ORBIS PICTUS/WELTKUNST^BÜCHEREI
HERAUSGEGEBEN VON PAUL WESTHEIM
BAND 5
ASIATISCHE
MONUMENTAL^
PLASTIK
MIT EINEM VORWORT VON
KARL WITH
VERLAG ERNST WASMUTH A. G. BERLIN
DRUCK VON J.B. HIRSCHFELD (A. PRIES) IN LEIPZIG
FÜR
FRAU ILSE HOESCH
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in 2013
http://archive.org/details/asiatischennonunneOOwith
0 große Erde voller Menschen
Kleiner Himmel voller Sterne . •
Das erste Bild dieser kleinen Auswahl fernöstlicher Bildwerke : ein Kind, in
dem schon der große Jüngling keimt, hingekniet, die Hände zum Himmel auf-
brechend in Anbetung und Anrufung. Zartheit in dem, was hier Beginn, Erwartung
und innere Entblößtheit ist; die leise Spannung vor dem Aufschweben, die sanfte
Glut des Kindes vor dem Vorhang einer Wunderwelt, das tief verheimlichte Fieber
vor den Geheimnisschauern der Kindgeburt. Alles was in uns liegt an vergessenem
oder behütetem oder triebhaftem Glauben an das Wunder und alles, was an der
Grenze unserer täglichen Wirklichkeit sich verflüchtigen will zu einer höheren Lust
des Seins — gesellt sich dem Lächeln dieser Kinderarme zu.
Und das letzte Bild: eine zarte große Hand, die leuchtet wie eine Blüte aus
dem nüchternen Dunkel hervor; die sich schenkt, die gibt, weil aus ihr das Geben
unaufhaltsam herausbricht; verdichtet zum Aggregatzustand eines Gegenstandes,
trägt sie das wundertätige Wahrzeichen seligen Heiles im All und eines Friedens in
aller Ewigkeit. Diese Hand, die schon an sich das Wunder ist, und in ihrem in die
Unendlichkeit hineingestellten Gestus immer Geheimnis bleibt.
Und was zwischen diesen beiden Bildern und ihrem Wechselsein von Ruf und
Antwort, von Unten und Oben abblättert und sich kundgibt: sind Bruchstücke
eines unheimlichen Kolosses, Denkzeichen eines erbitterten Kampfes um Gott;
sind immer wieder aufgezeigte magische Anhaltspunkte oder wie von selbst auf-
erstandene Zeugen und Helden aus jenem einzigen Lebenstumult, der aus dem
Widerspiel des vieltausendfachen Daseins dieser Menschenwelt mit dem ewigen
Nichts — und dieser ewigen Leerheit mit der immer endlichen Fülle besteht
und nie zum Ende führt. Eine bunte Welt der Spiegelungen; furchtbare Endgültig-
keiten und sprühende Täuschungen; Proteste und Gebete; Lästerung und Ekstase;
Verkündigungen oder zerfleischende Irritationen. Jenachdem, wo der Pendel zwischen
Phallus und Nichts gerade stehen blieb . . .
Ja, eine buntdurchwirkte, schwer geballte Welt ; heiß wie tropische Brunst und
eisig wie der Gedanke eines Einsiedlers; so behutsam wie der Kelch einer Blume
und mütterlich wie eine stillende Brust; so gewalttätig wie ein Urwalddickicht und
so entsetzlich kalt; sehr gütig, und einfach und maßlos wild; vergrübelt oder wunder-
tätig oder glanzvoll; voll überirdischer Pracht; ganz unerhört gelöst, schwebend
und leuchtend. Reich immer durch das Unerreichbare, sieghaft durch das Nie-
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Asiatische Monumentalplastik.
verslegende; grausam durch diese alles zerfressende Ausscheidung; weit bis zum
Schwindel des Absturzes und Im Absturz voll der Herrlichkeiten heller Gesichter
— bis zur Geslchtsloslgkelt, wo wir uns selber nicht mehr angehören.
* *
*
Und diese Welt haben wir zu uns heraufbeschworen ! Wie waren wir beglückt
in emem hemmungslosen Hinnehmen; wie verführte uns der milde Glanz dieses
mystischen Feuers und dieses viele Lächeln zur Müdigkeit; wie barmherzig um-
leuchteten uns diese Harmonien einer fernen Weltlust; wie entzündete sich unsere
Lust am Schönen, am Formvollendeten, am Ausdrucksvollen; wie fühlten wir uns
bestätigt In unserem Suchen, in unserer Rechtforderung an das große Schicksal,
in all unseren Geistbeschwörungen . . .!
Aber täuschen wir uns nicht ! Da wir reich waren durch ein Anderes und über
eine Weile im Schatten großgestirnter Gedanken und Gesichter ausruhen durften . .
wird es nun Zeit, aus diesen hochzeitlichen Tagen zu erwachen und ernster und
eindringlich auf den eigenen Herzschlag zu lauschen. Erst glaubten wir noch, wir
wären diesen fernen Werten gleich; dann erkannten wir, daß wir uns selber furchtbar
bloßstellten In unserer Krampfhaftigkeit und Verkümmerung und großen Angst.
Dann glaubten wir. Viel und das Wesen jener fremden Dinge und Menschen begriffen
zu haben; und nun gestehen wir uns ein, daß es ein wahres Wissen um das Objekt
gar nicht gibt; es sei denn, daß wir uns selbst aufgeben und enteignen. Eine traurige
Art der Selbstentleibung ! Ja, wir griffen auf, was immer nur unser Intellekt, unser
Fleiß, unsere Erfahrung über die Dinge erraffen konnte, wir sanktionierten dieses
Wissen — und lebten an den Dingen vorbei. Denn nichts läßt sich hier vom Wissen
her wahrhaft in Besitz nehmen, aber alles durch das viele Wissen unfruchtbar machen
zum großen selbstzeugenden Erlebnis. Und nur darauf kommt es an. Und deshalb
hüten wir uns vor diesen Klärungen des Tatbestandes, die nichts hinterlassen als
Trümmer, vor diesen Deutungen, die Unwichtiges vor das Lebendige schieben,
die unsere Phantasie lähmen und unseren Mut abschwächen, die uns ein Rezept
geben statt der unerbittlichen Besinnungslosigkeit, statt Wirbel, Explosion und
himmeldurchspaltender Lust. Hüten wir uns, mit all den tausendfältigen Ge-
diegenheiten des exakten Wissens unseren Geist zu überfüllen, auf daß wir nicht
Impotent werden, oder satt und wohlgefällig oder verzagt und kleingläubig. Wir
können nie zu den Dingen — immer nur zu uns selbst kommen — und nur durch
uns selbst wieder von uns selbst loskommen. Noch einmal: zerschlagen wir uns
nicht das Erlebnis, das hier auf uns wartet — das aufblüht — wenn wir statt des
Wissens um die Dinge das Schrecknis der Dinge suchen und bestehen.
* *
*
Asiatische Monumentalplastik.
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Da ist zunächst die Riesenhaftlgkeit des Geburtsraumes dieser Bilder und
Ideen; dieses viele Zonen der Erde überziehende Schlachtfeld, auf dem der un-
geheure Kampf von Mensch und Erde mit Gott und Himmel gekämpft vmrde,
dieser Kampf gegen das Nichts und um das Nichts. Da ist die Zeitspanne von einigen
Jahrtausenden, während der vielartige Völker sich untereinander verschränkten,
Norden und Süden sich gegenseitig durchfluteten; wo immer wieder der Erde
neue Generationen entwucherten, die ihr Leben vom Wirbel zur Ruhe trugen oder
aus der Reinheit in Verstrickung endeten. Diese vielen Volks- und Landschafts-
einheiten, alle mit ihren panischen Bestimmtheiten und ihren magischen Abbildern . . .
Ja, es ist etwas Gewaltiges um die Summe der menschlichen Geschicke und Ge-
sichte, die uns so plötzlich brennend nahe wird, daß unser eigenes Menschtum
ganz still wird und ganz hellsichtig weit, brüderlich groß und lächelnd beschämt.
Und dennoch gehen wir hin und legen unsere Hand auf den Globus und do-
zieren: Hier Ostasien und dort Südasien; und können nun die Rassen festlegen
und das Klima und die Haupttypen von Veranlagung, Gesinnung, Entwicklung
und der künstlerischen Bedeutung.
Und da es hier um Plastik geht, so läßt sich dann aufzeigen, daß der Grundzug
indischer Plastik auf der gegenseitigen Durchdringung von sinnlicher, erdhafter Wucht
und überwirklicher Geistigkeit beruht; auf dieser Lust des Inders zu verwirklichen
und zu ergreifen und zugleich sich hinauszustellen aus allen Bereichen der Begren-
zung. Und dieser Grundzug bestimmt die Tatsache, daß die indische Plastik keinerlei
grundlegender Entwicklung unterlegen ist, sich immer gleich blieb, es sei denn
dort, wo die Eigenart der Aquatorzone sie zersetzte und eigenwillig durchdrang.
Wohl aber erlebte sie reiche Abwandlungen durch Zeit und Volk, immer unerreich-
bar in ihren Höhepunkten: den Felsklöstern im nordwestlichen Vorderindien, dem
Ankor Vat in Hinterindien und dem Borobudur auf Java. Feuersbrünste und Or-
kane menschlicher Erhabenheiten. Dabei können wir von einer Abmilderung des
Gigantischen ins Majestätische, zu Feierlichkeit und ruhig strahlender Menschlich-
keit bei den Bilderwerken Mitteljavas sprechen, bei denen Ostjavas aber von einer
phantastischen Aufhebung des Beobachtungsfeldes; in Cambodja von der absolut
bejahten Sinnlichkeit, gewaltig genug, em ganzes Geschlecht zu erneuern; diese
Buddhas wie Phallusgesichter, schwer wie ein Urwaldduft und geheimnisvoll in
ihrer göttlichen Schwangerschaft. Und daneben die Werke aus Siam mit ihrer
vergrübelten Schwermut, ihrer von entsetzlicher Skepsis durchfurchten inneren
Weisheit. Bei alledem können wir noch unterscheiden zwischen den mehr elementar
sich ausdrückenden Formsymbolen brahmanischen Inhalts, stark naturhaft und
mehr auf der Verschiebung des leiblichen als des geistigen Horizontes beruhend
und der mehr psychisch gestimmten Innerlichkeit buddhistischer Werke und ihrer
menschlichen Affinität zum Göttlichen. Und daß immer das Bild ohne Abstraktion
gewonnen ist; von größter Leibhaftigkeit ist, die optische Fühlungnahme sehr vital
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Asiatische Monumentalplastik.
erregend und dann zum Sinnhaften fortreißend. Schließlich können wir sagen, daß
Kunst in unserem Sinne hier gar nicht existiert, sondern alle diese Werke schließlich
nur Erektionen des menschlichen Geistes und Wollens in aller Sehnsucht zu Gott
und über sich hinaus sind.
Diesem Südasien können wir dann als eigenen Raum und Kulturherd Ost-
asien entgegenstellen. Und wir vermerken einen Hauptunterschied zur indischen
Plastik darin, daß in China das plastische Bild nicht der erotischen Vitalität ent-
stammt, sondern aus einer Lust zur Begrenzung, Formulierung, Umschreibung,
zur Praezision ; dies alles nicht aus Weltangst, sondern als Gegenwert zu einer Lust
zum Verträumen, Versinnen, Aufgehen, Sich-Verflüchtigen. Dabei durchlebt
— ebenfalls im Gegensatz zu Indien — die ostasiatische Plastik eine sehr reiche
und wechselnde Entwicklung, die von der scharfen, einsamen, in sich verschlossenen
Geistigkeit zu einer aufgeblühten, weltgeselligen, ausstrahlenden Leiblichkeit
führt ; von einer ganz strengen Filtration aller Wirklichkeit zu einer bunten, lebens-
durchbluteten Aktivität und von da dann in viele Kanäle der Abwandelung, teils
ins lyrisch-Stimmungsmäßige, teils ins dramatisch-Lebensvolle, um am Ende matt
und starr zum Schema zu erkalten. Die Höhepunkte der Frühzeit umschließt die
Zeit des 5. bis ins 7. Jahrhundert hinein, während die anschließenden Jahrhunderte
die mächtige Entfaltung der künstlerischen Großtaten bringen, im Zusammenhang
mit der Hochflut indischer Schöpferkraft, der auch Ankor und Borobudur ange-
hören, und die etwa gleichzeitig mit den großen Werken der chinesischen Tang-
und der japanischen Tempyo-Zeit sind. China, das ist das Land der genialen Gegen-
sätzlichkeiten, jäh, aprupt, explosiv und zugleich gelassen, würdevoll, erhaben; voller
Klugheit und logischer Schärfe und Sinn für das Naheliegende — dabei voll Güte
und weicher Verträumtheit und Vertrautheit mit aller Ferne. Japan dagegen be-
ruhigt und durchaus kultiviert; ein Volk, das von der geistigen Doktrin des Bud-
dhismus viel auf seine Lebenshaltung und Lebensführung übernommen hat, streng,
gesittet und ausgeglichen, voll Disziplin und Beherrschtheit.
Aber vergessen wir nicht, daß alles solches ja nur außerhalb der Werke selbst
liegt. Und daß wir soviel darüber auch zu wissen vermögen, es uns doch nicht ver-
hilft zu dem, wonach wir suchen. Dies Wissen aber nur dem, der es zu über-
winden vermag, eine flüchtige Ermunterung oder ein Ausgleich seines Erschauens
an das Erschaute sein kann. Ein Kontakt aber, der uns in die Unendlichkeit
eines magischen Erlebens hinausschleudert, ist nur dann möglich, wenn Mensch
und Objekt sich vollkommen voraussetzungslos gegenüberstehen.
Diese Bildwerke sind sämtlich Symbole, Verkünder von Wahrheiten, Kraft-
quellen einer Idee, Tatsächlichkeiten eines Glaubens; sind Feuerbrände der Er-
leuchtung, Denkmale der Trost- und Liebestätigkeit, sind aus der Dunkelheit
aufleuchtende Wunder oder Manifeste erdbeherrschender kosmischer Gesetze . . .
Wie hat uns diese Welt unendlich bestürmt und mitgerissen; diese Welt, die so viel
Asiatische Monumentalplastik.
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höher, leichter und leuchtender schien als die unsere, so viel blutvoller und lust-
voller. Frieden, Eintracht, Glanz, Heil, Gleichmaß, Liebeswerk, Stille. Wie wohl
das tat — und dennoch irgendwie von Schalheit dampfte wie ein geschlachtetes Tier.
Diese Ideenwelt — mit allen Gedanken, Bildern, Legenden, Symbolen — bildet
das Thema unserer Bildwerke. Und auch hier können wir nun hingehen und den
geistigen Gegenstand zur Formel bringen und danach die plastischen Verwirk-
lichungen nach Typen aufreihen, als da sind vier verschiedener Art: die Buddhas,
die Bodhisattvas, die Wächtergestalten und die Darstellungen der Priester, Büßer
und Gläubigen. Die Buddhas, deren Bild zum Wesen mystischer Schrankenlosig-
keit weist, deren Name den Ewigkeitswert des erlösenden Glaubens bedeutet, von
einer wirbelnden Mannigfaltigkeit der Erscheinung, während sie selbst doch den
Punkt der Mitte bedeuten; und m immer neuer visionärer Inbrunst vom Irdischen
abgelöst und an immer unsagbarere Schwindel und Taumel der Unvorstellbarkeit
und Grenzenlosigkeit anheimgegeben. Da sind die menschlichen Buddhas, teil-
haftig an Form, Zeit und Geschehen — darüber aber namen- und gestaltlos ein
himmlischer Reflex, nur eine Existenz der Beschauung, fern aller Trübung, Be-
stimmtheit und Endlichkeit des Vorstellens und Denkens — in lichter Indifferenz —
in der Magie ätherischen Wirkens: der Dhyani-Buddha. Und Buddhas sind ihrer
so viele, als es Weltzeitalter gibt.
Und wer nach jener überschwenglichen Vollendung der Weisheit und Tugend
ringt, welche dazu befähigt, dereinst allerherrlichst vollendeter Buddha zu werden,
der wandelt den Weg des Bodhisattva. Heilsjünger, die sich aus aller Trübsal und
Verkettung des irdischen Ichs emporgeläutert haben, als Buddha designatus,
dennoch auf das große Nichts verzichtend, heiß im Wunsch, die Welt erlösen zu
helfen: ,,Alle Kreaturen aus dem stürmischen Meere der Schmerzen und des Todes
in den Hafen der Ruhe, ans jenseitige Ufer der Befreiung überzusetzen". Heils-
jünger, als Mittler zwischen dem Göttlichen und Irdischen, dem Uferlosen und
dem Nahbegrenzten, als Ausstrahlungen und Wirkungsfaktoren jener an sich wir-
kungslosen Gottheit der unwandelbaren Ferne; tausendfach in anderer Form er-
scheinend je nach der Not und dem Bedürfnis der Rufenden und Betenden.
Und daneben die Gestalten der Wächter und Richter; jener wehrhaften und
ritterlichen Helden, die gegen das Übel, gegen das Böse, gegen alle Feinde des Glau-
bens und der Religion, gegen die anstürmenden Dämonen ankämpfen und die Tore
der Tempel bewacht halten. Oft auch gesteigert bis zu einem furchtbaren Furor
von Blut, Tod und Leidenschaft.
Und endlich die Darstellungen jener Menschen, die dem Glauben ergeben.
Glück und Größe dieses Glaubens an ihrem Leben ermessen lassen; Patriarchen
und Prinzen, die für die Lehre sich opferten. Einsame, die als Büßer und Weise
der Weh entsagten, Priester, die klar und kraftvoll das Heil und den Sinn der Lehre
predigen . . .
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Asiatische Monumentalplastik.
Und neben und mit diesen buddhistischen Glaubensgestalten die vielfachen
Namen und Gesichter brahmanischer Gottheiten : vornehmlich Qiva in seiner ewig
zerstörend aufbauenden Tendenz — und Vishnu, das Pnnzip der erhaltenden Ewig-
keit — und Brahma als eine große Synthese des Seins und des Nichtseins . . . alle
drei mehr zwischen den Dingen schwebend als mit und in den Dingen seiend . . .
Ein Meer von Namen, Legenden, Göttern, Jüngern, Gedanken, Visionen,
Gesichtern, Symbolen tut sich auf. Aber wiederum — würden wir alles das wissen —
wären wir dem näher, wonach wir suchen? Erschöpfen sich denn diese Bildwerke
im Religiös-Thematischen oder im Künstlerisch-Formalen? Irgendwo liegt doch
ein magisches Zentrum, das alles dies wieder aufhebt, bedeutungslos macht, zum
Vorwand, zur Fiktion, zum Pol; ja geradezu als eine Irritation erscheinen läßt. Weil
gar nicht das als Letztes gemeint ist, weil alles das nur das Scheinbare ist; dem
nur ein Element, eine Wahrheit, eine einzige Wesensbeziehung zugrunde liegt:
Das Nichts, die Leerheit, das Nichtsein; und wenn man so will — ist das vielleicht
das Nirvana.
Und dieses Nichts ist nur durch das Erleben zu erschließen. Alles Sein ist
nur die Umkehrung dieses Nichts und es gibt daher auch keine umfassendere
und ungeheuerlichere Orientierung des Lebens als die an das Nichts ... als
dieses Ablösen und Auflösen aller Gegenständlichkeit in die Gegenstands-
losigkeit hinein, alles Denkens in den taumelnden, besinnungslosen Schwindel,
als dieses schwebende Aufgehobensein durch Aufhebung alles Seins. Wie ungeheuer
ist diese Zersetzung, daß ja alles m seiner leiblichen, sinnlichen Erscheinung und
Wirklichkeit und Lebbarkeit — nur eine Fiktion ist, eine Inversion der unendlichen
Leerheit, nichts als eine Umkehrung, als eine Negation ; und je stärker und poten-
zieller die Wirklichkeit sich als solche durchsetzt, um so gewaltiger ist auch die
Spannung zum Gegenteil. So sind auch die Bildwerke, vornehmlich jene aus Cam-
bodja, in ihrer unfaßlichen dynamischen Sinnlichkeit nur das Dokument dieses
Nichts", das sich — selbst beziehungslos — in seinem Gegenteil äußert, an seinem
Gegenpol erlebbar macht. Je wirklicher, plastischer, erdiger sich Form und Thema
hier also kundtun, um so unwirklicher muß man sie ablesen; um so mehr muß man
die Buchstäblichkeit des Thema und die Tatsächlichkeit der Formgestaltung als
eine Irritation auffassen; muß die Beziehung zum Gegenteil anknüpfen und dann
sich von dieser Zwlschendingllchkeit eines Existierenden als Fiktion und eines
Nicht-Seienden als Existenz ganz gefangennehmen lassen, ganz erwärmen, zur Ver-
zweiflung bringen, zum Wirbel durchkreuzen lassen, um
Diese Beziehung zum Nichts hebt einmal alles wirklich -Gegenständliche auf,
löst jede Grenzsetzung zum Irrationalen, erweitert alles Menschliche zu einem
chaotisch heiteren Spuk . . . läßt aber andererseits nun die Welt in einer ungeheuren
plastischen Wucht der Realität neu entstehen, in buntester Lebensfülle und leib-
licher Bestimmtheit auftauchen und auf den Menschen zurückwirken. Dies ist
Asiatische Monumentalplastik.
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wie ein Ausatmen des Lebens, ein Sterben, ein magisches Schweben und ein Ein-
atmen, ein Wiedergeborenwerden, ein Sich-selbst-in-Besitz-Nehmen ... in einem
dauernden Ab- und Rücklauf vom Genital zum Nichts — vom Nichts zum Genital.
Dann wächst auch alles Wirkliche durch diese dauernde Aufhebung und Abgren-
zung an das Irrationale — durch diese letzte Hochspannung — bis in die letzten
Bezirke der Kraft, Bewegtheit, Tiefe, Bedeutsamkeit und Lust.
So schieben sich diese beiden Welten dauernd ineinander, durcheinander, mit
wechselnden Vorzeichen, abnehmend und zunehmend — und unsere Bildwerke
sind wie Reflexe aus diesem lautlosen Weltgetöse von Tod und Geburt, sind Kri-
stallisationen dieser Legierungen von Irdischem und Ichlosem. Diese Beziehungs-
losigkeit, diese Zwischendmglichkeit, dies Schweben zwischen dem Wirklichen als
Scheinbarem und dem Erscheinungslosen als Wirklichem, dies Sem und wieder
Nicht-Sein, diese aufreizende Wechselwirkung zwischen der plastischen Größe
und dem unendlichen Raum — diese ganze Unwirklichkeit ist es, die diesen doch
so ungeheuer wirklichen Denkmälern immer wieder die Wundertätigkeit erneuert,
die große Aura gibt, die Jenseitigkeit und die tiefe Erregbarkeit, die Inbrunst, Glauben,
Schweiß, Ekstase, Lächeln und Unendlichkeit auslöst.
Keine Gewalt ist größer und keine Liebe unbegrenzter, kein Sem vehementer
und kein Gesicht durchglühter als das, was an das Nichts gebunden ist und vom
Nichts her auf sich selber zu gelebt wird. Auf den Menschen zu in immer wach-
sender Verdichtung, immer umschließender Umkreisung; dabei sich selbst als
Welt — und diese dann nie ohne den Gegenpol der Aufhebung erfassen, ausleben
und austragen. Das ist das magische Erleben der Welt; und unter diesem Erleben
stehen unsere Bildwerke. Wie sie verführen, unsere Müdigkeiten und unseren Über-
drang ausströmen zu lassen und uns anheimzustellen an ein Heil und eine Wahrheit,
in die wir eintreten wie m eine Landschaft — und wie sie unsern Sinn ermutigen, die
Welt zur Explosion zu bringen; nicht aus Lust, aus Gier und Verzweiflung allein
— sondern aus dem Trieb heraus zum Ende zu kommen, einmal nicht mehr ja und
nein sagen zu brauchen, einmal ohne Schlagschatten zu sein, einmal ganz beziehungs-
los-nichtig statt immer nur in Beziehung zu sein mit Tag, Ding, Werk, Ich, Welt,
Weib, Stern, Gott.
Nicht Wohlgefühl und Glück, nicht Leid und Mißgeschick bestimmen die
Tiefe und das Lebensgefühl und den Sinn und die Deutung und den Wert, sondern
die ewige Erregbarkeit ist es, die zur Ruhe will, die aus der Ruhe stammt, die ja
nur die inverse Ruhe ist, wobei Glück und Leid kaum noch als Unterschiede erlebt
werden.
Immer erleben wir uns an einem andern, durch etwas anderes; erst aus dem
Nichts heraus sind wir beziehungslos; dann aber spannen und entspannen wir uns
aus dem Willen zur Beziehung ins Leben hinein — zum dauernden Wechsel von
räumlichen Dimensionen, körperlichen Größen, seelischen Tumulten — um immer
12
Asiatische Monumentalplastik.
wieder so das Gesicht unseres Daseins in das große Dunkel zu senken — um wieder-
geboren, erhoben, zurückzukehren in diese immer neue, immer bewegtere, lich-
tere Flut.
Und deshalb auch:
Jedes Erlebnis birgt in sich eine Vernichtung. Vernichtung aller Gegenständ-
lichkeit, die immer nur räumliche Ausfüllung, Darstellung und zeitlicher Vorgang
ist. Alle Gewöhnung verschwindet als Spuk. Jedes Sicherheitsvermögen der Be-
wußtheit geht plötzlich verloren. Der Leib ist entleibt; Füße, die stürzen, Hände, die
fernen Meteoren gleichen, Augen, die flammend im Wirbel kreisen. Geist — aller
Beziehung befreit, hebt sich selber auf; das Leben zerfließt zur großen Leerheit.
Im letzten Seufzer des gewaltigem Ausatmens verlöschen die Dinge zwischen Stein
und Stern. Die Welt bricht zusammen — und erbricht das Nichts, dort, wo schärfst
umrisseneUmgrenzung der Ich-Belebtheit sich deckt mit dem unheimlichen Schwindel
magischen Nicht-Seins.
Wir aber leben in Angst um dieses Nichts herum und leben deshalb nicht mehr.
Nur aus diesem Nichts ist stärkste Lebenspotenz, Erkenntnis und Wiedergeburt.
Und deshalb brauchen wir wieder die große Lust, die Lust zur Gefahr.
Und deshalb sollen wir die selbstisch kleine Lust am Schönen, am Künstle-
rischen, am Geistvollen und Ausdrucksvollen — und diese Lust an den Tatsachen
und Zusammenhängen und der Klärung und der Deutung aufgeben — und uns
wieder an den Schrecken und die Schrecknisse gewöhnen, anstatt sie durch Wissen
zu verkleinern und uns zu verbarrikadieren und betäuben vor diesem letzten, be-
ziehungslosen, mörderischen, göttlichen, uferlosen Erlebnis in das Nichts hinein
— und vielleicht aus diesem Nichts zurück in Größe, Glanz, Erleuchtung, Lust und
Tief sinn.
Und Kristallisationspunkte solchen Erlebens sind diese Bildwerke Asiens
— diese Bildwerke, die uns nicht Erfüllung sein sollen, wohl aber Ruf und eine
Verführung: um der Erlösung willen. Und wenn es sein soll um des Unterganges
willen. Aber zu Ende geht nur ein Karneval — niemals ein Fest.
Literatur.
Chavannes, E.: Mission archeologjque dans la Chine septentrionale.
Cohn, W.: Indische Plastik.
Coomareiswamy : Visvakarma.
Erp, van und Krom: Boro Budur.
Foumereau: Les ruines d'Angkor.
Fergusson and Burgess: The cave temples of India.
Havel!: Indian sculpture and painting.
Havell: The ideals of Indian art
Japanese Temples and Treasures.
Kinsbergen, van: Oudheden op Java.
Nippon Seikwa.
Selected relics of Japanese art,
Smith: A History of Fine Art in India and Ceylon.
With: Buddhistische Plastik in Japan.
» Java.
» Chinesische Plastik. (Frankfurter Jahrbuch.)
„ Bali II. Teil, Kunst.
Abbildungs « VerzeiAnis,
Abb. 1. Japan: Prinz Shotoku TaishI als Kind,
„ 2. Hinterindien, Cambodja: Tempelruine.
„ 3. Hinterindien, Cambodja: Brahma, Musee Indo Chinois, Paris.
„ 4, Hinterindien, Cambodja: Kopf, Musee Indo Chinois, Paris.
„ 5. Hinterindien, Cambodja: Kopf, SIg. Stociet, Brüssel.
„ 6. Hinterindien, Cambodja: Buddha, Musee Indo Chinois, Paris.
„ 7. Hinterindien, Cambodja: Gott und Göttin, Musee Indo Chinois, Paris.
„ 8. Hinterindien, Cambodja: Kopf, Musee Indo Chinois, Paris.
„ 9. Hinterindien, Siam: Kopf/ R, Eth. Mus., Leiden.
„ 10, Hinterindien, Siam: Kopf/ SIg. Fuld, FranitfurL
„ 11. Hinterindien, Siam: Kopf/ SIg. Fuld, Frankfurt.
„ 12. Mitteljava, Tzandi Mendut: Buddha Amitäbha.
„ 13, Mitteljava, Tjandi Mendut: Bodhisattva.
„ 14, Mitteljava, Boro Budur: Buddha,
„ 15, Westjava, Pasir Sinala: sitzd, Figur mit Lotus.
„ 16. Mitteljava, Tjandi Prambanan: Wasserspeier.
„ 17. Mitteljava, Tjandi Soekoeh: Rind.
„ 18. Westjava, Soekaradja: versdi. Bildwerke.
„ 19. Mittel java, Dieng: stehender Mann.
„ 20. Ostjava: Brahma auf d. Sdiultern eines Mannes sitzend/ R, Eth. Mus., Leiden.
„ 21, Ostjava, Singasari: Brahma Oberteil, R. Eth, Mus., Leiden.
„ 22, China, Felsklöster: Buddha.
„ 23, China, Felsklöster: Wäditerfigur/ Aufn. A. Fisdier.
„ 24, China, Felsklöster: Bodhisattva/ SIg, Zerner, Frankfurt.
25. China, Fcisklöster: Bodhisattva/ Sig. Zerner, Frankfurt.
„ 26. China, Longmen Felsklöster: Bodhisattva/ SIg. Maüon, Paris.
„ 27. China, betende Figur/ Gallerie Zemer, Frankfurt,
„ 28. China, Felsklöster: Kopf, SIg. Fuld, Frankfurt.
„ 29, China, Felsklöster: Kopf, SIg, Fuld, Frankfurt,
„ 30. China: Bodhisattva-Kopf/ SIg. Burdiard, Berlin.
„ 31. China: Bodhisattva-Kopf / SIg, Stociet, Brüssel.
„ 32, China: Kopf/ SIg. Zerner, Frankfurt,
„ 33, China: Kopf/ SIg. Zerner, Frankfurt.
„ 34. Japan: Buddha/ Musee du Louvre.
„ 35. Japan, Kofukuji, Nara: Yakushi Buddha.
„ 36, Japan, Horyuji: Yuidiimen-Kwannon.
„ 37. Japan, Kofukuji, Nara: Bodhisattva.
„ 38. Japan, Hokkcji: Kopf,
„ 39. Japan, Hokkeji: Kopf
„ 40. Japan, Taimadera: Jizo-Kopf.
„ 41. Japan: Kwannon-Kopf/ SIg. Tamai, Nara.
„ 42. China: Bodhisattva/ SIg. Knuth, Berlin.
„ 43, Japan, Murooji: Nyoirin Kwannon.
„ 44. China, nördl. Peking, Minggräber: Mandarin.
„ 45. Japan, Todaiji, Nara: Tamonten,
„ 46, Japan: sitzd. Büßerfigur.
„ 47. Japan: Kobo Daishi.
„ 48. Japan, Taimadera: Hand eines Bodhisattva.
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ORBIS PICTUS
BAND 1
Pauf Westßgitn
Indische Baukunst
9. Tausend
BAND 2
Tanntna Haffe
Altrussisdie Kunst
5. Tausend
BAND 3
Wofdemar Graf Uxküff
Ardiaisdie Plastik der Griechen
5 Tausend
BAND 4
Affred Safmony
Die diinesische Landschaft
5. Tausend
BAND 5
Karf WitB
Asiatisdie Monumentalplastik
1. — 5. Tausend
BAND 6
Sattar Kßeiri
Indisdi-islamisdie Miniaturen
1. — 5. Tausend
BAND 7
Karf Einstein
Afrikanische Plastik
Erscheint im Herbst
BAND 8
B. Lefjmann
Mexikanisdie Kunst
Ersdieint im Herbst
Dem scßönen Buch üßer indiscße Architektur sind nun drei weitere erstaunfide Bände
gejofgt: .AftrussisdeMaferei', .Ardaiscfie P fast ik der Grieden' und .Die dinesisde
Landsdaft', jeder mit einer trefffid orientierenden Einfüßrung und 48 ganzseitigen
Bifdtafefn. . . . Hier ist wirkfid einmaf eine Sade, die eine MotwendigReit darstelTt
und kommen mußte,- ißr Erfofg wird ßeweisen, wie viefe geistig Lebendige auf sie
gewartet ßaßen. Oskar Beyer im .Teuer".
Jeder der Bäfide, gleidbmäßig ausgestattet, 48 Abbildungen mit
einleitendem Text von 16 bis 24 Seiten. Preis: M. 16.50
VERLAG ERNST WASMUTH A. G. BERLIN
GETTY RESEARCH INSTITUTE
3 3125 01359 7832