Skip to main content

Full text of "Aristoteles und Athen"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 


‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 


and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 


About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 


Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 


+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 


ua 48% 


we u 
. [ . 
D ._ - 
. 
® (4 
i "In. 


ARISTOTELES und ATHEN 


} 


ULRICH VON WILAMOWITZ - MOELLENDORFF 


ZWEITER BAND 


mine. runs GruisiiEE  r mn 


BERLIN 
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 
1893 


Fu BR Zu 


wo 


uk a SR Zu 


er nmpppnm 


Inhalt des zweiten bandes. 


——— 


ZWEITES BUCH. 


Untersuchungen auf grund der aristotellsehen Politie. 


Die quellen der griechischen geschichte . 

Die athenische politie von Kekrops bis Solon . 
Die athenische politie von Peisistratos bis Ephialtes 
Dargıos nokırala . 

Die könige von Athen 

Trittyen und Demen . 

Der athenische name . 

Der Areopag vor Ephialtes 

3000 hopliten von Acharnai . 

Diobelie . 

Tıunuara nagsyöusvor . 

Aöyos und sudvva 

ITgoxsıgorovia . 


DRITTES BUCH. 


Beilagen. 


Die phratrie der Demotioniden 

Der erste krieg mit Aegina 

Die chronologie der pentekontaetie. 

Solons gedichte . 

Die attische skoliensammlung . . 
Pindaros siebentes pythisches gedicht . 

Der procels der Eumeniden 

Die zeit der Thesmophoriazusen . 

Die rede für Polystratos 

Die paragraphe und Lysias wider Pankleon.. 
Lysias wider die kornhändler . on 
Isokrates Panegyrikos 100-114. . . . . . 


- 


IV Inhalt des zweiten bandes, 


13. Die briefe des Isokrates. 
14. Demosthenes pıooemium 55 . 
15. Die gedichte des Aristoteles . 


Sachregister. . . . 2 2 20. 
Arttıxa nolrısa ÖVömata 2 2 2 ne 


Stellenregister - - © 2 2 2 2 0 ren. 


ZWEITES BUCH. 


Untersuchungen auf grund der 
aristotelischen Politie. 


v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 1 


1. 
DIE QUELLEN DER GRIECHISCHEN GESCHICHTE. 


Die quellenkunde der griechischen geschichte ist eine disciplin, die 
etwa vor einem menschenalter erfunden ist und am bequemsten in dem 
verbreiteten abrisse von A. Schaefer studirt wird. da stehn mehr oder 
weniger kümmerliche biographische und litterarische notizen über die 
griechischen historiker bis ans ende des zweiten jahrhunderts v. Chr., also 
Diodor und Plutarch fehlen, um dafür in der römischen quellenkunde zu 
figuriren. wenn sie für die eine quellen sind, wieso sind sie’s für die 
. andere nicht? das buch trägt überhaupt sehr viel von der schuld, dafs 


die studenten meinen, man lernte die griechische geschichte wesentlich. 


aus den historikern. 

Gleichzeitig ist mit einem sehr starken aufwande von arbeit, zumeist 
allerdings anfängerarbeit, der versuch gemacht, die späteren berichte aut 
ihre quellen zurückzuführen. dabei ist einiges wertvolle ermittelt; es 
hat sich aber nachgerade herausgestellt, dafs dieses quellensuchen ein 
recht schwieriges geschäft der litterarischen analysis ist. die historische 
analyse hat zwar für die zeit nach Polybios viele und gute ausbeute ge- 
liefert; vorher verschwindend wenig. als das wichtigste methodisch wie 


Quellen- 
kunde 


praktisch gleich bedeutsame ergebnis darf man verzeichnen, dafs die be- _ 


deutung der antiken sammler und forscher immer klarer hervortritt. leute 
wie Timaios Istros Hermippos Apollodoros Alexandros von Milet sind 
ungleich kenntlicher geworden als Ephoros Theopompos Aristobulos. 
ihre reste aber finden sich vornehmlich bei grammatikern und philo- 
sophen, in scholien und lexicis, also in schriften, die unter den ge- 
schichtsquellen nicht zu paradiren pflegen. 

Die quellenkunde spottet ihrer selbst schon durch ihren namen. 
was ist eine quelle? Schaefers abrifs antwortet: ein geschichtliches buch 
aus der zeit vor Polybios. der quellensucher antwortet: die vorlagen 
meines autors, einerlei wer er ist. es gibt quellen des Suidas und 

i* 


Begriff der 
quelle 


4 II. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


quellen der Odyssee. o wenn sie doch griechisch dächten! zunyn oder 
xonvn? wenn xgnvn, dann ist auch Tzetzes eine quelle, wenn zunyn, 
dann ist auch Ephoros keine. die litterarische forschung darf nicht so 
vornehm sein wie Kallimachos der dichter (als forscher war er auch be- 
scheidner), sie muls &z0 xonvng zeiveıv, muls sich um alle brunnen und 
canäle und reservoirs kümmern. die historie dagegen prüft was sie 
trinkt darauf, ob es sunyalov vöwe ist, ausıyev&g oder verschlämmt, 
durch den filter geschmacklos geworden, von der sonne halbverdunstet. 
auch die oAlyn Außag ist ihr genehm, wenn sie nur &xg0v Awrov 
ist, und was nach der quelle schmeckt, das nimmt sie, einerlei wie ver- 
mittelt. 

Ein jeder historiker ist schon vermittler, auch wenn er Thukydides 
heilst. als quelle kann sein bericht nur gelten, so weit er zeuge ist; 
sonst geht die geschichtliche forschung über ihn weg, auf seine zeugen. 
die urkunden und die aussagen von zeugen, das sind erst quellen. ob 
sie aber ihre aussagen mit der absicht gemacht haben, geschichtliche 
kunde zu übermitteln, d. h. geschichte geschrieben, ist nebensache. was 
unserer tagespresse entspricht, reden flugschriften komoedien, alle pri- 
vaten documente vom pindarischen siegesliede bis zum schlichten grab- 
stein haben auf die geltung als quellen viel mehr anspruch als die com- 
pendien später zeit, die der allgemeinen bildung oder, was dasselbe ist, 
der allgemeinen ignoranz dienen. eine quellenkunde, die von dem 
richtigen begriffe der quelle ausgeht, tut der griechischen geschichte 
allerdings not. erst durch sie erfährt sie, was sie überhaupt wissen 
kann. sie erfährt sofort, dals sie von vielen jahrhunderten aus den 
quellen keine geschichte schreiben kann. wenn diese forderung gestellt 
wird, dann sind die bekannten striche bei der Heraklidenwanderung 
oder der ersten Olympiade oder dem jahre des Solon noch viel zu früh: 
dann müssen wir uns eingestehn, dafs erst das jahr des Pythodoros, 432, 


das anfangsjahr der griechischen geschichte ist. denn vater Herodotos 


bat auch das mit vater Homer gemein, dafs seine geschichte absurd 
wird, wenn man sie pragmatisirt. die Hellenen sind ein eigenes volk. 
ihre geschichte scheint, je besser sie erkannt wird, desto später an- 
zufangen, während im Orient die Babylonier, von den Assyrern ganz zu 
schweigen, und die Aegypler mit ihren königslisten und den denksteinen 
ihrer siege in fabelhafte fernen reichen. die könige der Ramessiden- 
dynastie sind sogar leibhaft in ihren mumien vorhanden, so dafs man 
ihre hohlen zähne zählen und ihre leibeslänge messen kann. aber der 


"körper ist tot, und die zahlen sind tot. leben hat allein die seele, und 


Begriff der quelle. sage. 1) 


die seele der hellenischen geschichte redet zu uns von den tagen Homers 
und der homerischen helden an. individuelle menschenseelen sind für uns 
erst dann kenntlich, wenn sie selbst noch zu uns von ihrem seelenleben 
erzählen: die gibt es auf erden nicht vor Amos und Jesaja, Archilochos 
und Solon. aber typische menschen, durch dichterkraft zur individua- 
lität erhoben, sind schon Jakob und Moses, Agamemnon und Odysseus, 
und die historie, die mit ihnen nichts anfangen kann, weil sie mythisch 
sind oder geworden sind, ist die rechte schwester der encheiresis na- 
turae, die ihrer selber spottet — mögen sie sich auch alle beide ein- 
bilden, heut zu tage zu regieren. 

Wenn die methode, aus den urkunden die wahrheit pragmatisch zu 
ermitteln, für die alte zeit versagt und überhaupt nur so weit hinauf 
berechtigt ist, als die zeiten selbst für eine pragmatische auffassung und 
bewahrung des geschehenden reif waren, so mufs eine andere methode 
gefunden werden, um in die ältere zeit vorzudringen, deren gedächtnis 
in anderer weise erhalten ist. auch hier gilt es die quellen zu finden; 
die quellen sind nur anderer art. zwar die steine, die der burgen und 
tempel und vollends die beschriebenen, und die gräber sind in gleicher 
weise unmittelbare zeugen, und es fehlt auch nicht an einzelnen men- 
schen, die noch zu uns unmittelbar reden: die hauptquellen der alten 
zeit sind die dichter. nur seine poesie hat den menschen Solon im 
gedächtnis erhalten, und dafs dieser kenntlich ist, gibt auch die möglich- 
keit, über sein politisches wirken zu urteilen: das hat Aristoteles be- 
griffen. aber die überlieferung im ganzen ist anderer art, und ihr muls 
sich notgedrungen die historische methode anpassen. nur so erfahren 
wir, was wir wissen können, nur so vermeiden wir die Charybdis, an 
jedem wissen zu verzweifeln, weil wir der Skylla, pragmatische fabeln 
weiter zu pragmatisiren, entgehn wollen. die quellenkunde für die ältere 
zeit ist in wahrheit die einsicht in das werden und die geschichte der 
historischen tradition. 

Vieler jahrhunderte überlieferung ist nur in der sage niedergelegt 
und als solche überliefert, sehr verschieden, je nachdem sie sich nur 
local von mund zu mund fortpflanzte oder durch die gestaltungskraft 
des dichters feste form und weitere verbreitung, dann aber auclı ledig- 
lich poetischen zwecken dienende umbildung erhielt. an realen persön- 
lichkeiten fehlt es fast ganz, und so weit sie zu grunde liegen, verflüch- 
tigt sich ihre leiblichkeit. dafür wird die summe einer geschichtlichen 
entwickelung gezogen und in idealer umdichtung stilisitt. wenn auch 
in der form einer erzählung erfahren wir mit zuverlässigkeit meist nur 


Sage 


Novelle 


6 II. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


das ergebnis der ereignisse. dafür ist aber der sinn für das ganze und 
grofse vorhanden. das epos ordnet die fülle der erscheinungen und er- 
innerungen rückwärts schauend von dem was als resultat der geschichte 
vorhanden ist unter grofse gedanken und stellt einen zusammenhang 
her, der für die logik der zeit ein causalnexus und für die moral der 
zeit die theodicee ist. das stemma, mit dem die Kataloge des Hesiodos 
begannen, ist ein bedeutendes product von historisch weit und scharf 
blickendem ordnendem urteil: für uns unmittelbar verständlich und un- 
schätzbar als eine darstellung der völkerverhältnisse und des bewufstseins 
von stammesverwandtschaft und verschiedenheit im siebenten jahrhundert. 
die von der poesie wenig umgestalteten sagen von den attischen königen 
und die eponyme der y&yn goarglaı gv4al lehren schlechthin nichts 
für personen und ereignisse; aber die institutionen und die geschicht- 
lichen resultate reden in ihnen zu uns, und so sind sie eine ergiebigere 
quelle als die urkundliche, in anderer art unschätzbare namenreihe der 
chronik. es wird der moderne immer erst nach langer vertrautheit und 
durch liebevolle hingabe erreichen, jenen geschlechtern nachzuempfinden, 
die selbst ihre eigensten erlebnisse nur in dem reflexe schauen mochten, 
den sie auf die heilige geschichte der lieben vorfahren warfen. lebendig 
aber ist diese art zu empfinden in dem mutterlande von Hellas vieler 
orten noch bis an das ende des fünften jahrhunderts geblieben, und in 
den immer mehr schematischen und ausgeklügelten eponymen und wande- 
rungen hat auch noch die späteste zeit sich ein surrogat der sage zu 
schaffen versucht. wenn die herren der pindarischen gesellschaft es ver- 
langen, dafs der sieg im faustkampfe, den einer der ihren erringt, mit 
der geschichte der stammesheroen in unmittelbare beziehung oder doch 
in parallele gesetzt werde, so ist ihnen und dem Pindaros das keine 
leere fiction. dem Euripides war es schwerlich mehr, als er am schlusse 
des Ion die hesiodische stammesgenealogie so umformte, dafs sie sich 
den machtverhältnissen des attischen Reiches anpafste: aber die Athener 
waren nicht aufgeklärte sophisten wie er. es folgt hieraus, dafs die ge- 
schichtliche ausnutzung der sagen vorab feststellen muls, wie alt sie in 
der form sind, die wir übermittelt erhalten, und dafs sie dann zunächst 
nur für die zeit etwas lehren, der diese form angehört. alles weitere 
ist ein rückschlufs, aufgebaut auf der kritik der aussagen, die jene be- 
stimmte zeit durch die sage über ihre vergangenheit macht. 

Der sage folgt ihre jüngere schwester, die novelle; beide aber re- 
gieren eine weile nebeneinander, so dafs sich die grenzen ihrer reiche 
häufig verwischen. die sage ist heilig und wahr oder will es doch sein. 


Novelle. das erwachen der subjectivität in Ionien. 7 


ihre göttin ist die himmlische Muse, die tochter des Zeus, die später den 
philosophen, Parmenides und Platon, die wahrheit verkündet. dagegen 
die Muse der novelle Toxev Weiden sroAla Adyeıy Eruuoıoıv Ouore. 
irdisch wie sie ist richtet sie ihren sinn auf das menschliche und zwar 
auf die gegenwart, aber da sie die sage ablöst, zieht sie zunächst die 
götter oder doch die lieben vorfahren in ihre kreise. aber sie hat später 
sogar die historischen namen für ihre träger abgeworfen ohne an reiz 
zu verlieren. sie verhält sich dann zur sage wie das menandrische lust- 
spiel zu der athenischen tragoedie. auf dafs sie erstünde, mufste der 
glaube der väter erschüttert und die freiheit der väter verloren sein. 
so ist sie denn ein kind loniens aus der zeit der Iydischen und per- 
sischen fremdherrschaft, aber einmal aufgekommen wandert sie mit der 
ionischen cultur hinüber in das mutterland.. nun spiegeln sich die 
Wikingerzüge und handelsfahrten der Milesier und Phokaeer nicht mehr 
in den leiden der heimfahrenden Achaeer und dem zuge der Argo; man 
erzählt vielmehr von Bias und Thales, Kroisos und Periandros, Solon 
und Themistokles schöne geschichten: aber keineswegs um ihrer grofsen 
taten willen und des erfolges, den diese für das vaterland hatten, sondern 
um ihrer merkwürdigen schicksale und ihrer persönlichen tüchtigkeit 
willen, der agern, die bis auf Sokrates keinen moralischen inhalt hat. 
geschichtlich lernen wir von der novelle direct kaum etwas, denn ihr 
ist nie zu trauen; aber wenn wir ihre träger kennen, so wird der reflex 
in der novelle auch ihr geschichtliches bild erhellen. wo das nicht der 
fall ist, können wir kaum etwas besseres tun als uns vor dem truge 
der zauberin hüten. zum entgelte gibt sie uns ein farbiges bild von dem 
denken und empfinden, leben und treiben, wünschen und träumen einer 
reichen zeit. 

Sage und novelle sind autorlos. das heifst nicht, dafs auf den Das er- 
dichter oder erzähler nichts ankäme, aber sie mischen ihre person nicht Subject 
ein und beanspruchen nicht als personen autorität. das ändert sich, als In Ionlon 
in Ionien mit dem staate auch die andern autoritäten fielen, die der 
menschen wildheit und trotz gebändigt hatten. in der tat, so wie die 
alte gesellschaft gewesen war, im mutterlande um 500 noch zumeist war, 
hiengen glaube und sitte, religion und staat, das materielle und das 
geistige leben so unlösbar mit einander zusammen, dafs der einzelne 
seinen festen halt hatte, aber auch festgehalten ward. das änderte sich 
für den lonier, als der staat zertrümmert war, und auf dem colonialen 
boden war die gesammte cultur immer melır als eine gemachte denn als 
eine gewachsene empfunden worden. nun versagte die macht der auto- 


Die befrei- 
ungskriege 


8 II. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


ritäten, und der mensch kam gar bald dahin, sich olıne bande, aber 
auch ohne stütze zu fühlen. er war frei; aber er mufste sich nun die 
grundlagen seines lebens selbst zimmern. daher sehen wir sie alle ihren 
selbstgesetzten zielen rücksichtslos zustreben. der tyrann und der phi- 
losoph, der fahrende spielmann und die hetäre treiben es ein jeder in 
seiner weise, und die gesellschaft gestattet es ihnen allen. jeder wird 
jeden rücksichtslos zur seite stofsen, um sich selbst den weg zu bahnen, 
aber wer zum ziele kommt, den werden alle bewundern. damals ist es 
denn geschehn, so viel wir wissen, zum ersten male, dafs ein mensch 
sein individuelles meinen über die geschichte seines volkes rücksichtslos 
ausspricht, Hekataios von Miletos, ein mann der die welt gesehen und 
dann am staatsleben tätigen anteil genommen hatte. uns erscheint seine 
umformung der heldensage als altkluger rationalismus: in wahrheit ist 
es der überschwang jugendlichster kritik’) und verdient als solcher wol 
einen platz neben dem eifern des Xenophanes wider die mythen Homers. 
wie er die zeitgeschichte behandelt hat, ob er es überhaupt ausführlicher 
getan hat, ist unermittelt. eine wirkliche geschichtsschreibung konnte 
bei den loniern nicht entstehen, weil sie keine geschichte erlebten.?) 
Die erlebten die Athener seit 510 und alle Hellenen, auf die etwas 
ankommt, seit 480. die gewaltige erschütterung des kampfes um die 
existenz und dann die errichtung des Reiches hat in wahrheit die geister 
noch vielmehr als die leiber befreit. allein so unmittelbar konnte die 
wirkung nicht sein, dafs die überlieferung dieser jahrzehnte eine wirk- 
lich geschichtliche hätte werden können. sie trägt noch durchweg den 
stempel von sage und novelle. dafs die erste noch lebendig war, wird 
der glücklichen verbindung verdankt, dafs ein ernstes und frommes 
volk ungeheure aufgaben zu lösen erhielt und zu lösen vermochte; es 


1) Er erfährt sie jetzt selbst an sich, da ihm seine Genealogien abgestritten 
werden, sei es weil sie absurd wären, sei es weil in ihnen widersprüche steckten: 
ganz so hatte er die heldensage geschulmeistert. 

2) Dionysios von Milet hat vielleicht sein geschichtliches buch damals ge- 
schrieben, das die gelehrten r& xard Japeiov benannt haben. so gut wie der 
Karer Skylax für Dareios eine entdeckungsfahrt macht und in griechischer sprache 
darüber berichtet, konnte ein persischer untertan die persische geschichte auf grie- 
chisch schreiben. dafs die ionische cultur und wissenschaft in sehr vielem den 
ersten platz unter den völkern ihres reiches einnahm, haben die Perser nicht ver- 


“kannt und der hellenisirende einflufs ist vermutlich gerade damals, ehe es einen 


nationalen gegensatz gab, sehr stark gewesen, die kunstgeschichte beginnt bereits 
damit zu rechnen und wird, wie auf so vielen gebieten, auch hier die rechten pfade 
der allgemeinen geschichte finden und erleuchten. 


Die befreiungskriege. Herodotos. 9 


liegt aber zum teil auch an der naivetät des volkes. die grofsväter der 
Marathonsieger hatten noch die falsche Athena auf dem wagen des 
Peisistratos angebetet, und das wunder oder vielmehr der glaube hat an 
dem siege über die ungezählten barbaren einen starken anteil. die 
Perser des Aischylos .haben es vermocht, die geschichte der gegenwart 
unmittelbar hinaufzuheben in die reine höhe der sage: das religiöse 
festspiel erzählt uns die geschichte in seiner sprache. es ist für den 
historiker der die seele der ereignisse sucht die beste quelle für die 
schlacht von Salamis.. man denke sich aber nur die figur des listen- 
reichen mannes, der bei Aischylos im hintergrunde bleibt, in den mittel- 
punkt gerückt, so wird die sage vom siege des freien Pallasvolkes zu 
der novelle von Themistokles. dem entspricht die gesammte überlieferung 
von der älteren geschichte Athens. der bericht über Marathon und über 
den ersten aeginetischen krieg ist von der sage in das erhaben typische 
stilisirt. auch in dem sturze der tyrannen spürt man das walten der 
göttlichen gerechtigkeit wie in der tragoedie. weder Kleisthenes noch 
Miltiades tragen individuelle zuge. Solon und Peisistratos waren als 
personen ganz verblafst; erst die spätere forschung hat jenen auf grund 
seiner gedichte, diesen durch die sorgfältige verfolgung bestimmter in- 
dizien zu einer person gemacht. dagegen Themistokles ist der rechte 
held für die novelle, die nicht müde wird, mit immer neuen stückchen 
seine agern zu illustriren. das hat oben eingehende erörterung ge- 
funden (I s. 150), und ich habe gezeigt, wie verkehrt es ist, die Themistokles- 
legende deshalb für historisch zu halten, weil Thukydides sie erzählt. die 
Alhener erzeugten in den zwei menschenaltern vor dem peloponnesischen 
kriege tragoedie und komoedie : darin liegt, dafs sie für die pragmatische 
historie noch nicht reif waren. die Athener machten in derselben zeit 
aus ihrem ländchen, das kaum eine precäre selbständigkeit errungen 
hatte, die herrin des aegeischen meeres und griffen nach der herrscher- 
krone von Hellas: darin liegt, dafs sie noch keine zeit hatten, geschichte 
zu schreiben. sie dachten an das morgen, erfreuten sich des heute: da 
vergafsen sie des gestern. blickten sie zurück in einem momente der 
sammlung, so dankten sie gott für seine hilfe, oder erzählten sich ihre 
oder ihrer führer heldentaten, wie es alte soldaten tun. die aristo- 
phanischen helden und aristophanischen chorlieder geben Jie belege für 
beides. 

Aber Athen zog lonien in seine kreise. dort waren die geistigen 
vorbedingungen für die historie gegeben; es fehlte nur die geschichte. 
die lieferte Athen: und so erstand das werk des Herodotos, so unver- Hlerodotos 


7 


10 IL 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


gleichlich aber auch so widerspruchsvoll wie die geschichtliche tradition 
war und die weltanschauung des loniers sein mufste, der in Athen das 
vaterland gefunden hatte. er selbst stammte aus einer stadt, die auf 
karischem grunde von Dorern: erbaut längst die überlegene ionische 
cultur angenommen hatte; so war er losgelöst von dem was ihm als das 
vorurteil und die beschränktheit eines an der scholle klebenden autoch- 
thonentumes erscheinen mochte. er hatte die weite welt gesehen, durch- 
aus frei von dem bornirten hochmut, der alles barbarisch findet was 
nicht wie bei ihm zu hause ist, gleichermalsen fähig die von keiner cultur 
gebrochene elementare naturkraft bei den freien Skythen anzuerkennen, 
wie im Perserreiche die überlegenheit einer älteren und reicheren 
materiellen cultur. ihm imponirten die aegyptischen priester mächtig, 
wenn sie ihm ihr “EAAnves ael zraideg entgegenriefen.°) aber die weite 
seines umblickes hatte ihn den vorzug seines vaterlandes nur richtig 
schätzen gelehrt. dies vaterland war das attische Reich, und sein vorzug 


3) Herodotos hat, weil er die orientalen kannte, von denen dem reisenden 
zumal nur recht weltläufige und vorurteilslose begegneten, das urteil mit gröfster 
offenheit abgegeben, dafs man selbst bei den Athenern sehr viel mehr naivetät fände 
als bei den barbaren. 1,60 erzählt er die list des Peisistratos mit Phye, die ihm 
ganz unbegreiflich ist, “da ersinnen sie etwas, worin ich nur die kolofsalste naivetät 
finden kann, die ich kenne. in der tat, die barbaren müssen sich schon früher von 
den Hellenen darin unterschieden haben, dafs sie gewitzigter und freier von kin- 
discher einfalt waren, wenn damals die Peisistratiden unter den Athenern, die doch 
für die gescheidtesten der Hellenen gelten, folgendes ersinnen durften”. der brave 
mann erzählt die geschichte, wie er sie gehört hat und wir sie glauben dürfen, aber 
wie er sie den Athenern, die er kennt, und die erst durch das letzte jahrhundert 
in den ruf der oopi« (der schlauheit und gescheidtheit) gelangt sind, nicht zütrauen 
kann. so etwas war in Memphis und Sardes nicht möglich, das weils er; dazu gehört 
eine surnFeıa, wie sie der sophist dem zuschreibt, der an vogelzeichen glaubt (Eur. 
Hel. 747), oder dem der auf ein orakel hin seine tochter opfert (Andr. 625), oder 
der wider die logik 7 xdedonos für 7 xapdönn sagt (Ar. Wolk. 1258): ihr gegen- 
satz ist die ds&sorns, die alles gleich am rechten ende anpackt. dekıöv nennt der 
athenische komiker sein publicum, weil es seine anspielungen versteht (Ritt. 233), 
dekıös ist der Anuos zu hause (alwmexos iyvacı Balvsı sagt schon Solon), auf der 
Pnyx sperrt er das maul auf (Ritt. 753), und der demagoge ist de&ıos (719), und 
der dichter (Fr. 1009). unter diesen oopoi ‘43nvaios lebte Herodotas, darum frap- 
pirte ihn mit recht die veränderung seit der tyrannenzeit. aber er fand su7Jsa 
genug unter den Hellenen sonst, auch wol bei den Athenern alten schlages, und den 
racendünkel, den ihm jetzt der aberwitz der kritiker aufzwingt, kannte er nicht; 
es machte ihm vielmehr ersichtlich vergnügen, den Athenern die überlegenheit der 
barbaren vorzurücken. ganz dieselbe stimmung zeigt das zweite buch oft; der vater- 
ländische stolz auf freiheit und demokratie ist mit ihr ganz gut verträglich. 


Herodotos. Thukydides. 11 


war die geistige und politische freiheit, ioovouin,-lonyogin. so hatte 
die weltgeschichte einen inhalt, die entwickelung ein ziel: er überschaute 
sie mit dem auge des tragischen dichters. der Ionier, der den glauben 
der väter verloren hatte, hatte einen reineren glauben sich selbst er- 
worben und den gott in der geschichte wiedergefunden. aber das war 
gein gott. in seinem eigenen geiste liefs er die zeiten sich bespiegeln 
(was überhaupt erst den historiker macht). in sofern steht er dem 
Hekataios und seinen sophistischen zeitgenossen ganz gleich. es ist 
sene subjective erkundung, von der er rechenschaft ablegt, es ist Zorogln 
im ionischen sinne noch viel mehr als historie in unserm. er ist kein 
regestenfabrikant und kein chronikschreiber; er hält von der acten- 
forschung nichts und traut den augen lieber als den ohren. die kritik, 
deren er bei der verarbeitung von unzähligen erkundungen nicht ent- 
raten kann, ist schlechterdings nichts als sein subjectives für wahr oder 
wahrscheinlich halten. zzavıuv ueroov avdowrros, d. h. Hoödorog, 
gilt für ihn praktisch genau so wie theoretisch für Protagoras, dieser 
Herodotos aber überkam hier eine anzahl sagen, dort novellen, hier ein 
genealogisch-chronologisches gebäude, dort schaute er wunderbare denk- 
male, zu denen man ihm die atrıa berichtete. wie sollte er sich helfen ? 
was er erkundete, war eine unübersehbare menge von einzelnen ge- 
schichten ohne ordnung, sich viel häufiger widersprechend als ergänzend. 
wie sollte er sie bewältigen? was ihm das ordnende prinzip war, war 
der gedanke, den er in der weltgeschichte fand: sein eigener vovg voll- 
zog die dıaxoaunoıs; ein anderer würde in einem chronologischen ge- 
rüste oder einer logischen disposition ein objeclives prinzip gesucht haben. 
das einzelne aber beurteilt und verteilt er auch nach seinem subjectiven 
ermessen, wo ihm denn bald die skepsis des rationellen Ioniers, bald 
der zwillingsbruder des rationalismus, der aberglaube, in den nacken 
schlägt. so ist sein buch, so bezaubernd es auf uns durch die naivetät 
wirkt, die wir in ihm finden, im grunde durchaus nicht naiv gemeint, 
sondern wird in allem durch seine individualität bedingt. er steht zu 
der geschichte wie die grofsen physiker loniens zu der natur. auch sie 
geben eine doppelte iorog£n, die objective darlegung des unendlich vielen 
das sie erkundet haben, und die subjective antwort, die sie aus sich auf 
die rätsel des lebens gefunden haben. vielleicht wagt jemand zu sagen, 
das wäre eine sehr kindliche vorstufe zu der erhabenheit wahrer wissen- 
schaftlichkeit, die heute zu tage regiere, seit die methode gefunden sei. 
ich aber meine, mit aller methode haben wir es nicht weiter gebracht. 
die wissenschaft als idee ist freilich weder in Hippokrates noch in 


Thukydides 


12 II. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


Demokrit noch in Herodot incarnirt; aber auch in Aristoteles nicht, ge- 
schweige denn in unser einem: wer aber nicht blofs in dem stande des 
famuli Wagner beharren will, der muls sein subject in die schanze schlagen, 
nicht blofs auf die gefahr hin, sondern mit der sicheren zuversicht, im 
drang nach wahrheit jämmerlich zu irren. 

Noch ehe das buch des Herodotos erschien und doch durch dieses 
angeregt falste der junge Thukydides den plan, den entscheidungskampf 
um die herrschaft in Hellas, der eben begann, darzustellen. der grofse 
vorgänger hatte ihn gereizt, nicht es ihm nachzumachen, sondern es 
anders zu machen. ihm schien die weltgeschichte erst recht anzufangen ; 
die herodoteische tragoedie erschien ihm als eine dichtung, gut genug für 
die erweckung erbaulicher hochgefühle an einem festtage, aber nicht als 
nahrung für den geist des handelnden mannes. über dem werke Hero- 
dots lag der verklärende schimmer der poesie: Thukydides wollte das licht 
und den schatten des tages festhalten. er vermeinte, dafs des grolsen 
nicht eben sehr viel übrig bliebe, wenn man jenen schimmer durch 
ruhige kritik der vergangenheit beseitigte: grofsartig dagegen erschien 
ihm die cultur, die Athen besafs und für die es stritt, deren sieg er 
erwartete. er selbst war ein nachkomme von barbaren zugleich und von 
Philaiden. weder der stolz des autochthonen noch der gegensatz gegen 
die Alkmeoniden noch die furcht vor tyrannen und Medern hat ihm 
irgendwie den blick getrübt. er fühlte sich als der moderne mensch 
einer neuen grofsen welt. weder die novelle noch die sage wollte er 
gelten lassen. weder die götter noch die individuen, sondern die poli- 
tischen mächte sah er auf erden regieren, und ihre kämple wollte er 
beobachten und erzählen, minder um ihrer absoluten bedeutung willen, 
als zu nutz und frommen der künftigen politiker. das attische Reich war 
auch notwendig gewesen, damit Herodotos schriebe; aber er sah in 
ihm den abschlufs der geschichte. für Thukydides war seine existenz die 
voraussetzung, denn politische geschichtsschreibung setzt einen wirk- 
lichen staat mit grofsem politischem leben voraus. Thukydides falste 
den plan zu seinem geschichtswerke, während er sich anschickte in die 
politische laufbahn einzutreten. Herodotos gehörte zu den anhängern 
des Jewonrixnog Blog. dafs ein junger reicher Athener der herrschenden 
gesellschaft 432 die zeitgeschichte hat schreiben wollen, verdient in 
wahrheit sehr viel gröfsere bewunderung als die ausführung dieses planes, 
die der durch sein politisches geschick in den Jeworzıxög Blog hinab- 
gestofsene nach 404 einigermafsen geleistet hat. erst die unfreiwillige 
mufse hat ihn dazu getrieben, mit den mitteln der neuen rhetorik ein 


Thukydides. stimmung nach dem falle des Reiches. 13 


stilistisches kunstwerk liefern zu wollen, und so ist er in die gesellschaft 
der kunstprosaiker geraten: nicht blofs der historiker würde ungleich 
reineren genufs von dem werke haben, wenn es fertig geworden wäre, 
wie es begonnen war, in der ächten attischen rede des politischen lebens. 
nur so weit es das programm von 432 erfüllt, ist es dem werke des 
Herodotos ebenbürlig, denn nur so weit steht es wie dieses einzig da; 
stilistisch war es eigentlich schon veraltet, als es erschien. einzig aber 
musste es bleiben, weil die voraussetzung des politischen geschichts- 
werkes, der grofse staat, nicht mehr vorhanden war. eben deshalb 
hat kein griechischer staatsmann mehr geschichte geschrieben, mehr 
als ein jahrhundert lang. erst Hieronymos mag allenfalls verglichen 
werden.‘) 

Das menschenalter der kämpfe, deren ergebnis die zertrümmerung 
des nationalen staates war, hatte in dem ringen der parteien auch die 
historische schriftstellerei zu einer wafle geschmiedet; es konnte auch 
nicht ausbleiben, dafs die scham und der zorn über den sturz des reiches 
und andererseits die sehnsucht und die klage um das verlorene die 
schriftstellerisch so unglaublich regsame zeit auf die geschichte des 
grolsen jahrhunderts hinführte. diese litteratur mit ihren flugschriften 
über die helden der guten alten zeit und die bösen demagogen, die das 
unheil gebracht, mit ihren epitaphien und panegyriken ist in anderem 
zusammenhange (I cap. 6) besprochen. 

Man hatte das gefühl, unter trümmern zu wohnen, und niemand 
eigentlich war davon befriedigt, dafs die staaten in den alten formen weiter 
wirischafteten. dennoch gelang eine reform oder revolution in Sparta und 
Korinth so wenig wie in Athen. alle besseren stimmten in der negation 
des bestehenden überein, nur fand sich nirgend auch nur ein realisirbares 
programm für einen neubau. weithin durch das volk gieng das gefühl, 
o dafs doch ein könig käme; aber dieses gefühl war von einer messia- 
nischen unbestimmtheit, mochten auch die litteraten bald nach Persien, 
bald nach Syrakus lugen. Persiens schwäche war durch den zug der 
Kyreer an den tag gekommen, und der diplomatische erfolg des königs- 
friedens konnte diesen eindruck nicht verwischen. deshalb borgte man 
von dort nur die romanfigur des alten Kyros. historische einkleidungen 


“ 4) Nur in Sicilien gab es dank der energie des Dionysios einen grölseren 
staat, und dort schreibt auch der staatsmann Philistos geschichte in der art des 
Thukydides. aber wir wissen davon nur das factum von hörensagen, da wir weder 
von der geschichte Siciliens noch von dem werke des Philistos eine wirkliche kenntnis 
gewinnen können. 


Stimmung 

naclı dem 
falle des 

Reiches 


14 II. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


für die gebilde der speculation wurden überhaupt mode.) gar nicht 
unwitzig zeichnete Isokrates einen solchen utopischen könig in dem stil- 
gemäls umgebildeten Buseiris, der immer ein mehr scurriler als schreck- 
licher Oger gewesen war. aber derselbe Isokrates hatte noch mehr er- 
folg, als er mit patriotisch ernster miene ein bild des demokraten- 
königs Theseus entwarf. das complement der sehnsucht nach einem 
weltenherrscher ist die verleugnung von staat und gesellschaft, die beide 
dem Hellenen auf die würde des freien zum gehorchen und gebieten gleich 
geschickten mannes gegründet schienen. das neue evangelium, dafs der 
mensch erst frei und glücklich würde, wenn er wie der hund lebte, 
ward mit litterarisch nicht geringem erfolge verkündet; wenn die menge 
von den extremsten ausschreitungen am meisten gepackt ward, so ge- 
wann der egoistische oder auch der philanthropische individualismus bei 
den gebildeten sehr viel terrain. aber diese negation des staates kann 
sich der einzelne in wahrheit nur erlauben, so lange trotz ihm die ge- 
sellschaft und der staat weiter existiren und ihm die ruhige existenz 
sichern, auf dafs er sie negiere. Platon, gleich erhaben über die kümmer- 
lichen staatswesen der gegenwart wie über den schweine-°) und den 
hundestaat, auch den herden- oder militärstaat der speculation,, scheute 
sich doch. nicht vor den äufsersten consequenzen, als er von einem be- 
griffe aus, dem der gerechtigkeit, den menschen als’ politisches wesen 
und den staat construirte. er scheute auch vor dem gedanken nicht 
zurück, selbst mit dem gewaltmittel der tyrannis die weltzu der besten oder 
bestmöglichen gesellschaftsordnung, zu tugend und glück zu zwingen. er 
wagle sich auch an den litterarischen versuch, die summe der weltgeschichte 


5) Bisher sehr wenig erforscht sind die umarbeitungen der alten heroensage, 
und die novellen dieser zeit, werke wie das des Herodoros über Herakles, der 
Dreifufs des Andron, die Nosten des Antikleides, der Abaris des Herakleides. es ist 
sehr wenig damit erzielt, wenn man das eine zu der historie, das andere zur phi- 
losophie wirft. die pragmatisirung der Heraklessage kann sehr gut eine politische 
tendenz wie die Kyropaedie oder eine philosophische wie der Herakles des Anti- 
sthenes gehabt haben. die absicht zu unterhalten braucht den philosophen auch nicht 
fern gelegen zu haben. der sokratische dialog und die isokrateische rede sind nicht 
geniefsbar ohne eine stärkere vorbildung: was hat damals das breite publicum an 
lesestoff erhalten? diese frage fordert auch eine antwort. 

6) Der schweinestaat, den er Pol. 2, 3724 construirt, ist mit nichten der hunde- 
staat des Antisthenes: sonst würde er so heilsen. es ist ein staat auf der grundlage 
des gemeinen materiellen bedürfnisses errichtet; was Platon beweist, ist dafs selbst 
ein solcher die herrschenden bilden mufs, und wenn sie bildung besitzen, verschiebt 
sich von selbst die grundlage des staales. der schweinestaat ist der staat des 
Manchester-liberalismus. 


Stimmung nach dem falle des Reiches. die Isokrateer. 15 


in einem epos von dem kampfe der kinder gottes mit den söhnen des 
fürsten dieser welt zu ziehen. der troische und der medische krieg, an 
denen er seine phantasie genährt hatte, sollte in diesem potenzirten 
idealbilde zugleich mit den heiligen sagen seiner heimat verschmolzen 
werden. das war ein unterfangen, dem selbst dieser dichter nicht ge- 
wachsen war, der doch das epos der weltschöpfung als ersatz einer be- 
schreibung des kosmos vollendet hat. 

Eine solche zeit der speculation über die voraussetzungen des staat- 
lichen lebens, die sich ganz und gar in das utopische verlor, war der 
politischen geschichtsschreibung ihrer natur nach abgewandt. es ist 
auch kein auch nur leidliches geschichtswerk über die zeitgeschichte in 
den beiden nächsten menschenaltern nach dem falle des Reiches ge- 
schrieben.’) aber die dichtung mag wol die historie übertreffen: ersetzen 
kann sie sie nimmermehr. und die phrasen der sophistik befrie- 
digten auf die dauer selbst die bedürfnisse des immer stoffhungrigen 
publicums nicht. so werden die führer der Sokratik eben so gut wie 
die sophisten von selbst auf die geschichte und die geschichtsschreibung 
hingewiesen. Platon und Isokrates lassen beide zumal in ihren späteren 
werken erkennen, dafs sie über unverächtliche geschichtliche kenntnisse 
verfügen. der sophist hat seinen bedeutendsten schülern die historio- 
graphie, weltgeschichte und zeitgeschichte, zur aufgabe gestellt; aus 
Platons schule ist der verfasser der Politien hervorgegangen. das sind 
leistungen, die mit nichten von einander abhängen, sondern den gegen- 
satz der lehrer fortsetzen. . 

Theopompos von Chios hat von seinem rhetorischen lehrer nur die 
form entlehnt, mit der er sich getraute sowol Herodotos wie Thukydides 
wie Platon zu überwinden. er war sophist geworden, weil er sein vater- 
land verloren hatte und benutzte seine kunst mit erfolg dazu eine ein- 


7) Xenophons schriftstellerei hat, so wenig originale kraft der mensch besitzt, 
doch den grofsen vorzug, dafs sie ganz auf seinen individuellen erlebnissen und be- 
strebungen beruht. da er wissenschaft in keiner form je wirklich begriffen hat, ist 
er auch kein historischer forscher, und wenn er geschichte schreibt, so versteht man 
diese erst, wenn man seine persönlichen antriebe und zwecke kennt. die Anabasis 
ist klärlich eine selbstrechtfertigung. was die Hellenika anlangt, so dürften auch 
sie zur rechtferligung der politik verfafst sein, der es gedient halte, und weil das 
zu verschiedenen zeiten eine verschiedene war, sind sie unmöglich ein einheitliches 
werk. möchte doch jemand sich die aufgabe stellen, nicht Hellenika oder Memo- 
rabilien oder Agesilaos einzeln zu tractiren, sondern den menschen als menschen 
ganz zu erfassen: erst dann können die, vielen unbehaglichen probleme der lösung 
wirklich entgegengeführt werden. 


Die 
Isokrateer 


16 II. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


flufsreiche rolle zu spielen, um heimzukehren und politisch tätig zu werden. 
darum suchte und pflegte er den verkehr mit den königen und gewann 
ein entschiedenes politisches urteil. es hat sich gezeigt, dals er die po- 
litischen parteischriften Alhens genau wie Aristoteles auszunutzen ver- 
stand (oben I s. 135). mit den philosophischen richtungen seiner zeit 
hatte er so viel fuhlung, dafs er das persönlich moralische in der 
schilderung und beurieilung der personen in den vordergrund rückte, 
bei allerhand merkwürdigen erscheinungen auch der natur gern ver- 
weilte und seine allgemeinen speculationen in der form von phantasti- 
schen märchen vortrug. aber eine entschiedene politische tendenz und 
eine energische individualität lassen ihn als einen stern von eigenem 
lichte erscheinen.®) er ist ein mann, der ganz seiner eigenen zeit gehört 
und uns deshalb schon fast hellenistisch erscheint. 

Ephoros von Kyme dagegen ist nichts als litterat und hat das 
zweifelhafte verdienst die weltgeschichte als das würdigste object epideik- 
tischer beredsamkeit behandelt zu haben, also der vater jener auf- 
fassung zu sein, die uns von Cicero und Livius her geläufig ist und den 
begriff der geschichte eigentlich denaturirt. denn es gehört dazu der 
patriotismus der panegyriken, der pragmatismus der allgemeinen bil- 
dung und die moral des zu beiden gehörigen bildungsphilisters. wie 
verschieden der inhalt jenes patriotismus auch scheinen mag, wie stark 
sich der ballast des toten wissens vermehrt und die moralische 
terminologie geändert hat: der bildungsphilister ist ganz derselbe ge- 
blieben, und deshalb grassirt die ephorische historiographie. es ist die 
zur zeit in Deutschland approbirte geisttötende und seelenvergiftende 
“geschichte” mit zugehöriger “geographie’, die in naiver schamlosigkeit 
ihre tendenz eingesteht, gesinnungstüchtigkeit und bildung zu züchten, 
und streber oder socialdemokraten erzieht. die persönlichkeit des Ephoros 
ist gleichgiltig; auf sein urteil kommt nichts an: aber der stoff, den 


8) Es ist gar nicht schwer, auf grund von einigen berührungen, wie sie die 
lebendige regsamkeit und der austausch der gedanken in dem Athen des vierten 
jahrhunderts geben mufste, Theopompos an eine philosophenschule anzugliedern: aber 
das ist trügerisch; man blicke nur die ganze person und das ganze werk an. man 
könnte das nämliche mit Ephoros versuchen, z. b. auf grund seiner erzählung vom 
gastmale der Sieben weisen, denen er den unverdorbenen naturmenschen Anacharsis 
und den spötter Aesop gesellt, auch ihn in das gefolge des modephilosophen Anti- 
sthenes einrücken. — seitdem dieses geschrieben war, hat Rohde ausführlicher die 
aufstellungen Hirzels (Rh. M. 47) über Theopompos bestritten, auf die ich zielte, 
aber leider hat auch Schwartz (Ind. Rostock. 93) in Ephoros den Kyniker wirklich 
gefunden. 


Die Isokrateer. die locale tradition. 17 


wir ihm danken, ist recht beträchtlich, und mühe hat er sich wirklich 
gegeben. diese anerkennung müssen wir ihm zollen. sein dickleibiges 
buch ist ein reservoir für die wertvollste ältere überlieferung geworden; 
eben darin ist die analogie zu den peripatetischen sammelarbeiten un- 
verkennbar. sie verhalten sich in ihrem werte zu einander wie Platon 
und Isokrates, wissenschaft und sophistik; der geist in ihnen ist also 
ein sehr verschiedener. aber darin stehen sie einander gleich, dafs keine 
forschung im eigentlichen sinne darin ist. folglich setzt ihre zusammen- 
fassende tätigkeit mit zwingender notwendigkeit eine bedeutende litteratur 
voraus, die ihnen den stoff zur verfügung stellte. 

Auf diese litteratur kommt es mir an, die hinter Ephoros und Ari- 
stoteles steht, ganz in demselben verhältnis, wie es an der Atthis für 
den gröfsten teil der athenischen Politie nachgewiesen ist. diese litte- 
ratur kann aber meistens nur durch die qualität der berichte erkannt 
werden, und es kommt auch viel mehr auf die anerkennung vieler lo- 
caler überlieferungen an als auf die restitution bestimmter schriftwerke 
oder schriftsteller. gewils freuen wir uns, wenn auch dieses einmal ge- 
lingt, aber die aussicht ist gering.‘ es stehen zwar eine anzahl schrift- 
stellernamen zur verfügung, mehr fast aus dem fünften Jahrhundert als aus 
dem vierten. aber die zeit von nicht wenigen ist unsicher, und die 
tradition selbst darf keinesweges nach der person oder zeit des zufällig 
benannten gewährsmannes abgeschätzt werden. die quellenkunde, die 
von den namen der schriftsteller ausgeht, ist genau so unfruchtbar wie 
die forschung nach dem alten epos, die bis vor wenig jahren die trockenen 
knochen Lesches und Arktinos benagte statt die heldensagen zu ver- 
folgen. es gilt also die locale überlieferung aufzusuchen und vorab 
anzuerkennen, dafs diese vieler orten vor Ephoros und Aristoteles bereits 
einen litterarischen niederschlag gefunden hat. und wahrlich, wie hätte 
es anders sein sollen, als dafs eine litterarisch so regsame zeit das vor- 
handene material an geschichtlicher tradition ausgenutzt hätte? in weiten 
kreisen mochte das minder interessiren; zu hause freute sich doch das 
volk an der aufzeichnung seiner eigenen geschichte. wer bezweifelt, 
dafs jedes hellenische gemeinwesen ein reiches beet von sagen und 
novellen war? jahrhunderte lang hatten ihrer nur die einwohner selbst 
gewartet, ab und an ein dichter eine blüte gebrochen oder einige 
stauden in den grofsen garten des epos, später auch des dramas ver- 
pflanzt: jetzt war die zeit der prosaischen litteratur gekommen, und 
gerade weil die hohe poesie verstummte, mulfste die bequeme form der 


localgeschichte sich des bunten stoffes bemächtigen. gewils werden viele 
v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 2 


Die locale 
tradition 


18 I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


werke geringe litterarische verdienste besessen haben, aber wenn wir 
z. b. die milesischen geschichten des Maiandrios oder die naxischen des 
Aglaosthenes lesen könnten, so würden wir schwerlich den aesthetischen 
genuls vermissen. notwendiger weise hatten diese localen erzeugnisse 
eine sehr geringe lebenskraft als einzelnes litterarisches product: das 
epos hatte sich ja auch lange zeit fortwährend umgestaltet. so ver- 
drängte auch hier die spätere bearbeitung bald ihre eigene vorlage, und 
als die sammelwerke erschienen, taten sie Ihnen wieder abbruch. der 
procefs der aufzeichnung und sammlung ist auch an verschiedenen orten 
zu verschiedener zeit geschehen; die stilisirten geschichtswerke machen 
dieser litteratur so wenig ein ende, wie Aristoteles und Ephoros die 
Atthiden beseitigen. gar manches ortes überlieferungen mögen zuerst 
oder mafsgebend erst im dritten jahrhundert aufgezeichnet sein: das 
- ändert nicht viel an dem allgemeinen bilde und an dem charakter dieser 
gattung von nachrichten. 

Sie selbst sind so verschiedener art, wie ihre natur mit sich bringt. 
was wir vernehmen, ist die localtradition, wie sie in den einzelnen orten 
im vierten jahrhundert vorhanden war; setzen wir einmal diese zeit, 
obwol wir an manchen orten hoch hinauf darüber emporsteigen, manch- 
mal bis in das dritte sinken; ich möchte selbst späteres nicht überall 
ausschliefsen. in dieser localtradition steckt sehr viel sage, steckt novelle; 
das also ist in dem sinne auszunutzen, wie oben kurz ausgeführt. 
daneben aber ist eine grofse menge antiquarischer tatsachen vorhanden, 
culte und riten, staatliche organisationen, überlieferung von geschlechtern 
und örtlichkeiten, orakel, volksgebräuche, sprüchwörter und lieder.°) 
diese führen zu den urkunden über, deren es in wahrheit (unsere 
eigenen funde lehren es) sehr viel mehr gab alg ausgenutzt worden 
sind, und endlich, was das wichtigste ist, es fehlte an vielen orten keines- 
weges an chroniken oder chronikartigen aufzeichnungen. hartnäckig 


9) In den resten der aristotelischen Politien sind diese spuren noch vielfach 
kenntlich. ich will proben geben, die fragmente nach Rose, nach demselben die 
capitel des Herakleides, durch H. unterschieden. verschen, die man sei es als volks- 
lieder, sei es als sprüchwörter auffassen kann 485, 496, 545, 553, 557, 571, 574, 576, 
H. 71, orakel 544, 561,565, 596, H.25. citirt werden Homer (H. 14.15, beziehungen 
auf ihn viel öfter), Hesiodos (H. 38), Archilochos (H. 14. 50), Simonides (H. 55), volks- 
tümliche lieder eines später verschollenen Theodoros (515). das persönliche inter- 
esse für die litterarischen berühmtheiten, Homer Hesiod Archilochos Pherekydes 
Aesop, ist auch nicht erst aristotelisch, wie Herodotos lehrt. ganz dasselbe bild 
bieten die reste des Ephoros, mögen wir sie bei Diodor lesen oder in den frag- 
menten, namentlich bei Strabon. 


Die locale tradition. Hellanikos. 19 


sträuben sich die historiker dagegen, obwol die titel @eo. in vielen ioni- 
schen und aeolischen orten, i&geıaı Hocs, "Okvursovixaı, Kapveoıvixaı 
ganz unzweideutig sind. dafür gefällt sich die quellenkunde darin, den 
durch ein längst durchschautes misverständnis aufgebrachten namen 
logographen gedankenlos weiter zu geben, oder mit dem hintergedanken, 
dals es mit der überlieferung durch diese leute nicht viel mehr auf sich 
hätte als mit den fabeln des Aoyorroıög Aesop. die dumme fabel von 


den logographen ist so entstanden, dafs die ungerechte und: unfreund- 


liche wendung des Thukydides gegen Herodotos zum glaubensartikel 
gemacht und der name logograph auf die schriftsteller übertragen ward, 
die Dionysios von Halikarnass, ohne sie zu kennen, vor Herodotos rückt. 
Aoyorroıög oder Aoyoypagyog heifst erzähler in prosa, und Hekataios 
Herodot und Thukydides sind Aoyoygayoı so gut wie wir. die ionische 
schriftstellerei ist den litteraten der späteren hellenistischen zeit fast 
durchweg vorattisch erschienen, weil sie einen archaischeren eindruck 
machte als die attische kunstprosa. dafür liefert die hippokratische 
sammlung den beweis noch jetzt. es ist also auf jene zeitansätze wenig 
verlafs: gerade Hellanikos lehrt das, den die modernen meistens als logo- 
graphen mit an erster stelle führen, und der in wahrheit seine hohe 
bedeutung gerade darin hat, dafs er viel eher mit Ephoros und Ari- 
stoteles verglichen werden mufs als mit den epichorischen autoren oder 
den beiden grofsen Aoyoygapoı Herodotos und Thukydides. 

Hellanikos ist von diesen schon dadurch verschieden, dafs er viele 
bücher über viele gegenstände verfertigt, ferner dafs er als der rechte 
antipode Herodots an dem fremden materiale klebt, das er verarbeitet, 
den chroniken seiner heimat, von Argos, von Athen, der siegerliste der 
lakonischen Karneen. obwol er kein festes chronologisches system überall 
durchgeführt hat, hat er doch nach synchronismen gestrebt und wirklich 
die grundlage der zeitrechnung gegeben: wir sind nun wol ziemlich alle 
der ansicht, dafs Thukydides ihm die ansätze der boeotischen und hera- 
klidischen wanderung entlehnt hat. mit ihm hat sich Ephoros denn 
auch ganz besonders auseinander gesetzt. natürlich hat er auch volks- 
tümliche novellistische erzählungen mitgeteilt, mulste sehr viel die für 
ihn bedeutendste geschichte, die wir heroensage nennen, wiedergeben 
und dabei zur ausgleichung am gewaltsamsten verfahren, aber er war 
mehr ein compilator als ein Aoyorrorog, wie er denn auch den Hero- 
dotos beträchtlich ausgenutzt hat.!%) Thukydides däuchte sich schrift- 


10) Er verdankt ihm namentlich SxvJ4xa, denn da sein fragment 173 Müll. 
(Et. M. Suid. Zauol&ıs) aus Herod. IV 93 ist, so ist damit auch das urteil über die 
q* 


mn, 


u 


Hiellanikos 


Hippias 


20 l. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


stellerisch mit fug und recht weit über ihn erhaben; aber er hat ihn 
doch benutzt. er ist allerdings ein eckstein für die geschichte der 
tradition. denn wenn in dem letzten viertel des fünften jahrhunderts 
ein solcher compilator auftreten konnte, der chroniken des festlandes 
herausgibt oder schreibt, so bezeugt er einmal direct die existenz dieser 
chroniken, indirect aber, dafs die ihm viel näher liegenden ionischen 
“oo: bereits edirt waren, wie ja auch überliefert ist. es versteht sich 
ganz von selbst, dafs genau wie wir die prosaische erzählung an die 
stelle des epos überall treten sehen, so auch die gründungssagen der 
ionischen städte in prosaischen büchern umlaufen mulsten''), und es ist 
sehr bezeichnend, dafs selbst die autornamen zum teil von den epen 
auf die prosaischen xz/oeıg und weor übergehn.') 

Die weisheitslehrer des fünften jahrhunderts zogen herum, traten 
auf und erklärten sich bereit auf alles rede zu stehn. wie sollte es 
ausbleiben, dafs ihnen historische fragen, über die herkunft und das 
alter der städte und geschlechter, die bedeutung von namen und monu- 
menten gestellt wurden? mochten sie sich oft mit autoschediasmen 
helfen oder die kenntnis Homers und anderer anerkannter dichter ge- 
schickt benutzen: sie brauchten doch eine gewisse geschichtliche kennt- 
nis. so sehen wir denn einen von ihnen, Hippias von Elis, auch in 
der altertumskunde erfahren (Hipp. I 285°), der name aexawoloyia fällt 
hier zuerst. und derselbe Hippias hat die olympische chronik zuerst ver- 
öffentlicht. so fühlt und befriedigt selbst die modernste bildung das be- 
dürfnis geschichtlicher studien. 


geographischen coincidenzen gesprochen. athetiren wird die bruckstücke oder das 
buch aus dem sie stammen, die vousua Bapßapıxd, niemand, der nicht im banne 
der falschen überlieferung über die lebenszeit des Hellanikos steht. 

11) Epische xtiasıs werden in den schriftenkatalogen z. b. des Xenophanes 
genannt. sie sind an sich sehr glaublich, nur wimmeln diese kataloge von fäl- 
schungen und irrtümern. 

12) Die milesische chronik trägt den namen des Kadmos, des erfinders der 
buchstaben, die ephesische den des epikers Kreophylos. das sind weder homonyme 
menschen von fleisch und blut noch ihre angeblichen bücher fälschungen. es sind 
nur recht bezeichnende beispiele für dieselbe erscheinung, die den nachlals der 
IIomeros Hesiodos Hippokrates ins unendliche vermehrt hat. Amelesagoras oder Me- 
lesagoras von Athen und Eumelos von Korinth sind gleichen schlages. über das 
alter der bücher, die in Alexandreia oder sonst wo diese autornamen trugen, ist 
nicht mehr ausgesagt, als dafs sie sehr alt zu sein beanspruchten. Delphika des 
Melisseus (Tzetzes in der vorrede zu den Erga 29 Gaisf., aus seiner allegorischen 
quelle) sind wol ganz apokryph. Melisseus ist der vater der aslıocas, Amaltheia 


Hippias. Nordgriechenland. 21 


Doch die forschung nach büchern und autoren ist endlos und ziem- 
lich unergiebig: nützlich aber wird ein umblick über Hellas sein, zu 
zeigen, wo eine solche agxatoAoyla nachweisbar scheint, wo die historie 
constatiren oder vermuten kann, dafs eine quelle auch für uns noch 
wasser gespendet hat. dabei wird mein auge immer auch auf die aristo- 
telischen Politien gerichtet sein, deren kümmerliche reste durch das 
licht, das von dem nunmehr vorliegenden ersten buche auf sie fällt, 
beträchtlich verständlicher geworden sind. 

Die Atthis ist oben (I 8) eingehender behandelt. litterarische dar- 
stellung hat sie erst erhalten, als die attische sprache vollkommen aus- 
gebildet war. nicht viel später hat Megara in Dieuchidas, dann in Ilereas 
eine sehr bedeutende leistung der art auf den markt gebracht, reich an wirk- 
lich geschichtlicher überlieferung, kostbarer antiquarischer belehrung 
aus localsagen und legenden, und getragen von einer kräftigen politischen 
tendenz. 

Für die allgemeine geschichte ist Euboia ganz besonders wichtig; 
eine grölsere anzahl von schriftstellernamen sind bekannt, und ent- 
sprechend der colonisatorischen bedeutung von Chalkis wächst sich die 
localgeschichte zu büchern aus, die man xrioeıs oder sreel nolewyv 
nennt.”) die pflanzstädte der Chalkidike gehören naturgemäls mit der 
mutterstadt zusammen; aber auch das benachbarte Keos dürfte hinzu- 
gerechnet werden können, da Aristoteles recht viel über die insel weils, 
und mir wenigstens kein keischer localschriftsteller bekannt ist. ob es 
eine chronik gegeben hat, die feste zeitangaben in alte zeit hinauf ge- 
stattete, mag fraglich sein. aber artige verschen'*) und alte documente'°) 
sind sogar für uns noch nachweisbar. 

Dagegen ist in Boeotien Phokis Lokris, in Thessalien und selbstver- 
ständlich bei den wilden stämmen der berge und des westens’‘), so 


und ihrer schwestern. Delphi aber hat keine alte chronik gehabt, die Pythioniken 
sind erst vom heiligen kriege ab glaubwürdig. 

13) Die titel dieser ganzen gattung von büchern sind natürlich nicht authen- 
tischer als die’ der werke von Xenophon und Kleidemos. @g04 Zigviov, Atyis, 
Artıun Evyygapn, Milnosaxa, Iovias, Xlov xrias sind nicht falsch, aber darum 
durchaus nicht von den verfassern gegeben. jünger scheint nur die form seoi Oeo- 
calovixns u. dgl. zu sein. 

14) Plutarch Erot, 17. 

15) Urkunde aus dem heiligtum der Artemis in Amarynthos bei Apollodor 
(Strab. 448). 

16) Uncivilisirt ist auch die südküste des korinthischen busens, Achaia. und 
hier hat nicht einmal die zeit der politischen bedeutung den versuch einer stammes- 


Megara 


Eubola 


Nord- 
griechen- 
land 


22 I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


reich die mythen sind, nirgend auch nur eine spur einer älteren ge- 
schichtlichen überlieferung. auch die specialschriften, wie Kineas und 
Suidas über Thessalien, Aristophanes und Krates die Boeoter, sind 
schwerlich älter als das dritte jahrhundert. und Delphi, das dem Herodotos 
so reiches material geliefert hatte, dessen Pythioniken Aristoteles selbst 
bearbeitete, ist bis in die spätere hellenistische zeit illitterat geblieben. 
Im Peloponnes erweist sich Argos durch die Herapriesterinnen und 
eine grofse zahl von chroniken in versen und prosa als die alte capi- 
tale; die übrigen orte der Argolis dürften von ihm abhängen, nur 
Trozen hat eine reichere antiquarische und genealogische tradition. dafs 
die bedeutung des Asklepios von Epidauros verhältnismäfsig jung ist, 
haben die ausgrabungen gelehrt. immerhin besafs selbst ein minder 
bedeutendes heiligtum wie das des Poseidon von Kalaureia eine so 
wichtige urkunde wie die von Ephoros (Strab. 374) benutzte, die unsere 
geschichte zur zeit noch ganz unvermögend ist zeitlich einzuordnen. 
Arkadien ist ganz barbarisch bis auf die hochebene des ostens. 
doch hier hütete Tegea in seinem reichen tempel einen schatz von ur- 
kunden und traditionen; das früh demokratisirte Mantineia kam vielleicht 
mehr noch für vouoı als für die zzolıreia in betracht. Aristoteles 
konnte tegeatische urkunden bereits benutzen (Plut. qu. Gr. 5)'), auch 
machen die reste der tegeatischen schriftsteller Ariaithos (oder Araithos) 
und Aristippos oder wenigstens der erste den eindruck des alters. '°) 
Elis besals, seit es Olympias herr und durch seine bauerndemo- 
kratie zu macht gelangt war, eine grolse bedeutung und auffallend 
starke geistige regsamkeit. seit Hippias die festchronik, die höher als 
jede andere hinaufreichte, zuerst bearbeitet hat, gibt es eine so grolse 
zahl von schriftstellern wie kaum über eine andere landschaft.') und 


geschichte erzeugt. Pausanias sah sich genötigt, die lücke zu verdecken, indem er 
die ionische wanderung erzählte. ein par schriftsteller go: "Axalas sind obscur und 
sicherlich nicht alt. 

17) Epigramm eines Sodamos aus Tegea. schol. Eurip. Hipp. 264. 

18) Teutiaplos, Komarchos, Ekephylidas, Apellas, lollas, Agaklytos, Istros, 
Aristodemos, Polemon. 

19) Die Arkadika des Pausanias geben eine geschlossene, aber besonders junge 
und geringhaltige genealogie. wie früh dagegen von Tegea aus eine auf ganz Ar- 
kadien berechnete aufgebracht war, lehrt das epigramm in Delphi, Pausan. X 9, 
Pomtow Beitr. zur Topogr. von Delphi t. XIV 39. Aristoteles stellte neben Alie 
einzelpolitien die neue organisation des Epaminondas, die xosvn noAıreia, die gar 
keine historische einleitung hatte (Harpokr. uvolos). von der Mavrıvewov ist zu- 
fällig nichts erhalten, aber die Politik (Z 4) bezeugt sie. 


Elis. Korinth. 23 


durch die urkunden des tempels mufste Olympia für alle Hellenen, 
insbesondere die Peloponnesier, eine schatzkammer der wertvollsten über- 
lieferung sein, aus der nur leider zu wenig auf uns gerettet ist. die 
chronik der Olympioniken, die Timaios mit recht zur controlle der 
städtischen jahrzählungen heranzog, empfahl sich, weil sie überhaupt eine 
zählung statt einer benennung der jahre ermöglichte, und darum hat 
sie Eratosthenes befolgt. im übrigen hat diese einführung einer rech- 
nung, die strenggenommen statt des jahres das quadriennium als einheit 
einführt, die chronologie mehr verwirrt als vereinfacht.) 

Eine ähnliche festchronik, des dortigen Pythions und dem entsprechend 
wesentlich musischen inhaltes, besals Sikyon, und sie ist schon vor Ari- 
stoteles publicirt. die wenn auch erst bei späteren erhaltene königsliste 
zeigt, dafs eine wirkliche chronik mit ihr verbunden war. aber von der 
reichen novellistischen überlieferung, die Herodotos wiedergibt, scheint 
nichts weiter aufgezeichnet worden zu sein. 

Auch für Korinth bezeugen die listen der könige, die stemmata der 
Bakchiaden, treffliche daten von koloniegründungen, herrschaftszahlen 
der Kypseliden, eine reiche alte tradition, und an Periandros und seine 
familie hat sich eine fülle von novellen ganz den ionischen vergleichbar 
angesetzt. nachdrücklich hat Aristoteles (im auszuge des Herakleides) 
das andenken des Periandros wider die fabeln von dem tyrannen, die 
Herodotos gibt, in schutz genommen, und wir werden ihm zu glauben 
verpflichtet sein.”) aber dieser fülle, die der bedeutung Korinths, wie 
sie die kunstwerke des sechsten jahrhunderts lehren, entspricht, steht 
das fehlen jeder korinthischen schrift aus den jahrhunderten 5—3 schroff 
gegenüber.) es war eine reiche grolse stadt der krämer und der huren. 


20) Als Timaios ein greis war, ist in Athen ein auszug aus der olympischen 
chronik auf stein publicirt (CIA Il 978), erst eine übersicht der kampfspiele, nach 
der zeit ihrer einführung geordnet, dann die attischen sieger. es sind nur die olym- 
piaden genannt, keine synchronismen gegeben, also hat hierauf Timaios noch nicht 
gewirkt, 

21) Sprüchwörter wie Jıös Kögıvdos, Meyagdovm Ödxopva, Ösyeras xal Bokov 
Alrıns sind in aller munde, zum teil schon in sehr früher zeit, und stammen wirk- 
lich aus korinthischer tradition. 

22) Den namen Eumelos, den das korinthische epos trug, hat man auch einer 
prosaischen schrift gegeben, die zum teil paraphrase des epos war, wie Pherekydes 
oft den Hesiodos paraphrasirt. ein hellenistisches epos Kogswdsaxa von Diodoros und 
schriften der dichter Eupborion und Musaios über die Isthmien gehören nicht hierher. 
ein weilser rabe ist der skeptische philosoph Xeniades von Korinth, dessen ge- 
dächtnis ausschliefslich durch Demokritos (Sextus 201 Bekk. u. ö.) erhalten ist. 


Sikyon 


Korinth 


Sparta 


24 I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


ov sravzog avdeög eis Köpıv9ov 809° ö sehoug: Aristippos geht dahin 
zu Lais, und Diogenes. natürlich: der Kapuziner gehört in die stadt der 
süunde. Byzantion und Tarent, auch dorische handelsstädte, zeigen das- 
selbe abstofsende gesicht. wir wissen denn auch so gut wie nichts über 
die spätere korinthische geschichte. 

Über Sparta würde sich um 400 ein sehr schönes buch haben 
schreiben lassen; die liste der ephoren war seit der mitte des achten 
jahrhunderts aufgezeichnet, und dals sie blos aus den nakten namen 
bestanden hätte, wird nicht leicht jemand probabel machen. alte ur- 
kunden fehlten nicht, wie die rhetra beweist”), eine reiche epichorische 
poesie war erhalten, der cultus und die sitten selbst zeugten von der 
ältesten zeit. aber, wie Thukydides klagt, wollten die herren des ver- 
knöcherten adelsstaates das spartanische prestige durch das tiefste ge- 
heimnis erhalten. Herodotos hat nur wenig in Pitane erfahren; dem 
Hellanikos überliefs man die liste der Karneensieger *), sonst ist auch er 
kärglich abgespeist. man spürt es in den lücken der spartiatischen 
geschichte nur zu deutlich, dafs der adel das licht, das er selbst zu 
scheuen grund halte, auch seinen würdigeren ahnen entzogen hat. dafür 
trat seit 400 die polemische litteratur der pamphlete ein, die für und 
wider die oligarchie geschrieben wurden: das ist die quelle für unsere 
kenntnis der spartiatischen verfassung, und sie war es schon für Ephoros 


23) Unsere jetzige kenntnis zwingt uns, bei einem von diesen pamphletisten 
die rhetra und die inschrift des diskos zuerst aufgezeichnet zu glauben, dem sie 
dann Aristoteles verdankt. jene pamphlete waren, nachdem Aristoteles und Ephoros 
sie benutzt hatten, genau so verschollen wie der avaßovisvrıxöos des Theramenes. 
wer das excerpt des Herakleides genau interpretirt, sieht, dafs Aristoteles damit anhob, 
die streitfrage zu «erörtern, in wie weit die verfassung Iykurgisch wäre; dabei muls 
gelegentlich Alkman erwähnt sein, vermutlich bei einem citate. dann ward das per- 
sönliche des Lykurgos behandelt, wobei seine zeit durch den diskos bestimmt ward, 
und vorsichtig abgehandelt, was man ihm von speciellen bestimmungen zuschrieb. 
die ephoren waren nicht mehr darunter. endlich folgte eine schilderung des Bios 
Aaxovıxos. an welcher stelle die rhetra stand, kann ich nicht mehr erkennen. 

24) Trotz E. Meyer kann ich nicht umhin diese für ein sehr altes actenstück 
zu halten, die voraussetzung der elegischen metaphrase, und Babyka und Knakion 
sollten das zu beweisen genug sein. erfand die verschollenen locale ein delphischer 
schwindier? mit dem dialekte zu operiren vermag ich nicht; dafs er nichts spe- 
cifisch lakonisches oder delphisches hat, liegt auf der hand. eben so steht es mit 
den elegien, für die schon ihre variirende fassung die herkunft aus dem volksmunde 
garantirt. wenn vollends ‘junge’ wörter wie dovisia (Solon) &Asvfsoia (Pindar, 
Simonides) öuoroım (Antiphon der sophist) orakel discreditiren sollen, so hört der 
spals auf. 


Sparta. Kreta. 25 


und Aristoteles.) es ist bezeichnender weise hier wirklich fast nur die 
zcolırsia, um die sich alles dreht, von der geschichte erfahren wir kaum 
etwas: denn Lykurgos und Theopompos kommen eben für die verfassung 
in betracht. erst im dritten jahrhundert hat Sosibios”) seines vater- 
landes altertümer in sehr dankenswerter weise erläutert und auch die 
geschichte zu ordnen versucht. aber die fehlende geschichtliche über- 
lieferung vermochte der gelehrte sammler nicht mehr zu ergänzen. ich 
wenigstens betrachte selbst die königsliste als ein unzuverläfsiges ge- 
mächte auf grund der herodoteischen genealogien. 

Noch sehr viel mehr als Sparta hatte Kreta die fühlung mit der 
hellenischen cultur verloren. die insel, welche weder das attische Reich 
noch die lakonische vorherrschaft in ihre kreise gezogen hatten, war von 
der tyrannis und der demokratie, von der ionischen und sicilischen aul- 
klärung verschont geblieben; Platon wufste, dals die Kreter noch um 360 
den Homer kaum kannten. sie hatten aber auch keine eigene poesie, 
wenigstens keine, die den Hellenen bekannt oder verständlich war.””) man 


25) Hellanikos hatte als Lesbier an seinem landsmanne Terpandros ein beson- 
deres interesse und hat wol die verantwortung der hohen schätzung desselben zu 
tragen, in der ihn die neueren noch weit übertreffen. diese haben sich nicht klar 
gemacht, dafs so ziemlich alles was sie von ihm hören auf combination beruht. 
seine verse sind schon im altertum athetirt, über seine musikalischen compositionen, 
die allein der berufene »ouos angeht, können wir nicht urteilen, weder was seine ur- 
heberschaft noch was seine verdienste angeht. die dsadoxr der musiker kann gar 
keinen höheren wert beanspruchen als die der dichter oder philosophen. seine poli- 
tische tätigkeit ist erweislich fabel. was bleibt? 

26) Ich kann noch eben den irrtum berichtigen, dafs der Lakone Sosibios mit 
dem Iytiker identisch gewesen wäre, dank Wachsmuth (de Erat. Apoll. Sosibio 
Leipzig 93). aber ihn für jünger als Eratosthenes zu halten, ist mir unmöglich. 
nach der losreilsung der Eleutherolakonen, in dem verfallenen Sparta nach Nabis 
scheint er mir undenkbar, und ich vermag auch keinen zwang in Wachsmuths wahr- 
scheinlichkeitsbeweisen zu sehen. Sosibios pafst vielmehr vortrefflich in die zeit 
des Kleomenes. dagegen stimme ich in der beurteilung des sosibischen gutes bei 
Pausanias mit Wachsmuth überein, denke eher noch etwas skeptischer, namentlich 
über die ersten capitel des dritten buches. directe benutzung wird er selbst nicht 
annehmen. 

27) Dieser mangel an contact mit der hellenischen cultur genügt allein dazu, dals 
man in dem verfasser der Theogonie des Epimenides nicht einen wirklichen Kreter suche. 
den kretischen Zeus, den sie verherrlichte, hatte doch Hesiodos auf dem Helikon 
schon gekannt, und die figur des propheten sammt der fiction, die das gedicht zu- 
sammenhielt, ist nach Kreta versetzt eben um des Zeus willen; übrigens stellen 
barbarische gegenden, wie Akarnanien und Epeiros gerne die seher. Karnos (dessen 
name nichts als der eponymos der Akarnanen ist) war ja auch ein seher. 


Kreta 


Die 
dorischen 
inseln 


26 I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


möchte wol den forschungsreisenden kennen, der einmal dorthin gezogen 
ist und von den halbbarbaren gastlich aufgenommen *) in den sitten und 
der gesellschaftsordnung zustände fand, die er sich berechtigt hielt für 
das originale Dorertum zu halten. mit ächt hellenischer beobachtungs- 
gabe hat er geschildert was er mit eben so ächter auffalsungsgabe 
beobachtet hatte, und sein werk hat dem greisen Platon die anregung 
zu der fiction seiner Gesetze gegeben und dann dem Ephoros und Ari- 
stoteles das material zu ihren schilderungen geliefert. ich rede von einem 
berichterstatter, da die nachrichten, so weit sie die kretischen zustände 
angehn, einen einheitlichen eindruck machen, mag es auch mehrere 
darstellungen gegeben haben, den Atthiden analog.*) kretische ge- 
schichte konnte jener mann freilich nicht geben”), und als die Ptole- 
maeer Kreta mit gewalt aus seiner vereinzelung aufrüttelten, sahen sich 
die nun erstehenden kretischen localhistoriker, Dosiadas und andere, 
genötigt die lücke mit mythischen fabeleien zu füllen, denn selbst helden- 
sage wulsten sie nicht zu finden. die insel aber gieng von der archaischen 
naiven barbarei unheimlich schnell in die abscheulichste culturbarbarei 
über. ihre wirkliche bedeutung liegt nur in der zeit des Minos. 

Die kleinen dorischen inseln Kythera Melos?') Thera Anaphe*) 


28) Die gastfreiheit hebt Aristoteles in der kretischen Politie hervor (Herakl, 
am ende); in der Politik (3 1272b) gibt er mit feiner wendung die begründung, 
Esynlaclas 70 nögem Trenoinnev. 

29) Ephoros verweist auf mehrere entgegenstehende meinungen, operirt mit 
onusia, mit sprüchwörtern (0 Kors zn» Jdlaacav), Homerexegese u. dgl., ganz wie 
die Atthis des Aristoteles. da für ihn die vergleichung der kretischen verfassung 
mit der lakonischen ein hauptgesichtspunkt war, und er beide ziemlich gleich dar- 
stellte (Polybios VI 45), so liegt nahe zu glauben, dafs das interesse für Spartas 
verfassung, das in der ersten hälfte des vierten jahrhunderts so rege war, auch 
jenen forschungsreisenden nach Kreta getrieben hat. aber wer war es? 

30) Aristoteles und Ephoros operiren mit den epischen traditionen, Rhada- 
manthys Minos Idomeneus. Althaimenes stammt aus argeiischer sage, Thaletas aus 
lakonischer. die fragmente 518.519 hat Rose ohne grund in die kretische Politie 
gerückt. das erste geht dem chalkidisch thebanischen Rhadamanthys an, der den 
Herakles erzogen hat, das andere erklärt eine angeblich heroische sitte (die pyr- 
rhiche) aus einer kretischen, wie die Poetik (25) eine epische vocabel durch ihre 
krelische epichorische bedeutung erläutern will. die söügeras Kovons und ITugosxos 
(Strab. 480) wird Ephoros selbst erfunden haben. 

31) Die angabe über das alter der kolonie Melos kann Thukydides (5, 84) sehr 
wol aus der peloponnesischen tradition, also der von Argos, haben. 

32) Die Argonautensage von Anaphe (Isyll. 92 Knaack Callimachea Stettin 87) 
stammt nicht aus epichorischer aufzeichnung, sonst würde der gott wie in Anaphe 


Die dorischen inseln. Grofsgriechenland. 27 


Astypalaia haben weder eine originale noch eine nachgewachsene chronik 
und stellen sich so von selbst unter die kleinsten ionischen eilande, 
Ikos Leros Sikinos. Aigina war zu Pindars zeit die blühendste stätte 
der archaischen cultur; damals war für prosaische schrifistellerei noch 
nicht die zeit. dann aber zerstörte Athen die gefährliche rivalin, und 
die lıerstellung des staates 403 ist nicht im stande gewesen, ilın lebens- 
fähig zu machen. die geschlechter, auf denen er beruhte, waren zer- 
schlagen und zerstreut.) die grolsen dorischen inseln an der karischen 
und Iykischen küste sind geistig ionisirt; aber wie für ihre politische 
so auch für ihre geistige bedeutung war die centralisation die not- 
wendige vorbedingung, die 411 die stadt Rhodos, 366 die stadt Kos schuf. 
erst beträchtlich später hat die gelehrsamkeit den reichtum von antiqua- 
rischen altertümern, der in den älteren orten erhalten war, erschlossen: 
eine höher hinauf reichende geschichtliche uberlieferung hat es nicht 
gegeben. °*) 

Auch das dorische Kyrene hätte wol eine localgeschichte haben 
können, hat sie aber nicht erzeugt.) 

Sicilien und Italien nehmen wie in allem auch in der historischen 
tradition eine sonderstellung ein. so kurz nach dem tode des Herodotos, 
dafs er ihn nicht mehr benutzt haben kann, schreibt Antiochos von 
Syrakus nicht etwa blofs die chronik seiner heimat, sondern die archaeo- 


Asgelatas heifsen. das hat ein ionischer forschungsreisender aufgebracht, ebenso 
wie Herodotos die theräischen traditionen über Kyrenes gründung überliefert. 

33) Die Pindarscholiasten haben über die aeginetischen familien und heilig- 
tümer die ersichtlich spätgrammatischen schriften von Theagenes und Pythainetos 
sep Aiyivns mit wenig nutzen consultirt. wenn ein Römer Bassus sich als nach- 
komme der alten Baoaldas aufspielt (Kaibel epigr. 892), so kannte er sie aus dem 
Pindar. 

34) Aristoteles (Herakleides) kennt das auftauchen der insel Rhodos, das bei 
Pindar steht, und einen nicht epichorischen namen ’Ogıovaca. diese fabelhaften ur- 
namen, die es für die meisten inseln und manche städte gibt, und die bei den geo- 
graphen ein zähes leben führen, müssen einmal mit einem schlage aufgebracht sein, 
keinesfalls sind sie ein jeder an seinem orte gewachsen. fgm. 569 hat Rose ohne 
grund in die Politie der Rhodier gesetzt, da es Diagoras angeht (wenn auch das 
nähere nicht mehr kenntlich ist), so gehört es vielmehr in die olympische tradition, 
was die Politik über Kos und Rhodos bringt (Z 1302 und 1304) ist bisher un- 
genügend erklärt, scheint aber das vierte jahrhundert anzugehn. die bedeutung der 
synoikismen hat Aristoteles nicht politisch gewürdigt. 

35) Aristoteles hat in dieser Politie vorwiegend den Herodotos benutzt, wie 
der auszug lehrt. die schriften sed Kvonzvns haben geschichtlich kaum etwas 
brauchbares hinterlassen. 


Kyrene 


Grofs- 
griechen- 
land 


28 l. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


logie des neuen Hellas. er stammt aus der stadt, die von allen dorischen 
allein die heimische mundart in poesie und prosa ausgebildet hat, und 
doch schreibt er ionisch. in Westhellas sind eben die träger der geistigen 
cultur die chalkidischen städte, und wer die fülle der überlieferung über- 
schaut, wird nicht bezweifeln, dafs chalkidische chronisten dem Antiochos 
die anregung gegeben haben, mögen sie auch für uns verschollen sein. *) 
die ionischen städte sind im westen gerade während des fünften jahr- 
hunderts erdrückt worden, aber sie haben von ihrem geiste den Achaeern 
und Dorern, ja auch den lItalikern mitgeteilt. Sybaris, achaeisch der 
race nach, aber mit Milet eng durch freundschaft verbunden, ist 
schon im sechsten jahrhundert zerstört, und doch kennt schon das 
fünfte sybaritische geschichten als litteraturgattung. im westen, wohin 
das epos nicht mehr gedrungen ist, hat sich die prosaerzählung früher 
und stärker ausgebildet, und welche fülle von novellenfiguren tritt 
uns hier entgegen, Euthymos und Milon, Smindyrides und Amyris, 
Pythagoras und Empedokles, Phalaris und Malakos. deutlicher als 
irgend wo sonst sehen wir die mythischen gründungssagen, voll von 
geschichtlicher erinnerung, und die urkundlichen daten neben einander 
liegen. das ist direct freilich zumeist timaeisches gut, aber der gelehrte 
sammler fufst auf älterer litteratur und beweist am besten, dafs die zeit 
der aufzeichnung für das alter der überlieferung ein unzureichendes 
kriterium ist. Aristoteles hat über den westen begreiflicher weise nicht 
viel gegeben”), und wir hören davon wesentlich durch die erbitterte 
kritik des Timaios. dagegen mufs er über die städte des ionischen 
meeres Epidamnos Apollonia Korkyra Itlıaka Kephallenia ganz besonders 
ergiebige von niemand sonst benutzte überlieferung zur verfügung ge- 
habt haben; sowol die Politik wie die Politien lehren es, und selbst 
Timaios ist ihm hier in manchem gefolgt. die euboeischen historiker 
dürften die vermitller gewesen sein, da Euhboeer die vorläufer der Kurin- 
ther im ionischen meere gewesen waren, während die achaeischen und 
dorischen orte selbst fast culturlos waren. *) 


36) Ein solcher name ist Hippys. das buch, das um 250 unter seinem namen 
gieng, war aber nicht mehr original. was gegen meine kritik (Herm. 19) eingewandt 
ist, scheint mir einer ernsthaften widerlegung nicht zu bedürfen. 

37) Was wir von seinen Politien der Geloer und Akragantiner hören, geht 
vorwiegend die grofsen tyrannen an, stammt also aus der politischen geschichte. 
über Rhegion weils er ausgezeichnetes; natürlich gab es in der ionischen stadt eine 
chronik, 

38) Der Chalkidier Dionysios (Plut. de malign. Herod. 22) kennt eine korky- 
reische urkunde. auch bei dem Epiroten Proxenos, der zu Pyrrhos zeit schreibt, 


Massalia. lonien. 29 


Aber Massalia im äufsersten westen ist eine lonierstadt und hat 
sich seiner herkunft würdig bewiesen. am besten beweisen es seine 
grolstaten auf wissenschaftlich geographischem gebiete, der alte peri- 
plus, Euthymenes und Pytheas. die altionischen gesetze waren auch 
schriftlich fixirt und standen bis in späte zeit auf dem markte (Strab. 
179), und es gab auch eine massaliotische geschichte. die reizende 
gründungsnovelle hat Aristoteles (bei Athen. XII 576) nicht aus dem 
volksmunde, und er ist auch in der Politik in der lage, über die ver- 
fafsungsgeschichte mehreres beizubringen. ®) 

Nun endlich das östliche eigentliche Ionien, das lIonien Homers, 
die heimat des epos, der novelle, der philosophie. da braucht man nicht 
zu suchen, da wird es vielmehr überflüssig auf einzelnes hinzudeuten. 
die namentlich und wenigstens zum teile zeitlich bekannten schrift- 
steller reichen bis in das sechste jahrhundert und einzelne wenigstens 
haben sich in einer mehr als epichorischen geltung behauptet, wie 
Charon und Maiandrios. wir sehen auch die berühmtesten und höchst 


weist manches nach Euboia. der localhistoriker Athanadas von Ambrakia (Anton. 
Liber. 4) schmeckt nach der art des Nikandros; älter als die zerstörung durch 
Acilius Glabrio wird er freilich sein. dafs Korkyra so ganz für die cultur ausfällt, 
gleich seiner mutterstadt Korinth, ist sehr beherzigenswert. ein weilser rabe, der 
tragiker Philiskos, beweist so wenig für seine cultur wie Alexandros für die von 
Pleuron, und die gelehrte Agallis ist auch nicht zu hause ein blaustrumpf geworden. 
hätte Korkyra seine schuldigkeit getan, so gäbe es heute keine albanesische frage. 
aber die entsetzlichen greuel, die Thukydides erzählt, stehen in grellem contraste 
zu der berückenden weichen schönheit der Phaeakeninsel. ohne Aids und Alen 
wächst eben selbst im paradiese nichts als obst. 

39) In der Poetik 21, wo Aristoteles von einfachen und zusammengesetzten 
nomina handelt, sagt er, es gäbe auch viele zusammengesetzte namen sicut mulla 
de Massaliotis, Hermocaicozanthus qui supplicabatur dominum caelorum (so die 
arabische übersetzung zur ergänzung unseres lückenhaften textes, Diels Ber. Berl. 
Akad. 19 jan. 1888): darin kann ich nichts finden als eine weihinschrift 'Eouoxas- 
»oSar dos exkauevos Au, und weils nicht, wie Diels zu drsuyeo9as und Asi narei 
kommt. ich kann also nur glauben, dafs bei den Massalioten verdrehte dreifach 
componirte namen bestanden, und Aristoteles wird diese inschrift irgendwo in Hellas 
gesehen und belacht haben, oder seine schüler haben davon erzählt. der name ist 
verdreht, aber Evdauınnos, Er£evınnos, Innaguodogos sind es nicht minder und 
geben auch drei glieder; wir sind nur an diesen lächerlichen stolz auf das ritter- 
pferd, die fiction des adels, gewöhnt. Kryıoodnuos Avoiönuos Govdnuos sind 
auch an sich sinnlos, aber der athenische bürger hatte den demos gern in dem 
namen seines kindes, weiter fragte er nicht dem namen nach. die massaliotische 
onomatologie ist uns unbekannt, und wir können unmöglich a priori sagen, wie sie 
nicht war. 


lonien 


30 I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


gestellten die geschichte der eigenen heimat zur aufgabe wählen, Ion 
von Chios und noch den peripatetiker Duris von Samos. die Aeoler 
von Lesbos und Kyme“) stehen den loniern gleich, und diese zeigen 
dieselbe regsamkeit auf den Kykladen, am Hellespont und im Pontos **) 
wie in den zwölfstädten der küste; am Pontos nimmt aber auch die 
megarische pflanzstadt Herakleia einen ehrenplatz auf allen gebieten des 
geistigen lebens ein.”) dals wirklich zeitgenölsische chronikartige auf- 
zeichnungen und viele alte urkunden vorhanden waren, versteht sich 
eigentlich von selbst. zufällig erhaltene stücke, wie über die gründung 
von Ephesos aus der dortigen und der siphnischen tradition“) oder 
die schiedssprüche im Athenatempel zu Priene, liefern auch greifbare 
belege. für manchen ist vielleicht bezeichnender, dafs Aristoteles in der 
samischen Politie das erscheinen einer weilsen schwalbe, so grols wie 
ein rebhuhn, notirt.*) aber die lust zu fabuliren, die freude an dem 
spiele der phantasie und dem bunten leben, die lonien als erbe Homers 
besafs, ist für die rein geschichtliche überlieferung verhängnisvoll ge- 
worden. die schriftstellerei stand im zeichen der novelle, als sie die 
geschichtliche überlieferung zu behandeln begann, der subjectivismus und 
rationalismus trat hinzu, und so sind gerade die ionischen traditionen 
für den historiker mindestens viel schwerer verwendbar geworden als 
die nakten namen und daten aus anderen orten. schon wenn wir die 
Iydische geschichte und die ionische, so weit sie herangezogen wird, bei 
Herodotos lesen, werden wir oft bedenklich (obwol die schlacht bei Lade 


40) Noch Menekrates von Elaia, ein schüler des Xenokrates, schreibt xTiasıs 
seiner aeolischen heimat (Strab. 572 u. ö., immer aus Demetrios von Skepsis). 

41) Schriftsteller aus älterer zeit (wie später namentlich Demetrios von Kal- 
latis) kenne ich nicht, aber die gründungsdaten sind zum teil erhalten, und Aristo- 
teles verfügt über historisches material selbst aus Phasis und Istros, 

42) Hier steht im dritten jahrhundert selbst die chronik des dichters Phere- 
timos neben der des staatsmannes Nymphis. da die stadt erst in der mitte des 
sechsten jahrhunderts entstanden ist und dauernde nahe beziehnung zu Athen unter- 
halten hatte, ist es nicht wunderbar, dafs sich gute überlieferung in geschichtlicher 
form erhalten hatte, bis sie aufgezeichnet ward, und schon vorher Aristoteles und 
andere über die herakleotischen verhältnisse orientirt waren. wie wichtig die stadt 
diesem erschienen ist, vgl. I 10. 

43) ago: ’Eyeoiov Athen. VII 361, ago Zipriov VI 267. 

44) Herakl. 31 4pdvn Asvan xeAduv or“ dAarrwv negdıxos. der iambische 
trimeter ist durch zufall entstanden; es ist keiner für altionische metrik. dieselbe 
tatsache aus den anonymen ®gos Sausaxoi bei Antig. Karystr. Parad. 120. das er- 
scheinen der ersten weifsen tauben berichtete Charon in seiner lampsakenischen 
chronik, Athen. IX 394. 


Ionien. fortleben der novelle. 91 


den eindruck einer weit gröfseren glaubhaftigkeit macht als die bei den 
Thermopylen). wie viel ängstlicher mufs uns nicht zu mute sein, wenn 
wir etwa von Pindaros und Pythagoras von Ephesos oder den Gergithes 
von Milet bei Aelian lesen? in der tat ist die altionische geschichte 
für den historiker fast verloren, und noch scheint es nicht, als wollte 
sie der boden uns zurückschenken. dafür ist sie in das reich der poesie 
übergegangen und hat dort eine lebenskraft bewiesen, vergleichbar nur 
der heldensage. 

Ionien hat gleich nach der befreiung durch Alexandros einen neuen Fortleben 
aufschwung genommen, in einem bewulsten und berechtigten gegensatze_ traditlon 
zu der bevormundung durch Athen und seine litteratur. die schönste 
blüte dieser bewegung ist die erneuerung der elegie und des iambos. 
die elegie aber griff auf die novellistisch gewordene geschichte, auf die 
archaeologie zurück. diese romantische litteratur ist den zroAıreiaı der 
peripatetiker genau so analog, wie die wissenschaftlich philologische arbeit 
des Kallimachos und Eratosthenes der wissenschaftlich aesthetischen des 
Aristoteles und seiner schüler. so sind denn auch ihre quellen oft geradezu 
dieselben.*) es gehn auch versuche nebenher das epos zu erneuern, 
und die archaeologie ganzer landschaften oder einzelner städte so zu 
verarbeiten. Mnsourns ‘'Podov xrioeıs, Ocıralına, Meoonvıaxa: 
das verhält sich zu den aizıa des Kallimachos wie Ephoros zu Aristo- 
teles. das zweite jahrhundert bringt noch viele nachzügler auf allen 
gebieten, BıY$vvıaxa des Demosthenes, die schriftstellerei des Nikandros 
über Aetoler Oetaeer u. dgl., ausgeartete zrolıreiaı, wie seine verse aus- 
geartetes epos sind. im ersten jahrhundert gibt Alexandros von Milet 
in höchst anerkennenswerter weise grolse compilationen über die ar- 
chaeologie von Karern Lydern Juden und andern hellenischen und halb- 
hellenisirten stämmen. aber weder die poesie noch die wissenschaftliche 
schriftstellerei der gelehrten ist volkstümlich geworden. dagegen wuchert Fortieben 
die novelle fort, mit dem aus einer ionischen wurzel erwachsenen Helle- ** "le 
nismus bis nach Seleukeia am Tigris und Ptolemais am Nil verbreitet. 
mitten in der schlimmsten zeit des ausgearteten barokstils begegnen uns 
wieder die Avdıaxa des Skytobrachion. eine zeitgemälse bearbeitung des 
alten Xanthos wollten sie sein: es ist der historische roman, berechnet 
lediglich auf das ergetzen des publicums. auch MıAnoraxa treten wieder 
auf, von Aristeides, nicht mehr als geschichtsbuch, sondern als roman, 


45) Die erhaltene erzählung aus dem Apollon des Alexandros von Pleuron ist 
geradezu ein capitel der MiÄncsaxa so wol im sinne der alten königsgeschichte wie 
in dem der erotischen novelle. 


Ergebnis 


32 I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. 


mit einer erotik, die für einen derberen gaumen berechnet war als die 
romantische elegie, und keinesweges deren tochter. sie stammt vielmehr 
genau so direct und so rein von der alten novellistischen geschichte ab 
wie die Ephesier, die sich dem Mithradates ergaben, von dem volke, das 
unter den Basiliden gestanden hatte. ob sie schon durch Aristeides den 
entscheidenden schritt getan hat, die mythischen namen ganz abzustreifen, 
verstattet unsere kümmerliche überlieferung nicht zu erkennen: bald ist 
es jedenfalls geschehen, sonst würde Petrons matrone von Eplesos den 
namen einer fürstin des siebenten oder sechsten jahrhunderts tragen.*) 
aber die herkunft der griechischen romane aus der alten erzählungs- 
litteratur ist deutlich genug. wo die alten träger geblieben sind, wie 
Pythagoras Aesop die Sieben weisen, liegt es auf der hand. bei den 
erotischen erzählungen verkennt man es leicht. die sophistik der kaiser- 
zeit hatte sich eingebildet, eine neue veredelnde form gefunden zu haben, 
und wie sie die motive der komoedie zu mehr oder nıinder albernen 
briefen von hetären parasiten bauern und fischern verbrauchte, wobei 
die locale attische farbe gar oft verloren geht, so bewahren ihre ero- 
tischen erzählungen, berechnet für den öden salon einer vorkommenden 
gesellschaft, nur hie und da ein par locale züge.”) so gerät man in 
regionen, die von aller historie ganz fern liegen, wenn man einen zweig 
der geschichtlichen überlieferung durch die jahrhunderte litterarisch ver- 
folgt. um so weniger wollen wir hier auf die metamorphosen einen 
blick werfen, die die hellenistische novelle aufserhalb von Hellas erlebt hat. 
zu Aristoteles zeiten waren die IMeAnoıaxa noch durchaus historie, Aoyo- 
yoapia, so gut wie das werk des Herodotos, vermutlich annalen, so gut 
wie die Atthis. 

Gelehrt hat dieser überblick der tradition vielleicht nur die etwas, 
welche in der lage waren, sich bei der einzelnen stadt oder land- 
schaft die hauptsachen von der über sie erhaltenen überlieferung ins 


46) Nachdem dieses geschrieben war, ist in den resten von Joovgsaxa, oder 
Baßviovıaxa, wie immer der titel hiels, die Wilcken veröffentlicht hat (Hermes 28), 
ein erwünschter beleg hinzugetreten. da sind die träger der erotischen fabel, die den 
späteren recht ähnlich ist, noch Ninos, Semiramis und ihre umgebung. der roman 
steht innerlich wie zeitlich zwischen der älteren historie und den sophistischen 
&owrixai Öınynasıs. ich wülste ihm nichts besser zu vergleichen als die reste der 
ersten bücher des Nikolaos, die ihm auch zeitlich am nächsten stehn dürften. 

47) Chariton fingirt die zeit des peloponnesischen krieges, der lateinische roman 
von Apollonius führt sogar die personen der diadochen ein: den spätlingen waren 
jene zeiten so ferne vorzeit wie Ninos und Kroisos der zeit des Nikolaos. das local 
ist meistens die hellenische ostküste des Mittelmeeres. 


Ergebnis. 33 


gedächtnis zurückzurufen. in diesen fall aber möge sich jeder setzen, 
der mit der hellenischen geschichte mehr als sophistisches spiel treiben 
will. so weit die historie erzählung der ereignisse ist, krankt unsere 
überlieferung bis 432 wirklich an einem unersetzlichen mangel an ma- 
terial. so weit es aber die darstellung des zuständlichen und die er- 
klärung gilt, wie dieses geworden sei, ist der mangel an material ein 
mangel der methode. da muls die wissenschaft besser suchen lernen 
und muls die scheidekünste gegenüber dem gestein, das in unsern 
schächten bricht, vervollkommnen, statt es als taub auf die halden zu 
werfen. lernen wir die sagen, die novellen, die tendenzschriften besser 
verstehn als Aristoteles. vor allen dingen aber begreifen wir und be- 
herzigen wir die notwendigkeit den zugang zu den besten, den wahr- 
haften quellen zu eröffnen, der localen überlieferung. Aristoteles ist 
keine quelle mehr, er hat sich nur als ein canal herausgestellt; aber 
was er bietet ist zum besten teile quellwasser, und heute wie vor jahren 
gebe ich die parole für die griechische geschichtsforschung aus: nicht 
die weltgeschichte des Ephoros, sondern die Politien des Aristoteles sind 
das vorbild für unsere eigene arbeit. 


v. Wilamowlitz, Aristoteles. II. 3 


Die burg 


2. 
DIE POLITIE DER ATHENER VON KEKROPS BIS SOLON.') 


Die steine der burg von Athen erzählen uns von einer zeit, deren 


Kekroper. selbst. die sage vergessen hat. hinter der gewaltigen ringmauer wohnten 


die Kekroper in kleinen häuschen, und der palast ihres königs stand 
etwa da, wo die zeit Kleophons das Erechtheion gebaut hat. die burg 
hatte keineswegs nur den zugang von westen, sondern es führte von 
nordosten ein steiler aber breiter weg zum schlosse, und eine schmale 
treppe stieg zur späteren Pansgrotte hinab (Euripides nennt diesen weg 
uaxoal) und weiter zur Klepsydra. am nordfulse des burgfelsens rann 
der flufs, an dem dieses Athen lag, der Eridanos, und sein “reines nafs 
schöpften’ die mädchen. an der ecke, wo das Erechtheion mit dem 
Athenatempel zusammenstöfst, den Peisistratos erbaut hat, zeigt die wand 
selbst, dafs der baumeister auf einen raum darunter rücksicht nahm, das 
grab des Kekrops. kein zweifel, dafs dieses grab die gebeine eines alten 
herren des schlosses barg oder birgt. noch heute kann der andächtige 
blick die male schauen, die der dreizack Poseidons in dem burgfelsen 
zurückgelassen hat, und ist auch Athenas ölbaum verschwunden, so ist 
doch die umfriedigung des gärtchens unverkennbar, in dem der tau der 
Agrauliden seiner wartete. auge und hand kann fühlung nehmen mit 
einer zeit, die eine verschollene urzeit war, als Peisistratos den alten 
tempel baute. damals sprofs noch der heilige öülbaum und stand noch 
der hausaltar der alten könige des schlosses.. die continuität ist in 
Athen niemals abgerissen, obwol die erinnerung nichts fest gehalten 
hatte als die tatsache der continuität. 


1) Es war undurchführbar, in den darstellenden capiteln 2—4 im einzelnen 
auf die begründenden untersuchungen zu verweisen, die im drucke auf sie folgen. 
den ersatz liefern die register. 


Die burg der Kekroper. das volk Athenas. 35 


Die burg von Athen ist ihrer anlage und bauart nach ein erzeugnis 
derselben periode wie die von Tiryns, Orchomenos, Arne und viele 
andere, in Attika namentlich Eleusis und Thorikos. ihre herren haben 
die kekropische ebene beherrscht; das ist nicht wenig für jene zeit der 
vielen kleinen burgherren. aber wirkliche staaten oder städte kannte 
jene zeit noch nicht. jenseits der niederung im südwesten, die damals 
entweder meer oder lagune war (das aAlrcedov), erhob sich schon eine 
andere solche burg, Munichia, und an den abhängen des Parnes und 
Brilettos werden sie nicht gefehlt haben. es hat der zeit und der arbeit 
und der kämpfe vieler generationen bedurft, bis sich über den trümmern 
dieser burgen die stadt Athen, und über den kleinen politischen ein- 
heiten der staat der Athener erhoh. auch diese zeiten und kämpfe sind 
verschollen, und auch von ihnen ist nur im gedächtnisse geblieben, dafs die 
continuität nie abgerissen ist, während überall ringsumher, in Boeotien 
und Euboia, Megara und Aigina, und im ganzen Peloponnes fremde 
eroberer den geschichtlichen fortschritt bringen. in langem ruhigem 
stillem wachstum ist das edelste reis des hellenischen gartens auf dem 
felsen Athenas gediehen. 

In diesen zeiten des werdens ist das königtum oder vielmehr die 
monarchie zu grunde gegangen und die souveränetät der gemeinde (dnuos) 
entstanden. in die gemeinde aber sind die herrschaften alle aufgegangen, 
die vorher neben einander in Attika bestanden, auch die der burg, und 
sie am entschiedensten, denn sie hat sogar ihren namen eingebüfst. sie 
heifst nun wie die gemeinde; die gemeinde aber ist die der “Athena- 
befohlenen’, und stadt und burg heifst nur nach der hohen himmels- 
göttin, die ganz eigentlich in das alte fürstenschlofs eingezogen ist, die 
wirkliche nachfolgerin der alten könige. ’4I9nvaiog ist nicht anders 
gebildet als Exaraiog Aıovicıog, und nur die gewohnheit, darin eine 
ortsbezeichnung zu hören, läfst die eminente bedeutung der tatsache 
übersehen, dafs die “zugehörigkeit zu Athena” zugleich die herkunft aus 
Athen bezeichnet. nur Platon mit seinem gefühle für die religion seiner 
väter empfindet 4Invaiog wegen des göttlichen namens als eine ehrende 
bezeichnung.) dem namen der bürgerschaft entspricht der der stadt, 


2) Ges. I 6264, wo er den anonymen Adnrvaios einführt, der eben dadurch als 
typus charakterisirt werden soll, dafs er "verdient 43vaios zu heifsen’, dafs 
Athenas geist auf ihm ruht. sehr hübsch ist es, wie hundert jahre später daraus 
gemacht ist, es gäbe in Athen zwei sorten einwohner, die AY'nvaioı, die dem ruhme 
des alten namens entsprächen, und die Arrıxoi, die alle übeln eigenschaften hätten, 
die man den Athenern nachsagte (Herakleides der Kritiker 4). das land hiefs bei 

3% 


Das yolk 
Athena». 


36 I. 2. Von Kekrops bis Solon. 


A9nvaı?), der statt einer ableitung wie Hoala, ArcoAlwyla nur den 
plural des gottesnamens verwendet, und zwar in einer form, die in Athen 
zu gunsten der ableitung fallen gelassen ist, so dafs die göttin von den 
Athenern nur “göttin’ oder “Athenerin’ genannt wird. keine andere stadt 
in Hellas hat es vermocht, in dieser weise eine der grolsen gottheiten 
zu ihrer vertreterin zu machen. heroen wie Korinthos und Miletos, 
Theba und Aigina, haben kaum etwas körperlichkeit erlangt; die Hera 
von Argos, die Kora von Syrakus, die götter der verschiedenen Apollonia 
haben nie das wesen der allgemeinen götter beeinflulst, die vielmehr 
alle nur nebenher diese und jene stadt besonders vertreten. Athena 
ist die jungfräuliche und streitbare stadtgöttin vieler orten rings um 
Athen, in Aigina, Korinth, ja selbst bei den eingewanderten Boeotern.‘) 
wenn sie zu Athen ein so viel näheres verhältnis gewonnen hat, so 
vermag man sich der vermutung nicht zu erwehren, dafs dabei ein be- 
wulster wille tätig gewesen sei. die einigung der landschaft Attika ist die 
voraussetzung der athenischen geschichte, und sie ist erzielt, ehe unsere 


den umwohnern Axrn (darüber mehr zu cap. 5), davon ist Arrıxös gebildet, und 
die die gesinnung oder sprache Athens draufsen teilen arrıxikovamw, und wie 
die weiterbildungen sonst sind. weil das 77 aus xr entstanden ist, tritt nirgend 
co dafür ein aufser bei solchen, die der sprache gewalt antun wie Euphorion 27. 
der lautwandel fordert eine erläuterung, denn er ist anomal. ganz ebenso steht 
zeıris restrda fÜr TeixTUs, os Tergaxrüs, dies unter dem einflusse von zesrrös 
zg10005, arrınös unter dem von ‘ArYis, einem ganz correcten hypokoristikon von 
Adnvais, das sehr alt sein mufs, da der letzte radical noch verdoppelt ist, als 
mädchenname bei Sappho belegt, für athenisch, wie es scheint, erst bei Euripides. 
Thukydides nennt die Arrıxn ovyygayn des Hellanikos so, nicht -Ir#is. bei 
Hesych steht ‘Arris AYnwas: das hat wol ein künstelnder poet gesagt. 

3) Die pluraibildung ist dieselbe wie in 78a Ilarasal, aber nur grammatisch 
dieselbe, denn neben diesen stehn auch die singulare in localer bedeutung, und die 
ortsnymphen sind gegenüber den städten secundär, während AInvas von Advn 
gebildet ist, dem namen, den die nicht-ionischen Hellenen als AYcava festhalten und 
auch die attischen dichter in gehobener rede anwenden. die brechung des a Ist 
jünger als sein ersatz durch A9nwasa, in dem, wenn es nicht wirklich darin steckt, 
der Athener wenigstens nur das ethnikon finden konnte, einerlei ob Hsos oder rae- 
Jevos dabei zu ergänzen ist. 

4) Sie haben ihr bundesheiligtum am Athenatempel zu Kopovsa, das am 
Kogalıos liegt, das ist stadt und fluls der xöen, xoeavn. denn ich meine sowol 
xogavsn wie Kopw»is richtiger als früher zu fassen, wenn ich es nur als weiter- 
bildung betrachte. napdsvos heifst Athena oft, und maAlas bedeutet auch nur das 
mädchen und ist wol bei Homer noch nicht toter eigenname. es gehört zu nallaf 
nallnE naklaxı, nallaxivos. die Alhenabilder heifsen nalladıa, weil sie xögas 
sind, und auch andere weibliche idole können passend so heifsen. es ist wie xoen 
auch nur ein femininum zu dvdgsd. 


Das volk Athenas. 37 


geschichtliche überlieferung beginnt. es erscheint trotz allen regionalen 
gegensätzen und kämpfen undenkbar, dafs sich der Aphidnaer oder 
Brauronier anders denn als Athener fühlte. sie wollen wol alle herrschen, 
aber über Athen und Attika. diesen ungeheuren fortschritt der politi- 
schen empfindung, den in Boeotien und Ionien höchstens einzelne be- 
deutende männer wie Epaminondas oder Hekataios für sich machen, 
hat das attische volk so früh erreicht. das festjahr, das von den Koovea, 
dem gedächtnis der staatlosen zeit, zu den ovvolxıa und IIavusmvara 
fortgeht, legt von ihm zeugnis ab, und das heiligtum der burg ist wirk- 
lich das gemeinsame für das ganze volk. sie glauben alle, dafs Athena 
die güttin dieses volkes und dieses volk ihr auserwähltes ist, was die 
so zu sagen universale potenz der himmlischen jungfrau und tochter des 
Zeus noch nicht beeinträchtigt. diesem höheren einigenden glauben, der 
Athenareligion, hat sich die gesonderte verehrung sowol der einzelnen 
ortsgottheiten wie der noch so bedeutenden “andern götter”, selbst der 
Nemesis von Rhamnus, der Athena von Pallene, der Artemis von Brauron 
untergeordnet. wenn Athena von alters her die stadtgöttin der burg 
über dem Eridanos war, so hat ein localcult über alle andern triumphirt. 
sie wohnt dort so lange, bis ihr Peisistratos ein eigenes haus baut, in 
dem alten königspalast; sie hat um das land streiten müssen, und ihr 
priestertum wird von dem geschlechte versehen, das in erster linie dem 
Poseidon Erechtheus, ihrem gegner, dient. das alles und nicht zum 
wenigsten, dals die sage geflissentlich die berechtigung ihrer herrschaft 
nachweist, führt zu der annahme, dafs sie von der burg wirklich erst 
besitz ergriffen hat, als herrin des landes, als vertreterin des gesammt- 
staates, als die trägerin der neuen empfindung, der dann der alte local- 
cult der burg und ihr alter name weichen mulfste.°) 


5) Ein spiel, auch mit sehr scheinbaren einfällen, will ich nicht spielen, will 
weder Koavaas aus Aristophanes als alten namen hervorholen noch der verlockung 
raum geben, dafs die Athena von Pallene, also auch die herren von Pallene 
ihren cult auf die burg verpflanzt haben und demnach die einiger Attikas sind. 
aber dafs Athena von der burg und von Attika erst als landesgötlin besitz er- 
griffen hat, scheint mir nachweisbar. die sage vom streite mit Poseidon setzt 
ihre besitzergreifung und die pflanzung der olive in das achte jahr des Kekrops, 
den streit mit Poseidon in das sechsundzwanzigste (so bei Eusebius, dessen vorlage in 
der attischen mythologie ganz mit der apollodorischen bibliothek geht. beiläufig: 
dies zeugnis entscheidet unzweidentig für die auffassung Roberts von der pflanzung der 
olive wider Petersen), aber wir werden nicht bestreiten, dafs der felsspalt eher da 
war als die fremde olive. Erechtheus ist eine person von ganz anderer consistenz 
als Erichthonios, der pflegling Athenas, und die legende von dem kästchen, das die 


Die er- 
werbun 
vou Eleusis. 


88 IL 2. Von Kekrops bis Solon. 


Diese Athena herrschte schon bis an das euboeische meer, als Eleusis 
mit seinem gebiete, der ebene jenseits des Aigaleos, noch selbständig 
war. und die erinnerung ist nicht vergessen, dafs es schon polemarchen 
gab, als es überwunden ward. so ist denn auch Eleusis nicht so fest 
wie alles übrige mit dem gesammtstaate verwachsen, und in den schwer- 
sten krisen setzt der regionalismus sich dort fest. die bevorzugungen, 
die der annexionsvertrag den herrschenden geschlechtern von Eleusis 
zugestanden hatte, sind ihnen geblieben, nicht blofs die priestertümer in 
Eleusis, sondern auch ein platz an der öffentlichen tafel Athens, d. h. 
eine pension für die abgelösten königlichen ehrengeschenke, und die 
teilnahme an der ausrichtung der feste, der mysterien, denen der könig 
von Athen mit zwei Äthenern (die in der uns kenntlichen zeit frei vom 
volke gewählt werden) und zwei angehörigen der alten eleusinischen 
geschlechter vorsteht.‘) die vermügensverwaltung der beiden göttinnen 
ist auch in Eleusis geblieben, und wir hören nicht, dafs sie je für all- 
gemeine staatszwecke etwas gezahlt oder geborgt hätten. dagegen hat 
ihnen ganz Attika von seinen kornerträgen gezehntet. das ist die pension, 
die ihnen Athena für die verlorene souveränetät zahlt. diese rudimente 
früherer ordnung mitten in dem demokratischen Athen sind äulserst 
wertvoll, weil sie beweisen, dals der anschluls von Eleusis statt- 
gefunden hat, als die geschlechterherrschaft bestand, nicht mehr das 
königtum, als man noch in naturalien, nicht in geld zahlte, aber schon 
so complicirte verträge schlols, dals die schrift nicht wol entbehrt werden 


"Ayoavkides xopas Öffnen, ist, schon weil sie so ganz falsch das Aglaurion unter der 
burg motivirt, jung. Athenas verbindung mit Hephaistos, die zu der schmutzigen 
erzeugung des Erichthonios führt, kann erst aus der zeit stammen, wo die industrie 
der töpfer von bedeutung war. Apollon patroos als beider sohn ist vollends absurd 
erfunden; immerhin liegt das richtige darin, dafs Athenas verbindung mit Hephaistos, 
die nur die stadt angeht, älter ist als die reception des Apollon, der die sammt- 
gemeinde der Athener angeht. neben der Athena der burg stehn unten mehrere 
Palladia und die apynyerıs ist sogar die ‘Hpasoria. Athena ist nicht in Athen geboren 
wie Apollon in Delos, Artemis in Ephesos, Hermes in Tanagra; ihr fest gilt durchaus 
dem staat, ihr schatz ist der staatsschatz. so hat Athena wirklich erst einen an- 
spruch auf Athen, seit sie landesgöttin ist, seit sie die olive schenkt. das liegt 
weit vor der geschichtlichen zeit, aber schwerlich weiter als die einigung des landes. 
dafs die alte burg dann auch nicht von anfang A97var geheilsen hat, folgt mit not- 
wendigkeit. 

6) Die geistlichen traditionen, deren hüter das Eumolpidenhaus ist, sind so 
sehr anerkannt, dafs der dönynıns dE EvuoAmidov noch für Perikles autorität war; 
der exeget aus dem städtischen hause der Eupatriden steht ihm in der schätzung 
nach, weil die Demeterreligion früh in den ruf besonderer geheimnisse gekommen ist. 


Die erwerbung von Eleusis. 39 


konnte. da Eleusis entweder zu Megara gehört hatte oder doch auch 
von dort begehrt ward, auch seine grenzen sowol nach westen wie nach 
norden”’) unsicher und umstritten waren, endlich die erwerbung von 
Salamis nunmehr für Athen eine lebensfrage ward,- so ist auf den grofsen 
erfolg der erwerbung von Eleusis eine lange zeit wechselvoller kämpfe 
gefolgt, die das ganze siebente jahrhundert und weiter bis auf Peisistratos 
dauerten und erst durch ein lakonisches schiedsgericht, das den Athenern 
Salamis zusprach, Nisaia aber nahm (etwa 570—562), ein vorläufiges 
ende fanden. 

Von der erwerbung von Eleusis hat die sage wenigstens noch 
einige erinnerung bewahrt. die entsprechenden kämpfe früherer zeit 
reflectiren kaum noch aus einzelnen institutionen und erzählungen. 
dafs die schweren völkerverschiebungen, die der einbruch nordischer 
stämme, Thessaler Boeoter Dorer Eleer, im gefolge hatte, eine an- 
zahl vertriebener geschlechter, namentlich aus dem Peloponnes (des 
stammes, aus dem in Asien die lonier geworden sind), nach Attika 
warfen, andererseits auch bewohner von Attika an den colonistenzügen 
in das östliche und westliche meer teilnahmen®), ist eine durchaus glaub- 
hafte überlieferung, erhalten in der tradition der einzelnen geschlechter. 
die bevölkerung Attikas ist gewifs von vorn herein nicht eines stammes 
gewesen (die zersplitterung, aus der der volkskörper erwächst, kann sich 
der historiker im gegensatze zur sprachvergleichung nicht stark genug 
vorstellen); sie hat von den nördlichen nachbarn, der von den Boeotern 
fast ganz zerriebenen alten bevölkerung dieses landes, von den Euboeern 
und den vordorischen bewohnern der argolischen nordküste eine sehr 
starke beeinflussung erfahren. und doch ist die verschmelzung zu einer 


: 7) Die kleisthenische kreisordnnng, die ganz Eleusis zur küstenprovinz rechnet, 
zieht Phyle zu diesem gebiete, das in der tat bedrohlich über der attischen ebene 
liegt. um den besitz von Panakton und den eigentlichen Kithaironpafs ist dann 
noch weiter gestritten worden. der zug des Theseus von Trozen nach Athen ist 
gedichtet, als Athens gebiet noch nicht Eleusis umfafste, denn er mufs dort den 
riesen Kerkyon bezwingen. das grenzland nach Megara zu gehörte den göttinnen 
und hiefs ögyas, ein wort, das nichts mit @seyos zu tun hat, sondern die öpyao« 
yn bezeichnet: wenn die öpyas gleichwol wüst lag, so hat man es als grenzland der 
bebauung entzogen. 

8) Eine solche verbindung geht von Athen nach Neapel; den Euboeern folgten 
colonisten etwa aus der Tetrapolis so gut wie Eunostiden aus dem Graerlande. eine 
andere hat den könig Kephalos von Thorikos nach Kephallenia gebracht. die Euboeer 
haben einmal jene inseln des westmeeres besessen; auf Kephallenia und Ithaka 
sind sie durch Peloponnesier, die vor den Eleern flüchteten, verdrängt worden, die 
wir Achaeer nennen. Dulichion gehört dann dem Phyleus, dem sohne des Augeias. 


Die alte 
verfassung. 


40 Il. 2. Von Kekrops bis Solon. 


race, einem wirklich einheitlichen und seiner einheit sich bewulsten 
volke mit ganz bestimmter sprache und sinnesart vollzogen, bevor der 
nebel der sage sich lichtet; auch Eleusis macht keine ausnahme. es ist 
die einheit des “Athenervolkes’, des dyuog "Adnvalwr. 

Dem entspricht die verfassung. wer sich an das wort hält, muls 
behaupten, dafs die demokratie Athens einzige verfassung ist, muls dann 
aber dasselbe von Sparta sagen’). die verfassungskämpfe drehen sich 
darum, wer zum demos gehören soll, und in wie weit der demos seine 
souveränetät selbst in der executive betätigen will oder auf die männer 
seiner wahl, einzelbeamte oder collegien, übertragen. die entwickelung 
geht dahin, den begriff des demos möglichst weit, seine regierung immer 
unmittelbarer zu machen. die beamten aber, ursprünglich einzelne, be- 
fugt sich ihre subalternen selbst zu ernennen'‘), werden immer mehr 
gebunden und beschränkt durch die collegialität, durch die annuität, 
durch die prüfung vor dem antritte auf ihre qualification, die prüfung 
nach dem abtritte vor dem übergange in den Areopagitenrat, durch die 
aufzeichnung ihrer instruction, der gesetze, endlich durch die bindung 
ihrer richterlichen entscheidung an den wahrspruch eines beirates. diese 
entwickelung hat schon manchen schritt zurückgelegt, aber um dem 
wesen gerecht zu werden, müssen wir die verfassung alles andere eher 
als demokratisch nennen. denn der demos, der träger der souveränetät, 
ist ein stand, der adel, und zwar bereits ein denaturirter adel, nicht 
auf dem blute, sondern auf dem grundbesitze begründet. die formen 
des staates sind jedoch immer noch die des reinen geschlechterstaates. 
der zeitpunkt, wo staat und gesellschaft leidlich klar vor uns liegen, 
kann zur zeit noch nicht wol früher angesetzt werden als auf 683/2, 


9) Isokrates (9, 61) hat es fertig gebracht, den ruhm Spartas darin zu finden, 
Orts udhıora Önuoxgarouusvos Tuygavovaı. im Menexenos wird Athen als muster 
der agsoroxparia hingestellt. mit worten geht alles. in der tat ist die souverä- 
netät auch in Sparta bei dem dauos. aber dieser dauos ist der stand, beschränkt 
durch die forderung sowol des blutes wie der standesgemäfsen lebensführung, womit 
auch ein gewisser besitz gefordert war. der dauos übt seine souveränetät fast 
nur durch die wahlen einiger behörden; könige und rat sind lebenslängliche amts- 
stellen. die gesetze sind nicht aufgeschrieben, die beamten an keinen beirat ge- 
bunden. die wurzel ist also sehr ähnlich wie in Athen, aber das gewächs ist ein 
anderes, und dem entsprechen die früchte. 

10) Das hat gedauert für die beisitzer der drei oberbeamten und für die sub- 
alternofficiere, die der oberst ernennt. die ersteren aber haben beamtenqualität 
sie zeugen also für das alte recht der oberbeamten. die vom Areopag ernannten 


beamten waren mindestens zumeist auch wirklich seine organe, später die des rates 
der 500. 


Die alte verfassung. der könig. 41 


das jahr der entscheidenden revolution. von da ab sind die drei ober- 
ämter jährig und dürfen nur einmal bekleidet werden. es tritt zu ihnen 
ein collegium von 6 “rechtssetzern’ für die civiljudicatur. der rat wird 
durch die abtretenden neun .beamten ergänzt, also mittelbar von der 
gemeinde besetzt, die die beamten wählt, hat aber das recht jeden ein- 
zelnen vor dem eintritte einer prüfung zu unterziehen. dals diese 
neuerungen alle auf einmal eingeführt seien, wird man billig bezweifeln ; 
sie bestehen nur sicherlich seit 683, dem jahre der ersten jährigen ober- 


beamten. aus der älteren zeit sind eine reihe wichtiger angaben er- 


halten, aber zu wenig, um diese periode gesondert darzustellen oder 
gar eine geschichtliche erzählung zu versuchen. wir können heute zu- 
frieden sein, wenn wir die vorsolonischen institutionen einigermafsen 
verstehn; hatte es doch weder die Atthis noch Aristoteles auch nur so 
weit gebracht. 

Obwol der archon vornehmer ist, hat doch der könig anspruch 
auf den ersten platz, denn er ist der träger der continuität von der 
urzeit her: mit recht dürfen sich die Athener rühmen, niemals königs- 
los gewesen zu sein.) noch bis gegen ende des achten jahrhunderts 
war das königtum dem angestammten “fürstengeschlechte', den Medon- 
tiden, erblich verblieben, in der weise wie auch später noch die ge- 
schlechterpriestertümer. aber schon damals war der könig nur ein be- 
amter, der sein amtshaus unterhalb der burg neben denen der anderen 
gewählten beamten hatte. die zeit, da könig Akastos das regiment an 
den ‘regenten’ abgab, und feierlichste eide diese constitution befestigten, 
lag in unbestimmter ferne. nur den verkehr mit den göttern des staates, 
die von alters her öffentlichen cult erfuhren, hat der könig behalten, 
denn die menschen konnten an diesem rechte nichts ändern. das war 
immer noch sehr viel auch von dem was uns profan erscheint, da die 
abgaben zum teil an die götter gezahlt wurden und das heilige recht 
sehr weit griff. aber längst nicht mehr entschied der könig nach 
eigenem ermessen, sondern es stand ihm der rat zur seite, die ver- 
tretung der gemeinde, und der wahrspruch des rates unter vorsitz des 
königs richtete den mörder, den brandstifter, den gottesfrevler. um des 
verkehrs mit den göttern willen kommt auch die königin für den staat 
in betracht, und daraus folgt die forderung rechtmäfsiger ehe für den 
könig. eine anzahl adlicher matronen steht als yegargai’”) neben der 


11) Basılns ası nuiv eiotv sagt der platonische Menexenos 2384 in einer vor- 
züglichen schilderung der nargıos noAstela. 


12) Wir sollten eigentlich yagasgas schreiben @s saxcspas, denn wie die form 


Der könig. 


42 II. 2. Von Kekrops bis Solon. 


königin, wie der rat neben dem könige. sie greift, so viel wir wissen, 
nur in den Dionysoscultus ein, des gottes ‘stier', den die “rinderhirten’ 
im BovxoAciov üben.) dieser cultus ist also nicht mehr familiencult, 
sondern, wie [früh auch immer, von Jer gemeinde aufgenommen; 
Dionysos kommt zu schiffe oder zu wagen, in beidem liegt nur, dafs er 
überhaupt gekommen ist. sein fest ist im vorfrühling, das “Blumenfest, 
und es ist für uns uralt, da es auch in lonien begangen wird. aber 
auch das fest am “Kelterplatze', im winter begangen, steht unter dem 
könige und kann nicht für jünger gelten.'‘) staatsfest sind auch die 
uvorneLa, sowol in Athen wie in Eleusis gefeiert: es hat eben der staat 
Athen seinen beanıten mit der oberaufsicht des eleusinischen festes 
betraut, als er die stadt annectirte. aber eine religiöse bedeutung hat 
die mitwirkung des königs hier nicht; sie ist den eleusinischen ge- 
schlechtern geblieben. die Athenareligion ist in den händen der priester- 
schaft. an Plynteria und Skira ist die beamtenschaft nicht beteiligt; 
das staatsfest der Panathenaeen ist von der tyrannis und demokratie so 
sehr geändert, dafs seine alte form unkenntlich ist. auch die athenische 
verehrung des götterpares, Mutter und Tochter, vollzieht sich so, dafs 
keine königin über dem Önuog yuvarıwy mehr steht. aber die geist- 
liche machtvollkommenheit des königs ist mit dem was er später be- 
halten hat mit nichten erschöpft. wenn wir hören, dass er in Pallene 
nach dem dortigen gebrauche an der spitze einer geistlichen körper- 
schaft, zu der auch frauen gehörten, amtirt, wenn er die Apollonopfer 
yegagal secundär ist, ist es die anknüpfung an yeoaoos. ein yegap oder yegaps 
liegt zu grunde. die ysga sind die praecipua des königs oder des adels, elırenrechte, 
ehrengeschenke. davon heifsen diese frauen, nicht etwa “die verehrenden‘. denn 
ysgaigsıv gilt nicht einem gotte. 

13) eos Tavoos ist in Thespiai geradezu bezeugt, Bull. Corr. Hell. 15, 629, 
wie in dem liede aus Elis, dessen Diouysoscult dem attischen sehr ähnlich ist. der 
Dionysoscult stammt auch in dieser älteren form aus Boeotien wie der jüngere 
Eleuthereus. in Theben war der Thalamos der Semele das BovxoAsiov; ein holz, 
das man später mit erz bekleidete, war das symbol des gottes. Pausan. 9, 12, 4. 
Clemens Strom. 418, der aus Euripides Antiope 203 citirt #980» (sldov?) dä Yala- 
uoıs Bovsciww v-v- x100Y xoulvra orilov sviov Yeov. denn dafs ich Bovxo4o» 
richtig verbessere, kann nicht zweifelhaft sein. der redende berichtet die epiphanie 
des gottes, die den zug der Dirke in das gebirge, vielleicht schon die flucht der 
Antiope motivirt. 

14) Der monatsname Anvaov ist in Athen durch den “hochzeitsmond’ ver- 
drängt, aber er besteht bei den vettern in Asien fort. dals der Dionysoscult reci- 
pirt ist, ehe Attika geeinigt war, zeigen die demensagen von seiner einkehr in der 
Epakria. 


Der könig. der kriegsherr. 43 


der Acharnischen parasiten überwacht, und diese einen &xreug gerste 
nach der ernte (als Thargelia) zu zinsen haben, auch in verbindung mit 
der BovxoAla stehn’), so ahnen wir, wie vielerlei in der instruction 
des königs über alte cultverhältnisse zu lernen war, weil die Athener die 
früh angeschlossenen landesteile noch unter die oberaufsicht des königs 
gestellt hatten. wir sehen einen schimmer von den mafsnahmen, die 
die einheit des dnuos "dInvaiwv durch die religion bewirkt haben. 
wenn wir our wülsten, ob die culte der Tetrapolis, der Epakria, von 
Brauron ohne königliche controlle geblieben sind, so könnten wir die 
sichersten und wichtigsten schlüsse ziehen. aber aus dem schweigen 
der tradition darf nichts gefolgert werden. 

Der kriegsherr, der die dritte stelle unter den oberbeamten hat, kann 
unmöglich jemals lebenslänglich ernannt worden sein, da er doch die 
führung im kriege hatte. aus der beute hat einst einer das amtshaus 
neu gebaut und nach sich “Epilykoshaus’ benannt, wie in Rom die 
curia Hostilia und viele ähnlich erbaute und benannte häuser standen. 
der name war wol durch die weihinschrift erhalten, schwerlich ist das amt 
älter als die mitte des achten jahrhunderts. der name zrol&uapyog begegnet 
in Boeotien und auf Euboia; er bezeichnet dort die oberbeamten, und es 
gibt in den boeotischen städten drei, in Eretria zwei. in jenen, die 
niemals könige gehabt haben'®), ist für den sacralen und eponymen aber 
unpolitischen beamten der name «aexw» verwandt; die polemarchen 
scheinen die executivbeamten überhaupt in älterer zeit gewesen zu sein. 
es dürften sich dort, in Athen und in Eretria die verhältnisse sehr ver- 
schieden aus sehr ähnlichen anfängen entwickelt haben. die bedeutung 
des athenischen polemarchen ist durch die demokratie ganz besonders 
geschmälert. die aufsicht über die landfremde eingesessene bevölkerung, 
die ihm blieb, konnte ihn ehedem nicht viel beschäftigen ; aber vielleicht 
hatte er die judicatur über alle un wer&xovres vıjg rolıreiag. im kriege 
stand er an der spitze des ganzen heeres; aber die bürgerschaft war so 


15) Athen. VI 234. 235 aus den urkunden, die leider schwer entstellt sind. in 
den fassungen, die den grammatikern allein zugänglich waren, sind sie nicht älter 
als die demokratie, aber sie zeugen selbst für das höhere alter der institutionen. 
wie recht ich habe, Jeouo» dv Haklmwidos für Ozulaav &v HIaAinvidı zu schreiben, 
hat Aristoteles gelehrt 16, 10 Jeowıa Trades Adnvaloıs (so richtig von Kontos er- 
gänzt) xara Ta nargsa: so richtig wir, denn Yeouıa xal nargıa ist falsch und 
widersinnig, einerlei ob es überliefert ist. 

16) Die könige der einzelnen orte gehen immer die vorboeotische bevölkerung 
an, deshalb finden wir sie in verhältnismäfsig junge zeit nur in Plataiai herab- 
geführt, wo diese am längsten widerstand geleistet hat. 


Der 
kriegsherr, 


Der regent. 


44 ü. 2. Von Kekrops bis Solon. 


grols, dals ihr heer sich gliedern mufste, und die führer der ozoaTol 
waren immer schon sehr ansehnliche beamte, die reiterführer ebenso, 
denn das ritterpferd machte zwar nicht den adlichen geradezu, wie auf 
Euboia, aber es war der sehnlichste wunsch jedes bauern, eins zu halten 
und den ritter zu spielen. die reiterobersten waren sicherlich immer 
ständige beamte, da die cavallerie ihrer natur naclı eine stehende truppe 
ist. namentlich mit rücksicht auf die aushebung werden es auch die 
strategen gewesen sein. dals diese stellen durch wahl besetzt wurden, 
des volkes oder des heeres, ist nach hellenischer anschauung nicht zu 
bezweifeln. Peisistratos hat Nisaia als stratege erobert, und schon im 
ersten heiligen kriege führt nicht der polemarch das athenische con- 
tingent. 

Der eigentlich politische beamte, der “regent’, mag einst ein wahl- 
könig gewesen sein; jetzt waren ihm neben den hohenpriesterlichen auch 
die kriegsherrlichen functionen des monarchen entzogen. für die chrono- 
logie der culte ist es vom höchsten werte, dafs eine anzahl gemeindeleste 
dem archon unterstehen und somit, auch nach der tradition, relativ jung 
sind. von den grofsen Dionysien können wir absehen, da sie erst 
Peisistratos, als er Athens herrschaft sicher besafs, 537 gestiftet hat. 
sonst stehen unter dem archon die Apollonfeste, und dieser gott ist in 
Athen zwar der “väterliche’ geworden, aber dafs er durch einen be- 
stimmten act dazu gemacht ist, hat man dadurch immer eingestanden, 
dafs sein athenischer cult als eine filiale von Delphi und von Delos gilt.'”) 


17) Apollon ist ein gott, den die alte bevölkerung von Mittelgriechenland ver- 
ehrte, von der ‘küste’ oder besser dem ‘vorgebirge’ ("Axtıov, Aevxas)' Akarnaniens 
bis zur Ssopvs “Delph’ Euboias, von den bergen um die Tempe bis zum Ptoion. 
er ist ein gott des hachgebirges; grotten sind seine alten heiligtümer. JsAyoi, ein 
stammname, und ZSıepvs gehen zusammen, Jeigpivıos ist eine bereits misdeutende 
fortbildung; als seine verehrer über die see fahren, geleitet er sie ale delphin. das 
tut er aber auch in der delphischen tradition, die gern diesen fremden zug aufnahm. 
die wanderung der alten bevölkerung jener gegenden hat den gott in den osten 
getragen und in Delos, anf einem armseligen inselchen, weil es in der mitte lag 
und an sich armselig war, das wichtigste heiligtum gegründet. an der küste, in 
Klaros, bei den Branchiden (einem geschlechte, das aus Delphi stammen will), am 
Triopion, in Lykien, auf Kypros haben wol ältere barbarische götter sich in den 
zuwandernden verwandelt. dasselbe gilt sicherlich vom Peloponnes, dessen eigene 
götier zum teil noch vor unsern augen die grofsen namen annehmen, wie die ‘blinde 
göttin Ada von Tegea und Mantineia Athena wird, der Pan des Lykaion Zeus, 
Maleatas Apollon. der gott der grotte an der Kyllene hat sich Apollons erwehrt, 
ist aber Hermes geworden. aufserdem ist von den einwanderern, weil sie in apol- 
linischer gegend längere zeit gewohnt hatten, der akarnanische gott der Kapvssa 


Der regent. 45 


es tritt also Athen durch seine reception zugleich in die wichtigsten 
internationalen beziehungen der alten zeit. das älteste dürfte die feier 
der Thargelien sein, das grofse sühnfest der gemeinde, dem in folge 
dessen der archon als gemeindehaupt vorsteht. zum sühnfeste ist es ge- 
worden, als der dienst des ®ozßos sich nach der kathartischen seite 
entwickelte; da JagynAıa die ersten ährenbüschel bedeutet, die der gott 
erhält, ist ein ursprünglich rein agrarisches fest zu tieferer ethischer 
bedeutung erhoben. Thargelien feiern die Ionier im weitesten sinne; 
da sie über Kyme auch nach Rom gekommen sind, dürfen wir sie auch 
den Euboeern zutrauen. dem kreise von Delphi sind sie fremd. gleich- 
wol sind sie in Athen mit dem pythischen Apollon verbunden worden, 
der in dem volksbewulstsein der sühnung heischende und lehrende gott 
ist’®); er ist der scarewog der Athener geworden, der vater der vier 
phylenheroen, als solcher in den phratrien verehrt.'”) ich.zweifele nicht, 
dals die grotte in den Maxgal am burgfelsen schon früher dem grofsen 
fremden gotte zugewiesen war: aber erst durch die einführung des py- 
tlıischen gottes, dessen blitze man von dort beobachtete, als des väter- 
lichen ist Apollon ein staatsgott geworden. wir finden die archonten an 
dem culte in der grotte beteiligt: die vertreter des volkes.?) mit seiner 
reception trat Athen in die delphische Amphiktionie, für die es einen 
eigenen hohen beamten schuf, den iegouyzuwv, und für die delphische 
religion, die dem staate immer die wichtigste künderin der zukunft ge- 
blieben ist, trat nun ein besonderer exeget ein, vergleichbar den IIvJ1ou 
Spartas. auch die beschickung des delischen festes, durch die Athen 
mit dem meere und den loniern in verbindung tritt, besorgt der archon. 
da mit Delos das älteste stück der städtischen Theseussage zusammen- 
hängt, die feste der öoxopoeta und sevavöryıa, so wird dieser wichtige 


und der Ivdasvs, IIvdsos, mitgebracht worden; so steht es noch in Kreta. um 
aufschlufs über das wesen des gottes und seine wurzel zu erhalten, mufs man also 
in seiner heimat nachfragen. die delphische tradition, die ihn dem Dionysos sehr 
nahe rückt, hat hohe bedeutung. die korykische grotte hat Dionysos von ihm geerbt, 
als Apollon in die kastalische schlucht hinabzog. 

18) Dafs der Thargeliengott den Athenern später der pythische war, ist da- 
durch sicher, dafs die dreifüfse der sieger in das Pytkion kommen. die modernen 
waren geneigt, den delischen vorzuziehn, was mit der falschen datirung des delischen 
festes im Thargelion ohne weiteres fortfällt. 

19) Damit dürfte die stiftung so vieler Pythien in Attika zusammenhängen. 
wenn die Ikarier in ihrem abgelegenen talkessel ein IIus4ov ’Ixagısov haben, 8o 
ist die annahme unhaltbar, dafs die IZuSsa mit den landstralsen gegründet wären. 

20) Köhler Mitteil. III 144. 


46 ü. 2. Von Kekrops bis Solon. 


religiöse und politische fortschritt sehr früh getan sein, eher als die 
wendung nach Delphi. denn es sind die delischen beziehungen der ost- 
küste von der hauptstadt übernommen.”') Athena ist die vermittlerin 
zwischen den cultstätten ihres bruders in Delphi und Delos: das war etwas 
grolses, was der adelsstaat schon im siebenten jahrhundert erreicht hat. 
im heiligen kriege hat Solon die delphischen, später Peisistratos die 
delischen verbindungen ausgenutzt.”) 

Die politischen obliegenheiten des archons sind die eines schirm- 
herrn und vertreters des herrschenden standes: er ist der reoorarng 
tov Önuov im sinne des damaligen demos. seine erste amtshandlung 
ist die proclamation, dafs er jeden einzelnen in seinem besitze lassen 
und erhalten werde (66, 3). die fürsorge für die herrschenden familien 
und ihren besitz ist der inhalt seiner aufsicht und judicatur. er ist der 
vormund der erbtöchter und der waisen von amts wegen, er entscheidet 
in allen erbschaftssachen, und das familienrecht im weitesten umfange 
steht unter ihm. in Athen aber hat der staat in diese verhältnisse über- 
aus tief eingegriffen. wenn er die entmündigung eines greises, der 
nicht mehr im stande ist, sein vermögen zu verwalten, aussprechen darf, 
den einzelnen zur verantwortung zieht, so er sein vermögen durch 
untätigkeit (“oyla) verkommen läfst, auf die anklage eines beliebigen 
bürgers die “ schlechte behandlung’ (xaxwoıs) von eltern oder gattin 
ahndet, so hat selbst in unserer zeit der sich unfehlbar und allmächtig 
dünkende staat es noch nicht so weit gebracht, und die spätere attische 
demokratie macht von diesen bestimmungen, obwol sie gelten, nicht 
leicht gebrauch. in der tat muls es eine schr eigentümliche gesellschafts- 
ordnung sein, die sich diesen beamten gesetzt hat. ihr liegt an der 
individuellen freiheit ungleich weniger als an der erhaltung des standes, 
und die fürsorge des archons gilt weit weniger dem vater oder sohne 
als dem xAnoos, der frau und erbtochter als der mitgift, der zoolS. 
auch noch in der aristotelischen zeit läfst sich das volk regelmälsig über 
die erledigten «Anoor meldung machen, und heifst die bürgerrolle nach 
den An&eıg, den “erbanfällen’. im attischen dient dasselbe wort für 


21) Töpffer Herm. 23 über Pythaisten und Deliasten. die verfolgung der local- 
culte gehört nicht hierher. störend würde es sein, wenn Hypereides, wie Töpffer 
behauptet, den Delier als narogos bezeichnet hätte. aber das durfte Töpfler dem 
rhetor Aristides nicht glauben: der allein sagt es. 

22) An den Isthmien besitzt Athen die proedrie, und seine beziehungen zu 
Korinth sind im sechsten jahrhundert sehr gut. aber in höhere zeit hinauf als die 
restitution der Isthmien kann man das schwerlich verfolgen, 


Der regent. der herrschende stand. 47 


“erbe’, “landgut” und “los’, und wenn der älteste sohn des vaters erbe 
antritt, so bezeichnet dasselbe wort Aayxaveıy diese natürlichste art der 
besitzergreifung, wie wenn er bei einer verteilung eroberter bauern- 
stellen ein los gezogen hätte. die gutsbesitzer zu Drakons zeiten sind 
xingovxoı wie die colonisten in Mytilene 427. 

Wir haben keinerlei überlieferung über die entstehung des privat- 
besitzes an grund und boden in Attika, und es wird kaum danach ge- 
fragt. und doch deutet alles darauf hin, dafs dieser erst spät entstanden 
ist, und dafs der herrschende stand der grundbesitzer und adlichen sich 
eben dadurch von der stammverwandten niederen bevölkerung abgelöst 
hat, dals er einen teil des bodens zu seinem privatbesitze machte, wäh- 
rend vorher das land gemeindebesitz war. in sehr ausgedehntem malse 
ist das land in Athen immer noch in dem besitze ideeller personen, der 
götter, phylen, phratrien, geschlechter, nicht zum mindesten der politischen 
gemeinden und der gesammtgemeinde, des staates, geblieben. was nicht 
"nachweislich einem einzelnen gehört, ist des staates.”) die schätze in 
der erde gehören diesem.”*) auf vielen privaten grundstücken hat der staat 
noch fruchtbäume stehen, und er greift überhaupt stark in die freiheit 
der bewirtschaftung ein. privatbesitz gibt es strenggenommen nur durch 
eine rechtsgiltige zuweisung von seiten des staates, und der besitz bleibt 
gewissermalsen prekär, da etwaige bessere ansprüche immer vom staate 
berücksichtigt werden können.”) das bewufstsein, dafs der privatbesitz 
an grund und boden durch occupation von ager publicus entstanden ist, 
herrscht unter den demokraten, die von Solon eine neue landverteilung, 
yrs avadaouot, verlangen. im gegensatze dazu verlangen die besitzenden, 
deren vorfahren einst ein gutes oder überhaupt ein los erhalten haben, 


23) Die ödländereien, z. b. die kaum als ziegentrift nutzbare kuppe des Bri- 
lettos, waren sicherlich res nullius; wer wollte, mochte sie nutzen. aber als man 
den marmor zu brechen anfieng, wurden die brüche staatsgut. 

24) Er ist durchaus besitzer der bergwerke, und privatbesitz hat sich an ihnen 
nicht herausgebildet. dafs aber die ganze superficies in den laureotischen bergen 
dem staate gehört hätte, ist schwer zu glauben. es hat vielmehr dem eigentümer 
des bodens nur die superficies gehört. 

25) Die interessante abhandlung von G. Leist über den attischen Eigentums- 
streit (Jena 86) verdient eine grammatische ergänzung. es reicht nicht aus zu sagen, 
die Athener haben kein wort für eigentum, man mufs fragen, wie sie den gedanken 
ausdrücken, und die bedeutungen von vdusıy, oixsıody, xınua, Zevs xTrj010S, xUgLos, 


xagTegos, xgaraiv erwägen. das zweite ist eine historische ergänzung, aber in 


agrargeschichtlicher richtung: denn erst das immobiliarvermögen schafft ein wirk- 
liches eigentumsrecht. 


Der herr- 
schende 
stand, 


48 IL 2. Von Kekrops bis Solon. 


dafs der archon ihnen gleich am ersten tage den gegenwärtigen besitz- 
stand garantire. 

Die sorge für den besitz hat in der edleren für den stand ihre 
ergänzung. der adel des blutes ist ein würdigerer als der des gutes. 
die vorstellungen von der heiligkeit des blutadels haben den Athener 
eigentlich immer beherrscht, und sie begleiten jeden einzelnen von der 
wiege bis zur bahre. nicht als eine göttliche ordnung um der mensch- 
lichen gesittung willen (wie Kekrops sie nach Philochoros gestiftet hat) 
ist die ehe heilig, sondern um des rechtes der familie und des erbes 
willen, und nur weil das alte recht eine form der religion ist, hat sie 
eine religiöse weihe. die bruderschaft erkennt den knaben als geschlechts- 
genossen, die jungfrau als tochter eines solchen an, fähig ebenbürtige 
zu gebären. nicht leicht verletzt ein Athener die sorge für die erhaltung 
des “hauses’ (olxog, so genannt, statt y&vog, seit auch die nicht adlichen 
sich als adlich gebärden, weil sie gleich empfinden). die form der freien 
vererbung ist die adoption, bei der die bruderschaft mitwirkt. in dem 
culte der verstorbenen hausgenossen sieht der einzelne die garantie, dals 
auch er des grabcultes nicht entbehren werde, die garantie der eigenen 
grabesruhe. das liegt allen am herzen, und der privatbesitz an grund 
und boden mufs die zahllosen grabhügel und brandstättien (vexauel) 
schonen. noch zu Aristoteles zeit mufs jeder archon zwar kein ver- 
mögen, geschweige denn grundbesitz, aber wol ein erbbegräbnis nach- 
weisen. (das institut der erbtochter, im rechte von Gortyn denaturirt 
zur emancipirung der weiber (wie es in dorischen staaten zu gehn 
pflegte), ist von dem athenischen gesetze ängstlich geschützt; sie wird 
als die kostbare blume behandelt, aus der dem hause neuer same er- 
weckt werden soll. wir müssen aber auch anerkennen, dafs der stand 
das geistige und sittliche wolergehn und wolverhalten seiner genossen 
ins auge gefalst hat, und auch nach dieser seite den staat und seine 
organe, archonten und rat, zum einschreiten autorisirt und verpflichtet 
hat. der standesgenosse hat als kind anspruch auf eine anständige er- 
ziehung, als greis auf die pflege bei seinen nachkommen.”*) man hat 


26) kürzlich ist ein sehr merkwürdiges document für dieses seltsame familien- 
recht in Mykene ans licht getreten (’Zy. oex. 92,67). es steht um eine runde basis, 
auf der wol kein anderer stein, sondern ein anathem stand, ei us dauıopyia sie, 
Tös iapouvauovas os &6 Ilegc& Tois (verschrieben in 7004) yovavcı girsgas inev 
xa(T)ra rsrpeusva. “falls kein ortsvorstand da ist, sollen die hieromnemonen die zum 
Perseus gehn den eltern richter sein gemäls dem was verordnet ist”. also die 
eltern sind in der lage wider ihre kinder (nur im verhältnis zu denen sind sie eltern) 


Der herrschende stand. der rat. 49 


wol den mülsiggang nicht blofs, weil er den xAneog verfallen liefs, ge- 
abndet, sondern auch weil er den stand entehrte, ganz wie ehebruch 
und vergewaltigung in jeder form. mag auch erst die tyrannis und die 
demokratie die staatlichen turnplätze, badstuben, chöre u. a. eingerichtet 
haben: ein analogon zu der jugenderziehung der Spartiaten hat schwer- 
lich in Altathen gefehlt, wie denn trotz der stammesverschiedenbeit der 
adelsstaat bei beiden völkern ähnliches hervorbringen mulste. 

Jederzeit und erst recht, wenn er seine vorrechte bedroht sieht, 
wird ein stand sich nicht gern durch einzelbeamte vertreten lassen, 
deren persönliche vorzüge er [fürchten muls. ein collegium, womöglich 
eine vertretung der geschlechter, ist die aristokratische form der magi- 
stratur. die geronten stehn neben Agamemnon, die gerusia neben den 
königen Spartas. so hatte auch der athenische adel dem könige, scbon 
als dieser noch ein wirklicher könig war, den rat zur seite gestellt, 
der von dem amtshause auf dem Areshügel, wo er über mord zu ge- 
richte safs, später benannt wird. dieser rat war der wahre herr Athens 
gewesen, da seine mitglieder lebenslänglich blieben, sein recht der coer- 
cition und multirung sich über bürger und beamte erstreckte, er die 
niedern beamten selbst anstellte und controllirte und die finanzen ganz 
in seiner hand hatte. aber die macht dieses rates ist zwar nicht ge- 
setzlich, aber factisch im siebenten jahrhundert bereits so geschwächt, 
dass er bei keiner gelegenheit eine rolle in unserer überlieferung spielt; 
das Kylonische attentat, die gesetzgebungen Drakons und Solons, die 
tyrannis des Peisistratos nimmt er scheinbar teilnabmlos hin. schon 
die einsetzung der thesmotheten, die der epheten, und noch mehr die 
schriftliche fixirung des geltenden rechtes durch Drakon und Solon 
mulste die lediglich auf dem herkommen beruhende gewalt des rates 
beeinträchtigen, und man wird nicht bezweifeln, dafs die neuerungen 
auch diesem zwecke gedient haben. nichts desto weniger lehrt die ver- 
fassung selbst, dafs der rat eine bedeutende rolle in der laufenden ver- 
waltung gespielt hat: denn die sphaeren der 9 beamten sind fest um- 


zu klagen, und es gibt dafür eine mündliche instruction. recht spricht die politische 
behörde: der name dausoeyos gilt in Argos, Achaia und häufig. hier wird nun für 
die politische behörde im notfalle eine religiöse deputation substituirt, die zu dem 
heros von Mykene gebt. ersichtlich ist die inschrift gesetzt, als Mykene rechtlich 
nicht mehr existirte, die alten bürger argivische rrsdarosxos geworden waren, aber 
ihre familienrechte weiter pflegten. der örtliche cult war mit dem orte zerstört: 
es giengen nur noch iapouvauoves zum Perseus, und diese durften die alten sien- 
ueva zu gunsten der klagenden eltern anwenden. man gedenkt auch dessen, dafs 
die attischen Zurrareidas an Orestes den Mykenaeer angeknüpft wurden, den sundrog. 
v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 4 


Der rat. 


Die phylen 


50 il. 2. Von Kekrops bis Solon. 


grenzt, das volk und später dessen rat treten erst recht nicht hervor, 
und die niederen beamten bleiben durch die dokimasie und nomophylakie 
des Areopages bis auf Ephialtes in dessen händen. somit vermochte er 
noch in der demokratie der grolsen zeit wieder eine ausschlaggebende 
rolle zu spielen. dafs er das im siebenten und sechsten jahrhundert 
nicht tat, ist eine folge seiner ergänzung aus den archonten. denn so 
lange diese je nach der gerade überwiegenden parteirichtung gewählt 
wurden, trugen sie die parteiungen des volkes in den rat hinein, zog 
also eine katastrophe wie die der Alkmeoniden den rat in mitleiden- 
schaft, machte ihn die tyrannis, die die wahlen beherrschte, zu ihrem 
gefügigen werkzeuge. andererseits brachten die archontenwablen 508—487 
alle bedeutenden männer hinein. aber die schwäche des Areopages in 
der zeit 683—594 ist allerdings die beste legitimation der bestrebungen, 
die auf eine reform an haupt und gliedern hinzielten. 

Es war der souverän selbst, der Önuos, dessen organismus sichı 
überlebt hatte. der adel-hat nur sinn, solange er ächt ist und auf 
götterblut beruht. die adlichen sind Sewv sraides (Eur. Med. 825). 
ixtao nuevor Auög (A. Eum. 977 vgl. Niob. 162), deoyeveis. ich habe 
stellen attischer dichter des fünften jahrhunderts angeführt, die allen 
Athenern gelten. dieselbe zeit ist stolz auf ihr autochthonentum: alle 
Athener sind kinder der Erde, die für sie allein im eigentlichen sinne 
mutter ist, wie der platonische Menexenos rühmt. in der demokratie 
sind alle Athener gleich, alle erdgeboren und alle gottgeboren. aber 
das soll uns nicht darüber täuschen, dals einst die göttersöhne stolz auf 
die terrae filii hherabsahen, wie es die Römer immer getan haben. die 
autochthonie ist durchaus nicht als adel erdacht. aber wir erreichen 
die zeit nur in fernster ferne, wo wirklich götterblut die zugehörigkeit 
zum Önuog bedingte, der staat aus ächten patriciern bestand. abgesehen 
von den zuwanderungen fremder, vielleicht wirklich adlicher geschlechter 
mulste die einigung Athens, der staatsbegriff, die legitimation ausschliefs- 
lich durch das blut untergraben. so weit wir die attischen bruderschaften 
kennen, ist ihnen sogar der begriff des namens bruderschaft fast ver- 
loren, ihre namen sind nicht mehr alle gentilicisch, und cultverbände 
(ooyewves) stehn neben den geschlechtern. die cultgenossenschaft, eine 
form der vereinigung die ebensowol eine gilde wie ein geschlecht um- 
schliefsen kann, ist ein ersatz des adels, wie der religiöse begriff der 
Asnvaioı ein ersatz des stammbegriffes der Kekroper. entsprechend 
der ausdehnung des staates hat man einmal den künstlichen schema- 
tismus der vier adelsphylen und ihrer drittelungen (zeırzveg) eingeführt, 


Die phylen. die steuerclassen. 51 


der bis auf Kleisthenes gilt, aber seltsam wenig hervortritt, eben weil er 
ganz künstlich war, während die alten geschlechter ihre lebendige macht 
bewahrten. man hatte an die spitze der vier phylen könige gestellt, die 
neben dem könige von Athen an mehreren blutgerichtshöfen sassen, ur- 
sprünglich sein beirat sein sollten, im prytaneion vielleicht nicht blofs für 
sein gericht, sondern überhaupt für seine regierung. aber diese könige 
haben in der tradition, über die wir verfügen, ihre rolle schon ausgespielt. 
die vier phylen, die keinen rangunterschied haben, waren wol schon 
dazu bestimmt, innerbalb des adels die unterschiede der vornehmheit- 
auszugleichen. wir hören aufserdem von drei ständen, adlichen, grund- 
besitzern und handwerkern, evrrareldar, yewuogoı oder aygoixo:, 
Önutoveyol; und der zweite stand mus wul die besitzer eines landloses 
bezeichnen. alle diese drei stände stellen 580 archonten ?”), besitzen 
also vier ahnen, grundbesitz und adel. mit andern worten, die namen 
allein schieden noch die gentes minores: patricii sind sie alle, dem staate 
gegenüber gleichen rechtes. wenn wir mit fug und recht sagen, dafs 
Kleisthenes die demokratie dadurch vollendet hat, dafs er durch eine 
legalfiction alle Athener adlich machte, so hat dieser procefs früher be- 
gonnen als die uns kenntliche geschichte Athens. die gentilicische 
fiction aber ist auch nach Kleisthenes niemals aufgegeben worden, 
sondern hat für den bürgerbegriff immer gegolten. 

Wenn der adel eigentlich schon durch die einführung der phylen- Die steuer- 
teilung eine sehr wirksame, aber doch eine fiction ward, hinter der 
sich der bürgerbegriff zunächst in der form der gemeinsamen her- 
leitung von dem väterlichen’ patricischen Apollon barg, so ward der 
besitz, der census, allmählich das kriterium, das statt des blutes den 
fictiven adel bestimmte. der besitz aber war grundbesitz: die quali- 
fication des vollbürgers ward an den “gott des eignen herdes, den 
Zeus Egxeiog, neben dem Apollon srargwog gebunden. diese ordnung 
setzt den privaten grundbesitz voraus. damit stiels die sammtgemeinde 
die besitzlosen ohne ansehn ihres blutes in die rechtlosigkeit der erden- 


27) Unsere überlieferung von den drei ständen ist so ärmlich, dafs man fast auf 
den verdacht kommt, die chroniknotiz über die archonten von 590 wäre ihre einzige 
erwähnung auch im altertum gewesen. dem ist schwerlich so, da die namen ysmu0g0s 
und @ygoixos neben einander stehn, aber wir empfinden die lücken unserer kenntnis 
recht, wenn wir die drei stände, die 580 noch so viel bedeuteten, gar nicht weiter 
handelnd antreffen. da sie weder eponyme noch sagen aufweisen können, noch 
spätere genossenschaften im anschlusse an sie bestehn, mögen sie allerdings 580 


zum letzten male aufgetreten sein. 
4* 


Die reform 
von 683. 


52 II. 2. Von Kekrops bis Solon. 


söhne hinab. wer ein landlos hatte, konnte den heerdienst leisten: so- 
fort aber erhob sich als ein stand im stande der ritter empor, der zu 
pferde zu dienen begütert genug war. und wenn gegenüber dem ge- 
burtsadel der militärische, gegenüber dem grundbesitz der privatbesitz 
ein unvermeidlicher culturfortschritt sein mag, so sah es vielleicht wie 
eine art von gerechtigkeit aus, dass die höchstbegüterten zu den ge- 
meindelasten stärker herangezogen wurden. dann blieb aber die im laufe 
der zeiten unvermeidliche compensation von rechten und pflichten nicht 
aus: die höchstbesteuerte classe, eine elite der ritter, qualificirte sich für 
die gemeindeämter in erster linie. als alle die welche 500 scheffel ernteten 
aus den rittern ausgesondert wurden, die über den spannfähigen bauern 
und den proletariern sich vorher erhoben hatten, war der staat auf den 
adel des gutes gegründet. es war nur noch eine [frage der zeit, dafs die 
beiden mittleren stände auch an einen festen census gebunden wurden. 
wann das geschehen ist, in welcher reihenfolge diese verschiedenen fort- 
schritte der phylen-, stände-, classenteilung gemacht sind, entzieht sich 
unserer kenntnis: um 650 war alles längst vollzogen. 

Wir sehen im siebenten jahrbundert in Athen die rücksichtslose 
herrschaft des adels am ruder, und dieser adel ist auf den besitz, schon 
nicht mehr den grundbesitz, sondern ganz einfach auf das geld be- 
gründet. diese herrschaft besteht zu recht, aber sie ist faul im kerne 
und vermag nur geringen widerstand zu leisten. zwei mächte streben 
darnach, sie zu stürzen, die demokratie und die tyrannis. diese beiden 
sind einander feindlich, aber welche auch immer einen schritt vorwärts 
tut, immer geschieht es auf kosten des bestehenden vorrechtes der be- 
sitzenden. der alte staat ist dem Solon und dem Peisistratos ruhm- 
los erlegen. 

Einen sieg des demokratischen prinzipes stelll schon die reform 
von 683 dar, indem die gemeinde, wenn auch irgendwie in der aus- 
wahl gebunden”), neun jährige beamte erwählte und vermittelst dieser 


28) Da die archonten der demokratie die phylen vertreten und aus einer vor- 
schlagsliste derselben ausgewählt oder gelost werden, mufs ein analogon für die 
ältere zeit bestanden haben. aber wir wissen nichts als die verteilung auf die 
stände im jahre 580. selbst das los ist keineswegs undenkbar. Platon sagt von 
dem alten Sparta, dafs das doppelkönigtum, das ihren staat begründet hat (wie er 
im einklange mit Hellanikos angibt, 686), durch eine gnädige fügung die monar- 
chische härte ausgeschlossen hätte, dann als gegengewicht der erblichen herrschaft 
die gerusia zugetreten wäre (durch Lykurg, dessen namen er meidet, den er aber 
durch gvos Tis avdogwnivn yeusiyueon; Helq tivi Övvduss deutlich bezeichnet), 
endlich ein rgiros owır,g den zügel der ephoren dem staate angelegt hätte, &yyüs 


Die reform von 883. die naukrarien. 53 


sogar die ratsstellen besetzte. für den hieromnemon *), der nach Del- 
pbi gieng, eine repraesentation Athens im auslande, und für die militä- 
rischen chargen ist die directe volkswahl wol schon früher geübt worden. 
das neugeschaffene amt der 6 ‘rechtssetzer' war vielleicht ursprünglich 
als ein collegium gedacht, das unter vorsitz eines der drei oberbeamten 
das recht fände: selbst collegialisch zu richten sind sie nicht geschaffen, 
sonst würde ihre zahl ungerade sein. die forderung, dafs der einzelne 
magistrat nur unter zuziehung eines beirates das urteil fällte, also die 
perhorrescirung des einzelrichters und die bindung des einzelnen ver- 
waltungsbeamten, war sehr alt und schon vielfach in verschiedener weise 
befriedigt. das collegium der elf für die aburteilung manifester todes- 
würdiger verbrechen, die blutgerichtsbarkeit des rates und der phylen- 
könige unter vorsitz des königs, wol schon die beiden “beisitzer der 
drei oberbeamten dienen dieser tendenz.. ein sehr grofser schritt vor- 
wärts war die berufung der 51 epheten an die blutgerichtshöfe Palladion 
und Delphinion, von denen der eine auch für jeden mord eines nicht- 
bürgers competent war, also vielleicht jedes nicht zum stande gehörigen. 
die zahl ist ungerade: der vorsitzende könig stimmte also nicht mehr 
mit. es kann nicht bezweifelt werden, dafs auch die civile judicatur 
der neun beamten schon im siebenten jahrhundert an die zuziehung 
von geschwornen teils wirklich gebunden ward, teils nach der ansicht 
der vorwärts drängenden partei gebunden werden sollte. der ausbildung 
einer mächtigen magistratur war das standesinteresse der aristokratie 
gleich wenig geneigt wie das demokratische streben nach einer möglichst 
starken beteiligung aller. 

Den eigentlichen anstofs zur sprengung der ständischen vorrechte 
gab die örtliche verwaltung Attikas, das für das blofse hinterland der 
hauptstadt zu grols war. die stadt mufste wol der sitz der regierung 
sein, und wer beamter ward, also in den rat auf lebenszeit trat, konnte 


ıns sAngarns dyaymy duvausos (692). so selbstverständlich ist für ihn das los 
im besten staate. er weifs, dafs die ephoren nicht erlost sind, aber sie entsprechen 
den losbeamten Athens, unter denen er nur an die archonten denken kann. 

29) Die delphischen urkunden kennen nur ispouwnnoves; dagegen Herodot 
(8, 213) Plutarch (Them. 20) Strabon (IX 420) nur pylagoren. in demosthenischer 
zeit wird in Athen ein hieromnemon erlost, auf den nichts ankommt, die drei pyla- 
goren aber werden direct vom volke erwählt. erlost ist schon Hyperbolos zum hiero- 
mnemon (Ar. Wolk. 623), aber damals erstrebte ein demagoge das amt: es war 
also nicht bedeutungslos, und er erreichte es: das los war also irgendwie durch eine 
700xgs045 corrigirt. das ursprüngliche wird demnach ein erwählter hieromnemon ge- 
wesen sein, der an der pylaia das wort selbst führte. 


Die nau- 
krerien. 


54 II. 2. Von Kekrops bis Solon. 


kaum vermeiden, in die stadt zu ziehen, um seines amtes zu walten.?”) 
aber die landwirtschaft war doch die grundlage der gesammten wirt- 
schaft, den reichtum bildete wesentlich der grundbesitz, auch die vor- 
nehmen wohnten gern auf dem lande. somit bedurfte man einer orga- 
nisation localer art, zunächst für die aushebung, dann für die frohnden, 
die steuern und den dienst mindestens der flotte. die gentilicische 
ordnung der phylen und trittyen reichte dazu nicht hin, und so hat 
man sehr früh, wol noch im achten jahrhundert, die 48 kreise geschaffen 
und an die spitze eines jeden bereits eine collegialische behörde gestellt, 
die gesammtheit der kreise aber nicht mehr unter die vier phylenkönige, 
sondern unter die kreishauptleute, die vavagapwv zcovraveıg. der name 
yavxpapoı sammt seinen ableitungen lehrt, dafs die flotte den anstofs zu 
dieser gründung gegeben hat: so hat die see schon von anbeginn Athen zur 
demokratie getrieben. wir hören nicht viel von den leistungen jener flotte, 
aber die Dipylonvasen zeigen uns ihre schiffe, sogar dieren, im kampfe, 
und der aufschwung des attischen handels und die verbindung mit Delos 
sind nicht ohne sie denkbar. auch von den prytanen der naukraren 
und von diesen selbst wissen wir allzuwenig: aber ihre existenz genügt 
um zu zeigen, dafs sich neben den patricischen behörden hier eine ganz 
anderer art erhob, der vorläufer der gemeindeordnung und gemeinde- 
vertretung des kleisthenischen staates. die drakontische verfassung führt 
auch bereits einen rat ein, gesondert von dem adelsrate des Areshügels, 
den beirat der prytanen. mag nun Drakon diese locale vertretung erst 
geschaffen haben, mag sie älter sein: in diesem rate lag die gefahr, dafs 
eine völlige sociale umwälzung, wie sie in Megara vor Theognis, in 
Ionien an manchen orten vorgekommen ist, den herrschenden stand zu 
boden würfe. denn sobald der flottendienst eingeführt war, liefs sich 
die wehrhaftigkeit in Drakons sinne, das örrka srao&xeodaı, als erfor- 
dernis der politischen rechte nicht mehr auf die dauer halten. in den 
48 naukrarien liels sich die herrschaft der wenigen reichsten nicht so 
zur geltung bringen wie in der wahlversammlung des ganzen demos. 


30) Der bürger heifst in der älteren sprache aorös, in der jüngeren noÄlıng, 
und der spätere Hellene hört in ersterem die stadt, in diesem den staat. aber es 
wäre ein arger irrttum, wollte man das auf die alte zeit übertragen, denn noAsrns 
ist der “bürger’ freilich, aber von der “burg” benannt. höchstens ein engerer lo- 
caler begriff liegt ihm zu grunde. Polites ist ein alter eigenname; es führt ihn der 
Priamossohn, der den wachtdienst übt, im B als späher auf einem hügel. im 2 späht 
Kassandra von einem turme. es leuchtet ein, dafs der eigenname nur den "burgwart’, 
nicht den ‘staatsbürger’ angehen kann, 


Die naukrarien. Drakon. 55 


wenn Drakon den rat in der weise zu bilden versucht, dafs jeder be- 
rechtigte in bestimmtem turnus hineinkommen mufs, und die active be- 
teiligung aller durch schwere ordnungsstrafen erzwungen wird, so hat er 
die aufstrebende demagogie der einzelnen wol eher schon erfahren als 
vorausgesehen. 

Die tyrannis war die Skylla, der der staat unentrinnbar zutrieb, 
wenn er nicht von der demokratischen Charybdis verschlungen werden 
sollte. aller voraussicht nach konnte Athen dem geschicke von Sikyon 
Korinth und Megara nicht entgehn. die grofsen geschlechter innerhalb 
des adels hatten das prestige des grolsen grundbesitzers, auch wol 
das früherer selbständiger herrschaft, und die moderne gesellschafts- 
ordnung sicherte und mehrte ihre macht, als die wirtschaft capitalistisch 
ward. in der chronik steht, dafs schon vor der mitte des achten jahr- 
hunderts ein Alkmeon zwei jahre archon war, der dann verschwindet, 
während gleichzeitig das amt zehnjährig ward. darin mag die erinne- 
rung an einen tyrannischen versuch bewahrt sein. ein Alkmeonide 
Megakles war archon, als Kylon, ein junger schöner mann, der 640 in 
Olympia im dauerlaufe gesiegt hatte, sich durch einen gewaltstreich der 
burg bemächtigte. es gelang dem archon den aufstand niederzuschlagen. 
er scheute sich nicht die führer umbringen zu lassen, obwol sie sich 
gegen zusicherung des lebens ergeben hatten, und er hatte die macht, 
so lange er lebte, die rechenschaft für diesen gottesfrevel zu hinter- 
treiben. schliefslich erzwang die gemeinde doch eine abrechnung; aber 
sie geschah bereits durch ein grolses ausnahmegericht von 300 standes- 
genossen: der rat auf dem Areshügel hat sich um die blutschuld nicht 
gekümmert. nun ward das ganze geschlecht der Alkmeoniden verjagt 
und bildete im auslande eine gefahr für die herrschende partei. ledig- 
lich weil die bedeutung der Alkmeoniden und ihre anfeindung als “ver- 
fluchte noch bis in das fünfte jahrhundert dauerte, sind diese ereignisse 
im gedächtnisse geblieben, so dafs Kylons attentat das einzige scheint. 
wir können aber unmöglich bezweifeln, dafs das siebente jahrhundert 
viele der art gesehn hat, da im sechsten trotz der solonischen verfassung 
die macht und begehrlichkeit der grolsen geschlechter um nichts ge- 
mindert erscheint, Damasias kurze zeit, Peisistratos dauernd die tyrannis 
erreicht, und die kämpfe, die Athen befreien, noch sehr stark den 
charakter des ringens der geschlechter um die herrschaft tragen. erst 
nach Marathon hat sich das volk wirklich von ihnen frei gemacht. 

Ein versuch aus den kreisen der regierung, durch eine reform des 
staates sich vor diesen gefahren zu retten, ist die gesetzgebung Drakons, 


Versuche 
der ty- 
rannis. 


Drakon. 


Der wirt- 
schaftliche 
noistand. 


56 II. 2. Von Kekrops bis Solon. 


die dieser vielleicht als thesmothet vornahm. schon die aufzeichnung 
des rechtes war eine bedeutende concession, und durch die auslosung 
des rates und der niederen beamten aus der bürgerschaft ward der rat 
des Areshügels weiter beschränkt, mochte er auch noch die controlle 
der beamten behalten, also, wenn er einen einigen und festen willen 
besals, die eigentliche herrschaft behaupten können. durch künstliche 
mittel sollte der rat der 401 und sein vorstand, die prytanen, gebunden 
werden, und vor allem wurden die wahlbeamten auf die höchsten classen 
in der art beschränkt, dafs das schuldenfreie vermögen statt des einkommens 
den malsstab des census abgab. dadurch trug diese reform lediglich zu 
der verschärfung der socialen gegensätze bei und trieb die verschuldeten 
grundbesitzer, denen sie die höchsten stellen entzog, notwendig in das 
lager der umstürzler. erst in dieser umbildung ward die einteilung der 
classen nach dem census eine plutokratische. es dauerte nicht lange, 
da ward Solon zum archon gewählt, nicht sowol um verfassungsgesetze 
zu geben, als um die unerträgliche sociale not zu beseitigen; die meisten 
erwarteten eine confiscation und neuaufteilung des landes. 

Es ist nicht leicht, die ursachen dieser wirtschaftlichen not anzu- 
geben, die vornehmlich in der verschuldung oder vertreibung der kleineren 
grundbesitzer bestanden hat. die erscheinung wiederholt sich in vielen 
staaten des altertums, aber nirgend in einer zeit, die wir durch hin- 
reichende directe zeugnisse mit eignen augen kennen lernen könnten. 
die erste voraussetzung ist in der verwandelung des gemeinbesitzes in 
den privaten gegeben. dann führt schon die natürliche vermehrung der 
bevölkerung zu schweren krisen, sobald eine verteilung von neuen landlosen 
nicht mehr möglich ist. in Athen war dieser zustand erreicht, nachdem 
Eleusis erworben war. die par bergschluchten, die man den nördlichen 
nachbarn abnehmen konnte, machten wenig aus; Salamis begehrte man 
vergeblich; man mulste auch noch oft den eleusinischen besitz verteidigen; 
Tellos ist in einem solchen kampfe gefallen. ein anderes hilfsmittel ist 
die colonisation, und sie hatte früher geholfen. auch jetzt noch ist ge- 
wifs ein teil der überschüssigen bevölkerung hinausgezogen, aber fast 
immer unter fremder führung, so dals sie die machtstellung des vater- 
landes nicht stärkte. eigene athenische colonien von bedeutung sind 
im siebenten jahrhundert nicht gegründet worden; selbst Sigeion war 
von den Mytilenaeern so stark umstritten, dals es nicht gedieh. die 
planmäfsige verbesserung des landbaus, um die rentabilität der güter zu 
steigern, wird der moderne der vorsolonischen zeit nicht leicht zutrauen ; 
und doch ist gerade diese merkwürdige tatsache sicher. der adel hat 


Der wirtschaftliche notstand. 57 


in dieser richtung sehr viel mehr geleistet als die ganze zeit der demo- 
kratie. die einführung und überwachung des ölbaus durch den Areo- 
pagitenrat ist eine tat, deren folgen bis auf den heutigen tag währen, 
und wir vermögen uns Attika ohne dieses geschenk seiner göttin gar 
nicht zu denken. das wasserrecht in hinsicht auf brunnen cisternen und 
vorflut ist von “Solon’ geordnet: wer wollte bezweifeln, dafs er nur das 
geltende recht aufzeichnete? mit den schufspraemien für die erlegung 
der raubtiere steht es ebenso; schaf und ziegenzucht muls in den 
attischen bergen den landbau ergänzen. daneben gehen die versuche 
durch ausfuhrverbote dem eigenen volke die erzeugnisse des heimischen 
feld- und gartenbaues zu erhalten, doch wol eine im interesse der con- 
sumenten getroffene mafsregel; der name der sykophanten deutet freilich 
mehr auf ein verbot der einfuhr fremder früchte, und prohibitiv- 
mafsregeln dieser art pflegen zum schutze der heimischen production 
ersonnen zu werden. doch vermögen wir nicht abzuschätzen, welche 
versuche die verschiedenen parteien in Athen gemacht haben: das wich- 
tige ist, dafs der alte staat auch auf wirtschaftlichem gebiete so vielerlei 
unternommen hat. 

Wichtiger als alles andere war der übergang von der naturalwirt- 
schaft zu der herrschaft des geldes. die hypothek sagt noch heute durch 
ihren namen, dals sie eine erfindung der athenischen capitalisten oder 
auch des attischen adels ist: das ist dasselbe. das gemünzte geld der 
nachbarn, in Chalkis oder Aigina geschlagen, cursirte in Attika; das metall 
war aber wol schon lange vorher das gesetzliche tauschmittel geworden, 
und der staat hatte das aeginetische gewicht angenommen. während zu 
der zeit, da die steuerclassen eingeführt wurden, die steuern von dem _ 
bruttoeinkommen gewils eben so in natura abgeliefert wurden, wie der 
könig noch im fünften jahrhundert die gefälle der “rinderhirtenschaft’ 
von den parasiten der Acharner eintrieb, ward nun die zahlung in silber 
vorgeschrieben. auf dem markte drängte sich das metall als vermittler 
zwischen die producte des landmanns und des handwerkers. der bauer 
braucht das bare geld an jedem markttage; die einnahmen flielsen ihm im 
jahre nur an ein par terminen zu. sehr rasch kommt er in den fall zu 
borgen, und sehr bequem erscheint es ihm, sein gut zum pfande zu 
setzen. ein beschriebener stein auf dem acker, das ist zuerst nichts 
gefährliches. aber der zinsfuls steht im belieben des gläubigers, und 
wenn der handel, der zuerst das “gebären’ des geldes gelehrt hat, mit 
ungeheurem risico und entsprechendem gewinne rechnen mufs und daher 
einen sehr hohen zinsfuls verträgt, so erliegt die landwirtschaft nur zu 


58 II. 2. Von Kekrops bis Solon. 


rasch einer solchen belastung. der staat aber erkennt eine jede hypo- 
thekarische schuld an und bietet seine organe zur beitreibung, und das 
recht erstreckt die haftpflicht des gläubigers auf sein landlos und weiter 
auf seinen leib und den der seinen. die capitalisten im lande sind in erster 
linie die götter, die bruderschaften, und sonstigen ideellen personen. 
aber über diese cassen verfügen die herrschenden kreise, das sind eben 
die capitalisten, die gläubiger. die vornehmen nützen nun ihren gol- 
denen und silbernen hausrat besser aus als ihre ahnen, die ihn zu toten- 
masken und allerlei zierrat verbrauchten. sie ziehen ein landlos nach 
dem anderen an sich. wie rasch ist bei einer verzinsung von 20 procent 
der bauer gelegt; er muls zufrieden sein, wenn er nicht als sclave übers 
meer verkauft wird, sondern auf dem erbe seiner väter weiter arbeiten 
darf, fünf garben für den herrn, die sechste für sich. der herr aber 
erhält so eine ganze schar von hörigen, trabanten für die gewaltherr- 
schaft, die er hofft. die verteilung des grundbesitzes scheint wieder zu 
schwinden. sehr bedeutende teile müssen auch wieder gemeinbesitz in 
irgend welcher form geworden sein; aber die gemeinde, die jetzt davon 
nutzen zieht, ist auf die reichen beschränkt. der druck wäre kaum zu 
ertragen, wenn das harte recht allein bestünde. aber Solon spricht un- 
umwunden von den veruntreuungen und der habgier der herrschenden. 
die grausamkeit, die denı capitale von natur inne wohnt, pflegt von der 
unredlichkeit begleitet zu sein, zur peAapyvoia gehört die drreongavta. 
tinteı yap x0005 vßgıs, Ereny molüg dAßBos Eruyraı. diese erfahrungen 
sind in dieser zeit gemacht. wenn dann vollends eine verfassung ge- 
geben wird, die die höchsten stellen der regierung den besitzern schulden- 
freier güter vorbehält, so kann das geschrei nach einer neuen aufteilung 
des ackers kaum für unberechtigt erklärt werden. 

Wenn die landwirtschaft wenigstens im kleinbetriebe sich nicht mehr 
halten kann, so sollte handwerk und handel und jeder städtische beruf 
um so besser seinen mann nähren. so sollte man meinen. wirklich 
ist Athen durch den peloponnesischen krieg, der die attische landwirt- 
schaft zerstörte, zu einer industriestadt geworden. aber der handel er- 
forderte in folge des risicos damals noch mehr als heute ein starkes an- 
lagecapital. ihn trieben die besitzenden herren selbst, wie Solons beispiel 
zeigt. das handwerk in dem weiten sinne, den das wort Önutoveyog 
umfalst, war in Attika so lange schon heimisch, dafs die önutoveyoi im 
geschlechterstaate es zu der anerkennung als adliche gebracht hatten, 
und alte gilden wie Saıdakldaı Al$aildaı zu geschlechtern geworden 
waren. Hephaistos hatte sich zu Athena gesellt. der köstliche ton war 


Der wirtschaftliche notstand. Solon. 59 


die erste gabe des attischen bodens, die entdeckt ward: wir bewundern 
die riesengefässe, die auf den gräbern des siebenten jahrhunderts standen, 
und erkennen die echt attische typische auffassung des wirklichen lebens 
in den sclıildereien des Dipylonstiles. der treffliche Ergotimos trägt die 
ehre der attischen arbeit im namen; aber Klitias, der für ihn malte, war 
kein Athener, wie wieder der name lehrt?'), und zu Kleisthenes zeiten 
stehen neben wolhabenden attischen sehr viele fremde leute dieses hand- 
werkes. es kann in der industrie der capitalist durch billige sclaven- 
arbeit nur zu leicht den freien handwerker niederhalten. die hoflart der 
‚dorischen weltanschauung kam dazu, die den hesiodischen spruch &gyoy 
ovötv Oveıdog in sein gegenteil verkehrt hatte. Drakon hat den töpfer 
und den gerber ohne zweifel für einen banausen gehalten; Aristoteles 
tut es ja auch. also schied der bauer, wenn er in die stadt zog um 
als handwerker seine familie vor der sclaverei zu schützen, aus der ge- 
sellschaft aus. an dieser anschauung hat selbst die demokratie wenig 
geändert. | 

So war der staat und die gesellschaft Athens um 600, schwach 
nach aufsen, schwach nach innen, die verfassung durch vielfache ver- 
änderungen erschüttert, das erwerbsleben schwer krank, die gesellschaft 
durch die gegensätze der ehrgeizigen parteiführer unter sich, des adels 
und des volkes, der armen uud der reichen zerklüftet. die götter schienen 
Athen verlassen zu haben; auch wer noch für sich hoffte, rechnete mit 
dem unterkange mindestens des staates Athen. 

Da erweckte ihnen gott einen propheten: so würde es von Israel 
heifsen. da erstand ihnen ein dichter, heifst es in der stadt Atlıenas. 
Solon, des Exekestides sohn aus dem blute des alten königshauses, war 
ein wolhabender mann”), der die erziehung seiner standesgenossen er- 
halten und anteil an ihren vergnügungen genommen hatte. dafs der 
handel ihn über das meer führte, hob ihn auch noch nicht über 


31) Man kann nur xAsrvs vergleichen, das ein fremdwort der attischen dichter- 
sprache ist. 

32) Er ist unter der geltung von Drakons verfassung archon geworden, gehörte 
also zur classe der höchstbesteuerten. wenn Aristoteles ihn einen «ssos auch nach 
dem vermögen nennt, so ist das seiner eigenen angabe nach aus den gedichten ge- 
nommen, in denen Solon wirklich übertriebenen reichtum nicht wünscht. er war 
freilich kein mann von tyrannischem vermögen wie Kallias oder Hippokleides, er 
hatte kein haus von überwältigender macht hinter sich wie Kleisthenes, aber nach 
den anschauungen der späteren demokratie war er gewifs ein reicher und vor- 
nehmer, und ein anderer hätte auch den staatsstreich nicht in den gesetzlichen 
formen durchführen können. 


Solon. 


60 II. 2. Von Kekrops bis Solon, 


ihre vorurteile. aber er hat allerdings das ihnen zumeist fremde 
ionische wesen in sich aufgenommen. wie er die aeginetische währung 
mit der chalkidischen vertauscht hat, so wendet er den attischen sinn von 
den dorischen zu den ionischen vow.Loueva überhaupt. er wird ein 
dichter in der ionischen form der elegie und des iambus; er bemäch- 
tigt sich dieses neuen organs, mit dem der lonier seine gedanken und 
urteile und seinen willen dem publicum zu übermitteln gelernt hatte. 
damit gewinnt er über die massen die herrschaft, zwingt sie wie er 
zu empfinden und ihm zu folgen. die mundart der Athener stand der 
homerischen kunstsprache, die der lonier in den neuen malsen der 
rede seines mundes anpalste, gewils damals nicht näher als ein jahr- 
hundert später: die leistung des dichters Solon ist also eine bedeutende, 
beginnt er doch die attische litteratur. aber ganz abgesehen von dem 
formalen studium, das seine gedichte zur voraussetzung haben, hat er sein 
ganzes denken und empfinden ionisch machen miissen, menschlich, modern 
für seine zeit. halten wir doch die attischen werke etwa der gleichen periode 
neben ihn: wie grofs ist der abstand. die köstliche darstellungsfreude, 
mit der der bildner des Typhongiebels seine scheusale in aller derbheit 
aus seinem weichen stein schnitzt, das ist das alte Athen, dasselbe, das 
ein par generationen früher leichenzüge und seeschlachten mit kind- 
lichen mitteln auf die tonkrüge pinselte, ungeschlacht autochthonisch, aber 
mit ächt attischer Zyapyeıa. wir werden diese in den solonischen 
schilderungen des lebens uicht verkennen; der Athener ist dem trotz 
aller caricatur schematischen Semonides weit überlegen. aber er hat 
einen gebildeten stil, seine sprache ist überhaupt nicht archaisch. die 
Frangoisvase entzückt uns durch die epische erzählungskunst ihrer bilder; 
der abglanz der ganzen grossen sagenherrlichkeit ruht auf ihr, die im 
mutterlande noch alle herzen beherrschte. in lonien war sie schon 
verblafst; die demokratie hatte die nachkommen der heroen zurückge- 
drängt, und Mimnermos konnte die sage bereits, ein vorläufer der Alexan- 
driner, zu spielendem schmucke verwenden. bei Solon tritt sie ganz 
und gar zurück. dem pompösen wesen des rittertumes ist sein ein- 
facher sinn vollends abgeneigt: er hat es in der beschänkung des 
gräberluxus bewiesen, und in denselben gesetzen dem aberglauben ge- 
steuert, über den er durchaus erhaben ist. aber die einfache attische 
frömmigkeit hat er sich bewahrt‘, trotz allem menschlichen denken und 
aller modernen weisheit: auch für ihn hält die göttin schirmend ihre 
hand über ihrem Athen, so dafs der himmlische vater es gar nicht 
untergehen lassen kann. und das vertrauen auf die gerechtigkeit des 


Solon. 61 


weltenregiments ist ihm vollkommen unerschüttert. “gott hält sein auge 
über dem ausgange aller dinge; er ist nicht rasch mit seinem zorne, 
aber seine strafe suchet den schuldigen heim, sei es auch erst in seinen 
kindern oder kindeskindern.” so denkt er, wie hundert jahre später 
Aischylos, und dieses denken gibt ihm die kraft und den mut zu seinem 
grolsen werke. der rechte nachfolger Homers und der rechte Athener 
ist er vollends in dem was ihn von dem lonier Archilochos scheidet, 
dem unvergleichlich gröfseren aber an dem persönlichsten irdischen 
klebenden dichter: der sinn für die durcharbeitung der zufälligen 
wirklichkeit zur typischen wahrheit. wer in das Akropolismuseum tritt, 
der sieht in der gewaltigen bunten gruppe des stieres das schönste 
werk altathenischer plastik und ruft “das ist das verkörperte home- 
rische gleichnis’” da kündet sich die kunst an, die im Parthenonfriese 
das attische volk, das ideal ihrer zeit, zu der für alle zeit typischen 
darstellung eines sich seiner gottheit am festlichen tage nahenden volkes 
vergeistigen konnte. als V. Hehn die darstellung der naturformen des 
menschenlebens bei Goethe veranschaulichen will, greift er nach ihrer 
schilderung in Solons grosser elegie.?”) 

So war der dichter und der weise, der seinen Athenern zu predi- 
gen wagte: “haltet inne, kehret um auf eurem wege, sonst stürzt ihr 
wider gottes willen euer vaterland in den abgrund.” was er geifselte 
war die begehrlichkeit, sowol der von unten drängenden masse wie die 
der auf ihren besitz pochenden standesgenossen. diesen, die mit dem 
gute des staates und der götter unredlich umgehn, die macht zu der 
vergewaltigung der rechtlosen misbrauchen, gilt sein zorn überwiegend. 
gerechtigkeit in der verteilung des besitzes, menschlichkeit und gleichheit 
fordert er, frieden, eintracht und gesetzlichkeit (evvouln, worin sowol 
die befolgung der gesetze, wie die herrschaft guter gesetze liegt) verheilst er. 
von bestimmten praktischen vorschlägen hören wir nichts; das gehört 
nicht in die poesie. aber der so redete, war kein Önuiovpyög der dicht- 
kunst, sondern ein angesehener und lebenserfahrener angehöriger des 


33) Gedanken über Goethe 213. Hehn vergreift sich aber, wenn er Solon 
einen vielerfahrenen und darum düsteren menschenkenner nennt. die erfahrung, dafs 
des menschen kraft und kunst kein sicheres glück zimmern kann, sondern gott allein 
das gedeihen gibt, hat seinen sinn nicht verdüstert, denn gott gibt das gedeihen, 
wenn der mensch gerecht bleibt. Solon genofs das leben gern, aber der schönste 
lebensgenuls war ihm das lernen, und darum bat er den Mimnermos, der nur den 
sinnengenufs kannte und mit 60 jahren sterben wollte, flugs 80 zu schreiben. der 
verachtete wahrlich die menschen nicht, der betrauert sterben wollte. er hat selbst 
die politische enttäuschung durch seine poesie und sein reines gewissen überwunden. 


62 Il. 2. Von Kekrops bis Solon. 


herrschenden standes, der kein hehl daraus machte, dafs er seine ge- 
danken praktisch verwirklichen wollte. sein volk vertraute ihm, wählte 
ihn zum archon und gab ihm die vollmacht die verfassung neu zu 
machen und das volk zu versöhnen.”‘) 

Was er dem volke brachte, entschied sich schon am tage seines 
amtsantrittes.”) er hatte als archon die proclamation zu erlassen, dafs 
er jedermann in seinem besitze schützen und erhalten wolle. statt 
dessen erklärte er alle bestehenden hypothekenschulden für hinfällig 
und die verpfändung eines athenischen leibes überhaupt für ungesetz- 
lich, dies letztere mit rückwirkender kraft. er verfügte auch über 
mittel, obwol wir nicht wissen woher, die er zu dem rückkaufe der in 
das ausland verkauften Athener verwandte.) so wurden denn die 
hypothekensteine, die sie belasteten, auf allen attischen äckern zer- 
schlagen, und in allgemeinem jubel eine festfeier “der abgeschüttelten 
bürde” begangen.”) es war ein sehr gewaltsamer eingriff in wolerwor- 
bene privatrechte, aber es ist kein versuch gemacht ihn zu hindern oder 
zu redressiren; die besitzenden mochten auf diese concession gefalst ge- 
wesen sein und sich zu ihr verstehen um der drohenden confiscation ihres 


34) Den titel dsaldaxsns gibt die Atthis ausdrücklich, bei Ar. 5, 2 und Piut. 
Sol. 14, 2. er kehrt 403 für die spartialische versöhnungcommission wieder. die 
unumschränkte macht bezeichnet Aristoteles 6, 1 mit xugsos To» npayudtas. 

35) Sowol bei Aristoteles wie bei Plutarch sind die beiden acte, seisachthie 
und gesetzgebung, deutlich gesondert. das wird durch das edietum praetoris 56, 2 
ganz verständlich. 

36) Da Solon selbst sich dieser befreiung der längst verkauften delaven rähmt 
(Ar. 12,4), so ist nur die modalität fraglich. öffentliche mittel können nicht gefehlt 
haben, sowol in sitaatsdomänen wie im schatze Athenas. aber die auslösung von 
bürgern, die in der sklaverei waren, galt auch für eine menschenpflicht, die viele 
übten. Avcavdeos und Avaldsos sind leute, die für einen menschen und einen 
gott (dessen bild oder gut oder schatz Avrga brauchte) die Avroa gezahlt haben, und 
Avcıxgarns Avamlns Avcınnos Avcıpyav sind gedankenlos gebildete composita, 
in denen doch dieses Ava» stecken muls. Avciuayos Avcavias Avsiorpgaros sind 
anderer art; das letztere nicht einmal notwendig. 

37) Ar. 6,1 ist überliefert & osswaydsıu xalovaıv os dnoosıcauevos To Bapos. 
bei den änderungen, mit denen der corrector angefangen hat, und denen wir auch 
gefolgt sind, ist mir nie sehr zuversichtlich zu sinn gewesen. ich möchte nicht für 
unmöglich erklären, dafs die Athener der gegenwart den namen brauchten, weil sie 
die befreiung von der last als eine ihnen selbst, dem unsterblichen d7uos, zu teil 
gewordene erleichterung empfanden. und die form ra sesoaydeıa kann ich nicht be- 
anstanden, freilich nicht für den act der legislative, aber wol für das dafür gebrachte 
dankopfer, das Plutarch Sol. 16 erwähnt. dieses opfer könnte ich mir als eine dau- 
ernde institution denken, so dafs das praesens ganz eigentlich richtig wäre. 


Solon. 63 


grundbesitzes zu entrinnen. immer noch konnten sie hoffen, dafs Solon, 
ihr standesgenosse und ein mafsvoller mann, die standesherrschaft eher 
befestigen als schmälern würde. aber die geseizgebung, die er natür- 
lich erst am ende seines amtsjahres vor den souveränen demos bringen 
konnte, beseitigte nicht blofs die verfassung Drakons, sondern begrün- 
dete die demokratie. 

Alle Athener (AInveioı arcavreg, wie der ausdruck wol schon 
jetzt lautete) erhielten an der staatsverwaltung anteil. für die volksver- 
sammlungen, den rat und die geschwornenstellen ward hinfort kein 
census gefordert, für die beiden letzteren nur die zurücklegung des 
dreifsigsten lebensjahres; für den rat gieng aulserdem noch eine persön- 
liche prüfung der würdigkeit dem eintritte vorher. eine ausnahme bil- 
deten die geschwornenstellen in den mordgerichten, wo die adligen 
epheten Drakons blieben, weil der sacrale charakter dieser richtstätten 
die älteren formen sicherte. die teilnahme des ganzen volkes an den 
volksversammlungen verlieh diesem das active wahlrecht für die wahl- 
4mter, aber auch die wirksamste controlle selbst der archonten. denn 
die prytanen des rates, (über deren bestellung wir weiter nichts wissen) 
waren gehalten, in bestimmten (uns unbekannten): fristen eine volks- 
- versammlung zu berufen, in der alle selbständig, nicht unter aufsicht 
eines der räte, fungirenden magistrate neu bestätigt werden mulfsten; 
im falle ihrer suspension kamen sie vor die thesmotheten, die ein ge- 
richt von geschwornen zu berufen hatten. dasselbe hatte unbedingt 
mit der rechenschaftsablage der feldherren zu geschehen. gegen die 
anderen beamten konnte jeder bürger nach ablauf ihres amtsjahres an 
eine commission des rates, die euthynen, eine beschwerde einreichen, 
die erforderlichen falles von den thesmotheten in der nämlichen weise 
vor ein volksgericht gebracht ward. die competenzen aller beamten 
wurden in bestimmter weise abgegrenzt, so dafs sie höhere strafen, ins- 
besondere leibesstrafen, nur unter zuziehung eines gerichtes zuerkennen 
konnten. die bestellung der beamten, so weit sie nicht direct gewählt 
wurden, geschah durch das los auf grund einer vorschlagsliste, über 
deren aufstellung genaueres nicht bekannt ist, als dafs sie durch wahl 
in unterabteilungen des volkes, phylen oder (für den rat) naukrarien 
zu stande kam. als qualification ward ein census, abgestuft nach den 
alten drei classen, gefordert, die nun wieder ihre vordrakontische bedeu- 
tung nach dem einkommen erhielten. ob an der competenz der einzelnen 
beamten oder des oberen rates geändert worden ist, wissen wir nicht; 
der überlieferung nach ist da ziemlich alles beim alten geblieben. 


64 II. 2. Von Kekrops bis Solon. 


Solons augenmerk war offenbar zunächst nur auf die schulden- 
tilgung gerichtet gewesen, und im übrigen auf die beseitigung der dra- 
kontischen schranken, die durch die forderung der selbstequipirung 
die proletarier principiell ausschlossen. das schien ihm ein widerspruch 
mit der herrschaft des demos, und er spricht es selbst aus, dafs er diesem 
seine rechte weder geschmälert noch vermehrt hätte: er hielt Drakons 
ordnung also für eine ungerechte neuerung. wirklich können wir wol 
nicht anders urteilen, als dafs Solon in der verfassung aufser diesem 
demokratischen prinzipe kaum etwas bedeutendes erfunden hat, da ja die 
ausdehnung des loses auf die archonten kein neues princip war, und 
dessen bedeutung kann man nicht umhin, gerade für die wichtigsten 
ämter gering anzuschlagen. Solon selbst und sein nachfolger Dropides 
sind trotz dem lose so gut wie gewählt: es hat sich die macht des 
volkswillens so stark fühlbar gemacht, dafs andere candidaten gar nicht 
zur losung präsentirt wurden. wenn in den folgenden jahren so häufig 
gar keine archonten vorhanden sind, so mufs die losung aus der vor- 
schlagsliste durch den terrorismus der parteien verhindert sein, oder 
aber es hat sich die majorität der tyrannei des zufalls nicht unter- 
worfen. wir haben schlechthin keine mittel uns vorzustellen, wie es in 
Athen in solchen jahren der anarchie aussah”); aber die kritik mufs 
sich Solon schon gefallen lassen, dafs er zwar das princip der demo- 
kratie zum siege geführt hat, aber gerade dadurch, dafs er die macht 
der beamten möglichst vinculirte, zunächst seinem vaterlande den 
kräfiigen arm gelähmt hat, der es allein vor der tyrannis schützen 
konnte, die der vertrauensmann des volkes, der in directer wahl von 
allen erhobene stratege, und der zel9wv TOv Orgarov, der demagoge 
der zum ganzen volke sprechen konnte, errungen hat. 

Das denkwürdige amtsjahr lief ab. Solon stellte das geltende at- 
tische recht auf vielen riesigen holztafeln verzeichnet aus, liels es vom 
demos nicht nur annehmen, sondern in feierlicher weise beschwören, 
brachte am jahresschlusse das opfer an Zeus den erretter (die letzte 
regelmäfsige amtshandlung des beamten”) und trat in das privatleben 
zurück oder vielmehr in den Areopag hinüber. seine Athener werden 


38) Selbst das ist nicht bekannt, ob in jahren der anarchie gar keine beamte 
waren, oder etwa nur kein archon, oder ungesetzliche und cassirte archonten. der 
fall, dafs ein archon fehlte und der könig für ihn eintrat, ist später vorgekommen. 

39) Der cult des Zeus gehört zum markte als "’yopaios, dem wesen des markt- 
rechtes entsprechend. aber auch als sone darf er für alt gelten; nur dAsvdsgıos 
heifst er erst seit 480. 


\ 


Solon, 65 


zuerst die bewunderung seiner leistung, zu der die aufzeichnung der 
gesetze, der kalender und die ordnung von mals und gewicht auch 
gehörte, und die höhere bewunderung seiner selbstlosigkeit und gesetz- 
lichkeit haben vorwalten lassen. in der tat hat ihn niemand persönlich 
angegriffen. aber wenn der dichter und der patriot geglaubt hatte, er 
brauchte nur dem demos in den sattel zu helfen, reiten würde er von 
selbst können, so folgte schlimme entiäuschung. dafs der bisher herr- 
schende stand über die beseitigung der drakontischen verfassung grollte, 
mehr noch als über die capitalverluste der einzelnen, ist ebenso natür- 
lich, wie dafs die theten, denen er zwar die freiheit und damit poli- 
tische rechte, aber keinen materiellen gewinn und mit den rechten 
pflichten gegeben hatte, nach dem ersten freudenrausche stark ver- 
stimmt waren, weil sie arbeiten sollten wie immer. die neue maschine 
functionirte mit einer allzustarken reibung und stockte hier und da. 
so rief man den werkmeister sie wieder in gang zu bringen. er 
vertraute seinem werke und der zeit, idealist wie er war; aber eben 
weil er es war, konnte ilım keine herbere kritik werden, als dafs von 
rechts und links ihm zu verstehen gegeben ward, er hätte die tyrannis 
selbst tbernehmen sollen, wie es in der tat Pittakos von Mytilene in 
ähnlicher stellung getan hatte. das verekelte ihm seine vaterstadt, und 
nachdem er mit seiner einzigen wafle, der poesie, sich lebhaft aber ver- 
geblich verteidigt hatte, zog er auf lange jahre hinaus in die fremde. 
in Athen aber brachen die politischen kämpfe mit erneuter heftigkeit 
los. die vorwahlen für die losung zu den höchsten ämtern trugen die 
politischen kämpfe auf das land; die präsentation der candidaten für 
den neuen rat fielen ohne zweifel den örtlichen kreisen zu. so bil- 
deten sich innerhalb des volkes parteien, die sich nach den landesteilen 
nannten, nicht etwa alten vortheseischen städten, sondern den wirtschaft- 
lichen interessen der gegenwart entsprechend. die solonische demo- 
kratie fand anklang in der küstenbevölkerung, die immer demokratischer 
gesonnen war, und ihre führung ergriff Megakles, das haupt der Alkme- 
oniden, die dem Solon die heimkehr dankten. in der ebene Athens 
safsen die ältesten herrengeschlechter und war die vom Areopage be- 
schittzte landwirtschaft mafsgebend: sie wollte von der solonischen wirt- 
schaftspolitik nichts wissen, die Athen zu lonien hinwies, und das haupt 
der Butaden stritt für die reaction. das bergige land, im nordosten und 
osten, sehr stark bevölkert von einem wehrhaften bauernstande und 
stolz auf seine eigenart, drängte weiter auf der bahn der decentralisation, 
durch die allein das land der stadı gebieten konnte; es stellte den besten 
v. Wilsmowirz, Aristoteles. Il. 5 


66 I. 2. Von Kekrops bis Solon. 


truppen einen geschickten führer: hier war man für einen krieg, der 
neue landlose den bauernsöhnen schaffte, und die führer, Peisistratos 
von Brauron und Miltiades der Philaide, haben sie ihnen auch verschafft. 
wir wissen im einzelnen fast nichts über das nrenschenalter nach Solons 
gesetzgebung, aber gerade soviel, um zu sagen, dals es um den innern 
frieden traurig stand, und um den wolstand nicht besser als zuvor, bis 
Peisistratos erst Salamis eroberte und dann sich zum herrn machte. und 
das zweite wissen wir, dafs Solon heimgekehrt ist und in Athen un- 
behelligt und verehrt aber einflulslo; bis 560/59 gelebt hat. er hat 
noch gedichtet, sein volk gemahnt um Salamis zu kämpfen und vor 
Peisistratos sich zu hüten; sie hörten wol seine verse, aber es waren 
ihnen nur die verse eines dichters: politisch war Solon ein toter mann, 
seit er dem Zeus owrng am letzten skirophorion 593 das Jankopfer 
gebracht hatte. 

Die götter verwöhnen ihre lieblinge nicht; der frühe tod ist der 
preis, um den die schönste krone des heldentumes feil ist, für Kleobis 
und Biton, für Achilleus und Alexandros. die krone der weisheit aber 
erhält der greis für ein leben voller enttäuschung, und entsagung lehren 
auch die weisesten, die das vollste menschenleben gelebt haben, Platon: 
und Goethe. als Solon zu sterben kam, war sein Athen in der hand 
des tyrannen, und der stifter der demokratie hatte eingesehen, dafs 
seine Athener jeder einzeln ein schlauer fuchs, aber auf der pnyx eine 
herde schafe wären. nach den wolken des demagogischen weihrauchs, 
die ihm im vierten jahrhundert von denen gespendet wurden, die be- 
sagte herde hütetlen und schoren, wird den weisen wenig gelüstet haben; 
dals er ein grofser staatsmann gewesen wäre, wird sein gewissen ver- 
neint haben, so gut wie wir es verneinen müssen. und doch hat Ari- 
stoteles ihn einen einzigen unter allen staatsmännern genannt, der allein 
das wol des ganzen zur richtschnur sich genommen. und doch hat er 
in der tat die demokratie Athens, wenn auch nur als vorläufer des 
Kleisthenes, und die athenische poesie, wenn auch nur als vorläufer des 
Aischylos begründet. dafs er beides vermochte, dafs seine person sowol 
den Drakon wie den Peisistratos, ja noch den Kleisthenes in den schat- 
ten gestellt hat, das dankt er der Muse. ihn allein von ihnen hörte 
die nachwelt und hören auch wir noch. ein grolser dichter war er 
nicht, aber ein weiser und frommer und guter mensch, was denn doch 
mehr ist. 

Verblafst ist sein bild gar bald in den büchern der geschichte; aber die 
poesie ist ihm gerecht geworden. nicht daheim, aber in lonien hat sie 


Solon. 67 


die schönste novelle gedichtet, in der er dem Hellenen seine owgpgoovyn 
repräsentirt. auf dem güldenen throne sitzt der barbar in seiner ma- 
teriellen herrlichkeit mit all dem dünkel abergläubischer gottwolgefällig- 
keit und ruft “sehet mich an, ich bin glücklich und gottgesegnet” 
(0Aßıos und eudaluwy). der weise im schlichten bürgerkleide belehrt 
ihn, dafs das höchste menschenglück das des schlichten bürgers ist, 
wie es die natur dem menschen gewähret, mit weib und kind, acker 
und vieh, gesundheit und gedeihen, und zur krönung dem seligsten tode, 
dem tode des kriegers fürs vaterland. vergebens belehrt er den bar- 
baren, vergebens mahnt er ihn, dafs den tag vor dem abend niemand loben 
dürfe. Kroisos verlacht die mahnung, das schicksal ereilt ihn, und das 
gedächtnis an des weisen wort ist das einzige was ihn errettet. 

So steht Solon da, der typus des Hellenentums, des Athener- 
tumes, sich bewufst der menschenuschwäche und des menschenadels, de- 
mütig vor der natur, demütig vor gott, aber nur vor dem ewigen 
demütig. so lernen unsere kinder den weisen Solon kennen: nicht den 
vater der demokratie, aber den hellenischen propheten, den dichter und 
den weisen. die unsterbliche seele Solons und seines- volkes ruft uns 
alle noch heute auf zu der seisachthie des götzendienstes dieser welt. 

Doch ich vergesse, unsere kinder sollen den weisen Solon nicht 
mehr kennen lernen. die moderne selbstgerechtigkeit und hoffart sitzt 
als ein protziger barbar auf ihrem throne, opfert götzendienerisch ihrer 
eigenen herrlichkeit und ihren lüsten und weist den hellenisch.n mahner 
an selbstbescheidung und demut unwillig von sich. soll sie auch erst 
auf den scheiterhaufen steigen, um sich auf die hellenische weisheft zu 
besinnen ? vielleicht. aber schwerlich wird ihr zerstörer ein Kyros sein, 
der sie um des verzweiflungsrufes “Solon, Solon” begnadige. 


5*+ 


3. 


DIE POLITIE DER ATHENER VON PEISISTRATOS 
BIS EPHIALTES. 


Athen Inder Wer jetzt auf der burg von Athen wandelt, dem stellt sich als eine 
zeit. schöne lösbare aufgabe dar, das Athen der tyrannenzeit in seiner zu- 
- ständlichkeit zu schildern. leibhaft sieht man die menschen jener gesell- 
schaft vor sich, und, was mehr bedeutet, man kaun «empfinden, wofür 
sie leben, wo sie ihren schatz und ihr herz haben. es geht ihnen gut 
und sie genielsen ihr leben. sie haben an ihrer eignen existenz freude 
und suchen die sudasuovla im OAßoc. es ist eine zeit, geschlagen in 
enge fesseln der convention und der mode; vielleicht merkt man nur 
ex eventu, dafs vieles überlebte da ist, und ein neues leben sich zu regen 
beginnt, das diese fesseln sprengen wird. den ungeheuren umschwung 
der Perserkriege und der demokratischen agern schätzt man nirgend 
so richtig, wie wenn nıan im sechsten jahrhundert wandelt. schon die 
heroische naktheit des Harmodios erscheint wie ein protest gegen die 
ceremoniöse toilette eines Aristion. dafs die jünglinge und mädchen 
des Parthenonfrieses grofsmütter und väter gehabt haben sollen, die sich 
anzogen wie die xopaı, die unsere archaeologische jugend so hübsch 
als tanten bezeichnet hat, sich einen lockenkranz um die schläfen frisiren 
liefsen und die arme mit ekelhafter grazie weit vom leibe hielten, damit 
die geknifften fältchen der mantillenkanten nicht zerknautscht würden, 
muls man sich mühsam klar machen. es riecht alles nach sevpn 
Iovırn, nach uiga und aßeog Bloc.) und doch wie sauber und 


1) Das zwölfte buch des Aihenaeus handelt über die zgvpn; historiker schon 
des vierten jahrhunderts, peripateliker und andere philosophen sind die hauptquellen. 
wer genauer zusieht, wird in sehr vielem lediglich den niederschlag der sinnesart 
finden, die mit den Perserkriegen aufkommt und der ganz besonders die tracht, aber 
überhaupt die lebensführung der archaischen zeit als zevpn erscheint. in der tracht 
gewisser stände, wie der priester und der musiker, im costume der tragoedie, dann 


ir 


Athen in der tyrannenzeit. 69 


solide baute jene zeit, wie gewaltig sind die fortschritte der bildenden 
künste, und wie tief im volke geht jene anspruchsvolle lebensführung, 
da töpfer walker und schuster an ihr teil nahmen. man sieht, wie viel 
da war, das die Perser zerschlagen und rauben konnten: die opfer von 
480 lernt man schätzen, und es wächst sowol die achtung vor Peisistratos 
wie die bewunderung der freien bürgerschaft. 

Doch das ist eine aufgabe, die wirklich nur ein archaeologe lösen 
kann, einer dem die funde auch in allen einzelheiten rede stehn, und weil 
die aufgabe gestellt ist, wird sich auch die archaeologische jugend über 
die unfruchtbaren stilriechereien und die wirklich antiquirte suche nach 
künstlernamen erbeben. in um so mislicherer lage ist jeder der die 
ereignisse jener zeit zu schildern unternimmt und nicht den Herodot 
paraptırasiren will. sie sind verschollen, und was man einzelnes hört, 
belehrt wenig, eben weil es nichts als nakte fauta bringt. wir wissen 
es nicht, wie sich die situation Athens um 520 v. Chr. gebildet hat: 
aber von dieser situation kann man sich einigermalsen ein bild machen. 

Als nach der gesetzgebung Solons statt des gehofften friedens der 
parteihader nur: gehässiger entbrann, war es das gröfste glück, dafs sich 
der zum herrn machte, der seine tüchtigkeit durch die erwerbung von 


bei einzelnen personen oder in abgelegenen gegenden hat sich die mode des sechsten 
jahrhunderts noch mehrere generationen oder auch dauernd erhalten, nicht ohne 
dafs misverständnisse in derselben richtung vorkamen. Asien hat eich den neuen 
athenischen mustern immer erst in einigem abstande gefügt, und deshalb den vor- 
wurf der zeugen schon von den Alhenern des fünften jahrhunderts erfahren. inner- 
lich hat es den umschwung des empfindens nie mitgemacht. so haben sich falsche 
werturteile über die archaische zeit gebildet. nun trieb aber der gegensatz zu den 
barbaren dazu die einfachheit von haar und barttracht, des kurzen hemdes und des 
simplen überwurfes für echthellenisch auszugeben, also für uralt, und dann für do- 
risch, ein wort, das den accent ins tüchtige, derbe, altangestammte zuerst in der 
musik erhalten hatte (schon vor 500): das hat dann auch falsche geschichtliche ur- 
teile erzeugt. die besten zeugen für die volkssiimmung sind immer die dichter, 
um so besser, je gröfser sie sind. in dem bilde, das das sechste jahrhundert schon 
von Dionysos geschaffen hatte, und das die tragoedie, sein spiel, fest hielt, war 
jene alte tracht an haar und bart und kleidung festgehalten, und die art, wie der 
gott sich offenbarte und seine verehrer sich benehmen hiefs, schien die zevg7 nur 
noch mehr zu bestätigen. diesen conflict mit den modernen, kräftigen, dorischen 
anschauungen empfand Aischylos innerlich, und doch war er dionysischer dichter. 
so verkörperte er diese gegensätze in seiner Lykurgie; die alte fabel hatte eine neue 
bedeutung gewonnen. da zuerst nimmt der gölterfeind an der weibischen tracht 
des gottes anstols, zieht freche folgerungen und mufs es büfsen. Euripides hat 
das schon als etwas fertiges überkommen; für ihn hat es keine innerliche bedeu- 
tung mehr. 


n 


70 I. 3. Von Peisietratos bis Ephialtes. 


Salamis bewiesen hatte, und der nicht den durch Solon gestürzten grols- 
grundbesitz, sondern die kleinen leute und die wehrhafte bauernschaft 
der Diakria hinter sich hatte. Peisistratos ward zwar alt und grau, ehe 
er aus zehnjähriger verbannung heimkehrend auf dem throne fest ward 
(541). dafür brachte er die anerkennung durch die bedeutendsten 
nachbarstaaten, Boeotien und Euboia, ein bündnis mit Argos und eignen 
besitz an der thrakischen küste mit. so konnte er frieden und wolstand, 
ordnung und fortschritt auf sein panier schreiben, und mit ausnahme 
der überwundenen adelsgeschlechter hatte er bald die sympathie des 
volkes gewonnen, go dals sich bei seinem tode 528 nichts änderte. 
sondern seine beiden ehelichen sölıne die nicht festumschriebene oder 
beschworene aber tatsächlich anerkannte herrschergewalt fortführten. 
Hippias, schon ein reifer ınann, war längst ein mitarbeiter an der politik 
des vaters gewesen; Hipparchos, auch kein jüngling mehr, ergänzte ihn 
für das prestige der tyrannis auf das glücklichste. denn seine beziehungen 
zu den dichtern der zeit hatten eine sehr reale bedeutung. diese leisteten, 
was heute die presse besorgt, die beherrschung der Öffentlichen meinung. 
orakelsprüche, wie sie damals besonders beliebt waren, haben mindestens 
eben so oft die ereignisse vorbereitet: und bewirkt, wie sie später ex 


eventu verfertigt und umgeformt sind. weltkundige und allerorten wol- 


gelittene litteraten, wie Lasos und Simonides, formulirten dem durch- 
schnittshellenen, was er schön und gut finden sollte, und lebten davon, 
sich von den mächtigen die parole dazu geben zu lassen, was sie also 
den leuten darstellen sollten. sie sind die vorläufer der sophisten. die 


- breite masse aber bewunderte den herren von Athen, dessen lieblinge 


die lieder eines Anakreon verherrlichten wie die des Polykrates. dar 
ist der lauf der welt; sie beugt sich dem glücklichen und nimmt an 
seinem ‘glücke anteil. es mulste die sittliche erhebung einer grofsen zeit 
kommen, damit das glück des Polykrates im sinne des Herodotos, nicht 
in dem des Anakreon sprüchwörtlich werden konnte. 

Der attische bauer safs leidlich zufrieden unter seinem feigen- 
baum und weinstock und schaute mit andacht auf das geschenk seiner 
göttin, die olive, deren anbau der staat jetzt wie von alters her 
beförderte, so dafs dies wichtigste product der heimischen landwirt- 
schaft immer mehr eintrug. dazu tat der friede das beste: es hieb 
eben kein feind die ölbäume um. ordnung war auch im lande und 
die rechtsprechung nahe und rasch zu haben. eine steuer von fünf 
procent lag allerdings auf dem ertrage, und das war eine mah- 
nung. dafs ein herr da war. aber der bauer durfte doch alljährlich zu 


Athen in der tyrannenzeit. Äufsere politik der tyrannen. 71 


den wahlen gehn, wol auch allmonatlich zur volksversammlung; die 
formen der selbstverwaltung in der naukrarie, auch der rat in der stadt, 
waren gewahrt, und so stimmte man gern für die candidaten der regie- 
rung. es verdient alle anerkennung, dafs die Peisistratiden für den 
ackerbau sorgten; dennoch ist die schilderung des Aristoteles schief, die 
diese seite ausschliefslich hervorhebt. um keine agrarier zu sein, dazu 
besafsen sie schon genug wirtschaftliche einsicht: der mächtige auf- 
schwung von industrie und handel, der unter ihnen statt fand, ist für 
uns selbst noch in seinen erzeugnissen kenntlich, und das friedliche 
menschenalter 540—10 hat erst die ionische höhere cultur, zum teil 
auch die von Argos und Aigina nach Athen geführt und das attische 
wesen erzeugt, das allen andern eben deshalb überlegen ward, weil es 
alle anregungen aufgenommen und innerlich sich zu eigen gemacht hatte. 
handel und industrie setzen eine starke nicht angesessene, zum teil nicht 
einmal eingeborene bevölkerung voraus, die wir denn auch antreffen, 
und sie haben die städtische centralisation im gefolge. das prestige deı 
tyrannis erforderte neue tempel und neue feste. die Peisistratiden haben 
ein neues Athen geschaffen, und nur dafs die Perser es verbrannten 
und dann neue gebäude sich erhoben, hat bewirkt, dafs Athen nicht 
Jauernd die züge der tyrannenzeit getragen hat. 

Dafs die tyrannen Athen diese friedliche zeit und dieses gedeihen 
verschaffen konnten, lag wesentlich darin begründet, dals sie selbst nach 
keiner seite übergreifen konnten noch wollten und durch persönliche 
und familienverbindungen ein gutes einvernehmen mit den meisten 
staaten erhielten. mit der hilfe von Theben Eretria und Argos war 
Peisistratos heimgekehrt; an der thrakischen küste besals er eigenen 
besitz; ein vertriebener adlicher von Naxos, dem er zum danke die 
herrschaft in seiner heimat verschaffte, hatte sich an seiner seite be- 
funden; auch die beziehungen zu dem thessalischen adel werden so alt 
sein. diese verbindungen sind zum teil noch über den sturz des Hippias 
hinaus erhalten geblieben. es liegt freilich in dieser gruppirung der 
mächte, dafs es eine gruppe ihnen gegenüber gab. wer nahe zu Argos 


- stand, war den Spartiaten und ihrem bunde verdächtig, wer Eretria 


unterstützte, dem war Chalkis feind, und Korinth, mit Chalkis und Sparta 
zumeist verbunden, hat später seine feindliche gesinnung wider die 
Peisistratiden bewiesen. es ist augenfällig, dafs die herren Athens sich 
von diesen hauptmächten des festlandes nicht nur fern halten, sondern 
sich zu emanzipiren trachten. sie lassen keine pferde in Olympia und 
Delphi rennen und stiften dort keine weihgeschenke, sie gründen viel- 


Äufsere po- 
litik der 
tyrannen. 


72 IL 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


mehr in Athen filialen der dortigen culte, schmücken diese reichlich 
und erweisen so zwar den hochgeehrten göttern ihre ehrfurcht, aber 
entziehen sich dem einflusse Ihrer priester. Delphi hat es ihnen nicht 
vergessen. aber offiziell sind die beziehungen zu dem peloponnesischen 
staatenbunde durchaus freundlich. die tyrannen sind gastfreunde Spartas: -. 
die proxenie war auch zwischen Athen und Dionysios, Athen und Phi- 
lippos die form der ofllciellen anerkennung, nicht mehr bedeutend, als 
wenn die herrscher der alten monarchien einen Napoleon als bruder 
angeredet haben. 

Gestützt auf diese besonnene politik des friedens, glaubten die herren 
Athens weder eines stehenden heeres (aufser einer leibwache) noch einer 
kriegsllotte zu bedürfen. die sicherung der see, deren handel und industrie 
um so mehr bedurfte, als die front Athens jetzt nach osten gerichtet 
war, ward auf anderem wege erreicht. Athen, das doch Naxos und 
Rheneia erobert hatte, behielt keine insel in besitz, sondern versicherte 


— m. 


_ sich des wolwollens des delischen Apollon und der seemächtigen staaten. 


J 


Die grofsen 


häuser. 


nur auf den wichtigsten punkt, den Hellespont, legten die tyrannen ihre 
feste hand, auch das nicht unmittelbar, aber durch befreundete oder 
verwandte berrscher. in Sigeion, dem vielumstrittenen, safs ein halb- 
bruder des Hippias; ein schwiegersohn von ihm in Lampsakos, das sich 
vorher lange mit allen mitteln der attischen colonisation der gegenüber- 
liegenden halbinsel widersetzt hatte. der Chersones mit den nächsten thra- 
kischen inseln gehörte dem Philaiden Miltiades, der Athener geblieben 
war, mindestens in einvernehmen mit den tyrannen. 

Die Philaiden waren eines der uralten geschlechter Attikas, selbst 
dazu zu vornehm, sich wie das alte königshaus und die Alkmeo- 
niden auf die Pylischen heroen zurückzuführen, geschweige wie jeder 
schuster auf die phylenheroen. mit dem adel des Peisistratos ist 
es schwerlich weit her gewesen; wir kennen den namen des ge- 
schlechtes nicht, denn die überlieferung des dialoges Hipparchos, die 
es zu Philaiden macht, ist mit Herodot nicht vereinbar. ein Peisi- 
stratos erscheint als archon von 669/68 in der chronik?): älter dürfte 
der name nicht sein, da er aus dem späten epos stammt.’) jener Pei- 

2) Pausan. II 24, 7 sicher ergänzt, da die olympiade durch ihren sieger 
fixirt ist. 

3) Es folgt daraus, dafs vor 700 die Telemachie in Athen bekannt war. denn 
ihr dichter hat diesen Nestorsohn erfunden und ihm den namen gegeben, weil der 


vater önsıos orgascs. namen von Neleuskindern wie Ilecsdixn Iso sind 
erst nachbildungen dieses redenden namens; dessen erfinder schuf ein analogon zu 


Tnisuaxos. 


Die grofsen adelshäuser. 13 


sistratos, wol der grolsvater des tyrannen, legte also wert auf seine 
pylische herkunft, und anders als Peisistratiden heifst das tyrannen- 
geschlecht später nie. sie wohnten dicht neben den Philaiden in der 
gegend von Brauron und beide gehörten also von haus aus zu derselben 
partei der Diakrier. fünf jahre nur vor der ersten tyrannis des Peisi- 
stratos war ein Philaide Hippokleides archon gewesen und hatte den 
“ agon der Panatlıenaeen gestiftet. aber er war kein gefährlicher con- 
current, weil es ihm an ernst und stätigkeit fehlte. “darum keine 
sorgen, sagt Hippokleides’ blieb ein geflügeltes wort. ein bedeutenderer 
herr aus demselben hause hatte, wie es heilst unter mitwirkung des 
delphischen orakels, die besetzung des Chersones unternommen und dort 
die wichtige herrschaft gegründet, im wesentlichen auf kosten von bar- 
baren, denen er auch Lemnos und Imbros abnahm, unter allgemeiner 
sympathie der öffentlichen meinung von Hellas, weil es eben barbaren- 
land war.*) es ist zwar zwischen den Philaiden und Peisistratos nicht 


4) Diese erwerbrng richtig datirt und richtig beurleilet zu haben, ist das ver- 
"dienst von E. Meyers aufsatz über die Pelasger (Philol. N. F. 2). im übrigen ge- 
hört seine hypothese nicht zu denen, die mich “so weit blenden, dafs ich aller 
überlieferung ins gesicht schlage”. falsche conjecturen gemacht zu haben kann ich 
nicht leugnen und suche mich zu bessern, gern bereit sie zurückzunehmen. aber 
das conjieiren werde ich nie lassen, weil es nötig ist: und jede conjectur ist ihrer 
natur nach eine abweichung von der überlieferung, ob man einen text oder einen 
geschichtlichen zusammenhang von einem glossem befreit, ist für diese procedur 
einerlei. die hypoihese ITelapyıxov == storchnest ist ein einfall, der nicht längeres 
leben hat als eine seifenblase. aeyos wei/s, aoyla, aiyla (ein episches, in keiner 
lebenden sprache nachgewiesenes wort) gehören alle zusammen. IlsAacyoi sind an sehr 
vielen orten die “urbewohner” genannt (vgl. Schwartz gquaest. Herod. Rostock 1890), +. 
so auch in Athen. ihnen hat man den bau der burgmauer zugeschrieben, die in 
die unvordenkliche zeit gehörte, wie anderwärts den riesen oder hundertarmen. die 
gegner im osten, die den stadtathenern auch sonst als wilde riesen erscheinen, 
führen in einer geschichte den Pelasgernamen. diese geschichte ist dazu da, die 
Pelasger aus Athen zu vertreiben, d. h. den zustand der gegenwart zu erklären, 
welche keine mehr in Attika kennt; um so sicherer waren sie in der älteren vor- 
stellung gegeben. schon Hekataios hat das erzählt; aber von der ansiedelung der 
vertriebenen Pelasger auf Lemnos hat er nichts gewulst. diese ist (wer hätte das je 
verständigermafsen anders ansehn dürfen) nicht älter als die eroberung von Lemnos 
durch den attischen herrn der Chersones. und so haben in der tat nach Lemnos 
erst die Athener den Pelasgernamen gebracht. die dortigen barbaren wurden ven den‘ 
ioniern Tyrsener genannt, auch mit einem namen, der keine ethnologische bedeutung 
hatte, wie denn der italische lonier in den burgbanenden Rasenern die Tuganwos 
sah ond ihnen, selbst für die Italiker mafsgebend, diesen namen gab; dafs sie damit 
gleich hiefsen wie die feinde ‚seiner alten heimat, die Lyder oder Meoner, war ihm 
höchstens erfreulich, mufste dann aber genau so sicher eine wandersage erzeugen, wie 


74 IL 3. Von Peisistratos bis Ephialtes, 


immer freundschaft gewesen (Herod. 6, 103), aber das ende war gegen- 
seitige anerkennung. und selbst als das haupt der athenischen Phi- 
laiden auf der stralse ermordet ward, und das gerücht die tyrannen ver- 
antwortlich machen wollte, ist es nicht zum bruche gekommen. 

Von den vertretern des städtischen adels hört man kaum etwas; 
die Butaden, welche an der spitze der schroffen aristokraten 560 ge- 
standen hatten, verschwinden. in der schlacht von Pallene ist Leogoras 
stratege, aus einem unbekannten, aber auf Odysseus und Ilermes zurück- 
geführten, zweifellos hochvornehmen hause°), und er kehrt erst mit den 


dafs die Himeraeer ihre nachbarn, die Eiymer, um des epos willen zu Troern machten. 
die bewohner von Lemnos waren, wie ihre schrift lehrt und wie im Homer steht, Thra- 
ker, Sintier, verwandte der Saier von Samos nebenan. mit recht fand man ihre 
sprachverwandten in manchem thrakischem winkel. weil sie nun aber von den 
Athenern mit den Pelasgern ihrer sage, von den loniern mit den Tyrsenern identi- 
ficirt waren, so gab es das knäuel von hypothesen, indem sie mit andern auto- 
chthonen, die den Pelasgernamen, mit andern “turmvölkern’, die den Tyrsenernamen 
führten, identificirt wurden. analog steht es mit diesen und andern namen an den 
meisten orten. denn meine bezeichnung, die Pelasger sind ein relativer volksbegriff, 
ist klar und richtig: deshalb bleibt jedes einzelne volk, das so genannt wird, für 
sich ein concretum, und ich bezweifle auch nicht, dafs die ‘schwarzweifsen’ irgend 
wo einmal ein concreter volksbegriff gewesen sind, vielleicht in Thessalien, wie es 
die Tyrsener auch gewesen sein werden, meineihalben die Turuscha. 

5) Die vita des s. g. Plutarch führt Andokides auf die Keryken zurück, und 
diese ansicht wird von Dittenberger und Töpfer (Ath. geneal. 85) vertreten, während 
Blafs und Lipsius sie verwerlfen. für mich ist entscheidend, dafs Andokides über 
Odysseus und Autolykos auf Hermes zurückgeführt wird, schon von Hellanikos, 
während die genealogie der Keryken über Keryx auf Herse und Hermes zuräckgeht. 
das ist doch zweierlei, nur der göttliche ahnherr ist derselbe, und daher war ein 
irrtum leicht möglich. dafs uva» Andok. 1, 132 auch lediglich dasselbe bedeuten 
kann wie bei Apollodor gegen Neaira 21 wird man nicht leugnen können, wenn 
es auch nicht durchschlägt. und dafs weder der ankläger des Andokides (Lys. 6, 
wie ich glaube und einmal zu zeigen hoffe, Meletos), so viel er, der Eumolipide, sich 
auch in hieratischen dingen bewegt, noch Andokides in der verteidigung dieses bedeut- 
same moment erwähnt haben sollte, wird mir auch schwer zu denken. er würde 
eben nicht blofs oixia nasu» aexaorarn sagen (1, 147), wenn er zum eleusinischen 
adel gehörte. sein gegner sagt nicht nur, dafs er Eumolpide ist (wo wülsten wir's 
sonst her?), sondern er trieft von priesterlicher salbung. und sollte wol ein Keryke 
gesagt haben dynpioavro Krpunss xara Tov vönov os darıv avrois (1,127, sicher 
von Bekker aus 0 dors» avros hergestelli)? der Eumolpide redet (10) nicht selbst 
ia dritter person von den Eumolpiden, sondern citirt worte des Perikles. (beiläufig, 
schon um dieses citates willen ist die rede keine späte rhetorenfälschung). der 
name Avdoxiöns zeigi sein aller schon in der grammatlischen form; er dürfte eigent- 
lich der geschlechtsname gewesen sein, denn awdonidas, kann wol nur ‘die es auf 
sich genommen haben’ bedeuten; die tempelbauenden Alkmeoniden sind avdenidas. 


Die grofsen adelshäuser. sturz der tyrannis. 75 


Alkmeoniden heim. auch der Keryke Kallias steht feiudlich zu Peisi- 
stratos. aber man spürt nachher nichts von dieser opposition; einzelne 
mögen geflohen sein, die meisten duckten sich und frondirten höchstens 
im stillen. 

Nur die Alkmeoniden blieben auch in der verbannung tätig und 
gefährlich. sie waren an besitz macht und ansehn den Philaiden gleich. 
hatten sich jene den korinthischen tyrannen verschwägert, so war Megakles, 
der rival des Peisistratos, der eidam des fürsten von Sikyon, dessen namen 
sein sohn führte. obwol am nordrande der attischen ebne angesessen, 
führte Megakles die partei der Paraler und trat für die solonische ver- 
fassung ein, hatte auch versucht mit Peisistratoes sich zu vertragen, aber 
eine schwere persönliche kränkung hatte den zwist unversönlich gemacht. 
ein atlisches lied, nicht von einem der höfischen poeten, sondern ein 
schlichtes volkslied, wie man sie beim weine improvisirte, hat die er- 
innerung an einen versuch der Alkmeoniden erhalten, mit gewaffneter 
hand Attika den tyrannen zu entreifsen. aber der versuch mislang, da 
das volk sich nicht erhob. für eine adelsfaction erwärmten sich nur 
ihresgleichen, und wie man damals über die Alkmeoniden dachte, lehrt 
eben das lied: 

Weh Leipsydrion, verräterfeste, 
hast verraten unsre kameraden, 
wackre streiter, adlich blut: 
fochten, fielen würdig ihrer ahnen. 

So lange sie ihre popularität behielt, war die tyrannis sicher, die 
ja alles andere als eine gewaltherrschaft war. sie verscherzte sie durch 
eine an sich gleichgiltige reiberei, die der bastardbruder der tyrannen 
mit ein par adlichen aus Aphidna angefangen hatte. Aarmodios und 
Aristogeiton waren .Diakrier wie die herrscher und verkehrten mit ihnen: 
demokratische ideale lagen ihnen sehr fern. aber als sie beleidigt waren, 
zettelten sie eine verschwörung an, die zwar den tod der herrscher und 
die revolution plante, aber schwerlich zu gunsten der demokratie. sie 
kostete, obwol sie mislang, dem beliebten Hipparchos das leben und ver- 
bitterte den Hippias, der sein leben bedroht sah und zu scharfen mafs- 
regeln schritt. das wandte die bevölkerung von ihm ab, vollends als er 


der vater des feldherrn von Pallene Leogoras steht als schatzmeister Athenas CGIA 
IV p. 199: er hat die an sich lächerliche behauptung ad absurdum geführt, dafs das 
geschlecht erst durch seinen letzten eprofs, der es vielmehr in schande brachte, no- 
bilitirt wäre. der töpfer Andokides ist natürlich ein client des vornehmen hauses. 
sonst kenne ich den namen nur aus Thessalien Bull. Corr. Hell. XIV 243. 


Sturs der 
tyrannis. 


76 IL. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


miene machte, sich aufserhalb der stadt in Munichia ein schlofs zu bauen. 
immerhin erwehrte er sich ohne mühe einer peloponnesischen expedition, 

N die ihn zu stürzen kam, und wenn er nicht selbst die sache verloren 
gegeben hätte und sich lieber auf seine sichere herrschaft Sigeion zu- 
rückziehen mochte, würde er wol auch der zweiten invasion lauge haben 
widerstehn können. 

Kleisthenes. Es war die energie und rücksichtslosigkeit des Kleisthenes gewesen, 
die die autorität Delphis und die waffen Spartas gegen Hippias aufge- 
boten hatte. den gott hatte er durch eine geschickte finanzoperation 
auf seine seite gebracht. dafs er Sparta den eintritt in dessen bund 
versprochen hatte und gewähren mulste, wenn der Peloponnes ihm helfen 
und ihn halten sollte, ist selbstverständlich.. es scheint aber durchaus 
nicht, dafs die Athener mit Kleisthenes stark sympathisirten, die wirren 
oach dem abzuge des Hippias, der friedlich von statten gieng, endeten 
nach jahresfrist damit, dafs ein mann der reactionären adelspartei zum 
archon gewählt ward®), der ein regiment ganz in Spartas sinne einzu- 
richten sich anschickte, die Alkmeoniden wieder vertrieb, und eine grofse 
masse von familien, die unter den tyrannen zum bürgerrechte gelangt 
waren, in den metökenstand zurückstiels. Kleomenes von Sparta kam 
seinem freunde Isagoras zu hülfe: Sparta schien gewonnen spiel zu 
haben. jetzt erst erhob sich das volk, denn jetzt erst handelte es sich 
um mehr als den bader der geschlechter. alles gute was Solon und 
Peisistratos gebracht hatten stand auf dem spiele. da rief der rat der 

> 400 die bauern und die handwerker auf, die schmierigen Peloponnesier 
aus der burg der Jungfrau hinauszuwerfen’) und nun tat Kleisthenes 


N’ 6) Isagoras hatte unter Hippias in Athen gelebt, und schon weil er gegen 


Kleisthenes war, mufsten die anhänger der Peisistratiden zu ihm stehn. es ist also 
begreiflich, dafe er von Aristoteles ein freund der tyrannen genannt wird (20 1). 
aber eine besondere überlieferung wird das nicht sein: die parteigegensätze, die 
Herodot gab, führten von selbst auf diesen schlufs. sein geschlecht ist unbekannt; 

> da sein familiencult der Zeus Kagıos war, der boeotisch ist, möchte man an dia- 
krische heimat denken; am liebsten möchte ich ihn den tyrannenmördern verwandt 
glauben. sein vater hiefs Teicasdeos, ein vornehmer aber viel verbreiteter name; 
einen aus Aphidna nennt Platon Gorg. 487°. von den parteigängern der tyrannen 
kennen wir den Rhamnusier Antiphon, des redners grofsvater, auch einen Diakrier 
(Antiph. fgm. 1). 

7) Wundervoll gibt Aristophanes die stimmung wieder, Lysistr. 275, unbeschadet 
seiner eignen tendenz, die auf versöhnung mit Sparta hinarbeitet. man denke sich 
die hemdlosen zottelbärte Spartas zwischen den geschniegelten loniern: die farbe 
hat nicht der dichter ein jahrhundert später erst aufgetragen. 


oo 


Kleisthenes. Athen nach 507. 77 


den entscheidenden schritt und erhob die fahne der demokratie.*) Kieo- 
menes mufste die burg räumen; Isagoras ward vertrieben: der adel hielt 
sich noch eine weile in Elcusis, das Kleomenes auf dem rückmarsch 
besetzt hatte. aber das volk war unwiderstehlich. Athen ward frei, die 
geschlechterphylen fielen und mit hilfe Apollons, dessen er sicher war, 
begründete Kleisthenes das staatswesen, das für alle zukunft mit dem 
begriffe Athens verwachsen sollte. dieser aristokrat erst ist der vater 
der demokratie. 


Frei war Athen; aber seine lage kann wol die vergleichung mit Athen sach 


der Tiberstadt herausforderu, die ziemlich zur gleichen zeit ihre etrus- 
kischen herren verjagte, aber damit zunächst auch ihre politische stellung 
verlor. die auswärtigen besitzungen waren in den händen von Philaiden 
und Peisistratiden. die nachbarn aber, jeder alten rücksicht quitt, fielen 
über Attika her, Theben und Chalkis von der einen seite, Aigina von 
der andern, und Sparta führte die Peloponnesier in die eleusinische 
ebene, deren hauptstadt vielleicht noch in den händen der adlichen emi- 
granten war. es war nur die hälfte der gefahr abgewendet, als dieses heer 
ohne geschlagen zu haben wieder abzog: in der damaligen hellenischen 
schätzung mufsten Theben und Chalkis einzeln den Athenern weit über- 
legen dastehn. aber diese bewährten sich als der freiheit würdig. sie zogen 
gegen die Boeoter und Chalkidier zu feld, schlugen sie am Euripos und 
erwarben sich mit Oropos und Chalkis selbst einen ersatz für die verlornen 
gebiete in der ferne. Aiginas konnte man sich freilich nicht erwehren, 
so lange man keine flotte hatte. doch vergieng den nachbarn zunächst 
die lust mit Athen anzubinden; Sparta verfiel sogar darauf, nun die 
tyrannen zurück zu führen, was an dem widerspruche Korinths gescheitert 
sein soll.) die Korinther hatten allen grund trotz der alten freundschaft 


8) Die zeitrechnung und die verknüpfung der ereignisse gestatten beide nicht, 
Kleisthenes vor dem jahre des Isagoras die demokratische phylenreform durchführen 
zu lassen, vielmehr ist er zunächst bei dem versuche ünterlegen, wie die wahl des 
Isagoras beweist. Herodots darstellung ist, wie immer, läfslich im chronnlogischen 
detail und ohne würdigung des politischen zusammenhanges. bei Aristoteles steht! 
es richtig; man müfste es aber auch ohne ihn finden. 

9) Herod. 5, 72. 73. 90. Krateros im schol. Ar. Lysistr. 273. die vertreibung 
des Kleomenes von der burg, die in das jahr des Isagoras notwendig fällt, wird 
man 507 ansetzen: denn erst muls Isagoras eine weile geherrscht haben. dann fällt 
in das nächste frühjahr der zug der Peloponnesier in die eleusinische ebene, der 
resultatlos verläuft, also 506, in denselben sommer die schlacht am Euripos. im 
nächsten frühjahr setzt Sparta überhaupt keinen zug gegen Athen mehr durch; 
das ist also 505. drei frühjahrsfeldzüge der Spartaner, das palst zu ihrer bekannten 


178 I. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


die beseitiguug von Chalkis als selbständige macht im interesse ihres see- 
handels zu begrülsen und gönnten den Aegineten den hader mit Athen, 
das ihnen in seiner schwäche zur see vorläufg noch gleichsam als eignes 
hinterland erschien, dessen erzeugnisse sie zu verfrachten hätten. es 
kann keinem zweifel unterliegen, dafs Athen aus dieser neuen und viel 
schwereren gefahr nur so hat gerettet werden können, dafs es in den 
peloponnesischen bund eintrat.') erst so wird verständlich, dafs die ge- 
schädigten nachbarn ihm ruhe liefsen. wie viele jahre diese consolidirung 
der neuen demokratie nach aufsen gedauert hat, ist unbekannt. für die 
innere ist das jahr des Hermokreon (wahrscheinlich 501/0) der abschlufs, 
in dem die formel des ratseides festgestellt ward, die ohne zweifel die aus- 
drückliche verpflichtung auf die demokratie und die verfluchung der 
tyrannis, wahrscheinlich anch des anschlusses an Persien enthielt. gleich- 
zeitig beschlofs man auch in dem collegium der strategen die volksver- 
tretung nach den neuen phylen durchzuführen; da die feldherrn immer 
noch regimentscommandeure unter dem commando des polemarchen 
blieben, die aushebung immer besorgt haben, so heilst das, dafs die 
bildung des heerbannes nach der neuen gliederung des volkes erst 
jetzt eingeführt ward. es war das eine sehr bedeutende stärkung der 
demokratie. nun gab es keine kriegsgenossenschaft der Paraler mehr, 
wie sie in richtiger wiedergabe der alten zeit Euripides einführt, son- 
dern der Eleusinier diente mit dem Dekeleer zusammen, der Aphidnaeer 
mit dem Phalereer. das gemeingefühl der neuen regimenter ist rasch 
erwachsen; es lebt in den leicheısteinen des Kerameikos und in mat- 
terem abglanze in den leichenreden: aber schon unsere berichte über 
die schlacht von Marathon unterscheiden die regimenter und Kleidemos 
der atthidograph hat die besonderen verdienste der Aiantis bei Marathon 
und Plataiai so stark hervorgehoben, dafs man annehmen mufs, er hat 


kriegführung. daran schliefst Herodot die ül«rsiedelung des Hippias nach Sigeion 
und die. definitive abwendung Athens von den Persern uud lenkt in seine erzählung 
von der reise des Aristagoras durch Helsas wieder ein, die etwa 502/1 war. 

10) Ich habe das fräher aus den tatsuchen geschlossen (Kyd. 115) und lege ihnen 
auch jetzt allein das entscheidende gewicht bei. aber manchem imponirt ein zeugnis 
mehr. Thukydides läfst den Euphemos in Kamarina sagen (6, 82) nusis ... Ielo- 
ovun0ios... doxeyausda 079 TEONQ Taıora Unaxovaousda. xal usra za Mn- 
dıxa vaus xnodusvos 175 udv Aaxsdasuoviov agyns nal nyauovias annkläynuer, 
und er setzt dies verhältnis dem gleich, in das die lonier zu Athen traten. bei- 
läufig, ein Euphemos stellt 453 ein amendement zu gunsten der Egestaeer CiA IV 139: 
deshalb ist dieser zum sprecher ia Sicilien ausersehn. übrigens ist er von Anti- 
sthenes (Atben 2204) unter die üblen genossen der Periklessöhne eingerückt. 


Athen nach 507. verwickelung mit Persien. 79 


in ihr gedient. geschätzt hat man diese empfindungen schon früher 
richtig; das aber haben wir erst durch Aristoteles erfahren, dafs die 
schönen siege über die Boeoter und Chalkidier noch von den alten, uns 
unbekannten, heerverbänden geschlagen sind. | 

Die demokratie hat vielleicht schon 501 sich verschworen, mit den 
Persern keinen vertrag zu schlielsen, und es mag sein, dafs sie dureh 
das ansinnen, das ihr von jener seite gestellt war, den Hippias wieder 
aufzunehmen, gereizt war. man vergals es gern, dafs man im drange 
der not von 507 selbst zuerst dort hilfe gesucht und die gesandten 
sogar die unterwerfung Athens angeboten hatten. jenes vorgehn war 
gänz begreiflich gewesen, als Athen von allen seiten bedrängt, von Sparta 
sogar mit der rückführung des Hippias bedroht war. eben so begreif- 
lich war es, dafs man die gesandten desavouirte, sobald man zu Sparta 
wieder leidlich stand. die politik des staates Athen hatte eben binnen 
wenig jahren eine volle axendrehung gemacht. erst mit Sparta und den 
Alkmeoniden gegen Hippias, dann mit Sparta gegen die Alkmeoniden, 
dann mit den Alkmeoniden gegen Sparta und Hippias. jetzt war man 
wieder auf dem standpunkte von 510, Hippias aber hatte seinen rück- 
halt an seinem lehnsherrn dem Perserkönig. das wies den Athenern 
für ihr verhalten gegen Persien die wege. es kam hinzu, und das 
war ungleich wirksamer, dafs die demokratie sich gegen den beschützer 
aller zwingherren, das hohe nationalgefühl der ältesten Ionierstadt sich 
den bedrückten stammesgenossen drüben zuwandte. und Persien drohte 
wirklich, das begriff man im nördlichen Hellas eher als im Peloponnes, wo 
Sparta uud Argos ihre alten händel ausfochten, ohne viel in die ferne 
zu sehen. die parteien begannen sich zu scheiden. wenn Euboia und 
Athen durch die sympathie und auch durch ihr handelsinteresse zu den 
städten Thrakiens und Asiens gewiesen waren, so mulsten Thessaler 


und Boeoter mit den Persern gehn, und dann wieder die Phoker au! 


Verwicke- 
lung mit 
Persien. 


die seite, wo die bedrücker nicht waren, zwischen denen eingeklemmt 


sie kaum leben konnten. 

Erst könig Dareios hat die Perserherrschaft den Hellenen drückend 
gemacht, weil er ihnen mit kraftvoller machtentfaltung eine wirkliche 
Reichsgewalt vor augen stellte und bald gieng er planmäfsig zu der 
unterwerfung Europas vor. der zug gegen die Skythen mislang zwar, 
aber das machte nicht viel aus; Aischylos hat ihn ganz und gar ver- 
gessen können. um 515 dachte man noch wenig an Persien, und was 
die ionischen stadtherren an der brücke geredet haben mochten, kam nicht 
ins publicum, das in der tat auch nicht viel interesse daran hatte, ob dieser 


80 IL. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


oder jener tyrann aufstieg oder fiel. aber das gieng alle an, dals die 
Hellespontische gegend ganz und gar persisch ward, eine insel nach der 
anderen unterworfen ward, feste zwingburgen in der satrapie Thrakien 
sich erhoben, am Strymon, wo die Hellenen nie vermocht hatten, handels- 
städte zu gründen. die erzeugnisse des Pontos erhielt Hellas fortan nur 
durch die gnade der Perser''): zumal Athen mulste diese veränderte sach- 
lage bitter empfinden. der Philaide Miltiades war vasall des grofsherrn so 
gut wie Hippias. diese tyrannen empfanden das straffere regiment des 
Dareios am peinlichsten, die tributzahlung auf grund einer landvermes- 
sung durch königliche beamte, die ständige controlle durch die satrapen, 
die nicht selten einzelne personen scharf treffende königliche allgewalt. 
so machten sie den versuch, sich des steigenden nationalen bewulstseins 
zu bedienen, das sie selbst nur heuchelten,, und Aristagoras von Milet 
kam selbst nach Europa um hilfe. Sparta, der vorort des bundes, wies 
ihn ab. es verdient weder lob noch tadel, noch soll man nach andern 
motiven suchen: Asien lag ganz aufserhalb seines gesichtskreises'*): das 
hat es noch nach Salamis bewiesen. aber die ionischen städte, Aıhen 
und Eretria'?), liefsen sich verführen, und eine kleine schar ihrer bürger 
beteiligte sich an der verbrennung von Sardes (wahrscheinlich 499). nach 
der niederlage bei Eplıesos gab Athen die sache Ioniens verloren und 
glaubte wol, dafs das unüberlegte vorgehen keine folgen haben würde. 
die einsichtigen aber wulsten nun, dafs die existenz des staates auf des 
messers schneide stand. 

Die demokratische zeit leitet sich in der besten und vornehmsten 
weise damit ein, dafs die personen der führer hinter dem volke ver- 
schwinden. die ersten glänzenden siege sind an keines feldherrn namen 
geknüpft; von leitenden staatsmännern hört man nichts. für die ein- 
sicht in die zeitgeschichte ist das bedauerlich, denn so wenig wie auch 


11) Die anekdote (Herod. 7, 147) spricht das gut so aus, dafs sie Xerxes die 
getreideschiffe den Hellespont passiren läfst, weil sie in ‘seine provinz’ Hellas führen. 

12) Vollends eine unmöglichkeit ist, dafs die Skytben sich um seine beihilfe 
bemüht haben sollen, Herod. 6, 84. die entstehung dieser fabel hat Nöldeke richtig 
beurteilt (Gesch. Irans 36). sie richtet sich schon dadurch, dafs sie in der erzählung 
des Skythenkrieges selbst nicht berücksichtigt wird. 

13) Eretria hat mindestens einen teil von Euboia beherrscht. die Perser 
nehmen ja auch 490 zunächst Karystos, das durch den fall Eretrias frei wird und 
sich gegen das attische Reich sträubt. aber auch die nächstliegenden Kykladen 
werden unter Eretrias hoheit gestanden haben; Simonides hat zuerst für Eretrier 
gedichtet. dafs es mit Athen gegen Chalkis gestanden hat und einen teil von der 
beute erhalten, ist eine ganz sichere folgerung. 


Verwickelung mit Persien. 81 


die demokratie der führer entraten kann, so wenig verschwand die 
macht der geschlechter damit, dafs sie im aufbau des staates durch die 
gemeinde ersetzt wurden. und ein staat mag in ein par jahren die 
verschiedenste politische richtung versuchen : der einzelne wechselt nicht 
so rasch seine stimmung und seine ansicht. Kleisthenes zumal mufste 
immer ein todfeind Spartas bleiben, seit dieses darüber aufgeklärt war, 
von ihm glänzend dupirt zu sein. es hat das, wenigstens im hasse con- 
sequent, den Alkmeoniden nie vergessen. er wird auch die annäherung 
an Persien, deren man sich nachher so sehr schämte, zu verantworten 
haben. was weiter aus ihm geworden ist, ist gänzlich unbekannt. die 
führung des geschlechtes gieng vielleicht zunächst auf seinen bruder 
Hippokrates über, der geboren sein muls, als der ältere Megakles mit 
Peisistratos freundliche beziehungen suchte, denn er ist nach dem vater 
des Peisistratos benannt. als er auch starb, übernahm sein junger 
sohn Megakles die führung der partei, und dieser trat den alten freun- 
den des Hippias wirklich nahe. das war begreiflich. oligarchische ten- 
denzen hatten beide parteien nicht, und das gefühl, hoch über dem 
demos zu stehn, obwol sie ihn beschützten, hatten sie beide. und 
wenn die tyrannenfreunde vielleicht am ehesten mit Persien sympathi- 
sirten, so gieng das mit der alkmeonidischen verfeindung mit Sparta 
gut zusammen. wenn wir die archontenliste wenigstens noch vollstän- 
dig besäfsen, so liefse sich hoffen, aus den namen etwas zu lernen. 
denn seit dem sturze der tyrannen waren die wahlen directe, und noch 
immer galt der beamte, der das jahr benannte, für den einflufsreichsten. 
Isagoras hat seine revolution als archon gemacht; dafs sich Kleisthenes 
an seinen platz gestellt hat, ist eine kaum abweisbare vermutung, und 
das nächste jahr scheint einem Alkmeon zu gehören, dem vater jenes 
Leobotes, der den Themistokles beim Areopage denunzirt hat. aber dann 
fehlen viele namen und die bekannten sind für uns leer.‘‘) auch den 


14) 504/3 Axsorogiöns. der name kehrt 474/3 wieder. das war also ein vor- 
nehmes haus damals. der name 4xsorwg steht in dem pherekydeischen stemma der 
Philaiden; zu Aristophanes zeit heifst ein tragiker so, der in vornehmen clubs ver- 
kehrt, aber für einen Skythen gilt (Wesp. 1221 mit schol.). es ist ein name von 
zweifelhafter vornehmheit, denn er bedeutet “Nickschneider’; aber die gentilicische 
endung macht ihn vornehm. 501/0 Zpuoxgeo» klingt sehr ionisch. 500/499 dr’ 
apxövros Mugov oder Zuvgov ist corrupt (Dionys 5, 50. anoloyla ünse Muggov ist 
titel einer antiphontischen rede, aber auch diese form ist seltsam). vielleicht gehört 
in diese zeit der erste Phainippos, denn der archon der Marathonschlacht führt das 
distinetiv 70 deuragov. der name erinnert an den vater des daduchen Kallias 
(Herod. 6, 121). ferner Lakrateides (schol. Ar. Ach. 220), aus dem geschlechte der 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 6 


Miltiades. 


82 I. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


führer der asiatischen expedition Melanthios kennen wir nicht weiter.'°) 
erst 496 wird es licht. da wählte das volk den Hipparchos zum archon 
und sprach damit entschieden aus, dafs es mit dem ionischen aufstande 
nichts zu thun haben wollte, der von Aristagoras verloren gegeben war, 
aber von den städten, namentlich Byzantion, Chios, Miletos, um so 
energischer geführt ward. die stimmung des volkes schlug erst um, 
als Milet gefallen und zerstört war. im frühjahr 493 war die regierung 
(der rat) freilich noch stark genug, den tragiker Phrynichos in geld- 
bufse zu nehmen, weil er mit seiner kunst für das gefallene Milet ge- 
wirkt hatte.'%) als aber der tyrann Miltiades um aufnahme in seinen 
alten bürgerverband nachsuchte, ward ihm das trotz lebhaften wider- 
spruchs bewilligt, und zum archon ward Themistokles aus Phrear ge- 
wählt, der mann der action. 

Miltiades hatte die thrakischen inseln verloren, aber im Chersones 
sich behauptet, wenn auch mühsam '”), und an dem aufstande kaum anteil 
genommen. dennoch wulste er, dafs die Perser mit den compromittirten 
stadtherren aufräumten, und zog es vor, seine ungeheuren schätze’®) in 
sicherheit zu bringen, gewillt, wenn die Perser ihn verfolgten, in Athen 
widerstand zu leisten. auch in Athen konnte man sich nicht verhehlen, 
dafs seine aufnahme consequenzen hatte. aber der reiche tatkräftige 


Eumolpiden (Isaios 7, 9, wo trotz der rasur der handschrift die falsche form Aaxga- 
ziöns edirt wird, Ey. aex., 86 niv. 3. beiläuflg: das geschlecht bewahrt also eine 
voratlische namenform, wie Aauaxos und Aayaers). endlich Keßgıs, unter dem 
der 'Egurs ayogaios geweiht ward (vgl. Herm. 21, 600). 

15) Man denkt an den atthidographen (vgl. oben I 8), und den tragiker, aber 
es ist überhaupt ein gut attischer name und sicher ein alter, denn es ist ein ad- 
jektiv, von MeJavdos gebildet wie Jıoviasos Anollavıos Alos Anunteios von den 
götiernamen. MeAasdos aber ist der vater des Kodros in der attische legende, in 
wahrheit der Dionysos von Melainai. 

16) Vgl. über die juristische und politische berechtigung dieser mafsregel 
Herakl. I 91. 

17) 495 hatte ihn eine invasion der Skythen auf kurze zeit vertrieben. Herod. 
6, 40. die faselei des Nepos 3 kann nichts gegen Herodot ausmachen. 

18) Sie ertrugen ohne sich zu erschöpfen eine geldstrafe von 50 talenten, 
Herod. 6, 136. [Demosth.] 26, 6. auch hier darf die spätere fabel nicht beirren. das 
eingreifen des reichen Kallias ist in dieser geschichte eben so fabelhaft wie in der 
des Aristeides; erfunden hat es vermutlich der Sokratiker Aischines. Ephorog hat 
den Kimon das geld durch eine andere heirat gewinnen lassen, dxtioas avrow ra 
y’ ralayra yınavıa Enixingov nÄovalov Blov habe ich in der einleitung zum 
Kimon des Aristides für y. yvraixa nAovalav aus einer römischen handschrift 
notirt. die worte befriedigen noch nicht; die geschichte ist zweifelhaft, obwol weder 
die ehen noch die descendenz Kimons meines erachtens zuverlässig bekannt sind, 


Miltiades. Themistokles. 83 


mann imponirte dem volke, mit der partei der alten tyrannenfreunde 
verbanden ibn die traditionen seines hauses, der actionspartei war der 
Perserfeind lieb. so trat er in den bürgerverband ein, in den demos der 
Lakiaden, in dessen gemarkung sein vorstädtisches gut gelegen haben 
wird: bezeichnend, dafs man ihn dem diakrischen demos, der nach den 
Philaidengeschlechte hiefs, nicht zuschreiben mochte. die furcht vor dem 
tyrannen war gewils nicht unberechtigt; aber dafs Miltiades die führung 
der antidemokratischen partei sofort übernommen hätte, ist gewifs nichts 
als schematische geschichtsconstruction. 

Der neue archon Themistokles hatte nur sein politisches genie 
einzusetzen, aber das war der höchste einsatz. gewils hatte er die 
forderung längst aufgestellt und wufsten seine wähler, was seine wahl 
bedeutete: die gründung einer flotte und eines hafens. als archon 
hat er den hafen gebaut, der als kriegshafen von vorn herein ge- 
gedacht war, also die gründung der flotte prinzipiell einschlols. in der 
tat war Athen von der seeseite ganz offen: mit dem täglichen seewinde 
konnten die Aegineten in ein par stunden auf der rhede von Phaleron 
sein; man hatte es noch jüngst erfahren. und da die stadt Athen längst 
den alten mauerring gesprengt hatte, auch die befestigungen der burg 
nach 507 nicht wieder hergestellt waren '’), so mufste viel geschehen. 
Themistokles fieng mit dem hafen an. die schiffe gehörten dazu, denn 
die sollstärke der kriegsmarine belief sich nur auf die alten 50 offenen 
kähne, von einer construction, die schon in gebrauch war, als Theseus 
nach Delos segelte oder, wie wir moderner sagen können, als man die 
Dipylonvasen bemalte. die seestaaten waren aber längst zum bau von 
trieren fortgeschritten oder hatten doch wenigstens gedeckte schiffe, auf 
denen schützen und lanzenkämpfer über den köpfen der ruderer fechten 
konnten. diese galeeren verlangten eine grofse zahl von menschen, ihr 
bau also eine sehr bedeutende steigerung der wehrpflicht und damit 
eine ungeahnte belastung der finanzen. und wenn die menschen auch 
überreichlich zur verfügung standen, weil ja die hopliten nur aus den 
drei oberen steuerclassen genommen wurden, so bedingte die einstellung 
der theten auf der flotte doch zweierlei: eine belastung der besitzen- 
den; denn man darf annehmen, dafs die trierarchie als öffentliche last 
mit dem trierenbau von vorn herein verbunden war; und eine steige- 
rung des selbstgefühles, also auch der politischen aspirationen der theten. 


19) 480 mufsten die verteidiger sich mit türflügeln und balken die berufene 


hölzerne mauer herstellen (Herod. 8, 51): also war die steinerne nicht im stande. 
6* 


Themi- 
stokles. 


84 ll. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


in der volksversammlung hatten diese das stimmrecht; bei Jen wahlen 
wirkten sie mit: sobald sie sich zu gemeinsamen wollen vereinten, 
konnten sie hier ihren willen durchsetzen, wurden dann aber auch ihrer 
macht sich bewufst. so ward der staat durch die sorge für seine existenz 
gezwungen, sich dem meere zuzuwenden. damit war die demokratie 
notwendig verbunden. sie allein konnte Athen retten und hat es ge- 
reitet, aber die rücksichten auf die staatsfinanzen und auf die forde- 
rungen der unbemittelten bürger mulfste sie früher oder später auf die 
bahn einer expansiven politik treiben. denn so lagen die verhältnisse 
immer noch, dafs das ideal, dem der unbemittelte zustrebte, ein eigner 
bauernhof war. wie der demos sofort, als er Chalkis besetzte, 4000 land- 
lose gemacht hat, so ist schon 476 die colonisation der Strymontales ver- 
sucht worden. es gehörte keine sehergabe dazu, diese consequenzen der 
maritimen politik Athens zu ziehen; aber gerade darum scheuten sich 
viele davor, und dem klar erkannten ziele festen schrittes zuzustreben 
ist kein kleiner ruhm. der moderne betrachter muls in Themistokles 
den fortsetzer des kleisthenischen werkes bewundern und wird ihm den 
nächsten platz unter den attischen staatsmännern zugestehn, den er in 
der schätzung seines volkes durch habsucht, eigenliebe und verrat ver- 
scherzt bat. dals er seine pläne nicht ohne heftige parteikämpfe durch- 
gesetzt hat, sagt uns mehr die natur der sache und die langsamkeit des 
fortschritts als die überlieferung. aus seinem amtsjahre wissen wir nichts 
als den hafenbau. Miltiades, der sein gegner genannt wird, war es 
hierin schwerlich”): denn ohne flotte war ein widerstand gegen Persien 
undenkbar. 

Die schlacht Im sommer 490 kam der Perser. Miltiades, den man wol in der vor- 

ben aussicht zum strategen für die Oineis gewählt hatte?'), erzwang den aus- 
marsch und erzwang die schlacht, als offensivschlacht, weil die Perser den 


20) Das erzählt Stesimbrotos (Plut. Th. 4), weiter nichts. denn Plutarch fägt 
diesen wie den Platon aus eigner lecture in eine eigne betrachtung über den nutzen 
oder schaden der flottengründung. diese aber ist, wie das detail lehrt, die von 483, 
kann also mit Miltiades nichts zu tun haben. dafs Stesimbrotos den "eoorarns 
Tav yragpiumv dem neo0TaTns Tov Önuov in diesem cardinalen punkte widerstreben 
läfst, ist natärlich, und Marathon war ja auch eine landschlacht. aber die seo- 
oracla Toy yrogplum» ist von Kimon auf seinen vater übertragen, der kaum drei 
jahre in Athen gelebt hat. 

N 21) Dafs Aristeides und Themistokles strategen ihrer phylen Antiochis und 
Leontis gewesen wären, wie die spätere überlieferung behauptet, ist unverbürgt, 
glaubhafter noch von dem ersteren. die jugendgeschichte von beiden ist völlig 
wertlos. 


Die schlacht bei Marathon. 85 


angriff auf die in den defilees vorteilbaft postirten Athener nicht wagten. 
es ist der unverstand und die misgunst allein, die diesem tage abstrei- 
ten, dafs das schlichte vertrauen auf gott und die eigene tüchtigkeit 
wider alle voraussicht menschlicher kleingläubigkeit den tapfern den 
sieg gegeben hat.) das ist die hauptsache; ob die feinde alle in 
schlachtreihe standen, wo die (fabelhafte) reiterei blieb, ob die Athener 
im sturmschritt oder ım laufschritt vorgiengen”), und wann das signal 
“marsch! marsch!”” gegeben ward, das sind schliefslich bagatellen. die 
Perser fuhren ab, geschlagen, aber natürlich materiell im stande an 
einem andern punkte Attikas mit überlegnen streitkräften zu landen. 
aber es ist mit dem moralischen eindruck etwas eigentümliches. sie 
verspürten nach dieser erfahrung keine lust, wieder gegen Athener zu 
fechten, noch 479 war es so. die Athener aber konnten die tragweite 
ihres erfolges so bald nicht ermessen. als das lakonische heer, das aus 
jener bequemen religiosität, die immer einen starken beigeschmack 
von furcht und von bösem willen hat, zu spät eintraf und sich die ge- 
fürchteten herren Asiens in pumphosen mit krummen säbeln und silbernen 
feldbetten betrachtete, da entschuldigten sich die attischen bürgertruppen 
bei den hochedlen Spartiaten, die nach dem glauben der zeit den waffen- 
ruhm. allein ächt und unverfälscht zu führen berechtigt waren, beinahe 
wie klein Roland “ ach edler vater, zürnt mir nicht, dafs ich erschlug den 
groben wicht, dieweil ihr eben schliefet”° 479 aber meinten dieselben 
Spartaner “kämpft ihr lieber mit den Persern; ihr kennt sie ja.” vor 
den Persern hatte man verlernt sich zu fürchten, aber vor verrat fürch- 
tete man sich vielleicht schon auf dem schlachtfelde*), und schwerlich 


22) 77010x09 xatapvyn» arzois sis avzous uövous slvas xal Tois Isovs sagt 
Platon Ges. 699° von den Athenern von 480. zehn jahre früher pafst es noch besser. 

23) Der fabelhafte lauf sollte niemanden quälen: Artemis hat ihnen die kraft 
zu den Bondeöusa gegeben und erhält zum danke das ziegenopfer, vermutlich auch 
einen festlichen deöuos in waffen. vgl. I 7, anm. 132. 

24) Die famose geschichte, dafs ein schild von verrätern aufgesteckt wäre, 
um die abfahrenden Perser nach der wehrlosen stadt zu locken (Herod. VI 115, 127), 
richtet sich selbst. welche verabredung sollte denn vorhergegangen sein, welche 
voraussetzungen gemacht, dafs die schilderhebung den Persern verständlich geworden 
wäre? und wohin ist der verräter geklettert? etwa auf den Brilettos? die Perser 
fuhren nach süden ab, die stadt war wehrlos: da war der rückmarsch für die sieger 
ein gebot der klugheit und der not. es war ein hartes gebot, und es ist ein schönes 
zeichen für die disciplin, dafs es erfüllt ward. wenn sich dann die sorge um die 
heimat und der unwillen über den gewaltmarsch (einerlei, wie lange er dauerte) und 
die wut wider die verräter, deren treiben sie fürchteten, zu dem glauben verdichtet 
hat, den Persern hätte ein abscheulicher mensch die fahrt eingegeben, und der oder 


Die besei- 
tigung der 
grolsen 
adels- 
häuser. 


86 II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


ohne grund; war doch eben Eretria durch verrat gefallen. da der 
kampf mit Marathon unmöglich zu ende sein konnte, war allerdings eine 
consequentere politik notwendig, als ınan sie 499—94 getrieben hatte. 
in der ersten freude war Miltiades herr der lage und er nutzte sie 
in tyrannenart aus. sich selbst lielfs er eine flotte mitgeben; was er 
mit ihr machte, war seine sache. das ist der weg zur tyrannis, man 
kann’s nicht anders nennen. sein zug gegen Paros, an sich wider das 
interesse Athens, scheiterte; geschlagen und schwer verwundet kehrte er 
heim. aber die Athener waren keine thrakischen Dolonker, die ihren 
herrn freudig wieder aufgenommen hatten, als er von der flucht zurück- 
kelırte. Xanthippos, Ariphrons sohn, aus einem vornehmen paralischen 
geschlechte*), der schwager des Megakles, belangte ihn vor dem volke 
als &Edanarnoag 709 Önuov in der nächsten regelmälsigen versamm- 
lung. das volk war so erbittert, dafs es wie später an den feldherren 
im Arginusenprocesse selbst richter spielte, und nur das eingreifen des 
vorsitzenden bewahrte ihn vor der hinrichtung. die bulse von 50 ta- 
lenten konnte das vermögen des tyrannen tragen; sein sohn ist ein 
reicher mann geblieben. Miltiades selbst starb an der wunde.*) zum 


der hätte da oder da einen erhobnen schild gesehn, gewils hätte das was zu be- 
deuten, u. 8. w., so ist das ganz der situation gemäfs. natürlich haben sie auch 
gleich bestimmte personen bezichtigt, lediglich weil sie auf diese verdacht hatten. 
aber damit ist die geschichte zu ende. eine sehr verkehrte kritik, aber ganz in 
seinem sinne, ist die des Herodotos, der das factum zugibt und die Alkmeoniden 
von der schande reinwäscht, lediglich auf die probabilität hin, dafs die befreier un- 
möglich mit den tyrannen conspiriren konnten. jetzt werden wir wol erleben, dafs 
die Alkmeoniden bezichtigt werden, aber der schild preisgegeben wird: denn wer 
selbst von Sunion heraufgefahren ist, selbst auf Brilettos und Lykabettos gestanden 
und die augen aufgemacht hat, mufs diese fabel durchschauen. 

25) Der name 4oipow» war den Athenern unverständlich; die ostraka haben 
Apeipew» (wie der Athener für Agoippwv as Agolvoos Agoinnn gesprochen hat), 
in der tat ist diese vorsylbe nicht mehr attisch. es ist also einer der altererbten 
namen, er steht auch unter den ältesten archonten oder königen. Perikles nannte seinen 
zweiten sohn Paralos, daher habe ich seine heimat immer in der Paralia gesucht; 
Ilagaksos erscheint wirklich als name eines Anagyrasiers CIA II 660. sicherlich mit 
unrecht hat Töpfler das geschlecht in den Buzygen gesucht, was städtischen adel 
ergeben würde. sein einziger beweis ist schol. Aristid. pro IV viris 472, 73 Ddf. 
der scholiast aber hat einen offenbaren irrtum begangen, da er den vers des Eupolis 
6 Bovbiyns agıoros alsıngıos auf Perikles deutet, während er den Buzygen Demo- 
stratos angeht. der vers ist zudem eine antwort auf eine frage des Perikles, für 
die eine bezeichnung herzlich schlecht passen würde, die auf Perikles selbst zuträfe. 

26) Wir sind gehalten, nur auf Herodot und Platon zu hören. datirt wird der 
tod des Miltiades auf zwei jahre nach der schlacht in der einleitung der rede des 
Aristides auf ihn. das ist trug, gemacht um des schuldgefängnisses willen. 


Die beseitigung der grofsen adelhäuser. die reform der archontenwahl. 87 


archon für 489/8 ward Aristeides gewählt, auch er aus städtischem 
adel?), ein entschiedener demokrat, der mit Philaiden und Alkmeoniden 
gleich wenig zu tun halte. welche stellung er sonst in dieser zeit 
einnahm, ist nicht ersichtlich. es müssen aber jahre lebhaftester er- 
regung gewesen sein, denn das volk griff zu der äufsersten waffe, zum 
scherbengericht, um einen festen curs zu bekommen. es war noch 
Kleisthenes gewesen, der diese institution geschaffen hatte, die er ohne 
zweifel fremdem vorbild, vielleicht den Argivern, entnahm, und die 
solche wirren, wie sie 510—507 Athen fast um seine existenz gebracht 
hatten, beseitigen sollte.) aber bislang war man so ausgekommen: 
jetzt bejahte das volk die vorfrage, und gleich mehrere jahre hinter ein- 
ander. Hipparchos war der erste, der aus dem lande verwiesen wurde, 
dann ein oder der andere seiner anhänger, dann Megakles, den die 
chronik zu den tyrannenfreunden rechnet, dann dessen schwager Xan- 
thippos. so wurden nach einander die alten grofsen geschlechter besei- 
tigt, Philaiden, Peisistratiden, Alkmeoniden. die welche blieben müssen 
als die treibenden kräfte bei diesem vorgehn angesehn werden, die beiden 
demokratischen führer, Aristeides und Themistokles. als sie das feld für 
sich frei hatten, wurden sie natürlich rivalen, und Aristeides mulste 
weichen. 


Aber man stritt nicht nur um personen und dachte nicht nur an Die reform 


Dareios. die demokratie machte in demselben jahre, wo der erste ostra- 
kismos statt fand, einen grofsen schritt vorwärts. der archon und seine 


27) Das folgt nicht aus dem demos Alopeke, in dem er ja nur 507 gewohnt 
zu haben braucht, aber wol daraus, dafs er sein landgut und sein familiengrab in 
Phaleron hatte (Demetrios bei Plut. 1), den namen seines vaters Lysimachos führt 
ein college des schatzmeisters Andokides um 600 (CIA IV p. 199). dafs Aristeides 
sich dem Kleisthenes angeschlossen hätte, ist erstens ein zug der jugendgeschichte, 
die bei diesen männern allen nichts anderes als freie fiction sein kann, zweitens soll 
er damit im gegensatze zu Themistokles als conservativer staatsmann bezeichnet 
werden, wie diese grundfalsche charakteristik in alter und neuer zeit mode ist. in 
wahrheit ist er ago0raıns zov Öruov, das zeigt seine politik. 

28) Dafs Kleisthenes den ostrakismos mit einer spitze gegen die Peisistratiden 
und speciell gegen Hipparchos eingeführt hätte, wie Aristoteles erzählt (22, 3), 
ist falsch geschlossen. weder war diese gefahr 507 dringend, noch hätte Kleisthenes 
dann sich gescheut, die gefährliche person so oder so anzugreifen. der ostrakismos 
ist eine rohe aber praktische entscheidung des volkes, ob es eine bestimmte person 
noch haben will; er entspricht den “mistrauensvota’ parlamentarisch regierter länder. 
deshalb ist immer, wo wir es controlliren können, einer da, für den der ostrakismos 
die unbestrittene macht bedeutet. und die erfahrung mit Isagoras konnte dem 
Kleisthenes allerdings dieses mittel empfehlen. 


der archon- 


tenwahl, 


88 Il. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


collegen hatten, seit sie durch directe wahl bestelll wurden, eine über- 
wiegende macht besessen; die wahlen selbst müssen den zwist der parteien 
alljährlich brennend gemacht haben. nun griff man auf den solonischen 
wahlmodus zurück, die erlosung aus einer durch wahl festgesetzten can- 
didatenliste. diese wahl der candidaten ward den gemeinden überwiesen, 
ähnlich wie es beim rate geschah; man fragt vergeblich, wie denn die 50 
candidaten, die auf eine phyle kamen, auf die gemeinden verteilt wurden; 
vermutlich ist die präsentation durch phylenwahl bald eingetreten, die der 
später üblichen erlosung von 10 präsentanden in .der phyle vorher- 
gegangen sein mufs. der erfolg der neuerung ist sofort ersichtlich. der 
einflufs eines mannes, der sonst das volk bestimmt haben mochte, 
konnte nun nicht einmal die phyle beherrschen. das amt, das so hoch 
gehalten worden war, behielt den nimbus der höchsten stellung noch 
lange, hatte damals natürlich noch viele wichtige geschäfte, vor allem 
eröffnete es die dauernde teilnahme an der regierung allein, weil es die 
stufe zum Areopage war; aber die führenden männer verschwinden mit 
einem schlage aus der archontenliste, und wenn der polemarch Kalli- 
machos bei Marathon noch eine wichtige person ist, so hört man schon 
480 und 479 nichts mehr von dem polemarchen. der tag der strategen 


Aenderung und rhetoren ist angebrochen. die strategen mochten damals noch die 


der sira- 


tegie. 


führung der zehn regimenter haben, obwol ihre verwendung als 
flottenführer und als deputirte Athens im Hellenenrate schlecht damit 
vereinbar ist. dann hat es doch nicht lange gewährt, bis man den .fol- 
genreichen schritt tat, die führung der regimenter der neugeschaffenen 
charge der taxiarchen zu übertragen, die strategen aber zu den exe- 
cutivbeamten des volkes zu machen.”) damit war eine magistratur ge- 
schaffen, vergleichbar den consuln der römischen republik im zweiten 
Jahrhundert v. Chr., und die vornehmen männer, die sich nicht gern 
mit den handwerkern in den rat der 500 setzen mochten, fanden eine 
legitime art dem volke zu dienen und doch ihr standesgefühl zu be- 
haupten. 

483 stand Themistokles ohne rivalen da. er vollendete jetzt seine 
pläne für die gründung einer flotte; es mufs aber in dem jahrzehnt 
seit seinem archontenjahre mancher schritt vorwärts getan sein. die 
notwendigkeit hatte sich auch sehr bitter fühlbar gemacht, in einem un- 
glücklichen kriege, den Athen mit Aegina geführt hatte. dals dieser den 


29) Die reform ist immer noch nach unten nur durch die anführung der taxi- 
archen bei Aischylos frgm. 186 begrenzt. 


Aenderung der strategie. der aeginelische krieg. 89 


hauptanlafs zu der flottengründung gegeben hat, wird allgemein berichtet. 
wir können den krieg aber nur ungefähr datiren und hören wenig, 
weil Athen ungern von ihm sprach.”) 

Seit Athen an eine seemacht dachte, war ihm die damals als eine Der aegine- 
hochburg des Dorertums blühende stadt, die dem Pindaros die hebste Hsche Iries, 
gewesen ist, ein dorn im auge, und 491 hatte es eine günstige gelegenheit 
gefunden, Aegina im Hellenenbunde zu discreditiren, weil seine herren, 
an deren hellenischem patriotismus seit Aiakos und Telamons zeiten 
kein zweifel war, dem könig Dareios gehuldigt hatten oder gehuldigt 
haben sollten. die herren hatten auch an ihren handel zu denken, und 
der Perser war weit; sie mochten die sache als eine leere höflichkeit 
ansehen, und es war vielleicht nicht mehr. aber der vorwand war vor- 
züglich, und man meint das diplomatische geschick des Themistokles zu 
spüren, wenn man hört, wie Sparta auf die attische anzeige hin ein- 
schreitet und nach einigen weiterungen durchsetzt, dafs eine anzahl der 
angesehensten Aegineten nach Athen als geiseln für das wolverhalten 
der stadt, die ja zum peloponnesischen bunde gehörte, ausgeliefert wur- 
den. Athen behielt dieses wertvolle pfand auch, als Kleomenes starb, 
und in Sparta der wind umschlug. und es versuchte nun einen ent- 
scheidenden schlag zu tun. auch in Aegina gab es, wie überall, eine 
dem herrschenden adel abgeneigte partei, die unter der flagge der de- 
mokratie zur herrschaft zu kommen strebte. mit dieser knüpfte Athen 
an; es ward eine combinirte action verabredet, aufstand in der stadt 
Aegina und landung eines athenischen heeres. Athen verschaflte sich zu 
dem behufe 20 schiffe von Korinth, da sein bestand für den transport der 
hopliten nicht reichte. aber der plan mislang, weil der aufstand zu 
fruh losbrach. gleichwol konnten die Aegineten in der verwirrung 
die landung der Athener nicht hindern, die sich zu der belagerung der 
stadt von der landseite anschickten. und die sache wäre vielleicht doch 
noch gelungen, wenn nicht ein freiwilligencorps von Argos gekommen 
wäre. da die Korinther von dem zuge wufsten, konnte er auch in Argos 
leicht bekannt werden, und der todfeind Spartas stand diesmal auch 
wider Athen. die Argiver schnitten die Athener von ihren schiffen ab; 
die Aegineten benutzten deren verwirrung zu einem seegefecht. und 
wenn auch die meisten attischen schiffe heil nach hause kamen, -so 
konnten sich doch von dem heere nur ganz wenige retien. es war 
ein starker schlag, den man namentlich im ehrgefühle noch lange 


30) Vgl. die beilage ‘der erste krieg mit Aegina’. 


Die grün- 
dung der 
flotte. 


90 ll. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


nicht verwand. dafs man nun die gefangenen losgeben mulfste, zumal 
die Aegineten schon vorher eine attische festgesandtschaft aufgegriffen 
hatten, und sich mit den übermütigen nachbarn einigermafsen vertragen, 
war nicht zu vermeiden. man dachte aber, aufgeschoben ist nicht auf- 
gehoben, siedelte die aeginetischen demokraten, so viel ihrer hatten 
fliehen können, in Sunion an und liefs sie auf eigene faust ihre lands- 
leute durch seeraub belästigen. vor allem aber ward man nicht etwa 
an den demokratischen führern irre, die zweifelsohne die sache ange- 
stiftel hatten, sondern salı nur ihre alte forderung durch die tat ge- 
rechtfertigt: Athen mufste eine flotte haben. 

Die zeit der niederlage von Aegina begränzt sich von selbst durch 
489 und 484; dafs sie 30 jahre vor dem fall Aeginas, 457, stattgefunden 
hat, ist überliefert und stimmt hierzu, aber die zahl ist rund. da auch 
die zahl der attischen schiffe, 50, die normale der naukrarien ist, so 
hilft auch das nicht. döch wird man nicht unter 487 hinabgehen, da 
man doch für den flottenbau eine längere zeit braucht, und die hef- 
tigkeit des parteikampfes in Athen sich gut erklärt, wenn die gemüter 
durch eine solche niederlage erbittert waren. Themistokles hatte eben 
manchen harten straufls zu fechten, aber 483 war er herr der situation: 
dafs er es war, verdankte er nicht zum mindesten der mahnung, 
welche den Athenern der anblick des Zeusberges von Aegina täglich vor 
augen hielt. 

Es wird in der neunten prylanie, mai 482, gewesen sein, dafs dem 
staate aus den pachtgeldern einer neu erschlossenen silbermine ein 
grolses capital zur verfügung stand. da seizte er durch, dafs man dies 
geld in dem bau von 100 trieren anlegte: sie sind cs gewesen, die bei 
Salamis die freiheit gerettet haben. die chronik, der Aristoteles folgt, hat 
die merkwürdige, auch von Herodot (7, 144) nicht übergangene tatsache 
in der form einer anekdote überliefert, von der die geschichte absehen 
mufs. aber der beschlufs des trierenbaues auf antrag des Themistokles 
ist ihre notwendige voraussetzung. wir werden allerdings der voraus- 
sicht und der energie des Themistokles unsere bewunderung nicht ver- 
sagen: er benutzte die erbilterung Athens gegen Aegina um walflen 
wider Xerxes zu sclımieden, dessen rüstungen 482 längst begonnen 
hatten. es war die höchste zeit gewesen. 481 schon gruben hunderte 
an dem Athoscanal, schleppten die lastschiffe den proviant für tausende 
in die festungen an der thrakischen etappenstrafse. im frühjahr 480 
kamen die schiffe und die zimmerleute, um den Hellespont zu über- 
brücken; der grofskönig an der spitze des ungeheuren heeres durchzog 


Die gründung der flotte. die vorherrschaft des Areopages. 91 


Asien: unaufhaltsam, unentrinnbar wälzte sich die barbarenmasse gegen 
das kleine Hellas, und Apollon verkündete den untergang der freiheit. 

In der stunde der not (frübsommer 480) riefen die Athener die 
landesverwiesenen zurück: wer nicht kam, war ein verräter, und dazu 
ward nun der anlıang der Peisistratiden. Aristeides, Xanthippos, Megakles 
kehrten heim und ordneten sich dein Themistokles unter, der die seele 
der verteidigung war. seine autorität entschied im kriegsrate des Hellenen- 
bundes ebenso wie im rate des Areopages, und wo sie es nicht tat, fand 
er meist mittel und wege, dennoch seinen willen durchzusetzen: er hat 
sowol den Xerxes wie die Hlellenen zur schlacht bei Salamis gezwungen. 
im herbst 480 konnte er wirklich das gefühl haben, das ihm die anek- 
dote leiht: “weifst du, dafs du über die IHellenen herrschest,” sagte er 
zu seinem buben; “was du willst, tut die mutter, was die mutter will, 
ich, und was ich will, Hellas” aber schon im frühjahre 479 konnte 
er es nicht mehr sagen. seine rivalen waren wieder da, und seine aller- 
dings ungeheure eigenwilligkeit und rücksichtslosigkeit mufs das volk 
koplscheu gemacht haben. sie wählten Aristeides und Xanthippos zu 
feldherrn, Myronides und Kimon zu gesandten nach Sparta. Themisto- 
kles tritt 479 gar nicht auf, und dafs ohne ihn nicht minder glänzende 
siege gelangen, in Aristeides aber das volk einen führer gewann, der bei 
den Hellenen alierorten die vollste sympathie erweckie und frei von 
der av sadsıa deg Themistokles war, mufste irotz Salamis diesen noch 
mehr in den schatten stellen. nur als es gilt, seinen alten plan der 
hafenbefestigung zu vollenden und die stadt hineinzuziehen, ist er neben 
Aristeides berater und ausführer; vielleicht reizte ihn noch mehr die 
aufgabe, die Spartaner, seine wärmsten verehrer, zu dupiren. sonst 
zehrte er von seinem ruhme und verbrauchte ihn. vielleicht war er 
gar nicht mehr so gefährlich, wie er sich stellte. aber er spielte min- 
destens den gefährlichen und den verräter. männer dieses schlages 
lassen sich nicht kalt stellen. er war allen unheimlich und auf seinen 
ostrakismos folgte bald die acht. 

Die aufgaben der auswärtigen politik, die erfolge, welche bald be- 
wirkten, dafs die beziehungen zu den ehemals dem Perser dienenden 
Hellenen innerpolitische wurden, die einrichtung in dem eigenen neuen 
hause und in dem weiten reiche, das Aristeides 478/7 gegründet hatte, 
liefsen dem demos lange zeit keine mulse, über die verfassung nachzu- 


31) Xanthippos verschwindet mit dem jahre 479; lange hat er wol nicht mehr 
gelebt. sein sohn leistet mitte der sechziger jahre die choregie, weitere anhalts- 
punkte fehlen. Megakles führt eine dunkele existenz. 


Themisto- 
kles und 
Aristeides. 


Die vorherr- 
schaft des 
Areopages. 


92 I. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


denken. in den kriegen, glücklichen und unglücklichen, waren Kimon 
und andere wesentlich militärisch begabte oder doch tätige männer, wie 
Leagros, Leokrates, Myronides, dauernd die führer; in den bundesan- 
gelegenheiten Aristeides. wir hören von keinerlei parteiungen oder 
verfassungsänderungen. die leitenden männer gehören meistens den 
alten familien an, aber die geschlechter- und clientelpolitik ist der ge- 
meindeordnung fast erlegen. nur die Philaiden mit ihrem reichtum 
bilden noch eine partei im alten sinne, und der feldherr, der im aus- 
lande über das geschick von vielen gemeinden und unzähligen indivi- 
duen verfügen kann, gewinnt dadurch eine neue mächtige position, 
schlielst gastverträge, wird proxenos, vemittelt die entsprechenden ehren 
in Athen, schliefslich zieht er fremde nicht blofs als metöken, sondern 
selbst als bürger in die heimat.”) 

Die grüfse des horizontes, den jetzt die attische staatsleitung um- 
spannen mulste, forderte mehr einsicht, als der bauer sich füglich zu- 
traute. selbst der feldherr, der auf einem punkte draufsen tätig war, 
konnte nicht wol mehr als der arm Athens sein. die archonten safsen 
nun zwar zu hause, aber sie hatten ihre festen verwaltungsgeschäfte; 
die grolse politik gieng sie nichts mehr an. das hirn Athens war der 
Areopag, der zwar nicht die verhandlungen mit den bündnern führte, 
aber die controlle der beamten hatte, für ihre amtshandlungen be- 
schwerdeinstanz war, in die meisten gebiete der verwaltung eingriff, 
kurz “wächter und bewahrer der verfassung” war. aber die qualität 
dieses hohen rates sank in folge Jdes gesetzes von 486 immer tiefer. 
damals safsen alle bedeutenden männer darin, die das vertrauen des 
volkes einmal zu beamten gewählt hatte; damals entsprach er dem 
sullanischen senate, oder vielmehr erst ein etwa nur aus den gewesenen 
curulischen beamten bestehender senat würde ihm entsprechen. das 
verschob sich notwendiger weise von jahr zu jahr mehr. die namhaften 
mitglieder wurden überständig oder starben, die neueintretenden hatten 
weder die fähigkeit noch die autorität, die gegenüber der steigenden 
schwierigkeit der regierung und der steigenden bedeutung der strategen 
allein die stellung dieses rates hätte behaupten können. es waren zwar 


32) Vgl. die Govxvdidas, Kepalos Oovoseis. beiläufig, wenn man auf die 
funde schon einen negaliven schlufs bauen kann, so sind bürger abhängiger Reichs- 
städte zu der würde des noo&svos Adnvarov nicht mehr zugelassen. und das ist 
in der ordnung, da sie ja ihren gerichtsstand in Athen so wie so haben, und nicht 
der untertan den vorort beschützen kann. für Lesbos Samos Chios gilt das natür- 
lich so wenig wie für Thessalien oder Akarnanien. 


Die vorherrschaft des Areopages. Ephialtes. 93 


leute der beiden obersten steuerclassen, und die erforderlichen sechs 
ahnen schlossen die gesammten neubürger immer noch aus; aber es 
liefs sich doch niemand mehr so leicht zum archon praesentiren, der die 
strategen oder demagogencarriere einschlagen wollte, kein namhafter 
mann begegnet in der liste mehr, wol aber die angehörigen der alten 
- adelshäuser; Praxiergos (471/70) und Demotion (470/69) werden den ge- 
schlechtern angehören, deren namen sie führen. Konon (462/61) ist doch 
wol der grofsvater des siegers von 394 aus Anaphlystos. Habron (458/7) 
führt den namen von verwandten des Butaden Lykurgos. über andere 
mag ich nichts vermuten. es war also natürlich und berechtigt, dafs 
misstände fühlbar wurden, und es so nicht weitergieng: die reform des 
Areopagitenrates war eine notwendigkeit geworden. auf der andern seite 
gewann der rat der 500 an selbstgefühl und an bedeutung. mit ihm 
verhandelten die gesandten der vielen untertänigen städte, er sorgte für 
die flotte, die dem volke diese macht verschafft hatte, und die einnahmen 
aus den zöllen giengen durch seine hand. er empfand die concurrenz 
des in so vielen stücken über oder nebengeordneten rates der Areopagiten 
als einen unberechtigten druck. die demokratie konnte nicht wol anders 
als die beseitigung des Areopages anstreben. es ist nicht schwer sich 
manche modalitäten auszudenken, wie man dies oberhaus hätte erhalten 
oder erneuern können, was für die stetligkeit und besonnenbeit der po- 


litik dringend erwünscht gewesen wäre. aber das ist spielerei: der weg, . 


der der entwickelung Athens vorgezeichnet war, gieng dalıin, den oberen 
rat durch den unteren zu ersetzen. Athen war eine demokratie: der 
demos wollte selbst den herren spielen. 

Die herrschaft des Areopags, oder vielmehr der gesellschaftskreise, 
die seit den Perserkriegen die regierung in den händen hatten, war nichıt 
so leicht zu stürzen. sie hatten den erfolg der politik für sich, deren 
programm, krieg wider die barbaren und einvernehmen mit Sparta, see- 
herrschaft aber verzicht auf die herrschaft in Hellas, einfach und ver- 
ständlich war. und sowol die kleinen leute, die er durch seine libera- 
lität an sich fesselte, wie die alten soldaten, die er stets zum siege ge- 
führt hatte, hiengen an dem loyalen feldherrn der herrschenden partei, 
an Kimon. die demokraten eröffneten den kampf durch eine reihe von 
rechenschaftsprocessen gegen mitglieder des Areopagitenrates, und es 
wird nicht bestritten, dals diese des unterschleifes schuldig waren, noch 
auch dafs ihr ankläger, Ephialtes des. Sophonides sohn, ein mann, dessen 
herkunft und vorleben uns gänzlich unbekannt ist, persönlich flecken- 
los war. wir empfinden unsere mangelhafte kenntnis des geltenden 


Ephialtes. 


94 II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


rechtes sehr deutlich, denn wir müssen uns eingestehn, dafs weder er- 
sichtlich ist, wie einzelne Areopagiten staatsgelder zu verwalten hatten, 
noch bei welcher gelegenheit und in welcher form sie von Ephialtes zur 
rechenschaft gezogen wurden. wir müssen uns mit der allgemeinen 
aufsicht des Areopages, wie sie später der rat ausübt, über den schatz 
und die kolakretencasse begnügen; übrigens konnten die schuldigen 
Areopagiten selbst noch finanzämter bekleiden, da der eintritt in diesen 
rat nicht zu andern ämtern disqualificirte.e genug, es gelang dem 
Ephialtes das ansehen des regierenden rates zu erschüttera. dann machte 
nıan sich an Kimon, als er wegen seines thasischen krieges rechnung 
legte. das erneute scheitern der colonisation Thrakiens mag die bürger 
schwer verstimmt haben, und es mag sein, dafs der sohn einer thraki- 
schen fürstentochter mit den barbaren des Pangaion zu sanft verfahren 
war. aber die beschuldigung, dafs er geld genommen hätte, war doch 
zu absurd bei dem manne, der geld nicht bedurfte und auch in bösen 
dingen kein Themistokles war. aber vielleicht hatten auch die ankläger 
seine freisprechung vorausgesehen. jedenfalls erlitten sie dadurch keinen 
rückschlag, vielmehr gieng unmittelbar darauf das gesetz des Ephialtes 
durch, das den Areopag prinzipiell aller verwaltungsgeschäfte entkleidete. 
und in dem processe selbst hatte sich in Perikles nicht ein gehässiger 
ankläger compromittirt, sondern in durchaus vornehmen formen ein über- 
legner staatsmann eine neue und klare politik entwickelt. der sohn des 
Xanthippos und nefle des Megakles war der geborne gegner der Phila- 
iden: der aber hier auftrat, wollte sein, was seine ahnen aus überzeugung 
nie gewesen waren, 7.000TaTng Tov Önuov. er versprach dem volke 
der jungen, die den Mederkrieg als etwas vergangenes, das Reich als 
etwas gegebenes ansahen, ihre politischen forderungen zu erfüllen: ihm 
gehörte die zukunft. das mochten sich viele sagen. dafs aber der de- 
mokratie schon im folgenden jahre die gegenwart zufallen würde, ge- 
schah seltsamer weise eben dadurch, dafs für einen augenblick Kimon 
das übergewicht erlangte und die hilfe, um die die Spartaner flehentlich 
baten, nach Ithome führen durfte. Sparta hat gewifs nichts weniger 
gewünscht als die Athener zu brüskiren, aber ihre anwesenheit im Pelo- 
ponnes war für sein prestige und die treue seiner bündner ungleich ge- 
fährlicher als der aufstand der heloten. wir können auch glauben, dafs 
nur die athenische überlieferung die heimsendung Kimons als einen 
schimpf darstellt, und Kimon selbst anders gedacht hat. für den erfolg 
war das gleich. die spartanerfreundliche politik hatte abgewirtschaflet, 
Kimon selbst verfiel dem scherbengericht, und nun nahmen die allzu- 


Ephialtes. die vollendung der demokratie. 95 


lange aufgestauten demokratischen wasser einen nur zu stürmischen lauf. 
es sind die eigentlich entscheidenden jahre für Hellas, in denen sowol die 
athenische demokratie ihre vollendung erhalten hat wie auch das attische 
Reich: beides ewig denkwürdige gebilde; gleichzeitig aber hat Athen so Die vollen- 
viele und so schwere kämpfe nach aufsen geführt, dafs es sowol dem demoßratie, 
ruin wie dem vollsten triumphe ganz nahe gekommen ist. es sind wie 
die entscheidenden, so leider auch die am schwersten kenntlichen jahre; 
obwol die zeitrechnung der kriegerischen ereignisse sich mit befriedigen- 
der sicherheit feststellen läfst und eine anzahl politischer reformen nun- 
mehr auch an bestimmte jahre gebunden werden kann, fehlt es nur zu 
sehr an concreten tatsachen und gänzlich an einem zusammenhängenden 
berichte. nur die grundlinien der entwickelung lassen sich ziehen. 
An die stelle des Areopages trat als centralinstanz der verwaltung 
der rat der 500, die gemeindevertretung Athens. erst jetzt sind für 
ihn die diaeten eingeführt, die einfach notwendig waren, wenn die 
ratsherren das ganze jahr in der stadt leben”) sollten. im rate lag die 
gesammte finanzverwaltung; nach wenig jahren zog man auch die 
reichscasse nach Athen. dem rate fiel die controlle der beamten zu, 
aller mit ausnahme der feldherren: die magistratur war zu einem organe 
des rates geworden. die archonten, die candidaten zum Areopag, ver- 
loren auch die letzte beschränkung durch den census: jeder waffen- 
fähige, jeder bauer, der ein joch ochsen im stalle hatte, konnte sich zur 
losung melden. diese neuerung hat besonders viel erregung verursacht, 
aber sie war eine ganz gerechtfertigte consequenz der degradation der 
magistratur und des Areopags. auch für die geschworenen ward ein 
bescheidener sold bewilligt: das war die notwendige consequenz davon, 
dafs man die privatprocesse der bündner nach Athen zog, und dafs die 
grenze, bei welcher der magistrat nicht ohne zuziehung von geschwornen 
das urteil finden durfte, immer tiefer gesteckt ward; das einzelne ist uns 
unbekannt. aber wol sehen wir, dafs ein neues gerichtshaus nach dem 
andern gebaut werden muls, und dafs in den statuten, die Athen bei 
der oder jener gelegenheit den einzelnen Reichstädten aufzwingt, die 


33) Wenn man dem rate diaeten zugestand, so war das bedürfnis dazu hervor- 
getrefen, d. h. es hatlen die ratsherren in folge der vermehrten geschäftslast zu 
häufig gefehlt. die prytanen, die doch wol schon eher in permanenz gewesen sind, 
werden naturalverpflegung erhalten haben. es folgt, dafs der rat in älterer zeit 
nicht nur nicht täglich, wie später, sondern selten plenarsitzungen hielt. auch das 
volk wird erst jetzt regelmäfsig in jeder der drei zehntägigen wochen eine sitzung 
gehalten haben. 


96 ll. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


bestimmungen über die rechtspflege durch attische geschworne ein wich- 
tiges capitel werden. man hat damals eine besondere behörde für die ein- 
bringung bestimmter befristeter processe geschaflen (die eisaywyng), 
eine andere für die processe der seeleute, die nicht warten konnten 
(die varzoöixaı), denen man dann, wol für die zeit, wo die schiffer 
nicht processiren konnten, auch andere beschäftigungen gab. man hat 
auf die demenrichter des Peisistratos zurückgegriffen, um auf dem lande 
eine rasche erledigung der rechtshändel zu gewähren uud die städtischen 
tribunale zu entlasten. dals die gemeinden im ganzen 6000 männer 
für den geschwornendienst praesentirten, aus denen in jedem falle die 
notwendigen ausgelost wurden°®*‘), ist sicherlich eine ältere einrichtung 
(mag auch die zalıl erst jetzt so hoch gebracht sein), denn die auslosung 
ist sache der archonten, die bestimmung der gerichtstage und höfe der 
thesmotheten. aber es wird erst jetzt der schritt getan sein, aus dem 
richteralbum für eine reihe obliegenheiten beamte zu erlosen, die dann 
nur eine bestimmte kürzere zeit, aber mit fester besoldung tätig waren. 
noch ganz anders als durch die magistrate führte so das volk selbst seine 
geschäfte. die städtische centralisation bezweckte man nicht, so wenig 
es Peisistratos getan hatte, aber der wirtschaftliche aufschwung brachte 
sie mit sich, jetzt wie damals. und an eines gieng man mit äulserster 
energie, sobald man nach aulsen zu activer politik sich entschlossen 
hatte. man vullendete das niemals fallen gelassene, aber von der frü- 
heren regierung absichtlich verschleppte werk des Themistokles, verband 
Athen mit dem hafen und der see durch schenkelmauern, machte es zu 
einer uneinnehmbaren festung, aber auch zu einer grofsstadt und zu 
einer seestadt. nicht ohne grund sahen gerade hierin die “ansehnlichen 
leute” den untergang von Altatlıen. die leidenschaft in dieser durch 


34) Die leute vom lande mufsten in die stadt gehn, auch auf die gefahr hin, 
dafs die thesmotheten keine gerichte hielten, und dann war es nichts mit dem 
solde: so schildert es beweglich der Wespenchor 304. damals hatte das keine 
gefahr. wenn kein festtag war, oder volksversammlung, konnten die ausgelosten 
auf den sold rechnen, und mit der üblen chance, dafs ihn das los nicht träfe, 
rechnet auch der chor nicht. also fanden in der regel die erschienenen alle ver- 
wendung. die spätere complicirte procedur der losung existirte natürlich nicht. 
nun denke man sich die ältere zeit, ohne diaeten, mit wenig processen. da kann 
doch nur der einzelne heliast, der im album stand, von dem archon seiner phyle 
citirt sein, oder es sind feste gerichtstage gehalten. dafs wir das nicht wissen, ist 
ein deutliches zeichen, wie wenig man die alten verhältnisse später sich auch nur 
denken konnte; dafs man jetzt danach so wenig fragt, zeigt, wie wenig man sich 
die dinge lebendig macht. 


Die vollendung der demokratie. 97 


Kimons landesverweisung geschlagenen partei scheute nicht vor dem 
meuchelmord zurück, der den Ephialtes beseitigte, noch vor der con- 
spiration mit dem landesfeinde, den sie freilich in den Spartiaten nicht 
sehen mochten und noch nicht zu sehen brauchten. aber die vater- 
landsliebe überwog denn doch im entscheidenden momente. als bald 
nach der änderung der archontenwahl, kurz vor der vollendung der 
schenkelmauern ein peloponnesisches heer bei Tanagra an der grenze 
Attikas erschien, hat die attische aristokratische partei, bei der Kimon 
selbst in ritterlicher weise seinen einflufs geltend machte, in kampf und 
tod den flecken von: ihrem ehrenschilde abgewaschen. aber auf die 
inneren verhältnisse hat sie keinen einflufs gehabt. ihre söhne, nicht 
"mehr aristokraten, sondern oligarchen, sind minder zurückhaltend ge- 
wesen; sie führten 411 und 404 dieselben schlagwörter im munde. aber 
es waren phrasen geworden; die “väterliche verfassung’ war tot, und 
die sie herzustellen versprachen haben nur die geschichte Athens mit dem 
blute vieler und mit dem eigenen befleckt. 

Leider, so mufs man sagen, waren die kimonischen traditionen 
nicht eben so machtlos in der äufseren politik. freilich als er aus Athen 
wich, nahm man den kampf mit Sparta, oder da dieses zur zeit macht- 
los schien, mit seinen verbündeten, Korinth an der spitze, nicht nur 
auf, sondern schuf sich durch den bund mit Argos eine operationsbasis 
für die bezwingung des Peloponneses, und gelangte auch dazu, Aegina 
endlich ganz in eigne hand zu bringen und an mehreren ecken des 
Peloponneses fuls zu fassen. gleichzeitig gieng man gegen die delphische 
Amphiktionie vor, die ein äufseres band um die nordgriechischen stämme 
schlang, und hier gelang trotz dem für die peloponnesischen waflen 
ruhmvollen tage von Tanagra die unterwerfung fast völlig. die eine 
hälfte des programms der jungen, herrschaft in Hellas, schien sich zu 
verwirklichen, ja sie hätte sich verwirklicht, so gut wie sie es im Reiche 
tat, wenn die jungen in allem die majorität gehabt hätten. aber das 
notwendige complement, friede mit Persien, wagte man nicht einmal 
laut zu fordern. dazu waren die erinnerungen an 479 noch zu stark, 
und wenn auch bürgerkrieg kein griechisches wort ist, mit dem die 
modernen rasch bei der hand sind um die athenische politik zu stigma- 
tisiren, so hatte der kampf wider die barbaren doch einen ganz andern 
reiz als der wider die Boeoter. so kam es zu dem unverantwortlichen 
wagnis, mitten in dem schwersten hellenischen kriege den abtrünnigen 
vasallen des Grofskönigs in Kypros und Persien zu hilfe zu kommen. 
einmal engagirt, fand man nicht den entschlufs zum rückzuge, und so 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 7 


Perikles, 


98 I. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


hat man die entsetzlichen verluste herbeigeführt, die Athen zwangen 
mitten im siege zu hause inne zu halten, während doch schon selbst in 
Sicilien sich günstige anknüpfungspunkte für fernere unternehmungen 
zu bieten schienen. das athenische volk mochte sich freilich den eigent- 
lichen grund des miserfolges nicht eingestehn, es vertraute sich noch 
einmal dem Kimon an, als dieser nach ablauf des zehnjährigen bannes 
heimkehrte. er war der alte geblieben. er sicherte sich notdürftig 
den rücken durch ein abkommen mit Sparta, das neuerstarkt nur einen 
waffenstillstand mit kurzer frist zugestand, segelte in das ferne kyprische 
meer, schlug die Perser und erreichte doch nichts als einen nur äufser- 
lich militärisch ruhmvollen abschlufs seines lebens. trotzdem, dafs mit 
ihm die perserfeindliche politik zu grabe gieng, gelang es Athen nur 
mit äufserster not und dank dem diplomatischen geschick des Perikles, 
bei dem zusammenbrechen seiner festländischen herrschaft für diesen 
verzicht die anerkennung des Reiches und der seeherrschaft zu sichern. 

Perikles, der führer der demokratie, hat die verantwortung für die 
reformen der funfziger jahre zu tragen, auch die für das programm, 
dem er vierzig jahre lang treu geblieben ist. an den unternehmungen 
wider Persien hat er sich nie beteiligt, vielmehr, sobald Kimons tod ihm 
freie hand liels, ein einvernehmen mit Artaxerxes herbeigeführt, das bis 
zu dessen tode angehalten hat. es kann ihm nicht nachgewiesen werden, 
dafs er nach westen in abenteuerlicher weise überzugreifen jemals ge- 
dacht hat, nicht einmal nach den dorischen inseln, Kreta oder Thera 
und Melos, hat er die hand ausgestreckt. er hat nur das Reich mit be- 
wufster consequenz als ein object der athenischen herrschaft behandelt, 
nicht mit tyrannischer gewalt, aber mit energie. bedrückt hat er die 
bundesgenossen nicht, aber zu untertanen hat er sie gemacht. es ist 
ihm nie in den sinn gekommen, Athen in das Reich oder in Hellas auf- 
gehn zu lassen. gerade nach den verlusten in Aegypten hat er das 
attische bürgerrecht beschränkt, um das eindringen der halbschlächtigen 
zu verhindern, das Peisistratos und Kleistlhenes befördert hatten. er hat 
nachdrücklich damit ernst gemacht, auf dem boden der bundesstädte 
aulserhalb Asiens (wo ihn wol die rücksicht auf Persien band) athenische 
gemeinden zu gründen und so dem vordringen des bürgerlichen pro- 
letariats zu steuern. aber er hat sein volk, das über Rhodos und Mi- 
letos gebot, allerdings zum herrn auch über Sparta und Korinth machen 
wollen: die herrschaft in Hellas war sein programm 462; er hat es trotz 
den zwischenstreichen der kimonischen politik und trotz dem schweren 
frieden von 445 nicht geändert. ruhige überlegung, aber ohne furcht 


Perikles. 99 


vor den klar erfafsten consequenzen, zeichnet seine politik ebenso aus 
wie die vornehme, etwas hartnäckige ünempfindlichkeit gegen hemmnisse 
und störungen. er ist nicht der mann der genialen experimente wie The- 
mistokles; er verschmäht das blendwerk der glänzenden coups, das sonst 
die politiker in demokratischen staaten meist nötig haben; er rechnet 
mit den ziffern des schatzes, den beständen der arsenale und den summen 
der wehrpflichtigen lieber als mit den imponderabilien der volksgunst 
und volksstimmung. er ist nicht officier und nicht finanzmann, nicht 
volksredner und nicht parteihaupt, oder auch er ist dies alles, nämlich 
so weit es der politiker, der vertrauensmann des attischen volkes sein 
mufste. er ist kein liebenswürdiger mann, was die leute so nennen, 
zecht nicht mit seinesgleichen und noch viel weniger mit den litteraten, 
singt keine verse und läfst auch keine auf sich machen; er buhlt nicht um 
das lob der dichter und kauft es auch nicht, aber der komoedie hätte er 
gern den mund gestopft. er hat genug tüchtige und hingebende männer 
um sich gehabt, die unter ihm an seinen werken schafften, und von denen 
keinem der gedanke mit ihm zu rivalisiren kam, aber einen freund hat er 
nicht gehabt. sein leben ist einsam gewesen.*) keine spur führt darauf, 


35) Das perikleische zeitalter” mit seinen heiteren dem cultus der schönheit 
hingegebenen Griechen, in der mitte der Maecen oder Mediceer Perikles, die geistig 
ebenbürtige, ihm durch eine gewissensehe verbundene Aspasia am arme, ist eine er- 
findung des deutschen romantischen philhellenismus, hat aber so viel wert wie Kaul- 
bachs Blüte Griechenlands. und Aspasia ist das widerlichste darin. Perikles hat 
in standesmäfsiger ehe zwei söhne erzeugt, sich dann von seiner frau geschieden 
und etwa als mann von funfzig jahren in sein einsames haus, das auch keine gäste 
sah, eine concubine genommen, ganz wie Aristoteles. die beiden frauenzimmer 
zeigen ihren stand genügend durch ihre namen ’4onacla und “Eonvilks. in Athen 
heifst keine anständige frau Aspasia; in lonien ist man mit-den namen nicht 
so streng, aber ein beliebter hetaerenname war es auch da, und der tradition, 
die Aspasia einen vater gibt (Axiochos von Milet), steht gleichberechtigt die 
andere zur seite, dafs sie eine kriegsgefangene Karerin war (schol. Aristid. 464). 
nun haben die “armen geschöpfe’ es gut genug gehabt bei ihren herren, die 
auch für ihre kinder gesorgt haben. aber natürlich mufste Aspssia manchen 
unglimpf leiden um des platzes willen, den Perikles in der welt einnahm, noch 
mehr als dieser den unehelichen sohn nach dem tode seiner ehelichen kinder 
legitimirte; sie mag sich auch nach des herren tode anspruchsvoll benommen haben. 
zum entgelte verfiel der sokratiker Aischines darauf, in einem dialoge sie als eine 
Ninon einen salon halten zu lassen, ja er mochte sie so weit idealisiren, dafs er 
anständige frauen bei ihr einführen konnte, wie Xenophon und gemalin, der leider 
zu Aspasias lebzeiten weder verheiratet war noch es sein konnte. trotzdem gefiel 
ihm das compliment; und er erwiderte es nach der sitte der zeit in den zwei er- 
wähnungen Aspasias, die sein nachlafs bietet. so ist die geistreiche hetaere, die 

7x 


100 II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


dafs für irgend eine kunst eine ader in ibm geschlagen hätte: dafs er den 
Parthenon und die Propylaeen hat’bauen lassen, heweist das nur dann, 
wenn die bauten Schinkels für den geschmack Friedrich Wilhelms III. 
beweisen.”) aber an den politischen und juristischen speculationen des Pro- 
tagoras hat er anteil genommen, mit dem exegeten des väterlichen rechtes 
Lampon hat er verkehrt, dem sophistischen städtegründer Hippodamos hat 
er die anlage der hafenstadt anvertraut. und wenn er als geborner 
ehrenmann vielleicht vor dem dienste der gützen dieser welt gefeit war, 
so dafs geld ehre und genufs ihn nicht verlockien: dafs er über aber- 
glauben erhaben war und von den schlägen der Tyche niemals gebeugt 
worden ist, dankte er dem einflusse der physik und noch mehr der selbst- 


Egeria des Perikles lancirt worden, die denn auch der verfasser des Menexenos 
(oder doch der rahmenerzählung dieser rede) aufgriff. diesen schriftsteller nennen 
sie jetzt wieder Platon: sie bedenken wol nicht, dafs der dichter Diotimas nicht 
der mann war, sich eine hure zur heldin zu wählen. rde»n hat sie Eupolis ge- 
nannt, nicht zum hohn; als er die Demen schrieb, war das weib verstorben oder 
verdorben, sondern in bittrem ernste: Myronides braucht das auch in Athen harte 
wort gegenüber dem Perikles, dem er sagen muls, sein sohn würde längst eine 
politische rolle spielen, wenn er nicht den makel des hurensohnes trüge. Eupolis 
hat als einziger neben Thukydides und noch schöner, weil er ein dichter war, den 
Perikles gewürdigt: was er von Aspasia sagt, hat gewicht, und kein zeuge des fünften 
jahrhunderts urteilt anders. ich bin nicht so albern, dem toten frauenzimmer zu 
grollen, aber man soll es lassen wie es ist, tot und ein frauenzimmer. leute, die 
ohne weibliches parfum keine geschichte riechen mögen und ihre helden nicht 
menschlich finden, wenn sie nicht unterweilen girren oder meckern, mögen Hamer- 
ling statt Thukydides lesen. aber es ist kein kleines zeichen von der würde der 
attischen geschichte, dafs nur ein weib in ihr vorkommt, das aber beherrscht sie: 
die jungfrau von der burg. 

36) Naiv ist vollends sich Perikies in menschlichem verkehr mit Pheidias 
zu denken, der gesellschaftlich und nach seiner bildung (einen hexameter konnte er 
nicht machen) ein Bdvavoos war und blieb. vereinzell kommt es ja vor, dafs ein 
mann aus besseren kreisen wie Kephisodotos eine bildhauerwerkstatt hat, aber die 
regel ist, dafs solche leute zum handwerk gehören und in ihren kreisen bleiben. 
das sltertum ist von der verkehrtheit, die bewunderung ihrer werke auf ihre per- 
sonen zu übertragen, völlig frei. meiner meinung nach liegt die vortrefflichkeit der 
antiken kunst zum guten teile daran, dafs man sich um die künstler so wenig 
kümmerte, keine kunstakademien und künstlerheime hatte, und von keinem ge- 
sandten forderte, dafs er mit seinen einladungen ‘bis hinab zum künstler” gienge. 
diese meinung ist gleichgiltig: aber wer von der ideengemeinschaft zwischen Peri- 
kles und Pheidias redet, beweise erst, dafs staatsmann und bildhauer eine gemein- 
schaft und Pheidias ideen hatten. augen hatte er und hände, das sieht man, und 
das ist genug, die ideen empfieng er wie sein volk von den dichtern und weisen. 
er gab ihnen gestalt: darin liegt seine gröfse. 


Ca 27 
.*s 
“oe. 
....0. 


Perikles. 101 


losen forschernatur des Anaxagoras, der einsam lebte, wie er selbst. bei 
dem lernte er die weltauffassung, die den zweck des lebens in die anschau- 
ung des unendlichen xoouog, der ordnung und der schönheit des alls, ver- 
legt, und dem entsprechend dem individuum gebeut, zugleich sich in die 
eigene sterblichkeit zu schicken und die ewigkeit in der seele zu tragen 
(a9avara gppoveiv). weil sie aus der tiefe einer denkgewohnten seele 
quoll, rifs seine ernste beredsamkeit die menge fort, auch wo sie sie nicht 
verstand, und die fassung, die er bei seinem trüben einsamen ende 
bewahrte, hat dem Protagoras worte der bewunderung abgenötigt. aber 
er war doch weit entfernt von diesen männern des FJewenrixog los, 
und der xoouog, dem er diente, und den er zu verwirklichen strebte, 
war die freiheit und die herrschaft seines volkes. an die logik der de- 
mokratie hat er geglaubt, an die macht der loovouin, und an die ma- 
xime &9 zo mollp Evı va mavra (Herod. 3, 80). die logische ge- 
schlossenheit des demokratischen majoritätssystemes hat seinen dem ab- 
stracten zugewandten sinn eingenommen, und radical, wie die mathe- 
matiker sind, hat er keine consequenz des prinzipes gescheut. freilich 
nur für seine Athener galt das i0ov. dafs sie zum herrschen über 
Hellas berufen seien, weil sie tüchtiger wären, durch ihre freiheit und 
gleichheit tüchtiger, hat ihn mit fug Thukydides sagen lassen. dafs sie 
die machtmittel hätten, die herrschaft zu erringen, wenn sie sie nur an 
der rechten stelle brauchen wollten, hatte er 462 schon begriffen; daran 
ist er nicht irre geworden, wie an nichts. wer sich seine überzeugung 
zu einem exempel gemacht hat, das nun einmal richtig ist, kann sie 
nimmermehr aufgeben. und so hat er 432 dasselbe ziel zu erreichen 
versucht, das er sich dreifsig jahre vorher gesteckt hatte. man wird ihn 
von der verantwortung nicht freisprechen dürfen, den krieg gewollt zu 
haben, denn er hätte ihn hinausschieben können, wie es sein alters- 
genosse, der brave könig Archidamos wollte. vielleicht ist es vor dem 
richterstuble der höchsten moral v@eıg, überhebung und sünde, einen 
solchen schritt zu tun: die &rn, die jede überhebung demütigt, ist 
ja auch nicht ausgeblieben. indessen Perikles, der rechner, durfte sich 
sagen, dafs aller berechnung nach der sieg nicht zweifelhaft sein könnte, 
dafs niemand so wie er befähigt wäre, sein volk in dem kampfe zu 
führen, und dafs es hohe zeit wäre, falls er diese rolle noch spielen 
sollte. aber es zeigte sich, dafs rechnen nicht genügt für die politik, 
weil menschenseelen ein anderes sind als trieren hopliten und talente, 
ganz ungerechnet die tücke des zufalles, das dauovıov PIovegov xal 
rapaywösg, das die pest sandte. und weiter zeigte sich, dafs die ab- 


102 Il. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. 


straction, das demokratische gleichheits- und majoritätsprincip, wiederum 
die menschenseele mit in rechnung zu stellen vergessen hatte. die ge- 
neration, die 430 jung war, verlangte stürmisch die tyrannis über die 
bündner, über Hellas, über die welt, und verlangte für jeden Athener 
die gleiche summe von vorrechten, auf dafs jeder so eine art tyrann 
würde, evdaluwv, loo.seoc. 

Platon hat schon recht, wenn er in Perikles den gröfsten dıaxovos 
des volkes sieht, den grofsen volksverführer: aber er steht auf der hohen 
warte seines Staates, und er schreibt unter den trümmern von 403. 
Herodotos hat auch recht, wenn er den höhepunkt der weltentwickelung 
in dem demokratischen Athen des Perikles sieht. die athenische demo- 
kratie, wie Perikles sie vollendet hat, ist ein gebilde, zu fein für men- 
schen, und darum denen selbst verderblich, die sie zur herrschaft beruft; 
an der politik des Perikles ist Hellas zu grunde gegangen. aber was 
wäre schön, das für die menschen nicht zu fein wäre? Platons Staat 
ist es erst recht. und der staatsmann, der in der grauenhaften folge 
von wüsten und blutigen jahrhunderten, die wir weltgeschichte nennen, 
einen augenblick geschaffen hat, zu dem wir sagen mögen, verweile doch, 
du bist so schön, ist trotz allem ein grolser zauberer gewesen. 


4. 
HATPIO2 IOAITEIA. 


Das volk der Athener, das seit dem frieden mit den Peloponnesiern „Die ver- 


ung der 


445 ein zwar gegenüber den hofinungen von 460 beschränktes, aber biütezelt. 


dafür von den andern mächten anerkanntes reich beherrschte, konnte 
mit fug und recht sagen, dafs die souveränetät bei ihm selbst stünde, 
To xgarog oder To xugog Erei rW Önum. die vorstellung herrschte, dafs 
alle Athener gleichberechtigt wären, und der wille der majorität der 
wille der gesammtheit. &» yag zo sold Eyı va ravra, wie Herodot 
sagt. so wird 70 rAndog 70 AImvalwv identisch mit 6 djuog 6 Am- 
valwv. jeder Athener galt als zu allen regelmälsigen ämtern befähigt; 
er sollte es verstehn sowol zu gehorchen wie zu befehlen, und die gleich- 
berechtigung aller forderte demnach einen turnus für die bekleidung 
der ämter. dnuos Ö’ avacası diadoyaicıv Ev u£oeı bviavalaıcıy, wie 
Theseus sagt. die classenbeschränkung galt zwar noch dem buchstaben 
nach; an die finanzämter kamen nur leute aus der ersten classe, die 
letzte hatte auf gar kein wirkliches amt anspruch. aber trotz den ver- 
änderten besitzverhältnissen war der census der alte geblieben; was 
woliten 500 scheffel sagen? die kleruchien machten immer mehr theten 
zu grundbesitzern; giengen sie dorthin, so waren sie faktisch von der 
staatsleitung ausgeschlossen ; blieben sie zu hause, so machten die zinsen 
ihres pächters sie wahlfähig. aulserdem verdienten sie bei dem dienste 
auf der so gut wie stehenden flotte, als schützen, wächter und in ähn- 
lichen stellungen, und zu den körperschaften, die gerade besonders ein- 
flufsreich waren, den 6000 geschworenen und dem rate, hatten sie recht- 


1) Aus der notorischen zersplitterung des grundbesitzes folgt bewirtschaftung 
durch unfreies gesindee von den preisen und dem ertrage wissen wir zu wenig. 
aber lohnend war auch dieses gewerbe, und über die concurrenz des pontischen 
getreides hört man keine klage. 


104 ma ITaxgsos nohıreia. 


lich zutritt, und seit für beide ein mälsiger sold gezahlt ward, konnten 
sich auch unbemittelte zur losung melden. die hauptsache freilich tat 
der allgemeine wolstand dazu, dafs die beteiligung an der staatsverwal- 
tung für die ungeheuren anforderungen leidlich ausreichte, und der 
census nicht fühlbar war. steuern wurden nicht gezahlt; der weg, die 
bemittelten für das allgemeine zu den nötigen opfern zu bewegen, war 
in der ausbildung der persönlichen leistungen für das allgemeine (An- 
toveylaı) gefunden, die ursprünglich ein analogon zu dem persönlichen 
hand-, spann- und kriegsdienst gewesen waren, aber seit für den letzteren 
sold gezahlt ward, hand- und spanndienst vorwiegend nur noch für die 
einzelgemeinde und phyle in betracht kam, war die liturgie das mittel, 
den reichtum in einer weise zur steuer heranzuziehen, die in einer 
vermögenssteuer erst dann ein volles analogon finden würde, wenn 
diese eine höhe erreichte, die uns für unerträglich gilt. zum ent- 
gelt für sein opfer war der trierarch officier, und zwar ein hoher und 
im Reiche aller orten angesehener. der grundbesitzer, der die last 
der pferdezucht trug, diente auch bei der cavallerie, was an sich schon 
für eine auszeichnung galt. die vielen liturgien, die der belustigung und 
annehmlichkeit, zum teil auch der unterstützung des demos dienten, 
brachten nur ehre und höchstens einflufs auf die stimmung und die 
stimmen des volkes. dafs dies system nicht versagte, lag erstens und 
vornehmlich an dem wolstand, den die machtstellung des Reiches und 
Athens im Reiche den einzelnen verlieh, dem kaufherrn und industri- 
ellen eben so gut wie dem grundbesitzer. zweitens aber war diese art 
munificenz von alters her in den herrschenden familien geübt worden, 
und wer durch jungen reichtum in diese reihe aufstieg, durfte und 
mochte mit ihm nicht’ knausern. der staat aber hatte eine gefahr glück- 
lich beseitigt, als er die private munificenz in ein ziemlich festes steuer- 
wesen verwandelt hatte: noch Peisianax und Kimon hatten den markt 
mit hallen und bäumen als private geschmückt; das haus des polemarchen 
irug den namen dessen, der es erbaut hatte, am giebel. so etwas ist 
in der perikleischen zeit abgestellt; weder er noch Nikias haben den 
staat beschenkt. das volk hat den Parthenon gebaut, und es wachte, 
wie auch in an sich unverbürgten anekdoten durchklingt, eifersüchtig 
darüber, dafs kein einzelner ihm die ehre dieser bauten entzöge. 

Der souverän war selbstverständlich unverantwortlich und gebunden 
nur an die gesetze, die er selbst festgestellt hatte, also wol zu ändern 
die macht hatte, aber nicht zu übertreten. der souverän besafs aber 
schlechthin keine initiative. er stimmte in jedem einzelnen falle nur zu 


Die verfassung der blütezeit. 105 


oder lehnte ab. somit war immer ein individuum da, das die verant- 
wortung für den souverän rechtlich und factisch trug. wer den sou- 
verän zu ungesetzlichem verleiten wollte, konnte deswegen gerichtlich 
belangt werden, und schon ein einzelner in der volksversammlung konnte 
durch seinen einspruch, in der form einer klaganmeldung, einen antrag 
oder beschlufs wenigstens suspendiren. falls aber das ungesetzliche oder 
auch schädliche schon beschlossen oder geschehen war, so konnte der 
belangt werden, der den demos ‘betrogen’ hatte. auch konnte jeder den 
antragsteller verklagen, weil er “ein unpassendes gesetz beantragt hätte’. 

Da es factisch undurchführbar war, dafs jeder einzelne bürger in 
jedem falle von dem teile souveränetät, der auf ihn kam, gebrauch 
machte, so war das volk oder auch die majorität der Athener durch 
legalfiction vorhanden, wenn eine durch gesetz bestimmte vertretung der 
gesammtheit factisch die souveränetät übte. das galt in wahrheit schon von 
der volksversammlung, für deren sitzungen es keine numerische beschrän- 
kung der beschlufsfähigkeit gab, aufser für besondere fälle, wo schrift- 
liche abstimmung gefordert ward (vouoı dc’ avdol). aber davon zieht man 
vor nicht zu reden. dagegen gilt der satz, dafs die richterliche, schlecht- 
hin infallible und inappellable (avvrreuvFvvog), übung der souveränetät, 
ganz besondere ausnahmen abgerechnet, immer vom volke nur ideell, 
factisch aber von einer vertretung desselben ausgeübt wird, deren stärke 
das gesetz vorsah. das gericht ist rechtlich immer identisch mit dem 
volke, sonst hätte sich seine unverantwortlichkeit gar nicht aufrecht halten 
lassen. auch das gericht mufs berufen werden, entbehrt also der initia- 
tive, und zwar geschieht dies, weil es eine sehr alte, spätestens solonische 
einrichtung ist, durch die archonten, an die sich die übrigen beamten 
zu wenden haben, wenn sie eine sache vor das volk zur richterlichen 
entscheidung zu bringen wünschen. die archonten aber sind nicht frei 
in der auswahl der volksvertretung, sondern erlosen die gesetzliche zahl 
von volksvertretern, und sie tun das nicht aus der ganzen summe der 
teilnehmer an der souveränetät, sondern aus einer alljährlich von ihnen 
in bestimmter gesetzlicher form aufgestellten summe von 6000 unbe- 
scholtenen über 30 jahre alten bürgern. diese 6000 im ganzen sind 
nur so viel wie zur beschlulsfassung in sachen, die wie die processe 
einen einzelnen bürger angeln, für die volksversammlung erfordert sind. 
sie vertreten das ganze volk, sind aber selbst in jedem einzelnen pro- 
cesse durch einen manchmal sehr geringen bruchteil (201) vertreten. 
die legalfiction geht also sehr weit. die gerichte entscheiden oft nur 
die schuldfrage, so dafs damit nach malsgabe des gesetzes die strafe ge- 


106 Il. 4. Hargıos nolsreia. 


geben ist. öfter noch bestimmen sie mit der vollen freiheit des sou- 
veräns auch das strafmals. aber die strafvollstreckung steht nicht in 
ihrer hand. auch sie entbehren durchaus der executive. 

Die 6000 richter sind eine vertretung der bürgerschaft wirklich, 
in sofern sie nach den gemeinden erlost sind, in die das attische land 
und die attische bürgerschaft zerfällt, wahrscheinlich aus einer candi- 
datenliste, welche diese aufstellten. dieses selbe princip der repraesen- 
tation beherrscht die magistratur und den rat. aber sobald der vertreter 
einer gemeinde oder phyle richter oder beamter wird, hört er auf seinen 
kleinen teil zu vertreten: er ist vielmehr träger der souveränetät der 
sammtgemeinde. in ekklesia und heliaea gibt es in folge dessen keinerlei 
berücksichtigung der unterabteilungen des volkes. 

Das hauptorgan, durch welches der souverän die executive übt, 
ist der rat. rat heilst er und ist er, da er dem souverän alle seine be- 
schlüsse vorzubereiten und ihm in erster linie seine vorschläge zu unter- 
breiten hat. er ist aber längst eine und zwar die vornehmste handelnde 
behörde geworden. er besteht aus 500 vertretern der gemeinden, für 
welche dieselbe qualification wie für die richter gilt, nur dafs man richter 
zeitlebens, ratsherr höchstens zweimal auf ein jahr sein kann. durch den 
rat allein verkehrt das volk mit dem auslande, mit jeder fremden person 
und sogar ınit den eigenen beamten. in allen fällen, wo eine gesandt- 
schaft oder sonst ein ausländer oder auch ein beamter als solcher mit 
der volksversammlung direct verkehren will oder soll, führt ihn der 
rat bei dem volke ein. verantwortlich ist der rat natürlich seinem 
souverän, aber der einzelne ratsherr unterliegt als solcher nicht der 
rechenschaftspflicht. der rat verfügt über die höchsten souveränetäts- 
rechte, denn er kann selbst einen bürger an leib und leben strafen, 
ohne dafs diesem wie gegenüber allen andern beamten die Epeoıs eis 
ÖixaornoLov, die athenische form der provocatio ad populum zustünde. 
aber er ist nicht mit dem souverän ideell identisch wie die gerichte: 
er kann vielmehr selbst an diese eine sache überweisen; dagegen kann 
er kein gericht selbst berufen, sondern bedarf der vermittelung der ar- 
chonten: die gerichte sind eben mindestens nicht jünger als der rat. 

Die civilbeamten werden, so weit sie jährig sind, in der weise er- 
lost, dafs sie die phylen oder auch deren unterabteilungen, die trittyen, 
vertreten; daneben kommen für einzelne vorübergehende amtliche tätig- 
keiten commissionen in betracht, die aus den 6000 richtern genommen 
werden. die beamten werden erst auf ihre würdigkeit von dem gerichte 
geprüft: so corrigirt der souverän die willkür des loses. sie stehn zum 


Die verfassung der blütezeit. 107 


gröfsten teile, insbesondere so weit sie staatsgeld verwalten, unter der 
controlle des rates; dieser und das gericht besorgen ihre rechenschafts- 
abnahme. aufserdem entscheidet der souverän in jeder der 10 verwal- 
tungsperioden des jahres, ob sie sein vertrauen noch besitzen. sie haben 
eine durch feste instruction eng begrenzte sphaere der tätigkeit und sind 
gehalten, so bald sich ein bürger, von bagatellen abgesehen, ihrem spruche 
nicht unterwerfen will, die entscheidung des souveräns anzurufen, d.h. 
sie berufen ein gericht, dem sie vorsitzen: nur dieser vorsitz in eigner 
sache ist noch ein rest ihrer ehemaligen selbständigkeit, sonst ist die 
magistratur der civilbeamten zu einem werkzeuge des souveräns, in 
praxi des rates herabgedrückt. politische bedeutung hat von ihnen schlecht- 
hin keiner.’) reste alter macht, wie sie die einzelnen archonten noch 
besitzen, sind für den ganzen charakter der verfassung und verwaltung 
so wenig bedeutend, wie die gerichte des Areopages und der epheten 
neben den heliasten. 

Die religion durchdringt zwar alles, aber es gibt keine kirche, oder 
vielmehr sie deckt sich mit dem staate, und so können wir sagen, dafs 
die weltliche bürgerliche demokratische verfassung mit vollkommener 
logik und consequenz durchgeführt ist. 

Das militär fügt sich dem demokratischen gleichheitsprincip nie und 
nirgend, sintemal gar zu deutlich vor augen liegt, dals nicht jeder zum 
officier pafst, und auch die eifersüchtigste demokratie läfst sich gern dazu 
herbei, zu officieren nur die zu machen, die fähigkeit und lust haben. 
für die hauptmacht Athens, die flotte, war zwar zur zeit des Reiches 
gut gesorgt, da Jie trierarchie capitäne zur verfügung stellte, die erstens 
die erfahrung besafsen, zweitens in der kriegsmarine den steuerleuten 
und matrosen als geborene vorgesetzte gegenüber standen, da sie meist 
der handelsmarine in gleicher eigenschaft angehörten, drittens die die 
würde mit der steuer bezahlten. auch in der reiterei war die bevorzugte 
geltung dieses dienstes durch die last der pferdehaltung aufgewogen; die 
truppe entwickelte aber immerhin ein starkes standesbewulstsein, ward 
von radikalen demokraten wie Kleon scheel angesehen und rechtfertigte 
404 dieses mistrauen durch entschieden aristokratische tendenzen. aber 
sie war zu schwach, als dafs die zehn schwadronchefs und die beiden 


2) Der einzige schreiber hätte sie bekommen können, weil er die protokolle 
führte und die schriftstücke des rates und volkes redigirte. wählen mufste man 
ihn deshalb schon, denn federgewandt war nicht jeder, und mancher hätte leicht 
proxenien erfinden oder peinliche paragraphen unterschlagen können. aber damit 
er nur ja nicht einflufsreich würde, wählte man ihn nur auf eine prytanie. 


108 ll. 4. Ooargsos nolırela, 


reiterführer, die das volk erwählte, eine politische rolle hätten spielen 
können. dafs für diese äufserlich der volle rang galt wie für die stra- 
tegen, also auch das scharfe schwert der epicheirotonie über ihnen 
hieng, war wol mehr aus der alten zeit der adelsherrschaft geblieben, 
wo die reiterei, die ritterschaft, sehr viel mehr zu bedeuten gehabt hatte. 
flotte und reiterei waren beide unter die ständige controlle des rates 
gestellt: der souverän also behielt sie selbst in der hand. 

Der heerbann mit seinen zehn obersten, die das volk wählte und 
die ihre subalternofliciere selbst bestellten, gieng gut in die demo- 
kratische organisation auf. es wär das volk in waffen, mit allen vor- 
zügen und mängeln eines volksheeres und einer landwehr. aber die 
zehn strategen waren, seit die grolsen verhältnisse des Reiches dazu ge- 
zwungen hatten, ihnen das commando der regimenter zu nehmen, denen 
sie einst vorgestanden hatten, zu einer stellung gelangt, welche schlechter- 
dings nicht in den engen rahmen der attischen magistratur palst. wenn 
sie zu hause gesessen hätten, die aushebung besorgt, den sicherheits- 
dienst im lande und an den grenzen überwacht und nur im falle des 
krieges das heer geführt hätten, so hätte man sie unter den rat stellen 
können; aber dann wäre die schaflung der taxiarchen nicht nötig ge- 
wesen. die verwaltung des Reiches aber machte nicht nur den kriegs- 
zustand so gut wie ständig, sondern sie erforderte auch höchstcomman- 
dirende an mehreren orten, die selbst träger des imperiums sein mufsten, 
also selbst den souverän vertraten. und die flotte hatte zwar schifls- 
führer, aber sie brauchte flottenführer. so wurden die strategen nicht 
sowol generale als tribuni militares consulari potestate. es waren noch 
immer 10, und die phylen sollten in ihnen vertreten sein, wenn sie 
das volk auch in directer wahl bestellte. aber da die iteration und 
sogar die continuation für die militärischen ämter gestattet war, konnte 
es gar zu leicht unbillig und widersinnig werden, wenn die wahl eines 
geeigneten mannes aus einer phyle alle andern geeigneten derselben 
dauernd ausschlofßs. so erlaubte sich das volk einzeln von dem principe 
abzuweichen. die zehn waren rechtlich gleichgestellt, aber das volk be- 
stimmte frei, wen es für jeden einzelnen auftrag geeignet hielt, und so 
rangirten sie factisch sehr verschieden; es bekamen einige die ziemlich 
ständigen, den römischen provinzialpraetoren vergleichbaren stellungen 
im Reiche und an dessen grenzen (die flottenstationen in den provinzen), 
andere die aushebungsgeschäfte; die bedeutendsten aber bliebeg zur ver- 
fügung des volkes, immer in contact mit ihm, da sie in der volks- 
versammlung anwesend sein konnten, und diese erschienen als seine 


Die verfassung der blätezeit. 109 


wahren vertrauensmänner. die strategen waren wol gehalten, an den 
rat zu berichten, der ja die auswärtige politik leitete, aber sie mufsten 
doch draufsen sehr oft verbindlichkeiten eingehn, die zwar der ratifi- 
cirung durch den souverän bedurften, aber mindestens so viel gewicht 
hatten, wie ein ratsvorschlag. ja man gieng so weit, dafs die strategen 
einen antrag beim rate einbringen konnten, auch den auf berufung einer 
volksversammlung, und somit wenigstens den directen amtlichen verkehr 
mit dem souverän und die initiative erhielten. in kriegszeiten konnten 
sie andererseits durch das aufgebot der bürger die abhaltung einer 
volksversammlung factisch verhindern.) endlich eludirten sie im falle 
der wiederwahl factisch sehr häufig die rechenschaftsablage, obwol für 
diese unter allen umständen unter übergehung des rates gerichtliche 
- prüfung vorgeschrieben war. gewils war es sehr gut möglich, das gleich- 
gewicht der gewalten aufrecht zu erhalten, und der souverän war durch 
diese männer seines vertrauens in seiner gewalt nicht gefährdet. aber 
es waren doch einzelne männer, die durch ihre dauernde amtliche 
stellung, ihre erfahrung und ihren einflufs aus der gleichberechtigten 
und auf gleiches niveau niedergedrückten masse des volkes hervorragten. 
die strategen waren die eigentlich einzigen wirklichen magistrate Athens. 
wir sehen sie einzeln selbst mit dictatorischer gewalt bekleidet, auro- 
xeaTogss, wie den rat, natürlich nur aulserhalb der stadt. wäre es einer 
in der stadt geworden, so war der tyrann da. 

Die bürgerlichen beamtenstellen durften nicht iterirt werden; im 
rate durfte jeder bürger nur zweimal sitzen. da der ganze rat alljähr- 
lich neu erlost ward, so konnte trotz dem vorschlagsrechte der gemeinden 
für die ratsstellen und trotz der prüfung, die der alte rat an den erlosten 
vornahm und keinesweges auf die formale gesetzlichkeit der wahl be- 
schränkte, eine stätige politik in dieser wichtigsten körperschaft nicht 
getrieben werden. eine wirkliche geschäftserfabrung war im staats- 
dienste überhaupt nur unvollkommen zu erlangen. als geschworne lernten 
die bürger vielerlei von den gesetzen und der verwaltung kennen; aber 
doch nur gelegentlich, und direct konnte die heliaca auf die politik 
nicht einwirken. ein advocatenstand begann sich erst allmählich zu 
bilden. dagegen in der volksversammlung konnte jeder bürger, wenn 


3) Thukydides II 22 sagt ausdrücklich, dafs der stratege Perikles während der 
anwesenheit der Peloponnesier in Attika 431 keine volksversammlung hielt. ver- 
fassungsmälsig muls in eine so lange zeit mindestens eine gefallen sein. nur unter 
dem drucke des belagerungszustandes kann er sie verhindert haben. der stratege 
Alkibiades stellt direct, nicht über den rat, einen antrag vor dem volke, CIA IV p. 19. 


110 Il. 4. Hargıos nolıraia. 


er nur wollte, jahraus jahrein erscheinen, zuhören und reden, schon 
zehn jahre lang, ehe er beamter ratsherr und richter werden konnte. 
das volk wählte auch gar nicht selten direct commissionen, selbst für 
so wichtige dinge wie die ausarbeitung von gesetzen, die gesandten, die 
vertreter des fiscus vor gericht‘): da kamen also leute hinein ohne die 
beschränkungen aller art, denen die beamten unterlagen, nicht auf präsen- 
tation durch die phylen oder gemeinden, sondern als vertrauensmänner des 
volkes, der ekklesia. die ekklesia war berechtigt, sich als der souve- 
rän zu fühlen, sie sollte im gegensatze zu den abteilungen des volkes das 
ganze, im gegensatze zu den wechselnden beamten die dauer und stetig- 
keit des regiments vertreten. und wirklich, es fanden sich ständige 
besucher, das gros der abstimmenden, und es bildeten sich berufsmäfsige 
parlamentarier, die örroges, die aus der versammlung das wort ergriffen. 
dafs diese leute die geschäftsordnung und die regelmälsigen geschäfte 
und die künste der debatte sehr bald besser als das präsidium begriffen, 
dafs sie auch wirklich sehr oft über einsicht und erfahrung verfügten, 
die den beamten und selbst dem rate abgiengen, ist natürlich. wer 
sich als ratsberr oder schatzmeister etwa in die finanzen oder einen teil 
derselben hineingearbeitet hatte, konnte seine erfahrung später nur als 
redner geltend machen; aber es trat in diesen unverantwortlichen °) 
rednern ein nicht blofs fremdes, sondern gefährliches element in den 
verfassungsmälsigen organismus des staates ein. die redner übten kritik 
an den vorlagen des rates und der strategen, ohne doch selbst in den ge- 
schäften zu stehn, gaben ihnen den befehl es so oder so zu machen, ohne 
doch zu der ausführung selbst hand anzulegen. sie hatten das ohr des sou- 
veräns, ohne doch für das einstehn zu müssen, wozu sie ihn bestimmten. der 
souverän selbst aber ward tatsächlich in sehr vielen sitzungen durch die 
habitues der ekklesia repräsentirt, die leute, die zeit und lust hatten, auf die 
pnyx zu gehn. es konnte gar nicht anders sein, als dafs das die leute 
aus der stadt und ihrer nächsten umgebung waren, und dals die besten 
vertreter des demos, die bauern, die kaufleute, die industriellen unter- 


4) Aristophanes wird nicht müde über diese bevorzugungen zu schelten; dafs 
sie zu den gesandtschaften nicht herankommen wie Pyrilampes, Diotimos, Morychos 
ärgert die Acharner am meisten; auch ein &vyygagevs, Antimachos, wird als solcher 
angegriffen, und die noch dazu gut bezahlten ausnyogo, machen den Philokleon an 
der herrlichkeit seines heliastentumes irre. 

5) Von den auf die redner besonders gemünzten gesetzlichen bestimmungen, 
die in der demosthenischen zeit auch mehr beredet als beachtet werden, ist im fünften 
jahrhundert nicht einmal die rede. 


Die verfassung der blütezeit. 111 


nehmer, die handwerker nur selten die zeit daran wandten. so ward 
Jie volksversammlung statt das ganze volk zu vertreten geradezu die 
einseitigste vertretung und die ungerechteste. sie vertrat die stadt, die 
es rechtlich gar nicht gab, trotz dem ganzen lande, und die drohnen 
trotz den arbeitsbienen. die unerfahrene jugend konnte das höchste 
souveränetätsrecht eher üben, als sie selbst irgendwie die eigene ver- 
antwortlichkeit an einem teile zu kosten bekommen hatte. die besitz- 
lose bürgerliche bevölkerung, die am kriege profilirte, wenn sie auf die 
schiffe gieng, sonst gar keinen feind zu sehn bekam oder höchstens 
waffenlos zum beutemachen mitlief, konnte die vorlagen der strategen 
niederstimmen und gar die strategen selbst wählen und absetzen. 
Wenn eine verfassung wirklich wie eine maschine functionirte, so 
würde es wesentlich auf ihre construction ankommen. aber da ihre 
träger beseelte menschen sind, so kommt es auf diese seelen viel mehr an. 
die demokratie die die Athener um 460 vollendeten hat ein menschen- 
alter vorzüglich functionirt, weil ihre träger den geist bewahrten, dem 
sie in ihrer verfassung ausdruck gegeben hatten. die autorität der 
männer, die dem volke diese freiheit und herrschaft gewonnen hatten, 
hielt vor, sie blieben die vertrauensmänner des souveräns, und so er- 
hielt sich die stetigkeit der politik. die tradition war noch so mächtig, 
dafs der demos sich eben so willig unter die “ansehnlichen leute’, die 
männer “aus den guten familien’, stellte, wie die matrosen unter die 
trierarchen. die grofsen verhältnisse des Reiches (die in alles factisch viel 
mehr bestimmend eingreifen, als diese betrachtung der dinge von dem 
gesichtspunkte der verfassung aus erkennen läfst) führten von selbst 
dazu, dafs die strategen das starke handelnde organ des staates sein 
durften, wirklich ein magistrat im römischen sinne. und das lebendige 
sonderleben der gemeinden, die sich die stadt noch nicht über den 
kopf wachsen liefsen, garantirte, dafs der rat eine vertretung des ganzen 
volkes war und demgemäfs die ihm gebührende autorität besals.°) 


6) Die modernen haben die strategenwahlen zu einseitig als entscheidend für 
die politik angesehen; das moderne politische leben hat sie dabei nicht ganz richtig 
geführt. gewifs sind sie wichtig, und wir kennen die strategen besser als die rats- 
herren, aber die entscheidende politik macht doch der rat, und dafs in ihm die 
friedensfreunde 422/21 und schon die jahre vorher die majorität hatten, hat dem 
Nikias erst den friedensschlufs ermöglicht. andererseits ist es der rat, den Kleon 
bei der erhöhung der tribute hinter sich hat. die entscheidenden wahlen sind also 
die in den gemeinden für die praesentatlion zum lose für die ratsherrenstellen. dafs 
sich uns das einzelne notwendigerweise entzieht, mindert die bedeutung nicht. so 
lange die gemeindemitglieder wesentlich noch in der gemeinde wohnten, kam dabei 


Der krieg 
und seine 
folgen. 


112 ll. 4. Harpıos nolırala, 


Aber es kam der krieg, der die landbevölkerung zum grofsen teile 
beschäftigungslos in die stadt trieb. gleichzeitig hörte der abflufs der 
armen bürger in die colonien auf, die pest beschleunigte den notwen- 
digen procels, dafs eine neue generation für den staat bestimmend wer- 
den mufste. die sorge für das Reich und den krieg lenkte zwar das 
interesse von kämpfen um die verfassung selbst zunächst ab; aber die 
schweren proben, denen sie dadurch unterworfen ward, hat sie nicht be- 
standen. 

Wir hören noch die entrüstung der leute vom alten schlage, dals 
in der volksversammlung “jeder elende kerl aufstehn kann und eine rede 
halten, natürlich nicht im interesse der ordnung, aber im wolverstan- 
denen interesse des demos, dem an der ordnung nichts liegen kann, aber 
wol an demokratischer gesinnung’. noch Perikles selbst hatte erleben 
müssen, dafs ein reicher industrieller aus Kydathenaion, der freilich eine 
claque von gemeindegenossen leicht auf die pnyx bringen konnte, als redner 
in der volksversammlung ihm sehr unangenehm ward. Nikias ward es 
schliefslich zu arg, dafs dieser parvenu, der vom kriege keine erfahrung 
hatte, unter dem jubel des volkes ihm immer wieder über den feldzugs- 
plan vorhaltungen machte. so tat er den unbedachten ruf ‘so sei du 
feldherr an meiner statt und mache es besser’. Kleon aber nahm ihn 
beim worte und machte es besser. das wäre sehr schön gewesen, wenn 
es mehr als eine gelungene improvisation gewesen wäre. denn feldherr 
konnte der brave bürgersmann wirklich nicht sein, so tüchtig er als 
ratsherr gewesen war. als er es zum zweiten male versuchte, kostete es 
ihm das leben, Nikias bekam das übergewicht zurück, und der staat 
schlols einen faulen frieden. 

Kleon hatte schon als ratsherr verschwörungen gewittert, vor der 
tyrannis gewarnt und ein wachsames auge über die jüngsten politiker 
gehalten, die schüler der neuen bildung. damals lachte man ihn aus. 
aber bald nach seinem tode offenbarte sich, wie scharf er gesehen hatte. 
der staat stand wirklich in einer krisis, und die entgegengesetzten unter- 


das land zu seinem rechte, nach 431 safsen nur zu viele auch aus Thria Kephisia 
und Marathon in der stadt, und nur zu leicht wird man diese leute, sowol weil sie 
wollten, wie weil die bauern zu hause bleiben wollten, praesentirt haben. die ge- 
meindeordnung ist eben denaturirt dadurch, dafs die freizügigkeit mit der quasi- 
gentilicischen gemeindeangehörigkeit verbunden ward. die Marathonier, die in die 
stadt oder den hafen verzogen waren, hatten an Marathon gar kein wirkliches inter- 
esse mehr, und sie werden doch überwiegend Marathon in rat, heliaea und beamten- 
schaft vertreten haben. 


Der krieg und seine folgen. die revolution von 411. 118 


strömungen giengen gegeneinander an, während äufserlich die verfassung 
und das Reich in vollster blüte standen. es war eigentlich allen un- 
heimlich und unwohnlich geworden in dem stolzen hause. die poeten 
des tages Nüclıteten sich nach Wolkenkukuksheim oder prophezeiten den 
untergang, wie er llios und seinen besieger ereilt hatte. das volk wagte 
dennoch, trotz den Hermokopiden’), die sicilische fahrt, machte aus den 
strategen dictatoren und gab zugleich aus furcht vor der tyrannis dem 
rate die dictatur: so stürzte es hals über kopf dem abgrund zu, den es 
doch ahnte. das unheil von Syrakus übte sofort auf die verfassung den 
rückschlag, dafs der rat, das wichtigste demokratische organ, beschränkt 
ward. zehn bejahrte erfahrene männer der wahl des volkes sollten die 
vorberatung und zum teil wenigstens auch die finanzverwaltung über- 
nehmen.?) an den sitz des übels, die unberechenbare und unzulängliche 
volksversammlung, in der zumal in den kriegszeiten die besten kräfte 
der bürgerschaft, die soldaten, fehlten, wagte niemand zu rühren. der 
rat des jahres 412/11 war dem entsprechend eingeschüchtert und schwach 
und zudem schwerlich sehr demokratisch gesonnen. der feldzug des 
jahres 412 und der folgende winter steigerien die entmutigung. die 
richtige erkenntnis, dafs Athen mit seinen mitteln nach dem abfalle von 
Chios Miletos Rhodos das Reich nicht mehr behaupten konnte, führte 
nun endlich die bisher fast verborgenen männer an das ruder, die mit 
einer verfassungsänderung ernst zu machen wagten. 

Es war eine revolution, obwol zunächst äufserlich alles in den formen Die revolu- 
des rechtes blieb. die oligarchischen führer mochten von vorn herein Honvondil. 
sehr weit gehende tendenzen haben: um eine majorität zu finden, be- 


N) 


7) Ich glaube, dafs sich ziemlich sicher zeigen läfst, was es mit dem hermen- 
frevel auf sich gehabt hat. es war eine action, berechnet anf den religiösen sinn 
der Athener, die abfabrt der flotte zu hemmen, und die snregung stammte von den 
Korinthern, die sehr verständig damit ihrer tochterstadt Syrakus helfen wollten: 
so berichtet Philochoros. dazu kam die feindschaft der adlichen jugend gegen den 
abtrünnigen Alkibiades und die nicht unberechtigte furcht vor diesem zweiten Peisi- 
stratos. aber auf eine verschwörung gegen die demokratie war es durchaus nicht 
abgesehn. 

8) Das folgt aus der Lysistraie des Aristophanes; wie die competenzen der 
probulen gegen den rat abgegrenzt waren, ist durchaus unbekannt. dafs dieser die 
polizei behielt, zeigen die Thesmophoriazusen. gemeint waren die probulen wol 
als eine ständige commission ähnlich den &vyygagyns, und sicherlich waren sie den 
oligarchen als institution gar nicht recht. aber die alten herren, Hagnon und So- 
phokles, waren natürlich nicht radikal, sondern der nargıos nolıraia geneigt, und 
waren den energischen verschwörern so wenig gewachsen wie es der probulos der 
Lysistrate ist. 

v. Wilamowitz, Aristoteles. Il. 8 


114 ll. 4. Hareıos nolırala. 


schränkten sie sich zunächst darauf, zwei hauptprincipien durchzubringen, 
die offenbar in sehr weiten kreisen beifall fanden, die ausschliefsung 
der theten von den politischen rechten, und die aufhebung des soldes. 
beides konnte mit fug und recht als eine rückkehr zur väterlichen ver- 
fassung bezeichnet werden. der sold war erst durch Perikles eingeführt, 
und man war mafsvoll genug, ihn, wenn auch in der geringen höhe 
von 3/2 dr., für den ratsausschufs und die archonten bestehn zu lassen ; 
er war wol sicher in beiden fällen ersatz für ältere naturalverpflegung. 
die beschränkung der politischen rechte auf die hopliten, d. h. die OrA« 
rapexouevor, gieng allerdings über Solon hinaus, aber die formel selbst 
war genau die drakontische, und da es mindestens 5000 sein sollten, 
und die auswahl einer starken vertretung der phylen anheimgegeben 
ward, so mochte der demos mit grund annehmen dafs diese neue bürger- 
schaft nicht für die oligarchie zu haben sein würde. übrigens sollte sie 
zunächst nur für die dauer des krieges bestehn. 

Als sie ausgemustert war und zusammentrat, führten die oligarchen 
den zweiten streich und setzten eine commission für den entwurf einer 
verfassung durch. sie war zwar 100 leute stark, aber in dem entwurfe 
weht so sehr ein geist, er ist so woldurchdacht und verbindet in so 
eigentümlicher weise die drakontische verfassung mit den anforderungen 
der gegenwart, ist auch so rasch zur annahme in der commission ge- 
langt, dafs wir wol schlielsen dürfen, er habe für die leiter der bewe- 
gung vorher festgestanden. wer ihn gemacht hat erstrebte keineswegs 
eine oligarchische tyrannei (duvaoreia, wie schon Platon sagt.) 

Die neue bürgerschaft nahm den entwurf an; aber er konnte nicht 
unmittelbar in kraft treten, dazu war er viel zu radikal, die not des 
krieges zu dringend, und vor allem die verständigung mit dem heere 
in Samos nötig. also mufste man zu einem provisorium greifen. 
und nun wagte sich die oligarchie schon minder verhüllt an das licht, 
wenn sie auch noch immer geflissentlich den anschlufs an die verfas- 
sung der väter, die zrargıa, zur schau trug, um die 5000 zur zustim- 
mung zu bewegen. es ward wirlich eine behörde mit dictatorischer 
gewalt geschaffen, aber dieser urkunde merkt man deutlich an, dafs sie 
auf einem compromils beruht. 

Als dieser rat der 400 am ruder war, gewannen in ihm die tyranni- 
schen gelüste die oberhand, bis die gemäfsigle minorität selbst den ge- 
horsam kündigte und die gewaltherrschaft brach. sie wollten dabei we- 
nigstens die principien festhalten, die noch die alte weite ekklesia beschlossen 
hatte, und zunächst gelang es auch. aber da das sehr bald auch im 


Die revolution von 411. das provisorium von Ali. 115 


felde erfolgreiche heer der alten demokratie immer treu geblieben war, 
konnte nicht fehlen, dafs diese die oberhand gewann. trotzdem waren 
die anhänger der beschränkung der politischen rechte sehr zahlreich, 
diese gedanken waren nicht vergessen und haben mit sehr bemerkens- 
werter modification noch 403, zum schaden Athens wiederum vergeblichh, 
den kampf mit dem allgemeinen stimmrecht aufgenommen. 

Die provisorische verfassung (cap. 31) hat als solche ein geringes 
interesse, obwol sie geschichtlich allein bedeutung bat, während für 
den verfassungsentwurf (cap. 30) das umgekehrte gilt. träger der ge- 
walt ist ein rat von 400 mitgliedern; in dieser zahl und in der art 
seiner bestellung durch vorwahl der phylen (die jedoch nicht inne ge- 
halten ward) sollte der schein der rückkehr zu den formen der alten 
zeit liegen. die 400 wurden mit der vollsten souveränetät ausgestaltet, 
selbst dem rechte die beamten zu ernennen — dabei mochte ein redner 
an das alte recht des Areopages erinnern. zur beruhigung der gemüter 
fügte man bei, dafs der rat an den verfassungsgesetzen, die beschlossen 
würden, nichts ändern dürfte. darin lag, dafs die legislatur bei der bürger- 
schaft stünde; nur war der rat weder verpflichtet noch gewillt diese 
bürgerschaft zu berufen, und mit absoluter gewalt regiert man besser 
ohne verfassungsgesetze. nun bedurfte der rat einer militärischen exe- 
cutivbehörde; da ist es sehr bezeichnend, dafs die ernennung derselben 
ihm in der’allgemeinen berechtigung, die beamten zu ernennen, noch 
nicht zugesprochen sein sollte. es wird vielmehr gesagt, ‘für diesmal 
sollte der rat die 10 strategen aus der gesammten bürgerschaft der 
5000 auswählen, und zwar so, dafs er dafür eine musterung aller in 
waffen veranstaltete (das ist eine controlle, dafs alle bürger wirklich O7rAa 
srapsxousevyoL sind). in zukunft aber sollte nach dem vorher beschlos- 
senen verfassungsentwurfe verfahren werden. in der sache ist das genau 
dasselbe, wie wenn die strategen mit unter die andern ämter gerechnet 
wären; aber es schien den 5000 eine beruhigung, direct auszusprechen, 
dafs das nur einmal passiren sollte. die strategen erhielten selbst dicta- 
torische gewalt: mit andern worten, die 400 konnten wieder aus sich 
die energischsten männer mit vollem imperium ausrüsten und so die 
oligarchie vollenden. dafs die übrigen militärischen ämter dann auch 
durch den rat bei derselben musterung ernannt wurden, hatte weiter 
nichts auf sich.) wie wenig die 5000 aber ständisch aristokratische 


x 9) Hier, 31,2, ist noch ein textfehler zu beseitigen, &AsoYas dä xad innapxov 
Eva (xal zakınpyovs dexa) xal guldexovs dexa. die taxiarchen können nicht gefehlt 
haben, und es wird ein taxiarch, kein geringerer als Aristokrates, erwähnt (Thuk. 8, 92). 

5*+ 


Das provi- 
sorium von 
all. 


116 ll. 4. Hargos noAsteia. 


neigungen hatten, zeigt sich darin, dafs sie der not der zeit gemäls nur 
einen hipparchen wählen liefsen, ebwol der verfassungsentwurf an 
mehreren festgehalten hatte. auch das war eine beruhigung der dem 
provisorium wenig geneigten stimmung, dafs die von den 400 eingesetzten 
beamten mit ausnahme der ratsberren und sirategen nicht wieder 
wählbar sein sollten. der rat war auf ein jahr eingesetzt und dem folg- 
ten die andern ämter selbstverständlich.. es war ganz unsicher, wann 
das definitivum eintreten würde; denn das hieng von der vereinigang 
mit dem heere in Samos ab, wie der schlulssatz (der erst durch die 
verfassung, auf die er verweist, verständlich wird) verblümt andeutet. 
man hoffte wol, es würde bald sein, aber man mulste doch vorsorge 
treffen. so mögen die braven bürger unter den 5000 gedacht haben: 
die oligarchen wie Antiphon und die eigennützigen streber wie Phry- 
nichos bewilligten ihnen gern die worte, wenn sie nur die macht zu 
handeln endlich erhielten. 

Der verfassungsentwurf selbst (cap. 30) ist ein unschätzbares docu- 
ment; der ihn verfafst hat war ein eben so von den traditionen der 
väter wie von der abstracten speculation der sophisten genährter geist. 
was er schuf, war trotz allem anschlusse an die alten vorbilder etwas 
ganz neues, und trotz seiner klugen berechnung auf die schäden der 
gegenwart ein schlechthin lebensunfähiges ding. 

Der verfas- Die gesammte bürgerschaft soll durch einen einmal, gleich jetzt von 
wurt von den 100 xeraAoyijs, die sie überhaupt erst contituirt haben, nach bestem 
wissen und gewissen in vier teile (Andesg) geteilt werden.') die männer 
über 30 jahre eines viertels bilden für ein jahr den rat, und zu dem 

rate gehören die wichtigen namentlich aufgeführten beamten. diese 

werden so erwählt, dafs zunächst aus dem ganzen viertel eine vorwahl 

von mehrerern candidaten, (deren zahl der entwnrf offen lälst), und aus 

dieser liste die definitive wahl geschieht.) die niederen beamten werden 


nn a 


10) Der ausdruck (30, 3) ist mehrdeutig, veiuas xad rovs allovs npos ınv Ankıy 
&xaoınv. die andern können sowol die mitglieder der 5000 zwischen 20 und 30 
jahren sein, die noch nicht ratsfähig sind, wie auch alle Athener. da jedoch die 
nicht zu den 5000 gehörigen politisch schlechthin rechtlos sind, hat ihre verteilung 
unter die viertel gar keine bedeutung. wie es werden sollte, wenn ein Athener 
den census erreichte, also vom theten in die classe der berechtigten aufstieg, ist 
nicht vorgesehen. wir müssen immer festhalten, dafs wir nur eine skizze vor uns 
haben, grundzüge, die ein theoretiker aufgestellt hat. 

11) Wer die wahl vollzieht, wird nicht gesagt; da aber die gesammte bärger- 
schaft niemals zusammentritt, so kann man nur an einen rat denken. ob aber 


Der verfassungsentwurf von 411. 117 


aus den andern drei vierteln erlost. der rat ist für sein amtsjahr der 
träger der regierung in jeder richtung, insbesondere in der finanzver- 
waltung. die beamten, die aus ihm genommen sind, nehmen an seinen 
sitzungen teil, mit ausnahme der gerade amtirenden hellenotamien.'?) ein 
ratsausschuls, den prytanen entsprechend, exislirt nicht mehr. viel- 
mehr tritt jeden fünften tag das pleaum zusammen, wenn die geschäfte 
nicht häufigere sitzungen fordern. in permanenz ist der rat also nicht, 
wie er es durch die prytanen gewesen war. folglich mufs eine behörde 
da sein, die ihn berufen kann und bis zu seiner constituirung den vorsitz 
führt. das kann nur eine der ständig auf dem markte vorhandenen sein: 
so erhalten die archonten den auftrag, wie es am passendsten war und 
noch dazu recht archaisch aussah.) für den vorsitz in der sitzung 
selbst werden fünf ratsherrn ausgelost, den pı'ytanen oder den späteren 
proedren entsprechend, und aus ihnen wieder einer, der abstimmen lälst, 
dem epistaten entsprechend. eine tagesordnung kann nun nicht vor- 
bereitet sein. also müssen die fünf vorsitzenden des tages die einge- 
gangenen oder jetzt angemeldeten sachen ordnen, die im anschluls an 
die tagesordnung der alten ekklesia in der reihenfolge 1) heiliges, 
2) herolde, 3) gesandte, 4) alles andere, zur verbandlung kommen sollen, . 
so dafs innerhalb einer der vier abteilungen die reihenfolge durch das 


derselbe, dem die gewählten angehörten, oder sein vorgänger, oder der eine für die 
rsoöxgicss, der zweite für die definitive wahl, ist nicht bezeichnet. 

12) Aus dieser beschräukung vous dAlnvoranias or av ÖsayeıplLmocıw ra yen- 
nara un Ovußovisvew folgt, dafs die hellenotamien in einem turnus die geschäfte 
führen sollen. über sie handelt der verdorbene satz vorher #Ainvorauias xal to» 
allov öcimw yenuarew sinocı or Ödsaysıpıoueı. darin bezieht sich dsayaspibsır 
wegen des späteren satzes sicher auf die hellenotamien. also ist &Ainvorauias xal 
av alla ale xzenuarow (in bekanntem gegensatze zu dem vorher erwähnten 
heiligen gelde fast gleich dnaoosarm) sprachlich kräftig und gut so gesagt, dafs das 
in dAlnvoraulas empfundene raufas den genetiv regiert. die centralcasse für alles 
öffentliche geld, inclusive des Reichsgeldes, wird von einer behörde verwaltet, 
die den namen von den Hellenotamien bewahrt, aber kolakreten und apodekten 
auch ersetzt. was dann von dem satze übrig ist, oi dsaysspsoucı, ist dn sich un- 
genügend, weil es gar nichts sagt, und die spätere stelle lehrt, dafs eine nähere 
bestimmung des turuus, in dem diese grolse zahl von rendanten die casse führen 
sollte, ausgefallen ist. 

13) Wer sich die verfassung einmal wirklich überlegt hat, kann an der ände- 
rung rÄngoü» nv Bovinw zovs #’ apgovras für xAngovv ($ 4) gar nicht zweifeln. 
zu meiner freude hat sie auch Weil gefunden. der schriftfehler, der auch sonst 
häufig ist, kehrt in unserer handschrift selbst öfters wieder, vgl. unsere anmerkung 
zu 43,1. 


118 ll. 4. Dargıos nolıreia. 


los bestimmt wird.‘‘) nur was den krieg angeht, hat ohne los den vor- 
tritt, und die strategen (die dem rate ja angehören) bringen es selbst 
zur vorlage.'”) für besonders wichtige sitzungen kann beschlossen wer- 
den, dafs jeder ratsherr einen an sich ratsfähigen bürger aus einem an- 
dern viertel des volkes mitbringen darf. in diesen fällen ist also möglich, 
dafs im maximum die hälfte der gesammten bürger über 30 jahre zu- 
sammen ist. die ratsherrn erhalten nicht nur keinen sold'*), sondern 
es steht eine drachme strafe auf der unentschuldigten versäumnis einer 
sitzung.'”) 
| Der verfasser dieses entwurfs hatte die fehler der geltenden ver- 
. fassung klar erkannt. das zweikammersystem, so zu sagen, das durch 
rat und volk selbst in den psephismen sich ausspricht, wollte er beseiti- 
gen. den berufsparlamentariern, den rhetoren, sollte ihr handwerk ge- 
legt werden. dazu mufste die ekklesia überhaupt verschwinden. aber. 
der rat wie er gewesen war, ein regiment blofs durch eine vertretung, 
schien doch als alleiniger träger der souveränetät nicht autoritativ genug. 
und wenn diese repräsentation gewählt oder auf vorschlag erlost ward, 
so kamen gerade die besten elemente, die arzoayuoves, nicht zur gel- 
tung. also war ein mittelweg zu suchen, und den zeigte Drakon, der 
turnus. die souveränetät übt jedesmal ein viertel des volkes durch seine 
reifen männer. jedes vierte jahr nur kam der bürger zur ausübung seiner 
rechte, aber dann kam er sicher dazu, ja dann ward er durch geld- 
strafen gezwungen, sie auszuüben ; auch das hatte Drakon bereits verordnet. 
so mulsten alle bürger genau die gleiche geschäftskenntnis erhalten. 
Ein zweiter übelstand war die trennung der magistrate von dem 


14) Damit sind die sämmtlichen privilegien, elvas da avr@ nedoodo» eös 
anv Bovinv xal row» Önuo» dann und dann, beseitigt, und ebenso kann weder eine 
verschleppung noch eine bevorzugung durch die willkür der prytanen herbeigeführt 
werden. dieser oligarch wollte also die beschwerden beseitigen, die sein gesinnungs- 
genosse in der Ilolsreia ’4Inwalav so beweglich erhebt. 

15) Das hatte in der praxis der demokratie zwar seine analogie, aber es ist 
doch ein grofser fortschritt, dafs die strategen regelmälsig unmittelbar mit dem 
souverän verhandeln. 

16) Die noch eben beschlossene besoldung der prytanen ist mit diesen selbst 
fortgefallen. der sold der archonten wird geblieben sein; das war ein ndrgıov. 

17) Da der rat, der doch über das urlaubsgesuch entscheiden mulste, nicht 
permanent war, konnte der ratsherr der verhindert ward nicht anders als wegbleiben 
und die gefahr laufen, dafs sein gesuch, das er gleichzeitig einreichte, verworfen 
ward, so dafs er zahlen mufste. wer für um sugraxöuevos üpeoıw any unbedacht 
svodusvos schreibt, zwingt die leute fünf tage vorher um urlaub zu bitten, und ge- 
rade in den dringendsten fällen plötzlicher verhinderung zu zahlen. 


Der verfassungsentwurf von 411. 119 


rate, die in der tat die attische verwaltung sehr übel von der römischen 
unterscheidet. dadurch, dafs diese selbst aus dem viertel der bürger- 
schaft gewählt werden und mit im rate sitzen sollten, war nicht nur 
dies, sondern zugleich die continuirung selbst der militärischen ämter, 
also die gefahr einer perikleischen demagogie vermieden. es mag sein, 
dafs in anderen staaten die aexal oder ovvapylaı an den sitzungen 
des rates teilnahmen: jedenfalls verdient der verfasser hohes lob, dafs 
er diesesmal eine sehr wenig atiische neuerung ins auge gefalst hat. 

Die finanzen lagen ihm offenbar sehr am herzen, und er er- 
strebte eine sehr nötige vereinfachung. die beiden schätze, die im 
opisthodomos der Athena verwaltet wurden, waren schon so slark zu- 
sammengeschmolzen, dafs selbst die 10 schatzmeister, die er, vorahnend 
der späteren zeit, für sie schuf, nicht mehr viel zu tun gehabt haben 
würden; es war gewils überhaupt praktisch, das. dem staate unterstellte 
kirchengut centralisirt zu verwalten: hat es doch auch die Iykurgische 
zeit wieder so gemacht. ganz ebenso sollten die reichscasse und die 
siaatscassen in eine verschmolzen werden, und auf deren verwalter die 
gesammten cassengeschäfte übergehn. dazu bedurfte man vielleicht nicht 
einmal sehr vieler beamten; aber hier erschien es praktisch, den rat 
ohne zuziehung der rendanten verhandeln zu lassen, deren anwesenheit 
zu leicht gerade ihre beaufsichtigung hindern konnte. so ward der 
ausweg ersonnen, dafs die hellenotamien zwar ratsherrn sein sollten, 
aber nicht alle das ganze jahr die geschäfte führen, so weit sie das aber 
täten, den sitzungen des rates fern bleiben sollten. dem entsprechend 
ward ihre gesammtzahl auf 20 angesetzt. 

Die beamten werden in zwei classen gesondert, je nach dem sie 
dem rate angehören sollen oder nicht. ist die sonderung selbst schon 
interessant, so wird sie es dadurch doppelt, dafs eine aufzählung der 
ersten classe gegeben wird, so dafs wir sehen können, welche beamte 
in so hoher schätzung standen. das sind an erster stelle die strategen, 
deren wiederwal zu beseitigen die hauptsache war, erst an zweiter die 
archonten: das ist für das fünfte jahrhundert äufserst charakteristisch. 
ihnen folgt der bieromnemon, dessen bedeutung wir hiernach wesentlich 
höher verauschlagen müssen, als die geschichte und Aristoteles erkennen 
lassen, und die übrigen militärischen chargen, unter denen die comman- 
danten der festen plätze erscheinen '°), eine rücksicht auf die verhältnisse des 


18) Diese mufsten freilich einen dauernden dispens von den sitzungen erhalten. 
überhaupt ist nicht geordnet, in wie weit die beamten verpflichtet waren, jeden 
fünften tag ihre geschäfte zu versäumen. 


Die schlufs- 
clausel 31,3. 


120 Il. 4. Nlargıos noÄıreia, 


dekeleischen krieges. sodann die dreifsig finanzbeamten, 10 Zsgonouot, 
10 drrrusintal; beides müssen cultbeamte sein. da aber keine nähere be- 
stimmung dabei steht, so kann man weder unter den Zegosro.ot blofs die 
jährigen (oben 1228) noch unter den ZrrıueAnzai etwa nur. die der Diony- 
sien verstehn, sondern es sollte ein collegium alle ige«, ein anderes die 
Errıutleıa für alle feste, die der staat besorgte, übernehmen. es war auch 
dies eine mafsregel, die die verwaltung vereinfachen und verbilligen sollte. 
die gesammten polizeibeamten, agoranomen, astynomen, elf, hafenmeister 
u. dgl. gehören zu den niederen. poleten sollte es vielleicht gar nicht 
mehr geben, obwol sie solonisch waren. denn in diesen anordnungen 
waltet nichts von reaction, sondern ein energischer praktischer sinn. 
aber gänzlich fehlen die richterlichen behörden, eioaywyns, vavrodtxaı, 
toıaxovra. die gerichte kommen überhaupt nicht vor. es war viel- 
leicht nur klugheit, wenn der sicherlich der heliaea abgeneigte oligarch 
über sie schwieg; für uns ist der mangel sehr bedauerlich, zumal wir 
so nicht erraten können, wie er sich zu der Epeoız eig dixaorng.ov 
und dem zıuwgelv zöv Boviouevov rw adıxovusvm stellte. bezeich- 
nend für den geist der zeit ist es immerhin, dafs man eine verfassung 
Athens entwerfen und annehmen konnte, die von dem ideale des Philo- 
kleon gar nichts enthält. es hat sie ein @pnAıaorng gemacht, mit dem 
Peithetairos und Euelpides sympathisiren konnten. 

Überhaupt trägt der entwurf den charakter einer skizze darin zur 
schau, dafs manche punkte gar nicht behandelt sind (kommt doch auch die 
flotte nicht vor), anderes wie die geschäftsordnung des rates ausführlich. 
der rat mulste eben zunächst in kraft treten und war dann in der lage 
alles übrige zu ordnen. aber damit er es könnte, mulsten die bürger 
in Samos ihren widerstand aufgeben. die 5000, oder die sie vertretende 
summe der OsrAa scapexöuevoı zu hause, waren doch nur ein teil der 
wirklich berechtigten, zu denen mindestens alle hopliten, schiffssoldaten, 
officiere, trierarchen draulsen gehörten. es kam den braven 5000 ge- 
wils schwer an, die strategenwahl für das nächste jahr auf die in Athen 
anwesenden zu beschränken, also Thrasyllos, Leon, Thrasybulos und 
überhaupt die tüchtigsten officiere auszuschliefsen. die mafsregel war 
wirklich mehr als ein vorspiel des bürgerkrieges. so wird uns die oben 
berührte beschränkung verständlich, obwol sie sehr wenig praktischen 
wert besafs. “für die zukunft soll der rat die wahl nach den aufgezeich- 
neten vorschrifien vornehmen (31, 3)”, d. h. nach der verfassung aus 
allen bürgern des viertels. die 5000 fügten sich nur widerstrebend der 
allerdings unabweisbaren notwendigkeit des momentes: daher der ab- 


Die schlufsclausel 31, 3. die kritik des verfassungsentwurfes. 121 


sichtlich auf schrauben gestellte schlufspassus (31, 3) “für die zukunft; 
damit die 400 (der provisorische rat) unter die vier viertel verteilt wer- 
den, sobald die städter mit den anderen den rat bilden können, sollen 
sie die hundert xazaAoyrg verteilen”. der sehnliche wunsch der bürger- 
schaft (der 5000) ist, dafs die verfassung in kraft trete, also ihr rat, ein 
viertel der bürgerschaft, an die stelle des provisorischen rates der 400. 
dazu ist die eigentliche vorbedingung der anschlufs der bürger im heere 
draufsen, der anschlufs der “andern” an die “städter’ (of dv &oreı mulste 
jeder diese partei nennen und nennt sie Thukydides), damit beide par- 
teien im rate sitzen können.') auf diese vorbedingung hat die hier be- 
schliefsende bürgerschaft keinen einflufs; sie wagt auch nicht geradezu 
zu verordnen ‘das provisorium hört auf, sobald die mitbürger in Samos 
zugetreten sind’. darum bestimmt sie etwas äufserliches, das eine di- 
rective in jener richtung gibt. die 400 sollen immer schon auf die vier 
viertel (die im prinzipe eingeführt, tatsächlich noch gar nicht existiren) 
verteilt werden, damit sie später in dieselben eintreten können, wenn 
die versöhnung das definitivum ermöglicht. darin liegt so schüchtern, 
wie eine terrorisirte versammlung redet, ausgesprochen, dafs keine zeit 
später verloren gehn soll, und zugleich wird einem viertel des jetzigen 
rates die sicherheit gewährt, sofort weiter zu fungiren. darin mochte 
mancher ein mittel sehen, den übergang den jetzigen ratsherren an- 
nehmbar zu machen. | 

Dieser letzte paragraph der provisorischen verordnung konnte erst 
hier erläutert werden, weil er das verständnis der verfassung voraus- 
setzt. er zeigt auch am deutlichsten, dafs sie ein totgeborenes kind 
war. trotzdem ist ein werturteil über sie nur möglich, wenn wir sie 
uns in tätigkeit vorstellen. ihr verfasser hatte mit klarer logik statt 
des complicirten mechanismus der vielen behörden Athens ein einziges 
organ für die regierung geschaffen, das rat und volk zugleich vorstellte, 
und mit dem die beamten in einen festen zusammenhang gebracht waren. 
alles hieng davon ab, wie dieses organ functionirte. dafür ist das wich- 
tigste, wie stark dieser rat werden mulste, und das muls der gesetzgeber 
sich überlegt haben. die bürgerschaft im ganzen hat er auf mindestens 
5000 geschätzt, sehr obenhin, denn wir hören nicht, dafs zwischen den 
5000 ın der stadt und der notwendig sehr viel höheren zahl, die durch 


19) Wenn man uns zugetraut hätte, wir wülsten, was ßBovisvsw bedeutet, 
würde man unsere ausnahmsweise von einem worte der erklärung begleitete text- 
gestaltung, d. h. die überlieferung, verstanden haben, und dann auch die vorher- 
gehende verfassung. 


Kritik des 
verfas- 
sungsent- 
wurfes. 


122 ll. 4. ITargıos nokıraiu. 


den anschlufs des heeres sich ergeben mufste, unterschieden wird, und 
es kann sich Polystratos von Deirades, einer der xarakoyng, darauf be- 
rufen, dafs er eine liste von 9000 bürgern aufgestellt hätte. je zahl- 
reicher die bürgerschaft wird, um so unbehilflicher wird der rat, der 
ein viertel von ihr ist, nach abrechnung der jahrgänge 20—30. für 
die intention des oligarchisch gesonnenen geseizgebers mufs sein ansatz 
zu grunde gelegt werden, also 5000, von denen ein fünftel für die zehn 
jahrgänge der jugend in abrechnung kommt. der rat würde also 1000 
köpfe stark gewesen sein; oberbeamte, die aus dem rate genommen sind, 
gibt es etwa 100. das zahlenverhältnis wird dem abstrakt denkenden 
theoretiker wol vorgeschwebt haben. es ist nicht ungerecht, wenn 
trotz diesem niedrigsten ansatze die kritik einem so starken rate die 
fähigkeit abspricht, sachlich und ruhig die geschäfte zu führen. das 
collegialische regiment ist an sich gar nicht verwerflich, und eine so 
wenig geschäftserfahrene beamtenschaft wie die attische würde durch die 
beratung mit einem senate ganz wie die römische erst recht leistungs- 
. fähig geworden sein. aber dann mufs die beratung wirklich zu einem 
ruhigen austausche und einer ausgleichung der meinungen führen können. 
das ist unter 1000 leuten unmöglich. hier trat noch das erschwerende 
hinzu, dafs der regelmöfsige besuch der sitzungen durch alle mitglieder 
erzwungen werden sollte, wovon man für den römischen senat weise 
genug abgesehen hatte. dem gesetzgeber, wie oligarchisch er auch ge- 
sonnen war, lag doch das hellenische prinzip allzusehr im blute, dafs der 
Önuosg, das plenum der politisch berechtigten, selbst regieren müfste. 
das repraesentativsystem, wie es Kleisthenes doch eingeführt halte, wie 
es in den 6000 richtern und dem rate der demokratie ausgebildet war, 
hätte sich sehr wol zur grundlage einer auf die wirklich für die poli- 
tische arbeit fähigen bürger berechneten verfassung machen lassen: die 
einzelgemeinde hätte ein wirklich schöpferischer staatsmann zur grund- 
lage der selbstverwaltung nehmen müssen. aber da steht der gesetz- 
geber wieder nicht nur im banne seiner demokratischen gegenwart, 
sondern noch mehr in dem der politischen theorie: haben doch weder 
Platon noch Aristoteles von der centralisirung des staatslebens abzusehen 
vermocht. dieser oligarch vollends abstrahirt von den phylen und demen 
ganz und gar, ohne sie doch zu beseitigen. er hat die vier alten phylen 
im kopfe: aber der geschlechterstaat existirt doch gar nicht mehr für 
ihn. ihn hat Drakon mit der einführung eines turnus in der ausübung 
der souveränetätsrechte und mit dem prinzip, dafs jeder bürger ver- 
pflichtet sein solle an dem regimente mitzutun und nötigenfalls dazu 


Die kritik des verfassungsentwurfes. 123 


gezwungen werden müsse, völlig befangen; Aristoteles ist solchen schönen 
aber nach zwei jahrtausenden noch eben so wenig realisirten ideen auch 
sehr zugänglich. so schafft dieser theoretiker seine viertel und seinen 
rat; aber den Areopag, die stabile und nicht zu zahlreiche und geschäfts- 
erfahrene behürde, die bei Drakon wirklich regierte, hat er doch ganz 
vergessen. er richtet einen staat ein, der in dem ländchen Attika viel- 
leicht existiren konnte, aber mit dem Reiche schlechthm unvereinbar war. 
da mag man sagen, er mochte das Reich für verloren ansehen und den 
verlust für einen segen. so täuschte er sich doch über die gesellschaft, 
die in Athen regieren sollte. grundbesitzer oder capitalisten, die um den 
erwerb nicht zu sorgen brauchten, mochten jedes vierte jahr so ziemlich 
ganz dem politischen leben opfern können: die Athener, die als kauf- 
leute den sommer abwesend waren oder eine fabrik leiteten oder selbst 
ihr landgut bewirtschafteten, hatten unmöglich dazu die zeit. zwanzig 
bis dreifsigmal im jahre konnte wol der bauer aus Kephale oder Tri- 
korythos zur stadt gehn und hören, was im staate vorkam, und stimmen: 
ein ratsherr der neuen verfassung hatte ziemlich so viel zu tun wie ein 
ratsherr der alten; dazu waren diese u&ooı zvoAiraı, der kern des volkes, 
aulser stande. 

So müssen wir dem verfassungsentwurfe nachsagen, dafs er so wenig 
zu leben verdiente, wie er ins leben zu treten vermocht hat. er ist 
die arbeit eines theoretikers und trägt davon die spuren in der eigen- 
tümlichen mischung von reaction und radicalismus, die ziemlich allen 
verfassungen gemeinsam ist, die nur auf papier existirt haben, nicht zum 
wenigsten, wenn sie von männern herrühren, die geschichtliche kenntnisse 
und abstracte speculation mit einem scharfen kritischen blicke für die 
schäden des politischen lebens verbinden, an dem sie selbst praktisch 
nicht teil nehmen. als kritik der perikleischen demokratie ist das schrift- 
stück sehr wertvoll. es könnte sich vielleicht auch noch heute mancher 
für den gedanken erwärmen, die berufsparlamentarier auszurotten und 
die beschlufsfähigkeit der versammlungen durch sirafen für die ver- 
säumnis statt durch diaeten herbeizuführen. wertvoller vielleicht noch 
als in dem, was er an ihr tadelt, wird die übereinstimmung dieses oli- 
garchen mit der demokratie, denn auch er hat den adel, die solonischen 
classen und den Areopagitenrat zu den toten geworfen. für die zeit- 
geschichte ist das document wesentlich deshalb von wert, weil wir im 
gegensatze zu Aristoteles die unmöglichkeit daraus abnehmen, Athen 
oligarchisch zu reformiren, im gegensatze zu der gemeinen tradition 
des altertumes aber anerkennen müssen, dafs die oligarchen, die nur so 


124 II. 4. Ildarpsos nolsıala. 


weit giengen, auf den namen guter patrioten anspruch haben ebenso 
gut wie ihre demokratischen gegner. ein weiterer wert liegt darin, 
dafs wir einerseits den anschlufs dieser leute an die solonische oder 
vorsolonische verfassung deutlich wahrnehmen, also auch über jene 
mancherlei erschliefsen, was die demokratische tradition der chronik 
nicht bewahrt hat. andererseits aber entfernt sich diese verfassung so 
weit von der wirklich alten, dafs sie, so entrüstet ihre urheber auch 
über diese kritik sein würden, der demokratie in wahrheit immer noch 
näher steht. sie schliefst sich an die verfassung Drakons an, aber nur 
so weit, dafs sie für uns deren echtheit beweist, die wir bezweifeln 
würden, wenn der anschlufs enger wäre. die verfassung der väter, das 
war der schlachtruf der oligarchen viel mehr um das brave volk zu ge- 
winnen, als weil sie reactionär waren. die verfassung der väter war 
auch für die demokraten der schlachtruf und ist es geblieben. diese 
fragten nach der wirklichen verfassung Solons noch viel weniger, aber 
sie rechtfertigten doch auch ihre ansprüche durch diesen titel, über- 
trumpfien wol noch gar die gegner, weil ihre demokratie schon the- 
seisch wäre. in wahrheit lag in dem rufe nach der zrazpıog nolıreia 
412—403, den alle erhoben und bei dem sie sich so verschiedenes 
dachten, das gemeinsame gefühl, dafs die gegenwart nur zu traurig ver- 
schieden sei von der grofsen zeit der väter. 

Ein richtig empfundener gegensatz zwischen der solonischen und 
perikleischen verfassung liegt nur in dem was das volk als prinzip an- 
genommen hatte, ehe die oligarchie eingeführt ward. das konnte niemand 
bestreiten, dafs die besoldungen des rates und der richter eine neuerung 
waren, von der die väter nichts gewulst hatten, und dafs die politischen 
rechte der besitzlosen bürgerschaft zur zeit der väter nicht bestanden 
hatten. Solon hatte den theten zwar die volksversammlung geöffnet; 
die hatte aber eine viel geringere bedeutung gehabt. er hatte sie auch 
von den gerichten nicht ausgeschlossen; aber einmal hatten diese un- 
gleich weniger bedeutet, und zum andern schlols sich jeder von selbst 
aus, der seine tage dazu bedurfte, brot für sich und die seinen zu schaffen. 
wenn der sold fortfiel, fiel die herrschaft, die das städtische proletariat 
zu üben begann. es erschien aber mit fug und recht, gerade wenn der 
census sonst nichts mehr bedeutete, die beschränkung des bürgerrechtes, 
die in den forderungen für den hoplitendienst lag, vollends zur zeit des 
krieges durchaus billig. darum versuchte man 411 nach dem sturze 
der 400 diese beschlüsse zu halten. diese beschränkungen sind es 
um derentwillen Thukydides und im anschlufse an ihn Aristoteles die 


Die kritik des verfassungsentwurfes. 125 


ephemere verfassung von 411/10 so hoch schätzen. mit fug und recht 
konnte sie als verfassung der väter in einen gegensatz zu der demokratie 
des Kleophon gestellt werden, die denn auch bis zur soldzahlung an das 
ganze proletariat, die diobelie, fortzuschreiten consequent und radikal 
genug war.”) als die stadt sich schliefslich den Peloponnesiern ergeben 
mufste, war es wieder die zzargıog zroAırela, für deren erhaltung sich 
die patrioten oligarchischer färbung wie Theramenes und Phormisios mit 
demokraten wie Archinos und Agyrrbios zusammenfanden. diesmal waren 
es die oligarchischen clubbisten, die mit Lysandros (wol schon damals 
im gegensatze zu der sparlanischen regierung) in einverständnis waren, 
denen ein gewaltstreich gelang. so kam über Athen das elend eines 
dictatorischen collegiums von 30 männern, die eigentlich eine verfassung 
ausarbeiten sollten und einen nur zu willfährigen rat unter sich hatten. 
als sie aber mit hilfe der spartanischen regierung von diesem joche be- 
freit waren, wiederholte sich der kampf zwischen der zrvargıog sroAırele, 
der demokratie der besitzenden, für die Phormisios eintrat, und der 
radikalen demokratie, die natürlich auch anspruch machte, die verfassung 
der väter zu sein.”) und wiederum war diese letztere siegreich, bewies 
auch bald, wie sie die traditionen der väter als die traditionen Kleophons 
verstand, indem sie durch diaeten das proletariat in die volksversamm- 
lung lockte. aber trotz der kritik, die nicht nur der dichter in den 
Ekklesiazusen lieferte, sondern die alle einsichtigen und vaterlandslieben- 
den männer, wenn sie nicht durch den demos herrschen wollten, aus- 
zusprechen nicht müde wurden, hat diese &syarn Önuoxgarla, die sich 
den vater Solon nur anlog, fortbestanden und ist, wie nicht fehlen konnte, 
der zzargırog moAıreia immer unähnlicher geworden, bis Aristoteles ihre 
kritik schrieb und Antipatros auf die pläne des Theramenes und P’hor- 
misios zurückgriff, auch er vergeblich. so hat schlielslich Kleophon den 
sieg davongetragen: wer von der athenischen verfassung redet, denkt 
wirklich dabei zunächst nur an die doyarn Önuoxgarla. 


20) Vgl. das capitel "Aıwßsila”. 
21) Vgl. das capitel 'rsunuara nageydusvos”. 


Die mythi- 
schen hö- 
nige. 


d. 
DIE KÖNIGE VON ATHEN. 


Über die mythischen könige Athens bedarf es nur weniger worte. 
auf ihre einordnung in eine liste kommt geschichtlich gar nichts an; 
die fülliguren der chronographen sind überhaupt nicht der rede wert. 
Ogygos ist ein spätling aller orten, eponym der ogygischen, d. h. okea- 
nischen flut, erwachsen aus dem adjectiv wyiyıos. Amphiktion ist auch 
nicht. von atlischem ursprunge, setzt die zugehörigkeit Athens zu der 
delphischen Amphiktionie voraus und entstammt der abstraction, wenn 
auch nicht sehr junger.') Kranaos ist aus dem adjeclivum xgayaog er- 
wachsen, das in nachepischer zeit glossematisch war. Aristophanes nennt 
Athen selbst nicht nur xgavaa sroAıg (Ach. 75), sondern geradezu Kea- 
vacl (Vög. 123). aber schon Aischylos sagt für A9nvaloı sraldes Koa- 
veov (Eum. 1011), Herodotos AKgavaoı (8, 44). der so entstandene 
Kranaos hatte ein grab in Lamptra (Paus. 1, 31, 3), und ein eponym, 
der sonst keine gentilicische verbindung hatte, erhielt ihn zum vater, 
Koavaov scais ’Papog bei Hesych. Aktaios oder Aktaion ist seinerseits 
erst von der dxzn abgeleitet, und da die Athener mit axen nicht 
ihr ganzes land, sondern die jetzt sog. Peiraieushalbinsel benennen, 
Attika überhaupt als das “vorgebirge” (das ist axzr) nur von dem 

1) Nach 445 hat die Amphiktionie die für die schaflung einer solchen figur 
nötige bedeutung nicht mehr, aber zu Solons oder Kleisthenes zeiten lag der an- 
schlufs Athens an Delphi vor. Amphiktion ist mit der einführung des Dionysoscultes 
verbunden, so erzählt Philochoros (Athen. 35° — 179e), und Pausanias erwähnt im 
Kerameikos eine terracottagruppe, die Amphiktions Jeofevsa darstellte. eine le- 
gende, gegen die Philochoros stillschweigend polemisirt, setzt in der tat für die 
einführung des Dionysoscultes die intervention von Delphi in bewegung (schol. Ar. 
Ach. 242), und sie ist nicht schlecht, da sie Eleuiherai als landfremd falst. der 
cult des Eleuthereus geht die grofsen Dionysien an, eine stiftung des Peisistratos: 
dafs diese ihren reflex in der königszeit fand und einen könig Amphiktion schuf, ist 
sehr glaublich. 


Die mythischen könige. 127 


standpunkte, sei es des seefahrers draulsen, sei es des hinterliegen- 
den continentes bezeichnet werden kann, so ist der ursprung dieses 
namens aufserhalb Athens zu suchen, wie denn auch Aktaios- 
Aktaion in Attika keine locale oder gentilicische verbindung hat.?) 
dagegen ist Aktaion sohn des Aristaios in der kadmeischen genealogie, 
Aristaios ist der vertreter von Keos, wo er seinen cult hat: dals 
sein sohn der “mann der Akte’ ist, ein vorwitziger mensch, der die 
Artemis oder die Semele freien will und zu grunde geht, ist vom 
standpunkte der nachbarn Athens ganz begreiflich.?) 

Es bleiben also nur die vier den dichtern des fünften Jahrhunderts 
geläufigen könige Kekrops, Erechtheus, Pandion, Aigeus. aber auch von 
ihnen geht Pandion ab, der nur als vater für die sage in betracht 
kommt, von den IIavdıc abgeleitet ist und die sammlung aller Athener, 
die einen Zevg Epxeiog haben, zum gemeinfeste des Zeus bedeutet. wie 
dieses ist sein repräsentant immerhin recht alt.‘) die beurteilung des 
Aigeus ist von uns modernen einseitig und falsch lediglich darauf ge- 
baut worden, dafs er den Poseidon als vater des Theseus ersetzt, und 
dafs in seinem namen wie in dem von _4iyai die wogen stecken können. 
aber er hat den Poseidon als vater des Theseus nicht verdrängt, wie denn 
überbaupt ein sterblicher vater neben dem göttlichen zu rechte besteht, 
und Tyndareos oder Amphitryon sind wahrlich keine hypostasen des 
Zeus. 4iyeug ist der alınherr des geschlechtes der Jiyeidaı, und dieses 
existirt in Theben und Sparta sammt ihren pflanzstädten. als zugehöriger 
zu diesem geschlechte ist Theseus 4iyeiöng, wie Herakles AAxeiöng ist, 
und zwar schon in der Ilias, also ehe Theseus Athener ist.) als dieser 


2) Vertreter Athens ist Aktaios in der genealogie des Aias bei Pherekydes 
(Homer. Unters. 246). das ist zwar attisch, aber Salamis gegenüber liegt auch die 
eigentliche axrr,. 

3) Der Bakchiade Aktaion, den die liebhaber zerreifsen wie die hunde den 
sohn des Aristaios, illustrirt den übergang der sagenmotive in die novelle, wie z. b. 
Ankaios der bruder Althaias zu einem könige von Samos wird, den wieder ein wild- 
schwein erschlägt. 

4) Denn er hat einem begleiter des Teukros in einer interpolation der Ilias 
seinen namen gegeben, M 372, Homer. Unters. 245. mit einer Homerkritik, die das 
nicht begreift, kann ich nicht disputiren, 

5) A 265, denn die athetese des verses im Heraklesschilde 184 ist E. Meyer 
(Herm. 27,374) nicht geglückt, wie Robert dazu bemerkt hat: wo sollen wir hin, 
wenn ein fast gleichzeitiges citat nicht mehr sichert? dafs Theseus Aegide ist, 
discredilirt den vers vollends nur unter der voraussetzung, dafs die sterblichen väter 
jünger als die himmlischen wären. der vers ist das älteste zeugnis für Theseus, und 
hier erscheint er als Lapithe. das ist sehr beherzigenswert. 


128 I. 5. Die könige von Athen. 


nach Athen kam, zog er den ahn nach sich, den man als vater falste. 
von einem geschlechte von Aegiden ist gleichwol keine spur. Aigeus 
als sohn Pandions ist erst die späteste anknüpfung; als man ihm sein 
haus in der unterstadt anwies, kann er nicht der sohn des königs auf 
der burg gewesen sein. in der tat kennen wir noch die genealogie, 
die ihn zum sohne des Aigikores macht, also zum enkel des Ion, und 
eine andere, 475 in der Theseuslegende anerkannte°), die seinen vater 
Skyrios nennt. wie bei jener deutlich ein namensanklang gewirkt hat, 
so dürfte der erfinder von dieser an die berühmten alyes Ixvpraı ge- 
dacht haben. wertlos ist das alles, und an Aigeus in Athen nur wichtig, 
dals er fremd ist und fremdes mitzubringen allein geeignet, wie den cult 
der Urania. 

K£xoow ist der name eines vulksstanımes; daher gibt nur Kexpo- 
‚cia einen landesnamen, wie IlsAorsia von IleAoıy, der genau ebenso 
zu beurteilen ist. die Kowzsldaı im nordwestwinkel der ebene gehören 
offenbar zu den Kexgorses. so ist uns der stammesnamen der ältesten 
eingebornen bevölkerung erhalten. der attische urmensch ist als ynyevr,g 
ganz oder halb schlange und hat keine irdische descenudenz aufser den 
Kexgorcidar im allgemeinen. 

’EoexFevs ’Eoıy$ovuog sind wir längst gewohnt zu identificiren, die 
form ’Egıy$eis auf der parischen chronik schlägt die brücke. man kann 
den kürzeren namen als hypokoristikon des längeren fassen, und die 
’Eoıy9g der Würzburger Phineusschale ist schwerlich etwas anderes als 
Eeıy3ovin, die X$ovin von Mykonos und Syros. dann wäre auch ’Egey- 
evs nur der ynyevng; so ist 'Eoıy3ov.og überall gefafst, in Athen Sikyon 
llios. aber auf der burg verehrt das geschlecht der Butaden vielmehr 


6) Die abstammung von Aigikores, erhalten in einem scholion zu Demosthenes 
24, 18 hat Maafs (Gött. Anz. 1889, 606) hervorgezogen. das ist dankenswert; ebenso 
seine sonderung der traditionen über den zweikampf des Melanthos mit Xanthos 
und die intervention des Dionysos. aber alle seine folgerungen halte ich für phan- 
tasmen. die abstammung von Skyriog (Apollodor bibl. DI 15, 5) ist durch Aristo- 
teles fgm. 4 gesichert. eine dritte, die die scholien zu Lykoph. 1324 geben, indem 
sie dessen rätselwort 6 Dnuiov mais = Theseus erklären, nennt den vater des Aigeus 
Phemios, was Lykophron nicht notwendig gemeint haben mufs. sie verstehe ich 
nicht. auch die Atthis (Plut. Thes. 13) betrachtet Aigeus nur als adoptivschn des 
Pandion. Androtion hat ihn an die Aigeiden von Theben angeschlossen, da er ihn 
einen Sparten nannte (Tzetzes zu Lyk. 495, aus den vollständigeren scholien): die leute, 
die an deren existenz zweifeln, sind so mit einem weiteren zeugnisse geschlagen. 
damit gab er eine ältere tradition wieder, denn sein eigener rationalismus sah in 
den Sparten keine erdgebornen, sondern die zusammengelaufene gefolgschaft des 
Kadmos, 


Die mythischen könige. Kodros. 129 


den IIooeıdwv ’Egex$evs, und für diesen palst Zgıy$ovıoc kaum. hin- 
zutritt EvoixIwy, das man in späterem griechisch mit awoisrodıg wieder- 
geben kann. in anderen und zwar triopischen sagen ist Erysichthon in 
der tat dem Poseidon verwandt; aber in Attika ist er nur dürftig an Kekrops 
angeschlossen, eigentlich in Prasiai zu hause und mit Delos verbunden. 
auf der burg dagegen lebt Erechtheus als schlange bei Athena fort, ist 
also der heros, der geist des alten künigsgeschlechtes, das in jenem 
hause mit Athena wohnte. so durchdringen sich die eigentlich nicht ver- 
einbaren vorstellungen des Jlooeıdav EgvorxIwv und des newg ieı- 
x3ovıogs, und sie lassen sich ohne gewalt nicht mehr scheiden. eine 
descendenz hat auch Erechtheus nicht; "EgegJeida: sind nur die Athener. 
aber es gibt doch ein geschlecht, das seinen cult pflegt und auf Po- 
seidon zurückgeht, die Butaden, und dieses geschlecht, das den cult 
des Poseidon mit dem Athenas vereinigt, erscheint dadurch mit den 
alten königen Athens am nächsten verbunden. 

Die Athener kennen keine könige aus dem geschlechte der Butaden. 
sie kennen nur die urmenschen, die zugleich den anfang der welt und 
Athens bedeuten, und pflegen dann den fremden Theseus einzuschieben, 
der noch ein par söhne erhält, die an sich, aber nicht als Theseussöhne 
bedeutung haben, denn Demophon stammt aus Eleusis, Thymoites ist 
der eponymos des dorfes der Thymaitaden, vom thymian, Apheidas (der 
“milde’, der nicht knausert) ist der ahn eines fortlebenden geschlechts; 
Oxyntes ist bisher nicht nachgewiesen. über Akamas mag ich noch 
nicht aussprechen was ich vermute; der name ist im epos nicht selten. 
in allen diesen stecken keine alten fürsten Athens. dagegen Menestheus 
sammt seinem vater, die den homerischen dichtern Athen vertraten und 
möglicherweise menschen und könige gewesen sein könnten, waren zu 
hause vergessen und wurden erst durch Homer wieder bekannt. 

Nun tritt Kodros ein, der sohn des Melanthos des sohnes des Andro- 
pompos des Neliden, und er wird der abnherr des königlichen -geschlechtes. 
Melanthos als eponymos von Melainai scheidet aus; er sammt seiner 
hübschen sage setzt die erwerbung des Sovuog oberhalb der eleusini- 
schen ebene voraus”) von den andern namen ist "Avdoorrouscog “der 
die männer auf die fahrt bringt’, am durchsichtigsten: diesen grolsvater 
hat Kodros als der vater der ionischen auswanderer.’) Kodolda. waren 


7) Herm. 21,112. 22,244. wenn das local nicht bei Oinoe, sondern bei Pa- 
nakton ist, kann die legende älter als 504 sein. 
8) Dafs Pausanias IX 5, 16 den vater statt des sohnes als den helden der 
Apaturienlegende nennt, ist nur eine seiner gewöhnlichen flüchtigkeiten. 
v. Wilamowitz, Aristoteies. II. 9 


Kodros. 


1830 I. 5. Die könige von Athen. 


die könige in den ionischen städten, und so nennt Aristoteles die atti- 
schen auch. jene hiefsen daneben Baoıktdar, und in Athen hat Ko- 
dros ein kleines stück geweihten landes, das ein annex eines grofsen 
gartens ist, der dem Neileus und- der Basile gehört (CIA IV p. 67). 
Neleus aber ist der ahn sowul der ionischen wie der attischen Kodriden. 
es bedeutet also Baoıkidaı und Kodgidaı dasselbe; Baoıdn ist der gött- 
liche exponent für die faoikeıa, die ihre enkel auf erden üben, Nnievg 
‚ Ist der heroische ahn, Nestors vater, eine wirkliche sagengestalt. das führt 
darauf, in Kodgog?) nicht mehr zu suchen als in BaotAn'°): er ist nichts 
als der personificirte adel der herrschergeschlechter.. was in Athen 
von Kodros erzälılı wird, ist einmal, dafs er durch eine heldentat sich 
die herrschaft erworben hat'!): das soll motiviren, wie der Nelide und 
sein haus über Athen haben herrschen können; oder dafs er fürs vater- 
land als könig stirbt: das hat ursprünglich nur seinen cult motivirt; 
Euripides konnte jedoch den tod fürs vaterland noch von Erechtheus 
erzäblen. die wendung, dafs nach Kodros die königswürde abgeschafft 
wird, ist eine verschlechterung und kann für die sage nicht in betracht 
kommen, erfordert aber eine erklärung, die sie bisher nicht gefunden 
hat. das grundstück des Kodros ist ein annex zu dem garlen seiner 
ahnen; die attische poesie nennt ilın nicht, die bildliche überlieferung 
nicht vor der schönen schale, die wir nach ihm nennen. schon des- 


9) Ködeos ist nicht anders gebildet als Edga vöoos fögıs. neben xodeos steht 
xoduos x00u0s xsxaduevos xaduos xaduilos, andererseits xidos neben xtdos in 
Kodadrvasov Kiöenkos, sohn des Kodros, gründer von Myes in lonien, auch sonst 
in Asien mehrfalh begegnend, Kuda» Kudwwia, Kvögoxins Kos CIA 113124. zum 
vocalwechsel vgl. Bados Budos Bosgos. xoAos xvAlos, davon Kvliw», in welchem 
namen nur die alte haplographie des consonanten getreulich bewahrt ist, 6eußsoIas 
6oußos bvußos. Öbdupos boupyala düyxos Ösyxsc9as u. dgl. m. Hesych hat die 
glossen Kodgovs‘ ovs nueis Asyous» Koovıxous Tıvas, 70 upxalov avıav dupani- 
Covzss. (Kodp0s) Adnvaios, Aaunpös zo yevaı. zu dem ersten gehört xgowsxds, 
xgovöAngos, ngeoßutegos Kodgov Pollux 2,15, wo vor Bekker Kgovov für Ködeov 
gelesen ward. das ist eine Komikerglosse, Mein. 1V p. 660. das zweite zeigt eine 
halbadjectivische verwendung, meint aber nicht Lykophr. 1389, der in seiner weise, 
unmittelbar nachdem er die ionische wanderung erzählt hat, die dorischen besiedler 
der hexapolis Kvrivsos Kodoo: nennt. die bedeutung des wortes war aber damals 
noch unvergessen. 

10) CIA II 1573 ist ein weihgeschenk an Zeuxippos und Basileie. Zeuxippos 
steht am kopfe einer genealogie (Phot. Mögunxos arganos vgl. Kydath. 147), die 
hesiodisch zu sein scheint. Zeuxippe ist die gattin des flulsgottes Eridanos (comment. 
gramm. ll 12). der gatte der Basileia mufs ein urkönig sein; der "rosseanschirrer” 
deutet auf Erichthonios, der als solcher der fuhrmann am himmel ist, auch kehrt 
sowol Erichthonios wie Zeuxippos in der sikyonischen königsliste wieder. 


Kodros. die Medontiden. 131 


halb mufs man geneigt sein, ihn für einen eindringling zu halten; aber 
entscheidend ist erst, dals sein sohn Medon neben ihm steht. Kodriden 
und Medontiden ist dasselbe geschlecht, die Medontiden aber bestehen 
wirklich fort und haben grundbesitz in oder unfern der stadt.) Me- 
Ööwy ist auch ein redender name, Medovridaı auch nichts weiter als 
das “fürstengeschlecht.’° das ergibt die verschiedenen stadien der ent- 
wickelung: erst wollen die athenischen könige Pylier und Neliden sein, 
Booıkldar Medovridaı. dann, als sie mit den loniern in so nahe be- 
ziehung treten, dafs sie auf den Kodros beschlag legen wollen, schieben 
sie Kodros vor Medon ein und heifsen auch Kodriden. 

Der nachfolger des Medon ist Akastos, in der aristotelischen wie Die Medon- 
in unsern listen. damit betreten wir den geschichtlichen boden, da der Ylden. 
archonteneid die constitution Athens wie sie besteht und das ritual der 
vereidigung auf ihn zurückführt (3, 3 vergl. 1 s. 46). in dieser con- 
stitution ist der archon der oberste beamte, daraus folgt, dals er es unter 
Akastos geworden ist. so schlielst auch die Atthis des Aristoteles; die 
differenz ist wirlich irrelevant, die den mythischen Medon an seine stelle 
setzt. die macht haben die Medontiden-Kodriden also schon unter Aka- 
stos eingebüfst. - wer sich das klar machte, mufste ins gedränge kom- 
men, da vor Akastos nur die namen Medon und Kodros standen. eine 
lösung der schwierigkeit ist die angabe, dafs das königtum mit Kodros 
erloschen sei. eine consequenz ist, dafs die namen der liste als namen 
von archonten angesehen werden. wir würden demnach gar keine 
wirklichen Medontidenkönige kennen. in widerspruch hiermit scheint 
zu stehn, dafs Aristotetes selbst an einer früheren stelle (Ilerakleides 3) 
den übergang des königtumes von den Medontiden-Kodriden auf an- 
dere, also den ersatz des erblichen durch das wahlkönigtum berichtet hat. 
der anlafs dazu war, dafs die Kodridenkönige zu schlaff schienen. da 


11) Aristoteles Politik Z 1310b, xara noAsuov xwitcas Öovisvsıw kommt er 
und sein geschlecht zur herrschaft. bei dieser tat wird ihn sich Aristoteles und 
seine vorlage, die chronik, als polemarchen gedacht haben, denn diese würde gibt 
es nach ihnen seit Ion. auch die zeit, ein par generationen nach der dorischen 
wanderung, wie sie Herodotos 5, 76 kennt, und die beseitigung der Thesiden durch 
Kodros kann für diese tradition unbedenklich in anspruch genommen werden. 

12) CIA 1 497. dazu kommt eine verschollene und, so viel ich sehe, im CIA II 
vergessene inschrift aus Kypseli (dicht bei Athen nördlich) Töpfler Att. Geneal. 229. 
Solon heifst Kodesdns, Platon auch, der durch seine mutter auf Dropides den bruder 
Solons zurückgeführt wird. dafs er vom vater her auch Kodride gewesen sei, wie 
Thrasylios behauptet hat (Diog. Laert. 3, 1), ist nicht genügend bezeugt. von Me- 
dontiden wird dabei nicht geredet; auch Aristoteles kennt nur Kodriden. 

g* 


132 ll. 5. Die könige von Athen. 


zeigte Hippomenes, einer aus dem hause, aber ersichtlich kein könig 
mehr, dals auf ihn der vorwurf nicht zutraf, durch die mafslos strenge 
bestrafung seiner tochter und ihres buhlen. so Aristoteles; und Aischines 
(1, 182), dessen überlieferung auch hier der aristotelischen nahe steht, 
nennt diesen Hippomenes einfach einen Athener. aber in anderen be- 
richten wird er als der letzte Kodridenkönig bezeichnet‘), und einen 
Medontiden nennt ihn ausdrücklich Pausanias (IV 13, 7), wo er nach 
seinen jahren datirt; er steht auch in unseren chronographischen listen 
als zehnjähriger archon. sehen wir zunächst von dieser differenz ab, 
so bleibt für Aristoteles selbst ein widerspruch, wenn wir nicht 
scharf unterscheiden und also sagen: unumschränkte Kodridenkönige 
gibt es freilich nicht, denn schon unter Akastos ist der archon über sie 
getreten, aber könige sind sie geblieben bis auf die zeit kurz vor Hip- 
pomenes. sie haben also die gesammte rechtsprechung im heiligen 
rechte gehabt, also auch im blutrechte, und sind erst abgesetzt, als 
sie schlaff wurden. gerade in einer sache, wo es sich um @ovog Ölxauog 
handelte, übt Hippomenes in demonstrativer weise die äufserte strenge. 
diese construction hat in der tat hand und fuls; königtum seit Kekrops, 
dazu tritt die polemarchie seit Ion, das archontenamt seit Akastos, aber 
die könige bleiben erbkönige aus diesem alten geschlechte, während 
ihnen wahlkönige in den archonten zur seite stehen, auch sie auf lebens- 
zeit gewählt. endlich wird dem geschlechte das vorrecht des königtumes 
genommen, und bald wird die zehnjährige wahl der drei oberbeamten 
durch die einjährige ersetzt. die namenliste kann bei dieser annahme 
bis auf die zeit des Hippomenes noch ganz gut Kodriden und könige 
enthalten, denn warum ist es notwendig, dafs die eponymie bereits unter 
Akastos auf die archonten übergegangen wäre? dicht neben Athen, in 
Megara, ist trotz allen revolutionen der könig bis an das ende des vierten 
jahrhunderts eponym geblieben. aber ein in einem geschlechte vererbtes 
königtum schlielst allerdings die zehnjährige befristung aus. bei einer 
vererbung in der descendenz von vater auf sohn schon wegen der zeit, 
bei einer solchen vom ältesten geschlechtsgenossen auf den nächstältesten, 
weil der vorsitzende des Areopagitenrates vor einem jüngeren weichen 
müfste, übrigens auch, weil so dieses geschlecht in dem rate unverhält- 
nismälsig bevorzugt würde. aber denkbar ist sehr gut, dafs neben 


13) Phot. rap’ innov xal xoen» zurückgehend auf ein scholion zu der 
Aischinesstelle. die Atthis hat die deutung des monumentes rap’ innov xai xöpn» 
ohne zweifel richtig gegeben; die umbildung, dafs die dort begrabenen ein sodo- 
mitisches liebespar wären (Dion Chrys. 32, 78), ist nichts wert. 


Die Medontiden. 133 


befristeten amtsperioden der beamten ein lebenslänglicher könig stünde. 
die parische chronik bezeichnet in der tat die sämmtlichen namen 
der liste, die sie bis auf die zeit der neun einjährigen archonten an- 
führt, als könige; von den zehnjährigen kommt leider keiner vor. die 
liste des Pausanias (l 3, 3) enthielt sogar das stemma dieser Medontiden- 
könige bis auf den vorgänger des Hippomenes, und er gibt gelegent- 
lich eine probe davon.'‘) die auszüge des Kastor bei Eusebius stimmen 
mit ihm in allem wesentlichen, und dafs sie trotz der gentilicischen 
verwandtschaft ihrer träger die namen auf &exovras dia Plov und 
eic Öenafreıav beziehen, ist so verkehrt in sich, dafs es nicht be- 
irren kann. 

Dürfen wir die namenliste als authentisch anerkennen ? abgesehen 
von Hippomenes'*) sind in ihr keine schwankungen nachweisbar, im 
gegenteil, die übereinstimmung der parischen chronik sichert gerade die 
älteren namen und selbst die zahlen für die letzten zwei lebensläng- 
lichen archonten oder vielmehr könige. dafs die archontenliste von 
unten bis Kreon 683/2 = ol. 24, 3 mit einer relativ grolsen zuverlässig- 
keit lief, kann niemand ernsthaft leugnen. damals wurden die thesmo- 
theten eingesetzt und schriftliche verordnungen gab es bereits: so Ari- 
stoteles, und es ist lächerlich, daran zu zweifeln, da unsere inschriften 
wol selbst so hoch hinauf reichen, die Eleer und Spartaner schon viele 
jahrzehnte früher mit der führung von officiellen listen begonnen hatten. 


14) IV 5, 10 heifst Aisimides, der zweite der zehnjährigen archonten, sohn des 
Aischylos, von dem ihn sein vorgänger Charops und der könig Alkmeon trennen. 
bei Kastor (Euseb. I 187 Sch.) folgen sich die älteren könige alle als sohn dem 
vater, nur Alkmeon ist nicht sohn des Aischylos. das stimmt also. dafs Pausanias 
im vierten buche eine andere liste als im ersten habe, glaube ich nicht; Hippomenes 
stand nur in keinem kindlichem verwandtschaftsverhältnis zu einem seiner vorgänger. 
übrigens hat sich Pausanias IV 13, 7 u.ö. um eine olympiade versehen, oder seine liste 
war durch einen schreibfehler entstellt, denn an eine andere tradition kann ich nicht 
glauben (so Gelzer Hist. Aufs, für Curtius 18. 19). das datum für Kreon ist durch 
Marmor Parium, Dionysios, Africanus völlig gesichert, seitdem Gutschmid auch das 
erste richtiger als Boeckh behandelt hat. man darf nur nicht vergessen, dals in 
der rechnung des Pariers ein jahr kein jahr ist. 

15) Wenn dieser in der liste fehlte, aber wirklich Aisimides und Kleidikos 
noch könige aus dem Medontidenhause, also lebenslängliche waren, so konnte die 
rechnung der lebenszeiten unmöglich die erforderliche zahl decennien geben. Hippo- 
menes war durch ein monument, das grab seiner tochter, und dessen airıo» im ge- 
dächtnis erhalten: sehr leicht also konnte ein Atthidograph sich seiner bedienen, 
um eine lücke zu füllen. dies unter der voraussetzung, dafs die namenliste zuver- 
lässig ist und Kodriden gibt. 


134 II. 5. Die könige von Athen. 


minder sicher sind die sieben zehnjährigen archonten, sowol wegen des 
Hippomenes, wie auch weil die zahl 70 ganz rund ist. das datum 753/2 
ist also nur mit einer etwas gröfseren reserve als fest zu betrachten. das 
beeinflufst auch die jahreszahlen der beiden letzten könige Aischylos und 
Alkmeon, die sonst zuverlässiger scheinen, insbesondere die zweijährige 
herrschaft des Alkmeon, die den anlals zu der verfassungsänderung offen- 
bar gegeben hat, sei es dafs er ohne erben so früh starb, sei es dafs 
man ihn, worauf die genealogie seiner nachfolger (anm. 14) deutet, als 
usurpator stürzte. damit kommen wir bis an das jahr 800, und mir fehlt 
der mut zu bestreiten, dafs noch eine ganze reihe namen aus älterer zeit 
überliefert sein könnten. die zahlen ihrer regierungen sind selbstverständ- 
lich nicht nur an sich wertlos, sondern nicht einmal durch eine beson- 
dere athenische rechnung gefunden. sie sind dazu bestimmt, die brücke 
zu der zeit der ionischen wanderung, oder, da diese nur ein relatives 
datum ist, zu dem falle von llios zu schlagen; diese punkte aber waren 
den Athenern durch andere chronologische systeme gegeben. immerhin 
gelangen wir, wenn wir auch nur die geschlechterfolge rechnen, mit 
Akastos, der als geschichtlicher könig durch den eid seiner nachfolger 
gesichert ist, über das jahr 1000 hinauf. 

Ich habe diesen weg bis zu ende verfolgt, um zu zeigen, dafs er 
gangbar ist. aber ich halte ihn doch für irreführend. denn die namen- 
liste ist nicht die eines griechischen geschlechtes. die Miltiades Alkmeon 
Damasias Dropides, die wir in der beglaubigten archontenliste bis hoch 
in das siebente jahrhundert finden, zeigen, dafs damals dieselbe sitte 
herrschte wie später, und die geschlechter ihre bestimmten eigennamen 
mit vorliebe vererbten. aber in dieser angeblichen liste von Medontiden 
kehrt kein einziger name wieder, und nur zwei (Archippos und Ther- 
sippos) könnten allenfalls auf gentilicische verbindung führen, wenn das 
ritterpferd nicht allzuvulgär in den namen wäre. dagegen Megakles 
Alkmeon Ariphron weisen auf andere später bedeutende geschlechter. 
Phorbas hatte in der stadt ein heiligtum und kommt als begleiter des The- 
seus und sonst in genealogien und sagen vor. ich bezweifele gar nicht, 
dafs es in alten zeiten einen leibhaften träger dieses namens in Athen 
gegeben hat, der sich durch seine taten ein heroisches gedächtnis erhalten 
hat: aber ein könig und ein Medontide ist der heros nicht gewesen. 
die liste selbst sagt also, dals sie höchstens die namen von archonten 
enthalten kann. wenn die eponymie schon unter Akastos den königen 
genommen ist, das königtum aber im hause der Medontiden bis auf den 
archon Kleidikos verblieben, so ergibt das an sich keinen widerspruch ; 


Die Medontiden. 135 


es ist dann nur der irrtum der chronographen anzuerkennen, die in ihr 
könige und Medontiden suchen. | 

Aber auch dieser gangbare weg führt in die irre. es ist nicht wol 
zu verlangen, dafs man den Akastos, auf den sich ein alter eid um 600 
bezieht, für einen könig aus dem zweiten jahrtausend halte. der Akastos 
des eides war sei es könig, sei es archon, als die herrschaft der archonten 
eingesetzt ward. eine solche verfassung in vorhomerischer zeit ist nicht 
glaublich, und die dauer einer verfassung durch vier jahrhunderte noch 
weniger. dagegen stellten die herren, welche im archon den höchsten be- 
amten hatten, ihre verfassung naturgemäfs als eine uralte hin, rückten also 
den könig, unter dem sie eingeführt war, an den anfang der reihe. das ist 
dieselbe manipulation, wie wenn die demokratie den Theseus als stifter 
verehrt und zuerst den ostrakismos leiden läfst. dann ist die liste zwar 
nicht authentisch, aber sie ist älter als die demokratie des Kleisthenes, 
ein erzeugnis des sechsten jahrhunderts. dieses hatte das gute recht, die 
vorzeit in seinem sinne umzuformen, und ganz von selbst suchte es in 
ihr archonten, denn die waren jetzt in Athen die entscheidenden be- 
amten; auf die könige kam wenig mehr an. damals verfügte man ohne 
zweifel noch über viele überlieferung, die später mit dem sturze der 
geschlechterherrschaft verschollen ist, und von der die liste in ihren 
namen einen niederschlag enthält.') sie ist nicht gedankenlos zusam- 
mengestoppelt oder frischweg erlogen; aber sie ist zurecht gemacht, ist 
keine königsliste und ist authentisch erst elwa seit 800. wir aber sind 
nur ganz ausnahmsweise im stande, eine einzelheit in ihr mit sicherheit 
zu glauben oder zu verwerfen. die liste ist eben ein stück Atthis des 
sechsten jahrhunderts. die kritik des fünften und vierten, die nament- 
lich mit recht das königliche geschlecht suchte, hat sie umgedeutet und 
hie und da zurechtgestutzt; die namen selber aber, das hauptgerüst, hat 
sie stehn lassen müssen.) wenn man sie so beurteilt, so kennen wir 
gar keine Medontidenkönige; das stemma bei Pausanias ist ein auto- 
schediasma, aber Hippomenes kann ganz wol zehnjähriger archon ge- 
wesen sein. übrigens verhehle ich mir nicht, dafs das urteil schwanken 
kann, und dafs jedes glied, je nach dem es beurteilt wird, die ganze 


16) Rätselhaft sind besonders die namen ®sonısis und Ayardoos. diesen 
wage ich nicht zu deuten; ein eihnikon als eigenname in so alter zeit ist erst recht 
. anstölsig. 

17) Der athenische könig Epainetos in der sechsunddreifsigsten olympiade aus 
Hippon von Rhegion (Antig. Kar. parad. 121) ist gänzlich unverständlich und kann 
sicherlich nicht zugleich könig und Athener sein. 


136 Il. 5. Die könige von Athen. 


rechnung verschiebt. ich fürchte nur, dafs dialektik hier nicht weiter 

hilft: aber die fixirung irgend einer person der reihe kann das ganze 
feststellen; das ist mir leider nicht gelungen. 

Ion und Einen ganz anderen charakter als die einzelfiguren der alten my- 

seine söbne- nischen könige und die königsliste der chronik hat die genealogie 

Apollon-Ion-Geleon‘*) Hoples'®) Argadeus Aigikores, die ersten vier 

phylenkönige.”) die vier namen sind als singulare und personen so 

erbärmlich erfunden wie etwa aus den Eixadrs, die an der eixag ein 

festmal halten, der heros Eixadevg. und wenn einmal Aigeus sohn des 

Aigikores heilst, um des anklanges der namen willen, und eine tochter 


18) Euripides (lon 1579) und Apollonios der Rhodier (1, 95) schreiben Teiso», 
und wenigstens bei diesem kann es kaum ein schreibfehler sein. auch bei Pollux 
$, 109 steht es. so ist es wol eine bereits absichtlich roVs dv reAss hineintragende 
änderung. aber dann mulsten die Geleonten schon recht obscur geworden sein. 
sonst ist Geleon als vater des Butes, zumal seine gattin tochter des Eridanos ist 
(Comment. grammat. 11 12), immer noch die beste dieser figuren. die Butaden sind 
Geleonten gewesen und sind städtischer adel; weiter liegt nichts darin. 

19) öninzes @s yyusnres. es ist das gegenteil aller methode, von dem namen 
des herrn "OrAns auszugehn, dies angebliche hypokoristikon zu einem vollnamen nach 
belieben zu machen und dann aus diesem weitere schlüsse zn ziehn. 

20) Herodot setzt die genelive Apyadeos und Aiyıxöogso neben einander und 
diese form gibt auch das Demosthenesscholion 24, 18. die bildung auf -sus greift 
in der alten zeit sehr weit; nur damals ist sie auch hypokoristisch., Terganoins 
Torronarens Eixaöns, die phratrien Avalns Dıljs, die ephesischen phylen Boesis, 
’Eyeosis sind am ehesten vergleichbar. die weiterbildung von gentilicia, andowıdads, 
Avssdeis u. s. w. (Aristoph. Byz. 114N.), und spielend danach gebildete Masadevs, 
(der kleine Hermes), Xasgıdns Boußavkıos bei Aristophanes, Aiaxıders (gewils auch 
singulär, Philoxenos im EM. s. v.), können hier nichts helfen. Aoyadsvs mit Argos zu 
verbinden verwehrt die grammatik: wo käme denn das a her? ich könnte mehr geben, 
aber dies dürfte genügen, um die versuche, aus diesen namen capital zu schlagen, so 
lange auf sich beruhen zu lassen, wie sie mit nichts weiterem als den namen ope- 
riren. dafür will ich das so viel besprochene AassÄsvs in diese reihe stellen. in ihm 
ist der singular offenbar abusiv, die AaosAnes sind so gut wie die DsAsys und ’Ixagsne 
das ursprüngliche. angestammte könige, wie die der Spartiaten, sind keine BagsÄsis 
sondern apyaysraı, erst aus der ionischen panhelfenischen sprache nehmen sie den 
fremden titel an. abgeleitet ist das wort von Baalin, und Bacıkldas steht daneben 
(so auch wider den Regius A bei Platon Kritias 116° zu schreiben); dieses wort 
steht vereinzelt in der griechischen sprache, genauer der ionischen, stammend aus 
einer der mundarten, die in sie aufgegangen sind. es kann also aus dem grie- 
chischen nicht erklärt werden, und eine gleichsetzung mit irgend einem ganz fremden 
wird niemals seine wirkliche bedeutung erklären. das dagegen lehrt das griechische, 
dafs die Baoslnjes keine monarchen mehr waren, und der einzelne Basılsvs nur 
primus inter pares, wie Odysseus in Ithaka. es ist sehr bezeichnend, dafs Zeus 
Bacıkscs sowol als anrufung wie als cullname nicht alt ist. 


Ion und seine söhne. 1837 


des Hoples heiratet, ohne nachkommenschaft, so ist das so kümmerlich, 
dafs man ruhig behaupten kann: die vier personen sind weder elwas ge- 
wesen noch geworden als die singulare der 4 phylennamen, nicht einmal 
deren rechte eponyme. Ion ist ihr vater, weil die phylen die der lonier 
sind; aber er hat mit Athen nichts zu tun. Euripides hat ihm zwar 
die tochter des Erechtheus zur mutter gegeben, aber das erst im Ion: 
im Erechtheus hat sicherlich keine tochter desselben den vater über- 
lebt, und im Ion selbst war dem publicum der name Kreusa so wenig 
vertraut, dafs er ihn besonders einschärfen muls.?') Kleidemos aber kennt 
zwar eine Kreusa als frau des Xuthos, also vermutlich auch mutter des 
lon, aber sie ist die tochter des Kreon von Korinth (schol. Eur. Med. 19).2) 
Xuthos ist dem Herodotos der vater Ions (8, 44), wie er es jedem sein 
mufste, der der mafsgebenden hesiodischen genealogie folgte. auch nach 
dem beschlusse des Apollon bei Euripides soll er es vor der welt bleiben. 
mit andern worten: Euripides hat die hesiodische genealogie mit der 
attischen verbunden und den Ion durch Kreusa gewaltsam zu einem 
Erechthiden gemacht. Ion der sohn Apollons und vater der vier heroen 
muls ja wol eine mutter gehabt haben, und es wird eine Athenerin 
gewesen sein, aber einen namen scheint sie nicht besessen zu haben; 
die mutter der vier ist überhaupt unbekannt. ein weiterer schlufs ist, 
dafs Xuthos erst durch die hesiodische genealogie importirt ist, so dafs 
sich die schwierigkeit der beiden väter ergab, die Euripides lösen 
will.) in der tat hat Xuthos in Athen keine stätte”), und in der he- 


—_ m rn nn 


21) Der prolog nennt den namen sechsmal und 57 würde er gewifs nicht 
stehn, wenn er nicht eingeschärft werden sollte. auch vieles in dem gespräche 
zwischen Ion nnd Kreusa dient der belehrung des publicums über den neuen mythos. 
die interpolationsjäger sind besonders darauf aus, den namen lons zu vertreiben, 
und die stellen sind zum teil anstöfsig, d. h. nicht die abstracte poesie, sondern 
die praktische rücksicht hat den dichter bestimmt. 

22) Schwerlich mit recht folgt Panzer (de mythographo Homerico Greifswald 
1892, s. 26) einer überlieferung, die Kosovaa ’Epeydews als mutter Agamemnons 
einführt, und sollte er mit der beurteilung der handschriften recht haben, so würde 
es ein wertloses autoschediasma sein. wer die buhlerische Aerope nicht duldete, 
holte eine beliebige “prinzessin’ Kreusa vor; aber mit Athen hatte sie nichts zu tun. 

23) Mit den doppelten vätern wirklicher heroen hat dieser fall keine, ähn- 
lichkeit; an denen nimmt niemand anstofs. denn es ist ein anderes, wenn der 
paler quem nuptliae demonsirant einen himmlischen neben sich hat, als wenn über 
die vaterschaft eines unehelichen kindes disputirt wird. oder besser gesagt: in 
Athen ist Ion sohn des Apollon, und da giebt es keinen Xuthos; in lonien ist es 
umgekehrt. 

24) Xuthos in der tetrapolis (Strab. 383, mich dünkt, aus Ephoros), steht in 


138 IL 5. Die könige von Athen. 


siodischen genealogie wieder hat Ion, der eponym der lonier, keinen gött- 
lichen vater. 

Zur zeit des adelsstaates ist Athen in die vier ionischen phylen 
geteilt, betrachtet es sich als die zesoßırarn yaia ’Iaovins, müssen 
die beamten den-besitz des Anöliwy searewog nachweisen. eigentlich 
sollten die eponyme der zwölf phratrien und weiter die der geschlechter 
von den vier söhnen Ions stammen. aber diese consequenz ist nicht 
gezogen. weder stammen die eponyme der geschlechter von denen der 
phratrien, noch diese von denen der phylen. in einer anzahl ionischer 
städte haben dieselben phylen bestanden; erst hier ist der Ioniername, 
also auch der eponymos Ion, und zwar zunächst für die zwölf städte, 
die an dem Panionion des Poseidon teil nahmen, aufgekommen. hier 
heifsen die könige Kodriden Basiliden Neleiden. wie sollen wir das 
verstehen ? die alte antwort ist: die vier phylen bestanden in Athen, 
als dieses seine colonisten aussandte, und seine könige waren Nelei- 
den und Kodriden. so sagen Herodotos und Euripides, so würde Solon 
ohne zweifel auch sagen. wenn wir das annehmen, so haben sich 
die phylen in Athen gebildet, und zwar vor der ionischen wanderung, 
diese aber ist ein von Athen geplanter zug, nicht anders als die gründung 
von Amphipolis oder Brea. das ist alles undenkbar. die lonier leiten 
sich aus Pylos oder Achaia oder von Abanten Kadmeern u. s. w. her, 
vor Herodotos führt sich keiner von ihnen auf Athen zurück, und auch 
dieser weils sie über Athen in ihre wirkliche heimat zu bringen. auch 
nach Herodotos stammen die Ionier nicht aus Attika. Kodros ist in 
Athen ein eindringling, und das königliche geschlecht heifst Medon- 
tiden. ein teil des attischen adels will freilich pylisch und neleisch 
sein wie die lonier, aber darin liegt nichts für die abhängigkeit der 
letzteren von Athen. die phylenheroen sind in Athen eine so künst- 
liche pflanze, dafs sie wahrlich nicht vor Homer schon eine so wich- 
tige rolle in der gliederung des volkes gespielt haben können. wie 
soll man sich ihre genesis überhaupt vorstellen? es safsen in der Ke- 
kropia familien, sagen wir einmal 300, die sich in vier phylen teilten. 


einer sehr schön pragmatisirten geschichte der wanderungen, die die lonier erst von 
Athen nach Achaia, dann von da über Athen nach lonien bringt. aber diese ge- 
schichte setzt den Ion des Euripides voraus. übrigens mag in der tetrapolis wirk- 
lich eine spur des ionischen heros gewesen sein, aus Euboia stammend; haben ihn 
die Chalkidier doch auch nach Sicilien gebracht. er ist ein wirklicher heros unter 
blofsen eponymen im hesiodischen kataloge. allerdings könnte der ‘braune’ neben 
dem bunten’ Aiolos mit absicht stehn. 


lon und seine söhne. 139 


nun schlossen sich die Diakrier an, etwa 200 familien, aber nicht auf 
einmal, sondern stadt für stadt. die wurden in die vier phylen aufgeteilt, 
und als Attika geeinigt war und den zug nach Ionien unternahm, giengen 
die heerhaufen der colonisten nach diesen vier phylen geteilt ab. soll 
das jemand glauben? wozu überhaupt in dem kleinen kekropischen Athen 
die phyle über geschlechtern und brüderschaften? und wenn es deren 
vier gab, fehlten sie denn in Aphidna und Pallene? oder wurden die dor- 
tigen mit gewalt bei der annexion zerschlagen ? sobald man sch die mühe 
gibt, die dinge sich werdend vorzustellen, kommt man auf absurditäten. 
man ist gewohnt die dorischen phylen zu vergleichen. aber vergleiche 
man nur, auf dafs die unterschiede hervortreten. die Dorer sind ein 
staatloses wandervolk, wie die Germanen in der völkerwanderung. sie 
gliedern sich in stämme, das sind ihre einzigen körperschaften. Hylleer 
sind ein volk; als illyrischer stamm sind sie in Epirus sitzen geblieben. 
Dymanes zeigen durch ihren namen, dafs sie ein stamm sind, und Pam- 
phyloi sind alle, die keins der beiden andern sind. diese drei siedeln 
sich mancher orten an; aber sie finden sich gar nicht überall alle, und 
vieler orten auch andere neben ihnen.*) als sie dann selshaft werden, 
bilden sich die alten volksstämme freilich zu gliedern der neuen staaten 
um, und wenn sie dann colonien aussenden, können diese die alten 
stämme als natürliche oder künstliche glieder mitnehmen oder übertragen. 
in lonien wird durch die wanderung, deren resultat die Ionier sind, 
eine gliederung in phylen ganz analog erfolgt sein, indem sich die ein- 
zelnen bestandteile der einwanderer zunächst gesondert hielten, und neue 
gruppen hinzutraten.*) aber wie in aller welt ist das auf dem boden 
von Athen denkbar, oder vielmehr von Attika, denn die vier phylen vor 
der einigung dieses landes sind monströs. eine andere entstehung wieder 


35) "Tevn9w ist z. b. offenkundig erst aus dem 'T’evadsos gemacht, nicht um- 
gekehrt. 

26) In Ephesos haben wir die phylen ’Eysosis Bsußıwaioı Evawuno: und die 
zugewanderten 7Ys0s Kagnvaios. unter den ’Epesoeis erscheinen als zeÄsaordas drei 
in andern orten für phylen begegnende namen ’4eyadeis Barpeis Oivorıes, daneben 
Asßedsoı. unter den Bsußıvaios finden wir Alyareis (geschrieben Aiywreös laser. 
Br. Mus. CCCCLV, von Hicks verkannt und daher DLXXXVII 26 falsch ergänzt) und 
Ilslaoynos (ob aus IleAaaysvs entstanden ?). andere heifsen ersichtlich nach menschen, 
wie die Ilacos, “Hyntöges, oder nach orten Aaßavönos (Ilsios gehört wol auch 
zum Iliov). so wächst eine stadt auf neuem boden zusammen, hier ein splitter 
alten stammes, dort leute aus einem anderen orte, dort ein trupp unter der führung 
eines häuptlings, endlich die ansiedler oder eingehorenen eines fleckens der occu- 
pirten gemarkung. an den phylen von Neapolis kann man ähnliches bemerken. 


140 I. 5. Die könige von Athen. 


zeigen die tegeatischen phylen, die lediglich vier gesonderte siedelungen 
sind; das hätten die athenischen sein können, aber sie sind es nun einmal 
nicht gewesen. man sieht es am besten an den windigen constructionen 
der Atthidographen.”) und die kastenteilung, an die auch schon das 
altertum gedacht hat, ist vollends erträumt. für Ionien passen die phylen, 
für Athen passen sie nicht. für Ionien pafst Ion, für Athen pafst 
er nicht. die inseln und Euboia sind doch auch ionisch in demselben 
sinne wie Athen: weshalb fehlen dort beide? da mufs man sich ein 
herz fassen und die geschichte umkehren. 

507 hat Kleisthenes in Athen 10 phylen mit hilfe des delphischen 
gottes gemacht. es war ein act der willkür, aber es gieng sehr bequem. 
die alten vier mochten als cultverbände weiter existiren, das kümmerte 
ihn nicht ®); den Ion behielt er aber natürlich bei, denn lonier wollten die 
Athener bleiben.”) die vier phylen sind nicht mehr wert als die zehn. 
also schliefse ich, dafs sie ebenso künstlich gemacht sind. wenn jeder 
Athener einen ArcoAAw» scareıdog haben muls, trotz seinem geschlechte 
und dessen ahnherrn, so ist der ihnen allen einmal verliehen, künstlich, 
durch einen act. als Attika eine einheit geworden war, bedurfte es 
allerdings einer gliederung; der regionalismus war damals ungleich ge- 
fährlicher als 507, die bestehenden geschlechterverbände ungleich macht- 
voller. die ideelle einheit lag im dienste Athenas, aber die jungfrau bot 
keine bequeme gentilicische anknüpfung. da hat man die vier phylen 
erfunden und die phratrien dazu, oder besser die trittyen; denn phra- 
trien, d. h. gruppen engverbundener geschlechter, haben gewils vorher 
nicht gefehlt. die geschlechter aber wurden in diese fächer eingereiht; 
es ist ganz gut möglich, dafs man für sie eine schematische zahl we- 
nigstens prinzipieli aufgestellt hat, wie die Atthis 360 zählt. bewerk- 
stelligt konnte eine solche mafsregel noch 507 nur durch die sanction 
eines gottes werden. dafs die vier phylen von demselben pythischen 
Apollon gemacht sind wie die zehn, folgt aus der reception seines cultes 
als zzarewog, den die Ionier doch auch haben müssten, wenn sie die 
phylen aus Athen mitgenommen hätten.”) es wird am klarsten sein, 


27) Pollux 8, 108. Apollodor bei Strab. 397 gibt alte landesnamen, die nicht 
mehr wert haben. 

28) Wenn die vier aber grundbesitz gehabt hatten, so haben sie den den 
neuen abgetreten, denn diese besitzen land, die alten nicht. 

29) Das lehrt der grenzstein eines grundstückes, das er sogar auf Samos von 
den Athenern erhalten hat, Bull. Corr. Hell. 8, 160. 

30) Die Apaturien sind ein geschlechterfest, kein phylenfest. sie sind wirklich 


lon und seine söhne. 141 


wenn ich erzählend darlege, wie ich mir die tatsachen geworden denke. 
das geeinigte Attika braucht eine organisation, die den formen des ge- 
schlechterstaates gemäls in guiag gulafaı und wBas wAdEaı be- 
stehen muls. über das prinzip hat man sich geeinigt, ganz wie durch 
die rhetra in Sparta. die ausführung wird gemacht wie 507; man 
fragt den gott, und ein staatsmann, der ihm soufflirt, wird auch diesmal 
nicht gefehlt haben. der gott sagt “ihr habt vergessen meines lieben 
sohnes Ion und seiner vier söhne, die doch zuerst euer volk zusammen 
wohnen gelehrt haben (ovywxıoav sagt auch Aristoteles), durch sie seid 
ihr meine kinder, und wenn ihr nach ihnen euch gliedert, wird es euch 
wol ergehen.” und so führen die Athener die’ vierteilung durch und 
darunter die zwölfteilung; es ist ein ganz äufserlicher auf die verwaltung 
berechneter schematismus, das leben war und ist nur in den einzelnen 
gliedern, den geschlechtern und allenfalls den phratrien. 

Wenn der gott auf Ion geriet, so war darin ausgesprochen, dafs 
die Athener den loniern verwandt waren, die also ein deutlich erkenu- 
barer volksbegriff sein mufsten. wenn anders der gott a und e unter- 
scheiden konnte, mulste er das wissen ; wer weils, ob es so sehr viel früher 
war als die entstehung der hesiodischen Kataloge. auf die vier phylen 
als etwas allgemein ionisches konnte freilich der gott nicht verfallen, da sie 
das nicht sind"), sondern er mulste sie aus einer einzelnen stadt nehmen, 
und nahm sie aus Milet; wenn er Ephesos oder Chios gewählt hätte, würde 
ganz etwas anderes heraus gekommen sein. Milet aber war nicht nur 
die erste stadt Ioniens und dem Apollon besonders wert, sondern auch 
wirklich mit Athen in einigen beziehungen. sobald lonier und Athener 
sich ihrer verwandtschaft bewufst wurden, mulfste das sich ihnen so dar- 
stellen, dafs die stadt der autochthonen den vorrang des alters vor den 
.colonien erhielt und mehr oder minder ihre mutterstadt ward. wenn es 
trotzdem nur zu der erzählung gekommen ist, dafs die lonier über 
Athen gezogen wären, aber eigentlich aus dem Peloponnese stammten, 
so kann in wahrheit an der attischen colonisation nur herzlich wenig 
sein. es ist unvermeidlich, dafs auch ein par Athener unter den colo- 
nisten gewesen sind, Rhamnusier und Thorikier auch, (den staat 
Attika gab es noch nicht), aber die gentilicischen verbindungen fehlen 


“ionisch’, d. h. bei dem volke verbreitet, zu dem die Athener und die lonier 
Asiens gehören. aber der gott der Apaturien ist keineswegs immer und überall 
derselbe, und er ist nicht einmal in Athen der pythische Apollon. 

31) Die verbreitete ansicht, dafs die vierzahl für Ionien charakteristisch sei, 
ist gar nichts als die verallgemeinerung der vier attischen phylen. 


142 U. 5. Die könige von Athen. 


gänzlich. das einzige aulser den phylen sind die Kodriden, und diese 
sind in Athen eben so secundär wie Ion und seine söhne. dafür, dafs 
fürstengeschlechter und ganze städte in Ionien sich aus Pylos und von 
den Neliden herleiten, und in Athen manche geschlechter, darunter 
das der Medontiden, dasselbe tun, mufs allerdings ein geschichtlicher 
anlafs gesucht werden. wenn es gelingt ihn zu finden (und ich meine 
ihn in der vertreibung der älteren bevölkerung aus dem südwesten des 
Peloponneses durch Spartiaten und Eleer zu sehen), so wird dadurch viel- 
leicht sogar ein relatives datum für die einführung der älteren phylen- 
ordnung in Athen ermittelt werden. hier beschränke ich mich darauf, 
die hypothese vorzulegen, die die phylenordnung und die ionische ab- 
stammung der Athener zugleich mit der athenischen abstammung der 
lonier erklärt. 

Ein corollar ist die antwort auf das verhältnis des geschlechtes der 
Iwyidaı, das aus der existenz des so benannten demos am Brilettos 
folgt. denn dessen lage wird durch die erkenntnis der kleisthenischen 
kreisteilung fixirt. der ahnherr des geschlechtes war sohn des Gargettos 
(Paus. VJ 22, 7), und wenn ein local in Elis mit diesem verbunden 
wird, so hat der urheber dieser verbindung mit überlegung von Ion dem 
ahnherrn aller Athener abgesehen. auf die anklänge von namen und 
traditionen in Elis und Attika hat man mit recht in letzter zeit mehr 
geachtet”); es ist sehr wol möglich, dafs wirklich loniden aus dem Pe- 
loponnes nach Athen ausgewandert sind, als die Eleer ihnen zu mächtig 
wurden. ich glaube selbst, dafs die lonier ihren namen am letzten ende 
einem verschollenen stamme verdanken, der eben in jener gegend des 
Peloponneses und in den: namen des geschlechtes der Ioniden seine spuren 
hinterlassen hat; aber das liegt jenseits der geschichte, die für Athen in 
betracht kommt. für sie sind der sohn des Xuthos oder des Apollon 
und der solın des Gargettos zwei personen, die einander nichts angehen. 
im demos Potamos sollte Ion, natürlich der staatsgründer, begraben 
liegen (Paus. I 31, 3, von ihm wiederholt VII 1): die blofse existenz eines 
”/wvog riußog scheint mir aber für keinen weiteren schlufs eine zu- 
reichende basis. eine letzte frage gilt dem Ion, der als polemarch im 
kriege wider Eleusis hilft, den schon Herodotos kennt und wol auch 
Euripides.”) er kann nur unter der bedingung der staatsgründer sein, 


32) Kirchner Altica et Peloponnesiaca Greifswald 1890. 

33) Herodot 8, 44, statt seines allgemeinen ausdruckes orparaexrs gibt die 
Atthis und die auf sie gebaute mythographische tradition durchaus den atlischen 
amtstitel. Euripides formt das im Ion so um, dafs Xuthos den hilfszug macht, und 


Ion und seine söhne. 143 


dafs die sage ersonnen ist, um den solın des Xuthos herbeizuholen, mit 
anderen worten, wenn die sage nicht mehr rein attisch ist: der sohn 
des Apollon mufste ja Athener sein. befremdlich ist für diesen die 
charge des polemarchen, durch die selbst Aristoteles zu der ungeheuer- 
lichkeit gezwungen wird, die polemarchie neben dem königtume in die 
urzeit zu rücken. die eroberung von Eleusis fällt so spät, dals die er- 
innerung an einen polemarchen sich sehr wol erhalten konnte, und ein 
lonide oder gar ein Ion aus diesem geschlechte könnte also als con- 
current des heros auftreten. ich wülste zwischen den vielen möglich- 
keiten nicht zu entscheiden. 

Wie aber kommt es, dafs die Atthis, die doch die reform der ver- 
fassung 683 geschichtlich festgehalten hat, von der einführung der vier 
phylen gar nichts weils? sie konnte es nicht; für ihre anschauung 
waren sie, wie der gott gesagt hatte, höchstens wieder eingeführt. die 
söhne Ions hatten ja doch in der urzeit gelebt. ganz so, wie sie nur 
einen abfall von Eleusis oder den einfall eines Thrakerheeres erzählen 
kann, wie Kekrops bereits könig von ganz Attika ist, trotz den synoi- 
kismen des lon und des Theseus, mulste auch hier das resultat der ent- 
wicklung in die urzeit projicirt werden. die Atthis hat aber überhaupt 
so ganz auf dem boden des demokratischen kleisthenischen Athens gestan- 
den, dafs sie für die alten phylen, ja selbst die phratrien und geschlechter, 
die doch fortbestanden, fast gar kein interesse Iıat. in ihrer urgeschichte 
welt derselbe geist wie in der hohen poesie des fünften jahrhunderts. 
man schiert sich wenig um den eben überwundenen adel, freut sich 
um so mehr au dem stolzen bau der jungen demokratie. so schlägt man 
kübn von ihr die brücke unmittelbar zu der urzeit. könig Theseus 
schafft ordnung in der anarchie und legt den grund zu der freiheit und 
gleichheit. für die schilderung der anarchie braucht man selbständige 
zco4tıs, und sie bolen sich in den lebendigen traditionen der Aphi- 
dnaeer Epakrier Palleneer. bequem bot sich die zwölfzahl der alten 
trittiyen, die man durch solche namen örtlich fixirte. damit ist noch 
gar nicht gesagt, dafs man wirklich 12 aufzählte oder mit überlegung 
wählte: die aufzählung ist erst ein act der forschung.?') eben so bequem 


läfst ihn wider Euboia ziehn (wo Xuthos doch zu hause ist), weil seine chronologie 
den kampf mit Eleusis, in dem Kreusas schwestern geopfert sind, nicht verträgt. wie 
er im Erechtheus gedichtet hatte, ist leider nicht sicher zu erkennen. in ihm wird 
Erechtheus kinderlos und adoptirt, wie es scheint, am ende einen sohn: ich kann 
nur an Ion denken; aber ein wirklicher beweis ist mir nicht möglich. 

34) Strab. 397 gibt die liste nach Philochoros. der fehlende name dürfte hinter 


144 I. 5. Die könige von Athen. 


bot sich die vierzahl, und so entstand die auch von Aristoteles ruhig 
neben den vier phylen gegebene tradition von den vier söhnen des 
Pandion. denn wenn auch Nisos schon zu der zeit annectirt ist, 
wo Nisaia von Peisistratos occupirt war, so konnte doch jene zeit, in 
der factisch die Diakrier über Athen geboten, unmöglich Lykos und 
Pallas als abtrünnige und aufständige schildern, die der städter Theseus 
zu paaren triebe. auch diese sophokleische erzählung ist noch poesie 
der grolsen zeit, aus ihr verständlich. erst die forschung, verführt durch 
das bestreben, die vier phylen und die zwölf trittyen örtlich zu fixiren, 
baut darauf vergeblich geschichtliche combinationen. die combinationen 
helfen uns nicht: nur die elemente, die sie combiniren, nehmen wir 
dankbar an, um unsererseits zu versuchen, ob es uns besser -lücke als 
unsern vorgängern, Philochoros und Apollodoros. 


Kngısla als Movvigia zu ergänzen sein. es fehlt allerdings auch allen, aber 
dessen eponymos ist sohn Pandions; dagegen hat Munichia einen eigenen könig als 
eponymos, und man sollte meinen, es hätte sich als »o4ss dem blicke des forschers 
aufdrängen müssen. 


6. 
TRITTYEN UND DEMEN. 


. Ohne die phylen und demen des Kleisthenes kann man sich Athen, Die reform 


oder doch ein demokratisches Athen, gar nicht vorstellen. demgemäfs sthenes. 
sollte der gründer der gemeindeordnung der populärste name in seinem 
volke sein.) dem stand seine hochadliche abkunft hindernd entgegen, 
und der name des volksmannes Solon hat den seinen fast verdrängt. 
als man bald nach den Perserkriegen den staatsfriedhof anlegte, erhielt 
Kleisthenes noch ein ehrengrab*): damals lebten noch die zeugen seiner 
reform. 411 wird eine berücksichtigung seiner gesetze wenigstens in 
einem amendement vorgesehn (29, 3); aber schon 403 redet man nur 
von Drakons und Solons gesetzen, und im vierten jahrhundert pflegt 
Kleisthenes höchstens als annex Solons aufzutreten.?) die chronik hatte 
wenigstens die änderung der phylen und demen sehr eingehend be- 
handelt, auf grund von reichem urkundenmateriale; aber ihr grundstock 
gehörte doch einer zeit an, die so vollkommen durchdrungen war 
von den gewaltsamen neuerungen des reformators, dafs sie das ältere, 


1) Die komoedie hat den namen Kleisthenes für den xaranuyo» zu einem 
typischen gemacht. gegeben hat es den menschen (6 StAveriov Acharn. 118), aber 
unmöglich hat er von 425—405 sein handwerk so treiben können, dafs er den 
frischen spott herausforderte; er ist auch in der Lysistrate viel mehr typus als in- 
dividuum; mit Kleonymos, dem dicken feigen demagogen steht es ähnlich, um so 
klarer ist, dafs der name des grofsen Alkmeoniden dem volke kein heiliger war, 
ja dafs man an ihn bei diesem namen gar nicht dachte. 

2) Pausan. I 29,7. nebenan war das grab der Thessaler, die bei dem siege 
über Anchimolos 511 gefallen waren. so wird dem Kleisthenes das ehrengrab wol 
auch wesentlich zum danke für die vertreibung der tyrannen errichtet sein. 

3) Isokrates rechnet ihn sowol im Areopagitikos 16 wie im Panathenaikos 
232. 306 einfach unter die vertreter der guten demokratie. Plut. Kim. 15 redet gar 
von der dni Kissodsvovs agıoroxgaria. sonst kennen ihn weder die redner noch 
Platon. 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 10 


) 


146 I. 6. Trittyen und demen. 


den geschlechterstaat, gar nicht mehr verstand. wir können die beiden 
berichte, über die wir verfügen, bei Herodotos und Aristoteles, leider 
durch sonstige reste der chronik nicht sehr stark ergänzen. Herodot 
hat aufser den mündlichen traditionen des Alkmeonidenhauses, die das 
persönliche angehn, das ihn vorwiegend interessirt, einen der chronik 
analogen mündlichen oder schriftlichen bericht benutzt; aber er hatte 
für- die verfassung, abgesehen von dem demokratischen prinzipe, kein 
interesse. so ist das kurze capitel des Aristoteles (21) eine wahre offen- 
barung für uns und erfordert eine eingehende erläuterung. wir erfahren 
lange nicht alles was wir wünschten, über den rat z. b. nichts als die 
gleichgiltige vermehrung der zahl, über die beamten nichts, wo doch 
die Atthis des Androtion wenigstens die schöpfung der apodekten angab, 
über die demarchen nur, dafs sie die naukraren ersetzten, wo die Atthis 
des Kleidemos sehr viel genaueres gab. dals die archonten im gegen- 
satze zu Solon gewählt wurten, kommt später gelegentlich zur sprache 
(22,5); dafs die stralegen erst einige jahre nach 507 auf 10 erhöht 
wurden, ebenfalls (22, 5), woraus wir schliefsen dürfen, dafs wir unter 
dem namen der kleisthenischen verfassung etwas zusammenfassen was 
nicht ein act, sondern das ergebnis einer reform war, die aus einer 
wurzel allmählich mit notwendigkeit erwuchs. diese wurzel ist die er- 
setzung des geschlechterstaates durch die gemeindeordnung. und über 
sie wenigstens teilt uns Aristoteles einige grundsätze mit, deren trag- 
weite sehr viel gröfser ist, wahrscheinlich selbst als das was ich daraus 
hier. entwickele. schmerzlich bedauert man wieder, dals Aristoteles selbst 
so gar kein interesse für das leben der einzelgemeinden gehabt hat, denn 
hier müfste stehen, was aus anderer überlieferung einigermalsen zu er- 
setzen eine hauptaufgabe künftiger forschung ist, welche grenze der 
einzelgemeinde für ihre selbstverwaltung gezogen war. aber seien wir 
dankbar auch für das wenige was wir erfahren: es ist alles eitel gold. 

Das erste ist die vermehrung der bürgerschaft durch die aufnahme 
von neuen elementen, wozu als ergänzung die ungestörte fortexistenz 
der nun für den staat bedeutungslosen verbände des geschlechterstaates 
gehört. das hat namentlich bedeutung, weil es die richtige auffassung 


; der beiden stellen der Politik (' 1275° Z 1319”) sicher stellt; es ist 


von mir an anderen stellen behandelt. wir hören dann die verände- 


‘ rung des attischen namenswesens durch die einführung des demotikons; 
| das ist nichts neues, hat aber bisher seine volle würdigung nicht er- 


halten, und ich habe ihm das nächste capitel gewidmet. endlich aber 


‘wird uns nun erst die bildung der phylen und der gemeinden klar: das 


Die reform des Kleisthenes. 147 


soll hier erörtert werden.) wenn wir Aristoteles sagen, so gilt das natür- 
lich nur, weil wir sein buch lesen: dafs er auch hier lediglich die Atthis 
wiedergibt ist sowol durch directe berührungen wie durch den inhalt 
klar. nur einige gelegentlich angeschlossene bemerkungen dürften allen- 
falls sein eigen sein, über ein specifisch attisches wort (@vAoxgıveiv), die 
dem ausländer auffällige verbreitung der demotika in der attischen nomen- 
clatur, endlich der versuch, ein motiv dafür zu finden, weshalb Klei- 
sthenes nicht zwölf phylen eingerichtet habe. dafs Aristoteles danach 
fragt, kommt aus dem sehr richtigen gefühle, dafs die zwölfzahl der pry- 
tanien für die verwaltung wirklich viel praktischer gewesen wäre. das 
haben die Athener durch die praxis gelernt und deshalb 307 und wieder 
200 die zahl eingeführt, durch die das geschäftsjahr in eben so viele 
perioden zerfiel wie das kalenderjahr in monate (nur dafs man sich vor 
dem verständigen schritte gescheut hat, auch das sonnenjahr einzuführen). 
Aristoteles hat aber diese beobachtung doch nicht selbst gemacht, son- 
dern in der platonischen schule gehört: denn Platon selbst hat für den 
staat seiner Gesetze zwölf phylen vorgesehn (828). übrigens hatte schon die 
zahlenspeculation, die Aristoteles im eingange seines buches reproducirte 
(frgm. 3), den alten geschlechterstaat mit der gliederung des jahres ver- 
glichen. eben in der absicht, sich von dem geschlechterstaate zu ent- 
fernen, glaubt Aristoteles das motiv zu finden, das den Kleisthenes dazu 
vermocht habe, die zehnzahl der phylen vorzuziehen. er meint, sie 
wären sonst mit den alten trittyen zusammengefallen. das ist nicht 
richtig; die alten trittyen waren ja drittelungen der adelsphylen, hatten 
also so wenig wie diese einen localen charakter, der vielmehr erst in 
den naukrarien hervortrat; wir wissen nur nicht, wie diese mit dem gen- 
tilicischen prinzipe ausgeglichen waren.’) es zeigt sich wieder, dals Ari- 


4) Da mir dieser gegenstand in folge meiner früheren studien über die demen- 
ordnung besonders nahe lag, hatte ich dieses capitel schon 1891 fertig gestellt. 
mittlerweile hat Milchhöfer dasselbe behandelt (Untersuchung über die Demenordnung 
des Kleisthenes 1892). ich werde dasjenige in anmerkungen nachtragen, was er 
mich gelehrt hat, auf jede polemik verzichten und die übereinstimmung nicht no- 
tiren. ich will auch auf eine kritik der Milchhöferschen arbeit verzichten. wir 
geben beide nur provisorisches; wenn ich das attische land genauer kennte, würde 
ich es besser machen. wer die wichtige aufgabe gut lösen will, mufs sowol orts- 
kenntnis wie philologisches und historisches urteil besitzen. als diese zweite be- 
arbeitung schon in der druckerei war, ist der tief eingreifende aufsatz von R. Loeper 
(Ath. Mitteil. 17) erschienen: es ist mir unmöglich, mich mit ihm auseinander- 
zusetzen. so mufs ich einiges tatsächlich überholte notgedrungen stehn lassen. 

5) Da die alten trittyen zugleich die phratrien sind, kann man auf den einfall 
kommen, dafs in der tat die drittel der adelsstämme mit einem drittel des landes 

10* 


148 IL 6. Trittyen und demen. 


stoteles so wenig wie die Atthis sich den geschlechterstaat wirklich klar 


emacht hat. 
Die nn Kleisthenes machte also zehn phylen und benannte sie nach den 
1) 


: zehn eponymen, die die Pythia aus der liste von hundert alten fürsten 
| (Goynyeraı) auswählte. unter sie verteilte er das land so, dafs jede von 

ihnen einen strich landes in der nähe der stadt, einen im binnenlande, 
| einen an der küste erhielt. 

Das ist das neue. Attika zerfiel fortan in drei geschlossene massen, 
stadt-, land-, küstenprovinz, um bequeme namen zu stiften; jede pro- 
vinz zerfiel in zehn kreise; für die verwaltung gehört aber nicht die 
provinz zusammen, sondern je ein kreis jeder provinz. diese einheit 
führt den dem geschlechterstaat entlehnten namen phyle, stamm; und 
die kreise heilsen von ihrem verhältnisse zu dem stamme drittel, trittyen. 
die absicht des gesetzgebers mulste sein, für die phylen eine möglichst 
gleiche leistungsfähigkeit, sowol militärisch wie finanziell, zu erzielen; 
minder nötig war das schon für die kreise. auf die räumliche aus- 
gleichung kam nichts an, und in Attikas bergen und ödländereien war 
sie gar nicht einmal anzustreben. wie viele gemeinden endlich in einem 
kreise oder einer phyle waren, machte für die organisation sehr wenig 
aus. es konnten dafür die praktischen rücksichten auf die ansiedelung 
und bevölkerungsdichtigkeit innerhalb des kreises ganz ausschliefslich 
malsgebend sein; darum sind auch auf diesem gebiete veränderungen 
vorgekommen, ohne dafs sie die verfassung berührten, so dafs wir über 
so etwas wie die teilung einer gemeinde oder auch die verleihung des 
gemeinderechtes an eine neue siedelung niemals etwas hören, es sei denn 
in verbindung mit der phylenverfassung. wichtig ist nach dieser seite 
nur die rechtliche zerstörung der hauptstadt, an deren stelle eine pro- 
vinz tritt. darüber brauche ich meine früheren ausführungen weder zu 
ändern noch zu wiederholen. 

Die zahl der Aber sonst ist es gut zunächst irrtümer einzugestehn und zu be- 
demen. Lichtigen. es hat also niemals hundert demen gegeben, überhaupt keine 


ausgeglichen wären, was dann freilich tiefeinschneidende umgestaltungen des reinen 
geschlechterstaates voraussetzen würde. dann wären bereits in jeder adelsphyle 
die drei landesteile, stadt, binnenland und küste, vertreten gewesen, also zwölf 
compacte massen als grundlage für die dreifsig trilttyen der neuen ordnung. und 
mit den drei landesteilen könnte man die drei parteien, von denen die küstenbevöl- 
kerung wirklich eine ist, oder die drei stände, von denen die eupatriden städtisch 
sein könnten, auszugleichen versuchen. allein ich scheue mich vor solchen ledig- 
lich auf die zahl gebauten combinationen. 


Die zahl der demen. 149 


runde zahl, da auf die zahl nichts ankam. es war schon peinlich em- 
pfunden worden, dafs wir die vermehrung der demen über hundert hinaus 
nicht nur nirgends überliefert hatten, sondern auch so sehr bald nach Klei- 
sthenes, noch in themistokleischer zeit, ansetzen mulsten. aber wir ver- 
harrten doch auf dem wege, weil wir die trittyen verkannten. und wir 
verliefsen uns auf die angabe über die hundert eponyme, die wir um 
des Kephalos und Araphen willen für die der demen hielten. wenn wir 
jetzt die überlieferung ansehen, müssen wir wol zugestehn, dafs wir den 
fehlschlufs durch schärfere interpretation hätten vermeiden können’), 
und dafs ein zeugnis wie Ilavory‘ News Arrıxög, xal &v roig dnw- 
yvuoıg!) eigentlich ausreichen sollte, jene combination zu verbieten, da 
Panops ja der eponymos eines brunnens, nicht eines demos ist. wenn 
die Pythia anders gewählt hätte, würden wir etwa statt einer Antiochis 
und Oineis eine Panopis und Araphenis haben. dafs einzelne von der 
Pythia verworfene namen für gemeindeheroen verwandt sind, kann nicht 
befremden; stehen doch neben einem Oineus als phylenheros noch zwei 
demenheroen gleichen namens, und ob das schon vor 507 drei ver- 
schiedene personen waren, ist sehr fraglich. beherzige man aber, dafs die 
chronik in der lage war, die vorschlagliste mitzuteilen, die Kleisthenes 
nach Delphi geschickt hatte. das ist sowol für die güte ihres materiales 
ein wichtiges document wie für die bedeutung, die man diesen personen 
beilegte, die uns doch zumeist leere namen sind. aufser der falschen 
auffassung der hundert heroen hat die corruptel der Herodotstelle irre 
geführt, und es trifft sich glücklich, dafs sie gerade jetzt mit hilfe einer 
attischen urkunde verbessert ist, ein ziel, nach dem viele gute schützen 
vergeblich geschossen hatten. Herodotos hat von Kleisthenes erzählt 
(5, 69) sag pviag uerovvouaoe xal Enolnoe nıkeüvag E& Elacaovwy, 
Öbra ve dn Yulapyovs avrl reoatgwv Errolnoe, bexalya) be xal vorg 
Önuovs xareveusv &s rag Yvkag.) darin liegt nur, dafs er die demen 


8) Das zeugnis der Atthis, das wir zu der stelle angeführt haben (vgl. auch 
oben 1225), zählte die 10 phylenheroen auf: rovrovs yap dE övonaraov dxaröv 0 
Hscs dEsiskaro. unmöglich könnten den übrig bleibenden 90 die hundert demen 
entsprechen. 

8) Phot. Hesych s. v. haben dies nicht, aber sonst mehr. die glosse ist be- 
stimmt für den anfang von Platons Lysis, wo die Ilavonos xonwn erwähnt wird. 
Ilavoy ist nebenform von Ilavorevs: denn die Ilavonnis Aiyin, die geliebte des 
Theseus, werden wir lieber in Athen als in Phokis, in Panopeus, suchen. 

9) Die ergänzung oder besser wiederholung von zwei buchstaben hat das 
schöne psephisma von 405 für Samos gelehrt (z. 31, SeAr. aey. 89, 26) veiuas 


150 il. 6. Trittyen und demen. 


in zehn teilen den phylen zuwies; die demen dachte Herodot als vor 
_ Kleisthenes bereits vorhanden. das wufste die Atthis, wie natürlich, 
besser; aber die einfache wahrheit zu sagen konnte sie sich nicht mehr 
entschliefsen. wir sehen, dafs Kleisthenes teils wirkliche dörfer mit orts- 
namen zu demen machte, Aixone, Rhamnus, Acharnai, teils alte geschlechter- 
namen für gemeinden wählte, gewils weil dort angehörige der geschlechter 
wohnten oder gewohnt hatten, Kothokidai Aithalidai Ionidai, dies sogar 
in einzelnen fällen trotzdem, dafs die geschlechter einen ortsnamen neben 
sich hatten, wie Paionia neben Paionidai, Kropeia neben Kropidai.') in 
diesen letzteren fällen war eine feste siedelung vielleicht sehr oft nicht 
vorhanden; die gemeinde, dnuos, verlangt sie so wenig wie die xwun. 
dafür war ein eponymer ahnherr des geschlechtes im namen gegeben, 
weun auch sehr oft ein fictiver. die alten dörfer hatten vielfach einen 
längst zu einer wirklichen person ausgebildeten eponymos, wie Kephale 
Melite Gargettos, andere wie Rhamnus oder Halimus schwerlich, “Dorn’ 
und “Stranddistel’ passen dazu recht schlecht. als sie zu gemeinden 
wurden, bedurftien sie eines gemeinsamen cultes. der träger des re- 
ligiös gefalsten gefühles der zusammengehörigkeit war der news xzlorng, 
und da diese gemeinschaft so sehr bedeutend ward, ist auch der heros 
an bedeutung gewachsen; doch war es zu spät, als dafs die sage noch 
kräftig wucherte, und in Rhamnus z. b. hat er es nicht einmal zu einem 
wirklichen namen gebracht.'') so sehen wir die dinge an. aber weder 
der glaube noch der rationalismus konnte das tun. für sie alle beide war 
der heros uralt, hatte längst vor Kleisthenes gelebt und die gemeinde 
gegründet; wenn Kleisthenes notorisch sie nicht mehr als existirend vor- 
gefunden hatte, so hatte er sie doch nur restituirt. es traf sich dafür 
gut, dafs die neugründungen meistens gentilicische namen trugen, so 


avrovs .. eis Tovs Önuovs xal ras pulas Öexaya. Lolling, der nur die gramma- 
tische bildung (®s redya« Tergaya) verkannte, gebührt das verdienst der emendation. 

10) Die alten römischen tribus können uns am besten lehren, wie ein ge- 
schlecht und ein stück der flur homonym sein können. in Attika sind selbst- 
verständlich gar nicht alle solche localgentilicischen namen zu gemeinden geworden, 
z. b. die 'Eyelidaı, so wenig wie alle dörfer, Movrızla, Beaveov, oder fluren, 
"Axadnussa, die einen heros besafsen. bei den stattlicheren dörfern, wie den beiden 
genannten, fragen wir natürlich nach dem grunde und finden ihn auch, da die er- 
klärung in der kleisthenischen zeit selbst gesucht werden mufs. 

11) CIA 11 1191, inschrift eines sesselpares isgsus New Apzxnystov. so war in 
Daulis ein heiligium eines 70@s &eynysrns, den man sich bewaffnet dachte wie alle 
heroen, aber unbenannt gelassen hatte. dann kamen die myihographen und suchten 
nach einem namen, Pausan. X 4, 10. 


Die zahl der demen. Pandionis. 151 


dafs für sie der heros vorhanden war; dals er eigentlich der ahnherr 
eines geschlechtes war, das möglicherweise noch bestand, davon mochte 
man nichts wissen. Aristoteles, der ja an der historischen existenz selbst 
von Theseus und Herakles nicht gezweifelt hat, giebt diese erklärung 
getreulich wieder “er benannte die demen zum teil nach den örtlich- 
keiten (Rhamnus Peiraieus Eleusis), zum teil nach den gründern (den 
eponymen, Titakos, Paion, Butes), denn local bestanden sie nicht 
mehr alle”. 

Der zweite hauptirrtum, der berichtigt wird, geht mich ganz per- Die 
sönlich an. auch in der modification, die ich ihr gegeben habe, ist on 
Sauppes lehre von den zehn städtischen demen nicht richtig. aber es 
steckte in ihr doch etwas richtiges. es sind nur nicht zehn städtische 
demen gewesen, sondern zehn städtische trittyen; ich hatte eine davon 
auch schon ganz richtig bestimmt (Herm. 22, 124), und hätte wol das 
wahre gefunden, wenn ich den bericht des Psellos (d. h. den auszug aus 
der aristotelischen stelle) nicht übersehen hätte. natürlich ist nun aber 
nicht mehr nötig, dafs jeder stadtkreis ein stück des landes umfasse, das 
Themistokles in seinen mauerring gezogen hat. 

Hinfort stellt sich die topographische aufgabe so, dals eine karte Topogra- 
von Attika hergestellt werde, auf der die drei provinzen und die je zehn auf 
kreise deutlich hervortreten, und innerhalb dieser die gemeinden. die 
aussichten auf deren fixirung sind stark gewachsen. so will ich denn 
den versuch wagen, den ersten anhieb zu diesem werke zu tun, sicher 
überzeugt, manchen fehlhieb zu tun, wie ich es bisher getan. es kommt 
mir aber mehr aüf das grölsere, die kreise an, als auf die gemeinden. 
wenn Aristoteles ganz genau geredet hätte, so mülste jede gemeinde, die 
wir fixiren, zugleich auch einen kreis an einem punkte fest legen; es 
wird sich aber sogleich zeigen, dafs er nur die regel angegeben hat, 
von der es sehr bedeutende abweichungen gab. 

Von der Pandionis sind die trittyen alle drei überliefert durch die Pandionis. 
prytanenliste H 871 und den grenzstein des hafens IV p. 120, 517°. 

Paiania Myrrhinus K(ydathenaion): dafs der letzte name so richtig er- 
gänzt ist, folgt aus der forderung eines städtischen demos. Paiania und 
Myrrhinus liegen beide im binnenlande; aber es braucht ja nicht der 
vorort eines kreises am meere zu liegen, wenn es nur der kreis tut, 
und neben Myrrhinus liegen Steiria und Prasiai. zwei prytanenlisten 
der phyle, II 865 und AeAr. 89, 18 sind nach trittyen geordnet, denn 
865 wird am kopfe der ersten columne Mvogıyovono:, im Jelrt. Kv- 
dadnvaıns am kopfe der letzten sicher ergänzt. danach können wir 


Oineis. 


152 I. 6. Trittyen und demen. 


Oa und Konthyle neben Paiania, Angele neben Myrrhinus mit sicherheit 
ansetzen.') aber aus der umgegend der stadt gibt es keinen zweiten 
demos der Pandionis, und zu ihrer trittiys gehört Probalinthos aus der 
tetrapolis.'”) damit ist sofort eine ausnahme der regel festgestellt.‘‘) 
eine andere bilden die Graes in dem stücke der Tocıxn, das Athen 
nicht mit Oropos verloren und dann zu den gemeinden I'gang und Papis 
gemacht zu haben scheint, von denen dieses zu dem benachbarten küsten- 
kreise der Aiantis kam, jenes zur Pandionis. diese kleinen demen scheinen 
nämlich nicht kleisthenisch zu sein. endlich wird Kytherros, nach Apollo- 
doros bei Strabon eine der zwölf städte, also sicher eine alte burg, so 
unbedeutend die gemeinde auch war, in dem landkreise zu suchen sein; 
da muls die ortsforschung ansetzen. 

Sicher sind auch die kreise der Oineis, denn Lakiadai gibt der 
grenzstein 1 500, Thria IV 517’, und dafs Acharnai der vorort des land- 
kreises ist, oder vielmehr ihn so gut wie ganz darstellt, folgt aus der 
ganz einzigen gröfse dieser gemeinde, die im jahre 360/59 mit 22 mann 
im rate sals, also viel mehr als einem drittel der phyle zukommt (II 868, 
nicht nach trittyen geordnet).'‘) Thria repraesentirt den küstenkreis, zu 
dem sicher Oie und Phyle gehören, so dafs er sehr wenig küste und 
auch nicht einmal einen schlechten hafen hat, aber bis in das hoch- 
gebirge reicht. zu den Lakiaden gehören noch als gemeinden des stadt- 
kreises die Butaden Kothokiden'%) Epikephisia'”) und Lusia'®); in die 
thriasische ebene wol noch die Perithoiden.") 


12) Für dessen lage fehlten auch bisher nicht ganz die anhaltspunkte, Milch- 
höfer, text zu den karten Ill 10. 

13) So auf der liste des SsArio» und 863 nach einer schönen emendation 
Köhlers. 

14) Die liste 873 hatte mehr als drei columnen. sie beginnt mit 13 männern 
des landkreises, richtig mit Paiania anfangend, dann folgen 13 des küstenkreises, 
aber Myrrhinus folgt erst nach Prasiai und Angele, dann 4 Probalisier (hergestellt 
von Wilhelm Herm. 24, 173): die ordnung war also gestört. 

15) Die köhler von Acharnai belehren uns darüber mit sicherheit, dafs das 
gemeindeland nördlich bis an den Parnes hinauf reicht, denn in der ebene war 
kein wald. 

16) Da diese beiden zu derselben phratrie gehören, die phratrien auch einiger- 
mafsen localen charakter haben, und ein grundstück des königs Apheidas in Kotho- 
kidai liegt (CIA II 785), die Butaden selbstverständlich städtisch sind, so habe ich 
diesen ansatz schon früher vertreten; nur local können wir nunmehr erst diesen 
kreis festlegen, da die Lakiaden an der Kephisosbrücke sicher gewohnt haben. 

17) Diese lage hatte Dittenberger zu Syll. 298 bestimmt; ich habe deshalb den 
gedanken an den thriasischen Kephisos aufgegeben. 


Hippothontis. 153 


Von der Hippothontis gibt der grenzstein des hafens I 517 die trit- 
tyen Eleusis und Peiraieus. an diesen grenzen Koile Keiriadai Thymai- 
tadai Korydallos: das ist der stadtkreis; von der künftigen bedeutung des 
hafens konnte Kleisthenes nichts ahnen. immerhin war Thymaitadai ein 
alter hafenplatz, und Munichia, dessen namen er durch Peiraieus ersetzte, 
eine alte inselburg, die so viel maritime bedeutung gehabt haben muls, 
wie der hauptort des küstenkreises Eleusis, der sich wie der thriasische 
neben ihm, bis auf den kamm des gebirges erstreckte, denn Oinoe ge- 
hört dazu; dazwischen wird noch ein oder der andere geringe demos 
liegen ®): das alteleusinische reich war ungleich stärker centralisirt als 
das kekropische Athen. den charakter des küstenkreises hat Kleisthenes 
in dieser phyle durch eine sehr starke abweichung von der localen zu- 
sammengehörigkeit bewirkt, indem er Azenia, nahe bei Sunion, zu Eleusis 
in dieselbe trittys versetzte. die landtrittys wird durch Dekeleia, nach 
dem wir sie benennen können, sammt seinem Oion und Sphendale sicher 
bestimmt; auch hier müssen noch ein par kleine gemeinden gelegen 
haben, zu denen die der wilden birnbäume, Acherdus, wol sicher gezählt 
werden darf.*') 

Von der Akamantis ist die städtische trittys der Kerameer bezeugt 
(1500); das andere ist aber so schwer, dafs die antwort erst nach be- 
sprechung aller anderen phylen versucht werden kann. 


18) 1I 834b JI 59 werden für einen bau im städtischen Eleusinion 3 trachten 
yn Zxıgds verrechnet, & 2'js dr. inclusive transport, und 40 trachten y7 Aovosas 
zu demselben preise. also war Lusia schwerlich weiter als das ox/po» in Lakiadai. 

19) Nach einer schönen vermutung Töpffers (Att. Geneal. 109) war ein mann 
IlsgıFoldöns ra» Inumv, Dılısus nv poarglav, Kosgwmriöns zo yevos und die Koi- 


roniden scheinen an die dssrod zu gehören. sicher ist das freilich nicht; man möchte 


nur lieber auf die weite strecke im westen einen demos mehr bringen als auf das 
fleckchen neben der stadt. 

20) Von diesen weist Milchhöfer 8. 33 die Avgidas auf ländlichen grabsteinen 
nach, an der heiligen strafse gefunden. ich weifs nicht, ob sie demselben demos 
angehören können wie das dorf Magula, nördlich von Eleusis: dort ist ein phylen- 
beschlufs gefunden (Mitteil. Ath. X 111), natürlich der Hippothontis. der heros, 
Kerkyons sohn, gehört in diese gegend. weil sein heiligtum hier war, haben wir 
keine prytanenlisten und phylenbeschlüsse seiner phyle aus der stadt. II 5675 ist 
ein solcher, im Asklepieion gefunden; es steht aber auch darin, dafs er dort und 
in dem Hippothontion anfgestellt werden sollte; Pausanias erwähnt dieses an der 
heiligen strafse noch vor der Kephisosbrücke (l 38, 4). der stein war also sicher 
nach Magula verschleppt. 

21) Die vermutung von Dragumis Anakaia in der flur Anakasa nördlich der 
stadt zu finden (AYnw. X 50) ist beseiligt. 


Hippo- 
ıhontia. 


Algeis. 


154 I. 6. Trittiyen und demen. 


Überliefert ist noch ein trittiyenname, ’Erraxgng”), nicht identisch 
mit einem demos, sondern mit einem alten cultverbande, an dem drei 
spätere gemeinden teil nahmen, von denen wir Plotheia aus der Aigeis 
und Semachidai aus der Antiochis kennen. Plotheias lage ist bei Palaeosta- 
mata gesichert, für beide demen als hauptcult der des Dionysos, und 
so wird man als dritten demos der Epakria das unweit Plotheia gelegene 
lkaria anerkennen, das noch heute nach Dionysos heifst.”) Ikaria gehört 
auch zur Aigeis, und so werden die Epakres den landkreis dieser phyle 
bezeichnen. von dem cultverbande hat Kleisthenes eine gemeinde ab- 
gerissen, ganz wie er es mit der tetrapolis von Marathon und der des 
Peiraieus gethan hat. der küstenkreis der Aigeis ist sehr deutlich; er 
setzt südlich an die tetrapolis (Probalinthos) an und reicht bis zu der 
alten Peisistratidenburg Brauron, die als gemeinde zerschlagen ward wie 
die hauptstadt. Philaidai, Araphen mit seinen lagunen (YAal) Phegaia, 
Myrrhinutte stehn hier fest; Iinzutritt Otryne, von dem nur die lage am 
meere bekannt war.?‘) es wird aber schwer diesen küstenkreis von dem 
landkreise zu scheiden, weil sie aneinanderstofsen. denn fest localisirte 
demen der Aigeis sind noch Herchia (Spata) und Gargettos mit lonidai. *) 
da Gargettos am südabhange des Brilettos liegt, Plotheia nordöstlich von 
ihm, Herchia weit südöstlich, an Araphen etwa stofsend, so ist hier ein 


22) 1 617® hergestellt von Dittenberger aus dem nur all zu verstümmelten 
pachtvertrage II 1053. die herstellung von zeswzvag]xos ist unsicher, z. b. dr- 
zag]xos auch möglich, so dafs ich im folgenden von ihr absehe. 

23) Demenstatut von Plotheia Il 570. die z. 30 erwähnten ’Eraxens sind 
nicht die trittys, sondern die tripolis, denn sie haben iega. von z. 33 ist zu schreiben 
(ich bezeichne nur weitere ergänzungen) xai ds za iepa ra noıwa, dv Haoıcıw darı- 
ovras Illwdns olvov nageyes röv» dx To xoıwö, ds us» ra alla ispa udxos [Nudxo, 
so Wilhelm] &xaor®s rois napöcı IIlmIsav, [ds Auovucsa di] dıdacxdla xaldor. 
es handelt sich um die spiele, die wir aus den demenurkunden von Ikaria kennen, 
die zugehörigkeit der Semachiden zur Epakria und ihre dionysische legende gibt 
Philochoros bei Steph. Byz. s. v. dafs die Epakria eine dreistadt war, sagt die 
sicher aus der Atthis stammende glosse Et. M. Suidas (quelle das Photiusglossar) 
’Enaxoia. Strabon 397 tritt bestätigend hinzu. 

24) Durch seine hechte, Antiphanes im Timon. ich mufs mich anschuldigen 
lediglich im vertrauen auf eine alte karte Kieperts Otryne an den Korydallos gesetzt 
zu haben; das hat keine gewähr. 

25) Man wird jetzt nicht zweifeln, dafs der eponymos "Io» 0 I’apyırrov war 
(Pausan. VI 22, 7). der vater der vier phyleneponyme pafst auch so wenig zum 
demenheros wie der phyleneponymos Oineus mit den demenheroen gleichen namens 
gleichgesetzt wird. wenn Auxa» Avrolvxov Gogixıos im schol. Plat. Apolog. 23° 
‘Io ysvos heifst, so kann ich darin nur die insinuation der fremden herkunft sehn, 
nicht das geschlecht, das ’Iovidns lauten müfste. 


Aigeis. Kekropis. 155 


bedeutender bezirk für die phyle festgelegt, zum teil im gebirgslande, wo 
das dorf des haidekrautes ’Eoixeıa sehr gut palst, zum teil in frucht- 
barem lande gelegen: da mag man sich die heimat der Teithrasier und 
der Kydantiden, also des Nikias, denken. die städtischen demen sind 
bekannt; Kolonos hippios Bate Diomeia Ankyle”), das sich bis an den 
Hymettos zog, sehr passend das wellige unfruchtbare land bezeichnend, 
durch das man jetzt vom Engelskloster nach Kaesariani geht. das ist ein 
strich, von der Akademie an die nordseite und nordostseite der themisto- 
kleischen stadt umfassend. hinzutritt aber der innerhalb der mauern, 
wenigstens zumeist, gelegene Kollytos.*”) 

Nun ist nur noch ein zweifelhafter trittyenname überliefert, Pwrirıs, 
der nichts lehrt.”) aber die sonderung der kreise geht gerade in einigen 
phylen, von denen nichts direct überliefert ist, sehr leicht. so hat die 
Aiantis nur das eine Phaleron als städtische gemeinde und städtischen 
kreis, alle andern gemeinden liegen im nordosten, Aphidna mit Titakidai 
Thyrgonidai Perrhidai mag den landkreis, Rhamnus mit Psaphis, Marathon 
mit Oinoe und Trikorythos den küstenkreis bilden; doch ist die sonderung 
dieser beiden, die aneinander stofsen, nicht sicher. 

Die Kekropis hat als stadtkreis Melite und Xypete, als landkreis 
den fruchtbaren strich nördlich und östlich von Turkovuni nach dem 
südwestabhange des Brilettos zu, doch so hoch hinauf, dafs die quelle des 
Kephisos noch dazugehört, denn sie war in Trinemeia*); die demen 
sind Athmonon Phlya Pithos Sypalettos (CIA IV p. 134), vielleicht auch 
Daidalidai.”) den küstenkreis bildet Aixone mit seinen Halai.?') 


26) Aus Alkiphron II 43 folgt nur, dafs Ankyle vorstädtisch war, nichts für 
die lage. die briefe des albernen rhetors sind pasticci von redner und komikerstellen, 

27) Die prytanenlisten 1] 329. 870. 872 helfen nicht weiter. ich hatte übersehen 
und trage, gemahnt durch Milchhöfer s. 15 nach, dafs Rofs durch die verbesserung 
eines Isaiosbruchstückes (Harp. Suid. zesxepaios) Hestiaia neben Ankyle richtig 
angesetzt hatte. 

28) Hesych donirss‘ ro» TesTTuWV Tis xal nargımv ovro salsitas. als wirk- 
licher name ist es der form nach nicht recht glaublich. als spitzname könnte es 
wol bei einem komiker stehn. 

29) Strabon 400. da wir nun Trinemeia (den ort wo drei weideplätze zu- 
sammenstofsen) in contact mit Athmonon bringen müssen, folgt, dafs im altertum 
nicht der längste und geradeste bach den namen des Kephisos trug, denn der kommt 
vom Parnes, nicht vom Brilettos. dasselbe folgt aus dem namen Kephisia, denn 
dieser ort liegt jetzt nicht am Kephisos. 

30) Der steinmetz Daidalos konnte sowol am Brilettos wie am Turkovuni ar- 
beit finden; hier möchte ich ihn lieber unterbringen, weil Sokrates von Alopeke 
irgendwelche gentilicische beziehungen zu ihm hat Plat. Euthyphr. 11. 


Alantis, 


Kekropis, 


Erechtheis. 


Leontis. 


156 I. 6. Trittyen und demen. 


Die Erechtheis hat als stadtkreis Agryle und südlich davon Pergase ”), 
die wie das nördlich daranstofsende Ankyle in eine obere und untere 
gemeinde sich sondern; als landkreis Kephisia mit Euonymon*”); als 
küstenkreis Lamptra und Anagyrus. an eine dieser gruppen müssen sich 
die wenig bedeutenden unbestimmten gemeinden angliedern.”*) 

Von der Leontis war der landkreis als ein zusammenhängendes stück, 
der nordwesten der attischen ebene an den abhängen des Aigaleos, be- 
kannt, da Kropia durch Thukydides (Il, 19) als die einsattelung bestimmt 
war, durch die jetzt die eisenbahn geht, woran dann östlich Paionidai 
(mit Leipsydrion am Parnes), südlich Aithalidai Eupyridai Pelekes ansetzen; 
ob hieher noch das Oion (5.109 die schafhürde, die xaAußıa) der Kerameer 
gehört oder schon zur stadt, mufs unsicher bleiben. den städtischen 
kreis kennen wir durch Skambonidai und Halimus. der küstenkreis setzt 
den der Pandionis südlich fort, Potamos mit Deirades bis Sunion; doch 
sitzt Thorikos von der Akamantis eingesprengt. notwendig haben hier 
noch wichtige demen gelegen, da es der hauptdistrict der bergwerke ist. 
es stehen auch noch namen zur verfügung, Phrear, Cholleidai, Leukonoe; 
aber ich finde keine sicherheit; die listen (II 864 prytanen; 943 diaeteten. 
Mitt. Ath. X, 105; 11 1001, 1040, 1049) sind nicht nach trittyen geordnet. *) 


31) Die prytanenliste II 866 kann die trittyennamen geben; sie beginnt die 
columnen mit DAvns Alaıns Mellıns), wie sicher ergänzt werden mußs. 

32) neiv yag elvas Ilspyaoncıv Kvsov dv Tais dußacıw, sagt der sclave in den 
Rittern 321. der ort mufs also der stadt ganz nahe sein; das ziel des sclaven ist 
selbst dem dichter unbekannt gewesen. 

33) Die ephesische phyle Zuoöwvuos hat mit Athen natürlich nichts zu tun; 
sie sind die “dont nominis’; die gemeinde heifst nach dem linken ufer. die win- 
dige combination hat Ephoros blofs auf den namen hin ersonnen (bei Steph. Byz. 
Bevva;, der name des lemmas ist corruptel von Beißıva, wie die ephesischen steine 
gelehrt haben), weder für Ephesos noch für die attische gemeinde hat das irgend 
welchen wert. die genealogien bei Steph. Byz. Zvwvuussa hat Geflcken de StepA. 
Byz. 51 geordnet. 

34) Milchhöfer s. 13 versucht localisirungen, von denen die von Kedoi und 
Pambotadai in dem küstenkreise einige wahrscheinlichkeit haben. 

35) Milchhöfer s. 21 hat auf grund der entdeckung Töpflers, dafs die Kephalos- 
sage aufser bei Thorikos auch am Aigaleos localisirt war (Att. Geneal. 258), meine 
entdeckung, dafs die eponymen von Leukonoe und Ptelea in diese sage verflochten 
sind, die ich deshalb in die nähe von Thorikos brachte, so verwandt, dafs er Leu- 
konoe auf die ostseite des Aigaleos bringt, Ptelea auf die westseite, und da dieser 
demos der Oineis gehört, palst er in der tat in das thriasische gefilde. ich 
schliefse mich dieser combination an. auch seine vermutungen, dafs Cholleidai, die 
heimat des Dikaiopolis, in den landkreis, Phrear, die heimat des Themistokles (der 


Leontis. Antiochis. 157 


eine abweichung von dem prinzipe der localen kreise ist zudem sicher: 
Hekale gehört zur Leontis und lag, wir wissen nicht wo, aber so, dafs 
Theseus auf dem wege von der stadt nach Marathon dort nachtquartier 
machen konnte, also sicherlich aufser contact mit den übrigen demen. 
den Kleisthenes hat hier wieder die tendenz geleitet die alte cultgenossen- 
schaft des Zeus, deren centrum Hekale war, zu sprengen.”) wir wissen 
nur noch nicht, welche gemeinden sonst an ihr teil hatten. 
Schwieriger stellt sich die Antiochis.”) zwar für den stadikreis 
haben wir Alopeke und den Kolonos des marktes, und der küstenkreis 
ist durch Thorai) Aigilia Anaphlystos gegeben, mit denen man bequem 
die landeinwärts anstolfsenden Besa Atene und Amphitrope verbindet. 
aber wo bleibt der landkreis? Melainaı am Kithairon, vereinzelt an dem 
küstenkreis der Hippothontis klebend, betrachte ich als eine schöpfung 
der zeit nach Kleisthenes, wie Graes und Psaphis. Semachidai in der 
Epakria ist mit absicht von dieser losgetrennt, und muls so angesetzt 
werden, dafs es Pentele, die steinbrüche des Brilettos, also seine kuppe, 


Antiochis, 


angliedern kann. beides sind kleine gemeinden.*) die hauptfrage ist . 


hier die ansetzung von Pallene, um die durch Brückners gedankenreichen 
aufsatz (Mitteil. Ath. XVI) ein streit entbrannt ist, den leider die kreistei- 
lung nicht sicher entscheidet. immerhin ist der platz in der nähe von 
Gargettos durch die Aigeis occupirt, eine lage im anschlufs an Pentele 
und Semachidai nicht wol angängig. dagegen gelingt es Brückners ansatz 
von Pallene in Koropi mit der südlichen demengruppe der Antiochis zu 
vereinen, da ein vorkleisthenischer Eroiade ein denkmal erbalten hat, 
das in den Kalyvia von Kuvaraes gefunden ist.“) und nach dem ge- 


also die bergwerke von der heimat her kannte) in den küstenkreis gehöre, sind mir 
sehr ansprechend, doch nur so weit als ich sie hier reproducire. fester anhalt fehlt. 

36) Zu Hekale kann der Kolonos der Leontis gehören, denn bei Kallimachos 
sagte jemand dx us Kolawam» Tıs Öndorıos nyaye Önuov To» ärigwv, fgm. 428. 

37) Die prytanenliste II 869 ist nicht nach tritiyen geordnet, 

38) Strabon 398 setzt zwischen Thorai und Aigilia in seiner aufzählung der 
küstenplätze Lamptra. in der tat öffnet sich die küste zwischen Vari-Anagyrus und 
Phinikia-Aigilia zweimal, zwischen den bergen Keramoti und H. Dimitrios und bei 
dem kirchlein des heiligen dieses namens, wo eine alte ansiedelung bemerkt ist. 
nur kann man diese schlecht für das untere Lamptra halten und Thorai westlich 
von ihr unterbringen, und sicherlich hatte die alte phylenordnung diese durch- 
brechung nicht beabsichtigt, wenn nicht gar ein irrlum vorliegt. 

39) Die existenz der gemeinde Pentele für das vierte jahrhundert beweist der 
metöke Menes Ilsvreincs oixo» Il 834° 37. 

40) Auf dem rätselhaften steine I 492 = IV p. 118 ist wenigstens Asspos 
sinus rö hepoıddo sicher. 


Akamantis. 


158 ll. 6. Trittyen und demen. 


schlechte der Eroiaden ist ein demos der Antiochis benannt, wodurch 
für die ansetzung des gleichnamigen der Hippothontis nichts gesagt ist; 
das geschlecht mochte in jeder beliebigen andern ecke des landes ein 
anderes landgut haben. so unerfreulich es ist, dafs die wichtige frage 
mit zuversicht nicht erledigt werden kann, bleibt es doch wahrscheinlich, 
dafs die zahlreichen gemeinden, die in dieser gegend der laureotischen 
halbinsel zur Antiochis gehören, teilweise ihrem landkreise zufallen. 
Nun endlich zu dem schwersten probleme, der Akamantis. aufser 
dem Kerameikos müssen wir zu dem stadtkreise noch Hermos rechnen, 
bestimmt an der heiligen strafse westlich von Lakiadai um den jetzigen 
bach von Chaidari, der nach Hermos hiels, gelegen. aufserdem sind 
Eiresidai und Iphistiadai für den landkreis durch Platons testament ge- 
sichert, noch auf das linke Kephisosufer mindestens übergreifend, am 
wege nach Kephisia, also etwa wo jetzt die eisenbahn (station Arakli 
und vorher) läuft. der landkreis der Kekropis engt dieses stück durch 
Sypalettos und Athmonon von norden und osten ein, im nordwesten 
drängt sich Acharnai heran, von süden die städtische provinz ; nach westen 
allerdings kann noch ein kurzer streifen als frei gelten. ein anderes 
zusammenliegendes stück landes gehört im osten der Akamantis, Agnus‘') 
Prospalta Kephale Sphettos‘), und stöfst mit Thorikos an das meer. so 
scheint es, und man weifs dann wieder nicht, soll man diese landschaft, 
die zum teil ganz binnenländischen charakter trägt, um Thorikos’ willen 
zum küstenkreise machen, oder so entlegene stücke wie Agnus und 
Eiresidai zum landkreise vereinen. es kommt hinzu, dafs der küsten- 
kreis der Leontis sowol Potamos wie Sunion umfalst, also entweder 
Thorikos von seinen nachbarn gleicher phyle, Prospalta Kephale, ab- 
drängt, doch nur durch einen schmalen streifen, wo es dann eine enclave 
wird, wie Azenıa im küstenkreise der Antiochis, oder aber dem demos 
Thorikos die küstenqualität nimmt, indem etwa die dem burgberge von 


41) Dies eröffnet eine columne in dem verstümmelten prytanenverzeichnis 
II 867. 

42) Brückner Mitt. Ath. XVI 200. für die kreisteilung kommt nichts wesent- 
liches darauf an, ob Milchhöfer mit der bestreitung dieses ansatzes recht hat; er 
hat einige beachtenswerte einwände erhoben. — entweder in die umgegend von 
Agnus oder in die von Eiresidai gehört Kikynna: also hat es mit Kynnes nichts 
zu tun. die darauf gerichtete vermutung von Kirchner (Alt. et Peloponn, 52) ist 
auch an sich falsch, erstens weil Kynnes nach .4Aal Aifowidss gehört, nicht nach 
Kixvwva, zweitens weil zwar Kvvsns und Kixvvva mit xuo» verbunden werden 
können, aber wenn sie mit einander zusammenhiengen, würde nicht blofs eines von 
beiden reduplicirt sein. 


Akamantis. ergebnis. 159 


Theriko vorgelagerte halbinsel diesem nicht gehörte. und um das übel 
voll zu machen, ist die wichtige heimatgemeinde des Perikles Cholargos 
ganz unbestimmt. so mufs ich hier die aporie leider offen lassen. *?) 
So viele einzelheiten auch noch fraglich bleiben, in der hauptsache 
ist die organisation klar. die drei landesteile entsprechen ihrem namen 
nur so ungefähr. die stadtprovinz ist westlich durch den Korydallos bis 
ziemlich an den pals des Pythion hinan, östlich durch den Hymettos 
begränzt; doch ist Aixone an dessen südfulse schon nicht mehr hinein- 
gezogen. nach norden ist die grenze, weil sie keine natürliche mehr 
ist, unsicherer, doch läuft sie noch. nördlich vom Kolonos und Lykabettos. 
da diese provinz an das meer reicht, unterbricht sie die küstenprovinz. 
dieser gehört das ganze eleusinische gebiet bis an den Kithairon, auf- 
geteilt an zwei phylen, VIII und VI, dann läuft sie als ein ziemlich 
schmaler streifen rings um Attika bis an die oropische grenze; die phylen 
folgen sich von Aixone an in der folge VII, I, X, IV, V, 111, 11, IX. 
es ist ganz klar, dafs diese JIxpaAla weder mit dem cultverbande gleichen 
namens, zu dem gerade Munichia gehörte, noch mit der paralischen partei 
der tyrannenzeit identificirt werden kann. die Diakria gehört ihr ja selbst 
zum teile an. das binnenland hat ebenso wenig mit dem cultverbande 
der Mesogeer zu tun, in dem leute aus der städtischen gemeinde Bate 
sind; sie umfalst die kekropische ebene, gehörig den phylen (von west 
nach ost) IV, VI, I, südlich von diesen ein stück von V und dann VII; 
das bergland des Parnes bis an die küste VIII und IX, und das berg- 
land des östlichen Brilettos und die jetzt so genannte ueooysıca bis zum 
innern der laureotischen spitze II, III, das andere stück von V, und X. 
Auch hier ist, schon um des gegensatzes der öden berge und des 
ackerlandes willen, dann aber auch durch den willkürlichen schnitt, der 
die stadt absondert und in der jJetzigen mesogia die häfen von dem hinter- 


43) Milchhöfer s. 24 setzt Cholargos nordwestlich von der stadt auf grund der 
inschrift des cultverbandes der Mesogeer 11 604, die im Heraklesheiligtum von Cho- 
largos aufgestellt war. das ist unwidersprechlich, so weit es die zugehörigkeit der 
gemeinde zu den Mesogeern angeht; sie kann allerdings noch weiter östlich, nach 
Eiresidai zu, angesetzt werden. ich hätte das wissen sollen. Xoödagyos oder Xö- 
Aagyov ist “gallweifs’, also gelblichweils; der Buzyge Demostratos wird nach der 
uslawa xoln Xokobvyns genannt Ar. Lysistr. 397; aber hier wird man nur an die 
xAooa denken. der name wird die farbe des gesteins angeben, auf dem das dorf 
lag und aus dem es gebaut war. das deminutivum davon mit verdoppeltem end- 
consonanten dürfte dem ahnherrn der XoAlsidas gegeben sein; der demos ist nicht 
weiter bestimmt ala für den landkreis der Leontis, kann also sogar nachbar von 
Cholargos gewesen sein. 


Ergebnis. 


160 U. 6. Trittyen und demen. 


lande trennt, ein provinzielles sondergefühl gar nicht denkbar. wo ein 
alter cultverband bedenklich schien, sind einzelne seiner glieder ge- 
waltsam selbst auf kosten der örtlichen continuität der kreise losgetrennt ; 
so sind die befremdlichen enclaven Xypete in der stadtprovinz, Proba- 
linthos und Azenia (hier ohne nachweisbares religiöses centrum) in der 
küstenprovinz, Hekale und Semachidai mit Pentele in der landprovinz 
entstanden. die neuen phylen könnten aber dem beschauer der karte 
einige furcht vor localen aspiralionen erwecken. denn die ganze Oineis 
liegt zwischen dem eleusinischen und attischen Kephisos, die ganze 
Kekropis (aufser Xypete) zwischen der innern stadt und der linie Bri- 
lettos Hymettos. fast der ganze nordosten gehört der Aiantis, die süd- 
spitze der Antiochis, von denen beiden je zwei kreise sich berühren; 
dasselbe geschieht, wenn auch auf schmalerem striche, von der Aigeis 
und vielleicht auch der Akamantis. beabsichtigt kann Kleisthenes dies 
schwerlich haben; es wird die tücke des zufalls, des loses sein.) 
Sleichheit In der stadt Athen hilft die neue erkenntnis nur wenig dazu, die 
und kreise. schwebenden fragen zu entscheiden. einzelne phylen, wie die Pandionis 
mit Kydatbenaion, die Kekropis mit Melite, die Aiantis mit Phaleron 
sind nur mit einem demos beteiligt, machen also keine schwierigkeit. 
die Hippothontis hat in der südwestecke eine compacte masse, die Oineis 
nördlich von ihr (Xypete wieder nicht gerechnet), die Erechtheis im 
osten. die Aigeis zieht sich am nordrande der provinz in einem streifen 
vom Kolonos bis zum Hymettos, und ich kann nicht bestreiten, dafs 
dies dafür spricht, Kollytos nördlich und nordöstlich vom Eridanos an- 
zusetzen. aber sieht man dann, dafs Skambonidai und IHalimus, Kera- 
meikos und Hermos, Alopeke und der Marktkolonos zusammengehören, 
die wirklich nicht aneinanderstofsen, so verliert man das zutrauen, und 
trotz allem guten willen umzulernen, kann ich hier die fragen nur 
stehen lassen wie sie standen. *) 
Die natürlichste annahme ist, dafs Kleisthenes beabsichtigt hat, die 


44) Diesem möchte ich auch selbst die zuteilung von Kydathenaion an die 
Pandionis zutrauen. hätte man für die burg einen phylenheros gewählt, so würde 
es doch nur Kekrops haben sein können. die Kekropiden und Erechthiden haben 
sich nicht abhalten lassen, ihre eponyme an ihren heimstätten auf der burg zu ver- 
ehren; das würde nicht anders gewesen sein, wenn Antiochos der phylenheros von 
Kydathenaion geworden wäre. | 

45) Halimus Hermos Alopeke sitzen allerdings alle am rande der provinz; man 
könnte wol glauben, dafs sie bei einer schliefslichen correctur der provinzialgrenzen 
oder auch zur ausgleichung der phylen innerhalb der stadt, sei es von den aulsen 
anstofsenden provinzen, sei es von den innen anstolsenden kreisen, abgetrennt wären. 


Gleichheit der phylen und kreise, 161 


drei provinzen an steuercapital und bevölkerung gleich zu maclıen; 
selbst dann würde die einteilung für die wirtschaftliche übermacht be- 
weisen, die trotz den landfreundlichen mafsnahmen der tyrannis die 
hauptstadt gewonnen hatte. die demokratie hat diesen prozefs mit oder 
ohne absicht ungemein beschleunigt, denn in den meisten phylen und 
so überhaupt in der bürgerschaft überwiegen die angehörigen der stadt- 
provinz relativ ganz bedeutend. man sollte zwar meinen, das verhältnis 
der demoten könnte sich gar nicht verschieben, weil trotz dem wechsel 
des wohnsitzes die gemeindezugehörigkeit immer weiter vererbt wird. 
aber das gilt nur in abstracto. wenn ein bauerndorf im gebirge ver- 
ödet, so mögen sich seine bewohner zunächst in die stadt ziehen und 
sich ein brot suchen; eine menge von ihnen wird schon sogleich aus- 
wandern. die kleruchien des fünften jahrhunderts haben sehr viele bürger 
hinausgelockt, die gewils zum teile dem vaterlande verloren gegangen 
sind; im vierten sind athenische söldner in fremdem dienste recht zahl- 
reich. aber die demokratie vermag auch mit allen largitionen nicht zu 
verhindern, dafs die verarmte bevölkerung keinen hausstand gründet 
oder keine legitime nachkommenschaft erzeugt, und so gehen diese ge- 
meinden an bevölkerung zurück. andererseits ist die vermehrung der 
bürgerschaft durch die aufnalime von fremden und metöken recht stark 
gewesen und vorwiegend den städtischen gemeinden zu gute gekommen. 
da erwiesen ist, dals die metöken auf verhältnismäfsig sehr wenige fast 
ausschliefslich städtische gemeinden beschränkt waren, ist der schlufs unab- 
weisbar, dafs das gleiche für die neubürger gilt, denen das privileg die 
wahl des demos freistellte.e wer auf unrechtmäfsigem wege sich in die 
bürgerschaft einschleichen wollte, mochte sich nach Halimus oder zu 
den Titakiden wenden: der reiche kaufmann des hafens, dem das volk 
das bürgerrecht verlieh, kaufte sich dort ein haus und trat in die ge- 
meinde des Peiraieus. so ist die Aiantis tatsächlich schwächer als die 
übrigen phylen geworden, weil das nordöstliche bergland verödete und 
ihr städtischer demos Phaleron seit Themistokles verkam: zu Kleisthenes 
zeit muls gerade dort das regste leben geherrscht haben. 

Die organisation hätte eine dauernde ausgleichende kontrolle des 
staates erfordert. diese ist aber nicht eingetreten, es sei denn durch 
die für das ganze unwesentliche errichtung neuer gemeinden. 307 schritt 
man freilich zu der schaffung zweier neuer phylen, aber die art, wie 
man diese schuf, lehrt deutlich, dafs die kleisthenische ordnung nur 
noch als division des volkes durch zehn erschien, die man mit der 
zwölflelung vertauschte. auf die kreise und die provinzen hat man weder 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 11 


162 I. 6. Trittyen und demen. 


damals noch später rücksicht genommen.) das verzeichnis der demen, 
wol aus dem jahre 200, das wir besitzen (II 991), kennt die trittyen 
ı gar nicht mehr. 
Bedeutung Mögen sie denn auch verfallen sein, so gehören sie zu den ein- 
ordnung. richtungen, die in der grofsen zeit Athens lebendig waren, und selbst 
wenn wir zugeben mülsten, dafs die organisation sich praktisch nicht 
bewährt hätte, so würde sie an interesse nicht verlieren. der grolse 
staatsmann hätte höchstens zu grofses für seine zeit geplant. denn mit 
nichten ist der erfolg allein der gradmesser für die bedeutung eines 
staatsmännischen gedankens. die einzelgemeinde als selbstverwaltungs- 
körper ist das eine und gröfste was Kleisthenes geschaffen hat. sie 
hat sich lebenskräftig bewiesen, obwol wir zugestehn müssen, dafs in 
den kleinsten demen die verwaltung willkürlich und corrupt ward, 
wie in Halimus, in dem grofsen Peiraieus aber sogar der staat soweit 
gegangen ist, die ernennung des bürgermeisters für sich in an- 
spruch zu nehmen. der staat hat auch das repraesentative princip be- 
schnitten, das eingeführt zu haben das zweite überraschend grofse ver- 
dienst des Kleisthenes ist. Aristoteles findet das in der ordnung, weil 
ol Önuoı ErrwAovy, wie er es derb ausdrückt, und die begründung 
ist trifiig. aber mulfste es dazu kommen? zwei momente, die dazu 
drängten, konnten wir schon immer schätzen, einmal die demokratische 
centralisation, die übergriffe des plenums der volksversammlung, sodann 
die künstlichen gebilde der zehn phylen, die den formen des geschlechter- 
staates nachgebildet waren und niemals zu leistungsfähigen verwaltungs- 
körpern, zu provinzen, werden konnten. nun aber lernen wir das neue, 
dafs Kleisthenes in den kreisen ein an sich sehr wohl lebensfähiges 
mittelglied zwischen der einzelgemeinde und der sammtgemeinde ge- 
schaffen hat: der kreis konnte sehr gut seine vertretung und seinen 
beamten haben, also die misstände der verwaltung in den einzelgemeinden 
durch seine kontrolle beseitigen, denn er besass dafür die vorbedingung 
der lokalen geschlossenheit. ja man träumt gern weiter; wenn der kreis 
mit staatlich eingesetzten trittyarchen an der spitze und einem aus den 
vertretern seiner gemeinden gebildeten rate daneben das ausgebildet 
hätte, wozu der keim in ihm lag, so hätte er sehr wol dasselbe leisten 
können wie ein römisches municipium, ohne doch eine eigene zökıc 


46) Ich unterdrücke einen genaueren nachweis, weil er von Kirchner Rh. M. 
47,550 vollständiger geliefert ist. dieser hat freilich auf die kreisteilung selbst gar 
nicht geachtet, aber das kann der leser durch vergleichung der obigen ausführung 
mit Kirchners demenverzeichnis leicht sich selbst ergänzen. 


Bedeutung der kreisordnung. 163 


zu werden. dann war auch ein kreis Karystos oder Naxos möglich, 
und wie so ganz anders würde die hellenische geschichte geworden sein. 

Doch auch abgesehen von solchen träumen verlohnt es sich wol, 
die stellung der trittyen im organismus des staates auf das anzusehen, 
was sie wirklich gewesen sind. das erste was wir da zu constatiren 
haben, ist, dafs sie für das bewufstsein des volkes gar keine wirklichen 
realitäten geworden sind: sie haben keinen göttlichen vertreter, trotz 
ihrer realen körperlichkeit keine ideelle. das unterscheidet sie von phyle 
und demos, und der moderne rationalismus kann recht deutlich daran 
lernen, dafs die existenz eines eponymos mehr als eine ornamentale 
bedeutung hat: er zeigt an, dafs in dem was er benennt eine seele ist, 
und die seele gibt das leben, nicht die materie. das fehlen des eponymos 
bringt es mit sich, dafs der trittys das eigene vermögen abgeht, das 
phyle und pbhratrie, gemeinde und geschlecht besitzen. 

Im finanzwesen kann die trittys für die directe steuer keine rolle 
spielen, da die phylen unter einander vielleicht, die trittyen derselben 
phyle unmöglich das gleiche steuercapital besitzen konnten. das gleiche 
gilt für die persönlichen auf das vermögen gelegten munera, die Ansovoylaı, 
die zwar phylenweise (und nicht einmal das durchweg), aber nicht trittyen- 
weise verteilt werden. wol aber ist das noch im demosthenischen zeit- 
alter mit den frohnden geschehen, die das volk auf die phylen über- 
trug.) das geschah bei bauten, z. b. von stralsen, mauern, schiffen. 
in der regel freilich besorgte auch diese sachen das volk selbst, durch 
den rat (wie gewöhnlich den schiffsbau), oder durch besondere beamte 
(wie die wegecommissare) oder durch specielle commissionen (wie die 
reiyorcoroi), die dann wieder die phylen vertreten konnten. es leuchtet 
aber ein, dals es z. b. für den wegebau häufig praktisch sein konnte, 
die arbeit kreisweise zu verteilen, oder auch zum festungsbau die phylen- 
genossen kreisweise heranzuziehen. 

Im heerwesen ist der dienst zu pferde eine persönliche last der 
besitzenden, eine Anrovgyla. wenn demnach auch die reiterei in die 
10 phylen gegliedert ist, so ist doch die archaische einrichtung, dafs die 
naukrarie so und so viel pferde und reiter zu stellen hat, wenn nicht 
von Kleisthenes“), so doch von der demokratie bald beseitigt. das volk 


47) Aisch. 3,30 ots ai pvlal xal ai restrusi xal oi Innos EE davrasv aipovvras 
za dnnöcsa xgenuara Ödsaxsıpibeıw. ces handelt sich um solche frohnden, wie sie 
oben genannt sind. - 

48) Pollux 8, 108 in der ausgezeichneten schilderung der vorkleisthenischen 
verhältnisse, vavspapia &xdorın Idsa (dio codd.) inndas rsagsiya xal vary ular, 

11* 


Trittyen im 
heere. 


164 Il. 6. Trittyen und demen. 


übt die recrutirung, unterhaltung und controlle dieser stehenden truppe 
selbst durch sein centralorgan, den rat. 

Die schwergerüsteten infanteristen bilden kein stehendes heer, aber 
sie sind, wenn wir sie mit unsern verhältnissen vergleichen wollen, alle 
reserveofficiere. sie gehören alle den drei oberen steuerclassen an, müssen 
sich selbst equipiren, haben als zreolzroAoı militärische ausbildung er- 
halten, das volk kann jeden von ihnen zum taxiarchen und strategen 
wählen, wer aber nicht zum officier gewählt ist, tritt ruhig in das glied, 
mag er auch noch so oft das regiment geführt haben. die aushebung 
und mobilmachung wird auf grund der musterrolle besorgt, die wieder 
auf den bürgerlisten beruht, deren führung bei den gemeinden ist. bei 
der einstellung der dienstpflichtigen jugend wirkt der rat mit; die aus- 
hebung ist sache der strategen, ihnen aus der zeit geblieben, wo sie 
phylenweise gewählt wurden. hier lag es nun nahe, für die aushebung 
sich der kreise zu bedienen, und wenn die phyle das regiment bildete, 
so sollte man meinen, dafs die trittys sich als die geeignete grölse für 
die taktische einheit von selbst geboten hätte. liest man nun bei Platon 
(Staat 475), dafs die ehrgeizigen, özav un Orgarnynoaı duywvraı, TeLr- 
tvapyovoı, so kann man kaum umhin, anzunehmen, dafs diese gliede- 
rung einmal beabsichtigt war und trittyarchen als tribuni militum be- 
standen haben. wir wissen fast nichts von den niederen chargen des 
militäres, aber doch so viel, dafs wir die taktische einheit in den Aoxoı 
erkennen, an deren spitze Aoxayol stehn, die der taxiarch ernennt. da 
das bei den Dorern auch so ist und der name Aoxeyog dorisch ist (Aoyn- 
y&rns würde er attisch heifsen), so hat die demokratische gliederung 
sich für das heer weder bewährt noch behauptet.*) da es doch aber 
trittyarchen mit militärischer competenz gegeben haben mufs, wenn Platon 
sie nennt, so mögen sie bei der aushebung beschäftigt worden sein. 


96 reiter sind eine lächerliche ungereimtheit, 480 entsprechen den verhältnissen. 
die demokratie verdoppelt diese zahl: die adlichen legten früher zwar den höchsten 
wert auf den dienst zu pferde, aber sie mochten nicht, dals die bauern mit ihnen 
ritten. da die 10 strategen von Kleisthenes noch nicht eingesetzt sind, die alte 
kümmerliche flotte auch noch bis auf Themistokles bestanden hat, ist wol such die 
reform der cavallerie erst nach 507 eingerichtet; doch war der name gpv4apxos für 
die schwadronsführer verbraucht, als man die taxiarchen an die stelle der stra- 
tegen setzte, also azgards durch rafıs verdrängte, wo gvin doch näher gelegen 
haben würde als für die schwadron. 

49) Wenn die trittys der Acharner 3000 hopliten stellte, wenn auch nur auf 
dem papier, so war sie in der tat auch nicht mehr geeignet unserer compagnie zu 
entsprechen, aber immer noch einem bataillone. 


Trittyen bei der flotte. 165 


Ganz anders steht das alles bei der flotte. in ihr waren die leute Trittyen bei 
ohne steuercapital grundbesitz und militärische vorbildung dienst- 
pflichtig; eine stammrolle gab es nicht, man fand die leute vielmehr 
durch subtraction der hopliten von der bürgerliste; also konnte die aus- 
hebung der leute füglich nur in den gemeinden stattfinden und ist dem- 
gemäls aufgabe der demarchen. ein anderes aber war die einstellung 
der leute, die man möglichst früh unter militärisches commando bringen 
mufste, schon damit man ihrer habhaft würde, und ihre zuweisung an 
die schiffe und trierarchen, die erst im hafen erfolgen konnte.) mit 
dem beginn des eigentlichen dienstes hörte die bedeutung des kreises 
notwendigerweise auf, aber so lange war in der tat die trittys ganz be- 
sonders geeignet die dienstpflichtigen zusammen zu bringen und zu 
halten, und hier mögen die trittyarchen Platons auch eingegriffen haben. 
da hören wir nun, wie Demosthenes in seiner Symmorienrede (22) vor- 
schlägt, der platz hinter den schiffshäusern sollte von den strategen in 
zehntel geteilt und unter die phylen verlost, die anteile der phylen von 
den taxiarchen den einzelnen trittyen zugewiesen und an diese wieder 
die schiffe und symmorien zugeteilt werden. die funde von grenzsteinen 
der trittyen am hafen‘‘) haben den beweis geliefert, dafs Demosthenes 
in wahrheit auf die ordnung zurückgreifen wollte, die Themistokles wirk- 
lich eingeführt hatte, was ihm, obwol er sein vorbild verschweigt, zur 
ehre gerechnet werden soll. um 493 oder 483 war die triltys noch 
ein lebendiges glied des volkskörpers, und Themistokles bediente sich 
ihrer, als er die flotte gründete und die alten naukrarien abschaffte, 
die eben auch, wie der name sagt und die geschichte bestätigt, für den 
flottenbau zunächst geschaffen und von Kleisthenes, trotzdem er sie sonst 
durch die gemeinden ersetzte, für diesen zweck belassen waren.°”) da 


50) Die verwahrlosten zustände, die sich in den demosthenischen und apollo- 
dorischen reden zeigen, zumal in denen über den trierarchischen kranz und wider Po- . 
Iykles, haben für das fünfte jahrhundert natürlich keine geltung. um 360 gab es 
in wahrheit so wenig für die flotte wie für das landheer eine effective dienstpflicht. 
der trierarch mochte sehen, wo er seine leute anftrieb. 

51) CIA 1 517.518 mit den nachträgen in IV. C. Schaefer Mitt. Ath. IV 85, 
Köhler VII 108. 

52) Dafs die naukrarie ein schiff stellte, bezeugt die chronik bei Pollux 8, 108 
(oben anm. 48); auf diese darstellung der kleisthenischen oder vorkleisthenischen 
zeit gehen auch die anderen grammatikerglossen über reızrvs und TesTTVagxos 
zurück, Phot. Et. M. Bekk. An. 300, schol. Aisch. 3, 30 u. a., alle wertlos. zu den 
48 schifflen der naukrarien treten die zwei, welche der gauverband der ITagakla 
(Mitt. Ath. VII taf. XIV vgl. XIII 321) und die kleruchen von Salamis zu stellen 


Trittyen 
in der 
ekklesie. 


166 Il. 6. Trittyen und demen. 


die Epakrier von der Aigeis mit den Thriasiern von der Oineis zu- 
sammenstofsen (IV 517%), sind die gestellungsplätze der phylen auch 
damals verlost worden. aber die grenzsteine sind niemals erneuert: die 
einrichtung hat eine weile vorgehalten, dann ist sie verfallen. 

Steine mit trittyennamen sind auch auf der Pnyx gefunden.’®) der 
gedanke liegt nahe, sie auch auf versammlungsplätze der kreisangehörigen 
zu beziehen. man darf aber nicht so weit gehen, den Athenern comitia 
centuriata oder tributa zuzuschreiben, die es nie gegeben hat. der 
demos ist eine einheit, jeder bürger hat seine virilstimme, die gliederung 
des volkes als heerbann oder nach seinen kreisen und gemeinden hat 
für die sammtgemeinde und deren beschlufsfassung keinerlei bedeutung. 
es reicht hin, an die scenen des Aristophanes zu erinnern, die eine 
volksversammlung darstellen. aber wol war eine controlle der besucher 
auf ihre berechtigung notwendig, und die zeit, die noch keinen sold 
ausgab, hatte noch nicht die controllmarken. im vierten jahrbundert 
controlliren den besuch die 30 aus dem rate genommenen ovAkoyns 
tov Önuov°‘) unterstützt von den kanzlisten, die die bürgerlisten führen 
(Anslagyoı). dreifsig, das ist die zahl der trittyen, die, wie wir gleich 
sehen werden, im rate fortbestanden. in ihnen also wird man die ver- 
treter der kreise sehen. ein ralsherr aus dem kreise controllirt seine 
kreisgenossen, und ein stein auf der pnyx bezeichnet die stelle, wo 
er zu finden ist und sie sich zu melden haben. so scheinen mir jene 
steine eine befriedigende erklärung zu finden. aber gleichzeitig mufs ich 


gehalten waren. das ergibt 50. und dafs es nach Kleisthenes so viel blieben, 
bezeugt das wertvolle bruchstück des Kleidemos bei Phot. vauspapia, das so zu 
verbessern ist Kissodsvovs dena Yvlas nosnoavıos avıl Tüv Terrdgow, Ovvdßn 
xal eis nevınnovra uson dsaraynvas avrovs, & (8° cod.) dxalovv vavspaplas (vav- 
xpagıa Cod.), Waneg wur sis a Exarov usen Ösaıpsdevres (-za cod.) xalovcs ovu- 
koolas. für die verbesserung ist entscheidend, dafs man sich überlegt, wer verteilt 


. wird, unmöglich etwas anderes als die bürgerschaft. dann heilt sich der wichtigste 


satz mit geringster änderung. der ausdruck ist in dem zweiten nicht schön, sber 
verständlich. Kleisthenes hat also 50 naukrarien gemacht, d. b. fünf auf jede neue 
phyle, lediglich decimal und duodecimalsystem ausgleichend. Themistokles beseitigt 
diese gänzlich antiquirten gebilde zu gunsten der trittyen im sinne der kleistheni- 
schen ordnung. das volk aber, das im dritten jahrhundert auf die symmorien zu- 
rückgriff, hat offenbar von der kleisthenischen ordnung kenntnis gehabt. 

53) CIA I 500. 502; auf die standplätze gedeutet von C. Schaefer. 

54) Ueber diese commission hat Köhler (Mitt. Ath. VII 103) licht verbreitet, 
wesentlich -mit hilfe des steines 1] 872. auch er hält sie für älter als die sold- 
zahlung und meint, sie hätten im fünften jahrhundert of zesaxovra geheifsen. dies 
letzte ist nicht glaublich, da die demenrichter und logisten auch 30 sind. 


Trittyen in der ekklesia. trittyen im rate. 167 


zugeben, dafs die institution verkümmert war. denn die ovAAoyng der 
Aigeis sind auf dem steine 872 aus Gargettos Ikaria Herchia, also alle 
drei aus dem landkreise. die trittys war zum drittel geworden. übrigens 
sind auch diese steine der Pnyx niemals erneuert; der zweck, dem sie 
dienten, war fortgefallen. 

Gehalten haben sich die trittyen im rate, da noch Aristoteles (44, 1) 
angibt, dafs immer eine triltys der prytanen im rathause anwesend sein 
mufste. diese bestimmung wird sich auch gehalten haben, als es 600 
ratsherren gab, denn in den jahren 299—94 begegnen uns, zum letzten 
male in den inschriften, trittiyarchen, die mit einem sonst unerhörten 
&&eraorng zusammen die kleinen ausgaben besorgen, die sonst der zaulac 
ns Boving xal Tov Önuov zu leisten hat.®%) das wird also ein aus- 
schufs des täglich amtirenden teiles der pryltanen sein.*) aber damals 
bestanden schon Antigonis und Demetrias, die in räumlich geschlossene 
kreise nicht zerfallen sind. somit sind aus ihren demen trittyen wol 
schwerlich formirt, und die des rates sind nichts als drittel. dann kann 
es gut und gerne auch 340 schon ebenso gewesen sein. aber ehedem 
hat man den trittyen gröfsere bedeutung beigemessen. die prytanen- 
listen konnten oben zur ortsbestimmung der trittyen vielfach benutzt 
werden, weil sie zum teil nach ihnen geordnet sind, und noch viel mehr 
haben wenigstens noch drei columnen, wenn auch die aufzählung der 
demoten nicht mehr der trittys folgt.®”) so wird es eine zeit gegeben haben, 
wo wirklich die trittys ein drittel der fünfzig ratsherrn präsentirte, und das 
war nicht unwesentlich, sondern ein schutz der minoritäten. die Acharner 
mochten eine ganze trittys sein und an zahl sehr viel mehr als ein 
drittel der Oineis: wenn auf die trittys ein drittel kam, konnten sie nie- 
mals 22 ratsstellen occupiren wie auf der liste II 868. 

In der beamtenschaft entsprechen die meisten collegien den phylen 
und haben deshalb zehn mitglieder. aber das fünfte jahrhundert zeigt 
mehrere von 30 männern, die also den trittyen entsprechen können. die 
30 ovAAoyng tod Önuov haben wir schon kennen gelernt, und für sie 


55) Zu den psephismen ist ein neues getreten JsÄr. apx. 88, 112, wo etwa 
so zu schreiben ist asolcas Tö avalmua elis ravra row dEstaoın]» xad Tovs zeir- 
Tvapxovs. 

56) C. Schaefer hat diesen ausschufs mit den avAdoyns Tod dnuov identificiren 
wollen; dem hat Köhler widersprochen, und in der tat scheint mir die obige deu- 
tung vorzuziehen. 

57) Die ratsherren salsen im ratshause seit 409 auf festen plätzen (Philochoros 
schol. Ar. Pl. 972). aber wenn dabei auch die trittiyenordnung beobachtet sein kann, 
so hatte das doch keine praktische bedeutung. 


Trittyen 
im rate. 


Trittyen 
in der 
beamten- 
schaft. 


168 Il. 6. Trittyen und demen. 


war die bestellung nach den kreisen praktisch. noch viel einleuchtender 
ist dasselbe von den 30 demenrichtern, die Perikles 453/2 einführte, 
denn das sollten landrichter sein, also war ihre bestellung für einen 
räumlich geschlossenen bezirk durchaus praktisch. die restaurirte demo- 
kratie hat ihnen diesen ländlichen charakter genommen und ihre zahl 
auf 40 erhöht, wie es heilst, weil die nomotheten von 404, die tyrannen, 
30 gewesen waren. bei diesen kann von einer vertretung der trittyen 
kaum die rede sein, und auch bei den 30 logisten, die unter Eukleides 
auf 10 reducirt wurden, schwerlich. aber die häufigkeit der zahl 30 
beweist soviel, dals das fünfte jahrhundert noch bis zu ende der 30 
kreise lebhaft gedachte. 

Es ist praktisch wenig mit dem gedanken der kreisteilung Attikas 
erreicht worden; aber würdig ist er des grofsen geseizgebers, und die 
ansätze zu seiner verwerltung werden bei eindringender forschung gewils 
noch zahlreicher ans licht gezogen werden. 


1. 
DER ATHENISCHE NAME. 


Aristoteles (21, 4) berichtet aus der chronik, dals die bezeichnung Dis ordnung 
des athenischen bürgers durch den demosnamen von Kleisthenes einge- Kleisthenes. 
führt sei, und zwar mit der absicht, die neubürger vollkommen gleich 
zu stellen, welche die bezeichnung durch den vatersnamen kenntlich 
gemacht haben würde. daher käme es dafs sich die Athener selbst mit 
dem demotikon nennten.') die uns geläufige attische sitte vereinigt die 
bezeichnungen nach dem vater und dem demos, die hier einander gegen- 
über gestellt werden, und das ist im vierten jahrhundert auch die offi- 
zielle bezeichnung, z. b. auf den richtertäfelchen (Ar. 63, 4). aber der 
aristotelische bericht hat keinen sinn, wenn nicht Kleisthenes den vaters- 
namen durch den demos hat ersetzen wollen. denn wenn die bezeich- 
nung nach dem vater die neubürger überhaupt kenntlich machen konnte, 
so tat der zusatz AAwxexj$ev weder etwas davon noch dazu, solange 
der vatersname in offiziellem gebrauche war. Kleisthenes hat also den 
vatersnamen abschaffen wollen. 

Wie aber konnte der vater die neubürger kenntlich machen? ihre 
väter hiefsen doch nicht alle Manes oder Skythes, und barbarische oder 
doch fremde namen sind auch in ächt bürgerlichen familien durchaus | 
nicht unerhört.”) auch hier ist nur eine antwort möglich: die neubürger 
hatten gar keinen vater. 


I nd 


1) Man mufs nur scharf die officielle bezeichnung avayogsvaıy, die anrede 
ng00ayogsvssv und die selbstbezeichnung xaAsiv ayas aurovs unterscheiden, dann 
ist der satz weder der zusätze, auch nur des wörtchens »i», das wir eingefügt 
haben, noch der abstriche, die von anderen beliebt sind, bedürftig. 

2) Z. b. Sibyrtios ist im fünften jahrhundert verbreitet und gar nicht niedrig, 
und doch gehört er ersichtlich mit dem frauennamen ZIißvii« zusammen, dessen 
berühmteste trägerin, die ihn erst zu einem galtungsnamen gemacht hat, aus Erythrai 
war; der name ist also mysisch. CIA IV p. 86 nennt ein Kriton seinen vater Skythes, 


170 li. 7. Der athenische name. 


Das klingt befremdlich, aber die logik des rechtes ist unerbittlich. 
der sclave kann keine ehe eingehen, also entbehrt der im hause geborene 
des vaters und der aus der fremde eingeführte barbar erst recht. der 
metüke genielst in Athen des vorrechtes, in einem quasigentilicischen 
verbande zu stehen und nach dem attischen familienrechte behandelt zu 
werden, er hat also einen vater. aber das gilt eben erst seit Kleisthenes, 
der die private clientel durch die des staates ersetzt hat. ich habe das 
früher aufgeführt und gezeigt, dafs die officielle bezeichnung Agog &r 
Melltrn olxwv ist. das ist das genaue analogon zu EvSudouos Melırevc, 
und in der tat führen die metöken auch später officiell keinen vaters- 
namen. bevor der attische staat die metöken in seine clientel nahm, 
war für sie der patron was der herr für den sclaven und freigelassenen, 
der vater für den bürger war. trat aber vollends der metöke oder auch 
der peregrine, der noch ein anderes vaterland gehabt hatte, in die ge- 
meinde der Athener, so verlor er damit notwendigerweise seine frühere 
familienverbindung, er konnte also ihre bezeichnung entweder nicht mehr 
führen, oder aber er mulste dem vater die bezeichnung seiner heimat 
geben, also sein neubürgertum eingestehn. die römische analogie macht 
das sofort deutlich. der freigelassene führt den namen des patrons, der 
neubürger kann gar keinen vatersnamen führen, oder aber er gesteht seinen 
stand ein, indem er den unrömischen vatersnamen einsetzt, was in der 
griechischen welt nicht selten geschieht. _Zevxıog FZointxuos Avaı- 
taxov viog auf Delos, L. Targuinius Demarati f. in der legende, das ist 
eine bezeichnung, die wirklich 25eA&yyeı rovg veonollrag. 

Wie radical Kleisthenes gegen den adel eingeschritten ist, wird durch 
diese malsregel ganz besonders sinnfällig. aber die hellenische sinnesart 


schämt sich also seiner nicht; Anakreons vater hiels auch Skythinos. in den spätern 
zeiten dringen natürlich fremdnamen ein, obwol die meisten ausländer sich sehr 
rasch der attlischen onomatologie anschliefsen. da liest man z. b, Ineaußos II 1978, 
’Euagvs, was ich nicht accentuiren kann, 111844. im jahre 333 heifst der sophronist 
der Kekropis Adssoros (Bull. Corr. Hell. 13, 255), ein name, den ich vergeblich zu 
verstehen versuchte; ein anderer iräger des namens ist bürger in der ersten hälfte 
des vierten jahrhunderts II 945, 21. aber II 3440 ist ein Adsıcros fremder oder 
sclave, und 2781 steht Adsoros Augyınolisns, den für einen 4dscros zu halten die 
mundart von Amphipolis verhütet. der name wird also makedonisch sein, und zu 
ihm der makedonische kurzname 4daios mit dem femininum Adala gehören; so 
hat die königin Eurydike wol eher geheifsen als 4dsa, wie bei Photius bibl, 70b 6 
steht. — beiläufig, kurz vor dem Adeistos verbessert Köhler 3436 Ara Apysdauov 
in Ayo: das ist nicht nötig, Ara ist kurzname zu dem paphlagonischen ‘4reros, 
das ich auch nicht accentuiren kann. 


Die ordnung des Kleisthenes. der gebrauch des lebens. 171 


war so durchaus mit den alten adelsvorstellungen durchwachsen, dafs 
der vatersname nicht nur, sondern die ganze terminologie des adels von 
den neubürgern möglichst rasch und vollständig übernommen worden ist, 
die neubürger ihre olxo: bald ganz im stile der alten auszubilden suchten, 
und seit 403 der vatersname überwiegend gebräuchlich und vielfach 
sogar obligatorisch ward. Anuooseyngs AnuooY#Evovg TTauavıevg ist 
eigentlich einem M. M. f. Corn. gleich: lauter teilen des römischen namens, 
die als nebensächlich abgekürzt werden. dem Demosthenes aber ent- 
sprach es vielmehr einem M. Tullius M. f. der demos hatte das ge- 
schlecht ersetzt. 


Wer die steine des fünften jahrhunderts kennt, der weils, dafs die ner ge- 


offizielle bezeichnung sich an das kleisthenische gesetz gebunden hat: ebene 


sie gibt nur den eigennamen und den demos. in den rechnungen werden 
die obmänner der schatzmeister, die hellenotamien, die strategen so be- 
zeichnet, nicht minder die handwerker und kaufleute. auf den verlust- 
listen fehlt das demotikon, weil das militär nur mit der phyle rechnet®), 
dafür wird hier die charge der höheren officiere beigefügt. dagegen die 
privaten nennen den vater gerne. so verfahren die schreiber, die die 


3) Darum finden wir die verberrlichung der phylenheroen ausschliefslich in 
den militärischen leichenreden; die unter Demosthenes namen erhaltene hat dadurch 
hren wert. es ist durchaus ungewöhnlich in andern als militärischen verhältnissen 
die phyle zu nennen. CIA 11 2338 nennt sich ein Kalkliuaxos Kallıorgazov 'pvins 
Kexgonidos Mehıreis’, aber das geschieht im verse, den es bequem füllt; ich weils 
kein zweites beispiel. dafs ein kleruche auf Melos sich ’Enövpss "AFsvaios IIa»- 
Ösovidos Yvlis Kvspgios nennt (IGA 9), macht für den heimischen gebrauch nichts 
aus, sondern ist auf die untertanen berechnet, denen der ausgewanderte thete durch 
alle titel imponiren will. niemand redet jemanden als Pandioniden an. aber Xenophon 
Hell. 2, 4, 27 erzählt von einem reitergefechte “dabei fiel Kallistratos aus der Leontis”, 
und die Acharner rufen den Lamachos & gvidra, weil er sie als taxiarch oder stra- 
tege der Oineis zu commandiren pflegte. sehr seltsam ist, dafs Nikias bei Thuky- 
dides (7, 69) in der letzten seeschlacht bei Syrakus zw» roemeapxwv Eva Exaaror 
ävsxalsı nareoIsv Ts dnovouabwv xai avrovs Övouagrl ai yvinv, abıwy TO Te 
xa®’ davröv @ unioys Aaungornrds Ts un noodıdovas Tıva, xal Tas naTgıxas 
aperas wv imıpaveis 0a» ol noöyovos un dapavitew, nareldos te rns dlevdegw- 
Tarns vnomuyjoxav xal ns &v alıy) avenıraxtov nacıy ds nv Ölastav LEovalac. 
die dreigliederung zeigt, dafs die phyle dem demokratischen vaterlande entsprechen 
soll. sie hat aber mit den trierarchen nichts zu tun: Thukydides hat wol die sitte 
der regimenter des landheeres auf die flotte übertragen. der scholiast schreibt aus 
der Dolonie (69) dazu nargöder dx yavars Ovouakam aydga Exaarov, wo Aristarch 
u. a. bemerken, das wäre also in der heroenzeit die volle anrede gewesen “Ssoyaras 
Aasorıadn ’Odvoosv’. das geschlecht geht dann auf Zeus zurück. richtig ist das 
letzte nicht; dsoyevns ist standesbezeichnung. 


172 ll. 7. Der athenische name. 


offiziellen urkunden redigiren, mit ihrem eigenen namen, im gegensatze 
zu den personen, die sie in den protokollen anführen. in der komoedie, 
die wir allerdings erst aus dem peloponnesischen kriege kennen, als 
die demenordnung schon länger als zwei menschenalter bestand, stellen 
sich die leute mit dem demotikon vor‘), aber in der anrede erscheint es 
beinahe nie, während Platons dialoge zeigen, dals in der vornehmen 
gesellschaft die anrede w zwai Axovuevov gar nicht selten war.*) ‚nicht 
anders ist es in der litteratur. Thukydides ignorirt den demos in der 
namengebung ganz. bei Herodotos sind ein par demotika vorhanden, 
einmal sogar ohne vatersnamen, offenbar aus officieller attischer über- 
lieferung.°) wie sehr sonst bei ihm die berücksichtigung des geschlechtes 
vorwiegt, weils jeder leser. noch wir unterscheiden die beiden Thuky- 
dides nach ihren vätern, reden von den Kallias und Hipponikos, 
kennen Ephialtes des Sophonides, Lamachos des Xenophanes’) sohn, ohne 
von ihrem demos zu wissen: aber die beiden Thrasybulos unterscheiden 
wir nach Steiria und Kollytos, reden von Kallistratos von Aphidna, Ari- 
stophon von Azenia, Eubulos von Anaphlystos, und in der späteren ge- 
lehrten schriftstellerei wird ein Ammonios von Lamptra und ein Apol- 


4) Z. b. Ar. Ach, 406. 1028. Wolk. 134. Fried. 190. Lys. 852. Thesm. 898. 

5) Mir ist aus Aristophanes nur Wesp. 232 & Irguuddogs Kovdvlsu bekannt, 
und das ist sicher ein witz, denn der ganz obscure demos wird, so viel ich weils, 
sonst KovdwAnjfe» bezeichnet. ein witz ist auch in Platons Symposion a Paingevs 
ovros „Anollödwgos, wenn auch die erklärung noch nicht gefunden ist. im pelo- 
ponnesischen kriege haben schon viele demen, Prospalta, Aixone, Titakidai, ihr be- 
sonderes renommee. 

6) 8, 93 erhalten den preis für tapferkeit in der salaminischen schlacht Zv- 
uevns ze [ö, wie kann man den artikel dulden?) ‘Avayvpacıos xad Ausıwins IlaAlr- 
weis. 9, 73 erhält dieselbe auszeichnung bei Plataiai Fopasnrs ö6 Evruyidsae dev 
Önnov Asxslendev, Asxsliov dä Tor xore doyacausvov u. 8. w. weil der mann 
berühmt war und Herodot mehr von ihm erzählen will, fügt er den vatersnamen 
bei, den demos lieferte die officielle angabe, und an ihn knäpft er die geschichte 
von den Dekeleern, die in Sparta atelie und proedrie besitzen. dafs Sophanes zu 
diesen gehörte, sagt Herodot, darin kann er irren: aber dafs in Sparta nicht eine 
kleisthenische gemeinde, sondern ein älterer gentilicischer oder quasigentilicischer 
verband, die nachkommen des Dekelos, so geehrt worden sind, sollte doch von 
selbst einleuchten. sonst wird kein Athener anders als mit dem vater bezeichnet, 
auch die beiden brüder Kvveyssoos und Aiayvlos Eugpoeiwvos, von denen jener sich 
bei Marathon auszeichnet 6, 114. 

7) So Thuk. 6, 8; Sevopastov schol. Ar. Thesm. 840. übrigens war er wol 
aus Oe, denn da gibt es innerhalb der Oineis einen Lamachos Il 772b, der sogar 
seinen sohn Tydeus genannt hat. 


Der gebrauch des lebens. 173 


lonios von Acharnai geführt, obwol doch der demos eigentlich allein für 
das innerattische gilt. 

Man wird von den inschriften unter diesen umständen nicht viel 
erwarten, und doch liefern sie zu der aristötelischen nachricht im ganzen 
die erwünschte illustration. es ist zwar für mich nicht möglich, die der 
Peisistratidenzeit von denen der jahre 507-—480 zu scheiden, die als 
übergangszeit besonders interessant sein mülsten, allein es bleibt die 
hauptsache, dafs so ziemlich die ersten drei menschenalter nach einfüh- 
rung des demotikons seine vereinigung mit dem vatersnamen der termi- 
nologie fremd ist. die menschen nennen sich vielmehr ganz überwiegend, 
wie sie es früher getan haben, nach dem vater. ich finde auf privaten 
monumenten nur CIA IV p. 205 Daidoog IIpo#v-Keyaindev und ıo- 
yEıns av&Innev AloyvAo hvvg Kepaleog*), und dieser mann ionisirt be- 
denklich in seiner schrift, macht zudem eiuen vers. den grabschriften 
insbesondere fehlt die später normale form zargosev xal rov Öruov gänz- 
lich. den frauen wird der demos ihres vaters oder gatten ganz selten bei- 
gefügt (— EvunAldov yuyn Zgpnerodev IV p. 99, — Axapvewg Ivyarno 
p. 205). auch bei männern ist er ungleich seltener, ich schätze, im ver- 
hältnis 1:4, als der vatersname, und ein Mveriiog Ilgaoıevg IV p. 190 
oder gar ein Xyauadng IIaAinvevg IV p. 102 werden wol neubürger 
sein. vornehme leute verhalten sich gegen den demos fast ganz ablehnend, 
deswegen z. b. ein Aristokrates der sohn des Skellias, der hipparch Pytho- 
doros des Epizelos sohn?), ein mann wie Kallias Hipponikos®) sohn haben 
ihn wirklich nicht nötig. aber auch geringe leute nennen sich "Oynoruog 
(ein sclavenname) Suxudov, Kolrwy Zxudov, Dilwv Agpeolov. wenn 
ein polemarch in einem gedichte sich Aphidnaeer nennt (IV p. 153), so 


8) 1 398. es ist kein verfehlter hexameter, sondern es sind zwei regelrechte 
glieder archilochischer gattung. im IV p. 182 ra9'nvalas dexarnv xoplo Asuovoder. 
Kasgsöduo, Pılda, steht selbstverständlich kein demotikon. die beiden besitzer oder 
pächter stehn im genetiv unter dem nur von dem schreiber entstellten pentameter. 

9) IV p. 186. vgl. Ar. 29,1. mir scheint die lesung des facsimiles immer 
noch eher auf ’Enıtnlov zu führen als auf Avapivoriov, wie Blafs jetzt will. die 
urkunde hat, wie jeder wissen soll, weder den vater noch den demos bei dem an- 
tragsteller angegeben; Aristoteles auch nicht von sich aus, wie sollte er einen Pytho- 
doros identificiren? also kommt es auf seinen berichterstatter an, und bei dem ist 
der vatersname ungleich wahrscheinlicher. übrigens war der mann seiner zeit recht 
bekannt, wenn meine combination über ihn zutrifft. die ist nicht einmal für das 
reiterdenkmal zwingend, aber doch wol wahrscheinlich: für die Aristotelesstelle hängt 
alles von der lesung ab. der name Pythodoros ist sehr gewöhnlich. 411/10 fiel 
ein mann des namens als phylarch der Hippothontis CIA I 448, 3, 59. aus dieser 
phyle ist ITöggos IIvdodspov Axspdovcsos ende des vierten jahrhunderts II 948. 


174 I. 7. Der athenische name. 


mochte gerade in der ersten zeit nach der vertreibung der tyrannen 
oder auch nach der schlacht von Marathon, wo der polemarch Kalli- 
machos von Aplıidna commandirt hatte und gefallen war, dieser ortsname 
einen besondern klang haben.'°) sehen wir dann folgende grabschriften 
IV p. 117 Agıor£as ’Ipıoriaöns, Tiuaploın Oeopwvros Aaurscredus, 
Aoworwvvuos Agıoralov ’Ipıorıadov, Agıoröuaxog Agıoreov ’Ipı- 
oriaöng, vater, mutter und söhne, aus dem ende des fünften jahrhun- 
derts. 111685 SevoxA&ng Ayyeljdev, IIoAvgagns Eevoxkkovg Ayyelnder, 
Aeıoroxning Hevonkkovg AyyeinIev, anfang des vierten jahrhunderts. 
II 2002 Aiyutas EAevalvıos, Eupowv Alyueov ’Eisvolvios, Agylısen 
Stnowentov (d.i. Srnolinscov oder Stnoınnldov) Ayapveus. 11 2330 
Alxınzcog Meltreis, Arıopayns Alxirııov Melıre(vc) und vier nur 
mit dem eigennamen bezeichnete töchter. in diesen vier fällen führt der 
vater nur den demos, der sohn folgt der sitte des vierten jahrhunderts: 
entweder also, der vater war neubürger, oder aber die sitte hatte mit dieser 
generation gewechselt; so viel ich sehe, würden wir dann bei dem 
vater eher das fehlen des demos erwarten. 

Grabsteine von fremden mit vater und vaterland sind im fünften 


Motöken Jahrhundert nicht selten. die metöken verschmähen die offcielle be- 


und fremde. 


zeichnung nach dem demos so gut wie ganz''). die isotelen nennen sich 
im vierten jahrhundert mit stolz so auf den steinen; etwa ein drittel fügt 
den vater zu: darin liegt, dafs der vater bereits diesem bevorzugten stande 
angehört hat.'?) für dieselbe zeit darf man als eine regel, von der es aus- 
nahmen geben wird, aber doch als eine regel, an die #ir uns zunächst 
halten, aufstellen, dafs die grabsteine, die nur den vater nennen ohne 
vaterland und demos, von metöken herrühren. äufserst merkwürdig 
sind folgende grabsteine des fünften jahrhunderts IV p. 115 Aexlas 
N&ßoo Avdglo; Eugpgavrlönsg Mavdewvog Aorvnalautus; AImvö- 
dorog ’Iareox)£og DaonAlro; die leute haben das vaterland ihrer väter 


10) IV p. 153. es ist kaum auszudenken, wie der bei Marathon gefallene 
polemarch Kallimachos ein weihgeschenk darbringen sollte, das der Meder erwähnte. 

11) Herm. 22, 251. 

12) CIA 11 2723-2734. die amme einer Hippostrate erhält von dieser ihr grab 
und den namen in der form AnoAlodagov ioorelov Yuyarng Mekstra tirdn; 2729. 
Gerys, der einen sclavennamen führt wie /eöuwv und Ilarasxos, ist zusammen be- 
graben mit Nix seiner frau, die er als solche bezeichnet, und Oaöpslos ioordins, 
dem sohne, der den eltern den stein setzt, denn beide erhalten einen entsetzlichen 
vers. die mutter geht an (was Köhler verkannt hat) xa dya' zoüd awdeös Apur 
xal navra Öuola yrpaı xal poovrids evaeßlas Evexa, wo das letzte stammelind be- 
zeichnet, dafs sie aus frömmigkeit im alter den alten’ gut gepflegt hat. 


Metöken und fremde. sclaven. 175 


verloren; aber sie wollen es nicht verläugnen, da sie den ersatz, die 
attische clientel, nicht in der officiellen weise bezeichnen können, ohne 
zugleich den vater aufzugeben. die steine bezeichnen also das metöken- 
verhältnis in der für die redenden ehrenvollsten weise auf das schärfste ; 
später wünschten diese, indem sie ganz über ihren stand schwiegen, 
fälschlich für bürger gehalten zu werden. ganz neuerdings ist noch ein 
verwandtes beispiel bekannt geworden. Evpewv Adta ZırvWviog er- 


hielt im december 323 das attische bürgerrecht. es war nur eine deco-. 


ration, denn er war führer der nationalen partei in seiner heimat und 
erlitt bald dafür den tod. seine ehren wurden in Athen cassirt. im 
winter 318 war dann in Athen die demokratie wieder am ruder, resti- 
tuirte dem toten seine ehren und beschlofs sich seines verwaisten kindes 
anzunehmen, dessen namen man noch nicht einmal kannte: damals heilst er 
Evyowr Ada rov Zırvwvlov (Seit. ax. 92, 58). da er nie von seinem 
bürgerrechte gebrauch gemacht hatte, besafs er kein demotikon, aber ein 
Sikyonier war er für die Athener rechtlich auch nicht mehr. es erinnert diese 
terminologie an Aoyeıadag Hayslalda ragyslo IGA 42, den ich neben 
dem paphlagonischen (II 3260?) sclaven 4zwrog, der sich als AYeyeiog 
bezeichnet, weil er es zum bürgerrecht gebracht hatte, für einen sclaven 
erklärt habe und noch erkläre. wer die bekundung des personenstandes 
nicht als die gelegenheit zur fabrication archaeologischer märchen be- 
trachtet, kann nur so erklären — es sei denn, er meine, Argeiadas hätte 
das bürgerrecht seines vaters verwirkt gehabt; das ist auch möglich. 
allein Aoyeındaz ist, darin hat Röhl recht gesehn, von dem stammnamen 
der makedonischen könige nicht zu trennen: griechisch ist ein s. g. patro- 
nymikon von einem adjectiv überhaupt nicht.) man kann von Onßn 
Onßäöng bilden wie von zeuAn zevAaddng, aber nicht Onßaulöng oder von 
'Hietos Hisıaöng oder TeAmaöng u. s. w. der könig Alexandros hat 
seinen stammnamen wol oder übel gräcisirt um an Argos und Herakles 
anzuknüpfen. so ist 4Joyeıadng entstanden. das war also für einen 
freien menschen überhaupt kein name. aber für einen makedonischen 
sclaven war es so gut wie für einen Iydischen KooZoog'‘), einen persi- 


13) Habron eg yerav bei Steph. Byz. 4eyos [ührt zwar unter dem “patro- 
nymischen’ namen von Argos Aoysadas xal Dopwvsidas an, bezicht es also auf 
Aeyos Pogawdwns, aber von dem könnte es nur Agyıadas lauten. da er sich auf 
die dichter beruft, so hat ein künstelnder poet den makedonischen namen im sinne 
der Makedonen verwandt, wenn die lesart überhaupt verläfslich ist. 

14) Anfser dem viel für das Erechtheion lätigen maurer Keoioos Ev Zxauß. 
oix. (1 324. IV p. 75), und einem metöken 3883 und sclaven 3882 ist der name noch 


Sclaven. 


176 II. 7. Der athenische name. 


schen Aageiog oder Twßevas, einen aegyptischen Auaoıs, einen phry- 
gischen Midas, einen thrakischen TYens, eine karische sclavin AYore- 
urola (wie die bordellmutter in den Thesmophoriazusen heifst). Das 
allerdings bin ich gezwungen zuzugeben, dafs ich die dem lateinischen 
Quintipor entsprechende terminologie nicht belegen kann. die attische 
humanität hat ilınen gestattet auf den grabsteinen als menschen aufzu- 
treten, einerlei ob sie noch sclaven oder freigelassen waren. und den 
sclavenstand merken wir am deutlichsten durch das freundliche zeugnis 
des herrn, der das grab bezahlt, yenorog: es ist für die socialen ver- 
hältnisse wahrlich ein hübscher zug, dafs in Athen “der brave’ für “den 
sclaven’ auf dem friedhofe die bezeichnung ist. oft tritt, namentlich bei 
den ammen (zir9n und wauula), aber auch bei den paedagogen die 
stellung des sclaven hinzu, die in diesen fällen ein persönliches ver- 
hältnis herbeiführt ; die tragoedie mehr als die komoedie und dann die epi- 
gramme der Anthologie geben weitere illustrationen. aber das rechtliche 
verhältnis ist dadurch wol gelockert, nicht gelöst. sclaven, die nicht 
brav waren, sind ohne grab und gedächtnis geblieben. natürlich ist das 
sclavengrab nicht anders zu beurteilen als das von hunden und pferden. 
und der sclavenname ist auch mit nichten mit dem menschennamen ver- 
gleichbarer als mit denen von tieren, in denen ihr herr eine gewisse 
individualität sieht. Savas M£iag Ziuos Apouwv IIapauovosg "Erel- 
xtnrog') IIlorog Opavlwy (bei Plautus, der rudersclave) Mauula Mau- 
uagıov Keiog Acula Mooyog sind nicht anders gebildet als die pferde- 
namen SZavdog BaAlos Kopa& Qornearlas Kullagos (lahmfüfschen”, 
eigentlich kein compliment für ein pferd, das Hera schenkt), oder die 
hundenamen auf der Francoisvase und bei Xenophon. dazu treten die 
bezeichnungen der herkunft ®pvS KiAıcoa T'Erng Axos Kaplay Avdn"), 
oder ein par gewöhnliche barbarische fremdnamen wie Tißeıog Mavyns 


bei Aristophanes Wesp. 1221 für Xovas herzustellen, was weder überhaupt noch 
für einen sclaven ein name ist: nal wai, 70 Ösinvov Kooive avaxsvabs voor. 

15) Das hindert nicht, dafs eine ’Enxrrra auf Thera in einem hochadlichen 
geschlechte erscheint: so wenig die Sulpicii sich des namens Servius geschämt haben, 
und doch zeugen beide für das sclavenblut eines vorfahren. in dem geschlechte, für 
das Epikteta ihr testament macht, erscheint “Jaseros Iuspopas»ros, an den ich erinnere, 
weil der in Boeotien und in Athen (hier bei dem bruder des Phalereers Demetrios) 
vorkommende name Juseaios auf Himera gedeutet worden ist. es ist aber ein kurs- 
name von ‘Iuspo-xAns etwa, wie Gealos Asaios Evppaios u. dgl. 

16) Dahin gehört auch Mvs, höchstens im scherze vom Myser an die maus 
angeähnelt, und BiYvs, ganz ebenso den Bithyner bezeichnend. 


Sclaven. spitznamen. 177 


Arwrosg ITevs Baywag'), zu denen die obenangeführten königsnamen 
treten. wenn der Athener der Peisistratidenzeit seinen aegyptischen 
knecht Amasis ruft, so verwendet der Römer für seine sclaven die namen 
der griechischen sage und geschichte; heute heifsen die köter Hektor 
und Diana und die gäule Caesar und Vesta.') das gemeinsame aller 
dieser namen ist, dafs sie spitznamen sind, nicht von der für die Hellenen- spitznamen. 
namen verbindlichen bildung aus zwei stämmen. der mann kann ja auch 
den spitznamen “Widder, Kalb, Wolf’ führen, und die verbeiteten kurz- 
namen werden diesem häufig äufserlich gleich, wie denn /gouwv auch 
verkürzung von Apo,oxkelöng sein kann. eine ganze menge von guten 
menschennamen, die auf ort und zeit und art der geburt gehen, Nov- 
unvıog ’Evarlov Elixadıos Torrlog (in Arkadien, wo diese namen nach 
dem kalendertage beliebt sind) Eßdoulas, Anatovgıos Eöerıog Ovlwv 
Ouolpwy, "Evdiog, ApeFovorog Evgınlöng Zxauavögıos Kapveaöng, 
sind so gebildet, und sie führen zu den adjectiven über, die von götter- 
namen gebildet sind, ArroAAwvıog Auovvorog Anunteuos ’Iounvlas 
Kngıolas, aber auch von menschen Evpgovıos DıAvilLoc Meiavduoc. 
das sind die griechischen namen, die den römisclıen vornamen allein 
ähnlich sind), während der spitzname genau dem cognomen entspricht 


17) Maovvrias Ar. Wesp. 133, Magıxäs, Hapdoxas Iusßllas Ar. Frösch. 608. 
endlich 7’Aas Ritt. 8. es mufs dort ein beliebiger sclavennsme sein, und das ist der 
name des schönen knaben, den Herakles liebte, wol für Rom aber nicht für das 
alte Athen. wo aber hat jener Hylas den namen her? nicht aus dem griechischen, 
denn die erste silbe ist kurz, und wenn er den Dryoper Theiodamas zum vater 
erhielt, so braucht man nur die sage etwas genauer anzusehen, damit man diese 
verknüpfung löse. Hylas ist ein Mariandyner, den erst die Herakleoten annectirt 
und in die heimat versetzt haben: nur die Mariandyner klagen um ihn. so findet 
sich denn auch der sclavenname "7AAas CIA II 4202. ich möchte aber ebenso deuten 
den bisher rätselhaften "Olas avso 1274. mariandynisch dürfte der name Vola ge- 
lautet haben. 

18) Rohe menschen haben auch in unseren tagen ihre hunde Napoleon und 
Bismarck gerufen, um in ihrer weise ihren ohnmächtigen hafs auszulassen, 

19) Tiberius ist ganz wie Ixauavdgıos gebildet, Marcus Mamercus nur mit 
anderem suffixe als die griechischen, Lucius ist "Evdsos; Manius ’Hosyovn, den act 
der geburt wie mit Agrippa Kaeso haben die Griechen nicht bezeichnet. ob die 
von zahlen genommenen namen, von denen nur ein paar als vornamen in gebrauch 
geblieben sind, aber die meisten durch abgeleitete stammnamen, Seplimius Octavius 
Nonius bezeugt sind, auf die tage der zehntägigen woche gehen, wie die grie- 
chischen, wage ich nicht zu entscheiden. Titus ist von der griechischen decenz 
verbannt: aber die Boeoter lassen sich Za9o» Sagisos nennen, sonst führt nur 
ein kuppler den sclavennamen BaAliov von den Balkia, die durch Herodes bekannt 
geworden sind. es ist ein kosewort im ammenjargon wie nooFw»w. Publius und 

v. Wilamowliz, Aristoteles. II. 12 


178 ll. 7. Der athenische name. 


und M.M. f. Corn. Cicero einem Hynoınzcog Hynolov Zovvievg 6 xal 
KowßvAog gleichgesetzt werden muls. aber unter den männern sind 
solche namen immerhin ausnahmen ®); die frauen dagegen sind sehr viel 
mehr wie sclaven behandelt, und IIAayywv (puppe), Mauuagıov, 
Dilovusvn, Höiin Kogıvva Titan Togyw Muveelvn "Howva (was 
atlisch Eegivn wäre) heifsen auch matronen; nur in der höheren attischen 
gesellschaft und demgemäfs im fünften jahrhundert in der ganzen gut- 
bürgerlichen sphaere ist man darauf aus männern und frauen volle namen 
zu geben. doch sind die kosenamen natürlich bei den frauen verbrei- 
teter und nicht immer von den eigentlichen spitznamen zu trennen.*) 


Trebius kehren als Dvisis Dildıs, Aaıos, Pvilidas Aadas wieder. in Athen heifst 
ein geschlecht DvAkidas, mit dessen ableitung sich Töpffer 309 unnötige mühe macht: 
die verdoppelung des A ist ganz in der ordnung. aber was die bedeutung dieser 
namen ‘zugehöriger des volkes, stammes’ sein soll, ist mir unklar. 

20) Der spitzname erhält erst im dritten jahrhundert nach Christo seine feste 
bildung, weil die sprache mit den alten formen nicht mehr zufrieden ist und nach 
bedeutsamen wahlnamen sucht. die namen von barbaren, Aegyptern z. b. und Juden, 
arbeiten dieser sitte vor, auch die seltsame adoption des vaternamens im nominativ 
(Agsıos Aidvuos, Ho@dns Artıxos) gehört dahin. die bildungen aber auf -sos (dessen 
schreibung einerlei ist, auch in BaaiAeıos ist es ein unbetontes i, und die aussprache 
Basilfos ist ganz unberechtigt) sind den alten Auovvosos Anurzroıos ganz analog. 
der Diogenes, der sich nach Aıoysves Aaspgriadn den Laertier nannte, oder wer 
nach Platon oder Nestor oder Caesar oder dem purpur seiner heimat oder nach 
irgend welchen vorhandenen oder gewünschten eigenschaften den zunamen erhielt, 
Eiosßeıos T'onyögıos Errexvios, Pulcheria Prudentius Conslanlius, sie alle sind 
wieder bedeutungsvoll und individuell: es ist ein zeichen davon, dafs Jie alte cultur 
und sprache tot ist, wenn man eine neue onomatologie braucht, aber dafs man sie 
sich schaffen konnte, ist ein unverächtliches zeugnis für die leistungsfähigkeit jener 
zeit. natürlich tritt der beiname, so lange er nur das ist, an das ende der namen- 
reihe. nur die modernen wollen das nicht gelten lassen. 

21) Ganz den weiblichen menschennamen stehen die der schiffe gleich; das 
sind die einzigen unbeleblen wesen, werke von menschenhand, die der Hellene in- 
dividualisirt; er tut es, weil er sie wirklich als beseelt empfindet, wie am besten 
die reizende erfindung des Aristophanes oder vielmehr Eupolis Ritt. 1300 zeigt. 
der widersinn, ein stück geschmiedetes metall zu benamsen, den die erfinder 
des schwertes Durandarte u. dgl. begangen haben, offenbar im gefähle ihrer 
barbarischen unfähigkeit, so etwas zu machen, liegt den Hellenen selbst in der 
ritterzeit fern. von wilden bestien der sage führen ein par drachen einen namen, 
Ladon, der die Hesperidenäpfel bewacht, aber eigentlich der arkadische flufs ist, 
Porkis und Chariboia, die die söhne des Laokoon töten (ovöuara öpsam» paraphrase 
zu Lykophron 347), Sthennis, der drache von Aulis (Porphyr. zu B 308). sonst 
empfindet der Hellene das individuelle im tiere spärlich. weil er das typische in 
ihm erfalst, hat.er die fabel erfunden und den fuchs Kepdo, den aflen Kalklas 
benannt, nicht einen Reinhard und Isegrimm. auch die vögel pflegen keinen indi- 


Das recht am namen. 179 


Allein der reizvolle und viel zu wenig behandelte gegenstand lockt 
mich vom wege ab. die onomatologie selbst darf ich hier nicht ver- 
folgen; nur das ist rechtlich von bedeutung, dafs der sclave von des 
herrn gnade und durch des herrn willkür den namen hat, auf den recht- 
lich nichts ankommt; ein in sclaverei geratener Hellene kann ihn ebenso 
gut führen wie verlieren, je nach dem belieben des herrn.”) die frau 
steht rechtlich ebenfalls unter dem xvorog, und ihr bürgerrecht beruht 
ausschliefslich auf dem des mannes, in dessen hand sie ist. in Athen 
ist jedoch der geneliv ohne zusatz von yvyn bereits dem vatersnamen 
vorbehalten.) die hetaeren führen wahlnamen, auch wenn sie freie sind, 
und keineswegs blofs als tituli: es scheint nicht, dafs der frauenname 
im schutze des gesetzes steht, während der mann um seinen namen klagen 
kann, wie der rechtshandel des Mavyrideog Mavzliov Ooelxıos wider 
Mavrideogs Mavrlov Ooplxıog beweist, in dem der erste vergeblich 
dem zweiten die führung des namens bestreitet.) aber der eigenname 


vidualnamen zu erhalten, sondern Lesbia sagte passer und Corinna psittacus. die 
italienischen hunde pflegen noch heute auf cane zu hören. bei uns ist jeder schwan 
ein Hans und jeder kleine vogel ein Matz: darin liegt jetzt keinerlei individuali- 
sirung mehr. von ortsnamen sind ganz individuell die der flüsse: das sind aber 
meist auch götter und ahnherren, minder schon die der berge, noch weniger die der 
städte, die sehr vielfach derivata sind. sie bedürfen einer neuen untersuchung. dafs 
es keine strafsennamen uralter zeit gab, habe ich Herakl. Il 199 ausgeführt. 

22) Mesoosvıos dvdo steht unter ‘dem confiscirte besitze des Hermokopiden 
Axiochos CIA ] 274. ebenda Kvdiuaxov dolov Adsıudvrov; jener hatte zu hause 
“ gewifs einen namen gehabt, der nun nicht mehr galt. Kydimachos war ein vor- 
nehmer menschenname, deshalb fügt der protokollirende schreiber dovAo» hinzu. 
ein grund das wort anders zu deuten liegt nicht vor. 

23) Das folgt mit sicherheit aus Il 1708, 2056, 2166, 2216, 2547, 2648. ich 
behaupte natürlich nicht, dafs keine ausnahmen vorkämen, da das recht notwendig 
ehedem weiter gieng. aber ich kenne keine. 

24) Die vergleichung der demosthenischen rede 39 mit der eines unbekannten 
40 ist sehr lehrreich. Demosthenes führt eine schlechte sache und verliert sie, aber 
die rede ist sehr geschickt. der andere sachwalter hat eine, wie es scheint, gute 
sache; den erfolg vermag ich nicht zu erkennen. die sache war wol die. der po- 
litiker Mantias von Thorikos hatte eine ehefrau Plangon, die er liebte, von der er 
kinder hatte, die er aber doch verstiefs, als ihr vermögen verloren gieng. nun 
nahm er sich eine reiche wittwe und zeugte mit der einen andern sohn. aber als 
diese starb, kehrte er zu der ersten liebe zurück, wollte nur von den kindern der 
Plangon nichts wissen. doch diese war geschickt genug, den alten in den letzten 
tagen zur gerechtigkeit zu bestimmen. und der nunmehr geprellte angeblich einzig 
echtbürtige sohn dang sich vergebens den besten redner für seine häfsliche sache 
und ist mit einem schlechtern redner für eine anscheinend begründete geldforderung 


kaum besser gefahren. 
12* 


Das recht 
am namen. 


Der name 


im ge 
schlechter- 
staate. 


Geschlechtis- 
namen. 


180 I. 7. Der athenische name. 


ist allerdings nur ein privalbesitz, der den staat als solchen nicht kümmert. 
wollte aber jemand sich das demotikon beilegen, ohne den nachweis der 
berechtigung führen zu können, so durfte jeder Athener klagen, denn 
darin lag die anmafsung des bürgerrechts, die der staat so bestrafte, dafs 
er den schuldigen als sich verfallen betrachtete und als sclaven verkaufte. 

Das führt zu der unabweisbaren frage, wie denn der volle athe- 
nische name vor Kleisthenes gelautet habe. srazgosey allein reicht un- 
möglich aus, weil dann gerade das distinctivum des bürgerrechtes fehlt: der 
vater bezeichnet nur den freien mann. wir haben bisher alle teile des 
römischen namens angetroffen, nur den wichtigsten nicht, den gentil- 
namen, dem zu liebe die Römer den eigennamen völlig haben verkommen 
lassen, wie die Athener ihrerseits den gentilnamen. was entspricht dem 
M. Tullius M. f.?*) der demokratie geht der adelsstaat vorher, dessen 
ordnung Rom bewahrt hat; die phyle, das kunstproduct, erwarten wir 
auch in ihm nicht, aber wol wie in Rom das geschlecht. wargoHev dx 
yeveng erwarten wir die bezeichnung, wie es in der Dolonie heifst. aber 
wir finden nicht was wir suchen; wenigstens die inschriften versagen 
zunächhst. 

Es muls erst über eines klarheit werden, die s. g. patronymika auf 
-wÖöng -adng. gewils, Tudelöng Argelöng IlmAeiöng Aueprıiaöng be- 
zeichnen im epos hundertmal den sohn des Tydeus u. s. w. gewils haben 
das die dichter mit dem homerischen stile tausendfach nachgebildet. 
und doch zeigt der gebrauch schon des epos, dafs das patronymikon 
eigentlich nicht mehr gilt, sondern ein gentilicium wird. die Odyssee 
feiert noch den Aasorıaöng, die Telemachie kennt keinen ’Odvooelöng 
mehr. wir sind an den Peliden gewöhnt: IIvgeog Ayıkkelöng gieng 
schön genug in den vers; aber das ist nicht formelhaft geworden. gött- 
liche väter gibt es im epos genug, aber das wird niemals mit dieser ab- 
leitung bezeichnet, weil der gott kein geschlecht gründet.) IIguaulöng 


25) Die gleichung des gentilnamens mit dem demotikon ist unzulässig, erstens 
weil dieses eine junge demokratische neuerung ist, dann aber auch, weil der gentil- 
name unmöglich eine örtliche bedeutung haben kann. die 20 ältesten tribus haben 
nicht den geschlechtern, die in ihnen safsen, ihren namen gegeben, sondern um- 
gekehrt von jenen empfangen. die tribus Fabia verhält sich zu der gens Fabia wie 
der demos Bovradas zu dem geschlechte Bovradas. und Quintius kommt von 
Quintus, Julius von lullus, Claudius von Claudus, Valerius von Valerus, ganz wie 
die boeotischen palronymika Avxıos von Avxos, Dildıos von Pills, Moiavıos 
von Molaw. 

26) oveariwvss schliefst zumeist alle götter des himmels ein, weil sie da zu 
hause sind, ganz wie sie später ovgavidas heifsen. nur 2898 wird das geschlecht 


Geschlechtsnamen. 181 


Telauwvıog IInkeiwy.”) TeiAauwyıog ist das einfache adjectiv; in ihm 
spricht sich am deutlichsten das rechtsverhältnis aus, dafs der sohn des 
vaters ist wie das rols und die waffe. NnAnuog vıog (B 20), N. ircmoı 
41 537. diese bildung ist von den Thessalern, Boeotern und Aeolern lange 
beibehalten, bis sie dem gemeingriechischen genetive wich, zuerst für die 
männer, dann für die frauen, wie man auf den assischen steinen gut 
verfolgen kann. sie entspricht ganz genau dem italischen gentilnamen, 
aber zu einem gentilicium ist sie nicht geworden. die lesbischen ge- 
schlechter heilsen IIevIıAldaı, Apyeavaxridaı.) die bildung auf -wv 
-1wy ist im leben ausgestorben, für eigennamen aber sehr viel gebraucht, 
ebenso wie die zugehörige weibliche auf 097.”) die eigennamen 49n- 
vaßns Doußldas Hocxkelöng geben nicht anders die zugehörigkeit zu 
dem bestimmten gotte an als Eosıatog AYıyarog Tlooeıdwyuog.”) IIv- 


der oloaviowes den söhnen des Zeus, des narne Fewv, entgegengesetzt. Zeus 
selbst heilst Xoosio» Kooviöns, was eben deshalb ein rätsel ist, weil sonst auch 
kein gott nach seinem vater heifst. Pindar nennt die götter öfter Kpovidas, als 
wäre das ihr gentilname, auch Aaoıknss und Keövov naidas Bacıljas (P. 3, 94), 
wo die Bacılrss ganz in dem sinne gefafst sind, der oben s. 136 anm. 20 erläutert ist. 
"Tanersowiäns Trepiovidns (ünsglov ist nichts als der ‘oben’ wie otgariw» der ‘im 
himmel’) Nnenisn Anoivn bei späteren besagen nicht viel. aber sehr merkwürdig 
ist Anrtotöns von Apollon und Asklepios (Hesiod fgm. 109), alt, wenn auch nicht 
homerisch. da Leto nichts als die mutter ihrer kinder ist, aber nicht die gattin des 
himmelsgottes, so ist sie eben so rätselhaft wie der zu Keovio» stehende Keovos. 
vnonides ist gebildet wie vasadss dgvades, und hier ist deutlich, dafs es vsgaddes, 
vnoniödes wuupaı 'wassermädchen’ sind, gehörig zu dem aksos yeowv, für den 
vneevs ein auch nur die herkunft bezeichnender name ist, noch weniger bezeichnend 
als IIdexos Dögxvs ‘der fisch’, zu dem als frau die 'auster’ TyIos gehört. 

27) Awoıujs Einaöns Pils weisen zwar auf einen eponymen des xowcv 
zurück, aber sie sind in wahrheit nicht von ihm gebildet oder doch nicht wirklich 
gentilicisch. andorıdrs Aiyıxogns Bacılms sind ebensolche gattungsnamen, aber 
keine geschlechtsnamen. 

28) Dafs dies die richtige form ist, folgt aus dem femininum “4oxsavacca, 
metrisch gesichert Diog. Laert. 3, 31. es ist freilich so sonderbar gebildet wie 
“Avaf&agyos, aber beide sollen den regierenden fürsten bezeichnen. 

29) Augpio» Auyıöova (diese auf Kreta), Ariwv Anıovn, MoAlow Moliövn, 
’Hnıden‘ ‘Howyn die mutter des Tevxeos und die frau des Prometheus sind beide 
‘die Asialin’, zu der dem vocalismus nach die ’Zosovrss gehören; der Acıos 'Tora- 
xiöns und der Aclov Asıuasv der Ilias haben den alten vocalismus bewahrt. 

30) So weit wir sehen, bedeutet ein solcher name nur, dafs der vater das kind 
unter den schutz einer gottheit stellt (Plut. de def. orac. 21); vielleicht war es 
ehedem ein ausdruck der hörigkeit. übrigens kommen auch die anderen ableitungen 
vor, wenn jene unbequem war, Jallo heilst nach dem Apollon Ankos, Iltoiwv 
nach dem IIroios. 


h 2 


182 II. 7. Der athenische name. 


Aadng Onßaöng geht höchstens die herkunft an, Kagyeaöng ist der an 
dem feste des Kagveıog geborne. sehr seltsam hat Ibykos ‘EA&va Meve- 
Als gesagt für “EAdvn Meveiaov, als ob es ganz possessivisch wäre, 
und vollends 4A9ala Meisayois, so singulär, aber allerdings so ver- 
ständlich wie Cornelia Gracchorum. aber weiterhin ist die ableitung ganz 
und gar gentilieisch. ’EgeyJetldar Kexgorclöaı sind die Athener, nicht 
die kinder des Erechtheus, Onoevg ist Aiyelöng als Aegide, wie wir ge- 
sehen haben. Hocxisida: heilsen die Herakleskinder nie, immer seine 
ganze descendenz. Helena kommt nach Troia dvoouıAog avusva HNgıa- 
uldaroı: doch wahrlich nicht blofs für ihre schwäger, sondern für das 
geschlecht im ganzen (A. Agam. 447). Aoxinzıadar ‘Oumeldaı sind viel- 
leicht schon eher gilden als geschlechter, aber sie fingiren den geschlechts- 
verband. IIeworworgazidc: sind das tyrannenhaus, Bouoxorldaı die arge 
sippschaft der Hermenfrevler. wenn ein mann Kaikıadng oder FHav- 
Surczclöng heilst, so liegt darin, dafs er zu einem geschlechte gehört, in 
dem der name Kaiklac oder Kavdırrzcog gewöhnlich ist, daher wechselt 
der einfache name mit dem geschlechtsnamen. und weil der name genti- 
licisch ist, ist er vornehmer; wol im anschlufs an eine alte vorlage 
läfst Lucian den parvenu sich Sıuwvlöng für Zluwy nennen (gall. 14). 
damit hätten wir also eine bezeichnung für den gesuchten gentilicischen 
begriff. 

Sehen wir nun das epos an. IIgraulönv vosov viov A 490 ist 
noch dasselbe wie viov TIgıauoıo v090v E 70, xovenv IIgıauoıo vosnv 
N 173. aber Evogvodeig IIev&)oıo caıs ITeoonıadao T 123, Augpt- 
rouog Nioov viog Agnrıadao”) Favaxrog II 395, ITToAvfeıvog viög 
Ayaoseveog Avdynıadao Favaxrog B 624, ZIyedlog xal ’Erslorgopog 
vi8es Iplrov ueya$uuov NavßoAldao 518. da mag noch immer der 
vater allein patronymisch nach dem grofsvater benannt sein. aber wenn 
wir % 514 Avriloyog NnAnuog lesen, so ist der gentilicische begriff 
um so weniger zu verkennen, als der heros gerade aus dem geschlechte 
ist, das für die meisten ionischen städte das königliche war. vollends 
Aloxlöng als name des Achilleus in der Patroklie mit anhängen ist gar 


31) Ob dies von 4enzos kommt, ist sehr fraglich, schon weil die erste sylbe 
kurz ist. denn im hesiodischen schilde heifst Kyknos der sohn des Ares "Aorrıdäns, 
57, und die pontische Aresinsel heifst immer Aentıas, wenn auch die grammatiker 
die flexion 4ens Agnros nur aus der ableitung kennen. in ordnung ist es damit 
nicht, da ein patronymikon von einem gotte, wie oben bemerkt, nicht gebräuch- 
lich ist. 4ons4ognros ist ein hypokoristikon wie Meyrs Teins Müsns. erst in dem 
zugehörigen vollnamen könnte der gott stecken. 


Geschlechtsnamen. 183 


nicht anders verständlich. Hesiod Katal. 37 Auapvyreidng Innöoree- 
zog ÖLog Agnog Duxrkog aylaög viög: da ist die gentilicische termi- 
nologie vorhanden, und wie die an die patronymika gewöhnte grammatik 
irre geht, lehrt die apollodorische bibliothek, die es mit ‘Irrmoorearov 
tod Auogvya&wg wiedergibt. es konnte gar nicht fehlen, das sich in 
der tradition der sage gentilicische bildungen fanden, die in der genealogie 
gar nicht oder nur mit gewalt untergebracht werden konnten. so ist es 
mit Aixeidng für Herakles den sohn der Alkmene gegangen, so mit 
IIleıo3evidaı als name für das geschlecht der könige, die von den Dorern 
aus irgend einem hauptorte vertrieben wurden und mit den heerkönigen 
der Nias identificirt wurden, deren ahnenreihe doch keinen Pleisthenes 
enthielt’), der dann kümmerlich irgendwie eingeflickt ward. das ergibt 
den namen ’Og&orng Ayausuvovog TlAeıo9eviöng; dem entsprechend 
könnte man aus den pindarischen gedichten die Aegineten Tıuaoapxos 
Tıuoxglrov Osavöoldag (Nem. 4) Aaunwy KAeovixov Paivyidag (N. 5) 
desivlas Meya Xaoladag (N.7) u. a. gewinnen, ja sogar einen Athener 
Tıuoönuogs Tıuovov Tıuodnulöngs (N. 2), der neben dem geschlechte 
auch seinen demos Acharnai und seinen wohnsitz Salamis verherrlichen 
läfs. mit dem adel des kleruchen war es schwerlich weit her; der 
Alkmeonide Megakles (Pyth. 7) läfst nur sein geschlecht und seinen staat 
verherrlichen. von dem dichter Simonides aus Keos kennen wir sogar 
zuverlässig den vollen namen Fuuwvldrg Acwregenevg 'YAıylöng”) und 
so liegt es nahe, sich vorzustellen, dafs die ältere attische nomenclatur 
der spätern ganz ähnlich gewesen wäre, nur mit dem geschlechtsnamen 
statt des demotikons hinter dem vatersnamen. _Avxoveyog Agıoroin- 
6ov Bovradng würde dann sogar 507 den namen gar nicht gewechselt 
haben, da das geschlecht in der gemeinde blieb, der es den namen gab. 
es existiren zwei altische steine, die in der tat eine solche bezeichnung 
zeigen. IV p. 81 ein bruchstück zweier zeilen xaı xgeua-- xoAAvrid--, 
das nur lehrt, dafs neben den KoAAvrijg auch KoAAvriöaı gestanden 


32) Mlsıosevidas ganz gentilicisch braucht Aischylos Ag. 1569, ITAssa#Evov 
yevos entspricht dem 1602. dafs er nebenher auch die Pelopiden nennt (1600), ist 
eine inconsequenz. Stesichoros (42) sagt von Klytaimestra 74 da dgaxo» dööxnasv 
nolsiv xapa Beßpormusvos axpov‘ £x ö’ apa rov Baaılevs IIkeıaFevidas dpa, was 
bedeutet (wenn man die fundstelle bei Plutarch de sera num. vind. 10 nachliest, ist 
es unzweifelhaft) ‘sie soh ein traumgesicht, dafs ein blutiger drache käme. und in 
dessen erfüllung erschien der könig aus dem Pleisthenidenhause’, d. h. der legi- 
time erbe. 

33) Vgl. O. Schneider zu Kallimachos fgm. 77, dessen urteil freilich schief ist. 


184 I. 7. Der athenische name. 


haben, und IV p. 102 _Aeößıog Zrcoleoev IIvgeriadss, aus einem ge- 
schlechte, dessen ahn IJvong geheilsen hatte”) Vorgekommen ist 
also eine solche bezeichnung; aber ob Leobios ein Athener war, ist 
fraglich. sitte war dort die nennung des geschlechtes jedenfalls nicht, 
und da viele geschlechter gar keine gentilicisch geformten namen 
hatten, Knovxes Bovbvyaı Aexeleis, formen, wie Knnevxlöng in Thasos, 
nicht bestanden, so genügte diese bildung nicht. die schriftsteller 
führen auch auf eine andere bezeichnung. Kallins zwv "Tauıdewy 
’Hisios (Her. 5, 44), Teivauevog Ayrıoyov yeveos rwv Iauıdewv 
Kivriaörs (Her. 9, 33, vgl. Isyll 180), zwv Zxoradewy Aıaxroglöng 
Keavvwvıog (Her. 6, 127), Aoxivosg 6 Aunpaxiwing vuv Kuweluduv 
(Ar. 17, 4), IIewsıoroarov viei vov &x Dılaıdwy Inrragxp (Pl. Hipparch. 
228%) Dauozidog 79 untgög xal Nixouayov yersınpos rwv Aoxır- 
zuadwv diog Agıororeing (vit. Ar. 420 R.). das ist eine bezeichnung, 
die zwar nicht in Rom, aber wol in dem mittelalterlichen Italien ihre 
analogie hat, Lorenzo di Cosmo dei Medici, und die pindarischen namen 
können wir uns ebenso gut in diese weise umsetzen. 

Ueberhaupt ist die gentilicische bezeichnung eigentlich nur eine ver- 
kürzte angabe des stammbaumes. der vater ist nur das minimum von dem 
was für den freien mann gefordert wird. wie die römische nomenclatur 
in den Fasten und der Kaisertitular, wo sie nur kann, noch mehr ahnen 
nennt, so fordert Athen von seinen archonten den nachweis des grols- 
vaters und selbst der grolsmutter, vier ahnen, wie noch heute manche 
adlichen stifter. auch die inschriften nennen zuweilen den grofsvater®), 
und Herodotos gibt z. b. 7, 204 die ganze ahnenreihe von Leonidas bis 
Herakles, 5, 59 die von Laios bis Kadmos, und dieselbe fand Sophokles 
und sein volk dem stile einer feierlichen proclamation ganz ange- 
messen (O0. T. 267): seine kritiker freilich dulden das nicht. die euri- 
pideischen prologe sind wegen der stammbäume uns langweilig, die 
Athener lachen allenfalls darüber, dafs sich die redenden so ausführlich 


34) Ilvens Ilvenzos, das die herausgeber meistens falsch IZvere accentuiren, 
kennen wir ala namen für den sohn des Achilleus, den man später /Zuggos nennt, 
in einer variante 7 327, die starke beachtung verdient, und aus der unterschrift 
eines werkes von Kresilas, Kaibel epigr. 751. 

35) Z. b. IGA 483 nennen sich fünf leute Qpimwos nraidss Tö Apxryo, was man 
fortfährt für einen titel zu erklären: man hütet sich aber wol, zu sagen, was er 
bedeute. 503 oralla ’ni SYeveiaı 1a. Nixialvı To Tavxio. wie der grofsvater 
hiefs ist nicht festzustellen; weshalb er in Kebrene nicht einen barbarennamen ge- 
habt haben könne, verstehe ich nicht. ’4elora "Epuoxksidaia tu Zavvarada Anth. 
Pal. 6, 269. 


Geschlechtsnamen. 185 


selbst vorstellen, wie sich Dikaiopolis über die ahnen des Amphitheos 
ärgert, aber dieser dingt sich doch den berufenen friedensstifter, und die 
prologe haben sich auch behauptet. der Athener hat eben die gesin- 
nung des adelsstaates, die uns kaum noch verständlich: ist, nie verloren, 
und wenn seine demokratie jenen staat zertrümmert hat, so hat sie ge- 
rade in der ordnung des namenwesens eine eigentlich gentilicische form 
mit viel gröfserer consequenz durchgeführt, als es die zeit je erreicht 
hatte, in welcher die geschlechter herrschten. 


8. . 
DER AREOPAG VOR EPHIALTES. 


Aristoteles schildert uns den Areopag vor Solon und unter Solon 
mehrfach als die eigentlich mafsgebende behörde, aber in ziemlich all- 
gemeinen wendungen, so dafs wir zunächst nicht viel weiter zu kommen 
scheinen. die vormacht des Areopages, die er für die jahre 480—462 
angibt, ist eine effective, nicht durch eine verfassungsänderung ihm neu 
verliehene. Ephialtes nimmt ihm diese macht durch bestimmte gesetze, 
deren stelen die dreifsig umreifsen (35, 2): damals sind also ganz be- 


‚ stimmte compelenzen dem Areopage entzogen. Aristoteles bezeichnet sie 


als &rri$era in übereinstimmung mit der officiellen terminologie‘), im 
gegensatze zu den zareıa, die dem rate blieben, d. h. dem blutgerichte. 
daraus ergibt sich zunächst ein vollkommener widerspruch. entweder 
Ephialtes hat dem Areopage nur &rrlFera genommen, dann gehörte was 
er ihm nahm nicht zu seinen ursprünglichen rechten. er nahm ihm 
die eigentlich politische macht: also kann diese nicht ursprünglich ge- 
wesen sein, also kann der Areopag nicht gula& xal Errloxonog TG 
wokırelag gewesen sein, wie doch cap. 3 u. s. w. steht. oder aber diese 
nachricht ist richtig, dann hat Ephialtes dem Areopag zrargıa und nicht 
Erzi$era genommen. von diesem widerspruche können wir den Aristo- 
teles nicht befreien. aber wol können wir ihn als einen für die offcielle 


1) Harpokrafion erklärt das wort so: öndoa un nargıa övra n EE Agslov 
nayov Bovin Edinabev, as oapes nos Avolas dv zo neös mv Makıdnnov 
yoagpnv. in diesem rechtsfalle handelte es sich, wie mit recht aus Aristoteles rhet. 
2,23 geschlossen wird, darum, dafs Meixidemos (oder Meixidemides) die competenz 
des Areopages bestritt. daher spricht der erklärer nur von dem richten des Areo- 
pages. auszüge aus derselben glosse sind Bekk. An. 252, wo naresa durch ovx 4 
av voumv noooredevra ı7 Bovin EE apxns ersetzt ist, und Hesych dnidrera. dies 
wort bezeichnet natürlich denselben gegensatz, auch wenn es sich um eine andere 
behörde handelt, z. b. den archon Ar. 3, 3. 


Br dnidera und narpıa. 187 


geschichte Athens schlechthin unvermeidlichen erkennen. die partei des 
Ephialtes hat gesiegt, und sie hat selbstverständlich sich nicht selbst als 
revolutionär betrachtet, mulste also was sie dem Areopag nahm als von 
rechtswegen diesem gar nicht zustehend bezeichnen, so dafs sie nur 
einen übergriff beseitigt hätte. aber die consequenz haben sie zunächst 
glücklicherweise nicht gehabt, nun auch die ganze geschichtliche tradition 
so umzugestalten, dals der Areopag nur noch als blutgerichtshof in ihr 
erschiene. so stellt es zwar 458 der dichter in den Eumeniden dar, 
der die stiftung selbst berichtet und nur von dem blutgerichtshof handelt. 
und später mus diese tendenz noch mächtiger geworden sein, sonst 
hätte die von Plutarch behandelte streitfrage nicht entstehen können, ob 
der Areopag wirklich vorsolonisch wäre.) aber die Atthis, der Aristoteles 
folgt, ist zum glück noch unbefangen genug, die ächte tradition über 
die alte zeit festzuhalten, trotzdem sie die officielle version über Ephialtes 
auch gibt. den gedanken falst aber verwirft man bald, dafs etwa der 
bericht über das eigentliche gesetz des Ephialtes (25, 2) mit seiner 
umgebung aus oligarchischer tendenziöser überlieferung stammte. die 
oligarchen hatten ja nicht die entfernteste veranlassung, den Ephialtes 
so zu rechtfertigen, wie es die bezeichnung ärsiFera tut; ihre absicht 
> gieng mindestens dem namen nach darauf, die alte verfassung herzustellen 
und die demokratischen neuerungen zu beseitigen. folglich ist diese 
terminologie ihrem inhalte nach demokratisch und palst für die Atthis, 
nicht für Theramenes. 

Die verfassungsänderungen von 462 haben einen so starken erfolg 
gebabt, dafs niemals, selbst nicht von den Dreifsig, die diese gesetze selbst 
beseitigten, ein ernsthafter versuch praktisch gemacht ist, den alten Areopag 
wieder herzustellen, wenigstens nicht vor Demetrios von Phaleron. so 
ist es denn sehr schwierig zu erkennen, was denn eigentlich in den 
gesetzen des Ephialtes gestanden hat, und die directe überlieferung ver- 
sagt vollkommen. seit Ephialtes ist der Areopag fast nur noch ein blut- 
gerichtshof; vorher hatte er eine in der ganzen politik ausschlaggebende 
stellung, aber diese beruhte nicht auf bestimmten gesetzlich fixirten 
rechten, konnte ihm also auch nicht durch gesetze direct genommen 
werden. genommen müssen ihm die rechte sein, die er von alters her 
geübt hatte; aber eben über sie hört man zumeist nur etwas so vages 
wie 0xed0y arrayzwy xugıog, oder pulad xat Errioxorcog ing molırelag. 


2) Aufgeworfen war diese schon vor Aristoteles in der ersten hälfte des vierten 
jahrhunderts. vgl. oben I 53 anm. 21. 


‚‚oapai 
aceßelas. 


doxıuaoia. 


188 ll. 8. Der Areopag vor Ephialtes. 


das kann Ephialtes unmöglich so geändert haben, dafs er lediglich 
negativ beantragte, zn» BovAn» um elvaı gülaxa, wol aber kann und 
wird er als bleibende dienstinstruction beantragt haben, reg! d& zwy 
porıxwv Ömabeıv zrv BovAnv ınv &v Apslp nayıy xara Ta nrazgıa. 
das ist auch unvergessen geblieben. im übrigen konnte die neuerung 
nur darin bestehen, dafs eine anzahl von obliegenheiten, die bisher der 
Areopag gehabt hatte, anderen organen des staates zugewiesen ward. sie 
fanden also ihren platz je in den einzelnen dienstinstructionen dieser 
organe, und so ist nach der art unserer überlieferung nicht wunderbar, 
dafs bald das gedächtnis an den concreten inhalt der gesetze des Ephialtes 
völlig verschwunden war. daneben blieb die sehr unbestimmte angabe 
der chronik, dafs der Areopag einst Athen beherrscht hätte, und nicht 
viel mehr, kaum irgend etwas concretes, weils Isokrates im Areopagitikos 
zu sagen. es ist immer noch das beste was Aristoteles aus der Atthis ge- 
rettet hat, dafs der rat der 500, die volksversammlung und die gerichte 
die amtspflichten übernommen hätten, die Ephialtes den Areopage entzog. 
damit ist wenigstens eine aussicht gegeben, einiges zu erschliefsen. denn 
wenn wir einerseits die bekannten competenzen dieser organe betrachten, 
andererseits was wir dank Aristoteles über die ältere competenz des 
Areopages erfahren, so mufs diese vergleichung einigermafsen lehren, 
was er durch Ephialtes und Archestratos eingebüfst hat. 

Die volksgerichte können die entscheidung in einer anzahl von pro- 
cessen geerbt haben, die früher der könig vor den Areopag brachte, 
namentlich aoeßelas, da die streitigkeiten um priestertümer und sporteln 
der priester (Ar. 57, 2) wol der könig unmittelbar (edroreAwg) entschieden 
haben wird, und das volksgericht lediglich durch das prinzip der &peoıg eis 
Öıxaorngıovy, die provocatio ad iudicium hinzugetreten ist. wenn die 
eine art der gottlosigkeit, die in der zerstörung eines heiligen ölbaumes 
gefunden ward, dem Areopage immer geblieben ist, so darf man für 
ältere zeit ihm diese ganze gattung zuschreiben. die eine singularität blieb 
ihm, weil seine aufsicht über die ölbäume nicht angetastet ward. der 
Areopag besals aber früher auch ein coercitionsrecht über alle axoouour- 
tec (3, 4), also eine unmittelbare sittencontrolle. diese collidirt mit den 
thesmothetenprocessen tÜßgewg uoıyeiag u.dgl., deren bedeutung oben 
1 247 erörtert ist. indessen möchte ich nicht wagen, Jiese sachen vor 
den Areopag zu ziehen, da ein verkehr irgend eines andern beamten als 
des königs mit diesem rate nicht bezeugt ist. 

Die niederen beamten, d. h. alle mit ausnahme der par excellence 
so genannten (und wol der militärischen), wurden in alter zeit vom 


doxıuacla, sisayyakla. 189 


Areopage bestellt. seit Solon werden sie aus einer vorschlagsliste der 
phylen erlost, und zur correctur des loses ist die prüfung vor gericht ein- 
geführt. nur die archonten und die ratsherren werden vom rate geprüft, 
und für die ersteren ist noch eine prüfung vor dem gerichte hinzugefügt.?) 
das wird sowol rechtlich wie geschichtlich erst verständlich, wenn man 
annimmt, dafs der Areopag die prüfung der übrigen von Solon bis Ephialtes 
gehabt hat. dann ist Solons ordnung, oder vielmehr Drakons schon, 
nicht ein schwerer eingriff in die macht des Areopages, sondern be- 
seitigt nur das willkürprinzip der ernennung durch die erlosung auf 
vorschlag und die prüfung durch die behörde, die früher unmittelbar 
ernannte.‘) der rat unten sollte selbstverständlich von dem oben unab- 
hängig sein, besorgte also selbst die prüfung seines nachfolgers. die 
archonten aber, die künftigen Areopagiten, unterlagen einer prüfung durch 
diesen oberen rat nach ablauf ihres amtes, was nie geändert worden ist: 
der Areopag brauchte also verfassungsmälsig die archonten, die das volk 
sich gesetzt hatte, nicht aufzunehmen. um so weniger aber konnte er 
sie schon vor dem amtsantritt prüfen. diese prüfung war das recht des 
volkes, und seine ausübung fiel passend dem organe des volkes, dem rate 
unten zu. so war das weise geordnet. einmal ist dann die prüfung 
der beamten überhaupt dem Areopage genommen und den gerichten 
gegeben: das kann füglich nur durch Ephialtes oder im anschlufs an seine 
reform geschehen sein. die prüfung der archonten aber liefs man daneben 
dem rate: man verlangte noch immer besondere garantien für diese, 
und es ist zu bedenken, dafs die herabsetzung des census für dieses 
amt mit dem sturze des Areopages zeitlich zusammenfällt: da mochte man 
die dokimasie des rates als garantie nicht missen. 

Die volksversammlung tut kaum etwas ohne die vermittelung des 
rates, aber sie hat das recht, denuntiationen von ganz besonders staats- 
gefährlichen verbrechen anzunehmen und wenn sie auf sie eingelit, an 
die gerichte abzugeben, ja in ausnahmefällen selbst zu gerichte zu 


3) Die von Aristoteles als späterer zusatz bezeichnete freiheit, von dem ab- 
weisenden entscheide des rates an das gericht zu appelliren, ist eine logische con- 
sequenz des grundrechtes der &ypaoss, aber sie machte die prüfung im rate talsäch- 
lich überflüssig. diese ist also nur als rudiment der alten ordnung erhalten. 

4) Es gibt noch ein beispiel für diese ordnung. 343 hat das volk einen ovr- 
dıxos gewählt, der seine sache vor den Amphiktionen führen sollte, aber dem Areo- 
page die prüfung des gewählten und sogar den ersatz desselben durch eigne wahl 
übertragen. so erzählt Demosthenes 18, 134. das geschah damals natürlich nur im 
specialfalle und auf besonderes gesetz hin. aber über die heilige sache hat man wol 
auf grund von praecedenzfällen entschieden. 


sicay- 
yekla. 


190 Il. 8. Der Areopag vor Ephialtes. 


sitzen. das gefährliche institut der eioayyeila eig Tov Önuov hat in 
alter zeit die eioayyella eis doeıov rayoy zum gegenstücke, die sowol 
gegen beamtenwillkür galt, wie Drakon es vorgeschrieben hatte (4, 4); 
wie gegen hochverrat: gegen diesen sclıreitet noch in der anekdote von 
Themistokles der Areopag ein. dies ist also sicher durch Ephialtes vom 
Areopage auf das volk übertragen. dagegen hat das volk allerdings die 
beamten auch schon vorher auf seine weise controllirt, durch die Zrzıyeı- 
oorovia, und hat die macht selbst urteilssprüche abzugeben besessen, 
in den formen, welche die feste tagesordnung der versammlungen durch 
die anklage wegen anarn ov Öruov und ovxopavzla bot. so ist 
Miltiades 490 gefallen. da haben wir, wie so oftin Athen und im alten 
Rom, neben einander stehend dieselbe competenz verschiedener staat- 
licher organe. 

Der eigentliche erbe des alten rates ward der neue: statt des aus 
der magistratur hervorgegangenen senates sollte die vertretung der einzel- 
gemeinden die verwaltung führen. klar mit einem worte bezeichnet 
würde der inhalt der reform gelautet haben: der Areopag hört auf eine 
verwaltungsbehörde zu sein; die geschäfte übernimmt der rat der 500. 
aber wir müssen das im einzelnen zu erlassen suchen, entsprechend 
dem wie die gesetze nach attischer weise wirklich gelautet haben. 

kiodwoıs Da haben wir gleich eine einzelheit. die verpachtung des heiligen 

veR8y0P. gutes besorgt der könig, aber er übergibt die pachtverträge dem rate 
und dieser besorgt die eincassirung und verrechnung der pachten selbst 
oder durch seine beamten, die apodekten (Ar. 47, 4). so war es schon 
418. es versteht sich von selbst, dafs der könig früher denjenigen rat 
zugezogen hat, dem er vorsitzt; sein verkehr mit dem rate der 500 ist 
eine anomalie, die lediglich die rücksicht auf die heiligkeit dieser ein- 
nahmen geschaffen hat. 

Kasse des Die bergwerke waren schon 483 unter der verwaltung des volkes, 
was die des rates, der ja die vorschläge für das volk vorberät und formulirt, 
in sich schliefst. es gab ja auch seit Kleisthenes die apodekten. trotzdem 
hat 480 der Areopag über sehr bedeutende geldmittel verfügt, da er, 
aus eigener initiative oder auf die anregung seines mitgliedes Themistokles 
hin, in der lage war, den auswanderern ein zehrgeld zu zahlen (oben 
1 140). also hatte der Areopag eine casse und cassenbeamten. er hatte 
aber auch nach Solon (8,4) das recht geldstrafen zu verhängen und 
einzuziehen und brachte sie selbst auf die burg, d. h. in die casse der göttin. 
zu den uralten behörden gehören die schatzmeister der göltin, die poleten 
und die kolakreten. die letzteren verfügen zwar noch in der zweiten 


Casse des Areopages. vouopvlaxia, 191 


hälfte des fünften jahrhunderts über so. viel geld, dafs ihre casse die 
schwere ausgabe für den richtersold getragen hat°), sind aber im.organis- 
mus des staates nur noch so wenig berechtigt, dafs selbst die reform der 
400 sie beseitigen wollte. die schatzmeister und die poleten stehen 
später unter der controlle des rates der 500. daraus erschliefsen wir 
mit sicherheit, dafs diese beiden behörden ursprünglich dem alten rate 
untergeben waren, der sie ja auch ernannt hatte: die kolakreten aber 
waren die einnehmer der alten ratscasse. Kleisthenes hat in den apodekten 
10 einnehmer neben die kolakreten, deren zahl wir nicht kennen, gestellt. 
die zahl der schatzmeister und poleten ward auch auf 10 gebracht, d.h. 
auch sie vertraten nunmehr die neuen phylen. schon damals also ist 
eine casse unter verwaltung des rates der 500 gestellt, schon damals der 
Areopag, der notwendigerweise aus leuten, die mit der tyrannis mindestens 
freundlich gestanden hatten, noch lange jahre vorwiegend bestehen mufste, 
stark beschränkt. aber noch standen beide räte nebeneinander: Ephialtes 
tat den zweiten wichtigsten schritt und gab die finanzen dem rate der 500; 
die kolakreten und somit die vereinnahmung und verrechnung starker 
mittel durch den Areopag hat er noch bestehen lassen. daran liegt es, 
dafs wir über diese behörde so wenig klar sehn. aber wenn Perikles 
den richtersold einführte und seine zahlung der kolakretencasse auferlegte, 
so zeigt sich darin eine sehr wirksame beschränkung des Areopages 
durch ihn. 

Drakon hatte dem Areopage das recht gegeben, die amtsführung der 
beamten auf ihre gesetzmäfsigkeit hin zu controlliren, und ihn auch zur 
instanz für beschwerden über die beamten gemacht. auch Solon, der 
doch dem volke die eigentliche rechenschaftsabnahme, wenn auch noch 
nicht den regelmäfsigen logistenprocess, sicherte und durch die epichei- 
rotonie und andere mittel die directe beschwerde bei dem volke er- 
möglichte, endlich die Epeoıg eig To dıxaozngıov durchführte, hat Jden- 
noch dem Areopage die sorge für die beobachtung der gesetze gelassen, 
die vouogviaxia. diese hat gar keinen sinn, wenn der Areopag nicht 
die möglichkeit hatte einzuschreiten, die beamten vor sich zu fordern 
und zu richten. ebenso notwendig folgt aus dieser befugnis, dafs die 
bürger beschwerden wider die beamten bei dem Areopage einreichen 
konnten. erst hierdurch, aber hierdurch sehr energisch, wird der Areopag 


5) Daraus folgt, dafs in diese casse die gerichtssporteln flossen, denn die oli- 
garchische IZoA. A9. 1, 16 nennt als ersten vorteil, den der demos aus dem ge- 
richtszwange der bündner zieht, ano To» novravaloy Tüv maodov ds dviavrov 
Jaußavsıy. 


vouogpv- 
kaxia. 


192 ll. 8. Der Areopag vor Ephialtes. 


zu dem eigentlichen träger der inneren politik. es liegt so viel darin, 
dafs ich voraussehe, die modernen werden sich dagegen sträuben, es 
zu glauben; aber die analogie zwingt. der rat der 500 hat ja diese 
selbe controlle über alle beamte rechtlich besessen, und auch bei ihm 
konnten beschwerden eingereicht werden (45, 2). einen beleg liefert 
Lysias wider die kornhändler. natürlich war später auch von der ent- 
scheidung des rates appellation an das gericht möglich, ganz wie bei der 
dokimasie der archonten. aber dafs von dem urteil von 500 an das von 
501, von ratsherrn an richter, d. h. leute die genau eben so qualificirt 
und genau eben so gewählt sind, appellirt wird, ist eigentlich in sich 
verkehrt, ist prinzipienreiterei, und kann nur als eine ausartung an- 
gesehen werden. wenn nun der rat der 500 in der demokratie die 
nomophylakie besitzt, der Areopag sie einst besessen hat, so kann man 
gar nicht zweifeln, dafs eben diese es gewesen ist, die Ephialtes ihm 
genommen hat. 

vono- Man hat bei dieser gelegenheit an eine veränderung in der legis- 

Seola. Iative gedacht, hat die yoapn magayouwy herangezogen und noch 
anderes vermutet, hatte allerdings auch die auf keinen geringeren als 
Philochoros gestellte überlieferung, dafs zum ersatze für den Areopag 
eine besondere behörde von vouogvAuxes eingesetzt wäre.*) dies letztere 
ist durch das schweigen des Aristoteles, so wenig das im ganzen be- 
deutet, und durch die in einem falle (fgm. 6) nunmehr erwiesene unzu- 
verlässigkeit des lexicons, das uns die angeblich philochoreische notiz 


6) Lex. Cant. vouopviaxss. der fehler beschränkt sich darauf, dafs die ein- 
setzung mit der reform des Ephialtes verbunden wird; sein anlafs ist mir auch noch 
jetzt rätselhaft, aber ich kann ihn nicht mehr leugnen. die schilderung des amtes 
stammt in diesem lexicon aus derselben quelle wie bei Photius od vogogpvlaxss rives 
roav, und dieses lemma erweist als quelle das onomastikon, dessen wertvollste aus- 
züge im fünften Bekkerschen lexicon stehn. hinzu tritt Poll. 8, 94, der die schilde- 
rung im praesens gibt, während sie jenes onomastikon im praeteritum gab. wie Philo- 
choros geredet hat, ist also nicht sicher. die sieben gesetzeswächter sitzen neben 
den proedren in den versammlungen: so etwas ist zur zeit der demokratie unerhört. 
sie sind durch ausgezeichnete tracht und religiüse functionen möglichst würdig ge- 
macht: das pafst für die zeit der restauration. sie sind bestimmt, in den Areopag 
zu treten: der vermehrte sich also jährlich um 16 statt um 9 personen, mufßste 
binnen kurzem durch diesen nachschub eine andere majorität erhalten, so dafs ich 
die mafsregel gut mit einem pairsschub in modernen ersten kammern verglichen 
habe, und sollte offenbar frisches blut und neue würde erhalten. alles palst auf 
das beste für die verwaltung des Phalereers. da wir auf den steinen durchaus nichts 
von den gesetzeswächtern finden, sind sie wol 307 der demokratischen reaction so 
gut wie die yvrasxovouoı u, a. erlegen. 


vouodsdia. 193 


gerettet hat, beseitigt. es beruhte aber auch alles auf ungenügender 
einsicht in das attische staatswesen. 

Formal ist zwischen einem volksbeschlusse und einem gesetze gar 
kein unterschied. was das volk beschliefst, ist recht und ist gesetz. 
ein jeder volksbeschlufs schafft neues recht; er darf nur nicht implicite 
altes recht umstolsen und muls selbst auf gesetzmälsigem wege zu 
stande gekommen sein. darin liegt, dafs der rat unter allen umständen 
über den gegenstand verhandelt haben mufs, mindestens so weit, dafs 
er ihn auf die tagesordnung gesetzt hat.’) in den meisten fällen ist 
ein einzelner antragsteller vorhanden, sei es dals er ratsherr ist, sei es 
dafs er, dann aber im anschlufs an eine ratsvorlage, im volke seinen 
antrag durchgesetzt hat. daneben erscheinen im fünften jahrhundert 
ad hoc eingesetzte commissionen, Ovyygayns. so redet man denn von 
gesetzen des Verikles, Archestratos, Kannonos, und besitzen wir in dem 
s. g. eleusinischen psephisma ein gesetz, das zur grölseren hälfte von 
einer commission ausgearbeitet ist, aber einen nachtrag enthält, den 
Lampon vor dem volke durchgebracht hat. das volk, das selbst all- 
jährlich die gesetze neu beschwört, die es sich gegeben hat, sichert 
diese vor verletzung und sich selbst dagegen, dafs es sie nicht un- 
wissentlich verletzt, durch die klage raoavouwv. diese gilt wesentlich 
den antragstellern im rate und volke, ist aber auch einer commission 
gegenüber denkbar, die einen antrag stellte. sie gehört mit ihrer 
schwester, der klage ein schädliches gesetz gegeben zu haben, und den 
klagen wegen amtsmisbrauch wider die vorsitzenden des rates und volkes 
vor die thesmotheten (59, 2). die eidliche versicherung, sie erheben 
zu wollen (trrwuocle), mulste in der versammlung geleistet werden und 
besafs dann suspensive kraft. jeder bürger, der ja jedes unrecht (waoga- 
vouoy) das irgend wem geschah zu ahnden berechtigt war (ruuwgeiv 
10 “dıxoruEvyo), hatte vollends das recht den geschädigten gesetzen bei- 
zustehen. er tat das wie immer so auch bier durch die anrufung des 
gerichtes, das hiels, er belangte den schuldigen bei den thesmotheten. 
dies tun zu wollen, erklärte er vor dem volke. das ist die trwuoala, 
ein analogon zur apelgeoıg eig EAevdeplav. es ist gar nicht anders 
denkbar, als dafs dieses recht, sogar schon in dieser form, bestanden 
haben mufs, seit es rat und volk gab: war doch ein hauptanlafs zu 
klagen wegen gesetzwidrigkeit der, dafs der vorbereitende ratsbeschlufs 


7) Die nomothesie rechnet der oligarch der IIvk. 4%. 3,2 zu den regelmäfsigen 
amtspflichten des rates, 
v. Wilamowlız, Aristoteles. II. 13 


Polizei- 
gewalt. 


194 II. 8. Der Areopag vor Ephialtes. 


fehlte (45, 4). das war in anbetracht der sehr ausgedehnten zulassung 
von amendements oft gar keine einfache frage. solonisch ist die klage 
also mindestens. aber um so deutlicher wird, dafs sie mit dem Areopage 
trotz seiner gesetzescontrolle nichts zu tun hat. sie geht eben an die 


“rechtssetzer’, die die gesetze aufzuzeichnen und zu bewahren haben, 


also die berufenen richter darüber sind, ob ein antrag mit diesen in 
widerspruch stehe. die thesmotheten haben darüber ehedem selbst, 
später unter zuziehung eines volksgerichtes entschieden: das entspricht 
der allgemeinen rechtsentwickelung. eine beteiligung des Areopages 
ist schon deshalb nicht denkbar, weil er, um einen gesetzwidrigen be- 
schlufs zu hindern, eine controlle der volksversammlung hätte ausüben 
müssen, d. h. eine controlle des souveränes. 

Damit sind die gesetze gegen die willkür der einzelnen oder auch 
des volkes geschützt. um so dringender wird die frage, wie konnten 
sie denn überhaupt geändert werden, wie hat Ephialtes selbst seine 
anträge durchgebracht, die die ganze verfassung umgestaltet haben’? 
das ist geschehen durch die Zrryeiporovla vouwv. seit Schöll das 
document gerechtfertigt hat, das in der Timokratea 20—23 stebt, dürfen 
wir nach dieser analogie für das fünfte jahrhundert annehmen, dafs in 
der ersten volksversammlung jedes jahres die gesetze selbst beraten 
wurden, d. h. die anträge auf abänderung des geltenden rechtes einge- 
bracht werden mufsten. wie dann das volk über die behandlung ent- 
schied, ob es die anträge a limine abwies oder dem rate oder einer 
commission zur beratung übergab (von der überweisung an ein gericht, 
was die vouoserar der Timokratea tatsächlich sind, kenne ich kein 
beispiel aus dem fünften jahrhundert), das stand bei dem volke, das 
nach dieser vorberatung abstimmte, genau eben so wie über jeden antrag. 
die sache ist einfach und verständig geordnet, aber für den Areopag 
ist kein platz. unsere geschichtliche überlieferung zeigt ihn auch nie- 
mals mitwirkend bei verfassungsänderungen. 

Also die dokimasie der beamten hat der Areopag an die gerichte, 
die annahme der eisangelieen an Jas volk, die nomophylakie und über- 
haupt die verwaltung an den rat der 500 verloren. 

Die anekdote von Themistokles und Ephialtes zeigt ihn uns aber 
auch im besitze des rechtes, einen bürger zu verhaften. dies gehört mit 
zu dem allgemeinen aufsichts- und strafrecht, das der Areopag von der 
urzeit her besafs. er übt es in der anekdote auf den antrag eines 
mitgliedes, das ein staatsgefährliches complott entdeckt haben wollte. 
er ist aber ohne zweifel auch auf grund der meldungen von executiv- 


Polizeigewalt. macht des rates der 500. 195 


beamten eingeschritten, deren competenz über die verhängung niedriger 
geldstrafen nicht hinausgieng. denn wenn wir nach dem gesetze Lampons 
den könig eine meldung an den rat erstatten sehen, damit dieser eine 
polizeiliche contravention stärker ahnde, als der könig selbst kann (CIA IV 
p- 61), so fordert die logik, dafs ehedem in solchen fällen der könig an 
den Areopag gegangen ist. diese ganze strafgewalt hat der Areopag 
durch Ephialtes bis auf rudimente, wie die sorge für die ölbäume, ver- 
loren. das geschalı in consequenz seines verlustes der nomophylakie; 
es brauchte kaum ausdrücklich beseitigt zu werden. 

Der rat der oligarchie hat sowol 411 wie 404 die volle gerichts- 
hoheit selbst über leben und tod ausgeübt, und niemand hat ihm daraus 
den vorwurf eines übergriffes gemacht. schon daraus folgt, dafs die 
Athener des fünften jahrhunderts mit dem begriffe des rates den besitz 
dieser vollen gewalt verbanden, die keiner ihrer beamten, selbst der 
feldherr nicht, besafs. die Thesmophoriazusen zeigen den prytanen, der 
den rat vertritt, wie er einen Athener in den block spannen lälst; es 
hat eine meldung genügt, um die polizei zu so scharfer mafsregel zu 
bringen. die verhaftung erlaubt sich der rat auch 406, sogar gegen die 
feldherrn (Xen. Hell. I 7, 3). vor der verhängung der todesstrafe scheute 
er bei dieser gelegenheit zurück, und so auch der rat des nächsten 
jahres, als er den Kleophon verhaftete (Lys. 30, 11).°) das formelle 
recht aber besals er ohne zweifel.) er besafs es auch nach der her- 
stellung der demokratie.. 403 hat er auf den antrag des Archinos ein 
todesurteil sogar ohne gerichtsverhandlung vollstrecken lassen (41, 2). 
damals war die demokratie noch beschränkt, aber in dem ratseide stand 
auch später ov desouaı Evdeıdıv oVdE araywynv Evexa Tav 7L00TE90V 
yeyeynusvwv zuiny TWy gvyovrwy (Andok. 1, 91). es gab also noch 


8) In diesem falle brachte ein ratsherr im rate das gesetz durch, dafs der rat 
mit zu gerichte sitzen sollte. so erzählt Lysias. derselbe sagt jedoch, dafs dieses 
gesetz an dem tage des gerichtes selbst erst angenommen ward, und beschwert sich 
über ungesetzlichkeit. freilich konnte ein wirkliches gesetz nur vom volke beschlossen 
werden, also war dieses keines. also hat wol vielmehr der rat zwar nicht den mut ge- 
habt, selbst das todesurteil zu sprechen, aber auf seinem rechte bestanden, über die 
Wösdıs Asnoraßlov, die bei ihm erfolgt war, zu richten. was herauskam, ein ge- 
mischtes gericht, war etwas anomales, aber schwerlich wider den geist oder buch- 
staben der alten verfassung. 

9) Das gesetz auf dem steine CIA I 57, das todesstrafe erwähnt, scheint durch 
den zusatz dvsv rov Öruov nAndVowros die instruction des rates für den vorsitz in 
der volksversammlung zu enthalten; spätere zeilen handeln von der tagesordnung. 


übrigens ist es allzu verstümmelt. 
13* 


Macht des 
rates der 
500. 


196 Il. 8. Der Areopag von Ephialtes. 


eine arcayıayı) scg0g PovArv, und wenn einer der verbannten Dreifsig 
so abgeführt ward, konnte das.nur geschehen, damit der rat ibn seiner 
verwirkten strafe überantwortete. ja noch 386 wird im rate der antrag 
gestellt, dafs eine gesellschafi von kornhändlern, allerdings metöken, 
ohne gericht den elf zur hinrichtung übergeben werden sollten (I,ys. 22,2). 
dagegen 352 kann der demokratische stolz schon behaupten, dafs Solon 
dem rate nicht erlaubt habe einen Athener zu verhaften (Demosth. 24, 
144—147). damals stand in dem eide, dafs der rat haft nur über einen 
hochverräter (wider das vaterland oder die demokratie) oder einen säu- 
migen steuerpächter verhängen dürfte. die ersten waren dem strengen 
rechte nach vogelfrei, und das recht die steuerpächter zu verhaften be- 
zeugt noch Aristoteles ausdrücklich (48, 1, vgl. Andok. 1, 93). damit 
haben wir wenigstens einigermafsen die zeit der reform bestimmt, die 
den rat in seiner selbständigkeit beschränkt hat, so dafs er aufser der 
auferlegung einer geldstrafe bis zu einer bestimmten höhe (der &rrıßoAr,) 
nur ein vorurteil (xarayvıoıs) oder einen antrag auf höhere geldstrafe, 
eine “zusatzstrafe’ (Zrrulmulwoıg 45, 1; das wort ist dafür gebildet) fassen 
konnte, das urteil aber natürlich in voller freiheit der schätzung bei 
dem gerichte stand, das die ihesmotheten auch schon früher in den 
fällen, wo der rat nicht selbst entscheiden mochte, zu berufen gehabt 
hatten. Aristoteles würde die zeit vielleicht selbst uns noch genauer 
angeben, wenn nicht der anfang seiner erzählung verloren wäre. da 
berichtete er den specialfall, der den rat um seine macht gebracht 
hat. als ein gewisser Lysimachos, dessen vollen namen wir in folge 
der textverderbnis auch nicht mehr kennen, schon da safs um den 
streich des henkers zu empfangen ’°), übte Eumelides von Alopeke'') das 


10) xasiuevos 7zön ue)lwv anodrnaxeım sagt Aristoteles sehr anschaulich, 
vorausgesetzt, dafs es ein solches “armesünderstühlchen’ gab, so dafs das sitzen ein 
bild für die phantasie gibt. die todesart war danorvurasıcuos. Lysimachos war 
sicherlich ein armer schächer, sonst würde der rat nicht so kurzen process gemacht, 
und der gerettete nicht den unerfreulichen spitznamen 6 ano rov tunasov be- 
halten haben. 

11) Auch dieser manu ist unbekannt. der name ist nicht selten, weil Eumelos 
häufig ist; mit Philomelos und Philomelides ist es ebenso. dafs Blals den ortho- 
graphischen fehler Er’unisiöns conserviren mufs um der responsion der satzglieder 
willen, ist für diesen aberglauben bezeichnend. er beruft sich auf &ilounleidrs, 
wie in der tat der dichter der Telemachie ö 343 (e 134 ist eine wertlose entlehnung des 
bearbeiters) einen lesbischen heros genannt hat. die alten grammatiker haben sich über 
die form gewundert, haben ein metronymikon von PDslourin ersonnen, das andere 
mit recht verwarfen, schliefslich ihr bedenken mit richtigen, aber von ihnen nicht 
richtig gedeuteten, bildungen wie Oappeleiöns (von Oagailson) Avcı$eidns (von 


Macht des rates der 500. abschlufs. 197 


demokratische recht der intercessio und provocatio ad iudictum, und das 
volk änderte die gesetze. die geschichte hat offenbar jemand aufge- 
zeichnet, dem sie noch ganz frisch im gedächtnisse war; Androtion, 
dem Demosthenes seine grausamen polizeimafsregeln so schwer zum 
verbrechen macht, kannte das landrecht besser als der advocat. Ari- 
stoteles aber erzählt das ganze nach, weil es ein guter beleg für seinen 
allgemeinen satz ist, dafs das volk sich zu ungunsten des rales immer 
mehr der verwaltung bemächtigt hat. hier geht uns die folgerung an, 
dafs dieses recht des rates der 500 notwendigerweise auch dem Areo- 
page gehört hat, so lange er mit der verwaltung zu tun hatte. 

Es ist aber gut das capitel 45 überhaupt zu betrachten, in dem die 
rechte des rates aufgezählt werden, die er nur noch verkümmert besafs. 
das ist erstens das eben besprochene, an geld freiheit und leben zu 
strafen,, zweitens die controlle und aburteilung der beamten, vornehm- 
lich der finanzbeamten, drittens die annahme und erledigung von be- 
schwerden privater über die beamten, viertens die dokimasie der rats- 
herrn und archonten. 

Übertragen wir das auf den Areopag, so kam ihm bis auf Ephialtes 
1—3 ganz zu, 4 für alle übrigen losbeamten. was der rat der 500 im 
vierten jabrhundert verloren hat, hatte er im fünften zum guten teile 
dem Areopage abgewonnen. 

Wir finden in der zeit des Aristoteles selbst den rat der 500 schon 
beschränkt, allein dessen machtfülle tritt uns doch noch in so vielen 
lebendigen betätigungen entgegen, und die überlieferung gibt auch an- 


Avci$sos) Agıoreidns (in wahrheit @gsor-eıdns) beschwichtigt. vgl. aufser den scho- 
lien zum ö nnd Eustathius Et. M. p. 166, wo die wichtige notiz ’Erapgodıros dv Uno- 
uvrosı eis segalaıov & 'Odvooeias bei Gaisford unten steht. auch an PrÄounlets haben 
sie gedacht. es gibt eine anzahl schwieriger formen der art, sowol auf -evs, trotz 
zwei stämmen im namen, wie auf -zudrs, selbst mit -söns wechselnd, wie Kndiöng 
Kndeidrs 'Exegvlidas und 'Exsgvilsiöns, um bei solchen zu bleiben, die die alten 
nennen. der art ist der aus der sage unbekannte DsAounleidns: denn was Hella- 
nikos in den scholien angibt, wird lesbische erzählung seiner zeit schon gewesen 
sein, aber es ist auf grund der Homerstellen erfunden. ob die überlieferung zuver- 
lässig ist, ob der dichter sich etwa erlaubt hat, ein unbequemes PuÄoundidns me- 
trisch zu vergewaltigen, das bleibt zweifelhaft: den Athener Eumelides und den 
Aristoteles geht es nichts an — es sei denn, dieser hätte auch sprachfehler gemacht, 
damit seine versfülse stimmten. aber amusant ist, dafs ein PsAounkidns aus Kyda- 
thenaion, der 95;94 v. Chr. herold für Delos war, mit jener ungrammatischen sucht 
vornehm zu scheinen, die eigennamen so oft schädlich wird, um des homerischen 
namensvetters willen sich PsAoumleidas geschrieben hat (CIA II 985 Z), noch mit 
einer dorischen endung dazu: wie heroisch sah das aus! 


Abschlufs, 


198 Il. 8. Der Areopag von Ephialtes. 


halt genug, seine alte macht zu erkennen; ist er doch im fünften jahr- 
hundert der wirkliche träger des regimentes, und das volk scheut sich 
nicht, ihm in der angst vor der tyrannis 416 die diclatur zu über- 
tragen (Andok. 1, 15), was dem entsprechend fünf jalıre später dem 
oligarchischen rate der 400 zugestanden wird. diese zeit hat vom Areo- 
page viel weniger gehalten als die von 338 und 318, wie sie ja auch 
von Solon viel weniger hielt. es ist bezeichnend, dafs der Areopag bei 
Thukydides gar nicht, bei Herodotos nur als ortsname vorkommt und 
die sagen der Atihis schlechthin nur den gerichtshof angehn. die bedeu- 
tende macht des Areopagitenrates und die kämpfe, die zu seiner besei- 
tigung nölig gewesen waren, mulsten erst vergessen sein, damit er mit 
der aureole der guten alten zeit umkleidet würde. worin bis auf Ephialtes 
die macht gelegen hatte, war, wie sich gezeigt hat, gar nicht so schwer 
zu finden. welche einzelnen stücke von Ephialtes 462 beseitigt sind, 
welche von seinem demokratischen nachfolger, um welche von ihnen so 
leidenschaftlich gestritten ward, das ist dagegen die entwickelung des rechtes 
aulser stande zu ergänzen. weit schwieriger als zu sagen, was vor 462 
der Areopag war, ist es, zu sagen, was der rat der 500 und gar der 
der 400 seit Drakon war. der der 500 hat wenigstens einen teil der 
finanzen unter sich gehabt und seit Themistokles die sorge für die flotte; 
aulserdem gehört die vorbereitung der volksbeschlüsse, also die legislative 
im weitesten sinne, und die vertretung des souveränen volkes nach aufsen, 
mithin die äufsere politik, so weit’sie in Athen gemacht wird, dem rate 
an. das ist etwas und für die zeit um 600 genug. aber es ist wol 
wahrscheinlich, dals die demokratie seit 507, die den ratseid einführte, 
ihm also die wahrung der demokratie ans herz legte, einen teil der poli- 
zeilichen gewalt, der nomophylakie, die der Areopag besafs, dem volks- 
rate auch verliehen hat. die zwei räte, ein patricischer und ein plebe- 
Jischer, so zu sagen, standen doch schon nebeneinander; die geschicht- 
liche entwickelung mulste die macht des letztern immer mehr steigern; 
eine weile giengen beide neben einander her, dann kam der unvermeid- 
liche conflict, dessen ausgang nicht minder unvermeidlich war. 

So verwegen das auch sein mag, man kann doch nicht umhin, auch 
über die zeit nachzudenken, wo nur ein rat in Athen bestand. von 
seiner tätigkeit als rat erfahren wir nur durch die wenigen sätze der 
Politie etwas, insbesondere dafs er die niederen ämter besetzte, die 
cura legum et morum übte, und aus den gewesenen beamten bestand. 
dies letzte kann erst seit 653 gelten, wo jedes jahr neun Areopagiten 
schuf. über die ältere zeit hat man also nichts gewufst. das gericht 


Abschlufs. 199 


wird in den sagen auf die urzeit zurückgeführt, und Aischylos läfst Athena 
die Areopagiten auswählen. es geht aber nicht an, daraus das recht der 
lectio senatus für den künig abzuleiten, denn einmal stand der dichter 
unter dem zwange der poetischen erfindung, und dann ist es ihm viel- 
mehr um die einsetzung des geschwornengerichtes überhaupt zu tun als 
um die stiftung der ßovAn. der streit der götter um Athen ist in der 
Authis auch in die form einer diadıxaala yegwy vor dem künige ge- 
kleidet, und da erfolgt die entscheidung gar durch ein plebiscit des ganzen 
volkes. die frage spitzt sich nun so zu: ist die richterliche tätigkeit 
wirklich das prius, so dafs der beirat des königs in den schwersten 
mordsachen allmählich die macht eines rates gewonnen hat, oder ist dem 
rate schliefslich nur diese richterliche function geblieben. schon die 
analogie der reform von 462 spricht für dies letztere. aber die sagen 
von Orestes und llalirrhothios gehen @ovog Ölxaıos an, die von Prokris 
P6vos axovcıog. diese sachen, die doch in der sage vom Areopage ent- 
schieden werden, sind seit Drakon dem könige unter dem beirate von 51 
adlichen richtern überantwortet und werden an andern heiligen stätten 
verliandell. darin kann weder eine neuerung erst des Drakon erblickt 
werden, noch ist es irgend glaublich, dafs das ausgehende siebente jahr- 
hundert erst die richtstätten des Delphinion und Palladion aufgebracht hätte. 
in diesen sagen kann somit der Areopag nicht den ort bezeichnen, wo 
gerichtet ward, sondern nur die richter. mit andern worten, die sagen 
bezeugen einen zustand, wo Areopagiten überhaupt die blutsachen neben 
dem könige entschieden, einerlei an welchem flecke. dafs 51 epheten 
in den leichteren fällen für die Areopagiten eintreten, ist dem gegen- 
über eine neuerung, sei es dazu bestimmt, den Areopagitenrat zu ent- 
lasten, sei es (was wol jeder vorziehen wird) eine beschränkung seiner 
allgewalt. die einsetzung der ihesmotheten und die aufzeichnung erst 
einzelner IEouıe, dann aller Jeouol, dient demselben zwecke. wir er- 
reichen so eine zeit, wo der Areopag unter vorsitz des königs alle blut- 
sachen entschied, und diese zeit ist zugleich die, wo er unmöglich aus 
den gewesenen beamten bestehen konnte. das local des Areshügels ist 
wichtig nur als distinetivum für die mordsachen, weil sie je nach ihrer 
qualification an verschiedenen localen zur aburteilung kamen, und nur 
bei dieser gelegenlieit und in diesem sinne ist eine erwähnung des 
Areopages in Solons gesetzen (axon 13, 8) nachgewiesen. wenn gleichwol 
der rat nach dem hügel heifst, und eine formel wie avaßalveıy eis 
Aoeıov cayov (z. b. Ar. 60,3) für den eintritt in den rat besteht, so folgt 
daraus, dafs sein amtslocal auf dem hügel des Ares in connex mit dem 


200 il. 8. Der Areopag von Ephialtes. 


Arestempel lag, aber unmöglich kann die terminologie 5 Bovin r 2E 
Agelov rrayov aufgekommen sein, ehe eine andere BovAn-die unter- 
scheidung nötig machte; die anrede w ßovAn an den Areopag ist geblieben. 
vordrakontische gesetze können, falls sie nicht das blutrecht angiengen, 
unmöglich anders als einfach von der ßovAn geredet haben. es ist nicht 
wunderbar, dafs man sie später verkannte und den Areopag vermilste. 
die bezeichnung nach dem hügel ist in wahrheit secundär. da stehn 
wir wieder vor einer alternative, entweder ist ein Arestempel errichtet, 
wo das rathaus war, weil der rat über blut richtete, oder der rat hat 
sich sein haus da gebaut, wo er über blut richten mufste. auch hier 
ist die entscheidung nicht zweifelbaft. die religion, die Al9oı vBoews 
xal avaıdeiag, sind das ältere. das scheint dem blutgerichtshofe doch 
das prius zu vindiciren. allein es scheint nur so. freilich ist der er- 
satz der blutrache durch die strafe des staates ein ungemein wichtiger 
schritt, und die gesellschaft hat die entscheidung nicht in die hand des 
einzelnen, des königs, legen wollen, sondern ein gericht von standes- 
genossen gefordert. die religion hat dieses gericht an bestimmte hei- 
lige stätten gewiesen. aber zu einem ständigen gerichtshofe, zu einer 
behörde, einer ßovAn führt das nicht. wenn die BovAn in Athen dieses 
wichtige gericht übernommen hat, so mag sie ihr amtslocal mit rück- 
sicht auf eine gerichtsstätte gewählt haben, deren lage im verhältnis 
zu den andern amtshäuserna bequem war, aber sie war vorhanden und 
angesehen, elıe die blutrache beseitigt ward. Agamemnon und Alkinoos 
haben ihre ßovAn bei Homer, bei dem doch von einem blutgerichte 
nichts zu finden ist. der rat, der die magistratur durch seine euthyna 
gebändigt hat, ist notwendiger weise eine so alte institution, dafs wir 
uns Athen ohne ihn gar nicht zu denken vermögen, so wenig wie Sparta 
ohne die geronten. aber über seine zusammensetzung, ob durch beru- 
fung des königs auf lebenszeit oder durch volkswahl oder durch ge- 
schlechtervertretung, können wir nichts wissen. wenn er einstmals dem 
könige zur seite getreten ist, wenn er die willkür der einzelnen be- 
amten gebändigt hat, so ist er einstmals der träger des fortschritts zur 
demokratie gewesen, die 462 in ihm ihren hemmschuh sah. er ist der 
vorgänger des rates der 400 und 500 gewesen, seit wann? seit Kekrops: 
wir haben keine andere antwort als die Atthis. was ihm nach 462 
geblieben ist, entspricht dem was dem könige geblieben ist: wie der 
könig nicht zuerst ein priester war, ist auch der rat nicht von anfang 
ein religiöses tribunal gewesen. 


I. 
3000 HOPLITEN VON ACHARNAI 


u 


Aus seiner oligarchischen quelle hat Aristoteles die specificirte be- 20000, kost- 
rechnung herübergenommen, dafs in Athen 20000 bürger ihren unterhalt Reiches, 


durch den staat fanden (24, 3 vgl. Is. 153). er hat dabei vieles einfach 
hingestellt was im fünften jahrhundert unmittelbar verständlich war, 
aber zum teil uns selbst zweifelhaft bleibt, die wir doch die älteren insti- 
tutionen besser kennen als die Athener der demosthenischen zeit. er- 
schwert wird das urteil durch die verderbnisse und lücken des textes; 
aber die rechnung ist so merkwürdig, dals ein versuch gemacht werden 
muls. bequemer ist es freilich, das ganze als ungereimt wegzuwerfen. 

Die erste reihe von zahlen ist heil und verständlich; 6000 richter, 
1600 schützen, 1200 reiter, 500 ratsherren, 500 werftwächter, 50 burg- 
wiächter. die posten steigen vom höheren zum niederen herab und 
ergeben 9850 mann. die schützen und die reiter beziffert auch Thuky- 
dides (2, 13) so hoch; es ist die etatsmälsige stärke dieser stehenden 
truppen. 1200 reiter schliefst, wie Thukydides genauer angibt, die 
(selbstverständlich bürgerlichen) schützen zu pferde ein; später hat Athen 
niemals wieder eine so starke cavallerie gehabt, früher aber, als es drei 
hipparchen gab (CIA IV p. 184) vielleicht eine noch höhere. die schützen 
sind von uns früher mit den gekauften Skythen notwendig verwechselt 
worden, weil das vierte jahrhundert diese stehende truppe des bürger- 
heeres nicht mehr kennt; aber jetzt sind die inschriftlichen belege nicht 
mehr vereinzelt.) die theten haben also zu Perikles zeit ihre den vor- 


1) CIA 154.79. IV 26°. wir besalsen auch die überlieferung von 1200 reitern 
und eben so vielen schützen, Andok. 3, 7: aber weil die bürgerlichen schützen un- 
bekannt waren, ward ihr der glaube versagt. Andokides hat vielmehr die stärke 
etwas zu niedrig geschätzt. 


r des 


202 il. 9. 3000 hopliten von Acharnai. 


nehmen rittern analoge militärische vertretung gefunden; wir werden 
nunmehr keine veranlassung haben bei militärischen operationen unter 
schützen andere als die bürgerlichen zu verstehen); geleistet hat die 
truppe wenig. neu sind für uns die werftwächter, die mit den veweolt, 
später vewolwv Errıueinrai nicht verwechselt werden dürfen.’) da über 
400 trieren in den docks lagen, was eine entsprechende ausdehnung 
der arsenale fordert, so war eine starke wache allerdings nötig, aber 
die 500 repraesentiren eine garnison der hafenstadt. das war eine sehr 
angemessene einrichtung; in der demosthenischen zeit commandiren im 
hafen zwei strategen und ist die caserne der epheben dort, in der wol 
vorher @govgoL gelegen haben werden (oben 1 198). die burgwache ist 
ebenfalls neu; wir kennen sie sonst erst aus viel späterer zeit.‘) aber 
die schätze und cassen der burg forderten sie eigentlich notwendig.*) 
Die zweite kategorie bilden die beamten, 700 in Attika; die zahl 
der vrregogıoı, wie mit dem terminus des fünften jahrhunderts gesagt 


2) Nun möchte man die schützen, die als huissiers in der volksversammlung 
auftreten, auch für bürger halten, weil fremde dahin wirklich nicht gehören. dals 
die.grammatiker (schol. Ar. Ach. 54) nur die Skythen kennei, tut nichts dagegen. 
aber das bürgerliche schützencorps müfste dann auch noch zur zeit der Ekklesia- 
zusen exislirt haben. es bleiben noch mehr offene detailfragen. 

3) CIA IV p. 144, AsAr. aex. 89, 26. ihre tätigkeit ist genau die aus den see- 
urkunden des vierten jahrbunderts bekannte. 

4) CIA III 1284 fig. 3906. 

5) Als die bauhütte für den Parthenon aufgeschlagen ward, also etwa 447 
oder wenig später (auch an den Propylaeenbau kann man denken), hat man ein 
wachthaus dabei errichtet und drei bürgerliche schützen aus der vorsitzenden phyle 
zu wächtern gesetzt; der rat, also die prylanen, behielt die oberaufsicht. das lehrt 
der seltsame stein CIA IV p. 140. mit der ständigen wache hat das nichts zu tun; 
es ist eine vorübergehende mafsregel. die inschrift schlielst gilaxas dä evas vess 
uöv Toxooras Ex tes puvlss TEs nevravsvooes. es ist eben so verkehrt, hier spi- 
nöse syntaktische feinheiten zu suchen wie gewalt zu brauchen. ein psephisma 
kommt in der regel zu slande, indem ein ratsantrag vor das volk gebracht und mit 
mehr oder weniger änderungen angenommen wird. unsere steinschriften sind aus- 
züge aus den: protokolle, das der schreiber führt. ihre ganze gestalt lehrt das, wenn 
es auch eine gedankenlose sammelei wie das nur durch das rohmaterial brauchbare 
buch von Swoboda verkennt. der ratsantrag hatte in diesem falle aufser den 3 schützen 
noch eine weitere wache gefordert; aber sein zweiter teil ward abgelehnt. da hat 
der protokollführer den letzten absatz gestrichen, aber das gev vergessen. die nieder- 
schrift ist nicht officiell; das volk hatte sie nicht verordnet (das mülste am schlusse 
stehn), und für eine solche verwaltungsmafsregel hatte sie auch keinen zweck. der 
stein ist auch nicht auf der burg gefunden. es hal also ein unfindbarer specialanlafs 
diese aufzeichnung herbeigeführt. 


20000 kostgänger des Reiches. 203 


wird°), ist verdorben: denn dafs nicht zwei gleiche zahlen mit Ev und 
d£ einander gegenübergestellt werden können, sollte sich jeder selbst 
sagen. obwol die beamten dem namen nach für unbesoldet gelten, 
rechnet dieser schriftsteller ganz unbefangen mit dem grundsatze, dals 
das amt den mann nährt (vgl. Is. 196). die zahl scheint ungeheuer. 
ich lege eine berechnung vor, obwol das ergebnis unbefriedigend ist, 
weil ich von mir selbst weils, dafs man gewöhnt ist, zu niedrig zu 
rechnen. dreifsiger collegien gibt es für demenrichter und logisten; als 
drittes können hellenotamien mit beisitzern zutreten, denn nach der ana- 
logie von archonten und euthynen dürfen auf einen hellenotamias zwei 
beisitzer gerechnet werden. zehnercollegien sind es mindestens 14 (orga- 
tnyol, ra&lapyoı, pulapyoı, raniaı vjg Feov, ranlaı wv allwy Jewy, 
GyoparöuoL, aorvvouoL, OLTopvkaxss, vewgpol, legwy Enıonevaoral, 
arroöfxtaı, srwintal, sreaxtoges, legorcoLol eig &vıavrov), 9 archonten 
mit 1 schreiber, 6 beisitzern, 1 herold und 1 pfeifer, 11 &vdexa, 1 (oder 2) 
schreiber, 2 hipparchen, xwiaxgeraı, eloaywyns, vavrodixaı in un- 
bestimmter zahl. dazu der ganze trofs von drrne&raı bürgerlichen stan- 
des, herolde, schreiber, unterschreiber. gerade diese besoldeten sub- 
alternen beamten durften in dieser berechnung nicht fehlen. und welche 
behörde wäre ohne ein bureau gewesen? dals eine schätzung der bisher 
aufgezählten auf 350 unter dem effectivbestande bleibt, ist mir nicht 
zweifelhaft. gar nicht in anschlag gebracht sind bisher die offiziere der 
flotte. einstellen müssen wir mindesten 30 trittyarchen, die vielleicht 
besser überhaupt als beamte gezählt würden. den befehl auf der galeere 
führt der trierarch. es ist wahr, die trierarchie ist eine last, aber sie 
ist dennoch ein amt, und die oligarchen rechnen den trierarchen unter 
die beamten, die von den bündnern geehrt werden (IIol. 49. 1, 18): 
das konnte auch mit geschenken geschehen, durch ein Hepasreveiv, wie 
die Lesbier sagen (Thuk. 3, 11) und wie es Alkibiades an den Olym- 
pien 420 vor allen Hellenen erfuhr. wer also eine möglichst hohe ziffer 
zu erzielen suchte, konnte die trierarchen unter die beamten, die von 
den bündnern lebten, recht gut zählen. es waren ihrer 400 ([Xen.] 
IIol. 43. 3, 4), von denen nur ein kleiner teil alljährlich verwen- 
dung fand. aber wir dürfen auch nicht alle einrechnen, sonst wird die 
zahl 700 überschritten. ferner sind alle cultusbeamten bisher unge-. 
rechnet. das priestertum der staatlich anerkannten culte nährt seinen 


6) Psephisma für Leonidas von Halikarnafs CIA IV p. 165. [Xen.]) ol. 49. 
1, 19: Xen. Symp. 4, 31. gesetz bei Aischines 1, 21. 


204 II. 9. 3000 hopliten von Acharnai. 


mann: in Asien hat man vieler orten die pfründen an den meistbietenden 
vergeben. aber das ist allerdings eine betrachtungsweise, die dem Athener 
fern liegt. dagegen solche commissionen wie die verwaltung des eleu- 
sinischen tempels können gar nicht aufser betracht gelassen sein. Zrrı- 
ueintal uvornolwy, Jıovvolwy, aYAoFEraı, auch wol Bowvar sreoF&r- 
raı olvoreraı fungiren nur eine beschränkte zeit, die verschiedenen 
ieoorcoLol sind aus den richtern genommen (oben I 201. 233), also in der 
zahl 6000 bereits einbegriffen: aber wie sollen wir den grad der genauig- 
keit und ehrlichkeit in einer solchen rechnung abschätzen? endlich sind 
die gemeindebeamten aeyai; rechnen wir auch nur den demarchen und 
einen schatzmeister anf den demos, so sind gleich wieder nah an 300 
mann da. die phylen haben auch vermögen im inlande; in den kleru- 
chien, selbst auf Samos besitzen sie grundstücke, etwas laufende arbeit 
hat auch ihr vorstand. ob dieser schriftsteller ihn unter die agyai ge- 
rechnet hat, ist gänzlich ungewils: aber wie immer er gerechnet hat, 
700 beamte konnte er ganz ohne übertreibung herausbekommen. selbst- 
verwaltung braucht nun einmal sehr viel menschen, weil sie nebenher 
alle mehr oder weniger privatgeschäfte zu besorgen haben. wenn wir 
den jährlichen menschenbedarf für die verwaltung Athens schätzen, also 
den rat mitzählen, die Areopagiten auch, aber die richter nicht, so sind 
1200 eher zu tief als zu hoch gegriffen. 

Die agyai ÜrregögıoL sind die vögte in den kleruchien und ab- 
hängigen städten, gooUgapyoı, Errloxomoı, Enıuehnral, &xAoyis, Eiln- 
omovropvkaxeg, die delischen amphiktionen, &exwv ds Salauiva u. s. w. 
die können wir gar nicht schätzen, aber wenn 700 eine viel zu hohe zahl 
für sie ist, so sind es doch wieder ein par hunderte gewesen. 

Darauf wird mit einem im einzelnen entstellten satze der übergang 
zu der zeit gemacht, wo Athen gegen den jährlichen tribut den städten 
das militär abnahm. der übergang war nötig, weil der verfasser die 
rechnung an den namen des Aristeides anknüpfte; in wahrheit ist die. 
beschönigung schwach, denn auch die vorigen posten sind auf die spätere 
zeit berechnet, etwa 445—432. da es sich nun um das ordinarium 
handelt, kann von kriegszeiten nicht die rede sein. der erste posten 
2500 hopliten mufs also alljährlich verwendung finden und tut das auch: 
es sind die garnisonen, die unter den PgoVgegyxoı stehen, in Thrakien, 
am Hellespont, in manchen städten Asiens, in Naupaktos u.s.w. auch 
die garnisonen der attischen grenzfestungen dürften hier eingerechnet 
sein. dann erscheinen schiffe, 20 wachtschiffe, von denen wir zwei der 
milesischen station speciell kennen (CIA IV p. 6), und die schiffe für 


20000 kostgänger des Reiches. 205 


die abholung der tribute. wir haben bisher den fehler gemacht, an den 
transport dieser hohen summen gar nicht zu denken, da sie, wie sich 
gebührte, von gesandischaften der städte in Athen an die hellenotamien 
gezahlt wurden. das war gedankenlos; denn mit 10 talenten im koffer 
reist ein gesandter unsicher, und die talente mit ihm auch nicht immer 
sicher. es entspricht der tüchtigen Reichsverwaltung, dafs sie, wenn im 
frühjahre das meer aufgieng, ein par kriegsschiffe m»bil machte und in 
die provinzen schickte um die gesandtschaften sammt den fälligen tributen 
zu holen. das erscheinen des schiffes beförderte ohne frage die geneigt- 
heit zu zahlen, verspätungen und unglücksfälle des transportes wurden 
vermieden, und es machte sich noch dazu sehr vornehm, wenn die ge- 
sandten auf den galeeren des vororts befördert wurden. ihre anwesen- 
heit an den städtischen Dionysien und die procession, bei der die gelder 
selbst als ein zwar profanes aber sehr eindrucksvolles stück paradirten, 
gehört in die selbe richtungslinie der politik. was trotzdem an tributen 
rückständig blieb, ward im laufe des sommers durch vneg agyrveoAoyoı 
eingetrieben, was denn schon den minder freundlichen charakter der 
execution trug. 

Die zahl dieser schiffe ist schon von einer lücke in der handschrift 
verschlungen, und es folgte ein accusativ, der schlechterdings nicht con- 
struirt werden kann”), 2000 ausgeloste bürger. die erlosung ist für mili- 
tärische verwendung seltsam; andererseits mülste man eine sehr beträcht- 
liche lücke annehmen, wenn die 2000 nicht mehr unter die militärischen 
institutionen fallen sollten, und man möchte auch neben 2500 hopliten 
eine entsprechende beteiligung von tlıeten erwarten. wenn die phyle oder 
ihre demen für 200 stellen, deren obliegenheiten keine besondere mili- 
tärische ausbildung forderten, candidaten präsentirten, aus denen dann die 
losung vorgenommen ward, wie später für ratsherren und wäclıter, so 


7) Ganz verwerflich ist die conjectur »res ai Tovs gYgovgovs (für gögovs) 
ayovons ToUs ano Tov xvduov Öioxıklovs arögas. denn sie renkt den satz zwar ein, 
aber sinn gibt sie schlechterdings nicht. da die goovgod an den ort gehören, den 
sie bewachen, so könnten dieses nur transportschiffe sein, von denen also nur die 
schiffsmannschaft gerechnet werden könnte, die ggoveos sind ja in den 2500 hopliten 
vorher enthalten. was soll also ihre zahl hier, und wo bleiben die schiffsmannschaften 
in der berechnung? zu dem Iransporte der Pooveol, z. b. nach Byzantion, eignen 
sich trieren schlecht, da die soldaten, weil sie nicht heimkehren, nicht selbst rudern 
können. wie soll aber überhaupt neben den wachtschiffen, die als solche in rech- 
nung gestellt sind, ein posten stehn, der zwar schiffe nennt, aber nicht rechnet, 
und dafür leute rechnet, die nur gelegentlich, als auf jenen schiffen überfahrend, 
erwähnt werden? 


206 I. 9. 3000 hopliten von Acharnai. 


wäre das wol denkbar. die berechnung aus der zahl versagt. denn dafs 
20 wachtschiffe 4000 ruderer, zu denen dann noch die soldaten kommen 
mülsten, ergeben sollten, würde voraussetzen, dafs wie auf der Paralos und 
Salaminia nur bürger auf ihnen gerudert hätten. das ist weder bezeugt 
noch glaublich. so müssen wir uns eingestehen, dafs wir mnmmer noch 
nicht genug von dem verhältnissen des fünften jahrhunderts wissen, um 
von ‘2000 ausgelosten männern zu sagen wer sie sind.) damit ist zu- 
gleich eingestanden, dals die aufstellung der 20000 soldempfänger nicht 
ganz nachgerechnet werden kann. immerhin darf dieser posten, die all- 
jährlich für militärische zwecke in friedenszeiten tätigen, auf 6000 mann 
veranschlagt werden. 

Der letzte abschnitt umfafst die staatspensionäre, die &y wovraveig 
Gırorueror und die waisen der im kriege gefallenen, zu denen wir 
die arbeitsunfähigen fügen können, die der verfasser vergessen hat (oben 
.1213)°), und die wächter der kriegsgefangenen oder sonst internirten '°). 
eine zahl ist für diese classe nicht angegeben und ist auch für uns 
unerreichbar. das hindert nicht, dals wir dem verfasser das zeugnis 
der glaubwürdigkeit für seine einzelnen posten zugestehn. verwerflich 
ist nur seine tendenz, in diesen 20000 kostgänger des Reiches zu er- 
blicken, da der überwiegend gröfsere teil für seinen sold, so er den 
erhielt, auch etwas leistete; ganz abgesehen davon dafs die ganze summe 
nicht jahraus jahrein in dem genusse ihrer bezüge war. sie sollen sie 
arıo TWv Poowv xal rWy teAWv xal TWy Ovuudxwv erhalten haben. 
davon haben wir das letzte glied getilgt, weil die bündner auch den 
tribut ganz und die zülle zum grofsen teile zahlen. aber es ist richtig. 


8) Nur schüchtern wage ich eine vermutung. nach Plutarch Per. 11 fuhren 
alljährlich 60 trieren, dv als noAloi raw nolırmv Enisov öxtw unvas Uupuodos, 
nelstüvres ana xal uavddrovres 179 vavııznv Euneıplav. das pafst vorzüglich, 
denn zur ausbildung konnte man aus der von den demen praesentirten zahl von 
bewerbern gut und gerne die nötige zahl auslosen. und aufgeführt wird die mals- 
regel von Piutarch unter den mafsregeln, mit denen Perikles dem volke durch zu- 
wendung von sold gefällig war. 

9) Oder sollten diese unterstützungen dem fünften jahrhundert fremd gewesen 
sein, im vierten als ein überbleibsel der diobelie eingerichtet? ich neige mich jetzt 
dieser auffassung zu. das ist dann für die zeit wichtig, in der diese aufstellung 
der 2000 erfolgt war. 

10) Die gYviaxal dsaumrwv rechnet die oligarchische Politie uuter die stän- 
digen geschäfte des rates dicht neben der dokimasie der waisen, 3, 4. es werden 
immer aufser kriegsgefangenen namentlich geiseln aus einer oder der andern stadt 
auf den kleinen inseln internirt gewesen sein, wie die Samier 440 auf Lemnos, 
Thuk. 1, 115. 


20000 kostgänger des Reiches. stärke der athenischen bürgerschaft. 207 


die garnisonen Athens in den städten werden ihren sold ganz gewils 
nicht aus Athen nachgeschickt noch überhaupt aus anderen mitteln 
erhalten haben als von den städten selbst, die sie bewachten.") und 
das geld der bündner, das in die hände der von Athen ausfahrenden 
beamten geht, oder das die rechtssuchenden in Athen etwa an die 
herolde zahlen ([Xen.] JIoA. 43. 1, 18), macht nicht den umweg durch 
die attische Reichscasse. alle “ehrenämter’ konnten in dieser liste nur 
stehn, wenn sie “nebeneinnahmen brachten. 

Wir teilen die parteitendenz des Theramenes nicht, seine angabe ‚Stärke der 
dient uns vielmehr dazu, die gröfse der leistungen der Athener und die bürger- 
stärke ihrer bürgerschaft zu schätzen. 1600 schützen, 1200 reiter'?), 
6000 hopliten und flottenmannschaften, 500 ratsherren, 1000 weitere 
beamte sind jahr für jahr zur regelmäfsigen verwaltung herangezogen: 
das macht 10300, sagen wir 10000. richter sind 6000 ausgelost, die 
auch die meisten werkeltage im öffentlichen dienste stehn. wie sollen 
wir das verhältnis dieser 16000 zu der gesammtbürgerschaft ansetzen ? 
es ist noch nicht lange her, dafs sie im ganzen ziemlich eben so hoch ver- 
anschlagt worden ist, und wer hoch greift, geht auch jetzt noch nicht leicht 
über 30—35 000 köpfe. ich halte es für ganz illusorisch mit statistischen 
wahrscheinlichkeitsrechnungen zu operiren. die zahlen, die wir vor uns 
haben, gelten der körperlich und geistig rüstigen männlichen bevölkerung; 
leute über 60 jahre sind von vielen kategorien ausgeschlossen, von 
andern die jahrgänge 20—30. verhältniszahlen für die greise, für die 
erwerbsunfähige bevölkerung, für die kinder, endlich für die weiber 
überhaupt sind mit keinen wissenschafllichen künsten zu erzielen. aber 
das sollte sich von selbst verstehen, dafs es Athener gab, die das land 
bestellten, die töpfe und röcke und panzer machten, das brot buken 
und das öl preisten, handel trieben und ins ausland fuhren, den Par- 
ihenon bauten, die Poikile malten, bei Protagoras hörten und für Sopho- 
kles tanzten. soldat mufste jeder werden, aber als mann nur in kriegs- 
zeiten; zu allen andern stellen kam nicht leicht jemand, der es nicht 
wollte, und die ruhigen leute waren noch nicht ausgestorben. es ist 


11) Nachtragen kann ich hier einen schönen beleg: hinter dem rescript Ale- 
xanders an Chios steht ein nachtrag, offenbar eine mitteilung des königlichen be- 
vollmächtigten. uses av dıaklayaos Xios, gvlaxıv slvas nag' avrois nap’ ’Als- 
Eavdgov Toü Bacıleos, 00n7 av ixayı nı, todpew di raoınv Kiovs. (AImva V 10). 

12) Von diesen beiden classen können angehörige auch unter beamten und 
richtern sich befinden, weil sie stehende truppen bedeuten, die nicht ständig im 
dienste sind. 


208 II. 9. 3000 hopliten von Acharnai. 


eine bare lächerlichkeit, auch nur zu meinen, dafs die gesammte bürger- 
schaft jedes vierte jahr wieder im turnus herangekommen wäre: so 
etwas träumten die staatsverbessernden oligarchen. lassen wir also die 
6000 richter fort, die mochten alle aus Philokleonen bestehen und zeit- 
lebens richten, lassen wir schützen und reiter als ständig fort, so bleiben 
noch 1500 beamte und 6000 soldaten. wenn wir darauf hin die ent- 
sprechende gesammtbevölkerung auf 60000 schätzen, so ist das immer 
noch zu niedrig. 

Wir haben nur eine leidlich verläfsliche zahl, 21 000 bürger (d.h. 
epitime Athener über 30 jahre) unter Demetrios von Phaleron.'’) dals 
das ein drittel der entsprechenden bevölkerung unter Perikles ist, pafst 
sehr gut. damals forderte seit mehr als zwei menschenaltern ein eng- 
herziges gesetz die bürgerliche abkunft beider eltern für den hürger, 
die auswärtigen besitzungen und mit ihnen ein grofser teil der colonisten 
(z. b. ganz Salamis) waren verloren. die auswanderung muls schon 
längst den überschufs der geburten über die todesfälle verschlungen 
lıaben, und die ehen der neuen komoedie sind nicht mehr fruchtbar. die 
katastrophen von 322/20 hatten zudem erst kürzlich eine menge bürger in 
die fremde getrieben. dafs auch die patriotischen männer sich über den 
abstand von der grofsen zeit täuschten und gerne täuschten, ist nicht wun- 
derbar. aber das griechische mit seiner runden zalıl uvolor und ihren 
steigerungen ist auch genaueren angaben sehr wenig günstig. rgrouveloı 
ist etwas ganz ungeheures dem Hesiodos, der so viel wächter des Zeus 
zählt (Erg. 252), und als eine ungeheure zahl braucht es Herodot (5, 97) 
von den Athenern in der volksversammlung (wo niemals auch nur 10.000 
waren), Platon (Symp. 175) von den zuschauern im theater, und Aristo- 
phanes von den bürgern seines staates, der streng genommen die weiber 
einschliefst (Ekkles. 1132). aber drouvelo: tut es auch. so hoch be- 
ziffert Platon die waffenfähigen seines Urathens (Kritias 112°) und Philo- 
choros (schol. Pind. Ol. 9, 68) die Atlıener zu Kekrops zeit, bei einer 
gelegenheit, wo er eigentlich auch die weiber mitzählen mülste. die an- 
schauung, dafs die bürgerschaft sich so hoch beliefe, scheint im vierten jahr- 
hundert verbreitet gewesen zu sein. aber selbst uvolo: kommt früher vor. 
so viele Athener sollen bei Marathon gefochten haben, wohin sie zrar- 
Önuel gezogen waren, daneben 1000 Plataeer: die zweite zahl ist viel 
zu hoch, die erste zu niedrig. ernsthaft von ihr zu reden kann nicht 


13) Kitesikles bei Athen. VI 272°. alle beweisstellen bei Böckh Sthh. 1 48 fg. 
sie sind so allbekannt, dafs ich sie nicht alle wiederliolen mag. 


Stärke der athenischen bürgerschaft. stärke des heeres 432. 209 


verlangt werden. die sehr alte verordnung, welche 6000 stimmen für 
die beschlufsfähigkeit eines vouog &rr’ avdel verlangt, hat damit offen- 
bar die beteiligung der majorität vorschreiben wollen.‘‘) aber dafs das 
zu wenig war, lehrte die Athener sehr bald der katalog ihrer wehr- 
fähigen, und so verschwindet diese schätzung. 

Im jahre 445/4 haben 14240 Athener von einer getreidespende 
von 40000 scheffeln ihr teil bekommen; 4760 sind in die sclaverei als 
srap&yyopagoı verkauft. so hat Philochoros berichtet, (schol. Ar. Wesp. 718): 
erst Plutarch (Per. 37) hat die empfänger mit der gesammtbürgerschaft 
identificirt: als ob Kleon und Sophokles und die ratsherrn und Areopagiten 
mit einem scheffelsack in das Odeion zu den getreidemessern gelaufen 
wären. dafs die beiden zahlen die runde summe 19000 ergeben, ist 
allerdings verdächtig, und die höhere dürfte durch rechnung gefunden 
sein: aber bezeugt wird hier nur eine zahl vergleichbar den zahlen der 
römischen largitionenempfänger, nicht eine censuszahl. wenn 19000 
oder auch 14000 Athener einen sack mehl nahmen, gehn wir fehl, 
wenn wir die gesammtbürgerschaft auf das vierfache schätzen? 

Ein besonderes gewicht hat man immer auf die angaben des Tlıuky- 
dides gelegt; es lälst sich aber sehr leicht zeigen, dafs sie auf einer 
ebenso durchsichtigen wie unzuverlässigen rechnung beruhen. er sagt 
2, 31, dafs bei dem ersten einfalle in Megara wenigstens 10000 hopliten 
waren, zu denen er noch 3000 vor Poteidaia zählt, aulserdem 3000 
hopliten aus dem metükenstande und die nicht gezählten theten. ver- 
gessen hat er dabei sämmtliche hopliten in den garnisonen, die wir nun 
mit 2500 vermutlich zu niedrig, da es krieg war, in anschlag bringen 
können. das hat er in der allgemeinen übersicht 2, 13 richtiger mit 
in anschlag gebracht, wo er die hopliten eben nach der zahl von cap. 31 
auf 13000 üvev zwv &v Toig Yoovoloıg angiebt. dazu fügt er als 
wächter der städtischen befestigung 16000 aro re rwv neeoßvrarwyv 
xa) TU vewrarwv xal uerolxwv 0001 Önrkitaı Toav. die letzte zahl 
kennen wir schon als 3000. es bleiben also 13000 für die hopliten 
unter 20 und über 60 jahren; eine recht oberflächliche schätzung, denn 
sie beruht auf der gleichsetzung mit den 13000 zwischen 20 und 60. 
endlich gibt er die etatsmäfsigen zahlen für schützen und reiter ganz wie 
der oligarch des Aristoteles. somit bleibt das einzige brauchbare, dafs 
432 effectiv 15500 hopliten zur verwendung gekommen sind. so viele 


14) Das gesetz kann sehr gut aus einer zeit stammen, wo die noAszaia anads- 
doro rois onka Rapsyousvoıs. 
v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 14 


Stärke des 
heeres 432, 


Bevölke- 
rung von 
Acharnai. 


210 ll. 9. 3000 hopliten von Acharnai. 


waren eine zeit lang von hause abwesend, die theten waren es auch, 
reiter und schützen auch, über 100 trieren auch: soll damals Attika ver- 
ödet gewesen sein, oder nur von den sclaven und weibern, greisen und 
kindern bewohnt? wo nicht, kann man die bevölkerung unter 60 000 
schätzen ? 

Und nun endlich zu der angabe, die ich diesem capitel zur über- 
schrift gegeben habe, den berufenen 3000 hopliten von Acharnai (Thuk. 
2, 20). als Müller-Strübing vor zwanzig jahren sie als absurd darzutun 
versuchte, hat er so gut wie allgemeinen beifall gefunden. jetzt stürzt 
auch diese letzte säule seines baues — von seinen andern positiven 
aufstellungen ist längst nichts mehr übrig; die nützliche wirkung seines 
buches hat nur in der negation gelegen. dafs es mit seiner änderung, 
300 für 3000, nichts ist, hat man schon eingesehen. aber wenn Jemand 
1500 vorschlägt, so ist das verzweiflung, da damit jede probabilität der 
verderbnis aufgegeben ist. das verhältnis der Acharner zu den Athenern 
ist auf grund des prytanenverzeichnisses IH 868 wol zu schätzen. wenn 
sie 22 ratsherrn der Oineis stellen, so sind sie rechtlich eine trittys, 
factisch wol die hälfte der phyle, also ein zwanzigstel der Athener, 
ueya u£oos ns scoAews, wie sie bei Thukydides sagen. 300 würden 
also 6000 hopliten ergeben, eine lächerlichkeit. 3000 aber ergeben 
60000, das ist immer noch zu viel. ich habe vor jahren einmal 
die örrliraı in sroliraı zu ändern versucht, wie mittlerweile jemand 
öffentlich vorgeschlagen hat, aber der zusammenhang verlangt bei Thu- 
kydides gebieterisch die soldaten. jetzt gibt sich die lösung einfach. im 
kataloge haben keine 3000 gestanden; da standen nur die 40 jahrgänge 
20—60, und die haben schwerlich 60000 Athener enthalten. aber 
gegen Perikles schrien die greise, die bei Aristophanes den chor bilden, 
herzhaft mit. die zahl beruht also auf einer schätzung, nicht auf zählung. 
so hoch taxirte sie die öffentliche meinung damals; Thukydides hat es 
mit erlebt. sie schrien um ihre weingärten und kohlenmeiler: es waren 
die besitzenden, die geschädigt wurden. wenn sie zum dienste zu pferde 
berechtigt waren oder gar trierarchisches vermögen hatten, so wurden 
ihnen nur mehr äcker verwüstet, sie schrien also nicht minder. mit 
andern worten, reuoylAroı örrkiraı sind es schon, aber duvaueı Orräirar, 
Orcha srapsxgousvor. “wir könnten 3000 hopliten allein stellen, lafs 
uns marschiren, Perikles, wir jagen die Peloponnesier weg. wir wollen 
marschiren, keine quantite negligeable, sondern 3000 hopliten.” das 
ergibt 60000 örria srapexöusvo. für das ganze volk. an sich zu viel. 
bringt man aber in anschlag, dafs die zeit die des höchsten wolstandes 


Bevölkerung von Acharnai. 211 


ist, Acharnai besonders wolhabend (durch den krieg dann stark verarmt) 
und die zahl besonders hoch gegriffen, so wird man zwar zugeben, dals 
sie zum fundamente genauerer berechnung sehr wenig taugt, aber dafs 
Thukydides sie geschrieben hat, mufs man auch zugeben. 

Die überlieferung ist besser, aber Athen ist auch grölser gewesen, 
als vor 20 jahren angenommen ward. ö rewoag iaceraı; aber nur 
wer verwunden kann, kann heilen. nicht die buchstabengläubige im- 
potenz, sondern die kritik und die fortschreitende geschichtliche forschung 
restituirt die überlieferung und die grölse Athens. 


14* 


10. 
DIOBELIE. 


Die institution der diobelie'), die diesen festen namen führt, ist 
durch Kleophon eingeführt; das sagt Aristoteles 28, 3 und damit sind 
ihre antiken und modernen deutungen auf den richtersold oder die schau- 
gelder beseitigt, sintemal diese längst bestanden: es ist nur ein beweis 
für die macht des trägheitsgesetzes, dafs sie selbst zur erklärung des 
Aristoteles weiter vorgebracht werden. 

Für die diobelie begegnen. uns bedeutende zahlungen in der schuld- 
urkunde aus dem jahre des Glaukippos 410/9 und einem der folgenden 
408/7 oder 407/6 (CIA 1188, 189); das geld ist von den schatzmeistern 
der göttin an die hellenotamien gezahlt. die posten sind zum teile sehr 
niedrig, dann wird aber fast täglich der schatz in anspruch genommen?) 


1) Die richtige auffassung der diobelie hat mir zuerst vor jahren ein schüler, 
J. Christ, derselbe der zuerst die tributlisten richtig auf die hellenotamien bezogen 
hat, als thesis mitgeteilt und die inschriften richtig verwertet. 

2) 189° am 13, 17, 18, 19, 22, 23, 24, 26, 30, 36 tage der prytanie. manchmal 
gibt es freilich nur 12 drachmen. es wird offenbar jeder tropfen, der in den schatz 
einströmt (aus weihungen, opfergefällen und dnıdssara) sofort ausgeschöpft: wenn 
der kleine schatz der Athena Nike einmal auch etwas hat (am 13, 17, 30 und, wie 
man sicher ergänzen kann, 36 tage), so wird aus beiden schätzen entliehen. der 
name der göttin steht hier im dativ, wie man dem zeugnisse Waddingtons glauben 
mufs, obwol Fröhner mehrfach anderes angibt (CIA IV p. 35). der genetiv, den man 
erwartet, steht 188. der dativ dagegen dürfte auf dem bruchstück 190 gestanden 
haben, und zwar in einer überschrift, wie die gröfseren buchstaben zeigen. 49e- 
vailas IloAsa[dı ist gewifs probabler als Kirchhoffs A9nvaras Nixns »Jad HToksa[dos. 
wie dem auch sei: dafs das geld für die göttin verausgabt wäre, ist gar nicht aus- 
zudenken, und wer gab es denn? etwa die Parthenos der Nike? nicht sachlich son- 
dern nur formell können sich die vermerke unterscheiden; die grammatische erklärung 
wird nur ein stein geben, der die formel vollständig liefert. inhaltlich müssen wir 
das unklare nach dem klaren beurteilen. so mit recht Beloch Rh. M. 39, 242, der 
im übrigen die sache nicht gefördert hat. 


IL. 10. Diobelie. 213 


für die verteilung des geldes gab es eine behörde, denn Xenophon 
Hell. I 7,2 nennt den Archedemos 700 dnuov reoeoTnxws xal ung dıw- 
Beilas drcıuekouevog. aber der ausdruck führt auf ein collegium von 
Erruueintal, das wir der weise des fünften jahrhunderts entsprechend 
nicht über den beamten stehend denken dürfen wie im vierten die dr} cin 
Feweixw, sondern unter ihnen, also nicht befugt, selbst das geld aus 
dem schatze zu entleihen. aber der erste demagoge (za newra zig Exei 
uoxdnelas, sagen die seligen der Frösche von Archedemos 418), ein mann, 
der sich von Kriton gegen tantitme zum schutze seines vermögens vor 
den sykophanten anstellen liefs (Xen. Memor. IE 3), bekleidete doch dieses 
amt, in dem wir also Kleophon und Kallikrates auch denken müssen. 
als eine volkstümliche einrichtung hat das diobolon Theseus bereits im 
schattenreiche verbreitet, so scherzt Aristophanes 405 (Frösch. 140). mit 
dem sturze der demokratie ist die diobelie verschwunden. 

Sie hat anderen für eine grolse vergeudung gegolten. Aischines sagt 
von Kleophon 2, 76, wo er dieselbe tradition wiedergibt, die Aristoteles 
in seinem passus über die diobelie vor augen hat, dıegdagxwg voun xon- 
uarwv T0v Öruov, und Aristoteles selbst sagt in der Politik (B. 1267) 
um die unersättlichkeit des demos zu kennzeichnen, zuerst wäre er mit 
der dıwßeAl« zufrieden, wenn die aber erst herkümmlich (zrareıov) ge- 
worden wäre, verlange er mehr; was keinesweges im hinblick auf die 
gegenwart gesagt sein muls, ja überhaupt nicht als geschichtliches exempel 
angeführt wird. wol aber stelıt es in der auseinandersetzung, dafs die 
herbeiführung der gleichheit des vermögens kein radicales heilmittel 
wäre, schliefst also jede deutung der diobelie auf sold für wirkliche oder 
angebliche leistungen aus. 

Was die diobelie gewesen ist, sagt Aischines eigentlich genugsam: 
bürgersold, verteilung von geld an den demos, geradezu staatspension. 
so erklärt auch das rhetorische lexicon, das im fünften Bekkers und im 
Et. M. vorliegt: dewßeile ' ößeloi dvo oüg ö Önuos xaF nucoav Eur- - 
oFopögeı. gedruckt wird zwar für xa9° nueoav an beiden orten xadr- 
wevog, aber ich freue mich die emendation nicht als solche geben zu 
müssen, da ich bei Gaisford in der anmerkung finde, dafs der codex 
Marcianus 530 das richtige hat; dem ächten Etymologicum ist die glosse 
fremd. es ist ganz begreiflich, dafs diese tägliche ausgabe zu einer fast täg- 
lichen anleihe bei Athena führte, begreiflich auch, dafs der sold dem volke 
sehr behagte und für theseisch ausgegeben ward. dals ein solcher sold 
gezahlt ward, hat Xenophon aus seinen jugenderinnerungen nicht ver- 
gessen, wenn er es auch nur durch einen starken anachronismus in sein 


214 ID. 10. Diobelie. 


Symposion hineingebracht hat. da sagt Charmides, Platons onkel, den 
er nicht ohne bosheit mit der rolle ausgestattet hat, die armut zu loben 
“als ich reich war, 96009 arı&peoov ty Önup (wie ein dovlog Xweig 
olxwy, nämlich durch die liturgien, wie er vorher ausgeführt hat), »v» 
d& 7 mölıs relog PEpovoa ro&peı ue (4, 32)”. die sache ist vollkommen 
evident. 

Das ist der rückschlag gegen die aufhebung des soldes von 411, 
und schon vom jahre des Glaukippos 410/9 ab hat die allgemeine be- 
soldung bestanden, die doch noch etwas ganz anderes ist als das ekkle- 
siastikon des Agyrrhios. und als der demos eine drittel drachme hatte, 
fand sich bald ein demagoge, der ihm eine halbe versprach, und als 
er das nicht halten konnte, mit dem kopfe zahlte.”) dafs darnach nicht 
etwa die diobelie dauernd beseitigt ist, wie der ungenaue ausdruck des 
Aristoteles nahe legt, folgt aus den Fröschen. 

So sehr man das princip verdammen mag: die billigkeit fordert für 
jene schreckliche zeit den demagogen einige berechtigung zuzuerkennen. 
die armen Athener safsen in einer belagerten stadt; ihre äcker konnten 
sie nicht bestellen, handel und gewerbe lagen darnieder, wer die waffen 
tragen konnte, mulste dienen, und dann hatte er wenigstens anspruch 
auf sold und verpflegung. aber der landsturm auf den mauern bekam 
schwerlich sold wie die hopliten, und die greise und jünglinge, und 
weiber und kinder? die menge des volkes, auch der proletarier, hat 
wahrhaftig damals nicht geschlemmt (das imputirt ihnen die haltlose deu- 
tung der diobelie auf spielgelder), sondern bitter gedarbt, und hat 404 
bewiesen, dafs sie für die freiheit gern hungerte. die politischen rechte 
mochte an der zeit sein ihnen zu nehmen: dafs sie sich nicht nur 
nicht das bischen brot, das sie bisher für ihre dienste erhielten, haben 
entziehen lassen, sondern brot von dem vaterlande gefordert haben, soll 
ihnen niemand verdenken. Kleophon mag nicht gut haben attisch reden 


3) Das gedächtnis dieses unglücksmenschen, Kallikrates aus Paiania, ist aufser 
durch Aristoteles noch in zwei sprüchwörtern erhalten, dßoAö» nugs Ilapvoris 
(Zenob. 1I 91 des Athous, im Parisinus nicht erhalten, daher im Göttinger Corpus 
Append. 4, 11; ein par wertlose worte bei Hesych zagvorn aus Zenobius), richtig 
behandelt von Meineke Com. IV 700, dessen emendalion IZagvoris durch Hagvwoiıns 
des Athous, IIapvösın des Hesych gesichert ist, und ebenso seine herstellung von 
Kallıxgarns für Kakkisrgaros durch Aristoteles. er stützte sich auf das sprüch- 
wort üineo a Kalkıxoarovs, Zenob. Ath. III 151, Paris. VI 29, Phot. Suid., das 
Klearchos auf einen Karystier des namens falsch, irgend jemand anderes nach unserer 
Aristotelesstelle richtig, aber indem er diese falsch deutete, auf den Athener be- 
zogen hat. 


I. 10. Diobelie. 215 


können, und durch seinen terrorismus, der den krieg bis aufs äufserste 
fortführte, hat er seinem vaterlande schwer geschadet, aber wie er selbst 
sein leben für die demokratie gelassen hat, so verdient er für die ein- 
führung der diobelie mehr als entschuldigung, verdient er anerkennung: 
das Erechtheion haben die Athener auch in der schlimmen zeit gebaut, 
und seine pracht scheint auch zunächst mit dem staatlichen elende übel 
zu contrastiren. aber es ist mit recht bemerkt worden, dafs der staat 
den bau nur fortführte um der brotlosen bevölkerung, hier zumeist der 
nichtbürgerlichen, arbeit zu schaffen, die schlecht genug bezahlt ward. 
eine mafsregel, die von einem wirtschaftlichen notstande aulgezwängt wird, 
ist kein muster für normale zeiten, sie mufs lediglich aus dem zustande 
erklärt und beurteilt werden, der sie erzeugt hat. 

Ganz anders mufs der staatsmann beurteilt werden, der den bürger 
als bürger in ruhigen zeiten mit staatsgeldern füttern will. der gedanken- 
gang ist auch da, wie es bei den radikalen zu sein pflegt, sehr schön 
logisch. der staat ist eine actiengesellschaft und verteilt die dividenden 
an die actionäre. so hatte schon 483 eine verteilung der überschüsse 
aus den pachtgeldern der bergwerke an die bürger statt finden sollen, 
und wenn das damals von Themistokles verhindert worden ist, so wird 
es doch zu andern zeiten sowol in der sammtgemeinde wie in den demen 
vorgekommen sein.‘) die theorika des Eubulos gehören sachlich in 
diese kategorie, und Demosthenes hat diese vergeudung der staatsmittel 
bitter empfunden, wenn er auch demagoge genug war sie zu zeiten zu 
verteidigen.) wenn er die rede svepi ovvrasewg nicht selbst verfalst 
haben sollte, (was ich glaube, wenn ich’s auch nicht beweisen kann), so 
ist diese doch keineswegs von dem dummen rhetor, dem man sie seit 


4) Plaut. Aulul. 107 noster nostrae qui est magister curiae dividere argenli 
dixit nummos in viros. da das original aus der zeit nach 279 stammt, kann man 
an einen phratriarchen schwerlich denken, wird also annehmen, dafs der demarch 
gemeint ist. 

5) In der vierten Philippika 35 fig. die ächtheit dieser rede und der wider 
den brief des Philippos mache ich mich anheischig zu erweisen; nur sind es aller- 
dings keine reden, sondern politische flugschriften, die letzte ein ebenso geschickter 
wie perfider zeitungsartikel, bestimmt, den eindruck zu verwischen, den der sachlich 
und formell meisterhafte brief des Philippos machen mufste. die moderne verwer- 
fung ist eine ausgeburt der fanatischen bewunderung, die dem redner staatsmann 
und menschen Demosthenes nur oratorisch und moralisch unsträfliche meisterwerke 
zuzuschreiben wagte. Weil hätte die reden nur energisch als geschichtliche auf den 
moment berechnete erzeugnisse anfassen sollen, dann würde er sie zuversichtlich 
für acht erklärt haben. 


216 I. 10. Diobelie. 


F. A. Wolf zuschreibt. denn weder inhalt noch form verweist sie aus 
dem demosthenischen zeitalter.°) dieser redner also schlägt für die wehr- 
fähigen hürger einen sold als orparıwrıxov vor, für die greise ein 2&e- 
taorıxov oder wie man das nennen wolle (4). er will dafür gegen- 
leistungen verlangen, insbesondere den persönlichen kriegsdienst, und 
wenn wir jetzt nur ziemlich vage gedanken lesen, so hat er das früher 
ausführlicher dargelegt (9), aber die übele erfahrung gemacht, dafs das 
volk für alles taube ohren hatte, nur nicht für die zwei obolen (10). 
man kann das nicht wol anders verstehen, als dafs er die diobelie iu 
etwas anderer form vorgeschlagen hatte. schlimm genug; und doch 
dürfte fraglich sein, ob sie unter gleichzeitiger beseitigung der ungleich 
höheren diäten für die volkversammlung und unter beschränkung der spiel- 
gelder nicht ein vorschlag war, der wenn auch praktisch kaum discutir- 
bar, theoretisch sogar einen finanziellen vorteil für die staatskasse in aus- 
sicht stellte. ich für mein teil traue ihn dem Demosthenes in der zeit, 
wo er von brennendem ehrgeiz verzehrt in der opposition stand und 
jede innere und äufsere frage als sprungbrett in die regierung versuchte, 
ohne bedenken zu. wie dem aber auch sei: für die diobelie des Kleophon 
ist der vorschlag der rede aus eubulischer zeit eine sehr belehrende 
parallele. 


6) Vgl. Foucart Bull. de Corr. Hell. XII 437. 


11. 
TIMHMATA HAPEXOMENOI. 


In dem vertrage, durch den die versöhnung zwischen stadt und 
hafen 403 herbeigeführt ward, sind die Dreifsig, die zehn (d. h. die ersten, 
zu denen Pheidon, nicht die dıeAAaxral, zu denen Rhinon gehörte"), die 
elf und die zehn im Peiraieus von der amnestie ausgenommen, und auch 
sie nicht, wenn sie rechenschaft ablegen und decharge erhalten. rechen- 
schaft wird abgelegt von den beamten der partei des hafens vor dieser, 
von denen der städter aber nicht vor diesen, sondern vor den zuunuere 
srapsxouevor. So steht es in dem documente 39, 6. die demokraten 
des hafens sind sieger, hinter ihnen steht die macht der spartanischen 
regierung; sie sind bevorzugt, denn sie nehmen ihren beamten selbst 
die rechenschaft ab. die gegenpartei ist nicht so günstig gestellt; da 
werden die richter aus einer classe genommen, sind also sowol städter aus-, 
wie leute des hafens eingeschlossen. es fragt sich, was heifst zuunuare 
scap&yeosaı. oder eigentlich fragt es sich nicht, denn nach örrka szagk- 
xeodar, das Drakon und die 400 und Thukydides so oft gebrauchen, 
sind es die welche in der lage sind, die zıunuara zu leisten, zu prae- 
stiren, und zıunuore sind die eingeschätzten stufen des einkommens 
seit Solon. also sind die zıunuare srapexouevor die steuerfähigen 
bürger, die bürger der drei oberen classen. in der tendenz, der aus- 
schlielsung des proletariates, deckt sich diese bezeichnung mit der be- 
schränkung der politischen rechte auf die örrka srageyousvo:; aber der 


1) Lysias wagt bereits 403 auf die confusion beider zehnercollegien zu rechnen. 
er sagt von Pheidon 12, 58 aigsFels vuas dıakldıkas xal xarayaysıv: das war nur 
der auftrag der zweiten zehn, wenn auch bei der wahl der ersten viele gehofft 
haben mochten, dafs es zu einer versöhnung käme. um so begreiflicher ist es, dafs 
spätere die zehnercollegien verwechseln. 


Lysias 
wider 
Erato- 


sthenes. 


218 I. 11. Tıunuara napszöuevor. 


ausdruck ist ein anderer. dafs in jener schweren zeit die directe steuer, 
die eiopoga, oft erhoben worden war, also die grenzlinie zwischen dem 
der das eingeschätzte leistete oder leisten konnte und den theten eine 
effective bedeutung hatte, also auch die berechtigung constatirt werden 
konnte, ist durchaus glaublich. dennoch wundert man sich über die 
veränderte terminologie, die unmöglich blofs in dem worte bestehen kann, 
und wundert sich über ein solches tribunal. 

Aufklärung verschaffen uns nicht die dürftigen geschichtlichen be- 
richte?); eine übergangszeit, die für die radicale demokratie wenig rühm- 
lich war, ward sehr rasch und gern vergessen. aber zum glücke sind 
eine anzahl documente erhalten, eben aus jener übergangszeit, die durch 
den hinzutritt der neuen urkunde erst vollkommen verständlich werden. 

Das erste ist die zwölfte rede des Lysias, die wir nach der hand- 
schrift xar ’Eoaroos&vovc TOUV YEYVOUEVOU TWYy TELaXOVra Nennen, für 
die aber Pseudoplutarch den titel xara rwv reLaxovra angibt. es ist 
über die zeit der rede und den rechtsfall sehr viel geschrieben worden; 
die sache liels sich in der tat bisher nicht erledigen, nun aber brauchen 
wir nur noch die rede selbst zu verhören. 

“Mir wird es nicht schwer mit meiner anklage anzufangen, aber 
wol aufzuhören: so schwer und so zahlreich sind ihre verbrechen”. wer 
so anhebt, richtet sich gegen viele, nicht gegen einen, und die er an- 
greift sind nicht zur stelle, sonst würde das pronomen ovrog stehn, 
nicht «uroig. der paragraph 21 zählt in einer durch die endreime der 
glieder gorgianisch geschmückten periode die schandtaten der Dreifsig 
auf, und darauf geht es weiter xal eig Tooovzov elcı ToAung agpıy- 
uevoı WOF Nxovoıv amoloynoöuevor xal Alyovaıy WG 0VvÖEV Xaxoy 
ovö aloxoov eieyaausvor eiolv. da stimmt die mehrzahl, aber sie 


2) Diodor 14, 33 und Nepos im Thrasybul geben nur das schliefsliche resultat, 
obwol ihre worte noch den anschlufs an das versöhnungsdecret zeigen. Xenophon 
Hell. 2, 4, 38—43 hat auch die hauptbestimmungen der amnestie vor augen (3$ ist zu 
schreiben ei de zuvss Poßoivro raw LE aorsas, Kdovav avrois 'Elsvoiva xatoı- 
xıeiv;, überliefert ist Sdo&s» für &docav), aber er hat es für wirkungsvoll gehalten, 
dem Thrasybulos eine schöne versöhnungsrede zu geben, in der er den städtern 
ihren mangel an dsxasoven avdopsia und yvoun zu gemüte führt, den demos mahnt 
die eide zu halten. das ist eine sehr wenig versöhnliche rede, die überhaupt mehr 
für Xenophons Kyros pafst. dann folgt als erzählung, dafs sie die altangestammten 
gesetze bewahrten, beamte wälılten und also verfassungsmäfsig und einträchtig lebten. 
das sind redensarten. er hat die Dreifsig gehafst und Thrasybulos verehrt; das war 
ganz brav, aber gewulst hat er herzlich wenig, und hier beherrscht selbst ihn die 
demokratische phrase. 


Lysias wider Eratosthenes. 219 


scheinen zur stelle zu sein. dafs die anklage sich gegen die Dreifsig richtet, 
ist allerorten klar. “bürger und fremde sind zusammengekommen, um 
zu erfahren ziva yyauny zregl vovrwv ESere 35, und in dem epiloge 
dieses teiles (37— 40) ovx old 0 rı dei noAla xarnyogeiv Tolvrwyv 
avöowv. und schliefslich wird es ganz ausdrücklich ausgesprochen, jetzt 
wäre die gelegenheit szraga ’EgarooFEvoys xal Tv Tovrovi Ovvapyor- 
zwy Ölanv Aaßeiv (79), und xarnyoonraı EoarooFEvorg xal twy TovTov 
plAwy (31). also die bezeichnung xara zwy roLaxovre ist richtig. die 
andere zar' ’Egaroos&vovg ist aber auch richtig. denn die dınynaıs 
(4—34)?), in der ein lebendiges directes verhör mit dem angeklagten 
steht (25), der auclı wiederholt angeredet wird, geht des einen mannes 
schuld, eine ganz bestimmte tat, an. und der beweis, der allein durch 
zeugenaussagen geführt wird (41—61), geht lediglich den Eratosthenes 
und sein verhalten an, die vita ante acta und die unter den Dreifsig. 
aber wenn dies zwei teile sind, von denen der eine die einzelne tat, 
die tötung des Polemarchos, deren Eratosthenes geständig ist, der andere 
sein politisches verhalten angeht, so ist damit genügend gesichert, dals 
es sich um beides handeln mufs. wenn wir da hören 70 d& reAsvraiov 
eis ı1v apynv xaraorag (48), so läfst die rede im ganzen zwar keinen 
zweifel, dals es sich um den platz unter den Dreifsig handelt: aber der 
bestimmte artikel weist genugsam darauf hin, dafs es sich eben um dieses 
amt auch vor gericht jetzt handelt. nimmt man dazu das 7xov01 arco- 
hoynoouevor 22 und Tixeı arroAoynoouevog 84, so ist jeder zweifel aus- 
geschlossen, dafs sich Eratosthenes dem gerichte freiwillig gestellt hat, 
mit andern worten, dafs er von der clausel der versöhnungsurkunde 
gebrauch gemacht hat, die den Dreilsig amnestie verhiefs, wenn sie sichı 
“ der rechenschaftsablage unterzogen. so urteilten denn auch die vertei- 
diger desselben, man sollte ihn [reilassen, weil er am wenigsten übles von 
den Dreifsig getan hätte (89), was Lysias von seinem standpunkte nennt 
dia To vusreoov schndog abewg Tovg reLaxovra Owmlewv (87). es ist 
also in der tat ein rechenschaftsprocefs eines der Dreilsig. in ihm steht 
der isotele Lysias auf und führt die klage, wie jeder es konnte.‘) es 


3) Es ist sehr zu beachten, dafs Lysias bei den richtern voraussetzen darf, sie 
wüfsten mit seiner familie, seinem hause im Peiraieus und dergleichen schon be- 
scheid. er war schon ein bekannter sophist, das haus des Kephalos sehr ansehnlich, 
die familie im verkehre mit der guten gesellschaft, ganz wie es Platon schildert. 

4) Die juristische selbständigkeit des metöken tritt hier allerdings deshalb so 
grell hervor, weil er sich immer als bürger benimmt, und er rechnete wol sicher 
auf den erwerb des bürgerrechtes. aber dafs der metöke vor gericht den bürgern 


220 I. 11. Tıunuara napeyöusvoı. 


ist nicht ersichtlich, in welcher form die verhandlung eingeleitet ward. 
ob durch die constituirung eines logistenprocesses oder durch die ein- 
reichung der privaten anklagen vor den ratseuthynen. da ein rat sofort 
constituirt ward, ist das letztere wahrscheinlich; der vorsitz ist dann 
den thesmotheten zugefallen, die auch gleich mit dem archon Eukleides 
eingesetzt sein müssen. Lysias konnte eigentlich nur über seine eigene 
sache beschwerde führen, aber da es sich für Eratosthenes um die ganze 
amtsführung handelte, so verschob sich das fast notwendigerweise. da- 
gegen ist es bare sykophantie, wenn der redner fortwährend die rechen- 
schaft des einen, der eben persönlich beurteilt sein wollte, mit der der 
Dreifsig überhaupt zusammenwirft. mit grofsem geschicke sagt er gleich 
im eingange (2) “ich mufs ja zugestehn, dafs ich durch die mir persön- 
lich angetane unbill veranlafst bin, hier zu reden” °) gleich als ob es in 
der ordnung wäre, dafs er über das allgemeine in erster linie spräche, 
und sein persönlicher handel höchstens einen schatten auf seine ob- 
jectivität würfe: in wahrheit gieng ihn die amtsführung des Erato- 
sthenes im übrigen gar nichts an; ihren staat mochten die Athener 
allein gut oder schlecht verwalten. sie waren liberal und gerecht, wenn 
sie ihm verstatteten seine private beschwerde über ihren beamten vor- 
zubringen. 

Wenn es sich denn um die rechenschaft handelt, so müssen die richter 
aus den zıuunkara srapeyouievoı genommen sein, also aus beiden par- 
teien. Lysias sagt 84 von Eratosthenes, dafs er vum) ovy Eripwv 
övruv ruv ÖiXaozuv all avıwv TWy xaxwg Trenovdorwy Nxeı &rro- 
Aoynoouevog 7006 aLTOVG TOUG UAaETUEAG TNG TOVToV scovnolag. darin 
liegt nur, dafs leute aus der stadt beteiligt sind, wenn es auch besser 
pafst bei gemischten richtern. aber der schluls entscheidet, denn da 
wendet er sich zunächst an die städter, und sagt ihnen, jetzt als besiegte 
hätten sie mit den siegern das gleiche recht (92) und wären bürger 
mit den tapferen demokraten, hätten die souveränetät, die entscheidung 
über krieg und frieden, und nähmen an den politischen beratungen (94) 
teil, alles im gegensatze zu der zeit der Dreilsig, wo es keine ekklesie 


so gut wie gleich steht, soll man eben wissen und schätzen. die sykophanten in 
diesem stande, für die Lysias unser hauptexempel ist, waren so zahlreich, dafs die 
geschäftsordnung der volksversammlung ihre rgoßoAn ganz in gleicher ausdehnung 
wie die der bürger vorsah (43, 5). 

5) Diese stelle schliefst allerdings besonders entschieden den gedanken aus, 
dafs die rede wegen mordes gehalten wäre, denn dann zwang ihn allein die pflicht 
des bluträchers aufzutreten. 


Lysias wider Eratosthenes. 221 


gab, die souveränetät von jenen geübt ward, der kampf aber gegen die 
tapferen demokraten gieng. über die art der jetzt geltenden verfassung 
ist nichts gesagt als dafs die städter gleichberechtigt sind. dann folgt 
der appell an die demokraten, der über die politische lage der gegenwart 
nichts lehrt und in den allgemeinen epilog, die aufforderung zur ver- 
urteilung der Dreifsig, übergeht. aber das wesentliche bleibt bestehen, 
dafs beide parteien im gerichtshofe vertreten sind; also das was am an- 
stölsigsten schien, die euthyna, ist ganz sicher. 

Für die zeit der rede ergibt sich direct kaum etwas, und es reicht hin 
zu constatiren, dafs sie für die notwendig bald nach der versöhnung 
eingetretene euthyna eines der Dreifsig in jedem zuge palst. so wild 
der redner gegen die Dreifsig loszieht, so schweigsam ist er über Sparta. 
er vermeidet es die garnisonen auf der burg als solche zu bezeichnen, 
sondern redet von Zrzlxovgo: (94), gleich als ob es gedungene reisläufer 
gewesen wären. ebenso wird der staat Eleusis, in dem die ausgewan- 
derten städter zu recht herrschen, dadurch respectirt, dafs er mit still- 
schweigen übergangen wird. dafs die überlebenden der Dreilsig und 
ihre meist compromittirten helfer alle dort untergekommen wären, ist 
weder bezeugt noch wahrscheinlich, da gegen die Dreifsig der widerwille 
schon nach dem gefechte auf Munichia so stark in der stadt gewesen 
war, dafs sie abgesetzt wurden. so brauchen wir uns nicht zu wun- 
dern, wenn Lysias erzählt, dafs einzelne staaten einzelne flüchtlinge 
der tyrannen auswiesen (35); die verallgemeinerung des sykophanten 
streichen wir leicht ab. aber die wendung arrovoı u8y Toig TeLaxovra 
Ercıßovlevere (80) mag vielleicht als ein unbeabsichtigtes zugeständnis 
aufgefalst werden, dafs der demos gern der leute habhaft werden wollte, 
gegen die ihm allein die rache erlaubt war. doch wozu die einzelheiten 
‚ durchsprechen, die doch zumeist so oder so verstanden werden können: 
der nachweis, dafs irgend etwas in der rede verböte, sie auf den rechen- 
schaftsprocess zu beziehen, dem Eratosthenes sich freiwillig unterwerfen 
wollte, kann getrost abgewarlet werden. 

Es war dem Lysias gewils darum zu tun, seinen bruder zu rächen; 
das war seine pflicht, und es war ein abscheuliches verbrechen an ihm 
begangen. er nahm die gelegenheit wahr, die sich ihm bot, und man 
wird ihm bei seiner politischen richtung nicht verargen, dafs er aus dem 
hasse gegen die Dreilsig so viel wie möglich capital für seine anklage 
herausschlug. aber die rede will allerdings mehr: sie greift durchaus 
nicht etwa die Dreifsig um des Eratosthenes willen an, sondern viel 
eher umgekehrt. die bedeutung der rede für die zeitgeschichte liegt 


222 N. 11. Teunuara napsyöusvor. 


darin, dafs es ein vorstols der radikalen demokratie ist, der das versöhnungs- 
werk durchaus nicht recht war; diesmal galt es die clausel des versöhnungs- 
instrumentes unwirksam zu machen, die den Dreifsig und ihren haupt- 
helfern die möglichkeit der amnestie eröffnete. Eratosthenes scheint 
nicht der einzige gewesen zu sein, der sich der rechenschaft stellen 
wollte; ob es auch andere getan haben und mit welchem erfolge etwa, 
ist unbekannt. dem sollte seine hinrichtung einen riegel vorschieben, 
und der demokratische terrorismus regt sich schon recht stark; nicht 
nur die verteidiger des Eratosthenes werden eingeschüchtert (86), sondern 
auch die zeugen, deren viele gekommen waren, und die sich durch die 
verteidigung der Dreilsig compromittiren sollen (88—89), und endlich 
die richter, denen sogar gedroht wird, sie sollten sich nicht auf die ge- 
heime abstimmung verlassen (91), sie sollen vielmehr beweisen, dafs 
sie oeyllovsaı roig srenpayusvors (90). EAsog und avyyyuun soll aus 
der seele der richter verbannt sein (79): so fafst der radikale die ver- 
söhnung auf. er gesteht hier ein, dafs die öffentliche meinung in Erato- 
sthenes den harmlosesten der Dreifsig sehe (89), und vorher, dafs dieser 
als freund und anhänger des Theramenes auf sympathien zu rechnen 
hatte. das dient dem redner aber nur zu dem vom wildesten hasse ein- 
gegebenen und gröbste lüge nicht scheuenden®) angriffe auf den toten, 
von eben den Dreilsig getöteten Theramenes (62— 79). erst hier offen- 
bart sich, wohin das ganze zielt. der tod hatte dem Theramenes in sehr 
weiten kreisen jene sympathie geweckt, die selbst Xenophon, den ver- 
ehrer Thrasybuls, zu einer wirklich packenden erzählung begeistert hat. 
die Dreifsig selbst hatten erst verspielt, als die kreise sich von ihnen 
abwandten, die mit Theramenes eine ganz entschiedene antipathie gegen 
die radicale demokratie hatten. und andererseits hatten die leute aus 
dem Peiraieus erst gewonnen, als eben diese kreise mit ihnen giengen. 
Rhinon war gewils kein demokrat, und mit der gesellschaft die Lysias 
vertritt würde Sparta niemals transigirt haben. die anhänger der wrarpıog 
zcoAırela waren von beiden seiten angefeindet, aber sie haben in wahr- 
heit Athen gerettet: die radicalen fürchteten sie ungleich mehr als die 
extremen oligarchen. daher geht der hauptstofs des Lysias gegen den 
toten Theramenes. die radicale demokratie macht die kraftprobe, hier 


6) Es genügt dafür zu constatiren, dafs Theramenes den antrag gestellt haben 
soll, die Dreifsig einzusetzen und die verfassung des Drakontides anzunehmen (73), 
während Theramenes wider die einsetzung der Dreifsig, in deren beantragung die 
angebliche verfassung des Drakontides bestand, gesprochen hat. 


Lysias wider Eratosthenes. die provisorische verfassung von 403. 223 


noch auf formell gesetzlichem boden, und so hat der process des Erato- 
sthenes eine erhöhte bedeutung erhalten. der gerichtshof bestand nur 

aus den besitzenden ; sie haben freilich den Eratosthenes nicht verurteilt, 

aber die partei des Lysias war durchaus nicht entmutigt, und seine rede ,- 
war ein so ausgezeichnetes schriftstück, dals er sie als pamphlet ver- 74 
öffentlicht hat, gewils nicht ohne erfolg für seine sache, 

Ein zweiter vorstofs war der antrag des Thrasybulos, alle die, die Thrasybulos 
aus dem Peiraieus gekommen waren, als bürger anzuerkennen.’) das war Archinos. 
freilich so flagrant ungesetzlich, dafs der antrag fiel, da die youoı dr’ 
avdoi notwendigerweise ganz persönlich behandelt werden mulsten. 
ein kräftiger rückschlag von der gegenseite war, dafs Archinos den rat 
dazu vermochte, einen radikalen heifssporn wegen einer für uns nicht 
genau erkennbaren verletzung der amnestie ohne weiteres zum tode zu 
verurteilen, und später gegen die anschuldigungen, für die die amnestie 
galt, das rechtsmittel der ragaygayn zu gestatten®). offenbar sind 
der rat und das volk von 403/2 für die partei des Lysias nicht zu haben 
gewesen. | 

Aber wer war 403 das volk und wie war der rat gebildet? mit Die proviso- 
anderen worten, welche verfassung ist vom könig Pausanias concedirt fassung von 
und zwischen stadt und hafen vereinbart worden? es bedarf nur geringer “ 
überlegung, um zu schliefsen, dals es die demokratie von 405 unmöglich 
gewesen sein kann, obwol wir wissen, dafs diese demokratie, im prinzip 
wenigstens, noch unter Eukleides eingeführt worden ist. aber wir brauchen 
keinen indicienbeweis, denn die documente liegen vor. 

Andokides (1, 81) erzählt im jahre 399, dafs nach der versöhnung 
zuerst eine provisorische regierung von 20 leuten, vermutlich strategen?), 
je 10 von jeder partei gewählt, die geschäfte führte, bis ein rat ein- 


‘ 


7) Thrasybulos zeigt sich sowol durch die protection des Lysias wie durch 
seinen gesetzwidrigen antrag viel mehr als seo0Tadrns rov dnuov denn als staats- 
mann. er ist gewifs ein patriot gewesen, das hat er 411, 403 und 390 bewiesen, 
aber seine innere wie seine äufsere politik beweist nicht mehr, als dafs er die 
ideale des Reiches und seiner demokratie begriffen hatte und zäh an ihnen fest hielt. 
seine eigene zeit hat er dagegen nicht mehr begriffen. weil die demokratie herrschte, 
hat sie ihm den höchsten ruhmeskranz gespendet; nichts ist dafür bezeichnender, 
als dafs der panegyrikos, den Nepos übersetzt, geradezu die verdienste des Archinos 
auf Thrasybul überträgt. 

8) Vgl. die beilage “die paragraphe und Lysias wider Pankleon.’ 

9) Wenn man auf die lückenhafte stelle Xenophons 2, 4, 39 so viel geben darf, 
wo die strategen, zu denen Thrasybul gehört, die versammlung des volkes (eine 
contio, keine comitia, denn sie hören nur eine ansprache) berufen und entlassen. 


x 


224 ll. 11. Tıunuara napeyonsvos. 


gesetzt war, und im übrigen vorläufig die solonischen und drakontischen 
gesetze galten. da der rat auf der praesentation durch die gemeinden beruht, 
war es nicht besonders schwierig, 500 ratsherren auszulosen ; die demoten 
wulsten ja in ihrer gemeinde bescheid. auch die archonten, deren man - 
sofort bedurfte, liefsen sich leicht bestellen, da man für sie immer eine vor- 
schlagsliste der phylen zu grunde legte, und selbst der appell an die gemein- 
den 487 vorgekommen war. dann ward, nach Andokides, ein weiterer aus- 
schufs von 500 gesetzgebern von den gemeinden gewählt, und diese beiden 
körperschaften haben die factisch jetzt, 399, geltenden gesetze gegeben, d.h. 
natürlich dem volke vorgelegt, das selbst allein competent war, ihre vor- 
schläge zu gesetzen zu machen. Andokides hütet sich wol, jenes volk, 
das die gesetze gegeben hat, von dem jetzt herrschenden zu unterscheiden, 
allein er selbst unterscheidet sehr wol zwischen den gesetzen Drakons 
und Solons, die während des provisoriums galten, und den jetzigen, die 
von den nomotheten gegeben waren. sehr viel unzweideutiger redet 
das gesetz des Teisamenos, durch welches jene nomotheten in function 
getreten sind. es beginnt nrolıreveodaı AInvalovs xar& Ta rarpıa, 
youoıs ÖE xonasaı rois SoAwvog xal uerooıg xal oraduois. darin 
ist die geltung der väterlichen verfassung und der solonischen gesetze 
ausgesprochen, also das provisorium dauert fort, bis die neuen gesetze 
in der weise constituirt sind, die eben durch Teisamenos verordnet wird. 
welcher geist in dem volke lebte, das dieses gesetz angenommen hat, 
lehrt der schlufsparagraph, der dem Areopag die nomophylakie für die 
zukunft zuweist, woran doch nicht einmal die 400 gedacht hatten, und 
was denn auch von den gesetzgebern alsbald beseitigt worden ist. der rat 
und die gesetzgeber standen vor der aufgabe, eine wirkliche verfassung 
praktisch zu entwerfen und bei dem volke, wie immer es auch begrenzt 
war, durchzubringen. da halfen die schönsten theorien nicht; die ver- 
fassung von 593 war 403 wahrhaftig unmöglich, und wenn ein so anti- 
demokratischer kopf wie der verfasser des entwurfes von 411 so weit 
von Solon abgekommen war, trotzdem er ins blaue decretiren konnte, 
wie viel mehr mufste sich den 1000 vertretern der gemeinden die demo- 
kratie, die ihnen allen allein vertraut war, sich aufnötigen. sie haben 
die srargıog svolırela als die auf die gleichberechtigung aller Athe- 
ner gegründete demokratie definirt und darauf hin ihren antrag ge- 
stellt. dagegen war im plenum, über dessen zusammensetzung wir erst 
etwas zu erfahren streben, die stimmung keineswegs überwunden, die im 
anschlusse an die tendenzen des Theramenes und die wünsche Spartas 
für absolut richtig und politisch geboten hielt, die proletarier auszu- 


Die provisorische verfassung von 403. Lysias rede 34. 225 


schliefsen. den antrag formulierte für diese partei Phormisios, und zwar 
wollte er die politischen rechte an den grundbesitz binden; die demokratie 
bediente sich wieder der feder des Lysias. sie hat gesiegt, und Sparta, 

in dem die parteien des Pausanias und Lysandros selbst einen geheimen ‘ 
krieg führten, hat sich dabei beruhigt, zumal Athen ihm die den Dreifsig 

“ vorgeschossenen gelder abzahlte und auch sonst botmäfsig blieb. 

Das document, dem’ wir diese tatsachen verdanken, ist die rede des Lysias rede 
Lysias, von der Dionysios ein grofses bruchstück gerettet hat (rede 34). 
dieser läfst es unbestimmt, ob die rede wirklich gehalten sei, und 
“natürlich hat sie als pamphlet mindestens so stark gewirkt wie durch "J 
den mund des sprechers. aber da sie sicherlich einer bestimmten person 
in den mund gelegt ist (3), so haben wir keine veranlassung zu be- 
zweifeln, dafs es wirklich eine volksrede ist'°): als schriftsteller konnte doch 
nicht wol ein athenischer staatsmann mit fremdem kalbe pflügen. die rede / 
hat durch Usener (Fleckeisens Jahrb. 1873, 145), als er ihren urkund- See 
lichen text feststellte, auch eine geschichtliche erläuterung erfahren, die 
nur noch in den zusammenhang eingereiht zu werden braucht. die 
sophistik des redners dürfte freilich noch weiter gehn, als Usener an- 
genommen hat. | 

Das volk, vor dem der redner steht, sind mit nichten die 4Inyaioı 
&rcavres, für die er spricht. “ihr wifst dafs unter den früheren oli- 
garchien (d. i. 411 und 404) nicht die grundbesitzer die souveränetät 
besalsen (für die sie Phormisios beantragt), sondern viele von ihnen 
getütet oder vertrieben wurden. diese hat der demos zurückgeführt 
und hat euch eure souveränetät verliehen, selbst aber auf seinen anteil 
an ihr verzichtet ’° (4). er erhebt die insinuation gegen die “für die 
oligarchie kämpfenden”, d. i. Phormisios, dafs sie es in wahrheit auf 
den besitz der leute, die er anredet, abgesehen hätten. das heilst so 
viel, als dafs die jetzt berechtigten, wenn Phormisios durchdränge, sehr 
bald den besitz und mit dem natürlich die berechtigung verlieren würden. 
er insinuirt, dafs der antrag des Phormisios in wahrheit von den Lake- 


10) E. Schwartz (Rh. Mus. 44, 625) verweist die rede vor die nomotheten, aber 
die ausführungen Schölls, auf die er sich bezieht, zeigen gerade, dals xaıgorovia 
auch von der abstimmung des volkes über antrag und gegenantrag gebraucht wird, 
und wie sollte es anders sein? dagegen konnte die anrede & avdgss AI'nwaios und 
die durchgehende identification der angeredeten versammlung mit dem volke einer 
commission gegenüber nicht gebraucht werden, zumal von einem mitgliede derselben, 
und den idıwra: ist durch das gesetz des Teisaımenos nur der zutritt zum rate aus- 
nahmsweise gestattet. 

v. Wilamowäitz, Aristoteles. Il. 15 


Antrag des 
Phormisios. 


226 ’ I. 11. Tıunnara nrapsgouevor. 


daimoniern käme (6) und spielt mit dem kleophontischen gedanken 
des krieges bis aufs äufserste (6). das bedeutet doch wol so viel, dafs 
Sparta, die vormacht des bundes, jenen antrag gutheilsen wird, was bei 
dem des redners unwahrscheinlich ist. von wert sind noch zwei einzelne 
behauptungen, einmal dafs die annahme des antrages des Phormisios, 
also die beschränkung der politischen rechte auf die grundbesitzer, dem 
staate viele ritter hopliten und schützen entziehen wird (4). dabei ist 
streng genommen notwendig, dafs diese jetzt noch in der bürgerschaft 
sind, also Phormisios den kreis noch enger ziehen will, als er jetzt ist; 
doch kann man dem rhetor auch zutrauen, den nach ihm normalen 
zustand der vollen gleichberechtigung aller in gegensatz zu dem vor- 
schlage des Phormisios gesetzt zu haben. aufserdem hat er in dem 
teile seiner rede, den Dionysios nur auszieht, die durch Phormisios aus- 
geschlossenen bürger auf 5000 veranschlagt. nun hat bereits Usener'') 
hervorgehoben, dafs die bürgerschaft, die jetzt zusammengetreien ist, 
weder aus den A49nvaioı aravreg noch auch aus den yijv xexrnuevor 
besteht, obwol letztere darin sind. das war damals sehr scharfsinnig, 
konnte aber kein positives ergebnis liefern. jetzt löst sich alles ein- 


{ fach: die bürgerschaft, die hier berät, sind die zuunuare srapexöuevor, 


dieselben, aus denen das gericht bestand, vor dem Lysias wider die 
Dreifsig geredet hat. diese also haben während des provisoriums das volk 
gebildet. 

Die steuerzahler umfassen die grundbesitzer, das muls im allge- 
meinen wenigstens gelten; die grundbesitzer repraesentiren aber nicht 
alle steuerzahler. wenigstens theoretisch kann man nicht bestreiten, 
dafs selbst in den höheren classen leute von grofsem vermögen, die 
sogar unter den rittern dienten, sich befinden konnten ohne immobiliar- 
besitz. und mit der theorie darf der gesetzgeber füglich rechnen.  tat- 
sächlich ist es eine übertreibung. weder decken sich die begriffe zıun- 
uaTa scapexousvor und yry xexrnuevor, noch sind es concentrische 


11) Was Usener weiter ausführt, über eine verfassung des Drakontides, eine 
umfängliche bürgerliste, die von den 30 erst auf 3000 reducirt und von dem demos 
für das provisorium wieder acceptirt wäre, ist durch den bericht des Aristoteles 
über das zustandekommen der liste der 3000 erledigt. es hat 403 eine brauchbare 
bürgerliste weder bestanden noch bestehen können. die mafsgebenden listen sind 
überhaupt immer in den einzelgemeinden geführt worden; auf sie griff man deshalb 
auch jetzt zurück, als man die nomotheten bestellen wollte. und den gemeinden 
fiel ja auch (was Usener 1873 nicht wissen konnte) die ernennung der candidaten 
für den rat zu. 


Antrag des Phormisios. 227 


kreise. zu klarem urteil verhilft am besten die vergleichung der zahlen, 
so wenig genau sie auch sind. durch die beschränkung auf die grund- 
besitzer sollen 5000 ausgeschlossen werden; durch die beschränkung 
auf die Orria srapeyouevor sollten 411 nur 5000 berechtigte bleiben. 
das führt zu dem überraschenden schlusse, dals eine grolse anzahl von 
grundbesitzern sich nicht equipiren konnten, also theten waren. und 
die behauptung des Lysias, dafs die ausschliefsung der capitalisten vom 
bürgerrecht den staat um viele reiter und hopliten bringen miülste, 
erweist sich als eine theoretisch richtige, tatsächlich nichtige behaup- 
tung.) um das befremdliche zu verstehn, müssen wir zunächst die 
formel ynv xextnusvor in ynv n olxlav xexenuevor erweitern. die 
formelsprache aller Hellenen unterscheidet beides, aber dem rhetor 
können wir die abgekürzte, seinen zwecken dienliche ausdrucksweise 
verzeihen. damit verschwindet der gröfste teil des anstolses. ein haus 
ist in Athen ein sehr wenig wertvoller besitz, darum haben es so gut 
wie alle bürger, wenn sie nicht wirklich proletarier sind und als solche 
leben. zur miete wohnen wesentlich nur fremde und metöken, weil 
sie vom erwerbe von grund und boden ausgeschlossen sind.””) wir 
kennen ja den hausbesitzer Sokrates von Alopeke, der doch nur ein 
vermögen von 100 drachmen hatte'*), also wirklich keine rüstung mehr 
halten und keine steuern zahlen konnte. selbst der besitz eines gärt- 
chens oder wingerts, wie wir ihn bei der ungemeinen zersplitterung 
. des grundbesitzes allerdings sehr vielen bürgern zutrauen dürfen, muls, 
zumal in der kriegszeit, wo so viele äcker, selbst dicht bei der stadt, 
wüst lagen, sehr oft kein steuerfähiges einkommen abgeworfen haben. 
andererseits konnte es nicht fehlen, dafs durch den verlust ihrer kleru- 


12) Useners ausweg, an die seit 412 aufgekommene einstellung der theten als 
hopliten zu denken, denen dann der staat die waffen lieferte, ist nicht gangbar: das 
konnte der staat auch, wenn die theten der politischen rechte entbehrten. er hatte 
ja selbst sclaven bewaffnet. 

13) Die besitzer der mietshäuser (ovvosxias) profitiren deshalb von dem ge- 
richtszwange der bündner, [Xen.] IIol. 49. 1,17. 

14) Plat. Apol. 38%. dafs Sokrates, der als hoplit gedient hatte, verarmt ge- 
wesen sein mufs, habe ich schon früher bemerkt. von dem ertrag von 100 drachmen 
konnte er nicht leben, mit weib und kindern noch dazu. gleichwol erwarb er 
nichts. also hat er sich nicht gescheut, dem grundsatze xoswa za ra» ylkoy als 
empfangender zu huldigen, und Kriton wird sich der braven Xanthippe angenommen 
haben. aber eine bezahlung für den unterricht war das nicht, und ich bedauere, 
dafs ein Aristoxenos wider Platon ins feld geführt wird, um den Sokrates wol gar 
als schulstifter hinzustellen. 

15 * 


228 D. 11. Teunnara napeybusvoı. 


chien eine masse gänzlich verarmter bürger in die heimat zurückströmten, 
die auszuschliefsen ein hartes gebot der not schien, und die durch diese 
formulirung der qualification entweder sicher die politischen rechte 
verloren oder zur ansiedelung, an der dem gesetzgeber liegen mufste, 
angetrieben wurden. Phormisios konnte sich mit fug und recht 
\) darauf berufen, dafs er dem städtischen demos einen starken antrieb 
77 gäbe, sich dem landbau zu widmen, der seit 431 heruntergekommen war 
v aber einst die macht des demos begründet hatte. 
\J Eine letzte frage ist noch, wie die verschiedenen männer auf die 
\: verschiedenen lösungen der frage gekommen sind, das proletariat von 
der staatsverwaltung auszuschlielsen, und doch alle den anschlufs an die 
N väterliche verfassung und die gesetze Solons gesucht und vermeintlich 
gefunden haben. 

Die alten classen bestanden nominell, hatten aber praktisch ihre 
bedeutung verloren. die rückkehr zu Solon und Drakon war die 
parole; aber bei jedem versuche erwies sich die gegenwart stärker als 
das ideal. 411 hatte man es mit Drakon versucht und durch die forde- 
rung, sich selbst zu equipiren, die bürger auszusondern gehofft, die den 
staat sicher leiten könnten. der erfolg hatte gelehrt, dals diese forderung, 
obwol sie eigentlich die grenze zog, die Solon dem passiven wahlrechte 
auch gezogen hatte, viel zu stark war. als die oligarchie in der stadt 
gebot, aber entmutigt und zur verständigung geneigt, im hafen eine 
revolutionäre und mit bedenklichen elementen fremder herkunft ver- 
mischte demokratie trotzig ihr gegenüber stand, sah Pausanias ein, dafs 
die oligarchie nur durch die unterhaltung einer garnison in Athen ge- 
schützt werden konnte, und die demokratie, gestützt auf die sympathie 
der Hellenen und die beihilfe nicht blofs von Argos, sondern auch von 
Theben, selbst wenn er den Peiraieus nahm, gefährlich bleiben mulste; 
die herrschaft des scheinbar allmächtigen Sparta stand auf allzuschwachen 
fülsen. so förderte er einsichtig einen compromils auf der basis, die 
Theramenes 404 vereinbart hatte oder doch vereinbaren wollte. die 
amnestie, die zuweisung von Eleusis an die attischen oligarchen, die 
übernahme der verpflichtungen der oligarchen gegen Sparta durch die 
neue regierung schienen ihm mit recht aussreichend, um das neue Athen 
untertänig zu halten. aber die schrankenlose demokratie durfte er 
nicht einsetzen, und darauf konnten auch die städter nicht eingehn. 
da stieg also wieder die wargıog srolırela auf, die solonischen gesetze. 
man hätte auf die forderungen von 411 zurückgreifen können und die 
selbstequipirung als qualification für das volle bürgerrecht verlangen. 


Antrag des Phormisios. 229 


aber schon der äufsere umstand, dafs di® Dreifsig den städtern ihre 
waffen confiscirt hatten (37, 1), liefs das nicht angängig erscheinen, und 
so verfiel man auf den ausweg, die steuer an die stelle der bewaffnung 
zu setzen: im sinne Solons, das muls man zugeben, kam das auf das- 
selbe heraus. so schuf man ein provisorium, führte die gesetze Solons 
für dieses ein, und es gieng gut, dank der energie des Archinos 
trotz dem ansturme der radicalen. aber ein definitivum konnte daraus 
nicht werden. die steuer ward weder regelmäfsig gezahlt, noch gab es 
eine staatliche controlle der einschätzung. wenn man die politischen 
rechte mit der steuerdeclaration für die dritte classe verband, so mulste 
der erfolg sein, dals es damit gienge wie bei der meldung zur ämter- 
losung, wo sich niemals einer als thete bekannte (Ar. 7, 4). da geriet 
Phormisios auf den ausweg, den grundbesitz zu verlangen. die solo- 
nischen classen selbst waren ihren namen nach auf diesen berechnet, 
denn man hatte sich gewöhnt, auch ritter und zeugiten durch einen 
festen satz von geernteten schefleln bestimmt zu glauben. diese classen- 
einteilung selbst würde nun freilich in praktischer anwendung Attika 
nicht auf die solonischen zeiten zurückgeführt haben, sondern auf die 
weit zurückliegende urzeit, der diese classen entstammen, als es noch 
ein reiner ackerbaustaat war und dem entsprechend an bedeutung noch 
hinter Megara zurückstand. diese reaction lag dem Phormisios fern; 
was er forderte, war nur die durchführung der forderung, die theoretisch 
für alle Athener immer noch galt, dafs sie eine eigene heimstätte, einen 
Zeus Eexeiog hätten. diese forderung war nicht schwer; sie liefs solche 
leute wie Sokrates, der weder waffen noch steuern zu praestiren im 
stande war, im genusse der politischen rechte, schlofs nach der sicher- 
lich übertreibenden schätzung des Lysias nur 5000 proletarier aus, und 
das in der zeit der schwersten calamität, so dafs auf eine sehr starke 
verminderung dieser zahl schon für die nächste zukunft zu hoffen war. 
wenn das volk, d. h. damals die zıunuara srapexouevo: trotzdem sich 
für die volle demokratie entschieden haben, so können wir nicht umhin 
anzuerkennen, dafs sie dem wirklichen Solon und der wirklichen srarocog 
scokrrela lieber haben folgen wollen als den noch so geschickt ausge- 
dachten vorschlägen der gegenwart. denn in den gesetzen Solons waren 
die volksversammlung und das active wahlrecht und die geschwornen- 
stellen den theten zugänglich gemacht. dafs darin tatsächlich 403 die 
radicale demokratie, 593 eine sehr bescheidene gewalt lag, verschlug 
für das prinzip nichts, aber hier am deutlichsten kommt es an den tag: 
der keim zu der radicalen demokratie war durch Solon gelegt. so hat 


230 U. 11. Tıuynara napsyöuevor. 


man damals geurteilt, so hat Aristoteles geurteilt. die demokraten, die ihn 
als den Önuorıxwrarog für sich beanspruchten, haben nicht nur recht 
behalten, sondern auch recht gehabt. wenu Theramenes in ihm den vater 
alles übels gesehen hat, so war das auch nicht blofs von seinem stand- 
punkte aus berechtigt. es war das verliängnis Athens, dals es von der 
radikalen demokratie nicht loskommen konnte. aber die geschichte mufs 
gegen alle billig sein und darf weder den Solon nach den verhältnissen 
von 403 beurteilen, noch von der not jener revolutionszeit eine billige 
beurteilung Solons fordern. 


12. 
AOTOZ UND EYOYNA. 


Da wir jung waren, lernten und glaubten wir, dafs die überlegen- 
beit der Boeckhschen altertumswissenschaft über die Hermannsche philo- 
logie sich nirgend glänzender offenbare als in der abhandlung über 
euthynen und logisten, die zu diesem nachweise geschrieben ist. da 
wir älter wurden, sahen wir mit überraschung, dafs Hermanns conjec- 
turen zu CIA 1 32 auf dem steine standen mit ausnahme von einer 
minder wichtigen stelle, wo Boeckh aber auch nicht richtiger geurteilt 
hatte. und nun stellt sich heraus, dafs über die sache beide irr ge- 
gangen sind, dafs auch gerade die behandlung, die am meisten metho- 
disch vorgieng und allein wirklich vorwärts kam (Schöll de synegoris), 
irr gehn mufste, weil ihr fundament ein gefälschtes zeugnis war.') die 
unzulänglichkeit unseres combinirens ungenügender daten zeigt sich 
handgreiflich, ebenso aber, dafs die wirkliche kenntnis der sprache in 
ihrem gebiete mit sicherheit vorgeht und dafs ihr die logik des 
rechtlichen gedankens auch wol zu hilfe kommen kann: beide vereint 
hätten das falsche zeugnis wol entlarven und aus dem sprachgebrauche und 
dem rechte der wahrheit näher kommen können. aber diese ist uns 
jetzt durch Aristoteles (48, 3—5. 54, 2) gegeben: wir wollen bei der 
sache bleiben, von den modernen absehn und auch die angaben der lexico- 
graphen, die aus Aristoteles abgeleitet oder durch misverständnis seiner 
worte entstanden sind, sollen fortfallen. dagegen mag was ilın ergänzt und 
ohne weiteres sich einordnet, gleich mit vorgeführt werden: wir wissen 
ja, dafs er nur der reinste und reichste canal derselben überlieferung 
vom attischen staate ist. 


1) Fgm. 6 in unserer ausgabe. 


Aöyos. 


232 IL 12. Aöyos und eudwva, 


Jeder abtretende beamte, einerlei welcher kategorie, reicht seine 
rechnungen bei den logisten ein?); wo nicht, unterliegt er der anklage 
“wegen unterlassener rechnungsablage, &Aoylov”.”) die logisten, zehn 
erloste beamte, haben binnen 30 tagen‘) die rechnungen zu revidiren, 
was sie natürlich nicht als collegium tun, sondern in arbeitsteilung: 
daher gibt es mehrere bureaus, Aoyıorrgıa*), vermutlich 10. nach der 
revision lassen sie sich von den archonten die nötige anzahl gerichtshöfe 
zulosen, denen sie praesidiren‘®), während die von ihnen erhobenen 
anstände durch die ihnen beigegebenen 10 “anwälte”, ovymyogoı”), 
vertreten werden. nach diesen öffentlichen klägern kann aber jeder 
bürger als ankläger auftreten, wozu der herold des gerichtes durch 
proclamation auffordert.) ohne zweifel stellt schon jeder kläger die 
strafanträge nach malsgabe des gesetzes, welches durchaus nur geld- 
strafe kennt, die entsprechend der qualification als unterschlagung (xAorrr), 
bestechung (dwew»), amtsmisbrauch (@dıxiov), in den beiden ersten 
fällen in zehnfältigem, im letzten in einfachem betrage zu entrichten 
ist. übrigens haben die gesetze eine sehr grofse anzahl von geldstrafen 
für beamte, die dies oder jenes unterlassen, bereits fixirt, ia der sammt- 
gemeinde wie in den einzelgemeinden (Rede gg. Makart. 58), phratrien 
und überhaupt allen xoıva. - wer eine solche unterlassung nachweist, 
hat damit die höhe der strafe @dıxlov von selbst normirt. wenn die 
strafe nicht am verfalltage (in der neunten prytanie) gezahlt wird, so 
treten die legalen folgen ein, execution, schuldhaft, confiscation des 


2) Wer kein öflentliches geld verwaltet hat, gibt eine dahin gehende erklärung 
ab, Aisch. 3, 22. 

3) Lex. Cantabr. aAoyiov. 

4) Die frist gibt Harp. Aoyıarad. über die quelle seiner nachrichten und ihren 
irrtum vgl. I 7 anm. 82. 

5) Den plural gibt Harp. Aoyıoras mit belegen, von denen einer das erhaltene 
psephisma des Patrokleides (Andok. 1, 78) ist. da die nur je für eine phyle am- 
tirenden euthynen sich dieser ‘rechnungskammer’ bedienen, und da in der einzel- 
gemeinde nur ein logist ist (CIA II 578), so wird jede phyle ihr Aoysorrgo» ge- 
halten haben. 

6) Nach Phot. sau&vvas hätten die logisten die auslosung der richter selbst be- 
sorgt. dem grammatiker ist nicht bewufst gewesen, welchen widerspruch gegen 
attische praxis er damit behauptete; getäuscht hat ihn der vorsitz der logisten, 
während andere beamte die von eben diesen logisten erhobenen anklagen führten. 
beseitigt wird der irrtum durch Ar. 59, 1. 63, 1. 

7) Die beschränkung ihrer tätigkeit auf das avvnyogei» liegt im nameır der 
ovvryopoı. dazu stimmt das gemeindestatut von Myrrhinus CIA I 578. 

8) Aisch. 3, 26. 


Aöyon. 238 


vermögens, verlust der bürgerlichen rechte.°) der amtsmisbrauch (adt- 
xı09) der gelegentlich der rechnungsprüfung zu tage tritt, kann nur 
in unerlaubter oder gemeinschädlicher verwendung des öffentlichen geldes 
bestehn; er ist also das geringste und. demnach am gelindesten bestrafte 
vergehen. die richter sind an den strafantrag selbstverständlich nicht 
gebunden, da sie zuerst die schuldfrage absolut entscheiden und dann 
selbst abschätzen.'°) ihr-urteil ist wie immer entscheidend und inappellabel. 

Diebstahl, der in der griechischen terminologie von unterschlagung, 
auch an heiligem und öffentlichem gute, nicht unterschieden wird '°), und 
bestechung sind vergehen, die keineswegs blofs von beamten begangen 
werden können, also auch nicht blofs in den rechenschaftsprocessen ge- 
ahndet werden dürfen. insbesondere volksredner und richter sind der 
bestechung sehr ausgesetzt, daher gibt es eine besondere ygapn dwgw>, 
die bei den thesmotheten anhängig gemacht wird und bezeichnender 
weise neben der ovxopavriag steht (Ar. 59, 3). diebstahl an üffent- 
lichem oder heiligem gute kann in der groben form auftreten, dafs @rza- 
ywyn möglich ist, es kann die arroygagn gewählt werden; es hat aber 
ohne zweifel auch eine ygayn) dafür gegeben, obwol sie bei Aristoteles 
nicht vorkommt.'‘) das würde die logik des rechtes fordern, auch wenn 
keine concreten fälle bekannt sein sollten.'”) aber der unterschied zwi- 


9) Im gegensatze zu Aristoteles gibt Andokides 1, 74 an, dafs auf einer ver- 
urteillung doew» oder »Aonns atimie des schuldigen sammt seiner kinder stand, 
aber keine geldstrafe. xAonns und doew» nebeneinander führt auf den logisten- 
procefs; die evdvsas sind indessen in dem nächst vorhergehenden paragraphen er- 
wähnt. an eine änderung des rechtes nach 403 könnte man vielleicht denken, allein 
sie wird durch den process des Perikles ausgeschlossen, der wegen xÄorn zu einer 
geldstrafe verurteilt worden ist. wir werden also wol gezwungen sein, an die yoayai 
dwow» und xAorns zu denken, die sogleich zur besprechung kommen. aber be- 
fremdlich ist mir die sache auch so. wie soll man dem diebe seinen raub lassen? 
Deinarchos (1, 60) vermischt die strafe im rechenschaftsprocefs mit der der eisan- 
gelie, wenn er behauptet, dafs auf bestechung zehnfacher ersatz der bestechungs- 
summe oder der tod stünde. 

10) Aristot. pag. 38. am deutlichsten wird das verfahren durch Platons 
Apologie. 

11) Sie wird zu den klagen gehören, die cap. 59 fehlen, nämlich die der thes- 
motheten, für die kein succumbenzgeld eingezahlt wird. vgl. oben I 244. 

12) Demosthenes sagt zu Eubulos (19, 293) Kngısoyavra ygayıv isgav xen- 
narov Eliwxss si TeIaiv vorsgov Tusgaıs ini ziv rodnebav EYmxev dnta uväc. 
das ist eigentlich nur ein amisvergehn: dem schatze sind durch schuld des Kephi- 
sophon 3 lage zinsen entgangen. es ist also keine xAorr, für die Lipsius Att. Pr. 
445 die stelle anführt. die sache kann auch bei der suvdvusa anhäugig gemacht 
sein. Antiph. tetr. 1, a, 6 fingirt eine anklage xAon7s iegwv zenudtov, ohne zu 


sidvva. 


234 ll. 12. Aöyos und edyuva. 


schen beamten, gewesenen beamten und privaten wird dadurch mindestens 
verdunkelt. gerade gegen beamte aber hat die der magistratur gegen- 
über immer argwöhnische attische verfassung andere wege, die rascher 
und wirksamer zum ziele führen. die meisten behörden die gelder ver- 
walten stehen unter ratscontrolle, so dafs aus dem rate heraus ein straf- 
antrag in der form eines vorurleils (xarayywaıs) an die thesmotheten 
gehn kann. auch kann jeder bürger eine denuntiation (eioayyeAla) beim 
rate einreichen und so eine xazray»woıg desselben provociren.'*) die 
wichtigsten behörden unterliegen in der hauptversammlung jeder pry- 
tanie der bestätigung (rrıyeiporovia), und wenn jemand durch erhebung 
einer beschwerde ihre suspension erwirkt, so kommt die sache vor ge- 
richt. endlich liefsen sich alle schwereren fälle von unterschleif und 
bestechung durch eisangelie beim volke ahnden. 

Wenn die gerichtsverhandlung vor den logisten vorbei ist, ist die 
rechnung gelegt: Aoyog Ö&doraı. aber die rechenschaftsablage ist noch 
nicht erledigt. es folgt vielmehr die eigentliche eu9vve. diese hat mit 
dem gelde zunächst nichts zu tun, richtet sich vielmehr auf die ganze 
ausübung der in dem amte liegenden macht. deshalb wird die rechnungs- 
legung auch von solchen gefordert, die keine eöYvva leisten, z. b. dem 
rate des Areopages und dem der 500 für ihre geringen cassen, von den 
Zrzıueintal, d. h. den aufserordentlichen commissionen, den trierarchen 
u. dgl. umgekehrt kann die evJvva einem beamten, der gar kein geld 
verwaltet hat, noch sehr peinlich werden, z. b. den polizeibeamten, die 


‘ unter dem rate stehen. ganz scharf unterscheidet Lysias 24, 26 ovre 


xenuera Öteyeıploas ng rolswg Öldwuı Aöyor avıwv, OVTE aEnYy 
aobag ovdeulav eufvvag irceyw viv aurig. in der überwiegenden 
menge von fällen fand aber beides statt, in der reihenfolge, die Lysias 
auch angibt. wir fragen nun nach der evIuva des beamten. 

Der rat hat aus jeder seiner phylen einen euSvvog und zwei bei- 
sitzer ausgelost'‘), und diese müssen während der nächsten 3 tage nach 


bestimmen, ob der verklagte beamter war oder bei der sudvva belangt ward. Platon 
(Ges. XII anf.) unterscheidet xJonn dnuociov zxenuaro» von dem gewöhnlichen 
diebstahl und setzt für bürger unter allen umständen den tod darauf. aber das ist 
sein gedanke und zeigt in nichts anschlufs an das wirkliche recht. 

13) Ar. 45, 2. eine solche sio@yyelia beim rate wegen unterschlagung durch 
beamte hatte der sprecher von Antiphons sechster rede eingereicht, 35. 

14) Dafs es ratsherren waren, konnte man bisher gar nicht ahnen. es folgt 
aus dem zusammenhang der aristotelischen darstellung. dafs man da nicht an ver- 
wirrung denke, erwäge man, dafs der Aoyıorns die nyeuovia dıxacenelov hat, der 
svdvvos nicht. 


suduva. 235 


der gerichtsverhandlung über den Aoyog jedes beamten in den stunden 
des marktverkehrs'*) neben der statue ihres phylenheros sitzen und jede 
schriftlich von einem bürger eingereichte beschwerde gegen den beamten 
in empfang nehmen. der beschwerdeführer muls sich nennen und selbst- 
verständlich, wenn es zur gerichtlichen verhandlung kommt, seine sache 
führen; er hat die verpflichtung den strafantrag zu stellen'‘%), für den 
keine schranke gesetzt ist (örı xon massiv 7 amoreicaı). aber der 
euthynos ist nicht verpflichtet, jeder solchen beschwerde folge zu geben. 
er hat sie vielmehr zu prüfen, wozu ihm die beisitzer mitgegeben sind, 
und da er zu dieser prüfung einsicht mindestens in die acten der logisten 
bedarf, vor denen ja sehr vieles schon erledigt sein kann, so scheint es, 
dafs er sich mit den beisitzern zu dieser prüfung in die rechnungskammer 
der phyle begeben hat.’”) führt diese prüfung zur annahme der beschwerde, 
so vermerkt er seine xarayywaıg und gibt die privatsachen an die 


15) So kann man rais dyogais nur verstehn, einmal wegen der kurzen frist 
von 3 tagen (30 könnte man die ratsherrn doch wirklich nicht entbehren), sodann 
weil die gewöhnliche bedeutung der “phyletenekklesie” nicht möglich ist, da die 
euthynen auf dem athenischen markte neben den eponymen sitzen, während die 
phylen natürlich bei ihrem phylenheros zusammenkommen, da wo ihr archiv ist. 
— die lesung «[yoejais muls ich wie Kenyon als fast unzweifelhaft bezeichnen; 
evöivaıs hat nicht da gestanden und ist sachlich falsch; avadıxias erst recht. 

16) 48, 4 yoayas sis nıvanıov Aslevmusvov Tovvoua TO Ta avıov nal To ToV 
pevyovros xal To adimu 0 Tı av Eyxalıı xal rlunna E[mıygapölusvos. von dem 
letzten worte ist mir jetzt der erste buchstabe leidlich sicher auf dem facsimile, 
wie ihn Wyse nach Aisch. 1, 16 gefordert hatte. die formeln kehren wieder bei 
der gaass Poll. 8, 47 sdidooa» dv ypauuarsip ygayarres iv paoıw Ta I savrav 
xal TO Tov xgwouEvov Ovona TooGypayarres xal Tiunna drygayansvor. ob 
praesens oder aorist vorzuziehen sei, kann ich nicht sagen. in & 5 ist mir unfals- 
bar, wie Blals zois ara dnul[ovs Tois] nv @., in der folgenden Fsauoderalıs ava- 
yleapsı lesen will: das erste haben wir als zu lang, das zweite als zu kurz mit 
überlegung verworfen. dagegen hatte ich die notwendigkeit, in der vorletzten zeile 
des capitels mehr zu ergänzen, auch bemerkt und billige seine ergänzung malır 
sigdyovos [Tavımw nV s]uduvar, 

17) Psephisma des Patrokleides 78 How» sufvsal Tıves sicı xarsyvaousvaı 
dv Tois Aoyıornploıs uno av sidivwv xal Toy napsdpmv, 7 unnw slanyudvas 
sis To Öixaarıgıov yoapal tivss alcı nepl Toy sudvsov. die ersten sind solche, 
gegen die beschwerden zwar von den euthynen angenommen sind, aber noch nicht 
weiter gegeben, die zweiten solche, gegen die beschwerden von den euthynen an 
die thesmotheten weiter gegeben sind, auch von diesen schon angenommen, aber 
noch nicht zur verhandlung gebracht. die vor den logisten verurteilten befinden 
sich vielleicht unter den azsuos vgl. anm. 9. die stelle stimmt also zu Aristoteles 
und wird erst jetzt ganz klar: so mufs man die erwähnung der Aoysorngıa im ein- 
klange mit ihm erläutern. 


236 I. 12. Aöyos und susvva. 


seiner phyle angehörigen mitglieder der demenrichter, die sie dann den 
ordnungsmälsigen weg gehen lassen, so dafs also die bagatellsachen von 
ihnen kurzer band entschieden werden, sonst zunächst ein schiedsrichter 
gesetzt wird. die öffentlichen sachen kommen den thesmotheten zu'®), 
diese aber haben wieder das recht ungeeignete beschwerden ohne wei- 
teres unter den tisch fallen zu lassen. der so möglicherweise geschädigte 
beschwerdeführer konnte dann nur noch den weg der beschwerde gegen 
die thesmotheten beschreiten oder als bittlehender in der dafür be- 
stimmten volksversammlung vor dem volke auftreten. nehmen die thes- 
motheten aber die beschwerde an, so instruiren sie den procefs, und 
erst mit dem erkenntnisse dieses gerichtes hat die sache ein ende, und 
ist der ürzeusvvog frei von den beschränkungen seiner wartezeit'”): 
Aoyov xal euduvag Ökduner. 

In diesen formeln hat sich der unterschied der rechnunglegung vor 
dem gerichte und den “rechnern’ einerseits, der “correctur’ von amtsver- 
fehlungen auf grund der beschwerde beim “corrector” immer erhalten.”®) 
die sprache läfst auch an sich keinen zweifel. Aoyog Aoyıorrg Aoylteodar, 
Aoyov Eyyoagysodaı, vVrroonualveo$aı, das geht alles die schriftliche 
rechnung an. euSvvog ist der, der die oxoALei HEuroreg gerade macht, 
evyvva ist zunächst die procedur dieses gerademachens, doch nicht von 
seiten des “correctors aus, sondern dessen, der sich der prüfung auf 
die geradheit unterzieht, eiYvvav dldwoıv oder vrueyeı; erst weiles meist 
zur ausgleichung des geldes bedarf, heifst eiYvr« auch geldstrafe. 

Aber eben so sehr war es unvermeidlich, dafs man die gesammte 
procedur, der ein abtretender beamter sich unterwerfen mufste, mit 


18) Diese stelle ist noch nicht erledigt, da Kenyon und Blafs zu wenig, wir 
zu viel ergänzt zu haben scheinen. vgl. anm. 16 

19) Aisch. 3, 21. wie man sich denken soll, dafs Aischines drei jahre lang 
verhindert gewesen sein soll zu verreisen, zu tesliren, eine weihung vorzunehmen 
und geld ins ausland zu bringen, weil sein procefs verschleppt ward, ist mir unver- 
ständlich. 

20) Aisch. 3, 12 mei koyor, ngiv sußvvas dovvas. CIA II 444, 20 (vom jahre 
164/3) nepi anavyıav MV GKOVOHNKEV ANEvivoreV koyovs sis To unTe@ov xad 706 
zovs Aoyıaras xal Tas suduvas dsdmoxes. Gorgias Palam. 28 dv vuiv Aoyow xal 
EU rivas VIEW TOV Napoıxousvov Biov ist also nicht gut gesagt, denn von einem 
rechnunglegen ist bei Palamedes keine rede. wenn diese rede von Gorgias ist (was ich 
nicht wie bei der Helene mit zuversicht leugnen kann), so hat der ausländer eine attische 
rechtliche formel nicht ganz correct gebraucht. Aöyo» vneyew ‘rede stehen” für 
etwas, z. b. für eine behauptung die man hingeworfen hat, ist freilich gewöhnlich, 
aber das kann es neben suSivas vregsıv nicht sein. dals Aoyo» unexew Tov Biov 
bei dem falschen Andokides 4, 37 steht, sei für den Palamedes noch bemerkt, 


sudvva. 237 


einem kurzen worte bezeichnete. und dafs sowol A0yo» wie euIurag 
dıdovası im leben gesagt ward ohne das complement auszuschlielsen, 
vollends aber für die befristung drreıdav rag evFuvag din stehend ward: 
das war ja der schlufsact.) wenn er in der formel notwendig vorwog, 
so tat es in der praxis eben so notwendig die erste gerichtsverhandlung 
vor den logisten. denn das war gleich die erste gelegenheit, wo der 
angriff losgehen konnte, da war mündliches verfahren, da safsen die 
souveränen richter und liefs sich schleunigst ein urteil erstreiten. wie 
sollte dem gegenüber der weitläufige instanzenzug des euthynenverfahrens 
reizen? die privaten mochten allerdings von ihm notgedrungen ge- 
brauch machen ; davon hören wir kaum etwas. für die haupt- und staats- 
processe war der weg der eisangelie beim volke wirksamer und beliebter; 
nur selten mag jemand den vorteil, auch leibesstrafen beantragen zu 
können, durch die weiterungen des verfahrens bei dem euthynos er- 
kauft haben. man kann allerdings auch nicht verbürgen, dafs die Athener 
das recht sorgfältig gewahrt haben und nicht etwa auch in logistenver- 
handlungen strafanträge auf tod zugelassen oder gar zuerkannt haben, 
seitdem die amtsführung, nicht blofs die rechnungsführung hineingezogen 
ward, wozu die bufsen «@dıxlov veranlassung boten. tatsache ist, dals 
die meisten schweren anklagen im vierten jahrlıundert durch eisangelie 
erhoben sind, die logisten manchmal erwähnt werden, die euthynen nur 
einmal, in einem volksbeschlusse, dessen antragsteller die alte formel 
nicht ohne unklarheit verwendet.) aber die gesandtischaftsreden der 
beiden grofsen redner sind vielleicht vor den thesmotheten gehalten, also 
auf dem wege einer von Demosthenes (und vorher auch von Timarchos) 
eingereichten denuntiation bei dem euthynos.?) 


21) Doch findet sich natürlich auch dnesda» Aoyov xal svduvas dp Aisch. 3, 11. 

22) CIA II 8096 da» dd zıs un noroa ols Exaoıa neoCTsrartaı 7, apymw 7] 
idıarns nara Töds TO yrpıoua, Opelero 6 un norcas uvolas Ögayuas iepas ji 
A9nväı nal 6 suFvvos xal oi nagedgoı dnavayaıs auTay xarayıyr aoxövıav ı 
avrol opeılövrov. vorgeschrieben ist also, dafs der euthynos jede beschwerde un- 
bedingt annehmen mufs, also das recht der vorprüfung verliert. verständlich ist 
das auch erst durch des aristotelische capitel. wie ein privatmann beim euthynos 
denunzirt werden konnte, ist allerdings unverständlich. der ganze tenor klingt sehr 
archaisch, und die ganze coloniegründung, zu der dieses psephisma gehört, ist ein 
ausflufs der Iykurgischen restaurationspolitik. so dürfte auch hier die formel eben 
nur formel sein. 

23) Die landläufige ansicht, dafs die logisten vorsafsen, ist mit Dem. 19, 211 
nicht bewiesen: da steht nur, dafs Aischines vor den logisten das Adyov dıddvau 
der zweiten gesandschaft verhindern wollte, da sie ja schon eudvwas dedwxörss 
wären. die formeln werden so unterschieden. ob Aischines dann Aöyow dedaxe, 


238 ll. 12. Aöyos und sudvva. 


Im fünften jahrhundert bestehen beide prüfungen in voller kraft 
neben einander *'), insbesondere sind der euthynos und seine beisitzer 
-in lebhafter tätigkeit. aber die Iogisten haben daneben eine andere 
aufgabe, die lediglich rechnerische, wenn es gilt die quoten der tribute 
oder die zinsen der staatsanleihen u. dgl. zu berechnen.) dem ent- 
sprechend ist ihre zahl nicht 10 sondern 30.%) es liegt in der natur 


läfst Demosthenes eben so unentschieden, wie beide über den vorsitzenden beamten 
schweigen. es ist kaum auszudenken, wie die logisten vorsitzen sollten: welche 
denn? die vom jahre des Themistokles oder die vom jahre des Pythodotos? da 
die logisten doch eine sachliche prüfung der rechnungen vornehmen sollen, ist 
bei ihnen die überweisung einer anhängigen sache an ihre nachfolger viel we- 
niger glaublich als bei lediglich formell tätigen gerichtsvorständen. wo bleiben 
aufserdem die synegoren? und da es sich um geld wirklich nicht handelte, konnte 
der Aöyos des Aischines immer schon abgemacht sein, ohne dafs die hauptsache 
damit erledigt war. Demosthenes redet aber immer von tod und alimie als strafe, 
beide immer von evdvsaı, und man kann nur eine schriftlich formulirte an- 
klageschrift annehmen, wie man auch immer getan hat. im logistenprocels fordert 
der herold zum reden auf, fällt die yoagn also fort. alles palst also zu dem 
verfahren vor den thesmotheten auf grund einer beschwerdeschrift beim euthynos. 
aber immerhin wird der euthynos auch nirgend erwähnt, und man muls überhaupt 
die reden ein par mal durchlesen und neun zehntel als ungehörig absondern, um sich 
den rechtsfall klar zu machen, und dann tut man etwas was weder richter noch 
redner gewollt noch getan haben. hier wie bei dem processe des Demosthenes 330 
ist die verschleppung unverständlich, ist der rechtshandel ganz nebensache geworden. 
das politische duell geht um den einfluls bei dem souverän, wie zwischen dem 
Paphlagonier und dem Wursthändler; und das oratorische duell um die gunst des 
publicums überwiegt alles andere. der rechtliche malsstab (nach dem Demosthenes 
in beiden fällen unterliegen müfste) und der moralische (nach dem der tugendstolz 
des Aischines noch unerträglicher ist als die gehässigkeit des Demosthenes) sind 
beide unberechtigt, da sie den rednern und den richtern ganz fern gelegen haben. 

24) Deutlich insbesondere das gesetz über die schalzmeister der andern götter 
CIA 1 32 xai Aoyo» dudörtwv nıpos rows Aoyıoras, xal sudivas didostwv, xal dx 
Ilavadıvaiaw sis Ilavadı,vara 10» Aoyo» diööovrov. die etatsperiode ist vier- 
jährig: die sudvr«@ natürlich jährig. CIA IV p. 63 (n. 34) ist von Schöll sicher 
hergestellt hoarıs d’ av An — — — Toiv] avaxoıy E ngoregov E— — — dyyolapor- 
zov arzov hos hıleponowi — —, Toll» avaxoıw E evdvvöc|dov] u[voiacı dpaxpscı 
hexaoros" ho dä evrdvros xal ho] naphsögos xarlayı]yvolsxöstov avzo Endavayxes 
! arroi öplörrwv. die opfercommission ist bei strafe verpflichtet gegen einen zur 
zeit uns noch unbekannten beamten eine beschwerdeschrift bei dem euthynos ein- 
zureichen, und dieser darf sie nicht unberücksichtigt lassen. 

25) CIA 1 32. 226 fig. 273; 1896 ist unverständlich. 

26) CIA 1 32, die berufenen oi Aoyıaral 0 TeLaxovra oinee vor u. ö. die ver- 
suche zwischen den 30 und den späteren 10 zu vermitteln sind alle gescheitert; es 
liegt auch gar keine veranlassung vor mehr zu wollen als die verminderung der 
zehl zu constatiren. 


evdvva. alter der beiden formen der rechenschaft. 239 


der ganzen finanzverwaltung, dafs sie diese arbeiten im auftrage des 
rates vornehmen”): wie sollten sie auch anders zu den acten kommen, 
an wen anders die rechnungen abgeben ? die gesammten finanzbehörden 
handeln ja nur im einverständnis und auf grund einer ermächtigung des 
rates, der allein initiative hat. dafs man 403 die zahl der logisten ver- 
ringerte, geschah in der richtigen einsicht, dafs sie auch nicht von fern 
so viel wie früher zu berechnen hatten; so giengen ja auch die schatz- 
meisterstellen der anderen gütler ein.®) von den veränderungen der 
späteren zeit ist noch bemerkenswert, dafs die rechnungen in duplo aus- 
zufertigen waren, und ein exemplar in das archiv kam.?”) 

Logisten und Euthynen gehören beide der grolsen zeit des attischen 
demokratie an: wir können sie nicht für jünger als die kleisthenische 
organisation ansehen, kehren sie doch auch beide in der einzelgemeinde 
wieder.) und doch kommen sie dem modernen wie dubletten vor. es 


27) CIA 1 32 ovvayoyıns to» Aoyıorwv n Bovin alroxparwp Karo. 

28) Über die zahl der ov»ryogos im fünften jahrhundert wissen wir nichts; 
sicher ist nur, dafs ihre stellung ebenfalls eine andere war als im vierten. 

29) Aisch. 3, 15 Aöyow xal suduvas dyypapsıy NEÖS TV ygaunarea xal ToLs 
loyıoras. CIA 11444 Aoyov dedwxsv eis Tö umtogov xal nos Tois Aoyıaras. der 
schreiber hat eben die aufsicht im metroon. so kann denn der euthynos die acten 
im melroon eben so gut wie im logisterion einsehen, und selbst die verhandlung 
gegen Lykurg ist dort geführt. Ps. Piutarch vita Lyc. 842°. da sieht man die 
centralisation der archivverwaltung, sieht auch, dafs wirklich das metroon ratsarchiv 
gewesen und geblieben ist. nur ist zwischen rat und volk, also auch staat, kein 
unterschied. die archive der einzelnen beamten bestanden daneben und blieben be- 
stehn; nur kamen immer mehr documente, teils im original, teils in copien in das 
metroon. dafs die anklageschriften aufgehoben wurden und sich 600 jahre erhielten, 
glaube ich freilich einem Favorinus nicht, 

30) Wichtig würde CGIA Il 571 sein, wenn es sich ergänzen lielse; es wird 
nach Aixone oder Adal gehören. — rovs Taplas To» Auylo» — — — raw Änuuarwr] 
xal rwv avalaudınmy 8 — — Eir) xıBarov xara Toy unva [Exaczov?] und später 
as dd udtvas — — Er To Torspp Frei no0 [ts — ToV —] @vos unvös. und später 
&Eooxovra [BE 6 druapxos — Tov süjdvrov xal ots na[pedoovs. da sind jeden- 
falls zwei acte, Avyos noch im amtsjahr; es scheint, dafs die rechnungen in eine 
kiste geworfen werden sollen, im neuen jahre die sudvva stattfindet. 11 578 schwört 
der euthynos zu Myrrhinus gerecht zu schätzen: er hat also dazu wie der staatliche 
das recht. ihm ist verwehrt &5eÄeiv rn» dixmv, wenn nicht die majorität der zehn von 
der gemeinde gewählten männer in geheimer abstimmung sich dahin entschieden hat. 
das mufs also das verwerfen der beschwerde sein, die er aus dem kasten nimmt 
und damit cassirt. in Myrrhinus gibt es keine beisitzer; für sie tritt ein zehner- 
collegium ein; sie schwören yvrgusiodas ü av uos doxmı Öıxassrara slvas: sie stehn 
also auch dem euthynos zur seite. — beiläufig z. 25 scheint mir die corruptel eher 
so zu heilen neiv av dalı ras d(yy)ias als s|ju(lFu»)as. in der constituirenden ver- 


Alter der 
eiden for- 
men der 
rechen- 
schaft. 


240 Il. 12. Aöyos und sidvva. 


ist darum nötig, sich ihre stellung in dem organismus der verfassung 
klar zu machen. | 

Die finanzen der demokratie besorgt der rat; so weit beamte daran 
beteiligt sind, stehn sie unter ihm. die einnahmen des staates kommen 
in der gestalt von pachtgeldern ein, sind also fest und auf bestimmte 
termine fällig. der besitz des staates, die grundstücke, häuser, berg- 
werke u. s. w. sind verpachtet, ebenso die zülle und die steuern (wenig- 
stens alle beträchtlichen‘), und diese verpachtungen besorgt zwar eine 
eigene behörde, die danach heilst (zwAnzai), aber es geschieht im rat- 
haus, unter assistenz, zuweilen sogar auf beschlufs des rates, und die con- 
tracte sind in der verwahrung des rates. die verpachtung des vom staate 
verwalteten kirchengutes wird zwar von dem könige selbständig besorgt; 
aber er übergibt dem rate den contract und hat weiter nichts damit zu 
schaffen; auch diese einnahme ist eine feste staatseinnahme.?”) ein über- 
schlag der sichern einnahmen ist also sehr gut möglich, ganz ebenso 
einer der laufenden ausgaben:: also ein budget, und in gewissem sinne 
hat es in Iykurgischer zeit wenigstens bestanden.”) aber die geldver- 
waltung ist auch so organisirt, dafs sie sich einfach und sicher leisten 
liefs. die zahlungen an den staat finden im rathause an wenigen be- 
stimmten terminen statt, die meisten in der neunten prytanie, mitte mai.”) 


sammlung, wo der neue demarch die geschäfte übernimmt und die rechenschafts- 
beamten vereidigt, kann nicht wol die euthyna des alten demarchen schon perfect 
werden: aber bürgen kann er stellen, als vunsustuwos, wie in der verfassung Drakons. 
CIA I 2 von Skambonidai lehrt nichts besonderes ; ein gemeindebeamter, der öffent- 
liches gut verwaltet, soll in bestimmter frist das angemessene an den euthynos abgeben. 

31) Ob nicht z. b. das ayopasrıxdv direct von den steuerpflichtigen an die 
behörde gezahlt ward, stehe dahin. 

32) Es folgt, dafs dieses kirchengut einmal saecularisirt ist, indem der staat 
mit den einkünften die verpflichtung für die unterhaltung des cultes und seiner ge- 
bäude übernahm: CIA IV p. 66 fliefst allerdings das pachtgeld des Neleus u. 8. w. 
auf dem umweg über die apodekten ungeschmälert in den schatz der andern götter; 
die unterhaltungskosten werden vorweg von der tempelcasse bestritten, die ohne 
zweifel auch andere einnahmen hatte (die umzäunung soll &x Tov rausvovs besorgt 
werden). mit aufhebung jenes schatzes mulste das geld natürlich staatsgeld werden. 

33) Das folgt aus den festen posten der ausgabe, wie den xara ynplaspara 
avalıoxöusva ı& Önup, oder den fünf talenten für die isp@v drrıoxevasrad, denen 
der einnahme, wie den dsxa ralavra ww Eevav, und aus dem npo0vouoFerraas 
als ausdruck für die creirung eines neuen postens unter den laufenden ausgaben. 

34) Das ist also die zeit, wo die neue ernte beginnt; es entspricht dem land- 
wirtschaftlichen rechnungsjahre bei uns, das mit johanni schliefst: die grundlage für 
diese verhältnisse hat eben die wirtschaft der domänenpächter gebildet, und zwar 
als der landbau wesentlich in cerealien bestand. 


Alter der beiden formen der rechenschaft. 241 


die vereinahmung besorgen die 10 einnehmer, &rzoö&xtaı, auf grund der 
contracte, die vorher im rate festgestellt sind. nun ist die casse voll; 
schon am folgenden tage wird sie geleert. denn da haben die einnehmer 
einen anschlag für die verteilung der gelder unter die beamten im rate 
vorzulegen und genehmigen zu lassen, wobei alle einzelnen monita berück- 
sichtigt werden können, nötigenfalls durch eine xarayvywaıg zng BovAng. 
sie würden hierzu nicht im stande sein, wenn nicht die forderungen der 
beamten vorlägen. aber diesen steht ein ratsausschuls von 10 calcula- 
toren, Aoyıoral“), zur seite, welche für sie die rechnungen führen, so 
dafs die bedürfnisse längst bekannt sind, übrigens zum teil durch ge- 
setze oder specielle zahlungsanweisungen vom volke vorab fixirt. so ist 
um den 26 Thargelion der grofse cassenumschlag in Athen. da kommen 
die steuerpächter und die bergwerkbesitzer, die domänenpächter und die 
staatsschuldner: sie alle müssen bar geld aufgetrieben haben, und ein 
gewaltiger schatz liegt an dem abend des zahlungstages der neunten 
prylanie im rathause. aber nur eine kurze nacht. schon am folgenden 
tage Nliefst der strom wieder ab und verteilt sich unter das volk. jetzt 
bekommen die bauern, die das opfervieh gestellt haben, die steinmetzen, 
die die inschriftsteine geliefert haben, ihre bezahlung, handwerker und 
kaufleute, die für die einzelnen behörden tätig gewesen sind, werden 
befriedigt; man mag sich das weiter ausmalen. in kleineren verhält- 
nissen ist dasselbe an dem zahlungstage jeder prytanie der fall, wo auch 
viele gehälter und pensionen abgehoben sein müssen.*) in sehr sinn- 


35) Ar. 48,3. Lys. 30,5 oi usw» alles 175 avımv apyns ara nrovrayslay 
Aoyov avagsgovos (früher falsch auf die epicheirotonie gedeutet). Poll. 8, 99. wenn 
derselbe 100 sagt oi dd suduwos aonap oi nägedgoı Tois dvvia dpyovos ngoGas- 
geotvras, so sieht man noch die verwirrung, da ursprünglich gesagt war, dafs die 
euthynen worsg od F’ üpxovres B’ napddgovs npooaıpoüvras. was folgt ovros 8’ 
sionga0oovsı xal rovs dxovras ist bis zur einnlosigkeit entstellt. schol. Plat. Ges, 
12, 945 stammt aus dem vollständigeren Pollux oder aus seiner vorlage, ist aber um 
nichts besser sudvvol siaıy öpxowıds rıves oi Tas sudvvas Aaußavorss napa ray 
aezöovıav Jarep xal oi Aoyıoral“ xal nüpadpoı dp’ dxdsen ag (al yap zo äg- 
xovrı suvduvos 7v xal nagedpos xal ro Bacılsi duolws nal ro noÄsuaegxp al Tois 
Heauodsrars.) dungacası di 6 audvvos da Tas apxie 7; nooordsansas pls» Tıvas 
sis To Önuosiov. dafs die wagadeos der 3 archonten die drssßoAas und was sonst 
die archonten rechtskräftig an bufsen verhängen konnten, beizutreiben hatten, ist 
an sich möglich; aber ein so verwirrtes zeugnis kann überhaupt nichts beweisen. 

36) Die invaliden und die etaalspensionäre wie Peisitheides (CIA II 115b), von 
dem es ausdrücklich gesagt wird, haben so ihr auf den tag berechnetes geld er- 
halten. vermutlich doch auch die ratsherren und die bezahlten beamten, so weit 
sie ortsanwesend waren, insbesondere die subalternen, freie und sclaven. für 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 16 


242 II. 12. 46yos und süduvo. 


fälliger weise hat sich dabei herausgestellt, ob der ordentliche etat des 
staates?”) balancirte. ein staatsschatz wie im fünften jahrhundert bestand 
nicht mehr, wenn auch die staatsgelder bei der götlin deponirt waren.) 
an seiner statt mulsten die cassen der spielgelder und der kriegsgelder 
die überschüsse aufnehmen oder das deficit decken. 

Wer sich diesen geschäftsgang klar macht, mufs einsehen, dafs die 
behörden, die mit den staatsgeldern zu tun haben, allesammt sehr wenig 
“ zu besagen haben”) und der initiative ermangeln. der rat ganz aus- 
schliefslich ist für die finanzverwaltung verantwortlich. es ist also durch- 
aus berechtigt, dafs die beamten unter ilım stehn und beschwerden über 
sie während des jahres an ihn gehn (46, 2). es ist aber eben so not- 
wendig, dafs neben ihm eine unabhängige rechenkammer besteht, welche 
nach ablauf des jahres die ganze verwaltung prüft, aber natürlich über 
den ausschufs des volkes nicht selbst entscheiden kann. dazu ist nur 
sein auftraggeber das volk competent, und es entscheidet in der ıdeellen 
vertretung seiner gesammtheit, die ein heliastisches gericht bildet. somit 
sind die logisten ein ganz unentbehrliches glied in dem organismus der 
ausgebildeten demokratie, die wir nach Kleisthenes nennen dürfen, einerlei 
ob sie 507 oder ein par jahr später ins leben gerufen sind.) sie setzen 


die sehr starken bedürfnisse an heliasten und ekklesiastensold mulste freilich vor- 
sorge getroffen sein, dafs er täglich zur verfügung stand. das fünfte jahrhundert 
hatte für den ersteren, den es allein kannte, die aus unbekannten quellen gespeiste 
kolakretencasse, die selbst für bauten noch überschüsse abwarf. das vierte hat sie 
zu gunsten der allgemeinen staatscasse aufgehoben; woher und wie der richtersold 
gezahlt ward, wird aufklären, wer die reste des vierten rouos ergänzen kann. wie 
die diobelie gezahlt ward, darüber vgl. das betreffende capitel. 

37) dyauxisos Ösoixncıs Ar. 43,1. richtig ergänzt von Dittenberger in CIA U 
117,9. 

38) Ar. 44,1. 47,1. da der obmann des rates den schlüssel hat, so ist das 
anderes geld als die cassen für Ysopısa und oreazswrixa. denn die reformen des 
Eubulos und Lykurgos haben diese vom rate emanzipirt. da die casse des zweiten 
seebundes keine besonderen verwalter hat, ist die scheidung von Reichs- und Staats- 
casse aufgegeben, die das fünfte jahrhundert in der guten zeit eingeführt, aber 
schon vor 411 der not weichend nicht mehr behauptet hatte. 

39) Die rauias und dAinvorauias des fünften jahrhunderts hatten so grofse 
schätze unter sich, dafs dadurch ihre bedeutung und insbesondere ihre verantwortung 
gröfser war. aber selbständiger sind sie gewifs nicht gewesen ; denn die demokraten 
vertrauten damals ihrem ausschusse, dem rate, vollkommen. 

40) Dafs sie seit 454 die procente der wirklich eingegangenen tribute be- 
rechnet haben, kann man nicht bezweifeln. 462/1 erst ist der Areopag in seiner 
verwaltungstätigkeit beschränkt: nicht leicht würde man glauben, dafs die logisten 
in der zwischenzeit geschaffen wären. 


Alter der beiden formen der rechenschaft. suduva argarıyor. 243 


die ausgebildete volksherrschaft durch rat und gerichte voraus, setzen 
auch eine vollkommen schriftliche staatsverwaltung voraus: das wird 
man der themistokleischen zeit geru, schwerlich der solonischen zu- 
trauen. 

Einen total verschiedenen charakter trägt die evIvva der beamten. 
dafs der beamte örrevdvvog ist, mandatar des souveränen volkswillens, 
darin liegt die herrschaft des volkes. dadurch hat Solon die demokratie 
begründet, und Aristoteles, der dies nachdrücklichst hervorhebt, erklärt 
die euthyna schlechthin für unerläfslich. aber er sagt nicht, wie sie von 
Solon angeordnet war. da tritt nun die schilderung der verhandlung 
vor dem euthynos ein. dieser mit seinen zwei beisitzern ist ein analogon 
des archons, der vor Solon das recht des ev$uveıv, des strafens hat. 
aber er ist ein mitglied des aus der sammtgemeinde durch das los auf 
praesentation der unterabteilungen ausgewählten rates. dafs wir bisher 
weder sicher wissen, in welcher weise vor Kleisthenes der rat aus den 
unterabteilungen der phylen besetzt ward, noch das zahlenverhältnis 
seiner ausschüsse und der phylenweise besetzten collegien kennen, beein- 
trächtigt die hauptsache nicht, dafs ein “volksvertreter” die prüfung der 
beschwerden über die abtretenden beamten für seine phyle vornimmt. 
und wenn wir auch nicht wissen, wie die civilklagen vor der einsetzung 
der demenrichter entschieden sind, so bleibt doch das für die solonische 
ordnung, dafs der euthynos die ihm billig scheinenden öffentlichen be- 
schwerden dem thesmotheten zur gerichtlichen verhandlung überweisen 
kann. mag auch der thesmothet noch das recht der abwerfung haben: 
bei einem starken druck des volkswillens konnte er dies recht nicht 
leicht ausüben, und damit war die sache vor dem volksgericht. gerade 
in den mannigfachen cautelen, welche noch die appellation an das gericht 
beschränken, erkennt man, dafs hier eine institution vorliegt, die so alt 
ist wie die demokratie; wie ja auch die procedur selbst höchst alter- 
tümlich ist. sehr begreiflich also, dafs das vierte jahrhundert den umweg 
scheute und die euthyna zu gunsten der anklage vor dem logistengerichte 
verkümmern liefs. beschwerdeinstanz gegen die beamten ist in der ver- 
fassung Drakons der Areopag, und das ist er bis 462 geblieben; es liegt 
in seiner competenz der nomophylakie. das ergibt zwar für die zeit der 
zwei räte auch zwei beschwerdeinstanzen nebeneinander. aber deshalb 
ist es nicht unglaublich, im gegenteil, es ist eine notwendige folge davon, 
dafs neben den senat eine volksvertretung gesetzt war. 

Ganz scharf hebt sich von diesem regelmäfsigen gange die rechen- 


schaft der strategen ab, die von den thesmotheten vor gericht gebracht 
16* 


244 I. 12. Aöyos und södwsa. 


wird (59, 2).”) was das bedeutet ist jetzt ganz klar. für dieses verant- 
wortungsvollste amt ist der umweg über den euthynos vermieden und 
generell verordnet, was in andern fällen durch die specielle bestimmung 
bewirkt wird, dafs der euthynos jede beschwerde annehmen und durch 

. seine xazayywoıg vor die thesmotheten bringen mulste. es ist auch der 
willkür der thesmotheten die niederschlagung einer beschwerde entrückt. 
das volk selbst euv$uveı, d. h. die heliasten die es vertreten. ob nun wie 
vor dem ev$vvoc eine schriftliche beschwerde einzureichen war, ob münd- 
liche verhandlung auf heroldsruf wie vor den logisten, macht nichts aus; 
so viel ist sofort klar, dafs in diesem falle Adyoc und suUIvya einander 
so nahe berühren, dafs es eine doppelte verhandlung gegeben hätte, und 
wenn die Athener praktisch gewesen sind, so haben sie die logisten in 
diesem falle nicht bemüht, oder höchstens zum nachrechnen, aber dann 
würde man das eingreifen eines Ovynyogog in solchen processen er- 
warten. 

- Der hunde- Wir kennen nur ein komisches bild einer orgazny@y evdvra in 

By esnen. “ dem hundeprocess der Wespen. dafs Laches von Kleon wegen erpressung 
belangt werden soll, sagt der chor 240, und der dichter hat so den 
process, den Philokleon in wahrheit versäumt, im spiele entscheidet, selbst 
angegeben. der process wird von Kleon geführt, den vorsitz hat der 
thesmothet (935), es handelt sich um xAorrn zu ungunsten des staates 
und besonders der flottensoldaten (917, 909), das vergehen ist schätzbar, 
und der unwillige richter ruft “ich wollte, nicht mal schreiben hätte er 
gelernt, damit er nicht seine rechnungen gefälscht hätte, {ya un xaxove- 
yuy Eveypap” Hutv vov Aöyov, 961.” “) das ist also ein rechenschafts- 
process, aber mit einer anklageschrift und unter vorsitz des thesmo- 
theten. 

Laches war feldherr 427/26, ist aber erst im frühjahr 425 heim- 
gekehrt. denn erst eine gesandschaft von dem sicilischen kriegsschauplatze, 
im winter 426/5, bewog die Athener verstärkungen dorthin abgehen zu 
lassen, und trotz der jahreszeit mufste Pythodoros wenigstens den Laches 


41) Ich ersetze mit dieser behandlung meine frühere, Kydath. 60; mein haupt- 
fehler war, die dnrsyssgorowia für jung zu halten. 

42) Cobet decretirt freilich (Var. Lect. 104) corrige sades äygapey pro bws- 
yeap’, nisi quid sit Aoyov &yypayan in tali re expedire potes. und Meineke ist 
dem befehl gehorsam gewesen. andere werden sich wundern, dafs der hund ein 
logograph gewesen sein soll. was Adyow dyygaysım bedeute, konnte Cobet z. b. aus 
Demosth. 24, 199 lernen. verstanden bat es allerdings auch der scholiast nicht, und 
dem ist sogar Droysen gefolgt. 


Der hundeprocefs der Wespen. der procels des Perikles. 245 


sofort ablösen (Thuk. 3, 115). Laches verschwindet darauf für ein par 
jahre von der politischen bühne. man würde auch ohne Aristophanes 
annehmen, dafs er auf jene gesandtschaft hin in ungnade abberufen ist, 
und da diese nicht vor dem spätherbst 426 in Athen eingetroffen ist, so 
wird man schliefsen, dafs Laches 426/5 zum strategen wiedergewählt, 
aber abgesetzt ward.) die apocheirotonie ergibt genau dasselbe ge- 
richtliche verfahren wie die euthyna der strategen, und jeder andere 
weg auch, der ein vorurteil des volkes herbeiführt. der svgoorarng Tov 
Önuov, der die sache im volke angeregt hatte, ist von diesem zum an- 
kläger ernannt, wie Perikles in dem analogen falle bei der evSuva des 
Kimon. nun dürfen wir mit zuversicht sagen, dafs Aristophanes, als er 
423 die Wespen dichtete, den process von 425, der mit der freisprechung 
des Laches endete, vor augen hatte.“) für die rechenschaft der strategen 
ist übrigens die fiction des zeitgenössischen dichters genau so beweisend 
wie der einzelne reale fall. 

Noch ein zweiter vielbehandelter procels kann nun völlig klar ge- Der procefs 
stellt werden.“) Perikles ist 15 jahre hinter einander stratege gewesen. 
aber im sommer 430 brach unter dem eindrucke des zweiten einfalls der 
Peloponnesier und der pest sein einfluls zusammen. er ward abgesetzt 
und das volk beriet über die behandlung seines processes. man zog ihn 
‘zur rechenschaft’, evYivag 2öldov. in der versammlung stellte Spar 
xovzlöns Acwyogov Ooparevg“) den antrag, seine rechnungen sollten 


43) Beloch (Att. Polit. 337), der sonst richtig urteilt, nur über die parleien, 
wie meistens, zu viel weifs, läfst Laches über sein amtsjahr hinaus [ungiren. ge- 
wifs ist das möglich; aber dann würde man seine ablösung früher erwarten als im 
december. 

44) Das führt weiter; die parodie des processes zwischen Kleon und Laches 
als hundeprocels vor dem ®sAo-xAsov, der von Böeiv-xAsow überlistet wird und so 
die gestrenge heliaea und den Kleon zugleich blamirt, ist die keimzelle der komoedie. 
Aristophanes hat sie 425 coneipirt, in der zeit des lebhaften hasses wider Kleon, 
der in den namen noch durchbricht, im stücke sonst nicht mehr wirkt. damals 
hatte er keine zeit, die idee auszuführen, und als er es tat, in stark veränderter 
stimmung nach dem miserfolge der Wolken, ist alles vortreffllich ausgefallen was aus 
diesem keime gewachsen ist; alles andere ist ziemlich eilfertig angeflickt. für die 
analyse des gedichtes und die beurteilung der art, wie dieser dichter schuf, ist das 
exempel sehr belehrend. der gedanke soll bei anderer gelegenheit auch für andere 
seiner werke verwertet werden, 

45) Über den process des Perikles haben erst Beloch (At. Polit. 330) und 
Krech (de Cratero 86) mit richtiger beurteilung der überlieferung gehandelt. aber 
das juristische erheischt noch einige worte. 

46) Stratege 433,2. Stahl Rh. M. 40, 439. 


246 II. 12. Aoyos und suduva. 


dem rate überwiesen werden; für den fall, dafs dieser eine xarayvywaıg 
ausspräche, sollte das gericht in besonders feierlicher weise auf der burg 
abstimmen.“) dieser teil des antrages fiel zu gunsten eines amendements 
von Hagnon, der 431/0 mit Perikles stratege gewesen war“) und jetzt 
durchsetzte, dafs die sache des Perikles einem besonders starken gerichte 
überwiesen wurde, vor dem die anträge auf xAorın, dwewv, adızlov 
zu erheben wären: noch also lagen formulirte strafanträge nicht vor. 
so geschah es. es erfolgte die verurteilung wegen xAoren.”) das unter- 
schlagene gut mufste also zehnfältig ersetzt werden. das ist geschehen *), 


47) Krateros bei Plut. Per. 32 yrpıoua xvoovras de. yodwarros, Oras oi 
Aöyoı Tüv yenudraw vn Ilspıxleovs eis tous novraveıs anoreFeisv, ol dd dıxa- 
oral nv yipov ano rov Bmuov pegovres Ev zj nnokss xgivosw. die sprache hat 
Plutarch abscheulich verdorben. dafs die prytanen mit den acien doch etwas tun 
müssen, also ein mittelglied zwischen den beiden handlungen weggelassen ist, ist 
eben so klar, wie dafs man jetzt die lücke ergänzen kann. den vorsitz würden 
wieder die thesmotheten gehabt haben. 

48) Ayvav ds zovro usv apsils ou ynplonaros, neinsadan dä env dluny 
Eyoayay dv Ösxacrais xıllos xal nevraxocloıs, site xlonns N Ödemw eir’ adıniov 
Boviosro zıs Övonaksıw rw Ölmfıw. das hat doch wol gelautet za usr alla xa- 
Janeg Apaxovriöns, xgivecdaı dd zw Ölunv rö., so dafs nur der gerichtshof 
anders constituirt ward, die xarayvaaoıs des rates blieb (die ja vom volke vorab 
verordnet werden konnte). es ist ganz mülsig zu ventiliren, was für Perikles gün- 
stiger oder ungünstiger war. das zweite war in der ordnung, hielt sich an den 
normalen geschäftsgang, und war dem Perikles günstig, weil er nicht gestohlen 
hatte. Drakontides mag durch sein ausnahmegericht auch nichts anderes beabsichtigt 
haben als einen möglichst wahrhaften spruch der geschwornen; ob der für den an- 
geklagten günstig oder ungünstig ausfiel, hieng von dessen schuld ab, was Drakon- 
tides wünschte, nicht blofs von seiner parteistellung, sondern auch von seiner beur- 
teilung der schuldfrage. dafs Hagnon 1500 (oder vielmehr 1501) richter beantragte, 
nicht blofs 501, wie gewöhnlich war und hier durch eine blofs von fern leicht 
scheinende conjectur hineingetragen werden soll, ist darin begründet, dafs ein beson- 
ders wichtiger fall vorliegt und ein noch viel weiter gehender antrag ersetzt wird. 

49) Plat. Gorg. 515° xAonnv avrov xareynpioavro, öklyov BE nal Favarov 
dtiunoav, nämlich wenn sie strengere mafsregeln ergriffen hätten als den von 
Hagnon beantragten rechenschaftsprocefs. 

50) Wenn Thukydides sagt zenuaoıw Einulwaav, so sind wir verpflichtet zu 
glauben, dafs die strafe bezahlt worden ist: eine niederschlagung, wie sie bei Phormion 
ein par jahre später stattfand, hätte als deutliches zeichen der wetterwendischen volks- 
siimmung erwähnung gefunden. zu zahlen brauchte Perikles allerdings erst in der 
neunten prytanie, früähsommer 429. aber den anstand können wir ihm und seinen 
freunden schon zutrauen, dafs er den bettel sofort bezahlte. er selbst hatte freilich 
keine 50 talente, aber wie viele reichsstädte werden sich nicht beeifert haben, wie 
viele zahlungsfähige clienten wie Kephalos konnte er nicht aufbieten. es ist auch 
im gedächtnisse geblieben, dafs er gezahlt hat, denn der gar nicht verächtliche, bei 


Der procefs des Perikles. 247 


also war die strafe erschwinglich. die angaben schwanken, 50 talente 
ist das höchste bezeugte°'), also war die unterschlagene summe höchstens 
auf 5 talente geschätzt, eine wahre lappalie für den leitenden staats- 
mann, der mit tausenden von talenten gewirtschaflet hatte. also war 
es ein moralischer sieg des Perikles, und wir begreifen, dals er gleich 
darauf wieder zum strategen gewählt ward. 

Den ruf der notorisch reinen hände hat Perikles behalten: wir 
verstehn jetzt, dafs es geschehen ist, gerade weil er diese bufse bezahlt 
hat. natürlich insinuirt Strepsiades mit eig zo dfov anwieoa die 
xAoren, aber den heliasten hat eig zö d&ov avrAwoa bei dieser ver- 
handlung, wo es gesprochen ist, doch imponirt.”) die erinnerung, 
dafs es die rechenschaftsablage war, um die der jahrzehnte lang unge- 
prüfte stratege vor die richter treten mulste, ist nicht vergessen worden.’*) 

Für die rechtliche beurteilung des processes ist es wichtig die 
chronologie festzustellen. das jahr des Euthydemos lief vom 3 august 
431 bis zum 22/23 juli 430. die strategenwahlen für 430/29 mufsten 
in einer der vier letzten prytanien stattfinden. die Peloponnesier fielen 
sogleich mit sommers anfang ein und blieben 40 tage. während dieser 
zeit brach die pest aus, zog Perikles mit der flotte gegen den Peloponnes, 
kehrte heim, als jene wieder aus Attika fort waren, und sofort gieng 
mit dieser selben flotte Hagnon nach Poteidaia, trug in das belagerungs- 
heer die ansteckung und kehrte dann unverrichteter sache heim. diese 
expedition hatte wieder 40 tage gedauert. das war also 90 tage etwa 
nach sommers anfang: man wird doch nicht anders rechnen können 


lsokrates gebildete verfasser der zweiten rede gegen Aristogeiton (die ich im gegen- 
satze zu der ersten als wirklich gehalten anerkenne) bezeugt die zahlung (7); er 
nennt 50 talente. 

51) Plut. 32 gibt als minimum 15, als maximum 50 an, also ist 80 bei Diodor 
12, 45 schreibfehler, I7 für N; denn das rechnen mit attischen ziflern, das Krech 
(p. 86) versucht, hat für diese handschriften und schriftsteller keine berechtigung. 
natürlich ist die höchste zahl mit nichten die glaubwürdigste. 

52) Das apophthegma ist ächt, Aristophanes bezeugt es ja. aber wofür die 
10 talente, über die Perikles keine nachweisungen hatte und die aussage verweigerte, 
wirklich verwandt waren, das getraut sich heute nur zu wissen, wer so kritiklos ist 
wie die athenischen philister, die an unterschlagung glaubten, oder zu der sorte histo- 
riker gehört, die alles wissen, wie Ephoros oder Duncker. gesprochen hat Perikles 
das wort natürlich in dem rechenschaftsprocels, den er allein ausgehalten hat. so 
viel sah Theophrast wenigstens ein und erzählte daher von einer jährlichen sub- 
vention an die friedenspartei in Sparta weil die bestechung des Pleistoanax 445, 
von der man gewöhnlich erzählte, zu lange her war. 

54) Plut. Alkib. 7,2 u. ö. 


248 IL 12. Aöyos und sidwva. 


als am ende des attischen jahres, mitte juli, ja der jahreswechsel wird 
die rückkehr des Hagnon bestimmt haben. er ist in der versammlung 
gegenwärtig, die über Perikles berät. während dieser letzten drei monate 
des jahres kann die strategenwahl nicht wol stattgefunden haben, weder 
während der feind im lande stand, noch während die elite der mili- 
tärisch interessirten bürgerschaft im auslande war. verständigermalsen 
mulste in kriegszeiten die wahl vor dem beginn der expeditionen ab- 
gehalten werden, zumal wenn ein feindlicher einfall in aussicht stand. 
dann ist sie aber 430 gehalten worden, ehe die pest ausbrach, ehe die 
landbevölkerung der laureotischen halbinsel durch die verwüstung ihrer 
felder erbittert war, in der stimmung des ersten kriegsjahres, und es 
ist ganz undenkbar, dafs Perikles nicht wiedergewählt wäre. der groll 
gegen ihn brach los, während Hagnon in Thrakien war. Thukydides 
erzählt das nachher, aber mit &rı 6’ Zorgarnyeı 1159 deutet er, dem 
ja doch die reihenfolge der ereignisse lebendig vor der seele steht, sein 
zurückgreifen an. nun erzählt er den versuch des Perikles, die volksstim- 
mung zu bändigen, wie sie ihm darauf in der grolsen politik folgten, aber 
doch nicht umhin konnten, ihn in geldbufse zu nehmen, und ov zzoAlg 
voregov zum strategen wieder wählten. es kann das nicht im frühjahr 
429 geschehen sein: das wäre in einem leben, das nur nach monaten 
noch zählte (er starb um den 1 september 429), nicht od oAAg 
voregov. die zwischenzeit seiner ungnade und amtlosigkeit beläuft 
sich nur auf ein par monate. wenn er also für 430/29 gewählt war 
und für eben dasselbe jahr nachher wieder gewählt ward, so ist er ab- 
gesetzt oder besser suspendirt worden. und wie sollte auch sonst eine 
wiederwahl im jahre möglich sein, da doch keine stelle frei war noch 
frei gemacht werden konnte. wir werden also lediglich durch die zeit- 
rechnung zu demselben geführt wie durch die vorzüglichen nachrichten 
über die formen des processes: Perikles ist abgesetzt worden, arrexgsıgo- 
rovndn, in der letzten prytanie des Euthydemos oder in der ersten 
des Apollodoros. es kann auch bei dem jahreswechsel geschehen sein, 
wo doch irgend welche formen der erneuten übernahme auch für den 
continuirten magistrat bestanden haben müssen. 

Der procefs ist nicht die einfache rechnungslegung gewesen, denn 
das volk selbst hat seine form festgestellt. er ist auch keine eisangelie 
beim volke gewesen, denn dann hätte ein kläger und eine formulirte 
anklage da sein müssen®), während das volk die verschiedenen anklagen 


55) Den kläger, der nachher vor den heliasten auftrat, konnte Plutarch bei 
Krateros (cap. 32) nicht finden. er nennt cap. 35 Kleon, nach Idomenens: der kommt 


Der procefs des Perikles. sUYuva arparıyar. 249 


des logistenprocesses frei lälst. so bleibt nur das eingreifen des souveräns 
gegen seinen vertrauensmann. wenn das volk den Perikles nicht mehr 
zum strategen haben wollte, ihn für seine leiden verantwortlich machte, 
ihn sie büfsen lassen wollte, so war das ein unwiderstehlicher drang: 
der minister mufste fallen. aber dieser minister war ein ordnungsmälsig 
für ein weiteres jahr gewählter beamter; der liefs sich nicht so leicht 
wie ein minister beseitigen. da half nur amtsentsetzung, eine ausnahme- 
malsregel, und das genügte weder der volkswut noch dem selbstgefühle 
des Perikles noch der gerechtigkeit besonnener verfassungsfreunde. 
das gericht mulste sprechen. aber worüber? wo kein kläger ist, ist 
kein richter. nach evIvva rief man, evYvva erhielt man, sogar Aoyog 
und euvYuya zugleich. aber die eusuya des strategen ist eine hoch- 
politische action, und der hochpolitische angriff gegen den strategen 
wird in die formen der euthyna gekleidet.) 

Es muls jetzt, wo man bei Aristoteles gelernt hat, dafs für alle 
magistrate mit ausnahme der officierstellen die iteration verboten war, 
noch viel bedeutsamer erscheinen, als es zuvor für jeden der fähigkeit 
und guten willen zum denken hatte schon war, dafs die strategie wie 
alle militärischen ämter continuirt werden kann. damit ist die rechen- 
schaftsablage tatsächlich hinausgeschoben, so lange die volksgunst dem 
strategen bleibt. denn es ist weder rechtlich noch praktisch möglich, 
dafs der stratege, dessen amt vom skirophorion in den hekatombaion 


nicht in betracht, denn er ist aus den versen des Hermippos (cap. 33) vorschnell 
erschlossen ; Simmias, nach Theophrast, Lakrateides, (den Eumolpidan, oben 8. 82) 
nach dem Pontiker Herakleides. es können ganz gut mehrere, z. b. als ovsnyogos 
beteiligt gewesen sein. aber bezeichnend ist, dafs kein namhafter politiker es ge- 
wagt hat, den Perikles des diebstahls zu zeihen. was Ephoros und die neueren 
von den parteien erzählen, ist zum gröfsten teile falsch oder ganz ungewifs. ins- 
besondere die angebliche pfaffenpartei, die über die Propylaeen entrüstet gewesen 
sein soll, verträgt eine ruhige prüfung kaum. mit den Eumolpiden hat Perikles 
schwerlich feindlich gestanden; wir kennen unter den wenigen authentischen worten 
von ihm eins voll ehrfurcht über die aygapa Etuolnudov, Ps. Lysias (Meletos) 
gegen Andok. 10. 

56) In folge der späteren redeweise ist nicht immer gut zu unterscheiden, was 
wirklich euthyna war. doch nennt so Aristoteles 27, 1 die anklage des Kimon durch 
Perikles, Plutarch (Per. 10. Kim. 14) redet von ng0ßoAn und bezeichnet Perikles 
als einen der drei vom volke bestimmten ovyr;yogos. das ist sehr glaublich und 
stammt wahrscheinlich von Stesimbrotos, da eine hämische anekdote anklebt. der 
verlauf ist dem processe des Perikles ganz analog zu denken. — natürlich existiren 
daneben capitalprocesse (wol sioayysklaı) rgodoctas wie gegen Thukydides, Pytho- 
doros der Isolochos sohn, und gar der der Arginusen. 


sudvva 
orparr- 
yov. 


250 ll. 12. Adyos und suduve. 


übergeht, statt vor den feind vor die heliasten zöge. darum hat man 
die strategen von der gewöhnlichen verpflichtung, Aoyog und evdvra 
zu praestiren, ein für alle mal befreit. mit dem rate stehen sie so wie 
so nicht in verbindung; sie erhalten ihre zahlungen direct aus den 
cassen, verausgaben sie aufser landes, unter verhältnissen, die jede 
specificirte rechnungsführung ausschliefsen. und für die militärische 
disciplin ist das alte Athen auch nicht unempfindlich gewesen; zumal 
da phyle und regiment zwei concentrische kreise sind, wäre es anstöfsig 
gewesen, dafs drei ratsmitglieder einen ausschufs bildeten und über die 
beschwerden jedes trainknechts gegen den general ein vorurteil abgäben. 
also weder logisten noch euthynen für die strategen. um so weniger 
dürfen sie tyrannen, avvrrevsvvor, werden. daher die euv”vya vor den 
ihesmotheten, aber auch diese erst, wenn der rechenschaftspflichtige 
nicht mehr im amte ist. das gibt verzögerungen; aber die wichtigen 
cassenbeamten, zaulaı ng Feov und zwy allwy Fewy geben ja auch 
ihre rechnungen nur in vierjährigen perioden ab, obwol die collegien 
jährlich ohne iteration wechseln. es ist auch unvermeidlich, dafs der 
Aoyog zurücktritt: die thesmotheten haben keine gvynyopoe. und leicht 
vermutet man, dafs diese ordnung ihre wurzeln in der zeit hat, wo 
die strategen noch nicht die politischen executivbeamten waren, dafür 
aber die logisten noch nicht bestanden.°) damals mögen die archonten 
wirklich die controlle über die strategen gehabt haben, deren rechen- 
schaft so bedeutungslos war wie später die der taxiarchen.®®) aber diese 
zeit liegt für uns im nebel. um so deutlicher ist der praktische erfolg: 
die euthyna der strategen ist ohne bedeutung, wenn die leute keine 
führenden politiker sind; sind sie es aber, so wird sie jedesmal zu einem 
grofsen procels. sie ist nicht die ursache der politischen systemwechsel, 
aber sie bietet die gelegenheit zum austrage von politischen kämpfen, 
ähnlich wie der ostrakismos. das was in parlamentarisch regierten länderu 
jetzt die vertrauensfrage ist, ist die epicheirotonie noch mehr als die wahlen. 
aber in der entscheidung des souveränen gerichtes liegt eine möglichkeit, 
sowol die übereilungen der abstimmung des plenums gut zu machen, 
wie den gestürzten politiker durch atimie auf immer zu beseitigen. 
Das vierte jahrbundert ändert rechtlich nichts, aber die demagogen, 


57) Wir erreichen zwar die zeit, wo die strategen nicht den oberbefehl haben, 
aber nicht die, wo die aushebung ihnen fehlt. 

58) Von den hipparchen möchte man annehmen, dafs sie in allem den stra- 
tegen gleichgestellt waren, auch in der rechenschaftsablegung. weil sie wenig für 
das ganze bedeuteten, wissen wir darüber nichts. 


suvFuva OTgaTıyar. 251 


die trotz allen gesetzlichen cautelen (ouxopavriag, arrarng Tod Önuov, 
ETaueN0Ews, rapavouwy, eloayyehla öntogw») ziemlich unverantwortlich 
bleiben, reifsen das regiment an sich. ein teil der strategen sind con- 
dottieri, ein anderer friedliche verwaltungsbeamte, die sehr gut unter 
ratscontrolle gestellt werden könnten und Aoyog und svvva liefern 
wie die andern beamten. da auch bei diesen allen die ev$vva vor dem 
Aoyog zurücktrat, so wird der unwesentliche unterschied allein geblieben 
sein, dals für die strategen der vorsitz des rechenschaftsgerichts bei den 
thesmotheten statt bei den logisten stand: das schwert, das die Timotheos 
und Iphikrates schliefslich fällte, war jetzt die eisangelie. aber die be- 
zeichnung als euv$vve Orgarnywy ist misbräuchlich auch diesen processen 
beigelegt“): sachlich war diese richterliche entscheidung unter vorsitz 
der thesmotheten von der verfassungsmäfsigen evIuva oreaznywy, die 
dieselben ausübten, wirklich kaum verschieden. 


59) So nennt Isokrates 15, 129 den berühmten procels des Timotheos und 
genossen vom jahre 355 sudvsas, während es notorisch ein eisangelieprocels war. 


13. 
IIPOXEIPOTONIA. 


Die verteilung der geschäfte auf die vier volksversammlungen, die 
es zu Aristoteles zeit gab, läfst deutlich erkennen, dafs die solonische 
ordnung nur eine regelmäfsige, die xvepla, gekannt hat. wie viel es 
damals im jahre waren, ist unbekannt, weil wir das analogon der prytanien 
nicht kennen. seit Kleisthenes waren es zehn. zehnmal also kam die 
souveräne bürgerschaft zusammen, bestätigte ihre beamten, wenn sie 
mit ibnen zufrieden war, beriet die für die verpflegung und die sicher- 
heit des landes zu treffenden mafsregeln, nahm die denuntiationen über 
hochverrat und sonstige majestätsverbrechen entgegen, liefs sich über 
die veränderungen im besitzstande ihrer mitglieder unterrichten, welche 
grundstücke durch confiscation dem souverän zugefallen waren, welche 
durch todesfälle vacant geworden des rechtmälsigen erben harrten und 
entschied schliefslich über denuntiationen gegen bürger, die das ver- 
trauen des souveräns verwirkt oder getäuscht hatten (43, 4—5). damit 
ist erschöpft, was der souverän regelmäfsig zu erledigen hat. hinzu- 
kommt die versammlung für die wahlen, für die dem rate ein terminus 
ante quem non in der siebenten prytanie gesetzt ist; das nähere steht 
bei diesem, weil ein günstiger tag für dieses wichtige geschäft gewählt 
werden mufs (44, 4). es hat ferner jeder bürger das recht, vor die 
gesammtheit zu bringen, was er auf dem herzen hat; doch ist dafür 
die form beliebt, dafs er als bittflehender das gesuch stellt. diesem 
mufs innerhalb jeder prytanie einmal folge gegeben und dafür eine 
besondere versammlung berufen werden, natürlich vom rate, der die 
gesuche also gesammelt haben mufs. darin liegt, dafs diese versammlung 
keine regelmäfsige ist, sondern nach bedürfnis ausgeschrieben wird. 
das geschieht auch im übrigen, so oft stoff zu verhandlungen vorhanden 
ist, insbesondere mitteilungen fremder staaten durch herolde oder ge- 
sandte vom rate vor das volk gebracht werden müssen. das ist alles 
nicht mit sicherheit im voraus zu übersehen, 


ll. 13. ITgogeıpgorovia. 253 


Die geschäfisordnung, wie sie Aristoteles gibt (43, 4—6), lälst diese 
solonische oder besser kleisthenische ordnung noch ganz klar er- 
kennen; selbst die längst obsolet gewordene vorfrage nach dem scherben- 
gerichte war auf dem papiere erhalten. geändert ist nur, dafs in anbe- 
tracht der regelmäfsigen geschäftslast aufser der xvgla ExxAnola noch 
drei versammlungen für die prytanie gesetzlich vorgeschrieben sind, von 
denen für eine die verhandlung über die bittgesuche allein als not- 
wendiger gegenstand der verhandlung auf der tagesordnung steht, für 
die beiden andern ist die ganze tagesordnung dem belieben des vor- 
sitzenden frei gegeben, da “heiliges und profanes und verhandlung 
mit herolden und gesandten’ alles mögliche umfafst. in wahrheit sind 
auch bittgesuche kaum noch vorgekommen; der rat hatte also auch die 
zweite versammlung frei zu seiner verfügung. denn die geschäftsordnung 
schrieb nur vor, was behandelt werden sollte, schlofs aber damit nichts 
aus. die steine lehren bekanntlich, dafs man die drei versammlungen 
zweiter ordnung gar nicht in der terminologie unterschieden hat, da- 
gegen in der xvela auch alles mögliche verhandelt, was nicht unter 
die rubriken ihrer geschäftsordnung fällt, selbstverständlich nachdem 
deren gegenstände erledigt waren. die durch religiöse rücksichten ge- 
forderten sitzungen nach den grofsen festen, Dionysien, Mysterien, doch 
wol auch Panathenaeen, die sicherlich zunächst über diese bestimmten 
gegenstände zu verhandeln hatten, sind von Aristoteles seiner gewohnheit 
gemäfs übergangen, weil nur das religiöse an ihnen etwas besonderes 
war. die steine haben aulserdem gelehrt, dafs der rat völlig frei war, 
in welcher ordnung er die versammlungen einer prylanie anberaumen 
wollte, dagegen bestimmte tage der prytanie fast regelmälsig versamm- 
lungstage des volkes waren, während bestimmte monatstage aus religiösen 
rücksichten frei zu bleiben pflegten.’) 

Die aufstellung der tagesordnung ist ausschliefslich sache des rates, 
soweit nicht das volk ihm vorher gesetzliche weisung erteilt hat. das 
sehen wir in verschiedenster weise geschehen. bald wird er angewiesen, 
eine sache in der nächsten sitzung vorzubringen, bald wird einem 
künftigen prytanencollegium diese weisung gegeben, bald wird ein gegen- 
stand oder der noch unbekannte antrag einer person einmal oder für 
alle zeit unter die bevorzugten der geschäftsordnung eingereiht, so dals 
darüber verhandelt wird 2» roig iegois, evFug uera ra lea, oder er 


1) Die vortreflliche arbeit von Reusch (de dieb. contion. ordinar.) verdient 
bereits einen nachtrag aus dem zugewachsenen materiale. 


254 I. 13. ITgoxssporovia, 


wird auf die verhandlung der xrgia gleich zu anfang der sitzung ge- 
schoben, zaura de elvar eig gulaxınv Trg xwWpag, u. dgl. m. für 
diese ziemlich allbekannten dinge lehrt Aristoteles nichts neues. wol 
aber erfahren wir hier, wie man dem misstande vorbeugte, dafs durch 
diese bevorzugungen und durch die sonstige freiheit des rates in der 
aufstellung der tagesordnung einzelne gegenstände zwar regelmäfsig 
hinten auf dem programme figurirten, aber niemals zur erledigung kamen. 
es war nämlich vorgesehen, dals in den versammlungen 3 und 4 von 
den drei kategorien der heiligen, auswärtigen und profanen gegen- 
stände je drei nummern?) in dieser reihenfolge erledigt werden sollten. 
wenn danach noch zeit war, mochten die vorsitzenden und das volk 
weiter sehen.”) nun fragte es sich, welche nummern aus dem programme, 
das gleichzeitig mit der berulung der sitzung veröffentlicht ward, zur ver- 
handlung ausgewählt werden sollten. wenn das nach der reihenfolge 
gieng, die ihnen der rat auf dem programme gegeben hatte, so stand 
jede bevorzugung oder verschleppung ganz in dessen hand. dem steuerte 
die einführung einer “debatte über die geschäftsordnung. das volk wählte 
die nummern selbst durch einen vorbeschlufs aus. Aristoteles, der sehr 
kurz, aber für die erfahrenen leser verständlich redet, erwähnt diese 
vorabstimmung nur in der sarkastischen bemerkung “sie verhandeln aber 
auch manchmal ohne vorabstimmung”. ihm liegt daran, die gesetzesver- 
letzung zu notiren; wir entnehmen aus der ausnahme die regel, die er in 
seiner compilation unterdrückt hat. 

Die scg0xeıgorovia erwähnt Aischines 1, 23 in einer schilderung 
des gesetzlichen verlaufes der volksversammlung “ wenn das volk durch 
die herumtragung des opfers entsühnt ist und der herold fluch und 


2) Es ist möglich, dafs die schematische dreizahl für alle kategorien beliebt 
ward, aber dann war man gegen die eigentlichen laufenden geschäfte der verwal- 
tung, die iosa, sehr unbillig. nun steht über zeia 3’ dal» in der handschrift 
Gvpaxociov; ich kann das nicht für eine entstellung dieser einfachen worte an- 
sehen, komme also immer auf die vermutung zurück, dafs vielmehr die variante 
1eooapa Ö° cal» zu grunde liege. 

3) Das volk wird aber wol meistens nach dem schlusse gerufen haben: sie 
hatten sich ihren tagessold abverdient. die bestimmung, dafs neun gegenstände 
erledigt werden sollten, hatte auch als minimum wert: so viel wenigstens sollte 
der demos für seine diaeten leisten. 

4) nepd zov ispwv hat der Coislinianus; der artikel ist falsch, da es sich nicht 
um bestimmte isea handelt, bestimmt ist nur, dafs sie nareıa sind. ein antrag im 
interesse der Isis oder der kitischen Urania genielst nicht die bevorzugung. die ge- 
ringeren handschriften haben in diesem falle recht. 


Il. 13. ITgoxssgorovia, 255 


segen gesprochen hat, dann müssen die vorsitzenden die vorabstim- 
mung vornehmen reg} jegwy Twy nrarelwy‘) xal anovsı xal srgeoßelaug 
x«l oolw»v und dann wird die debatte eröffnet”. die stelle ist unmittelbar 
verständlich. erst feststellung der tagesordnung, dann debatte. die drei 
kategorien der gegenstände und ihre reihenfolge stimmen genau zu 
Aristoteles. 

In ähnlicher weise, um die ganz gesetzmäfsige behandlung einer be- 
stimmten sache darzulegen, erwähnt Demosthenes 24, 11 die procheirotonie. 
es ist durch volksbeschlufs eine aulserordentliche commission eingesetzt, bei 
der denuntiationen eingereicht werden sollen gegen solche, die dem staate 
geld hinterzogen haben. Euktemon macht eine solche meldung, es kommt 
vor den rat‘), der rat setzt seine meldung auf die tagesordnung, eine 
versammlung wird berufen, das volk beschliefst durch vorabstimmung 
den gegenstand zu behandeln (zepouyeıporoynosv 6 Öjuog), Euktemon 
bringt seine anzeige vor u.s.w. die absicht des redners ist ausschliels- 
lich darauf gerichtet, den eindruck der peinlichsten genauigkeit zu er- 
wecken, daher verweilt er bei jeder station, die ein antrag zu passiren 
hat, nicht weil auf sie in diesem falle etwas besonderes ankäme, sondern 
zum beweise, dafs keine überschlagen ist. 

Die dritte stelle besitzen wir nicht mehr selbst, sondern lesen nur 
bei Harpokration zrg0xsıporovia' Eoınev AInynoı roLovso rı ylveodaı‘ 
erorev TG Bovkjs zcooßovAsvoaong elopegnrau eis Tov önuov 
n yvoun, goTegov yiverar xeıporovla Ev nm Exakmalg zöTegov 
boxei zrepl TWy Bovksuderrw ox&waodaı rov Önuov Ggxel TO 7700- 
Bovkerua. tudra Ö ünoonuaiverar &v top Avolov noög ınv Meıkı- 
Önuov ygaynv. die erklärung ist unsinnig, denn darum dreht sich die 
debatte jedesmal, ob man es bei dem ratsantrage bewenden lassen will 
oder nicht. aber die debatie dreht sich darum, nicht eine blofse yeıporovia 
oder gar srooxsıporovia. der grammatiker hat seine mit aller reserve 
vorgetragene deutung darauf aufgebaut, dafs Lysias den antrag des Meixi- 
demides für ungesetzlich erklärte, weil ihn die prytanen ohne zrooxeı- 
eoroviae zur abstimmung gebracht hatten. man kann sich sehr gut 
denken, wie dann ein solches misverständnis entstehen konnte. 

5) Die £ntntai sind also nicht in der lage selbst mit dem volke zu verkehren 
(das versteht sich von selbst), aber sie können auch nicht einmal selbst eine unter- 
suchung führen: der rat hat sowol als finanz- wie als polizeibehörde mitzuwirken, 
nur verlangt das volk, selbst zu entscheiden. es verletzt die verfassungsmälsige 
mitwirkung des rates nicht, aber es eludirt sie. der ratsantrag hat gelautet: 
ng00ayayeiv Eixtnuova nıoös Tov Önuov sis rw dnıovoav dnxinclav, rov dd Inuov 
axovoavıa Eustnuovos Bovlsvcacdas Or av avıq doxij apıarov alvaı. 


256 I. 13. ITpoxegorovia. 


Das sind die erwähnungen der procheirotonie. sie erledigen sich 
nun leicht. in das fünfte jabrhundert führen sie nicht hinein. in dem 
verfassungsentwurfe der 400 wird die geschäftsordnung für die versamm- 
lung bestimmt, die kategorien sind dieselben, ihre ordnung auch, aber 
innerhalb derselben entscheidet das los über die reihenfolge der gegen- 
stände, deren zahl nicht beschränkt ist (30, 5). für die demokratie ist 
anzunehmen, zumal in hinblick auf die klagen des oligarchen der szoAı- 
rela Aynvalwv, dafs der rat die reihenfolge und zahl der gegenstände 
feststellte. die procheirotonie ist also eine institution der restaurirten 
demokratie; die Lysiasrede ist frühestens ende der neunziger jahre ge- 
halten. 

Aber ein praecedens gab es allerdings, die vorabstimmung der sechsten 
prytanie, ob ein ostrakismos stattfinden sollte oder nicht. das hat 
M. H. E. Meier verführt, den passendsten namen szeoyeıporovla durch 
conjectur im lexicon von Cambridge einzuselzen, wo die Aristotelesstelle 
43,5 citiert war, und wir haben durch meine nachläfsigkeit diese con- 
jectur als überlieferung angesehen und danach geändert. obwol es 
rechtlich eine procheirotonie war, dürfen wir doch nicht die spätere 
terminologie für die zeit des Kleisthenes fordern, können das überlieferte 
Ercigeigorovlay “abstimmung’, ohne frage in dem sinne “debattenlose 
abstimmung’ gelten lassen, sehen dann aber um so deutlicher, dafs die 
procheirotonie eine spätere institution ist. 


DRITTES BUCH. 


Beilagen. 


, v. Wilamowlitz, Aristoteles. II. 


1. 
DIE PHRATRIE DER DEMOTIONIDEN. 


Ich möchte nicht die ganze urkunde zum abdruck bringen, die uns 
allein einen einblick in das leben einer phratrie gewährt, bin aber über- 
zeugt, dals die erklärer deshalb nicht richtige folgerungen gezogen haben, 
weil sie die urkunde aus den meinungen über die phratrien erklärt haben, 
die doch alle ungewils sind, statt dies wie jedes schriftstück erst aus sich 
zu erklären. ich bitte also den leser, meine paraphrase selbst zu con- 
trolliren, indem er den text zur hand nimmt.') 

Der stein stand in Dekeleia vor dem altar des Zeus phratrios (65. 1). Paraphrase 
er enthält zuerst den tarif für die beiden opfer, die für die anmeldung Kunde, 
und einführung eines mitgliedes in die bruderschaft zu leisten sind, d. h. 
den anteil, den der priester erhält. darauf die überschrift “beschlufs 
der brüder unter dem archon Phormion, bruderschaftsvorsteher Panta- 
kles”.?) genaure praescripta fehlen, es muls also dahin stehn, ob der 
beschlufs in der einmaligen ordentlichen versammlung (&yopa) der bruder- 
schaft an den Apaturien stattgefunden hat, oder aulserordentlich. auch 
ist nicht bezeichnet, wie weit das folgende zu demselben beschlufse von 
396 gehört; das letzte gesetz (von 113 ab) ist der schrift und ortho- 
graphie nach mehrere jahrZehnte jünger. es ist auch durch alinea ge- 
trennt. da das alles für die beiden andern nicht gilt, auch die identität 
des steinmetzen von Lolling angemerkt wird, so muls ich alles für gleich- 


1) Majuskelpublication des zweiten teiles von Pantazidis ’Zy. aex. 88, 1. an 


ein par stellen (67. 79) berichtigt von Lolling Salz. 88, 161, der das letzte pse- 
. ; phisma vollständiger gibt. der früher schon bekannte erste teil steht schon CIA 


N 841b, 

2) Man erwarte nicht den namen der bruderschaft: Hofe» zois guvistass, Ör- 
nörass ist die regel. so sagt auch die demokratie Hofe» za dnug: die alte weise 
war gewesen Ysonsa tads Adnvaloss. 

17* 


260 IN. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


zeitig halten. unter dieser voraussetzung werde ich interpretiren; es 
verschlägt wenig, wenn es doch ein späterer beschluls sein sollte, da er 
nur ganz kurze zeit später fallen könnte. 

“Hierokles beantragt 1) sofort soll eine abstimmung der brüder in 
feierlicher form über alle statt finden, deren bruderrecht noch nicht nach 
dem gesetze der Demotioniden festgestellt ist, und die sich doch als 
brüder gerirt haben. wer verurteilt wird, scheidet aus, sein name wird 
im album gelöscht, sowol im originale wie in der controllabschrift?), 
und der bruder der ihn eingeführt hat, wird mit 100 dr. in strafe 
genommen, für deren beitreibung der priester und der brudermeister 
haften (12—26).” diese energische mafsregel ist sofort vollzogen worden. 
die abstimmung geschieht durch die ganze bruderschaft endgiltig, wo- 
bei dabingestellt bleiben muls, wie viele vorverhandlungen gespielt haben; 
sicherlich nicht wenige. jede moderne erklärung ist ohne weiteres hin- 
fällig, die diese ausnahmemalsregel mit den folgenden dauernden in- , 
stitutionen vermischt. 2) “für die zukunft vom jahre Phormions ab 
(45) soll die prüfung jedesmal im nächsten jahre nach der einführung 
eines bruders statt finden (die durch das opfer xovpeıoy geschieht). die 
abstimmung soll so erfolgen, dafs die stimmsteine vom altar genommen 
werden (26— 29). daraus ergibt sich, dafs die abstimmung in Dekeleia 
stattfinden wird, und dafs für sie als novum diejenige feierliche form 
eingeführt wird, die diesesmal ausnahmsweise verordnet war. aber die 
abstimmung selbst war kein novum und sie wird durch den zusatz 
einer neuen ceremonie nicht beeinträchtigt. nur hat es der antrag- 
steller nicht nötig sie zu beschreiben, läfst vielmehr zu @&geev (29) das 
subject fort, so dafs ungesagt bleibt, wer in diesem falle abstimmt: der 
vorige ausnahmefall kann dafür nichts lehren. der antragsteller setzt eben 
hier denselben »ouog Anyuorıwyıday voraus, den er 14 citirt hat. 
“welchen sie verurteilen (sie, die ungenannten, die die stimmsteine vom 
altare nahmen), der darf an die Demotioniden appelliren. in diesem 
falle hat das haus der Dekeleer fünf anwälte zu wählen in der und der 
form und so und so verpflichtet (das detail ist unwesentlich; diese anwälte 
verfechten also die sache derer, die den appellanten verurteilt haben, 
vor den Demotioniden). unterliegt der appellant, so hat er 1000 dr. zu 
zahlen, für welche der priester des hauses der Dekeleer haftet; doch darf 


3) Wer die copie hat und wo sie liegt, wufsten die brüder; wir können es nicht 
erraten. natürlich war sie zur controlle des beamten da, wie so oft ein schreiber 
ayzıypayeras, testamente ovußdiase u. dgl. in duplo ausgefertigt werden. 


Paraphrase der urkunde. verfassung der Demotioniden. 261 


sie auch jeder bruder für die genossenschaft eintreiben.‘) diese prüfung 
(d.h. die obligatorische, nicht die der appellanten) alljährlich vornehmen 
zu lassen, wird der brudermeister durch ordnungsstrafen angehalten, die 
jeder bruder zu gunsten der gemeinschaft eintreiben kann. in zukunft 
sollen die einführungsopfer nur in Dekeleia stattfinden, wofür der priester 
hafıbar ist, der in ausnahmefällen ein anderes local bestimmen darf, 
dann aber die ankündigung fünf tage vor dem anfange der Apaturien 
in der stadt am rendezvousplatz der Dekeleer (d. h. der angehörigen des 
demos Dekeleia) anzuschlagen hat. endlich wird die errichtung des er- 
haltenen inschriftsteines verordnet (30—67).” 

Resumiren wir hier was sich mit sicherheit erschliefsen läfst. die Verfassung 
bruderschaft sind die Demotioniden: niemand anders als das plenum oniden 
kann über die appellation richten, und die liste der brüder &» Anuo- 
tıwvyıdwy kann nur im hause der bruderschaft liegen. jede andere auf- 
fassung ist in sich verkehrt. eine unterabteilung der bruderschaft ist 
das “haus der Dekeleer”, denn von ihm wird an die Demotioniden 
appellirt. aber es ist so wichtig, dafs es die prüfung der neu einge- 
schriebenen brüder hat. das steht nicht da, aber es muls sie haben, 
da es die anwälte wählt, die das urteil im falle der appellation vor der 
bruderschaft vertreten. und es mufs sie schon früher nach dem “ge- 
setze der Demotioniden” gehabt haben, denn darin hat sich durch dieses 
psephisma nichts geändert, und nur weil alles beim alten geblieben ist, 
steht an der entscheidenden stelle kein subject. dasselbe folgt daraus, 
dafs der priester des hauses der Dekeleer die geldstrafen für eine ab- 
gewiesene appellation einzieht, die doch dem Zeus der bruderschaft 
zufallen (42). nur hier steht der volle titel des priesters; wo sonst 
ein priester erwähnt wird, hat er kein distinctiv. aber da der name 
des Zeus der bruderschaft an der spitze dieser inschrift steht, die neben 
seinem altare in Dekeleia stand, und da der priester des Dekeleerhauses 
Zeuspriester ist, so kommt man mit notwendigkeit zu der ansicht, dafs 
das haus der Dekeleer das vorrecht in der bruderschaft hatte, den priester 
zu stellen, so dafs also überall derselbe priester zu verstehen ist.) was 

4) Die bufse verfällt dem Zeus der bruderschaft, was identisch ist mit der 
casse der genossenschaft (70 x0v0»), z. 40. 44. 50. 52. wenn der priester des hauses 
der Dekeleer nicht das recht des Zeus der bruderschaft wahrt, mufs er die bufse 
zahlen; damit ist aber der schuldner nicht frei, sondern jeder bruder kann ihn be- 
langen. Zeus bekommt also das doppelte. in dem gegenwärtigen ausnahmefalle (25) 
ist dem priester sogleich der phratriarch beigeordnet. 

5) Es kommt also nichts darauf an, ob 57, wie üblich, ergänzt wird dangar- 


262 II. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


das haus der Dekeleer war, mögen wir wissen oder nicht wissen: nur bei 
dieser construction seiner rechte hat der beschluls sinn. die bruder- 
schaft der Demotioniden hat ihr heiligtum in Dekeleia, sie besteht aus 
dem bevorrechteten hause der Dekeleer und einer unbestimmten hier nicht 
weiter gegliederten menge von andern brüdern. die gemeinde Dekeleia 
mufs tatsächlich in einer nahen beziehung zu der bruderschaft stehn, 
da der rendezvousplatz ihrer bürger in der stadt für eine prooclamation 
der bruderschaft benutzt wird. 

Auch auf die anordnungen, die zu dem neuen beschlufse veranlassung 
gegeben haben, ist ein rückschlufs möglich. die opfer und somit die 
einführungen neuer bürger haben an beliebigen andern orten aufser Deke- 
leia stattgefunden. man mistraut dem brudermeister, ob er auch die 
jährlichen prüfungen vornehmen wolle, die durch das Dekeleerhaus gehn. 
man mistraut noch mehr dem Dekeleerhause, denn die feierlichkeit seiner 
abstimmung wird erhöht, und vor allem, es wird von seiner prüfung, wenn 
sie eine verwerfende ist, eine appellation an die bruderschaft gestattet: 
das ist ein novum gegen das alte gesetz. aber die zulassung steht aller- 
dings noch ganz bei dem Dekeleerhause. und der antragsteller ist diesem 
in sofern nicht feindlich, als er seinem priester die opfer und die opfer- 
gefälle sichert. 

Ein ganz anderes bild gibt das unmittelbar folgende psephisma des 
Nikodemos. “im übrigen soll es mit der einführung und prüfung bleiben, 
wie früber beschlossen ist. aber 1) soll ein jeder die zeugen, drei an 
der zahl, die schon früher bei der einführung gefordert worden sind, 
aus seinem thiasos stellen, sie sollen die (offenbar solennen, früher ver- 
ordneten) fragen beantworten, so wahr ihnen Zeus phratrios helfe, die hand 
auf dem altare (67— 75); eine neue eidesformel für sie wird am schlufse 
nachgetragen (107—112); nur für den fall, dafs der thiasos keine drei 
leute enthält, dürfen die zeugen aus der übrigen bruderschaft genommen 
werden. 2) bei der prüfung soll der brudermeister das plenum der 
brüder nicht eher abstimmen lassen, als bis die thiasoten des einge- 
führten geheim in feierlicher weise über diesen abgestimmt haben. die 
zählung der stimmen und verkündigung des resultates hat der bruder- 
meister in der versammlung vor dem plenum der bruderschaft vorzu- 
nehmen (76—8).” 3) hier hat Nikodemos seine im einzelnen klaren 
verordnungen ziemlich durch einander gewürfelt; er mufs sich also die 
zero Öd 0 isplevs To Aexslsıv oixo 7] aurös öpsılerw, oder wie ein schüler von 
mir, Th. Teusch, vorschlägt 6 isg[sus 70 agyvgıo» Tovro n], aber dies ist richtig, 
wie die parallelen lehren, deren keine ein object zu siongarrsmw wegläfst. 


Verfassung der Demotioniden. 263 


redactionellen änderungen gefallen lassen, die ich mit ihnen vornehme 
(87—105). “unmittelbar nach dieser abstimmung des thiasos stimmt das 
plenum der bruderschaft ab; doch dürfen sich die thiasoten wol an der 
debatte, aber nicht an der abstimmung des plenums über diejenigen be- 
teiligen, über die sie als thiasoten abgestimmt haben. es ergeben sich 
nun folgende möglichkeiten, a) die thiasoten für zulassung, plenum auch: 
zuzulassen (dies als selbstverständlich nicht gesagt). b) die thiasoten für, 
das plenum gegen. dann ist er natürlich abgewiesen, aber die thiasoten 
zahlen eine bulse, es sei denn dals einzelne in der debatte (&v 7 dıe- 
Öıxaalg) als redner oder sonst offenbar gemacht haben, dafs sie gegen 
die aufnahme waren.‘) c) die thiasoten gegen; dann kann es bei deren 
vorurteil sein bewenden haben, und der ausschlufs ist giltig. aber d) 
wenn derjenige, der den candidaten angemeldet hat, von den thiasoten 
an das plenum appellirt, so erfolgt durch dessen zustimmung aufnahme, 
durch dessen ablehnung aber nicht blofs ausschlufs, sondern eine geld- 
strafe für den appellanten. 4) diesen beschlufs soll der priester binzu- 
schreiben, natürlich zu dem, der jetzt davor steht, dem des Hierokles.” 

Der nachtrag, ein antrag eines Menexenos, der sich ebenso wie das 
psephisma des Nikodemos als solchen bezeichnet, hat für die organisation 
der phratrie kein interesse. er verordnet nur den anschlag der namen 
der candidaten für jede versammlung in der stadt durch den bruder- 
meister an demselben orte wie oben, aufserdem durch den priester im 
heiligtume der Leto, ungewils wo. 

Aber welches bild gibt Nikodemos von der bruderschaft? sie zer- 
fallt ganz offenbar in thiasoi, so dafs jeder bruder auch thiasot ist. von 
einer andern einteilung weils Nikodemos nichts oder will er nichts wissen: 
neben den thiasoi, diese ausschliefsend, kann es gar nichts gegeben haben. 
aber diese thiasoi sind zum teil so verkümmert, dafs man ihnen keine 
vier köpfe zutrauen kann. dagegen ist sicher, dafs ihre mitglieder ein- 
ander gut kennen. darum wird der einführende verpflichtet aus ihnen 
die zeugen zu wählen und wird ihnen das im ordnungsmäfsigen wege 
entscheidende vorurteil zugeschoben, das sie freilich vor den augen und 
unter der superrevision der bruderschaft fällen müssen. ganz offenbar 
hat es zwar die thiasoi längst gegeben, aber sie haben als organe der 
bruderschaft in diesen dingen bisher nicht fungirt. 

Stellen wir nun die ordnungen naclı Hierokles und Nikodemos neben 


6) So ist das notwendig zu verstehn. vor der abstimmung der thiasoten findet 
keine debatte statt, auch ist die abstimmung geheim. die minorität mufste nachher 
im plenum ihren standpunkt verfechten, 


264 IM. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


einander, so sollte ich meinen, dafs es evident sei, wie sie sich verhalten, 
nicht als ergänzungen, sondern als dubletten. nach beiden findet eine 
vorprüfung statt, aber Hierokles läfst sie in übereinstimmung mit der 
älteren praxis dem Dekeleerhause: Nikodemos kennt das nicht, sondern 
weist jeden vor seinen thiasos. das plenum, das der eine Anuorıwridaı, 
der andere &rravreg Ypareges nennt, was nur ein anderer name ist, 
hat die entscheidung nach Hierokles nur in dem falle, dafs ein abge- 
wiesener von dem urteile des Dekeleerhauses appellirt; Nikodemos macht 
seine befragung obligatorisch. er hat eine strafe für den thiasos, wenn 
er nach ansicht des plenums unrechtmälsig auf zulassung erkannt hat: 
dafs Hierokles dem Dekeleerhause die zulassung völlig frei gibt, ist aller- 
dings ein seltsamer mifsbrauch. dagegen ist Nikodemos in der strafe 
für eine abgewiesene appellation milder, die er auf 100, Hierokles auf 
1000 drachmen bemilst. letzteres ist so hoch, dafs nicht leicht jemand 
riskirt haben würde, von der entscheidung des Dekeleerhauses zu appel- 
liren. darin stimmen endlich beide überein, dafs den ausgeschlossenen, 
der sich dabei beruhigt, keine strafe trifft. 

Wie stehen nun beide beschlüsse zu einander? wenn sie gleich- 
zeitig aufgezeichnet sind, so ist der zweite ein amendement zu dem ersten, 
das er zum guten teile aufhebt. wenn Nikodemos etwas später erst auf- 
getreten ist, so ist es ein verbesserungsantrag: denn mit ra ud» alla 
xora Ta nrporega Wnplouera fängt Nikodemos an. allerdings tragen 
beide den vermerk, dafs sie aufgeschrieben werden sollen, am schlusse, 
der zweite, dafs er daneben aufgeschrieben werden solle, so dafs die 
formen des attischen amendements nicht ganz gewahrt sind; doch be- 
denke man, dafs Nikodemos wirklich nicht sagen konnte za u8lv aAle 
xasarıeg Tegoxkıs, da ja jener selbst das alte gesetz voraussetzte, und 
er dasselbe sofort mit ög eiomraı citirte. es wird also wol so zu- 
gegangen sein. 

Als nach dem kriege, in dem Dekeleia das feindliche hauptquartier ge- 
wesen war, nach den revolutionen und der einführung strenger gesetze über 
das bürgerreclit die phratrie der Demotioniden sich wieder zusammen- 
fand, ihr heiligtum herstellte und die acten, so weit sie noch da waren, 
wieder hinauf brachte, zeigten sich sehr grolse schwierigkeiten, da es 
genug brüder gab, die entweder selbst zweifelhafter herkunft waren oder 
doch geneigt, solche elemente zu dulden. so zog es sich bis 396 hin: 
da hatte Hierokles eine neuordnung vorbereitet, die dem priester seine 
von alters herkömmlichen aber natürlich seit 412 in verfall geratenen 
gefälle und seinem heiligtume das cultvorrecht wahrte, die vorherrschende 


Verfassung der Demotioniden. 265 


bedeutung des alten dürflichen heiligtums herstellen wollte, und dem 
Dekeleerhause, dem von alters her die prüfung der neueintretenden zufiel, 
zwar dies vorrecht erhalten, aber grüfsere garantien für die pünktliche 
ausübung der prüfung schaffen wollte. darunter befand sich für einen fall 
die übrigens durch die gefahr einer sehr hohen sirafe stark erschwerte 
appellation an das plenum der bruderschaft. für den augenblick ordnung 
zu schaffen, war eine summarische aburteilung der noch restierenden un- 
geprüft eingeführten brüder durch das plenum nicht zu umgehn gewesen. 
es war alles fertig; Hierokles hatte seinem wolstilisirten antrage sogar 
schon die verordnung der publication angehängt. aber auf der ver- 
sammlung gieng es nicht so glatt; sie mochte durch die prüfung, die so- 
fort nach Hierokles antrage erfolgte, lust bekommen haben, die sache 
selbst in der hand zu behalten. Nikodemos stand auf, schlofs sich zwar 
in allem übrigen dem vorredner an, aber mit dem alten rechte des Deke- 
leerhauses räumte er auf, obwol er selbst aus dem demos Dekeleia war.”) 
es sollten gar keine vorrechte mehr bestehn, am wenigsten für die leute, 
die mit Sparta sich gut gestanden hatten. die beste garantie war schon 
in der alten bestimmung gegeben, dafs 3 zeugen bei Jer einführung zu 
nennen waren: wenn das nicht beliebige leute, sondern die nächsten _ 
bekannten des einzuführenden waren, mulsten sie unterrichtet sein. und 
die vorprüfung fiel wieder diesen wolunterrichteten, an die man sich in 
fällen sträflicher nachsicht halten konnte, weit besser zu als dem Deke- 
leerhause. so .beseitigte er dieses und ersetzte es durch die thiasoi. das 
fand den beifall der bruderschaft, ward mit dem beschlusse des Hierokles, 
von dem ja noch sehr viel gültig blieb, aufgezeichnet, und danach haben 
die Demotioniden gewirtschaftet, so lange die phratrie nicht in vergessen- 
heit geriet. 

Die urkunden sind vollkommen verständlich, sollte ich meinen. dafs 
wir lediglich durch sie eine sichere kenntnis aller bruderschaften er- 
langen sollten, ist zu viel verlangt. aber einiges ist doch sicher, anderes 
läfst sich vermuten. die Demotioniden zerfielen schon vor 396 in cult- 
genossenschaften unbestimmter zahl und verschiedener grölse. ohne jede 
spur gentilicischer verbindung, auch nur in der fiction, wurden sie aus- 
schliefslich durch die verehrung desselben gottes oder heros zusammen- 
gehalten. wie sie zu diesen überirdischen mächten in beziehung ge- 
treten waren, wie sie sie pflegten, ist vollkommen dunkel: wir können 
auch eine urkunde eines solchen thiasos von irgend einer beliebigen 


7) CIA II 1982—84. 4213 stehn träger des namens aus Dekeleia. 


266 II. 1. Die phratrie der Demotioniden, 


solchen verbindung, die freie und unfreie bürger und nichtbürger jeder- 
zeit bilden konnten, schlechthin nicht unterscheiden, wenigstens zur zeit 
nicht. dafür wäre das wichtigste, wenn man wenigstens die verehrten 
götter kennte.) das alte gentilicische wort gearola hatte also keine 
andere bedeutung mehr als in dem aristophanischen gear&ges reLw- 
ßöAov oder in den adeAgyoi der alten kirche, den bruderschaften Buddhas 
und Benedicts. seit 396 erkannten die Demotioniden nur noch diese glie- 
derung in thiasoi an. aber es bestand bis dahin eine andere. da hatte in 
ihr die vorstandschaft ein haus’, das der Dekeleer; dies stellte den priester 
und controllirte den bestand der ganzen bruderschaft, die somit aus 
leuten höheren und minderen rechtes bestand. ob dieses haus einen 
thiasos bildete oder mehrere umfalste, ist unbekannt. haus, olxoc, ist 
ein gentilicischer begriff und kann hier nicht anders gefafst werden. 
die im attischen rechte sonst geltende bedeutung, dafs er den einzelnen 
hausstand innerhalb eines geschlechtsverbandes bezeichnet (olxog arröl- 
Avraı, E&epnuovrae), palst nicht, wol aber redet Pindar (Ol. 13, 2) von 
einem zoLooAvureovıxog olxos, dem des Xenophon von Korinth, und 
Phylakidas Lampons sohn von Aigina erhebt durch seinen sieg die 
— zarea Wahvxıdav und den oixoc Osurorlov (Isthm. 5, 63): das ist 
dieselbe gliederung. die vorstellung ist deutlich in der rede gegen Makar- 
tatos, die verschiedene olxoı unterscheidet, deren jeder auf einen sohn 
der Buselos zurückgeht, und die allesammt demgemäls BovoeAlda: heilsen. 
so mülste der olxog Texellwy auf einen ahn zurückgehn, der der sohn 
des Demotion wäre, und auf Demotion mülsten über andere söhne die 
übrigen genossen der bruderschaft auch zurückgehn. aber für die andern 
ist selbst diese fiction aufgegeben, und der oixog heifst nicht mehr nach 
dem ahn AexeAlöaı, sondern nach dem orte, wo das heiligtum der 
bruderschaft ist, dem attischen dorfe Dekeleia, und der ort in der stadt, 
wo sich die mitglieder der staatlichen gemeinde Dekeleia zu treffen pflegen, 
wird für die publicationen der bruderschaft benutzt. folglich müssen 
die gemeindemitglieder und die angehörigen jenes “hauses’ in der phratrie 
im grofsen ganzen wenigstens identisch sein, und damit ist gesagt, dafs 
olxog zwar noch ein gentilicischer terminus ist, aber schon keine genti- 
licische bedeutung melır hat, ja nicht mehr fingirt. 
Verfassung In der sonstigen überlieferung hören wir von orgeonen und gennelen 


Ohratrien. und homogalakten als mitgliedern der phratrie. diese ordnung der Demo- 


8) Nach dem letzten beschlusse der inschrift möchte man glauben, dafs Leto 
irgendwie für diese bruderschaft, einen oder mehrere thiasoi, in betracht kam. 


Verfassung der anderen phratrien. 26) 


“ 
Yun an 


tioniden weifs nichts von ihnen allen, und es ist willkür, die thiasoten 
mit den orgeonen, die Dekeleer mit den genneten gleichzusetzen, ja dies 
letztere ist sogar falsch. sollen wir nun unserer urkunde zu liebe den 
Philochoros preisgeben, oder aber dem Philochoros die urkunde, da es 
doch mit den harmonistischen kunststücken nicht geht? keines von beiden. 
das erste ist, dafs wir uns selbst kein x für ein u ınachen, sondern die 
wahrheit eingestehn: es stimmt nicht. das zweite ist, dafs wir folgern, 
was unumgänglich ist, wenn die zeugnisse neben einander bestehen sollen: 
es war in den phratrien nicht immer und gleichzeitig nicht in allen 
dieselbe ordnung. erst das dritte ist die erklärung dieser verschieden - 
heit. aber auch diese läfst sich sofort sicher geben, seit Aristoteles wieder 
da ist. er belehrt uns, dafs schon zu Drakons zeit nicht melır der 
adel für das bürgerrecht bestimmend war, sondern das vermögen; Klei- 
sthenes läfst denn auch die ganze ordnung von pbralrien und priester- 
tümern ruhig fortbestehn, obwol er den staat nur auf die gemeinden 
gründet, und er knüpft das staatsbürgerrecht an das gemeindebürger- 
recht ausschliefslich: so hat der staat an den phratrien jedes interesse 
verloren. sie existiren dagegen ruhig fort. aber sie verändern sich doch. 
nach bekanntem attischem rechte sind alle vom staate anerkannten ge- 
nossenschaften berechtigt sich selbst ihre gesetze zu geben; das gilt von 
den phratrien natürlich, und wie sehr es tatsächlich galt, lehrt die rück- 
sichtslose neuerung des Nikodemos in der phratrie der Demotioniden. 
gerade solche gemeinschaften, in denen die form den inhalt überdauert 
hat, sind der willkür stark ausgesetzt. rudimente ältester ordnung con- 
secrirt hier der fanalismus der altertümler, während dort die flache gleich- 
macherei alles nach dem jeweiligen zeitgeschmacke modelt. uns sind die 
phratrien, wie wir sie allein kennen, als opfer- und schmausgenossen- 
schaften wenig interessant, aber nur durch sie können wir eine ahnung 
von den bruderschaften des adelsstaates gewinnen. um 396 schon mögen 
die zwölf phratrien zwölf verschiedene statuten gehabt oder erhalten 
haben. hundert jahre später waren sie zum teil vielleicht schon ganz 
verkümmert, interessirten jedenfalls nur noch den exegeten Phiilochoros; 
aber wenn er sich über eine oder zwei informirte, wufste er mit nichten 
das allgemein giltige noch das uralte gemeinsame. 

Von der verwaltung der phratrien wissen wir nur etwas über die 
Demotioniden und die Dyaleer (CIA 600), und sofort ist die verschieden- 
heit da: jene haben einen, diese zwei phratriarchen. das ist ein unter- 
schied, wie er zwischen gemeinden unerhört ist. greifbater noch ist die 
verschiedenheit im cultus. trotzdem, dafs Zevg poargıos und Aynva 


268 Ill. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


gpecroia, die den begriff religiös ausdrücken, der profan goargla oder 
x0ıv0v ist, weiter nichts, notwendiger weise überall verehrt wurden, war 
es unvermeidlich, dafs die geschlechter sowol wie die cultverbände, die 
wir innerhalb der phratrien finden, je nach ihrer bedeutung und der 
entwicklung der phratrie ihre götter zu dem range von gemeinsamen 
phratriegöttern erhoben. namentlich YrroAAwv srarewos, der den be- 
griff des attischen adels bedeutet, konnte vorwalten, wenn die altadlichen 
die oberhand hatten, oder durch eine andere auffassung allgemeiner potenz 
noch weitern kreisen der brüder genehm gemacht werden. so finden wir 
denn den AröAlwy srarewog bei den Thersikleiden’), den "Eßdouerog, 
dem der siebente als geburtstag heilig ist, bei den Achniaden'°), die 
zeıronoreng bei den Zakyaden''), die Leto bei den Demotioniden, den 


9) CIA 11 1652. von dem namen ist erhalten Qspgıx-wv, und es fehlen etwa 
vier buchstaben. also war der name ein gentilicischer, dessen erster bestandteil 
ohne attischen rhotacismus @egpos- ist. man hat auf Ospoıxw» und Ospoinias ge- 
raten. beides ist unglaublich, @egosxias ist ein falscher kurzname, der Gepaias 
lauten würde, Oepoıxwv as ‘'Hoaxov Zuloowv Anellısov ist wenigstens nicht 
attisch. also OspaıxÄrs oder Oepoıxparns, und für ersteres spricht der raum. 

10) CIA II 1653. Apollodoros des Thrasylios sohn führt einen sohn an den 
Thargelien, also am siebenten, dem geburistage des Apollon, in seine bruderschaft 
ein (Isaios 7, 15): er dürfte ein Achniade gewesen sein. ein grenzstein'von dem 
grundstücke dieser phratrie Mitt. Ath. XlI 287. 

11) CIA 11 1062. der name kann eben so gut auf ein geschlecht bezogen 
werden. der ahn Zaxvs führt auf eine ungriechische wurzel ax, hat aber auch keine 
in Athen geläufige endung. ist es ein pseudhypokoristikon, so dafs x» anlaut des 
zweiten gliedes ist, so bietet sich z. b. Gaxooos als vollname. das ist wieder nicht 
attisch. die Zakyaden für eine phratrie zu halten bestimmt mich ihr cult, die za- 
orarens (denn reızonarpsvs kann allein der singular sein). diese dunkelen wesen 
sind selbst eine sippe, mögen sie so heifsen, wie Jvalis Kngyıoıns Tereanoirs, 
oder Teıronaropss, wie die grammatiker sagen (Harp. epitome, daraus Phot), es 
sind solche, “die die dritten väter haben’. die grammatik erlaubt nicht darin “die 
dritten väter’ zu sehn, was zei/ros natepes heilsen würde, so gern man die vor- 
fahren vom grofsvater aufwärts verstünde, und obwol so Aristoteles verstanden 
haben soll (Pollux 3, 17). es bleibt also bei der deutung, die Lobeck im anschlufs 
an die attischen exegeten gegeben hat “die dritten vom urwesen abwärts”. am 
anfang stehn himmel und erde, dann ein attischer autochthon, einerlei wie er heifst, 
dann seine kinder, die repraesentanten der teile des atlischen volkes, das jener als 
ganzes repraesenlirt. anders ausgedrückt, weitester kreis: mensch als gattungs- 
wesen, engerer: Athener, engster: der bezirk der rgsronarens. das führt nicht 
auf das geschlecht, sondern die söhne jenes autochihonen, die dritten von allvater 
sind “brüder’. aufserdem heifst der cult dieser wesen ein athenischer, und der 
exeget gab über ihn unterweisung, also war es kein geschlechtscult, und das gebet 
für die fruchtbarkeit der ehe, das an die zesTonaropos gerichtet wird, weist auf 
die bruderschaft, der die yaunkda zukam. 


Verfassung der anderen phratrien. 269 


JToosıdwy ’Egey9eus in der phratrie, der der Kothokide Aischines an- 
gehört.') von den Dyaleern und Philieern kennen wir keine culte'®); 
aber der Aıovvoog Avakog (den Hesych aus den drzıxiroeıg als den 
Paeonern eigentümlich anführt) und irgend ein als @lArog verehrter gott 
können doch ansprüche erheben. 

Wenn wir uns somit hüten, jede einzelerscheinung zu generalisiren, 
so erkennen wir über die gliederung der einzelnen phratrien folgendes: 
in den Demotioniden gibt es weder geschlechtsgenossen, yeyvrzaı, noch 
cultgenossen, die den namen opyewveg führten, sondern lediglich Saooı. 
in diese wird durch das gesetz des Nikodemos der früher mafsgebende 
olxoc der Dekeleer aufgelöst, in welcher weise, ist nicht klar. unmög- 
lich kann auf alle phratrien gehen was Philochoros im vierten buche, 
also über dieselbe zeit berichtend, der der Demotionidenbeschlufs an- 
gehört, citirt: rovg d& Gearegag drravayuss Ölysosaı xal ToLs 0pyEwWvag 
xal Tovg Önoyalaxras, oug- yerynitag xakovuev.') das folgt eigentlich 


12) 2, 147 Yparpias 7 wmv avrav Bmuov usreyss 'Ersoßovrddas, 09ev 7 
ans Ad'nvas ıns IToluados dariv ispeıa. das ist sehr plump renommirt, denn dafs 
seine phratrie vornehmer als andere phratrien war, sagt er zwar eigentlich, aber es 
ist doch eine behauptung, die man nicht ernst nehmen soll. wenn die plebejer 
überhaupt in den phratrien waren, so bewies die phratrie eines Atheners für den 
adel gar nichts, und die nähere zugehörigkeit seines hauses zu den Eteobutaden, 
etwa in demselben thiasos, wagt er nicht zu behaupten. alle mitglieder jener 
phratrie waren zu jenem culte zugelassen, der eigentlich den Eteobutaden gehörte. 
das war also deren geschlechtscult, den wir als den des Erechtheus kennen. ehedem 
war er innerhalb der phratrie eine praerogative jenes geschlechtes gewesen, das 
immer noch den priester stellte, und einstmals hat es sicherlich noch mehr vorrechte 
besessen. aber nun war der geschlechtscult phratriecult geworden, und in so weit 
hatte Aischines an ihm teil. der cult Athenas dagegen war in ganz analoger weise 
Önuorelns geworden, ohne doch das geschlecht um seinen anspruch auf die stelle 
der priesterin zu bringen. 

13) Die PuÄssic (Harp. Kospwwidaı) hat Töpffer (Att. geneal. 110) mit wahr- 
scheinlichkeit für eine phratrie erklärt. über die 'Ziaosdas (Class. Rev. Ill 188), 
die den Apollon Patroos bei Kephisia verehren, will ich nicht urteilen. Töpfler 
(Rh. M. 45, 383) erklärt sie für ein geschlecht, was möglich ist. aber der Troer 
Elaoos beweist nicht mehr, als dafs "Eiacos ein name ist (kurzname von ’Zla- 
cırros), den ein rhapsode so gut erfinden wie ein heros tragen konnte. denn sein 
homerischer träger (IZ 696) ist eine füllfigur, die der dichter (allerdings der der 
alten Patroklie) in einem rudel anderer mit einem wort erfindet und erschlägt, 
und ans dem IT hat ihn Polygnot genommen, auch als einen beliebigen namen. 
ich verzichte darauf, noch mehr namen zu nennen, die möglicherweise phratrien 
bedeuten könnten. 

14) Phot. oeysovss. die buchzahl gibt aufser dem patmischen lexikon Harp. 
ooysovss, der auch beweist, dals ovs yerı'nras xalouuer zu dem citate gehört. wie 


270 Ill. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


schon daraus, dafs er selbst den ausdruck öuoyalaxtag von sich aus 
erklärt: in seiner terminologie, wie in der des Aristoteles (fgm. 3) war 
der name yeyynraı eingeführt, und er constatirte, dals dafür in der 
urkunde, die er mitteilt, ein anderes wort gebraucht war. dann war ” 
dies kein beschluls des athenischen volkes, sondern ein analogon zu dem 
Demotionidenbeschlusse, den wir im originale besitzen. in jener andern 
phratrie hatte man nach Eukleides liberal genug die beiden kategorien, 
milchbrüder und orgiengenossen, ohne weitere prüfung auf den nach- 
weis hin, dafs sie von den genossen ihrer körperschaft aufgenommen 
waren, als brüder anerkannt. dem würde es entsprechen, wenn in den 
Demotioniden der oixog Aexel&wy über seine angehörigen, die Ilaooı 
über die übrigen definitiv abstimmten; aber weder Hierokles noch Niko- 
demos hat es so gehalten. aufser milchbrüdern und orgiengenossen muls 
es in jener phratrie noch andere leute gegeben haben, die sich als brüder 
gerirten: es ist aber möglich, dafs man das für ungesetzlich hielt, und 
demgemäfs diejenigen, die sich nicht als einer von beiden kategorien 
angehörig ausweisen konnten, ausschlols, worüber in streitigen fällen die 
gesamtphratrie sehr wol abgestimmt haben kann. das würde einige 
analogie mit dem gesetze des Hierokles bieten; aber wir vermögen das 
nicht mehr zu entscheiden. 

In der phratrie, der Menekles angehörte, um dessen erbschaft sich 

\) die zweite rede des Isaios drelit, gab es orgeonen. welche andere kate- 
gorie neben ihnen stand, ist nicht zu sagen: Menekles war eben selbst 
orgeon. aber die verantwortung für die aufnahme eines bruders tragen 
sowol orgeonen wie phrateren, deren zeugnis verlesen wird (16): die 
ausdrücke eloaysı» &is Toug Yoaregas, &yypapeıy eig ToVg Oeyewvag, 
neben denen die demoten erscheinen, entsprechen der procedur, wie 
sie Hierokles voraussetzt; die einführung geschiebt nach ihm erst an den 
Apaturien, dem phratrienfest, die einschreibung bei dem olxog Aexei&wy, 
ein jahr nachher, und dies erst ist das entscheidende. 

In der phratrie, der Apollodoros angehörte, um dessen erbschaft 
sich die siebente rede des Isaios dreht, werden nur genneten erwähnt, 
weil er ein geschlecht hatte. hier war die procedur so, dafs der ein- 
führende das kind an die altäre führte und seine echtbürtigkeit beschwor; 
darauf fand eine ahstimmung der anwesenden statt, und auf grund deren 
ward der neue bruder in die register eingetragen (16). diese einfüh- 


sollte auch ein später grammatiker die erste person von den Athenern gebrauchen? 
der grammatiker hat den commentar des Seleukos zu Solons gesetzen benutzt, ge- 
hört also der kaiserzeit an. 


nn. N » 


Verfassung der anderen phratrien. 271 


rung geschah, wie es scheint, zugleich zu den genneten und phrateren; 
aber wer abstimmte, ist nicht ganz deutlich. 

In der phratrie, zu der Phrastor von Aigilia aus dem geschlechte der 
Brytiden gehörte, entschied die abweisung der genneten endgiltig über 
die abweisung eines einzuführenden, wenigstens eines adlichen. Phrastor 
strengte gegen einen solchen beschlufs einen privatprocels an, der über 
den schiedsmann nicht hinauskam.'°) 

In der phratrie des Makartatos entschied sofort, wenigstens über 
diesen, ein beschlufs der gesamten bruderschaft; eine unterabteilung 
wird nicht erwähnt (Rede gg. Makart. 13). 

In dem adlichen geschlechte der Keryken entschied der eid des ein- 
führenden vaters über die aufnahme eines kindes. er ward am altare 
unter handauflegung am Apaturienfeste geschworen, ganz wie Hierokles 
es fordert, der aber die handauflegung erst als neuerung einführt. eine 
debatte der genneten fand statt, aber sie war zwecklos, da sie durch den 
youog gebunden waren, den eid des vaters zu respectiren (Andok. 1, 126). 
die phrateren werden gar nicht erwähnt. sie werden den durch genneten- 
beschluls anerkannten Keryken olıne weiteres aufgenommen haben. 

Die rede gegen Leochares (42. 44) erzählt als zwar ungehörig aber 
möglich, dafs jemand ohne weiteres durch einen einführenden bruder 
in das register der phratrie eingetragen ward, und deutet darauf hin, 
dafs in der regel die aufnalıme in die phratrie der aufnahme in die 
bürgerliche gemeinde vorhergehen mulste: was allerdings tatsächlich sitte 
gewesen sein wird, da man das kind möglichst früh zu den altären der 
_ brüder brachte'*), während die gemeinde sich erst für die heerespflich- 
tigen knaben interessirt. aber ein gesetzlicher zusammenhang zwischen 
beiden eintragungen existirt nicht. 

Euxitheos von Halimus beweist sein bürgerrecht unter anderm durch 


15) Apollodor gg. Neaira 59. die als zeugen vernommenen Brytiden gehören 
alle nicht nur verschiedenen demen, sondern auch phylen an, Hekale (1V) Eroiadai 
(VIII oder X) Phaleron (IX) Lakiadai (VI) Aigilia (X) Kephale (V). also erstreckte sich 
diese phratrie über die mehrzahl der phylen mindestens, und es sind demen in ihr, 
die dem asty angehören (Lakiad. Phaler.), der Mesogeia (Hekal. Kephal.), der Paralia 
(Aigil.), so dafs auch mit den trittyen keine ausgleichung denkbar ist. 

16) Ohne die ganze rituelle frage nach den opfern in der phratrie zu erörtern 
(yaunkia ueiov xovgswov), stelle ich doch als das natürliche und durchaus probable 
hin, dafs eigentlich das “geringere” opfer bei der ersten vorstellung des neugeborenen, 
das “harschuropfer’ bei der aufnahme des erwachsenen knaben, das ‘heiratsopfer’ 
in der neuen phratrie, deren göttern die junge frau nun untertan ward, stattfinden 
sollte. xovgsso» kommt notwendiger weise von xsigesw, nicht von x0_06. 


272 DI. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


das zeugnis der phrateren und genneten, daneben durch das der ver- 
wandten (ovyyeveig) und demoten (rede gg. Eubulides 23), das sind alle, 
die einen Athener zu prüfen pflegen (24). es führt das nicht mit not- 
wendigkeit darauf, dafs der arme teufel selbst einem geschlechte angehörte: 
aber die genneten müssen allerdings seine echtbürtigkeit geprüft haben. 
und mit berufung auf diese stelle gibt der kundige grammatiker, dem 
wir auch des Philochoros bruchstück verdanken, ausdrücklich an, dafs 
die genneten rorg Eyypapou£vorg £ig Toig gYearopag Öraxplvovses 
xal doxıuatovyres ei nolital eloıv n 5&voı 2ötxovro n anıeBallor.”) 
das ist also genau das verhältnis, wie es die Demotionideninschrift für 
die thiasoten zeigt; appellation ist dabei immer noch möglich. 
ner Das sind die einzelfälle, die wir nicht ausgleichen dürfen, obwol 
alederen sich eine anzahl gut vertragen, da wir ja die phratrien nicht bestimmen 
können, denen die leute angehörten. aber allerdings zeigt sich eine 
analoge gliederung überall, in brüder erster und zweiter classe, und 
die aufnahme neuer brüder wird nicht immer von der ganzen bruder- 
schaft vorgenommen. die einfachste und deshalb von Philochoros als 
normal angesehene teilung unterscheidet adliche geschlechtsgenossen von 
plebejern, die statt des cultes eines ahnherrn eine cultgenossenschaft 
um irgend einen gott oder heros gebildet haben, yeryyraı und opyewves. 
statt dessen liefern die Demotioniden thiasoten: die umfassen später beide, 
und es ist auch nichts dagegen zu erinnern, wenn die Keryken z. b. als 
ein thiasos von Keryx- oder auch Hermesverehrern aufgefafst werden. 
ob dieser name vorher, als der oixog der Dekeleer bevorzugt war, die 
plcbejer allein bezeichnete, also mit den orgeonen identisch war, möchte ich 
nicht entscheiden. man konnte auch ältere yeyvnraı und Opyewveg unter 
einem neuen namen Jıaawraı zusammenfassen; und wer kann sagen, 
ob das haus der Dekeleer nur adliche umfalste? in der phratrie, deren 
statut Philochoros mitteilt, gab es statt der gennelen ouoyalauzss; er 
setzt sie ausdrücklich gleich, und Aristoteles leitet von der familie das 
dorf ab, oug xakovol zıyes Öuoyakaxras, sraidag TE xal sraldwy sraidag 
(Pol. A 1252° 13).') aber wie in aller welt kann “milchbruderschaft’ die 
descendenz bedeuten ? da mülste man ja das zur zeit moderne “matriarchat’ 
für Altathen construiren, das so scheufslich wie sein name und, seit 


17) Bull. Corr. Hell. 1152, wo das letzte von mir ausgeschriebene wort dxd- 
BaAlo» geschrieben ist. auf diese stelle hat mich mein schüler Teusch aufmerksam 
gemacht, der ihre verwendbarkeit für die Demotionideninschrift bemerkt hat. 

18) Die grammatiker, die das wort haben, hängen von Philochoros ab oder 
erklären adsApos dx Trs avıns unreos. Pollux 3, 23. Hesych. 


Brüder höheren und niederen rechtes. 278 


Zeus im himmel herrscht, auf erden undenkbar ist.) es kann “milch- 
brüder’ unter “brüdern’ nur in zwei bedeutungen geben. entweder be- 
zeichnet es die kinder derselben mutter den stiefbrüdern gegenüber: 
dann könnte man wol einen gleichen vorzug darin finden, wie ihn die 
yeyyıraı haben, z. b. unter den stammheroen Israels die söhne Leas und 
die Rahels je als öuoyaAaxreg zusammenfassen, denen dann wieder die 
bastarde des volksheros als brüder minderen rechtes zur seite träten. 
oder aber die milchbruderschaft bedeutet was wir darunter verstehen, 
was den adlichen herrn mit den leiblichen kindern seiner amme ver- 
bindet.) und erst diese milchbruderschaft macht den übergang von dem 
hause zum dorfe, das mit nichten blofs aus den descendenten eines 
hauses besteht, sondern ihre oixig und oixeraı einschlielst. wenn eine 
atlische phratrie also die öuoyalaxreg in den rang der yevınrau ge- 
stellt hatte, so war das bei dieser bedeutung nicht eine exclusive mals- 
regel, die unter den geschlechtern nur die vom ächtesten adel aussuchte, 
sondern eine liberale, die einen kreis von plebejern die den adlichen am 
nächsten standen als milchbrüder zuzog. ich neige mehr hierber, um 
der analogie willen, die in Rom die ansehnlichen plebejischen häuser 
bieten, die mit adlichen den namen teilen. noch mehr freilich bestimmt 
mich der olxog Sexeltwy, denn dieser steht den genneten in andern 
phratrien völlig analog, aber er ist kein geschlecht, ist vielmehr von 
einer gemeinde oder besser von einem dorfe benannt. den demos 
Dekeleia hat es freilich erst seit 507 gegeben, aber Dekeleia sicher und 
den olxosg Aexeltwy gut und gerne auch schon vorher. in der phratrie 
der Demotioniden war kein geschlecht mehr so mächtig, dafs es die be- 
FOrzugung von yeyynraı erzwang, obwol ein träger des phratriennamens 


19) Es ist schmachvoll, dafs historiker dieses wort brauchen, das wert wäre 
in der chemischen relorte gemacht zu sein: denn wer es braucht bekennt damit 
erstens, dafs er jedes griechischen sprachgefühles bar ist, zweitens dafs er in pa- 
triarchen erzväter statt stammhäupter sieht: rargıdexms os pparglapyoı, ws EFvipyas. 
area, in Elis (IGA 112) um 600 oder früher lebendig, ist gebildet wie gpeareia, 
eine jüngere parallelbildung zu area ®s yonrren. da die bedeutung von Yparre 
verscholl, hat sich aus beiden das hybride yaroia entwickelt, das um 400 aufser 
Athen wol ziemlich überall die Yeareia verdrängt hatte. 

20) Andromache, die frau des Hektor, reicht freilich seinen bastarden, die 
ihm die haussclavinnen geboren haben, die brust (Eur. Andr. 223): das ergibt eine 
umgekehrte milchbruderschaft, welche die eheliche und uneheliche descendenz des 
hausherrn, also des geschlechtseponymos, bilden würde. aber Homer zeigt, dafs die 
bastarde ohne weiteres, wie im mittelalter, dem stande des vaters folgen; die un- 
ehelichen kinder seiner töchter pflegt der vater als die seinen zu erziehen, oder sie 
werden ausgesetzt. es entscheidet also immer der selbsiherrliche wille des xvgeos. 

v. Wilamowiiz, Aristoteles. Il. 18 


274 Il. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


noch 470 archon gewesen ist. aber denjenigen brüdern, die in Dekeleia 
ansässig waren, hatte man die stellung der genneten übertragen; sie rech- 
neten sich innerhalb der phratrie als einem ‘hause’ angehörig. natürlich 
hat Kleisthenes alle die 507 dort noch ansässigen in die gemeinde auf- 
genommen, die er nach dem dorfe benannte; die damals schon in die stadt 
verzogenen dagegen nicht, die doch auch in der phratrie blieben. anderer- 
seits werden manche bürger 507 in Dekeleia gewohnt haben, die zu 
anderen phratrien gehörten, aber nun dort demoten wurden. ganz geht 
also der demos in die phratrie nicht auf, ganz abgesehen von nachbar- 
demen, die auch erst Kleisthenes schuf, wie den "xalvpıa zung Aexe- 
kelac', Olov AenekeıxovV. 

Die brüder erster classe, mögen sie geschlechtsgenossen oder milch- 
brüder oder das haus so und so heilsen, sind der alte bestand der bruder- 
schaft und gehören ihr der fiction nach durch ihre abkunft ipso facto 
an. es ist das natürliche, dafs die anerkennung durch den vater sein 
kind in das geschlecht und damit auch in die phratrie einführt: die 
Apaturien sind ja das fest der öuorcaroges. dagegen die cultgenossen 
sind irgendwann wie auch immer hinzugetreten, aufgenommen: es sind 
conscripti neben den patres oder pafricii. für sie ist diese aufnahme 
mindestens formell an einen beschlufs der alten echten brüder gebunden 
gewesen. so geht durch die verschiedenen ordnungen dieselbe er- 
scheinung hindurch, dafs die prüfung und zulassung zuerst bei den 
brüdern erster classe steht, aber die fortschreitende entwickelung den 
unterschied immer mehr aufhebt, sei es dafs die orgeonen neben den 
genneten zwar bestehen bleiben, aber eine prüfung durch jene 
eben so viel gilt wie durch diese, sei es dafs eine andere gruppe an 
die stelle der genneten tritt, sei es dafs die gesammtbrüderschaft als 
höhere instanz über die vorprüfung durch jene entscheidet, sei es end- 
lich, dals die gesammtbruderschaft in gleichartige und gleichberechtigte 
kleinere gruppen geteilt wird, so dafs genneten und orgeonen gleicher- 
malsen verschwinden. diesen leizten schritt haben die Demotioniden 
durch das gesetz des Nikodemos getan. 

Die bruderschaften waren genossenschaften (xoıya); wie diese hatten 
sie einen vorstand, und für die alte zeit werden wir die monarchische 
spitze erwarten, die in den meisten genossenschaften vorhanden ge- 
wesen ist. so haben auch die Demotioniden einen phratriarchen; aber 
die Dyaleer haben zwei. es ist unsicher etwas zu vermuten, aber da 
in der gemeinschaft der brüder zwei classen vorhanden sind, so ist 
die entwickelung wol denkbar, dafs die niedrigere einmal auch für sich 


Die bruderschaft im verhältnis zum staate. 275 


einen vertreter als collegen des adlichen brudermeisters durchgesetzt hat. 
denn so lange der bestand der mitglieder lediglich durch die adlichen 
brüder controllirt ward, mufs der vorsteher ihnen allein angehört haben: 
so war es schwerlich zufällig bei den Demotioniden 396. viel länger 
dürfte sich ein vorrang wie der des olxog Aexel&wv im passiven wahl- 
recht kaum irgendwo gehalten haben. Euxitheos von Halimus, ein mann 
der niedersten lehensstellung, ist in seiner phratrie phratriarch gewesen ; 
ob an ihrer spitze einer oder mehrere standen, ist nicht deutlich. mit 
der phratriarchie ist die vermögensverwaltung verbunden; indessen kann 
auch jeder thiasos seine casse haben, und wir sahen schon in dem ge- 
setze des Hierokles, wie die casse der gesamtheit (des xo:v0%) sich an 
die stelle der casse des olxog setzt. die Dyaleer verpachten die grund- 
stücke ausschliefslich für das xoıyov. dals dieser name statt der pgoarola 
erscheint, beweist am besten, dafs ehedem eine kleinere unterabteilung 
über das vermögen der gesamten phratrie verfügte. 

Natürlich sind die priestertümer der phratrie erst recht ein vorrecht 
der adlichen, und der priester der Demotioniden heifst geradezu der des 
Dekeleerhauses. dieser cult ist nur der des persönlich gefaflsten rechts- 
begriffes der gemeinschaft: als sich in ihr die rangunterschiede ver- 
wischten, mag das priestertum, das zudem etwas einbrachte, allen brüdern 
zugänglich geworden sein. im übrigen haben die von der phratrie um- 
schlossenen gemeinschaften, geschlechter wie thiasen, ihre sonderculte, 
und da ist es schon etwas, wenn die teilnahme an den sacra den brüdern 
insgesamt verstattet wird: von da bis zur ausübung derselben, vom 
icoa Öfxeodaı zum doav, ist ein weiter schritt, der vielfach wol gar 
nicht getan ist. die phratrie, der der Kothokide Aischines angehörte, 
war berechtigt an dem geschlechtsculte der Eteobutaden teil zu nehmen; 
aber dieser cult, des Poseidon Erechtheus, ist immer geschlechtscult ge- 
blieben, und Aischines hätte sich nie einfallen lassen, auf das priestertum 
ansprüche zu erheben. es hat denn auch dieses geschlecht und sein 
priesterlicher vorrang die phratrie lange überdauert. aber auf diesem 
gebiete müfsten wir sehr viele einzelne concrete erscheinungen kennen, 
um allgemeine schlüsse wagen zu dürfen. 

Nun sehen wir klarer, nun wollen wir die phratrien im verhältnis Die bruder- 
zum staate und zur bürgerschaft betrachten, rückwärtsschauend auch verhältnis 
hier von der helleren zeit aus. Es ist selbstverständlich, dafs jeder zum ntaate. 
Athener de iure einer phratrie angehören muls, deren jede also ein 
zwölftel der bürgerschaft umfafste: ein wie unförmliches ding war also 


das peargıaxovy yoaunarelov. dafs das recht wirklich so war, zeigt 
18* 


276 IT. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


schon allein die formel der bürgerbriefe elvaı zov deiva gpving xaı 
Öruov xal gearelas wv av Bovintar. in dieser liegt aber auch sofort, 
dafs zwischen der localen gliederung der gemeinden und der quasigenti- 
licischen der bruderschaften ein notwendiger zusammenhang besteht, 
denn der neubürger wählt sich nicht dreierlei, sondern indem er sich 
eines wählt, die gemeinde, die sein bürgerrecht erst effectiv macht, sind 
die übergeordneten gemeinschaften gegeben. andererseits ist mit der 
aufnahme in die gemeinde der eintritt in die phyle ipso facto gegeben. 
für die phratrie gilt das nicht, denn da bedarf es eines einführenden 
bruders, einer aufnahmeceremonie und eines aufnahmebeschlusses. der 
neubürger mag immerhin ein anrecht auf diese aufnahme von dem 
volke erhalten haben, er mufs doch erst noch schritte tun, um anschlufs 
an eine cultgenossenschaft und einen bruder, der ihn einführt, zu finden. 
er hat aber von dieser aufnahme weiter nichts, als dafs er gewisser sacra 
teilhaftig wird und die Apaturien mitfeiern kann. weder rechtliche noch 
pecuniäre vorteile stehen ihm in aussicht. er kann von der gemeinde 
für alle ihre ämter gewählt, für die richter- und ratstellen präsentirt 
werden, ganz ebenso von der phyle für die beamtenstellen des volkes, 
und das volk nun gar hat zu den wahlämtern sogar sehr häufig neu- 
bürger vorgezogen. nirgend ist die zugehörigkeit zu einer bruderschaft 
erfordert. der volksbeschlufs, der ihm sein bürgerrecht verlieh, war dem 
neubürger und seinen nachkommen allerdings ein wichtiger adelsbrief, 
den Jiefs er meistens auf seine kosten in stein hauen und öffentlich aus- 
stellen, wenn das nicht das volk schon seinem privileg zugefügt hatte. allein 
die religiösen motive, die einem Athener vielleicht noch um 350 die 
bruderschaft oder den thiasos wert machen mochten, existirten für den 
neubürger nicht; für viele bürger schwanden sie auch, und so konnte es 
gar nicht ausbleiben, dafs ein immer gröfserer bruchteil der bürger- 
schaft factisch ohne bruderschaft lebte. wo keine greifbaren vorteile 
und kein zwang vorhanden sind, wird der mensch einen mit kosten 
und mühen verbundenen freiwilligen act sehr leicht unterlassen. so sind 
die bruderschaften schon zu Philochoros zeiten antiquirt gewesen und 
bald ganz in vergessenheit geraten. hätte man die duaymgpıoıs von 346 
ihnen statt den gemeinden anvertraut, so würde die bürgerschaft ver- 
mutlich erheblich eingeschwunden sein: das geaTgLapxıxov yoauuareiov 
war schwerlich so unförmlich wie es hätte sein sollen. die geschlechter 
aber haben sich lebensfähiger bewiesen als die phratrien. 

Die Öeawngıoıg des Isagoras 508 (oben I. 31) kann nur den 
phratrien anvertraut gewesen sein: damals gab es noch keine gemeinden. 


Die bruderschaft im verhältnis zum staate. 277 


allein schon damals gab es viele leute, die sich als bürger gerirt hatten, 
ohne den phratrien anzugehören. das war möglich, weil schon damals 
und schon zu Drakons zeit die staatliche gliederung nicht mehr genti- 
licisch war: die naukrarien waren die localen verwaltungsbehörden, und 
sie waren im rate vertreten. das vermögen, nicht der adel, stufte die staat- 
lichen rechte und pflichten ab; rechtlich dagegen hatte jeder Athener 
noch damals eine phratrie: es waren nur die plebejer als orgeonen den 
geschlechtern beigeordnet. das verhältnis war also dem späteren ganz 
analog; nur hatten die geschlechter eine factisch viel höhere macht, und 
die deyıa waren den menschen ungleich wichtiger als 100 oder 200 jahre 
nachher. Kleistlienes aber konnte gar nicht anders als seine gemeinde- 
ordnung irgendwie mit den phratrien ausgleichen, gerade weil er sie 
liefs wie sie waren. er mulste das eine feststellen, dafs die neubürger, 
deren er viele aufnahm, in ihnen zutritt fanden, nicht durch privileg 
im einzelnen falle, sondern durch ein gesetz, das von selbst die gemeinde 
mit der phratrie in ein verhältnis setzte, mit anderen worten die und 
die gemeinden der und der phratrie zuwies, so weit ihre angehörigen den 
adel lediglich in folge des gemeindebürgerrechts erhielten. das gibt den 
phratrien in gewissem sinne locale bedeutung, die durch die über das 
ganze land verstreuten, jetzt den verschiedensten gemeinden zugeteilten 
alten phrateren (genneten und orgeonen älterer zugehörigkeit) nicht 
aufgehoben wird. 

Tief in das siebente jahrhundert hinein müssen wir gehn, vielleicht 
noch höher hinauf, um die zeit zu finden, wo der geschlechterstaat wirk- 
lich noch lebendig war, die ämter an den adel gebunden waren, und 
lediglich eine anzahl geschlechter in einer phratrie zusammengefalst 
waren. damals stand die plebs völlig aufserhalb, und der adel stritt dem 
plebejer mindestens das geschlecht, vielleicht auch den vater ab. dürfen 
wir nun annehmen, dafs damals wirklich das blut oder doch die geglaubte 
verwandtschaft eine anzahl von geschlechtern als Demotioniden verband, 
so dafs ihre ahnherrn kinder Demotions gewesen wären? mit andern 
worten, ist die phratrie etwas gewachsenes oder gemachtes? schon die 
zwölfzahl gibt die antwort, die schematisch aus der vierzahl der phylen 
entwickelt ist. die phratrien sind mit den vier phylen zugleich gemacht. 
von jenen lehren es die blutlosen eponyme, auf die wirklich vornehme 
adelsgeschlechter sich zurückzuführen verschmähen. auch die eponyme 
der phratrien sind blutlose gestalten: ja die namen der phratrien Svains 
@ıkıng sind zwar eines schlages mit Joyadng Aiyıxogns, aber eben 
wie jene keine gentilicia. brüder die sich nach /ı0vvoog Suakog nennen 


Demotion 
. der heros, 


278 IN. 1. Die phratrie der Demotioniden. 


sind selbst eigentlich nichts als orgeonen. also stellt sich die adelsordnung 
bereits als eine künstliche organisation dar, vergleichbar der späteren 
gemeindeordnung. die phylen sind freilich sicherlich nicht local ge- 
wesen, so wenig die 4 wie die 10. aber die phylendrittel, die zgızris 
oder goarelaı werden es freilich nicht durchweg gewesen sein, weil es 
die geschlechter nicht sein konnten, aber gewilsermalsen waren sie es doch 
auch schon: man hat die neben einander wohnenden geschlechter zu 
einer phratrie verbunden. und durch ihren cultort schon erhält die 
phratrie einen localen mittelpunkt. 

Wir würden also ein gutes teil alter geschichte kennen, wenn wir 
die centra der phratrien bestimmen könnten, und vielleicht dürfen wir 
das von der zukunft hoffen. Dekeleia (Hippothontis) ist der sitz der 
Demotioniden, Myrrhinus (Pandionis) der Dyaleer, Kephale oder Pro- 
spalta (Akamantis) der Achniaden, ein beschlufs einer unbekannten phra- 
trie ist in einer kirche zu Charvati gefunden (CIA 11 599); das ist kein 
sicherer anhalt für den demos, aber die phyle Aigeis ist wahrscheinlich. 
die Butaden und Kothokiden weisen auf eine phratrie, die mit der Oineis 
in beziehung stand. über Therrikleiden und Zakyaden, deren steine in 
der stadt nur copirt sind, läfst sich nichts sagen, über die Philies, von 
denen wir nur das geschlecht der Koironiden kennen, auch nicht. aber 
wir sehen einmal wirklich schon, dass Kleisthenes die verteilung der 
demen auf die phylen nicht ohne berücksichtigung der phratrien voll- 
zogen hat, wir sehen ferner, dafs eine gleichsetzung der 12 phratrien mit 
den 12 alten städten nicht möglich ist,”') und wenn wir jetzt auch unseres 
nichtwissens uns bewufst werden, so gibt der fortschritt der letzten zehn 
jahre fröhlicher hoffnung auf die zukunft raum. 

Als postille will ich den eponymus der Demotioniden in einem wert- 
vollen namenregister nachweisen, dem verzeichnis der kinder, die Theseus 
vor dem Minotaurus gerettet hat, erhalten in einem schönen mytho- 
graphischen Vergilscholion zu Aen. Vl, 21, das durch Haupt und Jahn 
zumeist bereits emendirt ist. quorum haec nomina feruntur. hi pueri: 
forbas (so O. Jahn, für hippo forbas.) et libi idest arcadis antimachus 
euandri mnesteus sumiani phidocus ramuntis demolion cydanı [puriesion celei 
von Haupt getilgte dittographie]. puellae haec peribea alcatim medippe 


21) Der einfall, dafs die zerganoins oder dnaxens oder nscöysıos bruder- 
schaften wären, ist mir natürlich gekommen. die ersten beiden stehn in der liste 
der alten zwölf städte, die dsaxens waren auch später eine trittiys. aber die er- 
haltenen documente dieser genossenschaften bestätigen den einfall nicht, obwol sie 
ibn schwerlich verbieten. 


Demotion der heros. 279 


pyrii iesione celei andromache eurimedontis seupymedusa polixeni europe 
laodicit milita triaconi. ich will die emendationen gleich griechisch geben. 
@ooßas, dessen vatersname sammt dem nächsten knabennamen noch 
unsicher bleibt; Aethlios und Elatos und Idas gehören nicht nach Athen 
und sind andererseits zu sehr an bestimmte träger gebunden. Phorbas 
ist natürlich der herr des Dogßavreiov in der stadt, einst ein wolbe- 
kannter gefährte des Theseus, meist Poseidonsohn. wenn man aus biidest 
mit Leo Butes macht, was sehr erwünscht wäre, könnte etli wol etali 
sein: da hätten wir die eponymen der Aithaliden und Butaden. der vater 
des zweiten knaben ist doyadevg, der eponyme der phyle, wie Jahn 
geschen hat. _Ayriuaxog Evavdoov, für mich nicht näher bestimmbare 
gut altische namen. Meveodeug Zovvlov, "Auplöoxog "Pauvovvrog, 
Anuosiov Kvdavrog. in den vätern haben wir drei demen, zwei sicher 
von der ostküste, die Kydantiden wahrscheinlich auch. dazu tritt Demo- 
tion von Dekeleia; den Kydas hatte schon Stephani erkannt. den mädchen 
fallt der westen zu, IIcoißoıa ’AAxadöov, die tochter des megarischen 
königs, mutter des Aias, wie manche sagten von Theseus: also Megara 
trotz seinem peloponnesischen herrscher gilt für attischha, Mndiszsen 
ITvggov oder TIvAlov; der mädchenname ist um der Mnda, des Mn- 
dog, Mröeıog willen gewählt, die im hause des Aigeus, auch dem Bu- 
tadengeschlechte vorkommen; es gibt auch einen Eteobutaden Pyrrhos, 
aber der name ist nicht sicher. IIvAlog palst besser; er hat den Herakles 
in die Eleusinien aufgenommen, gehört also dorthin. änderungen die 
das y aufgeben, sind nicht wahrscheinlich. “Howwvn Keidov, das ist 
Eleusis, Avdgouayn Evgvusdovrog, Evgvu£dovoa TToAv&evor, Evewsen 
Aaoöixov ohne kenntliche beziehung, Meilen aus der stadt, deren 
vater noch fehlt; Ogıayovog, wie Jahn wollte, ist keine brauchbare bil- 
dung: der eponymos würde O©giog oder Qplag oder Qpıaoıog sein. 
ich habe keinen plausibeln vorschlag. das ist aber wol klar, dafs der 
erfinder der liste (ihr überlieferer wird Istros sein) sehr überlegt ge- 
wählt hat, und dafs es sich verlohnt, die namen zu deuten oder zu 
finden. 


Der erste 
bericht des 
Herodotos. 


2. 
DER ERSTE KRIEG GEGEN AEGINA. 


Wir haben über den krieg zwischen Athen und Aegina keine über- 
lieferung aufser bei Herodotos.') was er gibt, kann so wie es ist nicht 
geschichte sein. es geht aber nicht an, davon zu ignoriren, was auf den 
ersten blick sich als novellistisch kund gibt, und das andere wol oder 
übel als geschichte zuzusiutzen, sondern die analyse des ganzen berichtes 
mufs vorhergehen. 

Herodot erzählt (V 79—90) gleich nach dem siege Athens am Euripos, 
dafs Theben sich um hilfe nach Aegina wendet, und die Aegineten die 
attische küste verwüsten. die Athener werden an der aufnahme des 
krieges dadurch verhindert, dafs Sparta mit einer intervention zu gunsten 
des Hippias droht. 

Das ist das bescheidene tatsächliche, was er über diese zeit beibringt. 
es schliefst sich seinem berichte über die attische geschichte jener jahre 
sehr gut an, und man hat nicht die mindeste veranlassung, mehr daran 
zu zweifeln als an jenem berichte überhaupt. es ist wahr, dafs Athen 


1) Weil er auf Herodotos zurückgeht, mufs selbst der bericht des Duris in 
seiner samischen chronik unberücksichtigt bleiben, der, wie ich schon früher ge- 
legentlich verbessert habe, also lautet xara de Tourov Tovy xg0v0v uno Alyırımıav 
Adnvaiosı xura Yahurrav (Ev)oykoruevos neunovos Kebovs Eis T7V Y700V, Uno 
Aaußavortes, av pYacwav anoßarıss, nolla av Blayas ınv Aiyıvav. or dd 
Enskeldövres (Krvgov yag avrois noooxaranenisuxöotes Tv ZInaprıarav Tuves) 
zors Adnvaiovs anavras ansxtewvav many Evos u.8.w. es folgt breit sein tod 
und dann die änderung der tracht: diese war es, welche der peripatetiker beleuch- 
tete, und auf ihn geht die grammatikerüberlieferung, einschliefslich einer bemerkung 
über die alten gemälde und eines Anakreonverses zurück. nur ein Kallimachosvers 
ist grammatikerzusatz. (schol. Eur. Ilek. 934). 


Der erste bericht des Herodotos. 281 


eigentlich hätte losschlagen können, sobald die von Sparta drohende ge- 
fahr verschwand. Herodot bedient sich derselben auch nur als eines 
stilistischen mittels, um einen übergang zu jenen planen der Spartaner 
zu finden.) innerlich motiviren hat er die zurückhaltung der Athener 
mit einem orakel wollen, das ihnen 30 jahre zu warten gebot, widrigen- 
falls sie einen sehr langen wechselvollen krieg führen mülsten. dies 
orakel dient ihm auch dazu, seine aeginetischen abschnitte zu ver- 
knüpfen.?) es gehört freilich zu dem was er überliefert erhalten hat, aber 
dafs es hier erscheint, ist auch nur Herodots anordnung, die für uns 
nicht mafsgebend ist. und wir bedürfen keiner besonderen motivirung 
dafür, dafs Athen 506 die räubereien der Aegineten, so bitter es sie 
empfindet, hinnehmen mufs: Athen hat ja keine flotte. da das orakel 
die überwindung Aeginas nach 30 jahren in sichere aussicht stellt, kann 
man nicht bezweifeln, dafs es nach seiner erfüllung entstanden ist. 457 
ist Aegina wirklich nach einem heftigen aber kurzen kampfe überwunden ; 
damals mufste man sich der früheren kriege, um so mehr falls sie nicht 
blofs resultatlos, sondern unglücklich waren, in der form erinnern 
“das hätten wir uns sparen sollen”. damals kannte man aber auch die 
zeit genau genug, um mit 30 jahren, mag die zahl auch rund sein, 
nicht 50 zu meinen. Herodot hätte das orakel also an dieser stelle 
noch nicht erwähnen dürfen, sondern erst an der späteren, und, wie 
wir vorgreifend nun schon ermittelt haben: der krieg mit Aegina fällt 
um 487. 


2) Solche übergänge macht er oft, und es ist ein wichtiges prinzip für seine 
exegese, dals man in ihnen nicht mehr als das stilistische motiv sucht. da gehört 
bei dem prosaischen Homer wirklich die bemerkung hin, die im epos so oft nicht 
den dichter, den sie entschuldigen soll, sondern den redactor trifft, oixovouuxws 
rovro Akysı. 

3) V 89 miFs uavızov En delpaw Eniogovras — roinxovıa Ürsa ıp Er) 
xai teımnoorgp Aiaxıp zeueros anolekarras apyasdaı — — — Tavra Ws aneveıy- 
Heyıa nxovoav oi Admvaioı, Tp us» Alaxo Teussos anedekav Tovıo, To vuv dni 
ıns ayoons idpvraı, resixovra 08 Era ovx avicgovro. VI 88 A9nvaisı dd na- 
Hövres ravza ovxerı aveßahlovıo un ou 10 nav unyaricacdas Er’ Aiyınrıaw. 
das heiligtum wird auch erwähnt in einer der topographischen glossenreihen des 
fünften Bekkerschen lexicons, 212 (= Hesych, nicht Diogenian), die auf Athen gehn, 
so dals Aisxsıov, Tönos 0ov Yaaiv zo» Aiaxöv oixjaas den aeginetischen heros 
allerdings annectirt, wie seine nachkommen Aias und Eurysakes, wie Theseus und 
Neleus annectirt sind, und namentlich Nisos, der eponymos von Nisaia. auch be- 
deutet diese gründung (die natürlich eine restitution sein wollte) den plan, Aegina 
zu annectiren. also ist es eine gründung von 458: älter kann ein solcher gedanke 
nicht sein, wol aber jünger, doch nur bis 404. 


282 Il. 2. Der erste krieg gegen Aegina. 


Noch ein anderes orakel erwähnt Herodot. Theben soll sich an 
Aegina gewendet haben, weil der gott ihm befahl sich an die ayxıora 
zu halten, und das war _Jiyıva als tochter des Asopos und schwester 
der Onßn. das entspricht ganz den anschauungen und der ausdrucks- 
form, die man bei Pindaros findet; es kann also sehr wol geschichtlich 
sein. richtiger freilich wird man auch hierin nur die darstellung eines 
zustandes durch eine einzelne geschichte sehen. 

Aber die hauptgeschichte Herodots soll den alten hafs zwischen 
Athen und Aegina motiviren, der angeblich schon vor 506 vorhanden 
gewesen ist, obwol es sonst keinerlei anzeichen für ihn gibt. weil diese 
geschichte ganz voller novellistischer züge steckt, ist es zwar unerlaubt, 
sie in die jahrbücher der geschichte einzuordnen, wie z. b. O. Müller, 
Duncker, Studniczka getan haben; man darf sie aber auch nicht ohne 
weiteres über bord werfen, wie es zumeist und auch von Köhler (Rhein. 
Mus. 46) geschieht. ich erzähle sie nicht im ganzen nach und schreibe 
sie nicht aus; es muls sie jeder doch im zusammenhange nachlesen. aber 
ihre einzelnen züge mufs ich betrachten. 

In dem aeginetischen dorfe Oie ist ein heiligtum der Damia und 
Auxesia mit zwei schnitzbildern der göttinnen aus olivenholz in knieen- 
der stellung. wie Welcker uns gelehrt hat, sind es geburtsgöttinnen in 
der haltung der kreilsenden, wie die Auyn &yyövaoıy. die frauen ver- 
ehren sie in ihren nöten wie die Athenerinnen die Brauronia, weihen 
ihr wie diese ibren schmuck, darunter um ihres metallwertes willen 
natürlicherweise besonders viele spangen, die nach der dorischen mode 
den mantel auf der schulter zusammenbalten. nach der tempelordnung 
darf nur einheimisches tongeschirr gebraucht werden; insbesondere ist 
die attische ware ausgeschlossen, die am ehesten mitgebracht werden 
konnte: das ist eigentlich ganz natürlich. 

Die herodoteische zeit fragt bei den religiösen satzungen wie bei 
allem nach dem warum; sie findet in dem verbote der attischen ware den 
in der gegenwart brennenden hals der Aegineten. sie wundert sich über 
die haltung der götterbilder und gibt die antwort, dafs sie auf die kniee 
gesunken wären, als feinde sie rauben wollten. diese feinde sind, auch 
um des gegenwärtigen hasses willen, Alhener. die statuen sind aus 
olivenholz; die Athener sind des glaubens, dafs die olive ihnen gehöre. 
damit sind ihre ansprüche und ihre versuche die statuen zu rauben 
motivirt. 

Die Athenerinnen tragen keine schulterspangen mehr wie die Dore- 
rinnen; aber man hat seit dem umschwunge der mode den glauben, das 


Der erste bericht des Herodotos. 283 


dorische wäre ächthellenisch, und wenn die frauen gleichwol nicht zu 
der mode der unförmlichen spangen zurückgekehrt sind, so motivirt man 
das mit einem verbote wegen der gefährlichkeit dieser instrumente. von 
der erzählte man viel. Oidipus hatte sich mit der spange lokastes ge- 
blendet (Soph. O. T. 1269), und die Troerinnen hatten es mit Polymestor 
ebenso gemacht (Eur. Hek. 1170): die tragiker lehren uns, zu welcher 
zeit diese beurteilung der dorischen spange gegolten hat; die unanstän- 
digkeit des dorischen frauenkleides, das die schenkel den blicken darbot, 
weil kein hemde darunter safs, berührt schon Anakreon. was war nun das 
opfer der attischen frauen, dessen ermordung das verbot der dorischen tracht 
mit den spangen hervorrief? das läfst sich nicht a priori bestimmen, das 
konnte so oder so gedichtet werden. da lernen wir, dafs es der unheilsbote 
gewesen ist, der von Aegina als einzig überlebender die kunde eines grolsen 
unheils brachte. wie die Athener erzählen, sagt Herodot, war ein schiff 
hinüber gefahren um die beiden bilder aus attischem olivenholz zu holen. 
die mannschaft war bei dem gotteslästerlichen unterfangen von plötz- 
lichem wahnsinn befallen, und bis auf den einen hatten sie sich alle gegen- 
seitig umgebracht. dem stellt er den aeginetischen bericht gegenüber 
und zwar so, dafs er ihn als berichtigung des attischen gegeben annimmt, 
selbst aber wieder das wunderbare aus ihm zu streichen bemüht ist. 
nach diesem berichte ist eine attische flotte mit gewalt nach Aegina ge- 
kommen, gegen die haben die Aegineten hilfe von Argos gerufen, diese 
ist unbemerkt gelandet, hat die Athener von ihren schiffen abgeschnitten 
und hat sie niedergemacht bis auf einen. das ist ganz offenbar ein durch- 
aus nicht novellistischer oder aetiologischer bericht, sondern ein geschicht- 
licher. ich habe nur das novellistisch aetiologische fortgelassen. das 
besteht in der tempellegende, dafs die bilder sich nicht wegrücken liefsen, 
und als man sie mit seilen wegzuziehen versuchte, in die knie fielen, 
und darin dafs gewitter und erdbeben den untergang der Athener be- 
gleiteten. diesen bericht hat Herodot offenbar so eingeholt, dafs er den 
Aegineten die atlische erzählung vorlegte. wenn die Athener selbst sagten, 
sie hätten die bilder rauben wollen und wären alle bis auf einen um- 
gekommen, so hatten jene keinen grund zu widersprechen. was die 
bilder anlangte, so verfügten sie über eine andere aetiologische geschichte, 
die gar nicht damit zusammenhieng, aber sich gut damit vertrug. dafs 
die attische die erinnerung an eine schwere niederlage, nicht an den 
verlust eines schiffes, festhielt, sagten die Aegineten; wir könnten es uns 
auch selbst sagen, da die genesis der ganzen fehde ohne diese voraus- 
setzung unbegreiflich ist. es ist aber schlechthin nicht abzusehen, wes- 


284 II. 2. Der erste krieg gegen Aegina. 


halb wir dem berichte der Aegineten in betreff .des krieges mit Athen 
mistrauen sollten. 

Die analyse der ersten herodoteischen erzählung hat also als ge- 
schichtlich glaubhaftes resultat ergeben, dafs irgend wann die Athener 
eine starke truppenzahl auf Aegina gelandet hatten, die aufgerieben warll, 
weil hilfsvölker von Argos unbemerkt auf der insel eintrafen und die 
Athener von ihrer flotte abschnitten. diese geschichte ist zunächst voll- 
kommen zeitlos, denn Herodots anordnung ist dessen eigenes werk und 
hat für uns nicht die mindeste verbindlichkeit. 

Der zweite Das andere stück der kriegsgeschichte schiebt Herodot zwischen 
Herctote® die gesandtschaften, durch die Dareios von den hellenischen staaten die 
unterwerfung fordert, und die schlacht bei Marathon. wer seiner er- 
zählung folgt, mufs alles 491 bis sommer 490 unterbringen; es ist nicht 
mehr nötig die unmöglichkeit zu beweisen. die hauptpunkte sind fol- 
gende. Aegina huldigt dem Dareios, wird deshalb von Athen in Sparta 
denunzirt, weigert dem könig Kleomenes die genugtuung (VI 48—50). 
als dieser seinen collegen Demaratos durch Leotychides ersetzt hat, er- 
zwingen beide die auslieferung vornehmer Aegineten und geben diese den 
Athenern in verwahrung (VI 73). nach dem tode des Kleomenes fordern 
die Spartaner die auslieferung dieser männer vergeblich von Athen (VI 85). 
hier ist es erst, wo in wahrheit die fortsetzung seiner früheren erzäh- 
lung von Herodot notirt wird (VI 87. 88); der aeginetischen geifeln, 
der Perser und der Spartaner geschieht keine erwähnung mehr. die ge- 
schichte wird völlig zeitlos, umfafst ersichtlich eine längere, wenn auch 
unbestimmte frist, der übergang zu anderem wird mit A9mvaloıcı uirv 
ön zeukeuog Ovvnnto sıoog Alyıynvag (VI 99) gemacht, ohne dafs doch 
ein abschlufs da ist. wir brauchen also nur die beiden gesonderten stücke 
des herodoteischen berichtes gesondert zu behandeln, so sind wir die ver- 
wirrung der zeit los. dafs Aegina Persien gehuldigt hat wie die andern 
inseln, ist ganz glaublich; sie mochten den zunächst bedeutungslosen 
act für politisch halten: 480 haben sie sich den ehrenpreis der tapfer- 
keit verdient, und die anekdote ist wol authentisch, dafs der sohn eines 
der damals in Athen verhafteten männer, des wegen seines namens auch 
von Simonides bespöttelten Krios*), bei Salamis dem Themistokles ein 


4) Es ist wol ein Athener gewesen, der in Nemea den Krios im ringkampf 
überwand und sich von Simonides das siegeslied machen liefs, in dem darüber ge- 
scherzt ward “wie der bock im haine des Zeus so weidlich geschoren ward”. denn 
das lied blieb in Athen volkstümlich (Ar. Wolk. 1356 mit schol.), und es bedurfte 
eines besonderen hasses, um die abweichung von der etikette zu motiviren: wie Pindar 


Der zweite bericht des Herodotos. der dritte bericht des Herodotos. 285 


bitteres wort über den aeginetischen medismus zugerufen habe, als er 
gerade ein sidonisches schiff geentert hatte (Her. VIII, 92): auch die andern 
facta, die klage Athens und die verhaftung der angeblich oder wirklich 
perserfreundlichen führer wird so bestätigt. endlich ist die datirung des 
IIerodotos ganz unanstölsig, zumal die spartanische königsliste als Leo- 
tychides’ erstes jahr 491 gerechnet hat. nur mufs jedermann, der dies 
für sich betrachtet, annehmen, dafs 490 die aeginetischen gefangenen in 
attischem gewahrsam salsen. 


Gesondert davon, zusammenhängend mit der erzählung im fünften Der dritte 


ericht des 


buche, steht der ausführliche bericht (VI 87—93), den Ilerodot nur bier- terodotos. 


hergerückt hat, weil er in sich gar keine datirung trug. die Aegineten 
rauben ein altisches schiff, das zur regatta am Poseidonfest nach Sunion 
fährt. die Athener schlagen jetzt die warnung des orakels in den wind, 
das, wie wir schon gesehen haben, die zeit um 487 vorausselzi, und 
versuchen durch einverständnis mit einem demokratisch gesonnenen 
Aegineten sich der insel zu bemächtigen. dazu müssen sie sich 20 schiffe 
von den Korinthern schenken lassen. aber sie kommen einen tag zu 
spät, als der demokratische aufstand schon niedergeschlagen ist; nur der 
rädelsführer mit wenigen rettet sich nach Athen, wird in Sunion an- 
gesiedelt und treibt piraterei gegen Aegina.) die athenische flotte er- 
zwingt sich doch die landung durch einen seesieg; da kommt zwar 
nicht officieller, aber doch starker zuzug von Argos. die meisten Argeier, 
und so ihr führer Eurybates, werden freilich von den Athenern er- 
schlagen, Eurybates im zweikampfe; aber die Aegineten überfallen doch 
die Athener, als sie einmal in unordnung sind, und nehmen vier schiffe. 

So schlielst die geschichte oder vielmehr so bricht sie ab. die dar- 
stellung ist offenbar athenisch, also ist von den attischen erfolgen einiges 
abzuziehen. noch viel sicherer aber ist, dafs das ende fehlt: das athe- 
nische heer kann doch nicht in Aegina sitzen bleiben, und dafs die 
Argeier beinahe alle erschlagen werden, sieht selır nach einer verall- 
gemeinerung des einen abenteuers aus, das Herodot hier aus anderer 


zeigt, macht man sich nicht über die personen der überwundenen gegner lustig. 
der name Kosds klang den Hellenen komisch. das grabepigramm eines Atheners 
Krios (Kaib. 63 = CIA II 3880 saec. IV) hebt dem namen gegenüber die yuyn Pwros 
Öıxasorarov hervor: das geht auf die sprüchwörter xgıös Teogel” anedmxev, wgıov 
dsaxovia. 

5) Das ist ein schöner beleg für die gestattung der caperei von privaten, die 
gesetzlich daraus folgt, dafs das bekannte ‘solonische’ gesetz den dr! Aela» olgousvos 
den schutz ihrer genossenschaftlichen statuten gewährt. 


286 II. 2. Der erste krieg gegen Aegina. 


tradition eingefügt hat: der attische held Sophanes zeichnet sich auch bei 
Plataiai aus und ist 464 hei Drabreskos gefallen (IX 73). man verlangt 
eigentlich als abschlufs eine niederlage der Athener. man verlangt sie 
doppelt, wenn man sich des orakels erinnert. wie kommt aber der ehr- 
liche Herodot dazu, sie zu unterdrücken und seine geschichte im sande 
verlaufen zu lassen ? dafür ergibt sich die antwort, sobald man das feh- 
lende stück dazu nimmt: es steht ja vorher, er verweist auch selbst dar- 
auf, aber er kann es nicht mehr an der rechten stelle anführen, weil 
er es an der falschen verbraucht hat. nicht “wie früher”, sondern eben 
jetzt erst riefen die Aegineten den schutz von Argos an. man halte 
doch die obige erzählung der Aegineten zusammen mit den bruchstücken 
dieser. landung einer attischen flotte, ausschiffung eines heeres, un- 
erwartetes eingreifen eines corps von Ärgeiern, niederlage der Athener. 
das ist doch ein und dieselbe geschichte. der vorgang, so weit er den 
Herodot angeht, ist also der. die entscheidende niederlage Athens ist 
erstens in einem gewissen geschichtlichen zusammenhange erzählt worden, 
und andere traditionen und anekdoten nahmen auf den merkwürdigen 
ausgang vielfach bezug. daneben aber hat sich der glaube gebildet, dafs 
Athen den zug wider ein orakel unternahm; dieser freilich erst in der 
zeit, wo man Aegina von neuem, diesmal erfolgreich, zu leibe gieng. daran 
wieder hat sich die sage von dem unglücklichen kriege geknüpft, die sage 
von Damia und Auxesia; ich zweifle nicht, dafs die Athener sich wirk- 
lich in Oie bei jenem tempel festgesetzt hatten. ferner hat sich die sage 
von der ablegung der spangen, da sie einer grolsen niederlage bedurfte, 
auch an die auf Aegina geschlossen. den Aegineten konnte es schon 
recht sein, wenn die Athener nur einen einzigen der ihren gerettet 
werden liefsen. nun hörte Herodot diese geschichten; er hörte in Athen 
manclıerlei, erfragte bei den Aegineten anderes über die geschichte von den 
götterbildern, die ihm besonders merkwürdig war, und machte sich seinen 
vers daraus, so gut er konnte. das konnte er aber unmöglich gut machen. 
denn wie sollte er die niederlage der Athener, von der die Aegineten 
erzäblten, zugleich mit der von 487 und mit der, welche zur abschaf- 
fung der spangen geführt hatte, identificiren? der aufgeklärte Ionier war 
an sich geneigt, eine solche wundergeschichte eben so wie die änderung 
der tracht möglichst weit hinaufzuschieben. der vorsehungsgläubige er- 
zähler suchte den hafs der beiden städte, das unrecht Aeginas und den 
grund des miserfolges der Athener möglichst weit zurückzuführen. und 
vielleicht schlug für seine kritik am meisten durch, dafs 487 mindestens 
Sophanes leben geblieben war. aber überhaupt hatte natürlich die ge- 


Der dritte bericht des Herodotos. die halle der Athener in Delphi. 287 


schichtliche überlieferung der Athener den miserfolg möglichst gering 
dargestellt, während die sage, die ja nur ganz im allgemeinen eine nieder- 
lage als hintergrund brauchte, das sagenmotiv des einen unglücksboten 
forderte. so schob Herodot die kämpfe um Damia und Auxesia in un- 
bestimmte ferne, half sich aber über die wiederholung so gut es gieng 
weg, indem er den ausgang des kampfes unterdrückte. sein leser mag 
sich denken, es geht nun der kleine krieg weiter: der ausgang ist 


durch das orakel vorgezeichnet, wird auch erwähnt, ist übrigens in den 


tatsächlichen verbältnissen, unter denen Herodot schreibt, von selbst ge- 
geben. da er keine jahrbücher schreibt, läfst er den Themistokles die 
flotte ruhig für denselben aeginetischen krieg gründen, den er, streng 
interpretirt, 491/0 angesetzt hat: seine erzählung des themistokleischen 
strategems (7, 144) ist eben ein ganz anderer selbständiger bericht, der 
zu der wirklichen zeit, 483, vortrefllich pafst (vgl. oben I 275). 

Wie sich nach dieser analyse das was an geschichte bleibt in die 
übrigen ereignisse einordnen läfst, ist oben s. 89 durch die tat gezeigt. 

Danach haben ihre erfolge gegen Aegina den Athenern keine ver- 


Die halle 


der Athener 


anlassung gegeben, dem Apollon in Delphi eine halle zu bauen, in der in Delphi. 


sie waffen und schiffsschnäbel aufstellten und daran schrieben 49e- 
yaioı av&deoav nv 0Toav xal ra hönka xal rangoregıa helövres 
roy rcoleulov (IGA 3°). die schrift zeigt, dafs die weihung älter als 
die Perserkriege ist; die dedicationsform, dals die Athener frei sind: 
ganz abgesehen davon, dafs die Peisistratiden zu Delphi wahrlich kein 
pietätsverhältnis hatten. ich habe die halle sofort, als sie gefunden ward, 
auf den sieg am Euripos 504 bezogen, und da alle andern deutungen schiff- 
bruch gelitten haben, bin ich darin nur sicherer geworden. von einer 
seeschlacht steht nichts geschrieben: erbeutet müssen in Chalkis schiffe 
genug sein. die Athener hätten vielleicht besser getan, sie zu einer 
flottengründung zu verwenden als sie zu verbrennen und die ebernen 
vorderteile dem gotte zu weihen. aber eben deshalb wird die weihung 
in eine zeit fallen, wo der gedanke an eine eigene flotte ihnen noch 
gänzlich fern lag. für Delphi aber kann die dankbarkeit nie lebhafter 
gewesen sein, als nachdem der gott Athen erst zur freiheit, dann zur 
gemeindeordnung verholfen hatte. da die übrigens wirklich recht dürf- 
tige halle sich an das polygonale stylobat lehnt, mufs dieses damals 
schon fertig gewesen sein: der tempel nicht, und er ist es 506 
nicht gewesen (vgl. oben I 35). aber man würde dann ja auch 
nicht nötig gehabt haben, dies kleine ding anzukleben: wenn der tempel 
fertig war, kamen die weihgeschenke eben in ihn hinein. seit es die 


288 II. 2. Der erste krieg gegen Aegina. 


grofsen tempel gibt, sind weder in Delphi noch in Olympia thesauren 
mehr gebaut worden. es ist unverkennbar, dafs die fülle der weil- 
geschenke die erbauung der riesentempel im 6. und 5. jahrhundert her- 
vorgerufen hat. doch auf diese probleme der baugeschichte, die zugleich 
solche der geschichte des cultus sind, will ich hier nicht eingehn. es 
ist aber für die bestimmung der stoa von wert, dafs sie am besten für 
die zeit vor der vollendung des tempels palfst, also auch vor dem aegi- 
netischen kriege. 


3. 
CHRONOLOGIE DER PENTEKONTARTIE. 


Die Politie hat für die chronologisch dunkele periode 479—45 Begrenzung 
einige feste punkte gegeben, durch die Themistoklesanekdote aber ge- ab 
droht, alles zu verwirren. bei der nachprüfung stellte sich mir zur 
eigenen überraschung heraus, dafs das mistrauen gegen die ergebnisse 
der zeitrechnung für diese periode, das ich bisher gehegt hatte, nur so 
weit berechtigt war, als es den modernen gebäuden galt, die ohne aus- 
nahme starke gewaltmittel gegenüber den zeugnissen brauchen. läfst 
man dagegen die zuverlälsige überlieferung stehn, so ergibt sich ein 
resultat von sehr erfreulicher einfachheit und sicherheit. obwol also 
neues gerade gar nichts von mir aufgestellt wird, halte ich für gut, eine 
zeittafel vorzulegen. die methode, dünkt mich, spricht für sich selbst, 
die genauen und absolut, nicht blofs relativ, gegebenen datirungen an 
einander zu reihen. wenn sie stimmen, so ist es gut; die relativen an- 
gaben müssen sich dann fügen, und es hat historisch sogar nur ein 
geringes interesse, wie das bewerkstelligt wird. 

Es kommt freilich darauf an, welche voraussetzungen man macht, 
und wie weit man exacte genauigkeit überhaupt für erreichbar hält. ich 
schicke deshalb die grundsätze voraus, auf deren boden ich allein de- 
battiren kann. 

1) die zeitrechnung ist die attische. alle angaben der späteren gehen 
auf attische jahre zurück, abgesehen von dem persischen kanon der 
könige.') also sind die einzig absolut verläfslichen daten die auf den 
attischen archon gestellten, zumal sie entweder direct in urkunden er- 
halten sind oder aus der chronik stammen. die angaben der späteren 


1) Die gedichte des Pindaros sind durch die siege datirt, auf die sie sich be- 
ziehen, also auf Olympien und Pythien; damit ist ein spielraum von ein par mo- 
naten gegeben. 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 19 


290 III. 3. Chronologie der Pentekontaetie. 


aber müssen auf diese rechnung, aus der sie stammen, reducirt werden, 
um so mehr als der attische jahreswechsel in die ereignisse selbst auf 
das stärkste eingreift. die olympiadenjahre haben gar keine andere be- 
deutung, als dafs spätere rechnungsmälsig ein attisches amtsjahr mit dem 
viertel einer olympiade geglichen haben. es ist eine gänzlich unwissen- 
schaftliche spielerei, wenn man sich eine berechtigung zu eigener willkür 
dadurch zu schaffen versucht, dafs man den späteren schriftstellern künst- 
liche umrechnungen aus einer in die andere aera zuschreibt. es ist 
einfach schwindel, wenn jemand von der attischen zeitrechnung dieser 
periode mehr wissen will, als dafs es eine unvollkommene oktaeteris mit 
schaltungen war, von denen er weder das system kennt, noch die über- 
haupt ein system fest befolgten. praktisch sind wir gezwungen, aus- 
schliefslich mit attischen jahren zu rechnen und ein solches jahr mit 
dem ersten neumond nach der sommersonnenwende zu beginnen, für 
unsere an das julianische gewöhnte vorstellung also etwa von juli bis 
juli zu rechnen, mit anderen worten es so zu machen wie Aristo- 
teles (oben I 5). 

2) Absolut bindend ist für uns die relative chronologie des Thuky- 
dides, aber nur so weit, wie er die ereignisse ausdrücklich in relation 
setzt. wo er das nicht tut, hat er keine genauere bestimmung geben 
wollen als in der anordnung seiner erzählung liegt. ein jahr ist für 
ihn ein kriegsjahr, d. h. im allgemeinen eins wie er sie später rechnet, 
von frühling zu frühling, was praktisch ziemlich dasselbe ist wie ein 
julianisches, da die letzten wintermonate für die kriegerischen ereignisse 
selten in betracht kommen. aber er selbst hat die überlieferung in einer 
rechnung nach attischem kalender überkommen. 

3) Die vorlage des Diodoros war nicht annalistisch in ihrer er- 
zählung. ob sie trotzdem attische archonten gab, oder er nur für ein- 
zelne ereignisse solche datirungen sonst vor sich hatte und danach selbst 
den stoff verteilte, macht für die sache kaum etwas aus. er selbst ist 
ein mensch, der durch seinen eigenen unverstand verschuldet hat, dafs 
seine angaben an sich sehr geringes gewicht haben, also immer nur 
subsidiär zugezogen werden können. aber es ergibt sich, dafs namentlich 
in dem späteren teile dieser periode seine daten gut sind. 

4) Plutarch ist ein stilistisch hervorragender, historisch urteilsloser, 
chronologisch unbekümmerter mann. also erfordern seine angaben eine 
sehr umsichtige exegese, deren aufgabe es ist, seine eigene verarbeitung 
zu beseitigen, um dann die ihm vorliegenden berichte zu verwerten. 
diese waren ganz ausgezeichnet. 


Begrenzung der aufgabe. die jahre 46655. 291 


5) Justinus und Nepos sind ganz unbrauchbar. 

6) Eusebius liegt uns entstellt vor und hat die ereignisse schon so 
vielfach umgerechnet und verschoben überkommen, dals er nur subsidiär 
herangezogen werden kann. zu grunde liegen aber die genauen attischen 
archontenjahre. 

Die ereignisse des ersten jahrzehntes sind oben (1 142—47) geordnet 
für die folgenden bildet den absolut zuverläfsigen ausgangspunkt die 
niederlage bei Drabeskos im neunundzwanzigsten jahre vor Euthymenes 
437/6, also unter Lysitheos 465/4.) Thukydides läfst darüber keinen 
zweifel, dafs dieses jahr zugleich das erste des thasischen aufstandes ist, 
der im dritten jahre beendigt ward, also unter Tlepolemos 463/2. als 
Kimon lieimkehrt, hat er einen schweren rechenschaftsprocess zu be- 
stehen; freigesprochen sticht er wieder in see, und in seiner abwesen- 
heit wird der Areopag gestürzt, also unter Konon 462/1. so ergibt die 
rechnung nach Plutarch. die rechnung ist richtig, denn der sturz des 
Areopages ist auf das jahr des Konon durch Aristoteles absolut fixirt. 
nun gleicht sich aber ein thukydideisches kriegsjahr mit zwei attischen 
jahren; wir bedürfen also noch einer näheren bestimmung, ob der tha- 
sische krieg 465—63 oder 464—62 reicht. das entscheidet sich durch 
den fortgang der geschichte Kimons. als er von jenem unbestimmten 
zuge heimkehrt und den Areopag gestürzt findet, setzt er die hilfleistung 
für Sparta durch, wird dort abgewiesen und verfällt zu hause dem ostra- 
kismos. die vorfrage nach dem ostrakismos wird in der sechsten pry- 
tanie gestellt, also in dem anfange eines julianischen jahres. in dessen 
vorjahr, aber in dasselbe attische, fällt der zug nach Messene, davor der 
sturz des Areopages, unter Konon fixirt. also ist Kimon frühjahr 460 
verbannt?), der thasische krieg 465—63.‘) wer den versuch machen 


2) Thuk. I 100, IV 102. schol. Aischin. 2, 31 von Clinton verbessert. 

3) Der bericht Plutarchs ist wichtig und wird sehr vielfach misbraucht. eine 
interpretation, die den schriftsteller zunächst selbst interpretirt, ergibt aber ein 
gutes und verläfsliches resultat. nach dem rechenschaftsprocesse (14) geht Kimon 
wieder wie gewöhnlich als feldherr in see (ws da nahm &kenisvoev ini argarelar 
15, 1), während seiner abwesenheit wird der Areopag gestürzt, Kimon kehrt heim 
(us &nawnAdsv 15,2) und tritt in den parteikampf, der sich nun wider seine person 
richtet. bei der gelegenheit legt Plutarch eine anzahl belege für die lakonischen 
sympathien Kimons ein (Eupolis, Stesimbrotos u. a. 15, 3—16, 3). nun kommt er 
auf das spartanische erdbeben und die bittgesandtschaft, an die er wieder eine menge 
von schönen citaten anschlielst (Aristophanes, Kritias, Ion). nun muls er wieder in 
das historische fahrwasser einlenken (17, 2), d. h. in wahrheit an 15, 2 anschlielsen. 
denn die schilderung des erdbebens selbst (16, 5—7) stammt in ihrer anschaulichen 

19 * 


Die jahre 
4686-55. 


292 IIL 3. Chronologie der Pentekontaetie. 


will, die ereignisse ein jahr tiefer zu rücken, wird sich bald von der 
undurchführbarkeit überzeugen.‘) 

Eine consequenz ist, dafs die Eurymedonschlacht nicht lange vor 
465, spätestens 466 fallt.‘) denselben terminus ante quem gibt die revo- 


ausführlichkeit nicht aus seiner knappen historischen hauptquelle, und die bitt- 
gesandtschaft war sogar nach Aristophanes erzählt; Ion aber hatte ihn gar über den 
hilfszug hinabgeführt. da weifs sich Plutarch nur so zu helfen, dafs er sagt oi da 
Aaxsdasuövıoı zovs Admvalovs avdıs &xalovr, gleich als ob nicht er die erzählung 
verdoppelte, sondern es zwei hilfsgesandischaften und sendungen gegeben hätte. 
den ausgang der politischen kämpfe gibt er aber nur ganz kurz, und in seiner mo- 
tivirung sieht man deutlich die rückkehr zu der situation und der quelle von 15,2 
(dort Aaxwvıouo» dnnixalovvtes, hier rois AaxawiLovss yarspüs dyxaldnavor). den 
irrweg also meide man, auf den er uns wirklich lockt, zwei hilfszüge anzunehmen. 
den schlimmeren irrweg, den ersten derselben mit dem dr} orparsiay dunksusas 
15, 1 zu identificiren, sind die modernen aus eigenem antriebe gegangen. 

4) Köhler (Herm. 24) hat die verlustliste I 432 richtig bezogen und datirt. 
sie enthält die gefallenen vom Hellespont und Thasos, und Köhler hat die ersteren 
aus Plut. Kim. 14 vorzüglich erläutert, das totenfest der Epitaphien fallt auf den 
6./7. pyanopsion, und die jahre dieser listen laufen selbstverständlich von fest zu 
fest, sind also eben so wenig attische kalenderjahre wie die von den Panathenaeea 
laufenden der schatzmeister. deshalb steht auch niemals ein archon auf den ver- 
lustlisten. unmöglich konnte man die gebeine der in den ersten drei monaten eines 
jahres gefallenen über jahr und tag der grabesruhe entziehen, damit sie nach dem 
kalenderjahre sortirt auf dem friedhofe lägen. also ist es ganz in der ordnung, dafs 
auf dieser liste die toten der hellespontischen gefechte stehen, obwol sie sicher 
unter Lysanias, frähjahr 465, möglicherweise schon winter 466/65 gefallen sind, da- 
gegen die loten von Drabeskos nicht, obwol sie unter Lysitheos gefallen sind. den 
diese schlacht hat nicht nur nach dem pyanopsion 465, sondern erst 464 statt- 
gefunden. die leute wollten eine colonie gründen, deren vorausselzung die erfolge 
Kimons waren, die er durch jene gefechte errungen hatte, und das trieb andererseits 
die Thasier zum abfall, weil sie die nachbarschaft einer athenischen colonie nicht 
wünschten. also liegt zwischen jenen gefechten und dem untergange der colonisten 
eine längere zeit, ein winter. es ist ebenfalls ganz in der ordnung, dafs die toten 
von Drabeskos ihre besondere liste hatten, aufgestellt im pyanopsion des Arche- 
demides 464: aber das älteste grab im Kerameikos war dieses freilich nicht. Pau- 
sanias irrt (I 29,4); sein irrtum wird jedoch dadurch erzeugt sein, dafs er auf das 
wirklich älteste grab die Herodotstelle (IX 75) bezog, weil seine inschrift eine 
niederlage in Thrakien erwähnte, während das grab den toten von 475 galt. dafs 
damals im anschlusse an die gründung des Theseusgrabes auch der stastsfriedhof 
eingerichtet ist, erscheint mir durchaus wahrscheinlich. 

5) Bestätigt wird dieser ansatz des ostrakismos auf 460 durch die heimkehr 
Kimons 450. 

6) So hat Köhler mit recht geurteilt. die Athener weihten zum danke für den 
sieg in Delphi eine Athena, die statt auf einer säule, wie gewöhnlich, auf einer 
palme stand; es war ein erzbild, und der baum hat nur künstlerische bedeutung. 


Die jahre 466—55. 293 


lution am persischen hofe; Xerxes stirbt nach dem Königskanon 465 im 
frühjahre. einen ganz zuverlälsigen terminus post yuem oder gar eine 
fixirung für die schlacht gibt es nicht. 

Nach Theopompos ist Kimon gleich nach der schlacht bei Tanagra 
zurückgerufen, ehe er noch volle fünf jahre verbannt gewesen war. die 
nachricht beruht aller wahrscheinlichkeit nach auf einem misverständnis’”), 
aber das nimmt ihr nicht die chronologische verwendbarkeit, da sie die 


an der palme waren auch früchte angebracht, die das palmobst nachahmten, d. h. 
datteltrauben. selbstverständlich hat auch das nur künstlerische bedeutung. Pausan. 
X 15, 4-6. 

7) Theopomp bei dem Aristidesscholiasten 528 Ddf. Aristides selbst II 212. 
Plutarch Per. 10, Kimon 17. Nepos Cim. 3. das misverständnis geht bei Diodor 
XI 55 so weit, dafs gar der ostrakismos auf 5 jahre befristet erscheint. Stesim- 
brotos (Plut. Per. 10, 4) berichtet zwar die vermittelung Elpinikes zwischen Perikles 
und Kimon, allein daraus folgt mit nichten, dafs dieser letztere schon 457 dauernd 
heimkehrte; die staatsmänner konnten eine vereinbarung auch auf die zukunft 
schliefsen. die worte Theopomps selbst bezeugen übrigens auch nur, dals Kimon 
heimgerufen ward, um den frieden zu schlielsen, keinesweges, dafs er dann weiter 
in Athen blieb; bei Tanagra vor der schlacht ist er nach dem plutarchischen, ver- 
mutlich theopompischen, berichte bereits zugegen, als verbannter aufserhalb der 
landesgrenzen, wie es ihm zustand. nur in dieser beschränkung kann ich die sache 
für glaublich halten, und auch in der angabe des Andokides (3, 3) liegt nicht mehr. 
denn erstens gibt es keine spur von Kimons anwesenheit oder tätigkeit in Athen 
457—51, dagegen lälst Plutarch (Kim. 18) sofort auf die rückberufung den zug von 
450 folgen. damals ist auch nach Thukydides (I 112) ein fünfjähriger friede 
geschlossen, den Diodor Xl 86 für ein werk Kimons ausgibt, ihn freilich auf die 
zeit verrückend, wo die feindseligkeiten auch nach Thukydides tatsächlich aufhörten, 
453. Andokides aber rückt diesen fünfjährigen frieden an die angebliche rück- 
berufung Kimons. nach Tanagra ist kein friede geschlossen, auch mit Sparta nicht, 
denn 455 hat Tolmides Gythion verbrannt. wol aber spricht Diodor Xl 80 von 
einem waffenstillstand gleich nach Tanagra von viermonatlicher dauer. wenn dieser 
historisch ist, so kann ihn Kimon vermittelt haben, ad hoc in die stadt hinein- 
gelassen. der waflenstillstand kann dann aber weder Aegina noch Boeotien ein- 
geschlossen haben, die weiter angegriffen und überwunden wurden. ihnen half 
niemand; das macht die sache glaublich. dann war aber wirklich Tanagra nur ein 
taktischer erfolg der Peloponnesier, so sehr ihn das korinthische weihgeschenk in 
Olympia verherrlicht, ganz wie die schlacht von Koroneia 394. in wahrheit sind 
die Peloponnesier schleunigst nach hause gegangen und haben den norden den 
Athenern geopfert. damit ist die ruhmredigkeit der attischen epitaphien ziemlich 
gerechtfertigt, die Tanagra für eine unentschiedene schlacht erklären. für ein stim- 
mungsbild aus dem jahre nach Oinophyta halte ich Pindars sechste isthmische ode. 
Boeckhs auseinandersetzung (p. 530 der grofsen ausgabe) erscheint mir, gerade wenn 
ich die andern deutungen vergleiche, geradezu meisterhaft. Dissens schlechte einzel- 
erklärung mu(s man nur ganz aufserm spiele lassen. 


294 II. 3. Chronologie der Pentekontaetie. 


zeitliche differenz zweier für ihren urheber fester punkte nicht falsch 
angeben kann. danach fällt die rückberufung Kimons unter den fünften 
archon von Euthippos ab gerechnet, Mnesitheides 457/56. darauf folgten 
ohne unterbrechung, wie Thukydides I 108 sicher stellt, die schlacht bei 
Oinophyta, die niederwerfung von Boeotien und Phokis, die capitulation 
von Aegina und der zug des Tolmides um den Peloponnes, der danach 
unter Kallias 456/5 zu stehen kommt. die rechnung ist richtig: den 
archon Kallias für den zug des Tolnides gibt schol. Aischin. 2, 75. 

Genaueres zu bestimmen gibt den ersten anhalt das verhältnis der 
schlachten bei Tanagra und Oinophyta.. zwischen beiden schlachten 
lagen nach Thukydides 62 tage; bei Tanagra commandirte der sieger von 
Oinophyta Myronides nicht. die Peloponnesier waren in demselben kriegs- 
jahre erst nach Phokis gezogen; sie machten die diversion nach dem 
nordosten Attikas erst, weil die Athener ihnen den heimweg über die 
megarischen berge und den korinthischen golf sperrten, marschirten aber 
nach dem siege schleunigst ab und fanden in Megara keine ernte mehr 
zu verwüsten, sondern hieben nur die oliven um. alles das gibt Thuky- 
dides an, und nach Plutarch (Kim. 17, 6) fürchteten die Athener ihren 
einfall erst für die nächste erntezeit (eis weav Erovg), die also dieses 
mal vorbei war. weiter liegt darin nichts. wenn man nach der art 
der kriegführung Spartas im archidamischen kriege rechnet, so führt das 
zu der annahme, dafs die schlacht bei Tanagra etwa im juni geschlagen 
ist, also am ende des attischen jahres, so dafs Oinophyta und schon 
der waffenstillstand, der mit vier monaten den rest des kriegsjahres um- 
falste®), in ein anderes fällt. das pafst vortrefllich. und dafs Diodor 
Tanagra unter Habron, Oinophyta unter Mnesitheides, den zug des 
Tolmides unter Kallias alles richtig ansetzt, ist kein beweis, aber ein recht 
erwünschtes bestätigendes ergebnis.’) 


8) Sparta zieht entweder vor oder nach der ernte seine bündner zusammen. 
im ersten falle drängen sie in der erntezeit nach hause. so war es diesmal. ein 
zweites mal sind sie in demselben jahre schlecht mobil zu machen, während die 
Athener gerade im juli august sehr oft in see gehn. so war es für Sparta ein erfolg, 
wenn sie für den rest des kriegsjahres durch 4 monate ruhe bekamen, freilich nur, 
wenn sie eine ganz egoistische politik trieben. diese war für den noch so ge- 
schwächten staat ohne frage mindestens entschuldbar. 

9) Die verwirrte erzählung XI 81—83 ist gerade dadurch verwirrt, dafs die 
richtigen jahrangaben den geschichtlichen zusammenhang zerreifsen. nicht bei Diodor 
mehr wird es klar, dafs Theben sich nach dem waffenstillstande seiner haut allein 
wehren mufs, da Sparta ihm die boeotische suprematie wieder verschaflt hat, 
aber man spürt es noch deutlich durch, dafs sein gewährsmann über die boeotischen 


Die jahre 466—55. 295 


Diesen festen boden unter den fülsen können wir weiteres terrain 
gewinnen. die Thasier wagten 465/4 den abfall in der hoffnung auf 
spartanische hilfe. aber Sparta ward durch das erdbeben, das es be- 
troffen hatte, verhindert, bei welcher gelegenheit die Heloten abfielen 
und sich in Ithome festsetzten. so Thukydides (100), und man mufs 
zunächst das erdbeben mit dem thasischen aufstande gleichzeitig ansetzen. 
das geschieht auch von Plutarch (Kim. 16, 4), wo es auf das vierte jahr 
des Archidamos gesetzt wird, der unter Apsephion 469/8 zur regierung 
kam: in königslisten aber gehört das jahr des regierungsantrittes meist 
dem vorgänger. wenn Pausanias (IV 24) den abfall der Messenier ol, 79, 1 
(464/3) unter den archon setzt, den er Archimedes, Diodor Archidemides 
nennt, so correspondirt das mit dem diodorischen ansatze des thasischen 
krieges auf denselben: es ist nur eine unwesentliche verschiebung um 
ein jahr. aber Thukydides erzählt auch, dafs Ithome im zehnten jahre 
der belagerung gefallen ist (102), und diese zahl ist durch Diodor XI 64 
vor jeder änderung geschützt, zumal dort Thukydides nicht zu grunde 
liegt. wenn die zehn jahre von 465/4 laufen, so ist Ithome 456/5 unter 
Kallias gefallen: wirklich steht es so bei Diodor XI 84. aber Thukydides 
selbst straft diese auch im zusammenhange der ereignisse sinnlose berech- 
nung lügen, da er den fall Ithomes hinter dem systemwechsel der attischen 
politik erzählt, den der ostrakismos Kimons zur folge hatte, und vor 
dem anschlufse Megaras an Athen und der aegyptischen expedition. 
danach kommt der fall Ithomes 460 oder 459 zu stehen, das erdbeben 
also 469 oder 468. und das ist nun wieder ein mit der allerschärfsten 
praecision vom Philochoros auf den archon Theagenides 468/7 bestimmtes 
datum (schol. Ar. Lysistr. 1144), und Diodor, unbekümmert um den wider- 
spruch mit seiner späteren auf falscher auslegung des Thukydides beruhenden 
angabe, dafs die zehn jahre 456 zu ende gegangen wären, gibt für das 
erdbeben 469/8, Apsephion, als datum. es ist sehr wol denkbar, dafs 


verhältnisse so gut informirt war, wie Ephoros zu sein pflegt. die verdoppelung 
der kämpfe im tanagraeischen gebiete ist einmal durch die verteilung auf die jahre, 
zum andern durch den eigenen kitzel Diodors hervorgerufen, aus Oinophyta eine 
ganz besondere heldentat zu machen. dafs er daran sofort alle weiteren taten 
des Myronides schliefst, selbst den viel späteren thessalischen zug, ist vollends ganz 
in seiner weise. vorher hat er 78 den krieg mit Epidauros Korinth und Aegina auch 
ganz treffend unter Phrasikleides eingereiht, wo er wirklich begann, und man würde 
nichts dabei finden, wenn er nun bis zu ende erzählt würde, unbeschadet seiner 
dauer. allein es wird ausdrücklich eine neunmonatliche frist gezählt: das ist mit 
Thukydides schlechthin unvereinbar und mufs verworfen werden. richtig hat Fabricius 
(Theben 12) geurteilt. | 


296 II. 3. Chronologie der Pentekontaetie. 


die lage für Sparta sich 465 besonders bedrohlich gestaltet hat, so dafs 
die Thasier noch kurz vorher zusicherungen erhalten hatten; es ist aber 
auch dem Thukydides zuzutrauen, dafs ihn eine falsche nachricht ge- 
täuscht hat, die Sparta einen bruch des bundes aufhalsen wollte: wir 
wissen von dem verlaufe des messenischen krieges ja so gut wie nichts”). 
auf jeden fall hat Thukydides sich, ganz wie wir es in der Themistokles- 
geschichte gefunden haben, misverständlich ausgedrückt, und dieses mis- 
verständnis hat weiter unheil gestiftet. mit der beseitigung dieses mis- 
verständnisses ist wieder ein fester punkt gewonnen, der fall von Ithome 
und die ansiedelung der Messenier in Naupaktos, also auch die vertrags- 
urkunde CIA IV p. 9 fallen in das jahr des Philokles 459, in dasselbe, 
den winter, der anschlufs von Megara''), unter Euthippos aber, 460, in 
dessen ersten monaten Kimons politik vom volke verworfen ward, die 
bündnisse mit Argos und Thessalien und die besitzergreifung von Nau- 
paktos. 

Damit sind die ereignisse, die Thukydides 104—7 erzählt, von beiden 
seiten so fest eingeengt, dals ihnen nur noch ein platz bleibt. Megara 
kann sich erst ende 459 an Athen angeschlossen haben; der zug der 
Peloponnesier nach Phokis und Boeotien fällt in das frübjahr 457. folg- 
lich bleibt das kriegsjahr 458 für die schlachten bei Halieis Kekrypbaleia 
Aegina Megara. das ist viel, und man würde sich davor scheuen, aber 


10) Durch Herodot IX 35 kennen wir das nackte factum, dafs die Spartaner 
“am Isthmos’ nach den sehersprüchen des Teisamenes über die Messenier siegten. 
denn überliefert ist 4? d3 6 (dyav nämlich) Mesonwio» 6 neös v& (R: om. A) 
Tosu@, und das hat Pausanias gelesen (Ill 11,8) und, ratlos wie wir, irgend wie 
mit den worten des Thukydides in einklang zu bringen versucht. was ist das für 
eine kritik, die erst bei Herodot ngos ’IIaun conjicirt, und dann womöglich noch 
bei Pausanias den Isthmos vertreibt? von den andern schlachten sagt Herodot 
noos Teyarras, oös Apxadas, neös Adnvalovs: was soll der genetiv ö Meoon- 
via»? offenbar hat er ö Msoonviov ngös To Iodug geschrieben, weil auch für 
ihn das wort Isthmos ohne zusatz keine deutliche ortsbestimmung war. aber die 
schlacht “an der Messenier Isthmos’” war deutlich, ist es nur nicht für uns: wir 
müssen den ort suchen, dessen name einen gewissen anhalt gibt. doch bedenke 
man, dafs der westliche demos von Kos so heilst, blofs weil die insel eine schmale 
halsähnliche stelle hat. 

11) Aus einem spophthegma Kimons, das Plutarch (17,1, es gehört eng mit 
dem vorigen zusammen) aus Ion gibt, ersieht man, dafs der krieg mit Korinth, der 
Megara den Athenern in die arme trieb, schon zu der zeit im gange war, wo Kimon 
von Messene heimzog, also herbst 461. sobald Athen ihnen die passage im korin- 
thischen meerbusen sicherte, durch die besetzung von Naupaktos, fielen ihm die 
Megarer zu. 


Die jahre 466—55. 297 


gerade da tritt als urkundliche bestätigung die verlustliste der Erechtheis 
1 433 ein. diese vier schlachten sind tatsächlich in demselben kriegsjahr, 
458 bis zum Pyanopsion, unter Philokles und in den ersten drei monaten 
des Habron geschlagen. 

Derselbe stein führt eine anzahl krieger auf, die in Kypros und 
Aegypten gefallen sind. das harmonirt mit Thukydides, der den beginn 
der aegyptischen expedition zwischen den anschlufs von Megara und 
die schlacht bei Halieis stellt, ohne eine nähere zeitliche relation zu 
geben. da jedoch die attische flotte schon auf Kypros war, als Athen 
sich für das bündnis mit Inaros entschied, so wird man den anfang der 
expedition noch in das jahr 459 rücken. das gestattet der stein sehr 
gut: denn dafs die gebeine der auf Kypros im sommer 459 gefallenen 
alle schon 459 anfang october zum totenfeste heimgeführt gewesen 
wären, ist wirklich nicht zu verlangen. der krieg dauerte sechs jahre, 
das sind nach Thukydides sechs sommer; da der erste 459 fest steht, 
so ist der letzte 454. der bericht über die letzten ereignisse auf dem 
aegyptischen kriegsschauplatze steht zwischen dem zuge des Tolmides 
um den Peloponnes, unter Kallias 456/5 fixirt, und dem zuge der Athener 
nach Thessalien '*) unter hilfleistung der Amphiktionen; eine folge davon, 
ein bündnis mit den Phokern, ist urkundlich (1V p. 8) für das jahr des 
Ariston 454/3 gesichert. es bleibt einiger spielraum noch, aber da die 
neuordnung der mittelgriechischen verhältnisse nach Oinophyta, das in 
den spätsommer 457 fällt, ein jahr reichlich ausfüllen dürfte, so scheint 
es geratener den zug des Tolmides in die erste hälfte 455 zu rücken. 
im nächsten frühjahr, 454, gieng dann die entsatzflotte nach Memphis, 
die zu spät kam und in den untergang hineingezogen ward. gleichzeitig 
ward zu lande der zug nach Thessalien unternommen. 454 folgen passend 
die zuge des Perikles gegen Sikyon und Akarnanien und dann, in dem 
nächsten attischen jahre, nach der Chersones. dafs die jahre 452. 451. 
450 die drei von Thukydides als ereignislos bezeichneten sind, ist sicher, 
wenn das letzte von ihm vorher erwähnte ereignis 453 fiel, das ist der 


12) Myronides wird als feldherr von Diodor XI 83 genannt, wol glaublich. 
XI 85 unter Sosistratos, also in dem jahre, wo der zug wirklich stattfand, com- 
mandirt Tolmides in Boeotien. allein das hängt wol damit zusammen, dafs dieser 
nachher in Euboia auftritt und landlose verteilt, 88. allerdings ist mittlerweile der 
archon Lysikrates geworden, 453/2, aber Diodor hat hier den zug des Perikles, zu 
dem der des Tolmides eine parallele action ist, auf drei seiner jahre verteilt. im ein- 
zelnen ist also sehr wenig verlafs auf diese daten. übrigens scheint es fast, als 
hätte Perikles erst durch das scheitern der aegyptischen expedilion die zügel wieder 
fest in die hände bekommen. 


Tabelle. 


298 Il. 3. Chronologie der Pentekontaetie. 


zug des Perikles, und das nächste nachher, der zug Kimons nach Kypros, 
den er ausdrücklich unmittelbar auf den abschlufs des fünfjährigen friedens 
folgen läfst, 449 statt fand. so datirt ihn Diodor, und da er mit ihm 
ein buch beginnt, so darf man ihm zutrauen, dafs er sich über dieses 
datum vergewissert hat. dafs er dem zuge zwei jahre gibt, ist für die 
altischen zutreffend, nur für seine chronologie verwirrend. das ganze 
renkt sich gut ein, und so darf man auch über die nächsten ereignisse bis zu 
dem festen punkte des dreifsigjährigen [riedens unter Kallimachos, winter 
446/5'°), urteilen, hinter dem dann wieder der samische krieg vom herbst 
441 bis zum sommer 440 auf die archonten Timokles und Morychides 
durch die chronik (schol. Wesp. 283) in übereinstimmung mit der jahr- 
zählung des Thukydides (115) fixirt ist.'‘) 

Ich lasse nun eine tabelle folgen, die zwar nichts neues mehr liefert. 
aber durch die anordnung nach den attischen beamten das verständnis 
stark erleichtern wird; wer in attischer geschichte arbeiten will, mufs 
mit attischer zeit rechnen. so verkehrt der gänzlich unberechtigte pedan- 
tismus der olympiadenzählung ist, die den attischen quellen fremd ist, 
so abscheulich ist die beliebte fiction, die ein archontenjahr mit einem 
unserer zeitrechnung gleich setzt: der forscher mufs die chronik recon- 
struiren. ich habe alle archontennamen mit griechischen lettern ge- 
schrieben, die urkundlich oder sonst durch genügende zeugnisse ge- 


13) Vgl. Herm. 20, 481. den namen des archons Kallimachos nennt Diodor 
noch innerhalb seines wertvollen berichtes über die gründung von Thurii XII 10. 
das war eigentlich für ihn überflüssig, aber es ist sehr verkehrt, den namen zu 
streichen. denn seine vorlage für diese dinge des westens rechnete natürlich nicht 
nach attischen jahren, handelte aber sehr recht und in einklang mit der weise selbst 
des Thukydides, wenn sie bei wichtigen ereignissen auch eine fremde datirung 
beifügte. 

14) Die bekannte liste der zehn feldherren, die Androtion erhalten hat, gilt 
den zehn, die nach Thukydides 116 alle gegen Samos aufgebrochen sind. da die 
drei 117 genannten zu ihnen nicht gehören, ist dazwischen jahreswechsel , beginnt 
also das jahr des Morychides. folglich waren jene 10 und unter ihnen Sophokles 
unter Timokles strategen. folglich müfste Sophokles unter Diphilos, frähjahr 441 
mit der Antigone gesiegt haben, wenn sie unmittelbar den anlafs zu seiner wahl 
gab. das hat er nicht: für jenes jahr steht durch die parische chronik der sieg des 
Euripides fest. die zahlenangaben in der Sophoklesvita sind verdorben oder ver- 
wirrt. im jahre vor Diphilos, unter Lysanias 443/2, war Sophokles ‘Eilnsorauias 
und hatte viel zu tun, da eine neue schätzung stlatifand. so mufs man leider zu- 
geben, dals ein festes datum für die Antigone nicht vorhanden ist — wenn er über- 
haupt mit ihr gesiegt hat. aber dafs wir das post hoc als die veranlassung zu dem 
propter hoc der biographen festhalten dürfen, scheint mir immer noch richtig. 


Tabelle. 299 


sichert sind: man sieht dann gleich, wo etwa noch fehler stecken können. 
ferner habe ich die tatsachen gesperrt drucken lassen, die durch zuver- 
lässige datirung auf den arclıon als absolut sicher gelten müssen. in 
petit sind ein par wichtige zwischengestellt, die nicht fehlen sollten, 
obwohl sie auf ein jahr nicht bestimmbar schienen. es versteht sich von 
selbst, dafs ich sehr viel mehr relativ bestimmtes hätte eintragen können, 
z. b. pindarische gedichte. allein meine tendenz war wesentlich, die 
harmonie zwischen Thukydides und den chroniknotizen zu veranschau- 
lichen; das andere ist, so weit es nicht zur stütze für dieses gebäude 
dient, ein beiwerk, das schwerlich etwas schadet. ich würde für überaus 
verdienstlich halten, wenn jemand wirklich vollständige fasti Hellenici oder 
Attici in dieser art anlegen wollte; bis an das ende des vierten jahr- 
hunderts müssen die archontenjahre das gerüst bilden. 
ZANOITTAHZ Ol. 75, 2 
479 schlachten bei Plataiai und Mykale; Sestos erobert 
winter, mauerbau in Athen 
478 Pausanias in Kypros 


Pindar Isthm. 7'°) 
TIMOZOENHZ 
478 Pausanias in Byzantion 
winter, Pausanias abberufen 
477 Aristeides gründet das Reich; Dorkis zurückgewiesen 
AAEIMANTOZ 
477 Pausanias wieder in Byzantion 
476 Leotychides in Thessalien 
Themistokles chorege für Phrynichos 
Simonides siegt mit dem dithyrambos (fgm. 147) 
errichtung der statuen für die tyrannenmörder 
PAIAQN Ol. 76 
476 Leotychides abgesetzt. Kimon vertreibt den Pausanias aus Sestos 
und Byzantion, zieht gegen Eion 
475 Kimon nimmt Eion und Skyros. niederlage am 
Strymon 
DROMOKLEIDES 
475 pyanopsion: gründung des Theseusgrabes 
errichtung der hermen für Eion 


15) Von Pindar notire ich mit absicht nur gedichte die für die allgemeine ge- 
schichte von bedeutung und durch die urkundliche überlieferung oder sonst ganz 
unzweifelhaft datirt sind, so dafs alles auf Sicilien bezügliche oder durch combina- 
tion gefundene fortbleibt. sonst hätte ich ein eigenes buch schreiben müssen. 


300 


III. 3. Chronologie der Pentekontaetie., 


474 Pindar siegt mit dem dithyrambos 


AKESTORIDES 
474 Pindar Pyth. 9. 11 
4713 
MENQDN 
473 


472 Aischylos Perser 
474—72 Themistokles durch ostrakismos verbannt 
XAPHZ Ol. 77 
pi: tod des Pausanias 
474—71 unterwerfung von Karystos. kämpfe Spartas in Arkadien. 
PRAXIERGOS 
in ächtung des Themistokles. Timokreon fgm. 2. 3 
470) synoikismos von Elis'*) 
Theben holt eine statue von Delos nach Delion '”) 
DEMOTION 
470 unterwerfung von Naxos 
469 
AYEFINN 
469 
468 Sophokles siegt 
471—69 schlacht bei Dipaia 
OEATENIAHZ Ol. 68 
468 erdbeben in Sparta 


Pindar ol. 6 
467 Aischylos Thebai „ meteorstein am Ziegenflusse 


\ Leotychides stirbt; Archidamos könig 


LYSISTRATOS 
467 
466 
470—67 verträge mit Erythrai und Kolophon CIA 1 9.10. 11 
LYSANIAS 


466 schlacht am Eurymedon (oder im vorjahr) 


16) Diodor XI 54, aus einer zeittafel, also glaubwürdig. Pausanias V 9, 5 gibt 
nach probabler conjectur an, dafs die zahl der Hellanodiken schon im vorjahre ver- 
mehrt ward. das hieng mit dem synoikismos zusammen, aber die kleine differenz 
ist nicht undenkbar, natürlich ebensowenig, dafs in der datirung hier oder dort eine 


verschiebung stattgefunden hat. 


17) Herodot VI 118, zwanzig jahre nach Marathon, also wol nur approximativ 
fixirt. die sache ist wichtig, weil sie die erste spur einer kräftigung Thebens und 


des anschlusses mindestens von Tanagra ist. 


Tabelle. 801 


465 Kimon am Hellespont 

Xerxes stirbt 
LYSITHEOS 

465 abfall von Thasos. die Messenier mächtig 
verlustliste 432 

464 schlacht bei Drabeskos 
Artaxerxes wird könig 

ARCHEDEMIDES Ol. 79 
464 Pindar ol. 13 
463 30 april sonnenfinsternis'®) 


TLEPOLEMOS 
463 Thasos fallt 
462 Kimons procefs 
KONDN 
462 sturz des Areopages 
461 
EYOITTTOZ 


461 Kimon vor Messene 
460 Kimons ostrakismos. bündnis mit Argos 
PHRASIKLEIDES 1°) Ol. 80 
en Pindar ol. a1 eroberung von Naupaktos 
$IAOKAHEZ 
459 Ithome fällt; die Messenier in Naupaktos 
anschlufs von Megara 
die flotte in Kypros und Memphis 
458 Aischylos Orestie 
schlachten in der Halike und bei Kekryphaleia 
ABPON %) 
458 schlachten bei Aigina und in der Megaris 
verlustliste 433 


18) Erwähnt von Eusebius, aber wie alle ereignisse dieser jahre etwas zu 
tief gestellt. 

19) Oder Phrasikles. die längere form bezeugt Diodor Xi 77, (BpaasxAsidov 
oder Ssloxisidov codd.), die kürzere Dionysios Arch. 10,1 und Ps. Plut. Lys. 241 
West., wo aber dni BsloxAdovs vov usra Poacısinv (oder xAr7) wenig gewähr hat. 

20) Der name festgestellt durch die didaskalie ’Eynu. ae. 86, 269: trotzdem 
druckt Vogel bei Diodor XI 79 noch Biaw. in der vita Pindars nennt Eustathius 
den archon, unter dem er geboren sei, Aßlo» (p. 90 Westerm.), Thomas aber den, 
unter dem er gestorben sei (p. 101 West.) verwirrt ist alles; aber der archon 
von 458/7 gehört in keine rechnung. denn zu grunde liegt die axan zur zeit der 


302 Ill. 3. Chronologie der Pentekontaetie. 


gesetz über die zulassung der zeugiten zu der ar- 
chontenwahl 
457 die Peloponnesier in Phokis; schlacht bei Tanagra 
MNHZIOEIAHZ 
‘457 schlacht bei Oinophyta; unterwerfung von Nordhellas 
winter, Aigina fällt 
456 
KAANIAZ Ol. 81 
456 
455 Euripides Peliaden 
Tolmides verbrennt Gythion 
SOSISTRATOS 
455 die Athener in Memphis eingeschlossen 
454 tlıessalische expedition 
APIZTON 
454 beginn der schatzverwaltung durch die Helleno- 
tamien in Athen 
untergang des heeres in Aegypten 
| heran mit Phokis CIA IV p. 8; mit Egesta IV p. 58. 139 
Perikles in Sikyon und Akarnanien 
AYZIKPATHZ 
1a Perikles im Chersones. Kleruchien dort, auf Euboia und Naxos”) 
452) gesetz über die demenrichter 
CHAIREPHANES®) Ol. 82 
452 Pind. Ol. 4 
451 


460—452 einseizung der eisayayrs und vavrodixas 


Ilegoıxa, die aber nur oberflächliche leute auf 480 01. 75, !== Zepkov arpareia selzen 
durften (so Suid.), da Pindar selbst bezeugt hatte, dafs er an den Pythien geboren 
war. also rechnete man genauer ol. 75, 3. das ergibt die geburt 65,3; der tod 
rückt bei normaler lebensdauer von 80 jahren auf ol. 85,3, wird wol durch frühe 
corruptel auf 86 angesetzt. bei Suidas steht &rw» ve ohne datum, corrupt aus drav 
(n’ 0A.) ne. nun war aber das letzte olympische gedicht von ol. 82,1, wo er also 
66 jahre alt war: das ist die zweite angabe über die lebensdauer (Eust. Thom.). 
das lehrt sachlich alles gar nichts für Pindar. aber der archon 40» kann nur mit 
der geburt verbunden sein, wir dürfen ihn auf 65, 3, 518/7 ansetzen; der name aber 
wird ABow» sein, wie bei dem von 458/7. in Kaibels berechnung (Herm. 25, 599) 
sind versehen untergelaufen. mit dem datum, Pyth. 8 aus der 35 Pythiade, das sie 
doch überlieferten, haben die alten nicht gerechnet. erst seit ich auch dieses datum 
respectire, verstehe ich auch das schöne gedicht vollkommen. 

21) Dies beruht nur auf Diodor XI 88, läfst also einigen spielraum. 

22) Name nur bei Dionys Arch. X 53; bei Diodor ist das jahr ausgefallen. 


Tabelle. 303 


ANTIAOTOZ 
A gesetz über die beschränkung des bürgerrechtes 
450) dreifsigjähriger friede zwischen Sparta und Argos 
EYOYNOE ??) 
450 radıg Pogov 
fünfjähriger waffenstillstand mit Sparta 
kleruchie auf Andros**) 
449 Kimon zieht gegen Kypros 
450/49 vertrag mit Milet IV p. 6 
PEDIEUS 
449 Kimon stirbt 
448 die Spartaner in Delphi 
PHILISKOS OL. 83 
448 die Athener in Delphi; vertrag IV p. 8 
447 
TIMARCHIDES 
447 beginn des Parthenonbaues 
schlacht bei Koroneia 
446 abfall von Megara und Euboia 
448—46 vertrag mit Persien 
KAAAIMAXOZ 
446 einfall des Pleistoanax 
Pindar Pyth. 8 
winter: dreilsigjähriger friede 
445 gründung von Thurioi. 


23) Name CIA IV p. 7, bei Diodor XI 3 Zusiönnos. übrigens ist auch 
Ei$vvovs als name denkbar. 
24) Kirchhoff tributpflichtigkeit der kleruchen 29. 


Die elegie 
YIOCKaD 
xal not. 


4. 
DIE SOLONISCHEN GEDICHTE. 


Aristoteles hat uns gelehrt, dafs Solon in einer elegie die grund- 
sätze dargelegt halte, zu deren durchführung ihm seine wahl zum archon 
die macht gab. das gedicht gieng von einer selbstbetrachtung aus “ich 
erkenne mit schmerzen, dafs die älteste Ionierstadt — dem abgrunde 
zutreibt”, nicht anders können wir den schwer verständlichen gedanken des 
ersten distichons ergänzen.') wir erfahren weiter, dafs im eingange des 
gedichtes Solon “habsucht und übermut’ der herrschenden classe geifselte 
und später diese direct anredete: “bescheidet euch; denn wir dulden das 
nicht mehr, und nicht alles wird euch gefüge sein’. da in der allge- 
meinen charakteristik gesagt wird, dafs Solon ‘für beide wider beide 
stritt’, erschliefsen wir, dafs er in entsprechender weise auch die besitz- 
losen und ihre begehrlichkeit in directer ansprache gegeilselt hat. das 
ganze war also eine volksrede in versen. wer elegie und iambos sich 
genauer ansieht, wird allerorten die directe ansprache vorfinden und 
dem entsprechend bemerken, dafs die führer des volkes oder kleinerer 
kreise in Ionien die dichter sind. in Sparta redet der repraesentant 
des standes zu dem heere: das ist der charakter der tyrtaeischen verse, 
auf deren verfasser also nichts ankommt. für das verständnis der ionischen 
poesie ist die anerkennung der persönlichen ansprache durch die als 
solche bedeutende person die wichtigste vorbedingung. 


1) Der eingang wird nur citirt, gewissermalsen als überschrift des gedichtes, 
damit man es identificiren könne, also ist es unberechtigt, einen vollständigen ge- 
danken zu fordern. mich dünkt der dahin zielende versuch von Blafs auch sehr 
unglücklich, und was ich auf dem facsimile sehen kann stimmt schlecht zu seiner 
lesung. insbesondere mufs damit gerechnet werden, dafs hinter den solonischen 
worten sicherlich ein freier raum war. 


Die elegie yırdoxor xal uos. die elegie 7uerega da mrökıs. 305 


"iegt nahe, reste derselben wichtigen elegie unter Solons frag- 

suchen, und vier verse (fgm. 15 Bergk) hat ihr Br. Keil mit 

cheinlichkeit zugewiesen. sie sind auch in die Theognidea 

nd werden als solonisch von Hermippos angeführt (Plut. 

legen, dals Solon sich selbst zur partei der armen ge- 

ı anders können wir nach Aristoteles über die stin- 

gie urteilen, und Jdals er eine mehrheit, zu der er 

Par ichen in gegensatz stellt, ist selbst in den wen- 

rständlich aber wird der politisch bedeutende 

„uızt, seit wir wissen, dals die geltende drakon- 

„ «en adel, das prinzip agıorivönv, durch den reichtum, 

‚9, ersetzt und die classen auf das vermögen statt auf das ein- 

„men gestellt hatte. “reichtum findet sich oft bei schlechten, tüchtig- 

keit bei armen. wir werden ihnen nicht gestatten beide zu vertauschen, 

denn er ist ein wechseludes, sie ein dauerndes gut.’ so perhorrescirt 

er die plutokratie: wie kurzsichtig war es, ihm die classeneinteilung, die 

sog. limokratie als neue erfindung zuzuschreiben. aber die «gern ist 

bereits die der seele, nicht die des blutes für ihn. die moralische be- 

deutung der begrifle a&yaJog und xaxög gilt bereits für Solon; deshalb 

stehen die verse unter denen des Theognis, die der veranstalter unserer 

sammlung auch im menschlich aristokratischen sinne gedeutet hat, 
während der Megarer sie im bornirten adelssinne gemeint hatte. 

Sehr nahe mit dieser elegie berührt sich im inhalte eine andere, die 
wir zum gröfseren teile und am schlusse vollständig in die gesandschaftsrede 
des Demosthenes hinter 255 eingelegt lesen (4 Bgk.). dafs sie in mehreren 
der besten handschriften fehlt, beweist nichts dagegen, dafs Demosthenes 
sie selbst eingelegt hätte, denn in 3 sind auch urkunden ausgelassen, 
die erweislich ächt, also auch mit den reden sofort edirt worden sind. 
wol aber lehrt schon der lückenhafte text dieses gedichtes?), dafs es nicht 


2) Aulser den zwei hexametern hinter 10 und 11 fehlt mindestens ein penta- 
meter, den unbegreiflicher weise Bergk und, wenn auch in klammern (bezeichnend 
für die halbheit seiner kritik), Hiller als 26 führen, obwol er notorisch eine den 
guten handschriften durchaus fremde byzantinische ergänzung ist, an der die mo- 
dernen je nach laune herumändern. sie verfehlt aber, von der prosodie ganz ab- 
gesehen, auch den sinn. Solon sagt ‘von den armen kommen viele verkauft in das 
ausland’; dem entspricht bei Plutarch 13 of ö’ &ni zıv Eevnv nuıngaoxöuevos. aufser- 
dem steht noch bei Solon dsonoici T’ asızeilocı deFevıes, und bei Plutarch geht 
vorher ot usv aurov dovistortss. danach ist also zu ergänzen. wie sollte Solon 
die schuldsclaven weglassen? vermutlich folgte noch in einem distichon der zwang, 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 20 


Die eiogis 
NUETEOA 
Ir. 


da no 


Die elegie 
YIYDCKD 
xal not. 


4. 
DIE SOLONISCHEN GEDICHTE. 


Aristoteles hat uns gelehrt, dafs Solon in einer elegie die grund- 
sätze dargelegt halte, zu deren durchführung ihm seine wahl zum archon 
die macht gab. das gedicht gieng von einer selbstbetrachtung aus “ich 
erkenne mit schmerzen, dafs die älteste lonierstadt — dem abgrunde 
zutreibt’, nicht anders können wir den schwer verständlichen gedanken des 
ersten distichons ergänzen.') wir erfahren weiter, dafs im eingange des 
gedichtes Solon “habsucht und übermut’ der herrschenden classe geifselte 
und später diese direct anredete: “bescheidet euch; denn wir dulden das 
nicht mehr, und nicht alles wird euch gefüge sein’. da in der allge- 
meinen charakteristik gesagt wird, dafs Solon ‘für beide wider beide 
stritt’, erschliefsen wir, dafs er in entsprechender weise auch die besitz- 
losen und ihre begehrlichkeit in directer ansprache gegeilselt hat. das 
ganze war also eine volksrede in versen. wer elegie und iambos sich 
genauer ansieht, wird allerorten die directe ansprache vorfinden und 
dem entsprechend bemerken, dafs die führer des volkes oder kleinerer 
kreise in Ionien die dichter sind. in Sparta redet der repraesentant 
des standes zu dem heere: das ist der charakter der tyrtaeischen verse, 
auf deren verfasser also nichts ankommt. für das verständnis der ionischen 
poesie ist die anerkennung der persönlichen ansprache durch die als 
solche bedeutende person die wichtigste vorbedingung. 


1) Der eingang wird nur citirt, gewissermafsen als überschrift des gedichtes, 
damit man es identificiren könne, also ist es unberechtigt, einen vollständigen ge- 
danken zu fordern. mich dünkt der dahin zielende versuch von Blafs auch sehr 
unglücklich, und was ich auf dem facsimile sehen kann stimmt schlecht zu seiner 
lesung. insbesondere mufs damit gerechnet werden, dafs hinter den solonischen 
worten sicherlich ein freier raum war. 


Die elegie yırdoxo xal zo. die elegie nzusrega da mrödıs. 305 


Es liegt nahe, reste derselben wichtigen elegie unter Solons frag- 
menten zu suchen, und vier verse (fgm. 15 Bergk) hat ihr Br. Keil mit 
grolser wahrscheinlichkeit zugewiesen. sie sind auch in die Theognidea 
(315) geraten und werden als solonisch von Hermippos angeführt (Plut. 
Sol. 3), um zu belegen, dafs Solon sich selbst zur partei der armen ge- 
rechnet hätte. nicht anders können wir nach Aristoteles über die stim- 
mung .ener ersten elegie urteilen, und dafs er eine mehrheit, zu der er 
sich rechnet, zu den reichen in gegensatz stellt, ist selbst in den wen- 
dungen ähnlich. ganz verständlich aber wird der politisch bedeutende 
inhalt dieser verse erst jetzt, seit wir wissen, dafs die geltende drakon- 
tische verfassung den adel, das prinzip agıozivönv, durch den reichtum, 
zrAovsiyönv, ersetzt und die classen auf das vermögen statt auf das ein- 
kommen gestellt hatte. “reichtum findet sich oft bei schlechten, tüchtig- 
keit bei armen. wir werden ihnen nicht gestatten beide zu vertauschen, 
denn er ist ein wechseludes, sie ein dauerndes gut. so perhorrescirt 
er die plutokratie: wie kurzsichtig war es, ihm die classeneinteilung, die 
sog. timokratie als neue erfindung zuzuschreiben. aber die «gern ist 
bereits die der seele, nicht die des blutes für ihn. die moralische be- 
deutung der begriffe ayadog und xaxog gilt bereits für Solon; deshalb 
stehen die verse unter denen des Theognis, die der veranstalter unserer 


sammlung auch im menschlich aristokratischen sinne gedeutet hat, 


während der Megarer sie im bornirten adelssinne gemeint hatte. 

Sehr nahe mit dieser elegie berührt sich im inhalte eine andere, die 
wir zum grölseren teile und am schlusse vollständig in die gesandschaftsrede 
des Demosthenes hinter 255 eingelegt lesen (4 Bgk.). dafs sie in mehreren 
der besten handschriften fehlt, beweist nichts dagegen, dafs Demosthenes 
sie selbst eingelegt hätte, denn in 3 sind auch urkunden ausgelassen, 
die erweislich ächt, also auch mit den reden sofort edirt worden sind. 
wol aber lehrt schon der lückenhafte text dieses gedichtes?), dafs es nicht 


2) Aufser den zwei hexametern hinter 10 und 11 fehlt mindestens ein penta- 
meter, den unbegreiflicher weise Bergk und, wenn auch in klammern (bezeichnend 
für die halbheit seiner kritik), Hiller als 26 führen, obwol er notorisch eine den 
guten handschriften durchaus fremde byzantinische ergänzung ist, an der die mo- 
dernen je nach laune herumändern. sie verfehlt aber, von der prosodie ganz ab- 
gesehen, auch den sinn. Solon sagt ‘von den armen kommen viele verkauft in das 
ausland’; dem entspricht bei Plutarch 13 06 d’ di nv Eevnv nınpaoxousvos. aulser- 
dem steht noch bei Solon deouoici T’ asıxeilossı deFevıes, und bei Plutarch geht 
vorher 06 ae» aurov Ödovistovrss. danach ist also zu ergänzen. wie sollte Solon 
die schuldsclaven weglassen? vermutlich folgte noch in einem distichon der zwang, 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 20 


Die elegie 
NusTeoa 
ds mol. 


306 III. 4. Die solonischen gedichte. 


immer die sorgfältige behandlung erfahren hat, die es in dem demosthe- 
nischen texte finden mulste. es hat also einmal ein grammatiker die 
von Demosthenes deutlich bezeichnete solonische stelle nachgeschlagen 
und von dem verse, den er so fand, ausgehend den rest der elegie ein- 
getragen. wir haben grund dem manne zu danken, gerade weil er nicht 
sehr überlegt verfahren ist, denn er hat viel mehr ausgeschrieben, als 
der redner verlesen liefs. dieser leitet sein citat also ein “verlies mir 
hier diese elegie, damit ihr seht, wie sehr Solon solche menschen wie 
diesen Aischines gehafst hat”. und nach der verlesung sagt er “hört ihr, 
was Solon von solchen menschen sagt, und von den göttern, die die 
stadt beschützen”. solche menschen, das sind menschen, die für geld 
alles tun, insbesondere den ruin ihrer vaterstadt herbeiführen, oder viel- 
mehr herbeiführen würden, wenn die götter nicht über Athen wachten. 
somit ist deutlich genug bezeichnet, dafs Demosthenes den ersten teil 
der einlage verlesen liels, die wir jetzt vor uns haben “nach gottes willen 
wird Athen nicht zu grunde gehen; dafür sorgt Athena; aber die bürger 
wollen in ihrem unverstande den staat zu grunde richten?), und nament- 
lich die führer des volkes, die in ihrem jagen nach unredlichem gewinne 
keine schranke kennen. aber einmal kommt allerdings auch für sie die 
strafende vergeltung (1—16)”. gerade diese letzte prophezeiung mulste 
dem ankläger sehr zu pals kommen, aber es kann davon keine rede 
sein, dafs er auch nur einen vers weiter citirt hätte, am wenigsten den 
schlufs, der die segnungen eines wolgeordneten verfassungsstaates breit 
ausmalt. 

Wenn wir nun den gedanken dieser elegie weiter nachgehn, so 
folgt auf den ersten abschnitt, worin die strafe für die frevel der hab- 
gierigen volksführer bestehn wird. “das ist eine unvermeidliche krank- 
heit für jede stadt, dafs sie in knechtschaft gerät, so sie bürgerzwist 
und bürgerkrieg aufrührt, in dem die blüte der jugend erliegt. denn 
die feinde (d. h. die inneren feinde des staatswesens und der ordnung) 
zerstören sie gar bald in ihren verderblichen zusammenrottungen.” ‘) 


weib und kind zu verkaufen, denn das steht bei Piutarch unmittelbar danach und 
bei Aristoteles 2. 

3) Wenn es jetzt heifst, dafs die bürger in ihrem unverstande den staat zer- 
stören xonuacı nasönevos, so ist dieser penlameterschlufs ein übles füllsel: die 
bürger sind nicht bestochen, und sie haben auch davon keinen vorteil, dafs das 
gemeinwesen zu grunde geht, im gegenteil, Solon sagt ja, dafs sie es aus unver- 
stand tun; vorteil habe allein die druov nysuövss. ergänzen kann man die läcke 
um so weniger, als man nicht weils, ob sie auf den pentameterschlufs beschränkt war. 

4) Dafs dies der sinn der verse ist, deren gedanken in der für die alte elegie be- 


Die elegie rusrdpa d3 nöiss. 807 


er meint nicht gerade die einzelherrschaft, sondern eben so gut die herr- 
schaft einer partei, die jetzt die oberhand hat, auf die bald eine andere 
eben so gewalttätige folgt; man denke an die Alkmeoniden und ihre gegner, 
oder an die Donati u. s. w. in Florenz. an dvvaozeiaı, mit den Sokra- 
tikern zu reden, denkt er, wie sie factisch bestanden. “das ist das übel, 
das jetzt schon im demos, in der drakontischen gemeinde, im schwunge 
geht. die besitzlosen aber, die Orria un sragexouevor, geraten durch 
das schuldrecht in sclaverei. so kommt von dem übel der gemeinde 
(Önuooıov xaxov) auf einen jeden sein teil unweigerlich. diese vorhal- 
tung wollte ich den Athenern machen: das kommt bei der dvovoul« 
heraus. dagegen Jie euvoula führt zu eitel segen und wolstand.” 
mit diesem erfreulichen bilde schliefst er und malt es mit leuchtenden 
farben. natürlich liegt darin der rat, für gute gesetze zu sorgen, und 
wenn sie ihn beim worte nahmen und sagten “wolan, schaffe uns die 
guten gesetze’, so war ihm das recht. auch dieses gedicht ist ein pro- 
gramm des reformators. die art, wie er seine schilderung der beiden 
classen des staates und ihrer verhältnisse abschliefst und zu der &uvvoul« 
übergeht, insbesondere, dafs erst hier von dem adressaten seines ge- 
dichtes die rede ist, zeigt deutlich, was wir vor dem jetzigen abgerissenen 
anfange zu ergänzen haben. “rings um mich sehe ich gesetzlosig- 
keit in Athen, und das volk weifs sich nicht rat; da will ich ihm die 
zeichen der zeit künden. zwar nicht nach der götter willen, aber durch 
eigne schuld treibt die stadt dem untergange zu.’ breit oder knapp: die 
dem übergange 31.32 entsprechende einleitung und die bezeichnung 
des volkes als des adressaten, auf die auch noch Nuerdea zrölıg deutet, 
konnte nicht fehlen. 

Ich habe das ausgeführt, weil der gedanke nahe lag, dafs die von 


zeichnenden altertümlichen verschränkung nicht sofort scharf erfafst werden, lehrt sorg- 
fältige überlegung. unsicher ist die verbesserung der letzten worte aorv Tovyeras 
ev ovvoloıs Tois adıxovas Yiloss. gemeint sind die vereinigungen, in denen sie 
svviotavıaı Tugavveiv, die vorläufer der späteren clubbs. also ist zu @vwodoss 
ein epitheton notwendig, und mir genügt Ahrens mit dem kühnen rais’ adınnaspi- 
Aoıs. denn solche kühnen zusammensetzungen wie ngodwasraıpov, vakauıvapdıns, 
afovnAareiv hat das alte attisch gern; darum leben sie in der komoedie fort. — eine 
curiosität ist, dafs Bergk die praeposition lieber als als ds schreibt, obwol letzteres 
sogar noch handschriften für sich hat, und dazu bemerkt, er wolle ds nicht her- 
stellen, weil nimis incerta est paradosis; Hiller copirt ihn getreulich. wie hat 
denn Solon geschrieben? wendet er ds nicht auch als kürze an? und wie lautet 
die agadosıs über das epos und die alte atthis? auf die lesart der handschriften 
kommt in solchen dingen nicht das mindeste an. 
20* 


308 Il. 4. Die solonischen gedichte. 


Aristoteles citirte elegie mit dieser identisch wäre. niemand kann ja 
leugnen, dafs es nur eines kleinen bindegliedes bedürfte, um von dem 
ersten distichon jener zu dem anfange der hier vorliegenden versreihe 
zu gelangen. aber die identification ist dennoch ganz ausgeschlossen, 
den vers, der in dem anfange jener stand z7,» ve QıAapyvplav ıry 9 
ürreonpaviay mülsten wir in dem falle hier finden. aufserdem wer- 
den dort die gewinnsüchtigen machthaber direct angeredet, vermut- 
lich also auch das arme volk; denn wir hören ausdrücklich, dafs Solon 
“beider sache wider beide führte”. von all dem ist hier keine rede, 
und wenn die anrede, der adressat also, in den beiden gedichten ver- 
schieden ist, so ist damit schon vollkommen bewiesen, dafs es zwei waren. 
es ist auch gar nicht wunderbar, dafs Sulon vor 594 mehrere gedichte 
ähnlichen inhaltes verfalst hat, ganz wie er es in den bitteren jahren 
gleich nach 593 getan hat, zu denen wir uns nun wenden.?) 
Eine elegie Eines davon war eine elegie, aus der Aristoteles und andere die 
Jahren schönen verse drum utv yag Edwxa (5) anführen; Herodot und Aristo- 
“ teles haben derselben die erklärung Solons, auf zehn jahre nach Aegypten 
zu verreisen, entnommen; Plutarch das resignirte wort &pyuaoıy &v gake- 
zrois macıy Gdeiv xakenov (7). das schliefst sich alles gut zusam- 
men, und dafs dieses abschiedswort an das ganze volk der Athener 
gerichtet war, ist das natürliche. “ich habe den Athenern die gesetze 
gegeben; nach denen mögen sie leben und ein jeder das seine tun. ich 
bin es müde, von allen angegangen zu werden, und gehe, die herrlich- 
keiten und wunder Aegyptens zu schauen. zehn jahre bleibe ich fort: 
lebt wol und versucht wie ihr auskommt. es allen recht zu machen, 
habe ich weder angestrebt noch vermocht; mein prinzip ist nur gewesen, 
gegen die übergriffe von beiden seiten front zu machen.” es kann sein, 
dals ratschläge folgten, und man ist versucht das bei Aristoteles unmittel- 
bar auf drum utv yag Eöwxa folgende bruchstück hierher zu ziehen 
“das volk ist dann am fügsamsten, wenn man ihm weder die zügel 
schiefsen läfst noch es bedrückt. denn wer nicht gesetzten sinnes ist, lälst 
sich durch die übersättigung an grolsem wolstande zu übergriffen ver- 
leiten” (fgm. 6.8, Theogn. 153). aber es ist klar, dafs diese mahnung 
selbst vor der gesetzgebung möglich war: sie gilt den dnuov nyeuoves, 
die doch auch nach 593 das regiment führten. 


5) Es liegt nahe, nach resten der elegie yır@cxo bei Theognis zu suchen. 
aber ich habe nichts gefunden, denn müssiges spiel will ich nicht treiben. nach- 
bildungen der elegie ruerega da nölss fehlen nicht, Th. 758, wol auch 43, und zu 
fgm. 7 stellt sich aufser dem verglichenen 799 auch 26 u. a. 


Die trochaeen an Phokos. 309 


Das war also sein letztes wort vor dem scheiden. ungleich erregter 
hatte sich seine enttäuschung und sein stolz in dem ersten affecte ge- 
Aufsert, und er wählte deshalb das lebhafteste mals, über das diese dicht- 
gattung verfügte, die trochaeen, die er wol kein zweites mal verwandt 
hat. das gedicht war an einen freund oder gewesenen freund Phokos 
gerichtet, vielleicht einen vorfahren des Duniwv Dwxov, dessen lebens- 
beschreibung allerdings von seinem adel nichts weils. Aristoteles hat 
ein neues schönes stück hinzugebracht, Piutarch aber das gedicht, von 
dem er eine probe citirt fand, nachgeschlagen, den adressaten am an- 
fange seiner auszüge namhaft gemacht und sich selbst gedanken und 
wendungen, auch wo er nicht direct citirt, angeeignet (14, 5—15, 1). 
danach kann man den aufbau sehr wol erkennen. Solon wird zuerst 
den Phokos angeredet haben, sei es dafs er auf dessen billigung oder 
misbilligung rechnete, dann führte er die öffentliche meinung, die zvoAAo} 
xal pavkoı, wie Plutarch sagt, redend ein ““Solon hat also den ruf der 
weisheit nicht verdient, denn er hat den kopf verloren, als der fang im 
netze war, und es herauszuziehen weder mut noch verstand genug ge- 
habt. unser einer würde sich für die wonne, auch nur einen tag herr 
von Athen zu sein, gern hernach mit sammt seinem ganzen hause haben 
schinden lassen (33)”.*) dem gegenüber erklärt Solon “mag ich auf 
meinen ruf als weiser einen schandfleck damit gebracht haben”), dafs ich 
die tyrannis verschmähte: ich schäme mich dessen nicht, glaube vielmehr 
gerade dadurch allen menschen gegenüber den vorrang zu erhalten (32). 
durch den verzicht auf den eigenen vorteil ist es mir möglich geworden, 
ohne rücksicht auf die begehrlichkeit von beiden seiten den staat zu 
befestigen. hätte ich seine fundamente zerstört, so würde mir die kraft 
gefehlt haben, ihn ganz neu zu bauen (Plut. 15,1). nun sind die be- 
gehrlichen umstürzler freilich enttäuscht, die auf grofse beute hofften und 
meine reden von eövoula für schöne phrasen hielten, und sie sehen 


6) Eine derbe umschreibung der fluchformel Eins sinv avrös xal yevos TO 
duavrov. 

7) Durch die beziehung von wiavas xal xarasayvvas xAcos auf die kritik 00x 
Eyv Zihaov Badupew» wird die anordnung der versreihen sicher gestellt; Plutarch 
führt erst die verse an, die er citirt gefunden hatte, und benutzt dann dasselbe ge- 
dicht weiter, erst die vorhergehenden verse, die er ausschreibt, dann die nächsten 
gedanken, die er in seine worte kleidet, von sich das beliebte gleichnis des arztes 
einfügend: 7 u8v dgsorov (agıorov vulgo) nv, oVx Entiyayer iarosiav oVdd xawo- 
tonlav Yoßndels un "“ovyyeas navranacı xal ragabas ırv nöhım aodsvdatagos 
yöyınras Tov naraoınoaı nahm” xal Gvvapuövacdaı Tg0S TO apıarov. wie man 
die durchklingenden trochaeen verkennen kann, ist mir unverständlich. 


Die tro- 
chasen an 
Phokos, 


Der grofse 
iambos, 


Ein zweiter 
jambos. 


310 III. 4. Die solonischen gedichte. 


mich schel an, ganz mit unrecht. denn ich habe ihnen gegeben was 
ich ihnen versprochen hatte; sonst aber habe ich nicht unbesonnen ge- 
handelt: so wenig wie die tyrannis, ist mir in den sinn gekommen, 
durch yis avadacuog eine gleichheit des besitzes für alle durchzu- 
führen. (34. 35 mit den ergänzungen bei Ar.)” 

Waren die trochaeen in erster linie bestimmt, seine ablehnung der 
tyrannis zu verteidigen, so setzte sich Solon mit den vorwürfen der 
armen in dem iambos auseinander, von dem das längste bruchstück er- 
halten ist. weil der iambos ualıora Aexrıxoy ist, glaubt man hier am 
meisten den ersten attischen redner zu hören. ergänzen mufs man die 
vorwürfe der volkspartei, dafs er nicht mehr für sie getan hätte und die 
äcker der reichen confiscirt, was ihnen nicht nur freiheit, sondern auch 
brot verschafft haben würde. “weswegen ich, als ich den wagen des 
staates lenkte®), aufgehört habe, ehe der demos etwas hiervon bekam, 
das soll mir vor dem richterstuble der ewigkeit die mutter Erde bezeugen, 
aus der ich die schuldsteine entfernt habe; und die schuldsclaven babe 
ich befreit und das davelleosar Erri rols owuaoıy abgeschaflt, das 
habe ich getan und damit mein versprechen erfüllt. aber mit der ge- 
setzgebung habe ich gleiches recht geschaffen. und nur weil ich un- 
eigennützig war, ist es mir gelungen, den demos zurückzuhalten; ich 
brauchte ja nur einer von beiden parteien zu folgen, dann wäre der 
bürgerkrieg sicher gewesen. daher habe ich mich zwischen beiden 
hindurchgedrückt.” 

Ein ganz ähnliches iambisches gedicht zieht Aristoteles gleich danach 
aus “der demos sollte mir danken, denn ohne mich hätte er nicht im 
traume so viel bekommen wie er hat, und die reichen sollten es nicht 
minder, denn ohne mich hätten sie alles verloren. keinem anderen würde 
es an meiner stelle gelungen sein, den demos zurückzuhalten, ich aber trat 
zwischen beide”. das ist so ähnlich, dafs man alten und neuen be- 
nutzern nicht verdenken kann, dafs sie es vermischt haben. der halb- 
vers oVx av xardoxe Önuo» ist identisch, der bedingungssatz vorher, der 
nur in der paraphrase erhalten ist, mufste es dem sinne nach auch sein: 
man könnte fast an eine doppelte fassung des schlusses denken, wenn 
nicht Aristoteles offenbar zwei vollständige gedichte vor sich hätte. so 
lernen wir nur, dafs elegie und iambos wie das spätere epos die wieder- 


8) Der aufbau der gedanken wird durch die paraphrase deutlich; a&owndarsiv 
wird nicht bezweifeln, wer xesvrgov Aaßoy am schlusse dieser gedankenreihe 20 be- 
achtet. den unsinn, der über diese verse geredet und in conjecturen niedergelegt 
ist, mag icht nicht verfolgen. 


Ein zweiter iambos. gedichte wider die tyrannis. 811 


holungen sich gestattet hat: namentlich für die beurteilung der tyrtaei- 
schen elegien ist das beherzigenswert. die spätere demegorie in prosa 
hat es nicht anders gehalten. 

Sechs politische gedichte kennen wir nun. dafs Solon auch andere 
dichtungen verfafst haben mulste, wenn er den ruf der weisheit besafs, 
um dessentwillen sein volk auch auf seine politischen mahnungen hörte, 
ist klar; aber auch nicht einen vers wülste ich mit einigem scheine auf 
seine jugend zu beziehen. auf seiner reise ist das gedicht an Philoky- 
pros von Soloi entstanden (19). ein vers, der seinen aufenthalt an der 
kanobischen Nilmündung erwähnt (28), kann nicht weiter bestimmt wer- 
den, als dafs er nach der aegyptischen reise verfafst ist, wie denn auch 
Plutarch sagt. die etwa zwanzig jahre, die Solon sich zu hause noch 
des otium cum dignitate erfreute, haben ohne zweifel die meisten seiner 
poetischen früchte gebracht. aber es kann bei der art unserer über- 
lieferung nicht wunder nehmen, dafs wir auch hier am meisten von der 
politischen poesie erfahren. dazu gehört die elegie Salamis von 100 versen, 
also ein umfängliches stück (1—3), für die er die fiction wählte, vom 
heroldsteine auf dem markte zu seinem volke zu reden, und zwar in 
directer ansprache. vielleicht war das auch gar keine fiction. dann 
scheidet unsere überlieferung, die in drei arme, Diodor Plutarch Diogenes, 
gespalten doch aus einer quelle stammt, zwei politische gedichte, von 
denen sie das eine vor, das andere in die tyrannis des Peisistratos setzt. 
das eine soll eine warnung sein (9); die erhaltenen verse führen aus, 
dafs, wenn es übermächtige männer im staate gibt, die tyrannis so 
sicher zu erwarten ist wie das hagelwetter, wenn die wolke aufzieht, 
oder der donner, wenn es blitzt.e aber das volk lasse die einzelnen 
männer erst so grols werden, dals es sie nachher nicht mehr zurück- 
halten könne. das zweite soll mit der vollendeten tatsache rechnen “die 
götter sind nicht an eurer knechtschaft schuld, sondern ihr selbst, die 
ihr diesen leuten rückhalt und stütze (duuare) gegeben habt. denn ihr 
seid trotz aller schlanheit der einzelnen ein volk von gimpeln (11). so 
wie die 3 und 4 disticha jetzt da stehn), könnten sie sehr gut in einem 
gedichte platz finden, und nur wenn der vers “bald wird die wahrheit 
an den tag kommen und zeigen, ob ich verrückt bin, wie ihr wähnet 


9) Piutarch. Sol. 30 hat das zweite citat zerpflückt und dabei auch die ord- 
nung der verse vertauscht. wenn Clemens Str. I 3, 328 dieselbe ordnung zeigt, so 
heilst das nur, dafs er von Piutarch abhängig ist. diese entlehnungen aus einem 
erhaltenen autor festzustellen und auszusondern ist die dringendste aufgabe für die 
analyse des Clemens. 


Reste an- 
derer ge- 
dichte, 


Gedichte 
wider die 
tyrannis, 


312 III. 4, Die solonischen gedichte. 


(10)° in das erste gedicht notwendig gehörte, würde sicher, dafs Solon 
zwei, dann notwendig kurz vor und nach einer katastrophe fallende ge- 
dichte verfalst hätte. das mag man glauben; sicherheit ist nur so weit 
zu erzielen, dafs die beziehung auf die leibwache des Peisistratos (seine 
6vuara), so nahe sie den alten erklärern lag, irrig ist. denn es handelt 
sich überhaupt nicht um einen einzelnen, sondern um eine mehrheit 
(tovrovg nV&noare), die ueyaioı avöpes. die alten sind genötigt ge- 
wesen von den Peisistratiden zu reden, ja es wird gar bei Diogenes ein 
ganzer rat von Peisistratiden daraus. aber Hippias ist doch nicht vor 
561 mitregent gewesen, und das geschlecht spielt vollends keine rolle, 
sondern der einzelne stratege und demagoge. die solonische mahnung 
geht auf die verhältnisse, von denen wir nur die allgemeine schilderung 
der drei oraoeıc und ihrer führer kennen. da herrscht in Athen weder 
das gesetz noch der demos, sondern die gewalt der mächtigen männer. 
diese kritik wird auf Damasias und schon vor ihm und nach ihm manches 
jahr zugetroffen haben. wenn wir die gedichte Solons vollständig 
besäfsen und die beamtenliste dazu, so würden wir die geschichte und 
die beziehung der einzelnen verse zugleich feststellen können; so 
müssen wir uns bescheiden, und nur froh sein, dafs wir nicht genötigt 
sind, diese gedichte fest auf 561/60 zu setzen. wie der steinalte Solon 
damals sich verhielt, erzählt die chronik novellistisch: sie weifs von keinen 
versen (oben I 261—65). 

npolitische Etwas kenntlicher wird seine unpolitische dichtung. er hat selbst 

des alters. den gegensatz gefühlt und ausgesprochen. “jetzt, nämlich wo ich die 
politik und die arbeit des erwerbslebens los bin, kann ich mich den ge- 
nüssen des lebens, Aphrodite, Dionysos und den Musen hingeben (26). ') 
nur den besten bleiben die Musen bis ins alter treu, aber das noch 
heute. dafs Dionysos den greisen hold sein darf, ist uns schon nicht 
so geläufig, aber dafür genügt es an Platons regeln regi u&dng in den 
Gesetzen zu erinnern. noch mehr mag Aphrodite befremden, und an 
das schwärmen im maimonde des lebens denkt freilich kaum jemand in 
der ächthellenischen zeit. für den bürger, der einen hausstand gründet 
und seine kinder erzieht und versorgt, ist die regel auch nicht gegeben: 
das hat Solon nicht getan, von dem es keine descendenz gegeben hat. 
aber die erscheinung, für die die Aspasia des Perikles, die Herpyllis des 
Aristoteles, die Theoris des Sophokles benannte vertreterinnen sind, die 


10) Gomperz (Wien. stud. II 7) hat den vers auch bei Philodem aufgezeigt 
und mit wahrscheinlichkeit vermutet, dafs er durch den Erotikos des Aristoteles in 
die philosophische litteratur und zu Plutarch, der ihn liebt, gelangt ist. 


Unpolitische gedichte des alters. 313 


wahlarei gar vieler greise in Athen unbenannte, zu denen auch die 
magd gehört, die der alte Cato heiratet, ist für das leben der alten zeit 
höchst charakteristisch. “reizendes hindernis will die rasche jugend; ich 
liebe mich des versicherten guts lange bequem zu erfreun.” die stim- 
mung Goethes in den neunziger jahren wird dem ernsthaften und ver- 
ständigen die beste erläuterung sein. es ist ein genufsleben, aber bei 
allen den männern, die hier genannt sind, ein complement der ange- 
strengten geistesarbeit. wie hoch erhaben über den gemeinen sinnen- 
genuls es ist, kam Solon selbst in den fall auszuführen, der Athener 
gegenüber dem lonier, in dem gedichte an Mimnermos (20. 21). der 
hatte nichts im leben getan als genossen, und da sah er voraus, dafs 
er als sechzigjähriger mit dem geniefsen und dem leben fertig sein 
würde; auf die hefe des trankes mochte er darum verzichten. Solon 
führte ihm gegenüber die sache der natur zugleich und der ächten 
menschenweisheit. er war mit sechzig jahren weder zum genusse un- 
fähig noch lebensmüde und plaidirt deshalb für weitere 20 jahre. er 
fürchtet kein grämliches alter, ist egoist genug, zu wünschen, dafs er 
sterbend eine lücke lasse, wozu dann freilich gehört, dafs er so lange 
er lebt seinen posten ausfüllt. und er weils, dafs seine existenz niemals 
leer werden wird. ynoaoxw 6’ alel noAla dudaoxouevog (15), der 
schönste seiner verse, gehört offenbar hierher. nehme man dazu aus 
einem anderen gedichte, was er über den reichtum sagt, den er sich 
wünscht (24)''), so hört man so ziemlich unsern weisen meister, der von 
den göttern verlangt, was der dichter bedarf. “mäfsiges braucht er, doch 
viel. erstlich freundliche wohnung, dann leidlich zu essen, zu trinken 
gut, der Deutsche versteht sich auf den nektar wie ihr (davon sagt der 
Grieche nichts besonderes. dann geziemende kleidung, und freunde, 
vertraulich zu schwatzen; dann ein liebchen des nachts, das ihn von 
herzen begehrt. diese fünf natürlichen dinge verlang’ ich vor allem. 
gebet mir ferner dazu sprachen, die alten und neu’n, dafs ich der völker 
gewerb’ und ihre geschichten vernehme, gebt mir ein reines gefühl, was 
sie in künsten getan.” 

Seine weisheit richtete Solon auch jetzt noch mehrfach an bestimmte 
personen; aulser dem gedichte an Mimnermos hören wir noch von einem 
an einen jungen mann aus verwandtem hause, den übermütigen Kritias 


11) yaoroi Ta xai nlsven xai nociv aßga naseiv, nados T' da yuwauxös, 
en7;v xal Tair’ Apiantas, TAN‘ Giv Ö' won yivarcı apnödıa" Tal’ apsros Pon- 
zoios. Goethen ward das griechische durch Horaz Ep. I 12 vermittelt: aber wie 
viel näher steht er dem griechischen als selbst Horaz. 


314 II. 4. Die solonischen gedichte. 


(22). aber an das publikum im ganzen wandte er sich verständiger- 
mafsen nicht mit ihr. die steifleinene theorie, die von ünrosmxaır eis 
&avroy redet, können wir auf sich beruhen lassen: wir sind nicht im 
stande zu wissen, wie die sammler im altertum die gedichte geordnet 
haben, und brauchen ihnen die verkehrtheit nicht zuzutrauen, die ord- 
nung nach den versmalsen mit einer nach sachlichen kategorien ver- 
mischt zu haben, wie Bergk beliebt hat. die selbstansprache ist keine 
kunstform. wie es Solon gehalten hat, lehrt die berühmteste und schönste 
und zum glück vollständig erhaltene elegie (13): er hat die einkleidung 
eines gebetes an die Muse gewählt. damit ist nichts anderes bezeichnet, 
als dals er seine gedanken in einem gedichte ausspricht. aber die helle- 
nische poesie verlangt nun einmal feste form; und so ist hier die an- 
rede für die elegie gewahrt. jenes wunderbare gedicht, in dem der 
fromme des lebens und des strebens summe zieht, will ich hier nicht 
erläutern. das würde zu viel worte fordern, denn es ist nicht leicht, 
falls man mehr als einzelne disticha verstehen will. dem modernen aber 
wird es sauer, von allem rhetorischen disponiren abzusehen, auch von 
allen den künsten der Kallimachos und Properz und Ovid, und sich 
zutraulich vor die knie des alten zu setzen und seiner Muse zu lauschen, 
die ihn nach greisenart bald hierhin, bald dahin lockt, aber immer 
wieder in die bahn zurückführt, die ihm die alles beherrschende empfin- 
dung weist. “mensch, lerne, dafs es mit unserer macht nicht getan ist, 
und dafs der gott, der deine geschicke lenkt, wie es ihn beliebt, einmal 
abrechnung hält: mensch, lerne dich bescheiden.” zum verständnis des 
baues hilft Tibull, der an der ächten elegie gelernt hat; bequemer noch 
hilft Goethe. 
Unbostimm- Nur noch einige wenige beziehungslose verse (12. 14. 16. 17. 
wümmer. 23. 25) und die reste eines iambischen gedichtes (38—41), in dem 
das getriebe eines marktes mit allerhand erzeugnissen auch ferner küsten 
geschildert ward, sind übrig. aufserdem eine sehr hübsche, bereits dem 
Aristoteles (Pol. H 1335®) bekannte elegie, eigentlich nur ein merkvers, 
über die zehn hebdomaden des menschenlebens, den hervorragende ge- 
lehrte von Porson bis Usener'?) dem Solon absprechen. er hat nichts 


12) Altgr. Versb. 52. seine schlufsfolgerung ist mir gänzlich unverständlich, 
die verbindung nas rıs findet sich, wenn wir eine stelle bei Theognis erst geändert 
haben, immer noch einmal bei Theognis, wo sie Usener wieder beseitigen will, bei 
Aischylos Pindar und Herodotos, aufserdem in dieser elegie. die aber wäre nicht 
solonisch. ja, was soll ich aus diesem tatbestande anders folgern, als das was rs 
seit 480 in keinem gebiete der poesie anstöfsig ist, also vorher mindestens in der 


Unbestimmbare trümmer. 815 


individuelles, und dafs ein solcher spruch einem berühmten namen an- 
gehängt wird, ist sehr natürlich. woher sie aber wissen, dafs Solon 
nicht der verfasser sein könne, verstehe ich nicht: dafs hier 70 jahre 
als die normale grenze des lebens bezeichnet wird, und Solon als greis 
ein ander mal gerne 80 werden wollte, kann doch nichts ausmachen. 
Herodot 1 32 läfst den Solon 70 jahre als normales lebensalter angeben, 
Diogenes I 55 auch: das erstere mag man für unsicher halten, das zweite 
lehrt wenigstens, dafs das gedicht in den werken Solons sich behauptete. 
es kommt weder für dieses etwas auf den verfasser an: alt ist es doch; 
noch für Solon darauf, ob er einmal ein nicht individuelles gedicht ver- 
fertigt hat. unter den versen der altattischen poesie, also denen Solons, 
steht es und wird es stehn bleiben. 


elegie auch vorkommen konnte? was soll ich folgern, als dafs die conjecturen im 
Theognis und die athetese des solonischen gedichtes von dieser seite her schlecht- 
hin unberechtigt sind? 


>. 
DIE ATTISCHE SKOLIENSAMMLUNG.') 


Athenaeus hat in sein fünfzehntes buch eine sammlung attischer 
trinklieder eingelegt, die nicht nur durch die einzelnen gedichte, un- 
schätzbare reste der wirklichen volkspoesie des alten Athen, sondern auch 
als buch von bedeutung ist. das buch mufs ich analysiren, um deut- 
lich zu machen, dafs die beiden von Aristoteles angeführten liedchen bei 
Athenaeus einlagen aus Aristoteles sind. das mag ich nicht tun, ohne 
über die gedichte selbst etwas zu sagen. wir können sie wirklich etwas 
besser verstehn als der alte Ilgen; ich bitte sie aber im Athenaeus 
nachzulesen, nicht bei Bergk. 

Das buch ist so geordnet, dafs zuerst die gedichte in dem gewöhn- 
lichen skolientone stehn, einer zwar aeolischen, aber nicht mehr wirk- 
lich ächt aeolischen strophe. die stollen werden durch je einen phalae- 
ceischen elfsylbler gebildet, in dem jedoch bereits ein dreisylbiger, 
anapaestischer anlaut statt des aeolischen zweisylbigen, hier nie mehr 
doppelkurzen, vorkommt (üyıel | very), und, allerdings unter dem drucke 
von unbequemen eigennamen, eine verdoppelung der zweisylbigen 
senkung (4Aguodıog xal Apıoroyelrwy). beides ist in der sylben- 
zählenden metrik von Lesbos undenkbar. der abgesang ist in den 
meisten fällen durch synaphie gebunden. von den vier gliedern die 
ihn bilden ist das zweite einmal durch hiat abgesetzt, oder vielmehr 
durch unerlaubten hiat, da er ein proklitikon abtrennt (ayadovg Te 
xal | evrrazeldag 24), ebenso auch nur einmal das dritte («Ancavra 
scalıy | avdoa 6), so Jdals man die vollen dativformen in der elision 
herzustellen berechtigt ist (£ualo’ | euipoocı 4, Svolaıo’ avden 12; 
ebenso natürlich im verse oregavngögoıo’ 2v 3, Pooulaıo’ ovd£ 5, 


1) Das schöne buch von Reitzenstein, Epigramm und Skolion, habe ich nicht 
mehr benutzen können. 


Il. 5. Die attische skoliensammlung. 317 


derhoio’ oAlyn 14, ayaFoio’ avdgaoı 23, Beoroio’ &v 25; die vocali- 
sirung der dative der ersten declination ist mir zweifelhaft). wortschlufs 
suchen alle dichter hinter dem zweiten gliede, etwa die hälfte hinter dem 
ersten, niemand zwischen den gliedern drei und vier. denn der ab- 
gesang in sich ist wieder eine kleine trias, von der form a--bcc. sein 
stollen ist das kleine sechssylbige glied, das die eine der normalformen 
des dochmius geworden ist, uns am geläufigsten aus dem stollen der 
alkaischen strophe &x ö’ Ogayw u£yas, stat nive candidem. ein dichter (10) 
hat sich die abwechselung erlaubt, statt seiner das um eine sylbe kürzere 
glied zu verdoppeln, das uns aus dem abgesang der sapphischen strophe 
am geläufigsten ist, & 709 Adwvıv, terruit urbem. schon Sappho hat 
es in pare verbunden stichisch wiederholt, ueyvAaxav yAoooay srepv- 
Aax$aı; Pindar schliefst damit die kleine strophe des liedes auf den 
Acharner Timodemides &9 zoAvvurisw Aıös akceı. des abgesanges 
abgesang ist ein seltsames ding; zwar sein zweites glied ist nur wieder 
um eine sylbe kürzer als der adoneus, sieht also einem choriamben 
gleich, aber davor steht das glied 2x ö’ opavw u£yag ohne die erste sylbe, 
also eine jener in Lesbos unerhörten, auch bei Pindar seltenen und in 
den aeolischen strophen der tragoedie wenigstens nicht häufigen glieder 
mit anlautender obligatorischer doppelkürze. ich fasse sie in der tat als 
apokopirt, wie ich die ersten glieder in dochmien, daktyloepitriten, ja 
selbst in ionikern vereinzelt, ansehe. 

Die sprüche dieses tones beginnen mit denen eis Jeorc. Ayava 
(diese form hat Bergk hier richtig hergestellt) hat billig den vortritt: das 
politische lied; wir sind nicht in Auerbachs keller. hier weht die luft 
wie in den segensliedern der Hiketiden und Eumeniden. “erhalte unsere 
stadt vor nöten (aAyn, die nüte einer niederlage sind gemeint, zzay- 
xAavra &Ayr Aisch. Sieb. 367. xaxa =’ alyn mol£uors T’ alua- 
töevrag Hik. 1044) bürgerzwist und pestilenz (Savaroı @wgpoı wie Eum. 
936), du und dein vater.” — der zweite spruch gilt der Mutter &» 4ygaıs 
und ihrer tochter; um die zeit der kleinen mysterien ist er gesungen, 
im Anthesterion o7&pavn@ogoı0’ &v weaıg, wenn der narkissos blüht, 
mit dem die göttinnen sich kränzen. weil es diese Mutter ist, heilst sie 
’Oivurla, denn dem Olympier ist jene flur am Ilisos heilig. die In 
’Olvurela ist eigentlich dieselbe gottheit. gebetet aber wird um ge- 
deihen (zrAovrog) für all das, was jetzt im frühling keimt und sprofst. 
die Mutter heifst zuAovzov unsne: so wenig ist dieses abstractum noch zu 
einer person geworden, geschweige dafs man nach dem vater des kindes 
fragte; noch weniger ist der höllische gott gemeint, den man um der 


318 11. 5. Die attische skoliensammlung. 


schätze des erdinnern willen euphemistisch ITAovzw» nennt. — dann kommt 
Apollon, der Delier, auf dessen insel Artemis eigentlich nicht geboren ist, 
so dafs Erıxte voide Aarw (E) besser ist als rexva A. (4); an den 
bruder schliefst sich Artemis, wie sie die Athener verehren, als jägerm, 
und noch mehr als herrin des weiblichen geschlechtes (Aisch. Hik. 676). 
das lied taugt nicht viel, da es erzählend anhebt und so seine herkunft 
aus der elegie, die weiter ausholen kann (Theogn. 1—14), verrät. — der 
vierte ist Pan, noch kein Athener, sondern mit den dionysischen nymphen 
im arkadischen gebirge schwärmend. er soll sich nur am liede freuen, 
das so lustig ist wie er, der den himmlischen komos führt. die fremden 
formen (uEdw» xAsevvyag) und die merkwürdige tatsache, dafs die ver- 
dorbene überlieferung durch ein cultlied geheilt werden konnte, das 
600 jahre später in Oberaegypten aufgezeichnet ist, beweisen die ab- 
leitung dieses spruches aus den chorischen gesängen des eigentlichen 
gottesdienstes; für den war das chorlied Pindars (fgm. 95. 96) bestimmt, 
das vielleicht selbst dieses vorbild war. — der fünfte spruch ist verstümmelt 
und verdorben. er bildet bereits den übergang zu profanen gegenständen. 
‘wir haben gesiegt und die götter haben uns den sieg von der Pandrosos 
her übergeben. was sie von der hüterin des heiligen ölbaumes nahmen 
ist entweder der ölzweig oder wol noch richtiger das öl: der trinkende 
gedenkt des sieges, den er oder die seinen an den Panathenaeen er- 
rungen haben. 

Nun folgt eine reihe moralischer sprüche; an zwei hochberühmte 
in demselben tone ist ein aus aeolischer poesie entlehnter in alkaischer 
strophe und ein anderer auch aeolischer angereiht. diese vereinzelten 
töne hat der ordner so lieber untergesteckt, weil sie doch nirgend pas- 
sender standen. dafs Athenaeus ein par citate über vyıadveıy aus eigner 
lectüre beifügte, wird keinen seiner leser beirren. der wunsch, dem 
menschen ins herz zu sehen, um zu erfahren, ob seine freundschaft 
ächt sei, schickt sich für das lied im freundeskreise; Euripides citirt diesen 
spruch Med. 516, Hipp. 926. — das allbekannte uyralveıy hat schon Epi- 
charm citirt, und es war dem Simonides wegen fgm. 78 gegeben. was der 
dichter damit meinte, darf man nicht aus den erläuterungen der philo- 
sophen holen, sondern aus der situation, für die er es gemacht hat: er 
will nur sagen “wir sind gesunde hübsche jungen und haben’s dazu: lafst 
uns drum lustig sein”. der deutsche student pflegt beim weine (d. h. biere) 
seinen verkehr mit dem leihhause und dem wucherer zu besingen; auch 
wenn er in ehrlicher armut ehrenvoll sich durchschlägt, fingirt er die 
verlumptheit. eine wirkliche lebensregel gibt die alkaische strophe, nicht 


IL 5. Die attische skoliensammlung. 319 


unwürdig des Alkaios. man mufs nur das erhaltene nicht weiter zer- 
stören, sondern sich überlegen, dann findet man die notwendig geforderte 
ergänzung der vorn verlornen drei sylben “(den graden) oder (den besten) 
curs soll man sich vom lande aus aussuchen, wenn man dazu in der 
lage ist und sich genug darauf versteht: ist man aber erst in see, so 
heifst es den curs halten”. inter nitentes Cyclades wird einem das klar. 
wer von Troia nach Hellas will, der mag sich überlegen, ob es besser ist 
zwischen Euboia und Andros oder zwischen Andros und Tenos oder Tenos 
und Mykonos durchzufalrren, oder gar erst an der asiatischen küste längs; 
aber auf der fahrt den curs wechseln ist verwerflich. so die metapher. 
was der dichter für das leben lehrt, heilst “es ist sehr schön, “erst wägen 
dann wagen’; nur kann man’s nicht immer, und nicht jeder verstehts; 
aber für alle gilt “was du einmal begonnen hast, das tue ganz’.” der 
spruch klingt weder sympotisch noch attisch. — das ist auch der fol- 
gende nicht. “ein freund soll gerade sein und keine krummen gedanken 
haben, sagte der krebs und nahm die schlange zwischen die scheeren.” 
es sagt sich jeder, dafs die lebendige schlange sich ringelt, die tote in starrer 
geradheit liegt; man bedarf also der aesopischen fabel 81 zum verständnis 
nicht, die aber mit recht citirt wird, weil ja Aesop ein schulbuch war, und 
der dichter an sie erinnert, indem er die freunde an aufrichtigkeit mahnt. 
die stollen der kleinen strophe sind von einer auch in Athen geläufigen 
volkstümlichen form, vurv öuevaı’ üunv. überliefert ist im ersten zwei- 
sylbiger anlaut 6 62 xagxiyos. dann könnte das gedicht nicht ächt 
aeolisch sein, wofür doch Euuesv spricht; aber die partikel am anfange 
des liedes ist ohne analogie in diesen sprüchen, und ihre einfügung 
im Athenaeustext, wo die gedichte ohne intervall stehn, ungleich wahr- 
scheinlicher. den abgesang bilden zwei durch synaphie gebundene gly- 
koneen. 

Nun kommen vier strophen auf die tyrannenmörder. eigentlich sind 
es nur zwei, denn die dritte gibt nur zur ersten einen eben so guten 
abgesang (10 und 12). die demokraten mochten an der tat der befreier 
die herstellung der Zoovoui« hervorheben, während den leuten wie 
Isagoras nur die beseitigung des Hipparchos von wert war. beide sprüche 
sind schwerlich viel jünger als die tat; das zeigt an dem einen die 
ioovoula, wofür schon Aristophanes dnuoxgaria gesagt haben würde, 
an dem andern die form AInvaa, die das versmals fordert, aber die 
vornehme dichtersprache nicht beliebt hat. der vierte (13) ist schlecht 
zusammengestoppelt; den abgesang borgt es vom ersten, das erste wort 
vom zweiten, und verdirbt im fortgang den vers; seine erste zeile aiel 


320 II. 5. Die attische skoliensammlung. 


opwy xAdos Eoosraı xar’ alav ist eine epische banale reminiscenz, 
weder &ooeraı noch ala sind attisch. wie viel schöner hatte der dichter 
des zweiten, der im abgesang ein etwas anderes metrum anwendet, die 
tyrannenmörder auf den seligen inseln mit Achilleus und Diomedes 
(Pind. 10) vereint. 

Es folgt ein neuer ton, die alkaischen grofsen asklepiadeen, distichisch, 
wie Alkaios sie auch gebaut haben soll. aber hinter dem ersten distichon 
sind vier im “Telamonton’ eingesprengt: wol sicher durch irrtum der 
schreiber. der Telamonton ist nicht so einfach; das distichon besteht 
nicht mehr aus zwei ganz gleichen versen, sondern der zweite ist um 
einen daktylus länger: ich wülste das nicht besser als mit der schluls- 
zeile der Nibelungenstrophe zu vergleichen. von der ionischen art, den 
xara scoda oder ueroov gebauten versen, mufs man natürlich absehen. 
und doch hat ein dichter das erste gleiche glied beider zeilen, einen s. g. 
ersten glykoneus, einmal wie zwei iambische oder ionische metra gebaut, 
d.h. die fünfte sylbe als indifferent behandelt (17). das zweite glied ist &x 
Ö’ öeavov ueyag im ersten verse, dem dann im zweiten der daktylus 
vortritt. — das lob der Aiakiden liegt in zwei gleich berechtigten fassungen 
vor; sie sind entstanden durch ein lied des Alkaios (48), das auch Pindar 
(Nem. 7, 27) berücksichtigt: aber wie viel mehr spricht uns die schlicht- 
heit an A&yovol oe &s Tooiav &gıorov &ideiv uer’ Ayıllda als der 
prunk 0» »garıorov Ayxılkosg ürep uoxa EavIü Mevelg« Öauapra 
xouloaı Foalg av vavoi mrögevgey Esutunvdov Zepieoıo zrourcal 
1005 ’IAov nolıy. gewachsen ist diese verherrlichung der Aiakiden auf 
ihrer insel Aigina (vgl. Herakl. 1281); wer das attische lied sang, gehörte 
wol zur Aiantis. — nun kommt die liebe zu worte “o wäre ich die laute, 
die die knaben bei den kyklischen chören tragen”, “o wäre ich ein ge- 
schmeide von lauterem golde, dafs mich eine schöne frau trüge mit 
eben so lauterem herzen”, auch sie natürlich am festtage, im Panathe- 
naeenzuge; die liebe ist keine hetärenliebe. diese beiden gedichte führt 
Dion in der zweiten rede an und verbessert im ersten gogoiev für 
geoorev: die knaben tragen die laute wie die frau das halsband an sich 
(gogoln steht da), sie tragen sie nicht in den agon und geben sie ab. 
aufserdem ergeben sich, wie auch in der überlieferung des Athenaeus, 
dialektische schwankungen zwischen e und a, die die unwissenden fort- 
fahren für dorismen zu halten; wie weit die poesie im sechsten jahr- 
hundert den archaischen vocalismus noch festhielt, kann niemand sagen; 
die epigramme des sechsten jahrhunderts schwanken ja auch. zum aus- 
druck vgl. auch Theognis 89. diese erotischen verschen stehen der elegie 


II. 5. Die attische skoliensammlung. 321 


sehr nah, und sie dürfen wol in den distichen der Anthologie V 83, 84 
brüder anerkennen. 

Von den Asklepiadeen ist das erste, jetzt verschlagene (16), an die 
spitze gestellt, weil es auch einen heros erwähnt “freund merke dir den 
spruch des Admetos und halte dich nur an gute freunde”. Admetos 
in seinem verhältnis zu Apollon ist gemeint, öolov yag avdeog ÖoLog wv 
&tuygavoy sagt der gott selbst. man darf wol auch an Herakles denken, 
den ayadös, der ungeladen zum feste der @yasol kommt. in anbe- 
tracht dieser beziehung ist von den varianten zoug ayadoug plieı und 
0&ßov, die die handschrift des Athenaeus zur auswahl stellt, wol o&ßov 
vorzuziehen, obwol Aristophanes Wesp. 1237 gileı bietet: das mochte 
für das profane leben passender scheinen. der scholiast hat das gedicht 
in einer anderen sammlung nachgeschlagen, die den namen der Praxilla 
trug und auch den spruch über den skorpion (20) in wenig anderer 
fassung enthielt. dafs sie ihn gemacht hätte, glaube ich gar nicht. aber 
skolien sind nun einmal weinlieder und keine jungfrauenlieder, also be- 
steht die überlieferung zu recht, die der Praxilla sragolvıa gibt. und dann 
bleibt diese ein mädchen, das am symposion teil hat, wie ich sie Her. 
1 71 bezeichnet habe. — das nächste (18), von Euripides Iph. Aul. 407 
citirt, gibt die moral, die ehedem das geschlecht, jetzt die hetaerie fordert 
“der rechte freund muls in allem mittun, im trinken, lieben, schwärmen, 
toll sein, auch im vernünftig sein”. “ich bin ein mann vom geschlechte 
Ghazijja; wenn Ghazijja verrückt ist, bin ich mit verrückt, wenn Ghazijja 
das richtige tut, tue ich auch das richtige” so ein Araber bei Wellhausen 
(Reste arab. heidentums 194). — dann der bekannte spruch vom skorpion: 
wieder warnung vor hinterlistigen menschen. die ehrlichkeit war von 
jeher der Hellenen schwache seite, darum schilt schon Achilleus auf die 
unaufrichtigkeit; treue ohne &ewg ist nur zu selten unter ihnen. — auch 
das letzte der reihe (25) gesteht bedauernd die regel ein, wenn der redner 
als seine meinung hinstellt, dals gütter und menschen den hoch ehren, 
der den freund nicht verrät: dies also ist ausnahme. dazwischen steht 21, 
der spruch von sau und eichel, eine lustige parodie eines unattischen 
spruches, erklärt Isyll 123, und eine warnung vor der liebe, die für jeden 
zu haben ist, der das entree bezahlt (22); etwas unhöflich gegen die 
für eine drachme gedungene fBlötenspielerin, die den takt dazu blies.. 
so tief sind wir von Athena herabgestiegen, und doch gehört alles mit 
fug und recht auf das symposion und erhebt sich hoch über die ver- 
soffene sentimentalität, die unsere commersbücher füllt, also doch wol 
sänger findet. 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 21 


322 II. 5. Die attische skoliensammlung. 


Dafs wir eine sammlung vor uns haben, planmäfsig angelegt, so dafs 
sogar verschiedene fassungen vorkommen, ist klar. solcher sammlungen 
gab es mehr, wie die auf Praxilla getaufte lehrt. wir kennen ja auch aus 
der komoedie noch eine anzahl anderer skolien, und Aristophanes läfst in 
den Ekklesiazusen neue improvisiren. die gedichte gehören dem sechsten 
und fünften jahrhundert an; nicht viel länger hat die mode die skolien 
festgehalten. aber kein späterer gelehrter hat die sammlung gemacht; wo 
sollte er denn die lieder finden? das bedürfnis hat sie erzeugt: es ist 
wirklich ein attisches commersbuch, bestimmt für solche teilnehmer, die 
sich’s nicht zutrauten einen vers zu machen. so ist ja auch die home- 
rische hymnensammlung (und die orphische nicht minder) ein hilfsbuch 
für einen rhapsoden; die grammatiker sind daran ganz unschuldig. die 
bücher sind nur in späterer zeit nicht mehr zu praktischem gebrauche, 
sondern zur lecture vervielfältigt. und erst in diesem stadium sind die 
beiden nummern aus der Politie des Aristoteles hineingekommen, jetzt als 
23 und 24 vor dem letzten asklepiadeischen distichon eingelegt. wer die 
ordnung überschaut, die sonst herrscht, wird daran nicht zweifeln, zumal 
so das politische gedicht von den politischen, dieser einzige spruch im 
gewöhnlichen skolienmalse von der ganzen reihe desselben tones ge- 
trennt ist. 


6. 
DAS SIEBENTE PYTHISCHE GEDICHT DES PINDAROS, 


Pindaros selbst sagt, dafs er für den Alkmeoniden Megakles dichtet. 
die scholien haben den vatersnamen nicht mitgeteilt und dadurch ver- 
schuldet, dafs Boeckh, von dem die folgenden abhängen, einen sinn- 
reichen ausweg versuchen konnte, um die übrigen zeugnisse alle ver- 
werten zu können. jetzt steht durch Aristoteles 22 und das ostrakon 
CIA IV p. 192 fest, dals Meyaxing “Ireroxgarovg ’Alwrexn$ev im früh- 
jahr 486 durch den ostrakismos ausgewiesen ist. nimmt man dazu nur 
die bekannten stellen Herodot VI 125—131, Lysias 14, 39, Ps. Ando- 
kides 4, 34, so erhält man mit sicherheit das stemma Megakles der 
mörder Kylons — Alkmeon und Agariste — Kleisthenes und Hippo- 
krates, ersterer kinderlos, letzterer vater von Megakles aus Alopeke und 
Agariste der frau des Perikles — Megakles wieder vater eines Megakles, 
schreihers der schatzmeister Athenas 428/7 und der Deinomache, die vor 
452 den Eupatriden Kleinias aus Skambonidai geheiratet hat, dem sie 
Alkibiades und Kleinias gebar. allerdings hälte man diese ordnung 
wol fordern sollen, da sie allein Perikles und Alkibiades so nahe mit 
einander verbindet, wie sie gestanden haben müssen, damit die vormund- 
schaft möglich war. das richtige hat Kirchhoff zu dem ostrakon gesagt, 
aber verschwiegen, dafs ein eben so unzweideutiges zeugnis nunmehr 
für einfache schwindelei erklärt werden mufs: Isokrates 16, 27 nennt 
den geseizgeber Kleisthenes ausdrücklich unter den vorfahren des Alkibiades. 
eben darum hatte Boeckh neben Meyaxins Irrmoxoarovg, den schwieger- 
vater des Perikles, einen Meyaxing Kisıo#Evovg als vater der Deino- 
mache gestellt. Megakles der sohn des Hippokrates hat sich erst nach 
seiner heimkehr 480 verheiratet: das zeigt das alter seiner kinder. sein 
vater war tot, als der sohn als haupt der familie landes verwiesen ward, 


natürlich auch als er einen wagen rennen liefs. auf seinen tod hat 
21* 


324 II. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros. 


Pindaros bereits einen threnos gemacht, den die scholien zu Pyth. 7 
erwähnen; das war nach 498, wo Pindar zu dichten anfıeng. genauere 
grenzen vermag ich nicht zu ziehn. Agariste hat den Xanthippos etwa 
um die mitte der neunziger jahre geheiratet, denn ihr sohn Perikles, 
462 zuerst politisch tätig, steht dreifsig jahre später &9 z7 xadeorı- 
xulg NAırig, d. h. er hat das sechzigste lebensjahr überschritten; sehr 
viel älter aber kann er nicht gewesen sein. 

Wann ist nun das pythische gedicht verfalst? in anbetracht seiner 
kürze sicherlich bald nach dem siege. wann fiel der sieg? der Vati- 
canus gibt die achtundachtzigste Pythiade, führt dann aus, dafs der olym- 
pische sieger der 47 Olympiade ein vorfahr von diesem Megakles wäre, 
ö ö& ınv nn’ TMvdıada Eregog dt av ein Öuwvuuog rovzw. das ist 
unsinnig. aber Tzetzes hat es allerdings gelesen. Boeckh hat aus dem 
Gottingensis die fünfundzwanzigste Pythiade aufgenommen, der jedoch 
an der zweiten stelle sc hat; andere haben anderes gemeint. die 
fünfundzwanzigste Pythiade fällt nach Boeckh in das jahr der Marathon- 
schlacht, oder vielmehr, da die Pythien auf den siebenten Bukatios- 
Metageitnion fallen, die schlacht bei Marathon auf den dreizehnten'), 
so sind die ereignisse beinahe gleichzeitig: nun, damals hatte der Alkmeo- 
nide zu hause zu tun. Boeckh selbst würde das nicht behauptet haben, 
wenn er die zeit der Pythien richtig bestimmt hätte. die zahl 25 und 
Boeckhs Pythienrechnung vertragen sich nicht mit einander. 

Das einzig mögliche heil konnte in den scholien des Florentinus D 
gesucht werden. Dr. H. Graeven hat mir auf meine bitte eine ver- 
gleichung geschickt: sie löst die aporie wirklich y&yparrauı i; Won 
Meyanlei AInvalır vırmoavrı 9 xe' nuvdıada Tedplnnp, Eorı 
Öt obrog orx 6 ta öklusııa verınynWg, aAl Erepog (dann weiter 
gleichlautend) 779 yap Teooagaxooenv EBdounv Exeivog Okvunsıada 
avaypaperaı verırnaWg, 6 ÖE 17V xs Eregog d& av Ein Meyaxins 
Tourw Guwvvuos. hinzu nehmen mufs man das in BD wesentlich 
gleich lautende scholion zu 11 ovx dvixnoev ovrog Okvunıa alla 
alkoı öuwvvuor Tovrw, und die durch Herodot feststehende tatsache, 
dafs in Olympia vielmehr Alkmeon gesiegt hat, der ol. 47, 592 auch 
allein siegen konnte.) dann erkennt man, dafs zwar der scholiast, der 


1) Töpfler quaest. Pisistr. 131. ganz fest möchte ich auf den tag nicht 
bauen, und die Pythien waren auch mehrtägig. aber das macht hierfür nichts aus. 

2) Boeckhs künstliche construction ist öfter gut, z. b. von Rutgers lul, Afric. 
145 widerlegt, der auch im schol. Ar. Wolk. 64 die verwechselung von Alkmeo- 
niden und Philaiden erkannt hat. 


III. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros. 325 


zu uns spricht, in dem Olympiasieger einen Megakles fälschlich gesucht 
hat, während nur ein Alkmeonide nötig war, aber der gelehrte, der 
diese frage wirklich untersuchte, vielmehr in verlegenheit war, weil er 
sowol den sieg des Alkmeon rechnen mufste, wie auch einen Meyaxing 
Asnvaiog als sieger in der sechsundzwanzigsten olympiade fand: Pindar 
aber weils nur von einem siege der Alkmeoniden in Olympia. so hat 
jener gelehrte sich, vermutlich richtig, mit einer homonymie geholfen; 
wir müssen nur das den satz zerreilsende d& beseitigen. dafs die zweite 
zahl, 26 in D, eine Olympiade ist, keine Pythiade, ist das eine wichtige: 
aber Kallierges im ersten drucke der scholien, der auf B zurückgeht, 
hat diesen zusatz auch nicht, so dafs er vielleicht unserer guten über- 
lieferung überhaupt fehlt?); dafs an dieser stelle B dieselbe zahl x. hat 
wie oben, zeigt freilich, dafs der schreiber annahm, es müfste hier der 
sieger dieses liedes gemeint sein. wichtiger noch ist die zahl 25 für 88. 
den schreibfehler zn für «e kann ich nicht erklären, aber D ist ein 
zeuge kaum schlechter als B, und wir sind meines erachtens gehalten 
ihm zu folgen. dann ist das gedicht 486 nach dem august verfalst, 
vorausgesetzt, dafs wir die Pythiaden zählen wie die scholien und Bergk, 
nicht wie Boeckh. 486 in den monaten februar märz ist Megakles von 
dem ostrakismos betroffen. das nahm ihm weder die bürgerliche ehre 
noch schädigte es sein vermögen noch hinderte es ihn, in Delphi zu sein 
und ein viergespann rennen zu lassen. man war ein parteihaupt, wenn 
einem so etwas zustiels, und konnte hoffen wieder an die spitze des 
volkes zu treten; aber es war doch zunächst ein rückschlag, und wenn 
ein dichter, diesmal noch kein hochberülmter, aber doch ein standes- 
genosse, der für die familie schon einmal tätig gewesen war, sechs 
monate oder weniger nach dem volksgerichte ein festlied für Megakles 
macht, so wird das nicht jeder beziehung auf die situation entbehren. 

Pindar nun spricht also durch den mund des chores zu Megakles. 
“Atlıen, die erhabene stadt, ist für das mächtige Alkmeonidengeschlecht 
der schönste anfang eines liedes auf einen wagensieg. denn kein vater- 
land und kein haus kann ich nennen‘), dessen name in Hellas so stralend 


3) Meine vermutung hat sich bestätigt. Graeven bezeugt mir Jdas fehlen von 
swdrada im Vaticanus. 

4) ’Ensl Tiva nargav riva T’ olxov NAIQN övuuikonas dnipyavsorapov 
Eliladı nvdeadaı. die scholien lehren, dafs so wie ich geschrieben habe die über- 
lieferung war, die in alter und neuer zeit vergeblich angefalst worden ist, weil für 
den siun nichts fehlt. ein genetivus partitivus schadet nur, da er nicht auf ware« 
nareis, nicht zrargıo, sonst ist es tautologisch) mit bezogen werden kann. den 


326 Ill. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros. 


wäre. denn in allen städten erzählt man sich von den Athenern, die 
Apollons haus in Pytho zu einem wunderwerk gemacht haben.?) und 
von dir und deinem geschlechte, Megakles, weifs ich fünf isthmische, 
einen olympischen, zwei pythische siege. über den neuen erfolg freue 
ich mich etwas, aber das ist mir schmerzlich, dafs neid die edlen taten 
vergilt. indessen das sprichwort sagt, dals der segen, der dem manne 
beständig blühen soll, das eine wie das andere (leid und freude) mit sich 
bringt.” 

Das ist einfach, und wenn er einfach redet, denkt sich Pindaros 
immer am meisten. die Alkmeoniden haben eine JaAdovoa evdaruovia, 
und dafs sie für grofse taten neid ernten, beeinträchtigt diese nicht, 
sondern macht sie nur beständig, weil rixrer xog0G Ußeıv. ihnen bringt 
ihr glück ca xal ra, wie Pindar gerne sagt (Ol. 2, 53. Isthm. 5, 46), 
aber auch Theognis 398. die wechselvollen geschicke des geschlechtes 
seit 120 jahren, in denen es doch immer evdaluwy geblieben ist, passen 
wol zu dem spruche. das letzte ist der erfreuliche sieg. aber der 
dichter hat keine rechte freude, xalow zı sagt er. er sieht mit be- 
kümmernis $90v0v ausıBöusvov va xaka Feoya. gewils sagt er ähn- 
liches oft, aber meist warnend, hier dagegen tröstet er. was den ruhm 
des pythischen sieges überwiegt, muls mehr sein als übles gerede, 
unpopularität: nur wegen eines wirklichen schlages tröstet man. die 
scholien haben das gefühlt und darum an den tod des Hippokrates 
erinnert: aber in dem ist kein @3ovog. wer möchte leugnen, dafs der 
ostrakismos, an den ältere erklärer auch gedacht haben, auf das trefl- 
lichste pafst, zumal er die tyrannenvertreiber als tyrannenfreunde traf, 
wie wir jetzt aus der chronik wissen ? 

Das ist die epode. die strophen führen aus: Athens ruhm ist der 
Alkmeoniden ruhm, beide fallen zusammen. zum preise des Megakles 
schickt sich nichts so gut wie der rubm der ueyalosrroiuss Adavar°); 


consonantischen anlaut fordert das versmals: es sind zwei durch synaphie gebundene 
glykoneen verschiedener form. 

5) Apollon wird angeredet: das ist nicht die müssige apostrophe späterer rhe- 
torischer poesie, sondern das siegesfest gilt dem gotte, der den sieg gegeben haı. 
aber in Delphi, das daneben erwähnt wird, ist es nicht gesungen. die überlieferung 
ot Teov 1a dou0v... Fartov Krevfar ist unerträglich; die parlikel re mufs fort. Bergks 
ıeöv teusvos ist hübsch, aber methode hat es nicht gefunden, denn mit douor, 
einem poetischen worte, glossirt kein Grieche. die voralexandrinischen corruptelen 
nicht zu heilen müssen wir uns gerade in den gut erhaltenen dichtern leider nur 
zu oft bescheiden. 

6) Das bedeutet nichts als “Athen die grofse stadt” vgl. Herakl. II 182. 


II. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros. 327 


Athen ist als staat so berühmt wie die Alkmeoniden als geschlecht. und 
das wird begründet damit, dafs die ’Egey9&og «orot, die den delphischen 
tempel gebaut haben, in aller welt bekannt sind, und dafs die statt- 
liche zahl von siegen der Alkmeoniden den Pindar zum dichten antreibt. 
es geht nicht an, in 'Egey9&og aorıy oi die Alkmeoniden zu verstehn 
und den genetiv partitivr zu fassen: sonst begründet dieser satz die be- 
hauptung nicht, die eine doppelte war, stadt und geschlecht wären 
berühmt. für das geschlecht folgen die siege als beweis: was vorher 
steht, geht notwendig die vaterstadt an. Athen also hat den ruhm des 
tempelbaus. aber den haben ja, wie wir wissen, die Alkmeoniden gebaut. 
ohne zweifel; aber die geschichtliche wahrheit darf uns nicht die poetische 
erfindung zerstören. der dichter sagt es von Athen: wenn die hörer 
sagen, “das ist ja aber das werk der Alkmeoniden’, um so besser, so 
ist Alkmeonidenruhm und Athenerruhm identisch, und der neid, der 
xala Fepya auelßerar ist um so ärger. in Delphi stand zudem die 
Athenerhalle, stand das stolze weihgeschenk für die Marathonschlacht als 
gaben des volkes, und gewils war der tempel voll von privaten geschenken, 
da der gott seit 510 sich der demokratie angenommen hatte. Pindaros 
sagt nicht “sie bauten den tempel’, sondern Janrov Erevfav. aber 
freilich, was könnte gegen die marmorfagade aufkommen, die die Alkmeo- 
niden errichtet hatten; marmortempel waren auf dem festlande noch 
selten genug. also beabsichtigt ist allerdings die wirkung, dafs der 
hörer sich sage “das weshalb man von Athen in allen städten redet, 
ist ein werk der Alkmeoniden’. sie haben Athen grofs gemacht, das 
will er den Hellenen einschärfen; Herodotos hat das ja 50 jahre später 
ähnlich ausgeführt. der redet allerdings von der demokratie, die Kleisthenes 
gebracht hat, und er hält es deshalb für undenkbar, dals die Alkmeo- 
niden 490 Athen hätten verraten wollen. davon darf man bei Pindar 
nichts erwarten, weder um seiner selbst willen, denn er hat die demo- 
kratie zeitlebens gehafst, noch um des Megakles willen, der als tyrannen- 
freund von den demokraten, Aristeides und Themistokles, beseitigt war. 
die situation erschien 486 nicht viel anders, als sie für die Alkmeoniden 
vor 510 gelegen hatte: das geschlecht repraesentirt eine partei, die zur zeit 
unterlegen ist, aber gleich mächtig in der fremde lebt, des umschlages 
harrend. allein auch als landflüchtiger verläugnet der Alkmeonide sein 
vaterland nicht: sie gehören zu einander. mochte der Philaide in der 
Chersones, der Peisistratide in Sigeion eine herrschaft suchen: er hält zu 
Athen, auch wenn er seinen boden meiden muls. ihm ist der ruhm 
Athens das liebste lob für seinen sieg. das ist wahr von den Alkmeo- 


328 II. 6. Das siebente pythische gedicht des Pindaros. 


niden, und schön ist es auch. das habe ich immer mit herzensfreude 
gelesen, da ich gern wie Herodotos und Pindaros empfinde. aber es 
hat doch einen ganz anderen klang, wenn Megakles so sich loben läfst, 
eben als er von dem @Yovegog Önuog schlecht behandelt ist. right or 
wrong, my country, ist nicht vielen Hellenen aufgegangen: der enkel 
des Megakles wird in Sparta ganz anders reden. es liegt hier auch 
der ganze adelsstolz darin, dafs Athen mindestens eben so viel von dem 
ruhme der Alkmeoniden hat als umgekehrt. und Megakles, obwol er, 
wie sich gehörte, 480 unter die verleidiger seiner heimat getreten ist, 
war ein politisch wenig bedeutender herr; seine schwester Agariste hat 
mehr von dem ächten Alkmeonidensinne geerbt oder doch vererbt als 
er. aber der dichter, der hier zu uns spricht, allerdings in einem werke 
seiner unreifen jugend (erst die schweren seelenkämpfe von 481 —79 
haben ihn zum manne und zum dichter gereift), war ein mann mit den 
vorurteilen des adels, aber auch mit seinen vorzügen, jeder zoll ein 
ehrenmann und ein edelmann, der, so schwer es ihm gefallen ist, right 
or wrong my country seinem Theben gegenüber hoch gehalten hat, und 
über dem herben stolze auf die ovyyeyng gva das noblesse oblige nie 
vergessen. er fand in sich die stimmung, wie ein patriot und ein wahr- 
haft vornehmer mann, stolz aber ohne groll, den ostrakismos ertragen 
soll. erst seit zeit und veranlassung des gedichtes feststeht, kommt dem 
leser voll zu bewufstsein, was es will und was es taugt. 

Aber Pindaros geht uns hier nichts an: nur das historische document 
wollten wir einreihen, und wir brauchten das datum. mögen die an- 
hänger der Pausaniaschronologie der Pythiaden sehen, wie sie diese 
neue instanz beseitigen. 


T. 
DER PROCESS DER EUMENIDEN. 


Die kämpfe um den Areopag haben dem gröfsten dichter des fünften 
jahrhunderts sein letztes werk eingegeben; so wenig es unmittelbar für 
die politische geschichte ergibt, können wir doch die stimmung der 
zeit nur aus ihm unmittelbar auf uns wirken lassen, und es ist früher 
so viel auch politisches in ihm gesucht worden, dafs ich nicht umhin 
kann, die scene des processes der Eumeniden zu erläutern, zumal es 
kurz geschehen kann. ein par wichtige stellen kann ich verbessern, 
andere bleiben noch im einzelnen rätselhaft; die heut zu tage beliebten 
athelesen und umstellungen fallen von selbst weg, sobald der zusammen- 
hang erkannt ist. ® 


Als der göttin Athena sowol von Orestes wie von den Erinyen die ent- Uebersicht 


scheidung ihres zwistes übertragen ist (als dlaıra gewissermalsen), lehnt 
sie ab in einer mordsache aus sich, auzoreAwg, zu entscheiden und 
erklärt einen beirat aus den edelsten ihres volkes (&g:0zLvdnv) zuziehen 
zu wollen, die als geschworne den spruch fällen sollen, und sie stellt 
schon hier in aussicht, dafs sie damit eine dauernde institution schaffen 
wolle, 470—89. die verse sind zum teil schwer verdorben, aber die 
gedanken sind unzweifelhaft. mittlerweile sollen die parteien ihre be- 
weismittel und ihre zeugen herbeischaffen. es entsteht also eine pause, 
die durch ein grofses chorlied ausgefüllt wird. 

Dann erscheint Athena mit dem herold (der als xnev& erg &v Aoelw 
say BovAng später eine so grolse rolle gespielt hat, jetzt nur ein 
subalterner ist) und den richtern. sein trompetenstofs soll dem volke, 
das zu dem feierlichen acte herzuströmt, das signal geben, platz zu machen 
und zu schweigen. denn wenn auch das volksgericht (und als solches 
wird dieses hier behandelt) die zuhörer nicht ausschliefst, so fordert das 
blutgericht doch feierlichen ernst. Athena motivirt das, nicht blofs für 
dieses mal: die verhandlung ist ja typisch, und die verordnungen der 


der ganzen 


scen®, 


330 II. 7. Der procefs der Eumeniden. 


göttin werden die einzelnen acte auch weiterhin motiviren und damit 
für immer einsetzen. sie sagt “während der Areopagitenrat zusammen- 
tritt, geziemt es sich zu schweigen und zu lernen, sowol für die richter 
wie für das ganze volk, diesmal und immerdar, auf dafs der urteils- 
spruch gerecht gefällt werden künne”.') der dichter hat bei dieser 
bemerkung noch den nebenzweck, das schweigen seiner statisten, der 
Areopagiten, zu entschuldigen, die sich nun, während der herold trom- 
petet, einfinden und setzen. das füllt die in der rede merkliche pause 
nach 574. über die zahl der richter wissen wir nichts, als dafs sie un- 
gerade war, da die stimmenzahl durch Athenas zutritt gerade wird. die 
Arcopagiten haben ja niemals eine feste zahl gehabt: um so weniger 
können wir über die zahl der statisten etwas sagen. das volk aber, an 
das sich der trompetenschall und später die ansprache der göttin richtet, 
ist vorhanden, nur nicht auf der bühne, sondern als JLarpov. 

Nun bemerkt Athena auf der seite des angeklagten Apollon, der 
mittlerweile erschienen ist, und fragt ihn sehr höflich, was er hier wolle, 
wo er nichts zu suchen hat, wenn er nicht zu einer partei gehört.’) 
der gott motivirt sein erscheinen und die rolle, die er ferner spielen 
wird, indem er sich sowol als zeugen wie als mitverklagten®) zu er- 


1) Ilingovuevov yap toüde Bovlsvrmgiov aıyar aonyeı xal nadeiv Fsauois 
(T’) Euors nolıv Te näcav bs Töv alayı xoovov, dx Tavl ON av EU xara- 
yvocd7 dixn. im letzien verse ist «ai z@vds durch den archetypus der geringeren 
handschriften und das scholion, das richtig die ratsherrn versteht, gesichert (x«2 rörd' 
M, ohne jede mögliche bezieliung: parteien sind zwei da). das hat G. Hermann 
zu dem einfalle dx zw»ds geführt. vorher kann nun Feouovs duovs nicht object 
sein, denn weder folgen ihre gesetze, noch gilt das ganze der gegenwart allein. es 
kommt vor allen dingen auf das schweigen der richter an, schon weil diese tat- 
sächlich schweigen. nun ist grammatisch das zes beziehungslos: folglich mufs 
Fecuoi subject sein und die Areopagiten meinen. folglich muls ein rs zugesetzt 
werden. Apollon sagt 614 AsEo sroös Tuäas, röovd” Adnvalas ueyay Feausv, di- 
xalos, wo wieder von gar keinein gesetze Athenas die rede ist, sondern eiufach der 
gerichtshof durch den collectiven singular Fsoucs bezeichnet wird. der gebrauch 
ist ungewöhnlich, hat aber an xdauos und xdauos sogar in der amtlichen sprache 
seine analogie, und wenn Eros zw» ueyalmv nagedpos &v apxais Fsoum» ist (Soph. 
Ant, 797), so ist auch dort das einfachste die Jeouor persönlich zu fassen. — über 
xarayvocdn zu Eur. Hipp. 1361. 

2) Dals die verse 574. 75 Athena gehören, haben Wieseler und Sauppe ge- 
sehen. die parteien haben zu schweigen und können niemand wegweisen. übrigens 
würde Apollon den zartouson xvoduka ganz anders dienen. wenn Athena zwischen 
die anrede und die frage die worte schiebt @» #xeıs airös xparsı, so ist das in 
höflicher rede dasselbe wie “hier ist mein reich’ oder gar a7; To» duo» oixss olxor. 

3) Kai naprvpr,owv xai avrdıxıaans alros sagt er. der avsdıxos ist immer 


Uebersicht der ganzen scene. 331 


kennen gibt. da somit seine gegenwart berechtigt ist, eröffnet Athena 
als nyeuw» Öixaornolov die verhandlung (sie sagt es ausdrücklich) und 
gibt dem kläger das wort, indem sie wieder diese geschäftsordnung 
einsetzt und begründet. 

Es folgt die verhandlung der parleienu. der kläger wendet statt 
der rede das lebhafte verhör an, dem der verklagte rede stehen muls. 
Platons Apologie und die rede des Lysias wider Eratosthenes beweisen, 
dafs dies vor dem attischen gerichte angängig war. selbstverständlich 
aber hat der tragiker, der noch nicht wie Euripides die schulmälsige 
rhetorik kannte oder gar liebte, die form gewählt, die für das drama 
und den charakter der Erinyen pafste.‘) dagegen Apollon hält eine 
wirkliche rede; er spricht zu den richtern und zu der vorsitzenden 
göttin (629), wird zwar von den Erinyen unterbrochen und mufs ihnen 
lebhaft erwidern, lenkt aber immer wieder in die bahnen wol gemessener 
rede ein und schliefst mit einem epiloge, der allerdings etwas EEw Tov 
rroayuarog ist (667— 73), was für den Areopag nicht palst, um so mehr 
aber für das attische gericht; und es dürfte im epiloge zumal auch auf 
dem hügel so gar genau nicht genommen worden sein. der dichter aber 
bedurfie dieser nur gerade für seine gegenwart bedeutsamen verse. 
sie bereiten den schwur des Orestes vor, der nach seiner freisprechung 
ein ewiges bündnis zwischen Athen und Argos in aussicht stellt, und 
geben diesem bündnisse die göttliche garantie. es war ja 458 der eck- 
stein der athenischen politik.°) 


jemand der an dem rechtshandel teil hat, so sind es die Erinyen für Klytaimestra 
761, denn ihnen gehört das blut des muttermörders, und ist es Zeus als schwurgott, 
den Iasons eidbruch verletzt hat, für Medeia 158. daher wird das wort gebraucht 
für die vertreler einer gemeinde oder einer anderen genossenschaft vor gericht, die 
ihre eigene sache mit der gemeinsamen führen. 

4) Die narretei der modernen geht so weit, statt der einen partei der Erinyen 
zwölf choreuten reden zu lassen. war das etwa rechtens? natürlich wird dabei 
die gewohnte abgeschmacktheit erzielt, dafg der schritt vor schritt fortgehende zu- 
sammenhang der fragen, der vorhanden ist, zerfetzt wird; denn zwölf köpfe denken 
nicht in derselben linie. und der beweis? es sind elf chorpartien: wer sieht da 
nicht dafs zwölfe reden? die chorführerin aber sagt “obwol wir viele sind, werden 
wir uns kurz fassen, antworte du wort für wort (vers für vers)’. daraus soll folgen 
“jede von uns wird einen vers sprechen’ — was sie dann doch nicht tun; die chor- 
führerin scheint auf das wort verzichtet zu haben! und dabei ist endlich vergessen, 
dafs 15 choreuten für den Agamemnon überliefert sind, überliefert, nicht erschlossen. 

5) Der dichter weils davon noch nichts, dafs die bündnisurkunde zwischen 
Athen und Argos bei Apollon in Delphi wäre, also Apollon so zu sagen schwur- 
zeuge. dreifsig jahre später war das aufgebracht, und als Euripides 421 dieses selbe 


332 II. 7. Der prodefs der Eumeniden, 


Die parteien haben gesprochen. Athena fragt zunächst im allge- 
gemeinen, ob sie fertig wären, die abstimmung also beginnen könne. 
die Erinyen bejahen. dann richtet sie diese frage an die andere partei, 
Orestes und Apollon; der letztere erklärt ebenfalls, Jafs das urteil nun 
gesprochen werden möge.‘) 

Die göttin beginnt denn auch “hört die verordnung, volk von Athen, 
die ihr zum ersten male über mord richtet? aber es folgt keine ver- 
ordnung, sondern lose durch ein d& angeknüpft “auch für die zukunft 
wird es in Athen diese ratsversammlung von richtern’) geben’ und 
nun folgt eine lange rede über den Areopag, die vielen unpassend er- 
schienen ist. Aischylos hat sie aber für diese stelle gedichtet, denn, 
wie das seine art ist, schliefst er so zu sagen die parenthese durch die 
aufnahme derselben worte. Zora Ö& xal ro Aoınoy, hebt Athena an, 
tavınv utv Eöereıv’ Euoig nagalvecıy aoroicıw Es Tö Aoınöy hürt 
sie auf (707). und nun folgt erst der befehl, den sie gleich hätte geben 
können “steht auf®) und erhebt die stimmsteine’. das geschieht dann, 
während Apollon und die Erinyen erst die richter mahnen, dann heftig 
zanken, 23 verse lang. dann haben die richter abgestimmt und Athena 
tut dasselbe, indem sie ihre stiimmabgabe motivirt. das widerspricht dem 
prinzipe der geheimen stimmabgabe; aber der dichter mufste einen ausweg 
wählen, der das urteil sowol motivierte wie als götterwillen hinstellte: 
der gedanke durfte nicht aufkommen, dafs Athena überstimmt wäre. da 
sie erklärt, die ihre zu den stimmen für Orestes legen zu wollen, folgt, 
dafs die richter nur einen stimmstein haben, also zwei urnen da stehen, 
eine freisprechende und eine verurteilende, und die richter so zu jeder 
von ihnen treten, dafs sie einmal den stein hineinwerfen, das andere mal 
nur so tun, ganz wie es in den Wespen gehalten wird und das gleichnis 
des Agamemnon 815 voraussetzt. wo die urnen standen, wird nicht 


— 


bündnis empfahl, konnte er daran erinnern, dafs das bündnis auf einem dreifulse in 
Delphi zum zeugnisse für Hellas aufgezeichnet stünde, Hik. 1202. da war also eine 
fromme inschriftfälschung vorgenommen, wie Herodotos von einer erzählt (I 61). 

6) Die richtige personenverteilung und interpunction von 674—80 hat Kirchhoff 
gegeben. 

1) Jıxaorov für 6’ &xaoıwv M, Ö' äxacro der geringeren, Canter. dafs die 
geschichte nur diese einfachste änderung erträgt, wird unten klar werden. 

8) opdoicYas heifst ‘sich aufrichten’, das kann ein liegender, indem er sich 
setzt, ein schlaf! gehender indem er ‘sich richtet’, ein sitzender auch, wenn er zu- 
sammengefallen safs, indem er straffe haltung annimmt. aber das einfache ist in 
diesem falle, dafs er sich ganz ‘gerade macht’, also aufsteht. man bedürfte wahrlich 
nicht der belege, die das lexikon bietet, um den wortgebrauch zu verstehen. 


Uebersicht der ganzen scene. die rolle Athenas. 333 


klar, da sie sowol vor der göttin stehend gedacht werden können, wie 
auch die götlin während ihrer rede sich an den tisch begeben konnte. 
auf jeden fall waren ziemlich viel requisiten in die orchestra gebracht, 
nachdem sie gestimmt hat, proclamirt Athena noch ganz kurz das gesetz, 
dafs stimmengleichheit freisprechung bedeuten solle und ruft die richter, 
denen das aufgetragen ist, herbei, den inhalt der urnen auszuschütten. 
die vorletzte seite des Aristotelespapyrus führt uns diese commissare auch 
vor, nur dafs 458 weder die ungeschlachten stimmkreisel noch der 
durchlöcherte tisch existirte, in den sie gesteckt wurden um gezählt zu 
werden. während die steine ausgeschüttet werden, rufen die parteien 
ein par worte der erwartung; Apollon fordert die commissare auf, 
richtig zu zählen. rasch ist’s getan, denn sie überreichen Athena die 
geordneten stimmsteine (so weit dürfen wir der späteren analogie 
folgen; es wäre zu töricht, wenn ein statist der göttin das ergebnis leise 
mitteilte), die wol auch das publikum sieht: sie proclamirt das ergebnis. 
der process ist beendet. 

Athena ist der könig von Athen; als solcher handelt sie überhaupt 
und als solcher übt sie den vorsitz des Areopages. der dichter hat durch 
weises schweigen dieses drama aus aller chronologie herausgerückt. 
Athena kommt zwar vom Skamandros, wo sie das land vermessen hat, 
das die Theseussöhne von Agamemnon als ehrensold erhalten haben (402), 
d. h. von Sigeion; aber diese Theseussöhne existiren für den dichter 
nicht. Athena ist, wie sie es wirklich im fünften jahrhundert geworden 
war, die göttin zugleich und die personification des athenischen staates. 
als vorsitzender des gerichts aber übt sie die functionen des jahrkünigs. 
sehen wir jedoclı genauer zu, so ist nur die beteiligung an der abstim- 
mung, gewifs etwas wichtiges und hier ganz unerläfsliches, was nicht 
ganz ebenso von jedem yeuwv dixaornolov gelten würde. und so 
steht es mit dem ganzen processe. alles was wir als besonders areopagitisch 
kennen, ist fern gehalten. das absetzen des kranzes, das richten im 
freien, im heiligtume, die steine des verbrechens und der rache, die 
feierlichen eidschwüre der parteien, die doppelte verhandlung — nichts 
von all dem kommt vor, und gewifls würde manches dichterischer be- 
handlung sich eben so gut angepalst haben wie das abstimmen, stimmen 
auswerfen und zählen. die religionen die den Areopag heilig und schauer- 
lich machen hat Aischylos in den liedern der Eumeniden unseren herzen 
nahe gebracht: aber die erhabenheit und den an die heilige vehme 
erinnernden schauder des gerichtes nachzuempfinden mufs man Antiphon 
lesen. wer für stilunterschiede empfänglich ist, dem mufs der abfall 


Die rolle 
Atrhenas, 


Die ein- 
setzungs- 
rede. 


334 Ill. 7. Der procefs der Eumeniden. 


der sehr menschlich athenisch gehaltenen procefsscene von dem epiloge 
in seiner strengen schönheit und dem noch herb archaischen prologe 
sammt parodos zum bewulstsein kommen. es ist ein stück in polygno- 
tischem stile, während ringsum der stil der strengen schalenmalerei 
herrscht. diese Athena und dieser Areopag sind 458 für Jie modern 
empfindenden gedichtet, für die verehrer des volksgerichtes, und der 
ganze procels ist so gehalten, dafs er die formen allein herverhebt, die 
diesem gerichte mit jedem gerichte gemeinsam sind. der Areopag ist 
nicht mehr als ein gericbtshof, und Athena erscheint viel eher als stifterin 
ddes geschwornengerichtes denn des Areopages. 

Wenden wir uns denn zu der rede, mit der sie das gericht für 
die zukunft einsetzt. der rat hiels rat, aber er war keiner mehr, 
sondern nur noch ein gericht. um diese stellung hatten die kämpfe 
der jüngsten vergangenheit getobt und dies war schliefslich gesetz ge- 
worden. der dichter konnte den unterschied weder übersehen noch 
verschweigen. seine Athena hat sich ein consilium berufen, aus freier 
wahl, weil sie sich nicht selbst getraute das urteil zu finden. sie macht 
aus diesem consilium eine dauernde institution, aber nur für die analogen 
fälle, zur urteilsindung in blutsachen. mit dem worte ßovin und 
ßovAevrnoıov verbindet der Hellene aber etwas ganz anderes, die ver- 
waltung. folglich kann der dichter den namen fovAn nur mit einem 
distinctivum gebraucht haben und hat geschrieben 

Eoraı dt xal To Aoınov Aly&us orparıd 
ale! dıxaorwy rovro BovievrroLov. 

Der schauplatz des dramas und des gerichtes ist bei Athena, auf 
der burg. die göttin läfst am schlusse ihre dienerinnen, die alten und 
die jungen, aus ihrem hause hervortreten, die priesterin sammt den 
z00u0 tearelw, £pyaorivaı agenpogoı und wie der hofstaat der 
göttin sonst heilst. diese geleiten die Eumeniden hinunter in ihre woh- 
nung, zum Areopage. die theatralische rücksicht hatte so den dichter ver- 
anlafst, den schauplatz des ersten areopagitischen processes von dem Ares- 
hügel selbst auf die burg zu verlegen. das war ihm auch erwünscht gewesen, 
weil dadurch von selbst die züge des processes sich verallgemeinerten. 
aber in der stiftungsrede mufste er doch den Areopag als sitz des richter- 
rates bezeichnen: hier liegt auf dem orte und seinem namen das haupt- 
gewicht. da lesen wir nun zrayov d' “Ageıov rovd’ "Aualoywy Edpav 
oxnvag te’), und dann folgt ein langer temporalsatz, der berichtet, wann 


9) Auf dem Areopage haben die Skythen der polizeiwache ihre zelte gehabt, 
nachdem sie vorher auf dem freien platze des marktes campirt hatten (schol. Ar. 


Die einsetzungsrede. 335 


der hügel sitz und lager der Amazonen gewesen war, und darauf aus- 
geht, dals der name Areshügel damals aufgekommen sei. dann erst geht 
es fort &v ÖL zo oeßas aoıwv Yoßog Te Ovyysyng To un adızeiv 
oxroeı. also einfach ausgesprochen würde der gedanke sein “und auf 
dem Areshügel wird der richterrat als hort von scheu und ehrfurcht 
seinen sitz haben’. das dazwischen stehende gilt nur der hervorliebung 
des ortes, und dadurch dafs der name selbst am anfange und am ende 
dieser digression steht, ist in der einfachen weise des dichters die 
gliederung des gedankens wie der rede vollkommen deutlich gemacht. 
nun könnte man geneigt sein, die constructionslosigkeit der ersten eben 
ausgeschriebenen worte so zu entschuldigen, dafs der dichter erst eine 
form des satzes im sinne gehabt hätte, die den accusativ rechtfertigte, 
und als er darauf zurückkommt, die construction gewechselt hätte und 
&v Ö& Tw gesagt. allein das ist falsch, denn es correspondiren not- 
wendigerweise die satzteile, in denen derselbe name srayog "Aoeıog steht. 
was so grammatisch sich erschlielsen läfst, wird noch viel sinnfälliger, 
wenn man sich die örtlichkeiten überlegt. das pronomen zrayov Apeıoy 
tovde widerspricht der lage. man sieht den hügel nicht vor der front 
des Athenatempels; man sieht ihn auch vom theater nicht. also ist die 
corruptel und der sitz der corruptel erkannt. in zovde muls etwas 
stecken das einen satz aus den worten macht, also subject und praedicat. 
damit ist so viel von einer sylbe gefordert, dals eine möglichkeit zu 
zeigen ziemlich dasselbe ist wie das wahre gefunden zu haben. 
685 scayov Ö’ Apeiov old Aualovwv Eigav 

oxnvas 9°’, 01° 14909 Onoews xara PIovor 

orgarnAarovoaı xal oAıy vEeorcrokıy 

1n6 ') Udimveyov Avrenipywoav Türe 

"Adoeı 7’ E9vov, EvFev dor’ Enmwvvuog 

690 nrerea scayog ı' Ageıos‘ Ev ÖL rw oeßag 
aorav Poßog Te Ovyyerng To un adıneiv 
oynosı TOÖ’") rung xal xar’ EuipEöVnV Öuwg, 


Acharn. 54). da die vasenbilder lehren, dafs diese Skythen schon zur zeit der 
tyrannis bestanden haben, ist sehr zu bedenken, ob das lager der Skythinnen auf 
dem Areopage nicht ein reflex dieser verhältnisse ist. die vielbehandelte schlacht- 
beschreibung des Kleidemos nimmt darauf keine rücksicht. 

10) =7d° Kirchhoff für zrvds; dafs ein dativ fehlt, war längst gesehn. das 
deiktische pronomen kann nur auf das bezogen werden was man sieht. 

11) od” läfst sich nur halten, wenn man wagt es trotz dem zwischengescho- 
benen p0ßos ze avyyeyns auf aeßas zu beziehen, und an sich wäre sehr erwünscht, 
dafs deutlich gesagt würde, das oeßas läge in dem Areopagitengerichte. aber die 


336 III. 7. Der procefs der Eumeniden. 


aUrııy srokızWy um "miXalvovviwy 310U0VG 
zarais Errıgpoaicı‘") Bopßoow Ö vöwg 
695 Aaurcgov uialvwv ovroF°“ EVENOEIS TTOrOV. 
To unT üvagyov unte Öeortorouuevoy 
a0roig sreeuorekhorcı Bovkeiw oEßeıv 
zal ur, To deıwov navy srolewg &5w Bakeiv. 
tis yap Öedoınwg undev Evdınog Boorwy; 
700 rowwvde To Tagßovyres Evdiuwg o&ßag 
Eorua') xugag xal OAEwWg OWTNgL0V 
&yoır’ av olov ourıs ayvdowrwv Eyeı 
ot &v Iuudnoıw obre Il&Aomog &v Tönors. 
xeoöwv ayınrov roiro Bovkevrngoy 
705 aldoiov öSvFUuov eböoyrwy Vrreg 
Eyonyogog Yeovonua yns xaslorauaı. 
tavınv ukv Eöereıv’ Euois sragalveoıy 
aotoicıw &s To Aoıröv. 
die gedanken werden auch weiter noch so fortgesponnen, dals immer 
die hauplwörter aufgenommen werden; man kann gar nicht fehl gehn, 
wenn man dem dichter nur folgen will. das o&ßag, worin sowol die 
autorität wie der respect vor ihr liegt, hält vor dem adıxeiv zurück; 
damit ist ein gefühl von furcht naturgemäfs verbunden, ovyysyng POßoc. 
wenn dieses gefühl freilich erlösche, so würde auch seine consequenz, 
der respect vor der autorität und damit die gesetzlichkeit, dıxaroovyr, 
schwinden. wenn dagegen diese autorität in gesetzlicher weise respectirt 
wird (ragßovvrag Evdlxwg aedas, die drei hauptbegriffe kehren wieder, 
nur einer ist mit einem synonymon, die andern mit demselben worte 
bezeichnet), so hat Athen einen hort seines staates, wie ihn weder die 


härte ist wol zu grofs. 7uae wird man immer am liebsten arö xowou von xara 
abhängen lassen; den artikel davor zu setzen, ist kaum angängig. 

12) Ueber die schreibuug dieser zeile und die erhaltung der überlieferten inter- 
punction handelt Hermann vollkommen ausreichend. will man denn nicht einsehen, 
dafs das sprüchwort nachgeschoben wird als begründung für den speciellen satz, in 
diesem also das bild bereits begonnen sein muls? 

13) Ueberliefert ist Zpvua ze xweas; die partikel ist eben so unerträglich wie 
scheinbar für das versmafs unentbehrlich, denn &gvaua kann correct nur ein tribra- 
chys sein. aber bei Euripides Phoen. 983 ist ri dnyT’ Kguad nos yerıjasras über- 
liefert mit der erklärung gpiVlayua, nola us nolıs owaes, also genau in derselben 
bedeutung. wer bei W. Schulze quaest. ep. 317. 325 fig. die menge richtiger und 
falscher formen von den im griechischen gleichlautenden stämmen #apv- und osev- 
übersieht, wird sich nicht wundern Zgvua duua Sovua neben einander zu finden. 


Die einsetzungsrede. 337 


barbaren noch die Hellenen sonst besitzen (für die Hellenen setzt er 
um des krieges willen die Peloponnesier, wie Sophokles OK 695, die 
evvouovusvor Ircaprıaraı sind gedacht, und für die barbaren nicht 
die verachteten knechte Asiens, bei denen nur reichtum ist, keine tugend, 
sondern die yAaxropayoı aßıoı dıxaumoraroı aydewrewv). bis hierher 
die vorbereitung: hier aufhören hiefse die säule ohne capitell lassen. 
denn was wir gehört haben, war nur “ein solcher richterrat wird in 
Athen immer bestehn, auf dem Areopage, und so lange er besteht, wird 
Athen einen unvergleichlichen hort besitzen. was aber der richterrat 
leisten wird, worin er sich als hort beweisen wird, das fehlt. und es 
fehlt das schöpferwort der königin göttin, die einsetzung selbst. beides 
liefern die verse die hier stehen. sie stehen asyndetisch; die göttin macht 
eine pause; sie holt tief atem zu dem feierlichsten schwerwiegendsten 
worte, sie kann sich nicht genugtun mit attributiven beiwörtern: das 
eine kurze entscheidende xaJlorauaı macht den schlufs. simpel pro- 
saisch ist was sie sagt "und so creire ich hiermit den Areopag’. poetisch 
bedeutend sagt sie, für den gedanken durch Jas pronomen genügend 
verbindend “diesen rat, den eigennutz nicht berührt,'‘) den träger der 
aidwg, des grimm scharf ist, der wachsam die sorge für die schlum- 
mernden in Athen übt, den stifte ich’. aber was stiftet sie damit? den 
verwaltungsrat, der bis 462 Athen beherrscht hat, oder den blutgerichts- 
hof, der seit Ephialtes nur noch besteht? bei den modernen kann man 
erfahren, dals sie den Areopag zum nachtwächter einsetze, was aller- 
dings eine neuerung gewesen wäre, da es erstens keine nachtwächter 
gab, und zweitens der Areopag mit der sicherheitspolizei niemals etwas 
zu tun gehabt hatte. gegen solche Awsrodvzaı der poesie sollte wahr- 
lich die @zzaywyn noch gelten. die unbestechlichkeit ist eine tugend, 
die der richter so gut wie der verwaltungsbeamte besitzen soll; in der 
finanzverwaltung hatten die Areopagiten sie noch jüngst nicht gerade 
gezeigt. dies praedicat beweist nach keiner seite. wol aber ist die 
aidwc zu hause bei dem gerichte, das wo sie möglich ist die aideorg 
zuläfst, und nur wo die avaideıa klagt und rächen will, seinen 
ö&0s Svuöc beweist, sirafend und tötend: das auge der staatlichen 
rechtspflege wacht für die schlafenden, die toten, wie die antike erklärung 
einfach und richtig lautet. die schlafenden, sagt der dichter dafür, wie 
er sie die blinden (322) und die blödsichtigen (388) nennt, immer 


14) xeedov adıxros sagt der dichter, xenuarov xpsicco» Thukydides: aavr- 
Ösxaoros würde dieser als niedrig verschmäht haben, Aischylos hat die Avxov daxds 
schwerlich überhaupt kennen können. 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 22 


Die rolle 
derErinyen. 


338 III. 7. Der procefs der Eumeniden. 


durch den gegensatz verdeutlicht. was Athena eingesetzt hat ist nichts 
als der richterrat, als der Areopag, der 458 zu rechte bestand und immer 
bestanden hat. 

Athena warnt sehr nachdrücklich davor, durch neue schlechte ge- 
setze das gefühl der scheu im volke zu vertilgen, die achtung vor dem 
Areopage zu zerstören und die rechte mittelstrafse zwischen anarchie 
und knechtschaft zu verlassen. ob 458 eine strömung bestand, dem 
Areopag auch noch seine letzten richterlichen aufgaben zu entziehen, 
wissen wir nicht. aber dafs anarchie oder zuchtlosigkeit an diesem 
gerichte gehangen hätte, kann man schwerlich behaupten. worauf 
zielt also der dichter mit seinen worten, die ihm heiliger ernst sind? 
gegen die reform des Ephialtes hat er nichts; ob er sie empfohlen haben 
würde, stehe dahin, aber er stellt sich durchaus auf den boden des 
gesetzes. die antwort ist nicht auf dem gebiete des staatsrechtes zu 
suchen, sondern auf dem der religion. Aischylos ist kein politiker, 
sondern ein dichter, ein religiöser lehrer seines volkes, darum liegt ihm 
an den obliegenheiten des Areopagitenrates nichts, an den Eumeniden 
alles. sie sollen trotz allen reformen und trotz aller demokratie die 
furchtbaren zugleich und die gnädigen bleiben. wo er das aus sich 
direct aussprechen kann, ist die wirkung eine reine; hier aber dürfen 
wir ein gewilses misverhältnis nicht beschönigen, daraus entstanden, 
dafs der Areopag als gerichtshof weder jenes für das sittliche gedeihen 
des volkes notwendige deıvov mehr ist, noch ein Zovua owrngıo» Athens. 
die kritik ist berechtigt, allein sie wird uns das grofsartige document 
athenischer und aischyleischer religiosität nicht trüben, und vor allen 
dingen dürfen wir nicht das gedicht misdeuten, um mehr in ihm zu 
finden. 

Dafür hat der dichter selbst gesorgt. was Athena 696702 ihren 
bürgern ans herz legt ist genau dasselbe was die Erinyen 516 fig. ge- 
fordert haben. 209” örov zo dewöv ev — und’ üvagxrov Blov unre 
Öeororovusvov alveang‘ zcavri u£om TO xgarog eos wreaoev. das 
singen die göttinnen vor dem processe, im anschlusse an ihre forderung, 
dafs der muttermörder strafe leide. es ist schlechterdings nichts anderes 
als dieser eine rechtshandel in frage, an dessen entscheidung die ganze 
sittliche weltordnung hängen soll. wenn das hier möglich ist, ist es 
das auch in Athenas rede, und darf man die verfassungsänderung des 
Ephialtes nicht hineinziehen. das sichert die erklärung von Athenas 
rede, aber es verschiebt zunächst nur die eigentliche lösung der schwierig- 
keit. also noch einen schritt weiter. 


Die rolle der Erinyen, 339 


Die Erinyen sind im ersten teile des dramas scheusale, harpyien- 
artig, schweilshundartig, blutdürstig, gottverhalst, teuflisch. sie haben 
die aufgabe, Jie verbrecher die sich mit verwandtenblut befleckt haben 
zu hetzen, ihnen das blut auszusaugen und selbst in der unterwelt sie 
zu peinigen. sie sind unentbehrliche organe der göttlichen gerechtig- 
keit, aber sie verhalten sich zu den göttern wie der henker zum richter. 
der dichter hat sich nicht gescheut, die fratzen der rohen volksphantasie 
und der rohen kunst, die eigentlich schon überwunden waren, aufzu- 
nehmen, und so grafs ist die erscheinung, dals er um sie zu mildern, 
den prolog vorgeschoben hat, damit die schilderung dem anblicke vor- 
aufgehend die gefühle des entsetzens und abscheus mildere. noch der 
Ö&auıog vuvog gibt, wenn auch in jener grafsheit, die das abscheuliche 
poetisch erträglich macht, nur diese höllischen Erinyen. das zweite 
grolse lied, dem jene mahnungen entstammen, greift schon tief in das 
eigentlich ethische über. “wer die gerechtigkeit aus freiem willen übt, 
kann nie unglücklich werden, und wird nimmer ganz zu grunde gehn”, 
das ist eigentlich zu hoch für die blutgierigen rachegeister. dann folgt 
der procels und die freisprechung des Orestes. gegen diese bäumt sich die 
höllische wut der Erinyen auf; sie äulsert sich ganz in der weise die 
ihrer erscheinung entspricht. worüber sie sich beschweren, ist, dafs 
geschehen sei, wovor sie gewarnt hatten, also der thron des rechtes 
umgestürzt, das deıvov aus der weltordnung beseitigt. der zuschauer 
weils das besser, vorausgesetzt dafs er an Atlıena glaubt. das volks- 
gericht ist eingesetzt, als träger jenes deıvov, jenes o&dag für alle zeit. 
der conflict ist für ihn innerlich bereits gelöst, die rache ist von den 
höllendämonen auf den staat übergegangen, und die gesellschaftsordnung 
bleibt gesichert. es ist aber vom höchsten werte dafür, dafs Athena dem 
Areopage dieselben sittlichen güter zu wahren ans herz legt wie die Eri- 
nyen, dafs das lied und die rede so genau einander entsprechen. und 
nicht minder wertvoll ist es, dafs diese rede dem urteilsspruche unmittel- 
bar vorhergeht, in dem die stimmen gleich sind und nur deshalb die 
mildere auffassung siegt. jene rede ist der schlufsstein des dramas: sie 
zu verschieben, zerstört seinen aufbau, sie zu beseitigen ist die zerstörung 
des ganzen. aber für die handlung ist mit der überwindung der rache- 
daemonen das ende noch nicht erreicht. dazu müssen sie versöhnt 
werden und am Areopage ihre ruhestätte finden als die göttlichen träge- 
rinnen des o&ßag und des deıwov, das ihn hinfort umschweben soll. 
sie waren bluträcherinnen, er wird blutrichter: aber das o&ßag ist nun 


viel höher und heiliger. die segenssprüche der Eumeniden gelten der 
22* 


340 II. 7. Der procefs der Eumeniden. 


menschlichen gesitteten gesellschaft, gelten dem staate. der stadt, die 
der allmächtige Zeus und Ares (der herr des hügels) ehren als die be- 
schirmerin der Hellenischen gottesdienste'®), erflehen sie zunächst den 
segen der natur, das was aus dem scholse der erde kommt, in der sie 
selbst wohnen, erntesegen, reiche herbste, gedeihen des viehes und 
finderglück in den laureotischen bergwerken. dann geht es weiter zu 
dem gedeihen des menschlichen jungen nachwuchses und zu den be- 
deutenden politischen wünschen, bewahrung vor bürgerzwist und bürger- 
krieg: so sollen die Athener leben &9 aloıularcı seAovrov. um sieg 
wider äufsere feinde hatte Pallas nicht erst gebeten: den kann und wird 
sie selber schaffen (913). wenn sie dieses alles verheilsen können, so 
sind die Eumeniden selbst andere geworden; sie garantiren nicht mehr 
blofs die strafe des mordes, sondern die äufserliche und innerliche ge- 
sundheit des staatslebens. und in diesem sinne entspricht ihnen freilich 
nicht mehr der blutgerichtshof auf den Areopag, sondern nur die rechts- 
ordnung die Athena selbst repraesentirt, der attische staat. also was uns 
in der bedeutung des Areopages und in dem charakter der Eumeniden 
gleichermalsen zunächst befremden mag, das löst sich so, dafs Aischylos 
zwar in der fabel die er dramatisirt nur den gerichtshof und nur die 
rachegöttinnen vorfindet, dafs er aber das nur als exempel für die höhere 
sittlichkeit des staatlich geordneten lebens gegenüber der blutrache ver- 
wendet, und wie er es immer tut, seinem volke sagt: Jie götter, an die 
wir glauben, sind andere als die der sage und sind doch dieselben; sie 
haben sich mit der reineren frömmigkeit in unserem herzen selbst ge- 
reinigt. nur so können wir sie verehren, aber so müssen und dürfen 
wir es tun. er setzt die Erinyen freilich gewissermalsen zur ruhe; aber 
erst dadurch dafs sie Eumeniden werden, werden sie wirklich zu göttin- 
nen.'‘) die weltordnung, in der wir leben, ist die des Zeus und der 


15) övolßwuov Ellavov ayalua dasuovov 920. dies an Athen hervorgehoben, 
an so bedeutsamer stelle, gemahnt an den perikleischen antrag auf eine gemeinsame 
herstellung der von den Persern zerstörten heiligtümer. die zeit desselben ist auf 
lauter unsichere anhaltspunkte hin verschieden bestimmt worden. ich möchte nichts 
versichern, aber in dieser zeit, wo Athen in der amphiktionie einen anhalt zur na- 
tionalen einigung sucht, würde ein solcher versuch auch sehr gut denkbar sein. 

16) Dafs in wahrheit die Seuvad Ysar, die Evusvides ihrem wesen nach viel- 
mehr so umfassende chthonische mächte waren, wie sie der schlufs zeigt, und als 
Ilowai "Agal ’Epiwvss nur ausgeartet durch die einseitige ausbildung einer seite ihres 
wesens, ist zwar nicht schwer zu zeigen, führt hier aber zu weit ab. der dichter 
hat selbst schwerlich geahnt, dafs er die göttinnen auch historisch richtig verstehen 
lehren könnte. 


Die tendenz des dichters. 341 


Athena: was das erste lied des Agamemnon verhiels, ist erfüllt, die xagıs 
daruovwy hat sich manifestirt. 

Wenn die Athener aus dem theater kamen, konnten die anhänger 
des Ephialtes sagen “der alte meister ist für uns. er ist mit unsern 
gesetzen ganz zufrieden. sein Areopag ist auch nur eine heliaea.” und 
die anhänger des alten konnten sagen “er ist wider die bürger, die mit 
üblem zugufs die gesetze neu machen wollen und durch ihren schmutz 
die reine quelle verderben. er ist wider die zügellosigkeit des demos.’ 
beide hatten nicht unrecht und beide hatten doch nicht recht. der behre 
meister stand über ihnen; er sah, wie sich die sitten und meinungen 
und geselze und götter ewig wandeln, das eine aber ewig darunter das- 
selbe bleibt, recht und wahrheit, menschenadel und gottesreinheit: &x 
Ö’ iyıelag poevwv 6 nracıv PlAog xal moAvsvnrog OAßog. 

So stand er, obwol in jeder fiber seines wesens ein Athener und 
ein ächter sohn seiner zeit, doch als dichter hoch über den parteiungen 
des tages. das gedicht im ganzen ist nicht vom momente eingegeben 
noch für den moment berechnet; aber wol ist in ein par nebendingen 
eine solche berücksichtigung der gegenwart vorhanden. das eine ist 
allbekannt, die einführung des argivischen bündnisses, das er gewils 
nicht erst selbst in die urzeit verlegt hat; es lıatte unter Peisistratos 
bestanden und manches deutet auf ältere bedeutsame beziehungen, zu 
denen vielleicht selbst der Eumenidencult gehört. das andere ist die 
aussicht auf gewaltige äulsere kämpfe und die siegeszuversicht (864. 
914), Jdie gerade 458 sich erfüllt hat. aber die furcht vor bürgerzwist 
war vor der schlacht bei Tanagra auch gerechtfertigt. nach dieser 
richtung stehen zwei sehr bedeutende äulserungen hier, die ein wort 
der erläuterung heischen. 909 bittet Athena die Eumeniden, die men- 
schen gedeihen zu lassen zwy dvooeßouvrwv Ö' Expopwrega sc&hoıg“ 
or&eyw yap avdoos gYirvmolusvog Ölen» zo rwv dıinalwv Tüyd 
artevIntoy yeyog. die unfrommen möge sie lieber entfernen, da Athena 
es macht wie der — gärtner oder hirt? die ausleger sagen gärtner. 
ich weifs nicht warum, denn gizv ist nicht pflanze sondern Yvrevua, 
und steht von der pflanze (Soph. fgm. 803) so gut wie vom vieh (Eupol. 
Autol. 8). guirvzolun» ist der hirt, der viehzucht treibt, nicht blofs 
vieh weidet. und worin beruht die vergleichung? beim gärtner kann man 
sich gar nichts denken, und beim hirten auch nicht viel, wenn er blofs 
gern hat, dals seine gute herde nicht geschädigt wird. das hat mit dem 
satze, den es begründen soll, zwv Övooeßovvrwv Exyopwrega mwehoıs 
nichts zu tun. aufserdem aber ist das deiktische pronomen zw»de ganz 


Die ten- 
denz des 
dichters. 


342 Ill. 7. Der procefs der Eumeniden. 


verkehrt, da Athena höchstens auf das publikum zeigen könnte. hier 
mufs geändert werden; der genetiv ist durch angleichung an die vor- 
hergehenden worte entstanden, aus dem dativ. “die gottlosen kannst 
du ruhig vertreiben, denn ich liebe es wie der viehzüchter, dafs die 
herde der gerechten nicht durch jene geschädigt werde” Athena wünscht 
die räudigen schafe ausgerottet, damit die herde nicht angesteckt werde. 
das ist gewils nicht bedeutungslos. 

Die andere stelle ist heil, 980. die Eumeniden singen unde zzıovoa 
zrölıg uchavy alua molırav ÖL 0Eyav zroıvag AyTıpovovg &rag Gp- 
srallocı nöltwg" xapuara Ö avrıdıdoisv xowogılei Ödrarol« xai 
orvyelv ug yoeri. “die erde, die bürgerblut getrunken hat, möge nicht 
im streben nach rache sich für die stadt unheilvolle vergeltung durch blut 
nehmen, sondern sie mögen handlungen über die man sich freuen kann 
(gapuara, nur etwas stärker für xapıras) zum entgelt geben in der 
gesinnung allgemeiner freundschaft und ebenso übereinstimmung im hafs.” 
also blut ist vergossen und nicht gesühnt. aber die Eumeniden raten, 
statt es durch neues blut zu rächen, die beleidigten durch guttaten zu 
versöhnen, so dals die gemeinsamen gefühle in hafs und liebe regieren 
können. das ist keine allgemeine wendung, denn es setzt den con- 
creten fall voraus, dafs eine ungesühnte blutschuld da ist. setzt man 
in rechnung, dafs Ephialtes nicht lange vorher, wol erst 460/59, von 
unbekannter mörderhand erschlagen war, dafs die erbitterung seiner 
anhänger wider die gegenpartei heftig entbrannt sein mulste und diese 
gegenpartei mit Sparta conspirirte, so wird man schwerlich ablehnen 
können, dafs der dichter seinem volke die mahnung gibt “hadert nicht 
um den toten, sondern steht zusammen wider die gemeinsamen feinde, 
und beschwichtigt die erregung über den mord des Ephialtes durch zu- 
gesländnisse. wieder konnten beide parteien ihn zu den ihren rech- 
nen; die leute Kimons mochten Ephialtes für das räudige schaf anselıen, 
die demokraten seine mörder. es ist des propheten recht, doppel- 
sinnig zu reden. ganz verständlich ist nur das göttliche urteil über das 
geschehene und die allgemeine mahnung für die zukunft. diese haben 
die Athener beherzigt: sie haben der demokratie weiter nachgegeben 
und in eintracht wider Jdie äufseren feinde zusammengestanden, bei Ta- 
nagra und Oinophyia. 


8. 
DIE ZEIT DER THESMOPHORIAZUSEN. 


Wir verdanken die Thesmophoriazusen allein dem Ravennas, und 
in dem fehlt die hypothesis. aber die scholiasten haben die hypothesis 
gehabt, und die hypothesis gab die aufführungszeit des stückes auf grund 
der urkundlichen didaskalie. wenn sich also zeigen lälst, wie die scholien 
das stück datirt haben, so ist damit eine urkundliche überlieferung er- 
reicht. 

Die scholien setzen die aufführung in das jahr des Kallias aus 
Skambonidai 412/11, also, da die Lysistrate die Lenaeen occupirt, auf die 
Dionysien, mitte elaphebolion 411. drei stellen beweisen jede an sich 
dasselbe. schol. 190, Euripides war ein greis, &ırw youy Ereı Doregov 
tekevtc. er starb unter Antigenes, winter 407/6. schol. 804 Xaguivog 
regl ZaLL0v OVVEOTEATNYNOE Kara TOV KaL00Y TODVTOV Tolg srepl Doüvı- 
yor.!) beide waren unter Kallias strategen; Phrynichos ward im juli 411 
ermordet. schol. 841 Zrraıvei Tov Aauayov vov' ndn yap Eredvnneu 
&v Sırelice Teraprın Ersı scoöregov. er fiel unter Charias winter 415/14. 
verdorben ist auf alle fälle schol. 52, von Agathon, od sralaı He&aro 
dıdaoxeıy, aAha Tool srgo Tovrov Ereoı, da Agathons sieg unter 
Euphemos, januar 416, fällt: aber ob man aus der 3 eine 6 oder 7 
machen will, ist in griechischer schrift gleich leicht. 


1) Es folgt ein wertloses scholion aussudyrse yag Povviyp Ev Opaxn 0 Kap- 
uivos xal icws oddäv aSıoloyov Engafev. dafs dieselbe handschrift dasselbe scholion 
der alten ausgabe, die sie repraesentirt, in zwei fassungen gibt, nämlich durch ein- 
tragung aus verschiedenen exemplaren, ist ganz gewöhnlich; unsere ausgaben würden 
gut tun, das zu bezeichnen. in den kärglichen scholien der Tliesmophoriazusen 
2. b. 21, 339, 346, 389, 393, 423, 560. 61, 948. die quelle der richtigen bemerkung 
kann Thukydides sein, braucht es aber nicht. 


Das über- 
lieferte 
datum. 


344 IN. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen. 


Zu demselben resultate führt eine andere rechnung. Aristophanes 
sagt selbst, dafs die Andromeda des Euripides voriges jahr (zr&gvoıy) 
gegeben war (1060); schol. Frösch. 53 setzt sie in das achte jahr vor 
diese, also unter Kleokritos, frühjahr 412. und später kann sie nicht 
fallen, wenn wir den scholiasten glauben, wie wir müssen, dafs der vers 
Lysistr. 963 einen der Andromeda parodirt. 

Wir sind demnach verbunden, die urkundliche datirung zum aus- 
gangspunkte zu nehmen. was spricht nun dagegen? in wahrheit nur 
eines. 808 fragt der chor aAA’ Evßoving zwy negvoıv rıg Bovlevswv 
koriv auelvwy nrapadoig Eregw ınv Bovleiav; ich gebe bereitwillig 
zu, die beste beziehung ist vorhanden, wenn wir an den rat denken, 
der am 14 tbargelion des Kalliass, mai 411, dem neuen rate der 400 
platz machte. wenn der vers acht wochen vorher gesprochen ist, so hat 
er sich seltsam an dem rate bewahrheitet, der ihn im theater vorsitzend 
anhörte. aber der scholiast, der notirt zö öAov 0 rı Boikerar own 
&orı oagts, hat an diesen für jeden, der den Thukydides kannte, nahe- 
liegenden vorgang nicht gedacht, und umstofsen kann diese deutung 
eines verses, die wir machen, unmöglich eine! urkundliche datirung. der 
rat des jahres 413/12 hatte geduldet, dafs über ihn die probulen gesetzt 
wurden. darauf hat O. Müller den vers bezogen, und selbst R. Schöll 
(Comm. Momms. 454) bestreitet die möglichkeit dieser beziehung nicht. 
der rat, der zur zeit der Thesmophoriazusen im amte war, hatte die 
probulen über sich, er hatte also auch keine autorität und hat sich zwei 
monate nachher geduldig aufgelöst. auch damals schob man, wie die 
bekannte anekdote von Sophokles zeigt, den probulen die hauptschuld 
zu. es palst also wahrlich der vorwurf gegen den rat von 412 “ihr 
habt die praerogative eurer körperschaft an eine andere behörde über- 
gehen lassen”, auch wenn der rat noch weiter existirte. wenn sich der 
nächste rat zu gunsten eines anderen rates ein par wochen vor dem ge- 
setzlichen sragadıdovaı nv Bovlelay aufgelöst hat, würde der vers mit 
veränderter bedeutung darauf noch besser passen? ich glaube es nicht, 
denn jeder rat gibt wie dieser die Boviela an einen nachfolger ab, 
Er&oc» palst meines erachtens besser auf eine andere behörde. aber 
besser oder schlechter: das stöfst keine didaskalie um. 

Da sagt man aber weiter, wenn der rat zu gunsten der probulen 
in den hintergrund getreten war, so sollte in den Thesmophoriazusen 
ein probule auftreten wie in der Lysistrate, kein prytan. das ist eine 
durchaus ungehörige anwendung der richtigen beobachtung, dafs die 
beiden repraesentanten der staatsgewalt dramatisch dieselbe rolle spielen. 


Das überlieferte datum. persönliche anspielungen. 345 


in Athen haben tatsächlich probulen und rat neben einander fungirt; 
dafs der dichter schon um zu wechseln in zwei fast gleichzeitigen stücken 
zwei verschiedene beamte einführt, würde man ihm nicht verargen dürfen, 
auch wenn er mit einem und demselben ausgekommen wäre. aber so 
steht es nicht. in den Thesmophoriazusen hat ein mensch groben un- 
fug getrieben; davon wird der polizei, also dem permanenten ratsaus- 
schusse, anzeige gemacht (654). die prytanen erwirken einen ratsbeschlufs, 
der auf die verhaltung des schuldigen geht (943), und diesen führt ein 
prytan (einer, aus dramaturgischen rücksichten) mit einem polizisten aus. 
lediglich aus dramaturgischen rücksichten kommt der block zum arrestan- 
ten, statt der arrestant ins gefängnis. wie in aller welt könnte man 
hier die probulen bemühen? war das eine aufgabe für Sophokles den 
neunzigjährigen oder sonst einen der höchstgestellten und geachtetsten 
bürger? dagegen in der Lysistrate wird das auftreten des probulen 
damit motivirt, dafs er sich gerade geld von der burg holen will (421). 
in der streitscene mit Lysistrate handelt es sich um krieg und frieden, 
um die owrnola rijg roAewg, also gerade um das, wofür das volk die 
probulen eingesetzt hatte. deshalb brauchte Aristophanes hier diesen be- 
amten, und Jann erheischte wieder die dramaturgische überlegung, dafs 
er demselben auch das commando in dem treffen mit den weibern über- 
trug, das an sich eben so gut und vielleicht besser der rat gehabt haben 
würde. auch in der verhandlung mit den spartanischen gesandten war 
der probule allein am platze; übrigens bezeichnet er seine competenz 
sehr genau, indem er erklärt, einen antrag im rate, und zwar mit auto- 
ritativer gewalt, auf die erwählung von generalbevollmächtigten gesandten 
einbringen zu wollen (1011).?) der rat fungirt also genau so normal und 
genau so machtlos wie es die geschichte von 411 zeigt. Aristophanes 
konnte 411 in beiden fällen gar keine andere behörde einführen, als er 
eingeführt hat. die Lysistrate kann um des probulen willen nur 411 
gespielt sein; der prytan der Thesmophoriazusen beweist überhaupt gar 
nichts für die zeit des stückes. 

Politische personen werden sehr wenige erwähnt: niemand von den 
411 so schwer compromittirten, niemand auch von den tüchtigen männern, 
die durch die hellespontischen erfolge Athen unerwartete retlung aus 


2) Die wahl von gesandten steht natürlich beim volke allein. das volk ist 
an die tagesordnung des rates gebunden. die probulen aber sind offenbar com- 
petent, den rat anzuweisen, den gegenstand auf die tagesordnung zu setzen und 
eine versammlung des volkes zu berufen. so behandelt das volk selber im vierten 
jahrhundert den rat. 


Persön- 
liche an- 
spielungen. 


346 Il. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen. 


der verzweifelten lage des sommers 411 brachten. das erzwingt nichts, 
darf aber nicht unbeachtet bleiben. dafs Kleophon, der für uns 410 
zuerst hervortritt, dem Aristophanes schon 411 widerlich sein konnte (805), 
wird man nicht bezweifeln. es wäre nicht hübsch, wenn Aristophanes 
die mutter des Hyperbolos 410 in weilsem festgewande eingeführt hätte 
(840), da der sohn im sommer 411 kläglich umgekommen war (Th. 8, 42); 
aber vielleicht war Aristophanes so unzart. “Charminos hat durch die 
tat bewiesen, dafs er schlechter als Nevcıuayr, ist (504).” es ist kaum 
denkbar, dafs er, der für uns nach seiner strategie 412/11 verschwindet, 
in der er in den ersten zwei monaten 411 eine schlappe mit einer 
flottenabteilung erlitt, von Aristophanes 410 gegeifselt worden wäre, als 
nicht blofs Navouuayn, sondern Navoıvi«n dank Thrasyllos und Alki- 
biades bei den attischen schiffen war. eine anspielung auf ein bestimmtes 
factum enthält noch 811 “eine frau tut so etwas nie, dafs sie erst sum- 
men von 50 talenten aus dem staalsschatze stiehlt und dann noch mit 
einem maultiergespanne auf die burg fährt”. das factum kann ich nicht 
aufzeigen, denn das erkennungszeichen der stolzen fahrt, das für das 
publikum am deutlichsten gewesen sein wird, hilft uns nichts. aber 
vielleicht kennen wir den dieb. 

Unter dem archon Glaukippos und zwar schon von der ersten pry- 
tanie an, juli 410, war der staat darauf angewiesen, seine bedürfnisse 
durch anleihen bei der göttin zu befriedigen; aber auch diese besafs 
keinen sclıatz mehr, sondern mufste ihre laufenden einnahmen sofort 
zur verfügung stellen (CIA 1188). aus dem schatze der güttin hatten 
die 400 rücksichtslos ihre bedürfnisse befriedigt und ende Hekatumbaion 
411 auf einen streich über 77 talente entnommen (CIA IV p. 162). die 
zeiten, wo jemand posten von 50 talenten auch nur zu gesichte bekam, 
waren jetzt vorüber. es ist nicht sehr vertrauenerweckend, dafs die 
verlegung der Thesmophoriazusen auf das frühjahr 410 diebstähle von 
solchen summen in eine zeit rückt, für die sie eine arge übertreibung 
sind, weil es gar nicht mehr so viel zu stehlen gab. ein jahr früher 
ist dagegen die gelegenheit durch eine bedeutende finanzoperation ge- 
geben gewesen und benutzt worden. auf die nachricht, dafs Alkibiades 
Clios zum abfalle bewogen hätte und in lonien weiter griff, hatte das 
volk im früljahr 412 beschlossen, den reservefonds von 1000 talenten 
anzugreifen (Thuk. 8, 15). zahlungen aus demselben begegnen in der 
rechnung aus der ersten prytanie des Kallias, Hekatombaion 412 (CIA 
1184), und Philochoros mufs durch die menge von solchen zahlungen 
in diesem jahre dazu verleitet worden sein, im widerspruche zu Thuky- 


Persönliche anspielungen. die stimmung in den chorliedern. 347 


dides und erweislich falsch zu berichten, dafs der reservefonds erst unter 
Kallias in angriff genommen wäre (schol. Ar. Lys. 173). nun hat ein 
ratsherr, ein uns unbekannter aber notabler politiker, der sprecher von 
Antiphons sechster rede, im frühbjahre 412 eine eisangelie gegen eine 
anzabl leute, unter ihnen einen gewissen Philinos und den unterschreiber 
der thesmotheten, auf unterschlagung beim rate eingebracht und trotz 
allen versuchen der gegner, die verhandlung zu verhindern, ihre ver- 
urteilung erwirkt. das erzählt Antiphon sehr lebhaft 6, 35. 50. er hatte 
auch die rede gegen Philinos für denselben sprecher verfalst.”) das war 
also eine hauptaction im sommer 412, viele processe spielten sich neben 
und hinter einander ab; der grofse redner, das geistige haupt der um- 
sturzpartei, stellte seine kunst in den dienst der demagogen, welche an- 
geblich oder vielleicht wirklich die unterschleife der beamten, der ver- 
 trauensmänner des volkes, an das licht zogen. eine berücksichtigung 
dieser dinge ist im elaphebolion 411 eben so natürlich wie 410 un- 
begreiflich. 

Und doch sind für mein gefühl alle diese einzelheiten nicht ent- 
scheidend. um so mehr ist es die ganze haltung und stimmung des 
dramas. Aristophanes hält sich diesesmal fast ganz fern von den öffent- 


3) Die genaue datirung ist von Schöll in dem schönen aufsatze der Gomment. 
Momnms. gegeben. Blafs hat von ihm keine notiz genommen und beurteilt die ganze 
rede falsch, aber ihre rhetorische würdigung erfordert eine besondere abhand- 
lung. die tendenz des redners geht viel weiter als in diesem processe zu siegen; 
es ist ein politischer kampf, in dem der handel Yusov axovaiov nur eine episode 
ist. der sprecher aber, eines sinnes mit dem redner, stellt sich dar als der ver- 
fechter der alten ehrlichkeit und der strengen religiosität der väter, übt dagegen 
alle künste der modernen demagogie. so redet einer, wie wir uns die oligarchen 
von 411 zu denken haben. leider kann ich über seinen namen nichts vermuten. 
auf seiner seite hatte bei den klagen wegen unterschlagung ein Lysistratos ge- 
standen, den ich unter den trägern des namens auch nicht zu bestimmen wage, 
36 Tour’ orx En’ duol nowrow dungavsoavro Pılivos xai oi Erepoı alla xal Eni 


Avsısrearw noärsgovV, Ws alrov (avdrol codd.) vusis Txovcare. (die verbesserung 


ist notwendig: a«vros würde ja dasselbe gericht voraussetzen; aber vor dem Palladion 
war doch nicht die andere sache auch, und woher hatten die richter es gehört?). 
dafs die rede des Antiphon wider Philinos »Aos,s war, bestätigt sich in wünschens- 
werter weise durch ein scholion BT zu 7'368, wo als beleg für den gebrauch des 
genetivs als musterbeispiel steht "Sypayaun» Pılivov xAonns’. jenen Philinos hatte 
vielleicht Eupolis in den Städten entweder auf die bühne gebracht oder von der 
bühne herunter im publicum angerufen 6 Bulivos oLros, Ti aga ngos tavınv Alke- 
nes; ovn anolıßakeıs eis anoıxiav zıva; (28 Mein.) aber der in Athen nicht (wie 
in Kos) verbreitete name ist doch nicht selten genug, um die identification zu 
sichern. er deutel in Athen nicht auf die höheren gesellschaftskreise. 


Die stim- 
mung in 
den chor- 
liedern. 


348 II. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen. 


lichen dingen, spielt mit Euripides und den weibern und bietet eine 
kunst auf, die ihm sonst fremd ist: er schürzt ünd löst eine intrigue. 
das mochte er immer tun, wo es ihm die Muse eingab; es kann nicht 
verlangt werden, dafs er ausschliefslich politisire. indessen ein teil seines 
lustigen spieles weicht davon ab und redet zwar nicht direct vom staate, 
aber spiegelt die hauptaction des staatlichen lebens wieder. die Thesmo- 
phorien werden auf der pnyx in den formen der volksversammlung ge- 
halten. in wie weit der wirkliche cultus dem dichter einen anhalt für 
diese fiction bot, ist unbekannt; er hat sie aber viel weiter ausgeführt 
als für die fabel seines stückes nötig war. hundert verse schildern die 
eröffnung, so ausführlich, dafs die modernen einen teil davon weg- 
geschnitten haben, weil sie nichts als wiederholungen darin fanden. die 
scene beginnt mit einer proclamation in prosa, einem gebete, das sich 
zunächst an die Thesmophoren und ihren götterkreis wendet, aber als 
inhalt der verhandlungen und gebete bereits neben das wol der frauen 
auch das des druog Adnvalwv stellt. die frau die diese proclamation 
spricht schliefst mit dem apollinischen rufe in zraıwy und dem wunsche 
“freude sei mit uns’. der chor, der sich nun gesammelt hat, nimmt den 
wunsch an und nimmt das gebet auf, richtet es aber an die grolsen 
götter Zeus Apollon Athena Artemis Poseidon und die nymphen in der 
see und auf den bergen des landes: sie alle, das Yewy y&vog, wie sie 
zusammenfassend genannt werden, sollen den ‘adlichen frauen Athens’ 
gewähren eine [ruchtbare verhandlung zu führen. nun geht die auf- 
forderung zum gebete weiter; es folgen die fluchformeln der ekklesie, 
durchsetzt mit höchst belustigenden weiblichen verwünschungen, sonst 
aber gerade die welche uns aus dem psephisma des Demophantos (giltig 
vom hekatombaion des Glaukippos, juli 410) und sonst geläufig sind. ver- 
wünscht werden, wer tyrannis für sich oder andere erstrebt, wer mit 
den Medern verhandelt, wer das volk betrügt (£darar« zo» dnuor) 
oder die versprechungen, die er gemacht hat, nicht hält (un didwaıv 
ay vnooxıjral score, vgl. Ar. 43,5 av Tıg VrrOOxouEVog Tı un zroımon 
To Önuw), wer besticht oder sich bestechen lälst, wer mals und gewicht 
fälscht. wieder respondirt die gemeinde mit einem bekräftigenden liede, 
das wieder ganz und gar dem staate gilt. die verwünschungen treffen 
jetzt jeden, der “die herkömmlichen eide übertritt, aus eigennütziger ab- 
sicht in gemeinschäudlicher weise volksbeschlüsse und geseize ändern will, 
den feinden die geheimnisse mitteilt oder die Meder in das land führt’. 
dann beginnt die verhandlung mit der verlesung der tagesordnung, die 
höchst correct in einem probuleuma des rates besteht. 


Die stimmung in den chorliedern. 349 


Was wollte der dichter mit diesen liedern ? gar nichts, nur eine schil- 
derung der volksversammlung zum zeitvertreib? denn die Thesmophoren 
geht nicht das mindeste davon an. blicken wir erst noch auf die anderen 
lieder des dramas. als sich gezeigt bat, dafs ein mann eingedrungen ist, 
suchen sie die pnyx mit lebhaften sprüngen ab und singen dazu gar er- 
schreckliche worte von den heimsuchungen der göttlichen gerechtigkeit, 
die schliefslich jeden frevler ereile. das ist die feierliche grofsmäuligkeit 
fluchender pfaffen, wie sie der eumolpidische ankläger des Andokides im 
munde führt; zu den sprüngen des weiberchores steht sie in ergötz- 
lichster weise im contraste, und gleich fängt sich Mnesilochos-Telephos 
einen als säugling drapirten weinschlauch: hier ist die parodische tendenz 
offenbar. dagegen steht an einem ruhepunkte des dramas ein grofses 
tanzlied, das in lauter einzelanrufungen vieler gottheiten und dem ent- 
sprechend in viele kleine strophen zerfällt, sehr häufig volkstümlich in 
rhythmen und formeln (953—1000). dafs es eine parabase ersetzt, sagt 
der dichter selbst, da er erklärt, auf die spottreden zu verzichten, weil die 
frauen im heiligtume seien (965). auch eine anrufung, an Pallas und 
die Thesmophoren, bietet das letzte lied (1136—59), in dem bemerkens- 
wert ist, dals Pallas als die feindin der tyrannen, WOTLER eixog, wie sich 
gebührt und man ihr zutrauen mufs, bezeichnet wird und frieden bringen 
soll. der dichter hat also gerade im zweiten teile, wo die Thermopborien, 
nach denen das stück heifst, gar keine bedeutung mehr für die hand- 
lung haben, dem feste und der religiösen ceremonie raum geschafft, in- 
dem er den für die handlung auch überflüssigen chor beschäftigte. zum 
entgelte fehlt der parabase die ode gänzlich, in der sonst so oft ernst- 
hafte gebete an die götter gerichtet werden. die bedeutung, die etwa 
in den Rittern die stolzen siegesfroben oden der parabase haben, sind 
wir verpflichtet hier in den liedern zu suchen, die anklingend an die 
feierlichen formeln der volksversammlung den chor der frauen, der ohne 
parodos sich versammelt, als vertretung des dnuog AInvalwy einführen. 
auf diese formeln legt der dichter wert. wurden sie nun 410 im früh- 
jahre gesprochen ? schwerlich, da sie Demophantos für den sommer 410 
erst neu einsetzt. gewils restituirt er nur das seit Solon oder vielmehr 
Kleisthenes herkömmliche, aber er restituirt es, weil es eine weile 
geruht hatte: just in diese pause setzt die moderne conjectur die 
nachbildung auf der komischen bühne. der fluch trifft in erster linie 
jeden, der die verfassung zu stürzen strebt, Opxoug ToVg vevonousvorg, 
das sind die geltenden eide der beamten, ratsherren und richter, yngplo- 
tara xal vouovg, das ist die volksherrschaft. ein solcher versuch ist 


350 III. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen. 


zunächst mit erfolg 411 gemacht worden: wagt Aristophanes in dieser 
andeutenden weise auf die revolution einen stein zu werfen ? das wäre selt- 
sam, denn es war gänzlich ungefährlich und sehr im sinne des herr- 
schenden volkes, das mit directem tadel und nicht durch die warnung 
für die zukunft zu tun. doch sei’s drum, wenn jemand unter dieser vor- 
aussetzung die furcht vor der tyrannis deuten kann, die aufser in der 
fluchformel noch einmal im gebete an Athena erscheint. die tyrannis 
war 415 von den Athenern gefürchtet worden; sie haben sie wol auch 
407 gefürchtet, als sie Alkibiades von neuem fallen liefsen, aber im hin- 
blicke anf die revolution von 411 hat die erwähnung der tyrannis keinen 
sinn. verflucht wird ferner wer den feinden die geheimnisse des staates ver- 
rät. die feinde stehn in Dekeleia, der verrat war 411 zu erwarten, 410 
war er begangen; das verträgt sich mit beiden ansätzen. aber auch die 
verhandlung mit den Medern wird verflucht. das war von alters her formel 
und hat auch noch nach dem königsfrieden zum hohn auf die politik der 
zeit sich behauptet (Isokr. Paneg. 157), aber im psephisma des Demophantos 
fehlt es mit gutem grunde. Athen hat den versuch, Persien zu gewinnen, 
im herbst und winter 411/10 gemacht; gerade diese hilfe brachte Alkibia- 
des. 410 mochte der staat die formel gedankenlos fortführen : der dichter 
war frei in dem was er aufnehmen oder weglassen wollte, und er handelte 
töricht, wenn er 410 verfluchte was seines volkes stärkste hoffnung war. 

Auf medische hilfe hofften im stillen die Athener schon 411 im 
frühjahre, gerade deshalb gelang der sturz der angeblich hinderlichen 
demokratie. aber darum sind nicht etwa die verse auch 411 unschick- 
lich. wir müssen nur die situation so nehmen, wie sie dem dichter im 
momente erschien, nicht ex eventu gedeutet. die furchtbare wahrheit, 
dafs nicht um die herrschaft Siciliens sondern um die eigene existenz 
gestritten ward, war den Athenern 412 aufgegangen, als Chios abifiel. 
eine äufserste anstrengung ward gemacht; allein die flotte konnte zwar 
den weiteren abfall Ioniens verhindern und die feinde in schach halten, 
aber keinen entscheidenden schlag führen. und nun war der schatz leer, 
die einnahmen seit der besetzung von Dekeleia verkümmert, den feinden 
dagegen zahlte der Perser und half das prestige des Alkibiades. da 
mochten die meisten sich die gute zeit des Nikiasfriedens herbeisehnen, 
und die wolmeinenden, die Sparta und Athen als gleich berechtigte 
mächte aussöhnen wollten, haben in beiden völkern nicht gefehlt. dieser 
alten tendenz dient mit neuer glücklichster wendung die Lysistrate. 
aber im stillen waren andere kräfte tätig. Alkibiades hatte immer noch 
einen grolsen anhang, weil man ihn bewunderte und fürchtete: er drohte 


Die stimmung in den chorliedern. 351 


als tyrann, lockte als der vertrauensmann des Persers und der lonier. 
der wunsch, das persische gold für die eigene schiffsmannschaft zu er- 
halten, leuchtete den darbenden Athenern der masse aus den augen, so 
chimaerisch er war. die abfällige beurteilung der demokratie durch die: 
sophistische kritik war allbekannt; die vornehme jugend war mit der 
Öuokoyovueyn avora, wie Alkibiades bei Thukydides sagt, längst inner- 
lich fertig. die litteratur, Antiphon noch mehr als Andokides und seines 
gleichen, arbeitete auf einen umsturz hin. die catilinarischen existenzen, 
verschuldete demagogen, advocaten, die früher bündner und metoeken ge- 
schröpft hatten und jetzt auf dem trocknen safsen, landleute, die durch die 
occupation Attikas verarmt waren, fehlten auch nicht und lauerten auf 
die gelegenheit, woher sie auch käme, im trüben zu fischen. man ahnte 
dunkel allgemein, dafs ein sturm bevorstand, mochte man auch nicht 
wissen, woher er wehen, wohin er treiben würde. Aristophanes war 
kein politiker; weder eine tiefe sittliche wirkung noch einen entschei- 
denden praktischen anstofs wollte oder konnte sein spiel geben. er war 
ein talent und kein charakter, und sein nachen fuhr dann am kecksten 
und graziösesten, wenn er den wind der öffentlichen meinung in dem 
segel spürte. so weit er eine politische meinung besafs, gehörte sie den 
gut patriotischen, aber weder wirklich demokratischen noch geradezu 
reactionären kreisen an, die etwa Nikias gegen Kleon und Alkibiades 
vertreten hatte. seine stücke gefielen, so oft er diesen ton traf: das 
war also die öffentliche meinung. in diesen kreisen wollte man weder 
von den Persern etwas wissen noch von Alkibiades noch von einer 
revolution; es sollte so gut gehn, wie es gegangen war, man wollte sich 
gern mit Sparta vertragen, aber herrschen wollte man natürlich, davon 
lebte man ja. wie man aus der not herauskommen sollte, das wulste 
man freilich nicht, aber dafür hatte man die himmlische helferin Athena, 
oder minder fromm und minder resignirt geredet, man vertraute auf das 
prestige, die grofsen traditionen, die volkskraft, die demokratie. und 
so kann in einer zeit der angst und der sorge vor dem kommenden noch 
mehr als der not und gefahr, die rings von aufsen drohte, der dichter 
seine mahnung in die form kleiden, dafs er jeden verflucht, der an dem 
bestehenden rechte rüttelt, indem er die officielle fluchformel aufnimmt. 
‘vor der revolution, vor dem tyrannen, vor dem verrate an die feinde, 
vor dem transigiren mit dem Perser bewahre uns gott in gnaden. das 
ist gesagt, als alles dies drohte, kurz ehe alles oder fast alles dennoch 
hereinbrach; die lieder der Thesmophoriazusen sind ein stimmungsbild 
aus dem Athen des frühjahrs 411. 


Das lied 
31l3—30,. 


352 Ill. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen. 


Die Lysistrate führt die frauen als friedensstifterinnen ein. gleich 
genial ist die erfindung, wo sie in derbster, natürlicher, nicht schmutziger 
komik spielt, und wo sie ihre heldin mit den zügen der göttin ausstattet. 
der Önuog yvvaııwy betet in den Thesmophoriazusen für den staat, 
und seine verbandlung bildet die einkleidung für die intrigue des stücke:. 
ist es nicht psychologisch ganz einleuchtend, dafs Aristophanes, als er 
die Lysistrate fertig und den gedanken concipirt hat, Euripides von den 
frauen zur verantwortung ziehen zu lassen, das motiv der frauenherr- 
schaft, das ihm das fertige stück bot, noch im kopfe eine weile fort- 
spinnt, d. h. die Thesmophoriazusen so wie sie sind im unmittelbaren 
anschlufse an die Lysistrate dichtet? 

Für mein subjectives urteil besitzt eine solche beobachtung ganz be- 
sonderes gewicht; aber sie gehört zu denen, die man niemandem auf- 
zwingen kann. für mein empfinden sind die Thesmophoriazusen 411 
allein denkbar. dieses empfinden will ich niemandem aufdrängen ; aber 
um so entschiedener fordere ich, dafs der status causae nicht verrückt 
werde. also steht es: 411 ist das überlieferte datum für die Thesmo- 
phoriazusen. die aufgabe der wissenschaft ist sie unter dieser voraus- 
setzung zu erklären, oder aber jene überlieferung zu überwinden. dies 
mag ein anderer versuchen; ich habe mich auf jenes beschränkt. — 

Als postille gebe ich die beiden wichtigsten lieder in metrischer 
abteilung und kurz erläutert; sie bedürfen und verdienen das. auf die 
unsinnigen personenverteilungen lasse ich mich nicht ein; es ist selbst- 
verständlich, dafs die chorverse der chor singt, die gemeinde, und die 
stücke, die sie einleiten, eine frau spricht. einen namen kann ich der 
nicht geben, denn sie vereinigt in sich, was in der volksversammlung der 
herold, der epistates der prytanen und der schreiber zu besorgen hatten: 
hier aber ist es eine person, sintemal der dichter nicht mehr unter- 
scheidet. wie die scene gespielt ward, ist im allgemeinen wenigstens 
vorstellbar, seitdem als local die orchestra feststeht, in der alles sich ab- 
spielt, aber von dem einzelnen wissen wir schlechterdings nichts und 
können wir nichts wissen. 

dexoueda xai Hewv yEvog Aıroueda talod Er’ evyais 
yav&vrag Erriyagnvar. 
315 Zev ueyakwyrue Xovoolvga TE 
Ankov 05 leoav Eyeıg, 
zal O0 stayaparis xoga yAavawıcı xovookAoyye scokıy ol- 
x00a regiuaxntov, EIFEL ÖEevgo, 
320 zal mohvwrvue Inooporn Aerors xovowrrıdog Epvog 


Das lied 313—30. 353 


ov re novyrıe oeuv& Tlooeıdov 
aAluedov 
sroolırcwy uvyov IxFvoevra 
oloreodoynTov 
325 Nneeog eivakıaı re xopaı Niupaı zT’ ögelshayrrot. 
xovoa d2 poouıyE laynosısv dm’ euyaig 
nueregaug, velkwg Ö' Exxinoıaoaıuev AInvwv 
EUYEVEIG YUYalXEc. 

Es steht zuerst ein katalektischer iambischer teirameter und katalek- 
tischer dimeter. dieses stückchen beginnt auch das folgende chorlied, beide 
sprechen die zustimmung zu der proclamation vorher aus: sie respondiren. 
dafs nur der anfang eines liedes respondirt, ist eine erscheinung, die in der 
komoedie öfter vorkommt, wichtig für die kritik, aber zu weitschichtig 
für eine gelegentliche erledigung. das gebet ist in daktyloepitriten ge- 
halten, nicht pindarischen natürlich, sondern solchen, wie sie die wirk- 
lichen cultlieder boten. gerade ihre dem pindarischen stile fremden 
elemente sind die metrisch interessantesten. Ad, 2 e. (iepa» Exeıg mulste 
statt &xeıg iepav gesetzt werden) 5 e-Hithyphallicus, 4 d-+2d (die glosse 
zrai hinter Ino0@0»n von G. Hermann beseitigt), sehr bemerkenswert, 
dafs in xevowsuıdog eine zusammenziehung zweier kürzen zugelassen 
ist. das von mir enhoplisch genannte glied, e. (so braucht man aAluedov 
nicht anomal zu messen), enhoplisches glied, 2d, Ad + 2e, das ersie 
e mit einer, das zweite mit zwei unterdrückten senkungen, wie z. b. inıe 
@oiße ooi dt aus’ ag&or’ ein bei Sophokles (0. T. 1096) u. ö. 2 iam- 
ben, mit einer unterdrückten senkung, —- reizianum, 3d -+ 3d, ithyph. 
— die verwendung des ithyphallicus ist aus der tragoedie geläufig, 
das enhoplische glied habe ich schon bei Stesichoros aufgezeigt, mit dem 
ithyphallicus vereint bildet es ja erst den eigentlichen &vorrAuog bei 
Archilochos. merkwürdig aber ist, dafs auch hier das reizianum ganz 
wie in der komoedie und den enhoplischen dochmien vorkommt. es ist 
hier unverkennbar, denn xovoa für das überlieferte ygvoea ist keine 
änderung; ein ithyphallicus xgvosa re Yogpuey& pafst nicht für den 
anfang des satzes, laynosısv in axnoeıev zu ändern ist falsch, da 
Aristophanes nxeiv gesagt haben müfste. aulserdem bedenke man das 
euripideische alAıyov u» Er’ evruyei uoAng Doißog laxei ray nıda- 
oav &iavvwy. hier habe ich die einzige für den sinn belangreiche ände- 
rung vorgenommen, nämlich d£ für ve 326. wie kann an die anrufungen 
angereiht werden “und die goldene laute klinge zu meinen gebeten’? 


welche laute? es wird uns wirklich zugemutet, nichts hierin zu finden 
v. Wilamowitz, Aristoteles. Il. 23 


354 II. 8. Die zeit des Thesmophoriazusen. 


als “und zu meinem liede soll der musicant die violine spielen’. das 
wird der hoffentlich schon längst tun, sonst is’s zu spät. aber eine 
goldene laute wird ihm der chorege schwerlich spendirt haben, die 
gehört nur dem xevooAveag, der eben angerufen war. nein, dies sätzchen 
ist in poetisch persönlich gewandter rede was der herold vorher mit in 
av In aumv yalpwuev gesagt hat. “und die goldene laute stimme ein’; 
wenn sie einstimmt, so gewährt der gott die bitte. dafs er gerade das 
tun soll, wo doch das ganze göttergeschlecht gepriesen wird, liegt daran, 
dafs ein lied diesen preis enthält. aber es würde schwerlich unmittelbar 
verständlich sein, wenn nicht eine statue des Apollon auf der bühne 
(also wohl auch auf der pnyx) stünde: ua 70» AnoAlw Tovrorl sagt 
der alte 748, wo nur die philologie, die mit parallelstellen statt mit an- 
schauungen wirtschaftet, an den Apollon Agyieus denken kann: ein 
prellstein steht vor jedem hause, aber hier gibt es kein haus, wir sind 
ja auf der pnyx. von den avaxinoeıs, die zumeist formelhaft sind, sei 
nur die schöne schilderung des meeres erläutert, uvxog ixFvosız oloreo- 
Öovnrog ist die mecrestiefe, die von den fischen in der brunst- und 
laichzeit (wenn sie der oloreog treibt) gleichsam erdröhnt, weil ihr to- 
bendes gewimmel die stille der meerestiefe stört. an die züge der tun- 
fische denkt er. 
Svvevgousoda Teilen utv swoleı, tele ÖE Önum 
rad £iyuar Exyevkodaı. 
355 za Ö’ agıor’ Ooaıg moooixe 
yırav Aetyovoas, önöocaı 6° LEenarw- 
oıy napaßalvovoı TE Torg 
0E%0UG TorG vevouıouevovg 
360 xegdwr eiven’ Erri Blaßn 
n Ynplouare xal vouovg 
Intovg' ayrıuediotavaı 
TarropenTa TE Toloıv 2- 
xso0lg Tois Tueregoıg Atyovo’ 
365 n Midovg dnayovoı rn 
wa — — —- — — 


Das lied 
383—71. 


all’ m nrayxpards Zei, 
370 (ov) raura xvpWosıag, WOF' Tuiv Feors rapaorareiv 
xalrep yıvarkiv ovoaıc. 
den anfang machen die mit dem vorigen respondirenden iamben, die 
Dindorf durch die ergänzung von 2x geheilt hat. dxyeveodaı steht so 


Das lied 353—71. 355 


Fried. 346, wo V die praeposilion weggelassen hat. iamben bilden auch 
den schlufs, den ich durch eine ganz leichte ergänzung in schick ge- 
bracht habe: ein dochmius, vollends am anfange der letzten periode, hat 
keinen platz. 355—58 sind normale ioniker, 359—65 normale glykoneen, 
verbunden durch synaphie, wenn man nicht dem komiker zutraut, wie 
im trimeter auch hier den artikel vor eine pause gestellt zu haben. die 
glykoneen sind teils sicher verbunden, teils ist die verbindung möglich; 
aber einmal ist hiatus.. so behandelt sie Sophokles meistens. wo ich 
Tr, xweg. und das zeichen einer Jücke gesetzt habe, steht z76 xweas 
ovvex’ Ei Blaßn aveßoüucıy adıxovcı re zry rolıy. das erste, durch 
mechanischen fehler aus 360 wiederholt, wird man leicht los, aber die 
einer glaublichen messung widerstrebenden worte kann ich auch nur 
als interpolirt betrachten. sie sollen einen nachsatz zu der relativischen 
aufzählung der frevier geben; aber was will das heifsen “wer das und 
das tut, begeht einen verstofs gegen fas und ius?’ diese triviale decla- 
ration soll der chor abgeben, “das und das ist sünde?’” und dann fährt 
er fort “das mache wahr, allmächtiger gott’. was denn ? dafs das sünde 
ist? heller unsinn. wir haben ja die &rraga vor uns; der nachsatz mufs 
sein &öwisıg elev avrol xal yEvog To dxelvwv. das war der sinn 
des fehlenden, ob man wie ich die überlieferten worte als interpolation 
ausweist oder irgendwie als letztes glied der aufzählung “und alle sünder 
überbaupt’ einrenkt, ist ziemlich gleichgiltig. hier bin ich ganz sicher; 
aber dafs ich Ynplouara xal vouovg für W. x. vouov setzen mulste, 
war mir unbehaglich. ich kann den singular nicht verstehn und würde 
gern belehrt werden. 


23* 


I. 
DIE REDE FÜR POLYSTRATOS. 


Vergeblich hat man sich bisher bemüht, zwischen Thukydides und 
dem einzigen documente übereinstimmung zu schaffen, das aus der procels- 
litteratur des revolutionsjahres 411 erhalten ist. jetzt klären das die 
urkunden auf, die bei Aristoteles stehn, und die ich mit den I 101 fig. 
gewählten nummern bezeichnen will, A der beschlufs des Pythodoros, 
B der der ovyygagpns, C der der &xazov. 

Der redner für Polystratos sagt von diesem, dafs er von den phyleten 
zum mitgliede der vierhundert gewählt war (2), dafs er xaraloyevg war 
(13)'), und besonders 14 odzog ovre Ouöcaı NIEAEV ovre naral£yeıy 
all avrov nyayanabov Ercıßolag Eruıßakkovseg nal Enwovvreg‘ Enei 
Ö’ NvayraoIn xal WUODE 70V Ogxov, Oxrw Tusgas eloeAdwv eis 
z0 Bovisvrngiov Eölmieı eis Epergrav nal Eboxeı Enei zn9 Wuynv 
od ovnoög elvar Ev Talg vavuaylaıg xal rerpwusvog devg NAse 
xal N6n uerenentwneı Ta sıgayuara. hält man dazu den schlufs- 
passus Bb, wo die bestellung der xaraAoyng durch die phyleten vor- 
geschrieben wird, welche ihres amtes walten sollen ouooavres xu9’ 
leowv relelwv, so leuchtet unmittelbar ein, dafs der erwähnte dem xara- 
Atyeıy vorhergehende eid eben der in dem volksbeschlusse geforderte ist, 
dafs also die phyle Leontis den Polystratos von Deirades zum xarakoyeis 


1) Es ist natürlich übertreibung, was hier steht, dafs der einzeloe xarakoyevs, 
um keinem der druöras wehe zu tun (d. h. der leute aus dem volke, keineswegs 
seiner gemeindebürger aus Deirades: diese bedeutung von dnuörns, in poesie und 
prosa des 5 jhdts nicht selten, wird oft verkannt, auch in druorsxös, demokrat, 
geändert), 9000 statt 5000 wählte. er stimmte mit ‘ja’ oder trug so viel ein, 
dals es 9000 geworden wären, wie das nun auch war. ira Töv usv Bovidusvor 
öyygayoı, ei dd zo un olösv 7’ ein, xagikosro. d.h. er liefs nur die weg, welchen 
die lasten des bürgerrechtes zu schwer waren: es sollten ja die zois zeruacı xal 
Tois Oauadı Övvarataros sein. 


II. 9. Die rede für Polystratos. 857 


erwählt hat. das war etwa im munichion des Kallias. aber mit dem eid- 
schwur läfst der redner den eintritt in den rat zusammenfallen, denn 
8 tage darauf geht Polystratos nach Eretria ab. es ist undenkbar unter 
dem hier erwäbnten eide einen anderen als zwei zeilen vorher zu ver- 
stehen: also ist es nicht der ratsherreneid. undenkbar ist es auch, in Poly- 
stratos einen ersatzmann für irgend einen verstorbnen der 400 (etwa 
seinen nachbarn Phrynichos von Deirades) zu sehen, undenkbar seine ab- 
fahrt nach Eretria mit der des Thymochares und seiner flotte gleich- 
zusetzen (Thuk. 8,93), der ja erst ende metageitnion des Theopompos 
ausfuhr. der redner spricht vor leuten, die alles eben selbst erlebt 
hatten, er konnte nicht die stellung als xaraAoyevg mit der als ratsherr 
willkürlich vermischen. seine worte verlangen vielmehr die auffassung, 
dafs die wahl zum xarakoyevg die zum ratsherrn in sich schlofs. nach 
dem beschlusse Bb sollen die 100 xaraAoyrg aus den über 40 jahr 
alten bürgern durch die phyle gewählt: werden; nach dem beschlusse Cb 
die 400 ratsherren aus derselben kategorie auf dieselbe weise, nur sollen 
die phylen eine gröfsere anzahl als 400 praesentiren; über den modus 
der auswahl aus den zreoxgıro: ist nichts vorgeschrieben. in wie weit 
der letztere beschlufs aber wirklich durchgeführt sei, sagt Aristoteles 
nicht: natürlich ist man zunächst verbunden zu glauben, dafs nach 
dem beschlusse verfahren sei, und Aristoteles mag es selbst geglaubt 
haben. die Athener hatten aber in den xaraloyng bereits 100 genau 
ebenso qualificirte und genau eben so gewählte männer, wie sie sie für 
den rat wünschten. hineingekommen würde die mehrzahl von diesen wol 
sicher sein, auch wenn eine neuwahl stattgefunden hätte. hören wir also 
von einem zeitgenössischen redner, dafs die wahl zum xarakoyevg mit der 
zum ratsherrn gleichgesetzt wird, so scheint mir die erklärung geboten, 
dafs das volk, sei es in einem amendement zu C, das Aristoteles nicht 
gekannt hat, sei es in einem weiteren beschlusse, die aufnahme der 100 
in den rat verfügt hat.) der irrtum des Thukydides, dafs schon in der 
versammlung auf dem Kolonos, wo mit Bb in wahrheit nur die xara- 
Joyng eingesetzt wurden, die 400 gewählt wären, wird nun bedeutend 
leichter. ich wage aber noch weiter zu gehen. Thukydides erzählt, Pei- 
sandros hätte auf dem Kolonos durchgesetzt, dafs das volk 5 zeoedgoe, 


2) Ich rechne mit absicht nicht mit dem was ich doch wahrscheinlich gemacht 
zu haben glaube, dafs Aristoteles die urkunden in einer rede des Theramenes ge- 
funden hat, also gar nicht mehr über die geschichte wulste, als sie selbst auch uns 
bieten. in diesem falle ist alles selbstverständlich, was ich erst wahrscheinlich 
machen will. 


358 il. 9. Die rede für Polystratos. 


diese wiederum 100 ratsmänner, jeder von diesen drei weitere erwählte. 
die cooptation von je dreien durch die 100 xaraAoyng scheint mir für 
den späteren zeitpunkt sehr glaublich.”) die 5 rooeöpo: sind freilich 
rechtlich und officiell eben so wenig vorhanden gewesen wie die 5 
&popoı 404°): tatsächlich mag ein actionscomit& der clubbisten nicht 
nur existirt, sondern die wahlen geleitet haben. 

In Eretria hat Polystratos, der ratsherr von Athen, so lange als die 
oligarchie sich hielt, das commando geführt, als ggoVg«exog. die cumu- 
lation der ämter, die sonst unglaublich wäre, befremdet nicht unter einem 
regimente, das für normale verhältnisse die platzcommandanten wie alle 
höheren beamten aus dem rate besetzen wollte (actenstück Ca) und für 
die übergangszeit die besetzung dieser stellen eben dem rate überlassen 
hatte (Cb). nach der tendenz der aristokraten, wie sie Peisandros bei 
Thukydides verfolgt, mufsten sie in den Reichstädten schleunigst einen 
dem attischen analogen umsturz der verfassungen bewirken®); dazu brauch- 
ten sie einflulsreiche und zuverlässige leute, die sie am ehesten unter 
sich fanden. Polystratos empfahl sich militärisch, da er im selben jahre 
in Oropos commandirt hatte: er mufs aber, obwol der redner es natür- 
lich verschleiert, auch politisch den leitenden männern garantien für 
seine gesinnung gegeben haben. in wahrheit waren wol die leute von 
70 jahren, die einen durch den krieg entwerteten grundbesitz hatten 
und im staatsdienste ergraut waren, alle für die beschränkung des demos 
auf die 5000: das schlofs den landesverrat des Antiphon oder die ganz 
gemeine gesinnungslosigkeit der Peisandros und Phrynichos nicht in sich. 
die rechenschafisklage hat dann Polystratos für seinen commandanten- 


3) Man sehe, wie viel schlagender $ 2 nun wird. da wird Polystratos damit 
entschuldigt, dafs er von den phyleten gewählt ist, das zieht nicht, wenn alle 400 
in gleichem falle waren; es ist ein kräftiger beweis, wenn es nur ein viertel war. 

4) Lysias 12,43. der advocat läfst gar keinen zweifel darüber, dafs dieser 
von den clubbisten eingesetzte wolfahrtsausschufs mit dem staate nichts zu schaffen 
hatte. wie weit er von dem revolutionären treiben der clubbs unterrichtet war, 
können wir nicht sagen; aber an sich ist der bericht nicht unglaubwürdig. höch- 
stens möchte man bezweifeln, ob Eratosthenes von der partie war. 

5) Thuk. 8,69. vgl. die leider von seinen gesinnungsgenossen nicht beher- 
zigte maxime des schrifistellers der 9nvaiwo» IloAsteia 3,10, die zu Thukydides 
stimmt. wenn Polystratos eine oligarchie in Eretria eingerichtet hat, so kann man 
ihn von der mitschuld an dem verluste von Euboia nicht freisprechen; ich würde 
ihn auch zu der geldbufse verurteilt haben. von den kleruchen auf Euboia ist mit 
ausnahme der zu einer gemeinde zusammengeschlossenen in Oreos-Histiaia nicht 
die rede: sie werden zum kleinsten teile auf ihren landlosen selbst gewohnt haben 
und kamen in der vereinzelung nicht in betracht. 


Il. 9. Die rede für Polystratos. 359 


posten über sich ergelien lassen müssen, und dafs der commandant, der 
cine festung verloren hat, vor gericht dafür büfst, erscheint in Athen, 
und nicht blofs da, in der ordnung. die angaben der rede, so weit sie 
verständlich sind, stimmen zu dieser auffassung von dem amte des Poly- 
stratos.®) 

Seine rechenschaft legte er sofort, nachdem er, in der schlacht bei 
Eretria verwundet, nach Athen zurückgekehrt war und die oligarchie 
schon beseitigt angetroffen hatte, also unter der vielbelobten gemäfsigten 
verfassung. der reiche mann, der zwei söhne bei den reitern dienen 
lassen konnte, ward zu einer hohen summe verurteilt, die er bezahlte 
oder vielmehr zur rechten zeit zahlen konnte und wollte”) er hatte 
eine verteidigung kaum versucht, denn seine söhne waren im kriege, 
und der demot des Phrynichos, der phrurarch von Eretria war so un- 
populär, dafs er keine entlastungszeugen fand.') 

Das urteil war rechtskräftig und inappellabel. trotzdem ist es zu 
einer zweiten klage gekommen, in der dieselben ankläger auftraten?), 
die ebenfalls nur geldstrafe beantragten, aber eine so hohe, dafs nicht 


6) Entscheidend ist $ 17, dessen zeugnisse sich diejenigen vergeblich haben ent- 
ziehen wollen, die in der @pxr; des Polystratos lediglich seine stellung als ratsherr 
sehen und seinen auszug nach Eretria erst mit der flotte des Thymochares ge- 
schehen lassen. sinos av rs ori xepdalvew dıduunv Lbenkevosv, wanse Eyıoı 
Tonabov xal Epepov' oVdsis Toivuy &y einoı Onws Tı (tis Onws X) Tv Vusregav 
Kyaı, alla niäyra ualkov xarnyopovow 7 sis nv apxiv. es ist ebenso einleuch- 
tend, dafs die @exy in dem dxrnlevoa: besteht, also nicht in der ratsherrnstelle, wie 
dals jemand, der, etwa als officier, in der höchsten not ein schiff besteigt um den 
gegenwärtigen feind anzugreifen, nicht in den verdacht kommen kann, erpressungen 
und unterschlagungen zu beabsichtigen. beides paflst dagegen auf den phrurarchen. 
$ 6 ist corrupt und wird unten besprochen. 

7) Es steht nur @gpAs da, $ 14.18, und er brauchte die strafe (@d«xdov natür- 
lich) erst im mai 410, vor der neunten prytanie, zu bezahlen (Ar. 54, 2). sie kann 
natürlich mit den xorgara, um die es sich jetzt in der rede dreht, 32, nichts zu 
tun haben. denn an dem ersten urteil ist nichts zu ändern; wenn die strafe nicht 
bezahlt wird, ist die execution oder die alimie nnvermeidlich. ganz unmöglich ist 
es wol nicht, dafs der redner blofs die verurteilung in die bulse angeben konnte, 
auch wenn sie mittlerweile bezahlt war. aber da Polystratos gesetzlich ziemlich 
ein halbes jahr ausstand für die zahlung frei hatte, wird die einfachste interpretation 
den vorzug verdienen. 

8) Dafs Polystratos in contumaciam verurleilt wäre, ist ein handgreifliches 
misverständnis von $ 8. wenn &enuos eine nähere bestimmung dessen, der fehlt, 
nötig hat, so folgt eben ein satz, der den mangel an entlastungszeugen näher anführt. 

9) Das wird nicht ausdrücklich gesagt, aber die unterscheidung der früheren 
und der jetzigen gegner würde sonst zweifellos gemacht werden. 


360 NI. 9. Die rede für Polystratos. 


blofs der verklagte, sondern auch seine erben notwendig der bürger- 
lichen ehrenrechte verlustig gehen mufsten, wenn die verurteilung ein- 
trat ($ 32). aus diesem processe besitzen wir einen teil der verteidi- 
gungsreden. es liegt in dieser wiederaufnahme der anklage eine schwie- 
rigkeit, auf deren beseitigung viel scharfsinn verwandt ist. ich kann die 
modernen gedanken nicht für glücklich halten '%); dagegen entspricht die 
überlieferte bezeichnung dnuov xaraivoewg arroAoyla'') durchaus der 
wahrscheinlichkeit. die ganze rolle, die Polystratos in der oligarchie ge- 
spielt hatte, gab zu einer eisangelie unter mehr als einer begründung raum: 
av zıs Töv Önuov Tov Adnvalwv narakın n ovvln nor Emi narakvaeı 
Tov Önuov n Eramıxov Ovvayayı, n &av rıg nolıy Tıva reodß 7 
vavg xrE heist es in dem späteren vouog eloayyeirıxög, und nur das 
ist ungewils, welche form die entsprechenden gesetzlichen bestimmungen 
und der processgang im fünften jahrhundert hatten; schätzbar können 
diese vergehen sehr wol gewesen sein, da es die eüdvyaı waren. 
dafs in zeiten der reaction der politische hafs und die gemeine syko- 
phantenberechnung trotz allen gesetzlichen cautelen, ja trotz den feier- 
lichsten amnestieschwüren mittel und wege gefunden hat, lediglich recri- 
minatorische anklagen zu erheben, dafür liefert Lysias nur zu viel un- 
erfreuliche belege. und dafs mitglieder der 400 lediglich auf diesen 
namen hin bürgerlich tot gemacht worden sind, lehrt der beschlufs 
des Pythokleides von 404. bei Polystratos ward die sache vollends 
durch seine doppelstellung als ratsherr und phrurarch erleichtert. in 


10) Dafs der zweite procels von den logisten instruirt ist, folgt mit nichten 
aus $ 10 0 uiv Töv Bio» anavra novngol övrss xenorol dv ro Aoyıoınolp yayı- 
vıvraı, 0: dd asl Univ yonoroi 7oav, ovros nowmpoi. denn wenn man auch die 
bezeichnung des locales mit in den zweiten satz hineinbeziehen wird, so gebt es 
eben nur auf den ersten procels. übrigens würde die sache, gesetzt es wäre eine 
evdrvva, doch vor den ihesmoteten verhandelt sein (Ar. 48, 5). der versuch von Pohl, 
neben den sudvvas auch eine ygayn svdvvas anzunehmen, ist rechtlich nur mit 
der modification Hildebrandts (Comment. philol. Monac. 179) denkbar, dafs es sich 
um eine private sudvva (Ar. 48, 4) gehandelt hätte. aber dort steht auch, dafs 
diese binnen drei lagen einzubriogen war. das geht zn schnell für unsern procefs, 
bei dem die drei söhne aus dem felde zurück sind. durchschlagend ist, dafs in der 
ganzen rede von einem rechenschaftsproce(s nicht die rede ist, im gegenteil & 22 
ovros üniv Iunv dedamxev ovdiv vnas Adınav avNüs usra Ta nedyuara steht, 
worin beiläufig bemerkt eine hübsche anspielung ist, wenn die verurteilung adıxiov 
erfolgt war. 

11) Harpokrat. oAvorgaros. dafs in X die überschriften gänzlich wertlos 
sind, weil von einem unwissenden menschen aus den reden selbst abstrahirt, kann 
die von gulen grammatikern des altertums gelieferten nicht discreditiren. 


Il. 9. Die rede für Polystratos. 361 


wahrheit verhielt es sich wol so, dafs die ankläger von dem zahlungs- 
fähigen alten manne noch mehr herauszuschlagen hofften '*), am liebsten 
als abfindungssumme. aber auch bei den richtern konnte sich die rück- 
sicht auf die leeren staatscassen sehr leicht mit der demokratischen rach- 
sucht vereinigen. 

Als dieser procefs zur verhandlung kam, war die demokratische 
strömung schon völlig herrschend, die vielbelobte herrschaft der 5000 
wenigstens im prinzipe überwunden.') dafür aber waren die drei söhne 
des Polystratos aus dem felde in die winterquartiere heimgekehrt, der 
älteste aus dem Hellespont, also nach den erfolgen des Thrasyllos. es 
wird also im frühling 410 gewesen sein.'‘) die söhne liefen gefahr, statt 
eines beträchtlichen erbteils die bürgerliche ehrlosigkeit des vaters erben 
zu müssen und vielleicht ohne jeden persönlichen grund als volksfeinde 
für immer gebrandmarkt zu werden. so versuchten sie den vater zu 
retten, und der mittelste führte das wort, da er als einer der wenigen 


12) Wenigstens wird diese insinuation ziemlich unverblümt vorgetragen, 7. 10. 17. 
und als einmal ein ansländiger mann sich bei Lysies eine rede bestellt hat, hat der 
radicale advocat selbst das treiben seiner parteigenossen gezeichnet 25, 25. bei- 
läufig, es steht nun fest, dafs diese rede aus den monaten mai’juni 400 ist, ganz wie 
Blafs vermutet halte. die jahreszeit folgt daraus, dafs es sich um eine dokimasie 
handelt. der terminus post quem ist die eroberung von Eleusis, die eben unter 
Xenainetos 401,0 fällt (Ar. 40,4). an das folgende jahr kann man wol nicht denken: 
in den processen des Sokrates und Andokides weht ein ganz anderer wind. 

13) $ 16 und 17 avrös avr@ suvovoraros dorıv Ö Innos, mit absicht mehr- 
deutig gesagt, so dals man nicht erkennt, ob die volle demokratie schon in kraft 
getreten ist oder erst beschlossen. das decret, das jeden umsturzversuch verfehmt, 
ist in der ersten prylanie des neuen jahres gefalst, Andok. I 96; (wenn der rat 
diesmal nicht wie im vorjahre schon vor jahresanfang antrat: das wird dadurch 
wahrscheinlich, dafs nicht nach dem archon datirt wird): aber die demokratische 
hochflut mufste schon da sein, als die demen und phylen diese candidaten für die 
auslosung praesentirten, 

14) Die heldentat des jüngsten sohnes, 28, setzt eine bedrohung der stadt 
voraus, genau wie sie Xenoph. Hell. I 1, 33 für das frühjahr 410 beschreibt. die 
zeugen für die haltung des ältesten im Hellespont müssen mit Thrasyllos nach dem 
zweiten treffen bei Kynossema heimgekehrt sein (Xen. Hell. 11,9). vielleicht kann 
hier die conjectar eine geschichtliche tatsache entdecken. es ist überliefert oö ov- 
Orgarsvodueros oizıves dvdade övres me £&v 'Ellnonovrw. das ist unerträglich, 
denn niemand sagt so für olzıwas dv 'Ellnonovrp yavöusvor &vdade £are. ich 
denke, das war oirırss usra Adovros nre &v 'Ellnonortp. der stratege Leon war 
in Samos während des sommers (Thuk. 8, 73); was er weiter gelan hat, ist nicht 
überliefert. — dafs man den handel des Polystratos noch weiter herunterrückt, ist 
schon deshalb unwahrscheinlich, weil die erfolge des Alkibiades und die dadurch 
ganz veränderle stimmung nirgend zu spüren sind. 


362 III. 9. Die rede für Polystratos. 


überlebenden des sicilischen feldzuges auf sympathie rechnen konnte. die 
verteidigungsrede versucht nun in wahrheit nicht einen beweis für die 
unschuld des vaters, sondern führt nur billigkeits- und entschuldigungs- 
gründe für ihn ins feld. dagegen behandelt mehr als ein drittel der 
rede allein die volksfreundlichkeit der söhne, und nur hierfür werden 
zeugen aufgerufen. nun versteht es sich ja von selbst, dafs Polystratos 
auch gesprochen hat, und da uns seine rede fehlt, ist es nicht zu ver- 
wundern, dafs wir die verteidigung wider die eigentliche anklage nur 
ungenügend kennen und demgemäls auch über die anklage nicht klar 
sehen. es stimmt dazu, dafs die erhaltene rede eines prooemiums ent- 
behrt, obwol schon die nennung des namens in $ 1 beweist, dafs der 
redner so wie wir lesen angefangen hat. aber diese tatsache selbst will 
verstanden sein, dafs sich nicht mehr von der verteidigung erhalten hat, 
also (da an zufällige verstümmelung nicht zu denken ist) nur so viel in 
die öffentlichkeit kam. als rhetorisches muster ist dies stück nicht er- 
halten; es ist das werk eines wenig geschulten Atheners, eben deshalb 
für die litteraturgeschichte kostbarer als manche glatte aber leere decla- 
mation.'‘) wenn ein solches stück veröffentlicht ist, so hat der inhalt 
dazu bestimmt: es ist das persönliche renommee des redenden sohnes 
und seiner familie, der dies plaidoyer dienen soll, so gut wie Andokides 
sich bald darauf mit seiner zweiten rede rehabilitiren wollte, trotzdem 
sie keinen praktischen erfolg gehabt hatte. mag auch der ausgang des 
processes gewesen sein, wie er wolle (ich glaube aber, dafs er für den 
verklagten günstig war): der junge mann, der für seinen vater auf- 
getreten war, wünschte vor dem publikum als ein unverdächtiger und 
hochverdienter demokrat dazustehn '°), und die misgunst, die er wirklich 
ohne sie zu verdienen von den vater erbte, wo möglich von der ganzen 
familie, jedenfalls von sich abzuwälzen. darum hatte er einen Aoyorroıos 
gedungen, darum verbreitete er die rede, mit weglassung des seiner sache 
schwerlich besonders günstigen, jedenfalls für seinen zweck entbehrlichen. 
dafs die rede sich erhielt, war ein glücklicher zufall: als sie aber erst 
unter den schützenden namen des Lysias getreten war, teilte sie das 
schicksal von dessen reden. und dals sie in die auswahl, von der wir 


15) Vielleicht lag dem redner Antiphons verteidigungsrede vor. auf sie hat 
Blafs sein fragment 79 bezogen rews nv yap 6 nous xeövos ov Öllyov nıaro- 
zeoos rw. denselben gedanken findet man hier 10. er lag freilich nahe genug, 
vgl. z. b. Gorg. Palam. 34. 

16) Tydeus 26, und, wenn ich recht vermutet habe, Leon 29 werden genannt; 
das sind namen von vollstem demokratischem klange. 


ll. 9. Die rede für Polystratos. 363 


eine handschrift haben, aufnahme fand, ist ein weiterer zufall, für den 
wir der kritiklosigkeit des auswählenden dankbar sein müssen. 

Wie gut oder schlecht der redeschreiber seine sache gemacht hat, 
haben wir zu lernen, nicht ihm vorzuschreiben. ich beabsichtige nicht 
mit den umstellungen, die modernen kritikern gefallen, mich auseinander 
zuselzen, von der auszugshypothese ganz zu schweigen. aber ich nehme 
allerdings auch daran anstols, dafs die beteiligung des Polystratos an 
dem rate der 400 und seine nichtbeteiligung an den debatten im rat- 
hause zweimal erzählt wird, und kann 6—8 neben 16. 17 schlecht ver- 
tragen, besser gesagt, ich verlange eine erklärung dafür, dafs 1—10 
schon eingehend erörtert ist, dafs die zugehörigkeit zu den 400 den 
Polystratos nicht belastet, und doch 13—17 dieselbe sache von neuem 
abgehandelt wird. mir hat sich (keineswegs erst jetzt) die lösung er- 
geben, dafs i—10 ein ganz anderer fürsprecher das wort hat als der 
sohn, der mit 11 anlıebt. es hat ja gar keinen anstofs, dafs es mehrere 
sind; und dafs derselbe redeschreiber ihnen die reden macht, und diese 
dann zusammen veröffentlicht werden, ist zugestandenermalsen in der 
rede wider Pbormion und in der Apollodors wider Neaira geschehen 
(Dem. 34 und 59). 

Man fange nur an zu lesen und merke auf, wo man erfährt, dafs 
der sprecher ein sohn des Polystratos ist: das ist erst in.$ 11. von da 
ab geht es durch. und konnte denn dieser von den sühnen des Poly- 
stratos sagen Ö gutv Ev Zixeil« nv, ol 6’ dv Bowwroig?") der in 
Sicilien war er ja selber. der sohn sagt zzwg av oux av dewa na0- 
gouuev 15, 7 dewa av) magoıuev 19, dewa d’ av masoruev 36: 
hier heilst es deıwov de or Ödoxei elvaı 10. nirgend wagt jener ein 
ya. 6’ Tyovuaı a&lovg elvar Tovrovg undtv mracyeıy 5: was liegt den 
richtern daran, wie der angeklagte über die billigkeit denkt? so spricht 
ein mann, dessen wort gewicht hat. und sollte wirklich der sohn mit 


17) Seltsam, dafs im frühjahr 411 die beiden söhne in Boeotien sind, von 
denen der ältere im herbst bei Kynossema gefochten hat, der jüngere in der 
attischen reiterei diente, die mit dem sicherheitsdienst gegen die festung Dekeleia 
genug zu tun hatte. dafs Athen damals einen vorstofs gegen die Boeoter machen 
konnte, ist interessant genug. Thukydides hat über diesen kriegsschauplatz kaum 
etwas erfahren: wir kennen die niederlage der Boeoter am Kolonos, an die das 
drama des Sophokles anknüpft, und den sieg des hipparchen Pythodoros, dessen 
denkmal in den Athenischen Mitteilungen XIV veröffentlicht ist. 

18) 7 dava ayav X. os nicht ye hinter 7 ist der stil des fünften jahr- 
hunderts, wie das drama lehrt; auch dort ist es meist entstellt, wie es der krasis 
zu gehn pflegt, wo sie von alters her bezeichnet ward. 


864 II. 9. Die rede für Polystratos. 


dem eingange glück zu machen geglaubt haben “meines erachtens solltet 
ihr euch durch das blofse wort, das ist einer der 400, nicht gegen 
jemanden einnehmen lassen. denn es hat unter ihnen auch gutgesinnte 
gegeben, wie diesen Polystratos.” weder redet man so von seinem eignen 
vater, noch gibt ein junger mann den herren heliasten solche belehrung. 

Nun wird man sagen, dafs die erste rede und die zweite nicht 
scharf abgegränzt sind. ganz gewils. aber da ist, urteile man sonst wie 
man wolle, der text nicht in ordnung “ich halte es für arg, wenn je- 
mand, der nichts wider die demokratie im rate beantragt hat, ebenso 
behandelt werden soll, wie die welche das getan haben, und wenn der in 
acht tagen ein schurke geworden sein soll, der 70 jahre ein guter bürger 
war, und die ihr leben lang nichts taugten vor dem rechnungshofe 
biedermänner werden, und die allzeit hiedermänner waren schurken.’) 
xalroı”) in der vorigen verhandlung hat man meinem vater unter andern 
falschen beschuldigungen auch nachgesagt, dafs er mit Phrynichos ver- 
wandt war. dagegen (xalroı) erkläre ich: lege wer das beweisen kann 
in der für meine verteidigung mir zugemessenen frist zeugnis ab.’ was 
soll das erste xalroı? auf jenes rhetorische enthymem deıvov wor doxei 
elvaı kann sehr gut ein xalzoı folgen, aber der satz, der da folgt, 
schliefst sich überhaupt nicht an, und am wenigsten mit xalroı. und 
die beiden sätze hinter einander können vollends so nicht anfangen. 
ich wage darüber nicht zu entscheiden, ob wir jenes xalro: tilgen sollen: 
in dem falle ist der bruch der continuität da, wie ja wirklich eine ganz 
neue gedankenreihe einsetzt und ein neuer ton; oder ob hinter xalsoı 
der schlufs der ersten rede ausgefallen ist und dann möglicherweise auch 
ein anfang der zweiten, was ich nicht glaube. wer eine lücke annimmt, 
kann freilich auch eine ergänzung ersinnen, die die beiden paragraphen 
10 und 11 wirklich verbinde: die dubletten und den verschiedenen ton 
beseitigt er doch nicht. 

Besprochen mufs noch ein paragraph der ersten rede werden, weil 


19) Es ist ganz falsch, die beiden letzten dieser sätze als selbständige fragen 
zu fassen. gedacht sind sie, wie der gedanke zeigt, als weitere deswa, stehn also 
dem ei neloeras ganz parallel. nur ist Polystratos wirklich trotz seinen siebzig 
jahren im rechnungshofe verurteilt wie ein schurke, also trifft die hypothetische 
partikel ei nicht zu, wenn sie, wie sie uns scheint, rein hypothetisch ist. das ist 
sie nicht: dssvö» uos doxei elvaı, ei 04 novngol xenotol yayernvras ist So gut grie- 
chisch wie Yavuabo — si — yayevıvıas oder oft Eieygeı» — ei. die sprache 
empfindet etwas anders als die unsere. 

20) Kalıoı dv [Te] Tais nooöTsp0v xarnyoglass. natürlich ist die dittographie 
mit den abschriften zu tilgen, nicht in ein müssiges yes zu ändern. 


III. 9. Die rede für Polystratos. 365 


er geschichtliche angaben macht. “man macht ihm zum vorwurf, dafs 
er viele ämter bekleidete; das ist doch nichts schlimmes, sondern auf 
das wie kommt es an, 6. odrog d£ zewWrov udv üobas iv "Npwry 
:obre rpo&öwae nal Erkgav volırelav nareornoe, rev ahkwy Artav- 
zwv 5001 NEX0v xarangpodövrwv Ta rgayuara. vi d ovx brräusivav 
xaTayvövıes Opwy avıwv adıxeiv, 6 ÖL Nyobuevog undev Ndınnxevaı 
dien» didwar. und die schuldigen kommen frei, weil sich die ankläger 
bestechen lassen; wer ihnen kein geld gibt, wird zum schuldigen ge- 
stempelt?'), und es macht keinen unterschied, ob einer im rat einen antrag 
gestellt hat oder nicht u. s. w.” hierin sind zwei schlimme sprachliche 
anstölse: ovre..xal ist so wie es hier steht kein griechisch. und wo 
wäre ein zweites glied zu zrowrov uey? gewils braucht das nicht ın 
der grammatischen form sireng zu entsprechen, aber wer zrowrov u£y 
sagt, hat ein zweites glied im gedanken, und der gedanke muls irgendwo 
zu tage kommen. wo ister hier? es ist nicht im mindesten zweifelhaft, 
was der redner gewollt hat. den vorwurf, dafs Polystratos viele ämter 
verwaltet hat, will er dadurch enikräften, dafs er nachweist, er habe sie 
gut verwaltet. die aexn 2» Nowrso ist die erste: wo sind die andern? 
die stellung im rate ist freilich auch eine, und in sofern palst die fort- 
setzung in diese gedankenreihe, in der über des Polystratos verhalten 
im rate gehandelt wird, aber da ist die form der disposition fallen ge- 
lassen. und es fehlt ja auch gerade das wichtigste amt, das in Eretria. 
wegen dieses amtes hat sich Polystratos gerade gestellt, während die 
andern schuldigen oder verdächtigen sich fern hielten, was er, zumal 
als verwundeter, selır bequem auch hätte tun können. der sohn führt 
das auch aus, 14. 21.) 22. also genau da, wo die grammatik einen 
schaden zeigt, fehlt für den sinn etwas. und noch mehr. “pas &r 
Nowreo otre sroo&öwxe, das past: denn Oropos gieng ende februar 411 
durch verrat verloren (Thuk. 8, 60). wenn der platzcommandant bald 
darauf gerade nach Eretria geschickt ward, das schon damals bedroht 
war, so muls er allerdings von jedem verdachte frei gewesen sein, dals 
er an dem verluste schuld trug. aber das folgende xal Er£pav rolı- 


21) Sehr gut steht adıxouvras anopalvovas. denn der nachweis ist in diesem 
falle von den anklägern erbracht; Polystratos ist adıxdov verurteilt. 

22) Mit denen die sich dadurch dem strafgerichte zu hause entziehen, dals sie 
im felde bleiben, wird vornehmlich der unglückliche stratege von Eretria Thymo- 
chares gemeint sein, der nach dem Hellespont gieng, Xen. I 1,1, allerdings, wenn 
Xenophon genau ist, von Athen aus. dafs einer der dexa adroxparogss der oligarchie 
sein amt fortgeführt hat, ist bemerkenswert. 


366 II. 9. Die rede für Polystratos. 


telav xareorr,oe palst unmöglich auf Oropos”*), das ein castell im unter- 
tanenlande war, wo es unter athenischer herrschaft niemals eine ver- 
fassung geben konnte. und zwv aAlwv anayıwy 0001 nexov xXaTa- 
scogodovrwy Ta rroayuara: das palst auf Oropos auch nicht, wo doch 
keine mehrzahl von &pxovreg gewesen sein kann, da doch selbst Imbros 
Skyros Salamis je unter einem beamten stehen, und der geoVEaexos 
in den zcöAeıg auch ein einzelposten ist. das können also nur die ag- 
xovreg &v EvPßola sein. das ergebnis ist unanfechtbar: es ist eine gröfsere 
lücke hinter zroo&dwxe, in der mindestens die agyn &v ’Egsrol« erwähnt 
war; ob das xal mehr als eine aus der wiederholung der schlufssylbe 
von ze0&dwxe schlecht gefertigte verkleisterung dieser lücke ist, muls 
eben so wie ihre ergänzung dahingestellt bleiben. 

Auf die vielen schweren verderbnisse, unter denen die auslassungen 
besonders zahlreich sind, will ich nicht näher eingehn, zumal ich be- 
deutendes nicht bessern kann“), nur eine stelle fordert noch ein wort. 
wie soll man ertragen “avdgl 25arrovuerp gebt ihr selbst des unter- 
schleifs geständige angeklagte frei” (19). weder steht «ve jemals in- 
definit, noch kann man den richtern sagen, dals sie auf die fürbitte eines 
beliebigen mannes, oder auch praegnant, eines mannes, verbrecher frei 


23) Blafs hat daran gedacht, den namen Oropos in Oreos zu ändern. aber 
wenn es auch in der attischen kleruchie vielleicht einen von Athen eingesetzten phru- 
rarchen gegeben hat, so ist Oreos eben nicht verloren gegangen, und eine änderung 
der no4steia in den kleruchien ist schlecht denkbar. da vollends zufällig bekannt 
ist, dafs Oropos zwei monate vor der einsetzung der 400 verloren gieng, wird man 
seine erwähnung in einer rede jener zeit nicht leicht für einen schreibfehler halten. 

24) Sprachlich interessant ist 23 500» ovdew.äs orgarslas anelsigdn, denn 
dafs ö0@» nur orthographisch zu verbessern ist, liegt auf der hand. selbst Cobet 
hat mit »cos &» durch arge gedankenlosigkeit eine unwahrheit und eine dummheit 
dem redner in den mund gelegt, Scheibe gar 600» ovx ovdsuäas wirklich vorgeschlagen. 
0009 ounw napijca» heilst freilich “sie waren nur so viel abwesend, dafs man eben 
sagen kann, sie waren abwesend’. aber ö00» 000» azıln» heilst 'nur so viel wie ein 
tropfen’. Coo» Agazv “so viel wie eine kleinigkeit’. also ist daov ordaula arpgarsia 
‘so gut wie kein feldzug’ 7 rs 7 ovdauia würde es ionisch heilsen. — 5 all’ ei 
tıs (wat) oliyas apkas apzxas. — 16 ovros da [dv] noAlois Ömkloi vuiv or — — or« 
dv notre [bv] Oxto nuspas (pass X) eiveldaiv. — 24 dnaıdn de dispIaen (das heer) 
xad aveowInv (mich zurückretiete) eis Karasıv, dAnLounv öpumuevos dvrsuder 
xal tous nolenlovs xaxos dnoiovv Wwore ı7 Ie@ Ta Tas dexdaras dEuspednvas 
nitiv 7 TeIdxovza uräs xai Tois Orpatıoraıs eis Owrnplav, 0004 dv Tois nole- 
nioıs noav, (so und 80 viel zur auslösung geschickt werden konnte), xaö dnuön 
Karavaioı mayxabor [inneisv], innerov. — 29 Töv dd npsoßitarov adsApov ovros 
(avrol X) of ovorgarevöneros iaacıy oltıwes — na dv Ellnonövıg. — 30 (7) @v 
uev 6 nano — — — all’ ei dia Trv Tovrov diaßoilnv Ösi Nuag (Ti) naazem. 


IN. 9. Die rede für Polystratos. 367 


liefsen. es fehlt die nähere bestimmung. einflufsreiche fürbitter bewirkten 
die milden urteile, Theramenes Kleitophon Demophantos. man kann 
eine lücke annehmen; aber ungleich wahrscheinlicher dünkt mich, dafs 
der redner einen eigennamen gesetzt und mit diesem den concreten fall 
bezeichnet hatte; dagegen schien es ihm, als er die rede verbreitete, klug, 
das persönliche zu verwischen, und so ist der eigenname durch N. N. 
ersetzt.””) diese beobachtung hat mich zuerst darauf gebracht, den zweck 
der veröffentlichung dieser rede und die möglichkeit ihrer erhaltung zu 
erwägen. seitdem habe ich den gesammten nachlafs der redner darauf 
hin durchzumustern veranlassung gehabt; aber ich möchte meine ge- 
danken erst ausreifen lassen. das ergebnis ist zu hübsch, als dafs ich 
es durch voreilige besprechung schädigen möchte. 


25) Dasselbe scheint 26 geschehen. die attischen flüchtlinge führen kleinen 
krieg gegen Syrakus in Katanas diensten. da kommt “Syrakosios’ mit einem ver- 
trage, den sie beschwören sollen: offenbar bietet er ihnen durchlafs, wenn sie die 
insel verlassen wollen, oder ähnliches. der sprecher und zumal der bekannte Tydeus 
verhindern das. der nackte Zvgaxocsos ist kaum erträglich. auch hier scheint ein 
eigenname unterdrückt. 


10. 
DIE HAPATPASH UND LYSIAS GEGEN PANKLEON, 


Die rhetorische terminologie unterscheidet als eine grundform der 
fragstellung, die für die gerichtsrede das erste hauptstück ist, die vera- 
Anyıg'), die form- oder competenzfrage, ob das angezogene geselz auf 
den rechtsfall palst, oder der procefs aus formellen gründen unzulässig 
ist. in dem ausgebildeten attischen rechte, wie es die demosthenischen 
reden zeigen, ist dies auch schon fast ganz durchgeführt. der beklagte 
kann den competenzconflict erheben; dann klagt er wider die klage- 
schrift, die im falle seines sieges beseitigt ist. es muls aber angenommen 
werden, dafs derselbe gerichtshof, bei dem die erste klage erhoben war, 
auch über die competenzklage zu befinden zuständig ist. uns liegt es zwar 
nahe, eine besondere gattung von klagen, die sragaygagızal, zu sia- 
tuiren, wie denn die ordner der demosthenischen reden eine gattung 
von diesen als sragaygapıxol ausgesondert haben, und gewils wären 
die thesmotheten ihrer ursprünglichen bestimmung nach geeignet ge- 
wesen, nach den bestehenden gesetzen, die sie doch kennen mulsten, 
jeden competenzconflict zu entscheiden, nötigenfalls darüber ein beson- 
deres gericht zu berufen. es ist aber zu einem besonderen processe der 
zragaypapn und einem besonderen gerichtshofe nicht gekommen, weil 
diese feinheit der juristischen dJistinction erst allmälich vor unsern augen 
durch die praxis gefunden wird. 

Wir erfahren durch Isokrates (18, 2), dafs Archinos*) ein beson- 


1) R. Volkmann Rhetorik 84. 

2) Archinos gab das treffliche gesetz im interesse der versöhnung: die syko- 
phanten, einmal zu worte gelassen, hätten ihren ganzen geifer spucken können, wie 
das Lysias in der rede gegen Philon am unerträglichsten tut, und die richter hätten 
dann dem der oligarchie bezichtigten xaraßa xaraßa entgegengeschrieen. so ist die 
praktische politik hier die anregende ursache; aber eine logische fortbildung des 
rechtlichen gedankens liegt darin, und diese hat weiter gewirkt. 


I. 10. Die nagaygaypn und Lysias gegen Pankleon. 369 


deres gesetz durchbrachte, durch welches eine zragaygapn mit berufung 
auf die amnestie in jedem falle zugelassen ward: also war das sonst 
nicht nötig, sondern stand im belieben des gerichtsherrn; und ferner 
der ursprünglich angeklagte, der als srageypawauevog kläger geworden 
war, das erste wort haben sollte: also war das, trotzdem es die logik 
fordert, noch nicht allgemeiner gebrauch. 

Einen beleg hierfür liefert die rede des Lysias wider Pankleon. sie 
ist in einer zvagaygagn gehalten, wenn auch nicht einmal dieser ter- 
minus, sondern der allgemeine avrıyoapn gebraucht wird, und es fällt 
kein wort über den gegenstand der eigentlichen klage. trotzdem hat 
der ursprüngliche kläger das erste wort. aber vollständig ist die rede: 
am schlusse sollen die richter abstimmen, natürlich, ob die klage selbst 
zulässig sei. wir sehen aber auch das besondere, dals der redner sorg- 
fällig die wasseruhr jedesmal zumachen läfst, ehe er einen zeugen aul- 
ruft, was sonst bei Lysias nicht vorkommt: offenbar hatte er wenig 
wasser, weil diese vorfrage erst von der eigentlichen abgetrennt wor- 
den war. 

Noch altertümlichere verhältnisse zeigt die rede Antiphons über die 
ermordung des Herodes. der sprecher, Euxitheos?), ist als xa«xovpyog vor 
die elf geschleppt und bestreitet auf das nachdrücklichste die zuständig- 
keit dieser procelsform; er hebt hervor, obwol er auf die sache selbst 
tief eingeht, dafs man ihn aus diesem formellen grunde freisprechen 
sollte, er könnte dann ja immer noch vor den zuständigen richter ge- 
zogen werden. damals also war die sragaygayn als besonderes rechts- 
mittel noch nicht im gebrauch, wenn auch das gericht aus formellen grün- 
den freisprechen konnte. es leuchtet aber ein, dafs eine verhandlung, wie 
sie bier vorliegt, die gefahr brachte, dafs die richter trotz allen formellen 
bedenken materiell entschieden, und wenn Euxitheos hier freikam, ein 
so starkes praejudiz vorlag, dafs der kläger es schwerlich von neuem 
vor dem Palladion versucht haben wird. ein fall, wo ein die zagaygapn 
begründender einspruch nicht als besondere klage, sondern ebenso wie 


3) Es ist eine schöne entdeckung von Bohlmann, dafs Sopater dem sprecher 
diesen namen gibt (Walz Rhet. IV 316), eben wo er diese rede als probe der zapa- 
yeagn benutzt, und dafs dann unsere hypothesis der rede jünger als Sopater ist, 
macht nichts dagegen aus. dafs die überschriften der reden namen erhalten haben, 
selbst die so wenig zuverlässigen des Lysias den des Mantitheos 16, oder doch zu 
Libanius zeit erhalten hatten, ist notorisch. aber etwas ängstlich macht mich, dafs 
Euxitheos auch als name des sprechers wider Eubulides eben nur von Libanius ge- 
nannt wird, und sehr mytilenaeisch klingt der name nicht, 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 24 


370 Ill. 10. Die napaypayn und Lysias gegen Pankleon. 


in der Herodesrede innerhalb des hauptprocesses als ein verteidigungs- 
grund nebenher vorgebracht und widerlegt wird, kommt in der rede des 
Lysias wider Pankleon gelegentlich vor. 

So ergibt sich ein, wie mich dünkt, eben so sicherer wie inter- 
essanter einblick in die entwickelung des attischen rechtes. — 

Da die Lysiasrede wenig verstanden und sogar athetirt ist, benutze 
ich die gelegenheit, sie zu erläutern. das kann mit einer erzählung des 
handels so kurz geleistet werden, wie die gute rede selbst ist. 

Der kläger hatte, wir wissen nicht was für einen, handel mit einem 
walker Pankleon, der in wahrheit ein weggelaufener sklave eines Pla- 
taeers war, aber ein geriebener kerl, der es verstand sich in Athen 
herumzudrücken, bald den Plataeer, also bürger, bald den metoeken 
spielend, und der auch einen resoluten anhang von gesinnungsgenossen 
hatte. der kläger kam mit den vom gesetz geforderten ladungszeugen 
(Antnges) und verkündete dem Pankleon, dafs er ihn als metoeken vor 
den polemarchen citire. Pankleon gebrauchte die ausflucht, er wäre 
Plataeer, also bürger, dem demos Dekeleia zugeschrieben. darauf repli- 
cirte der kläger “so lade ich dich auch vor die demenrichter’. er be- 
hielt sich also die wahl des forums vor; die formalität der ladung war 
in jedem falle erledigt. sich selbst darüber zu entscheiden, erkundigte 
er sich bei den Dekeleern. sie kannten den Pankleon nicht als den 
ihrigen; dagegen fanden sich praecedenzfälle, in denen Pankleon vor 
dem polemarchen verklagt und verurteilt war.‘) die leute, die so dessen 
metoekenstand beweisen konnten, stellten ihr zeugnis dem kläger zur 
verfügung. so belangte er also Pankleon vor dem polemarchen; jener 
hielt jedoch die behauptung, er wäre Plataeer, aufrecht: daher diese vor- 
verhandlung. Ä 

Um für sie material zu suchen, gieng der kläger die in Athen ein- 
gebürgerter Plataeer an und hörte hier die überraschende tatsache, dafs 
Pankleon ein entlaufener sclave des Plataeers Nikomedes wäre. es 
scheint, dafs dieser von seinem verlornen besitze erst jetzt kunde erhielt; 
jedenfalls benutzte er die gelegenheit, ohne zweifel im einverständnis 


4) Wer da glaubt, dafs die metoeken ohne materielle oder formelle interven- 
tion eines patrons nicht rechtsfähig gewesen wären, möge gefälligst den patron des 
Pankleon angeben oder erklären, wieso von dessen existenz oder nichtexistenz kein 
wort fällt. dafs er mit dem schwindel durchkam und sich oixw» dv Jexsisiq (oder 
wie er gerade log) vor dem polemarchen nennen konnte, liegt daran, dafs die me- 
toekenprocesse nicht nach phylen verteilt wurden (oben I 249). der polemarch und 
die kläger hatten die behauptung auf treu und glauben angenommen. 


III. 10. Die nagaygayn und Lysias gegen Pankleon. 371 


mit dem kläger, für den er als zeuge auftritt), ein par tage später den 
Pankleon mit berechtigter selbsthilfe als sclaven zu greifen. der kläger 
war, schwerlich zufällig, zur stelle. aber Pankleon setzte sich mit seinem 
anhange zur wehre, es kam zu einer prügelei, und schliefslich giengen 
die leute auseinander, nachdem sie stipulirt hatten, am folgenden tage 
wolle Pankleon einen bruder mitbringen®), der ihn, sei es dafs Niko- 
medes freiwillig zurückträte, sei es durch anstrengung eines formellen 
vindicationsprocesses, frei machen würde. zu dieser verhandlung er- 
schien auch, vorsorglich mit zeugen, der kläger. da er keinen hatte, 
konnte Pankleon keinen bruder mitbringen; er half sich damit, dafs er 
ein weib vorschuob, das dem Nikomedes sein herrenrecht bestritt, weil 
Pankleon vielmehr ihr gehöre. ein weib kann zwar eigentlich nicht 
besitzerin sein, aber durch die verhältnisse von erbtöchtern und mitgift 
war sie es oft genug factisch, und dafs ihr «vgeog zunächst im hinter- 
grunde blieb, war für Pankleon höchstens ein schlauer kniff. natürlich 
verlief die verhandlung wieder resultatlos, die rotte Pankleons brauchte 
schliefslich gewalt und befreite ihn. damit war dies intermezzo zu ende. 

Es kam nun zu der gerichtlichen verhandlung, die sich auf den 
einspruch des als metoeken verklagten Pankleon bezog, dafs er Plataeer 
wäre. der kläger berichtet und beweist durch zeugenaussagen was ich 
ihm nacherzählt habe. aber er folgert nunmehr nicht was er eigent- 
lich zu beweisen übernommen hatte, dafs Pankleon metoeke wäre, son- 
dern was sich ihm wider erwarten ergeben hat, dafs er sclave ist: das 


5) In den paragraphen 7.8 wird er nicht genannt. dann werden zeugen auf- 
gerufen, und es folgt 9 uno Nıxoundovs Os duagrionsev adzov Ösanörns elvas: das 
heifst ‘der eben als zeuge aufgetreten ist und beschworen hat, er wäre sein herr’. 
es ist also für die wirklich vor gericht gesprochene rede berechnet. die worte, die 
man athetiert hat, halten die ganze rede zusammen, und weil sie nicht das leere 
lemma uaprvess, sondern die wirkliche zeugenaussage voraussetzen, beweisen sie am 
besten, dafs es eine wirkliche rede ist. 

6) Wo diese prügeleien stattfanden, ist gleichgültig; man denkt in Athen 
natürlich an den markt. der wird jetzt genannt in den worten di rowros &yyun- 
oausvos sage&sıw (nämlich den bruder) sis ayopa» @xovıo anıövres. neben dem 
verbum der bewegung wird man ein sis ayopa» nur ungern wo anders hin beziehen, 
allein das ist nötig: die leute giengen nicht auf den markt, es tut nichts zur sache, 
wohin sie giengen, sie giengen eben weg, discedebant. also die unbequeme ver- 
bindung eis ayopa» nags&sıw. dabei tut wieder nichts zur sache, wohin der bruder 
geliefert wird, zumal sonst keinerlei bestimmung da steht. es geht aber weiter, 
ın 0’ voregala. dies moment, dafs die verabredung für den nächsten morgen galt, 
ist wesentlich und ist nirgend ausgesprochen. also halte ich für evident, dafs 
nragefeiw eis avgsov zu Schreiben ist. 

21* 


372 II. 10. Die nagaygaypr, und Lysias gegen Pankleon. 


folgert der einzige nicht erzählende sondern raisonnirende paragraplı (12) 
der rede. ziemlich äufserlich angeflickt kommt noch ein beweismoment 
nach, das auch sachlich nicht viel besagt. ein gewisser Aristodikos und 
ein par andere leute bezeugen, dafs Pankleon vor 8 jahren in einem 
processe, den er mit Aristodikos hatte, schon dieselbe einsprache er- 
hoben hätte, er dürfte nicht als metoeke belangt werden, da er Plataeer 
wäre. es war damals aber zu keiner besondern verhandlung über die 
sragaygapn gekommen, sondern innerhalb der reden über den eigent- 
lichen gegenstand der klage hatte Pankleon seine behauptung gemacht, 
Aristodikos sie durch einen zeugen widerlegt. um nun das urteil zu 
verhindern, hatte Pankleon vor der abstimmung die klage falschen zeug- 
nisses wider jenen zeugen erhoben.’) allein das war nur eine finte ge- 
wesen, um zeit zu gewinnen. er liefs die frist verstreichen, die für die 
angemeldete klage gesetzt war, und so ward er rechtskräftig in der 
hauptsache verurteilt. statt nun dem Aristodikos zu zahlen, entwich er 
auf eine weile nach Theben, wo er natürlich nicht als Plataeer sondern 
unter irgend einer andern fingirten herkunft als metoeke lebte. schliefs- 
lich zog er doch vor sich mit Aristodikos zu vergleichen, der froh sein 
mochte, einen teil seiner forderung zu erhalten, und kehrte nach 
Athen heim. 

Diese ganze geschichte, die höchstens beweist, dafs Pankleon kein 
Plataeer ist, hat nicht viel auf sich; der kläger hatte wol, ehe er die 
stärkere position durch Nikomedes erhielt, schon Aristodikos als zeugen 
gewonnen und mochte ihn nun nicht fallen lassen. der redner findet 
auch nur mit einer gequälten wendung den übergang zu dem handel 
des Aristodikos®) und bricht kurz ab, mit einem wirkungsvollen “das 
wird genügen; wenn ihr esim gedächtnis behaltet (nicht durch die winkel- 
züge des nun auftretenden Pankleon verwischen lafst), so werdet ihr 
nach recht und wahrheit entscheiden; nur darum bitte ich”.%) was 


7) Ueber die modalität der driioxnyis wevdonaprugov ist jetzt klarheit durch 
Aristoteles col. 37. das urteil wird natürlich trotzdem sofort gefällt, aber nur in 
eventum. rechtskräftig wird es erst, wenn entweder die (uns wol unbekannte) frist 
für die einreichung der klage verstrichen ist, oder der drsıoxmwausvos in ihr unter- 
legen. dann mufs auf antrag der obsiegenden partei formell die rechtsgiltigkeit des 
urteils ausgesprochen sein. das ist hier since xaradındaaodas avrov Tor Apı- 
oTodıxor. 

8) 13 "bewiesen ist, dafs er sich nicht von fern selbst für einen Plataeer hält; 
nun sollt ihr erkennen, dafs er sich auch nicht einmal getraut, euch zu diesem 
glauben bestimmen zu können’. 


9) old’ Orı va Ta dinasa xal raindn ynpuiode: & xal (kai & X) dym vucr 


11. 10. Die nagaygayıy und Lysias gegen Pankleon. 373 


werden sie entscheiden? der herold wird rufen “die hohle für den 
ersten redner, die volle für den zweiten”. das bedeutet, “wer urteilt, 
dafs Pankleon kein Plataeer ist, gebe die hohle ab”.') und wenn er 
kein Plataeer ist, geht dann der procels zu der eigentlichen klage weiter? 
bewahre. dann nimmt Nikomedes seinen entlaufenen sclaven beim kra- 
gen und zieht mit ihm ab: bier wird keiner sein, der die vindicatio 
in libertatem wagt, und im gerichte ist die rotte Pankleons machtlos. 
der vogel ist im garn: diese stimmung erheitert den redner im voraus. 
der sclave kann freilich nicht vor dem polemarchen belangt werden; in 
sofern hat der ganze ursprüngliche rechtshandel keinen zweck mehr; 
daher kein wort über ihn. aber der in zukunft für seinen sclaven haft- 
bare Nikomedes ist im einverständnis mit dem kläger, offenbar schon 
im einverständnis mit ihm gewesen, als er Pankleon greifen wollte. 
über den alten handel des klägers mit jenem haben sich die beiden 
längst irgendwie verständigt, und das ist ihre sache. Pankleon der schlaue 
war diesmal allzuschlau. er wollte sich mit der einspruchsklage um den 
procels drücken: jetzt führt sie dazu, dafs der procels freilich hinfällig 
wird, aber Pankleon seinen personalstand statt zum bürgerrecht hinauf 
in die sclaverei zurückschraubt. ein hübsches bild aus dem attischen 
eben und dem atlischen gerichtswesen. 


deouas. die überlieferung ist falsch, erstens weil das dritte glied kein gleichstehendes 
noch ein drittes sein kann, “was ich bitte’ neben “wahr” und ‘gerecht’; zweitens 
weil dann die rede keinen klangvollen abschlufs hat. was er bitlet, ist eben nur 
die stimmabgabe für gerechtigkeit und wahrheit. mit der bitte, direct ausgesprochen, 
tritt der redner von der bühne. 

10) Arist. pag. 37,14. Aischines 1,79 darf nicht den eindruck erwecken, als 
wäre bei dem heroldruf das materielle der klage namhaft gemacht, obwol er sagt, 
76 dx TOD vönov xnpvyua “Tor yıymv 1 rergunnuden, Org Ödoxel nenogvsvodas 
Tinagxgov, % 88 rArens, ürp un”, denn er fingirt eine abstimmung ohne reden. 


11. 
LYSIAS WIDER DIE GETREIDEHÄNDLER. 


Ich habe nichts besonderes zu sagen, aber ich kann mich nicht 
enthalten, diese rede zu erläutern, aus der ich mehrfach für Aristoteles 
facta ausbeben mufste. die reden sind wirklich damit nicht erschöpfi, 
dafs man an ihnen die secundanergrammiatik übt oder die sophistische 
rhetorik erläutert. 

Die rede ist gehalten 386 in den ersten monaten, während über 
den Antalkidasfrieden in Sparta verhandelt ward, aber die entscheidung 
noch nicht gefallen war.') der rat, der in ihr als kläger auftritt, ist 
der, welcher jene schmach auf Athen geladen hat, im frühjahr 387 von 
den demen praesentirt, und der wert, den die rede für die zeitgeschichte 
hat, liegt darin, dafs wir sehen, wie die teuerung, die dem attischen 
städter viel mehr als dem bauern, den hohe getreidepreise nicht drücken, 
empfindlich war, die widerstandskraft gelähmt hat, obwol nach dem sturze 
des Thrasybulos gerade die radicalen oben auf waren. einer von ihnen 
begegnet uns hier: sie lıaben in kürzester frist das staatsschiff zum 
stranden gebracht. 

Der rechtshandel ist folgendermafsen verlaufen. es gieng beim rate 
eine denuntiation (&ydeısıg) wider eine gilde (ein x0:90%) von getreide- 
händlern ein, dahin gehend, dafs diese gröfsere bestände von korn als 


1) Die zeit folgt aus 14 in verbindung mit der nunmehr ermittelten chrono- 
logie der um den frieden gruppirten tatsachen, wie sie z. b. die zeittafel in Iudeichs 
kleinasiatischen Studien richtig angibt. es stimmt, dafs der winter des letztver- 
gangenen atlischen jahres (Pyrgion: es ist arg, dafs ein historiker Pyrrhon schreibt) 
Ö ngöTepos ysıuwv ist, 8. übrigens mufs damit von den historikern gerechnet werden, 
dafs im winter 388,7 die teuerung schon da war. der Plutos, der anfang 388 in 
Athen seinen einzug gehalten hatte, ist durch Agyrrhios und seine leute rasch ver- 
trieben worden. 


EN IM. 11. Lysias wider die getreidehändler. 375 


9 gesetze erlaubten 50 trachten (poguoi)”) auf einmal gekauft 
‘als die prytanen die sache vor das plenum brachten, fanden 
‚heifssporne, die das todeswürdige vergehn für manifest hielten 
klagten ohne weiteres den elf zur binrichtung übergeben 
ang aber der antrag eines ratsherrn, aus einer der nicht 
_„afen plhıylen, durch, dafs der rat zunächst eine voruntersuchung 
«öıs’)) vornelmen sollte. die verklagten wurden also citirt, und in dieser 
“"verhandlung sind die aussagen gefallen, die der redeschreiber, gleich als ob 
sie in der hauptverhandlung schon gefallen wären, seiner rede einverleiben 
konnte (5). die verklagten waren der tat geständig, beriefen sich aber auf 
die autorisation des Anytos, der 388/7 oızogpvlas im Peiraieus gewesen 
war. auch dieser sammt seinen collegen ward vernommen, konnte auch 
nicht leugnen (weshalb der redner seine künftige aussage vor dem ge- 
richte kennt), wollte aber mit der anweisung ganz etwas anderes gewollt 
haben. der rat sprach die xarayvywoıg aus, und nun gieng die &ydeudıc 
als xarayvywaoıg (les rates an die thesmotheten, die ein gericht beriefen; 
ankläger ist formell der rat‘), tatsächlich der antragsteller, dem auch 
als solchem bei der vorverhandlung das wort zugefallen war. der denun- 
tianten geschieht keine erwähnung mehr. 
Die kornhändler hatten gegen das gesetz verstofsen, also waren sie 
schuldig; aber sie hatten getan, was sie ein grolser volksmann und ihr 


2) Es ist nicht Boeckhs schuld, wenn ihm gedankenlos nachgeredet wird, dafs 
der Yoguos so viel wie ein uedıuros wäre. er gibt (Sthh. I 116) seine gründe an, die 
darauf hinauslaufen, dals Taylor zu Lysias Yopaos mit cumera vergleicht, und Acro 
(auch ein zeuge!) diese auf 5—6 modien berechnet. beweist das etwas? ferner 
meint Boeckh, ein medimnos könnte wol für eine tracht gelten; 80-90 pfund sind 
aber wirklich für einen lastträger herzlich wenig. vor allem aber bedeutet Yoguos 
eben nicht last, sondern ein instrument zum tragen, speciell einen korb, und Taylors 
vergleichung schwebt in der luft. damit dafs die Aegypter ein getreidemafs haben 
sollen, das ein gewicht von 110— 120 pf. repraesentirt (Hultsch Metrolog. 106), ist 
der Boeckhsche Yoguos doch nicht gewährleistet. wir kennen das gewicht des 
Ypoguös nicht; übrigens war es zunächst gar kein gewicht, sondern ein mals. dafs 
es nicht gleich asdsuwos war ist an sich klar, wozu denn sonst ein neues wort? es 
folgt zudem aus 12, wo xara uedıuvor im gegensatze zu xara » yopuovs steht. 

3) Keioss selbst steht 3, also ist 2 ov deiv avıovs axpirovs anolmlsvaı ganz 
scharf technisch gesagt. 

4) 6 nueis Tuiv nagpeoyousda To» vönov. die klageschrift wies also auf 
1) den vom rate festgestellten tatbestand, 2) die gesetze, gegen die der angeklagte 
verstolsen hatte, 3) das vorurteil des rates. somit hatte der vertreter des rates im 
wesentlichen nur deshalb zu reden, weil die herren richter die acten nicht gelesen 
hatten, sachlich konnte die verhandlung nichts neues bringen. 


11, 
LYSIAS WIDER DIE GETREIDEHÄNDLER. 


Ich habe nichts besonderes zu sagen, aber ich kann mich nicht 
enthalten, diese rede zu erläutern, aus der ich mehrfach für Aristoteles 
facta ausheben mufste. die reden sind wirklich damit nicht erschöpft, 
dafs man an ihnen die secundanergrammatik übt oder die sophistische 
rhelorik erläutert. 

Die rede ist gehalten 386 in den ersten monaten, während über 
den Antalkidasfrieden in Sparta verhandelt ward, aber die entscheidung 
noch nicht gefallen war.‘) der rat, der in ihr als kläger auftritt, ist 
der, welcher jene schmach auf Athen geladen hat, im frühjahr 387 von 
den demen praesentirt, und der wert, den die rede für die zeitgeschichte 
hat, liegt darin, dafs wir seben, wie die teuerung, die dem attischen 
städter viel mehr als dem bauern, den hohe getreidepreise nicht drücken, 
empfindlich war, die widerstandskraft gelähmt hat, obwol nach dem sturze 
des Thrasybulos gerade die radicalen oben auf waren. einer von ihnen 
begegnet uns hier: sie haben in kürzester frist das staatsschiff zum 
stranden gebracht. 

Der rechtshandel ist folgendermalsen verlaufen. es gieng beim rate 
eine denuntiation (&vdeıdıg) wider eine gilde (ein x0:0v) von getreide- 
händlern ein, dahin gehend, dals diese gröfsere bestände von korn als 


1) Die zeit folgt aus 14 in verbindung mit der nunmehr ermittelten chrono- 
logie der um den frieden gruppirten tatsachen, wie sie z. b. die zeittafel in Iudeichs 
kleinasiatischen Studien richtig angibt. es stimmt, dafs der winter des letztver- 
gangenen attischen jahres (Pyrgion: es ist arg, dafs ein historiker Pyrrhon schreibt) 
6 ngöTapos gesuwv ist, 8. übrigens mufs damit von den historikern gerechnet werden, 
dafs im winter 388,7 die teuerung schon da war. der Plutos, der anfang 388 in 
Athen seinen einzug gehalten hatte, ist durch Agyrrhios und seine leute rasch ver- 
trieben worden. 


Il. 11. Lysias wider die getreidehändler. 375 


die vom gesetze erlaubten 50 trachten (poguoL)”) auf einmal gekauft 
hätten. als die prytanen die sache vor Jdas plenum brachten, fanden 
sich einige heifssporne, die das todeswürdige vergehn für manifest hielten 
und die angeklagten ohne weiteres den elf zur hinrichtung übergeben 
wollten. es drang aber der antrag eines ratsherrn, aus einer der nicht 
vorsitzenden plıylen, durch, dafs der rat zunächst eine voruntersuchung 
(xoloıg?)) vornehmen sollte. die verklagten wurden also citirt, und in dieser 
verhandlung sind die aussagen gefallen, die der redeschreiber, gleich als ob 
sie in der hauptverhandlung schon gefallen wären, seiner rede einverleiben 
konnte (5). die verklagten waren der tat geständig, beriefen sich aber auf 
die autorisation des Anytos, der 388/7 oırogviaS im Peiraieus gewesen 
war. auch dieser sammt seinen collegen ward vernommen, konnte auch 
nicht leugnen (weshalb der redner seine künftige aussage vor dem ge- 
richte kennt), wollte aber mit der anweisung ganz etwas anderes gewollt 
haben. der rat sprach die xarayywaıg aus, und nun gieng die &ydeusıc 
als xarayywoıg des rates an die thesmotheten, die ein gericht beriefen; 
ankläger ist formell der rat‘), tatsächlich der antragsteller, dem auclı 
als solchem bei der vorverhandlung das wort zugefallen war. der denun- 
tianten geschielit keine erwähnung mehr. 

Die kornhändler hatten gegen das gesetz verstofsen, also waren sie 
schuldig; aber sie hatten getan, was sie ein grolser volksmann und ihr 


2) Es ist nicht Boeckhs schuld, wenn ihm gedankenlos nachgeredet wird, dafs 
der poguos so viel wie ein asdıuvos wäre. er gibt (Sthh. I 116) seine gründe an, die 
darauf hinauslaufen, dafs Taylor zu Lysias Yoguos mit cumera vergleicht, und Acro 
(auch ein zeuge!) diese auf 5—6 modien berechnet. beweist das etwas? ferner 
meint Boeckh, ein medimnos könnte wol für eine tracht gelten; 80-90 pfund sind 
aber wirklich für einen lastträger herzlich wenig. vor allem aber bedeutet goguos 
eben nicht last, sondern ein instrument zum tragen, speciell einen korb, und Taylors 
vergleichung schwebt in der luft. damit dafs die Aegypier ein getreidemals haben 
sollen, das ein gewicht von i10— 120 pf. repraesentirt (Hultsch Metrolog. 106), ist 
der Boeckhsche Yoguos doch nicht gewährleistet. wir kennen das gewicht des 
Yoguös nicht; übrigens war es zunächst gar kein gewicht, sondern ein mals. dafs 
es nicht gleich zwedsuvos war ist an sich klar, wozu denn sonst ein neues wort? es 
folgt zudem aus 12, wo xara uedıuvo» im gegensalze zu xara v’popuovs steht. 

3) Keicıs selbst steht 3, also ist 2 ou delv adrovs dxpitovs anolwlevas ganz 
scharf technisch gesagt. 

4) 6 nueis Tuiv nageayousda Tov vouov. die klageschrift wies also auf 
1) den vom rate festgestellten tatbestand, 2) die gesetze, gegen die der angeklagte 
verstofsen hatte, 3) das vorurteil des rates. somit hatte der vertreter des rates im 
wesentlichen nur deshalb zu reden, weil die herren richter die acten nicht gelesen 
hatten, sachlich konnte die verhandlung nichts neues bringen. 


376 IN. 11. Lysias wider die getreidehändler. 


nächster aufsichtsbeamter geheifsen hatte. es war unrecht, wenn man 
sie bülsen liefs, es war ein skandal, wenn man sie allein bülsen lief. 
der redner empfindet das, aber er schlüpft darüber mit der schönen 
phrase weg, die schuldigen müfsten unter allen umständen bestraft wer- 
den; übrigens würden sie sich gar nicht mit der berufung auf Anytos 
weifsbrennen wollen. das ist eine oflenbare unwahrheit; das von ihm 
selbst angeführte verhör zeigt es. die entschuldigung des Anytos ist dem 
redner selbst nicht sehr triftig erschienen (10), aber er gibt sie doch 
des breiteren wieder. sie ist allerdings sehr gewunden und wird erst 
in verbindung mit einigen späteren aussagen (17) ganz verständlich. das 
gesetz, welches den kornländlern ein maximum für ihre einkäufe setzte, 
war erlassen, um die ansammlung von grofsen massen getreides in einer 
hand zu verhindern, um die concurrenz zu heben und die weitaussehende 
speculation zu unterbinden. sind es viele kleine händler, so leben mehr 
davon, und sie können uns nicht die preise machen, dachten diese national- 
oekonomen. vielleicht gieng es auch gut in den zeiten, wo überflufs 
von zufuhr in den hafen kam. aber wenn nun ein lastschiff langersehnt 
ankam und den preis fordern konnte, wie ihm die not gestattete, da 
trieben sich die händler in die höhe, froh zu jedem preise ihre 50 körbe 
zu erhandeln und sicher dem hungrigen publikum immer noch mehr 
abfordern zu können. da waren die schwankungen des preises vielleicht 
das peinlichste, und so sehr man fluchte: der händler, der heute seine 
50 körbe gut eingekauft hatte, mulste plötzlich ungemein aufschlagen, 
weil ihm der importeur, dessen schiff im &ureogıov lag, die nächsten 50 
um so viel teurer machen konnte. da bekamen die nationaloekonomen 
zu fühlen, dafs nur der capitalkräftiige grofshandel den preisen einige 
stätigkeit geben kann. und es war ganz brav, dafs der alte volksfübrer 
Anytos die stelle als geropvAad nicht verschmähte, obgleich die volkswut 
in den schlechten zeiten den posten lebensgefährlich gemacht hatte. es 
war auch sehr verständig, wenn er den getreidehändiern den rat gab 
“bildet einen ring gegen die importeure (ovwloraosaı Ertl rovg du- 
zeögovg 17); treibt euch nicht gegenseitig hinauf; wenn sie ankommen, 
und ihnen einhellig nur ein und derselbe preis für ihren weizen geboten 
wird, müssen sie schon zuschlagen: hinaus aus dem hafen darf das ge- 
treide ja nicht”. aber das gesetz der 50 kürbe? die sache gieng ja 
nur, wenn die kornhändler gröfsere lager halten konnten; sie wollten 
doch auch einen profit und einige sicherheit. da liefs Anytos das gesetz 
schlafen, und eine weile ist es gut gegangen: es hat ihn keiner bei der 
euthyna belästigt. das erzählt er nun allerdings nicht vor dem rate, 


II. 11. Lysias wider die getreidehändler. 377 


sondern er will ihnen nur in der teuren zeit geraten haben, sich nicht 
gegenseitig zu überbieten, lediglich um den consumenten billigeres korn 
zu schaffen: sie hätten ja nur einen obolos am scheffel profitiren sollen’) (8). 
damit ist die frage noch nicht beantwortet, und höchstens seine tendenz 
gerechtfertigt “ dafs sie grofse getreidelager aufspeicherten, hätte er nicht 
beabsichtigt, sondern lediglich billige getreidepreise (10)”. das wäre auch 
ihre intention gewesen, konnten die kläger sagen und sagten sie auch (11), 
aber dazu mulsten sie sich zusammentun und konnten nicht heute 50 und 
morgen wieder 50 körbe kaufen. die sache war klar, sollte man meinen, und 
der rat mitsammt seinem sprecher handeln wider jede gerechtigkeit, wenn 
sie den thesmotheten nur eine xaraxsıporovia wider die denuntiirten, 
nicht wider Anytos übergeben haben. das formelle recht machte ihn 
vielleicht, als Aoyov xal eusuvag dedwxws, straffrei; doch darauf in- 
sistirt der redner nicht, sondern er wendet auch das nur wider die ver- 
klagten. als er Anytos schou aufgerufen hat (9), bringt er noch den 
gedanken vor “er hat im vorjahre mit ihnen verhandelt, das delict ist aber 
in diesem begangen’ .*) 

Wenn denn aber die mafsregel wirklich höchstens den preis ge- 


5) Jsiv yag oBolg nwAsiv Tınioregov. d.h. er sagte ihnen orvwwsicde un 
drrovovusvos allnioıs‘ Erırgenw vuiv, alla oBoAp uOvov Tıuiotepgov nwÄsite, 
das kann er wirklich gesagt haben; bei gröfserem umsatz brauchten sie am scheffel 
weniger profit. er kann es auch jetzt blofs vorgeben. der obolos kann ein starker 
ausdruck sein, den niemand wörtlich nehmen darf. ein gesetz aber daraus zu 
machen, das den geschäftsgewinn in den billigsten zeiten auf 3% setzt und mit 
dem steigen des wertes der waare immer tiefer sinken läfst, ist an sich sinnlos und 
hat weder an diesem texte noch sonst irgend welche gewähr. aber nötig ist der 
zusatz (xav) 0ßoAo meines erachtens nicht. 

6) Hinter Ayvrov udervga napefouaı erwarten wir, dafs auf einen wink der 
herold den zeugen vorführe, und Fuhr bemerkt, Lysias mache hinter solcher wen- 
dung keine worte mehr. es geht auch weiter xa} ovros usw, also Anytos ist jetzt 
da; es ist eine pause davor. deshalb aber sind doch die folgenden worte wahr- 
haftig nicht unecht, wer sollte sie denn interpoliren? eine rede ist kein schulaufsatz, 
sondern auf drroxgsass berechnet. es ist ein wirksamer gedanke in ihnen, er steht auch 
an einem wirksamen platze, aber es lag nicht im interesse des redners, auf ihm zu 
verweilen. so bringt er ihn geschickt, als fiele er ihm jetzt noch ein, in einer 
kunstpause nach. fasse ich ihn aber so richtig, so kann der satz nicht mit xal @s 
ovros uev — eins dem vorhergehenden zaprvea napekouas untergeordnet werden; 
weder soll Anytos bezeugen, dafs das delict erst nach seinem amtsjahre begangen 
sei, noch kann in dem satze, in dem er ideelles subject ist, ovros von ihm gesagt 
werden. also ist @s zu streichen. — ich möchte noch ein wort beseitigen, gleich im 
anfang roAloi uoı ngoaeinArdtacıv Havuuborres orte — narnydgovr, [xai] Aeyovres 
örs xtö. die copula ist falsch, E&Fargato» yap Adyowzes Orı. 


378 Il. 11. Lysias wider die getreidehändler. 


drückt hatte, woher der ingrimm wider die getreidehändler? das kommt 
hinterher heraus. den importeuren war die sache natürlich äufserst un- 
erwünscht, denn wenn ihnen eine geschlossene und capitalkräftige gilde 
athenischer (d. h. ortsanwesender) getreidehändler gegenübertrat, der staat 
aber ihre frachten festhielt, sobald sie im Peiraieus lagen, so machten 
sie nicht mehr den preis; sie waren aber eine längst bevorrechtete gilde 
und waren gewohnt zwar mit grofsem risico, aber mit ganz unverhält- 
nismäfsigem gewinne zu arbeiten. Athens gesetzgebung zeigt, wie zart 
man sie behandelte; die zeit der teuerung 330—27 zeigt, welche macht 
sie hatten. wenn Athen politisch mächtig war, sicherte es sich die freie 
verbindung mit dem Pontos und, so gut es gieng, mit den andern korn- 
ländern. dann wohnten genug grofshändler und kleinhändler im Pei- 
raicus, und die preise waren entweder nicht hoch, oder das volk war 
doch kaufkräftig genug, sie zu zahlen. dann sind die &£wrrogoı keine 
macht. aber jetzt war die zufuhr bedroht, und der frieden, der in sicht 
war, gab die eroberungen des Thrasybulos preis. da galt es mit den 
importeuren gut zu stehn, und ihnen opferte man zwar nicht den Anytos, 
aber wol die kleinen getreidehändler, usroıxoı avdewrro. (was jene auch 
waren) und xazendoı (was diese nicht waren, wenn man sie gewähren 
liefs, wie Anytos). diesem interesse dient der sprecher, und für die 
grofshändler hat Lysias diese rede geschrieben. 

Die rede wollen wir nun betrachten, das sophistenwerk, das nicht 
als ein schaustück von zra3og und n9og, um der deıvorrg oder xagıs 
willen geschrieben oder publieirt ist, sondern um den procels zu ge- 
winnen und dann um politische stimmung zu machen. der verfasser 
liefert nur für gutes geld seine feder; die ihn bezahlten, hatten es: er 
ist ein mensch ohne jede persönliche gesinnung. darum kann er hinter 
dem sprecher verschwinden. dieser empfindet, dafs die denuntiation, zu 
deren wortführer er sich gemacht hat, etwas gehässiges hat, deshalb tut 
er so, als wäre er der vertreter des stricten rechtes, spreche es nun für 
die angeklagten oder gegen sie. das hatte er bei der vorverhandlung 
bewiesen, als er wider den antrag auf kurzen procefs sprach, und bei 
der xeioıs, wo man ihn, den angeblich für die angeschuldigten inter- 
essirten, allein auftreten sah. hoffentlich ist das erste aufrichtiger ge- 
meint als das zweite, denn wenn er den antrag auf eine xoloug gestellt 
hatte, so war es einfach seine sache, sie in die hand zu nehmen, wie 
er sie jetzt führt. dann recapitulirt er die beweisaufnahme, brüsk gegen 
den metoeken; aber Anytos wird mit sammtpfötchen angefalst, wie wir ge- 
sehen haben. und mit grofser schlauheit wird dann die rede auf das volks- 


Ill. 11. Lysias wider die getreidehändler. 979 


freundliche gebiet hinübergespielt, und sogleich werden die herren richter 
an die teuerung erinnert, bei der der preis oft an einem tage um mehr 
als eine drachme wechselte: als ob das nicht gerade Anytos hätte ver- 
meiden wollen.) und nun geht es in dem breiten bette der gemeinen 
aufwiegelung des volkes wider die “kornwucherer”, von denen jeder von 
selbst schon weils, dals sie den strang verdienen, bis zu dem gemeinen 
schlusse “schlagt sie tot, dann wird das brot billiger”. das ist häfslich: 
aber ganz ekelhaft wird es, wenn hinter dieser sorte volksfreundlichkeit 
die rücksicht auf die grofskaufleute hervortritt. “ was werden die sagen, 
wenn ihr diese hier freilalst, die gegen sie sich zusammengetan haben. 
ihnen tut ihr mit der verurteilung einen gefallen. 

Ob die armen teufel haben bluten müssen, wissen wir nicht. aber 
den Athenern ist es ergangen, wie es ein volk verdient, das solche politik 
macht und solche redner unter sich aufkommen läfst, wie diesen Lysias. 
das heilst, gut ist die rede; sein honorar hat der advocat verdient. mehr 
wollte er nicht: höher dürfen wir ihn aber auch nicht taxiren. 


7) Es kann keine rede davon sein, dafs der redner für die preisschwankungen 
wirklich zeugen vorgeführt hätte: dann würde er auf der zeit, wo sie vorkamen, 
haben insistiren müssen, denn davon hieng alles ab. überliefert ist aber auch nichts 
als xad zovrwv vuas uaprvugas napexonaı, was Markland nicht wissen konnte und 
trotz Bekker bezweifelt und verworfen ist. Fuhr vermisst vuas auzovus, weil es 80 
12, 74 steht. schwerlich ist das genügend, und dann wäre der zusatz immer noch 
besser als die klärlich auf einem irrtum beruhenden conjecturen. — eine sichere athe- 
tese hat mir Kaibel mitgeteilt, 5 nieio oiTov avungacdas [nevrnxovta Yopumr) 
av Ö vöuos drrayogsvsı, aus 6 eingesetzt. — 18 ist mit Frohberger zu schreiben 
noAlay 1.0n Exdszow Tavınv ın9 alriav all’ auypioßnroivrav xal uaprvgas 
nagsyousvow, obwol all’ augıaßnrovros für Auußavesw überkühn scheint: der sinn 
ist unzweifelhaft und von vielen anerkannt, die worte liefert das gesetz über die 
Evdsxa (Ar. 52,1), das der redner in dieser ganzen partie im sinne hat, 


12. 
ISOKRATES PANEGYRIKOS 100 —114. 


Zeit der Ein panegyrikos ist für eine panegyris bestimmt: das liegt im 
rede namen. Isokrates wollte den seinen freilich nicht selbst halten, aber er 
tat doch so, und das buch sollte zu dem feste erscheinen, und der jahr- 
markt gab die beste gelegenheit es unter die leute zu bringen. also 
haben wir, wie für eine tragoedie ein Dionysosfest, so für einen pane- 
gyrikos eine panegyris zu suchen, wenn wir ihn datiren wollen. mit 
y einer so einfachen überlegung ist die schönste rede des Isokrates auf 
die hundertste olympiade, spätsommer 380, festgelegt. denn dafs die 
olympische panegyris gemeint ist, folgt daraus notwendig, dafs diese rede 
auf die olympischen reden des Gorgias und Lysias bezug nimmt, zu 
ihnen in concurrenz tritt und sie überwindet. selbstverständlich ist ein 
buch, das im august erscheinen soll, etliche monate vorher “im manu- 
script abgeschlossen’, und ein mühsam arbeitender schriftsteller wird 
ganze partien schon viel früher angelegt und ausgeführt haben, wenn 
auch bei der schlufsredaction alles eine gemeinsame politur erhielt. es 
ist selbst bei den rasch gearbeiteten komoedien gut, solche notwendigen 
umstände nicht zu vergessen, wenn man die einzelnen anspielungen mit 
dem tage der aufführung zusammenhält: wie viel mehr gilt es hier. 
die beabsichtigte wirkung ist dabei natürlich doch eine einheitliche, 
und 380, auf der höhe seiner kraft, konnte Isokrates auch die uneben- 
heiten ausgleichen, die er als greis ruhig stehn liefs, als er mit der rede 
nicht fertig wurde, die zu den panathenaeen 342 erscheinen sollte; 
damals haspelte er den faden immer weiter; 338 mag die rede, wie sie 
ist, auch ausgegeben sein, aber da war gerade so ungeheures teils ge- 
schehen, teils im werke, dafs sie am feste post festum kam.’) _. 


1) Der Panathenaikos, der von den verwickelungen von 338 noch gar keine 
spur zeigt, ist besonders belehrend: sollen wir etwa glauben, er wäre für die kleinen 
panathenaeen 339 bestimmt gewesen? der steinalle mann schreibt da gewisser- 


Zeit der rede. gel 


Der Panegyrikos ist publicistisch ein werk allerersten ranges. so 
hat ihn seine zeit geschätzt, und wer in ihm nichts als die melodischen 
perioden hört, verdient den vorwurf nichts als ein rhetor zu sein (und 
kaum ein so melodischer) viel mehr als der verfasser. ohne diese 
bearbeitung der öffentlichen meinung wäre die stiftung des zweiten 
seebundes schlechthin undenkbar gewesen. darum ist das an sich un- 
erfreuliche politische leben des vierten jahrhunderts so überaus belehrend, 
auch für das politische urteil über moderne dinge, weil sich in ächt- 
hellenischer weise die ganze zerfahrene unschüne vielgeschäftige mache 
eines grolsen prefsmanövers in einer rede, in einem kunstwerke con- 
densirt. aber weil das kunstwerk in seiner geschlossenheit und seiner 
avrapxeıa vor uns steht, läuft man so leicht gefahr zu vergessen, dals 
erst die einsicht in die gesammte politische situation das prefserzeugnis 
wirklich verständlich macht, wozu einige kenntnisse, einige phantasie und 
auch einige politische einsicht nötig ist. so lange uns die steine noch 
nicht ermöglicht hatten, die plane und die erfolge des Thrasybulos in 
den alten reichsstädten zu erkennen, und die beziehungen Athens zu 
Chios im dunkel lagen?), fehlten die nötigen kenntnisse. so lange der 
moderne beurteiler den horizont der schulstube oder des hörsaals oder 
eines in patriarchalischer bevormundung still lebenden gemeinwesens 
von sich auf den redner übertrug, fehlte die möglichkeit des politischen 


mafsen die geschichte seines buches mit dem buche zugleich. die anstölse, die 
Iudeich (kleinas. stud. 137) an der herkömmlichen datirung des Panegyrikos nimmt, 
erledigen sich so von selbst. die kyprischen dinge aber sind mir noch nicht klar 
geworden. 

2) Die urkunden lassen keinen zweifel daran, dafs Chios gerade wie 412 gegen, 
so 395 und 385 für Athen das schwerste gewicht in die wagschale gelegt hat, und 
440, im samischen kriege, ist es vermutlich nicht anders gewesen. so wird die 
beurteilung des Isokrates gerechtfertigt, die er in sehr bedeutsamer weise 139 ab- 
gibt “der Perserkönig hat allerdings durch seinen anschlufs an eine der beiden 
hellenischen grofsmächte dieser das übergewicht gegeben; aber er ist deshalb noch 
lange kein an sich furchtbarer gegner, da man genau dasselbe auch von einem 
kleinstaat (zıxga dvwanıs) wie Chios sagen kann”. wie darin eine schmeichelei für 
Chios liegen soll, die gar ein angeblich zur zeit gespanntes verhältnis ins gleiche 
bringen sollte (Iudeich 265), ist unerfindlich, viel eher kann man darin die zurück- 
weisung von ansprüchen auf gleichberechtigung sehen. aber es ist ja nur die wahr- 
heit; Isokrates kannte diese verhältnisse gut, da er in Chios selbst gelebt hatte, was 
ich nicht bezweifele. — es ist dies der paragraph, der das wort dsuxevdrs mit 
Xenoph. Hell. V 2,36 gemein hat: weiter nichts, und das kann wirklich nichts be- 
weisen. ich bekenne, dafs ich mich früher durch die autorität Nitsches habe be- 
stimmen lassen, auf den anklang etwas zu geben. 


lassun 


rede. 


982 II. 12. Isokrates Panegyrikos 100—114. 


urteils. es ist dieselbe ehedem notwendige jetzt nicht mehr existenz- 
berechtigte enge des horizonts, die für Demosthenes in einer abstracten 
moralischen bewunderung erstarb, in Isokrates aber nur den schönredner 
sah. der advocat und parlamentarier wird moralisch verlieren, der 
publicist an bedeutung gewinnen: dagegen der rednergröfse beider wird 
kein abbruch getan, wenn wir die menschen menschlich, die Hellenen 
hellenisch sehen. 

Thrasybulos von Steiria hatte es 390 versucht, das Reich zu er- 
neuern, mit unzulänglichen mitteln und in demselben braven aber be- 
schränkten glauben, dafs in der demokratischen reichspolitik des fünften 
jahrhunderts das alleinige heil läge, in dem er seiner meinung nach 
das vaterland 403 gerettet hatte. und wirklich machte es einen ge- 
waltigen eindruck, als endlich einmal wieder eine athenische flotte in 
den gewässern erschien, die sie einst beherrscht hatte. aber wenn 
Thrasybulos an die zeiten vor 412 anknüpfte, so beschwor er damit 
selbst die coalition zwischen Persien und Sparta herauf, und ein wirklicher 
staatsmann hätte für diesen fall gerüstet sein müssen; sein plötzlicher 
tod vor dem feinde war für Thrasybulos ein glück. zu hause hatte man 
sich den ausschweifendsten hoffnungen hingegeben, und 388 führte 
Aristophanes, der alt und elırbar geworden war°), einen alten schwank 
wieder auf, der die wiederkehr des Reichtums sehr verfrüht feierte. 
wenn der gott Plutos gekommen wäre und hätte nur dies aristophanische 
gesindel in Athen gefunden, das an den eigenen geldbeutel und nicht 
an den schatz der burg denkt, so würde er es nicht lange auf erden 
ausgehalten haben. aber er kam nicht. an den Olympien desselben 
jahres erlaubte sich der sophist Lysias die törichte demonstration, den 
seit jahren einander bekriegenden Hellenen eine gemeinsame intervention 


/zu gunsten der befreiung Siciliens von dem joche des Dionysios vor- 


zuschlagen, des mannes, ohne dessen energie Sicilien längst karthagisch 
gewesen wäre. Lysias war syrakusanischer herkunft und seit 403, so 
weit die advocatur ihn nicht bestimmte andere töne anzuschlagen, mit 
der radicalen partei in Athen eng verbunden, ohne doch je eine per- 
sönliche geltung zu gewinnen. in wie weit er mit dieser rede be- 
stellte arbeit lieferte, mag dahinstehn: Dionysios hatte jedenfalls das 
recht, die leitende radicale partei Athens für diese tactlosigkeit ver- 


3) Er hat es sogar bis zum ratsherrn gebracht, denn ich sehe nicht ab, warum 
wir einen gleichnamigen verwandten in dem prytanen Apsoropdvns Kudadıwassis 
sehen sollen, CIA 1I 865. die überlieferung des steines läfst allerdings kein sicheres 
urteil über sein alter zu. 


Veranlassung der rede. 383 


antwortlich zu machen und sich zu den feinden Athens freundlich 
zu stellen. damit ward der zusammenbruch der stolzen hoffnungen 
vollends unvermeidlich, und es war noch das gescheidteste, dafs Athen 
gute miene machte und den königsfrieden freiwillig annahm (anfang 
386). der verlust war materiell ohne zweifel durch den endlich erreichten 
frieden aufgewogen; aber moralisch mufste er unersetzlich erscheinen, 
denn nur Athen bekam die sclımach auf sein schuldconto, dafs Asien dem 
könige ausgeliefert ward, die inseln aber geradezu ins leere fielen: 
wenn keine flotte im aegeischen meere herrscht, gehört es den piraten.‘) 
. Sparta mochte den Persern in dem verzichte auf Asien eine wertvolle 
concession zu machen scheinen: die lonier wuflsten es besser, dals die 
plane des Lysandros und Agesilaos begraben waren, schon als dieser 
Asien räumte, und sein unfähiger schwager Peisandros sich von Konon 
schlagen liefs.®) in Hellas selbst aber erlielt Sparta freie hand, und es 
scheute sich nicht, von dieser freiheit jeden gebrauch zu machen. da 
von dem alten Spartiatenadel nur noch eine tyrannische oligarchie übrig 
war, und Agesilaos sich jetzt Jarein gefunden hatte, mit dieser oligarchie 
gemeinsam scrupellos jede gebutene chance auszunutzen, ohne höhere 
ziele zu verfolgen, so trieb man das spiel der persönlichen willkür 
schamloser und ideenloser als je, ohne dafs man auf mehr als localen 
widerstand stiels, der leicht beseitigt werden konnte. 

In Athen war unmittelbar naeh dem frieden eine völlige verwirrung, 
da es an führenden männern völlig gebrach, niemand den frieden als 
grundlage der zukunft ehrlich vertreten mochte, aber noch weniger 
jemand ihn zu brechen raten durfte. und doch war eben in den 
Hellenen, die der friede preisgab, eine von den eigenen lebensinteressen 


4) Isokr. 4, 115 xaranorrıoral nv Yalarrav xareyovsı. mit dem seeraub 
pflegen die historiker zu wenig zu rechnen. er verschwindet von selbst, sobald 
eine vormacht da ist, die eine flotte hat. das prestige von Rhodos im 2 jahrhundert 
beruht wesentlich auf diesem schutze des meeres, und es ist die schmach der rö- 
mischen oligarchie, dafs sie Rhodos die macht nimmt dem seeraube der Kreter und 
Kilikier zu steuern. von der verwüstung durch die piraten in dem jahrhundert 
zwischen L. Paullus und Pompeius haben die Kykladen sich bis auf den heutigen 
tag nicht erholt. 

5) Agesilaos hat sich mit viel höherem getragen, als sein leben gehalten hat, 
natürlich nicht mit nationalen, aber wol mit grofsen planen persönlichen ehrgeizes. 
und selbst als er den ephoren folgsam aus Asien umkehrte, hat er nicht auf sie ver- 
zichtet. das beweist das aufgebot der lonier, das er auf dem landmarsche mitnahm. 
erst der schlag von Knidos und der wertlose waffenerfolg von Koroneia bricht ihn: 
er entlälst die Jonier und ist seitdem nichts als der oberszlachtize in Sparta. fast 
ist es, als hätte die wunde von Koroneia sein nyeuovıxöv getroffen. 


384 III. 12. Isokrates Panegyrikos 100—114. 


auf Athen hingewiesene partei gegeben. wo anders konnten die armen 
Nesioten den rückhalt finden, dessen sie bedurften? wie sollten die 
Ionier ohne den handel Athens existiren, zumal Korinth, von dem wir 
nur zu wenig hören, durch den krieg vor den mauern und den bürger- 
zwist drinnen wirtschaftlich am meisten gelitten haben mulste. lediglich 
die handelsinteressen zwangen die städte, die sich zum teil schon an 
Konon, zum teil an Thrasybulos angeschlossen hatten, trotz dem königs- 
frieden mit Athen verträge zu schliefsen oder doch die mit Thrasybulos 
geschlossenen nach mafsgabe des königsfriedens neu zu redigiren. es 
war für Athen in der tat die einzige rettung, wenn es, zunächst in der 
form den königsfrieden wahrend, die fäden der thrasybulischen politik 
vorsichtig aufnahm und die alten Reichsstädte möglichst eng sich ver- 
band, gleichzeitig aber in Hellas vorsichtig abwartend Sparta gewähren 
liefs, damit dessen übergriffe negativ für eine neue constellation der 
mächte stimmung machten. dazu war zweierlei notwendig, erstens 
eine reorganisation der eigenen flotte, die ohne eine eröffnung neuer 
steuerquellen unmöglich war; zweitens eine rückeroberung der allge- 
meinen sympathien, die der königsfriede verscherzt hatte. und einen 
schatz besafs Athen immer noch, der in Susa und Sparta nicht nur 
fehlte, sondern mit keinen mitteln beschafft werden konnte: seine litte- 
ratur. nicht umsonst durfte es die capitale der geistigen bildung sein: 
seine litteratur mufste die öffentliche meinung gewinnen. diese aufgabe 
ist dem Isokrates zugefallen, ihr dient der Panegyrikos, und er hat die 
aufgabe glänzend gelöst: zwei jahre später kann der zweite seebund ge- 
stiftet werden, wird flotte und steuerwesen reorganisirt. das wort ist 
hier der tat vorangeeilt; man kann auch nicht sagen, dafs Isokrates die 
ideen eines bestimmten staatsmannes verarbeite; das tut er auch in den 
reden nicht, die er in den krisen nach dem bundesgenossenkriege und 
dem philokratischen frieden schreibt: er hat die empfindung des publi- 
cisten für den kommenden wind, mit dem das staatsschiff fahren will. 
das ist viel weniger, als er sich selbst zutraute, denn er wähnte, dem 
schiffe den curs zu geben. aber es ist doch ungleich mehr als ein 
blofser schönschreiber will oder kann. 

Ich hätte das alles nicht gerade nötig gehabt zu sagen ; aber es verdiente 
gesagt zu werden. wir haben es also mit einer politischen gelegenheits- 
schrift zu tun, die für Athens seeherrschaft, in welcher form auch immer, 
wirken will. die breite schilderung der freiheitskriege von 480 und die 
entfesselung des veralteten hasses gegen die barbaren ist allerdings zu 


“gutem teile phrase; die tatsachen der geschichte seit 412 stehen damit 


Verteidigung der reichspolitik. 385 


im grellsten widerspruch. aber die phrase maskirt sehr gut die gegner- 
schaft zu Sparta, die in Olympia nicht offen hervortreten durfte, übrigens 
‚ın sehr wirkungsvollen partien gleichsam wider willen des redners hervor- 
) leuchtet (122—32). dann aber lockte der ungleich berühmtere Epitaphios 
"des Gorgias den redner noch mehr zur concurrenz als der Olympiakos, 
an den es zunächst anknüpfte, und für die wirkung der rede als rhetorisches 
kunstwerk, das man zum genusse lesen könnte, hat der “panegyrische” teil 
das meiste getan. an ihn schliefst sich unmittelbar die partie, die ich 
erklären will, die verteidigung der athenischen Reichspolitik. denselben 
gegenstand hat Isokrates im Panathenaikos (62—73) behandelt, zwar 
im anschluls an seine berühmte schrift, aber doch so, dafs er nicht nur 
deren verständnis sichert, sondern auch einige ergänzungen gibt. 

Er beginnt mit der behauptung gewisser ankläger, dals die see- vertei- 
herrschaft Athens den Hellenen viel leid zugefügt hätte, wofür zum ee Fiaal 
belege die vernichtung der Melier und Skionaeer angeführt wird. der pollik, 
Panathenaikos fügt diesen noch die Toronaeer zu und nennt aufserdem 

| den gerichtszwang und die tribute. die widerlegung führt zuerst kurz 
ins feld, dafs die so hart behandelten staaten im kriege mit Athen ge- 
standen hätten (was von Melos in walırheit nicht gilt), und erklärt dann, 
dafs sich eine so grolse herrschaft ohne harte mafsregeln erfahrungs- 
mäfsig nicht aufrechthalten liefse. er stellt als kriterium für die qualität 
einer herrschaft das befinden der untertanen auf, dies aber in einer 
weise, Jie eine parallele herausfordert; und in der tat kann nur eine 
‚. vergleichung einen solchen beweis wirksam machen. diese folgt jedoch 
nicht, sondern es wird die wirtschaftliche blüte der städte unter Athen 
lebhaft geschildert, und die herrschaft als eine durchaus die formen des 
bundesstaates wahrende bezeichnet, weil der vorort jedem einzelnen 
staate sein selbständiges leben gelassen und nur für die durchführung 
derselben verfassung gesorgt hätte, eben aus der volksfreundlichen rück- 
sicht, dafs’ jeder bürger auch seine angeborenen rechte ausüben sollte, 
statt durch die gewaltherrschaft einer minderzahl in den metökenstand 
hinabgestofsen zu werden.°) ein siebzigjähriger friede (rund gerechnet, 

6) Das ist mit feinem politischen urteil gesagt, zois udv Tugawraiv, tovs da 
ueroxeiv xal piosı nolitas Övras voup ns nolırelas anootegsiodas, denn darin 
liegt was Aristoteles im eingange des dritten buches der Politik behandelt, wo er 
den begriff bürger zu definiren sucht: Kari yag is ös dv Önnoxparig noklıns wo» 
iv Ökıyapyia nollaxıs ovx dorı noAlans (1215° 2), und @anegp ueroıxos 0 Tav rıuav 
pn uerexwv (12772 38). wenn es nur gienge, würden wir wol zu hören bekommen, 
dafs Isokrates aristotelische gedanken gestohlen hätte; vielleicht findet sich ein ver- 

v. Wilamowliz, Aristoteles. II. 25 


x 


A 


384 II. 12. Isokrates Panegyrikos 100—114. 


auf Athen hingewiesene partei gegeben. wo ander 
Nesioten den rückhalt finden, dessen sie bedr 
Jonier ohne den handel Athens existiren, zu’ 

nur zu wenig hören, durch den krieg vor 

zwist drinnen wirtschaftlich am meisten 
die handelsinteressen zwangen die #t’ 
Konon, zum teil an Thrasybulos anr 
frieden mit Athen verträge zu sch 
geschlossenen nach malsgabe 

war für Athen in der tat die 
form den königsfrieden wr' 
vorsichtig aufnahm und. 
band, gleichzeitig aber 
liefs, damit dessen 


en, und den 

die wären viel 
Skione sogar den 
nnexionen aus gt 
s; andere Hellenen 

‚eben der vernichlung 

klar sein, auch wenn 

„a vorwurf der annexion 

er vorwurf der kleruchien it 
e argumentation verwoben, so dals 
.ınzelnen punkte vermieden ist. aber 
ergleichung einer anderen herrschaft. sie 
„„ndern der angriff richtet sich nun persönlich 
ıchens. “angesichis dieser tatsachen haben leute 
mächte sümmung .- ‚sen, die selbst in den zehnerschaften gewesen sin! 
eine reorganise‘ Dr aterstädte schmählich mishandelt haben. die leute 


steuerquellen eu sche gesinnung zu haben, aber ihre handlungen stehn 
meinen SyF . A Spruch.” und nun wird ein schwall von beschuldigungen 
schatz br . 


W gannten i anklägern ins gesicht geworfen, die allerdings zumeist 


fehlte, DH sind, wie sie sich tyrannen und oligarchen immer gefallen 
ratur Pop en, also auch die Dreifsig von Athen. individuell sind zwei 
sen Dr je haben einem einzelnen heloten wie sclaven gehorcht, damit 
ir 


„igenes vaterland unterjoche” und “sie haben in drei monaten 

r% "yürger ohne gericht getötet, als Athen während der ganzen zeit 

y berrschaft vor sein gericht gezogen hat”. diese leizte antithese 

em reiner so gelallen, dafs er sie im Panathenaikos wiederholt 

A doch so, dafs die Lakedaimonier statt der unbestimmten übeltäter 

zannt werden. bei wege wird übrigens auch hier der gerichtszwang 

der pündner als anklagepunkt gestreift, der in der jüngeren rede breiter 
pehandelt und gleich an den eingang dieser partie gerückt steht. 

Man braucht sich’s nur zu überlegen, um zu sehen, dafs hier in 

„ahrheit die erwartete parallele steht, eine andere herrschaft über die- 

selben städte, die allerdings geeignet war, selbst die regierungsweise 


treter der umgekehrten meinung, weil sie um der zeit willen möglich ist. in wahr- 
heit hat das politische leben und die gedankenarbeit der sophistenzeit beiden vor- 
gearbeitet, einen urlıeber des gedankens auch nur zu suchen ist ein müssiges spiel 

1) Das trifft auf die genannten orte und noch ein par, wie Histiaia Poteidaia 


Aegina zu, aber auf die mehrzahl nicht, Chersones Naxos Andros Eretria Lesbos: 
diese haben oflenbar nicht so viel böses blut gemacht. 


Verteidigung der reichspolitik. 987 


Kleons als milde und menschlich erscheinen zu lassen, die herrschaft 
der reaction unter den spartanischen harmosten und den oligarchischen 
dekarchien von 405—395. was man so findet, sagt der Panathenaikos 
mit klaren worten. aber so frei durfte die panhellenische rede 380 
nicht mit der sprache herausgehn, deshalb erfahren bestimmt gemeinte 
und den hörern kenntliche aber ungenannte 'ankläger Athens all die 
eigentlich den Spartanern zugedachten angriffe, und es wird sogar mit 
einer feinen wendung zwischen den guten Lakonen und den bösen 
lakonisten unterschieden. dafs in der tat die zeit vom fall des ‚Reiches 
bis zum königsfrieden hier geschildert werden soll, bestätigt sich in dem 
nächsten abschnitt, denn $ 115 setzt unmittelbar so ein: “auch der 
königsfriede mit seiner auf dem papier garantirten autonomie verdient 
vor unserer herrschaft nicht den vorzug.” dazwischen steht, scheinbar 
als ein verlorner gedanke “was jene getan haben, sind dinge die absolut 
nicht wieder gut zu machen sind: unsere härten hätte ein volks- 
beschlufs auszugleichen genügt”. Isokrates schreibt mit einer weithin 
reichenden und ins einzelne verfolgbaren disposition; auch hier hält und 
stützt sich alles gegenseitig, nur dieser gedanke, den er selbst als einen 
allgemeinen (zooovrov elneiv Eyxw xaF° ärcavrwy), einen capitalsatz, 
ein xepadAaıoy®) bezeichnet und an den schlufs stellt, fällt scheinbar 
heraus. das heifst, er mufs eine besondere bedeutung haben. wahrlich 
nicht als geschichtliche wahrheit; denn die erschlagnen Melier machte 
kein psephisma lebendig noch die verkauften frei: so angesehen ist es 
eine törichte phrase. das hört sie auf zu sein, wenn wir sehen, wie ein 
psephisma, das des Aristoteles, wirklich alle die beschwerden, die man 
gegen die Reichsverfassung erhoben hatte, beseitigt: die aulonomie in 
justiz und verwaltung wird zugestanden, die kleruchien und besatzungen 
werden verboten, die tribute, die nicht hier, aber im Panathenaikos be- 
rührt werden, als solche auch ausgeschlossen. gerade hier sieht man 
am deutlichsten, dafs Isokrates die tendenzen sehr wol kennt, die zwei 
jahre später den neuen bund begründeten, der allen befürchtungen der 


alten untertanen rechnung trug. auch der hafs gegen Sparta, der hier. 


mehr oder minder versteckt ist, steht in der bundesurkunde offen aus- 
gesprochen: der publicist hatte die öffentliche meinung gut bearbeitet. 


8) Ka’ andvrow sineiv sagt er hier, 114. xspalaıv tor sipnusvov steht 
am schlusse des Nikokles 62. dort ist es die zur gnome condensirte paraenese, 
hier das politische schlagwort. das mufste sich ein volksredner freilich erst noch 
etwas ummodeln, aber &» wr.gsoua navra rayxiınuara dsaktvasras war doch eine 


gute antwort auf alle bündnerischen bedenklichkeiten. 
25 * 


388 Il. 12. Isokrates Panegyrikos 100-114. 


Der gegner Nun zu den verkleinerern Athens, gegen die Isokrates streitet. es 
Isokrates. ist eine bestimmte person, oder vielmehr eine schrift eines mannes, den 
die hörer erraten sollen, wenn sie ihn noch nicht kennen. der mann 
hat den Athenern den vorwurf gemacht, dafs ihr Reich den bündnern 
zum verderben gereicht habe, wegen der gewaltsamen executionen (Skione 
Torone Melos), der kleruchien, der tribute, des gerichtszwanges, und 
(so können wir aus der verteidigung schliefsen, obwol die anklage nicht 
geradezu wiedergegeben wird) wegen der durchführung der demokratie 
in den stadtverfassungen. natürlich war die lage der bündner als sclaverei 
bezeichnet: so redet ja Thukydides sogar aus eigener person (z. b. I 98). 
dem gegenüber pries der oligarch die Spartiaten als freibeitsbringer und 
bekannte sich zu ihrer partei. geschrieben kann das vielleicht schon 
während der letzten agonie des Reiches sein; nach unten begrenzt es 
die schlacht bei Knidos. aber da die begeisterung für Sparta noch so 
grofs ist, muls man auf eine möglichst geringe bekanntschaft mit seinen 
harmosten schliefsen. für den mann, der dies geschrieben hatte, sind 
die anhaltspunkte: er nannte sich einen lakonisten, hatte zu den deka- 
darchen in seiner vaterstadt gehört, unter einem lakonischen harmosten, 
der niederen standes war, so dafs ihn Isokrates einen heloten nennen 
durfte, und war in dieser stellung mitschuldig an einer ungeheuren 
ınenge von freveln geworden, ja selbst die frist dieser untaten wird auf 
drei monate genau angegeben. dieser letzte zug ist indessen nicht ganz 
sicher, denn es ist eigentlich absurd, in jener einen stadt mehr blut- 
urteile gesprochen zu glauben als bündnerprocesse in Athen während 
siebzig jahren geführt sind. diese vergleichung pafst nur, wenn man, 
wie der Panathenaikos, die ganze reactionszeitl der lakonischen herrschaft, 
zehn jahre den siebzig, gegenüberstellt. aber die drei monate zwingen 
uns dazu, dem Isokrates eine solche vermischung zuzutrauen. die drei 
monate sind den “wenigen monaten’ sehr äbnlich, innerhalb deren nach 
[ Aristoteles (35, 4) die Dreifsig 1500 bürger widerrechtlich getötet haben. 
dieselbe zahl hat auch Isokrates (20, 11. 7, 67); es war offenbar ein 
sofort formulirter vorwurf.?) und doch ist diese zahl für die antithese 
des Panegyrikos zu niedrig, und die zahl der monate stimmt nur, weil 
sie nicht genau genommen zu werden braucht. Isokrates kann also 
von dem vorwurfe nicht frei gesprochen werden, dafs er die person, 
die er angreift, von der ganzen lakonistenpartei, die er eigentlich meint, 


f 9) Das interessante scholion zu Aischin. 1, 29 über die Dreifsig stellt neben 
diese zahl 2500 aus Lysias, der natürlich den mund voller nahm. 


Der gegner des Isokrates. 389 


nicht scharf gesondert hat. er schlielst sogar in einzelnen wendungen 
die Athener mit ein, indem er in der ersten person des pluralis redet. 
die hatten zwar schwer genug unter der reaction, eben durch die Dreifsig, 
zu leiden gehabt, aber der angegriffene schriftsteller war kein Athener, sinte- 
mal in Athen kein helot, sondern der Spartiate Kallibios harmost gewesen 
ist, übrigens den Dreilsig gegenüber alles andere eher als ihr herr, und 
die tyrannen dreilsig und nicht zehn gewesen sind.“) und wenn auch 
das alles nicht da stünde: diese kritik des Reiches ist ausschliefslich 
vom standpunkte der untertanen aus geschrieben, denen ein Athener, 
und wenn er auch noch so oligarchisch war, nie nachempfinden konnte. 
die meisten oligarchen von 411 gaben das reich mit nichten auf, die 
Dreifsig fanden es schon zertrümmert: ihr hafs galt dem xaraparog 
Önuog zu hause. 

Was wir also ermittelt haben, ist eine politische schmähschrift gegen 
Athen für Sparta, etwa um 404 verfalst von einem oligarchischen lonier 
(im weiteren sinne des namens) aus einer ehemals unterworfenen stadt 
(also nicht aus Chios; an Samos ist so wie so nicht zu denken), der 
in eben dieser unter einem lakonischen harmosten eine blutige herr- 
schaft geübt hat. der mann und die schrift waren dem publicum sehr 
‘bekannt, für das Isokrates 380 schrieb, und die vorverhandlungen, die 
zu der stiftung des neuen seebundes führten, haben sehr bedeutende 
rücksicht auf ihn genommen. ich kann ihn nicht benennen und wülste 
nicht, wie ich ihn suchen sollte, halte aber nicht für ausgeschlossen, 
dafs jemand ihn finden kann, weil der anhaltspunkte nicht wenige sind. 
dafs die ionische publicistik in den zeiten der entscheidenden kämpfe 
solche flugschriften hat erzeugen müssen, ist von vorn herein nach dem 
stande des litterarischen lebens glaublich; aber diese schrift hat doch 
die hohe bedeutung, dafs sie die anschuldigungen der bundesstädte in 
erschöpfender weise zusammengestellt und mialsgebend für die zukunft 
formulirt hat. im Panegyrikos und Panathenaikos bekämpft sie Isokrates: 


in der friedensrede sieht er selbst in der seeherrschaft das unheil (64),° 


da berührt er sich mit den gedanken des reichsfeindes, und wir würden 
wol noch manche anklänge finden, wenn wir eine vergleichung anstellen 
könnten: die bittersten vorwürfe hat er nur nicht vorzubringen gewagt 
(81). Aristoteles, der sowol die demokratische entwickelung der athe- 


10) Nach dem sturze der Dreifsig, als Kritias und Charikles tot waren, sind 
zwar zwei zehnercollegien eingesetzt, aber damals war das schlimmste schon ge- 
schehen, und es hat die spätere zeit die zehn stets über die dreifsig vergessen, nicht 
umgekehrt. 


390 II. 12. Isokrates Panegyrikos 100—114. 


nischen verfassung wie die behandlung der bündner als consequenzen 
der seeherrschaft verwirft, hat seine ungerechte beurteilung des Reiches 
vielleicht nur mittelbar ven jenem ionischen reactionär überkommen. 
Theopompos von Chios, Duris von Samos haben dasselbe lied gesungen. 
es kann niemand mehr einen directen litterarischen zusammenhang auf- 
zeigen: aber für die entstehung dieser beurteilung des Reiches in der 
folgezeit ist es von grolser bedeutung, dafs sie mitten in der hitze des 
kampfes ein praktischer staatsmann loniens bereits in einer litterarisch 
wirksamen schrift formulirt hat. 


13. 
DIE BRIEFE DES ISOKRATES. 


Auf die stimmung, die jeden griechischen brief unbesehens verwarf, 
ist die entgegengesetzte gefolgt; es ist das jedoch kein fortschritt, denn 
stimmungen genügen für die wissenschaft nicht. ich brauchte für den 
prinzenerzieher Aristoteles den fünften brief, wenn er ächt war: deshalb 
habe ich die sache untersucht, und gerade weil das ergebnis kein ein- 
faches ja oder nein ist, halte ich es für richtig. | 

Der brief an Dionysios (1) ist durch die rede an Philippos (5, 81) 
so sicher bezeugt, dafs man, um ihn zu verwerfen, die absicht eines 
fälschers wahrscheinlich machen müfste, der auf grund jener stelle einen 
brief verfertigt bättex das ist nicht möglich. es kommt hinzu, dals der 
brief nur ein sehr schön geschriebenes prooemium enthält, das eine 
wichtige politische erörterung verspricht. diese zu unterdrücken konnte 
Isokrates alle veranlassung haben, wenn die politischen ereignisse eine 
für ihn unerwünschte wendung genommen hatten, und der sicilische fürst 
mit der entgegengesetzten politik erfolgreich gewesen war: der fälscher 
hätte bequem ex eventu schreiben können was ihm pafste. der brief 
nimmt auch auf den Panegyrikos in durchaus angemessener weise be- 
zug (6), etwa wie die rede an Philippos, und wenn die nachteile des 
briefes gegenüber dem gespräche so behandelt werden (3), dafs man die 
nachwirkung der schönen platonischen kritik (Phaidr. 275°) spürt, so 
spricht das vollends für den verfasser, der trotz aller späteren entfrem- 
dung den Phaidros zu viel und zu gerne gelesen hatte, um ihn je zu 
vergessen. 

Den gleichen stempel der ächtheit tragen die beiden empfellungsbriefe 
an Timotheos von Herakleia und die Mytilenaeer. so viel detail, das wir 
als geschichtlich zutreffend erkennen, wo wir es controlliren können, 
und in sehr viel grüfserem umfange zu beurteilen gar nicht in der lage 


Brief 1. 


Brief 7. 8. 


892 Il. 13. Die briefe des Isokrates. 


sind, steht nicht in fälschungen, es sei denn, dafs sie anderen zwecken 
dienen als sie zur schau tragen. davon ist hier keine rede. es finden 
sich in diesen briefen ähnliche wendungen (7, 11 = 8, 10): aber das ist 
nicht wunderbar. wenn er diese geschrieben hat, müssen wir dem Iso-. 
krates doch zutrauen, dafs er solche schriftstücke sehr zahlreich hat aus- 
gelin lassen. sie sind viel merkwürdiger als der brief an Dionysios. 
denn jener war nichts anderes als der Philippos auch, ein guußovAevrıxog 
Aoyog in der form einer zuschrift, also ohne die fiction der mündlichen an- 
sprache, nur in sofern ein brief. die kunstform ist die der rede. in diesem 
sinne ist das dritte pythische gedicht des Pindaros auch ein brief, in der form 
gleichwol von dem ersten und allen andern chorischen liedern des dichters 
nicht verschieden. dagegen die empfehlungsschreiben sind briefe, &mı- 
oroAal im vollen sinne des wortes. da ist es nun eine für die griechische 
stilistik unschätzbare tatsache, dafs Isokrates seinen rhetorischen stil auch 
für den brief angewandt hat. er hat nicht begriffen, dafs der brief als 
eine vertrauliche und imprevisirte äulserung erst dann gut geschrieben ist, 
wenn er für das lesen geschrieben ist, nicht das hören, wenn er von 
der stilisirten rede sich xaz’ eldog unterscheidet. stilistisch betrachtet 
sind es gar keine briefe.- trotzdem dafs Platon sowol in der theorie wie 
in der praxis gezeigt hatte, dals selbst das gespräch als kunstform neben 
der älteren ansprache gleich oder höher berechtigt stünde, hat der sophist 
nicht begreifen wollen, dals seine schönredekunst kein allerweltsorgan wäre. 
nur die dürftigkeit und stillosigkeit braucht eigentlich handwerkzeuge 
wie den “bratspiefsleuchter’ und “das delphische messer’ '): so pflegt der 
deutsche jetzt dieselbe stillose rede mit mund und feder zu führen; er 
sieht darin wo möglich objectivität und biederkeit, dafs er überhaupt 
formlos bleibt. aber besser ist das allerdings, als der bei den Hellenen 
von Gorgias bis Rhangabis immer wieder auftauchende wahn, dafs eine 
bestimmte, allerdings bewunderungswerte, kunstform die ganze prosa be- 
herrschen dürfte. der ohne frage vollkommeiiste vertreter dieser ansicht 
ist Isokrates, und er ist sich dessen wol bewulfst gewesen: die in Platon 
verkörperte höhere auffassung, der es gelang die gesprochene rede in 
allen ihren tönen zu treffen, immer vollendet und immer anders stili- 
sirt, hat er im Panathenaikos auch zu überbieten versucht. so hat er 
also auch briefe geschrieben, und wir sehen ja, dafs kein geringerer als 
könig Philippos für seine diplomatische correspondenz sich an diese stil- 


1) Aristoteles Politik 4 12995. 4 1252 ovdev 7; Yvoıs nossi Towirov olov 
0: gahxorunos zn» Je)yınnv uayamar, neviyows, all Ev noös Ev. 


Brief 7.8. brief 4. 393 


regeln gebunden hat: sein ultimatum an Athen ist in dem stile colto 
des Isokrates gekalten. natürlich haben die Hellenen trotz Isokrates 
vor und neben ihm wirkliche briefe geschrieben: aber so gern ich proben 
hätte — da ich für die fälschungen auf ältere namen nicht empfänglich 
bin, so kenne ich keine.) wenn Platon welche schrieb, des bin ich 
sicher, hat er wie ein mensch, nicht wie ein rhetor geredet, freilich wie 
der mensch Platon, als greis also wie der greis Goethe briefe schrieb.°) 
der erste künstler des ächten briefstils aber ist bekanntlich Aristoteles 
geworden. als junger mensch, recht sehr empfänglich für den zauber 
der isokrateischen perioden, hat er sich des fictiven briefes für seinen 
Protreptikos bedient. die reste seiner privatcorrespondenz aus den spä- 
teren jahren rechtfertigen durchaus das lob seiner schule: sie tragen alle 
vorzüge des ächten briefstils an sich. dasselbe tun die briefe des Ale- 
xandros und was sonst in dessen correspondenz stand‘), natürlich mit 
dem unterschiede, dafs der könig der mutter vieles zugleich für sein 
getreues volk mitteilt. er schreibt nach Issos an Olympias wie könig 
Wilhelm an die königin. aber er schreibt nach den regeln des Aristo- 
teles, nicht nach denen des Isokrates. 

Nun wäre es ja sehr hübsch, wenn die drei sicher ächten briefe 
die ganze sammlung retten könnten. aber so sicher sie ächt sind, gibt es 
auch unächte. der empfehlungsbrief an Antipatros (4) ist von Bruno 
Keil (Anal. Isocr. 142) durch die form so gut wie es mit solehen mitteln 
möglich ist geächtet worden, und Blafs (Att. Bereds. II? 329) hat- vor- 
gezogen, auf diesen beweis mit einer redensart zu erwidern, die nur 
dem leser imponiren kann, der Keils buch nicht kennt, und auch dann 
nicht: denn in den briefen die rede des “gewöhnlichen lebens’ zu 
finden, ist eine zumutung, der nicht leicht jemand folge leisten kann; 
Isokrates würde über sie entrüstet sein. aber sei’s drum: ist das wort 
Givog, gar im plural oıyn, etwa dem gewöhnlichen attischen leben 


2) Von den staatsschriften in briefform, die von der persischen monarchie aus- 
gehn, sehe ich ab, vgl. I 130. 

3) Dafs ich den sechsten platonischen brief nicht von vornherein verwerfe, 
habe ich I 334 gestanden. aber ich weifs nicht, ob er ächt ist: die sehr schwere 
untersuchung der sehr ungleichartigen und zumeist offenbar unächten platonischen 
brieffammlung habe ich nicht geführt. 

4) Vgl. meine bemerkung in Kaibels Athenaeus zu XIV 659 f. die correspon- 
denz Alexanders war eine kostbare quelle: es ist für Arrian ein schwerer vorwurf, 
dafs er sie nicht aufgesucht hat. freilich hat er auch darin unbedachte nachtreter 
gefunden. — die sehr verdienstliche sammlung von Pridik habe ich nicht mehr be- 
rücksichtigen können. 


Brief 4, 


Brief 9. 


394 Il. 13. Die briefe des Isokrates. 


angehörig? zieht etwa ein xenophontischer beleg für den atticismus 
eines wortes? und wenn ein in der tat gewöhnliches wort wie arr« 
bier allein in dem ganzen nachlasse des Isokrates steht, ist das keine 
instanz? der brief beansprucht nun von Isokrates geschrieben zu sein; 
die situation, die er voraussetzt, ist einfach, er ist ein empfehlungs- 
schreiben für einen nicht genannten sohn eines gewissen Diodotos, der 
nach anderen stellungen bereits bei Antipatros angekommen ist und hier 
nur weiter empfohlen wird; der sohn reist erst jetzt nach Makedonien. 
um des inhaltes willen würde es mir sehr fern liegen, den brief zu be- 
anstanden. jetzt, wo die form mich zur verwerfung zwingt, vermag ich 
doch nicht zu entscheiden, ob Diodotos oder sein sohn sich dies em- 
pfehlungsschreiben des berühmten mannes einmal, vielleicht als jener 
längst tot war, verfertigt haben, oder ob ein rhetor mitsammt dem briefe 
auch die S&oıg erfunden hat. übrigens entschuldigt er am schlusse 
selbst die etwa im stile vorhandenen anstöfse. das würde Isokrates nur 
getan haben, wenn er sicher war, dafs keine darin wären. 

Eine viel plumpere und dümmere fälschung ist der brief an Archi- 
damos (9), obwol ich da den stil nicht tadeln kann. ob man dem Iso- 
krates zutrauen will, ein so grofses stück (11—14), eine von fünf seiten, 
aus dem Panegyrikos abzuschreiben, dessen tendenz noch 17 paraphrasirt, 
stehe dahin. aber wenn der brief ächt ist, so ist er nach der rede 
Archidamos geschrieben, und er versetzt sich selbst in die zeit, wo Iso- 
krates 80 jahre war (356): den Archidamos aber kann nur die voll- 
kommenste verkehrung aller geschichte von der zeit losreilsen, in die 
er sich selbst setzt, 366, und für die diese gut geschriebene politische 
brochure bestimmt ist.°) übrigens war Isokrates in den fünfziger jahren 
alles andere als zravrasıaoıy ameıpnawg: er stand in mitten einer 
eben so starken wie fruchtbaren tätigkeit. dagegen wäre es in der lat 
das übermafs von abgeschmacktheit gewesen, Sparta, das sich mit mühe 
der Arkader erwehrte und Megalopolis erst bezwungen haben mufste, um 
überhaupt eine politische rolle zu spielen, auf den kampfplatz nach Asien 
zu rufen. dies ist also eine in jeder beziehung aufser der form kümmer- 
liche nachahmung, die sicherlich erst verfalst ist, als die zeitgeschichte 
genügend in vergessenheit geraten war. übrigens ist es kein wirklicher 
brief, sondern nur in dem sinne, wie der an Dionysios; der verfasser 
ist auch über die einleitung nicht hinausgekommen, wozu ihm eben jener 


5) Ob er oder Alkidamas, der die gegenschrift für Messene verfafste, früher 
geschrieben hat, bin ich aufser stande zu entscheiden. 


Brief 9. brief 3. 395 


die berechtigung gegeben haben wird, als er so verstümmelt vorlag, wie 
wir ihn lesen. 

Über den sechsten brief, an Jasons söhne, kann ich mir noch kein 
festes urteil erlauben, da die momente für und wider sich die wage 
halten. ich mag diese unbefriedigende rechnung nicht auflegen. 

Um so sicherer bin ich, dafs der dritte brief, der neuerdings 
mehrfach als ächt behandelt ist, eine tendenziöse fälschung, keine 
harmlose rhetorenfiction, aber noch weniger ein werk des Isokrates 
ist. der brief will geschrieben sein, nachdem Antipatros, der gesandte 
des Philippos, den frieden nach der schlacht von Chaironeia in 
Athen abgeschlossen und Philippos bereits die absicht kund getan 
hat, sich zum feldherrn der Hellenen gegen Asien wählen zu lassen. 
den ayw» yeyevnuevog (2), der die Hellenen alle zur raison gebracht 
hat und die intentionen des königs als richtschnur ihrer eigenen 
wünsche zu betrachten zwingt, kann nur eine interpretatorische gewalt- 


tat auf etwas anderes als die entscheidungsschlacht beziehen, die am 


siebenten metageitnion 338 bei Chaironeia wirklich die Hellenen in diese 
zwangslage versetzt hatte. es ist kein weiteres festes datum erhalten; 
zwei monate später, am totenfeste des pyanopsion, war alles vorüber. 
aber da in Athen zunächst die patrioten sich auf den äufserten wider- 


stand rüsteten, Philippos auf dem schlachtfelde halten blieb und diplo- 


matische verhandlung durch die versagung der leichen zu erzwingen 
suchte, dann Boeolien unterwarf und neu ordnete, während die ge- 
sandtschaften hin und her giengen, so kann Antipatros wirklich vor an- 
fang boedromion Athen nicht verlassen haben. also da will der brief 
geschrieben sein. es ist mir sehr lieb, dafs man darüber nicht zu streiten 
braucht, ob Isokrates, der steinalte mann, vaterlandslos genug gewesen 
sei, sich darüber glücklich zu preisen, dafs er diesen tag erlebt hätte 
(6): mir ist die rhetorik wahrhaftig zuwider und die allgemeine bil- 
dung noch mehr, aber ich könnte das dem Isokrates nicht zutrauen. 
doch zum glück braucht man das nicht zu bereden: er war ja damals 
schon tot. so rede man doch nicht um die sache herum, sondern be- 
kenne farbe, entweder oder. entweder der brief ist gefälscht, oder die 
beiden zeitgenossen hahen gelogen, Aphareus, der stiefsohn des Iso- 
krates, und Demetrios von Phaleron, der schüler seines feindes Aristo- 
teles. denn nach jenem ist er vier, nach diesem neun tage°) nach der 


6) Diese zahlen ausgeschrieben in der plutarchischen vita p. 250 West. die 
gewährsmänner mit denselben zahlen (nur der leichte schreibfehler sd’ für d’) in 
der vita der Isokrateshandschriften 258. die zahl 4 auch noch bei dem Plutarch 


Drief 6. 


Brief 3. 


396 DI. 13. Die briefe des Isokrates. 


schlacht freiwillig gestorben: adnAov Erı dvrog wg xonoeraı Ty run 
@ikırscog, wie Dionysios sagt (V 537 R.). wer das sagt, hat den brief 
nicht gekannt oder verworfen. nun mag einer kommen und ihm zu 
liebe jene beiden zeitgenossen der lüge zeihen. der sohn mochte fäl- 
schen, um dem vater die schande dieses briefes zu nehmen: aber der 
gegner? es existirt ja aber gar keine andere überlieferung über die 
zeit, wann Isokrates starb, und diese ist mit dem briefe in keine be- 
ziehung gesetzt. man erzählt nur noch von den drei euripideischen versen, 
die der alte in der palaestra des Hippokrates recitirte, eh er sterben 
gieng, von den drei barbaren, die nach Hellas kamen, zu denen Phi- 
lippos nun als der vierte träte. diese anekdote setzt zwar den tod gleich 
nach der schlacht voraus, aber sie ist durch keinen gewährsmann ge- 
schützt und in sich äufserst unwahrscheinlich: weder hielt Isokrates den 
Philippos für einen barbaren, noch war es seine art tragische verse zu 
citiren. das ist also eine label, gemacht um den feststehenden tod im 
antiphilippischen sinne zu deuten. 

Wie aber war die situation wirklich in der ersten woche nach der 
schlacht? Athen ohne heer, ein grofser teil der waffenfähigen bürger 
gefangen; der sieger, der über eine vorzügliche cavallerie verfügte, 
konnte jeden tag die pässe des Kithairon überschreiten. auf die helle- 
nischen bundesgenossen war kein verlals; der Perserkönig, auf den die 
patriotenpartei besondere hoffnungen gesetzt hatte, war zu weit. und 
trotzdem herrschten die unversöhnlichen schreier, und Hypereides gieng 
ernstlich daran, die sclavenschaft zu befreien und zu bewafinen. es hatte 
eben alles den kopf verloren; wenn Philippos nicht kaltes blut behalten 
hätte und zugewartet, bis das strohfeuer dieses verspäteten opfermutes 
niedergebrannt war, so wäre Athen verloren gewesen. wer konnte aber 
wissen, wie er den wunderbar leichten erfolg ertragen würde? dafs da 
ein alter kranker mann, der seine letzte kraft daran gesetzt hatte, diesen 
könig und seine vaterstadt in ein gedeihliches verhältnis zu bringen, einer 
der zudem die zeiten von 405/3 aus eigner erinnerung kannte, nicht 
mehr leben mag und die speise verweigert, ist menschlich und ist 
glaublich. er demonstrirt weder für noch gegen Philippos, er will nur 
den jüngsten tag nicht mehr erleben. so hat E. Curtius bereits ganz 
richtig die tatsache seines todes in diesen tagen erläutert: wenn irgend 


249. auch sind beide zahlen durch den durch sie’ erzeugten irrtum geschützt, dafs 
es die tage der totenfeier für die gefallenen gewesen wären: die rituellen trauer- 
tage stehen ja fest. dafs die asche erst viel später nach Athen gebracht ist, weils 
wer sich um die geschichte gekümmert hat. 


Brief 3, brief 2. 8397 


welche überlieferung eine sache feststellen kann, so ist der tod in der 
ersten woche nach Chaironeia eine feste tatsache. 

In den fürchterlichen tagen hat schwerlich jemand viel auf den tod 
des alten mannes geachtet. aber als in Korinth Philippos die stellung ein- 
nahm, die ihm die publicistik des Isokrates noch in dem Panathenaikos, der 
"jetzt gerade erschien, zugedacht hatte, die stellung Agamemnons (12, 
74—83), da wandte sich ihm das interesse zu, und es war natürlich, 
dafs man hin und her redete, wie er sich zu der neuen situation gestellt 
haben würde. er war an der schlacht von Chaironeia gestorben, doch 
so, dafs die beiden parteien ihn sich zurechnen konnten, und er war 
immerhin der anerkannteste redner und redelehrer der welt. die demo- 
kraten, so wenig er ihnen zuletzt bold gewesen war, hatten den besseren 
schein für sich; das lag an dem datum des todes. ihre fiction ist das 
apophthegma der drei verse: sterbend hat er doch den Philippos als 
barbaren stigmatisirt. das prelserzeugnis der makedonischen partei ist 
der falsche brief. falsch ist er: aus der chronologischen klemme wird 
ihn nur die gewalt reifsen. aber er ist sehr merkwürdig, weil er falsch 
ist. er macht propaganda für die officielle hellenische politik Philipps. 
später ıhn zu erfinden hatte keinen zweck mehr, nachdem der sohn un- 
endlich viel mehr erreicht hatte denn der vater geplant.’) im winter 
338/7 war er ein guter contrecoup gegen die durch demokratische fabeln 
verstärkte wirkung des todes. wer zählte auch so genau die tage? 
Aphareus und Demetrios haben es getan; ob mit derselben absicht, wie 
ich hier, mufs dahingestellt bleiben. 

Der falsche brief tat um so bessere wirkung, wenn bekannt war, 
dafs Isokrates an den könig öfter geschrieben hatte. seine ächtung zieht 
also den zweiten brief mit nichten mit ins verderben, und dafs eine 
wendung aus diesem (11) in dem falschen (5) wiederkehrt, discreditirt 
nur den letzteren. auch der falsche brief an Archidamos (6) hat den 
eingang des zweiten benutzt. der inhalt ist überwiegend wirklich ein 
persönlicher. der redner warnt, wie ihm alter, berühmtheit und die 
durch die grofse rede begründete persönliche beziehung wol verstatteten, 
den könig davor, sein leben allzusehr im kampfe auszusetzen und nicht 
die pflichten des königs mit denen des soldaten zu verwechseln. es ist 


7) Der brief sagt dem Philipp, wenn er den grofskönig besiegt hätte, ovdas 
Koras Aoınöv Er ninv Hsöov yavdadaı. daraus könnte man ableiten wollen, der 
brief wäre geschrieben, als Alexander diesen schritt getan hatte. dem kann ich 
nicht folgen: das ist eben eine dem Hellenen ganz natürliche steigerung, vgl. 1 337. 
der verfasser ist höchstens, wenn man will, ein prophet gewesen. 


Brief 2. 


Brief 5. 


398 111. 13. Die briefe des Isokrates. . 


bekannt, wie sehr Philippos diese mahnung verdiente. die empfehlung 
seiner vaterstadt steht dem Isokrates wol an; nirgends schreibt er ab, 
nirgends freilich verrät er tiefere einsicht in die actuelle politik, so dals 
man zwischen dem frühjahr 341 und dem 340 schwanken kann: denn 
vor dem aufbruche aus dem winterquartiere mufs der brief verfafst sein. 
ich wülste kein moment, das wider ihn spräche. 

Damit ist über die beilage dieses schreibens, den brief an Alexan- 
dros, entschieden (5), wenn anders er ist, wofür er sich ausgibt, eine 
beilage. dals der könig in den winterquartieren seinen sohn bei sich 
hat, ist begreiflich. dafs Isokrates veranlassung nimmt, sich dem hofl- 
nungsvollen erben vorzustellen, nicht minder; aber wenn er das damit 
motivirt, er mülste doch den beweis liefern, dafs er noch einen rest 
seiner alten leistungsfähigkeit bewahrte, und man angesichts dieses 
ihm nicht nachsagen künnte, er wäre kindisch geworden, so reicht 
die allgemeine situation, wie sie die bekannten personen geben, . nicht 
wol hin. der alte berühmte professor schreibt an den prinzen ganz 
wie sichs gehört, anerkennend und aufmunternd. “wenn du so fort- 
fährst, wirst du auch im späteren alter dich vor den übrigen an ein- 
sicht so hervortun, wie es jetzt dein vater vor allen tut’ das com- 
pliment zielt auf den vater; der es schrieb, wollte von jenem gelesen 
werden und hatte keine ahnung, wie ungeheuer der sohn diesen zu 
überflügeln berufen war. beides ist eine garantie der ächtheit; aber 
was Isokrates von Alexandros gehört ‘haben will, befremdet zunächst. er 
treibe philosophie; nun gut, das ist im munde des alten, er lernt, wie 
sich für den kaum mannbaren knaben schickt. er treibe zwar auch 
die philosophie, die wir so nennen, Isokrates eristik schilt, aber seine 
neigung gelte der besseren philosophie, der rhetorik. das ist sehr wenig 
glaublich: von der rhetorik hat der grofse könig nachmals wenig genug 
gehalten, weder selbst Jie isokrateische kunst geübt, noch neben hof- 
poeten, hofphilosophen und hofkünstlern aller art hofrhetoren ange- 
stellt, es sei denn man rechne die historiographen Anaximenes und 
Kallisthenes mit, die Isokrates nicht anerkannt haben würde. die ein- 
fachen glockentöne Homers, nicht die künstlichen fugen und passagen 
des Panegyrikos haben seine heldenseele zum zuge wider die barbaren be- 
geistert. also muls Isokrates schlecht berichtet gewesen sein, oder viel- 
mehr, er war es wol gut, und gerade deshalb schrieb er so wie er es 
getan hat, und weil er sich so anstellt, waren die leser in der lage die 
feinheit des alten zu bewundern: das ist weniger auf den prinzen als 
auf den hofmeister Aristoteles berechnet. der rhetor stellt was er wünscht 


Brief 5. 399 


mit harmlosem gesichte so dar, als hätte er es gehört, und belobt den 
prinzen für das was er gern an ihn loben würde. an-einen minder 
vornehmen würde er die form der mahnung gerichtet haben “wozu die 
spintisierkünste der eristik und dialektik, die dir Aristoteles beibringt, 
wozu lernen was man gar nicht braucht. du bist für das praktische 
leben bestimmt, dazu hilft dir nur die schulung fürs lebeu, die allgemeine 
bildung und die rhetorik’. so schwatzen ja auch jetzt die Isokratesse, 
nur dafs sie weder reden noch schreiben können. könig Philippos aber 
wulste, wozu er beide brauchen konnte, den rhetor um die gimpel der 
öffentlichen meinung zu fangen, und den philosophen um dem makedo- 
nischen tbrone einen herrn von ächt hellenischer seele zu geben. dieser 
brief ist wirklich ein hübsches stückchen isokrateischer finesse: der ist 
ächt, weil er ‘tiefer ist als er scheint und auf notorisch wahre verhält- 
nisse versteckt bezug nimmt. 

So endet meine prüfung. es gibt also ächte und unächte stücke 
in der sammlung. die form zeigt, dafs sie alle, wie natürlich, recht alt 
sind. weil es ächte gab, liefsen sich unächte schmieden; deren jeder 
seine verschiedene herkunft hat. die Alexandriner haben sie natürlich 
so vereinzelt überkommen, wie wir jetzt den dritten demosthenischen 
brief lesen. da ist also von vorn herein gar kein anderes resultat zu 
erwarten als ein sehr complicirtes. so viel stücke, so viel einzelne pro- 
bleme. ich würde es schon für einen grofsen fortschritt halten, wenn 
man aufhörte die schur über einen kamm für methode zu halten. 


14. 
DEMOSTHENES PROOEMIUM 55. 


“In der guten alten zeit hielt das volk darauf, dafs die biedermänner 
auch zu den ämtern herankamen. das war sehr schön, denn die stän- 
digen inhaber (oi ovvexeig oide) nahmen sich vor diesen anständigen 
collegen zusammen, und es wurden die braven leute nicht von der krippe 
(dem xaprovoFIaı Ta xoıva) weggestolsen, weil sie sich nicht zu einer 
tätigkeit drängen, die es mit sich bringt, dafs man commandirt und durch 
die disciplin misliebig wird (&voxAsiv xal zcapayy&ilsıy). jetzt besetzt 
ihr die ämter wie die priestertümer (das heifst hier nicht, wie bei Iso- 
krates 2, 6, dafs jeder befähigt zu ihnen erscheint, sondern dafs das volk 
auf die person keinen wert legt und jeden der sich meldet zuläfst), und 
da ist es natürlich, dafs ihr, die masse, herumlauft'‘) und zu den wenigen 
emporblickt, die durch die pfründen reich wurden, die sie dauernd ge- 
nielsen (ovvexwg zroAla Aaußaveır). ihr seid eben so inconsequent, 
dafs ihr die iteration der astynomie z. b. verbietet, die der strategie ge- 
stattet. für die wirklich militärischen stellen (zovg &rrl rwy zroadewy, 
bei Aristoteles ähnlich 61,1 005 za rrapöoyra sroayuara dxmeuneır, 
wenns aber keine zroayuare gab, so hatten diese vollends sinecuren) mags 
noch hingehn, aber es ist eine tollheit bei denen die ohne etwas zu tun 
zu haben einen unbefristeten posten einnehmen, obgleich sie für einen 
befristeten gewählt sind. (das mag das frostige wortspiel meinen, xwea» 
arelsoroy Eyovoıv avrol rerslsouevor vgl. Weil zur rede zrepl ovvra- 
Sewg 19. natürlich klingt die zeAern neben dem r£Aog durch: sie sind 
geweiht, haben aber einen ungeweihten platz). ihr müfst auch von euch 
leute in diese stellen bringen.” 


1) neginte in correcter orthographie, die im atlischen allerorten hergestellt 
werden muls, wo eg vor einem iota steht, ist überliefert. 


II. 14. Demosthenes prooemium 55. 401 


Was ist das? erstens ist es kein prooemium, denn es fängt mit 
der wirklichen behandlung eines wirklichen vorschlages an. es ist ein 
bruchstück, denn die behandlung geht über die allgemeine tendenz des 
antragstellers nicht hinaus, und der letzte satz ist nicht mehr voll ver- 
ständlich “ wenn ihr gleichsam eine wage aufstellt, wird schon von selbst 
hervortreten (zooeıcıy sc. 25 üuwyv) wer etwas (eine berücksichtigung) 
verdient” dabei kann man sich nur in vager allgemeinheit etwas denken: 
es ist der übergang zu der speciellen behandlung. wir haben hier somit 
eine rede, die die unbeschränkte iteration der strategie beseitigen will 
und unverblümt zu verstehn gibt, zu tun hätten die meisten strategen ja 
doch nichts, und die emolumente dürften nicht blofs wenigen zuflielsen. 
ich mufs eingestehn, dafs ich nicht weifs, worin diese emolumente be- 
standen und wieweit sie nicht blofs “usancemäfsig’ waren (vgl. oben 
I 196). 

Ob man dem Demosthenes die moralische niedrigkeit zutrauen will, 
die in der motivierung dieses antrages liegt, mag ich nicht entscheiden : 
die torheit, die darin liegt, traue ich ihm nicht zu. aber für seine zeit 
trifft denn doch die bedeutungslosigkeit der strategie nicht zu. freilich, 
Phokion bekleidete sie fast ständig, und leute wie Chares und Chari- 
demos haben geld mit ihr genug gemacht. aber der gedanke, dafs der 
stratege Athens auf das niveau des archonten hinabgedrückt zu werden 
verdiente, konnte wahrlich erst in dem kleinstaate des dritten jahr- 
hunderts aufkommen oder geäufsert werden. es mulste die äurzeipla 
des wirklichen militärs nicht mehr notwendig sein. es fehlt mir an 
jedem näheren zeitlichen anhalt. denn dafs die astynomen in der ephe- 
meren verfassung des Antipatros unterdrückt waren (Dittenberger zu Syll. 
337) macht nichts aus. aber für evident und für wichtig halte ich, dafs 
wir hier ein stück haben, das nicht ein rhetor zusammengestoppelt hat, 
um demosthenisch zu schreiben, sondern dafs wir etwas von attischer 
beredsamkeit aus der zeit des Demochares oder noch späterer besitzen, 
die denn allerdings ihren stil demosthenisch drechselte: mit hiaten und 
vocabeln und prosametrik kommt man solchen problemen nicht bei. 

Gleich vorher steht ein stück ganz derselben art (54). das ist die 
formelhafte meldung eines iegorcoıos, der im namen seiner collegen vor 
dem volke über den ausfall der opfer berichtet, die sie an Zeus Soter, 
Athena Soteira und Nike gebraucht haben, daneben an Peitho, Götter- 
mutter und Apollon (der ohne beinamen in solcher verbindung schwer 
denkbar ist), und demgemäfs beantragen, das volk möge die bereitwillig- 
keit aussprechen, das ergebnis ihrer opfer auf sich zu nehmen. 

v. Wilamowitz, Aristoteles. II. 26 


402 III. 14. Demosthenes prooemium 55. 


Aus der litteratur wird man diese worte, die für ein prooemium 
zu halten kindisch wäre, da es eine vollkommene rede ist, nicht leicht 
verstehn. aber die inschriften des dritten jahrhunderts belegen den ge- 
brauch und die formeln, z. b. CIA II 305. 307. 315. 323. "Ep. ag. 
87, 172, Dittenberger Syli. 382. auch Zeus Soter, Apollon, dieser wegen 
des Keltensieges, Athena Nike (eAr. 89, 58) wegen späterer siege über 
Kelten oder Illyrier, wenn der geehrte der archon Herakleitos von 
214/13 ist, kommen vor. wer die steine kennt, wird über die zeit 
nicht im zweifel sein, wann dies formular für eine ansprache an das 
volk oder, mit geringer modification, vor dem rate aufgesetzt ist. es ist 
viel interessanter, weil es nicht von Demosthenes ist. überhaupt (wie 
ich es schon vor jahren formulirt habe) ist die athetese der pseud- 
epigrapha immer nur die hälfte von dem, was die wissenschaft zu 
leisten fordert: die schriften fallen doch damit nicht ins bodenlose, 
dafs sie den verfassernamen einbüfsen. und die auf Demosthenes 
namen verfertigten stücke, epitaphios, erotikos, vorreden, ein teil der 
briefe, die erste rede gegen Aristogeiton, Demonikos und ein teil der 
isokrateischen briefe, die leichenrede des Lysias, ein teil der pseudo- 
platonischen und pseudaristotelischen schriften sind documente für eine 
zeit der attischen litteratur, die uns sonst nur philosophen und die 
späte komödie in bruchstücken und nachbildungen repraesentiren : in wahr- 
heit haben wir für ihre bestrebungen, gerade die stilistischen , belege 
genug; man ınuls sie nur an ihrem orte benutzen. erst in der über- 
treibung (der rede gegen Aristogeiton) hat Demosthenes vielen die der- 
yorng verkörpert; erst in der unkünstlerischen anähnlichung an die gno- 
mische poesie und das philosophische apophthegma hat die paraenese des 
Isokrates auf die masse gewirkt; nicht der ächte Platon, sondern der 
erste Alkibiades war für den gaumen des Persius, und nicht die Politik, 
sondern die grobe predigt des Kleitophon zcoi p&peose, w AvIpwroı 
ist populär in der kaiserzeit. erst so wie es in der diadochenzeit legirt 
wird, hat das gold der attischen cultur durch die jahrhunderte cursirt. 


15. 


DIE GEDICHTE DES ARISTOTELES. 


Die entrüstung über die verräterei Memnons von Rhodos, der sein 
freund Hermias zum opfer fiel, hat dem Aristoteles zwei gedichte ent- 
lockt, die wir der biographie des Hermippos verdanken. denn dafs auf 
diesen die darstellung des Athenaeus zurückgeht, über irgend eine musi- 
kalische schrift, die z. b. den Polemon citirte, wird klar durch das citat 
696 f., und anders wird man auch den bericht des Diogenes (V 6) 
nicht beurteilen‘), so viele mittelglieder auch zwischen dem originale 
und dem letzten ausschreiber liegen. für die kritik ist also mafsgebend, 
dafs alles worin Athenaeus und Diogenes stimmen ohne weiteres Her- 
mippos ist. was wir gegen beide gewährsniänner ändern, ändern wir 
gegen einen zeugen des dritten jahrhunderts. vor Hermippos hatten die 
gedichte berücksichtigung gefunden in der von diesem selbst bezweifelten 
verteidigungsrede des Aristoteles (Ath. 697®), bei dem falschen Aristippos 
(Diog. V 4) und vielleicht dem Pythagoreer Lykon von lasos (Aristokles 
bei Euseb. pr. ev. XV 792), denen man wol so viel glauben kann, dafs 
der schurke, der den Aristoteles wegen religionsfrevels belangte, nicht 
sowol die gedichte als die tatsache ihrer existenz misbraucht hatte. sie 
sind denn auch dem pedantismus nicht zum opfer gefallen, der dem 
Platon seine zum teil eben so gut bezeugten epigramme abstreitet. 

Das epigramm auf Hermias stand unter einer statue desselben in 
Delphi; eine prosaische inschrift mufs die namen des geweihten und 
des weihenden getragen haben. andere weihungen von statuen verordnet 
das testament des Aristoteles. das gedicht lautet: 


1) Diogenes schiebt seinerseits eine scheinbare variante aus Favorin ein, den 
namen des anklägers Demophilos statt Eurymedon, den er einem capitel über die 
ankläger berühmter philosophen entnahm (epist. ad Maass. 145): er hatte eben nicht 
mehr den ganzen Hermippos, bei dem er gefunden haben würde, dafs Demophilos 
das vorgeschobene werkzeug des Eurymedon war; so Alhenaeus. 

26* 


Das epi- 
gramm auf 
Hermias, 


404 II. 15. Die gedichte des Aristoteles. 


tovde nor ovx Öolwg rapaßag uaxapwv IEuv Ayyıv 
Exteivev Ilegowv toSopopwv Baoıkevg, 

ob yavegwg Aöyyn Yorloıs Ev aywoı xgarıaag, 
all” avdoog rılorsı xonoausvog doklor. 

Gewils ist der gedanke und die form edel. aber für sehr poetisch 
wird man xenoa@uevog nicht halten, und man würde lieber zziorız doAla 
gleich @rzacn lesen, wenn nicht &yrjg ohne epitheton kahl würde. uaxe- 
ewv FEuug ayyn ist eine conventionelle Noskel. nicht mehr ist der gegen- 
satz des asiatischen bogenschützen zu der lanze der hellenischen hopliten, 
deren lanze wieder mit dem truge der hinterlist in gegensatz gebracht 
ist. 480, zu Simonides zeiten, waren fern- und nahwaffe freilich für 
barbaren und Hellenen bezeichnend; jetzt, wo die Perser längst mit 
griechischem fufsvolk ihre schlachten schlugen, hier, wo eben ein griechi- 
scher lanzknecht der täter war, beweist die phrase nur auf das deut- 
lichste, dafs Aristoteles den epigrammenstil bei dem meister der gattung 
gelernt hat. im ersten verse ist das wortende in der hebung des dritten 
vierten und fünften fufses sehr häfslich, wenn man an die kunst des 
dritten jahrhunderts gewöhnt ist. aber Aristoteles steht natürlich in 
seiner zeit. auch Platon hat metrisch seine verse nur zum teil, seinem 
ohre folgend, schön gebaut, sonst war die technik schon im fünften 
jahrhundert verwildert.‘) vollendete disticha bauen Archilochos und 
Mimnermos; dann sinkt die kunst, ganz natürlich bei leuten anderen 
stammes, die den hexameter homerisch zu bauen sich erlauben. und 
erst die erneuerer der elegie in Samos und Alexandreia, (noch nicht ihre 
unmittelbaren vorgänger) haben an die begründer und meister des stiles 
angeknüpft. 


2) Besonders salopp ist der sophist Euenos von Paros, den doch Platon und 
Aristoteles gut gekannt haben. er schliefst einen hexameter mit xai dn hinter 
interpunclion (9,1), sehr häfslich für einen Griechen (Gerhard lect. Apollon. 228), 
und hat in einer elegie den hexameter rous Evssrous d’ av zıs nelssıe Tayıcıa 
ieyov ev, der den zweiten preis der abscheulichkeit in der wirklich griechischen 
poesie beansprucht: der erste gehört unbestritten dem Hesiodos Theog. 319 7 da 
Xluaıpav Erıxıa nveovoav auasuaxerov ro. mancher der verse dieses Euenos ist 
nichts als zufällig der messung nach hexameter bildende prosa. nichts destoweniger 
war dieser poet noch um 300 vermutlich durch die schule wie Tbeognis bekannt. 
vereinzelte verse von ihm sind durch die philosophischen bücher und die auf phi- 
losophische anregung hin angelegten florilegien fortgepflanzt. in der anthologie steht 
nichts von ihm; er hat auch schwerlich epigramme gemacht. die epigrammatiker 
desselben namens sondern sich schon durch die form scharf und sicher von ihm, 
schwerer von einander. 


Der hymnus auf die Tugend. 405 


Das gedächtnisfest, das Aristoteles dem getöteten freunde ausgerichtet Der hymau 
hat, ist von dem Iyrischen gedichte verherrlicht worden, das wir gleichfalls Tugend, 
dem Hermippos verdanken. für einen paean konnte es nur die verläumdung 
erklären, die von Hermippos mit recht durch das fehlen des charakteri- 
stischen ephymnions ?n) scauav widerlegt wird. aber ein skolion, wie He- 
mippos will, oder ein Jonvog ist es auch nicht, und die aufnahme des 
verstorbenen in den kreis der heroen wird allerdings ausgesprochen; woran 
denn die klage auf gottlosigkeit ansetzte. so sicher es ist, dafs es dem 
dichter eigentlich auf Hermias ankommt, gilt formell doch das lied nicht 
ihm, sondern der Tugend, und so rückt es in die classe der rituellen 
religiösen lieder. von der art der aufführung wissen wir nicht mehr, 
als dafs es ein chor vortrug; so viel zeigt das versmals und der stil. 
aber man kann sich’s sehr gut vorstellen, dals Aristoteles, etwa in My- 
tilene, sich die musiker und sänger verschaffte (die composition kann 
er sehr wol selbst gemacht haben), eine gedächtnisrede hielt?) und mit 
den feierlichen klängen seines liedes dem ganzen die religiöse weihe gab. 
es war ein ersatz für die totenfeier, die dem Hermias entgangen war; 
die sitte war der zeit nicht fremd, denn Philippos hat ein solches &rzı- 
tıuay, wie der bezeichnende name ist, dem Platon angedeihen lassen.‘) 

Da Jie Areta keine wirkliche gottheit ist, der man opfern, zu der 
man beten könnte, so ist die rituelle form wiederum nichts als form. 


3) Diese existirt nur in meiner vermutung, weil das lied selbst so wenig von 
Hermias sagt. was Himerius in seiner sechsten rede den Philippensern erzählt, ist 
seine eigene erfindung. Aristoteles wäre, von Alexander nach Persien berufen, in 
Atarneus durchgereist (wie Himerius jetzt auf der durchreise in Philippi eine gast- 
vorstellung gibt) und hätte die stadt und den Hermias mit einer kleinen schrift be- 
grüfst. wer den rhetor gelesen hat, mufs diese seine witze kennen. in eben dieser 
rede erzählt er von Gorgias erst das allbekannte, dals er als gesandter der Leontiner 
Athen entzückte, aber das reicht ihm nicht, weil es seiner eigenen situation noch 
nicht ähnlich genug ist: er erfindet also flugs, Gorgias hätte auch auf der durchreise 
Plataeae angeredet. von Hermias geht das was er wulste auch unmittelbar vor 
seiner erfindung vorher, nämlich Aristoteles hätte ihn erzogen und zur tugend gebildet 
sal dlsysi Tov Havarov uovov T@v yroplumv dxdoungsev. 80 hat er geschrieben, 
und so kann auch in dem römischen bekanntlich verstümmelten codex gestanden 
haben, aus dem Wernsdorf nur YJal — — ra» bezeugt. die ergänzung Ydlauor 
hör (nowov verbessert er selbst) dürfte eben nichts als ergänzung sein. Dübners 
ausgabe kann man nicht entbehren, aber allein benutzt führt sie irre. wenn der 
tatbestand der überlieferung ihnen bekannt gewesen wäre, hälten die gelehrten viel- 
leicht eher das simpele und wahre gefunden, das notwendigerweise auch gegen die 
überlieferung hergestellt werden mülste. 

4) Diog. 3,40 aus Theopomp. Schaefer Dem. Il 40. 


406 Ill. 15. Die gedichte des Aristoteles. 


man erinnert sich zunächst an das lied auf die Gesundheit von Ariphron, 
Jas die Hellenen nach dem essen sangen: ihre art “gesegnete mahlzeit’ 
zu sagen; sie waren eben religiöser gestimmt als wir. aber die art, von 
der anrufung an eine gottheit auszugehn, ist der alten Iyrık überhaupt 
eigen. so tut es Pindar mit Tyche, Theia, Eileithyia, die wenig mehr 
religiöse persönlichkeit haben als Hygieia und Areta. noch stärker ist 
die ähnlichkeit mit den liedern an das Gold und die Weisheit bei Diodor 
37, 30, die eben aus später Iyrik stanımen. Aristoteles bewegt sich auch 
hier in den festen formen der zeitgenössischen poesie. das gilt für den 
ganzen stil; es ist der des dithyrambos, mit Aristoteles zu reden, und 
die probe dieser so bedauerlich wenig kenntlichen poesie ist für uns als 
solche interessant. 

Das versmals in dem ganzen körper des gedichtes ist ein sehr ein- 
fach gehaltenes daktyloepitritisches. nur das erste und letzte glied sind 
aeolischer herkunft; es schliefst, durch synaphie gebunden, der alkaische 
zehnsylbler, und er beginnt auch, aber um einen vorschlag von zwei kürzen 
vermehrt, wenn man will, eine aeolische basis. natürlich bezeichne ich 
so nur die erscheinungsform der zeilen, die man beliebig benennen 
mag. «die ganze weise, solche glieder anzustücken, ist nichts befrem- 
dendes. sie hat in dem ithyphallikus der tragischen strophen daktylo- 
epitritischen mafses ihr analogon, und ich könnte leicht noch mehr bei- 
bringen. selbst der strenge Pindar beginnt die daktyloepitriten von Nem. 8 
und 10 mit einem aeolischen gliede. abgesondert hat aber auch Ari- 
stoteles die erste zeile als fremdartig, denn die zweite allein hat eine 
vorschlagssylbe. die schlufssylben der glieder sind überwiegend lang. 
katalexen sind sehr selten, und wenn Pindar das daktylische glied als 
dimeter trimeter tetrameter gibt, so steht hier nur einmal ein katalek- 
tischer dimeter, der auclı als anaklasis des epitriten gelten kann, sonst 
immer der gewöhnliche trimeter. zweifelhaft ist nur die auffassung eines 
gliedes in v. 12. 

Agera nokvuoyFe yErsı Pogotelw 
Yroaua xallıorov Bl, 
0a scegı apFEve oppas 
zal Yaveiv Inkwrog Ev 'EiAladı moruog 
5 zal zcovoug rAyvaı uulegorg axalıavrag' 
toiov Ei pocva Bahkeız 
zag7c09 l0aFavaTov xgVvOoL TE xpEIaOWw 
zal yovewvy uakazavyntoi $ Lrevov. 
oev 0’ &vey oi Jıös, 'Hoaxkeng Ardag Te xoügoı, 


Der hymnus auf die Tugend. 407 


10 oA” averiacav, Epyoız 0av aygeiovres Övvauır. 
ooig ÖL nodoıg ’Ayıleis Alas T’ Alda douov 1,1909, 
oas 6° Evexev Yıllov uogpäas ai Arapvkog Evrgopog 
allov xioWwoEv avyas. 
zoıyap aoldınog Epyoıs, aYavaroy Te uw avörcovcı Movoaı 
15 Myauoovvas Suyargss, Jıog Sevlov 08dac arkov- 
oaı yıllag Te yeoas Peßalov. 

Mehr noch damit das dı9voaußwdeg des stiles deutlich werde als 
zur sicherung des textes ist eine erklärung notwendig. gleich der an- 
fang gibt in einer sehr kühnen nominalconstruction was in einfacher 
prosa heifsen würde 02 yag wg To Bıuwgpeildotarov uerepyouevor rcoAAd 
zc0v0001W ol &ydowrcor. die beiden vocative stehen für den gedanken 
einander keineswegs gleich, die beiden Jative daneben stehen auch in 
verschiedener bedeutung, z0 aydgwzzıvov yEvog uoyYel, aber nicht ö Blog 
Imeg, sondern ol avdgwrroı Irgwoı TO xallıorov Ti Pip. endlich 
srokvuogdog für suepl ov molla uoyFovoıv ist zwar ganz correct, aber 
doch recht kühn. v. 5 erwartet man die unermüdlichkeit von denen 
ausgesagt zu sehen, die dulden; es heilsen aber ihre mühen ualcgol 
axauavyres. denn nur ein elender stilist könnte den accusaliv axauavrag 
von dem nachbarn walsgovg trennen und zu zAnvaı ziehen: in dem 
falle würde axauavre stehn. vielmehr sind die beiden adjective in 
mehr oder minder glossematischer bedeutung gebraucht. axauavreg 
oder axauaroı (eine variante, die sich bei Athenaeus eingedrängt hat) 
heifsen die elemente seit den zeiten des epos, der 'Qx&avog, das meer, 
die sonne, der aether, die erde, die zeit; auch der einzelne fluls heifst 
so, weil er rastlos rinnt: auch der strom des lebens und seiner mühen 
rinnt ewig, rastlos, unermüdet. und gegen diesen strom anzuschwimmen 
ist die lebensaufgabe der heroen. das complement ist uadegoi. man 
mufs nur wissen, dafs die glossographen das epitheton des feuers (nur 
das ist es im epos) als uagavrıxov fafsten (schul. Apoll. Rh. 1, 734, 
dazu Et. M.), während die vewrego: darin Aaursegov gesehen haben 
sollen. die tragiker lassen nicht erkennen, wie sie das wort verstanden 
haben, so lange wie sie es nur vom feuer brauchen, obwol zrugog ua- 
Aeoa yvasog schon gegen Aauszoog spricht, und wenn Ares als pestgott 
ualeoog heilst, so ist das epitheton des feuers um der zzugerol willen 
gesetzt, aber schon dies führt auf das “verzehrende’ feuer. stellen vollends 
wie uaAeool Atovres und gar ualegog reoFog (Aisch. Pers. 62) lassen 
keinen zweifel. im gegensatze steht Pindar, der mit uwalegai aoıdal 
natürlich Aausegal meint (Ol. 9, 22), wie auch die scholien erklären, 


408 II. 15. Die gedichte des Aristoteles. 


im widerspruche zu einer perversen deutung des Didymos. Aristoteles 
folgt den Attikern, z.ovor uaAepol ist gesagt wie zrodog ualegog. was 
er aber von den mühen aussagen will, das gibt erst die verbindung der 
beiden adjective, ou xorrıwvres dv rw wapalvsıy würde ein antiker 
paraphrast erklärt haben. des lebens müh’ und arbeit ist ein strom, 
der selbst nimmer müde wird, der ungeschwächt in ewigkeit rinnt. 
aber er macht müde, er verzehrt die kräfte des menschen; wer gegen 
ihn anschwimmt, dem erlahmen die muskeln und versagt der atem. und 
doch stürzt der heros sich in den kampf, denn die tugend zeigt ihm (legt 
in seine seele) eine frucht (einen lohn) köstlicher als gold (rzAovrog) vor- 
fahren (evy&veıa, wie Rose richtig gesehen hat) und schlaf (Hdovn). das 
ist ein einfacher gedanke; aber dem stile gemäfs sind schon die einzelnen 
glieder durch zum teile kühn gewählte exempel bezeichnet, und wahrhaft 
dithyrambische epitheta stehn dabei. der schlaf heilst ualaxavynrog. 
das wollen die kritiker schlechterdings nicht dulden. über die bildung 
neben ualoxavyı;g brauche ich nichts mehr zu sagen; das ist nur ein 
beispiel der gattung, die Herakl. 11 107 belegt ist. aber der schlaf “mit 
dem weichen glanze’ scheint den kritikern unsinn. nun so mögen sie 
an das beit eines blühenden kindes treten und die ualaxn auyr, auf 
seinen wangen selber sehen. glänzen die wangen nicht? 02ov Urcyworros 
&oevderaı avdea unAwy sagt ein geringer dichter von Pergamon (Kaibel 
Ep. 243, 12). und ist das der starre glanz des erzes? sind die glieder, 
die der Avgıweing in seinen weichen banden hält, nicht ueAIaxa yria? 
avyn wird freilich überwiegend von dem lichte und dem lichte des men- 
schen, dem auge, gesagt; aber der dichter hat doch sein recht, und 
Pindar sagt es vom golde (N. 4, 22), Euripides (Hipp. 745) vom bernstein. 
jede mutter, die nachts sich über das bettchen ihres kleinsten beugt, wird 
den Aristoteles trotz seiner kühnbeit verstehn: der kritiker sollte noch 
mehr tun, und einsehen, dafs mit überlegung nur der physische genuls der 
ruhe, der erholung, am schlafe hier hervorgehoben wird, weil der phi- 
losoph jeden gedanken an die &u»n (uellıya dwga xal evvr Mimnermos 
1,3 wenn man stehn läfst und versteht, was er geschrieben hat) fern 
halten will. — das epitheton des xaprzog, den die tugend verspricht, ist 
bei Athenaeus zu 7’ aJavarov, bei Diogenes zu eig dIavarov verdorben. 
denn dals nur ein epitheton hier stehn kann ist eben so klar, wie dafs 
xaprreog richtig ist. wenn man das streben oder sehnen hineinbringen 
will, wie soll {uegog denn nAovrov xal euyevelag xpeloowv sein? 
xaoros asavarog ist es was man erwarlet. es ist ja doch dasselbe 
was die sage in den äpfeln der unsterblichkeit symbolisirt hat. aber wenn 


Der hymaus auf die Tugend. 409 


die abschreiber a9avarog abgetrennt haben, so zeigen sie selbst, dafs 
etwas davor stand, und das versmals verlangt eine kürze mehr. zur 
emendation, oder vielmehr zur entscheidung für Diogenes, dessen über- 
lieferung man nur zu deuten braucht, hilft das duIuvgaußwöeg des stiles. 
loa$averog ist freilich neu und seltsam, aber doch nur ein synonymon 
zu l00#eog, wie die rupgavvig zu heilsen pflegt. loodaluwv Baoıksvoı, 
loodevöpo» Piov Texuag (so langes leben wie die bäume) sagt Pindar. 
loodaluwv BacıAnis apya Ariphron, lZooAvursuoı loaxrıoı aywveg sind 
die im range den Olympien oder Aktien gleichstehenden. gewifs wäre die 
zusammensetzung mit einem an sich negirten worte undenkbar, wenn 
nicht dieses wort längst zu einem positiven begriffe geworden wäre. 
dafs xaprrög Toog 17 a9avacla bezeichnender ist für den lohn eines 
strebens, Jas selbst zum tode führt, als wenn 2009eog dastünde, also 
Aristoteles zu dem wagnis berechtigt war, bedarf keines wortes. — 
Herakles und die Dioskuren sind das erste beispiel; an sich so vulgär 
wie die folgenden, Achilleus und Aias. aber pretiös ist die bezeich- 
uung der Dioskuren als _Andag xovgoı, weil sie neben Herakles unter 
den begriff oö Aıös subsummirt sind. oö Zıog hat Aristoteles ohne 
zweifel geschrieben; 6 Aıög hat Athenaeus, 2x Jıoc Diogenes. vor der 
krasis ovx, die Brunk hineingebracht hat, wird sich das lyrische gedicht 
gescheut baben. dafs Hermippos Aldao douovs für ’Alda douov ge- 
schrieben hat, obwol so das versmals ganz zu grunde gelıt, ist bemer- 
kenswert für diese art von verderbnis, die vertauschung an sich gleich- 
berechtigter poetischer formeln: die emendation ist simpel und sicher. 
das gilt auch von @Iavarovy uw avdnoovoı Moüoaı, wofür Hermippos 
aus dem nächsten verse avänoovo: hat. dafs das “gedächtnis im liede” 
(Movocı Mynuoovvag Svyaross) dem Lodten Hermias die unsterblich- 
keit verleiht, ist auf das treffendste so bezeichnet, dafs die Musen ihn 
trotz dem tode unsterblich nennen, zu ihm reden, wie sie’s zu Harmodios 
getan haben, giAta9’ Apuodı' ou ri mov redynxag. dabei verherr- 
lichen sie (av&ovoa:ı) seine gastfreiheit und freundestreue; ovroGg xal 
Ala 5evıov doeßero xal yıllav Beßaıov ykgaıpev (wie vouovg yepal- 
osıy) sagen sie: das ist wieder nominal ausgedrückt o&ßag Aıog, y&pag 
gıllas. schwierig ist nur um des versmalses willen v. 12, ich habe 
so abgeteilt, dafs es ddee ergibt; dazu war aeAlov in aAlov zu ändern, 
was belanglos ist, und anzunehmen, dafs d, der daktylische trimeter 
anomal aus drei dactylen bestehe. die anomalie ist bekanntlich im drama 
sehr gewöhnlich; aber für die Iyrik fehlt ein beleg, und die reste vom 
gastmahl des Philoxenos sind für mich zu verdorben, als dafs ich zweifel- 


weÄKTy, 
k.»s, 


410 Ill. 15. Die gedichte des Aristoteles. 


haften stellen dort irgend etwas abgewinnen möchte. es ist aber noch 
ein anderer weg vielleicht gangbar. wenn man «eAlov stehn läfst, so 
gibt der schlufs ein tadelloses de, und d steht am anfang. es bleibt 
-pag xal Arapv&os. darin können die schlufssylben zusammengezogen 
gesprochen werden. zwischen eo und &v ist im ionischen der unter- 
schied ganz gering. nıan würde also einen epitriten erhalten, wenn xa/ 
elidirt werden könnte. das ist weder attisch noch in der älteren Iyrik 
oder bei guten elegikern möglich. aber wann hat es begonnen? mir 
ist gerade ein beleg aus einem Iyrischen gedichte gegenwärtig, das in 
seinem stile stark an das aristotelische erinnert (fragm. adesp. 129 Nauck; 
de trag. fgm. 24). die untersuchung kann ich zur zeit nicht führen; 
vielleicht entscheidet sie rasch einer unserer grammatiker. dafs xai in 
lonien schon um 450 vor diphthongen seinen eigenen körper ganz verlor, 
zeigt x’ Oivosclöng IGA 381, 19: das ist elision; in Athen würde es 
xıwvorclöng lauten, mit krasis. die elision von aı in den verbalformen 
ist alt und nimmt immer zu: es liegt nahe, dals sie die häufigste par- 
tikel ergriff. aber hier fehlt mir die gelehrsamkeit die sache zu ent- 
scheiden. 

Für den sinn des ganzen gedichtes ist die vorstellung wichtig, die 
der dichter von dem verhältnisse gibt, das der mensch zu der göttin 
Areta hat. er sehnt sich nach ihr (11), jagt ihr nach (2. 10), und zwar 
ihrer uooga (3. 12). man sollte danach meinen, er liebte sie. allein 
das erotische ist ganz fern gehalten. die Areta ist jungfrau: szapd&ve 
steht bedeutsam neben uoggag. der mensch bemächtigt sich ihrer nicht 
wie Herakles der Hebe; nur ihrer uooga gilt seine jagd, ihrer Zö£e. 
das ist ja ein synonymes wort. wenn wir modernen den menschen 
der idee der tugend nachleben lassen, von seinem idealen streben 
reden, so ist das unsinnlich, blafs, pbilosophisch. aber es klingt darin 
doch die zregi ra eiön Yıkocogia nach, wie der platonische brief an 
Koriskos, den freund des Hermias, die lehre Platons nennt. so viel ist 
sicher, dafs diese philosophie, die in dem rotwälsch der philosophischen 
compendien, wie es die candidaten im examen reden, mehr absurd als tief 
klingt, sofort verständlich wird, sobald man griechisch denkt oder redet, 
also in dem eidog die form, gerade nach ihrer sinnlichen erscheinung, 
zunächst bezeichnet hört. umgekehrt müssen wir hier, wo wir zunächst 
nur die schönheit der himmlischen Jungfrau hören, daran denken, dafs 
die form, die idea, für den dichter eine ganz übersinnliche bedeutung 
hat, weil er Platoniker ist und einem Platoniker zu ehren dichtet. es 
ist das eidog des höchsten gutes, nach dem die menschen streben, durch 


Der hymnus auf die Tugend. 411 


dessen besitz (od uede&eı) sie eudaluoves werden, und dieses höchste 
gut ist das höchste gute, das xaAov. aber dann ist es nicht die Areta, 
nach der sie streben; die Areta ist überhaupt nicht aufser ihnen, son- 
dern in ihnen, und durch sie erstreben und erreichen sie, dafs sie 
ayasol und eidaluoveg werden. nicht um tugend zu erlangen, haben 
die heroen ihr leben geopfert, sondern sie haben das leben das sie 
lebten und den tod den sie starben der tugend geopfert die sie besafsen. 
das gedicht erscheint also in seiner ganzen conception widerspruchsvoll. 
es heifst an einer anderen stelle, dafs die heroen viel erduldeten, mit taten 
jagend nach der dvvauıc der tugend (10). das ist ganz aristotelisch. 
tag yap aperag Aayıfavouev Evepynoavres neöTepov Worceg xal Erl 
wv aAlwy TeXxvWv' & yap del Hadovrag moLelv, TauTa 7tOL0UYVTEG 
uav$avouevy (Eth. H 1103°%). die tugend ist in der energie eher vor- 
handen als in der dynamis. so weit ist es gut. aber eben da lernen 
wir, dafs die tugend keine duvauıg ist, denn für die blofse potenz gibt 
es keine moralische werturteile. die tugend ist eine &&ıc, eine EE&ıg 
zrpoaıperinn 89 ueooımtı ovoa 77 rrpög Nuäs. das ist die aristote- 
lische definition. diese seine «gern hat mit der des gedichtes nichts 
zu tun; an sie kann man kein lied richten, sie ist keine göttin. also 
auch hier zeigt sich, dafs das gedicht keine voll befriedigende erklärung 
zuläfst. die Areta, Jie wirklich eine göttin ist, für die die heroen das 
leben gelassen haben, weil sie nur so gewonnen werden kann, ist die 
age) der Atbener des fünften jahrhunderts: Yuynv avziggorra Seyres 
nAhaSavz’ agsrnv. erst der tod, der heldentod, macht den ayne ayasoc. 
apnıparovg yap Feol Tıuwoı xal &vdowzrcor, sagt selbst Herakleitos. 
so dachten sie damals, und diese apeın ist freilich mehr als tugend; sie 
läfst sich nicht mit einem worte übersetzen. die ehre des mannes ist 
sie, die mit den ehren und dem erfolge nichts zu tun hat; die men- 
schenwürde, die der götterhöhe nicht weicht; die treue bis in den tod 
zugleich mit der krone des lebens. die Sokratik hat gewils eben dadurch 
möglich gemacht, eine religion zu sein, nicht blofs ein philosophisches 
system, dals sie die sittlichen ideale des volkes nicht verleugnete, son- 
dern steigerte verklärte vollendete; aber weil er die philosophie erst 
wirklich zur wissenchaft machte, kam Aristoteles von der religion weiter 
ab. hier nun griff er nach den formen der attischen poesie, den me- 
trischen und den sprachlichen, er griff ebenso nach den formen und 
vorstellungen, in welche die dichter seines volkes die sittlichen ideale 
gefalst hatten. die conventionellen figuren der heroensage treten auf 
wie in der Iyrik, und die Areta wird zu der, für welche Achilleus 


Die 
elegie an 
Eudemos. 


412 II. 15. Die gedichte des Aristoteles. 


sein leben gelassen hat. Aristoteles dachte von der tugend anders; 
aber er versuchte in die alten formen einen neuen inhalt zu legen, 
seine sittlichen ideale, seine religion. wir zollen dem klugen stilisten 
unsere anerkennung gern, wir freuen uns an der geschicklichkeit des 
durch die kritik zum dichter gewordenen gelehrten, wir beugen uns 
vor der erhabenheit des im edelsten sinne religiösen mannes und vor 
dem pietätvollen schmerze des freundes: aber die widersprüche und 
die unvollkommenheiten solcher poesie, die aus nachahmung und an- 
passung entsteht, dürfen wir nicht verkennen. wer ein wirklicher dichter 
ist, der schafft sich selbst seine symbolik. das konnte Aristoteles nicht. 
zu einem gotte, wie der des Platon und Aristoteles ist, kann man nicht 
beten, und das lied ist für den dienst dieses gottes keine angemessene 
form mehr. aber das gefühl, das einst die heroen und dann den So- 
krates und jetzt den Platon und den Aristoteles so leben und so sterben 
lehrte wie sie getan, die treibende kraft in ihrem busen, die ihnen 
dazu verholfen hat, gut und glücklich zu sein und die «gern zur &ıc 
zu haben, sodals wir sie jetzt wie tausende vor und nach uns als heroen 
verehren dürfen, dieses gefühl, das ilınen vielmehr die tugend gab als 
sie die tugend suchen lehrte, und das ihnen doch immer wieder tugend 
und glück als unerreichtes und doch erreichbares ziel zeigte, dies gefühl 
empfanden sie als unmittelbar wirkende gottheit, das verdichtete sich 
ihnen, da sie doch Hellenen waren, zu einer göttlichen person, und 
diesem gotte konnten sie auch hymnen dichten: Eros ist der rechte gott 
oder vielmehr daemon für diese religion, der mittler zwischen der men- 
schenseele und der seele des universums, dem reinen voouc, der löda 
rov xaAov. dem hat Platon seine hymnen gesungen, echte poesie, in 
inhalt und form ganz und einig, und ganz sein eigen. 

Es kann nicht anders sein und gerade die geschichte der helle- 
nischen philosophie bestätigt es, dafs das bedürfnis des frommen herzens, 
zu verehren und anzubeten, sich den menschen zuwendet, in denen das 
göttliche leibhaft waltet, wenn die persönlichen gölter (mögen es viele oder 
einer sein, die zahl ist überhaupt ganz gleichgiltig), die sich der mensch nach 
seinem bilde erschaffen hat, nicht mehr genügen, und der unpersönliche 
gott zu hoch rückt, als dafs sich der sterbliche auch nur der hoffnung 
eines persönlichen verhältnisses zu ihm unterfange. unschätzbar ist 
das document Jafür, dafs Aristoteles einmal so zu Platon aufgeblickt hat, 
die elegie an Eudemos, die aus dem commentare des Olympiodoros zum 
Gorgias zuerst Menagius veröffentlicht hat. erhalten dürfte auch dieses 
bruchstück durch die biographen sein. ' 


Die elegie an Eudemos. 4183 


2I9wv 6° &s nAeıvov Kexponh,s darcedov 
eloeßBEwg oeuyns Yilins ideioaro Bwuov 
avdeöos öv od’ alvelv roicı xaxolaı FEuig' 
öG uövos n nowrog Ivynrwy xareösıtev dvapyıg 
olxelw te Blw xal uedodoroı Aoywy, 
ws ayasog Te xal evdaluwv aua yiveraı avng 
ov viv Ö' Eorı Aaßelv ovderi Tausa score. 
leider ist der gewährsmann ein ignorant, und so weils man nicht, wie 
viel man auf den ausdruck zgog Evdnuov zu geben hat. ist er genau, 
so war das gedicht an Eudemos gerichtet; dann ist unsicher, wer darin 
als der genannt war, der nach Athen kam. der adressat kann der 
Rhodier Eudemos sein: dann gehört das gedicht der späteren zeit an; 
oder der Kyprier: dann ist es vor 357 verfalst. sehr viel ansprechender 
ist dagegen, dals der unbenannte, dem das gedicht galt, der Kyprier 
Eudemos war, und dafs das gedicht durch die freundschaft zu diesem 
dem Aristoteles entlockt ist, ganz wie der dialog seines namens. dann 
war es aber nicht an ihn gerichtet, da er in dritter person erwähnt 
wird, und Olympiodor hätte eig Evdnuo» sagen sollen. wenn ich nun 
auch diese zweite auffassung vorziehe, so muls ich doch gestehn, dafs 
die sache keinesweges sicher ist. 

Sicherlich hat dagegen Olympiodor mit der beziehung des gedichtes 
auf Platon recht. es war eine verirrung, diesen durch Sokrates ver- 
drängen zu wollen. erstens konnte Aristoteles für Sokrates kaum eine 
lebendige persönliche verehrung haben; der platonische, nicht der wirk- 
liche Sokrates würde das sein. zweitens hat Sokrates durch seine lehre 
gar nichts bewiesen, da er überhaupt nichts bewiesen haben wollte. 
wer aber seine person allerdings mit recht als einen beleg für den hier 
ausgesprochenen satz verwenden wollte, dafs glück und tugend unlösbar 
verbunden sind, der konnte gar nicht anders als statt des oixelog Blog 
vielmehr den tod nennen: sein sterben hat dem Phaidon seine evdar- 
uovia offenbart, und ohne den tod würde er wirklich nur ein sophist 
geblieben sein. mit recht hat dagegen Bernays den letzten vers für 
verdorben erklärt. die stellung der negation und der adversativpartikel 
und die unvereinbarkeit von vv» und ‚cor& zeigt es nicht nur, sondern 
läfst auch an dem sitze der verderbnis in oö vv» keinen zweifel. auch 
dafs der sinn verkehrt ist, wenn darin liegen soll, jetzt wäre niemand 
mehr im stande gut und glücklich zu werden, ist klar: nur als erster 
hat Platon das durch leben und lehre bewiesen, aber das ziel ist er- 
reichbar, ja leichter erreichbar muls es sein, seit der beweis der möglich- 


414 ID. 15. Die gedichte des Aristoteles. 


keit erbracht ist. leider ist zur heilung des fehlers kein schritt weiter 
geschehen. sehr hübsch wäre es, wenn da gestanden hätte, was Bernays 
will “und glück und tugend können gar nicht getrennt besessen werden”. 
aber wenn er uovvas für ov vu» setzt, so ist die palaeographische 
unwahrscheinlichkeit das mindeste. wo immer uovva& steht, ist es ge- 
rade von einem einzelnen pare, tänzer oder kämpfer, gesagt, nicht von 
einem von zweien. od dlxya Ö’ ist vollends ein sprachfehler; diye d’ 
ovx &orı ordnet das ein Grieche, und ferner heilst diy« Außeiv trennen, 
und dazu pafst oudevi nicht. der gedanke von Bernays wird überhaupt 
schwerlich der wahre sein, denn der plural raur« palst schlecht, oud’ 
Eorı Jareoov Aaußelv xwolis würde es einfach heilen, und dies wie 
auch immer stilisirt ergibt keinen plural. so ziehe ich vor von der 
letzten zeile ganz abzusehen. 

Der stil der elegie ist, wie zu erwarten, der conventionelle. da ist 
die periphrase xAeıyov Kexporsing Öarcedov für Athen, daneben sehr 
viel wenig poetisches, wie uövog 7 suewWrog, wie olxelog als possessiv 
der dritten person, und gar das philosophisch technische uEFodor Aoywr. 
metrisch ist v. 6 ganz ohne wortende im dritten fulse bemerkenswert; 
aber caesur nach der hebung des zweiten und vierten fulses und diaerese 
vor dem fünften machen den vers dennoch leidlich wollautend. gerade 
dafs der elegiker der prosa so nahe wie kein anderer dichter damals 
bleiben konnte, gestaltete die bedeutenden gedanken einfach auszu- 
sprechen. 

Und nun die hauptfrage: evoeßEwg aeuyng gYıllns lögvoaro Bwuor 
avdooc (ITAarwvog), was heifst das? ein “altar der freundschaft’? das 
ist als metapher für backfische, aber nicht für Hellenen erträglich. 
gewifs kann Philia einen altar erhalten, aber nicht die Philia eines 
menschen, da zur freundschaft zwei gehören, und wenn man selbst 
einer derselben ist, so kann man diese Philia nicht verehren. dies ist 
überhaupt falsch construirt. «avdeos kann gar nicht von dem genetive 
pıllag abhängen, sondern es bleibt die wahl, die beiden genetive &x 
scapakinkov durch oynue "Iwvınoy gestellt zu denken, dann kommt 
prosaisch etwas wie Swuov Tov oeuvorarov pliAov Illarwyog heraus, 
oder, was ungleich poetischer ist, der genetiv ist der des grundes (im 
griechischen durch den verlust des instrumentalen ablativs entstanden), 
zu dem die alten grammatiker ein Asirreı 7 Evexa zu bemerken pflegen, 
und wir müssen paraphrasiren oeßouevog nv osuyny Qıklav Bwuoyv 
idevoaro Illarwyog. so, glaube ich, hat es Aristoteles gemeint, und 
auf alle fälle sagt er, dafs der mann von dem er erzählt, also Eudemos, 


Die elegie an Eudemos. 415 


um seiner freundschaft willen dem Platon einen altar gestiftet hat. er 
sagt genau das was die biographen herausgelesen haben, die geradezu 
Bwuov Agıororting idouoaro rövde ITAarwvog überliefern. auch den 
anstols der modernen hat einer von ihnen genommen und 0nx0v für 
Bwuovy eingesetzt, damit nicht der göttliche cultus des Platon darin 
stünde. aber gerade der bleibt bestehn. weder die interpolation bringt 
ihn fort noch die kümmerliche ausrede, “das meint er nur metaphorisch”. 
es ist ganz gleichgiliig, ob Eudemos oder Aristoteles selbst den altar 
errichtet hat, das heilst steine dazu hauen lassen und eine inschrift hin- 
einschneiden, oder ob wir das so metaphorisch fassen: “er hat in Platon 
einen gott verehrt’. gerade dies bleibt bestehn, ja es ist die pointe des 
gedichtes, sonst hat es gar keine. so hoch steht doch wol das empfinden 
jedes Platonikers, dafs er dem gotte Platon nichts direct hat zu liebe 
tun wollen, wenn er einen kranz auf den altar legte oder ein weihrauch- 
kerzchen ansteckte: aber legen wir etwa keine kränze mehr zu den 
fülsen einer ehrenstatue oder um eine gedächtnistafel? ein gott, den 
man um gutes wetter oder gute träume oder glückliche fahrt anflehte, 
war Platon gewils nicht; solche götter gab es für Eudemos und Aristoteles 
überhaupt nicht mehr. aber ein gott war er doch: sie fühlten seine 
macht, die befreiende und erhebende, in,ihrer seele. darum widmeten 
sie ihm eine verehrung in der form des cultus. die sitte hatte den 
cult der abgeschiedenen seele längst geheiligt, und dieser teil der religion 
hat auch dem wechsel der formen am zähesten widerstanden, und es 
dürfte den zeloten von heute, den gottlosigkeitspfaflen, schwer werden 
totencult und totenspenden zu beseitigen. aber der totencult war für 
den Hellenen der gegensatz zu der gotlesverehrung; ein gewesener 
mensch blieb für den cultus mensch, das unreine des todes und der sterb- 
lichkeit klebte ihm an. der tote kann keinen altar haben, Bwuog und 
tapog sind unvereinbar. wenn Simonides den zapog der kämpfer von 
Thermopylae einen wuog nennt, so sagt er, dafs sie durch den tod 
die a9avarog agsrn gewonnen haben und gütter geworden sind. und 
wenn seine schüler dem Platon einen altar errichten, so erklären sie ihn 
damit für einen gott. ob der mensch Platon den staubleib noch trägt, 
da sie es tun, oder ob staub zu staub geworden ist, macht gar keinen 
unterschied. gott und tod sind unvereinbare begriffe. die bedeutung 
des gottesbegriffes und dieser verehrung, nicht des sterblichen Platon, 
sondern der unvergänglichen göttlichkeit in ihm, ist dem nicht von fern 
aufgegangen, der wähnt, es täte etwas davon oder dazu, ob Platon der 
sterbliche noch am leben war. wer will, mag seiner empfindung nach 


416 I. 15. Die gedichte des Aristoteles. 


eine vßgıs in der praedicirung der evdauuovia eines menschen finden; 
so würden Herodotos und Aischylos und Sophokles geurteilt haben, und 
ich selber bin dem vielleicht sehr geneigt. und die schüler haben nun 
einmal so geurteilt, die tatsache darf nicht weggedeutelt werden. und 
wahrhaftig, wenn er vor ihnen stand, und sie ihn wirklich für aya3og 
und evdaiuwv hielten, so war er ein gott, und es war eine blasphemie, 
wenn ein schlechter mensch selbst lobend von ihm redete. dies sagt 
Aristoteles von ihm aus: aber die notwendige folge daraus, dafs er ihn 
für einen gott erklärt, will man nicht ertragen? des menschen aufgabe 
ist dp’ 0009 Evölysraı adavarileıy, sagt Aristoteles (Eth. X 1177°): 
wenn es einem gelungen war, das ganz zu tun, was war er dadurch 
geworden ? 

Ob der altar wirklich errichtet ist, macht für die empfindung, für 
die asebie, wenn’s jemand so zu nennen wagt, nichts aus. aber was 
soll uns dazu bringen, die worte anders zu deuten als sie dastehn? 
verhinderte vielleicht ein gesetz oder die polizei eine solche private 
weihung? schritt der staat, der den Jeöog i9ugpallog zuliefs, gegen 
den Jeög IIarwy ein? tat dieser gott dem odßeoIaı Tovg rarglovg 
$eovg abbruch? ob der könig eine denuntiation aoeßelag gegen die 
weihenden angenommen haben würde, wenn jemand geklagt hätte, ist 
mülsig zu fragen. vielleicht; vielleicht haben die jünglinge es auch 
darauf ankommen lassen. an Platon hat sich nicht einmal ein sykophant 
gewagt; so mag auch selbst der pfaffe Eurymedon diesen beweis für die 
asebie des Aristoteles verschmäht haben. das äufsere zeichen ist doch 
immer nebensache. die empfindung aber — nun ich will von Epikuros 
und Alexandros und Augustus gar nicht reden, aber wie haben Bettina 
und Rahel und recht viele andere zum alten Goethe aufgesehen ? wie 
Paris zum greisen Voltaire? wie wir Deutsche zu unserm guten alten 
kaiser Wilhelm? sünde oder nicht vor den pfaffen, dummheit oder nicht 
vor den rationalisten: ein ächtes und ein frommes gefühl bleibt es, das 
den menschen in dem grofsen und guten menschen gott finden läfst 
gerade so gut wie in der elementaren natur, und zwar gerade den 
menschen, der über die formen der conventionellen religionen hinaus 
ist. dieses ächte und fromme, aber allerdings schwärmerische gefühl hat 
auch ein Aristoteles geteilt: das ist tatsache. finde sich jeder mit ihr ab 
wie er will; ich habe ihn lieb darum. 


REGISTER. 


1. Sachregister. 


Achaia, chronik . . ». . .. 2,2 
Acharni . 2 2 220.0. 2, 152 
— bevölkerung . . . . . . 2, 210 
Acherdus . . . 2 2 2...%, 153 
Achniaden . . . 2 ........ 2, 268 


Adeor0os . » . 2 2.2.0.2 170 
Admetos . . 200.2, 321 
aedilis = vaonoıis . 2020.20. 66 


Aelian -. . 2 2 200200. 177. 262 
Agesilaos . . 2 2 2 200... 2,383 
Alakeion - . 2 2 2 202. 2281 
Aigikores . . . . . 2,128. 136 
Aigina . . ... 3 89. Ill cap. 2 


— chronik. . . . . 2, 27 
Aischines redner. . . . 354. 2, 269 
— gesandtschaftsprocels . . . ), 237 
— überlieferung der reden . . 36 


Aischines Sokratiker 149. 160. 183. 'q, 99 
Aischylos Eumeniden . . . Ill cap. 7 
— Lykurgie . . . 2 .2..0.%2,69 
— Perser . . . 2 2 22 .0.14 
Akastos, könig -. -. . ... 2, 131 
Akestorides, rchon . . . 24. 2, 81 
Aktaion, könig . . . . ._. 2, 126 
dei. . ... 2, 35. 127 
alexandrinische poesie . 2, 3 
Alexandros. . . 2. 2... 336. 370 


— briele . 2 2 2 2020 2..2, 393 


Alkibiades . . -. - 2 ......62. 132 
Alkidamas . . . . 2 .2..2..2, 394 
Alkmeon, archon . 2, 81*) 
Alkmeoniden . 17. 32—36. g, 55. 325 
Amelesagoras . -. . . . 228. 2, 20 
Ammoncali . 2 2 2 2.2.2..209 


a | —— 


Anakeion 


Amphiktion, könig en 0. 2, 126 


Anaphe, chronik . . . . . 2, 26 
Andokides . .. 


avdads. » 2 22 een. 46 
Androdamas Dee... 67 
Andropompos . . . . 2, 129 
Androtion 2. 52. 123. 288 
Angele . . . 2, 152 
Ankyle . 2, 155 


Antiochos v. Syräie ? 2356. 2, 27 
339 


Antipatros . 


Antiphon v. Rhamnus . . . . 3, 16 
— — — der redner . . . . . 170 


— rede5 . . . . 2, 369 
— rede6 . . . . 2, 347 
— 7.000... . . 218 
— verteidigung . . 2, 362 


Antiphon sophist 7. Onovolas . . 173 


Antisthenes . . . 183 
Anytos . . . 128, 2, 375 
Apaturienopfer . . . . . . 2, 271 
Apheidas, könig . . . . . . 2, 129 
Apollon . 2, 44 


Apollodoros v. Kyzikos 22052188 
Apollonia in Epirus . . . . . 293 


apotheose . 
Aoxsavaf . 


Archedemos . .» . . .. 2, 213 
Archestratos v. Phiya . .. 68 


Archidamos v. Sparta, regierungeselt 147 
Archinos 


Archytas v. Amphissn. 2.2.18 


Areta 


2, 368 
. 2, 410 


*) Ich scheine die belegstelle nirgend angeführt zu haben. Pollux 8, 110 datirt 
die einführung der 10 phylen auf den archon Alkmeon, quelle ist die chronik. es 
folgt daraus, dafs dieses das erste jahr der neuen ordnung ist, also 506/5; und dafs 
Kleisthenes einen geschlechtsgenossen wählen läfst, wahrscheinlich als seinen eigenen 


nachfolger (s. 6), ist ganz in der ordnung. 


v. Wilamowitz, Aristoteles, II. 


27 


. ’ D}] “ 
- r [ 
. 


Athen topographie des landes II cap. 6 
— — der stadt . . . 270. 2, 160 


418 Register. 
Aentoßns. » >» 2 2.2. «2, 182 
Meynddas . 0. 2 175 
aoyös (oiros, vage) - 00. .219 
Aoipgeav . . - . 2, 86 
Aristeides . 145. 152. 159 


— 5. 8. gesetz . . » 2... 124 
Aristides, rhetor. . . 2 2 0. 298 
Aristion. . . . 14. 261 
Aristokrates, Skelias > 2.2. 0.100 


Aristophanes . „2, 382 
— Thesmophoriazusen I cap. 8 
— Wespen . . . 2, 244 
Aristoteles leben und entwickelung 

I cap. 10 
— beurteilung der pposa . . . 169 


nationalgefühl . . . . . . 369 
stellung zu Demosthenes . . 349 
— zu Ephoros . . ». . . . 305 
— zum landleben . . . . . 357 
— zu militär und flotte. . . 209 
zeitrechnung . . . .... 4A 


ns. Baaıleis . .. .» 339 
briefe . u m. 393 
Öıxaauarta . © 2 2 0. . 305 
Eudemos . . . ..» . 328 
gedichte Ir cap. 15 
Poetik . 321 
Politien 2, i8. 22 
Politie der Athener 

— abfassungszeit . . . . .„ 211 


benutzung d, Androtion. . 42 
— der Atthis Icap. 1. cap. 8; 117 
— der attischen gesetze 238. 256 
— des Herodotos. . I cap. 2 
— des Theramenes 62. 126. 161. 
165. 

akademischer traditionen 118. 
128. 

— des Thukydides Il cap. 5 
Berliner exemplar. . . . 291 
Londoner exemplar 291. 294 
interpolationen . . . .„ . 294 
— geltung in späterer zeit . I cap. 9 
der Lakedaimonier . . . . 2, 24 
Politik . . . 2 2 200202..355 


Da a a En be En En BE u 


— idealstaat . . 356. 363 
— verurteilung der frauenarbeit 235 
Protrepiikos . . . 2 2... 327 
Pythioniken . . . 2.2.3 
— Rhetorik . 320. 349 
Arkadien, chronik .... 2, 22 
Arrian .. 122 
Artemis 2... 132. 2, 318 
Aspasia . . .. 263. 2, 99 
Athanadas v. Ambrakia 2, 29 
Athen archontenliste . 0.0.01 
— bevölkerungszahl Il cap. Y 


— königsliste. . . . . 2, 131—35 


— geschichte: bis Solon. . II cap. 2 
— — reform von 683. . 2, 40. 53 
— Drakon und Solon 8. d. 

— erster heiliger krieg . 10—20 
— 593560 . . . . . 2, 308-12 
— tyrannenzeit 2, 66-70 


vgl. Peisistratos, Hippias Klei- 
sthenes u. dgl. 
kampf um Leipsydion . . . 34 


geschichte 507—480 . 2, 77—91 
280— 87 
schlacht bei Marathon 112. 2, 84 


aeginetischer krieg. . 2, 88— gu; 
490—80 . .... 


480—62 154—58. 2, 91—95 
Eurymedonschlacht. . . 2, 292 
thasischer krieg. . . . 2, 295 
465— Al. . . 2, 97. 291-295 
schlacht bei Tanagra . 2, 294 
bündnis mit Argos. . . 2, 331 


aegyplischer krieg . . 158. 2, 297 
kimonischer friede . . . . . 289 
samischer krieg . 
hermenfrevel . . 2, 113 
revolution von All 97—105. 164. 

2, 113—125. 345—51. 35661 
— Arginusenprozeß . . . . . 127 
— reslauralion 408. . . . I cap. 11 


— 390—80 . 2, 374. 382 
— 370—-50 . 343 
— 338. . 2, 395 
— 3338—22 194. 348 
Athena 2, 36. 233 
— Alea. . 2, 44 
— streit mit Poseidon. g, "37. 199 
— alter tempel . . . . ». ..115 
Adıyaios . .. 2, 35 
Atthis . 2. 98 I cap. 8 
ATIROS: > 2 2 en 2, 36 
dros, Araros . 2, 170.175 
Auriden. . 2 2 2 2000... 2, 153 
als . . . a |; 


akornlareiv . ln 2, 310 


Balkıiov . . » 2... 3,1% 
Baoılevs . 181. 2, 136 
Basiliden . . ....2, 130 
Bekkers fünftes lexikon . . 226. 294 
biographica in schol. Plat. und Lu- 


ae ne. 263 
Bi$vs ... 2.2... .2 176 
Boeckh . .. . 12. 375 
Bondgeoma . » » .» 2 2... 132 


briefstil . . . 2»... 130. 2, 392 
Brytiden en 


Register. 419 


Bukoleion . . 
Bolt 222. . 
Butaden. . 2. * 
Buzygen 2 2220000. 2,86 


Chairemon v. Apollonis . . .. 293 
Charminos . » 20. + 
Charme . . ven. 266 


Charon v. Lampsakos . . 152 
Charondas 2 2 2 202, 66 
Chis. 22. 2,381 
Cholargos . . . . 2, 159 
zogla, rhetor. terminus . . 10 
zesawnidu . . . 
chronologie . . . Tap-i; Er 
Clemens Alex... a 5 
a 021.00 
Daidsliden. . . .... 23,155 
Damasis © 222002. 10 
Damia und Auxesia . . - 2, 282 
Damon, Damonides . . . . . _. 134 
Dekeleia . 2 2.2.2002, 266 
Dekeler ...... 2, 172 
Des 2222 nn nn 5 2 
Demon 2 2 2.2.2202. 213. 280 
Delphi . 24 
— geschichtliche tradiion . „28. 
2, 20. 21 
— tempelbau.. . » ‚a En 
— Athenerhalle . . .  . 2, 
Demades . 
Demetrios 
Demosthenes . 
— “unächte” . 
— gegen Androtion . . .211 
— — Aristogeitonl . . . 2, 402 
— — Aristogeiton II 327 
— — Boiotos . 2... 2, 179 
— — Makartatos . 2 00. . 259 
— — Eubulides. 2.2... 3 
— prooemien. . » 2... 2, 402 
Önuom . 222,356 
demotika in der anrede . - 192 
Demotion archn . . 2. « 93 
he 2, 279 


Demotioniden . 
Iuxavaggınöv yı 


Diodoros, perieget . . 0... 263 
— vw. Sicien. 22.0202 290 
—— Moqudlin . 2... .266 
— — X stoffverteilung . » . _- 156 
droyioms Andgrns . = 1° 2, 178 
Diogenes Laertius, I, quelle . . . 266 
Dionysios v. Chalkis . » . . 2, 28 
—vwMilet. ee 28 
Dionyso® . 2 2.2.2. 22, 42.69 
dithyrambos . + +. 2, 406-10 


Drekon . 2. - 
ae 1 en 
Dropides archon . 


9. 57. 97 


1.G. Droysen . 

M. Duncker. . . . 

Dyaleer. . . . 

Eion, eroberung. . . - . 146. 155 
Mad 2. 2... 2 2269 

dedie nn. 

Eleusis . . . 


Elis, chronik . . . 
synoikismos . - 
U. Emmius . 


Evos . 
Bohne, ‚pöyien . 


_ La it 1 des "todes” 
Ephoros. . . . 
— stellung zu Ai 
— zur Atthis. . » 
Epikephit 
Epikrates, gesetz über . F 
Epilykos, polemarch . 
Epimenides . . . > 2.3 
Erechtheus. . . . 
Eretria . oo. 
Erikeia . . 2...» 
Erden . .. . 
FR 
Eier, Chronik} 
Eubulos. . . 
Eudoxos. . . . » 


Euenos v. Paros 


. Älopeke 
Eumelos v. Korinth . 
Eumeniden.. » . - 
Eumolpiden. . . 
Eoonymoi v. Äphienon 
Euphemos . . . . . 


Eupolig Demen . . . . .„ 11.181 
Euripides Ion. . . . . 2, 137. 142 
_ — scenerie . wen. 3 
— Phoinix. . 2.0.0... 181 
Euthydemos archon. . . . . . 24 
Euxitheos v. Halimus . . . . . 32 
—v.Myilene 2... 2. 2,368 


Frauen keine rechtssubjecte : 247 


frauennamen . 2... +. +23, 178 
Geleon . . . 2. 2,136 
geseize und versung 2.265.288 
— Anordnung a + 
‚oinem, duysapam . . . . . 241 
A al 2, 008 


— Ölympiakos . » 


420 


Gorgias Palamedes . 2, 236 
Graes, demos . . 2, 252 
Griechische geschichte der modernen 


375—381 
Grote. . 00.378 
grundbesitz, "privater . 2, 47. 227 
— heiliger . 215. 2, 240 
— verschuldung . . . . 2, 55 
grunderwerb der neubürger . 364 


Habron archon . . . . 2, 93. 301 
Harmodios .. 2 


.. Fe er 
gesetz des Hegemon. 228 
Hegesias archon . 0. 24 
Hekale . 2, 157 
Hekataios ...2,8 
Hellanikos 282. 283. 2, 19 
Hephaistos . . . . ... 2, 38 
Herakleia Pont. u 2.8357 
Herakleides v. Klazomenai 188 
— — v, Pontos . . ...265 
— — epitomator der Politieen. 292 
Hermias . 334. a 404 
Eouoxonidas . 63 
Hermokreon archon . . 24 
Hermos . . 2, 158 
Herodotos 269. 2, 9. 281 fe. 


— abschlufs d. werkes 


— quellen u. gewährsmänner "285 
— übergänge u. verknüpfungen . 33 
— stellung zur Atthis . 30. 288 
— zu Solons gedichten 15. 315 
Howen . 2, 181 
Hestiaia . 2, 155 
Hesychius ....294 
hetaeren . 216. 218 
— namen . . 99 
‚Iusgaios . 2, 176 
Himerius .. 2, 405 
Hipparchos Charmos s. 114. 2, 82. 87 

eisistratos 8. 109. 273. 2, 70 
Hippies v. Elis ‚20 

eisistratos s. 112. 2, 70 


Hippokleides - . . 2.2... .2, 73 


Hippomenes 2, 132 
Hippys 2, 28 
"Pas. 2, 176 


Playlöns a, 7 
Hyperbolos . 129. 130. 2, 53 
Hypereides, geburtsjahr ... 225 
FHypsichides archon . 


a, 1;) 
Tovadıan . 2.2.2.2... 2 


139 
Jamblich. protr. sophistische quelle 174 


Idomeneus v. Lampsakos . . 183 
lon u. söhne 2, 136. 154 
Ion v. Chios 0 00.0. 145 
loniden . » : 2 2.2.2..2, 122 


Register. 


lonien, chroniken . . 2, 29 
lonier . 2, 141 
lophon Peisistratos s . 112 
Iphikrates 347 
isadavaros 2. 409 
Isagoras 2, :6 
Isokrates 72. 167. 318. 344 
— tod . . 2. 395 
— Buseiris . . „2, 14 
— NpÖS Tovs saras 320 
_ kon? . 2, 380—8+ 
— Panathenaikos . 138. 2, 380. 392 
— briefe. . . u cap. 13 
IGOUSTENTOS . |.) 
Isthmos der Messenier . 2, 296 
Istros -. . 2... 2. 219 
Kadmos v. Milet . . 2, 20 
Kallias v. Angele, archon . 098 
— Kolliades . . . . .» . 135 
— v. Skambonidai, arehon ..0% 
Kallibios . . . 2, 389 
Kallikrates Vv. Paiania 2, 214 
xaravaxas . . 212 
Kedon . 38 
Kekrops . . 2, 128 
xepalasov rhetor. "terminus 2, 387 
Kephallenia . . 2, 39 
Kephisos. . 2, 155 
Kerameikos, friedhof” 2. 292 
Keryken . . 2, ı4 
Kikynna.. . 2, 155 
Kimon 114. 135—38. 180. 2, 91. 97. 98 


— ostrakismos . . 
Kleidemos 


2, 291—93 


. 29. 30. 265. 286 


Kleisthenes Megakles s. 6.32. 2 76. 145 


— Sibyrlios 8. 

— v, Sikyon . 
Kleitophon . 
Kleokritos 

Kleon . 

Kleonymos . 
Kleophon 

Klırlas . . . 
Kodros, Kodriden . 
Kosovga.. . . 
Kolias, naukrarie . 
Kolkvriöns . 
Komeas archon 
alte komoedie . 
Kövam, Kövvos 
Konon archon . 
Konthyle 

xoon . . 
Korinth, chronik . 
Koriskos . 

20MN . . 
Korybanten . 


2, 145 


i Register. 421 


Kothokiden . 2 2 2... 2,152 | Melisduon. . 2 ....... 2,82 
Kranaos “nn. 2,126 | Melanthios atthidograph . . . . 287 
Kreophy] Pa 3277 und homonyme 
Kreta, chronik. . . . « » . 2,26 | Melanthos . . . . . 2, 129 
Kreusa “ne 2,137 | Meletos . 2 2 20... . 128. 2, 74 
Krios v. Aigine . 2 2 0: 3284 | Melisen . . .. 2... 2,20 
Krsa. 220220000 .5, +, 18 | Menekrates v. Elaia . . 2,30 
Kitas 2 2 02020. 181. 165 | Menon v. Pharsalos. . . 116 
— schriften 2 220. + 174 | ummg Oluunla. . . . . 2,317 
Koi»... 2... 175 | metrik . 2,317. 353. 355. 404. 406 
Kronos, Kronia . . . - 119 | Meursius . 22222... 375 
— Kroniden . . . . ee At 
ind Kodvov Blos.. . . | Pa 2, 82 
Kydas, Kydantiden . . 22 Seren. 2313 
Köllaps 2.2.2.0: 6 Ce 7" 
Km 2222002180 | Maenphilos® \ I LT: .134 
Kyln. 222.20... 2,55 | 1Möser. . . 222.368 
wo. ne | mn. BO 
Kyrene, ehronik . . . .  » 2,27 | Myronides . . . . 179. 2, 91. 297 
Kytherros . 2.2... 0. 2,152 Myros )arckn . . ... 2,81 
Mymhine 2. 22.2.2... 118 
Laches . . . 2244| Mw...... 2, 176 


Lakrateides, archon 


— Eumolpide . Damen. . 2... Meap 7; 2,29 


Lamachos oo. — recht daran . . ..... 2, 181 
Lampsakos . . . « naturalwirtschaft. . . .» » . 240 
Lemnos . .. vaunpapıs » 2 nen. 6 
Leogora: .. .. Naxos eroberung . Paar - .150 
Leon, stratege . . . - eapel » 2 2 00 « 2, 39 
Leo . 20000. Nepos, Thrasybull . . . 2, 223 
localtraditionen . . . monde ee 2, 181 
1 Dar Niebahr. . » 2 2 2.2.2... 376 
Dar Nikodemos v. Dekeleia . . 2, 265 
. . nominalconstrucion. . . . . . 214 
ur. . novele . 22 220.0. 631 
dgl... 


Lyss 20 0.. 

— gegen Eratosthenes . 

für Polystratos . . . 1 cap. 9 | Opygos . 
"Okas 


EEE 177 


— gegen getreidebändler . I cap. 11 a 2, 176 
— — Pankleon . . . . U eap. 10 | olivencultur . . . » . 2240 
——Emndros 2.2.2.0, 208 | da 2.222200. 230 
re | Ole... 2,49 
— Olympiakos . . 2. 2,382 | agoygapn . B 2, 21 


rede | On 236 
Lysistraloe 0 0 2002 37 | dedoiodgem. . ... 0 2,332 


Ormme 2200... d 184 


Rain. 2.22... 238 
Pallene . 2 2.2.2020. 2 37. 187 
Bandin > 2.2.2... 2,197 
Bandrosos . . 22... 2,318 


Mnöwd . 2... 
Medontiden . . . 
Megakles, archon . 


— Alkmeons 8. \. Panops 2 2 2 22020 2,149 
— Hippohrates 8 . . » Bm... 2, 314 
— Megaklee s . . . - atronymica > 2 2.» 2, 180 
ra, chronik . . . ausanias v. Sparta . . . . . 145 
16 nolralas . . — perieget . 2.2208 


422 Register. 


179. 2, 69. 311 


zeit . 


Pelasger 
Pellana 
Pentele . . 
Perikles . 68. 33. 2, 98-102. 297 
— antrag auf tempelherstellung 2, 340 
beredsamkeit . 170 

geschlecht . . . 

gesetz über bürgerrecht 
rozels . 
Perithoiden 


unechte schrifien . . . - 


.342 
Hipparchos . ! 118 
ln... 27188 

— Menexenos 22,100 

Plutarchos . 2.2.2.2.299-303 

Pe 7 

nokiım . une 2 54 

olitische "189. 2, 13.389 

UK 2 20 256, 257. 295 

Polyaenus . 22000. . 25 

Polykrates sophist . . 183 

Poseidon «2 2 2 202. 2,37 

Praxiergos archen . . . . . 2,98 

Prasilla. 2 oe none 2 321 

Probalinthos . . . . . 3, 152 

eootdems zo diem 22.2178 

Protagoras . > 2.2220. . 174 

Proxenos v.Stagira . . . . . 315 


seudepigraphe literatur . . 2, 402 
” Tiens ‚pigrap! 218 
Pytheas, redner . . 2.208 
Pythiadenrechnung 2,3% 
Pythion.. . . . 2,45 
Pythodoros Epizeloss.. . . 2, 173 


Quellen d. gr. geschichte 277 fg.ll. cap. 1 


Feden, zweck der publication 2, 362. 3 
_ eingelegte urkunden . . . 


Rhodos, chronik . . . . . PR ” 
vomm 2... Ze 
den. ...2.2... 02,155 
Be... 


Salamis, erwerbung . 
Sams .... 
seeraub . . 
seisachthie . 


koliensammlung 
Skyros erwerbung 
Sokrates . . . 
Soln ... 
— gedichte . . - 
— gesetzestafeln . 
— hieromnemon . . 


Sikyon, chranik ! 
u 2, 
26189. 2, 59-6 


— legenden . . 
— münzreform 
Sophakles A 
ophokles Antigone 
Sosibios 1 Änign 


— erdbeben . 
rhetra . . 
spitznam. 
heilige steine . 
stele der geächteten 
Stesimbrotos . 
suffix — au . 


Teithras 
Telamon . 
'elauges 
Telemach 
Tells . . . 
Terpandros . . . 
Eı a De 
Thargelien . . . 
Thasos . . . 
Themistokles 13 

— angebl. statue . 
Theodorus Metochita . . . 


Register. 423 


130. 135. 168. 183. 2, 15 


Theopompos 
165—68. 2 222 


Theramenes 

Thersikleiden . 0. 
Theseion - . ». 2 2... 157. 269 
Theseus . 2.2... .. 270. 2, 127 


Desuös . . 2.2, 330 
Thessalos Peisistratos 8. .. . 110 
Thrasybulos . . 2 2 223. 382 
Thukydides I cap. 5; 184. 2,1 10. 290. 357 
— herkunft . . . . 116 
— stellung zur Atthis 002.289 
Thymoites . . . 2, 129 
tiernamen - » 2 2 0020. 2, 178 
Timokreon . . . 2 2 2.2. ..138 
Tolmides . . . . 2, 297 
tracht . "qm. qg, 68. 282 
Trinemeia . . . . .. 2, 155 
Tritopatores 2, 268 


zurmtus 2... 
tyrannenmörder . . 

Vrsenet 2. 2 2 22 nn. 2, 74 
Verkaufstempel . . . . 2. ..236 
Westhellenen, chronik . . . . 2, 28 


Xanthippos . . ...2, 871.91 


Xeniades v. Korinth . . . . 2, 23 
Xenokrates . . . . 341 
Xenophon . 122 2, 15. 218 


_ Symposion oo... .....18 
— Ioisr. Ad. .» .... . Mm 


2%. Arrıxd moAırıxi Cvönara. 


Uyogad nn 2, 235 
ayogavouos . . 218 
adıziov . 2. a. 246. 360. 365 
adrvarı . » . . 213. 2, 206 
arloddtar. 2 2 ee. 238 
aigsiadas eb’ 
Apuavis een ne. 209 
avagxia oo... . 6. 2, 64 
avöganodav . 2... . 245 
avzıypapeis een ee. 229 
ANOÖERTU 2 2 2. 2, 2411 
soylas . . 255 
Aosıos ndyos "91. 251. 2, 49. 92. 333. 

Il cap. 8 


xAnomass, xvausvaoss . . 200. 203 
xinpwral ix Ömacıav . . . 233 
cumulirung und iteraion . . 197 
Unepögpı0r . .. 2, 203 
— zugorosmtal . © 2. 2.2. 208 
apgapeoiı . 2. 0... . 210 


agxal, wsaFos, wagmöc 196. 2, 203. 400 


apynyans . 2, 136. 150 
agxovTEs 243. 2, 87 
_ wiodös . 195 
— 00x06 46 
— gemeinsame pflichten "203. 204. 243 
0X . . 254. 2, 44 
—_ Enorvvuos a 4 


noxav sis Zalauiva „. .- . . . 230 


Daadeis . . . .. 31. 2, 4 
— absetzen des kranzes 2.252 


Xuth . 2. 22.0. 2, 137 
Zakyaden . 2, 268 
Zeuxippos . 2, 130 
Baoılsvs, strafgewalt . . 2, 195 


— vertreter des archons . . . . 204 
vouos Baadlims . . » .» . . « 215 
Bondeöna . Er 7) 
Bovisvo “.. ....252 
Bovin op 53. "20916. 2, 106. 111. 

195 —98. 240—12. 344. 375 
—_ — ix mgonolran ee... 1 
— oipxala . . 58 
_ antrag a auf eigene bekränzung . 211 
— mo.» 2... 1% 2, 95 
Boavgavia . 2. 2 2.2.0... 20 


Yapaıpal 2, 41 
yanıogoı . nenn. 2 51 
yvonovas a .241 

. 2. 2, 107 


yogaupares . . . 
Anka nn 20 


Önnagxon .. 00. . 217 
nuagxos dv Aup dv... .22 
— Eievoiss . in. 0... 32 


— sis IIspgaa . . 
Önwovgyol. . . . 


. 90. 201. 2, '96. 105 
Öıxaoral xara Innowe 000.124 


dımßella u cap. 10 
domuala . 2.» 2, 188 
den» ee BE BE SE BE 2, 233 


424 


Elsayyela. . . . 
eoayayık..... 
dechgdla 0. 
— uchformeln . 

md ... 
— tagesordnung 


"Elsvalna. . . 
dumopinal Ölxaı 
Wins ... 
Evdsna . . 
dEnyneal 


Zruknuiwow . 
drunehnens nonvav 
— Zuropiov . . 
Aruanevaorat ingev 

Emeräguos üyan . 


drıyeigorovia vönav . 


drtovunor . 
södva Wcap. 1 
amade . . 


bsgouvinom . . . 
isgomaei . . . - 
Bmgla ... 
inmeis FR 


Kadeornevia ou 
zardyvaaıs br Pond 


aralayc . » 


4 ji 
Braten 


Herahlıxal Ina . 
nero... . 
heroovöun . . 
Wodl..... 
Maya... 


Varngagiar 
vaungagoı.. . - 
vavzodixau 

Nixas ygvaal 
vonopvkanla . 
vounia ı. . 


206. 2, 45. 53 
on. 228 
ne. 52 
. 212. 2, 107 
on. 220 
2. 2 375 
. 102. 2, 356 
. “2.202 
2. 21T 


ne 2, 21 
.. 52. 2, 190 


2, 105. 163 
32 


. IL cap. 12 
rg 245 
249. 250. 2, 370 
222..29 

194 

247 

219. 2, 53 

. ‚51. 93 
. . 223 
22.42 

2, 190 

ee IT) 


Öbonoi . . 226 
dus, on 2266 
Gnoyalaxın . . ..... 2, 273 
Inka nagiyuda . . 278 
Ver rn 2269 
sgoral. . . 2. 7 
depavoi Pe 7 
dorgamıanös 2223,87. 36 
Dovadıyaua. . . . 
mag... 236870 
wagaduypa . 222... 
Hlagalia .. SB 
Hagalos . B . 
wagaröuam 2.20. 2, 105. 193 
nägsdgoı vr... 2,40 
m. al 
meeimoloı . nn 219 
noAöuagg . 2... 249. 2,43 
noliens . Pa 2 


meößovia . . . 102.2, 113, su 
moon . . . 

noöfevos nicht von unterianen 2%, Fr 
myogugorovla . . . . Mlkcap. 13 
verrardaı Bi. Pan 
movrärue varmgigen 5 
aulayem 2.22.22 .. 2,58 


[1 #217 


Eulapıyla ne 209 
aroplans . ... . . 219. 2, 375 
Zus .. = 2, 334 
Srgazmyoi.. . 44. 18. 88. 108 
Be nn. 2,23. 249 

gi. . ..104. 2, 110 
Sehoyıie Tod Bine ... % 166 
aid. . . 330 
ion... 300.2 10 
Bien...» 202 
ad... 17 
megi goınelas . . . » - 102 
pm... 2.2... 192 


Tapiar di Io... . . . 212 
— zov dllay How. . . 212. 234 
Tanias vis Book . en. 2 


Zeh dm 2210 
— organ... „138 
Taking. . . . 2,5 
Tauem . . I 28. 8, i00.’240 
zuunnara 44. 78. 2, 51. 102. 217. 228. 
zuagiv & BBmaunrg 
Be et 
Tenina du mgwolae . ..... . 17 


van 2 


ToITTLagyos 
ToıTTvss 

— 48 
Tvoawridos 


T noypaumareis . 
inwuocla . 


orvos adnlos 


— (ixaros. 


Register. 


2, 164 


. II cap. 6 


2, 147 
.. 54 


. . 197 
2, 193 


. 253 
. 255 


425 


3. Stellenregister. 


Aelian V.H.8, 16. . 
— — 10,15. oo. 
Aischines” 1, 23 

— 1,41... 0.0 

— 3,13 . 
—3,25 . 

_ 3, 116 . . . 

—_ 3, 184 (hermenepigr.) . . 
Aischylos Eum. se 2 
— — 909. ... 

— — 980 . 

— Sieb. 592. 609 

Andokides 17 14. 

_p 18. 


1, 97 . 

Bekk. Anekd. 212 
— 236 . 
— 237. 
— 298 . 
— 29. .... 
— 39 ..... 
— 449. .. 
Antiphon 6, 36 
— 6,5 
_ sophist passim . 
Aristides pro IV vir. 276 . 
Aristophanes Frösch. 1432 
— Ritt.8. . . 
— Thesm. 313—30. 

— 353—71 


Aristoteles Elegie an Eudemos 
— epigramm . en 
— Eth, Nik. 1181@ . 


. 155 
328—37 
2, 341 


ww 
13 4 GES | 
[u 


ww 
> 
er] 


ED. SNDDD,,,. 
» wo 
> = 


gyoarglas . 189; DI cap. 1 

gppovpoi 2.198. 234 
gulat & 2 50. 138—43 
gilapg . . .. . 2, 163 
guloßaoıkis. -. ». 2»... . 9 
Yoonyla . 254 
evdonagrugär nen. 246 
vnplonara füm . . .». ...5 
Aristoteles hymnus . 2, 406 
— Meteorol. I 343b , . 5 
— Poet. 1456° . 2, 29 
— Pol. Athen. 1 . 290 
_— — 231 . . 294 
—_— — 3,3 41. 56 
_—4| , 57 
—_ — 4 24 I cap. 4 
— —51 2, 304 
—- —5,2 . 8 
— —5,3 303 
— —61 2, 62 
_ 6,23 . 2 
_— 71 . 46 
-— 72 . 48 
_——81 49. 198 
— — 8, 2-5 . 50 
——83 . 53 
——9I. . 59 
—_ — 10 41—44 
— — 13,1 6. 10 
— — 13, 2 . 294 
—- — 14,1. . 22 
— —14,2. . 260 
—_— — 144. . 22 
—_— — 151 . . 23 
— — 15,4 . 269 
- -1686.... 272. 292 
— —16,7.. 0.0.0.0. 0.0.1119 
— — 16,10. . .„ .„ 54. 294. 2, 43 
-—- 1,1... 0.0.2.0. . 21 
— —- 1,2... 2.020000. 2 
— —-1,3-4.......1M 
— — 18,2... . 274 
—_ — 18,4 ...109 
——-185.6....2.. . 214 
— -- 19, 1.2. .... . 274 
— — 19, 3 . 34. 37 
_— 19,4 33. 37 


ar a 


Aristoteles Pol. Athen. 20 2. 
5. . 


BEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEENEEEEEEEEEEEEENEEEEEEEREEEEEEE 
BEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEREREEEE 


Register. 


— 61,7. 


Ei 


4. 
Politik B 12675 . 


— Zcap.?2 


p. .. 
Rhetor. 2, 1397b .. 
— 3, 14074, 14118. . 
Athenaeus 6, 235 .. 
— 6, 271... .. 
— 15, skolien . . 


Deinarchos 1, 60 
— 3,15 . . . 
Demosthenes 18, 134 . 
— 19, 255 (Solon) . 


—_ 19, 235 . 
— 19, 293 . 
— 24,11. . . 
_ 24, 149 (heliasteneid) . 
— 43,57. . . 
—_ 43, 75. 
— prooem. 54 
rooem. 55 
Diodoros 9, 37 
— 11, 54. 
— 11,79. . 
— 11, 81—83 


— 12, 45 


Diogenes Laert. 14952 


Dionysios arch. 5, 50 . 


Etym. M. dno’vunos 
Eupolis Demen 

— Städte 28M.. . . 
Euripides Antiope 203 
— Iphig. Aul. 935—47 
— Phoen. 983 . 


Gtellius 2,10. . 
Gorgias Palam. 28 . 


Harpokration ddivaros 


Aristoteles Pol. Athen. 56, 7 


"37.0 cap. 5 
2, 233 


193 
189 


Register. 437 
Herpokration dnodirras .. 52 | CAIVp. 64 2 228 
u 27 | ——p 66 2, 240 
KA j 2 
opera. . 
Eorlas .. 
zeugorovia 
Herodotos 1,89 » 


9435 . 

9,13 2. 

siodos (gm. 37... 2,18 
Hesychius Klabouisuos . . . . 294 
— Ködeou . . . . 2,130 
Himerius or. 6,6 . . - 2, 405 
Homer B 550-855 . . 2... 239 
-K9 2.2.2... Zn 
TTıornoenn 2188 
EM... 000. 2106 


Pr U} 5 


aA1I29.. 


67. 
Inseript, Brit. Mus. 1 455. 588 ° 2, 139 
Inser. Graec. Antigı 2. 287 


Marmor Parium . . 
Mitteil, Atben. X 111 
Isaios 7,9. . 


Tustine I gı. 


Yan Cantab. vonopukanes 2, 1m 

Lex. Patm. p. 152 u %2 

Lykurgos 117 
sias 7,22 


Marcus moös davzdv 5,3 . . 
Paroemiogr. Apr. 4,14 


— vaungagia 
— — ögyacınss . 
— — arropl) 

Pindaros Pyth. 7 
Nm... 


428 Register. 
Platon Staat 2,372 .... 2,14 | Scholia Aristoph, Lysistr. 273. .114 
— Ges. 62... . 2, 53 — — Ritt. 433 . oo. ... 210 
38. ..2222. 23,17 | — - — 419 . 29 
_— 03... 2 2202020. 068 — — Thesm. 804 . 2, 343 
— brief 6. . een. 833l — — Vög. 1013 . 257 
Plautus Aulul. 107. . . . 2, 215 —_ — — 15411 . 51 
Plutarch Aristeid. 3_ . . . . 160 — — Wesp. 599 19) 
—_— —-22.... . 124 — — Wolk. 955 oo. .„ 293 
—_ — 2 . . 144 -- Demosth. Aristokr. Patm. 113. 253 
— Kimon 5 . 136 — Eurip. Hek. 034 . 2. 250 
_- 8... . 146 — Hesiod. Erg. 558 . 290 *) 
— — 14—17 2, 291. 296 — Pind. Pyth. einleit. . ‚1 
— Nik. 11 . . 115 — — Prtlı. 3,1 .. . 12 
— Perikl. 24. . 263 _— — — 75,1 . 2, 324 
_— — 32 nee 2, 246 | —_— — —71,9 . . ..8 
— Solon 1% 2. 2 2 2222.35 | — Plat. Ges. X . 2, 241 
— —- 1l...... 0... 14 — — Menex .... .. 263 
_-— —- 13... 22200. 55 — Vergil. Aen. 6,21. . 2,2% 
— — 14.15. 2, 309 Solon gedichte . . . „1 cap. 4 
—— 154. hl Stephanos Byz. Bevva . . 2, 33 
— — 19 . . 17. 95 — Xupvrea . . . 252 
_— — 35 er 7 Stesichoros fgm. 42 . 2, 153 
—_ — % .. 16 Strabon 397 2, 143 
— — 30 265. 2, 3il — 393. . . 2, 157 
— — 31 2.0. 64 Suidas dıdygauna . . 218 
— Themist. 20 143 — Ononuerr;s . 167 
a 138 | — Iivdaoos . 2, 302 
2). . 150 | 
— Theseus 33. 270 | Themistakles brief & . . .14 
apophth. reg. (Aristid.) 110 0 — WU. . „152 
Pollux 6, 195 176 | Theoidorus Metochita 665 ...293 
— 5,55 —127 en 2! Thukydides 1, 20 . . 100 
EEE NT TE Be ee 2, 209 
— 8,99 I —- UM 2220. 2. 210 
— UT. end — 6,55 ...265 
— 108.2 2220.02, 163 — 1.69 2, 171 
— 10. 2 2 id. .. gu 
— 9,6 . a .) Bu, 
Polyaen 1. 22. 2, 36 274 | WVoalerius Maximus VII 2 ext. 7 1°0 
Polybios XII 11, 2 . . 306 
Procop. in Anastas. II 40 Vill.. . 20% X enophon Hell. 12,18 . . 128 
— — 13,1 . . . 166 
Scholia Aeschin. 1, 39 . 177 — — 114,35 .. 2. 218 
— — 1,104. . . 297 — Kkyrop. II 1, 35— | .122 
— — 2107... . 100 — Memorab. 14,5 . 241 
— Aristid. 472 Dar. 2, 6 — Symp. 2,22. ... 2230 
— — 5li. 2, 82 — —4,32 . 2, 214 
— — 930. . 26% — lost. 19. 1, 3 ...19% 
*) Die conjectur Avdoorior für ” ‚IugoTegos wird wol falsch sein. ein seher 


Amphoteros ist von Herwerden bei Eupolis in den Städten 15 M. 


mit wahrschein- 
lichkeit aufgezeigt worden. 


Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzi..