die  so  dringend  nötige 
systematische  Anordnung  der  archäologischen  Arbeiten,  hier  also  der 
Privataltertümcr  bieten  würde.  Leider  hat  uns  auch  diese  Hoffnung  ge- 
tiusdit,  denn  Schultz  ha)  hier  ihnlich  wie  in  seinen  fri^hereii  kultiirge- 
schichßichen  Werken  eine  Anordnung  gewählt,  die  man  als  eine  rein 
durchgeführte  systematische  und   restlose  Einteilung  der  gesamten  Privat- 


')  MefIrmllTdIicrwti«  li«i  Schult*,  «it  mir  sdiclnt,  iilchi  liciiutil:  Ttioiii.  Trtatii, 
The  honici  of  othrr  dayt.    London  <S'i,  dRi  (Qr  viele  friitenaiich  heute  noch  bnuchbir  1*1. 


altertDmer  nicht  anerkennen  kann.  Er  gliedert  seinen  Stoff  in  (otgcnde 
Kapild:  I.  Die  Wohnung.  U.  Die  Famiüe.  II!.  Die  Kleidung.  IV.  Essen 
vnd  Trinken.  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung.  VI,  Tod  und  Bc- 
gTübnis.  Dabei  schildert  er  dann  in  Unlerabldlungen  zunächst  die  fürst- 
lichen, dann  die  bfirgcrl ichen  und  schließlich  die  bäuerlichen  Vcriiällniise. 
Die  Folge  dieser  Unlerableilimgcn  ist  die,  daß  das  höfische  Leben  fiberall 
im  Vordergründe  steht,  sehr  mit  Unrecht,  denn  es  komml  auf  diese  Weise 
das  Wichtigste,  nämlich  das  Oemeinsame  in  den  Anschauungen  der  Zeil, 
die  typische  Beurteilung  der  einzelnen  kiillurgeschichllichcn  Mumente  211 
kurz.  Es  sollte  dah>eT  umgekehrt  die  Reihenfolge:  Dorf.  Stadt,  l'ürst  ge- 
wählt sein,  damit  doch  das  Gemeinsame  ziieret  kiar  u-Qrde.  Ich  persönlidi 
vürde  auf  diese  Einteilung  nach  Ständen  überhaupt  vcrdchlcn. 

Aber  auch  damit  wäre  noch  nicht  viel  geholfen,  weil  die  Anord- 
nung der  Einreiheiten  fast  mehr  aus  Zufall  als  nach  einem  wohlbedachten 
System  erfolgt  zu  sein  schcim.  Ich  verweise  in  dieser  Hinsicht  x.  B.  auf 
den  Al>5at£,  der  die  Erziehung  der  Kinder  an  Ffirstenhöfen  behandelt 
(S.  I85ff.),  oder  auf  die  Stelle,  welche  die  Hunde  unter  dem  Kapitel 
■Kleidung-  bespricht  (S.  289-291).  Weiter  beachte  man  die  -Unter- 
lialtungen  der  Bürger»  (S.  360-400),  die  sich  folgendermaßen  einteilen; 
Schützenfeste,  Tanr,  Schauspiele.  Oper,  fahrende  Leute,  Hausmusik,  Spiele, 
Leibesübungen,  Fischfang.  Jagd,  Schwören  und  Fluchen,  Zweikampf,  Reiten, 
Wagen  und  ähnliche  Verkehren! ittcl,  Spaziergang,  Feste  (kirchliches  Jahr), 
Einzüge  der  FHreten,  Kaffeekränzchen,  geselliger  Verkehr,  Krankheiten  und 
Hausmittel,  Umgangsformen,  Reisen,  Wirtshäuser,  Unsicherheit  der  Straßen, 
Raiibriltcr,  Landsknechte,  Vaganten,  Hinrichtungen.  Badereise  und  Bäder, 
Französische  Sitte.  Diese  Dinge  gehören  zum  Teil  überhaupt  nicht  mehr 
2U  den  Privatalterlümcm ,  femer  kann  man  sie  doch  wohl  kaum  alle 
unter  der  Obeischrift  „Unterhaltungen*  lusnmracnfasscn,  und  schiielUich 
kommen  sie  gn^ßcnteils  nicht  nur  für  das  brirgerliclie  Leben,  sondern  in 
gleicher  Weise  auch  für  die  anderen  Stände  in  Betracht. 

Wenn  ich  also  an  der  Disposition  sowohl  der  AI lerlUmcr- Abteilung 
do  ganzen  Handbuches  wie  auch  an  der  des  vorliegenden  Bandes  mehr- 
fache Aussetzungen  gemacht  habe,  so  sehe  ich  mich  genötigt,  Ijei  diesem 
überaus  wichtigen  Punkte  noch  etwas  zu  verweilen,  und  zn-ar  scheint  es 
mir  nötig,  selbst  eine  allgemeine  Einteilung  der  gesamten  Altertums- 
wissenschaft und  sodnim  eine  besondere  der  Privatallertümer  hier  zu 
versuchen.  Ich  hoffe  damit  mehrere  Ziele  zugleich  zu  erreichen.  Zu- 
nächst wird  man  darin  eigentlich  erst  die  nähere  Begründung  filr  die 
obigen  Aussetzungen  finden.  Sodann  aber  hoffe  ich  damit  auch  der 
deutschen  Altertumswissenschaft  und  ebenso  auch  der  deutschen  Volks- 
kunde einen  kleinen  Dienst  zu  erweisen,  denn  (ur  beide  Wissenschaften 
ist  es  sehr  nötig,  daß  eine  grundsätzliche  £inig\mg  über  die  allgemeine 
Anlage  der  zusammenfassenden  Darstellungen  crciell  'werde.  Ohne  eine 
lolche  Einigung  werden  wir  kaum  Jemals  Übersichtlichkeit  und 


I 


^ 


i  Klarheit    | 


Besprechungen. 


241 


in  nnso?  Daretellungcn  oder  ein  System  in  unsere  wtssenschaftlicJie  Arbeil 
bekommen.  Schließlich  möchte  ich  mit  einem  solchwi  Versuch  auch 
einen  unmittelbaren  Nuizen  schaffen.  Die  Herausgeber  schreiben  selbst 
in  dem  ProEiumm  des  Handbuches:  wie  Ihnen  bei  der  Vorbereitung  ihres 
Unternehmens  manch  fördernder  Rat  van  seilen  der  Fachgenossen  zuteil 
geworden  x'i,  so  würden  sie  auch  in  seiner  Durchführung  dankbar  sdn 
für  jeden  praktischen  Vorschlag,  der  noch  verwirklicht  werden  könne. 
Wenn  sie  durch  das  folgende  zu  einer  emeitteii  eingehenden  Prilfung 
ihres  InhitlseiitwiiKes  ftir  die  Ableilung  -AltcrtftmcT"  sich  veranlaßt  sehen 
möchten,  so  würde  ich  mit  diesem  ErfoEge  reichlich  zufrieden  sein.  Daß 
ich  die  folgende  Disposition  nicht  für  unanfechtbar  halte,  versteht  sich 
von  selbst    Sie  bleibt  nur  ein  Versuch. 

Demnach  wiirde  ich  die  gesamten  Altertümer  einteüen  in:  IVivat* 
alieitOmer,  Staats-  und  QemeindeaHertfimer.  Kriegsallerlümer,  Rechtsaller- 
tßmcr.  Christliche  oder  wohl  besser  OJaubensaltcririnier,  Kiinstallertlinicr 
und  Wisserschaftlichc  Altertümer. 

Die  PrivatflllerlfJmcr ,  bei  deren  Disposition  icli  mich  zum  Teil 
scbon  an  Moritz  Heynes  höchschützbare  „Deutsche  Hausallerlümer''  .in- 
Khlieficn  kann,  würde  ich  folgendermaßen  einteilen. 

1.  Die  Familie:  Kindheit  -  Jugend  -  Geschlechter  -  Liebe  (Sittlich- 
keit, Liebe  und  Heirat,  Unkeiiscliheit)  -  Die  (Begattung,  Seliwanger- 
schafl,  Geburt,  Kindbett,  Oatlenliebe,  Ehczwisl,  Ehebruch)  -  Familicn- 
glieder  -  Gesinde  -  Tod  -  Erbseliaft  -  Leiche  und  Be^bnis. 

2.  Die  Wohnung:  Bauwesen  Haus  und  seine  Teile  -  Hof—  Wasser- 
versorgung -  Möbeln,  Wohngerät  und  Gewebe  -  Küchengerät  - 
Bdeuditung  und  Leuchtgeräl  ~  Fciierbereitung  -  Ofen. 

3.  Der  Landbau  und  die  Tierzucht:  Jahreszeiten  -  Ackerbau  -  Frucht 
und  Ernte  -  Weide  -  Garten  -  Weinbau  -  Baummcht  und  Wald  - 
Pferd  —  Esel  -  Rind  -  Zuggeschinr  -  Ziege,  Schaf  und  Schwein  - 
Hirt  und  Herde  -  Nnirvögel,  Bienen  und  Seidenraupe  -  Hund  - 
Katze  und  Ma«s  -  Luxustiere. 

4.  Die  Nahrung:  Küchenwesen  ~  Leckerei  und  Einzelgeschmack  - 
Suppe,  Braten,  Kochtlcisdi  und  andere  flcischspciscn ,  Rschc  und 
Eier  -  OewOrz  Süße  Speisen  -  OemQse  und  Obst  -  Fastenspeise  - 
Qebick  -  Milch    -  Wein.  Bier  und  Mineralwasser. 

5.  Der  Verkehr:  Verkehrestraßen  -  Landreise  -  Schiffahrt. 

6.  Der  Handel:  Zahl,  Maß  und  Gewicht  -  Münze  -  Eigentum  -  Leih- 
gtschäfl  -  Markt  und  Ware  -  Wannenkrimer,  Kaufmann  und  Kauf- 
laden, Ka Urgesellschaft  -  Einkauf  und  Verkauf  -  Monopol  -  Preise 
und  Rcellität. 

7.  Das  Gewerbe:  Handwcrkslebcn  -  B.iuendes  Gewerbe  (Maurer,  Berg- 
arbeiter, ZimmcHcutc,  Tischler,  Schmiede,  Goldschmiede,  Kessler, 
Glockengießrr,  Münzer,  Hafner,  Kaniinkehrer)  -  Wellendes  Gewerbe 
(Weber,  Tuchmacher,  Schneider,   Korbflechter.   Kürschner,  Gerber. 


342  Besprechungen. 


Schuster)  -  Speisegewwbe  (Müller,  Bäcker,  Metager,  fbchcr,  Kflfw 
und    Kclterer,  Schenkwirt)  —  Gewerbe  zur  Leibespflege  (Scherer. 
Bsder,  Totengräber). 
S.  Die  1-eibcspllege:  Nackter  Leib  und  Sctiöiiheitsiileal  -  Hautpflege 
und  Bad  -  Pflege  und  Tracht  der  Haare  -  Pflege  von  Mund  und 
Allgen  -  Wolilgenich  —  Ungeziefer, 
9.  Schmuck  und  Tracht:   Blumenschmuck   -  Edelschmuck  -  Wechsel 
und   Behandlung  der   Kleider  -  Mode  -  Kleidervorral  und  Kleider- 
luxus  -   Tuch,    Farbe   und   Schnitt   der    Kleider  -    Pelzwerk   und 
Stickerei    -    Einzelne    Kleidiingsstiicke   [Unterkleider,    Hose,    Rock, 
Maiilcl,   Kopfbedeckungen.    Fußbekleidung,    Handschuh,   Oiirtel  und 
Seckel)  -  Amts-  und  Handwerkstrach I  -  Trauer- und  Fasten bekleidung. 
10.  Gesellschaftlich«  Leben:   Zeiteinteilung   -  Alltagsleben  -  Wribüche 
Handarbeit  -  Umgangsformen  (Körperhaltung  und  Gesicht,  Anstand, 
Gruß,  Unterhaltung,   Ehrerbietung  und  Schmeichelei,  Hochmut  und 
Prahlerei,   Hohn  und  Zorn,   Beschimpfung)  -  Witz  —  Sprichwort  — 
Freundschaft  -  Gnstinahl  mid  Tischzuciit  -  Wlrtshauslebeii  -  Bade- 
reise -  Weltliche  Feste  -  LeibesiJbung  -  Spiel  -  Tanz  -  Jagd  und 
Vogelfang  -  Fischfang. 
Wieweit  Schnitz  den  Ansprfichen  nachkommt,  die  in  vorstehendem 
Dispositionscnta'urfe  stillschweigend  eingeschlossen   sind,  das  kann   ich 
hier  im  einzelnen  nicht  verfolgen.     Wer  Oieser  Frage  selbst  nachgeht, 
der  wird  finden,  daß  das  vorliegende  „Handbuch"  manche  Dinge  in  den 
Kieis  seiner  Betrachtung  iieht,  die  zu  den  Privaialtetiilmern  kaum  g^ 
rechnet  werden  können,  während  anderseits  vicleä  nicht  erwähnt  ist,  was 
unbedingt  dahin  gehört,  dessen  Erwähnung  wir  verlangen  können,  well 
das  Buch  ein  Handbuch  sein  will  und  also  einen  Überblick  über  die  ge- 
samten Pri va la U eil n liier  verspricht. 

Sehr  zu  bedauern  ist  es  aucli,  daß  Schultz  ohne  einen  ersichllichen 
Orund  die  für  die  übrigen  Teile  des  Handbuches  vorgesehene  sehr  prak- 
tische äiiRcrc  Einrichtung  vcrsdimäht.  Dieselbe  soll  sich  nach  dem  (Pro- 
spekt derjenigen  von  J.  v,  Müller?  Handbuch  der  klassischen  Altertums- 
wissenschaft anschließen.  Sie  soll  von  ihm  die  durchgehende  Einteilung 
der  einzelnen  Darstellungen  in  kurze  Paragraphen  und  die  Unlerecheidung 
in  dem  Gebrauch  des  großen  iiiid  kleinen  Druckes  übernehmen,  wotwi 
den  Paragraphen  besw.  Unterabteilungen  der  Paragraphen  der  Überblick 
Ober  die  belreflende  Literatur  in  kleinem  Druck  nachgestellt  werden  solL 
ich  glaube,  schon  wenn  Schultz  sich  diesen  äußeren  Ikstimmungcn  unter- 
worfen hatte,  so  wäre  das  Buch  in  manclier  Beziehung  besser  ausgefallen. 
So  aber  macht  es  -  ich  bedaurc  das  aussprechen  zu  müssen  -  den  Ein- 
druck einer  etwas  zu  eilig  angefertigten  Zusammenfassung  des  reichen 
Materials,  welches  dem  Verfasser  aus  seinen  Sammlungen  besondere  für 
das  16.  bis  ts.  Jahrhundert  noch  zur  Verlügung  sland.  Dieser  Eindnick 
der  Eile  wird  auch  dadurch  bestätigt,  daß  z.  B.  die  Abbildungen  weder  ge- 


zShIt  noch  mit  Zeitangabcii  versehen  sind,  daß  nirgends  im  Texte  auf  sie 
hingewiesen  isl,  und  daB  der  Leser  durch  sehr  viele  Druckfehler  gestArt  wird. 
Hervorheben  muß  ich.  daß  die  Daretdlung  zwar  hlckcnhaft.  sonst 
aber,  soweit  ich  es  beurteilen  kann,  zutreffend  ist.  Zur  tatsächlichen  Be- 
richtiping  gehe  ich  nur  auf  die  Stehe  ein,  wo  Scliultz  (S.  406)  über  den 
Stlbstmord  handelt  und  dazu  bemerkt;  .«  dauerte  sehr  lange,  ehe  die 
Menschen  in  Europa  sich  mit  dem  Gedanken  befreundeten,  ihren  Leiden 
und  Ocbrechen  durch  den  Sell^lmord  ein  Ende  zu  machen:  im  Mittel- 
aller  scheint  diese  Sitte  noch  gänzlich  unbekannt."  Das  trifft  nicht  zu. 
Ich  ntftchte  in  dieser  Hinsicht  auf  eine  Stelle  in  Hugo  von  Triuibcrgs 
Renner  verweisen,  die  negen  der  Atisliihriuig  des  Selbslmordes,  sowie 
vegen  der  milden  Beurteilung  desselben  so  interessant  ist,  daß  ich  sie 
hier  ganz  anführen  will.  In  der  vom  Bamberger  historischen  Vereine 
hcrgcstcütcn  Ausgabe  (Bamberg  1833)  heißt  es  dort  Vers  i375ff.: 
•Niemant  ze  sere  sich  krcnkcn  sot 
Mit  vasten,  mit  ii^chen,  daz  stet  aifoI, 

Daz  er  ihl  an  dem  letbe  verderbe, 

vir  hilzel  loii«s  der  scle  crwertie, 

wanne  mazze  mit  bescheidenheit 

aller  tvgent  kröne  treil. 

Zv  gvtele  gibt  der  tevfel  rete, 

Daz  vasten,  wachen  vn  lanc  gcbete 

Der  levle  gedanke  so  swinde  krenkent, 

Daz  si  sich  hcnltenl,  oder  eitrenkcnl, 

Oder  in  in  selber  so  gir  verderbenl, 

Daz  sie  kein  Eon  vmb  got  crwetbent. 

Ich  wciz  ein  clo^tcr,  in  dem  ieh  hin 

einen  sun,  mit  dem  sich  ein  junc  man 

Begab,  der  lebt  fumf  jar  also, 

Daz  sin  heriz  nie  wart  fro, 

vn  nie  kern  mensch  in  sach  lachen, 

an  vasten,  an  beten,  vn  an  wachen 

Het  er  wol  die  pcsten  teil, 

Dem  riet  der  tevfei,  daz  er  ein  seil 

Nam,  vn  in  einen  stadel  gieng, 

vii  sich  an  einen  balken  hieng, 

vn  do  er  zwirbcti  hin  vn  her. 

Do  pradi  du  seil,  zchant  lief  er 

in  einen  weier,  vn  ertrank, 

Daz  sein  gvtel  so  deinen  dsnli 

vmb  gol  verdint,  des  iamert  mich. 

gotcs  tugent  sinl  vngrvndlich, 

wer  vciz,  in  welheni  sinne  er  was, 

Ob  er  leihte  an  der  sclc  genas. 


Besprechungen, 


vnd  daz  vns  dvnket  vngelievr, 
du  leid  er  vur  s!n  vegfevr. 
Nienia,nl  den  andern  vrleiln  sol; 
got  vieiz  VHS«  aller  herlz  wol, 
DiiTC  iemcrdichcT  martcrer 
wiut  leider  ein  epyaller. 
Den  ich  oftc  hau  gesehen, 
vnd  horte  im  heiliges  lebens  iehen." 

In  demselben  toleranten  Sinne  äußert  sich  200  Jahre  später  Geiler 
von  Kaisersberg  (Granatapfel  fol.  I  III  b):  »Ulr  sehen,  daz  etliche  eines 
ungewonltchen  lodes  sterben,  der  uns  nit  gut  dunckt,  als  so  einer  im 
krieg  umbkorapt.  Der  ander  stirbt  gachlingen.  Der  dritt  ertrcncW 
sich  selbst.  Der  vierd  erhencJd  sich  oder  ander  dergleichen  wcisr.  Not 
dester  minder,  so  mag  yot  dlse  ding  allesameii  wenden  zu  eines  jegüclien 
nutz...  Darumb  sol  man  an  keinem  verzweiflcn,  sein  vcrdamnüsi:  wacr 
dann  offenbar  und  kiinllich.*  Dagegen  läQl  Geiler  an  einer  anderen 
Stelle  deutlich  erkennen,  wie  man  um  die  Wende  des  15.  und  16.  Jahr- 
hunderts im  allgemeinen  über  den  Selbstmord  urteilte,  wenn  er  Narren- 
sdiiff  fol.  193a  sagt;  »Sich  selber  tödlen,  das  ist  dn  große  sünd  und  ist 
wider  die  natürliche  neigung  ze  behalten  sich  selbs,  Es  ist  wider  gött- 
liche liebe,  waii  er  verliirt  leib  und  seel.  fis  ist  auch  wider  die  gercchtig- 
keit,  wan  die  gemein  beraubt  «■  eins  glids,  Darumb  so  werden  si  von 
der  offen  gerechligVeit  gesehen!,  wan  man  zücht  sie  nnder  der  schwellen 
uszhin,  man  schlecht  sie  in  ein  fasz  und  würffl  es  in  dn  vasser.» 

Wenn  sich  Schultz  also  audi  in  derartiger  Einzelheil  versehen  hat, 
so  darf  ihm  doch  kein  schwerer  Vorwurf  daraus  gemacht  werden.  Hier 
gewährt  der  Müngd  an  Vorarbeiten  reichliche  Entschuldigung.  Und  eben 
wdl  auf  dem  Gebiete  do  deutschen  AUcrtumskundc  noch  so  wenig  ge- 
arbeitet worden  ist,  so  wird  das  vortiegende  Buch  unzweifelhaft  sehr  viel 
benutzt  werden,  und  es  verdient  das  auch,  weil  es  eine  sehr  beträchtliche 
Malerialsainmlung  bietet.  Freilich  ein  Handbuch  der  Privalaltertümer 
oder,  wenn  wir  mit  den  Worten  des  Titels  sprechen  sollen,  des  .häus- 
lichen Lebens  der  europäischen  Kulturvölker  vom  Mittelalter  bis  zur 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts"  ist  es  leider  nicht. 

Prankfiirt  a.  M.  Otto  Lauffcr. 


Raimunil  f^riedrich  Kaindt,  Die  Volkskunde.  Ihre  Bedeutung,  ihre 
Ziele  und  ihre  Mclliode  mit  besonderer  Berüdistchtigung  ihres  Verhill- 
nisses  zu  den  historischen  Wissenschaften.  Ein  Lettfaden  zur  Einführung 
in  die  Volk-sforschiing.  Mit  59  Abbildungen  im  Texte.  Leipzig  und 
Wien,  Fr.  Deuticke,  l9ü.i  (Xl,  H9  S.).  (XVII.  Teil  von;  Die  Erdkund«. 
Eine  Darstellung  ihrer  Wissensgebieie,  ihrer  Hiltewisscnschaflcn  und  der 
Methode  ihres  Üiilcrrichtes.    Hrsg.  Maxim.  Klar.) 


t 


Karl  Rcnschel.  VolkskundUchc  Strelfzflfi:«.  Zwölf  Vorträgr  über 
Fragen  der  deutschen  Volkskunde.  Dresden  und  Leipzig,  C.  A.  Koch, 
1903  (VII.  266  S.). 

Alfred  Tobler,  Das  Volkslied  im  Ajipenieilerlande.  Nach  münd- 
licher Überlieferung  gcsammell.  Schritten  der  Schweizerischen  Gesell- 
Khsfl  für  Volkskunde.   H.  J.   Zürich,  Verlag  der  Gesellschaft,  1903  (H7S.). 

Indem  ich  dk  drei  gciiannlen  Werke  aus  dem  der  Kuitui^eschichte 
benachbarten  \X/issenschaftsgeb!cle  der  Volkskunde  zur  Anzeige  bringe, 
stelle  ich  billigerweise  das  umf^sendstc  an  erste  Stelle. 

Kalndls  Schrift  hat  einen  doppelten  Zweck:  sie  soll  zunächst  dss 
Interesse  für  die  Volkskunde  in  weitere  Kreise  tragca,  indem  sie  deren 
Wichtigkeit  und  ihr  Ziel  klarlegt;  ferner  soll  sie,  soveit  dies  im  Rahmen 
ein«  Leitfadens  und  bei  dem  Stande  der  gegenwärtigen  Kenntnisse  möglich 
ist,  die  Methode  der  Volkskunde  darttm.  Diese  Umschreibung  des 
Zweckes  der  Schrift  gibt  zugleich  ihre  Disposition  ru  erkennen.  Käindl 
versucht  es,  in  kurzen  Zögen  die  Volkskunde  als  Wissenschaft  nicht  so 
scKr  gegen  die  Nachbarwissenschaften  abzugrenzen,  als  sie  als  einzelnes 
Kettenglied  einzureihen  in  das  groJJc  Gebiet  der  Volkswissenschaf l  (Eth- 
nologie), deren  Entwicklung  und  Verhältnis  zu  den  verwandten  Disziplinen 
er  zum  Ausgangspunkt  seiner  Darstellung  nimmt.  Ei  gibt  einen  sehr 
guten  IJberbtick  über  die  Geschichte  und  Literatur  der  Volksktinde  und 
ihren  Beirieb  bei  den  verschiedenen  Völkern,  so  daß  das  Buch  sich  als 
brauchbares  Handbuch  bewähren  wird.  Uns  interessieren  hier  am  meisten 
diejenigen  Abschnitte,  in  denen  Kaindl  das  Verhältnis  der  Volkskunde 
zur  Kulturgeschichte  behandelt.  Er  ist  selbst  in  erster  Unie  Historiker, 
aber  er  hat  -  nach  den  Worten  der  Vorrede  S.  Vf  -  die  Volkskunde 
mit  Eifer  nebenbei  betrieben,  weil  er  zu  der  Oberzeugung  gelangt  ist, 
daß  dieselbe  eine  wichtige  Hilfswissenschaft  der  Geschichte  ist  oder  werden 
könnte.  Seinen  Standpunkt  der  Kulturgeschichte  gegenüber  präzisiert  er 
S.  7  mit  den  Worten:  -die  Kultur  einej  Volkes  lerne  ich  nicht  daraus 
kennen,  daß  ich  einzelne  Raritäten  aus  derselben  in  einem  Kabinette  ver- 
einige; ich  muß  vielmehr  bestrebt  sein,  das  zu  erfor^hen,  was  gemeinsam, 
typiscli  ist,  was  alle  Köpfe  lenkt  und  leitet-,  und  von  ditscr  Anschauung 
aus  betont  er  überall  die  Wechselwirkung  zwischen  der  Volkskunde  und 
den  historischen  Wissenschaften  niil  Nachdruck.  So  sagt  er  S.  Si/H :  »Mit 
Recht  hat  man  sich  jetzt  mehr  der  Kulturgeschichte  zugewendet;  statt  der 
bloßen  Erzählung  politischer  Ereignisse,  der  Kriege  und  FricdcTisschUlsae 
beginnt  man  der  Arbeit  des  Volkes  und  seiner  Entwicklung  größere  Auf- 
merksamkeit at  schenken.  Haben  in  der  früheren  Geschichtsschreibung 
die  bcN-orzugten  Häupter  und  Stände  des  Staates  die  Hauptrolle  gespielt, 
so  bceinnl  nun  die  Masse  des  Volkes,  sein  Leben.  Streben  und  Wirken 
größere  Bcaclilurig  zu  erregen...  Die  Volkskunde  ist  nun  in  dem  von 
uns  gekennzddineten  Sinne  in  der  Kulturgeschichte  ganz  unentbehrlich. 


i 


Sie  ist  es,  «-eiche  die  ursprfing'ljche  naive  Stufe  der  mensdiltclien  Kultur 

I  kennieictincl,  sie  allein  riclitig  erkennen  läßt  und  viclc5,  was  uns  in  älteren 

,  Berichten  unventändUdi  erscheint,  klärt.    In  diesem  äinne  ist  die  VoIJcs- 

kunde  eine  notwendige   Ergänzung  der  «blichen  Knllurgeschichte.«     Ich 

schlicfic  midi  diesen  Ausführungen,   die  Kaindt  nodi  weiter  -  bcsondos 

S.  SS  -  erläulerl,  durchaus  an,  möchle  freilich,  ohne  mich  auf  das  leidige 

Oebiel    theorelischer   Abgrenzung  einzelner  Wissenschaften  einzulassen. 

nodi  hinzuftigcn,  daß  ich  sie  nur  dann  rüekhaltlas  gelten  lasse,  wenn  sie 

vom  Standpunkte  der  historischen  Volkskunde,   den  Kalndl  in  der 

I  Tat  vertritt,  gesprochen  werden,  d.  h.  wenn  man  dabei  nicht  vergißt,  dsfi 

allein  durch  kulturgeschichlHch-archäologische  Studien  den  Volkskundlern 

I  die  Kritik  ermöglicht  wird,  die  dns  wahrhaft  naiv  Volkstömliehe  in  scheiden 

vermag  von  dem,  was  nur  ein  modifizierter  Niederschlag  dner  vergangenen 

'  höheren  Kultur  ist. 

Besonders  henrorhcljen  möchte  ich  auch  eine  Forderung  des  V«^ 
fassers.  die  wohl  eigentlich  als  sclbstvcrstindlidi  ascheinen  möchte.  Sie 
betrifft  die  Sprachkenntnis,  und  Kaindl  sagt  von  ihr  S.  122.  da  es  un- 
möglich sei,  ein  Volk  griindlich  kennen  zu  lernen,  wenn  man  sein«  Sprache 
nicht  beherrscht,  so  sei  ihre  Kenntnis  ein  wichtiges  Hilfsmittel  des  Volks- 
forschers. Ich  möchte  das  noch  vcretärken,  indem  ich  dieSpraclikenntnts 
für  eine  unerläliliche  Vorbedingiing  erkläre.  Das  gilt  nicht  nur  für  v-olks- 
kiindliche,  sondern  ebenso  sehr  auch  (fir  kullurgeschichllidie  Arbeiten. 

Bezüglich  des  Sammeins  von  volksfcundlichem  Material  bespricht 
Kaindl  die  beiden  Fragen,  wie  und  was  gesammelt wirrden  solle.  Ergibt 
dabei  ein  sehr  brauchbares  Beispiel  fOr  einen  volkskundIJchen  Fragebogen, 
und  da  er  sich  in  allen  diesen  Dingen  aul  viele  eigene  Erfahrungen  stützen 
kann,  so  wirkt  er  darin  sehr  khrrcich. 

In  den  einzelnen  Kapiteln  ist  ein  guter  l^'berblick  über  die  bis- 
herige volkskundlidie  Liter^itur  dargeboten,  und  so  hält  das  Buch,  was  es 
versprochen  hat:  einen  brauchbaren  Lettfaden  darzubieten  zur  Einführung 
in  die  Volksforschung. 

Auch  Karl  RcuKheis  Buch  will  im  Gründe  eine  Einführung  in 
die  Volkskunde  sein,  aber  nicht  in  dem  Sinne,  daß  er  einen  Gesarat- 
tltierblick  darböte,  sondern  daß  er  durch  nähere  Behandlung  einzelner 
Kapitel  der  Volkskunde  die  Anregung  zu  weiteren  Studien  gäbe.  Zur 
Einführung  behandelt  er  den  Begriff  und  die  Geschichte  der  Volkskunde, 
sowie  ihre  Bedeutung,  indem  er  dem  Leser  in  angenehmer  Form  eine 
,  Anschauung  von  diesen  Fragen  und  ihrer  wissenschaftlichen  Behandlung 

I  vermittelt     Im  übrigen   ist  der  weitaus  größte  Teil  des  Budies  der  Be- 

handlung des  Volksliedes  gewidmet.    Der  Begriff  „Volkslied'  und  im 
^  Gegensatz  dazu  die  in  den  Volksniund  überg^angencii  Kunstlieder  werden 

behandelt,  wobei  Reuschel  vielfach  fremde,  zum  Teil  g^ensdtzliche  Mei- 
nungen vorlrägl,  denen  gegenüber  er  wohl  hie  und  da  den  eigenen 
Standpunkt  etwas  entschiedener  liälle  hervorlretcn  lassen  können. 


I.   Sodann    J 


Beaprcchtingen. 


A4» 


bfhflndcU  er  die  Entziehung  der  Volksdidiiung  aus  dem  Arbeitsgesang 
zumeist  in  Anlehnung  an  Büchere  .Arbeil  und  Rhythmus";  recht  ein- 
gehend bespricht  er  das  Schtiaderhüpfel  unter  Beiiulzuiif;  mancher  eigener 
Forechiingen.  Auf  die  Davslellunu  des  Stile  des  Volksliedes  lolgt  ein 
Kapitel  .die  deutschen  Landschaften  und  da.'i  Volkslied",  worin  der  Ver- 
fasser den  Ztisammcnhsng  zwiKhen  Volkslied  und  Stamm escharahter  zu 
emiilleln  sucht  und  dabei  einen  guten  Überblick  über  die  Resultate  der 
lokalen  Volkslied forschuns  gibt.  Ein  lettter  Teil  Aber  die  kulturgeschicht- 
liche Bedeutung  des  Volkslieder  ist  (Qr  uns  von  besonderer  XTichligkeil 
Er  stützt  sich  vor  allem  auf  Hildebrands  einschligige  Arbeiten  und  baut 
sie  jiim  Tel!  weiter  aus.  Hier  weiß  er  zum  Verständnis  vieler  Eirzel- 
hcitcn  im  Volksliede  kiillur^cschichtliclie  Erklärungen  bcizubrinEcn,  und 
indem  er  dadurch  aufs  neue  den  engen  Zusammenhang  zwischen  Volks- 
kunde und  Allerlumskunde  erweist  und  damit  zugleich  auch  die  Bedeutung 
des  Volksliedes  als  kulturj^escliichtiicher  Quelle  erhärlel.  hat  er  eine  Arbeit 
getan,  die  besonders  in  dieser  Zeitschrift  dankbar  anerkannt  werden  muß. 
Ein  letzter  Abschnitt  des  Buches  berichtet  über  die  volkskund liehe  Be- 
handlung von  Sage,  Märchen  und  Abergtaiibc.  Zur  Einfflhrung  in  die 
von  ihm  behandelten  Teile  der  Volkskunde  wird  Reuschels  Buch  manche 
guten  Dienste  leisten.  Es  gibt  einen  Überblick  über  die  verschiedenen 
gdehrlcn  Meinungen  und  führt  auch  die  Literatur  in  ihren  wichtigsten 
Erscheinungen  an.  Gelegentlich  bemerke  ich,  daß  es  im  Hinblick  auf 
die  leichtere  Beniitzbarkeil  wohl  besser  gewesen  wilre,  die  Anmerkungen 
nicht  am  Schluß  des  Buches,  sontlerTi  jeweils  unlerdem  Text  anzubringen.  - 
Eine  volkskundliche  Qiiellcnsammlung,  stofflich  und  landschaftlieh 
wohl  umgrend,  gibt  A.  Toblen  genanntes  Buch  ober  das  Volkslied  im 
Appenzeller!  an  de,  ■srclches  sich  den  Schriften  der  nihrigen  schweizerischen 
Oesellscliafl  fOr  Volkskunde  sls  neue«  Olöcd  anreiht.  In  einen  verbindenden 
Text  eingeschoben,  werden  im  ganzen  HD  Volkslieder  mitgeteilt,  wobei 
Toblcr  meist  angibt,  bei  welchen  Oelegenheiten  die  Lieder  gesungen  sind. 
Dieselben  sind  zum  kleineren  Teile  nach  schriftlichen  Quellen  gesammelt, 
meist  aber  unmittelbar  der  mündlichen  Überliefenmg  entnommen,  und 
hierin  liegt  besonders  deshalb  ein  großer  Vorzug,  weit  Tobler  mil  Recht 
den  engen  Zusammenhang  von  Text  und  Melodie  betont.  So  sind  denn 
»uch  die  bei  den  Appenzellem  durchweg  heileren  Melodien  überall  mit- 
geielll,  und  sie  geben  den  Liedern  eigentlich  erst  die  richtige  Stim- 
mung und  I^bung,  ohne  sie  könnten  z.  B.  die  Jodcl  (S.  7'*ff.)  und 
ebenso  die  Kuhreihen  (S.  Iisff.)  überhaupt  nicht  aufgezeichnet  werden. 
In  einer  Einleitung  stellt  Toblcr  zunächst  die  frühere  Literatur  über  die 
Appenzeller  Lieder  zusammen  und  sucht  »dann  kurz  das  Wesen  des 
Volialiedes  zu  erklären  D^bei  wird  frcfilich  die  von  ihm  gegebene  De- 
finition des  Volksliedes  kaum  allgemeinen  Bdfall  finden,  die  er  S.  6 
auKpricht  mil  den  Wohen:  .Unter  Volksliedern  vcretehc  ich  solche 
diBÜnimigc  Lieder,  deren  Dichter  und  Komponisten  wir  nicht 


kciitien  (!),  ÜK  vom  ganzen  Volke  gesungen  werden,  lange  schon 
GeitidTigut  des  Volkes  geworden  sind  und  mit  diesen  wesentlichen  Volks- 
lied-Merknialpn  Naivetäl,  Natürlichkeit  und  Kindlichkeit  verbinden.- 
Durchaus  einverstanden  bin  icK  dagegen  mit  dem  Verfasser,  venn  er  das 
Volkslied  mit  der  sogenannten  Volkskunst  in  Verbindung  zu  bringen 
sucht,  indem  er  sagt  (S.  2/3);  „Wie  jodcs  Volk  eine  ihm  eigentümliche 
Art  und  Weise  hat,  die  Wohnungen  und  Ställe  zu  bauen,  mit  den  pmk- 
tisciiai  Bedürfnissen  einen  gewissen  Kunst-  und  Schönheitssinn  zu  ver- 
binden, wie  es  in  seiner  Weise  Haitser,  Scheunen,  Kasten,  Truhen.  Ge- 
schirre bemalt  und  mit  Sprächen  veiziert,  so  zeigt  es  seine  E^tgensrt  auch 
im  Volksliede.  Wir  können  in  all  diesen  Fällen  von  einer  Volkskunst 
reden."  Wohl  bedarf  diese  Äußerung  in  den  Einzelheiten  gewisser  Modi- 
fikationen und  Bericliligungen,  ebenso  wie  man  sich  auch  zumal  bei  Einzel- 
heiten immer  die  Frage  vird  vorlegen  müssen,  wie  weil  jene  PaniLklc 
gezogen  werden  darf,  .^ber  im  groHen  imd  ganzen  bleibt  der  Vergleich 
zwisdien  Volkslied  und  den  volkstQ milchen  äußeren  Denkmälern  berechtigt, 
und  idi  bin  überzeugt,  daß  sich  zumai  für  die  Behandlung  des  Volks- 
liedes und  seine  Unterscheidung  von  dem  in  den  Völksmund  überge- 
gangenen Kunstliede  viele  gute  Anregung  aits  jenem  Vergleich  wird 
ziehen  lassen. 

Toblers  Buch,  das  such  für  manche  kulturgcschiclitMche  Erschtinung 
oder  Anschauung  Qudlenmaleriäl  darbietet,  slelll  dem  Sammeleifer  des 
Verfassers  ein  gutes  Zeugnis  aus  und  wird  auch  der  lierausgebenden  Ge- 
sellschaft zur  Ettrc  gereichen. 

frankfurt  a.  M.  OUo  Lauffer. 


c_ 


I 

1 


Das  deutsche  Vollrilum.  Unter  Mitarbeit  von  Hans  Hclmolt, 
Alfred  Kirchhoff,  H.  A.  Kösllin,  Adolf  Lobe,  Eugen  Mogk,  Karl  Sdl, 
Henry  Thodc,  Oskar  Weise,  Jakob  Wychgram,  Hana  Zimmer  heraus- 
fegeben  von  Hans  Meyer.  2.  neubearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 
I.  Tdl.  Mit  1  Karle  und  20  Tafeln.  II.  Teil.  Mit  2J  Tafeln.  Leipzig 
und  Wien,  Bibliographisches  Institut  1903,     (VIII,  402;  II,  i3S  S.) 

Bei  seinem  ersten  Erscheinen  habe  ich  das  vorhegende  Werk  in 
der  vZeitschrift  für  KuHurgeschidite"  als  rechtes  deutsches  Hausbuch 
empfohlen,  und  ich  möchte  diese  Empfehlung  nach  Erscheinen  der  zweiten 
Auflage  durchaus  wiederholen.  Äußerlich  unterscheidet  sich  diese  von 
der  ersten  durch  die  Teilung  in  zwei  nicht  zu  starke  Binde,  wozu  Nrohl 
mnichst  der  bedeutende  Umfang  -  es  ist  ein  ganz  neuer  Abschnitt 
hinzugekommen  -  vcranlaßle.  Aber  ich  finde,  daß  diese  Fonn  die  Hand- 
lichkeit gc?;eni^ber  den  üblichen  schweren  Bäntlen  des  Verlages  bedeutend 
erhöht,  und  möchte  sie  für  die  Zukunft  beibehalten  wünKhcn.  In-  ■ 
baltlich  untei^cidet  sich  die  neue  Auflage  vor  allem  durch  die  Hinzu- 
fügung  jenes  neuen  Abschnitts;  .Die  deutsche  Erzielmng  und  die  deutsche 


I 


Besprechungen. 


Wisstnsdiaft"  von  Hans  Ziitimer;  doch  sind  aucli  in  d«i  übrigen  Ab- 
schnitten naliirgemäö  Änderungen,  Absiriche  wie  Zusätze,  erfolgt.  Sehr 
dngrcifmd  sind  diese  Änderungen  aber,  soweit  ich  wenigstens  Vet^leiche 
gemacht  habe,  nicht.  Eine,  die  ich  nacli  der  Besprechung  der  ersten  Auf- 
iagc  cij^cntlich  erwartet  häHe,  ist  nicht  erFalgl,  Audi  jetzt  wird  mit  dem 
Vorwort  derselben  der  Satz  wiederholt,  daß  ..im  Ziisanimenlüiiig  der 
deutsche  Volkscharaltter  noch  vor.  keinem  dargeslellt  worden"  sei.  Irotr- 
don  ich  eingehend  auf  die  freilich  nicht  allzu  bedeutende  Vnrgängerschaft 
Wilhelm  Wachsmuths  (Geschichte  deutscher  Nutiunalität  186üf.)  hin- 
gewiesen hsbe.  für  eine  spätere  dritte  Auflage  möchte  ich  diesen  Hin- 
weis wiederholen,  mgleidi  aber  itoch  folgende  Wßiischc  aussprechen.  lijn 
sehr  hübsches  Zu,sal2kapiteE  zu  einem  Abschnitt  wäre  meines  Eraditens 
eine  Oberlicht  über  die  Zensuren,  die  die  Deutschen  von  anderen  Völkern 
erhalten  haben,  wie  sie  uns  nicht  nur  in  Sprichwörtern  und  Redens 
arten,  sondern  auch  in  den  schrifdichen  Quellen,  namentlich  ernsthafter 
Natur,  irahlreich  erhallen  sind,  ich  würde  mit  einer  ganzen  Reihe 
bisher  wenig  oder  gar  nicht  beachteter  Stellen  dienen  können.  Derartige 
Urteile  —  von  H,  Meyer  auf  S.  IS  übrigens  im  allgemeinen  crwühnt  — 
sind  Tiatflrlich  häufig  befangen,  schärfen  aber  anderseits  den  Blick  für 
unsere  Fehler  und  Schwächen.  Das  führt  mich  auf  eine  nllgcmeiniC  Be- 
merkung bezüglich  des  Charalders  unseres  Btiches.  Mir  scheinen  die 
Fehler  und  die  abstoßenden  Eigenschaften  der  Deutschen,  trotzdem  sie 
z.  B.  in  der  Einleitung  von  Hans  Meyer  Öfter  energisch  betont  (S.  13 
und  21),  von  Melmolt ,  Weise  und  anderen  gel^entlich  imd  von 
H.  Zimmer  (tl,  S.  405)  in  ihrer  Allgemeinheit  hervorgehoben  werden,  doch 
etwas  2u  sehr  zurückzutreten.  Das  Buch  zeichne!  im  ganzen  ein  etwas  zu 
ideales  Bild  vom  Deutschen.  Namentlich  gilt  das  von  dem  an  sich  an- 
ziehenden Beitrage  Alfred  Kirchholfs:  ,Dic  deutschen  Landschaften  und 
Stämme-,  der  die  Schaltenseiten  doch  zu  sehr  unterdrückt.  Manches 
hätte  schon  die  überhaupt  auch  sonst  wohl  erforderhclie  Berflcksichiigung 
der  gegenseitigen  Neckereien  der  Stämme,  Städte,  Dörfer,  die  eben  Wachs- 
mulh  sehr  eingehend  behandelt  hat.  ergeben.  Allein  daü  Zurücktreten 
solcher  Züge  isl  doch  wohl  crkläriich.  Das  Buch  hat  die  Absicht,  vor 
kllcm  die  Lust  am  Deutschtum  zu  wecken,  und  wenn  auch  sein  Hauptziel 
ist,  objektiv  erkennen  zu  lehren,  was  deutsch  isl,  so  spricht  doch  der 
Herausgeber  selbst  ais  seine  Absicht  aus,  »2«  ftbcrzeugen,  daß  es  nichts 
Größeres  und  Schöneres  in  allein  Menschentum  gibt  als  das  deutsche 
Volkstum--  Solch  warme  Begeisterung  läßt  das  Unerfreuliche  lieber  bei- 
seite. Aber  das  zugestanden,  so  ist  mir  zuweilen  der  apologetische  Zug, 
dennoch  zu  stark.  Die  unzweifelhaft  vorhandene  Servilllät  dts  Deutschen, 
der  gleichzeitig  freilich  neben  anderen  Kontrasien  em  starkes  Unabhilngig- 
keit^filhl  nufwcKi,  wird  nicht  allein  nicht  ermähnt,  sondern  von  Helmott 
luch  (I,  IS8(.)  im  ganzen  bestritten.  Wie  reimt  »ich  da<t  n.imetillieh  zum 
17.  und  zu  der  ersten  Hälfte  des  1  s.  Jahrhunderts?    Hu  anderer,  weniger 

Ar 


Archiv  (Qr  Kuhurerechichle.   11,  ^J 


Besprechungen. 


abstoßender  Zug  dfirfle  "roh!  mehr  fibersehen  sein:  es  ist  dies  die  Um- 
ständlichkeit und  Zercmonialitäl  des  Deutschen  -  nur  vom  FormaäU-inua 
im  {{echt  ist  gelegentlich  die  Rede.  Jenen  Zug  hebt  aber  (v^l,  meine 
■Ceschichte  ds  deutschen  Bncfes"  II,  S.  53}  icbon  um  16UU  ein  Italiener 
bei  dem  Deutschen  hervor:  »Ogni  cosa  «  celcbri  con  apparaio  e  con 
solcnniti."  Die  Steifheit  und  gesellige  Ungewandtlieit  anderseits  hätte  aul 
S.  36  ausdrficklich  erwähnt  werden  können. 

Um  riocti  einiges  vorzubringen,  iind  zwar  aus  dein  Interesse  an  dem 
Werke  selbst  heraus,  so  scheint  sich  mir  Helmolts  Abschnitt  in  seinem 
ersten  Teile  vielfach  mit  Meyers  hQbscher  Einleitung  zu  kreuzen,  wenn 
auch  neues  Material  bei  Helmolts  großer  Belesetiheit ,  die  ihre  Frfichte 
aber  sehr  durcheinander  wirft,  gegeben  wird,  Herrn  Christian  Meyer 
würde  ich  in  Helmolts  Stelle  mit  einem  Urteil  nicht  zitieren  (S.  167),  und 
ich  glaube  auch  nicht,  daß  aut  den  ernster  zu  nehmenden  Freybe  vom 
Herausgeber  hingewiscn  zu  werden  braucht.  Freybe  kennt  die  Ver- 
gangenheit nur  aus  dritter  und  vierter  Hand  und  redet  mehr  erbaulich 
und  weitschweifig  über  die  Dinge.  Das  Urteil  Helmolts  über  die  Hansa 
(S.  189)  ist  wohl  etwas  zu  schroff.  Doch  Einzelheiten  anzuführen,  will 
ich  mir  versagen,  vielmehr  die  Lcktfire  da  Buches  selbst  von  neuem 
warm  empfehlen.  Alle  Mitarbeiter  haben  ihr  bestes  gegeben,  wenn  sie  ■ 
auch  nicht  alle  auf  derselben  Höhe  sind,  und  durch  das  Ganze  weht  der  * 
gleiche  anregende  Oeisl.  Die  Vorzüge  der  Einzelnen  will  ich  nicht  weiter 
ausführen  und  nur  erwähnen,  daD  auch  die  jüngste  Hlnzufügunt;  von 
Zimmer  durchaus  anzuerkennen  ist,  In  seinem  zweiten  Teil  .Das  dculadie 
Volkstum  in  der  modernen  deutschen  Erziehung  und  Wissenschaft 
werden  übrigens  altamodcrnste  Strömungen  und  Personen  ausgicbiecr 
herangezogen  als  dies  in  den  übrigen  Abschnitten  der  Fall  ist. 

Qeorg  Steinhausen. 


Paul  Oreehsler,  Sitte,  Bratich  und  Volksglaube  in  Sclilesicn  ]. 
Mit  Buchschmuck  von  M.  Wislicenus.  (Schlesiens  volkstümliche  Über- 
lieferungen, herausgegeben  von  Friedrich  Vogt,  Bd.  II.)  Leipzig, 
B.  Q.  Teubner,  lyüi  {XIV,  34ü  S). 

Mit  einem  gewissen  Neid  müssen  die  wenigen  ernsten  Forscher  auf 
dem  Gebiet  der  Kulturgeschichte  die  rege  und  lebhafte  Arbeit  aui  dem 
Felde  der  Volkskunde,  die  vor  allem  audi  von  Oerm-mlsten  von  Fach  eifrig 
gefördert  wird,  betrachten!  nur  das  Bewußtsein,  daß  die  besten  und  tiefsten, 
noch  kaum  recht  erstrebten  Resultate  dieser  Arbeit  doch  der  Kultur- 
geschichte zugute  kommen  werden,  kann  darüber  trösten.  Zu  den  sdi6nen 
volkskundlichcn  Werken  über  Braunschweig ,  Sachsen,  Baden,  Mecklen- 
burg ist  nun  auch  ein  solches  über  Schlesien  gekommen,  in  letzter  Linie 
auf  eine  illteie  Anregung  Wcinholds  zurückgehend  und  von  der  titigen 
Schlcsischen  Ocsellsehali  für  Volkskunde  durch  Rat  und  Tat  unterstützt. 
Das  meiste  ist  aber  der  Sammelarbeit  des  Verfassers  selbst  zu  danken. 


I 


1 


Besprechungen. 


251 


Er  bdont  jedoch,  daß  sein  Bitch  nur  die  Vorarbeit  zu  einer  schiieslschen 
Vollukuiidc  sein  soll,  nicht  diese  selbst,  die  seines  Erachtens  erst  durch 
viele  Berichligiingen  und  eingehend«  Ergänzimgeii  seines  Buches  ru- 
Stande  kommen  kann.  Aber  man  wird  die  von  ihm  geleistete  Arbeit 
gern  anerkennen  und  dankbar  benutzen,  was  er  über  Glauben  und  Brauch, 
nadl  dem  Kreislauf  cEcs  Jahres  und  den  Festzeiten,  nach  den  Lebens- 
stationen, Geburt  und  Kindheit,  Jugendzeit,  Liebe  und  Ehe,  Ehelosigkeit, 
Tod  und  Begräbnis  geordnet,  ziisammengebraclit  und  o(t  auch  in  seinen 
Spuren  in  der  Vergangenheit  verfolgt  hat.  Der  fwette  Teil,  der  das 
hAusliche  Leben  behandeln  wird,  soll  binnen  Jahresfrist  erscheinen.  In- 
IcrcBierl  hat  mich  an  den  vom  Verfasser  zitierten  anregenden  Worten 
Weinholds  von  1862.  wie  jene  ältere  Oeneialion  doch  immer  und  jjewiil 
mit  größtetn  Recht  von  vornherein  auf  die  historischen  Zusammenhänge 
gerichtet  war.  Denn  Weinhold  schätzt  das  etwa  zu  Sammelnde  als  --be- 
deutenden Stoff  für  die  Sittengeschichte  Schlesiens,  für  seinen  Ziisammen- 
hang  mit  der  allen  Hdmal  seiner  ersten  deutschen  Ansiedler."  Ein 
engeres  Band  zwischen  Volkskunde  und  Geschichte  wird  sich  auch,  gliube 
ich,  bald  als  Bedürfnis  herausstellen.    Anaätze  zeigen  sich  schon. 

Oeorg  Stetnhausen. 


OttokAT  SUuf  ron  der  Muxb,  Völker- Ideale,  Bdtiäge  zur  Vöikei^ 
Psychologie.  I.  Germanen  und  Griechen.  Leipzig,  t^oi,  J,  Werner  C  O, 
(XVII  und  437  S.). 

Die  Wechselwirkung  zwischen  Politik  und  Wiswnschaft  hat  rine 
Reihe  von  Arbeiten  gezeiligt,  die  die  Wurzeln  unser»  jetzt  wieder  er- 
starkenden nationalen  Bewußtseins  bloßzulegen  bemüht  sind,  wie  es  am 
grQndlichsten  von  Fr.  0.  SchulthciÖ  geschehen  ist.  Als  bestes  Erläutc- 
ruBgsmittel  de&  typisch  Nationalen  bot  sich  der  Vergleich  mit  andern 
Völkern  dar;  so  hat  schon  Q.  Freytag  in  den  Bildern  aus  dem  Mittel- 
alter auf  die  Verschiedenheit  deutschen  und  antiken  Heldentums  hinge- 
wiesen. Diese  einzelnen  Hinweise  erweitert  das  vorliegende  Werk  zu 
einer  zusammenfassenden  Vci^leichung  der  für  Germanen  und  Griechen 
maflgebenden  sittlichen  Ansch.iuungen  auf  Orund  der  ältesten  Heldcii- 
dicbtungen.  Was  sich  aus  diesen  an  typischen  Vorstellungen  über  den 
Heiden,  das  Weib  und  die  Oötler  ergibt,  ist  mit  anerkennenswerter  Bc- 
Icscnhcil  gesammell  und  mit  Geschick  gruppiert  worden,  sodaJi  die  Fülle 
der  herandrängenden  Zitate  durchaus  nicht  ermildend  wirkt.  Das  Ergebnis 
kann  auf  alten  drei  Gebieten  natürlich  nur  sein,  daß  die  germanische 
Sittliche  Empfindung  an  Reinheit^  Starke  und  GeschloBsenheit  der  grie- 
chischen weil  überlegen  ist.  Nicht  unangebracht  wäre  es  gewesen,  auch 
das  Märchen  heranzuziehen,  das  unter  wechselndem  Gewände  viele  clia- 
ralctcristisclic  Züge  aiis  des  Volkes  Jugendzeit  bewahrt  hat.  Es  ist  kein 
visaen&chdtlichc»  Werk:  es  hat  »ich  die  Stärkung  des  nationalen  OefQhls 


17' 


A 


252  Besprechungen. 


gegenüber  der  pltrasenhaflen  Allerlumssdiwärnierei  zur  Aufgabe  gcsetsl, 
und  daran  tnitziihcKcn  ist  es  um  seiner  Wahrheilsliebe  und  schwungvollen 
Begeisterung  willen  wohl  gce-ignel.  Die  Freude  an  diesen  Eigenschaften 
sollen  uns  aiicli  die  stilistischen  Geschinacklosigkeiten  des  Einlcitungv 
und  Schlußkaptlels  nicht  verkümmern,  die  nun  einmal  der  österreichischen 
Fürbiitii^  unseres  Nation algefühU  eigentümlich  z\i  äcin  sdieinen. 
Mafdeburg.  G.  ticbe. 

S.  KelEminn,  Di«  Heiraten  der  Karolinger.  S.  A.  aus  Festgsbe  för 
C.  Th.  V-  Hcificl.    München.  Hanshaltcr  {ss  S). 

Erfreulic]!  mehren  sich  die  Versuche,  das  genealogische  Material 
stalistisL'li  zu  behandeln  und  so  statt  der  bisherigen  atomistischen  zu- 
Mumicnfassende  Resultate  Zugewinnen,  die  der  Wissenschaft  dienen,  nicht 
nur  dem  Ahnens;port.  So  hat  sich  Devrient')  mit  Oh"ick  bemüht,  einen 
physisclicn  und  psychischen  Typus  der  altem  Emcstincr  aufeuslellen.  Für 
M.  ergibt  eine  nullerordenlltch  gründliche  Durchforschung  der  Quellen 
eine  Anzahl  fester  R^ultatc  hinsichtlich  der  politi:«chen,  rechtlichen  und 
persönlichen  Stellung  der  mit  den  Karolingern  legitim  und  illegitim  ver- 
bundenen Frauen,  die  zu  der  Erkenntnis  führen,  daß  diese  einen  starken, 
für  die  Behauptung  des  wcstfränkischen  Thrones  geradezu  entscheidenden 
Einfluß  geübt  haben. 

Magdeburg.  0.  Liebe. 

J.  Knepper,  Jacob  Winipfcling.  Sein  Leben  und  seine  Werke. 
(Erläuterungen  und  Ergänzungen  m  Jansens  Ueschidite  des  deutschen 
Volkes.  IUI.  Bd.,  2.-4.  Heft.)  Freiburg  i.  B.,  Herder,  19ü2  {XX  und 
375  S.). 

Das  bleibendste  an  dem  Lebenswerke  des  Elsä^er  Humanisten  ist 
sein  bahnbrechendes  Wirken  für  die  Kulturgechichle,  unter  der  er  - 
richtiger  als  nianclier  Meutige  -  nicht  die  Autlerlichlceiten  des  Daseins, 
sondern  den  geistigen  Werdegang  des  Volkes  veislclit.  Für  diese  An- 
schauung wie  für  zahlreiche  Einzelheiten  sind  vomehmlidi  seine  Schriften 
Epitome  reruni  Oerrnanicarum  und  De  arte  Imprcssuria  wertvolle  Quellen. 
Neben  dieser  EinwiTkiing  ist  es  besonders  die  pädagogische  des  ersten 
praeceptor  Geriiianiae.  wie  ihn  Bezold  mit  Recht  genannt  hat,  die  auch 
in  unscrn  Tagen  unvergessen  sein  soll.  Wendel  sich  doch  der  erfahrene 
Sachkenner  bereits  mit  ebensoviel  Sarkasmus  wie  Entschiedenheit  gegen 
die  gram matisdien  Spitzfindigkeiten  und  die  Bela.'ttung  de»  Unterridtb 
mit  Ocdächtuiskraiii,  Diesen  Seiten  von  Wimpleliiigs  Tätigkeit  ist  Kn. 
in  wijrdiger  Wei.sc  gerecht  gewotdcn,  wie  ja  überhaupt  das  Verdienst  der 
ErMuteningen  wie  des  Janssensclien  Werkes  selbst  wesentlich  in  der  Er- 
schließung kulturhistorischen  Maicn'als  liegt.    .Anch  ijcn  krausen  Lcbcns- 

■t  Ylertcljahrachcift  dn  Herold  i«»1. 


Besprechungen, 


gang  seines  Helden,  dereiner  zusammenfassenden  Darstellung  seit  langem 
entbchrlc,  hat  er  mit  FleiO  und  Oriindliclikeit  verfolgt  und  dessen  Ein- 
fluö  auf  seine  vielseitige  liierarische  Tätigkeit  klarzustellen  sich  bemüht; 
das    chroriologisthe    Schriftenverzeichnis    ist    eine    höchst    schälzcnswcrle 
Oabc.       Nicht   ohne    Widerspruch    dagegen    wird    seine    Schätzung   des 
Patrioten  Wimpfcling  bleiben.    Ebensowenig  wie  in  seiner  froheren  Arbeit 
über  den  nationalen  Gedanken  bei  den  elsüssischen  Humanisten  vermag 
Kn.  hier  den  Eindruck  abzusdiwächcn,  daß  wir  es  vielfach  mit  huma- 
nistischer Rhetorik  zu   tun   haben.     Auch   die   übertriebene  Verehrung 
Maximilians,  Ifir  den  Wimpfeling  publizistisch  tätig  war.  vrird  sich  kaum 
für  seine  polilische  Oberzeugung  ins  Feld  führen  lassen.    Ea  muß  gestAtlet 
sein,  hier  ebensowohl  persönliche  Beweggriinde  anzunehmen  wie  bei  der 
Polemik  gegen  die  Schäden  des  geistlichen  Standes,  als  deren  Ursache 
Kn.    immer  wieder  die  gelauschten    Hoffnungen    Wimpfelings   auf   eine 
Pfründe  anführt.     Djiß   der  echte  Vertreter  des   nzahmen"    Humanismus 
ein  gehoreamer  Sohn  der  Kirche  und  von  fedcr  tieferen  reforuiatorischen 
Absidit  weit  entfernt  geblieben  ist.  bedurfte  allerdings  nichi  wiederholter 
ängstlicher  Vcr^ichoting,    Der  letzte  Abschnitt,  dss  Auftreten  der  Uithe- 
rischcn  Lehre  im  heimatlichen  SchlettstadI,  wohin  sich  der  Vielgewanderte 
als  Greis  zurückgezogen  halle,    beniht  wesentlich  nuf  Genys  Darstellung 
<Die    Reich<£ta.dl    Schlettstadt    H'i0-I5ib)    in    der    gleichen    Sammlung. 
Die  beigefügten   Gedichte  und   Briefe  von  und  an  Wimpfcling  dürften 
t>ei  der  Willkür  ihrer  Aitsu-ahl  nlchl  gceigneJ  sein,  ein  klares  Bild  der 
PeraÖnl ichkeil  zu  geben. 

Magdeburg  O,  Liebe, 

H.  Si«li<rt,  Das  Tanzwunder  zu  Kölbigk  und  der  Berahurger 
Heil'gc Christ.  Festschrift  des  BcrnburgerQeschichlsvcreins.  Leipzig,  1902, 
Siebert  <IS  S.). 

Es  handelt  sich  um  den  frühesten  Fall  einer  jener  Gemüfskrank- 
hüten,  welche  durch  den  unlieimlichcii  Trieb  der  Nachahmung  die  Volks- 
massen des  Mitlebllers  in  ihren  Bann  schlugen,  der  Tanzwul,  von  Hecker 
ausführlich  behandelt  und  von  Meinardus  zur  Erklärung  der  Hameter 
Rattenfängersage  herangezogen.')  Der  Vorgang  wird  von  der  Magdeburger 
Schöffenchronik  ins  Jahr  t02ft,  von  Lambert  von  Hei^fcld  1038  geseUt. 
Hat  E.  Schröder  von  letzterem,  dem  ältesten  Zeugnis,  ausgehend  der 
literarischen  Entwicklung  der  Sage  eine  gründliche  Unleisuchnng  gewidmet 
(Zischr.  (.  Kirchengesch.  ISMf»),  so  will  S.  der  volkstümlichen  Fortbildung 
nachgehen.  Wie  bereits  Hecker  sieht  er  in  dem  Priester  Rodberl,  dessen 
Ruch  den  in  der  Christnacht  vor  der  Kirche  geübten  Tanz  fortdauern 
ließ,  die  Urform  de«  Knecht  Ruprecht  und  stützt  sich  dabei  auf  die 
vollomillige  Redewendung  vom   Benibiirger  Heil'gen  Christ.     Indessen 


q  Zbdir.  <t.  hlit  Verdiu  I   NitderuchMU  isa;. 


i 


0.  Pfaif.SJ.,  Hermann  von  Matlinckrodt.  Geschichte  seines  Lebens. 
2.  Aun,    Mit  11  Abbildungen.    Freiburg  i.  Br,  Herder,  19ot  (XI,  5!l  S.). 

Gleich  der  1899  im  selben  Verlage  erschienenen  Biographie  August 
Reichcnspergers  von  Pastor  feien  auch  diese  in  erster  Unie  den  streitbaren 
Führer  der  Ultramontanen  und  Mitbegründer  des  Zentrums,  wodurch  an 
vielen  Stellen  der  Widerspruch  poUlischer  Anschauungen  herausgcfordeit 
wird.  Wie  jene  ist  sie  aber  von  Wert  durch  die  ausgiebige  Benutzung 
von  Briefen,  die  ihr  stellenweise  Meuioireiicharakler  verleiht  und  zahl- 
reiche Einzelzüge  zur  Kenntnis  der  Zustände  beisteuert.  Der  Vorzug  des 
preußischen  Verwaltungsbeamten.  Land  und  I^utc  der  verschiedensten 
Gegenden  gründlich  kennen  zu  lernen,  hat  schon  manche  anziehende 
Selbsfbiograpliie  gezeitigt  (z.  B.  die  von  Ernst liausens)  und  auch  M.s  Briefe 
bieten  eine  Fülle  scharfer  Beobachttingen,  denen  ein  starker  Heimata- 
und  Familiensinn  einen  wohltuenden  Hintergnind  gibt.  Freilicti,  neben 
den  kalhoüschen  und  den  westfälischen  Interessen  treten  die  nationalen 
zurflck  -  ein  charakteristisches  Beispiel  für  die  Richtung  des  Ultramonts- 
nismiis,  der  nur  Individuen  kennt,  keine  Völker.  Der  Schwerpunkt  des 
Buches  liegt  natürlich  in  der  porlimcnlarischen  Tätigkeit,  deren  Einfluß 
(ein  aus  M-S  Charakter  hergeleitet  wird.  In  anerkennciiswerler  Weise  be- 
tont die  Darstellung  neben  dem  polemischen  Element  d^  versöhnliche, 
das.  seine  Oeniütseigenschaften  ihn  auch  im  Kampfe  nie  verleugnen  ließen. 

Magdeburg.  G.  Liebe. 


I 

I 

I 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


Tn  den  „Anna.!cn  der  Nalurphüosophie",  Band  II,  veröffentlicht 
K.  Liiniprecht  eine  imprünglich  für  den  2.  Ergänzungsband  seiner 
•Deutschen  Geschichte"  bötimmte  Abhandlung  «Über  den  Begriff 
der  Oeschiclite  und  i'ibcr  Itislorische  und  psychologisdie  Gesetze', 
die  in  der  Hauptsache  eine  neue  Variation  ober  das  Thema  -Kultur- 
stufen" und  eine  Betonung  der  von  Lampredit  als  das  „wissenschaftlich 
Wcsentliclistc'  in  jenem  Band  aiisesehcnen  I'sydiisierung  der  Wirlschafts- 
stufen  darstellt. 

In  den  .Jahrbüchern  fflr  Natinnalökonomic  und  Stati&lilc,  IM.  Folge, 
B(1.2&(Nov.)  Lind  27  (Jan.)  beginnt  Rieh,  Thiirnvrald  eine  Abhandlung 
Über  iiStaot  und  Wirtschaft  in  Babylon  zu  Haminiirabis  Zeit"  zu  vcr- 
Wf entliehen.  Er  "rill  auf  Qrund  von  H.  Wincklem  Übereetzung  zusammen- 
fassen, was  mit  einiger  Sicherheit  unmittelbar  aus  dem  Gesetzeswerke 
abgeleitet  werden  kann.  „Zur  Ergänzung  wurde  auch  die  Brief-  und 
Kontraktliterattir  aus  altbabylonischer  Zeit  herangezogen.*-  .Die  große 
Bedeutung  des  Gesetzeswerkes  besteht  darin,  daB  wir  hier  zum  ersten 
Male  in  eine  große  geschlossene  systematische  Ordnung  der  L-ebcnsvei- 
hältnisse  eines  alten  wohloi^nisicrtcn  Staatswesens  Einsicht  erlangen,  eines 
Volkes,  das  teilweise  zu  unseren  loilturelleit  Vorfahren  zu  ^hlen  ist."  Es  ist 
also  auch  der  Gesichtspunkt  der  Kulturbeeinflussung,  unter  dem  Thum- 
walds  DarsteUung  Interrase  haben  wird,  obgleich  sich  die  Arbeit  selbst 
nur  anl  die  Schilderung  der  babylonischen  Vcrliältnissc  -  und  Harn- 
munit>ls  Zeit  ist  eine  Biatezeit  der  babylonischen  Kultur  -  beschränkt. 

titwas  verspätet  verweisen  wir  auf  eine  nicht  üble  vergleichende 
Kultur^ludie  von  M.  Siebourg,  L&ndliches  Leben  bei  Homer  und 
im  deutschen  Mittelalter  (Rheinisches  Museum,  N.  F.  57,  2). 

Das  Novembcrhefl  der  Theologisch  Tijdschrift  bringt  einen  auch 
kuhuTgeschichtUch  bcachlcnswerten  Beitrag  von  G,  Visser,  Humor  en 
godsdienst  in  de  middcieewvren. 

Von  dem  bekannten  Werk  L.  Pastors,  Geschichte  der  Papste 
seil  dem  Ausgang  des  Mittelalters  (Freiburg  i.  Br.r  Herder)  ist  so- 
eben Dd.  11  (Geschichte  der  Päpste  im  Zeitalter  der  Renaissance  von  der 
Thronbesteigung  Pius'  II.  bis  zum  Tode  Sixtus'  IV.)  in  3.  und  i.,  viel- 


i 


2S6  Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 

fach  umgearbeileter  und  vermehrter  Auflage  erschienen  (IJC,  S16  S.).  Die 
seil  1S94  erschienene  Uleratiir  ist  natiirgcmäß  lierangczogen ,  abtr  auch 
neues  archivalische«  Maleriat.  In  erstercr  Beziehung  ist  insliesondere  den 
kunstgeschlchtlicheit  Absduiittcii  des  Bandes  das  von  Pastor  sehr  anerkannte 
Werlt  Sldnmanns  ütter  die  Sixtinische  Kapelle  zugute  gekommen.  Doch 
bleibt  Paslor  bei  dessen  Erldärmigcn  der  Fresken  nicht  immer  stehen,  er- 
gänzt sie  auch  teilweise.  Geistes-  und  Kimslgeschiclite  finden  in  diesem 
Bande  sowohl  in  dem  Kapitel  über  Pins  11.  iind  die  Rcnai<sance  wie 
namentlich  eben  in  demjenigen  über  Sixtus  IV.  atä  Forderer  von  Wisscn- 
achaft  und  Kunst  ihre  ReclinunK.  Mit  Recht  vergleicht  der  Verfasser 
Sixtus'  Bedeutung  für  Rom  mit  derjenigen  deä  Coäinio  de'  Metlici  fiir 
Floren2.  Auf  geiüte^gescliiclitlicheiii  Gebiet  ist  sein  Hauptverdienst  die 
Neugründung  und  Eröffnung  der  Vatikauischen  Bibliothek.  Weit  mehr 
aber  als  die  Literatur  hat  er  beicanntermaßen  die  Kunst  gefördert,  die 
unter  ihm  ihren  Höhepunkt  in  dem  Rotn  des  1;.  Jahrhunderts  erreichL 
Was  jenen  Freskenzykliis  der  Sixtiniurhen  Kapelle  angeht,  so  findet  P.  in 
ihm  neben  der  Ausgestallimg  der  Idee  der  dreifachen  Gewalt  der  Rlpste 
als  zweiten  Onindgedatiken  den  »in  der  Glaubenslehre  des  Alten  und 
Neuen  Bundes  tief  begründeten  Satz  von  der  Notwendigkeit  einer  recht- 
mäßigen Berufung,  Sendung  und  Vorbereitung  zur  Ausübung  der  Befug- 
nisse des  heiligen  Amtes".  Anzuerkennen  ist  das  Streben  des  Verfassers, 
Einwürfe  von  Kritikern  ^u  prüfen  und  auch  zu£ueet>cn,  Nt-ic  überhaupt, 
z.  B.  in  der  Charakteristik  Sixtus'  IV.,  der  Verfasser  sichtlich  objektiv  zu 
urteilen  bentßht  ist.  .Auf  den  mit  größleni  Fleill  gearbeiteten  diploniatisch- 
politisch-historisetien  und  kirchenhislortschen  Hauplteil  des  Bandes,  gehen 
wir  hier  nicht  ein. 

Aus  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheina,  N.  F.  1S,4, 
notieren  wir  die  Abhandlungen  von  O,  Winckclmann,  Straßburgs 
Verfassung  und  Verwaltung  im  16.  Jahrhundert  und  von  F.  Breining, 
Bruchstücke  der  allen  Sladlordnnng  von  Besigheim. 

Von  der  in  der  »Zeibchrifl  für  Kulturgeschichte"  bereits  M'ieder' 
holt  erwähnten  Arbeit  Otto  Rieders  über  -Die  vier  Erbäniter  des 
Hochstifls  Eichstätf  (im  »Sainmelblatt  des  histonächen  Vereins  Eich- 
slätt')  liegt  eine  Fortsclzung  vor.  Nach  Erbmarschallamt  und  ErbkAin- 
mereramt  wird  in  der  früheren  verdienstlichen,  gründlichen  Weise  nunmehr 
das  Erbsclienkenaint,  über  welches  die  Nachrichten  ilbrigens  in  eine  frühere 
Zeit  zurückgehen  als  fiber  jene,  in  seiner  Entwicldung  verfolgt,  zunSrhM 
bei  den  Schenken  von  Arberg,  dann  in  der  Eybselien  Familie  (seit  1S5J). 

Unter  dem  Titel:  »Die  älteste  Heimatkunde  Wcstfalcns- 
würdigt  Julius  Pistor  in  dem  ..Orcnztwtcn "  Nr.  äo  das  Werk  Wemer 
Rolevinks  .De  laude  veteris  SüxontBc.  nunc  Westphaliae  dictae",  die  eine 
Landes-  und  Volkskunde  aus  der  Zeit  des  trühhumanismus  darstellt,  und 
gibt  in  einzelnen  Zügen  ein  flild  von  dem  kulturgeschichtlich  zwar  nichl 
erschöpfenden,  aber  wertvoltcn  Inhalt  desselben. 


I 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


I 


O.  Hasscbrauk  schildert  im  . Braunschweigischen  Magazin", 
1903,  Nr.  ;/S  Das  Volkslebi^Ti  in  der  Sladt  BraiinschweiK  am  Vor- 
atxnd  de  30jiihngen  Krieg«,  riiin  r<il  nach  neuen  Quellen. 

Reclit  anziehende  »Bilder  aus  dem  häuslichen  und  gesel- 
ligen Leben  Stralsunds  in  der  nachrefonnatorischen  Zeit  \2.  Hälfte 
des  XVI.Jalirhiinderts)"  veröffentlictit  Max  Israel  in  den  „Pomracischen 
[ohrbüchem"  Kl.  Ls  hi  ein  lebendig  achildemdcr  Vortrag,  der  nach  dem 
von  Zober  herausgegebenen  „Tagebuch  des  BOrgeriiieisJer^  Nicolatis 
Oentzkow  Haus  und  Geselligkeit  und  auch  die  Menschen  der  Zeit  wieder 
aufleben  zu  lassen  sucht.  Kann  er  uns  Fachmänner  anregen,  die  Quelle 
selbst  einmal  melir  heran  zuziehen,  so  mag  er  andern  als  gutes  Beispiel 
zur  Nachachtung  empfohlen  sein,  um  Laien  durch  Vorträge  kultur- 
hi$torisch  zu  interessieren. 

Die  Edinburgh  Review  No.  ■las  (July  1903)  bringt  einen  Essay 
über  .London  and  ils  people  in  the  18*  Century." 

VO'n  einigen  biographischen  Beiträgen  bietet  ein  ältere  Zeiten  be- 
treffender für  unsere  Zwecke  nur  wenig,  die  von  O.  Som  merlcldt  nach 
einer  Krakauer  Handschrift  veröffentlichte  lateinlsclie  »LeLchenprcdigC 
des  Magisterü  Matthias  von  Liegnitzauf  den  Tod  des  Prager 
Erzbischofä  Johann  von  Jenstein"  ft  1400),  wenn  dieser  auch  als 
Kirchenflirsl  wie  als  Gelehrter  bedeutend  hervorgetreten  isl. 

Im  .,He!aenland",  XVII.  Jahrg.,  Nr.  22/2i  veröffentlicht  K.  Knctsch 
die  .Selbstbiographie  des  Johann  Sigmund  Arend,  hessisch.  Berg- 
und  Hütteninspeklors  und  Amtmanns  zu  Nentershauscn"  Die  Bio- 
graphie reicht  nur  bis  17:38  und  enthält  interKsante  Mitteilungen  über 
die  Studien-  und  (damals  als  Bildungsmittcl  obligatorischen)  Reisejahrc 
sowie  über  die  Bcamtenzeii  des  Verfassers  und  sein  Kamilienleben. 

Nicht  ohne  IntcrcBe  auch  fiir  uns  sind  die  Mitteilungen  H.  Funchs 
in  der  nZeitächrift  für  die  C^chichte  des  Oberrhcins",  N.  F.  18.4  über 
-Lavalers  Aufzeichnungen  über  seinen  Aufenthalt  in  Karls- 
ruhe im  Jahre  17S2"  nach  einem  in  der  Züricher  Sladtbibliothck  befind- 
lichen Tagebnch, 

Zur  Geschichte  des  Erziehung«-  und  Bildungswesens  ist  vor  allem 
die  von  allgemeinen  Gesichtspunkten  getragene,  tiefer  gräfende  Abhand- 
lung P.  Barths:  «Die  Geschichte  der  Erziehung  in  sozio- 
logischer Bedeutung"  (Vierteljahrsschrifl  für  wissenschaftliche  Philo. 
Sophie  27,  1/2)  zu  erwähnen,  Wir  hoffen,  nach  ihrem  Abschluf!  darauf 
zurückkommen  zu  können,  —  In  dem  i  Jahresbericht  des  ^JiibilSums- 
Rcalgymnasiunis  in  Korneuburg  Hos-  beginnt  Gustav  Strakosch- 
Oraßmann  eine  gröfiere  Arbeit  über  ^Erziehung  und  Unterricht 
im  Hause  Habsburg".  Er  unterscheidet  eine  Periode,  in  der  die  Habs- 
buiger  eine  vorwi^cnd  deutsch-österreichische  Familie  sind  und  ihre 
Kinder  durch  einheimische  Schiilnieis.ter  mehr  oder  minder  nach  dem 
S'orbilde  berühmter  Pädagogen  Italiens  unterrichten  lassen,  eine  zweite 


{1478-1519),  in  der  die  Habsburger  im  wesentlichen  als  ritterliche  Fran- 
zosen herangebildet  «-erden,  eine  dritte  (i51<)— 1586),  in  der  der  deutsche 
Humanismus  die  Ausbildung  der  Erahenoge  beherr^hl,  und  Btie  vierte, 
in  der  die  Jesuiten  und  eifrige  katholische  Aristokraten  die  Erziehung 
leiten.  Die  «hr  fleißige  Arbeit  verdient  alle  Beachtung.  —  Die  Zeit- 
schrifl  für  die  Geschichte  des  Obenrheins.  N,  F-,  is,^  enthält  einen  Bei- 
trag von  L.  Pfleger  »Aus  der  Studienzeit  des  Markgrafen 
Philipp  II.  von  Baden".  -  Einer  auch  sonst  bestätigten  Zeilrichtung, 
der  beginnenden  Kavalierkultur,  entsprechen  die  Absichten,  von  denen 
M.  Thamm  im  Pädagogischen  Archiv,  45.  Jahrg.,  Heft  tt  berichtet: 
nlnstitute  für  Edelknaben  und  Edelfräulein  gcplani  zu  Hei- 
delberg 1393".  —  Mit  einem  n&clt  kaum  behandelten  Stoff,  nämlich 
dem  Waldbnider,  dem  Klausner  als  Lehrer,  beschäftigt  sich  die  Arbeit 
Joh.  Heigenmoosers,  .Eremitenschulen  in  Altbayern-.  Ein  Bei- 
lrag zur  bayrischen  Schutgeschichte  im  IS.  Jahrhundert  (Texte  und  For- 
schungen zur  Geschichte  der  Erachung  usw.  VEI.  Berlin,  A.  Hofmann 
&  Co,,  t<*OJ).  Auf  umfassende  archivaüsche  Forschungen  namentlich  ge- 
stübtt,  bespriclit  der  Verfasser  S1  Eremitenschulen  in  Oberbayem,  45  in 
NietlETbayem  und  Oberpfalz,  nachdem  er  zunächst  allgemeines  über  die 
Schultätigkdl  der  Eremiten  tiis  zu  ihrer  Aufhebung  gebracht  liat.  Im 
weiteren  charakterisiert  er  Schulen  wie  Lehrer,  deren  Bildung  z.  T.  größer 
als  die  der  sonstigen  Landlehrer  war.  Der  Verfa^i^cr  meint  ihre  Tätigkeit 
wenigstens  für  das  bayrische  Volk  im  18.  Jahrhundert  als  verdienstlich 
hinstellen  zu  sollen.  —  Als  .Bayern-Hcfl"  stellt  sich  auch  das  neue  Heft 
(XIII,  4)  der  .Mittellungen  der  GesellschafI  fOr  deutsche  Er- 
ztehungs-  und  Schulgeschichte-  dar.  Wir  heben  darai^s  die  Ab- 
handlung von  Siegmund  Günther,  ™  Geographischer  Unterricht  an  einer 
deutsehen  Hochschule  [Erlangen]  des  tS.  Jahrhunderts"  und  diejenige  von 
Onrg  Lan,  „Zur  Geschichte  der  bayerischen  Schulrcformation  in  der 
A ufkürungsepoche*  hervor.  Bei  Iclzterer  handelt  es  sich  einmal  darum, 
wie  weit  die  Schulordnungen  dieser  Zeit,  besonders  die  vom  Jahre  1774  zur 
Geltung  und  tatsächlicher  Anwendung  kamen,  und  sod-inn  darum,  welche 
Persönlichkeit  unter  den  Gegnern  Brauns  eigentlich  die  Führung  hatte. 
Als  solche  wird  der  hinter  Bucher  stehende  Lori  hingestellt.  HättRer 
druckt  einige  Aktenstücke  aus  dem  Würzburger  Krci&archiv  ab,  die  -Kart 
Theodor  Freilierm  von  Dalberg  als  Voreitzenden  der  Schulkommtssion 
für  das  Hochstift  Würzburg"  zeigen.  —  »Unser  EgcHand"  {VII,  Nr.  S/6) 
bringt  einen  Beitrag  von  Hetsinger  „Aus  der  Sehulgetehich te  des 
EgerUndes." 

M.  Harrwitz  in  Berlin  W.  iS  versendet  einen  Antiquanats-Katalog 
No.  87:  Zur  Geschichte  des  Kalenders,  der  eine  ganze  Sammlung 
dieser  namentlich  kulturgeschichtlich  interessanten  Druckwerke  entli&lt 

In  dem  Jahresbericht  des  Oymna,siums  zu  Dortmund  1S03  ver- 
öffentlicht P.  Sartori  eine  ziemlich  umfangreiche  Abhandlung  über  >Dit 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


Speisung  der  Tote«".  Sie  lümmt  in  der  Pflci^  der  Toten,  die  auf 
der  Vorstellung  eines  Weiterlebens  der  Seele  beruht  und  sicli  in  irgend 
einer  Gestall  überall  findet,  den  ersten  Platz  ein.  Sarlori  will  die  mannig- 
fnclien  Formen  der  Tolenspeisung  in  Beispielen  zusammenstellen  und  er- 
klärend beleuchten.  Er  unterschddet  die  Pflege  der  einzelnen  Seele,  die 
sich  schon  vor  der  Bestallung,  \reiler  in  der  Mitgabe  von  Speisen  an 
Tote,  im  Leichenschmaus  der  Hinterbliebenen  und  in  der  forldauernden 
Speisung  der  Toten  äußert,  und  die  Allersttlenpflege  (durch  gelegentliche 
Speisung  oder  eine  solche  zu  bestimmten  Zeilen).  Daß  die  Hinterbliebenen 
die  Speisen  veraehren,  soll  übrigens  den  Toten  zugute  kommen.  Es  gibt 
aber  auch  die  ettenfalls  von  Sarlori  besprochene  Form  des  Traucrfastens 
zugunsten  der  Toten.  Sartori  fügl  endlich  Erörterungen  über  die  Vor- 
stellungen »wie  die  Toten  essen"  und  über  den  »Übergang  der  Oatwn 
an  Tote  in  Opfer  für  Tote-  hinsu.  Die  fleißige  Matcrialsammlung  wird 
um  so  %'iilkommener  sein,  als  die  Einzelheilen  mit  ruhigem  Urteil  gruppiert 
und  erörtert  werden, 

Eduard  Wiepens  Büchtein:  Palmsonntagsprozession  und 
Patmesel,  eine  kiillur-  und  kiinstgeschichHich-volksltundlichc  Abhand- 
lung 2um  Kölner  Palmesel  der  kunslhislorischen  Ansstellung  zu  Düssel- 
dorf 1^02  (Bonn,  P.  Hanslein),  behandelt  ein  Thema,  über  das  zuletzt 
V.  Strele  eingehend  und  anregend  geschrieben  liat.  Wiepen  will  auch 
diese  Arbeil  und  eine  früüiere  Stückelbergs  mehr  ergänzen,  anderseits  sein 
Thema  entwickln ngsgcsdiichtlich  behandeln  und  ihm  möglichst  vielseitige 
Besiehungen  abgewinnen.  Die  Anregiing  gab  ein  geschnitzter  PalmeseJ  der 
Sammlung  Schnütgen  auf  jenei  AussteUung.  Wir  weisen  biesonders  auf  den 
kulliiigeschicbtiichen  Abschnitt,  der  die  Sitte  im  allgemeinen  und  in  Köln 
im  bcsondcni  behandelt,  wie  auf  den  voJkskundlichen  hin,  der  die  Um- 
wandlung des  kirchlichen  Gebrauchs  in  einen  Volksbrauch  und  das  Ein- 
dringen de5  Palmescls  in  die  Volkssprache  zum  Gegenstand  hat  Das 
Hauptergebnis  der  Arbeit  i5t,  daß  der  Palmesel  ehemals  auch  in  Nopd- 
deulschland  viel  weiter  verbreitet  gewesen  ist,  als  man  bisher  annahm, 

E.  Hoffmann-Kraycr  behandelt  im  Schweizeribchen  Archiv  fOr 
Volkskunde  VII  die -Nciijahrslcicr  im  alten  Basel  und  Verwandtes-, 
sucht  durch  Quellenstudium  den  Ursprung  der  einzelnen  Bräuche,  des 
Herumsingens,  der  Maskeraden,  Owchenksitten  usw.  fesiziislellen  und 
weist  n.  a.  gegenüber  der  Sucht,  alles  auf  das  germanische  Heidentum 
zurfiekzuftihren,  auf  den  auch  unseres  Erachtens  nie  lu  überschätzenden 
Einfluß  der  römischen  Provinmlkullur  filr  manche  Dinge  hin. 

•Japanische  Qeschenksitten'  schildert  E.  Schiller  in  den 
•  MitleiUmgen  der  deut^hen  OesellschafI  für  Natur-  und  VölkcFkunde 
Oslflsiens-  IX. 

Hagedorn  veröffentlicht  aus  dem  Lübecker  Staatsarchiv  ein  höchst 
interessantes  Einladungsschreiben,  das  die  Armbrustschätzen  der  Stadt 
Strasburg  zu  einem  im  Juh  147J  abzuhaltenden  Schießen  ergehen  ließen. 


A_^         L 


260  Kleine  Miltdiungen  und  Refenlc- 


(«Das  StraßbuTgcr  Scliützen[c5(  von  1 473"  in  .Jahrbucli  für  Ge- 
schieht*, Sprache  und  Literatur  Elsaß-Lot liringetis").  Die  genauen  Angaben 
über  die  Ordnung  des  Schidiens,  über  die  Preise,  über  deii  Glücksh^fcn, 
und  ein  Pferderennen  sind  um  so  wertvoller,  als  «'ir  ähnlich  delaülierle 
Mitteilungen  sonst  erst  aus  detn  t6.  Jahrhundert  haben,  z.  B.  über  den 
groJien  Nürnberger  Olöckshafen  von  1579. 

■Die  Handfeste  des  Passargekrugs  bei  Liebsladt  vom 
Jahre  1394*  bringt  G,  Sommerfeldt  in  der  Alt  preußischen  Monats- 
schrift, Bd.  59.  Heft  l/n  nach  einer  Abschrift  des  17.  Jahrhunderts  im 
Königsberger  Staatsarchiv  jiim  Abdruck  «iid  fügt  daran  Notizen  über 
einen  späteren  Rechtsstreit  des  PassargekrCgers  Sommerfeldt  bezüglich 
seiner  Brau-  und  Schankgerechtigkeit. 

In  den  Wririlemberg.  Vierteljahrsheflen  ffir  Landesgeschichle  N,  F.  S, 
Beilage,  findet  sich  eine  Mitteilung  v.  Sfettcns:  Spiclmannsordnung 
von  Kocherstetten  1797. 

.Der  Kachelofen  in  Friitkfurl"  betitelt  sich  «n  auch  als 
Sonderabdruck  pischieneiier  Beitrag  Ollo  LauElers  zur  Festschrift  zur 
Feier  des  2Sj5hrigen  Bestehens  des  Städtischen  Historischen  Museums  in 
Frankfurt  a.  M,  Zunächst  wird  für  die  ältere  Zeit  meist  an  der  Haind 
vcm  Stücken  des  Frankfurter  Museums  die  Ttötperliche  Gestaltung  der 
Kachel  in  der  allgemeinen  Entwicklung  verfolgl;  unter  anderem  wendet 
er  sich  gegen  Meringers  Vermuiung,  daß  zwischen  römischem  Wölblopf 
und  deutscher  Kadiel  eine  direkte  Verbindung  besteht.  -  Dann  folgt 
nach  einer  Ctbersicht  über  die  äußeren  Verhältnisse  des  Hafnerhand wcrlcs 
in  Frankfurt  die  Schildening  der  in  Frankfurt  üblichen  Ofenformen  und 
die  Darstellung  der  kunstgewerblichen  Ausgestaltung  der  speziell  Frank- 
fiirtischcn  Kacheln.  Auch  sie  haben  aber  in  ihrer  Fonnenentwicklung 
und  ihren  Qualttitten  ein  allgemeinere  Interfsse, 

The  gardens  of  ancicnt  Rome  and  whal  grew  in  thcra  betitelt 
»ch  ein  Beitrag  J.  O.  Qodards  in  The  Nineleenlh  Cenlur>',  Odober. 

Ü.  Caro  unterzieht  in  den  Deutschen  Oeschichtsbl altern  (VI,  10) 
den  Betriff  der  «Hufe"  einer  Revision  und  betont  die  Unmöglichkeit, 
frühere  und  spätere  Entwicklnnyszeilen  bei  ihr  gteichzuselzen.  Für  das 
\on  ihm  schon  mehrfach  bearbeitete  Gebiet,  den  Südwesten  in  karo- 
lingisdier  Zeit,  lehnt  er  den  Begriff  der  Hufe  als  des  normalen  Grund- 
besitzes des  Freien  ab. 

VC.  Bnichmßllcrs  ansprechende  Abhandlung  „ZOge  märkischen 
Bauernicbens  vergangener  Zeiten*  (Nfttd  und  Süd,  Heft  322>  beschränkt 
sieb  auf  die  Zeit  nach  dem  DreifliEJülingen  Kriege.  Nach  D.iretellung 
der  allgnneinen  Reclilsvcrhähnissc  der  Bauern  jener  Zeil  wird  das  ge- 
wonnene Bild  durch  EinKizüge  aus  dem  Leben  der  Bauern  in  einigen 
Dfirfern  d«  Crossenschen  Kreises  in  der  Nciimark  lebensvoller  gestaltet. 
Dm  Material  entstammt  den  Ifarrarchivcu  der  Dürfer.  Übrigens  fällt  bei 
der  Arbeit  auch  etwas  für  die  Geschichte  der  Vornamen  ab. 


KIdae  Mitteilungen  und  Referate. 


In  der  Zeitschrift  «LabibliofiHa-  V.  7/5  findet  sich  eine  Milteitung 
von  E.  Spadolini,  Lo  sUliito  de'  eaizolari  in  Ancona  [1S6S). 

Aus  dem  Anzeiger  für  schweizerische  Oeschiclile,  XXXIV,  Jahrg. 
No.  4  erwähnen  vnr  den  Beitrag  von  O.  Caro,  Ein  Basier  Kaufmann 
in  Genua  1216. 

A.  Tilles  Aufsatz:  Leipzig  im  Weltverkehr  (Die  Zukunft, 
XII.  Jahrgang,  No.  15)  gibt  eine  Übersicht  ülwr  die  Handelsgeschiclitc 
Leipzigs,  das  grölicre  Bedeutuni;  etwa  um  139ü  erhält 

in  der  .i Viertel] ahrsschritt  fflr  Sozial'-  und  WirtscJiahsgeschichte". 
hd.  1,  Heft  2  behandelt  Johannes  MQMcr  untcf  Heranziehung  neuen 
aichivalisclien  Materials  .den  Zusanimeiibriich  des  Welserischen 
Handelshauses  im  Jahre  IftH-,  der  besonders  lehrreich  durch  die 
Art  seiner  Entstehung  ist,  Irotzdetn  es  sich  nur  um  den  .,2usammenslut3 
eines  in  seinem  Kern  längst  verfaulten  Banmes"  handelt. 

Im  ,. Hessenland",  Jahrgang  XVÜ,  No,  isff,  handelt  L  Armbrust 
nach  Melsunger  Amtsredinungon  und  Gcldr^istern  der  Mekungcr  Schull- 
hdBcn  {beide  im  Marburger  Staatsarchiv)  über  »Geldeswert  und  Geld- 
bußen im  15.  Jahrhundert"  und  bringt  zunächst  Notizen  über  r*reisc. 

In  den  ■Beiträgen  jur  Geschichte  der  Stadt  Rostock-,  III.  4  teilt 
E.  Dragendorff  die  -Rechnung  des  Ratsherrn  Andreas  Schmal' 
bach  wegen  seiner  Reise  nach  Halle  und  Wolfenbüttel  im  Jahre 
ibbO'  mit. 

Die  interessante  Studienreihe  des  Vicomte  G.  d'Avenel  Lc  mhs.- 
nisme  de  l.a  vie  moderne  wird  in  der  Revue  des  deux  mondes  (1"  f^ 
vricr  1103)  mit  einem  Artifeel  (iber  .Les  moyens  de  transports  ur- 
bfliiis"  fortgesetzt. 

Zur  Geschichte  der  Medizinalverhältnisse  früherer  Zeiten 
Ingen  die  Aufsätze  von  ff.  Braun,  Hessische  Medizinalvcrhältnisse  im 
18.  Jahrhundert  (Hcsscnland  IMä,  No.  8— ii),  der  sich  anf  die  unter 
Landgraf  Friedrich  H.  erlassene  Mcdizinaiordnung  stützt,  Claes,  Die 
MalJnahmen  zur  Bekämpfung  der  Pest  in  Mtihlhaiisen  1683  (Mrihlhäuser 
Geschieh tsbEälter,  4.  Jahrg.),  f.  Speakman,  Mediaeval  hospitals  {The 
Dublin  Review,  October),  sowie  eine  Reihe  französischer  Arbeiten  bei: 
LamouzHe,  Quclqura  documents  in6dils  sur  les  chirurgicns-barbicr^  de 
Toulouse  (30.  Bulletin)  de  la  sociöe  archiologli:]ue  du  midi),  V.  Nicaise, 
Chirurgieiis  ei  barblcrs  aux  13<  et  H*  siHcs  (Bulletin  de  la  soci^ti  frant. 
d'histoire  de  !a  medecine  1902),  E.  Boutineaii,  Maure  mWicales  en  Tou- 
ralnc  au  t7cslfde.    (Ebenda,) 

J.V.Ncgelein  behandelt  im  Globus,  Bd.  LXXXIV.  No.  22,  .Die 
Stellung  des  f^erd«  in  der  Kulturgeschichte." 


r% 


Bibliographisches. 


O.  Frtytag.  Vermischte  Aufsätze  ans  tlcii  Jahrcti  1848—18*4.  Hrsg, 
von  Emst  Eisler.  II.  Bd,  Leipzig  (XIII,  45b  S.).  -  L.  Waüis,  An  CKami- 
nalion  of  sociely  from  Ihe  Standpoint  of  evolittion.  Coluiiibus  (Ohio) 
(i27  p.)  —  £.  Drtrup,  Homer.  Die  Anfängt  der  liellenisdien  Kultur 
(Weltgeschichte  in  Charakterbildern.  I.  Abteil.)  München  (IV,  146  S.)  - 
K-  Lampreckt,  Deutsche  Geschichte,  1.  Abt.  2  Bd.,  i.  duichgcs.  Auflage. 
Berlin  (XVII,  411  S.)  —  O.  liennf  am  Rhyn,  Kiiltiirgesch.  des (Jeulschcn 
Volkes.  3.  Aun.  3.  u.  4.  (SchluO-l  Halbband.  Berlin.  —  Das  dcuteclie 
Volkstum.  Unter  Milarbeit  von  H.  Helmoll,  Alfr.  Kirclihoff  usw.  hrsg. 
von  Hans  Meyer.  2.  Aufl.  Teil  I,  II.  Leipzig.  (VIII,  402  S.,  I  Kanc. 
20  Tat.;  VI,  15S  S.,  25  Tai.)  —  C.  Hessler,  Hessische  Landes-  u.  Volls- 
kimde  Bd.  IL  Hessische  Volkskunde.  Marburg  (XVL  f)ö2  S.)  —  t.  Ä/tt, 
Die  ältere  Geschichte  des  Vestes  und  der  Stadt  Recklinghausen.  Di». 
Essen  (VIII,  1H4  S.)  —  H.  Eiekhoff,  Geschichte  der  Sladl  und  Gemeinde 
Gütersloh.  Gütersloh  (VIII,  J2?  S.)  -  Aä.  Kober,  Studien  zur  mittelalt. 
Geschichte  der  Juden  in  Köln  a.  Rli.,  insbes.  ihn»  Onindbcsitzcs  I.  Diss. 
Breslau  (41  S.J  -—  H.  Carstens,  Wanderungen  durch  Dithmttndien  mit 
geschichllichen,  altertumstcundllchen  und  volkskundlichen  Bemerkungen 
und  ErlSulerungen,  Lundcn  (IV,  140  S.)  —  O.  Wiligerotk,  Bilder  aua 
Wismars  Vergangenheit.  Wismar  (VI,  365  S.)  —  Bruno  Schumacher, 
Niederländische  Ansiedelungen  im  Herzogtum  Preußen  zm  Zeit  Herzog 
Albrechls  (152S— 1568)  (Publik,  d,  Vereins  für  Gesch.  von  Ost-  u.  West- 
prcußcn).  Ldpdg  (XII,  204  S.)  —  A.  if^ispel,  Entwicklungsgeschichte  d. 
Stadt  Naumburg  a.  S.,  nebst  einem  Anhang.  Naumburg  (Vlll,  120  S.)  - 
M.  Oeser,  Geschichte  der  Stadt  Mannheiin.  Mannheim  (XII,  &76  S.)  — 
F.  Walter,  Friedrichsfeld.  Geschichte  einer  pfälzischen  Hugenottenkotonie. 
Mannheim  (III,  50  S-,  S  Tat.,  1  Karte).  —  E.  v.  Rodt.  Bern  im  1b.  Jahr- 
hundert. Bern  (IV,  IS6  S.)  —  Th.  Ortvay,  Geschichte  der  Stadt  Prcß- 
buig.  Deutsche  Ausgabe.  II.  Bd.  4.  Abt.:  Das  Familienleben  und  das 
matenclle,  intellektuelle  und  religiös-sittliche  Leben  der  Bevölkecung  der 
Stadt  IJOÜ— t52ö.  Pceßburg  (XV,  519  S.)  —  Quellen  ziir  Oewhichte 
der  Stadt  Wien.  IL  Abteilung.  Regesten  aus  dem  Archive  der  SiadI 
Wien.  J.  Band.  Verzeichnis  der  Original  -  Urkunden  des  städtischen 
Archives  nSß— 1493.  Bearbeitet  von  Karl  Uhlirz.  Wien  (VIII,  cSO  S.)  — 
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de  Ronen  (1^l02-1S^o).    Rouen  (331  p.) 


I 


II. 

II.  Ober  die  Herkunft  der  Kaufleute. 

Es  ist  bisher  im  allgemeinen  vermieden  worden,  die  Her- 
leunft  der  einzelnen  Kaufleule  näher  zu  bestimmen;  sie  wurden 
nur  schlechthin  als  Hansen  oder  als  deutsche  Kaufleule  bezeichnet. 
Es  dürfte  indes  doch  wohl  von  Interesse  sein,  den  Kaufleuten 
einmal  nach  Deulschtand  und  zwar  in  ihre  engere  Heimal  zu  folgen. 

Denn  wenn  sie  sich  auch  bisweilen  eine  ganz  beträchtliche 
Zeit  hindurch  in  England  aufhielten,  so  war  ihr  Verweilen  da- 
selbst stets  als  ein  vorübergehendes  anzusehen,  ihren  Wohnsitz 
hatten  sie  alle  in  Deutschland.*)  Hier  waren  sie  Bürger,  In  Eng- 
land nur  Händler,  die  entweder  die  heimischen  Erzeugnisse 
oder  die  Produkte  des  Ostens  vertrieben  und  dafür  englische 
Waren  und  englisches  Qeld  nach  Hause  brachten  oder  sich  am 
Zwischenhandel  zwischen  England  und  dem  Festland  beteiügten. 
Kehrten  sie  aus  England  in  ihre  Vaterstadt  zurflctt,  dann  ver- 
lauschten sie  den  ölgetränkten  Rock  des  Seefahrers  und  das  un- 
saubere Oewand  des  Handelsmannes,  der  selbst  mit  Hand  anlegt 
b«m  Export  von  OiJtem  und  Waren,  mit  dem  Mantel  und  der 
Schaube  des  ehrsamen  Borgers  oder  der  reichen  Amtstracht  des 
Ratsherrn  und  Bürgermeisters.  Gewiß  waren  sie  auch  daheim 
nicht  untätig,  aber  hier  war  ihre  Stellung  mehr  die  eines  großen 
Handelsherrn,  eines  Großkaufmanns,*)  der  es  verschmäht,  in  seiner 

1)  Ei  kam  natUrllrh  vor,  daß  s.lc  9li:h  tn  Lnndan  oArr  In  rlnri  indrrrn  >uill  du 
Börgerrechl  tmiboi  und  öisclüit  il«urnidcii  Aiulcnth»»  tuhnwn.  Vel,  Kunte,  Huue- 
iklm.  S.  XXV  n. 

*i  Oamll  totl  nicht  gcugt  Min,  daJI  *ie  alle  Oraßlutiflealc  In  unterem  Sinn  gcvcicn 
Wini  VkI  dir  (n1|;rndr  Sri<F  Kan\.  1  Cbrr  .OroOluuil«)'  vgl.  O.  v.  Bdov.  Oroßhindlo  und 
KWnIhtnilIrr  Iiti  Jnilichrn  .Miltdiltrf.  Cnnrtdi  Jahrbüchtr.  111.  FolgF,  IVOU,  Stf.  70  ÜTCitl- 
hindcl  und  Kleinhandel  gthtn  ilurchrlnindcl. 

Archiv  lOi  Kttllurg«Klilchte.    II.  17  " 


Handlung  die  Dienste  eines  Knechtes  zu  verrichten.  Drüben 
freilich  mag  es  ihnen  nicht  erspart  worden  sein.  Doch  gerade 
durch  Ihre  Anstrengungen  und  ihre  regsame  Tätigkeit  in  der 
Ferne  erwarben  sie  sich  jene  Mittel,  die  ihnen  daheim  zugute 
kamen.  Den  Reichtum  nämlich,  den  sie  aus  ihren  Handelsfahrten 
gewannen,  das  Geld,  das  sie  sich  durch  ihre  Geldgeschäfte  ver- 
dienten, alles  brachten  sie  in  ihre  Heimatsstädte.  Denn  wo  waren 
sie  eigentlich  her? 

In  den  nordwestlichen  Landschaften  des  deutschen  Kaiser- 
reiches, im  Gebiet  des  Mittel-  und  Unterrheins  und  in  dem  Mün- 
dungsbecken  von  Rhein,  Maas  und  Scheide,  etwa  da,  wo  sich  die 
franken  endgültig  nledei^lassen  hatten,  und  wo  schon  unter  den 
Karolingern  der  Sitz  der  Kultur  war,  entfaltete  sich  auch  das 
Städtewesen  am  frühesten  in  seiner  Bedeutung.  Während  im 
Innern  Deutschlands,  natürlich  noch  mehr  im  slawischen  Osten, 
ja  seltist  in  den  südlichen  Teilen  die  sogen.  Städte  eigentlich  nur 
größere  Dörfer  waren,  finden  sich  hier  schon  im  12.  und  in 
großer  Anzahl  dann  im  13.  Jahrhundert  völlig  durchgebildete 
Städte  mit  Stadtrecht,  regster  gewerblicher  Tätigkeit  und  vor 
allem  mit  ausgebildetem  Handel  und  weitreichenden  Handels- 
beziehungen. 

Gerade  der  Handel  ist  es,  der  der  Stadt  ihr  eigentümliches 
Gepräge  verleiht;  es  sind  Marktstädle;  die  Bürger  werden  schlecht- 
hin als  Kaufteule  bezeichnet,  wenn  sie  auch  nach  dem  Einkaufen 
so  genannt  sind,  aber  doch  ist  der  Sta^nd  der  eigentlichen  Kauf* 
leute  der  einflußreichste  und  mächtigste  in  ihnen.*) 

Unter  diesen  Städten  werden  nun  bald  wieder  diejenigen 
die  bedeutendsten,  die  sich  am  frühester  dem  Handel  im  Großen') 
zuwenden,  da  dadurch  das  Machtmittel  der  Stadt,  das  Geld,  ihnen 
im  reichsten  Maße  zugeführt  wird.  Dieser  Zufluß  an  Geld  hat 
einmal  zur  Folge,  daß  man  der  Verwaltung  und  Ordnung  des 


']  VbI.  R.  Schlüter.  Lchrbuclj  üct  dcutsEticn  Rechts gochiclite.  4.  Aufl.  5.  «ti  IT. 
hrt  lUCh  S.  RiclMhtl,  Markt  und  SUdt  lu  ihrem  fwMlichcii  VcrhiHni«.  ISW.  K.  Mtber, 
Entilchuns  der  VolluiclTUchilL  i.  Aun.  ivol.  S.  I3SII. 

>)  Ich  niAcht»  TQr  UMer«n  Zcllrauin  in[l  .OniBhanilFJ*  den  fcnihtnüel .  alw  d«n 
Hwidd  In  nCltirrKrlKhc-  ndrrwdt  mtfcml  liegende  Lindstiichc  unil  den  Importhandri  aus 
aiaen  bnrJchncn.  Ali  Kldnliaiidcl,  •KnunhindFl-.  wütde  lich  dinn  der  Hindtt  crecbcn. 
itei  nur  lür  dir  llrinrsUitaili  unJ  iJü)  nächstll tuende  platte  Luid  ifbclitl  und  Auf  dincm 
engen  Qrblel  dir  dureh  den  Üralihind»!  «injrtühfltn  Waren  und  Prudukle  itnieibt. 


Geldgeschäfte  hansischer  Katifleute  mit  «flglisch««  Königen.     267 


städtischen  Finanz-  und  Münzweaens*)  die  größte  Aufmerksamkeit 
zuwendet,  was  derOeldwirtschaft  zum  Durchbruch  verhilft.  Ferner 
hebt  er  den  Gesamtwohlstand,  und  auf  dieser  vorzüglichen 
materiellen  Grundlage  baute  sich  dann  die  reiche  Kultur  bei  uns 
auf,  die  ihren  Abschluß  fand  in  den  Werken  und  Schöpfungen 
der  sogen.  Renaissance. 

Was  hier  im  allgemeinen  gesagt  ist,  das  gilt  im  besonderen 
von  den  flandrischen  Städten,  die  in  unserm  Zeitraum  —  kulturell 
wenigstens  ^  ganz  zu  Deutschtand  gehören.  Welch  ein  reiches 
Gewerbs-  und  damit  Hand  in  Hand  gehend,  das  eine  das  andere 
befruchtend  und  fördernd,  welch  ein  bedeutendes  Handelsleben 
pulsierte  in  ihren!  Die  Handelsbeziehungen  mit  den  italienischen 
Stadtstaaten,  von  da  weiter  mit  dem  Orient,  der  Verkehr  mit 
England  und  Norwegen  und  nicht  zuletzt  mit  den  Städten  der 
deutschen  Hansa,  die  wiederum  den  Handel  mit  dem  Osten  und 
Südosten  Europas  vermittelten,  machten  Flandern  für  eine  ganze 
Epoche  zum  Mittelpunkt  des  gesamten  Handels  im  Abcndlande.*) 

Die  Folge  davon  ist  eine  herrliche  geistige  Kultur.  Be- 
sonders die  bildenden  KQnste  haben  hier  eine  wirkliche  Heim- 
stätte. Es  braucht  da  nur  erinnert  zu  werden  an  die  Rat-  und 
Kaufhäuser  und  an  die  Tuchhallen  gerade  in  diesen  Städten,  die 
so  beredtes  Zeugnis  ablegen  von  ihrem  Kunstsinn  wie  von  ihrem 
Rdchtum.')  Man  möchte  im  Hinblick  darauf  beinahe  den  Grund- 
satz aufstellen:  .Geld  schafft  Kunst",*)  denn  soviel  ist  sicher, 
erst  wenn  für  des  Lebens  Nahrung  und  Notdurft  gesorgt  ist, 
nur  bei  guter  materieller  Lage  wendet  sich  das  Interesse  der 
Kunst,  zumal  der  bildenden  Kunst  zu. 


")D*rir  IwdieSUdivorblWIiehfürdMTenitorinm.  Vgl  0.  v.  Bslow.  D(e  lUdtisdie 
Vcrwillnni  dci  MiltcUKm  alt  Vorbild  der  tpäwtm  TcrriloiijilvcrviltunK  Cb«  rininiVMtn 
S.  AH  n.)  HiitDtiäche  ZeiUchiiH  7J.    5.  JV6"«h>. 

*)  Die  Bnlniltiita  rianilrmi  lür  den  ipllmlltcUlltrlichen  Ucumlhandel  im  lu  be- 
kinnl,  alt  OaS  r%  nutli  der  HcIcuf  (Urüi  bedürft«. 

")  Vgl  ««in  Scliuli,  Dciitwhn  i^bcn  Im  XIV.  u-  XV.  Jh.  Lrfp/iit  '««  1.  H»ltrt- 
5.4(1.  Ducltnl  ■b^cbildct  die  Tvchliille  von  Vpcni.  Mehr  nrbaibci  sd  trrihat,  daS  fut 
jede  dicMT  (iuiiliiichcTi   Slldic   ihren    groBcti    Maler  hat:   t»  Ooil   icinc  beiden   vui  Eytia 

(IW6-1440^  Briit»el  den  Rojct  v»f«  ärt  tt'eydtn  |i]S9-i«»),  Biügge s*ii>ni  Hugo  van  der 
OoH  (t<*>2).  und  bri  QuFTitLn  Mfiuyi  (1490—15]«)  sagt  sdion  tdn  Beliume,  «o  er  lebH: 
ulJrr  SrJinilrd  mtv  Aniwciprn-  »irrt  er  geiuuinl.  £j  siiiil  das  Meiilct,  die  in  der  tleuuchoi 
Kniuitgcidilchtc  all  batinbrcthend  Rellca. 

•I  DJe  Kimsl  alw  tin  Kind  des  RcidiBitm.  Ms  Bcnl)  tüi  die««  S»ti  teicii  hcrtn- 
ptDgm  bes.  die  Handel*-  und  Oi:1drtid.U;  lUkleai,  ferner  lii  Deutidiluid :  Käln,  Augibur^ 
Närnbers  und  StnHbiirg. 

17' 


< 


268 


Qeors  Qrosch. 


Aus  flanden  nun  stammen  die  Kaufleute,  die,  wie  wir 
fanden,  zuerst  von  allen  Deutschen  Oeldgeschifte  mit  dem  eng- 
lischen König  abgeschlossen  lütten.  Simon  Saphir,  Walter  Sprok 
und  Boidin  Lene  werden  ausdrücklich  als  Kauflcule  aus  Gent 
bezeichnet;')  Gerhard  de  Rodes,  der  mit  ihnen  genannt  wird, 
wird  wohl  auch  ein  FUndrer  gewesen  sein. 

Unter  Heinrich  III.  hatte  es  einmal  ein  Heinrich  Lupus 
mit  der  englischen  Krone  in  Geldangelegenheiten  zu  tun;')  er 
war  Kaufmann  aus  Groningen  aus  dem  Lande  des  Kaisers, 
seine  Herlcunft  weist  also  auf  Köln.  Denn  dies  war  die  Vor- 
stadt für  holländisch- westfälische  Städte.  Hier  war  es  wohl  auch, 
WO  er  den  englischen  Abgesandten,  die  sich  bekanntlich  danim 
bemühten,  durch  den  Einfluß  des  Er^bischofs  Engelbert  von 
Köln  den  Kaiser  Friedrich  ]\.  für  ein  Bündnis  mit  England  zu 
gewinnen»  die  Gelder  vorgestreckt  hatte. 

Köln,  hinter  dessen  noch  aus  der  Römerzeit  herrührenden 
Mauern  das  ganze  frühere  Mittelalter  hindurch  eine  verhältnis- 
mäßig große  Menge  Menschen  Wohnung  gefunden,  das  als  Sitz 
eines  Erzbischofs  und  mehrerer  Äbte  und  Prülaten  schon  fröh- 
zeitig  in  der  deutschen  Geschichte  eine  große  Bedeutung  erlangt 
halte,  ist  eine  der  ersten  wirklich  durchgebildeten  Stfldte.  Hier  und 
in  Worms  regte  sich  ja  auch  das  Bürgertum  zum  ersten  Male;  im 
Kampf«  mit  dem  Episkopat  ward  es  sich  seiner  Kraft  erst  eigentlich 
bewußt.')  Diesen  Frühlingsstürmen  des  Jahres  1074  folgten  noch 
manche  Kämpfe,  bis  die  Kölner  sich  ihre  Unabhängigkeit  vom 
Erzbischof  erstritten  hatten,  und  auch  damit  war  in  die  nun- 
mehrige Freistadt  die  Ruhe  noch  nicht  eingekehrt*)  Aber  diese 
Kämpfe  waren  mehr  ein  Zeichen  des  Aufschwungs  als  des 
Sinkens  stadt  kölnisch  er  Macht,  v^-enn  es  natürlich  für  das  Ge- 
deihen der  Stadt  erspricßliclier  gewesen  wäre,  wären  ihr  diese 
wilden  Gärungen  erspart  worden.*) 


C 


t]  siehe  obai  &  <n,  Anm.  t. 

t  Vg\.  Obta  S.  )tt.    Ob  et  lur  K«1nK  tlanu  a^hfin  hat,  wird  nicht  scsagt. 

*)  Liniptrtl  Mtiulf«  tM.  MollJer-rmtw.  Anno  lOH  Apr.  3u;  füiWurnn  illtVcnnibuiis 
Adilbcrti  ton  Nov.  Ci  .Vlon.  Ormn.  bUl   CKui.  rl  Upt.  IS»j  S.  IIB  It.  u   S  iftr 

«I  Vbü.  K.  Httel  SUdtt  und  Qtldctt  der  tcrminliclwi  VOIkcr  Im  MItttUllei.  3  Bdc 
ia»l.  II.  Bd.  &  30  tl.  Kfrla. 

■)  Vgl  ebat  S.  HS,  Ann.  *. 


Geldgeschäfte  hansisdiei-  Kaufleute  mit  otglisclien  Königen.     269 


För  den  Oesannihandcl  freilich  hatte  Köln  niemals  die  Be- 
jng  wie  die  flandrischen  Städte,')  aber  im  Westen  und 
Nordu'e&len  Deutschlands  besaß  es  unbedingt  den  Vorrang  im 
Handel  noch  über  das  13.  Jh.  hinaus.  Vielleicht  ist  es  geradfe 
sein  Beispiel  ge\^'esen,  das  diese  Landschaften  dem  Handel  eist 
zuführte.  Jedenfalls  aber  ist  Köln  für  Geldern  mit  Holland*)  so- 
wohl wie  für  Westfalen  unbedingt  die  Vorstadt.  Besonders  die 
westfälischen  Städte,  wie  Dortmund,  Münster,  die  schon  friih- 
zeitig  dem  Großhandel  sich  zuwandten,  und  die  wir  um  die 
Mitte  des  1 3.  Jahrhunderts  schon  recht  zahlreich  durch  ihre  An- 
gehörigen in  England  vertreten  finden,')  hatten  ursprünglich  wohl 
nur  über  Köln  gehandelt  Erst  als  Lübeck  im  13.  Jh.  das  Ost- 
seebecken dem  Handel  erschloß,  befuhren  sie  auch  diese  Handels- 
straßen. 

Obwohl  nun  der  Kölner  Handel  zur  Zeit  Eduards  111. 
gewiß  noch  auf  seiner  alten  Höhe  stand  und  die  Kölner  Kauf- 
Icute  überall  begegnen,  haben  sich  an  den  Geldgeschäften  mit 
Eduard  IM.  doch  nur  wenige  Kölner  beteiligt. 

Da  tsl  zunächst  Konrad  von  Afflen  zu  nennen,  der  einer 
alteingesessenen  Kölner  Kaiitmarnisfamilie  entstammte,  welche 
schon  lange  Handel  nach  England  trieb.  Schon  am  20.  Juli  13tl 
werden  neben  anderen  Kölner  Kaufleuten  Albert,  Johann  und 
Tidemami  von  Afflen  in  einer  Urkunde  Eduards  II.  erwähnt*) 
Konrad  selbst  erscheint  zum  ersten  Male  erwähnt  1327;  am 
4.  Juni  1327  nämlich  erhält  er  und  Godckin  von  Rcvclc  von 
Eduard  Hl.  einen  Schutzbrief  ausgestellt,  irsofern  sie  gesetzmäßig 
Handel  treiben  und  die  schuldigen  Abgaben  zahlen."*)  Durch 
diesen  Qodekin  von  Revele  mag  er  zur  Teilnahme  an  den  Geld- 
geschäften bewogen  worden  sein. 

Die  Revele  (Reval,  RevJl,  RevJe)  —  ein  Name,  der  in 
dieser  Zeil  unter  den  hansischen  Kaufleuten  einen   guten   Klang 

'i  Di.riii  itt  Köln  den  flaii[lriu!h«n  Stidtcn  bnondcn  ninlich,  difi  n  eine  HelmiUlte 
dnindier  Kiinii  M.  Mei«ler  *lt  W/nrfch  vmi  Wewi  (um  1401))  und  SWphan  Lodiner 
jIMt-ltSI  jeine  BlCtcieil)  bridttm  öle  Kölner  Kunsl  zii  hohem  Aiiulien. 

*i  Vit.  oben  S.  IM  und  die  Cinlcllune  S.  IZ3. 

1  Vel,  a,  I.  Dorlniundcc  (.'rkun  den  buch,  tKarbrltct  von  Kjrl  RDb«!  I.  (M.  I.  Nr. 
)«;  (etriT  loJ;  Vdimit  vom.  Juni  IMI.  iManslichra  Urkundcnliuch  1.  90i.)  Unlcr  den  T 
Kmllnilcn.  die  lüi  die  ilcutiEhc  Hinu  den  Vcrtciiii  unten ciclinciii  tinden  licli  i  »a»  Oortmiuid. 

•)  HuiiiKlin  Uikuaümbuch  II,  Nr,  iM. 

^  Kuue.  Iluix^len,  n. 


I 


GeorE  Oiosch. 

I 


hat  —  waren  reich«  kölnische  Kaufherren  und  Bürger.  Sie 
stifteten  daselbst  131 1  das  noch  besiehende  AilerheiligenhospiUl, 
aber  die  Mitglieder  der  Familie  blieben  nicht  ille  in  Köln;  viel- 
leicht infolge  der  regen  Beziehungen  oder  auch  durch  Heirat 
verbreiteten  sie  sich  in  den  andern  hansischen  Städten.  Im 
14.  Jh.  sind  sie  in  Dortmund  vertreten,  ein  Johannes  de  Revele 
Vommt  1332  als  Bürger  von  Soest  vor;')  13 tS  wird  ein  Otto 
von  Revele  ah  Bürger  von  Bremen  erwähnt,*)  und  am  26.  Juni 
tj49  verwenden  sich  Bürgermeister,  Schöffen  und  Rat  von 
Brügge  bei  Eduard  11.  für  ihren  Mitbürger  Winand  von  Revele, 
dessen  Schiff  .Sainte  Marie»,  Kapitän  Jchans  \x  Vos  von  Sluys, 
in  London  unter  Arrest  gelegt  ist,*) 

In  England  werden  schon  in  den  Ausfuhrlisten  von  Boston 
V.  J.  1303')  mehrere  Revele,  dann  1308  ein  Heinrich  und  ein 
Cäsar  von  Revele  erwähnt  Diese  und  andere  Kaufleutc  waren 
auf  einer  Handelsfahrt  von  Canterbury  nach  London  mit  Waren 
im  Betrage  von  860  £  auf  offener  Heerstraße  überfallen  worden; 
Eduard  IL  befahl  darum  am  20.  Juli  1308  die  unverzügliche 
Untersuchung  dieses  Raub-  und  Mordanfalls. °)  Am  28.  April 
1313  wird  das  zu  Lynn  fälschlicherweise  arreslierte  Schiff  -La 
Kalelyne»,  welches  den  Esterlingen  Ludebrecht  von  Revele  und 
Johann  von  Brandenburg  gehörte,  freigegeben;*)  aus  solchen  Tat- 
sachen koinmt  man  immer  wieder  zu  dem  Schlult,  daß  der 
Aufenthalt  in  England  für  die  Fremden  doch  mit  mannigfacher 
Gefahr  verknüpft  war. 

An  den  Geldgeschäften  beteiligt  erscheinen  Alwin  von  Revele, 
Heinrich  von  Revele  der  Jüngere,  Konrad  von  Revele  und  der 
schon  erwähnte  Godekin  von  Revele.  Aber  infolge  der  weiten 
Verbreitung  der  Familie  ist  es  schwer,  den  Wohnsitz  jedes 
einzelnen  auszuforschen,  werden  doch  außer  den  genannten  noch 
Alwin    der  Jüngere,    Franko,    Oerolf,    Gottfried,    Heinrich    und 


')  H«nsiKhra  Urkundmbueh,  III,  S.  »TS,  Ann.  t. 
^  M«n»lichfs  Urkundaibadi  II,  Nr.  3>r. 
■)  Kumt,  HknMBktni.  141. 
4)  Kiinir,  I1«ii»nliim,  Sil. 

*)  Hiniltchn  Urlnindmbiith  ]l,   IM. 


■ 


Oeldgeschätte  hansischer  Kauflnite  mit  englischen  Königen.     27  J 

Tideman  von  Revele  erwähnt,  teils  als  Kaufleute  in  den  Nieder* 
landen,  teils  in  England. 

Selbst  bei  dem  vielgenannten  Tideman  von  Limberg  (Lym- 
berghe,  Lemberghe)  ist  nur  soviel  sicher,  daß  seine  Familie  aus 
Dortmund  stammt.  1297  bekundet  nämlich  Dortmund  an  Lübeck, 
daB  der  lübische  Bürger  Johannes  von  Limburg  guter  und 
rechtmäßiger  Abkunft  sei,*)  und  in  einem  Verzeichnis  der  neu 
aufgenommenen  Bürger  zu  Dortmund  aus  den  Jahren  1 298  -  1 300 
wird  ein  TiJemannus  de  Lemberge  erwähnt.*)  Der  Tydcman 
de  Lymbergh,  der  1277  eine  Ausfuhrlizenz  von  60  Sack  Wolle 
aus  Boston  erhält,')  ist  vielleicht  mit  ihm  identisch.  Ob  nun 
unser  Tideman  von  dem  nach  Lübeck  verzogenen  oder  von  dem 
in  Dortmund  ansässig  gebliebenen  Limberg  abstammt,  ist  nicht 
zu  ermitteln;  bei  seinem  fast  ständigen  Aufenthalt  in  England 
geschieht  seiner  eben  in  der  Heimatsstadt  keine  Erwähnung-  Er 
scheint  sich  mit  dem  Gedanken  getragen  zu  haben,  überhaupt  in 
England  zu  bleiben;  wenigstens  deutet  der  Umstand  darauf  hin, 
daß  er  sich  vom  König  Eduard  111.  so  ausgedehnten  Grund- 
besitz anweisen  läßt.')  Doch  diese  Absicht  wird  vereitelt  durch 
die  Mordtat,  in  die  er  verwickelt  wird,  vielleicht  selbst  anstiftet; 
er  muß  England  verlassen,  um  rieht  dem  Strafrichler  zu  verfallen, 
und  mit  diesem  traurigen  Abgang  verschwindet  er  völlig  aus  der 
Geschichte,  nirgends  geschieht  seiner  mehr  Erwähnung. 

Anders  ist  es  mit  einem  Rotger  Limberg,  der  am  22.  Nov. 
1342    in   England   genannt  wird;')    das  ist  wohl  derselbe,  der 
1364  im  Dortmunder  Rat  sitzt*)   Dieser  genießt  also  die  Früchte 
I  «einer  Tätigkeit,    und    während   das  Lebensende   seines   viel    be- 

I  dculenderen  Namensbruders   völlig    in  Dunkel   gehüllt    ist,    wird 

I  er  Ratsherr,  erreicht  also  das  Ziel,  was  einem  jeden  Kaufmann 

I  der  damaligen   Zeit    als    höchstes   vorschwebte:   dem   Rate   der 

I  Stadt  anzugehören.    Denn  wenn  man  nicht  zu  den  alteingesessenen 

I  Patrizierfamilien  gehörte,  da  war  es  recht  schwer,  «ratsßhig"  zu 


■)  Dotlmandn  Urkmidentmch  i.  Bd,  T,  Mt, 

*)  Eliendi  97». 

^  Kunit,  Manxaklcn.  36). 

*)  V|[I  ob«i  S  16S. 

*]  HarulKtics  Urlnindtnbudi  II,  tib. 

*)  Dortmunda  Urkundcnbuch  i .  Bd  II,  S.  «lO. 


272 


Georg  GrOGCh. 


werden;  man  mußte  iich  schon  ein  recht  bedculendcs  Vermögen 
erwerben,  bis  man  von  den  andern  Patriziern  als  berechtigt  er- 
achtet wurde,  im  Rate  der  Stadt  zu  sitzen. 

Zwei  solche  alte  Patrizierfamilien  Dortmunds  sind  die  der 
Sudermann  und  der  Klipping. 

Die  Sudermann  sind  eine  recht  alte  und  vornehme  ..Rab- 
famjlie"  in  Dortmund.  Schon  im  Ratsverzeichnis  von  1230 
wird  ein  Walbertus  Sudermann  genannt,»)  und  im  Ratsventeichnis 
von  1239  enichcinl  ein  Engelbert  derselben  Familie.*)  1275 
taucht  dann  schon  ein  Hilbrandus Sudermann  als  Ratsherr  auf;*) 
am  3.  August  1278  wird  ein  Schriftstück  von  i.. . . .  W.  de  Is- 
peLincrode,  Waltero  de  Reclinchusen,  H.  Sudermann  consulibus 
exislentibus'  unterzeichne!,*)  und  1287  und  i289  ist  Hille- 
brandus  Sudermann  immer  noch  Ratsherr.')  1294  erscheint  ein 
Berlraramus  Sudermann  in  der  gleichen  Eigenschaft*} 

In  der  Folgezeit  stößt  man  am  häurigsten  auf  den  Namen 
Hildebrand  Sudermann;  auf  Grund  der  vorliegenden  Urkunden 
ist  CS  möglich,  drei  Träger  dieses  Namens  zu  unterscheiden,  die 
wir  freilich  im  Auslande,  denn  wie  es  scheint,  haben  sich  alle 
drei  im  Qroßbandel  betätigt,  nicht  eben  so  leicht  bezeichnen 
können,  da  ihnen  in  der  Fremde  die  nähere  Bezeichnung  fehlt. 

Der  oben  erwähnte  Ratsherr,  also  der  älteste  Hildebrand 
hat  in  einer  Bürgschaft  von  1306  den  Beinamen  Hmaior",')  im 
Gegensalz  zu  einem  1303  aufgeführten  Hildebrandus  iunior;") 
dieser  ist  es  wohl,  der  in  einem  Ratsverzeichnis  von  13i2  ein- 
fach wieder  als  Hildebrandus  vermerkt  wird;  der  ältere  war  in- 
zwischen wohl  vcrstorbcT).  Als  seine  Brüder  werden  genannt 
Johannes')  und  Arnold  Sudermann."*)  Einen  Hildebrand  Suder- 
mann iunior  finden  wir  dann  wieder  1322;")  zu  gleicher  Zeit 


I)  tJotHnunder  Urkundenbudi  1.  Bd,  (,  Nr.  W. 

^  Ebtndi  Nr.  ift. 

ff  Eboidi  Nr.  149. 

*j  ElMnda  Nr.  1(3. 

>')  Ebnda  Nr.  I»  u.  IM. 

f)  Ebenda  Mr.  340, 

1  Difnd*  Ni.  104. 

^  Ebmda  Nr.  »I. 

<i  EboKU  Nr.  136. 

«)  Ebenda  Nr.  m. 

)t]  DorüBundct  UrkundcnbiKh  i.  Bd.  IL  &  Mf. 


I 


credieint  auch  ein  Johannes  iunior.')  Außerdem  werden  in  den 
viemger  Jahren  noch  erwithnt  ein  Konrad,  Heinrich  und  ein 
Hannekin  und  zwar  in  England,  wo  im  Jahre  1408  dann  wieder 
ein  HildebraTid  Suderma.nn  als  Kaufmann  weitt.*) 

Der  Name  HiLdebrand  Sudcrmann  erscheint  auch  in  den 
Urkunden  am  häufigsten,  die  sich  speziell  auf  den  Handel  be- 
ziehen. So  wird  1304  ein  Bürgschaftsbrief  für  Hiidebrand 
Sudcrmann  »ad  comiteni  Jacobum  de  Norwegia"  ausgestelU.  ■) 
Die  Fahrt  nach  Norwegen  fiel  für  ihn  aber  recht  schlecht  aus, 
denn  am  10.  Juli  1307  befiehlt  Eduard  I.  den  Baillifs  des  Bischofs 
von  Norwich  zu  Lynn  die  Freigebung  des  bei  dem  Kaufmann  Selone 
Süsse  von  Qotland  arrcstierten  7910  Pfund  Kupfer  (auf  80  £ 
geschätzt),  welche  mit  arderen  Waren  den  deutschen  Kaufleuten 
Hildebrand  von  Neuenhof')  und  Hildebrand  Sudermann  durch 
norwegische  Seeräuber  weggenommen  worden  waren,  gegen  die 
sichere  Zusage  Setone,  dem  König  und  den  beiden  Kaufleuten 
genug  zu  tun.*) 

Eduard  Tl.  nimmt  dann  am  19.  April  1324  einen  Hilde- 
brand Sudermann  in  Schutz;*)  dies  mag  der  nunmehrige  jüngere 
sein,  denn  der  ältere  hatte  sich  wohl  vom  Handel  zurückgezogen, 
finden  wir  ihn  doch  schon  1312  auf  Ui3  als  Ratsherrn  in 
Dortmund.  Ais  dann  König  Eduard  II.  gefangen  gesetzt  wird, 
erklären  Mayor,  Aldermäntier  und  Gemeinheit  von  London  am 
16.  Nov.  1326')  in  einem  an  die  Königin  Isabella  von  England 
und  den  zum  Reichsverweser  ■)  ernannten  Prinzen  Eduard 
gerichteten  Schreiben,  daß  sie  trotz  der  besonderen  Empfehlung 
dem  Hildebrand  Sudcrmann  den  Aufenthalt  in  Engtand  nicht 
gestatten  können,  weil  er  för  einen  Verräter  zu  halten  sei.  Aber 
schon  am  12.  Febr.  1327  erhält  dann  Hildebrand  Sudcrmann 
einen  Qeleitbrief  von  Eduard  III. ;°)  dies  ist  nun  der  Hildebrand, 


■)  Dartmund«  Utkundcnbudi  i.  Dd.  II,  S.  «0«. 

^  Kunie,  HuMikicn,  JOS. 

»I  HaiulKlin  Uikundcnbudi  II.  Nr.  4».  Ann,  1. 

•>  De  nov*  Cnri'.  ludi  ■■»  Dortmuni]. 

•)  HuislKhcs  UrkuniScnbiich  II,  Mr.  1 10. 

^  Xunic,  HanKsUten,  li. 

I)  KMislsdin  Urkundcnbudi  II.  Hr.  453  h.  Ann.  ),  Hl.  4M. 

•]  H.  I^ull.  Onchtcliiic  von  rnglind  IV,  197. 

*i  Kuiue,  MuiKdktcn,  SV. 


Georg  Oiosch, 


der  in  den  vierziger  Jahren  eine  so  bedeutende  Rolle  im  Handels- 
leben  spielt  und  eine  hervorfagende  Stellung  unter  den  Hangen 
einnimmt  Denn  wenn  er  sich  auch  wenig  an  den  Geldgeschiften 
der  hansischen  Kaufleuie  mit  Eduard  II!.  beteiligt,  so  dürfen  wir 
seine  Bedeutung  für  die  damalige  Zeit  nicht  unterschätzen. 
In  erster  Linie  Großkaufmann,  hat  er  sein  Kapital  lieber  für  den 
Handel  als  zu  Geldgeschäften  verwandt.  Aber  auch  diesen 
zeigte  er  sich  nicht  abgeneigt.  So  slreckte  er  mit  seinem  Bruder 
Johannes  am  20.  Sept  1344  dem  Herzog  Rainald  III.  von  Geldern 
die  Summe  von  34000  kleinen  Quiden  vor,  wofür  Amheim  die 
Bürgschaft  übernahm,*)  ein  Beweis  für  die  Kapitalkraft  der 
Famlie  Sudermann. 

In  Dortmund  und  in  England  werden  noch  verschiedene 
dieses  Namens  genannt.  Zur  selben  Zeit  ist  ein  Verwandter 
von  ihnen,  Heinrich  Sudermann  aus  Dortmund,  Ratsherr  in 
Krakau.')  Ein  Heinrich  Siidermann  von  Dortmund  wird  1326 
in  die  deutsche  Nation  der  Universität  Bologna  aufgenommen,  — 
er  wurde  später  Archidiakon  zu  Lütlich,  war  Dr.  tun  utr.  und 
eques  auralus  -  und  ^$2^  wurde  ein  Bertram  Sudennann  an 
derselben  Universität  immatrikuliert.*) 

Zu  Anfang  des  15.  Jhs.  lassen  sich  mehrere  dieser  Familie 
in  Köln  nieder.*)  1411  wanderte  ein  Heinrich  Sudermann  in 
Köln  ein;  ein  Johann  Sudcrmarn  aus  Dortmund  erhielt  t4i5 
das  Bürgerrecht;  im  Jahre  1444  wurde  derselbe  in  den  Rat 
gewählt,  nachdem  er  1421  schon  unter  die  Münzerhausgvnossen 
aufgenommen  worden  war.  U85j  1502,  150S  und  1S21  finden 
wir  andere  Mitglieder  dieser  Familie  im  Kölner  RaL  Ein  Her- 
mann Sudennann  wurde  1541  Oebrechsherr  und  dann  zum 
Bürgermeister  gewählt;  bis  zu  seinem  Tode  iS72  versah  er  jedes- 
mal nach  Ablauf  des  dreijährigen  Turnus  dieses  hohe  Ehrenamt. 
Er  war  vennählt  mit  der  Ursula  Huype;  aus  dieser  Ehe  ging 
der  hansische  Syndikus  Heinrich  Sudermann  hervor. 


M  Hintiich«*  Urkundtnbuch  11,  Anh.  1,  Nr.  K. 
*)  HaniiicliM  Urkundnibiich  II,  Nr.  *S9.  Anm.  I. 
»1  Kunt*,  Hain««lil<Ti,  T5.  Anm.  ?. 

*)  Vgl.  Lronhaid  £nnm,   Dtr  himiKhr  Sjndikni  Krinricli  Sodcnaann  uw  KSa. 
FIxutKhe  nm-hichtmuun.  JBhre.  ieta,  S.  ii. 


^ 


3 


Ocldgescliäite  hansischer  Kaufleute  niil  englisdien  Königen.     27S 


Der  BertMiin  Sudermann,  der  1327  das  akademische  Bürger- 
recht der  Universität  Bologna  erwarb  und  später  deshalb  den 
BeinaniCT  clericus  führt,  ging  nach  Beendigung  seiner  Studien 
nach  Dorlmund  zurück.  1332  ist  er  in  einer  wichtigen  Mission 
t2tig,  er  ist  nämüch  mit  Hermann  Klipping  als  Abgesandter  des 
Rates  von  Dortmund  beim  Kaiser  Ludwig  IV.  zu  Nürnberg; 
sie  erreichen  ihr  Ziel,  wie  es  scheint,  vollständig,  denn  am 
25.  August  erwirken  sie  vom  Kaiser  verschiedene  Erlasse  zu- 
gunsten ihrer  Vaterstadt.  Einmal  fordert  der  Kaiser  nämlich  den 
Grafen  Ludwig  IL  von  Flandern  auf,  den  Kaufleuten  aus  Deutsch- 
land ihre  Privilegien  zu  erneuern  und  insbesondere  den  Bewohnern 
Dortmunds  seinen  Schutz  angedeihen  zu  lassen;')  femer  empfiehlt 
er  dem  Grafen  Wilhelm  von  Holland,  Seeland  und  Hennegau 
die  Stadt  Dortmund  und  bittet  ihn,  diese  Stadt  und  ihre  Bürger 
in  seinen  besonderen  Schutz  m  nehmen.*)  Das  dritte  Privileg, 
das  er  den  Dortmundern  *in  Anerkennung  ihrer  vortrefflichen 
Haltung"  erteilt,  ist  für  die  Stadt  von  besonderer  Wichtigkeit, 
denn  es  werden  nicht  nur  alle  früheren  der  Stadt  zugebilligten 
Vorrechte  bestätigt,  sondern  auch  noch  neue  gewährt.") 

in  dieser  letzten  Bulle  Ludwigs  IV.  waren  die  vier  Artikel  Ober 
die  Ratswahl  nicht  enthalten  gewesen;  diese  waren  in  Dortmund 
erst  nachträglich  hinzugefügt  worden,  ein  Verfahren,  das  in  der 
Stadt  viel  böses  Blut  erregt  hatte.  Denn  am  5-  Mai  richtet,  um 
die  beiden  Geschäftsträger  zu  enliastcn,  Ludwig  IV.  ein  langes 
Schreiben  an  Dortmund.*)  »Bertram  Sudermann",  heißt  es  darin, 
.habe  ihm  eine  Abschrift  der  den  Dortmundern  erteilten  Bulle 
zur  nochmaligen  Bestätigung  vorgelegt,  weil  in  der  ersten  vier 
Artikel  vergessen  worden  seien.  Er  habe  dem  Wunsche  Bertrams 
entsprochen;  sie  sollten  sich  darum  streng  an  die  Bulle  halten, 
und  den  Bertram  Sudermann  und  den  Hermann  Klipping  nicht 
weiter  wegen  der  vier  Artikel  über  die  Rat&wahl  anklagen  und 
verdächtigen."  Zum  Schlüsse  läÜt  der  Kaiser  ausführen,  ..daß 
das  Geld,  welches  er  empfangen  habe,  ihn  keineswegs  für  Dort- 


■>KinslichM UilnindtntittchII.Nr.nl.  DorUnandrr  Ucknmlentnicli,  i.  B«LI.  Nr.4W. 
))  £bciii]i  Nr.  487 
■)  Dwndi  N(.  48». 
«}  CbcnCiA  Nr.  4»«. 


276 


Georg  Orosctl. 


mund  verpflichte,  sondern  nur  die  Buße  fQr  vergangene  Ver- 
brechen sei.  ^) 

Also  auch  in  Dortmund  wie  in  den  andern  Reichsstädten*) 
in  dieser  Zeil  haben  einige  Ratsgcschtechter  die  Diklatur  über 
die  ganze  Stadt,  zumal  da  sie  mit  Hilfe  ihres  Geldes  vom  Kaiser 
alles  erwirken  können.  Die  in  Innungen  und  Zünfte  gegliederte 
Handwerker^chalt  hat  am  Regiment  der  Stadl  keinen  Anteil,  bis 
sie  durch  die  bekannten  Zunftrevolutionen  (in  Speyer  schon 
1304,  in  Mainz  1329,  Strasburg  1332  usw.)  gewaltsam  den  Ein- 
tritt in  den  Rat  erzwingt  Bis  dahin  waren  nur  die  Geschlechter 
ratsfähig,  an  deren  Spitze  in  Dortmund  die  Sudermann  und  die 
Klipping  stehen. 

Die  Klipping  (Cleppyng,  CÜppinge,  Knipping)  stammen 
wohl  aus  Läbeck,  denn  am  18.  März  1275  erteilt  Eduard  I.  dem 
Johann  Klipping,  einem  lijbischen  Kaulmarn,  einen  Geleilsbrief,*) 
wem  er  niclit  etwa  bloß  deshalb  „von  Lübeck"  genannt  wird, 
weil  er  ober  Lübeck  Handel  trieb.  Ein  Helmingus  Clipping 
föhrt  in  den  Jahren  1286  und  1287  aus  Lyon  20  Sack  4  Stein 
Wolle  aus.*) 

Im  Dortmunder  Rate  sitzen  sie  zum  ersten  Male  131 1, 
aber  von  da  ab  sehr  häufig.  Am  nieisten  begegnet  der  Name 
Konrad  Klipping.  1312  sitzt  er  im  Rate;  1316  verbürgt  er  sich 
ffir  Briefe  nach  Riga  und  Lübeck;  1319  ist  er  wieder  im  Rate, 
1320  erscheint  er  als  senior,  133S  als  -Conrad  Clepping  dcy 
alle  im  rate",  und  fortan  wird  er  steb  als  der  ältere  bezeichnet, 
so  1336,  1342  usw.  Neben  ihm  erscheint  ein  iunior  1335,  der 
1344  als  Ratsherr  erwähnt  wird.')  Dieser  ist  vemiutlich  der 
bekannte  Kompagnon  der  Dreizehn,  der  sich  auch  sonst  um 
Eduard  111.  sehr  verdient  machte.  Auf  das  angelegentlichste  emp- 
fiehlt ihn  deshalb  der  englische  König  am  28.  Juni  1341  seinen 
Untertanen,    da  er  ihm   bereitwillig   und   oft  „absque  cuiusqu« 

1)  .  .  .  Novcrltlt  cllatR.  mileitiKtn  nain«m  i>ccunl*ni  nobl*  datain  non  ptosritU 
vobii  fatt«.  Mtl  tuplom  pto  tnnctiril*  conin  linccHUInn  nontnin  pfrprtiatli  cxnnitiiu 
(Mtreplfu. 

*\  Z.  B.  siiiiiir«R8  In  K&ln;  .In  den  Rllra  dcrSbdt  «iclinderRIchH-itchc hnruhtnl 
dit  QctrtilechlFr.  Selbil  die  Korpoimtiäti«!  der  OfftzJaln  In  Oen  Parachln  Khlostoi  «iA 
Im  I«.  Jh.  tri tlo krall Kh  ipgrtt  dir  uciinifcrv   BKiitrkliMC  tb.*   K.  Hcgti  a  a.  O.  S.  Mt 

*)  Kvntr.  Manwaklen.  i     Wirdrttiolt  11T6.  Nor.  Ifi.    Ebenda  4. 

*)  Eboidi  Nr.  3Ö7, 

■)  DDrlmund«!  Urkutidetibudi.  1.  fid.  11,  5.  4M. 


Geldgeschäfte  hansischer  KAufleute  mit  englischen  KCaigeo.     277 


cupidilalis  seu  rniqtiitatis  scrupulo*  unterstützt  habe.  *)  Auch  der 
Burggraf  Dietrich  von  Seeland  verleiht  allen  Dortmundern  um 
der  Dienste  willen,  die  ihm  ihr  Mitbürger  Konrad  Klipping 
geleistet,  sicheres  Geleit  in  seiner  Herrschaft  zu  jeder  ZeiL") 

In  England  ist  die  Familie  außerdem  vertreten  durch 
Hermann,  Detmar,  und  Albert  Klipping  (1320),»)  Siwert  Klip- 
ping  (1326)/)  und  dann  zu  Beginn  der  vierziger  Jahre  durch 
Johann  Klipping,  den  Enkel  Korrads  (des  älteren),  und  Oott- 
schalk  Klipping.  Detmar  Klipping  ist  Ralshcrr  zu  Dortmund  im 
Jahre  1 347 ;  hier  läßt  sich  die  Mehrzahl  der  genannten  nachweisen. 

Eine  Dortmunder  Ratsfamilie  sind  auch  die  Ariest,')  deren 
lilestcr  Vertreter  im  Rate  Lutbertus  de  Ergiste  (1278)  ist  In 
England  treiben  sie  etwa  zur  selben  Zeit  Handel;  schon  in  den 
Zolllistcn  von  1277  werden  mehrere  erwähnt/)  und  den  be- 
kannten Vertrag  vom  Juni  1282')  unterzeichnet  ein  Johannes 
de  Ercste  mit. 

Dortmunder  Kaufmanns-  und  (^tsfamilien")  sind  femer  die 
Brakel  oder  Brakene,  die  WaJe,  Fcmol,  Koning  oder  Rex  und 
die  Smythusen;  diese  sehen  wir  gewissermaßen  einziehen  in  die 
Reichsstadt  Dortmund,  denn  1295  gestattet  der  Rat  gegen  eine 
Summe  Geldes  den  Brüdern  Qerwin  und  Constanlin  Stnylhusen, 
erbliche  Güter  im  Bezirke  der  Stadt  zu  besitzen;^)  femer  die 
Beresword  oder  »Area  Apri»  und  die  Ispelincrode.  Audi  sie 
Bind  schon  altangesessene  Geschlechter,  dagegen  ist  Heinrich 
Muddepenyng  ein  einfacher  Dortmunder  Bürger. 

Vielleicht  gehören  auch  die  Spissenaghel  (Spicenayl),  in 
England  vertreten  1308  durch  Franz,  Hartlcf  undWoland"*)  und 
13-10  durch  Siegfried  und  Zenard,  nach  Dortmund,")  da  auch 

>]  Hanritdics  Urlmndmliach  II.  Nr.  tlU    Ann.  1. 

•i  ebenda  Nr,  6]i  ri>n  i}tt,  Juni  S. 
*)  Ebtnlla  Nr.  J7I. 
<)  Fbtnda  Nr,  i*i. 

•)  Donniiinilcr  lIitiunilrnliDicIi,   1.  tM    It,  S.  lOft   lit  dne  ZnuirnnmilclIutiE  dlocr 
Punilloi  votKOiDinnicn.  ik  aber  nicht  voIliUll'dlg  llt. 
*)  KaiiM,  Hanwikien,  ai. 

0  HwitiKlio  Vrkundenbuch  I,  Nr.  H>. 

*j  Vgl,  die  ZtUAmniniUcMunc  im  DorlTiiundcr  UrlrnndrnbucK,  ).  Bd.  II,  «HIT. 

1  Oorlniundcr  Ut  künden  buch,  <.  Bd.  I.  Ni.  Hi. 
»I  Hamixim  Utkundntbudi  It,  Nr,  t». 

U]  Albtrl  SplttciMitd  tm  Roiiock :  Hi,niiKhn  Urkundoibuch.  I,  Nr.  m.  In  UniflaiKt 
IM«:  Kunic,  lluiK*hlen.  ie>.    Höhlbuim  «tJtl  diac  ramlllc  ntcb  Roitock, 


Georg  Qrosch. 


hier  Träger  dieses  Namens  vorkommet!.  In  England  erscheinen 
die  Spissenaghel  stets  in  Verbindung  mit  Dortmundern,  was  doch 
sehr  dafür  zu  sprechen  scheint,  daß  die  in  England  Handel 
Ireibenden  Spissenaghel  aus  Dortmund  stammen. 

Johann  atte  Wolde  endlich,  der  engere  Genosse  Tideman 
von  Limbcrgs  -  eine  Urkunde  vom  6.  Nov.  1351  erwähnt  ihn 
als  verstorben')  -  scheint  in  Wipperfürth  dahcini  zu  sein. 
Wenigstens  ist  sein  Bruder  Tirus  1344  dort  ansässig.*)  Aller- 
dings wird  auch  in  einer  Beschwerdeschrift  Wismars  über  die 
seinen  Bürgern  vom  Crafen  Johann  IH.  von  Holstein  zugefügten 
Unbilden  -  vom  30.  Nov.  1342  —  ein  Thidekinus  de  Wolde 
erwähnt,")  aber  irgend  welche  Beziehungen  zwischen  ihm  und 
den  Brüdern  alte  Wolde  lassen  sich  nicht  nachweisen.  Damit 
ist  nahirlich  nicht  gesagt,  daß  solche  nicht  bestanden  hätten. 
Wie  die  Sudermann  und  die  Revele  in  Dortmund  und  Köln 
und  anderen  Hansastädten  miteinander  verwandt  sind,  so  können 
sehr  wohl  auch  diese  Wolde  derselben  Pamihe  angehören. 

Die  weniger  genannten  Kaufleute,  wie  Hertwin  von  Beck, 
Wessel  von  Berg  und  andere  werden  wohl  denselben  Städten 
wie  die  bisher  genannten  entstammen,  nämlich  Köln  und  den 
Städten  um  Köln :  der  Kölner  Hansa  möchte  man  in  Erinnerung 
an  die  frühere  Zeit  sagen.  So  kommen  wir  also  zu  dem  Schlüsse, 
daß  diejenigen  deutschen  Kaufleute,  die  am  längsten  in  England 
Handel  treiben,  sich  zuerst  mit  Geldgeschäften  im  Großen  be- 
fassen, die  Flandrer  zunächst  und  dann  die  Kaufleute  von  der 
alten  kölnischen  Hansa.  Diese  spe2iell  gewähren  nach  dem  Zu- 
sammenbruch der  Florentiner  Banksozietäten  dem  König  Eduard  III. 
die  für  die  Fortführung  des  Krieges  nötigen  Darlehen. 

Sie  haben  sich  also  ihren  allen  Vorrang  vor  den  andern 
hansischen  Kaufleuten  in  England  wenigstens  auf  geschäftlichem 
Gebiete  behauptet  Denn  die  Basis  für  ihre  finanziellen  Unter- 
nehmungen war  und  blieb  ihr  Handel.  Aus  diesem  zogen  sie 
die  Gelder,  die  sie  Eduard  111.  vorstreckten,  und  Leute,  die  solche 
Summen  ausleihen  konnten,  mußten  doch  ein  ganz  betiächtUdies 


11  KuilKhn  Urlninddibucti.  It.  Anh.  I.  Hr.  101. 

)}  Knnic,  Itinsokten.  U1.  Anin.  Z. 

t)  Huiiiichn  Urkundtnbucii,  It,  Nr.  I». 


Qddgeschäft«  }iansjscher  Kaufleutc  mit  englischen  Königen.    279 


Kapital  im  Großhandel  stecken  haben,  was  uns  ganz  wohl  zu 
dem  Schluß  berechtigt,  daß  sie  die  andern  hansischen  Kaiifleute, 
ihre  Genossen  von  der  gemeinsamen  Hansa,  weit  überragen. 
Zugleich  ist  die  Tatsache,  daß  sie  Geldgeschäfte  solch  großen 
Stiles  zu  unternehmen  wagten,  ein  Beweis  dafür,  daß  sie  auch 
in  geistiger  Beziehung  hervorragend  waren.  Es  setzt  dies  für 
die  damalige  Zeit  eine  immense  Kenntnis  und  eine  Weite  des 
Blickes  voraus,  wie  man  es  nur  bei  KaufleuCen  finden  konnte, 
die  einer  langen  Tradition  folgend  völlig  auf  der  Höhe  ihrer 
Zeit  standen. 

Freilich  waren  sie  tn  erster  Linie  eben  Kaufleute,  die  Kredit- 
geschäfte betrieben  sie  mehr  nebenbei.  Sie  hatten  gemerkt,  daß 
die  Italiener  durch  die  finanziellen  Operationen  bedeutenden  Ge- 
winn gehabt  hatlen,  darum  waren  auch  sie  an  die  Geldgescliäfte 
herangetreten,  indes  mehr,  um  ihren  Handel  zu  fördern.  Der 
von  ihnen  finanziell  vollständig  abhängige  König  mußte  ihnen, 
denen  ja  die  sämtlichen  Woll-  und  andere  Zölle  verpfändet 
waren,  Ausfuhrlizenzen  bis  zu  jeder  beliebigen  Höhe  gewähren. 

Nur  Tideman  von  Limberg  macht  darin  eine  Ausnahme; 
er  ist  kein  Warenhändler  mehr,  und  wie  die  Kölner  Hansen  die 
andern  übertrafen,  so  erhob  sieh  dieser  gewaltige  Mensch,  seiner 
Zeit  schon  vorausgeeilt,  weit  über  die  durchaus  nicht  unbe- 
deutenden Genossen. 

III.  Das  Wesen  der  Anleihea.') 

Das  spätere  Mittelalter  charakterisiert  sich  vornehmlich  da- 
durch, daß  im  Gegensatz  zu  der  vorauf  gehenden  Periode,  die 
sich  als  eine  der  Naturalwirtschaft  darstellt,*)  die  Geldwirtechaft 
zum  Durchbruch  kommt. 


))  Anleihe  iit  kla  nichl  im  mod^nlM  rMhnl^chcn  Sinn  von  StutMnIeihi  gebraucht: 
tx  sind  älmil  bnclchnrt  die  Anleihen,  dir  die  tngl Ischen  KAnige  bei  den  Manten  luCiuhntol; 
d*&  di»c  mehr  priviirechdichct  Nalur  vtmt.  Tird  spilcr  noch  Jussctührt  AuB«  der 
noch  £u  crrihncndcn  Lilciilur  tg\ :  W .  Rosther,  Syitcm  der  Valks«in^luft,  Bd  IV,  4,  Avil. 
18«*,  SiHS'f  O  C«hn,  Syslem  dM  NalionnIAkrtnomie,  Bd.  II,  IBB-).  S.  6T0  t[  K- Th  Eh^ 
berj.  FinuiivitsenKhan,  «Aufl.  IMI.  S.  wnfl.  Pwitm-  die  ARIkd  ..Anleibw  und  .SMjüi- 
KhalOni*  im  ■HindaOrKrbuch  der  Slunwisscnschiften* 

■)  Ihr«  Höhe  arrlchuie  In  Deululilinü  riiilderDurdi(ühiunB(?D.  R(i].)dFi  .Cipits* 
Ure  de  vlllis  vd  curlis  Imperil.*  Vg],  K  Q«tti(,  Die  LtnltratcrDTilnuns  KalMT  KatIb  de» 
Ctoficn,    Berlin  <I9S.    Cinldtuns-    Es  kann  Ha  nicht  n^cf  duaul  cingcsuitcen  wttdcu- 


OcoTE  OnKch. 


Es  i&t  schon  ein  leitungsweise  ausgeführt  worden,  und  es 
wurde  im  Verlaufe  der  Darsiellung  immer  von  neuem  darauf 
hingewiesen,  daS  die  Entstehung  der  Slädtc  diese  Entwicklung 
im  Gefolge  hatte.  Infolge  des  zunehmenden  Handelslebens  in 
ihnen  wurde  das  Geld  der  allgemeine  Wertmesser;  nach  dem 
Oeldbesit2  in  des  Wortes  weitester  Bedeutung,  nicht  mehr  nach 
Onindbesitz  wurde  der  Reichtum  des  einzelnen  bemessen ;  die 
noch  aus  dem  vorigen  Zeitraum  herrührenden  Naturalabgaben 
wurden  alimählich  in  Qeldzinse  umgeifandeU,  indem  zunächst 
der  Betrag  in  Geld  fixiert  und  dann  gewöhnlich  auch  bezahlt 
wurde;  ferner  erhob  die  Stadt  von  Anfang  an  für  ihre  Bedürf- 
nisse Oeldsteuern,  denn  die  Überschüsse  aus  den  stidtischen 
Anstalten,  das  Bürgergeld,  die  Oerichtsgefälle,  Erbschaftssteuer, 
femer  die  direkten  und  die  indirekten  Steuern,  Schoß  und  Accise, 
ailes  waren  Qeldabgabcn  und  Geldsteuem. 

So  geht  Stadtwirtschaft  und  Oeldwi  rischaft  Hand  in  Hand, 
wie  bis  dahin  Hof-  oder  Dorfwirtschaft  und  Naturalwirtschaft 
nebeneinander  hergegangen  waren. 

Die  Geld  wirtschaff  blieb  natürlich  nicht  auf  die  Stadt  be- 
schränkt; auch  für  die  weiteren  Verbände,')  für  das  Territorium  — 
die  Reichsstädte  sind  ja  schon  als  Territorien  anzusehen  —  und 
den  Staat  bestand  nun  der  Finanzbedarf  in  Geldbedarf,  auch  an 
den  Staat  mußten  alle  Leishmgen  und  Steuern  in  Geld  entrichtet 
werden. 

Daneben  entwickelte  sich  das  Kreditwesen,*)  dem  Geld- 
wesen  gewissermaßen  als  der  negative  Pol  gegenöberslehend. 
Da  man  nunmehr  überall  Ocld  brauchte^  stellte  sich  von  selbst 
zuweilen  Geldmangel  ein,  und  der  vorhandenen  Nachfrage  nach 
Qeld  mußte  genügt  werden,  So  gaben  diejenigen  Geld  leih- 
weise her,  die  entweder  welches  übrig  hatten,  das  sie  nirgends 
anders  verwenden  konnten,  oder  die  eben  mit  ihrem  Gdde 
Geschäfte  machen  wollten:  die  berufsmäßigen  Gcldlcther  traten 
in  Aktion.  Hatte  man  vordem  entstandenen  Schwierigkeiten  durch 
Verpfändung  von  Grundbesitz  oder  der  Bezüge  daraus  abgeholfen, 


>]  Vgl.  Adolph  Vaencr,  rinminiunKtitlt,  lUO-M.    I.  Tdl,  %  9*. 

f)  Vom  Krtdil  »*iil  O.  COhn  a.  i  O;  .Der  Ktfild  iit  cinf  Fracht  dn  Ißrttchreittiideti 
Knllur;  er  iitdn  NtcderKhta||d<r*l111icl>«nAtni(»pluÜT  elpcs  Volkes  und  Z<itnlt«r»,  vclchn- 
dct  Olicrlrtjiuiig  ran  Kf^lalnutiun)^  dirastbkr  gtmacht  vird.* 


I 


J 


Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleule  mit  englischen  Königen.     2&1 


SO  beseitigte  man  dieselben  jetzt  dadurch,  daß  man  sich  eine 
Summe  Geldes  borgte  oder  im  Großen  Anleihen  aufnahm,  was 
rechtlich  natürlich  in  der  damaligen  Zeit  dasselbe  war. 

Wieder  sind  es  die  Städte,  die  zuerst  zu  solchen  Anleihen 
im  Großen  schreiten,  zunächst,  schon  im  12.  und  13.  Jh.,  die 
italienischen  Stadtstaaten,  dann  —  im  14.  und  15.  Jh.  —  auch 
die  deutschen  Städte.*)  Bei  ihnen  sind  Schulden,  und  zwar 
häufig  sehr  hohe  Schulden,  bald  eine  gewohnte  Erscheinung; 
schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jh.  (in  Basel  zuerst  1 365  -  66) 
kommt  die  Anleihe  der  Städte  als  ständige  Finanzoperation  vor, 
die  sich  nahezu  jährlich  wiederholte. 

Diese  Anleihen  wurden  aufgenommen,  weil  für  die  Aus- 
gaben der  Stadt,  in  der  Regel  sind  es  die  außerordentlichen,  die 
Einnahmen  lange  nicht  zureichten.  Es  sind  weniger  die  eigent- 
lichen kommunalen  Angelegenheiten,  wie  Schule,  Kirche,  Armen- 
itnd  Krankenpflege  —  damit  hatte  die  Stadt  selten  zu  tun, 
dies  war  zum  größten  Teil  der  privaten  Fürsorge  überlassen  — 
als  vielmehr  die  staatlichen  Aufgaben  der  Stadt,  die  das  Sladt- 
budgel  so  schwer  belasteten.  «Nicht  der  verfeinerte  Zuschnitt 
des  städtischen  Lebens  bedang  regelmäßig  eine  stärkere  nach- 
haltige Ausgabe,  sondern  die  Aufrechterhaltung  der  bedrohten 
Selbständigkeit."")  Ein  imcrwarteter  Krieg,  die  Gelegenheit  nir 
Erwerbung  von  Hoheilsrechten,  rur  Erweiterung  des  Stadtgebietes, 
die  Wiedererwerbung  der  Reichslfrciheil  nach  geschehener  Ver- 
pfändung von  Seiten  des  Kaisers:  alle  diese  Ausgaben  für  Be- 
schaffung des  Schutzes  nach  außen  und  nach  innen  und  ffir 
die  Bestreitung  der  Repräsentationskosten  nötigten  die  Städte,  zu 
^öffentlichen  Anleihen  ihre  Zuflucht  zu  nehmen.  Denn  wenn 
man  es  in  Köln*)  gelegentlich  auch  einmal  versuchte,  freilich 
mit  geringem  Erfolge,  einen  honds  für  unvorhergesehene  Fälle, 
besonders  für  Kriegszwecke,  also  eine  Art  Kriegsschatz  zu  schaffen, 
im  allgemeinen  ließ  sich  die  Höhe  der  Ausgaben  niemals  voraus- 


•J  Vel  O.SehUnbtni.  Fin»n*rtTMItn[wcilcrStKllBMf1  Im  t*.u."!  Jh  HI»,  Rod. 
Sohm.  SCJitliichc  Witt^hjf)  Im  lt.  u  il  J1i.  Knnrulii  ]*htbüchcr,  <BSO.  Bd.  !-i,  S.  lAt-tM. 
W  SHrda.  SCUtttchr  l'lnimni  Im  MlttrUlttr  KonnctiJihTttücheT,  IR99.  tU.  Voigt.  Dd.  IT. 
*.  Krtl.  S.  I— S4. 

*)  W.  SllMla  X.  1.  O.  &  13. 

■j  B>«ndi  S.  u. 


Ardil*  tQr  Kullurgncblchtc.    II.  18 


Georg  Grosch. 


sehen;  sobald  sie  nötig  wurden  iind  Finanznot    einsetzte,  schritt 
man  darum  immer  wieder  zu  einer  neuen  Anleihe. 

Das  war  ein  so  bequemes  Mittel,  sicli  aus  der  Not  zu 
helfen,  daß  man  es  bis  zum  Mißbrauch  anwandte.  So  wurde 
in  Köln  14S1  die  große  Schuldenlast  für  den  Frieden  der  Sl^dt 
verhängnisvoll;*)  in  Dortmund')  war  das  städtische  Budget  schon 
t397  so  sehr  mit  Schulden  belastet,  daB  die  Stadl  direkt  zahlungs- 
unfähig war. 

Diese  Schulden  der  Städte  sind  schon  öffentlich-rechtlicher 
Nilur;')  mehr  pri\'atrechllich  dagegen  sind  die  Anleihen  des 
Staates,  denn  nicht  dieser  macht  Schulden,  sondern  der  Fürst 
als  sein  Inhaber,  dem  darum  die  Finanzen  des  Staates  zustehen. 
Fürst  und  Staat  sind  eine  finanzpolitische  Einheit,  die  Ausgaben 
des  Fürsten  sind  mit  den  Staatsausgaben  vermengt  Daher  kommt 
es  denn  manchmal,  daß  der  Fürst  für  die  im  Interesse  des  ganzen 
Staates  eingegangenen  Verbindlichkeiten  oftmals  sogar  mit  eigener 
Person  haften  mußte,  und  diese  auch  nur  für  seine  Person 
galten.  Sein  Nachfolger  übernahm  seine  Schulden  öfters  gar  nicht 
oder  nur  bedingt. 

Gewitzigt  durch  soIcheVorkommnisse,  verlangten  dieQläubiger 
sehr  bald  andere,  reale  Garantien.  Diese  wurden  ihnen  gewährt 
durch  Verpfändung  von  Edelsteinen,  Kronkletnodien  und  sonstigen 
beweglichen  oder  unbeweglichen  Gegenständen;  femer  durch 
Stellung  von  Bürgen  und  Geiseln,  sowie  durch  das  sogen.  Ein- 
lagCT,  das  seinen  Ursprung  in  Frankreich  hatte.*)  Es  waren 
dies  nicht  neue  Arten  von  Sicherstellung,  die  die  Anleihen  im 
Großen  etwa  erst  geschaffen  hätten.  Man  hatte  vielmehr  das, 
was  bei  den  kleinen  Wechsler-  und  Wuchergeschäften  gebräuchlich 
wsFj  einfach  auf  die  bedeutenderen  Geldgeschäfte  übertragen. 
Zumal  das  LombardgeschäFt,  das  Darlehen  gegen  Faustpfand, 
wurde  von  den  Lombarden  sowohl,  von  denen  es  ja  seinen 
Namen  hat,  wie  von  den  .Wechslern  von  Cabors",  den  Kawcrzcn, 
und  den  Juden  tagtäglich  betrieben. 

■)  W.  SiinU  1.  ■.  o.  S,  *4. 

»)  F,  K   Röbd.  Dortinundct  FInini-  und  Slnitrwn«).    IS«    Bd.  1,  S  «-M 

■)  Dnrn  vrlWrm  Otund  iti  dlncn  Mändigm  Anidlim  ilchl  fokm  a,  i.  O.  dann, 
daJI  di«  Stadl  Binlisnctiilirrtclbl;  dk  SiullTird  lum  Dinkicr.  DlacSdtcdci  CaOkklunc 
tJn  Krrditvnm«  k^nm  vir  hier  riicht  «rilrr  v^rfol^m, 

•J  H.  SchrAdrr,  UhttnKh  dti  dntadwn  Rcdit^gnchichlc.   *.  Aull.,  S.  »3- 


I 


Geldffeschlfle  hansischer  Kaufleute  mit  DigUschen  Königen.     283 


Da  aber  das  Qetd  immer  häufiger  wurde  und  infolge 
dessen  immer  größere  Summen  ausgeliehen  werden  konnten,  so 
reichten  jene  etwas  roher  Formen  für  die  großen  Anleihen  nicht 
mehr  aus.  Am  frühesten  behalf  man  sich  auf  andere  Weise 
in  Oberitalien,  wo  ja  die  Stadtstaaten  Überhaupt  keine  Kron- 
kleinodien zu  verpfänden  hatten  und  kein  fürstliches,  lebenslänglich 
regierendes  Oberhaupt  sich  zum  Einlager  verpflichten  konnte. 
Den  Staatsgläubigern  -wurden  hier  schon  im  13.  Jh.  für  ihre 
Forderungen  die  Einnahmen  aus  der  Staatseinkünften  angewiesen; 
da  gerade  die  Italiener  es  sind,  die  in  der  Frühzeit  der  Geld- 
wirtschaft zu  Gläubigem  von  Fürsten  und  Städten  nördlich  der 
Alpen  wurden,  so  fand  diese  Art  Sichcrstellung  überall  Ver- 
breitung. 

Es  wurden  zunächst  die  Einkünfte  aus  den  Domänen  ver- 
pfändet, aber  auch  ganze  Landesteile  wurden  den  Oläubigem 
überlassen.  Sie  hatten  in  dem  verpfändeten  Bezirk  die  erforder- 
lichen Ausgaben  zu  bestreiten,  und  dafür  flössen  ihnen  die  Ein- 
nahmen so  lange  zu,  bis  sie  für  ihre  Forderungen  voll  befriedigt 
waren.  Besonders  auf  Hafen-  und  Binnenzölle  wurden  die 
Schulden  «fundiert";  diesen  Schulden  standen  als  ..schwebende' 
diejenigen  gegenüber,  die  noch  der  Regelung  harrten,  gleichsam 
noch  in  der  Schwebe  waren.')  Es  lassen  sich  auch  die  Anleihen 
mit  kurier  Rückzahlungsfrist  als  »schwebende-  Schulden  be- 
zeidinen,  während  man  die  Bestellung  von  Renten  zu  den  «kon- 
solidierten" zu  rechnen  verpflichtet  ist.  War  bei  einer  Anleihe 
eine  Zins-  oder  Leibrente  bestellt,  so  war  die  Schuld  sicherer 
fundiert,  als  wenn  dem  Gläubiger  bestimmte  Einnahmen  ver- 
pfändet waren;  aber  im  letzteren  Falle  konnte  er  ein  besseres 
Geschäft  machen.  Seine  Forderung  ging  nämlich  nunmehr  na- 
tOrlich  noch  auf  das  dargeliehene  Kapital,  aber  es  kam  hinzu 
die  Berechnung  für  die  Verwaltung:  er  mußte  den  betreifenden 
ihm  verpfändeten  Lindstrich  oder  die  Zollerhebung  in  eigene 
Ver\\'altung  nehmen.  Diesen  Umstand  benützte  so  mancher,  um 
möglichst  viel  für  sich  herauszuschlagen.    Ferner  kamen   hinzu 


■)  So  unicfuJiddfn  itcti  In  urKTcm  Zciliaiun,  abrclchnid  von  do  heutigen  Tcrml* 
nolOKic.  .schTcbendt-  mi  ttuadicrtc-  ^uldtn. 

18" 


284 


Oeore  Orosdi. 


die    Zinsen,    die    allerdings    gewöhnlich    schon    zum    Kapital 
geschlagen  waren. 

Zins  zu  nehmen,')  also  Wucher  zu  treiben  war  freilicJi 
nach  kanonischem  Recht  verboten;  dieses  Verbot  hat  indes  gar 
nichts  gefruchtet,  im  Gegenteil,  es  hat  nur  die  ruhige  und  stett 
Entwiciitung  des  Kreditwesens  gehemmt  und  dem  wirklichen 
Wucher  Vorschub  geleistet.  Getreu  der  Vorschrift  des  Evange- 
listen: »Mutuum  date  nihil  inde  sperantes"  verbot  die  Kirche 
nicht  nur  das  Darlehen  und  die  Antichrese,  sondern  sie  unter- 
sagte sogar  jeden  Nutzen  beim  Verkauf.  Ein  jedes  Rechtsgeschäft 
konnte  demnach  wucherisch  sein,  sobald  es  för  einen  der  Kontra- 
henten mit  irgend  welchem  Nutzen  verknOpft  war;  das  Darlehen 
mußte  es  immer  sein,  Dieses  Veto  der  Kirche  wirkte  geradezu 
lähmend  auf  das  Emporkommen  der  Celdwirtschait,  ohne  es 
freilich  auf  die  Dauer  verhindern  zu  können.  Am  meisten  kam 
es  den  faulen  Schuldnern  zugute.  „Die  Kapitalbesitzer  wurden 
durch  die  Erfahrung  immer  aufs  neue  belehrt,  daß  das  Wucher- 
verbot von  jedem  zahlungsunfähigen  Schuldner,  besonders  aber 
von  bankerotten  Fürsten  noch  jederzeit  benutzt  werden  konnte, 
um  die  Abschüttelung  finanzieller  Verpflichtungen  nicht  nur  zu 
erleichtem,  sondern  obendrein  mit  dem  Schein  des  Rechts  zu 
umgeben.  Sie  wußten  femer,  daß  dies  von  den  Untertanen  des 
Fürsten,  soweit  sie  nicht  selbst  dessen  Gläubiger  waren,  aufs 
sehnlichste  gewünscht  wurde,  daß  also  ein  fCirstliclier  Bankerott 
ein  volkstümlicher  Akt  war,  was  die  Versuchung,  es  auf  einen 
solchen  ankommen  zu  lassen,  wesentlich  verstärkte."')  Die  Folge 
war  die,  daß  man  das  Verbot  einfach  umging,')  und  ferner,  daß 
die  Darleiher  den  Zinsfuß  nach  ihrem  Risiko  festsetzten  und  die 
Schuldner  geradezu  auspreßten. 

Bei  einem   Kreditgeschäft  war  dies  nicht  so  leicht  möglich. 


>)  V(l.  W  Nwmann,  Gwchlchw  dn  Tuchrn,  S.  H  If.  VhI.  aucli  die  EinldtnnE. 
■The  prindpal  crime  lald  M  Cht  chinci  of  tht  Jen  ui<t  tlit  Lumbudi  vultul  otprKliUBe 
mufy;  thit  olffli«  «m  in  llientlmilloii  ot  Ui«  Chuidi  >□  ti^lnou».  tiitt  It  ltivirl*blx  piKcd 
%Ü  Vtou  *ho  loolt  mottey  at  uatry  in  Ihe  highol  rank  of  ncamnrunlcattd  pcniMU'  toXKh 
•Fmnni)uC(t1  Ihr  omittini  ot  rv«ry  eiwd  anilmiiiailItltisol«VHy«vil,'  Lawmw  i.a  O.S  n, 

»J  R.  rhrrnbfrg  ■.  n.  O,  I,  ij. 

•J  V|ti.  W.  J,  Aihlcy,  KnRlliehr  WlrUftiifNirfwhirhW,  Dnitichr  Obmdninf  M 
Brcnuno  und  LncT:  Sammlung  lllcrrr  und  imiftn  stutiTincnicIuitlllcli.cTSctirlftm.  Nr  1. 
n.  >.  Ldpiii  it?«.    II,  ff!. 


UeLdgesdiäfte  tuiisischer  Kaufleute  mit  englischen  K&nigcn.    285 


beim  Renienkauf.  *)  Das  Verhalten  der  Kirche  diesem  Rechts- 
geschäft gegenfiber  war  zweifelhaft;  nach  streng  kanonischem 
Recht  fiel  es  unter  das  Zinsverbot;  indes  die  Ansichten  der 
tcanonistischen  Rechtslehrer  gingen  hierüber  auseinander,  die  einen 
hielten  es  für  erlaubt,  die  andern  verwarfen  es  vollständig.  Als 
endlich  der  Karthäuser-Prior  Roland  von  Köln  auf  dem  Konzil 
zu  Kostnitz  wieder  die  Frage  zur  Erörtening  brachte,  ob  diese 
Verträge  erlaubt  oder  sündig  seien,  entschied  sich  die  große  Mehrzahl 
der  anwesenden  Autoritäten  für  die  Billigung  des  Rentenkaufs,  han- 
delte es  sich  doch  dabei  um  die  Einkünfte  des  Karthäuscrordens. 

Diese  Entscheidung  förderte  noch  die  Verbreitung  des  Renten- 
kaufs; er  hatte  aber  schon  bis  dahin  einen  großen  Umfang  an- 
genommen, zumal  in  den  Städten.  Die  Stadt  schloß  hauptsachlich 
ihre  Anleihen  in  der  Form  ab,  daß  sie  Zins-  und  Leibrenten 
verkaufte,")  und  die  Kapitalbesitzer  gaben  ihr  Geld  gern  gegen 
solclie  Art  der  Sichcrsiellung.  Die  Beteiligung  an  diesen  Finanz- 
operationen war  eine  weilreichende,  wie  ein  Blick  auf  die  Zahl 
der  Geldleiher  in  den  verschiedenen  Städten  zeigt. ■)  Es  war 
überflüssiges  Kapital  vorhander,  und  der  Renlenkauf  wurde  als 
ein  Mittel  begrüßt,  dieses  sicher  und  fest  anzulegen,  da  der  Geld- 
geber ausdrücklich  auf  Rückzahlung  des  Dargeliehenen  verzichlete. 
Wollte  er  sein  Darlehen  ja  wieder  haben,  so  konnte  er  es  nur 
dadurch  erlangen,  daß  er  die  Rente  weiter  verkaufte. 

Was  das  Wesen  derselben  anlangt,  so  stand  von  Anfang  an 
die  fortdauernde  Renlenberechtigung  im  nahen  Zusammenhang  mit 
dem  Grundstück  und  teilte  ihren  Platz  zwischen  dem  Forderungs- 
und Sachenrecht:  sie  hatte  als  un körperlicher  Teil  des  Gmnd- 
stQcks  den  Charakter  einer  Immobilie,  der  Rentenkäufer  hatte 
eine  Gewere  an  der  Rente.  Der  Verkauf  derselben  kam  deshalb 
dem  eines  Grundstücks  gleich,  da  er  nur  im  Wege  der  Auf- 
lassung, vor  Gericht  oder  Ral,  geschehen  konnte. 

Aber  nicht  nur  die  Städte,  auch  die  Fürsten  bedienten 
sich    bald    dieses   Kreditgeschäftes;    sie   zumal    bestellten   gerne 

1)  R.  ChrcntMcric  •.  a.  O.  S.  1.  R.  SchrMcr  l  a.  0.  S.  »Tt.  O.  Cohn,  Syitcm 
dcf  Naiioiulokanainie  U.  Bd.  $  411  u.  j  04,    W.  Nriiniann  ■,  ■  O.  S.  Ii;-»9. 

')  W  Sfirda  i.  i.  O  S.  1*K,  t\tni\t  aut  den  Porachunscn  SlioJu  gehl  die  B«> 
dntuned«  ZtiM-  und  RmWikaufa  für  Alt  Flnuintinxhaft.  J*  Kr  dl<  Wlm<liaf( drr  StadI 
im  iptlcmi  Mltlelaltcr  ilbrrtiaiipl,  emiiituirn  lirrvor. 

>)  Für  MainliiitB  ttellt  «  auumiiitn  Sll«da  a>  a.  O.  S.  19. 


Georg  Grosch. 


Leibrenten,  die  mit  dem  Tode  des  Inhabers  erloschen.  In  größerer 
Ausdehnung  findet  es  sich  allerdings  erst  dann,,  als  die  Anleihen 
der  Fürsten  ihren  prJvatrechtlichenCharakter  mehr  und  mehr  verloren. 

In  England  speziell  geschah  schon  recht  früh  ein  weiterer 
Schritt  nach  der  öffentlich-rechtlichen  Sdte  hin.  Es  wurde  hier 
Sitte,  daß  sich  das  Parlament  für  den  König  mit  verbürgte. 
Ferner  war  gerade  in  England  eine  Institution  geschaffen  worden, 
die  den  Zweck  hatte,  die  Ftnanzverwallung  zu  zentralisieren,  was 
ebenfalls  zur  Verstaatlichung  derselben  hinleitete:  die  königliche 
Schatzkammer.  »The  first  public  Institution  in  England  partaldng 
somewhat  of  the  nature  of  a  Bank  was  the  Exchequer,  founded 
by  William  the  First.  The  original  name  of  the  Exchequer 
was  Scaccarium.  Sometimes,  when  money  was  paid  in  or  ten- 
dered  to  the  Exchequer,  supposed  to  be  alloyed  beneath  the  l^:al 
Standard,  it  was  brought  lo  the  fire  to  be  tested:  this  was  calied 
combuslio  examen.  The  Exchequer  was  originally  a  court  of 
conservation  of  the  prerogaiives  as  well  as  the  revenues  of  the 
Crown.  11  was  Ihe  especial  duty  of  the  Treasurer  and  Barons 
of  the  Exchequer  to  see  that  the  rights  of  the  Crown  were  not 
invaded  by  such  as  claimed  liberties  or  exemptions."  *) 

Freilich  solange  noch  die  Einkünfte  einzelner  Landschaften 
oder  die  Zölle  aus  bestimmten  Häfen  oder  Teilbeträge  aus  den 
zollen  an  einzelne  Qeldleute  und  an  Konsortien  von  Kaufleuten 
verpfändet  wurden,  konnte  von  einer  einheitlichen  Finanzver- 
waltung nicht  die  Rede  sein.  Es  gab  immer  soviele  Einzelver- 
waltungen,  als  Verpfändungen  vorgenommen  waren.  Die  Schatz- 
kammer hatte  aber  doch  das  Gute,  daß  sie  den  Gläubigem  der 
Krone  auf  die  Finger  sah  und  diese  möglichst  vor  Betrügereien 
74J  schützen  suchte.  Bei  einigen  Pfandverträgen  wird  auch 
ausdrücklidi  bestimmt,  daß  die  Abrechnung  vor  dem  »Royal 
Exchequer*  zu  geschehen  habe.*)  ' 


■)  UwMMi  >.  *.  O.  S.  i*tt.  Die  Darddlung  CuiuiicighinH  (a,  a.  O.  S.  Dllf.) 
whtitfll  «kh  Im  aIIg«mFinoi  in  die  Lavioni.  ii\r  ich  hicf  Bu»iLt,>^vnie  g«gebni  tiibe.  an, 
nur  Brhr  «  ii»hrr  lul  öw  »Diilnipn  de  Scacx»ho*  an  fli^rliol»  KichirJ  von  I.onJon  »In, 
dec  a\t  laiiEkcU  und  Or£anlul!nn  dn  Cxchrqucr  unla  Hclnilcli  U,  bnrhrritit  Dir  ftc- 
incbnuns  .Satorlum-  leitet  Lavion  hec  .ftom  Kicvtiin  «t  Kucrtii,  Ihc  .chni-tioan]*, 
bmuM- 1  (hrquertd  clalh  vtiui«]  il  th(  Exfhrq,urr-  ilw  von  dpr  gchichbivtUrU  [  Ifirrlcrtm 
KTHditni  der  .■noniiiUn'ti  ol  ihr  tichniaer.* 

<)  Z-  B  bd  ilem  Pachivntiae  ivischtn  Tidemtn  von  Umbrrs  unddtm  Khwarxen 
Pximea, 


Qddgeschiftt  hansischer  Kaufleute  mit  englischen  Königen.    237 

Soweit  waren  die  VerhäÜnlssc  also  gediehen,  a!s  die  han- 
sschen  Kaufleute  anfingen,  mit  dem  englischen  Konig  Qeldgeschäfle 
im  Großen  zu  betreiben.')  Deshalb  finden  wir  bei  diesen  alle 
die  Arien  von  Sicherstcllung  wieder,  wie  sie  die  Entwicklung  des 
Kreditwesens  bis  dahin  geschaffen  hatte. 

Da  ist  zunächst  noch  recht  häufig  die  Anleihe,  die  gegen 
Bestellung  eines  Faustpfandes  aufgenommen  wird.  Die  hansischen 
Kaufleute  erhalten  für  ihre  Darlehen  die  große  Krone,  die  kleine 
Krone  und  andere  Kleinodien  des  Königs  2U  Pfandbesitz,  wobei 
der  englische  König  stets  die  Vorsicht  gebrauchte,  daß  «r  seine 
Wertstücke  unter  Siegel  legen  ließ,  damit  nicht  etwa  edle  Steine 
herausgebrochen  oder  mit  unechten  vertauscht  worden.*) 

Auch  von  einem  «Einlager"  erfahren  wir,")  denn  1340 
hatten  sich  für  den  König  seine  VerbQridetcn,  die  Herzöge  von 
Brabant  und  Geldern,  sowie  Otto  von  Cuyk  und  Simon  de  Haie 
in  Brüssel  als  Geiseln  gestellt,  bis  sie  durch  Bezahlung  von 
8300  £  von  Seiten  der  dreizehn  deutschen  Kaufleute  befreit 
wurden.  Für  diese  selbst  war  aber  diese  Art  von  Sicherstcllung 
zu  unbequem,  ja  beinahe  undurchführbar,  denn  sie  konnten  die 
«  Einlieger"  doch  nicht  gut  nach  Köln  oder  Dortmund  kommen  lassen. 

Darum  war  für  die  fremden  Gläubiger  das  bequemste 
Mitte!  zur  Sicherung  ihrer  Darlehen  und  zugleich  zum  Wieder- 
empfang des  geliehenen  Geldes  die  Verpfändung  der  Staatsein- 
nahmen, besonders  der  Hafenzölle,  die  ja  in  England  unter  allen 
Einnahmen  die  größten  Summen  lieferten.  Bei  dem  steten 
Geldbedarf  der  englischen  Könige  war  schon  früh  die  Unsitte 
eingerissen,  den  Zoll  sich  im  Voraus  bezahlen  zu  lassen  und 
dem  Kaufmann,  der  so  seiner  Verpflichtung  bereits  nachgekommen 
war,    die  Lizenz  zur   zollfreien  Ausfuhr   des    betr.  Exportartikels 


>)  R.  Elircnbcrs  a.  >.  O.  1,  t*  I.  t«Ut  für  dit  Ajildhm  im  Qroßrn  nnd  rts*l- 
iniBt(^  rnuwnhiFlFn  AftHi)patlon«n  «inr  viel  i^tet«  Zctt  an.  FQr  Encland  M  n  ininalilU 
laiJtUtttä.  *<(  die  Salehiineen  zcischcn  du  Kronffunil  den  itilioicm  und  hinrni  bnciun 
ra»  llilitn  »gl.  OcoiK  Schneider,  Die  Ilnanrirllm  Bcilehungcn  ücr  floimdniitheii  Banltitn 
inr  Kirche  *on  U)f  bis  1394.  FQr  Ociificliland  *tiit  eJn  grOlkm  GrliI|{T^diilt  am  >1bii 
Anhng  des  IS.  Jh  n>«h:  W  Stitdn,  Ein  Ocl<t|;Bcliifl  K*iset  Slirisiilundi  uil  huislschen 
KwflenUn,  Hamlirhe  OBiThidibblälter.  1S17.  S.  a»H,  \'si.  »udi  wun  dmt^Hliai  Anloi 
4ie  trwU\^^e  Untrirucliuni :  SUdllschc  Flnanioi  im  MLItcUttcr. 

'I  .  .  .  La  itilr  orDTif  m  li  üirlc  da  diu  mirchinU  pir  deli  dctout  Im  te*l»  urc 
PtKlippcdcWrtliHicelsitT  WilLiani  ilc  NoiÜiTclIc.  .  ,  Kunjc,  KtnKditm.  121.  CbcnM  tJI. 
Der  Z*«li  lil  Uu. 

>)  Ob«  S.  m. 


2S8 


Oeore  CroedL 


bis  zur  Höbe  des  gezahlten  Betrages  zu  gein-ihren.')  ^^«i 
nun  die  Vorausbezahlungen  derart,  daß  die  fremden  Kaufleule 
tnt  durch  jahrelange  Ausfuhr  wieder  zu  Üirem  Gdde  gekommen 
wiren,  so  war  der  unmittelbare  Anlaß  zur  Verplandung  der 
Hafenzölle  gegeben.  Später  wurde  sie  bd  Qcwähning  von  Dar- 
lelien  Qberbaupl  zur  Bedingung  gemadit  Tklenun  von  Limberg 
ließ  sich  einmal  noch  überdies  die  Krone  als  Faustpfand  bestellen, 
bis  er  seine  Summe  aus  den  2IÖlIen  wieder  hätte.') 

Auch  die  Einnahmen  aus  dem  Binnenlande,  wie  der  Zehnte 
und  Fünfzehnte,  werden  den  Fremden  verp&ndet  Freilich  der 
Unsicherheit  und  der  Umstand llchketl  halber  haben  sich  damit 
mehr  die  Einheimischen  als  die  Ausländer  befaßt  Tideman 
von  Limberg  kommt  bczeichnender^'eise  zu  einem  solchen 
Geschäft  erst  durch  einen  Vertrag  mit  zwei  Einheimischen. 

Die  Verpachtung  der  Bergwerke  schließlich,  die  infolge  des 
Bergr^als  den  F&rslen  zustanden,  kam  insofern  einer  Verpfändung 
gleich,  als  der  Pächter  eine  Abschlagssumnie  im  voraus  bezahlen 
mußte.  Dieses  Vorausbezahlen  war  überhaupt  erst  die  Bedingung 
für  den  Abschluß  des  Pachtvertrages,  den  man  gewöhnlich  nur 
deshalb  einging,  weil  man  eben  in  Geldverlegenheit  war. 

Neben  den  durch  Antizipationen  der  Kroneinnahmen  er- 
möglichten Anleihen  beschaffte  sich  der  englische  König  aber 
auch  dadurch  Darlehen,  daß  er  den  Gläubigem  jährliche  Renten 
aussetzte,  die  auf  bestiminte  Einkünfte  fundiert  wurden  und  an 
gewissen  Tagen  auszuzahlen  waren. ^)  Wir  dürfen  uns  aber  nicht 
wundern,  daß  wir  diese  Rentenbestcllung  für  hansische  Kaufleute 
nicht  häufiger  angetroffen  haben,  denn  auch  diese  Art  der  Sichcr- 
steilung  und  der  Schuldentilgung  eignete  sich  mehr  für  die 
Inländer  als  die  Fremden.  Wir  müssen  immer  bedenken,  daß 
die  Hansen  nur  als  Händler,  d.  h,  immer  nur  vorübergehend  in 
England  waren,  was  die  Einforderung  der  Rente,  die  an  einem 

')  Ahnirch  vrrtilll  rt  t!ch  mll  drn  AnlHhm  drr  Pipalc:  dlKC  hmult««  die  Bitikni, 
dlt  «le  mit  d«  Kollrki»  dt»  Zchntfn,  d«  PclPUptmnlE»  "*■•  bclmK  haben.  i\%  Kirditbankm, 
Sic  nehmen  tlat  Anirllic  bd  der  b<tr.  ßank  aul  unil  ftradim  >ic  liaiin  lul  die  Kollekte 
V|t.  0-  Sdtnddcr  r  s.  0..  ba.  K^iiLtcl  III. 

^  In  4tm  Ixkuintcn  Vcrtiiü  cvJKticn  jah.  von  Wocnhini  uikI  Tideman  von  Llni> 
box  eintftdl*  und  W.  dcChtilln«  und  01tl>,  de  Wciidlyngbm^h  .andcnciU.  K'iin».  Hmm«- 
■klcn  III :  ....  In  Kvinldilz  Wiul«  el  Qilbol  pnr  k'^i''^  tuiic  liiic  de  I«  cuvRianU 
nidJiM  on  ballln  t  tn  •utnldiu  jahui  rt  Tydrmm  U  Html  raionnc  noilrr  Mrenour  It  rol.* 

■)  tjic  Bnlcllung  von  ttcnlcn  von  srltrn  drr  l'UrtIcn  Ulli  ticli  Uta  Khan  Fllr  dtc 
Mllie  dn  <*.  Jht.  mctivciicn'    DUi  gcacn  Chrcnlxrg  •  «.  0,  S.  39t. 


Ocldgeurtiältc  hansischer  Kaunnite  mit  englischen  Kflnigen.    289 


bestimmten  Tennin  ßllig  war,  außerordentlicti  erschwerte,  femer, 
daS  sie  ihr  Kapital  nicht  dauernd  festlegen  wollten,  weil  sie  es 
immer  wieder  für  den  Handel  oder  m  neuen  Geldgeschäften 
brauchten.  Vielleicht  hatte  sich  Qodelcln  von  Revele,  dem  drei- 
mal eine  jährliche  Rente  von  je  lOO  Mark  ausgesetzt  ward,  mit 
dem  Gedanken  getragen,  das  Indigenat  zu  erwerben,  was  vor 
ihm  schon  mancher  deutsche  Kaufmann  getan  hatte, ^)  Die  Emp- 
fänger der  zweiten  Rente,  Tideman  von  Limberg  und  Johann 
atle  Wolde  haben  sie  erst  als  Gläubiger  eines  Engländers,  für 
den  sie  eigentlich  bestellt  war,  empfangen.  Als  dann  Tideman 
von  Limberg  England  für  immer  verlassen  muß.  da  verkauft  er 
sie  wieder  an  einen  Einheimischen. 

Auch  auf  das  im  fr&heren  Mittelalter  so  beliebte  Mittel, 
Kirchengut  einzuziehen  und  sich  durch  Verlehnung  desselben 
aus  seiner  Notlage  zu  helfen,  greift  Eduard  III.  zurück.  1348 
und  USO  überträgt  er  dem  Tideman  von  Limberg  in  den  ver- 
schiedenen Grafschaften  Landbesitz  aus  dem  eingezogenen  Kloster- 
gut.')  Die  alten  Formen  sterben  eben,  wenn  die  Entwicklung 
auch  nach  einer  andern  Richtung  fortschreitet,  nicht  völlig  ab, 
sondern  gehen  immer  noch  neben  den  vollJtommneren  her. 

Anlage  1. 

Übersicbt  der  Wollausfabr  1277  bis  Jan.  1278. 


Herkunft 

Lizenzen 

Antdl 
an  der 
Ausfuhr 

der 
Kaufleute 

Zahl 

Oesanil- 

Betrag 

(Sack) 

Klein- 
tier 

QrSBItc 

betrag 

Durcli- 

schnittt' 

Malten     .     .     . 

26 

4235 

20 

300 

163 

29,6 

Frankreich  .    . 

67 

3119 

3 

140 

46 

21,8 

Holland  .    .    . 

79 

2974 

2 

100 

38 

20.  S 

Deutschland 

37 

1655 

10 

100 

45 

11,6 

Brabant  .     .     . 

26 

1478 

4 

100 

57 

10,3 

Spanien  .    .     . 

2 

100 

50 

50 

50 

0,1 

Irland      .     .     . 

) 

23 

- 

- 

- 

0,2 

Unbestimmt 

14 

717 

6 

100 

51 

5,0 

Au(^  PRO.  Tower  Mlicrtl.  Rollt.   Nc 
BxtxM  bd  Kunze,  HanMaktoi  Ni.  3», 

».  *2.    S 

Edw.  1.  u 

jid  a  Ed 

w.  1.    ZuMniinai* 

■J  Vgl.  K.  Kvau.  HuMakun.    Elnl.  { 

i.  XXVH 

1  Oben  S.  I6t. 

Georg  Orosch. 


Anlage  II. 
Lizenzen  zur  WollaosTuhr  Tür  deutsche  Kaufleute  im  Jahre  1339. 


Ditum 


Ausstellungs- 
ort 


Jan.  6. 

Jan.  &. 
Jan.  10. 


Jan.  26. 
Febr.  i. 

April  12. 

Aug.  3. 
Aug.  3. 

Aug.  8. 


Antwerpen 


Berkhamp- 
stead 

Bcrkhamp- 
slcad 


Lizenzen 


Berkhamp- 
stead 

Windsor 


Antwerpen 

Windsor 
Windsor 

(Windsor) 


Für  Qodekin  von  Revele,  Johann  v. 
KUngcnbcrg  und  Alwin  v.  Revele 

für  SOO  Sack       

Kun«,  Hanseakten,  10*) 

Für  Godekin  d.  Älteren  und  Alwin 

V.  Revele  für  Wollenausfuhr. 
Hansisches  Urkunden  buch,  II.  Anh.  I,  11 

Für  Konrad  Sudermann,  Ludckin  v. 
Ariesl,  Heinr.  Wale,  Johann  Klip- 
ping,  Heinr.  v.  Revele,  Goswyn  v. 
Lydynghausen;  für  Hildebrand 
Sudermann,  Heinrich  v.  Brakel 
und  Hiidebr.  Beresworlh. 

Hansisches  Urkundenbuch,  M.  Anh.  1,15 

FQr  Johann  Brun  von  Lydynghausen 

und  Richard  Sudcrland 
Hansisches  Urkundenbuch,  II.  Anh.  1,16 

Für  OodeWn  von  Revele,  Joh.  von 
Klingenberg  und  Alwin  v.  Revele 
für  500  Sack  

Hansisches  Urkundenbuch,  11.  Anh.  1.17 

För  Hiidebr.  Sudermann,  J.  Brakel, 
Joh.  Sudermann  und  H.  v.  Berea- 
worih  für  106  Sack       .     .     .     . 

Hansisches  Urkundenbuch,  II.  Anh.  1, 18 

Für  Hiidebr.  Sudcrmann  und  Joh. 

Brakel  für  90  Sack 

Hansisches  Urkundcnbuch.  II.  Anh.  I,  19 

Für  Hildebrand  und  Johann  Suder- 
mann, Heinr.  Wale,  Tileman  von 
Revele  und  Johann  Sudermann  jun. 
für  300  Sack  

Hansisches  Urkundcnbuch,  11.  Anh.  1,  20 

Für   dieselben    für    300    Sack   aus 
London,  500  Sack  aus  Boston 
Kunze,  Hanscakten,  111.    Anm.  l. 


SOO 


500 


10fi 


90 


300 


800 


Sa.  i  2296 


r 


Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleule  mil  englischen  Königen.    291 


Datum 


Ausstellungs- 
ort 


Aug. 

10. 

Aag. 

29. 

Scpt 

1. 

Sepl. 

16. 

OkL  10. 

Okt. 

to. 

Dez 

A. 

Dez. 

14. 

Windsor 


Windsor 


Brüssel 


Windsor 


Windsor 


Windsor 
Langley 

Antwerpen 


Lizenzen 


Übertrag 

Für  Godckin  von  Revele,  Winand 
von  Revele,  Alwin  von  Revele  und 
Konrad  von  Afflen  für  500  Sack 

Kunze,  Hanseakten,  tto.    Hansisches 
Urkundenbirch.  U.  Anli.  I.  21 

Für  Konrad  Sudcrmann,  Konrad  und 
Hildebr.  Beresworth  für  20  Sack 
aus  London,  180  Sack  aus  Boston 
u.  50  Sack  ausKingston-upon-Hull 

Kunze,  Hanseakten.  111.     Hansisches 
Urkwndenbuch,  H,  Anh,  I,  22 

Für  Konrad  Klipping,  Heinr.  Mudde- 
penyng,  Oottschalk  atte  \\^olde  und 
seine  BrQder  Johann  und  Tirns, 
Zenard  Spissenaghcl,  Oottschalk 
Klipping,  Albert  Klipping,  seine 
BrQder  Johann  und  Konrad  und 
Wessel  von  Berg  für  1500    .    . 

Hansisches  Urkundenbtich,  II.  Anh.  I,  2i 

Für  Radulph  de  Coten  und  Richard 
Suderland  für  15S  Sack    .    .    . 
Kunze,  Hanseakten,  112 

Für  Johann  atte  Wolde,  Const  Smyt- 
husen,  Job.  Klipping,  Wessel  von 
Lossynghcn,  Hildcbr.  Eckholt,  Joh. 
Slerrenberghe,  W.von  Ispelincrode, 
Heinr.  Grcnepape   für  240   Sack 

Hansisches  Urkundcnbuch,  IL  Anh.  I,  24 

Für  dieselben  für  170  Sack  .    .    . 
Hansisches  Urkundeitbiich,  IL  Anh.  I,  25 

Für  Hildebrand  Sudermann,  Heinr. 
Wale,  Tileman  von  Revele  und 
JohannSudemiannjnn.  für  300  Sack 

Hansisches  Urkunden  buch,  II.  Anh.  I,  28 

FQrConstantinSmythusenfCiriOOSack 
Hansisches  Urkundcnbuch,  II.  Anh.  f,  39 


250 


1S00 


ISS 


240 


170 


300 


100 


Sa.     I  S511 


292 


Georg  Qrosdi. 


Anbgc  tu. 

Geldgeschäfte,  an  denen  Tidcman  von  Unberg  beteiligt  ist. 


Datum 


Mirz  u. 


Mai  8. 
1340 


Aug.  8. 
1340 


1340/41 


Jan.  26. 
134J 


Juni  2. 
1341 


AusstelliiRg*- 
ort 


Das  Geldgeschäft 


Westmi liste r^j  Der  König  bekennt  sich  als  Schuldner 

von  Johann,  Sohn   Simons   von 

Oent,  und  von  Tidcman  von  Lim- 

berg  für  1000  £ 

Hansisches  Urkundenbuch,  |[.  Anh.  1,  34 


Eduard  III.  verpfändet  13  genannten 
deutschen  Kaufleuten ,  darunter 
Limberg,  für  Darlehen  im  ganz« 
von  264Ö0  £  die  WolU  u.  a.  Aus- 
fuhrzölle big  27.  Mai  1341    .     . 

Hansisches  Urkundenbuch,  M,  Anh.  I,  36. 
Kunze,  Hansealrtcn,  114 


Berkhanip-   Für   Konrad   von   Afflcn,   Tidemati 
stcad  von  Limberg,  Johann  atte  Wotde 

und  Qen.  eine  Ausfuhrlizenz  im 
Betrag  von  3386  Sack. 
Hansisches  Urkundenbuch,  II.  Anh.  1,  J7 

Nach  den  Zollisten  erhalten  die 
deutschen  Kaufleute  Tidenian  von 
Limberg  und  Gen.  eine  Lizenz  zur 
zollfreien  Ausfuhr  von  500  Sack, 
um  für  den  König  100  Sack  Wolle 

zu  bezahlen 

Kurue,  Hanseaktetr,  117.    Anm.  2 

Wcstminsfcr  Tidcman  von  Limberg  und  Gen,,  für 
die  Summen,  die  ihnen  der  König 
>     schuldet,  von  neuem  auf  die  Zölle 
I     gewiesen. 
I  Hansisches  Urkundenbuch,  U.  Anh.  I,  46 


Tower 


iTideman  von  Limberg  und  Qen.  fQr 
2400  £,  die  sie  dem  König  zur 
Besoldung  des  Burggrafen  von 
Seeland  vorgeschossen,  auf  die 
Wotizölle  gewiesen 

I  Hansisches  Urkundenbuch,  II.  Anh.  I,  59 


Betrag 


1000 


26400 


1000 


2400 


Oddgeschäfle  hansischer  Kaufloite  mit  englischen  Königen.     293          ^^^^| 

^H 

DAtum 

AusslelluRgs- 
ort 

Das  Geldgeschäft 

Beirag           ^^^| 
(£)             ^H 

Juli  28. 

Havering 

Eduard  III.  bekennt  sich  als  Schuldner 

^H 

1341 

atle  Bure 

von    Konrad    Küpping,    Oodekin 
von  Revele  und  Liinberg  und  Gen. 

^H 

für  723  £  4s  4d 

723          ^^1 

Hansisches  Urkunden  buch,  II.  Anh.  [,  bl 

^^H 

Juni  20. 

Walmer 

Limberg  und  Gen.  erhalten  von  der 

^^H 

1342 

von    der    Kauf  mar  nschafl   jüngst 
bewilligten  Subsidie  von  40  s  auf 
den  Sack  Wolle,  40s  auf  300  Woll- 
felle und  6  Mk.  auf  die  Last  Häute 
je  1  M.,  1   M.  und  2  M. 
Hansisches  Urkunden  buch.  II,  Anh.  1,  73 

■ 

.     Sept  1 5. 

Fastry 

Eduard  111.  verpfändet  den  deutschen 

t342 

Kaufleulen  Limberg  und  Gen.  für 
ein  Darlehen  von  1000  £  weitere 

20s,  20s  und  40s  vom  Zoll  .     . 

1000 

Kunze.  Hanscaktai,  121 

Okt  1. 

IT 

Eduard  III.  an  die  Wollzöllner  und 

1343 

den  Wäger  zu  Kingslon-upon-Hull: 
befiehlt,  nur  in  Gegenwart  Johann 
atte  Woldes    und    Tidemans    von 
Limberg  Wolle  daselbst  zu  wiegen. 
Hansisches  Urkundnibucli ,  11.  Anh.  I,  705 

Mai  23. 

Wcstminslei 

Vertrag  zwischen   Eduard   III.  und 

1343 

den  deutschen  Kaufleuten  Limberg, 
Wolde  und  üen.  behufs  Auslösung 

der  großen  Krone   für  45  000  fl. 

8062 

Hansisches  Urkundenbuch,  II.  Anh.  t,  7fr 

(45000 

Kun«,  Hanseaklen,  132 

fl) 

Febr.  15. 

■ 

Eduard  111.    überträgt  auf  Bitte  des 

1344 

Mathäus  Carnaceo  eine  demselben 

jfihrl. 
Rente 

verliehene  Jahresrentc  von    50  X 

auf  dessen  Gläubiger  Johann  atte 

von 

Wolde  und  Limberg     .... 
Kunze,  Hanseaklen.  124 

25 

MIIZ3. 

■• 

Befehl   an    Limberg  und   Gen.  zur 

1344 

Auslieferung  der   Zollsiegel;   die 
Wollzölle  an    t2  englische  Kauf. 
leute  verpfändet. 

Kunze,  HanMaMen,  125     1 

^^H             294                                      Georg  Grosch. 

f ^^^^^^^^^^^1 

■ 

^^^V                Datum 

AurteUangs- 

ort 

Das  Ocldgeschift 

Betrag         ■ 

"                     Dez.  20. 

Hoxne 

Limberg  wird  für  4400  Goldgulden. 

1 

1344 

die  er  zur  Auslösurtgder  Kleinodien 
des  Königs  zu  Köln  hergegeben 
hat,  auf  btstJmmle  Summen  der 

4 

Wolknsteuer  verwiesen      .    .    . 

800 

Hansisches  Urkundenbuch,  II.  Anh.  I,  88 

1345 

Mehrmals  Befehle  zur  Abtragung  von 

Schulden  an   Limberg  und  Gen. 

Hansisches  Urkundentmch,  II.   Anh,  I, 

April  4. 

London 

Verpfändung  der  zweiten  königlichen 

U46 

Krone  an  Limberg. 
Hansiscltes  Urkundcnbucli,  11.  Anh.  1, 95 

^ 

April  2J. 

ir 

Vertrag  zwischen  Limberg  und  Johann 

■ 

1347 

von  Wesenham  mit  zwei  Londoner 
Kaufleuten,   Wauter  de  Chiriton 
und  Gilbert  de  Wendlyngburgh: 
sie  beteiligten  sich  an  einem  dem 
König    gewährten    Darlehen    mit 
20000  Mark,   wofür  sie  auf  die 
Wollzölle  verwiesen  werden;   sie 
sollen  als  Anteil  am  Gewinn  1 3000 
Mark  aus  dem  Zehnten  und  Fünf- 
zehnten   erhalten.     Tideman    von 
Limberg    und    Genossen    geben 
1O0OO  £  und  sollen  6000  £  als 

10000 

Kunze,  Han»eakten,  MZ 

Juni  25. 

u 

Abschluß  des  Pacht\'ertrags  über  den 

1347 

Zinnhandel  und  die  Zinnbergwerke 
in  Comwales  und  Devorshire  mit 
Eduard,  Prinzen  von  Wales;  Lim- 

berg zahlt  4500  Mark  .... 

3000 

Hwslsches  Urkundenbuch.  MI.  Nr.  100 

1348 

Der  König  bestätigt  Limberg    «auf 
1 000  Jahre"  Güter  in  verschiedenen 
Grafschaften. 

Hansisches  Urkundenbuch,  III,  Nr.  55. 
Anm.  J 

Mlj  2t. 

Weslminster 

Ritter  William,  Sohn  Richards  de  la 

U4« 

Pole,  Schuldner  LimbergsfürZOOjC 
l                        Kiin«,  HsnsMWen,  13« 

200         M 

J 

^^^^^^^^^^ 

Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleulc  mit  etiglischen  Königen.     295              ^M 

1 

Datum 

A.ssletlungs-[                 Das  O.ldgeschäft 
ort 

Beirag              ■ 

(£)            ■ 

Juni  26. 

Westrain  ster 

Der  Londoner  Kaufmann  Heinrich 

■ 

1349 

Picard    Schuldner    ümbergs   für 

■ 

500  JE 

500 

Kiinic,  Hanseakten,  H2 

U50 

Limberg  und  Gen.  sind  wieder  im 

Besitze  der  Wollsteuer. 

Hansisches  Urkunden  buch,  III.  Nr.  71. 

Anm.  3 

April  6. 

ri 

Dem  Limberg  wird  abermals  von  dem 

1350 

eingezogenen     Klostergut    über- 
tragen. 
Hansisches  Urkundcnbuch,  IL  Anh.  1, 100 

Juni  26. 

■ 

Der  Trior  von  Wilminglon  Schuldner 

1350 

Liirbergs  für  lOO  Mark    .    .     . 
Kunze,  Hanseaklen,  1-43 

66 

1 352  bis 

Die  Prozesse 

t3S3 

gegen  Tideman  von  Limberg. 

März  26. 

Limberg  und  Qen.  erhalten  eine  An- 

1354 

Weisung  auf   1O0O  £   ,de  dono 

tooo 

Hansisches  Urkundenbuch,  11.  Anh.  1, 102 

Juli   30. 

» 

DtT  König  spricht  Limberg  und  Gen. 

1359 

von  den  5000  £  2s  6d  frei,  die 
die  Barone  de&  Schalzamleä  von 
der  Verpfändung  der  Krone   her 
noch  von  ihm  fordern. 
Hansisches  Orkundenbucli,  II  Anh.  1,  103 

Aug.  22. 
1359 

n 

Der  König  bekennt  sich  gegen  Tide- 

man  von  Limberg  zu  einer  Schuld 

■  w  V   ' 

von    1000  Mark 

66  & 

Hansisches  Urkundenbueh.  II.  Anh.  1, 104 

Nov.  8. 

if 

Eduard  tIL  an  die  Zolleinnchmer  in 

t3«3 

Kingston-upon-Hull:  er  befiehlt 
von  der  an  Tideman  von  Limberg 
und  den  verstorbenen  Johann  atte 
Wolde  verliehenen  Jahresrente  von 
50  £  die  zu  Michaelis  fällige  Hälfte 
an  Tideman  von  Limberg  auszu- 
zahlen. 

Kunze,  Hanseakten.  181. 

j_ 

Schöne  Spielewerk,  schöne  Rarität! 

Von  A.  KOPP. 


Zediere  «Großes  vollständiges  Universal-Lexikon"  SO  (i  741), 
891  enthält  hinter  einem  Abschnitt,  in  veichem  die  Bedeutung 
eines  Raritäfen-Kabinetls  oder  einer  Raritäten-Kammer  aus- 
einandergesetzt ist,  auch  einen  kleineren  Abschnitt  über  ein  jetzt  ver- 
schollenes, damals  noch  allgemein  bekanntes  Hilfsmittel  anspruchs- 
loser   Belustigung   und    Unterhaltung,  den  Haritäten-Kaslen: 

1.  Raritäten-Kasten  -  so  liest  man  in  dem  alten  Universal- 
Lcxikon  -  ist  ein  Kasten,  in  welchem  diese  oder  jene  alle  oder 
neue  Geschichte  im  kleinen  und  durch  darzu  verfertigtes  Puppen- 
werck,  so  gezogen  werden  kan,  vorgestellel  wird.  Es  pflegen  ge- 
meine Leute,  so  mehrenthcils  Italiäner  von  Geburth,  mit  solchen 
Kasten  die  Messen  in  Deutschland  zu  besuchen,  auf  den  Gassen 
herum  zu  lauffen  und  durch  ein  erbärmliches  Qcschrey:  Schöne 
Rarität!  Schöne  Spiel werck!  Liebhaber  an  sich  zu  locken,  die 
vors  Geld  hinein  sehen.  Weil  nun  solche  Dinge  mehr  vor  Kinder 
als  erwachsene  und  angesehene  Leute  gehören,  so  pfleget  man 
daher  Dinge,  die  man  herunter  und  lächerlich  machen  will,  Schöne 
Raritäten,  schöne  Spielwercke  zu  nennen.* 

Das  bunte  Spiel  des  gewöhnlichen  Lebens  und  auch  den 
allgemeinen  Weltlauf  mit  den  schnell  vorüberhuschenditn  Er- 
scheinungen eines  Guck-  oder  Raritäten-Kastens,  eines  Puppen- 
Oder  Schatten-Spiels  In  Vergleich  zu  setzen,  ist  ein  dichterisch 
wirksamer,  dabei  sehr  nahe  liegender  Gedanke.  Wenn  zumal  die 
großen  Haupt-  und  Staals-Aktionen  auf  der  Bühne  der  Welt, 
wenn  großmäclitige    Herrscher,   hochberühmte   Held«n,  altehr- 


Schöne  Spielnferk,  schöne  Rarität! 


würdige  Patriarchen,  heilige  biblische  Gestalten  unter  die  Ver- 
kleincrungslinse  gesetzt  vor  dem  geistigen  Auge  zusammen- 
sdimmpfen,  während  jene  kleinen  armseligen  Puppen  und  Ab- 
bilder ebenso  durch  angebrachte  Vergrößerungslinsen  wie  durch 
starke  Nachhilfe  der  Einbildungskraft  vor  dem  inneren  Auge 
kindlich  einfacher  Personen  als  wirkliche  Wesen  in  ganzer  Größe 
bei  vollem  Leben  erscheinen,  so  verwischt  sich  der  Unterschied 
zwischen  Sein  und  Schein  -  und  indem  durch  Aufbauschen  und 
Emporschrauben  einerseits,  durch  Verengem  und  Herabholen 
anderseils  Großes  und  Kleines,  Hohes  und  Niedriges,  Gerühmtes 
und  Verachtetes  einander  angenähert  und  in  Beziehung  mitein- 
ander gebracht  wird,  kann  ein  wilzbegabter  Geist  vortreffliche 
komische  Wirkungen  erzielen.  Diese  Wirkungen  wurden  dadurch 
noch  besonders  erleichtert,  daß  dieses  Raritäleti kästen-  und 
Schattenspiel-Gewerbe  fast  ganz  iti  den  Händen  welscher  Fremd- 
linge war,,  deren  gebrochenes  Deutsch  und  seltsames  Gebähten 
die  Menge  zum  Lachen  reizte.  Die  radebrechende  Vortragsweise 
solcher  Halbwelschen,  Savoyarden,  Deutsch-Italiener,  Deutsch- 
Franzosen  nachzuahmen,  war  in  der  ersten  Hälfte  des  achtzehrten 
Jahrhunderts,  wo  Messen  und  Märkte  von  jenen  possierlichen 
Gestalten  wimmelten,  ein  beliebter  Spaß,  und  Leasings  Riccaut 
de  la  Marliniere  hatte,  was  die  Sprechweise  behifft,  seit  langem 
Vorbilder  genug,  sowohl  in  der  Wirklichkeit  als  in  Schriften. 
Gewisse  stets  wiederkehrende  Wendungen  und  kleine  drollige 
ReimsprQcbe  jener  Seh  au  kästen  besitzet  waren  allgemein  bekannt, 
jedem  Jahrmarktsbesucher  ohnehin,  und  ein  einmaliger,  wenn  auch 
nur  .der  Wissenschaft  halber-  unternommener  Jahrmarkisbesuch 
mußte  schon  genügen,  ja  war  nicht  einmal  nötig,  um  solche 
schnurrigen  Anpreisungen  und  Ausrufe  zu  vernehmen  und  zu 
tiehallen.  In  Anlehnung  daran,  entweder  in  der  Art  wirklicher 
von  den  Besitzern  vorgetragener  Schau kastenüeder  ähnliche,  nur 
witzigere  für  gebildete  Kreise  zu  verfassen  oder  solche  mit  Benutzung 
jener  kuriosen  Formeln  für  den  Kehrreim  und  abgesehen  von 
der  Beibehaltung  des  marktschreierischen  Kolorits  frei  zu  erfinden, 
würde  selbst  jetzt  keine  große  Kunst  sein  und  war  es  um  so 
weniger  in  den  Zeiten,  als  noch  zahlreiche  lebende  Vorbilder 
herumzogen  und  sich  fiberall  aufdringlich  zei:^cn. 

ArtWv  lar  KuliUTgtsehlditr    11.  '9 


A.  Kopp. 


Das  literarische  Vorbild  für  alle  gedruckten  Schöne- Raritäten- 
und  Qudckasten-Gedjchte  folgt  hier: 

Schöne  Raritäten-Kasten  |  Schöne  Spielwerck  j  alles 
lebendig  alles  lebendig  [  zu  sehen  \  In  die  Kasten  von 
die  Wetlisch  Mann,  |  vor  i.  viertel  Grosch  |  vor  der 
Meß,  in  der  Meß  und  nach  der  Meß.  |  (4  Bl.  4*  o.  O.  &J. 
Königliche  Bibliothek  zu  Berlin,  Yk  981) 

RaritJlten  Multum! 

1.  Ich  bin  ein  armer  Welscher  Mann, 
Man  sieht  es  mir  an  Augen  an, 
DiB  Ich  so  vet  bin  hergelcommen, 
Und  habe  auch  mit  mir  genommen, 
Schöne  Raritäten,  schöne  Spiel-Wcrck,  la  bella  Calhuine 
Channante  Margretha,  schöne  Rarität  :/:  schöne  SpicI-Werck. 

3.  Nun  möchstu  sag'n,  mein  Welscho"  Mann, 
Wer  hat  dir  was  zu  Leid  eethan. 
Das  du  durch  stänckerst  alle  Löcher, 
Und  schreysl  darzu  wie  ein  Zahn- Brecher,  schöne  etc. 

3.  Jetzt  thu  ich  meinen  Kasten  auf. 
Ein  Mann  legt  mir  ein'n  Groschen  drauff, 
Eine  Frau  legt  mir  eine  Kanne  Bier. 

Ein  Kind  drey  Pfenge  und  schaut  dafür,  schöne  ete. 

4.  Nun  sdiaut  und  stehet  alle  still, 
Seht  hier  sind  der  Oesichter  viel. 

Sie  wertfen  die  Au^en  Kugcl-mnd, 

Als  lebten  sie  (riKh  und  gesund,  tchöne  etc. 

5.  Hier  «trt  der  Pabst  auE  seinem  Thron, 
Oezicrt  mit  einer  dreyfadien  Cron, 

Du  siehst  dabey  viel  tausend  Platten, 

Die  müssen  die  Reverenz  abstatten,  schöne  etc 

6.  Seht  wie  des  Käysers  Majestät, 
In  dem  Proccss  andächtig  geht, 

Herr  Pater  Wolff  schleicht  auch  mit  ein. 

Und  will  mit  in  den  Schalf-Stall  seyn,  schöne  elc 

7.  Hier  sind  die  Könige  ailzumahl. 
Aus  Englland,  Ungarn,  Portiigall, 

Aus  Schweden,  Denntinarck  und  Preusscn, 
Und  wie  die  andern  mögen  heissen,  schöne  etc. 

8.  Hier  zeigt  sich  Carl  von  Ocsleneidi, 
An  klugen  Sinn  dem  Vater  gleich. 

Nur  in  der  Spanschen  Monarchie, 

Kam  ihm  Philippus  gar  2u  früh,  schöne  elc. 


Schöne  SpJelewerk,  schöne  Ruitit!  299 

9.  Nun  Rath  einmahl,  wer  mag  der  seyn, 
An  Titul  groß  an  Thaten  klein, 

Er  hat  sein  I^btag  nichts  verbracht. 
Denn  nur  dn  Testament  gemacht,  schöne. 

10.  Augustus  der  geprießne  Held, 
Sucht  wieder  sein  verlohmes  Feld, 
Hitt  er  Qelück,  wie  Recht  und  Muth, 
Dem  Feinde  kostets  Halß  und  Blut,  schöne. 

It.  Seht  Pctem  den  berühmten  Czaar, 
Der  sonst  ein  wilder  Barbar  war. 
Der  setzt  sich  durch  des  Teutschen  Rath, 
In  einen  formidablen  Staat,  schöne. 

12.  Die  Königin  von  Engelland, 
Ist  durch  die  Klugheit  längst  bekannt, 

Ihr  Volck  und  Geld  sammt  HolUnds  Waffen, 
Die  machen  Franckrdch  viel  zu  schaffen,  schöne. 

13.  Hier  sitzt  der  grosse  Ludewig, 
In  Cabinäte  säuberlich. 

Die  Maintenon  sieht  gar  betrübt, 

Daß  sich  Turin  nicht  auch  ergiebt,  schöne. 

14.  Der  Dauphin  ist  dn  guter  Mann, 
Nur  daß  er  nichts  in  Bette  kan, 
Madam  de  Forae  kan  nichts  dafür. 

Und  strafft  das  Leyem  vor  der  Thür,  schöne. 

15.  Der  Hertzog  von  Burgund  ist  da, 
Der  Ldb  von  seinem  Qroß-Papa, 

Daß  er  ihm  ins  Qehäge  geht, 

Ob  gleich  sdn  Alter  schlecht  besteht,  schöne. 

16.  Duc  de  Berry  ist  ein  braver  Held, 
Doch  kommt  er  nidit  viel  in  die  Welt, 
Wenn  seine  Brüder  zu  Felde  gehn. 

Und  oben  an  der  Spitze  stehn,  schöne. 

17.  Hier  ist  der  Hertzog  von  Anjou, 
Der  Churfürst  zu  Bayern  auch  darzu, 
Rago:^  und  sonst  viel  Rebellen, 

Und  andre  Teuffels  Spieß-Oesellen,  schöne. 

IS.   Colins  Churfürst  ist  in  grosser  Noth, 
Und  frisset  Franckrdchs  Qnaden-Brodt, 
Er  bringt  Calender  aub  Tapet, 
Da  nicht  viel  rothes  drinnen  steht,  schöne. 

19.  Den  Pohlen  ist  es  doch  gethan, 
Sehn  Schweden  vor  ein  Vater  an, 
Es  wird  der  erste  Stanislaus, 
Dadurch  kommen  von  Hoff  und  Hauß,  schöne. 

19" 


300  A.  Kopp. 

20.  Wallis  der  gerne  K&rtig  hieß, 
Wenns  ihm  sein  Müllers  Stand  zuließ, 
Paler  Chaise  mit  den  Paler  Noster, 
Portocaitcro  aller  Schelmen  Muster,  schöne. 

21.  Der  Qroß-Sullan  ist  auch  allhier. 
Der  Muftti  und  der  Groli-Vczicr. 

Der  reichste  Mogul  von  der  Welt, 

Sitzt  hier  mit  seinem  Cut  und  Gelt,  schöne. 

22.  Der  Kiyser  von  China  und  von  Cham, 
Die  von  Japan  und  Tartar  Mann, 

Die  Möhren  und  die  Hottentotten. 

Die  freesen  die  Därmer  ungesotlen,  schönt 

2J.  Marocccns  Printz  und  Fräuleins  Fetz, 
Oraff  Futfack  mit  dem  Haasen  Netz, 
Und  ander  dergleichen  OttergeziSchte. 
Daß  kriegt  man  allhier  zu  Gesichte,  schöne. 

24.  Eugentus  ein  Mann  im  Feld, 
Und  Marlboroug  der  brave  Held, 
Und  Printzens  Lovis  Leber  hier, 

Die  wiegt  neun  Pfund  das  glaubet  mir,  schöne; 

25.  Monsieur  teTallart  reist  hier  ab. 
Ohne  Degen  und  ohne  Marschalls-Stab, 
Man  hat  viel  Fahnen  und  Standarten, 
In  Londen  von  ihm  zugewarten,  schöne. 

26.  Savoyen  hat  es  gut  gespielt, 
Und  schiert  den  Schwager  daB  ers  fühlt, 
Venedig,  Schweitz  und  Genua, 

Sind  hier  Rundatincllula.  schöne. 

27.  Antiquitäten  schcns  Tcrth, 
Bekommt  zu  schauen,  wer^  begehrt, 
Dnim  veit  sie  ziemlich  neue  seyn. 

So  guckt  mit  Fleiß  in  Kasten  nein,  schöne. 

2S.    Des  ersten  Vaters  Hosen-Knopff, 
Von  Evcns  Haaren  dieser  Zopff, 
Der  Trauerschleyer  den  Eva  trug. 
Als  Cain  ihren  Abel  etschtitg.  schöne. 

29.    Des  Mördws  seine  grosse  Kful. 
Stack  Ertz  und  Thon  von  Sethens  Seil, 
Der  grosse  Baß  aus  Jubais  Cammer, 
Und  Tubal  Cain  Schmiedehammer,  schöne. 

SO.  Des  Noah  Abendsegeiibuch, 
Von  Japhets  Mandel  ein  Stück  Tuch, 
Von  Esaus  ünsen  noch  ein  Maaß, 
Da  tf  die  Ersigcburth  verfraß,  «ch6ne. 


Schöne  Spidewerb,  schöne  Rarität! 


)i.  Ein  Hom  aus  Esaus  jägcrey. 
Ein  Leiter-Sprossf  auch  dabey, 
Die  Jacob  hat  im  Traum  erblickt. 
Als  er  sich  aul  den  Weg  geschickt,  scliönc. 

32.   Ein  Band  das  Rahel  hat  geneht. 
Wenns  ihr  nach  Weiber  Weise  geht. 
Von  DicTiens  Rocke  eine  Spitze, 
Und  der  Debora  Zipffel -Mütze,  schöne. 

ii.   Aus  Pharao  Traum  eine  dürre  Kuh, 
Die  sieben  Jahre  auch  darzu, 
Der  Galgen  dran  der  Beclicr  hieng, 
Und  seinen  letzten  Lohn  empfing,  schöne. 

J4.   Hier  kommet  eine  L.auß  gerannt, 
Die  Pharao  im  Slrumpffe  fand, 
Sie  ist  so  groß  als  eine  Ratt, 
Die  Moses  ihm  gemachet  hat,  ichöne. 

35.  Des  Bitcams  sein  Reuter-Pferd, 
Ist  wegen  der  Sprache  Goldes  werth, 
Ein  Krijgelgen  von  Thränen  gut. 
Von  Jephtha  Tochter  wohlgeniuth,  schöne, 

56.   Nun  schaut  ihr  Herren  allzumahl. 
Von  Simsons  Thieren  eine  Zahl, 
Gebrauchet  in  Philister  Lande, 
Es  reucht  die  Stund  noch  nsch  dem  Brande,  schöne. 

37.   Daß  Taß  dahinter  Sau]  gesteckt, 
Das  Loch  da  er  die  Füsse  deckt, 
Der  Spieß  als  wie  ein  Weberbaum, 
Voll  Qohath  hat  hier  auch  Raum,  schöne. 

JS.   Der  Stein  der  Abimelech  schlug, 
Pantoffeln,  die  die  Esther  Inig. 
Eine  Pfrieme  von  den  Baals  Plalfen, 
Ein  Schwantz  von  Salomonis  Affen,  schöne. 

39.  Ein  Esels-Ohr  icht  ('.|  auch  allda, 
Gefressen  in  Samaria, 

Des  Davids  neue  Hirten  Tasche, 

Der  Hagar  grosse  Wasser-Flasche,  schön«. 

40.  Hier  kömmt  das  Schminck-OUß  ohngeßhr 
Der  sloltzen  Isabellen  her, 

Um  dieses  Schfirtzgen  ist  es  schade, 

Wcils  Bathseba  gebraucht  im  Bade,  schöne. 

41.  Der  Traub  aus  dem  gelobten  Land, 
D«n  Strick  damit  man  Sim&on  band, 

Der  Gsels-Backcn  und  die  Zähne, 

Von  Hamans  Galgen  diese  Späne,  schöne. 


302 A,  Kopp. 

42.  Hier  ist  des  ilten  Tobias  Odst, 
Dem  «ine  Schvalbe  ins  Auge  schmdst, 
Das  Wedeln  das  der  Hund  begeht, 
Mit  dem  Schwantz  der  ntemahls  stille  steht,  schöne. 

43.  Susannen-Brüder  sitzen  hier. 
Und  drinckeii  Eiilcnbiirgcr  Bier, 
Der  Bei  zu  Babel  ist  dabey, 

Und  Habaculcs  sein  Wasser-Brey,  schöne. 

A4.  Die  heiligen  drey  Könige,  mit  dem  &tem 
Aus  Morgen-Land  der  klare  Kern, 
Herodcs  auch  der  alte  Fuchs, 
Der  liegt  hier  sine  lux  &  cruK,  schöne. 

45.  Der  Zebedeus  Lobcsan, 
bt  hier  mit  seinen  Schiffer-Kahn, 
Zacheus  auf  dem  Maulber-Baum, 
Hat  auch  in  diesen  Kasten  Raum,  schöne. 

Ab.  Des  reichen  Manns  Sauff-Compagnie, 
Saufft  durch  die  Nacht  biß  Morgens  frfih, 
Dr  halb  Schock  Qergesener  Sauen, 
Das  Ohr  so  Petrus  abgehauen,  schöne. 

41.  Der  Ertz-Schelm  Judas  und  sein  Barth, 
Der  Beutel,  den  er  hat  bewahrt. 
Von  klaren  Gold  ein  Silberling, 
Der  Strick,  damit  er  sich  erhieng,  schöne. 

48.  Die  Lcycr  so  des  Orpheus  war, 
Eine  Orille  au!  Piatonis  Haar, 

Seht  Aristoleüs  Paruqve, 

Des  Oyogis  Ring  ein  Mcistcr-Stückc,  schöne. 

49.  Von  Mida  «in  groß  Eseis-Ohr, 
Zu  Paniß  Flöte  dieses  Rohr, 

Hier  vird  ein  altes  Weib  gebracht, 
So  die  Medea  jung  gemacht,  sdiöne. 

50.  Aesopus  und  sein  Mantel-Kragen, 
Protagons  Stab  den  er  getragen, 

Seht  Epicteti  Lampe  strahlt. 

Davor  mancher  viel  Qeld  beuhll.  schöne. 

H.  Cupido  will  auch  mit  mir  ziehn, 
Und  hat  den  Flügel  hergeliehn, 
Actaeons  Honi  hier  zuletzt, 
Das  ihm  Diana  aufgesetzt,  schöne. 

52.  Das  Pferd  so  auf  des  Käysers  Schloß, 
Zum  Bürger-Meister  werden  muß, 
Domiliam  [!]  hat  vor  die  Fliegen, 
Hier  seine  Fliegen-Klatsche  liegen,  schöne. 


Schöne  Spielewrrlt,  schöne  Rarität! 


53.  Dioginis  sein  höltzern  Faß, 
Do-  Stuhl,  da  Ponts  Pilatus  saB, 
Des  Socralis  DaemoRium 
Und  auch  ein  Lyripipium,  schöne  elc. 

SA.   Des  Conti  lange  Naß  aus  Fohlen, 
Ein  Strick  den  Nico!  List  gestohlen, 
Jean  Baxlhens  lange  Tobacks-PfaHe, 
Zwey  Klauen  von  dem  Vogel  Orcifte,  schöne. 

SS-   Dm  Ermel  fiihrl  der  Schildsche  Rath, 
Oantz  Ehrcnvcsl  zu  seinem  Statt, 
Von  Eulen-Spiegels  Hauß  ein  Sparren, 
Rock,  Wamms  und  Hosen  von  Clauß  Narren,  schöne. 

56.  Der  Weisenlelsche  Bauer-Hund, 
Der  lebet  noch  frisch  und  gesund, 
Weil  CT  den  treusten  Cammerad 

An  den  Hanß  Arsch  von  Rippach  hat,  schöne. 

57.  Hier  kt  der  seeige  PoKcr  Hanß, 
Und  frisset  eine  rohe  Ganß, 

Seht  -wie  die  Pwrechc  der  Prindpalen, 

Das  Oeld  vor  ihr  Ocbackens  zahlen,  schöne. 

58.  Matz  Vogt  von  DreBden  und  von  Zcitr. 
Die  sitzen  beysammen  beyderseits, 
Marcolphus  und  der  Reincke-fuchs 

Von  Rübezahl  ein  grosser  Kucks,  schöne. 

59.  Ein  Leipziger  Stiidciilen-Spiegel, 
Ein  Hällschen  Jubelisten-Prügel, 

Ein  Schlage-Degen  von  Jena  raus, 
Ein  Wittenbergischer  Saufaus,  schöne. 

60.  Solch  und  dergleichen  Rarität 
Sind  hier,  lauffl  zu,  die  ihr  da  sieht, 
Und  guckei  ver  da  gitcken  mag, 

Ihr  seht  das  Ding  nicht  alle  Tag.  schöne. 

6t,  Jetzt  schließ  ich  meinen  Kasten  zu, 
Und  geh  nach  Hauß  zu  meiner  Ruh, 
Bleibt  ihr  den  Welschen  Mann  gewogen,  . 

Ob  er  euch  gleich  hat  brav  betrogen, 
Schöne  Rarität,  schone  Spidwer|ck],  la  Belli  Catharine. 
Charmante  Margretha,  schöne  Rarität  :/:  schöne  Spielwerck. 

Der  Bantl  Vk  3161.  4'  enthUt  zusammengebunden  vier 
verschiedene  Drucke  jenes  merkwürdigen,  auch  in  Menantes'  An< 
leilung  zur  galanten  Poesie  zum  Schluß  als  Prurkstßck  vor- 
liegenden QedichLs  nMoralisches  Hundelob*,  ausführlicher  be- 
zeichnet als  nLob-Gedichte  des  so  genannten  Bauer-Kundes,  Oder 


304 A-  Kopp. 

Förstl.  Leib-Hundes  zu  Weißenfels".  Dieses  Gcdichl,  das  ver- 
mutlich den  jungen  Neumeister  zum  Verfasser  hat,  erfreute  sich 
seinerzeit  großen  BeifaDs.  Auf  den  ■  Weißenfelsischen  Bauem- 
hLnd-  spielt  Qörther  einmal  in  einem  Hochzeitscherz  an,  und 
auch  in  der  56ten  Strophe  des  Raritätenkastens  wird  er  zusammen 
mit  dem  bekannten  .Hans  A—  von  Rippach*  aufgeführt,  der 
seinerseits  wieder  mit  etwas  anständigerem  Namen  ats  -Hans 
Tumm  von  Rippach«  auch  im  Bauemhunde')  vorkommt  Der 
letzte  von  den  vier  in  Yk  3161  vereinigten  Drucken  des  Bauem- 
hundes  bietet  zugleich  den  Raritätenkasten  und  noch  ein  satirisches 
Gedicht  «Dignum  patella  operciiliim-.  Alle  diese  derb-komischen 
Stücke,  zu  denen  man  bestimmt  auch  das  Spottgedicht  auf  den 
riMagister  Lobesan«  rechnen  kann,  sind  wohl  auf  Neumeisler 
zurückzuführen,  der  in  jungen  Jahren  Vorlesungen  über  Dicht- 
kunst hielt  und  in  zahlreichen  Gedichten  spielende  Leichtigkeit 
tti  Vers  und  Sprache,  rege  Einbildungskraft  und  überschwengliche 
Gedankenfülle,  sprudelnden  Witz  und  ergötzliche  Laune,  dabei 
stets  und  überall  ein  derb-gesundes,  urwüchsiges  Wesen  zeiglc. 
Der  Druck  des  Raritälenkastens  weicht  nur  unbedeutend  von 
Yk  951   ab: 

Lob-Gedichte  des  so  genannten  Bauer-Hundes,  Oder 
Fürstl.  Leib-Hundes  zu  WeissenFels,  Mit  allerhand  Sitten,  Lehren 
und  angenehmen  Galanterien  Moralisch  vorgeslellet,  Nunmehro 
mit  neuen  Anmerckungen  neuer  Begebenheiten  an  unterschiedenen 
Orten  versehen  von  einem  Tugend-Freund  und  Laster-Feind  .  .  . 
Gedruckt  in  diesem  1722len  Jahre.  (22  Bl.  4"  o.  O.  Bogen  A 
bis  E  u.  F,F  2.     Darin  Bogen  E:) 

Schöne  Raritäten-Kasten,  [  Schöne  Spielwerck,  | 
alles  lebendig,  alles  lebendig  \  zu  sehen  1  In  die  Kasten 
von  die  Wellisch  Mann,  |  vor  1.  viertel  Grosch,  |  vor 
der  Meß,  in  der  MeB  und  nach  der  Meß.  ]  Manche  Druck- 
fehler von  Yk  981  sind  hier  gebessert: 


<)  MoiMin,  AtlnaniciW  Art  S.  »»;  Vk  »6i  Druck  I  S-  35.  II  »  IH  C  4b,  TV 
(Iftt)  D  Ib.  Fln#n  Druck  dB  Baunnhundt«  b«*flzl  uch  die  DinntadM-  Hafblbllothtk : 
L«b-Ocdldne  d«  «o  s^iufuilm  Biuer-HiiiidM,  Oder  fQntl,  t^IvftundM  lu  W>it«ni- 
Irlfl  .  Colin.  &»y  Peto  M«U»u  (M  Bl.  4°  o  }.).  -  Porlliclie  rt^aute  .  ,  ,  Von  Vtfl- 
Boniuilqueraiw  iiDi)  $.  ni  Tm  (*dum  cQlIqcluin.  I    Oic  Nirtcniiuiftl  iit  nun  bey- 

.  •  ■  (DariB  9.  1M:)  lluni  Rippach  thul  CTwhncklicVi  tliunim  .  .  , 


Schöne  Spiclewerk,  sch&nc  Rarität! 


Str.  1  Z.  4  Spiel-Werck  6,4  in  dem  l3,2Cabmete  14,2  im 
Bette  21,4  Geld  30,2  Mantel  41,2  Der  Strick  43,2  trircken 
4S,2  mit  seinem  45,3  Maul-Beer-Baum  45,4  in  diesem  46,2 
Säufft  S2,3  Domi*fan  S3,l  Diogenis  5  3,4  schöne  etc.  55,2  Staat, 
56,1  Weissenfe  Ische  58,3  Reincke  Fuchs  59,2  Ein  HälJscher 
61,5  Spielwerck  .  .  . 

Im  übrigen  stimmen  die  beiden  Drucke  so  genau  milein- 
ander,  daß  sogar  die  Seitenabteilung  dieselbe  geblieben  ist.  Be- 
merkenswerte Verschiedenheiten  von  diesen  beiden  zusammen- 
gehörigen Drucken  weist  ein  dritter  Druck  der  Königlidien 
Bibliothek  auf:    Yk  982: 

Schöne  RARItäten- |  Kasten,  |  Schöne  Spielwerck  | 
alles  lebendig,  alles  lebendig  |  zu  sehen  |  In  die  Kasten 
von  die  Wellisch  Mann,  |  vor  ein  viertel  Orosch  )  Vor 
der  Meß,  in  der  Meß  und  nach  der  Meß.  |  (4  Bl.  4"  o.  O. 
u.  j,  Rückseite  des  ersten  Blatts  leer.)  Dieser  Druck  enthill 
62  Strophen,  wobei  die  Verse  nicht  abgesetzt  sind,  mit  folgenden 
Abweichungen  von  den  vorigen  Drucken; 

Str.  2.  Nun  möchtstu  .  .  .  schöne  Rarität  etc.  3  ein  Frau 
gibt  mir  ein  Kanne  Bier  . .  .  Pfennige  .  .  .  Rarität,  etc  6  in  den 
Schaaf-Stall  seyn,  schöne  Rarität,  etc  7  dazu  aus  Dennemarck 
und  Preussen  .  .  .  schöne  Rarität  etc. 

10.  Doch  aber,  ey!  wie  wunderlich!  seht  wie  das  Spiel 
verändert  sich,  Carol  der  grosse  Schweden-Held,  stellt  sich  vor 
Leipzig  in  das  Feld,  schöne  Rarität  etc 

lt.  Der  tapffere  Friederich  August,  kömmt  zu  der  Sachsen 
Freud  und  Lust  nebst  Stanisiaum  auch  herbey,  da  seht  ihr  hier 
der  Könige  drey,  schöne  Rarität  etc 

12.  Hierauf  wird  nun  der  Fried  geschlossen,  das  macht 
den  Russen  grossen  Possen;  sie  rültzen,  stincken  wie  die  Schwein^ 
von  Knobelauch  und  Brandewein,  schöne  Rarität  clc 

An  Stelle  dieser  3  Strophen  finden  sich  in  den  beiden 
anderen  Drucken  nur  2,  so  daß  nun  die  I3te  Strophe  dieses 
Druckes  der  sonstigen  I2ten  entspricht  usw. 

14  (bezw.  13)  die  Maintenon  w&nscht  nicht  zu  leben,  weil 
sich  Turin  nicht  hat  ergeben,  schöne  Rarität  etc. 


A.  Kopp- 


15  (14)  Madame  de  Force  16  (15)  der  leid  von  seinem 
Groß-Papa     17   (t6)  praver  Held     18  (t7)  in  Bayern 

20.  Hier  ist  der  höflich  Orleans,  macht  in  Savoyen  einen 
Tanfz,  es  ist  ihm  aber  sehr  mißlungen,  drum  isl  er  schnell  ins 
G'bürg  gesprungen,  schöne  Rariläl.  elc.  (19  der  anderen  Drucke 
fehlt  hier.) 

24  (23)  Fräulein  Fetz  25  (24)  Marlebourg  der  brave  Held, 
Louis  von  Baaden  sihts  mit  an,  weil  er  nicht  allzeit  helffen  kan, 
schiene  Rarität,  etc. 

26  (statt  25).  Der  Bayer-Fürst  siht  traurig  drein,  machl 
liebst  dem  Villeroy  lange  Pein  (I,  Bein');  fast  Braband  und  gantz 
Niederland,   wird    König  Carlen  zugcN/andt,   schöne   Rarität  etc. 

30  (29)  gröste  Keul  ...  der  grosse  Paß  (st  BaB)  .  .  . 
Tubal-Cains  36  (35)  voll  Thränen  42  (41)  den  Strick  43  (42) 
den  eine  Schwalb  ins  Auge  scheist  .  .  .  Schwantz  niemahls  .  .  . 
45  (44)  liegt  hie  49  (48)  Gygis  Ring  34  (53)  Dioginis  57  (56) 
Weisenfelsche  .  .  .  den  Ireuesten  Cammerad  ...  58  (57)  seel. 
Poller-Hanß  ...  die  Pursch  ...  59  (58)  Zeitz,  sitzen  . . .  Reincke- 
Fuchs  ...  60(59)  ein  Hälüscher  Pietisten  Prügel  62(61)  den 
Welschen  Mann  .  .  .  Margaretha  .  .  . 

Die  Ereignisse,  die  hier  in  den  Strophen  io  bis  12  er- 
wähnt werden,  fallen  in  das  Jahr  1706  (24.  Sept  Altranstädter 
Friede),  während  jene  davon  abweichende  Fassung,  von  der  zwei 
Drucke  beschrieben  sind,  die  Begebenheiten  unmittelbar  im  An- 
schluß an  die  Schlacht  bei  Höchslädt  1704  (13.  Aug.)  darstellt 
und  jedenfalls  als  die  frühere  gelten  muß. 

Von  der  Beliebtheit  und  Verbreitung  des  Raritäten-Liedes 
legen  Zeugnis  ab  zahlreiche  Dichterstellen,  welche  dazu  Nach- 
ahmungen und  Anspielungen  bieten: 

Poetische  Fricass^e  .  .  .  von  Verimontaniquerano, 
Colin  1715  S  6t  (=  Musophili  Vergnügter  Poetischer 
Zeitvertreib,  Dreßden  u.  Lpz.  1717  S.  189):  Quodlibet 
Die  Welt  liegt  itzt  im  argen,  Runda,  Sie  will  das  Geld  zusanimen 
kargen,  Sa,  sa  .  .  .  Darin  S.  64: 

Schöne  Raritilcn,  schöne  Spietwocke, 
La  bella  Catharina, 
Cbarmanlc  Rosina, 


Schöne  Spidewerk,  sdione  Rarität! 


Hc,  habt  ihre  denn  noch  nicht  vemommcn? 

Daß  wiedemmb  ein  Mann  aus  Wclschland  angekommen, 

Ihr  könnet  vor  drey  Ptcmige  hier  die  schönsten  Wunder-Sachen 

Ma  foi,  in  diesem  Kasten  sehn,  die  vürdig  zu  belachen. 

Doch  acht  ich  dacht  es  wohl,  es  riti  das  Volle  mit  Haufen 

Mit  Lust  herzu  zu  laufen. 

Heran,  heran,  ich  thu  nun  meinen  Kasten  auf  .  .  . 

In  einem  Singspiel  «Le  Bon  Vivant,  Oder  die  Leip- 
ziger Messe"  (i'io,  Hamburg)  erscheint  im  siebenten  Auf- 
tritt der  ersten  Handlung  «ein  Savoyard  mit  einem  Raritttcn- 
Kasten«  und  ruft: 

Schöne  Rarität,  schöne  SpielewcrcV. 

La  bella  Catharina, 

La  Santa  Magdalena. 

Die  sieben  Chur  Fürsten  von  Heydelberg, 

Schöne  Raritäl,  schöne  Spielewerck. 

Nachdem  Andreas,  der  Diener,  für  Katharina,  das  Kammer- 
mädchen, und  für  sich  seSber  je  einen  Dreier  bezahlt  hat,  vStecken 
sie  den  Kopf  in  den  Kasten,  der  Savoyard  singt": 

5d  thu  ich  meinen  Kasten  auf. 

Ein  jeder  legt  ein  Dreyer  drauf, 

Seht  hier  die  schöne  Rarität: 

Wie  dort  die  heü'ge  Magdalena  steht 

Da  sind  die  heil'gcn  drcy  Könige  zarl, 

Mit  weissen,  rohten,  und  schwartzen  Bart, 

Die  schöne  Cathrin  auf  ihrem  Trohn, 

Sie  giänlzt  wie  Mond  und  Sterne  schon. 

Die  sieben  Chiirförsten  von  Heydelberg, 

Dort  sitzen  sie  am  grünen  Berg. 

Die  Hirsch'  und  Rehe  jung  und  ah, 

Und  so  war  Simson  ehe  gestallt. 

Hier  ist  die  schöne  Helena, 

Auch  sitzt  der  König  Salomon  da. 

Hier  ist  des  Königs  von  Babel  Schmaufi^, 

I7nd  damit  ist  mein  Kasten  aus. 

Schöne  Rariiät! 

Schone  Spielewerck! 

(Wie  er  ausgesungen  hat,  kommen  sie  wieder  mit  den 
Köpfen  unterm  weißen  Tuch  hervor.) 

Im  Kehrreim  dieser  Gesänge  bildet  außer  dem  allgemeinen 
Hiawds    auf    die    gebotenen    Herrlichkeiten    durch    die    Worte 


r 


308      A.  Kopp, 

■Schöne  Spielewerk,  schöne  Rarität"  die  «bella  Catharina"  ständige 
Zutat,  während  an  zweiter  Stelle  die  Namen  schwanken,  am 
hSungsten  jedoch  die  «charmante  Margaret"  auftritt 

Besonders  bei  lustigen  Darstellungen  zu  Hochzeiten  ist  der 
welsche  Mann  oder  Savoyer  mit  seinem  Rarilatenkasten  eine 
beliebte  Figur: 

Hominer,  Musen-Cabinet,  Lpz.  1708,  S.  1185:  Cou- 
rante  Margarete,  schöne  Spiele-Wercke  bey  der  ...  Hochzeit  in 
Ldpzig  den  24.  OcL  1698  vorgestellel  . .  . 

Du  schwartzer  Bräutigam,  und  Kunsterfahmer  Mann, 

Der  in  Savoyer  sich  so  wohl  verstellen  kan  . .  . 

Schaut  schdne  Spiele-Werek,  schaut  schöne  Rarität, 

SfincC  liUracl,  Catharin,  courante  Mu^arel. 

Seht,  hier  wird  der  Friede  zu  Ryttwick  geschlossen, 

Und  dort  ein  Marqvis  im  Duell  erschossen  . . . 

O  schöne  Spielewerck!  O  schöne  Rarität! 

Sanct  hüncE,  Catharin,  courante  Maigaret  . .  . 
Geländers  Vcriicbte-Galante,  Sinn-Vermischle  und 
Qrab-Qedichle  (Hamburg  und  Lpz.  1716.  TJtelauflage 
davon  in:  Sammlung  Allerhand  Sinnreicher  Qedichte, 
Stockholm  172  1)  entlialten  (S.  414)  ein  Hochzeitsgedicht, 
welches  überschrieben  ist  «Allerhand  schöne  Raritäten  und  schöne 
Spiele-Wercke",  und  worin  «der  Teutsche  Welsche  Mann"  aus- 
ruft: Schaut  schöne  Rarität!  schaut  schöne  Spiele-Werck! 

Ein  Hochzeils-Quodlibet  Picander-Henricis  (3,  1732, 
S.  2S4)  twginnt  und  schließt  mit  .Schön  Spielwerck!  schöne 
Raritäten"  und  wiederholt  auch  zwischendrein  diese  ständigen 
Worte.  In  einem  andern  Hochzeits-Quodhbet  desselben  Dichters 
vom  Jahre  1737  (5,84)  »Du  kleines  Närrchen,  schmolle  nicht» 
hdßt  es  im  weitem  Verlauf:  Wer  guckt  in  meinen  Kasten  nein, 
(  Seht  schöne  Raritäten  .  .  . 

Anderweitige  Stellen,  die  sich  auf  das  alte  Raritälen-üed 
beziehen,  sind  folgende: 

Jean  Chrct  Toucement  Des  Deutsch-Francos 
Schrifften  1736  S.  383  (1772  S.  29t): 

O!  schöne  Rant^!  o!  schön«  Spiele  Werck! 

Komm  her  ihr  liet>e  Leut.  und  ihu  darauf  vohl  merck. 

La  belle  Catharine.  charmante  Margareth 

Und  nock  viel  schöne  Sack  tind  schöne  Rarität. 


Schöne  Spielewerk,  schöne  RaritAt! 


Jeßund  ick  Ihu  die  Kaste  auf, 
Ehn  Mann  er  l^k  ehn  Krosch  darauf, 
Ehn  Frau  sie  kcb  ehn  Kanne  Bier, 
Ehn  Kind  kar  nicks  und  schau  dafür 
Viel  schotie  Spiclewcrck,  viri  schöne  Raiitfe  . . . 

Auch  das  Titelbild  zu  des  Deutsch- Franzosen  Trömer 
Schriften  in  beiden  Ausgaben,  1 736  und  17  70,  stellt  einen 
Raritätenschrank  dar  mit  der  Aufschrift  „Schöne  Rarität,  schöne 
Spielewerk",  und  im  zweiten  Teil  beginnt  ein  Gedicht  (S.  44): 
An  Augustus  Tagk.  1741.  Messeurs,  Madames  komms  ehr!  ihr 
etwas  iß  SU  seh,  |  Da  verd  sie  seh,  was  denn?  kroß  schöne 
Raritees,  \  Nicks  belle  Catharinc,  nicks  Urschel  Margarelh,  |  Nicks 
kroße  tod  Monarehk  uf  sein  Paradebett . . . 

Eine  Schritt  über  .Leben,  Übelthaten  und  gerechtes 
Urtheil  .  .  .  Süß  Oppenheimers"  1738  beginnt:  Holla  he! 
Herbei  ihr  Juden  und  Christen!  Wer  will  sehen?  Jetzt  thu  ich 
meinen  Kasten  äuf,  und  will  euch  zeigen  schöne  Spielewerck, 
schöne  Rarite  . . . 

Eine  Handschrift  der  Darmslädter  Hofbibliothek  enthält 
Partituren  von  Endler,  darunter  .Der  Raritaeten  Mann  in 
einer  Cantata,  den  16.  Apr.  1747.  Poesie  Par  Mons. 
Büchner,  et  Comp,  j  S  Endler." 

Uff  di  mein  Parol  womit  iks  besterk  mein  Sak  is  dismohl 
rekt  lustik  su  seh  o  sena  Spilawerk  o  sena  Rarit^. 

Un  daß  sis  wol  merk  si  gomm  nur  bey  Seit  ik  vcis  irs 
nok  eut  un  morken  nit  me  o  sena  Spilawerk  o  sena  Rarite. 

A  sa,  keb  si  wol  akt,  ik  presentir  si,  was  kans  Europa 
maki  .  .  .  Nun  seh  si  swey  hok  hok  Thron  uff  der  ein  siz 
Kerektikeil  un  Majeslet  in  voller  Klans,  das  is  si  der  klorreik 
Roemis  Geiser  Frans,  uff  der  ander  siz  Liebe  un  Soenheit  in 
groser  Sahl,  das  is  si  sein  unferkleikelik  sena  sena  KemahL  O 
bella  Maria  o  bclla  Teresa  so  ruff  bey  diser  Seit  all  di  mein 
Landes  Leut  un  das  mit  kar  groß  Rekt,  Ma  ma  bella  Catarina 
e  bella  Margaretha  das  ruff  si  kar  nit  mer,  ik  saks  ir  bey  mein 
Ehr,  es  klink  si  kar  su  slekt . .  . 

Es  würdet!  sich  noch  viele  Stellen  ähnlicher  Art  aus  der 
ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  anführen  lassen;  später  wurde 


A.  Kopp. 


der  Raritätenschrank  scilener,  und  jenes  ursprüngliche  Lied  vmrde 
bei  veränderter  Gestalt  in  mehr  oder  minder  enger  Anlehnung 
daran,  einschließlich  des  Kehrreims,  auf  den  Guckkasten  über- 
tragen. Sehr  bekannt  ist  Klamer  Schmidts  Lied,  welches  noch 
bis  in  die  neueste  Zeit  volkstümlicher  Beliebtheit  sich  erfreut  hat; 
Frischbier,  Ostpreußische  Volkslieder  1893.  gibt  als  Nr.  99:  »Ich 
bin  ein  aller  deutscher  Mann,  das  seht  ihr  meiner  Nase  an". 
Ein  Guckkastenlied  »aus  Hildburghausen  1854«,  leider  ohne 
Kehrreim,  der  gewiß  nicht  gemangeil  haben  wird,  findet  man  in 
Erk-Böhmes  Liederhort  III,  S.  5lS,  Nr.  1721,  woselbst  die  erste 
von  S  Strophen  im  ganzen,  dem  Tonfall  nach  dem  Schmidtschen 
wie  dem  alten  Raritäten-Lied e  durchaus  entsprechend,  also  lautet: 

Herbei,  ihr  Lcutel,  komint  zu  Häuf! 
Jetzt  mach  ich  euch  den  Guckkuten  auf. 
Für  einen  Batzen  schauet  ihr 
Viel  Wundeibaies  -  komint  nur  hier  . . . 

Alle  diese  Ouck-  und  Raritäten- Kasten-Gesänge  scheinen 
mehr  Nachahmungen  des  großen,  oben  vorangestellten  Gedichtes, 
das  wahrscheinlich  Neumeister  zum  Verfasser  hat,  als  wirklicher 
von  leibhaften  Rariläten-Männcrn  gesungener  Lieder  zu  sein, 
während  jene  Neumeistersche  Karikatur  wohl  nach  dem  Leben 
gearbeitet  und  aus  der  Wirklichkeit  geschöpft  ist  Die  stärkste 
Familienähnlichkeit  mit  diesem  Muster  weist  ein  bisher  nur  aus 
(liegenden  Einzeldrucken  bekanntes  Gedicht  auf,  das  durch  ein 
paar  Zwischenstufen  mit  allmählicher  Umarbeitung  und  bei  fort« 
gesetzter,  im  Anschluß  an  wichtige  Zeilbegebenheiten  schrittweise 
folgender  Abwandlung  vielleicht  sogar  unmittelbar  aus  jenem 
Uteren  Stammgedicht  hervorgegangen  sein  könnte.  Auch  dieses 
verdient,  vollständig  abgedruckt  zu  werden. 

I.  Das  ist  der  Khöne  Leichenzug, 
Als  man  Jakob  zu  Grabe  trug; 
Dort  seht  ihr  Flor  und  Tiicher  wetin, 
Und  vorn  den  Jungen  mit  dem  Kreuze  gehn. 
Schöne  Spidewerk!  Schöne  Rarität! 
O  bcltit  Kathrinc!  scharmante  Marereth! 
O  schöne  Spielewcrk,  o  schöne  Rarität! 

3.   Den  großen  Cubachs  Foliant 
Mit  galdnem  Schnitt  tn  schwarEeiii  Band, 


I 


Schöne  Spielewerk,  schöne  Rarität!  311 

Mit  dem  sichs  kläglich  zugetragen, 
Daß  Hans  hat  seine  Qret'  erschlagen. 
Schöne  SpieJererk  etc. 

3.  Da  seht  ihr's  schöne  ParaddB, 
Der  Mond  scheint  klar,  die  Sonne  heiß. 
Und  Eva  greift  mit  lüsterm  Gaurn 
Zum  Apfel  hin  auf  jenem  Baum. 
Schöne  Spielewerk  etc. 

4.  Den  großen  Mogul  hab'  ich  auch, 
Schwarz  im  Gesicht,  am  Leibe  rauch; 
Es  glänzt  sein  großer  Diamant, 

Vor  ihm  beugt  sich  ein  Elephant 
Schöne  Spielewerk  etc 

5.  O  Kriegsgeschrey,  Kanonenknall, 
Der  Schwerdter  Lärm  und  Paukenschall; 
Die  ganze  Welt  erhebet  sich, 

Sieh  da:  zwey  Mäusldn  beißen  sich. 
Schöne  Spielewerk  etc 

6.  Stolz  steht  der  große  Riesenmann, 
Und  David  kömmt  getrost  heran, 

Zidt  recht  und  wirft  ihn  an  den  Kopf, 
Da  purzelt  Goliath  der  Tropf. 
Schöne  Spielewerk  etc. 

7.  Das  ist  der  schöne  Absalon, 
Des  frommen  König  Davids  Sohn, 
Hangt  mit  den  Haaren  an  einem  Baum, 
Und  Joab  macht  seiner  Seele  Raum. 
Schöne  Spielewerk  etc 

8.  Herr  Elliot  dn  braver  Mann, 
Der  feur'ge  Kugeln  speyen  kann; 
Der  Spanier  und  Franzosen  Häuf 
Wohl  sperret  Maul  und  Nase  auf. 
Schöne  Spielewerk  etc 

9.  Das  schöne  Weibchen  Bathseba 
Sitzt  säuberlich  im  Bade  da; 
Durchs  Perspectiv  schaut  David  her 
Und  guckt  und  Ucht  und  freut  sich  sehr. 
Schöne  Spidewerk  etc 

10.  Hans  Sachse,  ah!  dn  großer  Schuh 
Macher  und  auch  Poet  dazu, 

Kömmt  schön  allhier  heranspaziert, 
Mit  Pech  und  Dinte  brav  beschmiert 
Schöne  Spidewerk  etc 


3t 2  A.  Kopp. 

11.  Ein  Mädchen  schSn  und  tiigendsam 
Geht,  als  sie  schier  vom  Tan»  kam, 
Und  bringt  in  einer  Schüssel  schwer 
Johannis  blutgen  Kopf  datier. 
Schöne  Spielewcrlc  etc. 

13,  Dahier  speiÖt  man  die  Kirmesgans, 
Hans  MichcS  fidelt  auf  zum  Tanz; 

Zum  raschen  Sprunge  stampft  der  Knecht, 
Und  schwenkt  die  pttimpe  Mieltc  recht 
Schöne  Spielcwcrlc  etc- 

U.   Nun  »hant  wohl  auf  und  guckt  hin«n; 
Das  vird  das  Alterletzte  seyn. 
Sieh  da,  ich  will  es  euch  nur  sagen: 
Die  ganze  Welt  mit  Brettern  bcschEagen, 
Schöne  Spielewerk  etc. 

14.  Dort  zeigt  auch  ein  Schulmeister  sich 
Mit  seinem  Zepter  fürchterlich; 

Er  paukt  den  Takt  aus  aller  Macht, 
Die  Jungen  schreyen,  daß  es  kracht. 
Schöne  Spielcwcxk  etc. 

!S.  Dort  hält  des  Nachbars  junRC  Magd 
Mit  ihren  Flehen  eine  Jagd; 
Jetzt  fing  sie  einen  übem  Knie, 
Das  war  ein  ungeheures  Vieh. 
Schöne  Spiclewcrk  elc. 

16.  Zachfius  auf  dem  Maulbeerbaum 
Hitl  auch  in  meinem  Kasten  Raum; 
Doch  weil  ich  ihn  nicht  hab  bekommen, 
Hab  ich  ihn  auch  nicht  milgcnommcn. 
Schöne  Spieiewcrk  etc. 

17.  Zuletzt  kommt  noch  was  nimches  vor: 
Ein  Riese  -    und  in  seinem  Ohr 

Ein  Zwerg,  der  giebt  von  da  herilber 
Ihm  mit  der  Holzaxt  Nasenstüber. 
Schöne  SpieleTcerk  etc. 

18.  Habt  Dank  für  eure  Audieni, 
Und  was  ihr  gebt  zum  Recompenz  - 
Und  wer  sagt,  daß  ich  ihn  betrogen, 
Der  hat  es  wie  ein  Schelm  gelogen. 
Schöne  Spiclewcrk  de. 

19.  Nun  schließ  ich  meinen  Kasten  zu, 
Und  geh  nach  Haus  in  guter  Ruh  - 
Und  wer  sagt,  dafl  ich  ihn  betrogen. 


Schöne  Spielcwerk,  schöne  Riritäl! 


Der  hats  in  seine  Giisch'  gelogen. 
Schöne  Bpidewtrkl  Schöne  Raritäl! 
O  belU  Katlirinel  scharminte  Margreth! 
O  schöne  Spielevak,  o  schöne  Rarilitl 

So  findet  sich  das  Gedicht  im  wesentlichen  Dbercinstimniend, 
mit  iußerst  geringfügigen  Abweichungen  in  folgenden  vier  Eitizel- 
dnicken,  die  wohl  sämtlich  aus  der  Solbrigschen  Buchdruckerei 
stammen,  wenn  auch  nur  der  erste  äne  ausdrückliche  Angabe 
darüber  aufzuweisen  hat: 

Vier  Lieder.  Das  Erste.  An  dem  schönsten  Frühlingsmorgen. 
Das  Zweyte.  Als  in  dem  verfloflnen  Jahr,  Leipziger  Ostermesse 
war.  Das  Dritte.  Das  ist  der  schöne  Leichenzug,  als  man  Jakob 
zu  Grabe  trug.  Das  Vierte.  Ein  Madchen  sah  ich  jüngst  im 
Traum,  hört  nur  was  da  geschehen.  Leipzig,  in  der  Solbrigschen 
Buchdruckerey.    32  (Yd  7912  SL  82). 

Vier  schöne  Lieder,  Das  Erste.  Als  In  dem  verfloßnen 
Jahr,  Leipziger  Oslermesse  war.  Das  Zweyte.  Das  ist  der  schöne 
Leichenzug  .  .  .  Das  Dritte.  Ein  Mädchen  sah  ich  jüngst  im 
Traum  . .  -  Das  Vierte.  Ey  nun  so  schlag  der  Plunder  drein  . . . 
Gedruckt  in  diesem  Jahr.    (32)    (Vd  7901.  111). 

Vier  schöne  neue  Lieder,  Das  Erste.  Als  in  dem  verfloßnen 
Jshr  .  .  .  Das  Zweyte.  Das  ist  der  schöne  1-eichenzug  .  .  .  Das 
Dritte.  Ein  Midchcn  sah  ich  fängst  im  Traum  .  .  .  Das  Vierte. 
Ey  nun  so  schlag  der  Plunder  drein  .  .  .  Gedruckt  in  diesem 
Jahr.  (32)    (Yd  790i.  IV). 

■Vier  schöne  neue  Lieder  .  . .  (32-.  Dieser  Druck  (Vd  7920 
St.  29)  stimmt  so  genau  mit  demjenigen  in  Yd  790t,  Band  IV, 
Qberein,  daß  man  sie  für  gleich  ansehen  könnte,  doch  sind  es 
voneinander  verschiedene  Drucke. 

Ein  fünftes  Liederheftchen,  welches  diesen  heitern  Gesang 
enthilt,  stammt  aus  einer  Berliner  Druckerei:  Fünf  ganz  neue 
Gesinge.  Me!.  Dem  Teufel  verschreib' ich  mich  nicht.  1.  Es  lebe 
auf  Erden  der  Mann  ...  4.  Das  ist  der  schöne  Leichenzug  .  .  . 
S.  Wer  lebt  im  Kirchspiel,  sage  mir.  Zu  bekommen  bey  dem 
Buchdrucker  Littfas  in  Beriin  [112]  (Yd  7904.  III).  Hier  ist  die 
fünfzehnte  Strophe  wegen  ihrer  Derbheit  weggelassen,  sonst  finden 

Ardiio  nr  Kulturpschicblc.     [I.  SO 


314 A.  Kopp. 

sich  nur  unwesentliche  Versdiiedenheitcn  von  den  andern  Drucken 

bis  auf  den  Schluß: 

Und  v«r  sagt,  dafi  ich  ihn  betrogen, 
Der  hat  es  wahrlich  nicht  gelogen. 

Außerhalb  dieser  ganzen  Gruppe,  die  nach  Kehrreim  und 
Strophenbau  gemeinsamen  Ursprung  verrät,  steht  für  sich  allein 
auf  einer  noch  niedrigeren  Stufe  des  Witzes  ein  anderes  welsch- 
deutsches Raritätenlied,')  welches  beginnt  nRaritäte  sein  ßu  sehn, 
schöne  Raritäte".  Satirische  Streiflichter  auf  merkwürdige  Zcit- 
begebenheiten,  auf  berühmte  Tagesgrö&en  finden  sich  hierin  nicht, 
ebenso  wenig  werden  karikierte  Bilder  aus  der  deutschen,  griechi- 
schen, römischen  Geschichte,  Sagenwelt,  Volkskunde  vorgeführt, 
die  Raritäten  beschränken  sich  durchaus  auf  biblische  Stoffe,  wobei  ■ 
nur  gelreue  Nachbildungen  davon  gegeben  werden  und  in  dem 
drolligen  Kauderwelsch  der  Sprache  sich  der  schwache  Humor 
erschöpft  -  nicht  daß  wie  bei  Neumeister  sogar  die  biblischen 
Dinge  mit  überlegener  und  kecker  Laune  behandelt  würden  oder 
wie  bei  dem  späteren  Schößling  des  allen  Stammes  diese  Dinge 
mit  unheiligei  und  niedrigen  kunterbunt  untereinandergeworfen 
und  vermengt  wären.  Übrigens  haben  di«e  beiden  späteren 
Raritäten- Lieder  viele  Figuren  und  Stoffe  gemeinsam.  In  beiden 
kommt  vor  das  Paradies  mit  Adam  und  Eva;  David  und  Goliath, 
David  und  Bathseba,  Joab  und  Absalon  sind  vertreten.  Biblische 
Figuren  mögen  wohl  in  jedem  wirklichen  Raritäten  kästen  den 
Hauptbestandteil  ausgemacht  haben,  sie  verloren  im  bunten  Wechsel 
der  Zeit  niemals  von  ihrer  Anziehungskraft  für  Kinder  und  volks- 
tümliche Kreise,  wogegen  Erscheinungen  der  Zeitgeschichte  bis- 
weilen sehr  schnell  ihre  Volkstümlichkeit  einbüßten  und  aus  dem 
Gedächtnis  der  Mitwelt  und  vollends  der  Nachwelt  verdrängt 
wurden.  Wie  sollte  der  armselige  Kramj  woraus  der  Inhalt  jener  alten 
Raritäten  kästen  meist  bestand,  immer  dem  Wellenlauf  zu  folgen, 
beständig  Neues  mit  einigem  Schein  herausgeputzt  zu  bieten  und 
Veraltetes  auszuscheiden  in  der  Lage  gewesen  sein?  Gewiß  läßt 
sidi  annehmen,  daß  man  oft  ältere  Figuren  einfach  umgetauft  oder 


I 


I 
I 


l)  Cilt-Iimo  H.V,  S-  4«,  Nf.  JO  In  II  Sil  Rik-IlnKnir,  ticdttliort  UI,  S  JH.  Ni. 
IT«  risent.  11  S(r.  Fl  Bl.  Vd  7901.  IV:  Fönf  «hönr  neue  Urdcr  Du  Enle.  lUriüncn 
itn  lU  idtn  .  .  14  Mr.  Yil  I90I  llt:  .Sleboi  Nnce  Aricti*  |B«ilin,  Z£ni|[lbl  IS)  6.  Mt 
(inn  lulltntKbcn  Kukkuttn-Munn.    Rtrilitc  iqrn  *u  Mhii  .  .  .  rj  Su. 


Schöne  Spieleverk,  schöne  Raritäl! 


nach  Bedürfnis  für  andere  Zwecke  zugestutzt  habe.  Eine  so  große 
MannigfaJtigkeit  der  Gegenstände,  wie  sie  das  Gedicht  Neumeisters 
vorführt,  mag  in  Wirklichkeit  schwerlich  jemals  vorhanden  ge- 
wesen sein,  abgesehen  davon,  daß  dort  im  Scherz  unmögliche 
Dinge  wie  .aus  Pharaos  Traum  eine  dürre  Kuh"  oder  solche, 
die  nur  in  parodisdschem  Sinne  verwendbar  sind,  wie  «der  Stein 
der  Abimelech  schlug',  wofür  der  erste  beste  Feldstein  dienen 
könnte,  zwischendrein  genannt  werden.  Im  Reiche  der  Ein- 
bildungskraft kostet  es  nur  ein  Mundaufmachen,  um  die  größte 
Mannigfaltigkeit  und  Fülle  der  Gestalten  vors  Auge  zu  zaubern; 
in  Wirklichkeil  sieht  es  hier  wie  sonstwo  dürftiger  aus.  Ein 
geistreicher  Dichter  vermochte  die  engen  Wände  des  Raritäten- 
kastens unendlich  zu  erweitern  und  für  gebildete,  frohgesinnte 
Leute  mit  geringer  Mühe  die  ganze  Welt  auf  belustigende  Weise 
darzustellen.  Derjenige,  der  wie  jeden  andern  brauchbaren  Faden 
frtiherer  Dichtkunst  auch  diesen  einmal  weilerspann  und  ihn  dabei 
mit  Glanz  und  Farbe  seines  reichen  Geistes  versah,  war  Goethe.') 
Sein  njahrmarktsfest  von  Plundersweilem "  beruht  im  letzten 
Grunde  auf  Ertnnerungsbtldernj  die  sich  ihm  von  Jahrmärkten 
und  Straßen  her  eingeprägt  hatten,  worunter  neben  andern  Messe- 
lautem  und  Schaustellern  auch  die  Raritätenmänner  eine  gewisse 
Rolle  gespielt  haben  mögen. 

Daß  jene  früheren  Bänkelsängerlieder  mit  Raritäten-  oder 
Quckkasten-Einkleidung  selbst  jetzt  noch  immer  nicht  ganz  ver- 
schollen sind,  daß  ihnen  Liebhaber  erstanden,  die  ihnen  Beach- 
tung schenkten  und  sie  der  Nachahmung  für  würdig  hielten,  das 
mag  ein  Lied  aus  dem  Ende  des  neunzehnten  Jahrhunderts  be- 
weisen :  « Des  alten  Deutsch- Franzosen  Guckkastenbilder  vom 
Berliner  Frauenkongreß  1896",  wovon  die  beiden  ersten  und  die 
beiden  letzten  Strophen  also  lauten: 


■>  Wix  Hirrmnnn  h«i  iih*r  Qanhn  J  iltmi»rlrt»(Mi  m  PiundenvHlimi  tin  Baeh 
von  bcltuihr  3<k  SdtFit  VEttißt  (IMpD)  AfchiRt  dei  oben  «vitinEcn  BcIripIclIcTi  lind  bcrriU 
bd  Hcnrnann  lu  fndm.  Ihm  wv  jnlocli  drr  Dnflull  d«  Ritrilllcnponte  auf  Oocthc  dir 
HutpOathc.  und  er  AtHTKhltn  dloen  F-inru(1,  Eine  Methode,  die  hei  )edcr  tLlnicIhdL 
bei  ftdeni  Wutt  und  jedem  Oedinkm  die  gmaue  Stufenlalge  von  Kc»m.  Wichiluin  und 
Reite  rcbi!  ebrnio  cmtuer  ZeitbrnlrnmuTiii  IBi  itäe  Sliite  elautil  ritnlK^ln  rn  knnnpr,  mun 
noMeniliG  dii  Herhir  vrtfrhicn  und  in  IrrlUnier  geraten.  Hat  JahnntrkUlen  vnn  I'limdct»- 
weilrm  aber  «■Urde.  wetm  n  nicht  Oocilin  Nimm  irlice.  ylcJkldit  lum  •tttloioi  litcn- 
rtKhen  Schott  sererbnti  v«drn  und  keln«l(.>1i  eine  k>  mlkroikopiiiche  Behwidlun);  vetdiniea. 

20" 


A.  Kopp. 

Ick  bin  die  kuter  Deiitsch-Fnnßos, 
Bin  Cberall,  wo  etwas  los. 
Will  Beigen  -  sehr  von  Interess'  — 
Euk  Bilder  von  die  Fraunkongieß. 
O  sehre  schöne  Spieleverlt,  o  schöne  Rarität! 
El,  sfi&e  Kathrins!  hm,  sittliche  Lina!  pst,  holde  Maigrd! 
Ach,  rdzende  Lilyl 
Kile,  kile,  kily! 
O  kIixc  schöne  Spiciewcrk,  o  schöne  Rarißt! 


Wie  leuktct  schön  die  Morgenstern! 
Schon  ist  die  eile  Tag  niclit  fem; 
Die  Frauen  tagen  unverßagt, 
Bis  daß  es  ank  an  'immel  tagt. 
O  sehre  schöne  Spiclcweik  etc. 

•        •  ■         > 

«  * 

Dem  freien  Weibe  freie  Bahn! 
Djis  'enne  kräht,  es  schweigt  die  ahn; 
Seht  'ier  kanz  bloß  geschlagne  Mann, 
Und  sie  'at  'osen  seiner  an. 
O  sehre  schöne  Spielevcerk  etc 

■  • 

tck  bin  die  armer  Deutseh-Franßos, 

KeFlickt  und  schickt  ist  meiner  "os; 

Will  eine  kaufen  von  mes  dames? 

Da  liegt  sie  —  Plalt-ü?  Ah,  mon  äme! 

O  sehre  schöne  Spielcwerkj  o  schöne  Rarität! 

Ei,  süße  Kathrins!  hm,  göUliche  Lina!  pst,  holde  Margret! 

Adi,  reizende  Lilyl 

Kile,  kile,  kily! 

O  sehre  schöne  Spielewerk,  o  schöne  Rarität! 

•  ■ 

• 

Eine  vom  Rarilätenkaslen  ganz  verschiedene,  wiewohl  damit 

zusamtiienhängende,  ja  durch   Personalunion  wohl    öfter  datnit 

eng  verbundene  VolksbelLsügung  und  Jahrmarlrtsfreude  stellt  sich 

im  Schattenspiel  dar.    Auch  dieses  hatte  seine  Lieder,  gewöhnlich 

eljenfalls  in  französisch-deutscher  Radebrechung,  weil  dieses  ganze 

Schau kastengewcrbc   größtenteils   in    Händen    von  Welschen    lag; 

bisweilen  kommt  auch  eine  italienische  Beimischung  vor.      Der 

Berliner  Sammelband  fliegender  jahrmarktsd rucke  Yd  7905  ent- 

hUl  zwei  solcher  Lieder; 


Schön«  Spidewcrk,  schöne  Radtitl 


SchJittoi-Spid-Lied  eines  Savojardcn,  von  Adam  und  Er». 
WoU  si  schatte  Schattenspiel  ? 
Hab  sie  Spaß,  und  darf  nit  viel 

Mir  daffir  bezahlen. 
Ick  vill  euck  hier  an  die  Wand 
Durck  die  Schallen,  allerhand 

Kanß  posirlig  mahlen. 
Dreh  dasu  die  Orgel  um: 
Diedel   -  diedel   -   diedeldum  - 

Schöne  Schattenspiele! 

Das  Lied  besteht  aus  1 1  Strophen  mit  dem  Kehrreim : 
■  Diedel  -  diedel  -  diedeldum  -  Schöne  Schattenspiele!« 

Während  in  diesem  Liede  der  Kehrreim  »Schöne  Schatten- 
spiele" an  die  Raritätenlieder  anklingt,  stimmt  im  folgenden  der 
Strophenbau  damit  überein: 

Schattcnsptd-Lied  eines  Savojarden, 
aus  der  Ceschichle  Samsons. 
Messieurst  Mesdam's!  ick  prisentir: 
Wie  ebne  Löve  altacldr 
Die  Samson.  auf  die  grüne  Plaz, 
Als  er  vill  keh  su  seine  Schu. 
Cospctto  qua!  cospctio  ia!  I,  a,  ha,  ha! 

Dies  Lied  verläuft  in  24  Strophen  mit  dem  Kehrreim: 
•Cospetio  qua!    cospctto  1a!  i,  a,  ha,  ha!" 

Es  ist  sicher  kein  Zufall,  daß  in  beiden  Liedern  ebenfalls 
wieder  biblische  Stoffe  gewählt  sind;  solche  haben  in  allen  der- 
artigen Schaustellungen  offenbar  überwogen. 

In  Goethes  Jahrmarktsfest  tritt  ein  Schattenspiel  mann  auf, 
nicht  aber  ein  Rantätenmann.  Weshalb  ein  RarilSfenkasfen  den 
großen  Dichter  zu  seinem  Schön  bartspiel  am  stärksten  begcislcrt 
und  veranlaßt  haben  sollle,  läßt  sich  nicht  einsehen;  Puppen-  und 
Schatten -Spiel-Darstellungen  haben  mindestens  einen  ebenso  großen 
Einfluß  geübt.  Erinnerungen  an  Jahrmarkts-  und  Siraßen-Bitder 
hafteten  in  Goethes  Gedächtnis,  tauchten  gelegentlich  darin  auf 
und  machten  ihm  Lust,  sie  mit  kräftigen,  derben  Strichen  wieder- 
zugeben. Viel  mehr  wird  sich  über  das  ganze  nicht  sagen  lassen 
und  verlohnt  sich  nicht  zu  sagen. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des 

Schriftwesens  in  Bayern. 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Aufklärung,  nach  archivalischen 
Quellen  bearbeitet 

Von  FERDINAND  LORENZ. 


Einleitung. 

Aufklärungsgeschichte  hat  viele  Lebensäußerungen  zu  be- 
achten. Je  nachdem  sich  diese  gegeneinander  verschieben,  fallt 
darauf  ein  anderes  Licht.  Nichts  steht  außer  Zusammenhang.  Es 
ist  v^ie  in  einem  großen  Spiegelsaal,  der  die  Vorgänge  in  seinem 
Innern  tausendfältig  zuriickwirft. 

So  vermag  folgender  Beilrag  zur  Geschichte  der  Zensur 
und  des  Schriftwesens  manches  von  einer  eigenen  Seite  zu  zeigen. 
Schon  im  Jahre  1803  verwunderte  sich  Christoph  Aretin,')  daß 
ncch  keine  Geschichte  der  Bücheizensur  geschrieben  sei,  da  doch 
ihr  Nutzen  in  vielfacher  Rücksicht  sehr  groß  und  ihre  Bearbeitung 
schon  von  mehreren  Gelehrten  gewünscht  worden  sei.  Er  er- 
innerte an  die  allseitig  diesem  Gegenstand  gezollte  Teilnahme  von 
Königen  und  Literaten,  wies  auf  Schlözers  Briefwechsel,  den 
deutschen  Merkur,  auf  den  unglücklichen  Helder  von  Werelä,*) 
der  bereits  IJ74  eine  sorgfällige  Erwägung  der  Preßgesetze  emp. 
fahl  und  die  nicht  geniißbrauchte  Preßfrcilidt  zu  Ansehen  brachte, 
deren  bescheidene  Weisung  einen  Karl  XL  vor  verhaßten  Neue- 
rungen, einen  Karl  XII.  vor  Herrschsucht  hätte  bewahren  können. 

Als  die  Tätigkeit  des  Geistes  sich  zu  einer  mächtigen  Reg- 
samkeit  emporschwang  und    allgeprägle  Meinungen   in    Religion 

i|  B«itneF  lUT  Ocschlchl*  und  Lilcnlur.  Mflnehn  IUI.  IN.  W. 
*|  SchJdMn  Unchrechscl  V[l,  11  I. 


I 


Zur  0«chichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesen»  ia  Bayern. 

und  Sitte  der  Obhut  der  Aulorilät  entriß,  erschienen  i486  Kurfürst 
Bcrihold  von  Mainz  und  zehn  Jahre  darnach  Papst  Alexander  VI. 
mit  einem  Machtspnicli  der  Entmündigung.  Der  Speyerer  Reichs- 
tagsabschied vor  1529  verhalf  der  Zensur  zum  Leben.  Kurz 
vorher  und  bald  darauf  erschienen  die  ersten  bayerischen  Zensur- 
mandate,*)  und  iS6i  wurde  eine  Zensurkomniission  mit  den 
Jesuiten.  Canisius  und  Peltanus  bestellt.  Max  IM.  Josef  begründete 
durch  das  Mandat  vom  I.  August  1769')  das  Bücherzensur- 
kollegiiim  in  München  und  machte  dessen  Urteil  für  «alle  Bücher, 
Schriften,  Theses,  Zeitungen,  Monat-  und  Wochenstücke«  ver- 
bindlich, die  im  Inland  erscheinen  oder  von  außen  eingeführt- 
würden.  Die  Maut-  und  Al{2isämier  an  der  Grenze  hatten  die 
Büchereinfuhr  zu  beaufsichtigen.  Die  einzuführenden  Bücher 
bedurften  eines  Freipasses  des  Kollegiums;  mangels  solchen  waren 
sie  an  das  Kollegium  abzuliefern.  Bücherhausierer  mußten  mit 
einem  Paß  oder  üzenzzettel  des  Kollegs  versehen  sein.  Ver- 
botene Bücher  wurden  konfisziert  Das  Kollegium  wurde  am 
10.  April  1799  durch  eine  Bücherzensur-Spezialkommission  in 
unmittelbarer  Unterordnung  unter  das  Ministerium  der  geistlichen 
Angelegenheiten  ersetzt  und  diese  Kommission  durch  Verordnung 
vom  13.  Juni  180J  beseitigt  Die  allgemeinen  Polizeibehörden 
handhabten  von  nun  an  auch  die  Prelipolizei.  Wir  erfahren,  daß 
jene  erste  Umwandlung  unter  Max  IV.  Josef  Unfolgsamkeit  und 
Geringschätzung  verursacht  habe.  Auch  vorher  wandte  man  alle 
Mittel  auf,  sich  den  Zensurverordnungen  zu  entziehen.  Alle  ge- 
schichtliche bis  auf  die  Capitularien  Karts  des  Großen  zurück- 
greifende Erörterung,  alle  Festlegung  unverrückbarer  Gesichts- 
punkte der  Religion,  Sitte  und  landesfürstiichen  Gerechtsame,  zu 
deren  Schirmung  die  Zensur  sich  angeblich  für  berufen  hielt, 
konnte  dieser  Einrichtung  die  Befugnis  nicht  mehr  sichern,  die 
Mittel  der  Verständigung  feslzuschließen. 

Die  Geschichte  der  Zensur  ist  nicht  nur  eine  solche  ihrer 
Gesetze.  Sie  hat  nicht  nur  zu  zeigen,  was  Rechtens  war. 
Jeder  Tag  konnte  gewissenhafte  Zensoren  vor  neue  rätselhafte 

^  Rinltr,  Ondiidile  B4y«mi  IV,  )(H. 

^1  O.  K-  Mijrr,  Sjunniliing  dtt  nois!  und  mcrWürdl fiten  churbalrr.  Qenerillen  and 
Luidaveruidnunucn.  ITi,  S.  iVi.  Max  Stydcl,  B«yerisch«  SlMtirecliI,  Freibufg  Hl',  I, 
12  I.  und  I2V. 


Ferdinand  Lorenz. 


Fälle  stellen,  die  nach  eirem  Ausdruck  Freybergs  arbitrarisch  zu 
behandeln  waren.  Im  Hinblick  auf  die  Entwicklung  der  Zensur- 
verbältnissc  Deutschlands')  gewahren  wir,  daß  die  verordnende 
Staatsgewalt,  im  Reich  wie  in  einzelnen  Territorien,  bestimmte 
Regeln  oder  Grundsätze  für  die  Handhabung  der  Zensur  nicht 
gab.  Städtische  und  ständische  KÖTJcrschaften,  welche  die  Prcß- 
polizci  ausübten,  bildeten  diese  Grundsätze  selbst  oder  schalteten 
mit  Willkür.  Infolge  des  Dreißigfährigen  Krieges  bößlen  diese 
Körperschaften  in  der  Zerrüttung  aller  staatlichen  und  gesell- 
schaftlichen Verhiltnissc  ihre  Selbständigkeit  ein.  Die  erstarkende 
Staatsgewalt  suchte  von  nun  ab  die  Handhabung  der  Zensur 
eigenen  oder  in  katholischen  Gegenden  ergebenen  kirchlichen  Or- 
ganen zu  übertragen  oder  da,  wo  das  alte  Verhältnis  äußerlich 
bestehen  blieb,  die  bisherige  selbständige  Wirksamkeit  derartiger 
Körperschaften  in  siaalliche  Abhängigkeit  zu  bringen.  Auch  die 
neu  geschaffenen  gesetzlichen  Bedingungen  für  die  Freizügigkeit 
literarischer  Erzeugnisse  konnten  nicht  so  abgezirkelt  werden, 
daß  die  schiedsrichterliche  Erledigung  entbehrlich  geworden  wäre. 
Die  jeweilige  Ansicht  über  das  We3«n  der  Preßfreiheit  mußte 
den  Ausschlag  geben. 

In  der  Neuen  Hamburger  Zeitung*)  erschien  im  Oktober 
1795  »Eine  Fabel"  von  Mathias  Claudius  und  »Keine  Fabel'  von 
J.  H.  VoB,  Dort  will  der  Löwe  den  Brummelbär  Zensor  wieder 
losgemacht  haben  ob  der  Traktätchenschreiberei  der  Scekälber, 
Skorpionen,  Füchse,  Kreuzspinnen,  Paviane,  Luchse.  Bei  Voß 
erscheint  der  in  düsteren  Synagogen  genährte  Kauz  vor  dem 
Adler  mit  der  AnWage  gegen  den  Hahn,  den  gellenden  Trompeter 
der  unglöcksschwangeren  Aufklärung,  der  als  wahrhaftiger  lUuminal 
die  Sonne  emporkrähe.  »Der  Adler  tat  als  hört'  er  nicht,  und 
sah  ins  junge  Morgenlicht* 

Dies  ein  Abbild  des  noch  weit  ins  t9.  Jahrhundert  hinein- 
spielenden Kampfes  um  das  Wesen  der  Preßfreiheit.  Gesetzlichen 
Einspruch  hielt  Friedrich  der  Große")  für  nötig,  damit  die  Freiheit 
nicht  mißbraucht  werde.     Dem   Wohl    und    der  Sicherheit   der 


I)  ArehU  füi  GrKhlchlt  dn  dtiibcticn  Buchhandtli,  l.flp(it  iSfl  ff.  V,  ItStf.  XV, 
IIS.    SttBjpt,  WäHntuch  des  dcutirhni  VrmltunsirKhli,  Fraiburg  ll»0. 
■)  Oetprachnna  im  Jontmal  .DniKchluid*  ITH  S.  91. 
i  Im  37.  Briet  M  ilAleml)«!. 


I 


Zur  Qeschichte  der  Zensur  und  des  Schriftvesens  in  Bayern.      32I 

bürgerlichen  Oesellschaft  zuwiderlaufend  s«!  das  Pasquill,  »Prefl- 
frechheit"  geißelte  Moser,')  «Zügellosigkeit"  meinte  verSclUlich  der 
Landshuter  Universitätsprofessor  Gönner.*)  Der  Annalist  Keyser 
nannte  die  Preßfreiheit  ein  Problem,  dessen  OröBe  man  noch  nicht 
durchgehends  gefaßt  zu  haben  scheine.  Bei  Kant  rzum  ewigen 
Frieden"  ist  Publizität  als  Prtifstein  für  den  Wert  einer  Maxime 
angegeben.  Der  Wandel  der  Persönlichkeit  muß  auch  hier  die 
Meinung  beeinflussen.  Die  freien  Anschauungen,  die  Oentz  gcgen- 
ßber  dem  Preußenkönig  bekundete,'^)  mußten  sich  im  Gefolge 
Mettcmichs  verflüchtigen.  Er  schrieb  nämlich  1818  im  ersten 
Jahrgang  der  »Wiener  Jahrbücher  der  Literatur"  von  einem  re- 
lativen Begriff,  der  durch  die  Zensur  erst  größere  Bestimmtheit 
und  Sicherheil  erhalte.  Und  Mcltcrnich*)  gewährte  in  der  Tat 
dem  deutschen  Buchhandel  nur  unter  der  strikten  Bedingung 
präventiver  Maßregeln  den  staatlichen  Schutz.  Der  bayerische 
Minister  Abel  bekämpfte  das  Zensuredikt  des  Ministers  Schenk 
und  suchte  etliche  Jahre  später  die  Presse  zu  unterdrücken. 

Die  Neubelcbiing  der  Zensur  durch  Max  III.  Josef  schien 
etwas  wie  ideale  Absicht  zu  haben.  Westenrieder  sagt  in  der 
Denkrede  auf  Kennedy,  daß  die  Bücherzensur  «keineswegs  zur 
Unterdrückung  der  Denk-  und  Preßfreyheil,  sondern  vielmehr 
2um  Schutz  und  Sicherheit  derselben'  errichtet  worden  sei. 
Geraume  Zeil  später  haben  Morawitzky  und  Montgclas  erkannt, 
daß  ideale  Absichten  und  Zensur  unverträglich  seien.  Und  sie 
brauchten  nicht  sämtliche  Plugschriften  zu  lesen,  um  die  allgemeine 
Anklage  zu  hören.  Man  rief  nach  dem  «Staatsminister",  der  dem 
Pursten,  den  Landständen  und  dem  Volk  gegenüber  nicht  heuchelt 
und  die  Regierung  niemals  irre  leitet;  der  aber  nicht  die  Züge 
eines  Pariser  Fischweibes  anzunehmen  braucht  Man  sah  in  der 
Zensur  eine  aus  mißtrauischen  Vorurteilen  erwachsene  Frucht,  die 
bei  gegenseitigem  Vertrauen  zwischen  Volk  und  Henrecher  über- 
reif werde.     Und  ein  »aufrichtiger  Baicr"  versäumte  nicht,  ISOI 


<]  Patriot.  AnMr  Xt.  110. 

■)  ObenUeVtrinilcnineil«'  RcIIglontabuni  legen  den  Ziitrtnddn  Norniillihrn.  iBnz, 
^KldiKTC  Schriften  von  rrlediich  van  Utnii.  hcriu*c.  von  Ouiiav  Schi nler,  Mtno- 
Mn  IB38,  I, 

<]  Atchi«  i.  a  d.  d  B.  1,  S1. 


r 


322 


Ferdirand  Loma. 


in  sein  politisches  Olaubensbekenntnis  aufzunehmen:  «Ich  glatibp, 
daß  Max  Joseph  der  aufgestellten  Censurcommisston  die  ewige 
Rulie  allgedeihen  lassen  v/erdv,  da  alle  Censtiranstalten  nur  Werk- 
zeuge des  Obscurantismus  sind,  alle  literarischen  Häscher  suchen 
nur  Böses!"  Und  so  geschah  es  auch  am  i^.  Juni  1S03.  Monlgelas 
gibt  von  dem  Vorgang  folgende  Rechenschaft:')  « Die  Aufklärung 
des  Jahrhunderts  vcrlargte  die  Beseitigtjng  dieser  Fessel,  weldie 
den  freien  Umlauf  der  Gedanken  hemmte.  Die  Geister  hatten 
sich  schon  zu  gut  geschult,  als  daß  man  die  Fessel  hätte  erfolg- 
reich handhaben  können.« 

Die  beliebte  Gegenüberstellung  der  Zeit  Karl  Theodors  und 
der  seines  Nachfolgers  nach  rechtlichem  und  tatsächlichem  Gehalt 
verwehrt  nicht  die  WeKerftlhning  der  Zensurgeschichle  nach  den 
gegebenen  Gesichtspunkten.  Wohl  auf  keinem  anderen  Gebiet 
isl  apodiktische  Anordnung  so  schwer.  Es  war  zuweilen  nur  ein 
Spiel  mit  Begriffen.  Auch  die  Preßgesetze  Max  Josefs  IV.  tragen 
manche  alten  Züge.  Jla  die  späteren  schienen  wieder  auszulöschen, 
was  die  ersten  freimütig  darboten.  Die  der  gänzlichen  Verände- 
rung der  äußeren  und  der  Oebictsverhältnisse  Bayerns  zur  Seite 
gehende  Neugeslaltung  der  inneren  Staalseinrichtungen  auf  Grund 
der  modernen  Slaatsideen  begünstigte  die  Abschaffung  einer  förm- 
lichen Organisation  der  Zensur.  Montgelas  hegte  den  Grund- 
gedanken der  Einheitlichkeit  und  Zusammenfassung,  und  die  Bei- 
behaltung seitheriger  Zensurverhäl Inisse  wäre  auch  auf  raumliche 
Schwierigkeiten  gestoßen.  Aber  die  Anschauungen  Montgelas' 
behielten  einen  absolutistischen  und  bureauk ratischen  Hauch,  und 
je  mehr  Stimmen  verlauteten,  daß  die  Preßfreiheit  die  Panacee 
eines  konstilutioncllen  Staates  sei,  desto  mehr  schien  jener  geneigt, 
die  freiheitlichen  Weisungen  der  ersten  Jahre  zu  entkräften  und 
offenherzige  Beurteiler  seiner  Maßnahmen  zu  beschränken.  Die 
an  die  Spitze  des  ^Genius  von  Bayern"  gestellte  Verordnung 
vom  März  1  801  hatte  die  Gelehrten  zur  literarischen  Würdigung 
der    Regierungsbegebenheiten    ermuntert,   in    der   Überzeugung, 


I 


I)  Muimillwi  Gnf  VDn  Munruclis.  Coni])tc  mi-du  nu  Rot  »u(  It  untlon  da  d^rlc- 
mmls  Ort  «Hiim  «Iranttm.  iln  nutncrt  d  dt  l'Tnt^ricuf  iicfnti»  le  16  Mvrler  I7?9  |iit- 
qu'*u  t  rtvficr  iHir.  K.  Mol-  und  Sualitiibliotlirk  MOndim.Cod.  sill.  U9.  —  Ichscbcdle 
Sitlleu  Cutui  und  am  dm  Uittftn  üeulsch. 


daß  jede  mil  reinen  Absichten  geführte  Staalsverwaltung  von  der 
Puhlizifät  der  Handlungen  nichts  zu  fürchten,  sondern  die  woht- 
tätigsteti  Folgen  zu  erwarten  habe.  Freudig  stimmte  A.  Aretin 
dahin  ein,  daß  über  die  bestehenden  Gesetze  des  Staates,  seine 
Einrichtung  und  Verwaltung  freimütige  Untersuchung  angestellt 
werde.  Für  den  an  hoher  Steile  des  Generalschuld ireklori ums 
stellenden  Frauiiberg  nimmt  es  nicht  ein^  wenn  er  «die  Bande 
jener  Männer",  welche  die  kurfürstlichen  Verordnungen  ernst- 
haft prüften,  verwünschte  und  anzeigte.  Die  Konstitution  von 
1S08,  welche  anderseits  von  Gewissensfreiheit  redete,  bestätigte 
die  Gdlligkeit  von  Preßgesetzen,  die  inzwischen  durch  augen- 
blickliche Rücksichten  entstanden  waren  und  den  Vorteil  der 
früheren  vernichteten. 

Allerdings  hat  die  keineswegs  eindeutige  Sprache  der  Oe- 
set7e  zu  verschiedener  Auslegung  und  schon  in  der  nächsten 
Zeil  zu  Meinungszwist  Anlaß  gegeben.  Franz  von  Spaun')  hat 
die  Ansicht  vertreten,  daß  durch  den  Wortlaut  der  Verordnung 
vom  13.  Juni  1803,  welche  «bei  politischen  und  statistischen 
Schriften  keine  bestimmte  Einschränkung"  machte,  die  Zensur 
dieser  Schriften  autgehoben  war.  Döllinger*)  behauptet  aus  den 
Verordnungen  vom  6.  November  1804  und  vom  17.  Februar  1806 
die  fortlaufende  Gültigkeit  der  einschlägigen  Vorschrift  vom 
6.  September  1799.  Solche  Mißverständnisse  zogen  sich  noch 
jahrelang  hin.  Spaun  ^)  hätte  noch  der  Konstitution  von  1818 
einen  Zusatz  gewünscht,  daß  alle  alleren  Verordnungen,  sofern 
die  Konstitution  ihnen  derogiere^  abgeschafft  wären  und  jede  Be- 
rufung darauf  als  Verleliung  der  Verfassung  angesehen  werden 
solle.  Trotz  des  allen  Rechtsaxioms,  daß  durch  das  neue  Gesetz 
das  ältere  aufgehoben  wird,  sah  man  letzteres  wie  zur  Reserve 
nachhinken-  Man  griff  selbst  in  die  60er  und  70er  Jahre  des 
vorhergehenden  Jahrhunderts  zurück  und  suchte  sich  mit  ver- 
schimmelten Tartschen  zu  decken.  Ein  geordneter  Rechtszusland 
war   dadurch   erschwert.     Schon    die   grundlegende   Zensurver- 


>)  fnni  von  Spiuni  iMlItlfchn  TnUmcnt.  Ein  5cllne  cur  Qnchlchtt  drr  PrcA- 
Irrihtil  iRL  «Uacmcincn  utiC  In  b«0(n1«cr  Mlntlchl  »u1  Biycni.  Itcrouti  «.  Fivnmann. 
Crhitam  le^i     S.  ?ii. 

I)  Saniinlune  der  ... .  Vn-ordnuRnTTi  III,  !9S.    München  18)0. 

1  a.  ft  O,  IM. 


7ur  Geschichte  der  Zensur  und  d«s  Schriftwesens  in  Bayern.      325 

ificn  nicht,  »weil  eben  nicht  allezeit  Folianten  und  Quar- 
iiejenigen  Schriften  sind,  welche  den  größten  Einfluß  auf 

urd  Auflcläning  haben.-      Der  AnnaEist  Keyser*)  erblickte 

sehr  natürliche  Erscheinung,  wenn  gegenwärtig  der  Brochüren, 

Verbesserung  zu  bezwecken  suchen,  immer  mehrere  werden ; 

Qnind  liegt  in  der  früheren  Beschränkung  und  einem  fflrchter- 

iien  Stillstand,  während   das  Ausland   kriftig  fortschritt"     Im 

jerichtswesen    treffe    man    nirgends   weniger    Publizität   als    in 

Bayern.     Als  aber   Baader    1802   seine   »Aussichten,  Wünsche 

und   Beruhigung  fürs  Vaterland"   schrieb,  meinte  Keyser,  »daB 

Männer,  die  sich  einmal  so  geistesfrei  als  der  Verfasser  gemacht 

haben,  die  Literatur  im  Fluge  verachten  und  auch  bei  Brochüren 

die  Ansprüche  an  Gründlichkeit   befriedigen-  sollten.     Es  gelte 

in  Bayern  eine  vielseitige  Einseitigkeit  zu  bekämpfen. 

Die  Zeit  der  Revolution  war  Überhaupt  derartigem  Schrift- 
wesen hold.  Französische  Musenalmanache  brachten  poCsies 
fugitives  von  Voltaire,  Marmontel,  Laharpe,  S.  Lambert  als  gern 
gesehene  Angebinde  in  Festlichkeit  und  gelehrter  Gesell rgkeil.^ 
Und  wenn  der  eiserne  Arm,  der  den  Janustempel  Öffnete,  das 
Reich  der  Musen  schloß,  die  Schwätzer  ließen  sich  nicht  ver- 
scheuchen. Darum  ist  nach  Feuerbachs  Mitteilung")  ein  Artikel 
des  1822  neu  veröffentlichten  Strafgesetzbuches -als  eine  gerechte 
Würdigung  der  von  unserer  Ständeversammluiig  zweiter  Kammer 
mchrßltig  erhobenen  Beschwerden  über  die  Vielschreiberei"  zu 
betrachten. 

Eine  charakteristische  Begleitencheinung  ist  die  Anonymität 
Denn  nicht  jeder  hatte  den  Mut  wie  Babo  in  seinem  Jugend- 
druma  Arno,  die  Herkunft  der  in  die  Welt  gesandten  begeisterleti 
neuen  Kunde  zu  verraten.  Oft  legte  der  Stand  dem  Schreiber 
einen  Zwang  auf,  etwa  wenn  der  Bcnedtktinerabt  Rupert  Kom- 
mann  Theaterstücke  schrieb.  Es  ahnten  wohl  wenige,  daß  der 
gelehrte  Streiter  für  Klostcrduldung  ländliche  Sitlengemälde  mit 
Gesang   in    fünf  Aufzügen    fertigte.*)      Schon   die  Zeitgenossen 


1)  Annln  isoi,  X,  i>,  n» 

^  V£l.  Auron.  Zciluhcifl  im  d«ni  lüdlichra  DcutMhluid,  tSftt,  Nr.  9. 
t  A.  FeucrtMclit  Dioei    Nuhtatl  II.  ut,  AnhuiE 

')  Biader,  Lcxllicin  vmlorbcncr  bi)rTi»ditr  SchriftsIclUr  da  l(  niui  >9,  J^rhnndnti 
und  4tc  BWwrtnddiiilwe  g^ta  AufKbluB  öbtr  »eridvrifjeD«  Verf«Mcr. 


n* 


FerdEssnd  Lorenz. 


ordnunjE  vom  i.  August  1769  hitte  ein  mertcrürdiges  ScliidcsiL 
Sie  wurde  namlkh  durch  das  bald  nachfolgende  Erläuienings- 
mandit  bis  zum  Encheinen  eines  Cstalogus  libronim  prohibitonim 
luigetettt.  Ein  solcher  erschien  aber  nicht,  wurde  erst  in  den 
90<f  Jthren  wieder  angeregt  -  und  du  Zctisurcdtkt  hätte  bis 
dahin  eigentlich  unwirksam  bleiben  müssen.  Man  wird  an  die 
Stelle  in  Längs  Memoiren  erinnert:  »Das  Beste  bleibt,  daß  man 
«ich  in  ßnyern  zufrieden  giebl,  wenn  ein  Gesetz  nur  einmal  gedruckt 
lil,   auf  den   wirklichen  Vollzug  sieht  hernach  Niemand  mehr.' 

Im  allgemeinen  war  die  Zensur  während  des  Bestehens  einer        { 
eigenen  Behörde  eine  vcrwalliingsrcchlliche  Maßregel  und  hatte 
vorbeugenden  Charakter.     Durch  Überweisung  an  die  allgemeinen        i 
Polizeibehörden  wurde  sie  fiberwiegend  strafrechtlich.     Das  polU        | 
zeilichc  Verfahren  sollte  den  Vollzug  der  richterliclien  Entscheidung 
sichern,  griff  aber  derselben  häufig  vor  und  vereitelte  sie.  ^^ 

Es  hat  noch  manchen  Kampf  gekostet,  bis  Maximilian  11-^^ 
tn  den  Otsctien  zur  Abänderung  der  Verfassung  die  volle  Preß- 
freihcil  verherrlichte.  Gesetze  zum  Schutz  gegen  Mifibrauch  I 
folgten,  aber  noch  hat  kein  freimütiger  Urleiler  solche  verdammt 
Solche  Gesetze  greifen  tief  ins  Leben  des  Volkes,  und  ein  Wort 
KOntg  Ludwigs  hat  hier  statt:  >)  .Erfahrung  er^t  zeigt  manches, 
WM  Theorie  nicht  lehren  kann.-  Geschichte  der  Prcfifreihcit  ist 
AufkUrungsgcschtchlc.  Bold  gibt  man  aus  voltcti  Händen,  bald 
kArgltch.     Berge  und  T&ler  H-ediseln  immer  ab. 


M 


I.  LcMStoff  und  Leselnst 

im  au<^henden  achuehnten  Jahrhandert  die 
WtaMa3(ebieK  ausgebaut  waren,  so  gro6  war  die 
SducibwKckcA  AttA  dk  Lc$c)ust  Betüditige  Zisdnuer  etselmtm 
ttettt  nnwn  tlrnKstriV  alt«  VnnOCip  zn  vcibcemMa,  dangt  aar 
te  WtrtwUc  ibi^  bleibe  ckkk  den  QoM  des  Fphr'airVn 
TtM9«te.*V     Wtt^kr  1nt6  tum  Ertusc^en  cDabeieBkadcr  AB- 


WotderJ 


r^AM*' 


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Zur  Geschidite  der  Zensur  und  des  Schriftveiens  in  Bayern.     j2S 


Flugschriften  nicht,  »weil  eben  nichl  allezeit  Folianten  und  Quar- 
tanten  diejenigen  Schriften  sind,  welche  den  größten  Einfluß  au! 
Sitten  und  Aufklärung  habtrn."  Der  Annalist  Keys«')  erblickte 
«eine  sehr  natflriirhe  Erscheinung,  wenn  gegenwärtig  der  Brochüren, 
die  Verbesserung  zu  bezwecken  suchen,  immer  mehrere  werden ; 
der  Grund  liegt  in  der  früheren  Beschränkung  und  einem  fürchter- 
lichen Sliltstand,  während  das  Ausland  kräftig  fortschritL"  Im 
Gerichtswesen  treffe  man  nirgends  weniger  Publizität  als  in 
Bayern.  Als  aber  Baader  1802  sane  »Aussichten,  Wünsche 
und  Benihigung  fürs  Vaterland"  schrieb,  meinte  Keyser,  rrdaß 
Minner,  die  sich  einmal  so  geistesfrei  als  der  Verfasser  gemacht 
haben,  die  Literatur  im  Fluge  verachten  und  auch  bei  Brochüren 
die  Ansprüche  an  QriJndlichkeit  befriedigen"  $oltten.  Es  gelle 
in  Bayern  eine  vielseitige  Einseitigkeit  zu  bekämpfen. 

Die  Zeit  der  Revolution  war  überhaupt  derartigem  SchrJfl- 
wcscn  hold.  Französische  Musenalmanache  brachten  poesies 
fugitives  von  Voltaire,  Marmontel,  Laharpe,  S.  Lambert  als  geni 
gesehene  Angebinde  in  Festlichkeit  und  gelehrter  Qeseltigkeit*) 
Und  wenn  der  eiserne  Arm,  der  den  Janustempel  öffnete,  das 
Reich  der  Musen  schloß,  die  Schwätzer  ließen  sich  nicht  ver- 
scheuchen. Darum  ist  nach  Feuerbachs  Mitteilung")  ein  Artikel 
des  1822  neu  veröffentlichten  Strafgesetzbuches  ..als  eine  gerechte 
Würdigung  der  von  unserer  StändeveiBammlung  zweiter  Kammer 
mehrßltig  erhobenen  Beschwerden  über  die  Vielschreibcrei"  zu 
betrachten. 

Eine  charakteristische  Begleiterscheinung  ist  die  Anonymität 
Denn  nicht  jeder  hatte  den  Mut  wie  Babo  in  seinem  Jugend- 
drama  Arno,  die  Herkunft  der  in  die  Welt  gesandten  begeisterten 
neuen  Kunde  zu  verraten.  Oft  legte  der  Stand  dem  Schreiber 
einen  Zwang  auf,  etwa  wenn  der  Benediktinerabt  Rupert  Kom- 
mann  Theaterstücke  schrieb.  Es  ahnten  wohl  wenige,  daß  der 
gelehrte  Streiter  für  Klosterduldung  ländliche  Sittengemälde  mit 
Gesang   in    fünf  Aufzügen    fertigte.*)     Schon   die  Zeitgenossen 


■)  Annil«  itn.  X.  n,  ii6 

<)  Vfl.  AHRiri.  ZtlUfhnlt  mt  d>m  «adliehcn  Dnlichluid,  ISM,  Nr.  9. 
f)  A.  Feoertwchi  Bingi  Niehlafl  U,  Jtft  Anhwit 

•)  Buder,  Lexikon  vmtarbcii<Tbi/ri(dierS«hr<fUtellct  de*  19.  und  19.  JihrIluadMil 
Bitd  di«  Bfidwrvcnnctaniisc  geben  AuftchluA  über  Tcrtchvitgcie  Vcriauer. 


r 


326  Ferdinand  Lorenz. 


gaben  die  verscTiietlensten  Urteile  über  eine  Erscheinung  ab,  die 
das  ZensurJcoÜeg  sehr  schmerzte.  Es  haben  eben  Berufene  und 
Unberufene  zur  Feder  gegriffen.  Von  jenen  sagl  Baader:  »Die 
kleine  Schrifi  enthält  oll  mehr  Kraft  als  das  größle  Gemälde,  und 
nicht  selten  charakterisieren  den  Oeist  des  Schriftstellers  seine 
kleinen  Schriften  und  Aufsätze  mehr  als  seine  übrigen  gelieferten 
Bücher."  Kennedy  aber  verwarf  die  durch  Kürze  bedingte  Häufig- 
keit, die  eine  moralisch  und  physisch  nicht  zu  schlecht  gestellte 
Welt  nicht  bedürfe.')  Auch  mittelmäßige  Leistungen  fanden 
Fürsprache,  etwa  wenn  Iselin  an  Moser  schrieb:')  »Es  brauciil 
Schriften  für  alle  Arten  von  Fähigkeiten  .  .  .  Das  menschliche 
Geschlecht  ist  den  mitlelmäßigen  Schriftstellern  nicht  wenig  Dank 
schuldig."  Und  bei  dieser  begegnet  zuweilen  eine  köstliche 
Unbefangenheil. 

Dabei  spielten  die  Schmähschriften  eine  große  Rolle;  doch 
wurden  sie  wegen  der  schon  unter  Karl  Theodor  getroffenen  Mafl- 
rcgeln  meist  insgeheim  verbreitet.  Gegen  die  Pasquillanlen  erging 
Verruf,  und  Siibaltembeamle  wurden  durch  hohe  Belohnungen 
zur  Ermittelung  von  Verfassern  und  Verbreitern  ermuntert.  Die 
Zeilungsblätler  durften  jedoch  keine  Rechtfertigungen  unschuldig 
Angegriffener  aufnehmen.*)  Erst  1802  brachte  die  Oberdeutsche 
Literaturzeitung  eine  Notiz  vor  Kajetan  Weiller,  wonach  ein  ihn 
betreffender  Fall  der  erste  sei,  daß  ein  Pasquill  von  einem  Münchener 
Bürger  öffentlich  verkauft  werde.  Und  doch  drohte  solchen 
Libellen  strenge  Ahndung.  Das  Hofgericht  mußte  einmal  an- 
gewiesen werden,  nicht  allzu  hart  zu  verfahren  und  die  Bestim- 
mungen des  Kriminal  kodex  durch  neuere  BuchhändlergcscLze  zu 
mildem.  Freilich  hatten  nicht  alle  Flugschriften,  die  von  einer 
in  ihren  Vorrechten  bedrohten  Partei  verketzert  wurden,  einen 
gefährlichen  Anstrich.  Adel  und  Prälaten  haben  auch  den 
Minister  Hompcsch  als  Revolutionär  verschrieen,  der  aufklärende, 
teils  von  ihm  selbst  verfaRfe  Schriften  gern  in  den  Händen  des 
Volkes  wußte,  um  dadurch  der  Regierung  den  Sieg  ßber  die 
privilegierten    Stände   zu    erieichlern.     Sein    getreuer   Anhänger 


<|  VWtntricdcn  fVnkrcil«  $.  U. 

1  Mma,  Piiiloi  Archiv  XI,  »i. 

5  München«  SlidUrcblT,  RiUfitalohotle,  '»*  I;  Rnkr.  t.  I,  f*. 


1 


Flugschriften  nicht,  .rweil  eben  nicht  allezeit  Folianten  und  Quar- 
tanten  diejenigen  Schriften  sind,  welche  den  größten  Eitifliiß  auf 
Sitten  und  AufWäning  haben.»  Der  Annalist  Keyser')  erblickte 
■ein«  sehr  natürliche  Erscheinung,  wenn  gegenwärtig  der  Brochüren, 
die  Verbesserung  zu  bezwecken  suchen,  immer  mehrere  werden; 
der  Gmnd  liegt  in  der  früheren  Beschränitung  und  einem  fürchter- 
lichen Stillstand,  während  das  Ausland  kräftig  lortschritt"  Im 
Gerichtswesen  treffe  man  nirgends  weniger  Publizität  als  in 
Bayern.  Als  aber  Baader  1S02  seine  itAussicliten,  Wünsche 
und  Beruhigung  fürs  Vaterland"  schrieb,  meinte  Keyser,  »daß 
Männer,  die  sich  einmal  so  geistesfrei  als  der  Verfasser  gemacht 
haben,  die  Literatur  im  Fluge  verachten  und  auch  bei  Brochüren 
die  Ansprüche  an  Gründlichkeit  befriedigen"  sollten.  Es  gelle 
in  Bayern  eine  vielseitige  Einseiligkeit  zu  bekämpfen. 

Die  Zeit  der  Revolution  war  überhaupt  derartigem  Schritt- 
wesen hold.  Französische  Musenalmanache  brachten  pofeies 
fugitives  von  Voltaire,  Marmontel,  Laharpe,  S.  Lambert  als  gern 
gesehene  Angebinde  in  Festlichkeit  und  gelehrter  Geselligkeit •) 
Und  wenn  der  eiserne  Arm,  der  den  Janustempel  öffnete,  das 
Reich  der  Musen  schloß,  die  Schwätzer  ließen  sich  nicht  ver- 
scheuchen. Darum  ist  nach  Feuerbachs  Mitteilung')  ein  Artikel 
des  1822  neu  veröffentlichten  Strafgesetzbuches  >rats  eine  gerechte 
Würdigung  der  von  unserer  Stände  Versammlung  zweiler  Kammer 
mehrfäJtig  erhobenen  Beschwerden  üb«r  die  Vielschreiberci"  zu 
betrachten. 

Eine  charakteristische  Begleiterscheinung  ist  die  Anonymität. 
Denn  nicht  jeder  hatte  den  Mut  wie  Babo  in  seinem  Jugend- 
drama Arno,  die  Herkunft  der  in  die  Welt  gesandten  begeisterten 
neuen  Kunde  zu  verraten.  Oft  legte  der  Stand  dem  Schreiber 
einen  Zwang  auf,  etwa  wenn  der  Benediktinerabt  Rupert  Kom- 
mann  Theaterstücke  schrieb.  Es  ahnten  wohl  wenige,  daß  der 
geldirte  Streiter  für  Klosterduldung  ländliche  Sitlengemälde  mit 
Gesang   in    fünf  Aufzügen    fertigte.^}     Schon    die  Zeitgenossen 


*)  Annftint  1B«.  X.  ».  iiJ. 

'l  Vtf.  Auion,  ZeliKlirili  ms  dem  tSdlldicii  D«ulKli1aoiI.  lio«.  Nr.  v. 

t  A.  reucrbBcht  BlofT.  N>cli1tl1  U,  146  Anhuis. 

*)  ßatia,  Lcxlkan  vcrtlnrtmirt  tuytltchrr  SctinlUttllcr  Ca  is.  und  19,  Jalirhundcrb 

und  die  BQcheivcncIclmlssc  geben  AulKhlufl  über  rcnchvlccoic  VrrTuicr. 


Perdinxnd  Lcrnnz. 


bemängelt.  In  den  Erinnerungen  Christoph  von  Schmids  lesen 
wir,  wie  derSchilCerfreundliche,  Für  Heldenideale  begeisterte  Priester 
den  sittlich  ernsten  geschichtlichen  Egmont  durch  Goethe  zu  nnem 
Bonvivant  verkümmert  sah  und  Lessings  Urleil  über  Werther  be- 
Icräftigle,  das  ein  Brief  an  Eschenburg  enthält:  «Wenn  ein  so 
warmes  Produkt  nicht  mehr  Unheil  als  Gutes  stiften  soll,  meinen 
Sie  nicht,  daß  es  noch  eine  kleine  kalte  Schlußrede  haben  mOBte?" 
Auch  Claudius  schien  ihm  das  Rechte  getroffen  zu  haben,  der 
an  Werthers  Grab  die  menschliche  Schwachheit  beweinen  wollte. 

Aber  es  M-ar  nicht  immer  so  gewesen.  Der  Dichter  des 
Götz  hatte  auch  in  Bayern  helle  Begeisterung  entflammt  Zählten 
doch  Madame  Hetgel,  «die  Zierde  unserer  Bühne",  die  Stella 
und  Hcigel  den  Klavigo  zu  ihren  Voizugsrollen,  Wem  Qörrcs 
der  Faust  von  einem  naturberauschten  Dichter  herzurühren  schien, 
der  mehr  Licht  bedürie,')  so  konnte  der  Professor  und  Hofrats- 
sekrctär  Ludwig  Frohnhofer,  der,  unter  Kart  Theodor  verkannt, 
mit  Vcrrweiflung  scheuchendem  Frohlocken  eines  lange  um  sein 
Bestes  Betrogenen  Max  Joseph  entgegensang  und  unter  ihm  noch 
einmal  zu  Ehren  kam,  sich  ftber  Goethes  lichte  Klarheit  herzlich 
freuen.  Eine  von  ihm  1779  in  der  Akademie  gehaltene  Rede  be- 
klagt, daß  «Deutschlands  belletrisches  goldenes  Jahrhundert,  wenn's 
so  fortgeht,  so  gut  als  vorbei"  sei.  Auch  England  und  Frank- 
reich schienen  ihm  zu  verlöschen  und  nur  Sterne  und  Voltaire  — 
■  er  selbst  an  sich  allein  schon  eine  ganze  Oeniegeneration"  — 
den  sinkenden  Ruhm  noch  zu  halten,  r- Deutschland,  Deutsch- 
land! ...  Deine  Rabener,  Halter,  Gelierte  und  Hagedorne  sind 
zu  ihren  Vätern  versammelt.  Deine  Weisse,  Ramler,  Wielande, 
Lessinge  stehen  noch  vor  dem  Risse  und  halten  dich  auf.  Aber 
wie  lange?  Ach  dafl  sie  sterblich  sind  und  deine  Klopstockc 
und  deine  Goethe,  ob  sie  wohl  könnten,  dich  nicht  retten  wollen'« 

Und  doch  kam  er  nach  einigen  durch  die  Anhänglichkeit 
an  Gottscheds  Epoche  bedingten  Ausstellungen  zu  einem  günstigen 
Urteil  über  Goethe-  KlopsJock  konnte  er  hinsichtlich  seiner 
Gelehrten  republik  und  der  Fragmente  Ober  Sprache  und  Dicht- 
kunst nicht  beistimmen.    Im  «Götz  von  Berlichingen«  mißfiel  ihm 


<}  Vgl.  Chrittoph  von  3chml4,  Erlnnenuicm  i-t  Augibarx  UM,  S>3t1(f. 


Rugschriften  nicht,  rweil  eben  nicht  allezeit  FoHanten  und  Quar- 
tanten  diejenigen  Schriften  sind,  welche  den  größten  Einfluß  auf 
Sitten  und  Aufklärung  haben."  Der  Annalist  Keyser»)  erblickte 
Meine  sehr  natürliche  Erscheinung,  wenn  gegenwärtig  der  Brochüren, 
die  Verbesserung  zu  bezwecken  suchen,  immer  mehrere  werden; 
der  Grund  liegt  in  der  früheren  Beschränkung  und  einem  fürchter- 
lichen Stillstand,  während  das  Ausland  kräftig  fortschritL"  Im 
Gerichlswesen  treffe  man  nirgends  weniger  Publizität  als  in 
Bayern.  Als  aber  Baader  1802  seine  «Aussichten,  Wünsche 
und  Beruhigung  fürs  Vaterland"  schrieb,  meinte  Keyscr,  »daß 
Männer,  die  sich  einmal  so  geislesfrei  als  der  Verfasser  gemacht 
haben,  die  Literatur  im  Fluge  verachten  und  auch  bei  Brochören 
die  Ansprüche  an  Gründlichkeit  befriedigen"  sollten.  Es  gelte 
in  Bayern  eine  vielseitige  Einseitigkeit  zu  bekämpfen. 

Die  Zeit  der  Revolution  war  überhaupt  derartigem  Schrift- 
wesen hold.  Französische  Musenalmanache  brachten  poesies 
fugitivcs  von  Voltaire,  Marmontel,  Laharpe,  S.  Lambert  als  gern 
gesehene  Angebinde  in  Festlichkeit  und  gelehrter  Geselligkeit^ 
Und  wenn  der  eiserne  Ann,  der  den  Janustempel  Öffnete,  das 
Reich  der  Musen  schloß,  die  Schwätzer  ließen  sich  nicht  vei^ 
scheuchen.  Darum  ist  nach  Feuerbachs  Mitteilung^  ein  Artikel 
des  1822  neu  veröffentlichten  Strafgesetzbuches  »als  eine  gerechte 
Würdigung  der  von  unserer  Ständeversammlung  zweiter  Kammer 
mehrfältig  erhobenen  Beschwerden  über  die  Viebchreiberci"  zu 
betrachten. 

Eine  charakteristische  Begleiterscheinung  ist  die  Anonymität 
Denn  nicht  jeder  hatte  den  Mut  wie  Babo  in  seinem  Jugend- 
drama  Arno,  die  Herkunft  der  in  die  Welt  gesandten  begeisterten 
neuen  Kunde  zu  verraten.  Oft  legte  der  Stand  dem  Schreiber 
einen  Zwang  auf,  etwa  wenn  der  Benediktinerabt  Rupert  Korn- 
mann Theaterstücke  schrieb.  Es  ahnten  wohl  wenige,  daß  der 
gelehrte  Streiter  für  Klosterduldung  ländliche  Sirtengemälde  mit 
Gesang   in    fünf  Aufzögen    fertigte.*)     Schon   die  Zeitgenossen 


<)  Annilai  im.  X.  T),  U6 

*)  Vgi.  Auren,  ZctUcliiilt  tui  dcni  ladUclicn  DcuUclilMtd,  'WM,  Nr.  9. 
•)  A.  PenerbKhi  Rlasi   Narhlifl  II.  m  Anhang. 

*J  Budec,  Lexikon  vmtorbcncr  bayiliditr  SchrltlilcUci  des  is.  und  ft.  Jitirhvoderli 
nnd  die  BüclieivendctinlsM;  gfbto  AuticIiIuQ  Aber  vcncbvtcKcnE  Vcrluia. 


330 


Perdinsnd  Lorenz. 


großen  Beliebtheit  überzeugt  und  bei  Visitation  des  Landshuter 
Buchdruckers  Hagen  sie  sämtlich  vergriffen  gefunden  harte.*) 
Ein  Gegenstück  zum  Absatz  Goethescher  Werke !  Auch  die 
«Annalen  der  leidenden  Menschheit"  betrachten  Wicland  als  Be- 
förderer der  Aufklärung.  Kennedy')  sah  mit  ihm  die  Literatur 
überhaupt  aufgehen  und  vasinken.  Alois  Dietl.  der  Schöngctsl 
in  der  Soutane,')  las  ihn  neben  Geßner,  und  man  muß  aus  Längs 
Memoiren  ersehen,  wie  ihn  die  Abderiten,  der  Amadis.  Lukian 
und  Oberon  .mit  wahrem  Zauber  erfülhen."  Wieland  an  erster 
und  letzter  Stelle,  in  der  Klosterzelle  und  im  Salon !  Dem  Wiener 
Professor  Alois  Hoffmann*)  war  1772  ein  Schreckensjahr,  wo  die 
Gründung  des  deutsdien  Merkurs  der  brandstifterischen  Auf- 
kläningssucht  der  wilden  Genies  ein  Wahrzeichen  stiftete.  Freyberg 
sagt  in  seiner  bekannten  Gedenkrede,  daß  auch  Monfgelas  Wieland 
vor  Goethe  stellte,  die  Grazie  vor  die  Klarheit  Und  so  mochten 
viele  die  Zierblüten  mit  ihren  ausgesuchten  Duften  lieber  liaben 
als  einen  frischen  farbenschlichten  FeldblumenstrauB. 

Doch  war  Jacobi  nicht  der  einzige,  der  schließlich  empfand, 
daß  Goethe  ihm  eine  neue  Seele  gab.  Chr.  Aretin')  bekannte 
1803  die  uungemcine  Wirkung",  die  Schiller  und  Goethe  mit 
dem  »Versuch  eines  freieren  Versbaues"  hahen.  Eindrucksvoll 
schildert  jener  französische  Offizier,')  wie  nach  der  Schlacht  bei 
Hohenlinden  nachts  im  Wirtshaus  in  Ainzing  Desollcs  in  «Her- 
mann und  Dorothea"  las  und  in  Erregung  rief:  Mais  c'est  char- 
mant, c'est  si  simple,  si  vrai  et  si  attachant,  quoique  te  sujet 
n'ait  ricn  d'extraordinaire.  II  faul  que  le  General  Morcau  Ic  lisel 
—  Und  er  hat  es  mit  Vergnügen  gelesen^  sechs  Stunden  nacll 
einer  der  furchtbarsten  Schlachten ! 

Die  Theaterzensur  unter  Karl  Theodor  hat  Heigel  in  den 
»Forschungen  zur  bayrischen  Geschichte"  behandelt.    In  seinen 

<|  M.  K.  A.  tiTfit:  aDle  Zm«ur  dcrftrtmtlich  tnxuidgcndtn  mii  dein  Unirnchiedt 
der  In  die  Zcl1ung»b11rte[  oder  die  sclelirlc  Zeltung  grrlcseixn  BQchcr  Mmt  dtn  Veticldi- 
nlMcn     .  ." 

^  WMtmrltdert  DmIcrMl*  S.  n 

t  HriBcl,  Kiel.  Vorträge  iind  Shidien,  ',  Folgt,  Münchn  IISJ, 

*]  Hcipl.  Dfubchr  Ütachichle  vom  Tode  Ptiedrichi  dnOr.  bit  lurAofl&innxdes 
tiHn  Reidia  I.  »t. 

•)  Bdtrlct  IUI  Ondi.  nnd  Lil  IV,  91. 

«1  Bri*fe  rinn  fniMS*itd>«n  Otfirifn.  gnehridKn  In  Jihre  1800  au  Sldermark, 
Kimtti(n,  llitlrn.  dn  ArliTrli,  Haynn  nnd  Saltburn.  l.dpiis  <BUI.  Hcraiug.  v.  d,  Vtxt. 
C.  Brklc  üb.  rnnkr.  and  lullen-  -  19.  Qrld. 


I 

I 
I 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  da  Schriftwtscns  in  Bayern.      325 


Ftugschrifter  nicht,  »weil  eben  nicht  allezeit  Folianten  und  Quar- 
tanten  diejenigen  Schriften  sind,  welche  den  größten  Einfluß  auf 
Sitten  und  Aufklärung  haben.-  Der  Annalist  Keyscr^)  erbliclcte 
»eine  sehr  natürliche  Erscheinung,  wenn  gegenwärtig  der  Brochüren, 
die  Verbesserung  zu  bezwecken  suchen,  immer  mehrere  werden ; 
der  Grund  liegt  in  der  früheren  Beschränkung  und  einem  fürchter- 
lichen Stillstand,  während  das  Ausland  kräftig  förtschritL"  Im 
Gerichtswesen  treffe  man  nirgends  weniger  Publizität  als  in 
Bayern.  Als  aber  Baader  1802  seine  »Aussichten,  Wünsche 
und  Beruhigung  fürs  Vaterland"  schrieb,  meinte  Keyser,  »daß 
MSnner,  die  sich  einmal  so  geistesfrei  als  der  Verfasser  gemacht 
haben,  die  Literatur  im  Huge  verachten  und  auch  bei  Brochüren 
die  Ansprüche  an  Gründlichkeit  befriedigen"  sollten.  Es  gelte 
in  Bayern  eine  vielseitige  Einseitigkeit  zu  bekämpfen. 

Die  Zeit  der  Revolution  war  überhaupt  derartigem  Schrift- 
wesen hold.  Französische  Musenalmanache  brachten  poesies 
fugitives  von  Voltaire,  Marmontel,  Laharpe,  S.  Lambert  als  gern 
gesehene  Angebinde  in  Festlichkeit  und  gelehrter  Geselligkeit.') 
Und  wenn  der  eiserne  Arm,  der  den  Januslempel  öffnete,  das 
Reich  der  Musen  schloß,  die  Schwätzer  ließen  sich  nicht  ver- 
scheuchen. Darum  ist  nach  Feuerbachs  Mitteilung*)  ein  Artikel 
des  I  &22  neu  veröffentlichten  Strafgesetzbuches  ..als  eine  gerechte 
Würdigung  der  von  unserer  Ständeversammiung  zweiter  Kammer 
mehrfältig  erhobenen  Beschwerden  über  die  Vielschreiberei"  zu 
betrachten. 

Eine  charakteristische  Begleiterscheinung  ist  die  Anonymität 
Denn  nicht  jeder  hatte  den  Mut  wie  Babo  in  seinem  Jugend- 
drama Arno,  die  Herkunft  der  in  die  Welt  gesandten  begeisterten 
neuen  Kunde  zu  verraten.  Oft  legte  der  Stand  dem  Schreiber 
einen  Zwang  auf,  etwa  wenn  der  Benediktinerabt  Rupert  Kom- 
mann  Theaterstücke  schrieb.  Es  ahnten  wohl  wenige,  daß  der 
gelehrte  Streiter  für  Klosterdutdung  ländliche  Sitfengemälde  mit 
Gesang    in    fünf  Aufzügen    fertigte.*)      Schon    die  Zeitgenossen 


<)  AniMkn  <tn,  X.  n,  nS 

t  Vel.  Aurora,  Zduchtilt  au*  dem  i&dllchen  DniitcMuiil,  18CK.  Nr.  *. 
t  K.  fntcrbuli^  BloKT.  Nuchlilt  U,  3*6  Anhing. 

*)  Budcr,  Lrilkon  vrrttorbcncr  bayiiidWr  Sctifilblcllci  dci  1B.  und  19.  Johihundcftt 
■nd  die  BQdurvtttclduliic  güxa  AufichiuB  über  -veocbwlcscnt  Vctfiucr. 


Ferdinand  Lorenz. 


Lesestoff  war  in  Fülle  vorhanden,  wenn  auch  die  Zensur 
oft  den  wertvollsten  verwehrte.  Wie  steht  es  nun  mit  der  Lese- 
lust?  Die  Schwierigkeit  einer  derartigen  Untersuchung  wächst 
durcli  den  Widerspruch  der  Berichterstalter,  der  sich  aus  der 
Verschiedenheit  ihrer  Qrun danschau ungen  und  Beobachtungen 
erklärt.  Nach  der  Ansicht  Weslenrieders*)  war  die  Teilnahm« 
der  in  eintönigem  Dienst  verknöchernden  Beamten  an  literarisch 
bedeutsamen  Schöpfungen  recht  gering.  Die  Anregung  der 
Schule  hielt  nicht  lange  an.  Die  Beförderung  nach  Qunst  über- 
hob auch  die  Anwärter  höherer  Stellen  der  Notwendigkeit, 
wenigstens  die  Fortschritte  ihrer  Fachwissenschaft  zu  verfolgen. 
Besonders  von  den  Juristen  hatte  Westenriedcr  eine  geringe 
Meinung:  ein  Lessing  oder  Wieland  sei  mehr  als  ein  Präsident 
von  zehn  Justizkollegien.  Die  richtige  Oeschmacksbüdung  werde 
die  Lesefreudigkeil  in  richtige  Bahnen  leiten  und  dem  Dikaslerianlen 
zeigen,  daß  es  außer  dem  gewöhnlichen  Kanzleistil  auch  eine  ge- 
heiligte Kunstsprache  gebe.  Auch  Zeitmangel  und  Mittellosigkeit 
müsse  den  Aktenmann  der  Literatur  entfremden.  Auf  dem  Lande 
müsse  eine  vcrvollsündigte  Schulbildung  die  Freude  am  Lesen 
mehren.  Noch  180S  meinte  der  Kalenderschreiber,  daß  Lese- 
lustige  erst  aus  den  Schulen  hervorgehen  müßten.  Dennoch  soll 
der  Bücherabsalz  auf  dem  Land  zeitweilig  größer  gewesen  sein 
als  in  der  Stadt')  Die  fortschreitende  Aufklärung  mußte  ein 
Streben  nach  Selbstbetehnmg  erwecken,  und  die  verlangt  nadi 
Bfichem.  In  der  Gedenkrede  auf  Osterwald  sagt  Westenrieder: 
nWer  ein  Gefühl  hat,  den  rührt  es  bis  zu  Thiänen,  auf  einem 
Frühlingshügel  zu  stehen,  den  die  Moi^ensonne  bescheinet,  und 
mit  dem  letzten  Blick  hinab  in  die  fliehenden  Schatten  zu  sehen. 
Da  stehen  wir.  Damals  las  niemand,  niemand  als  die  Wenigen 
in  ihrer  einsamen  Hüllt  mit  sich  selbst  vergnügt;  aber  nun 
empfinden  wir,  daß  zwischen  . . .  Erfindungsgeist  und  dem  Oeist 
der  trägen  Genügsamkeit  ein  Unterschied  sey,  und  haben  den 
Stolz,  denjenigen,  der  nichts  thul,  zu  verachten."  Dann  kam  die 
Zeit  der  großen   Uminderungen   mit   neuen  Zeichen   und   tief- 


>)  Bdliiice   ri]     UM.      S.   JTQll.L    Woher  kämwl  n,   daS   Dikulniintcn  keinen 
OcKhiHick  in  der  Lilcrutui  tmiucn,  extet  dctiKlbcn  vcrUcicn!' 

1  Hclscl,icimrv««cnin\tttM;ern,Nciie)ilii.  VonrlgciuidAiiblUc.  Manchen  im. 


Zur  Geschichle  der  Zensur  und  de  Scliriftwesens  in  Bavem.      333 


gehenden  Fragen,  und  die  auslegenden  Tendenzschriften  wurden 
von  den  leitenden  Stellen  in  viele  Hände  gespielt  Die  Bemerkung 
Montgelas')  ist  deutlich:  «Das  Lesen  französischer  Werke  und 
Schriften  hatte  die  Verbreitung  von  Grundsätzen  erleichtert,  welche 
ehemals  nur  wenigen  bekannt  waren."  Zwar  wurde  hier  noch 
Sprachkenntnis  erfordert.  Aber  auch  der  gemeine  Mann  brauchte 
nicht  zu  darben.  Wie  hatten  sdl  langem  die  Jesuiten  durch  das 
den  Buchhändlern  verleidete  Institut  des  «gotdenen  Almosens**') 
zur  Verbreitung  von  Schriften  beigetragen!  Wenn  man  von  den 
Eigenschaften  der  Lektüre  absieht,  muß  man  sagen,  daß  sich 
jedermann  leicht  versehen  konnte. 

Auch  der  Neugründung  von  Lesegesellschaften  ist  hier  zu 
gedenken.  Daö  man  sie  mit  den  llluminaten  so  nachhaltig  be- 
kämpft hatte,  war  eine  »Quelle  wachsenden  Mißvergnügens". 
1804  verkündete  das  »Blaue  Blatt«  die  Entstehung  einer  solchen 
in  Passau,  die  zu  fieundschartlicher  Mitleilung  verlocken  sollte 
und  von  mancher  Seite,  auch  in  den  Annalen  Keysers,  als  ein 
günstiges  Zeichen  beglückwünscht  wurde.  Denn  um  die  Dauer 
bangte  man,  nachdem  noch  nicht  lange  der  Kurfürst  von  Trier 
durch  Verbot  ein  BeispieE  gegeben.')  Dem  schwäbischen  Mädchen, 
das  bei  Schubart  singt: 

Das  Selueitien,  Tändeln,  Lesen 

Macht  Mäddicn  liiderlich. 

Der  Mann  itir  mich  erlesen, 

Der  schreibt  und  liest  för  mich  — 
kann  man  den  Kritiker  des  Schulplans  vom  24.  September  1799 
entgegenstellen,  der  die  Medaillen  als  Preise  venrirfl  zugunsten 
guter  Bücher.  «Bei  müßigen  Stunden  liest  der  Vater,  die  Mutter, 
der  größere  Sohn,  die  erwachsene  Tochter,  der  Knecht  und  die 
Magd  mit  Nutzen."  Wir  werden  auch  beachten,  daß  das  Wori 
■  Belletrist"*)  schon  anfangs  der  80er  Jahre  einen  hämischen 
Nebensinn  gewann.  Ein  Erlaß*)  an  die  neugebildete  Kommission 
fürs  Schulwesen  besagte,  mehr  auf  Bildung  guter  Christen  und 

1)  Contpte  rtniJu  S.  t4i(, 

^  Lipoviky.  0(*cblchl«  dn  Schulen  in  Bayern.  MOnchcn  i(15.    $.  U3. 

*)  Biucr,  Odch.  d.PoIilili.  KallHT,  AufkUruoadta  is.jihth,  diirlCFilciiliiirgiSlJ/«. 

4|  CcliarUhuKn.  ,EinIliifi   der   KbCncn    Wittcuiciikllcn   lul   dl<  RctbUetldiiun 
trdt.  irai. 

•)  Vflcn  ».  Htrtnlmonits  t7B0.    SladUtchlv  MUntbni  (=M,S.A,),  Stmnknx  rvn 
Verordnungen  de  innli  isi4-iw>B, 


334 


Ferdiiund  Lorenz. 


nQtelicher  Staatsglieder  als  bloßer  Belletristen  die  Aufmerksamkeit 
zu  richten.  Auf  öffentlichen  Spaziergängen  sah  man  Leute  in 
Journale  und  Broschüren  vertieft  Ein  besorgter  Berichterstatter 
vom  geistlichen  Seminar  in  Regensburg  führte  die  Alumnen  nicht 
auf  die  schöne  Allee,  weil  »der  lange  in  schwarzer  Kleidung  ab- 
stechende Zug  der  Seminarislen  manchen  Spazierenden  in  ihrer 
Lektüre  oder  im  freundlichen  Gespräch  oder  stillen  Denken  Hin- 
dernis machen  könnte." 

Wäre  die  Lesefreudigkeit  kümmerlich  gewesen,  dann  hätte  die 
Zensur  keine  so  fieberhafte  Tätigkeit  zu  entfalten  brauchen,  wie 
es  wirklich  geschah. 


II.  MHglieder  der  Bücher-Zensur^Spezial-Kommission. 

Westenrieder  sagt  von  Kennedy,  daß  er  an  dreißig  Jahre 
der  durch  Max  III.  Joseph  »aus  wohlüberdachtcn  Gründen" 
entstandenen  Schöpfung  treu  blieb.  Solche  Ausdauer  war  selten. 
Die  BeteiEigten  unterzogen  sich  nur  mit  Unbehagen,  neben  ihrem 
eigentlichen  Beruf,  der  unbesoldeten  und  doch  mit  großer  Auf- 
regung und  Anspannung  verknüpften  Arbeit 

Westenrieder^)  berichtet  von  einer  noch  unter  Karl  Theodor 
stattgehabten  neuen  Verfassung  und  Neuaufnahme  von  Mitgliedern. 
Von  ihm  erfahren  vir  auch,  daß  der  ehemalige  Präsident  von 
Neuburg  Graf  Sigmund  von  Spreti,  den  die  bayrische  Auf- 
kllnmgsgeschichte  im  Kapitel  der  Feiertagsschulen  und  auch  sonst 
günstig  zu  nennen  hat,  in  Sachen  der  Zensur  kühl  und  gleich- 
güllig  war.  Der  Archivar  Karl  von  Eckartshausen')  wurde  1780 
Zensurrat  und  suchte  1793  seine  Entlassung  nach,  Fj  mochte 
ihm  nahe  gegangen  sein,  daß  er  durch  die  von  ihm  selbst  be- 
diente Institution  seine  eigenen  Werke  beanstandet  sah  und  nicht 
die  Freiheit  haben  sollte,  mit  Sterzinger  den  Hexenwahn  zu  be- 
schimpfen.") Auch  andere  traf  das  ironische  Geschick.  Westen- 
rieder selbst  mochte  durch  ähnliche  Erfahrung  dazu  gekommen 
sein,  den  Gang  ins  •.Narrenkollegium"  nicht  verlockend  zu  finden.^ 


■)  Oochichlc  der  Akulanie  S.  I71I, 

I]  V|[l   Budct,  Dl)  Kclrltn«  Btytm  odtt  tnihnn  ill«'  Schrifnwilcr  .  •• 

f)  M.  K.  A.  ;SB|i<l:  Criichtune  von  Lrlh-  und  Lncblbllollickcn. 

*}  Vgl.  laucUiohn.  Biyr.  BIb:i<>t)Mlt  Ni  13. 


Zur  Oeschichte  der  Zensur  und  des  Schriltwtsens  in  Bayern.     33s 

Der  gegen  Kant  aufgetretene  Stattler,  dem  es  gemäß  seiner  strengen 
Anschauung  hätte  darauf  ankommen  müssen,  die  Zensur  lebendig 
zu  erhatten,  nahm  17  94  die  wiederholt  nachgesuchte  Entlassung. 
■  Aus  den  Papieren  eines  Illuminaten«')  erkennen  wir  die  Häufung 
der  Ämter  in  einer  Hand,  so  daß  das  eines  Zensors  nur  als  letzte 
Beigabe  erscheint.  Trotz  alledem  ist  denen  ein  gewisser  Ernst 
in  der  leidigen  Qeschäftsverwaltung  nicht  abzusprechen,  die  Max 
Joseph  bis  1803  als  Zensoren  noch  beibehielt.  Ihre  Persönlich- 
keiten helfen  das  vielfarbige  Bild  zusammensetzen,  das  die  Zensur 
darstellt  Es  sind,  in  üblicher  Reihenfolge,  die  Namen  Flurl, 
Klein,  Babo,  Mann,  Imhof,  Westenrieder.') 

Zur  Würdigung  Westen  rieders  ist  immer  wieder  darauf 
hinzuweisen,  daß  viele  Menschen  nicht  nur  von  ihrer  Zeit  abhingen, 
sondern  auch  von  dem  Maß  der  Tage,  die  sie  vollendet  Man  kann 
hier  daran  erinnern,  wie  J.  B.  Erhard  1798  den  ewig  nörgelnden 
Nicolai  abfertigte:")  »Sie  haben  als  Schriftsteller  Ruhm  erworben 
und  haben  dadurch  alle  Rechte  auf  ein  ehrenvolles  und  ruhiges 
Alter,  und  Sie  setzen  nun  dies  alles  aufs  Spiel,  weil  Sic  sich  in 
den  Geist  einer  Philosophie  nicht  mehr  hineindenken  können, 
die  Ihrer  gewohnten  Art  zu  philosophieren  entgegengesetzt  ist?* 
Wcstenrieders  Zensurtätigkeit  erstreckte  steh  vielfach  auf  die  BfS 
darfserörtcrung,  auf  den  Schutz  des  Bestehenden,  auch  auf  heil- 
same Vorechläge  gegen  Geschmacks- Verwilderung,  wie  er  ja  selbst 
eine  Einleitung  in  die  schöne  Wissenschaft  schrieb.  Er  wollte 
die  Einbürgerung  der  lehrreichsten  Romane  von  Cervantes,  Le 
Sage,  Sterne,  Richardson,  Fielding,  Nicolai,  La  Fontaine,  die  in 
vortrefflichen  Übersetzungen  vorhanden  seien.  Das  Wort  .liberal" 
bchagic  ihm  nicht  und  bedeutete  für  ihn  eine  niedrige  Wertung. 
Aber  er  urteilte  nicht  schematisch,  wenn  er  schrieb:*)  «Wenn 
man  Bibliotheken  sammelt,  sammelt  man  oft  freUidi  Gutes  und 
Schlimmes  durcheinander,   und   die  Herren  möditen   wohl  zu 


>}  Da  Moulin  Cdiart.  FonclmitsHi  lur  QcMtildit«  Baycnu,  tIE,  IM. 

*)  Ihre  ChaMltcriHcniBB  dörftp  h(ef  utoioitidir  erfolgen,  ili  die  Allgroi.  DmMrhf 
DleciiphiF  dk  hier  bchinüeltt  Tillgkcit  enlmler  )^  nicht  oder  nnr  rorübcnichaid  be> 
aditd,  Sie  eocliirht  rorvicscnd  lut  Grund  dn  Ini  K.  KrciMrcbiv  München  vorvrtunilcncn 
tiotchtlBigcD,  för  »orlitgenilM  Thcm«  mtbäplend  \^t^mn^ctal  Mileul» 

lAn  Heim  Fritdridi  Nitolii  von  J.  B.  Erhard.  ^TK. 

•)  An  •».  XII.  <m.  M.  K.  A..  7«:/l«  .Die  Im  Slulx-,  tarthen-  und  Untreml. 
hl«Mrl9eh«n  P«ehe  tmgtpbeaai  loitiotcn  and  privilegierten  Werkt  . .  .• 


unterscheiden  wissen."  Noch  1799  zeigte  er  ZugänglJchkeit  für 
freie  Ideen,  indem  er  die  Herausgabe  von  Baaders  Reisen  bewirkte, 
einer  sehr  offenherzigen  Schilderung.')  Schon  1791')  hatte  er 
geäußert,  einigermaßen  ärgerlich  über  die  Weitläufigkeit  der  Ge- 
schäfte: wich  bin  auch  ex  officio  der  Meinung,  daß  Bücher, 
welche  an  so  bekannte  Männer  .  . .  gehen,  gar  nicht  angehalten, 
überhaupt  aber  weiteres  keine  Bücher  von  entfernten  Mautämtem 
hierher  gesendet  werden  sollen.  Es  ist  genug,  wenn  sie  angezeigt 
werden  und  indeß  in  loco  liegen  bleiben.-  Als  die  Universität") 
in  die  lebhaften  Kompetenzstreitigkeiten  hineingezogen  wurde, 
vertrat  er  ihre  tnteressen.  Wenn  er  der  General landesdtrektion 
Zensurrechle  absprach,  geschah  es  in  der  Überzeugung  der  Un- 
erläßlichkeit einer  Konzentration  und  «wohlbestehenden  Ordnung, 
vermöge  deren  alles  Dnickwesen  und  Bücherverl^en  nacli  einem 
Mittelpunkt  gerichtet  bleiben  soll".*) 

Nach  der  Angabe  des  Hof-  und  Staatskalenders  uurde 
Westenrieder  im  Jahre  1780  2um  Bticherzensurrat  ernannt  Die 
allmählich  sich  einstellende  Erkaltung  ist  somit  durch  eine  lange 
Dienstleistung  und  unerquickliche  Erfahrungen  begreiflich.  Schon 
Ende  der  SOer  Jahre  wagte  sich  gemeine  Denunziation*)  an 
Westenrieder  heran  in  der  Person  des  Bojerschwirmers  und  Oe- 
heimkanzlisten  Vinzenz  Fall,  der  dadurch  das  scharfe  Urteil  in 
Längs  Memoiren,  das  ihn  als  niedrigsten  Libellenschreiber  auf- 
deckt, zu  bestätigen  scheint  Als  nämlich  Wfötenrieder  eine  von 
jenem  und  Flurl  zusammen  herausgegebene  Schulgcographie  länger 
zurückbehielt,  bezichtigte  Pall  denselben  zweifelhafter  Grundsätze. 
Er  habe  ganz  andere  Sachen  durchgelassen,  weil  er  mit  dem 
Buchhändler  Strobel  iiin  gutem  Verständnisse  und  vielleicht  gar 
in  einer  monopolischen  Parthy  gestanden.  Solche  »Vielleicht" 
wagte  der  Herr  Geheimkanzlist! 

Daß  Westenrieder  auch  als  Mitglied  eine  strikte  Befolgung 
der  kleinlichsten  Vorschriften  zu  beachten  habCj  wurde  dem  offen- 
bar anders  Meinenden   nach  Vollendung  des  ersten  Teils  vom 


1)  Dwgl. 

^  M.  K,  A.  ISiP:   Fmchlnne  von  Büchrnpcdilioncn  bri  den   HiuptnumUmleni. 

1)  M  K.  A.  ;»/3«:  Zdltchrttten  b«tr 

■)  M-  K.  A.  3Hfl. 

■)  II,  13S. 


Zur  Oediichtc  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern. 


sechsten  Band  der  Beiträge  klar  gemacht.  Ein  von  Graf  Spreti 
im  Namen  Karl  Theodors  ausgefertigtes  Schreiben'}  bedeutet«, 
■daß  ihr  in  Hinkunft  eure  Schriften  mittelst  eines  förmlichen 
und  gewöhnlich  ermaßen  stilisirten  Anlangens  ad  CoiEegium  ein- 
reichen, das  Imprimatur  der  oberen  Schrift  behörig  Vordrucken 
lassen  und  die  gewöhnlichen  sechs  Exemplare  anher  einsenden 
sollet."  Früher  schon  hatte  Buchhändler  Strobel  in  einem  Verh&r 
durch  den  Stadtsyndikus  sich  gerechtfertigt,  kein  Werk  Westen- 
rieders  habe  noch  Zensur  gehabt,  da  er  als  kf.  Zensurrat,  auch 
als  Akademiemitglied  zensurfrei  wäre.  Diese  Punkte  sind  unten 
näher  zu  behandeln.  Seine  Erdbeschreibung  der  bayrisch - 
pfälzischen  Staaten')  hatte  er  überhaupt  ganz  der  Zensur  aus  dem 
Weg  getragen,  was  ihm  eine  Warnung  zuzog,  da  er  doch  als 
Zensurrat  am  besten  mit  den  vorgeschriebenen  Bedingungen  ver- 
traut sein  müsse.  Hieran  knüpfte  sich  auch  die  bekannte  Be- 
schwerde des  Pfalzgrafen  Wilhelm  von  Birkenfetd  .  in  betreff 
dessen,  was  .  .  .  von  dem  Pfalzbürkenfeidschen  Stamm  so  unrichtig, 
daß  es  den  Abkömmlingen  hievon  unmöglich  gleichgültig  sein 
kann,  eingedruckt  worden  ist."  Sie  beanstandete  die  noch  heute 
geläufige  Benennung  nach  der  Reichsstadt  Gelnhausen  und  die 
an  den  Söhnen  Johann  Karis  angeblich  vollzogene  Kaiserliche 
Fürstenmäßigkeitserklärung,  die  nur  eine  durch  Reichshofrats- 
spruch  vom  11.  April  1715  geschehene  Verurteilung  eines  eigen- 
nützigen Agnaten  gewesen  sei. 

»Ohne  Geräusch  beilegen"  war  Westenrieders  Wahlspruch 
auch  noch  nach  1800.  Solche  Tatsachen  sind  der  Meinung 
Kluckhohns'')  immerhin  an  die  Seite  zu  halten,  daß  Westenrieder 
gerade  durch  seine  Hartnäckigkeit  zur  Aufhebung  der  Zensur 
beigetragen  habe.  Was  er,  um  sich  treu  zu  bleiben,  auch  als 
Zensor  verleidigen  mußte,  war  sein  bibelfester  Glaube.  Und  eine 
Glaubensprüfung  bedeulete  die  ihm  obliegende  Zensur  historischer 
Abhandlungen.  Wir  kommen  darauf,  wenn  wir  einiges  Be- 
achtenswerte   über    Geschichtswissenschaft   hier    einfügen. 


II  M.  K  A.  792j2i:  Dir  Irn  hvft.  hittar.  Fache,  <n  gaiiim  and  ir  b«iand(m 
Tclltn  aui|ptIcb(Ticn.  zciuieilcn  untl  priviincicrtcn  Wcikc,  inonyiii  wvulil  ili  nich  detn 
hlnlit  txKriffncn  Atpliibctt.    iMi-twa   -  Scbnibcii  vom  lt.  Oliiolxr  17S'. 

f)  Onsf, 

*)  Am  dm  huidKlHlltikhcD  NichliS  WnKnrltdcn.  MQnchen  18U- 


338 


Ferdinand  Lorenz. 


Da  Wcslcnrieder  Historiker  war  und  seine  Wissenschaft  vielfach 
bei  der  Zensur  heranziehen  mufite,  sei  es  gestattet  weiter  auszuholen. 

Die  verschiedenen,  alte  Vorrechte  bewachenden  Parteien  be- 
sannen sich  auf  den  Vorteil,  den  ein  Zurilckgehen  in  geschicht- 
liche Vergangenheit  gewähren  könne.  Montgelas  berichtet  von 
den  s^ances  des  Etats  g^n^raux  und  als  deren  einziges  Resultat: 
^laircir  quelques  points  obscurs  de  notre  histoire!  Dem  Adel 
waren  KUrlcundensammler  aus  dem  Mittelalter  die  wichtigsten 
Sctiriftslcllcr,  sollten  dieselben  noch  so  einseitig,  noch  so  falsch 
sein;  wenn  sie  nur  dazu  dienten,  die  Puppe  des  Mittelalters  auf- 
zuschQrzen"  -  zflmt  eine  Flugschrift')  der  beim  Kurfürsten  sich 
einschmeidielnden  Herren.  Die  Freunde  der  Klöster  holten  aus 
weit  zurückliegenden  Zeiten  deren  Verdienste  um  Unterricht  und 
Volksbildung  hervor,  die  Eiferer  der  Säkularisation  zu  versöhnen. 

Indem  so  einerseits  die  Geschichte  tendenziöse  Vergewaltigung 
erlitt,  ward  bei  anderen  die  OewißheÜ  rege,  daß  sie  frei  zu  schalten 
habe.  Christoph  Aretin*)  bekannte  1S08,  sich  selbst  verleugnend, 
daß  ein  Geschichbchreiber  sich  weder  zu  einem  Glauben  noch 
zu  einem  Vaterland  bekennen  solle.  Bei  vielen,  denen  das  Können 
gegeben  ward,  sei  das  Wollen  durch  Voriiebe,  Haß,  Provinzial- 
und  Standesvorurteile  beschränkt  oder  entkräfteL  Die  selbst- 
süchtigen Beimischungen  dilettantischer  Traklätchenschreiber  waren 
das  Haupthindernis  einer  aufblühenden  Geschichtswissenschaft. 
Es  war  viel  mehr  als  das  .Unterbewußtsein",  welches  die  Arbeit 
auch  des  unparteiischsten  Forschers  beeinflußt 

Freudig  gewahren  wir  ein  zunehmendes  Streben  nach  philo- 
sophischer Vertiefung  und  quellenmäßiger  Gründlichkeit;  wenn 
auch  manchem  im  Spiegel  der  Vergangenheit  die  Gegenwart 
als  Zerrbild  vorkam  und  Mosers^)  Wort  überzeugend  schien: 
»Wer  Königen  und  Fürsten  dienen  will  . . .,  enthalte  sich  die 
Alten  und  viele  pragmatische  Geschichlschrciber  zu  lesen."  An- 
erkennung des  »Urteils  derer,  denen  der  entscheidende  Ton  in 
Kirchen   und  Staatssachen   zukömmt,"   ließ  sich  bei  den  meisten 


'>  Mix  Jotcph  Cliuifflnl  von  PUlibalem  ansOhr  und  Hcn  gnproditn;  Ertlutcmde 

*>  Allg.  Anictgcf   (ür  Llleralui   unil  Kungl.  II.  Jahrtans  <BOS  Kl.  <9:  rrDdramoa 

mtinei  [itenrfMchichllichtn  Hindbucfat  über  Bilem«  Qnchichtf  und  Slatittik 
<)  f'ilrlolllch«  Archiv  XI.  %*'. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern.      339 

wohl  mit  »deutscher  FreitnQtigkeit"  vereinigen,  welche  das  Qe* 
schichtsmäQige  »ohne  FQmiß"  in  der  Blöße  hinstellen  wallte,  die 
sich  aus  bekannten  Quellen  entgegenwarf.  Aber  es  wurde  dodi 
wieder  nach  einem  System  geiraditet 

Die  einschneidenden  Zeilereignisse  brachten  Aretin')  auf 
den  Gedanken  einer  anderen  Einteilung  und  Geslallimg.  Er 
malte  sich  aus,  wie  die  Zukunft  von  der  Aufhebung  der  Klöster 
WC  ehemals  von  der  Beseitigung  des  Faustrechts  eine  neue  Zeit- 
rechnung anfangen  würde.  Den  Ruinen  der  Abteien  werde  man 
mit  denselben  gemischten  Gefühlen  nahen,  womit  wir  jetzt  die 
Trümmer  der  alten  Raubschlösser  betrachten.  Und  wir  meinen 
die  Romantik  sprechen  zu  hören,  wenn  ein  anderer  Historiker, 
der  Oeheimrat  und  Referendarius  Johann  Nepomuk  Gottfried 
von  Krenner,  der  in  den  Geist  der  Pütter,  Qatterer,  Schlözer 
hineingewachsen  war,  für  die  Schlösser  eine  Lanze  brach.  Es  wurde 
ja  eine  Hauptklage  Rcisachs")  gegen  Montgelas:  Die  schönsten 
Schlösser  sind  verkauft  oder  zerstört!  Krenner  zürnte  1799  in 
den  »Ephemeriden«  von  Schrank  und  Hellersberg:  «Alle  Grund- 
pfeiler der  ganzen  bairisclien  Erdbeschreibung  des  Mittelalters 
sind  fOr  ewige  Zeiten  getilgt;  Ampeck,  Aventin,  Hund  verlieren 
ihre  Zeugen;  Landesurkunden  werden  unverständlich  bei  mehreren 
Orten  gleichen  NamensI'J  1778  hätten  die  Oesterreicher  statt 
einer  ehemaligen  Feste  Sulzbtdi  das  Überamt  dieses  Namens 
fälschlich  besetzt 

Nach  Epochen  wollte  Aretin  Geschichte  studiert  und  ge- 
schrieben haben.  «Nicht  an  einzelne  Regenten,  noch  seltener  an 
ganze  Fürstenhäuser  knüpft  sich  der  Faden  der  philosophischen 
Gesdiichte  an."  So  wollte  er  eine  Geschichte  von  Bayern.  Ich 
erinnere  daran,  wie  Döderlein')  später  in  der  extremen  Weiter- 
führung des  universellen  Gedankens  von  einer  bayrischen  Ge- 
schichte überhaupt  nichts  wissen  wollte.  Es  gäbe  nur  eine  Chronik 
des  bayrischen  Regentenhauses  und  der  Gebietsteilungen. 

Seitdem  1727  in  Ingolstadt  ein  eigener  Lehrstuhl  für  die 
allgemeine,   deutsche   und    bayrische  Geschichte  errichtet  worden 


*)  Bdirlgc  I.  vt 

*)  Bifcrn  unter  dec  Rcpcruns  da  Minrstm  MonlKilas.  Dnibdiland  tlo, 

■)  Du  liayrttctie  QyniMililTfKn  einti  ani  jetj^.     Eriniicrunecn  jn  OUcitctn  von 
dncm  etiaii4li|{«i  Schiller  dcndbco.     Ertuigen  MM 


FerdiniLnd  Lorenz. 


I 


und  dadurch   die  Jesuiten  sich  veranlaßt  gesehen,  bayrische  Ge- 
schichte auch  als  Lehrgegensland  der  Schule  zu  würdigen,  wandle 
man  sich  mehrfach  ihrer  Behandlung  zii.     In  den  Zensuraklen  be- 
gegnen die  Namen  Westenrieder,  Attendorfer,  Mederer,  Gmelner,    M 
Lang  und  Blondeau.     Lori  schrieb  seinen  „chronologischen  Aus-    " 
zug*  der  Geschichte  des  Volkes,  das  mil  jedem  anderen,  ..welches 
in  Deutschland  als  ein  Urvo9k  erschienen,  den  Vorzug"  behauptet,  fl 
Das  Werk  wurde  als  Anregung  zur  Herstellung  eines  bayrischen 
Kirchenrechts  begrüHt ')     Seine  AusfQhningen  über  die  falschen 
Dekrelalen  betrafen  einen  Gegenstand,  der  in  den  kirchenpolifischen 
Fragen  des  ausgehenden  Jahrhunderts  wieder  große  Wichtigkeit 
gewann.     Die  Geistlichkeit  gebrauchte  diese  Handhabe  gegen  die 
Anmaßungen  des  Nuntius  Zoglio.^) 

Weiterhin  lesen  wir  bei  Lori;  »Mit  einer  gewaltigen  Macht 
erscheint  die  Nation  schon  in  ihrer  fröhcien  Bekanntschaft  mit 
den  Römern,  Gothen,  Franken  und  Langobarden,  und  ihre  Auf- 
tritte sind  allenthalben  zu  Denkmälern  geworden." 

Die  Zusammenstellung  mit  den  Langobarden  hatte  schon 
seit  zwei  Jahren  eine  literarische  Fehde  hervorgerufen,")  Der 
Comes  Palatinus  Maximilian  Einzinger  von  Einzing,  einer  von 
den  adligen  Schreibern,  die  dem  Kurhaus  stetig  mit  Bitten  um 
Übernahme  der  Papier-  und  Druckkoslen  mit  einer  Weinen  Auf- 
zahlung für  ihre  erschütternden  Darlegungen,  aber  meist  vergebhch, 
anlagen,  glaubte  zum  Ruhme  der  Bojer  und  zur  Ehre  der  Nation 
die  Abhandlung  eines  Regensburgers  bekämpfen  zu  müssen  mit 
einer  «Kritischen  Prüfung  über  die  wahre  Abkunft  der  bairischen 
Nation,  es  ist  eine  Wiederlegung  des  Plato,  genannt  Wild, 
München  177  7".  Dieser  Gg.  Gottlieb  Plato  hatte  herausgegeben: 
»Mutmaßungen,  daß  die  Baiowarü  nicht  von  den  Gallischen  Bojis 
scndeni  von  den  Langobardis  abstammen  und  ein  Zweig  dieser 
Nation  seien."  Diese  Ansicht  hatte  vor  der  verbreiteten  fehler- 
haften, besonders  dann  von  Pall  beliebten,  den  Vorzug,  einen 
Ursprung  anzunehmen,    der  wenigstens  richtig  auf  die  auch  die 

f)  Mltblllm  Antillen  Ul.  9f. 

*)  AU  «in  S«ttra4ia;li  zu  der  bn  Kngcl.  Disch.  QHch.  1,  ist  uigrffihricn  Fliifwhrift 
kann  die  11  J»hrr  ipKrt  rtwliirnmr   -AnWoit  an  baitiKhtti  Klnus  aal  d«i  von  Herrn 
Enbluchol  von  Dunulmi,  ipo*to)lK-hcn  NunClui  In  Mllnchrn,  rrluwnrn  hlrlmtiilrt*  ecltcn 
El  gibt  keine  Itildoiiichai  OtkttUlen: 

^  M.  K.  A.  791131.    Zboui  hbloiiidier  Scbrilten. 


I 


Markomannen,  die  später  von  Zeufi  als  Stammväter  geselzten,  um- 
fassende suevisch-erminonische  Gruppe  deutete.')  Ich  möchte 
hierzu  die  freudige  Überraschung  bemerken,  die  Aretin  überkam, 
als  er  1803  die  Editio  princeps  Langobardoruni  legum  auffand.'') 

Durch  Abweisung  von  Werken,  welche  Qiiclten  vernach- 
lässigten oder  nicht  anführten,  erwarben  sich  Westenrieder  nnd 
andere  Zensoren  ein  erzieherisches  Verdienst.  So  geschah  es  1798 
mit  den  Elements  d'Histoire  generale  par  Mr.  I'abbe  Millol,^) 
obwohl  die  daraus  sprechende  papsifeindliche  Gesinnung  auch 
nicht  belanglos  sein  konnte.  Mangel  an  Belegstellen  aus  Archiv 
und  Urkunden  wurde  auch  dem  Neuburger  Reichsgrafen  Pranz  von 
Reisach*}  verhängnisvoll,  da  er  seine  genealogische  Geschichte  des 
dchl.  Pfalzgräflichen  Hauses  Zweibrücken  geschrieben  hatte.  Ster- 
zinger  beanstandete  überdies,  daß  er  1276  einen  gewissen  Wecker 
Pfalzgraf  von  Zweibrücken  sein  ließ,  was  er  unter  Beachtung  der 
origines  Blpontinae  des  Crollius  ändern  sollte.  Reisach  berief 
sich  vergebens  auf  «inen  Gewährsmann  Pütter,  „der  ansonst  als 
ein  geschickter  Mann  von  Jedermann  gehalten,  verehret,  und  sein 
Handbuch  auf  allen  Universitäten  vorgelesen  wird."  Im  Historisch- 
politischen  Handbuch  hatte  er  nämlich  einen  Grafen  Wecker  für 
das  Jahr  l27iS  aufgeführt  gefunden.  Genealogische  Abhandlungen 
wurden  auch  sonst  gern  gelieferL 

Das  Verhältnis  der  Geschichte  zu  den  anderen  Wissen- 
schaften war  noch  unbestimmt.  Obwohl  man  zu  ihrem  Ver- 
ständnis ein  umfassendes  Wissen  forderte/)  gönnte  man  ihr  doch 
nicht  die  Selbsthcrrlichkeil.  Sehr  bezeichnend  faßte  sie  Eckarts- 
hausen als  schöne  Wissenschaft,')  die  dem  Studium  der  Gesetze 
Hilfe  leisten  solle  durch  Herz-  und  Sittenverfeinerung.  Wir 
stellen  hier  in  einer  Zeit  noch  wenig  ausgebildeten  Differenzierungs- 
strebens,  wo  manches  im  Diensiv'erhältnis  stand,  was  heute  eben- 


I)  Vgl.  Riut«.  »«yrischc  OcKbidile  I,  ». 

>l  BdtrlgF  t,  102 

'i  M.  K  A   i'niit.    Suau^,  Kirchen-  und  Univert«Ihi)li>rie. 

«I  M.  K    A.  734/1  und  797/2S. 

>)  Z,  B.  MitlBilui  FlngtrJ«  in  idncT  von  Rinpci*  (Ehnncnin^n  I,  m)  mit  Un- 
ivcht  hemnicrenciitFn  ^htilt:  NC'ozii  ilnd  Ocliillclic  di?    >8B0  und  iSos,  -  D*nt)  Paul 

Kinaurr,  Aluil.    Ktdr    von   drm    »jtitm  Orbt»aclic   it«  Qocllidllc   *li    don    cigailllclutm 
Mittel  die  «llgtmdnsn   und   tiUrKcr liehen  Tugmden   In  einem  Landr  lu  »erbteit*nl     im. 
*}  R«dc  von  dem  Einfluß  der  Mhdiwn  WlttentctulUn  auf  die  RMbUgckhrumkdt 
iHt.    S.  I*. 


342  Ferdinand  Lorenz. 


>|  Aus;  de  Aiiei"  Scicnl  Üb.  II.  rp.  4;  Uad.  Red«  von  dem  Nalioi  der  Qt- 
Kbichic  und  Kennmi«  dn  GMCttiditichKibcr 

■l  M.  K-  A.  m/17:  Dit  Im  ponitclMn,  itirtorlMhen.  phllmophiuhAi,  blonraphluliai 
nnd  libertuopt  mnitHKhcfi  fache  utigcKclxnni,  Knilenm  unil  privlltglcitcn  Wtike 

«>  M.  K.  A.  ;9t/16. 

•]  M.  K-  A.  m/». 


I 


börtig  rebencitiander  glänzt  Anton  Johann  Lipowski,')  S<Itreär 
der  liistorisdien  Klasse,  hielt  es  mit  Bako  von  Verulanis  Meinung: 
»Historia  Mundi  absque  literaria  Hisloria  Statuae  Polyphemi  Oculo 
emto  non  absimiiis  ccnseri  potest.  cum  ea  Pars  Imaginis  dcsit,  quae 
Ingenium  et  Indolcm  Personae  maximc  rcfcrt."  Dann  fällt  noch 
in  die  Augen  die  Vcrquickung  mit  kirchlichen  Absichten  und 
dogmatischen  Gegensätzen.  Der  verschiedentlich  durch  gesunden 
Freimut  sich  auszeichnende  Thealiner  Slerzinger  verlangle  1782 
sogar  bei  »geographischen  Tabellen  oder  Spielkarte  von  Baiem 
und  der  oberen  Pfalz  mit  historischen  Anmerkungen"  die  Be- 
nutzung einer  vorher  erschienenen  Kirchcngeschichle.  Und  die 
Zensoren  wurden  umso  hartnäckiger,  jemehr  moderne  Autoren 
den  Schöpfungsbericht  angriffen,')  mit  Vernel  in  seinem  esprit 
des  histoircs  die  Sünde  Adams  beim  Namen  nannten  oder  mit 
dem  Abb^  Lubet  den  durch  die  extravagance  des  Allen  Testaments 
entstellten  Oottesbegriff  beklagten  oder  Mendelssohn  das  Wort  in 
seinen  Briefen  an  Yonng  nachfühlten:  i^Dle  schönen  Taten  unserer  ■ 
Väter  liegen  durch  Torheiten  und  Laster  aufgewogen  leer  vor 
meinen  Augen."  Westenrieders  Zensur')  zu  Qasparis  Erd- 
bcschreibung  1 7  99  lautet:  *  Der  Verfasser  erklärt  die  sechs  f 
Schöpfungstage  und  die  SändfLut  nach  der  neuesten  Art,  und  als 
wenn  sich  alles  nach  und  nach  aus  der  Natur  allein  entwickelt 
und  ergeben  hätte.  Die  Sündflul  entstand  ihm  daher,  weil  das 
Meer  die  Erde  ausgewQhlt  und  diese  mit  einem  Mal  wieder  ■ 
größten  Teils  verschlungen  haben  soll.  Da  die  Bibel  diese  Sünd- 
flut ganz  anders  vorträgt,  so  meine  ich,  daß  jene  Meinung,  mithin 
auch  das  Buch  bei  uns  nicht  passieren  könne.*  Ähnliche  At>> 
sagegründe  lagen  vor  bei  Campes  und  Nicolais  Reisebeschreibun- 
gcn,*)  Es  war  eben  die  Zeit,  da  die  BoswetI,  Johnson,  Förster  auf 
Entdeckungen  gingen  und  die  Berichte  nur  zu  gern  angesichts 
der  erweiterten  Erfahrung  dem  religiösen  Bekenntnis  eins  ver- 
setzter.   Auch  der  Göttinger  Hofrat  Eichhorn  und  der  Altdorfer 


\ 


I 


3 


Zur  Oeschichl«  lier  Zensur  und  des  Schriftvesens  in  Bayern.      343 

Professor  Oablcr  schrieben  eine  «Urgeschichte  zur  immer  besseren 
Einsicht  der  Schöpfungsgeschichle",  nicht  zum  Wohlgefallen  des 
hohen  Kollegiums.')  Es  ist  gul  geweser,  daß  der  Erfolg  der 
Absicht  nie  ganz  entsprach,  sonst  hätte  Bayern  von  den  geschicht- 
lichen Produktionen  eines  Ignatz  Schmidt,  der  für  Lang  die  erste 
lesbare  deutsche  Geschichte  fertigte,  sobald  nichts  erfahren.  Humc, 
Schiller,  Posseil,  Poelitz  wären  große  Unbekannte  geblieben. 

Die  Zukunft  erheischte  als  weitere  Aufgabe,  den  Spott  des 
J.  H.  VoB^  zu  nichte  zu  machen,  der  den  Lehrplinen  der  neuen 
Regierung  mit  der  Vernachlässigung  der  Humaniora  auch  die  der 
Geschichte  schuld  gab.  !n  dieser  Angelegenheil  hat  Westenrieder, 
der  uns  bei  diesen  Ausführungen  über  Qesrhichtswissenschaft 
vielfach  nahe  trat,  mitunter  ein  kräftiges  Wort  gesprochen.  Er 
hatte  immer  das  Volk  im  Auge,  wenn  es  die  Segnung  der  Wissen- 
schaft galt,  hatte  gerade  deshalb  die  Zurückweisung  von  Reisachs 
Genealogie  bedauert,  „weil  allerdings  zu  wünschen,  daß  gegen- 
wSrtig  in  betreff  der  höchsten  Landesagnaten  dem  Publico  jede 
nützliche  Wissenschaft  mitgeteilt  werden  möchte."  Er  hatte  im 
ersten  Bande  des  Jahrbuchs  der  Menschen  geschieh  tc  allgemeine 
Begriffe  einer  Staatsverfassung  für  )eden  Bürger  und  Einwohner 
gegeben  und  damit  einen  wiederholt  berührten  Gedanken  als 
wahr  erkannt,  daß  Verfassungsunkenntnis  Ursache  der  Ent- 
fremdung ist. 

•Mit  der  Meinung  des  Titl.  Herrn  Direktors  ganz  ein- 
verstanden" war  ein  beliebtes  Votum  des  Augustinerpaters 
Maximus  Imhof.')  In  dieser  bequemen  Art  lag  zugleich  die 
Einräumung  der  Unzuständigkeit  und  der  Schwierigkeit  des  Urteils 
über  fernliegende  Gegenstände.  ifSein  Charakter  war  förtrefflich; 
er  war  so  gut,  dall  wer  ihm  nicht  gut  war,  kaum  unter  die 
guten  Menschen  gezählt  werden  darf-  -  sagt  Baader  von  ihm. 
Darum  ließ  sich  Westenrieder  von  ihm  leicht  überzeugen,  daß 
viele  wertlose  Schreibereien  trotz  des  gekrönten  Namenszuges 
vom  Hunger  in  die  Feder  diktiert  würden.  Sehr  genau  nahm  es 
Imhof    mit   Verstoßen    gegen    Glaubenssätze.     Der    durch    seine 

1)  M.  K.  A.  li^lM:  CtUlopit  libr    prnhlb. 

■)  Bmnrllune  its  neaen  bayriichen  LtiifpUni  ff)r  dlt  amllchn  Intpfalt&tyriMhMi 
MJlWItdiulm.  tvn. 

*)  M.  K.  A.  lUltO  m.  m. 


Schultätigkeit*)  ausgezpichnde  Weltpriester  Eberl  [and  darum  mit 
der  K  Leidensgeschichte  der  edlen  Römerin  Cäcilte"  keine  Gnade: 
,.Er  müsse  mit  seiner  Erklärung  der  Dreieinigkeit  dem  theologi- 
schen Begriff  der  kalhoirschen  Religion  sich  mehr  nähern,  den 
heiligen  Geist  nicht  aus  dem  Vater  oder  Sohn  allein,  sondern 
aus  beiden  hervorkommen  lassen  und  in  den  nachkommenden 
Zeilen  dem  Vater  das  Geschäft  der  Erschaffung,  dem  Sohn  da$ 
der  Erlösung  und  dem  heiligen  Geist  das  der  Heiligung  zueignen.* 
Nichts  half  dagegen  die  Versicherung  des  Autors,  daß  er  die 
Auffaäauitg  der  Heiligen  selbst  gegeben  und  das  Original  1724 
unter  päpstlichem  Ansehen  gedruckt  worden  sei. 

Inihof  wurde  1802  von  der  Akademie  mit  Chr.  Aretin  zum 
akademischen  Aufseher  vorgeschlagen,  da  man  die  Vereinigung 
mit  der  Hofbibliothek  erwog.')  Er  hatte  in  München  durch 
physikalische  Vorlesungen  und  Abhandlungen  einen  Ruf.  Die 
Nachricht  Sibers*)  jedoch,  daß  er  der  anerkannten  Oxydation»- 
Iheorie  von  Lavoisicr  nicht  beipflichten  wollte,  zeigt  ihn  als  ängst- 
lichen Bewahrer  auch  wissenschaftlicher  Meinungen. 

Imhof  ähnlich  durch  Eingeständnis  der  beschränkten  Be- 
lesenheil und  durch  Verteidigung  des  kanonischen  Ansehens  des 
Allen  Testaments  war  der  im  Leipziger  Literarischen  Anzeiger  im 
September  1 79&  als  Exjesuil  und  Franziskanerzensurrat  ver- 
schrieene Joseph  Klein.*)  «Ein  mit  vieler  Kondition  verfaßtes 
Manuskript,  wodurch  das  kanonische  Ansehen  des  Buches  Tobias 
gegen  die  Ansprüche  alter  und  neuer  Reformatoren  vindiziert 
wird",  rühmte  er  einer  Abhandlung  des  rhein pfälzischen  Professors 
Dereser  nach.  Wir  sehen  ein  stetes  Gewappnetscin  gegen  kritische 
Bibelauffassung!  Gern  witterte  er  Ubiqulstcn  und  Socinianer. 
Als  letzterer  galt  ihm  der  von  Kot?ebue  geschmähte  Philanthropist 
■  Bahrdl  mit  der  eisernen  Stirn',  der  Anfediter  des  Kirchen- 
glaubens. Da  DietI  von  Stattler  in  gleicher  Weise  als  Anhänger 
des  Socin  bloßgestellt  wurde,  wäre  also  die  Lehre  der  Unitarier 
auch  in  Bayern  umgegangen.    Doch  sind  derartige  Benennungen 


I 


■)  ein  autiichtiKrr  Blick  in  du  Inncic  tlcr  tlcubdien  SuJU  und  Lamtldiultn  im 
Vticriudc  Bayern,    is». 

1  Stengcli,  Rede  luni  Stlttuncitcsi  der  Akidciolc  >»». 

t  Thutdiiu  Siben  ScLbnbioer>i|ihk,  hcriiuE.  v.  M.  RattmirinR,  MBncbn  UM,  S.  Ml 

<J  M.  K  A.  mjzi  und  10.    IJ4/1.    JsSflO  und  i».    ;^3. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  d©  Sdirifiwfsens  in  Bayern.      J45 

nicht  immer  voilflcertig  zv  nehmen,  sondern  oft  vom  Äi^er  Über 
irgend  eine  Abweichung  vom  strengen  Katholizismus  erprellt 
Zu  Fraunbergs  5chmerz  genehmigte  Klein  die  gegen  den  frei- 
denkenden  Lyzeal Professor  K.  Weiller  gerichteten  maßlosen  An- 
griffe der  Gegner  des  »Hypokriten".  Den  Widerstand  gegen 
schöne  Literatur  rechtfertigte  er  mit  der  für  Lernbegierige  be- 
stehenden Zugänglichkeit  der  Hofbibliothek.  Er  machte  Jagd  nach 
orthographischen  Fehlem  und  rief  dadurch  einen  Meinungsstreit 
Ober  die  Natur  des  Zensoramts  hervor.  Freunde  gewann  ihm 
die  Anerkennung  eines  Vorschlags,  die  Pfarreien  nach  Fähigkeiten 
ru  verteilen  und  den  Patronen  nur  die  Oberaufsicht  zu  lassen. 
Einmal  stellte  er  sich  in  einen  auffallenden  Gegensatz  zu 
allen  anderen  Votanten.')  Am  J.Juni  1797  beschwerte  sich  der 
geistliche  Rat  über  das  Verbot  der  Schrift  »Veremund  von  Loch- 
stein für  und  wider  die  geistliche  Immunität  in  zeitlichen  Dingen", 
die  Max  III.  Joseph  dem  Freisinger  Ordinariat  zum  Trotz  als 
seine  landesherrlichen  Gerechtsamen  betreffend  1766  freigegeben 
hatte.  Das  Zensurkolleg  entschuldigte  sich:')  »Das  frcisingische 
Ordinariat  unteriieß,  sein  Verbotspatent  vor  der  Affizirung  Seiner 
churfärstlichen  Durchlaucht  zur  vorgängigen  Einsicht  und  Beg- 
nehmigung  zu  insinuiren,  und  dies  war  ein  Eingriff  in  die 
diesortigen  Landeshoheitsrechte."  Der  Abnahmebefehl  sei  nur 
als  Beispiel  erfolgt,  »daß  in  Baiem  keine  geistliche  Verordnung 
ohne  vorhergehende  landesherrliche  Einsicht  und  B^nehmigung 
ad  affectum  gebracht  vrerden  dürfe".  Eine  Approbation  sei  damit 
nicht  erfolgt,  zudem  habe  der  Verfasser  Osterwald,  der  kein 
Theolog  oder  Kanonist  gewesen,  dem  Minister  Baumgarten  über 
die  Kirchen-  und  Religionsunschädlich  keil  eine  eigennützige  Dar- 
stellung gegeber  und  somit  das  Reskript  erschlichen.  Das  Verbot 
werde  nun  durch  die  betrübende  Einsicht  gefordert,  daß  die 
Antilochsteiniana  und  Antifebroniana  seitdem  keinen  Schutz  mehr 
gefunden  hätten.  Da  kam  nun  Klein  mit  dem  Sondervotum,  nach 
Hinweis  auf  die  gute  Katholizität  der  Schrift:  „Sellret  die  Ordi- 
nariate sehen  das  seichte  und  grundlose  Gebäude  der  Decretalistcn 


t>  Diese  AuifälininiiCn  crKinim  dss  von  H<:ie<=l  SIkt  du  ■Zensurrntn  [n  AJl- 
b«y«ni*  QaagK.  ]cd«nfi1li  wirft  die  RechtfcrtigunK  do  Kollqt*  dn  nnici  LizM  tul  du 
SdiielcMl  der  Schrift  Oiunraldt. 

■)  M.  K.  A.  714/1- 

Archl«  Mr  KultuiEcichldile.    II.  22 


Ferdinand  Lorenz. 


ein,  daher  s«lb«  eine  Zeither  ihre  venneintiichen  Gerechtsame  an 
ganz  andern  Oründen  darthun  vollen,  wie  mehrere  neuere 
Ordinariatssch reiben  und  Vorstellungen,  die  in  der  churfürstlichen 
geheimen  Rathskanzlcy  verwahr!  liegen,  den  Beweis  geben.  Selbst 
Seine  itzt  regierende  Päpslliche  Heiligkeit  haben  während  ihrer 
langen  und  preiswürdigen  Regierung  der  ganzen  Welt  zu  erkennen 
gegeben,  daß  es  H&chstselben  mit  den  gegenseitigen  Grundsätzen 
gar  nicht  gedient  sey,  durch  die  in  der  Kirche  Gottes  ehedem 
soviel  Unheil  und  Irrtum  gestiftet  worden.' 

Eine  ihrer  strengen  Gläubigkeit  nichts  vergebende  geistliche 
Person  zeigt  sich  hier  von  dem  neuen  Zug  berührt  Und  immer 
wieder  Kampf  gegen  Pseudoisidorl 

Der  Revisionsrat  Karl  Christian  von  Mann  auf 
Tüchlem ')  warnte  vor  den  Fehlem  der  vorigen  Zensur  bd  der 
Aufstellung  neuer  Kataloge,  hielt  sich  in  zweifelhaften  FUlen 
Strikte  an  den  Buchstaben  der  Instruktion,  verdeckte  alles  Illumi- 
natische  und  konnte  sehr  verschnupft  sein,  wenn  sein  Votum 
durch  ein  anderes  alteriert  wurde 

Im  Geist   der  neuen   Regierung  handelten   Babo  und  Flurl. 

Matthias  von  Flurl,')  Bergral  und  Direktor  in  der 
Oenerallandesdirektion,  schrieb  am  2.  Dezember  1 799  an  Westen- 
ricdcr:  .Das  Verzeichniß  der  verbotenen  Bücher  ist,  wie  ich  sehe, 
von  den  Verboten  des  verstrichenen  Censurcoll«^ums  hergenom- 
men. Ich  sehe  wahrlich  nicht,  wie  man  dem  hödisten  Willen 
Seiner  churfürstlichen  Durchlaucht  entspricht,  wenn  man  auf  diese 
noch  jemals  bauen  will . . .  Die  wenigsten  im  vorliegenden  Ver- 
zeichnisse angezeigten  Bücher  schlagen  zwar  in  meine  Kenntniß 
ein,  aber  soviel  ersehe  ich  doch,  daß  man  sich  gegen  den  Sinn 
der  Zeit  versündigen  würde,  wenn  man  die  alten  Verbote  hicbci 
wollte  stehen  lassen.  Ich  zähle  unter  die  verbotenen  Bücher 
nur  einige  . . ." 

Er  war  zu  praktisch,  um  nicht  die  Illusion  eines  Verbotes 
von  solchen  Büchern  einzusehen,  die  in  »jcdcnnanns  Händen - 
waren.  Auch  teilt  er  mit,  wie  gewisse  Schriften  dissimulando 
umliefen,   .denn  es  ist  unmöglich,  gewisse  Schriften,  welche  be- 


ll M,  K.  a.  jur%6:  miti  und  H. 
1)  M.  K.  A.  TUM:  inm:  Tivi. 


I 


I 


Zur  Geschieht«  der  Zensur  und  des  Schriffvesens  in  Bayern. 


sonders  auf  die  Landesverfassung  Bezug  haben,  mit  einem  landes- 
herrlichen Imprimatur  zu  sanctionieren-.  Eine  Entschließung  vom 
20.  Januar  175?  hatte  über  Rittershausens  ■  KaÜiolischcr  Gottes- 
dienst nach  dem  römischen  Meßbuch"  entschieden,  dem  Vorstand 
des  Zensurkollegiums,  jedoch  nur  mündlich,  zu  «öffnen,  den 
Verkauf  inner  Landes  zu  dissimulieren.  Also  bei  allem,  was  als 
■  noii  me  längere«  betrachtet  wurde! 

Die  praktische  Seite  hatte  auch  Joseph  Marius  Babo')  im 
Auge,  wenn  er  schrieb:  vDer  größte  Schaden,  der  durch  . . . 
LekTQre  entstehen  kann,  scheint  mir  der  Zeitverlust  zu  sein."  Un- 
willig aber  rief  er:  »Warum  soll  Burke,  der  entschiedenste  An- 
tagonist der  französischen  Revolution,  verboten  sein?«  Dabei  war 
er  auf  die  Wahrung  des  katholischen  Interesses  nicht  unachtsam, 
wollte  1794  die  Oeschichte  des  Hussitenkrieges  von  L'Enfant  «ob 
protestantischer  Prinzipien  gemäß  der  Glaubenslehre  des  Ver- 
fassers" nicht  allgemein  gestatten.  Merkwürdig  berührt  es,  wenn 
er  als  der  jüngere  eine  philosophische  Abhandlung  »Die  VolU 
endung  des  Menschen"  Westenrieder  mißbilligend  zuschob  mit 
der  Begründung:  «Ich  muß  bekennen,  daß  ich  mil  dem  Geist 
meiner  Zeit,  der  Paradoxien  oben,  Inconsequcnzen  in  der  Mitte 
und  die  uralte  Verworfenheit  überall  unten  mit  sich  führt,  nicht 
genau  mehr  bekannt  bin.  Ich  bitte  daher  das  Directorium,  dieses 
Werklin  selbst .  .  .  durchzulesen."  Wenn  sich  ein  geweckter  Geist, 
der  sich  in  seinen  dichterischen  Entwürfen  zu  hohem  Flug  auf- 
schwang, so  benahm,  wie  wächst  dann  das  Verdienst  derer,  die 
ihr  Volk  zum  Verständnis  tieferer  Lebensfragen  fuhren  wollten. 
Dabei  kannte  Babo  keine  Ängstlichkeit,  indem  er  etwa  schrieb: 
-Das  gegenwartige  Blatt  wollte  ich  ungeachtet  der  Thorheiten 
fliegen  lassen;  denn  das  gute  Baiem  ist  ja  noch  ganz  andere 
Dinge  gewöhnt!"  Und  1 796  schrieb  er  im  Bewußtsein,  wie 
machtlos  die  Zensoren  der  Wirklichkeit  gegenüberstanden:  »Daä 
die  Jenaer  Litteraturzeitting  so  allgemein  verboten  sein  soll,  kann 
ich  kaum  glauben,  weil  sie  . . .  unter  allen  litterarischen  Anzeigen 
in  Europa  die  beste  und  vollständigste  ist  und  solch  ein  Blatt 
auch  überall,  aucli  unter  böoliscbem  Himmelsstrich  immer  Eingang 


■)  M    K.  A.   »S/IOi   TnfI6  fZeibcbrifte»  brir.);   3M/T  (EirichtDnx  von   BGckn- 
tpeditloncn  bdr.|. 


J48 


Ferdinand  Lorenz. 


finden  wird,  indem  es  von  den  Postämlem  oder  den  Heraus- 
gebern dieser  Zeitung  abhängt,  die  Exemplarien,  welche  bis  zur 
Stunde  öffentlich  ausgetragen  werden,  unter  ordentlichen  Bächer- 
couvcrts  zu  versenden,  wie  es  hier  allez«t  mit  den  verbotenen 
Zeitungen  geschehen  sein  soll,"  Spann  bestätigt  dies  und  be- 
gründet damit  die  eingebitdete  tauschende  Wirkung  der  Zensur. 

Auch  Babo  konnte  es  keine  Aufmunterunj;;  seilt,  daß  sein 
auswärts  bejubeltes  nBörgerglück"  noch  Mitle  der  neunziger  Jahre 
vom  Kollegium  behindert  wurde  durch  die  rigorose  Maßregel, 
welche  alle  60  Bände  der  deutschen  Schaubühne  und  damit  aucli 
Kotzebue,  Schiller,  Schikaneder  vor  die  Tore  wies. 

Anläßlich  der  Änderung  des  Zensurwesens  unter  Max 
[V.  Joseph  schreibt  Montgelas  im  compte  rendu:  ■  Das  Zcnsurkolleg 
erhielt  am  2.  April  1799  eine  neue  Organisation,  man  schrieb 
ihm  einen  freieren  Weg  vor  und  setzte  es  aus  den  besten  Personen 
zusammen,  welche  man  finden  konnte.  Dies  ist  dem  Eifer  und 
der  Einsicht  des  verstorbenen  Grafen  Morawitzky  zu  danken  .  .  ." 

Mit  dem  von  ihm  derart  ausgezeichneten  und  vorgeschobenen 
Heinrich  Theodor  Graf  Topor  Morawitzky  hat  aucJi  Montgelas 
im  Zensurwesen  eine  Rolle  gespielt  Beide  waren  früher  durch 
das  Kollegium  hindurchgegangen,  beide  trafen  sich  in  Rastadt, 
dessen  Vorgänge  die  Zensur  in  neue  Bewegung  brachten.  Die 
neugegründete  Bücherzensur-Spezialkoinmission  wurde  dem  ge- 
heimen Ministerialdepartement  der  geistlichen  Angelegenheilen 
untergeordnet,  an  dessen  Spitze  Morawitzky  trat.  Aber  bei  den 
nicht  fest  umrissenen  Zuständigkeitsverhältnissen  wurde  vor  allem 
das  von  Montgelas  geleitete  Ministerium  der  auswärtigen  An- 
gelegenheilen   mit   dem  Geschällsgang  oft   in  Berührung  gesetzL 

Daß  Montgelas  schon  vor  tS06,  wo  er  das  Ministerium 
des  Innern  selbst  übernahm,  allen  staatlichen  Vorgängen  nahe* 
stand,  ist  schon  für  die  n&chstzeitliche  Geschichtsschreibung  eine 
ausgemachte  Tatsache.')  Und  daß  der  «Staatsmann,  Weltmann 
und  Hofrnann",')   der  den   Geist  der  Zeit  genau   kannte,*)  der 


■)  erlnnrningrn  in  die  Wlrlmmlwl'l  an  Onfen  Mac  JoHfih  von  Monterlu,  ctw- 
cniliKcn  tairb.  Stuumlnlalm  unter  Ott  R{8lcrung>  Mai  t,  2  Udc.  SturiEin  ib98. 

*|  Ttirottor  Olln,  Udil  and  Scli>.ttcn.  Cl>«rll«yemi  Sluliverw*ilitnsiinlcr  Mm  I. 
u)4  StutioiniiUr  Oiaf  Monlcclu,     Ldp4lg  illfr. 

■)  Hdnilch  Schenk  an  Jacobi,  Eai  IUI.  S.  im. 


t 


Zur  Cesehichte  der  Zensur  und  des  Schriftweseiu  in  Bayern.      349 

„verdienslvolle,  rastlose,  patriotische  Staatsdiener"*)  bei  aller  An- 
strengung auch  eine  nur  mittelbar  ihn  angehende  Obliegenheit 
ernst  nahm,  läßt  sich  woh!  behaupten  bei  einem  Grundsalz,  wie 
er  ihn  später  am  6.  Dezember  1832  an  Julie  von  Zerzog^  er- 
öffnete: «Ich  halte  daran  fest,  daß  man  mit  einer  Stelle  die  Ver- 
pflichtung öbemimmt,  ihre  Aufgaben  zu  erfüllen,  ohne  sich  unter 
irgend  einem  Vorwand  dem  zu  entziehen,  was  das  Wohl  des 
Landes  und  der  Dienst  des  Königs  erheischen  kann."  Dann  ist 
zu  beachten,  daB  der  ob  technischer  Übcrbördung  befehdete 
Schuiplan  für  die  Gymnasien  und  Lyzeen  von  IS04  Montgelas' 
Namen  trägt,  und  daß  der  AbendsCrahl  dieser  Periode  noch  den 
jungen  Fallmerayer^}  erfreute,  während  er  nach  seiner  Fahrt  durch 
die  Länder  klassischer  Kultur  einen  Rückgang  fand  in  Schute  und 
Wissenschaft  und  in  Thiersch  einen  verzweifelten  Kämpfer,  der 
steh  in  einem  Irrgarten  wähnle.  Gerade  die  Geschichte  der  Schul- 
geselzgebung  kann  einem  den  Glauben  bestärken,  der  in  der 
Periode  Montgeias  ein  sonniges  Eiland  auftauchen  sieht,  das  bald 
wieder  versinkt  im  Meer  der  Meinungen  und  der  Zeilen.  Als 
die  Stellung  des  Ministers  erschüttert  wurde,  stimmte  der  Schul- 
plan vom  16.  September  I816  eine  ganz  andere  Weise  an.  Alle 
Fachlehre  für  Philosophie  und  Mathematik  wurde  abgeschafft. 
Der  Religionsunterricht  schaute  rückwärts  und  putzte  die  alten 
Schemen  der  Fides,  Spes  und  Charitas,  die  Zöglinge  eines  Clau- 
dius Aquaviva.*)  Der  verdienstvolle  K.  Weiller  wurde  1823  vom 
Lyzeum  entfernt.  Den  Grund  CTTählt  uns  Lerchenfeld :")  .weil 
seine  phüosophi sehen  Ansichten  den  Finsterlingen,  deren  Einfluß 
sich  allmählich  immer  fühlbarer  zu  machen  begann,  anstößig  waren«. 
Montgeias  stand  nicht  allein,  Morawitzky  war  ihm  eben- 
bQrtig.  Die  Unterfertigung  von  Erlassen  läßt  nicht  auf  die  Autor- 
schaft eines  Ministers  schließen.  Hier  möge  zur  Charakteristik 
Morawitzkys,  den  die  ..Empfindungen  eines  Baiers"  bei  der  Rück- 
kehr von  Rastadt  1J99  verherrlichten,  angeführt  werden,  was  sich 


*)  Der  £Hcnl]iche  AnI[Ugn-.  von  BonUatlua  Philanthrop.     )30J. 
*l  Brich  de«  Slulfmlnfitct»  Oial  M.  J.   von   Mcntgcluv    «d.  Jalk  von   Z^nog, 
Rcgniiburs  S.  A. 

t  ThoniM,  Ober  fiHmtttya  alt  Sebulmmn. 

•)  Uait,  Kttaoinn  II,  19S 

<9  Octdiidil«  Bayenn*  uater  Kfnig  Mui  Jowpb  I.    itil.    8.  aBJ 


durch  handschriftliches  Vergleichen  von  Entwürfen  und  aus  der 
lebhaften  amtlichen  Korresponden?:  mit  den  vielbeschäfligtcn 
Referendaren  Zentner  und  Branka  ihm  zueignen  läßt.  Am 
to.  März  1800  schrieb  er  an  die  Kommission  mit  einer  idealen 
Forderung:')  »Es  möclite  gut  sein,  wenn  die  Spezial-Commisston 
neben  der  litterarisdien  Pohzcy  in  engerem  Verslande  sich  mit 
der  Leitung  der  Denlcensart  und  des  Oeschmacks  näher  befassen 
könnte.  Den  ,  ,  .  Zweck  mag  also  die  Wiener  Censur,  deren 
Verfassung  sich  mit  der  hiesigen  nicht  vergleichen  läßt,')  dadurch 
zum  Theil  erreichen,  daß  sie  Geister-  und  Ritter-  und  Klosler- 
romane verbietet.  Bezüglich  des  Visingerechen  Katalogs  ist  aus 
dem  Titel  nicht  zu  ersehen,  ob  sie  bei  den  Lesern  . . .  Neigung 
zur  Don  Quichotterei  her\'orbringen,  sie  mögen  auch  historisch 
und  satirisch  sein;  wo  nicht,  so  werden  sie  von  selbst  Makulatur 
und  nicht  einmal  für  die  Langeweile  gelesen  werden  . .  ,■ 

Morawtizlcy  vertraute  dem  guten  Geschmack.  Dessen  Er- 
ziehung wäre  ihm  als  ein  würdiger  Beruf  der  Zensur  erschienen. 
Das  Ziel  aber  war  schwer  zu  erreichen.  Montgelas  äußert  sich 
in  diesem  Sinn  seines  Amisgenossen:  »Die  Kritiker  bedachten 
nicht,  wenn  das  neubegründele  Zensurkolleg  auf  die  Güte  der 
unaufhörlich  in  großer  Anzahl  erscheinenden  Werke  den  wohl- 
tuenden Einfluß  nicht  halte,  den  man  vielleicht  erwartete,  dafl 
die  Herrschaft  des  guten  Geschmacks  schwerer  aufrecht  zu  er- 
halten und  auszuüben  ist  als  die  Zensur,  die  bloße  Verwaltungs- 
maßregel ist" 

Am  JO.  )uli  1802  schrieb  Morawitzky  an  Zentner  und 
Branka:*}  »Ich  habe  in  meinem  Leben  nie  Polemik  als  Studium 
getrieben,  ja  ich  verabscheue  sie  sogar  als  Nebenstudium  .  .  . 
Die  beiliegende  Censurcommissionsfehde  ist  aber  von  der  Natur, 
daß  sie,  wenn  man  sie  blos  nach  dem  trocknen  Geschäftsgang 
fortführen  wollte,  Auftritte,  .  .  .  leidenschaftliche,  an  sich  selbst 
aber  zum  wenigsten  unnQt2e  Disputen,  Verbesserungen  und 
Kämpfe  herbeiführen   kann,   die  wir  meines   Dafürhaltens  nicht 


>)  M.  K.  A.  TSa/ID:  Eirichhing  von  Lcili-  und  L««l)ibUaÜi«)i«i 

*)  Onf  Smbu  ilrebhr  fün  Theater  die  Z^nimtetreiung  »olehcr  SiücIk  an.  wcith« 

die  W(*n«r  Ztn»at   p»*»(Frt  halttn.     Vjl.  Ht\gr\.   Di»  ThejleneimiT  untrr  Kuftartt   Karl 

ITieodot.  bei  Hflnh»rilttüitncr 
I]  M.  K  A.  7»/l. 


I 
I 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern. 


nötig  haben.  Ich  glaube,  daß  Westenrieder  mit  Recht  sagt,  man 
Sollte  die  Sache  ohne  Geräusch  beilegen." 

Sehr  bedeutsam  ist  die  Anregung:')  »Eine  andere  Fn^e  ist, 
ob  nicht  zuweilen  auch  Schriftstellerei  mit  dem  Interesse  des 
Staates  zusammentreffen  kann,  und  ob  nicht  vielmehr  die  Preß- 
freiheit auch  in  dicMr  Hinsicht  Begünstigung  verdiente,  weil  sie 
ein  Rügegericht  bildet,  das  gewiß  unschädlicher  und  der  reinen 
Staatsform  anpassender  Ist  als  heimliche  Denunziation." 

An  mehreren  Stellen  finden  wir  zwischen  Morawitzky  und 
Montgelas  förderliche  Übereinstimmung.  Und  die  Anschauung 
des  Kurfürsten,  dem  diese  beiden  Minner  dienten,  möge  aus  dem 
Rcslcript  vom  15.  Mai  I80T')  erhellen,  wo  eine  Untersuchung  mil 
der  Begründung  abgewiesen  wird,  daß  »durch  die  Wichtigkeit, 
welche  man  auf  dergleichen  Werke  legt,  die  Aufmerksamkeit  des 
Publikums  nur  desto  mehr  gereizt  wird,  und  endlich  der  Zweck 
einer  genauen  Untersuchung,  wenn  sie  auch  möglich  wäre,  nicht 
abzusehen  ist." 

Max  Joseph  war  doch  nicht  nur  repräsentative  Figur  auf 
dem  Throne.  Schon  der  Prinz  erledigte  seine  Angelegenheiten 
mit  großem  Eifer.')  Die  nächste  Folgezeit  bereits  hat  sich  daran 
gewöhnt,  nach  seinem  persönlichen  Eingreifen  zu  fragen,  wenn 
sie  auch  etwa  mit  J.  von  Dall'Armi  zum  Ergebnis  kam,  daß  der 
König  kein  Schultechniker  war  und  sein  großes  Verdienst  darin 
bestand,  die  rechten  Leute  zu  finden.  Es  war  bedeutsam,  daß 
die  Volksschullehrer  lange  Jahre  vermittels!  des  Ministerial- 
departements  ihre  Ernennung  vom  Kurfürsten  zu  gewärtigen 
hatten.*)  So  konnte  sich  das  erquickliche  Verhältnis  zwischen 
Fürst  und  Volk  herausbilden,  das  Vertrauen,  welches  Gcntz  König 
Friedrich  Wilhelm  als  beglückend  dai^estelU;  die  wechselseitige 
Liebe  zwischen  Haupt  und  Gliedern,  wonach  Moser  in  seinen 
Tagen  so  schmerzlich  sjcli  gesehnt  Es  hat  nichts  versclilagen, 
daß  der  Jurist   Feßmaier  damals  den   Grundsatz  aufstellte,  der 


1)  M.  K.  A.  U\li6:  Dm  Profe»»or  Sil<l  «gen  der  Bn»chflrc  .Der  rortKhritt  da 
Lidllt  In  Bilern*  bclr 

1}  M.  K.  A.  »afM. 

^  Du  Moulln  Eclcul,  Reinh.  FoncliiitiKea  Kt.  2iS  Anm.  <if. 

*)  J.  <taa  Dair  Anni,  DIf  Schutlehrcr  In  Bajrrm.    Eine  voLInwirHctuiFtlicIic,  gctfhjehl- 
Uche.  MiÜpoütiiche  Unlendchuiif.    Au^iburf  XtSi. 


352  Fodinand  Lorenz. 


Souveiin  habe  lauter  Rechte,  keine  Zwangspftichten.*)  Jacobs*) 
stellte  als  Tatsache  hin,  daß  es  keinen  Monardien  gebe,  der  sich 
nidit,  wenn  er  wolle,  allen  Ödstes  bemächtigen  könne,  der  sidi 
in  seinem  Bereich  befinde;  Mon^elas  rühmte  seinem  Ffitsten 
nach,  alle  Leute  von  Verdienst  zu  ermutigen  und  zu  gebrauchen. 
Darum  verden  viele  dem  Professor  Salat  beigestimmt  haben, 
wenn  er  in  einer  Rechtfertigung*)  mit  zitternder  Hand  die  Worte 
niederschrieb  von  einer  »innigen  Verehrung  für  eine  R^erung, 
der  ich  so  viel,  der  ich  besonders  meine  Rettung  aus  den  Händen 
der  Pfeffere!  und  des  Obscurantismus  zu  danken  habe'.  Und 
die  w^;en  ihres  ungezwungenen  Qebahrens  vielfech  mit  scheelen 
Augen  angesehenen  Emigranten  feierten  Max  Joseph,  der  auch  in 
ihrem  Vaterland  zu  Gast  gewesen: 

Moi  qui  te  vis  dans  ma  ch^  patrie 
F€14  de  grands  et  chiri  de  nos  Rois; 
J'ai  perdu  tout  hors  l'honneur  et  la  vie, 
J'ai  tout  gagn£,  si  je  vis  sous  tes  loix. 


>)  HfUrlai  Bieder,  Budihlndlcr  zn  Mündwn,  in  Hut  SuA»  von  Straobing.    IS«. 
*)  VennitcMe  Reden,  Ooth«  IBZI,  XVtll. 

«)  M.  K.  A.  741/2*. 

(ScMuB  folet.) 


Die  Geschichte  der  Naturwissenschaften 

und  ihre  erzieherischen  Bildungswerte/) 

Ein  Beitrag  zum  kulturgeschichtlichen   Unterrichl. 
Von  FRANZ  STRUNZ. 


.Du  Bntc.  *Rt   »it   van   da  Oothlcht«  hibni. 
Im  der  CnthluiUlDUl,  den  sie  CfrqEt» 

Oodht. 

Heute  wo  der  geschulte  historische  Sinn  den  ältesten  Kul- 
turen sogar  ein  weitgehendes  und  warmes  Interesse  entgegen 
bringt,  ihren  geistigen  und  religiösen  Auswirkungen,  dürfte 
auch  die  Erzählung  von  der  Stellungnahme  der  Menschen  zur 
Natur,  mehr  und  mehr  an  Wichtigkeit  gewinnen,  Die 
Geschichte  der  Natu rbetrach hing  und  Naturerkenntnis  ist  das 
Fachgebiet,  welches  uns  diese  Entwicklungsreihen  von  den 
äElesten  Anfängen  an  zeigen  und  begründen  soll.  Aber  wie 
zu  begründen?  Natürlich  nicht  durch  einseitige  Betonung  des 
rein  experimentellen  Resultates.  Ich  meine  vielmehr,  indem  die 
Geschichtswissenschaft  die  theoretischen  Ideengänge  und  ihre 
psychischen  Voraussetzungen  herausschält,  indem  sie  natur- 
wissenschaftliche Entwicklungen  auf  denselben  Hinlergrund  proji- 
ziert, auf  den  man  z.  B.  Geschichte  der  Philosophie,  der  Kunst, 
der  Religion  u.  a.  zu  sieller  pflegt.     Das  Verständnis  für  Wirlc- 


l|  Dfcici   Thcnu   habe   ich  lucli  einer  uidcrtn  Sdtt  liin  auch  in  dtx  BrrUgF  nir 
JMl2">>(in"i  Zätiing*  (1901.  Nr.  3SI  in  eirwr  Skiiie  .Aotpben  und  Zftle  <Ib  hinnrlifh- 

nilunnt4m><ciilMlchui  Unltrrichli*  lu  cr<tTlrm  \criucht-  Die  elnEcii^d'  und  lattlnmcnde 
B«ptftliiinE  dieser  D»rlegunKen  durch  den  Dawlet  DnlvefaltlB-fioleiaur  Dl.  Qeuit  *. 
A,  Kihlbaum  in  Ni.  I  uni]  4  da  •MJKcilunGcn  lur  Ooctudite  da  MeJIiin  um]  ilct 
NstiirvineniehafleR'  (IVOl.  Vrtli|  von  l.eop  Vcti  in  Himbatj)  vcnuillßt  mich,  an  dlC 
Miheren  Oedinkei  im  Ifllcoiden  «anknüpftn. 


Franz  Stranz. 


lichkeilsföhlcr,  -wollen  und  -empfinden  scheint  mir  überhaupt 
das  Kemhafte  jeder  geschichtlichen  Behandlung  der  Natur- 
wissenschaften zu  sein.  Auch  diese  Geschichte  ist  Leben,  auch 
an  ihr  sind  Menschen  beteiligt  gewesen  mit  Seelen,  durch  die  alles 
hindurch  mußte:  individuelle  Eigenart  und  Kraft  der  Vorstellung, 
nüchterne  Erfahnmgsin halte  und  logische  Gesetze.  Ganz  besonders 
diese  Geschichte  hat  einen  starken  Kontakt  mit  dem  Leben. 

Geschichte  der  Naturwissenschaften  isl  Erforschung,  Be- 
urteilung und  Darstellung  desjenigen  geschichtlichen  Prozesses, 
der  sich  auf  das  Werden  der  naturbetrachtenden  und  natur- 
wissenschaftlichen Forschungsgebiete  bezieht  Sie  sagt  daß 
das,  was  heute  als  Dogma  der  Naturbetrachtung  gilt,  es  nicht 
immer  war,  sie  zeigt,  wie  der  Mensch  seine  Stellung  zur  Natur 
gewechselt  hat,  wie  »Gesetz"  von  »Gesetz"  abgelöst  wurde,  Hypo- 
these von  Hypothese,  Forscher  von  Forscher,  Vulgärbetrachtung 
von  Vulgärbetrachtung.  Schon  das  fuhrt  zu  tieferer  Einsicht: 
Was  früher  geschah,  kann  immer  wieder  eintreffen,  d.  h.  da3 
eine  Wertung  von  einer  neuen  abgelöst  wird.  Auch  unser 
Natur-  und  Weltbild  ist  nicht  für  Ewigkeiten.  Wenn  es  auch  im 
groben  Onindplan  kaum  anders  werden  wird.  Aber  wer  kann 
das  wissen?  Wir  sehen  bei  dieser  geschichtlichen  Betrachtung 
in  ein  Labyrinth  von  vergangenen  Lehrmeinungen,  in  Irrtumer, 
die  durch  ihre  Methode  fesseln,  in  Generalisierungen  von  mangel- 
hafter oder  enthusiastischer  Denkzucht,  aber  dann  wieder  auch 
in  die  Kindheil  ernster,  treuer  Forscherarbeit  und  Ausdauer. 
Wir  sehen  die  Stimmungen,  in  denen  geboren  wurde,  was  heute 
gemeine  Meinung  ist  oder  grundlegender  Lemstoff  des  Schul- 
knaben. Und  dies  Entwicklungsbild  wird  immer  farbensattcr, 
je  mehr  man  sich  unseren  Zeilen  nähert,  einfacher,  blasser,  desto 
mehr  man  sich  von  ihnen  entfernt.  Freilich  isl  diese  Ge- 
schichte nicht  so  geräuschvoll,  festlich  und  überwältigend,  wie 
die  Abwandlung  eines  Völkerlebens  oder  einer  Kunstgeneration, 
50  gefühlsbetont  wie  Persönlichkeiten,  an  denen  sich  das  religiöse 
Leben  einer  ganzen  Zeit  entzündet  hat,  nein,  es  waren  meist 
stille  Worte,  die  von  Naturforschern  ausgingen  und  die  ge- 
waltigsten Umwertungen  sind  nicht  immer  als  gewaltige  Tat  ur- 
sprünglich erlebt  worden.   Allerdings  gibt  es  ja  auch  große  Männer 


Die  Geschichte  der  Natunrissenschaften. 


dieser  Wissenschaft,  die  nicht  so  kamen  und  ihre  Neubotschaft 
keineswegs  zagtnd  ausspTachen.  Mit  einer  ans  NVunderbarc  gren- 
zenden Furchtlosigkeit  setzten  sie  das  durch,  was  sie  ihrer  Zeit  zu 
sagen  hatten.  Sei  es  als  Neuschauende  oder  Neiikombinierende, 
als  Entdecker  oder  Erfinder.  Das  ist  gerade  das  Seltsame  am  ge- 
schichtlichen Prozesse  dieser  Wissenschaft  -  es  berührt  auch 
das  erzieherische  Moment  - ,  daß  die  Farbe  des  Persönlichen 
einer  Hervorbringung  so  gern  bleichen,  malt  wetxjen  will,  wie 
alle  verwahrloste  Handschrift,  so  daß  später  oft  nur  mühsam 
angedeutet  werden  kann,  was  Leben  und  Olut  war,  was  der 
reine  Sinn  des  Ganzen  und  wie  ihn  ein  heute  totes  Geschlecht 
als  Zeitgegnerisches  und  Zeit  brecherisch  es  erlebt  hat  Und  das 
tat  doch  fast  jede  Mensch heilsstufe  anders:  anders  der  Hoch- 
sommer der  Antike,  anders  die  hellenistische  Renaissance  oder 
•vie  ganz  anders  die  Tage  des  gro6en  induktiven  Naturforschers 
und  Künstler?  Leonardo  da  Vinci!  Auf  eine  wissenschaftliche 
Neubotschaft  im  Jahrhundert  Luthers  fiel  anderes  üchl  als  auf 
die  Forschung  im  Jahrhundert  Voltaires.  Daß  sie  eben  anders 
erlebt  wurde,  das  war  der  Grund  verschiedenartiger  Aufnahme. 
Zeit  und  Forscherpersönlichkeit  gehören  zusammen,  um  zu  ver- 
stehen, was  ein  Problem  historisch  wert  ist.  Die  letztere  genügt 
allein  nicht  Sie  bietet  uns  nur  die  BliJte,  nicht  die  Wurzel  mit 
ihren  Haftoi^nen  an  die  große  Erde,  Im  Bild:  die  Wurzel  ist 
Zeit,  die  Haftorgane  sind  Triebe,  Instinkte  und  Fähigkeiten 
derselben,  die  große  Erde  das  Wissens-  und  Kulturkapital  der 
Vergangenheit  Wer  also  dieser  Geschichte  näher  treten  will, 
muß  mit  denselben  Werten  kommen,  wie  mit  denen  für  Ge- 
schichte ßljerhaupt  Alte  Geschichte  -  und  besonders  Kultur- 
und  Wissenschaftsgeschichte  -  ist  Leben,  alle  Geschichte  ist 
Psychologie  in  praxi!  Sie  ziehen  an  uns  vorbei,  die  Gestalten, 
die  uns  die  Geschichte  heraufführt  und  treten  ins  blendende 
Heute  -  reden  sie  roch  mit  der  Frische  eines  erst  kürzlich 
vertdungenen  Tages,  so  war  mühsame  Forscherarbeit  nicht  um- 
sonst, denn  man  glaubt  an  sie.  Aber:  Historische  Statisten 
mit  den  echten  Gewändern  oft  gründlichster  Gelehrsamkeit  sind 
zeiUebens  tot  und  uninteressant,  ohne  Per^nlichkcit  und  Seele. 
Sie  werden  nie  zu  uns   reden.    Sie   bleiben   Akten,     leb   sagte 


35« 


fraia  Strunz. 


schon  oben,  daß  auch  in  unserer  Oeschichtsdiszipün  die  Stimmung 
gezeichnet  werden  muß,  aus  der  eine  Welt  oder  Naturbetrachtung 
heraus  entsteht.')  ja,  da  liegt  der  Kern.  Aber  auch  das  Scliwcrste, 
was  in  der  Verarbeitung  des  geschieh! liehen  Materials  erstrebt 
werden  kann.  Vorausgesetzt,  man  will  den  Geist  des  Ver- 
gangenen und  nicht  platte  Kritiklosigkeit. 

Schon  vom  Standort  dieser  Gedanken  können  wir  uns  der 
Frage  nach  dem  Biidungswert  und  den  erzieheri^ien  Kräften 
der  Ocschichte  der  Naturwissenschaft  nähern.  Man  muß  aber 
erst  darüber  klar  zu  werden  versuchen,  in  welchem  Lehrfach 
der  bildende  und  erzieherische  Einfluß  dieser  Disziplin  zu  Worte 
kommen  darf.  Von  einem  neuen  Unterrichtsgegenstand  ist  selbst^ 
versländlich  nicht  die  Rede.  Auch  nicht  von  einem  Lehretoff 
für  die  Unterstufe.  Es  sollen  Anregungen  sein,  Förderung 
bereis  wachgerufener  Interessen  am  Werdenden  und  Gewordenen 
in  der  Geschichte  der  Naturforschung,  dann  Em-eitening  des 
biographischen  Momentes  im  Geschichtsunterricht  überhaupt  und 
die  daraus  folgende  Rücksichtnahme  auf  die  führende  Person- 
lichkeit  und  ihr  Werk.  Das  letztere  weist  dann  ganz  besonders 
auf  die  erstere  zurück,  d.  h.  auf  die  Werkstatt  der  Hervor- 
bringung.')  Geschichte  des  denkenden  Naturbctrachtens  ist  doch 
eine  Geschichte  des  kritischen  Sehens  und  Unterscheidungsvcr- 
mögens!  Sic  ist  eine  Geschichte  des  menschlichen  Auges.  Wenig- 
slens  zuerst  Dann  wurde  sie  die  Geschichte  einer  breiten  und 
kräftigen  Theorie  der  Erfahningswissenschaften.  Wie  sollten  auch 
nicht  da  die  »großen  Persönlichkeiten"  und  der  «Zeitgeist"  fehlen 
oder  höhere  kulturgeschichtliche  Momente,  «welche  Taten  hen'or- 
gerufen,  sie  bestimmt  und  geleitet  haben,  ja  selbst  die  höchsten 
Taten  der  Menschheit  genannt  werden  müssen"  ? ')  Ist  die 
darstellende  Wiedergabe  dann  auf  der  Höhe  der  Fähigkeit,  das 
Zuständliche  in  dieser  Geschichte  in  ein  Geschehendes  d.  h.  in 


■)  D«i  gilt  nicht  illrln  Mr  dm  Qeidil(hblnr;c)ier  mid  -fccti tttilti.  urniUrv 
iiubsondne  für  dm  OochichisdatiteUci.  Und  dn  leUicrc  Iti  auch  der  Ldiier  im 
UntctfichiT. 

■]  Du  M  rint  rr*xt  (Qr  tkh,  die  un>  Ediurd  PUUbon-Lr)cunc  (n  »incia  KhCncn 
Budic;  .Wak  und  PendnlliJikeit-  jiu  etno  Theorie  der  [HoKripbk|i,  Minden  i.V.  IWJ, 
*li  Anlimonie  der  Blop-iphtc  beuichnel  [S.  2i*\ 

t  Vgl.  LrhjpUn  ünti  ln?*ttiHi(inen  föt  d«n  l'ntmkht  «n  an  Oynanitn  in 
öiterrrlth.  2  Auie.  Wim  1900.  S.  t^at  Hier  vicil  mll  Krclil  tat  den  groBn  Wert  dcr 
WlufiKchxIlitmrMFhlc  hinEr*ievn. 


I 


I 


Die  Geschichte  der  Nalun»issenschaflen.  357 

wirklich keitsfrisches  Leben  umzuwerten  -  freilich  mit  feiner 
wählender  Absicht  des  Lehrers  - ,  so  kann  im  Unterricht  ein 
weseniliclter,  bis  heute  so  gut  wie  nicht  beachteter  Bildungsfaktor 
gewonnen  werden.  Vorausgesetzt,  daß  der  Lehrer  anschaulich, 
einfach  und  lebendig  Bcrzählen'  kann  und  seine  Schilderung 
in  der  leicht  err^baren  Seele  des  Schülers  als  gefühlsbetonte 
Begeisterung  nachklingt,  als  Enthusiasmus,  von  dem  Goethe  ge- 
sagt hat,  da(l  er  das  Beste  ist,  »was  wir  von  der  Geschichte 
haben".  Aber  damit  ist  immer  noch  nicht  die  Kernfrage  gelöst, 
die  wir  oben  berührten,  nämlich  nach  der  Eingliederung  dieser 
Anregungen.  Wird  sie  der  Lehrer  der  Naturwissenschaften 
[besonders  der  Phj'sik  und  Chemiel  oder  der  des  Oeschichls- 
unlerrichles  zu  berücksichtigen  haben?  Die  Literaturgeschichte 
vertritt  bekanntlich  der  Deutsch- Lehrer,  sollte  da  nicht  auch  der 
Naturwissenschaftslehrer  die  Geschichte  seiner  Wissenschaft  in 
seinen  Unterricht  einbeziehen?  Aber  man  könnte  dann  wieder 
sagen:  »Ja,  Geschichte  der  Naturforschung  ist  Wissenschafts- 
geschichte und  daher  auch  Geschichte  der  geistigen  Kultur,  also 
gevissermaßen  Kulturgeschichte.  Sie  fällt  dem  Fachhistoriker 
zu."  Nun,  das  sind  Fragen ,  die  nur  erfahrene  Praktiker 
entscheiden  können  und  daher  außerhalb  meiner  Kompetenz 
liegen.  Ziel  der  Lehrtätigkeit  soll  es  ja  sein,  womöglich 
Zusammenhängendes  in  einer  Lehrkraft  zu  vereinigen.  Dann 
gehören  die  Anregungen  geschichtüch-nahirwissenschafthcher  Ar! 
in  den  Geschichtsunterricht,  denn  dieser  soll  die  Menschheits- 
stufen  in  ihren  verschiedenen,  also  auch  in  ihren  gedanken- 
mäßigen  Empfindungsnachbildungen  würdigen.  Aber  doch  hat 
das  wieder  seine  Schwierigkeit.  Ist  der  Geschichtsichrer  —  trotz 
aller  kulturgeschichtlichen  Befthigung  —  auch  imstande,  rein 
naturwissenschaftlich  bedingte  Probleme  des  Einst  vergleichsweise 
mit  dem  Jetzt  zu  beurteilen  und  darzustellen?  Und  wieder  um- 
gekehrt, kann  der  Leiter  des  naturwissenschaftlichen  Unlerrichles  ein 
bestimmtes  Geschichtsbild  seiner  Wissenschaft  auch  aus  dem  ge- 
schichtlichen Prozeß  unversehrt  herauslösen^  ohne  Ursache,  Be- 
dingung und  Anlaß  zu  verwischen?  Wird  er  dem  psycho- 
logischen a  priori  der  geschichtlichen  Handlung  gerecht  werden? 
Ich  lasse  die  Fragen  offen. 


Beinahe  möchte  ich  glauben,  daS  es  dem  naturvissenschaft- 
lieh  gebildeten  Lehrer  näher  liegt,  diese  geschichtlichen  Exkurse 
in  seinem  Unterricht  aufzunehmen.  Denn  es  ist  ja  die  Ge- 
schichte seines  Berufstudiums.  Der  Lehrer,  der  den  Schüler 
mit  dem  an  österreichischen  und  reichsdeutsch en  Mittelschulen 
ßberreichen  und  Lehr-  und  Lerneifer  veriangcnden  Ausmaß 
exakt-natumvi&sen schaftlicher  Bildung  zu  beschenken  hat,  dürfte 
aber  trotz  alledem  genugsam  Ruhepunkte  im  Gange  der  Stoff- 
abwicklung finden,  wo  er  historisch  zusammenfassen  und  re- 
gistrieren kann,  ich  will  nicht  sagen,  muß.  Ist  es  da  aus  einem 
inneren  Erlebnisse  des  Lehrers  selbst  sinnerzieherisch  geschehen, 
mit  feiner,  aber  doch  zielbewußter  Abzweckung  auf  ein  allerdings 
recht  unkompliziertes  kullurgeschichtiiches  Verständnis,  das  aber 
doch  im  Grunde  aus  naturwissenschaftlichem  Interesse  zugleich 
heraus  kommt,  so  sind  zwei  Ziele  auf  der  Hand  liegend:  Einer- 
seits wird  viel  Sprödes  und  Unverdauliches  angenehmer  und 
lehr-  und  lembarer  gemacht,  anderseits  bieten  sich  die  großtn 
naturwissenschaftlichen  Grundwahrheiten  und  Gesetze,  weil  sie 
mit  dem  starken  Leben  einer  Persönhchkeit  und  der  Frische 
einer  Zeit  organisch  verbunden  werden,  durchsichtiger  und 
zwingender  dar.  Wenn  der  Schüler  sieht,  wie  ein  Naturforscher 
auf  eine  vergangene  Zeit  gevrirkt  hat,  so  wird  auch  er  der 
Wirkung  sich  nicht  so  leicht  entziehen,  als  wenn  das  i,Gesetz" 
oder  die  «Ableitung"  nur  starre,  trostlose  Forme!  sind.  Wir 
müssen  das  Werk  wieder  persönlich  machen  und  individualisieren, 
das  Werk,  udas  sich  aus  der  Personalunion  gelöst  hat,  in  der  es 
zu  einem  denkenden  Hirn,  zu  einem  lebenden  Körper  und  einer 
«fühlenden  Brust"  stand."')  Daß  weiter  solche  zugrunde  ge- 
legte historische  Methoden  die  Vorführung  des  ganzen  natur- 
wissenschaftlichen Hauptfaches  zu  beleben  die  Kraft  haben  und 
eindrilcklicher  machen,  glaube  ich  annehmen  zu  dürfen.  Wie 
das  2H  geschehen  hat,  wird  der  individuelle  pädagogische  Takt 
des  einzelnen  vorschreiben,  und  es  ist  klar,  daß  hierbei  immer 
die  epochale  naturwissenschaftliche  Entdeckung  als  Folie 
dienen  muß,  die  also  schon  an  und  für  sich  eine  kurze  Dar- 
legung des  Enideckungsweges  verlangt    Details  natürlicli  würden 

))  Ed.  PlMaolf-Ldwu.  (fcd.  s.  ». 


Die  Geschichte  der  Natu  ncissensc haften. 


mehr  schaden  als  nCitzen.  Das  Wichtige  muß  aber  auch  weiter 
so  aufgebaut  sein,  daß  der  höhere  Schüler  jederzeit  das  Un- 
^wollte  in  der  historischen  Schilderung  herausspürt  und  »ana- 
lytisch" die  einzelnen  Bcstandstücke  feststeilen  tann.  Schon  da 
vermag  er  auch  für  den  allgemeinen  Geschichtsunterricht  zu 
lernen  d.  h.,  diß  Geschichte  und  insbesondere  die  der  Wissen- 
schaften keine  kalte  Addition  von  Episoden  und  Resultaten  ist, 
unter  die  man  unten  den  Strich  macht,  auch  kein  nüchterner 
Maßstab  mit  einer  Skala  von  Jahreszahlen  und  formulierten  Ge- 
setzen. Allerdings  verlangt  eine  solche  zusammenfassende 
historische  Darlegung  des  exakten  Resultates  von  heute,  den  Ein- 
satz der  ganzen  Hingabc  an  die  Sache,  wenn  sie  von  ent- 
scheidender Tragweite  sein  soll.  Und  ganz  besonders  auch  Fein- 
fühligkeit, um  in  den  heikein  Fragen  der  metaphysiKhen  Grenz- 
gebiete nicht  religiös  zu  verletzen.  Soll  doch  keiner  so  viel 
Versöhnlichkeit  vertreten  als  gerade  der  Lehrende  und  in  er- 
höhtem Maße  der,  der  die  Liebe  zur  Natur  in  die  Seele  des  Knaben 
legt,  die  Natur  des  modernen  Menschen  als  Gesetzeswissenschaft 
und  mit  dieser  letzleren  zugleich  -  wie  wir  es  hier  anzuregen 
versuchen  -  die  Liebe  zu  ihrem  Werden.  Selten  hat  sich  das 
«Menschliche'  so  scharf  abgespiegeil  wie  in  dieser  Gedankenwelt. 
Wo  man  aber  das  Geschichtliche  einzuschalten  hat,  daß  darzu- 
tun  kann  nicht  Aufgabe  dieser  Zeilen  sein.  Auch  das  ist  des 
Lehrers  Sache.  Aber  um  nur  einiges  zu  nennen:  die  Ge- 
schichte der  Physik  mit  ihrem  reichen  Schatz  naturphitosophischcr 
Charakterbilder  aus  der  Bewegungslehre  und  Astronomie,  aus 
Optik  und  Wellenichre  bietet  dem  einsichtigen  Lehrer  die  Ge- 
legenheit, fem  von  allem  tabellarischen  Zahlen-  und  Namenwust 
lebendige  Zusammenhänge  dem  Schüler  an  die  Hand  zu  geben, 
wo  »Problem-  und  »Persönlichkeit-  wie  auch  »Erfolg-  und 
•■Weiterentwicklung*  bereits  durchschimmern  müssen.  Oder  die 
Geschichte  der  Chemie.  Bei  der  Schilderung  der  Atomiheorie: 
ihre  Geschichte  ist  voll  von  inicressanten  Wandlungen,  bei 
Schilderung  der  Reform  Lavoisiers:  die  Geschichte  seiner  Mit- 
und  Vorarbeiter  ergibt  sich  da  von  selbst,  Geschichte  der  AI- 
chemie,  der  Jatrochemie  und  des  Phlogistons.  Bei  Besprechung 
einzelner   chemischer  Präparate  finden  sich   hunderte  Wege  zur 


J. 


360 


Franz  Strunz. 


chemischen  Technologie  der  Antike  oder  zum  Sunde  der  Kennt- 
nis in  der  alleren  Alchemistenzeit.  Die  Besprechung  der  Metalle 
wie  Kupfer,  Silber,  Gold  und  der  wichtigsten  Kupferlegierungen 
gibt  eine  geeignete  Gelegenheit,  das  praktische  und  theoretisch- 
dialektische  Wesen  der  sogenannten  „Melalltransmntation*  der 
Alchemie  zu  beleuchten  u.  a,  m.  Oder  es  kann  in  den  be- 
schreibenden Naturwissenschaften  die  Bedeutung  des  auf  der 
NatLr  beruhenden  physiologischen  Systems  des  Aristoteles  klar 
gemacht  werden  oder  das  Samnücrtalent  des  Plinius,  es  können 
erwähnt  werden  die  großen  MineraLkenntnisse  der  Antike, 
insbesondere  in  bezug  auf  die  technologisch  verwerteten  Erze. 
Ganz  zu  schweigen  von  den  Errungenschaften  neuerer  Zeit  etwa 
seit  der  Renaissance.  Ihre  naturforschenden  Klassiker  sind  im 
Schulunterricht  immer  noch  Fremdlinge!  -  Doch  das  muß  genügen. 

Die  Frage,  ob  dem  erzielieri  sehen  Bildungswerte  der  Ge- 
schichte der  Naturwissenschaft  wirklich  soviel  Bedeutung  beizu- 
legen ist,  wurde  schon  oben  zu  erklären  versucht.  Nur  noch 
einige  knappe  allgemeine  Bemerkungen  sollen  letztlich  das  Ge- 
sagte zu  modernen  ßildungsproblemen  in  Beziehung  bringen. 

Geschichte  der  Naturwissenschaften  ist  nicht  allein  Ge- 
schichte des  denkenden  Naturbetrachtens,  sie  ist  Geschichte  von 
Menschen,  schauender  Menschen,  ihres  Empfindens  und  Sinnens. 
Sie  ist  in  dieser  Hinsicht  Menschheitsgeschichte  und  darum  auch 
Kulturgeschichte.  Die  Natur,  die  von  jeher  auf  uns  so  über- 
mächtig gewirkt,  sie  im  Spiegel  der  menschlichen  Reflexion  zu 
sehen  in  all  den  Strahlenbrechungen,  die  Zeiten  veranlaßt  haben, 
das  ist  das  Eine.  Aber  dann:  ihre  kästlichste  Anregung  kommt 
auch  von  der  Seite  ihres  Wesens,  an  die  sich  andere  Spekulationen 
angesetzt  haben.  Besonders  Mathematik,  Philosophie  und  Religion. 
Die  erstere  erzeugte  in  ihr  die  Gesetzeswissenschaft,  das  Nomo- 
thetische, die  Philosophie  eine  natürliche  Metaphysik  und  die 
Religion  den  geföhlsbetonenden  Akzcnl  für  beide.  Und  die 
Männer,  die  nach  diesen  verschiedenen  Richtungen  hin  die 
Naturwissenschaften  vertraten  und  ausbauten,  sind  uns  dalier 
interessant  und  erforschungswert  Das  Moment  der  persönlichen 
Innenschau,  seelischen  Verfassung  oder  inneren  Situation,  Impulse 
und  WiDensakte,  Gewolltes  und  Gefühltes,   das  ja  In  jeder  Oe^ 


I 


Die  Qeschichte  der  Naturvissenschaften.  36  t 

schichte  den  Schlüssel  bietet  zum  Verständnis  des  Menschen,  der 
in  ihr  hindelt,  muß  daher  bei  den  großen  Führenden  im 
Wesen  klarzustellen  versucht  werden.  Das  alles  ist  ja  auch  an 
die  Naturwissenschaften  herangetreten  und  ist  wieder  mit  einer 
neuen  Welt  belastet  aus  ihr  geboren  worden  im  fortdauernden 
Wechsel  und  Austausch.  Gründe  genug,  um  auch  in  der  Ge- 
schichte der  Naturbetrachiung  und  -erlcenntnis  rein  psychische 
Vorgänge  aller  theoretischen  und  praktischen  Gedankerarbeit  a3s 
Folie  zu  unterle^n.  Ich  habe  Oben  gesagt,  sie  hätte  nichts 
Theatralisch-pathetisches,  diese  Geschichte,  damit  soll  aber  nicht 
behauptet  werden,  sie  wäre  für  die  modernen  Bildungsinleressen 
banal,  schwerfällig  oder  gar  langweilig.  Keineswegs.  Die  Pfade, 
auf  denen  die  großen  Denker  über  die  Natur  gekommen  sind, 
führen  aus  einem  nWunderland"  heraus,  aus  der  Heimat  der 
Dämonen,  der  mythischen  Personifikation  und  der  Naivctäl,  aus 
VoEksgUube  und  sinnlicher,  grob  bildlicher  Naturwertung.  Müh- 
sam gehts  aufwärts  durch  die  Rätsel  und  Rader  der  Zeit  Noch 
ist  sich  der  damalige  unkomplizierte  Mensch  selbst  der  Wertungs- 
maßstab, nach  welchem  Natur  geschätzt  und  erklärt  wird.  Und 
dann  fällt  sie  in  seine  Seele,  wie  ein  keimender  Morgen,  die 
Natur,  die  Sinnbild  des  Geistigen  isL  Dann  ist  s  i  e  Selbstzweck 
und  nielit  der  Mensch.  Immer  höher  führen  nie  geahnte  Pfade, 
hinauf  in  die  küliie,  nüchterne  Re^on  der  frostigen  Kritik  und 
des  »Gesetzes'.  Und  wie  Todesschauer  kommt  es  über  Natur- 
gefühl und  senHmentales  f:rleben,  über  landschaftlichen  Natur- 
sinn und  persönliche  Wiedergeburt  des  Gesehenen.  Dann 
trennen  sie  sich:  die  Natur  der  Kunst  und  die  Natur  der  Wissen- 
sdiafi,  das  ästhetische  Genießen  und  die  harte  Tatsachen-  und 
Ursachen  prüf  ung.  Und  vor  die  letztere  stellt  sich  die  riesen- 
hafle  Frage:  Wie  kommt  die  Außenwelt  zustande  und  was 
sind  Anfang  und  Tod?  Es  begann  ein  Naturforschen  des  Ex- 
perimentes, ein  fieberhaftes  Finden  und  Erfinden  von  Bedingung 
und  Anlaß.  Freilich  trug  der  Mensch  von  seinem  Wege  noch 
die  Spuren  —  und  sie  waren  überreichlich  vorhanden  — ,  auch 
als  er  gelernt  hatte  seine  Erlebnisse  an  der  Natur  völlig  andere 
zu  verarbeiten,  als  Naturbetrachten  und  Nalurcrkenncn  längst 
nidit    mehr    dasselbe   Maaren.      Diese   ganze   Nalurwertung   war 

JMiiv  m  KultnrKodiklitc.   II.  23 


363 


Franz  Strunz. 


scheinbar  für  Ewigkeiten  ersonnen,  diese  Vorstellungen,  wie  All 
das  wirklich  Große,  was  die  Antike  uns  fiberlassen  hat,  sie 
waren  so  täuschend  im  Aussehen,  daß  die  Natur  mit  Ihnen  ver- 
wechselt wurde  und  umgekehrt  sie  mi(  ihr.  Aber  das  alles  liegt 
zwischen  den  Blättern  der  Geschichte  der  Naturforschung.  Nur 
suchen  muß  man  es.  Und  der  wirklich  ehrliche  Bildungseifer 
wird  es  finden.  Wie  viel  Menschen  führen  doch  heute  das 
Wort  NatUfforBchung  im  Munde  und  ahnen  nicht,  wie  sie 
geworden  ist?  Sollte  diese  Geschichte  einer  besonders  in  unsem 
Tagen  so  herrschenden  Wissenschaft  wirklich  so  nebensächlich 
sein?  Ist  sie  nicht  vielmehr  Geistes-  und  Kulturgeschichte  in 
einem  zusammen?  Und  warum  sollte  daher  die  Entwicklung 
dieser  Denkwege  unserer  reiferen  Jugend  verschlossen  bleiben? 
Möchte  sie  doch  wenigstens  den  Sinn  dafür  mitbringe  auf  die 
hohe  Schule !  Und  diese  weitschichtigen  Interessen  dürften  dann 
im  späteren  Leben  gewiß  mehr  solides  Bildungsstreben  erzeugen 
und  wachhalten,  als  die  ungesunde,  aus  geistiger  Befangenheit 
entspringende  Sucht  nach  dem  Neuen,  ohne  das  Alte  innerlich 
erlebt  zu  haben.  Leider  hat  die  moderne  Jugend  diese  Tendenz. 
Die  tiefe,  warme  Liebe  und  Ehrfurcht  fär  das  Empfangene,  das 
uns  innerlich  reich  gemacht,  hat  sie  nicht  Immer  mehr  auf  das 
Aktuelle,  Geräuschvolle  sind  Sinn  und  Einbildungskraft  gerichtet 
Der  Enthusiasmus  der  Geschichte  fehlt  mit  dem  gefühlsbetonten 
Instinkt  für  das  Ergreifende  und  Leidenschaftliche,  das  sie  herauf- 
geführt  hat.  Man  nennt  das  altmodisch.  Soll  es  das  sein! 
Auch  Verehrung  ist  altmodisch  und  der  daraus  entspringende 
sittliche  Bildungswert,  aber  ihre  Kraft  steht  ..zweifellos  in  enger 
Verbindung  mit  der  Gesundheit  des  Menschen  und  seinen 
höchsten  Geisteskräften,  so  daß  sie  tn  gewisser  Hinsicht  zu 
einer  Quelle  des  Lebens  wird.  Alle  großen  Zeitalter  sind 
Zeitalter  des  Glaubens  gewesen.  Ich  meine:  sobald  eine  außer- 
gewöhnliche  Kraftentfallung  sich  zeigte,  eine  große  nationale 
Bewegung  begann,  die  Künste  erblühten,  Helden  auftauchten, 
große  Dichtungen  entstanden,  dann  war  Ernst  und  tiefe  Er- 
r^ung  in  der  Menschenseelc,  und  ihre  Gedanken  waren  auf 
geistige  Wahrheiten  gerichtet  mit  einem  so  festen  und  strengen 
Griff,  wie  die  Hand  sonst  den  Schwertgriff,  Stift  oder  Meißel 


Die  Qeschichte  der  Nätunrissenschaften 


feßt*.*)  Und  überhaupt  was  ist  denn  Bitdung?  Dieses  Wort 
das  man  so  gern  weiter  gibt?  Gewiß  ist  sie  nicht  banales  Sloff- 
und  Stückwissen,  keine  trostlose  Käimerarbtit,  Sie  sind  beide 
notwendig  zur  Erreichung  von  Bildung,  aber  ihr  Wesen  sind  sie 
nicht  Auch  einseilige  Fachkenntnis  ist  nicht  Bildung,  wenn 
die  letztere  auch  durch  die  erstere  bedingt  wird.  Vielmehr: 
Immer  ist  Bildung  geistiges  und  gefühlsmääiges  Auf- 
geschlosserscin  gegenüber  der  Welt  und  den  Menschen, 
ruhige  Aufnahmebereitschaft  und  Aufnahmefähigkeit 
Also  Eindrucksempfänglichkeit.  Niemals  ist  Bildung 
Einseitigkeit  und  rechthaberischer  DQnkeL  Bildung 
ist  individuelle  Selbsterziehung  und  starke  Lebens- 
führung. Wir  wissen  das  Nietzsche-Wort  durchaus  zu  wür- 
digen, daB  der  .historische  Sinn,  wenn  er  ungetiändigt  waltet 
und  alle  seine  Konsequcnren  zieht,  die  Zukunft  entwurzelt", 
aber  daß  er  trotzdem  heute  -  fast  in  allen  Wissenschaften  - 
einen  mächtigen  Erziehungsfaktor  bildet,  dieser  Tatsache  könneo 
wir  uns  einmal  nicht  verschlieBen.  Möchte  das  bald  auch  für 
die  Geschichte  der  Nalurwissenschaften  zutreffen.  An  ernster 
Arbeit  und  Schaffensfreude  fehlt  es  nicht.*) 


1  Ralph  ViMo  ERicnan.  Euiyt,  1.  Folge.  Am  dem  En^ifcbai  flhtrlugw 
»on  Wilhflm  SehölwmMin,  l.HinieiWl,  (Vtrlis  von  EuiEm  Dl«(]nfcht.|  S.  II1.  Oder  wenn 
Ic)]  «n  dir  Wcrlung  äa  Mnge-\%Ugns  Jolin  Ruikln  denke,  die  nun  tn  liHistcn  aal  das 
VonatibUlt  dne>  jeden  historbdicii  Hudies  ictiteibcn  möchte:  -In  der  Vtrthrunc  li«Kt 
dl*  Hiyptfrcucle  vnd  Kraft  dir^f^  Lebens:  iri  drr  Vcrtlrmiiif  für  allrt,  vii  rrin  und  hell 
Itt  In  Bnwtct  Jnsmi].  t«  «iht  und  rrpinbl  isl  Im  AlUi.  wu  Rnmutls  iil  itnier  dni 
Lvhmdni,  grot  uaiei  den  Talen  und  iinverElnKlldi  «undcrbif  in  dm  Krlttm.  dir  nicht 
aictbm  Injnnm.-  iVoitragjc  ubei  die  Knnai.  Aus  dem  Enelttchen  Ton  Wllbdni  Sdiäla- 
nMin     VcrUs  '">"  Euitcn  Dicdcrichi,  Leipiie  iw.    S-  '£)- 

t)  Ich  mtlivc  die  un  HambuiKtr  NWurforidwrtjisc  (I9«i>  gegiAndett  .Ovntidie 
OeHtlirhilt  für  Oochichte  dct  Mnüiiit  und  N»lurBi««rnchlll^"  Ihr«  ilpcnj  »ls«n- 
KfeantiiHlfn  .Miltrilunncii*  (V«l»|(  von  Ltoji  Vnw,  llamhuiE)  •^ii'i  lrrtlllc}i  und  tnilpoßer 
Untirht  rcdlelcrt.  Auch  dir  mrdiiiliiiicli-hltlariichc  l'aditdtichnfC  •Juiui-  (Amitcr- 
dam)  kann  ledcm.  der  licti  t<U  Onchldite  der  Naturvinoudiatlcn  IntcrcMlnl,  empfohlen 


»• 


Dreizehn  Briefe  von  Jung-Stilling. 


Mi^efrilt  von 
RUDOLF  HOMBURG. 


Wie  hoch  der  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  die  deutschen 
Familienbriefe  als  Zeugnisse  für  die  geistige,  gemütliche  und  ge- 
sellschaftliche Entwicklung  unseres  Volkes  schätzt,  ist  erel  im 
vorigen  Heft  wieder  hervorgehoben  worden.^)  Familienbriefe 
vermögen  in  der  Tat  recht  beachtenswerte  Beilräge  zur  Kultur- 
geschichte ihrer  Zeit  zu  liefern:  schon  deshalb,  weil  —  wenn 
überhaupt  je  -  in  ihnen  offen  und  frei  vom  Zwang  einer 
sonst  wohl  gebotenen  Vorsicht  geredet  wird.  Was  wir  also  über 
Peisonen  und  Zustände  hören,  hat  für  uns  den  Wert  eines  Ur- 
teils, das  der  Überzeugung  des  Schreibenden  tatsächlich  entspricht 
So  ennöglicht  er  uns,  einen  Maßstab  an  seine  eigene  und  seiner 
Umgebung  im  weiteren  Sinne  gesamte  kulturelle  Höhe  an- 
zulegen. Ist  er  dazu  noch  ein  bedeutenderer  Mann  seiner  Zeit, 
so  werden  die  Streiflichter,  die  gelegentlich  auf  Land  und  Leute 
hllen,  Für  den  Kulturhistoriker  umso  zuverlässiger  und  wertvoller 
sein.  In  letzterem  Betracht  werden  nun  freilich  die  mitgeteilten 
Briete  von  Jung-Stilling  großes  Aufsehen  nicht  erregen.  Aber 
immerhin  werden  die  in  ihnen  eingestreuten  zei^eschichtlichen 
Bemerkungen  einige  Beachtung  -  auch  von  selten  des  Literw- 
und Lokalhistorikers  -  finden.  Wer  aber  diesen  edlen  Mann 
aus  seiner  von  ihm  selbst  verfaßten  Lebensgeschichte  kennen  und 
vereliren  gelernt  hat,  wird  sich  über  ihre  Veröffentlichung  sicherüdi 
freuen:   sie  fügen  zur  Schilderung  des  letzten  Abschnittes  seines 


■)  Stn£tiurg*r  Fiauoibridc  dn  ib  Jahrituoderis 
Aidilv  f,  KultnrBCKh.  Jl,  Bd.  3.  Htli.  S  illft. 


Milgctellt  von  O.  Wiflckclmann, 


Dreizehn  Briefe  von  Jung-Stilling. 


Lebens  anziehende  Einzelheiten  hinzu  und  zeigen,  wie  Jung-Stilling 
auch  im  Kreise  seiner  Verwand tachaft,  getreu  äeinem  eigenen 
Onindsatz,  »für  das  Reich  des  Herrn  zu  wirken',  und  dem  Auf- 
trag des  Kurfürsten  von  Baden,  «durch  Briefwechsel  und  Schrift- 
stellerei  Religion  und  praktisches  Christentum  zu  befördeni",  ge- 
horsam, unablässig  tätig  war.  Im  besonderen  dürften  sie  die 
Aufmerksamkeit  hessischer  Leser  erregen:  mancher  wird  vielleicht 
unter  den  erwähnten  Namen  einen  Vorfahren  antreffen;  und  wer 
etwa  erfahren  möchte,  welch  treffliche  Nachkommenschaft  das  oft 
genannte  Kind  Jettchen  dem  Hessenlande  geschenkt,  dem  steht 
eine  Auskunft  zu  Diensten.  Sollten  aber  diese  Briefe  den  einen 
oder  anderen  Leser,  den  sie  .-erreichen",  dazu  anregen,  die  ihm 
noch  unbekannte  Lebensgeschichte  Jung-Sti]lings,  dieses  an  christ- 
licher Erfahrung  so  reiche  und  bezüglich  seiner  ersten  Teile  auch 
schriftstellerisch  hoch  zu  bewertende  Buch,  zu  lesen,  dann  hätten 
sie,  glaube  ich,  ihren  besten  Zweck  erfüllt.     Experto  credel 

Die  Empfänger  sind  der  Rat  und  Senator  Dietrich  Christoph 
Cnynm  zu  Cassel  (f  12.  Juli  1307)  und  seine  mit  ihm  in  dritter 
Ehe  verbundene  Gattin  Maria  Marg.  Elisabethj  die  wie  auch 
Jung-Stillings  dritte  Gattin  eine  Tochter  des  Marburger  Theologie- 
professors Johann  Franz  Going  war. 

Bemerkenswert  erscheint  noch,  daß  sämtliche  Briefe  die 
vollkommen  gleichen  klaren  und  schönen  Schriftzüge  aufweisen. 
Durchstreichungen.  Auslassungen,  nachträgliche  Einfügungen,  Ab* 
kürzungen  und  dgl.  finden  sich  äußerst  selten.  In  den  letzten 
zwei  Briefen  ist  die  Unterschrift  durch  ein  in  J  geschlungenes  S 
at^lcürzt. 

\ 

Mart>urg  13.  JuE.  18ü3. 

Mein  theuersler  Herr  Bruder! 

Unser  Schicksal  ist  entschieden,  unter  sehr  angenehmen 
Bedingungen  ziehen  wir  nächsten  September  in  die  Pfalz.  Schwester 
Mickchen  weiß  daß  die  Just.  Qerh.  Duisingsche  Erben  ein  ge- 
wisses Capital  zu  Darmstadt  stehen  hatten.     Dies  tauschten  RüpeP) 


1)  Wohl  der  lUt  und  Rcg.-Sakrdir  RQppel.  -  Hamicr  mr  Kit«g«nL 


366 


Rudolf  Homburg. 


und  Hamkr  ge^en  Frankfurther  Obligationen  ein,  deren  wir  also 
zwo,  jede  zu  tausend  Gulden  Frankf.  Währ,  bekamen. 

Jetzt  wollen  nun  die  Kraftisctien  Kinder  meiner  Frauen  und 
der  Matchen  Antheil  am  Wollmarschen  Zehnden  an  sich  kaufen, 
und  meine  Frau  möchte  dann  auch  gern  der  Matchen  ihren  An- 
theil am  Heskämmer  Hof)  übernehmen;  um  das  zu  können 
wollen  sie  gern  eine  von  den  Frankfurtiier  Obligationen  von 
tausend  Gulden  verkaufen.  Wir  oferiren  Ihnen  bester  Herr 
Bruder!  diese  Obligation  zuerst,  weil  es  uns  ani  liebsten  ist, 
vean  sie  bty  der  Familie  bleibt.  Die  Obligation  ist  sehr  sicher 
im  Jahr  I8OI  auf  9  Jahr  ausgestellt.  Die  gehörigen  Coupons 
sind  dabey,  und  die  Interessen  sind  4  proct 

Sollte  es  aber  nicht  Ihre  Gelegenheit  seyn  die  Obligation 
zu  kaufen,  so  bitte  um  baldig  Antwort 

Wir  Alle  großen  Sie  und  die  liebe  Schwester  von  Herzen. 
Ich  bin  mit  der  herzlichsten  Liebe  Ihr 

treuer  Bruder 
He.  Jung 

ir 

Heydelberg  30.  9br.  1804. 
Herzlich  geliebter  Herr  Bruder,   und  innigst  geliebte  Schwester) 

Mit  wahrem  Vergnügen  haben  wir  Deinen  Heben  Brief  vom 
16t  L.  M.  erhalten.  Wir  freuer  uns  herzlich  Ihrer  Beyder  Wohl- 
ergehen, und  Ihres  vorzöglichen  häuslichen  Glücks,  welches  allen 
rauschenden  und  so  bald  vorüber  gehenden  sinnlichen  Vergnügen 
weil  vorzuziehen  ist. 

Vielen  Seegen  aus  der  Höhe,  fortdauerndes  irrdisches  Wohl- 
ergehen, und  Gnade  und  Friede  aus  der  Fülle  der  ewigen  Liel>e, 
wünschen  wir  Alle  Dir  Herzens  Schwester  zu  Deinem  Geburls- 
tage!    Der  Herr  erfülle  unsere  Wünsche!    Amen! 

■)  Hitnu  uhrlrb  mir  Kfrr  Steuert  nipckiat  t.  lu  M*rbure  In  dankemveftn 
Oeunliikril :  •Vihnchdnlich  limJ  mil  dm  Antelni  am  .Wullmanchm  Zchnilfn'  An- 
teile in  Ocßllm  IDI  Wollminclicn  Zdinirn  (=  rcliE'UliKil)^}  unridnl.  Toltmti  jii 
dn  Dorf  nßnll.  vwi  Mutars  in  der  i  luilumbtttri  Kieiiticnie-  lawlelrrn  da  Drid- 
Klircibci  mil  «ZchnKn*  mit  din«  OcinarkuiiH  )i>I  in:  [(«icIiuriE  i1thfii  könnoi.  cntiJtht 
tich  märttr  ReurtPilntij;.  --  Ke«km>  Itt  «Int  Onschift  tHdl,  v<in  Mai^arg;  iintor  .Hnkiirintr 
Hol-  iit  •ohl  Hn  Hof  in  dletn  OiBcIuII  zu  vcralctien.« 


I 


I 


Dreizehn  Briefe  von  Jung^tilling. 


Der  Vorfall  mit  der hat  uns  Alle,  besonders  audi 

mich  beynahc  zu  Boden  gedrückt  -  indessen  wird  sie  allem 
Ansehen  nach  glücklicher  werden,  als  sie  es  )e  mit . . . .  geworden 
wäre  —  ....  machl  Schuldenj  ist  kein  Haiishältcr,  und  es  will 
Überhaupt  auf  keine  Weise  mit  ihm  fort.  Sie  ist  vorige  Woche 
copulirt  worden,  und  jeW  noch  bey  uns,  künftige  Woche  wird  sie  in 
ihr  Logis  riehen,  ihr  Mann  bleibt  aber  hier  im  Dienst,  er  ist 
Handels  Bedienter,  heißt  Francois  Gaccon  von  Neufchatel  in  der 
Schweiz;  er  ist  ein  rechtschaffener  treuer  ansehnlicher  ftciÖigcr 
und  betriebsamer  junger  Mann  rcformirter  Religion.  Seine 
Muttersprache  ist  die  französische,  er  spricht  aber  auch  schön 
Teulsch.  Er  bat  mich  kniend  um  Verzeihung,  die  ihm  dann 
auch  gewährt  wurde. 

Meine  Frau  leydel  noch  immer  am  Catharr,  und  die  beyden 
kleine  Mädchen  haben  den  Stickhusten,  doch  wird  es  nichts  zu 
sagen  haben.    Sie  schreiben  beyde  an  die  liebe  Tante  Miekehen. 

Schwarz,')  Männchen  und  die  Kinder  sind  alle  froh  und 
munter,  es  wird  ihnen  hier  wohl  gehen,  das  sehe  ich  schon  zum 
Voraus. 

In  Mannheim  sind  sie*)  auch  gesund  und  wohl,  und  jetzt 
ist  auch  ein  Theil  der  restirenden  Weinbesoldung  ausbezahlt 
worden,  folglich  ist  auch  die  Sorge  gehoben. 

Der  Sie  Theil  meiner  Lebensgeschichtc  Heinrich  Stillings 
Lehrjahre  sind  nun  in  Berlin  herausgekommen,  und  in  Frank- 
furth  a.  M.  bey  H,  Buchhändler  Joh.  Christ.  Hermann  zu  haben. 
Das  Buch  ist  aber  unerlaubt  Iheuer,  l  Tbl.  16  ggr.  und  ich  be- 
kam nur  sechs  Frey  Exemplare,  so  daß  ich  nicht  einmal  alle 
damit  versehen  kann  Denen  ich  Eins  geben  muß,  ich  muB 
also  noch  kaufen. 

Wir  Alle,  auch  Schwarzens  und  Julie  grüöen  Sie  lieben 
Beyde,  auch  Ihre  lieben  Kinder,  besonders  auch  den  Herrn  Bruder 
Romme!,*)  die  Frau  Schwester,  und  ihre  lieben  Kinder. 

Ich  bin  mit  der  herzlichsten  Liebe 

Ihr  ewig  treuer  Bruder 

J.  H.  Jung  Slilling 

<>  Der  ThcAlogitprotrucr  Sehwin  In  H(ldtlb«r2  wir  d«r  Schvirgtraohn  von 
Jun2-Stlllinj[. 

<)  In  Muinhcim  Idilc  Jnns'SUIliiiei  Sohn  Jilrob  üi  Hofserichtinil. 

*t  Rontmcl  wv  Kon(J*iDrl«lri>t.  SupciintnilRii  und  Obcthafpmligrr  lu  Cittd, 


Rudolf  Hamburg. 


Hier  kommen  auch  zween  Briefe  von  Amalie  und  Tinchen. 
Letztere  hat  ein  besonderes  Talent  zum  Zeichnen.  Sieh  einmal 
auf  der  Rückseite  Ihres  Bnefchens,  ohne  gelernt  zu  liaben,  und 
in  2.  3.  Minuten  ists  fertig. 

III 

Baden  bey  Rastatt  d.  ISten  Tbr.  1806. 
Mein  theuerster  und  geliebter  Herr  Bruder! 

Welch  eine  Freude  uns  Ihr  liebes  Schreiben  verursacht  hat, 

das  können  Sie  sich  kaum  vorstellen,  denn 

wir  hatten  Sorge,  es  möchte  gar  zu  schwer  hergehen;  nun  bit 
der  Herr  durchgeholfen,  Er  sey  gelobet!  -  Er  erfülle  nun  das  neu- 
geborene liebe  Kind  früh  mit  seinem  Geist  und  seiner  Gnade, 
und  Ihnen  gebe  Er  Gesundheit  und  Leben,  damit  Sie  es  auch 
noch  zu  seiner  Ehre  mögen  erziehen  können.  Welch  eine  Be- 
ruhigimg und  dankbare  Empfindung  gegen  Gott  diese  Nachridil 
in  uns  aufgeregt  hat,  das  glauben  Sie  nicht  Ja  der  Herr  ist  mit 
Coings*)  Kindern,  und  der  Eltern  Segen  ruht  auf  Ihnen,  dies 
wird  auch  in  Mannheim  der  Fall  seyn,  wenn  die  Lieben  genug 
geprüft,  und  in  der  Probe  bestanden  sind.  Seegen  Gottes  ruhe 
auf  Henriettchen  bis  ins  Aller,  bis  vor  den  Thron  unseres  viel- 
gekrönten Königs.  Küssen  Sie  unsere  Iheuere  Kindbetterin 
von  mir,  und  sagen  Sie  Ihr,  daß  sie  mein  Gebät  allewege  be- 
gleiten werde. 

Ich  gehe  meinen  merkwürdigen  Lebensgang  in  der  Gegen- 
wart des  Herrn  fort;  weit  und  breit,  in  allen  Welttheilen  würk- 
sam,  durch  Correspondenz  und  Schriften,  und  Augeneuren,  wendet 
Er  mir  nun  auch  das  innigste  Vertrauen  unseres  frommen  Oros- 
herzogs*)  zu,  sodaß  ich  Ihm  von  nun  an  bis  an  sein  Ende,  so 
viel  von  meiner  Zeit  widmen  muß,  als  nur  immer  möglich  ist; 
ich  werde  also  wohl  von  nun  an  wenigstens  die  Hälfte  der  Zeit  in 
Orlsnihe  seyn.  Es  kostet  mich  freilich  viele  Verläugnung  so  oft, 
und  so  lang  von  meiner  Familie  getrennt  zu  seyn,  und  meine 
Frau  weint  schon  jetzt  wenn  es  ihr  einfällt,  allein  es  ist  des  Herrn 
Wille  und  meine  Pflicht.     Ich  speise  immer,  auch  in  Carlsruhe 


1]  S.  dU  Einl.  «m  SdiloR 

^  Karl  Pricdrlch  f  <>  Ju"!  <><i. 


Dreizehn  Briefe  von  Jung-StilUng.  3^9 

mil  Ihm  und  Seiner  Gemalin  an  der  Tafel,  und  werde  nicht 
anders  als  ein  besuchender  Freund,  und  nicht  als  Diener  behandelt 
Meinen  herzlichsten  Qruß  an  Sie,  an  die  tiebe  Miekcheti, 
an  Ihre  sämtlichen  Kinder,  und  an  die  Frau  Sekretanus  Dehn. 
Ich  bin  ewig  und  von   Herzen  Ihr 

treuster  Bruder 
Jung  Stilling 

IV 

HcydelbcTig  Zi.  xbr.  ISO«. 
Herzlich  und  innigst  geliebter  Herr  Bruder! 
Herzlich  und  innigst  geliebte  Schwester  Miekchen! 

Über  die  Lage,  in  welcher  Sie  sich  jetzt  befinden')  schreibe 
ich  Ihnen  kein  Wort;  der  Herr  hat  sie  über  das  nördliche  Teutscii- 
land  verhäng!,  Er  wird  auch  denen  die  auf  Ihn  trauen,  mächtig 
durchhelfen.  Sie  werden  nun  auch  einsehen,  wie  gütig  und  weise 
mein  himmlischer  Fahrer  fflr  mich  und  die  Meinigen  gesorgt 
hat,  daß  Er  mich  von  Marburg  weggeführt  hat:  denn  da  ich  aus 
der  Chatoulle  des  Kurfürsten  mein  ganzes  Cehalt  empfiengj  so 
stünde  ich  jetzt  sehr  Übel.  Oott  lob  daS  ich  mit  meiner  Familie 
hier  bin! 

Auch  hier  nimmt  meine  Lage  eine  sonderture  sehr  merk- 
würdige Wendung:  der  Qrosherzog  wünscht  mich  bey  sich  7u 
haben,  so  lang  Er  lebt,  und  so  viel  es  meine  Reisen  erlauben; 
folglich  muß  ich  nun  diesen  Winter  in  Carlsruhe  seyn,  wo  ich 
im  Schloß  ein  paar  mit  allen  möglichen  Bequemlichkeiten  ver- 
sehene Zimmer  habe,  ich  gehe  mit  an  die  Qrosherzo gliche  Tafel, 
und  bin  also  Mittags  von  V«2  bis  '/«*.  ""d  des  Abends  von  7 
bis  10  Uhr  bey  dem  frommen  Fürsten.  Die  Gbrige  Zeil  kann 
ich  dann  meinem  Schriftsteller  Beruf  abwarten. 

Vor  vier  Wochen  gieng  ich  nun  nach  Carlstuhe,  allein  am 
verwichenen  Mittwochen  bekam  ich  Nachricht,  daß  meine  Frau 
krank  sey.  Ich  fuhr  also  den  ersten  Christtag  hierher,  und  fand 
daß  sie  die  Gicht  in  den  Kopf-  und  Halsmuskeln,  und  im  rechten 
Ann  hatte,  sie  litte  schrecklich,  indessen  fängt  sie  doch  nun  an, 

I)  N«polniii  lid)  rx*ch  iJer  SchUdii  bei  Jcii  KurhaKn  durcti  dn  Herr  b«mn; 
KurfOrst  Wilhelm  1.  niuflic  am  1.  Hot.  1M6  Biehen. 


370  Rudolf  Homburg. 


sich  wieder  zu  bessern,  und  ich  werde  nächsten  Freytag  wieder 
nach  Carlsruhe  zurückkehren,  es  sind  13  Stunden  bis  dabin. 
Meine  Frau  und  Caroline  werden  mir  bald  dahin  nachfolgen,  ich 
werde  ihnen  dofi  ein  paar  Zimmer  miethen  und  sie  sollen  sich 
dam  von  einem  Traiteur  speisen  lassen.  Wie  gut  hat  es  der 
Herr  gemacht,  daß  Julie  jetzt  mil  den  Kindern  in  Marburg,  und 
der  Friedrich  bey  Schwarz  ist!  Jetzt  wird  die  Haushaltung  auf- 
gehoben, lind  das  Haus  zugeschlossen,  die  Mägde  gehen  zu  ihren 
Eltem,  bis  wir  sie  wieder  brauchen.  Wie  lang  nun  dicÄT  Zu- 
stand währen  wird,  das  hängt  vom  himmlischen  Fuhrer  ab,  dessen 
Leitung  ich  unbedingt  folge. 

In  Mannheim  ist  alles  wohl,  die  Amalie  erwartet  ihre  Nieder- 
kunft. Der  Friedrich  macht  sich  außerordentlich  gut,  Schwarz 
nähert  sich  der  wahren  Christusreligion  mit  starken  Schritten,  er 
ist  und  wird  ein  vortrefflicher  Mann. 

Unsere  Caroline  pflegt  ihre  Mutler  mit  unaussprechliche! 
Liebe  und  Treue,  zwischen  diesen  beyden  edlen  Seelen  hat  sich 
eine  seltene  Freundschaft  und  ein  so  hoher  Grad  der  Liebe  ge- 
bildet, wie  ich  ihn  noch  nie  erlebt  habe.  Die  Caroline  passirt 
überall  für  die  Krone  der  Mädchen  in  Heydelberg,  ihr  religiöser 
Sinn,  ihre  herzliche  Qutmüthigkeit,  und  ihr  feiner  Anstand,  macht 
sie  allgemein  beliebt.  Der  Qrosherzog  und  seine  Gcmalin,  die 
sie  im  Herbst  in  Baden  kennen  lernten,  sprechen  oft  von  meiner 
Frauen  und  Carolinen,  als  von  ausgezeichnet  edlen  Menschen. 
Qott  lob!  Was  sagt  aber  nun  Kunkel!'')  —  Wie  macht  der 
Herr  so  viele  schöne  Plane  und  Aussichten  zu  nichte! 

Wir  alle  grüßen  Sic  lieben  Beyde,  und  alle  Ihre  Kinder 
von  Herzen.  Das  kleine  niecgen  bitte  zu  küssen.  Gottes  Seegen 
Ruhe  und  Frieden  zum  neuen  Jahr.  Mit  der  herzlichsten  Liebe 
Ihr  Beyder  treuster  Bruder 

beiliegenden  Brief  bitte  zu  besorgen.  Jung  Stilling 

V 

Baden  bey  RasUdt  d  27slei]  Jul.  1807. 
Liebe  Herzens  Schwester! 
Mein  Herr  und  mein  Gott  welch  eine  Nachricht!     Du  gute 


>)  Och-  Ril  und  Rc^ctunEi-Vir-cpraiidmr  Kutic:licl  v.  L&wtnilnn.    Uruca  frau  «ir 
mil  Jung-Slitlinci  Oilfin  vcrrtnilt    tlin  ichiutc  StllUni  Kbi  hoch. 


I 
I 


Dreizehn  Briefe  von  June-Stilling, 


Seele  schon  Wittwel  ganz  unerwartet  kam  uns  aber  doch  diese 
Trauerpost  nicht;  denn  Dein  letzter  Brief  hatte  uns  vorbereitet, 
wir  erschraken  beyde  als  wir  die  Stelle  von  der  Engigkeit  der 
Brust  lasen,  denn  wir  schlössen  gleich  auf  eine  Brustwassersucht 
und  tjefürchteten  langes  Leyden,  dies  hat  nun  der  Herr  verhütet 
und  den  lieben  Mann  schnell  zu  sich  hinüber  gerufen.  Daß 
Du  tief  trauerst  ist  recht  und  billig,  aber  Deine  christliche 
Aeußerungen  haben  uns  sehr  beruhigt,  Du  wirst  wie  eine  Chrislin 
trauern,   Religion    und   Zeit   werden    Dich    dann    wieder   trösten. 

Es  freut  mich,  daß  die  Kinder  des  Seeligen  so  freund- 
schaftlich sind,  indessen  wirst  Du  doch  wohl  thun,  wem  Du 
Dicli  mit  Kunkel  über  Alles  besprichst,  der  wird  Dir  mit  Rath 
und  That  beystehen. 

Jetzt  liebe  liebe  Schwester!  jetzt  steht  es  bey  Dir,  mit 
Deinem  Jettchen  wieder  zu  uns  zu  kommen,  wir  werden  Dich 
mit  offenen  Armen  empfangen,  wir  Eeben  in  Carlsnihe  sehr  ein- 
gezogen, weit  mehr  als  in  Marburg;  ich  bin  den  Tag  über  an 
Hof,  aber  auch  da  bin  ich  einsam  in  meinen  Zimmern,  außer  an 
der  Tafel,  und  die  Stunden  die  ich  mit  dem  Grosherzog  zubringe. 

ich  grüße  Dich  herzlich  mit  unendlicher  Liebe.  Orüße 
auch    die  Cnyrimischen   Kinder,   und    küsse  Dein  liebes  Jetichen. 

Mit  vollem  und  weichem  Heacn  Dein 

treuer  Bruder 
Jung  Stilling 

VI 

Carlaruhe  S.  jul.  laos. 

Meine  Iheuersle  und  innigst  geliebte  Herzens  Schwester! 
Ja!  Gott  sey  Dank!  mein  Sohn  ist  nun  aus  seiner  drückenden 
Lage  heraus,  freilich  wird  er  noch  keine  Schulden  bczalen  können, 
denn  1400  Gulden  reichen  in  Mannheim  kaum  zu,  um  bey  einer 
sparsamen  Haushaltung  durch  zu  kommen,  aber  er  ist  doch  nun 
in  so  fem  sorgenfrey,  und  unsre  Amalie  ist  auch  besser.  Wie 
sehr  sich  aber  der  Jakob  veredelt  hat,  das  glaubst  Du  nicht  Er 
ist  ein  vortreflicher  Mann  und  wahrer  Christ  geworden.  Deine 
Lage,  meine  Beste!  geht  uns  sehr  nahe.  Du  bist  in  einer  heißen 
und   harten   Prüfung;   hätte   der  gute   liebe  Bruder  seinen  Tod 


Rudolf  Homburg. 


I 


so  bald  geahnet,  oder  nur  vermuthel,  daß , 

so  hätte  er  gewiß  eine  Disposition  gemacht,  mir  soll  das  ein 
warnendes  ßeyspiel  seyn,  alles  vor  meinem  Tod  aufs  Rdne  zu 
bringen.  Indessen  der  Herr  wird  mil  Dir,  und  Deinem  Jettchen 
seyn,  halte  Du  Dich  mit  vestem  Glauben  und  Vertrauen  an  Ihn, 
Er  wirds  am  Ende  wohl  machen,  und  sollte  Dich  der  Herr  früher 
abfordern,  welches  ich  aber  nicht  vermuttie,  so  ist  Dein  Jettchen 
mein,  darauf  verlaß  Dich! 

Uns  geht  es  hier,  Oott  sey  Dank!  recht  wohl,  an  Kreuz 
und  Leyden  fehlts  nicht,  aber  es  giebl  doch  Iteine  Menschen  die 
uns  Verdrus  machen,  Ich  bin  am  Hof  ein  Einsiedler,  ich  lebe 
hier  im  Schloß  einsam  und  sehe  niemand  als  den  Qrosherxog, 
seine  Qemalin,  und  Kinder,  und  dann  wer  etwa  zur  Tafel  ge- 
bätcn  wird,  des  Mittags  vor  der  Tafel,  und  dann  des  Nachts  bin 
ich  bey  meiner  Famiüe.  Meine  liebe  Frau  ist  immer  noch  so 
wie  Du  sie  gekannt  hast,  aber  munter  und  thätig.  Die  Caroline 
ist  aber  noch  nicht  völlig  gesund,  sie  soll  das  Bad  brauchen; 
wie  sich  auch  das  Mädchen  veredelt  hat,  das  ist  unbeschreiblich, 
sie  ist  meiner  Frauen  hülfreicher  Engel,  und  ich  habe  nie  eine  solche 
Liebe  zwischen  Mutter  und  Tochter  erlebt,  welch'  ein  seltenes 
Beyspiel!  Wir  leben  zusammen  wie  die  Engel,  dies  versüßt  dann 
auch  freilich  manche  Leyden  und  Beschwerden  des  Lebens. 

Ob  ich  Dich  liebe?  -  ich  denke  doch  nicht  daß  Du  daran 
zweifelst,  könntest  Du  uns  nur  einmal  mit  Deinem  Jettchen  be- 
suchen. Die  Eisenträgerin  ist  jetzt  bey  uns.  Das  hiesige  Land 
ist  ein  Paradies  Oottcs,  Frieden  und  Ruhe  herrscht  überall,  und 
die  Fruchtbarkeit  ist  überschwenglich,  und  doch  ist  alles  sehr  theucr.     ■ 

Nun  der  Herr  sey  mil  Dir,  Er  sey  Dir  nahe,  Er  segne  Dich 
nach  Seel  und  Leib,  und  bilde  dein  Jettchen  zu  einer  waJiren 
Chrbtin,  kCsse  das  liebe  Kind  von  uns  Allen.  H 

Wir  alle  grüßen  Dich  mit  der  herzlichsten  und  beständigsten 
Liebe,  besonders  ich  als  Dein  ewig  treuer  Bruder 

Jung  Stilling 
Hat  man  Dir  denn  geschrieben,  daß 
ich  ohne  mein  Suchen  und  Wünschen 
Geheimer  Hofrath  geworden  bin? 

Ich  bitte  einliegenden  Brief  ja  nicht  zu  vergessen  sondern 
bald  zu  besorgen. 


Dreizehn  Briefe  von  Jung-Stilling. 


VII 

Carlsnihe  21.  April  1S09. 
Meine  liebe  Herzens  Schwester! 

Dein  Brief  hat  uns  allen  Freude  gemacht,  denn  ob  wir 
gleich  daraus  Deine  fortdauernde  Leyden  erkannten,  so  vissen 
wir  uns  aus  eigner  Erfahrung  wohl  zu  bescheiden,  daß  jeder 
von  uns  sein  zugemeBenes  Theil  davon  tragen  muß,  weil  es  uns 
im  christlichen  Leben  und  Wandel  fördert,  bleibe  Du  bei  Deinem 
geraden  und  duttenden  Gang.  Am  Ende  wirst  Du  mit  innigem 
Dank  erkennen  daß  der  Herr  alles  wohl  gemacht  habe. 

Die  verwichene  Carwoche  war  uns  allen  sehr  feyerlich,  ich 
war  in  beynahe  zweyen  Jahren  nicht  zu  Heydelberg  und  Mann- 
heim gewesen,  ich,  meine  Frau,  die  Caroline,  Malchen,  und  Tinchcn 
fuhren  also  den  Dienstag  hin  und  kehrten  bey  unserem  Schwarz 
ein.  Den  Mittwochen,  wurde  unser  Friedrich,  nebst  noch  einem 
gewissen  Marillac  von  Dtllenburg,  der  auch  bey  Schwarz  im 
Instihit  war,  in  der  heiligen  Geist  Kirche  von  Herrn  Inspcctor 
Bahr  in  unserer,  H.  Kirchenrath  Miegs,  einiger  Aelteslen,  und 
noch  anderer  angesehenen  Personen  Gegenwart  sehr  feyerlich 
confirmirl.  Ich  habe  nie  einer  so  rührenden  Scene  beygewohnt 
Bahr  ist  ein  vortreflicher  Mann,  dem  es  recht  darum  zu  thun  ist, 
Christo  Seelen  zu  gewinnen.  Den  Carfreytag  communizirlen  wir 
mit  einander  und  ich  hatte  das  hohe  Vergnügen  den  Friedrich 
zum  Altar  zu  führen,  und  Bahr  brach  uns  beyden  das  Brod  zu- 
gleich. Den  Samstag  fuhr  ich  am  Abend  mit  meiner  Frauen 
und  Tinchen  nach  Mannheim  (!),  mein  Sohn  und  die  liebe  Malchen 
empfiettgen  uns  mit  ihren  fünf  Kindern  mit  lautem  Jubel  in  der 
Hausthür.  Den  ersten  Ostertag  waren  wir  ruhig  beysammen,  den 
Ostermontag  Morgen  kam  Hannchen  mit  der  Caroline  und  dem 
Friedrich  von  Mannheim  (!),  und  den  Mittag  nach  Tisch  kam  auch 
Schwarz  mit  seiner  Mutter,  und  seinen  acht  Kindern.  Da  hatten 
wir  nun  unsre  ganze  Familie  beysammen,  unsre  6  Kinder,  Schwieger 
Sohn  und  Schwieger  Tochter,  und  alle  13  Enkel.  Sie  stellten 
sich  alle  in  Kreysen  vor  uns  hin  und  setzten  mir  und  meiner 
Frauen  einen  Lorbeer  Kranz  auf.  Eine  herzerhebende,  durch 
Mark  und  Bein  gehende  Scene.  Dann  reisten  die  Heydelberger 
wieder  fort,  und  den  Dienstag  fuhren  wir  dann  wieder  hierher. 


374  Rudoli  Homburg. 


Die  Hebe  Malchen  siehl  zwar  ziemlich  gul  aus,  aber  wir  ver- 
muthen  alle,  daß  es  doch  in  Länge  nicht  gut  Ibun  wird,  denn 
sie  ist  sehr  schwächlich.  Ihre  Umstände  sind  noch  immer  nicht  f 
besser,  er  ist  Hofgerichts  Rath,  und  einer  von  den  Aeltesfen,  es 
wird  auch  immer  von  Besoldungs  Erhöhung  gesprochen,  aber 
der  Krieg  verhindert  die  Ausführung,  indessen  wird  es  doch  auch 
am  Ende  dazu  kommen.  Der  Jakob  erzieht  seine  Kinder  vor- 
treflich,  es  ist  eine  Freude  da  zu  seyn.  Das  Christcnthum  ist 
in  dieser  lieben  Familie  herrschend.  Auch  im  Schwarzischen 
Hauß  in  Heidelberg  ist  es  eben  so.  Wenn  Dein  Enkelsohn 
nach  Heidelberg  geht,  so  schreibe  doch  an  Schwarz,  daß  er  sich 
seiner  annimmt 

Mit  meiner  Frauen  gehts  etwas  erträglicher,  sonst  hätte  sie 
die  Reise  nicht  mit  iins  machen  können.  Die  Caroline  leydet 
auch  immer  sehr,  besonders  am  Zahnweh,  und  Krampfhusten. 
Sie  wächst  am  innem  wahren  Chrislenthum  sehr,  und  ist  eine 
von  Qott  begnadigte  Seele.  Dies  kann  ich  auch  von  meiner 
Frauen  sagen  und  die  beyden  jüngsten  treten  treulich  in  ihre 
Fußslapfen.  Wir  führen  ein  himmlisch  Leben  zusammen,  Gott 
sey  Lob  und  Dank! 

Wie  sehr  wünschten  wir  Dich  und  dein  liebes  Jettchen 
einmal  bey  uns  zu  haben.  Der  gute  Qott  wolle  es  docli  ein- 
mal niöghch  machen.  Wir  denken  oft  mit  heißer  Liebe  an  Dein 
Töchterchen,  und  ich  bitte  Gott,  daß  Er  diesem  lieben  Kinde 
seinen  heiligen  Geist  schenken,  und  es  Dir  und  uns  allen  zur 
Freude  seegnen  wolle.  Küsse  es  herzlich  von  uns  allen.  Wir 
alle  grüßen  Dich  mit  innigster  Liebe.     Dein 

treuster  Bruder 
Jung  gt.  Stilling 

viir 

Carlsruhe  2S.  7br.  1810. 
Meine  Iheuersle  und  innigst  geliebte  Schwester! 

Verzeyhe  daß  ich  Dir  so  selten  schreibe,  es  ist  warlich 
nicht  Mangel  an  Liebe,  die  Menge  der  Briefe  die  ich  noihwendig 
beantworten  muß  und  meine  übrigen  Geschäfte  ennüden  mich 
so  daß  ich  Abends  auf  dem  Sofa  ausruhen  muß.     Dazu  kommt 


d 


Dreizehn  Brief«  von  Jutig-StiUing. 


dann  auch  das  Alter,  denn  ich  habe  nun  das  Tisle  Jahr  ange- 
tretten.  Für  Deinen  treuen  schwesterlichen  Wunsch  danke  ich 
Dir  mit  gerührter  Seele,  der  Herr  erfüJIie  ihn!  Dich  aber  wolle 
Er  auf  Deiner  schweren  und  einsamen  Pilgerbahn  gnädig  und 
väterlich  leiten  bis  zum  glänzenden  Ziel.  Dort  werden  wir  uns 
Seiner,  auch  noch  so  harten  und  schweren,  Führung  höchlich 
freuen.    Amen ! 

Der  Geist  unseres  Herrn  Jesu  Christi  sey  Dein  Lehrer  in 
aller  Wahrheit,  Dein  Führer  auf  Deinem  Lebenswege,  Dein  Tröster 
im  Leyden,  Dein  Licht  in  der  Dunkelheit,  Dein  Vollender  bis 
zur  Siegeskron,  und  Dein  Heiligmacher  durch  das  Blut  des  Er- 
lösers!    Ich  küsse  und  umarme  Dich  im  Ceisl  als  Dein 

ewig  treuer  Bruder. 

Meine  Frau  schickte  mir  ihren 

beyliegenden  Brief  hierher 

ins  Schloß,  ich  mußte  ihn  wieder 

aufbrechen,  und  anders  falten,  damit 

er  ins  Paket  passen  möchte. 

IX 

Carlsruhc  25.  7br.  1510. 
Mein  liebes  Herzens  Jettchen! 
Ich  danke  Dir  recht  herzlich  für  Deinen  lieben  Wunsch 
zu  meinem  Geburtstag.  Der  liebe  Gott  schenke  Dir  Gesundheit; 
sey  hübsch  fromm  und  gehorsam  Deiner  lieben  Mutter,  habe 
auch  den  Herni  jesum  lieb,  denn  Er  liebt  die  Kinder,  und  auch 
mein  liebes  Jcttchen  recht  herzlich,  Frage  immer  die  Mutter, 
was  wohl  der  Herr  Jesus  gern  hätte  daß  Du  thun  sollst.  Das 
thue  dann  hübsch,  und  bäte  fleißig.  Ich,  die  liebe  Tante,  Deine 
Cousinen,  und  der  Vetter  Friedridi  grüßen  Dich  herzlich.  Ich 
liebe  Dich  herzlich  als  Dein  treuer  Onkel 

Jung  Stilline 

X 

Carlsruhc  d.  25sten  April  1811. 
Meine  thcuerete  innigst  geliebte  Herzens  Schwesterl 
Du  sowohl  als  der  Herr  Oberhofralh  Pidcrit,»)  Ihr  Beydc 


I)  Pbll.  Jikob  Pld«rti  war  Obcrhotral  and  Uitnni  Ott  Kurttnien. 


Rudolf  Homburg. 


beurtheilt  den  Canzley  Holm  ganz  richtig:  gleich  von  seinem 
ersten  Brief  an  schien  er  mir  ein  unruhiger  Mann,  voller  Präten- 
sion an  Andere  zu  seyn.  Doch  wir  wollen  nicht  lieblos  Ober 
ihn  urtheilen.  Man  hat  ihn  in  Dänemark  schrecklich  hart  be- 
handelt Diese  Behandlung  hat  er  drucken  lassen,  und  die 
Dänische  Regierung  schxpeigt  dazu,  da  muß  etwas  vorge- 
gangen seyn,  das  weder  Heim  noch  der  Dänische  Hof  oeffenilich 
sagen  darf,  was  ich  vtrmulhet,  das  darf  ich  dem  Papier  nicht  an- 
vertrauen. Er  schrieb  mir  ein  [er?]  wollte  ein  Buch  drucken  lassen, 
das  Erbauung  stiften  sollte.  So  wie  er  es  mir  damals  angab. 
so  hatte  ich  nichts  dagegen,  um  ihm  Subscribenlen  zu  verschaffen; 
im  letzten  Brief  aber  schickt  er  mir  nun  die  Ankündigung,  die 
ich  im  24slen  Stück  des  grauen  Mannes  einrücken  soll.  Da 
finde  ich  nun  daS  er  seine  Erbauungslehren  auf  That- 
sachen  aus  seiner  Geschichte  gründen  will.  Davon  bin 
ich  aber  weit  entfernt;  bewahre  mich  der  Herr  daß  ich  an  seiner 
Privatsache  Theil  nehmen,  und  mir  den  Dänischen  Hof  auf  den 
Hals  laden  sollte.  In  einliegendem  Brief  habe  ich  das  Alles 
christlich,  briiderlich,  und  liebreich  auseinander  gesetzt,  und  ihm 
feierlich  erklärt,  daß  ich  auf  die  Weise  nie  auf  die  entfernteste 
Art  an  seinen  Schriften  und  an  seinen  Angelegenheiten  Theil 
nehmen  könnte. 

Du  kannst  also  versichert  seyn,  Herzens  Schwester!  daß 
ich  mich  fernerhin  ganz  und  gar  nicht  mehr  mit  Ihm  einlassen 
werde.  -  Wir  wünschen  so  sehnlich  wie  Du,  daß  uns  der 
Herr  doch  noch  einmal  zusammenführen  möchte,  allein  wir 
[müssen]  das  der  Führung  Seiner  Vorsehung  überlassen;  Du 
wdßt,  ich  reise  nie  als  wenn  mich  der  Herr  ruft.  Innerhalb 
vier  Wochen  werden  wir  auf  einige  Wochen  ins  Elsas  jensdt 
Strasburg,  ins  Vogesische  Gebürge  reisen,  wo  ich  Operationen  zu 
machen  habe;  meine  Frau  [wird]  da  eine  Milch-  und  Kräutercur 
brauchen,  Caroline  gehl  zu  ihrer  Aufwartung  mit  Die  beyden 
jüngeren  Malchen  und  Tinchen  bleiben  so  lange  im  Oraimber- 
gischen  Institut,  und  der  Friedrich  ist  bey  seinem  Bruder  in 
Rastadt,  ^)  wo  er  sein  Studiren  fortsetzt;  er  hat  nun  gesehen,  dafi 
die  Handlung  nicht  für  ihn  ist. 

)  äülliotk  Stihn  jtliob  TU  ron  Muuihejm  nach  R.  mscbi  «ordcn. 


Dreizehn  Briefe  von  Jung-StilUng, 


Es  freut  uns  recht  sehr,  daß  Dein  Jeltchen  Dir  Freude 
macht,  und  daß  die  Religion  Wurzel  in  ihrem  Herzen  schlägt. 
Man  empfindet  ihr«n  Werl  nie  stärker  als  im  Leyden.  Das 
hast  Du  nun  auch  erfehren.  Mein  Leben  war  immer  ein  Weg 
durch  den  dunkeln  Glauben  —  auch  da  zu  glauben,  wo  man  keine 
Hand  vor  Augen  sieht,  und  dies  ist  auch  jetzt  noch  immer  der  Fall, 
aber  ich  weiß  der  Herr  wird  mich  in  meinem  hohen  Alter  nicht 
stecken  lassen.  Ich  bin  im  71stenjlahr,  und  hab  im  eigentlichen 
Sinn  nie  Mangel  gehabt.   Hallcluja!    Er  sey  gelobt  und  verherrlicht! 

Oröße  H.  O.  H.  R.  Pidcrit  recht  herzlich  von  mir,  auch 
bey  Gelegenheit  Deine  Kinder  und  Kindes  Kinder.  Wir  alle 
grüßen  und  küssen  Dich  und  Dein  Jettchen  mit  ewiger  Liebe. 
Dein  treuster  Bruder 

Jung  Stillin  g 

XI 

CarlsTuhe  d,  24steii  ^br.  1812. 

Ich  danke  Dir  herzlich  theuere  Schwester!  für  Deine  Er- 
innerung an  uns,  an  unserm  23sten  Hochzeilstag,  für  Dein  Oebät 
für  uns,  für  Deine  Liebe  und  Treue.  Was  ich  an  Euch  Ge- 
schwistern gethan  habe,  war  weiter  nichts  als  Pflicht,  und  unser 
Herr  sagt,  wenn  ihr  weiter  nichts  gethan  habt,  als  was  ihr  zu  Ihun 
schuldig  seyd,  so  sagt:  wir  sind  unnütze  Knechte,  wir  haben  gethan, 
was  wir  schuldig  waren.  Nächstens  ist  auch  Dein  Geburtstag; 
der  Herr  seegne  Dich  von  den  ewigen  HQgeln  mit  allen  leiblichen 
und  geistlichen  Segen,  und  schenke  Dir  und  Deinem  lieben  Jettchen 
Frieden  und  Freuden;  besonders  befördere  Er  in  Euch  Lieben  das 
Werk  der  Heiligung  durch  Seinen  Geist  Grüße  den  lieben  Super- 
intendenten Rommelj  und  auch  H.  G.  R.  Piderit  herzlich  von  uns. 

Wir  hangen  auch  wieder  recht  am  Glaubens- Faden,  aber 
der  Herr  der  mir  von  Jugend  auf  durchgeholten,  wird  mich  in 
meinem  hohen  Alter  nicht  stecken  lassen.*) 

Wir  Alle  grüßen  Dich  recht  herzlich.    Ewig  Dein 
Kuß  und  Gruß  dem  treuer  Bruder 

lieben  Jettchen  von  ihrem  Jung  Stilling 

____^__     <"»cl<- 

'l  Vermullich  m  bnifhm  wl  LlmitiDclF,  dl*  der  Tod  des  OroBIwriop  Kwl  Friedrieb 
fOr  JnnE-Stilllns  mll  ilch  irhnKht. 

Afchiv  f&r  KultursHchlchte.  U.  2^ 


378  Rudolf  Hombui^. 


XII 

Carlsnihe  d.  3tcn  Sbr.  1815. 
Meine  theuersle  und  innigst  gelieble  Schwester! 

Herzlich  danken  wir  Alle  Dir  für  Deine  Liebe,  der  Herr 
wolle  Dich  dafür  «egnen,  und  Dir  seinen  erhabenen  Frieden, 
der  über  alle  Vernunft  geht,  nie  feien  lassen.  Du  wiret  denken, 
wir  seyen  lau  oder  gar  undankbar,  daB  wir  Dir  nicht  eher  auf 
Deinen  so  lieben  herzlichen  Brief  geantwortet  haben,  aber  wir 
erhielten  Dein  liebes  angenehmes  Geschenk  erst  vor  einigen  Tagen. 

Für  die  Nachrichten  alle  die  Du  uns  von  Marburg  und 
sonst  mittheilsl,  danken  wir  Dir  auch  herzlich,  Du  wirst  wohl 
wissen,  daß  die  Cousine  Eisenträger  wieder  in  Marburg,  und 
zwar  bcy  der  Frau  von  Bode,  gebohmc  Soober,  wohnL  Von 
der  Gräfin  Reventlow  weiB  ich  jetzt  nichts,  sie  schreibt  mir  nur, 
oder  läßt  nur  schreiben,  wenn  Sie  etwas  von  mir  verlangt.  Ich 
habe  seit  ein  Paar  Jahren  nichts  von  ihr  gehört,  ich  glaube  aber, 
daß  sie  noch  lebt.  fl 

Kirchhofer  ist  gesund,  glücklich  und  brav  mit  seiner  Fran 
und  Kindern,  er  ist  Pfarrer  zu  Stein  am  Rhein,  zwischen  Con- 
stanz  und  Sdiafhausen ;  sein  alter  Vater  lebt  noch,  er  geht  noch 
etliche  Meilen  weil  zu  Pu6  zu  seinem  Sohn,  und  predigt  aucb 
noch  wohi  für  ihn. 

Das  Schatzkäsitein  ist  noch  nicht  gedruckt,  ich  glaube  aber, 
daß  es  doch  noch  geschehen  wird.  ^ 

Daß  meine  Schriften  nicht  alle  in  Kunkcls  Bibliothek  waren, 
kommt  wohl  daher,  daß  er  sie  der  Kurfürstin  brachte,  die  sie 
dann  wird  behalten  haben.  ^| 

Orüße  Deine  lieben  Kinder  alle  für  uns,  besonders  Dein 
liebes  Jetlchen.  Ich  bitte  Dich,  halte  Wort,  und  komme  einmal 
zu  uns.     Gruße  auch  alle  Deine  Freunde.     Ewig  Dein 

treuer  Bruder 
Jung  Slilling 

XIII 
Carlsnihe  d.  ZSsten  9br.  ISIS. 

Meine  theuerste  und  innigst  geliebte  Schwester! 
Ich  danke  Dir  von  Herzen  und  von  Grund  meiner  Seelen' 
für  Dein  liebes  Andenken  an  unserer  Silbernen  Hochzeil    Unser 


d 


Dreizehii  Briefe  von  Jung-Stilling;. 


Weg  war  schwer  diese  25  Jahre  durch,  Du  erinrtenl  Dich  wohl 
noch  meines  Gleichnisses,  wenn  ich  sagte:  meine  Haushaltung 
sey  gleich  einem  schwer  beladenen  Güterwagen,  der  langsam 
durch  gute  und  schlimme  Wege  fortkracht,  aber  doch  dem  Ziel 
immer  näher  kommt,  und  nirgends  stecken  bleibt,  so  giengs 
auch  fort  bis  daher.  Ich  habe  nun  mein  76stesjahr,  und  meine 
Frau  schon  im  Frühjahr  ihr  60stes  angetrettcn.  Mein  Magen- 
krampf hat  sich  seit  im  Herbst  wieder  eingestellt,  indessen  das 
hindert  mich  nicht  sonderlich  an  meinem  Bemf,  außer  dem  bin 
ich  noch  wie  vor  25  Jahren.  Die  Führung  des  Herrn  ist  seit 
anderthalb  Jahr  her  wieder  außerordentlich  heilig  und  hehr  ge- 
wesen. Zu  seiner  Zeit  wirst  Du  Alles  erfahren.  Jetzt  ist  es 
noch  zu  früh,  noch  nicht  alles  reif. 

Du  feyerel  nun  auch  nächsten  Sonntag  Deinen  Geburtstag. 
Dir  hat  der  Herr  auch  bisher  —  aber  durch  schwere  Proben 
geholfen.  Er  wird  auch  femer  helfen,  solche  Proben  sind  uns 
nöthig,  damit  vir  immer  bewährter  werden.  Der  Herr  seegne 
und  behüte  Dich,  der  Herr  EaJS  leuchten  sein  Angesicht  über  Dir, 
und  sey  Dir  gnädig,  der  Herr  erhebe  sein  Antlitz  über  Dich 
und  gebe  Dir  Frieden. 

Es  ist  uns  lieb,  daß  Du  den  Berggarlen  behältst.  Meine 
Frau  wird  Dir  nächstens  schreiben.  Grüße  Dein  liebes  Jettdien, 
und  wen  Du  sonst  noch  von  uns  gegrüßt  haben  willst.  Wir 
alle  grüßen  und  umarmen  Dich  mit  innigster  Liebe.  Ewig  Dein 
treuer  Bruder  Jung  Stilling 


24' 


C  P.  Tiüt.  OrundzüfTc  der  RellgflonsrtwemdMft-  Etne  Iniiz- 
gefaßte  Einfühmng  in  das  Studium  der  Religion  und  Hirer  Gcsdiiditc 
Deutsche  Bearbeitung  von  P,  Oehrich.  Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr,  19*4, 
(VII,  70  S.). 

Der  bekannte,  1902  leider  verstorbene  holländische  Rellgiom- 
historika-  C.  P.  Tide,  Professor  in  Lcydcn,  der  hochverdiente  Verfasser 
der  Oeschidite  der  Religion  im  Altertum,  deren  deutsche  Übeisetmng 
von  P.  Gehrich  den  Lcsmu  dieser  Zeitschrift  bekannt  sein  wird  (vgl. 
Zeitschr,  f.  Kullurgesch.  V,  llti.),  hat  den  reichen  Ertrag  seiner  rehgions- 
philosophischen  Studien  in  einer  Reihe  von  ?0  Qifford-Iectures  nicder- 
gd«gl,  die  derselbe  Übersetzer  unter  dem  Titel:  .rEinleitung  in  die 
Religionswissenschaft",  Gotha  1899-1901,  verdeutscht  hat.  Eine  kurze 
Zusammenfassung  und  in  mancher  Hinsicht  eine  Ergänzung  bieten  die 
knappen  Paragraphen,  die  Tiele  seiner  Vorlesung  über  Religion sphilosophie 
zugrunde  legte  und  die  er  noch  kurz  vor  seinem  Tode  herausgegeben 
hat.  Es  ist  dn  wirkliches  Veniienst,  das  sich  P.  Gehrich  dadurch  enrorben 
hat,  daß  er  auch  diese  vortreffliche  Orientierung  einem  weiteren  deutschen 
Leserkreis  zugänglich  gemacht  hat.  Die  Übersetzung  liest  sich  gut;  nur 
S.  53.  Z.  3  fcliU  wohl  ein  >als-. 

Tieles  Gesamtauffassung  zeugt  ebenso  von  sicherern  Bücic  und 
nüchterner  Besonnenheit  wie  von  gediegener  Gelehrsamkeit:  er  sucht  alle 
Einseitigkeiten  zu  vermeiden,  unparteiisch  aus  der  Fülle  der  religiösen 
Erscheinungen  das  wesentliche,  allgemeingültige  herauszufnden  und  auch 
für  das  wechselnde  eine  gewisse  Oeselzmaßigkeit  nachzuvcisen  Sein 
Standpunkt  ist  am  besten  durch  seine  Antwort  auf  die  f^rage  nach  dem 
Ursprung  der  Religion  bezeichnet,  S.  (it>:  «Alles  Endliche  lOTit  der 
Mensch  erst  durch  Erfahnmg  kennen,  das  Unendliche  hal  et  in  sidi. 
Nur  oberflächlicher  Malerialismus  oder  Rationalismus  kann  dies  dne 
Illusion  nennen.'  Das  wesentliche  an  der  Religion  ist  ihm  die  Frömmig- 
keit, d.  h.  das  Menschlich'subjektive  (S.  62),  aber  er  «riß  doch,  daß 
Religion  erst  zur  vollen  Entfaltung  komml  in  der  Reziprozität  des  Ver- 
kehrs mit  Gott,  bei  dein  der  Mensch  mehr  empfingt  als  gibt  (insofern 
ist  das  Siebecks  Behaiiphjng  (aber  die  Wechselwirkung  zwischen  Rdi^oo 
und  Religiosität  entgegengestellte  Bild  von  Schale  und  Kern  nicht  ganz 
Eutrcffend).    Auch  Tiele  gibt  eine  feinsinnige  Unterauchung  der  religiösen 


I 


Besprechungen. 


Bildersprache,  aber  im  Unterechied  von  der  realistischen  Morphologie 
der  Kulteedanken  bei  Dieterich,  MithnisUturgie,  betont  Tiele  gerade  den 
BildcharaJrtcr  und  legt  den  Nachdruck  au!  das  Innere  Wesen  des  Ge- 
dankens, nicht  die  Form  der  Darstellung.  Im  G^ensatz  zur  rein  empirisch- 
statistisch  vorgehenden  Religion^ Wissenschaft  behauptet  Tiele  eine  in  der 
Geschichte  der  Religionen  sich  vollziehende  Entwicklung  der  Religion 
des  Menschen  oder  der  Menschheit  als  von  Natur  religiöser.  Dabei 
wird  aber  der  Begriff  der  Entwicklung  nicht  meiihanisch-evolutionistisch, 
sondern  durchaus  sachgemäß  angewendet.  Tiele  kennt  das  Gesetz  des 
Gleichgewichts  {als  Umbildung  des  Johnsonscheu  Gcsebes  vom  t-'ort- 
schritt  durch  Reaktion).  Neben  der  Stufenfolge  der  Religionen  nimmt 
er  noch  Religionsfamilicn  an,  die  teils  auf  Volks-  und  Sprachverwandt- 
schaft beruhen,  teils  aus  Spaltung  vorhandener  Religionen  hervorg^angen 
^nd.  Nur  in  dem  Beispiel  hierfür  scheint  er  uns  nicht  gißcklich:  er 
liSt  aus  dem  Christentum  dureh  Spaltung  erst  den  orientalischen  und 
den  occi den lali sehen  Zweig  hervorgehen  nach  dem  Gegensatz:  orthodoxe 
Lehre  und  praktische  Weltherrschaft,  dann  letztere  sich  auf  Gnmd  de« 
Gegensatzes  von  Einheit  und  Individualismus  in  römischen  Katholimmus 
und  Protestantismus  spalten.  Der  römische  Katholizismus  lint  aber  doch 
mit  dem  griechischen  eine  Grundlage  gemein,  die  der  Protestantisraus 
ganz  ablehnt.  Das  Beispiel  ist  lehrreidi  dafür,  wie  kern pl liniert  solche 
Falle  sind:  so  gewiß  der  Protestantismus  nur  von  der  abendländischen 
Abzweigung  aus  veiständlich  wird,  gehen  seine  tiefsten  Wurzeln  doch 
noch  aber  jene  erste  Spaltung  hinaus:  es  ist  ein  neuer  Wurwilricb;  und 
doch  war  es  ein  Irrtum,  wenn  die  Reformatoren  glaubten,  der  griecliischcn 
Kirche  als  dem  ältesten  Zweig  näher  zu  stehen. 

von  Dobschütz. 

Gco  Frh.  r.  Hertling.  Augustin.  Der  Untergang  der  antiken  Kultur 
(Weltgeschichte  in  Charakterbildeni.  1.  Abtl.  Altertum)  Mainz,  Kirch- 
heim, 1902  (IV,  112  S.). 

Atigustins  Lebensbild  auf  dem  Hintergrund  der  eigenartigen  Kultur 
jener  Zeit,  des  Unterganges  der  antiken  Kultur,  zu  zeichnen,  ist  eine  reiz- 
volle Aufgabe;  aber  überaus  schwierig  ist  es,  die  bunlbew^e,  von  den 
gewaltigsten  Erschütterungen  des  ganzen  Slaatslebens  durchwühlte  Zeit- 
geschichte mit  dem  Leben  eines  Mannes  zu  verbinden,  an  dem  die  grollten 
politischen  Ereignisse  fast  spurlos  vorii hergegangen  sind,  desen  ganze  Be- 
deutung auf  dem  Gebiete  des  Kirchlichen,  der  Theologie  und  der  Frömmig- 
keit, liegt  Hertling  hat  sich  bemüht,  dieser  Doppelaufgabe  gerecht  zu 
werden:  er  erzählt  zugleich  Auguslins  Leben  und  die  Geschichte  des 
rßtnischen  Reiches  von  Julians  Tod  bis  zum  Einfall  der  Vandalen  in 
Afrika.  Aber  man  kann  nicht  sagen,  daß  es  ihm  gelungen  sei,  der  darin 
Uzenden  Schwierigkeiten  ganz  Herr  zu  werden.  Er  nimmt  die  Bio- 
graphie zum  leitenden  Motiv  und  teilt  das  Ganze  in  die  4  Abschnitte: 
1.  Augustins  Gcistc^:ang  bis  zu  sdner  Bekehrung;   2.  Die  Zeit  der  Vor- 


F 


3S3  Besprediungea 


bereitung.  Auguslins  Philosophie;  3.  Die  Kirche  in  Afrika.  Augustinus 
ab  Lehrer  und  Verteidiger  des  katholischen  Dogmas;  4.  du  Ende  des 
Heidentums  und  der  Unlerging  des  west-römiächen  Reichs.  Augustitis 
Werk  vom  OotlessUat.  Sdion  diese  Überschriften  zeigen  zur  Ocnügc 
das  Schwankende  in  der  Behandhing  von  Vorder-  und  Hintergrund. 
Innerhalb  der  einzelnen  Teile  wird  der  Ltser  fortwahrend  hin  und  her 
geworfen.  Oft  sind  es  nur  ganz  lose  Idecnauoziationen,  welche  die 
Unlerldle  miteinander  verlcniäpfen :  nnc  Äußerung  des  Pauhn  von  Noia 
über  Augustins  ßisdiofswah!  führt  auf  den  Verkehr  mit  dieaeni  Dichter, 
bei  Gelegenheit  des  pelagtanischen  Streites  werden  die  Beziehungen  zu 
Hieronyniuä  ei ngefloditcn ,  statt  daB  uns  dieser  ganze  kulturgcsdiicbtlich 
so  interessante  Literalenltreis  mit  sdnen  eifrigen  Korrespondenzen,  sanen 
wissenschaftlichen  Interessen  und  kleinen  persönlichen  Reibereien  im 
Zusammenhang  vorgeführt  würde.  Am  meisten  leidet  atier  bd  dieser 
Behandlung  die  Persönlichlcd  t  Augustins  selbst.  Von  ihrer  Oröftc  und 
fiberragenden  Bedeutung  ist  zwar  viel  die  Rede,  aber  worin  sie  dgentlich 
besteht,  erfährt  der  Leser  iuum  Den  Eindruck  des  Gesch  Josse  neu  macht 
der  Abschnitt  über  Augustins  Philosophie,  der  bei  der  unmittelbar  auf 
die  Belcehrung  folgenden  Periode  stiller  Sammlung  eingeschoben  «nrd: 
hier  ist  Hcrtling  offenbar  auf  sdnem  Feltle.  Aber  Augustins  Theologie 
erschein!  nur  in  den  Auseinandersetzungen  mit  den  verschiedenen 
■Häresien".  Das  eigenartig  Neue  in  der  frommen  Stimmung  und  in  dem 
theologischen  üenicen  Augustins  kommt  dabei  nirgends  zur  Odtung  und 
kann  es  nicht;  denn  Augustins  Bekehrung  ist  für  Hcrtling  »der  Willens- 
ertschluö,  sich  der  Autorität  der  Kirche  za  unlencerfen*  S.  37,  und  in 
seiner  Irinilafischen  Spekulation  .will  Auguslin  doch  nur  die  Lehre  der 
Kirche  vortragen«  S.  ^5.  Will  man  einen  wirklichen  Eindruck  von 
Augustin  erhallen,  so  wi^d  man  ihn  besser  als  bei  Hertling  in  dem  be- 
treffenden Abschnitt  des  3.  Bandes  von  Hamacfcs  groß«  Docmcn- 
geschichte  empfangen,  der  in  seiner  wundervollen  Sprache  auch  weit  mehr 
von  der  glühenden  Beredsamkeit  des  großen  Afrikaners  an  sich  hat  als 
der  etwas  nüchterne  Ton  des  neuesten  Biographen.  So  lose  wie  die 
Zeitgeschichte  ist  mit  diesem  Charakterbild  die  Illustration  verknüpft,  die 
tdU  den  Fresken  zyklus  aus  dem  Leben  Augustins  von  Benozzo  Gozzotl 
und  andere  Augustinbilder  des  Mittdallers,  teils  Kaisemiünzcn  und 
allerlei  Archäologisches  aus  Nordafrifca  bietet. 

von  Dobschfltz. 


Moriz  Hcjuc.  Fünf  Bücher  deutscher  Hausailertümer  von  den 
ältesten  Zeiten  bis  zum  16.  Jahrhundert.  Cin  Lehrbuch.  III.  Band. 
Körperpflege  und  Kleidung.  Mit  96  Abbildungen  im  TexL  Leipzig, 
S.  HirecL    1901,    (J75  Sdten.) 

Wenn  Moriz  Heyne  einen  neuen  Band  sdner  .Hausallertfimer* 
vorlegt,  so  bedeutet  dos  jedesmal  dn  Erdgnis  für  die  deutsche  Altertums- 


Besprechungen. 


vissenschsft.  c4n  Ereig^nis,  dessen  Bedeutung  wohl  nur  diejenigen  ganz 
erfassen  können,  die  sich  selbst  bestreben,  die  deutsche  Archäologie  zu 
der  ihr  gebührenden  Anerkennung  innerhalb  aller  der  Disiziplinen,  die 
sich  mit  der  Vergangenheit  des  deutschen  Volkes  beschifligen,  bringicn 
zu  helfen.  Jeder  neue  Band  ist  von  höchster  prinzipieller  Bedeutung, 
er  *irlrt  wie  ein  siegtiafter  Feldzug,  der  dem  Reiche  der  deuisctieii  Alter- 
tumswissenschaft neue  Anhinger  gewinnt,  und  das  teste  daran  ist,  daß 
dieser  Erfolg  in  keiner  Weise  bestritten  werden  kann.  Nicht  durch  lange 
theoretische  Auseinandersetzungen  hat  Heytie  eä  versucht,  seine  An- 
schauung von  dem  Wissenschaft]] dien  Betriebe  der  deutschen  Archäologie 
zur  Qeltung  zu  bringen,  sondern  er  hat  dazu  den  weitaus  erfolgreicheren 
Weg  gewählt,  indem  er  mit  einem  umfangreichen  Ijchrbuche  einen  großen 
Teit  der  Altertumskunde,  nämlich  die  Hausallertümer,  selbst  in  Arbeit 
nahm  und  damit  ein  Werk  schuf,  welches  für  die  wissenschaftliche  Be- 
handlung der  übrigen  Teile  der  Archäologie  als  Vorbild  dient  und  sich 
den  zum  Muster  genommenen  «Deutschen  Rechtsallertümem*  von  Jakob 
Qrimm  würdig  an  die  Seile  stellt. 

Das  Charakteristische  in  Heynes  wisscnschafllichcr  Art  besteht  in  der 
Vereinigung  der  äußeren  Denkmäler  mit  dem,  was  die  sprachlichen  und 
literarischen  Quellen  zur  Erläuterung  jener  Denkmäler  zu  sagen  haben, 
und  in  dieser  Art  beruht  zugleich  die  große  prinzipielle  Bedeutung  der 
■Hausallertümer".  Denn  es  werden  auf  diese  Weise  aJIc  diejenigen,  die 
die  äußeren  Denkmäler  behandeln,  nachdrQckiich  darauf  hingewiesen, 
daß  für  sie  die  germanistischen  Kenntnisse  ebenso  sehr  wie  die  geschicht- 
lichen unentbehrlich  sind.  AuSerdem  aber  wird  der  unlösliche  Zusammen- 
hang zwischen  prähistorischer  und  deutsch-archäologischer  Forschung  in 
der  augenscheinlichsten  Weise  dargetan,  ein  Zusammenhang,  der,  so  selbst- 
«-enländlich  er  auch  ist.  doch  vielfach  sogar  von  kenntnisreichen  Männern 
geleugnet  wird.  Somil  bildet  Heynes  Buch  nidit  nur  ein  Programm  für 
die  wissenschaftliche  Behandlung  der  deutschen  Altertümer,  sondern  eben- 
sosehr auch  für  die  auf  sie  bezügliche  Sainmelllätigkeit,  das  heißt  für  die 
Arbeit  der  historischen  Museen. 

Damit  habe  ich  nun  schon  die  Gründe  dargelegt,  aus  denen  ich 
auch  dem  vorliegenden  dritten  Bande  ebenso  wie  den  beiden  vorher- 
gehende» die  weiteste  Verbreitung  wünsche.  Eine  Inhaltsangabe  des 
Buches  zu  versuchen,  ist  bei  der  überaus  großen  Menge  von  Einzelheiten, 
aus  denen  es  sich  mosaikartig  zu  einem  großen  Bilde  zuMmmensetxt, 
fast  unmöglich.  Ich  muß  mich  drahalb  darauf  beschränken,  mitzuteilen, 
daß  der  erste  Abschnitt  über  die  Körperpflege  zunächst  die  äußere  Er- 
scheinung, dann  die  Sorge  für  die  Gesundheit,  die  Reinlichkeit  und  Zier- 
lichkeit und  endlich  die  Krankheiten  und  deren  Heilung  behandelt, 
wfthrend  der  zweite  Abschnitt  über  die  Kleidung  zuerst  die  Stoffe  und 
ihre  Bereitung,  danuf  die  einzelnen  Kleidungsstücke  und  ihren  Schnitt, 
zuletzt  aber  den  Schmuck  bespricht    Alle  diese  Gebiete  sind  soweit  be« 


I 


riicleidtfi|{1  vordeti,  als  sie  Teile  der  Hausalferlümcr  bilden.  Das  vcr- 
stehl  sich  nach  dem  Tilel  des  Oesamtwerkes  eigenllich  von  s;^!)«!-  Troti- 
dem  ist  es  vielleicht  nicht  nutzlos,  susdrijcklich  darauf  hinzuvctsen, 
damit  di«  Fminde  der  deutschen  ATchäologie  nicht  etva  meinen,  daB 
nach  Heynes  trcfnicliem  Werke  Fdr  sie  auf  manchen  bcröhrtcn  Oebteten 
Tiiclits  mehr  zu  tun  fibrig  bliebe.  So  macht  das  Kapitel  Qber  die  iußere 
Erscheinung  nicht  etwa  eine  Monographie  Überflüssig,  die  neben  dem 
deutschen  Lande  auch  die  Leute  tiehandeln  wollte.  Ebenso  biete!  der 
§  5  .Krankheiten  und  deren  Heilung"  nicht  etwa  eine  Geschichte  der 
Medizin  im  modernen  Sinne,  sondern  es  handelt  sich  dabei  nur  um  dne 
Erklärung  der  populären  Krankhcitsbezeichnungen  und  der  ihnen  ni- 
gninde  liegenden  Anschauungen  sowie  um  die  Behandlung  der  Qestind- 
heitsrcgeln,  die  .teils  auf  praktischen  fJeobachtungen  Ixrriihen  und  sozu- 
sagen votksmäßjg  sind,  teib  aber  auch  den  Niederschlag  gdchrtti 
medizinischer  Lehren  bilden"  (S.  104).  Die  Geschichte  der  Medizin  als 
Wissenschaft  liegt  selbstversländlidi  außerhalb  des  von  Heyne  zu  be- 
handelnden Gebietes,  sie  wird  nur  dann  gestreift,  wenn  sie  zur  Erklärung 
volksniifliger  Anschauungen  oder  Heilmiltel  nötig  ist. 

Sodann  möchte  idi  darauf  hinweisen,  daß  auch  die  Kapitel,  <vclcbe 
Heyne  in  dem  Werke  abhandelt,  trotz  aller  Gelehrsamkeit  und  Sorgfalt 
des  Verfassers  doch  das  Thema  noch  nicht  völlig  ausschöpfen.  Wa 
z.  B.  die  bekannten  kastümgeschichtlichen  Angaben  der  Limburgtr 
Chronik  studiert,  der  wird  mehr  als  einem  Ausdrucke  begegnen,  den 
Heyne  unbesprochen  läßt.  Zugleich  aber  bitte  ich  eindringlichst,  dies« 
Bemerkung  nicht  etwa  als  Voni'uri  aufzufassen,  es  soll  damit  nur  gesagt 
Verden,  daß  es  bei  der  unendlichen  Fülle  literarischen  Materials  für  einen  ^ 
einzelnen  —  noch  dazu  in  dem  Rahmen  eines  Handbuches  —  ganz  un*fl 
möglich  ist,  lückenlose  Zusammenstellungen  zu  bieten,  und  daß  nieniand 
zu  fürchten  braucht,  hier,  wo  ein  König  gebaut  hat,  bleit»  für  die 
K&rrner  nichts  mehr  zu  tun  übrig.  ^ 

Bcrüglich  der  von  Heyne  benutzten  Quellen  erlaube  ich  mir  nur™ 
eine  Bemerkung.  Sie  betrifft  den  liekannten  Plan  von  St.  Galten,  und 
so  schmcniich  mir  das  auch  im  Inter^se  der  deutschen  Altertumskunde 
ist,  so  glautie  ich  doch  vor  einer  Ausnutzung  jenes  Planes  zu  deutfA* 
archäologischen  Zwecken  warnen  zu  sollen.  Daß  der  Plan  kein  Spezäl* 
plan  ist,  sondern  nur  ein  Idealplan,  daß  er  also  als  St.  Oaltische  LokaK 
quelle  nur  bedingten  Wert  hat,  ist  längst  bekannt.  Aber  auch  fikr  das 
übrige  Deutschland  kann  ich  ihn,  wenigstens  was  die  HausallertQiner 
angeht,  bis  auf  weiteres  nicht  (Ür  beweiskräftig  halten,  Der  Plan  zeigt 
in  den  Grundrissen  der  Profanbauten  eine  Reihe  von  Erscheinungen,  die 
mit  denen  des  deutschen  Hauws,  des  niederdeutschen  sowohl  wie  des 
hier  einzig  in  Betracht  kommenden  oberdeutsdien.  in  keiner  Weise  in 
Einklang  zu  bringen  sind,  ich  habe  das  jüngst  in  der  Zetlsctirift  des 
Vereins  für  Volkskunde  in  Berlin   (1«H,   111,    334)    etwas    näher  aus- 


geführt.  Will  man  niso  den  Plan  als  beweisend  für  den  deutschen  Wohn- 
b»v  gc'len  la$sen,  so  müßte  man  alle  Ergebnisse  der  deutschen  Hatia- 
(orschung,  zum  mindesten  der  oberdeutschen,  filr  Calscli  erkiäreir,  was 
man  bislang  nicht  tut  und,  ^ne  mir  scheint,  auch  nicht  tun  ttann.  Es 
wird  deshalb  vor  der  Hand  niclils  übrig  bldben,  als  den  Plan  (ür  die 
Arbeit  eines  Ausländers,  vroh!  eines  Romanen,  zu  halten  und  ihn  für  die 
deutschen  Hausaltcrtümer  größtenteils  aulier  Betracht  zu  setzen.  Jeden- 
falls verdient  der  vielbesprochene  und  «ichlige  Plan  daraufhin  eine  erneute 
Untersuchung.    (Vgl.  dazu  Keutgen,  Äniler  und  Zünfte  S.  2b.    D.  Red.) 

Heynes  Buch  ist  mit  gutgewählten  Abbildungen  ausgestaltet,  welche 
den  Text  durch  die  zngehörenden  äußeren  Denkmäler  erklären  und  er- 
gänzen. Meine  unbedingte  Empfehlung  des  vortrefflichen  Werkes  hoffe 
ich  mit  der  nötigen  Klarheit  zum  Ausdmck  gebracht  zu  haben. 

FranWurt  a.  M.  Otto  Lauffer. 

Karl  V.  Anlnu  Die  Dresdener  Bilderhan  d&chrift  des  Sadisen> 
spi^els.  Fakimile-Band.  Zweite  Hälfte,  Tafe!91-1S4.  Mit  einer  Ein- 
leitung (34  S.).    Leipzig,  Karl  W.  Hier&emann.  1902. 

Als  ich  in  dieser  Zeitschrift  1.  108  den  ersten  Teil  des  vorliegenden 
Werkes  zur  Anzeige  brachte,  da  nalim  ich  den  Illustrationen  des  Sachsen- 
spiegels gegenüber  ungefähr  dieselbe  Stellung  ein,  die  Homeycr  und 
O.  Stobbe  und  nach  ihnen  Wattenbach  vertreten  hatten,  indem  sie  an- 
nahmen, dalt  die  Bilder  -  wie  Amira  es  S.  20  ausdrückt  -  -den  Text 
nicht  sowohl  für  den  Lesensunleundigen  wiederholen,  sondern  crläutemj 
die  Glossen  ersetzen,  also  eine  iuristlsche  Belehrung  bieten"  sollten.  Diese 
Anschauung  kann  nach  allem,  was  Amiraf  zugleich  mit  der  zweiten 
Hälfte  des  Faksimile- Bandes  erschienene  sor^gfiltige  Einleitungsunter- 
suchung  darüber  feststellt,  nicht  mehr  aufrecht  erhalten  werden.  Indem 
er  Hämlich  die  bei  der  Illustrierung  obwaltenden  Absichten  zu  erkennen 
sucht,  kommt  er  (S.  20  b  ff.)  zu  dem  Ergebnis,  dali  das  Mengenverhältnis 
der  Bilder  zu  den  Rechtssätzen  des  Textes  die  Annahme  ausschließt,  als 
solle  dem  Lesensunkundigen  das  Wort  durch  das  Bild  ersetzt  werden. 
Nicht  alle  Paragraphen  des  Gesetzbuches  wurden  mit  Bildern  versehen^ 
und  sodann  verrät  sich  auch  bei  denen,  die  tatsSchlich  iHustricrt  sind, 
durchaus  nicht  das  Bestreben,  den  Text  auch  nur  mit  annähernder  Voll- 
sUndigkeit  zu  verbildlichen.  .Es  wird  also  —  sagt  der  Verfasser  S.  21b 
-  kaum  ein  anderes  (ihrig  bleiben,  als  mit  Ooethe  den  Zweck  unserer 
Codices  picturati  einfach  in  der  Befriedigung  do  Anschauungstriebes  zu 
erblicken,  womit  ebensowenig  geleugnet  werden  soll,  daß  die  Illustration 
an  denjenigen  Stellen,  wo  sie  sich  aus  künstlerischen  Gründen  zur  Inter- 
pretation genötigt  sieht,  giossenhafl  werden  kann,  wie  daß  die  Darslellungs- 
ralttel  des  Künstlers  teilweise  ins  BilderschriftmäQige  ausarten.  Die  Be- 
steller wollten  und  sollten,  wenn  auch  nicht  alles,  so  doch  einiges  von 
dem  mit  Augen  sehen,  was  sie  lasen.  Es  ist  derselbe  Zweck,  dem  noch 
heute  die  Bilder  in  Jugendschriften  dienen.    Auf  Leibhaftiges  soll  der 


r 


386 


Besprediungen. 


Finger  deuten  können,  sobald  das  Wort  eine  Vorstellung  erreckt  hat, 
wi>l>ei  denn  der  verfügbare  Raum  des  Budies  der  Menge  des  Leibhaftigen 
ihre  Oreiwen  lieht.- 

Diese  Erklärung  der  Illustrierung,  die  mit  vielen  Beweisen  erhärtet 
wird,  scheint  mir  unabweisbar  zu  sein.  Sie  bildet  eines  der  wichtigsten 
Ergebnisse  der  Einleilung.  Aber  der  Verfasser  gibt  auch  hier  schon  be- 
deutend mehr.  Freilich  die  reclitsarchäologische  Behandlung  unserer 
Handschrift  wird  erst  in  einem  besonderen  Erläuterungsbande  erfolgen, 
aber  die  Einleitung  bespricht  schon  alles,  u-as  die  geschichtliche,  ins- 
besondere die  kunstgeschichtliche  Stellung  des  Kodex  betrifft,  und  es 
muß  besonders  hervorgehoben  werden,  mit  welcher  Sorgfalt  und  mit 
welch  scharfem  Blick  Amira  auch  diese,  seinem  eigensten  Arbeitsgebiet 
etwas  femer  liegende  Aufgabe  gelöst  hat. 

Nach  einer  eingehenden  Beschreibung  der  Handschrift  stellt  Amira 
zunächst  fest,  daß  Ihre  Mundart  ostmitteldeutsch  ist  und  alles  in  dlem 
am  meisten  der  in  den  Meißner  Urkundeti  fiblichen  gleicht.  In  dieelbe 
Gegend  -ft-eiscn  nuch  einige  der  ausgeführfen  Wappenschilde,  und  so 
dürfte  die  Heimat  des  Dresdener  Kodex  im  Meinenschen,  wenn  nicht 
gar  in  der  Stadt  Meißen  selbst  zu  suchen  sein.  Zu  ihrer  Altersbestimmung 
weist  der  Verfasser  darauf  hin,  daß  in  den  Bildeni  die  päpstliche  Tiara 
mit  dreifacher  Lilienkrone  erecheirl,  die  sonst  zufrühest  IJft9  bezeugt  ist. 
Die  bischöfliche  Mitra  zeigt  verschiedentlich  noch  die  ältere  niedrige  Form 
mit  geradlinijfen  Kanten  der  Com ua,  wie  sie  bis  gegen  IJSO  üblich  «-ar, 
daneben  aber  auch  die  jüngere  Form,  überhöht  und  mit  eingebogenen 
Kanten  der  Comua,  die  für  Söddeutschland  in  der  Form  unserer  Hand- 
schrift erst  um  I3SS  bezeugt  ist.  Ebenso  kann  nach  der  Form  der  heral- 
dischen Schilde  und  nach  dem  Auftreten  des  Kragenherseniers,  welches 
der  Beckenhaube  anhangt,  die  Hs.  nicht  vor  13S0  angesetzt  werden. 
Anderseits  ergibt  sich  aus  dem  Verhällnis  zu  der  Wolfenbüttlei  Hs.  des 
Sachsenspiegels,  daß  die  vorliegende  Dresdener  nicht  jünger  ah  1S7S  sein 
bann,  wodurdi  also  die  Entstehungszett  deiselben  auf  die  Jahre  Mio  bis 
137S  leslgelegl  ist. 

Bezuglich  der  kunstgcschichtlichen  Behandlung  der  Hs.  haben  vir 
bereits  gesehen,  daß  Amira  sie  in  die  Reihe  der  Bucht II uslration  einfügL 
Er  bespricht  demnach  zunächst  ihre  Vorläufer  auf  diesem  Gebiete  und 
beliandeli  dann  ihre  eigenen  kfmsllerischen  Qualitäten.  Indem  er  die 
darzuslellendcu  Themata  anführt,  bespricht  er  die  künstlerischen  Mittel, 
mit  denen  sie  bewältigt  werden.  Er  betont,  daß  die  Zeitgenossen  von 
der  Malerei  nicht  die  Wiedergabe  der  Wirklichkeit  der  Erscheinung,  son- 
dern nur  ein  Zeichen  davon  verlangten  und  dafür  auch  noch  in  der 
Wirklichkeit  Zeichen  von  Außersinnlichem  erblickten.  Sehr  eingehnid 
finden  wir  die  Attribute,  die  die  verschiedenen  Stände  charakterisieren, 
sowie  die  KlcfderFarben  behandelt.  Bezüglich  der  Gebärden  scheidet 
Amira  hier  schon  zum  Teil  das,  was  der  objektiven  RechtssymboHk  an- 


Bnprechungen. 


gehört,  von  dem,  was  lediglich  aus  den  Absichten  der  Illustration  hervor- 
gegangen ist  (in  welcher  Hinsicht  der  Textbiind  eine  genaue  Zusammen- 
sldlung  geben  soll),  und  er  kommt  zii  dem  Schluß,  daß  nicht  nur  an 
System alisciiei  Ausbildung  der  Qebäxdensprache  im  vettolen  Sinne,  auch 
vo  diese  nicht  dem  Rechtskben  enllehnt  ist,  sondern  Jiuch  In  der  matinig- 
Taltigen  Darstellung  der  Gebärden  die  Sachscnspicgcl-illuslration  alle 
früheren  La&tuugen  in  Deulscliiand  übertrifft  (S  29  bj,  .,Ini  gan«n  - 
so  urteilt  der  Herausgeber  -  liürfte  D.  stilistisch  solchen  Werken  nahe 
stehen,  wie  wir  sie  in  der  gletchfalls  ostaitteideutschen  (schlesischen ) 
Armenbibel  zu  Konstanz  und  in  derjenigen  zu  'Wolfenbrittel,  deren  Illu- 
mination allerdings  völlig  abweicht,  vor  uns  haben"  (S.  31a).  Amin» 
vermutet,  daß  es  böhmische  Einflüsse  sind,  die  auf  den  Stil  von  D.  ein- 
gewirkt haben. 

Was  im  übrigen  das  Verhältnis  der  verschiedenen  Sachsenspiegel- 
Illustrationen  untereinander  anlangt,  so  wird  festgestellt.  daB  atToiz  dem 
nahen  gen^Iogischen  Zusammenhang,  der  unter  ihnen  obwaltet,  jede  ein- 
zelne einen  ihr  eigentümlichen  Wert  in  der  Geschichte  der  Buchmalerei 
behauptet.*  ..Wir  haben  <«  demnadi  nicht  mit  einem  einzigen  Werke, 
sondern  mit  einer  Geschichte  von  Werken  zu  tun,  die  am  Ausgang  des 
hohen  Mittelalters  anhebt  und  in  einer  Dauer  von,  drei  Vierteln  eines 
Jahrhunderts  sich  ins  Spätmittelalter  hinein  erstreckt."  Im  Anschtiift  an 
die  Schilderung  der  Sachsenspiegel-Illustration  wirft  die  Einleitung  dann 
noch  einen  Blick  aul  die  Buchilttistration  der  folgenden  Zeil,  die  zwar 
andere  Wege  eingeschlagen  hat,  immerhin  aber  an  der  Rechtsliteratur 
nicht  achtlos  vorüberg^angen  ist. 

Ich  habe  es  für  wertvoll  erachtet,  in  kunsem  Auszüge  die  Resultate 
zu  geben,  die  des  Verfassers  Sorgfalt  und  vielseitige  Kenntnis  in  der  Ein- 
leitung des  Faksimilebandes  ausgebreitet  hat.  Was  aber  d:e  unendliche 
Fülle  von  Illustrationen  im  Zusammenhang  mit  dem  Wortlaut  des  Rechts- 
buches für  die  Kulturgeschichte  darbietet,  das  faßt  .^mira  seit«!  zusammen, 
wenn  er  S.  20a  Goethes  Interesse  für  die  SachsenspiegcMlluslration  schil- 
dert und  dann  fortfährt:  »Wohl  ahnte  man,  was  sich  für  fast  alle  Zweige 
der  Kulturgeschichte  aus  diesen  Handschriften  könnte  gewinnen  lassen,  die 
in  vielen  Hunderlen  von  Zeichnungen  und  Malereien  die  Gewänder,  die 
Waffen,  die  Haus*  und  Ackergeräte,  die  Abwichen  der  Menschen  ihrer 
Zdl.  ihre  Wohnungen,  Beschäftigungen  und  Wirtschaftsgebäude,  ihre  Ar- 
beiten und  Kämpfe,  ihre  Geschäfte  und  Rechtsstände,  ihre  Missetaten  und 
Strafen  schildern.  Auch  die  Hauptsache,  daß  uns  in  diesen  Handschriften 
Denkmäler  sowohl  des  Rechtes  selbst  als  der  Kunst  erhalten  seien,  geriet 
(seit  Goetheji  nicht  wieder  in  Vergessenheit.-  Wenn  es  trotzdem  zu  einer 
umfassenden  Würdigung  und  zu  einer  systematischen  Ausbeutimg  bislang 
nicht  gekommen  war.  so  dürfen  wir  uns  heute  der  vorliegenden  Publi- 
kation um  so  mehr  freuen,  denn  die  WJedei^be  der  Handschrift  und 
ihrer  Bilder  ist  wie  im  ersten  so  auch  in  dem  vorliegenden  zweiten  Teile 


Besprechungen. 


dne  ganz  vortrefflich c,  und  selbst  von  der  Koinrieriiiig,  die&ldl  in  Rflct 
sieht  8uf  die  großen  Kosten  nicht  durchweg  reproduzieren  lieB,  dod  uns 
auf  sechs  sehr  schönen  Tafeln  in  Forbendruclc  gute  Proben  gegeben.  Die 
wissenschaftliche  BearJjeitung  liegt,  wie  die  Einiciluiig  beweist,  in  den 
besten  Händen  und  läßt  uns  von  dem  Textbandc  als  kulturgeschiditlicher 
Leistung  nur  Oules  erhoffen 

Einen  Nachtrag  zu  der  Behandlung  der  Sachsenspiegpl-Illustrition 
als  Teil  der  miltelalterUchen  ßuchillustralion  hat  Arnim  inzwischen  geliefert 
in  dem  Aufsätze:  „Die  große  Bilderhandschrift  von  Wolfrinis 
Willchalm'  (Sltzungsber.  d.  phil-hisl.  u.  d.  bist.  Kl.  d.  Kgl.  Bayr.  Akad. 
d-  Wis&ensch.  mui,  H.  II.  S-  213-240).  Er  bespricht  dort  ane  nur  mehr 
in  Bruchslücken  tu  Heidelberg,  München  und  Nürnberg  erlialtene  große 
Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm,  die  als  eine  der  nächsten  Vor- 
läuferinnen der  Sachsenspi^eMUustralion  erscheint.  Ihre  Heimat  ergibt 
sich  aus  den  mundftrtHchcn  Eigenheilen  des  Textes,  die  überwiegend 
mitteldeutsch,  und  zwar  überwiegend  ostmitteldeutsdi  crecheinen,  während 
ihre  Entstehungszeit  aus  Gründen  des  Kostüms  und  der  Bewnffnung  auf 
12SÜ-127S  anzusetzen  ist  Amira  weist  nun  auf  dte  „nahe  Verwandtschaft, 
die  sowohl  hinsichtlich  des  Zwecks  und  Stils  der  Zeichnungen  als  auch 
in  beziig  auf  die  äußere  Anlage  zwischen  den  Bilderhandschriften  des 
Sachsenspiegels  einer-  und  jener  des  Willehalm  anderseits  obwaltete 
{S.  233),  und  er  kommt  zu  dem  Resultat,  wdches  er  S.  239  folgendemußen 
formyUerl:  „Fällt  nun  die  große  Bilderhandschrift  des  Willehalm  ins 
dritte  Viertel  des  13.  Jahrhunderts,  vielleicht  eher  noch  um  1250,  so  ist 
damit  das  Mittelglied  gefunden,  das  die  große  Sachsenspiegel-Illustration 
(1291—1295)  ')  mit  der  älteren  profanen  Buchillustration  verbinde!.  Die 
Beziehungen  zur  kirchlichen  . .  .  brauchen  wir  darum  nicht  in  Abrede  zu 
stellen.  Daß  aber  in  der  Gcsamtanlage  wie  in  Einzelheiten,  namentlich 
auch  solchen  der  subjektiven  Symbolik,  die  Wiilehalm-Handsdirift  dem 
enlen  llhistmtor  des  Sachsenspiegels  zum  Muster  diente,  werden  wir  jetzt 
um  so  weniger  bezweifeln,  als  wir  wissen,  daß  auch  er  in  Ostmittel- 
deutschland arbeitete.-  Kulturgeschichtlich  wie  kunstgcschichtlich  ist 
dieses  Ergebnis  von  großer  B«lcutung,  denn  jetzt  erst  erkennen  wir,  daß 
um  1250  mit  der  großen  Bilderhandschrift  des  Willchalm  eine  zweite" 
Süchsiscli- thüringische  Ilhistrationsschule  anhebt,  deren  jüngste  Arbeiten 
nach  andcrtlialb  Jahrhunderten  die  Bilderhandschriften  des  Sachsenspiegels 
zu  Dresden  und  Wolfenbüttcl  sind. 

Frankfurt  a.  M.  Otto  Lauften 


Zcltschrirt  Für  historische  Waffenlrnnde.  Schriftleitung :  Dr.  Koel- 
schau,  Direktor  des  Königl.  historischen  Museums  ru  Dresden.  Bd.  11. 
Leipzig,  Expedition  der  Zeitschrift. 


')  Es  hindcll  licli  um  die  cnic  $uhBni)picscl'IMi>ilr«üu«,  a]N  die  Vorllaicria  da 
Dtaitatt  KuidKtirin. 


Besprechungen. 


Die  von  dem  verdienten  W.  Boeheim  begründete  Zeitschrift  ver- 
folgt unter  der  nthrigen  neuen  Leitung  mit  Eifer  die  Aufgabe,  die 
Waffenicundc  mit  der  aligemeinen  Kultur  in  Verbindung  zu  setzen,  wie 
dies  von  M-  Jahns  wiederholt  in  meisterhafter  Weise  geschehen  ist.  Ein- 
geleilet  werden  diese  Bestrebungen  durch  einen  feinen  und  grOndh'ch 
durchdachten  Aufsatz  von  P.  Reimer;  Die  historische  Waffenkunde 
auf  kuUurgeschichtlicher  Qruiidlage.  Während  bisher  wesentlich  die 
EiiizclTaffe  als  Rarität  oder  Kunst^genstand  gevürdigt  wurde,  will 
Reimer  sie  als  Typus  einer  Oattting  betraditet  wissen  und  bezeichnet 
als  vornehmsten  Zweck  historisdicr  Waftenkunde  die  Betrachtung  der 
Waffe  als  Kulturfaktor.  Denn  wie  bereits  in  Stofl  und  Konstruktion 
der  Waße  Kuliurzustand  und  Volkscharakter  sich  widerspiegeln,  so 
sieht  ihr  Oebrawch  in  den  mannigfachsten  Beziehungen  zu  Recht 
und  Stte,  Gewerbe  und  Handel,  Literatur  und  Kunst.  So  eröffnet 
Reimers  Abhandlung;  Die  Erscheinung  des  Schusses  und  seine  bildliche 
Daretelluny  anziehende  Ausblicke  auf  die  historische  Treue  malerischer 
Wiedergabe  in  ver^ti icdcncn  Perioden.  Als  Beispiel  sei  die  ßcobichtung 
angeführt,  daß  die  älteren  hol  lind  Jüchen  Maler  den  F^lverbliti  nicht  rot, 
sondern  gelb  darstellen,  denn  der  aus  ostindischen  Handelsbe^icliungen 
gewonnene  Salpeter  war  mit  Natrium  versetzt,  das  diese  Wirkung  hervor- 
bringt. Kaiser  Maximilians  I.  Jagdbucb,  Tiber  das  Sdiönberg-Diener 
handelt,  erlaubt  Schlüsse  niclit  nur  auf  das  Jagdwesen  der  Zeit,  sondern 
auch  auf  den  Charakter  seines  Verfassers.  Als  Quelle  für  das  slidlische 
Kri^swcsen  wie  für  die  Kenntnis  der  Fabrikationsstätten  würdigt  Boehdm 
die  einzig  dasteliende  Emdcncr  Rüstkammer.  Beiträge  zu  dem  so  all- 
gemein geläufigen  und  in  seinen  Einzelheiten  so  wenig  bekannten  Tumicr- 
wesen  sind  Baron  Potiers  Glossen  zu  Lebere  Rüstmeister-Vokabular  und 
des  Unterxcidincteti  Aufsatz:  Das  Turnier  in  den  Briefen  deutscher 
Fürsten  am  Ausgang  des  Mittelalters  (nach  Steinhausens  .Deutsche 
Privatbricte  des  Mittclallers*  I).  Im  Anschluß  stn  früher  veröffentlichte 
kriminalistische  Betrachtungen  über  das  Oenuesermesser  erörtert  Baron 
Potter  die  mögliche  Verwendung  der  an  Dolchen  sich  findenden,  zum 
Abschrauben  eingerichlclen,  starken  Nadeln  als  Bandifenwaffe.  Soziale 
Beziehungen  der  Waffe  behandeln  meine  Abhandlungen:  Die  sooale 
Wertung  der  Artillerie  und;  das  Recht  des  Waffentragens. 

Daß  die  Zeitschrift  durch  ihne  ilypographische  Ausslaltung  einen 
ungewöhnlich  vümehiucn  Charakter  trägt  und  rail  herrlichen  Abbildungen 
\-on  zimi  Teil  wirklich  malerischer  Wirkung  geschmückt  ist,  soli  rühmend 
hervorgehoben  werden. 

Magdeburg.  Liebe. 


Kleine  Miüeilungen  und  Referate. 

Von  Kurt  Breysig,  dem  b^abten  Vorkämpfer  einer  mdir  be- 
grifflich gerichteten  Oeschichtswissenschaft,  hegen  mehrere,  seine  Auf- 
fassung ausbauende  und  ergänzende  Aufsätze  vor.  Eine  bereits  im 
Januar  1902  in  der  .Zukunft"  (10.  Jahrg.,  Nr.  15—17)  erschienene  Auf* 
satzreihe  soll  von  «dem  altgemeinsten  Ergebnisse'  seiner  großen  .Kultur- 
geschichte  der  Neuzeit*,  deren  Titel  jetzt  von  Breywg  selbst  als  nidit  recht 
zutreffend  hingestellt  vird,  .Rechenschaft  get>en*.  Der  bekannte,  von  Br^- 
sig  in  jenem  Werke  (nidit  ohne  Vorgänger)  aufgestellte  Parallelismus  der 
griechisch-römischen  und  germanisch -romanischen  Geschichte  wird  .in 
größter  Kürze*  unter  Heranziehung  von  Vergleidispunkten  namcntlidi 
aus  der  Geschichte  der  .Staats-  und  Qesellschaft[s]ordnung*,  doch  auch 
aus  der  der  geistigen  Entwicklung  aufe  neue  dargel^.  Aus  diesem  .nur  er- 
fahrungsmäBig  vorgetragenen  und  zwar  schon  geordneten,  dodi  immer  erst 
in  reiner  Beschreibung  dargebotenen  Stoff'  sucht  er  dann  weiter  .die  be- 
grifflichen Folgerungen  zu  zi^en*.  Ausgehend  von  Lamprechls  mit  großem 
Stob;  verkündeter,  aber  doch  jedes  Beweises  bisher  ermangelnder  Ent- 
deckui^,  daß  dessen  (von  uns  bereits  genugsam  behandelte)  .Kulturstufen* 
■schlechthin  allgemeingültig  seien*,  also  sich  bei  allen  Völkern  finden, 
nimmt  er  unabhängig  ausgesprochene  ähnlidie  Gedanken  für  sich  in  An- 
spruch und  betont,  daß  er  eben  den  Erträgen  aus  dem  Nachweis  jenes 
»überraschenden*  Parallelismus  die  Bedeutung  von  Gesetzmäßigkeiten  — 
vorläufig  ausdrücklich  auf  die  europäische  Geschichte  eingeschränkt  und 
nur  vorbereitend  behauptet  —  zusdireiben  möchte.  Um  das,  was  man 
■Gesetze*  nennt,  und  wogegen  wir  unsere  wiederholt  au^esprodiene 
Skepsis  hier  nochmals  betonen,  handelt  es  sich  aber  hierbei  kaum,  unseres 
Eraditens  mehr  um  F^ndung  einer  normalen,  organischen,  natürlichen  Ent- 
wicklung der  Völker,  analog  derjenigen  der  einzelnen  Menschen.  Den  Nach- 
weis dersdben  einmal  ohne  Prüfung  zugestanden,  wird  aber,  genau  wie 
beim  einzelnen  Menschen,  so  beim  einzdnen  Volk  die  besondere  Ent- 
wicklung doch  immer  das  Hauptziel  sein  müssen,  dne  Aufgabe,  die  Breystg 
übrigens  gelegentlich  selbst  als  wichtig  hinstellt.  Frdlich  meint  er  nicht  ohne 
Grund,  zur  Erkenntnis  der  »tiefen  und  zarten  Besonderheiten*  gehöre  eist 
■Ausschddung*  des  durch  Vcrgleichung  gefundenen  .gemdnsamen  Gutes*. 
Ein  praktisdies  Beispiel  gewissermaßen,  wie  man  nach  Breysigs  Auf- 
fassung Geschichte  zu  schreiben  hat  (was  nach  ihm  nichts  weiter  bedeutet 
als  in  dem  »in  Ewigkeit*  glddien  Stoffe,  natürlich  ohne  Bindung  an  die 
Chronologie,   .Ordnung  zu  schaffen"),  bietet  sein  Aufeatz   .Archaische 


Kulturen'  («Die  Zukunft*,  12.  JshrEang,  Nr.  it),  in  dem  er,  nun  berate 
unter  Hennziehung  von  Afrika,  Amerika,  dem  Orient,  der  Stufenfolge  des 
■Altertumsslaales"  belzukommen  sucliL  Von  eraten  Keiiti Formen  führt  er 
uns  -  bereits  fällt  da&  entschiedene  Wort  vöm  »Zvangslauf  des  Werdeganges 
der  Ocscllschaff  -  bis  zu  den  höchsten  Errimgcnschaften  dieses  Stufciialters, 
d«s$en  gewaltigste  Erzeugnis  der  chinesische  Staat  sei.  Die  große  Er- 
rungenschaft dieser  Stufe  ist  .das  mächtige  Königtum,  der  überstarkc  Ein- 
zelne, der  die  Masse,  der  selbst  die  freie  Oenossenschaftder  Urzeit  lieh  unter- 
worfen hat".  Was  Brcysig  im  Oninde  vertritt,  Ist  einmal  die  sehr  viin- 
scheiiswcrtc  .vergleichende  Geschiditsforsdiung",  gegen  die  niemand  ct«^ 
einwenden  hann,  es  ist  zweitens,  um  aus  einem  weileren  AufsaU  Hreysigs 
(■Einzigkeit  und  Wiederholung  geschichtlicher  Tatsachen'  in  Schmollen 
Jahrbuch,  XVIII,  Heft  1)  zu  zitieren,  .denkende  Betrachtung  des  Verlaub 
der  Geschichte-  —  ■Oeschichtsphllosophic  also,  wie  man  frdher  zu 
sagen  pflegte-.  Hier  gibt  Breysig  sell^isl  das  Stichwort,  das  wir  schon  lange 
hätten  aussprechen  mögen.  Wir  bcdaucnt  durchaus  das  seit  Jahrzehnten 
zurückgegangene  Interesse  an  diesem  Zveige;  auch  andere,  wie  Bemheim. 
haben  das  wiederholt  getan.  Wir  freuen  uns  der  Neubelebung  d«- 
selben  durch  Breysig  und  meinen  allerdings,  daß  die  Oeschichtswissen- 
schaft  von  einer  ernst  betriebenen  Oewhichisphilosophte  iiwr  Nutzen  er- 
mrten  kann.  Wir  möchten  aber  auch,  daß  Breysig  geicditcr  über  die- 
jenigen denkt,  die  die  von  ihm  eingeschlagene  Riditimg  nicht  für  die 
einzig  verfolgcns"rcrte  halten.  Auf  dem  Gebiet  der  Kulturgescliichte 
im  engeren  Sinne  z.  B.  ist  noch  so  viel  nachzuholen  -  Bre>-sig  selbst 
betont,  manchmal  allzuscharf,  die  große  Löcite  in  dieser  Beziehung  -, 
daß  hier,  ohne  gleich  auf  die  letzten  «Stichworts  und  Formeln  zu  gehen, 
die  »aiisfijhrendc-  oder  .werktalige-  Gcschichtöchrcibung ,  me  er  aie 
gelegentlich  nennt,  noch  groüe  Aufgaben  hat. 

Des  Referenten  jetzt  erscheinendes  Werk  (-Oeschichte  der 
deutschen  Kultur*  von  Georg  Steinhausen;  durch  diese  Notiz 
seien  die  Leser  vorläufig  damuf  hingewiesen;  Verlag  des  .Bibliographischen 
Instituts',  IS  LieEetungcn)  hat,  abgesehen  von  der  auf  diesem  Gebiet  auch 
noch  notwendigen  OeMmtdarstellung  der  Resultate  eigiener  und  anderer 
Spezialforschung,  doch  gerade  auch  um  die  .Ordnung"  des  Stoffes  sich 
lebhaft  bemüht.  Und  bei  dem  Nachweis  treibender  Onindkräfte,  etwa  des 
diirchgchends  sichtbaren  Einflusses  des  Volkstums,  auch  des  niederen,  seit 
dem  13.  Jahrhundert  wird  man  doch  auch  wohl  dcnkhaft  vorgehen  müssen. 
Gerade  die  Kulturgeschichte  interessiert  übrigens  der  zuletzt  erwähnte  Auf- 
satz Breysigs  naher.  Er  selbst  meint,  daß  sich  auf  die  firige  nach  Einzig- 
keit und  Wiederholung  die  ffir  uns  besonders  wichtige  frage  .Mann 
oder  Zeit*  zurückfühmi  Ins»,  und  so  werden  wir  auf  diesen  Aufsatz 
später  nälier  zurQckkommen.  Der  dort  öfter  gebrauchte  Ausdruck  Qe- 
schichte  des  Menschen  ist  gerade  von  uns  des  öfteren  verwandt. 

Auf  dem  Gebiete  der  Oetstesgeschichte  ist  neuerdings  Fr.  Strunz, 


392 


Kleine  Mitteilungen  und  Refentie. 


P 


der  Verfasser  eines  Aulsktzes  in  diesem  Heft,  eifrig  titig;  in^tesonctcce 
wieder  für  die  Oeschidite  der  Naturwissenschaft  und  der  Naturphilosophie 
liegen  Beiträge  von  ihm  vor.  Methodologischer  Natur  iri  der  .geschichts- 
philosophische  Versuch":  -Zum  Wesen  der  ööchichte  der  Natunrissen- 
schaflen-  (Zcitsclirift  für  Naliirwissenschaften,  Bd,  7&.  S.  103/109).  Auch 
die  Geschichte  der  Naturwissensdiaften  hat  nach  SlniM  die  Psychologie 
zur  Voraussetzung.  Ein  anderer  Aufsalz  (Die  Natur  als  psychische  Lebens- 
maehl  im  antiken  Phantasie-  und  Geistesleben.  Ebenda  S.  401;'T6)  (ind«t 
in  dem  kürzlich  erschienenen  Buch  des  Verfassers  ■Nalurbctrachtiing  und 
Naturericenntnis"  ausführlichere  Behandlung.  Mehr  Ausführung  verdient 
auch  der  kurze  Artikel:  «Das  Wesen  des  ildietnlsti seilen  Problems-  (Deut- 
sche Arbeit,  III,  1).  Mit  van  Helmont,  den  Strunz  bereits  mehrfach  be-, 
handelt  hat,  beschäftigen  sich  die  Aufsätze:  .Die  Entstehungsgeschichte  der 
Lehre  von  den  Oasen"  (Janus,  VIII,  livr.  2/3)  und  .Joh,  Bapt.  van  Hd- 
monts.  .Traumschilderungen',  ein  Beitrag  zur  naiurphilosophisdien  Poesie 
de»  16.  und  17.  Jahrhunderts"  (Die  medizinische  Woche  1903.  Nr.  3,^), 

Allerlei  interessante  Einzelheiten  zur  Qcschichle  des  Büchenresens 
enthält  die  als  Manuskript  gedruckte  Broschüre  von  Prof.  M.  Grolig  in 
Wien:  Aus  meiner  Bflchersammlung.  (Wien  1904),  insbesondere 
bezüglich  der  Pilgcrfahrlen  einzelner  Exemplare. 

An  wenig  zugänglicher  Stelle  (Unterhaltungsblntt  da  Frirkischett 
Kurier,  1^04,  Nr.  1,  3,  S,  7)  findet  sich  eine  beachtenswerte  Aufsatzreihe 
von  Emil  Reicke,  »Willibald  Pirckheimers  Vorfahren',  die  vor  aUcm 
wegen  der  r.  T.  neues  archivalisches  Material  heranziehenden  Darstdlung 
des  LicbcshandcEs  der  Mutter  P.'s  (Barbara.)  sitteng cschichtliches  Interose  hat 

Die  größtenteils  auf  handschriftlichem  Material  beruhende  Abhand- 
lung Hugo  Brunners:  .Theophilus  Neubcrger,  Lebensbild  eines 
Seelsorgers  und  Superintendenten  aus  den  Zeiten  des  Dreißigjährigen 
Krieges  (1593— )6S6)-  (Zeitschrift  für  Kirchengeschichte,  Bd.  24,  Heft  3/1), 
ist  auch  in  kulturgeschichtlicher  Beziehung  mehrTach  interessant,  so  für 
die  sittlichen  Zustände  der  Geistlichkeit  der  Kasseler  Diözese,  für  dasi 
zum  erstenmal  behandelte  Vorgehen  gegen  die  Juden  und  die  vorherigen 
mißlungenen  Versuche  ihrer  Bekehrung  u,  a. 

Im  »Utiterhaltungsblatt"  des  Fränkischen  Kurier,  1901,  Nr.  2t -25 
beschäftigt  sich  ein  Aufsatz  E.  Reickes,  -Zu  dem  Altnüm berger  Faschings- 
lebcn"  mit  der  UnglaubwOrdigkcit  von  Vulpius'  Kuriositäten,  die  er  bezüglich 
einer  angeblichen  Fastnachtsschilderung  aus  dem  ife.  Jahrhundert  nachweist 
und  die  zur  vorsichtigen  Benutzung  VuIpiusscherAngabeufibcrhaupt  mahnt. 

Nicht  ohne  Anregung  auch  für  den  Historilter  der  abendländisdien-j 
Wirtschaft  ist  ein  Aufsatz  von  dem  veretorbenen  Heinrich  Schurtz  Ober 
■Türkische  Bazare  und  Zünfte  (Zeitschrift  für  Sozialwisscnschaft  VI, 
Heft  2),  obgleich  der  Verfasser  selbst  den  wirtschaftsgeschichtlichen  For- 
schungen wohl  ziemlich  fern  stand. 


Armen-  und  Bettelordnungen. 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  öffentlichen  Armenpflege. 

Vor  ARTHUR  RICHEL 


Kranke  und  Notleidende  waren  während  des  Mittelalters 
fast  ausschließlich  auf  private  Wohltätigkeit  und  auf  die  Unter- 
stützungen seitens  geistlicher  Genossenschaften  angewiesen.  Erst 
als  die  von  der  Kirche  begünstigte  Bettelei  überhand  nahm,  als 
Bettler  und  Landstreicher  der  schlimmsten  Sorte  zu  einer  Landplage 
geworden  waren,  begannen  die  welllichen  Behörden  dagegrn  ein- 
zuschreiten, eine  nach  bestimmten  Grundsätzen  geregelte  Armen- 
pflege einzurichten  und  zur  Ausübung  derselben  eine  besondere 
Annenpolizei  zu  schaffen.  Es  entstanden  die  ersten  Armen- 
und  flcttelordnungcn,  zunächst  in  den  wohlhabenden  Reichs- 
stidlen.  wie  Nürnberg,  Frankfurt  a.  M.,  Slraßburg,  dann  aber 
auch  im  Laufe  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  in  den  zahlreichen 
übrigen  Territorien  des  deutschen  Reiches.  Zweck  dieser  Ver- 
ordnungen war,  mit  dem  artieitsscheuen  Gesindel,  das,  aus  der 
Bettelei  ein  Gewerbe  machcndj  das  g;anzc  Land  brandschatzte, 
aufzuräumen,  die  zur  Untenttül^ung  der  wirklieh  Bedürftigen 
erforderlichen  Mittel  zusammenzubringen  und  nach  dem  Maß  der 
Bedürftigkeit  zu  verteilen. 

Um  ISOO  erschier  ein  Schrifichen,  ,Liber  vigatorum,  der 
Bettler  Orden"  beiitell,  welches  in  ausführlicher  Weise  die  damals 
Qblichen  Arten  des  Bettels  schildert  und  vor  dem  Betrug  der 
Landstreicher  waml.     Mit  einer  Vorrede  Luthers  wurde  es  im 

AkMv  Nr  Kulnirtdctiididc.    II.  25 


16.  und  17.  Jahrhundert  unter  dem  Titel  ..Von  den  falschen 
Bettlern  und  ihrer  BOberei»  häufig  gedraclrt.  Aber  auch  viele 
andere  Schriftsteller  dieser  Zeit  fuhren  Klage  über  das  Anw*achsen 
und  die  Frechheit  der  Vagabunden,  welche  aus  Liebe  zum  Müßig- 
gang zum  Bettelstab  griffen,  um  auf  Kosten  der  Leichtgläubigkeit 
und  Mildtätigkeit  der  arbeilsamen  Bevölkerung  ein  fideles  Leben 
führen  zu  können;  so  namentlich  Brant  und  Geiler  von  Kwsers- 
berg  in  ihrem  nNarrenschiff',  Ambrosius  Pape  in  seinem  »Bettel 
und  Garfteufel".  Gegen  die  in  diesen  Schriften  aufgedeckten 
sozialen  Schäden  richteten  sich  in  erster  Linie  die  Bettelord- 
nungen.  Zu  den  gewerbsmäßigen  Bettlern  rechnete  man  außer 
den  gewöhnlichen  Landstreichern  alle  Almosen  sammelnden  Ver- 
krüppelten und  Kranken,  deren  Leiden  (Fallsucht,  Aussalz,  Tollheil) 
und  ki&rperliche  Gebrechen  häufig  simuliert  waren,  abgedankte 
Soldaten,  verbummelte  Studenten,  betrijgerische  Kolleklantenj 
Pilger,  Büßer,  Konvertiten  und  Türken  gefangene,  sowie  eine  ge- 
wisse Sorte  fahrender  Leute,  die  scheinbar  irgend  einen  Handel, 
ein  Gewerbe  oder  eine  Kunst  betrieben,  in  Wirklichkeit  den  Bettel 
der  Arbeit  vorzogen.  !n  Bergs  Handbuch  des  deutschen  Polizei- 
rechts, IV,  2,  S.  625,  werden  zu  diesen  Kostgängern  des 
Publikums  gezählt:  Band-  und  Kleiderjuden,  herumziehende 
Krimer,  die  mit  allerlei  kurzen  Waren,  Zunder,  Feuersteinen, 
hölzernen  Löffeln,  Glas,  schlechtem  Fayence,  Töpfer-  und  Oalanlerie- 
warcn  handeln,  Arznei-,  Ol-  und  Farbenhändler,  Aftcrärztc,  Ope- 
rateure, Kammerjäger  und  Rattenfänger,  ZinngieÖer,  Blankschmiede, 
Kesselflicker,  Korbmacher^  Scherenschleifer,  Spielieute^  Marionetlcn- 
spielcr,  Gaukler,  Seiltänzer,  Würfelspieler  und  Riemcn&techer, 
Kamel-  und  Bärentreiber,  Rarißtenkaslenträger  usw. 

Durch  die  landes-  und  ortspolizeilichen  Verordnungen 
suchte  man  zunächst  solches  Gesindel  nach  Möglichkeit  von  den 
Grenzen  fernzuhalten.  Grcnzjägem,  Zöllnern  und  Torschreibem 
wurde  strenge  Kontrolle  aller  Fremden  anbefohlen,  Gastwirten 
unter  Androhung  schwerer  Straten  verboten,  Personen,  die  sich 
nicht  genügend  ausweisen  konntenj  aufzunehmen,  Fuhrleuten  und 
Schiffern,  sie  weiter  zu  befördern.  Selbst  das  Almosengeben  an 
fremde  Bettler  wurde  stellenweise  mit  Strafe  bedroht,  so  in  Würz- 
burg mit  10,  in  Hamburg  mit  5  Rthl.     Die  Furcht  vor  diesen 


Armen-  und  Bettelordnun^en. 


395 


StraTen  war  aber  nicht  so  groß,  wie  die  Angst  vor  den  tuch- 
süchligen  Landstreichern,  die  den,  der  sie  abg^ewiesen,  häufig 
genug  mit  Diebstahl  und  Brandstiftung  heimsuchten.  An  den 
Qrenzen,  auch  an  den  Eingängen  der  Ortschaften  stellte  man 
PRlhlc  mit  Warnungstafeln  auf.  In  Braunschweig  (LandesveronJ- 
nung  1735)  waren  Blcchtafeln  vorgeschrieben  mtt  der  AuBchrifl: 
■Auswärtige  Bettier,  Landslreicher  und  anderes  liederliche  Ge- 
sindel sollen  diese  Lande  bei  Strafe  des  Karrenschiebens  oder 
anderer  Strafe  meiden.«  Zuweilen  waren  die  angedrohten  Strafen 
auf  diesen  Warnungstafeln  bildlich  dargestellt  durch  einen  Qalgen 
oder  einen  Gefangenen  mit  der  Karre.  Die  Verordnungen  gegen 
das  lästige  Bettelvolk  wurden  öffentlich  angeschlagen,  von  Zeit 
zu  Zeit  auch  durch  Öffenthches  Vorlesen  seitens  der  Ortsbehörden 
und  Qildenmcistcr  oder  durch  Verkündigung  von  den  Kanzeln 
bekannt  gemacht 

Zum  Einfangen  oder  Vertreiben  der  eingeschlichenen 
fremden  Bettler  hatte  man  besondere  niedere  Polizeibeanile,  die 
Bettelvögte,  auch  Armen-  und  Prachervögtc,  Beltelrichler,  Bettel- 
wächter oder  Sferzel meiste [■  genannt,  eingesetzt  Als  Beamte 
»waren  sie  den  Feldhütern,  Nachtwächtern,  Totengräbern  und 
Gassenkehrern  gleichgestellt  Sie  waren  wenig  geachtet  und  un- 
beliebt,   so  daß  in   verschiedenen    Bettelordnungcn    die   Bürger 

I  unter  Androhung  von  Strafen  gewarnt  wurden,  sie  zu  verhöhnen 
oder  bei  Ausübung  Ihres  Dienstes  ihnen  Schwierigkeiten  zu 
machen.  Eine  Ratsverordnung  von  1776  verbietet  der  Jugend 
von  Frankfurt,  den  Bettelvöglen  Schimpfworte  nachzurufen  und 
sie  mit  Schneeballen  zu  werfen;  ein  Braunschweigisches  Kdikt 
von  1732,  die  Bettelvögte  und  ihre  Angehörigen  fiJr  unehrlich 
zu  hatten  und  ihre  Kinder  vom  Handwerk  auszuschließen.  Eine 
ähnliche  Verordnung  bestand  für  Altenburg.  Die  Bcttclvögte, 
häufig  frühere  Almosenempfänger,  galten  für  äußerst  gewalttätig, 
zu  Erpressungen  geneigt  und  ließen  sich  leicht  bestechen.  In 
einer  kleinen  satirischen  Schrift  des  17.  Jahrhunderts')  heißt  es 
von  den  ehrgeizigen  und  unbarmherzigen  Beitelvögten:  »Wann 
I    die  ehrliche  Bettelleute  auf  einer  guten  Weide  gehen  und  in  den 

'J  Don  Ire  mil  »dncin  durthloidiU'E-  und  hodibcrühmiiEn   Bdtelicunul 
Amalo  HMcnn,  HinBU  leei,  S.  »6f. 

25- 


festen  Oedanicen  stehen,  nun  werden  sie  ihren  großen  Beltelsack 
voll  machen:  siehe,  so  kommt  ihnen  unverinuthet  der  lose  und 
ehrgeizig«  ESettelvogI  auf  den  Hals,  fraget,  woher,  und  was  sie 
an  der  und  der  Thür  zu  thun  hatten,  lasset  ihnen  auch  nicht  so  ■ 
viel  Zeit,  daß  sie  sich  ein  wenig  besinnen  können,  seitdem  eilet 
mit  ihnen  entweder  auf  den  Wall  zur  schweren  und  unerträg- 
lichen Arbdt,  oder  zum  Thor  hinaus  ...  Icn  Fall  die  grvisscn- 
haften  Bettler  dem  gestrengen  Herrn  Beitelvogt  mit  einem  und 
andern  Geschenke  sein  Herz  erweichten,  ich  weiß,  er  ließ  sich 
weisen,  er  vergönnete  ihnen  an  den  vornehmste»  Thüren  das 
heilige  Almosen  zu  betteln  und  einzusammeln."  Die  TSIigIceit 
der  Beitelvögte  bestand  im  wesentlichen  In  der  Säubening  der 
Straßen  von  allem  bttlelnden  Gesindel,  das  sie  je  nach  den  Um- 
sländen  verjagten  oder  aufgriffen  und  der  Polizei  zur  Abstrafung 
auslieferten.  Betrügerischen  Kollektanten  nahmen  sie  die  falschen 
Bettelbriefe  ab;  an  manchen  Orten  vollzogen  sie  auch  die  Prügel- 
strafe an  den  aufgegriffenen  Landstreichern.  Außer  der  Aufsicht 
über  die  Bettler  hatten  sie  noch  andere  Obliegenheiten,  la  fl 
Halbersiadt  (Ordnung  von  1 S64)  wo  der  Betlelvogt  böswillige  " 
Bettler  mit  der  I'eitsche  zu  vertreiben  hatte,  mußte  er  auch  »die 
spazier  Junkern  unter  der  predigt  vor  dem  thor  und  auf  dem  ■ 
kirchhofc  mit  einer  peitschen  in  die  kirche  treiben,  auch  voc  er 
die  brantewein  seufer  unter  der  predigt  vcmimpt".  In  Regens- 
bürg  (Dekret  von.  17lS)  trieben  sie  an  Sonn-  und  Fcsllagen  die 
unbändigen  bösen  Buben  von  den  Kirchen  weg.  In  Frankfurt, 
WD  bereits  1489  Betlelnieister ,  später  Bettelvögte  und  Armen- 
knechte genannt,  eingeführt  waren,  führten  sie  die  Kinder  des 
Armenhauses  aus.  Um  von  den  Bettlern  nicht  erkannt  zu  werden. 
mußten  sie  dort  von  Zeil  zu  Zeit  die  Quartiere  wechseln;  die 
ursprünglich  glcichmäftigc  Kleidung  wurde  ihnen  später  aus  dem- 
selben Grunde  in  verschiedenen  Farben  geliefert 

Ihren  Lohn  empfingen  die  Bettelvügte  gewöhnlich  aus  der 
Alniosenkasse,  so  in  Kitzingen  (Bettelordnung  von  iS23).  Der 
Halberstädter  Bettelvogi,  der  gleichzeitig  Totengräber  war,  bezog 
wöchentlich  2  Groschen  oder  jährlich  S  Quiden  aus  der  Armen- 
kasse; außerdem  war  er  zum  Empfang  von  Trinkgeldern  bei 
Hochzeiten  und  Begräbnissen  berechtigt     Für  eine  halbstündliche 


I 


Armen>  und  Bettel  Ordnungen. 


Begleitung  zugelassener  fremder  Kollektanten  hatte  er  18  F^g. 
zu  fordern.  Der  Frankfurter  Berteimeister  erhielt  wöchentlich 
2  Laib  Brot  aus  der  Almosen  kasse. 

Viele  Behörden  bewilligten  auch  Fanggeld  für  encischte 
Landstreicher;  eine  Verordnung  von  Schwedisch  Pommern  (1763) 
setz!  fflr  jeden  eingefangeneii  Bettler  2  Rthlr.  aus,  eine  von 
Brandenburg  (1748)  i  Thlr.,  eine  von  Baden-Durlach  (1771) 
30  Kreuzer,  eine  Frankfurter  (t776)  4  Kreuzer,  eine  Hamburger 
<t79l)    I   Mark. 

Die  einfachste  Straf«  für  einen  cpffischten  Vagabunder  war 
die  Landesverweisung.  Man  scliaffte  ihn  entweder  direkt  zur 
Qrcnze  oder  lieferte  Ihn  an  den  Ort  ab,  den  er  zuletzt  passiert;  die 
dortige  Behörde  mulSte  ihn  zur  Strafe,  daß  sie  ihn  ungehindert 
durchgelassen  halte,  verpflegen  unti  weiter  zwrückbef ordern,  bis 
er  auf  demselben  Wege,  den  er  gekommen,  an  der  Orenze  an- 
langte. Die  d«s  Gehens  Unfähigen  wurden  im  Frondienst  auf 
den  sogenannten  fiettler-  oder  Kröppelfiihren  von  Ort  zu  Ort 
transportiert  Die  Fuhrleute,  ärgerlich  über  die  ihnen  aufge- 
zwungene Arbeit,  verfuhren  wenig  siuberlich  mit  dem  lästigen 
Bettelpack.  «Ich  weiß,"  schreibt  ein  unbekannter  Schriftsteller,') 
■  daß,  wenn  durch  eine  solche  Krüppelfuhre  einige  Kranke  sind 
in  eine  Gemeinde  gebracht  worden,  und  man  sich  besorget,  sie 
möchten  auslöschen  und  der  Gemeinde,  dahin  sie  gebracht  worden 
sind,  daher  einige  Unkosten  wegen  der  BegräbnuB  zuwachsen, 
man  solche  Kranke  schleunigst  wieder  auf  einen  Karren  gebunden 
und  über  Hals  und  Kopf  damit  wieder  nach  einem  andern  Dorfe 
gceilet,  auch  sodann  im  härtesten  Winter  einen  solchen  Kranken 
wie  einen  Misthaufen  in  den  Schnee  oder  Koth  von  dem  Karren 
herabgeworfen  und  wieder  davon  geeilet,  da  öfters  der  Kranke 
nidit  noch  eine  VierteKlunde  gelebt.  Ich  geschweige,  daß  solche 
Patienten  vielmals  gar  unterwegs  gestorben  und  hernach  unter 
denen  benachbarten  Gemeinden  ein  Disput  entstanden,  welche 
die  Begrab nulikosten  zu  tragen  schuldig  gewesen."  Die  Braun- 
schweigische Kastenordnung  von  1569  verbietet  dieses  unmensch- 


■)  D*r«r  hiufi  j;ai  und  gottlo«««  B«(lt«r  «cnnthrtM  Zug,  «chlndlichn  Lug  und  Trag 
iifid  Khlfllirhrr  Unfue,  ml)  «tlrhnn  dt  dl*  ^nie  l.ind  iltnthilbn  nfailen.  «ntdcekM 
durch  Atetindtm  ton  WirnBinllnd«.    I7fi.  S.  III. 


liehe   Verfahren  aufs  strengste;  ebenso  eine  Armenordnung  für 
das  Eichsfeld  von  1 7  78. 

Sehr  scharf  gingen  einzelne  Behörden  gegen  diejenigen 
fremden  Vagabunden  vor,  die  frei  von  körperlichen  Gebre<heit 
waren,  aber  die  Arbeit  scheuten.  Prügel,  Brandmarkung,  Ohren- 
abschneiden  und  schwere  Schanzarbeit  dienten  zu  ihrer  Besserung; 
erwischte  man  sie  zum  zweitenmal,  so  Ikamen  sie  in  ein  Zucht- 
oder  Arbeitshaus  oder  an  den  Galgen. 

Der  zweite  und  wichtigste  Gegenstand  der  auf  das  Almosen* 
wesen  bezüglichen  Verordnungen  betraf  die  Versorgung  der  ein- 
heimischen Notleidenden.  Es  ist  das  Verdienst  der  Reformaloren, 
auch  auf  dem  Gebiet  der  Armenpflege  Reformen  venuilaOt  zu 
haben;  an  Stelle  des  bisherigen  unterschiedslosen  Almosengebens 
lediglich  zur  Förderung  des  eigenen  Seelenheils  verlangten  sie 
eine  geregelte,  von  werktätiger  Nächstenliebe  geleitete  Versorgung 
der  Kranken  und  Schwachen.  Während  sie  den  Bettel  für  stttiicfa 
verwerflich  erklärten,  brachten  sie  die  Verpflichtung,  den  Kranken 
und  Schwachen  vor  Hunger  und  Elend  zu  schützen,  zum  Be- 
xpulitsein.  Luther  hat  in  seiner  Schrift  »An  den  Christlichen 
Adel  deutscher  Kation"  den  Grundsatz  aufgestellt,  daß  jede  Stadt 
ihre  Armen  selbst  zu  unterhalten  und  eine  Armen  Verwaltung  ein- 
zurichten habe.  Im  Gegensatz  zu  den  wenigen  Verordnungen 
des  14.  und  1 5.  Jahrhunderts,  die  das  Betteln  erlaubten  und  nur 
die  ärgsten  Mißstände  zu  beseitigen  suchten,  dringen  die  zahl- 
reichen Armen  Ordnungen  des  16.  Jahrhunderts  auf  vollständige 
Abschaffung  oder  möglichste  Einschränkung  der  Bettelei  und  auf 
Einführung  einer  öffenllichen  Armenpflege.  Zur  Durchführung 
dieser  Organisation  galt  es  vor  allem  ausreichende  Mittel  zusammen- 
zubringen. An  Stelle  der  kirchlichen  Organe  übernahmen  die 
weltlichen  Behörden  die  Verwaltung  der  bestehenden  Armen-  und 
Krankenstiftungen;  die  Erträge  flos.sen  in  eine  besondere  Armen- 
kasse,  die  von  einem  unter  Aufsicht  des  Magistrats  stehenden 
Armenkollegium  verwaltet  wurde.  Der  Inhalt  des  Klingelbeutels 
und  der  in  den  Kirchen  aufgestelHen  Almosenkasten  und  Becken 
kam  ebenfalls  in  die  Armenkasse.  Da  die  auf  diese  Weise 
zusammengebrachten  Geldbeträge  bei  den  großen  Notständen 
nicht  ausreichten^  griff  man  noch  zu  andern  Hilfsmitteln.    Bei 


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Armen-  und  Bettdordnungen.  J99 

öffentlichen  Lustbarkeiten,  an  Jahrmärkten,  bei  Hochzeiten,  Kind- 
taufen und  Beerdigungen,  in  Postwagen  ließ  man  Armenbüchsen 
umgehen;  beim  Abschluß  von  Kaufverträgen  mußte  der  Armen 
gedacht  werden;  auch  gewisse  Slrafgelder  wurden  der  Armen- 
kasse überwiesen.  Man  veranstallele  regelmäßige  öffentliche 
Sammlungen  durch  besteJlie  Bürger,  Schulmeister,  Küster  oder 
Bettelvögte,  je  nach  Bedürfnis  ein-  bis  zweimal  wöchentlich, 
monatlich  oder  vierteljährlich.  Außer  Oeld  wurden  auch  Lebens- 
mittel, namentlich  Brot,  für  die  Armen  eingesammelt  Die 
württembergische  Kaslenordnung  von  1S36  bestimmt,  daß  zwei- 
mal in  der  Woche  gesammelt  würde;  die  dazu  verordneten  Per- 
sonen Irugen  auf  dem  Rücken  einen  Brotkorb,  in  der  einen 
Hand  eine  verschlossene  Büchse,  in  der  andern  eine  Schelle  oder 
Glocke.  In  Eßlingen  (Armenordnung  von  i528)  fuhr  wöchent- 
lich einmal  der  h Brotkarren "  in  der  Stadt  herum;  1620  wurde  der 
Karren  abgeschafft;  von  da  ab  ging  der  Bettelvogt,  begleitet  von 
einem  Firdelknaben,  mit  einer  Glocke  von  Haus  zu  Haus  die 
Armenspenden  aufbeben.  Die  fürsten bergische  Beitelordnung 
von  1770  schreibt  vor:  «Es  sollen  in  den  Städten  und  großen 
Dorfgemeinden  gewisse  Tage  in  der  Woche  zum  Almosensammeln 
bestimmt,  ein  vertrauter  Bettelvogt  bestellt  und  unter  dessen  An- 
fuhrung von  sämtlichen  mit  dem  (Bettel-)  Zeichen  versehenen 
Armen  in  einem  Haufen  mit  laut  betendem  heiligen  Rosenkranz 
das  Almosen  von  Haus  zu  Haus  geheischet,  das  erhobene  Geld 
in  eine  verschlossene  Buchs  gethan,  das  Brot  aber  in  Körben 
nachgetragen  und  nach  geendigtem  Umgang  die  ganze  Sammlung 
nach  Proportion  der  Köpfe  und  Zeichen  unter  Aufsicht  eines 
Vorgesetzten  getreulich  ausgeteilt,  dem  Bettelvogt  aber  eine  doppelte 
Portion  zugeschieden  werden."  In  Würzburg  (Annenordnung 
1720)  gingen  zweimal  wöchentlich  die  Viertelsdiener  mit  Brot- 
Irägern  von  Haus  zu  Haus  Gaben  einfordern;  1772  wurde  an- 
geordnet, daß  die  Armen ,  angeführt  vor  einem  Vierleisdiener, 
unter  Voranlragung  eines  Kreuzes,  betend  durch  die  Stadt  ziehen 
und  betteln  sollten;  seit  1 787  gingen  nur  roch  vier  Arme,  zwei 
Männer  und  zwei  Frauen,  mit  einem  Kreuz,  geführt  vom  Bettel- 
aufseher, herum.  Auch  von  durchreisenden  Fremden  erhob  man 
vielfach  eine  freiwillige  Armensteuer;   man   stellte  deshalb  außer 


in  den  Kirchen  und  Annenhlusern  auch  in  den  Oasthäuseni, 
Schenken  und  Krügen,  sogar  an  den  Straßen  vor  den  Toren  ver- 
schlossene ArmenbQchsen  auf. 

Eine  geregelte  Armenpflege  erforderte  die  Aufslellung  und 
Führung  von  Armen registern  durch  die  Qemeinde,  wie  sie  Luther 
bereits  vorgeschlagen  hatte.')  Man  teilte  die  Armen  in  zwei 
Klassen  ein,  indem  man  zwi&chcn  gänzlich  arbeitsunfähigen,  die 
vollständig  zu  unterhalten  waren,  und  solchen  unterschied,  die 
in  ihrer  Erwerbsfähigkeit  nur  beschränkt  waren  und  gelegentlich 
für  sich  und  ihre  Familien  einer  Unterstützung  bedurften.  In 
Straßburg  führten  die  Zunflmeister  die  Armenbücher,  die  viertel- 
jährlich geprüft  wurden  (.Polizeiordnung  von  1628).  Nur  die  in 
die  Armenlisien  Aufgenommenen  hatten  Anspmch  auf  Öffentliche 
Unterstütz ung.  Die  Verteilung  der  Geldspenden  und  Lebens- 
mittel fand  gewöhnlich  ein-  oder  zweimal  in  der  Woche  durch 
den  Spend-  oder  Kastenmeister  statt.  In  Schaffhausen  (Armen- 
ordnung von  IS24)  erhielten  die  Hausarmen  Samstags  je  sieben 
Spenden  Brot,  dazu  die  Alten  einen  Batzen,  die  Jungen  einen 
Kreuzer.  Iti  vielen  Gemeinden  teilte  man  die  Armenspenden 
nach  Schluß  eines  Gottesdienstes  aus.  unwürdige,  in  erster  Linie 
solche,  die  ihren  kirchlichen  Verpflichdmgcn  nicht  nachkamen 
oder  sich  in  Wirlshänsern  herumtrieben,  konnten  von  der  öffent- 
lichen Unterstützung  ausgeschlossen  wenden.  In  Braiinschweig 
war  die  Kontrolle  des  Kirchenbesuchs  der  Alnioscncmpßnger 
den  Bettelvögleni  übertragen.  Die  Nürnberger  Ordnung  von  1609 
entzieht  demjenigen  die  Unterstützung,  der  sich  einen  Hund 
zulegt,  die  Slraßburger  von  1628  dem,  der  Hunde,  Schweine  und 
anderes  Vieh  hält 

Die  in  die  Register  eingetragenen  Armen  erhielten  als 
Legitimation  einen  ihre  Dürftigkeit  bescheinigenden  schriftlichen 
Ausweis  (bayrische  Landes^  und  Polizeiordnung  von  I5t6;  ober- 
bayrische landcsordnung  von  1599;  Offenburger  Armenordnung 
von  l60l;  Leipziger  Armenordnung  von  1695  u,  Ä.)  oder  ein 
besonderes  Zeichen,  das  Bettclzcichen,  ausgehändigt  In  Slraßburg. 
wo  den  Zünften  die  Armenpflege  übertragen  war.  nannte  man 
die  Scheine  «Zuriftzettel';  in  der  Ordnung  von  1628  ist  folgendes 

<)  I  Sil  in  der  Vorrede  lur  KcuaufliEc  dct  llber  vneitonini. 


Almen-  und  Bettdordnungen. 


Formular  daför  vorgeschrieben:  .Anna  N.,  ihres  Alters  N.  Jahr, 
eine  Wittib,  hat  N.  Kinder,  kann  dieselben  und  sich  Leibes- 
blödigkeit wegen  nicht  ernähren,  ist  von  den  Verordneten  der 
unterschriebenen  Zunft  des  Almosens  würdig  geachtet."  Die 
Scheine  hatten  nur  für  eine  bestimmte  Zeit  Gültigkeit  und  mußten 
nach  Abiauf  derselben  erneuert  werden.  In  Bayern  hatte  der 
Besitzer  einer  solchen  Armutsbescheinigung  die  Erlaubnis,  ein 
Jahr  lang  in  seinem  heimatlichen  Bezirk  zu  betteln. 

Um  die  Almoscnempfänger  auch  äußerlich  zu  kennzeichnen, 
führten  viele  Behörden  die  Bettelzeichen  ein.  Es  waren  meistens 
kleine  Blechschild c  mit  irgend  einem  Abzeichen,  gewöhnlich 
dem  Stadtwappen;  sie  wurden  den  UnterstiJtzurgsbedürftigen 
unentgeltlich  verabreicht  und  waren  von  diesen  auf  den  Kleidern 
an  einer  sichtbaren  Stelle  zu  tragen.  In  Nürnberg  bestanden  sie 
schon  im  14.  Jahrhundert,  in  Frankfurt  seit  148^,  in  Augsburg 
seit  1*91.  In  Nürnberg  erhielten  sie  nur  diejenigen,  die  ihre 
Bedürftigkeit  durch  zwei  oder  drei  glaubwürdige  Zeugen  nach- 
weisen konnten.  Anfang?  waren  diese  Zeichen  wirkliche  Bettler- 
abzeichen, d.  h.  der  wohltätige  Bürger  konnte  daran  die  zum 
Betteln  Berechtigten  erkennen  und  von  den  arbeitsscheuen  Müßig- 
gängern unterscheiden;  später,  nach  Neuordnung  des  Armen- 
wesens durch  die  weltliche  Übrigkeit,  kennzeichneten  sie  den 
Empfänger  des  öffentlichen  Almosens  und  erleichterten  die 
Kontrolle  über  dessen  Lebenswandel.  Im  braunschweigischcn 
Gebiet  (Armenordnung  von  1702)  empfingen  die  in  die  Annen- 
register Eingetragenen  unentgelllich  Zeichen  mit  S.  P.  (=  Signum 
paupertatis),  die  beständig  auf  der  linken  Brust  über  den  Kleidern 
zu  tragen  waren;  in  Würzburg  (AlniosenorÜnung  von  1720)  war 
ein  auf  dem  rechten  Ärmel  anzubringender  Buchslabe  A  vor- 
geschrieben; im  Fürsten  bergischen  Blechschilde  mit  dem  Anfangs- 
buchstaben der  Herrschaft;  in  Halberstadt  (Armenordnung 
von  15ii4)  wurden  kupferne  Zeichen  ausgegeben,  in  Alienburg 
(Kastenordnung  von  1527)  Messingscliilde.  Im  Hochslift  Eich- 
siAtt  niuBlen  die  Zeichen  beim  Almosensatnmeln  um  den  Hals 
getragen  werden.  Im  Orlenauischen  Gebiet  bekamen  die  Almosen- 
empfänger einen  mit  einer  Spange  versehenen  Zetlel;  eine  ähn- 
liche Einrichtung  scheint  für  Straßbiirg  bestanden  zu  haben,  vo 


402 


A.  Richc). 


P 


das  von  den  Armen  jederzeit  öffentlich  zu  tragende  Abzekhen 
die  »Spang'  genannt  wurde.  Die  Almosenempfänger  schämleo 
sich  dieses  Zeichens  der  Armut;  daher  finden  wir  in  so  vielen 
Armenordnungen  als  Strafe  für  das  Verheimlichen  derselben 
vorübergehende  oder  gänzliche  Entziehung  der  Unlerstützutig 
ausgesetzt.  Die  Nürnberger  Ordnung  von  1609  erklärt  den  seines 
Anrechtes  auf  öffentliches  Almosen  für  verlustig,  der  sein  Armen- 
zeichen  versetzt,  verliert  oder  verleiht  Wer  es  bei  der  Almosen- 
Verteilung  tiicht  vorzeigen  kann,  erhÄlt  nichts. 

Diejenigen  Armen,  die  nur  vorübergehend  unterstützt 
wurden,  waren  gewöhnlich  von  dem  Tragen  des  Bettelzeichens 
befreit  Audi  auf  verschämte  Arme  nahm  man  Rücksidil;  in 
manchen  Gemeinden  brachte  man  ihnen  ihr  Almosen  ins  Haus; 
in  Kitzingen  trug  man  sie  nur  in  das  Armenbuch  ein  und  ent- 
ließ ihnen  das  Tragen  des  Zeichens;  in  Braunschvcig  schrieb 
i?ian  ihre  Namen  auch  nicht  in  die  Armenlistcn.  Die  Nürnberger 
Betlelordnung  von  147S  hatte  schon  beslimrnt,  daß  diejenigen, 
die  sich  schämten  am  Tag  zu  betteln,  besondere  Zeichen  erhalten 
sollton  mit  der  Erlaubnis,  im  Sommer  zwei,  im  Winter  drei 
Stunden  nach  Anbruch  der  Nacht  mit  Licht  zu  betteln. 

Zu  den  Almosen empfängern  gehörten  auch  die  armen 
Schüler;  meistens  hatten  sie  Erlaubnis,  vorausgesetzt,  daft  sie 
gute  Zeugnisse  ihres  Fleißes  und  ihrer  Sitten  aufzuweisen  hatten, 
ihren  Unterhalt  zusa.mnien  zu  betteln  oder  durch  Singen  vor  den 
Häusern  zu  verdienen.  Im  Jülichschen  Land  durften  sie  vor  den 
Türen  betteln  (PoÜzetordnung  von  1S54);  in  Würzburg  erhielten 
die  armen  Studenten  einen  Teil  der  in  den  Straßen  gesammelten 
Almosen.  In  Nürnberg  und  Augsburg  waren  die  armen  Schüler 
zum  Tragen  der  Bettlerabzeichen  verpflichtet;  in  Schaffhausen, 
wo  1524  der  Rat  das  Singen  abstellte,  nur  bis  zum  12.  Lebensjahr. 

Eine  besondere  Stellung  nahmen  die  wandernden  Handwerks- 
burschen in  den  Armenordtiungen  ein.  Wo  sie  nicht  von  den 
Zünften  mit  Geldbeiträgen  unterstützt  wurden,  gab  man  ihnen 
vielfach  eine  beschränkte  Erlaubnis  vor  den  Häusern  zu  betteln. 
In  Regensburg  (Ratsverordnung  von  1678)  empfingen  sie  am 
Tor  einen  zwei  Tage  gühigen  Aufenthaltsschein  und  in  den 
Herbergen   von    den    Handwerksvätem    eigens   dazu    vcrfert^te 


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■M 


Armen-  und  Bettdordnungen.  403 

Hand  Werkszeichen,  die  sie  berechtigten,  die  zwei  Tage  bettelnd 
die  Stadt  zu  durchziehen. 

Die  zahlreichen  Bettel-  und  Armenordnungen  hatten  nur 
geringen  Erfolg,  trotzdem  sie,  erweitert  und  verbessert,  immer 
wieder  von  neuem  eingeschärft  wurden.  Die  Menge  der  fremden 
Landstreicher  und  Qauner  nahm  nicht  ab,  und  die  Zahl  der  ein- 
heimischen Unterstützungsbedürftigen  wurde  immer  größer.  In 
Augsburg  zählte  man  im  Jahre  1566  800,  1569  1700  und  1625 
3000  Atmosenempfänger.  Das  Almosenamt  der  Stadt  Leipzig 
verausgabte  allein  in  den  fünf  Jahren  1708—1712  67485  Rthtr., 
3  Gr.  2  Pfg.  für  Armenzwecke.  Die  Schuld  an  dieser  traurigen 
Erscheinung  trug  vor  allem  der  durch  UnßUIe  und  Mißstande 
verschiedener  Art  hervorgerufene  wirtschaftliche  Niedergang,  dann 
aber  auch  die  mangelhafte,  unfähigen  und  pflichtvergessenen 
Beamten  überlassene  Durchführung  der  Armenordnungen. 


Die  Porträtsammlung  Herzog  Philipps  II. 


von  Pommern. 

Von  OTTO  HEINEMANN. 


Mehrere  Male  bereits  war  die  Gemäldesarnnilung  d«  kunst- 
sinnigen Herzogs  Philipp  II.  von  Ponimem-St eltin  der  Gegenstand 
einer  eingehenden  Untersuchung  durch  den  um  die  Erforschung 
der  Geschichte  der  Kunst  und  ihrer  Denkmäler  in  Pommern 
hochverdienten  Juliiis  Mueller.  Schon  vor  vierzig  Jahren  hat 
er  einen  Katalog  dieser  Geniildegaleric  von  i605  veröffentlicht.') 
Eine  Er^nziing  gab  er  vierzehn  Jahre  später  in  dem  Kataloge 
der  »Oeniahlten  Conterfeitps  von  Brusthildern  in  miiins  gnadigen 
Fürsten  und  Herrn  Herzogs  Ulrich  Losament",  dessen  Abfassung 
er  spätestens  in  das  Jahr  1617  setzt')  Nunmehr  haben  sich 
vor  kurzem  zwei  Bruchstücke  des  „Catalogus  bibliothecae"  Herzog 
Philipps  11.  gefunden,')  deren  eines  den  Katalog  der  Sammlung 
antiker,  hauptsächlich  römischer  Kaisermiinzen,*)  das  andere  aber 
einen  Katalog  der  Porirätsammlung  des  Herzogs  enthält,  der 
offenbar  älter  ist  als  die  beiden  bisher  bekannten  und  noch  ein 
besonderes  Interesse  dadurch  gewinnt,  daß  er  unzweifelhaft  von 
Philipp  II.  eigenhändig  geschrieben  ist.") 

>t  DuItlKlx:  Sludl>cn  XX.  1  iiS64).  S,  lOSIf. 

•)  ßtil.  &tDdlM  XXVlIt  (tgTR>.  S.  I5tff  Die  \b(u»ingucil  lääl  lieh  jcdodi  noch 
guiiuer  totimnm,  Üi  Miiihiu  (Ni  lO)  nur  aU  tu  Boh«niii«  t>«icichnvt  «irtf.  lo  jit 
6iti  KiUidi;  {cdcntRili  vor  der  im  li.  Juni  t6i2  rrtolgtrn  Wihl  M>itliiM'  lum  ICiiwi  ab- 
grfaSI,  rnidiTnci»  «her  auch  nach  dem  it.  Aprfl  ifiii,  dem  Tagt  der  AlitrcniBi 
Bühmoi!  duith  Kiiscr  Rudolf  11    «n  »*incn  Bnidci 

I)  Kel.  SuatJaffhlv  7U  SIrtiiB  :  «rtctL  Areh.  P.  I,  Ttt.  *6,  Nf,  SO. 

*i  Ohft  di«cn  «iril  an  anderer  51ellr  nihens  bcrichlrt  werden. 

1  Muelln  icrmultt  du  auch  von  dem  Kiulo|ic  von  IM?  <■.  a.  O  S.  Iltl.    Ldder 
lt[  et  noU  Aller  Nuh[«nchunetn  biihcr  irlcJit  |[clun|[tn,  den   vom  Aichivu  0.  KtAU  in 
diiniligen  Pcrmmenchni  Proviniularchivc  unter  uiif^ardnclen  Papieren  grfundcnni  KiUlOf  • 
In  tai  BMlindt«  dn  SbutMrthivt  ni  SlftHn  luitlndii;  tu  niichen      Eine  PMtiMlIunt;  der 
IdcnliUI  der  Hindtchrlflrn  iit  daher  nicht  tnOülicb  gnmrn 


Die  PorträUammlune  Herzog  Philipps  11  von  Pommern.      403 


Bevor  wir  auf  den  Katalog  näher  eingehen,   ist  es  zweck- 
mäßig, ihn  zunächst  im  Worttaute  hier  folgen  zu  lassen*): 

Imagines  bibliothecae  Philippi  II.,  ducis  Pomeraniae. 


1.  AlntanderMagnus.  [B  JI.C12.! 

2.  Att3la,flagelluTnDci.lB55.Clä.| 
5.  Totilas.  rex  Oolhorum.  (B  56. 

C  15-1 
i,  Carolus  Magnus,  Rom(aiionim) 
iinp(erator). ') 

5.  Fndericus  I.,  Roin(aiiorum) 
tmpfaator),  cognomcnto  Bar- 
barossa.  [B  I12.| 

6.  TamerUnus,  Scyumm  inip(e- 
rator),  orientis  icnor,  [B  34. 
C  N.| 

7.  AlphorisuB,  tex  Arragonensis 
et  NcapoliUmis.  [B  i2,  C  16.| 

8.  Cosinus  Medios,  pater  patria«. 
[B  U.  C.  42,| 

q.  Scanderbegus,  Epiri  princeps, 
[B  2S.  C  25,1 

10.  Laurenciuä  Medien,  musarum 
(XLtroniisircomparabilis.  [B2ii. 
C  43.) 

11.  Christopborus  Columbiis,  novi 
orbis  rqwrtor.     [B  21.  C  26.| 

12.  Atnericus  Vcspuaus.  [B  65. 
C27.1 

13.  Ludovlcu»  Stortia,  dux  Medio* 
lancnsi».  (B  3D.  C  3q.| 

14.  TerdinandusCorduba,  magnus 
(lux.  )B  5.  C  J4.1 

15.  FerdinaiidusMflgHliiniis.  |B2J. 
C  2S.) 

16.  Ferdinandus  Cortcsius,  Indo- 
rum  ilomilor.  |B  1i.  C  2^.] 

17.  LAurentius  Mediccs,  dux  Ur- 
btni,  Caiharinac.  rcginae 
Oalliae.  pater.    (U  2.  C  44] 


•)  Kwi  der  OroBc 


IS.  Joannes      Paulus      Baleoniue. 
|B  14.  C  37.) 

19.  Leo  X.,  pont(ifex}  inax(imtis). 
[B  67.  C  J.| 

20.  Adrianus  VI.,  pont(ifex)  maxi- 
raus.  [B  1S.  C  2.] 

21.  Jo<annes)  Franciscus,')  marchi» 
Pescariae.  [B  22.  C  31.] 

22.  Antonius')   Borbonius.    |B  e.. 
C  30.) 

23.  Odcttus     Pusius     Lotrechius. 
IB  9.  C  36.1 

24.  CleniensVll.,ponti(exm«ximus. 
[B  68.  C  4.] 

25.  Antoiuus  Lcva,    |B  tj.  C  äi-l 

26.  Alphonsus,    marchio    Guasti. 
[B  I.  C  32  I 

27.  Alexander     Medice»,     primus 
dux  Florentiae.   (B  48.  C  43.] 

2».  Hyppoülus  Mediccs,  ardinaüs. 
jB  47.  C  9.) 

29.  Carolus  V.,  Rom(anoniin)  tm- 
p(cr3lor).  |B  99.| 

30.  Ferdinandus,        Rofn(anonini) 
inip(crator),  [B  11  u.) 

31.  JoanncsRantzoviuseiju(S.reg(is> 

Daniae    «u minus     belli    dux. 
[B  1«S| 

32.  Arjadeims  Barbaroisa.    (B  45. 
C  38.) 

33.  I*etms  Slrozza.  113  10,   C  41.1 

34.  Andreas  Doria,  [B  11.  C  3i.] 

35.  Daniel     Ran/ovius,     summus 
belli  dux  contra  Sueciim.  [B91.1 


*)  Vohl  vrrKhiiffbm  *t>lt  rcnliruadui. 
*t  W«hl  ranchhelMn  iMt  Cuoli«. 


T  Die  Nummern  der  KiUInüe  von  IMJ  (8)  und  itii;"2  (C)  (iind  tiinlei  irtciii 
Bilde  tn  i-|  vrnncTici,  Vqiui  do  du-sotclK™  Ptiwnen  wird  ml  Mucllcii  snchichtllchc 
AnBCrhvnscn  m  drtn  ICilalflgr  von  IMS  vcrvtctcn.  Nur  Für  die  dort  tehlMid«ii  Bitdcr 
tlwl  Mer  knrrc  ErUuWnuicni  eteeb«  und  etnip  Ansalxn  Mudlcn  bniebllxt  «arden. 


^^M            40fi                                    Otto  Heinenmiin.                                  ^^^^^H 

^^H              36.  Cosintis  Mediccs,  magnus  dux 

SS.  Elysabelha.  rcgina  Angltae*) 

^^H                     ülruriac  piimus.  [B  M.  C  4b.] 

59.  Ferdinandus  Medices,  mafnus 

^^1              }7.  Joannes  Basilides,  magniis  dux. 

dux  Etruriae  III.  [B  S5.  C4S,I 

^^f                     princrps  Moscoviae.  [B  4.  C  54.) 

60.  Pelnis    Mediccs,    dus    (raW. 

K                    JS,  Oregorius      XIII.,      pontife» 

[B  S9.  C  49.1 

"                           maximus.  (B  6ft,  C  S] 

61.  Joannes  Medices,   eiuB  fnter. 

39.  Mflximillinus    IL,     Romfsna- 

[B  32.  C  50.] 

nim)  impieratffr}.  [B  IH-I 

62.  Ludovicus   cardinalis  Madru- 

40.  Joannes  Albertus,  dux  Mcga- 

cius.  [B  24.  C  10^11-1 

politaiius.  [B  las.] 

6J.  Mauritius,    conies    Nassortw, 

41.  OulieLmus,  princepa  Auranius, 

unitanim  Belgii  provindanun 
suminus  belli  dux.  [B  75.) 

Bdgii  gubernator.  [B  107.| 

42.  Franciscus   IE.,    magntis    duv 

64.  Homcrus.  |B  iO.  C  55,]           ^i 

Etniriac  [B  62.  C  47.1 

6S.  Hesiodus.  [B.  29.  C  56.]          ^^M 

43.  Qothardus,     dux    Curlandiae 

66.  Plalo.  (B  40.  C  57.J 

primus.  |B  109-1 

67.  Aristoteles.  (B  U7.  C  SS.) 

44,  Stephaniis  Bathori,  rex  Polo- 

68.  Pctrardia,  pocU.  [3  46.  CS9.I 

niae.  (B  95.\ 

69.  Joannes   Boccatius,  orator  et 

45.  Fridericus    11-,     rex     Daniac. 

historicus,  [B  39.  C  öO.| 

(B  111.] 

70.  Jacobus     SaJiozarius,      pocta. 

46.  EmcslusLudovicus,  diixPotne- 

IB  64.1 

ranise.  [B  JOO.I 

71.  Petrus     Bcmbus,     cardinalis. 

47.  Hiiiricus  Ouistus,    interfectus 

IB  23_  C  5.1 

Jussu  n^sQalliae.  IB5S.C5S.| 

72.  Paulus  Jovius,  historicus.  IB7.) 

4S.  Alexander  Famesius,  diix  Par- 

73.  Franciscus  Cuicciardinus,   hi- 

mensis,      Belgii     giibemator. 

storicus.  IB  54-1 

[B  61.  C  52.1 

74.  Ludovicus     Ariostus.     pofts. 

4».  Hinricus     III..     rcx     Oalliac. 

(B  20.] 

IB  17.  C  17.| 

75.  Joannes  Ambrosius  Calcpinus. 

50-  SixtusV.,  pont(ifcx)  raaic{Eirus). 

1B3.1 

(B  16.  C  6.1 

lt>.  VilonusAretinus.poft*.  1353.] 

51.  F«rdinandus,archiduxAii8triae. 

77.  Petrus  Viciorius,  philosoptlus. 

IB  12.  C  21.1 

IB  51-1 

52.  Erneslus,    arctiiduK    Austriae. 

7S.  Doctor  Navarrtis,  Martinus  ab 

(B  57.  C  22-1 

Adspilcucta.  IB  66,] 

S3,  Alplionsus   tl.,   dux    Pcrrariac 

79.  Michael    Aiigrlus.    pidor    et 

iiltimus.  [B  St.  C  51.) 

slaluarius.  IB  8,) 

54.  aemens       VIII.,       pont(ifex) 

SO.  Joannes  Gulielmus,  dux  Saxo- 

^H                     niax(imus).  [ß  27.  C  7.] 

iiiae-  [B  104.] 

^^B              55.  Ruüolptius  If.,  Koin(anoTuin) 

81.  Auguslus,duxSa)coniae,elector. 

^H                    inip(erator).    |B  US.] 

|B  88,] 

^^B              56.  Phlljppus  II.,  rex  HUpaniie. 

^m             iB 

&2.  Christianus,    dux    Sax(oniac), 
etcctor.  (B  83,1 

^^M             57.  Hinricus  IV.,  rex  Qalliae  et 

1)  eiiubelfa.     KAalein    *h    ENglind. 

^K^              Navarrac.  [B  42.  C  18.} 

rt  160).)                                                                           4 

1 

Die  Portiätsainniliiiig  HerTog  Philjp|»s  11.  von  Pommem.       407 


83.  Fridericus  Cutielmus,  dux 
Saxoniae,  tiitor  el  electöratus 
administntor.  [Q  St.| 

84.  Hinricus  Ramovius,  prodiix 
Cimbricus.  IB  79.) 

85.  Sciymus  II.,  Turcaruin  iiiip(c- 
nitor).  [B  93.| 

S6.  Joannes,  dux  Mcgapolitanus. 
|B  90.) 

87.  UJricus,  diu  Mtsapolitaniu. 
[B  92] 

88.  Otho,  dux  LunaebvrgcnsH. 
|B  U4.| 

89.  Hinricus.duxLunaeburgensis.') 

90.  franciscus,  dux  Lunaeburgen- 
sis.  (B  76.] 

91.  Philippu5,landgravlusHas«ae.*) 

92.  Albcrtus,duxBorussiae.(B  122-1 
95,  Maximilianus ,    archidux    Au- 

slriat  |B  131.1 

94.  Desiderius  Eiasmus  Rotcro- 
damus.  (B  94. | 

95.  Martinus  Lutherus,  [B  9&.\ 

96.  Philippus  Mclanchlon.  |B  96,| 

93.  Joannes  Ponlanus,  medicus. 
(B  IUI 

98.  Joannes  Rosa,  phüosophus. 
IB  97-1  •) 

99.  Bartbolomeus  Gerardi,  Iheo- 
loffus.  [B  106,] 

100.  Tilemsnnuä   Heshusius,   iheo 
logus.  |B  101.]') 

101.  Matheus  Wcscabedus,    I,    U. 


I)  Heinrich  drr  MMIIere,   Henog 

von  SnunichvelK-I-llncburK  It  ml),  On>ß- 

v«.tfr  der  Mutter  Philipp   It. 

>)  Philipp  der  Oroßmülifc,  Und- 
gnl  von  HtsKii  {t  <tA<)' 

>)  V(M  nicht  d«T  RcirnnburK«  AtiL 
wie  Mudter  indnl,  londcrn  <Jct  Plillotopti 

Johann  Ron.  \  Ii73  1I1  Piofsiar  dcr 
Tliealoglc  und  R^or  der  Unlvmflit  J«ii 

*)  TlUmattn  MeDliu«<ut  (Mucllcr 
Ilal  KdltiuilDi],  itTTTKCT  luthrdschrl  Thco- 
l«Se,  t  '1*1  •!*  Prott*Mr  in  Hclmilnlt, 

*)  Mitthluf  Vfirnbrek,  '■«St- 
wboirt  UrdiMi-Ficfaner.  t  ifWilt  pRiIcuor 
in  WitKiiticis. 


t02,  Cervasius     Marstatlems,    me- 
dictts.») 

103.  Bemhardus,  prineeps  Anhalti- 
nus.  IB  130.) 

104.  Hinricus    iuitior,    burggrafius 
Misnensis.  [B  127.] 

105.  Christianus  II„   cicctor  Saxo- 
niae, (B  S4.] 

tü6,  Albertus,    marchio     Branden- 
bur^nsis.  <|B  S0.\ 

107.  Nicolaus,    comts     Scrinensis. 
[B  89] ') 

108.  Philippus,    eleclor    Pabtinus. 
|B  102.| 

109.  Amalia,«)eiusconiunx.(BlOJ.) 

110.  Joachimus   Fridericus,  elector 
BrandciibuTgensis.  [B  85.] 

111.  Katharina,  eius  conlunx,  [B  36.) 

112.  ClAra    Maria    Poincrana,    dux 
Megapolitana,») 

113.  Joachimus  Siedingk.") 

114-  Slaug  «Raot.  [B  117] 

1)5.  ^.5ril»:i^C^iI^tlm«t(Nr.83) 
fficmo^L  IB  82.)") 

tt6.  £1.  ;irTart)Dan£iinc&urg(Nr.9a) 
«mQ^I.  |B  l2b|«M 

I1T  te%  Watflgralen  »on  SKti^ta 

(Nr.  104}  Qtcma^l.  |B  12S.] 
113. 


^ 


•jOervitiui  MtrtUller,  t  <>" 
1.I1  tiortnl  Hrrrag  Vllhrlm*  von  Br«an> 
idiwcie-l.Qncbure. 

r)  Nlklii  Qril  vonZrlnfl  [f  I9fifi\ 
der  tapfere  Vcrtcidiccr  von  SdKclh. 

■}  Wohl  vcndincboi  Ifii  Miriptrrtha. 

*)  Citri  Miti)i  von  Pi>miiimi(t  t6(M), 
SdivMtcr  PhiU|ipt  [[..  ml  itsi  OenuhUn 
Kmoi!  SiitiimuniJAuEUitivonMccklffiburi. 

"^  Joichim  Sledinf,  hwnofl. 
Ilinptminii  im  Barth. 

■  'I  Clara  von  Sochien - Lanmburg 
(t  isie).  Mutter  der  MulM  Phillppi  tl 

!■)  Killiarina  von  Braun Khvcig' 
LQinrburi;  (f  UM),  SchwcMer  drr  Oanililttl 
DoElaUn  XIII, 


408 


Otto  Heinemann 


I 


Den  Kafalog  C  können  wir  weilerhin  ganz  außer  acbt 
lassen,  da  er  ja  im  wesentlichen  mit  B  übereinstimmt  Von  den 
sechszig  Nummern  in  C  fehlen  in  dem  neu  aufgefunderien  Kata- 
loge, den  wir  in  der  Folge  als  den  äUesten  kurz  mit  A  be- 
zeichnen wollen,  nur  C   Nr.   1,    19,  20,  23'),  24  und  40. 

Wenn  wir  B  mit  A  vergleichen,  so  ergibt  sich,  daß  bei 
weitem  die  meisten  Bilder  in  beiden  Katalogen  zu  finden  sind. 
Von  den  in  B  verzeichneten  fehlen  in  A  die  siebenundzwanzig 
Bilder  B  Nr.  I9,  3S-37,  41,  63,  69-74,  77,  87,  1l5,  116, 
118-121,  123,  125,  129,  T31,  132,  135,136.  Andrerseits  da- 
gegen  sind  in  B  auch  acht  Büder  von  A  nicht  aufgeführt, 
nämlich  A  Nr.  4.  58,  89,  91,  101,102,112,113,  darunter  auch 
das  Bild  Kaiser  Karls  des  Großen  (Nr.  4),  das  in  Philipps  II. 
Briefwechsel  mit  Heinrich  von  Ranizau  erwähnt  wird,*)  und  das 
schon  J.  Mueller  in  B  vermißte.^)  Vermutlich  befanden  sich 
diese  acht  im  Jahre  1605  nicht  mehr  in  der  Sammlung;  aus 
welchem  Onindc,  steht  dahin.  ■ 

Wie  die  Reihenfolge  der  Bilder  in  B  und  C  eine  ver- 
schiedene war,  so  stimmt  auch  die  von  A  weder  mit  B  noch 
mit  G  Mithin  Ist  A  ein  selbständiges,  zu  einer  anderen  Zeit 
als  B  und  C  angefertigtes  Verzeichnis.  Daß  A  älter  ist  als  B, 
läßt  sich  aus  dem  Fehlen  der  oben  erwähnten  sicbeninidzwanzig 
Bitder  schließen,  die  erst  nach  Autstellung  von  A  in  die  Sammlung 
gelangt  sind.  Wann  aber  ist  die  Aufnahme  von  A  erfolgt?  Den 
terminus  post  quem  ergibt  der  oben  erwähnte  Briefwechsel;  es 
ist  das  Jahr  1593.*)  Schwieriger  ist  die  Ermittlung  des  terminus 
ante  quem.  Gab  bei  der  Bestimmung  dcL  Abfassungszeit  von  B 
die  persische  Oesandtschaft  .in  Kaiser  Rudolf  II.  (1604)  uns  den 
terminus  posi  quem,  so  dürfen  wir  ans  dem  Kehlen  der  Bilder 
der  persischen  Gesandten  (B  7  4  und  115)  wohl  folgern,  daß  A 
früher  als  1604  abgefaßt  ist.  Vielleicht  ließe  das  Fehlen  des 
Bildes  der  Stiefmutter  Philipps  II.,   Anna  von  Holstein  (B   132), 


I 
I 


■)  Nr,  10.  »  Ich!»  auch  In  B,  lind  alto  waM  erat  nach  IM»  in  dir  licnoiUdK 
Samolunit  Ectui|[l,  Nr.  ^0  ttvt  letl  (rag),  oben  S.  *(■•,  Ann),  Q. 

>)  Dilm«n.  Tonim    BiblioUlCk  It,  S  ^V2. 

r)  B»ll.  Studien  XX,   i.  S.  i!f;  XXVIII.  S.  IM.  Ann.  171. 

«;  Auch  hfintek  «nt  un  7.  Okt  i»3  Cl*n  Muia  van  Pommtra  (A  III)  tt» 
Kerwz  SiKiunun*)  Augnil  v«n  M«ekl«nburs-Srti«trln. 


:kL 


I 

I 


I 

I 


Die  Portr&tsammluiig  Herzog  Philipps  II.  von  Pominern. 


die  Möglichkeit  zu,  daß  A  vor  1601  aufgestellt  sei.  Da  jedoch 
auch  Bogislaw  XIII.  selbst  und  seine  erste  Qatlin,  Clara  vor  Braun- 
schweig (B  129  und  131)  niclit  vertreten  sind,  so  kann  man 
einen  sicheren  Schluß  nicht  ziehen.  Wir  können  also  nur  sagen, 
daß  A  zwischen   i593  und  U04  entstanden  sein  muß. 

Sehen  wir  den  Kalalog  A  etwas  näher  an.  Schon  bei 
einer  oberflächiichen  Betrachtung  heben  sich  deutlich  zwei 
Gruppen  heraus:  Nr.  1  -63  und  Nr.  64  -  79.  Die  erste  Gruppe 
umfaßt  llberwiegend  fürstliche  Personen,  darunter  von  An- 
gehörigen des  pommerschen  Fürstenhauses  nur  Herzog  Ernst 
Ludwig,  denen  sich  eine  Anzahl  höherer  geistlicher  und  welt- 
Udier  Würdenträger,  Staatsmänner,  Feldherren,  sowie  auch 
Christoph  Colunibus,  Amerigo  Vespucd,  Ferdinand  Magellan  und 
Ferdinand  Cortez  zugesellen.  Die  zweite  Qruppe  umfaßt  nur 
Dichter,  Gelehrte  und  Künstler.  Beide  Gruppen  sind  in  steh 
chronologisch  geordnet.')  Es  folgt  eine  dritte  Qruppe  (Nr.  80  93), 
die  wieder  im  wesentlichen  fürstliche  Personen  umfaßt,  zu  denen 
nur  Heinrich  von  Rantzau,  Philipps  II.  Freund  und  Berater  in 
Kunstsachen,  kommt  Eine  vierte  Gruppe  (Nr.  94-  102)  bilden 
ausschließlich  Gelehrte,  darunter  auch  die  Reformatoren  Martin 
Luther  und  Philipp  Melaiichthon.  Im  ersten  Augenblicl(e  könnte 
man  geneigt  sein  anzunehmen,  daß  bei  der  Aufstellung  des 
Verzeichnisses  etwa  nur  die  beiden  ersten  Gruppen  vorhanden 
gewesen,  die  dritte  und  vierte  dagegen  erst  später  daiu  gekommen 
seien.  Dieser  Annahme  widerstreitet  aber  der  niehrfacli  erwähnte 
Briefwechsel  Philipps  IL  mit  Heinrich  von  Ranizau.  Nach  diesem 
sind  dessen  eigenes  Bild  und  das  des  Sultans  Selim  II.  (A  84,  SS) 
gleichzeitig  mit  dem  des  Johann  und  D.iniel  von  Rantzau  (A  J1 
und  3S)  am  16.  November  1593  dem  Herzoge  übersandt,-)  und 
doch  treffen  wir  diese  in  der  ersten,  jene  in  der  dritten  Gruppe. 
In  der  ersten  Orupiie  finden  wir  auch  die  erst  am  26.  Dczcm- 
ber  1593  dem  Herzoge  über^chickten  Bilder  Kaiser  Karls  des 
Großen  und  Kaiser  Friedrichs  I.  Barbarossa  (A  4,  5).  Auch  an 
eine  Gruppierung  nach  der  Nationalität  der  dargestellten  Personen 


I)  Btl  ä*t  («eilen  UM  allcrdinKE  Qultion«  van  Arrao  |A7fti  die  chrDnolotitetw 
folp     Et  1(1  nchliscT  vcir  I'rtrtic]  CA  tt)  clnxnrcibtn. 
>1  Dilinen  i.  ■.  O.  S.  i«t. 


Afthi*  fdi  Kulturjcodiicltlc.    II. 


2« 


I 


würde  höchstens  für  die  zweite  und  vierte  Gruppe  gedacht 
werden  können,  von  denen  jene  nur  Nichtdeutsche,  diese  nur 
Deutsche  enthäli  In  der  ersten  überwiegen  zwar  die  Nicht- 
deutschen,  in  der  dritten  die  Deutschen,  aber  streng  geschieden 
sind  sie  nicht.  Aus  welchen  Gründen  also  die  dritte  und  vierte 
Gruppe  nicht  in  die  erste  und  zweite  eingereiht  sind,  ist  nicht 
recht  ersichtlich. 

Wir  mtisscn  also  annehmen,  daß  die  102  ersten  Bilder 
im  Besitze  Philipps  II.  waren,  als  A  angelegt  wurde.  Das  wird 
auch  durch  die  Schrift  bestätigt;  denn  bis  Nr.  102  scheint  das 
Verzeichnis  in  einem  Zuge  geschrieben  zu  sein.  Die  folgenden 
Nummern  sind  sieher  später  nachgetragen:  ob  alle  gleichzeitig 
oder  je  nach  dem  Eingange,  rauli  dahingestellt  bleiben.  Merk- 
würdig  ist,  daß  die  vier  letzten  Eintragungen  in  deutscher  f 
Sprache  erfolgt  sind.  Wie  sich  auch  aus  der  NichtausfüUung 
der  letzten  Nummer  zu  ergeben  scheint,  dürfen;  wir  wohl  an- 
nehmen, daß  A  zugleich  eine  Art  Zugangsverzeichnis  war,  das 
nach  der  Übersiedelung  Philipps  II.  von  Barth  nach  Stettin  (1603) 
durch  B  ersetzt  wurde. 

Auf  die  Bilder  selbst  näher  einzugehen,  eriäbrigt  sich,  da 
die  Ausführungen  J.  Muellers  auch  für  diese  Bilder  im  wcscnt* 
liehen  durchaus  zutreffen. 

Ist  der  Gewinn,  den  uns  dieser  neuaufgefundene  Katalog 
bringt,  auch  nicht  erheblich,  immerhin  wird  die  Zahl  der  in  der 
herzoglichen  Portrltsammlung  vorhandenen  bekannten  Bilder 
doch  um  sieben  vermehrt,  und  so  wird  diesem  kleinen  Bausteine 
zur  Geschichte  der  Kunstsammlungen  Philipps  II.  ein  gewisser 
Wert  nicht  abzusprechen  sein. 


I 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des 
Schriftwesens  in  Bayern. 

Ein  Beitrag  zur  Qeschichte  der  Aufklärung,  nach  archivalischen 
Quellen  bearbeitet. 

Von  FERDINAND  LORENZ. 


HI.  Schwankende  Zuständigkeitsverhältnisse  in  Zensursachen. 

Es  wurde  schon  darauf  hingewiesen,  daß  die  Befugnisse 
der  Zensurbeamten  durch  die  Eingriffe  anderer  Behörden  ins 
Schwanken  kamen.  Dies  erinnert  an  eine  noch  in  die  Zeit  Max  IV. 
Josephs  reichende  ganz  aUgemeiite  Erscheinung,  worüber  wir  bei 
Lerchenfcld  die  Angabe  finden:»)  „Die  gänzliche  Verwirrung 
der  Begriffe  über  die  Grenzen  der  Zuständigkeil  der  einzelner 
Behörden,  eine  Folge  der  Auflösung  der  alten  wohlgegtiedcrten 
Reichsverfassung  und  der  Entwicklung  der  immer  mehr  nach 
Unabhängigkeit  strebenden  Macht  der  Reichsstände,  welche  ihren 
Höhepunkt  erst  in  der  miöverstandeiien  Machtvollkommenheit 
(Souveränetät)  im  Sinne  Ludwigs  XIV.  erreichte,  welche  leider 
noch  heute  gar  vielen  als  der  Zustand  der  Legitimität  einer  wahr- 
haften väterlichen  Regierung  im  Sinne  der  götth'chen  Anordnung 
gilt.  —  hatte  auch  in  Bayern  tiefe  Wurzeln  geschlagen."  Ja, 
gerade  weil  Max  Joseph  der  Kompetenzstreitigkeiten  möde  war. 
wollte  er  nur  einen  Minister  und  nicht  drei.  So  wurde  Mont- 
gelas  der  Nachfolger  Kreitmayrs,  der  auch  MMinisterissimus" 
gewesen  war.  Im  Grunde  wurde  erst  durch  das  wichtige  Gesetz 
vom  28.  Mai  1 850  Wandel  geschaffen,  welches  Vorschriften  ßber 


')  OcKbidiu 


J«ttcph  I.   UM.  S.  <>. 


26« 


Ferditund  Lorens. 


die  Entscheidung  von  Kompelenzkonflikten  zwischen  Gerichten 
wie  zwischen  Gerichten  und  Vencalhingsbehörden  gab.  *) 

Die  Beziehung  des  Ministeriums  des  Auswärtigen  zur  Zensur 
veranschaulich!  schon  ein  Votum  Oefeles:*)  »Das  Manuscript,  so 
den  Tilel  führt  «Einleitung  zur  valerländischen  Geschichte  lör 
die  dritte  Klasse  der  chiirbairischen  Gymnasien"  kann  bis  zu  dem 
Bogen  26  exclusive  einstweilen  gedruckt  werden,  da  aber  der 
Autor  die  Geschichte  bis  auf  die  neuesten  Revolutionen  fortführt, 
so  gehört  eigentlich  die  Untersuchung  zu  dem  d6partement  des 
affaires  etrang^res,  und  kann  solches  ein  Privat-Censor  nit  auf 
sich  nehmen,  zumal  diese  Einleitung  ein  lehr-  und  Normalbuch 
vorstellen  soll.« 

Ausländer  mußten  sich  durch  die  Gesandten  an  den  Kur- 
fürsten wenden.  Lcrchenfeld  empfahl  so  1776  den  Emigranten 
Chevalier  de  Paoli,  daß  er  den  Mctxure  universel  in  Stadtamhof 
verfassen  und  drucken  dürfe;  derselbe  hatte  ein  Zertifikat  von 
Mettemich  vorgezeigt  und  von  ihm  ein  Empfehlungsschreiben 
an  den  Grafen  von  Seilern  in  München  erhalten. 

Mitunter  wurde  die  Durchlassung  persönlicher  Anzüglich- 
keiten von  anderen  Mächten  verübelt  So  (ibersandle  der  Justiz- 
minisler  Hertling  an  das  Kolleg  ein  Promemoria  des  preußischen 
Geschäftsträgers  Harnier  wegen  einer  im  Wochenblatt  vom 
11.  Dezember  1796  vom  Buchhändler  Lindauer  angezeigten 
Schrift  «Herrn  von  Bülows  amtliclie  Berichte  über  ilen  h'riedens- 
congreß  zu  Basel."')  Im  Interesse  der  guten  Beziehungen  beider 
Höfe  dürfe  das  nicht  geschehen,  Babo  wies  darauf  hin,  dtS 
solche  politische  Broschüren  häufig  zirkulierten,  in  Regensburg*) 
unter  den  Augen  des  Reichstags  und  sämtliclier  Gesandtschaften, 


I 


>}  Vogel.  DaiSbihKchl  da  K^nlercitht  Bitytm.  Kreiburg  und  Tübingen  I8«i,  S.  31. 

1^  Vom  14-  Fehrwr  li;6,  M,  K   A,  7«;2S 

■}  M    K    A    imjM:   Slaat«-,  Kirdirn-    und  tinivrtulhiiloric     -    Heinrich  WTIhtliB 

v»n  BOlo«.  iT(l  lu  Bninireüii  Im  BriunKhw.  {rb.,  Ktmtncrl unker  und  RFelrtunemt, 
1790-91  privitiilcrtni],  dann  ia  Baie\  und  nchlicUlicti  in  I'irii.  «i>  er  1748  auf  DtMlT  dM 
DltrldDiium*  Ycrhiftct  wurde.  Schiiib  luliti  xm^rintcc  Schilft  rint  AMianiliiinü  über  Qr. 
stlLtthlc  und  VcifiiiiunK  de»  HdchilaK«  In  1  Teilen.    (Itudoli 

*i  Dodi  txluiiptctcti  die  OoandtKhilten  dncn  lUimcndcii  CinflLßiuf  dU  Rediktlon 
polilitclier  ßliti«.  .Et  exiilieric  zvir  (ine  bi»ondere  Ceniitr ;  ntlein  venn  irgtai  eine 
von  jenen  einwi  ihr  «n»löt)tBeii  Aitlkfl  land,  w  »uide  nlrJil  io»«ilil  niK  f!«  I«««««  d«- 
lalh  ROcktpiicbe  ernnmnim.  iDndcm,  lener  Crnniii  uni^;ichlcl,  dM  '/ciauietvalavti,  n( 
eine  oll  pcrtbnllch  hcicidlaende  VcIk,  lot  du  jeMniltichiftliclic  Farnm  eetorderl .  ..• 
Ktytm  Annalen  tl«,  S.  301  Anm. 


I 


Zur  Oeschichte  der  Zensur  und  de  Schriftwcsois  in  Bayern. 


und  auch  gekauft  würden.  In  einzelnen  Punkten  führte  er  die 
RechtEertigung  weifer  aus.  Eine  Beleidigung  des  Königs  sei  ihm 
nicht  erinnerlich,  manches  sei  trotz  seiner  Verächtlichkeit  nicht 
ohne  weiteres  zu  verhindern.  Ein  Verbotsantrag  hätte  bewiesen, 
■  daß  jene  Stellen  ein  größeres  Gewicht  und  einen  stärkeren  Ein- 
druck bei  mir  gemacht  haben  müßten,  als  man  sonst  solchen 
Gegensländen,  die  an  sich  schon  verachtungswDrdig  sind,  zuzu- 
gestehen pflegt."  Harnier  scheine  den  Geist  der  Zensuranstalt 
nicht  zu  kennen,  Verkaufslizenz  sei  nicht  mit  Beifall  und  Aulo- 
risierung  identisch,  ein  Einfluß  auf  das  freundschaftliche  Einver- 
nehmen der  Höfe  sei  un ersichtlich.  Ungezählte  Broschüren 
dürften  in  den  preußischen  Staaten  verkauft  werden,  die  als  den 
kurfürstlichen  Hof  beleidigend  erachtet  werden. 

Auf  diese  Weise  "lollte  der  mit  der  Zensur  der  Schrift 
betraut  gewesene  und  nun  vom  Direktorium  zur  Erklärung  auf- 
geforderte Babo  einen  Bericht  ad  Intimum  formuliert  haben,  zu- 
gleich mit  der  Anregung,  «wie  äußerst  heikel  das  Censurgeschäft 
werden  würde,  wenn  es  nun  vollends  auch  noch  in  politisch- 
diplomatische  Verwicklung  kommen  sollte." 

Es  erging  nun  ein  Promemona  an  Hamter  zurück,  falls 
er  nicht  beruhigt  sei,  wolle  man  die  vorhandenen  Exemplare 
obsignieren  und  dem  Herrn  Geschäftsträger  gegen  beliebigen 
Ersatz  an  die  Buchhiändler  zustellen  lassen. 

So  unempfindlich,  wie  Babo  es  darstellt,  war  man  in  Mönchen 
aber  doch  nicht.  Am  7.  Dezember  1794  erhielt  der  preußische 
Geschäftsträger  von  Schultz  die  Nachricht  von  einem  Erlaß  des 
Preußenkönigs,  welcher  dem  Buchhändler  Lübeck  in  ßaireutb 
und  der  Grauischen  Buchhandlung  zu  Hof  den  Verkauf  der 
Schrift  uGallerie  churpfatzbaierischer  Staatsdiener  und  -beamten" 
untersagte.^)  Im  September  1798  fährte  das  Kollegium  bei  der 
kurf.  sächsischen  Regierung  zu  Dresden  Klage  wegen  der  dem 
Zensurrat  Klein  vom  Leipziger  Literarischen  Anzeiger  zugefügten 
Beleidigung. 

Solche  Reibungen  hatte  die  Zensur  anscheinend  von  jeher 
Buszuhaltcn.    Schon  t  TS8  hatte  Lerchenfeld  von  Regensburg  an 


■)  M.  K.  A.  7S4II:  In  Fr«nUart  t.   M.  nutgeftriip  von  Hardenbers  «n  2t.  Ok- 
tober 1794. 


den  Kurfürst  geschrieben,')  daß  der  holländische  Gesandle  von 
Qatlieris  von  der  boshaften  Schilderung  des  holländischen  Nalioiul- 
charakters  im  Münchener  Intelligenzblatt  äußerst  befremdet  sei. 
Und  unmittelbar  vorher  war  ein  Verbot  der  nAusbreitung  aus- 
ländischer spötisch  und  ehren rührerischer  Zeitungen  und  Jour- 
nale" ergangen. 

Montgelas  aber  wies  den  Einspruch  fremder  FOrsten  in 
Zersurangclegenheiten  tunlich  zurück.  Er  teÜIe  der  Kommission 
die  dem  Kurfürst  Clemens  Wenzesiaus  von  Trier  überschickte 
geharnischte  Antwort  mit,  als  dieser  den  Münchner  Professor  Salat 
wegen  einer  Schrift  «Auch  die  Aufklärung  hat  ihre  Gefahren' 
zur  Veranlxportung  ziehen  wollte.')  Die  Kommissionseriaubnis 
sei  bindend.  Nur  die  bekannten  Augsburger  Tlieologen  nähmen 
Anstoß,  und  es  sei  ein  Qcistcsdcspotismus  zu  befürchten,  «wenn 
Obere  von  der  Art,  wie  diejenigen  sind,  vfelche  in  Augsburg 
das  geistliche  Wesen  leiten,  nach  ihren  beschränkten  subjektiven 
Talenten  und  Einsichten  oder  gar  nach  noch  unreineren  Neben- 
absichten über  Wahrheit  und  Irrtümer  absprechen  dürften." 

Die  Zustand igkeitef rage  wurde  wiedemm  aufgerollt  durch 
die  Requisition  der  fürslenbergischen  Regierung  zu  Donau- 
cschingen  wegen  Vernehmung  des  Rektors  Weüler  ober  eine  an- 
gebliche  Injunenschrift.')  Das  auswärtige  Ministerialdepartemenl 
bahnte  die  Unterhandlung  an  und  setzte  sich  dann  mit  dem 
geistlichen  in  Verbindung.  Über  einen  andern  Fall  im  Jahre  1805 
äußerte  sich  Montgelas:  «Die  erste  Einleitung  in  [der]  Unter- 
suchung wurde  auf  Anzeige  des  Qeneralschuldirektoriums  bei  der 
unterzeichneten  Behörde  behandelt,  thcils  weil  die  genannte 
Schrift  bei  der  Köhlcrschen  Buchhandlung  in  Ulm  aufgelegt 
worden  war,  thtils  wegen  Beziehungen  zum  Ausland..." 

Daß  nicht  immer  Klarheit  herrschte  und  auch  nach  Be- 
seitigung der  Kommission  ein  fester  Weg  nicht  abgesteckt  war, 
beweist  eine  Zuschrift  Hertlings,*)  worin  das  auswärtige  Departe- 


')  M.  K  A.  7*j/ft»:  Mütielioi«,  in-  und  ■iiilindl»chc  Zdtnnim  nnd  IfttclUieni- 
hUHer,  dtrni  Zcntur  und  Diuckgttutlune  bclr. 

t  M.  K.  A.  7J>/1. 

*i  M.  K.  A.  741/20  Dk  von  ttem  hlctlioi  Lycolrcktor  uud  t^roteuor  Tdllcr  fär 
tei  Fänltn1»rsl«hen  Holmt  Baltl«  verlaDtc  OracWctiritt  bclr.     IB03. 

')  M.  K.  A.  J*»/«;  Vom  10,  Sept.  IMl.    IVoI.  StUt  betr. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern,      415 

menl  zugibt,  aus  Versehen  gegen  einen  Professor  verfahren  zu 
haben,  und  daß  die  Angelegenheit,  «sie  mag  als  Justiz-,  Polizei- 
oder Disciplinarsache  betrachtet  werden,  unter  keiner  Beziehung 
zu  dem  diesseitigen  Departement  sich  femer  eignet" 

Es  wurden  mitunler  Versuche  gemacht,  durch  direkte  An- 
frage und  Einsendung  beim  geistlichen  Departement  das  strenge 
Verfahren  der  Kommission  zu  umgehen  und  günstigeren  Be- 
scheid zu  erwirken.  Darum  warnte  Westenrieder,  dem  Drängen 
des  Landesarchivars  Visinger  in  Amberg,  der  eine  weitläufige, 
reicht}esetzte  Leihbibliothek  errichten  wollte,  nachzugeber],  i) 

Die  Behandlung,  welche  die  Presse  den  Rastadter  Ver- 
handlungen zuteil  werden  ließ,  besonders  dem  Ereignis,  das  in 
so  jäher  Weise  den  Abschluß  begleitete,  veranlaßte  eine  neue 
lebhafte  Erörterung  ihrer  Befugnisse.  Wie  der  Rastadler  Bericht 
in  der  Neuesten  Weltkunde,  der  späteren  Allgemeinen  Zeitung, 
den  Österreichischen  Gesandten  in  Stut^art  zum  Einspruch  be- 
stimmte,*) wurde  noch  im  gleichen  Jahre  nach  den  reichstäg- 
liehen  Abstimmungen  über  das  kaiserliche  Hofdekret  anläßlich 
der  Ermordung  des  französi seilen  Gesandten  von  Bamberg  auf 
eine  schärfere  Zensur  mehrerer  öffentlicher  Blätter  und  strengere 
Aufsicht  über  anonyme  Schriften  angetragen.')  Ebenso  bezeigten 
Augsburg  und  Fürstenberg  ihren  besonderen  Unwillen  i'iber  die 
bei  den  Rastadter  Vorfällen  gezeitigten  Mißbräuche  der  Preß- 
freiheit und  äußerten  dert  Wunsch,  der  Kaiser  möchte  dieses 
Unwesen  beschränken.  Vorbildlich  war  ihnen  Paul  I.,  welcher 
die  Biichdruckereien  beaufsichtigte  und  die  Hafenzensur  einführte. 
Daß  auch  nach  München  die  Erregung  gelragen  wurde,  geht 
ausfolgendem  Schreiben  Montgelas'  vom  1.  März  1800  hervor:*) 

wln  der  Piece  «-über  den  Sinn  für  historische  Wahrheit 
und  über  einen  Aufsatz  in  dem  historischen  Journal  des  Herrn 
Kriegsraths  Qentz,  die  Ermordung  des  französischen  Gesandten 
betrcKend,  Gotha  beij.  Perthes  1799""  finde  ich  nichls,  was  der 

1  M.  K.  A.  7M/10:  Ldh-  und  LeMblbliathekm, 

■)  Ed.  Htycli.  Die  Allgemein«  ZdtunE  WM-IIM,  Btitnlsc  Euc  Qodiicbtir  da 
dcuUchai  Presse,  Mfinclicn  1S9I.     S.  ift 

t  Ein  Wink  la  DrntKhlinili  RcemUn  Qbcr  die  KbUltchcn  Minbriuchc  da 
dcitbchcn  Prtfllidhdt  1»  Bttot  'u'  «Icn  SImI  und  dcucn  Veriuning  mit  Zutüctvdiung 
auf  dit  hlrrütMT  txuchcndm  LlUiai  und  nnirrei  Rdchig«irtn.    Onrnanitn  DOC. 

*i  M.  K.  A.  J«/M:  SlaiB.,  Kiwhfn-  und  Univmdhltlörlr, 


4t6 


Ferdinand  Lorenz. 


K.  K.  Qesandlschaft  zu  einer  gegrürdetcn  Klage  w^en  dem  Ver- 
kauf dieses  Buches  Anlaß  geben  Icönnle;  es  müßte  ihr  denn  viel- 
leicht  der  Säte  auffallen,  daß  solange  nicht  erwiesen  ist,  daß  die 
Gesandten  Mörder  keine  Szeklerhusaren  waren,  das  Publicum 
immer  glauben  muß,  da,0  sie  es  gewesen  sind  —  eine  Wahrheit  (!) 
welche  man  aber  auch  ohne  dies  Buch  gelesen  zu  hal>cn  von 
selbst  aus  dem  Munde  des  Publicum?  hören  wird.  Übrigem 
wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  dergleichen  Picccn,  von  welchen 
man  erwarten  kann,  daß  sie  irgend  einer  Gesandtschaft  anstößig 
sein  könnten,  nicht  in  den  Buchläden  an  den  Fenstern  oder 
Thüren  aufgehängt  würden;  so  könnte  vielleicht  manches  vor- 
treffliche  Buch  wegen  einiger  vermeintlichen  Anzüglichkeiten  ver-  fl 
boten  werden  und  den  Buchhändlern  dadurch  selbst  Schaden 
zuwachsen." 

Durch  solche  Vorkommnisse  wird  es  erklärlich,  warum  die 
am  6.  September  1799  angeordnete  und  am  t3.  Juni  1803  auf* 
gehobene  Zensur  för  Schriften  politischen  Inhalts  am  1 7.  Feb- 
ruar 1806  wiederum  eingeführt  wurde.  Theodor  Qacln  hat  in 
seiner  Besprechung  bayrischer  Verhältnisse  die  Rücksicht  auf 
fremde  Staaten  als  Beweggrund  angesehen.  Franz  von  Spaun ') 
nennt  den  Mächtigen,  unter  dessen  Auspizien  die  neue  Verord- 
nung durchging;  es  war  Napoleon. 

In  den  Zensurakten  begegnet  Napoleons  Name  mefarmalfi. 
Die  Kommission  war  ängstlich  bemüht,  Venmgl Impfungen  zu 
vertuschen,  Das  25.  Stück  der  Münchner  Oberdeutschen  Staats- 
zeitung vom  10.  Februar  ISOO  räsonierte:*)  «Der  Oberkonsul 
Buonaparte  hatte  in  der  ersten  Proklamation,  die  ihm  den  Weg 
2U  der  Oberherrschaft  bahnen  sollte,  sogleich  den  äußeren  und 
inneren  Frieden  versprochen.  Allein  kaum  war  der  Schritt 
gethan  und  glücklich  ausgeführt,  so  sprachen  alle  Proklamationen 
der  Konsuln,  der  Minister  und  Generale  von  nichts  als  Krieg. 
Zwar  wurde  dem  Worte  Krieg,  weil  es  bei  dem  Publicum  ge- 
hässig und  unerträglich  ist  sorgfaltig  ausgewichen,  aber  dagegen 
wie  schon   von   dem   Directorio  die   Definition 


I 


I)  PdilfMha  TMUmoii,  s.  M,  in,  im- 
^  M.  K.  A.  ntpS:  Itlttorltctia  Fub. 


Tfi  uDd  puiitn. 


m    desselben    und  d 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriflwesens  in  Bayern.      417 


zwar  des  angreifendsten  aller  Kriege  an  Piatz  gesetzt,  auch  der- 
«Ibc  nur  von  seiner  erwünschten  Seile  dargestellt.  . ." 

Aber  nicht  jeder  sah  mit  dem  Landshutcr  Prokurator 
Seb.  Meidinger  in  Napoleon  nur  den  avanturier.  Die  FluR- 
schriften  umschkierten  die  Herkunft  des  ..Helden  Bonaparte". 
Da  war  sein  Vater  ein  Marquis  und  Befehlshaber  in  Korsika  und 
seine  Mutter  eine  korsikanische  Schauspielerin  und  Tänzerin. 
-Kinder  der  Liebe  sind  große  Genies!"  Dann  finden  wir  ein 
Schreiben  »in  betreff  der  mit  dem  Inlelligenzblatte  im  Lande 
herum  wandernder  Hetdenthaten  von  Bonaparte."  Da  klagt  der 
Korse  Salicetli  dem  jungen  Napoleon  über  die  königliche  Tyrannis. 
Das  i/bairische  Vaterunser"  aus  jener  Zeit  betete:  Ich  glaube  an 
Kaiser  Napoleon  . . .  Max  Joseph  den  Sohn  unseres  Herrn  . . . 
geboren  aus  dem  achtzehnten  Jahrhundert!  Überschwänglich  zeigt 
sich  ein  Bürgermeister  und  Bürgerkoinniandant  in  dem  dramati- 
sierten ..Bairischen  BflrgerfesI  des  Jahres  1806,  gefeiert  den 
14. Jänner,"  indem  er  Napoleons  Bild  auf  einer  Dose  küßt:  Einziger! 
Sieger  bei  Austerlitz!  Vater  des  Jahres  18061  Und  da  dem,  den 
Hegel  die  Wellseele  nannte,  seine  Schöpfung  unter  den  Händen 
zerronnen,  schrieb  Lerchenfeld')  von  dem  neuen  Prometheus,  den 
nian  an  Helenas  Felsen  schmiedete.  Schon  18IJ  hatte  es  Platen 
zum  Bekenntnis  gedrängl:  »Wenn  die  Welt  und  das  Schicksal 
gegen  einen  großen  Mann  verschworen  sind,  wer  anders  muß 
noch  seine  Partei  ergreifen  als  der  Dichter?  Der  Kaiser,  von 
den  Seinen  verlassen,  darf  nun  im  Unglück,  was  er  im  Glück 
nicht  gedurft,  auf  unsere  Neigung  Anspruch  machen.« 

Ob  man  nun  vom  Eroberer  sprechen  will,  dem  auf  dem 
Schlachtfeld  das  rein  Menschliche  sich  entfremdele,  oder  mit 
Johannes  von  Müller  in  dem  Soldatenkaiscr  den  Olückbringer 
des  Friedens  ahnen  mag,  um  dann  den  machlberaubten  Helden 
sich  ergreifend  vorzustellen,  wie  er  verzweifelt  vom  hohen  Felsen 
in  die  tosende  Brandung  stiert  —  die  bayrische  Aufklänings- 
geschichle  wird  ihm  ein  eigenes  Kapitel  zu  widmen  haben,  zu- 
mal es  im  Geistesleben  nicht  nur  aufs  Urbild  ankommt,  sondern 
auch  auf  seine  Spiegelung,  nicht  nur  auf  die  Farben  eines  Bildes, 

a.  O.  i.  H. 


sondern  auf  deren  Verlcbcndigung  in  der  Seele  des  sinnenden 
Beschauers. 

Die  Art,  wie  wir  die  drei  einschlägigen  Verordnungen  oben 
in  Beziehung  setzten,  Irägt  der  Auffassung  Spauns  Rechnung, 
wonach  drei  Jahre  keine  Zensur  politischer  Schriften  ausgeübt 
wurde.  Der  Wortlaut  der  Verordnung  von  1806  und  einer 
vorhergehenden  vom  6.  November  1804  läßt  allerdings  durch- 
blicken,  daß  die  Regierung  ihre  Preiniüligkeil  bereute.  Es  wird 
so  dargestellt,  als  ob  die  Verordnung  von  1799  durch  die 
spätere  von  1803  nicht  außer  Wirkung  gesetzt  worden  wäre. 
Und  doch  macht  die  letztere  »bei  politischen  und  statistischen 
Schriften  keine  bestimmte  Einschränkung"  und  hält  nur  die  Staats- 
diener, die  dienstliche  Erfahrungen  verarbeiten,  an,  die  könig- 
liche Erlaubnis  zu  erbitten.  Die  von  Spaun  mitgclcille  Bezeich- 
nung als  Napoleonisches  Diktat  wirft  auf  die  Verordnung  vom 
17.  Februar  1806  ein  eigentümliches  Licht.  Die  Ermordung 
Palms  Sllt  in  diese  Zeit.  Es  ist  erklärlich,  daß  bei  dieser  Ver- 
anlassung die  deutsche  Presse  in  noch  engere  Bande  gelegt 
wurde.  Die  Wiedererweckung  der  Zeitungszensur  cischeint  so 
als  eine  MaJlnahme  des  Gehorsams  gegen  den  Allmächtigen  und 
die  Abfassung  wie  eine  Entschuldigung  des  VernachUssiglen.  Die 
Autoren  mußten  mittelst  Vorlegung  des  Planes  die  Genehmigung 
zur  Herausgabe  erwirken.  Die  Polizei  hat  sich  ungerechterweise 
auch  noch  nach  1818  daran  gehalten,  wo  eine  Abändemng  des 
Ediktes  vom  13.  Juni   1803  erfolgte. 

Nach  Spauns  Darlegungen  vertraute  dieses  der  Polizei- 
Obrigkeil  die  Aufsicht,  den  Gerichten  die  Bestrafung  der  durch 
Schriften  begangenen  ..Verbrechen"  an.  Dabei  ist  zu  beachten, 
daß  damals  der  Unterschied  von  Verbrechen,  Vergehen  und  Über- 
tretung noch  nicht  geklärt  war.  Die  Polizei  durfte  nur  die  in 
die  Gewerbssphäre  des  Bücherabsatzes  einschlagenden  Über- 
tretungen bestrafen,  illegale  Angriffe  auf  eine  physische  oder 
moralische  Person  sollte  sie  anzeigen.  Der  polizeilichen  Willkür 
aber  wurde  ein  Feld  geschaffen  durch  die  zwischen  stell  ige  Wei- 
sung des  Artikels  8,  auch  gegen  solche  Schriften  vorzugehen. 
in  welchen  sie  zwar  kein  gesetzliches  Verbrechen  gefunden  habe, 
welche  sie  aber  in  ROcksicht  auf  MoralitSI  oder  physisches  Wohl 


Zur  Oeschidite  der  Zensur  und  des  Schriftweens  in  Bayern.      4|  9 


der  Staatsbürger  fDr  schädlich  halte.  Spauns  Klage,  daß  die 
Polizei  häufig  sütt  Beschlagnahme  und  von  gerichtlicher  Ent- 
scheidung abhängig  zu  machenden  Verfahrens  sofort  Konfiskation 
habe  eintreten  lassen,  gewinnt  an  Olaubüchkeit  durch  die  damals 
noch  nicht  vorgeschriebene,  erst  in  der  Verfassungsurkunde  ver- 
ordnete öffentliche  Bekanntgabe  der  Entscheid ungsgrtinde,  eine 
Errungenschaft  auf  dem  Weg,  der  am  26.  November  1827  zur 
unbeschränkten  Lehr-  und  Lesefreiheit  führte. 

Das  Edikt  vom  26.  Mai  1828  ließ  zwar  der  Polizei  auch 
Strafgewalt,  aber  bei  der  inzwischen  erfolgten  Trennung  von 
Justiz  und  Verwaltung  wurde  sie  mit  letzterer  in  Verbindung 
gesetzt,  und  zudem  war  eine  Berufung  an  den  Staatsrat  möglich. 

Was  bei  der  Verordnung  von  1 806  Spaun  besonders  he- 
mängellCj  war  das  s(ercot>'pe  Zensurrezept,  nichb  gegen  Staat, 
Kirche  und  Sitten,  gegen  gekrönte  Häupter  und  deren  Regierung 
passieren  zu  lassen.  Dann  bildete  sich  das  sonderbare  Verfahren 
heraus,  trotz  erteiltem  Imprimalvir  nicht  den  Zensor,  sondern  den 
Redakteur  bei  nachträglichen  Beschwerden  zu  belangen.  Diese 
hätten  im  Falle  der  Weigerung  ihr  Privilegium  gefährdet  Die 
Preßiegislation  schwieg  über  die  Strafbarkeit  der  Zensoren,  «die 
doch  umso  größer,  da  mit  ihrer  Vergehung  zugleich  eine  Ober- 
tretung  der  Amtspflicht  verbunden  ist"  Die  wahre  Lage  wird 
schon  durch  ein  Votum  des  Zensurrales  Schiber  gekennzeichnet:') 
Die  Zensur  hat  keine  Verantwortung  notwendig! 

Dali  die  Polizei  mitunter  auch  zu  tatkräftigerer  Exekution 
und  periodischen  Visitationen  angehalten  wurde,  ist  dem  Vorher- 
gehenden nicht  widersprechend.')  Und  daß  die  Kommission 
ihre  Befugnisse  achtele,  beweist  ein  Schreiben,  worin  sie  sich 
das  Recht  erbittet,  von  Druckschriften,  Traumbüchern  Exemplare 
erheben  zu  dürfen.  Das  immerhin  gemißigle  Verhalten  der 
Kommission  bewog  nach  ihrer  Beseitigung  Spaun  zu  dem  Aus- 
spruch: «Übrigens  möchte  es  erat  darauf  ankommen,  ob  eine 
Censur-Commission,  wie  die  1*99  in  Bayern  errichtete,  welcher, 
nach  dem  Eingang  des  Preßgesetzes  von  1803,  ein  bescheidenes 
und  liberales  Verfahren  zur  Pflicht  gemacht  war,   nicht  wirklich 


•)  M.  K   K.  t9ifli. 

«)  M.  K-  X,  miMC  -hen  ««T-llOS. 


Ferdinand  Lorenz. 


liberaler  und  bescheidener  sein  möchte,  als  ein  dermalijjer  polizd- 
Ucher  Censor.«  Zu  alledem  mag-  gewürdigt  werden,  vras  für 
Erwägungen  Ansclm  Feuerbach  noch  1822  anstellte,  da  über 
eine  Polizeistrafgesetzgebung  nachgesonnen  wurde,  daß  .von 
jeher  das  eigentümliche  Wesen  der  Polizei,  wenigstens  einer 
guten  Polizei,  gerade  darin  gesetzt  wurde  -  Strafen  zu  ver- 
holen . . ." 

Zu  den  Instanzen,  mit  denen  sich  die  Zensuxbehörde  ge- 
schäftlich  auseinanderzusetzen  hatte,  gehörten  die  1779  zur  Ent- 
lastung des  Hofrats  errichtete  Oberlandesrcgierung,  die  ober- 
pfälzische  t^ndesregierung.  und  nach  der  durchgreifenden  Reform 
der  obersten  Landeskollegien  vom  23.  April  1799  die  Landcs- 
direktionen.') 

Hertting  übersandte  dem  Kollegium  eine  Schrift  Krenners") 
über  Lind-,  Hofmarks-  und  Dorfgerichtc  in  Bayern  mit  einer 
Erinnerung  der  Oberiandesregierung,  wohin  dieser  Oegenstand 
vorzüglich  einschlage.  Westenrieder  antwortete  spit;,  wenn  sich 
der  Autor  um  das  Imprimatur  diesorts  melde,  werde  man  ordnungs- 
gemäß verfahren. 

In  einem  Bericht  an  den  Kurf örstcn ''')  nahmen  Vizepräsident, 
Vizekanzler  und  Räte  der  Oberiandesregierung  Stellung  zu  einem 
Reskript,  das  ihnen  die  Kloster-  und  Sladtgcschichtc  Donauwörths 
vom  Pater  Stocker  mit  dem  Auftrag  übermittelt  hatte,  dieses 
Werk  in  politischer  Hinsicht  ebenfalls  förderlich  zu  prüfen.  Die 
Antwort  führte  aus,  daß  eine  Zensur  von  Regicrungs  wegen  nicht 
nötig  gewesen  sei.  Da  der  Kurfürst  das  Werk  nicht  unter  seiner 
Autorität  drucken  lassen  wolle  und  ein  Privatschriftsteller  dessen 
Gerechtsame  nicht  beeinflussen  könne,  sei  eine  Prüfung  über- 
flüssig. (.Wenn  es  aber  bei  dieser  von  Regierungs  wegen  ver- 
fugten Censur  die  Meinung  hätte,  daß  darin  keine  andern  Sätze 
enthalten  sein  sollten,  als  welche  von  Seite  Eurer  ChurfQrstlicheo 
Durclilaiicht  selbst  als  richtig  angenommen  werden,  oder  daß 
Höchstdiesel ben  auch  allem  demjenigen,  was  darin  enthalten  ist, 
beitreten,  so  wäre  es  besser  die  Schnft  ganz  zu  unterdrücken  als 


I 
I 


I 


')  Kxx  Scidrl,  B4ycnMho  SuaiitccM  I,  «:,  m.  »4.    (Freiburi  I.  B.  lUf  J 
*i  4.  SepL  UM.    M.  K  A.  'Klli.  HütoriKbn  Fach. 
■)  IT.  Okl,  UM.    M-  K.  A.  7J«/I. 


Zur  Cechichte  der  Zensur  und  dts  Schriftwesens  in  Bayent.      42 1 

durch  deren  Beförderung  zum  Druck  irgend  eine  Gelegenheit 
zum  Mißbrauch  zu  geben,  wofür  weder  ein  Coliegium  noch  ein 
Referml  verantwortlich  sein  könnte.  Aus  diesen  Oninden  sind 
wir  daher  der  unterihänigsten  Meinung,  daß  die  Schrift  ohne  Er- 
wähnung einer  vorhergegangenen  Regierungscensur  als  eine  bloße 
Privatschrift  unbedenklich  gedruckt  u-erden  könnte  .  .  ." 

So  geschah  es.  Der  viel  erörterte  Begriff  eines  Privat- 
schriflsteilers  soll  unten  zusammenhängend  g<;geben  werden. 

Eine  Mitteilung  des  Kollegs  an  die  Oberlandesrcgicrung't 
beanstandete  magistratische  Einmischung.  »Dbrigenä  weiß  die 
churf.  Oberlandesregierung  von  selbst  gefällig  zu  emiiessen,  daß 
der  Gegenständ  der  Bücher  Censur  und  Aufsicht  keine  der 
ordinairen  Instanzen  oder  Polizeisachen,  sondern  eitie  in  die 
höhere  Staatsadinjnislration  unmittelbar  einschlagende  Sache  sei, 
bei  welcher  die  Magistraturen  mehr  verderben  als  gut  machen, 
und  es  auch  gegen  alle  bisherige  Observanz  laufen  wfirde.  indem 
das  Vorschreiben  des  Magistrats  zu  Landshul  wegen  Einmischung 
des  hiesigen  Magistrats  elc.  ausdrücldicli  falsch,  auch  dem  hiesigen 
Magistrat  ebenso  wenig  bisher  eingefatlien,  so  etwas  zu  verlangen, 
als  solches  bei  dem  vielfach  nötigen  schnellen  Vorkehren  mög- 
lich wäre." 

Diese  Auffassung  wurde  indes  dem  Kolleg  durch  einen  ab- 
schriftlich mitgeteilten  Erlaß  an  die  Oberlandesregierung')  ver- 
wiesen, der  Visitationsangelegenheiten  als  offenbaren  Polizei- 
gegensland  erklärte  und  zum  Benehmen  mit  der  den  Magistraten 
nahestehenden  Oberlandesregienmg  verpflichtete.  Es  wurde  ent- 
schieden, daß  der  Landshuter  Magistrat  »bei  den  ihm  unter- 
gebenen Bürgern,  Buchbindern  und  Buchhändlern  eine  Unter- 
suchung in  den  bürgerlichen  Häusern  privative  und  von  erster 
Instanz  vorzunehmen  befugt  sei,  sofort  auch  der  churf.  Regierung 
von  Ober  Polizey  Direktionswegen  zustehe,  bei  Eintritt  offenbarer 
Saumseligkeit  dra  Magistrats,  dann  sich  ergebender  Eile  oder 
andern  besonderen  Umständen  dergleichen  Büdiervisilationen 
jedoch  mit  Beiziehuiig  eines  mündlich  vorzurufenden  vertrauten 
Magistratsgliedes  selbst  zu   veranstalten  .  . .   wodurch    sich   von 


1}  ».  April  tr9i.    M.  K-A.  n&l?:  BathenpolltioaM  bei  dm  Huiptnuuiimiem  beb. 
^  ID.  Mii  \nt. 


selbst  ergiebt,  wem  bei  vorkommenden   Straffällen  die  Judicatur 

gebühre,  " 

Das  Kolleg  bemerkte  darauf,  es  hab«  die  Ahndung  nidit 
verdient,  es  habe  nach  der  Verordnung  vom  4.  Oktober  179t  gt- 
handelt  Das  Benehmen  mit  der  Oberlardesregierung  sei  zu 
weitläufig  und  würde  die  Obsorge  vereiteln,  ohne  Aufsehen 
schädliche  Bücher  ni  unterdrücken.  Vollends  unwillig  aber  ver- 
wies es  dem  Vizepräsidenten  Reichsfreiherm  von  Weichs  die 
förmliche  Approbation  von  Büchern,  wodurch  sich  das  Zeitung^- 
kontor  für  ermächtigt  gehalten  habe. 

Tatsächlich  war  der  Stadtmagisirat  München  schon  frQher 
bei  Visitationen  zugezogen,  ^)  hatte  sogar  eine  hoheitsvollc  Miene 
aufgesetzt  und  dem  Kolleg,  ,.wetches  unseres  Wissens  nicht  ein- 
mal mit  einer  jurisdiclion  begab!  ist,"  ein  Rechl  dazu  bestritten. 
Die  Zustand  ig  keitsf  rage  wurde  in  den  achtziger  Jahren  mehrfach 
erörtert.  Der  Magistrat  wurde  aufgefordert,*)  seinem  Anerbieten 
gemäß  Vorschläge  zur  höchsten  Stelle  zu  übergeben,  wie  man 
die  Jurisdiktionsbefugnis  des  Hofoberrichlers  und  des  Stadtober- 
richters abgrenzen  könne.  Der  Buchhändler  Strobel  wurde  wegen 
Zcnsurvermeidung  zur  VeranNt-ortung  gezogen  und  belehrt, 
«daß  gleichwie  er  für  keine  gtfrcyte  Person  sondern  nur  für 
einen  Bürger  und  Buchhändler  zu  achten  seye,  derselbe  dem 
Magistrat  als  seiner  Obrigkeit  allen  schuldigen  Gehorsam  und 
Respcct  zu  bezeigen  habe,"*)  Ein  paar  Jahre  später  bezeich- 
nete es  ein  Reskript')  als  irrigen  Grundsatz,  daß  kein  Bürger 
ohne  Zuziehung  eines  Magistratsgliedes  vorgerufen  und  ver- 
nommen werden  könne.  Solche  widerrechtliche  Anmaßung  Über- 
triebener  magistraiischer  Freiheiten  widerspreche  den  ersten  Be- 
griffen einer  guten  Staatsverfassung.  Die  Liebe  und  Sorge  des 
Regenten  gebe  den  Bürgern  mehr  Sicherheit  1792  wurden 
zwei  Räte,  die  die  städtische  Verfassung  kannten,  mit  einer  Unter- 
suchung beauftragt.  Der  Magistrat  solle  alle  Privilegien  mitteilen, 
woraus  er  in  Polizei-,  Komraerzial-,  Justiz-,  Kameral-  und  anderen 


•}  M.  K.  A.  7»tliy 

*}  MQndincr  Sndtardiiv,  Rjii»proloko]le  ii8t.  II. 

•)  De»tl.  iJ«,  1. 

■)  tu.  Datmbv  17||. 


Zur  Qesdiichie  der  Zensur  und  des  Schriflwesens  in  Bayern.      423 

Gegenständen  das  jus  de  non  appellando  ableiten  wolle.  Jedenfalls 
solle  er  sich  den  Irrtum  benehmen,  daß  die  slädti&chen  Privi- 
legien mit  den  standischen  Qeneralfrei heilen  etvas  gemein  haben 
könnten.  Max  IV.  Joseph  wandte  sich  gegen  die  Appellations- 
privilegien in  dem  Mandat  vom  IS.  Juli  17  99.  Doch  wollte 
sich  Monlgelas  noch  1801  herbeilassen,  in  einem  Verfahrengegen 
Strobel  auf  dessen  Behauptung,  daß  der  Magistrat  als  seine  gesetz- 
mäßige Obrigkeit  ihn  allein  untersuchen  und  richten  könne,  ein 
Magistralsglied  beizuziehen.  Nur  die  Weitläufigkeit  des  Magistrats, 
der  ei^t  schriftliche  Präliminarien  wollte,    brachte  ihn  davon  ab. 

Die  Arabeigische  Landesregierung  kümmerte  sich  ebenfalls 
um  die  Zensurbeh^rde  wenig.  Sie  fand  es  auffallend, ')  daß  das 
Kollegium  der  zu  einem  von  höchster  Slelle  allein  abhängigen 
Landeskolleg  konsohdierten  Landesregierung  Befehle  erteile.  Bine 
Verordnung  brachte  dann  die  Aufklärung:  .Die  Gründe  des 
unlerthänigslen  Berichts  vom  1.  vorigen  Monats  August,  womit 
das  churfürstliche  Bücher  Ccnsur  Collcgium  seine  anmaßliche 
Art,  die  Regierungen  Neiiburg  und  Ambcrg  mit  Befehlen  wie 
untergeordnete  Stellen  zu  behandeln,  rechtfertigen  will,  sind 
keineswegs  befriedigend.  Gedachten  Regierungen  kommet  im 
Grund  die  Befugnis  der  Censur  in  ihrem  Bezirk  von  Selbsten 
zu.'  Nur  der  Einförmigkeit  halber  sei  dem  Kolleg  die  Zensur 
auch  in  jenen  Bezirken  öbertragen,  es  habe  aber  nur  in  gewöhn- 
lichen Schreiben  mit  den  Regierungen  zu  verhandeln. 

Unter  den  neuen  Verhältnissen,  wie  sie  durch  Max  IV.  Joseph 
herbeigeführt  wurden,  gab  die  oberpfälzischc  Landesdirekiion  zu 
ernstlicher  Unzufriedenheit  Anlaß,  Ein  Beweis  daför  ist  die 
Verordnung  vom  20.  Januar  I  800:^  ™Wir  erwarten  am  wenigsten 
von  Unseren  Stellen,  daß  selbe,  nachdem  sie  Eine  Lesebibliothek 
für  überflüssig  ansehen,  auch  selbst  noch  mehrere  neue  zu  er- 
wecken beflissen  sein  sollten,  woraus  wir  allerdings  leidenschaft- 
liche Absiditen  zu  vermuten  widerwillig  gezwungen  wären  . .  .■ 

Unterm  23.  April  1799  wurde  die  Generallandes> 
direktion  errichtet  und  bestand  bis  zum  iS.  August  iS03  unter 


■>  M    K.  A.  £>«;) :  Ditfntriitn  mi(  dmi  IJiuplunsurkolIqi  betr. 
^  M.  K.  A.  T8I/10;  Ulli,  und  Lcwbiblloltiekni. 


Ferdinand  toraiz. 


diesem  Namen  fort')  Weslenrieder  tadelte  sie  in  eineni  Bendht 
ans  Ministerialdcpartenient. ')  Sie  hatte  eine  Dniclcerlaiibnts  erteilt 
Jener  besorgte,  daß  wdiescr  Schritt  zuversichtlich  nur  der  Antane 
vieler  anderer  dieser  Art  sein  und  dabei  die  Bücher  Ccnsnr 
Spectal  CommisäJon  oder  vielmehr  das  Hohe  geheime  MinisterUI> 
departement  in  geistlichen  Dingen  in  der  Folge  gänzlich  auf  die 
Seite  gesetzt  werden  und  dadurch  manche  widitige  Unordnung 
entstehen  dürfte  .  ,  ," 

Ahnlich  klagte  Weslenrieder  wegen  der  einem  Ingolstikäler 
zur  Errichtung  eines  Wochenblattes  erteilten  Bewilligung  und  bat 
.um  eine  höchste  Weisung,  wie  sich,  falls  mehrere  solche  mit 
Umgehung  des  geheimen  Ministerialdepartemente  gefertige  Be- 
willigungen erfolgen  sollten,  von  Seite  der  BOcher  Censur  Special 
Commission  benommen  werden  soll."  Eine  Erwiderung  hierauf 
ist  nicht  2u  finden.  Doch  wurde  in  der  erwähnten  fürsten- 
bergischen  Angelegenheit  gegen  Weiiler  die  Oenerallandesdirektion 
mit  der  Einleitung  eines  rechtlichen  Verfahrens  betraut  Das 
deutet  auf  ein  genähertes  Verhältnis  zur  Zensur  Das  Oeneral- 
schuldtrektorium  und  die  Spezialkommis^ion  in  Klostersachcn, 
die  erslereiii  wiederum  vorwarf,  sich  nicht  vtrrtrauensvoli  ihren 
Aufklärungsbestrebungen  angeschlossen  zu  haben,  unterhandelten 
mit  der  Ocncrallandcsdirclclion,  wo  es  die  Aufspürung  bildungs- 
feindlicher Schriften  galt.*]  Und  daß  die  von  fortschrittlich  ge- 
sinnten Schulinspektoren  bedienten  Landgerichte  dieses  Streben 
der  neuen  Regierung  talkräftig  unterstützten,  konnte  bilHg  der 
Zensurkonimission  kein  Anstoß  sein  und  erlangte  nach  ihrer 
Auflösung  größere  Bedeutung. 

An  lächerliche  Spionage  gemahnt  es,  wenn  der  Hofober- 
richter meldete,  daß  sich  in  dem  Trühel  eines  Delinquenten  die 
•.gefährlichen  und  ungangbaren"  Reden  an  den  Esel  von  Lorenz 
Sterne  gefunden  hätten. 

Nicht  erfreulich  ist  die  Mitteilung  Morawilzkys:*)  -Dem 
verehrlichen  kurfürstlichen  geheimen  Ministerialdepartement  der 
auswärtigen    Angelegenheiten    Ist    übrigens    selbst   bekannt,    wie 

liSKfOä  ».  ■.  a  1,  «♦— IT. 

•)  M.  K    A.  »M/1- 

■)  M.  K  A.  m/i:  Qdchitc  Sidim  iTöT-in«. 

>)  M.  K-  A.  7«l/2«:  Prof.  SalBt  betr. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern. 


wenig  der  Geist  der  Jiistizstellen,  insbesondere  des  hiesigen  Hof- 
^richts  den  humanen  Regierungsanslalten  günstig  sei,  und  wie 
oft  sich  die  Staatsgewalt  schon  gezwungen  gesehen,  den  Aus- 
artungen Schranken  zu  setzen." 

Dabei  ist  zu  beachten,  daß  es  nach  der  Verordnung  vom 
5.  November  1802^)  der  Hofrat  in  München  war,  der  die  Be- 
zeichnung Hofgerichl  führte  und  der  obersten  Justizstclle,  dem 
Revisorium,  direkt  unterstand. 

Wenn  man  dazu  rechnet,  daß  die  städtischen  Magistrate 
immer  wieder  opponierten,  wenn  es  die  Durchführung  einer 
neuen  Verordnirng  galt,')  kann  man  die  Schwierigkeiten  ermessen, 
die  das  Aufkläningsstreben  zu  beslehen  hatte. 

Die  früher  besprochene  Schrift  Osterwaids  «Vereinund  von 
Lochstein*  zeigte,  daß  noch  ein  anderes  schon  in  den  ersten 
Stadien  des  Kollegiums  in  den  Zensurbetrieb  hineinspielle,  um 
erst  durch  den  Widerspruch  der  Regierung  Max  IV.  Josephs 
seinen  Einfluß  zu  verlieren:  das  Kanonische  Rechl.')  Ganz 
im  Anfang  war  der  Einfluß  noch  gering.  Bei  geistlichen  Schriften 
war  zwar  die  ȟbliche  Lizenz"  der  geistlichen  Oberen  nachzu- 
suchen und  der  Autor  hatte  sich  darüber  auszuweisen.  Das 
Zensurkolleg  war  aber  dadurch  in  seiner  Entscheidung  nicht  ge- 
bunden. Erst  das  Mandat  vom  2.  September  I  780  verfügte,  daü 
bei  Schriften,  „welche  das  Glaubens-  und  Rcligionsgeschäft  für- 
nehmlich  berühren,  der  mehreren  Behutsamkeit  willen  mit  ein  so 
anderen  Ordinariat  die  vertrauliche  Communication  gepflogen" 
werden  solle.     Das  Kolleg  verwahrte  sich  jedoch  hiergegen.*) 

Der  Prior  bei  St.  Emmeran  Roman  Zirngiebl  sandte  I78T 
einen  historischen  Katalog  der  Äbtissinnen  zu  Obermünster  mit 
dem  Bemerken  ein,'}  daß  das  Regensburgcr  Konsistorium  seit 
einiger  Zeit  das  Zensurrecht   nicht  nur  in   thcologicis,   sondern 


4  8«rdd  •.  ■.  O.  I.  US. 

Q  QcKhlchtc  da  Straubingcr  Autrahn  und  seiner  Qvdlen,  itO£. 

*k  FrQhzdtiKC' Auuchidlvngcn  da  gtistlichcn  Recht)  im  allgciDcInen  vurdcn  dwlurch 
vcrbttet,  d>B  tdnt  Lehn  bis  ivf  t'^rdlnind  Mirii  der  juritlitrhen  Fakiiltit  lugcteilt  ge- 
raoi  wii.  Jmrr  Kurfär«!  übennic  dl«  Lehre  der  Iheäl-o^tschen  Paliuhil  utid  le|;Ie  tip  itTi 
riifM  In  die  Kinde  der  fcsuilrn.  Sa  blieb  ci  aurh.  noch  unter  Mi<  Ul.  Joseph.  SdtM 
Icknull  hat  bei  icinet  (TuJUrtigen  Oreanistllon  der  iariiHschcn  Kilulllt  du  EclMlidit 
Recht  rieht  juiückerobrrl.  —  Lipovtky,  QcKh.  d.  Schulen,  nach  Mnlcm,  S.  1S6-7. 

')  Scydd  1.  a.  0.  l.  i3.  Anm.  1. 

•)  M.  K.  A.  m^}. 

Archiv  Ifii  KutturKcKhidite.    II.  27 


436 


Ferdfnind  Lortnz. 


atich  in  philosophicts  fordere  und  virlclicti  ausübe.  Auf  die  An- 
frage, ob  er  auch  Icritisch-historische  und  durchaus  weltliche 
SachtTi  der  Konsistonalzensur  zu  unterstellen  habe,  wurde  ihm 
der  kurfürstliche  Befehl,  bei  dem  Ordinariat  keine  Zensur  zu  er- 
holen und  sich  mit  beifolgendem  Ausweis  zu  rechtfertigen. 

Nach  der  Stimmung  einzelner  Mitglieder  war  das  Kolleg 
nicht  abgeneigt,  den  Ordinariaten  einen  Anteil  zu  be^^'iIligcn. 
Da  war  der  im  Ruf  eines  geschickten  Reclitsgelehrten  stehende, 
sonst  aber  finsterblickende  Franz  Og.  von  Dittcrich.  Er  »ar 
20  Jahre  Lehrer  des  geistlichen  Staatsrechts  in  Sh^aßburg,  wo 
Kardinal  Rohan  dasselbe  noch  einmal  neu  belebte.  I  790  flüchtete 
er  nach  München,  wurde  im  Reichsvikariat  nobilitiert  und  Bücher- 
zensurrat,  um,  nach  Baaders  Worten^  ein  System  zu  begünstigen, 
das  Bayerns  Ruf  im  Ausland  und  der  Literatur  im  Inland  täglich 
nachteiliger  wurde.  Daß  Max  Joseph  diesen  Mann  schleunigst 
entfernte,  ist  aus  der  Herrschaft  des  neuen  Geistes  erklärlich. 
So  sehen  wir  noch  im  Lauf  der  neunziger  Jahre,  wie  das  Kolleg 
sogar  bei  moralischen  Schriften ,  die  einen  Kleriker  zum  Ver- 
fasser hatten,  die  Ordinariatsapprobation  verlangte.  So  wurde 
beschlossen  ober  die  Sittenreden  des  Wayamer  Chorherm  Albert 
Kirchmair,  der  seine  Schrift  zuerst  der  geheimen  Schulkuraiel 
eingesandt  hatte,  die  sie  weiterbeförderte,  »da  gedachte  Reden  auf 
das  Erziehungswesen  oder  die  st\idierende  Jugend  nicht  unraitlel- 
bar  Bezug  haben.«  Also  wieder  eine  Instanz,  die  be- 
stimmte Schriften  ihrer  Entscheidung  vorbehielt! 

Unwillig  schrieb  Westenrieder  am  9.  April  1800')  an  das 
geistliche  Minlsterialdepartcmont,  das  Freisinger  Ordinariat  belS- 
stige  den  geistlichen  Rat  mit  mntmaßlichen  Nachrichten  ober  den 
Verfasser  einer  Schritt  «Neuer  Himmel  und  neue  Erde."*)  Der 
Kommission  habe  man  abschriftliche  Protokolle  in  der  irrigen 
Voraussetzung  übermittelt,  daß  diese  Stelle  zum  Vollzug  solchen 
Ansinnens,  wie  das  Ordinariat  Freising  an  den  geistlichen  Rai  um 
Einleitung  einer  förmlichen   Pcrsonalinquisition  stelle,  ge- 


il m.  K  A.  Ml/3»;  CMe  DnitkKhhft  .Nenn  Hlmni«!  und  nme  EM«*  hrlr. 

*)  D«m  Münchner  ProlMMr  Sebaitiin  MulKhctlc  (IT'9— ISOO],  einem  dtrisen  An* 
Ungtr  Km»,  d«r  Iran  vor  ii^lnrm  Tode  eine  Bmilung  nach  K&nlgiberx  ethleft,  «unlfB 
auf  dlew  V>l«e  irlne  Iclitai  Tage  BTÜndllch  vciblttm.  Di*  Anrahnr  mIimt  Avlonchlll 
Ul  iptiiullat     Vgl.  PraflU  in  tkr  A.  D.  B. 


I 
I 

I 


i 


Zur  Qeschichte  der  Zensur  und  des  Schriflwesens  in  Bivern. 


eignet  sei.  «Da  die  diesortige  Stelle  das  Buch  unfersucht  und 
selbes  wegen  dem  wirklich  unzulänglichen  Inhalt  verboten,  so  hat 
sie  gethan,  was  sie  zu  thun  verpFItchtet  und  einzig  geeignet  ist" 

Diese  Mitteilung  gibt  eine  weitere  Erklärung  ab,  auf 
welche  Weise  die  Justizslellen  mit  Zensurangelegenheiten  in 
Zusammenhang  kamen.  Der  Verfasser  einer  beaTistanüeten  Schrift 
konnte  von  dem  Betroffener  nach  den  strengen  Vorschriften  des 
alten  Kriminalkodex  in  einen  Kriminalprozeß  oder  doch  in  einen 
Zivilprozeß  verwickelt  werden.  Wenigstens  konnte  er  zu  einer 
Privatsatisfaktion  genötigt  werden.^)  In  dieser  Hinsicht  wurde 
anscheinend  sehr  übertrieben.  Darauf  läßt  eine  Erkläning  Mora- 
witzkys  schließen,  wonach  zu  einem  Verbrechen  (in  dem  schon 
angedeuteten  allgemeinen  Sinn)  immer  eine  wirkliche  Beleidigung 
vorauszusetzen  sei.  Diese  könne  aber  nicht  durch  bloBe  Er- 
zählung und  Behauptung  zugefügt  werden.  Eine  Absicht  zu  be- 
leidigen mQsse  damit  verbunden  sein.  Vermutung  reiche  nicht 
aus.  Gewährsmann  war  fQr  Morawitzky  der  Rostocker  Rechts- 
lehrer Adolf  Dietrich  Weber.  Dieser  hatte  in  einer  Abhandlung 
über  Injurien  und  Schmähschriften  dem  Angeklagten  und  dem 
Sachwalter  manches  zu  sagen  und  zu  schreiben  erlaubt,  was 
sonst  fiJr  Beleidigung  gehalten  werden  könne. 

Ein  andermal  sandte  der  Pfarrer  Biirk  zu  Weidenwang  eine 
Abhandlung  fiber  die  Buße  ein  und  wurde  ebenfalls  zur  vor- 
herigen Beibringung  der  Ordinariatsapprobation  ermahnt  Er 
hatte  anscheinend  von  dem  gestrengen  Rat  Klein  mehr  Weit- 
herzigkeit erhofft  als  von  jener  hohen  Stelle. 

Sehr  bezeichnend  ist  ein  Votum  des  Referendars  von  Branka 
in  der  fürstenbergischen  Sache  gegen  Weiller:*)  »Nach  den  bis- 
herigen Grundsätzen  des  kanottischett  Rechts  und  der  Concor- 
datc  gehörte  diese  Vernehmung,  wenn  sie  gerichtlich  geschehen 
sollte,  zum  Ordinariat  Freising.  Allein  wenn  es  auch  nicht  den 
neu  angenommenen  Staatsgrundsätzen  angemessener  wäre,  die 
Fälle  zu  vermeiden,  welche  zur  Fortsetzung  dieser  nachtheitigcn 
Exemtion  von  der  ordentlichen  weltlichen  Gerichtsbarkeit  Anlaß 


■)  M.  K.  A.  7*11-16 :  Prof  Silil  bttr. 
9  M.  K.  A.  Mi/ia. 


27' 


428  Ferdinand  Lorenz. 


geben  dürften,  so  treten  doch  auch  ardere  Gründe  ein,  welche  es 
mißrieten,  diese  Sache  in  den  ordentlichen  Rechtsweg  einzuleiten.' 

Am  12.  April  1803  erging  ein  Mandat  ans  Hofgericht 
wegen  Einleitung  eines  gesetzlichen  Verfahrens  gegen  den  Priester 
von  Rittershausen,  dessen  Schmähschrift  gegen  Wciller  den 
Oeneralschuldirektor  Fraunberg  zum  Schützer  seines  Untergebenen 
gemacht  hatte.  M  'n  dem  Mandat  war  auf  ein  rein  gesetz- 
liches Verfahren  angetragen  mit  Abweisung  der  bischöflichen 
Konkurrenz,  wenn  nicht  die  Art  der  Strafe  eine  solche  erfordere. 
Das  Hofgericht  ließ  jedoch  noch  ein  weiteres  » Promotoriale" 
über  sich  ergchen,  bezichtigte  die  Landesdirektion  der  Saum- 
seligkeit, die  ihrerseits  nach  einer  gemächlichen  Ruhepause  den 
Polizeidirektor  mit  Liebenswürdigkeit  überhäufte,  da  er  die  Excm» 
plare  nicht  eingesammelt  habe,  worauf  dieser  meldete,  sie  seien 
vergriffen.     Ein  umständliches  Aufgebot! 

Tatsache  aber  ist,  daß  in  Bayern  schon  damals  Ernst  damit 
gemacht  wurde,  was  die  »Winke  ans  Vaterland*  1806  erflehten; 
mit  der  Einschränkung  des  geistlichen  Rechts.  Hofgerichtsadvokat 
Josef  Zintel  schrieb  1804  in  seinen  »Betrachtungen  über  die 
kirchlichen  und  politischen  Einrichtungen  in  Baiern«:  »Der 
Souverän  legt  den  kanonischen  Rechten  nur  inbezug  auf  Ordi- 
nationen, auf  den  innerlichen  Kultus  und  auf  Dogmen  eine  gesetz- 
liche Kraft  und  Verbindlichkeit  bei,  doch  därfen  sie  mit  den  all- 
gemeinen Gesetzen  des  Staates  in  keine  Kollision  kommen." 
Und  Montgclas  gibt  uns  die  Auskunft:')  n Hinsichtlich  d«  Kultus 
und  der  Ausübung  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  dachte  Eure 
Majestät  seit  Ihrer  Ankunft  die  Erklärung  vom  16.  August  1779 
zu  bekräftigen,  wovon  man  sich  in  den  letzten  Jahren  des  ver- 
storbenen Kurfürsten  zu  weit  entfernt  hatte.  Das  Edikt  vom 
1.  August  1769,  das  den  weltlichen  Gerichten  die  Zuständigkeit 
bei  Verlöbnissen  öbertnig,  wurde  erneuert  und  durchgeführt 
Man  strebte  den  weltlichen  Gerichten  allmählich  alle  Vorrechte 
zurückzugeben,  die  sie  durch  Gewohnheit  und  durch  die  Concor- 
date  mit  den  Offizialatcn  hatten  teilen  müssen." 


■)  M.  K.  A,  TuyiA:  Ue  von  Herrn  ran  RltttnluiMen  vcnaHlc  DnickirtirUt  «Zuib 
neuen  Jahn  Aa  tljrpDkHMn  [n  Bttlcm*  bdr. 
■)  Cotapie  rcndii,  S.  t6^. 


I 
I 


I 


Zur  OesehlchtederZen&ur  und  des  Schriftwsens  tn  Bayern.      429 

Sämtliche  Entscfaeidungen  des  Kollegiums  und  auch  noch 
der  Kommission  sind  im  Namen  des  Kurfürsten  aiisgeferligl  bis 
zum  üriaß  vom  I.  September  ISOI,  worüber  Monlgelas  berichtet: 
»Dieser  Erlaß  beseitigte  den  Brauch,  woran  sich  alle  Kollegien 
seil  undenklicher  Zeil  gehallen  hatten,  nämlich  ihre  Urteik  und 
Entscheidungen  im  Namen  Eurer  Majestät  auszufertigen."  Diese 
Änderung  war  durch  entstandene  Widersprüche  herbeigeführt 
worden  und  beließ  nur  den  letzten  Instanzen  das  Vorrecht,  im 
höchsten  Namen  zu  zeichnen. 

Im  Zensurwesen  aber  war  die  Zeichnung  kurfürstlicher 
Vollmachl  nicht  immer  Pürmlichkeit  gewesen.  Es  tagen  öfters 
Anlässe  vor,  die  höchste  Stelle  zu  unmitlelbaieni  Eingreifen  zu 
bewegen.  Gelegentlich  des  von  Wilhelm  von  Birkenfeld  Ober 
Wcstenrieders  genealogische  Thesen  geäußerten  Unwillens  schrieb 
das  Kolleg  dem  Stadtmagistrat, ')  der  Buchhändler  Strubel  dürfe 
ohne  vorhergehende  Zensur  nicht  das  mindeste  drucken  lassen, 
»umsoweniger,  als  eines  Theils  weder  ein  Ccnsurrath  noch  ein 
academisches  Mitglied  für  sich,  sondern  nur  das  coipus  acadt- 
micum  selbst  von  .  . .  Ccnsur  befreie!  ist  und  sogar  diesortigcs 
Collcgium  über  die  in  die  Landesverfassung  oder  das  poli- 
tische Fach  einschlagenden  Druckschriften  vermög  erhaltener 
Weisung  vom  27.  August  177S  und  26.  November  1781  bei 
Höchster  Stelle  sich  anfragen  muß.- 

Die  Akademiker  halten  sicli  anscheinend  von  Anfang  an 
vor  der  Zensur  sicher  gefühlt.  1 772  war  Loris  Abhandlung  von 
Herzog  Ludwig  dem  Reichen  ohne  Zensur  erschienen,  was  der 
Akademie  einen  Verweis  eintrug,*)  da  der  §  2  der  konstituierenden 
Verordnung  von  1 769  nur  landesherrliche  Verordnungen  ausnehme. 

Der  Statthalter  Qraf  Holnstein  sandte  17  94  aus  Amberg 
eine  bereits  mit  Druckerlaubnis  vom  Regensburger  Konsistorium 
begabte  revolutionsfeindliche  Schrift  eines  Pfarrers  einj*)  «da  diese 
Consistoriilerlaubnis  erst  dann  ihre  Kraft  erhält,  wenn  Eure 
Ch urfürstliche  Durchlaucht  den  Abdruck  dieses  Werkes  inner 
Landes  gnädigst  genehmigen,  wir  uns  ^cr  bei  den  dermaligen 

9  II.  Mtl  im.    M-  K.  A.  »1/15:  HInorisdtct  Fieh. 

*)  M.  X.  A.  157/14:  In  Zcitungiblltteni  und  In  der  gddirlcn  Zeiliiii(  ■nzunisende 
BüchcF  betr. 

•)  M.  K.  A.  714/1. 


politischen  Verhältnissen  nicht  getrauen,  dieses  Werk  ohne  spezial 
hiczu  erhaltene  Erlaubnis  zum  Druck  befördern  zu  lassen.- 

Eine  andere  Verordnung')  bezeichnete  als .. pfüchtangemessen, 
Schriften,  wenn  sie  schon  nicht  gegen  die  Religion,  Sitten  und 
Staat  offenbar  anstoßen,  doch  aber  unkluge  Anlässe  zu  schäd- 
lichen Folgen  in  einem  Land  sein  können,  wie  deren  Sdiriftcn 
Beispiele  wShrend  dem  gegenwärtigen  Krieg  mehrere  bekannt 
sind,  entweder  zum  Druck  gleich  von  selbst  nicht  zuzulassen, 
od«r  bei  etwaigem  Zweifel  höchsten  Orten  unlerthänigst  anzu- 
tragen." Über  Feßmaiers  »Versuch  einer  pragmatischen  Staats- 
geschichte der  Oberpfalz,  seitdem  sie  Oberpfalz  heißet",  besagte 
die  Zensur  1798,  daß  «nach  den  bestehenden  höchsten  Weisungen 
alle  mit  den  juribus  Principis  in  Verbindung  stehende  Vater- 
ländisch statistische  Werke  vor  Ertheilung  des  Imprimatur.... 
Höchster  Stelle  eingesendet  werden  müßten."  Ein  Polizeiober- 
direktlonsberichi  erging  1798  ad  manum  des  Kurfürsten  mit  der 
seltsamen  Motivierung  des  Freiherrn  von  Wcichs:  »Da  ich  ohn- 
möglich  die  Verbreitung  von  Grundsätzen  verhindern  kann,  die 
ich  selbst  nicht  kenne." 

In  jener  Huldigung  und  Lobgesang  reichlich  hervor- 
bringenden Zeit  kam  der  Kurfürst  mit  ungezählten  Zusdiriften 
in  Berührung,  deren  zwanglose  Übersendung  aus  folgendem  Wort 
Babos  hervorgeht: ')  «Ob  übrigens  ein  Serenissimo  unter  Be- 
ziehung auf .  .  .  schmeichelhafte  Aufnahme  vorhergegangener  Ar- 
beiten des  Autors  dedicirte  Schrift  nicht  zur  höchsten  Eingebt 
gebracht  oder  wenigstens  um  die  dortige  Annahme  oder  Ver- 
werfung der  Dedication  angefragt  werden  müsse,  weiß  ich  nicht» 

Eine  auf  dem  Gnadenweg  von  höclisler  Stelle  zu  erwirkende 
Zensurbefreiung  war  Westenrieder  zuwider.  Besondere  den 
Universitälsprofessoren  suchte  er  sie  zu  verlegen. 

Noch  ein  anderes  landesherrliches  Recht  wird  passend  hier 
zur  Sprache  gebracht,  weil  es  auch  das  Zensurwesen  betraf: 
der  gebührenfreie  postamtHchc  Verkehr  der  Behörden. 
Schwankungen  blieben  auch  hier  nicht  aus. 


I 

■ 

I 


t)  14.  AuplM  1797.    AI.  K.  A.  7«;«. 

))  M.  K.  A.  79UI6:  ä<uU-,  Klichm.  und  UnlvriuIhltliMl«. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriltwesens  in  Bayrm. 


An  das  Hau ptmau tarnt  in  Sulzbach  erging  1795  eilK 
mihnende  Anfrage,  wanim  seit  geraumer  Zeit  keine  zweifelhaften 
Bücher  ans  Kolleg  eingesandt  worden  seien,  von  deren  Eintreffen 
man  doch  wohl  überzeugt  sein  dürfe.  Die  Maut-  und  Akzis- 
ämter hatten  nämlich  mit  Freipaß  nicht  versehene  Bücher  cin- 
zuiiefem.  Der  Haupimautner  rechtfertigte  sich,  die  meist  für 
dai  Schulgebrauch  oder  für  geistliche  Bedürfnisse  berechneten 
Bücher  seien  in  loco  Simullaneo  nicht  zu  hindern.  Dann  könne 
auch  nicht  dem  Mautgast,  der  solche  Bücher  bringen  lasse,  oder 
dem  Hauptmautanil  das  Postgeld  aufgelaslet  werden.  Ein  Bescheid 
bestand  aber  darauf,  die  Bücher  einzusenden,  da  die  Pakete  als 
causae  Domlni  zu  gelten  hätten  und  demgemäß  portofrei  wären. 

Daß  man  davon  nicht  allgemein  unterrichtet  war,  zeigt  auch 
eine  Zuschrift  des  Buch erspedi teure  von  Straubing:')  «Daß  be- 
züglich des  ad  locum  unde  und  des  Einsendens  zum  Censur- 
collegium  die  auszulegenden  Unkosten  als  Frachten,  Postgelder, 
Tninsitomauten  von  denen  herein  und  aus  dem  Lande  wieder 
relour  gehenden  Büchern  und  andere  zufällige  Auslagen  nicht 
allemal  von  dem  Versender  oder  Buchhändler  noch  von  dem- 
jenigen, an  den  Bücher  geschickt  werden,  so  ganz  sicher  erholt 
werden  können,"  Es  erfolgte  ein  ähnlicher  Bescheid  wie  nach 
Sulzbach. 

Mehr  Klarheit  gibt  das  am  23.  November  1795  ans  Kolleg 
erlassene  Edikt:*)  »Aus  dem  von  der  Oberlandesregierung  am 
16.  hujus  bei  Gelegenheil  der  behauptenden  Portofreiheit  der 
Paquete  in  causis  Dni  auf  den  Postmagen  eßtatteten  Bericht  ist 
zu  ersehen,  daß  das  Censur  Collegium  alle  Bücher  von  den 
Gränzstationen  auf  den  Postwagen  hieher  zur  Einsicht  schicken 
laßt"  Eine  solche  Übertreibung  des  kf.  Postfreiheilsbefugnisses  sei 
von  dem  kaiserlichen  Rcichsoberpostamt  zu  Regensburg  beklagt 
worden,  und  das  Kolleg  habe  Anlässe  zu  derartigen  Beschwerden 
zu  vermeiden. 

Das  Kolleg  antwortete  am  9.  Dezember,  die  Oberlandes- 
regierung gefalle  sich  in  Exlrahierung  unverdienter  Verweise, 
k        die   Post   sei   nicht  überanstrengt.     Am  gleichen   Tage  erfolgte 


■)  I«.  Ausuit  17».  M,  K,  A.SM/7:  ErrklitunK  MiMiMhrilllch«  Bachtnpnlltloncn brtr. 
4  M.  K.  A.  ZiClI. 


F 


432 


PcrdinAnd  Lorenz. 


dann  das  Reskript:')  »Daß  eine  allenfalsige  Ausrede  der  Reicfas- 
Postämier,  als  wären  die  Paqiiele  in  Qiusis  Domini  auf  dem 
Postwagen  nicht  Porto  frey,  keines(wegs)  angenommen,  sondern 
dergleichen  Paquete  allzeit  frey  auf  dem  Postwagen  gegeben  und 
von  solchem  abgelaugt  werden  sollen  . . .  daß  nicht  gar  zu  große 
Paquete  oder  Aden  dem  Postwagen  aufgegeben  werden  . . ." 

Der  Füi^t  von  Thum  und  Taxis  hielt  fest  an  dem  Vertrag, 
den  Karl  Theodor  1784  mit  ihm  abgeschlossen  hatte.')  Schon 
oben  sahen  wir  in  einem  Bericht  Babos,  wie  die  Postämter  durch 
die  Zeitungen  in  Briefkuverts  den  Zensurbemühungen  dn 
Schnippchen  schlugen.  Die  k.  k.  Oberstrcichspostamtszeitungs- 
expedition  verteilte  avcrtissements  trotz  Einfuhrverbot.')  Die 
Postämler  trieben  noch  in  den  neunziger  Jahren  zum  Nachteil 
der  Buchhändler  auch  BQcherverschleiß,  wie  auseiner  Ankündigur^ 
hervorgeht:  mDcu  Herrn  Collekleurs,  seien  es  die  löblichen  Post- 
ämter, Buchhandlungen  oder  Privatpersonen,  wird  das  10.  Exem- 
plar oder  der  Werlh  dafür  gut  gerechnet" 

Gegen  Änderung  in  den  Reichspostverhältnissen  legte  der 
Fürst  von  Thurn  und  Taxis  feierlichst  Verwahrung  ein.*)  Der 
§  13  des  Deputation srezesses  garantierte  die  Erhaltung  des  Reichs- 
postwesens nach  dem  Status  des  Lüneviller  Friedens,  Doch  hat 
in  Bayern  die  Verordnung  vom  14,  Februar  1806  die  Rechte 
des  Erbland postme isters  beschränkt  und  die  vom  l.  März  1808 
das  Pcstwescn  völlig  verstaatlicht.")  Und  da  besUnd  die  Kom- 
mission nicht  mehr,  die  auch  in  dieser  Beziehung  mehrfach  in 
die  Enge  getrieben  worden  war. 


IV.  Buchgewerbe  und  Bibliotheksweseti. 

Um  die  Jahrhundertwende  machte  ein  angesehener  Münchener 
Bürger  viel  von  sich  reden,  der  Professor  und  Buchhändler  Johann 
Baptist  Strobel.  In  seiner  Bildersammlung  bewunderte  man 
die  besten  Meister;  in  einem  Saale,  wie  ihn  keine  Galieric  auf- 


■)  M»ye,  Sammlunc  der  dipttb  Mg.  u.  bes.  t-aadaverordnuneen  V  (i'Sr},  tti. 

■)  S«rJel  >.  *.  O.  I,  19.  Anm 

■)  Bericht  Lerclieiifelili  aut  RcgoubnrB  vom  lö,  Mira  17(1.    M.  K  K  ;«i«. 

*l  Natloiuü-ZdtunB  der  Tcuttdicri  'Kl,  S.  17. 

•;  Scydel  I,  3»  v.  K*. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern. 


wies,  sah  man  über  zweihundert  Porträts  verdienter  bayerischer 
Oelehrlen,  meist  von  dem  berühmten  Hofmaler  Etlinger  gemalL 
Joseph  Hazzi  und  Lorenz  Hübner  haben  in  dieser  Privatsammlung 
genußvolle  Stunden  verbracht  und  ihrem  Bcsiteer  alle  Anerkennung 
gezollt.')  Hübner  fflhrl  ihn  auch  unter  den  Münchener  Schrift- 
slellem  auf. 

Strobel  war  ein  Sdiäfflerssohn  aus  Aichach.  In  München  als 
uStudios"  schlug  er  sich  mühselig  durch.  »Itzt  hab  ich  schon  bald 
t4cn  tag  kein  Brod  mehr  ghabt",  schreibt  er  nach  Hause,*) 
«und  ist  das  Lithyney  betten  verbotten,  es  darf  kein  Student  mehr 
betten,  und  niemand  darf  man  nichts  mehr  gehben."  In  Ingol- 
stadt studierte  er  nicht  nach  seiner  anfänglichen  Absicht  die 
Rechte,  sondern  Theologie,  r-lch  habe  auch  4  Lehr- Meister. 
Da  geht  es  freilich  anders  her  als  in  München.  Man  kann  auch 
mehrer  lehmen."  1775  berichtet  er  als  Professor  von  Straubing, 
wohin  er  nach  kurzem  Aufenthalt  in  München  zurückkehrte. 
1778  finden  wir  ihn  wieder  in  München,  wo  er  sich  verheiratete 
und  die  Buchhandlung  des  Theodor  Osten  erwarb,  Die  anderen 
Buchhändler  beschwerten  sich  beim  Magistrat  und  wünschten  die 
Aufhebung  der  Gerechtigkeit,  da  Strob«!  die  Erwerbung  des 
Bürgerrechts  verzögerte.') 

Mit  Strobel  haben  sich  später  die  Buchhändler  Lcnfner 
und  Lint^auer  zur  Verfechtung  ihrer  Standesintercssen  einmütig 
zusammengeschlossen.  Joseph  Lentner,  ein  Kistlerssohn  aus  Egem 
am  Tegemsee,  machte  sich  1783  auf  die  Gerechtigkeit  des  Johann 
Nepomuk  Fritz  ansässig.*)  Dessen  Vorgänger  war  sein  Schwieger- 
vater Gastl  gewesen,  der  auch  in  Stadtamhof  eine  Buchhandlung 
betrieben  hatte  Leniners  erstes  großes  Verdienst  war  die  Druck- 
legung von  Brauns  deutscher  Sprachkunst.  Als  Buchhändler 
Kritz  seine  Qerechtigketl  1786  an  Joseph  Lindauer  aus  der  Nähe 
von  Mumau  ohne  Vorwissen  des  Magistrats  abtrat,  wies  dieser 
nachdrücklich  darauf  hin,  -daß  die  hiesigen  bürgerlichen  Gerechtig- 
keiten   so    besdiaffen    sind,    daB    sie    weder  ohne    Consens   des 


■)  KDbncr.  Bnehr  Her  kb.  Hpi.-  u.  Rm.iI   MOnchtn  tl,  **s.  «4«,  -  Huil,  Stt- 
HiUkIif  AulKhtüiK  über  Om  Haiogtum  Balccn,  <SD3,  Ilt,  J79. 

*!  i:  Bticf«  Dm  Besitz  dn  Hitl   Vereint  v.  Obcttnyrcn.  M(k.  I79*. 

q  M.  S.  A.:  Ritspiotokollc  irre,    11  and  1779,   I.    StniM  lil  wohl  tJ*»  tübon». 

*)  Ratfpraiakellf  irs«,  1. 


434 


Fotlinand  Lorenz. 


Stadimagistrate  cediert,  alieniert  oder  hypothedert  werden  dflrfen.' 
Sonst  fallen  sie  an  die  Stadtkammer  mrüclc. 

Die  Münchener  Buchhändler  bücben  lange  in  der  Dreizahl. 
Und  als  Wcstenrieder  1812  von  einer  inzwischen  erfolgten  Ver- 
mehrung der  Buchhandlungen  berichtete,  stellte  er  zugleich 
Betrachtungen  über  deren  Unzweckmäßigkcit  an,  da  sie  nur 
durch  Vertrieb  zweifelhafter  Ware  äich  erhalten  könnten.*) 

Der  Kampf  um  ihr  Recht  bedeulele  bei  den  Buchhindlcm 
meist  einen  Kampf  mit  der  Zensur.  Diese  beobachtete  alle  gp- 
schäftlichen  Gepflogenheiten  und  suchte  auch  dann  einzuschränken, 
wenn  die  Buchhändler  hinsichtlich,  ihres  ernstlichen  geschSftlichen 
Vorteils  ^rnicht  anders  handeln  konnten.  Letztere  legten  dabei 
ein  ausgeprägtes  Selbstbewußtsein  an  den  Tag,  das  sie  ihre 
Nebenbuhler  geringschätzen  ließ.  Wenn  Klopstock  in  seiner  Ge- 
le hrtenrepublik  von  ihrem  Stand  als  von  Laternenträgem  sprach, 
hätten  sie  diesen  Titel  sicher  energisch  zurückgewiesen. 

Im  Jahre  1383')  verwahrten  sich  Kratz,  Fritz  und  Strobel, 
daß  der  Horkammerrat  Franz  von  Kohlbrenner,*)  dem  schon  vor- 
her wegen  Erwähnung  einer  „allhier  vorhabenden  Kirchen  reform 
und  Aufhebung  milder  Stiftungen"  die  Entziehung  des  Intelligenz- 
blattes angedroht  worden,  in  diesem  Bücher  anzeige.  Der  »Ir- 
telligenzer"  und  seine  Mithelfer  seien  nichts  weniger  als  Kenner 
der  Literatur  und  des  Literarischen  Verdienstes. 

DaB  sie  für  sich  diese  Kenntnis  in  Anspruch  nahmen,  zeigt 
ihr  unablässiges  Bemiähen,  in  die  Wochenblätter  Einrückungen 
machen  zu  dürfen.  Das  Verbot  vom  11.  Februar  1783,*)  in 
Zeitungen  oder  Intelligenzblältern  Bücher  oder  Druckschriften 
anzukündigen,  war  immer  lästiger  empfunden  worden.  1793 
schrieben  Strobel,  Lindauer  und  Lentner  -  diesem  wurde  damals 


»)  B«ytiigt  9.  J81. 

^  M.K.A  9S1/H:  Di«  in  di«  ZdtvngiMiHtr  uru)  plehiit  Zfltuns  gc^sMoen  BOdMr. 

■)  In  der  RMidmi  München  vaieii  liitFlljgm;.blätt«r  frülicr  all  politiudcZcitunca 
«ortiiTOlcn  r>u  .Manrhnrr  lnrell>],-tiiFl>li(t  iiim  DiFiiitc  iln-  SUilt-  und  LandwlmduR,  des 
NlbrenEwundn  und  der  Handlung'  vurdc  \J&i  von  KnfkintniFiril  von  KoMbrcnnei  an- 
sAngen  und  luch  dcucn  Twl  von  SckrrUt  l'inaucr  fnngftQliTl.  Ja  tirfcrlc  die  nUm 
ttitiitlKhm  Nichrithlm  von  Barrm  und  b»hnW  »icl«n  Schriften  in  dlcicni  Fieh  dm  W«j. 
WUirmd  iti  bfldm  VIHri«lc  17D0-1W  cnlhiflt  «  illr  dnichUeleM  Nött7cn.  tTW-n 
aetttitb  k  der  t)i>(1iamnicriliirulil  Bufshnlm.  Dinn  Idm  rt  in  SIrobel.  Ntcolil  Mhrt 
«»  in  wintti  .Rdmi  duidi  Druischlind-  «nf.  —  Annalm  d.  b    L».  IBOJ,  S.  W)J«. 

4J  lldiicl,  Zcniurvocn  in  Alltwi-cin  a.  a  O. 


Zur  Qodiichte  der  Zensur  und  des  Sciiriftwcse«  in  Bdtyem.     43s 


der  verhältnisinäBig  erfolgreichste  Buchhandel  zugesprochen  — 
ans  Kollegium:')  ./Wir  leiden  schon  dadurch  bei  unserer  Handlung 
einen  nicht  unbeträchtlichen  Schaden,  daß  wir  nur  sehr  wenige, 
ja  fast  gar  keine  BQcher  in  den  Wochenblättern  mehr  anzeigen 
därfen  und  uns  bei  den  meisten  des  gelehrten  Bogens')  bedienen 
sollen,  der  nicht  nur  gauz  selten  erscheint,  sondern  auch  in  sehr 
wenige,  ja  nicht  cinnul  in  die  Hände  der  Gelehrten  kommt. 
Es  wäre  beinahe  so  gut,  die  BQcher  ganz  unangezeigt  zu  lassen 
als  in  einem  solchen  fast  unbekannten  Blatt.  Allein  wenn  der 
Buchhändler  seine  von  der  Zensur  erlaubten  Bücher  nicht  all- 
gemein anzeigen  darfj  so  ist  es  gerade  soviel,  als  hätte  er  Steine 
feil,  und  seine  Handlung  bekömmt  auf  diese  Weise  den  Stoß 
zum  Verderben." 

Am  26.  März  1794^}  einigten  sich  die  drei  mit  dem  Kotleg, 
die  Anzeigen  und  dem  Druck  bestimmte  Kataloge  dem  Spediteur, 
einem  inzwischen  zu  schnellerer  Geschäftsführung  ernannten 
Beamten,  zu  überreichen,  der  sie  dann  in  die  Wochenblätter  und 
die  »gelehrle  Zeitung"  verteilen  sollte;  auf  welchem  Grxind,  war 
lange  strittig. 

Das  Kolleg  machte  eine  Vorstellung  bei  höchster  Stelle.*) 
Auf  seinen  Vorschlag  vom  26.  April  17  93  war  dem  Mittwochs- 
blatt nur  allgemein  Nützliches,  der  »gelehrten  Zeitung"  die  Behand- 
lung höherer  Gegenstände  zugeteilt  worden.  Damals  beurteilte 
man  die  BQcher  großenteils  nach  den  Titeln.  Nun  aber 
war  es  Pflicht  des  Spediteurs,  die  Bücher  zu  lesen  (?)  und  so 
nur  unverfängliche  und  nützliche  zur  Ankündigung  zuzulassen. 
Die  „gelehrte  Zeitung"  wurde  auf  dem  Land  garnicht,  in  München 
wenig  gelesen.  «Sollten  nun  alle  jene  BQcher,  die  einen  höheren 
Gegenstand  haben,  auch  solche  Schriften,  welche  gegen  irreligiöse 
Gnindsätze  zur  Bestärkung  unserer  heiligen  Religion  oder  zur 
Verteidigung  Höchstdero  Gerechtsame  selbst  auf  Höheren  Befehl 
hin  verfertigt  werden,  nur  in  der  gelehrten  Zeitung  angekündigt 

1}  M.  K.  \   liS^i-  Errlchtuni;  -nrn  Mchentitüiliinen. 

>)  Der  •velthrlc  Ragt«'  cnchim  monatlich  und  *«r  mit  don  Mittwuchi-  und 
SonTubradibtitl  cinr  EteitiKr  dtr  mtcn  pulillschm  ZdtuRi;  in   München,   die  ils  iStutt-i 

grsrlini  wurde.  Sit  «ir  die  Vorliulrriit  der  Obrrwuttehai  Suiuidlung  van  Loraii  HQbiHf, 
die  n  hohem  An«d>ni  kam.  —  Aiuialm  dn  B.  Ut.  IM»,  S.  HU. 

*i  M.  K   A.  2i6ft. 

•t  M.  K  A.  Mi/It. 


I 


r 


436 


Ferdinand  Lorenz. 


werden  dürfen,  wohin  sie  ihres  höheren  Gehalts  wegen  bei  be- 
stehendem Normal  verwiesen  werden  müssen",  so  wäre  der  Er- 
folg, daß  auch  die  besten  Bücher  dem  Publikum  unbekannt 
blieben  und  dem  Publikum  Schaden  erwüchse. 

Darauf  wurde  im  Sinne  des  Kollegiums  entschieden.*) 
Ein  Gebiet  indes  sollte  nach  wie  vor  dem  profanen  Blick  der 
Menge  verhüllt  und  der  »gelehrten  Zeitung"  vorbehalten  bleiben: 
die  Hebammenkunst! 

Daß  auch  BCicheranzeigen  von  auswärts,  die  in  Münchencr 
Blättern  veröffentlicht  werden  sollten,  der  Genehmigung  des  Direk- 
toriums bedurften,  wurde  t7  9S  dem  Landshuter  Buchhändler 
Hagen  eingeschärft 

Das  Selbstbewußtsein  der  Herren  rang  schwer  nach  Auf- 
ri^chlerhallung.  Noch  1S03  schimpfte  das  Nationalblatt  für  die 
Kf.  B.  Fürstentümer  in  Franken:  ..Die  Buchhändler  sind  Krämer, 
die  auf  Dreyer  spekuheren,  sich  mit  Commissionswaaren  miihsam 
fortbehelfen,  die  den  Schriftsteller  mit  stolzen  Augen  messen,  ob 
er  &  la  Hofrath  frisiert  sei?  Die  dem  Geschichtschreiber  Schmidt 
kaum  ein  paar  Gulden  Honorar  geben  wollten,  die  käum  eine 
dreiviertel  Presse  haben." 

Indes  waren  die  Rechte  des  Gewerbes  nicht  geschützt  und 
der  Absatz  bei  dem  vielfach  auf  Qeheimwegen  beschafften  Bedarf 
nicht  groß.  Zu  Beginn  der  neunziger  Jahre  drohte  den  Münchner 
Buchhändlern  und  Druckern  durch  ein  Zensuredikt  Karl  Theodors 
neue  Schädigung. 

Da  flüchteten  sie  sich  an  die  Öffentlichkeit  und  ließen 
durch  den  »ihrem  Gewerbe  eigentümlichen  Mechanismus  der 
Presse"  dem  Fürsten  ihre  Wünsche  bekannt  werden.^  Diese 
wichtige  und  instruktive  Vorstellung  möge  hier  ausführlicher 
behandeil  werden. 

Es  galt  die  Erneuerung  des  inzwischen  vergessenen  Zcnsur- 


•1  Mndil  vom  13.  funitr  im. 

f)  Die  VonlcilQng  blieb  «rlolflos,  die  Supitlikiiiitrn  mitBtm  unltr  den  hirtaicn 
BcdrobunEcn  all«  «othaiidnim  Excmiilxr«  d«  BLtUi-hcitlauillrtcm,  dltr  dinn  in  dieArdiipe 
vindcTlcn,  Om  Itlncndcii  tcii[lc  man  Obcrdin  5lltl«chrdem  «uf,  und  v>  konnloi  die 
Obtliunnlni  Schndd«  von  N«ydsfflnl  und  Dicticiidi  Uii  Unsocn  wEltcnrdtMn. 
I7W  hiKhlrn  ilc  .Omiui  d»r  Z»it-  von  Aiig  Henninp  und  dcf  .Wlgtititln«  LiltniliclK 
AnirlECT-'  dir  Vontrlluntc  vlrdrr  tum  Abdrudi  In  letzteren  S.  1110T  u  tl.  Die  Vani«!lun{ 
liilt  du  Ditum  vom  iw.  üeumbct  IJ«I. 


Zur  Oeschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern.      ^37 

edikts  von  1 769  zu  verhüten.  Dieses  hatte  eigentlich  die  ginze 
Boche rschr«iberei  verrufen,  obschon  der  freie  Buchhaidel  gestützt 
Verden  sollte.  Schleichhändler  und  Privatpersonen  lachten  sich 
ins  Fäustchen,  während  die  rechtlichen  Buchhändler  warteten,  bis 
das  Zensurkoileg  geprüft  hatte.  Noch  strenp:ere  Maßnahmen 
mußten  sie  verderben. 

Bücher  erhalten  ihr  Interesse  von  den  Zeitumständen  und 
finden  nach  der  endlichen  Erteilung  der  Verkaufslizenz  keine 
Käufer  mehr  Das  Publikum  versieht  sich  anderweitig,  da 
Wien  und  Mannheim  mit  dem  Gewünschten  aufwarten.  Die 
Technik  des  Buchhandels  ist  von  dem  Edikt  von  1769  verkannt  und 
hat  sich  auch  inzwischen  verändert.  Der  größte  Betrieb  des 
Buchhandels  besteht  in  solchen  Waren,  die  von  auswärtigen 
Verlagshand lun gen  unversch rieben  pro  novitate  zugeschickt  werden. 
Die  Lage  Münchens  zwischen  den  Reichs-  und  den  k.  k.  Erblanden 
verleiht  dem  Durchgangs-  und  dem  offenen  Spedilionshandel  hohe 
Wichtigkeit  Nach  Auswahl  aus  den  übersandten  Partien  fClr  das 
eigene  Sortiment  werden  die  übrigen  Bücher  ohne  Anweisung 
des  Verlags  nach  eigenem  Gutdünken  an  solche  Orte  geschickt, 
die  einen  guten  Absatz  versprechen.  Die  Unzulänglichkeit  der 
Verordnung  von  1 769  in  praktischer  Hinsicht  erklärt  auch  ihre 
völlige  Verleugnung  seit  22  Jahren.  Der  im  bald  nachfolgenden 
Erläuterungsmandat  verheißene  Catalogus  iibrorum  prohibitorum 
als  Bedingung  der  Gültigkeit  des  Edikts  blieb  aus.  Nun  wollen 
die  Hetzer  gegen  die  freie  Wissenschaft  das  Wort  ■Aufklärung*' 
verfemen  und  damit  auch  ihre  Mittlerinnen,  die  Buchhandlungen. 
Die  Revolution  überm  Rhein  hat  nichts  mit  riclitiger  Auf- 
klärung gemein,  und  der  Verfasser  des  einzigen  Buches,  das 
Wissenschaft,  Lektüre  und  Aufklärung  verdammt,  hat  auch  die 
Gleichheit  der  Stände  gepredigt.  Gegen  Sittenverderbnis  muß 
man  sich  wenden,  nicht  gegen  Aufklärung.  Es  gibt  kein  Buch, 
das  den  Richter  lehrt,  sich  erkaufen  zu  lassen;  keines,  das  den 
Beamten  in  der  Kunst  unterweist,  sein  Amt  zu  seinem  Vorteil 
zu  benutzen.  Die  Regenten  haben  keine  wohlmeinenderen  Freunde 
als  die  Bücher!  Das  Selbstdenken  ist  erwacht,  und  die  Menschen 
selbst  sind  lebendige  Bücher  und  teilen  sich  Grundsätze  und 
Meinungen  unvermerkt,  aber  wirksamer  mit    Schutz  von  Wissen- 


A. 


438 


Ferdinand  Lorenz. 


sdiaft  und  Buchhandel  ist  das  einzige  Gegengewicht,  eine  Zensur, 
die  um  der  schädlichen  Schriften  willen  auch  die  Verbreitung  der 
guten  erschwert,  richtet  sich  selbst. 

Der  Buchhandel  darf  sich  den  wichtigsten  Komnietrziatzweigen 
gesellen.  Karl  Theodors  Sammlungen  und  Denkmale  erhalten 
4urch  Wissenschaft  und  Lektüre  Geist,  Teilnahme  und  Wirksam- 
keit. Der  Buchhandel  unterrichtet  durch  seinen  Absatz  über  die 
Denkart  des  Volkes  und  ermöglicht  dessen  Fühning  und  Belehrung. 
Der  Umsatz  kann  ffir  den  Staat  ein  beträchtlicher  Gewinn  werden. 
Die  Städte  Leipzig  und  Götlingen  haben  durch  ihren  Buchhandel 
groüen  Vorteil.  Frankfurt,  das  ehedem  mit  Leipzig  wetteiferte, 
verdarb  sich  diese  Finanzquelle  durch  Zensuredikte.  Die  meisten 
Gewölbe  der  Buchgassc  sind  in  Weinschenken  verwardell. 

In  München  ernährt  der  Blichhandel  trotz  seiner  Beschränkung 
veniiittelst  der  von  ihm  abhängigen  Gewerbe  der  Drucker, 
Binder  und  Papiermacher  immerhin  an  die  300  Personen,  die 
durch  eine  neue  Zensurverschärfung  verarmen  müssen.  Inländische 
Schrittsteller  werden  dann  ihre  Werke  im  Ausland  verlegen  und 
Bayern  um  den  Vorzug  bringen,  bedeutsame  literarische  Produkte 
aus  der  Taufe  zu  heben.  Ein  rechtlich  denkender  Autor  erkennt 
überhaupt  nur  solche  Männer  als  seine  Richter  an,  die  sich  durch 
dtfeniliche  Beweise  ihrer  Gelehrsamkeil,  philosophischen  Einsicht 
und  ihres  Geschmackes  legitimiert  haben.  . 

Die  Ediktserneuerung  muß  die  bayerischen  Buchhändler  zu 
ausschließlichen  Kommissionären  auswärtiger  Verleger  herabsetzen, 
die  sich  zudem  schwerlich  der  Gefahr  au^ctzen  werden,  etwa 
'/,  ihrer  Artikel  als  Kontrebande  erklärt  zu  sehen.  Und  bei 
den  nahen  reichsstädtischen  freien  Buchhandlungen  winkt  jedem 
Bücherlreund  Befriedigung  seiner  Wünsche,  Sic  brauchen  ja 
bayerische  Verordnungen  nicht  zu  befolgen.  Und  auch  der  Durch- 
handd,  bisher  die  Hauptnahrungsquelle,  geht  zugrunde. 

Dabei  sind  erst  in  jüngster  Zeit  gnädige  Verheißungen 
ergangen,  die  bürgerlichen  Gewerbe  gegen  jede  Beeinträchtigung 
zu  schützen.  Die  Gerechtigkeit  erfordert,  die  Vorteile  der  Buch- 
händler zu  Mannheim,  Heidelberg,  Frankentha!  und  Düsseldorf 
auch  hier  zu  sichern.  Denn  die  Münchener  sollen  nicht  lesen, 
■worüber  sich  die  Brüder  am  Rhein  schon  lange  freucnl 


Zur  Oeschiclite  der  Zensur  und  des  Schriftw^ens  in  Bayern. 


Ein  ZensurkoÜegium,  das  die  Oeist«vormiindschaft  ober 
eine  Million  Menschen  zu  verwalten  hat,  muß  eine  andere 
Verfassung  haben.  Zensur  darf  nicht  überanstrengten  Beamten 
als  Nebensache  aufgebürdet  werden.  Ein  Zensor  muß  mit  dem 
Geist  seiner  Zeit,  mit  der  ganzen  Üleraturgeschichtc,  die  täglich 
Zu'wachs  und  Änderungen  erhält,  mit  dem  Charaldcr  der 
bedeutendsten  Schriftsteller  vertraut  sein.  Es  ist  physisch  unmög- 
lich, die  Existenz  eines  Buchbandeis  mit  der  erneuten  Zensur- 
verordnung zu  vereinbaren.  Ein  Fortbcstehen  der  Zensur  bedingt 
ein  Kollegium  von  eigens  ernannten  und  besoldeten  Beamten. 
Naturgemäß  soll  sich  die  Sorge  derselben  nur  auf  die  einheimische 
Lektüre  richten  und  darf  den  Durch-  und  Speditionshandel  nicht 
behindern.  Die  Begutachtung  durch  benachbarte  bischöfliche 
Behörden  kann  die  Zeiisurbehörde  einer  nochmaligen  Prüfung 
überheben.  Das  neugierige  Volk  geht  ohnehin  nach  dem  Frey- 
singischen Dorf  Vehring,  um  Zeitungen,  die  daheim  verboten 
sind,  zu  lesen.  — 

Die  RichtigVeit  dieser  Ausführungen  llßl  sich  anderweitig  be- 
stätigen. Die  volkswirtschaftlichen  Nachteile  der  Zensur  hat  kein 
Geringerer  als  Friedrich  der  Große  in  seinen  Briefen  an  d'Alcmbert 
erkannt,')  wo  er  schrieb,  daß  das  Verbot  der  Werke  Voltaires  den 
Buchhändlern  Hollands,  Deutschlandsund  der  Schweiz  den  Gewinn 
zugetragen  habe.  Darum  stellte  das  Edikt  vom  13,  Juni  1S03 
anheim,  den  Verkauf  zweifelhafter  Werke  außerhalb  Bayerns  zu 
versuchen.  Schon  1796  hatte  ein  wohlmeinender  Zensor  dem 
Hofrat  Piaggino  geraten,  sein  «Volksbuch  für  alle  Stände  nach 
auswärts  zu  verwenden.  Aber  was  half  es  den  Buchhändlern, 
wenn  die  Autoren  immer  mehr  ihre  SchriNen  im  Ausland  selbst 
verlegten,  wie  Professor  Schrank  »zur  Vermeidung  aller  weiteren 
Unannehmlichkeiten"  wegen  der  mit  Hellersberg  herausgcgetjenen 
Ephcmeriden  androhte;')  wenn  Professor  Kandier  I80t  in  einer 
Eingabe  sich  zur  besonderen  Empfehlung  schrieb,  daß  er  «außer- 
halb Landes  oder  anonym  bei  der  Wahrheil  seiner  Theorie  nicht 
wollte  veröffentlichen."')     Darum  standen  auch  die  auswärtigen 


>]  Spaun,  PoliL  TvUmcnl  nf. 

*)  M.  K.  A.  Tttn*.  Zduchriricn 

•1  M.  K.  A.  rn!i6:  Stut»-.  Kireboi-  uod  univerwUHitorfKlia  fsch. 


r 


440 


fcrditiAnd  Lorenz. 


Buchhändler  in  Verruf,  noch  lange  nachdem  man  Joseph  Milbiller 
wegen  Verdachts,  daß  er  mit  auswärtigen  Journalisten  und  Bucb- 
hindleni  in  Korrespondenz  stehe,  vertrieben  hatte.') 

Die  Buchhändler  hatten  eine  gewaltige  Konkurrenz  zu  be- 
stehen. Die  von  ihnen  mißgünstig  angesehene  Stiftung  des  Goldenen 
Almosens  war  aus  einer  Einrichtung  der  Herzöge  Wilhelm  V. 
und  Maximilian  hervorgegangen,  um  geistliche  Bücher  zu  verlegen 
und  zu  wohlfeilem  Preise  unter  dem  Volke  zu  verbreiten. *) 
Später  wurde  diese  Fundation  mit  dem  Schulfond  vereinigt  und 
nach  einer  Mitteilung  von  1 799  ')  rum  Verlag  äußerst  inkorrekter, 
schlechl  gedruckter  Schulbücher  verwendet  die  n rucksichtüch  des 
äußeren  und  inneren  schlechten  Gehalts  leuer  genug  \'erkauft 
wurden.*  Hübner*)  hatte  eine  bessere  Meinung  von  diesem 
Institut,  lobte  die  eigene  Druckerei  mit  guten  Pressen,  die  wohl- 
geordnete Buchhandlung  und  den  günstigen  Zweck,  Schul-  und 
Erziehungsbücher  um  einen  von  den  gewöhnlichen  Buchhändler- 
preisen  sehr  verschiedenen  und  herabgesetzten  Preis  zu  liefern 
und  dadurch  die  Aufnahme  der  vaterländischen  Schulen  zu 
befördern.  Alle  Lehrbücher,  Tabellen  und  Kupferstiche  für  die 
bürgerlichen  Schulen  gingen  aus  den  Pressen  des  Goldenen 
Almosens  hervor  und  ermöglichten  eine  Unterstützung  der  armen 
Landesjugend,  deren  Eltern  sich  vielfach  der  Anschaffung  der 
erforderlichen  Lehrmittel  widersetzten. 

Aber  Schul-  und  Erziehungsbücher  waren  noch  die  einzigen« 
welche  in  Bayern  einen  nennenswerten  Abgang  fanden.  Und 
wenn  diese  Artikel,  die  allein  dem  Buchhandel  einen  inländischen 
Betrieb  verschaffen  konnten,  von  dem  Staat  oder  dem  Kurfürsten 
unter  der  Firma  des  Goldenen  Almosens  verlegt  und  verkauft 
mirden,  wenn  dieses  Goldene  Almosen  seine  Geschäfte  weiter 
ausdehnte  und  sich  nachweislich  auch  mit  dem  Nachdruck  be^te, 
so  ist  der  ungeheure  Nachteil  ersichtlich,  den  die  bürgerlichen 
Buchhindler  zu  erleiden  hatten. 

Noch  andere  maßten  sich  den  Handel  mit  den  ([angbaren 


1)  Bud«.  Lecfknn. 

1J  Upoviky.  Oetch.  dtr  Schuloi.  lu. 

>]  Ober  die  Qndlai  da  vichiendm  MiHvcrenfifcm  in  Biiern.    Niditng  lar  Ab- 
handlune  ü.btr  den  Werlli  unil  die  rotsm  der  lUndrschm  rrtlheilcn  Id  Baiern.    im. 
•)  SuliiUk  da  H.  ü.  R^tudl  Manchen.    II.  >9t. 


I 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern.      44t 

Büchern  an.  Noch  am  28.  April  1S04  wurde  einem  Aktuar  in 
Neuburg  die  Errichtung  eines  Schulbüdicrverlags  übertragen. 
Darum  erließ  das  -Taschenbuch  fxir  das  Jahr  18OS"  einen  Auf- 
ruf, nicht  den  Buchhandel  durch  die  Sorge  für  das  physische 
Bestehen  zum  odiösen  Geschäft  zu  maclien.  Das  Schuldirektorium 
solle  in  den  Personen  der  Akluare  nicht  ebenso  viele  Buchhändler 
aufetellen.  Der  Regent  möge  gleich  Preußen  Schutzgesetze 
verfügen  und  den  Nachdnick  verächtlich  machen.  Schließlich 
wurde  ein  Buch  händlerrat  zur  Wahrung  der  Standesinteressen 
vorgeschlagen. 

Buchbinder  und  Buchdnicker  vertrieben  Schul-  und  Qetet- 
büchcr.  1734')  wurden  die  Buchbinder  ermahnt,  sich  ihren 
Bedarf  wenigstens  inländisch  zu  beschaffen  und  höchstens  zur 
Dultzeit  ausländische  Bücher  zu  verkaufen.  Die  letzte  Bezeichnung 
gemahflt  jedoch  daran,  daß  damals  das  Ausland  schon  hinltr  den 
Grenz ]>fäh!eri  begann.  Damals  zählte  man  in  München  zwftlf 
bürgerliche  Buchbinder,  die  den  Buchhändlern  durch  derartige 
Gewcrbsbceinträchtigungen  sehr  schaden  konnten.  1776  verxcies 
der  Magistrat  dem  Buchbinder  Franz  Loos  den  Handel  mit 
ungebundenen  Werken  und  die  Übernahme  von  gebundenen  aus 
privatem  Besitz.  Der  Buchbinder  Holzer  vermochte  179'6  sogar 
durchzusetzen,  dafi  seine  gebundenen  Gebetbücher  in  den  In- 
telligenz- und  Mittwoch  blättern  angezeigt  wurden. 

Dazu  kamen  die  Hausierer  und  KraxentrSger,  die  unter 
der  Hand  einen  schwungvollen  Handel  mit  kleineren  Schriften 
betrieben.  Wenn  solche  Zwischenhändler  ihren  Bedarf  von  den 
drei  Münchenerr  bezoger,  war  ja  von  diesen  nichts  einzuwenden. 
.^be^  daß  dies  der  Magistrat  öfters  einschärfen  mußte,  verrät 
andere  Gepflogenheiten.  So  stellte  er  1791  an  den  Bücher- 
händlcr  Hölzl  das  Ansinnen,  sich  lieber  irgendwo  auf  dem  Lande 
niederzulassen,  als  die  berechtigten  Buchhändler  durch  seine 
Manipulationen  zu  ärgern,  Personen,  die  gar  keine  Beziehung 
zum  Buchgewerbe  hatten,  zogen  zeitweilig  aus  dem  Vertrieb  von 
Drucksachen  Nutzen.  1797  wurde  dem  Post-  und  Stadttheater- 
zcttelträgcr  Wunderer  die  Verkaufslizenz  für  die  bereits  gcdnicWc 
Piece  »Thränen  biederer  Baicr  auf  die  Urne  Ihrer  ChurfürbÜichcn 


>]  Koliript  vom  31.  Mai.    M.  S.  A.  Rattprntokoll«  l'H  1. 
ArtMv  Hr  KulturgMchiehte.    II.  28 


443 


Fsdiiund  Lorenz. 


Durchlaucht  Maria  Anna  Sophie  .  .  ."  bewilligt')    Solche  Hul- 
digungen fanden  leicht  Verbreitung. 

Die  Bücher  wurden  so  immer  wohlfeiler  angeboten.  Am 
4,  Januar  1800  zeigte  J.  B.  öttl  bei  St  Peter  eine  Herabsetzung 
der  im  Gymnasium  vorgeschriebenen  Braunschen  Ausgabe 
römischer  Klassiker  im  Intelligenzblatt  an.  Damach  kostete 
Cornelius  Nepos  10  Kreuzer,  Sallust  5,  Tadtus'  Germania  12, 
Cicero,  Orationes  14,  Cäsars  Gallisclier  Krieg  12  Kr.,  der  ganze 
Vergil  1  fl.  Man  möge  zum  Vergleich  beachten,  daß  damals 
für  einen  Volkskalcnder  24  Kreuzer  bezahlt  wurden. 

Weiter  fand  der  akademische  Buchhandel  nach  Mitteilung 
Milbillers")  viele  Kunden,  denen  die  Lentner,  Lindauer,  Strotiel 
traurig  nachsahen.  Die  Akademie  hatte  dazu  den  Vorteil  einer 
eigenen  Druckerei.  Da  sich  die  Drucker  in  der  Wahrnehmung 
ihrer  eigenen  Interessen  mit  den  Buchhändlern  meist  solidarisch 
fohlten,  möge  ihnen  hier  Beachtung  geschenkt  werden.  Jene 
wichtige  Vorstellung  vom  19.  Dezember  1791  ist  von  den  da- 
maligen Münchener  Buchdruckern  Franz,  Zangel  und  Hflbsch- 
mann  mit  unterzeichnet. 

H.i22i  urteil!  nicht  schmeichelhaft  über  die  damaligen  Buch- 
druckereien:') "Es  giebt  deren  nur  drei.  Auf  elegante  Leitern 
und  Druck  befleißigt  sich  keine.  Dieses  und  der  Umstand,  daß 
alles,  was  hier  gedruckt  wird,  noch  der  Zensur  und  dem  impri- 
matur  unterworfen  ist,  macht,  daß  nicht  viel  in  München  gedruckt 
wird,  sondern  alle  Produkte  im  Ausland  erscheinen."  Zwei 
Jahre  später  schreibt  Hübner,*)  dem  ein  milderes  Urteil  eignete, 
daß  sich  die  Druckereien  geschmackvoller  Auflagen  und  reineren 
Druckes  befleißigen  und  genügend  beschäftigt  sind. 

Bereits  1772  gedachte  Hofkammerrat  von  Kohlbrenner  eine 
vierte  Druckerei  in  großartiger  Ausstittiing  zu  errichten,  «damil 
nicht  aus  Mangel  hinreichender  Bestellung  mit  Letlern,  Ziffern 
und  Linien,  endlich  bey  derzeiligem  Gang  verschiedener  Tabellen 
und   besonderer  Charaktere  der  Lettern  das  Geld  auBer  Landes 


>)  M.  K.  K.  m/M, 

■)  AnBilm  dtr  D    üt.  I,  Mit  (iiti)  S.  U. 

■)  SUOidKhe  AuhchlUtie  ni.  ]3«. 

*i  Sbtltlik  II,  412. 


I 


I 


Zur  Opsrhichtp  der  Zensur  und  des  Schriftvesens  ir  Bayern. 


geschicket  werde."')  Wegen  der  ungenügenden  Mittel  inländischer 
Drucker  muBten  sich  die  Ingolstädter  Professoren  meist  an  aus- 
wärtige wenden,  trotzdem  die  Oberlandesregierung  dies  mehr- 
mals tadelte.  Die  einheimischen  Drucker  waren  »an  den  Schriften 
nicht  so  reichhaltig,  daß  man  die  benötigten  Gattungen  darin  an- 
treffen wird,  wie  sich  solches  bey  den  morgen  ländischen  Sprachen 
gleich  bey   hiesigen  und  anderen  Druckereyen  an  Tage  leget."*) 

Kohlbrenner  wurde  abschlägig  beschieden,  und  ein  Mandat 
verbot  die  Errichtung  einer  vierten  Druckerei  ohne  das  gnädigste 
Vorwissen  überhaupt')  Bald  darnach  wurden  die  Druckereien 
an  das  Bestehen  eines  Zensurkollegs  nachdrflcklidi  erinnert  und 
bei  Sicherheit  ihrer  Gerechtigkeit  von  der  Ehrerbietung  gegen 
diese  Behörde  abhängig  gemacht.*) 

Als  der  Zeitungsverleger  von  Drouin  und  Sekretär  Finauer 
sich  17S3  um  die  Verieihung  einer  neuen  Gerechtigkeit  bewarben, 
erging  der  kf.  Befehl:'*)  «Man  gedenket  .  .  .  weder  die  hiesigen 
Buchdruckereyeii  zu  vermehren  noch  dieses  bürgeriichc  Gcwcrb 
von  jemanden,  der  nicht  von  Bürgerstande  und  auf  die  Druckerey 
gdehmet  ist,  treiben  zu  lassen."  Erst  1790  kam  Drouin  zum 
Ziel,  indem  ihm  der  Druck  seiner  Zeitungen,  Anzeigen  und 
gelehrten  Blätter  durch  eine  eigene  Anstalt  erlaubt  wurde.  Wegen 
dieser  begrenzten  Befugnis  zählte  sie  jedoch  nicht  unter  die  all- 
gemeinen. 

Man  kann  den  Münchner  Magistrat  nicht  der  Gleich gClltigkeit 
gegen  die  Druckereien  bezichtigen.  Als  Buchdrucker  Mayr  1 783 
starb,  wurde  sein  Geschäft  durch  den  Stadtkimmerer  und  den 
Sladtobcrrichler  bis  zur  Tauglichkeit  seines  minderjährigen  Sohnes 
in  Gewahrsam  genommen.  1 785  wurde  Zangel  Mayrs  Schwieger- 
sohn und  Nachfolger. 

Im  Jahre  1782  bereits  hatte  das  Findelhaus  beim  Heüigen- 
geistspilale  die   vierte   Druckereigerechtigkeit   erhalten.")     Durch 


I)  M.  S   A.     Rvipralokolle  i!T3.  I. 

1)  Unlvtnltiturchlv  München  B  4:  Die  Drncktraibelt  der  von  den  ProIcMotai 
vertiBlHi  Schriflen  btti.     1781. 
1  Rilipioliikollc  )7T5,  I. 
•)  RaUprvIuliOllF  U79.  I. 

i)  M.  S,  \     RaMproloknll«  ITBl.  I,  Mindil  vgni  id.  April. 
4  RiUprutokollr  ua*.  II.  Mindti  vom  i.  Nov.  UK. 

38' 


I 


Mandat  vom  11.  Mai  1793  wurde  jedoch  diese  Druckerei  d« 
Münchner  dreien  gegen  eine  Jahreäpacht  von  40  fl.  an  die  Stifb- 
kasse  überlassen.^) 

Der  Widerspruch  der  drei  verursachte  auch  1789  die  Ab- 
weisung des  Grafen  Törring  zu  Seefeld,  der  in  seiner  Hofmirk 
Haydhausen  eine  vierte  Druckerei  errichten  wollte.') 

Das  Mandat  vom  22.  Augus)  1792")  bewilligte  dem  Schul- 
fond auf  Antrag  des  geistlichen  Rats  zum  Vorteil  des  Schul- 
bücherverlags und  zum  allgemeinen  Besten  die  Führung  einer 
eigenen  Presse,  mit  dem  Verbot  des  Druckes  nicht  pädagogischer 
Schriften.     Und  diesmal  wehrten  sich  die  drei  vergebens.  fl 

Die  Buchdruckerei  des  Schutfonds  war  privilegiert;*)  ebenso 
die  des  Zeitungskontors,  die  im  Anschluß  an  das  Privilegium 
Drouins  Hübner  I8i>2  bestätigt  erhielt.  ■ 

Eine  weitere  Druckerei  errichtete  1801  der  Buchhändler 
Esaias  Seidl,*)  Er  war  Inhaber  einer  privilegierten  Buchhandlung 
und  Druckerei  in  Sulzbach  und  wurde  ermächtigt,  sein  Geschäft 
in  vollem  Umfang  auch  in  München  zu  betreiben.  Die  Beschwerde 
der  Münchner  erzielte  nur  die  Zusicherung,  das  Privileg  des 
Schulfonds  neuerdings  zu  untersuchen. 

Seidl  fühlte  sich  in  München  nicht  am  rechten  Ort,  zumal  ■ 
kein  öffentliches  Gebäude  zum  Betriebe  seines  Gewerbes  zur 
Verfügung  stand.  Darum  verkaufte  er  1803  mit  höchster  Er- 
laubnisseine Handlung  und  Leihbibliothek  an  Joseph  Schcrcr.*) 
Dieser  hatte  schon  im  Vorjahr  in  Gemeinschaft  mit  Ferdinand 
Bastien  eine  Handlung  für  auswärtige  Literatur  errichlen  dürfen, 
unter  der  Bedingung,  sich  darauf  zu  beschränken,  die  Lasten 
wie  jeder  andere  Bürger  zu  tragen,  keine  besondere  Begünstigung 
durch  ausschließliche  Abnahme  von  Büchern  für  die  Hofbibliothek 
oder  durch  Vorschusse  zu  erhoffen  und  für  das  Publikum  immer 
eine  hinreichende  Auswahl  von  Schriften  bereit  zu  halten. 

'}  Rtt»proi(ik«Uc  MSi,  II. 
^  RiUprolokollc  1791,  I, 

•)  RiUprolokolle  itm,  III. 

*)  .Einig«  Qcwcrbc  »trden,  il»  penSnllche  OemhllekclKn,  von  dem  Hofe  uikI 
Wlter  dcntn  Schuli«  tätlichen.  Mm  ncnnl  Ihre  Inhobn  HoJuhuliticfrpilc  (in  frähcrm 
ZdMa  koantn  »Ic  unlrr  i1tr  Hrnranuni;  HoI«c)>ilUI»r  vur).  unil  lür  hnbrn  nicht  näthiK. 
BOrivr  ni  »r(n ;  unirrlirscn  luch  drn  bä'KCillctiai  Absibtn  rieht*  —  lläbnn  4,  i,  O.  :t«, 

•)  Rmproicliclle  iki,  III. 

•)  Kcxktipt  vuin  9  Min  igo3.    RibprotolioUe  1S0}.  I. 


■ 


Zur  Q«scliiclite  der  Zensur  und  des  SchriftweseiK  in  Bayern. 


Von  1801  ab  zählte  München  also  fünf  Buchhandlungen, 
auBer  den  drei  bürgerlichen  der  Lentner,  Lindauer  und  Strobel 
die  zwei  privilegierten  des  Schulfonds  und  von  Seidl- Scherer. 

Nebenbei  seien  die  zahlreichen  Winkelpresscn  erwähnt,  die 
mit  Produkten  obskurer  Skribler  das  rechtliche  Verdienst  gefähr- 
deten. Die  Eigentümer  waren  mehrfach  Juden.  Ein  «Wink  an 
Deutschlands  Regenten-  iSoo  regte  unter  Hinweisung  auf  ältere 
Reichsschlüsse  an.  sie  aufzuheben.  Der  Bücherspeditcur  von  Bube 
berichtete  17  98  aus  Sulzbach,  daß  sich  unter  der  dortigen  Juden- 
schaft drei  oder  vier  Winkelpressen  befänden. 

Die  Münchner  Buchhändler  legten  dem  Goldnen  Almosen 
auch  den  Nachdruck  zur  Last.  In  einer  Zeit,  wo  das  geistige 
Eigentum  des  Autors  noch  so  wenig  gesichert  war  -  nur  ein- 
mal fand  ich  eine  abfällige  Bemerkung  des  Rats  Schiber,  daß 
sich  der  Landshuler  Meidinger  eines  plagü  aus  Kreitimayrs 
Staatsrecht  schuldig  gemacht  habe  — ,  konnten  die  Maßregeln 
gegen  den  Nachdruck  schwerlich  weit  gediehen  sein.  179S 
noch  meinte  Strobel  gegenüber  der  Oberlandesregierung, ')  daB 
mit  der  Entfernung  des  Verlagsorts,  Berlin  oder  Leipzig  etwa, 
die  Schuld  des  Nachdrucks  sich  mindere.  Er  spornte  den  Buch- 
drucker Seybold  in  Pappenheim  zu  schleuniger  Lieferung  von 
Hufelands  Makrobiotik  an,  als  ein  Retchsbuchhändler  eine  neue 
Auflage  ankündigte,  ließ  sich  aber  selbst  durch  ein  Mandat^) 
gegen  den  Nachdruck  von  Saüers  «Vemunftlehre  für  Menschen, 
wie  sie  sind"  durch  den  Augsburger  Buchhändler  Verhalsl 
schützen. 

Nun  war  aber  die  Aufschrift  eines  größeren  Verlagsoris 
ohne  Rücksicht  auf  die  Richtigkeit  ein  beliebtes  Mittel,  den 
Büchern  eine  gute  Empfehlung  zu  geben.  So  berichtete  der 
Grenzmautner  1796,  daß  die  Salzburger  Nachdrucke  von  Sailers 
Vemunftlehre,  worauf  durch  Reskript  vom  5.  März  d.  J.  Strobel 
ein  Privileg  erhalten  hatte,  Frankfurt  oder  Leipzig  als  Er- 
scheinungsort angäben. 

Am  12.  April  1803  wurde  von  höchster  Stelle  ein  Gesetz 
gegen  den  Nachdruck  eingefordert,  da  sich  die  drei  Münchner 


•)  M.  K-  A.  ;sr;i:  BflthcniBchdnick  b«r. 

*i  Vom  9.  Stpi.  1791.    RaUpiaUikalli  1791,  Itl. 


ober  den  Augsburger  Kranzfelder  beklagten.  Eine  merkwürdige 
Ansicht  schien  ihr  Anwall  zu  haben,  indem  er  den  Aufschwung 
der  Literatur  und  den  Buchhandel  im  Verhältnis  der  Ware  zun 
Flor  ihrer  Fabriken  betrachtete.  Aber  er  konnte  aus  Kants  Meta- 
physik der  Hechlslehre  die  Unrechtlichkeil  des  Nachdrucks 
belegen. 

Auswärtige  Buchhändler,  die  sich  Ober  bayrische  Nachdrucke 
beschwerten,  fanden  ihr  Recht,  Ein  Reskript  vom  18.  April  1805') 
schützte  einen  Buchhändler  in  Berlin. 

Da  erging  am  12.  August  1805  ein  Mandat')  an  die 
Oenerallandesdirektion:  «Wir  haben  bereits  unterm  12.  April  1803 
von  Euch  gutachtliche  Vorschläge  iiber  den  Entwurf  eines  zweck- 
mäßigen Gesetzes  gegen  den  Büchernach druck  abgefordert.  Da 
Ihr  dieselbe  noch  nicht  ganz  vorgelegt  habt,  so  erneuem  wir 
Unsere  vorige  Weisung." 

Hinten  auf  dem  Akt  steht  die  Notiz:  «Durch  Erweiterung 
des  Reiches  1808  beruht  dieser  Gegenstand  auf  sich."  Und 
dies  ist  ein  Gesichtspunkt,  unter  welchem  die  Milderung  der 
Zensur  fiberhaupt  zu  betrachten  ist. 

Es  ist  nicht  zu  verwundem,  wenn  die  Buchhändler  sich 
nicht  immer  redlicher  Miltel  bedienten,  ihre  Einnalinien  zu  bessern. 
Auszüge  aus  verscliiedenen  Werken  beliebter  Schriftsteller  wie  Karl 
von  Eckartshausens ■)  wurden  als  deren  neueste  Schöpfungen  aus- 
gegeben. Eckarlshaiisen  war  auch  außerhalb  Bayerns  beliebt 
und  begehrt.  Lindauer  bat  den  Pappenheimer  Drucker  Seybold 
in  einem  Brief  vom  2.  Februar  1800,*)  ihm  Eekartshausens  Reden 
noch  bis  Ostern  zu  liefern,  da  er  sie  auf  der  Leipziger  Messe 
gut  verwerten  könne. 

Dorthin  zog  auch  Palm  aus  Nürnberg.  Dieser  gab  1800 
dem  dortigen  Magistrat  in  einem  Verhör  an,')  für  Schriften,  die 
das  l'reisinger  Ordinariat  beanstandete,  in  Leipzig  Käufer  gefunden 
zu  haben.    Johann  Qg.  Hcinzmann  schrieb  1 795  im  «Appcl  an 

i)  Dd  DOllltifftr. 

i)  M,  K.  \  rar/j, 

1  DHdcn  Uxlkon  und  M.  K.  A.  isrfli:  Cat  llbr.  proli. 

*j  K.  *l\g.  Rrlchurirhlv.  JuttlimlnlilrrlaUklai  IX,  m/t.  DteUntmachiins  gesrn 
dl<  Vcriantr  und  Hctaut^bct  mdiccr«r  zu  Manchen  mcliicncncTi  anonfnicn  SchVlIlm 
poliÜKhnt  Inhslh  bdr     1101.    (An*  dm  NichUD  von  ZcnMcn). 

t)  .M.  K  A.  Ititu. 


I 


1 


Zur  CeschJdite  d«r  Zensur  und  da  Sdiriftwesens  in  Bayern. 


meine  Nation":  »Wer  aiif  einer  Leipziger  Messe  das  Hin-  und 
Herrenn«n  der  Autoren  und  Buchhändler  einmal  mit  angesehen 
hat,  der  bekömmt  fast  Widerwillen  gegen  sonst  sehr  berühmte 
Namen  von  Gelehrten.  Sie  niachei  dem  Buchhändler  die  Auf- 
wartung zu  Tag  und  Naclit;  sie  haben  Manuskripte  nach  der 
Wahl  und  zu  Dutzenden;  selbst  auf  Richters  Caffeehaus  sah  ich 
solche,  die  ihrem  Herrn  Verleger  damit  aufpaßtenl" 

In  Bayern  wurden  die  Werke  weniger  in  VerEag,  den  viel- 
mehr der  Autor  selbst  übernmhm,  als  in  Spedition  gegeben.') 

Immer  neue  Kunststückchen!  Als  der  deutsche  Kirchen- 
gesang sich  mehr  und  mehr  Freunde  gewann,  kam  eine  Masse 
Makulatur  mit  neuer  Jahreszahl  und  Firma  ans  Tageslicht')  Man 
suchte  mit  allen  erdenklichen  Gründe»  in  Beschlag  genommene 
Volks&chriften,  die  immer  ihre  Abnehmer  fanden,  zu  befreien. 
J.  M.  Kaltenegger  in  Burghausen  bat  1S05  um  Rückgabe  der 
Traumbüchlein,  da  mit  der  zunehmenden  Volksbildung  der  Wert 
ja  ohnehin  abnehme,  so  aber  Sensation  denselben  hinauftreibe 
oder  gar  das  Spiel  außer  Landes  begünstige  und  das  Ansehen 
alter  Mütter  steigere. 

Bei  allen  den  schweren  Erwerbsverhiltnissen  lastete  auf  den 
BuchhändLem  nun  weiter  die  Bedingung,  an  gewisse  Stellen 
Exemplare  von  Werken  abzuliefern. 

Der  Ingolstädter  Attenkofer  machte  am  9.  Mai  1800*)  eine 
Vorstellung  an  die  Zensurkommission  wegen  des  vor  Professor 
Lorenz  Kappler  herausgegebenen  «Kleinen  Magazins  für  katho- 
lische Religionslehrer" :  »,  .  .  sollte  ich  mit  der  tinsendung  der 
Exemplare  fortfahren  und  an  die  Universität  noch  zwei  andere 
abgeben  müssen,  wider  welche  Forderung  ich  mich  als  Unterthan 
der  Universität  nicht  setzen  kann,  so  erwachsen  aus  diest-r  neuen 
Einrichtung  für  mich  doppelte  Unkosten,  die  um  so  empfindlicher, 
da  ich  auch  ein  Freiexemplar  nach  Eichstädt,  ein  anderes  an 
Höchstdero  Hofbibliothek  einzusenden  liabe  und  bei  den  jetzigen 
Kriegslauften  der  Buchhandel  fast  ganz  damicdcrlicgt." 

Bis  zum   9.  April  1799  waren,  wie  aus  einer  Spcditions- 


I)  M.  K.  A.  nijM:  Zetbchrifloi  bdr. 
*|  tntdIllieraiblaH  ISO] 
•)  K  K.  A.  m/i*. 


US 


Ferdinand  Lorenr. 


amtscrinTiening  von  Bubes')  ra  ersehen  ist,  6  Cxemplare  altein 
zur  Kommission  einzusenden;  nachher  2,  je  1  für  den  Zensor 
und  zur  Aufbewahrung  beim  einschlägigen  Akt.  Am  20.  Dezember 
1799  wurde  ein  drittes  Exemplar  für  die  Hofbibliotliek  befohlen. 
Dieses  Recht  gründete  sich  auf  einen  Befehl  Ferdinand  Marias  von 
16S3*):  «Bei  allen  Buchdruckereien  im  Land,  wie  es  anderer 
Orten  gebräuchlich,  zu  verfügen,  daß  von  allen  neu  ausgehen  den 
Büchern  ein  Exemplar  zur  kurfürstl.  Bibliothek  eingeschickt 
werde."  Dieser  Befehl  wurde  unter  Karl  Theodor  erneuert  und 
unter  seinem  Nachfolger,  nach  Hübners  Mitteilung,  schlieOlich  auf 
2  Exemplare  ausgedehnt. 

Anfang  1802  machte  Bube  die  Anzeige,  daß  für  die  von 
den  Akten  separierten  Bücher  kein  Platz  sei,  und  schlug  deren 
Unterbringung  in  die  Hofbibliothek  vor,  von  wo  sie  aber  immer 
bei  Bedarf  verabfolgt  werden  müßten.  Ein  ReskripC)  entschied 
in  diesem  Sinne. 

In  Wirklichkeit  begnügten  sich  die  Buchhändler  Öfters  mit 
Einsendung  nur  eines  Exemplares  an  die  Kommission,  Dem  wurde 
mit  der  Begründung  gewehrt,  daß  dann  die  Hofbibliothek  eine 
Menge  anonymer  Schriften  mit  erborgter  Verlagsfirma,  deren 
Verfasser  und  Verleger  bloß  der  Kommission  bekannt  wären, 
nicht  erhalten  und  abfordern  könne.  Auch  sei  die  Kommission 
in  Verlegenheit,  falls  Einsendung  ans  geheime  Ministcrialdepartc- 
ment  oder  die  Qeneratlandesdirektion  oder  'die  Beurteilung 
zweier  Zensoren  notwendig  würde. 

Westenrieder  trat  für  Beibehaltung  des  Brauches  ein  gegen- 
über der  Universität,  die  sich  überhaupt  der  Zensur  zu  entziehen 
suchte,  indem  er  schrieb*):  r.Da  die  Commission  Kenntniß  der 
im  Land  in  Druck   erscheinenden    Schriften  erhallen    müsse,    aus 


I)  Vom  10.  Mal  iSOi.  M.  K.A.18B/8:  EInMiidane  von  EnmpUmi  dn  DrackuftrttMi. 

•I  Hbbncr  «.  •_  O.  11,  4». 

s)  Vom  1.  Fctir  liOl.  —  Du  -Contwiloriuni  ctn  CaimmllFfciutn«*  vor  Ober- 
miunj  ta  brvaticm.  hillc  die  vein  doi  Z«i>uiT31m  bcdaumr  Veroi^lnung  irom  9.  Mint  ITM 
(M.  K.  A>  78B;it|  dm  SlUmvichtem  dnm  tcliliiiimcn  fHidcli  enpidl.  Die  TliMIlnn  tiattm 
tj»t  ihr«  BIblloIhtk  durch  Pmcnbruntl  »crlorcn  Der  Probst  i'  Piiit  Arezio  von  ThnM 
Mnn  luf  Emti  nnd  leim  auf  dm  mcrlnrürdigm  Ocdanlifn,  vom  Kurfünt  äie  konSltxlemn 
BtichCT  drr  j'«n(iir  tu  «blll«!  Und  Kill  Tlimdor  «IIKahrlr  Da  Inlixit  eUiMliwf  volltt 
nir  rilinkdl  und  nnlinimung  d»r  c;iioTlinTii  nlrtit  techi  pnucn, 

•)  Am  :.  Mil  UOO.  M.  K.  A.  litt»:  Dn  Bclrclungjtnhl  drt  Unlimitlt  laeol* 
tUdI,  duin  Landfhol  >on  der  oidcnllkhcn  zur  Sctüiliensut. 


Zur  Oeschichie  der  Zensur  und  des  Scliriftwocns  in  Bayan.      449 

bloßen  Titeln  in  Bflchervcrzcichrissen,  Anzeigen,  Recensionen 
keineswegs  die  UniversitAts-Approbation  ersehen  werden  kann,  in 
München  auch  die  geringsten  Blätter  einlcomtnen,  in  Verzeichnis 
gebracht  und  bei  diesortiger  Registratur  aufbewahrt  werden,  so 
möge  auch  die  Universität  sowie  alle  anderen  Censurbefrefte  zur 
Ablieferung  der  2  Exemplare  angehalten  werden." 

So  wurde  auch  von  der  geheimen  Universitätskuratel  an- 
geordnet. Das  Reskript  vom  7.  April  1801  aber  nahm  von 
der  Forderung  Abstand,  da  die  Universität  Für  sich  2  Exemplare 
verlange  und  die  Abgabe  zweier  weiteren  eine  Bescliränkung  der 
Preßfreiheit  sein  würdtp  p.als  dergleichen  Beschränkungen  über- 
haupt der  Lilteralur  in  Baiern  besondere  bei  größeren  Werken 
hinderlich  sind,  auch  vorzüglich  den  Schriftstellern  der  hohen 
Schulen  lästig  sein  müssen,  welche  zum  Theil  ihres  Amtes  wegen 
dnicken  zu  lassen  gehalten  sind  und  wenigstens  Werke  liefern, 
die  kein  großes  Lese -Publicum  haben."  Eine  vollständige  Samm- 
lung werde  kaum  erreicht,  wohl  aber  der  Verlag-  und  Dnick- 
gewinn  dem  Ausland  zugetrieben. 

Selbst  die  geschäftlichen  Gepflogenheiten  des  Buchhandels 
blieben  seitens  der  hartnäckigen  Zensur  nicht  unangefochten. 
Strobel  meldete  einmal,  daß  er  die  dem  Millwoclisblatl  zur  Anzeige 
zugedachten  und  bei  Durchsichl  der  Anzeigen  vom  Kolleg  ver- 
langten Bücher  ad  locum  unde  rückspediert  habe.  Man  stehe 
vor  Schluß  der  Jahresrechnung,  und  es  sei  Obser%'anz,  daß,  wenn 
die  ad  speculationem  von  auswärtigen  Buchhandlimgen  zuge- 
schickten Bücher  bei  der  gewöhnlichen  Jahresrechnung  nicht  wieder 
rückspediert  wären,  sie  nicht  mehr  vergütet  und  abgeschrieben 
würden.  Es  ändere  daran  nichts,  wenn  sie  auch  das  Sj^edilions- 
amt  selbst  nachträglich  zurückbesorge. 

Das  Kolleg  wollte  sich  damit  nicht  begnügen  und  verlangte 
sdilirßÜch   für  die  Rücksendung  ein  Zeugnis. 

Es  konnte  nidit  anders  sein,  wenn  das  Gewerbe  aufreclit 
bleiben  wollte,  als  Montgelas  es  auffaßt:')  «Man  mußte  die  Augen 
schließen  Ober  die  Übertretungen,  die  sich  die  Buchdrucker  des 
Landes  gestatteten,  um  die  nicht  zu  verderben,  denen  der  Absatz 
kleiner    Werke    ihren  Unterhalt    verschaffte.      Man    umging    das 

')  Conple  renitu,  tn. 


Gesetz  Dberhaupi,  wo  man  es  nicht  zu  verletzen  wg^,  und  die 
Hindernisse,  denen  man  Jn  dieser  Hinsicht  begegnete,  sind  noch 
nicht  ganz  gehoben." 

Eine  Untersuchung  gegen  den  Buchdniclttr  Johann  Jakob 
Seybold  in  Pappenheim,  die  iSOI  auf  kf.  Requisition  hin  erfolgte, 
unterrichtet  über  den  geschäftlichen  Verltehr,  den  ündaucr  und 
Strobe]  mit  jenem  unterhielten.')  Dabei  fand  man  eine  Anzahl 
Schriften,  die  durch  ihren  aktuellen  Inhalt  auffielen  und  meistens 
von  Strobcl  in  Druck  gegeben  waren.  Sie  behandelten  die  Fragen 
einer  Steuerperäquation,  des  jüdischen  Freihandels,  der  Landstände 
und  sonstige  Dinge,  welche  die  Gegenwart  einer  zeitgemäßen 
Neuordnung  empfahl. 

Daraufhin  wurde  auch  Strobel  in  Untersuchung  gezogen. 
Denn  seine  Briete  an  Seybold  ließen  über  seine  Beteiligung  keinen 
Zweifel.  Sie  zeigen  auch,  zu  welchen  Airswegen  die  mißliebige 
Zensur  verleitete.  Von  der  Schrift  «.Leben  und  Tliaten  des 
berüchtigten  und  landverderblichen  D.  Herkommens  auch  Obser- 
vsntiiis  genannt",  als  deren  Verfasser  sich  später  Minister  Hom- 
pesch  herausstellte,  ließ  Strobcl  in  Pappenheim  nur  Titel  und 
Aversseite  drucken.  ^Das  Piece  ist  in  einer  andern  Dmckeity 
gegeben  worden,  der  ich  nicht  wissen  lassen  will,  wie  eigentlich 
der  Titel  heißen  soll." 

Ein  andermal  dringt  Strobel  auf  die  Verwendung  guten 
Schweizer  Papiers  und  weist  an:  »Halten  Sie  die  Manuskripte 
wcitläuftig,  das  heißt  recht  durchschossen,  damit  desto  mehrere 
Bögen  in  Druck  gehen.«  Aus  diesem  Grund  wünscht  «r  auch 
den  Gebrauch  großer  Lettern. 

«Wenn  ich  nur  die  Schrift  von  der  Landschaft  bald  er- 
halte", schreibt  er  am  14.  Oktober  1799.  «&n  dieser  ist  mir  viel 
gelegen,  und  machen  Sie  nur,  daß  kein  Exemplar  aufkommt,  und 
man  den  Druckort  nicht  so  leicht  erfährt" 

■Von  der  Frohnen  und  Scharwerk  werden  nach  beyliegen- 
dem  Muster  1000  Exeniplarien  aufgelegt,  dieses  Manuskript  dürfen 
Sie  schon  ein  wenig  enger  halten,  es  ist  gar  weitschichtig  ge- 
schrieben." 

Eine  Schrift  Chr.  v.  Aretins  behandelt   er   in  folgendem: 

•)  K.  allg.  RridiNUclilT,  JunlLinltiliirilaUkini  IX.  mü. 


i 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern.     45 1 


«Der  Bundbrief  ist  gestern  hier  verbothen  worden,  ohiigeachtet  er 
zweymal  ist  nachgedruckt  worden.  Ich  schreibe  Ihnen  dies  des- 
wegen: damit  Sie  sich  darnach  richten  können.  Sie  haben  diesen 
Bundbrief  nicht  gedruckt,  wenn  sie  gefragt  werden  sollen. 
Die  hiesigen  Landstände  haben  dieses  erwirkt  Lassen  Sie  sich 
dieses  gesagt  sein,  daß  Sie  mich  nicht  verralhen." 

Mit  Ungeduld  erwartete  SIrobcl  der  Ingolstädter  Boten,  den 
Postwagen  oder  die  Fuhrleute,  die  ihm  die  besagten  Schriften 
überbrachten.  Er  hatte  sicheriich  nicht  nur  den  Gesch5ttsvor- 
teil  beim  Vertrieb  im  Auge:  dem  Freund  Ulzschneiders,  den  er 
zum  Abschied  dichterisch  verherrlichte,  und  dem  Vertrauten  Hom- 
peschs  mußte  auch  aus  ideellen  Gründen  die  Verbreitung  auf- 
klärender Schriften  am  Herzen  liegen.  Denn  Hazzi  sagt,  daß 
sich  Strubel  viele  Verdienste  tim  die  Verbesserung  der  Volks- 
aufklärung erwarb. ')  Aber  seine  Vorsicht  machte  ihn  auf  die 
Möglichkeit  einer  Unteisuchung  ständig  bedacht,  und  kurz  bevor 
sie  ihn  betraf,  schrieb  er  an  Seyboid:  „Es  fängt  die  Inquisition 
vermuthlich  auch  bei  uns  nach  und  nach  wieder  an  und  ich  ersuche 
Sie  nochmals,  nichts  von  dem  wissen  zu  lassen,  was  ich  bei  Ihnen 
alles  habe  seit  einiger  Zeit  drucken  lassen." 

Dieser  wahrscheinlich  auf  der  Post  aufgefangene  Brief  vom 
19.  Juni  wurde  die  Veranlassung  der  Untersuchung.  Waren- 
lager, Buchiaden,  Manualbuch  und  Korrespondenz  sollten 
auf  kuri.  Befehl  durchgesehen  werden,  „-mit  Gesetzmäßigkeit  und 
Vorsicht,  ohne  Erregung  eines  besonderen  Aufsehens."  Der 
Hofoberrichter  von  Hofstetten  und  Polizeidirektor  Baumgariner 
berichteten : 

bEs  ist  bei  Buchhändleruntersuchungen  immer  äußerst 
schwer,  den  verbothenen  Artikeln  auf  den  Qrund  zu  kommen, 
wenn  man  bedenkt,  daß  die  Buchhändler  die  verbothenen  Artid 
in  ihren  Büchern  mit  Titeln  von  laufenden  unbedenklichen  Picccn 
zu  taufen  pflegen.  Unter  solchen  Titeln  verstehen  sie  sich  dann 
in  ihren  Rechnungen.  -  Ebenso  pfäegen  säe  die  Lagen  der 
bedenklichen  Arlicl  unter  die  Ballen  von  andern  Werken  ein- 
zutheilen,  indem  sie  die  Titelbögen  sorgfältig  zu  verbergen  suchen. 


I)  SUUittMlw  AulMhiei«e  llt,  3U. 


r 


452 


Ferdinand  Lorenz. 


nWenn  also  nicht  in  einem  Buchladen  und  Waarenlager 
Blatt  für  Blatt  der  in  Ballen  liegenden  Bücher  in  albis  in  die 
Hand  genohmen  wird,  so  ist  es  unmöglich  darür  zu  stehen, 
daß  von  derley  verboltcnen  Schriften  nichts  mehr  vorhanden  sey, 
gleichwie  denn  auch  wir,  da  dieß  im  StrobJischen  Oe«-ölbe  und 
Waarenlager  eine  Arbeit  von  mehreren  Monaten  für  20  Menschen 
wäre,  im  vorliegenden  Fall  nicht  dafür  bürgen  könnten." 

Spät  abends  wurde  Strobels  Wohnung  in  der  Neuhauser- 
gasse obsigiiierl  und  bis  nach  Mttlernach!  sein  Gewölbe  in  der 
Kaufingergasse  durchsucht.  Monigelas  woüle  gründlich  verfahren 
haben  und  kehrte  sich  wenig  an  Strobels  deutlichen  Einspruch, 
unter  magistratischer  Jurisdiktion  ra  stehen. 

Nachdem  man  konstatiert  hatte,  daß  sich  das  Handbuch 
in  Unordnung  und  Illegalität  befinde,  wurde  Strobel  zur  Aus- 
kunft  ober  die  nichtgenannten  Verfasser  genötigt.  Er  bezeichnete 
die  Broschüren  als  solche,  <>  welche  einzig  und  allein  das  Wohl 
des  Landes  und  Folglich  auch  der  Fürsten  zum  £ndz\veck  hatten.' 
Noch  vor  Jahresfrist  seien  die  das  landschaftliche  Wesen  be- 
treffenden Schriften  gang  und  gäbe  und  bei  Hof  und  Ministerium 
angenehm  gewesen.  Hompesch  habe  ihn  ermuntert,  in  seinem 
löblichen  Eifer  ferner  fortzufahren. 

Als  Strobel  Simon  Rottmanncrs  »Bemerkungen  über  das 
Laudemi alwesen  in  Baiern"  Hompesch  überreichte,  habe  sich  dieser 
geäußert:  „das  sei  recht,  er  werde  das  Buch  S.  Cht.  D.  selbst 
behändigen,  weil  er  noch  niemals  etwas  so  Gründliches  über  eine 
so  verwirrte  Sache  gelesen,  es  seje  ihm  lieb,  daß  er  Befragten 
kennen  gelernt,  er  werde  ihm  Öfters  etwas  zuschicken,  um  es  zum 
Druck  zu  befördern." 

In  der  Tat  freute  sich  Hompesch  dieses  Oesinnung^enossen 
und  hielt  Wort.  Er  überwies  die  Schrift:  „Die  Lindslände  in 
Baiem,  was  waren  sie,  was  sind  sie.  was  sollen  sie  seyn?« 

Die  »Materialien  zu  einem  künftigen  Landtag"  und  die 
„Präliminarien  eines  neuen  Landtags"  rührten  von  Utzschneider 
her.  Dieser  behändigte  auch  den  «Pfalzncuburgischen  Depu- 
titionsabschied." 

Strobel  verwahrte  sich  ernstlich  gtgcn  die  ganze  nnieder- 
drückendc  und  kränkende  Inquisition".    Die  Flugschriften  waren 


I 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern.      453 

während  der  französischen  Okkupierang  allenthalben  ausgestreu! 
worden.  Hübner  kündigte  sogar  einige  in  seiner  Literatur- 
zcilung  an. 

Strubel  betonte  sodann  das  Eigentumsrecht  Die  Regierung 
möge  ihm  die  mißliebigen  Exemplare  ablösen,  „zumalen  kein 
Verboth  vorausgegangen  und  das  Ansehen  jener  Personen,  von 
welchen  er  solche  erhalten,  eine  allenfallstge  Censur-Erfordtmiß 
allerdings  supplirl" 

Der  verdrossene  Adel  und  die  Prälaten  sahen  natürlich 
Strobe!  nicht  gern  als  Inhaber  des  Intel! igenzblattes.  Das  Gerücht 
entstand,  daß  ihm  der  Verlag  entzogen  werden  solle.  Er  wies 
die  Untersuchungskommission  auf  die  rechtmäßige  Erwerbsart 
hin.  Er  hatte  den  Verlag  der  Witwe  Finauer  um  eine  Summe 
an  ihre  Gläubiger  und  eine  Jahrcsrenle  von  200  f1.  abgekauft, 
mithin  titulo  oneroso  erworben,  imd  die  Regierung  hatte  den 
Wechsel  bestätigt.') 

Nach  der  Untersuchung  schrieb  er  an  Seybold  unlerm 
14.  Juli  1S01  folgenden  Brief: 

«Die  Schrift  über  die  Landstände,  die  Frohne  und  das 
Scharwerkswesen  in  Baiem  und  die  Bemerkungen  über  das 
Laudemialwesen  verlegt  zu  haben,  rechne  ich  mir  zur  Ehre;  bei 
den  Zeichen  der  Zeit ^)  und  den  10  Oebolhen')  wäre  ich  nicht 
verlegen,  das  mögen  also  die  Aulhoren  verantworten.  Sehen  Sie, 
ich  halte  mich  für  so  rein,  daß  ich  nicht  einmal  an  die  Amnestie 
des  Lüneviller  Friedens  zu  appellieren  für  nothwendig  halle,  ob- 
schon  mir  es  viele  Menschen,  die  an  meinem  Schicksal  Theil 
nehmen,  anralhen.  Der  Zeitungsscli reiber  Lorenz  Hübner  wil 
sich  mein  Privilegium  wegen  dem  Intelligenz  Blatt  zu  eignen, 
ist  also  wider  mich  und  setzt  also  seine  Anhänger  Krenner,  Bei^- 
niiller,  Seinsheim  in  Bewegung.  Ohne  richterlichen  Spruch  wird 
man  mirs  aber  nicht  abnehmen  können;  denn  ich  habe  nichts 
verbrochen.  Wir  haben  keinen  Minister  wie  Hompesch  mehr, 
der  mit  dem  gelt:  Ref:  Utzschneider  denen  landesverderblichen 
Mißbrauchen  warm  zu  Leibe  ging,   man   macht  dießem  letzteren 


>)  Rnkrlpt  vom  i    fcbi.  irH. 
•>  V«rf»ict  Hofral  Leib 
t  V*rf»»Kr  H«(i. 


jm 


Villen  Verdruß  ganz  unverdienter  Maßen,  er  steht  aber  standhaft 
wie  ein  Fdß,  der  sich  um  die  Wellen  nicht  kümmert  Ich  habe 
wider  den  Fürsten  und  das  Vatlerland  niemals  was  tintemommen, 
und  würde  mich  schämen  an  Pasquillen  wie  z:  B:  Überblick, 
Dankaddresse,')  patriotische  Lieder,  die  Biographie  des  Ministers 
Montgelas  einen  Theil  zu  haben. 

Also  wohlgemuthet,  lieber  Freund,  ich  schreibe  Ihnen 
nächstens  eine  neue  Arbeit,  worauf  ich  meinen  Nahmen  vorsetzen 
lassen  werde. 

Ich  bin  Ihr  gelcränckter  Strobel  Professor,  Buchhändler." 

Wir  sehen  in  dem  Buchhändler  Strobel  einen  freimütigen 
Mann,  der  seine  Handelsgerechtigkeit  durch  mutiges  Einstehen 
für  Schriften  fortschrittlich  gesinnter  Freunde  öfters  gefährdete, 
weil  er  solche  Manifeste  der  Zensur  aus  dem  Wege  h^cn 
mußte,  um  sie  nicht  zu  vernichten.  Schon  1780  war  ihm  die 
Entziehung  seiner  Buchhandlung  angedroht  worden  und  wiederum 
1794,')  da  er  die  «Vertraulichen  freundschaftlichen  Briefe  eines 
Geistlichen  in  Bayern"  unerlaubt  dmcktc. 

Strobel  starb  1806.  Der  Vorkämpfer  für  die  Rechte  eines 
freien  Buchhandels  hatte  sich  Ansehen  und  Wohlstand  erarbeitet. 
Seine  Sammlungen  erwähnten  wir  schon.  Er  war  Eigentümer 
des  ehemals  Fürsifreisingschen  Landgutes  Ottenburg,  einige 
Stunden  von  München.")  Sein  Nachfolger  wurde  der  Buchhaller 
Ernst  August  Fleischmann.*) 

Noch  eine  andere  Ursache  ist  ausfindig  zu  machen,  welche 
die  gedrückten  Erwerbsverhältnisse  der  Buchhändler  begreifen 
läßt.  Es  werden  öffentliche  und  private  Bibliotheken  aufgezählt 
mit  namhaftem  Bestand.  Aber  viele  kümmerten  sich  nicht  um 
deren  Erhaltung  und  Erweiterung,  sondern  erblickten  in  ihrem 
Bücherbesitz  ein  zuverlässiges  Mittel,  sich  durch  Versteigerung 
aus  finanziellen  Nöten  zu  befreien. 

Vornehme  Familien  wie  die  Grafen  von  Setnsheim  und 
Preising  wurden  wegen  des  Sammeleifers,   womit  sie  sich  eine 


>)  Ein  OfUtltt  KrDdcflvInky  toll  Zansl  mit  dem  Dnic-Ic  betvftngl  habm,  um  dit 
iFrügtn  ExpmpliTc  ini  Hanptquullcr  nicb  Nymptitnburs  lo  lldon. 
■)  Ritiprotokollc  i;v4,  IV. 
^  HUbncr.  Suiiitlk,  419. 
*>  RattproleLolle  ilK,  I. 


Zur  Oeschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern. 


Bibliothek  geschaffen,  belobt.*)  Hübner  rühmte  den  Legationsral 
Rheinwald,  der  .,eine  ansehnliche  Sammlung  von  rheinpfälzischen, 
rweibriicJiischen  und  baierischen  Büchern  und  Manuskripten" 
besaß.  -Eine  kostbare  Sammlung  von  Boicis  hal  Hr.  Christ 
B.  von  Aretin,  kurfürsU.  Oberbibliolhekar,  seit  mehreren  Jahren 
vcranstahet.  Andere  reichhaltige  Böchereammlungen,  besondere 
in  cinzctrtn  Fächern,  sind  in  den  Wohnungen  einiger  Adeligen, 
der  höheren  Beamten  und  der  Gelehrten  anzutreffen."') 

Aber  es  wair  doch  ein  unfruchtbarer  Besitz,  insofern  nur 
wenige  die  literarischen  Schätze  genießen  konnten,  und  in  diesem 
Sinne  hat  Eckarishausen  von  prächtigen  Mausoleen  gesprochen, 
die  der  Mann  des  Volkes  nur  von  aufien  beschauen  darf.')  Man 
hat  allmählich  in  maßgebenden  Kreisen  dem  Gedanken  gehuldigt, 
dem  Volke  solche  Bildungsmittet  darzubieten.  Noch  früher  als 
das  Taschenbuch  für  1805  die  Errichhing  von  Bibliotheken  in 
Städten  und  Märkten  begutachtete,  hat  ein  Landshuter  Professor 
am  Namenstag  der  Kurfürstin  100  fl.  als  Beitrag  zu  einer  Volks- 
bibliothek  beigesteuert*)  Und  in  Landshut  entstand  dann  auch 
die  Karolinische  Schul-  und  Volksbibliolhek,  in  deren  Listen 
Hufeland,  Kant,  Herbari  heimisch  wurden.  Nicht  nur  leichte 
Ko8t  wollte  man  so  den  Leuten  auftischen. 

Wenn  dabei  die  Birchhändler  ein  oder  das  andere  Werk 
absetzen  mochten,  konnten  sie  doch  den  Schaden  nicht  wert 
machen,  der  ihnen  eben  durch  jene  Versteigerungen  zugefügt 
xrurde.  Die  Veranstalter  suchten  die  Zensur  tunlichst  zu  umgehen, 
da  ihnen  sonst  durch  Beschlagnahme  von  Werken^  die  vor  Er- 
richtung derselben  zur  BiblioUiek  gekommen  waren,  Abbruch 
geschehen  wäre.  Das  Kolleg  ließ  es  an  Wachsamkeit  nicht  fehlen. 
Es  verständigte  den  Hofkriegsrat  wegen  der  von  Qeheinirat  und 
QeneralleulnanI  von  Peglioni  hinteriassenen  Bücher.*)  Eis  wollte 
die  ihm  zu  allgemeiner  Aufsicht  über  das  Böchersyslem  obliegen- 
den Pflichten    erfüllen,    „welcher  Aufsicht  die    Privalbibliothekcn 


>}  Xanr  Antvotl  inf  die  unedicudselle  AbfmIgMni;  drr  KriUlun  und  Erinntninicm 
Qticr  dir  kl.  b.  Vctotdnunf  die  lyillitiichui  und  KymnutlKhcn  Schnltn  bttr.    Augsbuni  KOO- 
»J  mbntr  «16 

•)  W»f  tragt  am  riditeii  luf  Rruolutiuii  itiiani  Zäun  liei?   tT9l. 
•I  Inlrtllemzblill  1803. 
4  M.  K.  A.  nsill. 


r 


45« 


Ferdin&nd  Lorenz. 


eben  deswegen,  weil  sie  Privalbibliollieken  sind,  wenn  sie  nach 
dem  Tode  ilires  Besitzers  in  weitere  Privathände  kommen,  infolge 
bestehender  höchster  Verordnungen  sich  nicht  entziehen  Itönncn.' 

Ein  vergebliches  Gesuch  um  Dispens  machte  im  gleichen 
Jahre  1792  Gg.  Jos.  Eder,  »der  Rechten  Candida!  und  gewesEer 
nunmehr  allerlebler  Schreiber,  allhier  wohnhaft  neben  dem 
Taschenihurm  im  Bierzapflerhaus."  Seine  Bibliothek  war  durch 
die  Bücher  des  ihm  verpflichteten  verstorbenen  Advokaten  auf 
3000  Bände  angewachsen.  Die  wollte  er  nun,  da  die  Händler 
nichts  zahlten,  an  der  hierzog  Max- Burg,  im  Hofgaricn  und  bei 
den  Englischen  Fraulein  versteigern.  Das  Vorhandensein  des 
Terenz,  Horaz,  des  Conciltum  Tridentinum  genügte  den  Zensoren 
zur  Abweisung. 

Eine  bedeutsame  Neuerung  brachte  das  Jahr  1798.  Der 
Hofrat  stellte  den  Verleger  Falter  als  ßüchcrschätzcr  an  und 
verpflichtete  ihn,  die  Bibliotheken,  die  nicht  vererbt  oder  ver- 
steigert würden,  um  den  Schätzungspreis  selbst  zu  übernehmen. 
Auf  diese  Weise  brachte  Falter  56000  Bände  an  sich,  und  die 
Zensur  war  davon  wohl  unterrichtet.') 

Die  neue  Regierung  war  auch  hier  nachsichtiger.  Max  Joseph 
erteilte  1803  die  Erlaubnis,  die  nachgelassene  Bibliothek  des 
Siadtkämmerers  von  Hepp,  der  nach  Angabe  der  Kinder  sein 
ganzes  Vermögen  in  Büchern  angelegt  hatte,  ohne  Einsicht  der 
Kommission  2U  versteigern.  Westenrieder  war  mit  einer  der- 
artigen Begünstigung  einverstanden,  wenn  geistliche  oder  welt- 
liche ordentliche  Bibliotheken  Abnehmer  waren,  bei  welchen  die 
zweideutigen  Bücher  abgesondert  aufbewahrt  wurden. 

Westenrieder  sah  am  liebsten  die  Einsendung  eines  Kata- 
logs vor  der  Versteigerung,  um  die  darin  verzeichneten  Schriften 
einzeln  mit  Kennzeichen  zu  versehen.  In  solchen  Ocleitsbriefen 
alliierte  sich  immer  wieder  die  überzeugte  Vorsicht,  Unheil  durch 
unverstandene  Lektüre  zu  verhüten. 

Unter  den  veräußerten  Bibliotheken  sind  die  des  Reichs- 
grafen vor  Törring  zu  Seefcld  und  des  Barons  von  Gumppen- 
berg  besonders  zu  er«'ähncn. 


'I  R«U|irol«kolte  iDS,   Itl,  Schreiben  du  Zcn)UTkoll(gs  an  den   Magiithit  vom 
*.  Augtut. 


Zur  Oeschichle  der  Zensur  und  des  Sctiriftvcsens  in  Bayern. 


Man  könnte  nun  annehmen,  wenn  in  dem  hier  behandelten 
Zeilraum  von  Gründung  eigener  Bibliotheken  seitens  verschiedener 
Behörden  berichtet  wird,  daß  dabei  für  die  Buchhändler  ein  Ver- 
dienst hätte  abfallen  müssen.  Aber  Anweisungen  ans  Hofzahlamt 
finden  sich  selten.  Im  Gbrigen  handelte  es  sich  nur  um  sogenannte 
Bibliotheksäb  ertragungen.') 

An  die  erste  Deputation  der  Generatlandesdirekfion  wurden 
die  Oberstlehenshofbibllothck:  und  die  beim  Reich svikarialshof- 
gericht  1 790/92  angeschafften,  nachher  in  geheimer  Staatsregislratur 
hinterlegten  Werke  überschrieben.')  Auch  aus  Privalsammlungen 
wurden  Bücher  für  das  Departement  in  Landschaflssachen  angekauft 
Und  als  nun  gar  über  die  Kloster  das  Urteil  gesprochen  wurde, 
war  reichlich  Gelegenheit  gegeben,  die  anderen  Bibliotheken  zu 
ergänzen. 

Welchen  Wert  derart  überwiesene  Werke  darstellten,  lißt 
sich  schwer  sagen.  Denn  über  die  Beschaffenheit  der  Biblio- 
theken waren  die  Zeitgenossen  geteilter  Meinung-  Montgelas 
berichtet:  „Als  die  Klosterbibliotheken  nicht  mehr  bestanden,  ver- 
loren die  großen  litterarischen  Erzeugnisse,  die  große  Begünstigung 
verlangen,  einen  gesicherten  Absatz."  Wir  wollen  hier  nur  vor- 
übergehend der  literarischen  Verdienste  einzelner  Orden  gedenken. 
Auch  Baader  urteilt  vorteilhaft  über  die  Klosterbibliotheken. 
Man  darf  aber  nicht  alle  Orden  unter  diesem  Gesichbpunki 
betrachten.  Daß  die  Bettelorden  literarisch  nicht  auf  der  Höhe 
der  Benediktiner,  Jesuiten,  Augustiner  standen,  ist  bekannt 

Chr.  Aretin.  dem  die  Fürsorge  für  die  Hofbibliothek  über- 
tragen wurde,  während  Paul  Hupfauer  die  Universitätsbibliothek 
und  Joachim  Schubauer  sämtliche  Schulbibliolhekcti  zu  versehen 
halten,')  machte  namentlich  bei  den  Benediktinern  überraschende 
Funde.  Von  Benediktbeuern  schreibt  er:*)  4>Auffallend  war 
es  uns,  hier  ein  eigenes  Behältniß  von  verbotenen  Büchern  an- 
zutreffen, das  meistens  mit  protestantischen  Theologen  angefüllt 
war.    Andere  von  Rom  aus  verdammte  Bücher  fanden  wir  unver- 


))  M.  K.  A,ISi/8:  Anleeune Hnn eigenen  BIblioltiekffIrdleOMiaillatidnclirdrilan. 

*]  Am  26.  juiiur  1199. 

■)  Joi.  P-ctil,  Du  Botrcbcn  dei  Ret[ienui|[  vcin   Bueni   lut  Vivbipituns  (miän- 
nOtilKCt  Wiiicnichaficn.    isut. 

*;  Im  i.  Siück  iäntr  btlMge. 

Arthiv  IDf  Kultur&Bchlchtt.    11-  29 


458 


Ferdinand  Lorenz. 


sperrt,  und  bey  der  bekannten  Monarchia  Solipsorara  war  sogar 
die  Bemerkung  eingeschrieben:  non  est  prohibtrtis  über  Jste.  Ein 
Zug,  der  fOr  den  kündigen  Ocschichtsschreiber  der  Ordensanti- 
pathien nicht  verloren  gehen  darf.'  Bei  den  regulierten  Cbor- 
herrn  in  Poiling  fand  er  Freimaurer-  und  Illuminatcnschriften 
und  solche  über  die  Reformation  und  die  französische  Revolution. 

Auch  sonst  wird  der  Schriftenreichtum  der  Benediktiner 
mit  Ehren  erwähnt.  Der  Hofrat  Zapf  beschrieb  1782  seine  lite- 
rarische Reise  in  einem  Teil  von  Bayern,  Franken  und  Sdiwaben. 
In  St-  Emmeran  hatte  P.  Roman  ZimgibI  als  Bibliothekar  des 
Reichsslifts  erfolgreich  gewirkt,  und  unter  einem  Abt  wie  Frobc- 
nius  Forster,  der  20  Jahre  hindurch  für  seine  Alkuinausgabe*)  sich 
Mühe  und  Kosten  nicht  verdrießen;  ließ,  mußte  es  um  die  Bücherei 
wohl  bestellt  sein.  Einen  erstaunlichen  Tiefstand  fand  Zapf  nur 
in  Pnlfening,  und  die  geringen  Revenuen  des  Klosters  schienen 
ihm  eine  unpassende  Entschuldigung.  Vielleicht  hat  der  Abt 
Rupert  Kornmann  bei  seiner  kostspieligen  Vorliebe  für  technische 
Apparate  för  Bücher  nichts  mehr  aufwenden  können.  Die  Bene- 
diktiner von  St.  Ulrich  in  Augsburg  besaßen  über  700  Bände 
Handschriften,')  und  Willibald  Frcymüller  hat  1870  veröffent- 
licht, was  in  Metten  zu  holen  war.*) 

Man  muß  daher  die  Ansicht  des  Annalisten  Keyser,')  daß 
die  Orden  ihre  Bibliotheken  nach  t'ngen  Rücksichten  zusammen- 
stellten,  mit  Einschränkung  hinnehmen  oder  den  systcmatiKhen 
Aufbau  leugnen  und  die  Entstehung  des  Büchervorrats  dem  Zu- 
fall zuschreiben,  der  dem  blollcn  Sammeleifer  Verschiedenartiges 
zutrug.  Hübner  traute  den  Mönchen  eine  litcrarisclie  Würdigung 
ihres  Besitzes,  der  in  der  zveiten  Hälfte  des  1S.  Jalirhunderls 
nicht  ebenbürtig  fortgewachsen  sei,  nicht  zu.*)  Die  Blätter  der 
Zeitgeschichte  kämen  nicht  in  die  Abteien,  sie  müßten  denn 
eine  Schmähung  auf  die  Regiening  enthalten.  «In  ner  Klöstern 
traf  ich  scientifische  aber   wenig   unterstützte   Geschäftsmänner, 


■)  NIdic  clnmtl  *l(  Tiutch  gr|[ca  andere  SctirilKci  valllen  lie  die  Buclibindicr  in- 
aehmeit.    (Zipl.) 

*)  L  Sdi^nchcn.  Zui  Onchkbtc  der  VatkibüduiiE  und  lia  Untcrricbti  in  Sdivabcn 
Bnd  MmlHirg-    (Bavuli-] 

■)  ROckl^lkfcuil  du  &cn«diktliientlfi  atid  die  SluiÜeuniUll  Metten.  iBiSV/70,  lldgabc 

*|  Anmlen  der  B.  LH.  i!04. 

<)  In  49.  Slfldt  Klna  W<Khcnbl4tR>.    <«3. 


I 


I 


Zur  Gesdiichte  der  Zensur  und  des  Schriflwesens  in  Bayern. 


drei  für  Literatur  willfSbrige  aber  ökonomische  Prilalen  und  ein 
paar  Wortmänner  an.'' 

Vielleicht  ließen  auch  die  Mönche  in  der  Voratinung  der 
Säkularisation  die  Hände  sinken,  denn  schon  lange  vor  Ausgang 
des  18.  Jahrhunderts  wurde  ihr  Kommen  gefürchtet  oder  gewünscht. 
Man  erinnerte  sich,')  wie  lebhaft  Friedrich  d.  Gr.  den  Gedanken 
aufgegriffen  habe.  Daraus  hatte  Voltaire  in  einem  Briefe  an  der 
Minister  Amelot  1743  kein  Geheimnis  gemacht  Und  während 
die  einen  das  Dominium  eminens,  das  landesherriiche  Notrecht 
über  Kirchengut  in  Erörterung  zogen,')  verteidigte  1791  der 
Mainzer  Kanoniker  von  Horix,  wohl  derselbe,  der  nach  Mitteilung 
Christoph  von  Schmids  die  Diilinger  Studenten  als  Gast  Sailers 
zu  einem  solchen  Lehrer  beglückwünschte,*)  an  der  erzbischöfl. 
Universitit  zu  Salzburg  cum  censura  et  adprobatione  facullatis 
theologicae  et  juridicae  den  Satz:  ,ln  primitiva  Ecclesiae  aetatc 
vota  monastica  non  erant  cognita;  contra  dei  voiuntatem,  Evan- 
gelii  menti  adversantia,  contra  Ecclesiae  utilitatem  esse  videntur.') 
Solche  Gedanken  konnten  nicht  isoliert  bleiben  und  mußten  den 
Eifer  treu  haushaltender  Ordensbrüder  lähmen.  Dann  mochte 
auch  jener  römische  Mönch  mit  seinem  Wunsch  nicht  allein 
stehen,  den  Goethe  in  einem  Brief  an  Karl  August  (1 7.  Nov.  1 787) 
sagen  läßt:  «Wenn  ich  nur  noch  in  meinen  alten  Tagen  erleben 
sollte,  daß  der  Kaiser  käme  und  uns  alle  aus  den  Klöstern  jagte, 
selbst  die  Religion  würde  dabei  gewinnen."') 

Aus  vorurteiligen  Nachrichten  muü  man  das  Tatsächliche 
lösen  und  immer  dabei  die  Ungleichheit  der  literarischer  Verdienste 
der  Orden  im  Auge  behalten.  Bei  Einverieibung  der  Augustiner- 
bibliothek  in  die  Hofbibliothek*)  zeigte  sich,  daß  gar  viele  von 
den  Mendikantenschriften  vorhanden  waren,  deren  Eindringen  ins 
Volk   die   Pfarrer    beklagten.     Der    Regensburger    Domherr   von 


■>  Cwundn  odir  dri  neue  l'rophd  Micha  Aber  dk  &Uni1iri»IIan  nnd  Ihrt  Fg1|^, 
Oemunlni  1701. 

•>  Wider  tinigi!  |[clil!ichc  Piojekte  In  KIStlen.  IHI. 

<)  EiUncmnjefl  U.  31. 

t^  Meine  Onindi  viilrt  die  1  hierllchen  OTdeniselObde  bdm  AnUB  einer  Bitb«hrift 
jui  S.  Kf,  D  in  Pfb.  M  J.  IV.    i«w 

•)  Htigel,  Didi-  OMch.  !.  H7 

■}  M.  K.  A.  7lltlv-  Einvcrl.  d  Aagniltnerblbl.  f.  Mflnchtn  und  Lauingen  in  dit 
Mofb..  VemUhninu  «idir9inni|t«f  MAichtbOchcr 


Fraunberg,   der    Leiter   des   Oeneralschuldircktoriums,  wollte  die 
Spezialkoiiimission  in  Klostersachen  zu  durchgreifenden  Maßregeln 
veranlassen.     Diese  wünschte  aber  in  der  Hoffnung,  daß  sich  die 
jungen  Religiösen  nur  die   beste  Lektüre  aussuchen  würden.  Er- f 
bitlcrung  zu  vermeiden  und  für  die  Dauer  des  Münchner  Zentral* 
konvenis   die   Gefache   nicht   bis  zur   Leere  zu    plündern.     Der 
Augustinerpater    Konstantin    Wadenspanncr   zwar    machte    keine  fl 
Schwierigkeiten    und    gestattete    sogar    Aretin    mehr    Bewegungs- 
freiheit als  an  höchster  Stelle  gefiel.    In  einer  Session,  an  der  der 
Oberhofbibtiolhekar    Häffelin,    der    Kustos    Pezcl,    der    Sekretär 
Bernhart  und  die  Akademiker  Aretin  und  Imhof  am  1  i.  März  1805 
teilnahmen,    war   beschlossen  worden,    bis   die    von    der   Speziat- 
kommission  in    Kloslersachen    -    einem   engeren   Ausschuß   der 
Oenerallandesdirektion  unter  Vorsitz  des  Frh.  von  Weichs   -  er-   H 
betenen   Kataloge  einträfen,  einstweilen  Aretin    und    den    Sekretär 
im  Interesse  der  Hofbibtiothek  nach  dem  Aiigustinerklostcr  abzu- 
senden.   Aretin  nahm  dann  einige  ägyptische  und  arabische  Texte 
an  sich.    Schon   am   21.  Juli    1802    hatte   Graf  Seinsheim   den 
Sekretär  zur   Untersuchung  der  noch   bestehenden  Kloslerbiblio- 
theken ermächtigt,  verantwortete  sich  aber  am  28.  März  1805  vor 
dem    Kurfürsten,    daß  er   die  Augustinerbibliothek    nicht    mit- 
begriffen habe.     Am  t8.  Mai  1805  erging  dann  ein  Mandat  im 
Sinne    von    Hertling,    Morawitzky    und   Monigelas,  die  noch  als 
Zenlralkonvente  fortbestehenden  KIdster  zu  schonen.    Ich  fiihrc  dies 
an,  weil  man  gewöhnlich  nur  über  die  Minister  oder  über  .den 
Minister"    wegen   der   durch    fibereilige    Exekution    entstandenen 
Schädigung  das  Schuldig  sprechen  hört.') 

Auch  die  Pfarrhöfe  hätten  gern  von  den  Büchervonätcn 
etwas  gewonnen,  obwohl  man  sich  nach  Ausmusterung  für  so 
viele  Stellen  nichts  Gutes  mehr  versprach.*)  Denn  die  uOber- 
nahme  der  Pfarreyen  kostet  insgemein  gar  zu  viel  Aufwand', 
schreibt  der  Berichterstatter  vom  geistlichen  Seminar  zu  Regens- 
bürg.  Daher  blieben  viele  lieber  ohne  allen  ßüchervorral,  als 
daß  sie  im  Jahr  einige  Qulden  darauf  verwandten.     Karl  Theodor 

■]  Zagutittta  MonlRclu'  SAltl, 

*}  Die  Rumfarillichc  Svppmiritill  Kr  S«c]«or^  odir  «rliutnridt  OcdtiÜKii  ttwr 

die  FluBidtrift     Obn  Vci  Itiriluiiu  il^r  IfitiriFfi  uiid  ilnoldune  der  Orlilllchkdl  tn  Baien. 
Von  Jcr.  Sdiwu^rock.  Pf(,  zu  MarthauKiL    i90t. 


I 
I 


1^1 


Zur  Qeschichte  der  Zensur  und  des  Sdiriftvcsens  in  Bayern.      461 


hatte  1 784  die  Ruraldcchanten  mit  der  Anlage  von  Bibliotheken 
bei  jedem  Pfarrhof  und  Dekanat  betraut.')  Sehr  bezeichnend  ist 
eine  gleichzeitige  Bittschrift  eines  Pfarrers  aus  Loizenldrchen  im 
Dekanat  Dingolfing:  „Den  Dekanen  aber  verbiete  man  auf  das 
Schärfste,  daß  sie  bei  Todes  Falle  der  Pfarrer  die  HausbibÜo- 
theken  nicht  berauben  därfen." 

Bibliotheks Versteigerung  und  -Übertragung  stellten  also  auch 
eine  Verkürzung  buchhändlerischen  Verdienstes  dar.  Man  erhoffte 
nun  von  dem  Betrieb  von  Leihbibliotheken  Entschädigung. 
Aber  auch  hier  warer  andere  Bewerber  hinderlich. 

Schon  17  76  war  ein  Gesuch  um  Enichturg  eines  Lektur- 
kabinetts  abschlägig  besctiieden  worden.  Der  Landesarcbivar 
Visingcr  rief  1795  durch  Übersendung  seiner  Bibliolheksh$te  ein 
Mandat  hervor,-)  daß  der  Kurfürst  eine  förmliche  Lesegesellschafi 
niemals  dulden  werde.  Doch  dijrfe  Visinger  die  schon  rezen- 
sierten Bücher  ausleihen,  um  nicht  Verluste  zu  haben.  Nach 
dem  Thronwechsel  brachte  derselbe  sein  Anll^en  wieder  vor. 
Westenriedcr  ersuchte  das  Departement  in  geistlichen  Dingen,  ihn 
abschlägig  zu  bescheiden,  falls  er  vorstellig  werde.  Durch  Auf- 
nahme von  Romanen  nach  dem  Geschmack  des  Publikums  hatte 
er  angestoßen,  Babo  schrieb  jedoch:  » Eine  Lesebibliothek  ohne 
alle  Romane  wird  nie  zu  Stande  kommen.  Es  wäre  daher  zu 
wünschen,  daß  die  Vorfrage  zuerst  entschieden  würde,  nämlich 
ob  öffentliche  Lesebibliotheken  erlaubt  sein  sollen?" 

Nachdem  in  einer  Verordnung'}  an  die  oberpfälzische  Landes- 
direktion von  Zwang  in  wissenschaftlichen  Dingen  abgesehenwar, 
mochte  man  auch  dieser  Einrichtung  nicht  mehr  entgegentreten. 
Da  hätte  nun  Westenrieder,  wie  schon  aus  einem  früheren  Schreiben 
nach  Amberg  hervorgeht,  den  Buchhändlern  gern  ein  Vorrecht 
geschaffen.  Doch  was  für  Mitbewerber  drängte«  sich  in  nädister 
Zeit  herzul    Schulmeister,  Benefiziaten,  Kantoren  und  Landrichter! 

In  München  wurden  von  der  Schererschen  und  Lindauerschen 
Buchhandlung  Leihbibliotheken  errichtet.  Ein  Partikulier  Lorenz 
lieh  ebenfalls  gegen  Bezahlung  Bücher  aus.    Sodann  beendeten 


1)  M.  K.  A.  TUfli:  Ajilige  von  Ptarr-  oder  KftpilcLbibliotlitlKfi. 
^  M   K.  A.  718/10;  Ldh-  tmd  LMeblblialheka. 
^  Vcmh  SD.  ;«n.  MM. 


4«  2 


faxlinand  Lorenz. 


das  180^  enislandene  Museum  im  Redoulenhaus  und  die  Har- 
monie im  Gebäude  des  Regensburger  falircndcn  Boten  in  der 
Kaiifingcr  Gasse  Leseinstituie.') 

Buchhändlerische  Privilegien  wurden  in  den  seltensten 
Fällen  und  da  anscheinend  mehr  auf  Zeitungen  erteilt.  Kohl- 
brenner wurde  nS3  die  Entziehung  des  Privilegiums  des  Intelligena- 
blatles  angedroht.  Als  1 793  der  um  Geld  stets  schreiblustige  Lands- 
huter  Hrolcuralor  Meidinger*)  für  ein  topographisches  Lexikon  ein 
Privileg  erbat,  wurde  ihm  vom  Kolleg  der  Bescheid,  daß  die  Her- 
stellung eines  solchen  jedem  Privaten  freistehe.")  Noch  1 7  99  konnte 
die  Freiin  Antonia  von  Xylander  zur  Begründung  eines  Wochen- 
blatts ein  Privilegium  exciusivum  nicht  erlangen.  1S02  dagegen 
hören  wir,  daß  Hübner  in  seinem  auf  die  Münchner  Zeitung 
tilulo  oneroso  act^uirierten  Privileg  geschützt  wurde. 

Die  Zeitungen  vermehrten  sich  zusehends.  Legte  ein  Zeitungs- 
besitzer eine  eigene  Druckerei  an.  so  erstrebte  sein  seitheriger 
Drucker  wohl  selbst  die  Genehmigung  eines  Tagblatts  zur  Ent- 
schädigung. Dem  Stadibuchdrucker  Zangcl  wurde  t804  »bei  der 
zu  großen  Anzahl  solcher  Druckschriften"  die  beabsichtigte  Heraus- 
gabe der  nMünchner  Ephemeriden«  verwehrt  Dies  hinderte  aber 
seinen  Gesellen  nicht,  ein  paar  Wochen  später  um  Errichtung  eines 
uBairischen  Gesetz-  und  Volksfreundes"  einzukommen.  Auch  das 
1802-3  von  Zangel  herausgegebene  «Münchner  Tagblatt"  war 
von  der  Regierung  unterdriickt  worden.  Es  hatte  zu  Hühners 
Schmerz  vaterländische  Vorfälle  und  landesherrliche  Verordnungen 
gebracht,  Zangel  ließ  nicht  nach  und  bestürmte  noch  1805  die 
Polizetdirektion  mit  neuen  Qesuclicn. 

In  der  Strobelschcn  Buchhandlung  erschien  das  kurpfalzb, 
Regicrungs-  und  das  Intelligenzblatt.  Die  Münchner  Slaatszeitung 
kam  unter  der  Redaktion  Hübneis  heraus,  welcher  auch  einen 
wöchentlichen  Anzeiger  und  ein  kurpfalzb.  Wochenblatt,  dieses 
besonders  für  Volksaufktäning,  besorgte.  In  seinem  Verlag  er- 
schien auch  die  Oberdeutsche  allgemeine  Literaturzeitung.  1804 
gesellten  sich  dazu  die  Aurora  der  Schererschen  Buchhandlung 


I 
I 


■)  Kübn«  [1,  •'?. 

•)  AU  SittcitKtii Iderar  wiH  ci  »ich  In  der  Schrill:  D«r  Vcifall  cuter  S4ttea  mtn 
dem  wh6n«i  CtKhlMhl  oder  df«  Mun  Folgen  it%  Krieget.    Luid]dsul  iBOa. 
^  M.  K.  A.  WStSi:  HittoriicbR  Fidi. 


Zur  Gcschichle  der  Zensur  und  des  Sdirirtwesens  in  Bayern.      46} 

und  das  Blaue  Blatt  einer  besonderen  Oesellscliaft. ')  Dann  gab 
es  noch  ein  illustriertes  Intelligenzblatt,  das  in  9  Tafeln  ÖHenÜidi 
anKCSchlagen  wurde.')  Die  Ansiedlung  vieler  Franzosen  und 
Ausländer  rief  auch  ein  französisches  Blatt  heni'or.  Doch  konnte 
sich  der  noch  von  Karl  Theodor  bestätigte  Courier  de  l'Empire, 
Journal  historiquc,  potitique  et  lileraire,  gegen  den  benachbarten 
Regensburgcr  Mercure  nicht  behaupten,  wofür  wir  oben  Lcrchen- 
feld  und  Metternich  eintreten  sahen. 

Der  n.  Febniar  1806  brachte  die  Zensur  der  politischen 
und  statistischen  Zeitungen  zurück  unter  Bezugnahme  auf  die 
Verordnung  vom  6.  September  1799.  Diese  hatte  den  relativen 
Vorteil,  den  Zeitungsschreibern  »die  Aufnahme  auffallender  und 
nicht  genug  verborgter  Nachrichten  wegen  des  Wertes,  welchen 
das  Publikum  gewöhnlich  auf  alle  Nachrichten  legt,"  zu  verslatten. 
Nur  sollte  die  Quelle  immer  genau  angegeben  werden. 

Etwas  anderes  war  die  Protektionf  der  sich  gewisse  Zeitungs- 
gründer  erfreuten.  Hardenberg')  empfahl  1 796  als  Kammer- 
direktor von  Baireuth  die  Volkszeitung  des  Regislrators  Qries- 
hammer  dem  Zensurkolleg.  Die  Pläne  hatte  er  aber  wahrscheinlich 
nicht  angesehen.  Denn  ein  stehendes  Kapitel  dieser  Volkszcitung 
versprach  auszuführen,  .,was  man  thut,  daB  Gewitter,  Drachen, 
Irrlichter,  Nordscheine  weder  dem  Körper  noch  den  Gütern  schäd- 
lich sind". 

Es  war  von  Segen,  daß  die  benachbarte  Oberpfalz  zwei 
Blätter  hatte,  mit  denen  die  Herausgeber  Ehre  einlegten.  Beide 
gingen  aus  der  Seideischen  Kunst-  und  Buchhandlung  zu  Amberg 
und  Sulzbach  hervor.  Landesdirektionssekretär  von  Schleiß  besorgte 
das  seit  1794  erscheinende  Oberpfälzische  Wochenblatt.  Sein  In- 
halt war  hauptsächlich  Statistik,  Der  Assessor  Kcyser  begründete 
1801  mit  der  Weltchronik  eine  politische  Zeitung,  die  sich  durch 
«Überblicke  und  durch  Tendenz  zu  Befriedigung  der  Bedürfnisse 
des  Tages"  auszeichnete.*) 

Alles  Heil  sollte  von  den  Zeitungen  kommen.    1  794  wollte  ein 


■)  HQbncT  n,  4i3f. 

t)  Annolen  il«  S.  L<t.  1101.  207-8. 

t  M.  K  A  JW(3»:  ZctttthrilWn 

<)  R(!t«ii»lan  in  dcuni  Annilcn,  S.  101  dutth  Htrrn   v.  SchTinkopt.   Kurtuiuiov. 


Ferdinand  Lorenz. 


gewesener  Professor  Klein,  der  Bruder  des  Zensors,  durch  -deutsche 
patriotische  Beiträge"  für  Veredlung  der  Menschheil  wirken.  Nur 
Schilderung  guter  Handlungen  sollte  aufgenommen  und  nach  Jahres- 
frist der  schönsten  Tat  eine  Belohnung  von  100  fl.  zugesprochen 
werden.  Der  brüderlichen  Liebe  gelang  es  nicht,  diese  Absicht 
durchzusetzen.  Dies  erinnert  an  die  damals  unter  Schulmännern 
«fbreitete  Neigung,  in  der  Schute  nicht  nur  die  Arbeitslust,  son- 
dern auch  das  sittliche  Betragen  durch  Prämien  anzustacheln.') 

Die  Buchhändler  aber  mußten  ergeben  zusehen,  wie  die 
Verordnung  vom  24.  März  1802')  jedem  Kaffeeschenken  unbe- 
nommen ließ,  nicht  verbotene  Zeitungen  zu  halten;  so  hatte 
der  Traileur  Vavocque  im  Intelligen^blatt  ein  «Casino  rcsp. 
Lcsegestllschaft"  angekündigt,  ohne  sich  um  die  Zensur  zu 
kümmern.  Dieser  Vavocque  hatte  zehn  Jahre  vorher  die  Auf- 
merksamkeit des  HofoberrichJers  erregt,  da  sich  insgeheim  immer 
einige  Franzosen  bei  ihm  aufhielten.*)  Bei  der  bekannten  Juris- 
diktionsunsicherheit war  er  damals  unter  Aufsicht  des  Polizei-  und 
Personal beschreibungsaktuari US  Drechsel  gestellt  worden. 

Die  Furcht  vor  den  Nachteilen  der  Romanlektüre  konnte 
das  Institut  der  Leih-  und  Lraebibliotheken  auch  nicht  begünstigen. 

Wie  Milbiller  in  seiner  „Aufkläningsgeschichte  von  Baiem" 
schreibt,  war  noch  unter  Max  IIL  Joseph  «irgend  ein  kleines 
Oebethbüchlein  nebst  der  Legende  der  Heiligen  und  etwa  einem 
alten  Ritterromane  das  einzige  Buch,  welches  bei  Vornehmen  und 
Geringen  bekannt  war".  Karl  Theodor  erließ  ein  förmliches  Ver- 
bot gegen  Liebesromane,*)  aber  eine  Wirkung  desselben  ist  nicht 
zu  verspQren.  Einige  dachten  durch  die  Lektüre  der  Geschichte 
von  den  abgeschmackten  Romanen  wegzuziehen.  In  einer  Flug- 
scbrift**)  heißt  es:  nVerdicnste  kann  man  sich  sammeln,  wenn  man 
vermoderte  Romane  aufu'ärmt  und  dem  Publicum  Für  eine  wahre 
Geschichte  auftischt  Man  sehe  nur  die  Liebesgeschichte  der 
Agnes  Bernauerin,  welche  kürzlich  von  einem  sogenannten 
baierisdien  Historiker  gar  historisch  geschildert  wurde!"   Vielleicht 


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I)  So  d0  OynilusUlrekWr  Michul  Lechncr  In  «ton  Rede  am  31.  Aofnl  ISDO. 

•)  M.  K.  A.  7M/10. 

*)  lUttpretokoElc  iTM,  11. 

<}  A»  <r  Nov.  tJ9*.    Hdgct.  Tttmrwnat  In  Altbaycrn.  ■.  i.  Oi 

*i  Mix  JoMjth  Chnri.  von  P1«lib«iern  an*  Ohr  und  Herr  jwproehoi. 


Zur  Oeschichte  der  Zensur  und  dis  ScUriftwesüns  in  Bayern. 


hat  Lipowski  den  Hieb  gespürt  Die  Augsburger  Postzeitung 
vom  21.  Nov.  1804  erörterte  den  Kalalog  der  letzten  Leipziger 
Michael isitiesse  mit  seinen  125  Romanen,  «womit  für  das  lesende 
Publicum  sorgende  Manner  uns  beschenkt  haben,  welches  als 
Beweis  unserer  steigenden  Aufklärung  dienen  kann." 

Dieser  spöttische  Kommentar  zeigt  den  Orund  der  Besorgnis 
an  und  die  aus  kleinlichen  Bedenken  erlassenen  Verbote  der 
Werke  gtxjßer  Dichter  in  grellem  Licht.  Denn  die  allein  hätten 
minderwertige  Erzeugnisse  entthronen  können.  In  dieser  Absicht 
schrieb  auch  Eckartshausen  im  Jahre  1802  Erzählungen,  »die  besser 
sind  als  Romane."  Aber  Babo  hatte  recht.  Der  Zensurkrieg 
gegen  die  Romane  war  nur  Scheingefecht,  und  der  Ral  und 
Spediteur  von  Bube  hat  selbst  anonym  Romane  veröffentlicht. 

Sollte  aber  die  Rezension  in  den  Tagesblättern  keinen 
Einfluß  auf  die  Wahl  der  Lektüre  gehabt  haben?  Ein  Mandat 
vom  Jahre  1 783 ')  freilich  hatte  den  Zeitungs-  und  Intelligenz- 
blättera  die  Rciension  von  Büchern  und  Druckschriften  verbotenj 
•  indem  solches  über  ihr  Fach  und  Spheram  ohnehin  weit  hinau.s- 
gehet."  Die  Anpreisung  des  von  Fritz  und  Strobel  verkauften 
Buches  «Unterweisung  der  Glückseligkeit  nach  der  Lehre  Jesu" 
war  der  Zensur  sehr  ungerechtfertigt  erschienen,  weil  darin  der 
äußerliche  Gebrauch  von  Taufe  und  Abendmahl  für  nutzlos  er- 
klärt war.  Aber  von  Dietls  geistlichen  Briefen-)  hören  wir,  dal5 
sie  wegen  günstiger  Beuneilung  in  bekannten  Literaturzeitimgen 
Deutschlands,  auch  im  Landboten,')  Freunde  gewannen.  Das 
Mandat  vom  10.  März  ISOO*)  verpflichtete  Visinger,  in  seiner 
Leihbibliothek  nur  in  guten  Journalen  vorteilhaft  rezensierte  Bücher 
zu  hatten. 

Aber  die  Kritik  wird  im  aligemeinen  nicht  auf  der  Höhe 
der  Oöttinger  gelehrten  Anzeigen  gestanden  haben,  die  am 
13.  Okt  1794  bekannten:  »Es  war  nie  unser  Gebrauch  Kleinig- 
keiten   hervorzuziehen,    noch    weniger,   darnach   ru    bcurthcilcn; 


■)  Ratiprotakolk  ITS3,  I. 

^  M.  K.  A  y^VV:  Dit  im  focliKhcm,  thrtori>chcii,  phlloiophi»chai,  bio^nphlKhcn 
und  lU)rrhlupt  irllitiichrri  F:ich  iLiiurgFbtnfn  und  imiirt\ea  Schnftrn. 

»)  [>er  ..Biierischf  Landbolht<  wv  «ine  Wochenachrlft,  vddi«  L  K.  Winlerjberj«T 
1790  (u  Milnchen  hcimusgob. 

•]  M.  K.  A.  789110. 


^ 


466 


Fcrditund  Lokbl 


es  kömml  bey  einem  Werk  auf  den  Tolaleindnidc  an.-  DaS 
dieser  hohen  Forderung  der  Durchschntti  der  zünftigen  Beurteiler 
nicht  entsprach,  beweisen  die  vielen  Klagen,  von  der  Zeit  an,  da 
Bodmer  in  den  Literarischen  Denkmalen  1779  rief:  .Die  Furcht 
schreckt  mich  am  wenigten  ab,  dait  ich  den  Recensenten-jungen 
in  die  AUuler  komme',  bis  zu  der  schonungslosen  Satire, 
womit  Byron  den  ,£nglish  bards  and  Scotish  ^e^ie^t-e^s'  heim- 
leuchtete, und  weiter  bis  zum  Bekenntnis  Platens  an  Thiench 
1825:  «Der  Beifall  einzelner  Vortrefflicher  ist  der  einzige  Lohn, 
den  der  Dichter  eines  recensirenden  Volkes  erwarten  darf.-*) 

Die  Zensoren  sahen  sich  nicht  veranlaßt,  über  die  Qöte 
der  Werke  auszusagen.  Der  Rat  Schiber  schrieb  1S00  über  eine 
Schrift  Meidingers:*)  »Es  wäre  freilich  zu  wünschen,  die  Censur 
Commission  könnte  auch  solch  elende  Produkte  verwerfen,  allein 
die  mitgetheille  Instruction  extendirt  sich  nicht  bis  dahin."  Oder: 
■  Die  Censur  hat  engere  Schranken  als  eine  Recension,  erstere 
hat  nur  zu  wachen,  daß  keine  dem  Staat,  Religion  und  guten 
Sitten  gefährliche  Schriften  an  das  Tageslicht  tretten."  Ähnlich 
im  folgenden  Jahre  gegen  den  Orthographiewächter  Klein:  ^Censur 
ist  keine  Recension." 

Aber  einige  Zeit  friiher,  als  man  mit  der  deutschen  Sprache 
noch  auf  gar  feindlichem  Fuße  stand,  linden  sich  entrüstete  Vota, 
so  1 779  Ober  Grammatikalfehl^r  in  dem  in  Fragen  und  Antworten 
eingeteilten  Codex  Maximilianeus  des  Regierungssekrelärs  Fruit 
Wagner  in  Landshut.")  Und  aus  dem  Jahr  1784,  da  MontgelaS 
das  Zensoramt  bekleidete,  findet  sich  von  ihm  ein  Urteil,  daß 
nVorrcde  und  Dedication  etwas  pöbelhaft  geschrieben"  sind.*) 
Mit  rauherer  Hand,  als  sie  Schiber  eignete,  hat  Babo  1802  Bach- 
lehners  »Cypresscnzweig  auf  das  Grab  des  Erbprinzen  von  Baaden* 
geknickt:")  .Dies  Gedicht  oder  was  es  sein  soll,  enthält  zwir 
nichts  Ccnsurwidrigcs,  aber  es  ist  auch  so  ganz  von  allem  poe- 
tischen Werll)  entblößt,  daß  es  weder  dem  Verfasser  nodi  der 
LitteraUir   Ehre   machen   kann.    Selbst  Sprachfehler   finden   sich 


t)  Fr.  Thicndii  Üben  I.  ni. 

n  M.  K.  A.  nilU:  HiitoriKhn  Pacb. 

•)  M.  K.  A.  »4/1. 

•)  M.  K-  A.  79z;2S. 

•)  M   K.  A  T»rui:  Sluts-,  Klrcbcn-  und  UnlmifMlhlfloric 


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dlrin  und  von  Rythmus  k«nc  Spur.  Indessen  Imprimatur  wenns 
dem  Autor  twlicbL« 

Westenrieder  verordnete  indes,  das  Werk  des  Dichterlings 
ohne  Imprimatur  zu  drucken.  Und  das  bedeuicte  bei  offiziellen 
Schriften  einen  Abbruch.  Man  hatte  sich  vietcrseits  gewöhnt, 
in  dem  Imprimatur  eine  Empfehlung  des  Inhalts  zu  erblicken. 
Der  Stadtschreiber  Luber  bestellte  für  seine  Geschichte  der  Stadt 
Friedberg  eigens  einen  MCorrecteur,"  um  statt  der  bloßen  Druck- 
lizenz das  Imprimatur  zu  eriangen.  Der  Ingolstädter  Altenkofer 
bat  sogar,  ausführlich  einem  Werk  Kapplers')  Vordrucken  zu 
dürfen:  ..Mil  ErlaubniÖ  der  hochlöblichen  churfürstlicheii  BDcher- 
censur  Special  Commission!"  Wir  stoßen  so  auf  eine  Reihe 
von  Zwischenbegriffen,  die  uns  wieder  in  die  Werkstatt  der 
Zensur  zurückführen,  um  die  allmähliche  Erlahmung  des  buch- 
händlerischcn  Oeschäftsbeinebes  mil  anzusehen. 

Palm  rechtfertigte  sich  1800  vor  dem  Nürnberger  Mistral, 
der  Zcnsursckreär  Sommer  in  München  habe  die  in  Rede  stehende 
Schrift  »Neue  Erde  und  neuer  Himmel"  nicht  verboten,  sondern 
nur  den  Öffentlichen  Verkauf  untersagt  Abgewiesene  kamen  mit 
der  Bitte  um  „Leuteration"  der  Resolutionen  ein,  worauf  die 
Zulassungsfrage  von  neuem  aufgerollt  wurde.  Schweren  Herzens 
erteilte  Erlaubnis  wurde  mit  wohlmeinenden  Ratschlägen  begleitet, 
daß  es  f&r  den  Verfasser  rühmlicher  wäre,  die  Schrift  nicht  zu 
drucken. 

Merkwürdig  und  ansdieinend  durch  persönliche  OtfOhle 
bedingt  ist  das  Benehmen  Weslenriedere  gegenüber  der  Schrift 
ffdie  Hypocriten  in  ßaiem,"  welche  K.  Weiller  befehdete.*) 
Dieser  macht  daher  bis  zur  Entdeckung  des  Verfassers')  in  einer 


■)  M.  K.  A.  rBSfl4. 

»t  M.  K.  A.  UilK:  Dii  von  Htm  v.  Rlmrthinwn  vcriattlm  Dnifkvlirirt  Mr. 

*)  DtT  VrH.  war  dir  PriaUr  O.  S.  Riltnvhiaicn.  (Bctncr künden  üihtt  dir  Hyjio- 
IriTn  III»  am  Briefen  ein«  Thffllajni  in  Mütichfii  nich  R  . .  1102).  BU  im  nl^hslejthf 
mg  alcti  dir  in  ahlirichm  Huirjchtiflcn  umiltitlmf  AiiiitlpjjtnliriE  hin.  (D*  HypulirilH«- 
Ritlo,  Ehre  und  Pasqnill,  näJalclho,  Bniicrkuii^rn  über  du  Puquill  iDic  tlyiiulintcn  in 
Üiim'.  Zam  iicuoi  Jihr  für  die  Ifirpcikrilcn  In  B.  •10).)  Ol«  Mr.  R«lit«ii*tnlc  Wd1kn 
MhÜUt  Kult  fcgcn  dir  Regvnloi  i-on  Pn«lF(SPmlnirai.  die  Ihn  Für  einen  .bexiFfeo«  Mann* 
(TkUitoi.  Mutuhelle  liibr  lein«  lolholliche  Moni  auf  Üint  iiifitchaut  IVnr  nkhl  e*nt 
iTd  Jahren  liilte  ei  clicwni  Ke*lnnunirtver*andtcn  rteiiiirtr  die  Dmliirilc  echallm  )  Tt  gelle 
nidit  ein  poleniluhrt,  kaiulallulm  oder  «pckulillrrs  Chrlitentuni.  nicht  rinn  lür  OranjE- 
Utam  oder  nach  Thomu  Sanch«.  Nach  dem  Sinn  d«  Heilandi  wll  die  Kirche  die  ipnn 
tor  Vernunft  pieitle  M«iMhli«il  auf  jtdtta  in6g)lcb«n  Orad  d«r  hiihtrm  Kulnir  umUH«. 


i 


es  kömmt  bey  ein 

dieser  hohen  ' 

nicht  enispr 

Bodmer  ip 

schreckt 

in    die  ^     -  ^ 

womi*  '^^^^  .Mi 


><<f- 


vcrantwoTlItdi.      Es 

^  Ui^lauben,  welcher  in 

ir^  '■'^&tT  am  Ende  des  ersten 

'^  ^.^\^  Vfriesunp  derLyzeisten  mit 

^^^aldlung  gehalten  hatte.  Westen- 


■BT  hat  sich  niclit  angefragt,  ob  er 
in  den  Druck  legen  dürfe,  wohl 
en,  als  dieser  persönlich  ein  Exem- 
aMfi,  ob  die  Sdirift  wohl  verboten  werden 
.iTKTzcichneten  die  buchstäbliche  Antwort 
^  im  der  \^crkauf  von   der  Bücher  Special 
^.  «lersagt  und  höchstwahrscheinlich  auch  von 
eniger  eingestellt  werden  dürfte,  als  >a  auch 
le  ebenfalls  ohne  alie  vorgängige  Anfrage  und 
_        gdesen,    zugleich   in   den    Druck  gelegt  und 
.■jf  vorden  ist     Unterzeichneter  erlaubte  dem  Buch- 
aus dieser  Äußerung  kein  Qeheimniß  zu  machen, 
glaubt,  daß  der  Professor  Schuirccior  Weiler  (aus 
weil  er  durchaus  keinen  Widerspruch  ertragen  kann) 
Z|li£|rigt  sein    könne,    mit  seinen  Sätzen    und   Meinungen 
errschaft  zu  behaupten,  und  daß  er  sich  die  Folgen 
selbst  zuschreiben   müsse,   wenn   er  auf  seltsame   Se- 
en (solche  finden  sich  ja  doch  in  seiner  sog.  Rede  auf 
Reiten)  seilsame  Antworten  erhält" 

Wciller  antwortete  darauf  an  den  Kurfürsten,  es  sei  ihm 
Unbescholten  heil  seines  Charakters  zu  tun.  Dann  aber 
HUlMi  wir  bei  ihm  eine  neue  Ausrede,  warum  er  sich  den  Weg 
par  Zensur  gcKhenkt  habe:  Westenrtcder  sei  selbst  als  Kommissär 
)4i  Verlesung  der  Rede  zugegen  gewesen  und  habe  nachher 
ftcundlich  mit  ihm  gesprochen. 


pbe  n  dntn  itillraivhcn.  rnnzAtltchni:  dmtidien.  dmn  SUdt-  and  Mirktflwkm* 
llliitnus  und  kUncn  .cruni^hKlicn'.    >Dink  dnonjuii  IQr  idoen  Vonchl«g  nr  Ciii< 
einer  lArmllchm   Inquiilliun.    Dink   cintn  voRwhoKii  iWlimiichcii   Piifahi  i 
__     Vllllcnbilleu,    uil   vtkhcn  dir    l{rli|[lan    von   LA«ia  gjoatgm,    über   nrqBcbdMtJ 
Mtaiidim  fährt!*  ~   Dm  jihr  MHi  tuitc  dii<n  tndgdwn  HerbsL    DiS  die  Huaiuma 
Wtbllffcm.  dann  v»  K.  Wctiler  tdmld.   vie  eifl  .PmdiDl  n  dm  Mrpoltritm  In  Bt[«i 
n  kliern  sulllc 


Zur  Qe&chichle  der  Zensur  und  des  Schiiftwesens  in'Bayern.      4fi9 


V.   Kataloge  und  SpedHeure. 

Die  Zensoren  vermochten  sich  mit  strengen  Verfügungen 
dem  unaufhaltsamen  Siegeszug  freimütiger  Verkijndigiingen  nicht 
enlgegenzu werfen.  So  mußten  sie  ihre  Absichten  auch  bei  einer 
Einrichtung  beschränken,  die  vielen  von  ihnen  die  mißliche  Natur 
des  Zensurwesens  so  recht  zum  Bewußt&ein  brachte  und  von  dessen 
weiterer  Pflege  zurückschreckte.  Wenn  man  auch  im  einzelnen 
nicht  anstand,  einem  Werk  den  Freipaß  zu  versagen,  so  wider- 
strebte doch  vielen  die  Aufstellung  eines  förmlichen  literarischen 
Sündenre^sters:  die  Katalogisierung  verbotener  Bijcher.  Andere 
mochten  die  von  dem  Zeitgeist  abgerungene  Übencugung 
Schibers  mit  Beklemmung  teilen,  der  die  schriftliche  Behandlung 
von  Ereignissen  v^-iderriet,  »die  wenn  auch  noch  so  wahr  doch 
nicht  ohne  Kollision  auf  diese  Art  in  unangenehme  Rück- 
erinnerung gebracht  werden  dürfen," ')  Wir  wissen  aus  der 
Vorstellung  der  Buchhändler  von  1791,  daß  ein  catalogus  libro- 
rum  prohibilorum  seit  22  Jahren  nicht  erschienen  war.  Dies 
halte  den  Nachteil,  daß  vor  diesem  Zeitraum  erschienene  Werke 
immer  noch  nach  der  ersten  Einschätzung  behandelt  wurden; 
und  für  die  inzwischen  herausgekommenen  hatte  man  keine  end- 
gültige Norm.  Deren  Schicksal  hing  dann  von  der  augenblick- 
licher Stimmung  des  Zensors  ab,  denn  ..mancher  ist  Vormillagt 
liberaler  als  Nachmittags,  früh  anders  als  Abends",')  Die  nach- 
teilige Maßgeblichkeit  veralteter  Vota  haben  nach  der  Umwand- 
lung zur  Kommission  Flurl  und  Mann  gegeißelt,  wie  bei  ihrer 
Charakteristik  oben  schon  ausgeführt  ist 

Erst  am  30-  Mai  1795  hatte  der  Kurfürst  auf  Antrag  des 
Kollegs  beschlossen,*)  daß  der  iltere  bisher  zur  Norm  dienende 
Katalog  der  verbotenen  Bücher  noch  einmal  durchgegangen  und 
die  Dtliberalion  hierüber  in  Pleno  vorgenommen  werden  sollte. 
Bei  der  nun  erfolgenden  Revision  wurden  einige  Namen  ge- 
sfrichen  und  in  den  Katalog  der  erlaubten  Bücher  übergeschrieben. 
Was  auf  diese  Weise   erhöht   wurde,    war   nicht  von   weiterem 


1)  M,  K,  *.  TMf!5 

>}  SpBDD.  Pollt.  Fnumcnl.  Ul. 

^  M,  K.  A.  IKfi:  EinfUhnine  dt*  Bturoeni  in  ilcn  unterm  kl.  Ljuidcn  .  .  . 


Perdinind  Lorenz. 


es  kömmt  bey  einem  Werk  auf  den  Totaleindruck  an."  Daß 
dieser  hohen  Forderung  der  Durchschnitt  der  zQnfligen  Beurleiler 
nicht  entsprach,  beweisen  die  vielen  Klagen,  von  der  Zeit  an,  da 
Bodmer  in  den  Lilerarischen  Denkmalen  17  79  rief:  «Die  Furcht 
schreckt  mich  am  wenigten  ab,  daß  ich  den  Reccnsentcn-Jungen 
in  die  M&uI«t  komme",  bis  m  der  schonungslosen  Satire, 
womit  Byron  den  ,English  bards  and  Scotish  reviewers'  heim- 
leuchtete, und  weiter  bis  zum  Bekenntnis  Platens  an  Thiersch 
1825;  i.Der  Beifall  einzelner  Vortrefflicher  ist  der  einzige  Lohn, 
den  der  Dichter  eines  recensirendcn  Volkes  crrarten  darf."') 

Die  Zensoren  sahen  sich  nicht  veranlaßt,  über  die  Güte 
der  Werke  auszusagen.  Der  Rat  Schiber  schrieb  1800  über  eine 
Schrift  Meidingers:*)  «Es  wäre  freilich  zu  wünschen,  die  Censur 
Comraission  könnte  auch  solch  elende  Produkte  verwerfen,  allein 
die  mitgetheille  Instruction  exte ndirt  sich  nicht  bis  dahin.*  Oder: 
»Die  Censur  hat  engere  Schranken  als  eine  Recension,  erstere 
hat  nur  zu  wachen,  daß  keine  dem  Staat,  Religion  und  guko 
Sitten  gefährliche  Schriften  an  das  Tageslicht  tretten."  Ahnlich 
im  folgender  jähre  gegen  den  OrthographiewäcKter  Klein:  «Censur 
ist  keine  Recension." 

Aber  einige  Zeit  fniher,  als  man  mit  der  deutschen  Sprache 
noch  auf  gar  feindlichem  Fuße  stand,  finden  sich  entrüstete  Voti, 
so  1779  über  Grammatikal fehler  in  dem  in  Fragen  und  Antworten 
eingeteilten  Codex  Maximüianeus  des  Regiemngssekretärs  Franz 
Wagner  in  Landshut.*}  Und  aus  dem  Jahr  1784,  da  Montgelas 
das  Zensoramt  bekleidete,  Findet  sich  von  ihm  ein  Urteil,  daß 
«Vorrede  und  Dedication  etwas  pöbelhaft  geschrieben-  sind.*) 
Mit  rauherer  Hand,  als  sie  Schiber  eignete,  Kat  Babo  1802  Bacli- 
lehners  «Cypresscnrweig  auf  das  Grab  des  Erbprinzen  von  Baadcn" 
geknickt:')  .Dies  Gedicht  oder  was  es  sein  soll,  enthält  zwar 
nichts  Censurwidriges,  aber  es  ist  auch  so  ganz  von  allem  poe- 
tischen Werth  entblößt,  daß  es  weder  dem  Verfasser  ntxrh  der 
Littetatur  Ehre   machen   kann.    Selbst  Sprachfehler  finden   sich 


<)  Pr.  Thicndu  Lcbca  t.  17?. 

<)  M,  K.  A,  T»/U:  HiiMriKhn  Fach. 

•!  M.  K.  A.  J»('- 

•)  M   K.  \.  TS2(I!. 

t)  M   K.  A.  1»S/»:  Slulv,  Klrüun-  und  Unlvtnalhisiodc 


4 


darin  und  von  Rythmus  keine  Spur.  Indessen  Imprimatur  wenns 
dem  Autor  beliebt," 

Westenriedcr  verordnete  indes,  das  Werk  des  Dichterlings 
ohne  Imprimatur  zu  drucken.  Und  das  bedeutete  bei  offiziellen 
Schriften  einen  Abbnich.  Man  hatte  sich  viclcrscits  gewöhnt, 
in  dem  Imprimatur  eine  Empfehlung  des  Inhalts  zu  erblicken. 
Der  Stadtschreiber  Luber  bestellte  für  seine  Geschichte  der  Stadt 
Friedberg  eigens  einen  »Correcleur,"  um  statt  der  bloßen  Druck- 
lizenz das  Imprimatur  zu  erlangen.  Der  Ingolstädter  Atlenkofcr 
bat  sogar,  ausführlich  einem  Werk  Kapplers')  Vordrucken  zu 
dürfen:  «Mit  Erlaubniß  der  hochlöblichen  churfii retlichen  Böchcr- 
censur  Special  Commission!"  Wir  stoßen  so  auf  eine  Reihe 
von  Zwischenbegriffen,  die  uns  wieder  in  die  Werkstatt  der 
Zensur  zurückführen,  um  die  allmähliche  Erlahmung  des  buch- 
händlerischen Geschäftsbetriebes  mit  anzusehen. 

Palm  rechtfertigte  sieh  1800  vor  dem  Nürnberger  Magistrat, 
der  Zensureekretär  Sommer  in  München  habe  die  in  Rede  stehende 
Schrift  -Neue  Erde  und  neuer  Himmel"  nicht  verboten,  sondern 
nur  den  öffentlichen  Verkauf  untersagt  Abgewiesene  kamen  mit 
der  Bitte  um  „Leuleration "  der  Resolutionen  ein,  worauf  die 
Zulassungstrage  von  neuem  aufgerollt  wurde.  Schweren  Herzens 
erteilte  Erlaubnis  wurde  mit  wohlmeinenden  Ratschlägen  begleitet, 
daß  es  für  den  Verfasser  rühmlicher  wäre,  die  Schrift  nicht  zu 
drucken. 

Merkwürdig  und  anscheinend  durch  persönliche  Gefühle 
bedingt  ist  das  Benehmen  Westenrieders  gegenüber  der  Schrift 
«die  Hypocriten  in  Baiern, "  welche  K.  Weiller  befehdete.") 
Dieser  macht  daher  bis  zur  Entdeckung  des  Verfassers")  in  einer 


•;  M.  K.  A.  Ttsfu. 

^  M.  K.  A.  7«3/S«:  Die  von  Herrn  v.  RiRmhuisni  verisBlm  Dniclschrifl  betr. 

^  Dn  Verf.  wt  tler  Pries«»  Q.  S.  Rlncnhinsen  IBemM-lningen  übtr  dit  Hyp»- 
krttm  tut  d«o  Briefen  rinn  Tlirolomn  in  MGucIifii  ciacli  R  .  miil>|  Bit  im  nlchslcjihr 
io£  ilch  die  in  ahlicithcii  riinitdififlm  iimitrittair  AngdcBCnhnf  hin.  (Die  Hyi>i>iiTiicn- 
Riltir,  Ehrt  und  Fuqnlll.  PhiUlcihcs,  Dcmcikungai  Uki  du  Puqultl  .Die  tlypokriioi  in 
Baiern*-  Zan  nnioi  J>lir  IQr  die  Hypokril»  in  B.  Itü3.)  Die  bHr  ttekloraisrcdr  Wdllrn 
MfaüBt  Klnt  pgn  die  Xepnten  von  Priciterwininim,  die  Ihn  fflr  einen  .Ivesoflenen  Mann' 
ttklirUn  MuHclitilf  h*l>f  atiat  kiCholiwhe  Mnnt  auf  Kant  «uli^biui  (Vor  Rlchl  gani 
i»el  Jihren  h*tie  cröiwein  KoInnuncivrrTinütcr  Freunde  die  ücnkirdc  gehalten.)  Ei  gelte 
nlchl  dn  pokralKha,  kuulstiidici  oder  ipelmUitiviB  Chrislcnluoi,  nichl  cina  IQr  OnuiX' 
Utuw  ode>  luch  Thamai  Sanchn.  Nirh  dem  Sinn  des  Hrilsmlt  loll  die  Kirche  die  fMBMt 
cot  Vcnnuitl  ffrdlu  McnKhhelt  lul  jrdnn  mö-glkhen  und  der  hähncn  Kullnr  ainfuial. 


Ferdinand  Lorenz. 


es  kömmt  bey  einem  Werk  auf  den  Totaleindruclc  an."  Daß 
dieser  hohen  Forderung  der  Durchschnitt  der  zünftigen  Beurteiler 
rieht  entsprach,  beweisen  die  vielen  Klagen,  von  der  Zeil  an,  da 
Bcw:lnier  in  den  Literarischei  Denl<rnaJen  1779  rief:  .Die  Furcht 
schreckt  mich  am  weniglen  ab,  daß  ich  den  Recensenten-Jungen 
in  die  Mäuler  komme',  bis  zu  der  schonungslosen  Satire, 
womit  Byron  den  ,English  bards  and  Scotish  reviewers'  heim- 
leuchtete, und  weiter  bis  zum  Bekenntnis  Platens  an  Thicrsch 
1825:  »Der  Beifall  einzelner  Vortrefflicher  ist  der  einzige  Lohn, 
den  der  Dichter  eines  recensirenden  Volkes  erwarten  darf.-*) 

Die  Zensoren  sahen  sich  nicht  veranlaßt,  über  die  Oütc 
der  Werke  auszusagen.  Der  1^1  Schiber  schrieb  1800  über  eine 
Schrift  Meidingere:')  »Es  wäre  freilich  zu  wünschen,  die  Censur 
Commission  könnte  auch  solch  elende  Produkte  verwerfen,  allein 
die  mitgethcilte  Instruction  extendirt  sich  nicht  bis  dahin.'  Oder: 
»Die  Censur  hat  engere  Schranken  als  eine  Recension,  erstere 
hat  nur  zu  wachen,  daß  keine  dem  Staat,  Religion  und  guten 
Sitten  gefährliche  Schriften  an  das  Tageslicht  tretten."  Ähnlich 
im  folgenden  Jahre  gegen  den  Orthographiewächter  Klein:  pCensur 
ist  keine  Recension.«  ■ 

Aber  einige  Zeit  früher,  als  man  mit  der  deutschen  Sprache 
noch  auf  gar  rcindlichcm  Fuße  stand,  finden  sich  entrüstete  Vota, 
so  I  779  über  Qrammatikaifchler  in  dem  in  Fragen  und  Antworten 
eingeteillen   Codex  MaximiUancus  des  Regierungssekretärs  Franz     M 


Wagner  in  LandshuL*)  Und  aus  dem  Jahr  »784,  da  Monlgelas 
das  Zensoramt  bekleidete,  findet  sich  von  ihm  ein  Urteil,  daß 
«Vorrede  und  Dedication  etwas  pöbelhaft  geschrieben™  sind.') 
Mit  rauherer  Hand,  als  sie  Schiber  eignete,  hat  Babo  1  802  Bach> 
lehners  «Cy  pressen  zweig  auf  das  Grab  des  Erbprinzen  von  Baadcn" 
geknickt:^)  nDies  Gedicht  oder  was  es  sein  soll,  enthält  zwar 
nichts  Censurwldriges.  aber  es  ist  auch  so  ganz  von  allem  poe- 
tischen Werth  entblößt,  daß  es  weder  dem  Verfasser  roch  der 
Litteratur  Ehre   machen   kann.    Selbst  Sprachfehler  finden   ach 


•)  Fr.  ThicTwAs  LetKO  I,  Ui. 

•)  M.  K.  \.  »IJIJ;  Hltlorltdiei  Ticb. 

•)  M.  K.  A.  793^35. 

■)  M   K.  A,  KltU:  Stutt',  Klrduti-  loul  UnlvoMlhbUrie 


I 

I 
I 


I 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftvesens  in  Bayern. 

darin  und  von  Rythmus  keine  Spur.  Indessen  Imprimatur  wenns 
dem  Autor  beliebt." 

Wesfenricder  verordnete  indes,  das  Werk  des  Dichterlings 
ohne  Imprimatur  zu  drucken.  Und  das  bedeutete  bei  offiziellen 
Schriften  einen  Abbruch.  Man  hatte  sicli  vielerseils  gewöhnt, 
in  dem  Imprimatur  eine  Empfehlung  des  Inhalts  zu  erblicken. 
Der  Stadtschreiber  Liiber  bestellte  für  seine  Geschichte  der  Stadt 
Friedberg  eigens  einen  BCorrecleur,"  um  statt  der  bloßen  Druck- 
lizenz  das  Imprimatur  zu  eriangen.  Der  Ingolstädter  Attenkofer 
bat  sogar,  ausführlich  einem  Werk  Kapplers')  Vordrucken  zu 
dflrfen:  »Mit  Erlaubniß  der  hochlöblichen  churfürstiichen  ßüeher- 
censur  Special  Commisslon!"  Wir  stoßen  so  auf  eine  Reihe 
von  Zwischenbegriffen,  die  uns  wieder  in  die  Werkstatt  der 
Zensur  2ur(ickführen,  um  die  allmähliche  Erlahmung  des  buch- 
händlerischen Geschäftsbetriebes  mit  anzusehen. 

Palm  rechtfertigte  sich  1800  vor  dem  Nürnberger  Magistrat, 
der  Zensursekretär  Sommer  in  München  habe  die  in  Rede  stehende 
Schrift  »Neue  Erde  und  neuer  Himmel"  nicht  verboten,  sondern 
nur  den  öffentlichen  Verkauf  untersagt.  Abgewiesene  kamen  mit 
der  Bitte  um  „Leuteration "  der  Resolutionen  ein,  worauf  die 
Zulassungsfrage  von  neuem  aufgerollt  wurde.  Schweren  Herzens 
erteilte  Erlaubnis  wurde  mit  wohlmeinenden  Ratschlägen  begleitet, 
daß  es  für  den  Verfasser  rühmlicher  wäre,  die  Schrift  nicht  zu 
drucken. 

Merkwürdig  und  anscheinend  durch  persönliche  Gefühle 
bedingt  ist  das  Benehmen  Wcstenrieders  gegenüber  der  Schrift 
„die  Hypocriten  in  Baiem,"  welche  K.  Weiller  befehdete.") 
Dieser  macht  daher  bis  zur  Entdeckung  des  Verfassers*)  in  einer 


•j  M.  K.  A.  ise/M. 

^  M.  K.  A.  it)/Mt  Die  von  Hettn  v.  Ritwnhiiutn  vtHtStm  Dtnelnchrift  b«tr. 

*l  Der  Verl.  wi  der  Prieslec  O.  S.  RiHcrshauieo.  (ilcincrkuitgni  Qb«r  die  H^po- 
krtton  aut  den  Briet«  enrs  Theologm  in  Miini^liRi  nicli  R  . .  isu'J).  Bis  ins  nSchstc  filir 
:roe  lieh  die  In  zalilnidlcn  riueschrillrn  iitnitn11eiie  Angctcjicnhcit  hin.  (Die  Hypolirltcn> 
Klnet.  FHiie  anil  Pasquill,  Phllalclhcs,  BcinerkunEcii  über  du  Pa&i|ulll  .Die  Hypukiitcn  In 
BaUiB*.  Zum  neuen  Jahr  (it  die  Hyiraknicn  In  B.  <Sa3,)  Die  bclr  Rclctoribmlc  WdUrrv 
•cbdlil  Kult  gelten  die  Rcgenlen  von  Pti-nlrrteminiren.  die  ihn  für  einen  .betoffenen  Mittn* 
erkürten.  Mnuchclle  hibr  leine  kithuliidie  Moni  lut  Kirtl  »jfijietiiul.  (Vnr  nlcbt  ([ini 
t«ei  Jihroi  haue  ti«llc»em  Ke»inn«nB»veT»»niJlcn  Firnmlcille  tteikrtöegdLillen.)  Ei  |[c[te 
nicht  ein  polemiKhe«,  ktiuhllKhes  oder  »pckulativa  Chiislaitum.  nicht  eines  tüi  OrwiR- 
UlBn  oder  nach  Thamu  Sanchci.  Nuh  dem  Sinn  da  KeiUndi  k>II  di«  Kiiehr  die  ganze 
zvr  Vemunlt  gerelhe  Mentchheit  ■ul  jeden)  mSgbchen  Und  der  höheren  Knltnr  onifknen. 


Ferdinand  Lorenz. 

es  kömmt  bey    einem  Werk  auf  der    TotaJeindrucJc  an."      Daß     ' 
dieser  hohen  Forderung  der  Durchschnitt  der  zünftigen  Eicurleiler 
nicht  entsprach,  beweisen  die  vielen  Klagen,  von  der  Zeit  an,  da 
Bödmet  in  den  Literarischen  Denltmalen  1779  rief:  r Die  Furcht 
schreckt  mich  am  wenigten  ab,  daß  ich  der  Recenscnten -Jungen     _ 
in   die   Mftuler   komme",   bis  zu   der  schonungslosen    Satire,    f 
womit  Byron  den  .English  bards  and  Scotish  reviewers'  heim- 
leuchtete,  und  weiter  bis   zum    Bekenntnis  Platens  an   Thietsch 
1825:  »Der  Beifall  einzelner  Vortrefflicher  Ist  der  einzige  Lohn, 
den  der  Dichter  eines  recensirenden  Volkes  erwarten  darf.- ') 

Die  Zensoren  sahen  sich  nicht  veranlaßt,  über  die  Gülc 
der  Werke  auszusagen.  Der  Rat  Schibcr  schrieb  1800  über  eine 
Schrift  Meidingers:')  »Es  wäre  freilich  zu  wünschen,  die  Censur 
Commission  könnte  auch  solch  elende  Produkte  verwerfen,  allein 
die  milgetheille  Instruction  exlcndirt  sich  nicht  bis  dahin."  Oder: 
"Die  Censur  hat  engere  Schranken  als  eine  Recension,  erstcre 
hat  nur  zu  wachen,  daß  keine  dem  Staat,  Religion  und  guten 
Sitten  gefährliche  Schriften  an  das  Tageslicht  tretten."  Ahnlich 
im  folgenden  Jahre  gegen  den  Orthographiewächter  Klein:  »Censur 
ist  keine  Recension.« 

Alwr  einige  Zeit  früher,  als  man  mit  der  deutschen  Sprache 
noch  auf  gar  feindlichem  Fuße  stand,  finden  sich  entrüstete  Vota, 
so  1 779  über  Qrammatlkalfehler  in  detti  in  Fragen  und  Antworten 
eingeteilten  Codex  Maximiliancus  des  Regieningssekretira  Franz 
Wagner  in  Landshut.*)  Und  aus  dem  Jahr  1784,  da  Montgelas 
das  Zensoramt  bekleidete,  findet  sich  von  ihm  ein  Urleil,  daß 
«Vorrede  und  Dedication  etwas  pöbelhaft  geschrieben"  sind*) 
Mit  rauherer  Hand,  als  sie  Schiber  eignete,  hat  Babo  1 802  Badi- 
lehners  «Cypressenzweig  auf  das  Grab  des  Erbprinzen  von  Baaden* 
geknickt:^)  »Dies  Gedicht  oder  was  es  sein  soll,  enthält  zw 
nichts  Censurwidriges,  aber  es  ist  aucli  so  ganz  von  allem  poe- 
tischen Wertli  entblößt,  daß  es  weder  dem  Verfasser  nodi  der 
Litteratur  Ehre   machen   kann.    Selbst  Sprachfehler  finden   sich 


I)  fr.  Thtendu  Lebx»  I,  z». 

•>  M.  K.  \,  nilti  1  HI»orl»chn  rieb. 

*)  M.  K.  A.  73*lK 

')  M.  K.  A.  mfl5. 

')  M  K.  A.  rvi/ia:  StuB-,  Kiidini-  und  UnlTOMJhislorle. 


I 


I 


Zur  Oescbicbte  d«r  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern. 


darin  und  von  Rythmuä  keine  Spur.  Indessen  Imprimatur  wenns 
dem  Autor  beliebt." 

Westenrieder  verordnete  indes,  das  Werk  des  Dichterlings 
ohne  Imprimatur  zu  drucken.  Und  das  bedeutete  bei  offiziellen 
Schriften  einen  Abbruch.  Man  halte  sich  vielerseils  gewölinl, 
in  dem  Imprimatur  eine  Empfehlung  des  Inhalts  zu  erblicken. 
Der  Stadtschreiber  Luber  bestellte  für  seine  Geschichte  der  Stadt 
Friedberg  eigens  einen  «Correcleur,"  um  statt  der  btoRen  Druck- 
lizenz das  Imprimatur  zu  eriangen.  Der  !ngo!städter  Attenkofer 
bat  sogar,  ausführlich  einem  Werk  Kapplers')  Vordrucken  zu 
dürfen:  i.Mit  Erlaubniß  der  hochlöblichen  churförstlichen  Bücher- 
censur  Spedal  Conimission!"  Wir  stoßen  so  auf  eine  Reihe 
von  Zwischenbegrtffen,  die  uns  v;ieder  in  die  Werkstatt  der 
Zensur  zu röckf (ihren,  um  die  allmähliche  Erlahmung  des  buch- 
händlerischen Geschäftsbetriebes  mit  anzusehen. 

Palm  rechtfertigte  sich  1S00  vor  dem  Nürnberger  Magistrat, 
der  Zensursekretär  Sommer  in  München  habe  die  in  Rede  stehende 
Schrift  »Neue  Erde  und  neuer  Himmel"  nicht  verboten,  sondern 
nur  den  Öffentlichen  Verkauf  untersagt.  Abgewiesene  kamen  mit 
der  Bitte  um  „Leuteration"  der  Resolutionen  ein,  worauf  die 
Zulassungsfrage  von  neuem  aufgerollt  wurde.  Schweren  Herzens 
erteilte  Erlaubnis  wurde  mit  wohlmeinenden  Ratschlägen  begleitet, 
daß  es  für  den  Verfasser  rühmlicher  wäre,  die  Schrift  nicht  zu 
drucken. 

Merkwürdig  und  anscheinend  durch  persönliche  Gefühle 
bedingt  ist  das  Benehmen  Westenrieders  gegenüber  der  Schrift 
«die  Hypocriten  in  Baiem,"  welche  K.  Weiller  befehdete.') 
Dieser  macht  daher  bis  zur  Entdeckung  des  Verfassern ')  in  einer 


1]  M.  K.  A.  TU/14. 

^  M,  K.  A.  T43Ji6:  Die  VMi  Herrn  v.  Rlnmhiuwn  vtrf«ät«n  DnickMliHlt  betr. 

4  Ott  Verf.  ssr  drr  Prietler  O.  S.  RtMrnhauieit.  (Benitrlainem  6.btt  die  Hypa- 
krtUm  »u«  a™  Briefen  eines  Theoloem  in  München  nich  R  . .  laoJi.  Bii  ini  aädislejahr 
los  iLch  dir  In  lahliclchni  FInuKhriricn  iim^tritlcnc  Anudcirrnlicil  i\in.  (Die  Hypotrriten- 
Ritter.  Ehre  und  Pascinlll,  PliiliJettm,  Bciiicikuneni  üki  du  PutiuüL  .ric  llyiiolirilm  in 
Balem*.  2iun  neu«n  J>lir  für  die  Hypokrilen  in  0.  lioy)  Die  bctr  RekCoralircde  Vejilcr» 
KhOtit  KmiI  pgen  di«  Rtjenten  von  Prietleneminutn,  die  Ihn  für  einen  .hooftenen  Munit' 
crtlMaL  MabOdle  habe  »eine  kittiolltche  Moni  *ul  Kant  «uluelHitl  iVnt  niehl  e*nz 
xwö  Jabrea  halll  crdiotm  t!niivniaeivcr*iiKlteii  Ftnindc  die  Ucnlirrde  gelullen.)  Es  gette 
nldd  dn  pB^Hcbo.  kuDlsllidiei  oder  ipetuUtlrea  Chrislentuin,  nicht  cina  lär  Oinne- 
Utu»  oder  luch  Thonta»  Sandin.  Nach  dem  Sinn  des  Heibiidi  soll  die  Kirche  die  gan«' 
rnr  Vernunft  gereifte  Menichheit  auf  jedem  mÄ^llchen  Gnd  der  höheren.  Xullor  umlisMn. 


es  kömmt  bey  einem  Werk  auf  den  Tolaleindruck  an.*  Daß 
dieser  hohen  Forderung  der  Durchschnitt  der  zünftigen  Beurteiler 
nicht  entsprach,  beweisen  die  vielen  Klagen,  von  der  Zeit  an,  da 
Bödmet  in  den  Uterarischen  Denkmalen  1779  rief:  .Die  Furcht 
schreckt  mich  am  weniglen  ab^  daß  ich  den  Recensenten-Jungen 
in  die  Mäuler  komme",  bis  zu  der  schonungslosen  Satin, 
womit  Byron  den  .English  bards  and  Scotish  reviewers'  heim- 
leuchtete, und  weiter  bis  zum  Bekenntnis  Platens  an  Thiersch 
1825:  »Der  Beifall  einzelner  Vortrefflicher  ist  der  einzige  Lohn, 
den  der  Dichter  eines  recensirenden  Volkes  erwarten  darf." ') 

Die  Zensoren  sahen  sich  nicht  veranlaßt,  über  die  Gflte 
der  Werke  auszusagen.  Der  Rat  Schiber  schrieb  1800  über  eine 
Schrift  Meidinge rs:")  »Es  wäre  freilich  zu  wünschen,  die  Censur 
Commission  könnte  auch  solch  ctcnde  Produkte  verwerfen,  allein 
die  mitgetheilte  Instruction  extendirt  sich  rieht  bis  dahin."  Oder: 
«Die  Censur  hat  engere  Schranken  als  eine  Recension,  crslere 
hat  nur  zu  wachen,  daß  keine  dem  Staat,  Religion  und  guten 
Sitten  gefährliche  Schriften  an  das  Tageslicht  tretter.»  Ahnlich 
im  folgenden  Jahre  gegen  den  Orthographiewächter  Klein:  «Censur 
ist  keine  Recension." 

Aber  einige  Zeit  froher,  als  man  mit  der  deutschen  Sprache 
noch  auf  gar  feindlichem  Fuße  stand,  finden  sich  entrüstete  Vota, 
so  1779  über  Orammatikal fehler  in  dem  in  Fragen  und  Antworten 
eingeteilten  Codex  Maximilianeus  des  RegierungssekreHrs  Franz 
Wagner  in  LandshuL*)  Und  aus  dem  Jahr  1784,  da  MontgeUs 
das  Zensoramt  bekleidete,  findet  sich  von  ihm  ein  Urteil,  daß 
«Vorrede  und  Dedication  etwas  pöbelhaft  geschrieben"  sind.*) 
Mit  rauherer  Hand,  als  sie  Schiber  eignete,  hat  Babo  1802  Bach- 
Ichners  nCy pressenzweig  auf  das  Grab  des  Erbprinzen  von  Baaden* 
geknickt:')  »Dies  Gedicht  oder  was  es  sein  soll,  enthält  zwar 
nichts  Censurwidriges,  aber  es  ist  auch  so  ganz  von  allem  poe- 
tischen Wertli  entblößt,  daß  es  weder  dem  Verfasser  noch  der 
Litteratur   Ehre  machen   kann.    Selbst  Sprachfehler  finden   sich 


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I)  Fr.  TTilendw  Leben  I.  ns. 

*)  M.  K,  A.  JM/as4  HiitoriKh«  Picli. 

1  M.  X.  A.  tuii. 

•)  M.  K.  A.  mm. 

•)  M.  K.  A.  m/U:  Slub-,  Kirchen-  nad  VnirnMlhlilorie. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftwesens  in  Bayern 


darin  und  von  Rythmus  keine  Spur.  Indessen  Imprimatur  wenns 
dem  Autor  beliebt." 

Westtnriedcr  verordnele  indes,  das  Werk  des  Dichterlings 
ohne  Imprimalur  zu  druclcen.  Und  das  bedeutete  bei  offiziellen 
Schriften  einen  Abbruch.  Man  hatte  sich  vtelerseils  gewöhnt, 
in  dem  Imprimalur  eine  Empfehlung  des  Inhalts  zu  erblicken. 
Der  Stadtschreiber  Lubcr  ttestellte  för  seine  Gescliichte  der  Stadt 
Friedberg  eigens  einen  uCorrecleur,"  um  statt  der  bloßen  Druck- 
lizenz das  Imprimatur  zu  eriangen.  Der  Ingolstädter  Attenkofer 
bat  sogar,  ausführlich  einem  Werk  Kapplers')  verdrucken  zu 
dürfen:  «Mit  Erlaubniß  der  hochlöblichen  churfürsttJchen  Bücher- 
censur  Special  Commission!"  Wir  stoßen  so  auf  eine  Reihe 
von  Zwischenbegriffen,  die  uns  wieder  in  die  Werkstatt  der 
Zensur  zurückführen,  um  die  allmähliche  Erlahmung  des  buch- 
händlerischen QeschMtsbelriebes  mit  anzusehen. 

Palm  rechtfertigte  sich  1800  vor  dem  Nürnberger  Magistrat, 
der  Zensursekrelär  Sommer  in  Müncheti  habe  die  in  Rede  stehende 
Schrift  »Neue  Erde  und  neuer  Himmel"  nicht  verboten,  sondern 
nur  den  öffentlichen  Verkauf  unlersagL  Abgeviesene  kamen  mit 
der  Bitte  um  „Leutcration*  der  Resolutionen  ein,  worauf  die 
Zulassungsfrage  von  neuem  aufgerollt  wurde.  Schweren  Herzens 
erteilte  Eriaubnis  wurde  mit  wohlmeinenden  Ratschlägen  begleitet, 
daß  es  für  den  Verfasser  rühmlicher  wäre,  die  Schrift  nicht  zu 
drucken. 

Merkvifürdig  und  anscheinend  durch  persönliche  Gefühle 
bedingt  ist  das  Benehmen  Westenrieders  gegenüber  der  Schrift 
»die  Hypocriten  in  Baiern,"  welche  K-  Weiller  befehdete.*) 
Dieser  macht  daher  bis  zur  Entdeckung  des  Verfassers*)  in  einer 


^  M.  K.  A.  TtffSt-  Die  VW  HWTir  v   Rlnmh«iBWi  vtrlMtn  Dmclnehrtfl  J>«r. 
•)  Der  Verf.  ■war  der  Pries««  Q.  S.  SiHCT»h«dt«i.     (Hemerkuniim  5hci   die  Hypi>- 

Icritm  IUI  im  Brtefoi  dn«  TTieoloe«<  >"  Udnchm  nach  R  . .  iBOii).  Uli;  Im  nichulpjahr 
tat  ''tli  iie  '"  "lilreichen  Fluescttrilicii  umiLritltnc  Aninrle([fiihfü  hin.  (Die  Hypoitiltni- 
RIITcT.  Ehic  und  Putjaill,  PhiUlcthcs,  BrnrnkiinEcn  über  du  Puquill  •Die  Hypukrilcn  io 
Bdern*.  Zum  neuen  )ihr  Iti  die  Hri»l<tilcii  In  S.  i»].)  Ol«  brlr.  Reklorttiitde  Wcillcra 
kIiQIiI  Kant  gtgat  die  ReEenln  van  Prieilerwnninirai,  die  ihn  fbr  einen  .betoffenen  Minn^ 
erkIJrten  Matvhetle  hibe  teine  kalholitchc  Moral  auf  Kmi  lufjivbiiil  (Vor  nidit  cant 
tvd  Jahcra  hat»  «-diocni  ue:iliiitii'!|£>vervaii(llm  riruKiledir  Dmkrrdc  ethaltrn  )  r*  eclle 
ntthi  ein  polcmiKhct,  k»  will  (seil  es  oder  spekulfiiivn  Oirtglentum,  nlclil  eine»  ßr  Onng- 
UlU»  odei  nach  Hkkiiu  Suichei.  Nachdem  Sinn  d«  Heilindi  loli  die  Kirche  die  ^Ha« 
«IT  Vemunlt  gereifte  Maitchhcil  i.ul  jedem  möglichen  Orad  der  höheren  Kultur  unfUMa. 


Eine  besondere  Rücksichtnahme  galt  e$  gegen  die  k.  k. 
Offiziere,  die  in  diesseitigen  Landen  kantonierten.  Wegen  der 
vom  Ausland  an  diese  gelangenden  Bücher  erbat  Spediteur 
von  Schmöger  1 798  VerhaUungs  maß  regeln.  Er  befürchtete,  daß 
die  Schriften  beim  Wegzug  der  Reichsarinee  im  Lande  blieben, 
da  sie  die  österreichische  Zensur  nicht  bestehen  könnten.  Eine 
Verordnung')  nahm  nun  die  k.  k.  Offiziere  von  der  Zensur  aus 
und  hielt  Prälaten  und  Beamte  zur  Wachsamkeit  an,  daß  nidits 
verliehen  werde. 

Im  gleichen  Jahre  kam  noch  ein  anderer  Vorfall  zur  Spntche, 
welcher  den  Herren  viel  Kopfzerbrechen  machte.  Ein  Oral 
Lamberg  wollte  sich  das  Ewig -Weibliche  auch  wissenschaftlich 
näher  bringen  imd  hatte  sich  darum  ein  Werk  über  Gynäkologie 
verechrieben.  Das  war  strafbarl  Er  verweigerte  entschieden,  sieh 
als  quittierter  Offizier  der  Regierung  in  [.andshul  7u  stellen. 
Das  Zensurkolleg  deutelte  nun  an  der  betreffenden  hofkriegs- 
rällichei  Verordnung  hemm  und  kam  zum  Schluß,  daß  diese 
nur  «wirklich  militärische  Offiziers"  in  gewöhnlichen  Zivilfällen, 
nicht  aber  bei  allgemeinen  landespolizeilidien  Gegenständen  der 
Zivilgerichtsbarkeit  entziehe.  Weiteres  Bedenken  verursachte,  daß 
der  Graf  gerade  in  den  Fideikommißgütern  und  der  fürstlichen 
Würde  sukzediert  war.  Die  Zensoren  stimmten  dafür,  daß  er 
auch  dadurch  von  der  Landeshoheit  nicht  befreit  sei. 

Die  Errichtung  von  Fideikommißgütern  und  die  im  Reichv 
vikariat  zahlreich  vorgenommenen  Nobilitierungen  verursachten 
überhau  pl  den  Zensoren  manch  schwere  Stunde.  Das  eigentüni. 
liehe  Erbfotgerecht  nötigte  die  Nachgeborenen  zu  einem  andern 
Emerb.  ■')  So  unterschied  man  in  den  höheren  Beamienkoltefficn 
eine  Ritter-  und  Oelehrtenbank.  So  konnte  auch  der  «Aufruf  an  die 
katholischen  Fürsten  1802"  bekritteln:  .Die  Bischöfe,  die  gewählt 
komincn  n  lutta:  j«dodi  toll  iLicioin»!  mit  Unscrtm  inÄilieilcn  ipcdil  Vorvltstfi  «ad 

gcg^  «iMlfnmdrn  Hrvcn  fcnchc-hvii,  tiali  d^mclhnt  nicht  wrjtrr  l^rjfctKfi,  londrtn  nm  diu 
falm  Kndxvvclce.  und  »llttilill)  drt  Wlderlegiinit  halber  bcgphrct  vrrdm.- 

F.illDtcrutiazD.Nov.  ITMiS*:  .lal  Unicrtri  «citeieticniiliiritcr  ßHrhl.  d>l>|>iwBacluf, 
vcSchc  an  eine  hirliiiiliidic  öffrntlichc.  Kciil-  oder  vclflichr  Bibliutheli  addicfilrct  Und,  and 
wo  «ujclrkh  ein  init  den  Üidcntobci'i ,  ttinh*bcr  oder  BnotK«r  dei  Bibliothek  KbriftUcb 
gttcrtigUi  Atim  bcygcbncht  «Hrd.  s«g«n  lontüE^r  Bcuhlung  de*  bctreHendai  Maolh-  s>d 
Aediqiujiti  )wy  Unwrn  Miiulta-  unil  Zoliimtcni  ohne  OmurvliiUlion  frrjr  und  unctlÜRdm 
dam  «erden  uiUm.- 

1)  Vom  ■.  Juni  nn 

q  Sdunclile.  Der  StuBhuuhati  det  hcnogiuKH  Bayvrn,  S.  M. 


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Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftvcscns  in  Bayern. 


werden,  sind  größtentheils  nidits  als  überflüssige  SprcKSen  ge- 
wisser Familsen,  welche  sich  dem  Kirdiendienst  offenbar  ir  keiner 
anderen  Absicht  gewidmet  hatten  als  um  ansehnliche  Einkünfte 
zu  ziehen,  ohne  viel  erlernen  und  thun  zu  dürfen;  ihre  Ahnen- 
reihe gilt  ihnen  mehr  als  die  Gnade  der  Taufe."  Das  Zensur- 
kolicg  aber  bestürmten  adlige  Sprossen  mit  Oesucheo  um  Ge- 
nehmigung eines  Wochenblattes,  mit  Huldigungsgedichten,  mit 
wisscnsdiaftlichen  Aufsätzen  und  waren  erfreut,  wenn  ihnen  von 
oben  «ohne  Consequcnz"  ein  klingender  Dank  wurde.  Solche 
Dürfligkeil  ist  mehrfach  bdegt  Sie  wird  begreiflich  durch  die 
Stalislik  von  1794,  die  5249  Adlige  aufzählt,  und  durch  die 
Tatsache,  daß  auch  bei  Allodialbesitz  die  Nachgeborenen  einen 
geringeren  Anspruch  hatten.  Und  als  in  der  Zeit  von  1199 
bis  1808  die  Fideikom misse  des  Adels  aufgegeben  wurden,  war 
nach  Ansicht  Lerchenfelds  die  Schöpfung  neuer  gutsherrlicher 
Gerichte  eine  unheilvolle  Entschädigung.  Nach  einem  Jahrzehnt 
kamen  sie  wieder  auf. 

Mit  der  Zeil  wurde  auch  den  Professoren  an  den  Kur- 
fürstlichen Schulhäuaern  das  Recht  des  freien  Biicherbezuges 
zuerkannt.^)  Am  23.  Mai  1794  wurde  es  den  Professoren  zu 
Amberg,  am  10.  Okt.  d.  J.  sämtlichen  Schulhäusem  zugestanden. 
Das  Zensurkollegium  drückte  sein  Bedauern  aus,  da  die  Studenten 
von  nun  an  die  von  ihren  Lehrern  vernommene  freie  Kunde  ins 
Land  tragen  wurden.  Und  die  Herren  machten  lange  Gesichter, 
als  der  Benediktinerpater  Edmund  HochhoUcr  nun  auf  einmal 
WieUnds  sämtliche  Werke  als  „Erklärungsschriften"  zum  lehr- 
anitlichen  Gebrauch  benötigen  wollte.  Nun  erhielt  auch  die 
Jenaer  Literatumeitung  in  Bayern  das  Gastrecht,  »da  diese  Zeitung 
zu  jedem  wissenschaftlichen  Fache  sehr  nötige  Kenntnisse  enthält 
und  mit  beiträgt  die  Professoren  in  VerhSitniß  mit  den  immer- 
dauernden Fortschritten  der  gelehrten  Welt  zu  halten." 

Am  30.  Dezember  1798  wurde  der  kf.  Militärakademie  die 
freie  Wahl  der  Lehrmittel  anheim gestellt,  da  Zensurrat  Babo  dort 
Studiendirektor  sei.  Das  Kolleg  striubte  sich  auch  hier  und 
schützte  die  Amtsgeschäfte  Babos  vor.     Dann  gab  es  zu  bedenken, 


■]  M.  K.  A.  «;/>':  Dw  Reclil  dtr  freitn  BöditrÖMichung  oder  Vcnchidbnnc  Iflr 
jJk  M  «Icn  kt,  SdiulUiucrn  «nBCilclllcn  Prafmaren. 


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Die  Piutuwiij  der  Uaiversitat*)  uJmjfiM  adt  das  Ce- 
rnn,    CHK   der  jcaacr   cbeaUrtige  LifcriluiigihMg  za 
beenden.  Duo  «ar  aber  fiienrisdie  LTitahhangigkeii  erfordertieh. 

Pnkmor  nm  LeveSoc  Uikfchfc.  mkra  24.  Mm  1794: 
■  Endndi  w6nie  es  pnz  unmO^KB  sein,  dv  Vortuben,  wddics 
mi  der  hiesiges  Hocfaxfanle  scbon  öften  in  Voncfabg  gdmdtt, 
aber  wegen  gewisser  Hindernisse  nocfa  nicht  ausgeführt  wurde, 
zu  Stude  zu  bhngeo,  eine  LHlcfattirzeimng  oder  aadere  perio- 
diflcbe  ScfariR  oadi  dem  Beispiel  anderer  UnivcniäfaB  bera»- 
zugeben,  weil  es  ganz  untbonlicfa  sein  würde,  alle  Wocfacn  die 
feadtriebenen  Botfea  erst  an  das  Ccnsur  G)Ilegiun)  einzusenden 
und  von  dieser  Stelle  die  Censur  zu  bewirken.' 

Eine  Gegenvorstellung  des  Kollegs  vom  9.  Juli  gibt  eise 
gedrängle  Obcrsichl  Qber  die  auf  die  Zensurverhältnissc  der 
Univcrshäl  bezüglichen  Daten: 

■  Die  Universität  von  Ingolstadt  war  nach  dem  generali  \*on 
1769  der  Censur  des  diesorligen  Collegü  unstrittig  unterworfen; 
in  dem  Jaltre  1771  durch  gnädigstes  Rescrip(  vom  4.  September 
wurde  zur  schleunigeren  Befördenii^  des  Dnidces  jener  Schriften, 
welche  in  das  jus  publicum  et  civile  einschlagen,  der  Geheim-  I 
rnih  von  Ickstadt  als  eines  unserer  wirtdichen  Mi^iedem  als 
besonderer  Censor  in  Ingolstadt,  jedoch  dergestalt  ernannt  daß 
er  das  von  ihm  censirte  Manuscript  sammt  seiner  Censur  vor 
dem  wirklichen  Druck  zum  churfürstlichen  Bücher  Censur  College 
um  das  Imprimatur  jedesmal  wie  auch  die  von  ihm  selbst  etwa 
verfertigten  Werke    glach   andern    allforderst  einschicken    solle." 

Doch  schon  1772  strebte  die  Universität  nach  Zcnsurfrei- 
hcil.  Das  Kolleg  stemmte  sich  dagegen,  weil  hier  andere  Ver- 
hältnisse vorlägen  als  bei  der  Akademie,  die  gemiß  ihren  Gesetzen 
keine  die  Gottcsgcichrtheit  und  geistlichen  Rechte  betreffenden 
Gegenstände  behandeln  dürfe. 

Erst  die  Verordnungen  vom  7.  Juli  und  17.  August  1781 
schufen   Wandel.     Jene  untem-arf    die   ».dtsputation   und   theses* 

■]  M.  K.  A-  IM/I:  Dh  8«lr«lun2»«l>'  <^  Unrv.  Ingglitadl,  dann  Landibul  etc. 


Zur  Ücschichte  der  Zensur  und  des  Schriftweiens  iti  Bayern.      451 

ausschließlich  der  Durchsicht  der  einschUgigen  Faltultat,  empfalü 
eine  vorsichtige  Auswalil  der  Abhandlungen,  verpflichtete  zur 
Behutsamkeit  gegen  religiöse,  sittliche  und  staatlidie  Grundsätze 
und  machte  den  Verfasser  mit  verantwortlich.')  Die  zweite  Ver- 
ordnung ermächtigte  die  Universität,  die  Abhandlungen  der 
Professoren  zu  zensiren  und  nach  dem  Beispiel  der  Heidelberger'') 
zu  approbieren. 

Als  für  die  Folge  die  Doktoranden  der  Billigkeit  wegen  sich 
vielfach  von  nichtbayrischen  Druckern  bedienen  ließen,  mahnte 
ein  Erlaß")  zur  Berücksichtigung  der  einheimischer. 

Schon  Max  IM.  Joseph  hatte  der  Sache  großen  Werl  bei- 
gemessen und  ihre  Regelung  von  einer  im  Universitätsarchiv 
ettt'a  befindlichen,  die  bischöfliche  Approbation  erlassenden  päpst- 
lichen Bulle  abhängig  machen  wollen.  Der  Senat  hatte  geant- 
wortel,  daß  die  kf.  Befehle  von  16S4  und  I6«2  genug  besagten, 
auch  falls  keine  Bulle  zu  finden  sei. 

Die  seil  t782  vorgesetzte  Schulkuratel  nahm  zugunsten 
der  Universität  Stellung.  Selbst  der  strenge  Exjesuil  Slattler 
meinte,  daß  das  Einvernehmen  zwischen  Bibliothekar,  Rektor  und 
Dechanl  und  eine  Separation  gewisser  Bücher  eine  hinreichende 
Vorsicht  bedeute. 

Trotzdem  machte  die  Verordnung  vom  17.  August  1792 
die  ein  Jahrzehnt  genossene  Freiheit  zunichte;  nach  Mitteilung 
des  Kollegs  wegen  verschiedener  inzwischen  vorgekommener  Auf- 
tritte. Und  daß  dies  .cassatorische  Rescript"  Levcling  in  dem 
eingangs  erwähnten  Bericht  so  gänzlich  mißachtete,  indem  er  den 


>|  l'itivcnXilHrchlv  MQnchrn  U  *  -  Dir  Prntmnrcn  tiallrn  ilcli  HIkt  den  dem 
cwid  med.  Pctcr  Engclhart  vom  ZensnrWIltiR  grvotdtncn  BcKheid  getrtrcrt  und  itnat 
diesen  Etl*ß  criicll. 

")  Dis  Etcispiet  von  Hcidrlhcrii  wuntt  «uch  IT91  hnunjjriiiijfTi ,  ili  di*  Univ.  von 
der  Kanwi  ein*  Bcisleuer  ta  dm  Dmclkaslen  erwirlcw  »oUIp.  F-i  wunlc  nicht  viillihrt: 
■jedei  Vcifu^et  rinet  Dclrhrlen  ScEirjll.  wenn  lolrlic  mdklcchatl  nuti^enrbtilct  liL ,  «itij 
leichl  dmcii  Vrtleaet  und  ilabH  den  Erut/  witict  «tififtvandlen  Känni  (Indfri  ViJnnm 

Der  von  der  Clmitdrtll  UriivcrtlUt  dlcQfill»  dca  13.  M*i  (eliLhite  Anlri|[,  von 
der  einen  Hüllte  der  Submitilonigelder  den  Betrag  von  (chl  Dnic)i1>2gni  ui  jede  Fibillll 
abinerben.  hat  alw  nittil  SutI 

Auch  itl  du  in  oblsFm  Herichi  ai>2''l">^'ilF  llcitplrl  von  dei  hohm  Srlnilr  m 
Heldriberc  nlcUI  anwriKlhii,  dj  dorl  Icdrni  Protraat  nur  ein  von  der  UnlveTilUti  (Uiaa 
bcMbltei  Dnickbufm  bcrilliEl  Ist,  und  dicBn  daher  rührt,  veil  jeder  ordrRtlicher  Hro- 
JcMor  wfne  Vorlrransen  ai»  Minj^l  AltMitllcher  Anzeigen  divon.  clwlFni  durch  ein  ge- 
drocklM  Procramm  lul  Kfolen  der  Unlvenllil  ininkiiivdl|pn  pOcste.*  (Oeh.  Ktiratel  m 
Uni«.  Ins.  na  II  Juli  179)   Univ.  Aitfa.  B  4j 

■)  V4im  tl.  Hai  1781. 


482 


PMhttiid  Lorenz. 


angeschuldigten  Buchhändler  Krüll  verleidigte,  daß  er  unter  Uni- 
versitätsjurtsdiktion  stehe  und  ffir  eine  Schrift  Prof.  Spengels  ein 
Zertifikat  der  theologischen  Fakultät  erhallen  habe,  entflüinmte 
die  Zensurräle  zum  Zom.  Von  der  beabsichtigten  Liieratur- 
zeitung  befürchteten  sie  die  Verbreitung  von  Gedanken,  wie 
sie  Lorenz  Hübner  in  der  oberdeutschen  hegte.  Das  Beispie) 
Heidelbergs  und  anderer  Universitäten  sei  für  Ingolstadt  ohne 
Belang,  ..weil  gewiß  ist,  daß  bei  einer  anderen  als  bloß  aka- 
demischen Ccnsur  -  wo  bekannilicli  kein  Mitglied  des  lieben 
Friedens  wegen  sich  klüger  als  ein  anderes  dünken  will  -  weder 
das  so  viel  Lärm  machende  Protluct  des  Heidelberger  Professor 
Wedekind')  noch  so  viele  andere  von  deutschen  Universitäten 
ans  Licht  gekommen  sein  würden,  worüber  jetzt  Kirche  und 
Staat  seufzen." 

Und  wieder  geschah  ein  wechselvolles  Spiel.  Die  Ver- 
ordnung vom  7.  Juli  1794  hatte  kaum  das  Recht  der  Zensur 
verslattet,  als  es  die  vom  26.  d.  M.  wieder  benahm.  Nicht  ein 
Jahr  verging,  da  wurde  es  von  neuem  erteilt.*)  Zwar  durfte  das 
Kolleg  die  Bücher  einsehen,  doch  sollten  alle  jene  Bücher  ohne 
nochmalige  Zensur  erlaubt  sein,  »die  in  der  gelehrten  Well  und  von 
ganz  Deutschland  mit  einem  entschiedenen  Beifall  aufgenommen  sind 
und  wahren  inneren  Werth  haben,  oder  die  von  einem  Ordinariat 
oder  von  einer  Universität  oder  anderen  zuverlSssigen  Slellea  im 
katholischen  Auslande  mit  Recht  gu^eheißen  worden  sind  und 
sonst  von  einem  bewährten  Druck-  und  VerJagsoric  kommen.* 
Die  Sclbstzcnsur  wurde  der  Universität  ausdrücklich  zurückgcgcbetu 

Bald  wurde  den  Professoren  auch  diese  zu  langwierig.  Als 
Franz  von  Paula  Schrank  und  Karl  von  Hellersberg  1799  mit 
den  ..Litlerarisclien  Ephemeriden"  Ernst  machen  wollten,')  wandten 
sie  sich  an  den  Kurfürsten  mit  der  Bitte  um  volle  Zenaur- 
frciheit  Erfüllung  trauten  sie  Max  Joseph  zu.  Da  jedoch  Westen- 
rieder  die  Sache  in  die  Hand  bekam,  in  einem  «unziclsctzlichen 
Antrag"    erat    die    Grundsätze    kennen    zu    lernen    empfahl   und 


■I  WedtUnd  «if  «in  Vorklmplcr  lEllfpöiEr  Duldune. 

>)  Am  6.  Mal  1795     Oinc  und  die  vothcrsrii.  Vcronlnunir  auch  brl  SrydH  I,  1^4 

•)  M.  K.A.  T»/)«:  /«itKhnften.    PrinU  lt.  69dj  nennt  Sdinnk  Hnen  .luA*ra*irab- 

utncn  U«nn,  »rlclicr  «uch  rt!dilidi  in  IKtcrarfidwai  Lcütlnnitn  *kh  bcthtUctc*    Er  w 

Bounlkcc,  HdlcntKru  Jurial. 


I 


I 


zweideutig  forderte,  die  Ephemerideii  «von  der  Censur  nicht 
auszunehmen,"  zogen  sich  die  Supplikanten  wieder  auf  die 
Zensurfreiheit  der  Universität  rurück. 

Westenrieder  erklärte  nun,  er  habe  nur  das  Interesse  der 
Universität  im  Auge  gehabt.  Ihr  Privilegium  würde  durch  einen 
Präzedenzfall  von  höchster  Stelle  zu  erwirkender  Befreiung 
bedroht  Er  habe  von  vornherein  die  Professoren  in  diesem 
Falle  als  Privatschriftsteller  nicht  mißkannt  und  sie  als  solche 
behandelt  wissen  wollen,  wenigstens  bis  man  sehe,  wie  ihre 
Schriften  beschaffen  wären.  Seinetwegen  könne  man  den  beiden 
persönliche  Freiheit  bewilligen,  falls  die  Universität  nichts  da- 
gegen habe. 

Aber  das  lange  umklammerte  Recht,  das,  wie  wir  beim 
Buchhandel  sahen,  erst  1801  beseitigt  wurde,  sollte  auch  hier 
wirksam  bleiben:  am  t.  März  ISOO  wurden  dem  Buchhindler 
KnJll  die  Pflichtexemplare  abverlangt. 

Da  erließ  nun  Schrank  die  geharnischte,  im  ersten  Satz 
unrichtige  Antwort;  »Mich  wundert,  wie  man  zu  München  affek- 
tiren  könne  nicht  zu  wissen,  daß  die  Professoren  an  der  Universität 
niemal  ein  anderes  Censur  Forum  gehabt  haben  als  die  Universität 
selbst.  Die  Herausgeber  der  Ephemeriden  haben  auch  nie  etwas 
anderes  nachgesucht  als  die  Exemtion  auch  von  diesem  Forum, 
und  das  nicht  von  einer  untergeordneten  Stelle,  sondern  von 
Seiner  Kurfurstl.  Durchlaucht  selbst.  Daß  die  Sache  einen  anderen 
Gang  genommen,  geschah  bloß  aus  Unverstand  ..." 

Den  Frieden  brachte  die  Verordnung  vom  29.  April  1800 
an  die  Kommission:')  uDamit  Unsere  über  die  ErtheÜung  des 
gewöhnlichen  Imprimatur  bey  den  in  den  heroberen  Landen 
gedruckten  Schriften  unterm  14.  März  d.  J.  erlassene  Verordnung 
zum  Naehtheil  der  Unserer  Universität  gnädigst  bewilligten  Censur- 
freiheit  nicht  mißverstanden  werden  möge,  so  erklären  wir  die- 
selbe dahin,  daß  zwar  zur  Beybehaltung  der  Gleichförmigkeit 
auch  in  Ansehung  sämmllicher  von  erwähnter  Unserer  UniversiÜt 
oder  ihrer  Mitgliedern  herauskommenden  Schriften  jedesmal  das 
Imprimatur,  welches  auf  die  Rückseite  des  Blattes  zu  setzen  ist, 
nachzusuchen,  dieses  aber  von  der  Universität  selbst  dergestalt 


■)  M.  K-  A  neu 


.J 


F- 


Privatsckrütstelleii    Dies   ist 
kr'm  rfer Zeit  der 


IM  MdhModerdMfta  M  wrUrai.  (e 
»PlrtnbGfcflAMetttr'  flMbr  oder  pui^tr  Rfcliir  zsfaä&glL 

r>k  BiOe  KlekiiiMyiM.  Mtoc  KkA 
dtr  Oqptndai  nAd  Sbdt  jovarü  mr  .als  OednkcB  a  htm- 
tdk%  dfe  voa   einem    prival   .Mann    faaicot&aten,   der 
OcwiM  dft  Abtklit   hH,  Macbtsprücbe  zu  geben  oder 
wer  et  inmer  »eye.  an  den   Befugnissen  zu  vcricäraea,-  kan* 
/<khnddieAiifEMwnK,dienun  bei  den  mafigcbcnden  SkUcn  begle. 

ElOC  eigene  Beleuchtung  erfährt  der  Begriff,  Teno  er  auf 
etnen  Staatodlcncr  angewandt  wurde,  der  auch  von  Amts  wegen 
»ich  tchriftitdlcriidi  beUtigen  mußlc.  Dessen  Werke  sind  daher 
icil»  offiziell  ticbersiellende  teils  beratende,  vorschlagende,  wissen- 
ftchaftlich  forlbiklcndc  Darlegungen  noch  werdender  oder  durch 
lange  Vergangenheit  verdunkelter  Zustände.  So  wurde  dem 
Oberregicrungurat  Krenner  1 794  erlaubt,  seine  Schrift  über  Land-, 
Mofmark»-  und  Dorfgerlchle  in  Bayern  als  .Privatmeinung*  zu 
drucken,  um  den  Diplomatikern  und  Historikern  zur  Prüfung 
Oelcgenheit  2U  geben.')  Im  gleichen  Jahre  wurde  die  Geschichte 
I)  M.  K.  A.  tw/a»;  HUM-  rieh, 


I 

I 


Zur  Oechichte  der  Zensur  und  des  Schriftweens  in  Bayan.     485 

Donauwörths  von  Stocker  der  Oberlandcsregierung  zur  Begut- 
achtung iibermiltelL")  Diese  hielt  die  Prüfung  für  überflüssig, 
Inda  ein  Privalschrif {steiler  Höchstdero  landesherrlichen  Gerechl- 
sarac  so  wenig  etwas  geben  als  benehmen  kann." 

Neue  Meiniings Verschiedenheit  über  die  Rechte  privater 
Tätigkeit  rief  das  Streben  hervor,  nicht  nur  durch  das  geschriebene, 
sondern  auch  durch  das  lebendige  gesprochene  Wort  neuen 
wissenschaftlichen  und  ethischen  Errungenschaften  zu  dienen. 
Art  und  Mittel  der  Erstehung  wollte  man  weiterbilden. 

In  Nürnberg  war  schon  1794  Daniel  Qoeß  Privatlehrer 
der  Philosophie  und  gab  eine  „Darstellung  der  Kantschen  Ver- 
nunft Kritik."')  In  den  Reichsstädten  waren  die  Feuer  nie  er- 
loschen, die  nach  der  pohtischen  Eingliederung  das  ganze  Land 
öberstrahlten,  nachdem  schon  vorher  die  Funken  weit  über  ihren 
Herd  gestoben  waren. 

Auch  in  München  wurde  man  mitteilsam,  als  die  Stadt  den 
neuen  Kurfürsten  tn  ihren  Toren  aufgenommen,  W.  Rothammer 
wollte  poliUsche  Vorträge  hatten.*) 

Weslenrieder  war  rallos.  Er  forderte  die  Kollegen  zum 
Urteil  auf  über  diese  philosophisch- politische  Vorlesung,  ob  der 
Druck  der  Ankündigung  2u  gestatten  oder  die  Vorlesung  selbst 
zur  Einsicht  zu  fordern  sei,  ..indem,  da  schon  die  Auswahl 
des  Gegenstandes  etwas  Sonderbares  zu  sein  scheint,  in  der  Aus- 
führung desselben  noch  etwas  Sonderbareres  vorkommen  und 
die  Bücher  Censur  compromittiret  werden  dürfte.* 

Rat  Mann  entschied,  das  Imprimatur  auf  die  Ankündigung 
zu  erteilen,  die  Entscheidung  über  öffentliche  Vorlesungen  indes 
der  höchsten  Steile  zu  überlassen.  Babo  pflichtete  bei,  die  Ein- 
ladung könne  fiffentlich  durch  Druck  geschehen,  ..sonst  wäre 
ich  mit  einem  Bericht  ad  Intimum  wegen  der  vielen  Bedenkltch- 
kciten,  die  man  dergleichen  Privatunterricht  in  Vorlesungen  im 
Onind  entgegenstellen  kann,  verstanden." 

Das  geheime  Ministerialdepartemcnt  wurde  mit  der  Sache 
betraut  —  und  die  Genehmigung  nicht  erteilt  Und  doch  hat  gerade 


)|  M.  K  A.  TM/1. 

■)  M.  K.  A.  »t;iS:  Catol   l   p. 

q  M  K.  A-  miu- 


Ferdinand  Lorenz. 


Morauntzky  die  Rechte  eines  Privatschriftstellers  spitcr  jedwelchem 
Beamten  zugesprochen  und  dadurch  die  ganze  Kontroverse  gegen- 
standslos gemacht. 

Westenriedcr  wollte  sich  soweit  nicht  verstehen.  Eine  Er- 
scheinung machte  ihn  bedenklich,  auf  die  wir  großen  Nachdruck 
legen.  In  vollem  Umfang  zeigte  sich  in  der  Geistlichkeit  das 
Streben  nach  sittlicher  Durchbildung  und  einem  geläuterten 
Christentum,  das  im  Leben  Früchte  tragen  sollte.  Möge  der  ein- 
schlägige Bericht  Wcstcnrieders  ans  geh.  Minislcrialdepartement 
vom  29.  Juli  1802  hier  folgen:') 

uDer  hiesige  Professor  und  Schulrcclor  Cajetan  Weiler  hat 
auf  seinen  Vorschlag  die  ErlaubniB  erhalten,  an  den  Sonnt^cn 
abwechslungsweise  untnittelbar  nach  der  Messe  und  an  dem  Orte, 
wo  diese  gelesen  wurde,  in  seiner  Kleidung  seinen  Studenten 
Moralreden  vorlesen  m  dürfen.  Diese  hat  er  denn  auch  wirk- 
lich gelesen,  und  nun  will  er  sie,  wie  er  sie  las,  auch  in  den 
Druck  legen  lassen.  Sein  Verleger  Lindauer  schickte  10  Stücke 
zur  Censur  ein.  Den  6  ersten  Reden  wurde  als  unanstößigen 
Vemunftreden  das  Imprimatur  ohne  Anstand  ertheilt.  In  Betrcf 
der  4  übrigen  aber,  besondere  der  7  und  Sien,  urlheilten  die 
bei  der  Böcher  Censur  angestellten  zween  uneingenommenen 
Rälhe  Klein  und  Maximus  Imhof  als  Theologen,  daß  besagte 
Reden  iinläugbar  alles  nicht  bloß  katholische  sondern  christliche 
Dogma  schlechterdings  verkennen  und  ausmlrzen.  Das  bei- 
liegende von  gedachten  beiden  Räthen  unterschriebene  Original- 
votum,  aus  dem  sich  kein  Auszug  mehr  machen  läßt,  enthält  das 
Mehrere. 

Da  die  Sache  in  mehr  als  einem  Betracht  unendlich  ernst- 
haft und  bedenklich  ist;  da  ferner  kein  öffentlicher  Lehrer  in 
Religions  Sachen  behigl  ist  und  sein  kann  als  Privatmann,  falls 
er  als  solcher  eine  besondere  Überzeugung  für  sich  erhalten  zu 
haben  meinet,  aufzutreten  und  etwas  anderes  in  wesentlichen 
Dingen  zu  lehren  als  was  er  bei  seiner  Anstellung  mittels  des 
vollständigen  und  gnädigsten  Vertrauens  des  Landeshcmi  zu 
lehren  übernominen  und  versprochen;  da  endlich  in  betreff  der 
7   und  8ten  Rede  eine  Verbesserung  schweriich  möglich   ist,  da 

^  M.  K  A.  7U]i. 


Ä 


Zur  Oeschichte  der  Zensur  und  des  Sehriftwesens  in  Bayern 


titl.  Wdler  des  Auffallenden  und  Anstößigen  in  seinen  Reden 
wahrscheinlich  sich  nicht  mehr  (von  vielem  Hineindenken  in  sein 
System)  bewußt  ist:  So  ist  Unterzeichneter  der  unzielsetzlichen 
Meinung,  daß  diese  Sache  ohne  Geräusch  beigelegt,  daß  die 
Herausgabc  der  4  letzten  Reden  eingcstclli  und  daß  kfinftiges 
Schuljahr,  da  der  Gottesdienst  in  der  ehemaligen  Camieüterkirche 
gehalten  wird,  mit  Hinweglassung  der  weilerischen  Vernunftreden 
(welche  an  die  ehemaligen  Pariserreden  erinnern  möchten)  katho- 
lische  Predigten   und  keine  andern  angeordnet  werden  sollen." 

Das  wohne  Geräusch  beilegen"  leuchtete  Morawttzky  ein. 
Zudem  übersandte  Weiller  eine  Vorerinnerung,  die  alles  beseitigte, 
was  gegen  die  Lehre  der  katholischen  Kirche  von  der  Gnade  hätte 
anstößig  scheinen  können.  Morawilzky  bemerkte  auf  der  Meldung  des 
Referendars  von  Zentner:  -Soviel  ich  einsehen  kann,  so  können  sich 
mit  den  am  Ende  der  Vorerinnerung  imterstfiehenen  Worten  . .  . 
die  rüstigsten  Orthodoxe  begnügenj  ja  noch  mehr  die  Katholische 
als  selbst  die  Protestantische  Orthodoxen,  welche  nach  dem  be- 
kannten älteren  Schuistreit  die  Werke  nach  der  Erlösung  für  un- 
wirksam erklären,  mithin  die  ganze  Heüsordnung  außer  der 
Sphäre  des  zu  Heilenden  setzen."  -  Das  Imprimatur  wurde 
erteilt! 

Weiüers  Tat  erinnert  an  das  Verlangen  von  Fingerlos') 
nach  einer  systematischen  volkstümlichen  Religionsbelehrung,  der 
auch  die  Zeremonien  als  symbolische  Bilditngsmittel  sich  unter- 
zuordnen IwHen:  uDiese  Stunden  dürfen  auch,  nachdem  in  ihnen 
die  übrigen  vorschriftsmäßigen  kirchlichen  Ceremonien  sind  ver- 
richtet worden,  zu  nichts  anderem,  nicht  zu  Rosenkränzen,  Lita- 
neien, Kreulzgängen  u.  s.  w.,  nicht  einmal  zu  Katechisation  für 
Kinder  verwendet  werden." 

Man  kann  hier  auch  erinnern,  daß  Sailer  als  Professor  in 
Landshut  ein  für  alle  Landessöhne  obligatorisches  Religions- 
kolleg  las.  ^) 

Philosophischen  Unterricht  betraf  die  fortschrittliche  Ver- 
ordnung vom    IJ.  Dezember  1803,^)  also    nach    Aufhebung  der 


")  Woai  sind  Qdsllicheda?    S.  MH. 
*)  Annalen  drr  Iciilcmlai  Mcnidiltinl,  IM\ 
t  M.  K.  A.  74ifiil.  -  den  Prof.  S*l«t  brtr. 


4S$  Fettinand  Lorenz. 


Kommission.  Dem  Pagerielehrer  Ferdinand  Mahir  wurde  erlaubt, 
Liebhaber  und  Wißbegierige  bei  sich  zu  versammeln  und  über 
literarische  OegensUnde  ohne  N'ersiumnis  der  Berufsgesehäfte 
sich  frei  mil  ihnen  zu  benehmen.  Doch  solle  er  keine  formtcHe 
Schule  bilden.  Noch  einige  Tage  vorher  war  die  Verteilung 
einer  gedruckten  Ankündigung  verboten  worden,  weil  sie  die 
Naturphilosophie  zu  sehr  in  den  Vordergrund  gestellt  hatte.  Und 
doch  glaubte  AUhir  auf  diese  Weise  vor  dem  Generalschuldirek- 
torium sich  auszeichnen  zu  können. 

Am  30.  August  endlich  legte  Morav^itzky*)  zugunsten  des 
vom  Hofgericht  verfolgten  Professors  Salat  das  entschiedene  Be- 
kenntnis ab:  .Es  thut  auch  nicht  zur  Sache,  daß  ein  Professor 
Verfasser  [dieser  Schriften]  sein  soll.  Durch  Übernahme 
dieses  Amtes  hat  er  die  Rechte  des  Schriftstellers  nicht 
verloren.« 

Die  spezifische  Bezeichnung  » Privatschriftsteller*  kam  ab. 
Auch  den  Staatsdienern  engte  die  Rücksicht  auf  ihr  Amt  das 
Gewissen  nicht  mehr  ein.  Als  die  neue  Organisationsakte  der 
Universitäten  das  Privatdozententum  olfizieli  zuließ,  b^ann  man 
den  Meinungsstreit  zu  vergessen,  den  die  B^eichnung  »privat* 
eine  Zeitlang  hervorgerufen  hatte.  Jenes  Wort  begriff  nun  ein 
äußeres  Merkmal,  nicht  mehr  die  Art  der  Lehre  und  ihres  schrift- 
lichen Niederschlags. 

Die  Zensurgeschichte  spielte  weiter,  nachdem  die  Behörde 
beseitigt  war,  deren  Wirken  als  Kolleg  und  Kommission  vor- 
liegende Untersuchung  hauptsächlich  galt 

Abfällige  Urteile  über  Zensurwesen  aus  verschiedenen  Zeilen 
sehen  sich  merkwürdig  ähnlich.  Wir  sind  im  Laufe  der  Dar- 
stellung dem  Gedanken  mehrfach  begegnet,  den  der  sächsische 
Staatsminister  von  Friesen  in  den  «Erinnerungen  aus  meinem 
Leben"  mit  Bezug  auf  das  Jahr  1848  ausführt  daß  die  Zensur. . 
«nur  dazu  diene,  die  verflachenden  und  zersetzenden  revolutio- 
nären Elemente  in  der  Litleratur,  die  alte,  auch  die  verwerflichsten 
Mittel  und  meist  mil  Erfolg  versuchten,  um  die  Zensur  zu 
täuschen  und  Haß  und  Verachtung  gegen  die  Regierungen  zu 
verbreiten,   mit  einem   gewissen,  ganz  unverdienten  Nimbus  zu 


■}  M.  K.  A.  7111».:  den  Prot.  SaU(  Mi. 


Zur  Geschichte  der  Zensur  und  des  Schriftresens  in  Bayern.       439 

umgeben  und  dadurch  ihr  vergiftendes  Treiben  erst  recht  gefähr- 
lich zu  machen.« 

Es  ist  nichts  anderes,  wenn  Oentz  dem  König  von  Preußen 
zurief:  »Die  nüchternsten  Scribenten  fangen  an  für  helle  Köpfe 
zu  gelten,  und  die  feilsten  erheben  sich  auf  einmal  zu  Märtyrern 
der  Wahrheit" 

Die  Sprödigkeit  und  Unzulänglichkeit  von  Zensurverord- 
nungen erschwert  deren  Auslegung  und  Anwendung  und  muS 
bei  engherzigen  Richtern  alle  Teilnehmer  des  Schriftwesens  in 
den  Rechten  verkürzen,  die  in  der  Freiheit  und  in  der  Wahrheit 
wurzeln. 


Archiv  für  Ku[turi;eschidite     [I.  31 


Requisitionswesen  und  Fouragierungen 

in  der  Schwarzburgischen  Unterherrschaft,  1761. 

Von  GUSTAV  SOMMERFELD!. 


Nach  dem  Erfolge,  den  die  Preußen  und  Hannoveraner 
unter  den  Generalen  von  Syburg  und  von  Spoercken  am 
IS.  Februar  1761  in  dem  Gefecht  von  Langensalza  über  die 
Franzosen  davongetragen  hatten, ')  die  infolgedessen  auch  zeit- 
weilig auf  Kassel "}  zurückgingen,  war  Thüringen  in  kurzem 
wieder  den  verderblichen  Heereszflgen  der  Franzosen  preis- 
gegeben.*) General  Malmaison  lag  mit  1000  Mann  Dragonern 
und  Infanterie  in  der  Zeil  vom  23.  Oktober  bis  1 1.  November  176t 
in  Langensalza.*)  Das  Hauptquartier  jedoch  wurde  die  Stadt 
Mühlhausen.  Hieriier  mu!3te  nicht  nur  die  Langensafzacr 
Bürgerschaft  Palisaden,  Faschinen  und  anderes  Belagerungsgerit 
in  betrichtlichen  Mengen  liefern,»)  sondern  auch  Getreide,  Heu, 
Stroh,  Magazingegenstande  aller  Art  wurden,  soviel  man  in  den 
thüringischen  Landschaften  davon  erlangen   konnte,  nach  Mühl- 


I 


)]  L.  V.  Slchart.  Ondildnc  du  Wliil(lldi  Htnnov;ncti«  \natt ,  tll,  Abt  I. 
Hinnovcf  iS70,  S,  lM-2u.  A.  Rüb»i.m«n.  Du  FQnImmni  Schv^iciburc-ItDdolitMll  im 
ilcb<nphriji«n  KricKC.     RudoMidl  IIOQ.  5.  :&. 

*>  K.  V.  d.  Kntielicck.  rcnjinan^,  HrnOB  lu  Biauntchwelg  und  LOacbars, 
vfhrcnd  dcc  ticbmjJUtriEcn  Kri«2**'    ".  Hminnvcr  tes8,  S.  21fr— !4I. 

t)  Vg\.  für  die  SchTtnburc^tche  Unlerli«fnclu(t  £.  SehoeBaa  tnt  rtankctiUiu«r 
IniFUidoiibliii.  Jb-  »ig,  Nr  JT-3». 

1  K.  W.  V,  ScIiAnlns,  0er  (idwnjllirise  Kri«it  nuh  der  OneiDalkorrttpOMkiu 
rtiedrichs  dM  Orolkn  nc  HE.  PoodtTn  1SK,  S  tl-i»  O  u.  tl.  SctiatE,  ChronDi  der 
Sudt  LjiiernMiza.  IMO,  S.  3SB,  «D  onrlchdc  ■Onndnitlion-', 

'1  Schflix.  ■.  a.  0„  S.  ua.  rr,  V.  E.  Lchminn,  DIt  Oocliicbte  dtr  SiMit 
Kdbrj  «,  K.    HiUc  )»<» 


Requisit!  onsvesen  und  Fouragieningen.  49i 

hausen  zusammengebracht.  So  erließ  der  Marquis  de  Lamberth, 
Generalquartiermeister  der  Armee  zn  Mühlhauscn,  ein  vom  25.  Ok- 
tober 1 761  datiertes  Edikt  an  die  fürstlich  schwarzburgische 
Regierung  zu  Franke nhausen,  das  die  bevorstehende  Ankunft  des 
Juden  Samuel  Aaron  ankündige,  der  beauftragt  war,  im  Umkreise 
der  ganzen  Landschaft  Getreide  zu  einem  solchen  Preise  aufzu- 
kaufen, wie  er  bereits  auch  mit  der  Behörde  zu  Sondershausen 
vereinbart  halte.')  ~  «Mühlhauscn,  den  25.  Octobris  1761.  Meine 
Herren!  Ich  habe  die  Ehre  Ihnen  zu  berichten,  dass  der  be- 
nahmte Samuel  Aaron,  Bevollmächtigter  des  Herrn  Hirsch  Behr, 
welcher  Ihnen  diesen  Brief  überantworten  wird,  befehliget  ist  in 
dem  Umkreise  Ihrer  Landschaft  Getreide  einzukaufen.  Ich  habe 
also  die  Ehre  Sie  zu  bitten,  die  gemessenste  Ordre  zu  erlheilen, 
damit  Ihre  Einwohner  ihr  Getreide  ausdrescheii  und  es  ihm  um 
den  jet2t  gewöhn  liehen  Preis  verkaufen  nach  der  Einrichtimg,  die 
er  mit  der  Regierung  zu  Sonde rsliausen  getroffen  hat.  Dieses 
Getreide  muß  in  das  königliche  Magazin  nach  Mühlhausen  ge- 
bracht werden.  Ich  bin  überzeugt,  daß  Sie  zu  dieser  Einrichlung, 
die  zum  Nutzen  Ihres  Landes  gereichet,  desto  williger  die  Hand 
bieten  werden,  weil  Sie  sonst,  wenn  Sie  es  nicht  thun,  sich  in 
den  Fall  setzen  werden,  daß  Ihnen  durch  besondere  Trouppcn- 
abschickung  Ihr  Getreide  weggenommen  werde,  und  wenn  es 
gleich  bezahlt  würde,  dennoch  es  viel  Ungelegenheil  Ihnen  ver- 
ursachen könnte.  Ich  habe  die  Ehre  mit  besonderer  Conside- 
ration  und  Hochachtung  zu  seyn,  meine  Herren,  Ihr  unterthänigst 
gehorsamer  Diener  le  marquis  de  Lamberth.  aide  mar^chal  g^nfral 
des  logis  de  l'armfe." 

Der  Bürgermeister  Martin  Ritter  zu  Franken Iiausen  und  der 
Syndikus  Johann  Friedrich  Müldener*)  nahmen  sich  infolge  eines 
Befehls  der  schwarzburgischei  Regierung  vom  gleichen  Tage  der 
Durchführung  der  spezielleren  Maßnahmen  in  dieser  Angelegen- 

1}  Sladlarchiv  ra  Fr(nliaih>ti«cn ,  Fach  A  3i  Act«  den  Koiiiniuidxnlen  tu  MM- 
Itfnten  bÄreltnid,  i'fil.  Vgl.  in  allgnrulnfii  noch  AnfmAller,  Johann  Friedrich,  Fünt 
lu  Schvinbaif-Kuddttutc.  ^11l~^}t1.  Kudohtidl  UM.  R.  Jorilin,  D«  Cbcrsme 
der  kaiMTl.  freien  Reich ifMiIl  Mohlhiutcn  «i  PrcuOcn.  1807.  roUchiitt  üet  Sladi  MQhl- 
bMien  )9M,  S,  1311. 

*)  Einen  Abriß  dtr  leben ibodirefbiiin  dion  ■vcidknlen  fianltenhäuitn ,  dir  lu- 

gt«kh  all  hiilorisdirr  SchriilsIcLl«  rinr  Rc:]hr  li>lulj{r>chi<hllgchcr  -und  (mnloeiuhec  Ab- 
Ikindlungfn  \cr£ff<n(llchu,  bu  F..  Schocniu  In  -AUgtinrlnc  dmtseh;  BiogniphI«*  31, 
S,  4»-4U  ergeben. 

3t' 


^ 


492  Qustav  Sommerfeldt. 


heitan.  Es  bedurfte  indessen  nochmaliger  Mahnung  der  schvarz- 
burgischen  Regierung  an  die  Bürgerschaft,  ehe  diese  sich  eni- 
schloß  ein  Kapital  von  1000  Talern,  das  ihr  der  Hofrat  Wemer 
in  Frankenhausen  vorschoß,  aufrunehmen  und  zum  Ankauf  zu 
verwenden. 

Die  Regierung  hatte  am  3.  November  verfügt:')  „Unsere 
freundliche  Dienste  zuvor.  Achtbare  und  wohlweise  gute  Freunde! 
Was  wir  wegen  ZusammcTibringung  der  Mühlhäussischen  Fourage- 
gelder  unterm  22,  Februar  a,  c.  an  Euch  rescribiret,  dessen  seyd 
Ihr  sonder  Zweifel  noch  wohl  eingedenk.  Naclidem  nun  dem 
Vernehmen  nach  diese  Gelder  noch  immer  nicht  völUg  einge- 
gangen, und  dtessfalls  von  denjenigen,  die  mit  ihren  Forderungen 
darauf  vertröslel  worden,  verschiedentlich  Beschwerde  geführet 
wird,  als  ist  an  des  durchlauchtigsten  unsers  gnädigsten  Fürsten 
und  Herrn  statt  unser  Begehren  hiermit,  Ihr  wollet  sothancn 
unserm  Rescripto  annoch  sonder  Anstand  nachgehen,  oder  warum 
solches  nicht  geschehen  könne,  berichten.  Wir  versehen  uns 
dessen  also  und  sind  Euch  übrigens  freundlich  zu  dienen  willig. 
Datum  Frankerhaussen,  den  3.  Novembris  1 762.  Forstlich 
Schwartzburgische  Regierung  verordnete  Vicecanzlcr  und  Rithe. 
Sommer." 

Am  6.  November  waren  die  erforderlichen  Mengen  Roggen 
und  Weizen  bereitgestellt,  denn  zum  gleichen  Tage  heißt  es  in 
einer  dem  Frankenhäuser  SudtkAmmerer  Fischer  erteilten  Voll- 
macht: »Vorzeiger  dieseSn  Herr  Kimmerer  Johann  Christoph 
Fischer  ist  befehliget,  auf  hiesigen,  zu  der  fürstlich  Schwartzbuig 
Rudolst-idtischen  Unterherrschitft  Landen  gehörigen  Ort  reparlirles 
Quantum  an  100  Scheffel  Roken  und  Tunffzig  Scheffel  Waitzen 
Nordhäusischen  Gemäses  in  das  königlich  Franzüsisdic  Magazin 
zu  Mühlhausen  abzuliefern  und  die  accordirte  Bezahlung  dafür 
in  Empfang  zu  nehmen,  wcshalben  denn  jedermann  geziemend 
ersucht  wird,  denselben  nebst  bey  sich  habenden  Personen  frey 
passiren  und  repassiren  zu  lassen.  Frankenhausen,  den  6.  No- 
vember 176t.     Bürgermeister  und  Rath  alda." 

Mehr  Umstände  machte  die  Lieferung  von  20000  Rationen 
Hafer,  Heu  und  Stroh,  die  der  Rcgimcntsquarticrmcistcr  Lattcux 

<)  SadUrthiv  Frank cnhiuiBi.  ehoida- 


I 


Rtqiii&ilionsa'cscn  und  Fouragieningen.  493 

des  Regimenis  du  Haynault,  welcher  am  24.  November  persön- 
lich in  Franken  hausen  erschien,  der  Rudolstädler  Unterherrschaft 
auferlegte.  Nachdem  1*000  dieser  Ratioaen  in  Mflhlhatisen  end- 
lich eingeliefert  waren,  mußte  wegen  des  Rests  Zuangsbeilreibung 
erfolgen.     Müidener  hat  darüber  folgende  Aufzeichnung  gemacht: 

«Actum  Franckenhausen,  den  2.  Decembris  1761.  Nach 
12  Uhr  Mittags  nickle  der  königlich  Frantzösischc  Capilaine  de 
Bernardc  mit  40  Mann  leichten  Dragonern  vom  Regiiiienl  Volon- 
tairs  du  Haynault  in  hiesige  Stadt  ein  und  sofort  vor  des  Herrn 
Raih  und  Amtmanns  Dr.  Striives  Haus,  alwo  derselbe  sofort  die 
Eröffnung  that,  dass  er  Ordre  habe  die  ermangelnden  6000  Ra- 
tionen Hafer  und  Heu  von  hiesiger  Sladt  und  Lande  beyzu- 
treibcn,  und  dass  7ii  deren  Transportirung  ohne  den  geringsten; 
Anstand  die  behörige  Veranstaltung  getroffen,  auch  in  jedes  Stadtthore 
sogleich  verschlos&en,  exclusive  des  Wasserthors  2  Mann  Bürger- 
wache  gesteht  werden  sollte.  Wie  nun  dieses  Letztere  sogleich 
befolget  worden,  also  hat  auch  hierauf  der  Herr  Capitaine  sein 
Quartier  nebst  20  Mann  in  dem  Gasthofe  zum  güldenen  Ringe 
erhalten,  die  übrigen  aber  sind  in  den  Gasthof  zum  rothen  Hirsch 
einquartirel  worden-  Eodem  Abends  gegen  5  Uhr  befahl  auch 
der  Capitaine,  daß  vom  Rath  und  Amt  200  Schaufeln,  200  Äxte, 
200  Pikken  nach  Mühlhausen  geliefert  und  jetzo  mittransportirt 
werden  sollte,  wobey  er  befohlen,  daß  die  Stadt  50  Stück  von 
jeder  Sorte  liefern  sollte.  Weshalber  in  contJnenti  durch  die 
Rathsdiener  von  Hauß  zu  Haiiß  angesaget  worden,  daß  bey 
S  Reichsthaler  Strafe  derjenige,  welcher  dergleichen  habe,  aufs 
RaihhauH  liefern  sollte."  „Franckenhausen,  den  3.  Decembris  1761. 
Vormittags  nach  9  Uhr  sind  von  hiesiger  Stadt  3  vierspännige 
Wagen,  I  dreispänniger  Wagen,  I  zweispänniger  Wagen,  9  zwei- 
spännige  Käme  mit  775  Rationen  Hafer,  I80  Rationen  Heu  und 
61  Stück  Schaufeln,  Hakken  und  Äxten,  auch  I^kkcn  auf  Mühl- 
hausen abgegangen,  worauf  auch  der  Herr  Capitaine  de  Bemardt 
mit  seinem  Delachement  sogleich  aus  hiesiger  Stadt  wieder  fort- 
marchiret.    Nachrichtlich  Joh.  Friedr.  Müidener,  Syndicus." 

Unterm  6.  Dezember  merkt  Müidener  in  derselben  Auf- 
«ichnung  dann  an :  « Acto  sind  die  sammtlichen  Geschirre, 
welche  Hafer-  und  Heurationen   nach    Mühlhausen  gefahren,  in 


494  Oustav  Sommerfeldt. 


hiesige  Sladt  wieder  zurückgekommen,  welches  nachrichüich  an- 
zumerken gewesen." 

Damit  hatten  die  Requisitionen  indessen  keineswegs  ihr 
Ende  erreicht  Zum  13.  Dezember  I76i  heißt  es  a.  a.  O.  Fach 
A2  weiter:  nAciO  Mittags  um  12  Uhr  nickte  ein  Lieutenant  mit 
15  Husaren  von  dem  königlich  Frantzösischen  Berchinischen 
Hussarertregiment  Lieulenant  Hernesy  alhier  ein  und  verlangte 
Quartier  und  Verpflegung,  worauf  dieselben  bey  Herrn  Hart- 
mannen im  Gasthofe  zum  gehami&cliten  Mann  einquarliret 
worden."  -  »Franckenhausen,  den  1+.  Decembris  1761.  Heute 
Morgen  gegen  7  Uhr  ist  dieses  Detachement  wieder  von  hier 
abgegangen.     Nachrichtlich  Joh.  Fnedr.  Müidener,  Syndicus," 

Und  endlich  ging  die  französische  Generalität  in  Mühl- 
hauaen  selbst  so  weit,  Betten  zu  verlangen,  die  von  der  schwarz- 
biirgischen  Unterherrschaft  dorthin  geliefert  werden  sollten. 
MOldener  bemerkt:  »Franckcnhauscn,  den  14.  Decembris  t76l. 
Acto  lief  eine  Ordre  von  dem  königlich  Frantzösischen  Komman- 
danten Herrn  General  Comte  de  Chabo  an  hiesiges  fürstliche 
Amt  und  Magistrat  ein,  kraft  deren  bey  Vermeidung  militärischer 
Execution  befohlen  worden,  dass  Stadt  und  Amt  binnen  zu'cymah) 
24  Stunden  JOO  Stück  Bette  für  die  Garnison  zu  gedachten 
Mühlhausen  abzulieferen,  und  sollte  jedes  Bette  in  2  Federbetten, 
worunter  eines  zur  Decke  dienlich  sey,  und  einem  Pföhl  oder 
Küsäen  bestehen,  exciusive  einer  höltzernen  Bettstelle.  Wie  nun 
hierauff  diese  Sache  bey  fürstlicher  Regfierung  in  Deliberation 
gezogen  worden,  so  wurde  daselbst  beschlossen,  dass  man  einst- 
weilen mit  tOO  Stücken  den  Anfang  machen  wolle,  wozu  die 
Stadt  30  bis  33  Stück  abzugeben  hätte.  -  Eodem  wurden 
die  sämmtlichen  Tischer  zu  Ralhhause  erfordert,  um  dieselben 
dahin  zu  vermögen,  dass  sie  in  der  Geschwindigkeit  eine  gen'isse 
Quantität  hftltzerner  Bette  machen  müssten  etc" 

Mit  dieser  Requisition  hatte  es  die  Generalität  so  eilig,  daß 
schon  am  I9,  Dezember  zur  Anwendung  einer  Zwangsmaßregel 
geschritten  wurde.     Müidener  erwähnt; 

w  Franckenhausen,  den  19.  Decembris  1761.  Heute  Mittags 
nach  12  Uhr  kam  ein  Kommando  königlich  Frantzösischer  Dra- 
goner vom   Regiment  Orl>i^ns  hierher,   und  der  dabey   befind- 


k^ 


Rcquisitionswcscn  und  Fouragtenittgen.  495 

liehe  Marechal  dt  logis  aufs  Raihhaus,  producirte  eine  Order 
nach  welcher  er  sich  erkundigen  sollte,  wie  der  Magistrat  die 
Ordre  wegen  Lieferung  der  Betten  befolget  hätte,  unter  der  Be- 
drohung, dass,  wenn  solche  nicht  wörtlich  vollstreclcet  würde, 
solche  durch  mügliche  Execution  beygetrieben  werden  würde 
Magistratus  gab  zur  Antwort,  da&s  die  Stadt  und  Amtsdörfer 
bereits  lOO  Stück  bereitete  Betten  geliefert  hätte,  und  würde  man 
Anstalt  machen,  dass  auf  den  Montag  wiederum  ein  Transport 
auf  Mühlhausen  abgehen  würde.  —  Eodem.  Nachdem  acto  hier- 
von sofort  bey  hochfürsliicher  Regierung  vom  Stadlralh  Anzeige 
gelhan  worden,  so  wurde  daselbst  beschlossen,  einen  nochmaligen 
Transport  von  tOO  Betten  zusanimcnzubiingen  und  auf  den 
Montag  nach  Miihlhausen  abgehen  zu  lassen.  -  Franckenbausen, 
den  20.  Decembris  1761.  Aclo  ist  zwar  der  Anfang  zur  Collec- 
tion  der  Betten  gemachet  worden,  allein  weil  gegen  I  Uhr  Nach- 
mittags ein  Corps  königlich  Frantzösischer  Reutere/  Dragoner 
und  Htissaren  von  300  Mann  ohngefähr  alhier  eingerücket  und 
Quartier  verlanget,  so  ist  die  Lieferung  auf  heute  verschoben 
und  dieses  nachrichtlich  anhero  regislriret  worden.  Job.  Friedr. 
MQldener.     Francken  hausen,  den  21.  Decembris  1761.» 

Die  Aufzeichnungen  des  Jahres  I76i  schließen  damit,  daS 
Möldener  bemerkt,  dieses  Korp$  Reiterei  sei  am  21.  Dezember 
morgens  9  Uhr  wieder  aufgebrochen. 

Welche  Mühe  es  machte,  die  für  alle  diese  Requisitionen 
erforderlichen  Geldmittel  flüssig  zu  machen,  zeigen  die  ebenfalls 
zahlreich  erhaltenen  RalsprotokoUc  der  Verhandlungen  des  fol- 
genden Jahres  sowie  das  nachstehende  Schreiben  der  schwarz- 
burgischen  Regierung  an  den  Frankenhäuscr  Stadtrat  vom 
27.  Februar  1762;  (.Unsere  freundliche  Dienste  zuvor.  Achtbare 
und  wolilweise  gute  Freunde!  Bey  uns  haben  der  Secretär  Land- 
graff  und  Actuarius  Arends  die  geführten  Rechnungen  über  die 
in  das  königlich  Franlzösische  Magazin  nach  Mühlhauscn  zu 
zweyen  unterschiedenen  Mahlen  gelieferten  und  respeclive  von 
dar  nach  Götiingen  transporlJrten  NaHiratien  übergeben.  Gleich- 
wie nun  daraus  die  ges.mnmlen  dieserhalb  autgelaufenen  Kosten 
und  Vorschüsse  benebst  dem  Geldbeträge  derer  zuletzt  abge- 
lieferten und  zu  MUhlhausen  nicht  bezahlt  erhaltenen  Naturalien 


49&    Qustav  Sommofeldl.    Requisitionswesen  und  Fouragimingen, 


an  Hafer  und  Heu  und  S(roh  zu  einem  Liquido  von  5119  Tlialern 
anerwachsen,  wessen  hcsondere  Ausschreibung  und  Beybringung 
um  deswillen  zu  beschleinigen  seyn  will^  damit  vorzQglicIi  die- 
jenigen ihre  Befriedigung  erhalten  mögen,  vor  welche  der  zuerst 
abgelieferte  Rocken  und  Waitzen  benebst  den  Qöttingischen 
Transportkosten  bezahlet  worden,  als  die  sogleich  nicht  verthcilet 
werden  können,  jedem  derselben  sofort  wiederum  zu  der  bald 
darauf  erfolgten  pressanten  Hafer-,  Heu-  und  Strohlieferung  die 
Nolhdurfft  erfordert,  über  dieses  aucli  die  sonst  hierzu  erborgten 
herrschaftlichen  und  andere  Gelder  fördersamst  bezahlet  werden 
mfissen,  damit  nicht  inmittelst  das  Interesse  davon  höher  an- 
wachsen als  es  zur  Zeit  in  Ansat7  kommen.  Als  ist  an  des 
durchlauchtigen  unsers  gnädigsten  Fürsten  und  Herrn  Statt  unser 
Begehren  hiennit,  Ihr  wollet  die  also  baar  anhcro  abzuhlhrenden 
963  Thaler  23  Groschen  li  4  ^o""  andern  von  der  BQrgcrschafft 
durch  Aussagung  so  viel  extraordinaircn  Termine,  als  hierzu  von 
nölhcn,  ungesäumt  zusammenbringen  und  die  Münzsorlen,  wie 
das  unterm  6.  Februar  c  a.  diessfalls  ei^angene  Re&cript  anzu- 
nehmen erlaubet,  gegen  Quiitung  anhero  einsenden.  Wir  ver- 
sehen uns  dessen  und  sind  Euch  übrigens  freundlich  zu  dienen 
willig.  Datum  Franckcnliausen,  den  27.  FebruarÜ  I762.  Zur 
forstlichen  Regierung  alliier  verordnete  Vicecanrlcr  und  Rathe. 
G.  H-  Zahn." 

Die  Unterherrschaft  mußle  im  übrigen  auch  die  erste 
Hälfte  des  Jahres  1762  hindurch  noch  mil  den  Lieferungen 
nach  MQhlhausen  fortfahren.  Diese  hörten  erst  auf,  als  das 
Kriegsuniemehnien ,  welches  Prinz  Heinrich  im  Herbst  1 762 
mit  so  glänzendem  Erfolg  nach  Franken  hin  ausführte,')  den 
Franzosen,  die  vor  den  verbündeten  Engländern  und  Hannove- 
ranern aufs  neue  nach  Kassel  hatten  zurijckgehen  müssen,  end- 
gültig die  Lust  benahm,  thüringische  Gebiete  mit  ihren  Zügen 
heimzusuchen. 


i|  Vjjl,  FriKlridKilw  Qtofteti  vorberritmiltiSdirBbai  in  Priti»  Hrirrichau»  Br«dw 
voni  16-  Min  1762  über  die  in  SchTnibuif  unil  indrrm  Ocbli'tcn  lU  crlitt>cildcn  Kontri- 
butiono),  bd  v.  SchSnine.  Der  tiebcniihriife  Kitce,  UI,  S.  i')i-    Im  *llEoi>dncii  M.  C, 

Kl  hin,  Einfall  dci  PiciiBcn  in  du  >lochi(ifl  Qunbcrg  irihirnd  dn  »«baijlhngcn  Krieg« 

im  Novcmlwr  '761  («i.   Bcridii  äti  hlirorlichn   Ve7tti\i  tu   Bamberg  v.  J.  iB't)  oiU 
t.  Reicke,  0«*clilcliie  iJtr  RtlchuUdt  MOmbnit.    NCmbnit  ilW,  S.  IWI-IOO*. 


Besprechungen. 


F.  CDtnont.  Die  Mysterien  der  Mithra.  Ein  Beitrag  zur  Religions- 
geschichte der  römischen  Kaiserzeit.  Autorisierte  deutsche  Ausgabe  von 
Geo.  Oehrich,  Leipzig,  B.  0.  Teubner,  1903  pCVl,  176  S.) 

Alb.  Dieterich.  Eine  Mithrasliturgie.  Erläutert.  Leipzig,  B.  G. 
Teubner,  1903  (X,  230  S.) 

Fr,  Cumont  hat  das  große  Verdienst,  den  Mithraskult,  dessen  hohe 
Bedeutung  für  die  römische  Kaiserzeit  man  bisher  mehr  ahnte  als  kannte, 
in  das  heilste  Licht  gerückt  zu  haben.  In  seinem  imposanten  zweibändigen 
Werk  Textes  et  monuments  figurfe  relatife  aux  mysteres  de  Mithra,  Brüssel 
1896/99,  hat  er  alle  irgendwie  erreichbaren  Quellen,  die  nicht  eben  zahl- 
reichen literarischen  sowohl  wie  die  über  das  ganze  weite  Gebiet  des 
.römischen  Imperiums  von  Tarsus  bis  zu  den  agri  decumates  der  Rhein- 
grenze  und  dem  vallum  Hadriani  im  Piktenlande  zerstreuten  monumentalen, 
gesammelt  und  auf  Grund  dieses  erstaunlichen  Materials  Wesen  und  Ge- 
schichte des  Mithraskulles  zum  erstenmal  urkundlich  genau  dargestellt. 
Der  2,  Band  enthält  die  Texte,  Inschriften  und  Monumente;  der  1 .  außer  der 
Critique  des  documents  (S.  1  -  220)  ausführliche  Conclusions  (S.  221  -  3S0). 
Letztere,  die  zusammenfassende  Darstellung,  hat  der  Verfasser  mit  Recht 
durch  eine  nur  in  Einzelheiten  umgearbeitete  Sonderausgabe  (ohne  die 
Anmerkungen)  einem  weiteren  Leserkreise  zugänglich  gemacht  (1900),  die 
bereits  in  2.  Auflage  erscheinen  konnte.  Es  ist  dankbar  zu  b^;rüßen, 
daß  der  schon  durch  treffliche  Übersetzungen  der  religionsgeschichtlichen 
Arbeiten  des  Holländers  Tiele  bekannte  P.  Gehrich  auch  dies  wichtige 
Werk  des  belgischen  Gelehrten  dem  deutschen  Publikum  nahegebracht 
hat.  Die  mit  Unterstützung  des  Verfassers  gemachte,  um  einige  Zusätze 
bereicherte  Obersetzung  liest  sich  durchweg  gut  (immerhin  ist  ein  Ver- 
gleich von  S.  121/2  mit  der  Übersetzung  bei  Dieterich  S.  86/7  lehrreich; 
störend  aufgefallen  ist  mir  S.  91  Revolution  st.  Umdrehung;  S.  142  des 
Christus  st.  Christi).  Die  Ausstattung  mit  einer  Karte  über  die  Verbreitung 
des  Kult  im  römischen  Reich  und  gut  gewählten  Beispielen  mithrischer 
Denkmäler  verdient  vollste  Anerkennung. 

Cumont  teilt  seinen  Stoff  in  6  Kapitel:  die  Anfänge;  die  Aus- 
breitung im  römischen  Reich;  Mithras  und  die  Kaiserliche  Gewalt;  die 
Lehre  der  Mysterien;  die  Liturgie,  der  Klerus  und  die  Gläubigen;  Mithras 


498  Besprecliungen. 


und  die  Religionen  des  KaisefTcichs.  Wir  lernen  den  Mithraskult  kennen 
als  eine  Abzweigung  der  MazdAlsdieii  Religion  der  Peisei  ans  der  Zeil 
vor  der  zoroastrischeii  Reform;  mit  mazdäischen  Mythen  sind  Zügt  der 
chaldaischen  Astrolheologie  verbunden,  Durch  Auswanderung  von  Magiern 
nach  KIcinasien  setzte  sich  der  Kult  in  den  hilborientalischen  Rciclica 
von  Annenien  und  Kappadozien  und  unter  den  xfüden  RAuhentämnien 
der  Kitikischcn  Berge  fest,  sich  teils  mil  dort  einheimischen  Kultidccn  be- 
reichernd, teils  einen  hellenistischen  MysterienfirtiisaimehmeHd.  In  dieser 
Form  dringt  Mithras  vom  Ende  des  1.  clirisllichcn  Jahrhunderts  an  gen 
Westen  vor,  nicht  durch  systematische  Mission,  sondern  durch  die  im 
Reich  hin  und  h«r  versetzten  Soldaten.,  die  überallhin  vordringenden  orien- 
talischen Händler  und  die  aus  dem  Orient  importierten  Sklaven  aus- 
gebreitet. Das  sich  seit  Cotninodus  geltend  machende,  unter  Diocictian 
und  wieder  bei  Julian  am  stärksten  hervortretende  Interesse  der  Kaiscr 
an  diesem  Kult  eiklän  C  daraus,  daß  seine  Theologie  besser  als  die 
irgend  einer  andern  gleichzeitigen  Religion  dem  absolutistischen  Gedanken 
ein«  götth'chen  Wesens  im  Herrscher  zur  Stütze  dienen  konnte.  Daß 
diese  übrigens  höchst  unklare,  einzelne  sublime  philosophische  Ideen  mit 
krassester  Superslilion  verbindende  Mysterienlehre  so  viele  Anhänger  zu- 
mal unter  den  Soldalen  fand  -  zcilv.-cilig  ereclieint  sie  fast  als  die  Re- 
ligion des  Heeres  — ,  erklärt  sich  neben  dem  Einfluß  von  oben  her  durch 
die  Verheißung  zuktjnfliger  Seligkeil,  die  sie  ihren  Adepten  gab.  durch 
ihre  zu  mutigem  Kampf  stählende  Ethik,  durch  die  militärähnlichc  straffe 
Organisation  in  ihren  verschiedenen  Graden  und  das  geheimnisvolle  Dunkel 
ihres  Kultes.  Schließlich  hat  Mithras  es  verstanden,  sich  niil  den  andern 
Kulten  im  Reiche  gut  zu  stellen,  speziell  mit  dem  seit  langem  anerkannten 
Dienst  der  Magna  Mater  sich  so  zu  verbinden,  daÜ  dieser  gleichsam  als 
der  zugehörige  Franenorden  erschien  und  ersetzte,  was  dem  Mithmskull 
durch  den  prinzipiellen  Ausschluß  der  Frauen  an  Einfluß  abging.  Nur 
mit  dem  Chriitentum  gab  es  keine  Verständigung:  hier  mußte  es  zum 
Kampf  auf  Leben  und  Tod  kommen.  Daß  das  Chrislentum  trotz  Julians 
Bemühungen  zugunsten  des  Mitbraskultes  gesiegt  hat,  ivill  Cuniont  haupt- 
sächlich daraus  erklären,  dall  diesem  noch  zuviel  pereiscli-orien talisches 
anhaftete;  umgekehrt  habe  das  Chrislentum  im  Orient  wenig  Erfoäg  ge- 
habt. Letzteres  ist  unrichtig:  nach  der  heftigen  Verfolgung  unter  den 
Sassanidcn  im  4.  und  3.  Jahrhundert  erhob  sich  in  Persien  eine  blühende 
nestoriinische  Kirche,  die  sich  bis  über  den  Mongoleneinfall  des  U.  Jahr- 
hunderts hinaus  erhielt.  Die  Gründe  für  den  Sieg  des  Christentums 
liegen  doch  noch  tiefer.  Cumoni  selbst  betont,  daß  bei  mancher  augen- 
ßlligen  Vcm-and tschaft  eine  fundamentale  Differenz  zwisclien  beiden 
besteht:  der  Mithraskult  bleibt  bei  aller  philosophischen  Vcrgeistigung 
und  ethischen  Vertiefung  eben  doch  Naluritull;  das  Christentum  Ist  rdne 
ethische  Religion. 

Sehr  dankenswert  ist  der  Anhang  über  die  mithrische  Kunst,  von 


I 


I 


Besprechungen.  499 


der  das  ylciche  gilt  wie  von  der  altchristlichen:  sie  will  nichl  nach  den 
ibthetischcn  Maßstäben  der  klassischen  gewerlet  sein,  sondern  ais  Aus- 
druck religiöser  Ideen.  Der  Verfasser  zeigt,  daß  die  Typen  noch  von 
hellenistisclien  Künstiem  geschaffen  winden:  die  römfsclicr  Steinmetzen 
kopierten  und  variierten  nur.  Er  macht  es  wahrscheinlich,  <ViB  attch  die 
christliche  Kunst  einige  dieser  niithrischen  Sujets  umdeutend  übernahm. 
Cumont  beklagt  S.  111  den  Verlust  aller  liturgiselieii  Schriflei 
dieses  Kultes:  Fiwenii  dn  glücklicher  Zufall  uns  eines  Tages  irgend  ein 
mithrisch«  Missale  in  die  Hände  spielte,  so  wärdcn  wir  mit  seiner  Hilfe 
diese  allen  Bräuche  studieren  und  im  Geist  der  Feier  des  Gotlesdienstes 
beiwohnen  können."  Üieser  Wunsch  schien  sofort  in  Ecfüllnng  gehen  zu 
sollen,  nicht  durch  einen  Zufall,  sondern  durch  eine  überaiie  scharfsinnige 
Beobachtung  A.  Dietcrichs.  der  einen  Text,  den  übrigens  auch  Cumont 
schon  kannte,  in  seiner  wahren  Bedeutung  erkannt  lu  haben  meint. 
Schon  188S  Iiatte  C.  Wessely  in  den  Denkschriften  der  Wiener  Akademie 
aus  einem  Pariser  Papynis  (suppl.  grec  57-1)  der  Zeit  Diokletians  eine 
Masse  Zauberbücher  herausgegebeil,  darunter  den  soe.'A.iaÖavatin>i6:  «Un- 
«terblichmachimg'.  Dieterich  will  nun  hierin  eine  von  ägyptischen  Zau- 
berern ihren  Zwecken  dienstbar  gemachte  Mithrasliturg^e  sehen,  die  Weihe 
der  Mysten  höchsten  Grades  nach  dem  Ritual  eines  ägyptischen  Mithn»* 
kultes  vom  Anfang  des  2.  Jahrhunderts.  Seine  Cumont  gewidmete  Aus- 
gabe des  Textes  auf  Qrund  einer  Nachvcrglcichung  von  W.  Kroll  mit 
Verbesserungen  von  Sudhaus,  Wendland  und  Wünsch,  soll  den  vermeint- 
lich ursprünglich  milhrischen  Text  unter  Ausscheidung  alles  zauberischen 
Beiwerks  (in  Pelilschrift)  darbieten.  Der  gründliche  für  Sprachgeschichte 
und  Realien  gleich  wertvolle  Kommentar  schien  diese  Hauptihese 
sicherzustellen,  so  bestreitbar  auch  im  einzelnen  manches  war.  In 
D.'s  Interpretation  schien  sich  der  Text  trefflich  in  das  von  Cumont  auf 
Grund  der  Denkmaler  gewonnene  Bild  des  MitliraskuUes  einzufügen;  ja 
D.  glaubte  auf  Qrund  desselben  einzelne  Deutungen  Cumonts  ergänzen 
und  berichtigen  zu  können,  Dennoch  hat  Cumont  selbst  in  der  Revue 
de  I'instniction  publique  en  Bclgiijue  XLVII,  1^04,  l -10  D.'s  Auffassung 
abgelehnt,  und  sein  Votum  verdient  die  vollste  Beachtung.  Die  Aus- 
scheidung des  „zauberischen  Beiwerks"  erscheint  ihm  willkürlich;  charakte- 
ristisch mithrische  Anschauungen,  wie  die  von  den  7  Himmeln  fehlen; 
vieles  findet  sich,  was  im  reinen  Mithraskult  unbezeugt  Ist,  In  der  Tal 
hat  D.  seine  Zuflucht  zu  einem  syiikretistischcn,  stark  ägyptisch  infizierten 
Mithraskult  nehmen  müssen,  um  altes  zu  erklären.  Cumoni  will  dafür 
lieber  bei  einer  hermetischen  Schrift  stehen  bleiben,  in  die  nur  vorn  der 
Name  Mithras  für  Serapis  cingochmuggell  sei,  um  ihr  größere  Verbreitung 
zu  geben.  Ein  Vergleich  mit  hermetischen  Stücken  bei  Stolöus  stütrt 
diese  Auffassung.  Es  ist  nicht  unsere  Sache^  hier  definitiv  zu  entscheiden. 
Der  Fall  ist  charakteristisch  lür  die  Unsicherheit  auf  diesem  Gebiet,  eine 
virkssine  Warnung,  sich    von  Hypothesen,  so   bestechend  sie  scheinen, 


500  Besprechungen. 


nicht  blenden  zu  lassen.    Übrigens  behSlt  der  Text  auch  so  als  liturgisches 
Denkmal  seinen  Wert. 

Die  Bedeutuns  der  Dieterichfdien  Schrift  geht  aber  über  das,  was 
der  Titel  bcsigi.  weil  hinaus,  durch  den  2.  Teil;  -Die  limrgisctieii  Bilder 
des  .Withrasraystcriums".  Hier  ist  der  Versuch  gemacht,  eine  Biologie  und 
Morphologie  der  religiösen  ßildersprache  uberhaiipi  zu  geben.  Ausgehend 
davon,  daU  der  Zentralgedan kc  aller  Religio»  Einigung  tiiit  der  Gottheit 
sei,  siichi  D.  zu  zeigen,  wie  diese  zunächst  ganz  sinnlich  als  ein  körp«^ 
liches  ineinsscin  gedacht  wird;  dafür  treten  als  vergeistigte  Nebenformen 
der  NaiTie  und  der  Göst  der  Gottheit  ein,  in  denen  der  Mensch  ist,  bczw. 
die  im  Menschen  sind.  Jene  leibliche  Einigung  mal  der  Gonheit  wird 
auf  der  Stufe  de>  Kannibalismus  erzielt  durch  Insichaufiiehmen  auf  dem 
Wege  do  Vcrzclireiis;  auf  höherer  Stufe  durch  vermcintUchc  Vermischung 
im  Sinne  geschlechtlicher  Gemeinschaft;  dann  durdi  den  Gedanken  der 
Zeugung  lus  der  Gottheit,  der  Gotleskiiutschak:  sdiließlich  durch  ein 
Sterben  und  Wiedcraufcrstchcn,  eine  Neuschöpfung,  Wiedergeburt.  Für 
D.  sind  das  Stufen,  in  denen  sich  die  rehgiäse  Vorstellung  und  der 
dieser  entsprechende  kultischt  Brauch  allmählich  von  der  Stufe  des 
Kannibalismus  zu  immer  höheren,  vergeistigten  und  vcrsintichten,  hinauf- 
gearbeitet hat.  Aber  —  und  darauf  legt  er  den  größlai  Nachdruck  - 
die  tinteren  Stufen  bleiben,  und  gerade  in  Perioden  starker  religiöser  Be- 
wegung dringen  aus  dem  Urgrund  der  religiösen  Voptiellungswdt  die 
primitivsten  Formen  wieder  an  die  Obcrfläclic:  «s  wäre  Falsch,  die  nebcn- 
einanderliegcnden  religiösen  Ausdnicksformen  nur  als  Bilder  zu  werteu, 
nun  muß  sie  vielmehr  in  ihrem  ganzen  Rcali&mus  erfassen.  Wie  in 
vielen  Mysterien  (besonders  dem  Dionysoskull),  so  liegt  auch  im  Miihras- 
kult  und  im  Chnstcntuni  nach  D.  der  kannibalische  Gedanke,  daß  das 
Reisch  der  Gottheit  verzehrt  Unsterblichkeit  wirke,  in  vollem  Realismus 
vor  (tuch  D.  auch  schon  bei  Paulus  und  Johannes).  Der  antike  Kult- 
bnueh  des  iiä  n&uiov  Itiin  und  die  mittebllerüche  .Mystik  liefern  Bei- 
spiele für  die  gan;  sinnliche  Auffassung  der  Gottesbiiiite.  Cott  bczw. 
der  ihn  vertretende  Priester  gilt  als  Vater  des  Einzuweihenden.  DaÖ  der 
Neophyt  in  der  Taufe  gestorben  und  zu  neuem  Leben  erweckt  sei.  ist 
nach  allgnech  lachen  Kultbräuchen  eines  Schein  begräbni^scs,  wie  sie  im 
heuiigeii  Mönchumi  fortleben,  zu  verstehen  u.  s.  f.  Es  ist  nicht  mäglidi, 
ein  Bild  von  der  Fülle  höchst  interessanten  Maicnals  zu  geben,  das 
Dieterich  mit  der  ihm  eigenen  umfassenden  Belesenheil  ans  den  Literaturen 
aller  Völker  und  aller  Zeiten  -  besonders  auch  aus  modernen  Volks- 
und Zauberbüchem  -  hier  zusanimengetngen  hat.  Jeder  wird  hier 
reiche  Belehrung  und  Anregung  finden  und  dafür  dankbar  sein.  Aber 
gegen  die  Theorie,  die  D.  darauf  aufbaut,  und  gegen  ihre  Anwendung 
erheben  sidi  doch  schwere  Bedenken.  Der  Realismus  entspricht  einem 
Zuge  unserer  Zeit,  der  sich  auch  in  der  theologischen  Forschung  geltend 
macht;  ebenso  die  damit  ziuanimenhäni^ende  hVeude  an  den  niederen 


I 


I 


Bespredtungen.  501 


Formen  der  Religion;  aber  leider  auch  das  unterschiedslose  Zusammen- 
fasseti  der  verschiedenarligslen  Dinge.  D.  selbst  gibt  la.  daR  viele  der 
Bitdcr  gelegentlich  nur  noch  als  Bilder  empfunden  tpcrdcri.  Wie  soll 
man  entscheiden,  wo  im  einzelnen  Falle  die  reali^^tische  oder  die  bildliche 
Deiilung  am  Platze  ist?  Docli  nicht  indem  man  gleichsam  im  LJngs- 
•chnitt  alle  möglichen  früheren  oder  späteren  Analogien  heraiträgl,  snndern 
indem  man  im  Qucrachnltt  den  jeweiligen  Zusamnierhang  der  Stelle,  den 
Ipnzcn  Charalrter  der  Schrift,  die  Gesamtan^ehattiing  des  betreffenden 
Vertawers  festlcgl,  nicht  durch  reiigionsgcschichllJche  Exkurse  zur  Eiriel- 
stelle,  sondern  durch  sorgßltige  Exegese  des  Zusammenhangs.  So  -srird 
man  einem  Paulus  und  Johannes  nicht  einen  größeren  Reaüsmiis  lu- 
schreiben  als  ihren  späteren  Auslegern,  D.  hat  ganz  Recht,  sich  scharf 
gegen  die  Wegdeutung  des  klaren  U'ortsinnes  irgend  welcher  Dogmatik 
zu  gefallen  zu  erklären;  ebenso  muß  aber  gegen  realistische  Eindeutungcn 
in  einen  ganz  und  gar  ethisch  durchgeistigten  Zusammenhang,  der  Theorie 
des  „von  unten"  ni  Hebe,  &'nspnich  erhoben  werden.  Es  ist  jene  Iso- 
lierung einzelner  Äußenmgen  in  Verbindung  mit  einer  gevi$sen  souveränen 
Oleichgdlljgkeit  gegen  das  Detail'),  welche  so  schiele  Zusammenstellungen 
emögtichl  wicS.  139 die  (aus  der ) Od i sehen  M'eisheitslitcratur  stammende) 
Anrede  .mein  Sohn»  der  Didache  und  das  ,.Aiis  Oott  geboren  sein* 
I.  Joh,  S.i.  Zu  dem  Oedanken,  daß  der  Neophyl  durch  den  Priester  an- 
stelle des  Gottes  gezeugt  wird,  und  den  den  Oeburlsvorgang  zuweilen 
höchst  realistisch  darstellenden  Riten  {die  sich  ähnlich  auch  noch  bei 
studentischen  Fuchslaufeti  finden!)  leoindert  man  sich  Gal.  4,1^  und 
I.  Kor.  4,lS  nicht  angefahrt  ni  finden:  oder  sollte  hier  D.  selbst  das  rtin 
bildliche  der  Ausdnickswcise  sich  aufgedrängt  haben?  Die  Behauptung 
der  Einheit  zwischen  dem  Vater  (Gott)  und  dem  diesen  gan?  offenbarenden 
Sohn  (dem  Menschen  Jesus)  in  /oh.  10.30  ist  etwas  lotal  anderes  als  die 
Vercinerleiung  von  Mithras  und  Helios,  die  an  anderen  Stellen  audi 
unterschieden  werden,  je  nachdem  die  mazdSischen  oder  die  chaldäischen 
Elemente  der  Lehre  das  Übergewicht  haben,  Dielerich  selbst  weiß  da 
tro  «9  gilt,  sich  mit  einer  der  seinen  sehr  verwandten  AusdcuUmg  der 
religionsgesch ich t liehen  Piiänomene  im  Sinne  der  babylonischen  Mode- 
krankheil auseinanderzusetzen,  sehr  feine  Unterschiede  ru  machen:  man 
solle  die  Seelenreise  ins  Jenseits,  den  Seelenabstieg  in  den  Hades  und  den 
Seelenaufstieg  in  den  Himmel  ja  nicht  verwechseln:  letztere  Vonteilung 
finde  sich  nur  in  Ägypten  und  im  Pythagoreismus,  durch  Poseidonios 
fibcrgeleitet  In  die  Sto*;  weder  in  der  Religion  Babylons  (Am)  noch  Im 
Parsi$miis  (Dousset)  sei   davon  di^  Rede.     Dabei   spricht  D.  die  sehr 


»I  TAaen  nur  «heinbur  stnr.  unterceonfnenn  Mtg  titertlir  entnehitiffi  rir  $  tis. 
Ann.  :  .twi  MfrmiH  silnclle  näaxttv  iiä  toü  Ardfiatot  X^iorov".  Oin«  nnin&enchi 
Vcndunj  nndet  licti  nie;  einmal  5,  tX,  ii.i  n.  jtä  t«  Sfoua  Xp.,  S.  IX.  tl,t  {irif 
i«0  ö,,  wfM  IrnnwT  tritirv  loö  it. 


r 


502  Besprechungen, 


richtigen  Worte  aus  (S,  i^ä):  .Es  gehört  zu  den  schümmsitn  Pchlern 
einer  lieule  immer  zuversichtlicheren  religiou^eschichllidien  Furschung, 
daß  das  Näctistliegende  uiibemierkt  bleibt,  ja  ignoriert  und  umgangen 
wird,  um  das  Ecitfenitc  auf j:usii dien  und  dort  die  Anaiogien,  die  oft  für 
den  ungetrübten  Blick  gar  nicht  zu  s«)ien  sind,  durcli  die  seltsaniGten 
Methoden  zu  erzwingen."  Wir  fürchlcn,  D.  hat  damit  die  Kritilt  eines 
großen  Teiles  seiner  eigenen  Forschungen  geschrieben.  Er  behauptet 
iwar  hierin  immer  mißverstandcni  zu  werden,  aber  die  Häufung  von 
■Analogien*  aus  allen  Religionen  und  allen  Zeiten  hat  doch  nur  Sinn 
und  v-ird  auch  von  ihm  selbst  so  gedeutet,  dafi  dadurch  ZuummenhXnge, 
^religiöse  Denl^esetzc  bewiesen  werden  sollen. 

Doch  wir  brechen  ab,  den  Leser  aelbsl  an  die  Lektüre  der  beiden 
interessanten,  in  hohem  Orade  belehrenden  und  anregenden  Werke  veisead. 
Wie  immer  man  über  die  Theorie  Dietcrichs  denken  möge:  sdne  Aus- 
führungen sind  kultur-  wie  religionägeschiditUch  von  hödister  Bedeutung. 

V.  Dobschütz. 

K.  K.  Qnss.  Die  geheime  heilige  Schrift  der  Skop7er  (russische 
SeibstveriNliimmler).  Kritische  Ausgabe  auf  ürund  der  russischen  Druclie 
in  deutscher  Übersetzung,     Leipzig,  Hinrichs,  1904  (77  S.). 

In  u^underliche  Vcrinungen  religiösen  Wahnsinns  führt  uns  Graf) 
ein.  In  den  Jahren  1  VT'D  - 1  ^2  lebte  und  wirkle  unter  dem  (angenommenen) 
Namen  Seliwaiiow  ein  ru&si&cher  Bauer,  der  weder  schreiben  noch  (ver- 
mutlich) lesen  konnte,  sich  aber  für  den  (17o2  ermordeten)  Zar  Peter  1)1. 
ausgab,  der  als  Qott-Erlöser  das  Evangelium  wieiierhcrstcUen  oder  vollenden 
solle.  Um  sein  ganzes  Auftreten  zu  begreifen,  muß  man  sidi  das  von 
Leroy-Beaulieu,  Das  Reich  der  Zaren  und  die  Russen  (1KS9)  HI,  JI2f(^ 
Ispeziell  ^S\H.)  trefflich  gcscliiiderle  Treiben  der  zalilreichen  russi^rheii 
Sekten  vergegenwärtigen,  in  denen  uralte  dualistisch-manichäische  Lehren, 
von  dem  russischen  Nationalcharaktcr  begünstigt,  fruchtbaren  Boden 
gefunden  hatten.  Selbst  Leo  Tolstois  Romane  sind  erst  von  hier  lus 
ganz  verstindlich.  Seiiwanows  Predigt  spe7.ieil  ei^cheint  als  Reaktion 
ernster  Bemühung  utn  Reinheit  gegenüber  den  sinnlichen  Ausschweifungen 
der  unter  dem  Namen  -Oäliler-  (ChlystiJ  bekannten  schwärmerischen 
Sekte  der  .üultcsnienächcn-.  Als  Radikalmittel  gegen  sinnliche  Lust 
forden  Seiiwanow  das  «königliche  Siegel"  der  Selbstverstümmelung,  und 
diese  Predigt  hat  -  unglaublich  aber  wahr  -  eine  siaitliche  Sekte  um 
sich  gesammelt,  die  durch  vielerlei  Verfolgungen  hindurch  noch  heute 
l>esteht.  die  „Skopzen". 

In  ihren  Versammlungen  werden  neben  bezw,  vor  der  Bibel  ab 
heilige  Schriften  einige  Äußerungen  des  Stifters  gebraucht,  die  nur  hand- 
schriftlich verbreitet  und  vor  den  Andersgläubigen  streng  gehdm  gehaltai, 
gelegentlich  doch  durch  Konfiskalion  bekannt  geworden  und  so  tu^ 
von  niuisdicn  Gelehrten   abgedruckt  worden  sind.     Diese   sind   es,  die 


I 


l     L  . 


Besprechungen. 


Oraß  hier  zum  erstenmal  in  deutscher  Übersetzung  vorlegt,  indem  er 
(leider  in  etwas  umstand li eher  Weise)  aus  den  voneinander  sehr  ab- 
weichenden Dnieken  einen  kritischen  Text  za  konstruieren  sucht.  Zur 
Erklärung  verweist  er  auf  eine  kfinttigc  Arbeit  ßber  russische  Sekten, 
Doch  hätte  schon  bei  der  Tcxtausgahe  das  eigenartige  Vcrhäituis  dieser 
..heiligen  Schriften  der  Skopzcu"  zu  den  biblischen  Büchem  klargelegt 
wcrdai  sollen.  Es  kann  näinlicti  keiiiem  Zweifel  unterliegen,  daß  in  der 
Mauplschrifl,  den  ^Leiden",  eine  Parallele  zu  dem  Evangelium  beab- 
sichtigt ist  (die  verschiedenen  Relationen  Weten  ein  intcressanles  Analogon 
zu  dem  sog.  synopirschen  Problem  der  Evangelienkrilik),  während  die 
Sendschreiben  den  apostolischen  Briefen  entsprechen.  Speziell  sind  es 
die  johanneischen  Schriften,  die  in  beiden  stark  nachklingen,  schon  in  der 
Anrede  „Kindlein";  dann  in  der  wiederholten  Hcrx'orhebung  der  Unvoll- 
ständigkeit  (joh.  2U,30;  ai,'Jj).  Gerade  das  macht  diese  Eraählungen  aus 
dem  Leben  eines  russischen  Bauern  mit  ihrem  eigenartigen  Lokalkolorit 
so  merkwürdig,  dall  bewußt  und  unbcwulit  überall  Züge  des  Lebens 
Jesu  hineinsjiieleii.  Von  Jesus  lesen  wir  bei  Joh.  immer  wieder,  daß  er 
den  Nachstellungen  der  Feinde  wunderbar  entging:  ,und  er  verbarg  sich- 
8,59;  l2,Sb.  Das  hat  Selii-anow  in  seiner  Art  höchst  wörtlich  wieder- 
holl;  eine  ganze  .Anzahl  Epiäoden  seiner  Leiden  handeln  davon,  wie  er 
sich  unter  der  Diele,  in  Oar1>eiibiindeln,  in  der  Schweinekufe,  in  der 
Mistgrwbe  und  sonst  verbirgt,  dabei  oft  seine  Verfolger  ffröbüch  irre- 
fljhrend.  Der  Wahrhafligkeilssinn  ist  bei  ihm,  wie  so  oft  b«i  den  Sekten, 
fast  verloren  gegangen.  Dafür  tun  wir  merkwürdige  Einblicke  in  die 
unter  Chlyslen  und  SKopzen  eifrig  gtpflegle  prophetische  Ekstase.  Ver- 
einzelt finden  sich  Zuge,  die  an  den  Doketisinus  der  allen  gnostischen 
Johanncsakten  erinnern.  Die  ganze  volkätüm liehe  Erzähiuiigs weise  bietet 
eine  A!enge  kulturgeschichtlich  interessanten  Stoffes.  So  Ist  die  Ver- 
öRentlicbung  dieser  geheimen  Schriften  dankliar  zu  bcgri^f^en. 

V.  Dobsehüte. 


P.  Platen.  Der  Ursprung  der  Rolande.  (Jahreibcrichl  desVitzlhum- 
schen  Gymnasiums  1001.)     Dresden. 

Es  kann  Erstaunen  erwecken,  mit  welchem  Eifer  eine  rein  theoretische 
Frage  wie  die  nach  detn  Wesen  der  Rolande  in  den  letzten  Jahren  er- 
örleit  worden  ist,  ein  Beispie!  von  dem  unzerstörbaren  Reiz  des  Geheimnis- 
vollen, das  diese  ehrwürdigen  Zeugen  der  Vergangenheit  umweht,  nach- 
dem sich  Jahrhunderte  vergeblich  bemüht  haben,  den  Schleier  zu  lüften. 
Unbeslreilbar  ist  es  das  Verdienst  Platcns,  durch  seine  erste  Abhandlung: 
Zur  Frage  nach  dem  Ursprung  der  Rolandsiulen  (ebenda  1S99>  der  Dis- 
kussion eine  ncnc  Anr^^ng  gegeben  zu  haben.  Der  gefundene  Wider- 
spruch hat  die  zweite  Sdirift  veranlaUt.  die  in  der  im  vergangenen  Jahre 
EClegenllich  der  Suidtc- Ausstellung  unter  gleichem  Titel  veröffcn dichten 
nur  einen  weiteren  Ausbau  in  formengejchichtücher  Richtung  erfahren  hat. 


-^ 


504  Besi>r«diiiiigen. 


Von  neuem  verficht  Plalen  seine  Ansicht,  daß  die  Rolande,  Ober 
deren  Errichtung  keine  historischen  Nachrichlen  bestehen,  die  Nachfolger 
von  Bildsvcrken  seien,  die  bereits  in  heidnischer  Zeit  crrichict  wurden. 
Die  lolcale  Beschränkung;  auf  die  ostfälisch-engernschen  Lande  und  die 
riesenhafte  Qataltiing;  liel^  Plalen  zuerst  wie  schon  J.  Grimm  den  Gon 
Donir  als  Objekt  der  Daretellung  annehmen,  während  er  sich  naierdings 
für  den  Schwertträger  Saxnct  cntschcidel.  Ein  weit  tibcr  die  bisherigen 
rückwärts  reichendes  Zeugnis  glaubt  er  in  dem  Briefe  Gregors  VII.  von 
lOtit  geüinden  zu  haben,  der  im  Aiuchluli  an  die  berichtete  Übertragung 
des  besi^ten  Sachsens  an  den  heiligen  Petrus  von  Karl  dem  Großen 
schreibt:  poEuit  Signum  devotionis  et  libertalis  —  damnis  also,  meint 
Platen,  kannte  man  »clion  den  Utsprung  der  Bilder  nicht  mehr,  wenn 
sich  eine  in  handgreiflich  unniöglidie  Sage  bilden  konnte.  Auf  diese 
Bildsäulen  von  vodunkdtcr  Bedeutung  sei  im  Anfang  des  vierzehnten 
Jihrhunderti  der  Name  Roland  übertragen  worden  infoige  des  Bekannt- 
Werdens  der  Chronik  Turpins,  die  dem  Helden  eine  entscheidende  Be- 
deutung für  Karls  Kricjie  beilegt. 

Der  Gedanke,  etwas  heute  noch  mit  Augen  Geschaut«  aU  in 
grauer  Vorzeit  wurzelnd  zu  en»-cisen,  hat  viel  Bestechend«,  und  Platcns  ge- 
wandte Dialektik  Ülit  leicht  die  Schwächen  seiner  Beweisführung  übersehen. 
Die  Verknüpfung  der  vielfach  höchst  anziehenden  Einzdbemerkungcn  ist 
indes^n  eine  nur  zu  willkürliche,  und  den  Schlußfolgerungen  fehlen  die 
gesicherten  Unterlagen.  Seinem  Hauptargtiniait,  dem  Orcgorbrief,  wird 
schon  durch  Qiesebrechts  Auffassung  des  Signum  als  Peterszini  der  Boden 
«itEogen.  Auf  ihre  ausführlidie  Begründung  durch  Scheffer-Boichorat 
hat  neuerdings  Werminghoff  aufmerksam  gemacht  >) 

Somit  btdbt  es  dabei,  daß  über  das  Alter  der  Rolande  nichts  fest- 
zustellen ist  und  den  besten  Au^angspunkt  für  ihre  Erkllrung  die  SUtte 
ihrer  Aufstellung  bildet:  der  Markt  Ex  dient  dem  Handel  und  der  Ge- 
richtsbarkeit: zu  erstereiti  hat  Schröder  den  Roland  in  Beziehung  zu 
setzen  versucht  indem  er  ihn  als  persönliche  .^usgesuitiuig  des  niil  des 
Königs  Leibzeichen,  dem  Handschuh,  behangcnsn  Fncdekrcuzcs  eriJMe. 
Indessen  hat  Sellos  kritische  Musterung  gerade  die  Schröder  sur  Stütze 
dienenden  Rolande  ab  unechte  erwiesen.  Sellos  eigne  Auffassung  fils 
Königsbilder,  die  »reklamehaft"  die  Stadtgründung  und  -Privilegierung 
bezeugen,  entbehrt  der  Begründung,  da  nichts  auf  typische  fürstliche  Dar- 
stellung hinweist.  Seine  Erklärung  der  lolialen  Begrenzung  und  der 
Riesengestalt  durch  nordisdie  und  slavische  Einflüsse  Ußt  sich  auch  bei 
anderer  Auslegung  verwerten.')  Die  typischen  Kennzeichen  der  Bar- 
hiuptigkeit  und  des  aufijereckten  Schwertes,  dem  keine  Scheide  cr.t5|mchl, 
weisen  in  Veihindung  mit  der  Ortüchkeit  auf  Begehungen  zur  Gerichts- 


I 


I)  KarmpondenitlatI  der  deubctLcn  QnditclittTerrlne  1904.  3.  )t. 
■)  Znleut  in  der  Schrift:  Der  Rolind  xu  äitmta  IMI. 


Besprechungen.  505 


barkcil.  Am  ein  leuchtendsten  muß  immer  noch  die  Auffassung  des 
Rolands  als  eines  Sinnbildes  def  hohen  Oerichtsbsrkeit  erscheinen,  wie 
sie  bereits  von  Zöpfl  aiiegefeprochen,  neuerdings  von  Rietschel  schärfer 
formuliert  worden  ist.*)  Ob  die  überraschenden  Konjekturen  von  Hdd- 
mann  und  Jostes  (Zeitschr.  für  rheinisch -westfälische  Volkskunde  I)  eine 
Klärung  herbeiführen  >renicn,  bleibt  abzuwarten. 

Liebe. 


Arnold  Oskar  Meyer,  Slndteii  ztir  Vorgeschichte  der  Reformation, 
Aus  schtcsischcn  Quellen.  (Historische  Bibliothek.  Hrsg.  von  der  Re- 
daktion der  Historischen  Zeilschrift,  Bd.  XIV.}  München  und  Berlin^ 
Oideiibourg,  19u3.    fXIV  iittd  \T>  S.), 

■Studien  zur  Vorgeschichte  der  Reformation.  Aus  schlesischen 
Ouetlen,"  So  nennt  der  Verfasser  sei»  Buch,  das  er  mit  demselben 
Rechte  als  „Kirchliche  Geschichte  von  Breslau  im  letzten  halben  Jahr- 
hundert vor  der  Reformation"  hätte  bezeichnen  können,. 

,.Das  Bild  der  romischen  Kirche  in  Schlesien  am  Ausgang  des 
Mittelalters  trägt  im  wesentlichen  die  Züge  der  allgemeinen  Entwicklung. 
Viel,  sehr  viel,  an  der  Kirche  und  ihren  Priestern,  au  Bräuclien  und  Per- 
sonen, ist  verdorben  und  faul.  Doch  nicht  nwr  im  gegnerischen  Lager 
der  Weltlichen,  sondern  aiidi  unter  den  Dienern  der  Kirche  selbst  gib! 
es  noch  M^änner  genug  mit  imbefangen  kritischem  Blick  für  die  sittlichen 
Gebrechen  ihres  eignen  Standes,  Nur  entspricht  dem  ehrlichen  WIten, 
bessernde  Hand  anzul^en,  nicht  die  Kraft,  von  innen  hemus  ohne  Zer- 
brechen der  alten  Form  Wandel  zu  schaffen.  Daher  wird  Luthers  Tat 
schon  fnih  in  ihrem  sinlichen  Wert  erkannt  und  gewiirdigt." 

Diese  Sätze  des  Autors  lassen  den  Inliall  seines  Buches  ahnen.  In 
Schlesien,  einem  Teil  der  deutschen  Ostmark,  kommen  zu  den  kirchlichen 
Kämpfen  noch  solche  nationaler  Art,  und  der  Streit  z-wischen  deutschem 
und  slavischcm  Einfluß  hat  etoRc  Bedeutung.  Seit  dem  Jahre  tOOO 
stand  das  Bistum  Br^Iau  unter  dem  Entbistum  Onesen,  und  seit  der 
Mitte  des  H.  Jahrhunderts  teilte  Sclilesicii,  sehr  zum  Vorteil  Für  Handel 
und  Wohlstand  des  l-audes,  die  Schicksale  der  Krone  Böhmen,  ohne  daß 
die  Territorial herren,  die  piastischcn  Herzöge,  in  ihren  Rechten  geschmälert 
wunden.  Die  Bischöfe  verfoditen  meist  den  deutschen  Charakter  der 
schlesischen  Kirche,  und  Peter  Eschenloer,  Chronist  und  Stadtschreiber 
von  Breslau,  preist  die  Breslaucr  Kirche  glücklich,  dall  sie  nach  der 
Herrschaft  eires  Tschechen ,  des  Jodocus  von  Rosenberg,  wieder  einen 
deutschen  Überhirten  eriialten  habe,  den  apostolischen  Legaten  Rudolf 
von  Rfldesheim  (llftS).  Schlesien  ist  deutsches  Kolonisalionsgebiet;  seine 
Kullur  war  naturgemäß  jiJngcr  imd  infolgedessen  gröber  als  die  des 
Mutteriandes.    Im  Jahrhundert  vor  der  Reformation  haben  Weltliche  wie 

9)  Zalttn:  ItittorUchE  ZäBchnri  LXXXIX.  &  45Tt. 
Anhiv  für  Kulturcctcbilchtc.    U.  32 


S06 


Besprechungen. 


Oeisiliche  hinsiclitticb  ihrer  Lebensführung  und  ihres  sittlichen  Windeis 
einander  niclits  vorzuwerfen.  In  den  Reihen  der  Qdstlichen  hemchlen 
zudem  noch  sozIaIc  Mißstände,  ähnlich  denen  in  Frankreich  vor  I7lj9. 
Doch  trotzdem  die  Diener  der  Kirche  sich  nur  geringer  Beüebtheil  er- 
freuten, war  der  religiöse  Eifer  im  Lande  nicht  erstorben,  und  kirchhcher 
Sinn  tat  sich  überall  hervor,  getreu  der  miiielalter liehen  Weltanschauung, 
nach  der  das  Leben  nur  insofern  einen  Werl  halte,  als  ca  zu  einer  Vor- 
bereitung auf  das  Jenseits  gemacht  wurde.  Der  Kirche  *ar  der  tnittel- 
allerliche  Christ  treu  ergeben,  obgleich  die  Geistlichen  ihr  Amt  miß- 
brauchten und  sognr  die  Strafe  des  Bannes  als  Mittel  zur  Steitereintreibung 
benutzten,  'aie  es  in  der  Diözese  Breslau  oft  geschah. 

Dem  weltlichen  Stande  bot  der  geistliche  viele  Angriffspunkte  dar. 
Der  crstcre  befand  sich  keinem  geschlossenen  Heerlager  gegenüber,  denn 
de*  Klerus  war  in  Paitcien  zerspalten.  Nicht  nur,  daiJ  Welt-  und  Kloster- 
geistlichkeit sich  bitter  befehdeten,  daß  Pfarrer  und  Altaristen  einander 
feindlich  gegen überalauden,  d&ll  die  einheimischen  Pn'esler  von  den  fremden 
nichts  wissen  wollten,  das  Domkapitel  bevormundete  auch  in  unwürdigster 
Weise  die  beiden  Bischöfe  Johannes  IV.  Rot,  cinai  Deutschen,  und  seinen 
Nachfolger  Johannes  V.  Tiirzo,  den  Sohn  eines  magj'irischen  Bergrwerks- 
besitzer5. 

Um  das  Jahr  üüo  mm  gerieten  das  Domkapitel  und  der  Bpcslauer 
Rat  der  Stadtbefestigung,  der  Oderri^licning  und  volkswirtschaftlicher 
Fragen  wegen  in  Streit,  zu  dessen  Beilegung  König  Wladislaw.  der  Nach- 
folger des  Matthias  Corvinus,  den  Kanzler  von  Böhmen,  Albrecht  von 
Kolowrat  auf  Liebenstein,  und  seinen  Hofmarschall  Cziecz  von  Ncmytzevsky 
als  Bevollrnaclitigte  an  den  Breslauer  Rat  sandte  (t1.  August  1Sü3);  allein 
der  von  den  genannten  Herren  zwischen  beiden  Parteien  vereinbarte  Ver» 
trag  entsprach  so  wenig  den  Wünschen  des  Klerus,  daß  daraus  nur 
neue  Streitigkeiten  ertiichsen,  Die  «coni|Mctata  dticum.  civitatum  et 
comniunitatum  Slesiac"  waren  in  der  Tat  ein  Vertrag  niclit  des  welüidieo 
mit  dem  geistlichen  Stande,  sondern  ein  Bund  der  Weltlichen  gegen  die 
Kirche.  Im  Jabrc  1516  erst  crklürtc  Leo  X.  den  Vergleich  für  ungültig. 
So  unsicher  fühlte  sich  das  Domkapitel  in  der  letzten  Zeit  vor  der  Re- 
fonnation,  daß  die  Herren  der  Breslauer  Doniinsel  allen  Eniste»  den 
Plan  eru'Ogeii,  sich  durcli  eine  Zugbrücke  vor  plötzlichen  Übereilen  der 
Breslau  CT  zu  schützen. 

Der  schon  genannte  Bischof  Johannes  V.  Turzo  (1506-1520)  wax 
dn  Kind  seiner  Zeil.  d.  h.  du  fein  gcbildaer  Humanist  und  kunsisinniger 
Mücen,  den  man  für  die  Witttnberger  Reformation  schon  darum  nicht 
in  Anspruch  nehmen  kann,  weil  er  seine  Pflichten  der  Kirctie  gt^iflber 
zu  leidit  nahm.  Seines  vorwurfsvollen  Lebens  wegen  erteilte  ihm  das 
Domkapitel  am  y,  Koi-cmber  iSli  einen  Venreis,  eben  das  Breslauer 
Domkapitel,  das  selbst  eine  .reformatio  niorum"  sehr  nötig  hatte.  Zwar 
enibelirt  die  Qestalt  des  Domherrn  und  bischöflichen  Kanzlers  Apicius 


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Besprechungen. 


Colo,  der  von  seiner  Beischläferin  Helene  ..aus  Gesundheitsrücksichten" 
nicht  lassen  will  und  kann,  durchaus  nicht  eines  gewissen  Humors,  doch 
wohltuender  wirkt  die  Lobpreisung  des  ehelichen  Lebens  durch  den 
Kanoniker  Heinrich  Ribscli.  genannt  Philocahis,  der  auch  selbst  die  Kon- 
sequenzen seines  Ratschlajp  zu  ziehen  wußte:  die  evangeÜKhc  Pfarr- 
kirche zu  St.  Elisabeth  birgt  das  Oabdenkmal  des  einsiigen  Domherrn 
und  seiner  Gattin. 

Im  ganzen  ist  es  ein  recht  nnerfreiiliches  Bild,  das  der  Verfasser 
in  floUer  Diktion  von  der  Breslauer  Kirche  und  ihren  Dienern  entwirft; 
doch  CS  ist  icaum  anzunehmen,  daß  es  anderswo  in  der  römisch-katholischen 
Chiistenheit  tiir  selben  Zeit  sehr  viel  anders  ausgesehen  hat. 

Karl  HdUchcr. 


R.  Reiehenberger,  \X'olfg.ing  von  Salm,  Bischof  von  Passau 
(15-10-55).  tSludien  und  Dantdlungen  aus  dem  Gebiete  der  Gescln'chtc. 
Heratisg^ebcn  von  Oranert  11,1.)    Rreiburg  i.  Br.,  Herder,  1902.  (84  S.) 

Der  bisher  nur  in  seinem  Einfluß  auf  die  bayrische  Politik  ge- 
würdigte Kirchenfürst  erfährt  hier  eine  eingehende  Darstellung  hinsicht- 
lich seiner  Stellung  zm  Reformation,  seiner  Reidispolitik  und  ^Iner 
Tätigkeit  für  Wissenscliaft  und  Landesverwallung.  Der  Hauptgewinn  ist 
die  Erkenntnis,  wie  hoch  hinauf  in  die  Kreise  der  Geistlichkeit  die 
S/mpathic  mit  der  neuen  Lehre  reichte.  Für  Bischof  Wolfgang  waren 
wie  fftr  den  Eichstätler  Domherrn  Bernhard  Adelmann ')  seine  huma- 
nistischen Neigungen  das  Verbindungsglied.  Die  im  Jahre  seines  zu 
frühen  Todes  vorgenommene  Visitation  ergab  in  seiner  Diözese  außer- 
ordentliche Fortschritte  der  Refonnationj  sehr  entgegai  den  Bdiauptungen 
von  Lingg  und  Knieb,  die  filr  Bamberg  und  das  Eichsfcld  nur  im  Druck 
der  adligen  Grundbesitzer  die  treibende  Kraft  sehen. 

Liebe 


J.  E.  Weiss -Uebcrsdorf,    Das  Jubeljahr  1500  in  der  Augsburger 

Kunst.    Eine  Jubiläumsausgabe  (iir  das  deutsche  Volk.  In  zwei  Teilen 

mit  über  100  Illustrationen  nach  Originalphotopraphien.  München,  l^ui, 
Allgemeine  Vcrlagsgesellschaft  m.  b.  H.  (IX,  241  S,). 

In  den  Mittielpunkt  seines  Buches  hat  der  Verfasser  die  Geschichte 
und  Itfinsllerische  Würdigung  jener  -Basilikenbildcr"  gestellt,  die,  von 
den  Nonnen  des  Kalharinenkioätcrs  in  Augsburg  zum  Dank  für  die 
ihnen  von  Papst  Innoceiiz  VIII.  gewährten  reichen  Ablässe,  Gnaden 
und  Freiheiten  in  Auftrag  gegeben  und  von  einigen  der  trefflichsten 
JMaicr  des  damaligen  Augsburg,  namenüich  von  Hans  Holbein  dem 
ilteren  und  Hans  Burgkmair,  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  ausgeführt, 


■)  Vft.  ErllntauittTn  in  Jantsen  II,  1- 

3»' 


•I 


50g  Besprechungen. 


beute  zu  den  hervorragendsten  Schätzen  der  königlichen  RlialgemSIde- 
^lerie,  die  sich  bekanntlich  in  den  Räumen  des  ehemaligen  Prauen- 
klosters  SL  Katharina  befindet,  zahlen.  Die  ältere  wie  die  neuere 
einschUgige  Lilcraiut,  Alfred  Woltinanns  Schriften,  Franz  Stocdtnets 
Dissertation  fiber  Hans  Holbeiii  d.  iL,  Alfred  Schrnids  Forschungen  über 
Burgkmair  ii.  a.  m.  finden  ^ich  dabei  sorgßltig  benutzt  und  -  teilv-clse 
sogar  etwas  allzu  ausführlich  -   im  Wortlaute  angezogen. 

Um  diesen  Kern  henim  ist  dann  vieles  angeordnet,  was  man 
nach  dem  Titel  kaum  in  dem  Buche  erwarten  würde.  Als  katholischer 
Theologe  und  christlicher  Archäologe  hat  der  Verfasser  den  Eröneningen 
über  Entstehung,  Bedeutung  und  Verlauf  der  kirchlichen  Jatirhundcrt- 
und  Halbjahrhundertfeiern  und  insbesondere  des  von  Papst  Alexander  VI. 
am  21).  Dezember  H*«  ^trltündigtcn  Jubeljahrs  ISoo  einen  breiten  Raum 
in  seinem  Werke  verstattet.  Wenn  er  sich  auf  diesem  Gebiete  auch  etvas 
seibsländiger  bewegt,  so  wäre  doch  auch  hier  —  zumal  bei  einer 
,Jubiläumsgabe  fUr  das  deutsche  Volk",  'xeniger  des  Gebotenen  siclicrlich 
mehr  gewesen.  Die  ausführliche  Inhaltsübersicht  über  Hermiiin  Usenen 
.Religion3^:eschichlliche  t'ntefsuchungcn-  2.  B.  und  die  ebenso  unreife 
wie  anmaliende  Polemik  gegen  dieses  Buch,  in  dem  der  Verfasser  den 
■  heftigsten  und  gefährlichsten  Angriff"  sieht,  Fider  in  den  IcUten  zehn 
oder  r«'ölf  Jahren  auf  das  gesamte  Christentum  gemacht  wurde",  hatte 
unbeschadet  des  eigentlichen  Wertes  seines  Buches  wegbleiben  können; 
ein  solcher  ForKall  würde  vidmehr  dem  Budie  nur  zum  Vorteil 
gereicht  haben. 

Auf  der  anderen  Seite  wird  von  der  rein  kunstgcschichtlichen  Er- 
zählung ausgiebigst  auf  das  Nebcngebiel  der  Ikonographie  hinfiber- 
ge$chweift,  und  gerade  auf  diesen  Abschnitten,  die  durch  die  treffÜchcR 
Kenntnisse  des  Verfassers  in  der  Kullgeschidile  und  Lcgendcnforschung 
an  Relief  gewinnen,  scheint  mir  der  HaupUert  des  Wciss'schcn  Buches 
iit  beruhen.  Vielleicht  tritt  er  setbsl  einmal  dem  „Gedanken  diter 
systematischen  Legendengeschichte,  einer  übersichtlichen  Heiligen kult- 
geschichtc",  den  er  im  Vorwort  äußert,  näher.  Auch  in  der  eigentlichen 
Ikonographie  bedarf  es  noch  vieler,  namentlich  ordnender  und  eusammen- 
fflssender  Arbeit,  wenn  dieser  Wissenszweig  insbesondere  ffir  die  Kunst- 
geschichte wahrhaft  fruchtbringend  werden  soll. 

Daß  der  Veriasäer  ausgesprochenermaßen,  wenn  auch  nicht  überall 
mit  Erfolg,  bestrebt  gewesen  ist,  bei  seinen  Untersuchungen  der  histo- 
rischen Methode  den  Vorrang  vor  dem  theologisch-dogmittischen  Stand- 
punkt einzuräumen,  sei  noch  besonders  hervorgehoben,  und  endlich  mit 
uneingeschränktem  Lobe  der  vorzüglichen  Ausstattung  des  >X'erkes  mit 
zahlreichen  nacii  Originalpholognphien  hergestellten  Autotypien  gedadit, 
die  Handzeichnungen  und  Gemälde  oder  Ausschnitte  aus  letzteren  ver- 
»chiedeneii  Maßstabs  in  zumeist  sogar  den  Zwecken  der  Slilkntik  ge> 

nügendcr  Weise  wiedergeben. 

Th.  Hainpe. 


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I 


I 


k. 


Bibliographisches.'^ 


IT.  St.  C.  Boscawtn,  First  ol  empires:  Babylon  of  the  Bibk  in 
lighl  of  latet  reearcit.  AccounI  of  origin,  growth.  developmeiit  of 
Ihe  empire,  civilisalion  and  history  of  ati^rieni  Babylonian  empire.  Lon- 
don (JS6  p.)  —  F.  H.  Wfißbath,  Das  Stadibild  von  Babylon  (Der  alte 
Orienl  V.  Jg.,  Heft  -I).  Leipzig  (50  S.)  —  M.  Mach.  Die  Heimat  der 
Indogemianen  im  Lichte  der  iirgeschichtliehen  Forschung  i.  Aufl.  Berlin 
(VJl,  421  S,(  —  A.  Pfangst,  Aus  der  indischen  Kullurwelt  Gesarameitc 
Aufsätze.  Stmigart  (502  S.)  -  <3.  Böissitr,  Noiivelles  promenades  archeiv 
logiques  iHorace  et  Virgile).  S.  6d.  Pari«  <33i  p.  '>  carte«.)  —  Fr.  Kauff- 
mann,  Römisch -germanische  Forschung,  Theod.  Momrasen  z.  Gedächtnis. 
Reictoratsrede.  Kiel  (22  S.t  —  A.  Krahmann.  Die  Wasserleitung  des 
römischen  Trier  [Aus:  'Westdeiitsclie  Zcitschr.  f.  Gech.  und  Kunst)  Trier. 
(38  S.,  1  Karte.)  —  P.  Manfrin,  La  dominazione  romana  nella  Oran 
Brelagna.  Vol.  \.  Roma  (375  p.  6  carte)  -  A  Grenier,  L'empire  byzinlin 
T.  L  L'Etre  social.  Paris  (XXXII,  344  p)  —  L.  Wüser,  Die  Oemisnen. 
Beitr.  z.  Vö!l(eikunde.  Eisenach  (V.  448  S.)  —  Georg  SMnhaasrn.  Ge- 
schichte der  deutschen  Kitltiir.  Lieferung  i— Q.  Leipzig.  —  K  Lamp- 
reckt.  Deutsche  Ocsctiichte  III.  Bd.,  2.  Aufl.  Neuer  Abdr.  Freiburg  i,  B. 
(XVI.  420  S.)  —  Die  Stadtrechte  der  Grafschaft  Mark  II;  Hamm.  Bearbeitet 
von  A.  Overmonn.  (VerÖff.  d.  histor.  Kommission  f.  ^3P'cstfalcn  l.  Abt.  2>. 
MOnstcr  (VI.  72,  128  S.)  -  D.  Kokt,  Zur  Enfstehtingsgeschichle  der  Stadt 
Oldenburg  und  ihrer  Verfassung  [Aus  «Jahrb.  f.  d.  Gesch.  d.  Stadt  Olden- 
burg-]. Oldenburg  (1H  S.)  —  O.  «'eltziert,  Zur  Geschichte  Parchims. 
Streifzage  durch  J  Jahrhunderte.  Parchim  (163  S.)  —  H.  WäsekSu,  An- 
halt vor  100  Jahren.  (NcujahrsbUtlcr  aus  Anhalt  I.)  Dessau  (52  S.)  — 
/ffrtfafl,  Chronik  der  Stadt  Mühlhausen  i.  Thüringen.  II.:Bd.  tS26— 1S99 
(1694),  MQhlhauscn  (VII,  2no  S.)  -  O.  Ritter.  Gescliichtc  der  Stadt 
Dresden  is'l— 190^.  2.  Aufl.  (Bill.  Ausg.)  Dreien  (VIII,  isq  S.)  — 
5.  V.  Raumer,  Heimat  Ein  Beitrag  zur  Oesch  der  Erlanger  Landschaft 
in  den  letzten  beiden  Jahrhunderten.  Erlangen  (33  S.)  —  /  Partseh, 
Schlesien  an  der  Schwelle  iind  am  Ausgang  des  19.  Jahrh.  Festrede 
Breslau  (14  S.)  —  Krause,  Sitten,  Gebräuche  und  Aberglauben  in  West- 
preuBen.  Berlin  (7fi  S.)  —  Francis  H.  F.  Palmer,  Austm-Mungarian  life 
in  toim  and  country.  London  (X,  251  p.)  —  K.E.Schimmer,  Alt-  und 
Neu-Wien  Geschichte  d.  österr.  Kaiserstadt.  2.  Aufl.  d.  gleichn.  Werkes 
von  M.  Benuann,  3  Bde.  Wien  (VII.  744  u.  VI,  688  S.)  —  Fn.  Artns. 
Das  Tiroler  Volk  !n  seinen  Weistflmern.  Ein  Beitrag  z.  deutsch.  Kultur- 
geschichte. (Gesch.  Untersuch,  hrsg.  v.  K.  Jjmprccht,  3.)  Gotha,  (XVI, 
436  S.)  —  A.  Seifert,  Die  Sladt  Saa?  im  19.  Jahrh.  Qeschichdich  und 
statistisch  geschildert.   Saai  (579  S.)  —  Th.  Carif,  Oescliichte  der  Schweiz 

■l  Min-Mai  [aui  d«ni  voiig«;  HcFl  nrückgtildlt]     Dafir  muQIc  jelit  M*>-Augutt 

jrurflcltitMkllt  wwdtn. 


S 1 0  Bibliographisches. 


m  1*3.  Jalirhunderi,    Ncuenbiirg  CHS,)  —  5.  Meier,  Kullurhistoriisches 
AUS  d.  Kelleramt  mit  besonderer  Beriicksfehtlgiinff  d.  18.  Jh.  Aarau  (1S8  S.) 

—  r,  H.  Siemelink,  Qeschiedcnis  van  de  slad  Workum.    Workum  (2SS  S.) 

—  L.  BaÜffoi,  Au  lemps  de  Louis  XIII-  Paris  )II,  461  p.J  ^  V.du  BIed, 
La  socift*  fran^aisc  du  16=  au  20f  si«Je.  4e  sin«:  XVII'  sifccie  (la  sod€ti 
et  les  sdoices  occultesr  les  couvents  de  feinmes  avanl  ITS9;  les  lilKrlins 
«  SainI-Evremoiu1  elc.)  Paris  (XXIN,  311  p.)  —  Carlo  Modesto  Derada, 
Glt  uoniini  c  Ic  riformc  pedagogico-sodali  della  hvoluzione  franccsc 
dail'  Anden  r^ime  alla  convenzione.  Palenno  (262  p.)  —  O.  CJAiual- 
Simon,  Recherches  de  l'histoirü  civile  et  municipale  de  Tu1tc  avant  l'^rec- 
tion  du  Con&uIaL  T.  I.  Tülle  (iS2  p.)  —  A.  Laliemaad,  Les  origines 
historiques  dc  la  ville  dc  Vanncs  clc.  2.  M.  Vanncs  (380  p.)  -  f.  Midiei, 
Histoirc  de  la  ville  de  Brie-Comtc-Robcrt  des  origines  au  XV«  siede. 
Paris  (ioo  p,)  —  de  La'Toar'Du-Pia-La  Cha/ct,  Notice  hisloriquc  «ir 
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Paris  (374,  364  p.)  -  M.  Bateson,  Mcdirval  England  1006—1350.  Lon- 
don (XXVin,  44S  S.)  —  W.  Besant,  London  in  the  tiine  of  the  Stuarts. 
Nc«'  Yorii  (400  p.)  -  A.  Barbeau,  Unc  ville  d'caux  anglaise  au  18*  si^ck- 
La  soci^t^  Elegante  et  litteraire  ä  Bath  sous  la  reine  .Anne  et  sous  les  Georjfcs. 
Tlifee.  Paris  (VIII,  39S  p.)  —  R.  F.  Arnold,  Die  Kultur  der  Renaissance. 
Gesittung,  forschung,  DichtunK  (Sammlung  Oösehen  1S9).  Leipzig  (137  S-) 

—  Gius.  Pitrf,  La  viu  a  Palermo  ceiito  e  püi  anni  fa.  Vol.  \.  Palermo 
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depuis  les  temps  les  ptiis  rcculte  jusqu'i  nos  jours.  T.  I.  La  Nubie. 
Paris  HVS  p.)  (Les  Civilisalioiis  africaines).  —  A.  F.  Tratltr,  Old  Cape 
cobny.    A  clironicle  of  her  meii  and  hous»  I6ä0— ISOä.  London  (320  p.) 

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times  to  present  day.  London.  —  M.  A.  Dt  Wolfe  Howe,  Boston,  the 
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goites.  Bd.  1.  Berlin  (XII,  42«  S.J  —  W.  WaclUtr,  Das  Feuer  in  der 
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Val.  Kehrein,  Die  iwölf  Monate  des  Jahres  im  Lichte  der  Kulturgeschichte. 
Padcrlwrn  (Hü  S.)  —  Carl  Hofde,  Was  bedeutet  die  Zcrbsicr  Butter- 
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und  die  Schätzung  des  Weibes  tm  Hexenhammcr  [Aus  »Acta  sodetatis 
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naluralism  in  life  and  Ihought.  Edinburgh  (272  p.)  —  Giits.  Paiaiai, 
Studi  di  pedagogia  storica  e  teorelica.  Rimini  (155  p.)  —  Th.  Zitgler, 
Geschichte  der  Pädagotik  mit  besonderer  Riichsicht  auf  das  höhere  Un- 
terrichtswesen. 2.  Aufl.  (Handbuch  der  Erriehungs-  und  Unterrichtslehre 
I.  1).  München  X,  3V4  S.)  —  Viacmzo  Eman.  Brigida,  La  ginnastica  edu- 
csliva  nel  mondo  greco;  studio  pedagogico-filosofico.    horli  (XIV,  14~  p.) 


r 


Bibliographisches. 


—  K-  Bittdfi,  Versuche  der  Alten  und  der  Araber  im  Schul  unierrichte. 
Programm,  Neues  Gyrnnssium,  Bamberg  (J8  5.)  -  Monammta  Germamae 
patdagegiea  XXVI.  Die  pädagogische  Reform  des  Comenius  in  Deutsch- 
land bis  mm  Ausgange  des  17.  Jahrhunderts  Hrsg.  von  Johs.  Kvaätia. 
I,  Texte  (XLIV,  395  S.)  —  XXVHI.  W.  DieM,  Die  Schulordnungen  des 
Oroßheraogtums  Hessen.  Bd.  II.  (XVI.  SOn  S,)  Berlin.  —Jos.  Overmann, 
Joachim  Ringtlberg,  ein  humanislischcr  Pädagoge  des  16.Jahrh.  Leipzig 
(46  S.)  —  //.  Grosse,  Ein  Mäddienschul-Lelirplan  aus  dem  l*.  Jalirh.: 
Andn;as  Muskuhis  «Jungfraw  Schule''  vom  Jahre  1S74.  (Pädagog.  Magazin 
Hcfl  322),  Langensalza  (27  S.)  -  £.  Garcia  y  Barbarin,  HUtoria  de  1a 
pedagogia  espafiola.  Madrid.  —  G.  H.  Laguet,  Aristole  et  ruuivcrsil^  de 
Paris  pendant  le  Xläl*  siecl«.  Paris  fV,  41  p.)  —  M.  Targf,  Professeure 
et  r^gentsde  cdII^  dans  I'anciennc  univcreitc  de  Paris  (IT«  et  18«  siede). 
Paris  (VIII,  31S  p.)  —  Matricule  de  luitiveisitfi  de  Louvain,  p.  p,  E.  Reu- 
sens,  I.  1426-30  aoüt  1455.  Bruxelles  (XXVIII,  423  p.)  -  K.  O.Mtinsma, 
Middelceuwschc  Bibliotheken.  Zulphen  (VII,  306  S.)  —  E.  Ccnsentius, 
Die  Berliner  ZeiUingen  bis  zur  Regiening  Friedrichs  des  Großen.  Berlin 
(VII.  127  S.)  —  Zur  Geschichte  der  Kaiserlich.  Wiener  Zeitung  8.  Vlli. 
170J.  1903.  Wien  (V,  J2S  S.  u.  10  S.)  -  Journal  de  Simon  U  Marchand, 
bourgcois  de  Caen  (iö10-1693).  Pub),  d'apres  le  manuscrit  de  la  biblio- 
th^que  de  Caen  par  Gebr.  Vanel.  Caen  (UV,  fiS  p.)  —  Privatbriefe 
Kaiser  Leopold  I.  an  den  Grafen  F.  E.  Pötting  iö62-1673.  Hrsg.  von 
Al/r.  Francis  Pribram  u.  Mor.  Landwthr  v.  Pragtnau,  2.  Teil.  (Fontes 
rerum  austriacarum  11.  Abt.,  Bd.  57.)  Wien  (495  S.)  —  K-  Kröner,  Die 
kiillurgcschichtl.  Bedeutung  der  Gedichte  des  sugen.  Seifried  Helbling. 
Programm,  Brilon  (ifi  S.)  -  Rieh.  Schmidt,  Liebe  und  Ehe  im  allen  und 
modernen  Indien.  Berlin  {VII,  571  S.)  ~  P,  Fink,  Das  Weib  im  fran- 
zösischen Volksliede.  Berlin  (X,  119  S)  —  W.  Lippert,  Die  deutschen 
Lehnbüchcr.  Beilrag  zum  Registerwesen  und  Lchnrccht  des  Mittelalters. 
Leipzig  (Vit,  1K4  S.)  —  A.  CoelU,  II  duello  attravereo  i  seoftli.    Müano. 

—  O.  Driesen,  Der  Ursprung  des  Harlekin.  Ein  kulturgochichtliches 
Problem.  (Forschungen  nir  neueren;  Literaturgeschichte.  XXV.l  Berlii 
(XII,  2Sb  S.)  —  L.  LalUmand.  Mistoirc  de  la  charitf.  T,  IL  Lcs  netil 
Premiers  stc:cle3  de  lere  chrcticnne.  Paris  (205  p.)  -  F.  Buchatti,  L'assi- 
stance  publique  ä  Toulouse  au  la«  siWe.  Toulouse  (175  p,)  —  L.  Boitr- 
deau,  Hi&toire  de  riiabiUement  el  de  la  panire.  Paris  (506  p.)  —  A.  M. 
Earie,  Two  cenluries  o(  costiime  in  America  1620-1820.  2  vols.  Lon- 
don (350  p.)  —  P.  Gusman,  La  villi  imperiale  de  Tilus  (villi  HadHana). 
Pr«ace  de  Q-  Boissler.  Paris  (XII,  at  p,,  13  pl.)  —  IT'.  Dietrich,  Bd- 
tr^  zur  Enbricklung  des  bUrgerl.  Wohnhauses  in  Sachsen  im  17.  und 
18.  Jahrhundert.  Leipzig  (IV,  83  S.)  -  /  Keüer-RiSy  Die  baulichen  Ver- 
hiltnisse  Lcnzburgs  im  XVIL  Jahrh.  Vortrag.  Leniburg  (Aarau)  (22  S., 
1  Taf.)  —  O.  Meyermann,  Oöltinger  Hausmarken  und  Familien wappcn, 
Oöltiiigen  (IV,  si7  S-,  25  Taf.)  —  H.  PlaUtr,  Geschidilc  der  ländlichen 


ATfe«its%-erhä)ini3ec  in  Bayern  (Altbayer.  Forschung«]  II  III).  MündiM 
(VII,  220  S.J  —  H.  Blink,  Qeschiedmis  van  den  boCTCiistand  en  den 
landbouw  in  Nederland.  Deel  11.  Groningen.  —  P.  Boyf,  Lo  «- 
lines  et  le  sei  cn  Lorraine  au  iS'  siede,  Nancy  (d4  p.)  —  Vf.  Deti- 
mtring,  Beiträge  zur  älteren  Zunftgesdiichte  der  Stadt  Straßburg  (Hi- 
stori&che  Studien,  Heft  40).  Berlin  (13S  Sk)  —  H.  Watentraat,  Chronik 
der  Innung  der  Bau^cwerke  zu  Stettin  vom  Jahre  USO  bis  190}.  Stettin 
(IV,  264  S,,  ä  Taf.,  1  PI)  —  W,  CManiitgham,  The  growlh  of  English 
induslry  and  commerce  in  modern  limes.  2  parts.  Cambridge  (64ö, 
459  p.)  —  r.J.  Koch,  R<s«isburg  aU  üroüliandeisstadi  im  Miitelaller. 
Vortrag.  Rt^ensburg  (äi  S.)  —  H.  v.  Lorsch,  Die  Kölner  Kaufmanns- 
gilde  im  13.  Jahrh.    (Westd.  Zeilschrift.    Erg.-H.  XU.)    Trier  (VII,  61  &) 

—  H.  fiaggt.  Der  Stapelrftang  des  hansischen  Konton  tu  Brügge  im 
15.  Jahrh.  Kiel  (b'J  S,)  —  Eine  kaufmännisciie  Gesandtsdiatt  nach  l^aris 
1552 — iSSi-  Nach  einem  Tagebucli  herausg.  vom  historischen  Verein  des 
Kantons  St  Gallen.  St.  Gallen  (54  S.,  I  Taf,,  1  ßl.)  —  ßec/Ues  WüUcn, 
l-cdges  and  sword,  or  the  honourable  Company  of  merchants  of  England 
Trading  to  Ihc  East  Indias  1599— IS74.  3  vols.  London  (464.  444  p.)  - 
h.  Wtillon,  La  chambre  de  commerce  de  la  provincc  de  Nonnandie 
(1*03 — 1791).  Roucn  (398  p.)  — Jac.  Strieder,  Zur  Gciie^i  des  modemea 
Kapitalismus.  Korscbun)>eti  zur  hntsithiing  der  großen  bürgerl.  Kapital- 
verm^en  am  Ausgange  des  Mittelalters  und  zu  Bt^nn  der  Neuzeit,  zu- 
nüchst  in  Augsburg.  Leipzig  (XIV,  l!äJ  S.)  —  K.  Wagner,  Das  Ungtid 
in  den  schwäbischen  Sudien  bis  zur  2.  Hallte  des  w.  Jahih.  Frank» 
für!  a.  W.  (Vlll,  120  S.)  —  C.  Kttler-Escher,  Das  Stcuenitwn  der  Stadt 
Züricii  im  M.,  14.  u.  13.  jahrtt.  Ein  Beilrag  zur  niitielalter).  Wirtschaft»- 
ge»;hichle  Züridis  tNeujatirablatt).  Zürich  (S5  S.)  —  Br.  Kaskx,  Dis 
Schuidenwesen  der  deLitsciien  Städte  im  Mittelalter  (Eig.-Heft  \2  zu  Zot- 
sciirifi  f.  d.  ges.  Slaatswiss,),  Tübingen  (V,  92  S.)  —  AI.  SdmiU,  Die 
rugger  in  Rom  14^5— 1S:ri.  Mit  Studien  z.  Oeschichte  des  kirchlichen 
Finanzwesens  jener  Zeil.     Z  Bde.     Leipzig  (Xi,  ämS;   XI,  347  S^  3  Taf.l 

—  A.  Beüac,  La  maniere  de  voyager  auiretoii  et  de  no«  Jours.  Ptrit 
{iiil  p.)  —  AI.  Böhme,  Dicgrolicn  Reisesammlungen  des  Id.  Jahrhunderts 
und  itire  Bedeutung.  Strasburg  (VIII,  vo4  S.)  —  Voyagcs  en  Bourgogne 
(1/22 — I75SJ  par  CoiirtcpA  et  Papillon,  Public  par  ö.  Oursfi.  Dijon 
(113  p.)  —  K  Olsen,  Po^lvarsenet  i  Danmark  som  statsinstilution  indliU 
Chrisiian  VH.  tiöd  (I7t1— 18US).  Kopenhagen.  —  £.  hf^J,  Die  HeU- 
götter  und  Heiistäiten  des  Altcrtumi,  tliiic  archäol.-nicdiz.  Studie.  Tü- 
bingen (111,  t>H  S.)  —  O.  Körner,  Wesen  und  Wert  der  Homerischen 
Heilkunde.  \&'iesbaden  (34  S.)  —  P.  L.  £.  Mühus,  Essai  sur  1a  inedicine 
offidelle  daiis  l'antiquil*  gr^co-latine.  These.  Bordeaux  (71  p.)  -  Luäw. 
Uager,  Das  Kinderbuch  des  Bartholomäus  Metlinger  1457  —  1476.  Ein 
Bcjtrag  zur  Gewli.  der  Kmderhcilkundc  im  Mitlelallcr.    Wien  (4S  S.J 


I 
I 


ARCHIV 


FÜR 


KU  LTU  R- 

GESCHICHTE 


HF.RAUSC1EOEBF.N  VON 


D5  GEORG  STEINHAUSEN 

STADTBIBLIOTHEKAR  i:ND  VORSTEHER 

DER  MURHARDSCHEN  BIBLIOTHEK 

<z=>  DKR  STADT  CASSQ-=^ 


II.  BAND 
4.  HEFT 


BliRUN     AL^XANDtR  DUNCKER  VERLAG      i^oi 


J 


ARCHIV  FÜR   KULTURGESCHICHTE 

II.  Band.  '"■-    Heft  4, 


Inhalt; 

Armen-  und  Bctt«lordnungen.  £in  Bäxraf  zur  Ocschichle  der 
öffentlichen  AnntnpDcge.  Von  Bibliothdcar  Dt.  K  fVeM  in 
hrankiurl  a.  .Vl_ J9S 

Dir  Porlrilsanttniung  Hcnog  Htilllpp«  11.  von  PantmenL 

Von  Archivar  ßr.  Olto  Hdatmaim  in  Stettin    ......  4M 

Zur   Geschichte    der   Zensur    und   des  Schiiftvetcna   in 

Bayern.    11^    Von  E>r.  Perdmind  Lorm  in  Mfindien  .        .  <n 

Kequisiliotisvesrn  und  Fouragieruaffen  In  d«r  Sctiw«r<- 
hur^i^chen  Unlethcrrtcliart  1761.  Von  OtKrldirer 
Dr.  Gustav  SommfffMt  in  Kötitgsberc  j.  Pr.  tW 


Btsprodien  »wn  «7 
UmveraiidBpro-  _^, 
fawrDrrCÄ-  ^' 


Besprecbtiiigcn. 

Cumoiit,  Die  MyMdicti  der  Mitlira 

Dirterich,  Eine  MiihrMliturgic , 

Gns6,  Qcheime  hciliKC  Schrift  der  Skopzcn  .  )   siAäb  in  Jou    5V2 
Plaiei»,  Der  Ursprung  der  RoUikIc    Besprochen  vom  Ardiivar 

Dr.  Oeorg  Itfftc  m  Alagdcburij SOS 

Mcj'cr,  Studien  zur  Vorgeschichte  der  Refocnullon.    iHisJonsche 

Ril)tint1ick,  XIV.)    Besprochen  «^m  Dr  Karl  ttßtsrhfrin  Casd  SOS 
RcklwrnbCTgcr.  Wolfgang  von  Salm      Boprochrn  vnm  .Archivir 

Dr.  Georg  Liebt  in  Magdedurg  ■  ^03 

■*'dss-Ud)(»dorf.  Das  Jubeljahr  I5ü0  in  der  Augshjr^er  Kun«:. 

Besprodien   vom   BiWiolliekjr  Dr.  TIl  Hampr  in  S'iiTTjhcrK  Si)7 
Bibliographisclies  (.VUrz-Mai)  vom  Herausgeber     .  -5W 

(Die  Bibliographie  ffir  Mai-.\uKust  miiltle  w^eii  Riuninuugefe  eben«o 
^iirüik^talelll  wtrdcn,  wie  ük  .Kleinen  Mincilungcn'.J 


Dnick  von  Hng»  Vilttth  (n  ClMlltit^ 


uMVEnsiTY  or  MicHKUw 


3  9015  03973  4192