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Full text of "Auguste Renoir"

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Im 


JULIUS  MEIER-GRAEFE 

AUGUST  RENOIR 

Mit  loo  Abbildungen 


ND 
553 
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1920 

IC.  l 
ROßARTS 


MÜNCHEN  /  R.  PIPER  &  CO.  /  VERLAG 


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Presented  to  the 

LmRARY  ofthe 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 

from 

the  estate  of 

JULIE  LANDMANN 


Julius  Meier-Graefe 

AUGUSTE  RENOIR 


Auguste  Renoir. 
Photographie  nach  dem  Leben,  gegen  1900. 


JULIUS  meier-gr/5:fe 


AUGUSTE  RENOIR 


MIT  HUNDERT  ABBILDUNGEN 


ZWEITE  AUFLAGE 
VIERTES  UND  FÜNFTES  TAUSEND 


D 


MÜNCHEN  1920 

R.  PIPER  &  Co.  VERLAG 


Ferner  erschienen  vom  selben  Verfasser: 

VINCENT  VAN  GOGH.    Mit  50  Ab- 
bildungen und  dem  Faksimile  eines  Briefes 
Vierte,  erweiterte  Auflage 

PAUL  CEZ ANNE.  Mit 40  Abbildungen 
Dritte,  verbesserte  und  erweiterte  Auflage 

EDUARD  MANET.  Mit  197  Abbildungen 
Vierte  Auflage,  erscheint  1920 

CAMILLE  COROT.  Mit 76  Abbildungen 
Vierte  Auflage,  erscheint  1920 


VORWORT 
ZUR  NEUEN  AUFLAGE 

Der  Text  blieb  seit  der  im  Jahre  1911  erschienenen  ersten 
Aufläge  im  wesentlichen  unverändert.  Nicht  weil  ich 
ihn  für  hinreichend  erachte,  sondern  weil  der  gegebene 
Rahmen  für  die  wünschenswerte  Revision  nicht  ausreicht 
und  weil  uns  der  Krieg  von  der  Produktion  der  letzten 
Lebensjahre  Renoirs  ferngehalten  hat.  Daß  die  letzte  Zeit 
bei  einem  so  breit  angelegten  Genie  die  beste  sein  mußte, 
das  stand  für  jeden,  der  Einblick  in  den  Entwicklungs- 
gang des  Meisters  gewonnen  hatte,  außer  Zweifel.  Einzel- 
heiten habe  ich  inzwischen  in  Aufsätzen  zu  ergänzen  ver- 
sucht, namentlich  in  der  Studie,  die  in  der  Zeitschrift 
„Kunst  und  Künstler"  im  Jahre  1916  erschienen  ist. 
Renoir  starb  am  3.  Dezember  1919  in  seinem  Hause  in 
Cagnes  im  Alter  von  78  Jahren. 

Dresden,  Januar  1920.  M.-G. 


Renoir  in  seinem  Atelier  (1914) 
Auf  der  Staffelei  das  Bildnis  von  Tilla  Durieux 


AUGUSTE  RENOIR 

Man  kann  den  Namen  Renoir  nicht  aussprechen,  ohne  sich 
einer  Vorstellung  melodiöser  Rhythmen  hinzugeben.  Von  Fragonard 
gilt  dasselbe.  Vielleicht  hat  schon  diese  gemeinschaftliche  Eigen- 
schaft der  Namen  den  Brauch  begünstigt,  die  beiden  Künstler 
zusammen  zu  nennen.  Renoir  gilt  als  der  Fragonard  unserer  Zeit. 
Man  will  ihn  mit  dem  Namen,  der  im  Lande  der  Liebhaber  als 
einer  der  höchsten  Ruhmestitel  gilt,  ehren.  Es  wird  zu  untersuchen 
sein,  wieweit  er  den  Titel  verdient,  und  wieweit  der  Titel  ihn 
verdient.  Sicher  trifft  der  wohlklingende  Beiname  eine  tatsächlich 
bestehende  Beziehung.  Renoir  ist  eine  Verbindung  der  Gegen- 
wart mit  dem  Dixhuitieme,  und  zwar  die  deutlichste,  so  deutlich, 
daß  man  an  eine  Absicht  des  Vermittlers  glauben  könnte.  Er  ist 
keineswegs  die  einzige. 

Wer  wird  je  ergründen,  was  die  großen  Anarchisten  unserer 
Zeit  dem  krausen  Stil  einer  scheinbar  so  fernen,  so  feindlichen 
Vergangenheit  verdanken?  Wer  schreibt  die  Geschichte  des 
Barocks  im  19.  Jahrhundert?  Jenes  wenig  greifbaren  Barocks,  das 
Delacroix'  ganzes  Oeuvre  wie  eine  gewaltige  Woge  bewegt,  das 
dem  Naturalismus  Courbets  widerstand  und  von  Manet  vergeblich 
bekämpft  wurde,  das  Rodin  in  Höhen  und  in  Untiefen  trieb,  in 
Monets  besten  Bildern  die  Pinselstriche  kräuselte,  in  Cezanne  zu 
dem  phantastischen  Bau  seiner  Mystik  wurde,  van  Gogh  zu  in- 
brünstigen Visionen  hinriß  und  noch  in  den  verhaltenen  Empfindungen 
der  Jüngeren,  eines  Bonnard,  eines  Roussel  spielt,  wie  flache  Lachen 
des  Meers  auf  sandigen  Dünen. 


Neben  den  Gewalten,  die  den  Genius  der  modernen  Kunst 
von  allen  Banden  zu  befreien  suchen,  neben  dem  Neuen,  das  immer 
zuerst  bemerkt  wird,  das  die  Schlagworte  und  Schlachtrufe  formu- 
lierte und  gewissermaßen  die  Repräsentation  übernahm,  erscheint 
jenes  Barock,  das  im  stillen  wirkte  und  auch  heute  noch  kaum 
beachtet  wird,  wie  das  erhaltende  Element,  das  zusammenfügt,  was 
die  revolutionären  Mächte  gesprengt  haben.  In  jedem  großen 
Künstler  Frankreichs  wirken  beide  Gewalten  zusammen.  Wo  sie 
sich  nicht  irgendwie  ausgleichen,  wo  der  eine  Teil  den  anderen 
endgültig  besiegt,  das  Neue  jede  Teilnahme  des  Barocks  aus- 
schließt, erscheint  der  dauernde  Wert  des  Resultats  in  Frage  ge- 
stellt, und  keine  Neuerung,  die  dem  Organismus  der  Kunst  zugute 
kommt  und  unter  Umständen  in  den  Werken  anderer  glücklicherer 
Künstler  zur  Schönheit  beiträgt,  kann  das  Los  des  kühnen  Er- 
finders mildern,  der  alle  Brücken  hinter  sich  zerstörte.  Erst  das 
Alte,  das  wir  mit  dem  weiten  Begriff  des  Barocks  zusammenfassen, 
macht  Neues  wirksam,  sowie  jede  Erfahrung  nur  infolge  ihrer  Be- 
ziehungen zu  unserem  Fundus  von  Erfahrungen  bestehen  kann. 
Wir  sehen  da  die  bedeutendsten  Werte,  wo  der  Ausgleich  am 
tiefsten  geht,  wo  das  Neue  sich  ganz  mit  Altem  durchsetzt  und 
trotzdem  seine  schöpferische  Kraft  ungebrochen  behält. 

Das  an  Ereignissen  arme  Leben  Renoirs,  das  heute  bis  zu 
seinem  siebzigsten  Jahre  vor  uns  liegt,  ist  ein  solcher  Ausgleich. 
Aber  man  fürchte  nicht,  in  diesem  für  die  Größe  der  Aufgabe 
viel  zu  geringen  Buche  viel  Problematisches  zu  finden.  Zu 
dem  Ausgleich  Renoirs  gehört  die  Ferne  von  gedankenblasser 
Grübelei.  Man  würde  falsche  Vorstellungen  von  der  glücklichen 
Erscheinung  des  Künstlers  erwecken,  wollte  man  die  Dinge,  die 
ihn  beschäftigten,  nicht  mit  ebenso  leichter  Hand  andeuten,  wie 
er  sie  anfaßte. 

Die  Anfänge  Renoirs  verraten  nichts  von  dem  Fragonard  unserer 
Zeit.  Er  zielt  auf  eine  möglichst  lebendige  Darstellung  der  Er- 
scheinung. Seine  ersten  Bilder,  die  uns  bekannt  sind,  stellen  den 
Menschen  in  der  Natur  dar  und  spiegeln  das  Erstaunen  wider,  das  er 
selbst  beim  Anblick  der  menschlichen  Gestalt  in  der  Natur  empfand. 
Die  hohen  malerischen  Qualitäten  verdecken  nicht  das  Primitive  des 
Eindrucks.  Die  Kraft  wirkt  so  überzeugend,  weil  sie  sich  keiner 
versteckten    Wege    bedient.      Es    ist   die  ;Zeit   des    Courbetschen 


Einflusses.  Keiner  der  Impressionisten  zeigte  den  Einfluß  deut- 
licher als  Renoir  zu  Beginn  seiner  Laufbahn.  Zwei  Verwandte 
scheinen  sich  zu  begegnen,  und  manches  bleibt  ihnen  auch  später 
gemein.  Etwas  von  dem  animalischen  Instinkt  Courbets  scheint 
dem  Jüngeren  gegeben.  Und  er  hat  dieselbe  reiche  Produktivität, 
für  die  keine  Fläche  zu  groß  ist,  dieselbe  Rapidität  des  Schaffens. 
Manet,  Cezanne  und  Degas  dürften  zusammen  kaum  so  viel  gemalt 
haben,  als  Renoir  allein.  Er  schätzt  die  Zahl  seiner  Bilder  auf 
Tausende.  Es  ist  die  Fruchtbarkeit,  mit  der  wir  uns  gern  den 
Enthusiasmus  des  Genies  gepaart  denken.  Aber  damit  erschöpft 
sich  eigentlich  die  Beziehung  zu  dem  Meister  von  Omans.  Renoirs 
reifsten  und  reichsten  Gemälden  fehlt  die  Bravour  des  Vorgängers. 
Es  fragt  sich,  ob  wir  ihm  unbedingt  die  „finesse  dans  le  doigt" 
zusprechen  können,  für  die  es  keine  Schwierigkeit  gibt,  jene 
Maestria  Courbets,  die  mit  allen  Geheimnissen  der  alten  Meister 
jonglierte.  Er  hat  eins  voraus.  Es  ist  keine  Gabe  des  Malers, 
sondern  steckt  hinter  dem  Organ,  jenseits  der  Fingerspitzen, 
jenseits  des  Auges.  Es  nötigt  uns  ebensosehr,  den  Menschen 
über  den  Menschen,  wie  den  Künstler  über  den  Künstler  zu  stellen, 
und  trägt  dazu  bei,  das  Verhältnis  Renoirs  zu  den  großen  Künst- 
lern seiner  eigenen  Zeit  zu  bestimmen.  Er  ist  der  natürlichste 
unter  ihnen.  Natürlicher  als  Courbet  trotz  oder  gerade  infolge 
des  Courbetschen  Dogmas  vom  Naturalismus,  natürlicher  als  Manet, 
Cezanne  und  Degas,  so  seltene  Aufschlüsse  wir  ihnen  über  die 
Natur,  die  ein  Künstler  zu  suchen  hat,  verdanken.  Weil  in  ihm 
die  Spannung  des  Menschen  vor  der  Natur  weniger  scharf  hervor- 
tritt, weil  er  der  Naivste  unter  ihnen  ist,  weil  aus  seinen  Werken 
neben  aller  Pracht,  neben  einer  auf  die  Spitze  getriebenen  Ver- 
feinerung der  Gabe,  neben  der  größten  Kühnheit  und  kühlsten 
Weisheit  des  Meisters  ein  Kinderlächeln  bricht,  ein  primitiver,  un- 
widerstehlicher Naturlaut.  Die  anderen  stehen  alle  unter  dem 
Zeichen  unserer  Zeit,  des  Kampfes.  Sie  ringen  mit  der  Natur, 
reißen  sie  an  sich,  das  Dämonische  krümmt  ihre  Gesten.  Dieser 
eine  scheint  mit  ihr  geboren,  gleich  einem  Griechen,  einem  Poussin, 
einem  Mozart.  Er  malt,  wie  der  Vogel  singt,  wie  die  Sonne  scheint, 
wie  Blumen  blühen.  Nie  hat  man  so  kunstlos  geformt.  So 
greift  der  Säugling  nach  der  Mutter  Brust.  Ein  Instinkt  wird 
Schöpfung. 


I. 

Renoir  begann  im  bequemen  Geleise  der  Romantik.  Er  war 
1863  wie  so  viele  andere  beginnende  Meister  vom  Salon  refüsiert 
worden.  1864  wurde  er  mit  einem  Gemälde  „Esmeralda"  zu- 
gelassen. Da  dieses  Bild  und  die  wenigen  anderen  derselben 
Richtung  von  ihrem  Urheber  zerstört  wurden,  können  wir  uns 
keinen  Begriff  von  dem  Debüt  machen.  1865  stellte  er,  wie  Duret 
berichtet*),  ein  Frauenbildnis  und  eine  „Soiree  d'Ete"  aus,  die 
bereits    den    Naturalismus    verraten,    aber    kaum    wesentlich    sind. 

Merkwürdiger  erscheint  das  große  Gruppenbild,  „Le  Cabaret  de  la 
Mere  Anthony"  **),  das  im  Januar  1866  in  Marlotte,  der  alten  Sommer- 
residenz der  Maler,  entstand.  Rechts  im  Hut  sitzt  Sisley,  der 
Intimus  Renoirs,  den  er  oft  gemalt  hat,  daneben  ein  Maler  Lecoeur 
Hinter  seinen  Rücken  macht  sich  die  damals  wohlbekannte  Mere 
Anthony  zu  schaffen.  Der  stehende  Rapin,  der  sich  gerade  eine 
Zigarette  dreht,  ist  Renoir  selbst.  Daneben  räumt  die  hübsche 
Nana,  die  Tochter  der  Wirtin,  von  deren  weitem  Herzen  Wunder- 
dinge erzählt  werden,  das  Geschirr  des  Frühstücks  ab.  Auf  der 
Rückwand  zwischen  gekritzelten  Noten  und  Versen  ein  paar  Kari- 
katuren von  Musikern.  Die  gespenstische  Gestalt  links  ist  Murger, 
dessen  Geist  man  auch  ohne  dieses  Signum  in  dem  Bilde  spüren 
würde.  Es  ist  eine  sehr  lockere  Improvisation  in  bräunlichen  Tönen, 
ohne  jeden  Ehrgeiz  gemalt.  Die  Köpfe  scheinen  ebenso  spielerisch 
aus  weicher  Laune  enstanden  wie  der  schnurrige  Pudel,  den  ein 
Kind  gezeichnet  haben  könnte.  Aber  dem  Kindlichen  gelingt,  was 
oft  der  Bewußtheit  entgeht.  Man  spürt  diese  Menschen,  und  nicht 
nur  sie  selbst,  auch  das,  was  sie  gemein  haben,  die  Art  ihres  Zu- 
sammenseins, ihre  ganze  harmlose  Existenz.  Wohl  fehlt  die  ge- 
ringste Andeutung  der  strahlenden  Palette,  ohne  die  wir  uns  heute 
keinen  Renoir  denken  können.  Aber  die  noch  ungelenke  Hand 
kündigt  uns  mit  bedeutungsvolleren  Zeichen  jene  seltene  räumliche 
Fülle  an,  die  auch  nach  Abzug  der  rauschenden  Farbe  von  allen  Ge- 
mälden des  Meisters  zurückbleibt. 

Die  1866  67  gemalte  „Diane  Chasseresse"***),  die  1867  vom 
Salon    refüsiert   wurde,   verrät   im  Motiv  und  manchen  Details  die 


*)  Les  Peintres  Impressionistes  (Floury,  Paris  1906). 
)  Gegenwärtig  im  Besitz  des  Bronzenverlegers  Hebrard  in  Paris. 
)  Sammlung  Viau  in  Paris. 


8 


Le  Cabaret  de  la.Mere  Anthony.  1866. 
Früher  Sammlung  A.  A.  Hebrard,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(1,30:1,95) 


Abhängigkeit  von  Courbet.  Aber  man  erschöpft  mit  dieser  leichten 
Erkenntnis  nicht  jede  Eigenschaft  des  Werkes.  In  der  großen 
kühn  komponierten  Gestalt  steckt  ein  enthusiastischer  Schwung, 
den  man  unmöglich  mit  der  selbstbewußten  Art  Courbets  ver- 
wechseln kann.  Die  Farben  sind  im  wesentlichen  der  Palette 
des  Vorgängers  entnommen,  nicht  die  Anschauung,  die  sie  ver- 
bildlichen. Der  weiche  Auftrag  mildert  den  Naturalismus.  Schon 
umhüllt  sich  das  Fleisch  mit  dem  warmen  Rosa,  das  die  Meister- 
werke Renoirs  schmückt,  und  man  glaubt  in  dem  Gesicht  bereits 
die  Züge  des  Renoirschen  Frauentyps  zu  erkennen. 

Ahnlich  verhalten  sich  Renoirs  Stilleben  dieser  frühen  Zeit, 
z.  B.  die  großen  Fruchtstücke  der  Sammlungen  Liebermann  (Berlin) 
und  Biermann  (Bremen),  zu  manchen  Stilleben  des  Vorbildes.  Die 
Ähnlichkeit  der  Mittel  bedingt  nicht  die  Gleichheit  des  Resultats. 
Die  Empfindungen  der  beiden  im  Wesen  so  verschiedenen  Künstler 
konnten  immer  nur  ganz  kurze  Strecken  zusammengehen. 

Im  Folkwang-Museum  in  Hagen  hängt  das  früheste  Meisterwerk 
Renoirs,  die  „Lise"  von  1867*).  Eine  ähnliche  Gestalt  ist  die  Gattin 
Sisleys  auf  dem  Doppelbildnis  „Menage  Sisley",  das  1868  ent- 
standen ist.  Die  Lise  selbst  kommt  in  dem  1869  gemalten  Mädchen 
der  Nationalgalerie  in  Berlin  („Sommer")  wieder.  Renoir  ist  am 
25.  Februar  1841  geboren.  Er  war,  als  er  die  „Lise"  malte, 
26  Jahre  alt. 

*)  Das  Bild  hat  eine  kleine  Geschichte.  Es  gehörte  ursprünglich  Theodore 
Duret.  Dieser  hatte  1872  Renoir  bei  Degas  g-etroffen.  Wie  er  mir  erzählte, 
machte  damals  der  Maler  einen  recht  bohemienhaften  Eindruck  und  schien  nicht  das 
Notwendigste  zu  haben.  Degas  lobte  Renoirs  Anlagen,  und  daraufhin  sah  sich 
Duret  ein  paar  Bilder  an,  die  bei  kleinen  Händlern  des  Montmartre  herumstanden. 
Er  kaufte  damals  für  400  oder  500  Frs.  das  junge  Mädchen  (die  zweite  Lise), 
von  dem  oben  die  Rede  ist,  das  sich  heute  in  der  Nationalgalerie  befindet. 
Als  er  Renoir  wieder  traf,  freute  sich  dieser  nicht  wenig  über  den  Kauf, 
meinte  aber,  es  sei  Besseres  zu  haben.  Duret  war  begierig,  mehr  zu  sehen. 
Schließlich  rückte  Renoir  mit  dem  Geständnis  heraus,  er  habe  in  einem  Atelier 
eine  ganze  Anzahl  nicht  übler  Bilder,  aber  da  er  die  Miete  des  Ateliers  nicht  ge- 
zahlt habe,  sei  er  gezwungen  gewesen,  es  aufzugeben  und  die  Bilder  dem  Concierge 
als  Deckung  zu  überlassen.  Dieser  sei  befugt,  alles  zu  verkaufen.  Vielleicht 
könne  Duret  einige  Bilder  kaufen  und  dadurch  die  Schulden  decken,  die  gegen 
700  Frs.  betrugen,  und  womöglich  bekäme  er,  Renoir,  dann  den  anderen  Teil 
heraus.  Duret  ging  in  das  Atelier,  fand  viele  Bilder,  unter  denen  ihm  die  Lise 
am  besten  gefiel.  Das  Bild  lag  zusammengewickelt  am  Boden,  weil  der  Concierge 
den  Keilrahmen  zu  Gelde  gemacht  habe.      Die  Leinwand  hatte  niemand  gewollt. 


10 


Diane  Chasseresse.     1866/67. 
Früher  Sammlung  Viau,  Paris. 
Photog-raphie  Druet. 


(1,32:1,97) 


11 


Wir  blicken  in  ein  Waldinneres.  Es  ist  der  Wald  von  Fon- 
tainebleau.  Dunkle  Töne  von  Grün,  Rot  und  Braun  bilden  den 
feuchten  Schatten.  Vor  einem  mächtigen  Baumstamm,  auf  dem 
ein  paar  Sonnenflecke  perlmutterhaft  glühen,  erscheint  wie  ein 
Märchen  die  weiße  Dame.  Das  Weiß  ist  der  wunderbare  Mull 
unserer  Großmütter,  duftig  und  durchsichtig.  Es  läßt  deutlich 
das  härtere  Weiß  des  Unterkleides  durchscheinen.  Wie  eine 
Wolke  umgibt  es  die  volle  Figur,  die  prachtvollen  Arme  und 
läuft  bis  tief  auf  die  Hand,  die  den  Battist  hält.  Hier  sitzt 
das  süße  Bändchen,  das  den  Ärmel  einzieht.  Die  andere  Hand 
hält  den  kleinen  Sonnenschirm  mit  dem  geschnitzten  Elfenbeingriff 
und  den  schwarzen  auf  weiß  gezogenen  Spitzen.  Wieder  ein  neues 
Weiß  tritt  in  dem  Hut  mit  der  schmalen  Krempe  hinzu,  und  endlich 
das  schönste:  das  Fleisch.  Man  könnte  fast  den  Vergleich  mit  dem 
Papstporträt  des  Velasquez  wagen.  Freilich  nicht  um  von  der  Pracht 
des  Modernen  einen  Begriff  zu  geben.  Dieser  Begriff  wäre  immer 
verkehrt.  Schmucklos,  bürgerlich,  fast  unbeholfen  stände  das  Bild 
neben  dem  fürstlichen  Virtuosenstück  des  Spaniers.  Der  Prunk 
des  Papstbildnisses,  der  das  Kabinett  in  der  Galerie  Doria  zu 
einem  Juwelenschrein  verwandelt,  ist  der  weißen  Dame  unerreichbar. 
Sie  stammt  aus  einer  stilleren  Welt.  Der  Vergleich  mag  uns  lehren, 
wie  der  Künstler  unserer  Tage  auf  einem  Wege,  der  dem  des 
alten  Meisters  stückweise  nicht  zu  fern  scheint,  zu  einem  ganz 
anderen  Resultate  gelangt.  Auch  der  Innozenz  wirkt  durch 
die  Hülle.  Man  mag  sich  noch  so  tief  in  das  dämonische  Antlitz 
hineinsehen,  nie  käme  es  zu  dem  Eindruck  ohne  das  Farbige  der 
Kleidung.  Hier  umspielt  das  vielgeartete  Weiß  die  Röte  eines 
männlichen,  alles  Sinnliche  des  Mannes  widerstrahlenden  Gesichtes. 
Die  Umhüllung  des  linken  Armes  scheint  aus  Schaum  gemacht, 
unter  dem  man  die  Haut  deutlich  bemxcrkt.  In  der  „Lise"  Renoirs 
dient    die   Malerei    der   Frau.     Hier    ist   das   Weiß    nicht   Schaum, 

Duret  bot  1200  Frs.  dafür,  eine  für  die  Zeit  exorbitante  Summe,  die  Renoir  mit 
Freuden  annahm.  —  Eine  kleine  Zeichnung  nach  dem  Bilde  figurierte  als  Titelbild 
in  der  Broschüre  Durets  „Les  Peintres  Impressionistes"  (Heymann  &  Perois, 
Paris  1878).  Später  tauschte  Duret  das  Bild  mit  Durand  Ruel  gegen  den  Puvis, 
der  sich  jetzt  bei  Moreau  Nelaton  befindet.  Durand  Ruel  schätzte  das  Bild  gering 
und  verkaufte  es  vor  einem  halben  Dutzend  Jahren  für  den  zehnfachen  Preis  dessen, 
was  Duret  gezahlt  hatte,  an  Osthaus.  Heute  würde  eine  weitere  Verzehnfachung 
des  Preises  kaum  den  Marktwert  des  Bildes  übersteigen. 


12 


Lise.     1867. 

Folkwang- Museum,  Hagen  i/W. 

Photographie  Durand  Ruel. 


(1,13:1,80) 


13 


sondern  Duft.  Es  umspielt  in  vielen  Nuancen  das  Rundliche, 
Weiche,  Kühle  des  Frauenkörpers.  Viel  zarter  sind  die  Töne  ge- 
stimmt, so  zart,  daß  das  Schaumige  des  Velasquez  fast  materiell 
erscheint  und  der  rote  Lüster  des  Ornats  zu  einem  Greifbaren  wird, 
etwa  zu  einem  kostbaren  Rahmen,  während  er  doch  inniger  zu 
dem  Bilde  gehören  müßte.  Hier  beginnt  die  eigene  Wirkung  des 
Modernen.  Wie  das  Kleid  viel  inniger  zu  dem  Körper  gehört, 
so  scheint  die  Malerei  dem  ganzen  Wesen  der  Frau,  die  da  vor 
uns  steht,  näher  zu  kommen,  einem  Wesen,  dessen  verschwiegene 
Eigenheiten  der  Kunst  eines  Velasquez  so  fern  lagen  wie  seiner 
Zeit  die  stille  Existenz  solcher  weißen  Damen.  Diese  Vertraut- 
heit mit  dem  Intimen  könnte  den  Modernen  verkleinern.  Eine 
so  vollendete  Interpretation  des  Frauenhaften  könnte  feminin 
erscheinen.  Der  Vergleich  belehrt  uns  eines  Besseren.  Der 
Maler  unserer  Zeit  scheint  dem  Modell  viel  weniger  Untertan, 
als  Velasquez  seinem  Papste.  Sein  Blick  ist  geschärft,  nicht  ver- 
weichlicht. Das  Verschwiegene  seiner  Art  kommt  aus  Wider- 
ständen zum  Vorschein,  und  man  errät  mehr  davon,  als  man  sieht. 
Nur  einer  starken  Männlichkeit  ist  der  schöpferische  Instinkt  dem 
Frauenhaften  gegenüber  gegeben.  Dieses  Männliche  —  derber, 
einfältiger,  kindlicher  als  der  Sinn  des  Velasquez  —  spürt  man 
durch  die  weiße  Dame  hindurch.  Es  steht  hinter  ihr  wie  der 
mächtige  Baumstamm,  an  den  sie  sich  anlehnt,  und  verträgt  sich 
merkwürdig  mit  dem  Duftigen  der  Erscheinung.  Ja,  erst  diese 
Mischung  läßt  den  vollen  Reiz  der  Zartheit  entstehen. 

Diese  Widerstände  glaubt  man  in  allen  Einzelheiten  des  Ma- 
lerischen wiederzufinden.  Die  vielen  weißen  Töne  scheinen  sich 
mit  dem  Reiz  von  Kontrasten  auszustatten,  neben  dem  mächtigen 
Gegensatz  zwischen  dem  prunkenden  Schwarz  der  Schärpe  und 
dem  Rot  gewisser  Details.  Nur  dieser  ganz  einfache  starke 
Gegensatz  scheint  das  feine  Spiel  im  Weiß  zu  ermöglichen.  Der 
Fleischton  wird  von  dem  Rot  gewärmt,  das  von  den  Korallen  des 
Ohrgehänges  über  das  Band  am  Hals  bis  schließHch  zu  dem 
gelbrosa  Teint  des  Gesichtes  eine  Tonleiter  von  wohl  ab- 
gewogenen Intervallen  durchläuft,  den  Schnee  des  Kleides  noch 
weißer  und  zarter  erscheinen  läßt  und  selbst  von  dem  kühleren 
Weiß  die  Wärme  erhält.  Alle  diese  vielen  Töne  kommen  nur, 
sobald  man  sie  sucht.     Sie  verschwinden,  sobald  man  das  Märchen 


14 


erblickt,  die  weiße  Dame  in  dem  Schatten  des  Waldes.  Und  da- 
her mag-  es  kommen,  daß  sie  uns  nicht  wie  Zeichen  einer  virtuosen 
Form,  sondern  wie  zuckende  Teile  lebendiger  Empfindung  erscheinen. 
In  der  Virtuosität,  die  alle  Unebenheiten  der  Einzelheit  in  Prunk 
vergräbt,  steht  sicher  der  alte  Meister  höher.  Aber  wir  wissen 
kaum,  ob  wir  nicht  in  der  Unbeholfenheit,  die  manche  Details  des 
Modernen  verraten,  eine  größere  Geschicklichkeit  erblicken  sollen. 
Diff  renziertere  Mittel,  größere  Einfalt  in  der  Verwendung  —  darin 
eruht  die  Überlegenheit  Renoirs  über  Velasquez.  Und  alle  Üppig- 
keit des  spanischen  Hofmalers  vermag  sie  nicht  zu  verdecken. 
Fast  dieselben  Eigenschaften  sichern  Renoirs  Stellung  gegenüber 
seinen  beiden  Zeitgenossen,  an  die  das  Bild  auf  den  ersten  Blick 
erinnert.  Ohne  Courbet,  ohne  Manet*)  wäre  die  „Lise"  nie  ent- 
standen. Aber  was  die  beiden  dem  Jüngeren  gaben,  scheint  nur 
das  Gefäß,  dem  er  den  Inhalt  verlieh.  Schon  von  diesem  Früh- 
werk aus,  das  die  Handschrift  des  werdenden  Meisters  nur  ahnen 
läßt,  überblickt  man  die  unverkennbare  Eigenheit  Renoirs,  die  ihn 
von  den  beiden  Koryphäen  scheidet.  Im  Wettkampf  Manets  mit 
Courbet  siegten  die  verfeinerten  Waffen  des  Aristokraten,  von  einem 
höheren  und  moderneren  Intellekt  geführt,  gegen  eine  unverhältnis- 
mäßig größere  Stärke.  Dem  Massenhaften  des  Vorgängers  stellte 
Manet  eine  straffere  Konzentration  entgegen.  Das  läßt  ihn  uns 
mit  Recht  geistiger  erscheinen.  Renoir  gegenüber  aber  reduziert 
sich  der  Unterschied  zwischen  den  beiden  Vorgängern  auf  eine 
Differenz  der  Mittel,  während  die  Zwecke  nahezu  dieselben  bleiben. 
Manet  übertrifft  Courbet  mit  gewählteren  Ansichten  der  Frau  auf 
gewähltere  und  vor  allem  neuere  Art.  Das  Fleisch  seiner  Geschöpfe 
ist  ein  destillierterer  Begriff  als  das  Fleisch  der  „Desmoiselles  au 

*)  Manets  Anteil  ist  deutlicher  in  den  „Champs  Elysees",  einem  Bild  in 
Breitformat,  das  die  Volksmenge  zur  Zeit  der  Weltausstellung  von  1867  unter 
den  Bäumen  der  „Champs  Elysees"  schildert.  Ohne  die  Signatur  würde  man  im 
ersten  Augenblick  schwerlich  auf  Renoir  schließen ;  freilich,  ebensowenig  auf  Manet, 
dessen  ähnliche  Motive  sicher  als  Anreger  dienten.  Erst  allmählich  erkennt  man 
in  dem  weichen  Grün  der  Bäume  und  in  der  Art,  wie  Einzelheiten  der  Menge 
charakterisiert  sind,  Ansätze  zu  dem  späteren  Renoir.  Kurios  sind  die  unver- 
mittelten roten  Akzente  in  der  Menge.  Das  Bild  gehört  dem  Prinzen  Wagram 
und  hängt  gegenwärtig  in  der  Galerie  Barbazanges.  Auch  in  der  „Grenouillere" 
der  Sammlung  Theo  Behrens  in  Hamburg,  die  gleichzeitig  mit  dem  Bilde  Monets 
gleichen  Titels  entstand,  ist  der  Einfluß  Manets  zu  spüren. 


15 


bord  de  la  Seine".  Aber  im  Grunde  sind  nur  Äußerlichkeiten  schuld 
daran,  daß  wir  seine  Frauen  denen  eines  Renoir  verwandter  glauben 
als  die  Weiber  Courbets.  Manets  hochgespannter  Subjektivismus 
hatte  nicht  Zeit  für  das  Märchen.  Seinem  alles  Sichtbare  blitzschnell 
aufsaugenden  Blick  entging  das  Unsichtbare,  das  Renoir  fühlt 
und  fühlen  zu  lassen  weiß,  und  das  nicht  entbehrt  werden  kann, 
soll    sich  weibliches   Fleisch    in  Mädchen    und  Frauen    verwandeln. 

Eine    kurze  Etappe    in    dem  Werdegang  Renoirs    erinnert   an 
die  Entwicklung  Courbets. 

Auch  ihn  hat  im  Anfang  die  Klippe  bedroht,  an  der  die 
„Lutteurs"  Courbets  scheiterten.  Das  große  Bild,  der  „Clown 
im  Zirkus",  datiert  1868,  jetzt  in  der  Sammlung  Sternheim  bei 
München,  zeigt  die  Gefahr*).  Er  rang  schon  in  diesem  großen, 
wenig  gelungenen  Werke  ganz  wie  Courbet  nach  einem  Ausgleich 
zwischen  Plastizität  und  dem  Farbigen,  und  er  hat  in  vielen  anderen 
Werken  den  Ausgleich  immer  wieder  versucht.  Während  Courbet 
in  der  Regel  die  Klippe  vermied,  indem  er  seine  Bilder,  den 
Gegenständen  entsprechend,  zur  selben  Zeit  entweder  in  der  alten 
Tradition  mit  größerer  Betonung  der  Modellierung,  oder  als  Im- 
pressionist malte,  bestand  Renoir  auf  einer  endgültigen  Lösung  des 
Problems,  und  es  gelang  ihm,  die  beiden  sich  widerstrebenden 
Elemente  zu  einer  Einheit  zu  verschmelzen.  Freilich,  bis  er  dies  voll- 
kommen erreichte,  verging  geraume  Zeit.  Nur  sorgte  der  Weg, 
auf  dem  er  zum  Ziele  strebte,  dafür,  daß  das  Heterogene  der 
Courbetschen    Schwankungen  fast  immer  vermieden  wurde. 

Den  Ausgleich  erleichterte  die  von  Courbet  vernachlässigte 
Koloristik.  Sicher  wurde  Renoir  von  dem  Beispiel  Manets  angefeuert, 
diesen  Weg  zu  beschreiten.  Aber  nur  zögernd  schloß  er  sich  dem 
Führer  an.  Eigentlich  blieb  dem  inneren  Wesen  des  Träumers  der 
ungestüme  Dränger  immer  fremd.  Renoir  ist  stiller,  gelassener,  wenig 
zur  Aussprache  geneigt,  einfacher  im  Denken,  viel  reicher  an  Em- 
pfindung   und    schreckt    vor    allen    intellektuellen    Entscheidungen 

*)  Das  Bild  darf  nicht  als  g-ültig-e  Probe  des  Malers  gelten,  der  es  ohne 
Sorgfalt  für  das  Kaffee  des  Cirque  d'hiver  auf  dem  Boulevard  des  Filles  de  Cal- 
vaire  malte.  Der  ausbedungene  Preis  war  100  Fr.  Der  Cafetier  machte  Bankrott, 
und  das  Bild  blieb  dem  Künstler.  Ein  ähnliches  Motiv  mit  zwrei  Gestalten,  das 
annähernd  aus  derselben  Zeit  stammt,  „les  Acrobates",  befindet  sich  in  der 
Sammlung  Potter  Palmer  in  New-York. 


16 


über  Gefühlsfragen  zurück.  Reiche  Menschen  können  nicht  kon- 
sequent sein.  Vielleicht  begriff  Renoir  den  Verzicht  Manets  auf  jede 
Modellierung.  Nie  hätte  er  darin  eine  sein  eigenes  Los  bestimmende 
Lösung  erblickt.  Und  seine  Ideen  über  die  Farbe  hatte  er  sich 
selbst,  so  primitiv  wie  möglich,  zurechtgemacht,  wenn  er  damals 
überhaupt  darüber  nachdachte.  Renoir  besaß  von  Anfang  an  eine 
ganz  bestimmte  Farbenvision.  Sie  ist  viel  elementarer  als  alle 
anderen  Besitztümer  seines  Genius  und  war  längst  vor  dem  Renoir, 
den  wir  kennen,  da.  Die  schwarze  Epoche  unter  dem  Einfluß 
Courbets  ist  nur  der  Anfang  des  Künstlers,  keineswegs  der  Beginn 
des  Malers.  Schon  in  dem  armen  Schneidersohn  aus  Limoges,  der  mit 
13  Jahren  sein  Leben  mit  Porzellanmalerei  verdiente,  steckte  die 
Koloristik  des  späteren  Meisters.  Man  erkennt  sie  ohne  Mühe  im 
Dekor  mancher  Porzellanvasen,  die  sich  aus  der  Zeit  des  Hand- 
werkers erhalten  haben.  Die  Verwendung  reiner  Farben  auf  lichter 
Unterlage,  die  später  den  Kameraden  so  viel  Kopfschmerzen  be- 
reiten sollte,  hatte  der  Porzellanmaler  längst  für  sich  gefunden. 
Auf  das  Weiß  des  Porzellans  setzten  sich  die  hellen  Rosa  und  Blau 
von  selbst.  Fast  fünf  Jahre  blieb  der  Junge  Handwerker.  Er 
kam  schnell  vorwärts,  und  man  vertraute  ihm  bald  Aufgaben  an, 
die  sonst  nur  bewährten  Arbeitern  zufielen.  Er  wurde,  wie  sein 
Bruder  erzählt,  schon  von  den  Kameraden  dieser  Zeit  im  Scherz 
Rubens  genannt.  Diesem  jüngeren  und  noch  lebenden  Bruder, 
Edmond  Renoir,  der  später  als  Modell  vieler  Bilder  eine  gewisse 
Rolle  im  Oeuvre  spielt  und  ihm  —  er  war  Journalist  —  so  gut  er 
konnte,  zu  helfen  suchte,  verdanken  wir  einige  Nachrichten  über 
Renoirs  Handwerkerzeit*).  Unter  den  Porzellanmalern  war  ein  älterer 

*)  In  der  Zeitschrift  „La  Vie  moderne"  (Charpentier,  Paris)  I.  Jahrgang  No.  11, 
vom  19.  Juni  1879,  in  Form  eines  Briefes  an  den  Herausgeber  Em.  Bergerat. 
Dem  Bruder  verdankte  Renoir  wohl  seine  eigene  gelegenthche  Mitarbeit  an  der 
„Vie  moderne".  Es  finden  sich  in  verschiedenen  Jahrgängen  mehrere  Zeichnungen, 
die  er  für  die  Zeitschrift  machte,  ausnahmslos  Porträts,  manche  in  einer  breit  be- 
handelten figürlichen  Einrahmung  im  Geschmack  der  Zeit:  In  No.  2  (17.  April  1879) 
ein  Bildnis  des  Malers  Leon  Riesener,  des  Vetters  Delacroix';  in  No.  5  desselben 
Jahrgangs  Bildnis  des  Grafen  von  Beust;  in  No.  13  (3.  Juli  1879)  ein  sehr  reizender 
Mädchenkopf;  in  No.  14  (10.  JuU  1879)  Bildnis  Banvilles  (in  demselben  Heft  ein 
Gedicht  von  Banville  ,,Rue  de  l'Eperon",  in  dem  Renoir  erwähnt  wird) ;  im  V.  Jahr- 
gang No.  51  (1883)  Rosita  Mauri  (dieselbe  Tänzerin,  die  Manet  gemalt  hat)  in 
der  Farandole;  ein  anderes  Bildnis  derselben  Tänzerin  in  dem  Heft  vom  22.  De- 
zember  desselben  Jahrgangs,    in  einer  Umrahmung  von  der  Hand  eines  anderen 


17 


Meister,  der  zu  Hause  in  seinen  Freistunden  die  Ölmalerei  trieb, 
Er  wurde  Renoirs  erster  Meister,  gab  ihm  Leinwand  und  Farben, 
zeigte,  wie  er  damit  verfahren  müsse,  und  ermunterte  ihn  schließ- 
lich, einmal  ein  selbständiges  Bild  zu  malen.  Renoir  machte  sich 
zu  Hause  ans  Werk.  Er  wohnte  damals  bei  seinen  Eltern  in  der 
Rue  d'Argenteuil;  sein  Vater  war  wenige  Jahre  nach  der  Geburt 
des  Jungen  von  Limoges  nach  Paris  gezogen.  Er  malte  mutig  darauf 
los.  Es  war  eine  Eva  vor  dem  Sündenfall.  Hinter  ihr  in  den 
Zweigen  wand  sich  eine  Schlange  mit  geöffnetem  Rachen.  Als  das 
Opus  fertig  war,  wurde  der  Porzellanmalermeister  eines  Sonntags 
zur  Prüfung  ins  Haus  gebeten.  Nach  eingehender  Betrachtung 
erklärte  er  der  versammelten  Familie  mit  großer  Bestimmtheit,  man 
solle  den  Jungen  Kunstmaler  werden  lassen,  denn  als  Porzellan- 
dekorateur könne  er  höchstens  12  oder  15  Frs.  den  Tag  verdienen. 
Überdies  prophezeite  er  ihm  eine  glänzende  Zukunft.  Der  Rat 
wurde  mit  Achtung  angehört.  Aber  es  fehlte  jede  Möglichkeit, 
ihn  zu  befolgen.  Das  Studium  der  Kunstmalerei  kostete  viel  Geld. 
Die  Eltern  waren,  zumal  damals,  in  ganz  ärmlichen  Verhältnissen. 
Renoir  wäre  wohl  ewig  Porzellanmaler  geblieben,  wenn  nicht  gerade 
die  Erfindung  des  Porzellandrucks  die  Handtechnik  materiell  ge- 
schädigt hätte.  Wieder  einmal  wurde  der  Niedergang  eines  Gemein- 
wesens zum  Helfer  eines  einzelnen.  Der  Junge  war  in  verzweifelter 
Lage;  der  kühne  Wunsch,  in  Sevres  angestellt  zu  werden,  schien 
aussichtslos.  Eines  Tages  bummelt  er  mit  leerem  Magen  durch 
die  Rue  du  Bac  und  sieht  einen  Laden,  wo  bemalte  durchsichtige 
Stores  fabriziert  werden.  Das  Geschäft  blüht,  der  Besitzer  sucht 
nach  Arbeitern.  Renoir  bietet  sich  an.  Der  Meister  macht  keine 
Umstände.  Da  ist  das  Atelier,  am  nächsten  Tag  kann  er  anfangen, 
den  Store  zu  30  Francs.  Ein  menschenfreundlicher  Arbeiter  zeigt 
dem  Neuling  den  Trick.  Am  Ende  der  ersten  Woche  ist  Renoir 
an  der  Spitze.  Am  Ende  der  zweiten  verdient  er  100  Francs  den 
Tag,  weil  er  die  Stores  zehnmal  so  schnell  als  die  anderen  fertig- 
bringt. Nach  zwei  Jahren  hat  er  sich  genug  erspart,  um  die  Ecole 
des  Beaux-Arts  und  das  Atelier   Gleyres   zu  besuchen. 

Künstlers;  in  dem  Heft  vom  21.  April  1883  (S.  256)  eine  Zeichnung  nach  dem 
Gemälde  „Leda"  von  Leon  Riesener;  S.  707  desselben  Jahrg-angs  Zeichnung-  nach 
Renoirs  Gemälde  ,,La  danse  a  la  campagne";  andere  Zeichnungen  auf  S.  783, 
803,  835  usw.  Eine  der  interessantesten  ist  das  Bildnis  Wagners  ^883  S.  129), 
von  dem  in  der  Folge  die  Rede  ist. 


18 


Bildnis  des  Malers  Sisley.     1868. 
Sammkmgf  Lapame,  Paris. 

Photographie  Druet. 


(0,65:0,80) 


19 


Man  darf  diesem  Ausgangspunkt  einige  Bedeutung  zumessen, 
ohne  zu  vergessen,  wie  wesentlich  er  gerade  bei  einem  Menschen 
von  den  angeborenen  Eigenschaften  Renoirs  sein  mußte.  Er  setzte 
den  Träumereien  des  Romantikers  ein  Ziel  und  sicherte  ihm  ein  sel- 
tenes Attribut  des  modernen  Künstlers:  die  Bescheidenheit.  Renoir 
selbst  meint,  die  Handwerkerzeit  habe  seine  manuelle  Geschicklich- 
keit und  die  dem  modernen  Maler  unentbehrliche  Schnelligkeit 
der  Niederschrift  gesteigert. 

Bei  Gleyre  findet  er  im  Winter  1861  62  in  Monet,  Sisley  und 
Bazille  gleichgesinnte  Kameraden.  Den  Sommer  gehen  sie  zusammen 
nach  Chailly  im  Walde  von  Fontainebleau.  Hier  trifft  Renoir  1862 
den  alten  Diaz,  der  sich  des  angehenden  Malers  annimmt,  ihn  in 
den  Regeln  der  Landschafter  von  1830  unterweist  und  ihm,  was 
vielleicht  noch  wichtiger  war,  Kredit  bei  dem  Farbenlieferanten  ver- 
schafft. Monet  steckt  Renoir  mit  seiner  Bewunderung  Courbets 
an  und  vermittelt  ihm  später  die  Bekanntschaft  mit  Manet,  dessen 
Werke  Renoir  zum  erstenmal  in  der  „Exposition  des  Refuses"  von 
1863  sieht.  Diese  Geschichte  ist  ungefähr  bei  allen  Impressionisten 
dieselbe.  Sie  differenziert  sich  bei  den  meisten  erst  nach  1870. 
Bei  Renoir  hat  sie  von  Anfang  an  unverkennbare  Sonderheiten. 
Eine  erwähnten  wir  schon:  die  gewerbliche  Mitgift  des  Porzellan- 
malers. Damit  hängt  eine  andere  von  größerer  Bedeutung  zu- 
sammen, die  der  ganzen  Erscheinung  Renoirs  den  Stempel  aufdrückt 
und  seine  Entwicklung  bestimmt:  das  unbedingte  Festhalten  an  der 
französischen  Tradition.  Wohl  stehen  alle  führenden  Künstler 
seiner  Generation  auf  dem  Boden  der  französichen  Kunst.  Aber 
sie  stehen,  wie  sie  gestellt  wurden,  ohne  ihr  Dazutun,  und  ihre  per- 
sönlichen Tendenzen  treiben  sie  eher  vom  vaterländischen  Boden 
weg.  Man  wird  in  Manet,  Cezanne,  Degas  und  Monet  ohne  Mühe 
die  nationalen  Elemente  erkennen.  Die  treibenden  Eigenschaften 
der  Menschen  in  den  Künstlern  sind  französisch:  ihr  Esprit,  ihr 
Sinn  für  Fortschritt  und  Freiheit,  ihr  Geschmack.  Aber  nur  eine 
sehr  weitgehende  Analyse  erkennt  in  ihren  Formen  mit  Sicherheit 
den  rein  französischen  Anteil.  Die  einheimischen  Elemente  sind 
mit  fremden  verbunden  und  werden  von  diesen  nahezu  absorbiert. 
Die  Einflüsse  der  spanischen  Kunst  und  Japans  und  ein  Trieb 
zum  Analytischen,  der  erst  mit  den  Impressionisten  in  Frankreich 
einzieht,   verhüllen   das  Eingeborene.     Bei   Renoir   ist    das  Gegen- 


20 


Le  Menage  Sisley.      1868. 
Wallraf-Richartz- Museum,  Köln. 


(0,75:1,05) 


21 


teil  der  Fall.  Er  ist  der  reinste  Franzose  seiner  Generation,  und 
es  wird  nachzuweisen  sein,  daß  er  es  nicht  ohne  Bewußtsein  ist.  Er 
geht  den  entscheidenden  Anregungen  nicht  aus  dem  Wege,  ist 
kein  einseitiger  Nationalist,  der  sich  prinzipiell  gegen  alles  Fremde 
sträubt.  Aber  seine  rein  französischen  Elemente  absorbieren  das 
Fremde.  Er  verdankt  seine  entscheidenden  zeitgenössischen  An- 
regungen ausschließlich  den  Meistern  des  19.  Jahrhunderts,  die 
uns  als  Repräsentanten  Frankreichs  erscheinen.  Er  ist  Franzose 
bis  in  jede  Einzelheit  der  Handschrift.  Man  braucht  nur  die 
runde  Form  seiner  Radierungen  neben  die  geradlinigen  Striche 
der  Zeichnungen  Manets  oder  Degas'  zu  halten.  Dieselbe  Rund- 
heit ist  in  der  geschmeidigen  Pinselschrift  fast  aller  Bilder  zu 
spüren.  Die  spitze  „Hachure"  der  Monet,  Pissarro  und  Sisley 
gibt  bei  Renoir  nie  die  entscheidende  Struktur.  Wo  er  sich,  wie 
in  manchen  Landschaften  der  mittleren  Zeit,  der  Mittel  seiner 
Freunde  bedient,  scheint  er  ihnen  unterlegen.  Seine  besten  Ge- 
dichte hat  er  wie  Fragonard  mit  runder  Handschrift  geschrieben. 
Die  Farbe  des  Porzellanmalers,  die  Courbets  Schatten  ver- 
dunkelt hatten,  bedurfte  der  Ergänzung.  Man  hat  von  Monets 
Einfluß  gesprochen.  Wohl  hat  Renoir  in  seiner  Weise  an  der 
Entwicklung  des  Pleinairismus  und  der  modernen  Palette  teil- 
genommen, die  auf  Monets  Initiative  zurückgeht,  und  man  findet 
in  den  Siebziger  Jahren  manche  Bilder,  die  verwandten  Motiven 
Monets  ähnlich  sehen*).  Aber  es  ist  bei  solchen  Überein- 
stimmungen, die  übrigens  bei  näherem  Hinsehen  nicht  die  ge- 
wohnten Differenzen  zwischen  den  beiden  so  grundverschiedenen 
Malern  verdecken,  nie  ganz  leicht,  zu  konstatieren,  wer  Geber,  wer 
Empfänger  ist.  Der  Einfluß  war  günstiger  als  der  Monets 
auf  Edouard  Manet,  kam  besser  der  natürlichen  Anlage  entgegen, 
keinesfalls  war  er  intensiver.  Er  gleicht  der  Mitteilung  eines  Ver- 
fahrens, das  erst  durch  die  besondere  Verwendung  in  geeigneten 
Händen  seinen  Wert  erhält.  Es  ist  nicht  zu  verwundern,  daß  man 
Renoir  anfangs,  als  jenes  Verfahren  noch  neu  war  und  nur  von 
einem  kleinen  Kreis  geübt  wurde,  lediglich  nach  seiner  Zugehörig- 
keit zu  diesem  von  der  Welt  angefeindeten  oder  angestaunten 
Kreise  beurteilte  und  ihn  etwa  in  die  Klasse  von  Monet,  Sisley 
und  Pissarro   wies,    mit    denen    er    ohnedies    eng    befreundet   war. 

*)  Namentlich  Stilleben.      Beispiele   zumal   in    der   Sammlung   Durand   Ruel. 

22 


La  Grenouillere.     1868. 

Sammlung  Theo  Behrens,  Hamburg-. 


(0,90 : 0,62) 


Heute,  wo  sich  Tausende  von  Malern  der  Palette  und  aller  Er- 
fahrung-en  jenes  Kreises  bedienen  und  der  Impressionismus  so  sehr 
Gemeing-ut  geworden  ist,  daß  man  kaum  noch  seine  Eigentümlich- 
keiten erkennt,  entfernt  sich  Renoir  immer  mehr  von  den  Seinen. 
Es  g-eht  ihm  wie  Cezanne,  den  auch  eine  immer  größer  werdende 
Kluft  von  den  einstigen  Kameraden  scheidet.  Wir  beginnen  den 
Kreis  der  alten  Impressionisten  enger  zu  ziehen,  nennen  so  Maler, 
die,  wie  Monet  und  einige  andere,  die  künstlerische  Darstellung 
gewisser  atmosphärischer  Phänomene  der  Natur  über  die  Ausbildung 
ihrer  Eigenart  stellten  und  sich  mit  der  mehr  oder  weniger  objektiven 
Ausbildung  eines  koloristischen  Prinzips  nahezu  erschöpfen. 

Renoir  rechnet  sich  selbst  so  wenig  zu  den  Impressionisten, 
wie  wir  ihn  dazu  rechnen  dürfen,  und  lehnt  gerade  das  wesentliche 
Prinzip  Monets,  die  bedingungslose  Beziehung  zur  Natur,  grund- 
sätzlich ab.  Mit  der  Natur,  sagte  er  mir  einmal,  lerne  man  keine 
Kunst.  Mit  der  Natur  mache  man,  wie  man  wolle,  und  komme 
notwendig  zur  Isolierung.  „Moi  je  reste  dans  le  rang."  Das 
Wort    gefiel    mir,    ohne    daß  ich  es  genau  zu  deuten  wußte.     Die 


23 


Erklärung,  die  er  mir  gab,  würde  manchen,  der  in  ihm  ein  Natur- 
kind sieht,  in  Staunen  setzen.  Ich  fragte  ihn,  wie  man  Kunst 
lernen  müsse.     „Au  musee,  parbleu!"   gab  er  mir  zur  Antwort. 

Die  Antwort  läßt  die  Charakteristik  des  jungen  Renoir,  die 
hier  versucht  wurde,  zweifelhaft  erscheinen.  So  spricht,  könnte 
man  meinen,  kein  Naiver.  Aber  naiv  wäre  nur  der  Leser,  der 
glaubte,  der  Eindruck  der  harmlosen  und  unberührten  Natur  könne 
je  mit  jenen  Eigenschaften  rein  menschlicher  Art  allein  zustande 
kommen,  die  wir  mit  dem  Wort  naiv  bezeichen.  Trotzdem  war 
er  ein  Naiver,  obwohl  er  so  gesprochen  und,  was  wichtiger  ist, 
seinen  Worten  gemäß  gehandelt  hat.  Und  ich  glaube,  nur  deshalb 
haben  wir  recht,  von  dem  Naiven  seines  Wesens  zu  sprechen;  so 
wie  man  bei  Corot  davon  sprechen  darf  trotz  der  Bewußtheit 
seiner  Anstrengungen,  oder  bei  Poussin  trotz  der  tiefgründigen 
Wissenschaft  des  Meisters.  Das  Naive,  von  dem  gesprochen  werden 
darf,  geht  immer  aus  Widerständen  hervor,  die  seine  Tiefe  er- 
proben. Gelangt  es  nicht  zur  künstlerischen  Geltung,  begnügt  sich 
der  Naive  mit  dem  Sein  seines  Wesens,  ohne  daraus  den  höheren 
Schein  zu  gewinnen  —  und  damit  wird  immer  nur  der  kleine 
Wicht  in  der  Provinz  genug  haben,  der  die  Lehre  abweist  und 
isoliert  um  sich  selbst  herum  phantasiert  —  so  ist  es  nicht  der 
Rede  wert. 

„Rester  dans  le  rang!"  Das  könnte  man  der  ganzen  Kunst 
unserer  Tage  zurufen.  Es  ist  der  Wahlspruch  über  Renoirs 
ganzem  Werke,  der  ihn  zu  einem  der  ganz  Seltenen  unserer 
Tage  macht,  vielleicht  zu  einem  Einzigen  des  modernen  Frankreichs. 
Er  sagt  mehr  als  Manets  Ruf  nach  der  „Contemporaneite",  mehr 
als  das  „Odi  profanum"  eines  Degas,  ja,  mehr  als  Cezannes 
unerbittliches  Ringen  nach  Vergeistigung.  Er  lehrt  uns  das  Be- 
deutende im  Künstler  nicht  lediglich  in  seinem  furchtlosen  Ringen 
gegen  anderes,  nicht  in  dem,  was  er,  um  sich  zu  behaupten,  um- 
wirft, zu  suchen,  sondern  auch  in  dem  Kampf  gegen  die  stolze 
eigene  Willkür  zu  schätzen,  und  setzt  dem  „Apres  nous  le  deluge" 
schrankenloser  Selbstigkeit  die  Selbstzucht  eines  ordnenden  und 
erhaltenden  Geistes  entgegen.  Wir  mögen,  selbst  schrankenlos 
geworden,  die  erfinderische  Kühnheit  anderer  höher  schätzen. 
Der  friedlichste  unter  den  regierenden  Fürsten  unserer  Kunst  darf 
von  sich   sagen,  daß  seiner  Herrschaft  jede  Gewalttat  fernblieb. 


24 


Der  Spruch  hieß  Renoir,  seiner  naiven  Eigenheit  immer  nur 
so  weit  zu  folgen,  als  sie  im  Rahmen  der  Kunst,  die  er  vorgefunden 
hatte,  bheb,  sich  innerhalb  dieser  Grenzen  bereichern  und  zur 
Reife  bringen  ließ.  Jede  Neuheit  hatte  Geltung,  solange  sie  sich 
mit  dem  „Museum"  vertrug.  Darunter  verstand  er  das  Pantheon 
aller  großen  Überlieferungen  der  französischen  Kunst.  Man  war 
vor  allem  Schüler  seiner  natürlichen  Meister,  dann  erst  Jünger  der 
Natur,  Anhänger  irgendeiner  neuen  Farbenlehre,  irgendeiner  neuen 
Malmethode.  Einen  auf  seinem  „Rang"  bestehenden  Künstler  konnte 
der  Impressionismus  fördern,  nie  bestimmen. 

Renoir  ging  sehr  eifrig  in  das  Museum,  aber  er  bedurfte  eigent- 
lich nur  weniger  Anreger.  Man  könnte  annehmen,  die  gebändigte 
Eigenart  solcher  Menschen  wirke  wie  ein  natürlicher  Magnet,  auf 
den  sich  von  selbst  die  Teile  aus  der  Umwelt  ansetzen,  deren  er 
bedarf.  Insofern  gleicht  er  Corot.  Auch  er  brauchte,  so  scheint 
es,  nur  seinen  reinen  Trieben  zu  folgen,  um  ans  Ziel  zu  kommen. 
Doch  enthält  dieser  Schein  nicht  die  ganze  Wahrheit.  Wohl  fühlt 
man  in  fast  allen  Werken  das  Triebhafte.  Aber  die  Folge  der  Werke, 
die  Entwicklung,  ist  ohne  Beteiligung  eines  mit  vollem  Bewußtsein 
einsetzenden  Willens  undenkbar.  Man  kann  sogar  behaupten,  daß 
kein  Oeuvre  eines  französischen  Zeitgenossen  die  Bestimmtheit  auf- 
weist, die  der  Naive  seiner  Entwicklung  zu  geben  wußte. 

Er  sah  sich  einen  Meister  sehr  gründlich  an:  Delacroix.  Courbet 
hatte  er  ohne  Nachdenken  akzeptiert  wie  alle  seine  Kameraden. 
Es  war  eine  Zeitform,  beinahe  ein  Kostüm.  Corot,  über  den 
manches  zu  sagen  wäre,  war  ihm  angeflogen.  Das  Dixhuitieme 
hatte  er  im  Blute,  ohne  hinzuschauen.  Delacroix  liebte  er  mit 
vollem  Bewußtsein  und  hat  in  seiner  Art  um  ihn  gerungen.  Näher 
als  die  Sorge  um  das  liebe  Brot  mag  ihm  die  Frage  gegangen 
sein,  wie  er  zu  dem  Meister,  den  er  am  höchsten  von  allen  stellte, 
gelangen  könne.  Manche  Teile  von  Bildern  Delacroix'  enthalten 
die  ganze  Palette  des  Renoir  der  Siebziger  Jahre,  z.  B.  das  Kissen 
auf  der  linken  Seite  der  „Femmes  d'Alger"  in  Louvre.  Die 
Beziehung  ist  so  durchsichtig  und  verständlich,  paßt  sich  dem 
ganzen  Wesen  Renoirs  so  natürlich  an,  daß  wir  uns  die  Qualen 
des  Ringens  kaum  denken  können.  Doch  müssen  sie  groß  gewesen 
sein.  Ein  paar  Bilder  berichten  von  ihnen,  namentlich  das  mit  den 
„Parisiennes    habillees    en    Algeriennes",    das    1872    vom    „Salon" 


25 


Eugene  Delacroix:  Les  Femmes  d'Alger. 
Louvre,  Paris. 

refüsiert  wurde  und  jetzt  in  der  Sammlung-  Fasquelle  hängt.  Der 
Versuch,  etwas  den  „Femmes  d'Alg-er"  Verwandtes  zu  schaffen, 
springt  in  die  Augen.  Die  Motive  ähneln  sich.  Die  gelungenste 
Figur,  die  Sklavin  rechts,  die  den  Spiegel  hält,  kommt  in  Einzel- 
heiten einer  der  Gestalten  des  Delacroixschen  Werkes  nahe.  Die 
im  Hintergrund  sitzende  Frau  erinnert  an  die  Negerin.  Selbst 
in  der  Ausstattung  des  Gemachs  fühlt  man  das  Vorbild.  Bei  dem 
Vergleich  sinkt  der  Moderne.  Der  tollkühne  Versuch,  gerade  dies 
gefährlichste  aller  Werke,  das  selbst  Delacroix  nur  mit  Aufbietung 
seiner  ganzen  Kunst  vor  den  Klippen  bewahrte,  zum  Muster  zu 
nehmen,  mußte  mißlingen.  Nahezu  alles,  was  in  dem  Vorbild  Be- 
wunderung erheischt,  geht  verloren:  Die  Komposition,  für  die  Renoir 
zum  erstenmal  die  bedenkliche  schräge  Schlachtordnung  gewählt 
hat,  der  Ausdruck  der  Gestalten,  denen  man  nur  zu  sehr  die 
Verkleidung  ansieht,  vor  allem  die  Farbe.  Statt  der  majestätischen 
Ruhe  des  Meisters,  der  mit  allen  Mitteln  des  Okzidents  diese  orienta- 
lische Szene  genauester  Observanz  hinstellt  und  die  hundert  leuch- 


26 


Parisiennes  habillees  en  A'g-eriennes. 
Sammlung  Fasquelle,  Paris. 
Photographie  Druet. 


1872. 


(1,30:1,55) 


27 


tenden  Teile  des  Werkes  mit  gewaltiger  Hand  bändigt,  taumeln 
in  grauem  Dunst  verworrene  plumpe  Massen.  Nicht  nur  die  Frauen 
sind  verkleidet,  das  ganze  Bild  ist  es.  Man  fühlt,  daß  sich  der  Maler 
Zwang  antat,  seinem  Geist  ein  fesselndes  Gewand  umhängte  und 
aus  mühsam  erzielten  Einzelheiten  ein  Ganzes  zu  bauen  suchte. 
Renoir  hat  nie  schmutziger  gemalt,  obwohl  er  nie  vorher  so  viele 
starke  Farben  verwendet  hat.  Das  Grau  Courbets  kämpft  einen 
unentschiedenen  Kampf  mit  Delacroix'  Palette,  dem  wir  verblüfft 
zuschauen.  Und  doch  haben  wir  einen  Renoir  vor  uns,  genug  von 
dem  alten,  viel  von  dem  neuen.  Wohl  wäre  uns  das  Bild  wenig 
wert  ohne  seine  Folgen.  Der  Ringende  durfte  sich  sagen:  noch 
ein  paar  solche  Niederlagen,  und  ich  habe  gewonnen.  Dem  Reichen 
stählen  Verluste  die  Kraft.  Vielleicht  war  es  nur  ein  Überschuß 
von  Kraft,  was  ihn  zu  dem  aussichtslosen  Versuch  getrieben  hatte. 
Den  Rückblickenden,  die  das  Folgende  kennen,  bleibt  nur  die  Kraft 
übrig.  Auch  Delacroix  hat  als  Anfänger  gestrauchelt.  Wie  in  der 
weiten  Ebene  der  „Massacres  de  Chios"  die  noch  isolierten  Teile 
wie  kolossale  Felsblöcke  herumliegen,  in  denen  man  die  Hand  des 
zukünftigen  Meisters  erkennt,  so  leuchten  aus  dem  verworrenen  Dunst 
dieses  kleineren  Werkes  kostbare  Einzelheiten  hervor,  die  nur  der 
Sammlung  warten.  Sie  kamen  in  diesem  Moment  zu  schnell,  zu 
gewaltsam.  Es  bedurfte  der  Zeit,  um  den  Nebel  zu  zerstreuen,  unter 
dessen  Schutz  den  Teilen   Glieder  wuchsen. 

Die  Schwierigkeit  lag  in  dem  zu  wählenden  Prinzip  der  Ver- 
einfachung. Renoir  ist  kein  Delacroix  und  hat  sich  nie  als  Dela- 
croix gefühlt.  Er  ist  viel  einfacher  organisiert,  hat  nichts  von 
den  weitreichenden  geistigen  Spekulationen  des  Dantemalers,  noch 
von  seine  großen  Geste.  Er  fühlte  seine  Zugehörigkeit  zu  jener 
Welt  wie  der  sehnsüchtige  Wanderer  am  Ufer  frohlockend  den 
Sturm  spürt,  der  weit  vor  ihm  in  den  Wogen  das  stolze  Schiff 
umbraust.  Auf  festem  Lande  zu  bleiben,  gebot  ihm  die  Selbst- 
erhaltung. Er  rechnete  mit  der  Zeit,  die  einen  Künstler  von  dem 
Universalismus  Delacroix'  nicht  mehr  duldet,  mußte  damit  rechnen. 
Diaz  soll  in  Chailly  dem  Anfänger  als  wichtigste  Vorschrift  eingeprägt 
haben,  nur  nach  der  Natur  zu  malen*),  und  Renoir  soll  den  Satz  zu 

*)  Nach  dem  Bericht  des  Bruders  in  dem  oben  erwähnten  Aufsatz  der  „Vie 
Moderne"  von  1879  sagfte  Diaz  zu  ihm:  „Que  jamais  un  peintre  qui  se  respecte  ne 
doit  toucher  ä  un  pinceau  s'il  n'a  pas  son  modele  sous  les  yeux." 


28 


seinem  Evangelium  gemacht  haben.  Er  hat  in  der  Tat  nie  ohne  Modell 
gemalt,  und  noch  heute  muß  das  Modell  im  Atelier  sein,  wenn  er 
arbeiten  will.  Ob  er  es  anschaut,  ist  eine  andere  Frage.  Diese  Maß- 
regel brachte  von  vornherein  eine  Beschränkung  des  Gegenständ- 
lichen mit.  Er  erkannte  die  Notwendigkeit,  ebenso  seine  durch 
die  Farbe  gegebenen  äußeren  Formenmöglichkeiten  scharf  zu  be- 
grenzen. Und  auch  diese  Schranke  gehört  zu  ihm,  sowie  zu  Dela- 
croix,  dem  nichts  Stoffliches  fremd  blieb,  die  unübersehbare  Skala 
der  gegebenen  Formen  gehört.  Was  ihn  in  dem  Bilde  der  ver- 
kleideten Pariserinnen  verriet,  war  die  Ratlosigkeit  vor  dem  Zauber 
der  Farben  und  den  Gesten  des  geliebten  Meisters.  Er  sah 
hundert  Türen  vor  sich  und  wußte  nicht,  durch  welche  sein  Weg 
ging,  und  fand  sich  plötzlich  als  wirrer  Räuber  mitten  in  dem 
feenhaften  Palast,  wo  für  seine  Art  kein  Platz  war.  Er  hat  sich 
das  Erlebnis  zur  Lehre  dienen  lassen.  Man  mag  die  selbst- 
gewählten Grenzen  seiner  Art  im  Vergleich  zum  Umfang  Dela- 
croix'  beschränkt  finden,  mag  zugestehen,  daß  er  dem  Palaste 
des  Meisters  wirklich  nur  ein  Kissen  entführte:  in  dieser  Be- 
schränkung, die  sein  reinlicher  Instinkt  freiwillig  auf  sich  nahm, 
zeigt  sich  ein  Meister  von  vorbildlicher  Weisheit.  Denn  so 
kam  er  zum  Reichtum.  Innerhalb  der  Schranken  wuchs  seine  Art 
organisch  und  reich  wie  eine  unbeschränkte  Naturmacht.  Der 
Überfluß  seiner  Gaben  ist  so  hinreißend,  daß  man  meinen  könnte, 
ein  Delacroix,  ein  Rubens  nahe  sich  uns  in  der  Verkleidung  eines 
Einfältigen,  und  nur  eine  Zeitfrage  —  fast  nur  eine  Kostümfrage 
—  halte  ihn  zurück,  sich  uns  in  der  ganzen  Herrlichkeit  eines  der 
Kunstfürsten  vergangener  Epochen  zu  zeigen. 

Persönliche  Neigung  leitete  ihn  zu  einer  bestimmten  Art  von 
Motiven.  Er  nahm  die  Erscheinung  des  Weibes  zum  Mittelpunkt 
seiner  Kunst.  Wir  wissen,  er  hat  nicht  nur  Frauen  geschaffen, 
aber  die  Variationen  über  das  Weibliche  geben  den  alles  übrige 
bestimmenden  Ton  und  überwiegen,  wenigstens  in  der  ersten 
Hälfte  seiner  Tätigkeit,  dermaßen,  daß  der  Rest  nahezu  nur 
wie  eine  Kulisse  des  Hauptthemas  erscheint.  Und  diese  an 
sich  beschränkte  Art  von  Motiven  hat  er  mit  einer  beschränkten 
Palette  so  gemalt,  wie  Rubens  und  Delacroix  ihre  Bilder.  Nur  die 
Frau  hat  er  gegeben,  ein  Nichts  im  Vergleich  zu  dem  Kosmos 
Delacroix',  die  Frau  allein,  so  gut  wie  ohne  Szenarium,  ohne  Zu- 


29 


tat,  aber  so  vollkommen,  daß  sie  zu  einem  bis  zum  Überfluß  ge- 
füllten Symbol  wird  und  wir  uns,  aller  gemalten  Welten  vergessend, 
erinnern,  daß  sie  in  der  unseren  im  Zentrum  steht. 

Renoir  ging  in  der  Fleischmalerei  etwa  auf  dem  Wege  weiter,  den 
Delacroix  1827  in  dem  „Sardanapale"  beschritten  hatte.  Der  Rücken 
der  Frau  in  der  Detailstudie  zu  dem  Gemälde,  die  sich  bei  Cheramy 
befindet,  das  denkbar  sicherste  Zeugnis  für  Delacroix'  Verhältnis 
zu  Rubens,  zeigt  gleichzeitig  die  Verbindung  mit  dem  Nachfolger. 
Der  Ausdruck  ist  ähnlich,  die  Mittel  differieren.  Renoir  hatte  nicht 
die  geschmeidige  dünnflüssige  Pinselschrift  der  alten  Meister.  Er 
teilte  die  Fläche,  die  in  dem  Gemälde  Delacroix'  makellos  wie 
Frauenhaut  erscheint.  Aber  er  blieb  auch  damals  den  alten  Meistern 
näher  als  seine  Kameraden,  weil  ihn  die  Modifikation  des  Mittels 
nicht  hinderte,  die  Begriffe  der  Alten  zu  behalten.  Delacroix 
besaß  die  Mittel  des  Rubens,  wie  er  alle  altmeisterlichen  Mittel 
besaß.  Man  könnte  von  ihm  sagen,  er  habe  die  Alten  nur  mit 
der  Macht  seines  Geistes  eingeholt,  während  sich  die  Modernen 
auf  eine  Veränderung   der  Technik  angewiesen  sahen. 

Delacroix  hatte  das  Bewegte  seines  großen  Ahnen  noch  be- 
schleunigt. Er  preßte  die  Gewalt  Rubensscher  Dekorationen  in 
das  verzweigtere  Gefüge  des  Staffeleibildes.  Es  ist  die  dem 
Renoirschen  Weg  entgegengesetzte  Methode.  Delacroix  ent- 
nahm dem  Palaste  des  Flamen  nicht  nur  ein  Kissen.  Er  ver- 
einfachte Rubens  nicht,  er  bereicherte  ihn,  und  zwar  nicht  nur  in 
Einzelheiten,  sondern  im  Ganzen.  Er  vergeistigte  das  Übernommene 
und  fügte  ihm  neuen  Reichtum  hinzu.  Er  malte  große  Komplexe, 
die  um  so  enormer  erscheinen,  je  geringer  ihr  Umfang  ist,  wie 
Rubens  winzige  Bilder,  die  man  Skizzen  zu  nennen  pflegt,  Kleinodien 
im  strahlenden  Gehäuse  des  Werkes.  Er  instrumentierte  Rubens 
auf  seine  Art,  ließ  die  im  Lichten  gehaltenen  Fugen  gleichzeitig 
alle  Tiefen  durchlaufen,  illustrierte  mit  ihnen  eine  bedeutendere 
Gefühlswelt  und  wurde  trotzalledem  knapper  und  präziser.  Seine 
glühenden  Farben  sind  die  unmittelbare  Folge  einer  stets  auf  das 
Maximum  gerichteten  Spannung.  Er  büßt  fast  nichts  ein,  nicht 
einmal  eine  Schwächung  des  Dekorativen  in  seinen  Wandgemälden. 
Der  Louvreplafond  steht  unangreifbar  neben  dem  Medici-Zyklus. 
Die  Zeitdifferenz  scheint  nur  eine  Steigerung  des  Materiellen  und 
des    Geistigen    zu   bringen:    größere    Pracht,    höhere    Anschauung. 


30 


Und  dieser  Dekorateur  malt  Heiligenbilder,  deren  Mystik  uns  er- 
greift wie  die  Inbrunst  der  Heiligen  Grecos  und  häuft  die  Summe 
seiner  Prachtgelüste  in  eine  zierliche  Ritterlegende,  die  eine  Fläche 
von  wenigen  Zentimetern  einnimmt.  Zu  solchen  Umfang  des  Aus- 
drucks bedurfte  er  einer  Form,  die  alles  umfaßte,  was  zwischen  einer 
Freske  Raffaels  und  dem  19.  Jahrhundert  liegt  —  ein  Unikum 
in  der  Geschichte  der  Kunst.  Delacroix  hat  mit  Goethischer  Weis- 
heit alles  getan,  um  das  Anormale  seiner  Erscheinung  zu  mildern 
und  seiner  Wirkung  den  Fluch  vieler  Großen  fernzuhalten,  die, 
nach  dem  Worte  von  Marees,  mit  ihren  Werken  die  Straße  für  die 
Nachfolger  versperrt  haben.  Aber  nichtsdestoweniger  konnte 
nur  er,  dank  seiner  höchst  besonderen  Eigenschaften,  zu  denen 
auch  seine  paganinihafte  Geschicklichkeit  gehörte,  der  von  ihm 
aufgestellten  Norm  genügen.  Sein  komplizierter  Apparat  ver- 
langte außer  kühner  Kaltblütigkeit  eine  einzigartige  Beweglichkeit 
des  Geistes  und  der  Hand,  ein  Temperament,  das  kaum  vor  Dela- 
croix, sicher  nie  seitdem  wieder  zur  Welt  gekommen  ist.  Seine 
ganze  Kunst  ist,  noch  mehr  wie  die  eines  Rubens,  auf  Bewegung 
gerichtet;  eine  Bewegung,  die  von  der  leisesten  Regung  bis  zum 
gewaltigsten  Sturm  geht,  und  wir  bewundern,  daß  sie  selbst  im 
flammendsten  Wirbel  nie  das  Gleichgewicht  der  Massen  verliert, 
daß  die  von  allen  Seiten  in  wilder  Willkür  züngelnden  Farben 
stets  die  Harmonie  ergeben. 

Schon  die  Verschiedenheit  der  Temperamente  bestimmt  Renoirs 
Stellung  sowohl  zu  Rubens  wie  zu  Delacroix.  Wir  sehen  ihn  nie 
in  Bewegung.  Damit  soll  nicht  geleugnet  werden,  daß  er  zuweilen 
Bewegungsmotive  gemalt  hat.  Aber  auch  in  solchen  Fällen  fühlt 
man  die  Gelassenheit  eines  einem  Corot  verwandten  Temperamentes, 
das  mit  der  Bewegung  seine  Idylle  belebt.  Nie  nähern  wir  uns 
auch  nur  von  weitem  der  heroischen  Sphäre,  in  der  Rubens  und 
Delacroix  gebieten. 

Dieser  nicht  zu  übersehende  Unterschied  zwischen  den  Welten 
der  Bilder  mag  schon  allein  Renoirs  Vereinfachung  legitimieren. 
Sie  tritt  stärker  hervor,  wenn  wir  ihn  mit  Delacroix,  weniger,  wenn 
wir  ihn  mit  Rubens  vergleichen.  Renoir  scheint  der  verhältnismäßig 
einfacheren  Koloristik  des  Rubens  näher,  schon  weil  er  seine  lichte 
Palette  nur  wenig  verändert.  Er  bringt  zu  Rubens  etwas  von 
Delacroix     mit:     ein     außerordentlich    farbenempfindliches    Auge. 


31 


Er  gewinnt  aus  seiner  kleinen  Farbenskala  eine  Fülle  von  Tönen, 
die  kein  Rubens  besitzt,  und  die  den  Mangel  an  den  Tiefen  Dela- 
croix'  vollkommen  überwindet.  Wohlverstanden,  dieses  Mittel 
wäre  durchaus  unzureichend,  sollte  es  zu  einer  auch  noch  so  ver- 
steckten Konkurrenz  mit  den  Vorstellungen  eines  Rubens  oder 
eines  Delacroix  gebraucht  werden.  Renoir  hat  noch  einmal,  drei 
Jahre  nach  dem  Bilde  mit  den  verkleideten  Pariserinnen,  —  diesmal 
aus  äußerem  Anlaß  —  eine  unmittelbare  Annäherung  an  Dela- 
croix gewagt,  als  er  auf  Veranlassung  seines  Freundes  Dollfus 
die  „Noce  juive"  des  Louvre  kopierte.  Er  versuchte  das  Vorbild 
in  seine  Palette  zu  übertragen.  Tatsächlich  finden  wir  alle 
Farben  Renoirs  in  der  Kopie,  die  sicher  zu  den  für  die  Genesis 
des  Meisters  interessantesten  Dokumenten  gehört*),  und  können 
im  einzelnen  feststellen,  wie  verwandt  gewisse  Farben  Renoirs 
mit  gewissen  Farben  Delacroix'  sind.  Mancher  Freund  der 
Modernen  mag  in  der  Pracht  der  Renoirschen  Details  einen  Er- 
satz für  die  von  der  Zeit  verdorbenen  Teile  des  Originals  finden. 
Der  Freund  Delacroix'  wird  das,  was  ihm  als  eigentlicher  Inhalt 
der  „Noce  juive"  erscheint,  den  Geist  ihres  Schöpfers,  in  diesem 
scheinbar  verjüngten  Abbild  vergebens  suchen.  Die  Farben 
hindern  den  auch  in  dieser  Bildruine  gewaltigen  Flügelschlag  des 
Genius.  Ihre  Buntheit  bringt  in  die  orientalische  Szene  einen 
neuen,  gar  zu  vorlauten  Orient  hinein.  Der  Mangel  an  Tiefen  stört 
so  empfindlich,  daß  man  sich  lieber  mit  den  geplatzten  Asphalt- 
stellen des  Originals  abfindet.  Man  kann  einwenden,  daß  1875, 
als  die  Kopie  entstand,  Renoir  seine  moderne  Palette  noch  nicht 
vollständig  beherrschte,  und  der  Einwand  ist  berechtigt.  Aber 
ich  bin  nicht  sicher,  ob  in  einer  späteren  Zeit  ein  mit  gleicher  Ab- 
sicht unternommener  Versuch  alle  Mängel  dieses  verunglückten 
vermieden  hätte,  ob  Renoir  z.  B.  das  Bild  so  sicher  zu  übertragen 
vermocht  hätte  wie  die  reizende  Landschaft  Corots,  die  er  1898 
in  wenigen  Stunden  kopierte**).  Das  Bildchen  dokumentiert  eine 
leichter  faßbare  Beziehung  Renoirs  zu  einem  seiner  Vorgänger.     Es 


*)  Sammlung  Dollfus,  Paris. 
**)  Der   Corot   und    die  Kopie    waren    in  der  Sammlung-  Durand  Ruels,    die 
Kopie  ist  noch  heute  dort;  hier  abgebildet.    Eine  andere  kleinere  und  flüchtigere 
Kopie    nach   einem    Corot,    den  Renoir    besitzt,    befindet   sich    in    der   Sammlung 
Gangnat  in  Paris. 


32 


ist  in  Empfindung-,  Auftrag-  und  Farbe  ein  echter,  lichter  Renoir  mit 
allen  Schönheiten  Corots.  Renoir  durfte  mit  Corot  wagen,  was 
Delacroix  mit  Rubens  gelang. 

In  der  intimen  Übereinstimmung  der  Form  mit  der  Empfindung 
beruht  Renoirs  Kunst.  Mittel  und  Zweck  decken  sich  so  voll- 
kommen, daß  der  Vergleich  mit  seinen  Anregern,  die  uns 
seine  Grenzen  ins  Bewußtsein  bringen  könnten,  fernbleibt.  Er 
entlockt  den  wenigen  Saiten  seiner  Laute  so  reife  Melodien,  daß 
wir  auch  das  Instrument  als  seine  Schöpfung  betrachten.  Zu  diesem 
Eindruck  trägt  noch  ein  Moment  bei,  das  in  den  verschiedenen 
Perioden  des  Künstlers  in  verschiedenen  Stärkegraden  auftritt,  aber 
in  allen  wirksam  bleibt,  und  das  er  als  sein  von  Rubens  und  Dela- 
croix ganz  unberührtes  Eigentum  betrachten  darf.  Es  hängt  mit 
seiner  Beziehung  zum  Barock  zusammen,  das  ihn  viel  weniger  be- 
stimmt als  Delacroix,  geschweige  Rubens,  und  sich  mit  nahezu 
entgegengesetzten  Formtendenzen  abfindet.  Es  äußert  sich  in  einer 
besonderen  Stabilität,  einer  seltenen  plastischen  Fülle  seiner  Ge- 
stalten und  gibt  der  Idylle  des  Lyrikers  festes  Gefüge.  Diese 
Eigenschaft,  die  in  den  achtziger  Jahren  bestimmend  werden  sollte, 
ist  keine  zufällige  oder  entbehrliche  Zutat.  Ohne  sie  wäre  die 
ganze  Kunst  Renoirs  nichts  als  das  bedenkliche  Wagnis  eines  ein- 
seitigen Koloristen  und  bliebe  Schemen.  Erst  die  plastische  Fülle 
der  Gestalten  macht  die  sehr  zarte  Palette  möglich,  weil  man  durch 
die  süßen  Farben  hindurch  stets  den  herben  widerstandsfähigen 
Kern  spürt.  Sie  bereichert  nicht  nur  das  einfache  Schema  der 
Kompositionen,  sondern  vergrößert  die  Ausdrucksmöglichkeiten 
der  Materie. 

Dadurch  modifiziert  sich  die  scheinbar  so  bescheidene  Stellung 
des  Modernen  neben  Delacroix.  Seine  Entbehrungen  werden  zu 
freiwilligen  rationellen  Opfern  und  bleiben  nicht  unbelohnt.  Sie 
kommen  einem  Typus  zugute,  der  wie  ein  Sammler  von  Freuden 
erscheint.  Renoir  erinnerte  sich  bei  Delacroix  an  die  Opulenz 
Rubensscher  Massen  und  schmolz  in  das  Email  seiner  Frauen  alle 
Zieraten  hinein,  die  Delacroix  zur  Szene  seiner  Helden  gedient 
hatten.  Man  hat  auch  vor  ganz  unbekleideten  Figuren  Renoirs, 
die  nichts  neben  sich  haben  als  die  weiche  Atmosphäre  ihres 
Körpers,  den  Eindruck  der  orientalischen  Stoffe  und  Prunkgegen- 
stände einer  Delacroixschen  Laune.    So  verbindet  ein  merkwürdiger 


33 


Kreislauf  diese  drei  fürstlichen  Abkömmlinge  einer  Familie. 
Delacroix  ordnete  die  Verschwendung  des  Flamen,  und  jetzt 
erscheint  Renoir  als  Ordner  Delacroix'  und  kommt  dabei  dem 
Stammherrn  der  Familie  näher.  Was  in  dieser  Entwicklung  wirklich 
fortschreitet,  ist  ein  rein  geistiger  Wert.  Nicht  die  Technik,  nicht 
die  Farbe.  Das  sind  nur  Formen  für  die  Sache,  Folgen,  keine 
Gründe,  und  man  würde  sich  lächerlich  machen,  wollte  man  einen 
Renoir  besser  gemalt  als  einen  Delacroix  oder  Rubens  finden. 
Was  sich  verschoben  hat,  ist  die  subjektive  Sinnlichkeit.  Ein 
höherer  Begriff  des  Sinnlichen  geht  aus  der  Medea  im  Vergleich 
zur  lachenden  Schönheit  einer  Helene  Fourment  hervor;  ein 
anderer  —  ob  höherer  Begriff,  können  wir  nicht  entscheiden  — 
aus  den  reichsten  Werken  des  Modernen.  Bis  Renoir  dahin 
gelangte,  brauchte  er  viele  Jahre.  Nichts  ist  törichter,  als  zu  ver- 
muten, daß  die  Ausbildung  der  Palette  ihn  diese  Zeit  kostete. 
Es  handelte  sich  um  eine  Steigerung  der  Abstraktion  wie  in  der 
Entwicklung  aller  großen  Künstler. 

Jeder  Vergleich  der  Bilder  aus  verschiedenen  Zeiten  ergibt 
einen  Grad  dieser  Steigerung.  Man  kann  nicht  zögern,  dem 
bereits  erwähnten  Frühwerk  der  Berliner  Nationalgalerie*),  dem 
jungen  Mädchen  vor  grünem  Blattwerk,  jede  der  vielen  Studien 
in  ähnlicher  Pose  der  Siebziger  Jahre  vorzuziehen,  weil  das,  was 
von  Renoirscher  Kunst  in  dem  frühen  Bilde  steckt,  in  den  späteren 
vervielfacht  erscheint.  Das  Fleisch  der  Berliner  „Eise"  wirkt  noch 
wie  eine  neutrale  Masse,  in  einem  kalten  kittgrauen  Ton,  der  nur 
mit  dem  rosagrau  gestreiften  Rock  und  dem  Haar,  viel  weniger 
mit  dem  tonreichen,  durchleuchteten  Grün  des  Hintergrundes  zu- 
sammengeht. Die  strukturlose  Malerei  der  Figur  stimmt  noch 
weniger  mit  den  energischen  Pinselstrichen  des  Laubwerks  überein. 
Nur  die  übertriebene  Modellierung  verhilft  der  Erscheinung  zur 
Wirkung.  Dem  Künstler  gelingt  noch  nicht  die  restlose  Über- 
tragung der  Natur  in  die  Harmonie  seiner  Anschauung.  Auffallend 
ist  der  Unterschied  des  Wertes  zwischen  diesem  Bilde  und  ähn- 
lichen und  der  vorhergehenden  Hagener  „Eise".  Ich  glaube,  er 
ist  mit  dem  überaus  günstigen  Motiv  des  Hagener  Bildes  zu  er- 
klären.    Jeder    große   Künstler    wird    auch    in    den    ersten  Stadien 

*)   „Im   Sommer."     Früher    in    der    Sammlung    Depeaux,    Paris.     Das    Bild 
figxirierte  im  Salon  von  1869  unter  dem  Titel  „En  ete". 


34 


Le  gar^on  au  chat.     1868. 
Sammlung-  Eduard  Arnhold,  Berlin. 


(0,67:1,24) 


35 


seiner  Laufbahn  fähig-  sein,  gewisse  Motive  vollkommen  zu  be- 
herrschen. Aber  er  ist  in  solchen  Zeiten  von  dem  Zufall  abhängig, 
der  ihm  solche  Motive  zuträgt.  Die  „Lise"  war  ein  Glücksfall. 
Ihre  naive  Schönheit  g'ing  ganz  in  die  naive  Darstellung  auf.  Das 
nächste  Jahr,  1868,  bescheerte  Renoir  einen  ähnlichen  Glücksfall 
mit  dem  „Gar^on  au  chat"  *).  Die  Kombination  der  weißen, 
grauen  und  blauen  Töne  war  ein  überaus  glücklicher  Griff,  der 
gerade  diesem  Motiv  zustatten  kommen  mußte.  Renoir  ließ  die 
graublau  gemusterte  Tischdecke,  das  wichtigste  Detail  des  Vorder- 
grundes, aus  einem  Gewebe  starker  Pinselstriche  entstehen  und 
erwies  sich  dabei  als  vollkommener  Meister  der  Materie.  Er  wäre 
sicher  unfähig  gewesen,  das  Fleisch  ebenso  reich  zu  malen.  Aber 
gerade  neben  der  reichen  Decke  gibt  der  glattere  Vortrag  im 
Fleisch  der  schmächtigen  Zartheit  des  nackten  Knaben  einen  seltenen 
Reiz.  Der  vielleicht  notgedrungenen  Differenz  in  der  Behandlung 
kommt  die  natürliche  Differenz  der  gegebenen  Materien  entgegen, 
und  die  sehr  einfache  Beziehung  zwischen  den  grauen  Tönen  des 
Fleisches  und  der  Decke  genügt  vollkommen  für  den  koloristischen 
Zusammenhang.  Doch  steht  die  meisterhaft  modellierte  Gestalt 
nicht  annähernd  so  sicher  und  ungekünstelt  wie  die  „Lise".  Man 
beschwichtigt  nicht  alle  Einwände  mit  dem  Hinweis  auf  die  Zartheit 
des  Körpers.  Seine  Anatomie  scheint  um  ein  Geringes  zu  schwach, 
nicht  für  die  Lebensfähigkeit  des  Knaben,  sondern  für  das  Gleich- 
gewicht des  Bildes. 

In  dem  „Menage  Sisley",  das  der  „Lise"  am  nächsten  kommt, 
fühlt  man  schon  deutlicher  die  Grenzen  der  Mittel,  auch  wenn  sie 
nicht  ernstlich  den  Gefühlsinhalt  des  schönen  Werkes  gefährden.  Die 
weiche  Lyrik  stößt  sich  gleichsam  hier  und  da  an  den  Härten  der 
Form.  Dies  einsehend,  lockert  Renoir  immer  mehr  das  Gefüge,  und 
nun  treten  die  Lücken  immer  merkbarer  hervor.  Unter  dem  Einfluß 
Delacroix'  beginnt  er  weicher  zu  modellieren  und  die  dunkle  Palette 
Courbets  zu  erweitern.  Diese  Bereicherung  hat  ihn  während  drei 
oder  vier  Jahren  die  Frische  gekostet,  die  er  vorher  besaß.  Die 
Einzelheit  büßt  die  primitive  Härte  ein,  aber  die  Geschlossenheit 
des  Ganzen  geht  verloren.  In  dem  Bildnis  der  Dame  in  dem  aus- 
geschnittenen roten  Kleid  mit  schwarzen  Spitzen,  von  1870,  über- 

'^)  Früher  in  der  Sammlung  Maitre  in  Paris.  Seit  etwa  zehn  Jahren  in  der 
Sammlung  E.  Arnhold  in  Berlin. 


36 


Damenbildnis.     1870. 

Sammlung-  Oscar  Schmitz,  Dresden. 


(0,65  :  0,81 ) 


37 


rascht  das  reiche  Fleisch  und  die  Geschmeidigkeit  der  Stoffe.  Die 
energische  Änderung  der  Richtung  zugunsten  Delacroix'  springt 
in  die  Augen,  aber  man  ahnt  die  Möglichkeiten  einer  Katastrophe. 
Die  Unordnung  ist  groß.  Die  schmutzigen  Töne  quälen  sich  ver- 
gebens, zu  einem  Klang  zu  gelangen.  Sie  bleiben  wie  zer- 
fetztes Gewebe  an  Einzelheiten  hängen.  In  anderen  Bildern 
eilt  die  Farbe  der  Form  voraus,  und  es  kommt  zu  Wirkungen 
ä  la  Alfred  Stevens,  wie  in  dem  Bildnis  der  Frau  Maitre,  von  1871, 
das  wie  eine  Renoirsche  Hülle  ohne  Renoirschen  Inhalt  erscheint. 
1872  bringen  die  „Parisiennes  habillees  en  Algeriennes"  die 
Katastrophe.  Nun  wird  das  Auseinandergesprengte  mit  neuem 
Geiste  geeint.  Freilich  zunächst  nur  behutsam.  Mit  der  „Ama- 
zone""^), von  1873,  macht  Renoir  einen  Rückschritt  in  die  Nähe 
der  „Diane  Chasseresse".  Hat  er  einen  Augenblick  an  der  Möglich- 
keit, sich  mit  Delacroix  zu  vereinen,  gezweifelt  und  im  Schatten 
Courbets  die  leuchtende  Erscheinung  des  Meisters  seiner  Wahl 
vergessen  wollen?  Das  umfangreiche  Bild  ist  relativ  vollendet, 
aber  steht  als  Wert  unter  vielen  äußerlich  weniger  gesicherten 
Werken  der  Zwischenzeit.  Und  zwar,  nicht  weil  in  ihm  das  Grau 
Courbets  entscheidet,  sondern  weil  das  Riesenformat  für  einen  im 
Grunde  unwesentlichen  Zweck  aufgeboten  wird.  Nur  das  Motiv 
wird  den  Laien  verlocken,  weil  es  sofort  die  gefällige  Erscheinung 
einer  imposanten  Reiterin  und  des  netten  Jungen  auf  dem  Pony 
übermittelt.  Die  Natur  ist  iedem  geläufig.  Während  sich  der 
Betrachter  vor  den  typischeren  Bildern  des  Meisters  einem  System 
von  Zeichen  gegenübersieht,  für  deren  Verständnis  es  gebildeter 
Augen  bedarf.    Delacroix  und  Rubens  sind  viel  weniger  geläufig. 


*)  Auch  „L' Allee  cavaliere  au  bois  de  Boulogne"  genannt,   refüsiert  im  Salon 
von  1873.     Sammlung  Henri  Rouart,  Paris. 


38 


Bildnis  der  M^e  Maitre.     1871. 
Sammlung-  Maitre,  Paris. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(0,83:1,30) 


39 


La  promenade.     1870. 
Sammlung  B.  Köhler,  Berlin. 
Photographie  Paul  Cassirer. 


(0,65:  0,81  > 


40 


Le  dejeuner.     Gegen  1871. 
Sammlung  Prince  Wagram,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0.61  :0,50) 


41 


L'amazone.     1873. 

Sammlung  Henri  Rouart,  Paris. 


(Ungefähr  Lebensgröße) 


42 


Tannhäuser.     Skizze  einer  Dekoration   für   den  Dr.  Blanche.     1879.     (1,42:0,57) 
Sammlung-  Durand  Ruel,  Paris. 

IL 

Die  Hauptwerke  des  Jahres  1874  bringen  einen  Ausgleich. 
Es  sind  zum  großen  Teil  Bildnisse  in  Interieurs.  Das  früheste 
des  Jahres  mag  das  lebensgroße  Damenporträt  sein,  das  jetzt 
im  Luxembourg  hängt*).  Die  Dame  steht  ganz  in  Schwarz  vor 
einem  schwarzen  Flügel.  Das  Schwarz  entsteht  nicht  etwa  aus 
Mischungen,  es  ist  wirklich  und  wahrhaftig  richtiges  Beinschwarz. 
Und  das  Resultat  ist  so  hinreißend,  daß  man  versucht  ist,  der 
heute  so  verhaßten  Farbe  alles  abzubitten,  was  ihr  moderne  Kolo- 
risten  nachgesagt  haben.  Freilich  ist  es  nicht  das  regungslose 
Neutrum,  mit  dem  Carolus  Duran  seine  stattliche  Dame  im  Luxem- 
bourg schmückte,  noch  weniger  jene  dicke  Masse  der  deutschen 
und  englischen  Romantiker,  in  der  der  Blick  wie  in  einem  Sumpf 
versinkt.  Es  ist  Farbe.  Man  spürt  durch  die  tonreiche  Seide  den 
Körper  hindurch.  Auf  dem  Flügel  spielen  sonnige  Lichter,  die  keinen 
Eindruck  von  Dunkelheit  zulassen.  Rechts  auf  dem  Flügel  baut 
sich  aus  den  Notenheften  ein  farbenreiches  Stilleben  seltenster 
Schönheit  auf,  dem  das  Schwarz  nur  den  kostbaren  Rahmen  ver- 
leiht. Ebenso  steht  die  Farbe  des  Kleides  zu  den  prunkenden 
Akkorden  des  Teppichs  und  dem  zarten  Fleisch  des  stolzen  Ge- 
sichtes, das  wir  uns  mit  der  gleichen,  kühlen  Würde  nicht  in 
anderer  Umgebung  vorzustellen  vermögen. 


*)  Es  stellt  die  Gattin  eines  Musikverlegers  namens  Hartmann  dar,  der  des 
Bild  testamentarisch  dem  Museum  vermacht  hat. 


43 


Berühmter  als  dieses  mit  Unrecht  unterschätzte  Meisterwerk 
ist  das  Doppelbildnis  geworden,  das  Renoirs  Bruder  und  ein  Modell, 
namens  Nini,  in  der  Baig-noire  eines  Theaters  darstellt  und  den 
Titel  „Die  Loge"  trägt"^).  Das  Bild  verdankt  seinen  Ruf  der  Opulenz 
seiner  Erscheinung,  die  in  dem  Oeuvre  in  der  Tat  nahezu  einzig 
ist.  Man  ist  sehr  weit  von  den  Bohemiens  des  Cabaret  de  la 
Mere  Anthony,  ebenso  weit  von  der  bürgerlichen  Koketterie  der 
„Lise",  fast  ebenso  weit  von  dem  „Menage  Sisley"  und  dem  „Gar^on 
au  chat",  obwohl  diese  Bilder  als  Vorbereitung  gelten  mögen.  Wir 
sind  in  der  „Grand  Monde"  des  Luxus  und  der  Eleganz.  Niemand 
würde  in  der  gelassenen  Dame,  so  wenig  sie  ihre  natürliche  Liebens- 
würdigkeit verbirgt,  den  Beruf  der  kleinen  Nini  erkennen,  die 
Renoir  damals  oft  ohne  die  prächtige  Hülle,  wie  Gott  sie  geschaffen, 
gemalt  hat.  Die  Seide  knistert,  die  Perlen  leuchten,  die  Blumen 
glühen,  und  der  Partner  trägt  mit  Gelassenheit  die  orthodoxe 
schwarz-weiße  Eleganz  des  Gentleman.  Auch  wenn  die  Beleuchtung 
und  die  Operngucker  fehlten,  wüßte  man,  daß  sich  das  Paar  im 
Theater  befindet,  zum  Ansehen  und  zum  Angesehenwerden. 

In  der  Stellung  der  beiden  Figuren  zueinander  hat  Renoir 
einen  zufälligen  Moment  gewählt,  aber  ihn  so  glücklich  getroffen, 
daß  der  Zufall  nur  die  Sicherheit  des  Betrachters  steigert. 
Die  Halbfiguren  sind  auf  einen  verhältnismäßig  geringen  Raum 
zusammengerückt,  und  die  wesentliche  Wirkung  mag  in  dem 
RäumHchen  liegen,  das  man  trotz  der  Enge  wie  eine  freie 
Wallung  empfindet.  Die  schöne  Frau  dehnt  sich  als  echte 
Pariserin  vollkommen  aus  in  breiter,  prächtiger  Fülle,  und  der 
Herr  hinter  ihr,  für  dessen  Nebenrolle  nur  das  winzige  Dreieck 
bleibt,  bewegt  sich  ungehindert  in  der  Tiefe.  Sehr  geschickt  ist 
der  schräge  Ausschnitt  mit  der  Brüstung  erfunden.  Ihn  benutzt 
der  Parallelismus  zwischen  Brüstung,  Schulter-  und  Armlinie  der 
Dame  und  weiter  dem  Arm  des  Herrn.  Dazwischen  laufen  auf 
Grau  und  Blau  die  schwarzen  Schlangenlinien  der  Streifen  des 
Kleides.  Ihr  Rhythmus  zieht  das  Schwarz  des  Fracks  mit  in  das 
Spiel  hinein  und  sorgt  für  eine  unauffällige  sehr  wirksame  Ver- 
bindung zwischen  den  beiden. 

In    der    „Danseuse"    desselben   Jahres    wurde    das   Vaporöse, 

*)  Sammlung-  Durand  Ruel.    Eine  kleine,  nicht  sonderlich  g-lückliche  Wieder- 
holung aus  derselben  Zeit  in  der  Sammlung  Dollfus. 


44 


La  löge.     1874. 

Sammluno-  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,65:0,81) 


45 


das  schon  in  der  „Lise"  beginnt  und  in  der  „Loge",  zumal  in  der 
männlichen  Gestalt  des  Bildes,  fortgesetzt  wird,  zum  Stil  erhoben. 
Das  junge  Fleisch  erscheint  noch  fester  in  dem  losen  Hauch  des 
Kleides  und  im  Duft  des  braunen  Haares.  Die  bläuliche  Gaze  läuft 
fast  mit  dem  Hintergrund  zusammen  und  raubt  dem  Umriß  die 
Schärfe.  Die  rosa  Schuhe  sind  fast  das  einzig  Greifbare  an  Farbe, 
und  trotzdem  wirkt  das  Bild  farbiger  als  alle  Vorgänger.  Wenn 
man  vor  ihm  die  alten  Engländer  nennt,  um  die  Wirkung  zu  deuten, 
so  muß  man  sich  gleichwohl  klar  sein,  daß  hier  etwas  entfernt 
Gainsborough-artiges  auf  ganz  anderen  Wegen  entstand.  Während 
Monet  und  Pissarro  sich  im  Kriegsjahre  nach  London  zurückzogen, 
wurde  Renoir  Soldat.  Er  sah  die  Themse  erst  mehrere  Jahre 
später  und  hat  als  echter  Franzose  nie  Gefallen  an  dem  Lande 
der  bedeckten  Sonne  gefunden.  Die  Beziehung  des  Meisters  zur 
Schule  Gainsboroughs  ist  ganz  zufälliger  Art  und  geht  mehr  auf 
die  Vorgänger  der  Engländer  zurück  als  auf  einen  ihrer  Meister. 
Auch  die  Farbe  der  „Loge"  mag  an  den  Meister  der  „Miß  Siddons" 
erinnern,  weil  die  Farbenkultur,  von  der  es  Zeugnis  ablegt,  not- 
wendigerweise auch  die  Mittel  der  Engländer  umfaßt.  Man  findet 
darin  geradeso  gut  Watteau,  Velasquez  und  die  Venezianer.  Aber 
daneben  ist  in  diesem  Bilde  und  in  allen  Bildern  Renoirs  ein 
Element  wirksam,  das  man  weder  in  Velasquez,  noch  bei  den 
Venezianern,    am  wenigsten   bei  den  alten  Engländern  findet. 

Die  „Loge"  und  die  „Danseuse"  leben  in  unserer  Erinnerung 
als  Werke,  die  mit  allem  Raffinement  des  Handwerks  ausgestattet 
sind.  Zumal  die  „Loge",  zu  deren  Üppigkeit  schon  das  Motiv  nicht 
wenig  hinzufügt.  Sie  erscheint  wie  eine  Sammlung  aller  vorher 
erlangten  Resultate.  Jedesmal,  wenn  man  vor  dem  Bild  selbst 
steht,  ist  man  genötigt,  von  diesem  Eindruck  allerlei  abzuziehen. 
Kein  alter  Meister  hat  sich  mit  so  geringen  Mitteln  begnügt. 
Gerade  die  Farbe,  die  in  unserer  Erinnerung  einen  immer  größeren 
Aufwand  entfaltet,  ist  auffallend  einfach.  Die  Palette  beschränkt 
sich  auf  das  Schwarz  und  Weiß-Grau,  auf  das  verschossene  Blau 
und  das  blasse  Rosa  und  ein  wenig  bräunliches  Gelb.  Die  von 
dem  Hauptkontrast  abweichenden  Farben  treten  so  wenig  hervor, 
daß  man  nahezu  von  einer  Schwarz -Weiß -Wirkung  reden  könnte. 
Man  mag  die  Weichheit,  mit  der  die  zurücksitzende  Gestalt  des  Herrn 
gegeben  ist,  wie  das  duftige  helle  Grau  das  Weiß  des  Plastron  um- 


46 


La  danseuse.     1874. 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,93:1,42) 


47 


hüllt,  bewundern.  Um  so  simpler  erscheint  die  Dame,  an  die  man 
schließlich  immer  in  erster  Linie  denkt.  Ihr  Gesicht  ist  ganz  dünn  — 
fast  hauchartig-  —  gemalt.  Der  rosa  Fleischton  scheint  wie  auf 
modellierter  Form  koloriert.  In  groben  Strichen  liegen  die  gelblich- 
braunen Ponys  auf  der  glatten  Stirn.  Andere  Details  des  Gesichtes 
sind  fast  ängstlich  gezeichnet.  Mit  dem  Apparat  der  Engländer  ver- 
glichen, scheinen  Renoirs  Mittel  kindlich.  Aber,  und  darin  beruht 
der  Unterschied  zwischen  dem  Modernen  und  allen  Gainsborough 
und  Reynolds :  diese  Mittel  —  mögen  sie  sein,  wie  sie  wollen  —  gehören 
und  gehorchen  ihm.  Er  durchdringt  sie,  spannt  sie  mit  seiner 
Empfindung,  und  ihre  Dürftigkeit  tritt  nur  zutage,  um  seine 
Empfindung  durchblicken  zu  lassen.  Dadurch  verlieren  sie,  sobald 
wir  uns  von  dem  materiellen  Anblick  des  Bildes  befreien,  ihre 
Art,  werden  zu  der  seinen,  zu  seinem,  nur  ihm  eigentümlichen  Aus- 
druck von  Pracht,  Luxus  und  Eleganz,  und  nur  mittels  eines  un- 
bewußten Rückschlusses  finden  wir  die  Farben  schön,  während 
wir  in  Wirklichkeit  den  Ausdruck  bewundern.  Bei  den  Engländern 
geht  es  uns  gerade  umgekehrt.  Wir  sehen  reiche  Mittel  in  einer 
uns  von  den  alten  Meistern  her  geläufigen  Art  verwendet  und  sind, 
wenn  wir  vor  den  Bildern  stehen,  wie  geblendet.  Das  Auge  kann 
im  einzelnen  nachprüfen:  so  ist  dies  und  jenes  bei  Tizian,  bei 
Rubens,  bei  Rembrandt,  bei  van  Dyck  gemacht.  Die  Pracht  behält 
ihren  dekorativen  Wert:  die  Bilder  möblieren  vortrefflich  die  Wände. 
Aber  jener  transzendentale,  aus  dem  Geringen  entstehende  Pracht- 
begriff kommt  nicht  zustande.  Die  Spannung  bleibt  aus,  weil 
der  über  das  Dekorative  hinauszielende  Zweck  fehlt.  Wir  blicken 
nicht  durch  das  gespannte  Netz  der  Mittel  hindurch  auf  die 
Empfindung,  werden  vielmehr  von  den  Mitteln  auf  unwesentliche, 
sensuelle  Reize  gelenkt.  So  erscheinen  die  Mittel  wie  irre- 
führende Hinderungen.  Sie  liegen  wie  Schminke  auf  wesenlosen 
Gesichtern. 

Will  man  so  recht  den  Unterschied  zwischen  Renoir  und  einer 
nur  auf  den  Apparat  gerichteten  Kunst  erkennen,  so  vergleiche 
man  eines  der  vielen  kleinen  Mädchen,  die  Renoir  damals  gemalt 
hat,  z.  B.  die  Kleine  in  der  Schürze*),  von  1875,  oder,  noch  besser, 
das  Bildnis  der  kleinen  Tochter  Durand  Ruels,  von  1876,  mit  der 
berühmten  Miß  Alexander  von  Whistler. 

*)  M"e  Leo-rand,  Tochter  eines  Beamten  im  Hause  Durand  Ruel. 


48 


M'le  Legrand.     Gegen  1875. 
Kollektion  J.  und  G.  Bernheim,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,60:0,81) 


49 


Die    Engländerin    wurde    von    Whistler    mit     großer    Eleganz 
gekleidet,  aber    blieb  ein  Kostümbild.     Die    verliebte  Mutter,    die 
es    sich    zum  Muster    nimmt,    wird    nicht    schlecht    fahren.      Jeder 
Backfisch,    so    oder    so    ähnlich    gekleidet,    wird    reizend   aussehen. 
Aber    man    macht    sich    keine  Vorstellung,    wie    dieses  Damenkind 
eigentlich  unter  den  Kleidern  aussieht.     Man  kommt  nicht  über  die 
engen  Grenzen    der  Details    hinaus.     Die    kleine  Durand   Ruel    ist 
„Gosse"   ganz  und  gar,  ebensosehr  zum  Abküssen  wie  die  andere 
zum   Ansehen,    appetitlich    mit  dem   freien  Hals   und   den    nackten 
Ärmchen,  ganz  Kind,  junger  Speck.     Aber  sie  zeigt  außer  diesem 
Unterschied,  den  man  vielleicht  objektiven  Verhältnissen  zuschreiben 
könnte,  ein  anderes  mit  dem  Kinde  Whistlers  unvereinbares  Wesen. 
Auch  sie  ist  sehr  niedlich   angezogen.     Das   blau-weiße  Kleidchen 
steht  ihr  vortrefflich.     Doch  würde  man  vergeblich  versuchen,  daraus 
ein  Muster    für    die  Wirklichkeit   zu    gewinnen.     Schon    die  Farbe 
läßt    sich    schwer  bestimmen:    dieses    in  Weiß    schimmernde  Blau, 
das    in  der  Schürze    um  eine  Nuance    schärfer  hervortritt,    in  dem 
Bändchen  um  den  Hals,  in  der  Schleife  des  Haares  wiederkommt 
und  die  ganze  Atmosphäre  um  das  kleine  Persönchen  einhüllt  bis 
auf  den    rotgeblümten  Hintergrund,    wo  es  sich    zu    matten  Tönen 
verflüchtigt.     Und  wo  wären  solche  Stoffe  zu    haben?     Diese  ge- 
hauchte Seide,    neben  der  jedes,    auch    das    feinste  Gewebe    grob 
und  roh   erscheint,    die  von  der  Sonne    gewebt  wurde.      Nie  wird 
man  bei  irgendeiner  Einzelheit  an  Wirkliches  denken,  immer  aber 
wie  etwas  Unabweisbares  Wirklichkeit  sehen,  jene  Wirklichkeit  da 
vor  uns,    das  kleine   farbige  Ding    vor    der  verschossenen  Tapete, 
das    soeben    hereingekommen    ist,    guten    Tag    zu     sagen,     jeder 
Zug    Kind,    unverfälschte  Natur.     Zwischen    dem    Bilde    des  Eng- 
länders und  dem  des  Franzosen  liegen  Unterschiede  wie  zwischen 
Sein  und  Schein,   und  diese    überbrückt   nicht  die  billige  Einsicht, 
daß  von  dem  einen  eine  Art  Distinktion  ausgeht,  die  dem  anderen 
mangelt.     Die  Art  fördert  uns  nicht,  befriedigt  nur  Schneidertriebe. 
Vielleicht  war  der  Backfisch,  den  sich  Whistler  stellte,  vornehmer 
als  das  kleine  Modell  Renoirs.    Von  dieser  Vergangenheit  ist  nichts 
mehr    übriggeblieben.     Im  Reiche    der  Kunst  wird    man  das  Kind 
Renoirs  königlich  nennen,  während  die  Engländerin  kaum  an  eine 
frisch    gebackene    Lordship    heranreicht.     Will   man    dem  Whistler 
ein  als  Gegenstand   vielleicht  besser  entsprechendes  Sujet    gegen- 


50 


M»e  Durand  Ruel.     1876. 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,75:1,12) 


51 


überstellen,  so  mag  man  auf  die  kleine  Tänzerin  Renoirs  zurück- 
gehen. Der  wesentliche  Unterschied  bleibt  der  gleiche.  Mir  scheint 
das  Porträt  der  kleinen  Durand-Ruel  wertvoller,  es  ist  mehr  Natur, 
d.  h.  Malereinatur,  organischer  Reichtum  an  Malerischem.  Man 
spürt  keinerlei  Hemmnisse  mehr  zugunsten  sekundärer  Rücksichten. 
Die  Vision  des  Malers  ersetzt  zum  erstenmal  vollkommen  das 
Vorbild  der  Natur.  Dieser  Eindruck  entscheidet  gegen  jede  innere 
Beziehung  zu  den  Engländern,  die  manche  Kritiker  aufzustellen 
versucht  haben,  und  zwar  zu  allen  Malern  Englands,  ob  sie  Gains- 
borough  oder  Whistler  oder  Turner  heißen.  Ihr  Wesen  ist  dem 
seinen  von  Natur  aus  fremd.  Das  Kolorit  des  späteren  Renoir 
kommt  —  gleichwie  das  Kolorit  des  späten  Monet  —  zuweilen 
Turners  Palette  nahe,  und  daher  sehen  manche  seiner  atmos- 
phärischen Landschaften  von  weitem  den  bekannten  Phantasien 
aus  Turners  letzter  Zeit  ähnlich.  Aber  diese  Ähnlichkeit  ist,  bei 
Lichte  betrachtet,  nicht  größer  oder  kleiner  als  die  zwischen  ge- 
färbtem Glas  und  einem  Bergkristall.  Viel  eher  ließe  sich  in 
dem  späten  Monet  eine  Verwandtschaft  mit  Turner  nachweisen. 
Die  Engländer  sind  geschickte  Seefahrer.  Sie  fahren  mit  reich 
beladenen  Schiffen  um  die  Kunst  herum.  Renoir  ist  kristallisierter 
Reichtum,  der  in  der  Tiefe  des  heimischen  Bodens  wächst.  Er 
greift  zur  Kunst,  um  sich  eine  unentbehrliche  Ausdehnung  zu 
verschaffen,  und  setzt  in  der  Kunst  nur  die  eigene  Natur  fort. 
Dabei  findet  er  immer  höhere  Formen,  immer  reichere  Variationen. 
Aber  mag  auch  die  Wirkung  der  reifsten  Bilder  noch  so  differenziert 
sein,  stets  bleibt  mit  ihr  der  sichere  Eindruck  einer  ganz  unge- 
künstelten, unteilbaren,  unentbehrlichen  Aussprache  verbunden. 

Die  siebziger  Jahre  sind  für  Renoir,  was  für  Manet  die 
sechziger  waren.  Die  Werke  dieser  Zeit  werden  stets  die 
größte  Stimmenzahl  für  sich  haben,  so  wie  die  Olympia  oder 
das  Dejeuner  sur  l'herbe.  Sie  zeigen  den  Künstler  dem  Laien 
so  vorteilhaft  wie  möglich.  Er  besitzt  die  traditionelle  Vollendung, 
ist  als  Persönlichkeit  vollkommen  kenntlich  und  dabei  doch  noch 
den  überlieferten  Werten  so  nahe,  daß  die  Prüfung  leicht  fällt. 
Langsam  verändert  sich  das  Bild.  Man  wird  genötigt,  schärfer 
zuzuschauen,  aber  es  fällt  nicht  schwer.  Mit  natürlicher  Stetigkeit, 
allmählich,  nie  sprunghaft  geht  das  Wachstum  vor  sich.  Die 
kommenden  Jahre  sind  für  Renoir  nicht,    was    für  den  Manet  der 


52 


„Olympia"  und  des  „Dejeuner  sur  l'herbe"  die  folgende  Periode 
war.  Wohl  legt  er  sich  wiederum  auf  die  Ausbildung  des 
Mittels  und  kommt  dabei  mit  dem  Problematischen  der  Zeit  in 
Berührung.  Aber  er  verliert  nichts  dabei.  Die  Entwicklung,  die 
sich  bei  Manet  nicht  ohne  Schwächung  der  Vision  vollzog,  ist  hier 
mit  einer  Steigerung  verbunden.  Renoir  hat  bis  dahin  sich  und 
anderen  sein  Recht  auf  Existenz  nachgewiesen.  Nun  hebt  die  höhere 
Existenz  an,  die  Verfeinerung  des  Persönlichen,  die  Kondensierung 
seiner  Resultate,  die  Formulierung  seines  Begriffs  von  Modernismus. 
Er  gleicht  dem  Dichter,  der  nach  der  Exposition  der  materiellen 
Tatsachen  zur  psychologischen  Handlung  schreitet. 

Übrigens  war  es  mit  der  leiblichen  Existenz  noch  nicht  weit 
her.  Choquet,  der  treue  Prophet  Cezannes,  Renoirs  erster  Helfer, 
der  schon  1874  auf  der  ersten  Impressionistenausstellung  mit  Worl 
und  Tat  energisch  für  ihn  eintrat  und  sich  und  seine  Frau  mehr- 
mals von  ihm  malen  ließ,  verfügte  bei  seinen  Aufträgen  nur  über 
bescheidene  Mittel.  Auch  die  Enthusiasten  zahlten  Mitte  der 
siebziger  Jahre  nur  wenige  Hunderte  für  mittlere  Bilder  und  waren 
ihrer  zu  wenig,  um  den  vielen  talentvollen  Hungerleidern  Brot  zu 
geben.  Der  Einfluß  Durand  Ruels,  der  schon  Anfang  der  siebziger 
Jahre  die  Werke  der  Impressionisten  zu  verbreiten  suchte,  war 
ganz  gering,  und  über  die  wenigen  Kritiker,  die  für  sie  eintraten, 
machte  man  sich  lustig.  Die  gewohnte  Taxe  im  Hotel  Drouot  blieb 
noch  längere  Jahre  recht  niedrig*).     Renoir    hat  sich  noch    in  der 

*)  Hier  einige  Zahlen.  Am  24.  März  1875  veranstaltete  Durand-Ruel  eine 
Vente  von  Gemälden  Monets,  Sisleys,  Renoirs  und  der  Berthe  Morisot  im  Hotel 
Drouot.  Es  kam  am  Tage  der  Ausstellung-  zu  tollen  Skandalszenen,  die  in 
Prügeleien  ausarteten,  und  die  Auktion  konnte  nur  mit  Hilfe  der  Polizei  durch- 
geführt werden.  Die  zwanzig  Gemälde  Renoirs  brachten  zusammen  2251  Frcs. 
Dabei  waren,  wie  mir  Durand  Ruel  erzählte,  einige  Preise  von  Freunden  „hoch- 
getrieben" und  mußten  nachher  von  dem  Ergebnis  abgezogen  werden.  Unter 
den  Bildern  befanden  sich  mehrere  Meisterwerke.  „La  Source"  (hier  abgebildet) 
wurde  mit  110  Frcs.  zurückgezogen  (dreißig  Jahre  später  verkaufte  sie  Durand 
Ruel  für  70000  Frcs.  an  den  Prince  Wagram).  „Avant  le  bain"  (ebenfalls 
hier  abgebildet)  wurde  für  140  Frcs.  an  den  Sammler  Hecht  verkauft.  (Dieser 
verkaufte  das  Bild  später  an  Duret.  Auf  der  Vente  Duret  am  19.  März  1894 
erwarb  Durand  Ruel  das  Bild  für  4900  Frcs.)  „Le  Pecheur  ä  la  ligne"  kaufte 
der  Verleger  Georges  Charpentier  für  180  Frcs.  (Auf  der  Vente  Charpentier 
im  Jahre  1907  brachte  das  Bild  14050  Frcs)  Den  höchsten  Preis,  300  Frcs., 
erzielte  eine  der  schönsten  frühen  Landschaften   ,,Unc  vue  du  Pont  Neuf."  —  Am 


53 


Zeit,  da  die  Werke  entstanden,  die  vielen  Freunden  seiner  Kunst 
für    die    meisterlichsten    gelten,    recht    kümmerlich     durchschlagen 

28.  Mai  1877  wurden  45  Bilder  von  Caillebotte,  Pissarro,  Renoir  und  Sisley  im 
Drouot  verkauf4:.  Durand  Ruel,  der  Veranstalter,  blieb  fern,  da  die  kurz  vorher 
in  seinem  Lokal  veranstaltete  zweite  Ausstellung  der  Impressionisten  wieder 
einen  Sturm  der  Entrüstung  entfesselt  hatte,  und  er  auf  diese  Weise  die  Gemüter 
zu  beruhioen  hoffte.  Der  Erfolg-  war  der  gleiche.  Die  16  Gemälde  Renoirs 
brachten  2005  Frcs.  Die  Preise  haben  sich  in  den  nächsten  zehn  Jahren  nur  wenig 
verändert.  Das  Porträt  der  Mme.  Charpentier  und  ihrer  Kinder  wurde  Renoir 
von  seinem  Freunde,  dem  Verleger  Charpentier,  mit  300  Frcs.  bezahlt.  (Es 
brachte  auf  der  Vente  Charpentier  1907  84000  Frcs.)  Das  Bildnis  der  Schau- 
spielerin Samary,  das  mit  der  ,, Familie  Charpentier"  im  Salon  von  1879 
figurierte,  eins  der  schönsten  Bildnisse  Renoirs,  erwarb  Durand  Ruel  vom  Künstler 
für  1500  Frcs.  (Er  verkaufte  es  dem  Prince  de  Polignac  für  2000  Frcs.  und 
kaufte  es  in  den  neunziger  Jahren  von  dem  Sammler  für  8000  Frcs.  zurück.  Es 
ging  dann  in  verschiedene  Sammlungen,  bis  es  vor  einigen  Jahren  dem  Sammler 
Morosoff  in  Moskau  für  eine  hohe  Summe  zufiel.)  Auf  der  Vente  Hochede  im 
Juni  1878  brachten  drei  Gemälde  Renoirs  zusammen  156  Frcs.  Es  waren  der 
Pont  de  Chatou  (42  Frcs.),  Jeune  fille  dans  un  jardin  (30  Frcs.,  gegenwärtig  in 
der  Privatsammlung  Durand  Ruels)  and  die  Femme  au  Chat,  die  1900  auf  der 
Pariser  Centennale  ausgestellt  war  (84  Frcs.),  ebenfalls  bei  Durand  Ruel,  (hier 
abgebildet).  In  den  achtziger  Jahren  stiegen  die  Preise  langsam.  Die  hier  ab- 
gebildeten „Pecheuses  de  Moules"  wurden  Renoir  von  Durand  Ruel  mit  2500  Frcs. 
bezahlt.  Die  erste  Renoir- Ausstellung,  die  Durand  Ruel  in  einer  Wohnung  des  Hauses 
9  Boulevard  de  la  Madeleine  vom  1.  bis  25.  April  1883  veranstaltete,  für  die 
Duret  eine  kurze  Vorrede  schrieb,  hatte  in  einem  kleinen  Kreise  einen  gewissen 
Erfolg.  Viele  Bilder  waren  aber  auch  noch  in  den  neunziger  Jahren  spottbillig 
zu  haben,  Das  Bildnis  einer  Dame  als  Page,  heute  eine  der  Perlen  der  Sammlung 
Prince  Wagram,  stand  lange  vor  einem  Trödlerladen  der  Rue  de  Rennes  auf 
der  Straße.  Der  Trödler  hatte  mit  Kreide  den  verlangten  Preis  auf  die  Lein- 
wand geschrieben :  80  Francs.  Ein  anderes  Bild  derselben  Sammlung,  „Les  enfants 
de  Catulle  Mendes  (Salon  1890)  wurde  dem  gutmütigen  Künstler,  der  damals 
noch  keineswegs  aller  Sorgen  ledig  war,  von  seinem  Freunde  (?)  Catulle  Mendes 
mit  100  Frcs.  bezahlt.  Aber  auch  die  normalen  Preise  für  Werke,  die  nicht  gerade 
den  beliebten  siebziger  Jahren  angehörten,  waren  auf  den  großen  Ventes  der 
letzten  Jahre  recht  bescheiden.  Renoirs  Hauptwerk,  „L'apresmidi  des  enfants  ä 
Wargemont"  (Nationalgalerie,  Berlin),  wurde  auf  der  Vente  Berard  im  Mai  1905 
von  den  Experten  auf  20000  Frcs.  geschätzt  und  zu  14000  Frcs.  verkauft.  Duret 
erzählt  in  seinen  „Peintres  Impressionistes"  ausführlich,  welche  Schwierigkeiten 
Renoir  als  Testamentvollstrecker  des  1894  gestorbenen  Caillebotte  zu  überwinden 
hatte,  um  auch  nur  einen  Teil  des  Vermächtnisses  an  das  Musee  du  Luxembourg 
zu  bringen.  Ich  erinnere  mich  noch  gut  des  Entsetzens,  das  der  Caillebotte-Saal 
anfangs  hervorrief.  Und  noch  vor  wenigen  Jahren  verursachte  die  Aufnahme  des 
geschenkten  Bildnisses  der  Schwarzen  Dame  Renoirs  an  dasselbe  Museum  nicht 
geringe  Bedenken. 


54 


Selbstbildnis.     Gegen  1875. 
Sammlung-  Donop  de  Monchy,  Paris. 
Photographie  T.  Pagnioud. 


(0,29 : 0,38) 


müssen.  Wohl  blieb  ihm  die  äußerste  Not,  der  Hunger,  der  den 
armen  Sisley  nie  verließ,  und  den  Monet,  der  nicht  hauszuhalten 
wußte,  oft  genug-  zu  kosten  bekam,  erspart,  weil  er  seine  geringen 
Bedürfnisse  mit  den  zu  jedem  Preis  angenommenen  Porträtaufträgen 
zu  decken  wußte.  Ein  wenig  mag  ihm  auch  seine  Mutter  geholfen 
haben,  die  damals  in  Louveciennes  wohnte  und  bescheidene  Ein- 
künfte besaß.  In  der  Nähe,  in  Chatou,  Croissy,  Bougival  pflegte 
Renoir  im  Sommer  zu  malen.  Wenigstens  konnte  er  sich  bei  der 
Mutter  satt  essen.  Zuweilen,  so  erzählte  er  einmal,  steckte  er  sich 
während  des  Essens  die  Taschen  voll  Brot,  um  es  Monet  zu  bringen. 
Immerhin  blieb  auch  ihm  kaum  eine  Bitterkeit  erspart,  und  selbst 


55 


seiner  spartanischen  Lebensweise,  für  die  es  keinen  materiellen 
Genuß  gab,  gelang  es  nicht  immer,  der  Sorge  zu  entlaufen.  Das 
kleine  Selbstbildnis  der  Sammlung  Donop  de  Monchy,  das  aus 
der  Mitte  der  siebziger  Jahre  stammen  dürfte,  zeigt  einen  mit 
äußerster  Energie  ringenden  Menschen.  Es  ergänzt  die  Charak- 
teristik, die  wir  der  Feder  des  Bruders  verdanken*).  Die  scharfen 
Linien  des  Gesichtes  verraten  kaum  noch  Spuren  der  weichen 
Züge,  die  dem  sorglosen  Gast  der  Mere  Anthony  gehörten.  Wieder 
mag  man  über  die  seltene  Art  des  Naiven  nachdenken,  die  sich 
hinter  diesem  Gesichte  verbarg.  Die  Züge  wurden  hart,  nicht  die 
Bilder.     Die  Bilder  wurden  immer  froher  und  weicher. 

Die  Entwicklung  geht  zunächst  in  die  Richtung  der  Farbe. 
Renoir  sucht  die  von  allen  möglichen  Reminiszenzen  durchsetzte 
Palette  zu  reinigen  und  Monets  Forderung  einer  chromatischen 
Harmonie  besser  als  vorher  zu  erfüllen.  Man  muß  sich  diese 
Entwicklung  nicht  als  mechanische  Prozedur  vorstellen.  Der 
Unterschied  zwischen  der  „Loge"  und  dem  großen  Bild  im  Musee 
du  Luxembourg,  „Moulin  de  la  Galette"**),  von  1876,  erschöpft 
sich  nicht  mit  der  objektiven  Reinigung  der  Farben.  Denn 
diese  wird  erst  bei  der  Analyse  des  Bildes  offenbar,  bestimmt 
nicht  die  Totalität  des  Eindrucks,  ganz  abgesehen  davon,  daß  die 
absolute  Reinheit  in  dem  Gemälde  noch  lange  nicht  erreicht  ist. 
Noch  schwankt  die  Basis  zwischen  ungelöstem  Schwarz  und  Blau. 
Was  in  die  Augen  springt,  ist  die  größere  Lebendigkeit  des  Ganzen. 
Die  vielen  Gestalten  sind  viel  weniger  porträtiert  als  das  magistral 
präsentierte  Paar  in  der  Loge.  Während  man  sich  bei  diesem  der 
Wollust  der  Erinnerung  an  alle  je  vor  Bildern  genossenen  Freuden 


*)  In  dem  oben  erwähnten  Aufsatz  der  „Vie  moderne"  von  1879  schildert 
Ed.  Renoir  so  den  Bruder  in  jungen  Jahren:  „L'air  pensif,  songeur,  sombre,  le 
front  courbe,  l'oei!  perdu,  vous  l'avez  vu  vingi  fois  traverser  en  courant  le 
boulevard;  oublieux,  desordonne,  il  reviendra  dix  fois  pour  la  meme  chose  sans 
penser  ä  la  faire;  toujours  courant  dans  la  rue,  toujours  immobile  dans  l'interieur, 
il  restera  des  heures  sans  bouger,  sans  parier;  oü  est  son  esprit?  Au  tableau 
qu'il  fait  ou  au  tableau  qu'il  va  faire;  ne  parle  peinture  que  le  moins  possible. 
Mais  si  vous  voulez  voir  son  visage  s'illuminer,  si  vous  voulez  l'entendre  — 
o  miräcle  —  chansonner  quelque  gai  refrain,  ne  le  cherchez  pa5  ä  table,  ni  dans 
les  endroits  oü  Ton  s'amuse,  mais  tächez  de  le  surprendre  en  train  de  travailler. 

**)  Eine  sehr  weitgetriebene  Skizze  (oder  Wiederholung  kleineren  Umfangs) 
von  großer  Schönheit  befindet  sich  in  der  Sammlung  Prince  Wagram. 


56 


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57 


überläßt,  leitet  das  Tanzbild  den  Sinn  des  Betrachters  auf  eine 
wie  Neuheit  wirkende  Natur.  Das  Fleisch  wird  nicht  mehr  wie 
in  den  früheren  Werken  sauber  modelliert,  sondern  wird  Teil  einer 
mehr  pantheistischen  Anschauung-.  Wie  in  der  „Lise",  in  dem 
Mädchen  der  Nationalgalerie,  in  dem  „Menage  Sisley"  und  so  vielen 
anderen  Bildern  sehen  wir  Menschen  im  Freien,  aber  es  scheint 
fast,  als  ob  das  Freie  vorher  ein  übernommener  Begriff  gewesen 
wäre,  für  einen  dekorativen  Hintergrund  geeignet,  während  es  jetzt 
ein  Kosmos  ist  mit  Luft  und  Licht,  in  dem  sich  Menschen  bev/egen. 
Der  Pinsel  trifft  die  Leinwand  wie  die  Sonne  die  unter  den  Bäumen 
tanzende  Menge.  Dieser  Vertiefung  des  Natürlichen  dient  die  Reini- 
gung der  Palette.  Wie  in  jedem  gelungenen  Gemälde  bindet  die 
Farbenverteilung  die  Vielheit  der  Erscheinungen.  Dieses  ordnende, 
d.  h,  rhythmische  Element  gelangt,  wie  schon  Delacroix  zeigte,  da, 
wo  reine  Farben  als  Basis  dienen,  zu  einer  viel  ausgiebigeren 
Wirkung,  als  die  alte  Methode,  weil  innerhalb  reiner  Farben  die 
Variationen  der  Harmonien  ohne  Gefährdung  der  Einheitlichkeit 
viel  weiter  getrieben  werden  können.  Freilich  stützt  sich  die  Ein- 
heitlichkeit auf  andere  Elemente  als  in  den  früheren  Bildern.  Der 
Farbenfleck  wird  der  Träger  der  Wirkung.  Was  vorher  fest  zu- 
sammengefügt war,  wird  geteilt.  Die  Auflösung  der  vorher  erlangten 
Form  zugunsten  einer  neuen  geht  zunächst  nicht  ohne  Opfer  vor 
sich.  Es  wogt  von  Farben  in  diesem  fröhlichen  Tanz,  wo  die  Sonne 
m.itzutanzen  scheint,  aber  man  wird  eine  gewisse  Unruhe  nicht  los, 
wenn  man  der  Geschlossenheit  der  früheren  Werke  gedenkt,  und 
nicht  jeder  Betrachter  findet  gleich  in  der  Einsicht,  daß  neue  Zwecke 
neue  Formen  bedingen,  vollen  Ersatz.  Man  muß  sich  hineinsehen. 
Es  ist  dazu  eine  Art  jenes  guten  Willens  erforderlich,  dessen  man 
beim  Eintritt  in  so  eine  tanzende  Gesellschaft  bedarf.  Man  muß 
mitmachen,  will  man  nicht  in  einer  Ecke  Trübsal  blasen.  Es  ist 
ein  kleiner  Ruck  erforderlich,  um  die  Welt  so,  wie  sie  hier  gesehen 
wird,  zu  sehen.  Aber  ich  weiß  keinen  Modernen,  dem  man  diese 
aktive  Teilnahme  leichter  gewährte,  der  mit  dem  Strudel  seiner 
Laune  so  viele  Möglichkeiten  des  Anschlusses  bringt,  in  dessen 
Rhythmen  man  so  leicht  die  lichte  Menschlichkeit  ihres  Schöpfers 
erkennt.  Fast  scheint  die  Frohheit  des  Betrachters  allein  zu 
genügen,  um  solche  Bilder,  auch  die  späteren,  die  viel  höhere 
Ansprüche  stellen,  zu  begreifen. 


58 


La  Grenouilliere.     Gegen  1873. 
Sammlung-  Thomsen,  Hamburg-. 


(0,55  :  0,45) 


Am  schwersten  fällt  die  Entscheidung  bei  den  rein  landschaft- 
lichen Motiven.  Ich  kenne  kaum  eine  Landschaft  der  achtziger 
Jahre,  die  sich  neben  das  kostbare  kleine  Bild  mit  dem.  Badewagen 
„La  Grenouilliere"  der  Sammlung  Thomsen  in  Hamburg  oder 
das  noch  frühere  Bild  gleichen  Titels  der  Sammlung  Theo  Behrens 
stellen  läßt.  Selbst  die  strahlenden  Ansichten  Venedigs  haben  nicht 
den  unerklärlichen  Reiz  jener  Bilder.  Der  Umstand,  daß  die 
späteren  Landschaften  reinere  und  lichtere  Farben  und  mit  ihnen 
andere,  glänzendere  Seiten  der  Natur  zeigen,  bleibt  für  diese 
Empfindung  ganz  unwesentlich.  Renoir  war  kein  Landschafter  wie 
Monet,  Sisley  oder  Pissarro.  Die  großen  Primitiven  sind  auch  nie 
Landschafter  gewesen.  Seinem  naiven  Sinn  gab  das  menschen- 
leere Motiv  nicht  genug  zu  tun.  Seine  Ansichten  des  Südens  aus 
der  mittleren  Zeit  sind  fast  immer  um  eine  Nuance  zu  unruhig  oder 
wirken  wie  Farbenspiele,  denen  der  eigentliche  Zweck  abgeht. 
Die  Landschaft  mit  den  blühenden  Kastanien  der  Berliner  National- 
galerie, von  1881,   oder    der   „Pont  de  Chemin  de  fer  ä  Chatou" 


59 


Landschaft.      Gegen   1875. 
Sammlung^  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,55  :  0,46) 


desselben  Jahres  sind  Beispiele.  Er  mußte  fabulieren  können. 
Wohl  hat  er  viele  Bilder  wie  ein  Landschafter  gemalt,  so  die 
„großen  Boulevards",  die  noch  1875  entstanden,  auf  denen  kaum 
eine  Einzelheit  des  Menschengewimmels  greifbar  wird.  Schließlich 
könnte  man  auch  „Moulin  de  la  Galette"  eine  Landschaft  nennen. 
Aber  das  Gewimmel,  das  er  scheinbar  so  souverän  und  un- 
empfindlich für  das  einzelne  behandelte,  gab  ihm  doch  die  Mög- 
lichkeit, sich  auszudehnen,  seine  Laune  spielen  zu  lassen.  Er 
bedurfte  der  Vielheiten,  um  einfach  zu  werden.  Man  braucht  nur 
die  „grands  Boulevards"  mit  ähnlichen  Motiven  von  Monet  oder 
Pissarro  zu  vergleichen,  um  zu  erkennen,  wieviel  der  Lyriker,  der 
aus  den  unscheinbarsten  Zufälligkeiten  die  Elemente  seines  Spiels 
gewinnt,  vor  dem  Analytiker  voraus  hat.  Renoir  brauchte  wie 
Manet  in  seinen  Bildern  Menschen,  um  sich  hinzugeben.  Er  wäre 
versiegt,  wenn  man  ihm  verboten  hätte,  Frauen  zu  malen.     So  un- 


60 


La  source.     1876. 

Sammlung  Prince  Wagram,  Paris. 

Photographie  Durand  Ruel. 


(1,08:1,30) 


61 


wesentlich  der  Geg-enstand  für  unsere  Betrachtung-  sein  mag,  so 
wichtig  galt  er  dem  Künstler. 

In  der  Darstellung  des  Menschen  im  Freien  übertraf  Renoir 
bald  das  Niveau  des  „Moulin  de  la  Galette".  Noch  experimentierte 
er.  Die  vielen  Studien  nach  Gruppen  im  Freien  von  der  Art 
der  reizenden  „Tonelle",  früher  in  der  Sammlung  Viau,  dienten 
ihm  nur  zu  Studien  der  Bewegung  des  Lichtes.  Und  demselben 
Zweck  mag  das  Bild  mit  dem  fast  lebensgroßen  Mädchen  vor  der 
Quelle  gedient  haben:  „la  Source".  Wir  spüren  nichts  von  solchen 
Absichten    mehr.     Aus   den  Lichtstudien    sind  Märchen   geworden. 

Die  fast  chromatische  Reinheit  wurde  schon  in  der  „Balangoire" 
des  Luxembourg  erreicht,  die  noch  1876  entstand;  einer  schönen 
Symphonie  in  Blau.  Reine  violette  Töne  geben  die  Quadrierung 
des  rosa  Weges  durch  die  Sonnenflecke  und  die  Schatten  der 
Figuren.  Muß  man  in  dem  Werk  dieser  Palette  eine  bedingungs- 
lose Anerkennung  der  Farbentheorien  Monets  sehen?  Mir  scheint 
es  mehr  als  zweifelhaft,  denn  in  vielen  gleichzeitigen  Bildern,  wie 
z.  B.  dem  kostbaren  Frauenbildnis  einer  deutschen  Sammlung  (1876), 
und  auch  später  hat  Renoir  Schwarz  verwendet  und  ist  gut  dabei 
gefahren.  Er  ging  nie  wie  Monet  von  der  Palette  aus,  um  zu  Bildern 
zu  gelangen.  Die  Farbe  blieb  das  Mittel,  das  er  seinen  Zwecken 
unterwarf.  In  dem  kleinen  Bilde  von  1876,  das  unter  dem  Titel 
„Atelier  de  l'Artiste"  Monet,  Pissarro  und  drei  andere  Freunde 
des  Künstlers  vereinte,  versuchte  Renoir  zum  erstenmal,  seine  Er- 
fahrungen mit  dem  Pleinairismus  auf  ein  Gruppenbild  im  Zimmer  zu 
übertragen.  Es  blieb  Skizze.  Aber  kaum  zwei  Jahre  später  gelang 
der  Versuch  über  alle  Maßen  in  dem  großen  Bildnis  der  Familie 
Charpentier,  das  seinem  Autor  im  „Salon"  von  1879  den  ersten 
notablen  Erfolg  eintrug  und  ihn  jetzt  in  Amerika,  im  Metropolitan 
Museum  von  New  York,  würdig  vertritt.  In  der  Palette  ließ  Renoir 
auch  bei  diesem  Hauptwerk  die  Konsequenz  der  modernen  Koloristik 
außer  acht.  Glücklicherweise,  möchte  man  hinzufügen,  denn  man 
kann  sich  kaum  denken,  wie  die  kostbaren  schwarzen  Töne  im  Kleid 
der  Dame  und  in  dem  Bernhardiner  zu  ersetzen  wären.  Sie  sichern 
die  Buntheit  des  Zimmers  und  geben,  zumal  mit  dem  Gelb  und  Lila 
des  Teppichs  und  den  zarten  Tönen  der  kleinen  Mädchen,  wunder- 
volle Kontraste.  Die  Anordnung  fordert  die  alten  Meister  in  die 
Schranken.     Die  große,  scheinbar  zufällig  entstandene  Kurve  vom 


62 


La  famille  Charpentier.     1878. 
Metropolitan  Museum,  New  York. 
Photographie  Druet. 


(1,90:1,545) 


63 


Place  Pig-alle.     Gegen   1880. 
Sammlung-  Prince  Wagram,  Paris. 
Photoo-raphie  Druet. 


(0,55 : 0,65) 


Ende  der  pompösen  Schleppe  des  Damenkleides  bis  zu  dem  Kopf 
des  Hundes  läßt  den  ganzen  Komfort  des  Milieus  zur  Geltung 
kommen.  Diesen  Umriß  bereichert  die  Struktur  der  verschiedenen 
Materien.  Sie  wirken  wie  gestickt  mit  Farben,  dabei  doch  leicht 
und  ganz  natürlich.  Huysmans  meinte  von  dem  Bilde,  die  Farben 
sähen  wie  „effacees  avec  un  tampon  de  linge"  aus"^).  Man  glaubt 
hier  in  der  Tat   schon   die  Interieurbehandlung  eines  Bonnard  an- 

*)  L'Art  Moderne  (Charpentier,  Paris  1883)  im  Appendice.  Er  legi  hier 
irrtümlich  das  Bild  in  das  Jahr  1876,  hat  es  aber  selbst  in  seinem  „Salon"  von 
1879  übrigens  etwas  unsicher  besprechen. 


64 


Le  dejeuner.     1879. 

Städelsches  Institut,  Frankfurt  a.  M. 


(0,81:1,00) 


^5 


Panneau.     Geaen  1878.  (1,51:0,59) 

Sammlung-  Vollard,  Paris. 

gedeutet  zu  finden'"').  Unter  der  Hülle  eines  gewissen  Konventionalis- 
mus, der  die  Pikanterie  vergrößert,  verbirgt  sich  mancher  Hinweis 
auf  die  Zukunft.  Die  Früchte  und  Blumen  auf  dem  Tischchen  des 
Hintergrundes  deuten  auf  die  prickelnde  Süßigkeit  der  späteren 
Stilleben  Renoirs.  Das  1879  in  helleren  Tönen  gemalte  „Dejeuner", 
das  seit  kurzem  im  Städelschen  Institut  in  Frankfurt  hängt,  bringt 
eine  Fortsetzung  dieser  Stillebenkunst,  und  dazu  drei  prachtvolle 
Porträts.  Der  Herr  in  der  Ecke  ist  wohl  wieder  der  Bruder  des 
Künstlers.  Von  seinen  beiden  Partnerinnen  gibt  unsere  Abbildung 
nur  einen  dürftigen  Begriff.  Sie  sind  in  Wirklichkeit  die  Früchte 
dieses  reichen  Tisches.  Die  eine  der  Grisetten  hat  ein  Likör- 
gläschen in  der  Hand.  Der  Herr  steckt  sich  eine  Zigarette  an. 
Welcher  Dichter  vermöchte  das  Behagen  jener  Apres -Dejeuner- 
Stimmung  zu  schildern!  Die  gleichzeitige  „Femme  ä  la  grenouillere" 
der  Sammlung  Sulzbach  in  Paris  ist  eine  Ergänzung  des  „Dejeuner." 
Von  dem  Tisch  ist  nur  eine  Ecke  sichtbar  mit  einem  blonden  rosigen 
Mädchen  in  blauem  Kleid  und  gelbem  Strohhut.  Jenseits  gleitet 
der  Blick  auf  die  Windungen  der  Seine.  Es  ist,  als  entstände  die 
Landschaft  aus  dem  blaugrünen  Duft,  der  das  Mädchen  umgibt. 
Sie   bestätigt,    was    wir  von  Renoirs  Landschaftertum    sagten.     Es 

*)  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  des  näheren  auf  die  zahlreichen  Beziehungen 
zwischen  Renoir  und  dem  bedeutendsten  Künstler  des  jüngeren  Frankreichs  ein- 
zugehen. Nur  auf  ein  wenig  bekanntes  Interieur  Renoirs  sei  hingewiesen,  das 
diese  Beziehungen  sehr  deutlich  macht:  der  Tisch  mit  der  Melone  und  den  Blumen 
der  Sammlung  Donop  de  Monchy  in  Paris.  Auch  manche  figürlichen  Bilder 
Renoirs  wirken  wie  freie  Vorbilder  Bonnards,  z.  B.  die  hier  abgebildete  „Place 
Pigalle"   mit  der  davoneilenden  Grisette  im  Vordergrund. 


66 


Panneau.     Gegen  1878.  (1,51:0,59) 

Sammlung-  Vollard,  Paris. 

gibt  kaum  eine  schönere  Landschaft  von  ihm  als  diesen  Hinter- 
grund. 

In  diesem  an  Werken  reichen  Jahre  1879  entstand  das  große 
Bild  mit  den  „Pecheuses  de  moules",  das  1880  im  „Salon"  aus- 
gestellt war  und  heute  im  Hause  Durand  Ruels  hängt*).  Die 
blauäugigen,  flachshaarigen  Fischerkinder  des  Nordens  scheinen  an 
einen  fernen  farbentrunkenen  Strand  verschlagen.  Das  Bild  ist 
viel  weniger  virtuos  gemalt  als  die  meisten  Werke  aus  der  zweiten 
Hälfte  der  siebziger  Jahre  und  nicht  frei  von  Dissonanzen,  die  zu 
dem  Phantastischen  beitragen.  Man  glaubt  einen  primitiveren  Sinn 
zu  erkennen.  Ist  die  ungewohnte  Szene  daran  schuld?  Ich  glaube 
vielmehr,  daß  sich  hier  eine  neue  Richtung  in  der  Entwicklung 
des  Malers  vorbereitet,  die  in  den  achtziger  Jahren  bestimmend 
v/erden  sollte. 

Außer  den  „Pecheuses  de  moules"  erschien  im  Salon  von  1880 
das  schlafende  Mädchen  im  Hemd  und  blauem  Rock  auf  rotem 
Sessel:    „La    femme    au    chat"**).     Auf    seinem    Schoß    liegt    eine 

*)  Gegen  1890  malte  Renoir  eine  Wiederholung  des  Werkes.  Die  Kom- 
position wurde  annähernd  beibehalten,  dagegen  das  Format  ein  wenig  verbreitert 
und  stark  verkleinert.  Die  neue  Technik  (siehe  Kapitel  IV)  verändert  voll- 
kommen die  Wirkung  der  Gestalten.  Renoir  teilte  die  Flachen  mit  einem  losen 
System  farbiger  Striche,  lockerte  gewissermaßen  die  Pracht  der  ersten  Fassung, 
machte  das  Bild  organischer,  aber  nahm  ihm  den  phantastischen  Zauber,  den  kein 
Einwand  gegen  die  schwerfällige  Malerei  zu  schmälern  vermag.  —  Beide  Fassungen 
sind  hier  abgebildet,  die  Wiederholung  unter  den  Bildern  des  vierten  Kapitels. 
'^*)  Den  Kopf  mit  dem  Strohhut  hat  Renoir  noch  einmal  gemalt.  Das  Bild 
befindet  sich  ebenfalls  in  der  Sammlung  Durand  Ruel. 


67 


schlafende  graue  Katze,  eingewieg-t  in  das  strahlende  Blau  des 
Kleides,  und  scheint  teil  an  dem  Traum  zu  haben,  der  das  Mädchen 
umfäng-t.  Was  würde  Delacroix,  der  an  Courbets  schlummernder 
Spinnerin  Gefallen  fand,  zu  dieser  Darstellung  schlafenden  Lebens 
gesagt  haben!  Die  Erinnerung  an  Courbet  klingt  in  diesem  Bilde 
noch  wie  ein  leises  Echo  mit;  aber  was  der  vermochte,  das  in  die 
Poren  der  Leinwand  gepreßte  animalische  Dasein,  scheint  hier 
mit  noch  größerer  Wahrscheinlichkeit  in  eine  höhere  Sphäre 
getragen.  Immer  noch  bleibt  das  Wesen  animalisch.  Wäre  es 
anders,  so  wäre  das  Resultat  Lüge.  Aber  diese  Erkenntnis  be- 
herrscht nicht  wie  vor  Bildern  Courbets  den  Betrachter.  Sie  ist 
nur  der  Pol,  um  den  sich  höhere  Empfindungen  gruppieren,  und 
befestigt  eine  Manifestation,  die  man  versucht  ist,  seelisch  zu 
nennen.  Diese  Erscheinung  hängt  mit  dem  Farbigen  zusammen. 
Ich  meine  damit  nicht  die  Palette,  sondern  die  in  dem  Farbigen 
wahrnehmbare  Empfindung,  die  unendlich  höher  steht  als  Courbets 
altmeisterlicher  Realismus.  Die  Farbe  leistet  im  Bilde  Renoirs 
mehr  als  in  dem  Courbets.  Sie  gibt  nahezu  ein  Doppelwesen. 
Einmal  hilft  sie  zur  Verdeutlichung  des  Körpers,  des  Endlichen, 
und  weiter  führt  sie  ein  scheinbar  davon  unabhängiges  Dasein. 
Sie  schafft  eine  für  sich  bestehende  Harmonie,  die  uns  zum  Un- 
endlichen leitet.  Das  für  sich  lebende,  sprühende,  glühende 
Blau,  das  den  schlafenden  Körper  und  das  schlafende  Kätzchen 
umhüllt,  drückt  besser,  als  jede  physiognomische  Anspielung  ver- 
möchte, das  Allegorische  des  Bildes  aus.  Es  wirkt,  gerade  weil 
der  Künstler  auf  jeden  direkten  gegenständlichen  Hinweis  ver- 
zichtet, so  stark  symbolisch,  wie  ein  zauberhaftes  Abbild  bunten 
weiblichen  Traumlebens.  Diesen  Zauber  versagt  Courbet,  so  sicher 
er  alles  Sichtbare  traf,  und  nie  hat  ein  anderer  Maler  solche 
Ahnungen  verbildlicht.  Die  lässige  Hingabe  der  Frau  im  Traum 
hat  Fragonard  oft  mit  Meisterschaft  geschildert.  Doch  können  wir 
uns  vor  dem  Renoir  nicht  einer  leisen  Verachtung  jener  schnell 
erschöpften  Erotik  erwehren.  Man  möchte,  in  Renoirs  Zauber 
befangen,  fast  glauben,  daß  der  berühmteste  Frauenmaler  des 
Dixhuitieme  ein  künstliches  Wesen  vor  sich  sah. 

Solcher  Bilder  hat  Renoir  einige  Hunderte  gemalt.  Immer 
Mädchen,  schlafend,  sitzend,  liegend,  nackt,  bekleidet,  mit  nichts 
als  ihren  Träumen  beschäftigt;  Frauen  in  der  ersten  Blüte  mit  ihren 


68 


La  femme  au  chat.     1878/79. 
Sammlung-  Arnhold,  Berlin. 


(0,90:1,20) 


69 


Kindern.  Man  hat  die  Masse  getadelt.  Ganz  dasselbe  könnte 
man  mit  nicht  geringerem  Recht  Rubens  vorwerfen.  Wer  die 
Masse  tadelt,  der  mangelt  des  Sinns  für  Nuancen  auf  einem  Feld, 
wo  Nuancen  alles  bedeuten.  Innerhalb  einer  Art,  der  nur  die 
Schönheit  eine  Grenze  zieht,  leben  Tausende  von  Individuen.  Was 
sie  einander  ähnlich  macht,  die  farbige  Form  des  Malers,  scheint 
das  durch  keine  Unterschiede  zu  verwischende  elementare  Wesen 
des  Weibes  zu  sein,  und  wir  empfinden  die  Gemeinschaft  wie 
eine  sichere  Gewähr  für  die  Lebensfähigkeit  dieser  Geschöpfe. 
Das  gemeinsame  Zeichen  der  Art  hindert  nicht  eine  weitgehende 
Charakteristik.  Da  ist  das  Mädchen  aus  dem  Volke,  da  die 
Tochter  des  Bürgers,  da  die  Aristokratin.  Wir  erkennen  sie  nicht 
auf  den  ersten  Blick,  keine  abgebrauchten  äußerlichen  Unterschiede 
unterscheiden.  Im  Nackten  zeigt  Renoir  die  Rasse.  Da  ist  das 
robuste  Kind  des  Landes,  das  in  allen  Fährnissen  der  Großstadt 
die  kostbare  Einfalt  behält,  die  wir  so  oft  an  der  kleinen  Pariserin 
bewundern.  Da  ist  die  geborene,  zarte,  schlanke  Großstädterin. 
Sie  sieht  natürlicher  aus,  als  Kenner  der  Französin  zugeben  mögen. 
Aber  dringt  der  Kenner  tief  genug  in  jenes  widerspruchsvolle  Wesen, 
auf  dessen  Grunde  sich  immer  noch  die  naive  Lebensfreude  erhält? 
Gute  Augen  können  auch  heute  noch  in  dem  sündigen  Paris  viele 
Mädchen  Renoirs  auf  der  Straße  vorbeieilen  sehen.  Der  Typus 
ist  mindestens  ebenso  sachlich  wie  die  Cocotten  Lautrecs.  Hier 
walzt  in  üppiger  Schleppe  die  verwöhnte  Schöne  im  Saal  des 
Faubourg  St. -Germain,  mit  der  kaum  wahrnehmbaren  nasch- 
haften Keckheit  in  Blick  und  Haltung,  und  führt  den  Herrn,  während 
sie  sich  führen  läßt.  Dort  tanzt  sie  im  billigen  Sommerkleidchen 
in  Bougival,  nur  selige  Sonntagsfreude.  Solche,  sich  dem  Genre 
nähernden  Szenen,  die  ein  zusamm^enfassender  Griff  über  alles 
Genrehafte  erhebt,  sind  verhältnismäßig  selten.  Renoir  bedarf 
nicht  des  Mannes,  um  die  Frau,  wie  er  sie  sieht,  zu  schildern.  Er 
gibt  von  ihr  nicht  nur  das,  was  sie  dem  Manne  gibt.  Sein  Instinkt 
erhebt  sich  über  die  fälschende  Beziehung  der  Geschlechter  zu 
einander.  Er  zeigt  die  Frau  am  liebsten  allein  und  trifft  etwas 
von  der  verwunschenen  Einsamkeit  des  Weiblichen  inmitten  unserer 
Welt.  Oder  er  zeigt  sie  mit  der  Freundin,  der  Vertrauten,  zeigt 
jene  Fülle  zartester  Beziehungen  zwischen  Mädchen  und  Mädchen, 
Frau  und  Frau,  die  untrennbar  von  dem  Weiblichen  sind,    an  die 


70 


Damenbildnis.     1876. 
Deutscher  Besitz. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(0,40:0,60) 


71 


unsere    heute    mehr    als    je    verg-röberte   MännHchkeit    nie    heran- 
reicht. 

Wer  die  Masse  tadelt,  liebt  nicht  die  Frau,  kennt  nicht  ihren 
Reichtum,  ist  selber  im  Herzen  arm.  Ebensogut  könnte  man 
jenen  unverwüstlichen  Rosenstöcken  in  den  Gärten  zerfallener 
Paläste,  die  das  Werk  der  Menschen  überdauern,  vorwerfen, 
immer  noch  Blüten  zu  treiben.  Die  Menge  gehört  zu  dem  Symbol 
der  Fruchtbarkeit.  Es  strömt  von  Leben  aus  diesen  hundert  und 
aberhundert  Mädchenaugen,  Mädchenlippen,  Mädchenbrüsten.  Eine 
paradiesische  Fleischeslust,  noch  unverlangend,  noch  ungekrümmt  von 
Leidenschaft,  noch  Idylle,  und  doch  von  starken  Sinnen  strotzend. 
Die  Liebe  dieser  prachtvollen  Geschöpfe  entwurzelt  nicht.  Man 
sieht  ihre  Zeugen  in  den  Kindern  Renoirs.  Wer  hat  je  solche  Babys 
gemacht!  Die  Putten  der  Alten  sehen  wie  Versatzstücke  daneben 
aus.  Wie  hätte  auch  je  eine  Zeit,  die  nicht  alles  aufs  Spiel  der 
Farbe   setzte,    das   formlos    Farbige    des   jungen    Fleisches    treffen 

können! 

Aber  wer  in  Renoir  nur  einen  Koloristen  sieht,  hat  ihn  nie 
gesehen.  Gewiß,  die  Farbe,  diese  und  keine  andere,  diese  in 
Weiß  schwimmenden  Blau  und  Rosa,  die  selbst  da,  wo  sie 
sich  ganz  enthüllen,  nur  wie  die  kühlen  Oberflächen  von 
reicheren,  in  der  Tiefe  glühenden  Farben  scheinen,  ist  sein, 
sie  enthält  ihn  wie  der  Leib  die  Seele.  So  spricht  nur  er.  Seine 
Sprache  klingt  wie  die  Stimme  eines  Vertrauten,  die  uns  mit 
jedem  neuen  Wort  alle  anderen  wiederholt,  die  sie  je  zu  uns  ge- 
sprochen hat.  Gewiß,  wir  könnten  uns  nie  von  diesem  Zeichen 
seiner  Art  befreien,  möchten  es  nie  entbehren,  können  es  nie  ge- 
nug ergründen,  nie  genug  bewundern.  Es  ist  der  Schlüssel,  der 
uns  in  den  Zauber  führt.  Ist  man  aber  ganz  eingedrungen,  fühlt 
man  sich  so  heimisch  in  seiner  Welt  wie  in  dem  Herzen  des  Ver- 
trauten, so  mag  sich  der  Schlüssel  als  Schlüssel,  das  Zeichen  als 
Zeichen  erweisen,  und  das  Mittel,  das  uns  führte,  gering  erscheinen 
gegen  die  Fülle,  die  sich  uns  jetzt  offenbart.  Dann  möchte  man 
den  Worten  Schweigen  gebieten.  Wir  vernehmen  nicht  mehr  mit 
unseren  gewohnten  Organen  und  bedürfen  keiner  Zeichen  mehr. 
Wer  sänne,  von  der  Macht  eines  Gedankens  im  Innersten  getroffen, 
dem  Laut  nach,  der  ihn  zu  uns  brachte. 

Das  Koloristentum    ist  zu    eng  für  einen  Renoir,  sowie  es  zu 


72 


Les  pecheuses  de  moules  ä  Berneval.     1879. 
Sammlung^  Durand  Ruel,  Paris. 


(1,30:1,75) 


73 


endlich  für  einen  Rubens  oder  Delacroix  erscheint.  Wie  ein  breiter 
Strom  fließt  das  Werk  an  uns  vorüber.  Seine  Wellen,  in  denen 
sich  zauberische  Gebilde  spiegeln,  tragen  uns  in  eine  höhere  An- 
schauung. Diese  ist  Renoir,  ist  es  mehr  als  seine  Palette,  und  sie  ist 
mehr  wert,  ist  seltener,  ist  einzig.  Unsere  Zeit  hat  Intellekte.  Wir 
machen  erstaunliche  Analysen  und  reduzieren  die  Welt  auf  ein  paar 
Zahlen.  Und  hier  schafft  einer  aus  dem  Dunst  der  Großstadt  einen 
Garten,  in  dem  Milch  und  Honig  fließen  und  Menschen  wandeln, 
die  nie  den  Niedergang  der  Rassen  gespürt.  Schafft  sie  aus  Fleisch 
und  Blut,  ohne  Phantasmagorien,  mit  dem  Licht,  das  die  Haut 
lebender  Modelle  streift;  schafft  sie  aus  unserer  entgötterten  Welt, 
mit  unserem  Materialismus,  naiv  wie  ein  Giotto,  überschäumend 
wie  ein  Rubens.  Keiner  der  großen  Männer  Frankreichs  des  letzten 
Jahrhunderts  hat  so  überzeugend  die  unbändige  Gesundheit  dieses 
Volkes  erwiesen,  von  dessen  Verderbtheit  und  Niedergang  so 
manche  Fabeln  handeln.  Daß  die  farbenreiche  Pariser  Kunst 
einen  glänzenden  Koloristen  mehr  hervorbrachte,  das  ist  weiter 
nicht  merkwürdig.  Da  der  Maler  ein  großer  Künstler  ist,  muß  er 
notwendig  irgendwie  zum  Positivismus  beitragen.  Eins  ist  die 
Folge  des  anderen.  Aber  daß  der  Positivismus  in  unseren  Tagen 
zu  einem,  so  unverhohlenen  Ausdruck  gelangen,  daß  das  Land 
der  großen  Skeptiker  und  kleinen  Blagueurs  ein  so  unverhohlenes 
Zeugnis  strahlender  Lebensbejahung  hervorbringen  konnte,  das 
mag  als  Wunder  und  als  ein  glückliches  Wunder  gelten. 


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9 


Tannhäuser.     Skizze  einer  Dekoration  für  den  Dr.  Blanche.    1879.       (1,42:0,57) 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


74 


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75 


J 


Entwurf  einer  Dekoration  für  M.  Charpentier.    Gegen  1875. 
Sammlung-  J.  und  G.  Bernheim,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,29:0,45) 


76 


Sur  l'herbe.     Gegen  1875. 
Sammlung  Prince  Wagram,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,74:0,60) 


77 


Frauenbüste.     Gegen  1875. 
Sammlung-  Durand  Ruel,  New  York. 


(0,65:0,81) 


78 


I 


Aktstudie.     Gegen  1875. 
Sammlung  Stchoukine,  Moskau. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(0,75:0,92) 


79 


Junges  Mädchen.     Gegen   1875. 
Sammlung  Prince  Wagram,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,54:0,65) 


80 


Ingenue.     Gegen  1876. 

Früher  Sammlung  Alphonse  Kann,  Paris. 

Photographie  Druet, 


(0,46:0,55) 


81 


Bildnis  des  Herrn  Choquet.     1876. 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,36:0,46) 


82 


Le  premier  pas.     Gegen  1877. 
Sammlung  Pellerin,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,81:1,11) 


83 


La  pensee.     Gegen  1877. 
Sammlung  Jules  Strauß,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,54:0,65) 


84 


Confidences.     Gegen   1878. 
Sammlung  Viau,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,50:0,61) 


85 


Mlle  Samary.     1879. 
Kollektion  Morosoff,  Moskau. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(1,02:1,73) 


86 


Mädchenkopf.     Gegen  1880. 
Sammlung  J.  und  G.  Bernheim,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,32:0,415) 


87 


w 


Bildnis  des  Malers  Cezanne  (Pastell). 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


1880. 


(0,43:  0,54 > 


88 


iirar 


don.      Bleireliefs  in  den  Gärten  von  Versailles. 


m. 

Renoir  war  zu  einer  eigenen  reichen  Form  gelangt,  hatte  sie 
in  zahlreichen  Meisterwerken  gesichert,  und  endlich  nahten  die 
ersten  Zeichen  des  Erfolges.  Der  „Salon"  öffnete  sich  ihm,  wenn 
auch  immer  noch  widerstrebend,  und  zu  den  Enthusiasten  waren 
einige  vermögende  und  einflußreiche  Liebhaber  dazugekommen, 
die  den  Künstler  stützten.  In  diesem  Moment  gab  er  seiner  Kunst 
eine  Richtung,  die  sich  zu  den  bisher  erreichten  Resultaten  nahezu 
in  Gegensatz  stellte,  allen  Anschauungen  seines  Kreises,  zumal 
den  Maximen  des  Impressionismus  widersprach  und  keinem  Pariser 
Liebhaber  genehm  sein  konnte.  Mehr  als  alles  andere  bestätigt 
dieser  kühne  Versuch,  der  zu  einer  zweiten  Reihe  von  Meister- 
werken führte,  den  Optimismus  des  Meisters. 

Diese  Entwicklung  umfaßt  die  Etappen  von  dem  „Moulin  de  la 
Galette"  zum  „Dejeuner  des  Canotiers"  von  1881 ;  von  dem 
Gruppenbild  der  Familie  Charpentier  zu  dem  der  Kinder  Berard 
von  1884,  in  der  Berliner  Nationalgalerie;  von  den  weichen 
Fleischstudien  der  siebziger  Jahre  zu  den  „Baigneuses"  von 
1885,  in  der  Sammlung  Blanche  in  Paris.  Man  könnte  noch 
viele  andere  Zwischenglieder  nennen.  Das  Stück  enthält  die  Er- 
füllung der  Ahnungen,  die  man  schon  an  die  Werke  des  Debü- 
tanten knüpfen  konnte,  einen  in  seiner  Vollkommenheit  in  der 
französischen  Kunst  unserer  Tage  alleinstehenden  Ausgleich  zwischen 
den  beiden  Faktoren,  die  Courbet  ungeeint  ließ,  der  Materie  und 
der  Arabeske.  Der  Geist  Delacroix'  schwebt  über  der  bisher  durch- 
laufenen Bahn.    Die  folgende  Entwicklung  steht  unter  Ingres'  Ägide. 

Renoir  hatte  die  Auflösung  der  Formen  seiner  ersten  Zeit 
erreicht  und  ihr  Grau  zu  einer  sprühenden  Materie  umgewandelt. 
So  hatten  es,  jeder  auf  seine  Art,  alle  Impressionisten  gemacht. 
Renoir  erkannte  die  Gefahren  dieser  notwendigen  Entwicklung  und 


89 


ging  daran,  das  Auseinanderfließende  wieder  zusammenzuziehen 
und  aus  seinen  massenhaften  Fragmenten  eine  endgültige  Form  zu 
bilden,  noch  fester  als  die  Werke  des  Debüts,  aber  infolge  der 
Art  der  Teile  vollkommen  harmonisch  und  frei  von  allen  ab- 
kürzenden Härten. 

Renoir   kam    nicht   ohne  weiteres   zu  Ingres.    Der  Ingres   der 
Odalisken  und  der  antikisierenden  Motive  galt  der  jungen   Gene- 
ration, die  für  die  Natur  schwärmte  und  Delacroix  Altäre  errichtete, 
als     der    allem    Lebendigen    feindliche    Akademiker,     und    Renoir 
war    kein  Stürmer,    der    sich  gegen   jede  Meinung    seines    Kreises 
wehrte.    Er  hatte  eine  ganze  Weile  gebraucht,  bis  er  von  Delaroche, 
den    ihm    ein    alter  Bildhauer,    ein   wohlmeinender  Mentor    seiner 
ersten  Jugend,  als  Vorbild  empfohlen  hatte,  zu  Delacroix  gelangt 
war.     Und  es  war  unter  seinen  Kameraden  ausgemacht:  wer  Dela- 
croix schätzte,    konnte    für  Ingres  nichts    übrighaben.     Nur  Degas 
machte  eine  Ausnahme,  und  es  ist  nicht  unmöglich,  daß  die  enge 
Freundschaft,    die    damals    Degas    und   Renoir    verband,    bei    der 
Veränderung  der  Meinung  über  den  Odaliskenmaler  ihr  Wort  mit- 
gesprochen  hat.     Aber  Degas   stand    schon    damals    ganz  abseits, 
wehrte  sich  energisch,   zu  den  Impressionisten  gezählt  zu  werden, 
deren  Name    ihm  mehr   als   fatal  war,    und    teilte    kaum  eine    der 
Anschauungen  seiner  Freunde.    Wie  mir  Renoir  erzählt  hat,  hängt 
der  Beginn  seiner  Beziehungen  zu  Ingres  drolligerweise  mit  Dela- 
croix zusammen.    Als  er  1875  die  „Noce  juive"  im  Louvre  kopierte, 
hing  neben  dem  Bild  das  Porträt  der  Madame  Riviere,  das  meister- 
lichste unter  den  Frauenbildnissen  Ingres'.  Der  Delacroix-Schwärmer 
konnte  sich  bei  aller  Begeisterung  für  den  Meister  seiner  Wahl,  dessen 
Bild    er    mit    aller    Liebe    zu    wiederholen    suchte,    nicht    abhalten, 
zuweilen  nach  dem  Nachbar  zu  blicken.     Die  Komposition   gefiel 
ihm,  ihre  einfache,    ohne  weiteres    leserliche  Struktur   und  ihr  ge- 
haltener  Schwung.     Sie    entfernte    sich    von  der  Natur    so   wenig 
wie    Delacroix   oder  Courbet   und   brachte    dabei    eine   Fülle    von 
Arabesken  hervor,    die  dem    naiven  Blick   wohltaten.     Es  entging 
ihm  nicht  das  Abgelegene  dieser  Schönheit.    Sie  schien  den  Fragen 
des  Tages  entrückt,   war   nicht  so  ergreifend,    nicht  annähernd  so 
reich    wie  die  Geste  Delacroix'.     Aber   er   glaubte,    auch    in  dem 
Schwung  Delacroix',  allen  Behauptungen  der  Freunde  zum  Trotz, 
etwas  entfernt  Ahnliches   zu  spüren,  freilich    nicht    mit  dieser  Ge- 


90 


lassenheit,  nicht  mit  dieser  abwehrenden  Kühle,  auch  nicht  so 
sichtbar;  viel  feuriger  und  versteckter  zugleich,  umwallt  von  tausend 
anderen  Elementen.  Vielleicht  dachte  er  an  den  Mentor  seiner 
ersten  Jugend,  den  Delaroche-Schwärmer,  der  gegen  Delacroix  und 
Ingres  die  gleiche  Abneigung  gehabt  hatte.  Er  sagte  sich,  daß 
die  Kameraden  die  Kluft  zwischen  den  beiden  Künstlern  über- 
schätzten; denn  er  fühlte  in  sich  selbst,  was  beiden  gemein  war. 
Er  entdeckte  bei  näherem  Studium  der  Ingresschen  Bilder  manche 
Elemente  in  dem  verkannten  Akademiker,  die  seiner  eigenen  An- 
schauung verwandt  waren,  die  er  selbst  tastend  gesucht  hatte:  die 
rundliche  Fülle  des  Körpers,  seine  räumliche  Ausdehnung,  seinen 
klaren  Umriß. 

Die  Beziehung  zu  Ingres  ist  ein  neuer  Beleg  für  Renoirs 
Traditionsgefühl.  Aber  man  wird  sich,  noch  mehr  als  bei  der 
Betrachtung  seines  Verhältnisses  zu  Delacroix  hüten  müssen,  den 
Einfluß  zu  überschätzen.  Viele  andere  Momente,  vor  allem  natürliche 
Neigung,  ergänzten  die  Anregung.  Auch  die  1881  unternommene 
Reise  nach  Italien,  hat  ihr  Teil  beigetragen.  Wörtliche  Hinweise, 
von  der  Art  derer,  die  den  Einfluß  Delacroix*  charakterisieren, 
fehlen,  wenn  man  nicht  etwa  die  Antwort  Renoirs  dafür  nehmen 
will,  die  er  mir  auf  meine  Frage,  ob  er  sich  mit  Ingres  verwandt 
fühle,  gab:   „Je  le  voudrais  bien." 

Um  das  Jahr  1881  entsteht  das  „Dejeuner  des  Canotiers", 
eine  Hymne  auf  das  Sommerleben  an  der  Seine*).  Junge  Leute  in 
lichten  Kleidern,  die  Männer  zum  Teil  in  armlosen  Trikots, 
sind  unter  einem  Zelt  nach  soeben  beendetem  Mahle  bei- 
sammen. Es  ist  ein  weiterer  Akt  aus  dem  Leben  froher  Jugend, 
das  Renoir  vorher  in  „Moulin  de  la  Galette"  beim  Tanze  gezeigt 
hatte.  Wieder  ein  großes  Format,  aber  mit  viel  weniger  Figuren, 
deren   Verhältnis    zum    Umfang    des    Bildes   grofJ   gT^nug    gewählt 

*)  Das  Bild  hieß  auf  der  Renoir-Ausstellung  von  1883  „Diner  ä  Chatou". 
In  Chatou  sind  damals  mehrere  Bilder  mit  Canotiers  erstanden.  Die  Szene  ist 
ein  Restaurant  am  Pont  de  Chatou,  das  dem  Pere  Fournaise  gehörte.  Diesen 
hat  Renoir  in  dem  Bildnis  des  Mannes  mit  der  Pfeife  verewigt,  das  ebenfalls  auf 
der  Ausstellung  von  1883  hing  und  sich  jetzt  in  der  Privatsammlung  Durand 
Ruels  befindet.  Auch  die  Mere  Fournaise  hat  er  damals  gemalt.  Die  Dargestellten 
sind  Freunde  des  Malers  und  Modelle.  Das  Mädchen  vorn,  das  mit  dem  Hunde 
spielt,  ist  die  spätere  Gattin  des  Künstlers.  Der  Herr  im  Zylinder  im  Hinter- 
grund ist  Renoirs  Gönner  Ephrussy. 


91 


wurde,  um  eine  bis  zur  Porträtähnlichkeit  gehende  DetailHerung 
zu  gestatten.  Von  der  Massenschilderung,  die  sich  auf  den 
flüchtigen  Eindruck  der  Bewegung  beschränkte,  ist  nur  die  aus- 
gleichende Lichtbehandlung  übriggeblieben.  Man  glaubt  die 
Scherze  der  Pärchen  zu  hören,  fühlt  den  Niederschlag  träger 
Zerfahrenheit  nach  den  Freuden  der  Tafel,  wenn  sich  die  ge- 
meinsame Stimmung  in  einzelne  Zwiegespräche  löst.  Diese  ab- 
sichtslos psychologische  Momente  heiterster  Art  streifende  Schil- 
derung wird  mit  wenigen  scharf  beobachteten,  ganz  intimen,  ganz 
typischen  Gesten  gegeben.  Die  Kleine,  die  sich  vorn  am  Tische 
mit  ihrem  Toutou  amüsiert  und  darüber  alles  andere  vergißt,  die 
gedankenlose  Betrachtung  ihres  Gegenübers,  die  kecke  Blague  der 
anderen,  der  lose  Witz,  der  eins  der  Dämchen  im  Hintergrund 
veranlaßt,  sich  die  Ohren  zu  verstopfen,  alle  diese  Dinge  erzählen 
Bücher  von  dem  frohen  Milieu,  in  dem  noch  einmal  der  Geist 
Murgers  lebendig  wird.  Aber  nirgends  tritt  eine  novellistische 
Absicht  hervor.  Alle  Einzelheiten  erhalten  von  der  gleichmäßigen 
Behandlung  des  Pinsels  den  Anschein  des  Zufälligen.  Beabsichtigt 
scheint  nur  ein  lichtvolles  Abbild  gesteigerten  Lebens.  Im  Vorder- 
grund merkt  man  die  vorsichtig  tastende  Absicht,  das  Bild  mit 
abwechselnden  Höhen  und  Tiefen,  Kontrasten  und  Diagonalen  zu 
organisieren.  Der  schräge  Tisch  und  die  kraftvollen  Umrisse  der 
beiden  Canotiers  im  Vordergrund  wirken  wie  die  Hauptäste  des 
Bildes,  um  die  sich  lockere  Zweige  gruppieren.  Noch  läßt  die 
strotzende  Üppigkeit  des  Stillebens  —  eine  weitere  Fortsetzung 
des  Frankfurter  „Dejeuner"  —  kein  geschlossenes  lineares  Gefüge 
zu.  Der  Rhythmus  wird  hier  wie  in  „Moulin  de  la  Galette",  und  zwar 
jetzt  viel  sicherer  als  früher,  von  der  Farbenverteilung  getragen. 
Im  Winter  des  Jahres  1881  ging  Renoir  über  Venedig  nach 
Rom  und  Süditalien.  Daran  schloß  sich  im  Frühjahr  des  folgenden 
Jahres  ein  Aufenthalt  in  Algier,  der  sich  bis  zum  Beginn  des 
Sommers  hinzog.  Die  Bilder,  die  er  in  Italien  malte,  bringen 
keinen  wesentlichen  unmittelbaren  Beitrag  zu  der  Entwicklung, 
die  uns  hier  beschäftigt.  Venedig,  wo  er  mehrere  Landschaften 
malte,  gab  ihm  nur  Farben.  In  Rom  hat  er,  wie  Duret  behauptet, 
gar  nicht  gemalt.  In  Neapel  entstanden  meistens  wiederum  rein 
landschaftliche  Motive,  daneben  aber  mindestens  ein  bedeutungsvolles 
Werk,  ein  sitzendes  nacktes  Mädchen  in  Lebensgröße,  die  blonde 


92 


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93 


„Baigneuse",  in  der  das  Süße  der  südlichen  Zone,  wie  es  einem 
nordischen  Temperament  erscheint,  befreit  von  aller  konventionellen 
Fadheit,  verkörpert  wird.  Das  Bild  ist,  wie  wir  sehen  werden, 
der  Vorgänger  einer  ganzen  Reihe  von  Werken,  in  denen  sich  der 
Künstler  zu  immer  entschiedeneren  Formen  entwickelt.  Den  Zauber 
dieser  „Baigneuse"   aber  hat  er  kaum  je  übertroffen''). 

Von  Neapel  ging  Renoir  nach  Palermo.  Dort  malte  er  Wagner. 
Das  Porträt  ist  etwa  eine  Fortsetzung  der  mit  den  Bildnissen 
Choquets  begonnenen  Art,  die  uns  im  ersten  Augenblick  über- 
trieben weichlich  erscheinen  mag,  bis  wir  merken,  wie  gut  sie 
der  Art  des  Dargestellten  angepaßt  ist.  Der  Wunsch,  Wagner  zu 
malen,  war  mitbestimmend  für  die  Reise  nach  dem  Süden  gewesen. 
Renoir  ist  leidenschaftlicher  Musikfreund  —  man  braucht  es  den 
Kennern  seiner  Bilder  kaum  zu  sagen  —  und  gehörte  mit  Fantin- 
Latour  zu  den  ersten  Bewunderern  Wagners  in  Frankreich.  Er 
hat  1879  für  den  Dr.  Blanche  eine  Dekoration  gemalt,  deren  Motive 
aus  dem  „Tannhäuser"  genommen  waren"^*),  und  manches  andere 
Bild  jener  Zeit  könnte  als  freie,  veredelnde  Interpretation  Wagner- 
scher Motive  gelten.  Das  Bildnis  soll,  wie  Wagner  dem  Maler 
sagte,  das  einzige  nach  dem  Leben  gemalte  Porträt  sein.  Jeden- 
falls ist  es  ein  merkwürdiges  Dokument.  Es  gibt  gewisse  Seiten 
Wagners  mit  verblüffender,  fast  erbarmungsloser  Psychologie.  Es 
steht  dahin,  wie  weit  sie  dem  Maler  bewußt  war;  jedenfalls  beweist 
das  Bild,  wie  frei  sich  der  Künstler  vor  dem  Gegenstand  seiner 
Verehrung  fühlte.  Wagner  war  mit  dem  Resultat  nicht  sonderlich 
zufrieden  und  meinte,  er  gleiche  auf  dem  Bilde  einem  protes- 
tantischen Pastor '^'^'^). 

*)  Nach  Paris  zurückgekehrt,  gab  Renoir  das  Bild  dem  Sammler  Vever  und 
malte  für  Durand  Ruel  eine  Replik,  die  nahezu  alle  Schönheiten  der  ersten  Fassung 
besitzt.  Das  Bild  der  Sammlung  Vever  wrurde  auf  der  Vente  Vever  von  Durand 
Ruel  erworben  und  befindet  sich  heute  in  seiner  Privatsammlung.  Die  Replik 
ist  heute  in  der  Sammlung  P.   Gallimard. 

**)  Es  sind  zwei  Supraporten  die  für  das  Haus  des  Dr.  Blanche  in  Dieppe 
bestimmt  waren.  Renoir  hat  sie  zweimal  gemalt,  da  die  ersten  Exemplare  nicht 
in  den  Maßen  stimmten.  Diese  befinden  sich  bei  Durand  Ruel  und  sind  auf 
S.  43  und  74  abgebildet.  Sie  sind  in  ganz  hellen  Farben  sehr  lose  skizziert  Die 
zweiten  Exemplare,  ebenfalls  aus  1879,  mehr  detailliert  und  nicht  so  glücklich, 
befinden  sich  in  der  Sammlung  Blanche  in  Paris. 

***)  So  erzählte  mir  Cheramy.  Außer  Renoir  war  ein  deutscher  Konkurrent 
mit  derselben  Absicht  zur  Stelle.     Wagner  bewilligte  eine  Sitzung  von  20  Minuten, 


94 


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Baigneuse.     Ende  1881. 


(0,65:0,81) 


95 


Der  Aufenthalt  in  Algier  war  für  Renoir  im  geringeren  Maße 
das,  was  für  Delacroix  die  Orientreise  gewesen  war.  Der  reiche 
Himmel  brachte  die  Farben  zur  vollkommenen  Reife  und  verbannte 
die  letzte  Unsicherheit  des  Koloristen.  So  könnte  man  vermuten, 
die  ganze  Reise  habe  Renoir  eher  von  dem  Wege  entfernt,  den  wir 
ihn  kurz  vorher  einschlagen  zu  sehen  glaubten.  Die  Folge  beweist 
das  Gegenteil.  Er  hat  sicher  auf  der  Reise  neben  allem  anderen 
auch  sein  „Museum"  bereichert  und  sich  mit  Eifer  die  Vorbilder 
Ingres'  in  Rom  angesehen,  auch  wenn  ihm  der  Augenblick  nicht 
das  Mittel  gewährte,  die  neuen  Erfahrungen  zu  nutzen.  Der 
Weiterentwicklung  des  Problems,  das  wir  im  Auge  haben,  ist  die 
Reisestimmung  nicht  förderlich.  Diese  kommt  zunächst  immer  dem 
Impressionisten  zugute.  Und  vergessen  wir  eins  nicht,  das  man 
sich  nie  genug  vor  Augen  führen  kann:  der  Künstler  schafft  nicht, 
um  später  einem  Forscher  die  systematische  Darstellung  seines 
Werdegangs  zu  erleichtern.  Es  ist  fraglich,  ob  sich  Renoir  je  über 
den  Unterschied  zwischen  Farbe  und  Linie  klar  gewesen  ist,  den 
wir  hier,  um  zur  Klarheit  zu  gelangen,  aufstellen,  und  der  vergessen 
werden  muß,  sobald  die  Absicht  erreicht  ist. 

In  mehreren  kurz  darauf  entstandenen  Einzelgruppen,  die  mit 
älteren  Motiven  zusammenhängen,  betont  Renoir  immer  mehr  die 
vereinfachende  bildhafte  Wirkung.  Die  drei  Panneaus  des 
Tanzes,  eine  Illustration  des  Walzers  in  verschiedenen  städtischen 
und  ländlichen  Kostümen  und  Formen  geben  ungefähr  in  Lebens- 
größe je  ein  tanzendes  Paar,  dessen  Silhouette  das  ganze  Bild  füllt. 
Auf  dem  Panneau  „Danse  ä  la  campagne"  der  Sammlung  Decap 
ist  als  Hintergrund  das  Stück  eines  menschenvollen  Biergartens 
mitgegeben,  wie  zur  Erinnerung  an  die  Zeit  des  „Moulin  de  la 
Galette",  von  der  sich  diese  Bilder  schon  so  weit  entfernen.     Das 


und  Renoir  soll  tatsächlich  nicht  länger  g-ebraiicht  haben.  Das  kleine  Bild  befindet 
sich  im  Besitz  des  Herrn  de  Bonnieres  in  Paris.  Eine  Wiederholung^  machte  Renoir, 
ebenfalls  sehr  skizzenhaft,  im  Jahre  1893  für  Cheramy,  der  sie  noch  besitzt  (auf 
S.  155  abgebildet).  Eine  Zeichnung  von  der  Hand  Renoirs,  figurierte,  wie  oben  er- 
wähnt, in  der  „Vie  Moderne"  Jahrgang  1883,  S.  129  mit  der  Unterschrift:  „Portrait 
de  Wagner,  d'apres  le  portrait  a  l'huile  que  Renoir  fit  ä  Palermo  le  15  janvier  1882, 
le  lendemain  du  jour  oü  Wagner  terminait  Parsifal".  Die  Zeichnung  hält  sich 
nicht  ganz  an  das  Gemälde.  Ein  Abdruck  des  Klischees  der  „Vie  Moderne" 
findet  sich  in  Durets  „Peintres  Impressionistes"  p.  32.  Vor  kurzem  hat  Vollard 
eine  Lithographie  Renoirs  nach  dem  Gemälde  herausgegeben. 


96 


La  danse  a  la  campagne.    1883. 
Sammlung  Decap,  Paris. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(0,98:1,80) 


auf  dem  großen  Tanzbilde  flüchtig  dahinflutende  Leben  sammelt 
sich  jetzt  in  mächtigen  Einzelgestalten,  und  man  meint  schon 
die  Elemente  des  Stils  fassen  zu  können,  der  den  Tänzern 
das  Statuarische  verleiht.  Doch  konnte  das  Problem  unzwei- 
deutig nur  mit  der  klassischen  Aufgabe  der  Malerei  entschieden 
werden:  mit  der  Darstellung  des  Nackten.  Auf  diesen  würdigsten 
Gegenstand  richtete  sich  jetzt  die  ganze  Energie  des  Meisters. 
Er  kam  in  vielen  Einzelfiguren  schrittweise  dem  Ziel  näher  und 
erreichte  es  eigentlich  schon  in  der  „Baigneuse"  von  1885,  die 
sich  wie    ihre  vier  Jahre    vorher    entstandene   blonde  Vorgängerin 


97 


La  danse  ä  la  Campag-ne.   1883.   (0,90:1,80) 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris, 

im  Besitz  von  Durand  Ruel  befindet.  Wieder  eine  sitzende  nackte 
Gestalt,  wieder  in  lichten  Tönen.  Aber  während  wir  dem  stillen 
Zauber  des  am  Strande  Italiens  ruhenden  Mädchens  um  so  leichter 
verfielen,  je  weniger  er  von  uns  beanspruchte,  fühlen  wir  hier  den 
Trieb,  uns  ernster  zu  fesseln.  Man  träumt  nicht  mehr  von  dem 
süßen  Sensualismus  eines  glücklichen  Himmelsstrichs.  Stärkere 
Empfindungen  fassen  uns  an  und  zwingen  uns  gebieterisch,  Stellung 
zu  nehmen.  Diesmal  kehrt  die  Gestalt  dem  Betrachter  den  Rücken 
zu  und  greift  mit  beiden  Händen  nach  hinten  in  das  schwere 
kastanienbraune  Haar,  auf  dem  blaue  Reflexe  liegen.  Eine  Wallung 
der  Düne  verbirgt  die  Füße.    Kniee  und  Schenkel  sind  in  ein  dickes 


98 


La  danse  ä  la  vllle.    1883.     (0,90:1,80) 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 

Badetuch  gescKlung-en.  Aus  dieser  weichen,  weißen  Masse  wächst 
der  gewaltige  Umriß  des  Körpers.  Eine  einzige  Linie  scheidet  im 
Halbkreis  Schenkel  und  Tuch  und  steigt  über  die  sanfte  Wölbung 
des  Bauches  zur  vollen  Brust.  Hier  steht  das  Fleisch  unmittelbar 
vor  dem  Horizont.  Die  Linie  läuft  von  der  Brust  in  die  Armkugel 
hinein  und  dann  fast  wagerecht  weit  hinaus  in  den  spitzen  Winkel 
des  Ellbogens.  Wie  eine  Plastik  steht  der  Körper  vor  dem 
Himmel.  Das  Auge  glaubt  ihn  umkreisen  zu  können.  In  Marmor 
übertragen,  würde  man  eine  Schönheit  genießen,  die  unsere  zeit- 
genössischen Bildhauer  bisher  versagen.  Erst  Maillol  hat  begonnen, 
sich  von  der  Geschlossenheit  solcher  Formen  Rechenschaft  zu  geben, 


99 


aber  seiner  rationellen  Gestaltung-  fehlt  etwas  von  der  ungebrochenen 
Natürlichkeit  des  Malers.  Übrigens  ist  Renoir  selbst  eines  Tages  der 
Versuchung  unterlegen  und  hat  zum  Meißel  gegriffen.  Leider  ge- 
schah es  in  sehr  später  Zeit  —  es  ist  erst  wenige  Jahre  her  —  als  die 
schreckliche  Gicht  bereits  die  Hände  erfaßt  hatte.  Immerhin  be- 
sitzen wir  einen  kleinen  Knabenkopf,  den  er  nach  seinem  jüngsten 
Sohne  in  Ton  modellierte  und  dann  als  Medaillon  am  Kamin  des  Eß- 
zimmers seiner  neuen  Villa  in  Cagnes  in  Stein  wiederholen  ließ*). 
Es  fällt  nicht  schwer,  von  diesem  bescheidenen  Zeugnis  eines  die  Ge- 
setze der  Plastik  instinktiv  erfassenden  Bildners  auf  Möglichkeiten  zu 
schließen,  die  vielleicht  nur  der  äußeren  Umstände  bedurften,  um 
zu  Realitäten  zu  werden.  Aber  wir  wären  undankbar,  wollten  wir 
diesen  Möglichkeiten  mit  Bedauern  nachsinnen.  Wichtig  ist,  zu  er- 
kennen, wie  weit  der  Maler  seine  Grenzen  zog,  und  daß  er  der 
Tätigkeit  auf  anderem  Felde  nicht  bedurfte,  um  sie  zu  erweisen; 
noch  wichtiger,  daß  er  mit  diesen  Fähigkeiten  in  den  Grenzen 
des  Malers  blieb.  Die  „Baigneuse"  hätte  in  Stein  eine  herrliche 
Venus  gegeben.  Freuen  wir  uns,  daß  sie  in  Malerei  mit  solcher 
Macht  erstand.  Diese  Venus  Anadyomene  entlehnt  ihre  Reize  keiner 
antiken  Skulptur.  Sie  erweist  ihre  Herkunft  glaubhafter  für  unsere 
Begriffe.  Sie  ist  wirklich  die  Schaumgeborene.  Renoir  läßt  ihr  lichtes 
Email  aus  dem  Farbenzauber  der  Umgebung  hervorgehen  und  ver- 
meidet so  die  unbewegliche  Isoliertheit  gemalter  Plastik.  Was  uns 
Zeichnung  scheint,  ist  konzentrierte  Materie  des  Malers.  Lichte, 
organisch  aus  den  verwendeten  Farben  gewonnene  Abtönungen 
geben  die  Modellierung.  Das  Haar,  die  einzige  dunkle  Stelle, 
ist  nur  an  einer  einzigen  Stelle  oberhalb  der  Stirn  gegen  die 
Luft  gestellt,  sonst  überall  von  dem  prangenden  Fleisch  umgeben. 
Was  die  Linie  schließt,  öffnet  die  Farbe. 

Die  Beteiligung  Ingres'  an  dieser  Schöpfung  und  an  ähnlichen 
erscheint  gering.  Es  ist  nicht  leicht,  zwischen  der  von  Leben 
strahlenden  Frau  dieses  die  Natur  bändigenden  Naturalisten  und 
der  zierlichen  Odaliske  des  Klassizisten  eine  Verwandtschaft  zu  ent- 
decken. Man  mag  Ingres  noch  so  hoch  stellen  und  bei  der  Be- 
urteilung seiner  Kompositionen  alles  mitsprechen  lassen,  was  er 
uns    mit   seinen  Bildnissen    schenkte,    nie  wird  man  sich  ganz  von 

*)  Abg-ebildet  auf  S.  134.  Die  Wiederholung^  in  Stein  machte  ein  Handwerker. 
Die  Photog-raphie  wurde   nach   einem  Gipsabg-uß  des  Tonmodells  g-enommen. 


100 


Baig-neuse.     1885, 

Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,73:0,92) 


101 


der  Last  seiner  Umwege  befreien,  nie  vergessen,  wieviel  Künst- 
liches in  seiner  Art  steckte,  wie  dünn  schließlich  die  Natur  unter 
dem  Druck  seiner  Kunst  wurde.  Nie  werden  bei  dem  Anblick  der 
„Baigneuse"  ähnliche  Schranken  fühlbar.  Die  Form  scheint  nur  die 
Natur  zu  vergrößern.  Der  Begriff  dieses  Stils  formt  sich  erst  nach- 
träglich in  unserem  Bewußtsein,  weil  wir  seine  Wirkung  erkennen. 
Und  welchen  Namen  außer  dem  des  Künstlers  könnten  wir  ihm 
geben?  —  Sicher  sah  Renoir  in  dem  Meister  des  „Bain  Türe"  mehr 
ein  wertvolles  Prinzip  als  ein  für  ihn  wesentliches  Vorbild.  Geht 
es  uns,  die,  getrieben  von  der  verheerenden  Macht  entgegen- 
gesetzter Prinzipien,  Ingres  (Vielleicht  nicht  unbewußt)  überschätzen, 
die  sich  in  der  immer  drohenderen  Anarchie  nach  konservativen 
Elementen  sehnen,  nicht  ähnlich? 

Doch  besteht  zwischen  den  beiden  Künstlern  eine,  wenn  auch 
nur  sehr  zarte  Beziehung.  Sie  wird  viel  deutlicher,  sobald  wir  von 
dem  sitzenden  Typus  der  Baigneuses  absehen  und  die  weniger 
straffen,  nicht  weniger  reizvollen  Motive  mit  liegenden  Frauen  heran- 
ziehen, von  denen  Renoir,  meistens  in  kleinem  Format,  unzählige 
gemalt  hat.  Ihrer  Zartheit  waren  die  Arabesken  Ingres'  leichter 
zugänglich.  Man  muß  an  Corots  Anteil  denken,  um  unter  der 
Üppigkeit  der  Renoirschen  Schönen  die  Linien  Ingres'  zu  ent- 
decken. Renoir  vollendete  die  von  Corot  begonnene  Belebung 
der  Odaliske.  Er  rückte  den  gebenedeiten  Leib,  den  Corot  im 
Dämmerlicht  gesehen  hatte,  in  helle  Sonne  und  malte  ihn  mit 
ungebrochenen  Farben.  Doch  behielt  der  in  vollem  Lichte  aus- 
gestellte Körper  eine  seltene  Gabe:  die  Grazie,  die  besser  als 
Schatten  und  Gewänder  verhüllt.  Eine  Grazie  eigener  Gesittung, 
die  wiederum  den  Unterschied  gegen  Ingres  sehen  läßt  und  zu 
der  Verwandtschaft  mit  Corot  beiträgt.  Ihre  Art  ist  den  Odalisken 
fremd,  so  graziös  sie  auch  ihre  schmiegsamen  Glieder  bewegen. 
Aber  Corots  Mädchen,  die  noch  nicht  zu  den  Nymphen  seiner 
Landschaften  geworden  sind,  die  noch,  sich  selbst  überlassen, 
träumen,  haben  etwas  davon.  Es  ist  die  Grazie  der  Natur,  die 
keines  Bewußtseins  bedarf,  die  sich  aus  angeborenem  Instinkt 
zwecklos  entfaltet,  die  man  nicht  als  Form,  sondern  als  Empfindung 
erkennt.  Dafür  besaß  Renoir  ein  Darstellungsmittel,  das  man  nur 
mit  einem  Paradox  bezeichnen  kann,  seine  Ungeschicklichkeit;  ein 
Paradox,    an    das    uns    die  Natur    mit   vielen  reizenden    Beispielen 


102 


Zeichnung  zu  den   „Baigneuses".     Gegen  1885. 
Sammlung  Prlnce  Wagram,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,94 : 0,75) 


gewöhnt  hat.  Linkisch,  wie  die  rundlichen  Körper  ihre  Glieder 
regen,  ist  der  Strich  des  Malers,  der  sie  festhält.  Es  ist  das 
Linkische  des  Autodidakten,  kann  man  einwenden,  das  einem  Ingres 
fehlt  und  fehlen  mußte;  es  ist  die  geborene  Form  für  einen  Maler, 
wird  man  zugeben,  der  zögernd,  spielend,  tastend  zu  seiner  Art 
von  Vollendung  gelangt;  einer  Vollendung,  die  selbst  auf  ihrem 
höchsten  Punkte  noch  lose  Empfindung  bleibt.  Mehr  als  alles 
andere  bewahrt  dieses  Linkische  des  Malers  die  Gestalten  vor  jeder 
allzu  engen  Berührung  mit  der  Plastik.  Wieder  mag  man  sich 
wie  bei  Cezanne  fragen,  ob  dieses  Ungeschick  nicht  große  Ge- 
schicklichkeit genannt  werden  müßte. 

Erst  ein  kluger  Meister  der  folgenden  Generation  sollte  die 
Rundung  im  Sinne  Ingres'  vollenden.  Aber  was  wäre  Maurice 
Denis,  wenn  man  in  der  Linienreinheit  seiner  spiritualisierten  Wesen 
nicht  einen  letzten  Rest  der  drolligen  Ungelenkigkeit  Renoirs  ent- 
deckte. Daß  uns  Bonnard  näher  steht,  verdankt  er  vielleicht  nur 
seiner  tieferen  Verwandtschaft  mit  der  Natürlichkeit  Renoirs. 


103 


Zeichnung  zu  den   „Baigneuses".     1885. 
Sammlung  Vollard,  Paris. 

In  der  großen  Badeszene  von  1885  der  Sammlung-  Blanche, 
stellte  Renoir  die  gewonnenen  Typen  seiner  Baigneuses  zum  ersten 
Male  zu  einem  figurenreichen  Gemälde  zusammen"^).  Der  Winkel 
eines  Waldsees  mit  fünf  Mädchen  am  Ufer  und  im  Wasser.     Zwei 


*)  Die  flüchtige  Wiederholung  des  Bildes,  die  sich  bei  V'^olla'-d  befindet, 
malte  Renoir  gegen  1902.  Es  ist  die  Ergänzung  eines  aufgegebenen  alten  Ent- 
'AOirfs,  auf  dem  sich  ursprünglich  nur  die  beiden  Mädchen  zur  Linken  befanden, 
und  zwar  die  eine  von  ihnen,  die  Hauptgestalt  des  zweiten  Plans,  in  wesentlich 
geänderter  Stellung.  Renoir  fügte  den  rechten  Teil  hinzu  und  übermalte  das 
Ganze  in  wenigen  Stunden,  lediglich  darauf  bedacht,  die  Gestalten  in  Atmosphäre 
zu  hüllen,  ohne  Rücksicht  auf  die  eigentlichen  Vorzüge  des  Hauptwerks.  Die 
Wiederholung  ist  mehr  ein  interessanter  Beleg  für  die  Modifikation  der  An- 
schauung Renoirs  in  dem  letzten  Jahrzehnt  als  eine  Ergänzung  des  Werkes. 
(Siehe  die  Abbildung  unter  den  Werken  des  vierten  Kapitels.) 


104 


Zeichnung-  zu  den   „Baigneuses".     1885. 
Sammlung  Vollard,  Paris. 

liegen  und  sitzen  auf  ihren  Badetüchern,  eine  dritte  steht  im  Wasser 
und  droht,  die  eine,  die  schon  trocken  ist  und  abwehrend  Hand 
und  Beine  hochstreckt,  zu  bespritzen;  im  Hintergrund,  im  Wasser 
noch  zwei  andere  Mädchen,  das  eine  von  ihnen  mit  der  bekannten 
Pose,  die  Hände  im  Haar. 

Das  Bild  spielt  im  Werke  des  Meisters  eine  bedeutsame  Rolle. 
Er  hat  sich  lange  damit  beschäftigt,  hat  viele  Zeichnungen  dafür 
gemacht  und  ist  später  wiederholt  auf  das  Motiv  zurückgekommen. 
Es  stellt  eine  der  Höhen  Renoirs  dar,  nicht  die  einzige,  auch  nicht 
die  höchste,  sowie  die  Entwicklung,  die  es  krönt,  keineswegs  die 
einzige  dieses  reichen  Daseins  ist.  Es  ist  ein  Sammelpunkt,  der 
Forscher  verdankt  ihm  die  wertvollsten  Aufschlüsse.  Man  kann 
von    hier  aus    zurück    und    vorwärts    am    besten    das    ganze  Werk 


105 


überblicken  und  —  soviel  mögen  mir  die  zahlreichen  Freunde 
Renoirs,  die  mit  diesem  Bilde  nicht  einverstanden  sind,  zugeben  — 
es  ist  seiner  ganzen  Art  nach  einzig;  es  gibt  keine  zweite  Mani- 
festation der  französischen  Kunst  des  neunzehnten  Jahrhunderts, 
aus  der  man  so  weitgreifende  Hinweise  ähnlicher  Art  gewinnen 
könnte. 

Von  den  fünf  Mädchen  des  Bildes  sind  nur  die  drei  im  Vorder- 
grund entscheidend;  die  beiden  anderen,  von  denen  man  nur  Teile 
sieht,  gehören  zur  Bewegung  des  Wassers  und  wurden,  wie  die 
Zeichnungen  beweisen,  von  dem  Landschafter  hinzugefügt.  So 
wird  also  die  Verminderung  der  figürlichen  Teilnehmer  fortgesetzt, 
die  wir  schon  in  der  Etappe  zwischen  den  beiden  vorhergehenden 
Hauptwerken,  von  dem  „Moulin  de  la  Galette"  zu  dem  „Dejeuner 
des  Canotiers",  bemerkten.  Die  Masse,  die  der  Impressionist  zur 
Belebung  des  Bildes  brauchte,  verschwindet  zugunsten  des  Typus. 
Mit  dem  Typus  bereichert  sich  das  lineare  Element.  Die  Kom- 
position im  Sinne  der  Alten  tritt  in  keinem  anderen  Bilde  stärker 
hervor»  Und  in  keinem  anderen  tritt  der  Impressionismus  weiter 
zurück.  Die  Körper  sind  nicht  aus  jener  losen  Fleckenkunst 
gewonnen,  die  dem  Auge  überläßt,  die  Form  zu  bilden.  Hart 
und  fest  wie  kalligraphische  Zeichen  stehen  sie  vor  uns,  aus  einer 
dichten  Materie  gebildet,  deren  Einzelheit  man  für  ein  aus  ge- 
schmolzenen Perlmutter  gewonnenes  Email  nehmen  könnte.  Man 
kann  sich  nichts  dem  Geiste  der  Manet,  Cezanne  und  Monet 
Fremderes  denken  als  diese  Körper. 

Aber  wenn  das  aktuelle  Mittel  dem  Anschein  nach  ver- 
schwindet, die  Geistesart  des  Schöpfers  dieses  Bildes  wird  uns  da- 
durch nicht  entfremdet.  Wir  fühlen  Renoir  ebenso  greifbar,  wie  wir 
diese  Körper  sehen;  nur  schärfer  umrissen,  endgültiger  als  vorher. 
Die  neue  Art  entsteht  aus  der  früheren,  aber  wächst  über  vieles 
vorher  Geschaffene  hinaus,  und  wir  genießen  die  Unabhängigkeit 
von  der  Aktualität  wie  die  stolze,  allem  Kleinlichen  entrückte 
Geste  eines  Denkmals. 

Man  muß  weit  zurückgehen,  um  die  Quellen  des  Werkes  zu 
finden.  Die  unmittelbaren  Anreger  des  Künstlers  bleiben  außerhalb 
der  eigentlichen  Szene,  auch  Ingres,  an  den  man  am  ersten  denken 
könnte.  Ingres  wäre  über  die  Zumutung,  vier  strampelnde  Beine  auf 
einem  Fleck  zu  zeigen,  außer  sich  geraten.    Von  den  zwanzig  oder 


106 


Zeichnung  zu  den   „Baigneuses".     1885. 
Früher  Sammlung  J.  und  G.  Bernheim,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(Annähernd  Größe  des  Bildes.) 


dreißig"  Weibern  im  „Baiii  turc"  sieht  man  kaum  vier  Füße.  In  dem 
Bruch  mit  dieser  traditionellen  Behutsamkeit,  die  alles  versteckt,  was 
der  getragenen  Pose  gefährlich  werden  könnte,  zeigt  sich  ein  neuer 
Geist.  Renoirs  Form  ist  aus  einem  unvergleichlich  größeren  Roh- 
material gewonnen,  schon  aus  diesem  Grunde  reicher  an  Variationen. 
Wohl  kommt  etwas  von  dem  Frauenhaften  des  „Bain  turc"  in  den 
„Baigneuses"  wieder,  aber  was  außerdem  in  dem  Renoir  steckt, 
findet  sich  nicht  in  dem  „Bain  turc".  Wie  Puppen,  die  gewisse  Seiten 
von  Frauen  wunderbar  vorspiegeln,  sitzen  die  nackten  Sklavinnen 
Ingres'  in  dem  engen  Raum.  Ihre  Existenz  ist  beschränkt  wie  das 
Dasein  der  Frauen  im  Harem,  und  sie  gleichen  seltenen,  im  Treib- 
haus gezogenen,  Blumen.  Renoirs  Mädchen  sind  im  Freien,  und 
man  spürt  sie  als  freie  Wesen.  Die  Natur  ist  ihr  Harem.  Auch 
jetzt  noch  in  der  Strenge  der  Form  scheint  ihrem  Wesen  keine 
Schranke  gezogen,  und  nur  ihre  strahlende  Gesundheit  wird  zum 
Stil.  Nie  dringt  Ingres'  Erscheinung  so  tief,  nie  sichert  er  so 
mächtig  die  Tiefe,  wie  es  hier  mit  der  Gestalt  des  zweiten  Plans 
geschieht,  die  wie  eine  vielarmige  Klammer  den  Raum,  nach  allen 


107 


Seiten  umfaßt.  Und  so  scheint  das  ganze,  mächtig  in  uns  ein- 
dringende Bild  einen  größeren  Komplex  von  Zeit  und  Kultur  zu 
umfassen.  Der  Gedanke  dringt  weit  über  Ingres  hinaus  und  spürt 
in  dem  vorhergehenden  Jahrhundert  ähnlichen  Formen  nach.  Ich 
habe  bei  einer  anderen  Gelegenheit  die  „Baigneuses"  und  Frago- 
nards  Bild  gleichen  Titels  im  Louvre  verglichen  und  kam  zu  keinem 
Resultat.  Wir  wissen,  wieviel  in  Renoir  vom  Dixhuitieme  steckt. 
Alles,  was  man  an  ihm  dekorativ  nennen  könnte,  hängt  dam.it 
zusammen.  Die  Panneaux  für  Blanche,  die  wertvollere  Dekoration 
für  Charpentier,  von  der  hier  ein  Stück  abgebildet  ist,  alles  Sachen, 
die  kurz  vor  den  „Baigneuses"  entstanden,  gehören  dahin.  Es 
sind  leichte,  duftige  Improvisationen,  die  den  Salon  einer  Du  Barry 
schmücken  könnten.  Nichts  findet  sich  davon  in  dem  Bilde.  Herr 
Blanche,  der  Besitzer,  brachte  mich  auf  eine  Spur.  Seinem  Winke 
folgend,  fand  ich  im  Park  von  Versailles,  in  den  Blei-Reliefs,  die 
das  schöne  Bassin  der  Allee  des  Marmousets  schmücken,  das 
Vorbild  des  Werkes.  Die  Reliefs  sind  von  dem  1715  gestorbenen 
Girardon,  dem  die  Gärten  von  Versailles  so  viel  Schönes  ver- 
danken, und  stellen  das  Bad  der  Diana  dar.  Nackte  Frauen 
spielen  im  Wasser;  einige  liegen  am  Ufer.  Unter  ihnen  findet 
man  eine  in  der  Haltung  der  Hauptgestalt  unseres  Bildes  ähnliche 
Gestalt.  Auch  die  kleinere,  die  im  Wasser  steht  und  mit  den 
Händen  zu  spritzen  droht,  kommt  wieder,  und  das  ganze  Motiv 
ist  ähnlich.  Renoir  hat  es  gezeichnet.  Ich  habe  die  Zeichnung 
bisher  nicht  finden  können.  Blanche  hat  sie  gesehen,  sie  war  im 
Besitz  des  Sammlers  und  Malers  Maitre,  des  Freundes  Renoirs. 
In  einem  der  ersten  Entwürfe,  auf  dem  die  Komposition  noch  aus 
sieben  Gestalten  bestand  (Sammlungen  Vollard  und  Prince  Wagram), 
ist  die  Beziehung  noch  deutlicher. 

Es  ist  im  wesentlichen  eine  gegenständliche  Beziehung,  weniger 
greifbar  als  die  von  Pauli  nachgewiesene  merkwürdige  Beziehung  des 
„Dejeuner  sur  l'herbe"  von  Manet  zu  dem  Stich  von  Marc  Anton. 
Die  Formen  haben  wenig  gemein.  Man  spürt  in  dem  Renoirschen 
Gemälde  das  Relief.  Aber  der  Ausdruck  geht  weit  über  das 
schäkernde  Spiel  der  zierlichen  Figuren  Girardons,  die  wie 
plätschernde  Wellen  die  Fläche  malerisch  bewegen,  hinaus.  In  dem 
Renoir  treffen  sich  ältere,  stärker  wogende  Rhythmen  der  französischen 
Kunst.     Man    denkt    an    herbere  Darstellungen   der  Frau,    an    eine 


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stolzere  Plastik,  an  eine  Diane  de  Poitiers,  an  die  schlanken  Linien 
einer  stolzeren  Malerei,  an  jenes  lichte,  jugendfrische  Bild  eines 
Unbekannten  des  siebzehnten  Jahrhunderts,  das  als  seltenes  Kleinod 
einer  verschollenen  Schule  den  Louvre  ziert:  die  jagende  Diana. 
Es  gibt  Bilder,  die  wie  Wecker  wirken,  die  mit  ihrer  Kraft  ganze 
Reihen  vergessener  Beziehungen  aufdecken.  Es  ist,  als  trete  ein 
junger  Fürst  in  den  lange  verlassenen  Saal  der  Ahnen  und  nähme 
mit  seiner  frohen  Stimme  allein  den  Staub  von  den  Wänden. 
Der  Wald  von  Fontainebleau,  in  dem  der  junge  Renoir  die  „Lise" 
malte,  lichtet  sich  und  läßt  das  zinnenreiche  Schloß  des  pracht- 
liebenden Franz  I.  erkennen,  der  aus  Italien  die  Künstler  zu  sich 
rief.  Wir  erblicken  hinter  Primaticcio,  dem  Führer  der  alten  Schule 
von  Fontainebleau,  die  großen  Meister  des  Schwesterlandes.  Sie 
scheinen  in  neuem  Gewände  aufzustehen,  von  einem  Hauch  jener 
Frische  belebt,  die  das  Werk  des  Enkels  bewegt.  Alles  Große 
der  lateinischen  Kunst,  das  sich  mit  lichter  Freude  am  Dasein 
vereint  —  und  was  ließe  sich  in  jener  frohen  Kunst  nicht  mit  ihr 
vereinen!  —  scheint  lebendig  zu  werden. 

In  den  „Baigneuses"  drängt  der  Schwung  der  Renaissance 
die  spielerischen  Reize  späterer  Zeiten  in  den  Hintergrund.  Er 
unterdrückt  sie  nicht,  wir  fühlen  sie  in  der  Landschaft,  die  dem 
Bilde  die  wallende  Harmonie,  den  Gestalten  die  unentbehrliche 
Luft  zum  Atmen  gibt.  Aber  er  ist  die  Dominante  des  Bildes. 
Alles  Dekorative,  das  so  viele  Bilder  der  Zeit  ziert,  tritt  zurück, 
und  wir  genießen  eine  seltene  Gabe  der  modernen  Malerei,  die 
uns  mit  den  Eigenheiten  der  zeitgenössischen  Kunst  nur  schwer 
vereinbar  erscheint:  das  Monumentale. 

Täuschen  wir  uns  nicht  über  den  Begriff  der  modernen  Kunst. 
Der  Impressionismus  hat  nicht  alle  künstlerischen  Absichten 
unserer  Zeit  absorbiert.  Als  Renoir  dieses  Bild  malte,  hatte  Puvis 
de  Chavannes  bereits  seinen  Ruf  als  Monumentalmaler  begründet. 
In  England  saßen  die  Präraffaeliten  in  ihrer  sicheren  Festung. 
Deutschland  hatte  seinen  Böcklin.  In  Skandinavien  regten  sich 
andere  Stilisten.  Und  bald  begann  in  allen  Ländern  die  Reaktion 
auf  den  Impressionismus.  In  Frankreich  versuchten  Künstler,  die 
aus  dem  Impressionismus  hervorgegangen  waren,  wie  Seurat, 
Gauguin  und  van  Gogh,  gewisse  Besitztümer  ihrer  Lehrer  zu 
erhalten  und  in  neuen  Schulen  fortzupflanzen.     Die  Stilbewegung 


110 


in  anderen  Ländern,  zumal  in  den  g-ermanischen,  verzichtete  darauf 
und  griff,  wie  in  England  der  Präraffaelitismus,  ohne  genügende 
natürliche  Vermittlung  auf  alte  Stilelemente  zurück. 

Der  Zeit  nach  gehören  alle  diese  Erscheinungen  zur  modernen 
Kunst,  dem  Geiste  nach  nur  sehr  wenige.  Den  meisten  ist  die 
große  Leistung  der  Generation  Manets  eine  auf  sich  selbst  be- 
schränkte Erscheinung,  gut  für  den  Amateur.  Sie  erblicken  nicht 
in  ihr  eine  organisch  entwickelte  Form  nicht  nur  der  Malerei, 
sondern  des  Geistes  unserer  Zeit,  so  sicher  zeugend  für  unsere 
Epoche  wie  die  Romane  Flauberts  und  Dostojewskis,  so  voll  von 
Neuheit  wie  die  Malerei  Venedigs  im  sechzehnten,  die  der  Hol- 
länder im  siebzehnten  Jahrhundert  und  so  wenig  in  der  Zirku- 
lation der  Kunst  zu  entbehren,  wie  jene  Eroberungen  vergangener 
Epochen.  Die  Sehnsucht  nach  einfachen  Formen,  die  Abneigung 
gegen  die  analytischen  Absichten  des  Impressionismus  ist  eine 
natürliche  Folge,  aber  der  Widerstand  muß  sich  als  positive 
Leistung  erweisen,  soll  er  nicht  zur  belanglosen  Reaktion  führen. 
Die  nach  geschlossenen  Linien  und  Farben  sehnsüchtigen  Stilisten 
vergessen  zuweilen,  daß  man  erst  etwas  haben  muß,  das  sich 
lohnt,  abgeschlossen  zu  werden,  bevor  man  das  Gehäuse  für  solche 
Zwecke  errichtet.  Sie  sind  Fassadenarchitekten,  die  nicht  an  die 
innere  Einrichtung  des  Hauses  denken,  und  begnügen  sich  mit  hohlen 
Formen.  Es  ist  fraglich,  ob  unsere  zerrissene  Zeit  noch  einen 
mit  den  Künsten  in  unmittelbarer  Verbindung  stehenden  Stil  her- 
vorzubringen vermag.  Es  fehlen  ihr  dafür  nahezu  alle  sozialen 
Bedingungen.  Aber  so  viel  steht  fest,  daß  kein  Archaismus,  und 
sei  er  auch  noch  so  versteckt,  dahin  gelangen  wird.  Alle  solchen 
einseitigen  Stilversuche  scheinen  im  Gegenteil  nur  geeignet,  die 
Fiktion  des  Daseinszwecks  der  Kunst  in  unserer  Zeit  noch  mehr 
zu  durchlöchern.  Sie  entwürdigen  ein  hohes  Symbol  der  Gesittung 
zu  einem  Gegenstand  der  Spielerei.  Nur  eine  ohne  Knebelung 
der  Empfindung,  aus  der  spezifischen  Formenwelt  unserer  Zeit 
gewonnene  Sprache  hätte  Aussicht,  zu  dem  allgemein  angenommenen 
Begriff  zu  werden,  den  wir  Stil  einer  Epoche  nennen.  Sie  wird 
nur  dann  künstlerischen  Wert  besitzen,  wenn  sie  sich  an  den  er- 
gänzenden Formen  der  Vergangenheit  sättigt  und  mit  der  Über- 
lieferung durchtränkt.  Steht  das  Alte  im  Vordergrund,  ist  es  nicht 
so  aufgegangen  in  der  neuen  Form  wie  das  Alte,  das  wir  in  dem 


111 


Bilde  Renoirs  erkennen,  in  seiner  neuen,  ihm  eigenen  Anschauung-, 
so  bleibt  das  Resultat  wertlos,  ebenso  wertlos  wie  die  Versuche 
der  jüngsten  Franzosen,  die  es  umgekehrt  machen  und  mit  neuen, 
außerhalb  aller  Tradition  liegenden  Formen  zu  einem  Stil  gelangen 
zu  können  glauben. 

Deshalb  wird  man  mein  Interesse  an  dieser  Periode  des 
Meisters  verzeihlich  finden.  Weniger  als  Bild  unter  den  vielen 
Meisterbildern  Renoirs  scheinen  die  „Baigneuses"  (und  die  damit 
zusammenhängenden  Bilder)  bedeutend  —  darüber  mag  man  streiten 
—  vielmehr  als  einer  der  unendlich  seltenen  Hinweise  unserer  Zeit 
auf  die  Möglichkeit  einer  einfachen,  ohne  Kompromisse,  ohne 
wesentliche  Verzichte  gewonnenen  monumentalen  Form.  Ich  sage 
Hinweis  und  meine  nicht,  hier  sei  das  Ziel  schon  erreicht.  Es 
kann  mit  dem  Willen  des  Künstlers  allein  bekanntlich  nicht  erreicht 
werden.  Noch  haben  wir  ein  Staffeleibild  vor  uns.  Aber  es  geht 
uns  hier  wie  vor  manchen  Werken  von  Marees,  von  denen  man 
glauben  möchte,  daß  sie  lediglich  durch  eine  mechanische  Ver- 
größerung zum  Denkmal  verwandelt  werden  könnten.  Was  daran 
fehlt,  ist  nur  noch  unser  Unvermögen,  würdiger  Denkmäler  unserer 
Art  zu  bedürfen. 

Und  daran  mußte,  wie  es  sich  nahezu  von  selbst  versteht, 
diese  Periode  des  Meisters  versiegen.  Es  fand  sich  kein  Staat, 
um  diesem  Künstler  ein  Denkmal  zu  übertragen.  Der  bis  zur 
Selbstopferung  gesteigerte  Altruismus  eines  isolierten  Deutschen,  der 
zwei  Jahre  darauf  in  Rom  unbekannt  und  verlacht  aus  dem  Leben 
ging,  war  dem  Franzosen  nicht  gegeben,  konnte  ihm  nicht  gegeben 
sein.  Er  blieb  in  seinem  Land,  umgeben  von  Kunst  und  von 
Künstlern.  Die  Gründe  fehlten,  die  einen  Marees  getrieben  hatten, 
das  seine  zu  verlassen  und  sich  aus  einem  Atelier  eine  bessere 
Heimat  zu  zimmern. 

Renoir  ging  auf  diesem  Wege  nicht  weiter,  aber  er  versuchte, 
die  erlangten  Vorteile  auf  andere  Gebiete  seines  Schaffens  zu 
übertragen.  Viele  Bilder  jener  Zeit  werden  mehr  oder  weniger 
von  der  Strenge  der  „Baigneuses"  getroffen.  Die  Form,  die  sich 
vorher  immer  weiter  auszudehnen  schien,  um  die  Farben  aufzu- 
nehmen, zieht  sich  zusammen  und  sucht  dabei  die  Farbigkeit  noch 
zu  erhöhen.  Ein  die  Farbe  und  die  Linie  bestimmendes  Schema 
gibt  den  freiesten  Erscheinungen  eine  vorher  nicht  erreichte  Prägnanz. 


112 


Doch  wird  das  Schöpferische  in  nichts  gehindert.  Der  Aufschwung 
der  Renoirschen  Produktion  um  die  Mitte  der  achtziger  Jahre  läßt 
die  reiche  Ernte  um  die  Mitte  der  siebziger  Jahre  weit  hinter  sich. 
Der  Reichtum  der  Arten  wiederholt  sich  auf  einem  weit  höheren 
Niveau.  In  den  Werken  wirkt  eine  geeintere,  mächtigere  An- 
schauung, und  sie  verdoppelt  gleichsam  die  Vielheit  der  Motive. 
Neben  den  „Baigneuses"  steht  das  bedeutendste  Gruppen- 
bildnis Renoirs.  Es  ist  das  große  Gemälde  der  Berliner  National- 
galerie,  das  Interieur  mit  den  drei  Kindern  „L'apresmidi  des 
enfants  ä  Wargemont".  Renoir  malte  es  schon  im  Sommer 
1884  in  dem  kleinen  Orte  Wargemont  an  der  Küste  bei  Dieppe, 
auf  der  Besitzung  eines  reichen  Mannes,  namens  Berard,  für  den 
er  damals  mehrere  Bilder  geschaffen  hat.  Die  Dargestellten  sind 
die  Töchter  des  Herrn  Berard.  Renoir  hat  sie  vorher  wiederholt 
in  Einzelbildnissen  gemalt.  Sie  sind  in  einem  Raum,  den  nur  die 
moderne  Kunst  darstellen  konnte.  Früher  hat  es  solche  Zimmer 
in  der  Malerei  nicht  gegeben,  und  man  ist  vor  dem  Bilde  ver- 
sucht, sich  zu  fragen,  ob  es  solche  Zimmer  je  vorher  in  der 
Wirklichkeit  gab.  Es  ist  ein  Sommerhaus  draußen  auf  dem  Lande, 
dessen  Wände  der  Sonne,  der  Freude  nicht  den  Einlaß  ver- 
wehren. Ein  Sitz  der  Sonne.  Das  Licht  flutet  hindurch.  Ein  Licht, 
das  nicht  blendet,  nicht  erhitzt,  nicht  erschlafft,  das  den  Schatten 
entbehrlich  macht.  Eine  Lichtatmosphäre,  die  diesen  Menschen, 
diesen  Dingen  natürlich  ist,  da  sie  mit  ihnen  entstand.  Eigentlich 
ist  der  Raum  ebensogut  Sitz  eines  Märchens.  Farben  leben  darin. 
Sie  brauchten  nichts  Gegenständliches  zu  geben,  so  reich  ist  ihr 
Dasein  an  sich.  Die  Rosa,  die  lichten  Grün,  das  Blau  und  Rot 
und  vor  allem  das  Orange  scheinen  die  Personen  des  Märchens. 
Sie  spielen  miteinander.  Die  blauen  und  grünen  Töne  vereinigen 
sich  in  dem  weißgeränderten  Sofa.  Stellenweise  liegt  das  Grün 
als  Hauch  auf  dem  Blau;  an  den  hellsten  Stellen  scheint  das  Ge- 
menge ganz  vom  Licht  absorbiert.  Noch  heller  steht  dahinter  die 
holzgetäfelte  Wand,  in  der  das  Blau  fast  zu  Weiß  verdunstet.  Auf 
dem  Sofa  aber  sitzt  das  reizendste  Mädel,  das  Renoir  je  gemalt 
hat  und  ist  mit  tiefem  Ernst  ganz  bei  der  Lektüre  des  rotgetupften 
Bilderbuchs.  (Welcher  Genremaler  hat  dergleichen  je  so  charak- 
teristisch geschildert!)  Etwas  von  dem  Duft  der  Tänzerin  des 
Jahres  1874  umgibt  die  Kleine,  aber  berührt  kaum  ihr  eigentliches 


113 


Wesen.  Dies  ist  greifbar  da,  mit  allen  Details,  sachlich,  leibhaftig. 
Über  den  schlanken  Beinchen  (in  glatten  Strümpfen  von  dumpfem 
Dunkelblau)  sitzt  das  kokette  Röckchen,  blau  und  weiß  kariert; 
darüber  prall  das  Trikot  im  Blau  der  Strümpfe,  und  darauf 
das  Köpfchen  im  goldigsten  Duft  des  Orange.  Dieselben  Farben 
kommen  immer  wieder,  in  starken  und  in  feinsten  Kontrasten. 
Sähe  man  sie  außerhalb  des  Bildes  nebeneinander,  so  würde  man 
es  für  unmöglich  halten,  aus  dieser  krassen  Buntheit,  fast  ohne 
Mischung,  ein  Zimmer  mit  Menschen  zu  schaffen,  von  so  subtilen 
Eigenschaften,  wie  sie  das  lesende  Mädchen  zeigt.  Der  Verteilung 
gelingt  alles.  Sie  läßt  die  aus  Orange  und  Rot  gewonnene  Farbe 
des  Haares  des  ältesten  Backfisches  in  dem  spiegelnden  Parkett 
wiederkommen,  wiederholt  das  Orange,  zu  Rot  und  Grün  gestellt, 
in  den  Gardinen  und,  dunkler  durchwirkt,  in  der  Tischdecke. 
Und,  wohl  verstanden,  alles  das  mit  einer  äußerst  beschränkten 
Anzahl  von  Tönen,  mit  einer  derben  pastosen  Materie.  Mit 
Abtönungen  ist  alles  erreichbar.  Nie  aber  wäre  mit  ihnen 
der  starke  Klang  des  Bildes  gelungen.  Renoir  beschränkt 
die  Töne  innerhalb  derselben  Farbe  auf  ein  Minimum.  Nur 
das  Blau  ist  reich  degradiert.  Es  geht  vom  tiefsten  Ton 
in  dem  Blumentopf  mit  den  grünroten  Blumen  zu  der  lichten 
Wand,  aber  ist  fast  identisch  als  farbiges  Stilmittel  wiederholt 
in  allen  Augen  der  Gesichter,  hier  von  einem  reinen  Ultra- 
marin, das  wie  frisch  gebrochener  Stein  wirkt.  Die  Orange,  Rosa 
und  Rot  werden  im  wesentlichen  nur  durch  die  Mengen  und  die 
Kontraste  modifiziert  und  haben  wenig  Töne.  Das  Orange  ver- 
schärft sich  nur  in  dem  gelben  Stuhl,  behält  sonst  ungefähr  den- 
selben Tonwert.  Auch  das  Grün  bewegt  sich  im  Zimmer  auf 
annähernd  gleicher  Höhe.  Jenseits  des  Fensters  aber  zaubert  der 
Impressionist  daraus  einen  Reichtum  lichter  Töne,  die,  ohne  bestimmte 
Dinge  zu  umkleiden,  die  Vorstellung  lachender  Natur  erwecken. 
In  den  Figuren,  abgesehen  etwa  von  dem  Mädchen  auf  dem 
Sofa,  das  sich  um  eine  merkbare  Nuance  von  den  anderen  unter- 
scheidet, ist  von  einem  auflösenden  Impressionismus  nichts  zu 
spüren.  In  ihnen  kommt  wieder  der  Maler  der  „Baigneuses"  zum 
Wort,  und  es  ist  merkwürdig,  wie  er  neben  dem  Koloristen, 
ja,  mit  Hilfe  des  Koloristen,  Geltung  gewinnt.  Die  festen  runden 
Gestalten   der   Gruppe   wurden   ganz   synthetisch  geschaffen.     Die 


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Gesichter  sind  bei  aller  Wahrscheinlichkeit  des  Bildnishaften  zu 
Typen  geworden*).  Die  Vereinfachung  bringt  sie  der  in  ganz 
gleichen  Farben  gemalten  Puppe  nahe,  die  dem  ältesten  Mädchen 
auf  dem  Schoß  sitzt.  Diese  Puppe  ist  gewissermaßen  der  Anfang 
einer  stufenweisen  Steigerung  des  physiognomischen  Ausdrucks. 
Das  Wagnis,  Menschen  nach  dem  Schema  eines  Spielzeugs  zu 
bilden,  war  außerordentlich  im  Jahre  1884  und  mag  noch  heute, 
trotz  der  hundert  Stilisierungen  unserer  Zeit,  auf  überzeugungstreue 
Naturalisten  wie  ein  Hohn  auf  die  ahnenreiche  Menschheit  wirken. 
Dem  Kunstfreunde  ist  die  damit  erlangte  Festigkeit  des  Figür- 
lichen unentbehrlich.  Dadurch  erhält  die  logische,  aber  in  ihrer 
kühnen  Konsequenz  über  alle  Tradition  weit  hinausgehende  Har- 
monie der  Farben  Maß  und  Ziel.  Man  weiß  nicht,  wie  es  zugeht, 
daß  sich  die  in  diesem  Bilde  mit  solcher  Entschiedenheit  entwickelten 
Elemente  der  Farbe  und  der  Linie  das  Gleichgewicht  halten.  Viel- 
leicht wäre  das  gleiche  Resultat  bei  einer  Darstellung  des  Nackten 
nicht  zu  erreichen  gewesen.  Das  Problem  in  den  „Baigneuses" 
war  einfacher.  Die  Kostüme  und  die  Einzelheiten  des  Interieurs 
sind  unübersehbare  Hilfen,  aber  waren  auch  ebensoviel  Klippen. 
Es  gehörte  ein  Renoir  dazu,  um  mit  allen  Gegebenheiten  zu  dem 
äußersten  Grade  von  Realisierung  zu  gelangen  und  ein  Werk  zu 
schaffen,  das  wie  die  „Baigneuses"  aller  Vorteile  strenger  Stili- 
sierung teilhaftig  ist,  ohne  daß  wir  ein  übernommenes  Stilelement 
nachzuweisen  vermöchten.  Damit  mag  der  merkwürdige  Gefühls- 
inhalt des  Werkes  zusammenhängen,  der  Eindruck  eines  Bildnisses, 
das  mit  seiner  ganzen  Sachlichkeit  in  die  Gefilde  des  Märchens 
übergeht. 


*)  Bei  der  Ausbildung  des  Typischen  kam  Renoir  die  Vertrautheit  mit  den 
Dargestellten  zu  statten,  die  er  vorher  einzeln  gemalt  hatte.  In  den  Einzel- 
bildnissen hatte  er  mit  größter  Gewissenhaftigkeit  alle  Züge  der  Gesichter 
studiert  und  nach  einem  linearen  Ausdruck  gesucht.  Die  merkwürdigste  dieser 
Vorstudien,  die  so  wenig  von  den  gewohnten  Studien  des  Malers  haben,  ist  das 
Mädchen  im  Besitz  des  Sammlers  Gangnat,  der  es  auf  der  Vente  Berard  erwarb. 
Es  ist  dasselbe  Mädchen,  das  in  dem  Berliner  Gemälde  auf  dem  Sopha  sitzt. 
Alle  Details  sind  mit  der  Genauigkeit  eines  Prärafaeliten  gezeichnet.  Jede  Improvi- 
sation ist  peinlich  vermieden,  die  Tusche  verschwindet  nahezu,  die  Fläche  ist  glatt 
v/ie  auf  einem  Ingres.  Man  könnte  an  eine  vergrößerte  Miniatur  auf  Elfenbein 
denken  und  ist  stets  aufs  neue  erstaunt,  wenn  man  dieses  Bild  mit  dem  bei  aller 
Derbheit  weichen,  luftigen  Berliner  Gemälde  vergleicht. 


116 


Der  Umfangf  der  Wirkung  erhebt  das  Bild  über  alle  vorher- 
gehenden Gruppenbildnisse.  Man  mag  manche  Eigenschaften  der 
„Familie  Charpentier"  vermissen,  das  Virtuosentum  von  altmeister- 
lichen Gnaden,  das  alles,  was  Pinsel  und  Farbe  an  schmeichlerischen 
Reizen  vermögen,  zum  Lobe  der  objektiven  Eleganz  des  Gegen- 
standes aufbot.  Man  wird  nicht  die  Eleganz  der  „Loge"  finden, 
den  Pomp  des  Bildnisses  der  schwarzen  Dame,  die  pikante  Allüre 
der  „Lise".  Aber  alle  diese  Eigenschaften,  mit  denen  sich  wohl 
ein  Stück  Renoirs  verband,  erscheinen  bruchstückhaft  neben  dem 
neuen  Begriff  der  Schönheit,  den  wir  in  den  „Kindern  Berard" 
erkennen.  Dieser  Begriff  ist  weiter.  Er  besteht  nicht  aus  einer 
an  eine  bestimmte  Art  von  Menschen  gebundenen  Eleganz,  aus 
einem  spezifischen  Pomp,  aus  einer  bestimmten  pikanten  Allüre, 
aber  besitzt  alle  diese  Eigenschaften  und  noch  mehr  dazu.  Und 
er  besitzt  sie  in  einer  weniger  abhängigen,  mehr  produktiven 
Form.  Er  nötigt  uns,  sie  als  solche  zu  erkennen,  ohne  uns  un- 
mittelbar an  irgendein  aktuelles  Muster  zu  erinnern.  Die  Eleganz, 
der  Pomp,  die  Pikanterie  der  „Kinder  Berard"  sind  zeitloser  und 
gegenstandloser.  Sie  behaupten  sich  z.  B.  trotz  den  nahezu  un- 
graziösen, jedenfalls  nichts  weniger  als  eleganten  Gestalten  der 
beiden  Mädchen  am  Tisch  und  teilen  sich  dem  Raum  mit,  obwohl  sie 
keineswegs  das  anspruchslose  Zimmer  eines  Landhauses  verhüllen. 
Sie  sind  Eigenschaften  der  Anschauung  geworden.  Wir  erkennen 
in  ihnen  das  Erfinderische,  dessen  Art  wir  schon  bei  dem  Vergleich 
des  Bildnisses  der  kleinen  Durand  Ruel  mit  der  Miß  Alexander 
Whistlers  fanden.  Die  Art  hat  jetzt  einen  so  hohen  Grad  gewonnen, 
daß  uns  der  Reichtum  mancher  früheren  Bilder  aus  fast  denselben 
Gründen  überwunden  erscheint,  die  wir  gegen  Whistler  fanden. 
So  läßt  uns  der  neue  Renoir  z.  B.  die  gar  zu  porträtierte  Üppig- 
keit der  „Familie  Charpentier"  erkennen.  Wir  sehen  die  Ge- 
stalten und  Dinge  dieses  Bildes  für  einen  Zweck  bestimmt,  der 
uns  nicht  mehr  genügt,  finden  das  Stilleben  im  Hintergrund,  so 
schön  es  ist,  zu  stillebenhaft,  in  einem  gewissen  Sinne  unsachlich, 
trotzdem  es  mit  größter  Sachlichkeit  gemalt  ist,  finden  den  ein- 
fachen Blumentopf  am  Fenster  des  Zimmers  von  Wargemont  un- 
vergleichlich schöner,  weil  er  in  demselben  Sinne  sachlicher  ist. 
Der  ganze  Aufbau  der  Gruppe  in  dem  älteren  Werke  erscheint 
ein   wenig   gesucht,    ein  wenig  künstlich  und,    merkwürdigerweise, 


117 


trotzdem  uns  nicht  entgeht,  daß  die  Personen  viel  objektiver 
gegeben  wurden  als  in  den  „Kindern  Berard",  trotzdem  dort  von 
der  hier  versuchten  Synthese  nichts  oder  so  gut  wie  nichts  be- 
merkt wird.  Man  könnte  sagen,  die  „Familie  Charpentier"  sei 
von  dem  Auge  erfaßt  worden,  die  „Kinder  Berard"  vom  Geiste; 
sie  sind  in  viel  höherem   Grade  Schöpfung. 

Das  Gemälde  hängt  in  der  Berliner  Nationalgalerie  als  Pen- 
dant zu  dem  wenige  Jahre  vorher  entstandenen  Meisterwerke 
Manets,  „Dans  la  Serre",  mit  den  beiden  starken  Gestalten,  und 
man  kann  bei  der  Betrachtung  dieser  vollgültigen  Dokumente 
der  beiden  Meister  den  Umfang  einer  Bewegung  ermessen, 
der  man  ein  wenig  voreilig  einen  Sammelnamen  gab.  Kaum  ein 
Atom  ist  diesen  Werken,  deren  Autoren  sich  bei  ihrem  Start 
verhältnismäßig  nahe  waren,  gemeinsam.  Zwischen  beiden  ist  nicht 
zu  entscheiden.  Manet  übt  in  seinem  Werke  königlich  eine  könig- 
liche Gabe.  Seine  Kraft  steht  auf  dem  Gipfel,  seine  Klugheit 
läßt  nichts  von  ihr  verloren  gehen.  Nichts  von  seiner  unnachahm- 
lichen Fähigkeit,  mit  einem  Pinselstrich  Leben  zu  geben,  bewirkt 
die  Schönheit  des  anderen  Werkes.  Hier  ein  ursprünglich  ganz 
lyrisches  Gestalten,  dessen  Art  nur  selten  intellektuellen  Ent- 
scheidungen zu  gehorchen  pflegt,  und  dem  gerade  die  klare  Ein- 
sicht in  seine  Zwecke  das  Endgültige  einer  klassischen  Form 
verheißt.  Dort  gewaltige  Natur.  Vielleicht  dringt  Manets  Werk 
schneller  zu  uns.  Es  ist,  als  brauchten  wir  nur  die  Augen  zu  öffnen, 
um  es  zu  empfangen,  und  es  mag  uns  deshalb  elementarer  er- 
scheinen. Aber  täuscht  nicht  dieser  Eindruck  der  ersten  Sekunde? 
Mit  mächtiger  Hand  räumt  Manet  alles  hinweg,  was  uns  von  der 
Natur  trennt.  Das  feine  Netz  der  Tradition  widersteht  nicht  seinem 
Griffe.  An  ihre  Stelle  rückt  das  Temperament,  das  blitzschnell 
der  Neuart  flüchtiger  Erscheinungen  folgt.  Aber  v/ehe  dem  Werk, 
wenn  das  Temperament  einmal  nicht  dem  Zügel  gehorcht,  wenn 
die  geschickte  Hand  auch  nur  ein  Geringes  ihrer  Geschmeidigkeit 
einbüßt.  Manet  ist  eine  Kunst  auf  Messerschneide,  ein  Einzelfall, 
von  dem  wir  uns  keine  Brücke  in  die  Zukunft  denken,  kaum 
wünschen  können.  Renoir  steht  gesicherter  da.  Er  beweist  uns 
noch  heute,  wie  wenig  die  Hand  neben  der  Anschauung  bedeutet, 
und  man  wird  von  ihm  bezwungen,  ohne  je  nach  seinem  Tem- 
perament zu  fragen.  Die  „Kinder  Berard"  zeigen  mehr  und  weniger 


118 


als  Temperament.  Weniger,  denn  noch  sind  in  dem  Gewebe  der 
Erfindung  ein  paar  Maschen  offen,  die  Manet  nie  geduldet  hätte. 
Mehr,  viel  mehr,  denn  nie  vermöchte  der  ungestüme,  auf  die  Natur 
gerichtete  Sinn  solche  Übertragungen  des  Daseins  zu  erfinden. 
Alle  Hast,  die  dem  überhitzten  Großstädter  die  Nerven  bis  zum 
Zerreißen  spannt,  bleibt  dem  sonnigen  Zimmer  fern.  Das  kühne 
Wagnis  —  verwegener  als  alles,  was  Manet  je  gewagt  hat  — 
kommt  ohne  gespannte  Gesten  zustande.  Die  ins  Sublime  ge- 
steigerte Sensation  enthüllt  uns  eine  Welt  von  Kindern. 

Das  Werk  war  ein  kühner  Anlauf.  Gemächlich  kam  Renoir 
hinterher  und  malte  im  selben  Geiste  Bilder  geringeren  Umfangs, 
die  das  erlangte  Resultat  benutzten  und  ergänzten.  Es  gibt  viele 
Stilleben  und  Studien  jener  Zeit  in  derselben  Palette.  Der  schöne 
Blumenstrauß  der  Sammlung  Blanche  (datiert  1885)  könnte  auch 
in  dem  Zimmer  von  Wargemont  stehen.  Der  Vergleich  solcher 
Bilder  mit  den  Stilleben  früherer  Jahre  ergibt  auf  einem  be- 
scheideneren Gebiete  dieselbe  Steigerung,  die  den  Unterschied 
zwischen  den  großen  Werken  ausmacht,  wie  man  überhaupt  an 
den  zahllosen  Stilleben  Renoirs  die  Entwicklung  am  besten  erkennt; 
denn  sie  wiederholen  sich  mit  der  Regelmäßigkeit  der  Natur.  Was 
die  Jahreszeit  bringt,  das  erscheint  ebenso  pünktlich  jeden  Frühling, 
Sommer  und  Herbst  auf  der  Leinwand  des  Künstlers.  Zwischen 
den  roten  Pivoines  von  1870,  bei  Durand  Ruel,  und  den  etwa 
sieben  oder  acht  Jahre  später  gemalten  Pivoines  der  Sammlung 
Alphonse  Kann  —  um  ein  Beispiel  von  Hunderten  zu  nehmen  — 
ist  kaum  eine  Gemeinschaft.  Die  ersten  wurden  einem  reichen 
Garten  entnommen,  dessen  Gärtner  Delacroix  war.  Sie  scheinen 
gut  geeignet,  eine  schöne  Vase  zu  schmücken,  aber  sind,  wenn 
man  so  sagen  darf,  abgeschnitten.  Ein  wesentlicher  Teil  ihres 
Daseins  ging  dahin,  bevor  sie  in  das  Bild  gelangten.  Die  späteren 
scheinen  erst  hier  ihre  Existenz  zu  beginnen.  Sie  sind  reicher  an 
Eigenschaften,  mit  denen  sie  den  Anschein  der  Obereinstimmung 
mit  ihren  Modellen  erwecken,  aber  alle  diese  Eigenschaften  wachsen 
gleichsam  erst  aus  der  Farbe  hervor.  Die  Farbe  gibt  den  Blumen 
das  Blumige,  noch  bevor  sie  zu  dem  deutlich  erkennbaren  Abbild 
einer  Gattung  der  Botanik  werden.  Die  Stilleben  der  zweiten 
Hälfte  der  siebziger  Jahre  sind  üppige  Wucherungen  der  Materie, 
die  der  Maler   kaum    zu  bändigen  vermag,    während  die  früheren 


119 


mehr  wie  eigfenartige  Übertragungen  schöner  Bilder  aussehen.  Und 
fast  ebenso  groß  ist  der  Unterschied  zwischen  den  Blumen  der 
siebziger  Jahre  und  den  Stilleben  aus  der  Zeit  der  „Kinder  Berard". 
Die  Üppigkeit  wird  gemildert.  Unter  dem  kaum  fühlbaren  Druck 
weiser  Vereinfachung  bereichern  sich  die  Blumen  um  einen  unent- 
behrlichen Begriff:  sie  werden  stiller.  Wir  mögen  diese  Änderung 
dem  gereifteren  Geschmack  zuschreiben,  ohne  zu  übersehen,  wie 
aktiv  der  Geschmack  auftritt.  Er  entzieht  den  Bildern  nichts 
von  ihrer  Vitalität.  Die  Kraft  bleibt  dieselbe,  nur  ist  sie  jetzt 
weniger  greifbar.  Wir  sehen  weniger,  wo  sie  ansetzt,  wie  die 
Wirkung  zustande  kommt,  empfinden  sie  mehr  als  ein  Ganzes. 
Zu  dieser  Unteilbarkeit  des  Eindrucks  trägt  unsere  Unabhängig- 
keit von  der  Kontrolle  an  der  Wirklichkeit  nicht  wenig  bei.  Kein 
Gedanke  an  das  draußen  im  Garten  Gesehene  vermöchte  den 
Glauben  an  das  im  Bilde  Sichtbare  zu  erschüttern.  Die  Natur 
scheint  alle  ihre  Macht  der  Harmonie  abzugeben.  Es  geht  uns 
mit  Renoirs  Blumen  wie  mit  seinen  Menschen.  Wir  leben  mit 
seinen  Sinnbildern  wie  mit  lebenden  Wesen,  die  uns  so  nahe  ver- 
traut sind,  daß  ein  sehr  stiller  Verkehr  genügt,  um  die  Harmonie 
aufrechtzuerhalten. 

Stilleben  Manets  sind  eindringlicher.  Man  glaubt  nahezu,  in 
seinen  Rosen,  seinen  Fliederbüschen,  seinen  Pfirsichen  die  Natur 
besser  zu  erkennen  als  in  wirklichen  Rosen,  wirklichem  Flieder, 
wirklichen  Früchten.  Eine  außerordentliche  Steigerung  des  Sen- 
suellen lehrt  uns,  mit  den  Augen  zu  riechen,  zu  tasten,  zu  schmecken. 
Nie  gibt  uns  Renoir  solche  Suggestionen.  Er  hat  sich  nach  jener 
Zeit  stärkerer  Wirkungen  bedient.  Zehn  Jahre  später  begann  seine 
farbenfrohste  Periode,  deren  strahlende  Früchte  man  vielleicht  der 
stillen  Schlichtheit  der  Blumen  aus  der  Zeit  der  „Kinder  Berard" 
vorziehen  mag.  Nie  verläßt  seine  Gebilde  jene  ungreifbare  Hülle, 
die  sie  vor  jeder  derben  Sinnlichkeit  schützt.  Seine  Blumen  blühen 
in  ewiger  Frische  auf  geweihter  Erde.  Und  wir  möchten  so  wenig 
die  natürliche  Distanz  zwischen  ihnen  und  uns  verringern,  wie  es 
uns  in  den  Sinn  kommt,  den  Bacchanten  Poussins  in  leibliche 
Nähe  zu  kommen. 

Die  Stilleben  um  1885  mildern  den  Eindruck  von  Strenge, 
den  die  figürlichen  Darstellungen  hervorrufen.  Kein  Figurenbild 
aus    der   zweiten  Hälfte    der    achtziger  Jahre    verleugnet  die  Ten- 


120 


denzen  der  „Baigfneuses".  Wohl  haben  wir  kein  Werk,  auf  das 
sich  der  Begriff  des  Monumentalen  mit  gleichem  Recht  anwenden 
ließe.  Die  Gärten  von  Versailles  haben  Renoir  nicht  wieder  verführt. 
Die  Komposition  im  Sinne  der  „Baigneuses",  über  die  sich  die 
Freunde  entsetzten,  mag  auch  ihm  schließlich  wie  ein  Abweg  er- 
schienen sein.  Vielleicht  hatte  er  sich  zu  sehr  dabei  gequält, 
zweifelte  an  seiner  Anlage  für  solche  Dinge,  und  der  äußere  Anlaß 
fehlte,  der  die  Bedenken  besiegt  hätte.  Nichtsdestoweniger  hielt 
er  in  allen  Bildern  der  nächsten  Jahre  mit  Konsequenz  auf  die 
Geschlossenheit  der  Formen,  auch  wenn  er  sich  die  Verwendung, 
die  ihnen  natürlich  gewesen  wäre,  versagte.  Dieses  Verhalten 
setzte  ihn  allen  den  Gefahren  aus,  die  jeden  Künstler,  der  seine 
Kunst  über  die  Geleise  der  Zeit  hinaus  entwickeln  will,  bedrohen. 
Wir  werden  sehen,  daß  sie  ihn  nicht  unberührt  ließen.  Was  ihn 
schützte,  war  sein  glücklicher  Instinkt,  sein  natürlicher  Reichtum 
an  Möglichkeiten.  Wenn  ihn  einmal  der  Wunsch,  eine  Erscheinung 
aufs  äußerste  zu  vereinfachen,  in  die  Enge  getrieben  hatte,  kamen 
ihm  ungerufen  zehn  andere  Motive  in  den  Sinn,  die  ihn  wieder 
ins  Freie  lockten.  Sein  Spieltrieb  ließ  ihm  keine  Zeit,  sich  lange 
ins  Problematische  zu  verirren.  Es  gibt  Bilder,  deren  Wesen  mit 
dem  Zeichnerischen  nahezu  erschöpft  wird,  in  denen  wir  die  Gefahr 
einer  Übervorteilung  des  Farbigen  sehr  nahe  glauben,  und  die 
trotzdem  keine  Reste  lassen,  nicht  nur,  weil  das  Extrem  einer  Ver- 
härtung des  Zeichnerischen  vermieden  wird  und  der  Anteil  des 
Farbigen  gerade  noch  gewahrt  bleibt,  sondern  weil  uns  der  Spiel- 
trieb des  Künstlers  überwindet,  weil  sich  seine  Subjektivität  nicht 
endgültig  gefangen  gibt,  weil  wir  ihn  —  über  sich,  über  uns  — 
lächeln  sehen.  In  der  Landschaft  mit  der  Gruppe  der  Mutter,  die 
ihr  Kind  säugt*),  scheint  die  Modellierung  alles  zu  bedeuten. 
Renoir  ist  in  der  zeichnerischen  Abstraktion  seines  Typus  kaum 
je  weiter  gegangen,  und  er  hat  kaum  je  mutwilliger,  sorgloser 
gespielt.  Mit  dem  ungemein  beschränkten  Mittel  kommt 
ein  unverlierbarer  Beitrag  zu  Renoirs  „Frauenliebe  und  -leben" 
zustande.  Auch  der  aller  Kunst  Fernstehende,  dem  jede  Ahnung 
von  der  weitverzweigten  Problemenwelt,  die  hier  berührt  wird, 
fehlt,  dem  der  Renoir  der  vorhergehenden  und  der  folgenden  Zeit 

*)  Die   Gattin    des   Künstlers    mit    dem    ältesten   Sohne   Pierre;    aus   1886, 
Sammlung-  Prince  Wagram;  S.  123  abgebildet. 


121 


unverständlich  bleibt,  wird  schwer  der  naiven  Anmut  der  jungten 
Mutter  widerstehen  können.  Ihre  Gestalt  entspricht  in  nichts  den 
geläufigen  Anschauungen  von  Grazie,  aber  was  mit  ihr  unwider- 
stehlich getroffen  wird,  ist  jedem  Menschen  noch  viel  geläufiger, 
und  es  dringt  gerade  infolge  des  lächelnden  Widerspruchs  gegen 
die  Grazie  banaler  Überlieferung  so  tief  ins  Bewußtsein.  Die 
Haltung  der  Beine,  das  ungesuchte  Kleid  mit  seinen  plumpen 
Falten,  diese  bedenklich  nach  hinten  ausgebauschte  Jacke  und 
manche  anderen  Einzelheiten  übertreiben  die  formlose  Behäbigkeit. 
Im  Innern  der  Gruppe  aber  quillen  schwellende  Linien.  Da  wölbt 
sich  rosiges  Fleisch.  Das  Auge  spielt  um  geschwungene  Formen, 
über  das  runde,  vom  Hut  überrundete  Gesicht,  den  säulenförmigen 
Hals,  die  kugelige  Brust,  das  aus  vielen  Rundheiten  gebildete 
Baby,  und  erfaßt  die  Fülle  in  diesem  über  die  Kleidereleganz 
erhabenen  Menschenkinde,  erfaßt  seine  Beziehungen  zu  der  Land- 
schaft, die  es  umgibt,  nicht  nur  die  koloristischen,  die  das  Fleisch 
zu  einem  organischen  Teil  der  Helligkeiten  machen,  auch  die 
weiteren,  die  tiefe  Zugehörigkeit  der  lächelnden,  Leben  gebenden 
Mutter  zu  der  lachenden  Natur.  Die  typischen  Formen  des  Fleisches 
könnten  einen  Karikaturisten  verlocken,  die  Gruppe  aus  mathe- 
matischen Kurven  nachzubilden.  Vielleicht  fände  er  in  der  Land- 
schaft Ergänzungen  der  Rundung.  So  ähnlich  könnte  man  auch 
mit  manchen  Madonnen  der  alten  Kölner  Meister  und  der  fran- 
zösischen Primitiven  verfahren,  denen  die  Heiligkeit  ihrer  Aufgabe 
und  die  Strenge  des  Themas  nicht  die  Laune  verdarb.  Die 
Munterkeit  eines  Cranach  hat  sich  auch  an  solchen  Rundheiten 
geletzt.  Renoirs  Madonna  ist  reicher,  weil  ihre  Umgebung,  die 
ganze  Natur,  von  ihrem  strahlenden  Nimbus  umfaßt,  an  ihrer 
Schönheit  teilnimmt.  Eher  könnte  man  an  Stephan  Lochner  denken. 
Sehr  selten  unterlag  die  natürliche  Lyrik  dem  Spekulativen. 
Wir  bilden  als  Kuriosum  die  kleine  Landschaft  mit  den  ballspielenden 
Frauen  ab,  die  ebenfalls  aus  dem  Jahre  1886  stammt.  Die  Photo- 
graphie lindert  den  Eindruck  des  Bildes.  Die  Figuren  sind  mit 
größter  Genauigkeit  einzeln  gezeichnet  und  in  starken  bunten 
Lokalfarben  gemalt,  deren  zähe  Substanz  mit  der  losen  Umgebung 
nichts  gemein  hat.  Man  könnte  sie,  ohne  die  Landschaft  zu  be- 
rühren, aus  ihr  entfernen.  Jede  Linie  der  schlimmen  Mode  der 
aditziger   Jahre    wird    verewigt,    aber    es    bleibt    nichts    von    den 


122 


'w<! 


■  ♦ 


1 

•  2 


Mutter  und  Kind.     1886. 
Sammlung  Prince  Wagram,  Paris. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(0,65:0,81) 


123 


Das  Federballspiel.     1886. 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,65:0,54) 


Menschen  in  den  hermetisch  geschlossenen  Kleidern  übrig.  Es 
sind  Modepuppen.  In  der  Gruppierung  steckt  vielleicht  etwas 
von  der  trockenen  Phantasie  des  Seurat  der  „Grande  Jatte".  Die 
Komik  in  dem  Bilde  Renoirs  ist  drastischer,  weil  sie  nur  zu  un- 
freiwillig zustande  kommt.  Wir  mögen  heute  über  das  gering- 
fügige Dokument,  das  unter  den  zahllosen  Meisterwerken  Renoirs 
verschwindet*),  lächeln.  Es  hat  eine  ernste  Seite.  Sein  Datum 
nötigt  uns,  in  ihm  keinen  Zufall  zu  sehen.  Es  gehört  zu  den 
Bildern  einer  bedeutsamen  Epoche  und  gewährt  einen  merkwürdigen 
Einblick  in  die  Qualen  und  Zweifel  des  Naiven.  Selbst  ein 
Renoir,  der  sicherste  unter  den  Künstlern  seiner  Generation, 
strauchelte,  sobald  er  sich  ganz  seiner  Zeit  überließ,  die  ihm  die 
natürliche  Ausdehnung  seiner  Gaben  versagte. 

*)  Als  ein  weiteres  Beispiel  könnte  man  allenfalls  eine  unvollendete  Land- 
schaft im  Besitze  VoUards  zitieren,  auf  der  das  Blattwerk  der  Bäume  mit  g-rößter 
Genauigkeit  detailliert  ist.  Das  Figürliche  des  Bildes  (eine  Mutter  mit  Kind  auf 
einer  Bank;  eine  Magd  im  Vordergrund)  ist  nur  angedeutet. 


124 


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•igf* 


^ 


Das  Mädchen  mit  den  Garben.     1888, 
Früher  Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,54:0,65) 


125 


Die  besten  Werke  jener  Zeit  scheinen  nur  gezwungen  dem 
engen  Rahmen  des  Staffeleibildes  zu  gehorchen  und  sehnen  sich 
nach  größeren,  würdigeren  Flächen.  Ihr  robuster  Auftrag  scheint 
für  die  Leinwand  zu  rauh.  Es  gibt  Köpfe,  die  wie  Fragmente 
von  Fresken  aussehen,  z.  B.  der  kleine  Mädchenkopf  der  Samm- 
lung Alphonse  Kann*).  Das  Pastose  ist  mit  dem  Mittel  moderner 
Malerei  nicht  zu  verwechseln.  Es  dient  nicht  dem  Farbenfleck, 
sondern  eher  entgegengesetzten  Absichten,  um  der  Farbe  jede 
Einzelwirkung  zu  nehmen.  Der  Auftrag  ist  nicht  al  prima.  Das 
Bild  entsteht  durch  Übermalungen,  die  allmählich  das  Plastische 
gestalten  und  gleichzeitig  die  Farbe  verteilen.  Das  Verfahren 
entfernt  sich  von  den  Methoden  der  modernen  Franzosen  und 
nähert  sich  eher  bis  zum  gewissen  Grade  der  Malart  unseres  Hans 
von  Marees,  an  den  Renoirs  Tendenzen  jener  Zeit  oft,  trotz  aller 
Verschiedenheit  der  Mittel,  erinnern.  Selbst  größere  und  voll- 
kommen vollendete  Werke  von  der  Art  des  „Au  jardin"**),  das 
Liebespaar  im  Grünen,  dessen  Motiv  an  Manets  „Chez  le  Pere 
Lathuille"  denken  läßt  —  scheinen  ohne  wesentliche  Veränderungen 
auf  die  Wand  übertragbar.  Die  lockere  Improvisation  ähnlicher 
Szenen  der  früheren  Zeit  ist  einer  robusten  Form  gewichen,  die 
selbst  auf  größte  Entfernung  in  allen  Einzelheiten  ihre  strahlende 
Frische  bewahrt,  ohne  die  Weichheit  und  Zartheit  des  jungen 
Renoir  zu  verleugnen.  Unser  Glaube  an  die  Ausdehnbarkeit 
solcher  Werke  beruft  sich  nicht  lediglich  auf  die  Vereinfachung 
der  Form.  Diese  ist  nur  eine  Folge.  Wir  fühlen  hinter  ihr  eine 
gereiftere  und  gefestigte,  allem  Zufall,  allem  Flüchtigen  entrückte 
Anschauung.  Darauf  beruht  der  wesentliche  Unterschied  mit  dem 
im  ersten  Augenblick  viel  überraschenderen  Bilde  „Chez  le  Pere 
Lathuille".  Für  Manet  war  das  Liebesmotiv  nur  ein  Vorwand, 
um  einen  Moment  des  Daseins  so  lebensvoll  wie  möglich  festzu- 
halten. Sein  Temperament  überspringt  hier  wie  überall  das  Lyrische 
der  Szene,  und  wir  bewundern  die  kühne  Sicherheit  des  Sprungs, 


*)  Früher  in  der  Sammlung  Leclanche.  Etwa  1887.  Bei  Durand  Ruel  gibt 
es  andere  Beispiele,  wie  das  S.  125  abgebildete  Mädchen  mit  den  Garben  in  der 
Schürze,  von  1888. 

**)  Entstand  1885  in  Chatou.  Der  Herr  ist  Renoirs  Freund,  der  Maler 
Henri  Laurent,  der  ihm  damals  oft  als  Modell  gedient  hat;  die  Frau  ist  die 
Gattin  des  Künstlers. 


126 


|L|pi'J>M-'Ji 


Au  jardin.     1885. 

Sammlung  Gerstenberg,  Berlin. 


(1,13:1,71) 


127 


der  alles  Genrehafte  weit  hinter  sich  läßt.  Aber,  könnte  man 
fragen,  wäre  die  Wirkung  die  gleiche,  wenn  es  z.  B.  kein  Genre- 
bild gäbe  und  infolgedessen  die  Reaktion  auf  die  blasse  Senti- 
mentalität ihre  Würze  verlöre?  Würden  wir  auch  dann  noch  die 
Höhe  des  Sprungs  ebenso  sicher  zu  messen  vermögen?  Zu  großen 
Kunstwerken  gehört  die  Wirksamkeit  großer  Impulse.  Wir  müssen 
über  das  Sichtbare  hinweg  auf  starke  Empfindungen  blicken  können, 
um  die  auf  das  höchste  Maß  gesteigerte  Form  dauernd  zu  ertragen. 
Man  vermöchte  dem  Manet  nicht  den  endgültigen  Platz  im  Schloß 
unserer  Träume  anzuweisen,  weil  wir  nicht  immer  mit  gleicher 
Freude  auf  das  mit  größter  Lebendigkeit  dargestellte  Paar  blicken 
würden.  Seine  Form  ist  zu  fertig,  um  unserer  Empfindung  etwas 
übrigzulassen,  sie  illustriert  zu  reich  eine  Seite  des  Lebens,  die 
uns  für  die  Ewigkeit  zu  klein  scheint.  Das  andere  Paar  wird  uns 
sdion  deshalb  nicht  zuviel  werden,  weil  es  sich  nicht  aufdrängt. 
Es  nötigt  uns  nicht,  uns  mit  den  vergänglichen  Einzelheiten  seines 
Daseins  zu  beschäftigen,  ist  weniger  eine  Illustration  des  modernen 
Lebens  als  ein  in  zwei  beliebigen  Menschen  gesammeltes  Gefühl. 
Man  wird  nicht  dem  einen  Bilde  Renoirs  alles  geben  wollen, 
was  Manet  versagt  bleibt,  aber  wird  in  der  Richtung  solcher 
Bilder,  in  ihrer  Art  eine  sicherere  Gewähr  für  die  Dauer  der 
Freuden  erblicken,  die  sehende  Menschen  aus  der  Kunst  gewinnen 
können. 

Mit  dem  Gruppenbildnis  der  Töchter  seines  Freundes  Catulle 
Mendes,  das  1888  entstand,  wurde  die  robuste  Periode  des  Malers 
nach  einer  besonderen  Seite  hin  erweitert.  Mit  dem  Bilde  erschien 
Renoir  1890  ausnahmsweise  im  „Salon",  dem  er  seit  1883  fern- 
geblieben war.  Man  kann  sich  denken,  daß  er  es  für  geeignet  hielt, 
die  noch  immer  widerspenstigen  Kreise  der  Offiziellen  zu  gewinnen. 
Es  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ein  Salonbild.  Die  Subjektivität, 
die  es  so  wenig  wie  irgendeiiv  anderes  Werk  Renoirs  verschweigt, 
rückt  mehr  als  sonst  das  eminente  Können  des  Meisters  in  den 
Vordergrund,  ohne  zu  große  Zumutungen  an  den  naiven  Sinn  des 
Betrachters  zu  stellen.  Wer  die  Malerei  liebt,  kann  eigentlich,  sollte 
man  glauben,  den  meisterlichen  Qualitäten  des  Werkes  nicht  die 
Anerkennung  versagen.  Es  fällt  uns  nicht  leicht,  uns  heute  eine 
Zeit  vorzustellen,  die  auch  vor  diesem  Bilde  immer  noch  an  dem 
Märchen  von  dem  Revolutionär  festhielt. 


128 


Les  filles  de  Catulle  Mendes.     1888. 
Sammlung  Prince  Wagram,  Paris. 
Photographie  Druet. 


129 


In  Hinsicht  auf  die  Palette  ist  das  Werk  eine  Fortsetzung-  und 
Erweiterung  der  „Kinder  Berard".  Aber  nur  in  dieser  Hinsicht. 
Der  eigentümliche  Gefühlsinhalt  des  Berliner  Bildes  wird  nicht 
weitergeführt.  Wohl  fehlt  es  nicht  an  Beziehungen.  Es  sind  wieder 
drei  Mädchen,  manche  Äußerlichkeiten  verbinden  sie  mit  den  Kin- 
dern des  Zimmers  von  Wargemont.  Aber  die  Anschauung  hat 
sich  vollkommen  verändert.  Man  hält  sich  bei  der  Betrachtung 
des  Berliner  Werkes  nicht  einen  Augenblick  bei  der  Frage  auf, 
ob  die  Kinder  wohl  einmal  ihren  Modellen  ähnlich  gesehen  haben. 
Man  nimmt  die  Halberwachsene,  den  Backfisch,  die  Kleinste  für 
Repräsentanten  und  zählt  unwillkürlich  die  Puppe  als  viertes  Glied 
dazu.  Die  leibliche  Herkunft  der  Kinder  bleibt  draußen.  Ihr 
Vater  ist  Renoir.  Die  Wirklichkeit,  die  ihn  leitete,  ist  uns  so 
gleichgültig,  daß  uns  die  Bezeichnung  des  Bildes  als  Bildnis  ganz 
unwesentlich  erscheint.  Gerade  in  diesem  Punkt  setzt  der  Unter- 
schied mit  den  „Töchtern  Catulle  Mendes'"  am  entscheidendsten  ein. 
Sie  sind  nichts  so  sehr  wie  Bildnis.  Renoir  legt  es  mit  der  Wahl 
der  Posen  geradezu  darauf  an,  uns  innerhalb  des  Rahmens  des 
Bildnisses  zu  halten.  Wohl  hat  er  auch  hier  das  Typische  ge- 
sucht, aber  es  identifiziert  sich,  wenigstens  für  den  Anschein,  mit 
der  natürlichen  Ähnlichkeit  der  Kinder  einer  Familie  und  gehört 
als  solche  zu  den  Aufgaben  des  Porträtisten.  Man  fühlt,  diese 
Kinder  sind  mit  den  Mitteln  Renoirs  so  scharf  wie  möglich  ge- 
troffen. Er  spielte  nicht  mit  ihnen.  Sie  haben,  als  er  sie  um 
das  Klavier  gruppierte,  so  ausgesehen.  Renoir  ist  kaum  je  kon- 
sequenterer Realist  gewesen.  Hinge  dieses  Gemälde  an  Stelle  der 
„Kinder  Berard"  als  Pendant  zu  dem  Manet  in  der  Berliner 
Nationalgalerie,  so  würde  man  sehr  viel  größere  Mühe  haben, 
eine  prinzipielle  Differenz  zwischen  den  beiden  Meistern  nach- 
zuweisen. 

Diese  im  Vergleich  zu  dem  Berliner  Bilde  engere  Anschauung 
wird  durch  die  reiche  Organisation  der  Darstellungsmittel  erweitert. 
Die  Farbe  schafft  in  den  „Kindern  Berard"  die  Atmosphäre  für 
das  lichte  Märchen.  So  reich  sie  ist,  nie  verleugnet  sie  den  Naiven, 
der  mit  ihr  fabuliert  wie  ein  Dichter  mit  seinen  Bildern.  Hier  da- 
gegen spricht  der  Lyriker  nur  in  einem  Nebensatze  mit,  immer 
noch  vernehmlich  genug,  um  uns  an  ihn  zu  erinnern;  aber  er  hat 
nicht    mehr    die  Führung.      Alle  Mittel    werden    zur  Vergrößerung 


130 


der  Leibhaftigkeit  der  ErscKeinung-  benutzt.  Die  Farbe  dient  mit 
g-rößter  Treffsicherheit  dem  Stofflichen.  Das  Weiß  der  Kleider 
der  beiden  kleineren  Mädchen,  das  hellbläuliche  und  hellrosa  Töne 
begleiten,  ist  mit  der  Vehemenz  eines  Franz  Hals  hingestrichen. 
In  dem  Kleide  der  Klavierspielerin  sitzen  blaue  Tupfen  darauf 
(ähnlich  wie  in  dem  Kleide  des  ältesten  Mädchens  der  „Kinder 
Berard",  aber  wie  primitiv  wirkt  hier  das  Detail!).  Man  fühlt  das 
Stärkemittel  in  dem  blitzenden  Mull,  dessen  Starrheit  weiches, 
rundliches  Fleisch  umgibt.  Darüber  ergießt  sich  die  rotblonde  Flut 
der  Haare.  Die  Gelb  und  die  Rot  des  Haares  vertiefen  sich  in  dem 
leuchtenden  Holz  des  Klaviers.  Und  so  werden  alle  anderen  De- 
tails gewonnen,  aus  einem  einzigen  starken  Akkord,  der  die  Lein- 
wand in  schwingende  Membran  verwandelt.  Darauf  beruht  der 
robuste  Reiz  dieser  musizierenden  Kinder.  Alle  Bilder  Renoirs 
sind  Musik.  Das  Zimmer  von  Wargemont  ist  voll  von  harmonischen 
Klängen,  aber  es  fehlt  ihm  die  starke  Einheitlichkeit  der  Wirkung. 
Wohl  bedarf  es  deren  nicht  im  gleichen  Maße.  Das  Mädchen 
auf  dem  Sofa  ist  so  reizend,  daß  wir  leichten  Herzens  die  formale 
Differenz  übersehen,  die  es  von  der  anderen  Hälfte  des  Bildes 
trennt.  Die  ganze  Harmonie  ist  loser,  spielerischer,  wie  es  dem 
lyrischen  Gehalt  des  Bildes  entspricht.  In  dem  engeren  Zimmer 
der  musizierenden  Kinder  sind  die  Massen  straffer  zusammen- 
gezogen. In  dem  Organismus  der  Farbe  und  des  Auftrags  ist 
nicht  die  kleinste  Lücke.  Alle  Mittel  greifen  ineinander,  um  die 
Vitalität  der  Erscheinung  zu  vergrößern.  Der  Dichter  hat  den 
Traum  abgeschüttelt.  Oder  sind  seine  Traumgestalten  so  stark 
geworden,  daß  wir  sie  für  Wirklichkeit  nehmen? 

Das  Bildnis  der  Madame  de  Bonnieres,  von  1889,  entfernt 
sich  ein  wenig  von  dieser  Richtung.  Die  überschlanke  Gestalt  in 
himmelblauem  Kleid  steht  vor  einer  roten  Wand.  Das  blasse 
schmale  Gesicht  ist  genau  gezeichnet.  Ebenso  sind  die  wenigen 
Möbel  des  Interieurs,  der  Tisch  und  die  Konsole  mit  dem  un- 
vermeidlichen Blumenbukett,  das  wie  gewöhnlich  die  Farben  des 
Bildes  angibt,  eingehend  detailliert.  Den  Farben  fehlt  die  Tiefe. 
Das  Motiv  spielt  in  sehr  hellen  und  wenig  bewegten  Tönen. 
Aber  es  ist,  als  habe  Renoir,  nachdem  das  Bild  die  äußerste 
Glätte  erreicht  hatte  —  vielleicht  die  Glätte  der  kleinen  Berard 
in  der  Sammlung  Gangnat   —    einen  Schleier   aus    warmem  Grau 


131 


darübergezogen.  Dieser  umhüllt  das  Blau  des  Kleides,  die  Möbel 
mit  ihren  bunten  Einlagen,  das  Gelb  der  bronzenen  Verzierungen 
und  das  Rot  der  Wand  und  umgibt  die  schmächtige  Gestalt  mit 
einer  sehr  zarten  Atmosphäre.  Man  gelangt  nicht  leicht  in  ein 
rechtes  Verhältnis  zu  dem  Bildnis,  am  wenigsten,  wenn  man  von 
den  früheren,  vor  Gesundheit  und  Lebenslust  strahlenden  Ge- 
schöpfen Renoirs  kommt,  die  sich  der  Übertragung  in  die  male- 
rische Form  wie  einer  Liebkosung  hingeben.  Das  spröde  Bild  der 
spröden  Dame  lockt  weniger  an.  Ich  mochte  es  lange  nicht,  fand 
es  fade  und  von  einer  säuerlichen  Süße,  die  solchen  Zimmern  mit 
solchen  Tischchen  und  Konsolen  eigen  ist.  Die  dünne  gläserne 
Eleganz  des  Milieus  stieß  mich  ab.  Allmählich  gelang  es  mir, 
mich  von  der  willkürlichen  Abhängigkeit  von  dem  Geschmack  des 
gewählten  Milieus  zu  befreien,  und  da  wurde  mir  gerade  die 
nüchterne  Sphäre,  aus  der  Renoir  seine  Gestalt  gewinnt,  zu  einer 
Quelle  von  Genüssen.  Ich  erkannte  die  Tiefe  des  Schöpferischen 
innerhalb  der  scheinbar  so  engen  Grenzen,  sah,  wie  aus  den 
säuerlich -süßen  Farben  geradezu  psychologische  Perspektiven 
wurden,  und  drang  immer  tiefer  in  die  seltenen  Eigenheiten 
dieser  gemalten  Existenz.  Ich  fand  eine  neue  Seite  des  Weib- 
lichen, die  in  Renoirs  Enzyklopädie  der  Frau  nicht  fehlen  dürfte. 
Ohne  das  Grau  würde  man  nie  dahin  gelangen.  Es  ist  kein 
Schleier,  denn  es  läßt  sich  nicht  wegdenken.  Es  steht  als  Farbe 
zwischen  den  anderen  Farben  und  scheint  die  Lebensbedingung 
der  anderen  und  des  ganzen  Bildes.  Es  gleicht  dem  kaum  merk- 
baren warmen  Grund  hinter  den  Gestalten  eines  Flaubert,  der  ihre 
kahlen  Reliefs  mit  einem  Schimmer  bekleidet. 

Mit  diesem  Bildnis  veredelte  Renoir  den  robusten  Realismus, 
dem  er  Ende  der  achtziger  Jahre  zuneigte.  Eine  Wendung  scheint 
sich  in  ihm  vorzubereiten.  Er  sucht  wieder  verschwiegenere 
Wirkungen.  Doch  entschließt  er  sich,  ganz  wie  zehn  Jahre  vorher, 
nur  langsam  zu  einer  entschiedenen  Änderung  der  Richtung.  „Au 
piano",  die  beiden  Mädchen  am  Klavier,  von  1892,  im  Musee  du 
Luxembourg,  erinnert  nicht  eben  vorteilhaft  an  „die  Töchter  Catulle 
Mendes'".  Die  erste  Fassung  des  Bildes,  die  Durand  Ruel  besitzt,  ist 
glücklicher.  Sie  hat  die  Frische,  wenn  auch  nicht  den  reichen  Glanz 
der  „Filles  de  Catulle  Mendes".  Die  energischen  Striche  des 
Pinsels  beleben  jedes  Detail.   Man  fühlt,  der  Maler  hatte  die  Natur 


132 


Mme  de  Bonnieres.     1889. 
Früher  Sammlung  Vollard,  Paris. 


(0,88:1,15) 


133 


vor  Augen.  In  der  Fassung  des  Luxembourg  hat  er  die  Form 
weiter  treiben  wollen  und  hat  dabei  die  Materie  gefährdet.  Die 
Stoffe  sind  matte,  bewegungslose  Flächen.  Dem  großen  Vorhang, 
der  in  der  ersten  Fassung  mit  aller  Renoirschen  Üppigkeit  gemalt 
ist,  raubt  der  Mangel  an  Tiefen  und  geordneten  Kontrasten  jeden 
Reiz.  Die  Farben  gehen  widerstandslos  ineinander  über.  Der 
Stoff  beschwert  das  Bild  wie  eine  regungslose  Masse.  In  dem 
Holz  des  Klaviers,  in  dem  Sessel  des  Vordergrundes  scheint  die 
Farbe  alle  Fähigkeit  der  Übertragung  eingebüßt  zu  haben  und 
schildert  nur  noch  gleichgültige  Einzelheiten  der  Wirklichkeit.  Ein 
wenig  mag  die  Verwendung  schlechter  Farbenmittel  schuld  daran 
sein.  Es  ist,  als  hätte  die  Zeit  alles  Geschmeidige,  Spielerische, 
Belebende  aufgetrocknet  und  nur  das  Materielle  übriggelassen. 
Verhältnismäßig  am  wenigsten  werden  die  beiden  Mädchenköpfe 
von  den  Mängeln  betroffen,  und  sehr  schön  ist  auch  auf  dem 
zweiten  Bilde  —  vielleicht  sogar  noch  schöner  als  auf  dem  ersten 
—  der  Blick  in  das  Interieur  jenseits  der  Portiere.  Es  blieb  von 
der  allzuweit  getriebenen  Realisierung  unberührt.  Man  glaubt  in 
ein  Prachtgemach  Delacroix'  zu  blicken. 


Coco.     Relief  gegen   1907. 


134 


Au  piano.     1892. 

Sammlung-  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,89:1,18) 


135 


IV. 

Renoir  begann  mit  einer  festen  Form.  Er  öffnete  sie,  um 
Farbe  hineinzulassen,  und  schloß  sie  wieder,  um  sie  zu  festigen. 
Das  Verfahren  wiederholt  sich.  Es  gleicht  dem  ruhigen  Atmen 
eines  gesunden  Körpers.  Und  mit  jedem  der  tiefen  Atemzüge, 
die  dem  Körper  neuen  Stoff  zuführen,  bereichert  sich  der  Orga- 
nismus. Keine  Willkür  bestimmt  die  Folge  der  Perioden,  sie  lösen 
sich  nicht  ab  wie  feindliche  Regenten.  Auch  wenn  die  Tendenz 
der  einen  Richtung  der  anderen  entgegengesetzt  erscheint,  jede 
fügt  der  vorher  Gewonnenen  etwas  hinzu.  Die  Bilder  der  achtziger 
Jahre  entfernen  sich  weit  von  denen  des  vorhergehenden  Jahr- 
zehnts. Ihr  präziser  Ausdruck,  ihre  scharf  umrissene  Form,  ihre 
ganze  Art  hat  so  gut  wie  nichts  mit  der  weichen  Hülle  und  der 
geschmeidigen  Handschrift  der  vorhergehenden  Zeit  gemein.  Trotz- 
dem erschöpft  man  diese  Perioden  nicht,  wenn  man  sie  lediglich 
als  Gegensätze  zwischen  Linie  und  Farbe  oder  zwischen  Kom- 
position und  Improvisation  hinstellt.  Die  Vereinfachung  hat  so  gut 
die  Palette  wie  alle  anderen  Faktoren  gestärkt.  Die  Bilder  sind 
in  der  Farbe  viel  klarer  und  entschiedener  geworden,  und  ihre 
Derbheit  hat  auch  rein  malerische  Vorzüge,  die  manchen  Reiz 
der  weichen  Bilder  aus  den  siebziger  Jahren  aufwiegen.  Die 
Geschlossenheit  ihrer  Form  läßt  sie  den  Werken  der  sechziger 
Jahre  näher  erscheinen.  Die  Festigkeit  der  „Diane  Chasseresse", 
der  „Lise",  des  „Menage  Sisley",  die  in  den  siebziger  Jahren  ver- 
schwindet, wird  zurückerobert,  aber  wieviel  kommt  dazu!  Wir 
verkennen  jetzt,  wo  uns  Renoirs  Fähigkeiten  geläufig  geworden 
sind,  in  der  Stabilität  der  ersten  Werke  nicht  den  Notbehelf,  der 
nur  durch  Beteiligung  entlehnter  Elemente  standhielt,  der  sich 
lockerte,  sobald  Renoir  diese  Elemente  durch  eigene  ersetzte 
und  die  Einfalt  seines  Anfängertums  folgerichtig  zu  erweitern  und 
zu  bereichern  versuchte. 

Wer  an  der  Konsequenz,  mit  der  ein  bestimmtes  Formen- 
prinzip erfüllt  wird,  genug  hat,  wird  Renoir  in  den  Werken,  die 
er  als  Fünfziger  malte,  auf  dem  Gipfel  erblicken.  Diese  Konse- 
quenz, die  ihre  eigenen,  nicht  dornenlosen  Wege  ging,  fern  von 
der  breiten  Straße  des  Impressionismus,  ist  uns  viel  wert.  Sie 
stärkt  unser  Vertrauen  auf  den  Naiven,  dem  die  Energie  der 
Selbsterkenntnis   nicht   fremd   war.     Aber    sie   ist    nicht   alles.     Es 


136 


Bildnis  Richard  Wagners  (Wiederholung).    1893. 
Sammlung  Cheramy,  Paris. 


(0,305:0,405) 


137 


gfilt  von  der  Entwicklung  Renoirs,  was  von  der  Entwicklung  der 
Menschheit  gilt.  Sie  geht  nicht  ohne  Opfer  vor  sich.  Man  sieht 
nicht  ein  Ganzes  in  allen  Teilen  stärker,  reiner,  reicher  werden, 
sondern  bemerkt  neue  Höhen  an  Stelle  der  alten  und  muß  sich  mit 
der  Einsicht  zufriedengeben,  daß  jedes  hohe  Werden  aus  eigener 
Kraft  den  Wert  des  Lebens  erhöht. 

In  den  „Filles  de  Catulle  Mendes"  steckt  nicht  der  ganze 
Renoir.  Die  Strenge  des  Strichs  schloß  manche  Reize  früherer 
Zeiten  aus.  „Au  piano"  und  manche  anderen  Bilder  aus  der 
ersten  Hälfte  der  neunziger  Jahre  verraten  eine  gewisse  Enge  der 
Anschauung.  Renoir  hatte  sich  festgerannt.  Er  fühlte  es  und 
machte  sich  frei.  Er  mäßigt  die  scharfe  Zügelung  des  Genius, 
öffnet  wieder  die  Form,  und  das  Resultat  ist  eine  neue  Blüte. 

Das  klingt  einfach  wie  ein  Rechenexempel.  Eine  Form  öffnen 
und  schließen  —  man  kann  kein  leichter  zum  Verständnis  sprechen- 
des Bild  finden.  Vergessen  wir  nicht,  daß  es  sich  eben  nur  um 
ein  sprachliches  Bild  handelt,  das  von  dem  Phänomen  nur  die 
rohen  Umrisse  andeutet.  So  einfach  die  Lösung  uns  Zurück- 
blickenden dünkt,  weil  sie  dem  Meister  glückte,  so  undurchdring- 
lich mag  sie  ihm  vorher  erschienen  sein.  Es  dauerte  Jahre,  bis 
er  sie  fand,  oder  besser,  bis  sie  sich  ihm  darbot,  denn  es  ist  die 
Frage,  ob  nicht  allein  schon  die  volle  Bewußtheit  des  Suchenden 
genügt  hätte,  um  sie  zu  vereiteln.  Die  neue  Entwicklung  beginnt 
etwa  um  1895  und  zieht  sich,  bis  sie  zur  Höhe  gelangt,  bis  nach 
1900  hin.  Es  ist  eine  Periode  des  Tastens.  Man  kann  sie  nicht 
unfruchtbar  nennen.  Ein  einziges  Bild,  wie  das  schlafende  nackte 
Mädchen  von  1897*),  ein  letzter  und  glänzend  gelungener  Versuch 
einer  weitgetriebenen  Modellierung  mit  dichter  Materie,  würde 
ihren  Wert  sichern,  und  es  steht  nicht  allein.  In  diese  Zeit 
fallen  viele  Zeichnungen  und  Pastelle,  und  es  käme  ein  stattliches 
Werk  zusammen,  wollte  man  allein  das  sammeln,  was  Renoirs 
frohe  Laune   dem  Papier   anvertraut   hat**).     Immerhin  sind  diese 

*)  Sammlung-  der  Mlle.  Dieterle,  Paris.  Hier  abgebildet. 
**)  Eins  der  schönsten  Pastelle  stellt  die  Bonne  Renoirs  mit  seinem  zweiten 
Sohne  Jean  und  einem  anderen  Kinde  dar  und  entstand  gegen  1894  (Sammlung 
J.  und  G.  Bernheim).  Auch  das  graphische  Werk  ist  nicht  unbedeutend.  Es  um- 
faßt einige  Radierungen  und  Vernis-mou-Ätzungen  und  etwa  zwanzig  einfarbige 
und  mehrfarbige  Lithographien  und  entstand  im  wesentlichen  in  den  beiden  letzten 
Jahrzehnten.    Die  schönsten  farbigen  Lithographien,  meistens  nach  Kompositionen, 


138 


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Rötelzeichnung.     Gegen  1864. 
Privatbesitz,  Berlin. 


(0,24:0,31) 


139 


Jahre  im  Vergleich  zu  anderen  spärlich  bedacht.  Sie  verraten  die 
Unsicherheit  des  Suchenden.  Es  wurde  Renoir  schwer,  die  Ge- 
drungenheit der  Form  aufzugeben,  die  er  nach  jahrelanger  Arbeit 
erreicht  hatte,  und  die  ihm  allein  eines  Meisters  würdig  erschien. 
Und  doch  konnte  es  sich  um  nichts  anderes  handeln,  wollte  er 
die  Klippe  vermeiden,  zu  der  ihn  die  weitere  Verfolgung  des 
alten  Weges  unfehlbar  getrieben  hätte.  Auf  diesem  Wege  gab 
es  nur  das  Monument,  um  die  Kräfte,  wie  sie  sich  jetzt  entwickelt 
hatten,  rationell  zu  verwenden.  Fehlte  es,  so  mußten  sie  bei 
gleicher  Spannung  zu  einer  Überladung  führen  und  verkümmern 
wie  alles  ungenutzte  Übermaß.  Auf  der  anderen  Seite  drohte  der 
Kompromiß,  der  Verzicht  auf  Weiterentwicklung,  der  Rückschritt. 
Man  kann  sich  diese  Situation  nicht  eindringlich  genug  vorstellen, 
nicht  nur  um  die  kommende  Blüte  Renoirs  in  vollem  Maße  würdigen 
zu  können,  sondern  auch  um  an  diesem  nicht  gewöhnlichen  Bei- 
spiel immer  wieder  das  jedem  künstlerischen  Wirken  unserer  Zeit 
bestimmte  Schicksal  zu  erkennen. 

Was  Renoir  half,  war  sein  glücklicher  Lebensdurst.  Vor 
allem  leben!  Er  konnte  nicht  in  der  Stube  sitzen  und  grübeln, 
wenn  draußen  der  Frühling  begann.  Vor  allem  malen!  Er  mußte, 
ob  er  wollte  oder  nicht.  Malen  war  sein  Anteil  am  Leben.  Es 
genügte,  eine  Zeitlang  zu  rasten  oder  wenigstens  nicht  mit 
dem  alten  Eifer  bei  der  Sache  zu  sein,  um  seine  Begeisterung 
plötzlich  wie  einen  zurückgehaltenen  Strom  über  alle  Dämme 
fluten  zu  lassen.  Und  bei  so  einer  Gelegenheit  kam  das  Neue 
ganz  von  selbst  zustande,  sowie  in  den  Tiefen  der  Erde  infolge 
einer  Erschütterung  neue  Kristallisationen  entstehen. 

Auch  in  den  früheren  Perioden  ist  die  Natur  Renoirs  das 
treibende  Element.  Sie  erlaubte  nicht  einmal  den  Einflüssen,  die 
dem  Anfänger  zur  Seite  standen,  unbeschränkte  Macht.  Doch 
ist  in  den  sechziger  Jahren  die  Hilfe  Courbets  sehr  deutlich; 
ebenso  deutlich  in  den  siebziger  Jahren  der  Einfluß  Delacroix', 
und  noch  in  den  achtziger  Jahren  konnten  wir  mit  einigem  Grund 
auf  den  Anteil  Ingres'  und  älterer  Meister  hinweisen.  Anders 
steht   es   mit   der  Periode,   die  wir   bis   auf  weiteres  als  die  letzte 


die  auch  als  Ölbilder  existieren,  hat  Vollard  in  den  letzten  15  Jahren  heraus- 
gegeben. Eins  der  schönsten  einfarbigen  Blätter  ist  das  Mädchen  im  Hut,  das 
1899  für  meine  Publikation  „Germinal"  gedruckt  wurde. 

140 


Schlafende  Baigneuse.     1897. 
Sammlung  M^'e  Dieterle,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0.63:0,81) 


141 


anzusehen  haben.  Sie  kommt  nur  aus  bereits  erworbenem  Besitz 
zustande  und  enthält  den  reinsten  Extrakt  des  Renoirschen  Genius. 
Wie  weit  es  erlaubt  ist,  daraus  unbedingte  Schlüsse  zu  ihrem 
Gunsten  zu  ziehen,  steht  dahin.  Mir  scheint  die  Unabhängigkeit 
eines  Werkes  kein  ausschlaggebender  Faktor.  Und  wir  bedürfen 
seiner  in  diesem  Falle  nicht,  um  den  Wert  der  Epoche  zu  er- 
weisen. 

Das  Neue  erscheint  wie  eine  Kondensation  des  Früheren,  und 
es  ist  so  verschieden  von  dem  Vorhergegangenen,  daß  man  eine 
neue  Kristallisation  der  Werte  Renoirs  annehmen  könnte.  Das 
Merkmal,  das  sich  sofort  aufdrängt,  ist  eine  Vervollkommnung  des 
Farbigen.  Dafür  ist  die  Änderung  der  Palette,  die  sich  nach- 
weisen ließe,  unwesentlich.  Mechanische  Modifikationen  des  Mal- 
mittels könnten  keine  Entwicklung  verbürgen.  Die  Farben  dienen 
anders,  werden  anders  verwendet,  und  diese  Änderung  geht  auf 
eine  Veränderung  der  Anschauung  zurück.  Der  Begriff  des  Farbigen 
wird  verfeinert  und  erhöht  und  organischer  ausgestaltet.  In  den 
siebziger  Jahren  erscheint  die  Palette  mehr  oder  weniger  verhüllt. 
Wo  Renoir  diese  Vorsicht  außer  acht  läßt,  tritt  leicht  eine  Differenz 
zwischen  Farbe  und  Empfindung  zutage.  In  den  achtziger  Jahren 
betont  die  robuste  Farbe  den  primitiven  Kern  des  Stilisten.  Erst 
nach  dem  folgenden  Jahrzehnt  gewinnt  Renoir  ein  dem  Augen- 
blick gehorchendes  Ausdrucksmittel  von  größter  Geschmeidigkeit, 
das  alle  Zartheit  seiner  Art  unmittelbar  auf  die  Leinwand  über- 
trägt und  dabei  mit  kleinstem  Volumen  die  farbigste  Wirkung 
hervorbringt.  Man  könnte  sagen,  er  habe  das,  was  unter  dem 
Grau  der  siebziger  Jahre  steckte,  hervorgeholt  und  die  robuste 
Koloristik  der  achtziger  Jahre  von  allen  Lasten  befreit.  Sind  die 
Farben  immer  reiner  als  vorher?  Ich  weiß  es  nicht.  Sie  entsprechen 
besser  der  Reinheit  und  Grazie  der  Renoirschen  Empfindung.  Un- 
verhältnismäßig leichter  und  ungezwungener  als  vorher  entsteht 
das  Bildhafte.  An  Stelle  der  großen  Massen  treten  kleine  mit 
winzigen  Strichen  geteilte  Flächen,  die  wie  klug  geeinte  Edelsteine 
zusammenklingen.  Bäche  funkelnden  Lichts  berieseln  die  Leinwand 
bis  in  den  kleinsten  Winkel.  Jetzt  erst  wird  Renoir  Kolorist. 
Es  ist,  als  habe  er  alle  festen  Begriffe,  die  vorher  seine  Lust 
am  Dasein  erfand,  in  einem  Bad  von  glühenden  Farben  gelöst, 
und    als    genüge    diese    Materie    allein,    um    unserem    Auge    alle 


142 


Herrlichkeiten  der  Erde  vorzugaukeln.  Jetzt  erst  wird  er  Land- 
schafter, weil  er  keiner  Legende  mehr  bedarf,  um  Hymnen  auf 
die  Schönheit  zu  dichten.  Was  früher  das  junge  Fleisch,  die 
üppigen  Lippen,  die  schwellenden  Brüste  sangen,  das  scheint  jetzt 
alles  in  dem  leuchtenden  Rosa  enthalten,  mit  dem  er  den  Fleck 
im  Grünen  malt.  Ein  Rosa  so  zart  wie  die  Haut  des  Pfirsichs 
oder  leuchtend  wie  das  Silber  im  Fleisch  der  Erdbeeren;  wo  es 
rot  wird,  meint  man  geöffnete  Tomaten  zu  sehen.  Ein  Blau  wie 
der  Himmel  im  Süden,  den  keiner  wie  Renoir  sah,  zuweilen  un- 
durchsichtig und  matt  wie  ungetrübte  Türkise.  Ein  Gelb,  das  von 
Safran  bis  zu  dem  dunkelsten  Ton  der  Orangen  zielt  und  oft  wie 
Goldquarz  schimmert.  Aber  man  sollte  mit  keiner  Allegorie  den 
Sondereindruck  einer  Farbe  bestimmen,  da  sie  im  ganzen  doch 
nur  Klang  unter  Klängen  ist.  Man  sollte  das  Zusammenklingen 
zu  schildern  versuchen,  den  von  aller  Erdenlast  befreiten  Jubel 
der  Farbe.  Und  wer  könnte  in  Worten  dies  Symbol  einer  vom 
Zweck  genesenen  Daseinsfreude  schildern,  ohne  wiederum  zu 
Symbolen  zu  greifen?  Man  möchte  nicht  nur  die  Poesie,  noch 
lieber  die  Prosa  dieser  Bilder  wiedergeben,  das  Urnatürliche  ihres 
Inhalts,  die  Illusion,  als  seien  diese  Farben  nichts  als  der  unmittel- 
bare Niederschlag  gesehener  Dinge,  die  jeder  von  uns  sehen  kann. 
Man  könnte  sagen,  Renoir  sei  jetzt  erst  Impressionist  geworden, 
und  zwar  konsequenter  als  je.  Theoretiker  würden  vielleicht  in 
seiner  Flächenteilung,  in  der  Nebeneinanderstellung  von  Farben, 
deren  Kontraste  ersetzen,  was  in  früheren  Bildern  einer  Farbe 
zufiel,  den  Niederschlag  der  Theorien  Chevreuls  erblicken,  auf  die 
eine  beträchtliche  Gruppe  moderner  Koloristen  ihr  Verfahren  auf- 
baut. Und  sie  könnten  Recht  haben,  ohne  damit  von  der  Art  der 
Bilder  etwas  Wesentliches,  das  sie  von  allen  anderen  unterscheidet, 
zu  sagen.  Sicher  hat  er  viel  mehr  als  früher  der  Materie  seine 
Aufmerksamkeit  zugewendet.  Er  ist  nicht  mehr  der  Liederdichter 
der  siebziger  Jahre,  dem  die  Melodie  über  alles  ging,  und  ist 
auch  über  die  ernstere  Zeit  hinaus,  da  er  alles  daran  setzte,  seine 
Linien  zum  Pathos  eines  Epikers  zu  steigern.  Mehr  als  je  sucht 
er  das  „Metier",  die  sichere  Technik,  auf  die  er  sich  immer  ver- 
lassen kann,  gedenkt  der  Zukunft  seiner  Bilder,  achtet  auf  Farben, 
die  das  Werk  sichern  und  seinen  Reiz  selbsttätig  erhöhen,  aber 
bleibt  vor  allem  Renoir,  der  Lyriker,  der  dichten  muß  und  in  er- 


143 


habeneren  Stunden  zum  Pathos  greift,  und  keine  Logik  einer 
Farbenlehre  macht  ihn  zum  Diener  seiner  Technik.  Seine  Kon- 
sequenz beruht  auf  dem  Festhalten  an  dem  Verhältnis  zwischen 
Mensch  und  Kunst,  das  mehr  als  alles  andere  seine  Eigenheit 
ausmacht.  Es  wird  vertieft,  erweitert,  nie  in  den  Grundlagen 
verändert.  Wenn  er  sich  jetzt  mehr  als  früher  mit  dem  Phänomen 
der  Komplementärfarben  auseinandersetzt,  geschieht  es  auf  seine 
Weise  und  so,  daß  der  Besitz  an  Werten,  den  er  zu  erhalten 
wünscht,  nicht  gefährdet,  sondern  vergrößert  wird.  Seine  Koloristik 
erscheint  nicht  ohne  Grund  am  konsequentesten  in  seinen  Land- 
schaften und  Stilleben  und  ist  am  wenigsten  in  den  figürlichen 
Werken  zu  durchschauen.  Aber  auch  der  Landschafter  des  letzten 
Jahrzehnts,  der  verhältnismäßig  den  größten  Vorsprung  gewinnt, 
unterwirft  nicht  bedingungslos  den  überlieferten  Begriff  seinem 
Teilungsverfahren,  wie  es  moderne  Farbenstilisten  tun,  sondern 
interpretiert  mit  ungreifbaren  Nuancen  den  Reichtum,  der  sich  aus 
dem  natürlichen  Unterschied  zwischen  den  Materien  der  Dinge 
ergibt.  Diese  Nuancen  werden  mindestens  in  demselben  Maße 
von  der  Faktur  wie  von  der  Farbe  bestimmt,  und  zwar  läßt  sich 
kaum  zwischen  Faktur  und  Farbe  unterscheiden.  Derselbe  Ocker 
sieht,  mit  verschiedenen  Pinselstrichen  gemalt,  ganz  verschieden 
aus.  Und  diese  Differenzen  kommen  mit  einer  ganz  homogenen 
Pinselschrift  zustande.  Derselbe  Renoir,  der  jahrelang  in  pastosen 
Farben  schwelgte,  bedient  sich  jetzt  eines  ganz  dünnen,  nahezu 
aquarellmäßigen  Auftrags  und  erreicht  mit  ihm  unvergleichlich 
reichere  Wirkungen  als  der  Maler  der  achtziger  Jahre.  Der  Pinsel 
scheint  aus  gefärbtem  Wasser  ziselierte  Flächen  zu  schmieden 
und  gewinnt  aus  Dunst,  der  kaum  die  Leinwand  tönt,  leuchtende 
Tiefen.  Es  ist  die  Art,  wie  Delacroix  malte.  Auch  das  Juwelen- 
hafte der  kleinen  Legenden  aus  Delacroix'  reifster  Zeit  scheint 
einem  flüchtigen  Druck  der  Hand  gehorsam,  und  gerade  die  ganz 
dünne,  flüssige  Materie  gibt  das  Übersinnliche  des  Prunks,  das 
uns  begeistert.  Und  auch  diese  Annäherung  Renoirs  an  den  Meister 
seiner  Wahl,  dem  er  in  der  Jugend  zu  nahe  gekommen  war,  dessen 
Komposition  und  Farben  ihn  verwirrt  hatten,  und  dem  er  jetzt 
auf  eigener  Bahn  einen  freien  Tribut  der  Verehrung  bringt,  be- 
stätigt die  Vergeistigung  des  Gereiften. 

Mit   dem   neuen  Mittel  wiederholt  er  manches  Motiv  früherer 


144 


Wiederholung  der  „Pecheuses  de  moules". 
Sammlung  Laroche,  Gand, 
Photographie  Druet. 


1895—98. 


(0,46:0,56) 


145 


Baigneuses.     Gegen  1897. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(0,65:0,53) 


Zeiten*).  Die  „Bai§"neuses"  erhalten  Nachfolger.  Schon  in  der 
ersten  Hälfte  der  neunziger  Jahre  hatte  er  mehrere  Einzelgestalten 
von  nackten  Mädchen  gemalt,  die  den  Obergangscharakter  zeigen, 
weicher  als  die  blonde  Baigneuse  von  1881,  zuweilen  zu  weichlich. 
Ihre  Farbigkeit  vermag  nicht  die  Anmut  jener  in  Italien  gemalten 
Gestalt,  noch  weniger  die  stolze  Ruhe  der  Baigneuse  von  1885  zu 
ersetzen '^''^).  Auch  die  beiden  Kompositionen  mit  Baigneuses,  aus 
1897  etwa,  von  denen  die  eine,  im  Besitz  des  Prince  Wagram, 
einige  Gestalten  des  Bildes  bei  Blanche  wiederholt,  haben  nicht 
die  stolze  Gebärde  der  achtziger  Jahre  und  verraten  in  der  Farbe 
noch  den  Ubergangsstil.  Aber  man  wird  sich  nicht  leicht  dem 
Reiz   des   Spiels   dieser   nackten   Mädchen    entziehen    können,   der 

*)  Vergl.  die  145  und  151   abgebildeten  Wiederholungen  der  „Pecheuses  de 
moules"   und  der   „Baigneuses". 

'^'^')  In  einem    der  Schlafzimmer   bei  Durand  Ruel    hängen  vier   solcher  Baig- 
neuses in  einer  Reihe,  aus   1891 — 96. 


146 


^ 


I 


'^i' 


f 


Coco.     1903.  (0,31:0,36) 

Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Druet. 

schmeichlerischen  Wärme  der  Atmosphäre,  in  der  wir  das  Summen 
der  Zikaden  zu  hören  glauben. 

Die  neue  Materie  reichte  zunächst  noch  nicht  für  alle  Auf- 
gaben des  Unermüdlichen  aus.  Sie  versagte  zumal  bei  großen 
Formaten.  In  dem  Hauptwerk  von  1900,  „La  Sortie  de  bain", 
der  Sammlung  Bernheim,  gelang  es  Renoir  nicht  ganz,  die  umfang- 
reichen Flächen  zu  bändigen.  Man  möchte  dem  Bilde  die  frühere 
Art  des  Meisters,  die  Struktur  starker  Pinselstriche,  wünschen. 
Es  wirkt  ein  wenig  leer.  Der  dünne  Auftrag  ergibt  eine  dünne 
Materie.  Renoir  fürchtete  offenbar,  die  Flächen  könnten  zu  un- 
ruhig werden,  und  unterließ  die  Teilung  der  Farben,  die  dem 
Landschafter  so  reiche  Resultate  bescherte.  Namentlich  in  dem  Rot 
der  Dienerin  vermißt  man  die  Bewegung.  Auch  die  beiden  Damen- 
bildnisse derselben  Sammlung,  die  1901  datiert  sind,  scheinen  zu  groß 
geraten.*)  Erst  nach  dieser  Zeit  erreicht  Renoir  mit  den  figürlichen  Dar- 

*)  Das  eine  von  ihnen  ist  in  Durets  „Peintres  Impressionistes"  in  einer 
mäßigen  farbigen  Abbildung  wiedergegeben. 


147 


Stellungen  das  Niveau  der  Reife,  und  dabei  hat  ihn  wahrscheinlich  ein 
äußeres  Ereignis,  das  ihm  manche  bittere  Stunde  bescherte,  gefördert. 
Renoir  litt  schon  lange  an  der  Gicht.  Ende  der  neunziger 
Jahre  verschlimmerte  sich  das  Leiden.  Es  deformierte  immer 
mehr  die  Hände  und  erschwerte  die  Arbeit.  Renoir  ertrug  nicht 
mehr  das  Pariser  Klima  und  floh  in  den  Süden.  Er  bringt  seit- 
dem den  Winter  regelmäßig  in  der  Nähe  von  Nizza  zu.  Paris 
sieht  ihn  immer  seltener,  wenige  Wochen  im  Frühling  öder  Herbst, 
wenn  das  Wetter  freundlich  ist.  Vor  einigen  Jahren  hat  er  in 
Cagnes,  einem  reizenden  Dorf  wenige  Kilometer  von  Nizza,  eine 
Farm  erworben  und  sich  dort  ein  Haus  gebaut.  Dort  erträgt  er 
mit  philosophischem  Gleichmut  die  Gebrechen  des  Alters  und  malt. 
Den  Sommer  bringt  er  gewöhnlich  in  seinem  Landhause  in  Essoyes 
in  der  Bourgogne  zu.  Auch  da  hat  er  viele  Kostbarkeiten  der 
letzten  Jahrzehnte  geschaffen.  Manche  hängen  in  der  reichen 
Sammlung  von  Werken  aller  Zeiten,  die  der  Meister  für  sich 
und  die  Seinen  in  Essoyes  in  sicheren  Verwahr  gebracht  hat. 


Der  Garten  von  Essoyes.     1903. 
Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,18:0,19) 


148 


Coco.     1904. 

Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris. 

Photographie  Druet. 


(0,46:0,55) 


Die  Gicht,  die  den  Menschen  peinig-te,  wurde  des  Künstlers 
Freund.  Man  kann  ihr  einen  gewissen  Anteil  an  dem  Stil  der 
letzten  Jahre  zuschreiben.  Sie  hielt  den  Maler  von  großen  Formaten 
zurück  und  nötigte  ihn  zu  dem  losen  Auftrag.  Die  Festigkeit  der 
großen  Striche  früherer  Zeiten  bedurfte  gesunder  Glieder.  Vielleicht 
haben  wir  Grund,  das  Leiden  zu  segnen.  Wie  Beethoven  zu  den 
reinsten  Schöpfungen  aufstieg,  als  die  Taubheit  die  unmittelbare 
Verbindung  des  Organs  mit  der  Außenwelt  unterbrochen  hatte, 
wie  er  da  ganz  in  sich  hineinging,  jeden  Materialismus  des  Ton- 
malers aufgab  und  umso  reicher  wurde,  je  ärmer  sich  die  natürlichen 


149 


Coco.     1905. 

Sammlungf  Maurice  Gangnat,  Paris. 

Photographie  Deletang. 


(0,31:0,40) 


Möglichkeiten  gestalteten,  so  wurde  Renoir  von  einem  verwandten, 
wenn  auch  nicht  so  grausamen  Geschick  getrieben,  mehr  als  vor- 
her seine  Wirkungen  im  Geiste  zu  vollenden,  um  ihre  Darstellung 
dem  Körper  zu  erleichtern.  Man  begreift  nicht,  wie  er  zu  malen 
vermag.  Die  verschrumpfte  Hand  mit  den  grotesk  gekrümmten 
Fingern  gleicht  einem  Knäuel  verworrener  Spiralen.  Die  Finger 
können  noch  gerade  die  unentbehrliche  Zigarette  halten  und  ver- 
mögen nicht,  die  Speisen  zu  zerlegen.  In  den  formlosen  Knäuel 
steckt  die  Gattin  oder  die  treue  Bonne  Gabrielle,  die  immer  um 
den  Meister  ist,  den  Schaft  des  Pinsels.  Er  drückt  den  Knäuel 
zu  und  malt.  Und  malt,  als  halte  er  Daunenfedern  in  den  Finger- 
spitzen. Bei  Gangnat  hängt  ein  Bildchen  aus  dem  Jahre  1903, 
das  einen  Blick  in  den  Garten  von  Essoyes  darstellt.  Es  mißt 
wenige  Zentimeter.  Die  leuchtenden  Schatten  und  zuckenden 
Lichter  verwandeln  es  in  einen  Kosmos  ohne  Grenzen.   Man  glaubt, 


150 


Wiederholung  der   „Baigneuses".     1901/1902. 
Sammlung-  Vollard,  Paris. 


(1.66:1,14) 


mit  allen  Sinnen  in  blühende  Vegetation  unterzutauchen.  Auf  einer 
Bank  sitzt  ein  Mädchen  in  erdbeerrosa  Jacke  und  hütet  ein  Kind. 
Es  hat  einen  hellen  Hut  auf  mit  schwarzem  Bande.  Die  Farben 
liegen  aufeinander,  ineinander,  als  seien  sie  von  selbst  zusammen- 
geflossen. Nirgends  wird  etwas  Zeichnerisches  bemerkbar,  und 
die  Erscheinung  ist  so  präzis,  daß  man  die  Regungen  der  winzigen 
Gestalt  zu  spüren  glaubt.  In  ihrem  weißen  Rock  spielen  graue 
Töne,  die  auf  einem  Umfang  von  Millimetern  eine  Fülle  von  Höhen 
und  Tiefen  erscheinen  lassen.  Renoir  ist  nie  geschickter  gewesen. 
Unser  Unverstand  reicht  nicht  zu  der  Vorstellung  aus,  daß  dieser 
Raffael  nicht  mehr  der  Hände  bedurfte. 

Das  Kindchen  neben  dem  Mädchen  ist  Renoirs  Liebling,  die 
Freude  seines  Alters,  sein  dritter  und  jüngster  Sohn  Coco'^).  Er 
hat  den  flachsblonden  Kopf  des  Kindes  im  selben  Jahre  in  dem 
Medaillon  gemalt,  das  auch  in  der  Sammlung  Gangnat  hängt. 
Ein  weißer  Grund  mit  wenigen  flüchtigen  Strichen,  die  kaum  die 

*)    Eigentlich    Claude,    geb.  1901.     Das    Mädchen   ist   Renoirs    Bonne  Rene, 
die  zu  vielen  Baigneuses  der  letzten  Jahre  Modell  gestanden  hat.     Abb.  S.  148. 


151 


Femme  couchee.     1902. 
Sammlunor  Maurice  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Deletang. 


(0,65:0,54) 


Leinwand  bedecken,  fragonardhaft,  aber  ohne  eine  Spur  von 
überhastetem  Manierismus.  Und  er  hat  seit  1903  den  Jungen 
immer  wieder  gemalt,  im  Freien,  im  Zimmer,  schlafend  oder  mit 
den  Bausteinen  spielend  oder  bei  der  Arbeit,  so  oft  und  regel- 
mäßig wie  seine  alljährlich  wiederkehrenden  Früchte.  Man  kann 
an  den  Bildern  das  Wachstum  des  Knaben  verfolgen.  Und  jedes- 
mal ist  Renoir  Vater  eines  neuen  Kindes  geworden.  Kaum  eins 
dieser  Bilder  wiederholt,  was  ein  anderes  gesagt  hat.  Daneben 
erscheinen  die  alten  Lieblingsmotive  des  Meisters,  seine  Blumen, 
seine  Mädchen.  Alle  sind  jünger,  noch  strahlender,  noch  glück- 
licher geworden,  noch  sicherer  der  Vergänglichkeit  entrückt.  Wieder 
erscheinen  Baigneuses,  und  mit  ihnen  kommt  der  Anschluß  an 
den  alten  Renoir,  ohne  den  dieser  Zeit  das  Beste  fehlen  würde. 
Er   nimmt   den    alten   Plan,   die   Realisierung   des   Nackten   in   der 


152 


Landschaft,  wieder  auf  und  erhebt  sich  wiederum  über  alles  Impro- 
visierte der  Richtung".  Die  liegende  Baigneuse  von  1902  ist  das 
erste  sichere  Resultat  dieses  Weges*).  Vor  farbenreichen  Ge- 
büschen dehnt  sich  in  weichen  Linien  der  Körper.  Er  ist  ganz 
dünn  mit  kaum  merkbaren  Strichen  von  Rosa,  Grau  und  ver- 
schwindendem Violett  gemalt,  die  ein  unendlich  feines  Gewebe 
ergeben,  und  wunderbar  modelliert.  Kein  Detail,  das  das  Auge 
suchen  könnte,  ist  vernachlässigt  oder  improvisierend  behandelt. 
Das  Runde  entsteht  ganz  allmählich  aus  hauchartigen  Lichtdifferenzen. 
Trotz  dieser  sehr  weit  getriebenen  Realisierung  bleiben  wir  inner- 
halb der  Grenzen  einer  Vision.  Nie  verliert  der  Körper  die  Teil- 
nahme des  Bildes.  Seine  sehr  zarte  Bewegung  findet  in  der  Um- 
gebung, in  den  seltenen  tonreichen  Grün,  in  den  Gelb  und  Rot 
der  Landschaft  kräftige  Helfer.  Das  in  großen  Flecken  gemalte 
Gebüsch  hebt  den  Körper  ebensosehr  hervor,  wie  es  ihn  ge- 
schmeidig umhüllt.  Das  Leben,  das  früher  von  starken  Konturen 
getragen  wurde,  scheint  in  das  Innere  des  Körpers  gewichen,  sowie 
es  nicht  mehr  in  dem  sichtbaren  Pinselstrich,  sondern  in  dem 
Rhythmus  des  Farbigen  steckt,  in  unnennbaren  Organen  des  Bildes. 
In  vielen  figürlichen  Werken  der  nächsten  Jahre  wird  der 
Zusammenklang  der  Farben-  und  Formenrhythmen  erweitert  und 
bereichert,  und  je  mehr  wir  uns  im  Oeuvre  der  Gegenwart  nähern, 


*)  Es  gibt  zwei  Fassungen.  Die  erste,  in  der  Sammlung  Henry  Bernstein, 
Paris,  figurierte  auf  der  Vente  Bernstein  im  Juni  1911  und  wurde  vom  Besitzer 
zurückgekauft.  Die  kurz  nach  der  ersten  gemalte  zweite  Fassung  (Sammlung 
Gangnat,  Abb.  S.  151)  wurde  wesentlich  verbessert.  Die  Komposition  gewann 
infolge  der  glücklicheren  Gliederung  der  Landschaft.  Das  Gebüsch  nimmt  in 
der  ersten  Fassung  zuviel  Raum  ein.  Es  erhielt  in  der  zweiten  die  wellen- 
förmigen Umrisse  und  wurde  zurückgedrängt.  Dadurch  wird  die  Ebene  freier 
und  luftiger.  Der  Baum  in  der  Ebene  ist  mehr  betont  und  geht  mit  seinem 
Wipfel  über  den  oberen  Rand  des  Bildes  hinaus.  Dadurch  wird  das  Gleich- 
gewicht gesichert.  In  der  oberen  linken  Ecke  wird  das  Stück  eines  Baumstamms 
sichtbar.  Es  unterbricht  die  in  der  ersten  Fassung  sehr  merkbare  Monotonie  des 
Gebüschs.  Noch  wesentlicher  ist  die  Verbesserung  des  Farbigen,  die  ebenfalls 
am  meisten  der  Landschaft  zugute  kommt.  Renoir  hat  namentlich  die  roten  und 
gelben  Töne  mehr  betont.  Dadurch  erhält  das  Grün  des  Gebüschs  den  silberigen 
Ton.  Den  Anteil  des  Baumes  rechts,  der  in  der  ersten  Fassung  gar  nicht  mit- 
spricht, unterstreicht  sehr  glücklich  das  leuchtende  Rot.  Die  Schatten  sind  tiefer. 
Das  Ganze  wirkt  loser  und  frischer.  —  Als  Modell  diente  die  Frau  eines  Bäckers 
(la  Boulangere),  die  Renoir  für  viele  Bilder  des  letzten  Jahrzehnts  gestanden  hat. 


153 


Verwundetes  Mädchen      1909. 
Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,73:0,92) 


154 


Ode  aux  fleurs  (nach  Anakreon).     1909. 
Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,35:0,45) 


desto  kühner  und  sicherer  beherrscht  Renoir  seine  losen  Mittel. 
Zuweilen  scheint  ein  verklärter  Rubens  die  Pinsel  zu  führen,  so 
in  der  pompösen  sitzenden  Baigneuse*)  des  Prinzen  Wagram. 
Zuweilen  steigern  sich  die  weichen  schwellenden  Formen  zu  wahren 
Symbolen  der  Fruchtbarkeit,  so  in  der  Frau  mit  dem  flutenden 
Haar,  in  der  die  Üppigkeit  der  „Source"  und  ähnHcher  Werke 
der   siebziger   Jahre   vergrößert   und   gereinigt   wiederkehrt.     Man 


*)  Sie  sitzt  auf  auf  einem  Badetuch  und  hält  die  eine  Hand  im  Haar,  die 
andere  an  dem  Fuß,  Großes  Kniestück,  etwa  1904.  Es  gibt  außer  dem  Bilde 
bei  dem  Prinzen  Wagram  zwei  sehr  ähnliche  Fassungen  desselben  Motivs  im 
Besitz  des  Künstlers.  Ein  ebenbürtiges  Pendant  ist  das  Mädchen  mit  dem  Blut 
am  Bein,  von  1909,  abgebildet  S.  154  (Sammlung  Gangnat). 


155 


Ruhender  Hirtenknabe  (Bildnis).     1911. 
Sammlungr  Thurneyssen,  München. 


(0,93:0,75) 


wird  in  der  Wagramschen  Sammlung  nicht  fruchtlos  die  beiden 
Bilder  vergleichen.  Das  übertriebene  Prestige  der  Werke  der 
siebziger  Jahre  hält  vor  solchen  Vergleichen  nicht  stand.  Auf 
der  „Source"  ist  ein  reizendes  Mädchen  märchenhaft  gemalt;  das 
andere  ist  eine  Göttin.  Und  die  Darstellungsmittel  entsprechen 
den  Motiven.  Ein  Hauch  von  Griechentum  dringt  in  das  späte 
Werk  Renoirs.  In  der  gelassenen  Fülle  mancher  Baigneuses 
schlummert,  lose  verhüllt,  antikes  Wesen.  Er  hat  in  einem  kleinen 
Bilde  bei  Gangnat  „Ode  aux  fleurs"  eine  Erinnerung  an  Ana- 
kreon  gemalt,  die  als  Illustration  seines  eigenen  Wesens  gelten 
könnte*).  Der  ruhende  Hirtenknabe  der  Sammlung  Thurneyßen 
in  München,  der  im  Frühjahr  1911  entstand,  ergänzt  diese  Melodie. 
So  erweitert  sich  allmählich  die  Welt  um  Renoir.  Er  beginnt 
bei  Courbet  und  endet  bei  der  Antike.  Vergessen  wir  nicht,  daß 
keine  Etappe  dieser  langen  und  auch  heute  noch  nicht  beendeten 

*)  Das  Motiv  entstand  als  Aquarell  für  eine  Anakreon- Ausgabe  im  Besitz 
des  Herrn  Arthur  Meyer  in  Paris.  Ein  ähnliches  Mädchen  hat  Renoir  für  Vollard 
lithographiert. 


156 


Reise  ihn  aus  unserer  Nähe  vertrieb.  Er  blieb  in  der  Gegenwart 
und  blieb  mit  allen  Regungen,  die  sich  in  Werke  umsetzen,  Sohn 
seines  Volkes.  Er  entfernte  sich  zuweilen  von  den  Tagesfragen 
und  war  nie  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  aktuell.  Er  blieb  stets 
in  den  weiten  Grenzen  der  französischen  Tradition.  Man  könnte 
sagen,  er  habe  mit  jeder  Etappe  seiner  Entwicklung  ein  weiteres 
Gebiet  der  Tradition  seines  Landes  belebt.  Im  Alter  unterstrich 
er  womöglich  noch  diese  Treue  seiner  Instinkte.  Nie  ist  seine 
Beziehung  zum  Dixhuitieme  deutlicher.  Aber  auch  jetzt  noch  er- 
kennt man  sie  als  Teil  seiner  vielartigen  Beziehungen  zu  der  Kunst 
seiner  Ahnen,  nicht  als  ihre  Summe.  Die  antike  Ruhe  seiner 
Gestalten  reicht  weit  über  die  frivole  Welt  der  Boucher  und  Frago- 
nard  hinaus. 

Aus  der  bunten  Menge  von  Bildern  ragt  ein  Werk  hervor, 
das  als  ein  Abschluß  mancher  Tendenzen  des  Meisters  gelten  kann. 
Es  besteht  aus  den  beiden  zusammengehörenden  Panneaux  mit 
Tänzerinnen.  Seinem  getreuen  Anhänger  Gangnat  zuliebe  ent- 
schloß sich  Renoir  im  Sommer  1909  noch  einmal  zu  einem  umfang- 
reichen Format*)  und  malte  die  beiden  Gestalten  in  Lebensgröße. 
Es  war  eine  saure  Arbeit.  Die  Höhe  der  Panneaux  zwang  ihn, 
stehend  zu  malen.  Die  Glieder  murrten,  die  Anstrengung  machte 
ihn  krank,  die  Seinen  waren  in  Sorgen.  Aber  nach  wenigen  Wochen 
standen  beide  Bilder  vollendet  da.  Sie  strahlen,  von  keiner  Qual 
bedrückt.  Nie  ist  Renoirs  Kunst  frischer  und  froher  gewesen.  Dem 
Greis  gelang  ein  Denkmal  der  Jugend. 

Es  ist  kein  starres  Monument.  Dem  Zwecke  entspräche  nicht 
die  ernste  Linie.  Farbige  Gewebe,  luftig  wie  leichte  Wölkchen, 
durch  die  das  Licht  bricht,  sind  seine  Formen.  An  Schleiern  hängen 
Rosengewinde.  Reflexe  von  Perlen  sind  in  Gaze  gewirkt.  Ein 
Märchenerzähler  des  Orients,  dem  alle  Kleinodien  aus  Tausend- 
undeine Nacht  zur  Hand  waren,  erfand  die  Kostüme.  Für  die 
Schwarze  mit  dem  Mohn  im  Haar,  die  ihm  sicher  die  liebste  war, 

*)  Es  gibt  aus  der  letzten  Zeit  mehrere  große  Bilder  in  Breitformat  mit 
liegenden  weiblichen  Akten.  Das  bedeutendste  scheint  mir  das  aus  1907,  im 
Besitz  der  Mlle.  Dieterle  in  Paris  (1,52:0,68).  Durand  Ruel  besitzt  ein  ähn- 
liches Bild;  ein  drittes  ist  im  Besitz  des  Künstlers.  Man  könnte  diese  Bilder 
mit  der  schönen  Serie  der  dekorativen  Stücke  mit  liegenden  Frauengestalten 
vergleichen,  die  aus  den  siebziger  Jahren  stammen  und  gegenwärtig  im  Besitz 
VoUards  sind.     Zwei  davon  sind  unter  den  Werken  dieser  Zeit  abgebildet. 


157 


Panneau.     1900.  (0,64:1,55) 

Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris 
Photographie  Druet. 


158 


Panneau.     1909. 
Sammlung  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,64:1,55) 


159 


das  Blau;  ein  Himmelblau  mit  Weiß  und  Grau  und  Rosa,  und  ein 
dunkleres  Blau  in  dem  Schal,  der  um  den  durchsichtigen  Rock  ge- 
schlungen ist.  Die  Brust  umgibt  die  kurze  Weste  eines  Toreadors*), 
aus  Orange  und  venezianischem  Rot,  die  ineinander  übergehen, 
ineinander  strahlen  wie  auf  Bildern  Grecos.  Für  die  andere,  die 
Blonde  mit  dem  Tamburin,  die  auch  solch  eine  spanische  Weste 
trägt,  das  Rot;  ein  türkisches  Rot,  das  mit  leichterem  grünlichen 
Stoff  gefaßt  ist,  und  dessen  starke  Töne  das  strahlende  Rosa 
des  Fleisches  ergänzen.  Den  weißgrauen  Mull  der  Pumphosen 
schmücken  blaue  Flecken.  Das  Blau  kommt  auch  in  anderen 
Details  wieder  und  unterhält  die  farbigen  Beziehungen  zu  dem 
Kostüm  der  Partnerin.  Unter  dem  bunten  Behänge  regen  sich  die 
rundlichen  Körper,  langsam  und  ein  wenig  träge.  Sie  gleichen 
übervollen  Blüten,  die  der  Wind  nur  wenig  bewegt. 

Die  Panneaux  hängen  in  einem  kleinen  Pariser  Eßzimmer,  zu 
beiden  Seiten  eines  Pariser  Spiegels.  Sie  könnten  in  anderen 
Räumen  hängen,  es  ließe  sich  ein  Palast  denken,  der  von  solchen 
Bildern  würdig  geschmückt  würde.  Er  müßte  feenhaft  sein.  Aber 
wo  wäre  der  Baumeister,  fähig,  Formen  zu  erfinden,  die  dieser 
losen  Pracht  zum  Rahmen  dienen  könnten,  der  so  zu  bauen  ver- 
möchte, daß  Raum  und  Bild,  wie  im  achtzehnten  Jahrhundert  und 
in  den  Zeiten  vorher,  wie  von  einer  Hand  geschaffen  erschienen? 
Und  wo  wäre  der  Bauherr?  In  die  Freude  des  Betrachters  dieser 
Dekorationen,  die  alles  Dekorative  unserer  stilarmen,  stilsüchtigen 
Zeit  so  weit  hinter  sich  lassen,  mischt  sich  das  Bedauern,  daß  wir 
keine  Paläste  mehr  bauen,  daß  keine  Fürsten  mehr  da  sind,  um 
solche  Meister  zu  nützen.  Aber  sind  die  Bilder  deshalb  weniger 
wert?   Erfüllen  sie  nicht  etwa  gerade  deshalb  ihre  hohe  Bestimmung? 

Die  beiden  Tänzerinnen  wecken  die  Erinnerung  an  viele  Dinge. 
Man  denkt  an  die  Etappen,  die  diesem  Meisterwerk  vorangingen, 
an  die  anderen  Panneaux  mit  Tänzern,  die  uns  jetzt  wie  rohe  Wirk- 
lichkeit erscheinen  mögen,  an  das  andere  Bild  mit  Orientalinnen, 
das  nicht  über  die  Verkleidung  hinauskam,  an  den  vergeblichen 
Kampf  mit  Delacroix'  Frauengemach.  Man  überblickt  die  endlose 
Reihe  von  Bildern,  die  auf  vielen  Umwegen  in  die  Höhe,  bis  schließlich 
in  dieses  winzige  Zimmer  führten.   Und  vor  solcher  Realität  verliert 

*)  Ein  Andenken  der  Reise  nach  Spanien,  die  Renoir  —  ich  g^laube,  im 
Jahre  1892  —  mit  dem  Sammler  Paul  Gallimard  unternommen  hatte. 


160 


das  Bedauern  über  vergangene  Möglichkeiten  den  Stachel.  Man  ver- 
gißt das  winzige  Eßzimmer,  den  Spiegel  und  die  ganze  Kleinheit 
unserer  Lebensbedingungen.  Vielleicht  mußte  das  alles  zusammen- 
schrumpfen, um    der  Phantasie   eines  Renoir   die  Flügel   zu   lösen. 

Nicht  alle  Freunde  Renoirs  werden  meine  Schätzung  der  letzten 
Periode  ohne  Widerspruch  hinnehmen;  noch  weniger  die  Gleich- 
gültigen, die  Renoir  überhaupt  nicht  kennen  und  sich  mit  den 
Abbildungen  dieses  Buches  eine  Vorstellung  zu  bilden  suchen. 
Ich  habe  sanfte  Leute  vor  der  Photographie  des  Porträts  der 
Frau  T.  und  ihres  Söhnchens*)  in  Wut  ausbrechen  sehen  und 
habe  vergeblich  auf  die  Unzulänglichkeit  der  Abbildung  hin- 
gewiesen. Es  mag  zugegeben  werden,  daß  auch  das  Original 
dieses  Bildes  den  flüchtigen  Betrachter  nicht  erobert,  weil  manche 
dem  bequemen  Laien  nicht  immer  gelegene  Bedingungen  kultureller 
Art  zu  erfüllen  sind,  bevor  man  zum  Genuß  gelangt,  und  daß 
gerade  die  Bildnisse  dem  werbenden  Verständnis  große  Wider- 
stände entgegenstellen**).  Auch  trifft  auf  die  Bilder  der  letzten 
Zeit  zu,  was  von  frischen  Weinen  gilt:  sie  bedürfen  der  Lagerung. 
Renoir  hat  sich  früher  wenig  um  die  materiellen  Eigenschaften 
seiner  Farbmittel  und  ihre  in  technischer  Hinsicht  rationelle  Ver- 
wendung gekümmert  und  schrieb  manche  Unzulänglichkeit  früherer 
Werke  diesem  Umstand  zu.  Später  zog  er  auch  den  Einfluß  der 
Zeit  auf  die  Farben  und  die  Farbenkontraste  in  den  Bereich  seiner 
Fürsorge  und  erhöhte  alle  Töne,  die  später  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  nachlassen;  namentlich  die  Lacke.  Daher  das  übertriebene 
Rot  mancher  Fleischtöne  in  jungen  Bildern.  Die  Farben  „arbeiten" 
mehrere  Jahre,  bis  sie  vollkommen  zu  dem  schönen  Email  zusammen- 
gewachsen sind. 

Die  Skala  gilt  vielen  für  süßlich.     Aber  diesen  Empfindlichen 

*)  In  der  Sammlung  Thurneyßen,  München.  Renoir  hält  dieses  Bildnis 
für  eins  seiner  besten.  Er  malte  es  im  Sommer  1910  während  eines  längeren 
Aufenthalts  in  der  Umgebung  Münchens.  —  Von  nahezu  allen  Photographien 
der  letzten  Zeit  gilt  dasselbe:  es  gelingt  nicht,  den  Eindruck  der  geteilten  Flächen 
wiederzugeben  und  die  Differenzen  der  Werte  beizubehalten.  Die  roten  Töne 
werden  schwarz.  Die  Abbildungen  wirken  dunkel  und  sdiwer  und  fälschen  die 
wichtigste  Eigenschaft  der  Werke,  ihre  lichte  Leichtheit. 

**)  Die  wenigen,  zum  Teil  nicht  ganz  typischen  Bilder  der  Spätzeit,  die 
durch  das  Vermächtnis  des  Grafen  Camondo  in  den  Louvre  gelangt  sind,  haben 
die  Situation  nicht  wesentlich  verändert.  Das  bedeutendste  dieser  Bilder  figuriert 
unter  unseren  Abbildungen. 


161 


Bildnis  der  Frau  T.  und  ihres  Sohnes.     1910. 
Sammlung  Thurneyssen,  München. 


(0,80:1,00) 


162 


Stilleben.     1909. 

Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris. 

Photographie  Druet. 


(0,46:0,55) 


fehlt  die  Empfindlichkeit  für  das  Beste.  Zufrieden  mit  einer 
mechanischen  Aufnahme  der  Kunst,  nehmen  sie  Renoir  wie  mit 
einem  Dreifarbendruck -Verfahren  auf,  das  alle  feineren  Differenzen 
unterdrückt  und  nur  das  Zuckerstangen-Rosa,  die  Veilchenbläue 
und  das  blinde  Weiß,  die  feststehenden  Symbole  für  den  Kommis- 
geschmack,  übrigläßt.  Sie  sehen  nicht  die  Töne  zwischen  diesen 
abgebrauchten  Enden  einer  reichen  und  ganz  originellen  Skala 
und  verfahren  nicht  anders  als  die  flinken  Literaturkenner,  für 
die  der  Reim  mit  Herz  und  Schmerz  eo  ipso  zur  Poesie  der 
Töchterschule  gehört.  Vielleicht  war  wirklich  die  Vision  des 
früheren  Porzellanmalers  der  Reflex  einer  mehr  oder  weniger 
banalen  Farbensymbolik  seiner  Zeit.  Daß  in  seinen  reichsten 
Variationen  immer  noch  dieser  volkstümliche  Anfang  bemerkt  wird, 
möchte  ich  als  seltenen  Vorzug  preisen. 


163 


Sitzendes  Mädchen.     1908/1909. 
Legs.  Camondo,  Louvre,  Paris. 
Photographie  Durand  Ruel. 


(0,54:0,65) 


164 


Freie  Kopie  nach  Corot.     1898. 
Sammlung-  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,55:0,40) 


Vermutlich  würde  man  sich  anders  zu  dem  Spätwerk  ver- 
halten, wenn  mehr  davon  zu  sehen  wäre.  Die  öffenthchen 
Sammlungen,  die  ja  überhaupt  erst  anfangen,  Renoir  als  Klassiker 
zu  behandeln,  besitzen  nichts  aus  dieser  Zeit.  Die  Ausstellungen 
vergaßen  in  der  Regel  den  alten  Renoir  über  dem  jungen.  Erst  seit 
wenigen  Jahren  kümmert  sich  der  deutsche  Handel  um  das  Spätwerk 
und  bringt  daraus  vereinzelte  Stücke.  Keine  Etappe  Renoirs  ist 
weniger  für  diese  brockenhafte  Betrachtung  geeignet.  Man  kann 
jede  der  vorhergehenden  Perioden  aus  ein  paar  Werken  kennen 
lernen.  Die  letzte  ist,  mag  das  ein  Vorzug  oder  Nachteil  sein,  auf 
die  Vielheit  der  Variationen  geradezu  angelegt.  Die  beiden  Tanz- 
panneaux  mögen  ihr  hervorragendstes  Werk  sein  und  mit  Recht  als 
ein  Abschluß  der  Dekoration  Renoirs  gelten.  Doch  könnten  sie  ganz 
fehlen,  ohne  daß  die  Fülle  geringer  erschiene.  Und  diese  Fülle, 
dieser  Überfluß  gehört  zu  dem  Sohne  eines  Delacroix  und  dem  Enkel 
eines  Rubens.  Wir  können  und  möchten  uns  sein  Alter  nicht  anders 
denken.  Die  drei  vorhergehenden  Perioden  sind  große  Ströme,  an 
deren  erhabenen  Ufern  niemand  ohne  Lust  verweilt.  Sie  kamen  zu- 
sammen und  strömen  jetzt  in  hundert  kleineren  Armen  der  Mündung 


165 


Vue  du  Cannet.      1901. 
Sammlung-  Maurice  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,65:0,54) 


zu.  Keiner  dieser  Arme  hat  die  gewaltigen  Ufer  der  Ströme.  Das 
Gelände  aber,  das  die  hundert  Arme  bewässern,  ist  Renoirs  glück- 
lichste Provinz.    Die  Sonne  geht  in  diesem  Reich  nicht  unter. 

Ich  habe  den  späten  Renoir  erst  vor  den  hundert  Bildern  der 
Sammlung  Gangnat  kennen  gelernt,  die  für  ihn  das  bedeutet,  was 
die  Sammlung  Pellerin  für  Cezanne  geworden  ist*).  In  München  ver- 
sprach die  Sammlung  Thurneyßen  in  kleinerem  Umfang  etwas  Ahn- 
liches zu  werden**).  Sie  ist  bis  heute  der  einzige  Ort  in  Deutsch- 
land, wo  man  sich  über  des  Meisters  Ziel  orientieren  kann. 


*)  Die  Bilder,  zirka  120,  meist  kleinere  Formate,  stammen  fast  ausschließ- 
lich aus  den  beiden  letzten  Jahrzehnten  und  bilden  außer  zehn  Landschaften 
Cezannes  und  einigen  Kleinigkeiten  der  jüngeren  Generation  den  Bestand  der 
Sammlung. 

**)  Sie  besitzt  zehn  Bilder  aus  dem  letzten  Jahrzehnt. 


166 


Gabrlelle.     1907. 

Sammlung*  Maurice  Gangnat,  Paris. 

Photographie  Druet. 


(0,31:0,34) 


Zu  Renoir  gehört,  mehr  noch  als  zu  Cezanne,  der  wohnliche 
Raum.  Und  ich  möchte  fast  sagen:  der  Pariser  Raum.  Seine 
Bilder,  die  man  außerhalb  Frankreichs  findet,  scheinen  sich  nach 
ihrem  Vaterland  zu  sehnen  und  flößen  dem  Betrachter  die  gleiche 
Sehnsucht  ein.  Sein  Werk  ist  noch  weniger  als  das  Cezannes 
das  beziehungslose  Neutrum,  das  unsere  Anarchie  der  Kunst  noch 
übrig  läßt.  Als  Ziel  gilt  ihm  nicht  jener  moderne  Begriff  der 
Schönheit  an  sich,  die  dem  Monstrum  verwandt  ist.  Seine  Be- 
ziehung zur  Mitwelt  erschöpft  sich  nicht  mit  dem  Modell,  sein 
Ehrgeiz  nicht  mit  dem  Bewußtsein  individueller  Entwicklung.  Er 
möchte  mehr  sein  als  das  in  der  Masse  verlorene  Individuum,  das 
wir  in  die  Wolken  erheben,  wo  es  von  der  Masse  noch  weiter 
entfernt  ist.  Er  möchte  zur  Masse  sprechen.  Er  appelliert  an 
Menschen,  nicht   an   diesen  oder  jenen  Amateur,  der  sich   irgend- 


167 


Rosen.     Geg-en  1909. 
Sammlung-  Louis  Bernard,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,46:0,55) 


WO  eine  Burg  des  Egoismus  errichtet;  sondern  an  Naive  seiner 
Art,  an  Landsleute,  an  alle  Fühlende  seiner  Rasse;  er  möchte  an 
alle  appellieren.  Und  vielleicht  beruht  auf  dieser  Schranke,  die  jeder 
Nichtfranzose  spürt,  die  eigene  Macht  Renoirs,  größere  Schranken 
zwischen  Kunst  und  Leben  hinwegzuräumen.  Höheres  als  seine 
Malerei  möchte  er  hinstellen;  hinweisen  auf  das,  was  ihn  werden 
ließ;  mit  seiner  Kunst  dienen;  keine  Formenprobleme,  sondern  das 
Leben,  des  Lebens  Notdurft  mit  Wärme  umgürten;  schlichter  Hand- 
werker sein,  getrieben  von  einem  vielen  gemeinsamen  Gefühl. 


168 


Man  kann  dieses  Geständnis  zwischen  den  Zeilen  eines  Auf- 
satzes lesen,  den  er  vor  zehn  Jahren  für  die  neue  französische  Ausgabe 
des  Cennino  Cennini  von  Victor  Mottez  geschrieben  hat*).  Es  steht 
ihm  nicht  schlecht,  diesem  alten  Traktat  der  Kunst  als  Vorredner 
zu  dienen.  Er  schreibt  bewundernd  von  den  „Chefs-d'oeuvre 
corporatifs"  der  Alten,  die  eindringlicher  für  die  Größe  einer 
Epoche  zeugten  als  die  Werke  ihrer  Genies,  die  ja  doch  immer 
über  ihre  Zeit  hinauswachsen,  und  sieht  in  dem  Aussterben  des 
Handwerks  ein  bedenkliches  Symptom.  Der  Kunst  drohe  Ver- 
derben, seitdem  sie  kein  Handwerk  sei  wie  Schlossern  und  Tisch- 
lern, das  von  dem  Meister  gelehrt,  von  dem  Jungen  gelernt  wurde 
und  von  einer  Generation  auf  die  andere  überging;  seitdem  keine 
Gemeinschaft  mehr  unter  den  Schaffenden  sei,  kein  starker 
Glaube  Künstler  und  Laien  verknüpfe,  seitdem  der  Eigennutz  der 
Persönlichkeit  das  allen  geläufige  Ideal  verdrängt  habe.  Er  klagt 
nidit,  er  hat  nicht  einmal  Sehnsucht  nach  jenen  alten  Zeiten  und 
versdiweigt  kaum,  wie  skeptisch  er  alle  Reorganisationsversuche 
einschätzt.  Er  denkt  nicht,  man  könne  mit  Traktaten  von  Cennino 
Cennini  die  Zeiten  des  Fresko  zurückgewinnen.  Es  gab  vielleicht 
dreißig  Jahre  vorher  einen  weniger  gelassenen  Renoir,  einen 
Stürmer  und  Dränger,  der  bitter  klagte  und  sich  sehnte  und  nahe 
daran  war,  den  alten  Ingres -Schüler  Mottez  um  seinen  Cennini 
und  die  Fresken  in  St.  Germain -l'Auxerrois  zu  beneiden. 

Dem  Alten  fehlte  der  Grund  zur  Klage.  Bis  ins  letzte  Jahr  ver- 
ging kein  Tag,  an  dem  er  nicht  den  Pinsel  in  die  gichtbrüchigen 
Finger  nahm,  und  nie  geschah  es  vergebens**).  Durch  alle  Wirrnisse 
der  Zeit  hindurch  drang  er  zum  Heil.  Die  Wärme  seiner  Hingabe, 
die  Kraft  seines  Intellekts  ersetzte,  was  ihm  die  Zunft  versagte. 
Er  wurde  zum  Wisser  aller  Geheimnisse  der  Kunst  und  hat  sie  in 
strahlenden  Zeichen  niedergelegt,  für  jeden  Suchenden  verständlich. 

*)  Die  schöne  Vorrede  —  ein  seltenes  Glaubensbekenntnis  für  einen  Im- 
pressionisten —  ist  in  Form  eines  Briefes  an  Herrn  Henry  Mottez,  den  Sohn  des 
Übersetzers,  des  bekannten  Ingres -Schülers,  gehalten.  Herr  Henry  Mottez  hat 
die  neue,  wesentlich  ergänzte  Ausgabe  des  Cennini  veranstaltet,  an  der  audi 
Maurice  Denis  beteiligt  ist.  Die  Vorrede  erschien  zuerst  in  der  Zeitschrift 
L'Occident  (No.  103  Jahrgang  1910).  In  dem  Verlage  der  Zeitschrift  ist  soeben 
auch  das  Buch  erschienen. 

**)  Vgl.  das  vor  kurzem  erschienene  illustrierte  Buch  von  Andre  über 
Renoir,  das   nur  Werke  aus  den  letzten  Kriegsjahren  enthält. 


169 


Wird  er  gelesen  werden?  Wird  man  diesen  lebendigen 
Traktat  von  Schönheit  und  Weisheit  nützen?  Wird  er  Schule 
machen?  Bis  heute  deutet  wenig  darauf  hin.  Auf  einen  Weisen, 
der  zur  Ordnung  mahnt,  kommen  Hunderttausende,  denen  die 
Wirrnis  dient.  Auch  dieser  reinste,  gläubigste  unserer  Meister 
wird  wieder  nur  den  blinden  Glauben  an  Begabung  und  Persön- 
lichkeit fördern,  nicht  das  Vertrauen  auf  Wissen  und  Können,  und 
wird  allein  bleiben,  auch  wenn  man  ihn  zum  Idol  erklärt. 

Das  ist  er  den  Franzosen  schon  heute.  Sie  stellen  ihn  über 
Cezanne.  Und  zwar  nicht  nur  die  greisenhaften  Leute  des  ancien 
regime,  die  in  ihm  so  etwas  wie  einen  letzten  Versuch  „Louis  XV." 
erkennen;  auch  die  Jungen,  die  Jüngsten,  die  der  Anarchie  müde 
geworden  sind  und  zu  einem  Lehrmeister  wie  Ingres  zurück  möchten. 
Renoirs  Zeit  kommt  noch.  Denn  diesen  skeptisch  gewordenen  Um- 
stürzlern, die  für  jeden  Klassizismus  reif  sind,  kann  der  Werdegang 
des  fruchtbarsten  Meisters  unserer  Zeit  den  Weg  weisen,  der  zwischen 
Schule  und  Persönlichkeit  zum  Heile  führt. 


Stilleben.     Gegen  1905. 
Privatsammlung-,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(Kleines  Format) 


170 


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171 


Jeunes  filles  regardant  un  album.    1899. 
Sammlung  Durand  Ruel,  Paris. 


(0,65:0,81) 


172 


Frauentorso.     1906. 

Sammlung  Prince  Wagram,  Paris. 

Photographie  Druet. 


(0,73:0,92 


173 


Coco  mit  den  beiden  Mädchen.     1910. 
Sammlung  Maurice  Gangnat,  Paris. 
Photographie  Druet. 


(0,54:0,65) 


174 


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Photographie  nach  dem  Leben.     1911. 


» 


175 


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Forain:  Bildnis  Renoirs. 
Verlag  Vollard,  Paris. 


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■*iv- 


^ 


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/ 


(Lithographie) 


176 


Verzeichnis  der  Abbildungen 

Seite 

Titelbild:    Renoir.    Photographie  nach  dem  Leben.    Gegen  1900       ....  2 

Renoir  in  seinem  Atelier.     1914 nach  Seite  4 

Le  Cabaret  de  la  Mere  Anthony.     1866 9 

Diane  Chasseresse.     1866/67 H 

Lisa.     1867 13 

Bildnis  des  Malers  Sisley.     1868 19 

Le  Menage  Sisley.     1868 21 

La  Grenouillere.     1868 23 

Delacroix,  Les  Femmes  d'Alger 26 

Parisiennes  habillees  en  Algeriennes.     1872 27 

Le  gargon  au  chat.     1868 35 

Damenbildnis.     1870 37 

Bildnis  der  M^e  Maitre.     1871 39 

La  Promenade.     1870 40 

Le  dejeuner.     Gegen  1871 41 

L'Amazone.     1873 42 

Tannhäuser.     Skizze.     1879 43 

La  Loge.     1874       45 

La  Danseuse.     1874 47 

M"e  Legrand.     Gegen  1875 49 

Mlle  Durand  Ruel.     1876 51 

Selbstbildnis.     Gegen  1875        55 

Moulin  de  la  Galette.     1876 57 

La  Grenouillere.     Gegen  1873 59 

Landschaft.     Gegen  1875 60 

La  Source.     1876 61 

La  Familie  Charpentier.     1878 63 

Place  Pigalle.     Gegen  1880 64 

Le  Dejeuner.     1879 65 

Panneau.     Gegen  1878 66 

Panneau.     Gegen  1878 67 

La  femme  au  chat.     1878/79 69 

Damenbildnis.     1876 71 


177 


Seite 

Les  Pecheuses  de  moules.     1879 73 

Tannhäuser.     Skizze.     1879 74 

Les  grands  Boulevards.     1875 75 

Entwurf  einer  Dekoration.     Gegen  1875 76 

Sur  l'herbe.     Geg-en  1875        77 

Frauenbüste.     Gegen  1875 78 

Aktstudie.     Gegen  1875 79 

Junges  Mädchen.     Gegen  1875 80 

Ingenue.     Gegen  1876 81 

Bildnis  des  Herrn  Choquet.     1876        82 

Le  premier  pas.     Gegen  1877 83 

La  Pensee.     Gegen  1877         84 

Confidences.     Gegen  1878 85 

MUe  Samary.     1879 86 

Mädchenkopf.     Gegen  1880 87 

Bildnis  des  Malers  Cezanne.     1880 88 

Girardon,  Bleireliefs  in  Versailles 89 

Le  Dejeuner  des  Canotiers.     1881        93 

Baigneuse.     1881 95 

La  danse  ä  la  Campagne.     1883 97 

La  danse  ä  la  Campagne.     1883 98 

La  danse  ä  la  ville.     1883 99 

Baigneuse.     1885 101 

Zeichnung  zu  den  „Baigneuses".     Gegen   1885 103 

Zeichnung  zu  den  „Baigneuses".     1885 104 

Zeichnung  zu  den  „Baigneuses".     1885 105 

Zeichnung  zu  den  „Baigneuses".     1885 107 

Les  Baigneuses.     1885 109 

L'apres  -  midi  des  enfants  ä  Wargemont.      1884 115 

Mutter  und  Kind.     1886 .123 

Das  Federballspiel.     1886 124 

Das  Mädchen  mit  den  Garben.     1888 125 

Au  jardin.     1885 127 

Les  FiUes  de  Catulle  Mendes.     1888 129 

Mine  de  Bonnieres.     1889 133 

Coco.     Relief.     Gegen  1907 134 

Au  piano.     1892 135 

Richard  Wagner.     1893       137 

Rötelzeichnung.     Gegen  1894 .  139 

Schlafende  Baigneuse.     1897 141 

Pecheuses  de  moules  (Wiederholung).     1895/98 145 

Baigneuses.     Gegen   1897 146 

Coco.     1903 147 

Der  Garten  von  Essoyes.  1903 148 

Coco.  1904 149 


178 


Seite 

Coco.     1905 150 

Baigneuses  (Wiederholung).     190102 151 

Femme  couchee.     1902 152 

Verwundetes  Mädchen.     1909 154 

Ode  aux  fleurs.     1909 155 

Ruhender  Hirtenknabe.     1911 156 

Panneau.     1909 158 

Panneau.     1909 159 

Bildnis  der  Frau  T.  und  ihres  Sohnes.     1910 162 

Stilleben.     1909 163 

Sitzendes  Mädchen.     1908/09 164 

Kopie  nach  Corot.     1898 165 

Vue  du  Cannet.     1901 166 

Gabrielle.     1907 167 

Rosen.     Gegen  1909 168 

Stilleben.     Gegen  1905       170 

Baigneuses.     Gegen  1897 171 

Jeunes  Filles  regardant  un  album.     1899 172 

Frauentorso.     1906 173 

Coco  mit  den  beiden  Mädchen.     1910 174 

Renoir.     Photographie  nach  dem  Leben.     1911 176 

Forain,  Renoir-Porträt.    Lithographie 177 


179 


DRUCKE  DER 
MAREES  -  GESELLSCHAFT 

HERAUSGEGEBEN  VON 

JULIUS  MEIER-GRAEFE 


INDER 

FÜNFTEN  REIHE  DER  DRUCKE 

(WINTER  1920) 

ERSCHEINT  DAS  WERK: 

PASTELLE  VON 
RENOIR 

IN  FAKSIMILEDRUCKEN 
TEXT  VON  JULIUS  MEIER-GRAEFE 


PREIS  UNGEFÄHR 
MARK  EINTAUSEND 


DIE  GESCHÄFTSSTELLE: 

R.  PIPER  &  C°,  VERLAG,  MÜNCHEN 


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