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Full text of "Aus Aachens Vorzeit"

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MITTHEILUNGEN 


DES 


VEREINS  FÜR  KÜNDE  DER  AACHENER  VORZEIT. 


DI  AUFTEAG  DES  VORSTANDS   HERAUSGEGEBEN 

VON 

RICHARD  PICK. 

AKCHIVAR  DEE   STADT  AACHEN. 


ERSTEH  JAHRGANG. 


(MIT  ZWEI    TAFELN.) 


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AACHEN. 

KOMMISSIONS-VERLAG  DER  CREMER'SCHEN  BUCHHANDLUNG  (c.  CAZIN). 

1888. 


Seite 

l:;.  Die  vormalige    Bruders»  halt    vom   Leiden  Jesu  in  der  St.  Peters- 

pfaiTe  zu  Aachen.     Von  K.  Wacker 143 

II.  Aus   dem  Tagebuch  des    Aachener  Stadtsyndikus  Dr.  Peter  Fell. 

Von  E.  Pauls 153 

L5.  St.  Gertruden   Minne.     Von  K.  "Wieth 163 

L6.  Bliscellen: 

1.  Der   abtrünnige   Mönch    und   Pfarrer  von  St.   Peter  zu 

Aachen,  Heinrich  Beyer  von  Capellen.    Von  S.  Planker.  177 

_'.  Der  Philosoph  Hegel  in  Aachen 180 

:!.  Die  Bezeichnung  „upt  Yseren".     Von  R.  Pick.     .     .     .  ISO 

17.  Antworten 181 

is.  Chronik  des  Vereins  1885/87 185 

L9.  Statuten 190 

20.   .Mitglieder- Verzeichniss 192 


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MITTHEILUNGEN 


DES 


VEREINS  FÜR  KUNDE  DER  AACHENER  VORZEIT. 


m    AUFTRAG   DES  VORSTANDS   HERAUSGEGEBEN 

VON 

RICHARD  PICK, 

ARCHIVAR   DEB  STADT  AACHEN. 


ERSTER    JAHRGANG. 

ERSTES  HEFT. 
(MIT   ZWEI   TAFELN.) 


AACHEN. 

KOMMISSIONS-VERLAG    DER   CREMER'SCHEN    BUCHHANDLUNG   (c.   CAZIN). 

1887. 


.MITTHEILUNGEN 


z 


DES 


VEREINS  FÜR  KUNDE  DER  AACHENER  VORZEIT. 

IM   AUFTEAG  DES   VORSTANDS   HERAUSGEGEBEN 

VON 

RICHARD  PICK, 

AECHIVAR  DER  STADT  AACHEN. 


EESTEE  JAHRGANG. 

ERSTES  HEFT. 
(MIT    ZWEI   TAFELN.) 


AACHEN. 

KOMMISSIONS- VERLAG  DER  CREMER'SCHEN  BUCHHANDLUNG  (c.  CAZIN). 

1887. 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolin- 

gischer  Zeit. 

Von  R.  Pick. 

In  den  geschichtlichen  Beschreibungen  der  alten  Kaiser- 
stadt sucht  man  vergebens  nach  einer  Darstellung  oder  auch 
nur  nach  einer  Andeutung  über  die  kirchlichen  Verhältnisse, 
welche  hier  vor  der  Entstehung  des  Münsters,  also  vom  Aus- 
gang des  8.  Jahrhunderts  aufwärts  bis  zur  Einführung  des 
Christenthums  in  unserer  Gegend,  bestanden  haben.  Dass  es 
lange,  bevor  Karl  d.  Gr.  den  Bau  der  denkwürdigen  Pfalz- 
kapelle begann,  in  Aachen  bereits  eine  christliche  Gemeinde 
und  ein  christliches  Gotteshaus,  eine  Volkskirche  mit  einem 
Leutpriester  (plebanus)  gab,  lässt  sich  nicht  wohl  bezweifeln. 
Schon  die  urkundlich  bezeugte  Thatsache,  dass  vor  Errichtung 
der  Pfalzkapelle  christliche  Fürsten  das  Oster-  und  Weihnachts- 
fest hier  feierten1,  meine  ich,  spräche  laut  genug  für  diese  An- 
nahme, wenn  andere  Zeugnisse  fehlten. 

Neben  dem  Münster,  das  am  Dreikönigentag  805  von 
Papst  Leo  III.  eingeweiht  wurde  2,  gelten  von  den  noch  erhal- 
tenen Kirchen  St.  Adalbert,  St.  Peter  und  St.  Jakob  für  die 
ältesten  Gotteshäuser  der  Stadt,  aber  ihre  Entstehung  geht, 
wenigstens  was  die  ersten  beiden  betrifft,  nicht  über  unser 
Jahrtausend  hinaus.    Aelter  ist  vielleicht  die  Jakobskirche,  wenn 


')  Müklbacker,  Regesten  des  Kaiserreichs  unter  den  Karolingern  Nr. 
99  a  und  b,  127  e. 

2)  Jaffe,  Reg.  pontificum,  ed.  2,  t.  I,  p.  312;  Mühlbacher  a.  a.  0. 
Nr.  401  f. 


4  R.  Pick 

man  der  Volkssage  Glauben  schenkt,  die  hierin  eine  Jagd- 
kapelle Karls  d.  Gr.  erblickt.  Zwar  hat  eine  technische  Unter- 
suchung 1  ergeben,  dass  der  jüngst  abgebrochene  alte  Bau 
frühestens  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  augehört  hat,  aber 
damit  ist  keineswegs  erwiesen,  dass  nicht  eine  noch  ältere 
Kirche  des  h.  Jakob  an  derselben  oder  an  einer  andern  Stelle 
gelegen  habe.  Die  Geschichtsforschung  hat  in  dieser  Frage 
das  letzte  Wort  noch  nicht  gesprochen,  sie  ist  hierzu  erst  dann 
im  Stande,  wenn  der  "Wortlaut  des  ursprünglichen  Textes  oder 
der  frühesten  Abschriften  der  Yita  Karoli  magni 2  festgestellt 
sein  wird,  die  von  einem  anonymen  Autor  um  1165  im  An- 
schluss  an  die  Seligsprechung  dieses  Kaisers  auf  Betreiben 
Friedrich  Barbarossas  verfasst  wurde.  Von  ihr  bewahrt  das 
hiesige  Stadtarchiv  eine  Abschrift  des  15.  Jahrhunderts,  die  früher 
im  Besitz  des  Aachener  Geschichtschreibers  Peter  a  Beeck  war; 
eine  andere  Abschrift,  welche  Käntzeler  derselben  Zeit  zuschreibt, 
Kanonikus  Kessel  dagegen  richtiger  in  das  14.  Jahrhundert 
setzt,  befindet  sich  im  Archiv  des  Münsterstifts.  Vier  weitere 
Abschriften  beruhen,  drei  in  französischen  Bibliotheken,  eine 
in  Wien  3.  In  dem  dritten  Buche  dieser  Vita,  deren  genaue- 
rer Inhalt  bisher  nur  aus  den  beiden  Aachener  Abschriften 
bekannt  geworden  ist4,  wird  der  Feldzug  Karls  d.  Gr.  in  Spa- 
nien geschildert  und  erzählt,  dass  er  mit  dem  Gold  und  Silber, 
welches  ihm  spanische  Fürsten  zugebracht,  eine  Anzahl  Kirchen 
geschmückt  und  gegründet  habe,  darunter  auch  das  Münster 
in  Aachen  und  die  Kirche  des  h.  Jakob  in  demselben  Dorfe 5. 


')  Echo  der  Gegenwart  1885,  Nr.  179,  Bl.  I. 

2)  In  der  Aachener  historischen  Literatur  findet  sich  diese  Vita  mehr- 
fach mit  dem  völhg  ungerechtfertigten  Namen  des  Corsendonker  Manuskripts 
bezeichnet. 

3)  Hansen,  Beiträge  zur  Geschichte  von  Aachen  I,  S.  16. 

4)  Käntzeler,  Vita  sancti  Karoli  Magni,  saec.  XU«"-  Ruracmundae  187  t. 
Eine  neue  kritische  Ausgabe  der  Vita  mit  Benutzung  des  gcsammten  Hand- 
schriftenmaterials wäre  dringend  erwünscht. 

a)  Der  "Wortlaut  in  der  Handschrift  des  Stiftsarchivs  (Bl.  47  v.)  ist: 
„multas    fecit   ecclesias :  ecclesiam   scüicet   beate  Marie    virginis,   que  apud 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.  5 

Es  steht  fest,  dass  der  Verfasser  der  Lebensbeschreibung  die  auf 
Spanien  bezügliche  Stelle,  wie  so  manche  andere  des  dritten 
Buches,  der  sog.  Chronik  des  Turpin  (Bischof  von  Rheinis, 
f  um  800)  entnommen  hat,  einem  Machwerk,  das  fälschlich 
anter  diesem  Namen  im  11.  Jahrhundert  von  einem  Prior 
Gottfried  in  Vienne  (Dauphine)  verfasst  wurde.  Der  die 
Jakobskirche  betreffende  Zusatz  fehlt  bei  Turpin  und  ihn  hat 
wahrscheinlich  der  Verfasser  der  Vita,  in  welchem  man  deshalb 
und  aus  andern  Gründen  einen  Aachener  vermuthet,  möglicher- 
weise auch  erst  der  Schreiber  einer  der  spätem  Handschriften 
beigefügt.  Durch  die  Entscheidung  der  letztern  Alternative,  d.  h. 
durch  die  Feststellung,  ob  jener  Zusatz  sich  bereits  im  ursprüng- 
lichen Text  der  Vita,  bezw.  in  einer  gleichzeitigen  oder  wenig 
spätem  Abschrift  derselben  vorfindet,  oder  ob  er  erst  in  den 
Abschriften  nachheriger  Zeit  vorkommt,  wird  zugleich  das  Alter 
der  Jakobskirche  bestimmt.  Denn  wäre  er  im  Original  oder 
einer  bald  nachher  davon  genommenen  Abschrift  enthalten,  so 
würde  damit  der  vollgültige  Beweis  erbracht  sein,  dass  in  der 
zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  eine  Jakobskirche  in  Aachen 
bestand  und  bereits  so  alt  war,  dass  man  ihre  Gründung  ohne 
Anstoss  Karl  d.  Gr.  zuschreiben  konnte  K  Doch  mag  dem  sein, 
wie  ihm  wolle,  mag  die  Jakobskirche  von  Karl  d.  Gr.  erbaut 
oder  erst  Ende  des  12.  Jahrhunderts  entstanden  sein,  bei  der 
Erörterung  der  ältesten  kirchlichen  Zustände  Aachens  kommt 
sie  in  keinem  Falle  in  Betracht. 

Es  entsteht  nun  die  Frage,  ob  sich  nicht  unter  den  jetzt 
verschwundenen  Kirchen  Aachens,  über  welche  wir  Nachrichten 
besitzen,  das  älteste  Gotteshaus  befunden  habe.  In  dieser  Be- 
ziehung bietet  nur  die  ehemalige  St.  Aldegundiskapelle  Anlass 


Aquisgranum  est,  et  basilicam  heati  Jacohi  in  eadem  villau,  während  es  in 
der  Handschiift  des  Stadtarchivs  (S.  72)  heisst :  „decoravit  niultas  ecclesias 
et  fabricavit,  ecclesiam  scilieet  beate  virginis  Marie,  que  est  Aquisgraui,  et 
basilicam  sancti  Jacobi,  que  est  in  eadem  villa". 

1)  Auch  das  unter  dem  Namen  „Karlmeinet"  bekannte  Epos  aus  dem 
14.  Jahrhundert  bezeichnet  Karl  d.  Gr.  als  Erbauer  der  Jakobskirche;  vgl. 
Annaleu  des  bist.  Vereins  f.  d.  Niederrhein  XI.  XU,  S.  88. 


6  R.  Pick 

zu  einer  eingehendem  Untersuchung.  Sie  lag  bekanntlich  in 
der  Ursulinerstrasse  (früher  Aldegundisstrasse  genannt)  an  der 
Stelle  des  jetzigen  Regierungs-Präsidial-Gebäudes,  an  dessen 
Ostseite  eine  fiinfzeilige  Steininschrift 1  das  Andenken  an  das 
seit  1787  mit  seinen  letzten  Trümmern  beseitigte  Kirchlein 
bewahrt.  Vielfach  wird  es  für  das  älteste  Gotteshaus  unserer 
Stadt  ausgegeben,  als  Stifter  bald  der  austrasische  König  Siege- 
bert III.  (632—656),  baldPippin  (741-768),  der  Vater  Karls 
d.  Gr.,  bald  des  letztern  Sohn  Ludwig  der  Fromme  (814—840) 
genannt.  Alles  ist  unbegründet,  wie  sich  unschwer  nach- 
weisen lässt. 

Die  h.  Aldegundis,  merovingischen  Geschlechts,  eine  Tochter 
Walberts  und  der  Bertilia,  lebte  im  7.  Jahrhundert.  Ihr  Todes- 
jahr wird  verschieden  bezeichnet.  Meist  gibt  man  an,  sie  sei 
um  660  gestorben,  die  Bollandisten  setzen  ihren  Tod  viel  später, 
eine  erneute  Untersuchung,  welche  Domkapitular  Tibus  darüber 
angestellt  hat 2,  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  h.  Alde- 
gundis am  13.  November  684  oder  30.  Januar  685  das  Zeit- 
liche gesegnet  hat.  Die  Uebertragung  ihres  Leibes  aus  der 
Familiengruft  zu  Courtsore  in  die  von  der  Heiligen  selbst 
gestiftete  Abteikirche  zu  Maubeuge  erfolgte  unter  der  h.  Alde- 
gundis Nichte  und  Nachfolgerin  in  der  Abtissinwürde,  der  h.  Adel- 
trudis,  die  ums  Jahr  700  bereits  verstorben  war.  Möglich  ist,  dass 
man  die  h.  Aldegundis  schon  gleich  nach  ihrem  Tode  verehrt  und 
angerufen  hat,  auch  mag  die  feierliche  Uebertragung  ihrer  Ge- 
beine ihren  Ruf  nach  aussen  verbreitet  haben,  aber  viel  wahr- 
scheinlicher ist  doch,  was  auch  Professor  Evelt  annimmt3,  dass 
ihr  die  Ehre,  zur  Kirchenpatronin  erwählt  zu  werden,  erst  in 
späterer  Zeit  zu  Theil  geworden  ist.  Hiernach  kann  also  die 
Aldegundiskapelle   in  Aachen   nicht  füglich   vor   dem  8.  Jahr- 


*)  Ungenau  abgedruckt  bei  Quix,  Hist.-topogr.  Beschreibung  der  Stadt 
Aachen  S.  189,  Anm.  39  und  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Aachen 
II,  S.  115;  ebenso  bei  Haagcn,  Geschichte  Achens  I,  S.  118. 

2)  Tibus,  Der  Gau  Leomerike  und  der  Archidiakonat  von  Emmerich 
S.  100  ff. 

3)  Köhlers  Literarische  Bundschau  I,  S.  215. 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.  7 

hundert  eitstanden  soin.  Dass  aber  ihre  Gründling  auch  nicht 
in  eine  viel  spätere  Zeit,  wahrscheinlich  noch  in  die  erste  Hälfte 
des  8.  Jahrhunderts  fällt,  dafür  lässt  sich  ebenfalls  ein  nicht 
unwichtiger  Umstand  geltend  machen. 

Vorhin  wurde  bemerkt,  dass  die  h.  Aldegundis  dem  mero- 
vingischen  Geschlecht  angehörte.  Das  karolingische  Herrscher- 
haus hatte  aber  keine  besondere  Andacht  und  Verehrung  zu 
den  Heiligen  aus  diesem  Stamme,  nachdem  Pippin  im  Jahre 
751  den  letzten  Schattenkönig  merovingischen  Geschlechts, 
Childerich  III.,  vom  Throne  verdrängt  hatte.  Auch  mag  ihm 
wohl  die  Weihe  der  von  Andern  in  seinem  Gebiete  errichteten 
Kirchen  auf  eine  merovingische  Heilige  nicht  sonderlich  er- 
wünscht gewesen  und  daher  möglichst  vermieden  worden  sein. 
Ziemlich  deutlich  zeigt  sich  dies  in  den  alten  Diözesen  Münster, 
Paderborn  und  Osnabrück,  wo  das  Christen thum  erst  unter  Karl 
d.  Gr.  Eingang  fand,  aber  keine  von  den"  vielen  damals  gegrün- 
deten Kirchen  der  h.  Aldegundis  geweiht  wurde,  während  die 
karolingische  Heilige  Gertrudis,  die  Tochter  Pippins  von  Landen, 
dort  bei  sieben  Kirchen  als  Patronin  erscheint  K  So  wird  man 
denn  nicht  fehlgehen,  wenn  man  die  Gründung  der  Alde- 
gundiskapelle  in  Aachen  in  die  Zeit  zwischen  700  und  750 
verlegt. 

Gestiftet  wurde  die  Kapelle  ohne  Zweifel  von  der  um  die 
Mitte  des  7.  Jahrhunderts  entstandenen  Benediktiner- Abtei 
Stablo,  die,  wie  man  aus  spätem  Urkunden  ersieht,  um  die 
Kapelle  herum,  wahrscheinlich  durch  Schenkung  eines  Mero- 
vingerkönigs,  einen  ansehnlichen  Güterbesitz  hatte.  Solche  Hof- 
oder Gutskapellen  wurden  im  Mittelalter  häufig  von  den  reichen 
Abteien  und  Stiftern  auf  ihren  Gütern  errichtet;  so  liess,  um 
nur  ein  paar  Beispiele  zu  erwähnen,  das  Kölner  Gereonsstift 
auf  seinen  Allodien  in  Spiel,  Giesenkirchen,  Monheim  u.  s.  w. 
Kapellen  zu  Ehren  des  h.  Gereon,  die  Abtei  Gladbach  auf 
ihrer  „curtis  ad  Udam"  eine  Kapelle  des  h.  Veit,  die  nachherige 
Pfarrkirche  zu  Oedt,  erbauen.     Ausser    der  Aldegundiskapelle 


l)  Tibus  a.  a.  0.  S.  105  I. 


8  R.  Pick 

in  Aachen  besass  Stablo  seit  uralter  Zeit  noch   eine  derselben 
Heiligen  geweihte  Kirche  in  dem  Dorfe  Recht  bei  Malmedy. 

Prüft  man  die  vorhandenen  urkundlichen  Zeugnisse  in 
Bezug  auf  das  Alter  und  die  Stellung  der  Aldegundiskapelle 
in  dem  Aachener  Kirchensystem,  so  kommt  hier  nur  eine 
Urkunde  Kaiser  Lothars  III. 1  in  Betracht,  worin  dieser  kurz 
vor  seinem  Tode,  am  22.  September  1137,  von  Aquino  aus 
der  Abtei  Stablo  ihre  Rechte  und  Besitzungen  bestätigte. 
Zwar  wird  die  Kapelle,  wenn  man  dem  Triumphus  s.  Remacli 
trauen  darf2,  schon  früher,  um  1066,  in  dem  Streite  der  Abtei 
Stablo  mit  dem  Erzbischof  Anno  IL  von  Köln  im  Besitz  der 
erstem  erwähnt  und  erzählt,  dass  hier  der  Leichnam  des 
h.  Remaklus,  als  die  Stabloer  Mönche  damit  vor  König  Hein- 
rich IY.  in  Aachen  erschienen,  vorübergehend  untergebracht 
worden  sei3,  aber  diese  Notiz  ist,  abgesehen  von  ihrer  Zweifel- 
haftigkeit,  für  die  vorliegende  Untersuchung  ohne  Bedeutung, 
da,  wie  vorhin  bemerkt,  Stablo  die  Aldegundiskapelle  bereits 
Jahrhunderte  vorher,  seit  ihrer  Gründung,  besessen  haben  muss. 
Anders  die  Urkunde  Kaiser  Lothars,  deren  mit  goldenen  Buch- 
staben geschriebenes  und  mit  einem  Goldsiegel  beglaubigtes 
Original  jetzt  das  Düsseldorfer  Staatsarchiv  bewahrt.  In  ihr 
zählt  der  Kaiser  die  Besitzungen  einzeln  auf,  welche  die  Abtei 
Stablo  in  Aachen  hatte,  darunter  die  Aldegundiskapelle,  welche 
er  mit  einigen  "Worten  näher  kennzeichnet;  er  sagt  wörtlich: 
„(Confirmamus)  et  maxime  possessionem,  quam  Aquisgrani 
eadem  habet  ecclesia,  id  est  domum  indominicatam  et  capellani 
indominicatam  et  liberam  et  domos  XXX,  in  una  parte  viae 
XXV  per  ordinem  et  sine  interruptione  positas,  scilicet  a  domo 
illa,  quae  fuit  Cameracensis  episcopi,  usque  ad  fossatum  in  ea 
parte,  qua  itur  ad  pontem  Harduini,  et  in  alia  parte  viae  ante 
praefatam  capellam  sanctae  Aldegundis  quinque  domos  et  sex 
bonuarios  terrae  ibidem  circumquaque  iacentes."  Stablo  besass 


')  Quix,  Cod.  dipl.  Aquensis  no.  102 ;  Stampf,  Die  Reichskanzler  Nr.  3353. 
-)  Vgl.   Potthast,   Wegweiser  durch    die    Geschichts werke    des    euro- 
päischen Mittelalters  S.  867. 

3)  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  III,  S.  72  f. 


Die  kirchlichen  Zustande  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit. 


n1 


hiernach  Zu  Aachen  ein  Herrenhaus,  das  Absteigequartier  der 
Abtei,  eine  freie,  d.  h.  von  der  Pfarrkirche  unabhängige,  herr- 
schaftliche Kapelle  und  30  Häuser,  von  denen  25  in  dem  einen 
Theil  der  Strasse  in  einer  Reihe  nebeneinander  von  dem  frühem 
Hause  des  Bischofs  von  Cambrai  an  bis  zu  dem  Stadtgraben  1 
an  derjenigen  Stelle,  wo  man  zur  Harduinsbrücke  ging,  und  5 
in  dem  andern  Theil  der  Strasse  vor  der  gedachten  Kapelle 
der  h.  Aldegundis  gelegen  waren,  ferner  6  Bunder  Land,  die 
ebendaselbst  rings  herum  lagen.  Ganz  klar  ist  die  Beschreibung 
nicht,  aber  wahrscheinlich  ist  doch  Qu  ix 2  im  Recht,  wenn  er 
das  Besitzthum  mit  dem  heute  von  der  Hartmannstrasse, 
Ursulinerstrasse  und  Friedrich  Wilhelms-Platz  umschlossenen 
Terrain  für  gleichbedeutend  hält. 

Aus  den  Angaben  der  Urkunde  Lothars  III.  geht  mit 
Bestimmtheit  hervor,  dass  die  Aldegundiskapelle  im  Jahre  1137 
noch  den  ihr  bei  der  Stiftung  beigelegten  Charakter  einer  Hof- 
kapelle bewahrte.  Dieser  Umstand  und  das  früher  Gesagte 
schliessen  die  Annahme  völlig  aus,  dass  diese  Kapelle  zu  irgend 
einer  Zeit   die  Tauf-  bezw.    Pfarrkirche  Aachens   gewesen   sei. 

Fehlt  es  so,  wie  man  sieht,  an  allen  direkten,  monumen- 
talen wie  urkundlichen  Zeugnissen  über  die  ältesten  kirchlichen 
Zustände  unserer  Stadt,  so  lassen  sich  doch  aus  Nachrichten 
späterer  Zeit  in  Verbindung  mit  einzelnen  Fundnotizen  und 
Anderni,  wie  mir  scheint,  mancherlei  Momente  gewinnen,  deren 
Zusammenfassung  wohl  geeignet  sein  dürfte,  über  das  bisherige 
Dunkel  einiges  Licht  zu  verbreiten.  Ich  will  versuchen,  im 
Nachfolgenden  das  Ergebniss  meiner  Wahrnehmungen  in  Kürze 
darzulegen. 

Durch  neuere  Forschungen 3  steht  fest,  dass  zur  Römerzeit 
in  Aachen  ein  Kastell  bestand,  an  das  sich  eine  bürgerliche 
Ansiedlung    von   ziemlicher    Bedeutung    anschloss.     Professor 


')  Ueber  die  Befestigung  Aachens  vor  dem  Jahre  1172  vgl.  meinen 
Aufsatz  in  der  Aachener  Volkszeitung  1886,  Nr.   110. 

'-)  <^uix,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt   lachen   II.  S.   105. 

3)  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  VII,  S.  17<;  f.  and  VIII. 
S.  112  ff. 


10  R.  Pick 

Schneider 1  stellt  das  römische  Aachen  ungefähr  auf  gleiche 
Stufe  mit  dem  römischen  Wiesbaden.  Beide  Orte  waren  Knoten- 
punkte von  mindestens  vier  Kömerstrassen,  beide  besassen 
warme  Bäder  und  an  beiden  gab  es  ein  Kastell  mit  einer 
bürgerlichen  Ansiedlung.  Zwar  vermögen  sich  einzelne  unserer 
lokalen  Forscher  mit  der  Idee  eines  römischen  Kastells  in 
Aachen  nicht  zu  befreunden  und  wenden  namentlich  dagegen 
ein,  dass  von  den  Mauern  einer  solchen  Anlage  bisher  nichts 
aufgefunden  worden  sei,  aber  dieser  Einwand  erscheint  doch, 
abgesehen  von  den  vielfachen  Anzeichen,  die  jener  Annahme 
das  Wort  reden,  um  deswillen  unberechtigt,  weil  planmässige 
Nachforschungen  nach  den  Umfassungsmauern  des  Kastells 
niemals  angestellt  worden  sind.  Nach  einzelnen  Funden,  z.  B. 
nach  den  im  Münster  aufgedeckten  römischen  Mauerresten,  der 
in  der  Jakobstrasse,  Klappergasse  und  Adalbertstrasse  auf- 
gefundenen römischen  Strasse,  den  römischen  Gräbern  in  der 
Ursulinerstrasse  zu  urtheilen,  ist  seit  der  Römerzeit  bis  heute 
in  unserer  Stadt  eine  Bodenerhöhung  von  2 — 3,  stellenweise 
sogar  von  4 — 5  m  eingetreten,  es  wären  also  vor  Allem  tief- 
gehende Nachgrabungen  erfordert,  denen  wiederum  die  Häuser- 
bauten auf  den  hier  in  Betracht  kommenden  Stellen  vielfach 
im  Wege  stehen.  Was  alles  innerhalb  des  heutigen  Stadt- 
gebiets noch  in  dem  dunkeln  Schacht  der  Erde  verborgen  ruht, 
hat  sich  besonders  bei  der  Anlage  der  städtischen  Wasserleitung 
im  Jahre  1879  ergeben.  Eine  Beschreibung  der  einzelnen 
Fundgegenstände  ist  leider  bisher  nicht  erfolgt,  nicht  einmal, 
ob  alle  die  Funde  eine  genaue  Verzeichnung  fanden,  ist  bekannt 
geworden.  Es  sind  das  Unterlassungssünden,  deren  sich  die 
Archäologen  einer  Stadt  wie  Aachen  nicht  schuldig  machen 
sollten. 

Nach  dem  Untergang  der  römischen  Herrschaft  in  unserer 
Gegend  blieben  die  bei  den  Militär-Stationen  entstandenen 
bürgerlichen  Ansiedlungen  bestehen.  Auch  in  Aachen  wird 
diese   Ansiedlung  fortgedauert   haben.     Lässt   sich    dies  schon 


')  Ebendas.  Yll,  S.  177. 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.         11 

aus  dem  Umstand  vermuthen,  dass,  wie  mehrfach  aufgefundene 
und  zum  Theil  noch  erhaltene  Mauerreste  verrathen,  mero- 
vingische  Bauleute  hier  in  verhältnissmässig  ausgedehntem 
Masse  thätig  waren,  so  spricht  namentlich  hierfür  auch  der 
vor  mehrern  Jahren  vor  dem  Königsthor  unfern  des  Langen 
Thurms  entdeckte  merovingische  Kirchhof1,  welcher  sogar  auf 
eine  nicht  ganz  unbedeutende  Bevölkerungsziffer  in  Aachen 
schliessen  lässt  Das  Märchen  von  dem  Urwald,  der  die 
Trümmer  des  römischen  Aachens  bedeckt  haben  soll,  bis  sie 
in  spätem  Jahrhunderten  durch  die  Franken  wieder  aufgefunden 
und  neu  besiedelt  wurden,  ist  mit  den  Ergebnissen  der  neuern 
Forschung  nicht  in  Einklang  zu  bringen.  Ich  sage  also,  eine 
Kontinuität  zwischen  der  zur  Kömerzeit  bestehenden  bürger- 
lichen Ansiedlung  und  der  erst  im  S.Jahrhundert  wieder  erwähnten 
villa  (Königshof  mit  Dorf)  Aachen  wird  man  unbedingt  annehmen 
müssen.  Alles  weist  darauf  hin,  dass  die  bürgerliche  Ansied- 
lung westlich  und  südwestlich  von  dem  Kastell,  dessen  Mittel- 
punkt ohne  Zweifel  auf  dem  Markthügel  anzunehmen  ist,  sich 
ausgedehnt  hat,  mithin  in  der  Gegend  der  heutigen  Jakob- 
strasse südlich  bis  zur  Marschier-  und  Jesuitenstrasse.  Mitten 
in  diesem  Komplex  finden  wir  das  alte  Gerichts-  und  Kathhaus, 
das  sog.  Gras 2,  und  da  dieses  stets  am  Markt  zu  liegen  pflegte, 
so  werden  wir  in  dem  heutigen  Fischmarkt  wohl  den  ältesten 
Marktplatz  der  bürgerlichen  Ansiedlung  zu  erblicken  haben. 
Gebildet  wurde  der  Platz  durch  den  Durchschnitt  zweier 
Kömerstrassen,  von  denen  die  eine  eine  Abzweigung  der  wich- 
tigen Heerstrasse  von  Xanten  über  Heerlen  nach  Trier  war 
(der  Hauptarm  ging  durch  die  Pontstrasse  zum  Römerlager  auf 
dem  Markthügel  und  weiter  durch  die  Hartmanns-  und  Wirichs- 
bongardstrasse 3),  die  andere  von  Mastricht  her  in  der  Richtung 


J)  Echo  der  Gegenwart  1882,  Nr.  1,  Bl.  II. 

2)  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  V1LL,  S.  11:!.  Anm.  1. 

3)  Ueher  diese  Strasse  bemerkt  Nolten  in  den  handschriftlichen  Nach- 
trägen zu  seiner  1818  erschienenen  „Archäologischen  Beschreibung  der  .Mün- 
ster- oder  Krönungskirchc  in  Aachen11:  „Die  Strasse  nach  Trier  ist  noch  bei 
Frankenberg  sichtbar,  nämlich  da,  wo  der  Fusspfad  über  die  Felsen  an  der 


12  R.  Pick 

auf  Stolborg  und  Düren  nach  Köln  zog.  Beide  Strassen  durch- 
schnitten die  von  Limburg  nach  Jülich  führende  Römerstrasse 
in  der  Jakobstrasse,  jene  bei  der  Einmündung  der  Kockerell- 
strasse,  diese  etwas  mehr  westlieh  in  der  Gegend  der  Trichter- 
gasse. Die  Bezeichnung  „Fischmarkt"  für  jenen  Platz,  der  im 
13.  und  14.  Jahrhundert  urkundlich  „vor  dem  Parvisch",  im 
15.  Jahrhundert  „Parvisclr'  genannt  wird1,  entstammt  offenbar 
späterer  Zeit,  als  durch  die  Abstinenzgebote  der  Kirche  der 
Fischbedarf  ein  grösserer  geworden  war.  Wie  in  Aachen  beim 
Münster  liegt  der  Fischmarkt  in  Utrecht  beim  Dom,  in 
s'  Gravenhage  bei  der  olde  Kerk,  in  Wesol  bei  der  Willebrords- 
kirche  u.  s.  \v. 

Nach  der  Art  und  Weise,  wie  das  Christenthum  am  Rhein 
verbreitet  wurde,  muss  man  annehmen,  dass  es  ungefähr  zu  der 
nämlichen  Zeit,  als  es  in  der  Hauptstadt  Untergermaniens,  der 
römischen  Koloniestadt  Köln,  eingeführt  wurde,  auch  in  den 
römischen  Kastellen  der  Umgegend,  in  Bonn,  Neuss,  Jülich, 
Aachen  u.  s.  w.  Eingang  fand.  Anfänglich  vollzog  der  Kölner 
Bischof,  dem  sehr  wahrscheinlich  in  älterer  Zeit  auch  Aachen 
unterstand,  in  allen  diesen  Orten  selbst  die  Taufe.  Die  zu- 
nehmende Ausdehnung  der  Diözesan-Sprengel  und  die  sich 
mehrende  Zahl  der  Christen  mögen  wohl  bald,  namentlich  an 
den  vom  Sitze  des  Bischofs  entferntem  Orten,  das  Bedürfniss 
fühlbar  gemacht  haben,  eine  eigene  Taufkirche  mit  einem 
plebanus  zu  besitzen.  So  wird  auch  Aachen  schon  in  frühester 
Zeit  seine  Taufkirche,  aus  der  sich  dann  weiterhin  die  Pfarr- 
kirche im  heutigen  Sinne  entwickelte,  erhalten  haben.  Aber 
wo  lag  dieses  älteste  Gotteshaus  ? 

Stelle  geht,  wo  man  den  Bach  überschreitet.  Hier  sind  die  Fuhrgeleise 
tief  in  den  Felsen  eingeschnitten,  und  der  Weg  ging  durch  das  Bett  des 
Baches,  bis  er  sich  lauter  Frankenberg  wieder  erhebt,  wo  er  noch  durch 
eine  mehrfache  Baumpflanzung,  die  zwischen  den  Feldern  durchgeht,  be- 
zeichnet  wird.  Er  führt  nun  an  dem  Walde  vorbei  bis  auf  die  Aachener 
Beide,  von  wo  noch  der  alte  CorneKmünsterer  Weg  im  Gebrauch  ist." 

')  Für  die  von  Quix  und  Laurent  vertretene  Ansicht,  dass  der  Fisch- 
markt in  früherer  Zeit  ..Eiseumarkt"  geheissen  habe,  fehlt  jeder  urkund- 
liche Beweis. 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.         13 

In  neuerer  Zeit  hat  man  mehrfach  nachgewiesen,  dass  am 
Rhein  die  frühesten  Taufkirchen  auf  römischem  Fiskalboden 
standen,  ja  dass  ziemlich  regelmässig  zu  solchen  Kirchen 
römische  Bauwerke  benutzt  worden  sind.  Selbst  römische 
Bäder  blieben  hierzu,  wenn  man  den  Nachrichten  aus  Trier 
glauben  darf,  nicht  unverwandt.  Ton  dieser  fast  konstanten 
Praxis  werden  auch  die  Glaubensboten,  welche  das  Evangelium 
zuerst  in  Aachen  verkündeten,  kaum  abgewichen  sein.  Man 
wird  also  mit  Fug  vermuthen  dürfen,  dass  auch  hier  das  erste 
Kirchlein  nahe  bei  dem  römischen  Kastell  und  auf  dessen 
Boden  sich  befand.  Eine  Betrachtung  des  in  Frage  kommenden 
Terrains  und  zahlreiche  sonstige  Anhaltspunkte  sprechen  nun 
mit  ziemlicher  Gewissheit  für  die  Vermuthung,  dass  diese 
älteste  Kirche  sich  an  der  Stelle  des  heutigen  Münsters  oder 
doch  in  seiner  nächsten  Umgebung  befunden  habe.  Folgendes 
sind  im  Einzelnen  die  Gründe,  welche  diese  Annahme  nahe  legen. 

Zunächst  kommt  für  die  vorliegende  Untersuchung  mil- 
der Bezirk  des  römischen  Aachens,  der  im  Grossen  und  Ganzen 
mit  der  spätem  Altstadt  zusammenfallen  mag,  in  Betracht.  Er 
wurde  im  Norden  von  dem  Sumpfterrain  des  Johannisbachs 
begrenzt1,  in  das  man  wohl  schwerlich  in  ältester  Zeit  das 
Gotteshaus  hineingebaut  haben  wird.  Nach  Osten  hin  schloss 
er  mit  dem  untern  Theil  des  Bücheis  ab,  der  mit  Bädern  und 
andern  römischen  Bauten  besetzt  war.  Die  Entstehung  der 
Peterskirche  frühestens  im  12.  Jahrhundert  weist  darauf  hin, 
dass  die  Ansiedlungen  nach  dieser  Seite  erst  im  spätem  Mittel- 
alter erfolgt  sind.  Im  Südosten  und  Süden  lässt  die  in  der 
ersten  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts,  wie  wir  sahen,  vorgenommene 
Gründung  der  Aldegundiskapelle  darüber  kaum  einen  Zweifel, 
dass  in  ältester  Zeit  hier,  wenigstens  bis  zur  jetzigen  Hartmann- 
strasse, keine  Kirche  vorhanden  war.  Es  bleibt  also  nur  noch 
der  südwestliche  und  westliche  Theil  des  ältesten  Ansiedlungs- 
gebiets  übrig,  dasselbe  Terrain,  auf  welchem  auch  Einhard  im 
Anfang   des    9.  Jahrhunderts  den  vicus,    das  Dorf  Aachen  be- 


')  C.P.Bock,  Geschichtliche,  Darstellung  des  Aachener  Etathhauses S.  16. 


14  R.  Pick 

zeugt.  Wo  könnte  aber  in  dieser  letztern  Gegend  die  Kirche 
sich  passender  befunden  haben,  als  an  der  Stelle  der  spätem 
Pfalzkapelle?  Dort  in  dem  Winkel,  welcher  von  den  beiden 
auf  dem  Fischmarkt  sich  kreuzenden  Römerstrassen  gebildet 
wurde,  und  in  der  Nähe  zweier  anderer,  der  das  römische 
Lager  auf  dem  Markthügel  durchschneidenden  Römerstrassen 
nach  Jülich  und  Trier  lag  sie  im  Mittelpunkt  des  Verkehrs 
und,  was  besonders  wichtig  erscheint,  auf  fiskalischem  Boden 
innerhalb  oder  dicht  bei  dem  römischen  Kastell.  Denn  durch 
die  Ausgrabungen  im  Innern  des  Münsters  ist  erwiesen,  dass 
dieses  an  der  Stelle  eines  römischen  Gebäudes,  wahrscheinlich 
eines  Badehauses,  steht,  dessen  Fundamente  noch  in  der  Erde 
liegen 1.  Damit  würde  zugleich  die  Möglichkeit  für  die  An- 
nahme gegeben  sein,  dass,  wie  an  andern  Römerorten,  auch  in 
Aachen  zu  dem  ältesten  Gotteshaus  ein  römisches  Bauwerk 
verwandt  worden  sei. 

Dr.ss  sich  Spuren  dieser  ältesten  Kirche  nirgendwo  in  der 
Erde  gefunden  haben,  kann  nicht  im  Mindesten  befremden ; 
denn  wäre  kein  römisches  Gebäude  hierzu  benutzt  worden,  so 
würde  die  Kirche  ohne  Zweifel  aus  Holz  gebaut  gewesen,  also 
die  Aufdeckung  von  Fundamentresten  unmöglich  sein.  Be- 
kanntlich haben  sich  in  Deutschland  nirgend  mehr  Spuren  von 
Kirchenbauten  aus  der  Zeit  vor  dem  Ende  des  8.  Jahrhunderts 
erhalten.  Noch  in  späterer  Zeit  wurde  in  Aachen  auf  dem 
Salvatorberg  die  Kirche,  welche  Ludwig  d.  Fr.  und  seine  im 
Jahre  818  verstorbene  Gemahlin  Irmgardis  errichten  Hessen, 
in  Holz  erbaut. 

Es  sei  gestattet,  hier  eine  merkwürdige  Notiz  einzuschalten, 
welche  sich  in  Meyers  Chronik  über  eine  angeblich  zu  König 
Pippins  Zeit  in  Aachen  vorhandene  Kirche  findet2.  Meyer  be- 
richtet nämlich  von  einer  Silbermünze,  welche  nach  Hartz- 
heims Beschreibung  auf  der  Vorderseite  ein  Kreuz  mit  der 
Umschrift:    PIPINVS  REX  EO  (?),    auf   der    Rückseite    eine 


')  Protokolle  über  die  Nachgrabungen  in  der  Aachener  Müusterkirche 
vom  9.— 19.  Oktober  1843;  Bonner  Jahrbücher  XXXJH.  XXXIV,  S.  220  f. 
'■)  Meyer,  Aachensche  Geschichten  I,  S.  35. 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.         15 

Kirche  zeige,  vor  welcher  vier  Säulen  ständen,  in  deren  Mitte 
sich,  wie^auch  auf  der  Spitze  des  Daches,  ein  Kreuz  befinde 
mit  der  Beischrift:  AQVIS  VEBI.  Aus  dieser  Darstellung 
folgert  Meyer,  dass  es  zu  Pippins  Zeit  eine  solche  Kirche  in 
Aachen  gegeben  habe,  was  annehmbar  wäre,  wenn  die  Echt- 
heit der  Münze,  von  welcher  Eckhart  ein  Exemplar  in  der 
Sammlung  des  Abtes  Gottfried  zu  Göttweih  in  Oesterreich 
gesehen  haben  will,  und  ihr  Bezug  auf  Aachen  sich  nach- 
weisen iiesse.  Sehr  wahrscheinlich  trifft  dies  aber  nicht  zu. 
Sollte  es  der  Fall  sein,  so  würde  in  der  Darstellung  der  Kirche 
auf  der  Münze  vielleicht  ein  Anhaltspunkt  zur  Erklärung  jener 
Säulen  gewonnen  sein,  von  denen  im  Sommer  1886  drei  Sockel 
aus  Blaustein,  einer  mit  dem  nicht  unbedeutenden  Reste  einer 
aus  römischen  Ziegeln  errichteten  Kundsäule,  an  der  Nordseite 
des  Münsters  ausgegraben  wurden. 

Für  die  vorgetragene  Ansicht  über  die  Lage  der  ältesten 
Kirche  spricht  aber  noch  ein  Anderes.  Im  Jahre  1748  wurde 
unter  der  Leitung  des  Rathssekretärs  und  Stadtarchitekten 
J.  J.  Couven  die  ungarische  Kapelle  erneuert.  Der  Bau  war 
nahezu  fertig,  als  man  einsah,  dass  die  Fundamente  nicht 
stark  genug  seien,  um  das  Gebäude  zu  tragen.  Man  brach  es 
daher  1756  wiederum  ab  und  warf  die  Fundamente  bedeutend 
tiefer  aus.  Bei  dieser  Gelegenheit  stiess  der  Leiter  des  neuen 
Baus,  der  Baumeister  Moretti,  auf  ein  altes  Bad,  von  dem 
uns  Meyer  in  seinen  Aachenschen  Geschichten  eine  unzuver- 
lässige Abbildung  mit  einigen  wenigen  Nachrichten  hinterlassen 
hat.  Letzterer  hält  das  Bad  für  ein  römisches,  aber  bei  dem 
geringen  Verständniss,  welches  er  nachgewiesenermassen  in  ar- 
chäologischen Dingen  besass,  hat  sein  Urtheil  kaum  einen 
"Werth.  Weit  eher  möchte  ich  dem  gelehrten  Professor  Bock 
beistimmen,  der  aus  mehrfachen  Gründen  das  aufgefundene 
Bad  als  ein  altchristliches  Baptisterium  bezeichnet  hat.  Auch 
Quix  ist  dieser  Ansicht  beigetreten1,  während  in  neuester  Zeit 
allerdings    Lersch    dem    Bad    wiederum    römischen    Ursprung 


l)  Quix,  Geschichte  der  Stadt  Aachen  I,  S.  2,  Anni.  2. 


16  R.  Pick 

vindiziren  möchte,  ohne  sich  jedoch  mit  Bestimmtheit  darüber 
auszusprechen1.  Aber  selbst  wenn  das  Bad  sich  auch  als  ein 
römisches  erweisen  lassen  sollte,  so  würde  doch  der  Annahme 
nichts  entgegenstehen,  dass  es  in  christlicher  Zeit  als  Taufbad 
gedient  haben  könnte.  Die  Benutzung  solcher  heidnischen 
Einrichtungen  zu  christlichen  Zwecken  ist  eine  keineswegs 
ungewöhnliche  Erscheinung.  Ein  ähnliches  Bad  liegt,  wenn 
nicht  Alles  trügt,  unter  dem  Dom  in  Köln,  an  dessen  Stelle 
wahrscheinlich  die  älteste  Taufkirche  dieser  Stadt  gestanden  hat. 
Wie  Meyer  angibt,  wurde  dem  Bad  unter  der  ungari- 
schen Kapelle  kaltes  "Wasser  durch  ein  Rohr  zugeführt,  welches 
sich  in  der  Mitte  des  Bassins  befand.  Bekanntlich  wurden 
die  Christen  in  ältester  Zeit  nicht  durch  Uebergiessen  mit 
Wasser,  wie  es  heute  geschieht,  sondern  durch  Untertauchen 
in  fliessendem  Wasser  getauft.  Hierzu  bedurfte  es  selbstver- 
ständlich grösserer  Wassermengen  und  so  sehen  wir  denn  da, 
wo  es  römische  Wasserleitungen  gab,  dass  diese  zu  jenen 
Zwecken  benutzt  wurden.  In  Bonn  habe  ich  eine  solche  Be- 
nutzung der  zum  römischen  Kastrum  führenden  Wasserleitung 
bei  der  Dietkirche,  der  ältesten  Taufkirche  dieser  Stadt,  mit 
ziemlicher  Gewissheit  nachgewiesen  2.  In  Aachen  wird  dasselbe 
der  Fall  gewesen  sein.  Hier  führt  nämlich,  vermuthlich  von 
der  Pauwasserleitung  sich  abzweigend,  quer  über  den  Domhof 
in  der  Richtung  von  Nordwesten  nach  Südosten  ein  uralter 
Wasserkanal  dicht  bei  der  ungarischen  Kapelle  vorbei,  der  zu- 
letzt im  Frühjahr  1886  bei  den  auf  dem  Münsterplatz  vor  dem 
Hause  von  Schavoir  vorgenommenen  Aufgrabungen  blossgelegt 
wurde.  Aus  diesem  Kanal  wird  das  Taufbad  gespeist  worden 
sein,  wenn  dafür  nicht  eine  eigene  Leitung,  die  man  vielleicht 
in  der  noch  heute  zur  Taufkapelle  führenden  erblicken  könnte, 
angelegt  war.  Man  sieht,  mancherlei  tritt  ungezwungen  zu- 
sammen, um  die  Annahme  der  ältesten  Taufkirche  an  der 
Stelle  des  heutigen  Münsters  wahrscheinlich  zu  machen. 


')  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  VII,  S.  161. 
'-)  Pick,  Geschichte  der  Stiftskirche  zu  Bonn  I,  S.  15. 


t)ie  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.         17 


o* 


Auf  ein  anderes  Moment,  das  noch  hinzukommen  könnte, 
dürfte  einstweilen  weniger  Gewicht  zu  legen  sein,  weil  die 
Thatsachen,  auf  die  es  sich  stützt,  bisher  nicht  genügend  fest- 
gestellt worden  sind.  Bei  den  erwähnten  Aufgrabungen,  welche 
auch  über  den  heutigen  Domhof  erstreckt  wurden,  stiess  man 
nämlich  in  dessen  Nordostecke  auf  mehrere  christliche  Gräber 
mit  Skeletten,  deren  Schädelreste  nach  einem  jüngst  veröffent- 
lichten Fundbericht1  mit  den  vor  dem  Königsthor  ausge- 
grabeneu in  der  eigenthümlichen  Form  übereinstimmen  sollen. 
Liesse  sich  dies  mit  Gewissheit  konstatiren,  so  würden  wir 
am  Münster  ebenfalls  wie  vor  Königsthor  einen  Begräbnissplatz 
aus  merovingischer  Zeit  vor  uns  haben,  nur  mit  dem  Unter- 
schied, dass  hier,  wie  das  Fehlen  der  Grabbeigaben  anzeigt, 
christliche,  dort  vor  der  Stadt  heidnische  Merovinger  bestattet 
lägen.  Ein  christlicher  Friedhof  bei  dem  Münster  aus  so  früher 
Zeit  würde  aber  wiederum  auf  die  Lage  der  ältesten  Kirche 
an  dieser  Stelle  hinweisen.  Dieser  Kirchhof  wurde  bald  nach 
der  Erbauung  der  Pfalzkapelle  aus  deren  Umgebung  nach  dem 
Salvatorberg  verlegt,  wie  man  aus  einer  Urkunde  Ludwigs  des 
Deutschen  vom  Jahre  870  ersieht'2.  Dort  wurde  eine  Kirche 
errichtet,  „ut  ibi  cymiterium  esset  mortuorum",  sagt  diese  Ur- 
kunde bezeichnend,  indem  sie  den  in  Aachen  und  auch  in 
Westfalen  noch  heute  beim  Volke  gebräuchlichen  Ausdruck 
,Todtenkirchhofu  genau  wiedergibt. 

Dem  gegenüber  erwähnt  zwar  Ein hard  einen  Kirchhof  auf 
einer  östlich  von  der  Pfalz  gelegenen  Anhöhe,  den  man  vor 
mehrern  Jahren  in  der  Gegend  der  Harscampstrasse  aufge- 
wunden haben  will 3.  Die  zahlreichen  Waffenbeigaben,  wrelche 
hier  zu  Tage  kamen,  lassen  vermuthen,  dass  an  der  Fund- 
stelle weniger  ein  Friedhof  der  alten  christlichen  Gemeinde, 
als  vielmehr  ein  Militärkirchhof  anzunehmen  sein  dürfte. 

Doch  ich  lege,  wie  bemerkt,  dem  Begräbnissplatz  bei  dem 
Münster  vorläufig  weniger  Bedeutung  bei,  weit  wichtiger  scheinen 


')  Echo  der  Gegenwart  1885,  Nr.  202,  Bl.  I. 

2)  Quix,  Codex  dipl.  Aquensis  no.  45. 

3)  Politisches  Tageblatt  vom  29.  April  1882. 


18  lt.  Pick 

mir  noch  einige  andere  Anhaltspunkte  zu  sein.  Als  Karl  d.  Gr. 
die  Pfalzkapelle  gründete,  setzte  er  bei  derselben  eine  priester- 
liche Genossenschaft  ein,  an  deren  Spitze  ein  Abt  trat,  der 
später  infolge  der  veränderten  Klosterregel  den  noch  heute 
beibehaltenen  Titel  „Propst"  annahm.  Dieser  Genossenschaft 
wurde  auch  die  Pfarrseelsorge  übertragen  und  der  ganze 
Pfarrbezirk  dem  Abt  unterstellt,  der  ihn  durch  einen  besondern 
Priester,  plebanus,  Erzpriester,  beim  Volke  Proffion  genannt, 
verwalten  liess.  Hauptbestandtheile  dieser  Verwaltung  waren 
Taufe  und  Begräbniss.  Das  Begräbnissrecht  scheint  das  Münster 
den  später  neben  ihm  entstehenden  städtischen  Pfarrkirchen 
schon  frühe  eingeräumt  zu  haben,  aber  die  Taufe  wurde  noch 
bis  zum  Jahre  1803  für  alle  Kinder  der  Stadt  in  der  Tauf- 
kapelle des  Münsters  vollzogen,  ausser  von  Ostern  bis  Pfingsten, 
wo  sie  auf  dem  Hochmünster  stattfand.  In  der  Folgezeit  wurde 
das  Taufrecht  sämmtlichen  Pfarreien  der  Stadt  zugestanden, 
doch  mussten  sie  in  der  angegebenen  Zeit  (Ostern  bis  Pfingsten) 
in  der  Taufkapelle  des  Münsters  ihre  Taufen  vollziehen,  bis 
bei  der  Aufhebung  des  Bisthums  Aachen  auch  dieser  letzte 
Rest  der  einstigen  Abhängigkeit  vom  Münster  in  Wegfall  kam. 
Ueber  die  Uebertragung  des  Pfarrrechts  an  die  bei  der  Pfalz- 
kapelle errichtete  Abtei  hat  sich  meines  Wissens  ein  direktes 
Zeugniss  nicht  erhalten,  obgleich  sonst  die  Nachrichten  über 
Aachen  aus  der  Zeit  Karls  d.  Gr.  nicht  eben  spärlich  sind. 
Das  scheint  mir  aber  gerade  dafür  zu  sprechen,  dass  die  Um- 
wandlung des  bestehenden  kirchlichen  Zustands  durch  jene 
Uebertragung  ziemlich  geräuschlos  vor  sich  gegangen  ist,  und 
zwar  in  der  Weise,  dass  an  Stelle  der  alten,  vielleicht  bau- 
fälligen Kirche  die  neue  prächtige  Pfalzkapelle  zugleich  als 
Pfarrkirche  trat.  Nur  so  allein  lässt  es  sich  auch  erklären, 
wie  aus  der  Tradition  des  Volkes  jede  Spur  der  Erinnerung 
an  ein  Bauwerk  verschwinden  konnte,  mit  dem  es  auf  so 
vielfältige  Weise  eng  verbunden  war.  Hätte  die  alte  Kirche 
an  einer  andern  Stelle  gelegen,  wahrlich  das  Andenken  an 
sie  würde  durch  eine  lokale  Ueberlieferung,  eine  örtliche 
Bezeichnung   oder   sonst   etwas  erhalten   geblieben    sein.     Der 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.         i9 

Anblick  des  neuen  prächtigen  Doms,  dessen  Errichtung  in  den 
Beziehungen  des  Volkes  zu  seiner  Pfarrkirche  keine  wesentliche 
Aenderung  herbeiführte,  hat  eben  die  Erinnerung  desselben 
an  den  altern  Bau,  an  dessen  Stelle  er  trat  und  den  er  ge- 
wissermassen  in  sich  aufnahm,  völlig  verwischt. 

Wie  es  bei  den  alten  Kathedralkirchen,  z.  B.  in  Köln, 
Mainz,  Worms,  Speyer  u.  s.  w.  der  Fall  war,  wurde  auch  bei 
der  Pfalzkapelle  ein  besonderes  Baptisterium,  die  noch  heute 
am  FisChmarkt  bestehende  Taufkapelle,  gebaut.  Sie  wurde  an 
die  Westseite  des  Münsters  vor  das  Parvisch  gelegt,  ähnlich 
wie  in  Essen,  wo  die  Taufkapelle  ebenfalls  westlich  am  Dom 
sich  befindet.  Die  Aachener  Taufkapelle  war  seit  jeher  Johannes 
dem  Täufer  gewidmet l.  Wahrscheinlich  war  demselben  Patron 
die  älteste  Taufkirche  geweiht,  von  welcher  er  dann  auf  die 
spätere  Taufkapelle  übergegangen  sein  mag. 

Diese  Wahl  des  Schutzpatrons  ist  für  das  Alter  der  ersten 
Kirche  wiederum  bezeichnend.  Schon  der  geistvolle  Jubilarpfarrer 
Dr.  Mooren  hat  vor  vielen  Jahren  darauf  hingewiesen 2,  dass 
die  ältesten  Taufkirchen  am  Rhein  auf  den  Titel  des  h.  Johann 
Baptist  geweiht  gewesen  sind.  In  Bonn  habe  ich  dies,  um  nur 
ein  paar  Beispiele  anzuführen,  bei  der  Dietkirche,  wahrschein- 
lich einer  Gründung  noch  aus  Konstantins  d.  Gr.  Zeit,  nach- 
gewiesen und  bezüglich  einer  andern,  ebenfalls  bei  einem 
römischen  Kastell,  angeblich  aus  einem  Marstempel  entstandenen 
Kirche,  der  Pfarrkirche  zu  Rindern  bei  Cleve,  wird  es  in  einer 
Urkunde  vom  Jahre  697  ausdrücklich  bezeugt3. 


*)  P.  a  Beeck,  Aquisgranum  p.  229.  Nicht  unmöglich  ist,  dass  auch 
die  Pfalzkapelle  ursprünglich  dem  h.  Johannes  dem  Täufer  als  Mitpatron 
geweiht  war.  Nach  Gregor  von  Tours  (Mirac.  I,  20)  gab  es  zu  Tours  eine 
der  h.  Maria  und  dem  h.  Johann  Baptist  gewidmete  Kirche ;  das  Kornolius- 
münster  (Stiftskirche)  zu  Compiegne  war  von  Anbeginn  der  h.  Maria  und 
den  hh.  Komelius  und  Cvprian  geweiht  (Floss,  Gesch.  Nachrichten  über 
die  Aach.  Heiligthümer  S.  117).  Die  Bedeutung  des  h.  Johann  Baptist  für 
Aachen  ergibt  sich  aus  dessen  Eeliquien,  die  das  Münster  bewahrt.  Hierauf 
weist  auch  die  Wahl  der  Rathsherren  am  Tage  vor  St.  Johann  Baptist  hin. 

2)  Binterim  und  Mooren,  Die  alte  und  neue  p]rzdiözese  Köln  I,  S.  19. 

3)  Binterim  und  Mooren  a.  a.  0.  HI,  S.  3. 


20  ft.  Pick 

Die  Geschichte  der  Bonner  Dietkirche  ist  überhaupt  für 
die  Betrachtung  der  ältesten  kirchlichen  Zustande  in  Aachen 
äusserst  lehrreich.  Fast  dieselben  Verhältnisse  wie  dort  kehren 
hier  wieder,  nur  dass  man  in  Aachen  den  Stifter  des  Klosters, 
mit  welchem  die  älteste  Taufkirche  in  späterer  Zeit  vereinigt 
wurde,  in  Karl  d.  Gr.  kennt,  während  der  Gründer  des  Bonner 
Klosters  mit  Sicherheit  nicht  zu  bestimmen  ist.  Auch  die 
Dietkirche  in  Bonn  lag  auf  dem  fiskalischen  Boden  des  römi- 
schen Kastrums  an  dem  Durchschnittspunkt  mehrerer  Ver- 
kehrswege, auch  an  ihr  zog  eine  römische  Wasserleitung 
vorbei  und  auch  bei  ihr  entstand  im  8.  oder  9.  Jahrhundert 
ein  Kloster,  dem  die  alte  Taufkirche  einverleibt  wurde  und  in 
dessen  stattliche  Klosterkirche  diese  letztere  aufging,  als  sie 
als  besonderes  Gebäude  verschwand. 

Der  jetzige  Bau  der  Aachener  Taufkapelle  stammt  zum 
Theil  aus  sehr  später  Zeit.  Sie  war  bei  dem  Stadtbrand  von 
1656  stark  beschädigt  worden  und  zu  Anfang  des  vorigen 
Jahrhunderts  noch  nicht  wieder  aufgebaut.  1708  wurden  Ver- 
handlungen zwischen  dem  Kapitel  des  Münsterstifts  und  dem 
Rath  der  Stadt  Aachen  über  den  Neubau  gepflogen  * ;  das  in 
seinem  ersten  Worte  nicht  mehr  lesbare  Chronikum  über  der 
Thür  der  Kapelle  lässt  vermuthen,  dass  die  Erneuerung  des 
Baus  erst  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  vollendet  wurde. 

Urkundlich  kommt  die  Taufkapelle  zuerst  1215  vor.  Da- 
mals schenkten  die  kirchlichen  Wohlthäter  Jonatas  und  seine 
Gattin  Hildegunde  zu  Aachen  der  „ecclesia  s.  Johannis"  6 
Denare 2  und  wenige  Jahrzehnte  später,  1269,  wird  ein  „Hen- 
ricus  capellanus  s.  Johannis  ad  gradus"  in  einer  Urkunde 
genannt3.  Auch  aus  dem  15.  Jahrhundert  sind  uns  die 
Namen  von  zwei  Rektoren  der  Taufkapelle  überliefert4:    1474 


2)  Aachener  Volkszeitung  1885,  Nr.  349. 

*)  Quix,  Die   Königliche   Kapelle    und    das   ehemal.    adelige   Nonnen- 
kloster auf  dorn  Salvators-Berge  S.  89. 

3)  Quix,  Gesch.  der  St.  Peter-Pfarrkirche  S.  12.r.. 

*)  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  I,  S.  173;  Loersch,  Achener 
Rechtsdenkmäler  S.  228. 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.         21 

Mathäus^Gebuyrgen,  „rectoir  der  kirchen  sent  Johanne  vur  dat 
Parvisch",  und  1487  Johann  Wetzel,  „rector  sent  Johan".    Den 
Beinamen    „zu   den    Staffeln1'    führte   die   Kapelle    wohl    daher, 
dass  man  von  dem  Fischmarkt  einige  Stufen  zu  dem  Domhof 
hinabstieg1.     Die  Stufen  befanden  sich  wahrscheinlich  an  dem 
gothischen  Bogen,    der  hier   beide  Plätze  von   einander  schied 
und  von  welchem  noch  Reste  an  der  Taufkapelle  sichtbar  sind. 
Dieser-  Bogen,    dessen  Entstehung    bis  jetzt    allgemein   ins  15. 
Jahrhundert  gesetzt  wird,  bestand  jedenfalls  schon  viel  früher ; 
1391  wird  er  in  einer  städtischen  Einnahmerechnung  2  erwähnt, 
worin  es  heisst:    „Item   van  Thoes  Sulre  under  den  boege  by 
sint   Johanne   vur't   Parvische  2  gelr.  gülden,  valent  6  m.,   ze 
mey."     Damit  lässt  sich  eine  von  Quix  mitgetheilte  Urkunde3 
vom  2.  Januar  1428,    die  gleichfalls  des  Bogens    am  Parvisch 
gedenkt,  in  Einklang  bringen,  nicht  aber  die  Angabe  der  von 
Professor   Loersch    veröffentlichten  Aachener   Chronik,   welche 
zum  Jahre  1429   meldet4,    dass   damals   der   neue   Bogen   auf 
dem  Parvisch   gegenüber   der  Wolfsthür  errichtet  worden    sei, 
Avenn  man  nicht  etwa  diese  letztere  Nachricht  auf  eine  Wieder- 
herstellung des  Bogens  an  der  Taufkapelle  beziehen  will. 

Ein  architektonisches  Interesse  hat  der  Kapellenbau  nicht, 
bemerkenswerth  ist  daran  nur  das  Fragment  eines  römischen 
Inschriftsteins5,  der  links  vom  Eingang  in  der  halben  Höhe 
der  Mauer  in  dieselbe  eingelassen  ist,  und  zwar  mit  der  Inschrift 
auf  dem  Kopfe.  Hätten  wir  hier  nicht  ein  Bauwerk  neuerer 
Zeit  vor  uns,  so  würde  auch  in  dieser  Anbringung  einer  römi- 
schen Inschrift  ein  redendes  Zeugniss  für  das  hohe  Alter  der 
Kapelle  gegeben  sein.  Denn  bei  alten  Kirchen  ist  die  Ein- 
mauerung  römischer  Inschriftsteine,  zumal  mit  den  Buchstaben 
auf  dem  Kopfe,   keineswegs   eine  Zufälligkeit   oder  Laune   dos 

*)  Im  Jahre  1334  waren  diese  Staffeln  so  im  Unzustand,  dass  mau 
sie  stützen  musste,  1346  wurden  sie  erneuert,  beides  auf  Kosten  der  Stadt 
(Laurent,  Aach.  Stadtreclmungen  S.  107,2i  uud  177,2e). 

2)  Laurent  a.  a.  0.  S.  38.r),37. 

3)  Quix.   Ilist.  Beschreibung  der  Münstorkirehe  S.   148. 

4)  Annalen  dos  bist.  Vereins  f.  d.  Niederrhein  XVII,  S.  8. 

5)  Bonner  Jahrbücher  LXXIH,  S.  151. 


22  R.  Pick 

Bauhand werkers.  Sie  versinnbildeten  vielmehr  den  Triumph 
des  Christenthums  über  das  Heidenthum,  und  indem  man  sie 
gerade  an  den  Eingängen  zur  Kirche  einmauerte,  wollte  man 
dem  Yolke  zeigen,  was  es  von  der  Macht  jener  Götter  zu  halten 
habe,  die  ihre  Denkmäler  so  ungestraft  zum  Baumaterial  herab- 
würdigen Hessen. 

Ueber  die  räumliche  Ausdehnung  des  Aachener  Pfarr- 
bezirks lässt  sich  vermuthen,  dass  er  in  ältester  Zeit  nicht  auf 
den  Ort  beschränkt  war,  sondern  sich  zugleich  über  einen 
grossen  Theil  des  spätem  Aachener  Reichs  erstreckte.  Auch 
dieser  Punkt  bedarf  einer  eingehenden  Erörterung,  zu  der  hier 
der  Raum  gebricht. 

Noch  übrigt,  mit  ein  paar  Worten  die  Frage  zu  berühren, 
ob  Aachen,  wie  oben  angedeutet  wurde,  in  ältester  Zeit  zur 
Diözese  Köln  gehört  hat.  Dass  es  am  Ende  des  10.  Jahrhun- 
derts und  seitdem  dauernd  bis  zur  Gründung  eines  eigenen 
Bisthums  in  französischer  Zeit  dem  Bischof  von  Lüttich  unter- 
stand, dass  es  ferner  nach  Aufhebung  des  Bisthums  Aachen 
mit  der  Erzdiözese  Köln  vereinigt  wurde,  ist  bekannt.  Aber 
wie  war  es  vor  dem  10.  Jahrhundert?  Diese  Frage  ist  keines- 
wegs neu;  schon  im  vorigen  Jahrhundert  ist  sie  von  den 
Geschichtschreibern  mehrfach  behandelt  worden,  und  namhafte 
Gelehrten  bezweifeln  nicht,  dass  Aachen  unter  Karl  d.  Gr.  zur 
Kölner  Diözese  gehört  habe  *.  Auf  eine  Thatsache,  die  man 
bisher  nicht  beachtet  hat,  obgleich  sie  die  letztere  Annahme, 
wie  mich  dünkt,  nicht  unerheblich  stützt,  sei  hier  hingewiesen. 
Im  Jahre  1069  schenkte  König  Heinrich  IV.  dem  Erzbischof 
Anno  II.  von  Köln  den  Wildbann  zwischen  der  Roer  und  dem 
Heimbach,  welcher  einen  Bezirk  in  dem  grossen  Walde  Osnink 
bildete2.  Ein  Weisthum  über  Wald-  und  Jagdgerechtsame 
der  Kölnischen  Kirche  aus    wenig    späterer  Zeit,    das  in    von 


*)  Eine  noch  ungedruckte  Abhandlung  über  diese  Frage  aus  dem 
vorigen  Jahrhundert  beruht  nach  gefälliger  Mittheilung  des  Herrn  Dr.  J. 
Hansen  zu  Coblenz  in  der  Burgundischen  Bibliothek  (Nr.  21  276)  zu  Brüssel. 

2)  Laeomblet,  Urkundenbuch  I,  Nr.  212. 


Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit.         23 

Ledebur^s  Allgemeinem  Archiv  aus  der  Urschrift  veröffentlicht 
ist1,  enthält  mit  Beziehung  auf  jene  Schenkung  die  Stelle:  In 
dem  erwähnten  Walde  Osnink  sollen  die  Jäger  das  erbeu- 
tete Wild  an  die  Förster  von  Hagestolde2  (forestariis  de  Hage- 
stolde)  abgeben,  und  diese  sollen  es  dem  Erzbischof  von  Köln 
zubringen,  möge  er  in  Köln  oder  Bonn  oder  Neuss  oder 
Aachen  sich  aufhalten.  Wir  vernehmen  also  hier,  dass  der 
Kölner  Erzbischof  damals  vier  Wohnsitze:  zu  Köln,  Bonn, 
Neuss  und  Aachen  hatte  und  abwechselnd  nach  der  Sitte  der 
Zeit  auf  denselben  verweilte.  Wer  möchte  bezweifeln,  dass  in 
diesem  bischöflichen  Sitz  zu  Aachen  noch  ein  letzter  Ueberrest 
aus  der  Zeit  der  frühern  Zugehörigkeit  unserer  Stadt  zur  Köl- 
ner Diözese  zu  erblicken  ist?  Von  Köln,  Bonn  und  Neuss 
wissen  wir,  dass  sie  zu  den  ältesten  christlichen  Niederlassungen 
dieser  Diözese  zählen;  an  allen  drei  Orten  standen  römische 
Kastelle,  deren  Besatzung  bei  der  Einführung  des  Christen- 
thums  sicherlich  nicht  unbetheiligt  blieb.  Auch  erhoben  sich 
hier,  wenigstens  zu  Köln  und  Bonn,  schon  frühe  bischöfliche 
Pfalzen.  Die  Erwähnung  Aachens  in  der  Reihe  jener  ältesten 
Stätten  christlicher  Religionsübung  innerhalb  der  rheinischen 
Diözese,  wie  sie  in  dem  Waldweistlium  des  11.  Jahrhunderts 
enthalten  ist,  gibt  der  auch  von  sonstigen  Gründen  keineswegs 
entblössten  Vermuthung3  eine  neue  Stütze,  dass  gleich  den 
andern  auch  unsere  Stadt  einst  der  Kölner  Diözese  einverleibt 
war.  Leider  haben  sich  über  den  Aachener  Bischofshof  keine 
weitern  Zeugnisse  erhalten. 

Ich  stehe  am  Ende  meiner  Ausführung.    Einen  mühsamen, 
dunkeln  Weg  habe  ich  den  Leser  geführt  durch  Jahrhunderte 


')  Auch  ahgedruckt  bei  Gelenius.  De  admir.  sacra  et  civili  magnitu- 
dine  Coloniae  p.  68. 

2)  Die  Bedeutung  dieses  Wortes  ist  mir  unklar.  Eine  (Vrtlichkeit 
wird  kaum  damit  gemeint  sein,  eher  könnte  man  an  das  mhd.  hagestalt  = 
Haghesitzcr,  d.  h.  Besitzer  eines  Nebenguts  ohne  die  Eofgerechtsame,  denken. 
Vgl.  Lexer,  Mittelhochd.  Handwörterbuch  unter  hagestalt. 

3)  Vgl.  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichte  VI,  S.  161  ff.;  Bin- 
terim  und  Mooren  a.  a.  0.  I,  S.  43. 


24    R.  Pick,  Die  kirchlichen  Zustände  Aachens  in  vorkarolingischer  Zeit. 

hindurch,  in  denen  lokale  Urkunden  schweigen.  Fasst  man 
das  Ergebniss  des  Gesagten  nochmals  kurz  zusammen,  so  ver- 
einigt sich  Alles  zu  der  Annahme,  dass  die  älteste  Kirche 
unserer  Stadt  wahrscheinlich  noch  zur  Römerzeit  auf  dem 
Fiskalboden  des  hiesigen  Kastells  an  der  Stelle  des  heutigen 
Münsters  gegründet  und  bei  der  Errichtung  der  Pfalzkapelle 
im  8.  Jahrhundert  niedergelegt  wurde,  um  in  dem  prächtigen 
Neubau,  herrlicher  denn  zuvor,  von  Neuem  zu  erstehen. 


Fürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung. 

Von  E.  Pauls. 

Abgesehen  von  dem  karolingischen  Sagenkreis *  ist  Aachen 
und  seine  nächste  Umgebung  nicht  eben  reich  an  Fürsten- 
sagen. Zwar  sah  die  alte  Kaiserstadt  seit  den  Tagen  der 
Karolinger  bis  zum  Tode  Napoleons  I.  zahlreiche  Herrscher 
kürzere  oder  längere  Zeit  in  ihren  Mauern,  aber  meist  nennt 
uns  nur  die  Geschichte  deren  Namen.  Manche  Sage  mag 
erloschen  sein,  bevor  um  die  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  die 
schriftlichen  Aufzeichnungen  häufiger  zu  werden  begannen, 
oder  ehe  die  Buchdruckerkunst  dem  Untergang  vorzubeugen 
im  Stande  war.  Zudem  zog  das  frühere,  äusserst  steife  Cere- 
moniel  den  Fürsten  bei  ihrer  Anwesenheit  in  Aachen  enge 
Schranken,  die  dem  Verkehr  mit  dem  Volke  und  damit  dem 
Entstehen  von  Sagen  hindernd  im  Wege  standen. 

Die   im  Nachfolgenden    behandelten    Sagen    sind   kleinere 


')  Auf  Karl  d.  Gr.  bezügliche  Sagen  bleiben  in  diesem  Aufsatz  mit 
Rücksicht  auf  die  vorhandene  reiche  Literatur  ausser  Betracht.  Nur  eine, 
anscheinend  bis  jetzt  ungedruckte  merkwürdige  Sage,  in  welcher  Karl  d.  Gr. 
genannt  wird,  möge  hier  eine  Stello  finden.  Es  hcisst  nämlich  in  einer 
handschriftlichen  in  der  Aachener  Stadtbibliothek  als  Nr.  9  aufbewahrten 
Chronik  (Chr.  Ms.  Aquisgr.  p.  122),  dass  im  J.  1139  der  Methusalah  des 
letzten  Jahrtausends  gestorben  sei,  welcher  unter  Karl  d.  Gr.  oder  unter  Karl 
dem  Kahlen  Waffendienst  geleistet,  also  ein  Alter  von  360  oder  mindestens 
280  Jahren  erreicht  habe.  Der  Wortlaut  ist:  Anno  1139.  Morti  tandem  et 
naturae  cessisse  fortur  Joannes  de  tomporibus  Caroli  Magni  tribus  abhinc 
saeculis  armiger  aetatis  360  m0,  unde  Mathusalem  ultimi  millenarii  passim 
dictus.  Alii  in  Caroli  Calvi  satollitio  cum  fuisse  volunt  adeoque  hoc  tem- 
pore annum  egisse  280  m- 


26  E.  Paiüs 

sagenartige  Erzählungen ,  welche  sich  an  Fürsten,  fürstliche 
Geschenke  u.  s.  w.  knüpfen;  Ort  der  Handlung  ist  Aachen 
oder  dessen  nächste  Umgebung.  Unberücksichtigt  blieben  die 
vielen  Dichtungen,  in  denen  der  Dichter,  nicht  aber  die  Ge- 
schichte oder  Sage,  die  Handlung  in  Aachen  sich  abspielen 
lässt l.  Allbekannte  Sagen  durften  der  Vollständigkeit  wegen 
nicht  ganz  fortfallen,  sind  aber  thunlichst  kurz  behandelt. 

Um  mit  Pippin  dem  Kleinen  zu  beginnen,  so  wird  das 
Märchen  von  seinem  Kampfe  mit  dem  Löwen  irriger  Weise 
zuweilen  nach  Aachen,  statt  nach  Ferneres,  verlegt2.  Da- 
gegen weiss  eine  schon  im  9.  Jahrhundert  nachweisbare 
Sage  von  einem  Kampfe  zu  berichten,  den  Pippin  im  Bade 
zu  Aachen  mit  dem  Teufel  siegreich  bestand3.  Der  Erzfeind 
des  Menschengeschlechts  wollte  nämlich  den  König  im  Bade 
tödten.  Dieser  schützte  sich  durch  das  Kreuzzeichen  und 
wuchtige  Schwerthiebe,  worauf  der  gespensterhafte  Schatten 
in  menschlicher  Gestalt  wich  und  die  Quellen  mit  Moder  und 
Blut  arg  verunreinigte.  Auch  hierdurch  nicht  in  Furcht  ge- 
setzt,   Hess  Pippin    die    verpestete    Flüssigkeit    abfliessen    und 


1)  Beispiele  :  Schillers  Ballade  „Rudolf  von  Habsburg'1 ;  Simrocks  Ge- 
dicht „Der  Apfelschnitz";  Flekens  „Ludwig  der  Fromme  im  Lousberg", 
welches  letztere  Gedicht  schwerlich  auf  einer  Sage  beruht. 

2)  Näheres  bei  Oelsner,  König  Pippin  S.  153.  Hier  wohl  die  älteste 
Fürstensage  der  Aachener  Gegend,  da  Aachen  erst  unter  Pippin  urkund- 
lich hervortritt.  Die  älteste  Sage  unserer  Heimath  hegt  dagegen  auf  einem 
andern  Gebiet.  Ohne  Zweifel  war  schon  in  der  Urzeit  bei  uns  der  für  heid- 
nische Auffassung  als  Sage  zu  bezeichnende  Glaube  verbreitet,  dass  die 
Nacht  dem  Tag  vorhergegangen  sei.  Nach  Caesar  (B.  G.  VI,  c.  18)  lehrten 
so  die  Druiden  bei  den  Galliern,  und  Tacitus  (Germania  c.  11)  erklärt  das 
'ilrirhe  für  germanische  Ansicht.  Kulturgeschich tüch  ist  dies  deshalb  be- 
achtcnswerth,  weil  derselbe  Glaube  bei  vielen  indogermanischen  Stämmen 
im  Alterthum  sich  findet  (Schrader,  Aelteste  Zeitthciluug  des  indogerma- 
nischen Volks  S.  44  f.).  Allem  Anschein  nach  lag  hier  eine  Erinnerung  an 
die  asiatische  Urheimath  und  die  heilige  Urkunde  zu  Grunde,  welche  über 
die  Entfaltung  der  Dinge  im  Anfang  berichtet  (Genesis  I,  1,2). 

3)  Vgl.  Lorsch,  Geschichte  des  Bades  Aachen  S.  15  ff.  Erwähnt  sei, 
dass  im  Alterthum  und  Mittelalter  die  Quellen  vielfach  Gegenstand  des 
Aberglaubens  waren. 


Füxstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  27 

badete  sich  in  dem  sogleich  nachströmenden  reinen  Wasser. 
Treffend  "bemerkt  hierzu  Lorsch:  „Wenn  diesem  Märchen  eine 
Begebenheit  zu  Grunde  liegt,  so  darf  man  vermuthen,  dass 
Pippin  sich  durch  die  hohe  Temperatur  der  Kaiserquelle,  in  deren 
Abfluss  er  badete,  angegriffen  fühlte  und  dass  ihm  oder  seinem 
Begleiter  der  schleimige  fette  Badeschlamm  als  das  Wund- 
sekret  eines  Dämons  erschien;  selbst  an  das  Teufelsblut  wurde 
man  im  Sommer  1862  erinnert,  als  nach  Abbruch  des  Kaiser- 
bads das  dort  stagnirende  Thermalwasser  unter  dem  Einfluss 
der  Sonnengluth  durch  ein  mikroskopisches  Gebilde  fast  bis 
zur  Blutfarbe  geröthet  wurde." 

"Viel  bekannter  als  das  Märchen  von  Pippins  Strauss  mit 
dem  Teufel  ist  die  Sage  von  einem  Kampfe  Ottos  III.  mit  dem 
Pfalzgrafen  Ezo,  welcher  auf  dem  Gebiet  des  Schach-  oder 
Brettspiels  ausgefochten  worden  sein  und  dem  Sieger  Ezo  die 
Hand  der  kaiserlichen  Schwester  eingetragen  haben  soll.  Häufig 
ist  diese  anziehende  Erzählung  in  Geschichtswerken,  Gedichten 
und  Novellen  behandelt1,  obschon  auch  hier  offenbar  nur 
ein  Märchen  vorliegt.  Denn  das  Schachspiel  war  zu  Ende  des 
10.  Jahrhunderts  in  Deutschland  nicht  bekannt2,  und  die  An- 
nahme, es  könue  sich  in  diesem  Falle  bei  einem  andern  Spiele 
um  einen  so  ungeheuren  Einsatz,  wie  die  Erzählung  es  will, 
gehandelt  haben,  ist  durch  Ottos  Kindesalter  zur  Zeit  des  an- 
geblichen Kampfes  hinfällig.  Mit  Recht  sagt  daher  ein  Forscher 
von  der  Bedeutung  Wattenbachs 3 :  „Zur  Sagenbildung  gehört 
auch  die  Erzählung,  dass  Ezo  seine  Gemahlin  ihrem  Bruder 
Otto  III.  im  Brettspiel  abgewann;  es  ist  auffallend,  dass  diese 
Verbindung  so  entschieden  als  Missheirath  aufgefasst  wurde, 
dass  man  sie  auf  solche  Weise  zu  erklären  suchte." 

Friedrich  L,  unsterblich  auch  in  Aachens  Geschichte  durch 


')  Beispiele:  Meyer,  Aachcnsche  Geschichten  I,  S.  213;  Annalen  d. 
hist.  Vereins  f.  d.  Niederrhein  VIT,  S.  15  ;  K.  Simrocks  Gedieht  „Das  Schach- 
spiel"; A.  von  Reumonts  Novelle  „Der  Pfalzgraf  und  die  Caisertochter", 
femer  ein  vor  einiger  Zeit  erschienenes  Feuilleton  im  „Echo  der  Gegenwart". 

■)  von  der  linde,  Geschichte  des  Schachspiels  II.  S.  461  f. 

s)  Wattenbach,   Deutschlands  Geschichtsquellen,   4.  Aufl.    II,   IS.  110. 


28  E.  Paiüs 

die  auf  seine  Anregung  erfolgte  Erhebung  der  Gebeine  Karls 
d.  Gr.,  schenkte  bekanntlieh  der  Aachener  Marienkirche  jenen 
herrlichen  Kronleuchter,  welcher  seit  etwa  700  Jahren  einen 
vorzüglichen  Schmuck  des  Achtecks  im  Münster  bildet.  Noch 
im  vorigen  Jahrhundert  war  dieser  Leuchter  in  Aachen  von 
einem  kleinen  Sagenkreis  umwoben '.  Zunächst  sollte  durch 
die  Schenkung  des  Leuchters  Kaiser  Friedrich  ein  der  Gottes- 
mutter gemachtes  Gelübde  erfüllt  haben.  Dieser  Theil  der 
Sage  entzieht  sich  weitern  Untersuchungen,  doch  sei  darauf  hin- 
gewiesen, dass  der  Marienaltar  mit  seinem  berühmten  Gnaden- 
bild sich  ehemals  in  unmittelbarer  Nahe  des  Leuchters  befand. 
Zu  andern  Sagen  gab  der  Stoff  der  Lichterkrone  Anlass.  Meist 
hielt  man  das  dazu  verwandte  Metall  für  reines  Gold;  Andere 
glaubten,  der  ursprünglich  vorhandene  goldene  Leuchter  sei 
in  stürmischen  Zeiten  durch  einen  ähnlichen  minderwerthigen 
ersetzt  worden.  Heutzutage  ist  es  allbekannt,  dass  der  zweifellos 
aus  der  Zeit  Friedrichs  des  Rothbarts  stammende  Leuchter  aus 
vergoldetem  Kupfer  besteht. 

Eine  kurze  Besprechung  verdient  eine  Stelle  des  Briefs, 
den  König  Richard  von  Cornwallis  um  1257  an  seinen 
Neffen  in  England  richtete.  Es  sagt  nämlich  der  König,  nach- 
dem er  sich  sehr  befriedigt  über  den  ihm  in  Aachen  gewor- 
denen Empfang  ausgesprochen,  etwa  Folgendes:  „Allgemein 
erzählt  man  sich  im  Volke,  dass,  abgesehen  von  uns,  seit 
länger  als  200  Jahren  kein  König  bei  Beginn  seiner  Herr- 
schaft Aachen  betrat,  ohne  dass  es  zu  schlimmen  Beleidigungen 
oder  Widersetzlichkeiten  gekommen  Aväre.  Dies  können  wir 
nicht  glauben."  Das  sagenhafte  Gerede,  dessen  Kenntniss  uns 
dieser  Brief  vermittelt,  hatte  wohl  hauptsächlich  darin  seinen 
Grund,    dass   vor   Richard   thatsächlich   drei    Könige   bei   den 


l)  Vgl.  über  diese  Sagen :  Schilderung  der  Stadt  Aachen  1787,  S.  18 ; 
Amuscmens  dos  eaux  d'Aix-la-Chapelle  173G,  II,  p.  128.  Auch  a  Beeck 
(Aquisgranum  1620,  p.  51)  hat  das  Metall  des  Leuchters  nicht  gekannt; 
er  hielt  es  theils  für  Silber,  tbeils  für  vergoldetes  Erz.  Ebenso  Blondel 
(Therm.  Aijuisgr.  et  Porcetan.  elucidatio,  ed.  3,  p.  8).  Im  Volksmund  hiess 
es,  der  Leuchter  sei  soviel  werth  als  ein  Königreich ! 


Furstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  29 

Bürgern  Aachens  auf  bedeutenden  Widerstand  gestossen  waren, 
als  sie  ihre  Krönung  hier  vollziehen  lassen  wollten  l.  Vielleicht 
hatte  auch  früher  die  Aachener  Bevölkerung,  deren  Sitten  be- 
kanntlich dem  h.  Bernhard  von  Clairvaux  missfielen,  sich 
bei  den  Königskrönungen  vor  dem  Einzug  des  Königs  in  die 
Stadt  unpassende  Neckereien  des  Gefolges  öfters  gestatten  zu 
können  geglaubt,  die  der  Ausländer  Richard  auf  Grund  über- 
triebener Schilderungen  als  Widersetzlichkeit  ansah. 

Bei'  der  Krönung  Rudolfs  von  Habsburg  im  Aachener 
Münster  soll  bekanntlich  der  König  ein  eigenhändig  vom 
Altar  genommenes  Kruzifix  als  Ersatz  für  das  zufällig  verlegte 
Zepter  benutzt  haben,  auch  sei,  so  berichtet  die  Sage,  während 
der  feierlichen  Handlung  ein  rothes  Kreuz  am  Himmel  erschienen. 
A.  W.  von  Schlegel  hat  schon  um  1813  mehrere  poetische 
Stimmen  von  Zeitgenossen  über  Rudolf  von  Habsburg  zusammen- 
gestellt und  in  die  neuere  Mundart  übertragen.  Dabei  heisst 
es  über  die  genannte  Lufterscheinung  in  einem  Gedicht  des 
Meisters  Friedrich  von  Sonnenburg2: 

„Zu  Aachen  über  dem  Münster  das  geschach, 

Hoch,  lang,  weit  und  breit. 

Ein  schönes  Kreuze  schwebt  auf  ihn,   derweile  dass    er  sass 

Gekrönet  und  die  Weih  empfing.  Hiebei  so  weiss  ich  das, 

Dass  ihn  Gott  durch  der  Fürsten  Mund  zu  einem  Voigte  hat 

erwählt. 
Nun  sei  er  dir,  allmächt'ger  Gott,  in  deinem  Frieden  zugezählt." 


')  Otto  IV.  (1198),  Friedrich  II.  (1214),  Wilhelm  von  Holland  (1248). 
Näheres  bei  Schcllhass,    Das  Königslager  vor  Aachen  und  Frankfurt  S.  13. 

2)  Ich  eitire  nach  dem  Wochenblatt  für  Aachen  und  die  Umgegend, 
Jahrg.  1838,  Nr.  29,  S.  117  und  gebe  selbstverständlich  nur  einen  kurzen 
Auszug;'  vgl.  auch  die  Angabe  bei  a  Beeck  (1.  c.  p.  124).  Eigentümliche 
Wolkenbildungen,  Wolkenfärbungen  u.  dergl.  erregten  früher  in  der  Regel 
grosses  Aufsehen  und  wurden  gerne  mit  Ereignissen  von  weltgeschichtlicher 
Bedeutung  in  Verbindung  gebracht,  So  erzählt  Noppius  (Aacher  Chronic* 
1632,  T.  8.  46),  dass  man  um  1207  drei  Sonnen  am  Himmel  gesehen  habe, 
wodurch  „die  Spaltung  der  drei  Kaiser  präsignirt  gewesen  wäre".  An  die 
bekannte,  heute  Nebensonnen  genannte  Lufterscheinung  dachte  man  a]  o 
damals  nicht. 


36  E.  Pauls 

Schlegel  bemerkt  zu  diesem  Gedicht,  Meister  Friedrich 
sei  nicht  der  einzige  Zeitgenosse,  der  über  die  Kreuzeserschei- 
nung berichte.  Es  heisse  nämlich  in  den  Jahrbüchern  der 
Dominikaner  zu  Colmar:  „Vor  Allerheiligen  wurde  Rudolf  als 
König  gekrönt.  Da  erschien  eine  Stunde  lang  eine  weisse 
Wolke  in  Gestalt  eines  Kreuzes,  welche  nachher  in  die  Röthe 
des  Blutes  überging.  Als  die  Fürsten  dies  dem  König  berich- 
teten, sagte  Rudolf:  Wenn  der  Herr  mir  Leben  und  Gedeihen 
schenkt,  so  will  ich  in  die  Lande  jenseit  des  Meeres  ziehen 
und  für  meine  grossen  Sünden  dem  Heiland  mein  Blut  weihen." 

Wie  es  scheint,  ist  noch  heute  in  Aachens  nächster  Um- 
gebung die  Sage  verbreitet,  die  berühmte  Linde  in  Forst, 
sicherlich  einer  der  schönsten  Bäume  Deutschlands,  sei  durch 
Rudolf  von  Habsburg  gepflanzt  worden.  Clemens  von  Orsbach 
erwähnt  diese  Sage,  nennt  aber  irrig  die  Linde  eine  Eiche l. 
Nach  dem  Umfang  der  Forster  Linde  zu  schliessen,  ist  es 
nicht  unmöglich,  dass  deren  Alter  etwa  600  Jahre  beträgt 2,  und 
wenn  auch  für  die  Pflanzung  durch  Rudolf  keine  Wahr- 
scheinlichkeit spricht,  so  bleibt  es  doch  bezeichnend,  dass  der 
Volksmund  das  Entstehen  des  mächtigsten  Baumes  der  ganzen 
Gegend  mit  jenem  König  in  Verbindung  brachte,  dessen  Re- 
gierung in  Deutschland  so  gern  als  der  Beginn  einer  neuen 
bessern  Zeit  betrachtet  wurde. 

Soweit  es  sich  übersehen  lässt,  fehlen  für  den  langen 
Zeitraum  zwischen  dem  Ende  des  13.  und  der  Mitte  des  17. 
Jahrhunderts  in  der  Aachener  Gegend  Fürstensagen  fast  gänz- 
lich. An  Königskrönungen  im  Allgemeinen  erinnert  die  jüngere 
Sage 3,  dass  bei  jenen  im  Aachener  Münster  eine  vom  Königs- 
stuhl aus  bis  vor  den  Muttergottesaltar  oder  die  Kommunion- 
bank gehende  Treppe  errichtet  worden  sei. 

Noppius  erzählt4,  Kaiser  Friedrich  III.  habe  um  1453  die 


1)  Cl.  von  Orsbach,  Skizzen  aus  dem  Aachener  Badeleben  von  1851,  S.  G6. 

2)  Vgl.  die  Angaben  über  Alter  und  Umfang  mehrerer  Linden  in  der 
Schrift  vini   F.  Schulz  über  Deutschlands  Wälder  und  Haine  S.  27  f. 

3)  Scheint  Fabel;  vgl.  Ouix,  Müustorkirche  S.  9,  Amn.   IG. 
*)  Noppius  a.  a.  0.  I,  S.  50. 


Fürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  :)1 

Nachricht  von  dem  Falle  Konstantinopels  im  Rathhaus  zu 
Aachen  verkommen  und  dabei  die  schönen,  später  als  Inschrift 
für  das  Eathhaus  benutzten  Worte  gesprochen :  Herum  irrecupe- 
rabilium  summa  felicitas  est  oblivio.  (In  Bezug  auf  unwieder- 
bringlich Verlorenes  besteht  das  höchste  Glück  im  Vergessen.) 
Höchst  wahrscheinlich  stammen  diese  Worte  von  Friedrich  III. 
her,  doch  lässt  nur  die  Sage  sie  in  Aachen  gesprochen  sein  \ 
Später  passte  —  ein  seltsamer  Spott  des  Geschicks  —  die 
Inschrift  'auch  aus  anderm  Grunde  für  das  Aachener  Eath- 
haus, dem  der  Glanz  der  in  seinen  Räumen  gefeierten 
Königsgelage  seit  1536  bis  zum  Untergang  der  reichsstädtischen 
Herrlichkeit  unwiederbringlich  verloren  wrar. 

Ob  die  Erzählung,  dass  Maximilian  I.  bei  seiner  Krönung 
zu  Aachen  von  den  Juden  einen  Korb  goldener  Eier  erhielt 
und  die  Hühner,  die  solche  Eier  legten,  nicht  fliegen  lassen 
wollte,  in  das  Gebiet  der  Sagen  oder  der  Anekdoten  gehört, 
dürfte  schwer  zu  entscheiden  sein2.  Simrock  hat  den  Scherz 
in  einem  ziemlich  bekannten  Gedicht  bearbeitet3. 

Der  Aachener  Bürgermeisterei-Diener  Janßen  (1720 — 1780) 
hinterliess  eine  handschriftliche,  jetzt  in  der  Aachener  Stadt- 
bibliothek befindliche  Chronik.  Trotz  aller  Mängel  der  kritiklos 
hingeworfenen  Notizen  können  sie  bei  vorsichtiger  Benutzung 
zur  Aufklärung  einzelner  in  ortsgeschichtlicher  Hinsicht  dunkeln 
Punkte  beitragen.  Unter  Anderm  überliefert  uns  Janßen  eine 
sagenartige  Erzählung  über  Papst  Alexander  VII. ,  welcher 
von  Ende  Dezember  1649  bis  zum  Oktober  1651  als  Nuntius 
Fabio  Chigi  in  Aachen  weilte,  ehe  er  nach  kurzer  Führung 
des  päpstlichen  Staatssekretariats  um  1655  den  Stuhl  Petri 
bestieg.  Nach  Janßen  hatte  Fabio  Chigi  am  Muttergottesa  Hai- 
der   Aachener    Münsterkirche    das    h.    Messopfer     darbringen 


')  Vgl.  a  Beeck,  Aquisgranum,  Uebcrsetzung  von  Käntzeler,  S.  206  f. ; 
Haagen,  Gesch.  Achens  II,  S.  72.    2)  Vgl.  Haagen  a.  a.  0.  II,  S.  97,  Anin.  2. 

3)  K.  Simrock:  „Die  goldenen  Eier";  abgedruckt  u.  A.  in  C.  Trog, 
Rheinlands  Wunderhom  XIII,  S.  150  ;  A.  von  Eteumont,  Aachener  Lieder- 
chronik S.  110.  Angeblich  hatte  der  Kaiser  befohlen,  die  (icsclHnl  -  i .  i 
einzusperren. 


32  E.  Pauls 

wollen,  war  aber  von  den  Stiftsherren  nicht  zugelassen  wor- 
den, weil  hierbei  ein  dem  Papst  und  sieben  Geistlichen  des 
Marienstifts  vorbehaltenes  Recht l  zur  Geltung  gebracht  werden 
müsse.  Ueber  die  Abweisung  verstimmt,  las  Chigi  seitdem  in 
der  Rathhauskapelle  Messe,  wo  auch  jetzt  noch  sein  Porträt 
über  dem  Altar  sich  befindet.  Nach  dem  grossen  Brand  von 
1656  sandte  Alexander  VIT.  der  Stadt  eine  ansehnliche  Gabe, 
liess  aber  das  Kapitel  leer  ausgehen. 

Janßen  mischt  hier  höchst  wahrscheinlich  Geschichtliches 
mit  Sagenhaftem.  Hätte  der  Nuntius  Chigi  in  der  Regel  oder 
häufiger  in  der  Rathhauskapelle  Messe  gelesen,  so  würde  die 
lange  nach  Eingang  der  päpstlichen  Spende  um  1657  entstan- 
dene Inschrift  im  Rathhaus  dies  sicher  andeuten 2.  Anderer- 
seits lassen  die  Wahl  des  Platzes  für  das  Porträt  des  Papstes 
im  Rathhaus,  sowie  mehr  noch  der  den  Besuchern  der  Kapelle 
bewilligte  Ablass 3  auf  nähere  Beziehungen  Alexanders  VII.  zu 
der  letztern  schliessen.  Vermuthlich  hat  Chigi  während  seines 
fast  zweijährigen  Aufenthalts  in  Aachen  zuweilen  den  Altar 
der  Rathhauskapelle  beim  Messelesen  benutzt,  Sagenhaft  klingt 
die  Erzählung  über  die  dem  Nuntius  im  Aachener  Münster 
widerfahrene  Abweisung  und  die  spätere  absichtliche  Nicht- 
beschenkung  des  Stiftskapitels. 

Haagen  deutet  an4,  dass  sich  über  den  Aufenthalt  Peters 
d.  Gr. 5  in  Aachen  „allerlei"  Sagen  gebildet  hätten,  wobei  er 
namentlich  auf  Janßens  Chronik  hinweist.  Nach  Janßen 
machte  das  Benehmen  des  Zaren  den  Eindruck  eines  Mannes, 
„der  nit  recht  by  sinnen  war".     So  hätte  der  Kaiser  beim  Arm- 


r)  Dieses  Eecht  stand  ausserdem  dem  Erzbisehof  von  Köln  und  dem 
Bischof  von  Lüttieh  zu.  Vgl.  Quix,  Cod.  dipl.  Aquens.  I,  no.  49,  p.  36, 
auch  Quix,  Münsterkirche  S.  17. 

2)  Laurent,  Aachener  Stadtrechnungen  S.  45. 

3)  Ebendas. 

4)  Haagen  a.  a.  0.  II,  S.  319. 

5)  Nach  einer  Notiz  der  Aachener  Volkszeitimg  (1886,  Nr.  291)  wohnte 
Peter  d.  Gr.  im  Russischen  Hofe  in  der  Franzstrasse,  wo  heute  noch  das 
Stu liehen  vorhanden  ist,  das  der  Herrscher  aller  Reussen  als  Schlafzimmer 
benutzte. 


Fürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  33 

brustschiessen  auf  dem  Lousberg  beim  ersten  Schusse  meister- 
haft,  beim  zweiten  und  dritten  gar  nicht  getroffen.  Eiligst 
habe  Peter  darauf  den  Bogen  weggeworfen  und  sei  mit 
seinem  ganzen  Gefolge  „wie  toll"  den  Berg  hinabgelaufen, 
um  dann  ohne  Scheu  vor  einer  grossen  Menschenmenge  in 
unpassendster  Weise  die  Strasse  zu  verunreinigen  l.  Es  muss 
dahin  gestellt  bleiben,  in  wieweit  die  Erzählung  Janßens,  der 
zu  einer  Zeit  schrieb,  in  welcher  der  kaiserliche  Besuch  zu 
Aachen  noch  in  frischer  Erinnerung  war,  auf  Wahrheit  beruht. 
Nachweislich  machten  die  Sitten  des  Zaren  gelegentlich  seiner 
grossen  Reisen  mancherorts  den  allerungünstigsten  Eindruck; 
seine  Betheiligung  am  Bogenschiessen  auf  dem  Lousberg  ist 
auch  anderweitig  verbürgt2. 

Wiederholt  beherbergte  Aachen  zu  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts Frankreichs  Kaiser  und  Mitglieder  der  kaiserlichen 
Familie.  Doch  trotz  der  Napoleons-Verehrung,  die  auch  bei 
uns  Jahrzehnte  hindurch  bestand,  bemächtigte  sich  die  Sage 
anscheinend  nur  wenig  Napoleons  und  seiner  Verwandten. 
Von  Napoleon  I.  heisst  es  in  einem  bekannten  Gedicht 
Rückerts 3,  dass  er  davor  zurückgeschreckt  sei,  sich  auf  den 
Stuhl  Karls  d.  Gr.  im  Aachener  Münster  zu  setzen,  während 
seine  Gemahlin  Josephine4  dies  übermüthig  gewagt  habe.   Sollte 

')  Janßens  Erzählung  lässt  sich  nicht  füglich  genau  wiedergeben. 
„Grattez  le  Russe  et  vous  aurez  le  barbareu  heisst  es  bekanntlich  von  den 
Russen  früherer  Zeiten. 

2)  Meyer,  Aachener  Bogenschützen  1802,  S.  39. 

3)  A.  von  Reuinont  a.  a.  0.  S.   131. 

*)  Es  klingt  sagenhaft,  scheint  aber  Thatsache  zu  sein,  dass  sich  am 
1.  August  1804  gelegentlich  Josephinens  Besuch  im  Aachener  Münster  unter 
den  Händen  der  Kaiserin  das  geheimnissvolle,  seit  448  Jahren  verschlossene 
Noli  me  tangere-Kästchen  anscheinend  wie  von  selbst  öffnete.  Eine  Er- 
klärung hält  nicht  schwer.  Vielleicht  hatte  der  Verschluss  (Siegel)  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  gelitten  und  gab  bei  einer  etwas  lebhaften  Berührung 
nach ;  vielleicht  auch  war  absichtlich  vorgearbeitet  worden,  um  durch  die 
Hand  einer  Person  allerhöchsten  Ranges  ein  dunkles  Gebeimniss  seiner 
Lösung  näher  zu  bringen.  Jedenfalls  ist  es  auffällig,  dass  man  das  Noli 
me  tangere-Kästchen  nicht  erhalten,  sondern  noch  vor  1809  eingeschmolzen 
hat.  (Vgl.  Kessel,  Geschichtl.  Mittheilungen  über  die  Hoiligthümer  der 
Stiftskirche  zu  Aachen  S.  125.) 

3 


34  E.  Pauls 

wirklich  der  Imperator,  dessen  Satelliten  eben  zu  Aachen  in 
allen  Tonarten  das  Lob  der  Ueberlegenheit  Napoleons  über 
Karl  d.  Gr.  sangen,  es  verschmäht  haben,  auf  den  Marmorstuhl 
sich  niederzulassen,  so  war  hierbei  wohl  weniger  Furcht  oder 
Aberglaube  \  als  vielmehr  die  Absicht  ausschlaggebend,  eine 
kleinliche  Nachahmungssucht  zu  vermeiden.  Wahrscheinlich 
ist  es  geschichtlich,  dass  die  Kaiserin  Josephine  auf  dem  ge- 
nannten Stuhl  gesessen  hat.  Mit  sagenhafter  Ausschmückung 
berichtet  hierüber2  die  Stadt-Aachener  Zeitung  vom  15.  Nov. 
1814:  „Napoleons  erste  Frau  wagte  es  einmal,  sich  auf  diesen 
Stuhl  zn  setzen,  doch  ein  plötzliches,  nicht  füglich  näher  an- 
zugebendes Unwohlsein  zwang  sie,  augenblicklich  die  Kirche 
zu  verlassen." 

Eine  andere  Sage  lässt  Napoleon  I.  im  alten  Schloss 
Frankenberg  die  Thurmtreppe  hinauf  reiten.  Dazu  sagt  das 
Aachener  Wochenblatt  sehr  richtig3:  „Dass  Napoleon  ein 
kühner  und  sattelfester  Reiter  war,  ist  bekannt,  allein  es 
kommt  uns  dennoch  unglaublich  vor,  dass  derselbe  im  alten 
Schloss  Frankenberg  die  enge  steile  Treppe  hinauf  bis  auf  die 
Reste  des  alten  Thurms  geritten  sein  soll." 

Die  zu  Ende  Juni  1815  entstandene  Sage4,  dass  Napo- 
leon I.  in  einem  Tagesbefehl  vom  16.  Juni,  kurz  vor  der 
Entscheidung  bei  Waterloo,  seinen  „treuen  Anhängern"  die  Plün- 
derung von  Brüssel,  Lüttich  und  Aachen  verheissen  habe, 
spiegelt  die  Furcht  vor  dem  französischen  Kaiser  lebhaft  wieder. 

Ein  bemerkenswerthes  Beispiel  von  Sagenbildung  inner- 
halb sehr  kurzer  Zeit  lässt  sich  in  Cornelimünster  nachweisen. 
Im  Wäldchen  zur  Klause  bei  Cornelimünster,  fast  in  unmittel- 
barer Nähe  der  Kapelle,  finden  sich  nämlich  einige    halb  ver- 


x)  Vielfach  wird  behauptet,  Napoleon  sei  von  Aberglauben  nicht  ganz 
frei  gewesen,  doch  hat  er  selbst  gegen  diese  Auffassung  sich  auf  St.  Helena 
entschieden  verwahrt.  Vgl.  Thiers,  Geschichte  des  Konsulats  und  des 
Kaiscrthums  XX,  S.  586. 

2)  Vgl.  auch  Kaufmann,  Quellenangaben  und  Bemerkungen  zu  K.  Siin- 
rocks  Rhemsagen  und  A.  Kaufmanns  Mainsagen  S.  44. 

s)  Wochenblatt  für  Aachen  und  Umgegend  1837,  Nr.  99,  S.  397. 

4)  Vgl.  Beüago  z.  Aachener  Wahrheits-Freund  Nr.  80  vom  21.  Juni  1815. 


Fürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  35 

fallene  Pfeiler  von  ziemlich  mächtigem  Umfang.  Schon  vor 
50 — 60  Jähren *  wusste  die  heute  noch  nicht  ausgestorbene 
Sage  zu  berichten,  dass  diese  Pfeiler  zur  Stütze  einer  Brücke 
bestimmt  gewesen,  die  Napoleon  I.  zwischen  der  Kapelle  und 
der  Staatsstrasse  in  Cornelimünster  errichten  wollte.  Die  richtige 
Auskunft  über  den  Zweck  der  sofort  nach  dem  Aufhören  der 
Fremdherrschaft  dem  Verfall  preisgegebenen  Anlage  enthält 
das  Journal  de  la  Roer  in  seiner  Nummer  vom  4.  September 
1813.  „Bei  dem  zwei  Stunden  von  Aachen  entfernten  Städt- 
chen Cornelimünster",  so  heisst  es  dort,  „befindet  sich  ein  wohl 
gepflegtes  Wäldchen,  worin  man  zu  Ehren  der  Königin  Hor- 
tense,  welcher  die  schöne  Gegend  gefiel,  eine  kleine  Säule  und 
einen  Pavillon  angelegt  hat." 

Schliesslich  liegt  die  Frage  nahe,  bei  welchen  fürstlichen 
Personen  aus  dem  langen  Jahrtausend  zwischen  dem  Tode 
Karls  d.  Gr.  und  dem  Ende  Napoleons  I.  es  zutraf,  dass  das 
Andenken  an  ihre  Wirksamkeit  in  besonders  hervorragender 
Weise  bei  uns  erhalten  blieb,  bezw.  noch  heute  fortlebt.  Zur 
Beantwortung  dieser  hier  nur  kurz  zu  berührenden  Frage 
liegen,  namentlich  soweit  es  sich  um  die  neuere  Zeit  handelt, 
manche  Anhaltspunkte  vor.  Sicher  ist,  dass  Karls  d.  Gr. 
Volkstümlichkeit  unerreicht  dasteht,  und  dass  schwerlich  ein 
Fürst  mehr  Bewunderung,  aber  auch  mehr  Tadel  erfahren 
hat,  als  Napoleon  L,  der  sich  so  gerne  als  den  grössern 
Nachfolger  Karls  bezeichnen  liess.  Anscheinend  —  Bestimmtes 
lässt  sich  bei  der  Dürftigkeit  der  Quellen  schwer  festsetzen  — 
lebten  zu  Ende  des  Mittelalters  in  der  Aachener  Gegend 
namentlich  in  Bezug  auf  Friedrich  I.  und  Rudolf  von  Habs- 
burg Erinnerungen  der  Ehrfurcht  und  Dankbarkeit  im  Volke 
vielfach  fort.  Das  16.  Jahrhundert  brachte  die  Regierung 
Karls  V.  Viele  Umstände  trugen  dazu  bei,  diesen  Kaiser  bei 
uns  lange  unvergessen  zu  machen.  War  doch  seine  Krönung 
die    letzte,    welche   mit  besonderm  Glanz  zu  Aachen    gefeiert 


')  Wahrscheinlich  ist  die  Sage  in  den  ersten  zwei  Jahrzehnten  nach 
der  Fremdherrschaft  entstanden  ;  um  die  Mitte  der  dreissiger  .lalire  dieses 
Jahrhunderts  bestand  sie  schon. 


36  E.  Pauls,  Fürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung. 

wurde  !  Sein  vielbewegtes  Leben,  das  in  eine  Zeit  bis  dahin 
unerhörter  geistiger  Aufregung  in  Deutschland  fiel,  die  unter 
seiner  persönlichen  Leitung  erfolgte  Erstürmung  und  Zer- 
störung Dürens,  die  von  ihm  erlassene  Strafprozessordnung 
(Carolina),  die  ernste  Würde  seines  Wesens,  der  merkwürdig 
ergreifende  Lebensabend,  dies  alles  lässt  es  begreiflich  finden, 
dass  bis  tief  ins  18.  Jahrhundert  hinein  auch  in  der  Aachener 
Gegend  manche  Schriften  und  mündliche  Ueberlieferungen  mit 
Vorliebe  die  Persönlichkeit  und  die  Thaten  Karls  V.  in  den 
Vordergrund  stellten1.  Doch  auch  sein  Bild  verblasste  kurz 
vor  der  Fremdherrschaft  vor  dem  Maria  Theresias,  Oesterreichs 
grosser  Kaiserin.  Das  Andenken  an  diese  milde  und  dabei 
so  ehrfurchtgebietende  Erscheinung  auf  dem  österreichischen 
Kaiserthron  überdauerte  selbst  die  Stürme  der  Napoleonischen 
Zeit.  Wohl  niemals  früher  fand  in  Aachen  eine  Schrift  so 
reissenden  Absatz  als  jene,  welche  die  Anfangs  1781  in  der 
Aachener  Kathhauskapelle  zu  Ehren  Maria  Theresias  gehaltene 
Gedächtnissrede  zur  Kenntniss  weiterer  Kreise  brachte 2.  Dreissig 
Jahre  später  fand  Napoleons  I.  Vermählung  mit  Maria 
Louise  statt.  Immer  wieder  wurde  bei  dieser  Gelegenheit  in 
allen  Volkskreisen  unter  lebhaften  Aeusserungen  der  Freude 
auf  die  Verwandtschaft  der  hohen  Braut  mit  der  unver- 
gesslichen  Maria  Theresia  hingewiesen 3,  und  heute  noch 
ist  die  Erinnerung  an  Friedrichs  d.  Gr.  berühmte  Gegnerin 
namentlich  in  jenen  Theilen  der  Aachener  Gegend  lebendig, 
welche  ehemals  als  Bestandtheile  des  Limburger  Landes  in 
einiger  Hinsicht  fester  mit  Wien  verbunden  waren,  als  die 
alte  Reichsstadt  Aachen  selbst. 


*)  Eine  Begründung  dieser  theil weise  auf  die  Durchsicht  urkundlichen 
Materials  gestützten  Behauptung  würde  hier  zu  weit  führen. 

8)  Das  Schriftchen  erlebte  5  Auflagen. 

3)  Dies  geht  aus  Zeitungsnachrichten,  Tagebüchern  und  mündlichen 
Ueberlieferungen  hervor. 


Aachens  Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert. 

Von  K.  Wieth. 

(Mit  einer  Tafel.) 

Wer  das  Aeussere  unserer  aus  dem  Mittelalter  stammen- 
.den  Städte  mit  Rücksicht  auf  einst  und  jetzt  betrachtet,  dem 
wird  sich  besonders  eine  Wahrnehmung  aufdrängen :  überall 
sind  oder  werden  die  düstern  Umwallungsmauern  gestürzt,  die 
Gräben  ausgefüllt,  und  an  ihrer  Stelle  erheben  sich  ringsum 
schattige  Alleen  und  prächtige  Gartenanlagen,  welche  gleich 
einem  blühenden  Kranz  die  Stadt  umrahmen.  Jetzt,  wo  die 
unsichtbare  Macht  des  Gesetzes  und  staatlicher  Ordnung  Alle 
gleichmässig  schirmt,  kann  der  Bürger  die  schützenden  Mauern 
missen.  Anders  im  Mittelalter.  Das  Gesetz  reichte  damals 
nicht  weiter  als  die  Spitze  des  Schwertes,  und  wer  in  Ruhe 
leben  wollte,  musste  die  scharfe  Waffe  stets  zur  Abwehr 
bereit  halten.  Besonders  war  dies  bei  den  Städten  der  Fall. 
Ihr  Gewerbfleiss  und  blühender  Handel  erwarb  ihnen  grosse 
Reichthümer,  aber  auch  viele  Neider.  Bald  waren  es  die 
raublustigen  Ritter  der  Nachbarschaft,  welche,  aus  Uebermuth 
oder  um  ihrem  leeren  Geldbeutel  aufzuhelfen,  die  reichen 
Waarenzüge  der  Städter  plünderten,  diese  selbst  gefangen 
nahmen  und  nur  gegen  schweres  Lösegeld  freigaben.  Bald 
waren  es  die  angrenzenden  Landesfürsten,  die  beständig  begehr- 
liche Blicke  nach  den  reichen  und  selbstbewussten  Städten 
warfen  und  sie  auf  alle  Weise  unter  ihre  Botmässigkeit  zu 
bringen  suchten. 

Und  wie  andere  Städte,  so  auch  Aachen.  Die  Räubereien 
der   ritterlichen  Wegelagerer    waren    im    14.  Jahrhundert    so 


38  K-  Wieth 

ausgeartet,  dass  der  Erzbischof  von  Köln,  der  Herzog  von 
Brabant,  die  Städte  Köln  und  Aachen  zur  Sicherung  von 
Handel  und  Wandel  einen  Landfrieden  zu  errichten  genöthigt 
waren.  Unter  den  Fürsten  aber,  welche  mit  zäher  Ausdauer 
nach  der  Unterwerfung  der  alten  freien  Kaiserstadt  strebten, 
waren  die  Herzoge  von  Jülich  an  erster  Stelle  zu  fürchten; 
denn  ihnen  standen  die  städtischen  Aemter  eines  Vogtes, 
Meiers,  Schultheissen  zu  und  boten  ihnen  jederzeit  Ge- 
legenheit, sich  in  die  innern  Angelegenheiten  der  Stadt  zu 
mischen. 

Zu  sehr  bedeutenden  Rüstungen  endlich  wurde  die  Stadt 
oft  genöthigt  in  ihrer  Eigenschaft  als  Krönungsstadt  deutscher 
Könige.  Bei  zwiespältiger  "Wahl  —  und  diese  erfolgte  nicht 
selten  —  kam  auf  die  Parteistellung  Aachens  sehr  viel  an. 
Denn  dort  stand  der  Königsstuhl,  dort  musste  gesalbt 
und  gekrönt  worden  sein,  wer  immer  in  den  Augen  des  Volkes 
als  wahrer  König  und  rechtmässiger  Nachfolger  Karls  d.  Gr. 
gelten  wollte.  Gründe  genug  für  die  Stadt,  stets  gerüstet  zu 
sein.  Deswegen  war  zur  Zeit  des  Kaisers  Friedrich  Bar- 
barossa die  innere  Umwallung  errichtet,  und  als  bei  dem 
steten  Anwachsen  der  Bevölkerung  diese  nicht  mehr  genügte, 
in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  die  äussere  Stadt- 
mauer aufgebaut  worden.  Diese  letztere  war,  wie  aus  den  alten 
Stadtplänen  zu  ersehen  ist,  mit  11  stark  befestigten  Thoren  und 
in  den  Zwischenräumen  mit  etwa  18  Thürmen  und  Erkern 
versehen  \  den  Hauptpunkten,  von  denen  aus  die  Verteidigung 
betrieben  wurde.  Während  die  einfache  Mauerlinie  nur 
Schützen  vertheidigten,  waren  auf  den  Thoren  und  Thürmen 
grössere  Geschütze  aufgestellt,  die  eine  bedeutendere  Tragweite 
und  mörderischere  Wirkung  hatten.  Von  diesen  Wurfge- 
schossen können  wir  uns  eine  genügend  deutliche  Vorstellung 
bilden  sowohl  in  Bezug  auf  die  Arten,  als  auch  die  Zahl 
und    Beschaffenheit    derselben.      Es    sind    uns    nämlich    eine 


x)  Vgl.  Noppius,  Aacher  Chronick  1632,  Th.  I,  S.  15;  Zeitschrift  des 
Aach,  Geschichtsvereins  I,  S.  35  ff. 


Aachens  Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert.  39 

Anzahl  Stadtrechnungen  aus  dem  14.  Jahrhundert  erhalten1, 
insbesondere  aus  den  Jahren  1333,  1334,  1338,  1346,  1383, 
1385,  in  denen  die  Kosten  für  Herstellung,  Beförderung 
und  Handhabung  zahlreicher  Wurfgeschosse  in  rechnungs- 
mässig  trockener,  aber  desto  zuverlässigerer  Weise  aufgeführt 
werden. 

Dieselben  zerfallen  in  drei  Hauptarten:  1.  die  Armbrust, 
und  zwar  a.  Hanclarmbrust ;  b.  Standarmbrust.  2.  die  Bleide. 
3.  die  Donnerbüchse  oder  den  Mörser. 

Es  erscheint  zunächst  auffallend,  dass  der  Bogen  unter 
diesen  Geschossen  fehlt.  Zwar  ist  die  Eede  von  „sagittae"2 
(Pfeilen)  und  „magistris  sagittariorum" 3  (Meistern  der  Bogen- 
schützen), aber  sagittae  bezeichnet  im  Allgemeinen  die  Pfeile, 
auch  die  für  die  Armbrust  verwandten  Bolzen,  so  dass  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dass  unter  den  magistris  sagittariorum 
ebenfalls  die  Armbrustschützenmeister  zu  verstehen  sind,  wie  ja 
auch  das  Armbrustschiessen  sagittari4  genannt  wurde.  Jeden- 
falls ergibt  sich  soviel  mit  Bestimmtheit,  dass  der  Bogen,  wenn 
er  auch  nicht  gänzlich  abgeschafft  war,  an  Bedeutung  hinter  der 
Armbrust  entschieden  zurückstand.  In  den  Städten  des  14. 
Jahrhunderts  war  es  aber  durchgängig  so.  Da  die  Bürger 
meist  nur  die  Verteidigung  ihrer  Mauern  im  Auge  hatten, 
war  ihnen  die  Armbrust  wichtiger  als  der  Bogen.  Konnte 
man  mit  jener  auch  nicht  so  oft  schiessen  als  mit  diesem,  so 
trug  sie  doch  weiter  und  wirkte  stärker.  Denn  auf  100  bis 
125  Schritt  durchbohrte  ein  Armbrustbolzen  Panzer  und 
Koller,  wie  dies  z.  B.  1369  der  Bischof  Walter  II.  von  Augs- 
burg, 1488  der  Markgraf  Albrecht  von  Baden  erfahren  mussten5. 
Daher  wurde  in  den  Städten  das  Schiessen  mit  der  Armbrust 
eifrig  geübt.  Die  Uebungen  fanden  meist  in  dem  Zwinger 
zwischen  der  Stadtmauer  und  dem  Graben  statt  und  wurden  vom 
Magistrat  durch  Gewährung  freier  Zeche  gefördert.     Man  schoss 


*)  Laurent,  Aachener  Stadtrechnungen  aus  dein  14.  Jahrhundert. 
*)  Laurent  S.  185,2.     3)  Ebcndas.  S.  244,23.     4)  Ebendas.  S.  133,9. 
5)  Jahns,  Handbuch  einer  Geschichte  des  Kriegswesens  S.  763. 


40  K.  Wieth 

nach    künstlichen    Yögeln,  Papageien l,    die    auf    einer  30  bis 
40  Fuss  hohen  Stange  aufgesteckt  waren. 

Das  Wort  Armbrust,  mittelhochdeutsch  das  armbrust,  ist 
unter  volksthümlicher  Anlehnung  an  Arm  und  Brust,  womit 
es  nichts  zu  thun  hat,  aus  dem  lateinisch-griechischen  arcu- 
balista  entstanden  (arcus  der  Bogen,  ballein  werfen).  Die 
Armbrust  ist  auch  in  der  That  nichts  wie  eine  Weiterbildung 
des  uralten  Bogens  und  beruht  auf  demselben  Kraftgesetz  wie 
dieser,  nämlich  auf  der  Schnellkraft  oder  Elastizität.  Daher 
kehren  auch  die  beiden  Hauptbestandtheile,  der  Bogen  und 
die  Sehne,  bei  der  Armbrust  wieder,  nur  in  bedeutendem  Ver- 
hältnissen. Der  Bogen  ist  aus  Holz,  Hörn ,  Stahl  hergestellt, 
und  zwar  derart,  dass  zur  Erhöhung  der  Spannkraft  in  der 
Regel  mehrere  Lagen  übereinander  gefügt  wurden.  Die  Sehnen 
drehte  man  meist  aus  Hanf,  zuweilen  auch  aus  Thierdärmen 2. 
Weil  nun  den  so  vergrösserten  Bogen  zu  spannen,  die  blosse 
Kraft  des  menschlichen  Armes  nicht  ausreichte,  wurde  als 
dritter  Haupttheil  der  Schaft  hinzugefügt,  und  an  seinem  obern 
Ende  der  Bogen  befestigt.  An  dem  eichenen  Schaft  ist  wieder 
zu  unterscheiden  die  Rinne  zur  Aufnahme  des  Bolzens,  die  um 
eine  Welle  sich  drehende  Nuss,  welche  die  gespannte  Sehne 
zurückhält,  der  Drücker,  vermittels  dessen  sie  von  der  Nuss 
geschnellt  wird,  und  endlich  eine  hebelartige  Vorrichtung,  ein 
Haken,  eine  Winde,  ein  Flaschenzug  zum  Spannen  der  Sehne. 
Nach  der  Yerschiedenartigkeit  dieser  Spannvorrichtung  erhält 
auch  die  Armbrust  verschiedene  Benennungen,  deren  wichtigste 
die  Wippen-,  die  Winden-,  die  Zahnrad-,  die  Flaschenzug- Arm- 
brust sind3.  Welche  von  diesen  die  Aachener  Schützen  ge- 
brauchten, lässt  sich  nicht  erkennen,  weil  nirgends  diese 
Spannvorrichtung  im  Besondern  erwähnt  wird.  Der  vergleichs- 
weise niedrige  Herstellungspreis  derselben  in  einigen  Jahres- 
rechnungen legt  die  Annahme  einer  möglichst  einfachen  und 
billigen  Konstruktion  nahe,  wie  etwa    der  Wippen-  oder  Win- 


l)  Laurent  S.  133,9 ;  342,s».     2)  Ebcndas.  S.  222,82. 
3)  Jahns  S.  761. 


» 


Aachens  Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert.  41 

den- Armbrust. 1  Die  Herstellung  dieser  Waffe  lag  anfangs 
einem,  später  zwei  technisch  vorgebildeten  Meistern  ob,  die  im 
Dienste  der  Stadt  standen,  freie  Wohnung,  Kleidung  und  Sold 
bezogen  und  dafür  jährlich  4  bis  6  Armbruste  zu  liefern, 
ausserdem  für  die  Instandhaltung  der  vorhandenen  zu  sorgen 
hatten2.  Die  Zurichtung  der  Bolzen  (sagittae,  pila,  tela3),  das 
Befiedern  derselben4,  das  Versehen  mit  metallenen  Spitzen5, 
das  Drehen  der  Sehnen G,  die  Herstellung  der  Köcher  (sedes 
pilarum 7)  lag  wiederum  andern  Meistern  ob,  die  gleichfalls 
dauernd  oder  vorübergehend  in  städtischem  Solde  standen 8. 
Zur  Deckung  der  Schützen  dienten  Schilde,  „die  Tarzen"  9,  zur 
Bekleidung,  besonders  bei  feierlichen  Anlässen,  uniforme 
Waffenröcke  10.  Denn  auch  in  Friedenszeiten  wurden  die  Arm- 
brustschützen verwandt.  An  hohen  kirchlichen  Festtagen,  bei 
feierlichen  Umzügen  und  Prozessionen  bildeten  sie  das  Ehren- 
geleit und  sorgten  für  die  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  in 
den  einzelnen  Stadttheilen 11.  Bei  Anwesenheit  der  Könige 
stellten  sie  die  Ehrenwache  und  hatten  sowohl  für  die  persön- 
liche Sicherheit  der  Herrscher,  als  auch  für  die  Ruhe  in  den 
einzelnen  Strassen  und  Fremden herbergen  einzustehen  12.  Als 
Entgelt  für  diese  Dienstleistungen  wurde  ihnen  von  Seiten  der 
Stadt  Geld  und  Wein  gespendet 13.  Was  schliesslich  die  Zahl 
der  Schützen  anlangt,  über  welche  die  Stadt  zu  verfügen  hatte, 
so  bestehen  auch  darüber  ausreichende  Angaben.  Für  den 
Landfrieden  von  1351  hatte  Aachen  sich  zu  einem  Kontingent 
von  20  Mann  zu  Pferde  für  den  täglichen  Bedarf,  aber  von 
100  Gewaffneten  zu  Pferde  und  100  Schützen  für  Kriegszüge 
verpflichtet u.  Diese  Zahl  von  200  Mann  stellt  aber  die  gesammte 


x)  Laurent  S.  105,17;  125,ia;  183,so;  341,39.  2)  Ebendas.  S.  105,i7 ; 
125,i2;  130,i8;  148,it  ;  184,i  ff.;  237,8  ;  222,so ;  337,so ;  341,39.  3)  Ebendas. 
S.  105,23;  125,i4.  4)  Ebendas.  S.  105,26 ;  125,1s;  374,24;  14S,u.  6)  Eben- 
das. S.  125,i5;  148,i2.i3.  6j  Ebendas.  S.  105, 19;  183,38  ff. ;  223,io.  7)  Ebendas. 
S.  105,24.  8)  Ebendas.  S.  105,23 ;  125,ia  ff.;  130,h  ff.;  183,so  ff.  8)  Ebendas. 
S.  148,19;  180,34;  223,6.  10)  Ebendas.  125,7.  ")  Ebendas.  8.  104, 10;  119,ib  ff. ; 
147,6  ff.;  164,36;  203,4;  298,6.26.     12)  Ebendas.  S.  248,36  ff.     13)  Ebendas. 

")  Lacomblet,  Urkundenbuch  III,  Nr.  496. 


42  K.  Wietii 

Kriegsmacht  der  Stadt  keineswegs  dar,  da  zum  Schutze  der 
Stadt  selbst  stets  eine  beträchtliche  Zahl  der  Schützen  zurück- 
bleiben musste.  1338  wurden  126  "Waffenröcke  für  die  Schützen 
angeschafft1;  1376  bei  Gelegenheit  der  Krönung  Wenzels  100 
Schützen  für  den  erforderlichen  Dienst  aufgeboten2.  Diese 
Angaben  bekunden  das  Minimum  der  Präsenzstärke,  und  die 
Annahme  ist  gerechtfertigt,  dass  im  Fall  eines  Angriffs  auf  die 
Stadt  oder  ihr  Gebiet  eine  weit  grössere,  etwa  die  doppelte 
Zahl  aufgeboten  werden  konnte.  Dies  scheint  1439  der  Fall 
gewesen  zu  sein.  Damals  brach  Herzog  Philipp  von  Burgund 
feindlich  in  die  Lande  ein,  und  es  wurden  „einige  hundert" 
bewaffnete  Reichsunterthanen  zu  Pferd  und  zu  Fuss  durch 
die  Waldung  postirt3.  Im  Uebrigen  scheinen  je  25  Mann  eine 
Abtheilung  unter  einem  Schützenmeister  und  einem  Banner- 
träger gebildet  zu  haben4. 

Wenn  so  die  Armbrustschützen  als  die  Kerntruppe  der 
städtischen  Kriegsmacht,  und  die  Handarmbrust  selbst  als  die 
eigentliche  Wehr  des  Städters  erscheint,  so  lässt  die  Standarm- 
brust sich  nicht  unpassend  mit  nnserm  leichten  Geschütz  ver- 
gleichen. Das  Wort,  mit  welchem  dieses  Geschoss  in  den 
Rechnungen  durchweg  bezeichnet  wird,  heisst  noytstail,  Plur. 
noytstelle,  auch  wohl  oytstal,  oytstelle.  Auch  das  einfache 
„der  stall"  kommt  vor5.  Nach  Weglassung  des  dem  links- 
rheinischen Dialekt  eigentümlichen  i-Lautes  heisst  das  Wort 
nötstal.  Die  not  bedeutete  damals  soviel  als  Kampf,  Kriegs- 
noth,  Schlacht,  Krieg;  der  stal,  abgeleitet  von  stellen,  heisst 
das  Gestell.  Das  Ganze  bezeichnet  demnach  ein  Kampfgestell, 
eine  Kriegswaffe,  die  nicht  zum  Tragen,  sondern  zum  Aufstellen 
bestimmt  ist,  also  wesentlich  Vertheidigungszwecken  dient. 
Diese  Geschosse  wurden  über  den  Thoren  aufgestellt,  um  die 
Zufahrten  beschiessen  zu  können.  Da  nun  für  dieselben  ebenso 


x)  Laurent  S.  125,7.     2)  Ebendas.  S.  248,36. 

3)  Haagen,  Gesch.  Ackens  I,  S.  321,  Anm. 

4)  Laurent  S.  29  U  ff.  5)  Ebendas.  S.  407;  105;  148;  183;  184; 
332;  337;  339.  Bei  oytstall  fehlt  das  Anfangs-n  meist  dann,  wenn  das 
vorhergehende  Wort  mit  n  schliesst. 


Aachens  "Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert.  43 

wie  für  die  Handarnibrust  Nüsse,  Spillen,  Hanf-  und  Haarseile, 
Harz,  Wachs  und  Talg  erforderlich  sind  l,  so  liegt  es  nahe,  sie 
als  eine  im  grossen  Massstab  durchgeführte  Weiterbildung  der 
einfachen  Armbrust  zu  halten,  und  es  ist  umgekehrt  mehr 
als  wahrscheinlich,  dass,  wenn  1349  eine  grosse  Armbrust  auf 
dem  Jakobsthor  erwähnt  wird 2,  darunter  nichts  als  eine  Stand- 
armbrust, ein  nötstal,  zu  verstehen  ist.  Demnach  ist  es  auch 
nicht  schwer,  von  dem  Aussehen  der  Waffe  sich  ein  Bild  zu 
machen.  Ein  gewaltiger  Bogen  von  einer  Länge  bis  zu  6  m  3 
und  darüber  eine  dem  entsprechend  starke  Sehne4  sind  an 
einem  Schaft  befestigt,  alles  so  gross  und  schwer,  dass  die 
Kraft  eines  Menschen  nicht  ausreicht,  das  Geschoss  zu  tragen, 
geschweige  denn  zu  handhaben.  Darum  ruht  das  Ganze  auf 
einem  mächtigen,  in  Kreuzform  zusammengefügten  Gestell 5, 
welches  sich  auf  kleinen  Bädern  nach  rechts  und  links  schie- 
ben, und  vermittelst  einer  gezahnten,  senkrecht  am  Hintertheil 
angebrachten  Eisenstange  auf-  und  herabschrauben  lässt,  so  dass 
die  Waffe  gegen  jedes  beliebige  Ziel  gerichtet  werden  kann6. 
Zum  Spannen  der  Sehne  diente  jedenfalls  eine  drehbare  Vor- 
richtung, welche  den  Namen  „reyse"  geführt  zu  haben  scheint 7. 
Dem  mächtigen  Umfang  entsprach  auch  die  Wirkung. 
Das  Geschoss  schleuderte  kleinere  Steinkugeln,  besonders  aber 
Bolzen  von  bedeutender  Länge,  deren  Metallspitzen  nicht 
selten  glühend  gemacht  waren.  Die  Wirkung  erstreckte  sich 
bis  auf  850  m  und  war  derart,  dass  ganze  Beihen  von  Solda- 
ten hingerissen,  4  bis  5  Mann  auf  einmal  durchbohrt  wurden8. 


l)  Laurent  S.  183,37;  184.u.  ie.  u  ff.     2)  Eheudas.  S.  222,so. 

3)  Jitlms  S.  636. 

4)  Vielfach  aus  Haareu  von  Thierschwänzen  gedreht,  zu  dem  Zweck 
sammelte  jährlich  ein  vom  Magistrat  besoldeter  Mann  die  Thierschwänze  in 
der  ganzen  Stadt;  vgl.  Laurent  S.  184,26. 

5)  Laurent  S.  184,32:  pro  schrägen  ad  noytstelle  5  m.  Schrägen  sind 
kreuzweise  zusammengefügte  und  versteifte  Eölzer. 

6)  Yiollet  le  Duc,  Dictionnaire  raisonne  de  L'architecture  V.  p.  242. 
*)  Laurent  S.  184,29.  so.  Vgl.  Taf.  I,  Fig.  1. 

8)  Jahns  S.  637. 


44  K.  Wieth 

Im  Gegensatz  zu  den  bisher  beschriebenen  Geschossen, 
welche  zu  geradlinigem  Schusse  dienten,  steht  eine  andere 
zum  Bogenwurf  bestimmte  Art  von  "Wurfgeschossen.  Die 
Stadtrechnungen  von  1346  nennen  sie  machinae  (Maschinen) 
und  blida  (Bleide)  und  führen  drei  derselben  an.  Eine 
alte  Bleide,  die  im  Grashaus  lagerte,  wurde  ausgebessert,  und 
2  andere  wurden  neu  gebaut1.  Das  Wort  Bleide,  Blide  ist 
ebenfalls  aus  balista  entstanden  und  bedeutet  ein  Wurfgeschoss. 
"Wie  der  Armbrust  der  Bogen,  so  liegt  der  Bleide  die  Schleuder 
zu  Grunde.  Das  Kraftprincip  derselben  ist  die  Centrifugal- 
kraft.  "Wesentlich  daran  ist  die  Schlinge;  in  diese  wird 
ein  Stein  gelegt,  die  Schleuder  dann  durch  die  Kraft  des 
Armes  in  Schwung  gebracht  und  der  Stein  in  weitem  Bogen 
seinem  Ziele  zugeschleudert.  Die  Schlinge  ist  auch  bei  der 
Bleide  vorhanden.  Sie  besteht  aus  einem  starken  Seil  oder 
aus  einer  länglichen,  aus  Leder  gefertigten  Tasche2  von 
beträchtlicher  Länge.  Dagegen  tritt  an  die  Stelle  des  mensch- 
lichen Armes  ein  grosser  Hebel,  in  den  Rechnungen  Schwengel 3, 
sonst  Ruthe  genannt,  dessen  Länge  zwischen  6  und  15  m 
schwankt4.  Derselbe  ist  in  einen  längern  und  kürzern  Hebel- 
arm getheilt  und  spielt  gleich  einer  "Wage  zwischen  zwei 
hohen,  starken  und  fest  versteiften  Säulen.  Am  Ende  des 
kürzern  Armes  wird  ein  grosser  Kasten  derart  angebracht, 
dass  er  entweder  auf  dem  Balken  fest  aufliegt,  oder  in  einer 
scheerenartigen  Vorrichtung  frei  herabhängt5.  Dieser  Kasten 
wird  mit  schweren  Massen,  Metall,  Steinen,  Erde  gefüllt  und 
bildet  das  sogenannte  Gegengewicht.  Am  Ende  des  längern 
Armes  befindet    sich   die  Schlinge,   an  ihrer  Stelle    wohl  auch 


x)  Laurent  S.  185,ie  ff.;  186.  2)  Ebendas.  S.  185,37:  it.  pro  coreo 
ad  calccos  machinarum  8  m.  (für  Leder  zu  den  Schuhen  der  Maschinen). 
3)  Ebendas.  S.  186,«;  288,8. 

*)  -Jahns  S.  640  ff. 

5)  Der  Kasten  heisst  in  den  Stadtrechnungen  S.  185,34  cista  (Kasten), 
S.  186.ii  navis  (Schiff).  Sturboym  (Speer-Querbaum)  ist  die  Bezeichnung  des 
Querholzes  am  Ilintercndo  des  Schwengels,  an  dem  der  bewegliche  Kasten 
vermittelst  einer  Scheere  hängt;  vgl.  Aegidius  Colonna  bei  Jahns  S.  638. 


Aachens  Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert.  45 

eine  Art  von  Gabel  oder  Schaufel  zur  Aufnahme  des  zu 
schleudernden  Körpers.  Soll  dieser  aufgeladen  werden,  so 
wird  der  lange  Arm  des  Schwengels  vermittelst  "Winden  herab- 
gezogen und  durch  eine  Sperrvorrichtung  so  lange  unten  fest- 
gehalten, bis  das  Aufladen  beendigt  ist.  Dann  lässt  man  den 
Schwengel  plötzlich  los,  und  von  dem  fallenden  Gegengewicht 
in  die  Höhe  geschnellt,  schleudert  er  in  mächtigem  Bogen 
seine  Ladung  dahin 1.  Und  nicht  ins  Blaue  hinein,  als  wenn 
es  dem  Zufall  überlassen  bliebe,  die  Bahn  der  Kugel  zu  be- 
stimmen, sondern  die  Schussweite  und  damit  die  Treffsicher- 
heit Hess  sich  bis  zu  einem  ziemlich  hohen  Grade  von 
Bestimmtheit  feststellen,  je  nachdem  man  das  Längenverhält- 
niss  der  beiden  Hebelarme  zu  einander  änderte,  das  Gegen- 
gewicht oder  die  Kugel  bald  schwerer,  bald  leichter  machte, 
oder  endlich  auch  die  Schlinge  entweder  verkürzte  oder 
verlängerte. 

Die  vorzüglichste  Munition  dieser  Gewerfe  bestand  in  Stein- 
kugeln, deren  Durchmesser  und  Gewicht  sehr  schwankte  und 
zuweilen  eine  kolossale  Grösse  erreichte:  so  wurden  bei  der 
Belagerung  Cyperns  durch  die  Genuesen  im  Jahre  1372,  wie 
die  Genuesischen  Annalen  berichten,  Steine  von  12  bis  18  Ctr. 
geworfen.  Bei  der  Belagerung  von  Zara  1346  schleuderte 
man  Steine  von  über  1400  kg;  vor  Nidau  warfen  die  Berner 
Blöcke  von  12  Ctr.  Gewicht. 

Kaiser  Napoleon  HI.  hat  sich  durch  Versuche  und  Berech- 
nungen von  der  Möglichkeit  solcher  Wurfwerkzeuge  über- 
zeugen wollen.  Er  Hess  ein  solches  konstruiren,  und  es  ergab 
sich,  dass  eine  Bleide  mit  einem  Gegengewicht  von  16400  kg 
einen  Stein  von  1400  kg  ungefähr  70  m  weit  werfen  würde, 
eine  Entfernung,  welche  für  die  damaligen  Verhältnisse  mehr 
als  genügend  war.  Der  grosse  Hebelarm  dieser  Bleide  würde 
16,50,  der  kleine  3,30  m  lang  sein  müssen.  Diese  Maschine 
wäre  allerdings  unförmig,  aber  doch  möglich.  Man  kann 
demnach  voraussetzen,  dass  sie  existirt  hat2. 


')  Vgl.  Tai'.  I,  Fig.  2.     a)  Jahns  S.  644  f. 


46  K.   Wieth 

Auf  so  kolossale  Massen  scheinen  die  Aachener  Bleiden 
nicht  gebaut  worden  zu  sein.  Ueber  die  Schwere  der  Kugeln, 
die  sie  schleuderten,  kann  man  vielleicht  aus  Folgendem  an- 
nähernde Angaben  entnehmen.  Bei  der  Belagerung  von 
Keifferscbeid  wurde  eine  Bleide  verwandt.  Zur  Fortschaffung 
des  Schwengels  allein  waren  6  Pferde  nothwendig  *,  wie  auch 
1346  zum  Transport  derselben  aus  dem  Aachener  Wald  in 
die  Stadt  ein  eigener  grosser  "Wagen  gebaut  werden  musste. 
Die  Handhabung  derselben  erforderte  12  Mann2.  Da  vor 
Reifferscheid  passende  Steinkugeln  nicht  gebrochen  werden 
konnten,  musste  man  solche  in  Mdeggen  herstellen.  Beim 
Transport  derselben  wurden  je  9  Kugeln  auf  einen  Wagen  ge- 
laden3. Nehmen  wir  nun  an,  dass  der  Wagen  von  zwei 
Pferden  gezogen  wurde,  und  die  Ladung  auf  etwa  27  Ctr.  ge- 
schätzt werden  könnte,  so  ergäbe  sich  für  eine  Kugel  das 
Gewicht  von  3  Ctr.  oder  150  kg,  eine  Last,  die,  in  hohem 
Bogen  geschleudert,  gewiss  bedeutende  Wirkung  zu  erzielen 
genügend  war4. 

Der  Zweck  dieser  Wurfmaschinen  bestand  nicht  darin, 
Bresche  in  die  feindliche  Mauer  zu  legen,  sondern  durch 
das  Niederstürzen  aus  der  Höhe  Dächer  und  Gewölbe  zu 
zertrümmern.  Statt  grosser  Steine  wurde  nicht  selten  auch 
eine  Masse  kleinerer,  „ein  Hagel",  geschleudert.  Aber  auch 
schwere  Lanzen,  mit  Nägeln  beschlagene  Balken,  mit  Brenn- 
stoffen angefüllte  Fässer,  todte  Thiere  wurden  in  den  belager- 
ten Platz  geworfen.  Folgende  Darstellung  aus  den  Chroniques 
de  Duguesclin  gewährt  ein  deutliches  Bild  von  dem  Zwecke 
der  Wurfmaschine:    Man    errichtete    Gewerfe,    „welche    grosse 


x)  Laureut  S.  288,8.  2)  Ebendas.  S.  186,19;  287,u  ff.;  288,».  3)  Ebendas. 
S.  291,3i  ff.  ■»)  Ebendas.  S.  186,15-21;  312,4  sind  die  Herstellungskosten 
zweier  Wurfmaschinen  aufgeführt.  Mau  verwendet  für  154  Mark  3  Schilling 
Eolz,  für  7272  M.  11  'J2  Ctr.  Eisen.  Das  Aussuchen  und  Behauen  zweier 
Schwengel  betrug  37  M.  9  S.  Die  Konstruktion  wurde  iu  Akkord  vergeben 
zu  90  M.  Ausserdem  brauchte  man  noch  „smer"  uud  „unselt"  zum  Ein- 
schmieren der  Reibflächen,  45  S  Pech  zum  Bestreichen  der  Seile.  Die 
Gesammtkosten  beliefen  sich  auf  410  Mark  damaliger  oder  etwa  2000  bis 
2500  Mark  heutiger  Währung. 


Aachens  Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert.  47 

Steine  gegen  die  Mauer  schleuderten.  Und  im  Innern  des 
Schlosses  auf  die  Thürme  und  Logements  hatten  die  Engländer 
und  Navarresen  Dünger  bringen  lassen,  der  die  Schläge  der 
Steingeschosse  auffing.  Und  im  Schlosse  war  ein  grosser 
Thurm,  der  sehr  hoch  und  fest  war.  Auf  den  Thurm  brachten  die 
Engländer  eine  Glocke  und  einen  Wächter,  welcher  alle  Gewerfe 
der  Franzosen  beobachtete.  Und  wenn  der  Wächter  sah,  dass  die 
Maschinen  vorbereitet  wurden,  um  Steine  zu  werfen,  so  läutete 
er  mit  der  Glocke,  und  dann  stellten  sich  Alle  in  Sicher- 
heit, bis  das  Geschoss  gefallen  war.  Und  wenn  der  Stein 
gegen  die  Mauer  traf,  dann  sprangen  Engländer  hervor,  welche 
die  Mauer  an  der  Stelle  des  Schusses  mit  einem  Handtuch  (als 
Zeichen  der  Verachtung)  abtrockneten V 

War  in  Folge  einer  langwierigen  und  ermüdenden  Belage- 
rung die  Wuth  der  Feinde  entflammt,  so  kam  es  wohl  vor, 
dass  in  grausamer  Weise  auch  lebende  Menschen  mit  diesen 
Maschinen  geschleudert  wurden.  Besonders  waren  diesem 
Geschick  die  Bleidenmeister  ausgesetzt,  wenn  der  von  ihnen 
vertheidigte  Platz  erstürmt  war.  „Als  im  Jahre  1345 
Auberoche  hart  belagert  wurde,  sandten  die  Bedrängten  heim- 
lich einen  Knappen  zum  Grafen  Derby,  um  Hilfe  zu  erbitten. 
Aber  der  Bote  wurde  von  den  Belagernden  gefangen,  sie  hingen 
ihm  die  Briefe  um  den  Hals,  legten  ihn  als  ein  Knäuel  in  die 
Schleuder  einer  Maschine  und  warfen  ihn  in  die  Stadt  zurück. 
Er  fiel  todt  vor  den  Rittern  nieder,  die  sehr  erstaunt  und 
niedergeschlagen  waren,  als  sie  ihn  erblickten2." 

Im  Jahre  1333  belagerten  die  Strassburger  und  die  Eid- 
genossen das  Raubnest  Schwanow  a.  Rh.  bei  Erstein.  Darüber 
meldet  Königshoven  in  der  Elsässer  Chronik  Folgendes:  „Und 
do  logert  se  wol  sechstehalbe  Woche  vor  und  gewunnent  die 
Burg  an  dem  ersten  Tage  des  Brachmondes  mit  Werken 
(Wurfgeschossen)  und  mit  Katzen  (Mauernbrechern),  die  man 
aller  Enden  zutreip.  Sonderliche  die  von  Strasburg  flirtend 
ölbergrien    (Urin   und  Unrath)    us  der  Stat    in  Tunnevesselin, 


l)  Vgl.  Jühus  S.  646  f.    2)  Ebendas.  S.  645. 


4S  K.  Wieth 

und  die  warf  man  mit  "Werke  in  das  hus  und  entsüverten 
(verunreinigten)  inen  ire  Burnen  (Brunnen)  und  alle  ire 
Wonungen,  dass  es  inen  gar  widerwärtig  wart  Nu  zejüngest 
Meister  Claves  Karle,  von  Strosburg  Werkmeister,  verbrannt 
inen  gar  ein  schönes  Eiterhus.  Do  entwichent  sie  uf  den 
turn.  Nu  worent  wol  ir  60  Mann  duffe,  edel  und  unedel. 
Der  tedigent  wol  7  us  und  gabent  die  andern  in  den  Tod. 
Und  die  Burg  wart  gewunnen  mit  grossen  Listen  und  arbeite, 
und  wol  53  wurden  enthouptet.  Drige  Werglüte,  Smiede  und 
Zimberlüde,  die  duffe  worent,  die  wurden  geworfen  mit  dem 
Quotwerke  in  die  Burg,  zweene  uffeinander  und  einre  alleine. 
Donoch  brachent  sie  die  Burg  zu  gründe  abe1." 

Was  endlich  die  Pulvergeschosse  betrifft,  so  ist  zu  bemerken, 
dass  sie  meist  gleichzeitig  mit  den  Bleiden  angewandt  wurden, 
aber  an  Bedeutung  hinter  denselben  weit  zurückstehen  mussten, 
so  dass  noch  das  ganze  15.  Jahrhundert  hindurch  und  bis  in  die 
Mitte  des  16.  der  Gebrauch  jener  Wurfmaschinen  nachzuweisen  ist. 

Die  erste  urkundliche  Erwähnung  des  Gebrauchs  von 
Feuerrohren  enthalten  die  Genter  Annalen  zum  Jahre  1313: 
„Item,  in  dit  jaer  was  aldereerst  ghevonden  in  Duutschland 
het  ghebruuk  der  bussen  (Büchsen)  van  einem  mueninck2." 
Es  ist  sicher,  dass  das  Pulver  selbst  weit  vor  der  Zeit  des 
Berthold  Schwarz  erfuuden  und  bekannt  war,  aber  wahrschein- 
lich, dass  von  diesem  Freiburger  Mönch  die  wichtige  Anwen- 
dung auf  Feuerrohre  gemacht  worden  ist. 

Der  Gründe  aber,  welche  die  Vervollkommnung  und  Allein- 
herrschaft der  Pulvergeschütze  so  lange  verzögerten,  waren 
mancherlei.  Zunächst  begegnete  die  neue  Erfindung  allgemei- 
nem Misstrauen  und  Widerwillen  sowohl  bei  den  Eittern,  als 
auch  bei  den  Dichtern ;  bei  jenen,  weil  sie  durch  dieselbe  sich 
in  ihrer  dominirenden  Kriegführung  bedroht  fühlten,  bei 
diesen,  „weil  ihnen  der  Gebrauch  der  Feuerwaffen  als  eine 
freche  Anmassung  göttlicher  Attribute  erschien" 3.  Dann  war 
es    bei    den    damaligen  Kenntnissen    sehr    schwierig    und  fast 


■)  Jahns  S.  645.     J)  Ebendas.  S.  774.     3)  Ebendas. 


Aachens  Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert.  49 


■.- 


unmöglich,  ein  sicheres  Geschütz  herzustellen,  weil  man  die 
richtige  Mischung  der  Metalle  nicht  kannte.  So  kam  es,  dass 
die  Geschütze  nur  allzuoft  sprangen  und  statt  unter  den  Fein- 
den im  eigenen  Lager  Verheerungen  anrichteten.  Endlich  be- 
ruhte auch  die  Treffsicherheit  weit  mehr  auf  Zufall,  als  Be- 
rechnung. 

In  Aachen  wurde  wahrscheinlich  im  Jahre  1346  die  erste 
Feuerbüchse  hergestellt,  welche  wir  uns  in  der  Gestalt  eines 
Mörsers  zu  denken  haben.  Es  kann  aber  nur  ein  Stück  von 
geringem  Kaliber  gewesen  sein,  denn  die  Kosten  betrugen  bloss 
5  Schilde,  etwa  11  Mark  damaliger,  55  heutiger  Währung; 
für  Salpeter  wurden  nur  7  Schilling  und  für  das  ganze  Ge- 
stell 12  Schilling  entrichtet1.  Erst  1383  bei  der  Belagerung 
des  Schlosses  zur  Dick,  und  1385  vor  Reifferscheid  wurden 
Büchsen  oder  Mörser  grössern  Kalibers  gebraucht,  denn  die 
Steinkugeln,  welche  sie  schleudern,  haben  etwa  dieselbe  Grösse 
wie  die  zu  gleicher  Zeit  gebrochenen  Blidenkugeln  2;  ausserdem 
Averden  als  Munition  auch  Blei  und  Pfeile  angegeben. 

Während  1346  noch  kein  Büchsenmeister  vorkommt, 
spielt  ein  solcher  1383  und  1385  und  nachher  eine  bedeutende 
Rolle.  Sein  Name  ist  Roederchin;  er  verfügt  über  eine  An- 
zahl von  Gehülfen  und  steht  in  städtischem  Sold.  Seines 
Amtes  ist  es,  abgesehen  von  der  Herstellung  des  Geschützes 
selbst,  worüber  keine  Nachrichten  vorliegen,  das  Pulver  (kruyt) 
zu  bereiten  und  das  Geschütz  zu  handhaben.  Allmählich 
wird  er  eine  Art  von  städtischem  Feldzeugmeister,  dem  die 
Instandhaltung  und  Beaufsichtigung  sämmtlicher  Kriegsgeräthe 
obliegt. 

Zum  Schluss  noch  eine  Frage  nach  dem  Verhältniss  der 
Kriegsmacht  Aachens  zur  Zahl  seiner  Einwohner  in  damaliger 
Zeit.  Heute  zählt  die  Stadt  rund  6000  Häuser  und  95  000  Ein- 
wohner; 1815  rechnete  man  2700  Häuser  und  32  000  Einwohner; 
Noppius  führt  für  das  erste  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  3000 


>)  Laurent  S.  182,6  ff.;  S.    412    ff.     1  Mark  =  12  Schilling,    1  Schil- 
ling =  12  Denare,  1  Denar  =  2  Obolen.     *)  Laurent  S.  291,si. 

4 


50  K-  Wieth,  Aachens  Wurfgeschosse  im  14.  Jahrhundert. 

Häuser  an.  Es  ist  gewiss  nicht  übertrieben,  für  das  14.  Jahrhundert 
diese  Zahl  auf  höchstens  2000  einzuschränken.  Denn  nur  die 
innere  Stadt  war  dichter  bebaut,  der  Raum  zwischen  der  innern 
und  äussern  Umwallung  zum  weit  geringern  Theil ;  der  grössere 
war  bedeckt  mit  Obst-,  Wein-  und  Gemüsegärten.  Nach  allge- 
meiner Sitte  baute  man  damals  kleine,  nur  für  den  Gebrauch 
einer  Familie  bestimmte  Häuser.  "Wird  nun  als  Durchschnitts- 
ziffer der  Bewohner  eines  Hauses  die  Zahl  10  angenommen, 
so  ergäbe  das  eine  Gesammtbevölkerung  von  20  000  Einwohnern. 
Es  ist  auch  sonst  nach  allen  Anzeichen  zu  schliessen,  dass 
diese  Zahl  das  Richtige  nicht  allzuweit  verfehlt.  Wie  wir  oben 
sehen,  betrug  in  den  im  14.  und  15.  Jahrhundert  eingetretenen 
Kriegsfällen  die  bewaffnete  Macht  200  bis  400  Mann;  das 
wäre  annähernd  1  bis  2  Prozent  der  Bevölkerung,  ein  Yerhält- 
niss,  welches  dem  der  Gegenwart  ungefähr  gleichkommt  *. 

Wenn  nun  eine  alte  Aachener  Chronik  2  zu  1387  meldet: 
„Ihm  obermelten  jähr  isz  wehr  und  wapffen  in  der  statt  Aich 
visitiert  und  seint  beschrieben  19  826  wollgewapff neter  Man", 
so  kann  dies  unmöglich  richtig  sein.  Denn  einer  solchen 
Kriegsmacht  gegenüber  würden  die  benachbarten  Herren 
von  Jülich,  von  Born,  von  Brabant,  von  Cleve  und  Mark, 
von  Heinsberg  es  nicht  so  oft  gewagt  haben,  wie  es  thatsäch- 
lich  geschah,  brennend  und  verwüstend  in  das  Gebiet  der  Stadt 
einzufallen;  bei  einer  solchen  Kriegsmacht  hätte  man  sicher 
nicht  gegen  das  Heer  Philipps  von  Burgund  bloss  einige 
hundert  bewaffnete  Reichsunterthanen  zu  Pferd  und  zu  Fuss 
durch  die  Waldung  postirt.  Viel  wahrscheinlicher  aber  ist  die  An- 
nahme, dass  in  jener  Zahl  die  Gesammtbevölkerung  der  Stadt 
angegeben  ist. 


*)  Eine  eingehende  Untersuchung  und  Vergleichung  der  einzelnen 
Rechnungen  des  14.  Jahrhunderts  unter  sich  und  mit  sonstigen  Angaben 
würde  -wahrscheinlich  eine  genügende  Zahl  fester  Punkte  ergehen,  aus 
denen  sich  gesicherte  Schlüsse  auf  die  Bevölkerung  ziehen  Hessen. 

2)  Loerseh,  Aachener  Chronik  in  den  Annahm  des  hist.  Vereins 
f.  d.  Niederrhein  XVIT,  S.  4.     Vgl.  Noppius  a.  a.  O.   Th.  I,  S.  169. 


Die  Krönung  König  Wenzels  zu  Aachen. 

Von  0.  Dreseinann. 

Nachdem  Karl  IV.  im  Jahre  1372  bei  seiner  Anwesenheit 
in  Aachen  den  bedeutenden  Streit  zwischen  seinem  Bruder, 
dem  Herzog  von  Brabant,  und  dem  Herzog  von  Jülich  ge- 
schlichtet hatte,  traf  er  am  4.  Juli  1376  wieder  mit  glänzendem 
Gefolge  dort  ein.  Es  galt  der  Krönung  seines  Sohnes  Wenzel 
zum  römischen  König,  worauf  er,  um  die  Krone  bei  seiner 
Dynastie  zu  erhalten,  schon  lange  hingearbeitet  hatte l. 

Wenzels  Wahl  war  in  Frankfurt  vollzogen  worden;  zwar 
bestimmte  es  so  die  goldene  Bulle,  das  noch  von  Karl  selbst 
erlassene  Reichsgrundgesetz,  doch  war  diese  Bestimmung  schon 
wieder  aufgehoben  worden;  auch  Wenzels  Erhebung  zu  Leb- 
zeiten des  Vaters  stand  mit  dem  Grundgesetz  in  Widerspruch; 
den  Wahl  ort  hatte  indessen  ein  Yorbeschluss  der  Kurfürsten 
ebenso  wie  auch  den  Termin  der  Krönung,  den  24.  Juni,  fest- 
gesetzt 2. 

Der  Papst,  dem  die  geplante  Wahl  und  Krönung  schon 
im  März  angezeigt  worden  war,  machte  Schwierigkeiten  wegen 
der  Absicht,  den  König  gleich  nach  der  Wahl  krönen  zu  lassen, 
da  derselbe  seine  Bestätigung  noch  nicht  habe ;  ja  er  ging  zur 
Aufforderung  an  Aachen  über,  dem  noch  nicht  von  ihm  Be- 
stätigten den  Einlass  zur  Krönung  zu  verwehren3. 

Zu  jenen  Vorverhandlungen  des  Kaisers  mit  den  Kur- 
fürsten Anfangs  Juni  zu  Rhens    bei  Coblenz  schickte  Aachen, 

')  Bökmer-Huber,  Die  Kegestcn  Karls  IV.  S.  470. 

'-')  Reichstags- Akten  I,  S.  71  und  92. 

3)  Ebenda  S.  97,  no.  15;  102;  105,  no.  5;  113,  Auni.  2. 

4* 


52  0.  Dresemann 

als  betheiligte  Krönungsstadt,  fünf  Gesandte:  Reinhard  und 
Johann  von  Pont,  Heinrich  de  Tilia  (von  der  Linden),  Gott- 
fried Koellin  (Colyn)  und  Gottfried  Eyghorn.  Als  Ziel  ihrer 
Reise  wird  in  den  Stadtrechnungen  Bacharach  angegeben;  doch 
bei  dem  längern  Aufenthalt,  der  Anwesenheit  bei  dem  Kaiser, 
dessen  Hauptquartier  Bacharach  war,  während  er  nur  zwei 
Tage  in  Rhens  blieb,  werden  die  Aachener  auch  den  Rhenser 
Verhandlungen  beigewohnt  haben.  Mit  dem  Ergebniss,  beson- 
ders dem  Krönungstermin,  machten  sie  darauf  ihre  Mitbürger 
bekannt l. 

Durch  die  Verhandlungen  mit  der  Kurie  verzögerte  sich  die 
Krönung  um  einige  Zeit,  und  über  diesen  Aufschub  mag  der 
vom  Kaiser  gesandte  Bote  unsere  Stadt  benachrichtigt  haben, 
der  zugleich  eine  Einladung  nach  Frankfurt  überbrachte.  Als- 
bald machten  sich  drei  Vertreter  Aachens,  Konrad  und  Gott- 
fried Eyghorn  nebst  Johann  von  Pont  auf  die  Reise  dorthin 2. 
Dass  sie  jedoch  zum  Wahltermin  selbst  schon  in  Frankfurt 
anwesend  gewesen  seien,  ist  deshalb  nicht  wahrscheinlich,  weil 
dieser  der  10.  Juni  war,  die  drei  Gesandten  aber  erst  Freitag 
den  4.  Juli  nach  Aachen  heimkehrten  und  weil  sie  bei  dem 
erforderlichen  Aufwand,  weniger  noch  für  die  Reise,  als  für 
ein  der  ersten  Stadt  nach  Rom  angemessenes  Auftreten  mit 
106  Florin  nicht  würden  ausgekommen  sein,  wie  dies  ander- 
weitige Vergleichungen  ergeben.  Ihre  Reise  fällt  also  wahr- 
scheinlich in  die  zweite  Hälfte  des  Juni,  und  sie  kehrten  erst 
als  Begleiter  des  prächtigen  Hofzugs  nach  Aachen  zurück,  da 
sie  die  Stadt  genugsam  vorher  durch  Boten  über  des  Kaisers 
und  Königs  Ankunft  unterrichten  konnten,^  auch  nicht  gerne 
die  Ehre  der  Begleitung  der  hohen  Häupter  entbehrten3. 


')  Kegesten  S.  466  f.  Laurent,  Aach.  Stadtrechnungen  S.  240,i2-i6; 
242,34  ff.    Reichstags- Akten  I,  S.  165,  Anm.  4. 

2)  Laurent  a.  a.  0.  S.  241,4.  Von  päpstlicher  Seite  war  der  Legat 
Thomas  de  Amauatis  zur  Aachener  Krönung  gekommen.  Ebenda  254,7. 
Ennen,  Quellen  zur  Gesch.  der  Stadt  Köln  V,  S.  177.  Laurent  S.  241.  ff.; 
250,6  ff. 

8)  Laurent  S.  243,is.    Reichstags-Akten  I,  S.  174,  Anm.  1. 


Dio  Krönung  König  Wenzels  zu  Aachen.  53 

Die  Krönungsstadt  liess  den  Zug  noch  besonders  durch 
andere  angesehene  Bürger  nebst  Speerleuten  feierlich  einholen  \ 
während  sie  gleichzeitig  einen  Boten  in  einer  wichtigen  An- 
gelegenheit ausschickte.  Ehe  nämlich  der  Kaiser  mit  seinem 
Sohne  und  dem  grossen  Gefolge  von  Fürsten,  Grafen,  Herren 
nebst  deren  bewaffnetem  Tross  einritt  —  es  befanden  sich  auch 
die  Bürgermeister  von  Frankfurt  mit  einigen  dortigen  Bürgern, 
selbst  Vertreter  der  Stadt  Mailand  und  lombardischen  Konfö- 
deration darunter  —  liess  Aachen  durch  jenen  Boten  mit  dem 
Schatzmeister  Karls,  dem  Herrn  von  Kolditz,  wegen  „Nieder- 
legung  der  Waffen  vor  den  Stadtmauern"  verhandeln ;  in  derselben 
Angelegenheit  gingen  auch  Briefe  an  die  Herzoge  von  Baiern- 
Holland,  Brabant  und  Jülich  ab,  wobei  bemerkenswerth  ist, 
dass  sich  Aachen  nicht  etwa  an  irgend  einen  der  mitgezogenen 
Kurfürsten  wandte.  Kolditz  und  mit  ihm  der  kaiserliche  Hof- 
meister Wartenberg  unterstützten  den  Wunsch  Aachens  bei 
dem  Kaiser,  wofür  beide  später  eine  ansehnliche  Erkenntlich- 
keit erhielten.  Die  Yorsichtsmassregel  der  Stadt  verhütete 
jedoch  nicht,  was  sie  sollte,  wie  sich  alsbald  zeigen  wird2. 

Zum  Empfang  des  jungen  Königs  hatte  sich  Aachen  wür- 
dig gerüstet;  besonders  mag  demselben  geschmeichelt  haben, 
sein  Steinbildniss  an  der  Front  des  Rathhauses  in  der  Reihe  so 
vieler  würdigen,  in  Aachen  gekrönten  Häupter  zu  erblicken. 
Es  könnte  nicht  unzweifelhaft  erscheinen,  ob  das  Steinbild  „des 
Königs",  welches  die  Stadt  ausweislich  der  Stadtrechnungen 
anfertigen  liess 3,  ein  Bild  Karls  oder  Wenzels  sei,  weil  Wenzel 
noch  nicht  eigentlich  König  war ;  indessen  war  Karl  doch  Kaiser ; 
und  auch  verdient  Folgendes  Beachtung.  1370  hatte  der  Rath 
mit  Meister  Peter  von  der  Kapellen  einen  Vertrag  speciell  über 
Herstellung  der  Bildwerke  zur  Verzierung  der  Rathhausfayade 
geschlossen.  Die  Kunstfertigkeit  dieses  Steinmetzen,  sowie  seiner 
wohl  nicht  geringen  Gehülfen schaft  wird  ohne  Zweifel  schnell 


»)  Laurent  S.  241,38  ff.;  248,2  ff. 

")  Ebenda  246,2;    246   ff.;    252,29  ff.;    253,8«;  245,«;  2 18.6-9 ;  246,u. 

3)  Ebenda  240,35 ;  249,28 ;  255,29.  -Eeichstags- Akten  I,  S.  165,   Anm.  8. 


54  0.  Dresemann 

den  natürlichen  Wunsch  des  Raths  und  auch  der  Bürgerschaft 
erfüllt  haben,  das  Rathhaus  auch  im  Einzelschmuck  bald  fertig 
dastehen  zu  sehen,  so  dass  also  in  wenig  Jahren  nach  obigem 
Vertrag  die  ganze  Reihe  der  zu  Aachen  gekrönten  Könige  bis 
einschliesslich  Karl  IV.  auf  den  Marktplatz  niederblickte.  Jetzt, 
im  Jahre  1376,  kam  plötzlich  ein  neuer  König,  und  die  Stadt 
ergriff  begierig  die  Gelegenheit,  ein  weiteres,  leeres  Konsol  zu 
schmücken.  Jener  Meister  Peter  muss  übrigens  schon  vor 
1376  gestorben  sein,  da  er  sonst  in  den  Stadtrechnungen  bei 
Gelegenheit  der  Anfertigung  des  neuen  Standbilds  namentliche 
Erwähnung  gefunden  haben  würde. 

Wenzels  Krönung  wurde  am  6.  Juli  durch  den  Erzbischof 
von  Köln  vollzogen;  ein  süddeutscher  Bericht  über  die  Feier 
besagt:  Er  wurde  bei  den  Belgiern  in  Aachen  gekrönt1.  Zu- 
gleich mit  Wenzel  wurde  auch  Johanna  von  Baiern  gekrönt, 
die  Gattin  des  sechszehnjährigen  Königs. 

Es  erhebt  sich  ein  Zweifel,  wann  Aachen  dem  neuen 
König  gehuldigt  habe.  Massgebende  Forschung  hat  sich  für 
die  Zeit  entschieden,  wo  Wenzel  schon  innerhalb  unserer  Mauern 
weilte;  dafür  spricht  am  meisten  der  Ausstellungsort  Aachen 
in  der  ersten  der  beiden  vorhandenen  Huldigungsurkunden 2 ; 
an  sich  ist  es  allerdings  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  nach 
vollzogener  Königswahl  nach  Frankfurt  gereisten  Vertreter 
Aachens  dem  Neugewählten  die  vorläufige  Huldigung  der  Stadt 
urkundlich  überbracht  haben  könnten.  Fällt  die  Ausstellung 
der  ersten  Urkunde  aber  auf  den  Krönungstag  selbst,  den  6. 
Juli,  so  ist  sie  immerhin,  dem  „electo"  „gewählt",  also  nicht 
„gekrönt",  zufolge,  während  desjenigen  Theils  des  Tages  aus- 
gestellt worden,  welcher  der  Ceremonie  voraufging;  gleichwohl 
ist  jenes  „electo"  auch  nicht  ganz  bindend,  da  ebenfalls  die 
wahrscheinlich  nach  der  Krönung  in  Nürnberg  ausgestellte  Huldi- 
gungsurkunde der  Markgrafen  von  Meissen  von  Wenzel  nur 
als   einem   „electo"    spricht3.     Wenn    nun    auch,    worauf   hin- 


')  Städtechroniken  Jll.  S.  253;  169;   XIII.   S.   ■_>(>.    Reichstags-Akten 
I.  X.  156. 

'2)  Reichstags- Akten  a.  a.  <>. 
3)  Ebenda  I,  S.  154,  Anm. 


Die  Krönung  König  Wenzels  zu  Aachen.  55 

gewiesen  werden  muss,  wie  die  Begriffe  Königthurn  und  Kai- 
serÜram,  so  eleetus  und  coronatus  in  damaliger  Zeit  häufig 
durcheinanderlaufen,  so  liegt  es  doch  auf  der  Hand,  bei  der 
Stadt  Aachen,  als  der  Krönungsstadt,  eine  sorgfältige  Schei- 
dung wenigstens  der  letztern  Begriffe  anzunehmen,  selbst  auch 
mit  Rücksicht  auf  solche  Urkunden,  welche,  wie  die  fragliche, 
nach  einem  Formular  der  Reichskanzlei  angefertigt  sind.  Es 
bleibt  bei-  dem  Festhalten  am  6.  Juli  nur  auffallend,  dass  die 
Stadt  bis  zum  letzten  Augenblick  vor  der  Krönung  mit  der 
Huldigung  gewartet  haben  sollte;  der  König  befand  sich  ja 
schon  seit  zwei  Tagen  innerhalb  der  Mauern.  In  der  zweiten, 
in  deutscher  Sprache  ausgefertigten  Huldigungsurkunde  vom 
10.  Juli  ist  mit  Bewusstsein  „gewählt"  in  „gekrönt"  umgeän- 
dert, was  überzeugend  für  die  Verlegung  der  das  „gewählt" 
enthaltenden  Urkunde  vor  die  Krönung  sein  dürfte1.  Wenn 
nun  noch  "Wenzel  am  21.  Juli,  vorgeblich  zu  Aachen,  das  er 
doch  schon  verlassen,  die  Privilegien  unserer  Stadt  bestätigte, 
so  wollen  wir  uns  mit  der  einfachen  Erklärung  begnügen,  dass 
der  Schreiber  mit  dem  „grossen  Privileg"  nicht  so  schnell  hat 
fertig  werden  können;  da  er  aber  gerne  die  Krönung  in  das 
Datum  hineinbrachte,  konnte  er  auch  den  Ort  Aachen  nicht 
entbehren 2. 

Jene  oben  erwähnte  Aforsichtsmassregel,  keine  Waffen  in 
die  Stadt  zu  lassen,  war  keineswegs  in  dem  Masse  durchgeführt 
worden,  dass  der  bekannte,  zwischen  Herzog  Wenzel  von 
Sachsen  und  Wenzel  von  Brabant  ausgebrochene  Rangstreit 
wegen  Vortragens  des  Reichsschwerts  nicht  gefährliche  Aus- 
dehnung angenommen  hätte.  Es  ist  möglich,  dass  die  beiden 
Streitenden  gar  nicht  an  der  kirchlichen  Feier  theilnahmen, 
bei  welcher   der  Kaiser   das  Schwert   durch    seinen  Sohn  Sig- 


')  Städtechroniken  1,  SS.  loO  kennen  nur  die  zweite  Urkunde.  Zu  be- 
merken ist,  dass  Frankfurt  schon  vor  der  Wahl  huldigen  wollte.  Reichs- 
tags-Akten  I,  S.  81. 

2)  Laurent  S.  248,n.  Loersch,  Acheuer  Rechtsdenkmäler  S.  72.  Rcker, 
Drittes  Ergänzungsheft  zu  den  Kegesten  Ludwigs  d.  B.  S.  .XII.  Reiehstags- 
Akten  I.  S.  171.  Anm.  3. 


56  0.  Dresemann 

mund  tragen  liess.  Während  nun  Bürgermeister  und  Vogt  von 
Aachen  nebst  Andern  unter  den  beiden  Herzogen  Frieden  zu 
vermitteln  suchten  \  kam  ein  neuer  Umstand  hinzu,  die  Kriegs- 
völker zu  einer  Rauferei  anzuregen ;  konnte  dafür  nach  ihrer 
Lebensart  etwas  geeigneter  sein,  als  das  Würfelspiel  beim  Trunk? 
Im  Jahre  1372,  bei  Anwesenheit  des  Hofes  in  Mainz,  war  wegen 
falschen  Würfelspiels  der  Böhmen  im  Dienste  des  Kaisers  ein 
denkwürdiger,  blutiger  Tumult  entstanden ;  hier  in  Aachen  er- 
scheinen die  Leute  des  Herzogs  von  Sachsen  als  der  schuldige 
Theil,  ausweislich  der  Stadtrechnungen 2.  Der  doppelte  Beweg- 
grund fachte  den  schnell  auflodernden  Streit  zu  doppelter  Stärke 
an;  jedenfalls  war  es  schon  zu  spät,  als  die  Herbergswirthe 
mit  Hülfe  der  Stadtdiener  die  Waffen  konfiscirten,  und  die  in 
den  Herbergen  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  unter  den 
gewappneten  Leuten  liegenden  städtischen  „Schützen"  mochten 
dem  streitenden  Haufen  nicht  allzusehr  imponiren3. 

Nach  der  von  Karl  gefundenen  Ausflucht  wurde  der  Rang- 
streit für  diesmal  wenigstens  gegenstandslos,  und  Kaiser  wie 
König  konnten  den  Rest  der  Festtage  in  Aachen  ruhig  ver- 
bringen. Es  ging  hoch  dabei  her,  worüber  man  sich  in  den 
Stadtrechnungen  unterrichten  kann4. 

Das  war  die  Krönung  jenes  Wenzel,  bei  dessen  Geburt 
im  Jahre  1361  der  Vater  Karl  eine  Gabe  an  edelstem  Metall 
gleich  dem  Gewicht  des  Neugeborenen  unserer  Marienkirche 
zugewandt  hatte.  Schon  zu  seiner  Krönung  gibt  ein  Chronist 
folgende  Schilderung  vom  Charakter  des  einst  mit  Gold  Auf- 
gewogenen: „Als  er  fünfzehn  jar  alt  was,  ward  er  zu  Aquis- 
granis,  das  ist  zu  Ach  gekrönt  ...  In  allen  Sachen  was  er 
dem  vater  ungleich ;  wann  Wenzeslaus  was  treg  und  ver- 
drossen zu  aller  arbeit,  nit  aussrichtig,  gedacht  nit  nach  eren; 
wann  an  ihm  ward  klar,  das  Salomon  spricht:  hereditas,  ad 
quam  a  principio  festinatur,    in   fine  benedictione   carebit,   das 


')  Dynter,  Chron.  des  ducs  de  Brabant  VI,  p.  72. 

2)  Regesten  Karls  IV.  S.  421  unten.   Laurent  S.  255.3  ff. 

8)  Laurent  S.  252,.;  255.«»  ff.;  251.2*;  248.34  ff, 

4)  Ebenda  S.  37  f. 


Die  Krönung  König  Wenzels  zu  A.achen.  57 

ist:  das  erb,  zu  dem  an  dem  anfank  wird  geeilt,  wird  beraubt 
an  dem  ende  des  segens.  Er  erlanget  nie  die  krön  (Kaiser- 
krone) und  regieret  doch  22  jar1."  Seine  glänzend  begonnene 
Laufbahn  nahm  ein  düsteres  Ende.  Nach  24  Jahren  abgesetzt, 
grollte  er  noch  fast  zwei  Jahrzehnte  danach  einem  selbst  her- 
aufbeschworenen Geschick  in  dem  fernen  Böhmen. 


»)  Städtechroniken  III,  S.  169. 


Eine  verschollene 
Schrift  über  Aachen  aus  dem  Jahre  1701. 

Von  E.  Pauls. 

„Les  Eaux  d'Aix.  Nouvelle  divertissante  du  Mois  de  May 
1701.  A  Cologne  chez  Pierre  Marteau  1701u  lautet  der  Titel 
eines  verscholleneu  Büchleins  (142  S.  in  Duodez),  das  haupt- 
sächlich deshalb  einiges  Interesse  in  Anspruch  nehmen  darf, 
weil  anscheinend  keine  einzige  Arbeit  ähnlicher  Art  aus  der 
Zeit  des  ersten  halben  Jahrhunderts  nach  dem  Stadtbrand  von 
1656  uns  überkommen  ist1.  Die  Einleitung,  in  welcher  durch 
einen  wahrscheinlich  erdichteten  Briefwechsel  bewiesen  werden 
soll,  dass  das  Ganze  gegen  den  Willen  des  Verfassers  gedruckt 
wurde,  braucht  ebenso  wenig  besprochen  zu  werden,  als  der 
dem  Hauptinhalt  nach  unsittliche  Anhang.  Auch  lohnt  es 
nicht  der  Mühe,  über  die  Persönlichkeit  des  Verfassers  Ver- 
muthungen  anzustellen.  Die  Urheber  solcher  Schriften  hatten 
zur  Vermeidung  von  Unannehmlichkeiten  allen  Grund,  ihren 
Namen  sorgfältig  geheim  zu  halten  2,  weshalb  in  diesem  Falle 
auf  das  wiederholt  zu  Tage  tretende  Bestreben,  den  Verfasser 
als  Franzosen  erscheinen  zu  lassen3,  kein  Gewicht  zu  legen 
ist.     Mehr  Beachtung   verdient   der  Umstand,  dass  die  Schrift 


')  Lersch  (Geschichte  des  Bades  Aachen  S.  59,  Anm.  2)  führt  den  Titel 
einer  ähnlichen,  jetzt  ganz  unbekannten  Schrift  aus  dem  J.  1704  an. 

2)  Dies  thaten  ebenfalls  die .  Verfasser  der  um  17o6  erschienenen 
Amusemens  des  eaux  d'Aix-la-Chapelle  und  des  um  1786  gedruckten  Tableau 
d'Aix-la-Chapclle.  Bei  der  vorliegenden  Schrift  ist  auch  der  Name  des 
Verlegers  (P.  Marteau)  falsch. 

3)  S.  35:  nos  Francoiscs,  S.  101:  Les  Francois  etc. 


Kino   vcrschollcno  Schliff  iibor   Aachen  aus  dem  Jahre   1701.  50 

thatsächliclj  im  Jahre  1701  verfasst  wurde.  Sie  kann  nicht 
früher  entstanden  sein,  weil  in  ihr  von  der  am  1.  September 
1701  gelieferten  Schlacht  bei  Chiari  gesprochen  wird,  und 
gegen  ein  späteres  Entstehen  spricht,  abgesehen  von  buchhänd- 
lerischem Gebrauch  der  Anwendung  richtiger  Jahreszahlen, 
das  völlige  Schweigen  über  die  Kriegslasten,  unter  denen 
Aachen  um  1702  und  etwas  später  litt. 

Zweck,  Stil  und  Inhalt  von  Schriften  der  vorliegenden 
Art  lassen  sich  durch  das  eine  Wort  Unterhaltungslektüre  an- 
deuten. Der  "Werth  solcher  Arbeiten  liegt  überwiegend  auf 
kulturgeschichtlichem  Gebiet;  manche  Angaben  machen  eine 
besonders  vorsichtige  Prüfung  nöthig,  und  vielfach  kann  nur 
mit  Mühe  der  Kern  aus  den  weiten,  saftlosen  Hüllen  heraus- 
geschält werden.  Im  nachstehenden  kurzen  Auszug  blieb  All- 
bekanntes meist  ganz  unberücksichtigt. 

Ueber  die  Bäder  von  Aachen  und  Burtscheid  erfahren 
wir  aus  den  Eaux  d'Aix  wenig.  Am  Hauptbrunnen  in  Aachen 
strömte  das  Mineralwasser  aus  vier  Röhren1;  in  lebhaften 
Farben  weiss  der  Verfasser  die  bunte  Menge  zu  schildern, 
welche  sich  in  der  Nähe  des  Brunnens  bewegte.  Aus  der 
Beschreibung 2  eines  auf  vorherige  Bestellung  erhaltenen  Einzel- 
bads im  Kaiserbad  geht  hervor,  dass  daselbst  bis  zu  15  Männer 
in  einem  Bade  gemeinschaftlich  badeten,  dass  aber  der  Zutritt 
zu  den  Frauenbädern  unter  strengster  Aufsicht  stand.  In 
Burtscheid  soll  in  dieser  Hinsicht  die  Aufsicht  minder  streng 
gewesen  sein,  was  bis  tief  ins  18.  Jahrhundert  hinein  sich 
auch  anderweitig  verzeichnet  findet,  Sittenlos  ging  es  angeb- 
lich bei  einem  Bade  zu,  welches  einem  Tanzvergnügen  sich  an- 
schloss3.  Da  aber  der  Verfasser  hierbei  in  etwas  auffälliger 
Weise  jede  Ortsangabe  sorgfältig  vermeidet,  ist  es  möglich, 
dass  seine  Angaben  nur  geringen  Anspruch  auf  Glaubwürdig- 
keit machen  dürfen. 

Um  die  Abwechslungen,  welche  das  Leben  in  Aachen 
den  Kurgästen  bot,  scheint  es  sehr  dürftig  bestellt  gewesen  zu 


')  S.  16  f,     ')  S.  62  f.     3)  S.  107. 


60  E.  Pauls 

sein.  In  einem  längern  Ausfall *  wird  namentlich  über  das 
Fehlen  von  städtischer  Musik  am  Brunnen  geklagt  und  auf 
die  vielen  Annehmlichkeiten  in  englischen  Bädern  hingewiesen. 
„Es  ist  eine  Schande  für  Aachen,"  so  heisst  es,  „dass  die  der 
Stadt  so  nützlichen  Fremden  so  schlecht  empfangen  werden2." 
Von  Tanz-  und  Spielgesellschaften  ist  zweimal  die  Rede.  Täg- 
lich wurde  Nachmittags  von  3  bis  7  Uhr  getanzt,  Eines  der 
beiden  geschilderten  Tanzvergnügen  fand  beim  Dr.  Oliva3,  das 
andere  im  kleinen  Birnbaum4  am  Brunnen  statt.  In  beiden 
Fällen  standen  den  Theilnehmern  zwei  Säle  zur  Verfügung, 
die  zwischen  Kartenspielern  und  Tänzern  getheilt  waren.  Die 
Art  des  Tanzens  fand  nicht  den  Beifall  des  Verfassers.  Er 
wundert  sich  über  die  deutsche  Sitte,  nach  welcher  die  Herren 
die  Damen  zum  Tanze  bitten5  und  spöttelt  nicht  ohne  Witz 
über  die  seiner  Ansicht  nach  meist  wenig  gewandten  Tänzer 
und  Tänzerinnen.  „Die  lächerlichsten  Figuren  wollen  am 
meisten  tanzen  und  bringen  es  fertig,  dass  eine  Menuet  eine 
halbe  Stunde  dauert." 

Im  Ganzen  wurde  in  Aachen  nicht  viel  gespielt.  Bassette 
lag  ziemlich  brach,  Landsknecht  kannte  man  nicht,  das  könig- 
liche Hoack  war  wenig  gebräuchlich  ;  am  beliebtesten  scheint 
L'hombre  gewesen  zu  sein  6.  Dass  Spitzbuben  die  Bäder  un- 
sicher machten,  wird  ausdrücklich  bestätigt ;  mit  Hellebarden 
versehene  Beamte  leisteten  Polizeidienste7.  Die  Landskrone 
erklärt  der  Verfasser  für  den  besten  Gasthof  der  Stadt8.  Von 
zwei  Kaffeehäusern,  die  er  besuchte,  war  eins  in  hohem  Grade 


*)  S.  49  f.  2)  S.  50  :  C'est  une  honte  de  recevoir  si  mal  des  etrangers 
si  utües.  3)  S.  96  f.  Nach  von  Fürth,  Beiträge  zur  Gesch.  der  Aachener 
Patrizier-Familien  II,  2,  S.  217  war  Philipp  Oliva  1696  bis  1726  Arzt  in 
lachen.  4)  S.  116  f.  5)  Ausführlicheres  über  diese  Sitte,  die  damals  nur  in 
Badeorten  eingeführt  gewesen  zu  sein  scheint,  in  Amusemens  des  eaux 
d'Aix-la-Chapelle  I,  p.  154.  6)  S.  90.  Nach  einer  mir  in  französischer 
Oebersetzung  vorhegenden  Verordnung  verbot  der  Aachener  Magistrat  am 
19.  Juni  1 750  namentlich  folgende  Hazardspiele  :  Pharaon,  Passedix,  Brelan, 
Cinq  et  Ncuf,  Trente  et  Quarante,  Bassette,  Baiujue-Voulute,  la  Roulette, 
Lansquenet.  7)  S.  89.  8)  S.  60.  Wahrscheinlich  ist  die  Landskrone  in  der 
Grosskölnstrasse,  nahe  der  St.  Nikolauskirche,  gemeint. 


Eine  verschollene  Schrift  über  Aachen  aus  dem  Jahre  1701.  61 

unreinlich  und  mit  einer  lärmenden  Menge  gefüllt;  das  andere 
war  besser1  und  besass  ein  Billard l.  Tabak  oder  vielmehr 
Schnupftabak2  wird  an  einer  Stelle  genannt;  hübsch  lackirte 
chinesische  und  andere  mit  Bildern  und  Sprüchen  verzierte 
Schachteln  wurden  als  „dröleries  de   le  saison"  viel  verkauft3. 

Die  auf  Aachen  und  Burtscheid  bezüglichen  andern  Mit- 
theilungen bieten  einiges  Bemerkenswerthe.  Burtscheid  wird 
als  ein  reizend  gelegener  Ort  geschildert;  der  Eremit  bei 
Burtscheid  war  verheirathet 4.  Nirgendwo  in  Europa  hatte  der 
Verfasser  mehr  mit  Grabsteinen  überfüllte  Kirchen  gesehen 
als  in  Aachen.  Die  Vornehmen,  so  sagt  er5,  spielen  selbst 
noch  im  Grabe,  wo  sie  doch  der  Verwesung  anheim  gefallen 
sind,  die  Stolzen  !  Aus  der  ausführlichen  Beschreibung  eines 
Leichenbegängnisses ü  in  Aachen  geht  hervor,  dass  die  ein- 
schlägigen frühern  Sitten  sich  nur  wenig  von  den  heutigen 
unterschieden. 

Von  Aachen  heisst  es  u.  A. 7 :  „Aachen  ist  ein  grosser 
öder  Platz,  der  seinen  Glanz  hauptsächlich  den  Fremden  ver- 
dankt. Man  arbeitet  und  sät  dort  wie  in  einem  Dorfe,  eine 
Ziege  könnte  über  die  Stadtmauern  springen.  Hervorragende 
Handelserzeugnisse  sind :  Limburger  Tuch,  "VVaaren  von  Kupfer 
und  Zinn,  Stecknadeln  und  buntbemalte  (?)  Nähnadeln8.  Die 
meist  breiten  Strassen  haben  schlechtes  Pflaster,  die  Häuser 
sind  mit  wenigen  Ausnahmen  von  Holz  gebaut.  Der  Kapu- 
zinergarten besitzt  die  schönsten  Anlagen ;  zu  wünschen  wäre, 


')  S.  61  u.  62;  hier  wohl  die  erste  Erwähnung  eines  Billards  in  Aachen. 
2)  S.  59.  Nach  Lersch  (Schriften  über  Thermen  von  Aachen  und  Burtscheid 
S.  8)  zog  schon  um  1588  ein  Aachener  Arzt  die  Tabakpllanze  in  seinem 
Garten.  Nach  dem  AVochenblatt  für  Aachen  und  Umgegend  1838,  Nr.  21 
und  22  wurde  um  1692  von  Tabak  in  Aachen  eine  Abgabe  erhoben,  und 
entstand  daselbst  um  1739  eine  Tabakfabrik.  y)  S.  80  f.  4)  S.  49.  Vgl. 
auch  Quix,  Stadt  Burtscheid  S.  76  und  Amusemens  111.  p.  296  sq. 

5)  S.  85  :  Et  dans  ces  grands  tombeaux. 

Ou  leurs  ames  hautaines 
Font  encore  les  vaines, 
Ils  sont  mangez  de  vers. 

6)  S.  85.     7)  S.   111  f.     8)  Text:  Eguilles  bariolees. 


62  E.  Pauls 

dass  man  das  Mineralwasser  dorthin  leitete  1.  Dies  würde  den 
Kranken  besser  passen,  als  die  beim  jetzigen  Kurbrunnen  vor- 
handenen engen  Gallerien  und  kleinen  Baumalleen."  Am 
Schluss  der  Beschreibung  Aachens  schildert2  der  Verfasser, 
wie  ein  schwerer  Ochse  unter  Schalmeiklängen  durch  die 
Strassen  der  Stadt  geführt  wurde.  Hieran  reihen  sich  folgende 
Angaben  über  die  Verwendung  der  Steinkohlen  in  der  Küche. 
„Ein  grosses  Gluthfeuer  von  Steinkohlen  wird  Morgens  ange- 
zündet und  dauert  bis  zum  Nachmittag  oder  länger.  Diese 
ebenso  reinliche  als  bequeme  Einrichtung  verdient  eine  kurze 
Erwähnung.  Um  einen  Braten  zuzubereiten,  spiesst  man  den- 
selben an  eine  grosse  eiserne  Nadel,  die  mit  dem  dazu  gehö- 
rigen Strick 3  über  dem  Feuerrost  des  Steinkohlenfeuers  schwebt. 
Der  Braten  wendet  sich  von  selbst  um,  und  braucht  man  nur 
von  Zeit  zu  Zeit  den  Strick  zu  berühren.  Eine  solche  Ein- 
richtung, welche  auch  als  Suppenherd,  Kohlenbecken  und 
Stubenofen  dienen  kann,  reicht  für  die  Zubereitung  aller 
Speisen  aus4." 

Nachdem  der  Verfasser  wiederholt  über  die  „lang- 
weilige Saison"  in  Klagen  sich  ergangen,  bemerkt  er  zuletzt, 
dass  das  Bild  in  der  letzten  "Woche  der  Kurzeit,  also  gegen 
Ende  September,  sich  ganz  geändert  habe.  Von  allen  Seiten 
waren  Nachrichten  über  den  von  den  kaiserlichen  Truppen 
bei  Mailand5  über  die  Franzosen  und  Spanier  erfochtenen 
Sieg  eingelaufen.  Dies  hatte  in  Deutschland  grosse  Freude 
hervorgerufen  und  für  Aachen  einen  bedeutenden  Zufluss  von 
Fremden,    worunter    auch    einige    verwundete   Franzosen    sich 


x)  Der  Kapuzinergarten  lag  an  der  Stelle  des  heutigen  Stadttheaters. 
Es  ist  recht  interessant,  dass  schon  um  1701  dieser  Plan  angeregt  wurde, 
dessen  Ausführung  nach  etwa  110  Jahren  scheiterte.  (Vgl.  Lersch,  Gesch. 
des  Bades  Aachen  S.  71.)     ' 

2)  S.  115  f.  3)  Text:  Corde.  Vielfach  wird  man  wohl  statt  des  leicht 
verbrennlichen    Stricks   einen   oder   zwei   eiserne   Haken   augewandt  hahen. 

4)  Text:  Toute  la  cuisine  se  fait  ä  ce  feu.  Augenscheinlich  waren 
vor  1701  praktische  Brennöfen  mit  Steinkohlen  nicht  häufig  anzutreffen. 

s)  Gemeint  ist  der  Sieg,  den  Prinz  Eugen  von  Savoyen  am  1.  Sep- 
tember  1701  hei  Chiari  zwischen  Brescia  und  Mailand  erfocht. 


Eine  verschollene  Schrift  über  Aachen  aus  dem  Jahre  1701.         6:'> 

befanden,  bedingt.     Jetzt,  so    lieisst    es,    ist  Aachen    um    die 
Hälfte  schöner  geworden  ! 

Zum  Schluss  einige  Worte  über  den  Gesammteindruck  der 
vor  mehr  als  18  Jahrzehnten  erschienenen  Schrift.  Les  eaux 
d'Aix  sind,  ähnlich  den  35  Jahren  später  herausgegebenen 
Amusemens  des  eaux  d'Aix-la-Chapelle1,  ein  Kind  ihrer  Zeit. 
Es  fehlte  dem  Verfasser  weder  an  Witz,  noch  an  einem  in 
vielen  Dingen  gesunden  Urtheil,  und  gewiss  liefert  seine  Arbeit 
einige  schätzbare  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Aachener  Ver- 
hältnisse im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts.  Aber  die 
Weizenkörner  sind  mit  so  vieler,  theilweise  unreiner  Spreu 
umhüllt,  dass  man  das  dem  Buche  zu  Theil  gewordene  Ge- 
schick gänzlichen  Vergessenwerdens  nur  begreiflich  finden  kann. 


J)  Der  Verfasser   der   Amusemens   etc.   hat   die  Eaux    d'Aix    gekannt 
und  benutzt,  wie  sich  aus  vielen  Stellen  nachweisen  L'isst. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-Bogen- 
schützen-Gesellschaft  in  Burtscheid. 

Von  H.  F.  Macco. 

(Mit  einer  Tafel.) 

Die  in  Burtscheid  noch  heute  bestehende  Schützengesellschaft 
der  St.  Sebastianus-Bogenschützen  1  verdankt  ihre  Gründung  dem 
Freiherrn  Ignaz  Franz  von  Merode,  Herrn  zu  Frankenburg.  Das 
Jahr  ihrer  Entstehung  oder  auch  nur  tue  Zeit,  in  welcher  der 
Gründer  lebte,  ist  bisher  nicht  ermittelt. 

Dem  Protokollbuch  zufolge  wurden  am  20.  Januar  1645 
der  „uralten,  hochloblichen  Gesellschaft"  von  dem  Meier  und 
den  Schöffen  des  „Gerichts,  Dorfs  imd  Herrlichkeit  Burtscheid" 
die  Satzungen  bestätigt,  deren  wichtigste  jetzt  noch  im  Gebrauch 
sind.  Nach  ihnen  war  jeder  Schütze  bei  der  Aufnahme  ver- 
pflichtet, den  Schützenmeistern  und  Greven  ein  Viertel  Wein 
und  der  Gesellschaft  2  Gulden  aix  zu  geben 2.  Sodann  hatte  der 
neue  Schütze  für  einen  eigenen  Bogen  nebst  Pfeilen  zu  sorgen ; 
bediente  er  sich  eines  fremden  Geschosses,  so  musste  er  eine 
Flasche  Wein  zum  Besten  geben;  desgleichen,  wenn  er,  sei  es 
„aus  böser  Meinung"  oder  aus  Irrthum,  einen  fremden  Pfeil  mit 
sich  nach  Hause  nahm. 

Der  Hauptkönig3  erhielt  die  Hälfte  der  Schiesseinlage  und 
als  Geschenk  Burtscheids  aus  dem  Oberbusch  5  Klafter  Holz. 
Er  wurde  am  Abend  nach  dem  Yogelschiessen   mit   dem  Fähn- 

')  Vgl.  M.  F. -Seh.,  Zur  Geschichte  der  altehrwürdigen  St.  Sebastiani 
Bogenschützen-Gesellschaft  zu  Burtscheid.  (Aachen  1882.) 

*)  Schoss  Jemand,  ohne  Mitglied  zu  sein,  so  musste  er  zwei  Gold- 
guldeu  für  jeden  Schuss  zahlen. 

3)  Es  gab  vier  Könige :  Vogel-.  Damen-,  Geld-  und  Holzkönig. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianiis-Bogensehützen-Gesellschaft.        65 

lein  unter  Trommelschlag  und  klingendem  Spiel  nach  Hause 
begleitet,  wo  er  dem  mitziehenden  Volke  einen  Trunk  verab- 
reichen Hess l.  Am  folgenden  Tage  fand  das  grosse  Königsessen 
statt,  zu  welchem  der  König  laut  den  Statuten  ein  Stück  gesal- 
zenes Fleisch,  einen  Schweine-  und  einen  Hammelschinken,  einen 
Kalbskopf  und  eine  oder  zwei  Schüsseln  Hützpott,  sowie  eine 
Tonne  Bier  geben  musste.  Von  den  drei  folgenden  Königen 
erhielt  der  linke  oder  Damenkönig  6  Gulden,  der  rechte  oder 
Holzkönig  eine  Klafter  Holz  und  der  Geldkönig  die  Hälfte  der 
gesammten  Schiesseinlage 2. 

Zum  Vorstand  gehörten  ausser  den  Königen  noch  der 
Schützenmeister  und  Baumeister,  welche  laut  Beschluss  vom 
Jahre  1698  auf  drei  Jahre  ernannt  wurden.  Den  Schützen-  und 
Baumeistern  lag  die  Verpflichtung  ob 3,  für  die  Speisen  der 
Königstafel  zu  sorgen,  und  zwar  wenigstens  20  Paar  Hahnen, 
6  Hühner,  4  Stück  gesalzenes  Fleisch,  welches  der  Vogel-  und 
Damenkönig  je  halb  zum  Einkaufspreis  erhielten,  zu  beschaffen. 

Im  Jahre  1742  kamen  die  „Erbsiebener"  auf,  die  über  den 
sich  zur  Aufnahme  Meldenden  Erkundigungen  einzuziehen  und 
die  Ordnung  innerhalb  der  Gesellschaft  aufrecht  zu  erhalten 
hatten.  Es  waren  sieben  Schützen,  worunter  ein  Schützen-  oder 
Baumeister.  Die  Wahl  geschah  auf  Lebenszeit.  Die  ersten  Erb- 
siebener waren:  Arnold  Peltzer,  Schöffe  des  Gerichts  zu  Burt- 
scheid,  Johann  Theodor  Aretz,  Schöffe  und  Secretarius  judicii, 
Abraham  a  Campo,  Johann  Nullmann,  Fähnrich,  Franz  Schlangen, 
Wilhelm  Schaaff  und  Johann  Bayer. 

Ein  Statutenverzeichniss  ohne  Datum,  aus  der  letzten  Hälfte 
des  vorigen  Jahrhunderts  erwähnt  den  „Dauphin".  Er  wurde 
vuni  jeweiligen  König  ernannt  und  hatte  beim  Eintritt  in  die 
Gesellschaft  keine  Aufnahmegebühren  zu  zahlen4. 


1)  Dieses  Umziehen.   Prunken  genannt,    hat    sich    bis    heute  erhalten, 
doch  ist  das  Verabreichen  des  Weins  an  das  Volk  seit  1885   abgekommen. 

2)  Jeder  Mitschiessende  hatte  eine  Einlage  von  7  Gulden  zu  machen. 
s)  Gemäss  Beschluss  von  1725. 

*)  In  der  Regel  ernannte  der  König  seinen  Sohn  oder  einen  sonstigen 
Jüngern  Anverwandten  zum  Daunhin. 

5 


66  F.  H.  Macco 

Um  vom  Yogelschiessen  selbst  zu  sprechen,  sei  erwähnt, 
dass  der  Standort  der  Schützen  sich  seit  alter  Zeit  vor  dem  Kur- 
garten gegenüber  der  alten  Erckensschen  Fabrik  befindet,  Die 
Vogelstange  steht  hoch  auf  dieser  Fabrik,  so  dass  die  Pfeile  auf 
die  hinter  derselben  gelegene  Wiese  fliegen. 

Das  Protokollbuch,  dem  das  nachstehende  Mitgliederverzeich- 
niss  entnommen  wurde,  ist  ein  in  Leder  gebundener  Folioband 
im  Besitze  der  Gesellschaft ;  er  enthält  durch  Wasserzeichen  ge- 
streifte Papierblätter,  welche  folgende  Figuren  und  Buchstaben 
darstellen:  ein  springendes  Einhorn  mit  Halsring  und  Eette, 
die  Buchstaben  C  L  H,  eine  Lilie  in  einem  gekrönten  Schild, 
woran  unten  ein  Thier  hängt 1.  Zu  Anfang  des  Buches  sind 
die  Statuten,  dann  die  Protokolle  und  Beschlüsse  eingetragen; 
daran  reiht  sich  das  Mitgliederverzeichniss,  beginnend  mit 
Jakob  Kürssgens,  der  1657  König  wurde2.  Auf  jeder  Seite 
stehen  drei  Namen ;  die  Schrift  ist  in  rother  Farbe,  die  Anfangs- 
buchstaben sind  schwarz  in  reichen,  originellen  Blumenverzierun- 
gen ausgeführt.  Zwischen  Yor-  und  Familiennamen  ist  hin  und 
wieder  die  Hausmarke  oder  das  Wappen  des  betreffenden  Mit- 
glieds eingezeichnet,  und  zwar  zu  Anfang  des  Buches  in  sehr 
exakter,  später  in  sehr  flüchtiger  Manier. 

1621  Nikolaus  Frank. 

1638—1640  Peter  Finck. 

1641 — 1642  Abraham  Hauff.  Er  war  der  Sohn  des  „ehren- 
vesten  Herrn  Henrich  Hanff,  Apothekers  und  Bürgers  in 
Aachen",  und  vermählte  sich  am  10.  Aug.  1635  mit  der 
„tugendreichen  Jfr.  Anna,  des  ehrenvesten  Herrn  Hans 
Stoudfart  (Stuppart3),  Bürgers  in  Aachen,  eheleiblicher 
Tochter".     Abraham   war  ebenfalls   Apotheker   in  Aachen 


')  Vgl.  Taf.  II.  Vielleicht  soll  dieses  Thier  das  goldene  Vliess  sein. 

2)  Mit  Benutzung  eines  zweiten  Protokolle uchs  Hess  sich  das  Mit- 
gliederverzeichniss bis  zum  Jahre  1621  vervollständigen. 

3)  Peter  Stuppart,  Protestant,  in  Aachen  liess  am  2.  Febr.  1594  eine 
Tochter  Sara  taufen.  Patheu  waren :  Paul  Ganspoll,  Barbara  Ramachkers 
und  Sara  Rethaus. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-Bogenschützen-Gesellsehaft.        fl7 

und  gehörte  zur  protestantischen  Gemeinde  1.  Seine  Kinder 
waren:  1.  Anna  Elisabeth,  heirathete  vor  1658  den  Dr. 
med.  Aegidius  Heusch  in  Aachen.  2.  Agneta,  geb.  zu 
Aachen  am  14.  Dez.  1645.  Pathen:  Jakob  KaLkbrenner, 
Agneta  Stuppart  und  Elisabeth  Schörer-Stupparts.  3.  Hein- 
rich, geb.  zu  Aachen  am  26.  Jan.  1647.  Pathen:  Heinrich 
Hauff  und  Elisabeth  Jorges.  4.  Susanne,  geb.  zu  Aachen 
am  20.  April  1648.  Pathen:  Abraham  Pettmenger  und 
Märg.  Schmetz.  5.  Maria  Sidonia,  geb.  zu  Aachen  am  7. 
März  1651.  Pathen:  Maria  Sidonia  von  Görtzenich  und 
Tilmann  Kicks.  6.  Johanna,  geb.  zu  Aachen  am  5.  April 
1652.  Pathen:  Hisbert  Schörer  und  Magdalena  Hauff. 
7.  Abraham,  geb.  zu  Aachen  am  14.  Juli  1653.  Pathen: 
Heinrich  Hanff  und  Elisabeth  Stuppart. 

1643  Johann  Albert  Schrick.  Seine  Eltern  waren  Franz  Wil- 
helm Schrick  und  Christine  Klöcker.  Er  "wurde  am  10. 
Nov.  1611  geboren,  gehörte  zum  Schöffenstuhl  in  Aachen 
und  zum  Gericht  in  Burtscheid,  war  vermählt  mit  Anna 
Katharina   von  Inden  und  .starb  am  23.  Sept.  1646. 

1646  Peter  Peltzer;  seine  Hausmarke  s.  Taf.  n. 

1649  Peter  Sies. 

1650  Peter  Peltzer. 

1651  Straeten,  Sekretär. 

1652  Friedrich  Ortenbach.  Aus  dieser  Familie  wurden  Mitglieder : 
1670  Peter  Ortenbach  (König  1685  und  1687),  1688 
Friedlich  Ortenbach. 

1655  * Johann  Clermont2  (Klermont).  Ueber  diese  Familie  vgl. 
die  ausführhche  Genealogie  in  Macco,  Beiträge  II,  S.  14  ff'. 

1656  Peter  Peltzer. 

1657  Jakob  Körstgens  (Kürssgens) ;    seine  Hausmarke  s.  Taf.  IL 


*)  Vielleicht  ein  Bruder  desselben  war  Nikolaus  Hauff,  vermählt  mit 
Magdalena  von  Samen,  wovon  Anna  Katharina,  geb.  am  20.  Sept.  1645 ; 
Pathen:  Heinrieh  Hanff,  Anna  Hanff  und  Katharina  Kalkbrenner. 

2)  Ueber  die  Familie  der  mit  einem  Sternchen  bezeichneten  Personen 
gibt  Macco,  Beiträge  zur  Genealogie  rhein.  Adels-  und  Patrizierfamilien, 
Bd.  H  nähere  Nachrichten. 

5* 


68  F.  H.  Macco 

Im  J.  1670  wurden  Leonard  und  Jakob  Kürssgens  der 
Jüngere  Mitglieder  der  Gesellschaft.  Des  erstem  Hausmarke 
s.  Taf.  IL 
1658  Wilhelm  Eoemer.  Sein  Wappen  s.  Taf.  IL  Yon  dieser 
protestantischen  Familie  finde  ich:  Thonis  Eoemer,  heira- 
thete  am  5.  Juni  1594  Drutgen  Lodderbein.  Lambert 
Eoemer,  Bürger  in  Aachen,  hatte  aus  seiner  Ehe  mit 
Katharina  Amya  folgende  Kinder:  1.  Abraham  Eoemer, 
geb.  zu  Aachen  am  27.  Juni  1613  (Pathen :  Mklas  Wolff, 
Franz  Eoemer,  Johanna  Amya),  vermählt  am  1.  Juli  1641 
mit  Margaretha,  Tochter  von  Jakob  Buirette,  wovon: 
a.  Anna  Katharina,  geb.  am  16.  Aug.  1645.  b.  Abraham, 
geb.  am  13.  April  1647.  2.  Jakob,  getauft  zu  Stolberg  am 
1.  März  1619.  3.  Katharina,  getauft  zu  Stolberg  am  11. 
Okt.  1620.  4.  Sara,  getauft  zu  Stolberg  am  10.  April  1622. 
5.  Eebekka,  getauft  zu  Stolberg  am  16.  Okt.  1623. 
Pathen:  Niklas  Vietrin,  Lenhard  Eoemer  und  Mars:. 
Eoemer. 

Leonhard  Eoemer,  Sohn  von  Lenhard  Eoemer,  vermählte 
sich  1616  zu  Stolberg  mit  Susanne  Amya,  Tochter  des  f 
Michael  Amya.  Kinder:  1.  Hans  Lenhard,  getauft  zu  Stol- 
berg am  17.  April  1623.  Pathen:  Johann  Fellinger,  Her- 
mann Amya  imd  Katharina  von  Gronenberg.  2.  Katharina, 
getauft  zu  Stolberg  am  26.  Juni  1624.  Pathen:  Johann 
Eadermacher,  Johanna  Seulin,  Katharina  Amya,  Lambert 
Eoemers  Hausfrau.  3.  Hermann,  geb.  am  9.  Dez.  1630. 
4.  Susanne,  geb.  am  20.  April  1632.  5.  Jakob,  geb.  am 
31.  Juli  1633.  6.  Nikolaus,  geb.  am  14.  Sept.  1634. 
7.  David,  geb.  am  13.  Juli  1637.  8.  Sara,  geb.  am  2.  Okt. 
1638.     9.  Samuel,  geb.  am  5.  Febr.   1644. 

Wilhelm  Eoemer,  vermählte  sich  mit  Adelheid  Klermont, 
wovon:  1.  Jakob,  geb.  am  15.  Sept.  1645.  2.  Katharina, 
geb.  am  7.  Sept.  1647.  3.  Anna  Margaretha,  geb.  am 
23.  Febr.  1656. 
1660  Johann  Mengeis,  wurde  in  diesem  Jahre  König;  seine 
Marke  s.  Taf.  IL 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-Bogenschützen-Gesellschaft.        69 

1660  Balduin  von  Harff,  Herr  zu  Alsdorf,  war  1661  König. 
1660  Franz  Karl  Meyerhöfer,  1662  und  1663  König;  sein  Wap- 
pen s.  Taf.  II. 
1660  Gilles  Frens,  1665  und  1666  König. 
1660  Mathias  von  Kirchrath  (Kirchrha),  1667  König;  sein  Wap- 
pen s.  Taf.  IL 
1660  *  Johann  von  der  Yeldt,  1668  König;  sein  Wappen  s.  Taf.  LI. 
Er  gehörte  der  noch  heute  bestehenden  Familie  a  Campo  an. 
1660  Johann  Koemer,  1669  König. 

1660  waren   Mitglieder   der   Gesellschaft:    Gilles   Brewer,    1670 
und  1671  König;  seine  Marke  s.  Taf.  IL 

Herr  Johann  Herbrandt ;  seine  Marke  zeigt  2  gekreuzte, 
an  den  Ecken  umgebogene  Stäbe. 

Herr  Hubert  Hausmann,  besass  das  Krebsbad,;  seine 
Marke  s.  Taf.  IL 

Herr  Peter  Ordtenbach,  führte  das  gleiche  Wappen  wie 
1688  Friedrich  Ortenbach  (vgl.  Taf.  II). 

Johann  Sittärdt. 

Herr  Dominikus  Herbrand ;  seine  Marke  stimmt  mit  der 
des  Johann  Herbrandt  überein. 

Johann  Esser. 

*Godefridus  von  Freissheim,  war  Oberst  in  Aachen. 

Wilhelm  Hauerschau. 

Peter  Monschau;  seine  Marke  zeigt  einen  Merkurstab 
und   die  Buchstaben  P.  M. 

Johann  von  Tenen. 

Paul  Frenss. 

Johann  Klermondt,  vgl.  oben  (S.  67). 

Johann  Schillings. 

Peter  Spleir.  Er  scheint  Eisenhändler  gewesen  zu  sein, 
da  an  Stelle  eines  Wappens  Hammer,  Zange,  Kette,  2  Nä- 
gel und  ein  Hufeisen  eingezeichnet  sind. 

Jakob  Schrimb. 

Laurenz  Hermens. 

Leonard  Ordtmans.  Sein  Schild  enthält  ein  mit  2  Klee- 
blättern bestecktes  Herz. 


70  F.  H.  Macco 

Abraham  Gatzweiller. 

Johann  Foess;  "Wappen:  3  schwarze  Schrägbalken  in 
Silber;  auf  dem  Helm  ein  sitzender  Fuchs. 

Arnold  Fercken.  Er  gehörte  einer  sehr  angesehenen 
Burtscheider  Patrizierfamilie  an.    Von  derselben  finde  ich : 

I.  Jesaias  Vercken  von  Burtscheid,  reformirter  Religion, 
hinterliess  :  1.  Katharina,  geb.  zu  Burtscheid,  getauft  zu 
Stolberg  am  4.  April  1624.  Pathen:  Gottschalk  von  Als- 
torff  und  Katharina  Brauers. 

IL  2.  Arnold  Vercken,  getauft  zu  Stolberg  am  4.  April 
1624,  vermählte  sich  mit  Maria  Seulin,  wovon:  1.  Maria, 
geb.  am  3.  Dez.  1662.  2.  Jesaias,  s.  III.  3.  Matthäus,  geb. 
am  3.  Dez.  1670. 

III.  Jesaias  Vercken,  geb.  am  11.  Aug.  1665,  heirathete 
Katharina  Ernst.  Kinder:  1.  Amarentia,  geb.  zu  Burtscheid 
am  6.  März  1703.  2.  Leonard,  geb.  ebendas.  am  16.  Okt. 
1704.  3.  Arnold,  s.  IV.  4.  Jesaias,  geb.  am  24.  Aug.  1708. 

IV.  Arnold  Vercken,  geb.  zu  Burtscheid  am  25.  Nov. 
1706,  hinterliess  aus  seiner  Ehe  mit  Susanna  Kuhem: 
Maria  Katharina  Vercken,  welche  am  17.  Nov.  1765 
Philipp  Theodor   Schöller  aus  Jülich  heirathete. 

1661  Heinrich  Gadekindt;  sein  Wappen  enthält  3  (2.1)  rothe 
Angelhaken. 

Peter  Roemer,  war  1663  Seh ützenmeister;  sein  Wappen 
s.  Taf.  IL 

Wilhelm  Braun. 

Merten  Groten. 

Johann  Brandt. 

Nikolaus  Schörrer.  Ein  Gerhard  Schöner  war  1655 
Rentmeister  in  Aachen;  derselbe  hatte  aus  seiner  Ehe  mit 
Maria  eine  Tochter :  Helene  Elisabeth,  geb.  am  3.  April  1655. 

Mathias  von  den  Veldt,  König. 

Anton  von  den  Veldt. 

Wilhelm  Roemer  (vgl.  oben);    sein  Wappen    s.  Taf.  II. 

Kornelius  Tragier. 

Isaak  Tungern;  sein  Wappenschild  enthält  ein  Haus 
mit  2  Thürmen. 


Die  Mitglieder  der  St.  SHi;istianus-Bogenschützen-Gesellschaft.         71 

Johann  Moll. 

(Alles  Frenss  (vgl.  oben),    1665  und  1666  König. 

Johann  Tragier ;  sein  Schild  zeigt  einen  Merklirstab  und 
die  Buchstaben  I  0  K. 

Leonard  Kürssgens.  Yon  dieser  Familie  finde  ich: 
Lenhard  Körstgens  von  Burtscheid,  hinterliess  eine  Tochter: 
Jengen  Körstgens,  welche  am  10.  Febr.  1618  Arnold 
Kpemer,  Sohn  von  Johann  Koemer  in  Aachen,  heirathete. 

Jakob  Kürssgens  der  Junge,  führte  die  gleiche  Marke 
wie  1657  Jakob  Kürssgens. 

Abraham  Tungern;  Wappen:  ein  Haus  mit  2  Thürmen. 

Heinrich  Ehemondts. 

Otto  Geyssen. 

Johann  Peter  Asperschlag,  1663  Baumeister  der  Gesell- 
schaft. Sein  Schild  enthält  2  Rasirmesser  und  einen  Negerkopf. 

Thomas  Bindeis.  Sein  Schild  enthält  ein  langes  Schlacht- 
messer und  ein  Beil;  auf  dem  Schild  schaut  ein  Ochsen- 
kopf hervor. 

Hubert  Haussmann,  wurde  1669  Fähnrich;  sein  Wap- 
pen s.  Taf.  H. 

Peter  Hann.  Sein  Schild  ist  senkrecht,  die  vordere  Hälfte 
quer  getheilt.  Im  1.  Felde  über  einem  brennenden  Holz 
2  Sterne,  im  2.  Felde  ein  Halm,  im  3.  eine  Hand,  welche 
einen  Zweig  mit  3  rothen  Blumen  hält. 

Heinrich  Windel!. 

Johann  von  den  Veldt,  1661  und  1668  König  (vgl.  oben). 

1662  Franz  Karl  Mayrhöfer,  1662  und  1663  König  (vgl.  oben). 

Johann  Weinandi;  sein  Schild  enthält  ein  Trauben- 
bündel. 

Johann  Esser  der  Jüngere. 

Peter  Ordenbach  der  Jüngere,  „Fendrich  worden  anno 
1680,  1685  Konig,  1687  abermal  Konig,  anno  1689 
Schützenmeister  worden". 

1663  Johann  Dietrich  Cratz,  „Ihro  fürstliche  Durchleucht  Pfalz- 
Neuburgischer  Hauptmann,  anno  1663".  Wappen:  in  Roth 
eine  Yogelklaue,  welche  sich  auf  dem  Helm  wiederholt. 


72  F.  H.  Macco 

Johann  RomersMrehen,  canonicus  sancti  Severini l,  anno 
domini  1663.  "Wappen:  ein  Löwe,  einen  Baum  haltend; 
auf  dem  Helm  2  Flügel. 

Jakob  Stärck. 

1665  Leonard  Kürssgen;  sein  Wappen  s.  Taf.  II. 

1666  Kaspar  Dirteidts. 

Paul  Frenss  Junger,  oder  Aegidius  Frenss,  sein  Sohn, 
1666. 

Mathias  von  Kirchrha,  1667  König. 

Winand  Bastyan,  1673  König,  1689  Baumeister;  sein 
Wappen  s.  Taf.  II. 

Jeronimus  Roemer;  sein  Wappen  s.  Taf.  II. 

1667  Albert  Brandt,  1668  Baumeister.  Sein  Schild  enthält  einen 
Merklirstab  und  die  Buchstaben  A  B;  auf  dem  Schild  ein 
brennendes  Holz. 

Jakob  Brandt;  sein  Wappen  zeigt  in  Schwarz  3  (1.2) 
Flammen;  auf  dem  Schild  ein  Ann,  grün  gekleidet,  mit 
einem  flammenden  Holz. 

Nikolaus  Dotermonde. 

1669  Johann  Eomer,  1669  König;  sein  Wappen  s.  Taf.  IL 

*Johann  Wilhelm  Probst;  sein  Wappen  enthält  in  Blau 
zwischen  2  goldenen  Ketten  einen  goldenen  Stern;  auf 
dem  Helm  ein  Ochsenkopf  (vgl.  Taf.  II). 

Lambert  Prickart;  sein  Schild  enthält  eine  Blume  mit 
4  Blättern,  sowie  die  Buchstaben  L  P ;  auf  dem  Helm  ein 
Vogel  wachsend. 

Gilles  Brewer,  1670  und  1671  König;  seine  Marke  s. 
Taf.  IL  Farben:  Schwarz  in  Blau. 

Lenor  Haussman.  Dilige  et  fac,  quod  vis.  Sein  Wap- 
pen s.  Taf.  II.    Farben:    schwarzes  Monogramm   in  Roth. 

1670  Albert  Scholtess.  Wappen:  in  Gold  ein  rothes  Herz;  auf 
dem  Helm  ein  Herz. 

Simon  Gilles;  sein  Schild  enthält  in  Blau  einen  rothen 
Merkurstab  auf  einem  rothen  A.    Neben  dem  Stab  einer- 


')  Vielleicht  in  Mastricht. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-BogenscMtzen-Gesellschaft.        73 

seits  der  Buchstabe  S,  andererseits  G-,  auf  dem  Stab  ein 
S.    Auf  dem  Helm  eine  Pflanze  mit  3  rothen  Blumen. 

Anton  Moll. 

Anton  Peltzer,  Schützenmeister,  „1672  Konig,  1682 
abermal  Konig,  anno  1684  noclrmal  Konig,  anno  1686 
wieder  Konig,  anno  1688  und  1689  ebenfals  Konig,  anno 
1695  wiederurnb  Konig,  anno  1703  wiederumb  König, 
anno  1711  wiederumb  Konig".  "Wappen  wie  1698  Math. 
Peltzer,  jedoch  statt  M  ein  A.     Farben:  Gold  in  Blau. 

Jakob  Steinfunder. 

*Jesaias  Clermont. 

Simonis  Coli. 

1671  Maximilian  Schorer. 

Jakob  Mzet. 

Wilhelm  Brandt. 

Jakob  Konen. 

Kornelius  von  den  Veldt,  1683  Baumeister,  1684 
Schützenmeister.     Sein  Wappen  s.  Taf.  IL 

*Gregorius  Bock. 

Peter  Peltzer. 

Johann  Pier,  „1696  bis  99  Johannes  Pier  zur  Zeit 
Baumeister  ". 

1672  Heinrich  Simons. 

Johann  Henssen.    Wappen :  in  Roth  ein  schwarzes  Huf- 
eisen; auf  dem  Helm  zwischen  2  Flüceln  ein  Hufeisen. 
Peter  Köckelkorn.     Wappen :  3  Kornähren,   von  denen 
sich  eine  auf  dem  Schild  wiederholt. 

1673  Gerard  Peters. 

Johann  Patron. 

Gilles  Mömmer. 

Güliam  Sevie.  Schild:  ein  Rasirteller ;  auf  dem  Schild 
ein  Rasirmesser. 

*Wilhelm  Erckens.  „Anno  1680  hat  er  den  vogel  ab- 
geschossen in  seinem  Jungergesellen  Stand.  Anno  1681 
abermal  den  Vogel  abgeschossen  in  seinem  Junggesellen 
Stand."     Wappen  s.  Taf.  II. 


71  P.  IL  Macco 

Christian  Mattheis. 
1680  Johann  von  den  Yeldt;  Wappen  s.  Taf.  II. 

Gilles  Akens,  wurde  1687  Fähnrich.  Wappen:  in  Blau 
zwischen  2  rothen  Rosen  ein  goldener  Stern,  unter  dem  Stern 
ein  schwarzer  schwebender  Sparren,  zwischen  dessen  Schen- 
keln ein  silberner  Mond ;  auf  dem  Helm  ein  goldener  Stern. 

Gottfried  Schleippen.  Wappen:  in  Grün  ein  silberner 
Pfau,  einen  Mühlstein  rollend. 

Andreas  Schleippen.    Wappen  wie  Gottfried  Schleippen, 
jedoch  in  gelbem  Schild. 
1683  Nikolaus  Bardt. 

Peter  Arredts. 

Goswin  Können. 

Alexander  Nacken.  Wappen :  auf  grünem  Boden  ein 
brauner  Korb,  in  welchem  ein  nackter  Mann  sitzt;  auf 
dem  Helm  2  schwarze  Flügel. 

Leonard  Dohmen. 

Johann  Sobben.  Wappen:  in  Roth  ein  silbernes  Mit- 
telschild mit  grünem  Boden,  auf  dem  3  grüne  Kleeblätter 
stellen;  auf  dem  Helm  ein  Kleeblatt. 

Johann  Trageir,  „anno  1696  Baumeister  zur  £eit".  Sein 
Schild  enthält  einen  Merkurstab,  die  Buchstaben  I  0  R, 
sowie  die  Schröpfergeräthschaften  (wie  das  Wappen  Winand 
Bastyans  1673);  auf  dem  Helm  ein  Aderlasser. 

*Johann  Gerhard  Erckens ;  sein  Wappen  s.  Taf.  IL 

Anton  a  Campo,  ,,ist  anno  1684,  den  15.  October  im 
kayserl.  Feldlager  vor  Ofen  in  Ungarn  dem  Herrn  ent- 
schlafen.    Requiescat  in  paceu.     Sein  Wappen  s.  Taf.  IL 

Johann  Moess.  Wappen :  in  Silber  auf  einem  rothen  M  an 
rothem  Stab  eine  Lilie,  welche  sich  auf  dem  Helm  wiederholt. 

Jakob  der  Jung. 

Nikolaus  Peir. 

Johann  Gillis. 

Mathias  Peltzer,  „1698  Konig  worden  in  seinen  Jung- 
geselstandu.  Sein  Wappen  s.  Taf.  IL  Farben :  Schwarz 
in  Blau. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-Bogenschützen-Gesellschaft.        75 

Anjton  a  Campo  :. 

Johann  Paulus,  „Wachtmeister  dieser  Herligkeit  Burt- 
scheidt".  Wappen:  3  (2.1)  Enten,  die  beiden  obern  auf 
einem  Balken,  die  untere  auf  grünem  Boden;  auf  dem 
Helm  eine  Ente  auffliegend. 

Johann  Toureil. 

Johann  Haussmann,  1685  Schützenmeister. 

*!Engelbert  von  Eiss.  Sein  Wappen  (jedenfalls  nur  sein 
Schützenwappen)  enthält  ein  von  2  Pfeilen  kreuzweise 
durchbohrtes  Herz;  auf  dem  Helm  ein  Arm,  einen  Pfeil 
haltend. 

Gilles  Merckelbach. 
1684  Hubert  Haussmann,  1725  König. 

Ferdinand  Sieb. 

1686  Johann  Jakob  Maiers,  „anno  1698  gewesener  Baumeister, 
amio  1709  zur  Zeit  Schutzenmeister,  1711  wieder  als 
Schutzenmeister  confirmirt".  Sein  Wappen  enthält  in  Gelb 
einen  grünen  Baum  auf  grünem  Boden;  der  Helm  trägt 
zwischen  zwei  grünen  Flügeln  einen  blau  geharnischten 
Arm,  der  einen  grünen  Zweig  hält. 

*Werner  Lamberts. 

1687  Heinrich  Kahr.  Die  Familie  Kahr  zählte  im  vorigen  Jahr- 
hundert zu  den  bedeutendsten  und  reichsten  Industriellen 
Aachens.  Zu  ihr  gehörte  auch  der  langjährige  Bürger- 
Bürgermeister  von  Aachen,  Johann  Lambert  Kahr,  welcher 
ein  grosses  in  der  Pontstrasse  gelegenes  Haus  (jetzt  Nr.  77) 
bewohnte.  Seine  Tochter  Gertrud  Kahr,  geb.  30.  Nov. 
1674,  f  9.  Jan.  1716,  heirathete  am  10.  Juli  1697  Hubert 
von  Orsbach.  Das  Kahrsche  Haus  ist  noch  mit  zwei 
Wappen  geziert,  deren  erstes,  das  der  Familie  Kahr,  durch 
einen  Balken,  worauf  drei  Sterne,  quergetheilt  ist  und 
über  dem  Balken  zwei,  unter  demselben  ein  Rad  enthält. 
Der  Helm  trägt  ein  hervorspringendes  Pferd. 


')  Es  folgt  eine   zugeklebte  Seite,    worauf  die  Namen    *Johann    Kann 
und  Johann  Jakob  Mayers  stehen, 


76  F.  H.  Macco 

Ein  anderes  Mitglied  der  Familie  Kahr  war  Inhaber 
einer  Nadelfabrik,  welche  später  auf  Kornelius  von  Ghiaita 
überging  und  jetzt  dem  Herrn  Steph.  von  Moers  gehört. 

Anton  Peltzer.  "Wappen  wie  Math.  Peltzer  1698,  mit 
den  Buchstaben  A  P. 

1688  *  Johann  Ulrich  Probst,  1710  König. 

Friedrich  Ortenbach.  "Wappen  wie  Fr.  Ortenbach  1662  (vgl. 
Taf.  II). 

1689  Kornelius  Emondts.  Wappen:  Merkurstab  auf  2  Winkeln, 
die  Buchstaben  C  E  zu  Seiten  des  Stabes ;  auf  dem  Helm 
ein  Plug. 

*  Johann  Pastor.  Wappen :  auf  einem  Schaf  ein  Mer- 
kurstab ;  auf  dem  Stab  ein  S,  zu  den  Seiten  I  und  P ; 
der  Helm  trägt  einen  Flug. 

Edmund  Zimmermans.  Wappen:  2  Stäbe  wagerecht 
nebeneinander,  zwischen  ihnen  3  (1.1.1)  Kugeln;  über  den 
Stäben  eine  Kugel  imd  ein  Winkel,  zu  dessen  beiden 
Seiten  ein  halb  geöffnetes  Rasirmesser;  unter  den  Stäben 
ein  Halbmond  und  2  Sterne.  Auf  dem  Helm  ein  roth 
gekleideter  Arm,  ein  Rasmnesser  haltend. 

Bernard  Peir. 
1691  Thomas  Herberich.    Wappen:  eine  Egge,  auf  der  2  Vögel, 
oberhalb  der  Egge  2  rothe  Rosen ;  auf  dem  Helm  ein  Yogel. 

Simon  Langendorff.  Wappen:  ein  Merkurstab,  worauf 
ein  rothes  Herz,  zu  den  Seiten  S  imd  D,  im  Schildes- 
haupt 2  rothe  Sterne;  der  Helm  trägt  zwischen  2  rothen 
Flügeln  einen  Zweig  mit  einer  Rose. 

Bastian  Fabri. 

Reiner  Haagen. 

Christian  Ernst.  Wappen:  auf  einem  Dreifuss  ein  Mer- 
kurstab, zu  dessen  Seiten  C  imd  E;  im  Schildeshaupt  2 
Rosen;  der  Helm  trägt  einen  Flug. 

*Lambert  Pastor.  Wappen :  auf  einem  rothen  Herz  ein 
Merkurstab,  zu  dessen  Seiten  L  und  P,  auf  demselben 
ein  S;  im  Schildeshaupt  2  Sterne ;  der  Helm  ist  mit  einem 
Flug  geziert. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-Bogenschützen-Gesellschaffc.        77 

1692  Jakob  Beuss  der  Alte.  Wappen:  ein  schwarzer  Balken ;  auf 
dem  Helm  ein  Ochsenkopf,  zu  dessen  Seiten  T  und  B. 
Kornelius  a  Campo,  169G  Schützenmeister. 
Johann  Eydt. 

1695  Arnold  Peltzer,  1719  und  1728  König-.    Wappen  wie  Math. 
Peltzer  1698,  jedoch  mit  den  Buchstaben  A  und  P. 

Dominikus  Duckers. 
Mathias  Cronenbergh. 
Peter  Knitter. 
Johann  Ortmanns  *. 
Wilhelm  Arets. 
*Jol»ann  Adam  Clermont. 
Mathias  Coenen. 
Johann  Richard. 

1696  Kornelius  Weyers,  f  26.  April  1742. 

Karl  Friedrich  Bongardt. 
Gerhard  Jacob. 
Johann  Moess. 
Jakob  Bues  der  Junge. 
Johann  Ortmanns. 

1697  *Clocker. 

Aegidius  von  Meven.  Wappen:  quadrirt  mit  schwarzem 
Mittelschild,  worin  3  silberne  Vögel.  Feld  1  senkrecht 
getheilt,  vorn  in  Gold  4  rothe  Balken,  hinten  in  Gold  2 
silberne  Fische  ;  Feld  2  und  3  in  Roth  ein  silberner  Löwe ; 
Feld  4  wie  1,  jedoch  mit  gewechselten  Hälften.  Der  Helm 
trägt  zwei  braune  Eselsohren.  (Vgl.  Taf.  IL) 
Den  Aachener  Kirchenbüchern  entnehme  ich  über  die  Fa- 
milie von  Meven: 

Herr  Oswald  von  Meven,  vermählt  mit  Anna  Jansen. 
Sohn:  Oswald,  geb.  am  4.  Juli  1684.  Pathen :  Herr  Jo- 
hannes Henrieus  von  Thenen  und  Katharina  Kaffenberg. 
Mathias  von  Meven,  heirathete  am  20.  April  1690  Maria 
Anna  Deckers.  Heirathszeugen :  Gerhard  Deckers  und  Peter 


')  ausgestrichen. 


78  F.  H.  Macco 

von  Meven.  Mathias  von  Meven,  vermählt  mit  Maria  Branten. 
Kinder:  1.  Maria  Katharina,  geb.  am  4.  Juni  1673,  hei- 
rathete praen.  dorn.  Niclas  (1733).  2.  Aegidius  von  Meven 
(vielleicht  der  obengenannte),  heirathete  Anna  Maria 
Scheffen,  wovon:  Aegidius  Reiner,  geb.  am  21.  Febr.  1711. 
Adam  von  Meven,  heirathete  am  2.  Nov.  1717  Anna  Ga- 
briel. Dom.  Adelgunda  von  Meven  war  um  1730  mit 
dem  Kaufmann   Johann  Heinrich   von  Heupgen  vermählt. 

Jesaias  Fercken. 

Franz  Schmitz. 

Wilhelm  Haupts. 

Abraham  Tungeren. 

Ludwig  Langendorff. 

Jakob  Ostlender. 

1698  *Nikolaus  von  Thenen. 

Albert  Halet. 

*Mathias  Bock. 

Peter  le  Hau. 

^Theodor  von  Eschweiler. 

Johann  Hirsch. 

Kaffenberg. 

Peter  Kohnen. 

Mathias  Dautzenberg. 

1699  Arnold  a  Campo. 

1700  Christian  Schmitz. 

Bernard  a  Campo. 

1701  *Herr  Isaak  Fällinger. 

Paskai  le  Hahn. 
1703  *Konrad  Clermont. 
1707  Paul  Christ. 
1709  Herr  Jakob  Moll. 

Nikolaus  Aen. 

*Klöcker. 

Mathias  a  Campo,  „1713  Baumeister,  anno  1714  Konig 
und  Schutzenmeister  in  seinen  Jungesellenstand" 

Abraham  a  Campo,  1725  zum  Baumeister  erwählt. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-Bogenschützen-Gesellschaft.        79 

Wilhelm  Landtmesser. 

Hans  Peter  Langerdorff. 

Johami  Loyentz. 

Anton  Kornelius  Meyer. 

Johann  Becks,  1714  Baumeister.  Wappen:  in  Gold 
3  schwarze  Mühleneisen;  auf  dem  Helm  ein  Mühlstein 
mit  dem  Eisen. 

1710  Kaspar  Zanders. 

Winand  Koch. 
♦Wilhelm  Probst. 

1711  Peter  Peters. 

♦Johann  Bock. 
Johann  Können. 
♦Peter  Nellissen. 

1712  Daniel  von  Meven,  1733  König. 

Grillis  Schavor. 
1714  Stephan  Kaffertt. 

Servatius  Nacken,  1727  zum  Baumeister  erwählt. 

Johann  Nutten. 

Aegidius  Mostardt. 

Johann  Kohnen. 

Leonard  Kingels. 

Wilhelm  Keutman. 
1719  Peter  Nikolaus  Christ,  „den  5.  Juli  1722  König  in  seinen 
Jungesellenstand". 

„Anno  1719  H.  Arnold  Peltzer  Baumeister,  seine  Rech- 
nung abgehalden  anno  1722." 

♦Franz  Nellissen. 

Bleyenhaupt. 

Wilhelm  Franck. 

Johann  Langendorff,  f  20.  April  1742. 
1722  Peter  Arretts. 

Johann  Nulman,  zum  Fähnrich  erwählt  im  Beisein  der 
ganzen  Bruderschaft. 

Johann  Rumpen. 

Nikolaus  Weyers. 


80  F.  H.  Macco 

Herr    Theodor    Arredts,     „Secretarius    vom    alhiesigen 

Gericht". 
1723  Anton  AiTeclts. 

Johann  Jakob  Meyers. 

Anton  Peltzer,  „1738  Konig  in  seinem  Jungesellenstand, 
1743  Konig  in  Jungesellenstand,  1759  abermal  König". 

Anton  Ortenbacli. 

Matlüas  Bock. 

Heinrich  Rosenstock. 

Peter  Weyers.  „Im  Jahr  1754  beym  Vogelschuss  er- 
klaret Hr.  Peter  Weyers  der  Compagnie  nit  mehr  in 
Burtscheidt  beywolmen  zu  wollen." 

Nikolaus  Brammers. 

Franz  Schlangen,  „anno  1733,  den  16.  Julii  abgestanden 
als  Baumeister  und  ankommen  als  Schützenmeister,  1741 
Konig,  1742  Konig,  1743  abermal  Schutzenmeister,  regirt 
bis  1754".     Wappen  s.  Taf.  IL 

Johann  Peter  Pranck. 

Johann  Leonard  Ludwig  Bock,  1776  zum  Baumeister 
and  1777  zum  Schützenmeister  erwählt,  1790  König,  f 
1792.  Wappen:  gelber  Bock,  mit  rother  Blume  im  Maul, 
auf  grünem  Boden. 

Wilhelm  Schaaff,  1731,  1736,  1737,  1754  und  1755 
König.  Er  wurde  1737  zum  Baumeister,  1741  zum 
Schützen  meist  er  erwählt . 

Heinrich  de  Pree. 

Komelius  Weyers. 

Anton  Meyers. 

Ludovicus  Peltzer,  canonicus  regularis. 

Winand  Gerhard  Becks,  1733,  den  16.  Juli  als  Bau- 
meister erwählt. 

Kornelius  a  Campo,  abwesend. 

Abraham  Dahmen,  minorita. 

Jakob  Weyers. 
1725  Peter  Abraham  a  Campo. 

Anton  Komelius  Meyers. 


Die  Mitglieder  der  St.  Sebastianus-Bogenschützen-Gesellschaft.        81 

Anton  Ortenbach  l. 

Joliann  von  der  Weyden. 

Goerdt  Schleipen. 

Philipp  Balthasar  "Weyers. 

Johann  Rumpen  der  Junge,  „1752  an  platz  seines  seligen 
Vatters  als  siebenter  erwählet.  1759  beym  Vogelschuss 
zum  Meister  erwelet,  1762  beym  Vogelschuss  zum  Schützen- 
meister erwählet,  1767  beym  Vogelschuss  zum  "Wein- 
meister erwählt,  1 769,  den  6.  Augusti  Konig". 

*Franz  Nellissen. 

Arnold  NüUman. 

Balthasar  Blees. 

Mathias  Kuester. 

1727  Abraham  a  Campo. 

Matlüas  Joseph  a  Campo.  „1764  ist  Her  Matthias  Jo- 
seph a  Campo  von  der  Brauderschaft  zum  Baumeister 
erwählet  worden;  1767  ist  er  zum  Schützenmeister  erwählet 
worden.     1765  ist  er  zum  erbsiebener  erweit  worden." 

Arnold  Hamecher. 

Franz  "Wilhelm  Keisselstein. 

1728  Heinrich  Hammecher. 

Aegidius  Imbber. 

"Wilhelm  Motter,  „Konig  1739,  f  1742,  den  29.  Merz, 
requiescat  in  pace".     Seine  Marke  s.  Taf.  II. 

Johann  Beckers,  „obiit  den  26.  Februarii  1751.  Re- 
quiescat in  pace". 

1729  »Nikolaus  Bock. 

*Johann  Clermont. 

Heinrich  Kreemer. 

"Wilhelm  Schleipen. 

Johann  Bayer. 

Heinrich  Cornely,  „canonicus  basilicae  B.  M.  V.  Aquis- 

grani.     Konig  anno   1734u. 


l)  Der  Vorname  ist  später  durchstrichen  und  Petrus  übergeschrieben 
worden. 


82  F.  H.  Macco 

Arnold  Fercken. 
Heinrich  Dihissen. 
1733  Johann  Qnirin  von  der  Schür. 
Johann  Kessel. 
Winand  Cron. 
Johann  Schaff. 
Franz  Wilhelm  Kessel. 
Johann  Gerhard  Henrar. 
Johann  Bverhardts. 
Johann  Massen. 

1735  Wilhelm  von  Schwamen. 

1736  Simonius  Hubertus  Coli,  „im  Kreibs-Badt  1736".  Wappen: 
in  Silber  ein  goldener  Balken,  ober-  und  unterhalb  des- 
selben ein  blaues  Dreieck,  woneben  je  ein  goldener  Stern; 
der  Helm  mit  rechts  blau-goldenen,  links  blau-silbernen 
Schwüngen  trägt  ein  goldenes  und  ein  blaues  Büffelhorn. 
Eine  Eintragimg  im  Kirchenbuch  zu  Burtscheid  besagt: 
„Anno  1791,  den  26.  Julii  starb  gen.  dorn.  Tilmannus 
Coli,  chmlürstlicher  Stabs-Hauptmann."  Die  Familie  lebt 
gegenwärtig  im  Adelstand  und  wurde  im  Jahre  1830 
beim  niederrheinischen  Adel  immatrikulirt. 

Johann    Wilhelm    Kuyl,    „Weinmeister    worden    1742, 
obiit  1758". 

*Peter  Chorus,  abwesend. 

Dominikus  Brandt. 
„Anno  1736  Joannes  Frantzen,  1743  beym  Yogelschuss  zu 
Baumeister  erwählt,  anno  1754  beym  Yogelschuss  Schutzen- 
meister  worden,  1759  die  Schutzenmeisterstelle  quittirt. 
Vale!  Um  mehre  Zeit  lebensJ anglich  Consiüent  ohne  Ge- 
halt."   Dieser  Frantzen  war  Notarius  publicus. 

1737  Stephan  E.  Massen,  „1750,  den  9.  Aug.  Konig  in  seinen 
Jungesellenstant". 

Johann  Franz  Bock. 
Johann  Gottfried  Niilhnau. 
1739  Franz  Kaweyssen. 
Simon  Christ. 


Die  Mitglieder  der  St.  Scbastianns-Bogenschützen-Gesellscliaft.         83 

Johann  Finck. 
Johann  "Weingens. 

1741  Friedrich  Herz. 

Peter  Schorn. 

Peter  Everharts.  Dem  Namen  beigefügt  ist  der  Spruch : 
„Anno  1765  Bin  ich  Peter  Everaths,  ein  König  olme  Reich, 
dessen  ehren  bin  geworden  von  keinem  Land  nichts  en 
weiss  zu  sagen,  zu  Fuss  hegt  mein  Order." 

Unter  diesem  Spruch  befindet  sich  ein  Bügeleisen,  ein 
Zollstock,  eine  Scheere  u.  dgl.,  sodann  die  Jahreszahl  1765. 

1742  Leonard  Heinrich  Persia. 

Adam  Stephani,  „anno  1754  beym  Yogelschuss  zum 
Baumeister  erwählet,  1759  eodem  zum  Schützenmeister 
succedirt,    1802,  April  8  in   sein    85sten   Jahr  gestorben". 

Johann  Joseph  Savelsberg. 

Philipp  Schmitz,  Forstmeister. 

1743  Philipp  Joseph  Schonbrodt. 

Kaspar  Daniel  Landmesser,  „electus  a  Rege.  Anno  1750 
Fähndrig  worden". 

Johann  Peter  Schonbrodt. 
1749  ^Ferdinand    von    Scliwartzenberg,    „hat    noch    keine  jura 
zahlt,  also  hat  keine  Citation". 


•;' 


M  i  s  c  e  1 1  e  n. 

Von  R.  Pick. 

1.  Eine  alte  Aachener  Wachtordnung. 

Unter  den  vormals  im  Granusthurm  des  Rathhauses  befindlichen 
Arehi  valien,  welche  seit  1885  dem  Stadtarchiv  einverleibt  sind,  fand  sich 
neben  zahlreichen  andern  auf  die  Verfassung  der  Stadt  bezüglichen  Schrift- 
stücken eine  städtische  Wachtordnung,  deren  Inhalt  in  mehrfacher  Bezieh- 
ung unser  Interesse  erregt.  Sie  wurde  am  20.  November  1537  von  dem 
Rath  erlassen  und  ist  meines  Wissens  die  älteste  der  bisher  bekannt  ge- 
wordenen Ordnungen  dieser  Art.  Auf  der  Rückseite  des  Schriftstücks,  das 
von  einer  Hand  des  16.  Jahrhunderts  geschrieben  ist,  steht  die  Aufschrift: 
,,Nuwe  Ordnung  der  wachen'1;  eine  etwas  jüngere  Hand  hat  die  unrichtige 
Jahreszahl  1574  beigefügt.  Die  Nachtwachen  waren  eine  auf  sämmtliche 
Einwohner  der  Stadt  („Bürger  und  Eingesessene1')  vertheilte  Last,  die, 
zumal  in  unruhigen  und  gefährlichen  Zeiten,  nicht  eben  die  Annehmlichkeit 
des  Daseins  erhöhte.  Kein  "Wunder,  wenn  Manche  an  ihr  vorbeizukommen 
suchten  und  der  Rath  an  der  Spitze  der  im  Laufe  der  Zeit  vielfach  er- 
neuerten Wachtordnung  immer  wieder  einschärfen  musste,  dass  nicht  Ruhe, 
sondern  Wachen  in  Aachen  die  erste  Bürgerpflicht  sei.  Dennoch  waren 
Befreiungen  vom  Wachtdienst,  mitunter  auf  Lebenszeit,  nicht  gerade  selten. 
Die  Gründe  dazu  waren  sehr  verschieden :  Unglücksfälle,  Alter  und  Ge- 
brechlichkeit, Belohnung  für  geleistete  Dienste,  Entgelt  für  die  Uebernahme 
von  Lasten  zu  Gunsten  der  Stadt  u.  s.  w.  Dem  Geschichtschreiber  Noppius 
wurden  durch  Rathsschluss  vom  11.  September  1631  als  „Recompenz"  für 
die  vielfachen  Mühen  bei  der  Abfassung  seiner  Aachener  Chronik  für  sein 
und  seiner  Hausfrau  Lebenlang  die  „bürgerlichen  Wachten  und  Accinsen" 
nachgelassen.  Nach  der  Wachtordnung  von  1537  war  eine  ganze  Reihe 
von  Personen  von  vornherein  von  der  Ableistung  der  Wachen  befreit. 
üeberall  liegt    hier  die  Ursache    der  Befreiung  in  ihrer  besondern  Stellung 


Miscellen.  85 

oder  in  dem  Umstand,  dass  sie  den  Tag  über  oder  in  der  Nacht  von  dienst- 
lichen Geschäften  in  Anspruch  genommen  waren;  nur  einen  einzigen  Fall 
gab  es  ausserdem  noch,  der  von  dem  Wachtdienst  befreite,  die  notorische 
Armuth  eines  Mannes  oder  seltsamerweise  auch  einer  Frau.  In  dem  letztern 
Falle  entschieden  die  Kristoffel  über  die  Befreiung.  In  der  Regel  sollten 
die  Bürger  ihre  Wachen  persönlich  ableisten;  waren  sie  hierzu  ausser 
Stande,  so  mussten  sie  auf  ihre  Kosten  einen  wehrhaften  Mann  stellen,  der 
nach  der  Wachtordnung  von  1645  für  jede  Nachtwache  im  Sommer  4,  im 
Winter  5*  Aachener  Mark  erhielt.  Neben  der  städtischen  bestand  noch  eine 
besondere  Wachtordnung  im  Aachener  Reich.  Doch  hierüber  ein  anderes 
Mal.    Die  Wachtordnung  von  1537  lautet: 

Nuwe  Ordnung  der  wachen. 
Der  rath  ist   mß    beweglichen   Ursachen    anno  vunfzienhundort   sevenund- 
drissich,  am  20.  dag  novembris  eyndrechtlich  entslossen,  und  naefolgendo 
ordinancie,    zo  wissen    wilche    der   nachtswachen    erlassen   werden   solln. 
upgericht. 

Zorn  eirsten,  dat  hynfurder  gheyn  burger  oder  dieser  stede  ingosessener, 
wilches  Stands  oder  wesens  der  ist,  der  nachtswachen  gefreyet  syn  sali, 
dan  alleyn  die  hern  burgemeisteren,  scheffen  und  kleyn  rath,  ire  zyt  lank 
duyrende;  darneven  die  cristaefelsen  l  gemeyner  graefschaften,  artyllereie- 
meistere  und  des  grossen  geschutz  bussenmeistere a,  des  raths  und  scheffen 
schryveren  mit  den  seeß  burgemeistersknechten,  auch  die  der  werkmoistero 
leuffen  Siegel  in  gewarsamen  haven,  mit  dem  kumphiüßknecht 3,  bewenvr 
der  urklocken4  und  des  burgerhuyß5  up  den  Fyschmart6,   sampt   der  stat 


•)  Kristoffel  hiessen  die  Vorsteher  der  neun  Grafschaftssprengel,  in  welche 
die  Stadt  vormals  eingetheilt  war.  Der  Name  wird  von  comes  stahuli  abgeleitet 
(vgl.  Loersch  in  den  Annalen  des  hist.  Vereins  f.  d.  Niederrhein  XVII,  S.  266). 

')  Büchsenmeister,  der  das  Geschütz  bediente,  welches  er  vielfach  selbst 
gegossen  hatte  (Schiller-Lübben,  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch  unter  bussen- 
meister). 

*)  Das  Kumphaus  (Walkhaus,  kump  ~  Behälter,  worin  man  die  Tücher 
walkte)  wurde  1328  städtisches  Eigenthum,  vorher  gehörte  es  den  Grafen  von 
Jülich.  1385  wird  ein  Walkmeister  Nikolaus  im  Kumphaus  erwähnt.  Seit  wann 
es  zum  Baden  benutzt  wurde,  steht  nicht  fest  (vgl.  Lersch  Geschichte  des  Bades 
Aachen  S.  33).  Eine  kleine  Abbildung  des  Komphausbads  im  17.  Jahrhundert  gibt 
F.  Plondel. 

*)  Die  Uhrglocke  befand  sich  in  dem  an  der  Westseite  des  Rathhauses  ge- 
legenen sog.  Marktthurm.  1465  wurde  Werner  von  Münster  zum  Bewahrer  der 
Uhrglocke  von  der  Stadt  ernannt;  vgl.  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereius 
VIII,  S.  228,  Nr.  4. 

')  Das  sog.  Grashans,  an  dessen  Stelle  mit  Beibehaltung  der  altehrwürdigen 
Facade  gegenwärtig  das  neue  Archivgebäutle  errichtet  wird;  es  hat  eine  an  denk- 
würdigen Begebenheiten  reiche  Geschichte,  die  eine  Bearbeitung  wohl  verdiente. 

6)  Hier  das  meines  Wissens  erste  Vorkommen  des  Namens  „Fischmarkt"  für 
den  früher  „vor  dem   Parvisch",  dann  „Parvisch"  genannten  Platz.    Der  Verkauf 


86  Miscellen. 

geschwoern  boiden;  desglichens,  wilche  der  stede  gryndelen1  oder  ketten 
u  p  und  zu  sliessen,  sunst  auch  wilche  zu  dienst  gemeyner  burgerschaft  die 
syffVn  und  wesschen2  bewaren.  Auch  sali  yeder  wechter  uiß  urlaub  des 
raths  alleyn  an  der  uisserste  portzen  umb  hulpf  und  beystant,  soe  van 
noeden  zu  bewysen,  vier  der  niester  nachbaurn,  neyinüch  an  jedor  syden 
zwen,  obgemelter  wach  fry  halden,  desgüchens  die  senger  unsor  üever 
frauwen  kirchen  up  wernltlichen  platzen 3  woenbaftich,  die  offermanner  der 
vier  pfarkireken  und  clockner  sampt  der  wyse  frauwen4  manner  und  die 
meyersknecht  mit  den  nachtsumbgengeren.  Soe  auch  eynich  man  oder 
frauwe  mit  kenhehem  armoet  beladen  were,  sullen  dieselvige  nae  erken- 
tenyß  der  cristaefelson  gefreyet  syn.  Fm-der  in  sal  gheyn  wechter  up  ver- 
lierong  syns  ampts  für  eynichem  burger  wachen  moegen,  auch  niemants 
umb  gunst  oder  gelt  beroirte  wachen  erlaissen  oder  oeversien,  sal  auch 
hynfurder  igheher  wechter  alle  aevents  und  morgens  die  schlusselen  zo 
syner  behoerheher  zyt  den  cristaefelsen  oder  iren  undersatzten  stathelder 
heymdragen  und  an  dieselvigen  wider  gesynnen6.  Sullen  ferner  alle  bür- 
gere, soe  niet  in  eygner  person  selbst  wachen,  eynen  werhaftigen  manne, 
daemit  die  wache  zer  nottui'ft  versorget  sey,  stellen. 

2.  Zur  Geschichte  der  Aachener  Stadtsoldaten. 

Die  Miliz  der  Eeichsstadt  Aachen  bestand  aus  einer  Kompagnie 
Grenadiere  und  einer  Kompagnie  Füsiliere;  jene  zählte  einschliesslich  der 
Offiziere  77.  diese  129  Mann.  Bei  der  Grenadier-Kompagnie  gab  es  einen 
Kreishauptmann,  einen  Oberlieutenant,  zwei  Lieutenants,  einen  Fähnrich 
und  einen  Adjutanten,  bei  der  Füsilier-Kompagnie  einen  Hauptmann,  einen 
Oberlieutenant  und  drei  Lieutenants.  Bei  der  Nachtwächter-Kompagnie,  die, 
wie  auch  die  Artillerie,  eigentlich  nicht  zu  den  Soldaten  gezählt  wurde,  waren 
zwei  "Wachtmeister  und  bei  der  Artillerie  zwei  Hauptleute  mit  zehn  Kon- 
stablern6.     Nach  einem  von  dem  Eath   bestätigten  Keglement   der  Bürger- 


vcm  Fischen  daselbst  wird  schon  in  der  Einnabmerechnung  der  Stadt  vom  Jahre 
1373  bezeugt  (Laurent,  Aach.  Stadtrechnungen  aus  dem  14.  Jahrhundert  S.  235,30; 
vgl.  auch  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  I,  S.  162'. 

•)  Grindel  ist  eine  mit  einer  Kette  versehene  Sperrvorrichtung ;  vgl.  Zeit- 
schrift des  Aach.  Geschichtsvereins  VIII,  S.  224,  Anm.  3. 

')  Siff,  mundartlich  sief  =  Gosse,  Rinne,  hier  scheinen  die  unbedeckten 
Kanäle  der  städtischen  Wasserleitung  damit  gemeint  zu  sein.  Wesch  =  offener 
Waschplatz  an  einem  der  die  Stadt  durchmessenden  Bäche. 

a)  auf  weltlichen  Plätzen,  d.  h.  ausserhalb  der  Immunität  des  Münsterstifts. 

*)  wyse  frauwen  ■■=  Hebammen. 

s)  gesynnen  =  verlangen. 

<)  Quix,  Hist.-topogr.  Beschreihung  der  Stadt  Aachen  S.  147, 


Mi  sci 'Hon.  87 

meister  uud  Beamten  vom  23.  August  1728  wurde  vom  1.  Januar  1729  ah 

4. 

die  monatliche  Gage  des  Hauptmanns  und  des  „Kapitain-Licutenants"  auf 
18,  des  Lieutenants  auf  13  und  des  Fähnrichs  auf  10  Rthlr.  erhöht.  Beim 
Eintritt  oder  vielmehr  nach  Leistung  des  Fahneneids 1  erhielten  die  Soldaton 
ein  „Anritz"  oder  Handgeld.  Zahlreiche  Eintragungen  in  den  Beamten- 
protokollen des  18.  Jahrhunderts  haben  die  Montur  der  Stadtmiliz  zum 
Gegenstand.  Am  12.  Juni  1719  beschlossen  die  Beamten  „unter  genehm- 
haltung  eines  ehrbaren  raths,  hiesige  stattmilice  durch  abgestandenen  herrn 
burgermeißter  Dahmen  und  herrn  Werkmeister  Nielaß  auf  dem  jungst 
bevorigen  fuß  gegen  16  rthlr.  per  köpf  montiren  zu  lassen,  mit  dem  aoeep- 
tirten,  von  obigen  herren  gethanen  erbieten,  daß  dasienige,  so  sie  an  sothaner 
montur  profitiren  wurden,  dem  armenhaus  zum  nutzen  gedeyen  solle;  was 
aber  die  unterofficier  anlangt,  sollen  selbige  ebenfalls  auf  vorherigen  fuß 
gekleidet  werden,  dieser  gestalt  iedoch,  dass  die  corden,  so  auf  der  tam- 
bouren  montur  kommen,  in  obigen  16  rthlr.  rnitbegriffen  und  auf  die  ganze 
compagnie  repartirt  sein  sollen".  Das  Tuch  zu  der  Montur  wurdo  im  hiesigen 
Armenhaus  angefertigt  und  am  12.  August  desselben  Jahres  der  Betrag 
von  400  Rthlr.  zum  Ankauf  der  erforderlichen  "Wolle  seitens  der  Stadt 
vorgestreckt.  Am  15.  Februar  1723  wurde  von  den  Beamten  bestimmt, 
„daß  die  hiesiger  Soldatesca  von  dem  armenhaus  gelieferte  montur  von 
einem  unterofficier  hoher  nicht  als  zu  22  rthlr.,  von  einem  gemeinen 
Soldaten  aber  nur  zu  16  rthlr.  courant,  iedoch  ohne  kiddelen  zahlt  werden 
solle,  und  hätte  gedachtes  armenhaus  die  künftige  neue  montur  und  dero 
Verarbeitung  allgemachsamb  vorzunehmen".  Ein  Beschluss  vom  30.  Januar 
1763  betraf  die  Anschaffung  neuer  Schuhe.  „Weilen  auch  die  stadt- 
soldaten",  so  lautet  er,  „die  wohlregierendo  herren  burgermeistern  beständig 
wegen  gehabuug  neuer  schuhen  importuniren,  so  ist  auf  beschehenc  pro- 
position  resolvirt,  daß,  weilen  sie  am  end  septembris  a.  p.  schuhe  erhalten, 
hinfuro  bis  zu  anderweiter  eines  ehrbaren  raths  Verordnung  umb  ostern 
und  aller  heiligen  fest  jedesmal  ein  paar  schuhe  gemachet  und  gehebert  und 
die  lista  desfals  denen  zeitlichen  vorsteheren  überreichet,  auch  zu  besorgen, 


*)  Dieser  Eid  lautete  gegen  Ende  der  reichsstädtischen  Zeit:  „Wir  geloben 
und  schwören  zu  gott  dem  allmächtigen  einen  körperlichen  eid,  dass  wir  einem 
hohen  rath,  den  regierenden  herren  burgermeistern,  unsern  vorgesezteu  ober- 
und  unteroffleiers  getreu  und  gehorsam  zu  sein,  sie  zu  ehren  uud  respectiren, 
ihren  geboten  und  verboten  fleissig  zu  folgen,  wie  es  ehrlichen  Soldaten  zustehet 
und  zu  thuen  gebühret,  unsere  fahnen  ohne  abschied  oder  Urlaub  niemals  zu 
verlassen,  auch  nach  den  vorgelesenen  kriegsarticulen  uns  jederzeit  zu  verhalten, 
wachten  und  commando  zu  versehen,  so  lange  wir  das  leben  und  kräfte  haben 
werden,  so  wahr  uns  gott  helfe  und  das  heilige  evangelium  durch  Jesum  Christum. 
Amen." 


88  Miscellen. 

damit  gute  schuhe  richtig  dem  oberofficier  zur  examination  und  distribution 
überantwortet  werden  sollen." 

Besondere  Heldenthaten  hat  die  lokale  Geschichte  meines  "Wissens 
von  den  Aachener  Stadtsoldaten  nicht  verzeichnet.  Der  Volkswitz  gab 
ihnen  den  Spottnamen  „Oecher  Penn",  angeblich  deshalb,  „weil  sie,  an 
den  Stadtthoren  sitzend,  sich  damit  beschäftigten,  Pinne  oder  Zwecken, 
welche  früher  allgemein  in  den  Absätzen  der  Schuhe  getragen  wurden,  zu 
schneiden  und  hernach  zu  verkaufen".  Nach  einer  andern  Version  sollen 
sie  mit  gespitzten  Hölzern  an  Stelle  der  heutigen  Nadeln  Spitzen  geklöppelt 
haben.  Charakteristisch  für  die  Beurtheilung  des  Aachener  Militärwesens 
ist,  dass  im  Jahre  1793  der  Lieutenant  Augustin  Adenau  bei  dem  Rath  um 
die  Erlaubniss  einkam,  eine  deutsche  Lesegesellschaft  errichten  zu  dürfen. 
Ein  Eathsprotokoll  vom  8.  November  dieses  Jahres  sagt  hierüber:  „Auf 
Verlesung  der  von  herrn  lieutenant  Adenaw  ubergebenen  unterthänigen 
bittschrift  wird  dem  supplicanten  das  Privilegium  exclusivum  zur  errichtung 
einer  teutschen  lesegesellschaft  mit  dem  beding  gestattet,  daß  er  das  ver- 
zeichnuß  seiner  bucher  vorab  den  regierenden  herren  burgermeistern  zur 
prufung  jedesmal  vorlege  und  derenselben   Verordnung   sich  fliegen  solle." 

Mit  der  Zucht  der  Stadtsoldaten  muss  es  um  diese  Zeit  nicht  sonderlich 
gut  bestellt  gewesen  sein,  denn  bei  dem  Ausmarsch  einer  aus  55  Mann 
bestehenden  Abtheüung  im  Frühjahr  1794  verweigerte  ein  Theil  der  Soldaten 
den  Gehorsam,  ein  anderer  Theil  desertirte.  Zwei  Rathsprotokolle  vom  6. 
und  13.  Juni  1794  berichten  über  das  wenig  ehrenvolle  Begebniss.  In  dem 
erstem,  vom  6.  Juni,  heisst  es:  „Vorab  seynd  die,  und  zware  erstlich  das 
von  des  herzogen  von  Würtenberg  feldmarschalk-lieutenant  hochfurstliche 
durchlaucht  unterm  30.  may  in  so  gnädigen  ausdrücken  abgefaste  schreiben, 
und  demnegst  die  relation  des  hiesigen  stadt-lieutenant  herrn  Rumont  de 
4.  currentis,  auch  die  über  geschworenen  ayd  der  Soldaten  am  3.  currentis 
im  audienzzimmer  abgehaltene  protocollum  und  lista  einem  ehrbaren  rath 
vorgelesen,  so  hat  hochderselbe  insoweit  den  desfalsigen  Vortrag  dieses  alles 
sich  gefallen  laßen.  Weilen  aber  herr  burgermeister  referiret,  daß  der  herr 
capitain  Adenaw  ihme  vor  der  hand  eine  kurze,  aber  unbedeutende  relation 
abgestattet,  so  hat  ein  ehrbarer  rath  beschlossen  und  gewollt,  daß  der 
haubtmann  ungesäumt  und  unverweilt  seinen  umbständlichen  und  perti- 
nenten  bericht  über  den  ganzen  Vorgang  von  dem  augenblick,  daß  er  mit 
dem  commando  aus  der  stadt  ausgezogen,  und  von  allem,  was  die  aus- 
trettung  deren  seinem  commando  untergebenen  veranlaßet,  warumb  er  nicht 
gleich  über  den  Vorfall  referiret,  fort  von  allen  dabey  vorgangenen  vorfallen 
referiret,  einen  specifirlichen  (so)  und  ausfuhrlichen  bericht  inner  24  stunden 
zeit   herren   burgermeistern   einliefern  seile,    auch   demselben   aufgegeben, 


Miscellen.  89 

über  allem  bey  diesem  ärgerlichen  Vorfall  sieh  ereigneten  umbständen 
schriftliche  relation  abzustatten  und  die  pertinentiste  auskauft  gelangen  zu 
laßen,  damit  ein  ehrbarer  rath  dardurch  in  stand  gestellet  werde,  in  diesen 
recht  ärgerlichen  umbständen  mit  Zuziehung  des  herrn  kayserlichen  haubt- 
mann  und  beyder  herren  syndicorum  die  nachdruckliche  und  dem  vergehen 
angemessene  ahndung  nach  Verdiensten  zu  verfliegen."  Im  Anschluss 
hieran  meldet  das  Rathsprotokoll  vom  13.  Juni:  „Dahe  nun  die  dem 
herrn  burgermeister  Kreitz  von  herrn  haubtmann  Adcnaw  gestern  morgen 
umb  3/t  nach  zehen  uhren  ubergebene  relation  einem  ehrbaren  rath  vor- 
gelesen mit  der  unter  anlag  n.  1  gefugten  list  der  sub  buchstab  A  deser- 
tirten  17,  sub  buchstab  B  genannten  23  unwilligen  und  sub  buchstab  C 
15  getreu  gebliebenen,  fort  das  am  7.  huius  in  audientia  abgehaltene  proto- 
collum  und  ein  in  franzosisch  coneipirte  supplique  der  Soldaten  auch  gelesen, 
so  hat  ein  ehrbarer  rath  gewollt  und  resolvirt,  daß  über  die  17  desertirtc 
die  23  unwillige  und  sonsten  in  der  in  vorigen  senatoria  mixtim  begnehmten 
commission  die  Untersuchung  und  Justiz  fortgefahren  und  die  behörigo 
ahndung  in  dieser  ärgerlichen  sache  befurdert  und  einem  ehrbaren  rath  dio 
behörige  relation  desfals  zugehen  möge ;  indeßen  sollen  jene  17  desertirto 
und  23  unwillige  nicht  weiter  in  diensten  belaßen  werden.1'  Welchen  Aus- 
gang die  Sache  nahm,  ist  nicht  bekannt,  in  den  Rathsprotokollen  verlautet 
darüber  nichts  mehr.  Bald  nachher  rückten  zum  zweiten  Mal  die  Franzosen 
in  unsere  Stadt  ein  und  machten  dem  reichsstädtischen  Regiment  und  seinen 
Einrichtungen  ein  Ende. 

Die  Kriegsartikel  für  die  Aachener  Stadtsoldaten  lauteten  am  Ende 
der  reichsstädtischen  Zeit: 

1.  Wer  meuterey  macht,  das  ist,  wenn  mehrere  Soldaten  sich  von 
der  trouppe  suchen  abwendig  zu  machen,  oder  sich  zu  einem  aufruhr 
gesellen,  wenn  solche  hievon  überführet,  solle  der  oder  diejenigen  ohne 
einige  gnade  das  leben  verwürket  haben. 

2.  Wer  sich  seinem  officier  widersetzet,  der  solle  nach  umständen 
der  sache  scharfest  bestrafet  werden. 

3.  Ein  jeder  solle  sein  gewehr  in  gutem  brauchbaren  stände  haken 
und  in  obacht  nehmen,  und  solches  weder  verpiänden  noch  verkaufen  bei 
schärfster  strafe. 

4.  Kein  duell  solle  weder  von  ofheiers  noch  gemeinen  gestattet 
werden  bey  lebensstrafc. 

5.  Alle  todschläge  sollen  mit  lebensstrafc  bestrafet  werden. 

6.  Wer  sich  weigert,  wozu  er  commendiret  wird,  solle  mit  arrest  und 
nach  umständen  der  sache  schärfest  bestrafet  werden, 


90  Mscellen. 

7.  Der  soldat  soll  sich  auf  seinem  posten  so  lange  wehren,  als  in 
seinen  kräften  ist,  unter  schärfster  strafe. 

8.  Keine  schildwache  solle  auf  ihrem  posten  weder  geld  annehmen, 
weder  sich  mit  andern  leuten  in  gespräch  einlassen,   unter  scharfer  strafe. 

9.  Kerne  schildwache  solle  in  der  nähe  aufruhr  oder  anthuende 
gewaltthätigkeit  leiden;  wer  dawider  handelt,  solle  scharf  bestrafet  werden. 

10.  "Welcher  im  dienste  betrunken  erscheinet  oder  auf  seinem  posten 
schläft,  solle  mit  arrest  und  nach  umständen  schärfer  bestrafet  werden. 

11.  Derjenige,  welcher  die  wage  betrüget  oder  dazu  behülflich  ist. 
dass  kaufmanns-waaren  heimlich  eingebracht  werden,  solle  scharf  bestrafet 
werden. 

12.  AVer  einen  gefangenen  durch  seine  wahrlosigkeit  entspringen 
lässt,  solle  nach  umständen  der  sache  scharf  bestrafet  werden. 

13.  Wer  hand  an  die  wacht  leget,    solle  am  leben  bestrafet    werden. 

14.  "Welcher  die  wache  versäumt,  solle  scharf  gestrafet  werden. 

15.  Alle  öffentliche  gewalt  solle  scharf  gestrafet  werden. 

16.  Solle  sich  keiner  unterstehen,  einem  bürger  die  mindeste  gewalt 
anzuthuen,  noch  sich  auf  jenen  platzen  einfinden,  wo  zünfte  sich  ver- 
sammeln. 

17.  Solle  keiner,  so  lange  seine  sechsjährige  capitulation  dauret,  weder 
votum  activum  noch  passivum  in  einer  zunft  haben. 

18.  Derjenige  officier  oder  commandant,  so  den  Soldaten  ihre  Löhnung 
enthält,  der  solle  mit  verlust  seiner  charge  unablässig  gestrafet  werden. 

19.  Jener  officier,  so  bey  gelegenheit,  ohne  den  grössten  widerstand 
zu  thuen,  seinen  posten  verlässt,  solle  als  ein  meineydiger  bestrafet  werden. 

20.  Jener  soldat,  so  sich  während  den  erstem  sechs  jähren  untadelhaft 
aufführet,  wird  ferner  beybehalten  werden,  wie  auch,  welche  alters  halber 
oder  durch  einen  nicht  verschuldeten  Unglücksfall  ihre  dienste  zu  thuen 
unvermögend  werden,  als  invalide  versorget  werden  sollen. 

21.  Deserteurs  sollen  nach  umständen  scharf  bestrafet  werden. 


3.  Vier  Briefe  Friedrichs  des  Grossen  an  die  Stadt  Aachen  l. 

1.  Von  gottes  gnaden  Friderich,  könig  in  Preußen,  marggraf  zu 
Brandenburg,  des  heyligen  römischen  reichs  erz-eämmerer  und  churfürst  etc. 
Unsern  gnädigen  grüß  zuvor.  Ehrenvesto  und  wohlweise  liebe  besondere. 
"Wir  haben  aus  besonderen    uns   dazu  bewegenden   Ursachen  resolviret   und 


')  Nach  den  Originalen  im  Aachener  Stadtarchiv. 


Miscellen.  91 

gut  gefunden,  den  dortigen  kaufmann  Matthieu  Lognay  '  zum  residenten  in 
eurer  stadt  zu  bestellen,  damit  er  unsere  und  unserer  unterthanen  daselbst, 

jetzt  und  künftig  vorfallende  gesehäfte  und  angelegenheiten,  so  wir  ihm 
auszurichten  anbefehlen  werden,  respicire  und  beobachte;  welches  wir  euch 
dann  hiedurch  bekand  machen  wollen,  mit  dem  gnädigsten  gesinnen  und 
bogehren,  ihr  wollet  besagten  unseren  residenten  Lognay  in  solcher  Quali- 
tät annehmen  und  erkennen,  ihm  auf  sein  geziemendes  ansuchen  jedesmal 
zu  desto  beßerer  Verrichtung  seiner  function  allen  guten  willen,  assist.ii/. 
und  beforderung  erweisen,  wie  nicht  weniger  auch  aller  rechte,  Privilegien, 
freyheiten,  immunitäten  und  gerechtigkeiten,  so  anderen  königlichen  resi- 
denten, wie  in  gesamten  teutschen  reiche,  so  auch  in  eurer  stadt,  absonder- 
lich von  rechts-  und  guter  gewohnheit  wegen  competiren  und  zustehen, 
ihn  genießen  laßen. 

Wir  sind  solches  in  allen  gelegenheiten  dankbarlieh  gegen  euch  zu 
erwiederen  geneigt,  und  verbleiben  euch  übrigens  mit  königlichen  hulden 
und  gnaden  stets  und  wohl  beygethan.  Geben  Berlin,  den  22.  septembris  1712. 

Fr. 

2.  Von  gottes  gnaden  Friderich,  könig  in  Preußen,  marggraf  zu 
Brandenburg,  des  heiligen  römischen  reichs  erz-cämmerer  und  churfürst  etc. 
Unsern  gnädigen  grüß  zuvor.  Ehrenveste  und  wohlweise,  liebe  besondere. 
Uns  ist  euer  jüngsthin,  wegen  bestellung  des  kaufmanns  Lognay  zu  unserm 
residenten  in  eurer  stadt  an  uns  erlaßenes  schreiben  zu  recht  eingehefert 
worden,  und  haben  wir  aus  deßen  inhalt  wahrgenommen,  was  maßen  ihr 
insonderheit  deswegen  depreciret,  erwehnten  Lognay  in  solcher  qualität  zu 
erkennen  und  anzunehmen,  weil  ihr  davor  haltet,  daß  derselbe  von  denen 
accisen  eximiret  zu  seyn  praetendiren,  solches  aber  eurem  aerario  zu  be- 
sonderm  praejudiz  gereichen  dürfte. 

Gleichwie  nun  bey  bestellung  obbemeldten  Lognay  zu  unserm  resi- 
denten in  eurer  stadt,  unsere  absieht  einzig  und  allein  auf  Unterhaltung 
und  beforderung  des  zwischen  unseren  landen  und  euch  obwaltenden  com- 
mercii  gerichtet  gewesen  und  wir  keines  weges  gemeinet  sind,  eure  revenuen 
dadurch    im   geringsten    zu  schmälern,    auch  dannenher    die    apprehendirte 


')  Lognay  war  Gastwirth  und  Weinhändler;  namentlich  ..trieb  er  einen 
considerabelen  handel  und  kaufmannschaft  mit  französischen  und  teutschen 
weinen  en  gros  und  en  detail".  Er  wohnte  anfänglich  in  dem  Hause  zum  Pütz, 
später  in  dem  stattlichen,  jetzt  als  Gasthof  zur  kaiserlichen  Krone  benutzten 
Hause  zum  wilden  Mann  in  der  Alexanderstrasse  (,,in  der  gemeinen  bahn  aufm 
Haubtmann'"),  das  er  1749  durch  den  Architekten  J.  J.  Couven  erbauen  lleas. 
Friedrich  d.  Gr.  verweilte  bekanntlich  vom  26.  August  bis  7.  September  174'J  zur 
Badekur  in  Aachen.  Näheres  über  seinen  damaligen  Aufenthalt  s.  Aachener 
Volkszeitung  1875,  Nr.  175  und  176. 


92  Miscellen. 

exemtion  von  denen  accisen  vor  denselben  ganz  und  gar  nicht  verlangen, 
sondern  gerne  geschehen  laßen,  daß  er  selbige  nach  wie  vor  entrichten 
möge;  so  haben  Avir  euch  solches  hiedurch  zu  erkennen  geben  wollen,  in 
dem  gnädigsten  zutrauen,  ihr  werdet  nunmehr,  nachdem  solcher  gestalt 
eure  uns  dieserhalb  eröffnete  besorgnüß  vollkommen  gehoben,  keinen  anstand 
nehmen,  mehrbesagtem  Lognay  vor  unsern  residenten  erkennen  und  anzu- 
nehmen, und  ihm  nicht  allein,  benöthigten  falls,  allen  schütz-  und  hülfs- 
leistung,  sondern  auch  alle  andere  honneurs,  vor-rechte  und  immunitäten, 
welche  dem  von  uns  ihm  gnädigst  verliehenen  character  von  rechts-  und 
gewohnheit  wegen  ankleben,  unweigerlich  angedeyhen  laßen l. 

Eure  uns  hierunter  bezeigende  bereitwilligkeit  wird  uns  zu  besonders 
gnädigem  Wohlgefallen  gereichen,  und  uns  veranlaßen,  euch  bey  allen  ge- 
legenheiten  merkmale  von  der  königlichen  huld  und  propension  zu  geben, 
womit  wir  euch  und  eurer  guten  stadt  wohl  beygethan  verbleiben.  Berlin, 
den  27.  novembris  1742. 

Fr. 

3.  Von  gottes  gnaden  Friderich,  könig  in  Preußen,  marggraf  zu 
Brandenburg,  des  heiligon  römischen  reichs  erz-cämmerer  und  churfürst  etc. 
Unsern  gnädigen  grüß  zuvor.  Ehrenveste  und  wohlweise  liebe  besondere. 
Wir  haben  aus  eurem  wohl  erhaltenen  schreiben  vom  Uten  pr.  ersehen, 
was  maßen  ihr  uns  ersuchen  wollen,  die  uns  samt  des  churfürsten  zu 
Colin,  als  bischofs  zu  Münster  liebden  von  seiner  kayserlichen  majestät  auf- 
getragene execution,  um  den  abzug  der  churpfälzschen  trouppen  aus  eurer 
stadt  zu  bewürken,  zu  übernehmen  und  zu  vollführen.  "Wie  wier  nun  jeder- 
zeit bereit  seyn,  denen  unserm  creyß  ausschreibe-amt  obliegenden  pflichten 
ein  genüge  zu  leisten,  und  einem  jeden  zu  seinem  rechte  zu  verhelfen;  so 
haben  wir  auch  unserm  zu  versehung  der  westphälischen  creyß-angelegen- 
heiten  verordneten  geheimen  directorial-rath  Emminghausen  aufgegeben,  mit 
dem  münsterischen  creyß-directorial-rath  die  gewöhnliche  monitoria  an  die 
Düsseldorfsche  regierung  ergehen  zu  laßen.  Da  aber  des  churfürsten  zu 
Pfalz  durchlaucht  uns  schriftlich  ersuchet,  die  vermittelung  zur  gütlichen 
beylegung  der  zwischen  ihro  und  eurer  stadt  obwaltenden  irrungen  zu  über- 
nehmen, und  in  solchem  fall  sich  erboten,  ihre  trouppen  aus  Aachen  ab- 
marchiren  zu  laßen;  so  haben  wir  euch  solches  hiemit  eröfnen  und  von 
euch  vernehmen  wollen,    ob  ihr  solche   unsere  vermittelung   euch   gefallen 


')  Die  Anerkennung  Lognays  als  preussisehen  Residenten  erfolgte  seitens 
der  Stadt  erst  Ende  1746,  nachdem  sie  von  Kaiser  Karl  VII.,  an  den  sie  sich  ge- 
wandt hatte,  wiederholt  hierzu  aufgefordert  worden  war.  Vier  hierauf  bezügliche 
kaiserliche  Schreiben  aus  den  Jahren  1743  und  1744  befinden  sich  im  Aachener 
Stadtarchiv. 


Miscellon.  93 

laßen  wollet?  in  welchem  fall  wir  uns  derselben  mit  aller  uaparfheylich- 
keit  unterziehen  und  es  auch  dahin  einleiten  würden,  daß  die  churpfälz- 
schen  trouppen  vorhero  abgeführet  werden  müßen.  AVir  erwarten  hierüber 
eure  baldige  erklärung,  die  ihr  auch  zu  gewinnung  der  zeit  unsern  geheimen 
creyß-directorial-rath  Emminghausen  zu  Colin  bekannt  machen  laßen  könnet, 
und  verbleiben  euch  und  eurer  guten  stadt  mit  königlicher  hulde  und 
gunst  jederzeit  zugethau.     Berlin,  den  2.  junii  1769. 

Fr. 

4.  Von  gottes  gnaden  Friderich,  könig  in  Preußen,  marggraf  zu 
Brandenburg,  des  heiligen  römischen  reichs  erz-cämmerer  und  churfürst  etc. 
Unsern  gnädigen  grus  zuvor.  Ehrenveste  und  wohlweise  liebe  besondere. 
Nachdem  durch  das  erfolgte  absterben  des  Matthieu  Lognay  die  stelle  unsers 
residenten  bey  eurer  stadt  erlediget  worden,  und  wir  solche  deßen  söhn, 
dem  Matthieu  Lognay  hinwiederum  allergnädigst  zu  conferiren  gut  ge- 
funden l ;  so  haben  wir  euch  solches  hierdurch  bekannt  machen  wollen,  mit 
dem  gnädigsten  gesinnen  und  begehren,  besagten  unsern  residenten  Lognay 
in  solcher  qualität  anzunehmen  und  zu  erkennen,  ihm  auf  sein  geziemendes 
ansuchen  jedesmal  zu  desto  besserer  Verrichtung  seiner  function  allen  guten 
willen,  beystand  und  beförderung  zu  erweisen,  wie  nicht  weniger  auch  aller 
rechte,  Privilegien,  freyheiten,  immunitäten  und  gerechtigkeiten,  so  andern 
königlichen  residenten,  wie  im  gesamten  teutschen  reiche,  so  auch  in  eurer 
stadt,  absonderlich  von  rechts-  und  guter  gewohnheit  wegen  zukommen 
und  zustehen,  ihn  genießen  zu  laßen. 

AVir  versprechen  uns  solches  auch  von  euch  zuversichtlich,  und  "werden 
dagegen  euch  und  eurer  guten  stadt  mit  königlicher  huld  und  propension 
jederzeit  wohl  beygethan  verbleiben.     Geben  Berlin,  den  30.  januarii  1770. 

Fr. 

4.  Der  Eid  des  Aachener  Scharfrichters  im  17.  Jahrhundert. 

Ihr  sollet  einem  ehrbaren  rath  zu  Aach  wie  auch  den  herren  burger- 
meisteren  gehorsamb,  treu  und  holt  sein,  eueren  dienst  treulich  verwalten, 
alle  geheime  Sachen,  so  ihr  in  der  Acht  oder  sunst  erfahren  und  hören 
möcht,  in  geheimb  halten,  und  euch  ausserthalb  der  statt  und  reich  Aach 
ohne  der  herren  burgermeisteren,  auch  vogt  und  meyers  oder  statthelders 
urlaubt  nit  begeben,  ohne  argelist. 


')  Auch  dieser  Ernennung  widersetzte  sich  die  Stadt.  Für  Lognay  suchte 
Geheimrath  von  Emmiughaus  am  17.  Oktober  1771  die  Annahme  als  Königlich 
preussischen  Residenten  bei  dem  Rath  in  Aachen  nach,  die  letzterer  jedoch  am 
19.  Januar  1772  „sich  verbat". 


94  Miscellen. 

Aus  dem  Eidbuch  des  17.  Jahrb.  im  Aachener  Stadtarchiv.  Bemerkt 
ist  unter  dem  Eid,  dass  derselbe  am  20.  Februar  1670  von  dem  Scharf- 
richter Johann  Knox  aiisgeschworen  worden  sei. 


Notiz. 


Der  Unterzeichnete  ist  seitens  der  städtischen  Verwaltimg  beauftragt 
worden,  die  im  Besitz  der  Stadt  Aachen  befindlichen  mehrern  hundert 
Exemplare  der  1G88  von  dem  Arzt  und  Brunneninspektor  Franz  Blondel 
herausgegebenen  Schrift  über  die  Aachener  und  Burtscheider  Thermen  (der 
Titel  la\itet  wörtlich:  Thermarum  Aquisgranensium,  et  Porcetanarum  eluei- 
datio,  &  thaumaturgia.  Sive  admirabilis  earumdem  natura,  &  admirabiliores 
sanationes ;  quas  producimt  in  usibus  balneationis,  potationis.  Opera  Francisci 
Blondel,  senioris,  medici  polyatri,  et  primi  hujus  thermo-potationis  promotoris, 
ac  super-intendentis.  Editio  tertia,  sincerissima,  prioribus  auetior,  et  emeu- 
datior.  Sumptibiis  authoris.  Aquisgrani,  typis  Joannis  Heniici  Clemens, 
urbis  typographi  jurati.  1688)  ziun  Preise  von  1  Mark  das  Stück  zu  ver- 
äussern und  bei  Abnahme  von  10  Stück  ein  Freiexemplar  zu  gewähren.  Die 
für  den  .  Historiker  und  Arzt  gleich  interessante  Schrift  zählt  192  Quart- 
seiten  und  enthält  neben  zahlreichen  kleinem  in  den  Text  eingefügten  Ab- 
bildungen (Entdeckung  der  Aachener  Bäder  durch  Karl  d.  Gr.,  die  Aachener 
und  Burtscheider  Badehäuser,  der  Komeliusbrunnen  u.  s.  w.)  auf  besondem 
Tafeln  hübsche  in  Kupfer  gestochene  Ansichten  der  Städte  Aachen  und 
Burtscheid,  das  Aachener  Stadtwappen  imd  die  Wappen  der  damaligen 
regierenden  und  abgestandenen  Bürgermeister  Werner  von  Broich,  Peter 
Ludwig  Bodden,  Johann  Wilhelm  von  Olmissen  genannt  Mülstroe  und  Johann 
Chorus,  sowie  das  Porträt  Blondeis.  Blondel  war  ein  geborener  Lütticher, 
studirte  an  der  Universität  in  Köln  und  ward  dann  Leibarzt  des  Trierischen 
Kurfürsten  Philipp  Christoph  von  Sötern.  Nach  dem  Tode  des  letztern 
(7.  Februar  1652)  siedelte  er  nach  Aachen  über,  wo  er  das  bald  nachher 
eingeführte  öffentliche  Trinken  des  Thermalwasscrs  anregte  imd  aufs 
Eifrigste  förderte,  und  hochgeachtet  anfangs  Mai  1703  im  Alter  von  90  Jahren 
starb.  Seine  letzte  Ruhestätte  erhielt  er  in  der  damaligen  Dominikanerkirclie, 
der  jetzigen  Pfarrkirche  von  St.  Paul  hierselbst.  Blondels  Schrift  findet  sich 
nur  selten  in  antiquarischen  Katalogen  und  ist  da,  wo  sie  vorkommt,  meist 
mit  hohen  Preisen  verzeichnet. 

Aachen.  Ii.  Pick. 


Fragen. 


1.  Nach  Noppius  (Aacher  Chronick  1632,  Th.  I,  S.  34)  hiess  das  am 
untern  Ende  des  Bücheis  zwischen  dem  Köln-  nnd  Adalberts-Mittelthor 
vormals  gelegene  Stadtthor  das  „Besserderthoru.  Wer  kann  den  Namen 
deuten  ?  p, 

2.  Was  ist  unter  dem  „Kriesehensang"  zu  verstehen,  der  nach  Lau- 
reut (Aachener  Stadtrechnungen  S.  338,3a)  am  Ostersonntag  1386  in  der 
Augustinerkirche  zu  Aachen  stattfand?  E. 

3.  Weiss  Jemand  eine  Erklärung  für  die  Aachener  Schimpfnamen 
„Domgrof "  und  „Schuz"  ?  p. 

4.  Am  11.  März  1658  beschlossen  die  Beamten  der  Stadt  Aachen, 
dass  „die  zu  Colin  vorhandene  bibliothecq,  weswegen  man  vor  diesem  in 
kauf  gestanden,  nunmehr  vor  266  rthlr.  und  52  albus  angeschlagen  und 
darauf  vorerst  ein  pfenning,  damit  man  derselben  sicher  seye,  gegeben 
werden  solle".  Wahrscheinlich  handelte  es  sich  um  eine  Vervollständigung 
der  Kathsbibliothek,  die  beim  Stadtbrand  1656  theilweise  untergegangen 
war.     Wer  weiss  Näheres  ?  p. 

5.  Nach  einer  Mittheilung  des  „Echo  der  Gegenwart"  (1886,  Nr.  287, 
Bl.  JJ)  soll  bis  zum  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  ein  dem  h.  Thomas 
geweihtes  Kapellchen  auf  dem  Dahin engraben  zu  Aachen  gelegen  und  dieser 
hiervon  den  den  alten  Aachenern  noch  bekannten  Namen  „Thomesgräffsc" 
(Thomasgraben)  erhalten  haben.  Gibt  es  ein  geschichtliches  oder  sonstiges 
Zeugniss  für  dieses  Kapellchen?  [Nach  Quix,  Hist.-topogr.  Beschreibung 
der  Stadt  Aachen  S.  67  lag  eine  St.  Thomaskapelle,  die  schon  1599  ver- 
fallen war,  vor  dem  Kölnthor.]  P. 

6.  In  seinem  1869  erschienenen  Schriftchen  „Iluit  jours  ä  Aix-la- 
Chapelle"  (Sonderabdruck  aus  dem  Bulletin  monumental)  behauptet  A.  de 
Surigny,  dass  Aachens  Lage  derjenigen  Roms  sehr  ähnlich  sei.  Er  sagt 
wörtlich  (S.  1):  „Aix-la-Chapclle  grande  et  belle  ville  situee,  commeEome, 
au  milieu  d'une  eneeinte  de  collines:  j'ai  ete  frappe  de  la  ressemblance." 
Berulit  dieser,  hier  vielleicht  zum  ersten  Mal  angestellte  interessante  Ver- 
gleich auf  Wahrheit  ?  /'. 


96  Fragen. 

7.  AVas  bedeutet  der  in  der  Aachener  Gegend  und  anderwärts  häufig 
wiederkehrende  Flurname  „auf  der  Huf"?  S. 

8.  In  einem  Beamten-Protokoll  der  Stadt  Aachen  vom  13.  November 
1706  ist  von  einem  "Wächterhaus  an  St.  Tawenpfort  die  Eede.  Dieses  Thor 
gehörte  zur  innern  Stadtbefestigung  und  scheint  sich  in  der  Gegend  des 
Dahmengrabens  (früher  Hirschgrabens)  befunden  zu  haben.  AVer  kann 
Genaueres  über  Lage  und  Namen  angeben  ?  M. 

9.  Liegt  dem  Aachener  Sprichwort  „AVeä  et  längste  leävt,  kritt 
Stolberg"  eine  geschichtliche  Thatsache  zu  Grunde,  und  welche?  S. 

10.  AVann  wurde  das  ehemalige  Heiliggeist-Spital  in  Aachen  gestif- 
tet? Ist  die  Amiahme  begründet,  dass  es  schon  zur  Karolingerzeit  be- 
standen habe  ?  R. 

11.  AVoher  rührt  die  volksthümliehe  Bezeichnung  „Hauptmann"  für 
den  zu  Aachen  an  der  Einmündung  der  Sandkauistrasse  in  die  Alexauder- 
strasse  gelegenen  Platz?  Bemerkt  sei,  dass  diese  Benennung  urkundlich 
schon  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  begegnet.  R. 

12.  AVas  bedeutet  das  in  der  Umgegend  von  Aachen  in  zahlreichen 
Lokalnamen  (z.  B.  Hundskirchbof,  Hundsbenden,  Hundsbüchel,  Hundshof) 
vorkommende  Bestimmungswort  „Hund"  ?  B. 

13.  AVer  kann  den  Aachener  Strassennamen  „Heppionsgasse"  er- 
klären ?  P. 

14.  Im  Jahre  1763  weilte  zu  Aachen  ein  Porträt-  und  Historienmaler 
Stengel,  der  anfangs,  wie  es  scheint,  vom  Eath  wegen  seines  Aufenthalts 
daselbst  behelligt,  dann  aber  „auf  Verlesung  seiner  unterthänigster  Vor- 
stellung mit  weiterem  nachsuchen  und  zumuthung  zur  bürgerschaft  ver- 
schönet wurde".     Ist  sonst  etwas  über  diesen  Künstler  bekannt  ?  D. 

15.  In  einer  Aachener  Urkunde  vom  Jahre  1322  (Quix,  Codex  dipl. 
Aquensis  no.  296)  wird  in  der  Aldegundisstrasse  (jetzt  Ursulinerstrasse)  ein 
Haus  Hammerstein  (domus  dieta  Hammersteyn)  erwähnt.  Ist  ein  Zusammen- 
hang desselben  mit  dem  rheinischen  Burggrafeugeschlecht  gleichen  Namens 
nachzuweisen  ?  P. 

16.  AVann  entstand  die  Judengasse  in  Aachen  ?  Lässt  sich  aus  ihrer 
Lage  ein  Schluss  auf  den  Lauf  der  ältesten  Stadtbefestigung  an  der  Nord- 
und  Westseite  ziehen?  P. 


Druck  von  F.  N.  Palm  in  Aachen. 


LUh  Anst.v  KMacco  Aachen 


Winani  BasüaTi  1723  JG.kBocK 

1673 


1667  M.v.  Kirchrath 


1664-  Joh  KleritioTit 


l66'd  F  (btenbach  1Ö88  Fie<k  Ortenbach 


ä^L^^ 


I.V.  U.V. 


löVl  .Fr.  Schianqen 


1ö68Joh  von  denVeldt 


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J<J46  PetPeUzei- 


l680."Wilb.ETckeiis 


heon.  Kiixsge 


«5>8  Math  Pettz« 


1655  Math  v.d.Veldt 


1671  Com  v.d.Vel 


Taf.E 


J3  Joh.Gerh.  Evcketis     -      ib'JO  Lenor  Hausmann  . 


CFrz.Maj/erhöveT 


1070  HubeTt  Hausmann  lÖOQ.    Hubert  Hausmann 

i/J 


-j&m 


1660  JohMencrels 


(697  EqidvMeven 


1739  Willi  Molle: 


1680  Joh.v.d.Veldt 


1083  AtilaCampo 


f>    n  Zeichen 


Litr.  AnstaUv.  FMacco  Aachen. 


7^06/ 


MITTHEILUNGEN 


z 


DES 


VEREINS  FÜR  KUNDE  DER  AACHENER  VORZEIT. 

IM  AUFTRAG  DES  VORSTANDS  HERAUSGEGEBEN 

VON 

RICHARD  PICK, 

ARCHIVAR  DER  STADT  AACHEN. 


ERSTER  JAHRGANG. 

ZWEITES  HEFT. 


AACHEN. 

KOMMISSIONS-VERLAG  DER  OREMER'SCIIEN  BUCHHANDLUNG  (O.  CAZIN). 

1888. 


Kleinere  Beiträge  zur  Aachener  Geschichte 
und  Topographie. 

Von  R.  Pick. 

I.  Wann  erhielt  Aachen  seine  erste  Befestigung? 

Allgemein  wird  behauptet,  dass  die  Stadt  Aachen  vor  dem 
Jahre  1172  nicht  befestigt  gewesen  sei.  Man  beruft  sich  hierfür 
auf  die  Aachener  Annalen  (Annales  Aquenses),  welche  aller- 
dings zu  dem  genannten  Jahre  berichten,  dass  die  Aachener 
sich  dem  Kaiser  Friedrich  Barbarossa  gegenüber  eidlich  ver- 
pflichtet hätten,  die  Stadt  (civitas)  binnen  vier  Jahren  mit  einer 
Mauer  und  mit  gemauerten  Befestigungswerken  (muro  et  moeni- 
bus)  zu  umgeben1.  Dennoch  ist  jene  Behauptung  unrichtig, 
wie  eine  Urkunde  Kaiser  Lothars  III.,  worin  dieser  kurz  vor 
seinem  Tode,  am  22.  September  1137,  von  dem  italienischen 
Städtchen  Aquino  aus  der  Abtei  Stablo  ihre  Rechte  und  Be- 
sitzungen bestätigte  2,  aufs  Unzweideutigste  erkennen  lässt. 


')  Aquenses  ab  imperatorc  commouiti  iuraverunt,  in  quatuor  annis 
muro  ct.  moenibus  civitatem  munire ;  et  munitus  est  mons  Berenstein.  Mon. 
Germ.  SS.  XXIV,  p.  38,  ad  a.  1172.  In  der  Urkunde  vom  9.  Januar  I  L66, 
wodurch  Friedrich  Barbarossa  der  Reichs-  und  Krönungsstadt  Aachen  zwei 

Jahrmärkte  und  Anderes  verlieh,  sagt  der  Kaiser:  ..< gruum  ei  rationabilo 

est,  ut  exemplo  domni  et  sancti  Karoli  aliorumque   precessorum   aostrorum 
eundem  locum  imperialis  defensionis  et  nostre,  clementie.  privilegiis  ei 
♦  atis    institutione    quasi  muro   et   turribus    muniamus"    (Lacomblet,    ürkun- 
denbuch  I.  Xi'.    H2).    Nicht  unmöglich   wäre,    dass  hier   eine  beabsichtigte 
Anspielung  auf  den   damals   noch   vorhandenen,    bald    nachher  aber  durch 

denselben  Kaiser  beseitigten  Mangel  der  Stadtmauern  und  Thür vorliegi 

">■)  Quix,Cod.  dipl.  Lquensis  no.  L02;  Stumpf,  Die  Reichskanzler  Nr.  3353. 


98  R.  l'H-k 

Die  Abtei  Stablo  hatte,  vermuthlich  durch  Schenkung 
merovingischer  Könige,  einen  ziemlich  ausgedehnten  Grund- 
besitz in  Aachen  erlangt  und  darauf,  wahrscheinlich  in  der 
ersten  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts,  eine  der  h.  Aldegundis 
geweihte  Kapelle  erbaut,  die  bis  vor  Kurzem  mit  Unrecht  von 
der  Lokalforschuüg  als  das  älteste  Gotteshaus  unserer  Stadt 
betrachtet  wurde.  Diese  Kapelle  lag  iü  der  heutigen  Ursuliner- 
strasse  (früher  Aldegundisstrasse  genannt)  an  der  Stelle  des 
jetzigen  Regierungs-Präsidial-Gebäucles,  an  dessen  Ostseite  noch 
eine  Steininschrift  das  Andenken  an  das  seit  1787  mit  seinen 
letzten  Trümmern  verschwundene  Kirchlein  bewahrt l. 

In  der  Urkunde  vom  Jahre  1137,  deren  Original  jetzt  im 
Staatsarchiv  zu  Düsseldorf  beruht,  zählt  Kaiser  Lothar  III. 
die  Besitzungen  einzeln  auf,  welche  die  Abtei  Stablo  in  Aachen 
hatte;  er  sagt  wörtlich  2 :  „(Confirmamus)  et  maxime  possessio- 
nem,  quam  Aquisgrani  eadem  habet  ecclesia,  id  est  domum 
indominicatam  et  capellam  indominicatam  et  liberam  et  domos 
xxx,  in  una  parte  vie.  xxv  per  ordinem  et  sine  interrup- 
tione  positas,  scilicet  a  domo  illa,  que.  fuit  Cameracensis  epis- 
copi,  usque  ad  fossatum  in  ea  parte,  qua  itur  ad  pontem 
Harduini,  et  in  alia  parte  vie.  ante  prefatam  capellam  sancte 
Aldegundis  v  domos,  et  vi  bonuarios  terr§  ibidem  circum- 
quaque  iacentes."  Zu  deutsch:  „Und  namentlich  (bestätigen 
wir)  den  Besitz,  welchen  dieselbe  Abtei  zu  Aachen  hat,  näm- 
lich ein  Herrenhaus,  eine  herrschaftliche  und  von  der  Pfarr- 
kirche unabhängige  Kapelle 3  und  30  Häuser,  von  denen  25  in 
dem  einen  Theile  der  Strasse  in  einer  Reihe  nebeneinander 
von  dem  frühern  Hause  des  Bischofs  von  Cambrai   an  bis  zu 


*)  Vgl.  Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit  T, 
S.  5  ff. 

s)  Herr  Geheimer  Archivrath  Dr.  Harless  zu  Düsseldorf  hatte  die  Güte, 
die  Stelle  des  Quixschen  Textes  mit  dem  Original  vergleichen  zu  lassen. 

3)  Capella,  indominicata  ist  nicht  bloss  eine  königliche,  der  Güter- 
substanz des  königlichen  Fiskus  einverleibte,  sondern  jede  auf  einem  Herren- 
hof errichtete  Kapelle;  sie  ist  hier  zugleich  libera,  weil  sie  von  dem 
Pfarrverband  exinürt  worden. 


"Wann  erhielt  Aachen  seine  erste  Befestigung?  99 

dem  Graben  au  derjenigen  Stelle,  wo  man  zur  Harduinsbrücke 
geht,  und  5  in  dem  andern  Theile  der  Strasse  vor  der  gedachten 
Kapelle  der  h.  Aldegundis  gelegen  sind,  ferner  6  Bunder  Land, 
die  ebendaselbst  rings  herum  liegen.'*  Hier  wird  also  ein  Gra- 
ben (fossatum)  erwähnt,  der  die  Ecke  der  heutigen  Hartmann- 
strasse (früher  Hardewinstrasse)  nach  dem  Friedrich  Wilhelm- 
Platz  zu  berührte  und,  wie  die  damals  schon  vorhandene 
Harduinsbrücke  mit  Bestimmtheit  anzeigt,  sich  nach  dem 
Kapuzinergraben  weiter  erstreckte.  Lage,  Bezeichnung  um! 
Ausdehnung  dieses  Grabens  lassen  es  nicht  zweifelhaft  erschei- 
nen, dass  von  dem  städtischen  Befestigungsgraben  die  Rede  ist. 
Dass  es  sich  nicht  um  einen  Entwässerungs-  oder  Abzugsgraben, 
wie  Quix  x  vermuthet,  oder  gar  um  einen  Pfuhl  handeln  kann, 
wie  man  ebenfalls  gemeint  hat2,  liegt  auf  der  Hand.  Wie 
hätten  die  Aachener  jemals  auf  den  Einfall  kommen  sollen, 
einen  solchen  Abzugsgraben  oder  Pfuhl  vor  die  Ausmündung 
einer  Strasse,  also  gerade  dahin  zu  legen,  wo  zur  Ermöglichung 
des  Verkehrs  nach  aussen  zugleich  mit  dieser  Anlage  die  Her- 
stellung und  dauernde  Unterhaltung  einer  Brücke  nothwendig 
geworden  wäre?  So  sinnlos  werden  unsere  Vorfahren  nicht 
gehandelt  haben.  Aber  auch  der  Ausdruck  „fossatum"  spricht 
ganz  entschieden  gegen  diese  Ansicht.  Denn  er  bedeutet 
weder  Abzugsgraben  noch  Pfuhl,  sondern  ist  im  Mittelalter 
die  technische  Bezeichnung  für  Befestigungsgraben,  wie  sich 
aus  zahlreichen  Urkunden  leicht  erweisen  lässt.  So  wird,  um 
statt  vieler  nur  ein  paar  Beispiele  anzuführen,  der  Stadtgraben 
962  und  964  zu  Reggio3,  1180  und  1229  in  Köln4,  1215, 
1318   und   1326    in  Aachen5,    1238   in  Emmerich    und    Arns- 


*)  Quix,   Beiträge   zur  Geschichte   der  Stadt  Aachen   und  ihrer  Um- 
gebungen n,  S.  105  f. 

2)  Politisches  Tageblatt  1886,  Nr.  89,  Abend-Ausgabe. 

3)  Die  Urkunden    der   deutschen  Könige    und    Kaiser,    hrsg.    von    der 
Gesellschaft  f.  ältere  deutsche  Geschichtskunde  I,   S.  .'MI  und  382. 

4)  Lacomblet,  Urkundenbuch  I,  Nr.    171  und    L75;  II.   Nr.   Hü. 

5)  Quix,    Dil1  Königliche  Kapelle    und    das   ehemal.    adelige  Nonnen- 
kloster auf  drin  Salvators-Berge  S.  88;  Quix.  Eistorische  Beschreibung  der 


100  R.  Pick 

berg1,  1243  und  1247  in  Bonn2,  1295  in  Rheinberg3,  1319 
in  Kempen4  fossatuni  genannt.  Zu  Aachen  speziell  ist  in  der 
Urkunde  von  1215  von  einem  Garten  (ortus)  „extra  portam 
Porcetensem  iuxta  fossatum"  (vor  dem  Burtscheider  Mittelthor 
neben  dem  Stadtgraben),  1318  von  dem  Webbegarden-Haus 
,.supra  fossatum"  (an  dem  Stadtgraben  vor  Harduinsthor)  und 
in  der  Urkunde  von  1326  von  einem  Stück  Ackerland  „supra 
fossatum  inter  portam  Punt  et  portam  Regis  infra  duos  muros 
civitatis"  (an  dem  Befestigungsgraben  zwischen  Pont-  und 
liönigsniittelthor  innerhalb  der  innern  und  äussern  Stadtmauer) 
die  Rede.  Man  wird  kaum  irren,  wenn  man  in  all  diesen 
Gräben  Theile  des  1137  bei  der  Harduinsbrücke  mit  demselben 
Namen  erwähnten  Grabens  erblickt.  Der  vorhandene  Graben 
wurde  zu  der  städtischen  Befestigung  benutzt,  als  man  im 
Jahre  1172  den  Mauerring  um  die  Altstadt  legte;  von  dem 
Theil  der  Mauer,  welcher  sich  aus  der  Gegend  des  Burtscheider 
Mittelthors  bis  zum  Aldegundisthor  (St.  Adalberts-Mittelthor) 
längs  dem  Kapuzinergraben  und  dem  Friedrich  Wilhelm-Platz 
hinzog,  lässt  sich  erweisen,  dass  er  an  der  Innenseite  des  1137 
angeführten  Grabens  errichtet  war. 

Nach  alledem  kann  die  Annahme,  dass  Aachen  schon  lange 
vor  dem  Jahre  1172  mit  Wall  und  Graben  umwehrt  gewesen 
sei,  kaum  weitern  Bedenken  begegnen.  Allerdings  wird  der 
Wall  in  der  Urkunde  von  1137  nicht  ausdrücklich  genannt, 
aber  Wall  und  Graben  waren  Wechselbegriffe,  der  eine  bedingte 
den  andern,  so  dass  durch  den  Nachweis  des  einen  zugleich 
die  Existenz  des  andern  dargethan  ist.     Jener  Annahme   steht 


Münsterkirche  S.  126;  Qiüx,  Geschichte  des  Karmeliten-Klosters  S.  191, 
Nr.  52.  Ein  Aachener  Bürger  Heinricus  de  Fossato  wird  in  einer  Urkunde 
von  1295  genannt  (Quix,  Eist.  Beschr.  der  Münsterkirche  S.  158). 

')  Lacomblet  a.  a.  0.  n,  Nr.  227;  Seihertz.  Urkundenbuch  zur  Landes- 
und Rechtsgeschichte  des  Herzogthums  Westfalen  T.    Nr.  211. 

-)  Lacomblet  a.  a.  0.  n,  \"r.  284  und  316. 

s)  Ungedruckte  Urkunde  im  Stadtarchiv  zu  Rheinberg. 

4)  Binterim  und  Mooren.  Die  alte  und  neue  Erzdiözese  Knlu  IV, 
Nr.  311. 


Wann  erhielt  Aachen  seine  erste  Befestigung?  101 

übrigens  auch  die  Nachricht  der  Annales  Aquenses  keineswegs 
entgegen.  Sie  spricht  bloss  von  dem  Befestigen  der  Stadt  „muro 
et  moenibus",  zwei  Ausdrücke  von  fast  synonymer  Bedeutung, 
die  beide  auf  Festungsbauten  von  Stein  hinweisen.  Sehr  wahr- 
scheinlich ist  mit  „rnurus"  der  Mauerring  und  sind  mit  „moenia" 
die  Thorburgen  und  Thürme,  sowie  die  ausserhalb  dos  Mauer- 
gürtels, z.  B.  am  heutigen  Marschierthor,  dessen  innerer  Kern 
der  romanischen  Zeit  angehört  \  errichteten  Befestigungswerke 
gemeint,  -  Auf  die  damalige  Anlage  solcher  Aussenwerke  deutet 
auch  der  Zusatz  der  Aachener  Annalen :  „et  munitus  est  nions 
Berenstein"  (und  der  Berg  Berenstein  wurde  befestigt).  Diese 
Feste  lag  nach  Meyer2,  der  zum  Jahre  1776  noch  von  „einem 
sog.  Bernsteins-Werk"  spricht,  „kurz  vor  der  Stadt  nächst  dem 
jetzigen  St.  Jakobs-  und  Junkersthor",  eine  Angabe,  die  man 
freilich  in  neuester  Zeit  mehrfach  bestritten  hat,  ohne  indessen 
eine  glaubhaftere  an  ihre  Stelle  zu  setzen.  Dass  die  Nachricht 
der  Annales  Aquenses  über  Wall  und  Graben,  gewiss  hervor- 
ragende Theile  der  mittelalterlichen  Befestigung,  stumm  ist, 
unterstützt  nicht  unwesentlich  die  Annahme,  dass  beide  bei 
dem  Bau  der  Stadtmauern  bereits  vorhanden  waren.  Bei  dieser 
Unterstellung  lässt  es  sich  weiterhin  begreifen,  dass  die  Bürger 
Aachens  die  Lösung  einer  so  gewaltigen  Aufgabe,  wie  die  da- 
mals geforderte  Befestigung  ihrer  Stadt  es  war,  in  dem  ver- 
hältnissmässig  kurzen  Zeitraum  von  vier  Jahren  eidlich  ver- 
sprechen konnten  3. 


')  Fr.  Bock,  Die  mittelalterlichen  Befestigungswerke  Aachens  (Rhein- 
lands Baudenkmale  des  Mittelalters,  Serie  III.  Lid'.  9)  S.  -  ff  Nach  Gsell- 
Fels,  Aachen  (Städtehilder  und  Landschaften  aus  aller  Welt.  Nr.  29)  S.  28 
„erinnert  der  Kern  (des  Marschierthors)  mit  seinen  grossen  breiten  Schiefer- 
platten   und    seinem    festen    Mörtel    noch    an    die    karolingischen    Bauten". 

2)  Meyer,  Aachensche  Geschichten  1.  S.  261,  Anm.  J. 

s)  Die  vierjährige  Frist  war  im  Mittelalter  viel  gehräuchlich.  In  \der 
Jahren  (1384—1388)  wurde  die  Burg  zn  Kempen  gebaut;  vier  Jahre  Lang 
erlaubte  L319  der  Kölner  Erzbischof  Heinrich  von  Virneburg  den  Bürgern 
Kempens,  zum  Bau  ihrer  Festungswerke  eine  Steuer  von  den  feilen  Waa- 
ren  zu  erheben  (Bonner  Jahrbücher  XI. VI.  S.  121;    Binterim    und  Mooren 


L02  K.   Piel 

Bei  der  Wichtigkeit  der  vorliegenden  Frage  muss  es 
immerhin  auflallend  erscheinen,  dass  dieselbe  seither  von  Nie- 
mand einer  Untersuchung  gewürdigt  worden  ist.  Für  so  fest 
begründet,  scheint  es,  hielt  man  die  irrige  Ansicht,  dass  Aachen 
vor  der  Stadtunimauerung  zur  Zeit  Friedrich  Barbarossas  jeder 
Befestigung  entbehrt  habe.  Nur  für  die  Pfalz  nimmt  Fr.  Bock 
eine  ältere  Befestigungsanlage  mit  Mauern  und  sonstigen  fortifi- 
katorischen  Bauten  an  \  im  Widerspruch  mit  Professor  C.  P. 
Bock,  der  diese  im  Hinblick  auf  den  Umstand,  dass  „man 
niemals  einem  andringenden  Feinde  hier  Widerstand  geleistet 
habe",  leugnet 2.  Letzterer  erinnert  dabei  an  die  Flucht  Kaiser 
Lothars  aus  dem  Aachener  Palast  im  Jahre  842,  an  die  Nor- 
mannen-Verwüstung 881,  an  die  Einnahme  der  Pfalz  ohne 
Schwertstreich  durch  König  Lothar  von  Frankreich  im  Jahre 
978  u.  s.  w.  Aber  diese  Erwägung  ist  jedenfalls  unzutreffend. 
Abgesehen  davon,  dass  die  Aufzeichnungen  der  Chronisten  über 
jene  Ereignisse  durchgängig  höchst  dürftig  sind,  ist  speziell 
von  den  Normannen  bekannt,  dass  ihre  Zerstörungswuth  ohne 
Unterschied  über  befestigte  und  unbefestigte  Orte  sich  ergoss. 
Wir  wissen,  dass  sie  Köln,  Bonn,  Trier,  alles  ummauerte  Städte, 
ferner  die  Kastelle  Neuss,  Zülpich,  Jülich  plünderten,  aber  nir- 
gendwo wird  in  den  Chroniken  auch  nur  mit  einer  Silbe  des 
Widerstands  gedacht,  den  die  Bewohner  dieser  Orte  den  An- 
griffen der  wilden  Horden  entgegengesetzt  hätten. 

Fragt  man  nun  zum  Schluss,  welcher  Zeitperiode  Aachens 
älteste  Befestigung  durch  Wall  und  Graben  angehöre,  so  lässt 
sich  hierauf  vorläufig  eine  sichere  Antwort  nicht  geben.  Be- 
kanntlich fand  schon  Cäsar  diese  Befestigungsweise  bei  den  Ger- 
manen vor,  sie  war  auch  noch  im  spätem  Mittelalter  gebräuchlich. 
Nach  einer  alten  Sage  war  Frankfurt  a.  M.  im  Jahre  838  nur 


a.  a.  <  >.  iv.   Nr.  :)11).     Die   Zahl    dieser   Beispiele   wird   sich   leicht    ver- 
mehren lassen. 

1)  Fr.  Bork  a.  a.  <  >.  S.  2;   vgl.  von  Maurer,  Geschichte  der  Fronhöfe 
I.  S.  L26;  II.  S.  153. 

2)  C.  P.  Bock,   Geschichtliche  Darstellung   des  Aachener  Rathhauses 
S.    17. 


Wann  erhieli    Lachen  seine  erste  Befestigung?  103 

mit  Wall  und  Graben  befestigt,  zur  Zeit  Ludwigs  des  Deut- 
schen hatte ,  es  bereits  Stadtmauern  \  Auch  um  Emmerich 
zog  sich,  bevor  es  im  13.  Jahrhundert  mit  Mauern  umgeben 
Avurde,  ein  Graben3  (fossatum  Embricense).  Aehnliches  wird 
von  manchen  andern  Städten  nachzuweisen  sein.  Der  bewallte 
Stadtgraben,  sagt  Gengier 3,  musste  nicht  selten  bei  erst  in  der 
Entwickelung  begriffenen  Städten  lange  Zeit  hindurch,  bei 
kleinen  zur  Stadtgerechtigkeit  gelangten  Orten  stets  die  Stollo 
der  fehlenden  Ummauerung  ersetzen.  Der  Umstand,  dass  Aachen 
in  den  Urkunden  des  9.  bis  12.  Jahrhunderts  meist  als  Dorf 
(Villa  oder  vicus)  und  Ortschaft  (locus),  später  aber  als  Stadt 
(civitas  oder  urbs)  bezeichnet  wird,  bietet  für  die  Bestimmung 
des  Alters  von  Wall  und  Graben  keine  Handhabe4.  Sie  wird 
überhaupt  erst  dann  möglich  sein,  wenn  die  lokale  Forschung 
das  Dunkel,  welches  noch  über  dem  römischen  und  merovin- 
gischen  Aachen  liegt,  einigermassen  gehoben5  und  den  Lauf 
des  ältesten  Kinggrabens  in  Bezug  auf  alle  seine  Theile  genauer 
ermittelt  haben  wird.  Hierbei  würde  denn  auch  die  Frage  einer 
erneuten  Prüfung  zu  unterziehen  sein,  ob  die  Benennung  .,Pont- 
strasse1'    trotz    der    vielfach   geltend    gemachten    abweichenden 


J)  von  Maurer,  Geschichte  der  Städteveifassung  in  Deutschland  I,  j3.  19. 

2)  Dederich,  Annalen  der  Stadt  Emmerich  S.  89,  Beilage  8 ;  vgl.  dazu 
Tunis,  Alter  der  Kirche  zum  h.  Martinus  und  zur  h.  Aldegundis  in  Emme- 
rich S.  50  f. 

3)  Gengier,  Deutsche  Stadtrechts- Alterthümer  S.  23. 

*)  So  wird  z.B.  Bonn  vor  seiner  Befestigung  mit  Mauern  und  Gräben 
im  .Jahre  1243  abwechselnd  villa.  civitas  und  oppidum  genannt  (Lacomblet, 
Archiv  II.  S.  297;  vgl.  Perlbach  im   Neuen  Archiv  XIII.  s.   117  ff.). 

5)  Sehr  werthvolle  Untersuchungen  über  Aachen  zur  Eömerzeit  haben 
jüngst  Professor  Schneider  und  General  von  Verüb  in  der  Zeitschrift  des 
LacheneT  Geschichtsvereins  (VII.  S.  17:;  IT.  and  Yill.  s.  96  ff.)  veröffent- 
licht; die  in  der  Aachener  Volkszeitung  1887,  Nr.  52  tt.  dagegen  vor- 
gebrachten, durchaus  unwissenschaftlichen  „Bemerkungen"  des  Architekten 
Rhoen  vermögen  der  meines  Erachtens  mehr  als  genügend  gesicherten  An- 
nahme, dass  in  Aachen  ein  Kastell  zur  Römerzeit  bestanden  habe,  keinen 
Abbruch  zu  thun.  Vgl.  jetzt  auch  Loersch  in  der  Westdeutschen  Zeit- 
schrift VI,  S.  276. 


104  R.  Pick 

Ansichten  nicht  dennoch  auf  eine  Brücke  (pons)  zurückgeführt 
werden  müsse x,  die  in  ältester  Zeit  an  der  „porta  Punt"  (Pont- 
mittelthor),  gleich  der  Harduinsbrücke  am  Hartmannsthor,  über 
den  Befestigungsgraben  geführt  habe.  Jedenfalls  gestatten  die 
in  andern  Städten,  z.  B.  in  Köln  und  Bonn,  vorkommenden 
alten  Strassenbezeiclmungen  „Brückenstrasse"  und  „auf  der 
Brücke"  an  Stellen,  wo  heute  keine  Spur  von  Graben  oder 
Wasser  mehr  vorhanden  ist,  nicht,  eine  ähnliche  Erklärung^des 
Namens  Pontstrasse  ohne  Weiteres  von  der  Hand  zu  weisen. 


II.    Der  angebliche  Eiseninarkt  in  Aachen. 

Der  Aachener  Geschichtschreiber  Christian  Quix  gibt  in 
seiner  1825  erschienenen  „Historischen  Beschreibung  der 
Münsterkirche" 2  an,  dass  der  Fischmarkt  „vorhin  Eisenmarkt, 
auch  Parvisch"  genannt  worden  sei.  In  der  etwas  später  (1829) 
veröffentlichten  „Historisch-topographischen  Beschreibung  der 
Stadt  Aachen  und  ihrer  Umgebungen" 3  behauptet  derselbe 
Gelehrte,  nach  dem  Untergang  der  zum  Münster  gehörigen 
Kapellen  zu  beiden  Seiten  des  Parvischs,  des  jetzigen  Domhofs, 
sei  der  Name  Parvisch  auf  den  Fischmarkt,  der  damals  Eisen- 
markt geheissen  habe,  übertragen  worden.  Wann  die  Kapellen 
verschwanden,  sagt  Quix  nicht,  er  bemerkt  nur,  dass  sie  im 
15.  Jahrhundert  noch  vorhanden  waren.  An  einer  andern  Stelle 
der  letztern  Schrift 4  berichtet  er,  dass  der  Fischmarkt  in  alten 
Zeiten  der  Eisenmarkt,  doch  nur  für  altes  Eisen  gewesen  sei, 
und  beruft  sich  hierbei  auf  die  nicht  näher  von  ihm  bezeich- 
nete Rolle    der  Aachener  Schmiedezunft,    die   frühestens    dem 


*)  Ein  Dorf  Pont  mit  einer  Fundstätte  römischer  Alterthümer  in  der 
Nähe  gibt  es  im  Kreise  Geldern ;  sein  Xann'  wird  von  Oberst  von  Cohauseii 
auf  pontes,  Knüppeldämme  zurückgeführt,  welche  hier  die  Niederung  über- 
brückten (Bonner  Jahrbücher  XIHL,  S.  7.  vgl.  auch  XXXI,  S.  128).  Solche 
Knüppeldämme  wurden  1879  auch  zu  Aachen  in  der  Adalbcilsfrasse  und 
in  der  Klappergasse  aufgefunden. 

2)  S.  24     ")  S.  28.     4)  S.  '.i. 


Der  angebliche  Eisenmarkl  in  iachen.  105 

15.  Jahrhundert  angehört  haben  kann,  wahrscheinlich  aber  aus 
einer  spätem  Zeit  herrührt l. 

Unzweifelhaft  sind  die  Quixschcn  Angaben,  wenigstens 
soweit  sie  die  Bezeichnung-  Eisenmarkt  für  den  heutigen  Fisch- 
markt betreffen,  unrichtig,  wie  sich  leicht  erweisen  Lässt.  Stellt 
man  die  altern  Namen  des  Fischmarkts  aus  den  lokalen  Urkun- 
den zusammen,  so  ergibt  sich,  dass  derselbe  1220  und  1291 
ante  Paradisum  oder  ante  Paravisum2,  1320  und  1337  ante 
Parvisimn3,  1338,  1344,  1346,  1349  und  1373  ante  Pervisium4, 
1373  vur't  Pervus5,  1385  und  1391  vur't  Parvische6,  1398 
vur't  Pervisch7,  1474  vur  dat  Parvisch8,  1497  upt  Pairfisch9, 
1537  up  den  Fyschmart10  genannt  wurde.  Auch  in  dem  von 
Quix  herausgegebenen  Nekrolog  des  Münsterstifts  aus  dem  13. 
und  14.  Jahrhundert  lautet  der  öfters  wiederkehrende  Name 
stets  ante  Parvisium  n.  Daneben  kommt  freilich  einmal  in  einer 
Urkunde  vom  10.  Dezember  1373  12  der  Name  „Parvisiusi:  fin- 
den Fischmarkt  vor,  sie  schliesst  nämlich  mit  den  für  die 
lokale  Geschichte  merkwürdigen  Worten :  „Acta  sunt  hec  Aquis, 
dicte  dyocesis,  in   domo   civium    sita  in  Parvisio,    ubi  magistri 


1)  Das  Aachener  Stadtarchiv  bewahrt  unter  andern  auf  die  Schmiede- 
zunft bezüglichen  Akten  die  Satzungen  derselben  vom  8.  August  L443  in 
einer  Abschrift  des  Iß.  Jahrhunderts,  doch  ist  in  ihnen  von  dem  Fisch- 
markt keine  Eede. 

2)  Lacomblet,  Urkundenbuch  II,  Nr.  84;  Quix,  Codex  dipl.  Aquensis 
no.   129;  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  I,  S.  1  53. 

3)  Quix,  über  censuuni  im  Necrolog:  ecclesiae  B.  M.  V".  Aquensis  p. 
73;  Loersch,  Achener  Rechtsdenkmäler  S.   17.".. 

4)  Laurent,  Aachener  Stadtrechnungen  S.  126,8,27;  L60,2;  L68,ie; 
189,24;  223,28;  235,ao. 

5)  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  I.  S.  161. 
e)  Laurent  a.  a.  0.  S.  311,n;  385,87. 

7)  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  I.  s.   168. 
s)  Ebendas.  I,  S.  17:;. 
'•')  Ebendas.  V1TJ,  S.  245. 

10)  Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Lachener  Vorzeil   I.  £ 
")  Vgl.  p.   17.  32,  51. 

n)  Original   im  Stadtarchiv   zu  Ä.achen;    vgl.  Quix,  Schloss   und 
pialige  Herrschaft   Rimburg  S.   1 77, 


L06  R.  I'i'k 

civium,  scabini,  proconsules  et  consules  Aquenses  aliquando 
suos  tractatus  et  consilia  habere  sunt  consueti."  (Also  geschehen 
zu  Aachen,  in  der  genannten  Diözese  [Lüttich],  in  dem  Bür- 
gerhaus auf  dem  Parvisch,  wo  Bürgermeister,  Schöffen  und 
Rath  von  Aachen  vormals  ihre  Verhandlungen  und  Sitzungen 
zu  halten  pflegten.)  Sieht  man  von  dieser  in  so  früher  Zeit 
vereinzelten  Bezeichnung  vorläufig  ab,  so  geht  aus  der  ange- 
führten Reihenfolge  der  Benennungen,  die  sich  jedenfalls  noch 
vervollständigen  Messe,  mit  Bestimmtheit  hervor,  dass  der  Fisch- 
markt seit  jeher  und  noch  vor  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
keinen  eigenen  Xamen  trug,  sondern  nach  seiner  Lage  vor 
dem  Vorhof  des  Münsters,  dem  Paradies  (im  Volksmund  Par- 
visch1), bezeichnet  wurde.  Als  gegen  Ende  des  15.  Jahrhun- 
derts, wie  es  scheint,  für  diesen  Vorhof,  der  längst  seine 
ursprüngliche  Bestimmung  eingebüsst  hatte  und  inzwischen 
zum  Begräbnissplatz  eingerichtet  worden  war2,  der  Name 
„Kleiner  Kirchhof  im  Gegensatz  zu  dem  an  der  Südseite 
des  Münsters  liegenden  „Grossen  Kirchhof1'  entstand3,  wurde 
die  Benennung  Parvisch  auf  den  Platz  vor  dem  Vorhof,  den 
■  Fischmarkt,  übertragen.  Möglicherweise  hatte  sich  aber  eine 
solche  Uebertragung  auch  schon  früher  im  Volke  vollzogen, 
wenn  man  der  blossen  Bezeichnung  „Parvisus"  in  der  oben 
erwähnten  Urkunde  von  1373  trauen  darf4.  Bereits  in  der 
ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  kommt  in  einem  amtlichen 
Schriftstück  für  den  Platz  der  Name  „Fischmarkt"  vor,  ein 
Name,  der  ihm  offiziell  bis  heute  verblieben  ist,  während  sich 
im  Volksmund  dafür   noch  fortwährend    die  Benennung  „Per- 


')   Vgl.  Fuss,  Beitrage  zur   Volksetymologie  S.    I. 

2)  Quix,  Historische  Beschreibung  der  Münsterkirche  S.   14S. 

s)  Noppius,  Aacher  Chronick  (1632)  Th.  I,  S.  20. 

4)  Auch  in  dem  Bericht  der  dem  15.  Jahrhundert  angehörigen  Aachener 
Chronik  (mitgetheilt  von  Loersch  in  den  Annalen  des  bist.  Vereins  f.  d. 
Niederrhein  XVII,  S.  5)  über  den  „brant  auf  dem  Parvisch."  am  6.  Dezem- 
ber 1424  scheint  der  Fischmarki  gemeinl  zu  sein,  da  von  3  abgebrannten 
Pannhäusern  (Brauereien)  und  mehrern  andern  durch  den  Brand  zerstörten 
Häusern  in  der  Scherpstrasse  die  Eede  ist, 


Der  angebliche   Eisenmarkt  in   lachen.  in, 

visch"  erhalten  hat.  Auch  bei  Noppius  (1632)  begegnen  ab- 
wechselnd Ijeide  Namen  \  dagegen  ist  in  den  städtischen  Raths- 
und  Beamtenprotokollen  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  die 
Bezeichnung  „Parvisch"  vorwiegend  gebraucht.  Nicht  ein  ein- 
ziges Mal  findet  sich  aber  in  den  zahlreichen  Urkunden 
dem  13.  Jahrhundert  dem  Fischmarkt  der  Name  „Eisenmarkt" 
beigelegt,  so  dass  man  hieraus  wohl  mit  Gewissheit  schlicssen 
darf,  dass  der  Platz  niemals  so  benannt  gewesen  ist,  wenn  auch 
die  beim -Fischmarkt  wohnenden  Schmiede  (under  die  Smede2, 
Schmiedstrasse)  dort  zeitweise  ihre  alten  Eisenwaaren,  wie  Quix 
angibt,  zum  Verkauf  ausgestellt  haben  mögen3. 

Yermuthlich  durch  die  Angaben  von  Quix  verleitet,  hat 
auch  Stadtarchivar  J.  Laurent  einen  Eisenmarkt  in  Aachen 
angenommen  und  in  der  in  den  Stadtrechnungen  des  14. 
-I  ahrhunderts  mehrfach  vorkommenden  Bezeichnung  „upt  Ysereiv 
(=  auf  dem  Eisen)  die  frühere  Benennimg  des  Fischmarkts 
erblickt4.  Aber  auch  diese  Annahme  ist  durchaus  irrig.  Schon 
die  bei  Noppius5  mitgetheilte  Notiz,  wonach  am  22.  November 
1510  eine  kurz  vorher  vom  Rath  über  Schlägereien  auf  dem 
Marktplatz  an  Sonn-  und  Markttagen  erlassene  Verfügung 
öffentlich  mit  der  Schelle  im  Beisein  der  Bürgermeister,  <l<s 
Raths  und  des  Meyers   „up  dem  Eyseren   vor  dem  Rathhauß" 


1)  Noppius  a.  a.  0.  TL.  I,  S.  17  und  138.  Auch  der  jetzige  Domhof 
wird  hei  ihm  noch  Parvisch  genannt  (vgl.  Th.  II.  S.  211).  P.  a  Beeci 
(Aquisgranum  p.  15)  gebraucht  den  Namen  „Mschmarkt"  (forum  piscarium). 

2)  Im  Jahre  1320  lautet  der  Name  „inter  Fabros"  (Quix,  Necrolog.  p. 
74),  1406  „onder  die  Smede"  (Urkunde  im  Stadtarchiv  zu  Aachen),  um  1  125 
„under  ghen  Smede"  (Annalen  des  bist.  Vereins  f.  d.  Niederrhein  XXI. 
XXII.  S.  261),  bei  Noppius  (Th.  II.  S.  203)  „vnder  die  Schmid". 

3)  In  einer  Eiathsverordnung  vom  11.  Juni  L505  (abschriftlich  in  den 
Akten  der  Aachener  Schmiedezunfl  im  Stadtarchiv)  heisst  es:  „Vori  weiri 
sache  die  ghiene  upt  Parvisch  myi  den  alden  isenwerk  staeni  ind  dae  veü 
haven.  eynich  van  den  vurschreven  isenwerk,  dat  gestoilen  vvere,  gülden, 
die  sullen  in  die  vurschreven  boisse  (von  t  oberländischen  Gulden),  so  duck 
sy  dat  deden,  verfallen  syn." 

*)  Laurent  a.  a.  0.  S.    122. 

5)  Noppius  a.  a.  0.  Th.  III.  S.  82. 


108  Et.  Pick 

verkündigt  wurde,  lässt  deutlich  erkennen,  dass  die  Bezeich- 
nung „upt  Yseren"  mit  dem  Eisenmarkt  nicht  das  Mindeste 
gemein  hat.  Unter  dieser  Bezeichnung  (lat.  ferruru)  ist  viel- 
mehr eine  mittels  eines  breiten  Eisenrostes  hergestellte  Sperr- 
vorrichtung zu  verstehen,  die  an  den  Eingängen  zu  den  Kirch- 
höfen oder  den  vor  den  Kirchen  (Kircheisen)  oder  andern 
öffentlichen  Gebäuden  befindlichen  und  mit  einer  Mauer  oder 
sonstwie  eingefriedigten  Plätzen  angebracht  war,  um  das  Ein- 
dringen von  Thieren  in  diese  Bäume  zu  verhindern.  Solche 
„Eisen"  befanden  sich  z.  B.  an  den  Eingängen  zu  der  Immu- 
nität des  Doms  zu  Hildesheim,  sie  müsseu  auch  an  den  Kir- 
cheneingängen zu  Köln  angebracht  gewesen  sein,  da  hier  noch 
der  sprichwörtliche  Ausdruck  „Geld  auf  dem  Kircheisen  finden" 
(„"Wann  ich  ens  Geld  op  dem  Kircheniser  finge"  =  kein 
Geld  zu  unnöthigen  Ausgaben  haben)  vielfach  besteht.  Kirch- 
eisen gab  es  früher  ferner  allenthalben  an  den  Kirchen  des 
untern  Niederrheins,  bei  einzelnen  evangelischen  Kirchen  der 
Grafschaft  Moers  waren  sie  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten 
vorhanden l.  Auch  in  Aachen  bestanden  diese  „Eisen"  nicht 
allein  am  Bathhaus,  sondern  auch  an  den  Kirchen  und  den 
bei  ihnen  liegenden  Kirchhöfen.  So  heisst  es  z.  B.  in  der 
städtischen  Ausgaberechnung  von  1334/35:  Item  de  ferro  prope 
institores  iuxta  cimiterium  12  m.  3  s. 2,  von  1338/39:  Item 
de  ferro   empto   per  Johannem    de   sancto    Spiritu    et  ponendo 


x)  Organ  für  christliche  Kunst  XII,  S.  249;  Annalen  des  hist.  Ver- 
eins f.  (I.  Niederrhein  XEH.  XIV,  S.  277.  Die  Kölner  Redensart  und  die 
Notiz  beiNoppius,  wonach  die  Rathsverordnung  „auf  dem  Eisern"  vordem 
Bathhaus  verkündet  wurde,  lassen  übrigens  vermuthen,  dass  es  sich  bei 
den  „Eisen"  nicht  überall  um  senkrecht  stehende  Sperrvorrichtungen,  son- 
dern manchmal  auch  um  wagerecht  hegende  Kratzeisen  mächtiger  Form 
handelte,  auf  denen  man  den  Ungeheuern  Koth.  den  die  mittelalterlichen 
Strassen  an  den  Schuhen  zurücldiessen,  wenigstens  nothdürftig  entfernte. 

2)  Laurent  a.  a.  0.  S.  110,35.  Prope  institores  wohl  =  bei  der  Krä- 
merstrasse. Vielleicht  ist  hier  von  dem  St.  Foilanskirchhof  die  Rede.  Doch 
komml  ein  „Gobelo  institor  ante  Paravisum"  schon  L291  vor.  auch  lag  dort 
L320  die  „domus  institricum"  (vgl.  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins 
I,  s.   L53;  Quix,  Necrolog.  p.  73). 


Der  angebliche  Eisenmarkt  in  Aachen.  109 


'S 


iuxta  cimiterium  in  foro  rotaruni  8  m.  4  s.  Item  de  ferro 
prope  cimiterium  iuxta  institores  prolongando  et  reparando 
30  s.  *  In  Bezug  auf  das  „Eisen"  an  dem  Kirchhof  auf  dem 
Münsterplatz  berichtet  auch  ein  städtisches  Beamtenprotokoll 
vom  14.  Juni  1664:  „Referirte  herr  burgemeister  von  Wirre, 
was  massen  diesen  morgen  der  herr  parochian  mit  dem  secre- 
tario  capituli  zu  ihro  wolledelgeboren  kommen  und  gesunnen, 
weilen  von  alters  brauchlich,  dass  gegen  die  anstehende  heil- 
thumbsfahrt  ahn  dem  kirchof  des  munsters  der  grindel  sambl 
den  eisen en  trialien2  (waruber  man  passirt)  in  repara- 
tion  gebracht  wurden,  dass  dahero  ein  magistrat  darzu  die 
Verordnung  schaffen  wolte,  welches  doch  (in massen .  der  herr 
Werkmeister  Maw  referirte)  hingst  vergangener  heilthumbsfahit 
(domalen  bemelter  herr  baumeister  gewesen)  ein  ehrwürdiges 
capittul  nit  permittiren  wollen.  Dannoch  haben  herren  burger- 
meistern  und  beambten  eingewilligt,  dass  solches  begerter 
massen  beschehe."  Zwar  wird  hier  die  Sperrvorrichtung  an 
dem  Münsterkirchhof  nicht  ausdrücklich  mit  dem  Nanien 
„Yseren"  oder  „Eyseren"  bezeichnet,  dass  diese  Benennung  dafür 
aber  vormals  auch  in  Aachen  gebräuchlich  war,  lässt  sich,  ab- 
gesehen von  Noppius'  Angabe  und  den  Notizen  in  den  Stadt- 
rechnungen des  14.  Jahrhunderts,  auch  aus  Anderm  darthun. 
Yon  den  „Eisen"  leiten  die  an  zahlreichen  Orten  des  Rhein- 
lands urkundlich  vorkommenden  Bürger-Familien  ad  Ferrum, 
de  Ferro,  van  den  Iser,  van  Yseren,  de  Yseren,  an  den  Iseren, 
vor  den  Yseren,  ufs  oder  upt  Iseren,  opt  Yser  u.  s.  w.  ihren 
Namen  her3,  auch  sind  hier  und  da  Lokalitäten  innerhalb 
dieser  Orte  nach  ihnen  benannt.  In  Aachen  finden  wir  schon 
frühe  Familien    dieses  Namens;    ein  Johann   van    den   Yseren 


')  Laurent  a.  a.  0.  S.  12G,i2-i5.  Forum  rotarum,  Radermarkt,  jetzt 
Münsterplatz. 

2)  Eisenstäbe,  Gitter  (vgl.  „treillis"  im   Art.  676  des  Code  civil). 

3)  AmmliMi  des  bist.  Vereins  f.  d.  Niederrheirj  VII.  S.  2 18;  XIII. 
XIV.  S.  277;  Mooren,  Geschichtliche  Nachrichten  über  Thomas  n  £ompis 
S.  21,  Amii.  I;  (Juix.  Das  ehemalige  Dominikaner-Kloster  in  Lachen  S.  88; 
Laurent  a.  a.  0.  S.  127,it,   IHr>,24. 


J  Mi  R.  TVk 

war  1385  im  Dienste  der  Stadt1,  ein  Johannes  upt  Yseren 
1391/92  Anpächter  der  von  den  Strumpfwirkern  eingehenden 
städtischen  Steuer2  (hoesseassis) ;  zu  der  nämlichen  Zeit  hatte 
ein  Johannes  van  Yilen  npt  Yseren,  vielleicht  derselbe  mit 
Johannes  npt  Yseren,  ein  städtisches  Ladenlokal  (gedum)  gegen- 
über dem  Wechslerhaus,  der  Börse  (intgeyn  den  Aveissel  oever), 
miethweise  inne 3 ;  ein  Wilhelm  opt  Yser  wohnte  zu  Ende  des 
14.  Jahrhunderts  in  der  Pontthorgrafschaft 4  u.  s.  w.  Auch  ein 
Haus  „auffm  Eiseren"  wird  im  17.  Jahrhundert  zu  Aachen 
erwähnt;  es  lag,  wie  man  aus  einer  am  18.  Januar  1645  auf- 
genommenen Theilungsurkunde  der  Familie  von  Schwarzenberg, 
welcher  «dasselbe  angehörte,  ersieht,  nach  der  St.  Foilanskirohe 
hin  und  war  damals  zum  h.  Geist  benannt5.  Ein  Haus  „uffs 
Eysern"  wird  ebenfalls  in  einem  städtischen  Rathsprotok  »11 
vom  18.  Dezember  1687  angeführt.  Gegen  dasselbe  hatte  man 
mit  schweren  Steinen  geworfen  und  der  Rath  beschloss,  dass 
der  Thäter  durch  offenen  Trommelschlag  erkundigt  und  dem 
Anbringer  eine  Belohnung  von  10  Goldgulden  gegeben  werden 
solle.  "Welche  Lokalität  mit  dem  Namen  „uffs  Eysern"  gemeint 
ist,  lässt  sich  nicht  genauer  bestimmen,  soviel  geht  aber  aus 
den  obigen  Andeutungen  über  die  Lage  unzweifelhaft  hervor, 
dass  darunter  der  heutige  Fischmarkt  nicht  verstanden  sein 
kann.  Sowohl  die  Benennung  dieser  Lokalität  wie  die  Namen 
ener  Familien  weisen  mit  Sicherheit  darauf  hin,  dass  es  nicht 
nur  in  Aachen  „Eisen"  gab,  sondern  dass  auch  die  anderwärts 
dafür  vorkommende  Bezeichnung  „Yseren"  oder  „Eyseren"  vor- 
mals hier  gebräuchlich  war. 

Nach   dem  Gesagten   steht  es,   dünkt   mir,   genügend  fest, 
dass  eine  Lokalität  des  Namens  Eisenmarkt  niemals  in  Aachen 


x)  Laurent  a.  a.  0.  S.  306,se. 

2)  Ebendas.  S.  383,2. 

3)  Ebendas.  S.  384,n.  Üeber  eine  „Wesselbroderschaft"  1476  s. 
Quix,  Hist.-topogr.  Bescbreibung  der  Stadt  Aacben  S.  66.    Sie  wird  in  den 
Stadtrecbnnngen  des  15.  Jahrhunderts  öfters  erwähnt. 

4)  Loerscli,   A.chener  Rechtsdehknialer  S.   190. 

B)  Mittheilung  des  Herrn   Dr   Scheen  zu  Cornelimünster, 


Der  angebliche  Eisenmarkt  in   Aachen.  111 


L6 


bestanden«-  hat,  und  dass  sowohl  Qu  ix  wie  Laurent  sich  im 
Irrthum  befanden,  als  sie,  ersterer  nach  der  Angabe  einer 
nicht  näher  bezeichneten  Schmiederolle,  letzterer  aus  der  Be- 
nennung „upt  Yseren"  in  den  Stadtrechnungen  des  14.  Jahr- 
hunderts dem  Fischmarkt  in  früherer  Zeit  den  Namen  „Eisen- 
markt" beilegten. 


Das  Deckengemälde  im  Querhaus  der  Pfarrkirche 
von  St.  Peter  zu  Aachen. 

Von  S.  Planker. 

Gemäss  mündlicher  Ueberlieferang  soll  der  Erbauer  der 
jetzigen  Peterskirche  zu  Aachen,  der  1724  verstorbene  Pastor 
Scholl,  ursprünglich  die  Absicht  gehabt  haben,  über  der  Yierung 
des  Querhauses  eine  Kuppel,  ähnlich  jener  an  der  Abteilürche 
zu  Burtscheid,  zu  errichten,  und  in  der  That  lassen  die  auf 
dem  Gewölbe  sichtbaren  Ansätze  der  Architektur  diese  Absicht 
vermuthen.  Allein  die  Geldarmuth  der  damaligen  Zeit;  insbeson- 
dere der  Pfarreingesessenen  mag  den  Erbauer  veranlasst  haben, 
von  diesem  Plane  abzustehen.  Statt  dessen  wurde  die  Yierung 
mit  einer  platten  Holzdecke  geschlossen  und  diese  mit  einem 
grossen  Gemälde  geschmückt,  welches  nicht  ganz  ohne  Kunst- 
werth  ist. 

Im  Folgenden  will  ich  versuchen,  dasselbe  etwas  näher 
zu  beschreiben,  und  dies  um  so  mehr,  als  ich  wiederholt  die 
Erfahrung  gemacht  habe,  dass  selbst  von  langjährigen  Besuchern 
der  Pfarrkirche  die  Darstellung  dieses  Bildes  nicht  selten  un- 
richtig aufgefasst  wird. 

Das  grosse,  figurenreiche  Gemälde  stellt  den  Triumph  des 
h.  Kirchenpatrons,  des  Apostelfürsten  Petrus,  und  zugleich  den 
Triumph  der  h.  Kirche  dar.  Die  Haupt-  und  Mittelfigur  ist  daher 
selbstverständlich  der  h.  Petrus,  weicher  dem  dreieinigen  Gott 
in  himmlischer  Verklärung  entgegenschwebt,  um  den  doppelten 
Lohn  seines  höchsten  Apostelamts  und  seines  glorreichen  Mar- 
tertods zu  empfangen.    Die  göttliche  Trinität  ist  dargestellt  in 


Das  Deckengemälde  in  der  Pfarrkirche  von  St.  Peter  zu  Aachen.      11:; 

einem   von-  hellem   Lichtglanz    umstrahlten    Dreieck    mit    der 
Inschrift  „Jehova".  St.  Petrus  ist  von  einer  zahlreichen  Schaar 
von   Engeln    umgeben,     welche    ihm     theils    folgen    und    die 
Insignien    seines  Primats  und  seines  Martyriums,   nämlich  die 
dreifache  Tiara   und    das  Kreuz,    nachtragen,    theils    ihm    ent- 
gegeneilen,  um    ihm    die    himmlische  Krone    und    den   Kranz, 
sowie  die  Martyrerpalme  zu  überreichen.     Entfernter  stehende 
Engel  milsiziren  mit  Tuben  und  Cimbeln  u.  s.  w.,  andere  simren, 
und   wieder   zwei    andere   stehen  in   ernster   Unterhaltung    da. 
Der  äusserste  Kranz  der  Engel  aber  ist  im  Begriff,    die  einen 
mit  dem  Schwert,  die  andern  mit  Fackeln,    noch   andere    mit 
Bogen    und   Pfeilen    die  Feinde  der  Kirche   in   den   Abgrund 
zu  stürzen.    Der  von  zwei  weitern  Engeln  getragene  biblische 
Text   „Et   portae    inferi    non   praevalebunt    adversus    eam"    in 
grossen  Buchstaben  stellt  die  Tendenz  des  ganzen  Gemäldes  klar. 
Die  einzelnen  in  den  Abgrund  stürzenden  Figuren  zu  deuten, 
ist  etwas  schwieriger,   wTeil   man    sich   zu    der  Entstehungszeit 
des  Bildes  nicht  mehr  so  genau   um    die  Tradition   der  kirch- 
lichen Kunst  zu  kümmern  pflegte.     Ich   finde   in  diesen    über 
Lebensgrösse  gezeichneten  Figuren  nicht  undeutlich  die  gegen 
die  Kirche   anstürmenden   feindlichen  Mächte  dargestellt,    den 
Satan,    das    römisch-heidnische  Kaiserthum,     die    Häresie,    die 
hochmüthige  Weltweisheit,  die  Dummheit  und  das  Laster  u.  s.  \\ . 
Der   Teufel    ist    nämlich    dargestellt    in    der   Mittelfigur    nach 
Osten  in  einer  hässlichen,  nackten  Gestalt,  welche  mit  diaboli- 
schem   Gesichtsausdruck   im   Falle  noch   die  Hand    nach    dem 
Kreuz  ausstreckt,  das  auf  dem  Schilde  des  ihn  mit  der  Fackel 
in    den  Abgrund    stürzenden    Engels    angebracht    ist.     Links 
von  dem  Satan  sieht    man    einen   gekrönten  Cäsar    und  rechts 
einen  Mann  mit  einem  Geldsack  und  Geld  zählend  in  den  Ab- 
grund stürzen.     In   letzterm    vermuthe  ich   den  Simon  Magus, 
der   von  Petrus   die  Gabe    der  Wunder  um    Geld    zu    kaufen 
suchte.     Das    hochmüthige    gelehrte   Ileidenthum    wird    durch 
einen  Mann  mit  starker  Habichtsnase  symbolisirt,  der  sich  ver- 
nehm   in    seinen    Mantel    hüllt,    während    die    Dummheit    mit 
Eselsohren  dekorirt   und  das  Laster  durch  eine  üppige   Weibs- 


I  u  S.  Planier 

person  symbolisirt  ist.  Die  übrigen  Figuren  sind  zu  wenig 
charakterisirt,  um  mit  einiger  Sicherheit  gedeutet  werden  zu 
können.  Das  Ganze  schliesst  mit  einer  kräftig  gezeichneten 
Architektur  oder  Brüstung  ab,  welche  durch  ihre  Schattirung 
die  Vorstellung  erweckt,  als  ob  die  Decke  eine  Wölbung  sei. 

In  den  Zwickeln,  welche  sich  zwischen  den  vier  Bogen- 
stellungen  des  Querhauses  bilden,  waren  ursprünglich  vier  pla- 
stische Figuren  hangend  angebracht,  welche  die  vier  lateinischen 
Kirchenväter  darstellten.  Diese  Figuren  wurden  im  Jahre  1836 
bei  Gelegenheit  der  Auffrischung,  und  (wie  man  sagt,  nicht 
glücklichen)  Restauration  des  Bildes  durch  D.  Delahaye  und 
J.  Schumacher  unter  Dechant  Dillschneider  entfernt;  die  da- 
durch entstehenden  leeren  Stellen  füllte  man  bei  der  Polychro- 
mirung  der  Kirche  im  Jahre  1884  durch  die  symbolische 
Darstellung  der  vier  Evangelisten  auf  Goldgrund  aus,  wodurch 
der  Uebergang  der  lichten  Polychromirung  zu  dem  dunkel 
gehaltenen  Deckengemälde  sehr  glücklich  vermittelt  wird. 

Die  gegen  Osten  angebrachte  Jahreszahl  1718  zeigt,  dass 
das  Gemälde  zugleich  mit  der  Kirche  entstand,  die  1717  voll- 
endet wurde.  Auch  der  Name  des  Künstlers  ist  uns  in  der 
Inschrift  „I.  C.  Bollenrath  me  fecit"  erhalten.  Es  ist  also  der- 
selbe Maler,  welcher  die  noch  in  mehrern  Räumen  des  hiesigen 
Rathhauses  befindlichen  Deckengemälde  angefertigt  hat1.  Was 
Johann  Chrysant  Bollenrath  auf  dem  Bilde  der  Peterskirche 
unter  seinem  Namen  beigefügt,  ist  geeignet,  unsere  Werth- 
schätzung  seiner  Person  noch  mehr  zu  erhöhen,  als  die  Be- 
trachtung seiner  schönen  Komposition  und  Darstellung.  In 
einem  kleinen  Medaillon  stehen  nämlich  die  Worte:  „Deo  honori, 


l)  Vgl.  Pick  in  der  Aachener  Volkszeitung  L885,  Nr.  250  und  252; 
P(ohl)  in  der  Münstereifeler  Zeitung  L886,  Nr.  27—33.  [Noch  1768  war 
der  damals  71jährige  Chrysanth  Bollenrath  am  Leben,  da  es  in  einem 
Rathsprotokoll  der  Stadt  Aachen  vom  24.  März  dieses  Jahres  lieisst:  „Die 
Nun  herrn  Chrisanth.  Bollenrath  ubergebene  emterthänigste  supplicirliche 
Vorstellung  mit  bitt  und  von  juffer  Joanna  Odilia  Deltour  ubergebene  de- 
muthige  Vorstellung,  supplication  und  l>itt  werden  ad  cancellariam  cum 
poti   täte  statuendi  gewiesen."    D.  Red.] 


Das  Deckengemälde  in  der  Pfarrkirche  von  st.  Peter  zu  Ä.achen.    L15 

sibi  memorke,  posteris  usui."  (Zu  Gottes  Ehre,  zum  eigenen 
Gredächtniss,  zu  Nutz  der  Nachwelt.) 

Hiernach  scheint  es  fast,  als  ob  Bollenrat h  das  Bild  um 
Gotteslohn  gemalt  habe.  Diese  Vermuthung  ist  um  so  annehm- 
barer, als  er  im  Pfarrbezirk  von  St.  Peter  wohnte  und  L738 
sogar  Kirchmeister  war1. 

Nach  Westen  hin  liest  man  das  Distichon: 

„Saepius  excelsis  tenuis  res  officit  ausis 
Et  tarnen  attollit  mens  generosa  caput." 
(Oft  widerstehet  ein  winziges  Ding  dem  kühnsten  Beginnen, 
Aher  ein  edeler  Geist  hebt  am  so  höher  das  Haupt.) 

Dunkel  wäre  der  Sinn  dieser  Verse  und  ihre  Beziehung 
zum  Deckengemälde,  wüsste  man  nicht  aus  der  eingangs 
erwähnten  Ueberlieferung,  dass  zu  Anfang  des  Baues  die  Er- 
richtung einer  hochstrebenden  Kuppel  über  dem  Querhaus 
geplant  war.  Da  aber  der  Mangel  an  Geld,  das  von  Pastor 
Scholl  wahrlich  als  eine  „res  tenuis"  geschätzt  wurde,  ein  un- 
übersteigliches  Hinderniss  zur  Ausführung  seines  Vorhabens 
wurde,  ersann  sein  erfinderischer  Kopf  einen  andern  Plan, 
durch  welchen  vorläufig  die  Kirche  im  Querhaus  einen  ausser- 
gewöhnlichen  Schmuck  erhielt,  ohne  der  Erreichung  der 
ursprünglichen  Absicht  bezüglich  der  Kuppel  in  der  Zukunft 
mehr  als  nöthige  Hindernisse  zu  bereiten. 

So  bestätigt  also  dieses  Distichon  die  Wahrheit  der  Ueber- 
lieferung von  der  ursprünglich  geplanten  Kuppel. 


')  Kirchenrechnungen  im  Pfarrarchiv  von  St.  Peter  zu  Ä.achen. 


s« 


Fürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung1. 

Von  E.  Pauls. 

IL 

Bekanntlich  tritt  der  Name  Aachen  erst  im  8.  Jahrhundert, 
und  zwar  in  lateinischer  Fassung  urkundlich  auf.  Lange  Zeit 
hindurch  findet  sich  theils  die  einfache  Form  Aquae  (Aquis, 
Aquas),  theils  die  Zusammensetzung  Aquae  (Aquis)  Grani,  bis 
endlich  der  Nominativ  Aquisgranum  dauernd  sich  einbürgert 2. 
Dass  die  erste  Hälfte  dieses  Namens  von  Aquae  (Heilquellen) 
herzuleiten  ist,  bedarf  keines  Beweises,  dagegen  hat  die  Deu- 
tung des  Zusatzes  Granus  zur  Bildung  eines  Sagenkreises,  der 
Aachener  Granussage,  Anlass  gegeben.  In  etwa  liegt  auch 
hier  eine  Fürstensage  vor.  Nachweislich  glaubte  man  nämlich 
schon  vor  mehr  als  700  Jahren3  in  Aachen,  dass  Karl  d.  Gr. 


x)  Nach  Erscheinen  meiner  frühem  Abhandlung  über  diesen  Gegen- 
stand (S.  25  ff.)  gingen  mir  einige  Anfragen  und  Mittheilungen  zu,  die  mich 
zu  lebhaftem  Dank  verpflichten. 

2)  Näheres  bei  Haagen,  Aachen  oder  Achen  ?  Vgl.  auch  Siekel,  Die 
Urkunden  der  Karolinger.  Auf  einen  dem  Zusammenhang  nach  vielleicht 
neuen  Umstand  sei  hier  hingewiesen.  Bei  vielen  Karolinger-Urkunden 
herrscht  bezüglich  der  Schreibweise  der  Eigennamen  eine  grosse  Unbe- 
ständigkeit, aber,  wie  Siekel  hervorhebt,  sind  nur  bei  dem  am  häufigsten 
angeführten  Aachen  geradezu  verschiedene  Benennungen  in  Gebrauch 
gewesen.  Dies  berechtigt  zu  dem  Schluss,  dass  um  die  Mitte  des  8.  Jahr- 
hunderts nur  wenige  auf  Aachen  bezügliche  wichtige  Schriftstücke  älterer 
Zeil  vorhanden  waren. 

s)  Die  erste  Spur  der  Grannssage  finde!  sich  im  12.  Jahrhundert  in 
einem  unechten  Privileg  Karlsd.  Gr.;  vgl.  Eaagen,  Gesch.  Achens  I,  S.  L27. 
Ebendas.  11.  S.  347  Näheres  über  eine  Granusstatue  in   Aachen. 


Fürstensagen  in   dachen  and  seiner  Umgebung.  117 

daselbst  einen  zerfallenen  Palast  unter  Gestrüpp  verborgen 
entdeckt  habe,  dessen  Gründer  ein  römischer  Fürst  Granus, 
ein  Bruder  Neros  und  Agrippas,  gewesen  sei.  Bis  zur  grossen 
französischen  Staatsumwälzung  fand  diese  Fabel  vielfachen 
Glauben,  wozu  die  dem  östlichen  Rathhausthurm  in  Aachen 
eigenthümliche  uralte  Benennung  Granusthurm1  nicht  wenig 
beigetragen  haben  mag.  Freilich  war  schon  im  vorigen  Jahr- 
hundert in  Gelegenheitsschriften2  und  in  Meyers  Aachenschen 
Geschichten  wiederholt  darauf  hingewiesen  worden,  dass  nicht 
der  mythische  Bruder  Neros,  sondern  vielleicht  ein  anderer 
Römer  des  Namens  Granus  als  Gründer  Aachens  betrachtet 
werden  könne,  oder  dass  Granus  der  Beiname  des  Apollo  Granus 
sei,  welchem  zu  heidnischer  Zeit  kalte  und  warme  Quellen  ge- 
weiht waren.  Gründlichere  Untersuchungen  blieben  der  Neu- 
zeit vorbehalten.  Professor  H.  Müller  versuchte  vor  25  Jahren 
in  einer  längern  Abhandlung 3  den  Beweis  zu  liefern,  dass  im 
Namen  Aquae  Grani  der  keltische  Name  des  Apollo  „Granus" 
enthalten  sei,  derselbe  hiernach  soviel  als  Apollobad,  Sonnenbad 
bedeute4.  Bald  nachher  behauptete  Simrock5,  Wodan  (Odin) 
sei  zu  Aachen  unter  seinem  bekannten  Beinamen  Grani  nebst 
seinem  Rosse,  welches  ebenfalls  Grani  hiess,  verehrt  worden. 
Gelöst  ist  hiermit  die  Frage  nicht,  doch  spricht  nur  eine  geringe 
Wahrscheinlichkeit  für  die  Möglichkeit  einer  gründlichem, Lö- 
sung. So  geistreich  auch  Müller  und  Simrock  ihre  Vermuthung 
begründen,  „alle  Forschungen  dieser  Art  laufen",  wie  ersterer 
selbst  am  Schluss  seiner  Abhandlung  treffend  bemerkt,  „mehr- 
fach  in    unsichere  Grenzen  aus".     Nach    wie    vor  darf  es   als 


')  Der  jetzige  Granusthurm  stammt  aus  dem  Beginn  des  13.  Jahr- 
hunderts. Wie  van  Alpen  (Geschichte  des  fränMschen  Rheinufers)  wieder- 
holt erzählt,  fabelte  man  früher  in  lachen,  dass  der  unterirdische  TheiJ 
dieses  Thurms  an  Grösse  dem  oberirdischen  gleich  sei. 

2)  Vgl.  Amusemens  des  eaus  d'Aix-la-Chapelle  (1736)  I.  p.  20  sq.,  \-~> 
sq.;  IT.  p.  ;;:!!  sq.;  ferner  eine  Dissertatioi  dem  .1.  L759,  worüber  Näheres 
bei  Lersch,  Aufsätze  aus  der  lachen-Burtscheider  Kurliste  von   L872. 

3)  lim, UM-  Jahrbücher  XX XI II.  XXXIV.  s.  56  f. 

4)  Ebendas.  XXX1JI.  XXXIV.  S,  59. 

5)  Ebendas.  XXXIX.  XI,  S.  329, 


1  18  E.  Pauls 

möglich,  wenn  auch  nicht  gerade  als  wahrscheinlich  hingestellt 
werden,  dass  Granus  eine  geschichtliche  Persönlichkeit  aus 
heidnischer  Zeit  ist1,  deren  Name  zufallig  mit  dem  Beinamen 
eines  in  der  Urzeit  verehrten  Gottes  übereinstimmt.  Ist  doch 
auch  der  Name  Quirinus,  der  in  Aachen  als  Grundwort  in 
Quirinusbad  (Quellen)  auftritt,  ebensowohl  der  Beiname  einer 
heidnischen  Gottheit,  als  der  Name  eines  christlichen  Märty- 
rers2. Und  schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  von  den  Galliern 
an  warmen  Quellen  der  Apollo  Borvo  (Bormo)  verehrt  wurde. 
Ton  diesem  Apollo  leiten  einzelne  Forscher  den  Namen  des 
Aachen  durchfliessenden  Wurmbachs  ab  3.  Apollo  Granus  wäre 
also  vielleicht  ehemals  bei  uns  nicht  ohne  Nebenbuhler  oder 
Vorgänger  gewesen.  Augenscheinlich  ..mehrfach  unsichere 
Grenzen'1 ! 

Kaum  minder  als  die  Granussage  ist  weit  über  die  Grenzen 
Aachens  hinaus  die  Ansicht  verbreitet,  Leo  III.  habe  im  Jahre 
805  die  Aachener  Münsterkirche  geweiht4.  Wahrscheinlich  — 
Bestimmtes  wird  wohl  nie  zu  ermitteln  sein  —  paart  sich  hierbei 
Dichtung  und  Wahrheit.  Um  kurz  die  einschlägigen  geschicht- 
lichen Thatsachen  zu  erwähnen,  so  war  unmittelbar  vor  dem 
Jahre  800.  vielleicht  erst  um  799  der  Bau  der  Aachener  Pfalz- 
kapelle im  Wesentlichen  vollendet.  Um  805  weilte  Leo  III. 
kur^e  Zeit  in  Aachen5:  etwa  76  Jahre  später  verwüsteten  die 


1)  Lersch,  welcher  in  seiner  Geschichte  des  Bades  Aachen  che  Granus- 
sage anziehend  behandelt,  spricht  sich  in  der  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichts- 
vereins  (VII,  S.  1 72)  in  ähnlichem  Sinne  aus. 

2)  Ygl.  die  Ausführungen  hei  Lersch  a.  a.  0.  S.  7  und  47. 

3)  Maijan,  Keltische  Ortsnamen  in  der  Eheiuprovinz  (Progr.  der  Eeal- 
sehule  I.  Ordnung  zu  Aachen  1879/80)  S.  16.  11.  .Müller  dagegen  findet  in 
dem  Namen  des  "Wurmbachs  eine  Andeutung  des  bei  mehrern  Bädern  nach- 
weisbaren Schlangenkultns  (Lersch  a.  a.  0.  S.  7). 

*)  Der  Aachener  Münsterschatz  besitzt  zwei  Rehquien  dieses  Papstes. 
Vgl.  Kessel,  Geschichtliche  Mittheilringen  über  die  Eeiligthümer  der  Stifts- 
kirche zu  Aachen  S.  63  und  128. 

6)  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  Vlll.  S.  L5,  Amii.  •_':  Aus- 
führliches bei  Haagen,  Geschichte  Achens  bis  zum  .1.  L024,  S.  88;  Kessel 
a.  a.  0.  S.  Ii4  ff. 


Eürstensagen  in  A.achen  and  seiner  ümgebim  119 

Normannen  die  Aachener  Pfalzkapelle  derartig,  dass  dieselbe 
Jahre  lang  vernachlässigt  blieb '  and  eine  neue  Einweihung 
nothwendig  wurde.  Eine  undatirte  Urkunde2  über  die  Verbrü- 
derung zwischen  dem  Aachener  Konvent  und  dein  Kloster 
Nieder-Altach  in  Baiern  aus  der  Zeit  von  805  bis  966  (?)  spricht 
von  der  "Weihe  des  Aachener  Münsters  durch  Leo  III..  ebenso 
eine  Urkunde  des  Papstes  Hadrian  IV.  vom  Jahre  1157  3.  Die 
Lokalüberlieferung  und  Inschriften  der  Munsterkirche  bezeich- 
nen den  »6.  Januar  als  den  Jahrestag  der  Münsterweihe  durch 
Leo  III.;  am  6.  Januar  1704  fand  in  Aachen  eine  Jubelfeier  zum 
Säkulartag  der  Einweihung  statt4,  ebenso  am  6.  Januar  ISO)"'. 

Aus  dem  Verbrüderungsbrief  und  der  Papsturkunde  lässt 
sich  ein  urkundlicher  Beweis  für  die  Einweihung  durch  Leo 
III.  nicht  gewinnen.  In  ersterm  wiegt  die  Sage  vor6.  Die 
komische  Fabel  von  den  365  bei  der  Einweihung  anwesenden 
Bischöfen  wird  als  Thatsache  hingestellt,  dabei  ist  die  Rede 
von  einem  Ablass,  der  höchst  wahrscheinlich  nie  ertheilt  wurde  7. 
Vielleicht  gehört  der  Verbrüderungsbrief  dem  10.  Jahrhundert 
an8,  in  welchem  sich  längst,  wie  schon  die  um  883  ver- 
fasste  Schrift  des  Mönchs  von  St.  Gallen  beweist,  die  Sage  im 
reichsten  Masse  der  Persönlichkeit  Karls  d.  Gr.  und  vieler 
Ereignisse  seiner  Regierungszeit  bemächtigt  hatte.  Höchstens 
kann  man  diesen  Brief  als  Beweis  dafür  gelten  lassen,  dass 
bereits  100 — 150  Jahre  nach  805  in  Aachen  der  Glaube  ver- 
breitet war,  Leo  III.  habe  die   dortige  Münsterkirche  geweiht. 

Ebenso  wenig  lässt  sich  aus  der  Papsturkunde  des  Jahres 


(i  Lageblich,  aber  wahrscheinlich  sehr  übertrieben,  80  Jahre  hindurch; 
vgl.  Eaagen  a.  a.  « >.  S.   1  IT.  Anm.   1. 

2)  Kessel  a.  a.  O.  S.   L75  Ff. 

:i)  Quix,  Codex  dipl.  A.quens.  p.  31.  no.  II.  Es  ist  fraglich,  bleiW 
aber  liier  ausser  Betracht,  ob  diese  Urkunde,  sowie  der  Verbrüderungsbrief 
hinsichtlich  ihrer  Echtheil  als  unanfechtbar  anzusehen  sind. 

4)  Meyer,  A.achensche  Geschichten   I.  S;  87. 

5)  Quix,  dachen  und  dessen   Umgebungen  S.  22. 

6)  Wortlaut  bei  Kessel  a.  a.  0.  S.   L75. 
:i  Kessel  a.  a.  0.  S.   L76. 

8)  Nach  Kessel  a.  a.  0.  dürfte  er  kurz  vor  9öö  entstanden  -• 


120  E.  Pauls 

1157  folgern,  dass  nach  Hadrians  IV.  Erklärung  sein  Vorgänger 
Leo  III.  die  Einweihung  des  Aachener  Münsters  vollzogen  hat. 
Eine  Zergliederung  dieser  Urkunde  ergibt  nämlich  Folgendes. 
Das  Aachener  Stift  hatte  Hadrian  IV.  um  Schutz  und  Besitz- 
bestätigung gebeten,  wobei  es  sich  auf  das  in  der  Neuzeit  längst 
als  gefälscht  erkannte  sog.  Privilegium  Carolinum,  die  Sanctio 
pragmatica,  bezog \  In  seiner  Antwort  erklärt  der  Papst,  dass 
ihm  und  Vielen  bekannt  wäre,  dass  Karl  d.  Gr.  der  Erbauer 
des  Aachener  Münsters  sei 2.  Wie  im  Privilegium  Carolinum 
stehe 3,  habe  Kaiser  Karl  den  Papst  Leo  III.  gebeten,  die 
Münsterkirche  zu  weihen,  welcher  dann  herrliche  Vorrechte 
zu  Theil  geworden  seien.  Wir  bewilligen,  so  ungefähr  heisst 
es  weiter,  die  Bitte  des  Aachener  Stifts  und  verhängen  über 
dessen  etwaige  Bedrücker  kirchliche  Strafen,  wie  dies  schon 
auf  Bitten  Karls  d.  Gr.  unser  Vorgänger  Leo  III.  that,  der, 
nach  obiger  Angabe4,  die  ganze  Kirche  eigenhändig  weihte5. 
Augenscheinlich  unterscheidet  Hadrian  IV.  zwischen  Be- 
stimmtem und  Unbestimmtem.  Als  gewiss  gilt  ihm  die  damals 
allgemein  bekannte,  unanfechtbare  Thatsache,  dass  die  Aachener 
Marienkirche  von  Karl  d.  Gr.  erbaut  worden  sei.  Als  gewiss 
gilt  ihm  ferner,  dass  Leo  III.  auf  Bitten  Karls  d.  Gr.  die  Be- 
drücker des  Aachener  Stifts  mit  kirchlichen  Strafen  belegt  habe. 
Worauf  stützte  Hadrian  IV.  diese  Behauptung?  Im  Privile- 
gium Carolinum  steht  hierüber  nichts,  auch  sonst  ist  ein  der- 
artiger Schutzbrief  für  das  Aachener  Stift  nicht  bekannt.  Es 
ist  indess  sehr  wahrscheinlich,  dass  Leo  III.  bei  seinem  Besuch 


*)  Die  Bezeichnung  Privileg.  Carolin,  braucht  Noppius  heim  Abdruck 
dieser  Fälschung;  bekannter  ist  die  Benennung  Sanctio  pragmatica. 

2)  Text:  Ecclesiam  b.  Mariae  a  Carolo  .  .  .  imperatore  fuisse  con- 
struetam  et  nos  ipsi  manifeste  cognovimus,  et  ad  multorum  notitiam  cer- 
tum  est  pervenis  e. 

3)  Text:  Sicut  in  eiusdem  imperatoris  privilegio  continetur. 

4)  Text:  Prout  superius  diximus,  worin  ein  erneuter  Hinweis  liegt, 
dass  hierbei  Hadrian  IV.  sich  auf  die  Abgaben  des  Privileg.  Carolinum 
stutzt. 

5)  Diese  Weibe  wird  auch  bei  Abel-Simson  (Karl  d.  Gr.  IL  S.  - i  1  i >. 
Anm.  5)  als  spätere  Legende  bezeichnet. 


Fürstensagen  in   Aachen  und  seiner  Umgebung.  L21 

Aachens  im  Jahre  805,  wo  man  ihn  hoch  ehrte  und  reich 
beschenkte,,  einen  solchen  Schutzbrief  für  Karls  d.  Gr.  Lieb- 
lingskirche ausstellte,  dessen  Inhalt  noch  um  1157  in  Rom 
bekannt  war.  Hätte  dieser  Schutzbrief  eine  Andeutung  über 
die  Weihe  des  Doms  durch  Leo  111.  enthalten,  oder  wäre  über- 
haupt ein  diese  Weihe  bestätigendes  Aktenstück  um  1157  im 
päpstlichen  Archiv  vorhanden  gewesen,  so  würde  wohl  Hadrian 
IV.  von  der  Einweihung  durch  Leo  III.  ebenfalls  mit  Bestimmt- 
heit sprechen,  ohne  sich  vorsichtig  durch  den  Hinweis  auf  die 
Angaben  des  Privilegium  Carolinum  zu  decken1,  unzweifel- 
haft hat  Hadrian  IV.  dem  Privileg  durch  seine  Erwähnung  ein 
gewisses  Ansehen  gegeben 2,  aber  Thatsache  bleibt  es.  dass  er 
eben  durch  dessen  Xamhaftmachung  als  Quelle  sich  in  recht 
geschickter  Weise  gegen  die  Möglichkeit  der  Annahme  geschützt 
hat,  als  habe  er  ihm  nicht  genau  Bekanntes  als  unanfechtbar 
hingestellt. 

In  Ermangelung  entscheidender  urkundlicher  Beweise  sind 
wir  demnach  auf  die  Berichte  zeitgenössischer  Schriftsteller  und 
auf  den  Versuch  der  Beurtheilung  des  Werths  der  Ueberliet'e- 
rung  hingewiesen.  Bei  dem  ungemein  freundschaftliehen  Ver- 
hältniss,  welches  zwischen  Karl  d.  Gr.  und  Leo  III.  bestand, 
ist  es  möglich,  dass  nach  gegenseitiger  Absprache  die  feierliche 
(endgültige)  Weihe  der  Pfalzkapelle  bis  zu  einem  vereinbarten 
gelegentlichen  Besuch  des  Papstes  in  Aachen  verschoben  winde. 
Andererseits  sprechen  sehr  viele  Gründe  gegen  die  Wahrschein- 
lichkeit einer  solchen  Uebereinkunft.  Die  Entfernung  zwischen 
Aachen  und  Rom  ist  eine  ganz  bedeutende;  weite  Reisen  waren 


J)  Aehnlich   deckte   sich    Rom    200  Jahre    später   der   Abtei  Comeli- 
münster  gegenüber.     Diese  hatte  um  Ertheirung  Ablasses  für  die  Zeil 

der  HeiHgthumsfahrt    gebeten,     [nnocenz    VI.    be^  tm    im   .1.    1359, 

wobei  er  schreibt:    Wie    versichert    wird  (ut  asseritur),  werden  in  Comeli- 
münster  folgende  Reliquien  aufbewahrt  u.  s.  w. 

2)  Persönlich    mag    vielleicht   Hadrian    (V.  die  Angaben   des  Privileg. 
Carolinum  durchgängig  für  richtig  gehalten  haben.    Kr  führt  aus  ihnen 
an.  dass  die  Aachener  Münsterkirche  sedes   regia,   locus  regalis  sei.    That- 
sächlich  waren  um  H57  schon    seit    etwa  250  Jahren    i'a-t   alle   deutschen 
Herrscher  im   Dom  zu  Aachen  gekrönt  worden, 


122  E.   Pauls 

vor  ei  nein  Jahrtausend  mit  grossen  Mühseligkeiten  verbunden, 
und  zudem  war  Leos  Lage  in  Rom  durchaus  nicht  dazu  ange- 
tlian,  dem  Kaiser  einen  Besuch  im  weit  entlegenen  Aachen  in  Aus- 
sicht stellen  zu  können.  Schwerer  noch  fällt  das  Schweigen 
aller  Geschichtschreiber  aus  karolingischer  Zeit  in  die  "Wag- 
schale. So  mancher  unbedeutende  Zug  ist  uns  erhalten  geblie- 
ben: sollte  ein  so  nennenswerthes  Ereigniss,  wie  es  die  päpst- 
liche Einweihung  des  vom  mächtigsten  Fürsten  jener  Zeit  in 
seiner  Rom  so  fernen  Residenz  gebauten  Doms  gewesen  wäre, 
nicht  verzeichnet  worden  sein?  Sollte  namentlich  Einhard, 
über  dessen  Interesse  an  der  Pfalzkapelle,  über  dessen  Fröm- 
migkeit und  Anhänglichkeit  an  Papst  und  Kaiser  so  viele 
Beweise  vorliegen,  diese  Einweihung  todtgeschwiegen  haben? 
Dafür,  dass  alle  auf  die  Einweihung  durch  Leo  III.  bezüglichen 
Aufzeichnungen  verloren  gegangen,  spricht  sicher  nur  eine 
sehr  geringe  Wahrscheinlichkeit.  Vermuthlich  war  beim  Be- 
such Leos  im  Jahre  805  die  Pfalzkapelle  längst  geweiht, 
doch  wird  man  es  damals  schwerlich  versäumt  haben,  den 
Statthalter  Christi  um  die  Weihe  von  ein  paar  neu  errichteten 
Altären  in  der  Münsterkirche  zu  bitten.  Eine  solche,  von  den 
Geschichtschreibern  vielleicht  kaum  gekannte  oder  nicht  ver- 
zeichnete Pontifikalhandlung  mag  mehrere  Jahrzehnte 1  später 
die  Sage  zu  einer  Einweihung  der  ganzen  Kirche  aufgebauscht 
haben.  Keinesfalls  darf  auf  die  Ueberlieferung,  die  Inschriften 
im  Aachener  Münster  und  die  Jubelfeier  in  den  Jahren  1704 
und    1804   ein   zu   grosses  Gewicht  gelegt   werden,   denn   seit 


v 


)  Ohne  Zwcifd  erweiterte  sieh  in  Aachen  bald  nach  der  durch  die 
Verwüstung  der  NormanneD  nöthig  gewordenen  neuen  Einweihung  der 
Münsterkirche  der  bereits  vorhandene  Sagenkreis.  Denn  mit  der  zweiten  Ein- 
weihung war  in  gewissem  Sinne  eine  neue  Zeit  angebrochen,  wobei  bezüg- 
lich  der  Vergangenheit  dm'  Sagenbildung  Thür  und  Thor  geöffnet  war.  Pertz 
schreibt  zum  10.  Jahrhundert:  Allgemein  war  die  Sage,  obschon  ihr  An- 
K.ul  d.  Gr.  noeb  näher  war.  Einen  wie  enger  Begriff  erhalten  wir 
von  dem  Einlluss  der  Schrift  in  jener  Zeit  und  von  dem  Gedächtniss  der 
Menschen  nach  den  normannischen,  arabischen  und  angarischen  Verhee- 
rungen! Schwach  war  das  Urtheil,  dichterisch  der  Geisl  des  Volkes.  (Vgl. 
Bloss,  Geschichtliche  Nachrichten  über  die  Aachener  Eeiligthümer  S.   193.) 


Fürsten  ien  und  seiner  Umgebung.  L23 

jeher  reichten  sieh  Sage  und  Ueberlieferung  gern  dann  die 
Hand,  wenn  es  sich  um  die  Erhöhung  des  Ansehens  einer 
von  Fürsten  geschaffenen  Einrichtung  handelte.  Um  nur  zwei 
hier  nahe  liegende  Beispiele  anzuführen,  so  machen  unbefugter 

Weise  zahlreiche  rheinische  Kirchen  auf  die  Ehre  Anspruch, 
von  Leo  III.  geweiht  zu  sein.  Die  Abtei  Cornelimünster  wollte 
ohne  jede  geschichtliche  Berechtigung  ihren  Ursprung  auf  Karl 
d.  Gr.  zurückführen.  In  Urkunden  und  Druckschriften,  auch 
in  Inschriften  in  der  Abteikirche  wurde  dieser  Ueberlieferung 
oft  Ausdruck  verliehen;  es  lag  sogar  im  Plan,  zum  Jahre  1800 
eine  grosse  Jubelfeier  zu  veranstalten,  und  nur  der  stürmischen 
Zeiten  wegen  unterblieb  ein  so  unberechtigtes  Fest l. 

Immerhin  bleibt  es  möglich,  wenn  auch  nicht  eben  wahr- 
scheinlich, dass  Leo  III.  die  Aachener  Münsterkirche  geweiht 
hat;  sicher  erhöhte  der  Glaube  an  die  durch  ihn  vollzogene 
Weihe  in  mittelalterlichen  Zeiten  wesentlich  das  Anseilen  dei 
Krönungsstätte  der  deutschen  Könige.  Emsig  war  man  daher 
früher  bemüht,  diesen  Glauben  zu  stützen.  So  hatte  man, 
abgesehen  von  anderweitig  im  Dom  angebrachten  Inschriften, 
auf  den  Flügeln  der  ehemaligen  Orgel  die  Einweihung  durch 
Leo  III.  in  Gemälden  dargestellt2.  Ein  Agnus  Dei  im  Münster 
sollte  ein  Geschenk  Leos  III.  an  Karl  d.  Gr.  sein3,  doch  erwies 
es  sich  bei  der  amtlichen  Untersuchung  im  Jahre  1S74  als 
ein  um  1432  von  Eugen  IV.  geweihtes  wächsernes  Lammbild '. 
Auch  war  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  das  Märchen  sehr 
verbreitet,  dass  ein  im  Aachener  Münsterschatz  aufbewahrter 
Chormantel,  die  sog.  cappa  Leonis  HJ.,  von  Leo  III.  bei  der 
Einweihung  des  Münsters  getragen  w. irden  sei5.  Nach  Heck 
fehlt    dieser   Ueberlieferumr    die    mindeste   Berechtigung,    und 


*)  Nach   urkundlichem    .Material    zur   Geschichte    der    ibtei  Corneli- 
mün 

2)  Quix.  Eistorische  Beschreibung    der  Münsterkirche  S.  '■>.  Amn.  s. 

3)  Heihgthumsfahrts-Büchleiii   des  17.  und  LS.  Jahrhunderts;   Lettres 
sur  la  villc  et  les  eaux  d'Aix-la-Chapelle  (1786)  p.    19. 

4)  Kessel  a.  a.  0.  S.  87. 

5)  Quix.   dachen  und  dessen   Umgebungen  S,  23, 


IJI  E.  Pauls 

gehört  der  Chormantel  wahrscheinlich  der  Zeit  des  Richard  von 
Cornwallis  an  1. 

Jahrhunderte  hindurch  beruhte  Aachens  Bedeutung  wesent- 
lich auf  seinem  Dom,  und  Jahrhunderte  hindurch  wandten 
diesem  Tempel  zahlreiche  Herrscher  fürstliche  Geschenke  zu. 
Manche  Sagen  knüpfen  sich  daher  theils  an  die  Münsterkirche 2 
selbst,  theils  au  ihre  Schätze3.  Im  Yolk  hielt  man  irrig  das 
Wappen  des  Aachener  Krönungsstifts  für  dasjenige  Karls  d.  Gr.4 
Der  Sage  nach  ruht  im  Münster  ausser  dem  grossen  Kaiser 
Karl  und  Otto  III.  auch  der  Langobardenkönig  Desiderius5; 
ursprünglich  sollen  die  deutschen  Könige  gelegentlich  der  Krö- 
nungsfeierlichkeiten in  einer  Kapelle  des  Münsters  übernachtet 
haben 6 ;  in  der  Wölbung  des  angeblich  von  Philipp  von  Schwa- 
ben dem  Münster  angebauten  Dormitoriums 7  sah  man  nie  eine 


')  Bock,  Karls  d.  Gr.  Pfalzkapelle  und  ihre  Kmistschätze  II,  S.  17  f. 

2)  Aachens  Palast  scheint  dagegen  bei  der  Sagenbildung  nach  814 
fast  gar  nicht  bedacht  worden  zu  sein.  P.  a  Beeck  (Käntzelers  Uebersetzung) 
S.  222  kennt  eine  jedenfalls  ansserhalb  Aachens  entstandene  Sage,  nach 
welcher  die  meisten  der  alten  Könige  im  Aachener  Palast  geweiht  wurden. 
Nach  Haagen  (Geschichte  Achens  bis  1028,  S.  (3)  enthielt  der  Palast  unbe- 
zweifelt  gewisse  Malereien,  aber  doch  wohl  nur  die  Sage  (Käntzeler  a.  a. 
0.  S.  2(37)  macht  daraus  Darstellungen  der  sieben  freien  Künste  und  verschie- 
dener Feldschlachten. 

3)  Den  Münsterschatz  berühre  ich  mir  in  sofern,  als  nicht  genau  ver- 
bürgte Angaben  über  fürstliche  Personen  in  Betracht  kommen. 

4)  Bock,  Bheinlands  Bandenkmale  des  Mittelalters,  Serie  ÜI,  Lief.  4: 
Die  Hubertus-  und  Karlskapelle  am  Aachener  Münster  S.  14.  Ueber  das 
Wappen  des  Aachener  Stifts  vgl.  Käntzeler  a.  a.  0.  S.  Di:]. 

5)  Käntzeler  a.  a.  0.  S.  120  f.;  Bonner  Jahrbücher  XXXIH.  XXXIV, 
S.  221,  namentlich  al>er  Arendt,  Des  rccherches  faits  dans  la  Cathedrale 
d'Aix-la-Chapelle,  in  den  Bulletins  de  l'Academie  royale  de  Belgique,  ser. 
DT,  tom.  XII.  no.  12.  Nach  Käntzeler  (a.  a.  0.  S.  353)  bezieht  sich  die 
(i.  Strophe  des  bekannten  Hymnus  Urbs  Aquensis  auf  Desiderius.  Vgl. 
auch  Noppius,  A.acher  Chronick  (1632)  Th.  I,  S.  26.  Ueber  den  „Sarg" 
Julius  Cäsars  im  Aachener  Münster  vgl.  Lettres  etc.  p.  45  und  Zeitschrift 
des  Aach.  Geschichtsvereins  HJ,  S.  K>7  f. 

c)  Käntzeler  a.  a.  0.  S.  241;  Bock  a.  a.  0.  S.  I. 
T)  Käntzeler   a.  a.  < ».    S.  170;    Bock    a.    a.    0.    Serie  I,    Lief.  Ü:    Die 
Bauwerke  Philipps  von  Schwaben  am  Aachener  Minister. 


Fürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  125 

Spinne  oder  ein  Spinngewebe  l.  Die  Sage,  dass  Gregor  V.  im 
Jahre  997  nach  Aachen  gekommen  sei2,  hängt  mit  einer  in 
dem  genannten  Jahr  für  das  Marienstift  ausgestellten  Urkunde 
zusammen3:  Maria  Theresia  Hess  die  Kaiserkapelle  dem  Münster 
anbauen4,  was  ebenso  ungenau  ist  als  die  Erzählung,  dass  der 
h.  Bernhard  in  der  ungarischen  Kapelle  Messe  gelesen  habe5. 
Der  alten  Ueberlieferung G,  dass  Ludwig  der  Fromme  aus 
der  Aachener  Pfalzkapelle  nach  Cornelimünster  die  heute  noch 
dort  vorhandenen  grossen  Heiligthümer  verschenkt  habe,  liegt 
sehr  wahrscheinlich  nicht  eine  Sage,  sondern  Wahrheit  zu 
Grunde.    Kein  Kaiser    war   jemals    der   Abtei   Cornelimünster 


x)  Käntzeler  a.  a.  0.  S.  34  ;  Noppius,  welcher  die  ZurücMiihrung  des 
Baus  auf  Philipp  von  Schwaben  nicht  zu  keimen  scheint,  a.  a.  0.  Th  1.  S.  30; 
Amusemens  des  eaux  d'Aix-la-Chapelle  (1736)  Et,  p.  144.  Vielleicht  lag 
hier  eine  Thatsache  vor,  die  sich  durch  besondere  atmosphärische  Ein- 
flüsse oder  durch  Mörtel,  bezw.  Holz  von  eigenthümlicher  Beschaffenheil 
erklären  lässt. 

2)  Lettre«  etc.  p.  56;  Schilderung  der  Stadt  Aachen  (1787)  S.  33. 

3)  Quix,   Cod.   dipl.    Aquens.   J.    p.  36,    no.   49.     Die  Echtheit    di 
Urkunde  ist  fraglich. 

4)  van  Alpen,  Geschichte  des  fränkischen  Rheinufers  1,  S.  21.  Ulme 
Zweifel  ist  die  um  1374  gegründete,  unter  Maria  Theresia  neu  erbaute 
ungarische  Kapelle  gemeint.     Näheres  bei  Quix,  Münsterkirche  S.  37. 

5)  Noppius  a.  a.  0.  1.  S.  28.  Es  stimmt  dies  in  etwa  mit  der  Sage, 
dass  unter  Heiniich  II.  die  Ungarn  und  Böhmen  zuersl  Aachen  zur  Ver- 
ehrung der  Heiligthümer  besucht  haben.  (Vgl.  das  im  J.  177U  erschienene 
Wallfahrtsbüchlein:  Umständlicher  Bericht  von  den  h.  h.  Reliquien  n.  s.  w. 
zu  St.  Adalbert  S.  33.) 

6)  Käntzeler.  Vita  s.  Caroli  Magni  p.  140  und  zahlreiche  andere 
Quellen.  Fast  unbekannt  scheint  es  zu  sein,  dass  zu  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts die  bischöfliche  Behörde  zu  Aachen  es  in  der  Band  hatte,  die 
grossen  Comelimünsterer  Eeiligthümer  ganz  "der  theilweise  dem  Aach 
Domschatz  wieder  einzuverleiben.  Im  .1.  L802,  nach  der  Aufhebung 
Klöster,  waren  nämlich  die  in  den  aufgehobenen  Klöstern  befindlichen  Ri  li- 
quien  ziemlich  herrenlos  geworden.  Bischof  und  Präfekl  ordneten  au.  dass 
die  Pfarrer  vorläufig  die  Rehquienbehälter  in  Empfang  zu  nehmen  und  dem 
Bischof  nähern  Bericht  einzusenden  hätten.  In  Cornelimünster  hielt  man 
bis  isoi  die  grossen  Eeiligthü r  verborgen.  Dann  wandten  sich  die  dorti- 
gen Behörden  in  dringenden  (mir  abschriftlich  vorliegenden)  Bittgesuchen 
an  den  Bischof,  woraui  dieser  die  fernere  Aufbewahrung  und  Ausstellung 
zur  Zeit  der  Eemgthiimsfahrl  gestattete 


L26  E.  Pauls 

geneigter  als  ihr  Gründer  Ludwig  d.  Fr.,  keiner  hat  sie  reicher 
beschenkt 1,  und  vermuthlich  wollte  in  ihr  Karls  d.  Gr.  erster 
Nachfolger  seine  Ruhestätte  finden2.  Ferner  ist  der  bisher 
kaum  bekannte  Umstand  sehr  beachtenswert^  dass  Ludwig 
d.  Fr.  auch  anderswohin  Reliquien  der  Aachener  Pfalzkapelle 
verschenkt  hat3,  dass  also  eine  Verminderung  des  Aachener 
Schatzes  seinen  Anschauungen  nicht  widersprach.  Sagenhafter 
klingt  dagegen  eine  Angabe  der  Vita  Caroli  Magni,  nach  wel- 
cher Karl  IL  (der  Kahle)  aus  dem  Aachener  Münster  die 
Dornenkrone  nach  Paris  übertrug4. 

Derselbe  Kaiser  spielte  früher  auch  in  den  Legenden  über 
das  Noli  me  tangere-Kästchen  eine  Rolle5;  Floss  hält  es  für 
wahrscheinlich,  dass  ihm  Cornelimünster  seine  Reliquien  der 
hh.  Cornelius  und  Cyprian  verdankt6,  doch  fehlt  hierfür  jede 
Ueberlieferung.  In  etwa  hat  sich  die  Sage  in  neuester  Zeit 
der  Ueberreste  Ottos  III.  bemächtigt.  Sicher  ist  nur,  dass  sie 
sich  nicht  mehr  im  Münster  befinden,  dagegen  bleibt  es  zwei- 
felhaft, ob  sie  nach  Paris  gekommen,  oder  anderswo  unter- 
gebracht worden  sind7. 

Bei  zahlreichen  Kunstwerken  des  Aachener  Münsterschatzes 


')  Simson,  Jahrbücher  des  fränkischen  Reichs  unter  Ludwig  d.  Fr. 
I,  S.  24  u.  37. 

2)  Nicolai,  Der  h.  Benedikt  S.  135. 

3)  Nämlich  nach  Korvei  Reliquien  des  h.  Stephan.  Simson  a.  a.  0.  II, 
S.  269. 

4)  Kiintzeler  1.  c.  ]i.  140.  Nach  Hansen,  Beiträge  zur  Geschichte 
von  Aachen  T,  S.  7  ff.  entbehrt  die  Sage  von  der  Uebertragung  der  Reli- 
quien und  des  Markts  von  Aachen  nach  St.  Denis  der  historischen  Unter- 
lage. Zur  Ueschichte  der  Dornenkrone  und  des  von  ihr  in  Aachen  vor- 
handenen Theilchens  vgl.  Floss  a.  a.  0.  S.  85  f.  u.  93;  Kessel  a.  a.  0.  S. 
44  f.;  Bock,  Karls  d.  Cr.  Pfalzkapelle  und  ihre  Kunstschätze  II,  S.  37, 
Anm.  3.  Nach  van  Alpen  (a.  a.  O.  II,  S.  000)  schreibt  die  Sage  Ludwig 
dem  Stammler  die  üebertragung  von  Reliquien  der  Pfalzkapelle  nach  St. 
Monis  zu. 

6)  Meyer,  Eistorische  Abhandlung  über  die  -rossen  Reliquien  (1804) 
S.    16. 

ü)  Floss  a.  a.  0.  S.   117.  • 

7)  .1.  Chorus,  Archäologische  Beschreibung  der  Münster-  oder  KxÖ- 
QUngskirche  ( L886)  S.  77. 


tTürstensaeen  in    Lachen   uml  seiner  tJmgebune.  127 


- 


ist  der  füHßtliche  Geber  durch  Urkunden  oder  durch  seine 
Wappen  auf  der  Gabe  bekannt,  in  andern  Fällen  dagegen  weiss 
bloss  die  oft  sagenhafte  Ueberlieferung  den  Namen  des  hoch- 
gestellten Gönners  zu  nennen.  Wohl  nur  ein  Märchen  be- 
hauptet, dass  das  Siegel  in  einem  gothischen  Reliquiar  vrom 
eisten  christlichen  Kaiser  Konstantin  herrührt1.  Nicht  eranz 
erklärt  ist  die  Herstammung  einer  Kleinodientruhe,  eines  Zepters 
und  einer  Krone,  doch  darf  man  sie  ziemlich  unbedenklich 
auf  Richard  von  Cornwallis  zurückführen 2.  Ob  dagegen  die 
Ueberlieferung,  welche  ein  paar  Reliquienbehälter  als  Geschenke 
Karls  IV.  bezeichnet3,  als  ebenso  stichhaltig  sich  erweist, 
scheint  fraglich;  auch  wird  wohl  irrig  zuweilen  die  Entstehung 
einer  gothischen  Reliquienkapelle  in  die  Zeit  Philipps  IL  von 
Spanien  verlegt4.  Eine  herrliche  Stickerei  wird  allgemein  für 
ein  Geschenk  Ludwigs  d.  Gr.  von  Ungarn  und  seiner  Gemahlin 
Elisabeth  gehalten5,  dagegen  ist  die  nach  der  Sage  von  .Maria 
Stuart  herstammende  Krone  längst  als  ein  Diadem  Margarethas 
von  York,  Gemahlin  Karls  des  Kulmen  von  Burgund,  erkannt 
worden G.  Nicht  unbegründet  scheint  endlich  die  örtliche  Ueber- 
lieferung, dass  Karl  V.  dem  Münsterschatz  eine  jetzt  noch  dort 
befindliche  Monstranz  geschenkt  habe7.  Nach  Noppius  und  Quis 
wurde  bis  zum  Jahre  1630  im  Münster  eine  aus  den  Zeilen 
Ludwigs  d.  Fr.  herstammende  Orgel  benutzt8.  Zu  dieser  Sage 
mögen  irgendwelche  unzuverlässige  Inschriften  oder  Holzstücke 
von  sehr  hohem  Alter  Veranlassung  gegeben  haben.  Aller- 
dings   wurde    im   Jahre    826    eine    vom    Presbyter    Georgios 


1)  Bock  a.  a.  0.  IT,  8.  64;  Kessel  a.  a.  0.  S.  36;  Noppius  a.  a.  0. 
Th.  I,  S.  34. 

2)  Bock a.  a.  0.  II,  S.  1 — L6;  Eäntzeler  (Uebersetzung  von  P.  a  Beecks 
Aquisgranum)  S.  L86;  Annalen  des  bist,  Vereins  f.  d.  Niederrhein  XXXV, 
S.  77  r. 

8)  Bock  a.  a.  <>.  II.  S.  26—30  u.  41,  dagegen  Blesse!  a.  a.  0.  S.   II. 
■')  Bock  a.  a.  0.  II,  S.  33;  Kessel  a.  a.  0.  S.  7  1. 
B)  Kessel,    Das  Gnadehbüd  unserer  lieben  Frau  in  der  Stiftskirche  zu 
dachen  S.  58. 

ü)  Kessel  a.  a.  <).  s.  59;   Bock  a.  a.  0.  II.  S.  95. 

')  Bock  a.  a.  0.  II.  S.  Hl). 

8)  Noppius  a.  a.  0.  Th.  I.  S.  25.   Quix,  Münsterkirche  S.   II. 


128  K.  Pauls 

gebaute  Orgel  eine  Zierde  der  Aachener  Pfalz 1  und  von  des 
Kaisers  musikkundiger  Gemahlin  Judith  viel  benutzt,  doch  ist 
nicht  anzunehmen,  dass  diese  Orgel  die  Verwüstung  durch  die 
Normannen  und  einzelne  spätere  Brände  überdauert,  sowie  meh- 
rere Jahrhunderte  lang  dem  Zahn  der  Zeit  getrotzt  habe. 

Wahrscheinlich  älter  als  die  Pfalzkapelle  war  in  Aachen 
die  jetzt  längst  vom  Erdboden  verschwundene  Aldegundiskapelle, 
als  deren  Stifter  bald  der  australische  König  Siegebert,  bald 
Pippin,  bald  Ludwig  d.  Fr.  angegeben  wird.  Archivar  Pick 
hat  diese  Sagen  ausführlicher  erörtert2.1 

Hohen  Ansehens  erfreute  sich  ehemals  das  St.  Adalberts- 
stift  in  Aachen 3.  Es  leitete  seinen  Ursprung  von  Otto  III.  und 
Heinrich  IL  her  und  war  mit  Recht  stolz  auf  manche  Erinne- 
rung an  Heinrich  den  Heiligen.  Von  seiner  Geschichte  ist  mir 
wenig  bekannt.  "Wie  Kreutzer  hervorhebt4,  dürften  manche 
Güterschenkungen,  welche  angeblich  von  den  Kaisern  Heiniich 
IL  und  Heinrich  III.  dem  Stift  gemacht  wurden,  dem  Reich 
der  Sage  angehören.  Grosse  Beachtung  verdienen  die  heute 
noch  in  der  Kirche  zum  h.  Adalbert  vorhandenen  Reliquien. 
Auf  Otto  III.  führt  die  Ueberlieferung  das  Geschenk  des  St. 
Adalbertshaupts 5,  auf  Heinrich  IL  das  Geschenk  des  St.  Hermes- 
haupts6, des  Schulterblatts  des  h.  Laurentius  und  einer  Kreuz- 
partikel "'  zurück,  auch  soll  ein  in  der  Schatzkammer  befindlicher 


J)  Simson  a.  a.  0.  I,  S.  266  f. ;  Bonner  Jahrbücher  V.  VI.  S.  1 55  f. ; 
Haagen,  Geschichte  Achons  bis  1024,  S.  67. 

2)  Mittheilungen  dos  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit  I.  S.  ii  I'. 

s)  Noppius  a.  a.  0.  Th.  I,  S.  74:  ..St.  Adalbert  steht  billig  in  online 
et  dignitate  nächst  dem  Münster." 

*)  Kreutzer,  Beschreibung  und  Geschichte  der  Pfarrkirche  zum  h.  Adal- 
bert in  Aachen  S.  11 — 17. 

5)  So  P.  a  Beeck  (Käntzelers  Uebersetzung)  S.  303;  Noppius  a.  a.  0. 
Tb.  I,  S.  75.  P.  a  Beeck  führt  mehrere  andere  namhaft  gemachte  Reli- 
quien auf  Eeihrich  II.  zurück,  die  Herkunft  des  St.  Hermeshaupts  lässt 
er  unentschieden. 

c)  Noppius  a.  a.   0.  Th.    I.  S.   76. 

7)  Bock,  Die  Reliquienschätze  zu  Burtscheid,  Cornelimünster,  St.  .Hal- 
ber! n.  s.  w.  s.    ii". 


Fürstensagen  in   dachen  und  seiner  Umgebung.  120 

reichverzierter  Dolch  von  Heinrich  IL  herstammen1.  Be- 
stimmtes über  die  Schenkgeber  dieser  und  der  andern  vorhan- 
denen Reliquien  ist  schwer  zu  ermitteln ;  jedenfalls  hat  Otto  III. 
zu  dem  im  Jahre  997  des  Martyrertods  gestorbenen  h.  Adalbert 
in  nahen  Beziehungen  gestanden2.  Das  St.  Adalbertshaupt 
scheint  ein  ähnliches  Geschick  gehabt  zu  haben,  wie  das  St. 
Annahaupt  in  der  Kirche  des  h.  Stephan  zu  Mainz  :!.  Verborgen 
oder  wenig"  geachtet  ruhte  es  nämlich  Jahrhunderte  lang  an 
seinem  Aufbewahrungsort;  erst  am  1.  September  1475  wurde, 
angeblich  in  Gegenwart  Friedrichs  III,  das  St.  Adalbertshaupt 
in  feierlicher  "Weise  zur  öffentlichen  Verehrung  ausgestellt4. 
Reliquien  des  h.  Hermes  befanden  sich  zur  Karolingerzeit  und 
etwas  später  zu  Cornelimünster 5,  werden  aber  dort  nachher 
nicht  mehr  erwähnt.  Vielleicht  sind  unter  Heinrich  IL  Reli- 
quien von  Cornelimünster  nach  St.  Adalbert  gekommen6;  von 
letzterm  erhielt  im  Jahre  1357  Karl  IV.  Reliquien  des  h.  Her- 
mes7. Bezüglich  des  Dolchs  im  St.  Adalbertschatz  hält  Bock 
es  für  möglich,  dass  die  eigentliche  Waffe  der  Zeit  Heinrichs 
IL  angehöre,  glaubt  aber,  dass  die  Handhabe  nebst  der  plastisch 
gearbeiteten  Lederscheide  Jüngern  Ursprungs  sei8. 

')  Bock  a.  a.  0.  S.  43;  ferner  das  oben  angeführte  "Wallfahrtsbüchlein 
von  1776,  S.  29  f.  Nach  einer  Zeichnung  in  diesem  Büchlein  zu  schliessen, 
bewahrte  das  Stift,  früher  auch  einen  Becher  (scyphus)  des  h.  Heinrich. 

2)  Kreutzer  a.  a,  0.  S.  7 ;  Floss  a.  a.  0.  S.  148. 

3)  Bonn,  Rumpel  u.  Fischbach,  Materialien  z.  Geschichte  Dürens  S.  250  I. 

4)  Noppius  a.  a.  0.  Th.  I,  S.  7(3;  Wallfahrtsbüchlein  von  L776,  S.  12. 
Hiermit  stimmt  es,  dass  nach  Bock  a.  a.  0.  S.  42  die  Büste  zur  Adalberts- 
reliquie  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  stammt.  Vgl.  Annalen  des 
bist.  Vereins  f.  d.  Niederrheirj   XVH,  S.   II. 

5)  P.  a  Beeck  (Käntzeler  a.  a.  0.)  S.  304;  Kreutzer  a.  a.  0.  S.  8. 

6)  Jede  Ueberlieferung  fohlt;  dafür  spricht   aber  die  seit  jeher   enge 
Verbindung  zwischen  den  beiden  Stiften  und  der  Umstand,    dass  St.  Ä.dal- 
li<Tt  ähnlich  der  ehemals  mit  Cornelimünster    verbrüderten    Abtei  Gladbach 
Reliquien  des  h.  Cornelius  (und  bezw.  Cyprians)  besitzt    Vgl.  Annalen 
hist.  Vereins  f.  d.  Niederrhein    XVII.  S.    I  I. 

7)  Schervier,  Die  Münsterkirche  zu  Aachen  S.  49,  Zum  Dank  hat   viel- 
leicht Karl  IV.  eine  Büste  zum  St.   Eermcshaupt  geschenkt:    die  jetzt   vor 
handene  Bermesbüste  ist  nämlich  nach  Bock  (a.  a.  <>.  S.  I.'i)  ein  Erzeugniss 

aus  der   zweiten    Eälfte   des    II.   .Iah rh miderts.      *)    Boci    a.   a.   0.    S.    13. 


130  E.  Pauls 

Von  andern  Aachener  Kirchen  sei  noch  bemerkt,  dass 
früher  häufig  die  Sage  den  Bau  der  Salvator-  und  der  Peters- 
kirche auf  Otto  III.  und  Heinrich  II.  zurückführte1.  Da  die 
Geschichte  dieser  Kirchen  wiederholt  in  guten  Einzeldarstel- 
lungen behandelt  ist,  kann  hier  nur  auf  diese  verwiesen  werden  2. 
Verlassen  wir  die  Granussage  und  so  manche  an  Aachens 
Kirchen  sich  knüpfende  Ueberlieferungen,  um  einige  nach  der 
Zeitfolge  geordnete  Fürstensagen  anzuschliessen. 

Die  Geschichte  der  Urzeit,  d.  h.  der  Zeit  vor  der  Eroberung 
Galliens  durch  Cäsar,  ist  in  undurchdringliches  Dunkel  gehüllt, 
das  sich  nie  lichten  wird.  Selbst  für  den  langen  Zeitraum 
von  Cäsar  bis  auf  Pippin  den  Kleinen  sind,  wie  Haagen  es 
ausdrückt,  „nur  stumme  Zeugen1'  einer  längst  entschwundenen 
Vergangenheit  vorhanden :  Römerbäder 3,  römische  Wasserlei- 
tungen4, römische  Inschriften  und  Münzen5,  einige  merovin- 
gische  Alterthümer6,  Trümmer  merovingischen  Bauwerks 7  und 
ein  —  Friedhof  aus  der  Merovingerzeit 8.  Kein  Schriftsteller, 
keine  Urkunde  aus  vorkarolingischer  Zeit  nennt  uns  Aachen 
oder  seine  allernächste  Umgebung.  Um  so  eifriger  bemühte  sich 
in  viel  spätem  Jahrhunderten  die  Sage,  die  Wiege  der  Geschichte 
Aachens  in  eine  Wolke  von  Fabeln  zu  hüllen.  Nicht  genug, 
dass  man  römische  Inschriften  erfand 9,  oder  aus  Aachen  einen 


r)  P.  a  Beeck  (Käntzeler  a.  a.  0.)  S.  272 ;  Noppius  a.  a.  0.  Th.  I,  S. 
84  u.  143;  Käntzeler,  Vita  s.  Üaroli  Magni  p.  142.  Erwähnung  verdient 
die  Sage,  dass  die  Leiche  (corps  entier)  einer  ungarischen  Königin  in  einer 
Aachener  Kirche  aufbewahrt  wurde.  Vgl.  Lettres  etc.  1.  c.  p.  54. 

2)  Quix,  St.  Peter-Pfarrkirche  S.  3,  Anm.  1 ;  Zeitschrift  des  Aach. 
Geschichtsvereins  VI,  S.  65  f. 

3)  Lersch,  Die  Ruinen  des  Römerbades  zu  Aachen.  1878. 

4)  Bonner  Jahrbücher  LX,  S.  12  f. 

6)  Römische  Münzen  häufig,  römische  Inschriften  in  Aachen,  abge- 
sehen von  Ziegeln  und  Thongefässen,  etwa  nur  4.  Vgl.  Zeitschrift  des  Aar]]. 
Geschichts Vereins  VII,  S.  159. 

6)  Bonner  Jahrbücher  XLVII,  S.  151  f. 

7)  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  III,  S.  13  f. 

8)  Echo  der  Gegenwart  1882,  Nr.  1,  Bl.  II. 

9)  Sümmtliehe  in  Meyers  Aachenschen  Geschichten  verzeicbnete  römi- 
sche Inschriften  sind  gefälscht  (Bonner  Jahrbücher  I,  S.  123). 


Pürstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  I.'ü 

römischen-  bezw.  fränkischen  Münzort  zu  machen  versuchte1, 
man  führte  sogar  namentlich  die  Fürsten  und  höchsten  Staats- 
beamten an,  welche  vor  dem  8.  Jahrhundert  unserer  Zeitrech- 
nung zu  Aachen  in  Beziehung  getreten  waren.  So  hatte  der 
italienische  Fürst  Tetrikus  ein  Lager  in  Aachen2,  wo  man  ihm 
später  ein  zu  Ludwigs  d.  Fr.  Zeit  noch  vorhandenes  Standbild 
errichtete  3.  Cassianus  Posthumus,  Befehlshaber  der  römischen 
Legionen,  verweilte  oft  in  Aachen  zum  Besuch  der  dortigen 
Bäder4,  und  Kaiser  Konstantin  hielt  sogar  in  Aachen  jährlich 
Bürgerversammlungen  ab5.  Zwar  meldet  keine  einzige  ältere 
Quelle,  dass  Aachen  durch  die  Schaaren  Attilas  gelitten  ha  In', 
doch  wurde  diese  Lücke  in  der  Aachener  Geschichte  bald  nach 
der  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  ausgefüllt6.  Unter  Klodwig 
fand  um  486  ein  feierlicher  Reichstag  in  Aachen  statt;  Klod- 
wigs  Sohn  Theoderich  erklärte  im  Jahre  514  neben  Metz  auch 
Aachen  zu  einer  Haupt- und  Residenzstadt7.  Der  australische 
König  Siegebert  stellte  (653)  in  seinem  Palast  zu  Aachen  eine 
Urkunde  aus8,  und  ziemlich  gleichzeitig  liess  der  h.  Klodulf, 
Oheim  Pippins  IL,  auf  seinen  Besitzungen  zu  Burtscheid  und 
Villen  Kirchen  errichten9.  Aber  Siegeberts  Urkunde  ist  längst 
als  unecht  erkannt,  und  wie  sehr  auch  Quix  sich  bemüht,  die 
Gründung  Burtscheids  in  das  7.  Jahrhundert  zu  verlegen,  so 
hat  doch  die  neuere  Forschung  aus  der  Stiftung  für  Burtscheid 


*)  Meyer,  Aachensche  Geschichten  I,  S.  36. 

2)  Meyer  a.  a.  0.  S.  26. 

8)  Seltsamer  Weise  haben  nicht  nur  Meyer  und  Ladoucette,  sondern 
auch  einzelne  neuere  Forscher  ganz  übersehen,  dass  die  augebüche  Tetrikus- 
bildsäule  als  das  Eeiterstandbild  des  Ostgothenkönigs  Theoderich  bezeichnel 
werden  muss.     (Bonner  Jahrbücher  V.  VI,  S.  J  2. ) 

4)  Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  26. 

6)  Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  31,  Anm.  6. 
«)  Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  31. 

7)  Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  31.  —  11.  S.  van  Alpen    hat  diese,  theüw 
schon  zu  seiner  Zeit  widerlegten  Fabeln  meist  ohne  jede  Bemerkung  Dach- 
gedruckt. 

8)  Quix,  Geschichte  der  Stadt  Aachen  I,  S.  5. 

9)  Quix,  ebendas.  und  in  seiner  Geschichte  der  Lbtei  Burtscheid 
S.  57—61. 

9 


132  E.  Pauls 

mit  den  triftigsten  Gründen  eine  Stiftung  für  einen  bei  Tongern 
gelegenen  Ort  gemacht 1.  Die  Nachricht  über  Karl  Martells 
Gefangenschaft  in  Aachen  findet  sich  erst  in  einem  um  1191 
entstandenen  Geschichtswerk,  aber  in  einem  Zusammenhang, 
welcher  beweist,  wie  wenig  der  Verfasser  von  den  Verhältnissen 
wusste2.  Auch  eine  aus  Aachen  datirte  Schenkung  Pippins 
vom  Jahre  753  an  ein  Kloster  bei  Toulouse  wird  angezweifelt3, 
so  dass  es  also  bis  jetzt  nicht  gelungen  ist,  den  Namen  Aachen 
für  ein  früheres  Jahr  als  765  4  nachzuweisen.  Vor  765  liegt 
die  Legende. 

Fast  bis  zur  Neuzeit  blieb  in  Aachen  das  Andenken  an 
Heinrich  I.  und  die  Ottonen 5  lebendig,  und  zwar  deshalb, 
weil  die  Erinnerung  an  die  zu  Ende  des  9.  Jahrhunderts 
erfolgte  Zerstörung  Aachens  durch  die  Normannen  nie  ganz 
unterging  und  weil  man  den  genannten  Kaisern  die  Wieder- 
herstellung der  Stadt  zuschrieb.  Freilich  wird  Heinrich  I.  wohl 
nur  sagenhaft6  als  Vergrösserer  oder  Verschönerer  Aachens  und 
des  dortigen  Palastes  zuweilen  bezeichnet7,  unzweifelhaft  haben 
dagegen  die  Ottonen  der  Stadt  zahlreiche  Wohlthaten  erwiesen. 
Gehören  auch  die  Angaben  von  P.  a  Beeck8  und  Noppius9, 
dass  Aachen   bis  auf  Otto  I.  verwüstet   lag,    dass    die  Ottonen 


*)  Haagen,  Geschichte  Achens  I,  S.  66. 
2)  Breysig,  Karl  Martell  S.  11.  ad  a.  715. 

8)  Sickel  erwähnt  sie  nicht,  ebenso  wenig  Oelsner  in  seinem  Werk 
über  König  Pippin. 

4)  Vereinzelt  wird  766  angegeben.  Da  in  diesem  Falle  die  Jahres- 
zahl von  besonderm  AVerth  ist,  sei  darauf  hingewiesen,  dass  nach  Oelsner 
(a.  a.  0.  S.  401)  Pippin  'Weihnachten  765  und  Ostern  (6.  April)  76f>  in 
Aachen  feierte. 

5)  An  che  Ottonen  vielleicht,  noch  mehr  als  an  Friedrich  I.  and 
Rudolf  von  Habsburg,  von  denen  ich  oben  (S.  35)  sprach. 

6)  Heinrich  I.  mag  öfter  in  Aachen  verweilt  haben,  doch  fehlen  hier- 
über nähere  Nachrichten.  Man  kennt  nur  eine  von  ihm  in  Aacln'n  aus- 
gestellte Urkunde. 

7)  Moser,  Staatsrecht  des  heil.  Rom.  Reichs-Statt  Ä.achen  S.  2,  §  4; 
Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  201. 

8)  P.  a  Beeck  (Käntzeler  a.  a.  0.)  S.  268. 
ö)  Noppius  a.  a.  0.  Tb.  I,  S.  32  u.  43. 


Fiirstensagen  in  Aachen  und  seiner  Umgebung.  L33 

Aachen  dem  Eeiche  erhielten  und  ihm  einen  Adler  zum  Wap- 
pen gaben,  überwiegend  dem  Gebiet  der  Sage  an,  so  bleibt 
es  doch  wahr,  dass  namentlich  Otto  III.  sich  um  die  Stadt  und 
das  Krönungsstift  in  hervorragender  "Weise  verdient  gernaHit 
hat  *.  Nach  einer  unverbürgten  Ueberlieferung  kämpften  „Aache- 
ner Kriegsvölker"  unter  Heinrich  I.  bei  Merseburg  gegen  die 
Hunnen2;  auch  weiss  die  Fabel  über  ungeheuere  Gelage,  welche 
Otto  I.  zu  Aachen  veranstaltete,  zu  berichten3.  In  jüngster  Zeil 
hat  der -etwas  fehlerhaft  abgedruckte  Text  einer  Urkunde  vom 
Jahre  1095 4  die  Bildung  der  Sage  veranlasst,  dass  Gottfried 
von  Bouillon,  der  berühmte,  zum  König  von  Jerusalem  ge- 
wählte Kreuzfahrer,  Schirm-  oder  Obervogt  des  Aachener  St. 
Adalbertstifts  gewesen  sei5.  Thatsächlich  war  er  aber  nur 
Schirmherr  der  Leute  dieses  Stifts  zu  Olne,  einem  Dorfe  zwi- 
schen Verviers  und  Lüttich6.  Zwei  Ereignisse  des  12.  Jahr- 
hunderts haben  bis  zur  Neuzeit  der  Sagenbildung  einigen  Stoff 
geliefert,  nämlich  zunächst  die  unter  Friedrich  I.  verfügte 
Unimauerung  der  Stadt.  Es  ist  fast  unbegreiflich  und  jeden- 
falls ein  Beweis  für  das  gänzliche  Darniederliegen  geschichtlicher 
Forschungen  in  Aachen  vor  dem  17.  Jahrhundert,  dass  schon 
zu  P.  a  Beecks  Zeiten  die  erst  viel  später   als    durchaus  irrig 


J)  Debey,  Die  Münsterkirche  zu  Aachen  S.  21;  Haagen  a.  a.  0.  i. 
S.  90,  Z.  1  u.  2.  Ueber  das  Verhältniss  der  Ottonen  zu  Aachen  vgl.  Käntzeler, 
Vita  s.  Caroli  Magni  p.  141  und  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins 
m,  S.  65  f. 

2)  Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  201.  Aachen  war  zu  Ende  des  10.  Jahrhun- 
derts schwach  bevölkert,  ..es  lag  bei  Jiüicb,  in  einem  gallischen  Walde". 
Daher  ist  es  zwar  möglich,  aber  nicht  wahrscheinlich,  dass  seine  Krieger 
einen  besondern  Truppentheü  bildeten. 

3)  Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  206.  Zur  Lieferung  von  icöchentlich  1000 
Maltern  Getreide  und  8  Fudern  Wein  hätte  es  zu  Ottos  I.  Zeiten  der  Bei- 
steuer ganzer  Länder  bedurft. 

4)  Ritz,  Urkunden  u.  Abhandlungen  zur  Geschichte  des  Niederrheins 
I.  Nr.  41.  S.  56. 

5)  Lersch,  Niederrheinisches  Jahrbuch  L843,  S.  50;  Eaagen  a.  a.  0. 
I.  S.  L07.  Auf  Grund  dieser  Sage  wurde  sogar  im  Jahre  L886  eine  in  der 
Nähe  von  St.  Adalberl  entstandene  neue  Strasse  „Gottfriedstrasseu  genannt. 

6)  Vgl.  Pick  in  der   Lachener  Volkszeitung  L886,  Nr.   L99. 


134  E.  Pauls 

erkannte  Ansicht  bestehen  konnte,  um  1172  sei  die  Errichtung 
des  äussern  Mauerrings  befohlen  worden,  weil  Aachens  innerer 
Mauerring  damals  schon  vorhanden  gewesen  sei l. 

Otto  IV.  belagerte  Aachen  im  Jahre  1198,  wobei  die 
städtischen  Bogenschützen  das  Belagerungsheer  empfindlich 
schädigten.  Meyer,  der  Sohn  des  Verfassers  der  Aachenschen 
Geschichten,  nahm  hieraus  Veranlassung,  auf  das  Alter  der 
Aachener  Bogenschützen-Gesellschaft,  der  sog.  Hirschschützen, 
hinzuweisen.  „Geistreich"  meinte  er  dabei,  dass  man  nicht 
ohne  Grund  den  Ursprung  der  Gesellschaft  ins  9.  Jahrhundert 
verlegen  dürfe;  Kaiser  Ludwig  sei  ein  besonderer  Freund  der 
Hirschjagd  gewesen  und  stamme  daher  wohl  der  Name  „Hirsch- 
schützen". Sicherlich  ist  Meyers  Versuch  einer  Sagenbildung 
nicht  ganz  ohne  Erfolg  geblieben2. 

Fast  scheint  es,  als  ob  mit  Friedrich  I.  die  Fürstensagen 
bei  uns  zu  Grabe  getragen  worden  seien,  denn  das  Fortleben 
im  Volksmund  war  seit  dem  13.  Jahrhundert  bis  zur  grossen 
französischen  Staatsumwälzung  nur  sehr  wenigen  Fürsten  in 
etwa  vergönnt3.  "Doch  vor  ungefähr  drei  Menschenaltern  griff 
eine  der  gewaltigsten  Erscheinungen  aller  Zeiten  bald  mit 
wohlthuender,  bald  mit  rauher  Hand4  wiederholt  in  die  Ge- 
schicke Aachens  ein.  Darf  es  auffallen,  dass  sich  an  Napoleon  L, 
der  für  Aachen  grösseres  Interesse  hatte  als  vielleicht  irgend 
ein  Kaiser  seit  den  Tagen  des  Eothbarts,  manche  Sagen  knüpfen? 
Hier  ein  paar  Nachträge  zu  den  frühern  Mittheilungen  über  ihn5. 

x)  P.  a  Beeci  (Käntzeler  a.  a.  0.)  S.  273.  Aehnlich  1(30  Jahre  später 
bei  Meyer  a.  a.  0.  I,  S.  261.  Den  richtigen  Sachverhalt  s.  Zeitschrift  des 
Aach.  <  resehichtsvereins  HI,  S.  84,  85,  92,  93. 

-')  Meyer,  Historische  Abhandlung  über  die  Gesellschaft  der  Aachener 
Bogenschützen  S.  19.  Höchst  wahrscheinlich  stammte  die  Aachener  Bogen- 
schützen-Gesellschaft nicht  ans  dem  9.,  sondern  ans   dem  15.  Jahrhundert. 

3)  Wie  oben  erwähnt,  wohl  nur  Rudolf  von  Habsburg,  Karl  V.  und 
Maria  Theresia. 

4)  Ueber  Napoleons  I.  Wbhlthaten  vgl.  Haagen  a.  a.  0.  II,  S.  452  f. 
Unvergessen  ist  aber  auch  gebheben,  dass  der  Kaisei'  im  Jahre  LS  1 L  ohne 
Befragung  der  Stadt  oder  des  Präfekten  die  Thermalquellen  und  die  Bäder 
von  Aachen  als  Staatseigentum  erklärte.  (Lersch,  Geschichte  des  Hades 
Aachen  S.  69.) 

6)  Sagenartige  Erinnerungen  an  Napoleon  I.  und  seine  Familie  linden 


Fürstensagen  in  Aachen  and  seiner  Omgebun  135 

Bei  der  Besichtigung    der  grossen  Heiligthümer    im  Dom 

zu  Aachen  wandte  sich  Napoleon  an  den  Arzt  in  seinem  Ge- 
folge mit  der  Frage,  ob  es  möglich  sei,  Gewänder  1800  Jahre 
lang  durch  sorgfältige  Aufbewahrung  in  gutem  Zustand  zu 
erhalten.  Als  der  Arzt  nach  kurzem  Schweigen  eine  aus- 
weichende Antwort  gab,  befahl  der  Kaiser  durch  eine  Hand- 
bewegung, die  Eeliquien  in  ihren  Behälter  zurückzulegen1. 

Ferner  schreibt  das  Aachener  Wochenblatt2:  „Napoleon 
hatte  die  Anlage  der  neuen  Strasse  von  Adalbertsthor  nach 
Burtscheid  befohlen.  Als  er  einige  Jahre  später  zurückkam 
und  die  Hügel  nicht  geebnet  fand,  rief  er  zornig  aus:  C'est 
un  oeuvre  d'ingenieur,  mais  non  de  genie !  "Was  würde  er 
sagen,  wenn  seine  Baumeister  die  JSTeustrasse  angelegt  hätten, 
wo  man  einen  so  ganz  unnöthigen  Buckel  vom  Theater  bis 
zur  Hauptstrasse  liegen  liess?" 

Man  wird  zugeben  müssen,  dass  in  beiden  Erzählungen 
Napoleon  in  gewissem  Sinne  gut  „kopirt"  ist.  Trotzdem  ist 
es  mehr  als  fraglich,  ob  sie  auf  Wahrheit  beruhen.  Der  Kaiser 
besichtigte  allerdings  am  7.  September  1804  mit  zahlreichem 
Gefolge  die  grossen  Heiligthümer    des  Aachener  Doms3,   doch 


sich  häufiger  im  Gebiet  des  ehemaligen  Roerdepartements,  als  ich  früher 
amiahm.  Mehrere  Schlösser,  auch  ein  Landgut  bei  Aachen,  machen  auf  die 
Ehre  Anspruch,  Napoleon  I.  eine  Nacht  hindurch   beherbergt  zu  haben. 

J)  Nach  mündlichen  Mittheilungen  eines  Zeitgenossen,  der  aber  nichl 
Augenzeuge  war. 

2)  Wochenblatt  für  Aachen  und  Umgegend   1837,   Nr.  99,  S.  397. 

3)  Nach  dem  Aachener  Merkur  vom  8.  September  1804  wohnte  der 
Kaiser  am  7.  September  1804  mit  zahlreichem  Gefolge  einem  Tedeuin  im 
Dom  bei.  Während  der  Feier  sass  Napoleon  auf  einem  ihm  bereiteten 
Thron,  wo  er  die  messen  Heiligthümer  und  Kostbarkeiten  der  Barche 
ehrfurchtsvoll  und  mit  Lndachl  in  Lugenschein  nahm.  In  dem  L808 
schienenen  Coup  d'oeil  von  Poissenol  heissl  es  (S.  L13),  dass  der  Kaiser 
zum  Dem  geritten  sei,  wo  während  des  Tedeum  der  Bischof  und  das  Ka- 
pitel ihm  die  kostbaren  Reliquienbehälter  (precieus  reli  |  der  Barche 
gezeigi  bätten.  —  Den  Namen  de  irzb  3,  «reicher  im  J.  L804  sich  im 
kaiserlichen  Gefolge  zu  lachen  befand,  nennl  die  September-Nummer  der 
damaligen  Aachener  Fremdenliste.  Es  beissl  in  derselben:  „Au  Palais  im- 
perial, boulevard  de  Capucins:    Monsieur  Vvan.   Chirurgien  de  L'empen 


i:;ii  E.  Pauls 

ist  es  sohl'  unwahrscheinlich,  dass  er  die  betreffende  Frage 
nicht  ganz  passender  Weise  in  der  Kirche  stellte,  dass  der 
Arzt  um  die  Antwort  verlegen  war,  und  dass  der  Kaiser,  so 
gut  auch  die  befehlende  Handbewegung  zu  seinem  Wesen  passt, 
alle  Umstehenden  durch  einen  derartigen  Befehl  peinlich  be- 
rührte. Yiell eicht  hat  er  die  sehr  nahe  liegende  Frage  über 
die  Möglichkeit  der  Jahrtausende  langen  Erhaltung  der  Gewän- 
der1 nach  der  Rückkunft  aus  dem  Dom  gestellt,  woraus  dann 
die  obige  Erzählung  entstanden  sein  wird. 

Noch  märchenhafter  klingt  Napoleons  Tadel  über  die  ehe- 
mals „Verbindungsweg"  genannte  Strasse  zwischen  Adalberts- 
thor  und  Burtscheid.  Zum  zweiten  und  letzten  Mal  nämlich 
war  der  Kaiser  am  7.  November  1811  in  Aachen2,  doch  wech- 
selte er  dort  nur  die  Pferde  und  fuhr  in  langsamem  Schritt 
durch  die  Stadt.  Nach  Quix3  stammt  der  Verbindungsweg  aus 
dem  Jahre  1812,  um  1811  war  er  wohl  kaum  abgesteckt4. 
Wahrscheinlich  hat  Napoleon,  welcher  von  Bonn-Köln  kam, 
den  Verbindungsweg  gar  nicht  zu  Gesicht  bekommen,  wenn 
aber,  so  hatte  der  Kaiser  bei  seiner  sehr  beschränkten  Zeit 
Wichtigeres  zu  thun,  als  eine  kaum  im  Entstehen  begriffene,  in 
militärischer  Hinsicht  bedeutungslose  Strasse  zu  tadeln.  Jeden- 
falls beweist  die  Notiz  des  Wochenblatts,  dass  vor  50  Jahren 
der  „Buckel"  in  der  Neustrasse  mehrfach  als  eine  tadelnswerthe 
Unbequemlichkeit  angesehen  wurde. 

Wohl  nur  die  Fabel  berichtet,  Napoleon  habe  kurz  vor 
Waterloo  seinen  Anhängern  die  Plünderung  Aachens  in  Aus- 
sicht gestellt 5.     Es  ist  richtig,  dass  Napoleon  durch  ein  syste- 


Vgl.   auch   Milz,    Die    Kaiserstadt   Aachen    unter   französischer   Herrschaft 
(Progr.  des  Gymnasiums  zu  Aachen  1871/72)  S.  29. 

x)  Im  Aachener  Suermondt-Museum  befindet  sich  in  der  Sammlung 
ägyptischer  Alterthümer  unter  Nr.  3(39  ein  Bekleidungsstück  aus  Leinwand 
and  Wolle,  dessen  Alter  auf  etwa  4000  Jahre  geschätzt  wird. 

2)  Journal  de  la  Roer  1811,  no.  205,  269. 

3)  Quix,  Hist.-tonogr.  Beschreibung  der  Stadt  Aachen   S.   124. 

4)  Journal  de  la  Roer  1811,  no.  264. 

5)  Vgl.  oben  S.  34.  Die  nachstehenden  kurzen  Ausführungen  gehe  ich 
als  Antwort  auf  eine  erhaltene  Anfrage  unter  Hinweis  auf  die  im  J.  1882  in 


Fürstensagen  in  Aachen   und  seiner  Umgebung.  137 

matisches  Berauben  seine  Heere  verpflegte,  Frankreich  Geld 
verschaffte  und  den  unterdrückten  Völkern  unermessliche  Reicli- 
thümer  und  Kunstschätze  abnahm.  Andererseits  kamen  eigen- 
mächtige Plünderungen  in  seinen  Heeren  selten  vor.  Er  war 
es,  der  in  den  Jahren  1796  und  1797  Kriegsgerichte  über  die 
Plünderer  verhängen  Hess  und  seitdem  mit  eiserner  Strenge 
jedem  Rauben  und  Plündern  in  seiner  Armee  thunlichst  Ein- 
halt that.  Ob  dies  aus  Menschlichkeit  geschah,  oder  infolge 
der  Erfahrung,  dass  Heere,  in  denen  geraubt  und  geplündert 
wird,  in  der  Regel  schwer  lenkbar  sind,  bleibt  dahingestellt. 
Selbst  nach  der  Schlacht  bei  Leipzig  nahm  Napoleon  noch  Ver- 
anlassung, dem  Unwesen  der  Plünderung,  welches  bei  den 
entmuthigten,  fast  aufgelösten  Truppen  wieder  auftauchte,  durch 
einen  strengen  Befehl  zu  steuern.  Vor  Waterloo  befehligte  der 
Kaiser  eine  der  tüchtigsten  und  schönsten  Armeen,  die  ihm  je 
zu  Gebote  gestanden.  Wie  hätte  er  derselben  die  Plünderung 
wehrloser,  auch  durch  Güte  zu  erobernder  Städte  andeuten 
können '  ? 

Nach  der  Ueberlieferung  führten  in  und  bei  Aachen 
zur  Zeit  des  ersten  französischen  Kaiserreichs  mehrere  öffent- 
liche Plätze,  Thore,  Strassen,  "Wäldchen  u.  dergl.  den  Namen 
des  Kaisers  oder  eines  Mitglieds  der  kaiserlichen  Familie 
Hier  liegt  nicht  Dichtung,  sondern  Wahrheit  zu  Grunde.  Nur 
wenige  dieser  Bezeichnungen  haben  sich  erhalten2,  denn  den- 
selben Mann,  welchen  man  noch  im  Jahre  1813    fast   göttlich 


Potsdam  bei  Gropius-Stein    erschienene  anonyme  Broschüre  „Beutemachen 
und  Plündern". 

*)  Bei  dieser  Sage  tritt  eine  gewisse  "Wiedervergeltung  zu  Tage.    Zwei 
Jahre  vorher  hatte  nämlich  das  Journal  de  la  Roer  seinen  Aachener  Le 
gelegentlich  der  Siege  Napoleons  bei  Dresden  erzählt,  die  Verbündeten  h.ätt<  d 
ihren  Truppen   die  Plünderung  Dresdens  versprochen.     Der  Zweck    solcher 
Sagen  oder  Erfindungen  liegl  zu  Tage. 

2)  Vielleicht  nur  noch  Paulinerwäldchen  als  Erinnerung  an  die  Prin- 
zessin Pauline  Borghese,  die  Schwester  Napoleons  I.  Der  Sage  nach 
die  am  Eingang  des  Wäldchens  ihr  zu  Ehren  errichtete  Säule  die  Schand- 
säule des  ehemaligen  Lachener  Prangers.  Vgl.  von  Fürth,  Beiträge  zur 
Geschichte  der  Aachener  Patrizier-Familien  II.  2,  S.  27;  Rehm,  Bad  Burt- 
scheid  und  seine  Umgebung  S.  (»7. 


138  E.  Pauls 

verehrte  und  als  einen  Titus  besang,  bezeichnete  man  amtlich 
kaum  2  Jahre  später  auf  dem  steinernen  Denkmal  des  Lous- 
bergs  als  Tyrannen l  und  bestrebte  sich,  jedes  Andenken  an 
ihn  und  die  Seinigen  zu  verwischen.  Bei  Aachen  gab  es 
ausser  dem  Paulinerwäldchen  eine  Napoleons- Allee 2  und  eine 
nach  der  Mutter  des  Kaisers  genannte  Porte  Madame3,  auch 
ist  häufiger  die  Rede  von  einem  „Spaziergang  des  Königs  von 
Rom"  bei  Burtscheid4.  Das  Wäldchen  zur  Klause  bei  Corneli- 
münster  hiess  das  "Wäldchen  der  Königin  Hortense 5,  und  die 
gegenüber  liegende  Anhöhe  auf  der  unter  Napoleon  I.  erbauten 
Staatsstrasse  wird  im  Yolksmund  noch  heute  häufig  Napoleons- 
stieg  (Stiege,  Anhöhe)  genannt6.  Aehnlicher  Bezeichnungen 
lassen  sich  in  der  Nähe  Aachens  sicher  noch  manche  aus- 
findig machen. 

Soweit  es  sich  übersehen  lässt,  hat  der  Monarchenkongress 
im  Jahre  1818  in  Aachen  nur  eine  Sage  im  Gefolge  gehabt. 
Hierüber  meldet  die  Rheinische  Flora  vom  9.  April  1825:  „Krug 
von  Nidda  liefert  im  Castellischen  Almanach  folgende  Erzäh- 
lung: Beim  Kongress  zu  Aachen  zeigte  einer  der  geschick- 
testen englischen  Seiltänzer  mit  vielem  Uebermuth  den  erstaun- 
ten Deutschen  seine  Kunst,  indem  er  als  Ritter,  mit  Harnisch 
und  Schwert  belastet,  auf  einem  Seile  den  hohen  Münsterthurm 
bestieg.  Der  berühmte  deutsche  Seiltänzer  Kolter  beschloss 
den  Engländer  zu  demüthigen.  Er  verkleidete  sich  in  einen 
Zauberer  und  stieg  unversehens  oben  vom  Thurni  herab,  als 
der  Engländer  schon  unterwegs  war.  Dieser  erschrak  heftig, 
hielt  aber  Stand.     Kolter  kam  ihm  entgegen   und    befahl  ihm, 


*)  Quix,  Aachen  und  dessen  Umgehungen  S.  71. 

2)  Lag  wahrscheinlich  in  der  Nähe  des  Kölnthors.  Journal  de  la  Roer 
1811,  no.  269. 

3)  War  das  Sandkaulthor.  Vgl.  Journal  de  la  Roer  1811,  no.  195, 
1813,  no.  211;  Voyage  entre  Meuse  et  Rhin  1813—1814.  p.  22,  woselbst 
auch  die  Nachricht,  dass  eine  Porte  de  Paris  beabsichtigt  war. 

4)  Journal  de  la  Roer  1811,  no.  2(34  und  1813,  no.  211. 

5)  Aus  urkundlichem  Material  zur  Geschichte  Cornelimünsters. 

6)  Im  Kataster  von  Comelimünster  findet  sich  diese  Flurbezeich- 
nung  oicht. 


Fürstensagen  in  Aachen  and  seiner  Umgebung.  139 

als  beide  auf  dem  Seile  nahe  zusammen  waren,  zurückzugehen. 
Dies  war  mit  der  äussersten  Gefahr  verbunden,  darum  erkannte 
der  Britte  sich  für  besiegt  und  lichte  den  Deutschen  an,  ihn 
vollends  hinaufsteigen  zu  lassen.  Da  hiess  ihn  Kolter  sich 
bücken,  sprang  gewandt  über  ihn  hinweg  und  stieg  sichern 
Fusses  vollends  hinab.  —  Dies  soll  eine  Thatsache  sein;  in 
Aachen  selbst  weiss  man  nichts  davon."  In  Wirklichkeit  liegt 
hier  eine  Fabel  vor1,  welche  an  dieser  Stelle  fehlen  würde, 
wenn  nicht  in  neuester  Zeit  das  Märchen  als  Fürstensage  noch- 
mals aufgetaucht  wäre.  Die  Westfälische  Zeitung2  brachte 
nämlich  vor  5  Jahren  dieselbe  Erzählung  in  etwas  anderer, 
noch  märchenhafterer  Fassung.  Nach  ihr  hatten  nämlich  der 
König  von  Preussen  und  der  Kaiser  von  Kussland  eine  Wette 
gemacht  auf  die  Leistungen  des  deutschen  Seiltänzers  Kolter 
und  des  russischen  Seiltänzers  Losisky.  Kolter  siegte  und 
feuerte  sogar  beim  Sprunge  über  Losiskys  Kopf  auf  dem  zum 
Münsterthurm  führenden  Seil  einen  Pistolenschuss  in  die  Luft  ab. 
Es  erübrigt  noch  ein  kurzer  Bück  auf  diejenigen  Orts- 
bezeichnungen, Redensarten  und  Sprichwörter  der  Aachener 
Gegend,  in  welchen  von  Fürsten  gesprochen  wird;  Sage  und 
Sprichwort  haben  ja  meist  einen  gemeinsamen  Ursprung.     Zu 


*)  Folgt  schon  aus  der  im  J.  182.1  abgegebenen  Erklärung  der  Rheini- 
schen Flora,  alier  auch  daraus,  dass  keine  einzige  Aachener  Zeitung  <lc< 
J.  1818  hierüber  berichtet.  Yielleiehi  hat  lullende,  in  Meyers  ..  Lachen 
und  der  Monarchenkongress"  (S.  I"  f.)  erzählte  Thatsache  die  Sage  veran- 
lasst. „Am  14.  Oktober  1818  unternahm  gegen  5  Ohr  Nachmittags  die 
Demoiselle  Garnerin  auf  dem  Lousherg  eine  Luftschifffahrt.  Der  Ballon 
war  mit  dem  erforderlichen  Material  in  ungenügender  Weise  gefüllt.  Die 
Garnerin  setzte  sich  in  das  Schiffchen,  aber  der  Ballon  wankte  und  warf 
sie  hinaus.  Sie  bestieg  das  Schiffchen  von  Neuem,  wurde  aber  wieder  hin- 
ausgeschleudert;  ihr  Unternehmen  scheiterte.  Der  König  und  der  Prinz 
von  Preussen  waren  Zeugen  dieser  Scene.  Das  gesammte  Publikum  fand 
sich  betrogen  und  war  gegen  die  Gauklerin  äusserst  aufgebracht.    Ihre  Kasse 

winde   in  Beschlag    genom q.     Für   die    arrw<  deutsche    Leronautin 

Madame  Reichard  war  die  misslungene  Kahn  der  Garnerin  ein  wahrer  Ti 
amph,    da    sie    ihre  Luftschifffahrt    mit    wahrer  Sachkenntniss   begann  und 
glücklich  vollendete." 

2)  Vollständig  abgedruckt  in  der   Lachener  Zeitung  vom  5.  Juli   1882. 


Mii  E.   Pauls 

unterscheiden  ist  hierbei  zwischen  Sprichwörtern,  bei  welchen 
von  Fürsten  im  Allgemeinen,  und  solchen,  bei  welchen  von 
namhaft  gemachten  Fürsten  die  Eede  ist.  Für  beide  Fälle  tritt 
nur  eine  äusserst  dürftige  Ausbeute  zu  Tage.  Zunächst  er- 
innern manche  Ortsbezeichnungen  und  ehemalige  Titel  Aachens 
daran,  dass  die  Stadt  früher  zu  Fürsten  in  lebhaften  Beziehun- 
gen gestanden  hat.  Wir  finden,  um  einige  Beispiele  anzu- 
führen, die  Namen:  Kaiserquelle  und  Kaiserbad  *,  Kaisersruh2, 
Franzstrasse 3,  Alexanderstrasse 4,  Königsthor  und  Königstrasse, 
Königliche  Kapelle 5,  Bad  zur  Königin  von  Ungarn6,  Friedrich- 
Wilhelmsgraben  7,  Elisengarten  und  Elisenbrunnen8.  Von 
Aachens  ehemaligen  Titeln  seien  genannt:  Urbs  regalis,  sedes 
regia,  Königlicher  Stuhl,  Kaiser-  und  Krönungsstadt;  vereinzelt: 
Kaiserliche  Residenz 9,  und  noch  vereinzelter  für  das  Reich  von 
Aachen  :  Royaume  d'Aix  10 ! 

Ton  den  wenigen  Aachener  Redensarten,   welche   hier   in 
Betracht  kommen  können,  sind  zwei  längst  untergegangen,  aber 


1)  Lersch,  Geschichte  des  Bades  Aachen  S.  46.  Nach  den  Amusemens 
etc.  1.  c.  II,  p.  1  glaubte  man  früher  vielfach,  das  Kaiserbad  sei  auf  den 
Ruinen  des  Palastes  Karls  d.  Gr.  erbaut. 

2)  Seit  einem  Besuch  des  russischen  Kaisers  Alexander  I.  im  .1.  1818; 
Meyer,  Aachen  und  der  Monai'chen-Kongress  im  J.  1818,  S.  77. 

s)  Nach  dem  Kaiser  Franz  von  OrstriTeicli  seit  1818;  Meyer  a.  a  0. 
S.  48. 

4)  Nach  dem  Kaiser  Alexander  I.  von  Russland  seit  1818;  Meyer 
a.  a.  0.  S.  48. 

5)  St.  Salvator;  vgl.  Quix,  Die  Königliche  KapeEe  u.  s.  w.  auf  dem 
Salvators-Berge. 

6)  Lersch  a.  a.  0.  S.  47. 

7)  Frübor  Foggengraben,  jetziger  Name  seit  1818  nach  dem  König 
Friedrich  Wilhelm  III.  von  Preussen ;  Meyer  a.  a.  < I.  S.  48. 

8)  Seit  1824  nach  der  KJronprinzessin  Eüse  von  Preus 
'■')  Moser  a.  a.  0.  S.  2,  2,  §  1. 

;o)  Royaume  d'Aix,  c'est  ainsi  qu'on  appelle  lo  territoire  de  cette  villc 
imperiale,  Heisst  es  in  der  Gazette  de  <  lologne  vom  30.  April  1748.  Im  schroffen 
Gegensatz  zu  den  frühem  Titoin  hiess  Aachen  zu  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts anter  den  Republikanern  vorübergehend  Aix-libre.  Viele  Häuser- 
benennungen in  Aachen  erinnern  an  Fürsten,  bleiben  hier  aber  anberück- 
sichtigt. 


Fürsten  sagen  in    Lachen  und  seiner  Umgebung.  111 

schon  für  das  16.  Jahrhundert  Dachweisbar.  Hartmannus 
Maurus  hat  sie  uns  in  seiner  Schrift  über  Karls  V.  Krönung 
überliefert.  Beide  Redensarten  knüpfen  sich  an  die  allbekannten, 
erst  vor  einigen  Jahren  beseitigten,  Wolf  und  Artischocke1 
genannten  Erzgussbilder  vor  der  Woifsthür  des  Aachener 
Münsters. 

Hartmannus  Maurus  schreibt2:  „Vor  der  Kirchenthür  stehen 
zwei  aufgebaute  viereckige  Pfeiler.  Das  Volk  glaubt,  dass  das 
auf  dem  einen  stehende  Bild  eine  Wölfin  aus  Bronce  sei;  der 
Form  nach  schien  mir  dasselbe  mehr  eine  Bärin  oder  Löwin 
zu  sein,  welche  mit  breiter  Wunde  in  der  Brust  für  ihre  Jun- 
gen oder  Bärenbrut,  die  man  ihr  geraubt,  im  Tod  noch  zu 
kämpfen  scheint.  Die  dortigen  Einwohner  meinen,  dadurch 
werde  angedeutet,  es  müsse  der  Kaiser  nicht  anders  Sorge 
tragen  für  seine  Unterthanen"  Yon  der  Artischocke  saut 
Maurus3,  sie  sei  oben  pyramidenförmig  und  spitz.  Die  Mehr- 
zahl deute  dies  dahin,  dass  der  Kaiser,  der  Herr  der  Welt, 
alle    Völker  beherrschen  solle. 

In  einer  andern  Aachener  Redensart  wird  der  Papst  ge- 
nannt. Kommt  etwas  zur  rechten  Zeit  und  gelegen,  so  heissl 
es  zuweilen,  es  komme  in  des  Papstes  „Mond1'.  Schollen  deutet 
hier  das  Wort  Mond  mit  Monat,  weil  der  Papst  in  gewissen 
Monaten  das  Recht  der  Verleihung  höherer  geistlichen  Würden 
habe4.  Vielleicht  darf  dennoch  „Mond"  durch  Mund 5  übersetzt 
werden.  Schenkungen  kommen,  abgesehen  von  wenigen  Aus- 
nahmefällen, auch  der  Kirche  (dem  Papst)  meist  sehr  gelegen. 
Eben  in  Aachen  aber  hatten  schon  vor  mehrern  Jahrhunderten 
die  Schenkungen  an  Kirchen  und  damit  das  Barchenvermögen 

')  Vgl.  die  Abhandlungen  bei  Bock,  Karls  d.  Gr.  Pfalzkapelle  und  ihre 
Kunstschätze  I,  S.  1  f.  Der  sog-.  W'nir  Ls<  wühl  jedenfalls  eine  Barin;  das 
andere  Standbüd  nennt  Bock  den  Pinienapfel  „Artischocke".  S.  auch  fi- 
nalen a.  a.  0.  VIH,  S.  230  und  XIII,  S.  276. 

2)  Hier  citirt   nach   Duck  a.  a.  <  >.   1.  S.    1. 

»)  Hier  citirt  nach  P.  a  Beeck  (Käntzeler  a.  a.  0.)  S.  71. 

*)  Zeitschrift  des  Audi.  Geschichtsvrroins  VIII,  S.   IUI.  Nr.   7i 

6)  Mir  ist  nur  die  auch  in  der  Eupener  Gegend    ;ebräuchliche  Reden 
art  „Mund."  bekannt. 


L42  E.  Pauls,  Fürstensagen  in  Am-hen  und  seiner  Umgebung'. 

einen  solchen  Umfang  angenommen,  dass  allen  Ernstes  mit 
einschränkenden  Bestimmungen  vorgegangen  wurde  \  Da  mag 
das  Scherzwort,  etwas  komme  sehr  gelegen,  wenn  es  in  den 
Mund  der  Kirche  gerathe,  entstanden  sein. 

Namhaft  gemacht  wird  in  den  Aachenern  Sprichwörtern 
nur  ein  Fürst,  und  zwar  begreiflicher  "Weise  wiederum  Aachens 
berühmter  Schutzpatron  Karl  d.  Gr.  Nach  einem  Sprichwort 
begibt  sich  der  Kaiser  am  1.  September  ins  Winterquartier, 
um  es  erst  gegen  Christi  Himmelfahrt  wieder  zu  verlassen  2 ; 
das  andere  Sprichwort  sagt,  dass  Kaiser  Karls  warme  Bäder 
dem  Einen  nutzen,  dem  Andern  schaden 3.  Beiden  Eedensarten 
liegt  harmloser  Scherz  zu  Grunde.  Thatsächlich  ist  das  Aachener 
Klima  nicht  so  unfreundlich,  dass  auf  3ljz  Sommermonate  8V2 
Wintermonate  fielen.  Und  das  zweite  Sprichwort  bietet  nur 
den  Ausdruck  der  alten  Wahrheit,  dass  auch  beim  Gebrauch 
von  Heilmitteln  eine  weise  Vorsicht  geboten  ist4. 


1)  Noppius  a.  a.  0.  Th.  IH,  Nr.  30  am  Schluss;  Meyer,  Aachensche 
Geschichten  I,  S.  393;  im  15.  Jahrhundert  wollte  der  Aachener  Schöffen- 
stuhl den  Klöstern  keine  Kaufakte  besiegeln,  nach  Quix,  St.  Peter-Pfarr- 
kirche S.  39;  ein  Drittel  der  Aachener  Mittelstadt  war  um  1708  geistliches 
Gut  (nach  Haagen,  Geschichte  Achens  JJ,  S.  310  und  Moser  a.  a.  0.  S.  162). 

2)  Zeitschrift  des  Aach.  Geschichtsvereins  VILT,  S.  204,  Nr.  980. 

3)  Ebendas.  S.  208,  Nr.  15. 

4)  Bezüglich  der  Bäder  heisst  es  geistreicher  und  etwas  ausführlicher 
bei  Noppius  (a.  a.  0.  Th.  I,  S.  109)  und  bei  Blondel: 

Balnea,  Vina,  Venus  corrumpunt  corpora  nostra, 
Eestttuunt  eadem  Balnea,  Vina,  Venus. 


Die  vormalige  Bruderschaft  vom  Leiden  Jesu 
in  der  St.  Peterspfarre  zu  Aachen. 

Von  K.  Wacker. 

Vom  Jahre  1621  bis  1651  hatte  die  St.  Peterspfarre  zu 
Aachen  in  Gerhard  Breuer,  einem  geborenen  Aachener1,  einen 
Pfarrer,  der  sich  in  mehr  als  einer  Beziehung  um  das  Wohl 
seiner  Gemeinde  verdient  gemacht  hat.  Eine  besondere  Für- 
sorge wandte  er  auch  dem  Archiv  seiner  Pfarre  zu,  das  noch 
jetzt  mehrere  Handschriften  von  ihm  aufbewahrt,  in  denen  er 
mit  grossem  Fleiss  und  ungewöhnlicher  Sorgfalt  alle  ihm  zu- 
gänglichen urkundlichen  und  sonstigen  Nachrichten  über  seine 
Pfarre  abschriftlich  gesammelt  und  durch  eigene  Bemerkungen 
vielfach  ergänzt  hat.  Einer  dieser  Handschriften  hat  Breuer 
eine  kurze  Notiz  über  seine  Person  und  seine  Anstellung 
als  Pfarrer  von  St.  Peter  vorgesetzt:  „Anno  1621  bin  ich 
Gerardus  Brewer  (nachdem  ich  mein  ehrliches  abscheid  zu 
Moresneth  genohmen)  durch  den  wolwürdigen  und  hochgelehr- 
ten herrn  Goswinum  Schrick,  der  königl.  stifts  unser  1.  frawen 
zu  Aach  canonicus,  singeren  und  erzpriesteren,  zum  pastoren 
s.  Petri  in  octobri  denominert  und  folgents  des  4.  tags  noveni- 
bris  investiert."  Der  Aachener  Geschichtschreiber  Johann  Nop- 
pius,  ein  Zeitgenosse  Breuers,  rühmt  1632  dessen  makellosen 
Lebenswandel,  sowie  seinen  hervorragenden  Ei fer  im  Predigen, 
Katechisiren  und  Besuchen  der  Kranken.    Im  Einzelnen   erzählt 


*)  Wenigstens  wird  ervon  Noppius,  Aacher  Chronica  (1632)  Th.  I,  S.86 
„Aqnensis"  genannt. 


Hl  K.  Wacker 

er  von  ihm,  dass  er  an  der  Pastorat  und  Kirche  bauliche 
Aenderungen  getroffen  und  im  Kirchthurm  ein  schönes  Uhr- 
werk habe  anbringen  lassen,  ..so  auff  vier  Seiten  deß  Timms, 
und  neben  dem  auch  unden  in  der  Kirchen  zeiget,  und  über 
331  Thaler  gekostet"1. 

Eine  der  von  Breuer  hinterlassenen  Handschriften  betrifft 
die  im  Jahre  1504  an  St.  Peter  gestiftete  Bruderschaft  vom 
Leiden  Christi,  über  welche  er  1630  die  vorhandenen  Nach- 
richten „aus  den  alten  Büchern  der  Bruderschaft",  wie  er  sagt, 
in  einem  kleinen  Quartband  aufzeichnete  und  diese  dann  bis 
zu  seinem  Tode  fortsetzte.  Zugleich  fügte  er  an  der  Spitze  eine 
ältere,  auf  Pergament  geschriebene,  aber  erst  nach  des  Stifters 
Tod  entstandene  urkundliche  Nachricht  über  die  Gründung  der 
Bruderschaft  im  Original  bei.  Zwar  wurden  die  Aufzeichnungen 
über  die  Bruderschaft  von  den  Nachfolgern  Breuers  noch  weiter- 
geführt, aber  sie  werden  in  der  spätem  Zeit  immer  dürftiger 
und  hören  1722  mit  der  Notiz  über  die  Aufnahme  des  „acht- 
baren Herrn  Wilhelm  Strauch"  ganz  auf. 

Der  Inhalt  dieses  Bruderschaftsbuchs  ist  für  die  lokale 
Geschichte,  namentlich  aber  für  die  Geschichte  des  kirchlichen 
Lebens  in  Aachen  in  mehrfacher  Hinsicht  von  Interesse,  auch 
lassen  sich  daraus  manche  kulturgeschichtlich  werthvolle  Ein- 
zelheiten zusammenstellen.  Die  Bruderschaft  vom  Leiden  Jesu, 
wohl  die  älteste  unserer  Stadt,  über  die  wir  ausführlichere  Nach- 
richten besitzen,  hatte  Bürger,  Männer  wie  Frauen,  aus  allen 
stadtischen  Pfarreien,  selbst  aus  dem  benachbarten  Dorfe  Haaren, 
zu  ihren  Mitgliedern,  vorzugsweise  waren  es  natürlich  Pfarr- 
genossen  von  St.  Peter.  Auch  Geistliche  anderer  Kirchen  der 
Stadt,  vom  Münster,  von  St.  Poilan  und  St.  Adalbert,  Hessen 
sich  in  die  Bruderschaft  aufnehmen.  Das  den  Satzungen  an- 
gehängte Verzeichniss  der  „Gräven",  d.  h.  der  jährlich  gewähl- 
ten Yorsteher  und  der  Mitglieder  der  Bruderschaft  bietet 
mancherlei  Angaben  über  die  in  der  Stadt  vorzugsweise  ver- 
tretenen Handwerke  und  bürgerlichen  Beschäftigungen,  mehrere 


')  Noppius  a.  a.  0.  TL  T,  S.  84  ff. 


Die  vormalige  Bruderschaft  vom   Leiden  Jesu  in  dachen.  I  i:> 

Aachener  Strassennamen,  eine  stattliche  Menge  von  Familien- 
namen  und  endlich  ein  buntes  Bild  Aachener  Vornamen  in 
der  Volkssprache.  Auch  kann  aus  ihm  eine  mehr  oder  weni- 
ger sichere  chronologische  Reihenfolge  der  Pfarrer  von  St.  Peter 
seit  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  aufgestellt  weiden. 

Der  der  Handschrift  vorgesetzte  Bericht  über  die  Stiftung 
der  „broiderschaf  van  dat  lyden  ons  heren  Jhesu  Christi  in  sint 
Peter"  hebt  mit  den  Worten  an:  „In  name  des  almechtigen 
gotz,  der  heiiger  dryveldicheit,  des  vaders,  des  soens,  des  beu- 
gen geist,  umb  loff,  dank  ind  ere  ind  umb  gedechtenisse  des 
heiigen  lydens  ind  des  bitteren  doitz  ons  lieven  heren  Jhesu 
Christi,  de  syn  duyrbar  bloit  umb  onsen  wille  an  den  cruce 
hait  usgesturtz,  ind  zo  eren  enn  loff  der  heiiger  moider  gotz 
werde  maget  Maria  enn  alle  godes  heiigen  ind  umb  troist  enn 
hulpe  aller  kerstenmynschen  ind  aller  geloviger  seien." 

Aus  den  weitern  Angaben  dieses  Berichts  und  den  ihm 
nachfolgenden  Satzungen  der  Bruderschaft,  sowie  aus  den  genau 
verzeichneten  Beschlüssen,  welche  an  den  Stuhltagen  von  den 
versammelten  Mitgliedern  gefasst  wurden,  sei  nur  das  Wirb- 
ligste kurz  hervorgehoben. 

Die  Bruderschaft  wurde  im  Jahre  1504  von  dem  Paster 
"Wilhelm  Lentz  (nicht  Lentzen,  wie  Noppius  und  Quix  schrei- 
ben *)  errichtet.  Lentz  wird  urkundlich  zuerst  im  Jahre  1465 
als  Pfarrer  von  St.  Peter  erwähnt2.  Ein  Nekrologium  des  ein- 
maligen Regulierherrenklosters  zu  Aachen  gibt  den  5.  August 
1504  als  seinen  Todestag  an3,  nennt  ihn  einen  besondern  Wohl- 
thäter  und  Freund  dieses  Klosters  und  berichtet,  dass  er  im 
Chor  der  Klosterkirche  beigesetzt  worden  und  ein  Jahrgedächt- 
niss  erhalten  habe,  wie  jeder  Bruder  des  Klosters4.  Dazu  seilte 
für  ihn   an    den  Quatembertagen   noch    je    eine  Messe    gelesen 


x)  Nopiiius  a.  a.  ( ).  Th.  I.  S.  85  nennt  ihn  Lentzen,  Quix,  Geschichte 
der  8t.  Peter-Pfarrkirche  S.  11    Lenz  oder  Lenzen.  S.  24   Lentzen. 

'-)  Urkundliche  Ä.ufzeichnungen  im  Pfarrarchiv  von  st.  Peter  zu  Lachen. 

3)  Irrig  bezeichnet   Quix    a.  a.  » ».    S.    II    und    2  I    das  Jahr    1509    als 
Todesjahr  des  Pfarrers  Lentz. 

4)  Quix    a.    a.    »».    S.    11.    Anni.    I. 

in 


1  16  K.  Wacker 

und  seiner  ausserdem  in  jeder  Dienstags-  und  Freitagsmesse 
besonders  gedacht  werden.  Bevor  die  Bruderschaft  ihre  statu- 
tarische Thätigkeit  begann,  starb  Pfarrer  Lentz,  doch  war  er  noch 
kurz  vor  seinem  Tode  zum  Greven  für  das  erste  Vereinsjahr 
gewählt  worden,  weshalb  er  von  Breuer  noch  für  das  Jahr 
1505  mit  „Palmen  van  Haeren"  als  erster  Greve  aufgeführt  wird. 
Die  Satzungen  der  Bruderschaft  bestimmen  genau  die 
Pflichten  der  einzelnen  Brüder  wie  der  gesammten  Bruderschaft. 

1.  Jeden  Freitag  soll  eine  Messe  vom  Leiden  Christi  ge- 
lesen, am  Ende  derselben  eine  bestimmte  Respons  gesungen 
werden;  5  Kerzen  sollen  während  der  Feier  brennen. 

2.  Die  Mitglieder  der  Bruderschaft  sollen  an  jedem  Frei- 
tag bestimmte  Gebete  verrichten. 

3.  Eine  grosse  "Wachskerze  (eyn  tortz)  soll  während  der 
Wandlung  der  Bruderschaftsmesse  angezündet  und  bei  der  Beer- 
digung eines  Bruders  mitgetragen  werden. 

4.  Jeder  neu  aufgenommene  Bruder  soll  „eynen  hoerns 
gülden"  und  1  Pfund  Wachs  geben ;  wenn  er  aber  arm  ist, 
nach  Belieben.  Jahresüberschüsse  sollen  als  Kapitalien  aus- 
geliehen werden. 

5.  Ueber  die  Grevenwahl  heisst  es  in  den  Satzungen :  „Item 
men  sal  zween  getruwe  man  van  desen  broideren  kyesen,  die 
dese  broiderschaf  sullen  regeren  ind  bewaren  ind  allet,  dat  dar- 
zu  behoirt,  doen  bestellen  ind  usrychten.  Sy  sullen  die  misse 
ind  kertzen  bestellen,  sy  sullen  die  broideren  annemen  ind  dat 
gelt  upboeren  enn  dat  bewaren  ind  alle  iair  rechenschaf  daraf 
doen,  so  wat  sy  ontfangen  haven." 

6.  An  dem  jährlich  abzuhaltenden  Stuhltag  —  er  fand  später 
gewöhnlich  am  Sonntag  nach  St.  Bartholomäus  (24.  August) 
oder  am  Kreuzerhöhungstag  (14.  September)  statt  —  sollen  die 
Brüder  einem  feierlichen  Hochamt  beiwohnen  und  während 
desselben  opfern.  Nachher  soll  in  der  allgemeinen  Versamm- 
lung der  Brüder  Rechnung  gelegt  und  das  etwaige  Deficit  durch 
gleiche  Beiträge  der  Mitglieder  gedeckt  werden.  Sodann  sollen 
die  Brüder  zusammen  über  die  Angelegenheiten  der  Bruder- 
schaft berathen. 


Die  vormalige  Bruderschaft  vom   Leiden  Jesu  in    Lacken.  1)7 

7.  Allgemein  wird  der  ernstliche  Beschluss  der  Bruder- 
schaft eingeschärft,  dass  man  „geyn  kost  noch  drynken  noch 
brassen"  von  dem  Bruderschaftsgeld  veranstalten  solle,  weder 
am  Stuhltag  noch  bei  andern  Gelegenheiten,  wie  bei  der  Auf- 
nahme eines  neuen  Mitglieds.  Auch  solle  man  au  Niemanden 
das  Ansinnen  stellen,  etwas  zu  traktiren.  Komisch  klingt  die 
beigefügte  Mahnung :  „Mer  wilt  men  eynige  kost  doen  of  drank 
halden,  da.t  moegen  sy  usser  yren  proper  eygen  buydel  doen 
ind  anders  ueit.u 

Dass  diese  Warnung  vor  der  Verweltlichung  der  Bruder- 
schaft wohlberechtigt  war,  zeigt  die  weitere  Entwickelung  der- 
selben. In  einem  Beschluss  vom  24.  August  1538  ward  schon 
als  Strafe  für  Zuwiderhandlungen  gegen  die  Satzungen  die 
Leistung  von  2  Viertel  Wein,  und  zwar  „van  den  besten" 
oder  der  Austritt  aus  der  Bruderschaft  bestimmt1.  Dies  be- 
rechtigt zu  der  Annahme,  dass  bereits  damals,  also  kurz 
nach  der  Gründung,  am  Stuhltag  ein  Festessen  mit  Wein  ge- 
halten wurde.  In  spätem  Jahren  erfahren  wir  Näheres  darüber. 
Uebrigens  ist  auch  der  Inhalt  dieses  Beschlusses  ]  nicht  ohne 
Interesse;  es  wird  durch  denselben  jeder  Hader,  Zank  und 
alles  Keifen  mit  Worten  und  mit  Werken  in  den  Versamm- 
lungen der  Brüder,  besonders  am  Stahltag  streng  verboten. 
Bringt  man  damit  die  Thatsache  zusammen,  dass  im  Jahre 
1577  St.  Peter  für  kurze  Zeit  einen  Pfarrer  hatte,  der  sich  der 
Reformation  zuwandte  und  die  Kommunion  unter  beiden  Ge- 
stalten austheilte,  so  könnte  man  zu  der  Vermuthung  kommen, 
dass  sich  in  den  damaligen  erregten  Jahren  der  Reformation 
der  innere  Zwist  in  der  Bruderschaft  vielleicht  um  die  Stellung 
der  Brüder  zu  der  neuen  Lehre  gedreht  habe. 

An  dem  eben  erwähnten  Festessen  nahmen  zunächst  nur 
die  männlichen  Mitglieder  der  Bruderschaft  Theil ;  im  Jahre 
1573,  unter  Pfarrer  Gerlach  Radermacher,  wurde    beschlossen. 

l)  Nach  einem  llesrhlnss  vom  Jahre  L626  mussten  diejenigen  Mit- 
glieder, welche  auf  St.  Peters  KIrchweihung  „der  procession  s.  Petri  in 
ihrer  Ordnung  mit   brennenden  Lichtem    oichl   beiwohnten",   zur  Strafe  eine 

Kai WVin  geben, 


I  |s  K.   Wacker 

„das  vordan  die  weyber  auf  den  stoildag  mitgesellen  sollen 
sein  in  dem  gelag  oder  zeeg,  und  sol  vor  den  männeren  in- 
geschenkt  werden  eyn  krauch,  und  vor  den  weyberen  ein  helf- 
gen".  Bei  grosser  Mitgliederzahl  war  für  ein  so  opulentes 
Festessen  wohl  nur  schwer  ein  passendes  Lokal  zu  finden,  wie 
auch  aus  einer  Notiz  im  Mitgliederverzeichniss  für  das  Jahr 
1674  hervorgeht:  „Anno  1674  ist  keiner  ankörnen,  weilen  man 
wegen  enge  der  platten 1  gutgefunden,  die  zal  der  bruder  zu 
reduciren  ad  ungefehr  37." 

Bei  den  1577  und  1578  in  der  Peterspfarre  stattgefunde- 
nen religiösen  Neuerungsversuchen  scheint  sich  die  Bruderschaft 
zum  alten  Bekenntniss  gehalten  zu  haben;  damit  hängt  es 
wohl  zusammen,  dass  durch  einen  1579  eingeführten  neuen 
.Modus  der  Grevenwahl  der  Einfluss  der  Jüngern  Elemente 
zurückgedrängt  wurde.  Während  nämlich  die  beiden  Greven 
bisher  von  allen  Bruderschaftsmitgliedern  mit  gleichem  Stimm- 
recht gewählt  wurden,  sollte  fortan  der  eine  von  den  alten, 
abgegangenen  Greven,  der  andere,  wie  früher,  von  der  Gesammt- 
heit  der  Mitglieder  erwählt  werden.  Es  heisst:  „Anno  1579 
den  23.  augusti  overmits  gemeiner  broderschaft  seind  für  greven 
gekoren  von  den  alden  greven  Peter  Beck;  noch  haben  die 
bruder  insgemein  gekoren  Jacoben  von  Themen" ;  später  meist 
einfacher,  wie  z.  B.  1580  :  „auf  gemeinen  stoildag  von  den  alten 
greven  erwehlet  Johan  Herbrand  und  von  der  gemeiner  broe- 
derschaft  Jan  von  Lontzen." 

Als  1621  Pfarrer  Breuer,  der  Urheber  unserer  Aufzeich- 
nungen, sein  Amt  antrat,  war  die  Bruderschaft  sehr  verfallen. 
Noppius  schreibt2,  dieselbe  sei  „durch  die  ketzereyen  in  Ab- 
gang gerahten",  und  wirklich  finden  wir  für  die  vier  Jahrzehnte 
von  1580  bis  1620  nur  16  neu  eingetretene  Mitglieder  ver- 
zeichnet. Die  ursprünglich  für  jeden  Freitag  in  Aussicht  ge- 
nommene Messe  war  „aus  mangel  der  rinten"  aufgegeben,  es 
wurden  jährlich  nur  mehr  zwei  Messen  gelesen,  und  die  Brü- 


')   Schüsseln. 

')  tfoppius  a.  a.  I  >.  Tit.  I.  S.  85. 


Die  vormalige  Bruderschaft  vom  Leiden  Jesu  in    Lachen.  I  t9 

derzahl  war  so  gering-,  dass  man  1621  bis  1625  dieselben 
Greven  beibehalten  nmsste,  ..aus  mangel  der  brüder".  Breuer 
liess  wenigstens  jeden  Monat  eine  Messe  lesen  und  hob  nach 
und  nach  wieder  das  Ansehen  der  Bruderschaft.  Im  Jahre 
.1625  hatte  er  10  Brüder  zusammengebracht,  bald  darauf  mehrte 
sich  die  Zahl  der  Mitglieder  immer  mehr.  Damals  erhielt  die 
Peterskirche  von  der  Bruderschaft  ein  Geschenk,  bestellend  in 
fünf  bemalten  eisernen  Leuchtern,  die  nebst  einem  von  Pastor 
Breuer  dazu  geschenkten  sechsten  an  den  sechs  Pfeilern  des 
damaligen  Chors  mit  Blei  eingegossen  wurden.  Im  Jahre  1627 
schenkten  die  zeitigen  Greven  mit  dem  Pastor  von  St.  Peter 
(Breuer)  der  Bruderschaft  eine  neue  Fahne;  Gerhard  Schoerer1 
gab  den  „armesein,  seide  franien  und  lein",  Franz  Klocker2 
aber  die  „schilderey"  (das  eingesetzte  Gemälde);  der  Pastor 
den  „machlohn". 

Als  letzter  Beschluss  der  Bruderschaft  ist  eine  inhaltlich 
unbedeutende    Uebereinkunft    vom   Jahre    1665    aufgezeichnet. 

Das  Verzeichniss  der  Greven  und  Brüder  stammt  für  die 
Zeit  von  1505 — 1550  von  Breuer;  die  spätem  Jahre  sind  von 
den  jeweiligen  Pfarrern  nachgetragen.  Die  Reihenfolge  der 
Greven  ist  vielfach  lückenhaft;  weniger  die  der  Mitglieder, 
welche  von  Breuer  eingeleitet  ist:  „Namen  der  brüder  der  löb- 
liger  broederschaft  des  leiden s  unsers  lieben  herrn  und  selig- 
mechers  Jesu  Christi,  wilche  von  an  fang  deroselber  bis  heud 
dato  darinnen  gewest  und  seind  durch  mich  Gerardum  Brewer, 
pastorem  s.  Petri.  ausgeschrieben  anno  1630,  den  28.  Septem  - 
bris."  Beide.  Listen  sind,  wie  oben  bemerkt,  sein'  ergiebig  für 
die    Kenntniss   der    damals   gebräuchlichen    Vornamen    in    der 


1)  Der  Weinmeister  Gerhard  Schoerer  war  ein  besonderer  Wohlthäter 
der  Peterskirehe  (vgl.  Noppius  a.  a.  0.  Th.  I.  S.  85). 

-')  Ueber  die  Familie  Klocker  (Klocker),  an  welche  noch  das  Wappen 
über  dem  Thoreingang   zum    Suermondt-Museum    in  lachen   erinnert,    vgl. 

Aachener  Volkszeitung  1887,  \r.  97.  Franz  Klocker  wurde  hmals   1633, 

der  Werkmeister  Peter  Klocker  L628,  der  „ehrengeachte"  Gerhard  Klocker 
L670,  Johann  Klocker  ins:;  und  L700,  Heinrich  Klockor  Ifi90  «um  Greven 
der  Bruderschaff  gewählt, 


L50  l\.  Wacker 

Aachener  Volkssprache,  der  Familiennamen,  der  Benennungen 
für  Strassen,  Plätze  und  Häuser. 

1.  Männliche  Vornamen :  Bastian  (Sebastian) ;  Clas  (Niko- 
laus); Derich  (Dietrich);  Dreis  (Andreas);  Gerart;  Gierlich 
(Gerlach)  ;  Gillis  (Aegidius) ;  Godard  ;  Hein ;  Hupert ;  Jan ; 
Jakob;  Joris,  Jürgen  (Georg);  Koenrat;  Lambret  und  Lambert; 
Lennart  (Leonhard);  Lodvich ;  Mertin;  Mees  (Bartholomäus); 
Nellis  (Kornelius)  ;  Niss  (Dionys) ;  Reinart ;  Rutger ;  Severin  ; 
Teyl,  Theyl  (Tilmann);  Thonis  (Antonius);  Thys,  Theivis, 
Mathys  (Mathias) ;  Quirin ;  Vaes  und  Servaes  (Servatius) ;  Va- 
lentin; Weynand. 

2.  Weibliche  Vornamen :  Ailken,  Aykel  (Angela  oder  Adel- 
heidchen, noch  jetzt  im  Niederdeutschen  Aleid  =  Adelheid; 
Berbgen  (Barbara);  Bingen  (Jaköbina  oder  Sabina);  Bötzgen 
(Elisabeth) ;  Cathrein,  Cathrin,  Trein,  Trin,  Tringen  (Katharina) ; 
Dreitgen,  Drit,  Drutgen  (Gertrud);  Ebel  und  Eybel  (Sibylla); 
Eis  (Elisabeth);  Engel  (erste  Hälfte  von  Engelberta);  Erm- 
gart ;  Eytgen  und  Idgen  ( Ida) ;  Jengen  (Johanna  oder  Maria 
Anna) ;  Liebgen  (Elisabeth  oder  Lioba) ;  Mery,  Merien,  Marey- 
ken  (Maria);  Mettel  (Magdalena);  Needgen  (Nettchen,  Antonia 
oder  Katharina);  Thill  (Mathilde);  Walburg  und  Burgen; 
Zeygen  (Lucia).    Unerklärlich:  Hickel. 

3.  Familiennamen,  die  ein  Handwerk  bezeichnen:  Bart- 
scherer;  Duppengisser ;  Hamecher  (Sattler);  Holschemecher 
(Holzschuhmacher);  Kesselbusser  (Kesselschläger,  Kesselflicker): 
Klockengisser ;  Klocker  (Glöckner,  auch  Uhrmacher);  Lecler- 
reyder  (Lederbereiter,  Gerber);  Lehrreider  (wohl  dasselbe); 
Leffelmecher ;  Leyendecker;  Leyneweber;  Müllener,  Müllenar, 
Mülleter  (Müller);  Offermann  (Küster);  Olichschleger  (Oel- 
presser) ;  Poyffer  (wohl  =  Pfeiffer) ;  Radermechers ;  Schoinmecher 
(Schuhmacher);  Schreinmechers (Schreiner) ;  Schwertfeger ;  Seyl- 
winders;  Silberberner  (Silberarbeiter);  Spensetzer  (Kardensetzer, 
Rauer).  Selten  ist  den  Familiennamen  die  Bezeichnung  des 
Standes  beigefügt.  Wir  finden:  Becker;  Fleischewer;  Hoet- 
mecher;  Hoiffschmitt ;  Nadelmecher;  Schrei nmecher;  Tuchferber; 
Wapen  sticker. 


Die  vormalige  Bruderschaft   vom   Leiden  Jesu  in    Lachen,  [51 

4.  Familiennamen,  welche  aus  Ortsbenennungen  mit  vor- 
gesetztem „von"  bestellen  (meist  Ortschaften  aus  der  Nähe  von 
Aachen) :  Amel,  Amelen ;  Baienburg ;  Batenburg  (Bardenberg  ?) ; 
Bemelen;  Bergh  (Laurensberg?);  Domnierswinckel,  Drimborn; 
Erkelenz ;  Eschweiler,  Elmt;  Gulpen ;  Gressenich ;  Haaren  :  Heins- 
berg; Herle;  Kirchrait;  Langendorf;  Lohn;  Lontzen;  Lüttich; 
Malmendier  (Malinedy) ;  Mastricht;  Morsbach;  Münster  (wohl 
Cornelimünster) ;  Moniaw  (Montjoie);  Oirschlag;  Orsbach; 
Ouchen;  Raet;  Randerait ;  Reidt;  Reiverscheit;  Richtergen  (Rich- 
terich); Rumpen;  Savelsberg;  Stockit;  Stolberg;  Theynon; 
Thouven ;  Yalkenburg ;  Voersbach ;  Wassenberg ;  Weiler ;  Weiss- 
weiler; Weyden. 

5.  Sonst  interessante  Familiennamen:  Butterloch  (früher 
auch  der  Name  eines  Hofes  in  der  Wirichsbongardstrasse *) ; 
Krewinkel ;  Lodderbein ;  Paschweck  (Osterweck) ;  Langohr ; 
Granscha,  Granschen  (Grandjean) ;  die  Bey  (Biene),  de  Bey, 
daraus  Debey;  Kern;  Lamberts;  Nutten;  Blevenheufft;  Clavssen; 
Schortzbier;  Daniel  von  der  Kannen;  Startz,  Starts  (1519); 
Johann  Pelser,  „Burggref  an  Collerpforts"  (1593);  Jungblut 
(1632);  Blees  (1633);  Jakob  Kloubert,  Werkmeister,  1633; 
Franz  von  Trier  (aus  der  bekannten  Glockengiesserfamilie)  1651; 
Bürgermeister  Balthasar  Fiebus,  1658;  Albertus  Scholteis,  qo- 
tarius,  1668;  Dr.  iur.  utr.  Vondefeldt,  1673;  Adam  Zaro,  1675; 
Joh.  Jakob  Moeß,  utr.  iur.  licentiatus,  1681 ;  Joannes  Moes, 
bey  der  Rechten  Licentiatus  und  hiesiger  Reichsstatt  Achen  sin- 
dicus,  1694;  ä  Campo,  1710. 

6.  Städtische  Strassen-  und Hausnamen  (meist  aus  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts):  St.  Stephanshof  (Hartmannstrasse) ; 
1510  under  die  Kreem  (Krämerstrasse);  1515  in  den  Bier- 
baum (Krämerstrasse  Nr.  3);  auf  dem  Wingartsberg;  in  der 
Cöllerstrass ;    c.  1510     oppen     und     aupgen  Hopman;    in    der 


')  Ob  damit  auch  der  Name  Buttergasse  (ein  jetzl  unterdrückter  Wej 
vor  Adalbertsthor)  zusammenhängt?  Ein  Peter  Butterioich  kommt  in  dem 
Spottgedicht  von  1513  vor  (vgl.  Eaagen,  Geschichte  Lehens  II.  S.  630. 
V.  237);  in  dem   Bruderschaftsbuch  wird  zum  Jahre   1504  Simon  Butterloch 

i|<t   Alte  ^cnniint. 


L52        K-  Wacker,  Die  Bruderschaft  vom  Leiden  Jesu  in  Aachen. 

Müllen  (wohl  die  ehemalige  Molengasse,  jetzige  Sandkaulbach- 
strasse1);  1511  auf  das  Komphausbadt ;  1626  auf  das  h.  Gayst- 
haus  (vormaliges  Hospital  auf  dem  Chorusplatz);  c.  1650  in 
Colnerstraß  unweit  den  putz  am  kirchhof ;  uf  dem  Compesbath, 
alwo  man  in  der  bach  gehet. 

Als  geistliche  Mitglieder  der  Bruderschaft  sind  ausser  den 
zeitweiligen  Pfarrern  von  St.  Peter  noch  zu  verzeichnen :  Maria 
von  Oirsbag,  moeder  auf  St.  Stephanshof,  1504;  Albertus 
Pictorius,  rector  scholae  Marianae,  1618;  er  war  Kaplan  an 
St.  Peter  und  zugleich  Kektor  einer  Pfarrschule;  Philippus 
Nagel,  pastor  s.  Foilani,  1665;  Joh.  Gerardus  Schweiren,  cano- 
nicus  Düsseldorfiensis,  1665 ;  Joannes  Offermann,  pastor  s.  Foilani, 
1672  (er  starb  am  2.  oder  12.  August  1686);  Wilhelmus 
Groten,  1652  und  Stephanus  Meess  1670,  beide  Stiftsherren  von 
St.  Adalbert;  Rochus  Winandts,  vicarius  Beatae  Virginis  Mariae 
Aquisgrani,  1670;  Dumont,  Stiftsherr  von  St,  Adalbert,  1673; 
Johannes  Küpper,  pastor  ad  s.  Elisabetham  (Gasthaus  am 
Münsterplatz),  1689. 

Ueber  das  Jahr  1722  hinaus  ist  ein  auf  das  Schicksal  der 
Bruderschaft  vom  Leiden  Jesu  bezüglicher  Bericht  nicht  auf 
uns  gekommen.  Schon  seit  Ende  des  17.  Jahrhunderts  ver- 
nachlässigt, scheint  sie  später  nach  und  nach  eingeschlafen  zu 
sein  und  sich  nicht  einmal  bis  in  die  Zeit  der  französischen 
Herrschaft  erhalten  zu  haben. 


l)  Tgl.  Quix  a.  a.  0.  S.  20. 


Aus  dem  Tagebuch  des  Aachener  Stadt- 
syndikus Dr.  Peter  Fell. 

Voii  E.  Pauls. 

i. 

Der  im  Jahre  1795  verstorbene  Aachener  Stadtsynclikus1  Dr. 
Peter  Fell  hat  ein  ziemlich  umfangreiches  Tagebuch 2  hinterlassen, 
welches  theils  über  das  Leben  seines  Verfassers,  theils  über 
manche  ortsgeschichtliche  Ereignisse  des  vorigen  Jahrhunderts 
in  nicht  ganz  uninteressanter  Weise  berichtet.  Vollständig  ist 
das  Tagebuch  nicht.  Es  fehlen  alle  Angaben  über  Fells  erste 
Studienzeit3,  es  fehlen  Mittheilungen  über  die  Fremdherrschaft4 
und  viele  ihr  vorhergehende  Jahre. 

Syndikus  Peter  Fell  stammte  aus  einer  angesehenen  und 
wohlhabenden  Familie5  Aachens.  Die  im  September  1722 
geschlossene    Ehe    seiner    Eltern    Peter    Fell 6    und    Elisabeth 


*)  Syndikus  hiess  früher  der  rechtskundige  Vertreter  einer  Gemeinde. 

'-')  Quartband  von  338  meist  beschriebenen  Seiten,  in   meinem    Be 
Ein  Theil  des  Inhalts  (Weltgeschichtliches,  Münztabellen,  Heilmittel  u.  s.  w.) 
ist  werthlos. 

3)  Allem  Anschein  nach  waren  nähere  Angaben  vorhanden,  doch  sind 
später  die  betreffenden  Tagebuchblätter  herausgerissen  worden. 

*)  Aufzeichnungen  aber  die  Premdherrschaff  hai   Fell  wohl    an 
berechtigter  Vorsicht  unterlassen. 

5)  Die  nachstehenden  genea  aben  beruhen  auf  dem  1 
buch  und  auf  alten  demselben  beiliegenden  Todtenzetteln. 

6)  SeinStand  wird  nicht  genannt;  er  war  im  Jahre  L698  u  und 
starb  L772.  Der  Name  der  Krau  lautel  an  einer  Stelle  Beckers,  Sic  Lebte 
von   1694—177."., 


|.-,l  E.  Pauls 

Becker  war  mit  drei  Söhnen  gesegnet  worden.  Zwei  derselben 
widmeten  sich  dem  geistlichen  Stande.  Heinrich  Fell  (geb. 
1727)  trat  in  den  Augustinerorden,  wurde  im  Jahre  1751 
Priester,  und  starb  unter  dem  Klosternamen  P.  Hyacinthus 
als  Subprior  des  Aachener  Augustinerklosters  am  12.  August 
1781  \  Sein  Bruder  Joh.  Jos.  Pell  (geb.  1733)  erhielt  die 
Priesterweihe  im  J.  1757,  wurde  schon  nach  zwei  Jahren 
Johannisherr  am  Aachener  Münster2  und  ebendaselbst  in  viel 
späterer  Zeit  Ehrendomherr.  Er  starb  zu  Aachen  am  20. 
November  1816 3. 

Als  Geburtstag  des  Stadtsyndikus  Peter  Fell  bezeichnet 
das  Tagebuch  den  21.  November  1729.  Wir  wissen  nicht,  wo 
der  Knabe  seine  erste  Ausbildung  erhielt ;  wahrscheinlich  sind 
bei  ihr  die  in  Aachen  damals  ansässigen  Jesuiten  thätig 
gewesen.  Bas  Tagebuch 4  beginnt  mit  der  juristischen  Prüfung, 
welcher  sich  im  Juni  1752  der  fast  23jährige  junge  Mann 
in  Trier  unterzog.  Es  heisst:  „Am  9.  Juni  1752  wurde  in 
des  Herrn  Professors  Haus  vom  Herrn  Professor,  Herrn  Doktor 
und  Kanonikus  Idschet  und  Herrn  Dr.  Grell  das  Tentamen 
vorgenommen5.  Am  10.  Juni  musste  ich  das  Examen  rigo- 
rosum  ausstehen,  dann  wurden  mir  vier  Thesen  zum  Ver- 
theidigen  aufgegeben.  Am  Sonntag  den  11.  Juni  Morgens 
hielt  ich  meine  Defension  auf  St.  Simeons-Bibliothek  im  Bei- 
sein der  vorbenannten  Herren.  Ich  speiste  zu  Mittag  beim 
Herrn  Professor,  und  Nachmittags  um  4  Uhr  wurde  ich  daselbst 
im    Privatauditorium    nach    akademischer    Sitte    zum    Doktor 


x)  Er  ruht  in  der  Augustinerkirche  in  der  Pontstrasse  zn  Aachen. 
'-')  Hierin  ein  Beweis  für  das  Ansehen  der  Familie  Fell. 

3)  Vgl.  Quix,  Historische  Beschreibung  der  MünsterMrehe  S.  114. 

4)  Im  Nachfolgenden  gebrauche  ich  die  heutige  Schreibweise,  kürze 
und  ändere  in  einer  für  den  Sinn  der  Mittheilungen  durchaus  u  n- 
w  e  s  e  n tl  i  e  h  e  n  Weise  häufig  die  Angaben  des  Tagebuchs  und  behalte  nur 
wenige,  besonders  bezeichnende  Fremdwörter  bei. 

5)  Für  Juristen  sei  hier  der  Schluss  dieser  Notiz  beigefügt:  „Nach 
welchem  (dem  Tentamen)  mir  das  cap.  Cumana  50.  X  de  elect.  und  der  C.  2 
Cod.  de  rescind,  vendit,  /.u  expliciren  aufgegeben  worden*" 


Aus  dem  Tagebuch  des  Aachener  Stadtsyndikus  Dr.  Peter  Fell.     L55 

beider  Rechte  kreirt  und  feierlich  proklamirt  in  Anwesenheit 
der  Herren1  Stadtschreiber  Caroe,  Dr.  Knödtgen,  Dr.  Grell, 
Wengeler  und  Anderer,  wie  auch  des  Herrn  Professors  Mutter. 
Nach  der  Promotion  bewirthete  ich  die  anwesenden  Herren 
mit  einem  kostbaren  Glas  "Wein  und  kleinem  Nachtisch.  Der 
folgende  Tag  war  kleinen  Ausflügen1  mit  meinem  Hospes, 
seiner  Gemahlin,  deren  Schwester,  Herrn  Wengeler  und  Herrn 
Beyer  gewidmet."  Fells  Dissertation  und  eine  andere  von  ihm 
verfasste  juristische  Schrift  befinden  sich  nach  dem  Katalog 
von  1834  (S.  60)  in  der  Aachener  Stadtbibliothek.  Die  Titel 
lauten:  1.  Exercitatio  iurid.  de  obligatione  praesertim  natural! 
Aug.  Trevir.  1751.  2.  Sentimentum  iuris  de  prorogatione 
iurisdictionis  de  testamento  viduae  B.  nee  non  de  successione 
prolium.  Aquisgr.  1757.  Die  Schilderung  der  Heimreise  von 
Trier  bis  Aachen  bietet  wenig  Bemerkenswerthes.  Fell  bestieg 
am  13.  Juni  Morgens  10  Uhr  ein  Schiff  in  Trier,  landete  aber 
trotz  ununterbrochener  Fahrt  erst  gegen  8  Uhr  Abends  am 
14.  Juni  in  Koblenz,  avo  er  im  wilden  Mann  übernachtete. 
Von  dort  ging  gegen  7  Uhr  Morgens  am  15.  -Juni  die  Reise 
zu  Schiff  nach  Köln  weiter2,  wo  Fell  nach  kurzem  Aufenthalt 
in  Linz  und  Bonn  um  6  Uhr  früh  am  16.  Juni  ankam.  In 
Köln  blieb  der  junge  Rechtsgelehrte  den  Tag  über,  nahm 
andern  Morgens  den  Postwagen  und  langte  gegen  8  Uhr 
Abends  in  Aachen  an.  Im  Ganzen  dürfte  die  Fahrzeit  sich 
auf  mehr  als  60  Stunden 3  belaufen  haben.  Anscheinend  hat 
Fell  grössere  Reisen  später  nicht  mehr  unternommen4.  Wie 
das  vorliegende  Beispiel  beweist,  war  vor  130 — 140  Jahren  das 
Reisen    mühsam    und    zeitraubend;    auch    mögen    die    vielen 


*)  11s.  divertirte  ich  mich  mir  meinem  llu>|irs  u.  s.  \\. 

■)  In  Engers  stiessen  'li-'  Reisenden  auf  5  Schiffe  mit  Auswanderern. 
Es  waren  Schwaben,  Württemberger  and  Kurpfälzer,  welche  nach  den 
englischen  Kolonien  in  Ajnerika  reisten. 

3)  Auf  die  Postwagenfahrl  von  Köln  bis  Aachen  fielen  wohl  mindestens 
in— r_'  Stunde» ;  vgl.  Zimmermann,    Aachener  Kalender  für  L880,  S.  127. 

4)  Das  Tagebuch  erwähnt  nur  noch  3  amtliche  Reisen    nach    Diu 
dörf,  AnhoH  und  Lüttich, 


156  E.   Pauls 

durch  einen  reichen  Kindersegen  bedingten  häuslichen  Sorgen, 
sowie  manche  amtliche  Pflichten  den  Verfasser  des  Tagebuchs 
an  Aachen  gefesselt  haben.  Ueber  seine  Thätigkeit  als  Rechts- 
anwalt, Rathsherr  und  Stadtsyndikus  verdanken  wir  dem  Tage- 
buch die  folgenden,  hier  der  Zeitfolge  nach  geordneten  An- 
gaben. 

„1752,  den  6.  August  habe  ich  als  Advokat  den  ersten 
Aktum  verrichtet,  nämlich  für  Herrn  Korschgens  ein  juristisches 
Gutachten  für  2  Reichsthaler  (4,50  J£)  l  angefertigt.  Am  25.  Au- 
gust bin  ich  vom  Rath  zum  Sendschöffen  präsentirt  worden. 
Am  17.  September  habe  ich  zum  ersten  Mal  zwei  Prozesse  be- 
kommen in  dem  Ländchen  zur  Heiden.  Am  13.  November 
habe  ich  angefangen,  dem  Herrn  de  Witte  den  Heineccium  2  ad 
instituta  vorzulesen. 

1753,  den  8.  Januar,  nachdem  ich  das  erste  Buch  von  den 
Instituten  mit  dem  Herrn  de  Witte  allein  geendigt,  habe  ich 
mit  ihm  und  dem  Herrn  von  Fürth  die  Instituta  aufs  Neue 
angefangen.  Am  3.  Februar  ist  Knops  noch  dazu  gekommen. 
Am  27.  Juli  hat  Herr  Kanonikus  Barts  mit  den  andern  drei 
die  Instituta  wieder  angefangen.  Am  5.  November  habe  ich 
von  Neuem  angefangen,  dem  Herrn  Kanonikus  Barts  allein  die 
Instituta  vorzulesen.  Am  12.  November  ist  Herr  Fabrij  noch 
dazu  gekommen. 

1754  vom  1.  November  bis  zum  22.  Mai  1755  habe  ich 
dem  Herrn  Fabrij  den  Heineccius  vorgelesen. 

1755.  In  diesem  Jahre  habe  ich  zuerst  Relationen  ge- 
macht auf  dem  Rathhaus.  Im  November  fing  ich  an,  den 
Herren  Gartzweiler  und  Corneli  den  Heineccius  vorzulesen, 
wobei  ich  zugleich  meine  Anmerkungen  diktirte." 

Auf  diese  wenigen  Angaben  beschränkt  Fell  seine  Mit- 
theilungen über  die  ersten  drei  Jahre  seiner  Thätigkeit  als 
Rechtsanwalt   in   Aachen.     Der  Anklang,    den  sein    Unterricht 


J)  In  der  Klammer  gebe  ich  hier  and  an  einigen  folgenden  Stellen 
die  gleiche  Summe  in  heutiger  deutscher  Reichsniüiize  an. 

'-')  Heineccius  Messen  zwei  berühmte  Rechtsgelehrte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts. 


\us  dem  ifagebuch  des   Aachener  Stadtsyndikus  Dr.   Peter  Fell.     !.">. 

fand  l,  die  ihm  seitens  des  Magistrats  übertragene  Anfertigung- 
gewisser  Berichte,  ferner  in  etwa  die  Thatsache,  dass  es  ihm 
schon  im  Jahre  1758  möglich  war-,  einen  eigenen  Hausstand 
zu  gründen,  lassen  darauf  schliessen,  dass  Fleiss  und  Talent 
ihm  den  auch  damals  rauhen  Weg  zu  einer  gesicherten  an- 
gesehenen Stellung  bald  geebnet  hatten.  An  städtischen  An- 
gelegenheiten scheint  Fell  sich  erst  seit  1768  in  hervorragender 
Weise  betheiligt  zu  haben.  Gegen  Ende  dieses  Jahres  sandte 
der  Rath  ihn  nach  Düsseldorf,  damit  er  im  Namen  der  Stadt 
dem  zum  Statthalter  des  Herzogthums  Jülich  ernannten 
Grafen  von  Goldstein  Glück  wünsche  und  gleichzeitig  ein 
Fuder  Wein  als  Geschenk  überreiche3.  Zu  den  folgenden 
Jahren  meldet  das  Tagebuch:  „1769.  Nachdem  die  Stadt 
(Aachen)  am  10.  Februar  von  2000  Mann  kurpfälzischer 
Truppen  überfallen  worden,  bin  ich  am  16.  Februar  vom 
grossen  Rath  mit  Herrn  Bürgermeister  von  Richterich  und  Herrn 
Syndikus  Denys  nach  Düsseldorf  deputirt  und  bevollmächtigt 
worden4,  die  Streitpunkte  unter  Vorbehalt  der  Genehmigung 
des  Aachener  Magistrats  (gravamina  sub  ratificatione  amplissimi 
senatus)  im  Wege  des  Vergleichs  zu  beseitigen.  Den  17. 
Februar  Abends  nach  Düsseldorf  abgefahren  und  den  25.  März 
heimgekehrt. 

1770,  den  16.  Februar,  Morgens  früh  bin  ich  als  Bevoll- 
mächtigter (Plenipotentiarius)  seiner  Hochfürstlichen  Durch- 
laucht von  Salm-Salm  Ludwig  Karl  Otto  mit  dem  Notar 
Jacobs  auf  Anholt  mit  Extrapost  abgereist,  um  daselbst  von 
besagter  Reichsherrschaft  Besitz  zu  nehmen  und  vom  dasigen 
Magistrat  und  Bürgerschaft  mir  huldigen  zu   lassen. 


1)  In  spätem  Jahren  hat  er  wahrscheinlich    nur  selten  mehr  sich  zur 

Ertheilung  von  Unterricht  verstanden.  Das  Tagebuch  melde!  nur  i h  /.um 

September  17f>!),  dass  er  damals  dem  jungen  Eerrn  Ostiender  die  Institute 
iuris  vorlas. 

2)  Beim  Abschluss  der  Ehe  lobten  beiderseitig  dir  Eltern   des  Braut- 
paars noch;  für  dieses  war  also  ererbtes  vermögen  Kanin  vorhanden. 

8)  Vgl.  Zeitschrift  des  Aach.  Geschirhtsvereins  VII.    S.  209  und  278. 
4)  Vgl.  Eaagen,  Geschichte    Lehens  IL  S.  352. 


ir,x  E.  Pauls 

1773,  am  13.  April    fragte  Herr   Bürgermeister  Kahr,   ob 

ich  mich  in  die  Gesellschaft  der  Herren  vom  Bock *  auf- 
nehmen lassen  wolle?  Auf  meine  bejahende  Antwort  wurde 
ich  am  29.  April  von  der  Zunft  einstimmig  und  zwar  allein 
erwählt.  Dem  Zunftdiener  Dulje  zahlte  ich  eine  halbe  Krone 
(2,35  J£)\  ist  aber  sonst  auf  einen  halben  Reichsthaler 
(1,13  J€)  festgesetzt.  Die  Zunftgebühren  zahlte  ich  am  4.  Mai 
mit  18  Reichsthalern  6  Gulden  (42  J&).  Am  23.  Juni  wurde 
ich  in  den  grossen  Rath  gewählt.  Am  20.  November  gegen 
7  Uhr  Abends  wurde  ich  mit  dem  Herrn  Bürgermeister  von 
Wyire  zum  Prinzbischof  von  Lüttich,  Franz  Karl  Graf  von 
Velbrück,  deputirt  wegen  der  Angelegenheit  der  Aachener 
Jesuiten 2.  Wir  fuhren  am  22.  Morgens  um  V2  7  Uhr  von 
hier  ab  und  kamen  Abends  zu  Lüttich  im  schwarzen  Adler 
an.  Am  folgenden  Morgen  fuhren  wir  zum  Generalvikar 
(grancl  Vicaire)  Graf  von  Raugrave,  bei  welchem  wir  zu  Mittag 
speisten.  Am  24.  Morgens  um  11  Uhr  hatten  wir  Audienz 
beim  Prinzbischof  und  speisten  Mittags  beim  Generalvikar. 
Am  Morgen  des  27.  November  sind  wir  wieder  heimgefahren. 
1775,  den  27.  April  bin  ich  mit  Herrn  Dr.  Carlier  deputirt 
worden,  um  die  Anlage  einer  neuen  Landstrasse  in  Burtscheid 
zu  stören,  welches  ich  am  Morgen  des  folgenden  Tags  mit  der 
Grenadier-Kompagnie  und  etlichen  20  Arbeitsleuten  vollstreckt 
habe.  Am  20.  September  Morgens  nach  Eröffnung  der  Stadt- 
thore  rückte  das  Grenadierkorps  in  Burtscheid  ein  und  störte 
die  Einnahme  des  Wegegelds.  Am  26.  September  wurde  ich 
im  Rath  zum  Statthalter  der  Burtscheider  Meierei  von  Herrn 
Meier  Mclas  präsentirt  und  vom  Rath  angeordnet.  Am 
28.  September  wurde  ich  von  Herrn  Meier  "Niclas  zu  Burtscheid 
am  Gericht  eingeführt  und  beeidigt.  Das  Gericht  wollte  mich 
nicht    annehmen,   die    Schöffen    wurden    daher   jeder    zu    100 


x)  Die  Gesellschaft  der  Herren  vom  Bock  war  die  politisch  einfluss- 
reichste Aachens.  Vgl.  Quix,  Beiträge  HT,  S.  100  f.;  Haagen  a.  a.  O.  II. 
S.  65,  144,  267. 

-)  Vgl.  Haagen  a.  a.  0.   II.  S.  364. 


',-.... 


Aus  dem  Tagebuch  des    Aachener  Stadtsyndikus  Dr.  Peter  Fell.     L59 

Goldgulden  verurtheüt  und  dafür  gepfändet.  Das  Gerichl 
appellirte  sodann  an  das  Kaiserliche  Reichskammergericht  und 
erhielt  ein  Mandat  am  14.  Dezember.  Am  16.  Dezember  kam 
die  Nachricht,  dass  Burtscheid  von  Wetzlar  zwei  Mandate 
erhalten  habe,  weshalb  zu  Burtscheid  entsetzlich  geschossen 
wurde  K 

1776,  auf  Johannistag  bin  ich  zum  Stadtbaumeister  erwählt 
worden  unter  Herrn  Bürgermeister  Kahr,  welcher  5  Tage  später 
starb.  Ich  bin  3  Jahre  lang  Baumeister  geblieben  und  im 
Jahre  1779  zum  Werkmeister  erwählt  worden. 

1788,  am  31.  Juli  bin  ich  vom  grossen  Rath  zum  Stadt- 
syndikus2, sowie  Freiherr  von  Wylre  und  Herr  Franz  Karl 
Nellessen  zu  Bürgermeistern,  sodann  Herr  Bürgerhauptmann 
Joh.  Michael  Kreitz  und  Herr  Baumeister  Bucholtz  zu  Werk- 
meistern erwählt  worden.  Zu  Bürgermeistern  konkurrirten 
Herr  Schöffe  von  Clotz  und  Herr  Bürgermeister  von  Thimus. 
Zu  Werkmeistern  konkurrirten  Herr  Rentmeister  Wildt  und 
Herr  Servatiiis  Schieiden.  Das  heisst:  diese  wurden  von  der 
neuen  Partei  gewählt 3." 

Von  den  Angaben  des  Tagebuchs  über  Fells  Familien- 
verhältnisse sind  einige  von  allgemeinem!  Interesse.  Ueber 
seine    Trauung    heisst    es:     „1758,    den  21.  Juni,   Abends    um 


1)  Fells  amtliche  Stellung  in  Burtscheid,  welches  im.  Jahre  1775  mehr- 
fache Zwistigkeiten  mit  Aachen  hatte,  war    nicht    von   langer  Dauer.     Vgl. 
Haagen  a.  a.  0.  II,  S.  365.    Im  Tagebuch  folgen  Angaben  über  eine  Fieber 
krankheit,  an  welcher  Fell  seit  Dezember  1775  bis  zum  Februar   1776    litt 

2)  Ueber  das  Amt  der  beiden  Syndici  schreibt  Fell  an  rinn-  andern 
Stelle  seines  Tagebuchs :  „Der  ältere  Syndikus  ist  Director  cancellariae,  d.  h. 
er  respicirt  die  acta  exhibita  und  setz!  die  Dekrete  darauf;  die  regieren- 
den Herren  Bürgermeister  aber  stellen  die  acta  ad  referendum.  Der  jüngere 
Syndikus  sitzet  mit  im  mündlichen  Verhör  und  gib!  nebsl  den  Honsulenten 
sein  vot.uin  consultativum."  Die  Eidesformel  des  Aachener  Syndikus  giW 
Eaagen  a.  a.  0.  H,  S.  286. 

8)  Aachen  war  kurz  vor  der  Fronidherrsehaft  in  den  die  Mäkelei 
genannten  Unruhen  in  die  alte  und  neue  Partei  geschieden;  Fells  Niami 
wird  bei  diesen  Streitigkeiten  nur  selten  erwähnt.  Näheres  bei  Haagen  a, 
a.  0.  II.  S.  373  ff.  und  in  Cronenbergs  Broschüre:  Die  Mäkelei. 


Uli)  K.   Pauls 

V2  8  Uhr  bin  ich  von  meinem  Jüngern  Bruder  Johannes 
dahier  im  Münster  vor  dem  Muttergottesaltar  mit  Maria  Josepha 
Meessen  l  ehelich  eingesegnet  worden.  Als  Zeugen  waren  dabei 
mein  Vetter  Joseph  Beckers,  ihrerseits  die  Juffer  Bas  Elisabeth 
Hoffmann  und  Theresia  Merckelbach.  Dem  Pastor  von  St. 
Foilan  zahlte  ich  für  den  Losschein 2  ein  Kronenstück  zu  16 72 
Gulden  (4,13  Jk),  kostet  sonst  9  Gulden  (2,25  J£).  Dem 
Pastor  aus  dem  Münster  auch  zahlt  ein  Kronenstück,  kostet 
sonst  14  Gulden  (3,50  J£).  Dem  Herrn  Recker  als  assistiren- 
dem  Kaplan  verehrte  ich  eine  halbe  Krön,  dem  Küster  und 
Glöckner  jedem  ein  Kopstück 3.  Meinem  Bruder  einen  voll- 
wichtigen Dukaten  von  3  Reichsthalern  3  Gulden  (7,50  J£), 
der  Magd  von  meinem  Schwiegervater  ein  Paar  silberne 
Schnallen  und  ein  Kronenstück  von  I6V2  Gulden  (4,13  J€)\ 
unserer  Magd  in  dem  Haus  von  Belderbusch4  ein  bordirtes 
weisses  Schnupftuch."  Aus  Fells  Ehe  gingen  8  Kinder,  dar- 
unter 3  Söhne  hervor.  Ein  besonders  schwächliches  Kind 
wurde  im  elterlichen  Hause  durch  den  Geistlichen  getauft; 
bei  den  übrigen  vollzog  sich  der  Taufakt  in  der  Johanniskapelle 
des  Aachener  Münsters5;  einmal  in  der  Zeit  zwischen  Ostern 
und  Pfingsten  auf  dem  Hochmünster 6.  Als  Stunde  der  Taufe 
wird  meist  die  letzte  Morgenstunde  angegeben 7 ;  die  Taufe 
fand    entweder    am    Geburtstag     oder    dem    ihm    unmittelbar 


*)  Sie  war  die  Tochter  der  Eheleute  Johann  Meessen  (Rechtsgelehrter, 
f  1785)  und  Johanna  Christina  Catel  (+  1767). 

-)  Hs:  pro  testimonio  libertatis. 

a)  Eine  Silbermünze  von  etwa  7/10  Mark  heuriger  "Walmvng. 

4)  Später  bezog  Eell  für  kurze  Zeit  eine  dem  Drossard  von  Lippinan 
zugehörige  "Wohnung.  Nach  der  Ehe  besass  bezw.  erwarb  er  zwei  Häuser, 
deren  eins  in  der  Scherpstrasse  St.  Anna  gegenüber  lag,  das  andere  in  der 
Eselsgasse  (Edelstrasse). 

5)  Fell  nennt  sie  Capeila  s.  Johaunis  Baptistae  in  Parvisio  und  berichtet. 
sie  sei  im  Jahre  1766  reuovirt  worden. 

6)  Stimmt  mit  Quix,  Historische  Beschreibung  der  Münsterürche  S.  16. 

7)  Ein  in  der  Heiligthumsfahrt  geborenes  Band  wurde  ..wegen  der 
Seiügthumsfahrt"  um  2  Uhr  Nachmittags  getauft. 


Aus  dem  Tagebuch  des  Aachener  Stadtsyndikus  Dr.   Peter  Fell.      161 

folgenden  Tag  statt1.  Zwei  in  .sehr  jugendlichem  Alter  gestor- 
bene Kinder  fanden  im  „Kinderkeller'  des  Aachener  Kanne- 
litenklosters ihre  Ruhestätte2.  Dass  ein  Mann  von  der  Bildung 
Fells  den  Geburtsdaten  seiner  Kinder  stets  einige  Bemerkungen 
astrologischer  Art  aus  dem  Kalender  hinzufügte,  beweist,  dass 
im  vorigen  Jahrhundert  die  Nichtigkeit  der  Sterndeutekunst 
bei  uns  noch  nicht  allgemein  anerkannt  war.  Bemerkenswert!) 
ist  eine  Angabe  des  Tagebuchs  über  die  Firmung  dreier  Kinder 
von  Fell.  Der  Weihbischof  von  Lüttich  weihte  am  17.  Juni 
1770  die  Kreuzbrüderkirche  in  Aachen  ein.  Mit  vielen  andern 
empfingen  auch  Fells  3  älteste  Kinder  bei  dieser  Gelegenheit 
das  Sakrament  der  h.  Firmung.  Abweichend  von  den  heutigen 
Gebräuchen  wurden  die  Firmlinge  in  sehr  jugendlichem  Alter 
zugelassen,  denn  der  älteste  zählte  9,  der  jüngste  noch  nicht 
4  Jahre;  auch  war  wohl  damals  die  Zahl  der  Firmpathen  eine 
grössere  als  heutzutage.  Es  heisst:  „Unserer  ältesten  Tochter 
hat  das  Stirntuch  umgebunden  das  Fräulein  Maria  von  Ringler, 
der  andern  das  Fräulein  Theresia  von  Ringler,  dem  Peter  aber 
mein  Bruder,  der  Johannisherr  Johannes  Josephus." 

Nach  der  Besetzung  Aachens  durch  die  Franzosen  im 
September  1794  ging  bei  der  Neuordnung  der  Dinge  die  Stelle 
eines  Syndikus  der  ehemaligen  freien  Reichsstadt  bald  ein. 
Etwa  3  Monate  lang  bekleidete  jetzt  Fell  des  Amt  eines  Frie- 
densrichters in  Cornelimünster,  wo  er  früher  schon  häufig  in 
Rechtssachen  thätig  gewesen  war3,  dann  wurde  er  bei  in 
Handelsgericht  zu  Aachen  angestellt4.  In  dieser  Stellung 
wirkte  er  von  Januar  1795  bis  zum  13.  November  desselben 
Jahres. 


x)  Pathengeschenke  werden  nur  .einmal  erwähnt,  als  eine  Pathin  oichl 
wenige!-  als  -'!1  .ReirlisthaliT  (69,75  Ji)  schenkte. 

'-')  Zwischen'  Tod  und  Beerdigung  lagen  jedesmal  kaum  27  Stunden. 
Leichen  von  Erwachsenen  wurden  dagegen,  wie  aus  tnehrern  Stellen  des  Tage- 
buchs hervorgeht,  meist  erst  am  /weiten  Taue  nach  dem  Hinscheiden  bestattet. 

8)  Nach  urkundlichem  Material  zur  Geschichte  Cornelimünsters. 

4)  Seine  Frau,  welche  die  Nachrichten  über  das  Ende  ihres  Mannes  in 
das  Tagebuch  eingetragen  hat.  nennt  ihn  Syndikus  des  Handelsgericht        E 
ist   fraglich,  ob  diese  dein  frühern  Titel    angepasste  Bezeichnung    richtig  ist. 

ii 


102      E.  Pauls,  Alis  dem  Tagebuch  dos  Stadtsyndikus  Dr.  Peter  Fell. 

Noch  am  12.  November  hatte  er  einer  Abendsitzung  des 
Handelsgerichts  beigewohnt,  am  13.  November  noch  bis  gegen 
Mittag  gearbeitet.  Drei  Stunden  später  ereilte  ihn  der  Tod. 
Im  letzten  Jahre  seines  Lebens  scheint  Fell  kränklich  *  und 
lebensmüde  gewesen  zu  sein.  Wie  seine  Gattin  schreibt,  sehnte 
er  sich  oft  nach  der  Ewigkeit  und  „am  Morgen  seines  Todes- 
tags hat  er  wie  gewöhnlich  vom  Sterben  gesprochen,  dass 
nämlich,  wenn  er  heute  sterben  müsste,  dies  sein  schönster 
Tag  sein  würde".  Der  gänzliche  Znsammensturz  so  vieler  lieb- 
gewonnenen Einrichtungen,  der  furchtbare  Druck  der  Fremd- 
herrschaft, der  Mangel  jeder  Hoffnung  auf  die  Wiederkehr  der 
fr  ühern  Verhältnisse  mögen  dem  alten  Manne  seinen  Lebensabend 
in  trauriger  Weise  verbittert  haben.  Fell  ruht  auf  dem  Fried- 
hof vor  Kölnthor  bei  Aachen2;  seine  Gattin  starb  am  12.  Mai 
1804 3.  Schon  am  17.  Juli  1804  folgte  seinen  Eltern  im 
kräftigsten  Mannesalter  ihr  einziger  Sohn4,  der  Priester  Joh. 
Pet.  Barthol.  Fell.  An  einer  Brustfellentzündung5  verschied 
er  auf  einer  Reise  nach  Bacharach,  kaum  37  Jahre  alt;  längere 
Zeit  hindurch  war  er  Kanonikus  in  Xanten  gewesen6. 


*)  Anscheinend  war  Fell  brustleidend.  Sein  Tod  erfolgte  infolge  eines 
Schlaganfalls  fast  unmittelbar  nach  quälenden  Hustenanfällen,  zu  deren 
Bekämpfung  der  Sterbende  Arznei  verlangte.  Das  Sterbehaus  wird  nicht 
genannt;  es  war  wohl  das  Haus  in  der  Scherpstrasse. 

2)  Hs.  „Vor  Kölnerpfort  auf  dem  neuen  Kirchhof."  Der  Friedhof  vor 
St.  Adalbertsthor  wurde  erst  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  angelegt. 

3)  Das  Sterbehaus  war  das  Haus  in  der  Scherpstrasse;  sie  ruht  auf 
dem  Friedhof  vor  Adalbertsthor. 

4)  Zwei  andere  Söhne  waren  im  frühesten  Kindesalter  durch  den  Tod 
ihren  Eltern  entrissen  worden. 

5)  Hs.  Pleuresie. 

6)  Er  ruht  in  Bacharach.  Ueber  das  Geschick  der  aus  der  Feilschen 
Ehe  hervorgegangenen  Töchter  j;ibt  das  Tagebuch  nur  unvollständige  Auskunft. 


St  Gertruden  Minne. 

Von  K.  Wietli. 

Im  Jahre  1385  ist  Aachen  als  Mitglied  des  Landfriedens- 
bunds  zwischen  Maas  und  Rhein  genöthigt,  im  Verein  mit  den 
übrigen  Verbündeten  das  starke  Raubschloss  Reifferscheid  in 
der  Eifel  zu  belagern.  Es  wird  eine  Abtheilung  von  etwa 
120  bis  200  Mann  unter  der  Führung  des  Bürgermeisters 
Johann  von  Punt  und  der  Schöffen  Arnold  Volmer  und  Jakob 
Colyn  zu  dieser  Fahrt  bestimmt.  Ehe  nun  die  genannten 
Herren  mit  „der  steede  gesinde"  zu  dem  langwierigen  und 
nicht  ungefährlichen  Unternehmen  ausrücken,  nehmen  sie  von 
den  Zurückbleibenden  feierlichen  Abschied.  Die  Mannschaften 
haben  marschfertig  auf  dem  Marktplatz  Aufstellung  genommen. 
Auf  dem  Rathhaus  sind  die  Mitglieder  des  Raths  nebst  ihren 
Familien  versammelt.  Da  werden  grosse  Kannen  Weins  heraus- 
getragen, und  Alle,  die  ins  Feld  ziehen,  wechseln  mit  den 
Daheimbleibenden  den  letzten  Abschiedstrunk.  Mit  den  Worten: 
„Der  h.  Gertrud  Minne  trinke  ich  dir  zu  auf  dein  Wohl !"  werden 
die  Becher  geleert  und  gegenseitiger  Händedruck  gewechseli  '. 


l)  Laurent,    Aachener   Stadtrechnungen    aus    dem    II.   Jahrhundert  S. 
306,27-86:   „Item  des  dages,  dn  linse  heren  ewech  reden,  sehende  man  yreri 

wiveri   ind   vort    der  sr le  gesinde,   die   ewech  waren,  den  eynen  2  quart, 

den  andern   1   veirdel.     -  [tem  du  anse  heren  ewech  vuren.    zu  sint  Geir- 

truden  mynne  rar  den  sal   1   veirdel.       [tem  der  st le  gesinde  zer  letzten 

1   veirdel."  Als  Formel,   die  Minne  der  li.  Gertrud  vorzutrinken,  gibt  Janus 
Douza  folgende  : 

Esse  scyphum  hunc  comitemque  scyphi  Gertrudis  amorem, 
E*ropino,  (et  prosit)  m»-^  manuque  tibi. 
Woli',  Niederländische  Sagen  S.  699. 

ii 


164  K.  Wieth 

Diese  sinnige  Art  des  Abschiednehmens  war  in  alter  Zeit  fast 
in  allen  Theilen  Deutschlands  verbreitet,  ist  jetzt  aber  mit  Aus- 
nahme nur  weniger  Landstriche  gänzlich  ausgestorben  \  Da 
aber  gar  manche  solche  Gebräuche  nachweislich  bis  in  die 
heidnische  Vorzeit  zurückgehen  und  bei  richtiger  Deutung  oft 
überraschende  Schlaglichter  über  jene  längst  vergessenen  Zeiten 
werfen,  so  möge  auch  im  Nachstehenden  versucht  werden, 
der  Entstehung  und  ursprünglichen  Bedeutung  der  Sitte  des 
St.  Gertrudenminne-Trinkens  nachzugehen. 

Die  h.  Gertrud  war  die  Tochter  Pippins  von  Landen  und 
seiner  Gemahlin  Itisberga,  auch  Ituberga,  verkürzt  Itta  genannt. 
Sie  wurde  Äbtissin  des  von  ihrer  Mutter  gestifteten  Klosters 
Mvelles  in  Belgien  und  starb  daselbst  im  J.  659 2.  Die  Heilige 
gehört  demnach  jenem  erlauchten  Fürstengeschlecht  an,  als 
dessen  berühmtester  Spross  nachmals  Karl  d.  Gr.  erwuchs.  Sie 
wurde  als  Beschützerin  der  Reisenden  um  eine  glückliche  Fahrt 
bei  friedlichen  Reisen  und  kriegerischen  Unternehmungen  und 
um  gute  Herberge  angerufen,  weshalb  man  ihr  an  gangbaren 
Strassen  und  Brücken  Kirchen  und  Kapellen  erbaute.  Aber 
nicht  bloss  die  Lebenden,  auch  die  Verstorbenen  nahm  sie 
einem  alten  Volksglauben  gemäss  in  der  ersten  Nacht  nach 
dem  Tode  gastfreundlich  auf.  Sie  galt  weiterhin  als  Friedens- 
stifterin und  gilt  in  der  Gegenwart  noch  ganz  besonders  als 
Bringerin  des  Frühlings  und  Beschützerin  des  Gartenbaus. 
Dem  entsprechend  wird  auch  ihr  Fest  am  17.  März  gefeiert. 
Dargestellt  wird  sie  in  JSTonnentracht  mit  einem  Rockenstab  in 
der  Hand,  an  welchem  drei  Mäuse  hinauflaufen,  eine  Vor- 
stellung, welche  in  scherzhafter  Form  zu  Aachen  noch  in  der 
Redensart:  „Oem  zent  Gertrudes  komme  de  Bure  met  Miis  agen 
Stecke  uoh  Ocheu  fortlebt3. 


')  Zingerle,  St.  Johannissegen  und  Gertradenminne  (Wiener  Sitzungs- 
berichte, liist.-phil.  Klasse  1862,  S.  229  11)  führt  eine  ganze  Reihe  vm,  Be- 
legen an. 

'-')  Acta  Sanctorum,  Märtii,  TI,  p.  590  sqq. 

8)  Gef.  Mittheilung  des  Herrn  Staatsanwaltschafts-Sekretär  Schollen 
zu  Ä.achen. 


St.  I  tertrudeu  .Minne.  L65 

Am  Niederrhein  besteht  ein  schönes  und  uraltes  Volks- 
lied, welches  uns  den  Brauch,  der  h.  Gertrud  Minne  zu  trinken, 
in  legendenhafter  Weise  erläutert1. 

Es  war  ein  Ritter  in  Niederland, 

Der  trug  einer  Jungfrau  grosso  Minne. 

Die  Reine  war  St.  Gertrud  genannt, 

Sie  benahm  ihm  Herz   und  alle  Sinne. 

I)ie  Jungfrau  liebte  keinen  Mann, 
Sie  hatte  sich  in  ein  Kloster  begeben, 
Gott  und  dem  guten  St.  Johann, 
Dem  wollte  sie  dienen  all  ihr  Leben. 

Der  Ritter,  der  sonst  täglich  kam, 
Jetzt  dürft  er  sie  nicht  sehn  noch  sprechen : 
Das  schuf  ihm  Kummer  und  bittern  Gram. 
Er  dachte,  sein  Herz  sollt  ihm  zerbrechen. 
Er   schenkte   nun    sein   ganzes   Vermögen   ihrem    Kloster 
und  wanderte    als  armer  Mann    traurig   einher.     Da   begegnet 
ihm  auf  einsamer  Heide  der  Teufel  und   fragt   ihn    nach   dem 
Grunde  seiner  Niedergeschlagenheit,    darauf  verspricht    er    ihm 
neue  Schätze  und  ein  lustiges  Leben,  wenn  er  ihm  seine  Seele 
verschreiben  wolle.     Der  Ritter   schlägt   ein   und   erbittet   sich 
eine  Frist  von  sieben  Jahren. 

Und  als  es  kam  an  den  letzten  Tag: 
.,Ade  St.  Gertrud,  wir  müssen  uns  scheiden. 
Den  ich  vor  euch  nicht  nennen  mag. 
Der  harret  mein  auf  wilder  Haiden." 
„Nun  trinket,  Ritter,  St.  Johanns  Geleit 
Und  meine  Minne,  das  muss  euch  frommen. 
Nun  trinket,  Ritter,  wie  traurig  ihr  seid. 
Ich  hoffe,  ihr  sollt  noch  wieder  kommen." 
Kr  hob  den  Becher  wohl  an  den   Mund, 
Er  trank  den  Wein  auf  ihre   Minne. 
Kr  trank  ihn  aus  bis  auf  den   Grund 
Und  Hess  keinen  Tropfen  darinne. 


'_)  Abgedruckt  bei  Simrock,  Rheinsagen,  6.    LuiL,  S.  8  n. 


166  K.  Wieth 

Da  ritt  er  hinaus  in  die  Mitternacht 

Und  stach  das  schnelle  Ross  mit  den  Sporen, 

Er  hatte  sich  keiner  Weile  bedacht: 

„Es  ist  doch  nun  allzumal  verloren/' 

Und  als  ihn  der  böse  Feind  ersah, 
Der  wich  zurück  vor  ihm  mit  Zagen: 
„Nehmt  euern  Brief !  kommt  nicht  so  nah ! 
Ich  will  euch  los  und  ledig  sagen." 

„Sie  sitzt  dahinten  auf  eiierm  Pferd, 

Deren  Minne  zuletzt  ihr  getrunken, 

Sie  hat  es  mir  allzustreng  verwehrt, 

Da  ist  mir  alle  Macht  entsunken." 
Aber  nicht  nur  der  h.  Gertrud,  sondern  auch  anderer 
Himmlischen  Minne  wurde  getrunken,  so  Christi,  Marias,  St. 
Martins,  St.  Stephans,  vorzüglich  aber  St.  Johannis  Minne,  auch 
Johannissegen  genannt,  letzterer,  wie  auch  in  dem  nieder- 
rheinischen Volkslied,  meist  zusammen  mit  St.  Gertruden  Minne 
angeführt. 

Die  Feierlichkeit  und  der  Ernst  dieses  Trinkgebrauchs 
wurde  noch  dadurch  gehoben,  dass  der  dabei  verwandte  Wein 
vielfach,  vorher  in  der  Kirche  gesegnet  war.  Es  geschah  dies 
und  geschieht  noch  heute  am  Feste  des  h.  Johannes  des 
Evangelisten  (27.  Dezember). 

Doch  nicht  nur  die  christlichen  Deutschen,  auch  deren 
heidnische  Vorfahren  huldigten  dieser  frommen  Sitte  und 
tranken  schon  die  Minne  der  Götter  und  Göttinnen  Walhallas. 
J.  Grimm  *  weist  nach,  dass  das  Minnetrinken  aus  dem  Hoiden- 


r)  Deutsche  Mythologie  I,  S.  52  ff.    Zur  Vergleichung  lüsst  sich  auch 
Homers  llias  XXTV,  V.  283  ff.   passend  anführen  (Uebers.  von  Eb.rentb.al) : 
Da  kam  Hekabe  ihnen  genaht  mit  bekümmerter  Seele, 
Einen  goldenen  Becher  des  herzerquickenden  "Weines 
Tragend  in  ihrer  Rechten  zum  Opfertruhk  für  die  Abfahrt. 
Vor  das  Gespann  hintrat  sie  und  sprach  ausrufend  die  Worte: 
Nimm  und  spende  dem  Vater  Zeus  und  erflehe  dir  Heimkehr 
Aus  feindseliger  Mäimer  Gewalt,  da  das  muthige  Her/,  nun 
Doch  zu  den  Schiffen  dich  treibt,  sehr  meinem  Willen  zuwider, 


St.  Gertruden  Minne.  iu< 

thum  stamme  und  ursprünglich  die  Bedeutung  von  Trankopfern 

gehabt  habe.  Wie  es  uralter  und  verbreiteter  Brauch  war, 
den  Hausgöttern  bei  feierlicher  Mahlzeit  einen  Theil  der  Speise 
zurückzustellen  und  namentlich  der  Göttin  Berchta  eine  Schüssel 
mit  Brei  hinzusetzen,  so  liess  man  die  Götter  auch  den  feier- 
lichen Trank  mitgeniessen.  Aus  dem  Gefäss  pflegte  der 
Trinkende,  ehe  er  selbst  genoss,  etwas  für  den  Gott  oder 
Hausgeist  hinzugiessen.  Einen  Abwesenden  oder  Verstorbenen 
pflegte  man  zu  ehren,  indem  man  seiner  bei  Versammlung 
und  Mahlzeit  erwähnte  und  auf  sein  Andenken  einen  vollen 
Becher  leerte.  Dieser  Trunk  wurde  Minne  genannt.  Denn 
das  Wort  Minne  bedeutet  ursprünglich  soviel  wie  sich  erinnern, 
jemands  in  Liebe  gedenken  und  wird  in  lateinischen  Schrift- 
stücken stets  durch  das  Wort  „amor"  wiedergegeben. 

Aribo  von  Freising  berichtet,  dass  im  Anfang  des  8.  Jahr- 
hunderts die  Bayern  noch  solche  Neulinge  im  Christenthuin 
waren,  dass  die  Väter  aus  demselben  Kelche  ihren  Söhnen  die 
Minne  Christi  und  der  Heidengötter  zutranken1,  und  Karl 
d.  Gr.  sieht  sich  zu  folgendem  Verbot  veranlasst:  „Gänzlich  ist 
Allen  das  Laster  des  Trinkens  zu  untersagen  und  insbesondere 
jene  heimlichen  Zusammenkünfte,  bei  denen  die  Minne  des  h. 
Stephan  oder  unserer  selbst,  oder  unserer  Söhne  getrunken  wird  '.- 
Hingen  die  alten  Deutschen  selbst  nach  ihrer  Bekehrung  noch 
zäh  und  getreu  an  heidnischen  Sitten  und  Gebräuchen,  so  galt 
dies  ganz  besonders  rücksichtlich  der  Opfergelage  und  des 
Minnetrinkens.  Denn  der  schon  von  Tacitus  erwähnte  Eang 
zum  Trinken  lebte  bei  unsern  Ahnen  noch  fort.  Deshalb  er- 
schien es  den  Glaubenspredigern  und  Priestern,  welche  die 
Macht  der  heidnischen  Gewohnheit  wehl  erkannten,  nichl  zweck- 
mässig, solche  beliebten  Ueberkommnisse  des  Eeidenthums  mit 
einem  Mal  völlig  auszurotten.  Sie  sehlugen  vielmehr  einen 
andern  Weg  ein.  der,  wenn  oicht  schnell,  doch  allmählich 
zum  gewünschten  Ziel  führte.   Sie  Hessen  den  alten  Gebräuchen 


i)  Zingerle  a.  a.  <>.  S.  IUI  ff. 
2)  Ebendas.  S.  197, 


L68  K.  Wieth 

die  möglichste  Schonung  angedeihen,  Hessen  die  hergebrachten, 
zu  Ehren  der  Götter  üblichen  Feste  und  Feierlichkeiten  fort- 
bestehen, setzten  aber  an  die  Stelle  der  betreffenden  Heiden- 
götter christliche  Heilige.  Es  geschah  dies  auf  ausdrückliche 
Vorschrift  des  Papstes  Gregor  d.  Gr.  (590 — 604),  des  einfluss- 
reichsten Mannes  seines  Jahrhunderts,  welcher  in  Bezug  auf 
die  Bekehrung  der  Angelsachsen  dem  Abt  Melito  schreibt l : 
„Nach  langer  Betrachtung  über  die  Bekehrung  der  Engländer 
bin  ich  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass  man  die  Götzen- 
kirchen bei  jenem  Volke  ja  nicht  zerstören,  sondern  nur  die 
Götzenbilder  darin  vernichten,  das  Gebäude  mit  Weihwasser 
besprengen,  Altäre  bauen  und  Reliquien  hineinlegen  soll.  Denn 
sind  jene  Kirchen  gut  gebaut,  so  muss  man  sie  vom  Götzen- 
dienste zur  wahren  Gottesverehrung  umschaffen,  damit  das  Volk, 
wenn  es  seine  Kirchen  nicht  zerstören  sieht,  von  Herzen  seinen 
Irrglauben  ablege,  den  wahren  Gott  erkenne  und  um  so  lieber 
an  den  Stätten,  wo  es  gewöhnt  war,  sich  versammele.  Und 
weil  die  Leute  bei  ihren  Götzenopfern  viele  Ochsen  zu  schlachten 
pflegen,  so  muss  auch  diese  Sitte  ihnen  zu  irgend  einer  christ- 
lichen Feierlichkeit  umgewandelt  werden.  Sie  sollen  sich  also 
am  Tage  der  Kirchweihe  oder  am  Gedächtnisstage  der  h.  Märtyrer, 
deren  Reliquien  in  ihren  Kirchen  niedergelegt  worden,  aus 
Baumzweigen  Hütten  um  die  ehemaligen  Götzenkirchen  machen, 
den  Festtag  durch  religiöse  Gastmähler  feiern,  nicht  mehr  dem 
Teufel  Thiere  opfern,  sondern  sie  zum  Lobe  Gottes  zur  Speise 
schlachten,  um  dadurch  dem  Geber  aller  Dinge  für  ihre 
Sättigung  zu  danken,  damit  sie,  indem  ihnen  einige  äusserliche 
Freuden  bleiben,  um  so  geneigter  zu  den  innerlichen  Freuden 
(der  Bekehrung)  werden.  Den  rohen  Gemüthern  auf  einmal  alles 
abzuschneiden,  ist  ohne  Zweifel  unmöglich,  und  weil  auch  der- 
jenige, so  auf  die  höchste  Stufe  steigen  will,  durch  Schritt  und 
Tritt,   nicht  aber  durch  Sprünge  in   die  Höhe  kommt-." 


*)  Oberle,  Ueberreste  germanischen   Eeidentums  im  Christentum  S.  1(>. 

-')  Anm.  d.  Red.    Bekanntlich  gall  den  Römern  Jupiter  als  der  grösste 

und  mächtigste  ihrer  Götter,  keiner  von  ihnen  vielleicht    hat   so    viele  Bei- 


St.  Gertruden  Minne.  L69 

Ks  ist  nun  von  nicht  geringem  geschichtlichen  Beiz  zu 
beobachten,- wie  überall  nach  und  nach  diese  Umwandlung 
heidnischer  Kulte  in  christliche  vor  sich  ging-,  und  wie  au  die 
Stelle  heidnischer  Gottheiten  christliche  Heilige  und,  wenn  dies 
nicht  gelingen  wollte,  nicht  oben  selten  Gespenster.  Teufel, 
Hexen  traten.  Odhin  und  Donar  z.  B.  wurden  durch  die  Ge- 
stalten des  h.  Petrus,  Martin,  Georg,  Stephan  oder  des  Erz- 
engels Michael  ersetzt,  und  wenn  heute  in  deutscheu  Landen 
altehrwürdige  Kirchen  einem  dieser  Heiligen  geweiht  sind,  so 
ist  von  vornherein  die  Frage  nie  abzuweisen,  ob  dort  nicht  in 
heidnischer  Vorzeit  eine  Opferstätte  jener  germanischer]  Gott- 
heiten sich  befunden  habe.  Oft  brachten  die  Heidengötter  auch 
noch  ins  Christenthum  Namen  und  Geltung  hinüber,  wurden  aber 
zu  einer  untergeordneten  Stellung  herabgedrückt,  etwa  zu  Dienern 
oder  Begleitern  irgend  eines  höhen  Heiligen.  Um  nur  ein 
Beispiel   zu  erwähnen,   so   ist    der  Knecht  Kuprecht,   der   Be- 


namen  als  er.  Sein  Tempel  stand  zu  Koni  und  anderwärts  auf  dem  Kapitol 
neben  der  Burg.  Als  der  Glaube  an  diese  Gottheit  geschwunden  war  und 
ihre  Kultstätten  in  christliche  Kirchen  umgewandelt  wurden,  kennte  man 
nicht  zweifelhaft  sein,  auf  welchen  Belügen  sie  geweilrl  werden  -eilten. 
Wem  hätte  man  sie  angemessener  widmen  können  als  der  grössten  unter  den 
christlichen  Heiligen",  der  allerseligsten  Jungfrau,  der  Mutter  Gottes,  der 
Königin  des  Himmels,  der  Königin  aller  Eeiligen?  Und  so  findei  sich  denn 
auch  in  Wirklichkeit  die  Kirch«'  Araceli  auf  'lern  Kapitol  zu  Rom  der  h. 
Jungfrau  geweiht.  Ebenso  führt  in  Florenz  die  an  Stelle  des  Kapitols  ge- 
tretene Kirche  die  Benennung  „Santa  Maria  in  Campidoglio".  Die  gleiche 
Kirche  zu  Trier  war  der  Mutter  Gottes  (Mariae  Dei  genetrici  et  semper 
virgini)  gewidmet  und  in  Kein  trägt  noch  heute  die  Kirche  auf  dem  kapito- 
linischen Hügel  den  Namen  ..Maria  im  Kapitol".  (Vgl.  Braun,  Di«'  Kapitole 
S.  :ü  f.)  In  Coblenz  wurde  um  «Ins  Ende  des  11.  Jahrhunderts  auf  dem 
Römerkastell  und  vielleicht  an  di  r  Stelle   der  fränkischen   Pfalzkapelle  ad  s. 

Mariam  Confluent.    die    Liebfrauenkircl fbaut.    Auch    die   älteste  Kirche 

Aachens,  du-  Münster,  ist  der  h.  Maria  geweiht.  Zwar  kennen  wir  den  Titel 
des  vr  ihm  vemuthlich  an  der  nämlichen  Stelle  vorhandenen  Gotteshauses 
nicht,  aber  di«'  Möglichkeil  Lsi  nicht  ausgeschl a,  ja  es  is1  sogar  wahr- 
scheinlich, dass  Letzteres  oin  Beziehung  aui  eine  vormals  in  seiner  unmittel- 
baren Nähe,  vielleicht  aui  der  Höhe  des  Markthügels,  gelegene  heidnische 
Opferstätte  (Jupiter-Heiligthum  ?)  ebenfalls  der  Gottesmutter  goweiW  war, 


170  E.  Wieth 

gieitor  dos  h.  Nikolaus,  Niemand  anders  als  Odhin  selbst.  Der 
Name  thut  es  unverkennbar  dar.  Ruprecht,  in  alter  Form 
„Hruodperacht",  ist  ein  oft  vorkommender  Beiname  Odhins 
und  bezeichnet  „den  Ruhmglänzenden";  es  ist  dieselbe  Be- 
nennung, wie  sie  auch  seiner  Gemahlin,  der  Frau  Hulda  oder 
Bertha,  in  alter  Form  „Perachta",  „der  Strahlenden",  beigelegt 
wurde,  welche  in  den  h.  vierzehn  Nächten,  „zu  "Weihnachten", 
ihre  Umzüge  hielt,  und  als  Christkind  heute  noch  die  artigen 
grossen  und  kleinen  Kinder  mit  ihren  Gaben  erfreut. 

In  vielleicht  noch  höherm  Grade  wurde  der  Frühlingsgott 
Freyr  verehrt,  und  sein  Kultus  liess  sich  noch  viel  weniger 
plötzlich  verdrängen.  Dem  jugendlich  schönen,  in  ewiger 
Heiterkeit  strahlenden  Gott  schoben  die  Bekehrer  deshalb  den 
Apostel  Johannes,  in  manchen  Zügen  auch  Johannes  den  Täufer 
unter.  Denn  auch  jener  Lieblingsjünger  des  Herrn  wird  nach 
uralter  christlicher  Tradition  als  ein  schöner,  vollgelockter  Jüng- 
ling mit  sanftem  Gesichtsausdruck  dargestellt,  in  rothe  und 
grüne  Gewänder  gekleidet,  Farben,  welche  die  blühenden 
Blumen  und  grünenden  Wiesen  des  Frühlings  versinnbilden  \ 

Neben  dem  Frühlingsgott  verehrten  die  Germanen  auch 
eine  Frühlingsgöttin  und  dachten  sich  dieselbe  als  die  Gemahlin 
jenes.  Ein  herrlicher  Mythus  von  tiefsinniger  Bedeutung  ist 
uns  in  der  nordischen  Mythologie  erhalten  und  lässt  uns  das 
gegenseitige  Yerhältniss  der  beiden  Göttergestalten  erkennen2. 
Beide  walten  gemeinsam  über  das  neu  erwachende  Leben  und 
Treiben  des  Frühlings,  der  Gott  über  Sonnenschein,  Wärme 
und  Regen  als  die  Bedingungen  alles  Gedeihens,  die  Göttin 
über  die  Pflege  des  Bodens,  das  Gedeihen  der  Saaten,  das 
Wachsthum  des  Getreides.  Weil  aber  auch  im  Frühling  Eis 
und  Schnee  wegschmelzen  und  Strassen  und  Flüsse  wieder 
fahrbar  werden  und  Fahrten  und  Unternehmungen  allerlei  Art 
wieder  beginnen,  so  ergab  es  sich  naturgemäss,  dass  die  genann- 
ten Frühlingsgottheiten  als  Beschützer  der  Reisenden  betrachtet 


')  Zingerle  a.  a.  0.  S.  197  ff. 

i  Zingerle  a.  a.  0.  S.  204;  Simrock,    Handbuch  <1.  deutschen  Mytlio- 
.    I.  Aufl.,  S.  6]  ff. 


St.  Gertruden  fi/ünne.  171 

und  um  glückliche  Fahrt  und  gute  Herberge  angerufen  wurden. 
Dies  geschah  unter  Opfern  und  Gebeten,  und  die  verbreitetste 

Art  bestand  in  dem  Trinken  der  Minne  beider  Güttor  gemein- 
sam oder  einzeln.  Das  Gefass,  welches  hierzu  benutzt  wurde, 
hatte  vielfach  die  Gestalt  eines  Schiffchens  und  deutete  so 
schon  äusserlich  an,  bei  welcher  Art  von  Reisen  die  meiste 
Gefahr  zu  fürchten,  der  göttliche  Schutz  am  nöthigsten  war. 
Ebenso  wenig  wie  der  Freyrkult,  Hess  sich  die  Verehrung  der 
Frühlingsgöttin  aus  dem  Gemüth  der  heidnischen  Germanen  ver- 
drängen. Die  Missionare  sahen  sich  genöthigt,  wie  dort  auch 
hier,  eine  christliche  Heiligengestalt  unterzuschieben  und  auf 
letztere  die  heidnischen  Kultusgebräuche  anzupassen.  Für 
solchen  Zweck  nun  scheint  in  diesem  Falle  die  h.  Gertrud 
ausgewählt  worden  zu  sein.  Schon  der  Xame  der  Heiligen 
schliesst  sich  eng  an  den  der  Güttin  Gerdhr  an,  noch  mehr  die 
niederländische  Form  für  Gertrud,  welche  Geerda  lautet.  Es 
ist  ein  urdeutscher  Xame,  und  zwar  ursprünglich  der  einer 
göttlichen  Schlachtenjungfrau,  einer  Walküre,  welche  mit  dem 
Wurfspeer,  dem  ger,  den  Gegner  in  der  Schlacht  niederwirft. 
Für  den  so  kriegsfreudigen  Germanen  nämlich  nahmen  auch 
die  weiblichen  Gottheiten  im  Kriege  eine  kriegerische  Gestalt 
an.  Sie  stiegen  als  wehrhafte  Walküren  in  das  Gewühl  der 
Schlachten,  setzten  sich  bald  hinter  einen  Helden  auf  sein 
Ross,  um  ihn  zu  schützen,  bald  stemmten  sie  sich  den  anstür- 
menden Feinden  entgegen,  oder  lösten  die  Bande  eines  Kriegs- 
gefangenen, wie  es  noch  in  einem  heidnisch-germanischen 
Zauberspruch  lautet : 

Eiris  sä^un  idisi,  sä^un  hera  duoder, 
sumä  hapt  heptidun,  sumä  heri  lezidun, 
suinä  clübödun   umbi  euniowidi: 
insprinc  haptbandun,  invar  vigandun. 
Einst  Hessen  sich  nieder  die  Schlachtjungfrauen, 
Sie  Hessen  sieh   nieder  hier  und  dort. 
Die  einen  knüpften  die  Bande  (der  Kriegsgefangenen), 
Die  andern  hielten'  auf  den   Andrang  der  Keip.de. 
Wieder  andere  lösten  die  Fesseln  (eines  Gefangenen): 
„Entspringe  den  Banden,  entfahre  den   Feinden." 


172  K.   Wieth 

Wer  wird  nicht  an  solch  hilfreiches  Walten  gemalmt,  wenn 
er  im  Liecle  hört: 

„Sie  sitzt  dahinten  auf  euerm  Pferd, 

Deren  Minne  zuletzt  ihr  getrunken, 

Sie  hat  es  mir  allzustreng  verwehrt, 

Da  ist  mir  alle  Macht  entsunken  V 
Oder  wenn  er  in  der  Lebensbeschreibung  der  Heiligen 
liest2:  „Einst  wurde  ein  ruchloser  Mensch  auf  einem  schweren 
Verbrechen  ertappt  und  in  eiserne  Bande  geschlagen.  Im 
Kerker  wurde  der  Elende  von  grosser  Angst  erfasst,  denn  alle 
erwarteten  sein  Todesurtheil.  Er  aber  nahm  seine  Zuflucht 
zur  h.  Gertrud  und  flehte  sie  um  ihren  Beistand  an.  In  dem- 
selben Augenblick  brachen  die  eisernen  Bande,  mit  denen  er 
gefesselt  war,  und  er  eilte  damit  in  das  Kloster  nach  Nivelles, 
flüchtete  an  das  Grab  der  Heiligen  und  war  gerettet."  Oder: 
„Einst  hatten  Käuber  einen  Knaben  geraubt  und  gebunden, 
um  ihn  in  die  Sklaverei  zu  verkaufen.  Schon  geraume  Zeit 
hatte  der  Knabe  so  gefesselt  da  gelegen,  da  nannte  er  ver- 
trauensvoll den  Namen  der  h.  Gertrud  und  bat  sie  um  ihre 
Hilfe.  Sofort  lösten  sich  seine  Fesseln  und  er  begann  zu 
laufen,  um  den  Räubern  zu  entkommen.  Wie  nun  diese  ihr 
Opfer  zu  verfolgen  sich  anschickten,  fühlten  sie  sich  wie  von 
einer  unsichtbaren  Macht  gebannt.  So  wurde  durch  den  Bei- 
stand der  h.  Gertrud  der  Knabe  aus  den  Händen  der  Räuber 
gerettet." 

Eine  weitere,  sehr  wesentliche  Obliegenheit  der  germanischen 
Schlachtenjungfrauen  war  es,  die  im  Kampf  gefallenen  Helden 
aufzuheben  und  nach  Walhai  in  die  Reihen  der  Einherier  zu 
ewig  glücklichem  Loose  zu  tragen.  Diese  wichtige  Beziehung 
zu  den  Verstorbenen  ist  auch  auf  die  Person  der  h.  Gertrud 
übertragen  worden  nach  einem  uralten  Volksglauben,  der  sich 
mich  im  Meklenburgischen  erhalten  hat :    „Se   geven    ock   vor, 


x)  Kaufmann.  Quellenangaben  und  Bemerkungen  zu  K.  Simrocks  Rhein- 
sagen  und  A.  Kaufmanns  Ataiusa^en  S.  <>. 

2)  A.cta  sanetorum,  Martii,  II,  p.  596,is,i7;  p.  593,6. 


st.  Gertruden  Minne.  17:; 

wenn  de  Seele  uth  dem  Minsehen  varet,  so  moth  sc  de  erste 
Nacht  Herb erge  hebben  by  S.  Gerderuten,  darumme  oct  S.  Gerde- 
ruten Kercke  gemeynlyken  vxirde  Döre  der  groten  Steile  gebuwet 
syn;  und  darnä  moth  so  i'mer  dat  Leuuer  (=  Todten)-  Meer  \u 
Nach  einer  andern  Vorstellung  kommt  die  Seele  die  /weite 
Nacht  zu  St.  Michael,  die  dritte  Nacht  endlich  an  ihren 
Bestimmungsort.  Die  Heilige  wird  gewöhnlich  dargestelll  mit 
einem  Spinnrocken,  an  dem  drei  Mäuse  hinauflaufen.  Die 
symbolische  Bedeutung  dieser  Thiere  ist  dem  spätem  Mittel- 
alter verloren  gegangen.  Man  erzählte  daher,  der  Teufel  habe 
einst  St.  Gertrud  versuchen  wollen  und  drei  .Mäuse  an  ihren 
Rocken  gesandt,  um  denselben  zu  besudeln  und  sie  zu  sün- 
digem Zorn  zu  entflammen;  es  sei  ihm  aber  nicht  gelungen. 
Auch  die  Deutung  auf  den  Mäuseschaden  in  den  Feldern  ist 
eine  bedeutend  spätere.  Ursprünglich  dienten  jene  Thiere  dazu, 
die  Heilige  als  Beherberger  in  der  Verstorbenen  zu  kennzeichnen. 
Die  nächtlich  wühlende  Maus  ist  nämlich  nach  uralter  Volks- 
vorstellung  jenes  Thier,  in  dessen  Gestalt  die  Seele  aus  dem 
Körper  heraus  und  wieder  in  denselben  hineinläuft.  Die  allen 
Chronisten  haben  uns  sehr  viele  Belege  für  diese  Auffassung 
überliefert.  Hier  nur  einen.  „Einer  thüringischen  Magd,  die  in 
der  Gesindestube  über  der  Arbeit  entschlafen  ist,  kommt  ein 
rothes  Mäuschen  zum  Munde  heraus  und  geht  durchs  offen- 
stehende Fenster  davon.  Ein  mitzuschauendes  Dienstmädchen 
rüttelt  die  Schlafende  von  ihrer  Stelle,  ohne  sie  erwecken  zu 
können.  Das  Mäuschen  kehrte  hierauf  zurück,  suchte  hin  und 
her  nach  der  vorigen  Stelle,  fand  sie  nicht  mehr  und  ver- 
schwand zuletzt.  Nun  aber  erwachte  die  Schlafende  nicht 
wieder,  sondern  blieb  todt-"  Noch  im  Jahre  1713  eifert  Ai^v 
niederdeutsche  Pfarrer  Männling  gegen  diese  Annahme:  >5Ists 
nicht  schreckliche  Dummheit,  dass  man  sich  bereden  lässt, 
die  Seele  des  Menschen  sei  eine  rothe  Maus,  welche,  wenn 
man    schlafe,  aus    dem  Munde  herausspaziere2?"     Desgleichen 


»)  Kochholz,    Drei  Gaugöttinnen   Walburg,    Verena    und    Gertrud    als 

deutsche  KIrchenheiliyo  S.  172. 

2)  Grimm,  Deutsche  Sagen  I.  S.  335. 


174  K.  Wieth 


dürfte    diese  Anschauung'    auch    noch    in    der  Walpurgisnacht 
in  Goethes  Faust  nachklingen: 

Mephisto :  „Was  lassest  du  das  schöne  Mädchen  fahren, 
Das  dir  zum  Tanz  so  lieblich  sang?" 
Faust:  „Ach,  mitten  im  Gesänge  sprang 

Ein  rothes  Mäuschen  ihr  aus  dem  Munde." 
Mephisto:  „Das  ist  was  Rechts!  Das  nimmt  man  nicht  genau. 
Genug,  die  Maus  war  doch  nicht  grau." 
Es  ist  nun  begreiflich,  dass  entsprechend  der  Abnahme 
der  Kriege  bei  den  alten  Deutschen  und  der  Zunahme  geord- 
neter staatlicher  Verhältnisse  auch  die  kriegerische  Seite  der 
germanischen  Gottheiten  allmählich  mehr  zurücktrat  und  fried- 
lichere "Vorstellungen  dafür  Platz  griffen.  Die  Kriegsgöttin 
legt  im  Frieden  den  Speer  zur  Seite  und  widmet  sich  den 
Beschäftigungen,  wie  sie  im  altgermanischen  Hause  auch  den 
mächtigsten  Königinnen  zukamen,  dem  Spinnen  und  Weben, 
vertauscht  demnach  die  Lanze  mit  dem  Spinnrocken.  So  wird 
die  Göttin  Gerdhr  wieder  die  strahlende  Bringerin  des  Früh- 
lings, welche  an  der  Seite  ihres  herrlichen  Gemahls,  des  in 
ewiger  Jugendfrische  prangenden  Freyr,  des  Lenzes  neu  er- 
wachendes Leben  und  alles  Wachsthum  fördert.  In  gleicher 
Weise  geräth  auch  bei  der  christlichen  Vertreterin  der  Früh- 
lingsgöttin, der  h.  Gertrud,  der  ursprünglich  kriegerische 
Charakter,  wie  er  noch  im  Namen  und  den  ihr  beigegebenen 
Mäusen  angedeutet  ist,  gänzlich  in  Vergessenheit,  Dagegen 
tritt  das  friedliche  Wirken  stärker  hervor  besonders  in  Bezug 
auf  den  Frühling. 

„Zent  Katring  wörpt  de  kaue  Steon  egene  Rhin, 
Gertrudes  met  de  Mus,  die  holt  em  wörem  drns  x ." 
„Um  Gertraud 

Geht  die  Wärm  von  der  Eni  auf." 
„Am  Gertraudtag  läuft  die  Maus  am  Rocken  hinauf  und 
beisst  den  Faden  ab." 


')  Schollen,  Aachener  Sprichwörter  und  Redensarten    in   der  Zeitsehr. 

de     Lach,  (ieschichtsverc'ins  VIII,  S.  18?,,  "Nr.  475. 


St.  Gertruden  Minne.  1  i  5 

„Sankt  Gertraud 
Führt  die  Kuh  ins  Kraut, 
Das  Eoss  zum  Zug-, 
Die  Bienen  zum  Flug." 
„Grerdrut 

Geht  das  Schoof  mit  dem  Lamme  ruut." 
„Sankt  Gertrud 
Säit  Zibelä  und  Chrut1." 
„Gertrud 

Geit  de  Plog  ut2.'1 
Mit  dem  Beginn  des  Frühlings  werden  die  Land-  und 
Wasserstrassen  wieder  fahrbar  und  das  Reisen  beginnt.  Da 
wird  die  h.  Gertrud  entweder  allein  oder  zugleich  mit  dem 
h.  Johannes  um  Schutz  und  Beistand  angerufen  unter  frommen 
Sprüchen  und  dem  Trinken  ihrer  Minne.  Auch  hier  hatte 
das  Gefäss  die  Gestalt  eines  Schiffchens.  Als  Beschützerin  der 
Reisenden  baute  man  ihr,  wie  schon  bemerkt,  an  Wegen  und 
Stegen,  Strassen  und  Brücken  Kirchen  und  Kapellen.  Und 
auch  heute  noch  verfehlt  der  fromme  Landmann  nicht,  an 
ihrem  Feste  das  Saatgetreide  segnen  zu  lassen  und  sie  anzu- 
flehen, seinen  Saaten  Gedeihen  und  Wachsthum  zu  gewähren 
und  allen  Schäden,  insbesondere  der  Mäuseplage  zu  wehren3, 
üass  im  nordwestlichen  Deutschland  hauptsächlich  <U>v 
h.  Gertrud,  nicht  des  h.  Johannes  Minne  getrunken  wurde, 
nimmt  uns    nicht  Wunder,  wenn  wir   uns    erinnern,    dass   sie 


*)  Zingerle  a.  a.  0.  A.iu-h  in  der  Eifel  heisst  es:  ,.Ks  führ!  St.  Ger- 
traud die  Kuh  zum  Kraut,  die  Bienen  zum  Flug  und  die  Pferd  zum  Zug" 
oder  „St.  Gertrud  bekommen  die  Bienen  den  Flug,  die  Pferde  den  Zug  und 
den  Schafen  hängt  man  die  Krippe  auf."  Vgl.  Schmitz,  Sitten  und  Bräuche 
des  Eifer  Volkes  S.  171. 

'-')  Bartsch,  Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Meklenburg  II,  S. 
Im  Meklenburgischeu  ist  auch  der  Glaub    verbreitet,  dass  der  Flachs,  wenn 
er  am  St.  Gertrudentag  gesäet  werde,  gut  gedeihe. 

3)  Auch  Specht,  Kukulc    und  Schnecke   stehen   als  Frühlingsboten    im 
Dienste  der  h.  Gertrud  und   tragen    von    ihr  den  Beinamen.     Vgl.  Zin 
a.a.O.;  Rochholz  a.  a.  0.  S.    L61 


176  K.  Wieth,  St.  Gertruden  Minne. 

dem  Geschlecht  Karls  d.  Gr.  angehörte,  und  letzteres  zu  beiden 
Seiten  der  Maas  seine  eigentliche  Heimath  hatte.  Deshalb  war 
auch  von  vornherein  zu  vermuthen,  dass  ebenfalls  in  Aachen 
ihre  Verehrung  und  die  diese  begleitenden  Gebräuche  bestanden 
haben.  "Wahrscheinlich  haben  aber  auch  die  Eroberungszüge 
Karls  d.  Gr.  auf  die  Verbreitung  ihres  Kultus  Einfluss  geübt, 
und  wohl  aus  diesem  Grunde  treffen  wir  einige  sehr  alte 
Gertrudenkirchen  in  Westfalen  und  dem  weitern  Sachsenland1. 
Im  Laufe  der  Zeit  ist  die  schöne  Sitte,  ihr  zu  Ehre  den 
Minnetrank  zu  üben,  fast  überall  in  Vergessenheit  gerathen. 
Als  Ursache  dafür  wird  mancherlei  angeführt.  Bereits  zum 
Jahre  1296  berichtet  ein  holländischer  Geschichtschreiber, 
Melis  Stoke,  dass  Graf  Eloris  von  Holland  kurz  vorher,  ehe 
seine  Mörder  ihn  ins  Freie  lockten,  einem  derselben,  Gysebrecht 
von  Amstel,  St.  Gertruden  Minne  zugetrunken  habe,  und  dass 
aus  Abscheu  vor  diesem  Mord  man  es  von  da  ab  unterlassen 
habe,  diese  Minne  zu  trinken.  Andere  geben  an,  der  Gebrauch 
sei  allmählich  in  Saufereien  und  wüste  Gelage  ausgeartet. 
Beides  mag  richtig  sein  und  noch  dazu  kommen,  dass,  wie 
manches  Ueberkommniss  der  Vorfahren  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte erst  seine  Bedeutung  verlor  und  dann  ganz  aus  dem 
Bewusstsein  der  Lebenden  schwand,  so  es  sich  auch  in  diesem 
Falle  verhalten  mag. 


1)  Acta  Sauctorum,  Martii,  II,  p.  590,2,3;  Binterim  und  Mooren,  Die 
alte  und  neue  Erzdiözese  Eöln  II.  S.  51,  56,  SS,  102,  Uli,  154,  347,  359; 
Eampschulte,  Die  westfälischen  [ürchenpatrocinien  S.  66.  Danach  sind  zum 
Theil  sehr  alte  Gotteshäuser  der  h.  Gertrud  gewidmet  zu  Tüdderen,  Dilikratli. 
Ilavert.  Juntersdorf,  Kraudorf,  Bockum,  Eller,  Binsfeld,  Essen,  Oberkirchen, 
Summern,  "Wattenscheid,  Eorstmar,  Bentlage,  Lohne,  Bramsche.  (Jeber  die 
St.  Gertrudiskirche  zu  Bockum  und  ihr  hohes  Alter  vgl.  auch  Niederrhei- 
oisehe  Vblkszeitung  L887,  Nr.  52. 


Miscellen. 

1.  Her  abtrünnige  Mönch  und  Pfarrei*  von  St.  Peter  zu  Aachen, 
Heinrich  Beyer  von  Capellen. 

In  einem  alten  „Erchenrechenbuch"  der  Pfarrkirche  von  St.  Peter  zu 
Aachen  vom  J.  1G3C  findet  sich  von  der  Hand  des  damaligen  Pfarrers  Gerhard 
Breuer  folgende,  einem  altern  über  computi  entnommene  Notiz :  „Annu  1577 
ist  Heinricus  Beier  zu  pastoren  angestellt,  und  anno  1578  auf  neujahrstag 
hat  er  seine  letzte  predig  daselbst,  gehalten,  und  ist  casseert  durch  den 
herrn  parochian,  dieweil  er  die  communion  sub  utraque  ausgetheilet.  Fuit 
praedictus  Henricus  rehgiosus  Carmelita." 

Ueher  diesen  Vorgang  berichtet  1020  P.  a  Beeck1:  „Exordio  anni 
1578  grex  et  fex  populi  Divi  Petri  Pareciae  in  Aquis  subdita  religiosum  pro- 
fugium  a  familia  et  instituto  Carmelitarum  uti  levem  in  nomine,  sie  in  fide 
et  moribus  sub  id  tempus  se  nuneupantem  Henricum  Beyer  de  Capella,  prius 
in  monastica  professione  compellatum  nomine  Henrici  Piei  Geldriensis  iu 
Superintendentem  Curionemcrue  maximmn  istius  Ecclesiae  extoll  it,  contra 
Ecclesiasticae  potestatis,  authoritatisque  inhibitionem."  Aehnlich  schreibt 
Noppius2  ebenfalls  zum  J.  1578:  „In  diesem  Jahr,  nachdem  nun  das  Yob-k 
die  newe  Vncatholische  Lehr  gleich  als  Wasser  zu  trincken  angefangen. 
werffen  die  Vnderthanen  von  S.  Peter  einen  verlauffenen  Münch  deß  Carme- 
liten  Ordens  zum  Pastoren  auff,  mit  Nahmen  Henrich  Beyer  von  Capell, 
wider  alle  Geistliche  Ordnung  vnd  Recht."  Endlich  beliebtet  in  gleicher 
Weise  Meyer3:  „1578.  Seltene  Auftritte!  auf  einmal  schien  den  Pfarr- 
Gcnossen  zu  St.  Peter  der  Weg  zum  Himmel  so  eng,  dass  sie  einen  aus- 
gesprungenen Karmeliter-Mönch,  Eeinrich  Beyer  genannt,  und  von  Kapeil 
im  Limburgischen  gebürtig,  zu  ihrem  Seel-Sorger  aufwarfen." 


')  Aquisgranum  p.  270. 

J)  Aacher  Chroniek  1632,  Tli.  11,  S.  187. 

s)  Aaohonsohe  Geschichten  I,  S.  468. 

12 


178  Miscellen. 

Von  sämmtlichen  Chronisten  Aachens  wird  also  gleichmässig  in  TJeber- 
oiiistimmung  mit  der  von  Pfarrer  Breuer  liinterlassenen  Nachricht  aus  dem 
alten  Rechenbuch  von  St.  Peter  angegeben,  dass  ein  ausgesprungener  Karme- 
litermönch, Namens  Heinrich  Beyer  aus  Capellen,  nicht  von  der  zuständigen 
geistlichen  Behörde,  sondern  von  den  Eingesessenen  der  Pfarrei,  bezw.  von 
dem  zur  Reformation  hinneigenden  Theil  derselben  zum  PfaiTer  von  St.  Peter 
erhoben  worden  sei.  Als  Jahr  seiner  Erhebung  wird  aber  von  Breuer  1  •""> 7  7 
angegeben,  während  die  Chronisten  1578  nennen,  ohne  freilich  einen  Beleg 
hierfür  beizubringen. 

Es  lässt  sich  kaum  annehmen,  dass  der  Urheber  der  Aufzeichnung  aus 
der  Peterspfarre  sich  in  seiner  Notiz  im  alten  Rechenbuch  geirrt  habe,  da 
er  genau  den  Tag  und  das  Jahr  der  letzten  Predigt  des  Eindringlings  angibt. 
Jedenfalls  muss  die  Erledigung  der  Pfarrstelle  gegen  Ende  1576  oder  Anfangs 
1577  eingetreten  sein,  da  in  dem  Protokollbuch  der  Bruderschaft  vom  bittern 
Leiden  unseres  Herrn,  welche  an  St.  Peter  bestand,  das  Protokoll  des  Stuhl- 
tags vom  Sonntag  nach  Kreuzerhöhung  im  September  1576  von  dem  Pastor 
Gerlacus  Rotarius  noch  unterschrieben  ist,  während  weder  im  folgenden 
Jahre  (1577),  noch  im  Jahre  1578  ein  Pastor  unterzeichnet  hat.  Das  Protokoll 
des  Jahres  1579  ist  dagegen  wieder  von  dem  Pastor  von  St.  Peter,  Kuno 
von  Langendorf,  unterschrieben.  Es  Hegt  also  kein  äusserer  Grund  vor,  die 
Notiz  des  Pastors  Breuer  als  irrig  anzunehmen;  ja,  es  scheint  mir  sogar, 
dass  letzterer,  der  so  sorgfältig  alle  die  Pfarrei  betreffenden  Urkunden  und 
Nachrichten  sammelte  und  registrirte,  diese  Notiz  ganz  speziell  mit  Rücksicht 
auf  die  durch  P.  a  Beeck  gebrachte  Nachricht  aufgehoben  hat ;  denn  dass  ihm 
letztere  unbekannt  gebheben  sein  sollte,  ist  nicht  anzunehmen.  Noch  in  einem 
andern  Punkte  scheint  die  Notiz  Breuers  mit  den  Angaben  P.  a  Beecks  und 
Meyers  nicht  übereinzustimmen.  Während  jene  nämlich  die  Ordnung  dieser 
Angelegenheit  dem  Herzog  von  Parma,  bezw.  seinen  Abgesandten  Rysbroock 
und  Sestich  zuzuschreiben  scheinen  und  diese  Gesandtschaft  im  Jahre  1579  erst 
eintraf,  berichtet  Breuer,  dass  der  Eindringling,  weil  er  die  Kommunion  unter 
beiden  Gestalten  austheilte,  vom  Parochian,  dem  Erzpriester  der.Stadt,  abgesetzt 
worden  sei,  und  dass  H.  Beyer  am  Neujahrstag  1578  schon  seine  letzte  Predigt 
gehalten  habe.  "Wahrscheinlich  vermittelt  sich  dieser  scheinbare  "Widerspruch 
dadurch,  dass  man  annehmen  muss,  Beyer  habe  allerdings  bereits  1578  dem 
Widerspruch  der  kirchlichen  Autorität  und  des  katholisch  gesinnten  Theiles 
der  Pfarrei  weichen  müssen,  aber  erst  durch  die  vom  Herzog  von  Parma  her- 
gestellte alte  Ordnung  sei  es  1579  möglich  geworden,  dass  die  kirchliche 
Behörde  Kuno  von  Langendorf  als  Pastor  von  St.  Peter  einsetzen  konnte. 
wie  dieser  denn  auch  erst  vom  Jahre  1579  an  die  Stuhltags-Protokolle  der 


Miscellen.  170 

erwähnten  Bruderschaft  unterschreibt.  Dass  Beyer  auch  von  den  Pfarr- 
genossen von  St.  Peter,  zumal  von  den  kirchlich  gesinnten,  nicht  als  recht- 
mässiger Pastor  anerkannt  wurde,  scheint  mir  daraus  hervorzugehen,  dass 
in  den  Jahren  1577  und  1578  die  Stuhltags-Protokolle  der  Bruderschaft  vom 
bittern  Leiden  unseres  Herrn  nicht  von  einem  Pastor  unterschrieben  sind, 
während  sowohl  sein  Vorgänger  Rotarius  bis  zu  seinem  Todesjahr,  wie  sein 
Nachfolger  Kuno  von  Langendorf  gleich  bei  seinem  Amtsantritt  1579  diese 
Protokolle  unterschrieben.  Zwar  wird  zum  Jahre  1577  unter  den  neu  auf- 
genommenen Mitgliedern  ein  Pastor  erwähnt,  aber  dessen  Name  Heribertus 
Wolters  ist  So  verschieden  von  dem  des  Eindringlings,  dass  er  sich  unmög- 
lich auf  ihn  beziehen  kann. 

Dieser  abgefallene  Karmelitermönch  wird  nämlich  übereinstimmend 
Heinrich  Beyer  genannt,  P.  a  Beeck  aber  fügt  hinzu,  dass  Beyer  ebenso 
leichter  Dinge  seinen  Namen,  wie  seinen  Glauben  und  seine  Sitten  geändert 
habe.  Früher,  als  Religiöse,  sei  er  Henricus  Picus  Geldriensis  (Heinrich 
Specht  aus  Gelderland)  genannt  worden,  während  er  sieh  jetzt  Henricus 
Beyer  de  Capella  (Heinrich  Beyer  von  Capellen)  nenne.  Vielleicht  hat  er 
durch  diese  Namensänderung  mit  Rücksicht  auf  seine  ungesetzmässige  Er- 
greifung der  Pfarrstelle  von  St.  Peter  unliebsamen  Anspielungen  auf  seineD 
Namen  Picus  (Specht)  entgehen  wollen;  aber  wie  er  Picus  in  Beyer  ver- 
wandeln oder  diese  Verwandlung  rechtfertigen  konnte,  ist  unerfindlich. 

Die  Umwandlung  des  Geldriensis  in  de  Capella  ist  leichter  zu  deuten, 
da  der  Ort  Capellen  (wohl  sein  Geburtsort)  im  Geldrischen  gelegen  ist. 

Dass  Beyer  aus  dem  ehemaligen  hiesigen  Karmeliterkloster  entsprungen 
sei,  folgere  ich  aus  einer  andern  Stelle  bei  P.  a  Beeck.  Im  Anfang  des 
Kap.  11  (p.  228),  in  welchem  die  Pfarreien,  Klöster,  Kapellen  und  Hospitäler 
der  Stadt  beschrieben  werden,  verbreitet  sich  P.  a  Beeck  über  die  trostlosen 
allgemeinen  lärchlichen  Zustände  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts  und  berichtet, 
dass  zwar  einige  Religiösen  aus  den  Klöstern  der  Stadt  in  Vertretung  der 
Pastoren  des  Predigtamts  gewaltet  hätten,  dass  aber  Einer  derselben,  dessen 
Sinn  von  den  Fallstricken  der  Sektiror  umstrickt  gewesen  sei.  das  Kloster 
verlassen  (obwohl  er  später  zurückgekehrt  sei),  während  der  Andere  sieb 
populär  zu  machen  suchte,  indem  er  die  Kommunion  unter  beiden  Gestalten 
reichte  etc.,  mit  welchem  etc.  a  Beeck  wold  andeuten  wollte,  dass  dieser 
Mönch  auch  noch  in  sonstigen  Punkton  zu  den  Sektirern  hielt.  Dass  mit 
diesem  andern  Mönch  unser  ExkarmelH  Heim  leb  Beyer  gemeint  sei.  ist. 
mir  unzweifelhaft. 

Aachen.  s'.   Planker. 

12* 


180  Miscellen. 

2.  Der  Philosoph  Hegel  in  Aachen. 

Die  Lust,  sich,  auf  den  sog.  Königsstuhl  im  Aachener  Münster  zu  setzen, 
wandelte  nicht  nur  die  Kaiserin  Josephine  (vgl.  diese  Mittheiluugen  I,  S.  34), 
sondern  auch  den  Philosophen  Hegel  an,  als  er  im  Herbst  1822  die  Stadt 
Aachen  besuchte.  Der  damals  52jährige  Gelehrte  schreibt  darüber  am 
.'!.  Oktober  des  genannten  Jahres  seiner  Frau  (Hegels  Werke  XVH,  S.  556): 
„In  Aachen  sah  icli  den  Dom  zuerst,  setzte  mich  auf  Kaiser  Karls  Stuhl; 
es  sind  zwei  Marmorplatten  auf  den  Seiten,  ebenso  auf  dem  Rückensitz, 
glatt,  172  Zoll  dick;  sie  waren  oben  mit  Goldblech  überzogen,  das  einge- 
grabene Geschichten  hatte,  wovon  noch  einige  Stücke  aufbewahrt  werden. 
Auf  diesem  Stuhl  wurde  300  Jahre  nach  seinem  Tode  Karl  sitzend  vom 
Kaiser  Friedrich,  glaube  ich,  mit  dem  Kaiserornat  angethau,  die  Krone  auf 
dem  Haupte,  Scepter  in  der  einen,  Reichsapfel  in  der  andern  Hand,  ge- 
funden;  diese  Sachen  wurden  zu  den  Reichskleinodien  gethan  und  seine 
Gebeine  beigesetzt.  Ich  setzte  mich  auf  diesen  Stuhl,  auf  dem  32  Kaiser 
gekrönt  wurden,  wie  der  Küster  versicherte,  so  gut  wie  ein  Anderer,  und 
die  ganze  Satisfaktion  ist,  dass  man  darauf  gesessen  hat."  Die  mehrfachen 
historischen  Schnitzer,  welche  Hegel  liier  begeht,  darf  man  dem  Philosophen 
nicht  allzu  hoch  anrechnen.  Merkwürdiger  ist,  dass  derselbe  sich,  als  er  auf 
einer  spätem  Reise  wiederum  Aachen  berührte,  ungeachtet  der  geringen 
„Satisfaktion"  das  Vergnügen  nicht  versagen  konnte,  sich  nochmals  auf  den 
Königsstuhl  zu  setzen  (Hegels  Werke  XVH,  S.  019). 


3.  Die  Bezeichnung*  „upt  Yseren". 

(Nachtrag  zu  S.  108.) 

Ueber  die  Beschaffenheit  der  „Eisen"  gibt  ein  Siegel  Auskunft,  das 
einei'  im  hiesigen  Stadtarchiv  befindlichen  Urkunde  vom  1.  Juni  (up  andach 
sint  Urbanis  dage)  1375  anhängt.  In  dieser  erklärt  Johann  Struver  von 
Hultzberg,  Knappe  von  Wappen,  den  Schaden  ersetzt  erhalten  zu  haben, 
welchen  einige  Aachener  Bürger  vor  längerer  Zeit  der  Mutter  seiner  Frau, 
Richmud  von  Vrelenberg,  „wilne  hern  Johans  wyf  van  Loverick",  an  Haus- 
geräth,  Kleinodien  und  anderer  Habe  in  ihrem  Hof  zugefügt  hatten.  Neben 
dem  Aussteller  besiegelt  dessen  Oheim  Tilmanu  van  Yseren  die  Urkunde. 
Das  Siegel  des  letztern  zeigt  einen  viermal  <|uergetheilten  Schild  und  fünf 
nebeneinander  stehende  Eisenstäbe  mit  Köpfen  oder  Spitzen  im  rechton 
Obereck.     Die    Umschrift    lautet:    (s.)  thilman.  de.   yseren.     Hiernach    darf 


Antworten.  L8J 

man  vermutheii,  dass  es  sich,  wenigstens  im  14.  Jahrhundert,  bei  der  Be- 
zeichnung „upt  Yserem-  mir  um  senkrecht  stehende  Sperrvorrichtungen 
handelte. 

Aachen,  R.  Piok. 


Antworten. 

Zu  Frage  2,  Jahrg.  I,  S.  95  („Krieschensang") :  Wohl  ohne  Zweifel 
war  der  „Krieschensang"  am  Ostersonntag  ein  Gesang,  der  auf  Christus 
Bezug  hatte.  Für  Laurents  Hinweis  auf  die  Klage  der  Magdalena  (Stadt- 
ivch nungen  S.  440)  spricht  der  Umstand,  dass  zu  spatmittelalterliehen  Zeiten 
der  Ostergesang  der  Magdalena  am  h.  Grab  entstand  (vgl.  Zeitschrift  des 
Aach.  Geschichtsvereins  S.  317).  Dagegen  können  neben  den  Jubelklängen 
am  Ostermorgen  Klagelieder  nur  in  ganz  nebensächlicher  Weise  Platz  finden, 
die  besondere  Hervorhebimg  eines  Trauerlieds  bleibt  also,  wie  auch  Laurent. 
a.  a.  0.  andeutet,  etwas  auffällig.  Vielleicht  Hegt  bei  „Krieschen" k  eine 
verdorbene  Form  für  Christus  oder  Christen  vor.  Krischan  für  Christian 
ist,  wie  u.  A.  aus  zahlreichen  Stellen  bei  Fritz  Reuter  hervorgeht,  noch  heut- 
zutage in  Norddeutschland  sehr  gebräuchlich.  Lässt  sich  auch  diese  Form  oder 
Krischen  für  Christen  (Christus)  im  Aachener  Dialekt  nicht  nachweisen,  so 
kann  letzteres  doch  aus  irgend  einem  Grunde  in  Aachen  zu  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts hei  den  Augustinern  vorübergehend  gebräuchlich  und  in  weitem 
Kreisen  bekannt  gewesen  sein.  Ausserdem  mag  hier  noch  eine  dritte  Er- 
klärung des  Wortes  kriesch  in  Betracht  kommen.  Nach  Lexer  wurde 
nämlich  im  Mittelhochdeutschen  das  Wort  griechisch  ebensowohl  durch 
kriechisch  als  durch  kricscliich  wiedergegeben;  unter  Umständen  gilt  also 
für  „Krieschensang"  die  Uebersetzung  „griechischer  Gesang--.  Nun  ist  es 
Thatsache,  dass  in  der  alten  Kirche  am  Ostersonntag  die  Epistel  und  «las 
Evangelium  in  griechischer  und  lateinischer  Sprache  gesungen  wurden. 
Es  mag  sein,  dass  diese  Sitte  gegen  das  Ende  des  14.  Jahrhundert.-,  nur  noch 
sehr  vereinzelt  auftrat;  unzulässig  war  sie  damals  nicht,  und  kann  sie 
deshalb  vor  500  Jahren  bei  den  Aachener  Augustinern  noch  geherrscht 
halien.  So  lange  mir  andere  Anhaltspunkte  fehlen,  gebe  ich  von  den  drei 
vorliegenden  Erklärungsversuchen  dem  ersten  den  Vorzug.  [Mitgetheill  von 
Herrn  Apotheker  E.  Pauls  zu  Bedburg.] 

In  einer  Besprechung  der  von  Laurent  herausgegebenen  Stadtrech- 
Qungen   aus   dem  14.  Jahrhundert  (Echo    der  Gegenwart    IS(iii,    Nr.    ms) 


!  82  Antworten. 

bemerkt  Prof.  IL  Müller  (Würzburg):  Wenn,  was  wir  S.  338  von  „krieschen- 
sange"  losen,  wirklich  auf  Charfreitag  bezogen  werden  kann  (trotz  dem  „üp 
paiscb-dach",  auf  Ostertag),  so  ist  doch  schwerlich  dabei  an  Kreischen  zu 
denken ;  „die  burgermeister  waren  zen  krieschensange"  heisst  wohl,  dass  sie 
zum  griechischen  Gesang  in  der  Kirche  waren;  denn  kreisch  heisst 
griechisch,  wie  Kölnische  Eeimchronik  S.  784:  myt  kreischen  vuyrre, 
mit  griechischem  Feuer.  Man  könnte  an  den  griechischen  Sang  denken, 
den  wir  am  Charfreitag  singen,  möglicherweise  auch  Ostern  sangen  (Agios 
o  Theos,  Agios  ischyros,  Agios  athanatos  eleison  imas) ;  wahrscheinlicher  aber 
ist  doch  wohl,  dass  griechische  Musik  gemeint  ist,  d.  h.  byzantinische. 
Schon  von  dem  Lieblingssänger  Karls  d.  G.,  von  dem  h.  Arnold,  sagt  die 
Legende,  dass  er  in  Griechenland  griechischen  Gesang  gelernt  habe.  [Mit- 
getheilt  von  der  Red.] 

Zu  Frage  5,  Jahrg.  I,  S.  95  (Thomaskapellc  auf  dem  Dahmengraben) : 
Den  Benennungen  Thomaskapelle  und  Thomasgraben  lag  im  vorhegenden 
Falle  nur  im  Volksmund,  nicht  in  der  Geschichte  der  Name  Thomas  zu 
Grunde ;  das  richtige  Grundwort  lautet  Dohmen,  wie  aus  Folgendem  hervor- 
geht. Der  Dahmengraben,  auf  welchem  die  Kapelle  lag,  verdankt  bekanntlich 
sein  Entstehen  der  Familie  Dahmen,  welche  ihn  zuerst  mit  Häusern  über- 
bauen liess;  vgl.  Quix,  Hist.-topogr.  Beschreibung  der  Stadt  Aachen  S.  4. 
Nun  meldet  die  handschriftliche  Chronik  des  Aachener  Bürgermeisterdieners 
Janßen,  dass  im  J.  1713  auf  St.  Donatustag  die  Kapelle  des  Herrn  Dohrnen 
„auf  dem  gräbgen"  geweiht  worden  sei.  Seitlich  verzeichnet  Janßen 
„Dohmens  Capell".  Augenscheinlich  handelt  es  sich  hier  um  die  später 
irrig  Thomaskapelle  auf  dem  „Thomesgräffge"  genannte  Kapelle  des  h. 
Donatus  auf  dem  Dahmengraben  in  der  Nähe  des  Komphausbads.  Die 
Kapelle  hat  bis  kurz  vor  1829  bestanden  und  wird  häufig  erwähnt.  So  ist 
in  einer  Anzeige  der  Stadt- Aachener  Zeitung  vom  13.  November  1782 
die  Rede  von  einem  Haus  auf  dem  Dahmens-Grab,  neben  der  Kapelle  des 
verstorbenen  Schöffen  von  Moss,  womit  ebenfalls  Avohl  nur  die  Donatus- 
kapelle  gemeint  sein  kann.  Denn  mehrere  mir  vorhegende  Aachener  Raths- 
und  Staatskalender  aus  dem  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  kennen  auf  dem 
Dahmengraben  nur  die  Kapelle  zu  St.  Donat  beim  Komphausbad.  Gegen  das 
Ende  der  zwanziger  Jahre  dieses  Jahrhunderts  ging  die  Kapelle  ein. 
Hierüber  berichtet  Qmx  a.  a.  0.  S.  98:  Die  St.  Donatus-Kapelle  auf 
dem  Dahmengraben  ist  nicht  mehr  sichtbar,  indem  sie  seit  Kurzem  in 
Wohnzimmer  verwandelt  wurde.  [Mitgethcilt  von  Herrn  Apotheker  E.Pauls 
zu  Bedburg.] 


Antworten.  *  ls:! 

Der  Oberpfarrer  von  St.  Peter  zu  Aachen,  J.L.Ganser  (17(38—1812). 
hat  über  die  -frühere  Kapelle  auf  dem  Dahmengraben  Folgendes  verzeichnet : 
Fuit  sub  parochia  mea  capella  sancto  martyri  Donato  dedicata:  aediiicium 
adhucdum  existit  in  platea  Dohmensgraben  nuucupata.  Possessor  ultimus. 
dominus  de  Broich,  eam  una  cum  domo  adiuncta  ante  tres  vel  quatuor 
annos  dereliquit  omnemquo  supelleetilem  sacram  secum  tulit,  lixo  nunc  in 
Haren  domicilio.  Hac  in  capella  fundata  erat  per  antiquos  eiusdem  posses- 
sores  missa  quotidiana,  quae  an  et  ubi  de  facto  legata  ignoro.  Utrum 
dominus  de-  Broich  eam  propria  autoritate  aho  transferre  potuerit  in  praeiu- 
dicium  ecclesiae  parocbialis,  cui  gubernium  nostrum  fundationes  in  suppressis 
capellis  sub  districtu  paroeciae  existentes  una  cum  supellectüi  adiudicaverit, 
aliis  düudicandum  relinquo.  [Mitgetheilt  von  Herrn  Stadtdechant  S.  Planker 
zu  Aachen.] 

Zu  Frage  9,  Jahrg.  I,  S.  96  (Weä  et  längste  leävt,  kritt  Stolberg) : 
Der  erste  Theil  dieses  Sprichworts  ist  ohne  Bedeutung,  da  der  Gedanke, 
dass  eine  besonders  hohe  Lebensdauer  das  Erleben  besonderer  Ereignisse 
oder  grosse  Vortheile  bedinge,  überall  und  zu  allen  Zeiten  in  der  ver- 
schiedensten Form  zum  Ausdruck  gelangt  ist1.  Der  Kern  des  Räthsels 
liegt  im  "Worte  Stolberg,  dessen  Wahl  schwerlich  auf  einem  Wortspiel  oder 
einer  unbedeutenden  Zufälligkeit  beruht.  Vielleicht  ist  die  Erklärung  indem 
heftigen  Streit  zwischen  Stolberg  und  Eschweiler  zu  finden,  welcher  seiner 
Zeit  über  anderthalb  Jahrhundert  sich  hinzog.  Schon  um  1572  versuchte 
nämlich  Stolberg,  Pfarrrechte  zu  erhalten,  doch  erst  zwischen  1692  und 
17  In  überwand  es  in  dieser  Frage  den  hartnäckigen  Widerstand  der  Mutter- 
kirche Eschweiler  (Koch,  Gesch.  Eschweilers  II,  S.  347  ff.).  Ein  so  langer 
Srnit  musste  in  der  Aachener  Gegend  ein  um  >o  grnss<  res  Aufsehen  hervor- 
rufen, als  er  stellenweise  mit  unerhörter  Erbitterung  geführt  wurde;  griffen 
doch  z.B.  im  .1.  1708  die  Stoiberger  die  Eschweiler  Erohnleichnams-Prozession 
unter  freiem  Bimmel  an!  Als  Jahrzehnt  auf  Jahrzehnt  ohne  Entscheidung 
verrann,  lag  die  scherzhafte  Eedensart,  dass  dem  Längstlebenden  der  G< 
stand  des  Streits,  also  Stolberg,  anheimfallen  würde,  gewiss  nahe.  Ein 
ähnliches  Sprichwort  kommt  in  Eupen  vor.  Dort  heissf  es:  ..Wer  am 
-ten  lebt,  bekommt  Heuckenbend.''  Eöchst  wahrscheinlich  beruht  auch 
hier  die  Redensart  auf  einem  langen  Prozess,    der   zwischen  der  Gemeinde 


•)  Neuere  Beispiele  aus  drei  Hauptsprachen:   Qui  vivra,  verra;   Campbeils 
ergreifendes,  von  Veiten  aus  dem  Englischen  ins  Deutsche  übersetztes  Qedichl 
„Der  letzte  Mensch";   die  schöne,  auch  bei  uns    verbreitete  Redensart  „100  Ja!  r 
Gnad  bei  Gott",  welcher  freilich  Thomas  von  Kempen  sein  ernstes  „Peccator  centuiu 
annorum  morictur"  entgegenstellt. 


184  Antwort  et  i. 

Eupen  und  dem  Baron  von  Belderbusch  bis  zum  J.  1778  schwebte,  und  in 
welchem  eine  „Hückenbempd"  genannte  "Wiese  die  Hauptrolle  spielte ;  vgl. 
Rutsch,  Eupen  und  Umgegend  S.  39.  [Mitgetheilt  von  Herrn  Apotheker 
E.  Pauls  zu  Bedburg.] 

Zu  Frage  16,  Jahrg.  I,  S.  96  (Judengasse) :  Merkwürdig,  aber  vielleicht 
nur  zufällig  ist,  dass  die  Judengasse  in  Regensburg,  ebenso  wie  in  Aachen, 
bei  der  Fleischplanke  und  der  Propstei  lag.  Das  Saalbuch  des  Stiftes  Nieder- 
münster in  Regensburg,  geschrieben  1444  (Verhandlungen  des  bist  Vereins 
in  Niederbayern,  Bd.  XXJJJ,  Landshut  1885),  hat  S.  245 :  ,,Item  von  einem 
haus  und  hofstat  under  den  Juden  binden  gen  der  Tumprobstey  über  zunächst 
der  fleischplanch."  Vgl.  M.  Stern  in  Geigers  Zeitschrift  für  die  Geschichte 
der  Juden  in  Deutschland  I,  S.  383,  Anm.  3.  Berücksichtigung  verdient 
auch,  was  Prof.  Bock  in  den  Bonner  Jahrbüchern  V.  VI,  S.  93,  Anm.  160 
bemerkt:  „Nordwestwärts  von  dem  Pallaste  fällt  sie  (die  von  der  Maas 
kommende  römische  Heerstrasse)  mit  der  Trichtergasse  (viciis  Traiectensis 
in  einer  Urk.  von  1290)  zusammen,  welche  das  Judenquartier  (mansionat.- 
cum  Iudaeorum  in  dem  Capitular.  de  discipl.  palatii  Aquisgranens.)  absondert. 
Auch  zu  Regensburg  hatten  die  unter  landesherrlichem  Schutz  stehenden 
Juden  die  Grenzen  der  Königsstadt  inne  (W.  Dönniges,  Das  deutsche  Staatsrecht 
u.  die  deutsche  Reichsverfassung  Th.  I,  S.  251)."'  Ganz  kurz  berührt  die 
Frage  auch  Dresemann,  Die  Juden  in  Aachen  S.  3,  ohne  sie  indessen  zu 
lösen.  Hierzu  müssten  vor  Allem  Ermittlungen  über  die  Lage  der  Juden- 
gasse in  andern  rheinischen  Städten  und  ihr  Verhältniss  zur  ältesten  Be- 
festigung derselben  vorgenommen  werden.      [Mitgetheilt  von  der  Red.] 


Chronik  des  Vereins  188587. 

Im  Sommer  1885  traten  in  Aachen  mehrere  Freunde  der  lokalen  Ge- 
schichte zusammen,  um  über  die  Gründung  eines  Vereins  für  die  Erforschung 
der  Vergangenheit  der  Schwesterstädte  Aachen  und  Burtscheid,  sowie  ihrer 
nächsten  Umgegend  zu  berathen.  Man  ging  hierbei  von  der  Ansicht  aus, 
dass  in  der  alten  Kaiserstadt  eine  Vereinigung,  welche  sich  zur  Aufgabe 
stelle,  die  im  Wege  der  Forschung  gewonnenen  Ergebnisse  nicht  sowohl 
durch  Drucklegung,  als  vielmehr  in  erster  Linie  durch  populär  gehaltene 
Vorträge  und  daran  geknüpfte  Besprechungen  in  häufigen  und  zwanglosen 
Zusammenkünften  zur  allgemeinen  Kenntniss  zu  bringen,  ein  lange  und 
vielfach  empfundenes  Bedürfniss  sei.  Am  15.  Oktober  desselben  Jahres 
wurde  der  „Verein  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit'1  auf  Grund  der  am 
Schlüsse  mitgetheilten  Statuten  gestiftet  und  in  Ausführung  des  §  6  der 
Vorstand  aus  folgenden  Personen  gebildet: 

Beigeordneter  K.  Zimmermann,  erster  Vorsitzende. 

Kanonikus  Dr.  J.  H.  Kessel,  zweiter  Vorsitzende, 

Gymnasiallehrer  Dr.  H.  Klinkenberg,  erster  Schriftführer. 

Lrchitekt  C.  Rhoen.  zweiter  Schriftführer, 

Stadtarchivar  E.  Pick,  Redakteur, 

Staatsanwaltschafts-Sekretär  M.  Schollen.  Bibliothekar. 

Buchhändler  F.  Kremer,  Schatzmeister. 

Kaplan  H.  Schnock, 

Stadtverordneter  J.  Schaffrath, 

Chefredakteur  H.  Abels,  Beisitzer. 

Tuchfabrikant  Tb.  Müllenmeister. 

Fabrikant  H.  F.  Maeco. 

Herr  Kanonikus  Kessel  Lehnte  in  einer  öffentlichen  Erklärung  die  auf 
ihn  gefallene  Wahl  ab,  er  wurde  durch  EeiTD  Kaplan  Schnocl  ersetzt.  Auch 
Herr  Beigeordneter  Zimmermann  sah  sieh  sehen  bald  nachher  durch  Kränk- 
lichkeit genöthigt,  aus  dem  Vorstand  auszuscheiden,  au  seiner  stelle  übernahm 
Herr  Vikar  IL  J.  Gross  aus  Laurensberg  die  Leitung  des  Vereins.     Stber  auch 


isi;  Chronik  des  Vereins  1885/87. 

diesem  machten  es  vermehrte  Berufsgeschäftc  unmöglich,  über  Ostem  188(3 
hinaus  in  der  Stellung  des  ersten  Vorsitzenden  zu  verbleiben-,  es  wurde 
nunmehr  als  solcher  Herr  Gymnasiallehrer  Dr.  K.  "Wacker  gewählt.  Für 
den  mit  Ostern  1886  an  das  Marzellen-Gymnasium  nach  Köln  versetzten 
Herrn  Dr.  Klinkenberg  trat  Herr  Gymnasiallehrer  Dr.  K.  "Wieth  als  erster 
Schriftführer  ein,  während  ersterer  seitdem  als  Beisitzer  dem  Vorstand 
angehört. 

Mit  40  Mitgliedern  begann  der  Verein  seine  Tbätigkcit;  ihre  Zahl 
beträgt  gegenwärtig  Dank  der  erfreulichen  Aufnahme,  welche  die  Vereins- 
bestrebungen  in  der  Bürgerschaft  gefunden  haben,  152. 

In  den  beiden  Generalversammlungen,  welche  statutenmässig  am 
22.  Oktober  1886  und  am  27.  Oktober  1887  stattfanden,  erstattete  der  Vor- 
sitzende einen  ausführlichen  Bericht  über  die  Lage  und  Wirksamkeit  des 
Vereins,  die  Jahresrechnung  wurde  geprüft  und  dem  Scbatzmeister  Decharge 
ertheilt. 

Ausserdem  hielt  der  Verein  in  Erfüllung  der  dun  obliegenden  Auf- 
gabe bis  Ende  dos  Jahres  1887  eine  Beihc  von  Monats  Versammlungen,  in 
welchen  unter  zahlreicher  Betheiligung  der  Vereinsmitglieder  folgende 
Gegenstände  zum  Vortrag  und  zur  Besprechung  gelangten: 

1885. 

1.  Am  10.  Dezember:  Die  Entstehung  und  Entwicklung  des  Aachener 
Reichs  (Vikar  Gross);  Aachen  zur  Römer-  und  Erankenzeit,  im  Mittelalter 
und  in  der  Neuzeit,  an  der  Hand  eigens  angefertigter  Planzeichnungen 
dargestellt  (Architekt  Bhoen);  Bericht  über  eine  amtliche  Besichtigung  der 
Stadtmauer  in  Aachen  um  1450  (Stadtarchivar  Pick). 

1886. 

2.  Am  21.  Januar:  Die  Anfänge  Burtscheids  (Vikar  Gross);  Meinten 
und  seine  Kapelle  (Kaplan  Schnock). 

3.  Am  18.  Februar:  Das  Leben  des  h.  Gregorius,  des  ersten  Abtes 
von  Burtscheid  (Vikar  Gross);  Das  Sonnenlehn  Schönau  (Gymnasiallehrer 
Dr.  "Wieth) ;  Das  Gedenk-  und  Familienbuch  des  1691  zu  Aachen  geborenen 
.Notars  Johann  Leonhard  Schröder  (Stadtarchivar  Piek). 

4.  Am  13.  April:  Die  Mosaiken  des  Aachener  Münsters  (Architekt 
Kimen);  Ein  Herzogenrather  "Weisthum  (Staatsanwaltschafts-Sekretär  Schollen); 
Hie  Wachtordming  der  Stadt  dachen  von  1537  (Stadtarchivar  Pick);  Der 
Maler  Joh.  Chrysant   Bollenrath  (derselbe);  Aachens  Befestigung  vor  1172 


Chronik  dos  Vereins  L885/87.  L87 

(derselbe);  Ißt  Karl  d.  Gr.  im  Proserpina-Sarkophag  bestatte!  worden? 
(derselbe);  Das  Dankfest  zu  Aachen  aus  Anlass  der  Wiedereroberung  von 
Budapest  1686  (derselbe). 

5.  Am  11.  Mai:  Die  Familie  von  Scbwarzenberg  (Arzt  Dr.  Scheen); 
Aachen  zur  Römerzeit  (Stiftsvikar  Becker). 

6.  Am  8.  Juni:  Der  Fackelsonntag  und  seine  Gebrauche  (Referendar 
Weiter);  Karls  d.  Gr.  äussere  Erscheinung  (Stiftsvikar  Becker);  Hin  Aachener 
Fehdebrief  von  1302  (Stadtarchivar  Pick);  Aachens  Wurfgeschosse  im 
14.  Jahrhundert  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth). 

7.  Am  24.  Juli:  Das  alte  Seffent  (Stiftsvikar  Becker):  Der  Name 
Friesengraben  (Stadtarchivar  Pick);  Das  Sprichwort  „Ich  gönt,  du  wüosch 
op  jensie  Muffet"  (derselbe);  Die  Befestigung  Aachens  im  .1.  1248  (derselbe); 
Die  mittelalterliche  Benennung  Käuberberg  für  den  Salvatorberg  bei  Aachen 
(derselbe). 

8.  Am  22.  Oktober  (Generalversammlung):  Die  Personennamen  im 
mittelalterlichen  Aachen  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth);  Der  Name  Marschier- 
strasse (derselbe) ;  Die  Schutzheiligen  von  Melaten  (Stiftsvikar  Becker);  Der 
Ortsname  Brand  (Stadtarchivar  Pick). 

9.  Am  26.  November:  Der  Lousberg  und  seine  Anlagen  (Gymnasial- 
lehrer Dr.  Wacker);  Der  Zar  Peter  d.  Gr.  auf  dem  Lousberg  (Gymnasial- 
lehrer Dr.  Wieth). 

1887. 

10.  Am  4.  März:  St.  Gertruden  Minne  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth); 
Das  Schiff  von  Inden  (Cornelimünster)  aus  dem  J.  1139  (derselbe);  Die 
Steigerung  der  Eigenschaftswörter  in  der  Aachener  Mundart  (Staatsanwalt- 
schafts-Sekretär Schollen). 

11.  Am  3.  Juni:  Geschichte  der  Armenpflege  in  der  Pfarrei  St.  Peter 
zu  Aachen  (Oberpfarrer  Planker);  Geschichte  des  neutralen  Gebiets  von 
Muresnet  (Dr.  Dresemann);  Eine  handschriftliche  Aachener  Chronik  des 
18.  Jahrhunderts  (Stadtaivhivar  Pick) ;  Eine  Bittfahrt  zur  St.  Rumolduskirche 
in  Mecheln  1347  (derselbe). 

12.  Am  4.  August:  Die  vormalige  Bruderschaft  vom  Leiden  Jesu  in 
der  St.  Peterspfarre  zu  Aachen  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wacker);  Bericlri  über 
die  dem  Verein  geschenkten  üeberreste  des  Schönauer  Archivs  (Gymnasial- 
lehrer Dr.  Wieth). 

13.  Am  27.  Oktober  (Generalversammlung):  Das  Mailehn  in  Aachen 
(Staatsanwaltschafts-Sekretär  Schellen);    Die  Sakramentsbruderschafl  in  der 


Ins  Chronik  des  Vereins  1885/87. 

Pfarrei  St.  Foüan  zu  Aachen  (Kaplan  Schnock);  Die  Reise  einer  Aachener 
Gesandtschaft  nach  Brüssel  im  J.  1744  (Stadtarchivar  Pick). 

14.  Am  13.  Dezember:  Alte  Hänsernamen  in  Aachen  (Stadtarchivar 
Pick);  Die  innere  Umwallung  Aachens  (Architekt  Rhoen). 

In  der  Versammlung  vom  24.  Juli  1886  war  auf  Anregung  des  Herrn 
Stadtarchivar  Pick  beschlossen  worden,  Sommerausflüge  nach  geschichtüch 
merkwürdigen  Punkten  der  Umgegend  in  das  Programm  des  Vereins  auf- 
zunehmen. Infolge  dessen  wurden  bisher  drei  Ausflüge  veranstaltet,  und 
zwar : 

1.  Am  29.  Juli  1886  nach  Alt-Schurzelt,  Seffent  und  Meisten.  Unter 
der  kundigen  Führung  des  Herrn  Vikar  Gross  wurde  zunächst  der  Hof 
Alt-Schurzelt,  das  Cirsoli  in  der  Urkunde  König  Zwentebolds  vom  J.  896, 
und  der  dort  aufgestellte,  1885  in  der  Nähe  des  Hofes  aufgefundene  römische 
Steinsarg  besichtigt.  Die  weitere  Wanderung  führte  durch  das  Seffenter 
Thal  nach  Seffent,  wo  man  die  Reste  des  einstmaligen  Königsguts,  einen 
Fisehweiher  und  einen  terrassenförmig  angelegten  Baumgarten  (vormals 
wohl  der  zu  jenem  Gut  gehörige  Weinberg),  sowie  den  alten  Fronhof 
in  Augenschein  nahm.  An  den  sieben  Quellen  vorbei  ging  es  nach 
Melaten,  dessen  architektonisch  merkwürdige  Kapelle  das  Interesse  Aller 
lebhaft  fesselte. 

2.  Am  4.  August  1886  nach  Friesenrath  und  Coriielimünster.  Bei 
Fricsenrath  liegt  die  mit  Gestrüpp  bedeckte  Ruine  eines  römischen  Wart- 
thurms,  vom  Volke  die  Maiburg  genannt,  Die  Umrisse  sind  im  Ganzen 
noch  deutlich  erkennbar,  die  Einzelheiten  aber  wegen  des  überwuchernden 
Strauchwerks  nicht  mehr  zu  unterscheiden.  Nach  eingehender  Besichtigung 
dieser  Ruine  wandte  man  sich  dem  Hauptziel  des  Ausflugs,  dem  alten  von 
dem  vorbeifliessenden  Flüsschen  so  genannten  Inda,  dem  heutigen  Corncli- 
münster  zu.  Die  Merkwürdigkeiten  des  Orts,  namentlich  die  Abteikirche 
und  die  auf  dem  Berge  gelegene,  arg  verwahrloste  ehemalige  Pfarrkirche, 
wurden  in  Augenschein  genommen  und  ihre  Geschichte  in  kurzen  Umrissen 
von  Herrn  Dr.  Scheen,  der  mit  dankenswerther  Bereitwilligkeit  die  Führer- 
schaft übernommen  hatte,  dargelegt. 

3.  Am  28.  Juni  1887  nach  Stolberg,  wo  die  seit  1881  dem  Bahnhof 
gegenüber  aufgedeckten  Grundmauern  einer  römischen  Villa  und  die  im 
Orte  selbst  aufragende  Burgruine,  an  deren  Stelle  einst  nach  derVolkssagc 
ein  Jagdschloss  Karls  d.  Gr.  gestanden  haben  soll,  besichtigt  wurde. 

Von  der  Herausgabe  einer  monatlich  erscheinenden  Vereinszeitschrift, 
wie  sie  anfänglich  beabsichtigt  war,  musste  vor  der  Hand  aus  finanziellen 
(iründen  abgesehen  werden;  dagegen  liess  der  Verein  im  Februar  1887  ein 


Chronik  des  Vereins  1885/87.  ls'.i 

erstes  Heft  seiner  Mittheilungen  erscheinen,  dem  Anfangs  ISNS  das  Schluss- 
heft  des  ersten  Jahrgangs  folgen  soll. 

Der  Vereinsbibliothek  wurde  von  dem  Aachener  Geschichtsverein  und 
den  Herren  Fabrikant  Macco,  Buchhalter  F.  Peltzer,  Stadtarchivar  Pick, 
Gymnasiallehrer  Dr.  Wattendorff  und  Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth  mehrere 
zum  Theil  werthvolle  Schriften  geschenkweise  zugewandt.  Sodann  schenkte 
Herr  Vikar  Gross  bei  der  Uehersiedlung  uach  Kalk  in  Folge  seiner  Er- 
nennung zum  Pfarrer  daselbst  dem  Verein  die  in  seinem  Besitz  befindlichen 
Ueberreste  des  Schönauer  Archivs.  Ein  Verzeichniss  der  einzelnen  Stücke, 
welche  demnächst  dem  Aachener  Stadtarchiv  als  Depositum  überwiesen 
werden  sollen,  wird  eines  der  nächsten  Hefte  der  Mittheilungen  bringen. 

In  Schriftenaustausch  trat  der  Verein  mrl  dem  Aachener  Geschichts- 
verein, dem  Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  zu  Frankfurt  a.  AI. 
und  dem  Verein  Herold  zu  Berlin. 

Am  Ende  einer  zweijährigen  Wirksamkeit  darf  der  Verein  mit  Genug- 
thuung  auf  seine  bisherigen  Leistungen  und  Erfolge  zurückblicken.  Er  gib! 
sich  der  Hoffnung  hin,  dass  das  "Wohlwollen,  welches  er  bis  jetzt  nah  und 
fern  gefunden,  ihm  auch  in  der  Folge  erhalten  bleibe  und  insbesondere  die 
Bürgerschaft  der  Städte  Aachen  und  Burtscheid  fortfahren  werde,  sieh  an 
seinem  schönen  Streben  nach  Kräften  zu  betheiligen.  Die  mehrfach  gehegte 
und  vereinzelt  ausgesprochene  Befürchtung,  seine  Gründung  möchte  dem 
in  Aachen  bereits  seit  1879  bestehenden  „Geschichtsverein"  Schaden  bringen, 
hat  sich,  wie  die  Stifter  der  neuen  Gesellschaft  mit  Gewissheit  voraussahen, 
nicht  verwirklicht.  Im  Gegentheil  ist  die  Zahl  der  Mitglieder  jenes  Vereins 
seitdem  beträchtlich  gewachsen.    Der    richtigen  Auffassung  hat  denn  auch 

der  Präsident  des  Aachener  Geschichtsverems,  Herr  Professor  Dr.   I rsch. 

jüngst  in  der  Generalversammlung  desselben  mit  den  Worten  Ausdruck 
geliehen,  dass  die  Gründung  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit 
als  ein  Symptom  des  steigenden  Interesses  für  die  lokale  Geschichtsforschung 
anzuseilen  sei,  weshalb  man  ihm   bestes  Gedeihen  wünschen  müsse. 


Statuten. 

§  1.  Der  „Verein  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit"  hat  den  Zweck. 
besonders  che  Geschichte  der  Städte  Aachen  und  Burtscheid,  des  Aachener 
Reichs  und  der  nächsten  Umgebung  nach  jeder  Seite  zu  erforschen  und 
möglichst  zum  Gemeingut  zu  machen. 

§  2.  Diesen  Zweck  will  der  Verein  durch  Wort  und  Schrift  erreichen. 
Darum  bält  er 

a)  in  der  Regel  monatliche  Versammlungen  ab,  in  denen  durch 
Vorträge  oder  Besprechungen  die  Kunde  von  der  Vergangenheit 
vermittelt  wird,  und  gibt 

b)  eine  Monatsschrift  unter  dem  Titel  „Aus  Aachens  Vorzeit." 
heraus  l. 

§  3.  Der  Verein  besteht  aus  ordentlichen  Mitgliedern  und  Ehrenmit- 
gliedern. Ordentliches  Mitglied  kann  Jeder  werden,  der  sich  zur  Zahlung 
eines  Jahresbeitrags  von  drei  Mark  verpflichtet.  Die  Aufnahme  erfolgt  nach 
Anmeldung  beim  Vorstand  durch  Aushändigung  der  Mitgliedskarte.  Zu 
Ehrenmitgliedern  werden  Männer  gewählt,  welche  sich  durch  wissenschaft- 
liche oder  sonstige  Leistungen  um  den  Verein  besonders  verdient  gemacht 
haben;  sie  zahlen  keinen  Beitrag,  haben  aber  alle  Eechte  der  ordentlichen 
Mitglieder.  Die  Ehrenmitglieder  ernennt  auf  Antrag  des  Vorstands  die 
Generalversammlung. 

§  4.   Die  Mitgliedschaft  geht  verloren: 

a)  durch  schriftliche  Abmeldung  beim  Vorstand ; 

b)  durch  den  Tod. 

Auch  hat  der  Vorstand  das  Recht,  solche  Mitglieder,  welche  den 
Zwecken  des  Vereins  entgegenwirken  oder  sich  den  notliwendigen  Anord- 
nungen des  Vorsitzenden  in  den  Versammlungen  nicht  fügen,  aus  dem 
Verein  auszusehliessen. 


')  Durch  Beschluss  der  (Generalversammlung  vom  27.  Oktober  1887  wurde  für 
die  Vereinszeitschrift,  der  Titel  „Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener 
Vorzeit"  eingeführt. 


Statuten.  191 

$  f).  Die  Mitglieder  und  Ehrenmitglieder  haben  das  Recht,  sich  an  allen 
Vereinsversammlungen  zu  betheiligen  und  die  Yereinsbibliothek  zu  benutzen. 
Auch  erhalten  sie  die  Veröffentlichungen  des  Vereins  unentgeltlich. 

§  6.  Der  Vorstand  des  Vereins  besteht  aus  einem  ersten  und  zweiten 
Vorsitzenden,  einem  ersten  und  zweiten  Schriftführer,  einem  Redakteur, 
einem  Bibliothekar,  einem  Schatzmeister  und  fünf  Beisitzern.  Der  Vorstand 
wird  alle  drei  Jahre  von  der  Generalversammlung  durch  Stimmenmehrheit 
gewählt.  Scheidet  vor  Ablauf  dieser  Frist  ein  Mitglied  aus  dem  Vorstand 
aus,  so  ist  derselbe  berechtigt,  sich  durch  Kooptation  zu  ergänzen.  Der 
erste  oder -bei  dessen  Verhinderung  der  zweite  Vorsitzende  vertritt  den 
Verein  nach  aussen,  beruft  und  leitet  die  General-  und  Monatsversammlungen. 
sowie  die  Vorstandssitzungen.  Bei  den  etwa  entstehenden  Debatten  h.it  er 
besonders  darauf  zu  achten,  dass  dieselben  in  würdiger  Weise  geführt 
werden  und  nicht  auf  das  Gebiet  der  Religion  und  Politik  binüberschweifen. 

Der  Schriftführer  besorgt  die  Protokolle  und  unterzeichnet  mit  dem 
Vorsitzenden  die  Ausfertigungen. 

Dem  Redakteur  liegt  die  Herausgabe  der  Veröffentlichungen  unter 
seiner  alleinigen  Verantwortung  ob. 

Der  Schatzmeister  erledigt  die  Geldgeschäfte  des  Vereins  unier  der 
Kontrole  des  Vorstands.  Auszahlungen  finden  nur  statt  auf  Anweisung  des 
ersten  bezw.  zweiten  Vorsitzenden  und  des  Schriftführers. 

§  7.  Die  Generalversammlung  findet  jährlich  im  Oktober  statt.  Die  Ein- 
ladung zu  derselben  erfolgt  durch  öffentliche  Bekanntmachung  unter  Bei- 
fügung der  Tagesordnung.  Mit  der  Generalversammlung,  wird  regelmässig 
der  Bericht  über  die  Lage  des  Vereins  und  seiner  Kasse  verbunden. 

Anträge  an  die  Generalversammlung  sind  spätestens  bis  zum  L5. 
September  beim  Vorstand  einzureichen. 

§  8.  Abänderungen  der  Statuten  können  nur  durch  drei  Viertel  derauf 
der  Generalversammlung  anwesenden  Mitglieder  beschlossen  werden. 

§  9.  Bei  Auflösung  des  Vereins  fallen  die  Bücher  der  städtischen  Biblio- 
thek, die  Urkunden  dem  städtischen  Archiv  und  das  Baarvermögen  dem 
Suermondt-Museum  zu. 


Yerzeichniss  der  Mitglieder. 

(Endo  Dezember  1887.) 


I.  Vorstand. 

Erster  Vorsitzende:  Wacker,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Zweiter  Vorsitzende:  Schnock,  H.,  Kaplan  in  Aachen. 

Erster  Schriftführer:  Wieth,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Zweiter  Schriftführer:  Rhoen,  C,  Architekt  in  Aachen. 

Redakteur:  Pick,  E.,  Stadtarchivar  in  Aachen. 

Bibliothekar:  Schollen,  M.,  Staatsanwaltschafts-Sekretär  in  Aachen. 

Schatzmeister:  Kremer,  F.,  Buchhändler  in  Aachen. 

Beisitzer:  Abels,  H.,  Chefredakteur  in  Aachen. 

Klinkenberg,  Dr.  H.,  Gymnasiallehrer  in  Köln. 

Mac co,  H.  F.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Müllenmeister,  Th.,  Tuchfabrikant  in  Aachen. 

Schaff rath,  J.,  Stadtverordneter  in  Aachen. 

IL  Mitglieder. 

Abels,  H.,  Chefredakteur  in  Aachen. 

A  Isters,  Dr.  N.,  Gymnasial-Oberlehxer  in  Aachen. 

Appelrath,  F.,  Kaufmann  in  Lmdenthal. 

Becker,  J.,  Pfarrer  in  Hallschlag. 

B  o  c  k,  P.,  Nadelfabrikant  in  Aachen. 

Bock,  C.  jun.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Böckeier,  BZ.,  Stiftsvikar  und  Domchordirigent   in  Aachen. 

Böhmer,  stud.  ehem.  in  Aachen. 

Bohlen,  J.,  Rechtsanwalt  in  Aachen. 

Bruch,  R.,  Fabrikant  in  Burtscheid. 

<  !a  pell  man  n.   I.'.,  <  reoineter  in   Aachen 


Verzeiehniss  der  Mitglieder.  193 

Chantrain  e,  Dr.  "W\,  Arzt  in  Aachen. 

Clar,  M.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Cornely.  Bürgermeister  a.  D.  in  Elchenrath. 

Oo ss mann,  Th.,  Möbelfabrikant  in  Aachen. 

Creme  r.  Chr.  J.,  Architekt  in  Aachen. 

Creutzer,  A.,  Buchhändler  in  Aachen. 

Cnrtins,  Dr.  A.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

D ahm en,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Daverkosen,  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Demense,  H.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Dresemann,  Dr.  0.  in  Aachen. 

Driessen,  J.  L.,  Vikar  in  Prummereii. 

Effer,  Dr.,  ProgymnasiaÜehrer  in  Enpen. 

Eibern,  M.,  Architekt  in  Aachen. 

Erven s,  J.  P.,  Banquier  in  Aachen. 

Eschweilor,  H.,  Handelsgärtner  in  Aachen. 

Eschweiler,  J.  ,L,  Religionslehrer  in  Aachen. 

Feldmann,  J.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Ferbeck,  J.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Fey,  Joh.,  Gerichtsassistent  in  Aachen. 

Fey,  Jos.,  Rentner  in  Aachen. 

Firmanns,  Apotheker  in  Altenberg. 

Firmanns,  J.,  Juwelier  in  Aachen. 

Flaam,  Vikar  in  Immendorf. 

Flamm,  J.  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Fl e seh,  Vikar  in  Eschweiler. 

Förster,  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Forckenbeck,  0.  von,  Bürgermeister  a.  D.  in  Aachen. 

Fürth,  Freiherr  H.  A.  von.  Landgerichtsrath  a.  D.  in   lachen. 

Geyer,  Dr.  H.,  Schulamtskandidat  in  Horbach. 

Gobi  et,  A.,  Seifenfabrikant  in  Aachen. 

Goebbels,  Jos.,  Architekt  in  Aachen. 

Goecke,  Dr.  W.,  Realschul-Oberlehrer  in  Aachen. 

Grimmendahl,  Dr.  P.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Gross,  H.  J.,  Pfarrer  in  Kalk. 

Hagelücken,  F.,  Realsclmllelnvr  in  Aachen. 

Hammers,  H.,  Photograph  in  lachen. 

Heinen,  Dr.  L.  J.,  Arzt  in  Aachen. 

Henues,  F.,  Rentner  in   Aachen. 

18 


I!i|  Verzeichniss  der  Mitglieder 


&' 


II  on  trieb,  Aktuar  in  Aachen. 

Her  man  düng,  L.,  Lehrer  in  Aachen. 

Hermens,  J.,  Spediteur  in  Aachen. 

Herren,  L.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Heus  eh,  A.,  stud.  iur.  et  cam.  in  Aachen. 

Hoff,  H.  von  den,  Rechtsanwalt  in  Aachen. 

Jaul us,  Dr.  H.,  Rabbiner  in  Aachen. 

Jonas,  Dr.  Chr.  J.,  Religionslehrer  in  Aachen. 

Kahl  au,  H.  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Koller,  L,,  Kaufmann  in  Crefeld. 

Kesselkaul,  E.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Kessels,  Rektor  in  Heerlen. 

Kl  aus  euer,  Referendar  a.  D.  und  Stadtverordneter  in  Burtscheid. 

Klein,  Dr.  "W.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Klinkenberg,  Dr.  H.,  Gymnasiallehrer  in  Köln. 

Klinkenberg,  H.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Kloth,  J.,  Konditoreibesitzer  in  Aachen. 

Knapp,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Krem  er,  F.,  Buchhändler  in  Aachen. 

Krichel,  J.  M.,  Rendant  in  Aachen. 

Kruszewsky,  Dr.  A.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

K  ü  p  e  r,  "W.,  Rektor  in  Aachen. 

Kuetgens,  P.,  Stadtverordneter  in  Aachen. 

Langebeck,  .].,  Kaufmann  in  Aachen. 

Lauffs,  "W.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Leyen,  E.  von  der,  Rittergutsbesitzer  in  Bonn. 

Linnartz,  W.,  Direktor  der  Taubstummenanstalt  in  Aachen. 

Lob,  R.,  Tuchfabrikant  in  Aachen. 

Lörkens,  Dr.  J.,  Gerichtsassessor  in  Köln. 

Loersch,  Dr.  H.,  Professor  der  Rechte  in  Bonn. 

Lovens,  J..  Pianofoitefabrikant  in  Aachen. 

Lückerath,  "W.,   Kaplan  und  Lehrer  an  der  höhern  Schule  in  Heiusberg. 

Lussem,  J..  Kaplan  in  Aachen. 

Mac co,  H.  F.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Meder,  Dr.  J.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Meessen,  Bauunternehmer  in  Forst. 

Menghius,  W.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Meurer,  Dr.  A.,  Realgymnasiallehrer  in  Aachen. 

Müllenmeister,  .!.,  Tuchfabrikant  in  Aachen. 


Verzeichniss  der  Mitglieder.  L9f 

Müllenmeister,  Th.,  TucMabrikarit  in  dachen. 

Nelson,1«!.,  Oberlehrer  in  Aachen. 

Neu,  F.,  Keligionslelirer  in  Aachen. 

Neufforge,  E.  Th.  von,  Kaufmann  in  Aachen. 

Ni  essen,  Architekt  in  Aachen. 

Ochs,  Kaplan  in  Aachen. 

Oppenhoff,  M.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Ortmanns,  P.,  Tuchfabrikant  in  Aachen. 

Palm;  F.  N,  Buchdruckereibesitzer  in  Aachen. 

Pauls,  E.,  Apotheker  in  Bedburg. 

Peppermüller,  H.,  Bibliothekar  der  technischen  Hochschule  in  Aachen. 

Peetz,  Kaufmann  in  Aachen. 

Philipps,  F.  in  Düren. 

Pick,  E.,  Stadtarchivar  in  Aachen. 

Pier,  H.  von,  Nadelfabrikant  in  Aachen. 

Pier,  L.  von,  Nadelfabrikant  in  Aachen. 

Planker,  S.,  Stadtdechant  in  Aachen. 

Printzen,  Dr.  "W.,  Progymnasiallehrer  in  Eschweiler. 

Pschmadt,  J.,  Realgyrnnasial- Vorschullehrer  in  Aachen. 

Pütz,  Kaufmann  in  Aachen. 

Key,  van,  Kaufmann  in  Aachen. 

Rhoen,  C,  Architekt  in  Aachen. 

Richter,  J.,  Bauinspektor  a.  D.  in  Bonn. 

S aedler,  J.  H.,  Pfarrer  in  Derendorf. 

Saget,  P.,  Redakteur  in  Aachen. 

Schaf frath,  J.,  Stadtverordneter  in  Aachen. 

Scheen,  Dr.,  Arzt  in  Comelimünster. 

Schervier,  A.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Schlenter,  H.,  Gerichtssekretiir  in  Aachen. 

Schmitz,  Kaplan  in  AValheirn. 

Schmitz,  .1..  Fabrikdirektor  in  Aachen. 

Schneider,  Dr.  J.,  Professor  in  Düsseldorf. 

Schnock,  H.,  Kaplan  in  Aachen. 

Schnütgen,  M.,  Religionslehrer  in  Aachen. 

Schollen,  M.,  Staatsanwaltschafts-Sekretär  in  Aachen. 

Schriever,  C,  Gerichtsassistent  in   Aachen. 

Schwartzenberg,  F.  von,  Steinmetzmeister  in   Aachen. 

Schweitzer,  J.,  Buchhändler  in  Aachen. 

Servais.   Apotheker  in    Aachen. 

l.: 


196  Verzeichniss  der  Mitglieder. 

Sommer,  J.,  Gymnasial-Oberlehror  in  Aachen. 
Spelz,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Stein,  F.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Strom,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Theissen,  Dr.  F.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Thisson,  F.,  Kanzleirath  in  Aachen. 
Timm erm ans,  .T.  L.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Urlichs,  B.,  Buchdruckereibesitzer  in  Aachen. 
Yaassen,  Dr.  B.,  Bechtsanwalt  in  Aachen. 
Veith,  C.  von,  Generalmajor  z.  D.  in  Bonn. 
Vi  gier,  L.,  Schirmfabrikant  in  Aachen. 
Vogelgesang,  K.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Wacker,  Dr.  K,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
"VVangemann,  Dr.  A.,  Zahnarzt  in  Aachen. 
Wangemann,  Dr.  P.,  Zahnarzt  in  Aachen. 
Wattendorff,  Dr.  J.,  Gymnasiallehrer  in  Emmerich. 
Weerth,  Dr.  E.  aus'm,  Professor  in  Kessenich. 
Welt  er,  H.,  Beferendar  in  Aachen. 
Wendland,  L.,  Pfarrer  in  Bheinhach. 
Wergifosse,  E.,  Bektor  in  Aachen. 
Weyers,  B.,  Buchhändler  in  Aachen. 
Wiertz,  P.,  Bierhrauereibesitzer  in  Aachen. 
Wieth,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Zimmermann,  K.,  Beigeordneter  in  Aachen. 


Druck  vm  F.  N.  Palm  in  Aachen. 


MITTIIEILUNGEN  DES  VEREINS  FÜR  KINDE  DER  AACHENER  VORZEIT. 


IM  AUFTRAG  DES  VORSTANDES  HERAUSGEGEBEN 


VON 


m   KARL  WIETH. 


(JIIT  1  PLAX  UXD  1  SKIZZE.) 


ZWEITER  JAHRGANG. 


AACHEN. 

Kommissions-Verlag  der  Ceemer'schen  BuCHHANin-irMi  (C.  Cazin). 

1889. 


INHALT. 


Seite 

1.  Der  angebliche  Aachener  Stadtbrand  1146.    Von  R.  Pick 1 

2.  Die  Aachener  Stadtpläne.    Von  C.  Rhoen  (Mit  Abbildung)     ....  4 

3.  Ein  in  Aachen   entstandenes  Schauspiel  und  Siegeslied   zur  Befreiung 
Wiens  von  den  Türken  im  September  1683.    Von  E.  Pauls.     .     .     .  10 

4.  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Zur  Biographie  des  Pfarrers  Heinrich  Brewer.    Von  R.  Pick     .  12 

2.  Domgraf  und  Schuz.    Von  W.  Weit z 14 

3.  Das  Grundhaus  bei  Aachen.    Von  R.  Pick 15 

5.  Fragen 16 

6.  Vereinsangelegenheiten 16 

7.  Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen.    Von  S.  Planke r 17 

8.  Zur  Granussage.    Von  E.  Pauls 21 

9.  Die  Aachener  Stadtpläne.    Von  C.  Rhoen  (Schluss) 26 

10.  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Eine  Aachener  Silbermünze  von  1419.    Von  R.  Pick 31 

2.  Die  Bruderschaft  der  Wollen  weber-Gesellen  in  Aachen.  Von  R.  Pick  32 

11.  Fragen 32 

12.  Antworten 32 

13.  Vereinsangelegenheiteu 32 

14.  Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen.    Von  S.  Planker  (Fortsetzung)  33 

15.  Zur  Erklärung  des  Namens  Marschierstrasse.    Von  K.  Wieth     .     .     .  37 

16.  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Die    Retheischen    Fresken    im    Rathhaussaale    zu    Aachen.     Von 

A.  Curtius 43 

2.  Heinrich  Copzoo.    Von  R.  Pick 44 

3.  Eine  Bescheinigung  des  Vorstandes  der  Aachener  Bäckerzunft  1647. 
Von  E.  Pauls 44 

17.  Fragen »."> 

18.  Autworten 46 

19.  Chronik  des  Vereins  1888 47 

20.  Bücheranzeige 48 

21.  Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen.    Von  S.  Planker  (Schluss)  .     .  49 

22.  Der  Luftschiffer  Franz  Blanchard  zu  Aachen  im  Jahre  1786.  Von  E.Pauls  53 

23.  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Der  erste  Buchdrucker  in  Aachen.    Von  B.  M.  Lersch  .     .     .     .  61 

2.  Meteorstein  oder  Hagelstein  ?    Von  B.  M.  Lersch 61 

3.  Aachener  Tuch.    Von  B.  M.  Lersch 61 

4.  Karl  der  Grosse  im  Bade.    Von  B.  M.  Lersch 61 

5.  Eine  Aachener  Wachtordnung  aus  dein  Jahre  1759.  Von  B.  Schnoi  k  gl 

24.  Fragen 62 

25.  Antworten 62 

26.  Vereinsano'eleq'enlieiten 64 

27.  Bücheranzeige 64 


Seite 

28.  Aquisgrani?    Von  B.  M.  Lersch 66 

29.  Ein  Aachener  Schuldrama  des  18.  Jahrhunderts.    Von  E.  Pauls     .     .  75 

30.  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Nachgrabungen   in  Cornelimünster   nach  dem  Grabe   des  heiligen 
Benedikt  von  Aniane.    Von  H.  Schnock 77 

2.  Der  Vogelfang  bei  Maxen,  den  20.  und  21.  Novembris  1759.    Von 

K.  Wieth 80 

31.  Vereinsangelegenheiten 80 

32.  Zur  Baugeschichte  des  Grashaiises.    Von  C.  Bhoen 81 

33.  Zur  Geschichte  der  Aachener  Patrizierhäuser.    Von  C.  W.  Menghius  89 

34.  Kleinere  Mittheilungen: 

1.  Kornpreise  in  Aachen  in  den  Jahren  1560 — 1628  und  1708 — 1713. 
Von  C.  Böhmer 91 

2.  Ausgrabungen  auf  dem  Stephanshofe,  der  Prinzenhofkaserne  und 

in  der  Korneliusstrasse.    Von  K.  Wieth  (Mit  Skizze)      ....  94 

35.  Vereinsangelegenheiten 96 

36.  Namen  in  Aachen.    Von  H.  Kelleter 97 

37.  Verhaltungsmassregeln  in  Pestzeiten.    Von  C.  Böhmer 108 

38.  Fragen , 112 

39.  Das  Landschiff  von  Cornelimünster  im  Jahre  1133.    Von  K.  Wieth    .  113 

40.  Kleinere  Mittheilungen: 

Der  Rodensteiner.    Von  K.  Wieth 123 

41.  Verzeichniss  der  Vereinsmitglieder 124 


<  ••'  » 


Vereinsangelegenheiten. 

1.  Generalversammlung  am  Mittwoch  den  9.  Oktober  1889, 
Abends  7x/2  Uhr,  im  Hotel  zum  Elephanten  (Ursulinerstrasse). 
Tagesordnung:  Jahresbericht.  Vorträge:  Aachens  Thermen. 
Beitrag  zur  Glockenkunde  Aachens.  Zur  Erklärung  des  Namens 
Lousberg.     Miscellen. 

2.  Monatsversammlung  am  Mittwoch  den  6.  November  1889, 
Abends  11\2  Uhr,  im  Hotel  zum  Elephanten  (Ursulinerstrasse). 

3.  Monatsversammlung  am  Mittwoch  den- 11.  Dezember  1889, 
Abends  7J/2  Uhr,  im  Hotel  zum  Elephanten  (Ursulinerstrasse). 


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Jährlich  8  Nummern 

ä  1   Bogen  ltoynl  Oktav. 

Preis  des  Jahrgangs 

4  Mark. 


Kommissions  -Verlag 

der 

( Iremer'schen  Buchhandlung 

ll'.  Ca  /.im 

in  Aachen. 


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Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 

Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  Dr,  K.  Wieth. 


Nr.  1. 


Zweiter  Jahrgang*. 


1888. 


Inhalt:  R.  Pick,  Der  angebliche  Aachener  Stadtbrand  1146.  -  C.  Rhoen,  Die  Aachener 
Stadtpläne.  —  E.  Pauls,  Ein  in  Aachen  entstandenes  Schauspiel  und  Siegeslied  zur  Feier 
der  Befreiung  Wiens  von  den  Türken  im  September  1683.  -  Kleinere  Mittheilungen:  Zur 
Biographie  des  Pfarrers  Heinrich  Brewer.      -  Domgraf  und  Sehn/.         Das  Grundhaus  bei 

Aachen.    -  Fragen.  —  Vereinsangelegenheiten. 


Der  angebliche  Aachener  Stadtbrand  1146. 

Von  R.  Pick. 

In  den  lokalgeschichtlichen  Schriften  über  Aachen  begegnet  man  viel- 
fach der  Angabe,  dass  im  Jahre  1146  ein  grosser  Brand,  der  erste  uns 
bekannte,  die  Stadt  verwüstet  habe,  ja  es  wird  sogar  behauptet,  dass 
Aachen  bei  diesem  Brande  fast  völlig  zerstört  worden  sei1.  .Man  stützt 
sich  hierbei,  soweit  überhaupt  auf  eine  ältere  Quelle  Bezug  genommen 
wird,  auf  die  wahrscheinlich  von  Geistlichen  dvs  Älarienstifts  nieder- 
geschriebenen Aachener  Annalen  (Annales  Aquenses),  die  allerdings  zum 
Jahre  114(>  von  einer  auch  anderwärts2  bezeugten  Hungersnot!)  und  zugleich 
von   einem   Brande   in    Aachen    berichten,    von    letzten»    mit    den  knappen 


')  Vgl.  Meyer,  Aachensehe  Geschichten  I,  S.  249;  C.  P.  Bock,  Geschichtliche 
Darstellung  des  Aachener  Rathhauses  S.  7'.)  ff.;  Eaagen,  Geschichte  Lehens  1.  S.  122; 
Kessel  und  Rhoen  in  der  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  III,  S.  7.~>;  Rhoen, 
Zur    Aachener    Befestigungsfrage    S.    18.  Der    älteste    Geschichtschreiber     Lachens, 

P.  a  Beeck  (Aquisgranum  p.  115),  schliessl  sich  eng  an  die  Aachener  Annalen  an:  irre- 
cuperabili  quoque  clade  ignis  ibidem  conflagrauit  (auch  bal  das  Feuer  daselbst  unersetz- 
lichen Schaden  gethan). 

2)  Vgl.  ■/,.  li.  Annales  Brunwilarenses   zum   Jahre  1146   bei    Böhmer,    Fontes    III. 
]>.  887;  Annales  Rodenses  bei  Emst-Lavalleye,  Histoire  du  Limbourg  VII,  p.  60.    Dil 
Chronica    regia    Coloriiensis   (!><•;. untere   Ausgabe   aus   den    Mon.    Genn.)    p.    82    setzl    die 
Hungersnot!)  ins  Jahr  1 1  17. 


—  '2  — 

Worten:  „Aquis  irrecuperabiliter  concrematum  est."  So  lautet  die  Stelle 
in  dem  neuesten,  von  G.  Waitz  besorgten  Abdruck  der  Annalen  *,  während 
sich  in  den  frühem  Ausgaben  derselben2  zwischen  Aquis  und  irrecupera- 
biliter noch  das  Wörtchen  (hie)  eingeschoben  findet. 

Man  kann  nicht  gerade  sagen,  dass  der  Sinn  der  Stelle  auch  ohne 
das  völlig  unverständliche  hie 3  ein  besonders  klarer  sei,  dass  es  sich  aber 
hier  nicht  um  einen  grössern  Stadtbrand  handelt,  dürfte  doch  aus  den 
AVorten  selbst  und  mit  mehr  Gewissheit  noch,  wie  mir  scheint,  aus  ander- 
weitigen Nachrichten  zu  erweisen  sein. 

Unterzieht  man  zunächst  den  Wortlaut  einer  kritischen  Prüfung,  so 
kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  Aquis  hier  nicht  als  Nominativ,  sondern 
als  Ablativ  von  Aquae  gebraucht  ist,  also  deutsch  „zu  Aachen"  heisst. 
Hierfür  spricht  einmal  die  sächliche  Form  des  Zeitworts,  concrematum  est, 
welche  sich  sonst  in  den  Annalen  nur  bei  unflektirbaren  Namen  kleiner 
Festen  wie  Lemborch  (Limburg),  Hemesberch  (Heinsberg)  u.  s.  w.  ange- 
wandt findet,  während  bedeutendere  Orte  wie  Köln,  Jerusalem  und 
andere  in  regelrechter  Weise  weiblich  benannt  sind,  dann  aber  auch 
der  Umstand,  dass  der  lateinische  Name  für  Aachen,  mag  nun  Aquae 
oder  Aquisgranum  gewählt  sein,  in  den  Annalen  stets  flektirt  wird 
und  in  richtiger  grammatischer  Anwendung  vorkommt.  So  heisst  es, 
um  nur  zwei  Beispiele  anzuführen,  zum  Jahre  1107:  Godefridus,  dux 
Lovaniensis,  Aquas  invasit  et  ducem  Heinricum  expulit  (Gottfried,  Herzog 
von  Löwen,  drang  in  Aachen  ein  und  vertrieb  den  Herzog  Heinrich); 
zum  Jahre  1163:  Domus  militum  destruete  sunt  Aquis  iussu  imperatoris 
.  Friderici,  quia  leserant  canonicos  sanete  Marie  Amelium  et  Lambertum 
Curcum  (Die  Häuser  der  Kitter  wurden  zu  Aachen  auf  Befehl  des  Kaisers 
Friedrieh  zerstört4,  weil  sie  die  Kanonichen  des  Marienstifts  Amelius  und 
Lambert  Curcus  verwundet  hatten).  Ist  aber  Aquis  die  Ablativform,  so 
kann  das  Zeitwort  concrematum  est  nicht  anders  als  unpersönlich  auf- 
gefasst  und  deutsch  durch  „es  hat  gebrannt"  übersetzt  werden,  man  müsste 
denn  annehmen,  dass  der  Text  der  fraglichen  Stelle  verstümmelt  und  das 
Subjekt,  etwa  palatium  oder  ein  sonstiges  Neutrum,  von  dem  Abschreiber 
übersehen  worden  sei,  was  zwar  möglich,  aber  nicht  gerade  wahrscheinlich 
ist.     Der  impersönliche  Gebrauch  des  Wortes  concremare  oder  des  gleich- 


0  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  p.  37. 

2)  Quix,  Codex  dipl.  Arjuensis  no.  100,  p.  71;  Böhmer  1.  c.  III,  p.  393;  Ernst- 
Lavallcye  1.  c.  VI,  p.  79. 

:!)  Vgl.  Böhmer  1.  c.  III,  p.  LIX,  wo  auch  über  den  Mangel  an  „Sinn  für  die 
Wissenschaft  und  Verständniss  derselben"  in  Aachen  sehr  beherzigenswerte  Worte  zu 
lesen  sind,  in  dem  frühern  Abdruck  der  Annalen,  Mon.  Germ.  SS.  XVI,  p.  686,  vermuthet 
Pertz  in  dem  (hie)  bei  Quix  und  Ernst-Lavalleye  einen  Druckfehler  für  (sie);  die  neue 
auf  Grund  der  inzwischen  wiederaufgefundenen  Handschrift  des  13.  Jahrhunderts  ver- 
anstaltete Ausgabe  (s.  Anm.  1)  bemerkt  darüber:  „hie."  inseruit  apographum  Ernstii;  sed 
eiusmodi  nihil  codex. 

4)  Die  Zerstörung  eines  Banscs  als  Strafe  findet  sich  im  Mittelalter  öfters,  vgl. 
Quix  1.  c.  no.  209,  p.  138;  Loersch,  Achener  Rechtsdenkmäler  S.  37;  Böhmer,  Acta. 
imperii  selecta  no.  146,  p.  138. 


—  3  — 

bedeutenden  comburere  ist  der  mittelalterlichen  Schreibweise  nicht  fremd. 
In  der  Ausgaberechnung  der  Stadt  Aachen  von  1376/77  findet  sich  z.B.: 
[tem  portantibus  amarum,  guando  comburebatur  in  Kurtscheil,  8^2  ni. ' 
(Ferner  den  Ahmträgern,  als  es  in  der  Strasse  Queue  de  chaine  brannte, 
s1  ,  Mark). 

Winl  demnach  in  den  Annalen  berichtet,  dass  es  1146  in  Aachen 
gebrannt  habe,  so  zeigt  das  beigefügte  irrecuperabiliter,  uirwiedererlangbar, 
dass  von  dieser  Feuersbrunst  nicht  sowohl  eine  grössere  Zahl  von  durch- 
gängig wohl  ans  Lehm  und  Fachwerk  errichteten  Wohngebäuden,  die  sieh 
wahrlich  alle  ersetzen  Hessen,  als  vielmehr  ein  hervorragendes  Bauwerk 
betroffen  wurde,  das  nach  seiner  Zerstörung  durch  Brand  in  der  frühern 
Weise  oichi  wiederherzustellen  war.  Was  für  ein  Gebäude  es  war,  lä 
sieh  bei  dem  Mangel  jeder  weitern  Nachricht  mit  Zuverlässigkeit  nicht 
bestimmen.  Man  könnte  an  einen  Theil  der  Pfalz  oder  der  Pfalzkapelle 
oder  auch  heider  denken,  und  in  der  That  hat  die  lokale  Forschung 
angenommen,  dass  es  vornehmlich  die  nach  Westen  hin  gelegenen  Theile 
der  Pfalz  und  das  Münster  waren,  welche  114(1  von  dem  Brandunglück 
heimgesucht  wurden,  freilich  ohne  überzeugende  Gründe  dafür,  namentlich 
in  Bezug  auf  das  letztere  Gebäude,  beizubringen.  Professor  Bock,  der 
Urheber  dieser  Meinung,  gibt  zugleich  der  Vermuthung  Baum,  der  Brand 
habe  in  dem  sich  westlich  an  die  Pfalz  anschliessenden  vicus  seinen  Anfang 
genommen  und  sich  von  dort  auf  die  karolingischen  Baudenkmale,  die  Pfalz 
und  Pfalzkapelle,  fortgepflanzt2,  eine  Vermuthung,  die  aus  den  Worten  der 
Annalen  nicht  im  Geringsten  zu  begründen  ist. 

Aber  noch  ein  weiteres  gewichtiges  Zeugniss  stellt  der  Annahme, 
dass  im  Jahre  1146  eine  grössere  Feuersbrunst  die  Stadt  Aachen  verheert 
habe,  entgegen.  Bekanntlich  besuchte  Anfangs  1147  der  h.  Bernhard  auf 
seine)'  Rückreise  von  Speier  nach  Clairvaux  die  niederrheinischen  Lande. 
Von  Köln,  wo  er  am  9.  Januar  eintraf,  kam  er  über  Brauweiler  und  Jülich, 
wo  er  sich  am  15.  Januar  aufhielt  und  mehrere  Blinde  heilte,  nacli  Aachen8. 
Heber  die  ganze  Eeise,  speziell  über  Bernhards  Anwesenheit  in  der  Krönungs- 
stadt, gibt  namentlich  das  Tagebuch,  welches  die  Begleiter  des  gewaltigen 
Mannes,  die  Mönche  Gerhard,  Eberhard  und  Gaufried,  sowie  die  Aebte 
Theuderich  1.  von  Camp  und  Eberwin  von  Steinfeld,  führten,  ziemlich  genaue 
Nachricht,  und  was  wird  hier  berichtet?  Gaufried  erzählt:  „Als  der 
Mann  Gottes  in  <Wr  Pfalzkapelle  (in  illa  famosissima  toto  ßomanorum  orbe 

i  Laurent,  Aachener  Stadtrechnungen  S.  256,  '/..  11,  wo  aber,  wie  an  zahlreichen 
andern  Stellen,  für  das  in  der  Vorlage  abgekürzte  guando  irrig  guum  gedruckt  ist. 

-)  Vgl.  c.  P.  Bock  a.  a.  0.  S.  80. 

::i  Merkwürdigerweise  lassen  einzelne  hiesige  Lokalforschcr  den  k.  Bernhard  ersl 
aacli  der  Krönung  Eeinrichs,  des  Sohnes  Konrads  III..  die  am  30.  März  mit  stattfand, 
in  Aachen  erscheinen;  vgl.  Meyer,  Aachensche  Geschichten  I,  S.  -Je»;  Quix,  Geschichte 
der  Stadt  Aachen  I.  S.  63;  A.  von  Reumont,  Aachener  Liederchronik  S.  192.  Seine 
Ankunft  hierselbsl  wird  am  15.  "der  16.  Januar  MIT  erfolgt  sein.  Vgl.  Annalen  des  hist. 
Vereins  f.  d.  Niederihcin  X  \  II.  S.  L43  f.  (wo  offenbar  MCXLII1  für  MCXLVI1  verdruckt 
isl )  und   XX,  S.   272. 


—  4  — 

capella)  die  h.  Messe  feierte,  wurde  ein  Blinder  und  ein  Lahmer  geheilt, 
die  Krücken  hing  man  sofort  zum  Andenken  auf."  Gerhard  bemerkt: 
„Nie  auf  der  ganzen  Reise  ist  Bernhard  so  gedrückt  und  gedrängt  worden, 
wie  in  jener  Kapelle,  denn  der  Ort  war  sehr  enge  und  die  Schaaren  des 
Volkes  drängten  einander,  wie  im  Meere  die  eine  Woge  die  andere  fort- 
wälzt." Eberhard  endlich  schreibt:  „Aachen  ist  ein  hochberühmter  und 
sehr  angenehmer  Ort  (celeberrimus  et  amoenissimus  locus),  jedoch  angenehmer 
für  die  Sinne  als  für  das  Seelenheil  (accomodatior  corporum  voluptati  quam 
animarum  saluti),  das  Wohlleben  der  Thoren  gereicht  ihnen  zum  Unter- 
gang, und  wehe  dem  Hause,  wo  keine  Zucht  herrscht.  Ich  sage  dies 
nicht  aus  Hass,  sondern  möchte  nur  Einer  dies  lesen,  der  es  bessert,  und 
gebe  Gott,  dass  sich  doch  Einige  von  ihnen  bekehren  und  leben1."  Ins- 
besondere die  letztere  Aufzeichnung  kommt  für  die  Beurtheilung  der  Aus- 
dehnung des  Brandes  im  Jahre  1146  in  Betracht.  Hätte  der  Mönch 
Eberhard,  so  darf  man  hier  wohl  fragen,  Aachen  so,  wie  er  es  thut,  schildern 
können,  wenn  die  Stadt  kurz  vorher  vom  Brand  fast  völlig  zerstört  worden 
und  der  Schutthaufen,  wie  es  unter  diesen  Umständen  nothwendig  der 
Fall  gewesen  wäre,  wenigstens  zum  Theil  noch  vor  den  Augen  des 
Schreibenden  da  gelegen  hätte?  Sicherlich  nicht.  Würde  aber  auch,  so 
muss  man  weiter  fragen,  der  fromme  Mönch,  den  das  unkirchliche  Treiben 
der  Aachener  so  tief  ergriff,  nicht  in  jedem  Falle  auf  den  kaum  über- 
standenen  Stadtbrand  als  ein  Strafgericht  Gottes  hingewiesen  haben,  wenn 
ein  solcher  wirklich  sich  im  Jahre  vorher  ereignet  hätte?  Ein  kleinerer 
Brand,  etwa  der  Pfalz,  konnte  ihm  dazu  keinen  Anlass  geben,  um  so 
weniger,  als  letztere  nicht  den  Bewohnern  der  Stadt  gehörte,  sondern 
Eigenthum  des  Kaisers  war.  Das  gänzliche  Schweigen  aber  über  den 
angeblichen  Stadtbrand  und  die  Schilderung  des  üppigen  Lebens  in  dem 
„überaus  angenehmen  Orte"  scheinen  mir  im  Zusammenhang  mit  der  obigen 
Deutung  der  Worte  der  Annalen  ein  unumstössliches  Zeugniss  dafür  abzu- 
legen, dass  die  Verwüstung  oder  gar  fast  völlige  Zerstörung  der  Stadt 
durch  Brand  im  Jahre  1146  nichts  anders  als  ein  Phantasiegebilde 
unkritischer  Forschung  ist. 


Die  Aachener  Stadtpläne. 

Von  C.  Rhoen. 

(Mit  A b b i  1  d u n g.) 

Bis  zum  16.  Jahrhundert  entbehrten  die  Reiselbeschreibungen  eines 
Reizes,  ohne  den  wir  sie  uns  heute  kaum  denken  können,  nämlich  der 
bildlichen  Darstellungen.  Daher  tragen  auch  die  Schriften  älterer  Reise- 
beschreiber,  wie  des  Marco  Polo,  des  Ritters  von  Harff,  des  Johannes 
von  Maundeville  u.  A.  zum  Theil  den  Charakter  des  Unbestimmten  und 
Dunkeln,    zuweilen     des    Phantastischen,     da    ihnen    die    Grundlage     der 


')  Vgl.  Annalen  des  bist  Vereins  f.  d.  Niederrbein  XU,  S.  154  ff. 


Beschreibung,  die  bildliche  Darstellung",  fehlt.  Als  jedoch  durch  die 
Erfindung  der  Kupferstecherkunsl  die  Möglichkeil  gegeben  war.  solche 
Darstellungen  zu  vervielfältigen,  erhielt  die  Literatur  der  Länder-  und 
Völkerkunde  durch  den  altern  Holzschnitt  bald  einen  raschen  A.ufschwung. 
Es  entstanden  nicht  bloss  Beschreibungen  entfernter  Gregenden,  sondern 
auch  der  Länder.  Städte  und  Sehenswürdigkeiten  unseres  Erdtheils. 
Insbesondere  boten  die  Städte  einen  günstigen  Gegenstand  sowohl  für 
die  Beschreibung  als  auch  die  bildliche  Darstellung,  und  so  entstanden 
bald  die  sog.  Städtebücher,  oft  wahre  Prachtwerke,  geschmückt  mit  herr- 
lichen Initialen  und  Tafeln,  welche  vielfach  von  den  besten  Meistern  der 
Kupferstecherkunst  ausgeführt  waren.  Zu  den  Erstlingswerken  dieser  Art 
in  Deutschland  dürfte  wohl  das  von  Bruin  (Braun)  und  Hogenberg  zu  zählen 
sein,  welches  zuerst  im  J.  1572  in  Köln  herausgegeben  wurde.  Schon 
früher,  im  J.  1544,  war  die  erste  Originalausgabe  der  Cosmographey 
von  Sebastian  Münster,  jedoch  ohne  Holzschnitte  und  Illustrationen, 
erschienen,  welcher  ersten  Ausgabe  im  J.  1550  andere  mit  Plänen 
folgten.  Im  17.  Jahrhundert,  etwa  von  1640  bis  1678,  gab  Merian  sein 
grosses  Werk  in  31  Foliobänden  und  Guicciardini  das  seinige  heraus. 
Andere  kleinere  Werke  dieser  Art  wollen  wir  nicht  erwähnen. 

Die  diesen  Beschreibungen  beigefügten  Ansichten  sind  in  der  sog. 
Kavalier-  oder  Vogelperspektive  ausgeführt,  einer  Darstellung,  die  nicht 
bloss  den  Plan  der  Städte,  sondern  auch  die  Ansicht  ihrer  Gebäulichkeiten 
zeigt.  Das  gilt  auch  von  den  Plänen  der  Stadt  Aachen,  die  in  alle 
diese  Werke  aufgenommen  sind. 

her  älteste  mir  bekannte  Plan  von  Aachen  bestand  wahrscheinlich 
ans  14  Blättern  von  je  etwa.  282  nun  Breite  und  343  mm  Höhe, 
deren  jedes  einen  Theil  der  Stadt  darstellte.  Unter  jedem  Blatt  war  in 
flacher,  kräftiger  Schrift  der  betreifende  Stadttheil  bezeichnet.  Die  Auf- 
nahme hatte  von  der  Ostseile  ans  stattgefunden,  und  das  Kölnthor  zeigte 
sieh  in  vorderster  Reihe.  Von  diesem  äusserst,  selten  gewordenen  Plan 
besitzt  die  Aachener  Stadtbibliothek  nur  4  Blätter,  die  augenblicklich  in 
zwei  Rahmen  unter  Glas  eingefasst  sind.  Aul'  einem  Blatt  steht  in  dem 
grossen  Bogen  vom  Wassert hurin  in  (Wv  Nähe  der  St.  Adalbortskirche 
die  Jahreszahl  der  Anfertigung  des  Plans  1566.  Die  Technik  ist 
manierirt;  die  Striche  in  den  Dachflächen  laufen  rund  und  bilden  Kreis- 
theile,  die  Platter  der  Bäume  und  des  Strauchwerks  tragen  eine  gewii 
Oberflächlichkeil  zur  Schau.  Die  sämmtlichen  Blätter  t\rs  Plans  werden 
wohl  von  einer  und  derselben  Hand  ausgeführl  worden  sein:  es  ist  dies 
wenigstens  bei  den  1  vorhandenen  der  Fall.  Der  Name  des  Künstlers 
ist  jedoch  nicht  bekannt. 

Der  dem  Werke  „Civitates  orbis  terrarum"  von  Bruin  und  Hogen- 
berg beigefügte  Plan  i\rv  Stadt  Aachen  vom  J.  L572  ist  augenscheinlich 
eine  verkleinerte  Reproduktion  der  zusammengestellten  14  Blätter  dieses 
ersten  Plans  der  Stadt.  Durch  die  Zusammenstellung  derselben  und 
zwar  in  einer  (Srrösse  von  363  mm  Breite  und  295  mm  Höhe  gewinnt 
man    eine    leichtere    Uebersichl    über    die    Gesammtheil    der    Blätter    des 


6  — 

ersten  Plans,  und  die  vielen  in  denselben  befindlichen  Verzeichnungen 
fallen  daher  um  so  mehr  ins  Auge.  Diese  Verzeichnungen  sind  derart 
gross,  dass,  wenn  nicht  die  öffentlichen  Gebäude  —  die  übrigens  mit 
grosser  Treue  und  Feinheit  wiedergegeben  sind  —  die  Stadt  erkennen 
Hessen,  dies  aus  der  Lage  der  Strassen  völlig  unmöglich  wäre.  Aber 
auch  die  Lage  der  öffentlichen  Gebäude  ist  eine  unrichtige.  Rathhaus, 
Münster  und  Foilanskirche  sind  so  gestellt,  als  ob  alle  drei  in  der  verlängerten 
Längsaxe  ständen  und  ihre  Langseiten  statt  nach  Norden  und  Süden, 
vielmehr  nach  Osten  und  Westen  gerichtet  wären.  Aehnlich  verhält  es 
sich  auch  mit  den  andern  Kirchen.  Durchaus  fehlerhaft  ist  ferner  die 
Lage  des  sog.  langen  Thurms  wiedergegeben,  welcher  noch  weit  über 
das  Jakobsthor  nach  Westen  hinaus  vorzurücken  scheint.  Auch  das  Eos- 
thor schiebt  sich  zu  weit  nach  Süden  vor  die  Rundung  der  Stadtmauer 
hinaus.  Als  Darstellung  der  Stadt  hat  dieser  Plan  keinen  Werth,  dagegen 
verdienen  die  eingezeichneten  öffentlichen  Gebäude  A\regen  ihrer  Genauigkeit 
Beachtung. 

Als  heraldische  Beigabe  zeigt  der  Plan  in  Wappenschildern  oben 
rechts  den  einfachen  Adler  als  Wappen  der  Stadt  und  oben  links  Oester- 
reichs  Doppeladler  mit  einem  Schildchen  auf  der  Brust  als  Wappen  dos 
Reichs.  Mitten  zwischen  den  beiden  Adlern  steht  in  Majuskeln  das  Wort 
„Aich".  In  der  untern  linken  Ecke  befindet  sich  die  Andeutung  „Cum 
Privilegio",  und  am  Fusse  des  Plans  ein  Bild  in  den  Trachten  der  damaligen 
Zeit,  einen  Mann  und  zwei  Frauen  darstellend,  von  denen  die  eine  dem 
Beschauer  den  Rücken  zuwendet.  In  der  untern  rechten  Ecke  steht  in 
einem  mit  Renaissanceverzierungen  umrahmten  Tableau  die  Inschrift : 
„Aqyisgranvm,  vrbs  praeclarissima  primvm  inter  qvatvor  imperii  civitates 
locvm  obtinet." 

Von  diesem  Plan  sind,  soviel  ich  weiss,  drei  Ausgaben,  zwei 
lateinische  und  eine  deutsche,  erschienen,  die  erste  im  J.  1572  in  dem 
obengenannten  Werke  von  Bruin  und  Hogenberg:  „Civitates  orMs  terrarum." 
Der  Text,  welcher  in  Majuskeln  die  Ueberschrift  „Aquisgranum"  trägt, 
beginnt  mit  den  Worten  in  Typendruck:  „Aqyisgranvm,  vrbs  Imperialis  in 
Menapioruni  finibus",  und  endigt:  „cum  inter  se,  tum  a  suburbanis  nonnihil 
discrepant," 

In  der  Cosmographey  von  Sebastian  Münster l  ist  eine  reduzirte 
Kopie  dieses  Stadtplans  wiedergegeben.  Dieselbe  ist  in  Holzschnitt  aus- 
geführt, misst  155  mm  in  der  Höhe  und  weist  sämmtliche  Fehler  und 
Verzeichnungen  des  Originals  auf.  Um  auf  die  Blätter  des  Werks  die 
Darstellung  der  Stadt  in  möglichst  grossem  Massstab  bringen  zu  können, 
ist  die  äussere  Befestigungsmauer  last  dicht  bis  an  den  ans  einer  einfachen 
Linie  bestehenden  Rand  ausgedehnt,  so  dass  von  der  Umgebung  der  Stadt 
nur  wenig   sichtbar   ist.     Der  in   der  Ausgabe   von   1502  unter   Kap.  208 


l)  Die  erste  Originalausgabe  '1er  Cosmographey  datirt  von  1544,  dieselbe  enthält 
jedoch  weder  Pläne  noch  Illustrationen.  Dieser  folgten  weitere  Ausgaben  L550,  1569, 
1572,    1574,    1578,    1592,    1598,    Hill.      J>ie    im  .1.    L550    erschienene  Ausgabe  enthält  die 


ersten  und  zugleich  besten  Pläne  und  Illustrationen. 


»  —  7  — 

mit  der  Ueberschrift  „Aach"  beigefügte  Text  beginnt  S.  721  mit  den 
Worten:  „Diese  Stadt  Aach  wird  zu  Latein  Aquisgranum:  Das  ist  Gran- 
wasser genannt",  und  schliessl  S.  723  mit:  „bis  er  sie  begnadet."  Da  die 
in  den  beiden  letzten  Ausgaben  befindlichen  Pläne  und  Illustrationen  sich  in 
einem  bessern  Etat  befinden,  als  die  unmittelbar  vorher  erschienenen,  so  ist  anzu- 
nehmen,  dass  die  dazu  gehörigen  Holzstöcke  nachgearbeitet  worden  sind. 

Die  zweite  Ausgabe  erschien  in  der  „Beschreibung  und  Contrafactur 
der  vornembsten  Städl  der  Welt"  von  Bruin  und  Hogenberg,  Cöln  1574. 
Der  in  deutschen  Typen  gesetzte  Text  mit  der  Ueberschrift  „Aich"  beginnt: 
„Aich,  ein  kayserliche  Stadt  zwischen  Rhein  und  der  Maasen"  und  schliesst 
mit  den  Worten:    „an  kraft  und  tugend  des  wassers  underscheiden." 

Die  dritte  Ausgabe,  wiederum  in  lateinische]-  Sprache,  hat  die  Anfangs- 
worte: „Aqvisgranvm,  vrbs  Imperialis  in  Menapiorum  finibus"  und  den 
Schluss:  „cvm  inter  se,  tum  a  suburbanis  nonnihil  discrepant."  Die  Initiale 
A  des  lateinischen  Typendrucks  ist  von  Erdbeerpflanzen  umschlungen.  In 
dieser  Ausgabe  ist  die  Platte  neu  aufgestochen  und  verändert,  ausserdem 
sind  an  der  untern  linken  Seite  35  Nummern  Erklärungen  hinzugefügt. 

Kurz  nachher,  im  J.  1576,  wurde  von  Henrick  van  Steenwyck  ein  neuer 
Plan  Aachens  von  der  Nordseite  aufgenommen,  so  dass  das  Pontthor  im 
Vordergrund  steht.  Die  Zeichnung  ist  im  Ganzen  mit  grosser  Treue 
ausgeführt,  wenn  auch  einzelne  kleine  Unrichtigkeiten  sich  eingeschlichen 
halien.  So  liegt  die  Trichtergasse  falschlich  in  der  Verlängerung  der 
Klappergasse,  das  Rosthor  steht  nicht  quer,  sundern  schräg  über  dem 
Stadtgraben,  auch  der  Graben  am  Jakobsthor  ist  unrichtig  eingetragen. 
Die  Ausführung  des  Stichs  ist  kräftig  und  deutlich.  In  der  obern  Ecke 
links  steht  auf  einem  mit  verzierter  Cartouche  umfassten  Schild  der  Doppel- 
adler (\q>  Reichs  mit  einem  in  drei  Theile  getheilten  kleinern  Schild  auf 
der  Brust;  rechts  im  gleichen  Schild  der  einköpfige  Adler.  In  der  untern 
Ecke  links  steht  eine  bloss  mit  einem  Perlenstab  umfasste  Schrifttafel 
mit  folgender  Inschrift:  „AQVISGRANVM,  vulgo  Aich.  ad  Menapiorum 
fines,  perantiqua  [mperij  vrbs,  monumento  Caroli  Magni,  Thermar. 
prestantia,  ei  peregrinorum  ob  reliquias  frequentatione  memorabilis.  Anno 
partae  salutis  CIO.IO.LXXVI.  Coloniae  Agripp."  Etwas  oberhalb  dieser 
Schrifttafel  steht:  „Cum  priuilegio."  In  der  untern  Ecke  rechts  befindet 
sich  das  Dämliche  Trachtenbild  wie  auf  dem  vorerwähnten  Plan  und 
zwar  auch  in  derselben  Grösse.  Dicht  neben  diesem  Bild,  in  einem 
Weg  eingravirt,  steht  der  Name  <\^s  Stechers  Henrick  van  steenwyck. 
Innerhalb  des  Bildrands  sind  in  lateinischer  Sprache  die  vier  Himmels- 
•enden  angegeben.  Die  Bildgrösse  beträgl  387  nun  in  der  Breite  und 
322  mm  in  der   Höhe1. 

Dieser  Stadtplan  ist  in  mehrorn  Etats  in  dem  Werk  von  Brühl 
und  Hogenberg  erschienen2.  Der  älteste   und    beste  bringt  auf  i\w  Rück- 


M  Vgl.  ilii'  Abbildung. 

-i  Von  diesem  Werke  sind  ausserdem  Doch  folgende  Ausgaben  erschienen:  1579, 
;;  Bde.;  L581  82s  3  Bde.  mii  französischem  Text;  1612  und  L618,  3  Bde.  mit  360 
Kupfern,  vollständige  Ausgabe. 


—  8  — 

seite  unter  der  in  Majuskeln  gedruckten  Ueberschrift  „Aquisgranuni"  die 
Beschreibung  der  Stadt  in  lateinischer  Sprache,  beginnend  mit  den  Worten: 
„AQVISGRANVM,  vrbs  imperialis"  und  endigend  mit:  „&  Bartholomaeus  a 
Cliuolo  Medicus  Taurinensis  libris  quatuor."  Die  Initiale  A  in  „AQVIS- 
GRANVM" ist  31  mm  breit  und  30  mm  hoch  und  stellt  Adam  und  Eva 
dar:  der  Typendruck  ist  ziemlich  gut.  Der  zweite  Etat  zeigt  einen  weniger 
guten  Abdruck  der  Kupferplatte;  der  auf  der  Rückseite  befindliche  Text 
der  spätem  Ausgabe  des  Werks  ist  indessen  von  sauberer  Ausführung, 
er  beginnt  und  schliesst  wie  in  der  ersten  Ausgabe.  Die  Initiale  A,  53  mm 
breit,  55  mm  hoch,  ist  mit  Maskarons  und   kämpfenden   Kindern   verziert. 

Die  weitern  Etats  in  den  folgenden  Ausgaben  zeigen  die  Platte  neu 
aufgestochen,  doch  olme  bemerkbaren  Zusatz  in  Bezug  auf  die  topographische 
Darstellung.  Der  Name  des  Stechers  Henrich  van  Steenwyck  ist  von  der 
frühern  Stelle  fortgeschabt,  doch  auf  den  ersten  bessern  Abdrücken  leicht 
erkennbar.  Dagegen  ist  etwas  unterhall)  des  in  der  obern  rechten  Ecke 
stehenden  Adlers  ein  fliegendes  Spruchband  mit  der  Inschrift :  „Depingebal 
Henri(ciis)  Steenwichi(us)"  angebracht  worden. 

Ein  Abdruck  der  erneuten  Platte  ist  der  von  Bruin  und  Hogenberg 
herausgegebenen  andern  Auflage  der  „Civitates  orbis  terrarum"  zugegeben 
worden.  Der  auf  der  Bückseite  befindliche  Text  beginnt  wieder  mit  den 
Worten:  „AQVISGRANVM,  urbs  imperialis"  und  endigt  mit:  „tumasubur- 
banis  nonnihil  discrepant."  Die  Initiale  A,  mit  Blätterwerk  verziert,  jedoch 
ohne  Band,  ist  40  mm  breit  und  39  mm  hoch;  der  Text  nebst  Ueber- 
schrift und  Initiale  ist  von  mittelmässigein  Druck.  Eine  fernere  Ausgabe 
der  erneuten  Platte,  jedoch  von  weniger  gutem  Abdruck,  hat  auf  der 
Bückseite  den  lateinischen  Text,  wieder  beginnend  mit  den  Worten: 
„AQVISGRANVM,  urbs  imperialis"  und  endigend  mit:  „Bartholomaeus  a 
Cliuolo  Medicus  Taurinensis  libris  quatuor."  Die  Initiale  A  des  Textes, 
mit  einfachem,  aber  kräftigem  Band,  53  mm  breit,  65  mm  hoch,  ist  sehr 
schön  geschnitten  und  zeigt  die  h.  Dreifaltigkeit  mit  der  dieselbe  anbetenden 
h.  Jungfrau  und  Engeln.  Eine  weitere  Ausgabe  hat  deutschen  Text, 
beginnend  mit:  „Aich,  ein  kaiserliche  Stadt"  und  endigend  mit:  „an  kraft 
und  tilgend  des  Wassers  underscheiden."  Die  französische  Ausgabe  beginnt 
mit    ...Vix-la-chapelle"  und  endigt  mit  dem  Worte    „Fauxbourgs". 

Die  Kupferplatte  dieses  Plans  ging  mit  den  andern  Hogenbergschen 
Platten  in  den  Besitz  von  Janssönius  über,  der  sie  1657  in  seinem  Städte- 
buch wieder  verwandte.  Hierbei  wurde  der  Text  umgeändert  und  nahm 
in  vier  Spalten  die  erste  und  vierte  Seite  des  gefalteten  Bogens  ein.  Der- 
selbe schliesst  mit  den  Worten:    „reliquis  partibns  illaesis." 

Schwerlich  dürften  von  einem  Städteplan  aus  dieser  Zeit  so  viele 
Ausgaben  erschienen  sein  wie  von  diesem. 

In  dem  Städtebuch  des  Guicciardini:  „La  description  'de  !<»us  les 
Pays-Bas",  das  im  J.  1582  in- Antwerpen  von  Plant  in  herausgegeben  wurde, 
befindet  sich  ebenfalls  ein  Plan  von  Aachen.  Derselbe  ist  eine  Kopie  des 
von  Steenwyck  gestochenen,  in  mittelmässig  guter  Radirung,  315  mm  breit 
und    232    mm  hoch,    und   hat  als  Band    nur   eine  feine  Linie.     Oben   links, 


•  9 

etwa  80  mm  von  der  Ecke  ab,  befindet  sich  ein  in  einer  Cartouche  ein- 
gefasstes  Schild  mit  dem  Doppeladler,  rechts  an  entsprechender  Stelle,  mit 
gleicher  Verzierung,  der  einfache  Aachener  Adler.  In  der  untern  linken 
Ecke  ist  ein  einfaches  Schild  angebracht  mit  der  Aufschrift:  „Aquisgranum 
vulgo  Aich,  perantiqua  Imperii  urbs  Monumento  Caroli  Magni  Thermar. 
prestantia  ...  et  Memorabilis".  In  der  untern  rechten  Ecke  erblickt  man  das 
Trachtenbild  des  Steenwyckschen  Plans,  nur  verkleinert  und  nicht  so 
schön.  Der  französische  Text  beginnt  auf  S.  488  mit  den  Worten: 
„Si  nons  croyons  Munster  (Sebastian  Münster),  la  cite  d'Aix  appellee  en 
la rin  Aquisgranum",  und  endigt  auf  S.  4(.).j  mit:  „ä  tant  que  j'ai 
achemine  c'est  oeuvre  a  sa  fin  et  perfection."  (Die  Beschreibung  von 
Aachen  bildet  nämlich  den  Schluss  des  Gruicciardinischen  Werks.)  Die 
Initiale  S  des  Textes,  ohne  Band,  ist  mit  Blatt  Verzierung-  und  zwei 
springenden  Pferden,  deren  hintere  Hälfte  in  Blätterranken  ausläuft,  versehen. 

Ein  anderer  Plan  der  Stadt  Aachen,  welcher  augenscheinlich  nicht 
zu  einem  Städtebuch  gehörte,  und  dessen  einziges  mir  zu  Gesicht 
gekommenes  Exemplar  sich  im  Besitz  des  Badeinspektors  Herrn  Dr.  Lersch 
in  Aachen  befindet1,  ist  von  kleinerm  Format,  268  mm  breit  und  208  mm 
hoch,  mit  einer  einfachen  Linie  als  Rand,  von  G.  Keller  im  .1.  1614 
gestochen.  Es  zeigt  als  Staffage  die  Belagerung  der  Stadt  Aachen  durch 
Spinola  im  Jahre  1614,  und  wird  bei  dieser  Veranlassung  auch  wohl 
angefertigt  worden  sein.  Die  Ueberschrift :  „Belegerung  und  Einnehmung 
der  Stadt  Aach  vom  Spinola"  ist  in  Majuskeln,  von  denen  die  Anfangs- 
buchstaben der  Hauptwörter  grösser  sind  als  die  andern.  Am  obern  Rande 
ist  ein  kleiner  Theil  von  Burtscheid  dargestellt;  in  der  obern  Ecke  rechts 
befindet  sich  eine  Windrose,  enthaltend  die  Himmelsgegenden  in  lateinischer 
Sprache.  Am  untern  Theil  der  linken  Randlinie  zeigt  sich  in  ungenauer 
Zeichnung  die  St.  Salvatorkirche  mit  dem  sie  umgebenden  Terrain,  auf  diesem 
eine  Batterie  von  vier  Kanonen  nebst  Bedienungsmannschaft.  Die  untere 
Ecke  rechts  zeigt  die  Gegend  vor  Königsthor  am  sog.  „Bäumchen";  eine 
Batterie  mit  fünf  Kanonen  ist  daselbst  aufgepflanzt,  Spanische  Truppen 
zeigen  sich  im  Mittelgrund  dv^  Hildes,  während  die  Wälle  der  Stadt  mit 
Aachener  Soldaten  besetzt  sind.  Als  Trachtenbild  stehen  in  der  untern 
rechten  Ecke  zwei  spanische  Anführer. 

Ms  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  auch  diesem  Plan  der  Steen- 
wycksche  als  Unterlage  gedient  hat.  Die  auf  dem  letztern  gerügten  Fehler 
linden  sich  auf  diesem  ebenfalls  vor.  Die  öffentlichen  Gebäude  wie  Münster. 
Rathhaus,  die  Befestigungswerke  der  innern  und  äussern  Umwallung  n.  s.  w. 
sind  im  Verhältnis-,  ii-vi'^^r,  die  Strassen  und  Wege  breiter  gezeichnet  wie 
auf  dem  Steenwyckschen  Plan.  Die  Namen  der  Strassen  sind  in  deutscher 
Sprache  eingetragen;  der  Name  des  Stechers  Gr.  Keller  mit  der  Jahreszahl 
1614  befindet  sich  fast  in  der  Mitte  am  untern  Rand2.  (Schluss folgt.) 


')   Sicherm    Vernehmen    nach    li.it    Eerr  Dr.  Lersch  diesen  Plan  der  Stadt  Aachen 
chenkt,  und  wird  derselbe  augenblicklich  in  der  städtischen  Bibliothek  aufbewahrt. 
-'»  Der  im  Allgemeinen  recht  gut  gestochene  Plan  isl  durch  J.  La  Ruelle  in  Lithographie 
reproduzirt  worden. 


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Ein  in  Aachen  entstandenes  Schauspiel  und  Siegeslied  zur 
Feier  der  Befreiung  Wiens  von  den  Türken  im  September  1683. 

Von  E.  Pauls. 

Nur  wenige  Ereignisse  des  17.  Jahrhunderts  haben  ihrer  Zeit  ganz 
Deutschland  mächtiger  bewegt  als  die  Belagerung  Wiens  durch  die  Türken 
im  Jahre  1683.  Nicht  mit  Unrecht  erblickte  nämlich  das  deutsche  Volk 
im  Türken  den  Todfeind  aller  christlichen  Einrichtungen,  dessen  siegreiches 
Vordringen  gleichbedeutend  mit  dem  Eintreten  rohester  Verwilderung 
gewesen  wäre  1.  Unbeschreiblicher  Jubel  herrschte  deshalb  in  allen  deut- 
schen Landen,  als  die  Nachricht  einlief,  dass  Wien  entsetzt  und  das 
türkische  Heer  entscheidend  geschlagen  sei.  Allenthalben  wurden  Dank- 
feste gefeiert,  wobei  auch  Aachen  nicht  zurückblieb.  Wie  uns  Meyer 
erzählt2,  fand  Ende  September  1683  „unter  Kanonendonner  und  dem 
Geläute  aller  Glocken  der  Stadt  ein  feierliches  Dankopfer  nebst  einem 
grossen  Umgang  statt,  an  welchem  sich  die  Eegierung,  die  Geistlichkeit 
und  die  Zünfte  andächtig  betheiligten". 

Zur  Feier  dieses  Jubelfestes  verfasste  der  Pfarrer  Brewer  an  der 
Aachener  St.  Jakobskirche  ein  Schauspiel  mit  Siegesgesängen,  welches 
gedruckt  (4  SS.  4°)  in  der  Aachener  Stadtbibliothek  vorhanden  ist3. 
Schwerlich  war  das  theils  in  lateinischer,  theils  in  deutscher  Sprache 
geschriebene  Stück  zur  Aufführung  bestimmt,  denn  das  Lateinische  über- 
wiegt ganz  bedeutend.  Im  nachfolgenden  Auszug  sind  die  lateinischen 
Stellen  dem  Hauptinhalt  nach  in  deutscher  Uebersetzung  angedeutet;  das 
deutsche  Siegeslied  dagegen,  in  welchem  jede  der  3  Strophen  mit  einem 
Bibelspruch  in  lateinischer  Sprache  schliesst,  ist  vollständig  und  wortgetreu 
wiedergegeben.  Abgesehen  von  diesem  Siegeslied  kommt  im  Schauspiel 
die  deutsche  Sprache  nur  noch  in  wenigen  Zeilen  am  Schluss  zur  Anwendung. 

Der  Schutzgeist  Deutschlands  (Genius  Germaniae)  erscheint  und 
begrüsst  herzlichst  die  anwesenden  Vaterlandsfreunde,  die  er  auf  eine 
frohe  Botschaft  vorbereitet.  Ihm  folgt  die  Fama  mit  einer  Tuba,  aus 
welcher  das  Triumphgeschrei  Victoria,   Victoria  erschallt,  dem   das   Echo 


')  Der  kaiserliche  Leibarzt  N.  W.  Beckers  gebürtig  aus  Walhorn  bei  Aachen,  war 
damals  im  Gefolge  des  Kaisers  und  schrieb  von  Passau  aus  unterm  25.  Juli  1(383  nach 
Eynatten:  Vincendum  pro  Christianitate  aut  moriendum;  Vienna  enim  deperdita  periculose 
stabit  tota  Christianitas !  (Vgl.  Beckers'  Lebensbeschreibung  in  der  Eupener  Zeitung, 
A|>ril  1878.)  Wie  sich  unschwer  beweisen  lässt,  sprach  damit  Beckerseinein  Deutschland 
allgemein  verbreitete  Ansicht  ans. 

2)  Meyer,  Aachensche  Geschichten  I,  S.  674. 

3)  Der  Titel  füllt  die  ganze  erste  Seile.     Gekürzt  und  im  Wesentlichen  lautet  der- 
elbe:    Drama  et  epinicion  latino-germanicum  quod   in  honorem  imperatoris  Leopoldi  I.  ob 

liberatam  Turcarum  obsidione  Viennam  composuit,  et  dum  D.D.  Aquisgranenses  festo 
S.  Michaelis  in  regali  sua  basilica  ....  et  territorio  epinicia  agerent,  postridieque  ad 
aras  preces  et  sacrificia  offerrent,  edidit:  Eenr.  Brewer,  Juliacensis,  S.  Theol.  Licentiatus, 
ad  S.  Jacobum  pastor.  Aquisgrani,  Typis  Joannis  Henrici  Clemens,  dietae  nrbis  typo- 
graphi  iurati. 


•  —  11  — 

mit  E  ia,  E  in  antwortet.  Fama  meldet,  dass  die  Belagerung  Wiens  auf- 
gehoben sei  und  dass  jetzt  dort  die  Adler1  die  Leiber  der  gefallenen  Türken 
zerfleischten.  Kurz  und  ernst  bestätigt  dies  das  christliche  Beer  (Exercitus 
Christianus),  worauf  die  Fama  zu  einem  allgemeinen  Beifallklatschen  und 
zu  Lob-  und  Dankliedern  gegen  Gott  auffordert.  Es  folgt  folgendes,  vom 
Schutzgeist  der  Christenheil  (Genius  orbis  Christiani)  gesungene  Lied: 

1.  A-rcm  btcfi  tut  toertfje  C51niftenl)cit :  2»  ®erm  (Sonn*  unb  gtoölfft  7  6rt§ tag 2 

ßeopolb  I)üt   i'tbcnmuiben.  Mein  (51)ri(t  tau  gnugfam  obren: 

X-te  grofj  ©efaljr  \o  Sien  erleibt,  ©otte§,  ber  alle  S5ing  bermag 

oft  ictuiub  gan^  berfdjtounben.  Bob  [oll  man  brumfi  bermefjren. 

Xk  groffe  A*orrf)t,  jo  bir  bereit,  Aln  ©Triften  nelintt  bejs  tage§  tuabr, 

oft  iinbu  metften§  (jittgeteit.  Hub  gefit  alt'  §u  einer  Sßfaljr, 

Ter  £ürcf  i(t  gefcfjtagen.  ©ott,  bem  .Sterin  31t  bamfeit. 

Dies  ultionis  est;  dies  est  et  sortium.  Hymnum  cantate  Domino,  Deo 

(L.  Esther  8,  vors.  12  et  9,  vers.  26.)  cantate  nostro. 

(L.  Judith  16,  vors.  15.) 

::.  0  füffefter  sxn  W)n  (Sfirift, 

@§  lobet  biet)  mit  Schalte, 
Sßer  bcineo  8^eid)§  begehren  ift, 
ü£)a§  fetnb  mir  Triften  alte. 
2Bir  fingen  alte,  nitb  feinb  frob, 
Sir  fingen  unb  Hingen  alfo. 

Adonni  Domine,  magnus  es.  praeclarus  in  virtute. 

(I,.  Judith   1»>,  vors.  16.) 

Nach  dem  Siegeslied  fordert  die  Fama  zu  einem  Hoch 3  auf  den  Kaiser 

und  die  Helden  in  Wien  auf,  welches  mit  voller  Musik  (Musica  voealis 
et    Instrumentalis)    ausgebracht    wird.    Noch    einmal    ergreift    dann    die 


')  'toxi:  Aquilae,  wobei  in  einer  Randbemerkung  gesagl  wird,  dass  hier  ebensowohl 
eine  Anspielung  auf  die  Bibelstellen  bei  MEathäus  2-1,  V.  28  und  Lukas  it.  V.  :>T,  als 
auf  die  Wappen  der  Ueberwinder  der  Türken  vor  Wien  vorliege.  Als  Probe  des  lateinischen 
Stils  Brewers  Lasse  ich  hier  27  Zeilen  des  Textes  folgen,  die  ich  aber  der  Raumersparniss 
wegen  nur  durch  senkrechte  Striche  als  Zeilen  kennzeichne.  Fama:  Eaec  nova  porto  ab 
Istri  plagis,  j  Vienna  mis  a  Austriae,  Solul  1  esl  obsidio:  |  Et  |  Corpus  ibi  Turcicum  Dila- 
cerarunl  Aquilae.  |  Exercitus  Christianus:  Ecce,  bimestre  jacel  Corpus  putre  ante 
\  ieiin am  Unguibus  et  rostro  dissecal  illud  Avis.  |  Fama:  [gitur  |  Plaudite,  dicite  Prin- 
cipes  |   [0  triumphe.      Plaudite,  dicite  Cives      I"  triumphe.  1   Plaudite,  dicite   millies  |  [0 

Coloni.  |  Germani  dicite  euneti      [0  triumphe.  1   Recitent   laetae  carmina   Musae,     Res snl 

Fontes,  reboent  Mtontes,     Nemora,  Valles,  Avia  Colle  .    Turres,  Campanae,  vespere  ei  mane, 
Graudia  prodant.    Oppida,  Vici,  Hostes,  Amici     Urbes  et   Arces:  Plebs  atguc  Patres:  |  Ore 
sereno,  gutture  pleno,  j  Gfratias  Deo  canitc  caeli;    Canite  laudes.  || 

1  Die  entscheidende  Schlacht  vor  Wien  fand  am  Sonntag  den  12.  September  1683  statt. 

1    Luf  den  Kaiser  und  den  Polenkönig  findet  sich  hierbei  '\-i  -  Chronogramm:  Vivanl 
Leopoldus  tmperator  et  Joannes  Rex   Polonus.     Von  Starhemberg  heisst  es: 

Vivat,  honoret  ur,  \  ival   fori  issimu     Eeros, 
Yienuae  Propugnator,  Comes  ä  Starrenberg. 


_    10    _ 

Fama  das  Wort.  Sie  wendet  sich  an  die  Trompeten,  Trommeln  und  Pauken, 
die  so  oft  zum  ernsten  Waffentanz  den  tapfern  Soldaten  aufgespielt  hätten, 
und  fordert  sie  auf,  heute  in  den  allgemeinen  Siegesjubel  miteinzustimmen. 
Mars  tritt  nach  den  Klängen  der  Militärmusik  auf.  Etwas  verwundert 
fragt  er,  ob  denn  die  Kriegsmaschinen  gelegentlich  der  heutigen  hohen 
Festfreude  schweigen  sollten?  Davon  dürfe  keine  Rede  sein,  auch  jetzt 
müssten  die  Geschosse  mitwirken  l. 

Doch  nicht  mit  Musik  und  Kanonendonner  endigt  das  Schauspiel, 
sondern  nach  echt  deutscher  Art  mit  einem  fröhlichen  Trinkgelage.  Hierbei 
geben  die  Namen  Wien,  Vienna  und  Vindibona  zu  harmlosen  Scherzen 
Anlass.  Wien,  so  heisst  es,  ist  gleich  Wein,  Vienna  entspricht  En  vina; 
beseitigt  man  in  Vindibona  die  Mitte,  so  hat  man  Vinum  bonum  oder  bon 
Vin.     Also: 

Vina,  En  Vina:  bibite  vitra  trina! 

Brewers  Schauspiel  ist  von  den  in  Aachen  während  des  17.  Jahr- 
hunderts entstandenen  Schauspielen  vielleicht  das  einzige,  welches  uns 
erhalten  geblieben  ist.  Augenscheinlich  mangelte  es  dein  Verfasser  nicht 
an  Geist;  vergleicht  man  seine  Leistung  mit  so  mancher  des  18.  Jahr- 
hunderts auf  ähnlichem  Gebiet  in  Aachen,  so  gebührt  ihm  weitaus  die  Palme. 


Kleinere  Mittheilungen. 

1.  Zur  Biographie  des  Pfarrers  Heinrich  Brewer. 

Per  im  17.  Jahrhundert  lebende  Pfarrer  von  St.  Jakob  in  Aachen,  Heinrich  Brewer, 
erwarb  sich  als  Geschichtschreiber  einen  so  bedeutenden  Ruf,  dass  schon  der  Jesuit  Hartzheim 
ihm  in  seiner  1747  zu  Köln  erschienenen  „Bibliotheca  Coloniensis"  eine  längere  Darstellung 
widmen  konnte  und  noch  neuerdings  die  Herausgeber  der  „Allgemeinen  Deutschen  Bio- 
graphie" ihn  für  würdig  erachteten,  in  die  Reihe  der  von  ihnen  behandelten  Personen 
aufgenommen  zu  werden.  Um  so  auffälliger  muss  es  erscheinen,  wenn  in  der  jüngst  über 
die  St.  Jakobskin-lie  herausgegebenen  Schrift  0.  Dresenianns  der  historischen  Studien  dieses 
Mannes  und  überhaupt  seiner  Lehensschicksale  bis  zum  Antritt  der  Pfarrstelle  von  St. 
Jakob  mit  keiner  Silbe  gedacht  wird.  Es  mag  daher  gestattet  sein,  in  diesen  Blättern 
vornehmlich  an  der  Hand  der  beiden  genannten  Werke  einen  kurzen  Rückblick  auf  Brewers 
Lehen  und  Schriften  zu  werfen,  auf  letztere  insbesondere,  da  sie  zum  Theil  für  die  lokale 
Geschichte  nicht  ohne  Bedeutung  sind. 

Heinrich  Brewer  wurde  zu  Puffendorf,  einem  kleinen  Kirchdorf  im  Kreise  Geilen- 
kirchen, am  t>.  September  16-Jo  geboren.  Das  Datum  seiner  Gehurl  ergibt  sich  aus  einem 
-einer  Werke,  das  er  im  Jahre  1(374  mit  den  Worten  schloss:  „Manum  iam  nunc,  Lector 
benevole  de  tabula  tollo,  hac  Septembris  die  sexta,  nativitatis  meae  anniversaria  trigesima 
craarta."  Nach  seinem  Geburtsort  wird  Brewer  auch  vielfach  Heinrich  von  Puffendorf  genannt. 
Kr  studirte  an  dein  Jesuiten-Gymnasium  (Tricoronatum)  in  Köln,  damals  einer  Unterrichts- 
anstall  ersten  Ranges,  und  erlangte,  wahrscheinlich  an  der  Universität  derselben  Stadt,  die 
Würde  eines  Lizentiaten  der  Theologie.  In  den  sechsziger  Jahren,  jedenfalls  vor  L668,  wurde 
er  zum  Vikar  der  Stiftskirche  von  St.  Kassius  in  Bonn,  sowie  zum  Kaplan  an  der  Pfarr- 
kirche zum  b.  Reiniij'ius  daselhsl  (vicarius  collegiatae  ecclesiae  et  parochialis  sacellanus) 
ernannt;    später,   seit  etwa   H',70,    versah  er  eine  /eil laue-  das  Amt   eines  Rektors  bei  den 


1)   Text:    Nequaquam  mutae  sint  |  Sed  fartae  improbo  |  Nitrato  pulvere  |  Tonenl  per 
.  !|  (Hie  exploduntur  tormenta.) 


13  - 

Augustinernonnen  von  Gross-Nazareth  unter  Sachsenhausen  in  Köln.  Aus  diesem  Kloster 
(Coloniae  e  suo  Nazarethani  Parthenonis  musaeo)  sind  die  Vorreden  zu  seinen  beiden  1672 
und  1675  erschienenen  Hauptwerken  datirt.  In  dem  erstem  Werke  gedenkt  er  da,  wo 
er  auf  die  Einführung  der  Welschnonnen  in  Bonn  (1664)  zu  sprechen  kommt,  auch  seines 
dortigen  Aufenthalts:  „Huic  Parthenoni,  dum  hahitarem  ibi,  cum  omnium  et  admiratione 
et  aedificatione*  äggregavit  sc  Domini  Cancellari  (sie)  Buschmanni  Filia  jamque  praeest 
puellari  gregi."  Und  an  einer  andern  Stelle  desselben  Werkes  berichtet  er:  „Interea 
(1668)  nominat  Nuntius  Apostolicus  apud  Aquas  Grani  haerens,  vigore  rotalis  commissionis 
Oeconomum  ac  Sequestratorem  seminarii  Pontificii  Fuldensis  quondam  alumnum  ad  sanetum 
Remigium  Bonnae  Pastorem;  apud  quem  ego  tunc  &  Sacellanum  &  Commensalem  agebam." 
Am  29.  Dezember  1682  wurde  Brewer  als  Pfarrer  von  St.  Jakob  in  Aachen  eingeführt. 
Hier  starb  er  nach  mehrjährigen  Leiden,  wie  es  scheint,  inmitten  des  Streits,  welcher 
um  seine  Vertretung  bezw.  nach  seiner  Resignation  um  die  Neubesetzung  der  Pfarrstelle 
entstanden  war.     Sein  Todesjahr  ist  unbekannt. 

Schon  frühe  wandte  Brewer  seine  Neigung  geschichtlichen  Studien  zu,  die  damals 
in  Köln  von  dem  1652  in  jugendlichem  Alter  verstorbenen  Vikar  an  St.  Kunibert,  Johann 
Adolf  Brahel,  und  dem  Professor  am  Laurentianer-Gymnasium,  Christian  Adolf  Thulden, 
aufs  Eifrigste  gepflegt  wurden.  Brahel  hatte  im  Jahre  1650  bei  dem  Buchhändler 
Kinckius  in  Köln  eine  Geschichte  der  Jahre  1618  bis  1649  in  lateinischer  Sprache  erscheinen 
lassen,  welche  er  selbst  in  einer  zweiten  Auflage  bis  1652  und  dann  Thulden  bis  zum 
Jahre  1660  fortführte.  Das  Ganze  umfasste  sechs  Theile.  Die  weitere  Fortsetzung  bis 
zum  Jahre  1672  besorgte  Brewer,  der  im  letztgenannten  Jahre  seine  Arbeit  als  siebenten 
Theil  unter  dem  Titel:  „Historica  rerum  notabiliorum,  quae  ex  anno  MDCLXI  in  annum 
MDCLXXII  in  terris  utriusque  imperatoris,  electorum,  prineipum  ac  statuum  utriusque 
Germaniae,  aeeidere,  breviter  ac  succinete  per  Henricum  Brewer  Juliacensem,  S.  T.  L. 
adornata  enarratio  cum  adjeeta  appendice  describente  praesentem  regis  Christianissimi 
adversus  unitum  Belgium  expeditionem.  Sive  Historiae  Brachelio-Thuldenianae  continuatae 
pars  VII.  Coloniae  Agrippinae,  Sumptibus  Joannis  Antonii  Kinchii,  Anno  M.  DC.  LXXII" 
herausgab.  Zur  Erläuterung  fügte  er  eine  Anzahl  Denkschriften,  Briefe,  Unterhandlungen, 
Verträge,  Bündnisse  u.  s.  w.  bei.  Der  über  400  Seiten  starke,  mit  6  Porträts  und  8  Tafeln 
ausgestattete  Oktavband  enthält  manche  wichtige  lokale  Nachrichten,  von  denen  eine,  über 
den  Aufenthalt  des  päpstlichen  Nuntius  Agostino  Franciotti  in  Aachen  1667 — 1670,  hier  eine 
Stelle  finden  mag,  um  so  mehr,  als  sie  die  bezüglichen  Angaben  A.  von  Reumonts  in 
Bd.  V,  S.  53  ff.  der  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  berichtigt  und  ergänzt. 
Brewer  schreibt  S.  334  über  Franciotti:  „consecravit  anno  eiusdem  (sc.  pacis)  initae, 
23.  Sept.  Deiparae  virgini  de  pace,  in  perenne,  rei  feliciter  gestae,  Aquisgrani  monumentum, 
Ecclesiam  Recollectinarum  Virginum,  tertiae,  S.  Francisci  regulae,  per  Leonem  X.  resti- 
tuiae:  constituitque  annuae  celebrandae  festivitati  ipsam  firmatae  pacis,  diem  seeundam 
Maji.  Mortuus  ibidem  pientissime  in  Domino,  tricesima  Januarii  1670  apud  Patres  Soc. 
honoriflcentissime  appositus  in  crypta  Comitum  de  Ambstenrath  subsacello,  per  ipsos  In 
S.  Josephi  honorem  erecto  ....  Praevierat  hanc  in  cryptam,  eiusdem  conditor  ante  non 
omnino  sesqui  annum,  ultimus  Stirpis  ae  uominis  Arnoldus  Wolffgangus,  Comes  ab  lluyn. 
cleeii  &  Ambstenrath  etc.  Caesari,  ab  [mperii,  &  Aulae  consiliis:  cui  confraeta,  in  sarco- 
phagum  adieeta  insignia,  inspeetantibus  &  ad  has  caeremonias,  ab  ülustrissima  Vidua 
specialiter  invitatis,  Dominis  Wylre,  Maw  &  Nickel.  Civitatis  Aquisgranensis  respective 
Consulibus,  Scabino  ac  Majore.  Annum  vero  praecucurreral  in  hoc  habitaculum  Parentem 
Filia,  Godefrida  Maria.  Anna,  Agneta,  [gnatia,  nondum  biennium  nupta  Carolo  Theodoro 
Ottoni  Principi  Salmensi,  Comiti  Sylvarum  &  Rheni  &c.  relicta  Filiola.  Princeps  Viduus 
duxit  superiore  proxime  anno,  in  Galliis,  Mariam  Ludovicam  Palatinalem."  (Ueber  Fran- 
ciottis  Todestag  vgl.  auch  von  Fürth,  Beiträge  und  Material  zur  Geschichte  der  Aachener 
Patrizier-Familien  II,  Anh.  2,  s.  182,  über  die  Einweihung  der  Kirche  des  Tertiarierinnen- 
Konvents  in  der  Adalbertstrasse  Neu,  Zur  Geschichte  des  Franziskanerklosters,  der  Kirche 
und  Plane  zum  hl.  Nikolaus   in    Aachen   s.  106,   über  die  Beisetzung  <\<>  Grafen  Arnold 

Wolfgang    von    lluyn,    (Ideen    und    Amstenralh,    sowie   seiner    Tochter,    der    Fürstin    Salin, 

Scheins,    Geschichte   der  Jesuitenkirche  /um  hl.  Michael  in  Aachen  s.  :;;:  1. 1 


— -  14  — 

Im  Jahre  1675  erschien  von  Brewer  eine  Geschichte  der  ausserdeutschen  christliehen 
Staaten  in  den  Jahren  1661  — 1673.  Sie  wurde  ebenfalls  von  J.  A.  Kinckius  verlegt  und 
ist  betitelt:  „Historica  rerum  notabiliorum,  quae  ex  anno  M.DC.LXI  usque  in  annum 
M.DC.LXXIII  in  regnis  terrisque  Christianis  extra  Germaniam,  puta  in  Italia,  Hispania, 
(üillia,  Anglia,  Suecia,  Polonia,  Lusitania,  Dania  &  Moscovia  contigere,  enarratio,  hreviter 
ac  succincte  pro  Historiae  universalis  Brachelio-Thuldenianae  continuatione  adornata  per 
Henrieum  Brewer  Jnliacens.  S.  Theol.  Licent.  Cum  scriptis  ac  tractatibus  publicis  huc 
facientibus  usque  ad  Annum  M.DC.LXXIY.  Coloniae  Agrippinae,  Sumptibus  Joannis  Antonii 
Kinchii,  Anno  1675"  (203  SS.  8°).  Beigegehen  ist  das  Brustbild  des  Papstes  Klemens  X. 
Dem  Text  gehen  vorauf  Epigramme  von  Johannes  Plaum,  Jnliacens.  SS.  Theol.  Licent. 
Coloniae  in  Gymnasio  Lanrentiano  p.  t.  Physices  Professor,  anno  1674,  24.  Au»'usti,  von 
Job.  Arnoldus  Kinchius  Colon,  iur.  candidatus  und  von  Henr.  Bhoen,  Cäsar,  (sie)  Poeta 
laureatus.  Auch  der  1672  erschienenen  Geschichte  Dexitschlands  von  Brewer  sind  nach 
der  Sitte  der  Zeit  mehrere  Epigramme  vorgesetzt,  darunter  folgendes  witzig  auf  den  Namen 
Brewer  (Brauer)  anspielende,  welches  der  Bonner  Stiftsherr  und  Pfarrer  Johann  Buecken 
verfasste: 

Quid  cöxti  Brewerc,  boni?  proha  ais ;  probo,  laudo: 
Non  es  cervisiae  Coctor,  at  historiae. 

Haue  sanus  Lector  pitisset,  &  ante  maligne 
Exspuere  abstineat,  quam  meliora  coquat. 

In  Bonn  versuchte  sich  Brewer  auch  in  der  Dichtkunst;  1668  veröffentlichte  er  nämlich 
dort:  „CrluItYM  poLI  sIDVs"  (1664),  ein  viele  Chronogramme  enthaltendes  Schriftchen, 
das  er  dem  Kölner  Erzbischof  Maximilian  Heinrich  von  Bayern  widmete.  Im  Jahre  1681 
folgte,  bei  Alstorff  in  Köln  gedruckt,  eine  Biographie  des  Thomas  von  Kempen  (79  SS.  8°), 
in  welcher  Brewer  mit  aller  Entschiedenheit  für  die  Annahme  eintrat,  dass  Thomas  der 
Verfasser  der  Bücher  von  der  Nachfolge  Christi  sei.  Das  sehr  verdienstliche  Werkchen 
ist  Papst  Innocenz  XI.  und  Erzbischof  Maximilian  Heinrieh  gewidmet,  Mooren  (Nach- 
richten über  Thomas  a  Kempis)  citirt  wiederholt  eine  Aachener  Ausgabe  desselben  von 
1682  (Thomae  a  Kempis  Biographia.  Aquisgrani  1(582),  die  mit  einem  Kupferstich  des 
Thomas  geziert  war,  nennt  dabei  aber  den  Verfasser  meist  Jakob  oder  J.,  einmal  auch 
Heinrich  Brewer.  Hiernach  scheint  es,  dass  letzterer  neben  Heinrich  noch  den  Namen 
Jakob  als  Vornamen  geführt  hat,  Ein  leider  defektes  Exemplar  der  Aachener  Ausgabe 
(131  SS.  kl.  8°),  in  welchem  Kupferstich  und  Titelblatt  nebst  den  ersten  16  Seiten 
(Vorrede)  fehlen,  befindet  sich  im  hiesigen  Stadtarchiv. 

Auch  als  Pfarrer  von  St.  Jakob  in  Aachen  blieb  Brewer  trotz  seiner  körperlichen 
Leiden  schriftstellerisch  thätig.  Hier  schrieb  er  1683  das  oben  (S.  10  ff.)  von  E.  Pauls 
behandelte  Schauspiel  mit  Siegesgesängen  zur  Feier  der  Befreiung  Wiens  von  den  Türken 
im  September  1683  (4  SS.  4°)  und  zwei  Jahre  später  ein  für  Aachen  besonders  merk- 
würdiges Büchlein,  wohl  seine  letzte  Arbeit :  „Der  in  der  Reliquien  Verehrung  recht- 
schaffen Catholisch  und  wahrhafftig  grosser  Kayser  Carl  bey  gewöhnlicher  Eröffnung  der 
Aachischen  Schatz- Kammer  Heiligthumbs  durch  Henrieum  Brewer,  Ss.  Theol.  Licent.  und 
Pastorn  zu  St.  Jacob  hieselbsten.  1685  zu  Aachen  bey  Johan  Henrich  Clemens  gedruckt" 
(51   SS.  12°). 

Sämmtliche  hier  aufgeführte  Schriften  Brewers,  deren  Zahl  sich  vielleicht  noch 
vermehren  lässt,  sind  äusserst  selten  und  gesucht,  Schon  dieser  Umstand  allein  stellt,  so 
scheint  mir,  der  Gelehrsamkeit  und  vor  Allem  der  Glaubwürdigkeit  ihres  Verfassers  in 
geschichtlichen  Dingen  ein  glänzendes  Zeugniss  aus. 

Aachen.  R.   Pich. 

2.  Domgraf  und  Sclmz. 

Die  in  diesen  Blättern  (Bd.  I,  S.  95,  Nr.  3)  aufgeworfene  Frage  nach  einer  Erklärung 
der  Aachener  Schimpfnamen  „Domgraf  und  „Schuz"  veranlasst  mich  zu  folgender  Mit- 
theilung. Beide  Ausdrücke  sind  von  annähernd  gleicher  Bedeutung;  sie  bezeichnen  einen 
zu   losen,   muthwilligerj   oder  übermüthigen   Streichen   aufgelegten  jungen    Menschen    und 


—  15  — 

verhalten  sich  zu  einander  etwa  wie  der  französische  gamin  oder  Strassenjunge  zum 
polisson,  qui  fait  ou  dit  des  choses  lieencicuses.  Der  Domgraf  gehör!  ausschliesslich  der 
Aachener  Mundart  an,  während  der  Schuz  oder  Schuts  in  der  Form  Schaute,  Schote  und 
Schott  und  in  ähnlicher  Bedeutung  am  ganzen  Nieder-  und  Mittelrhein  vorkommt.  Was 
nun  den  sprachlichen  Ursprung  oder  die  Etymologie  beider  Ausdrücke  anlangt,  so  ist  in 
dem  vom  verstorbenen  Prof.  Dr.  J.  Midier  und  dem  Unterzeichneten  im  Jahre  183(5  heraus- 
gegebenen Idiotikon  der  Aachener  Mundart  bereits  eine  Erklärung  des  Wortes  Domgraf 
(vulgo  Dumgrof  und  abgekürzt  Grof)  durch  Zusammenstellung  desselben  mit  dem  gleich- 
bedeutenden, heute  schon  fast  ausser  Gebrauch  gekommenen  Ausdruck  Palzgrof  (abgekürzt 
Palz)  versucht  worden,  indem  danach  der  ersten  Worthälfte  (Dom)  das  lateinische  domus 
in  der  Bedeutung  von  palatium  (Pallast,  Pfalz)  zu  (■runde  liegen  würde,  unterstützt 
wird  diese  Annahme  durch  das  mittellateinische,  von  domus  abgeleitete  domicellus,  welches 
Wort  auch  in  den  Aachener  Stadtrechnungen  aus  dem  14.  Jahrhundert  für  Junker  vor- 
kommt und  -aus  dessen  weiblicher  Form  domicella  für  Edelfräulein  die  französische 
demoiselle  gebildet  ist.  Wenn  nun  Domgraf  und  Palzgraf  als  Spott-  oder  Schimpfnamen 
identisch  sind,  so  braucht  darum  doch  nicht,  wie  es  im  Idiotikon  geschehen  ist,  angenommen 
zu  werden,  dass  irgend  ein  Pfalzgraf  als  Schirmherr  der  Reichsstadt  durch  sein  Verhalten 
zu  dieser  Herabsetzung-  seiner  Wurde  Veranlassung  gegehen  habe.  Beide  Ausdrücke 
könnten  auch  wohl  der  im  13.  und  14.  Jahrhundert  stattgefundenen  Eintheilung  der  Stadt 
nach  den  verschiedenen  Strassen  in  Grafschaften  (comitia)  ihr  Entstehen  verdanken.  Wie 
es  eine  Adalherts-,  eine  Jakobs-Grafschaft  u.  s.  w.  gah,  so  mag  man  den  um  die  Pfalz 
und  Pfalzkapelle  gelegenen  Theil  der  Altstadt  scherzweise  Dom-  oder  Pfalzgrafschaft 
und  die  ausgelassene  Jugend,  die  domicellos  dieser  sog.  Immunität,  Domgrafen  oder  Palze 
genannt  haben.  Urkundlich  lässt  sich  freilich  weder  die  eine  noch  die  andere  Erklärung 
Im  gründen.  Was  endlich  den  Ursprung  des  Wortes  Schuz  (Schuts)  betrifft,  so  ist  das- 
selbe wohl  aus  Schulze,  holländisch  scheut,  entstanden,  indem  drv  Dialekt  das  1  vor  s,  t 
und  z  ausstösst  und  z.  B.  Hals  und  Holz  in  Ho's  und  Ho'z,  alt  und  kalt  in  o't  und  ko't 
verwandeli.  Wenn  der  ehrenwerthe  Schuldheiss  oder  Schulte-;,  dessen  Amt  ursprünglich 
darin  bestanden  haben  mag,  Schulden  zu  heischen  oder  einzufordern,  im  Volksmund  zum 
Schuts  geworden  ist.  so  lässt  sich  dies  bei  der  Neigung  des  Volkes,  dergleichen  obrig- 
keitliche Personen  zum  Gegenstand  des  Scherzes  oder  Spottes  zu  machen,  wohl  leicht 
erklären. 

Burtscheid.  II'.    Weitz. 


3.  Das  Grundhans  bei  Aachen. 

Nahe  bei  der  Stadt  Aachen,  an  der  Lütticher  Strasse,  liegt  das  Landgut  Grund- 
haus, beim  Volke  Grutes  genannt.  Es  wird  hier  und  da  in  der  Aachener  Geschichte 
erwähnt,  z.  B.  im  Jahre  1776,  als  man  am  Grundhaus  dem  festlich  eingeholten  Mathias 
Joseph  Wildt,  der  zu  Löwen  den  ersten  Preis  in  der  Philosophie  erlangt  hatte,  den 
Ehrenwein  von  Seiten  der  Stadt  Aachen  präsentirte.  In  den  städtischen  ßathsprotokollen 
ist  unterm  20.  September  L672  von  „sieben  viertel  lands  beym  Gruithauß  uf  dem  Scherpen- 
bergh  gelegen"  und  am  20.  Oktober  desselben  Jahres  von  Grundstücken  „in  der  Aacher 
beiden  alhie  im  Gruithauß  gelegen"  die  Rede.  .Müller  und  Weitz  (Die  Aachener Mundarl 
s.  76)  sind  der  Ansicht,  dass  der  Name  eigentlich  Gruden- oder  Grudhaus  laute,  was  nach 
Adelung  ein  Haus  in  einem  Dorfe  bezeichne,  worin  die  Asche  (niedersächsisch  grude)  auf- 
bewahrt wurde.  Diese  Deutung  ist  aber  unrichtig.  Allerdings  ist  Grutes  aus  Gruthaus 
entstanden,  gerade  so  wie  kompes  aus  Kompliaus,  Gastes  aus  Gasthaus,  Schlonnes  aus 
Schlachthaus,  Koros  aus  Kornhaus  u.  s.  w.,  allein  das  Bestimmungswort  Grul  hat  mit 
Asche  nichts  zu  thun.  Darunter  versteht!  man  vielmehr  am  Niederrhein  den  Gagel, 
mirica  gale,  auch  Heidebalsam  genannt,  eine  niedrige  Staude,  welche  gern  in  Sümpfen 
und  Büschen  svächsl  und  die,  bevor  man  bei  uns  im  15.  Jahrhundert  den  Hopfen  einführte, 
zum  Bierbrauen  verwandt  wurde.  Durch  den  Zusatz  der  Grut  gab  man  dem  Getränk 
einen  bittern  aromatischen  Geschmack,  doch  bedurfte  sie  einer  besondern  Zubereitung,  ehe 
sie  gemahlen  und  zum  Brauen  benutzl  werden  konnte.    Der  Gratverkauf  war  durchgän! 


—  16  — 

ein  Regal  des  Landesherrn,  der  dasselbe  als  Lehn  (Grutlehn)  oder  sonstwie  vergab.  Ver- 
schieden hiervon  isr  das  Braulehn  in  Aachen,  welches  Kaiser  Ludwig-  der  Bayer  am 
29.  Februar  1340  dem  Bitter  Arnold  von  Schönau  (Schönhoven)  verlieh,  aber  noch  am 
31.  August  des  nämlichen  Jahres  auf  die  Vorstellung  des  Magistrats  hin  zurücknahm, 
weil  die  Belehnung  erschlichen  worden  war.  (Vgl.  Qu  ix,  Codex  dipl.  Aquensis  p.  228, 
im.  328  und  329.)  Zur  Bereitung  der  Grut,  die  als  ein  Geheimniss  behandelt  wurde,  und 
zu  ihrer  Aufbewahrung  wurden  häufig  besondere  Gebäude  errichtet,  welche  den  Namen 
Gruthaus  erhielten.  Solche  Gruthäuser  gab  es  z.  B.  in  Köln,  Xanten,  Kempen,  Dorsten  und 
in  zahlreichen  andern  Orten.  Auch  in  Aachen,  wo  der  Bierverzehr  in  älterer  Zeit  kein  geringer 
war,  wird  es  an  einem  Gruthaus  nicht  gemangelt  haben.  Als  dieses  kennzeichnet  sich 
durch  seinen  Namen  das  jetzige  Grundhaus.  Auffallend  ist  freilich,  dass  in  den  städtischen 
Rechnungen  des  14.  Jahrhunderts  nirgendwo,  wie  man  wohl  aus  dem  Fehlen  des  Worts 
im  Glossar  bei  Laurent  schliessen  darf,  der  Grut  Erwähnung  geschieht.  Eine  sichere 
Erklärung  hierfür  vermag  ich  vorläufig  nicht  zu  geben,  doch  wäre  es  nicht  unmöglich, 
dass  der  Grutverkauf  in  Aachen  vermöge  kaiserlicher  Verleihung  dem  Herzog  von  Jülich 
zustand,  die  Stadt  also  an  dem  Kauf  und  Verkauf  dieses  Krauts  nicht  betheiligt  war. 
Uebrigens  scheint  man  liier  schon  im  14.  Jahrhundert  die  Einführung  des  Hopfens  ver- 
sucht zu  haben,  wenigstens  findet  sich  in  der  Ausgaberechnung  der  Stadt  von  1386/87 
die  Eintragung:  Item  den  weychteren,  du  sy  die  hoppe  verboeden,  3  quart  (vgl.  Laurent, 
Aachener  Stadtrechnungen  aus  dem  14.  Jahrhundert  S.  343,  Z.  4). 

Aachen.  R.  Pick. 


Fragen. 

1.  Wie  ist  der  in  der  Gemeinde  Brand  vorkommende  Flurname  „Engeland"  zu  erklären? 

P. 

2.  Wo  finden  sich  Nachrichten  über  den  vormaligen  Prinzenhof  in  Aachen? 

P. 

3.  In  einer  Aachener  Urkunde  vom  1.  Februar  1567   ist   von   einem  fünf  Viertel  grossen 

Bend  „der  Honnenwyer  genant   ind  gelegen  angen  Teperdel  niest  Johan  Hundertz  erf 

up  eine  ind  niest  Jennis  erf  up  den  Poil  up  die  ander  syde"  die  Rede.     Kann  Jemand 

die  Lage  dieses  Bends  bestimmen  ? 

P. 

4.  Wer  kann  den  Aachener  Strassennamen  Mostardgasse  deuten? 

P. 

5.  Die  Ausgaberechnung  der  Stadt  Aachen  von  1376/77  enthält  die  Eintragung:  „Item 
familiaribus  civitatis,  quando  sancti  venerunt  Aquis,  1  sext."  (Laurent,  Aachener  Stadt- 
rechnungen S.  243,  Z.  23).  Wer  ist  mit  den  sancti  gemeint  und  um  welche  Begeben- 
heit handelt  es  sich  ? 

P. 

Vereinsangelegenheiten. 
Generalversammlung 

am  Donnerstag,  den  18.  Oktober  1888,  Abends  71/«  Uhr  im  Hotel  zum  Elephanten 

(ürsulinerstrasse). 

Tagesordnung-:  Jahresbericht.  Neuwahl  des  Vorstands.  Vorträge: 
Die  städtischen  Beamten  Aachens  im  14.  Jahrhundert.  Eine  Hauseinrich- 
tung aus  dem  16.  Jahrhundert.    Miscellen. 

Die  Einführung  von  Nichtmitgliedern  ist  gestattet. 

Druck  von  Hermann  Kaatzer  in  Aachen. 


WJ^Mi 


Jährlich  8  Nummern 
ä   l   Bogen  Royal  oktav 


Preis  des  Jahrgangs 


4  Mark. 


©r&eii 


Kommissions-Verlag 

der 

( !remer'schen  Buchhandlung 

(C.  Oi/.im 

in  Aachen. 


Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 

Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  Dr.  K.  Wieth. 


Nr.  2. 


Zweiter  Jahrgang. 


1888. 


Inhalt:   S.  Planker,  Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen.  —  E.Pauls.  Zur  G-ranussage. 
C.  Rhoen,  Die  Aachener  Stadtpläne.    (Schluss.)  —  Kleinere  Mittheilungen:  Eine  Aachener 
Sühermünze    von    1419.  Die    Bruderschaft    der    Wollenweber-Gesellen    in    Aachen.    — 

Fragen.  —    Antworten.  —  Vereinsangelegenheiten. 


Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen. 

Von  S.  Planker. 

Wer  der  erste  Pfarrer  von  St.  Peter  war,  lässl  sich  nicht  bestimmen, 
da  eine  unzweideutige  Urkunde  über  die  Zeit  der  Erhebung  dieser  Kirche 
zu  einer  selbständigen  Pfarrei  nicht  vorliegt.  Urkundlich  steht  bloss  lest. 
dass  es  bis  zum  Jahre  12(><>  in  Aachen  nur  eine  Pfarrkirche  (una  tanturo 
matrix  ecclesia)  gab,  dass  aber  ausserhalb  der  .Mauern  drei  von  ihr  abhängige 
Kapellen  bestanden,  in  welchen  die  zu  denselben  Eingepfarrten  (parochiani 
carinii)  dem  Gebrauch  gemäss  alle  Sakramente  empfingen,  mit  Ausnahme 
dw  Taufe,  der  h.  Oelung  und  der  Osterkommunion l. 

Die  erste  Urkunde,  weiche  unzweideutig  von  mehrern  Pfarrkirchen 
Aachens  spricht,  ist  ein  Sendgerichtsstatul  vom  Jahre  L331,  das  unter 
Anderem  bestimmt,  dass  der  Sendgerichtstag  in  sämmtlichen  Pfarrkirchen 
der  Stadt  (per  universas  ecclesias  parrochiales)  bekannt  zu  machen  sei. 
und  zugleich  bestätigt,  dass  dieser  Gebrauch  seit  unvordenklichen  Zeiten 
(a  tempore,  a  quo  deeidit  memoria)  bestehe.  Der  Vorsitzende  Erzpriester 
bezeugt  in  dieser  Urkunde  uoch  persönlich,  dass  unter  seinem  Vorsitz 
seit  mehr  als  40  Jahren  dieser  *  rebrauch  unwidersprochen  beobachtet  worden 
sei-.     Diese  Urkunde   ist  denn  auch    besiegelt   von   den  rectores   ecclesiae 


')  Qnix.  Geschichte  der  St.  Peter-Pfarrkirche  S.  123  ff.,  Drk.  7  und  8. 
')  Quix,  a.  a.  0.  s.  128  ff.,  [Jrk.   12. 


18  — 

s.  Petri  et  Jacobi,  durch  welche  Titel  der  Charakter  dieser  Kirchen  als 
Pfarrkichen  im  Gegensatz  zu  ihrem  frühem  Charakter  als  Kapellen  gekenn- 
zeichnet wird.  Die  Rektoren  der  Kapellen  werden  nämlich  in  den  Send- 
urkunden entweder  capellanus  genannt  oder  höchstens  rectores  capellae, 
z.  B.  s.  Juliani  in  den  Urkunden  von  12G9  und  1446. 

Hiernach  muss  angenommen  werden,  dass  schon  vor  mehr  als  40 
Jahren  vor  1331  St.  Peter  und  St.  Jakob  zu  Pfarrkirchen  erhoben  wurden. 
Die  von  Quix  angezogene  Ablassbulle  vom  Jahre  1295  vermag  dagegen 
nichts  zu  beweisen,  da  immerhin  der  ältesten  und  Hauptpfarrkirche  einer 
Stadt,  die  mehrere  Pfarrkirchen  ausserdem  besitzt,  ein  besonderer  Ablass 
bewilligt  werden  kann.  Ja  ich  bin  geneigt  anzunehmen,  dass  schon  im 
Jahre  1269  die  Erhebung  der  in  der  Urkunde  von  1260  erwähnten  drei 
Kapellen  vor  dem  Thore,  worunter  keine  andern  als  die  Kirchen  von 
St.  Adalbert,  St.  Peter  und  St.  Jacob  verstanden  werden  können,  zu  Pfarr- 
kirchen erfolgt  war;  denn  eine  Sendurkunde  von  1269  ist  von  einem 
rector  s.  Adalberti  unterschrieben l.  Ist  aber  St.  Adalbert  in  Folge  der 
päpstlichen  Bulle  von  1260,  welche  den  Archidiakou  Marcoaldus  von  Lüttich 
beauftragt,  die  Beschwerden  der  Bürgerschaft  bezüglich  der  den  drei 
Kapellen  vor  dem  Thore  anhaftenden  Beschränkungen  zu  untersuchen  und 
im  gegebenen  Fall  Abhilfe  zu  schaffen,  im  J.  1269  schon  zur  Pfarrkirche 
erhoben,  so  ist  kein  Grund  vorhanden,  dies  nicht  auch  von  St.  Jacob  und 
St.  Peter  anzunehmen. 

Sollte  sich  gegen  vorstehende  Schlussfolgerung  kein  urkundlicher 
Gegenbeweis  liefern  lassen,  so  kann  der  die  Sendgerichtsurkunde  von  1331 
unterzeichnende  Joannes  rector  ecclesiae  s.  Petri  nicht,  wie  Quix  annimmt, 
der  erste  Pastor  von  St.  Peter  gewesen  sein;  hätte  er  ja  doch  sonst 
wenigstens  61  Jahre  dieses  Amt  verwaltet. 

1.  Incless  ist  dieser  Joannes  immerhin  der  erste,  urkundlich  nach- 
gewiesene Pfarrer  von  St.  Peter. 

2.  Ein  Zinsbuch  der  Münsterkirche  aus  dem  15.  Jahrhundert  führt 
auf  einen  Herrn  H.  Friso  als  Pfarrer  zu  St.  Peter,  welcher  Name  zu 
demselben  Zinsobjekte  unter  dem  Jahre  1445  wiederkehrt-. 

3.  Das  Nekrologium  der  Regulirherren  (im  Pfarrarchiv  von  St.  Peter) 
führt  unter  II  Nonas  Junii  einen  Joannes  Schirmer  pastor  s.  Petri  Aqu. 
auf  und  nennt  denselben  unmittelbar  nach  der  Memoria  eines  andern  Stifters, 
der  1451  gestorben  war. 

4.  Peter  Bickelstein  (1459 — 1464),  der  zugleich  Kanonikus  des  hiesigen 
Münsterstifts  war,  unterzeichnet  als  rector  ecclesiae  s.  Petri  die  Sendgerichts- 
urkunde   vom    s.   Januar    145«)    und    16.  Mai    1461  ;.      In   einem   Zinsbuch 


')  Ich  zitire  nach  einer  durch  Pfarrer  Breuer  von  St.  Peter  i.  J.  1638  angefertigten 
Kopie.  Quix,  a.  a.  0.  I T r k .  n  sagt  sogar  „plebani  st i.  Adalberti".  Vgl.  auch  Drese- 
mann,  die  Jakobskirche  zu  Aachen,  S.  17  ff. 

'-')  Quix,  Geschichte  der  S.  Peter-Pfarrkirche  S.  21:  lt.  Her  II.  Fryso  Pastoir  zu 
S.  Peter  zerzyt  van  sinen  Iluse.  dat  Pilgeirmaghe  was.  l  Ob.  l  Cap.;  ebendas.  Anraerk.: 
Op  die  Sanckuil  it.  Priso  Hoeifstal   was. 

:)  Loersch,  Achener  Etechtsdertkmäler  S.  220,  223. 


19 

des  Münsterstifts  aus  dem  15.  Jahrb.  wird  zu  einem  Hause  „bi  <lai  Kurap- 
huis"  bemerkt:  It.  Dieselue  Ka.  alreneist  da  bi  van  Luters  Schoppeils 
Huis  II  mr.  Redemtum  ao.  XLI  per  dnum.  Pet.  Bickelsteijn x.  Es  ist  wahr- 
scheinlich, dass  es  sich  auch  in  dieser  Stelle  um  dieselbe  Person  handelt 
wie  in  den  abgeführten  Urkunden,  aber  nicht  ersichtlich  und  unwahrschein- 
lich, dass  dieser  dominus  P.  Bickelsteijn  auch  schon  im  Jahre  1441 
Pfarrer  war. 

Von  den  bisher  genannten   vier  Pfarrern   von  St.   Peter  ist  urkundlich 
nichts  weiter  bekannt. 

5.  Wilhelm  Lentz  (1465 — 1504)  wird  zuerst  als  Pfarrei'  von  St.  Peter 
erwähnt  in  Urkunden  des  Pfarrarchivs  von  L465  und  14692;  er  lebte  bis 
zum  5.  August  1504.  In  seinem  letzten  Lebensjahre  hatte  er  die  Bruderschaft 
vom  Leiden  Jesu  oder  den  h.  5  Wunden  aufgerichtet,  welche  nachweislich 
bis  1722  bestanden  hat.  Er  war  ein  besonderer  Freund  und  Wohlthäter 
der  im  Pfarrbezirk  von  St.  Peter  wohnenden  Regulirherren,  in  deren 
Kirche  er  auch  auf  dem  Chore  begraben  wurde3.  Da  sein  Bruder  Jakob 
Lentz  mit  ihm  als  Hausbesitzer  zu  Aachen  in  der  Urkunde  von  1465  erwähnt 
wird,  so  ist  zu  schliessen,  dass  Lentz  ein  geborner  Aachener  war. 

(i.  Gerlacus  Rotarius  oder  Radermecher  (1565 — 1576  oder  J577).  Der 
Name  <\r>  unmittelbaren  Nachfolgers  von  Wilhelm  Lentz  ist  nicht  bekannt. 
In  dem  Bruderschaftsbuch  von  dem  Leiden  Christi  wird  erst  wieder  1565 
ein  Pastor  von  St.  Peter  als  neuaufgenommenes  Mitglied  aufgeführt  und 
zwar  der  genannte  Gerlacus  Rotarius,  welcher  bis  zum  Jahre  1576  ein- 
schliesslich als  Pastor  von  St.  Peter  die  Stuhltagsprotokolle  besagter  Bruder- 
schaft unterschrieb.  Er  scheint  einer  angesehenen  Aachener  Familie  ange- 
hört zu  haben;  denn  zum  Jahre  1555  erwähnt  Noppius  eines  doctor  Gerlacus 
Radermacher,  der  des  Raths  Syndikus  gewesen  und  zu  den  wichtigsten 
Sendungen  an  Kaiser  Ferdinand  verwandt  worden  war.  welchen  er  durch 
sein  Rednertalent  in  solche  Verwunderung  gesetzt,  dass  derselbe  ihn  sinne 
Rede  habe  wiederholen  lassen  und  alsdann,  zu  seinen  Käthen  gewandt. 
gesagl   habe:  „Ihr  Oberländer!  lernet  reden  von  den  Niederländern!" 

In  welchem  Verwandtschaftsverhältnisse  diese  beiden  gleichnamigen 
Männer  zu  einander  gestanden,  oder  wer  von  beiden  der  ältere  gewesen, 
darüber  lässt  sich  keine  sichere  Nachricht  beibringen:  beide  scheinen  der- 
selben um  1676 — 79  hierselbsl  herrschenden  Epidemie  zum  Opfer  gefallen 
zusein;  denn,  wie  Noppius  erzählt,  war  in  den  Jahren  107(1  7'.»  ein  solch 
grosses  Sterben  in  Aachen  und  namentlich  unter  den  Rahtsherren,  dass 
vom  23.  Juni  bis  zum  8.  okiober  157b  der  Rath  viermal  hat  erneuert 
und  ergänzt  werden  müssen.  Um  diese  Zeit  starb  auch  der  Rathssyndikus 
„Doctor  Gerlacus  Radermacher  .  .  .  maximo  catholicorum  damno".  her 
Pfarrer  Gerlacus  Rotarius  starb  Ende   1576  oder  Anfangs   l">77. 

7.  Heinrich  Beyer  tl577  1578).  Nach  inner  Notiz,  welche  der 
spätere  Pfarrer  Breuer  aus  einem  alten  Rechnungsbuche  der  Kirche  abge- 

')  Quix,  a.  a.  0.  S.  22. 

2)  Urkundliche  Aufzeichnungen  im  Pfarrarchn   von  St.  Petei'  zu  Aachen. 

:l)  Vgl.  Wacker.  Mittheilungen  d.  Ver.  f.  K.  it.  Aach.  Vorzeil    I.    '.   L45. 


- 


—  20 

schrieben  hat,  ist  im  J.  1577  Heinrich  Beyer  als  Pfarrer  von  St.  Peter  ange- 
stellt worden,  hat  aber  schon  auf  Neujahrstag  1578  seine  letzte  Predigt 
daselbst  gehalten  „und  ist  casseert  durch  den  lierrn  parochian,  dieweil  er 
die  Communion  sub  utraquc  ausgetheilet.  Fuit  praedictus  Henricus  reli- 
giosus  Carmelita1." 

8.  Cono  von  Langendorf  (1579 — 1604  oder  1608),  vorher  Kaplan  an 
der  St.  Jakobskirche-,  wurde  sein  Nachfolger.  Er  Hess  sich  schon  im  J.  1579 
in  die  Bruderschaft  vom  Leiden  Christi  eintragen  und  unterschrieb  die 
Stuhltagsprotokolle  derselben  bis  zum  Jahre  1609,  wird  aber  in  dem  Proto- 
kolle von  1604  als  alter  Pastor  von  St.  Peter  aufgeführt,  was  anzudeuten 
scheint,  dass  er  resignirt,  oder  sich  einen  Koadjutor  habe  geben  lassen. 
Zum  Jahre  1605  geschieht  seiner  in  einem  Protokollbuch  des  Kollegiat- 
stiftes  von  St.  Adalbert  Erwähnung.  Im  Jahre  1609  wird  er  nochmals 
als  Greve  der  obengenannten  Bruderschaft  erwählt.  Unter  ihm  erhielt  die 
Kirche  die  zweite  Glocke:  „Anno  1582  ist  die  Mess  Klock  s.  Peter  von 
Mestr  Joannes  von  Treyr  ergossen  und  woget  2001  pfundt"  3. 

9.  Hermann  Kinckes  oder  Kinckius  (1608 — 1621)  wird  als  Pfarrer 
von  St.  Peter  zuerst  im  J.  1608  genannt.  1616  erhielt  er  die  durch  den 
Tod  Lucae  Rossii  erledigte  Präbende  am  Eollegiatstift  von  St.  Adalbert 
auf  kaiserliche  Fürsprache  (preces  imperiales  producendo),  wie  nach  Mit- 
theilungen des  verstorbenen  Pastors  Kreutzer  aus  dem  betreffenden  Proto- 
kolle des  Stifts  hervorgeht.     Er  starb  am  16.  Oktober  1621. 

Nach  denselben  Mittheilungen  begehrte  Kinckius  im  J.  1620  zur  Residenz 
zugelassen  zu  werden,  doch  so,  dass  er  dabei  auch  sein  Amt  als  Pastor 
von  St.  Peter  versehen  könne,  indem  er  auf  die  vom  römischen  Stuhle 
erhaltene  Erlaubniss  zum  Besitze  beider  Pfründen  hinwies.  Ausnahmsweise 
wurde  ihm  die  strenge  Residenz  nachgelassen.  Er  scheint  aber  von  dieser 
Vergünstigung  wenig  Genuss  gehabt  zu  haben;  denn  gemäss  den  angeführten 
Protokollen  des  Stiftes  starb  er  bei  seiner  ersten  Residenz  den  16.  Oktober 
1621,  „postquam  viatico  ss.  corporis  et  sanguinis  ( Ihristi  Jesu  munitus  lüisset". 

Das  Porträt  dieses  Pfarrers  wird  noch  heute  nebst  noch  10  andern 
seiner  Nachfolger  in  dem  Pfarrhause  von  St.  Peter  aufbewahrt,  Es  zeigt 
einen  sehr  kräftig  gebauten,  bärtigen  Mann  im  Rochette  eines  Kanonikus. 
Die  Schrift  lautet:  „Adm.  Rev.  Dns.  Hermannus  Kinckius  Canonicus  ad 
s.  Adalbertum  et  ex  dispensatione  apostolica  pastor  ad  s.  Petrum". 

Sein  Wappen  zeigt  eine  Hand,  das  Gelenk  mit  einer  Spitzen-Man- 
cliette  geziert,  weiche  kräftig  eine  Gabel  umschliesst,  die  eine  Wiege 
mit  einem  Männchen  trägt,  Der  kleine  Finger  der  Faust  scheint  etwas 
vorzustehn.  Bekanntlich  wird  der  kleine  Finger  in  dvv  Aachener  Mund- 
art Kinckes  genannt.  (Schluss  folgt.) 


')  Vgl.  Planker,  Mittheilungen  d.  Vor.  f.  K.  d.  .Wh.  Vorzeit  I,  S.  177  ff. 
-')  Dresemann,  Die  Jakobskirche  zu  Aachen,  S.  26,  64. 
'■'■)  Nach  einem  alten  Rechnungsbuch  im  Pfarrarchiv. 


•  21 

Zur  Granussage. 

Von  E.  Pauls. 

In  dem  zweiten  Heft  des  ersten  Jahrgangs  unserer  Mittheilungen  ist 
die  Granussagjfe  '  in  kurzen  Zügen  dargestellt  und  zugleich  auf  die  Schwierig- 
keit ihrer  richtigen  Deutung  hingewiesen  worden.  Wenn  nun  auch  die 
mehrfach  liier  vorliegenden  Räthsel  vielleicht  nie  vollständig  gelöst 
werden  können,  so  lässt  sich  dennoch  durch  Zusammenfassung  und  Ver- 
gleichung  verschiedener  Thatsachen  aus  römischer  und  mittelalterlicher 
Zeit  das  Dunkel  iu  etwa  lichten.  Deshalb  möge  es  gestattet  sein,  in  Fol- 
gendem einigen  Betrachtungen  in  Bezug  auf  Ursprung  und  Ausbildung 
dieser  uralten  Sage  Platz  zu  geben. 

Bei  der  einen  Hälfte  der  Granussage  befremden  namentlich  zwei  Umstände. 
Wo  immer  nämlich  Sagen  über  die  Gründung  von  Städten  auftreten,  fast  stets 
stossen  wir  auf  das  begreifliche,  stolze  Bestreben,  den  Ursprung  der  Stadt 
thunlichst  weit  zurückzuverlegen  und  denselben  mit  irgend  einer  geschicht- 
lich bedeutenden  Persönlichkeit  in  Verbinduno'  zu  bringen-.  Anders  bei 
Aachen.  Wahrend  viele  uns  nicht  zu  ferne  Städte  hinsichtlich  ihrer  Grün- 
dung sagenhaft  auf  die  ältesten  Zeiten  der  Römerherrschaft  und  die  hoch 
berühmten  Namen  eines  Cäsar.  Drusus  u.  s.  w.  verweisen3,  ist  Granus 
ungefähr  ganz  unbekannt,  sein  „Bruder"   Nero1  sogar  berüchtigt. 

Zunächst  seien  mehrere  Thatsachen  aus  der  ältesten  Geschichte 
unserer  Heimath  erwähnt,  um  dann  einige  Folgerungen  an  dieselben  knüpfen 
zu  können.  Plinius  erzählt  in  seiner,  etwa  um  7.~>  n.  Chr.  vollendeten5  Natur- 
geschichte, dass  man  kürzlich  in  der  Provinz  Germanien  Cadmia  (Galmei) 
entdeckt  habe6.  Es  kann  sich  diese  Angabe  nur  auf  die  (legend  zwischen 
Altenberg  und  Langerwehe  beziehe])',  da  andere  Galmeilager  in  der  links- 
rheinischen, ehemals  römischen  Provinz  Germanien  nicht  vorkommen.  Plinius 
hatte  im  2.  Drittel  des  1.  Jahrhunderts  in  Germanieü  unter  Claudius  gedient. 
Kr  widmet  der  Beschreibung  des  Wassers  und  seiner  Eigenschaften  fast 
ein  ganzes  Buch8;  er  sagt,  das  Wasser  vermehre  die  Zahl  der  Götter  mit 
verschiedenen  Namen;  er  nennt  mehrere  Städte,   welche  dem   Wasser  ihre 

')  Bezüglich   des   Granusthurms   in    Aachen  sei  hier  bemerkt,   dass  die  Sage,    n 
welcher  dessen  unterirdischer  Theil   an  Grösse  dem  oberirdischen   gleich    ist.   auch  ander- 
wärts bei  alten  Denkmalen  sich  findet.     (Bonner  Jahrbücher  \.\.  S.   129). 

-')  Bekanntlich  ist  das  Gleich  bei  vielen  Sagen  über  die  Herkunft  adeliger  Geschlech- 
ter (In-  Fall. 

s)  Jülich  und  Cleve:  Julius  Cäsar;  Neuss:  Drusus.  Die  Reihe  Lässt  sich  leicht 
vermehren. 

')  Ein  Ritter  aus  dem  Gefolge  Neros  gill  auch  als  der  Gründer  Utrecht  .  (P.  a. 
Beeck  Aquisgranum  cap.  I ).  Die  Dtrechter  Sage  bangt  mit  der  Aachener  Granussage 
zusammen,  worauf  hier  nicht  näher  eingegangen  werden  kann.  Erwähnt  si  i  nur,  dass 
viele  Gründe  dafür  sprechen,  dass  Aachen  und  Utrechl  ziemlich  gleichzeitig  in  der  römi- 
schen Geschichte  hervortreten. 

")  Bonner  Jahrbücher  I X,  S.   161, 

,;i  Plinius,  bist,  nat.  XXXI V,  cap.  i'. 

■I  Gelegentlich  werde  ich  hierauf  ausführlicher  zurückkommen. 

8)   Plinius  1.  c.  XXXI. 


22  — 

Gründung  verdanken  und  erwähnt  auch  die  heissen  Quellen  Wiesbadens. 
Wenn  ein  so  kenntnissreicher,  mit  den  linksrheinischen  Verhältnissen  durch 
persönliche  Anschauung  vertrauter  Mann,  wie  Plinius  es  war,  trotz  seines 
Interesses  für  merkwürdige  Mineralquellen  Aachen  kurz  vor  dem  Jahre  75 

nicht  nennt,  seine  Lage  aber  genau  bezeichnet,  so  beweist  dies,  dass 
Aachen  damals  nur  wenig  bekannt  war  \  Jedenfalls  hat  die  Entdeckung 
der  Galmeilager  bei  Aachen  im  Beginn  des  letzten  Drittels  des  1.  Jahr- 
hunderts wesentlich  mit  zum  Hervortreten  Aachens  in  der  Geschichte 
beigetragen.  Dem  Kern  des  einen  Theils  der  Granussage,  nach  welchem 
Aachens  geschichtliche  Bedeutung  ungefähr  zu  Neros  Zeit  beginnt,  liegt 
also  eine  Thatsache  zu  Grunde,  die  sich  auch  anderweitig  stützen  lässt. 
Im  Laufe  des  1.  Jahrhunderts  füllte  sich  das  ganze  linke  Rheinufer  vom 
Bodensee  bis  zur  Insel  der  Bataver  mit  den  Anfängen  städtischer  Grün- 
dungen. Für  unsere  Heimath  war  damals  Köln  der  Mittelpunkt  römischen 
AVesens;  von  dort  aus  Avirkten  die  Lockungen  des  römischen  Handels- 
geistes, die  Genüsse  des  verfeinerten  Lebens-.  Sollten  da  Aachens  heisse 
Quellen  in  öder  Einsamkeit  unbenutzt  und  vergessen  geblieben  sein? 
Zahlreiche  zu  Aachen  in  der  Neuzeit  gefundene  Legionsziegel  deuten  auf 
Legionen,  welche  zu  Ende  des  1.  oder  zu  Anfang  des  2.  Jahrhunderts 
n.  Chr.  im  linksrheinischen  Germanien  standen3.  Es  ist  möglich,  aber  nicht 
wahrscheinlich,  dass  diese  Ziegel  erst  lange  nach  der  Zeit  ihres  Entstehens 
durch  irgend  welche  Zufälligkeit  nach  Aachen  gekommen  sind.  Viel  wahr- 
scheinlicher verdankte  die  römische  Aachener  AVasserleitung,  bei  welcher 
viele  Ziegel  der  (3.  Legion  sich  eingemauert  finden,  einer  in  Aachen  stationirt 
gewesenen  Abtheilung  dieser  Legion  ihr  Dasein,  stammt  also  ungefähr  aus 
dem  Ende  des   1.  Jahrhunderts  unserer  Zeitrechnung4. 

Weil  es  einen  Granus  genannten  Bruder  Neros  nicht  gegeben  hat. 
versuchte  man  früher,  andere  Persönlichkeiten  des  Namens  Granus,  Granius, 
Granianus  u.  s.  av.,  welche  bei  Tacitus  genannt  werden,  mit  der  ältesten 
Geschichte  Aachens  in  Verbindung  zu  bringen"1.  Diese  Versuche  scheiterten, 
da  selbst  die  geschraubtesten  Erklärungen  keine  brauchbaren  Anhaltspunkte 
lieferten.  Nero  selbst  hat  Gallien  und  Germanien  nie  besucht;  über  von 
ihm  gegründete  Städte  weiss  die  Geschichte  wenig  zu  berichten.  Die  von 
ihm  in  Rom  gebauten  sog.  Neronischen  Thermen  waren  der  Glanzpunkt 
seiner  gesammten  baulichen  Thätigkeit  und  erregten  selbst  in  der  Folge- 
zeit noch  ungetheilte  Bewunderung G.  Bei  Nero  darf  man  bestimmte  Beziehungen 


')  Dies  schliesst   nicht  aus,    dass    Aachen  vielleicht   damals  bestand,    wenn    auch    in 
einem  so  unbedeutenden  Umfang,  dass  das  IJestehniniit  dein  Nicht  bestehen  ziemlich  gleich  war. 
-')  Vgl.  .Schiller,  Geschichte  des  römischen  Kaiserreichs  unter  Nero.    8.  465. 
;))  Zeitschrift  des  Aachener  G-eschichtsvereins   VII,  S.   169  ff. 

')   Nach  den  Bonner    Jahrbüchern   LX,    S.  27    ist    diese  Wasserleitung   zwischen  70 
und    L20  n.  Chr.   entstanden. 

"')  Wohl  die  vollständigste  Zusammenstellung  hierüber  findet  sich  in  Lerschs  Auf- 
sätzen aus  der  Aachen-Burtscheider  Kurliste  des  .1.  1872,  S.  4  ff. 

"i  Schiller  a.  a.  0.  S.  639. 


'  ■>' ' 

•  -■> 

auf  Apollo  annehmen.  Griechische  Münzen  zeigen  die  Aufschrift  Nero 
Apollo,  und  schon  Seneka  vergleicht  in  Bezug  auf  Schönheit,  Stimme  und 
Gesang  den  Apollo  mit  Nero1.  Das  Andenken  Neros  hat  Jahrhunderte  lang 
sowohl  in  der  Liehe  als  im  Mass  fortgelebt.  Bei  den  Römern  waren  die 
Ansichten  gatheilt;  für  das  junge  Christenthum  aber  gab  es  keine  ver- 
rufenere Persönlichkeit  als  Nero.  In  ihm  sah  man  den  ersten  und  grimmig- 
sten aller  Christenverfolger,  er  galt  als  das  Vorbild  <h>>  Antichrist-.  Wohl 
darum  erhielt  sich  selbst  bis  zu  den  Zeiten  des  h.  Augustin  der  Aberglaube, 
Nero  sei  nicht  todt,  sondern  lebe  heimlich  fort;  wohl  darum  zitterten  noch 
im   11.  Jahrhundert  manche   Bewohner  Roms  vor  seinem  Schatten3. 

Bereits  einige  Jahrzehnte  vor  dem  Sturz  der  Römerherrschaft  war 
bei  uns  der  Sie«-  des  Kreuzes  über  das  Heidenthum  im  wesentlichen  ent- 
schieden, doch  kostete  die  Beseitigung  der  letzten  Beste  heidnischen  Un- 
wesens den  christlichen  Glaubensboten  noch  Jahrhunderte  hindurch  unsägliche 
Mühe.  Die  Verdrängung  der  Hausgötter4,  die  Beseitigung  gewisser  Götter- 
bildsäulen5,  besonders  auch  die  Ausrottung  des  an  Quellgottheiten  geknüpften 
Aberglaubens  stiess  auf  grosse  Schwierigkeiten.  Den  Franken  blieb  der 
Rhein  noch  lange  ein  heiliger  Strom;  der  h.  Remaklus  hielt  es  noch  i.  J.  048 
für  angemessen,  hei  der  Gründung  von  Malmedy  die  durch  heidnischen 
Aberglauben  befleckten  Quellen  zu  reinigen0;  Konzilienbeschlüsse  ans  dem 
('..  -9.  Jahrhundert,  sowie  Kapitularien  der  Karolinger  eifern  ernstlich  Liegen 
den  bei  den  Quellen  fortdauernden  Götzendienst7.  Dass  auch  in  Aachen 
Quellgottheiten  bekannt  waren,  beweist  uns  eben  die  Granussage.  Es  war 
heidnischer  Götter  Weise,  Quellen  durch  den  Stab  eines  Gottes  oder  durch 
den  Hufschlag  eines  göttlichen  Rosses  der  Erde  zu  entlocken8.  Nicht  nur 
in  Aachen,  sondern  auch  anderwärts  lässt  die  Sage  nach  dem  Hufschlag 
eines  fürstlichen  Rosses  Quellen  hervorbrechen9.  Karls  d.  G.  Pferd  und 
dessen  Hufschlag  in  der  Granussage  sind  also  weiter  nichts  als  ein  Nach- 
klang aus  den  Zeiten,  in  welchen  man  auch  in  Aachen  an  Quellgottheiten 
glaubte10.   Dass  unter  diesen  Apollo  GranuS  obenan  stand,  kann  nach  den 


1)  Ebendaselbst  S.  311. 

2)  Die  berühmte,  geheimnissvolle  ZabJ  666  der  geheimen  Offenbarung  (XIII,  18) 
winl  bis  zur  Neuzeit  vielfach  mittelst  des  hebräischen  Alphabets  mit  Neron  Kesar  zu 
deuten  versucht. 

Schiller  a.  a.  0.  S.  290. 

m  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  II.  S.  151. 

i  [Jeher  die   Zerstörung  mehrerer  Götterbildsäulen  in  der  Nähe  der  Maas  und  bei 
Malmedy  im  7.  Jahrhundert  vgl.  Q  regor  von  Tum-  VIII,  L5  und  Not  ger,  Vita  s.  Remacli. 

,;)  Notger  1.  c. 

7)  Bonner  Jahrbücher  WVI.  S.  81. 

s)  Simrock,  Deutsche  Mythologie  L878,  S.  195  und  Bonner  Jahrbücher  XXXIII,  S.  76. 

"i  Le  rsc  h .  <  teschichte  des  Bades  Aachen  S.   1 9. 

1  i  Dies  dürfte  unzweifelhaft  richtig  sein.  Dagegen  halte  ich  Simrocks  Versuch, 
hieraus  folgern  zu  wollen,  dass  in  vorrömischer  Zeil  Odin  und  sein  Etoss  Grani  in  Aachen 
verehrt  worden  seien,  für  einen  zu  gewagten. 


. 24  

gründlichen  Untersuchungen  von  Müller1,  Lersch-  n.  a.  trotz  des  Mangels 
eines  inschriftlichen  Beweises  wohl  nicht  bezweifelt  werden.  Es  fragt  siel) 
und  steht  mit  der  Granussage  im  Zusammenhang-,  ob  im  Namen  Aquae  Grani 
das  Grani  auf  die  Quellgottheit  oder  auf  eine  geschichtliche  Persönlichkeit 
zurückgeführt  werden  muss.  Nimmt  man  das  letztere  an,  so  läge  der 
höchst  seltsame,  wohl  niemals  irgendwo  vorgekommene  Fall  vor,  dass  eine 
Stadt  zwar  den  Namen  eines  Gottes,  Heiligen,  Helden  u.  s.  w.  trägt, 
welcher  zu  ihr  in  Beziehungen  stand,  dass  aber  nicht  der  Gott  oder  Heilig»' 
11.  s.  w.  der  Stadt  den  Namen  gab,  sondern  eine  zufällig  (!)  gleichnamige, 
geschichtlich  ganz  unbekannte  Persönlichkeit.  Von  einer  solchen  Häufung 
von  Unwahrscheinlichkeiten  sieht  man  besser  ab;  zur  Granussage  selbst 
sind  ungeschraubtere  Erklärungen  möglich. 

Am  Ende  der  Römerherrschaft  muss  bei  uns  die  Zeit  des  Hervor- 
tretens  Aachens  in  der  römischen  Geschichte  ziemlich  genau  bekannt 
gewesen  sein.  Inschriften,  ferner  vielleicht  die  verschiedenen  Karten  und 
Nachweise  (Meilensteine  u.  s.  w.)  über  das  allmählich  entstandene  Strassen- 
netz,  wahrscheinlich  auch  die  Ueberlieferung  mögen  auf  das  letzte  Drittel 
des  1.  Jahrhunderts  n.  Chr.  gedeutet  haben.  Doch  wohl  keinesfalls  hielt 
die  Römerzeit  irgend  einen  Granus  für  den  Gründer  Aachens.  Eher  hätte 
sie  Nero  als  solchen  ansehen  können.  Die  Neronischen  Thermen  waren 
berühmt,  auch  liegt  ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen  Apollo  Nero 
und  Apollo  Granus  nahe.  .So  lockend  indes  solche  Vermuthungen  sein 
mögen,  sie  haben  doch  nur  eine  sehr  geringe  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 
Es  sind  gar  keine  Beispiele  bekannt,  dass  die  Neronischen  Thermen  zu 
Sagen  von  Gründungen  von  Badeorten  Anlass  gegeben  hätten;  Neros  Ver- 
gleich mit  Apollo  fiel  mit  dem  Tod  des  Kaisers  fast  der  Vergessenheit 
anheim,  zudem  hatte  Nero  zu  rheinischen  Gegenden  nur  sehr  wenig  in 
Beziehungen  gestanden  und  auch  dort  kein  fleckenloses  Andenken  hinter- 
lassen. Wohl  mögen  sehr  bald  nach  ihrer  Ansiedlung  in  Aachen  die 
Römer  den  Ort  Aquae  Grani  benannt  haben  3,  eine  Gründungssage  haben 
sie  später  schwerlich  an  Aachens  Benennung  oder  an  seine  älteste 
Geschichte  geknüpft4.     Längst  steht  es  fest,   dass  nur  sehr  wenige  Orts- 


')  Bonner  Jahrbücher  XXXIII  S.  56  if.  Neben  Apollo  Granus  sind  in  Aachen 
vielleicht  noch  Apollo  Borvo  und  andere  Apollogötter  verehrt  worden.  Dies  ist  nebensäch- 
lich. Duldsam,  wie  es  alle  Anhänger  der  Vielgötterei  sind,  nahmen  die  Kömer  sowohl 
als  die  Gallier  ihre  beiderseitigen  Götter  als  solche  an  und  erwiesen  ihnen  gleichmässige 
Verehrung,  wobei  sie  vielfach  verwandte  Gottheiten  mit  einander  verschmolzen.  Bonner 
Jahrbücher  XIV,  95;  Minirock  a.  a.  0.  8.  245. 

2)  Lersch  a.  a,  0.  S.  3  II. 

3)  Plinius  (Hist.  nat.  XXXI,  2)  bestätigt  ausdrücklich,  dass  das  Wasser  die  Zahl 
der  Götter  mit  verschiedenen  Namen  vermehre  und  die  Ursache  der  Gründung  mehrerer 
Städte  sei.     Eierfür  liegen  zahlreiche  Belege  vor. 

4)  Yini  viel  bedeutendem  ßömerorten  a.ls  Aachen  sind  Gründungssagen  aus  der 
römischen  Zeil  nicht  nachweisbar.  Die  Zeit  der  Römerherrschaft  hei  uns  war  nicht  lang 
genug,  um  solche  Sagen  recht  aufkommen  zu  lassen;  vielfach  auch  mögen  Sagen  in  der 
stürmischen   Frankenzeil   nntergegangen  sein. 


•'  25 

namen  und  Ortssagen  aus  der  Römerzeit  bis  zur  Neuzeit  sich  erhielten  l. 
Dem  Mittelalter  gehört  die  wunderliche  Sucht  an,  Ortsbezeichnungen 
lateinisch  umzuformen  und  durch  Kaltein  aller  Art  eine  Brücke  zum  Alter- 
Ihum  herzustellen.  "  Die  trojanische  Sage  der  Franken,  die  Geschienter] 
von  Brutus  unter  den  Kymriern,  vom  Ritter  Antonius  in  Utrecht,  von 
Trebela  in  'Frier,  von  Marsilius  in  Köln-  und  zahlreiche  ähnliche  Märchen 
sind  mittelalterlichen  Ursprungs.  So  auch  die  Saue  von  der  Gründung 
Aachens  durch  Granus.  Wohl  keinesfalls  ist  Granus,  der  Bruder  Neros, 
eine  Erfindung  der  fränkischen  .oder  meroyingischen  Zeit.  Allzu  schwer 
mag  es  damals  gehalten  haben,  im  Kampf  gegen  den  Quellgott  Granus 
denselben  seines  Göttergewands  zu  entkleiden;  stammte  Neros  Bruder 
aus  dieser  Eeit,  so  würden  sich  wohl  in  den  bis  ins  Einzelne  reichhaltigen 
Geschichtsquellen  zur  Karolingerzeit  Andeutungen  finden.  Granus  wurde 
erst  dann  unter  die  Sterblichen  versetzt,  als  das  Andenken  an  seine  Ver- 
ehrung fast  erstorben  war,  als  der  Volksglaube  die  Quellgottheiten  in 
Quelldämonen  verwandelt  hatte3.  An  diese  glaubten  viele  Christen;  Aachen- 
neuere  Geschichte  beginnt,  so  könnte  man  fast  sagen,  mit  einem  Kampf, 
den  Pippin  der  Kleine  gegen  einen  Quelldämon  bestand1. 

Ob  Granus  bei  uns  als  Quelldämon  galt?  Ob  die  Sagenbildung  absicht- 
lich den  Dämon  Granus  neben  den  „Dämon  und  Antichrist"  Nero  setzte. 
bezw.  ob  der  in  der  Erinnerung  furchtbare  Nero  deshalb  gewählt  wurde, 
weil  die  heissen  Quellen  dem  Volk  furchtbar  erschienen?  Zur  Erklärung 
des  Umstands,  dass  Neros  Name  in  die  Gründung  von  Aachen  herein- 
gezogen wird,  bleibt  kaum  eine  andere  Annahme  übrig.  Namentlich  hinsicht- 
lich der  ältesten  Zeit  nimmt  die  Sagenbildung  oder  der  poetische  Sinn 
des  Volks  auf  die  Geschichte  nieist  keine  Rücksicht;  statt  auf  Nero  konnte 
deshalb  die  Sage  ohne  Weiteres  auf  die  hochberühmten  Namen  und  altern 
Zeiten  eines  Drusus,  Augustus  oder  Cäsar  zurückgreifen.  Wollte  aber  die 
Sage,  vielleicht  in  Uebereinstimmung  mit  den  zur  Zeit  ihres  Entstehens 
reichlicher  als  heute  vorhandenen  Beweisen,  die  Geschichte  Aachens  zur 
liömerzeit  mit  dem  letzten  Drittel  des  1.  .Jahrhunderts  beginnen  lassen"', 
so  waren  Titus  und  Vespasian  weit  ansprechendere  Erscheinungen.  Die 
Wahl  des  Schreckbildes  Nero  hatte  jedenfalls  ihre  besonderen  Gründe. 

Es  darf  nicht  auffallen,  dass  eist  in  den  letzten  2 — 3  Jahrhunderten 
ortsgeschichtliche  Forschungen  sieb  der  Erklärung  des  „Granunr  in  A<|iii>- 
granum  und  der  Granussage  zuwandten.  Nachdem  der  wahrscheinlich  am 
Ende  der  Karolingerzeit  geborene    Üruder   Neros  im   unächten    Privilegium 


')  Bonner  Jahrbücher  XXVII,  S.  19  ff.  für  Köln  schlagend  nachgewiesen.  Düntzers 
Ausführungen  gelten  auch  für  andere  Orte  aus  der  Römerzeit.  Der  Name  A.quae  Grani 
Stammt    sicher  aus  der   Uuinerzeit. 

2)  Bonner  Jahrbücher  III,  S.   190. 

i  Lersch  a.  a.  0.  S.   L5. 

')  Rtittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeil   I,  S.  26  ff. 

"')  Kinen  komischen  Eindruck  machen  die  Datirungsversuche  alter  Chroniken.  Die 
von  Prof.  Loersch  herausgegebene  Aachener  Chronik  aus  dem  15.  Jahrhundert  gibl  da- 
Jahr  70  11.  <'hr.  als  das  Jahr  der  Gründung  an;  P.  a  Beeck  wählt  Neros  Regierungszeit, 
also  vi     68  n.  Chr.,  während  Nonnius  sich  für  „Tu  und  etliche  Jahr"  entscheidet. 


—  26  — 

Kalls  (1.  Gr.  für  Aachen  Aufnahme  gefunden  hatte,  hielt  die  ungeheuere 
Mehrheit  der  Aachener  das  Märchen  für  wahr  und  durchaus  unantastbar. 
Ein  Angriff  gegen  dasselbe  wäre  ein  hochverrätherisches  Unternehmen 
gewesen,  gleichbedeutend  mit  einem  Zweifel  an  der  Gültigkeit  des  hoch- 
angesehenen Privilegs,  auf  welchem  der  Ruhm  Aachens  wesentlich  zu 
beruhen  schien.  Als  im  .Talire  1620  P.  a  Beeck  sein  Aquisgranum  schrieb, 
berührte  er  in  der  Einleitung  die  Granussage  in  vorsichtigster  Weise. 
„Ich  will  mir  nicht",  so  etwa  schreibt  er,  „den  Vorwurf  der  Verwegenheit 
zuziehen,  indem  ich  Karls  d.  G.  Privileg  angreife  und  schwäche,  welches 
im  Laufe  so  vieler  Jahre  treu  bewahrt  und  von  so  vielen  erhabenen  Kaisern 
für  wahr  gehalten  worden  ist.u  Hauptsächlich  diese  Scheu  vor  dem  gen. 
Privileg  hat  es  veranlasst,  dass  manche  in  mittelalterlicher  Zeit  wohl  noch 
in  Aachen  zur  Granussage  vorhandenen  Anhaltspunkte  uns  nicht  erhalten 
geblieben  sind.  Nach  K.  Geltes,  welcher  im  15.  Jahrhundert  lebte,  ist 
Aachens  Name  Aquisgranum  von  Apollo  Granus  herzuleiten.  Mit  Hecht 
nennt  P.  a  Beeck1  diese  Notiz  ein  Goldkorn;  denn  sie  beweist  uns,  dass 
die  Erinnerung  an  den  Quellgott,  dem  wahrscheinlich  Aachen  seinen 
Namen  verdankt,  auch  in  mittelalterlichen  Zeiten  nicht  erloschen  war,  so 
sehr  auch  die  in  diesem  Falle  mächtig  geschützte  Sage  an  der  Zerstörung 
des  Götterbilds  gearbeitet  hatte. 


Die  Aachener  Stadtpläne, 

Von  C.  Rhoen. 

Schill,,,.. 

Ein  sehr  schöner  Plan  von  Aachen,  ohne  Angabe  des  Stechers,  dessen 
klare  und  genaue  Ausführung  wohl  dem  Wenzel  Hollar  zuzuschreiben  sein 
dürfte,  ist  in  der  Zeit  zwischen  den  Jahren  1638  und  1656  erschienen. 
Diese  Zeit  ergibt  sich  aus  der  darauf  befindlichen  Bemerkung,  dass  der 
lange  Thurni  in  dem  erstgenannten  Jahre  durch  Grana  zerschossen  wor- 
den sei,  während  die  Bedachungen  dos  Rathhauses  und  dos  .Münsters 
noch  die  Formen  aufweisen,  die  sie  vor  dein  grossen  Brand  von  1656 
/•■igten.  Die  Bildgrösse  dieses  Plans  hat  eine  Breite  von  522  mm  und 
eine  Höhe  von  415  mm.  Die  Gebäulichkeiten  sind  mit  grosser  Feinheit 
und  Genauigkeit  dargestellt,  auch  ist  die  Anlage  der  Gärten  der  Stadt 
durchweg  angegeben.  Offenbar  ist  diesem  Plan  wieder  der  von  Steenwyck 
zu  Grunde  gelegt  worden,  da  er  dessen  Ungenauigkeiten  aufweist  und  im 
Wesentlichen  von  demselben  nicht  abweicht.  Mehrfache  Ergänzungen  von 
seit  dom  J.  1574  errichteten  Gebäulichkeiten  sind  in  demselben  nach- 
getragen worden,  so  unter  andern  das  L603  auf  dem  Karlsgraben  erbaute 
Maus  der  Karlsschützen  und  die  vor  dem  Köln-  und  Sandkaulthor  erbauten 
l.avolins.  Die  St.  Salvatorkirche  ist  unter  der  Bezeichnung  „St.  Silvester" 
zu    nahe    an    die    Stadt   gerückt,   ebenso   der  Berg,   auf   welchem    dieselbe 


')  P.  ;i   Beeck  1.  c.  cap.   I. 


•  27 

steht,  zu  steil  dargestellt.     Die  Namen  der  Strassen,  sowie  die  61  Nummern 
Erklärungen  sind  in  holländischer,  vielfach  verderbter  Sprache  angegeben. 

In  einem  flachovalen  verzierten  Schilde  oben  in  der  Mitte  steht  in 
grössern  Buchstaben  „Aqüisgranum",  darunter  in  kleinern  „G-allis,  Aix-la- 
chapelle.  Grermanis  et  Belgis  Aken."  In  dw  obern  Ecke  links  befindet 
sieh  in  einem  mit  Ornamenten  umrahmten  und  mit  einer  Krone  geschmückten 
Schild  der  Doppeladler  mit  kleinem  Schild  auf  der  Brust,  rechts  eben- 
falls in  einem  mit  Ornamenten  eingefassten  Schild  der  einfache  städtische 
Adler.  In  der  untern  Ecke  rechts,  verhältnissmässig  zu  nahe  bei  der  Stadt, 
ist  der  Galgen  mit  der  Bezeichnung-  „das  Greright"  angedeutet1. 

Der  in  holländischer  Sprache  geschriebene  Text  dieses  Plans  beginnl 
mit  den  Worten:  „Gelyck  Godts  aenbiddelycke  vorsienigheyt"  und  schliessl 
mit:  „en  eewige  bontgenoot."  Derselbe  füllt  in  acht  Spalten  die  erste  und 
vierte  Seite  des  gefalteten  Bogens,  sowie  ein  noch  besonders  zugegebenes 
Folioblatt, 

Das  grosse  und  schöne  Werk  Merians  „Beschreibung-  der  vurnembsten 
Statt  und  Platz,"  weist  in  dem  Bande,  in  welchem  der  westphälische  Kreis 
(um  1645)  beschrieben  ist,  auch  einen  Plan  von  Aachen  auf.  Der  Druck  dieses 
Plans  ist  ein  dem  Auge  angenehmer,  erreicht  jedoch  nicht  an  Schönheit  den 
vorher  besprochenen.  Auch  er  stellt  sich  als  eine  Nachbildung  des  Steenwyck- 
schen  dar,  wie  die  in  beiden  übereinstimmenden  [rrthümer  unwiderleglich 
nachweisen.  Die  Stich-  oder  Bildgrösse  ist  301  mm  breit  und  271  mm  hoch; 
der  Rand  wird  durch  eine  einfache  Leiste  gebildet.  Die  innerhalb  (\o^ 
Randes  stehende  Ueberschrift  „Aquisgranum.  Achen"  ist  in  Renaissance- 
Majuskeln;  in  der  obern  Ecke  links  ist  in  einem  mit  Barockyerzierungen 
geschmückten  Schilde  der  Doppeladler  angebracht,  auf  dessen  Brust  sich 
ein  kleines  Schild  mit  horizontalem  Balken  befindet.  Ueber  dem  Adler, 
jedoch  noch  innerhalb  des  Schilds,  schwebt  die  Reichskrone.  Oben  in  der 
Mitte,  zwischen  die  Worte  der  Ueberschrift  Aquisg-ranum  und  Achen  hinauf- 
reichend, ist  das  Oberthor  nebst  einem  Theile  der  Hauptstrasse  von  Burt- 
scheid  angedeutet;  vom  Oberthor  aus  zieht  sich  der  Weg  in  der  Richtung 
des  heutigen  Knigonot'en  weiter  fort.  In  der  obern  rechten  Ecke,  ebenfalls 
in  barockverziertem  Schild,  befindel  sich  der  sehr  unternehmend  aussehende 
einköpfige  Adler;  unten  fast  in  der  linken  Ecke  ist  die  Windrose  mit 
lateinischer  Inschrift  angebracht. 

Aus  dem  Merianschen  Werke  ist  dieser  Plan  von  Aachen  auch  in 
mehrere  andere  übergegangen.  So  in  die  zu  Leiden  bei  Johann  du  Vivie 
im  Jahre  1727  erschienene  „Beschryving  van  de  Stad  Aken",  worin  die 
29  in  holländischer  spräche  gegebenen  Erklärungen  unterhalb  der  untern 
Randleiste  in  Typenschrifl  beigedruckl  sind.  Ferner  wurde  derselbe  «lern 
1736  in  Amsterdam  bei  Pierre  Mortier  erschienenen  Werke  „Amusemens 
des  eaux  d'Aix-la-Chapelle"  beigegeben.  Hierbei  ist  die  Platte  insofern  um- 
gestochen worden,  als  an  den  stellen,  wo  im  ursprünglichen  Merianschen 
Plan   oben   links   und  rechts  sich   die   Adler  belinden,    in    dieser   Ausgabe  je 


')  Dieser  Plan  ist    in  photographischem  Druck    und  verkleinert  reproduzirt,   jedoch 
sind  nur  wenige  Exemplare  davon  abgezogen  worden. 


—  28  - 

ein  Karton  mit  46  Erklärungen,  links  in  französischer,  rechts  in  holländischer 
Sprache  angebracht  ist.  Im  Allgemeinen  sind  die  Abdrücke  dos  Pianos  zu 
diesem  Werke  nicht  sonderlich  kräftig. 

Dem  in  lateinischer  Sprache  geschriebenen  Werke  des  berühmten 
Aachener  Arztes  Franz  Blondel  „Thermae  Aquisgranenses  et  Porcetanae",  in 
dritter  Auflage  erschienen  in  Aachen  im  J.  1688  hei  -Tos.  Henr.  ( llemens,  ist  ein 
Planvoll  Aachen  heigegeben.  Die  Stichgrösse  desselben  hat  eine  Höhe  von 
225  nun  und  eine  Breite  von  233  mm,  wobei  jedoch  an  der  rechten  Seite 
ein  Verzeichniss  von  Gebäulichkeiten  von  39  mm  Breite  und  der  Höhe  des 
Stiches  sich  befindet.  Die  Technik  der  Ausführung  der  Kupferplatte  stellt 
gegen  die  der  vorherangeführten  Pläne  zurück,  auch  weisen  die  angebrachten 
Schriften  mehrfache  Unschönheiten  auf.  Derselbe  befindet  sich  auch  in  der 
deutschen  Ausgabe  des  Blondelschen  Werks  vom  Jahr  1688. 

Dieser  Plan  ist  gleichfalls  dein  Steenwyckschen  nachgebildet,  doch 
sind  die  Umänderungen,  welche  der  grosse  Brand  von  1656  verursacht  hatte, 
ziemlich  deutlich  eingetragen.  Selbst  mehrere  Einzelnheiten,  die  in  dem 
Steenwycksclien  ausgelassen  sind,  finden  sich  in  diesem  Plan  vor.  Dahin- 
gegen weist  er  auch  eine  Menge  von  Auslassungen  den  andern  Plänen 
gegenüber  auf.  Auf  einem  durch  einfache  Linien  eingefassten  Streifen  steht 
als  Ueberschrift  der  Anfang  des  Hymnus  auf  Karl  den  Grossen:  „Urbs 
aquensis,  urbs  regalis,  regni  sedes  principalis,  prima  regum  curia".  Eechts 
neben  dem  Plan  befinden  sich  in  dem  erwähnten  Verzeichniss  28  Nummern 
Erklärungen,  worunter  noch  als  Notiz  die  Worte:  „destructa  adhuc  fuit 
parochia  S.  Joannis,  capella  S.  Servatii,  capella  S.  Aldegundis"  stehen. 
Unter  dieser  Notiz  befinden  sich  von  a  bis  i  wiederum  Erklärungen,  die 
ausser  der  unter  a  bezeichneten  „curia"  nur  die  Bäder  betreffen.  Unterhalb 
des  untern  Druckrands  steht  in  Majuskeln:  „Aquisgranum  thermarum 
Prestantia  et  salubritate  celeberrimum". 

1685  liess  Blondel  in  Maestricht  bei  Jac.  du  Preijs  eine  „Thermarum 
Aquisgranensium  et  Porcetanarum  descriptio"  erscheinen.  Der  beigefügte 
Plan,  130  mm  breit  und  42  mm  hoch,  ist  fein  radirt,  kann  jedoch  auf 
Richtigkeit  wenig  Anspruch  machen,  da  durch  die  übermässige  Breite  der 
Strassen  und  Wege  die  Häuserinseln  bis  zur  Unkenntlichkeit  verzerrt 
worden  sind.  In  der  obern  Ecke  rechts  befindet  sich  ein  nur  24  nun 
langer  und  7  mm  hoher  Streifen  mit  der  Bezeichnung  Aquisgranum,  unter 
diesem  eine  Gruppe.  Flussgott  nebst  Nymphe  und  Amor  darstellend.  Die 
Nachbildung  des  Steenwyckschen  Plans  ist  nicht  zu  verkennen  '. 

Endlich  sind  noch  die  Amusemens  des  eaux  d'Aix-la-Chapelle  von 
v.  Pöllnitz  zu  erwähnen.  Im  .i.  1737  erschien  in  Berlin  bei  Johann 
Andreas  Rüdiger  eine  deutsche  Uebersetzung  unter  dem  Titel  „Zeit- Vertreib 
bey  den  Wassern  zu  Achen",  welcher  auch  ein  Plan  der  Stadt  beigegeben 
wurde.  Demselben  ist  augenscheinlich  der  Meriansche  zu  Grunde  gelegt 
und  hat  man  sich  bestrebt,  auch  die  Stechmanier  desselben  nachzuahmen, 
wobei  derselbe  jedoch  an  Grösse  etwas  eingebüsst  hat,  da  er  nur  290  nun 


')  Das  Werkchen  erschien   schon   KiTl    bei  Metternich    in   dachen     -  ob   mit  Plan? 
Vgl.  Lersch,  Schriften  über  die  Thermen  S.  5. 


-  29  - 

breit  und  2ö2  min  hoch  ist.  In  den  Einzelheiten  hat  sich  der  Stecher  sehr 
ängstlich  an  das  Vorbild  gehalten,  doch  ohne  dessen  Feinheit  in  der  Aus- 
führung zu  erreichen.  Die  oben  in  der  Mitte  innerhalb  dvs  Randes  befind- 
liche Ueberschrift :  „Die  freye  Reichs-Stadt  Aaachen  oder  Aacken"  ist  in 
kleiner,  liegender  Schrift  ausgeführt.  In  der  obern  linken  Ecke  ist  eine 
Tafel  mit  23  Erklärungen,  in  der  obern  rechten  Ecke  eine  Draperie  mit 
ebensoviel  Nummern  angebracht.  Diese  Erklärungen  sind  in  deutscher 
Sprache  gegeben. 

Dieser  Plan  ist,  soviel  mir  bekannt,  der  Letzte  in  Kavalierperspektive 
gezeichnete,  auch  der  einzige  im  IS.  Jahrhundert,  welcher  in  Kupferstich 
erschien. 

Von  jetzt  ab  treten  an  Stelle  der  in  Kavalierperspektive  gehaltenen 
Pläne  solche  in  geometrischer  Zeichnung',  die  den  Vortheil  besitzen,  auf 
denselben  Entfernungen  messen  zn  können  und  daher  in  mancher  Hinsicht 
den  Vorzug  verdienen.  Wenn  auch  Plane  dieser  Art  vorerst  nicht  durch 
Kupferstich  mechanisch  vervielfältigt  wurden,  so  entbehren  wir  doch  solche 
in  Handzeichnung  nicht,  und  es  gibt  einige  von  Aachen,  die  mit  ausser- 
ordentlicher Feinheit  ausgeführt  sind.  Ein  solcher  Plan  im  .Massstab 
von  1  zu  10  000  gezeichnet,  auf  welchem  nicht  nur  die  Stadt  allein,  sondern 
auch  umliegende  Ortschaften  und  einzelne  Häuser  eingetragen  sind,  befindet 
sich  in  meinem  Besitz.  Derselbe  ist  von  verschiedenen  Händen  gezeichnet, 
jedoch  nicht  ganz  vollendet  worden,  da  noch  ein  Theil  der  Gegend  süd- 
lich von  Burtscheid  darauf  fehlt.  Derselbe  scheint  gegen  das  Jahr  1700 
gezeichnet  worden  zu  sein. 

Im  städtischen  Archiv  wird  unter  Rahmen  gleichfalls  ein  in  Hand- 
zeichnung' ausgeführter  Plan  des  Aachener  Reiches  aufbewahrt,  der  einer 
spätem  Triangulationsaufnahme  zu  Grunde  gelegen  hat.  Die  Zeit  der- 
selben ergibt  sich  aus  der  im  Text  befindlichen  Jahreszahl   1710. 

Von  der  Hand  des  in  i\w  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Aachen 
thätigen,  talentvollen  städtischen  Baumeisters  und  spätem  Stadt  Sekretärs 
Johann  Joseph  Couven  befindet  sich  noch  ein  sehr  schöner,  im  J.  L725 
gezeichneter  Plan  mit  Ansicht  der  Stadt  unter  Glas  und  Rahmen  auf  dem 
Aachener  Stadtbauamt.  Die  Zeichnung,  imGanzen  472  mm  breit  und  662mm 
hoch,  stellt  im  untern  Theil  den  315  mm  breiten  und  220  mm  hohen  geo- 
metrischen Plan  der  Stadt  im  Massstal»  von  I  zu  5000  dar.  und  war 
ursprünglich  kolorirt,  doch  sind  jetzt  die  Karben  theilweise  sehr  werblichen. 
In  der  Zeichnung'  sind  Buchstaben  und  Zahlen  eingetragen,  welche  auf  die 
in  den  an  beiden  Seiten  befindlichen  7s  mm  breiten  Randstreifen  stehenden 
Erklärungen  sich  beziehen.  In  der  linken  obern  Ecke  dieses  Theiles  stehen 
die  Worte  „urbs  aqiiensis".  oberhalb  dieses  Plans,  jedoch  durch  einen  freien 
Raum  von  315  mm  Breite  und  47  mm  Eöhe  von  demselben  getrennt,  befindel 
sich  die  Ansicht  von  Aachen,  von  der  Südseite  ans  aufgenommen.  Diese 
Ansicht  hat  315  mm  Breite  und  L32  mm  Eöhe  und  ist  ebenfalls  in  jetzt 
freilich  stark  verblichenen  Karben  ausgeführt.  Der  Plan,  die  Ansicht  und 
der  zwischen  beiden  befindliche  Streifen  sind  von  einem  rahmenförmig  «las 
Ganze  umschliessenden  Randstreifen  von  7s  mm  Breite  eingefasst,  in  welchem 


30  — 

an  den  beiden  Seiten  und  dem  untern  Theile  die  im  Plane  befindlichen 
Buchstaben  und  Zahlen  ihre  Erklärung  finden.  Im  obern  Theile  des  Rand- 
streifens jedoch  ist  die  Ueberschrift  angebracht:  „Accurata  Delineatio  sive 
Prospectus  meridionalis.  Planum  Regiae  sedis  ac  urbis  renalis  Aquis- 
granensis.  1725".  In  der  rechten  untern  Ecke  steht  der  Name  des  Zeich- 
ners: „Joannes  Joseplius  Couven  Aquensis  fecit  et  delineavit".  Durch  die 
Einrahmung  unter  Glas  geschützt,  ist  dieser  Plan  ziemlich  gut  erhalten 
geblieben. 

In  meinem  Besitz  befindet  sich  ein  ebenfalls  von  Couven  gezeichneter 
Plan  von  Aachen,  welcher  wahrscheinlich  als  erläuternde  Beilage  zu  einem 
Bericht  gedient  hat,  da  sich  in  demselben  Buchstaben  und  Zahlen  befinden. 
die  nur  auf  ein  denselben  begleitendes  Schriftstück  Bezug  gehabt  haben 
können. 

Ob  im  17.  Jahrhundert  von  Aachen  und  dem  Aachener  Reich  Par- 
zellarkarten  bestanden,  scheint  zweifelhaft  zu  sein1,  da  den  Rathsproto- 
kollen  zufolge  am  14.  Juli  1658  ein  gewisser  Weybrand  sich  erbot,  eine 
neue  Karte  des  Aachener  Reiches  anzufertigen.  Es  ist  mir  unbekannt, 
ob  der  Magistrat  dies  Anerbieten  angenommen  hat;  zu  vermuthen  ist, 
dass  derselbe  wohl  das  Bedürfniss  einer  solchen,  die  als  Basis  der  damals 
schon  häufig  geschehenen,  wenn  auch  nur  vorübergehenden  Besteuerung 
der  Bodeufläche  zu  dienen  hatte,  erkannte,  jedoch  durch  das  grosse  Brand- 
unglück, welches  zwei  Jahre  vorher  die  Stadt  betroffen,  sich  der  bedeu- 
tenden Kosten  wegen  genöthigt  gesehen,  dies  Anerbieten  abzulehnen. 

Gegen  das  Jahr  1700  jedoch  wurde  von  dem  vor  Pontthor  auf  dem 
Gute  Süstern  wohnenden  Landmesser  Scholl  die  Vermessung  der  Bürger- 
meisterei Aachen  ausgeführt.  Von  den  in  Folge  dieser  Vermessung  gefer- 
tigten Plänen  befinden  sich  drei  auf  grosse  Bogen  gezeichnete  zur  Zeit  im 
Aachener  Stadtarchiv;  wo  sich  der  vierte  Plan,  der  das  Terrain  innerhalb 
der  Ringmauern  der  Stadt  enthält,  befindet,  ist  mir  unbekannt.  Einige 
Jahre  später  sehen  wir  wiederum  einen  andern  städtischen  Beamten  mit 
einer  neuen  Aufnahme  beschäftigt.  Es  ist  Heinrich  Copzoo,  von  dem  ein 
in  sehr  guter  Durcharbeitung  ausgeführter  Plan  aus  dem  Jahre  1777  auf 
dem  städtischen  Archiv  sich  vorfindet.  Derselbe  umfasst  sowohl  das 
gesammte  Reich  von  Aachen  als  auch  die  Stadt  selbst,  letztere  in  einer 
Grösse  von  etwa  170  mm  Höhe  und  Breite. 

Zählt  man  zu  den  oben  aufgeführten  Plänen  noch  einen  von  Harrewyn 
in  Brüssel  gestochenen  Plan,  von  welchem  ich  mir  jedoch  eine  Einsicht 
nicht  habe  verschaffen  können,  so  dürfte  wohl  die  Aufzählung  der  Aachener 
Stadtpläne  aus  der  Zeit  der  Freien  Reichsstadt  abgeschlossen  sein.  Es 
ist  in  der  That  eine  nicht  unbedeutende  Anzahl,  und  manche  grössere 
Stadt  dürfte  eine  solche  nicht  aufzuweisen  haben. 


')  Quix,  G-esch.  »I.  S.  Peter-Pfarrkirche  S.  58,  enthält,  die:  „Lymiten  dero  Bergh 
und  Sanckel  Graffschaffl  wir  weht  sich  dieselbe  an  Land!  und  Benden  hausseu  dorn  Statt 
und  Reigenoten  zu  A.ch  under  dem  Klockenklangh  ehrstrecken  doutt  zu  folg  getthanner 
abmessung  du  anno  1639".  oli  die  Ergebnisse  dieser  „getthanner  abmessung"  auf  Karlen 
eingetragen  wurden,  muss  dahingestellt  bleiben. 


—  31  — 

Kleinere  Mittlieilungeu. 

1.  Eine  Aachener  Silbermünze  von  1419. 

Im  JahreMH.sT  wurde  zu  Monheim,  einem  Dorfe  im  Kreise  Solingen,  bei  einem  kleinen 
Umbau,  den  man  auf  der  Besitzung  des  Eerrn  Quadflieg  vornahm,  etwa  1\i  m  tief  in  der 
Erde  ein  Topf  mit  ungefähr  300  mittelalterlichen  Münzen,  goldenen  and  silbernen,  gefun- 
den. Da  die  jüngsten  von  ihnen  die  Jahreszahl  1498  tragen,  so  wird  die  Vergrabung  ersl 
im  IB.  Jahrhundert  geschehen  sein.  Aus  welchem  Anlass  sie  erfolgte,  bleibt  unermittelt. 
Mit  Kriegsereignissen  scheint  sie  kaum  zusammengehangen  zu  haben,  da  für  das  Dorf 
Monheim  nach  Zerstöruno-  seiner  Festungswerke  im  15.  Jahrhunderl  eine  lange  Zeit  der 
Ruhe  eintrat,  die  auch  durch  die  Reformation  und  die  sich  daran  anknüpfenden  Kämpf 
nicht  wesentlich  gestört  wurde  (vgl.  F.  E.  von  Mering,  Geschichte  der  Burgen,  Ritter- 
güter,  Abteien  und  Klöster  in  den  Rheinlanden  XI,  S.  24).  Zu  den  aufgefundenen  Münzen, 
welche  sich  gegenwärtig  im  Besitze  des  Herrn  Apotheker  Quadfiiee,-  bierselbst  befinden, 
gehört  auch  eiue  Aachener  Silbermünze  von  der- Grösse  eines  Zweimarkstücks,  aber  erheb- 
lich dünner  als  dieses.  Auf  ihrer  Hauptseite  ist  Karl  d.  Gr.  mit  der  Münsterkirche  auf 
der  Rechten  und  dem  Reichsapfel  in  der  Linken  dargestellt,  darunter  der  Adlerschild  der 
Stadt;  Umschrift:  SOS  .  KAROL  .  MAG'.  IPERATOR.  Die  Rückseite  zeigt  in  einem  Kreise 
ein  Kreuz  mit  Doppelumschrift,  von  welcher  die  innere:  f  MONETA.  VRB\  AQVS'.,  die 
äussere:  f  ANNO  .  DOMINI .  MILESIMO  .('( VC.  XIX.  lautet.  Die  Münze  ist  zwar  nicht 
besonders  selten,  dennoch  erschien  ihre  Verzeichnung  an  dieser  Stelle  nicht  überflüssig, 
zumal  die  bisher  veröffentlichten  Nachrichten  über  die  Münzen  der  alten  Kaiserstadt 
ausserordentlich  dürftig  sind. 

Aach eu.  B.  Pick. 


2.  Die  Bruderschaft  der  Wollenweber-Gesellen  in  Aachen. 

Im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  traten  die  Wollenweber-Gesellen  in  Aachen 
zu  einer  Bruderschaft  zusammen,  deren  Hauptzweck  die  Unterstützung  der  Mitglieder  in 
Krankheits-  oder  sonstigen  Unglücksfällen  bildete.  Dass  daneben  auch  die  Pflege  eines 
braven  christlichen  Lebenswandels  unter  den  Gesellen  ins  Auge  gefasst  war,  verstand  sich 
zur  damaligen  Zeit  von  selbst.  Bei  der  grossen  Zahl  von  Wollenweber-Gesellen,  welche 
es  seit  Alters  in  Aachen  gab,  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  das  Vermögen  der  Bruderschaft 
bald  stark  anwuchs,  obgleich  der  Beitrag  für  den  Einzelnen  wöchentlich  nur  eine  Aachener 
Mark  betrug,  um  eintretenden  Kalls  die  auf  einen  rheinischen  dulden  für  die  Woche 
festgesetzte  Unterstützung  zu  erhalten,  musste  man  sechs  Jahre  der  Bruderschaft  angehöri 
halien.  Eine  besondere  Festlichkeii  wurde  für  denjenigen  veranstaltet,  welcher  fünfzig 
Jahre  hindurch  Mitglied  der  Genossenschaft  gewesen  war.  Dieser  Fall  trat  im  Sommer  1765 
seltsamer  Weise  hei  vier  alten  Gesellen  ein.  Der  Bürgermeisterdiener  Johann  Janßen 
(f  1780),  dessen  handschriftlicher  Chronik  der  Stadt  Aachen  (::  Künde  Fol.  im  hiesigen 
Stadtarchiv)  die  vorstehenden  Nachrichten  entnommen  sind,  beschreibl  ilie  Jubiläumsfeier 
(Bd.  11T,  s.  199  f.)  wie  folgt:  „Also  seind  dan  I  alte  Gesellen  gewesen,  welche  50  Jahr 
in  diese  Bruderschaft  gewesen;  diese  haben  ihr  Jubiley  gehalten  mil  solche  ceremonien,  als 
wans  im  geistlichen  Stand  gewesen  war.  Diese  i  haben  sich  hübsch  gekleidl  mit  einen 
Crans  umb  den  Kopf  und  seind  in  der  Pfarkirch  gangen  mit  alle  ihre  in  der  Bruderschafl 
gehörige  Mitgesellen  und  haben  ein  hohes  Ambl  gehalten  oder  beygewohnl  mit  Ealtung 
ihren  Fcstag,  bey  Embfangung  des  h.  Sacraments  mit  Abführung  der  Böller  zu  ::  Mal: 
nach  dem  Ambt  aber  aus  der  Kirch  nach  ihre  Leuf  oder  Beisanimenkörast-Haus  zur  Mittag 
gespeiset;  hernach  die  Mitleuf  oder  Zunfthaus  iluminirl  mit  artige  Versen,  auf  die  Jubilarij 
zielent,  im  .Mitten  aber  war  das  große  Portrel  Carli  Magni,  unser  Stadtpatron,  des  Aliens 
wider  mit  abfeurung  der  Böller  den  Schluß  gemacht.  Dieses  Fes!  ist  mit  allerhand  närrische 
Cermonien  begangen  und  geendigel  worden,  welche  alliier  uichl  habe  notiren  wollen,  also 
dal;   sich    alle   verstandige    Leu1  darüber  bald  zu  Puckel  gelacht."     Ungewiss  ist.   ob  mit 


-  32  - 

dem  „großen  Portret  Carlj  Magni"  ein  der  Bruderschaft  gehöriges  Bild  Karls  d.  Gr.  oder 
vielleicht  das  im  Jahre  1730  von  dein  Maler  Johann  Chrysanth  Bollenrath  wahrscheinlich 
auf  Bestellung  der  Werkmeister  und  Geschworenen  angefertigte  Uelbild  dieses  Kaisers, 
das  noch  jetzt  in  dem  Sekretariat  des  Rathhauses  (Bureau  Nr.  3),  dem  frühern  Sitzungs- 
saal des  Werkmeistergerichts,  hängt,  gemeint  sei.  Man  könnte  an  letzteres  denken,  da 
in  dem  darauf  angebrachten  Doppelchronogramm :  CaroLVs  MagnVs  hVIVs  seüls  regaLIs 
ei  Vrbls  granensls  LaVDabILIs  et  De  pannls  IbT  statVentls  IVDICII  patronVs  (zu 
Deutsch:  Karl  der  Grosse,  dieses  Königlichen  Stuhls  und  der  Stadt  Aachen,  sowie  des  hier 
tagenden  Werkmeistergerichts  löblicher  Beschützer)  ebenfalls  von  dem  „Stadtpatron"  die 
Rede  ist. 

Aachen.  7?.  Pick. 


Fragen. 


1.  Wo  lag  in  Aachen  die  im  Todtenregister  des  Marienstifts  (Quix,  Necrologium  ecclesiae 
B.  M.  V.  Aquensis  p.  53,  1.  1)  erwähnte  platea  Dodonis?  Lässt  sich  dieselbe  sonst  noch 
urkundlich  nachweisen?  W. 

2.  Wer  kann  den  Aachener  Bachnamen  Pau  erklären?  S. 

3.  Wann  wurde  in  Aachen  die  Kunst,  Ziegel  zu  bereiten,  zuerst  im  Mittelalter  geübt, 
und  wo  findet  sich  das  älteste  Zeugniss  darüber?  P. 

4.  Woher  stammt  der  Strassenname Rennbahn  in  Aachen?  Ist  die  Ansicht  von  Quix  begründet, 
dass  das  öfters,  namentlich  im  Winter,  eintretende  Ueberfiiessen  (Rennen  =  Laufen  = 
Fliesseh)  der  Pau  nach  dem  tiefer  gelegenen  Fischmarkt  hin  der  Anlass  zu  dieser 
Namengebung  gewesen  sei?  P. 

5.  in  einer  ungedruckten  Aachener  Urkunde  vom  Jahre  1699  ist  davon  die  Bede,  dass  ein 
Durchgang  nebst  dem  „offenen  Platz",  zu  welchem  er  führte,  nicht  „zu  einem  Schlep- 
spill  oder  Luderwinkel"  gebraucht  werden  dürfe.  Was  ist  mit  deiu  „Schlepspill" 
gemeint?  W. 


Antworten. 

Zu  S.  ]f>,  Frage  1  [Engeland]:  Nach  Quix,  Gesch.  d.  Karmeliten-Klosters  S.  50,  Anm. 
ist  der  Flurname  „Engeland"  folgendermassen  zu  erklären:  In  den  achtziger  Jahren  des 
vorigen  Jahrhunderts  bewohnte  ein  Engländer,  Comte  de  Rice,  den  Neuenhof  bei  Brand; 
diesen  Hess  er  in  Stand  setzen  und  ausserdem  noch  auf  urbar  gemachtem  Boden  der 
Brander  Heide  mehrere  Häuser  errichten.  Den  ganzen  Komplex  nannte  man  seitdem 
Engeland.     (Mittheilung  des  Herrn  Kaplan  H.  Schnock  iu  Aachen.) 


Vereinsangelegenheiten. 

Monatsversammlungen  im  Hotel  zum  Elephanten  (Ursulinerstrasse). 

1.  Am  Mittwoch,  den  21.  November  1888,  Abends  77,  Uhr.  Vorträge: 
Prähistorische  Funde  in  der  Umgegend  von  Aachen.  Zur  früheren 
Uhrenfabrikation  mit  Beziehung  auf  Aachen. 

2.  Am  Mittwoch,  den  19.  Dezember  1888,  Abends  7V2  Uhr.  Vorträge: 
lieber  ein  registrum  mortuorum  d.  a.  1622—1688.   lieber  Christian  Quix. 


Drück  von-  Hicrmaxn-  Kaat/.i.i:  rx  Aachen. 


Jährlich  8  Nummern 

ä  1  Bogen  Eoyal  Oktav 

Preis  des  Jahrgangs 

4  Mark. 


Kommissions  -Verlag 

der 

Cremer'schen  Buchhandlung 
(0.  Cazin) 

in  Aachen. 


Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 

Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  Dr.  K.  Wieth. 


Nr.  3. 


Zweiter  Jahrgang. 


1889. 


Inhalt:   S.  Planker,  Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen.   (Fortsetzung  statt  Schluss.)  - 
K.  Wieth,   Zur  Erklärung   des   Namens  Marschierstrasse.  —  Kleinere  Mitteilungen:   Die 
Eethelschen  Fresken  im  Bathhaussaale  zu  Aachen.  —  Heinrich  Copzoo.  —  Eine  Bescheinigung 
des   Vorstands    der   Aachener   Bäckerzunft  1647.    —   Fragen.    —   Antworten.  —  Vereins- 
angelegenheiten: Chronik  des  Vereins    1888.    —  Monatsversammlung.    —    Bücheranzeige. 


Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen. 

Von  S.  Planker. 

(Fortsetzung  statt  Schluss.) 

10.  Gerardus  Breuer  (1621 — 1651).  Am  16.  Oktober  war  G.  Kinckius 
gestorben,  und  noch  in  demselben  Monat  ernannte  der  Erzpriester  und 
Kanonikus  des  Münsterstiftes  Herr  Gosswin  Schrick,  sein  Patronatsrecht 
"wahrend,  den  bisherigen  Pastor  von  Moresnet  Gerardus  Breuer  zum  Nach- 
folger, welcher  sich,  wie  er  es  selbst  notirt  hat,  den  4.  November  investiren 
Hess.  Breuer  war  nach  Noppius  ein  „guter  Oeconomus."  Er  restaurirte 
Kirche  und  Pfarrwohnung,  der  Tlmrni  erhielt  eine  schöne  Uhr  nebsl 
Schlagwerk,  die  Kirche  selbst  eine  Orgel,  einen  neuen  Altar  und  viele 
Stiftungen.  Dabei  liess  er  es  sich  angelegen  sein,  die  vorhandenen  Stif- 
tungen sorgsam  zu  verwalten,  die  Urkunden  zu  sammeln  und  zu  registriren, 
die  vergänglich  gewordenen  wichtigen  Manuskripte  zu  kopieren,  und  die 
Kirchenrechnungen  selbst  bis  an  seinen  Tod  zu  führen.  Aber  er  war  auch 
ein  ebenso  eifriger  Seelsorger.  Kr  förderte  »las  kirchliche  Leben  durch 
regelmässiges  Predigen,  Katechisiren  und  fleissigen  Krankenbesuch;  die 
Bruderschaft  vom  Leiden  Christi  hob  er  zu  neuer  Blüthe.  Er  schenkte 
der  Kirche  im  Juni  1647  ein  „Silber  iibergultes  Ciboriuma,  welches  ihn 
über  100  thlr.  gekostet,  desgleichen  stiftete  er  in  seinem  Testamente  anno 
1651   eine  Jahresrente   auf  sein    Haus    in    der  Hartniannstrasse  ..zu  behoif 


—  34  — 

des  Olichs  in  der  Lampen  vor  dem  hoc.hw.  Sacrament",  und  für  drei 
Lesemessen,  am  2.  April  abzuhalten  *.  Nach  seinem  Tode  machten  die  hier 
lebenden  Geschwister  desselben  der  Kirche  verschiedene  Zuwendungen  und 
stifteten  eine  Messe  für  ihren  sei.  Bruder.  Hieraus  ist  zu  schliessen,  dass 
Breuer  ein  geborner  Aachener  war,  wie  denn  auch  Quix  ihn  Aquensis  nennt. 
Die  letzte  von  seiner  Hand  geschriebene  Kirchenrechnung  ist  die 
von  1649/50.  Die  Rechnung  von  1650/51  ist  von  anderer  Hand,  und  zu 
Pfingsten  1651  wird  der  Kirch envorstand  ohne  Beisein  eines  Pastors 
ergänzt.  Die  von  Breuer  gestiftete  Rente  für  Oel  wird  zuerst  den  6.  April 
1652  der  Kirche  eingezahlt  und  so  fort  im  April  jedes  Jahres.  Da  nun 
das  damit  verbundene  Jahrgedächtniss  stets  am  2.  April  abgehalten  wird, 
so  darf  man  schliessen,  dass  Breuer  den  2.  April  1651  gestorben  ist.  Sein 
im  Pfarrhause  noch  erhaltenes  gutes  Porträt  stellt  ihn  dar  in  priesterlichem 
Gewände,  betend  und  mit  gefaltenen  Händen.  Das  stark  bärtige  Gesicht 
drückt  Ernst  und  Andacht  aus.  Sein  Wappenschild  trägt  einen  Kelch 
zwischen  den  Buchstaben  G.  B2. 

11.  Winand  Osteradius  (1651  — 1663),  geboren  zu  Hülchrad  bei 
Wevelinghoven,  wurde  im  52.  Jahre  Pfarrer  an  St.  Peter  und  war  zugleich 
Vicarius  in  Neuhaus,  wahrscheinlich  Neuenhausen  in  der  Nähe  seiner  Heimath. 
Auf  dem  Grabstein,  der  im  J.  1836  noch  vor  dem  Pfarrhause  zu  BrauAveiler 
lag,  wird^er  pastor  vigilantissimus  genannt.  Er  ist  in  der  Kapelle  des  h. 
Laurentius  zu  Brauweiler  begraben.  „Memoria  anniversaria  adm.  Revdi. 
Dni.  Winandi  Osterath,  Pastoris  ad  s.  Petrum  Aquisgrani  hie  in  Brauweiler 
pie  in  Domino  defuneti  anno  1663  in  sacello  s.  Lauren tii  sepulti3".  Indem 
Rechnungsbuch  der  Kirche  von  St.  Peter  vom  J.  1663  liest  man:  „und  ist 
folgendts  den  14.  Juni  in  praesentia  pastoris  Winandi  Osteradii  und  Michaelis 
Born  als  successoris  .  .  .  Rechenschaft  gehalten  worden".  Demnach  muss 
Osteradius,  wahrscheinlich  weil  er  schwächlich  oder  kränklich  geworden, 
einen  Koadjutor  angenommen  und  sich  nach  Brauweiler  zurückgezogen 
haben,  wo  er  denn  auch  noch  in  demselben  Jahre  1663  am  30.  Oktober 
verschied. 

12.  Michael  Born  (1663 — 1690)  trat  sein  Amt  im  Juni  1663  an  und 
verwaltete  es  bis  zum  16.  Dezember  1690,  an  welchem  Tage  er  starb4. 

Er  scheint  im  Geiste  Breuers  die  Verwaltung  geführt  zu  haben. 
Pfarrhaus  und  Kirche  wurden  wesentlich  verschönert,  in  der  Kirche  neue 
Bänke  aus  freiwilligen  Gaben  beschafft;  er  selbst  vermachte  aus  seiner 
„wenigen  Hinterlassenschaft"  der  Kirche  testamentarisch  100  rthlr.  zu 
einem  Anniversarium. 

Er  war  besonders  befreundet  mit  dem  schriftstellerisch  bekannten 
Arzte  Blondel,  welcher  das  Aachener  Thermalwasser  als  heilwirkendes 
Getränk  in  die  ärztliche  Praxis  eingeführt  hat.     Er   schrieb  zu  der  latei- 


')  Urkundliche  Aufzeichnungen  im  Pfarrarchiv. 
~)  Vgl.  über  ihn  Wacker  a.  a.  0.  S.  148  ff. 
'■'■)  Ans  einem  alten  Kirchenbuch  zu  Brauweiler. 

4)  Gemäss  einem  Anniversarienhuche,  welches  er  1672  selbst  angelegt  hat.  Cod.  II, 
2  im  Pfarrarchiv  \<>ii  St.   Peter. 


35  — 

nischen  Ausgabe  des  betreffenden  Werkes  von  Blonde]  von  1688  als  Zeichen 
seiner  Freundschaft  einige  Disticha  und  ein  Chronicon,  welche  hier  folgen 
mögen : 

Nobili  et  Expertissimo  Viro  Domino 

I).  Francisco  Blondel 
Ärchiatro  et  Aquarum  Mineralium  Aquisgranensium 
Vindici  solertissimo  etc. 

Non  satis  ille  sapit  Medicus,  sed  ab  arte  recedit, 
Qui  Medicos  fontes,  omnibus  esse  volet: 
Nee  minus  a  solida  hune,  dico  ratione  vagantem, 
Nulli  qui  medicas,  esse  uegabit  aquas: 
'Qui  bene  (consilio  Medici)  thermalibus  undis, 
Utitur,  inflrmis  proficit  usus  aquae: 
Haec  etenim  tot i  sententia  cognita  mundo  est; 
Quod  sanus,  Medici,  nee  Medicae  artis,  eget; 
usus  servetur,  tollatur  abusus  aquarum: 
Usus  si  malus  est,  optima  quaeque  nocent. 
Ut  bene  vel  fotu  vel  eures  corpora  potu; 
Optima  Blondelii,  regula  Pandit  iter. 

amicitiae  ergo  posuit 

Michael  Born  pastor  S.  Petri   Aquisgrani,   ac  senior  Venerabilis 

Iudicii  Synodalis  assessor. 
Chronicon. 

noVYs  therMaLIs  aqVae  VsVs,  VInDICatVs. 

13.  Christian  Blees  (1691- -1692),  canonicus  regularis  ordinis  s. 
Augustini  Congregationis  Windesimensis  aus  dem  Kloster  von  Werdt 
(warscheinlich  von  Werden?),  wurde  durch  den  Erzpriester  Fibus  zum 
Pastor  von  St.  Peter  im  .(.  1691  ernannt,  aber  diese  Ernennung  als  rechts- 
widrig von  den  Kirclienvorsteliern  und  Pfarrgenossen  bestritten,  da  er  eine 
Ordensperson  sei.  Derselbe  musste  gemäss  Sentenz  der  sacra  rota  Romana, 
ergangen  am  14.  Januar  1692,  weichen,  und  statt  seiner  wurde  denominirt 
und  „mit  guten  contractu"  den  sämmtlichen  Pfarrgenossen  vorgestellt: 

14.  Johannes  Henricus  Scholl(1692 — 1724).  „pastor  bene  meritus,  licen- 
tiatus  s.  theologiae"  \  Die  gegen  Scholls  Ernennung  durch  Christian  Blees 
erhobene  Appellationsklage  wurde  ersl  endgültig  erledigl  durch  römische 
Sentenz  vom  29.  Januar  1694.  Dieser  Henricus  Scholl  isl  ein  ebenso 
thatkräftiger  als  einsichtiger  Pastor  gewesen.  Er  nahm  zunächst  eine 
durchgreifende  Erneuerung  ilw  Thurmspitze  vor,  dann  wurde  für  die  innere 
Ausschmückung  der  Kirche  gesorgt,  und  endlich  fand  er  Muth  und  Mittel, 
die  für  die  Pfarre  zu  klein  gewordene  und  baufällige  Kirche  durch  den 
Neubau  der  jetzigen  zu  ersetzen.  Dass  Schlussblatt  des  im  J.  L 700  ange- 
legten Rechnungsbuches  (('^1  I,  4)  sagl  von  ihm:  „Es  ist  hiebei  gedenk- 
würdig,  dass    indeme   man    L707  auswendig  der    Kirch    bemühet    und   das 


M  Nach  einem  alten  Rechnungsbucb  im  Pfarrarchiv  von  St.  Peter,  Cod.  I.  2. 


—  36  — 

Dachwerk  am  Thurm  ganz  renovirt,  hat  der  Ehrw.  Herr  Pastor  Hinricus 
Scholl  mit  seinem  Fleiss  auch  nit  ermangelt  und  hat  das  Haus  G-ottes  ein- 
wendig  mit  die  köstlichste  Monstranz  geziert,  welche  hat  in  Gewicht  11 
Pfundt  und  14  Lotli.  Hiebei  ist  aus  der  Kirchen  sieben  Pfundt  Silber  bei- 
geschossen, die  übrigen  vier  Pfundt,  welche  seind  beigelegt,  wie  auch  den 
Machlohn,  welcher  accordirt  bei  Hr.  Eüttgers  vor  1200  Acher  Gulden 
(=  100  Thlr.)  seind  ohne  den  geringsten  Schaden  der  Kirchen  von  dem 
Ehrw.  Hr.  Pastor  versorget;  dangestalten  der  ein  und  ander  guter  freundt 
der  Pfarrgenossen  hierzu  verehret,  aber  an  ein  so  köstlich  Werk  nit  hat 
können  klecken,  hat  vorgemelter  Herr  Pastor  was  hiran  gefeit  aus  seinen 
eigen  Mittelen  aus  Liebe,  so  er  gegen  das  Gottes  Haus  getragen,  gar 
williglich  und  gern  verehret."  Diese  Sonnen-Monstranz  ist  in  ihrer  Art 
ein  wahres  Prachtstück  der  Goldschmiedekunst  und  heute  noch  im  Besitze 
der  Kirche.  Gleicher  Weise  liess  Pastor  Scholl,  wahrscheinlich  auch  von 
demselben  Künstler  einen  prächtigen  Kelch  in  getriebener  Arbeit  für  die 
Kirche  anfertigen,  sowie  ein  kleines  Ciborium,  welches  zugleich  zu  Verseh- 
gängen benutzt  werden  konnte.  Der  Kelch  ist  2  Pfund  1  Loth  schwer, 
das  Ciborium  wiegt  1  Pfund  2  Loth.  Von  demselben  Pfarrer  wurde  im  J.  1722 
der  Kirche  eine  grosse  silbervergoldete  Schüssel  (22  Loth  schwer)  geschenkt, 
um  die  Messkännchen  darauf  zu  stellen;  die  Inschrift  derselben  lautet: 
„D.  0.  M.:  B.  M.V.  et  Patronis  Henricus  Scholl,  s.  Petri  Pastor,  dicabat  1722". 

Um  die  zum  noth wendigen  Neubau  der  Kirche  erforderlichen  Mittel 
zu  beschaffen,  erfand  der  muthige  Pfarrer  Scholl  den  Plan  einer  grossen 
Lotterie  von  50000  Thlr.  in  25  000  Loosen,  wozu  der  Stadt-Magistrat  die 
Erlaubniss  ertheilte.  Von  dem  Ertrag  sollten  10°/0  zum  Kirchenbau  dienen; 
und  am  13.  Juni  1714  konnte  mit  dem  Baumeister  Laurenz  Mifferdatis 
der  Kontrakt  zum  Abbruch  der  alten  und  zum  Bau  der  neuen  Kirche 
abgeschlossen  werden.  Ob  Mifferdatis,  dessen  Name  auf  italienischen 
Ursprung  zurückzuweisen  scheint,  bloss  den  Bau  der  Kirche  ausgeführt, 
oder  auch  den  Plan  dazu  entworfen  hat,  ist  aus  den  Akten  nicht  ersicht- 
lich; jedoch  ist  letzteres  nicht  unwahrscheinlich,  da  der  Neubau  ganz 
offenbar  Anklänge  an  italienische  Stilart  an  sich  trägt,  namentlich  die  mit 
der  Kirche  zugleich  entstandenen  Altäre,  welche  sammt  den  dazu  gehörigen 
Figuren  in  Marmorstuck  ausgeführt  sind. 

Im  J.  1717  war  der  Bau  vollendet,  wie  ein  Chronicon  im  Gewölbe  des 
Chors  nachweist:    „TabernaCVLa  Del  MoLIUntVr". 

Scholl  hat  offenbar  das  möglichst  Beste  zur  Ehre  Gottes  in  seinem 
Baue  schaffen  wollen.  Er  trug  sich  mit  dem  Gedanken,  über  der  Vierung 
des  Transeptes  eine  Kuppel  zu  errichten,  und  er  würde  die  Kirche  wenig- 
stens um  ein  Feld  länger  gebaut  haben,  wenn  nicht  Kaum  und  Geld  gefehlt 
hätten.  Statt  der  Kuppel  wurde  die  Vierung  mit  einer  glatten  Holzdecke 
geschlossen  und  mit  einem  grossen  Gemälde  geschmückt1. 

Seinem  Bedauern  über  die  Hindernisse,  welche  seinen  weiter  gehenden 
Plänen  entgegen  gewesen  waren,  gab  er  Ausdruck  in  einigen  interessanten 


i  Vgl.  s.  Planker,  Mittheilungen  des  Ver.  f.  K.  d.  Aach.  Vorzeit  I,  S.  112  ff. 


-  37  - 

Hexametern,  die  bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  über  dem  Eingang  zum 

Thurm  zu  lesen  waren : 

Tres  qui  scribebal  solidos  dum  coepit  habebat, 
Henricus  templi  fautor,  promotor  et  auctor 
Longius  ivisset,  ni  sors  inimiea  fuisset 
Jussa  per  osores  sacros  tardare  labores. 

Die  feierliehe  Konsekration  der  Kirche  konnte  erst  unter  seinem 
Nachfolger  am  9.  October  1729  durch  den  Weihbischof  von  Lüttich  Joh. 
Bapt.  Gillis,  episcopus  Amyzonensis.  vollzogen  werden. 

Scholl  starb  im  September  1724.  Sein  Porträt,  gut  gemalt,  wird  im 
Pfarrhause  von  St.  Peter  aufbewahrt  und  verräth  ganz  den  intelligenten 
und  energischen  Mann,  wie  er  sich  in  seiner  Amtsführung  bewährt  hat. 
Als  Wappen  führte  er  zwei  übereinanderliegende  Fische  (Schollen),  womit 
auch  die  von  ihm  herrührenden  hh.  Gefässe  geziert  sind. 

15.  Leonard  Jennes  (1724 — 1725  bezw.  1727).  Nach  dem  Tode  Scholls 
wiederholte  sich  der  Streit  um  die  Besetzung  der  Pfarre,  indem  der  Erzpriester 
den  Leonard  Jennes  ernannte,  der  h.  Stuhl  dagegen  im  J.  1725  Bernardin 
Heyden  für  die  erledigte  Pfarrstelle  bezeichnete.  Auch  dieser  Zwiespalt 
wurde  erst  nach  zweijährigem  Prozess verfahren  durch  letzte  Entscheidung 
der  s.  rota  vom  9.  Mai  1727  endgiltig  beigelegt. 

16.  Bernhardin  Heyden  (1725  bezw.  1727—1731).  Jm  J.  1726 
Hess  er  in  seinem  40.  Lebensjahre  sein  Bildniss  mit  dem  Ernennungsbrief 
in  der  Hand  anfertigen;  dieser  Brief  trägt  die  Aufschrift:  „Provisiu 
Apostolica  ob  mensem  reservatum  et  neglectum  concursum."  Seinen  Kopf 
deckt  nach  damaliger  Zeit  eine  stark  gepuderte  Perücke.  Dies  Bild 
befindet  sich  gleichfalls  im  Pfarrhause.  Das  darauf  beigefügte  Wappen 
zeigt  im  ersten  Felde  ein  Kreuz,  im  zweiten  einen  Stern,  im  dritten  einen 
Mohrenkopf  und  im  vierten  endlich  einen  Adler.  Unter  seiner  Amtsführung 
wurde  die  Kirche  am  9.  Oktober  172'.»  durch  Joh.  Baptist  Gillis,  Weih- 
bischof  von  Lüttich,  konsekriert.  »s.iiiu^s  folgt.) 


Zur  Erklärung  des  Namens  Marschierstrasse, 

Von  K.  Wieth. 

Drei  Deutungen  {k^  Namens  Marschierstrasse,  Marschierthor  und 
.Marschiersteinweg  sind  in  Umlauf.  Seit  das  Kloster  Marienthal  in  der 
Franzstrasse,  der  vormaligen  Grossen  Marschierstrasse,  in  eine  Kaserne 
umgewandelt  ist,  bringt  das  Volk  den  Namen  derselben  mit  dem  Marschiren 
der  Soldaten  in  Verbindung  und  sagt,  weil  die  Soldaten  dort  marschirten, 
nenne  man  die  Strasse  Marschierstrasse.  Es  wird  dabei  angenommen, 
dass  auch  in  frühein  Zeiten,  als  die  Strasse  schon  jenen  Namen  führte, 
vielleicht  die  Bürgerschaft  der  Stadt  daselbst  ihre  kriegerischen  Uebungen 
abgehalten  habe.  Durch  geschichtliche  Zeugnisse  ist  diese  Ableitung  in 
keiner  Weise  zu  stützen,  daher  hinfällig. 

Wichtiger  und   vun   vielen   geschulten   Freunden  der  Ortsgeschichte 


—  38  — 

auch  heilte  noch  festgehalten,  ist  die  Zurückführung  jenes  Strassennamens 
auf  die  französische  Stadt  Mezieres,  an  der  Maas  unweit  der  belgischen 
Grenze  gelegen.  Laurent  spricht  sich  darüber  folgenderniassen  aus:  „Das 
Burtscheider  Thor  wird  (wahrscheinlich  nach  der  Stadt  Mezieres  in  Frank- 
reich) auf  einem  alten  Stadtplan  aus  dem  J.  1576  Miesirs-portz  bezeichnet, 
Noppins  spricht  von  Meschir-Grafschaft ;  die  Strasse  hiess  Meschir-Strasse, 
daraus  machte  sich  das  Volk  Maschestross,  was  man  heut  (wohl  um  dem 
Hochdeutschen  gerecht  zu  werden?)  in  Marschierstrasse  veredelt  hat"1. 
Gemeint  ist  der  Plan  von  Henrich  van  Steenwyck.  Derselbe  hat  allen 
späteren  von  der  Stadt  aufgenommenen  Plänen  zu  Grunde  gelegen,  und 
auch  die  einzelnen  Ortsbezeichnungen  sind  aus  diesem  Grundplan  in  die 
Nachbildungen  fast  unverändert  übergegangen.  Er  bildet  demnach  die 
einzige  Quelle,  auf  welche  sich  die  von  Laurent  angeführte  Deutung  stützt. 
In  lautlicher  Beziehung  dürfte  sich  gegen  diese  Ableitung  auch  kaum 
etwas  einwenden  lassen.  Nur  das  der  Zeichner  des  angezogenen  Planes, 
wahrscheinlich  ein  Niederländer,  stark  verdächtig  erscheint,  der  Aachener 
Mundart  nicht  mächtig  gewesen  zu  sein  und  seine  Bezeichnungen  fehlerhaft 
niedergeschrieben  zu  haben.  Wenigstens  zeigen  keine  gleichzeitigen  Denk- 
mäler die  Schreibung  Coelder-,  Eoors-,  Miesiers-,  Bogharts-poortz 2.  Man 
sagt  nun,  wie  es  in  Aachen  eine  uralte  Kölnstrasse  und  eine  Trichtergasse 
gebe,  welche  in  der  Richtung  von  Köln  und  Mastricht  (Mosae  Traiectum) 
liefen,  so  habe  auch  die  Marschierstrasse  ihren  Namen  davon  erhalten, 
dass  sie  in  ihrer  Verlängerung  nach  der  Stadt  Mezieres  führte.  Es  stand 
aber  Aachen  in  einem  ununterbrochen  regen  Verkehr  mit  Köln  und  Mastricht, 
dagegen  ist  eine  irgendwie  erhebliche  Verbindung  mit  Mezieres  in  keiner 
Hinsicht  nachzuweisen,  abgesehen  davon,  dass  letztere  Stadt  im  Vergleich 
zu  jenen  mehr  als  durch  die  doppelte,  bezw.  vierfache  Entfernung  von 
Aachen  getrennt  ist. 

Schwerer  noch  als  diese  Erwägungen  fällt  in  die  Wagschale,  was 
die  geschriebenen  Denkmäler  Aachens  uns  darbieten.  In  den  Urkunden 
der  letzten  sechs  Jahrhunderte  wird  unsere  Strasse  und  die  dazu 
gehörigen  Thore  nicht  selten  genannt,  um  so  öfter,  je  jünger  die  Quellen 
sind,  anfangs  in  lateinischer,  später  immer  allgemeiner  in  deutscher  Sprache. 
Alle  diese  Bezeichnungen  stellen  eine  innerlich  zusammenhängende  Ent- 
wicklungsreihe  dar  und  zeigen  die  allmähliche  Umwandlung  eines  einzigen 
Grundwortes  im  Munde  des  Volkes,  und  dieses  Wort  führt  nicht  auf  die 
Stadt  Mezieres,  sondern  auf  das  benachbarte  Burtscheid,  lateinisch  Porcetum. 
auch  Porchetum  (ch=sch)  genannt. 

Das  älteste  Denkmal,  in  welchem  meines  Wissens  unsere  Strasse 
aufgeführt  wird,  ist  das  von  Quix  herausgegebene  Necrologium  B.  M.  V. 
Aquensis  nebst  angehängtem  liber  censuum  eiusdem  ecclesiae.  Es  endet 
mit  dem  J.  1320,  geht  aber  hoch  in  die  frühern  "Jahrhunderte  zurück. 
Daselbst  findet  sich:    platea  in  purzen  (i.  e.  porzetensi),  de  domo  quadam 


*)  Aachener  Stadtrechnungen  aus  dem  14.  Jahrh.,  S.  22. 
-)  Vgl.  Rhu  eil,  aus  Aachens  Vorzeit  II,  S.  7  ff. 


•  —  39  — 

in  porcetensi  platea,  domum  cum  orto  in  porcetensi  via,  de  area  in  porche- 
tensi  platea,  in  platea  porzel  (wohl  porzetensi);  Adam,  qni  dedit  domum 
in  porcetensi  via,  de  domo  in  porcetensi  platea,  in  platea  porcetensi  extra 
muros,  census  in  platea  porcetensi,  infra  portam  porticensem  (wohl  porci- 
tensem)  und  in  claustro  porcitensi1. 

Die  Schenkungsurkunde  der  Eheleute  Jonatas  und  Eildegunde  an 
die  S.  Salvatorskirche  .  .  .  vom  J.  1215  verfügt  zweimal  über  je  ein 
Haus  mit  Garten  „in  platea  porcetensi  extra  murum  sitam",  über  12  Denare 
und  drei  Kapaune  „de  hereditate,  que  sita  est  extra  portam  porcetensem 
in  loco,  ojii  dicitur  Schouemunt",  endlich  über  einen  Garten  „iacentem 
extra  portam  porcetensem  iuxta  fossatum"  2. 

Ein  Aachener  Bürger  Konrad,  Sohn  Heinrichs  zubenannt  des  Schwarzen, 
vermacht  im  J.  1292  dem  S.  A.dalbertsstift  unter  anderm  „inter  portam 
porcetensem  et  acutam  portam  super  fossatis  de  fundo  et  domo  ibidem  8 
solidos  4  denariis  minus"3. 

Nach  einer  Urkunde  vom  4.  April  1350  kaufte  das  Marienstift  das 
Eckhaus  „ex  opposito  eimiterii  ecclesie  beate  Marie  supra  Conum  platee 
purchetensis".  (Gegenüber  dem  Kirchhof  des  Münsters  an  der  Ecke  der 
Marschierstrasse)4. 

In  den  Stadtrechnungen  des  14.  Jahrhunderts  wird  wiederholt  unserer 
Strasse  und  der  dazu  gehörigen  Thore  Erwähnung  gethan:  De  reparatione 
porte  Porchetensis  inferioris  4*/a  ni.,  de  ripa  in  platea  Porchetensi  tegenda, 
de  Porcheto,  zu  Burschit,  den  van  Porschierstrasse,  zu  den  steynwege  zu 
helpen  in  Porschierstrase,  deine  rechter  bynnen  Porschierportz  syn  huys 
ewenich  zu  erfaselen  intl  stuppen  .V,.,  m.,  Winkin  in  Borschierstrasse  van 
den  schaff  up  der  nuwer  schriverkameren  12  in.,  in  Borschierstraisse 5. 

In  dm  Aachener  Rechtsdenkmälern  wird  zum  J.  1338  eine  „grayfschaf 
van  Burschiderporze"  und  zu  dem  J.  1395/99  eine  „Portschierporze" 
aufgeführt6. 

Eine  im  Aachener  Stadtarchiv  aufbewahrte  Urkunde  vom  J.  1435 
handelt  über  die  Gründung  der  „Capellae  et  hospitalis  ad  s.  Jacobum 
minorem  in  platea  Portzetensi" 7. 

Zum  J.  1422  kommt  in  einer  städtischen  Einnahme-Rechnung  vor 
„an  portzschirportz" ;  aus  derselben  Zeil  steht  in  dem  Bruchstück  einer 
Baurechnung  „ynburtschiedersstrois".  Die  „Bortscherderportze"  ist  1437/38 
in  einem  Verzeichniss  von  der  Stadl  gemachter  Anleihen,  die  „uisserste 
Burtschieder  portze"  in  einer  Urkunde  von   L467  erwähnt". 


'i  Quix,  Necrologium  ecel.  B.  M.  V.  Aquensis  p.  t,  9,  L7,  23,  15,  51,61,  74,  75,78. 

i  Quix,  die  Königl.    Kapelle  und  das   ehemal.  adelige   Nonnenkloster  auf  d.  Sal- 
vators-Berge  S.  86  ff.  l'rk.  7. 

::)  Quix,  Codex  dipl.  Aquensis  II  qo.  243,  p.  164. 
')  Quix,  a.  a.  0.   II  qo.  354,  p.  2 

i  Laurent,  Aachener  Stadtrechnungen  aus  dem   L 4.  Jahrhundert  S.  127,89,  125,84, 
243,28,  273,88,  319m,  317,89,  310,   ..  386,8S  and  an  vielen  andern  Stellen. 
,;i  Loersch,  Aachener  Etechtsdenkmäler  S.  57,   189. 

i  Quix,  das  ehem.  Spital  zum  hl.  Jakob  S.   18. 
si  Zeitschr.  des  Audi.  Geschichtsvereins  VIII,  S.  233,  ao.   19. 


—  40  — 

Sehr  wichtig-  ist  eine  im  Archiv  der  S.  Jakobspfarre  befindliche 
Urkunde  aus  dem  J.  1442,  die  von  einem  Hause  handelt  „alreneist  des 
vaitz  huyse  van  Burtscheit  in  Burtschierstrasse".  Auf  der  Rückseite  hat 
ein  Schreiber  aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  die  Bemerkung-  gemacht: 
„der  gelisch  d.  eynner  marck  uff  Semmenraedt  huss  inn  Morscheterstras"  1. 

Ein  Kaufvertrag  vom  19.  Januar  1544  handelt  über  zwei  Häuser, 
gelegen  in  der  „Burtscheder  oder  Burscheder  Straissen"  2. 

Des  „Scheffenstuhls  Klein  geleit-protocoll  ex  anno  1583  bis  im  Jahr 
1640"  führt  unsere  Strasse  in  mannigfachen  Abänderungen  an:  Bescheder- 
strays,  Bortscheiderstr.,  Marscherenstr.,  Buirtschederstr.,  Burtschederstr., 
Buirtscheder  mittelpfortz,  Burtschirderstr.,  Burtschierderstr.,  Marschierstr 3. 

Ein  Registrum  mortuorum  der  S.  Peterspfarre  d.  a.  1622 — 1687 
verzeichnet  mehrfach  eine  „Marschier  Mittelpfortz"  4. 

Bemerkenswert  sind  auch  die  wiederholten  Erwähnungen  bei  Noppius ; 
er  schreibt:  „Der  Marienthal  auf  Latein  vallis  Mariae  in  Bortschirder  Strass 
gelegen  ist  gebawet  Anno  1470  ...  Es  ist  diss  Klösterlein  (der  Klarissen) 
gelegen  in  Bortschirder  Strass  .  .  .  und  ist  diss  Kloster  (St.  Leonhard) 
gelegen  in  Bortschirder  Strass  schier  bey  der  äussersten  Pforten.  ..." 
Weiter  heisstes:  „Zehen  Pforten,  mit  Nahmen:  .  .  .  Bortschierder  Mittel- 
pfort.  .  .  .  Die  äusserste  Stadt  hat  eilff  Pforten  .  .  .  mit  Nahmen.  .  .  . 
Bortschierder  Pfort,  so  an  Gewölben  die  allerstärkste".  Unter  den  neun 
Grafschaften,  welche  er  anführt,  befindet  sich  auch  die  „Meschir-  oder 
Bortschirder  Graffschafft" 5. 

Endlich  seien  noch  verzeichnet  „Borterstrass  zum  J.  1661  und 
Burtscheiderstrasse  zum  J.  1681" 6.  Vom  18.  Jahrhundert  an  überwiegen 
allmählich  die  mit  m  anlautenden  Formen  Meschir-,  Marschier-Mosche- 
Strasse,  während  die  mit  b  und  p  anfangenden  schliesslich  ganz  verschwinden. 

Alle  dieseBelege,  welche  sich  noch  leicht  vermehren  Hessen,  zeigen  uns  die 
innern  Lautgesetzen  streng  folgende  Abänderungsreihe  eines  einzigen  Wortes : 
Porcetensis,  Porchetensis,  (via,  platea,  porta).  Porcheter-,  Porscheter-, 

Burtschierder-,  Burtscheder-,  Morscheter-,  Marscheren-Strasse.  —  Porscheer-, 
Porschier-,  Borschier-,  Marschier-,  Maschier-,  Meschir-,  Maschestross. 

In  diesen  Rahmen  würde  sich  auch  die  von  Henrich  van  Steenwyck 
gebrauchte  Bezeichnung  Miesierspoortz  unschwer  einfügen  lassen,  wenn 
man  annehmen  könnte,  dass  das  s  im  Inlaut  wie  seh  ausgesprochen  wurde. 
In  solchem  Falle  müsste  man  aber  die  Schreibung  mit  ss  voraussetzen, 
welche  nicht  selten  den  Laut  seh  vertritt,  wie  z.  B.  Monssauwen  für 
Monjauwen  =  Montjoi,  wo  j  wie  weiches  seh  lautet7. 


')  D res em an n,  die  Jakobskirche  zu  Aachen  8.  89. 

-')  Quix,  Gesch.  d.  Karmeliten-Klosters  8.  115  Nr.  1"). 

3)  Papierhandschrift  im  Stadtarchiv  zu  Aachen. 

*)  Im  Besitz  des  Herrn  Gymnasiallehrer  Fr.  Oppenhoff  in  Aachen. 

5)  Aacher  Chronik  Th.  I,  S.  97  tf.,  S.   lä,   127. 

6)  Dresemann  a.  a.  (>.  S.  72. 

7)  Zeitsehr.  des  Aach.  Gescliiclitsvereins  VIII,  S.  220,  Aum.  2. 


—  41  — 

Schwierigkeiten  bei  der  aufgezählten  Folge  von  Uebergängen  scheint 
auf  den  ersten  Blick  der  Anlaut  und  die  Betonung  zu  bieten.  Denn  weder 
der  Wechsel  der  Vokale  o,  n,  a,  e,  i  in  der  ersten  Silbe,  noch  auch  die 
Zusammenziehung  der  letzten  beiden  Silben  in  ier,  er,  kann  bei  dem  häu- 
figen Vorkommen  dieses  sprachlichen  Vorganges  irgendwie  Bedenken  erregen. 
Alier  auch  die  Wandlung  von  p,  b  in  m  und  umgekehrt  ist,  wenn  sie  auch 
nicht  allzuhäufig  vorkommt,  den  Gesetzen  der  Lautlehre  keineswegs  wider- 
sprechend. „Es  darf  nicht  bezweifelt  werden,  dass  m  .  .  .  wirklich  nichts 
anderes  sind,  als  genäselte  b,  p  .  .  .  Man  halte  sich  die  Nase  mit  den 
Fingern  zu  und  suche  m,  n,  ng  zu  sprechen;  man  wird  unfehlbar  b,  d,  g, 
bezw.  p,  t,  k  erhalten,  allerdings  ....  von  den  in  der  Sprache  vorkommen- 
den darin  verschieden,  dass  der  Verschluss  der  Nase  nicht  an  den  innern, 
sondern  in  der  Nähe  der  äussern  Nasenlöcher  stattfindet,  und  die,  wie  wir 
hinzusetzen  wollen,  etwas  tieferen  Klang  haben.  Umgekehrt:  richtet  man 
sich  zur  Aussprache  b  .  .  .  ein,  so  kommen,  wenn  man  das  Gaumensegel 
von  der  Eachenwand  vor  Lösung  des  Verschlusses  abzieht,  m  . . .  heraus  .... 
Leute  mit  verstopften  Nasengängen  verwandeln  alle  m,  n,  ng  in  b,  p,  d  t, 

Aelmlich  spricht  sich  auch  Zupitza  über  denselben  Vorgang  im  Eng- 
lischen aus  und  weist  insbesondere  auf  Dickens  Schriftstellernamen  hin, 
dessen  Ursprung  vom  Verfasser  selbst  folgendermassen  erzählt  wird:  „Boz 
war  der  Beiname  eines  kleinen  Kindes,  eines  jüngeren  Bruders,  den  ich  zu 
Ehren  des  Vikar  of  Wakefield  als  Moses  zum  Ritter  geschlagen  hatte. 
Wenn  dies  spasshaft  mit  geschlossener  Nase  gesprochen  wurde,  wurde  es 
Böses  und  verkürzt  Bozu  -. 

Eine  natürliche  Veranlassung,  ein  b  in  m  übergehen  zu  lassen,  tritt 
da  ein,  wo  dem  b  der  Nasenlaut  m  oder  n  zur  Seite  steht.  Dann  findet 
eine  Angleichung  beider  Laute  derart  statt,  dass  m  4-  b  =  mm  =  m, 
n  -f-  b=m  b  =  mm  =  m  werden,  also :  Mombartz  =  Mommartz,  Brombeere  = 
Bromel,  Weinbeere  =Wimel,  Karbonade  =  Karmenade.  Eierher  gehört  wohl 
auch,  was  Gymnasialdirektor  Dr.  Pohl  über  die  rheinischen  Ortsnamen  auf 
-mich  äussert,  dass  nämlich  diese  Endung  meist  Korruption  aus  bach 
sei,  wie  bei  Falkemich  aus  Falkenbach3.  A.ber  auch  ohne  die  Nachbarschaft 
eines  Nasenlautes  tritt  in  einigen  Worten  Wechsel  von  b  zu  ra  ein.  im  Anlaut 
freilich  äusserst  selten,  öfters  schon   im   Inlaute: 

Beschutt  (biscuit)  heisst  im  Mecklenburgischen  Rfeschutteche4.  Das 
griechische  brotos  (sterblich)  wird  lateinisch  mortuus.  In  den  Stadt- 
rechnungen des  11.  Jahrhunderts  kommt  der  Frauenname  Jakomine 
statt  Jakobine  vor'.  Müller  -Weitz,  Die  Aachener  Mundart,  fuhren 
an:  beschuppe  =  beschummelle,  nibbele  =  oimele,  Rubbelspott  =  Romels- 
pott    (eine    Art   Waldteufel).      Alt  französisch    soubresault  =  suprasaltus  = 


')  Trautmann   M.,   Die  Sprachlaute  ...  Li>zg.  1884—80,  s.  \n. 

-)  (iefällige  Mittheilung  dos  Herrn   Dr.   10.  Teichmann  zu  Aachen. 

;i  Vgl.  Marjan,  Programm  dei  Realschule  erst  Ordn.  zu  Aachen  ism>,  s.  is,  Aum. 

4)  Gefällige  Mittheilung  des  Herrn  Prof.  A.ndresen  in  Bonn. 

I  A.    :,.    0.    S.    IN. 


—  42  — 

somersaull  =  somersel  (Purzelbaum) '.  Für  den  Uebergang  von  m  zu 
b  zeugen  Molbet  aus  Manuele  (Spielstein  der  Kinder),  Blothes  für 
M'lothes  =  Melatenhaus  an  der  Strasse  nach  Gängelt-.  In  der  Koblenzer 
Mundart  sagt  man  Baul,  Bäulche  für  Maul,  Mäulche  =  Kuss,  Küsschen. 
(„Gef  dem  Här  e  Bäulesche!  und  „Butterbaules")3.  Die  Präposition  „mit" 
lautet  „bitft  in  vielen  Sprachdenkmälern  des  Mittelalters  längst  des  ganzen 
Rheines  bis  nach  Oberdeutschland  hinauf1. 

Was  endlich  den  Einwurf  gegen  die  undeutsche  Betonung  der  zAveiten 
statt  der  ersten  Silbe  in  Marschierstrasse  anlangt,  so  trifft  derselbe  gerade 
so  sehr  die  Ableitung  des  Strassennamens  von  Mezieres  wie  von  Porcetum. 
Allerdings  haben  die  meisten  romanischen  Ortsnamen  in  der  deutschen 
Sprache  ihre  Betonung  eingebüsst,  und  ist  der  Ton  auf  die  erste  Silbe 
gerückt,  aber  es  gilt  dies  nicht  ohne  Ausnahmen5.  So  ist  auch  in  unserm 
Falle  bei  der  Bildung  des  Eigenschaftswortes  Porcheter  -  Porscheter  - 
Borschier-Strasse  die  ursprüngliche  Betonung  beibehalten  worden,  während 
bei  der  Umwandlung  von  Porcetum  zu  Burtscheid  der  Ton  allmählich  auf 
die  erste  Silbe  vorrückte,  wahrscheinlich  unter  Einiiuss  deutscher  Orts- 
namenbildungen  auf  —  scheid,  wie  Kuhscheid,  Vorscheid,  Kohlscheid  u.  dgl 6. 

Auf  Grund  dieser  durch  urkundliche  Zeugnisse  gestützten  Erwägungen 
wird  man  wohl  die  Herleitung  unseres  Strassennamens  von  der  Stadt 
Mezieres  zurückweisen  müssen,  da  dieselbe  sich  nur  auf  die  einmalige, 
dabei  aber  orthographisch  verderbte  Bezeichnung  Miesierspoortz  gründet 
und  durch  sonstige  geschichtliche  Beziehungen  zwischen  beiden  Städten 
nicht  gestärkt  wird.  Dagegen  wird  die  Ableitung  der  Marschierstrasse 
und  des  gleichnamigen  Thores  von  der  Stadt  Burtscheid  bezw.  deren 
lateinischer  Benennung  Porcetum  unzweideutig  festgestellt.  Und  in  der 
That  ist  dies  nur  natürlich,  ja  es  wäre  zu  verwundern,  wenn  die  Ver- 
bindungsstrasse zwischen  Aachen  und  Burtscheid,  einem  ( )rte,  der  seit  uralter 
Zeit  eng  mit  der  Kaiserstadt  verbunden,  durch  seine  Abtei  und  seine 
berühmten  Heilquellen  allen  Vororten  Aachens  an  Bedeutung  weit  über- 
legen war,  der  in  Freud  und  Leid  immer  mit  der  mächtigen  Nachbarstadt 
zusammenstand,  wenn  jene  Strasse  nicht  nach  diesem  Orte  benannt  wäre, 
sondern  nach  einem  andern  von  sehr  massiger  Bedeutung,  aber  um  so 
grösserer  Entfernung,  dessen  geschichtliche  Beziehungen  zu  Aachen  die 
denkbar  geringsten  waren. 


*)  Gefällige  Mittheilung  des  Herrn  Dr.  E.  Teiehmann  zu  Aachen. 

2)  Weitz,  Klänge  der  Heimath  I,  S.   110. 

■')  Wegeier,  Coblenz  in  seiner  Mundart,  S.  7. 

4j  Weinhold,  Mittelhochdeutsche  Grammatik,  Paderborn   L877,  S.  128  ff. 

5)  Marjan,  Rheinische  Ortsnamen  4.  Heft.     Aachen  1884,  S.  II. 

8)  Ebendas.,   Kritische  und   Lateinische  Ortsnamen   in.  der  Rheinprovinz   3.  TheiL 

Aachen  1882,  S.  12  ff. 


—  43  - 

Kleinere  Mittheilungen. 

1.  Die  Rethelschen  Fresken  im  Rathhaussaale  zu  Aachen. 

Wie  Cornelius,  so  hat  auch  sein  Schiller  Alfred  Rethel  die  Meister  der  italienischen 
Renaissance  zum  Gegenstand  eingehenden  Studiums  gemacht.  l>ies  beweisen  die  1841 
hei  der  Preishewerbnng  um  die  Ausmalung  des  Aachener  Rathhaussaales  angefertigten 
und  gekrönten  Entwürfe  aus  der  Geschichte  Karls  des  Grossen,  welche  endlich  nach 
längeren  Störungen  1847 — 49  zum  Theil  vom  Meister  selbst  im  Karton  und  in  Fresko  aus- 
geführt wurden.  Dass  auch  die  Studienreise,  welche  Rethel  1844— 4f>  nach  Italien  macht'', 
um  sich  auf  die  Ausführung  jener  Entwürfe  vorzubereiten,  nichl  ohne  Einfluss  auf  die 
Komposition  und  Ausführung  der  Bilder  gehlieben,  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als  der 
Meister  vor  Ausführung  eines  so  hochbedeutenden  monumentalen  Werkes  die  Vatikanischen 
Wandgemälde  Raphaels  zum  grossen  Vortheil  für  seine  künstlerische  Entwickelung  zu 
studiren  Gelegenheit  hatte.  Ohne  einer  eingehenden  und  erschöpfenden  Darstellung  dieses 
italienischen  Einflusses  auf  Rethels  Entwürfe  vorgreifen  zu  wollen,  möchte  ich  nur  kurz 
die  Hauptpunkte  zusammenstellen,  in  welchen  sich  der  Einfluss  der  italienischen  Meister- 
werke auf  unsern  grossen  Aachener  Künstler  geäussert  hat.  Zunächst  ist  es  die  archäolo- 
gische Strenge  und  Genauigkeit  in  der  Architektur  und  der  Gewandung  der  Figuren,  die 
er  am  besten  in  Rom  und  zwar  an  den  Raphaelschen  Stanzenbildern  studiren  konnte; 
ganz  besonders  ist  es  in  den  Rethelschen  Bildern  die  strengklassische  einfache  und  würde- 
volle Gewandung  mit  ihrem  grossartigen  Faltenwurf,  die  an  Vatikanische  Vorbilder  erinnert. 
Doch  wird  man  hierbei  im  Einzelnen  wohl  schwerlich  den  Einfluss  der  Raphaelschen 
Stanzeiibilder  nachweisen  können.  Eher  gelingt  dies  in  einigen  Figuren  und  Gruppen,  die 
jenen  offenbar  entlehnt  sind.  Ich  meine  die  zwei  auf  Zeltern  heranreitenden  Kardinäle, 
welche  auf  dem  Bilde  „die  Erbauung  des  Aachener  Münsters"  die  vom  Papst  geschenkten 
Säulen  und  Marmorstücke  überbringen.  Diese  sind  nämlich  dem  Stanzenbild  „Attila" 
entlehnt,  mir  der  Abweichung,  dass  Rethel  einen  der  Kardinäle  mit  der  Gebärde  des 
Segnens  zeichnet,  welche  er  von  der  Figur  des  Papstes  in  jenem  Bilde  entnahm.  Ferner 
erinnert  auf  dem  Bilde  „der  Einzug  Karls  in  Pavia"  der  alte  Krieger  links,  der  mir 
schmerzerfülltem  Blick  die  Leiche  eines  Gefallenen  mit  Hülfe  eines  Genossen  aufbellt,  an 
die  ähnliche  Gruppe  links  auf  dem  grossen  Bilde  der  Konstantin schlacht,  wo  ebenfalls  ein 
alter  Krieger  sich  bemüht,  die  Leiche  eines  gefallenen  Jünglings  aufzuheben.  Endlich 
scheint  auch  der  Krieger  auf  dem  Rethelschen  Bilde  der  „Krönung  Karls  in  Rom",  welcher 
mit  lebhafter  Gebärde  sieh  zur  Krönungsgruppe  binbewegt  and  auf  den  Vorgang  hindeutet, 
sein  Vorbild  in  dem  Bilde  .Attila'',  und  zwar  in  dem  Krieger  in  der  Mitte  zu  haben, 
der  als  Wegweiser  dem  Zuge  des  Hunnenkönigs  voranschreitet  und  diesem  das  Nahen  des 
Papstes  anzeigt.  Weiter  zeigt  sich  die  Beeinflussung  Rethels  durch  die  Raphaelschen  Stanzen 
in  der  Oekonomie,  mit  weh-her  der  Aachener  Meister  den  für  die  Gemälde  angewieseneu 
Raum  ausfüllt,  und  in  der  Geschicklichkeit,  mit  welcher  er  die  durch  den  Raum  ver- 
ursachten Schwierigkeiten  überwindet.  Die  Wand,  auf  welcher  die  Krönung  Ludwigs  des 
Frommen  angebracht  weiden  sollte,  war  von  einer  Thür  durchbrochen,  deren  oberer  Theil 
noch  in  die  Bildfläche  hineinreichte.  Hiermit  musste  die  Komposition  rechnen,  und  Rethel 
hat,  indem  er  die  Szene  auf  einer  erhöhten  Tribüne  vor  sich  gehen  lässt,  auf  deren 
stufen  zu  beiden  Seiten  die  Grossen  des  Reiches  als  knieende  Zuschauer  gruppiert  sind, 
die  Schwierigkeit,  welche  ihm  die  Wand  bot,  in  ähnlicher  Weise  durch  geschickte  Kompo- 
sition gelöst,  wie  es  Raphael  in  den  Vatikanischen  Bildern  ..der  Parnass",  „die  Befreiung 
l'etri"  und  „die  Messe  von  Bolsena"  thut.  Es  isl  demnach  mindestens  wahrscheinlich, 
dass  der  Aachener  Künstler  diesen  originellen  Gedanken  dem  grossen  Italiener  abgelauscht 
hat.  Auch  die  Taufe  Widukinds  zeigt  in  der  Komposition  Aehnlichkeit  mit  jenen  Stanzenbildern, 
insofern  auch  hier  die  Szene  auf  einer  Tribüne  sich  abspielt,  zu  welcher  man  auf  stufen 
hinaufsteigt,  die  von  Ministranten  und  Zuschauem  besetzt  sind.  Endlich  isl  es  die  malerische 
Lichtwirkung  in  dem  Hilde  „Auffindung  der  Leiche  Karls  durch  Otto  III",  welche  lebhaft  an 
das  Raphaelsche  Stöanzenbild  „die  Befreiung  l'etri-  erinnert.  Wie  hier  der  Widerstreit 
der  verschiedenen  Lichtquellen,  des  vom  Engel  ausgehenden  Glanzes,  der  Fackel  des  Kriegers 


— •  44  — 

und  des  Mondlichtes  der  Scene  einen  wunderbaren  äussern  Eindruck  verleiht,  so  bat  Rethel 
es  verstanden,  durch  geschickte  Nachahmung  des  Urbinaten  in  dem  Bilde  der  „Auffindung 
der  Leiche  Karls"  durch  den  Gegensatz  des  Fackellichts  und  des  durch  die  gebrochene 
Oeffnung  in  die  Gruft  eindringenden  Tageslichtes  den  Eindruck  des  Gebeimnissvollen 
und  Erhabenen  zu  steigern.  Auch  das  von  der  Abendröthe  erhellte  Halbdunkel  auf  dem 
freilich  von  Kehren  ausgeführten  Bilde  „der  Bau  des  Aachener  Münsters"  scheint  sein 
Vorbild  in  dem  „Burgbrand"  Raphaels  zu  haben.  Doch  ist  Rethel  an  dieser  Lichtwirkung 
schwerlich  schuld.  Durch  diesen  Nachweis  der  Abhängigkeit  eines  grossen  Künstlers 
von  einem  noch  grösseren  ist  natürlich  das  Verdienst  und  der  Ruhm  des  jüngeren 
Meisters  nicht  im  Geringsten  beeinträchtigt,  wie  denn  überhaupt  diese  Zeilen  nur  den 
Zweck  haben,  das  Entstehen  eines  grossen  Kunstwerkes  nach  einer  Seite  hin  zu  beleuchten. 

Aachen.  A.  Curtius. 


2.  Heinrich  Copzoo. 

Das  Aachener  Stadtarchiv  bewahrt  eine  in  Handzeichnung  sehr  sorgfältig  ausgeführte 
Karte  des  Aachener  Reichs,  welche  laut  ihrer  Aufschrift  im  Jahre  1777  von  Heinrich 
Copzoo  angefertigt  wurde,  lieber  diesen  sonst  unbekannten  Mann  geben  die  Rathsproto- 
kolle  der  Stadt  Aachen  aus  dem  letzten  Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts  einige  Nach- 
richten, die  ich  hier  mittheilen  will.  Am  14.  November  1777  beschloss  der  Kleine  Rath: 
„Der  supplicans  Henrich  Copzoo  wird  auf  Verlesung  deßen  unterdienstlichen  bittschrift 
auf  dem  vom  löblichen  magistrat  selbst  nun  bearbeitenden  callmey-  und  andere  sonstige 
magistrats-bergwerken  nicht  allein,  sondern  weilen  derselb  in  anderen  vorfallenheiten 
nutzliche  diensten  praestiren  mag,  auch  zum  stadt-bau  aufseher  auf-  und  angenohmen, 
demselben  auch  ein  jährlich  gehalt  von  100  rthlr.  und  zwarn  quartaliter  25  rthlr.  dafür 
angewiesen,  worzu  dan  die  sonst  dem  Henrichen  Schiffgens  für  Aviegung  des  callmey  von 
der  rentcammer  per  centner  validirte,  aber  von  nun  an  hierdurch  eingezogene  3  bauscheu 
verwendet  werden  können,  dan  hat  ein  ehrbarer  rath  über  deßen  eigentliche  und  zufallige 
Verrichtungen  ein  verhaltungs-reglement  und  ayd  abzufaßen  vorbehalten."  Ein  Raths- 
protokoll  vom  7.  Februar  1794  meldet  sodann:  „Auf  vertrag  herren  burgermeisteren  hat 
der  hohe  rath  das  durch  absterben  des  herrn  Kohl  vacirende  bauinspectors-amt  seinem 
bergwerks-inspectorn  herrn  Cupso  in  rucksicht  deßen  bisheriger  treuen  und  mit  geschick- 
lichkeit  bewiesenen  diensten  lebenslänglich  mit  einhelliger  stimme  dergestalt  verliehen, 
dass  derselbe  solches  bauinspectors-amt  zugleich  mit  seinem  bergwerks-aufsehers-amt  ver- 
binden und  zugleich  versehen,  sich  aber  für  beyde  mit  dem  dem  bauinspectors-amt  ankle- 
bigen gehalt  und  emolumeuten  allein  und  ohne  weiteres  begnügen  solle."  Dieser  Beschluss 
wurde  in  der  Sitzung  des  Raths  vom  14.  Februar  des  nämlichen  Jahres  „dahin  abgeändert* 
dass  Copzoo  nicht  die  2Ü0  rthlr.,  so  durch  tod  des  herrn  Kohl  vaciret,  allein,  sondern 
dabenebst  sein  voriges  gehalt  auch  beybchalten  solle".  An  demselben  Tage  „approbirte 
ein  ehrbarer  rath  den  von  Copzoo  gemachten  und  einem  ehrbaren  rath  präsentirten  und 
vorgezeigten  plan  über  den  Luttiger  weg  und  beorderte  selben  unverweilt  vorzunehmen 
und  zu  vollstrecken".  Näheres  über  diesen  Plan  und  seine  Ausführung  ist  aus  den  Raths- 
protokollen  nicht  ersichtlich. 

Aachen.  B.  Pick. 


3.  Eine  Bescheinigung 
des  Vorstands  der  Aachener  Bäckerzimft  1647. 

Bekanntlich  hatten  die  ursprünglich  Gaffeln  genannten  Zünfte  in  der  Reichsstadt 
Aachen  eine  ganz  bedeutende  Stellung  und  lag  die  gewerbliche  Thätigkeit  vorwiegend  in 
ihren  Händen.  Während  bei  Entstehung  des  Gaffelbriefs  von  1450  nur  elf  Zünfte  bestanden, 
war  bereits   zu  Noppius'  Zeiten   die  Zahl    um    einige   gestiegen.     Ende    des  vorigen  Jahr- 


•  45  — 

hunderts  zählte  man  mit  den  sog.  Splissen  oder  ünterabtheilungen  27  Zünfte1,  die  sich 
mit  ihren  „Gräven"  genannten  Vorstehern  jährlich  am  23.  Juni  versammelten.  Durch 
Dekret  vom  26.  März  1798  wurden  die  Zünfte  aufgehoben. 

Für  die  Kultur-,  Rechts-  und  Familiengeschichte  unserer  allen  Kaiserstadt  würde 
eine  detaillirte  Darstellung  der  Entwicklung  und  Wirksamkeit  des  Aachener  Zunftwesens 
von  ungemeinem 'Werth  sein.  Allein  die  Möglichkeit  einer  solchen  Arbeit  scheint  dadurch 
arg  geschmälert,  dass  im  grossen  Brand  von  L656  höchst  wahrscheinlich  auch  die  Bücher 
und  Briefschaften  der  Zünfte  meistenteils  untergegangen  sind.  Jedenfalls  sind  bis  jetzt 
nur  sehr  wenige  Auszüge  aus  alten  Zunftbüchern  veröffentlicht  worden,  weshalb  ich  die 
nachfolgende  kurze  Bescheinigung  für  niittheilenswerth  halte.  Das  in  einer  durch  den  Notar 
Stephan  Axeri  beglaubigten  Abschrift  vorliegende  Schriftstück  gibt  Aufschluss  über  die 
bei  der  Ausstellung  von  Gesellenbriefen  üblich  gewesene  Form;  auch  beweist  die  durch 
3  Meister  erfolgte  Beglaubigung  der  „treulich"  zurückgelegten  Lehrzeit,  dass  man  auf 
gut  geschulte,  ordentliche  Gesellen  grossen  Werth  legte.  Der  Ort  Oppem,  das  heutige 
Oppen,  liegt  in  der  Pfarre  Würselen  im  ehemaligen  Reich  von  Aachen.  Zur  Erklärung 
des  Ausdrucks  Marktmeister  sei  schliesslich  hervorgehoben,  da><  nach  dem  Aachener 
Raths-  und  Staatskalender  des  Jahres  1788  nicht  weniger  als  fünf  Brodmarktmeister  mit 
einem  Diener  imd  einem  Fruchtmesser  in  Aachen  angestellt  waren.  Die  Bescheinigung 
lautet  wörtlich: 

Wir  Leönardt  Schleicher  und  Simon  von  Ammei,  vort  ich  Hinrich  Maw  zur  zeit 
respective  greven  und  meistern  wie  auch  marckmäistre  deß  becker  ambachts  alhie  in  Aach 
tlmen  kund,  zeugen  und  bekennen  mit  diesem  öffentlichen  schein,  daß  vorwäiser  dieses, 
der  ehrbar  und  frommer  Dham  Kratz  von  ( »ppein,  auß  dem  reich  Aach  hieselbsten  bärtiger, 
nach  außwiesung  unsers  vorbemelten  ambachts  oder  handwerks  lehrbuch,  im  jähr  sechß- 
zehnhundert  und  neunzehn,  den  acht  und  zwanzigsten  iuny  durch  seinen  dhomälligen 
meistern  Anthonißen  Brewer,  kraft  beschehencr  und  verzeichneter  bekentnuß  Johanßen 
von  Münster  und  Balthasarn  Fibus,  seine  lehrjahren  trewlich  und  wie  einem  redlichen 
ambachts  gesellen  gebühret,  außgestanden,  auch  sich  in  allem  unsers  handwerks  gebrauch 
nach  quitirt  habe.  Dergestalt  dass  wir  ihnen  darfur  jederzeit  erkennen,  auch  an  alle  und 
jede  unsers  ambachts  und  zunftgenossen  hiemit  ganz  fleissig  ersuchen  und  requiriren 
thuen,  denselben  obbemelten  Dhamen  Kratz  allenthalben  darfur  anzunehmen  und  zu 
erkennen,  auch  beförderlich  zu  erscheinen.  ürkund  unsers  ambachts  hierauf  getruckten 
insiegels  und  aigenhändiger  unser  vorermerlter  greven  underschrift.  So  geschehen  Aach. 
den  sechß  und  zwanzigsten  ianuarij,  anno  sechßzehn  hundert,  sieben  und  vierzig.  War 
uuderschrieben :  Leönardt  Schleicher  und  Simon  von  Ammei,  ungleichen  Hinrich  Maw. 

Daß  gegenwertige  copey  u.  s.  w.  (folgt  notarielle  Beglaubigung). 

Stephanus  Axeri,  notarius  m.  p. 

Bedburg.  F..   Pauls. 


Fragen. 


1.  Der  obere  Theil  des  Marschiersteinwegs  führte  in  früheren  Zeiten  die  Bezeichnung 
Schouemunt.  Schon  im  .1.  L215  verfügen  die  Eheleute  Jonatas  und  Hildegunde  „de 
hereditate  que  sita  esl  extra  portam  porcetensem  in  loco,  qui  dicitur  Schouemunt"  (über 

ein  Erbe,   welches  gelegen    ist    ausserhalb   des    Marschierthores   an   dem  Ort,    welcher 
Schouemunt  genannt  wird.)     Wie  ist  dieser  Name  zu  erklären?  II . 

2.  Die  untere  Adalbertstrasse  liebst  im  Volksmund  Dunau.  Dieselbe  Benennung  für  einen 
Stadttheil  findet  Sich  auch  in  Linz  am   Rhein.     Kommt    sie  son>t  noch  vor  und  wie  j-t 

sie   ZU   deuten':  /.'. 


')  So  bei  Haagen,  Gesoh,  A.chens  li,  s.  B79.  Dagegen  führt  Zimmermann  im  Aachener 
Kalender  für  Isso  iirktftndzwanzig  Zünfte  namentlich  an  Vgl.  auch  den  Artikel  in  Qnix,  Hast,  topogr. 
Beschreibung  von  Aachen  S.  1-17. 


—  46  — 

In  dem  Begräbnissregister  der  S.  Peterspfarre  aus  <1.  ,T.  1622—87  kommen  als  Gewerbe- 
treibende vor:  Kaffa wirker,  Kaffaienwirker,  Kierfeienwirker.  Wer  kann  eine  Erklärung- 
beibringen ?  0. 
In  demselben  Register   findet   sich   die  Strassen-  oder   Hausbezeichnung  plat  alets  vor. 
Wer  kann  sie  erklären?                                                                                                      0. 


Antworten. 

Zu  S.  32,  Frage  5  [Schlepspill].  Der  erste  Theil  Schlep  bedeutet  Schürze.  Neben 
Schlep  finden  sich  auch  die  Formen  Schlip,  Slippe,  Schlippe,  (vgl.  Fromann,  die  deutschen 
Mundarten  V,  239  und  VI,  479;  Lacomblet,  Archiv  III,  336;  Zeitschrift  des  Aachener 
Geschichtsvereins  VIII,  188  No.  600;  Müller-Weitz,  die  Aachener  Mundart  S.  212.)  Spill, 
spielen  ist  coire  (vgl.  Grimm,  deutsche  Eechtsalterthümer  S.  592)  namentlich  von  Thieren, 
(daher  auch  wohl  die  Spielart!)  aber  auch  von  Menschen  gebraucht  z.  B.  in  dem  Ausdruck 
Overspil,  Averspil  =  Ehebruch  (vgl.  Teuthon  des  Gerhard  von  der  Schüren.)  Schlepspill 
ist  also,  glimpflich  ausgedrückt,  soviel  als  Schürzenabeiiteuer.  Man  sagt  heut  noch:  Er 
läuft  jeder  Schürze  nach.  Die  Bedeutung  passt  vortrefflich  zu  Luderwinkel,  mit  welchem 
Worte  Schlepspill  zusammengestellt  ist.  (Mittheilung  des  Herrn  Gymnasiallehrer  Fr.  Oppen- 
hoff  in  Aachen.) 

Zu  Heft  1,  S.  95,  Frage  4  [Beschluss  vom  11.  März  1658  betreffend  den  Ankauf 
einer  BibliothekJ:  Zwar  litt  Aachen  zwischen  1658  und  1811  mehrfach  durch  Kriegsunruhen, 
neben  welchen  sich  vereinzelt  kleine  Brände  verzeichnet  finden,  aber  es  dürfte  schwer 
halten  zu  beweisen,  dass  während  der  genannten  Zeit  eine  der  Stadt  zugehörige  einiger- 
massen  bedeutende  Bibliothek  durch  rohe  Gewalt  oder  Feuer  vernichtet  worden  wäre.  Die 
im  Ganzen  nicht  wesentliche  Schädigung  des  Aachener  Archivs  im  J.  1795,  über  welche 
Quix  (Wochenblatt  für  Aachen  und  die  Umgegend  1838,  S.  89)  berichtet,  betraf  fast  nur 
Archivalien.  Sicher  ist,  dass  zu  Aachen  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  eine  öffentliche 
Bibliothek  nicht  bestand.  Dies  bestätigt  um  1808  Poissenot  (Coup-D'Oeil  sur  la  ville 
d'Aix-la-C'hapelle  S.  139),  und  noch  deutlicher  sagt  Golberg  (Considerations  sur  le  depar- 
tement  de  la  Roer  S.  489)  um  1811:  La  prefecture,  la  municipalite  et  le  College  ne 
possedent  aueune  bibliotheque.  Es  können  somit  nur  wenige  Möglichkeiten  in  Betracht 
kommen.  Vielleicht  hat  sich  der  Ankauf  der  in  Köln  vorhandenen  Bücher  in  letzter 
Stunde  zerschlagen;  doch  ist  dies  unwahrscheinlich.  Vermuthlich  kam  bald  nach  dem 
Beschluss  vom  11.  März  1658  eine  ziemlich  ansehnliche  Büchcrsammlung  —  eine  grosse 
Bibliothek  war  auch  vor  200  Jahren  für  den  Preis  von  ein  paar  Hundert  Thalern  nicht 
zu  beschaffen  —  von  Köln  nach  Aachen.  Hätte  Feuer  oder  rohe  Gewalt  dieselbe  ver- 
nichtet, so  würde  sich  dies  jedenfalls  mehrfach  in  Druckwerken  verzeichnet  finden.  Das 
Fehlen  jeder  gedruckten  Notiz  und  die  Erwägung,  dass  im  zweiten  Jahre  nach  dem  grossen 
Stadtbrand  dem  Magistrat  sicherlich  die  Mittel  mangelten,  um  andere  als  dringend  not- 
wendige Dinge  zu  beschaffen,  legt  den  Gedanken  nahe,  dass  die  Büchersammlung  über- 
wiegend aus  Schriften  bestand,  welche  als  Hülfs-  und  Nachschlagebücher  in  der  Verwal- 
tungsthätigkeit,  beim  Erlass  von  Verordnungen  und  dgl.  unentbehrlich  waren.  Schriften 
dieser  Art  veralten  bekanntlich  ziemlich  rasch  und  sind  meist  nach  ein  paar  Jahrzehnten 
so  werthlos,  dass  schon  der  Raumgewinnung  wegen  die  Beseitigung  not  big  wird.  So  mag 
auch  die  hier  in  Rede  stehende  Büchersammlung  grösstenteils  -  vielleicht  zu  Beginn 
der  neuen  Zeit  vor  etwa  90  Jahren  —  in  die  Rumpelkammer  gewanderl  oder  verschleudert 
worden  sein,  obne  dass  es  nötbig  war,  dies  besonders  zu  verzeichnen.  Der  werthvollere 
Theil  scheint  der  Aachener  Stadtbibliothek  einverleibt  worden  zu  sein;  denn  mehrere  dorl 
vorhandene  ältere  Bücher  tragen  den  Vermerk:  „Ex  libris  senatus  populique  Aquensis". 

Bedburg.  E.  Pauls. 


-  47  - 

Vereinsangelegenheiten. 

Chronik  des  Vereins  1888. 

In  Befolgung  des  §  2a  seiner  Statuten  hielt  der  Verein  im  .1.  1888  wiederum  eine 
Reihe  Monatsvereammlungen  ab,  in  welchen  unter  reger  Betheiligung  der  Mitglieder 
folgende  Gegenstände  aus  der  Geschichte  Aachens  und  seiner  Umgehung  verhandelt  wurden: 

15.  Sitzung  am  19.  Januar:  Gebräuche  am  Dreikönigstage  (Staatsanwaltschafts-Sekretär 
Schollen);  die  Orgel  und  der  Organistendienst  in  der  Pfarre  von  St.  Peter  zu  Aachen 
(Oberpfarrer  Planker);  Aerztliche  Vorschriften  aus  dem  17.  Jahrhundert,  „wie  man 
sich  in  Pestzeiten  zu  verhalten  habe"  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth);  die  Bezeichnung 
Schabau  (Derselbe);  Kornpreise  in  Aachen  aus  den  Jahren  1708  bis  1713,  aufgestellt 
durch  „Quirin  Brewer  Vereitter  Marckmeister  patron"  (Derselbe). 

16.  Sitzung  am  30.  April:  Die  äussere  Dmwallung  Aachens  (Architekt  Rhoen);  Sagen 
des  Roergaues  (Stadtarchivar  Pick);  Flurnamen  aus  Aachens  Umgebung  (Derselbe); 
Ueber  Eilendorf  (Derselbe);  Ausgrabungen  auf  dem  ehemaligen  Stephanshofe  (Gym- 
nasiallehrer Dr.  Wieth);  Musterstücke  von  Raerener  Thongefässen  des  16.  und  17. 
Jahrhunderts  (Kaufmann  Müllenmeister). 

17.  Sitzung  am  1.  Juni:  Eine  Horbacher  Polizeiverordnung  aus  der  Zeit  der  französischen 
Okkupation  (Chefredakteur  Abels);  eine  Apothekerrechnung  aus  dem  17.  Jahrhundert 
(Derselbe);  ein  Kalender  aus  dem  30jährigen  Kriege  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth);  ein 
mittelalterlicher  Münzfund  (Derselbe). 

18.  Sitzung  am  27.  Juni:  Bericht  über  den  Ausfing  des  Vereins  nach  Nideggcn 
(Dr.  Dresemann);  das  Elementarschulwesen  in  Aachen  im  17.  Jahrhundert  (Derselbe); 
die  alten  Aachener  Stadtsiegel  (Stadtarchivar  Pick);  der  alte  Landgraben  (Kaplan 
Schnock);  J.  J.  Couvens  Bericht  über  die  Festlichkeiten  in  Aachen  bei  Gelegenheit 
der  Krönung  Karl  VII.  1742  und  Franz  I.  1745  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth). 

19.  Sitzung  am  3.  August:  Die  Stellung  König  Ruprechts  von  der  Pfalz  zu  Aachen 
(Dr.  Dresemann);  eine  handschriftliche  Chronik  des  Stadtsyndikus  Melchior  Klocker 
aus  den  Jahren  1602—1608  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wieth). 

20.  Sitzung  am  18.  Oktober:  Bericht  über  die  600jährige  Jubelfeier  der  Stadt  Düsseldorf 
(Kaplan  Schnock);  eine  Hauseinrichtung  aus  dem  16.  Jahrhundert  (Gymnasiallehrer 
Dr.  Wieth). 

21.  Sitzung  am  21.  November:  Prähistorische  Funde  in  Aachen  und  Umgebung  (Gym- 
nasiallehrer Dr.  Wieth);  zur  früheren  Uhrenfabrikation  in  Aachen  (Stadtverordneter 
Schaffrath);  Ueber  Sagen,  welche  sich  an  berühmte  Uhrmachermeister  der  früheren 
Zeiten  knüpfen  (Herr  Stadtarchivar  Pick). 

22.  Sitzung  am  19.  Dezember:  Lehen  des  Christian  C^uix  (Gymnasiallehrer  Dr.  Wacker); 
die  alten  Wandmalereien  im  Hochmünster  zu  Aachen  (Architekt  Ethoen);  ein  Begräb- 
nissregister der  St.  Peterspfarre  aus  den  Jahren  1622  — 1687  (Gymnasiallehrer 
Fr.  Oppenhoff).  «• 

Gleichwie  im  Vorjahr  wurden  auch  im  Laufe  dieses  Sommers  zwei  Ausflüge 
unternommen : 
4.  Ausflug  am  10.  Juni  nach  Nideggen.  In  prachtvollster  Lage  erhebt  sich  daselbst 
die  Ruine  der  stolzen  Burg  Nideggen,  Lange  Jahre  hindurch  der  sitz  der  mächtigen 
und  prachtliebenden  Herzöge  von  Jülich.  Die  baulichen  Anlagen  wurden  vom  Herrn 
Architekten  Rhoen  erläutert,  während  Herr  Kaplan  Schnock  eine  tJebersichl  über 
Geschichte  und  Schicksale  der  Burg  und  des  Städtchens  gab.  Zu  dem  Gefühle  der 
Bewunderung  gesellte  sich  ein  tiefes  Bedauern,  dass  diese  Ruine,  die  ihrer  reizenden 
Lage,  ihrer  baulichen  Schönheit,  ihrer  geschichtlichen  Bedeutsamkeil  nach  eine  wahre 
Perle  des  Roerthalea  darstellt,  schutzlos  dran  Verfall  und  der  Zerstörung  durch  Frost 
und  Wetter  preisgegeben  ist.  Ks  drängte  9ich  allen  der  Gedanke  auf,  dass  es  Ehren- 
pflicht der  Umwohner,  insbesondere  der  vermögenden  Klassen  sei,  hier  Wandel  zu 
schaffen  und  die,  nicht  allzugrossen  Mittel  zu  beschaffen,  welche  nöthig  sind,  das  noch 
Vorhandene  zu  retten  und  so  der   Landschaft    eine  ihrer  schönsten  Zierden  zu  erhalten. 


—  48  — 

:>.    Ausflug  am  12.  August  nach  Falkenburg.   Das  überaus  lieblich  im  Geulthale  gelegene 
Städtchen  wird  überragt  von  den  mächtigen  Trümmern  einer  alten  Burg,  auf  welcher 
die  im  Mittelalter  sehr  einrlussreichen   Grafen  von  Falkenburg  hausten.     An  die  ein- 
gehende Besichtigung  der  malerischen  Ruine   schloss  sich   eine  Wanderung  durch  die 
Höhle,   die   schon   in   römischer  Zeit  angelegt,   in  den  späteren  Jahrhunderten  weiter 
ausgebaut   wurde  und   das   Material  für  die  Bauten  einer  weiten  Umgegend  lieferte. 
Die  Aachener  Stadtrechnungen  des  14.  Jahrhunderts  bezeugen,  dass  auch  die  Aachener 
den  Falkenburger  Sandstein  vielfach  verwandten. 
In  einer  im  Mai  abgehaltenen  Vorstandssitzung  wurde  beschlossen,  die  bisher  jähr- 
lich nur  einmal   in   einem  12  Druckbogen  fasseuden  Hefte   erscheinende  Vereinszeitschrift 
entsprechend  dem  §  2b   der   Statuten  vom    1.  Oktober   ab  in  regelmässiger  Folge  heraus- 
zugeben, derart,  dass  alle  sechs  Wochen  ein  Druckbogen  in  Royal-Oktav  unter  dem  Titel 
„Aus  Aachens  Vorzeit"  zur  Ausgabe  gelangen  sollte.     Da   der   bisherige  Redakteur  Herr 
Stadtarchivar  Pick  wegen  Ueberhäufung  mit  anderweitigen  Arbeiten   die  Redaktion  nicht 
mehr   weiter   führen   konnte,   wurde   dieselbe  dem   ersten  Schriftführer  Herrn  Gymnasial- 
lehrer Dr.  Wieth  übertragen,  und  in  seine  Stelle  Herr  Dr.  Dresemann  kooptirt. 

In  der  Generalversammlung  vom  18.  Oktober  erstattete  der  Vorsitzende  Herr 
Gymnasiallehrer  Dr.  Wacker  eingehenden  Bericht  über  die  Lage  und  Wirksamkeit  des 
Vereins  im  abgelaufenen  Jahre.  Es  ergab  sich  eine  stetige  Zunahme  der  Mitglieder, 
deren  Zahl  gegenwärtig  215  beträgt.  Der  Schatzmeister  Herr  Buchhändler  Kremer  legte 
die  Jahresrechnung  vor,  nach  deren  Prüfung  ihm  Decharge  ertheilt  wurde.  Da  in  Gemäss- 
heit  des  §  6  der  Statuten  der  Vorstand  immer  nur  für  eine  Dauer  von  drei  Jahren  zu 
wählen  ist,  musste  eine  Neuwahl  stattfinden.    Dieselbe  hatte  folgendes  Ergebniss: 

Erster  Vorsitzende:  Wacker,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Zweiter  Vorsitzende:  Schnock,  H.,  Kaplan  in  Aachen. 

Erster  Schriftführer:  Oppenhoff,  Fr.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Zweiter  Schriftführer  und  Bibliothekar:  Schollen,  M.,  Staatsanwaltschafts-Sekretär 

in  Aachen. 
Redakteur:  Wieth,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Schatzmeister:  Kr  einer,  F.,  Buchhändler  in  Aachen. 
Beisitzer:    Abels,  H.,  Chefredakteur  in  Aachen. 

Bott,  Bürgermeister  in  Eilendorf. 

Menghius,  W.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Müllenmeister,  Th.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Schaffrath,  J.,  Stadtverordneter  in  Aachen. 


Monatsversammlung  im  Hotel  zum  Elephanten  (Ursulinerstrasse) 
am  Mittwoch,  den  30.  Januar  1889,  Abends  7*/a  Uhr. 
Tagesordnung:    Leben  und  Wirken  des   Christian  Quix.    2.  Tlieil. 


Kleinere  Mittheilungen. 


In  Kommission  der  F.  Bag-el'schen  Buchhandlung  in  Düsseldorf  ist  erschienen  und 
durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen: 

Professor  Dr.  J.  Schneider: 

Die  alten  Heer-  und  Handelswege  der  Germanen,  Römer  und  Franken 

im  Deutschen  Reiche. 

Sechstes  Heft.  —  Düsseldorf  1888.  —  Preis  1  Mark. 

DnucK  von  Hermann  Kaatzeu  in  Aachen. 


Jährlich  8  Nummern 
ä   1   Bogen  Royal  Oktav 


Preis  des  Jahrgangs 


4  Mark. 


Kommissions-  Verlag 
der 

( iremer'schen  Buchhandlung 

ii .  (ii/.im 

in  Aachen. 


Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit, 

Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  Dr.  K,  Wieth. 


Nr.  4. 


Zweiter  Jahrgang. 


1889. 


Inhalt:    S.  Planker,  Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen.    (Schluss.)  E.  Pauls,    Der 

Luftschiffer  Franz  Blanchard  zu  Aachen  im  Jahre  1786.   —   Kleinere  Mittheilungen:    Der 
erste    Buchdrucker    in   Aachen.  Meteorstein   oder   Hagelstein?      -  Aachener  Tuch. 

Karl  der  Grosse  im  Bade.  -  -  Eine  Aachener  Wachtordnung  aus  dem  Jahre  1759.       Fragen. 
-  Antworten.  —  Vereinsangelegenheiten.  -     Bücheranzeige. 


Die  Pfarrer  von  St.  Peter  in  Aachen, 

Von  S.  Planker. 
(Schluss.) 

17.  Rochus  von  Finkenberg  (1731  IT.").'}).  Er  führte  in  seinem 
Wappen  drei  Finken.  Dieselben  Finken  finden  sich  auch  in  dein  Mittel- 
stück der  grossen  durchbrochenen  Kommunionbank  und  in  den  Kanzellen, 
welche  das  Presbyterium  von  dem  Mittel-  und  den  Seitenschiffen  der  Kirche 
absperren,  eingeschnitzt,  sodass  zu  schliessen  ist,  diese  seien  ein  Geschenk 
des  genannten  Pfarrers.  Im  J.  1739  liess  er  eine  kleinere  Monstranz 
anfertigen  und  weiterhin  die  Kirche  mit  prächtigem  Geräthe  ausschmücken 
so  mit  dem  bewundernswert«  geschnitzten  Beichtstuhl,  welcher  in  kupfernen 
Zeichen  die  Jahreszah]  L748  trägt.  Als  am  4.  Oktober  1745  in  Frankfurl 
.die  Krönung'  Franz  [.,  des  Gemahls  Maria  Theresias,  zum  Kaiser  statt- 
fand, leierte  auch  Aachen  dieses  frohe  Ereignis.  Am  19.  und  20.  Dezember 
wurden  seitens  Aw  Stadt  und  des  Münsterstifts  grossartige  Festlichkeiten 
bei  prachtvoller  Illumination  der  öffentlichen  und  vieler  Privatgebäude 
veranstaltet.  Der  damalige  Stadtarchitekl  Johann  Joseph  Couven  hat  die 
meisten  baulichen  und  künstlerischen  Anordnungen  selbst  geleitel  und 
darüber  einen  in  mehrfacher  Einsichl   interessanten   Berichl  abgefassl  '. 

*)  Der  weitschweifige  Titel  des  Berichtes  lautet :  Allgemein  Frohlocken  and  Freuden- 

Fesl  !  Uber  die  lim-  erwünschte  am   13.  Septemh.  I7i.">  glücklich  vollhrachtc     Kayscrliche 


—  50  —  ■ 

Von  der  Pfarrgeistlichkeit  der  Stadt  betheiligte  sich  nur  der  Pfarrei' 
von  St.  Peter  au  diesen  wahrscheinlich  recht  kostspieligen  Veranstaltungen. 
Deshalb  möge  der  ihn  betreffende  Bericht  J.  J.  Couvens  auszugsweise  hier  eine 
Stelle  finden :  „Herr  Johann  Rochus  Finckenberg 1  Pastor  S.ti  Petri  repraesen- 
tirte  über  die  vordere  Maur  dess  Eingangs  seiner  Pastoral-Behausung 
eine  en  Panneau  vorgestellte  illuminirte  Gallerie,  welche  die  gantze  Länge 
dieser  Maur  bereichete.  Ueber  dieselbe  waren  funff  Repraesentationes 
-cstellet,  nemblich  ein  Mittel-Haupt-Stück,  und  zwey  Nebenstücker  beyder- 
seits.  Das  mittlere  Haupt-Stück  stellete  vor  die  fliegende  Faniani,  so  die 
beyde  Portraiter  des  Kaysers  und  der  Kayserin  hielte,  über  welchen  das 
Auge  Gottes,  so  Sie  bestrahlete.  .  .  .    Unter  der  Famae: 

ObWohL  eUCh  NelDeren  es  nlt  WILt  gefaLLen, 
SoLL  DoCh  öffter  VIVant  In  euren  Ohren  sChaLLen. 

Das  erste  Nebenstück  zur  Rechten  zeigte  die  Unterschrift: 

FranCIsCUs  besteigt  Dess  Kaisers  Thron; 
AUff  Ihn  soLL  foLgen  Ioseph  sein  Sohn. 
ALLes  UnhelL  Von  Ihnen  Weich, 
Gott  gebe  DarzU  Seegen  relCh, 


Das  erste  Nebenstück  zur  Linken  hatte  die  Unterschrift: 

Grosser  Kaiser  In  ZUfrleDenhelt  Lang  soLLest  Leben, 
Theresia  grosse  Kaiserin  Darneben,  c& 

Grosser  Hertzog  zügeLelCh, 
ALLes  UnhelL  Von  eUCh  WelCh " 

Unter  dem  Pastor  von  Finkenberg  wurde  auch  1746  die  noch  heute  an 
St.  Peter  blühende  Bruderschaft  unter  dem  Titel:  „Marianische  Pilgerfahrt 
nach  dem  gnadenreichen  Bild  der  allerseligsten  Jungfrau  und  Mutter  Gottes 
zu  Kevelaer"  errichtet. 

Eine  im  J.  1785  angefertigte  Bruderschaftstafel  enthielt  folgende 
Notiz:  „Confraternitas  beatae  Deiparae  sacra,  sub  titulo  processionis  Keve- 
lariensis  in  parochiali  hac  ecclesia  canonice  ereetafuit  et  stabilita  anno  1746." 

Gemäss  einem  notariellen  Vertrag  vom  24.  Februar  1746,  geschlossen 
zwischen  dem  Pastor  von  Finkenberg  und  den  Kirchenmeistern  von  St.  Peter 


Wahl  j  Und  immediate  druff,  nemblich  am  4.  Octob.  erfolgte  j  Crönung  |  Der  Aller- 
Durchleuchtigster,  Grossmächtigster,  |  und  Unüberwindlichster  Römisch -- König-  |  und 
Kayserlicher  Majestät  |  Francisci  Primi  |  .  .  . .  |  Das  ist:  |  Die  umbständliche  schrifftliche 
Verfassung  der  prächtigem  |  Illumination  |  und  dess  |  Kunstreichen  Feuenvercks,  |  Welche  | 
über  diese  G-lorreicheste  Begebenheit  j  Ein  Hochlöblicher,  Hochweiser  Magistrat  |  Dess 
Königlichen  Stuhls,  und  II.  Römischen  Reichs  i  Freyer  Stadt  Aachen  |  An  dasigem  Rath- 
ll.-uiss  und  Marck-Fontain  |  So  wohl  als  j  Die  gantze  Bürgerschafft  an  ihren  Häusern  |  Vor- 
<4<-st 1 1 1< - (  Und  dardurch  ihr  allgemein  Frohlocken  und  Freuden  in  allertieffester  |  Devotion 
allerunterthänigsl  öffentlich  bezeigen  wollen  I  Am  I9.ten  respective  20.ten  Decembris  1745.  | 
Auss  besonderer!  Von  Eoch -Wohlgemelter  Eochlöblicher  Magistrat  |  Ertheilter  Verord- 
nung |  Entworffen  und  eingerichtet  durch  |  Joannen)  Josephum  Couven  ]  Hiesiger  Stadt 
Aachischen  Architectum  ei  Secretarium.  Vgl.  S.  -14  IV. 
])   Das  Wörtchen   „von"   vor  dein    Xanim   l'clilt  ! 


•  —  51  — 

einerseits  und  dem  Praeses,  Praefekt  und  den  Brudermeistero  der  Bruder- 
schaft andrerseits,  sollte  der  jeweilige  Pastor  von  St.  Peter  als  „der 
geistliche  Herr  Vatter  der  ersteren  allezeit  gehalten  werden,  ohne  dessen 
Bewilligung  die  Andacht  und  der  Gottesdienst  der  Bruderschaft  in  Nichts 
dürfe  geändert  werden". 

Der  jedesmalige  Kaplan  von  St.  Peter  sollte  „als  der  Bruderschafts- 
Herr  und  Geistlicher,  welcher  alle  deren  kirchlichen  Dienste  zu  verrichten 
habe,  angenommen  und  als  Praeses  confraternitatis  anerkannt  werden, 
und  —  weil  derselbe  schlecht  funderet  sei  —  sollte  ihm  als  Entgelt  vor- 
laufig- die  Summe  von  jährlich  20  E.eichsthaler,  jeden  zu  54  acher  Merk 
zuerkannt  werden". 

Auf  den  Antrag-  der  Bruderschaftsvorsteher  hat  Papst  Benedict  XI V 
unter  dem  12.  März  174<;  zu  den  Bruderschaftsfesten  verschiedene  voll- 
kommene und  unvollkommene  Ablässe  bewilligt,  welche  später  von  Papst 
Pius  VII  durch  Breven  vom  J.  1801  und  1816  bestätigt  und  noch  ver- 
mehrt wurden. 

Der  erste  Praeses  der  Bruderschaft  war  der  Kaplan  Wilhelm  Hüben 
Hoiiben.  Ihm  folgte  1753  Kaplan  Johann  Joseph  Kloubert,  diesem  1760 
Kaplan  Johann  Peter  Forster,  diesem  1769  Kaplan  Knops,  diesem  Kaplan 
Yoegels  im  J.  1773,  der  wenigstens  bis  1783  im  Amte  blieb. 

Der  erste  Praefekt  war  Wilhelm  Kremer,  nach  dessen  Tode  im  J. 
1753  als  Praefekt  Nicolaus  Loupen  gewählt  wurde,  welcher  1770  resignirte. 

Ihm  folgte  Johann  Schmitz  bis  zu  seinem  Tode,  den  19.  Januar  1788. 
Sein  Nachfolger  war  ein  gewisser  Schleig.  Durch  Kollekten  und  testamen- 
tarische Messstiftungen  erwarb  die  Bruderschaft  einiges  Vermögen,  welches 
jedoch  nach  der  französichen  Okkupation  in  die  Verwaltung  der  Kirche 
von  St.  Peter  überging,  aber  von  derselben  genau  nach  den  Bestimmungen 
der  Testatoren  zu  den  Bruderschaftszwecken  verwandt  wird1. 

18.  Ludwig  von  Ottegraven  (1753 — 1768).  Er  war  der  Sohn  des 
„praenobilis  eques  subeenturio"  des  Kurfürsten  von  der  Pfalz  Heinrich 
Mathias  von  Ottegraven  und  der  Maria  Sophia  Barbara  de  Voetz  und  wird 
in  der  Urkunde  vom  18.  Mai  1745.  nach  welcher  ihm  das  von  seinen  Vor- 
fahren von  Schörer  gestiftete  Bcncficium  an  St.  Peter  ertheilt  war.  clericus 
Aipiensis  genannt.  Damals  war  er  21  Jahre  alt,  hatte  aber  noch  nicht 
die  höhern  Weihen  erhalten.  Dies  Beneficium  behielt  er  bis  zu  seiner 
Ernennung  zum  Pastor  von  St.  Peter  durch  den  röm.  stuhl  14.  Kai.  Julii 
1753.  zu  welcher  Zeit  er  jedoch  eist  2!»  Jahre  alt  war.  Sein  Porträt 
trägt  die  Schritt:  „aetatis  :;o.  ao.  L754",  er  wurde  durch  den  Pastor  Hennen 
von  St.  poilan  den  2!).  April  I7.VI  eingeführt.  Als  Wappen  führt  er  ein 
Kreuz,  dessen  vier  Enden  je  in  zwei  Schlangenköpfe  auslauten;  vier  Pfauen- 
federn krönen  den  Kopf  des  Wappenschildes.  Im  J.  I7i;i  liess  Pastor  von 
ottegraven  das  Innere  der  Kirche  erneuern  d.  h.  illuminiren,  nicht  kalken. 
Bei  der  vor  einigen  Jahren  vorgenommenen  Polychromirung  und  vorherigen 
Säuberung  der  Kirchenwände  landen   sich  über  der  innern   Eingangstlmre 

')  Nach  rin,  in  Aktenhefl  der  Marianisch-Kevelarischen  Bruderschaft  und  Andacht 
im  Archiv  der  Kirche  von  St.  Peter  in  Aachen. 


—  52  — 

zum  Kirchthurm  Reste  einer  Schrift  in  einem  Spruchband,  welche  hiervon 
Zeugniss  geben:  „Henricus  fautor,  Ludovicus  nunc  restaurator  .  .  .  ao  1764". 
Von  Ottegraven  scheint  ein  etwas  heftiger  Mann  gewesen  zu  sein.  Wenigstens 
klagen  der  Präsident  und  die  übrigen  Beisitzer  des  Sendgerichts  ihn  an, 
dass  er  den  Vorsitzenden  und  das  ganze  Gericht  „scandalose"  beleidigt 
habe  und  verurtheilen  ihn  zu  einer  nicht  unbedeutenden  Geldbusse,  gegen 
welches  Urtheil  er  freilich  bis  zur  höchsten  Instanz  appellirte. 

19.  Johann  Laurenz  Ganser  (1768 — 1812),  wurde  vom  h.  Stuhl  ernannt 
am  20.  August  1768.  Er  stammte  aus  Aachen,  erhielt  die  niedern  Weihen 
zu  Lüttich  am  13.  Februar  1761  und  wurde  am  folgenden  Tage  auf  den 
Titel  des  Vikariebeneficiums  an  St.  Peter  zu  Aachen,  welches  ihm  bereits 
am  8.  Februar  desselben  Jahres  durch  Pastor  von  Ottegraven  übertragen 
war,  zum  Subdiakon  geweiht;  diese  von  Pastor  Winand  Osteradius  gestif- 
tete Stelle  verwaltete  Ganser  bis  zu  seiner  Ernennung  als  Pastor  von 
St.  Peter.  Als  solcher  fungirte  er  bis  zu  seinem  am  14.  Mai  1812  erfolgten 
Tode,  also  volle  44  Jahre.  Zu  seiner  Zeit  erfolgte  die  französische 
Okkupation  und  die  damit  verbundene  gewaltige  Umwälzung  in  den  kirch- 
lichen Verhältnissen.  Viele  Stiftungen  gingen  verloren,  namentlich  solche, 
die  in  Renten  fundirt  waren,  oder  die  mit  Kapitalien  der  Armenverwaltung, 
welche  von  jener  Zeit  an  bürgerlich  wurde,  verbunden  waren.  Die  Re- 
klamationen nach  dem  Kongress  unter  der  preussischen  Verwaltung  blieben 
zum  grössten  Theil  erfolglos.  Bei  der  neuen  Pfarreintheilung  unter  dem 
ersten  Bischof  des  neu  errichteten  Bisthuins  Aachen  wurden  St.  Peter 
nebst  St.  Foilan  und  St.  Nikolaus  zu  Kantonal-  oder  Oberpfarren  erster 
Klasse  erhoben,  und  war  Ganser  also  der  erste  Oberpfarrer  von  St.  Peter; 
als  solcher  wurde  derselbe  durch  Bischof  Marcus  Antonius  Berdolet  ernannt 
am  19.  Juni  1803,  und  eingeführt  am  11.  Juli  desselben  Jahres;  er  winde 
ausserdem  Ehrenkanonikus  des  hiesigen  Münsterstiftes.  Die  Bevölkerung 
der  Pfarre  betrug  damals  3251  Seelen.  Gansers  Porträt  im  Pfarrhause 
von  St.  Peter  ist  im  J.  1807  von  Maler  J.  P.  Scheuren J  aufgenommen 
und  darunter  notirt:  „aet.  a.  70";  demnach  wäre  Ganser  1737  geboren  und 
im  24.  Jahre  zum  Vikar,  im  31.  Lebensjahre  zum  Pastor  von  St.  Peter 
ernannt  worden.  Als  Wappenzeichen  führt  er  eine  Gans  (Ganser).  Sein 
Nachfolger  wurde : 

20.  Franz  Xavier  Lahaye  (1812 — 1819).  Er  war  schon  Canoni- 
cus  regularis  des  hiesigen  Kreuzherrn- Klosters  bevor  er  am  18.  Septem- 
ber 1790  die  hohem  Weihen  empfing.  Zum  Empfang  der  Priesterweihe 
am  18.  Juni  1791  bedurfte  er  noch  Altersdispens.  Nach  Aufhebung 
der  Klöster  scheint    er    in   der  Stadt   als  Privatgeistlicher  und   als   Beich- 


&' 


tiger  tliätig  gewesen  zu  sein.  Im  J.  1804  den  13.  Februar  wurde 
er  zum  ersten  Pfarrer  der  zur  Sukkursalkirche  erhobenen  ehemaligen 
Kreuzherrnkirche  ad  s.  crucem  ernannt,  in  welcher  Stellung  er  verblieb,  bis 
er  am  24.  August  1812  zum  Oberpfarrer  von  St.  Peter  befördertwurde ;  am 
8.  September  desselben  Jahres  wurde  er  durch  den  Kanonikus  und  Dompfarrer 

y)  Er  ist  der  Vater  des  ausgezeichneten,  am  21.  August  1810  zu  Aachen  geborenen 
Landschaftsmalers  Kaspar  Scheuren  (gest.  zu  Düsseldorf  am   12.  Juni  1887). 


53 

Julianus  Gerardy  Moulan  eingeführt.    Er  starb  schon  am  15.  Dezember  L819. 

21.  Stephan  Lambert  Vonderbank  (1820—1832),  war  vor  Auf- 
hebung- der  Klöster  Mitglied  „ordinis  s.  Francis«  recoll.  in  conventu  Heidel- 
bergensi",  wurde  später  zum  Pastor  von  St.  Adalbert  ernannt,  und  am 
15.  Januar  *■  1820  durch  die  Kapitels-  und  General-Vikare  der  Diözese 
Aachen,  Fonk  und  Klinkenberg,  zum  Oberpfarrer  von  St.  Peter  erhoben, 
den  8.  Februar  desselben  Jahres  eingeführt  und  starb  den  9.  Juni  1832. 
Sein  und  seines  Vorgängers  Bildnisse  (ohne  Wappen)  geben  durch  den 
Ornat  Zeugniss,  dass  beide  auch  Ehrendomherrn  des  Münsterstiftes  waren. 

22.  Johann  Wilhelm  Dillschneider  (1832 -- 1872),  war  geboren 
zu  Aachen  und  zwar  in  der  Peterspfarre  am  27.  Dezember  1705  und  war 
vor  seiner' Ernennung  als  Oberpfarrer  von  St.  Peter,  die  am  16.  Oktober 
1832  durch  Erzbischof  Ferdinand  August  Graf  von  Spiegel  erfolgte, 
mehrere  Jahre  Domvikar  und  Sekretär  des  erzbischöflichen  General- Vikariats 
zu  Köln.  Er  starb  den  9.  Oktober  1872,  war  also  volle  40  Jahre  hindurch 
Oberpfarrer  von  St.  Peter.  Während  dieser  langen  Amtsperiode  hat  er 
sich  grosse  Verdienste  um  die  Ordnung  der  Stiftungsverwaltung,  um  die 
Hebung  des  Kirchenvermögens,  um  die  Verschönerung  und  Restauration 
der  Kirche  im  Innern  wie  im  Aeussern,  um  die  Errichtung  von  zwei  neuen 
Vikariestellen,  um  den  Neubau  von  vier  Kaplaneien  und  um  die  Hebung 
des  Gottesdienstes  wie  des  kirchlichen  Lebens  erworben.  Er  verfasste 
ein  Pfarrgebetbuch  und  hob  den  Kirchengesang,  gründete  einen  Begräbniss- 
bund u.  dgl.  m.  Dass  seine  Verdienste  und  sein  Verwaltungstalent  Aner- 
kennung gefunden,  beweist  seine  Erhebung  zum  Ehrenkanonikus  am 
Münsterstift,  zum  Klosterkommissar  und  zum  Stadtdechant.  Zu  seinem 
25jährigen  Pfarrerjubiläum  stiftete  die  Pfarre  sechs  grosse  silberne  Altar- 
Leuchter  und  zu  seinem  50jährigen  Priesterjubiläuni  eine  marmorne  Altar- 
mensa und  ein  neues  Tabernakel.  Er  vermachte  der  Peterskirche  eine 
Summe  von  200  Thlr.  zu  einem  feierlichen  Anniversarium  für  seine  Seelen- 
ruhe und  400  Thlr.,  deren  Zinsen  zur  Beschaffung  von  Handpostillen  ver- 
wandt werden  sollen,  die  durch  den  jeweiligen  Pfarrer  von  St.  Peter  braven 
Brautleuten  als  Hausrath  bei  der  Verehelichung  geschenkl  werden  könnten. 

23.  Sebastian  Theodor  Planker  wurde  zum  Oberpfarrer  ernannt 
den  8.  November  1  s 7 2 .  ist  seit  1887  Stadtdechant  und  seil  L888  Ehren- 
kanonikus des  Münsterstiftes  in  Aachen. 


Der  Luftschiffer  Franz  Blanchard  zu  Aachen  im  Jahre  1786, 

Von  K.  Pauls. 

Bald  nach  dem  Bekanntwerden  der  Luftballons  erregten  in  den  acht- 
ziger Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Luftschiffahrten  des  Franzosen 
Franz    Blanchard1    in    ganz    Europa    ungemeines    Aufsehen.     Nach    einer 


')  Geb.  it:»::.  gest.  1809,  nachdem  er  bis  L807  etwa  66  Luftreiscn  geinachl  hatte. 
Seine  Gattin,  welche  ebenfalls  in  der  Luftschiffahri  ihren  Erwerbszweig  fand,  kam  gelegent- 
licb  ihrer  iiT.  Auffahrt  am  6.  Juli   1819  in  Paris  ums  Leben. 


—  54 

berühmten  Luftreise  über  den  Kanal  bis  Calais1  versuchte  sich  Blanchard 
mit  stets  glücklichem  Erfolg-  in  vielen  Städten  Frankreichs,  Englands  und 
Deutschlands.  Auch  Aachen  erhielt  im  Jahre  1786  seinen  Besuch,  und 
zwar  unter  so  merkwürdigen  Umständen,  dass  eine  nähere  Darlegung  wohl 
am  Platze  sein  dürfte.  Freilich  muss  hierbei  in  Ermanglung  aller  andern 
Berichte2  Blanchards  eigene  Erzählung  die  Hauptquelle  bleiben3.  Dies 
verschlägt  indes  wenig.  Einestheils  nämlich  hält  es  nicht  schwer,  die 
Schwächen  der  Blanchardschen  Mittheilungen  herauszufinden,  andererseits 
ist  der  wesentliche  Theil  des  Berichts  des  Luftschiffers  amtlich  beglaubigt. 

Längere  Zeit  vor  Blanchards  Erscheinen  war  man  bereits  in  Aachen 
dem  Gedanken  an  das  Aufgehenlassen  eines  Luftballons  näher  getreten. 
Im  Dezember  1783  sammelte  der  Buchhändler  St.  Aubin  in  der  Komphaus- 
badstrasse  Einzeichnungen,  aus  deren  Ertrag  ein  grosser  Luftballon  „für 
einige  Eeisende"  hergestellt  werden  sollte4.  Jede  Einzelzeichnung  kostete 
einen  Kronenthaler  {o,M.  4,70).  Bald  nachher  trat  der  Apotheker  Weiden- 
bach  in  der  Kölnstrasse  in  Mitbewerb5;  bei  ihm  kostete  die  Einzelzeichnung 
nur  4  Schillinge  {&M.  1,50).  Weidenbach  hatte  sich  die  zur  Herstellung 
und  Füllung  eines  Luftballons  nöthigen  Sachen  aus  Paris  kommen  lassen; 
er  war  gegen  Ende  Februar  1784  mit  seinen  Vorbereitungen  fertig.  Int 
April  desselben  Jahres  langte  der  Mechanikus  Berschitz  aus  Wien  in  Aachen 
an,  welcher  ebenfalls  das  Auflassen  eines  Luftballons  beabsichtigte0. 
Welchen  Erfolg  St.  Aubin,  Weidenbach  und  Berschitz  hatten,  meldet  die 
Aachener  Zeitung  nicht7;  gross  war  derselbe  keinesfalls. 

Endlich  brachte  das  Jahr  1786 8  zwei  Luftschiffer  nach  Aachen:  de  la 
Touche-Foucroy  und  Franz  Blanchard.  De  la  Touches  Ballon  hatte  angeblich 


1)  Von  Dover  aus  am  7.  Januar  1785.  Diese  Reise  brachte  ihm  das  Bürgerrecht 
von  Calais  nebst  einer  marmornen  Ehrensäule  am  Ort  der  Landung'  ein.  Ausserdem  schenkte 
ihm  der  König  von  Frankreich  12  000  Frs.  nebst  einer  Rente  von  1200  Frs. 

2)  In  ortsgeschichtlichen  Werken  finde  ich  nur  die  äusserst  dürftige  Notiz  bei 
Haagen,  Geschichte  Achens  II,  S.  390. 

s)  Ich  benutze  zwei  in  der  Aachener  Stadtbibliothek  vorhandene  kleine  Druckschriften 
in  französischer  Sprache,  in  welchen  Blanchard  über  seine  20.  Luftreise  in  Hamburg  und 
seine  21.  Luftreise  in  Aachen  berichtet. 

4)  Stadt-Aachener  Zeitung  vom  31.  Dezember  1783. 

5)  Stadt-Aachener  Zeitung  vom  21.  Februar  1784. 
G)  Stadt-Aachener  Zeitung  vom  24.  April  17s  l. 

7)  Andere  Quellen  fehlen.  Tagesneuigkeiten  aus  Aachen  brachte  die  damalige 
Aachener  Zeitung  nur  in  Ausnahmefällen.  Die  Censur  war  zu  streng;  es  hiess  einfach, 
dass  solche  Neuigkeiten  ja  sofort  bekannt  wären! 

8)  Aus  den  Jahren  1786  und  1787  ist  noch  folgendes  zu  erwähnen.  Ein  grosser 
Luftballon  von  75  Fuss  im  Umkreis,  dessen  Besitzer  nicht  genannt  wird,  ging  um  7  Uhr 
Abends  am  17.  Juli  1 780  zu  Frankenberg  bei  Aachen  auf.  Derselbe  nahm  die  Richtung 
Stolberg-Eschweiler  und  gall  nach  einer  Anzeige  in  der  Aachener  Zeitung  noch  am  20.  Juli 
als  vermisst.  Vielleicht  war  der  Ballon  unbesetzt,  denn  damals-  scheint  es  beliebt  gewesen 
zu  sein,  grosse  mit  Wasserst of'fgas  oder  erhitzter  Luft  gefüllte  Körper  von  den  ver- 
schiedensten Formen  „ins  Blaue"  steigen  zu  lassen.  So  kam  im  J.  1787  bei  Montjoie  die 
lo  Fuss  hohe,  nur  26  Unzen  (780  Gramm)  schwere  Bildsäule  eines  geflügelten  Pferds  mit 
Heiter  zur  Erde.  Aehnliche  Bildsäulen  werden  zuweilen  in  den  damaligen  Zeitungen  erwähnt, 
ebenso  Montgolflersche  Luftkugeln. 


•  —    00   — 

160  französische  Fuss  im  Umfang  und  eine  Höhe  von  60  Fuss;  er  fassti 
65  400  Kubikfuss  Gas  und  konnte  2000  Pfund  in  die  Eöhe  ziehen1.  Am 
16.  August  stieg-  de  la Touche  an  der  Bever  vor  Adalbertsthor 2,  am  7.  Oktober 

in  Yaels  auf,  beide  .Male  fast  unbeachtet3. 

Etwas  "anders  erging  es  Franz  Blanchard.  Dieser  hatte  Brüssel,  wo 
er  reiche  Anerkennung'  gefunden,  am  2.  August  verlassen  und  auf  der 
Durchreise  nach  Hamburg-  in  Aachen  versprochen,  anfangs  September  in 
die  alte  Kaiserstadt  zurückzukehren,  um  seine  21.  Luftreise  bei  uns  anzu- 
treten. Seine  Aachener  Freunde  legten  Einzeichnungslisten  mit  der 
Erklärung-  auf,  dass  400  Louisdor  {&£.  7550 — 7650)  zu  decken  seien,  ehe 
Blanchard  „anfangen  werde  Anstalten  zu  machen":  der  Preis  für  eine 
EinzelzeicBnung  war  auf  einen  Kronenthaler  (-/£  4,70)  festgesetzt.  Blanchard 
hielt  Wort.  Er  verliess  Hamburg  am  27.  August  und  traf  am  5.  September 
in  Aachen  ein.  Hier  scheinen  die  Vorbereitungen  zur  Auffahrt  längere 
Zeit  in  Anspruch  genommen  zu  haben,  denn  frühestens  am  1.  Oktober 
sollte  die  Luftreise  stattfinden.  Ueber  das  Ganze  giebl  Blanchard  zwei 
Berichte.  Einer  derselben  ist  amtlicher  Art,  weil  er  von  mehreren  Aachener 
Schöffen  und  Beamten  unterschrieben  ist4;  den  andern  hat  der  Luftschiff  er 
selbst  verfasst.  Folgendes  ist  in  Kürze  der  Inhalt  der  amtlichen  Darstellung : 

„Blanchard  beabsichtigte  zuerst  am  1.  Oktober  aufzusteigen,  verschob 
alier  mit  unserer  obrigkeitlichen  Bewilligung  wegen  allzu  ungünstiger 
Witterung  die  Auffahrt  auf  den  8.  Oktober,  doch  gestattete  erst  am 
«).  Oktober  das  Wetter  die  Luftreise.  Die  städtische  Mannschaft  bezog 
ihre  Posten,  Kanonenschüsse  verkündeten  die  bevorstehende  Luftschiffahrt5. 
Blanchards  Ballon  erhob  sich  genau  um  2  Ehr  vom   Jesuitenkloster  aus6 

x)  Stadt -Aachener  Zeitung  vom  8.  Juli  1786.  Heber  dir  Grösse  des  Blanchardschcn 
Ballons  fehlen  alle  Angaben. 

-)  Stadt-Aachener  Zeitung  vom  L6.  August   lTsc. 

i  An  der  Bever  vor  nur  wenigen,  in  Vaels  vor  22  (mil  Einlasskarten  versehenen) 
Zuschauern.  Blanchard,  welcher  der  Auffahrt  in  Vaels  beiwohnte,  schildert  sie  als  eine 
ganz  verfehlte.  Kr  spricht  von  seinem  Mitbewerber  in  den  schärfsten  Ausdrücken  und 
nennt  ihn  einen  den  Brüsseler  Gefängnissen  entgangenen  Charlatan,  der  auch  aus  Aachen 
nach  kurzem  Aufenthalt  ausgewiesen  worden  sei.  Ob  Blanchard  Recht  batte,  braucht 
nicht  erörtert  /.u  werden. 

li  Anfang:  Nous  Magistrats  et  Echevins  de  la  Ville d'Aix-la-Chapelle  certifion 
Datum:    Fait    e1    donne   en   notre    Eötel   de   Ville,   le    LI.  Octobre    L786;    Unterschriften: 
De  Loncux,    Echevin.     De  Garzweiler,   Echevin. 
Baron  de  Witte,    .,         Baron  de  Fürth,        „ 
.T.  de  Brauman,     „ 
.1.  Vossen,  Docteur  en  Droit,  Commissaire  de  Police. 
Eenri  Joseph  Tilman, 
Leonard   Brammertz, 
Nicolaus  •  !romm, 
Joseph  Heusch, 
Aachens    Bürgermeister   konnten    Blanchards 
zeichnen,  weil  sie  wegen  der  Wirreu  in  Aachen  abwesend  waren.    Vgl.  Eaagen  a.  a.  0. 
i  Text:  La  Troupe  en  grand  teuue,  selon  nos  ordres,   pril   ses  postes;    les   canons 
annoncerent  la  certitude  du  dßpart. 

'•)  llaagen  a.  a.  ( >.  nennt  den  Garten  des  Aachener  Jesuitenkollcgiums  als  Ort  der 
auffahrt,  die  jedenfalls  in  der  Nähe  der  St.  Michaelskirche  stattfand. 


n                  H 

In  fidem: 

•i            -n 

F.  II.  Strauch, 

n 

( lommissionis 

n 

actuarius. 

Ernennung  zum 

Ehrenbürger   nicht    unter- 

—  56 

unter  dem  Beifallsrufen  der  Zuschauer  majestätisch  in  die  Lüfte;  von  der 
Eöke  herab  grüsste  der  Luftschiffer  mit  seiner  Fahne,  welche  das  Wappen 
Aachens  zeigte.  Es  herrschte  Südwestwind,  der  Ballon  verschwand  bald 
in  (\Qn  Wolken,  erschien  aber  nach  einigen  Minuten  wieder  und  senkte 
sich  zur  Erde.  Gegen  2  Uhr  30  Minuten  landete  Blanchard  glücklich  in 
einer  Wiese  mitten  in  den  Waldungen  bei  Herzogenrath,  zwei  Meilen  vom 
Auffahrtspunkt  entfernt.  Selbigen  Tags  noch  begab  er  sich  zum  Bathhaus, 
wo  wir  ihn  erwarteten  und  dankend  seine  Fahne  in  Empfang  nahmen. 
Wir  legten  ihm  unsere  Erkenntlichkeit  an  den  Tag  und  veranlassten  ausser- 
dem, dass  ihm  zum  Zeichen  unserer  Hochachtung  seines  Talents  das  Bürger- 
recht in  Aachen  verliehen  wurde1."  Soweit  der  amtliche  Bericht.  Blänchards 
ausführlichere  Erzählung  kann  hier  nur,  insoweit  als  sie  nennenswerthe 
Ergänzungen  des  amtlichen  Berichts  bietet,  kurz  berührt  werden. 

Bald  nach  seiner  Ankunft  in  Aachen,  im  September  1786,  so  erzählt 
Blanchard,  fand  er  sich  enttäuscht.  Die  Einzeichnungen  hatten  ein  sehr 
unbefriedigendes  Ergebniss  geliefert,  denn  weit  weniger  als  ein  Viertel 
der  gewünschten  Summe  war  gezeichnet  worden.  Weil  Blanchard  nicht 
unverrichteter  Dinge  abziehen,  auch  seinen  Bekannten  das  Sammeln  von 
Einzeichnungen  nicht  weiter  zumuthen  wollte,  nahm  er  allein  die  Sache  in 
die  Hand.  Die  Folge  war,  dass  die  Mehrzahl  der  wenigen  Einzeichner 
nunmehr  das  Becht  zu  haben  glaubte,  die  frühere  Einzeichnung  als  unge- 
schehen zu  betrachten,  während  neue  Einzeichnungen  kaum  angemeldet 
wurden.  So  kam  es,  dass  Blanchard,  trotzdem  durch  ihn  Geld  in  Hülle 
und  Fülle  nach  Aachen  strömte,  weil  seinetwegen  die  Stadt  drei  Mal  mit 
Fremden  gefüllt  war2,  vor  ziemlich  leeren  Bänken  arbeitete3  und  nach 
einer  Beise  von  300  Stunden  in  Aachen  2000  Thaler  einbüsste.  (?)  In 
Frankfurt  hatte  man  nach  Ausspannung  der  Pferde  den  Wagen  des  Luft- 
schiffers zum  Theater  gezogen;  die  Aachener  zogen  Blanchard  auch,  aber 
bei  den  Haaren4.  Um  etwas  zu  sehen  und  doch  ihre  Kronenthaler  zu 
sparen,  wussten  selbst  sehr  reiche  Aachener  Bürger  vortreffliche  Auskunfts- 
mittel. So  fuhr  ein  Adeliger  vor  die  Stadt  und  wartete  draussen  auf  einer 
Anhöhe  auf  das  Erscheinen  des  Ballons;  ein  anderer  nahm  mit  dem  Kompass 
in  der  Hand  mit  seiner  ganzen  Familie  auf  dem  Festungswall 5  auf  herbei- 
geschafften Stühlen  Platz.     Noch  klüger   machten    es   zwei  andere,    deren 


1)  Text:  Nous  avons  decide  qu'il  lui  seroit  delivre  aujourd'hui  des  Lettres  de 
i  ütoyen  de  cette  Ville. 

2)  Am  1.,  8.  und  '.).  Oktober,  an  denen  die  Luftreise  erwartet  wurde.  An  anderer 
Stellt'  prahlt  Blanchard,  es  habe  nach  dem  I.  Oktober  in  Aachen  geheissen,  die  Ver- 
zögerung .sei  zwischen  ihm  und  den  Wirthen  verabredet,  um  die  Fremden  in  Aachen 
zurückzuhalten. 

3)  Text:  Jamais  je  n'ai  vu  moins  de  inende  dans  mon  eneeinte.  Aus  einer  Stelle 
folgt,  d;\<s  Blanchard  auf  mehrere  Tausend*  Zuschauer  gerechnet  hatte,  sich  aber  mit  et wa 
200  Personen  begnügen  musste. 

')  Ein  Aachener  hatte  Blanchard  auf  dieses  hübsche,  aber  bittere  Wortspiel  auf- 
merksam gemacht.    Im  Text  lautet  es:  trainer  la  carosse  und  trainer  par  les  cheveux. 

')  Gemeint  sind  jedenfalls  ein  paar  damals  noch  vorhandene  Reste  wallartiger  alter 
Befestigungen  in  der  Nähe  des  Jesuitenklosters. 


-  57  - 

Häuser  am  Jesuitenkloster  lagen.     Sie  hoben  einige  Ziegel  aus  dem  Dache 

und  schauten  so  den  Vorbereitungen  für  die  Auffahrt  zu  '. 

Zum  Schaden  gesellte  sich  der  Spott.  Am  9.  Oktober  warnten  Unbe- 
kannte in  den  Aachener  Strassen  die  Vorübergehenden  vor  dem  Besuch 
des  Pdanchardschen  Zelts  unter  dem  Vorgeben.  es  >ei  dort  so  besetzt,  dass 
man  ersticke2.  Eine  Stunde  vor  der  Auffahrt  erschien  der  Herzog  von 
Cumberland,  welcher  für  4  Personen  Plätze  belegt  hatte,  stiess  die  Thüre 
ein  und  verlangte  sofortiges  Auflassen  des  Luftballons.  Die  Leute  des 
Herzogs  folgten  ihrem  Herrn,  ohne  im  Besitz  einer  Eintrittskarte  zu  sein. 
Blanchard  mochte  und  durfte  die  festgesetzte  stunde  nicht  ändern,  weshalb 
er  dem  barschen  Ersuchen  nicht  entsprach.  Zum  Dank  erklärte  später  in 
der  Abendgesellschaft  bei  der  Fürstin  Gagarin  in  Blanchards  Gegenwart 
der  Herzog,  dass  er  einen  Mann  von  Talent  nicht  höher  schätze  als  seinen 
Kutscher :!. 

Ueber  sein  Aufsteigen  und  die  spätere  Landung  schreibt  Blanchard4: 
„Als  ich  mich  erhob,  standen  nach  den  mittelst  meiner  Apparate  ange- 
stellten Berechnungen  die  Wolken  1000  Toisen5  hoch  über  der  Stadt;  eine 
halbe  Meile  südwärts  dagegen  hingen  sie  bedeutend  tiefer,  weil  sie  nach 
dieser  Seite  hin  die  Erde  meinen  Blicken  entzogen,  nachdem  ich  kaum  die 
erste  Höhenschicht  erreicht  hatte.  Ich  erblickte  einen  kleinen  Ballon6, 
welchen  man  nach  dem  meinigen  aufgelassen  hatte;  er  eilte  in  eine  mir 
nahe  Wolke,  stieg  dann  mit  grosser  Schnelligkeit  und  verlor  sich  bald  im 
unermesslichen  Weltraum.  Die  Luft  war  ziemlich  mihi,  die  unbeweglichen 
Wolken  gewährten  in  ihren  mannigfaltigen  Formen  einen  entzückenden 
Anblick;  meist  glichen  sie  den  Felsenbergen,  deren  Farbenreichtum  von 
so  blendender  Schönheit  ist.  Hingerissen  von  Bewunderung  freute  ich 
mich  des  mir  immer  neuen  Schauspiels,  aber  ich  setzte  mit  Beharrlichkeil 
meine  Beobachtungen  fort.  Die  zuletzt  durcheilte  Wolke  war  ungefähr 
150  Fuss  dick;  ich  befand  mich  jetzt  etwa  7500  Fuss  über  der  Erde  und 
öffnete  die  Klappe.  Fast  augenblicklich  sah  ich  die  Erde  wieder,  hatte  aber 
beim  Landen  mit  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  weil  der  Ballon  über  Wal- 
dungen schwellte.    Bald  indes  erblickte  ich  einen  für  die  Landung  günstigen 


')  Blanchard  nennt  die  Namen,  welche  hier  fortbleihen.  Er  hatte  bei  seinen  Vor- 
stellungen eigens  bezahlte  Aufpasso-,  die  ihm  reiche,  aus  der  Ferne  umsonst  zuschauende 
Personen  namhaft  machten.    Später  veröffentlichte  dann  Blanchard  die  Namen. 

-')  Text:  Gardez-vous  bien  d'entrer  ehe/.  .Air.  Blanchard,  La  foule  esl  si  grande  qu'on 
y  etouffe. 

8)  Erzählt  Blanchard  die  Wahrheit,  so  war  wohl  der  Bildungsgrad  des  Herzogs  ein 
niedrigerer  als  der    seines    Kutschers. 

4)  Wahrscheinlich  aus  Unwillen  über  diegeringe  Betheiligung  verzichtete  Blanchard 
in  Aachen  auf  ein  sonst  häufig  gezeigtes  Kunststück.  Er  führte  nämlich  meisl  auf -einen 
Luftreisen  einen  Fallschirm  mit  sieh,  in  welchen  er  ein  Lebendes  Thier  (Kaninchen,  Bammel 

u.  s.  w.)  Legte,  um  es  aus  einer  Höhe  v ihrem  Hundert  Fuss  zur  Knie  zu  senden,  wo 

es  in  der  Regel  unversehrt  anlangte. 

■)    Etwa    1950    Meter. 

6)  Jedenfalls  ein  mit  Menschen  nichl  besetzter  Ballon;  vgl.  oben  S.  54,  An- 
merkung 8. 


—  58  • 

Obstgarten1,  auf  welchen  ich  zulenkte,  und  wo  sich  sofort  mehrere  Land- 
leute2 versammelten.  Diese  riefen  mir  zu:  „Seien  Sie  unbesorgt,  wir 
sprechen  französisch,  wissen  Näheres  aus  den  Zeitungen  und  werden  alles 
tJmn,  was  Sie  wünschen!"  In  der  That  halfen  sie  mir  den  Ballon  leeren 
und  zusammenfalten,  was  schnell  erledigt  war.  Hierauf  kamen  die  Herren 
von  Bonn  und  Choren,  welche  meinen  Landungsplatz  im  Gehölz  gefunden 
hatten.  Ich  stieg  zu  Pferde  und  traf  bald  meinen  mir  entgegen  gesandten 
Wagen.  Der  Ballon  wurde  oben  auf  den  Wagen  gelegt 3,  worauf  ich  mit 
mehreren  Reitern  nach  Aachen  zurückkehrte."  In  sehr  anerkennender 
Weise  spricht  sich  Blanchard  über  die  Aufnahme  aus,  welche  er  nach  seiner 
Luftreise  im  Aachener  Kathliaus  bei  den  Rathsherm  fand.  Die  Ertheilung 
des  Bürgerrechts  hatte  ihm  grosse  Freude  gemacht,  ebenso  das  Geschenk 
einer  schönen  Uhr  nebst  Kette,  womit  ihn  der  Rath  beehrte.  Angenehm 
auch  berührte  Blanchard  die  Versicherung,  dass  nur  die  ungünstige  Geldlage 
der  Stadt  es  dem  Rath  unmöglich  mache,  dem  Luftschiffer  den  ihm  in 
Aachen  erwachsenen  Verlust  zu  ersetzen.  Am  Abend  des  9.  Oktober  besuchte 
Blanchard  mit  mehrern  Rathsherrn  den  Schauspielsaal.  Hier  hatte  man  bis 
zu  seinem  Erscheinen  mit  dem  Beginn  der  Vorstellung  gewartet;  er  wurde 
lebhaft  beklaschtundnahm  in  der  mit  Blumen  und  Laubgewinden  geschmückten 
Loge  der  Fürstin  Gagarin4  Platz.  Inmitten  des  Saals  erhob  sich  Blanchards 
Büste,  welche  schliesslich,  ähnlich  wie  in  Frankfurt,  gekrönt  wurde.  Dabei 
feierte  eine  Sängerin  Blanchard  als  den  König  der  Lüfte,  dessen  Talente 
ihm  schon  auf  Erden  den  Rang  der  Götter  sicherten.  Den  Schluss  des  Tages 
bildete  ein  grosses  Abendessen,  welches  die  Fürstin  Gagarin  zu  Ehren  des 
Luftschiffers  in  einem  Saal  der  alten  Redoute  gab. 

Hier  bricht  Blanchards  Bericht  mit  der  Bemerkung  ab,  dass  die 
Fortsetzung5  in  Lüttich  erscheinen  werde.  Es  lohnt  nicht  der  Mühe  nach 
derselben  zu  forschen,  da  aus  dem  Vorhandenen  der  wesentliche  Theil 
des  Sachverhalts  genügend  vollständig  zu  ersehen  ist. 

Als  Blanchard  in  Aachen  auftrat,  stand  die  Luftschiffahrt  hoch  in 
Ansehen,  obschon  sie  erst  in  den  Windeln  lag.  Allenthalben  stellte  man 
Versuche  an,  meist  aber  mit  so  unglücklichem  Erfolg,   dass  vielfach   die 


J)  Nach  den  Aimalen  des  bist.  Vereins  für  den  Niederrhein  (Bd.  43,  S.  120)  landete 
Blanchard  in  Klinkheide  bei  Kohlscheid  und  fuhr  vierspännig  nach  Aachen  zurück. 

-)  Zwistigkeiten  zwischen  Landleuten  und  Luftschiffern  sind  oft  unvermeidlich,  da 
die  Regelung  der  Entschädigung  beim  Landen  in  Fruchtfeldern  oder  Gärten  meist  schwierig 
ist.  Zu  Blanchards  Zeiten  rissen  zuweilen  zur  Vermeidung  von  Weitläufigkeiten  die 
Landleute  die  Anker  ans,  welche  die  Luftschiffer  zum  Zweck  der  Landung  herabliesseu. 
Blanchard  seihst  erzählt,  dass  die  holländischen  Bauern  ihm  die  Lust  verleidet  hätten,  je 
nochmals  Holland  zu  besuchen. 

8)  Der  Ballon  dürfte  also  nicht  allzu  gross  gewesen  zu  sein. 

'i  Die  Fürstin  Gagarin -Troubetzkoye,  augenscheinlich  eine  besondere  Gönnerin 
Blanchards,  besuchte  vor  100-110  Jahren  fast  regelmässig  jährlich  die  Aachener  Bäder. 
sir  hatte  eine  eigene  Wohnung  in  der  Komphausbadstrasse ;  ihr  Gemahl  scheint  Haupt- 
mann in  der  russischen  Garde  gewesen  sein. 

.  5)  Der   Aachener   Setzer    hatte   deren  Fertigstellung    verweigert,    weil    Blanchard 
die  Aachener  Zustände  zu  heftig  tadelte^ 


—  59  — 

Luftreisen  von  den  Behörden  verboten  wurden1.  Unbestritten  war  Blanchard 
der  erste  Luftschiffer  seiner  Zeit  und  viele  Unistände  trugen  dazu  bei, 
dass  er,  wo  immer  er  auftrat,  weit  über  Verdienst  geehrt  wurde.  Der 
grossen  Menge  schien  er  die  Aufgabe  des  Fliegens  durch  die  Lüfte,  an 
deren  LÖsung*seit  den  ältesten  Zeiten  der  Mensch  sich  so  oft  vergeblich 
versucht  hatte,  gelöst  zu  haben.  Ferner  verstand  er  es  in  recht  geschick- 
ter Weise,  den  Glauben  wach  zu  halten,  dass  er  der  Lenkbarkeit  des 
Luftschiffs  emsige  Studien  zuwende  und  dass  seine  Beobachtungen  der  Physik 
vortrefflich  zu  statten  kommen  würden2.  In  der  Wirklichkeit  nahm  er, 
wenigstens  bis  zum  Jahre  178(5,  bei  seinen  Luftfahrten  nicht  einmal  ein 
Thermometer  oder  Barometer  mit3,  und  den  mit  den  damaligen  Hülfs- 
mitteln  ganz  aussichtslosen  Versuch,  den  Ballon  nach  beliebigen  Richtungen 
zu  lenken,  hat  er  ernstlich  sicher  niemals  unternommen.  Ehre  und  Ruhm4 
wurden  ihm  reichlicher  zu  Theil  als  Gold,  denn  um  seine  Einnahmen  war 
es  fast  allenthalben  schwach  bestellt''.  Seinen  eigenen  Angaben  nach 
hatte  Blanchard  in  Gravenhage  über  6000  Frs.  verloren.  Auch  in  London, 
wo  eine  besondere  Vorstellung-  vor  den  höchsten  Beamten  der  Stadt  ihm 
nur  ein  grosses  Glas  Branntwein  eintrug,  hatte  er  eine  bedeutende  Ein- 
busse  zu  verzeichnen.  In  Rotterdam  wurden  kaum  die  Unkosten  gedeckt. 
in  Lille  war  er  geprellt  worden,  Gent,  so  schreibt  er,  hätte  eigentlich 
einen  Ballon  von  6  Zoll  Durchmesser  verdient.  Etwas  günstiger  spricht 
sieh  Blanchard  über  Douay,  Frankfurt  und  Hamburg  ans,  aber  über  Aachen? 
In  beispiellos  unsinniger  Selbstüberschätzung  erklärt  er6,  da—  sein  .Miss- 
erfolg in  Aachen  in  der  Geschichte  Epoche  (!)  machen  werde,  und  dass  noch 
in  den  fernsten  Zeiten  die  Mehrzahl  der  Bewohner  Aachens  hierüber  erröthen 
müsste!  Allerdings  war  Blanchards  Auftreten  in  Aachen  für  ihn  mit 
Verlust  verbunden;  fraglich  dagegen  ist  es,  ob  dieser  Verlust  2000  Thaler 
betrug-  und  noch  fraglicher  bleibt  es,  ob  wirklich  Blanchard  die  Stadt  an 
drei  Tagen  mit  Fremden  gefüllt  hat7.  Der  Misserfolg  war  das  fast  unaus- 
bleibliche  Schlussergebniss   einer   Reihe   von   Fehlern.     Verfehlt    war  die 


l)  Annalen  des  historischen  Vereins  für  den  Niederrhein  a.  a.  0. 
-)  Folgt  aus  mehreren  Stellen  der  mir  vorliegenden  Druckschriften. 

•:)  [n  Hamburg  wurde  ihm  dies  vorgeworfen;  auch  in  Aachen  scheinl  er  diese  Instru- 
mente kaum  benutzt  zu  haben. 

')  in  manchen  Städten  aber  auch  scharfe  Angriffe;  denn  vielfach  hiell  man  vor 
L00  Jahren  die  Luftschiffahrt  für  eine  /.war  schöne,  alier  nidn  eben  sehr  bedeutende 
Erfindung.  Witzig  hiess  es  stellenweise,  der  Luftschiffer  fülle  seinen  Ballon  und  leere 
die  Taschen  der  Zuschauer. 

-')  So  auch  in  spätem  Jahren.    Blanchard  besass  sc) im  J.   L785  mindestens  20000 

Frs.  Vermögen.  Seine  Ehe  blieb  kinderlos;  nach  vielen  Dutzenden  damals  berühmter 
Luftreisen  in  den  ersten  Städten  der  alten  und  neuen  Well  betrug  derNachlass  um  L819 
höchstens  50000  Fr*.  (Aachener  Wahrheitsfreund   1819,  Nr.   L12). 

c)  Text:  Eu  verite"  cette  aventure  presqu'incroyablc,  qui  fera  epoque  dans  l'histoire, 
devra  faire  rougir  ä  jamais  et  jusqu'ä  La  postöritC  la  plus  reculöe  la  plüparl  des  habitants 

de   Celle    ville. 

7)  Der  Tag-  des  Aufsteigens  war  ja  der  Witterung   wegen  zu  unbestimmt! 


—  60  — 

Wahl  einer  verhältnissmässig  kleinen  Stadt1,  welche  sich  grosser  Wohl- 
habenheit nicht  erfreute;  verfehlt  war  es,  eben  in  demjenigen  Jahr  nach 
Aachen  zu  kommen,  in  welchem  innerer  Zwist  und  Aufruhr  bei  uns  an 
der  Tagesordnung  waren2.  Wurde  trotzdem  Aachen,  vielleicht  mit  Rück- 
sicht auf  seine  vielen  vornehmen  Badegäste  gewählt,  so  musste  Blanchard 
nicht  am  Schluss  der  Kurzeit,  sondern  etwa  im  Juli  oder  August  auftreten ; 
wahrscheinlich  hätte  sich  dann  das  Ganze  für  ihn  etwas  günstiger  gestaltet 3. 

Nach  dem  9.  Oktober  1786  wird  des  Luftschiffers  Blanchard  in  den 
Aachener  Zeitungen  nur  noch  an  sehr  vereinzelten  Stellen  gedacht.  Auf- 
sehen erregte  seine  Landung  im  Walde  bei  Eupen  zu  Ende  Dezember 
1786;  er  war  damals  in  Lüttich  aufgestiegen  und  hatte  die  grosse  Strecke 
bis  Eupen  angeblich  in  kaum  einer  Viertelstunde  zurückgelegt4. 

Mehrfach  noch  ist  dagegen  bis  zum  Schluss  der  Fremdherrschaft5 
von  andern  Luftschiffern  und  ihren  Ballons  die  Eede.  Hier  nur  zwei 
Beweise.  Vor  der  auch  für  das  Geschick  Aachens  so  verhängnissvollen 
Schlacht  bei  Fleurus  am  26.  Juni  1794  hatten  die  Franzosen  die  feind- 
lichen Stellungen  von  der  Höhe  eines  an  Stricken  aufgelassenen  Luft- 
ballons aus  beobachtet.  Bald  nach  der  Einnahme  Aachens  durch  die 
Franzosen  im  September  desselben  Jahres  wurde  dieser  Ballon  von  Lüttich 
aus  nach  Aachen  gebracht  und  lagerte,  vielfach  bewundert,  in  einer  Wiese 
bei  Burtscheid  ';. 

In  friedlicherer  Zeit  als  1794  erhielt  Aachen  unter  autfälligen  Um- 
ständen den  Besuch  der  Luftschifferin  Garnerm  aus  Paris.  Diesel Ite  stieg 
in  Paris  gegen  101/«  Uhr  Abends  am  19.  August  1809  auf  und  landete  um 
11I2  Uhr  am  Morgen  des  folgenden  Tags  in  Vaels  bei  Aachen7.  Eine  so 
schnelle  Reise  von  der  französischen  Hauptstadt  nach  Aachen  hat  selbst 
das  Zeitalter  der  Eisenbahnen  wohl  kaum  aufzuweisen. 


')  Aachen  hatte  25  000  Einwohner;  der  Geldwerth  war  ein  viel  höherer  als  heut- 
zutage. Ein  Vergleich  mit  den  heutigen,  viel  grossartigeren  Verhältnissen  ergibt  sofort, 
dass  es  damals  fast  unmöglich  war,  für  Blanchards  Vorstellung  die  gewünschten  400 
Louisdor  durch  Einzeichnungen  aufzutreiben. 

-)  Im  .f.  1786  waren  die  unter  dem  Namen  Makelei  bekannten  Unruhen  aufs  höchste 
gestiegen;  wie  Haagen  a.  a.  0.  erzählt,  befürchtete  man  auch  gelegentlich  Blanchards 
Luftschiffahrt  stürmische  Auftritte. 

■)  Zum  grossen  Theil  mögen  Blanchards  Aachener  Freunde  den  Misserfolg  verschulden ; 
sie  mussten  die  Verhältnisse  besser  kenneu  als  Blanchard,  welcher  Aachen  fern  stand. 

4)  Stadt-Aachener  Zeitung  vom  30.  Dezember  1786. 

5)  Die  spätere  Zeit  bleibt  hier  ganz  unberücksichtigt. 

6)  Aachener  Zuschauer,  Nr.  119  vom  4.  Oktober  L794:  „l>ie  Aerostaten-Compagnie 
hat  den  Ballon  von  Lüttich  durch  die  Luft  hielier  gebracht." 

7)  Aachener  Fremdenliste.  Augustnummer  1809. 


61 


Kleinere  Mittheilungen. 


Der  erste  Buchdrucker  in  Aachen.    Der  Verfasser  des  Dictionnaire  de  Geographie 

ancienne  e1   lerne   ä  L'usage   du    libraire   etc.   1883  hal  bei  jedem  Orte  die  ersten  dorl 

erschienenen  Drucke  verzeichnet.     Für  Aachen  gibt  er  an: 

Jacolms  H^vthusius  Antverpianus :  Exemplaria  sive  formulae  scripturae  ornatioris 
XXXV.  In  quibus  praeter  diversa  litterarum  genera,  varii  earumdeni  duetus,  strueturae 
et  connexiones  traduntur.    Aquisgrani,  1591.   i ".     K>  sind  dies  also  Schriftproben. 

Einer  der  ersten  Drucker  zu  Aachen  ist  nach  seiner  Angabe  Johann  Schwuartzenbach. 

Meteorstein  oder  Hagelstein?  In  einer  holländischen  Chronik,  die  ich  jetzt  nicht 
mehr  namhaft  machen  kann,  fand  ich  beim  J.  L552  bemerkt:  Te  Sleusingen  in  Vrankryk 
regenden  het  Keizelsteenen  .  .  .  En  te  Aken  viel  een  steen  nir  de  lugt. 

Aachener  Tuch.  Zu  Braunschweig  erhielten  10  Personen,  welche  Pedellendienste 
thaten,  für  de»  Sommer  jede  7  Ellen  aachensches  Tuch,  für  den  Winter  ebensoviel  braun- 
schweigisches  Grautueh.     Dürr,  Gesch.  d.  St.  Braunschw.   1875,  S.  337. 

Karl  d.  Gr.  im  Bade.  Das  Chronicon  Balduini  Ninoviensis  erzählt  folgendes 
Histörchen:  Carole  cum  nuntiaretur  de  casu  Leonis  papae  in  balneo,  sedens  -tili  manu 
tonsoris  nuntium  audivit.  Qui  mox  de  balneo  exiliens  juravit  tonsuram  sibi  non  perficien- 
dam,  donec  vindieta  facta  papam  sedi  suae  restitueret,  quod  ita  factum  est  etc.  Nicht 
bloss  wurden  dem  badenden  Kaiser  Gesandte  vorgestellt,  sondern  dorr  liess  er  sich  auch 
philosophische  Themata  vortragen,  wie  uns  Alkuin  (ep.  205)  erzählt :  de  cuius  numeri 
mira  significatione  memoro  olim  nie  domino  meo  David  dixisse  calido  caritatis  corde  in- 
fervente  naturalis  aquae  balneo. 

Aachen.  11.   M.   Lersch. 

Eine  Aachener  AVachtordimng  ans  dem  Jahre  1759. 

In  frühern  Zeiten  haben  in  fast  allen  Städten  von  einiger  Bedeutung  die  Bürger 
die  Wachtdienste  in  der  Stadt  selbst  und  auch  an  den  Stadtthoren  hei  Tag  und  hei  Nacht 
geleistet.  Mitglieder  der  Zünfte  und  sonstige  Bürger  wurden  dazu  herangezogen.  Da  aber 
deren  Gewerbe  darunter  nothwendiger  Weise  leiden  musste,  so  führte  man  später  an  vielen 
Orten  eine  Steuer  ein,  aus  der  man  die  Wachtmannschaften  bezahlte.  In  jenen  Städten 
aber,  wo  sich  der  persönliche  Wachtdiensi  erhielt,  fanden  soviele  Loskaufungen  davon  statt, 
dass  er  für  die  weniger  Begüterten  äusserst  lästig  und  drückend  wurde.  Diese  suchten 
sich  denn  auch  an  dem  unangenehmen  Amte  vorbeizudrücken,  wo  sie  nur  konnten;  was 
ihnen  wesentlich  dadurch  erleichtert  wurde,  dass  die  Hauptleute  selbsl  ihre  I 'Hiebt  ver- 
säumten und  die  Wachen  nicht  revidirten.  Dies  gab  in  Aachen  im  Jahre  1759  Anlass  zu 
einer  Rathsverordnung,  wodurch  für  jede  Strasse  fleissige  und  treue  Wächter  angestellt 
wurden,  die  aus  einer  monatlich  zu  erhebenden  Steuer  bezahlt  wurden.  Hier  haben  wir 
also  einen  amtlichen  Nacht  Wachdienst  bereits  so  Jahre  früher,  als  die  vor  Kurzem  in  einer 
hiesigen  Zeitung  mitgetheilte  Verordnung  von  1836  feststellt.  Die  Verordnung  lautete 
folgendermassen : 

„Die  bei  Tag  und  Nacht  verschaffe  Sicherheil  is1  in  allen  Staaten  und  Republiquen 
die  starekste  Mitprob  einer  löblich  eingerichteten  Policey:  davor  sonderlich  zu  sorgen,  ist 
die  schuldige  Obliegenheit  deren  Regenten:  gleichwie  nun  Ein  Eochweiser  Ratb  allzeit 
wohl  darauf  bedacht  gewesen,  und  auch  hal  gewärtigen  dürfen,  dass  (so  fern  ihren  Ver- 
ordnungen jederzeit  nachgelebet)  in  hiesige]-  st  ;i  d  t  da  ruber  der  mindeste  Beschwer  oiemahlen 
erfolgen  würde,  so  hat  derselbe  doch,  leider!  bittere  Klagen  vernehmen,  und  die  unangenehme 
Erfahrung  haben  müssen,  dass  bei  dermahligen  gefährlichen  Zeiten  schon  von  Jahren  her 
eine  löbliche  Bürgerschaft,  und  das  ihrige  bei  nächtlicher  Weil  dem  Raub-  und  Diebsgesindel 

bloS    gestellt     gewesen,     Welches    daher     gekiilimieii,     daSS     die     l'.Ürgerl  iihe    Ober-    Und     l'nter- 

Officiers  von  denen  Wachten  abgeblieben,  und  dadurch  veranlasst  haben,  das-  die  Wacht 
haltende  wenige  Bürger,  weil  selbsl  ohne  chef  und  folglichen  ohne  alle  Direction  waren, 
gleich  nach  10  Uhren  Abends  von  ihren  Posten  ab,  und  mich  Haus  gegangen  seynd:  wan 
aber  aller  Gefahr  und  üebel  bei  Zeiten  muss  vorgebogen  werden,   und   dan  zu  befürchten 


—  62  — 

ist,  dass  bey  herannahendem  Winter  das  Rauhen  und  Stehlen,  oder  doch  das  böse  Unter- 
nehmen wiederum  stareker  werden  dürfte,  so  hat  Ein  Hochweiser  Rath  nach  reiflicher 
Erwegung,  der  Vorsicht  und  Nothdurft  zu  sein  erachtet,  dass  in  jeder  Strass  fleissig-  und 
treue  Wächtere,  welche  ihre  geschärfte  Instruction  haben  sollen,  angestellet,  und  solche 
Maass-Regulen  genommen  werden,  damit  die  gantze  Stadt  gesichert  seye:  diese  Vorsorg 
und  weitere  Einrichtung  soll  nach  Vermuthen  jederman  um  damehr  gefallen,  als  niemand 
dabei  beschweret  wird,  der  Beytrag  zum  Unterhalt  deren  zu  diesem  heilsamen  Werck 
nöthigen  Leuten  ist  in  dreyen  Classen  vertheilet,  und  solle  jeden  Monat  eingefordert 
werden:  die  erste  ('lasse  gibt  monatlich  3  Märck  vom  Haus,  die  zweyte  vom  Haus  6  Märck 
und  die  dritte  12  Märck  Aix.  Dagegen  spricht  Ein  Hochweiser  Rath  die  gantze  Bürger- 
schaft von  deine  los  und  frey,  was  sie  sonsten  denen  Hauptleuten  zur  Bestellung  der  unter- 
lassenen Wachten  zahlen  müssen;  selbe  Wachten  sollen  den  lOten  des  folgenden  Monats 
Novemhris  (wiewohlen  die  Bürger-Compagnien  in  ihrem  Esse  bleiben)  nachlassen,  dargegen 
soll  alsdann  die.  neue  Anordnung  ihren  Anfang  nehmen. 

Also  überkommen  im  Rath,  und  einem  jeden  durch  die  Druck  bekennt  zu  machen 
verordnet,  Aachen  den  31  Octobris  1759". 

Aachen.  IL  Schnöd-. 


Fragen. 


In  den  von  Laurent  herausgegebenen  Aachener  Stadtrechnungen  werden  folgende 
Ausgaben  verzeichnet: 

It.  den  weichteren  van  den  ballingen  ind  Lewerken  3  qu.  S.  379,25;  302,32,33; 
304,29. 

It.  den  weichtern  van  den  oister  hier  zu  verbieden  3.     S.  300,  9,io. 

It.  den  weichteren  van  den  hier  ind  van  den  lewerken  ze  verbieden  3.     S.  306,i. 
Welche  Bewandniss  mag  es  mit  diesen  Bestimmungen  haben?  W. 

In  dem  Necrologium  ecclesiae  B.  M.  V.  Aquensis  heisst  es  S.  52: 

Obiit  Nicolaus  pro  quo  habemus  quartam  partem  domus  supra  riuulum  merchul 
(Es  starb  Nikolaus,  für  welchen  wir  haben  den  vierten  Theil  eines  Hauses  über  dem  Bache 
Merchul).  Dieselhe  Oertlichkeit  dürfte  S.  62  verstanden  sein:  Obiit  Steina  que  et  maritus 
eins  wikerus  dederunt  doinum  super  merdenchul  .  .  .  (Es  starb  Steina,  welche  nebst 
ihrem  Gemahl  Wirikus  ein  Haus  über  Merdenchul  schenkten.)  Was  ist  unter  merchul, 
merdenchul  zu  verstehen.  M. 

Ebendaselbst  wird  S.  66  zweimal  eine  platea  foncellis  ewähnt,  eine  Strasse,  welche 
S.  60  funschel  heisst,    Wo  lag  dieselbe?  B. 

Wer  kann  den  Strassennamen  Krakau  erklären?  Es  sei  bemerkt,  dass  dieser  Name 
mehrfach  als  Ortsbezeichnung  vorkommt.  In  den  Kämpfen  zwischen  Spanien  und  den 
Generalstaaten  im  16  .und  17.  Jahrhunderte  eroberte  Spinola  im  Jahre  1605  am  27.  Oktober 
Wachtendonk  und  am  5.  November  Cracau,  während  Moritz  von  Oranien  vergeblich  einen 
Anschlag  auf  Geldern  versuchte.  (Vgl.  Wenzelburger,  Gesch.  d.  Niederlande  II,  S.  762.) 
Magdeburg  gegenüber  am  rechten  -Eibufer  besteht  ebenfalls  ein  Krakau  und  Krakauer 
Werder.     (Vgl.  Droysen,  Allgemeiner  historischer  Handatlas  No.  43,  Nebenkarte.) 

A. 


Antworten. 

Zu  S.  46,  Frage  3.  [Kaffawirker,  Kaffaienwirker,  Kirfeienwirker]:  lieber  die 
Bedeutung  des  Wortes  gibt  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  V,  Sp.  21,26  und  850  Aus- 
kunft. Kaffa  oder  caffa,  caffar  ist  ein  Seidenzeug,  Sanimet  (Kaftsammet)  und  findet  sieh 
in  dieser  Bedeutung  in  Urkunden  des  17.  Jahrhunderts  aus  Leipzig,  Hamburg,  Minden. 
Zur  Vergleichung  dient  franz.  cafard  und  altengl.  caffa.  Jetzt  bezeichnet  das  englische 
caffa  ein  ostindisches  Baumwollenzeug.  Kaffawirker,  Kaffaienwirker  sind  demnach  Arbeiter, 
welche  bei  der  Herstellung  dieses  Sammets  thätig  sind.  Hiervon  zu  trennen  ist  die 
Bezeichnung  Kirseienwirker ;   (denn  so,  nicht  Kirfeienwirker  ist  zu  lesen.)    Kirsei,  männlich 


—  03  — 

und  sächlich  gebraucht,  auch  Kersei,  Kirschei  heisst  ein  gekepertes  Woflenzeug,  eine  Art 
Flanell  (engl,  kersey,  el.  karssai,  dän.  kersei,  schwed.  kersing,  franz.  cariset,  ital.  span. 
earisea.)    (Mittheilung  des  Herrn  Gymnasiallehrer  Fr.  Oppenhoff  in  Aachen.) 

Zu  S.  32,  Frage  2  [Pau]:  Eine  nach  vielen  Seiten  sein-  ansprechende  Deutung  der 
Pau  und  Paunelle,  zweier  Bachnamen  innerhalb  der  Stadt  Aachen,  gibl  II.  Marjan: 
Rheinische  Ortsn&men,  Heft  4,  1884,  S.  9  und  10.     Es  heissl  daselbst : 

Bei  der  Erklärung  dieser  offenhar  dunkeln  Formen  weiden,  wir  am  sichersten  von 
„Pawnella"  ausgehen.  Dieses  Wort,  welches  in  -einer  Endung  —  eil  sichtlich  ein  Ver- 
kleinerungselement  enthält,  ist  aus  latein.  pavonellus  oder  pavonella  „junger  Pfau" 
entstanden,  welches  Deminutiv  unter  derselben  Bedeutung  im  heutigen  Französischen  noch 
als  paomieau  existirt.  Demnach  müsste  ehemals  das  Stammwort  pavea,  die  heutigePau, 
die  Bedeutung-  oder  doch  wenigstens  denselben  Laut  wie  das  Wort  Pfau  gehallt  haben. 
Der  letztere  Fall,  der  Gleichlaut,  war  in  der  That  vorhanden;  denn  das  Thier  führte  den 
Namen  Paw  im  den  beiden  Sprachen,  die  hier  in  Betracht  kommen  können,  im  Wallonischen 
und  Altniederdeutschen.  Wallonisch  lautet  es  pawon  im  Malmedier,  pahon  im  Namürer, 
pawe  im  benachbarten  Lütticher  Dialekt,  welch  letzterer  also  das  n  der  Grundform  pavon 
(vom  acc.  pavonem)  abgeworfen  hat  und  nun  eine  mit  altholländischem  paaw  „Pfau" 
gleichlautende  Form  aufweist. 

Aber  was  soll  Pfau  als  Bachname? 

Die  folgende  Zusammenstellung  wird  hoffentlich  das  Räthsel  lösen. 

Wallonisch:  Althollandisch: 

Aus  lat.  potion(em)   oder  spätlat.  pusiou(em) 

wurde altwallon.pouhon  „ein  aus  Mineral-   •=$ >    die  paawhoen,  gespr.   pauhon 

quellen   entstehender  Bach-1:  =  das  Pfauhuhn 

pouhon  lautet  im  lütticher  Dialekt  pawe      < $>•  paaw  =  Pfau 

1  V 

pavonella     =     junge  Pfauin. 
Vgl.  frz.  paomieau  aus  pavonellus. 

Ueber  Pouhon  schreibt  ein  Kleister  romanischer  Etymologie  (Grandgagnage,  Dict. 
etymol.  de  la  Langue  Wallonne,  herausgegeben  von  A.  Scheler.  tom.  II  p.  260.): 

Le  niot  pouhon,  de  puits,  a  degage  dans  les  Ardennes  le  sens  „fontaine  d'eau 
minerale"  et  comme  tel,  le  mot  est  une  denomination  generique  appliquee  ä 
toutes  les  sources  minerales  de  ce  pays  et  nullement  restreinte  ä  la  plus 
connue  d'entr'elles,  la  fontaine  de  Pierre-le-Grand  ä  Spa.  Une  ordonnance 
rendue  par  Erard  de  la  Mark  ä  Curenge,  en  nov.  1519,  mentionne  dejä  les  pouhons  de 
Sari   et  ceux  du  Barissart." 

Eis  hat  nun  eine  Zeit  gegeben  —  es  wird  gegen  Ende  der  karolingischen  Eerrschaft 
(c.  900)  gewesen  sein,  —  in  welcher  in  hiesiger  Stadt,  die  seit  Karl  dem  Grossen  angefangen 
hatte,  zweisprachig  zu  werden,  das  Wallonische  und  das  Alt  holländische  nebeneinander 
existirten.  Damals  nannte  man  Paw,  Pau  sowohl  den  sich  aus  den  Mineralquellen 
der  Stadt  bildenden,  an  der  sog.  Ketschenburg  in  die  Wurm  fliessenden  Bach  als 
auch  den  Pfau.  Bei  der  Neigung  des  Volkes,  die  leblosen  Gegenstände,  namentlich  Heim- 
lichkeiten, in  der  Sprache  als  lebende  Wesen  darzustellen,  musste  die  Vorstellung  des 
Thieres  die  andere,  jetzt  mit  dem  allmählichen  Verschwinden  des  wallonischen  Idioms 
unverständlich  werdende,  verdrängen.  Der  „Pfau"  hatte  bald  gesiegt.  Was  war  nun 
natürlicher,  als  das  man  den  Nebenbach  „Pfauchen,  kleine  Pfau"  nannte?  I'ml  wenn 
jemand  an  dem  grammatischen  Geschlechte  der  Bachnamen  ..die  Pau,  die  Paunelle" 
Anstoss  nehmen  sollte,  so  sei  hier  bemerkt,  dass  im  Aachener  Dialekt  da-  hochdeutsche 
Huhn  von  jeher  weiblich  war,  man  saute  und  sagt:  die  Huhu:  „de  hon",  und  da 
man  auch  das  romanische  Wort  ponel]  als  „junger  Pfau"  im  Gebrauche  hatte,  so  ging 
dieses  allmählich  auf  den  Nebenbach  über.  Andere  alle  Namen  haben  diese  ehedem 
ganz  ausserhalb  de-  Stadtbezirks  fliessenden  Gewässer  nicht  gehabt,  denn  auch  der  Name 
des  dritten  Aachener  Baches,  de-  Johannisbaches,  ist  offenbar  erst  jüngeren  Datums. 
Der  älteste  Name  des  Paubaches  aber,  pouhon.  ist  abzuleiten  entweder  \,,m  Namen 
pusion  des  spätlab  pusio  =  Bach  oder  von  dem  nach  Form  und  Bedeutung  fast  iden- 
tischen lat.  pot  io  Trank. 


—  .64  — 

Zu  Seite  16,  Frage  1  [Engeland  oder  Ingelanden]:  In  Holland  nennt  mau  Inge- 
landen  Grundstücke,  die  eingedeicht  oder  mit  einem  Wall  umgeben  sind.  (Mittheilung 
des  Herrn  Staatsarchivar  J.  Habets  in  Maastricht.) 

Zu  S.  32,  Frage  4  [Rennbahn]:  Der  Strassenname  „Rennbahn"  in  Aachen  erinnert 
an  die  so  häufig  vorkommende  Bezeichnung  „Rennweg'',  „Rennstrasse",  „Rennsteig",  welchen 
manche  R  hnerstrassen  und  auch  vorrömische  Wege  führen;  am  bekanntesten  ist  der  „Renn- 
steig" oder  „Rennstieg",  welcher  in  einer  Erstreckung  von  2.">  Meilen  über  den  Thüringer- 
und  Frankenwald  führt.  (S.  meine  Schrift:  Die  alten  Heer-  und  Handelswege  im  deut- 
schen Reiche,  Heft  3  und  6.)  Hierbei  ist  zu  bemerken,  dass  in  der  Umgegend  von  Aachen 
die  Bezeichnung  „Bahn"  statt  „Strasse",  „Weg"  nicht  selten  vorkommt;  so  erscheinen 
alte  Wege,  welche  sonst  „Heerstrasse",  „Heerweg"  heissen,  dort  unter  dem  Namen  „Heer- 
bahn", und  dalier  scheint  es  wohl  nicht  zweifelhaft,  dass  der  in  Aachen  vorkommende 
Name  „Rennhahn"  identisch  ist  mit  der  anderwärts  vorkommenden  Bezeichnung  „Renuweg" 
oder  „Rennstrasse".     (Mittheilung  des  Herrn  Professor  Dr.  J.  Schneider  in  Düsseldorf.) 

Zur  Erklärung  des  Xantens  „Rennbahn"  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  der- 
selbe auch  als  Bezeichnung  eines  Drieschs  in  der  Aachener  Gegend  vorkommt.  In  einer 
Urkunde  vom  24.  Juli  1524  (gedruckt  bei  Quix,  Geschichte  der  St.  Peter-Pfarrkirche 
S.  79  ff.)  heisst  es  nämlich:  item  noch  niyt  eynen  driesch,  genant  die  Renbau,  wie  der 
sievenden  halven  morgen  myn  of  mee  unbevangen  haldende  ind  tuschen  synen  peelen  ind 
reygenoesen  gelegen  is,  tuschen  den  zwen  wegen  buyssen  sent  Jacobs  portze  beyde  nae  der 
Preusen  gayude  .  .  .  ;  noch  eynen  driesch,  ouch  genant  die  Renban,  wie  der  seevenzien 
morgen  myn  of  mee  unbevangen  haldende  ind  tuschen  synen  peelen  ind  reygenoesen  gelegen 
is  buyssen  sent  Jacobs  portze  lanx  den  wege  nae  der  Preusen  gaynde  up  eyne  ind  neest 
deine  wege  nae  dat  Hasselholt z  gaynde.  Sollte  vielleicht  einer  der  hier  erwähnten  Wege 
früher  „Rennbahn"  geheisseu  haben  und  der  Name  später  auf  die  anschiessendeu  Grund- 
stücke übergegangen  sein?  (Mittheilung  des  Herrn  Stadtarchivar  R.  Pick  in  Aachen.) 
Auch  Dresemann,  Die  Jakobskirche  zu  Aachen  S.  71  erwähnt  einen  Besitz  „an  der 
Renban  hoven  die  Koegass".    Anm.  d.  Red. 


Vereinsangelegenheiten. 

Monatsversammlungen  im  Hotel  zum  Elephanten  (Ursulinerstrasse). 

1.  Am  Mittwoch,  den  27.  Februar  1889,  Abends  ll\2  Uhr.    Vorträge: 

Zur  Geschichte  Aachens  aus  dem  Jahre  1823. 

Die  Einwohnerzahl  Aachens  im  Anfang'  des  19.  Jahrhunderts. 

2.  Am  Mittwoch,  den  27.  März  1889,  Abends  7x/2  Uhr.    Vorträge: 

Mittheilungen    über    die   Radermacher-,    Schmiede-    und    Kupfer- 
schmiedezunft in  Aachen. 


In  Kommission  der  F.  Bagel'schen  Buchhandlung  in  Düsseldorf  i>r  erschienen  und 
durch  alle  Buchhandlungen  zu  beziehen: 

Professor  Dr.  J.  Schneider: 

Die  alten  Heer-  und  Handelswege  der  Germanen,  Römer  und  Frauken 

im  Deutschen  Reiche. 

Sechstes  Heft.  —  Düsseldorf  1888.  —  Preis  1   .Mark. 

Druck  von  Hermann  Kaatzer  ix  Aachen. 


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or-z 


a  SV- 


Jährlich  8  Nummern 
a  1  Bogen  Royal  Oktav. 


Preis  des  Jahrgangs 


4  Mark. 


Kommission«; -Verlag 
der 

Cremer'schen  Buchhandlung 

(C.  Cazin) 

in  Aachen. 


Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 

Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegehen  von  Dr.  K.  Wieth. 


Nr.  5. 


Zweiter  Jahrgang. 


1889. 


Inhalt:  B.  M.  Lersch,  Aquisgrani?  —  E.  Pauls,  Ein  Aachener  Schuldrama  des  18.  Jahr- 
hunderts. —  Kleinere  Mittheilungen:  Nachgrabungen  in  Cornelimünster  nach  dem  Grabe 
des  heiligen  Benedikt  von  Aniane.  -  -  Der  Vogelfang  bei  Maxen,  den  20.  und  21.  Novem- 


bris  1759.  —  Vereinsangelegenheiten. 


Aquisgrani? 

Von  B.  M.  Lersch. 

Veranlassung  zu  den  nachfolgenden  Ausführungen  bot  die  von  E.  Pauls 
in  dieser  Zeitschrift  gemachte  Bemerkung,  dass  zur  Zeit  des  Naturforschers 
Plinius  Galmei  in  Deutschland  gefunden  worden  sei  \  was  der  Verfasser 
auf  unsere  Gegend  bezieht.  Obwohl  unser  Landstrich  mehr  zum  belgischen 
Gallien  gehört  haben  mag,  scheint  der  Ausdruck  „germanische  Provinz" 
doch  kaum  auf  ein  anderes  Gebiet  als  auf  die  Rheinprovinz  bezogen  werden 
zu  können.  Ausser  Aachens2  Umgegend  könnte  er  aber  auch  auf  Gressenich 
bezogen  werden,  wo  die  Römer  ausgedehnten  Bergbau  betrieben  haben; 
dort  soll  die  Strasse  mit  Galmeierz  gebaut  worden  sehr'.     Will   man   die 


*)  Die  Stelle  in  Plinii  bist,  natur.  XXXIV,  1  lautet:  Ars  iit  et  e  lapide  aeroso, 
quem  vocant  cadmiam;  celebritas  in  Asia  et  quondam  in  Campania,  nunc  in  Bergomatium 
agro,  extrema  parte  Italiac.  Feruntque  nuper  etiam  in  (ierinania  pruvincia  repertum. 
Cadmia  ist  der  Beschreibung  nach  sicher  ein  Zinkerz  gewesen. 

2)  In  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  wurde  im  Gebiete  von  Verlautenheide  Galmei 
entdeckt  und  das  Bergwerk  Herrenberg  errichtet.  1658  lie->  die  Jtilichsche  Regierung 
des  Reichswaldes  die  städtischen  Arbeiter  gefangen  nehmen.  Seit  dem  letzten  Dezennium 
des  18.  Jahrhunderts  liess  die  Stadt  das  Bergwerk  nicht  mehr  bearbeiten  und  1831  verkaufte 
sie  es  an  John  Cockerill.  Es  hatte  damals  L 17345  Qu.  Lachter  Fläche.  Es  isl  dies  wohl 
das  Galmeibergwerk  bei  Nirm. 

3)  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichts- Vereins  III,  S.  146. 


—   66  — 

Stelle,  die  übrigens  nur  vom  Hörensagen  spricht,  auf  Aachen  beziehen,  so 
müsste  man  doch  römische  Funde  in  unserm  Galmeibergwerke  nachweisen 
können,  was  soviel  ich  weiss,  noch  nicht  geschehen  ist.  Uebrigens  war 
für  Plinius  das  westliche  Rheinland  keine  unbekannte  Gegend;  er  zählt  die 
Bewohner  als  zu  Gallien  gehörig  auf1.  Ausser  Köln  nennt  er  dort  keine 
Städte.  Vielleicht  hatte  er  in  einem  verloren  gegangenen  Werke,  worin  er 
zwanzig  Kriege  in  Deutschland  beschrieb  und  welches  er  zur  Verherrlichung 
des  Germanikus  verfasste,  weitere  Angaben  gemacht2. 

Aber  hätte  er  in  seiner  Naturgeschichte  nicht  unserer  Thermen  Erwäh- 
nung thun  müssen,  wenn  sie  ihm  bekannt  gewesen?  Dass  er  sie  nicht  erwähnt, 
ist  jedenfalls  kein  Beweis,  dass  er  sie  nicht  kannte.  Auch  Wiesbadens 
Quellen  sind  nur  gelegentlich  von  ihm  erwähnt,  anders  keine  aus  unseren 
Gegenden,  wenn  man  von  Tongern  in  Gallien  absieht 3.  Wie  viele  Thermen 
anderer  Länder  übergeht  er  nicht  mit  Stillschweigen?  Welcher  Schriftsteller 
des  Alterthums  spricht  von  den  mit  weitläufigen  Badegebäuden  versehenen 
Thermen  zu  Bath  in  England4,  den  Aquae  Sulis,  wo  man  der  Dea  Sul 
d.  h.  der  Minerva,  kelt.  Sol,  gewidmete  Altäre  gefunden  hat?  Für  Aachen 
fehlen  selbst  darauf  bezügliche  Steininschriften5.  Dennoch  war  Aachen 
unter  römischer  Herrschaft,  wie  die  Nachgrabungen  aus  älterer G  und 
neuerer  Zeit  beweisen,  ein  von  ihnen  beachteter  Badeplatz,  wo  sie  ein 
grosses  Badegebäude  errichteten.  Hier  badeten  nicht  nur  römische  Sol- 
daten, sondern,  wie  die  grosse  Zahl  von  gefundenen  Haarnadeln  neben 
einem  goldenen  Ohrringe  und  zwei  Gemmen,  die  wir  fanden,  zeigen,  auch 
vornehme  Damen.  An  anderer  Stelle  7  habe  ich  zu  beweisen  versucht,  dass 
etwa  in  den  Jahren  70 — 90  n.  Chr.,  theils  vielleicht  schon  zwischen  58 — 68 
diese  Gebäude  entstanden  sind.  Die  30.  Legion  hat  auch  später  (etwa 
101 — 107)  daran  gearbeitet,  als  sie  mit  der  1.  und  6.  in  Untergermanien 
lag.   Viel  früher  aber  war  schon  die  1.  Legion  in  unserer  Gegend;  mit  vier 


*)  Hist.  nat.  IV,  17:  Rhenum  accolentes,  Germaniae  gentium  in  eadem  provincia 
Nemetes,  Tribochi,  Vangiones,  hinc  Ubii,  Colonia  Agrippinensis,  Gugerni,  Batavi  et  quos 
in  insulis  diximus  Blieni. 

2)  Plin.  Caec.  ep.  III,  5 :  Inchoavit  cum  in  Germania  militaret,  somnio  monitus. 
Adstitit  enim  ei  quiescenti  Drusi  Neronis  effigies,  qui  in  Germania  latissime  victor  ibi  periit. 
Commendabat  memoriam  suam,  orabatque  ut  se  ab  iniuria  oblivionis  assereret. 

:])  Hist.  nat.  XXIII,  3:  Jenseits  des  Rheins  am  Meere  lag  eine  süsse,  aber  den 
Zähnen  schädliche  (Quelle.  In  Germania  trans  Rhenum  castris  a  Germanico  Caesare  promotis. 

4)  Aquae  calidae,  Sulis  im  Hin.  Ant.,  Aquae  cal.  Belgarum  transductorum  nach 
Dict.  de  Geogr. 

5)  Könnte  eine  Mainzer  Inschrift  TRO  ?  AQVIS  (Jahrb.  de  Vcr.  f.  Alt.  XV,  95) 
sich  auf  Aachen  beziehen? 

6)  Bereits  1834  stiess  man  jenseits  der  Wilhelmstrasse  auf  die  röm.  Wasserleitung 
und  Ziegel  der  6.  Legion.  „Bei  Anlage  der  Gärten  hinter  den  in  der  Neustrasse  vor  der 
Stadt  links  gelegenen  Häusern  fand  man  eine  grosse;  Anzahl  Bruchstücke  solcher  aus 
gebrannter  Erde  bestehender  Backsteine."  Lorsch,  Gesch.  d.  St.  Aachen  S.  10.  Vor  einigen 
Monaten  wurde  eine  grosse,  Strecke  der  von  Burtscheid  kommenden  Leitung  auf  dem  Terrain 
der  ehemaligen  Gasfabrik  aufgedeckt. 

7)  Lersch,  Römische  Legionsziegel  zu  Aachen  in  der  Zeitschr.  d.  Aacli.  Gesch. 
V.T.   VII,  S.    159. 


•  —  67  — 

andern  lag'  sie,  wie  Tacitus  berichtet,  im  Sommer  des  J.  14  n.  Chr.  „an 
den  Grenzen  der  Ubier  in  Müssiggang  und  Leichter  Beschäftigung"  sich 
die  Zeit  vertreibend. 

Jene  Legionen  scheinen  ihre  als  transrhenan  bezeichneten  Ziegel 
vorzugsweise4  jenseits  Nymwegen  angefertigt  zu  haben,  aus  welcher 
Gegend  noch  jetzt  Ziegel  verführt  und  wegen  ihrer  Güte  gesucht  werden. 
Jedenfalls  war  Aachen  im  1.  Jahrhundert  nach  Chr.  schon  „gegründet". 
Ohne  Zweifel  bestand  auch  schon  im  1.  Jahrhundert  vor  Chr.  und  lange 
vorher  eine  Ansiedlung  an  unsern  Thermen.  Einzelne  Funde  aus  der  Stein- 
zeit und  keltische  Ortsnamen  '  weisen  daraufhin.  Einst  waren  die  Eburonen 
in  unseren  Gegenden  sesshaft.  Cäsar  vernichtete  sie  so  völlig,  dass  sie 
von  da  an 'aus  der  Geschichte  verschwinden.  Bei  den  Kriegen,  die  Cäsar 
in  oder  doch  nahe  unserer  Gegend  führte,  konnte  ihm  unser  Thermalgebiet 
nicht  verborgen  bleiben;  so  hochgradige  Thermen  verrathen  ihr  Dasein 
durch  den  aufsteigenden  Dampf  und  die  Wärme  des  abfliessenden  Baches. 
Marjan  hat  wahrscheinlich  zu  machen  versucht,  dass  Aduatuka,  wo  die 
Römer  überfallen  wurden,  das  jetzige  Vetschau  sei 2.  Die  Gelegenheit, 
unsere  Gegenden  kennen  zu  lernen,  bot  sich  den  Römern  noch  in  höherm 
Grade,  nachdem  dieser  Landstrich  den  Ubiern  übergeben  worden,  die,  ob- 
wohl Germanen,  doch  meistens  den  Römern  treu  blieben  und  an  ihrer  Seite 
kämpften.  Um  38  vor  Chr.  bestand  schon  die  Kolonie  der  Ubier  (Köln), 
oder  doch  19  v.  Chr.,  wie  Andere  rechnen.  Nach  Sueton  wurden  10  000 
Deutsche  nach  Gallien  an  den  Rhein  verpflanzt,  nach  anderer  Angabe 
unter  Tiberius  sogar  40000.  Sehr  wahrscheinlich  ist  es,  dass  diese  Ein- 
wandrer auch  unser  Gebiet  bevölkerten  und  vordrangen,  bis  sie  auf  die 
Tungrer  stiessen.  Genau  lässt  sich  die  Grenze  zwischen  beiden  Stämmen 
nicht  feststellen;  sie  fiel  aber  wohl  eher  westlich  als  östlich  von  Aachen. 
Die  Tungrer  zählt  Tacitus  noch  zu  den  Germanen,  wenn  sie  auch  im  bel- 
gischen Gallien  wohnten.  Zu  Ammians  Zeit  war  Tongern  eine  „eivitas  ampla 
et  copiosa  Germaniae  secundae". 

An  den  Kämpfen  unter  Germanikus  nahmen  wahrscheinlich  die  Ubier 
Theil.  Als  derselbe  mit  8  Legionen  im  J.  15  den  Rhein  überschritt,  war  auch 
die  Legio  I  Min.  dabei,  die  im  J.  14  mit  der  5.  und  20.  bei  den  Ubiern 
lag.  Köln  ward  mit  dem  Namen  Colonia  Agrippinensis  beehrt,  weil  Agrippina 
dort  zur  Welt  gekommen  war.  Dass  zu  Köln  „eivitas  oder  oppidum  übiorum" 
auch  die  ara  Ubiorum  gewesen,  scheint  mir  nicht  streng  bewiesen;  bei  dieser 
überwinterten   die   1.   und  20.  Legion  unter  Germanikus,  hier  treffen  ihn 


')  Vgl.  Marjan,  Keltische  Ortsnamen  in  der  Rheinprovinz.  Der  Name  Wurm 
scheint  „die  Warme"  zu  bedeuten.  Man  hat  im  Römerbad  einen  steinernen  Krätzer,  in  der 
Adalbertstrasse  einen  Schlittschuh  und  ein  Weberschiffchen,  die  man  für  keltisch  hält, 
gefunden,  andere  Steingeräthe  in  Heinsberg,  Imgenbroich,  Schafhausen,  Wenau,  Eschweiler. 

2)  Aduatiea  bei  Cäsar  (B.  G.  VI,  32),  Aduaca  in  Antonin.  lim..  Atuaca  der  Tab. 
Peuting.  bat  bekanntlich  sehr  verschiedene  Deutungen  veranlasst;  nach  Einigen  Isl  es  Duacum, 
jetzt  Doway,  nach  d'Anvillicrs  war  Palais  but  La  fttehaigne  der  Hauptort  der  Aduatici. 
Der  Verf.  des  weiter  unten  angeführten  Dict.  de  Geogr.  versetz!  es  bald  nach  Tongern, 
bald  nach  Namur.    Vgl.  Marjan  a.  a.  0. 


—  68  — 

die  vom  Senate  Abgesandten ;  ebendort  war  Sigmund,  des  Segestes  Sohn, 
als  Priester  angestellt,  ehe  der  Aufstand  ausbrach1. 

Es  mag  manche  Orte  diesseits  des  Eheins  damals  gegeben  haben,  die 
aber  für  die  römischen  Schriftsteller  als  nicht  befestigte  Lagerplätze  keine 
Bedeutung  hatten.  Der  gegen  das  Jahr  140  in  Alexandrien  lebende 
Ptolemäus  erwähnt  nur  wenige  aus  Belgien  und  der  Rheinprovinz2.  Von 
Aachen,  das  in  späterer  Zeit  Knotenpunkt  von  Römerstrassen  war,  ist  bei 
ihm  keine  Rede. 

Gehen  wir  jetzt  näher  auf  die  früheren  Namen  von  Aachen  ein.  Der 
Verfasser  des  Dictionnaire  de  Geogr.  anc.  et  mod.  ä  l'usage  du  libraire 
gibt  uns  die  Namen  in  folgender  Folge:  Aquisgranum  (Itin.  Anton.)?  Urbs 
aquensis,  Veterra  (Ptol.),  Aquae  Grani  in  Tungris  (Chr.  Carlov.),  Grania 
villa  (Chart.  Car.  Calv.  a.  886),  Aquisgranum  Palatium  (Capit.  Car.  1.) 
Aquae,  Aquis  (Praecept.  Car.  III)  en  allemand  Aachen. . .  Fondee  par  le 
Romain  Granus  l'an  123  de  J.  Chr.  relevee  par  Charlemagne 3.  Hagen  in 
seiner  Festgabe:  Aachen  oder  Achen?  hat  die  alten  Formen  des  Namens 
sorgfältig  gesammelt.  In  der  ältesten  Form  erscheint  die  Benennung 
in  der  indeklinabeln  Form  Aquisgrani  (i.  J.  753  und  765),  wie  später 
meistens  zu  einem  Wort  verbunden.  Bei  Einhard  zeigt  die  erste  Hälfte 
des  Wortes  sich  schon  deklinabel,  1166  in  Aquisgranum  auch  die  zweite 
Hälfte;  804  heisst  der  Ort  aquispalatium,  972  im  Volksmunde  ahha.    Sehr 


x)  Vgl.  auch  Schwann,  Wo  war  das  Lager  der  1.  und  20.  Legion  zur  Zeit  des 
Germanikus?  Bonn  1881.     Derselbe,  Godesberg  und  die  Ära  Ubiorum  1880. 

2)  Ptolem.  lib.  II  p.  9.  Von  Westen  anfangend  nennt  er  nach  den  Baseler  Aus- 
gaben: in  der  Gallia  Belgica,  regio  quam  circa  renum  fluvium  inferior  Germania  appel- 
lata:  Batavodum  (hier  unrichtig  als  Aquisgranum,  Aes,  Ach  erklärt),  sub  hac  Vetera 
civitas,  Leg.  trigesima  Ulpia,  postea  Agrippinensis,  Bonna,  Leg.  pri.  inde  Trajana  Legio 
(Koblenz),  post  Moniacum  (Mainz).  In  den  alten  Ausgaben  von  1508  Rom.  und  1523 
Argent.  (Aach.  Stadtbild.  No.  5034  und  5033)  sind  die  Namen  sehr  entstellt  und  auch 
vermehrt.  Nach  Tacitus  hist.  V,  14  müssen  Batavodurum  und  vetera  castra  am  Unter- 
rhein gesucht  werden.  Folgt  man  der  tabula  Peutingeriana  und  nimmt  ihre  Meile  zu  2000 
Meter,  so  sind  die  angegebenen  Entfernungen  von  Col.  Agrippina,  Novesio,  Asciburgium, 
Vetera  ziemlich  entsprechend  den  Abständen  von  Köln,  Neuss,  Duisburg,  Wesel  oder 
Xanten.  Trajana  ist  wohl  die  von  Trajan  erbaute  und  nach  ihm  benannte  Feste  oder  die 
colonia  Trajana  in  Antonins  Itinerar.  In  der  Einleitung,  welche  der  Herausgeber  der 
römischen  Edition  vorausschickt,  finde  ich  folgende  mir  räthselhafte  Stelle:  „Grünes  inter 
Coloniensem  et  Trajecensem  urbes  ultra  Novesium  oppidum  reno  adjacentem  non  memorat 
Caesar,  sed  Tacitus,  qui  ut  adjectura  assequi  possumus,  clivis  est  locus,  unde  Clivensis 
ducatus  dicitur".  Es  sind  dies  wohl  die  von  Tacitus  (Hist.  V,  20,  21)  erwähnten,  mit 
der  10.  Legion  den  Rhein  im  Kriege  überschreitenden  Grinnes,  welche  der  Verfasser  aber 
verwechselte  mit  den  auch  von  Plinius  genannten  Gugerni  oder  Cugerni  unweit  Novesium 
und  Gelduba  (Hist.  IV,  26,  V,  16,  18).  Wegen  der  Namensähnlichkeit  mit  den  Granenses, 
den  Einwohnern  Aachens,  sind  die  Grinnes  immerhin  beachtenswerth. 

3)  Eine  Hillweisung  auf  Aachen  glaubte  Pighius  (Hercul.  prod.  p.  15)  in  einer  vor 
Constantin  gehaltenen  Rede  zu  finden:  Rhetor  suam  patriam  calidis  fontibus,  quibus  per- 
juria  puniuntur  et  Apollinis  sacro  luco  celebrem  atque  olim  etiam  fraterno  populi  Romani 
nomine  gloriatam  jactitat :  cujus  tarnen  nomen  non  exprimit.  Nisi  fuerit  Aquisgranum 
videant  docti,  apud  quamnam  urbem  Belgicae  vctustam  thermae  eiusmodi  medicae  reperi- 
untur".  Man  könnte  auf  diese  Meinung  eingehen,  wenn  der  Reduer  das  Thermalwasser 
nicht  als  geschmack-  und  geruchlos  bezeichnet  hätte. 


•  —  69  — 

häufig  ist  grani  ausgelassen,  selten  als  Eigenname  behandelt.  075  bezeich- 
net Grani  palatium  mehr  die  Pfalz  selbst,  ebenso  bei  Widukind:  Aqnae 
grani  palatii,  bei  Liutprand:  Thermae  grani  palatii,  ferner  aqueuse  palatium, 
aquisgranense  palatium.  Die  Annales  Lauresh.  haben  zum  J.  1188  und 
1189  Aquispalatium,  in  Ruotgeri  vita  Brunonis  heisst  es:  „Ratherius  ad 
aquis,  quod  dicitur  Grani".  Allmählig  erhebt  sich  der  vicus  oder  locus 
zur  villa  regia,  regia  sedes,  zur  civitas  und  urbs.  Die  Originalform  ist 
demnach  wohl  Aquisgrani,  was  obwohl  grammatisch  richtig  auf  die  Frage 
wo?,  doch  ein  ungewöhnlicher  Gebrauch  des  Ablativs  auf  die  Frage  was? 
ist.  Sollte  es  nicht  früher  vielleicht  castellum  oder  ara  aquisgrani  oder 
ähnlich  geheissen  haben? 

Ohne'  diese  Verzeichnisse  verbessern  oder  vermehren  zu  wollen,  gehe 
ich  auf  die  bekannte  Sage  über,  nach  welcher  ein  Granus  „unus  principum 
Romanorum,  frater  Neronis  et  Agrippae"  Aachen  gegründet  habe.  Eine 
menschliche  Persönlichkeit  Namens  Granus  als  naher  Verwandter  Xeros 
begegnet  uns  in  der  Geschichte  nicht.  Bei  den  vielfachen  Nachrichten  über 
die  Familie  der  Neronen  in  Sueton,  Tacitus  und  andern  müsste  ein  solcher 
wohl  genannt  sein,  wenn  er  eine  hervorragende  Stellung  gehabt  hätte.  Es 
ist  immerhin  sonderbar,  dass  der  östliche  Thurm  des  Rathhauses  seit  Jahr- 
hunderten als  Granusthurm  bezeichnet  wird;  aber  für  die  Frage,  ob  Granus 
als  eine  menschliche  Persönlichkeit  zu  nehmen,  ist  dies  nicht  entscheidend, 
wenn  auch  an  dieser  Stelle  eine  römische  Veste  gestanden  haben  sollte. 

Der  Name  Granus  oder  Granius  kommt  ziemlich  häufig  vor.  Plinins 
(H.  N.  284)  nennt  einen  Arzt  Granius.  Zur  Zeit  des  Tiberius  war 
Granius  Marcellus  Prätor  Bithyniens.  Ein  Senator  Granius  Marcellus  wird 
35  n.  Chr.  erwähnt.  Im  J.  24  n.  Chr.  tritt  Q.  Granius  als  Ankläger  auf. 
Dagegen  scheint  der  als  Granius  Sylvanus  für  d.  J.  65  angegebene  Granius 
Sylvanus  Gavius  S.  geheissen  zu  haben1.  Im  Bonner  Museum  ist  der 
Weihestein  des  Tit.  Granius  Victorinus.  Ein  Granus  Fortunatus  ist  in 
einer  Steininschrift  von  Spalato  genannt2.  Granius  Lacinianns  ist  bei 
Macrobius  (Sat.  I,  16)  genannt.  Auf  einen  Serenius  Granus  s.  Gratianus 3, 
.Vorsteher  Galliens  unter  Hadrian"  hat  der  Verf.  einer  Dissertation 
des  ehemaligen  Jesuiten-Gymnasiums  vom  J.  1759  wieder  aufmerksam 
gemacht4.     Es  ist  dies  der  auch  anderswo   genannte  Günstling  Hadrians, 


')  Tacitus,  Ami.  I,  74;  IV,  21;  VI,  44,  XV.  Welcher  Granus  oder  Granius  Veran- 
lassung gegeben  hat,  dass  Blondel  die  Herkunft  eines  solchen  aufs  .fahr  53  gesetzt  hat, 
weiss  ich  nicht.  Die  Utrechtsche  Chronik  lässt  einen  von  Nero  vertriebenen  EtathsherrD 
Granus  den  Gründer  Aachens  sein. 

•-')  Jahrbuch  d.  Vcr.  f.  Alt.  im  Rheinl.  XII,  87. 

3)  Der  Name  erscheint  in  dem  gegen  1294  geschriebenen  Chron.  Bald.  Ninov.  als 
Gratianus:  Tres  fratres  olim  fuerunt,  Agrippa,  Gratianus  ei  Nero, principes  Romani,  <ruorum 
primus  Agrippa  Agrippinam  fccit,  Gratianus  veto  A.quisgrani,  sie  dictas  iuia  calidos 
fontes  ibi  elaboravit,  de  quibus  posl  CCCC  (wohl  DCCC)  fere  annos  Karolus  Balnea  fecil 
valde  utilia. 

4)  Vgl.  das  Kur-  und  Badebl.  v.  Aachen  i.  Mai  1872.  Der  Verf.  des  Aachener 
Raths-  und  Staatskalenders  vom  .1.  1790  rechnete  vom  Ursprung  der  Stadl  „durch  Severus 
Granius  unter  der  Regierung  Adrians"  damals  das  1665.  Jahr,  was  also  auch  aufs  J.  125 
auskommt. 


—  70  — 

Serenus  Qranius,  welcher  im  J.  125  Aachen  erbaut  haben  soll,  dement- 
sprechend im  Dict.  de  Geogr.  gesagt  wird:  „fondee  par  le  Romain  Granus 
l'an  123  (sie)  de  J.  Chr."  Keiner  dieser  Granier  kann  als  Gründer 
Aachens  nachgewiesen  werden.  In  dem  verwickelten  Geschlechtsregister 
der  Neronen  kommt  kein  Granius  vor.  Der  berüchtigte  Christenverfolger 
hatte  überhaupt  keinen  Bruder;  dies  konnte  im  frühen  Mittelalter  nicht 
unbekannt  sein.  Wenn  nun  trotzdem  die  Sage  eine  Gleichzeitigkeit  des 
Granus  mit  Agrippa  und  Nero  festhielt  und  diese  beiden  Namen  mit  der 
Gründung  Aachens  in  Verbindung  brachte,  so  sollte  man  glauben,  es  läge 
doch  etwas  Wahres  der  Tradition  zu  Grunde.  Wenn  dabei  aber  der  Kaiser 
Nero  in  die  Zeit  der  Gründung  Aachens  versetzt  wird,  so  dürfte  die  Sage 
in  ihrer  jetzt  üblichen  Deutung  auf  einen  sonderbaren  Irrweg  gerathen  sein. 

Nichts  hindert  uns,  Agrippa,  den  Enkel  Oktavians,  in  der  Ueber- 
lieferung  festzuhalten.  Er  war  schon  als  Schwiegervater  des  Germanicus  mit 
der  Geographie  Galliens,  wozu  Plinius  unsere  Gegend  mit  ihren  deutschen 
Bewohnern,  den  Ubiern,  zählt,  wohl  bekannt;  nach  seiner  Abschätzung  gibt 
Plinius  die  Länge  und  Breite  Galliens  an.  Zudem  bewies  Agrippa  durch 
den  Bau  eines  grossen  Thermalgebäudes  in  Rom,  welches  er  mit  Gemälden 
schmückte,  und  durch  den  Vorschlag,  alle  Kunstdenkmäler  an  öffentlichen 
Orten  aufzustellen,  sein  gemeinnütziges  Streben.  Wenn  er  Beziehung  zur 
Kolonisation  Aachens  hatte,  so  war  dies  im  1.  Jahrhundert  vor  Chr.,  da 
er  schon  im  J.  13  oder  14  vor  Chr.  starb.  Man  könnte  gar  vermuthen, 
dass  schon  sein  Name,  welchen  man  von  den  griechischen  Worten  für  Beute 
und  Pferd  ableitet,  oder  gar  der  Gleichklang  seines  Vornamens  mit  Marc,  der 
keltischen  Benennung  für  Pferd,  ihn  einem  Ort,  gewissermassen  einer  Hippo- 
krene,  geneigt  machte,  in  deren  Name  man  den  eines  Sonnenrosses  wieder- 
erkenen  will.  Sei  dem,  wie  ihm  wolle,  so  ist  doch  ein  chronologisches 
Zusammentreffen  der  Gründung  Aachens  als  römischer  Kolonie  mit  der 
Zeit  des  Agrippa  nicht  unwahrscheinlich,  weil  es  sonst  unbegreiflich 
bleibt,  wie  eben  die  Sage  zu  seinem  Namen  gekommen  wäre. 

Jedoch  mit  Agrippa's  Namen  möchte  ich,  anstatt  des  Kaisers  Nero, 
lieber  Nero  Claudius  Drusus  (f  9  v.  Chr.),  Sohn  von  Tiberius  Claudius 
Nero,  Enkel  des  Livia  Drusilla  und  Vater  des  Germanicus,  verbinden,  der 
in  drei  Namen  mit  dem  Kaiser  Nero  übereinstimmte.  Dieser  Nero  war 
mit  Agrippa,  weil  ihre  Grossmütter  beide  Gemahlinnen  Oktavians  gewesen, 
verwandt.  Agrippa,  Sohn  der  altern  Julia,  hatte  Scribonia  zur  Mutter, 
Nero  Claudius  Drusus  die  Livia  Drusilla.  Agrippa,  der  Liebling  von 
Augustus,  von  diesem  zum  Miterben  seiner  Söhne  bestimmt,  wurde  von 
Augustus,  wenn  auch  nur  auf  kurze  Zeit,  adoptirt;  dieser  hatte  mehrere 
seiner  Enkel,  wie  auch  seinen  Stiefsohn  Tiberius  Nero,  adoptirt.  Der  Bruder 
des  letztern  wurde  so  gewissermassen  auch  Bruder  des  Augustus.  Für 
denjenigen,  dem  diese  künstliche  Erklärung  der  Verwandtschaft  nicht  zu- 
spricht, bleibt  freilich  nur  eine  weitere,  von  Unkundigen  zur  Bruderschaft 
gesteigerte  übrig. 

Was  Nero  Claudius  Drusus  betrifft,  dessen  Zuname  von  einem  Vor- 
fahren stammte,  der  einen  Gallier  Drausus  getödtet  hatte,  so  ist  immerhin 


•  —  71  — 

erinnernswerth,  dass  sich  fast  dieselbe  gallische  Form  des  Namens  (Ninnius 
Drausonis)  angeblich  in  einer  Inschrift,  die  im  Boden  des  Münsters  ver- 
graben sein  soll,  vorfindet.  Livia,  die  Mutter  des  altern  Drusus,  hatte 
einen  Sklaven  Crenäus,  dessen  Name,  wie  ein  ähnlicher  -  Crane  — wohl 
von  Krene  Quelle  stammt.  Ist  es  vielleicht  ein  Aachener  Junge  gewesen, 
von  den  Aquis  grani?  Diesen  Drusus,  früher  Decimus,  dann  Nero  zubenannt, 
gebar  Livia,  als  sie  kaum  Gemahlin  des  Augustus  geworden.  Er  ist  durch 
seine  Kriegführung  in  der  Schweiz  und  in  Deutschland,  sowie  durch  die 
Beschiffung  der  Nordsee  und  durch  den  grossartigen  Kanalbau  zur  Ver- 
bindung des  Rheins  mit  der  Yssel  (noch  Drusus  -Yaard  genannt)  berühmt 
geworden.  Er  starb  in  Deutschland  im  Sommerfeldlager  im  J.  9,  drei  Jahre 
nach  Agrippas  Tod.  Es  ist  zu  vermuthen,  dass  er  auf  seinen  Kriegszügon 
mit  unserm  Orte  mehrmals  in  Berührung  kam;  wie  hätten  die  Aaehen- 
Burtscheider  Thermen  seiner  Aufmerksamkeit  entgehen  können? 

Die  vorstehende  Erörterung  kann  nicht  als  strenger  Beweis  dienen, 
dass  schon  zur  Zeit  von  Agrippa  und  Drusus  Aachen  den  Körnern  bekannt 
war,  aber,  indem  sie  von  der  Sage  über  die  Gründung  Aachens  das  Mögliche 
als  ungefähr  zutreffendes  chronologisches  Moment  festhielt,  bezweckte  sie, 
eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  für  die  Behauptung,  Aachen  sei  bald  nach 
der  ersten  Ankunft  der  Römer  in  unsere  Gegend  ihnen  bekannt  geworden, 
zu  begründen.  Damit  soll  die  Entstehung  der  Wasserleitung,  insofern  die 
6.  Legion  daran  betheiligt  war  (zwischen  70—91),  nicht  weiter  zurückver- 
legt werden J ;  doch  bleibt  eine  frühere  Beteiligung  der  1 .  Legion  an  der- 
selben schon  bald  nach  der  Niederlage  des  Varus  denkbar.  Damit  ist  aber 
nicht  ausgeschlossen,  dass  noch  eher  eine  Gründung  stattfand,  als  welche 
jede  römische  Okkupation  gelten  konnte.  Der  Gründer  Aachens  wird  nun 
nicht  bloss  als  prineeps,  als  Erfinder,  überhaupt  als  der  Erste,  der  etwas 
erfindet,  bezeichnet,  sondern  als  unus  ex  prineipibus  Romanis,  als  ein  hoch- 
gestellter Römer,  ja  als  Prinz.  Soll  dieser  hohe  Herr  Granus  geheissen 
haben,  so  ist  er  nicht  aufzufinden.  Aachen  würde  damit  das  Loos  einiger 
andern  Orte  der  Rheinprovinz  theilen,  deren  Name  auf  einen  römischen 
Begründer  hinweist,  ohne  dass  dieser  sicher  gestellt  weiden  kann.  Bei 
Aachen  gibt  aber  schon  der  Anfang  der  lateinischen  Bezeichnung  einen 
Hinweis  auf  eine  andere  Erklärung.  Es  ist  dies  die  jetzt  gebräuchliche, 
zuerst  wohl  von  Geltes  aufgebrachte  mit  den  Werten:  Aquis  Graneo  ab 
Apolline  dictis. 

Diese  Ableitung  bezieht  sich  auf  den  bei  den  Römern  viel  verehrten 
Apollo  Gramms,  von  dem  sich  in  England  und  Deutschland,  namentlich 
auch  im  Elsass,  zunächst  von  hier  bei  Bonn,  Denksteine  gefunden  haben. 
Es  ist  dies  wahrscheinlich  eine  keltische  Gottheit,  die  von  den  Römern 
als   Apollo   aufgefasst   wurde.     Der  Name,    immer   Grannus   geschrieben, 


')  Ein  eigenes  Zusammentreffen  ist  es,  dass  im  J.  tu  ein  Julius  ftfartialis,  tribunus 
Legionis,  in  Rom  auftritt  (Tac.  H.  I,  82),  während  der  Töpferstempel  der  hier  gefundenen 
Leitung  einen  Juli  Martialis  bei  der  6.  Legion  nennt,   and  Votivsteine   in    Nieder-Gallien 


denselben  Namen  bringen. 


—  72  — 

erscheint  häufig-  mit  dem  der  Seirona  *,  des  Mundes,  verbunden.  Der  Kul- 
tus des  Apollo  war  den  Kelten  nicht  fremd.  Selbst  bis  zum  höchsten 
Norden  reichte  die  Verehrung-  dieses  Gottes;  von  dort  gingen  Geschenke 
nach  Delphi,  wie  Plinius  erzählt.  Apollo  war  den  Galliern  Heilgott;  Apollo 
Gramms  wurde  vielfach  als  solcher  von  den  Kömern  angerufen.  Nicht 
selten  war  der  Kultus  des  Apollo  an  Quellen  gebräuchlich.  Apollo  ist 
vorzugsweise  der  Gott  der  Orakel.  An  den  Quellen  wurden  Orakel  gegeben. 
Man  warf  zu  diesem  Zwecke  kleine  Opfergaben,  Münzen,  Nadeln  und  dgl. 
hinein,  um  zu  erfahren,  ob  der  Quellgott  sie  annähme  oder  verweigerte. 
Zu  einem  derartigen  Versuche  eigneten  sich  von  Gasen  aufwallende  Wässer, 
wie  die  unsern,  am  besten.  Die  Orakelstätten  waren  aber  nach  christlicher 
Aulfassung  Sitze  von  Dämonen.  Ein  solcher  Dämon  besuchte  ja,  wie  die 
Sage  geht,  Pipin  im  Bade,  wurde  aber  von  ihm  in  recht  derber  Weise 
abgewiesen,  so  dass  sein  infernalisches  Blut  das  Badewasser  färbte.  Leider 
war  der  Streich  nicht  tödtlich;  wir  vernehmen  ja  aus  späterer  Zeit,  dass 
der  böse  Geselle  Schuld  an  einem  Unglücke  im  Kaiserbad  war,  weshalb 
man  das  Bad  eine  Zeit  lang  verschlossen  hielt,  sei  es,  um  dem  leibhaften 
Teufel  oder  den  übermüthigen  Badenden  den  Zutritt  zu  verwehren.  Immer- 
hin erscheint  diese  Sage  als  Nachklang  des  Quell-  und  Dämonenkultus. 

Diese  Ableitung  des  Namens  Grani  hat  gewiss  viele  Wahrscheinlichkeit 
für  sich,  auf  Gewissheit  kann  sie  nicht  Anspruch  machen,  bis  ein  glücklicher 
Fund  auf  heimischem  Boden  sie  bestätigt.  In  Ermangelung  einer  bessern 
halten  wir  sie  fest  und  suchen  die  Bedeutung  des  Beinamens  zu  erklären. 

Wiewohl  Apollo  meist  unbärtig  dargestellt  wird,  scheint  Gramms  der 
bärtige,  strahlende  Sonnengott  gewesen  zu  sein,  der  „goldgelockte"  Apollo 
Pindars.  Im  Irischen  heisst  grian  Sonne,  greane  Bart,  altnord.  grön  und 
dgl.,  im  Spätlatein  grani  Barthaare,  Schnauzbart,  grano  ein  Haar  am  Maul 
der  Katze.  So  ist  auch  grani  (barbatus)  Odhins  Name,  nach  der  Gau- 
treckssage: Hrossharsgrani.  Merkwürdig  ist  auch  der  Name  Granucomatae 
der  bei  Plinius  erwähnten  Tetrarchien  in  Cölesyrien,  wobei  man  einen  Ort 
„Haar  des  Granus"  vermuthet  hat.  Für  den  Sonnengott  ist  eine  Bezeich- 
nung, in  welcher  die  Strahlen  als  Haare  aufgefasst  werden,  wohl  passend. 
Bei  ihm  ist  aber  zunächst  an  die  Mähne  der  Sonnenrosse  zu  denken. 

Sonne  und  Ross  sind  in  der  Mythologie  nahe  verbundene  Vorstellungen. 
Die  Perser  opferten  dem  Apollo,  der  Sonne  das  schnelle  Ross.  An  der 
Spitze  der  Schaar  reitet  Wuotan  seinen  Schimmel.  Wuotan  ist  hier  die 
Sonne,  die  allen  Wesen  Licht  und  Kraft  verleiht.  Auch  den  Quellen  steht 
das  Ross  nicht  fern;  der  Huf  des  Pferdes  eröifnet  sie:  Hippokrene.  Die 
Deutschen  entnahmen  dem  Wiehern  weisser  Pferde  ihre  Orakel.  Zudem 
ist  das  springende  Pferd  ein  bei  den  Kelten  gebräuchliches  Symbol  und 
ist  in  keltischen  Ortsnamen  (Marcodurum,  Marcomagus)  der  Name  des 
Pferdes  nicht  zu  verkennen. 

Eben  das  Wort  Grane  ist  nähere  Bezeichnung  eines  Pferdes.  In  der 
Nibelungen  Noth  erhält  Siegfried   das   kaum   zu   bändigende   Ross  Grane. 


J)  Das  Wort  ist  stammverwandt  mit  Sirius. 


•  —  73  — 

In  der  Edda  reitet  er  durch's  Feuer  zu  Brunhilde.  Nach  II.  Müller  hiess 
Grane  nach  dem  Griechischen  erklärt  Keisig-,  Fackel.  Auf  Mitlirassteinen 
ist  öfters  die  Fackel  abgebildet  mit  der  Inschrift:  Deo  Soli.  Sonne  und 
Eoss,  Ross  und  Feuer!  Alles  zu  Apollo  passend.  Mit  dem  verwandten 
Wort  grant  s\>ll  in  England  eine  Art  Dämon  in  Pferdegestalt  bezeichnet 
werden.  —  Waren  es  vielleicht  die  niähnenförmigen.  in  den  Abflüssen  der 
Schwefelthermen  flottirenden,  weissen  Oscillarien-Fäden,  die  an  das  weisse 
Sminenross  erinnerten?  War  es  die  Blut  färbe  solcher  in  Zersetzung- 
begriffenen  Organismen,  die  dem  Helden  Pipin  das  Badewasser  röthete? 

Uebrigens  kann  der  Zuname  Apolls,  wie  in  andern  Fällen,  nicht 
schon  von  der  griechischen  Bezeichnung  für  Quelle,  oder  von  einer  gleich- 
namigen Qiiellnymphe  abgeleitet  werden?  Es  liegt  dies  nicht  so  weit  ab, 
da  berichtet  wird,  dass  die  Gallier  sich  griechischer  Schriftzeichen  bedienten. 
Der  Zuname  des  anderswo  verehrten  Apollo  Grynäus,  von  einer  Amazone 
entnommen,  der  Name  der  Waldnymphe  Grane  oder  Crane,  die  Sonnenquelle 
mit  dem  Ammons-Orakel  bei  Kyrene  könnte  man  damit  in  Verbindung 
bringen1.  Apollos  Geliebte  oder  auch  Phöbus  Schwester  hiess  Grana2. 
Eine  Handschrift  des  13.  Jahrhunderts  leitet  Grani  ab  von  einem  granuin 
auri,  welches  Karl  im  Munde  einer  Nymphe  glänzen  sah,  als  ein  Sonnen- 
strahl hineinfiel3.  Nach  H.  Müller4  wurden  die  auf  Apollo  sich  beziehenden 
Mythen  später  auf  Karl  den  Grossen  übertragen.  Der  Name  Karl  =  König, 
Herr,  Gemahl  ist  ihm  griechischer  Herkunft  und  ist  der  Sonnengott,  der 
Herr  des  Siebengestirns,  des  Heerwagens,  in  verschiedenen  Ländern  Karls- 
wagen genannt.  Thorr,  der  nordische  Zeus,  lenkt,  sieben  Sterne  in  der 
Hand  haltend,  den  Karlswagen. 

Das  granum  auri,  nach  Müllers  Ansicht  Quellnvmpho,  oder  auch  de]' 
gefoppte  Teufel,  welcher  nach  der  Sage  den  Sandberg  auf  Aachen  weifen 
wollte,  bringt  uns  auf  eine  andere  vernachlässigte  Erklärung  des  viel 
erörteten  Wortes,  nämlich  die  von  der  sandigen  Beschaffenheit  des  hiesigen 
Bodens,  wofür  man  den  ähnlichen  Klang  der  Worte  Grant,  granum  für 
Korn,  das  keltische  Grian  anführen  könnte5.     Die   untern  Thermen  liegen 


*)  Nach  Kyrene  in  Libyen,  von  einer  Kolonie  aus  Thera  gegründet,  wurde  «las 
Karneicnfest  des  Apollo  verpflanzt.  „Von  Sparta  empfangen  den  Brauch,  Karneyischer 
Apoll,  verherrlichen  an  deinem  Festmahle  wir  Kyrenes  festgegründete  Stadt".  -  Kyrene, 
die  weissarnüge  Jungfrau,  die  nicht  des  Webstuhls  hinundwiedergehende  Wege  liebte, 
sondern  mit  den  ehernen  Speeren  und  dem  Schwerte  kämpfend  erlegte  die  wilden  Thiere. 
Pindar,  Pyth.  V  und  IX. 

a)  Ovid.  Fast.  VI,  107. 

3)  In  Bezug  auf  dieses  Goldkorn  erinnere  ich  an  einen  Brief  Petrarca's  (De  reb. 
fam.  ep.  I,  3),  worin  sich  folgende  Stelle  lielindet:  Vidi  Aquense  Caroli  sedem  et  in 
teinplo  marineres,  verendum  barbaris  gentibus  illius  prineipis  sepulchrum  ...  (Dort  zeigten 
ihm  einige  Geistliche)  gemmam  perexiguo  annulo  inclusam  sub  gelida  rigentique  Lingua 
repertam.  Annulum  in  vicinae  paludis  praealtam  voraginem  demersil  .  .  .  Aquis  nil  sibi 
palude  gratius  . . .  Aquis  digressum,  seil  prius  (unde  ortum  <>ii|>i<li  nomen  putant)  aquis 
ßajano  more  tepcntilms  ablatum  excepit   Agrippina  colonia. 

4)  Aquae  Grani,  Apollo  Granus  and  der  mythische  Carolas  dir  trojanischen  Franken, 
Jahrb.  d.  Ver.  f.  Alt.  im  Rhcinl.  Heft   33,  1863. 

5)  Lersch,  Geschichte  des  Hades  Aachen  S.  3. 


—  74  — 

ja  am  Fasse  der  Sandkaal  (Sandgrube).  A.  Jahn  bemerkt  zum  keltischen 
Worte  griaii  mit  der  Bedeutung  Sand,  Kies,  dass  dies  Wort  mit  gleicher 
Bedeutung  sich  in  dem  schweizerischen :  Grien  erhalten  hat,  z.  B.  Grien- 
grube =  Kiesgrube.  Grian  erinnert  wieder  an  die  Nymphe  Gryne  und 
Apollo  Gryneus1;  grian  hat  man  wieder  in  Verwandtschaft  gezogen  mit 
Gr.  cjrenos,  Cyrene  mit  Kijros,  d.  i.  Sonne. 

Fassen  wir  nun  das  Ergebniss  dieser  weitläufigen  Erörterungen  zu- 
sammen, so  möchte  dies  darin  bestehen,  dass  unser  Aquis  deshalb  Grani 
hiess,  weil  dort  der  Leuchtgott,  Apollo  der  Goldlockige,  Strahlende,  sei 
es  als  Orakelspender  oder  Heilgott,  unter  dem  Namen  Gramms,  vielleicht 
in  Gestalt  eines  Bosses,  verehrt  wurde,  womit  aber  nebenbei  die  Vor- 
stellung einer  Nymphe  Grane  verbunden  sein  könnte. 

Eine  beim  Römerbade  gefundene  Gemme  zeigt,  ähnlich  einer  Münze 
des  Sonnenpriesters  Elegabalus  (218 — 223),  das  Bild  einer  nackten  männ- 
lichen Figur  mit  fünfstrahliger  Krone,  und  mit  einem  Stabe  (Peitsche? 
Fackel?  auf  der  Gemme  doppelt),  unter  dessen  erhobener  rechten  Hand 
ein  Stern  steht,  angeblich  die  Sonne.  Im  griechischen  Name  Mythras, 
abgeleitet  vom  pers.  Mihr,  Sonne,  fanden  Mystiker  die  Zahl  der  Tage 
des  Jahres  (360),  richtiger  ausgedrückt  in  der  Abänderung  Meithras  (365) 2. 
Auch  das  im  Römerbad  gefundene  Steinchen,  zwei  gegen  einen  Baum 
stehende  Böcke  (wohl  arietes)  darstellend,  steht  vielleicht  in  Beziehung 
zu  einem  römischen  Aberglauben,  der  sich  bis  ins  Mittelalter  erhalten 
hatte.  Cäsar  von  Heisterbach  erzählt,  dass  zu  Kirchhersten,  als  man 
um  einen  auf  den  Baum  gestellten  Widder  getanzt  habe,  ein  schlimmes 
Unwetter  entstanden  sei,  und  dass  zu  Aachen,  wo  man  bei  einer  ähnlichen 
Belustigung  einen  Kranz  auf  den  Baum  gehangen  hatte,  kurz  nachher  fast 
die  ganze  Stadt  verbrannt  sei  (1224).  —  Heidnischen  Ursprungs  ist  jeden- 
falls auch  der  von  hier  für's  J.  1133  berichtete  Gebrauch,  ein  Schiff  von 
Cornelimünster  abzuholen,  nämlich  das  Isis-Schiff3.  Tacitus  erwähnt,  dass 
ein  Theil  der  Sueven  die  Isis  verehrte  und  zwar  in  Form  eines  Schiffes 
(Signum  ipsuin  in  formam  liburnae  figuratum),  woraus  er  schliesst,  dass 
ihnen  dieser  Kultus  von  auswärts  überbracht  worden.  Wahrscheinlich  bezog 
sich  das  Bringen  des  Schiffes  bis  zum  Meere  auf  die  Zeit,  dass  die  See- 
Schifffahrt  eröffnet  wurde,  die  vom  11.  November  bis  10.  März  aufhörte; 
die  Wiedereröffnung  derselben,  ihr  „Geburtstag",  wurde  mit  feierlichen 
Kampf-  und  Schauspielen  von  vielen  Städten  begangen.  Im  römischen 
Kalender  steht  Isidis  navigium  beim  5.  März  verzeichnet4. 


1)  Wir  hätten  dann  im  „Apollo  am  Sande"  ein  Gegenstück  zu  dem  Gott  an  dem 
vielbesprochenen  Sonnenquell  Hammonis,  von  Arnim  =  leuchtend  abgeleitet,  von  den  Griechen 
auf  ammos  Sand  bezogen. 

a)  Eine  andere  im  hiesigen  Römerbade  gefundene  Gemme  zeigt  ein  auf  dem 
Delphine  reitendes  Kindchen.  Man  hat  Münzen  mit  ähnlichen  Darstellungen;  Strabo 
erwähnt  solche.  Die  in  Plinius  Naturgeschichte  (IX,  8)  erzählten  Sagen  geben  uns  die 
Erklärung  dazu. 

3)  L.  Lorsch,  Isis  und  ihr  h.  Schiff  in  d.  Jahrb.  des  Ver.  für  Alt.  i.  Rh.  IX,  12  ff. 

4)  Calend.  Constant.  M.  in  Petavs  Doctr.  temp.,  Jablonski  im  Panth.  Aeg.   II,  30">. 


•  —  75  — 

Ein  Aachener  Schuldrama  des  18.  Jahrhunderts. 

Im  Anfang-  des  17.  Jahrhunderts  eröffneten  die  Jesuiten  in  Aachen 
ein  von  ihnen  geleitetes  Gymnasium1,  dessen  segensreicher  Wirksamkeit 
erst  die  grosse  französische  Staatsumwälzung  ein  Ziel  setzte.  Von  Zeit 
zu  Zeit  führten  die  Zöglinge  dieser  Anstalt  unter  der  Leitung  ihrer  Lehrer 
öffentliche  Schauspiele  auf.  Wann  die  erste  derartige  Aufführung  statt- 
fand, ist  nicht  ermittelt.  Das  älteste  der  bis  jetzt  bekannt  gewordenen 
gedruckten  Schuldramen  des  Aachener  Jesuitengymnasiums  gehört  dem 
Jahr  1699  an2;  1685  wurde  gespielt:  Herkules,  der  üeberwinder  der 
Ungeheuer,  Daniel  der  Besieger  des  Bösen;  1706  3:  Judith  und  Holofernes; 
1713:  Aachen  in  Machabaea.  Alle  diese  Jahre  waren  für  Aachen  Heilig- 
thumsfahrtsjahre,  auch  heisst  es  mehrfach,  es  sei  zwischen  dem  10.  und 
dem  24.  Juli  gespielt  worden.  Dem  Anscheine  nach  traten  also  die  Schüler  bis 
ins  erste  Viertel  des  18.  Jahrhunderts  hinein  nur  alle  7  Jahre  gelegentlich 
der  Heiligtliumsfahrt  öffentlich  auf;  seit  etwa  1725  sind  jährliche  Spiele 
nachweisbar1.  Fast  könnte  man  aus  zwei  sehr  interessanten  Notizen 5  des 
noch  ungedruckten  Tagebuchs  des  Stadtsyndikus  Melchior  Klocker  schliessen, 
dass  schon  in  den  Jahren  1602  und  1604  unter  Mitwirkung  der  Jesuiten 
gewisse  Schauspiele  in  Aachen  zur  Aufführung  gelangt  seien.  Aber  wenn 
in  den  Notizen  von  den  „Patres  Comoediantes  von  Naboth6"  und  der  „Comedia 
mit  Abraham  und  Jacob"  die  Eede  ist,  so  folgt  hieraus  nicht,  dass  die 
Patres  dem  Jesuitenorden  angehörten,  oder  dass  die  Darsteller  Aachener 
Jesuitenschüler  waren.  Letzteres  ist  um  so  unwahrscheinlicher,  als  damals 
das  Aachener  Jesuitengymnasium  noch  in  den  Windeln  lag.  Wahrscheinlich 
handelte  es  sich  um  ein  paar  in  Aachen  aufgeführte  sog.  geistliche  Schau- 
spiele, deren  Wesen  und  Bedeutung  Johannes  Janssen  vor  Kurzem  so 
anziehend  klar  gelegt  hat7. 


J)  Es  hiess  Mariengymnasium  and  wurde  bis  1773  ausschliesslich  von  Jesuiten 
geleitet.  Auch  nach  der  Aufhebung  des  Jesuitenordens  waren  ehemalige  Jesuiten  als 
Lehrer  an  demselben  thätig.  Das  Gebäude  lag  in  der  Nähe  der  St.  Michaelskirche;  die 
Franzosen  verkauften  es  bald  nach  dem  Beginn  der  Fremdherrschaft.  Vgl.  Quix,  Eisto- 
risch-topographische  Beschreibung  der  Stadt  Aachen,  S.  57,  und  Haagen,  Geschichte 
Achens  II,  S.  235. 

2)  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  X.  S.  277. 

3)  Irrig  schreibt  Haagen  (a.  a.  0.  S.  309)  1708  statt    1706. 

4)  Meist  im  September  iroleyentlich  der  Preisverteilung.  Vgl.  Zeitschrift  des 
Aachener  Geschichtsvereins  V,  S.  265. 

5)  Dieselben  lauten  nach  gütiger  Mittheilung  des  Eerrn  Dr.  Wieth:  10.  Juli  1602. 
„eodem  die  patres  Comoediantes  von  Naboth  auff  dem  marckl  gespielet,  und  isl  selbigen 
taghs  Balthasar  Kettenis  hausfraw  begraben,  und  bau  einer  ihm  mitten  des  spiels  mil 
einer  kugelen  nit  weitt  von  dem  volck  geschossen".  Ferner  zum  13.  Juli  1604:  „seindl  die 
Burg-  und  seiner  alle  amptrager  \\i'  der  Comedia  mil  Abraham  und  Jacob  gangen  und 
haben  folgern»  unsere  weiber  uf  dem  rahthauss  gefuhrel  und  zimbliche  gute  Conversation 
gehapt". 

6)  Vgl.  Buch  der  Könige  I,  Kap.  21. 

7)  Janssen  Johannes,  Geschichte  des  deutschen  Volkes  VI,  255  ff. 


—  76  — 

Mehrere  Aachener  Schuldramen  aus  der  Zeit  zwischen  171(3 — 1785 
sind  von  den  Herren  Gymnasial-Direktor  Schwenger  und  Professur  Bier- 
linger  veröffentlicht  worden  l.  Ein  kürzlich  entdecktes  noch  älteres  Schul- 
drama verdient  vielleicht  auch  eine  kurze  Besprechung-.  Dasselbe  stammt 
aus  dem  Jahr  1713  und  findet  sich  (8  Druckseiten  in  4°)  in  der  Aachener 
Stadtbibliothek.  Auf  den  beiden  ersten  Seiten  steht  der  ungemein  weit- 
läufige Titel 2  nebst  einer  unbedeutenden  Notiz ;  auf  den  4  folgenden  Seiten 
eine  Uebersicht3  über  den  Inhalt  des  in  5  Abschnitte  getheilten  Dramas. 
Den  Schluss  bilden  die  Namen  der  61  mitwirkenden  Schüler. 

Nachstehend  folgt  in  einer  hinsichtlich  der  Schreibweise  unwesentlich 
geänderten  Fassung  der  Abdruck  der  in  deutscher  Sprache  vorliegenden 
Inhaltsangabe.  Da  alle  weiteren  Einzelheiten  in  der  Druckschrift  fehlen, 
entzieht  es  sich  der  Beurtheilung,  in  wie  weit  die  Ausarbeitung  des  Dramas 
eine  gelungene  war.  Augenscheinlich  hinkt  der  Vergleich  zwischen  Jeru- 
salem und  Aachen  in  den  3  letzten  Theilen  des  Stücks  etwas  autfällig. 
Vielleicht  legte   der  Verfasser  auf  strenge  Logik  keinen  besondern  Werth. 

Bedburg.  Pauls. 


yORSPIEL. 

Aachen  und  Jerusalem  stellen  ein  Freudenspiel  an, 
welches  Krieg  und  Wütherei  zerstören. 

Erster   Theil. 

5  Auftritte.  (1.)  Den  wegen  eines  in  der  Luft  gesehenen  Kriegs- 
heers verstörten  Bürgern  (2.)  wird  die  Ankunft  des  Königs  Antiochi  kund 
gethan,  (3.)  worüber  Solyma4  sich  betrübt.  (4.)  Antiochus  unterdessen 
Gott  lästernd,  (5.)  ruckt  vor  die  Stadt  Jerusalem. 

Gegenspiel. 

Lucifer  entschliesst  sich,  die  Stadt  Aachen  unter  sein  Joch  zu  bringen. 

Zweiter   Theil. 

5  Auftritte.  (1.)  Da  die  Bürger  Gott  um  Hülf  anflehen,  lauft  Zei- 
tung ein,  als  seie  Antiochus  todt.    (2.)  Weswegen  Solyma   Gott  in  seinen 


l)  Vgl.  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins  IV,  S.  91  ff.,  V,  S.  265  ff.,  IX, 
S.  218  ff. 

'-')  Gekürzt  und  im  Wesentlichen  lautet  der  Titel:  Aachen  in  Machabaea.  Den 
Herren  regierenden  Bürgermeistern  W.  Tb.  von  Wilre  und  B.  Feibus,  ferner  den  Herren 
Schöffen,  Forstmeistern  und  Rathsmitgliedern  dedicirt  und  durch  deren  Freigebigkeit 
gelegentlich  der  Heiligthiunsfahrt  auf  offener  Schaubühne  aufgeführt  von  der  Jugend  des 
liymnasiums  Societatis  Jesu  zu  Aachen,  1713  den  16.  und  23.  Heumonats.  Coloniae 
Agrippinae,  Typis  Caspari  Drimborn,  in  platea  lata.     Anno  1713. 

3)  Die  Uebersicht  wird  in  lateinischer,  deutscher  und  französischer  Sprache  gegeben. 

4)  Solyma=Hierosolyma  oder  Jerusalem.  Solyma  und  Genius  Caroli  Magni  sind 
die  einzigen  vorkommenden  Fremdwörter,  was  sehr  beachtenswerth  ist,  da  früher  die 
Fremdwörter  vielfach  überwucherten. 


•  —  77  — 

Wunderthaten  preist,  (3.)  und  stellt  über  den  berichteten  Tod  des  Königs 
ein  Freudenfest  an.  (4.)  Selbiges  wird  verstört  durch  Zeitung,  dass  der 
König-  noch  lebe  und  auf  die  Stadt  anrucke.  (5.)  Machabaea  muntert  die 
Gemüther  wiederum  auf. 

Gegenspiel. 

Das  verstörte  Aachen  wird  von  dem  Genio  Caroli  Magni  ermuntert. 

Dritter   Theil. 

5  Auftritte.  (1.)  Antiochus,  weil  er  von  den  Abgöttern  guten  Beseheid 
bekommen,  (2.)  droht  der  Stadt  Jerusalem  den  Untergang.  (3.)  Die  er 
auch  mit  stürmender  Hand  einbekommt,  (4.)  und  darüber  ein  Sieggepräng 
anstellt.  (5.)'  Trauer  und  Wehklag  der  Stadt. 

Gegenspiel. 

Lucifer  beraubt  die  Stadt  Aachen  ihres  Schatzes;  selbige  lässt  sich 
doch  nicht  abschrecken. 

Vierter  Theil. 

5  Auftritte.  (1.)  Antiochus  befiehlt  auf  Leib  und  Lebensstraf  den  Juden 
Schweinefleisch  zu  essen.  (2.)  Welchem  sie  sich  widersetzen.  (3).  Eleazarus, 
den  abfallenden  Menelaum  bestrafend,  wird  eingezogen,  (4.)  und  weil  er 
dem  König  nicht  will  gehorchen  zum  Tod  verdammt.  (5.)  Die  Mutter 
Machabaea  frischt  unterdessen  ihre  Söhne  an  zur  Standhaftigkeit. 

Gegenspiel. 

Lucifer  lockt  die  Stadt  Aachen  mit  Schmeichlen,  aber  umsonst. 

Fünfter  Theil. 

5  Auftritte.  (1.)  Die  vier  älteren  Söhne  werden  zum  Abfall  ange- 
reizt. (2.)  Um  selbige  darzu  zu  bewegen,  (werden)  die  drei  jüngeren  zuge- 
führt; erwählen  aber  alle  lieber  zu  sterben,  als  dem  Gesetz  zuwider 
leben.  (3.)  Werden  darum  zur  Marter  geführt,  den  kleinsten  ausgenommen. 
(4.)  Dem  der  König  mit  grossem  Versprechen  zusetzt,  aber  vergebens. 
(5.)  Muss  derohalben  eines  grausamen  Tods  sterben.  Worüber  die  Mutter 
aus  Freud  ihren  standhaftigen  Geist  aufgibt. 

Gegenspiel. 

Lucifer  fällt  die  Stadt  Aachen  mit  Gewalt  an,  muss  aber  unterliegen. 


Kleinere  Mittheilungen. 


Nachgrabungen  in  Cornelimünster  nach  dem  Grabe  des  heiligen 

Benedikt  von  Aniane. 

Die  frühere  Abtei  und  jetzige  Pfarrkirche  zu  Cornelimünster  i>i  ebenso  ehrwürdig 
durch  ihr  hohes  Alter  als  merkwürdig  durch  die  vielen  baulichen  Veränderungen  und  Erwei- 
terungen, die  sie  im  Laufe  der  Jahrhunderte  erfahren,  und  die  alle  den  Styl  ihrer  Ent- 
stehungszeit an  sieh  tragen,  so  dass  wir  in  derselben  nicht  einen  einheitlichen  Bau,  sondern 


—  •78  — 

eine  Schichtung  von  Bauten  aus  der  karolingischen,  der  romanischen,  der  früh-  und  spät- 
gothischen  und  auch  der  Zopfzeit  vor  uns  nahen.  Naturgemäss  mussten  die  Ausgrabungen; 
behufs  Hebung  der  Gebeine  des  ersten  Abts  von  Cornelimünster,  des  hl.  Benedikt  v.  Aniane, 
der  821  daselbst  starb  und  nach  Angabe  seines  Biographen  und  Ordensgeuossen  Ardo  in 
einem  steinernen  Sarge  beigesetzt  wurde,  ihren  Anfang  in  jenem  Theile  der  Kirche  nehmen, 
welcher  unzweifelhaft  karolingischen  Ursprungs  ist.  Diesen  Ursprung  weist  ein  am 
äussersten  Westende  der  Kirche  gelegener  quadratischer  Raum  auf,  der  heute  nicht 
mehr  kirchlichen  Zwecken  dient,  sondern  als  Rumpelkammer  verwandt  wird.  Dieser 
Raum,  den  wir  kurz  als  innere  Vorhalle  oder  atrium  bezeichnen  wollen,  ist  in  späterer 
Zeit  mit  einem  gothischen  Spitzbogengewölbe  eingedeckt  worden,  in  dessen  Kappen 
nach  Entfernung  der  Tünche  gothische  Ornamentmalerei  zum  Vorschein  kam.  In  Mitten 
dreier  Wände  derselben  erheben  sich  ziemlich  stark  vortretende  Mauerlisenen,  die  wohl 
als  Widerlager  der  angrenzenden  Bautheile  oder  als  Sübstruktion  einer  ehemaligen 
Thurmanlage  gedient  haben.  Der  Boden  des  Atriums  wie  der  ganzen  Kirche  hat  in 
früherer  Zeit  viel  tiefer  gelegen;  denn  erst  nach  Wegräumung  einer  Erdschicht  von 
71  cm  Dicke  kam  der  ursprüngliche  karolingische  Fussboden  zum  Vorschein.  Derselbe 
besteht  aus  einer  mit  römischen  Ziegelstücken  stark  versetzten  Betonlage  nicht  unähnlich 
der,  die  man  bei  Aufdeckung  der  römischen  Wasserleitung  auf  dem  Terrain  der  ehemaligen 
Gasanstalt  zwischen  den  Wasserrinnen  und  der  aus  Bruchsteinen  bestehenden  Einfassungs- 
mauer fand.  Es  dürfte  dies  als  eine  Erhärtung  der  seiner  Zeit  von  Herrn  Kanonikus 
Dr.  Kessel  in  den  Beiträgen  zur  Geschichte  von  Eschweiler  und  Umgegend  gemachten 
Behauptung  erscheinen,  dass  Inda  Ursprung  und  Namen  den  Römern  verdanke,  die  hier 
ein  castellum  errichteten  und  dasselbe  Indense  nannten  nach  dem  Trevirer  Julius  Indus, 
dem  Gründer  und  Befehlshaber  der  ala  Indiana  Pia  Felix,  einer  Reiterabtheilung,  die  in 
der  Gegend  von  Trier  ausgehoben  war  und  wahrscheinlich  längere  Zeit  in  der  Gegend 
von  Cornelimünster  ihr  Standquartier  hatte.  Doch  kehren  wir  nach  dieser  kurzen  Abschwei- 
fung wieder  zu  unserm  Atrium  zurück.  Um  die  West-,  Nord-  und  Südseite  der  Umfassungs- 
mauern desselben  laufen  mit  Steinplatten  gedeckte  Sitzbänke  herum,  die  nach  Entfernung 
einer  etliche  20  cm  dicken  Lage  angeschütteter  Erde  zum  Vorschein  kamen.  Die  Ost- 
wand des  Atriums  ist  mit  zwei  Rundbogen  geschlossen,  die  sich  zu  beiden  Seiten  der 
erwähnten  Mauerlisene  befinden  und  mit  karolingischem  Mauerwerk  ausgefüllt  sind.  Dicht 
vor  dieser  Mauer  im  Innern  des  Atriums  stiess  man  nach  Wegschaufelung  von  einer  ungefähr 
40  cm  dicken  Erdlage  auf  sechs  Grabplatten  aus  Blaustein,  die  weder  eine  Verzierung  noch 
eine  Inschrift  trugen ;  die  eine  Platte  hatte  in  der  Mitte  einen  kreisrunden  Einschnitt  von  16  cm 
im  Durchmesser,  augenscheinlich  herrührend  von  einem  zum  Heben  angebrachten  Eisenringe. 
Einige  cm  tiefer  senkrecht  unter  diesen  Platten  kam  man  auf  leichtere  Decksteine,  nach 
deren  Entfernung  vier  sogenannte  Kastengräber  sichtbar  wurden ;  die  Entfernung  von  der 
Sohle  des  tiefsten  Grabes,  welches  an  sich  40  cm  Tiefe  aufwies,  bis  zur  heutigen  Fuss- 
bodenhöhe  beträgt  161  cm.  Diese  vier  Gräber  liegen  in  unbedeutenden  Zwischenräumen 
nebeneinander;  sie  sind  in  der  Weise  hergestellt,  das  auf  eine  in  den  Boden  eingelassene 
Platte  aus  schwarzem  Schiefer  vier  andere  Platten  hochkantig  im  rechten  Winkel  gestellt 
sind;  von  ihrem  kastenartigen  Aussehen  tragen  sie  den  Namen  Kastengräber.  In  jedem 
derselben  liegt  ein  wohl  erhaltenes  Menschenskelett  in  gestreckter  Lage,  und  ist  augen- 
scheinlich jedes  für  den  in  ihm  gebetteten  Leichnam  eigens  hergestellt  worden;  nach  dem 
Fassende  laufen  die  Kasten  etwas  spitz  zu.  Unter  der  Halsgegend  befindet  sich  eine 
sichelförmige  Erhöhung.  Alle  vier  Leichen  liegen  mit  dem  Gesicht  gegen  Osten  gewandt. 
Während  die  Hände  der  drei  letztern  gefaltet  waren,  hält  die  erstere  den  auf  der  Vorder- 
seite liegenden  Schädel  in  der  linken  Hand  des  gestreckten  Armes,  und  zwar  niuss  dies 
nach  der  Lage  der  Sache  die  ursprüngliche  Stellung  sein,  in  der  die  Leiche  begraben 
worden  ist.  An  eine  spätere  Verschiebung  des  Schädels  ist  bei  der  geringen  Tiefe  dieses 
Grabes  und  bei  der  unmittelbaren  Berührung  der  Leiche  mit  dem  Decksteine  nicht  zu 
denken.  Dies  ist  das  Resultat  der  Nachforschungen  im  Atrium.  Es  liegt  nun  gewiss 
die  Frage  sehr  nahe:  Wer  waren  die  Männer,  deren  Skelette  wir  hier  vor  uns  haben? 
Waren  es  Mönche  oder  Aebte  des  alten  monasterium  Indense  ?  Wie  erklärt  es  sich,  dass 
der  Schädel   der  einen   Leiche   diese   sonderbare   Laere   hat?    Ohne   der  demnächst   statt- 


—  79 

findenden  osteologischen  Untersuchung  irgendwie  vorgreifen  oder  eine  bestimmte  Ansicht 
aussprechen  zu  wollen,  dürfte  es  «loch  nicht  uninteressant  sein,  hier  an  einige  die  Geschichte 
der  Abtei  betreffende  Thatsachen  zu  erinnern.  Der  Abt  Regino  von  Prüm  erzählt  in 
seiner  Chronik  zum  Jahre  881,  dass  die  Normannen  nach  Zerstörung  mehrerer  Städte 
in  Ripuariern  wie  Köln  und  Bonn  die  Pfalz  zu  Aachen,  die  Klöster  Inda,  Malmedy 
und  Stablo   in  ^fsche  gelegt  haben.     Und  in  den  Annalen  von  Fulda  heisst  es:  Nordmani 

vastaverunt totamque  Ripuariam  praecipue  triam  in  eis  monasteria  id  est  Prumiam, 

Indam,  Stahulaus,  Malmundarium  et  Aquense  palatium.  892  ferner  drangen  die  Normanen, 
nachdem  sie  im  Jahre  vorher  von  Arnulf  bei  Löwen  waren  geschlagen  worden,  wieder 
nach  Ripuarien  vor  und  zogen  sengend,  mordend  und  plündernd  bis  nach  Bonn,  wo  sie 
von  dem  Frankenheere  aufgehalten  wurden.  Darauf  zogen  sie  sich  in  das  Dickicht 
der  angrenzenden  Wälder  zurück  und  gelangten  durch  dieselben  mit  unglaublicher  Schnellig- 
keit bis  nach  Prüm,  wo  sie  die  Abtei  verwüsteten  und  viele  Menschen  erschlugen.  Auf 
diesem  Zuge  wurde  der  achte  Abt  von  Cornelimünster  Egilhardus  mit  Namen  bei  der 
villa  Berchheim  ermordet.  Quix  gibt  in  seiner  Geschichte  der  Stadt  Aachen,  sich  stützend 
auf  einen  in  einer  Anmerkung  genannten  Gewährsmann,  an,  dass  zum  Gedächtnisse  des 
Erschlagenen  in  dem  nahen  Walde  bei  Bohlendorf  eine  Kapelle  errichtel  werden  sei,  die 
insgemein  St.  Eulard  genannt  wurde.  Im  Jahre  1310  sodann  zogen  die  Aachener  gegen 
die  Abtei  Cornelimünster,  vermuthlich  weil  ihr  Abt  Arnold  von  Müllenark  sich  unbefugter 
Weise  in  ihre  Angelegenheiten  gemischt  hatte,  erstürmten  dieselbe,  beraubten  Kirche  und 
Kloster  und  steckten  sie  in  Brand;  bei  der  Gelegenheit  kamen  mehrere  Conventualen  ums 
Leben;  der  Abt  Arnold  wurde  bei  Nerzheid,  einem  Hofe  in  der  Nähe  von  Oberforstbach, 
erschlagen.  Die  Stadt  musste  zur  Sühne  1000  Mark  an  die  Verwandten  der  Umgekommenen 
bezahlen  und  ausserdem  Jahre  lang  zu  den  Kosten  des  Wiederaufbaues  der  Abtei  beitragen. 
Diese  geschichtlichen  Nachrichten  sind  wohl  geeignet  zu  mancherlei  Vermuthungen  zu 
verleiten;  sie  geben  der  Möglichkeit  Raum,  in  dem  einen  der  aufgefundenen  Skelette. 
dessen  Schädel  sich  in  der  sonderbaren  Lage  befindet,  den  von  den  Normannen  erschlagenen 
Abt  Egilhardus  wiederzuerkennen;  sie  lassen  ferner  auch  auf  den  ersten  Blick  einen 
Zusammenhang  der  Skelette  mit  den  1310  ums  Leben  gekommenen  Mönchen  vermuthen; 
gegen  letztere  Vermuthung  wird  freilich  geltend  gemacht,  dass  die  näher  bezeichnete 
sichelförmige  Erhöhung  in  den  Gräbern  nur  in  der  karolingischen  Zeit  vorkomme;  die 
osteologische  Untersuchung  sachkundiger  Fachleute  wird  wohl  hoffentlich  recht  bald  darüber 
die  wünschenswerthe  Auskunft  ertheilen.  Angesichts  dieser  historischen  Thatsachen  drängt 
sich  uns  ferner  die  bange  Befürchtung  auf,  die  wilden  Normannenhorden  möchten  den  die 
Leiche  des  Heiligen  bergenden  Steinsarg,  der  möglicherweise  offen  auf  Säulen  oder  einem 
sonstigen  Postamente  an  irgend  einem  Orte  der  Kirche  ruhte,  oder  der  vielleicht  in  der 
Erde  beigesetzt  und  durch  einen  Stein  oder  eine  Metallplatte  kenntlich  gemacht  war.  zerstört 
haben.  Zum  allerwenigsten  erscheint  es  äusserst  seltsam,  dass  weder  die  Benediktiner 
von  Aniane,  die  doch  das  Fest  des  im  Rufe  der  Heiligkeit  verstorbenen  Abtes  bald  nach 
seinem  Tode  als  festum  duplex  gefeiert  haben,  noch  auch  die  Mönche  von  Cornelimünster 
sich  nicht  sollten  um  die  Hebung  und  Verehrung  der  Ueberreste  ihres  Ordensheiligen 
bekümmert  haben,  wenn  sie  überhaupt  noch  vorhanden  gewesen  wären.  Doch  diese  einst- 
weilen nur  das  Ansehen  einer  Vermuthung  beanspruchende  Ansicht  dürfte  erst  an  Gewiss- 
heit  gewinnen,  wenn  die  noch  im  vollen  Gange  befindlichen  Nachgrabungen,  was  gewiss 
nicht  zu  wünschen  ist,  resultatlos  verlaufen  sollten.  Dieselben  sind  bereits  vom  Atrium 
auf  das  Mittelschiff  der  heutigen  Pfarrkirche  ausgedehnt  worden.  An  der  westlichen 
Absehlussmauer  der  Kirche  beginnend,  wurde  ein  bis  zum  ersten  Pfeiler  unter  der  Kanzel 
reichender  meterbreiter  Laufgraben  aufgeworfen.  In  einer  Tiefe  von  71  cm  fand  sich 
wieder  der  karolingische  Betonboden ;  30  cm  höher  ein  der  romanischen  Zeit  und  noch 
29  cm  weiter  ein  der  gothischen  Zeit  angehöriger  Fussboden.  Bei  dem  bezeichneten  Pfeiler 
setzte  eine  von  Norden  nach  Süden  lautende  Mauer  weitern  Nachgrabungen  ein  Ziel.  Die 
an  der  westlichen  Abschlussmauer  der  Kirche  entlang  südlich  und  nördlich  angestellten 
Untersuchungen  haben  nichts  Neues  zu  Tage  gefördert.  Eine  dort  im  karolingischen  Hoden 
sich  zeigende  Unterbrechung  liess  anfangs  der  Hoffnung  auf  neue  Gräberfunde  Kaum. 
Stellte  sich  alter  schliesslich   als  ein  bedeckter  Abzugskanal  heraus,    wie  deren  in  der  Kirche 


—  80  — 

bereits  mehrere  angetroffen  wurden.  Sie  sind  wohl  angelegt  worden,  um  das  sich  ansam- 
melnde Grundwasser  abzuführen.  Dieses  füllt  auch  die  beschriebenen  Kastengräber  augen- 
blicklich bis  zum  Eande  und  steigt  oder  fällt  mit  dem  Wachsen  oder  Schwinden  der  lüde. 
So  sind  also  bisheran  die  Nachforschungen  noch  nicht  mit  dem  gewünschten  und  erhofften 
Erfolge  gekrönt  worden,  haben  aber  nichtsdestoweniger  in  archäologischer  Beziehung 
manches  Interressante  zu  Tage  gefördert ;  auch  steht  zu  hoffen,  dass  die  alte  Kirche  in 
ihren  Grundmauern  wird  aufgedeckt  werden,  wodurch  sich  dann  neue  Anhaltspunkte  für 
weitere  Untersuchungen  ergeben  dürften. 

Aachen.  H.  Schnock. 


Der  Vogelfang  bei  Maxen,  den  20.  und  21.  Novenibris  1759. 

Die  nachfolgenden  Strophen,  auf  ein  fliegendes  Blatt  von  einer  Hand  des  vorigen 
Jahrhunderts  niedergeschrieben,  sind  den  Archivalien  des  Hauses  Schönau  bei  Richterich 
entnommen.  In  Inhalt  und  Form  geringwerthig,  sind  sie  doch  beachtenswerth  für  die 
Stimmung,  mit  welcher  man  in  den  hiesigen  Kreisen  die  Erfolge  der  österreichischen 
Waffen  hegleitete.  Am  21.  November  wurde  bekanntlich  ein  preussisches  Korps  unter  den 
Generälen  Fink,  Wunsch,  Rebentisch,  Gersdorf  und  Lock  von  den  überlegenen  Truppen 
des  Marschall  Dann  und  des  Herzogs  von  Zweibrücken  bei  Maxen  gefangen  genommen, 
und  diese  Niederlage  von  den  Gegnern  in  schadenfroher  Weise  als  Finkenfang  bezeichnet : 

Der  Vinck  mit  »seinem  Lock  ging  Lerchen  aus  zu  fangen 

Undt  wolt  auffen  Reben  tische  mit  diesen  Braten  prangen; 

Doch  Wunsch  giengs  nicht  nach  Wunsch,  die  Lerchen  hielten  Stich 

Und  nahmen  Rebentisch,  Wunsch,  Vinck  undt  Lock  mit  sich. 

Nun  sitzt  im  Garn  der  Vinck  und  muss  die  Lerche  singen, 

Er  schlagt:  es  stinckt,  stinckt,  stinckt,  weils  ihm  nicht  wolt  gelingen, 

Hingegen  schwingen  sich  die  Lerchen  mit  Gesänger: 

Es  lebe  unser  Nest,  es  lebe  der  Vinckenfänger. 

Ein  anderes: 

Wo  ist  das  beste  Heerdt  zum  Vogelfang  in  Sachsen? 

Nicht  weit  von  Falckenhayn  beym  Rittergut  „Frisch  Maxen". 

Auff  einen  Zug  fiengt  Daun,  wer  solt  es  wohl  vermeinen, 

Ja  es  wirdt  aller  Welt  gantz  lügenhafft  doch  scheinen, 

Ein  Vinck  acht  Schwärmen  gross  mit  18  000  Meissen, 

Zum  Braten  taugen  sie,  doch  aber  nicht  zum  Speissen. 

Ein  anderes: 

Wülste  lehrnen  Fincken  fangen, 
Geh  beym  Daun  die  Kunst  erlangen, 
Achtzehn  tausendt  auff  ein  mahl, 
Ist  fürwahr  ein  schöne  Zahl, 
Fangt  er  mit  Wunsch  in  das  Netz, 
Gott  starck  seinen  Muth  und  Hertz. 
Aachen.  K.  Wieth. 

Vereinsangelegenheiten. 

Monatsversaininlung*  am  Mittwoch,  den  22.  Mai  1889,  Abends 
Vh  Uhr,  im  Hotel  zum  Eleplianten  (Ursulinerstrasse). 

Dlil'i'K    Von    TIkkmaxn   KaATZEK    ix    AACHEN. 


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Jährlich  8  Nummern 
ä  1  Bogen  Royal  <  >kta\ 


Prei    des  Jahrgang 


4  Mark. 


Kommissions -Verlag 

der 

I  iremer'schen  Buchhandlung 

(C.  Inzin) 

in  Aachen. 


Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 

Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  Dr.  K.  Wieth. 


Nr.  6. 


Zweiter  Jahrgang'. 


1889. 


Inhalt:  C.  Iihoen,  Zur  Baugeschichte  des  Grashauses.  —  C.  W.  Menghius,  Zur  Geschichte 

der  Aachener  Patrizierhäuser.  -     Kleinere   Mittheilungen:   Kornpreise   in    Aachen    in   den 

Jahren  1560 — 1628  und  1708—1713.  —  Ausgrabungen  auf  dem  Stephanshofe,  der  Prinzenhof- 

kaserne  und  in  der  Korneliusstrasse.  --  Vereinsangelegenheiten:  Ausflug  nach  Montjoie. 


Zur  Baugeschichte  des  Grashauses. 

Von  C.  Rhoen. 

Die  Stadt  Aachen  ist  in  letzter  Zeit  durch  die  WiederhersteUung 
des  sogenannten  Grashauses  und  die  Einrichtung  desselben  zum  Stadt- 
archiv um  ein  Monumentalgebäude  bereichert  worden,  welches  der  geschicht- 
lich ehrwürdigen  Altstadt  zur  Zierde  gereicht  und  zugleich  eine  stete,  leben- 
dige Erinnerung-  an  den  Beginn  der  thatkräftigsten  Zeit  der  Aachener 
Bürgerschaft  darstellt.  Die  Fagade  dieses  Gebäudes  ist  noch  die  nämliche, 
welche  Kaiser  Richard  von  Cornvallis  in  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
zu  dem  damaligen  Bürgerhaus  hat  aufführen  lassen.  Die  Bauleitung  hat 
sich  bestrebt,  die  alten  vorgefundenen  Können  genau  und  treu  wieder- 
zugeben und  nichts  wesentlich  Neues  eigenmächtig  beizufügen;  bloss  hat 
man,  was  jedoch  nur  anzuerkennen  ist,  sowohl  die  Standbilder  der  sieben 
Kurfürsten,  als  auch  die  übrigen  Ornamente,  welche  fast  alle  aus  dem 
weichen  Falkenburger  Sandstein  gefertigt  und  deswegen  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit verwittert  waren,  in  getreuer  Nachahmung  in  besseren  Steihsorten 
ersetzt. 

Bisher  ist  der  Geschichte  und  Tradition  nach  angenommen  worden, 
dass  das  jetzige  Grashaus  ein  für  sich  selbstständiges  und  abgeschlossenes 
Gebäude  gewesen  sei   und   als  solches  seit   der  Zeit  des  Kaisers  Richard 


—  82  — 

bis  zum  Ende  des  14.  Jahrhunderts  als  Bürgerhaus  gedient  habe.  Bei  dem 
Um-  bezw.  Neubau  sind  jedoch  Momente  aufgefunden  worden,  welche 
geeignet  sind,  diese  Annahme  erheblich  umzugestalten,  und  welche  die 
Vermuthung  nahe  legen,  dass  das  jetzige  Grashaus  nur  einen  Theil  des 
ehemaligen  Bürgerhauses  gebildet  habe,  dass  aber  der  andere  Theil  im 
Laufe  der  Zeiten  abgebrochen  worden  ist  und  Platz  für  andere  Bauten 
gemacht  hat.  Diese  Vermuthung  des  Nähern  zu  begründen,  ist  der  Zweck 
nachstehender  Zeilen. 

Das  grosse  und  ausgedehnte  Grundstück,  auf  welchem  das  Bürgerhaus 
errichtet  wurde,  erstreckte  sich,  soweit  es  ursprünglich  der  Stadt  Aachen 
angehörte,  von  der  Jesuiten-  bis  zur  Annastrasse;  nur  mag  der  Theil 
desselben,  auf  welchem  die  an  der  Westseite  der  Kleinmarschierstrasse, 
von  der  Schmied-  bis  zur  Jesuitenstrasse  sich  hinziehenden  Häuser  stehen, 
bereits  früher  davon  abgetrennt  worden  sein.  Auch  wurden  in  späterer 
Zeit  an  der  jetzigen  Annastrasse,  vom  Fischmarkte  ab,  von  der  Stadt  den 
Bürgern  Bauplätze  abgetreten,  auf  welchen  theils  vor  theils  nach  der 
Errichtung  des  Bürgerhauses  Wohnungen  errichtet  wurden.  Die  Grenzen 
zwischen  dem  abgetretenen  Terrain  und  dem  der  Stadt  verbleibenden, 
noch  immer  gross  bemessenen  Eigenthum  sind  regelmässig  angelegte,  lange 
Linien,  welche  zeigen,  dass  bei  dem  Verkauf  der  Grundstücke  ein  regel- 
rechtes System  vorlag,  nach  welchem  die  einzelnen  Bauplätze  vergeben 
wurden.  Auch  die  noch  in  jüngerer  Zeit  seitens  der  Stadt  an  Private 
abgetretenen  Grundflächen  zeigen  in  ihren  Grenzlinien  die  Befolgung  dieses 
Systems.  Nur  die  Häuser  Schmiedstrasse  Nr.  5,  7  und  9  weichen  davon 
ab;  sie  sind  sozusagen  aus  dem  städtischen  Eigenthum  ausgeschnitten,  und 
die  Grenzen  derselben  sind  nicht  mit  der  Regelmässigkeit  angelegt  worden, 
wie  wir  es  an  den  andern  Stellen  sehen.  Zudem  zeigt  das  Haus  Schmied- 
strasse Nr.  9,  welches  dicht  neben  dem  Archivgebäude  liegt,  eine  so 
geringe  Breite,  dass  sicli  die  Vermuthung  aufdrängt,  dass  dasselbe  nur 
einen  kleineren  Raum  theil  eines  grössern  Bauwerks  einnimmt,  welcher  in 
früherer  Zeit  an  dieser  Stelle  gestanden  hat,  später  aber  abgebrochen 
worden  ist. 

Obgleich  Quix  1  sagt,  dass  die  Treppe,  welche  zum  obern  Geschosse 
des  Grasgebäudes,  dem  ehemaligen  Rathssaal  des  Bürgerhauses,  führte,  auf 
dem  Hofe  des  Grashauses  gelegen  habe,  hat  sich  bei  den  mehrfachen 
Ausgrabungen,  welche  auf  diesem  Hofe  behufs  Ausführung  des  Neubaues 
gemacht  worden  sind,  nirgend  eine  Spur  eines  Baues  aus  der  Zeit  Kaiser 
Richards,  welcher  auf  eine  Treppe  hinweisen  könnte,  vorgefunden.  Es 
kann  daher  die  Treppe  nicht,  wie  Quix  aussagte,  vom  Hofe  aus  zum  Saale 
geführt  haben.  Als  ferner  von  der  südöstlichen  Seitenmauer  des  obern 
Geschosses  die  alte  Pliesterung  entfernt  wurde,  fand  sich  in  der  Mauer 
selbst  eine  jetzt  zugemauerte  Thür  von  0,72  m  lichter  Breite  und  1,80  m 
lichter  Höhe  mit  hausteinerner  Einlassung.  Der  in  letzterer  eingehauene 
Falz   sowie   die    darin   angebrachten   Löcher   für   die    Thürgehänge   waren 


J)  Gesch.  (1.  Stadt  Aachen  II,  S.-  65. 


—  83  — 

dem  Saale  zugekehrt,  woraus  sich  ergibt,  dass  der  Thürflügel  ehemals 
nach  dieser  Seite  hin  sich  öffnete.  Aul"  derselben  Mauer  wurde  unter  einer 
nachträglich  aufgebrachten  Pliesterungsschicht  auf  einer  untern,  ursprünglich 
aufgetragenen  eine  Zeichnung  blossgelegt,  welche  mit  einem  Nagel  oder 
einem  ähnlichen  spitzen  Werkzeug  in  die  Pliesterung  eingekratzt  war  und 
zweifellos  das  ehemalige  Bürgerhaus  vorstellte.  Die  Darstellung  zeigte  in 
roher  aber  leicht  erkennbarer  Ausführung  das  jetzige  Grasgebäude,  an 
welches  sich  nach  links  hin  ein  schmaler  thurmartiger  Bau  anschloss.  Der- 
selbe war  mit  einem  spitzen  Dach  abgedeckt  und  hatte  im  Erdgeschoss  eine 
grosse  rundbogig  überdeckte  Eingangsthür.  Links  neben  diesem  Tliurm 
stand,  in  leichtern  Umrissen  angedeutet,  ein  weiteres  Gebäude,  welches 
fast  ebenso  hoch  wie  das  jetzige  Grasgebäude  war  und  im  Erdgeschoss 
vier  Thüröffnungen  zeigte,  völlig  übereinstimmend  mit  den  zugemauerten 
Oeffnungen  im  Erdgeschoss  des  Grashauses.  Wenn  auch  die  Fenster  des 
Obergeschosses  dieses  Gebäudes  sich  nicht  vollständig  gezeichnet  vor- 
gefunden haben,  so  war  doch  das  dem  Thurme  zunächst  stehende  durch 
seinen  Bogen  und  das  eine  Seitengewände  angedeutet,  sodass  man  schliessen 
muss,  dass  in  diesem  Stockwerk  sich  ebenfalls  Fenster  befunden  haben. 
Obgleich  auf  dem  Bilde  nicht  völlig  fertig  gezeichnet,  ist  das  Dach  doch 
durch  die  sich  schräg  hinaufziehenden  Walmstriche  und  einen  Theil  des 
Firstes  ausreichend  angedeutet.  Wenn  auch  diese  Darstellung  auf  ortho- 
graphische Richtigkeit  keinen  Anspruch  machen  kann,  so  erkannte  man 
doch  auf  den  ersten  Blick,  was  der  Zeichner  gewollt.  Eine  ähnliche 
jedoch  sehr  fragmenterische  Darstellung,  welche  mit  einem  Messer  in  eine 
halb  vermoderte  Wandbekleidung  einer  der  Gefängnisszellen  eingeschnitten 
war  und  gleichfalls  aufgefunden  wurde,  zeigte  die  Reste  von  ähnlichen 
Formen  wie  die  oben  angedeuteten  des  Wandbildes. 

Diese  beiden  Darstellungen  sind  jedenfalls  Arbeiten  von  Gefangenen, 
welche  sich  die  Zeit  damit  vertrieben  haben  mögen,  das  Aeussere  ihres 
unfreiwilligen  Aufenthalts  auf  die  Wand  hinzuzeichnen. 

Es  muss  zunächst  erwähnt  werden,  dass  die  in  der  südöstlichen  Mauer 
befindliche,  jetzt  zugemauerte  Thür  die  einzige  war,  die  zum  Saale  führte; 
man  gelangte  zu  derselben  von  einem  südöstlich  gelegenen  Nebenbau  aus,  der 
sich  an  der  Stelle  des  heutigen  Hauses  Schmiedstrasse  Nr.  9  befunden  haben 
muss,  und  welcher  auf  dem  Wandbilde  als  Tliurm  angedeutet  ist.  Die 
Facadenbreiten  der  Häuser  Schmiedstrasse  Nr.  9  und  7  stimmen  mit  den 
auf  der  Zeichnung  angedeuteten  Gebäuden  völlig  überein.  Das  dem  Gras- 
haus zunächst  anstehende  Haus  Schmiedstrasse  Nr.  '.)  nimmt  bei  seiner 
geringen  Breite  nicht  mehr  Raum  ein,  als  im  Verhältniss  auch  die  Zeich- 
nung für  den  Tliurm  angibt,  während  das  Haus  Nr.  7  dem  neben  dem 
Thurm  angedeuteten  Flügelgebäude  entspricht. 

Offenbar  diente  der  Thurm  als  Treppenraum,  da  auf  einen  solchen 
auch  die  grosse  von  der  Strasse  aus  hinführende  Thür  hinweist.  Auch 
ergibt  die  Breite  des  Hauses  Schmiedstrasse  Nr.  ;i  nicht  mehr  Raum,  als 
für  eine  Wendeltreppe  zur  Zeit  der  Erbauung  des  Bürgerhauses  in  Anspruch 
genommen  wurde.    Die  Lage  einer  solchen  passl  überdies  vorzüglich  an  diese 


—  84  — 

Stelle,  da  sie  fast  mitten  im  Gebäude  gelegen,  im  obern  Geschosse  rechts 
zum  Rathssaal  und  links  zum  Flügelanbau  führen  konnte.  Letzterer  Kaum 
diente  jedenfalls  für  die  Verwaltung  und  die  Schreibstuben.  Dafür  spricht 
auch  folgender  Umstand.  Die  von  der  alten  Pliesterung  entblössten  Mauern 
des  Obergeschosses  des  jetzigen  Grashauses  haben  erkennen  lassen,  dass 
der  ehemalige  Rathssaal  nach  keiner  Richtung  hin  von  Mauern  durchzogen 
war,  mithin  das  ganze  Obergeschoss  in  seiner  vollen  Ausdehnung  als 
Sitzungssaal  diente.  Es  ist  aber  einleuchend,  dass  auch  noch  andere 
Räume  für  Verwaltung  der  städtischen  Angelegenheiten  vorhanden  gewesen 
sein  mussten  und  da  solche  nirgendwo  anders  nachzuweisen  sind,  liegt  es 
nahe,  dieselben  im  südöstlichen  Flügel  zu  suchen. 

Das  jetzt  noch  stehende  Untergeschoss  des  Grashauses  ist  übrigens 
älter  als  das  aus  Kaiser  Richards  Zeit  herrührende  Obergeschoss ;  es  stammt 
aus  der  Zeit  des  frühromanischen  Baustyls,  also  aus  der  ersten  Hälfte  des 
zwölften  Jahrhunderts.  Da  nun  die  südöstliche  Mauer  im  Erdgeschoss 
mit  der  Facade  in  Verband  gemauert  ist,  so  datirt  sie  selbstredend  eben- 
falls aus  jener  Zeit  und  bildete  daher  auch  einen  Theil  des  ursprünglichen 
Baues.  Von  der  ursprünglichen  Hinterfagade  waren  keine  Reste  mehr 
vorhanden. 

Fragen  wir  nun,  wie  lange  diese  ursprünglichen  Gebäudetheile,  nämlich 
der  Treppenthurm  mit  dem  daran  stehenden  Flügelgebäude,  bestanden 
haben,  so  müssen  wir  zunächst  darauf  hinweisen,  dass  dieselben  jedenfalls 
noch  zur  Zeit,  als  im  Grashaus  Gefängnisse  eingerichtet  worden  sind,  vor- 
handen gewesen  sein  müssen,  da  sie  sonst  nicht  auf  die  Mauer  hätten 
gezeichnet  werden  können.  Es  ist  jedoch  anzunehmen,  dass,  nachdem  das 
Rathhaus  auf  dem  Markte  fertig  gestellt  worden  war,  man  das  ältere 
Gebäude  allmählig  aufgab  und  Theile  davon  veräusserte.  Einen  Hinweis 
hierauf  scheinen  uns  zwei  aachener  Urkunden  zu  bieten,  wovon  die  eine 
vom  12.  Dezember  1398  und  die  andere  vom  31.  März  1457  datirt  ist, 
und  welche  Professor  Loersch  veröffentlicht  hat 1.  In  der  erstem  dieser 
Urkunden  wird  dem  Bürger  Grientz  seitens  der  Stadt  die  Vergünstigung 
verliehen,  dass  die  Balken  seines  neuerbauten  Hauses  in  der  Mauer  des 
Bürgerhauses  „in  deir  steide  mure  an  der  Burgerhuis  vur't  Pervisch 
geleigen"  belassen  bleiben  konnten.  In  der  zweiten  bekennt  der  Johann 
Pastoir  van  Haeren,  Bürger  von  Aachen,  dass  die  Stadt  ihm  erlaubt  habe, 
auf  der  Mauer  des  Grashauses  „up  irre  stede  muren  ...  zu  der  stede 
Grase"  einen  von  ihm  ausgeführten  Bau  zu  stützen.  Da  es  nun  unwahr- 
scheinlich ist,  dass  das  von  Grientz  erbaute  Haus  nach  59  Jahren  schon 
so  baufällig  geworden  sei,  dass  die  Balken  desselben  erneuert  werden 
mussten,  so  dürfte  anzunehmen  sein,  dass  Pastoir  sein  Haus  an  der  andern 
Seite  des  Grashauses,  möglicherweise  auf  dem  Terrain  des  jetzigen  Hauses 
Schmiedstrasse  Nr.  7,  erbaut  habe,  was  den  Abbruch  des  südöstlichen 
Flügelgebäudes  voraussetzen  würde.  Die  in  den  angeführten  Jahren  in 
städtischen  Urkunden  dem  Gebäude  gegebenen  verschiedenen  Benennungen 


2)  Zeitsclir.  d.  Aach.  Gesch.-Ver.  I,  S.  162,  168. 


•  —  85  — 

dürften  wohl  auf  den  Zeitpunkt  hinweisen,  wann  die  bis  daliin  übliche 
Bezeichnung-  „Bürgerhaus"  aufhörte  und  die  Benennung-  „Gras"  begann. 
Doch  finden  wir  bereits  im  Jahre  1447  dasselbe  in  einer  Urkunde  Friedr.  III. 
als  „Gras"  erwähnt1. 

Unter  Kaiser  Eichard  ist  demnach  nicht  der  Neubau  eines  Bürger- 
hauses aufgeführt  worden,  sondern  ein  bereits  bestehendes  Gebäude  wurde 
zum  städtischen  Bürgerhause  umgebaut,  und  dieser  Umbau  beschränkte 
sich  wesentlich  auf  die  Anlage  eines  Kathssaales  mit  dem  entsprechenden 
Facadentheil. 

Wegen  des  schlechten  Baugrundes  mussten  die  Fundamente  tief  gelegt 
werden  und  beginnen  2,50  m  unterhalb  der  jetzigen  Strassenoberfläche. 
Es  ist  jedot.h  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  die  Schwellen  der  beiden  zu- 
gemauerten Eingänge  zum  Erdgeschoss  am  Fischmarkte  in  Folge  allmählicher 
Anschüttung  jetzt  um  etwa  0,50  m  unter  dem  Strassenpflaster  liegen,  die 
ursprüngliche  Fundamenttiefe  mithin  2  m  betrug.  Trotz  dieser  tiefen  Grund- 
legung waren  noch  unter  verschiedenen  Hauptstützpunkten  des  Gebäudes 
starke  Pfähle  aus  Eichenholz  eingerammt,  auf  welchen  das  Mauerwerk  an- 
gesetzt worden  ist.  Die  Verblendsteine  der  Facade  bestehen  meistenteils  aus 
Grauwacke,  das  Innere  der  Mauer  jedoch  aus  Steinen  verschiedener  Arten, 
welche  zwar  unregelmässig  vermauert  sind,  jedoch  mit  dem  Mörtel  eine 
ziemlich  feste  Masse  bilden.  Die  Mauerung  des  Erdgeschosses  der  Fagade 
ist  unregelmässig,  die  Schichten  sind  nicht  geradlinig  gearbeitet,  doch 
laufen  die  Fugen  der  vorhandenen  Thürbogen  zentral.  Trotz  der  Unregel- 
mässigkeiten in  der  Ausführung  kann  man  dem  Mauerwerk  eine  tüchtige 
Technik  nicht  absprechen. 

Bei  der  Aufführung  des  unter  Kaiser  Eichard  errichteten  Theiles  des 
Bürgerhauses  sind  jedenfalls  die  bisherigen  Einrichtungen  im  Erdgeschoss 
desselben  zerstört  worden.  In  der  südöstlichen  Seitenmauer  wurden  im 
untern  noch  ursprünglichen  Mauerwerk  Löcher  eingebrochen  und  in  diese 
die  Kragsteine  eingemauert,  auf  welchen  die  Balken  zur  Bretterbedielung 
des  obern  Geschosses  ruhten.  An  der  Innenseite  der  Fagadenmauer  waren 
zwei  grössere  Kragsteine  angebracht,  welche,  tiefer  gelegen  als  die  übrigen, 
die  Unterzüge  der  Balken  trugen;  bei  der  grossen  Tiefe  des  Gebäudes 
darf  angenommen  werden,  dass  die  Unterzüge  stellenweise  von  Pfeilern 
unterstützt  wurden.  Die  Kragsteine  in  der  südöstlichen  Mauer,  von  welchen 
noch  etwa  23  Stück  aufgefunden  worden  sind,  waren  alle  nach  einem 
bestimmten  Profil  gehauen;  bei  ihrer  Auffindung  zeigten  sie  sich  sämmtlich 
von  dem  Mauerwerk  der  Gefängnisse  umschlossen.  Sie  sind  an  ihren  alten 
Stellen  verblieben  und  von  dem  neuen  Mauerwerk,  welches  man  wider  das 
alte  angesetzt  hat,  eingeschlossen. 

Das  obere  Geschoss,  der  Rathssaal,  rührt  ganz  aus  der  Zeit  Richards 
her.  Dasselbe  muss  eine  nicht  unbedeutende  Eöhe  aufgewiesen  haben, 
wa«  sowohl  aus  der  undiirchbrocliencn  Flache  oberhalb  der   Fenster  in  der 


!)  Ebenda«.  VI,  40.  Augenscheinlich  i>t  die  Bezeichnung  „Gras"  von  dem  binter- 
liegenden  städtischen  Terrain,  welches  „Der  bürger  Grass0  (Laurent,  Stadtrechn.  886,  .'*7 
ix.  A.)  genannt  wurde,  auf  das  Gebäude  selbst  übergegangen. 


—  86  — 

Fa§ade,  als  auch  daraus  hervorgeht,  dass  der  jetzt  noch  vorhandene,  aus 
jener  Zeit  herrührende  Theil  der  südöstlichen  Seitenmauer  nicht  mehr  bis 
zur  ehemaligen  Decke  des  Saales  reicht.  Die  Umfassungsmauern  dieses 
Stockwerks  wurden  neu  aufgeführt.  Dies  ergibt  sieh  aus  dem  Umstand, 
dass  die  Seitenmauern  mit  der  Facade  in  Verband  gemauert  worden  sind. 
Das  Mauerwerk  ist  dem  des  Erdgeschosses  gegenüber  besser  und  richtiger; 
besonders  gut  und  regelmässig  sind  die  Pfeiler  und  Bogen  am  Innern  der 
Fenster.  Obgleich  keine  Andeutung  darüber  erhalten  geblieben  ist,  in 
welcher  Art  die  Decke  des  Rathssaales  hergestellt  war,  kann  man  doch 
nur  annehmen,  dass  dieselbe  aus  Balken  und  Brettern  gefertigt  gewesen, 
da  für  eine  gewölbte  Decke  die  Mauern  als  Widerlagen  nicht  stark  genug 
waren.  Die  Fenster  der  vordem  Fagade  sind  uns  durch  die  Restauration 
in  ihrer  ursprünglichen  Form  und  Grösse  erhalten  geblieben;  von  denen 
der  Hinterfagade  wissen  wir  nichts,  da  sich  keine  Spur  derselben  mehr 
aufgefunden  hat. 

Zu  welcher  Zeit  der  obere  Raum  aufhörte  als  Sitzungssaal  für  den 
Rath  zu  dienen,  ist  nicht  genau  festgestellt.  In  den  Stadtrechnungen  des 
14.  Jahrhunderts  wird  derselbe  im  J.  1349  zuletzt  als  Rathssaal  -  -  domus 
consilii  —  und  durch  den  Rath  benutzt  erwähnt l.  Von  da  ab  kommt  er 
als  Rathssaal  in  den  Stadtrechnungen  nicht  mehr  vor;  es  muss  jedoch 
bemerkt  werden,  dass  vom  J.  1349  ab,  mit  Ausnahme  kleiner  Bruchstücke 
aus  den  Jahren  1353 — 1373,  diese  Rechnungen  bis  zum  Jahre  1376  sämmt- 
lich  fehlen. 

Erst  im  J.  1391 2  wird  das  Bürgerhaus  gelegentlich  einer  baulichen 
Reparatur  wieder  erwähnt,  desgleichen  im  J.  1394 3  bei  Erbauung  des 
„duyster  loich  in  der  burger  huys".  Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel, 
dass  man  im  letztgenannten  Jahre  mit  der  Errichtung  der  Gefängnisse 
daselbst  beschäftigt  war.  Durch  die  Anlage  der  Gewölbe  über  den  Gefäng- 
nissen musste  die  Bretterdielung  des  Rathssaales  wegfallen,  da  die  Krag- 
steine, auf  welchen  ehemals  die  Balken  geruht  haben,  in  dem  Gewölbe  ver- 
mauert aufgefunden  worden  sind.  Indem  somit  die  Benutzung  des  Saales  durch 
die  Fortnahme  des  Fussbodens  unmöglich  gemacht  wurde,  ist  anzunehmen, 
dass  im  J.  1393  das  Bürgerhaus  aufgehört  habe  als  solches  zu  dienen, 
und  die  Rathssitzungen  nunmehr  im  neuen  Rathhause  auf  dem  Markte 
stattfanden.  Der  bekannte  Vertrag,  den  die  Stadt  Aachen  im  J.  1370  mit 
dem  Bildhauer  Peter  van  der  Capellen  abschloss,  dürfte  diesen  Zeilpunkt 
näher  feststellen 4. 

Das  neue  Rathhaus  war  damals  im  Aeussern  bis  auf  den  Bilder- 
schmuck der  Fagade,  im  Innern  wahrscheinlich  ganz  vollendet.  Im  J.  1376 
werden  2  M.  „nuncio  portanti  litteram  de  celebracione  misse  super  domum 
consilii"  erwähnt,  und   es  scheint  von  dieser  Zeit  ab  bei  gewissen  Raths- 


*)  Laurent,  Aachener  Stadtrechnungen  S.  225,  5  ff. 

2)  Ebendas.  S.  373,  32—34. 

3)  Ebendas.  S.  393,  31. 

4)  Quix,  Biographie  des  Ritters  Chorus,  S.  55. 


»'  —  87  — 

Sitzungen  in  dem  mit  einem  Chörchen  versehenen  aeuen  Saal  Messe  gelesen 
worden  zn  sein.  Es  hat  demnach  das  Bürgerhaus  mehr  als  ein  Jahrhundert 
der  Stadt  als  Rathhaus  gedient. 

Bei  der  Anlage  der  Gefängnisse  wurden  sechs  Zellen  hergerichtet, 
zwei  an  der  JFacade,  die  vier  andern  hinter  diesen.  Eine  siebente  besonders 
starke  Zelle  wurde  im  Anschluss  an  die  vorherigen  an  der  südöstlichen 
Mauer  aufgeführt.  Es  war  dies  das  sogenannte  „Hanseloch",  in  welchem 
gewöhnlich  die  zum  Tode  verurtheilten  Verbrecher  bis  zu  ihrer  Hinrichtung 
verwahrt  wurden.  Neben  den  vier  vordem  Zellen  lag  an  der  Nordwest- 
seite eine  Thordurchfahrt,  von  welcher  aus  man  vermittelst  eines  Ganges 
zu  jenen  vier  Zellen  gelangen  konnte;  die  drei  übrigen  hatten  ihren  Zugang 
vom  Hofe  -aus.  Auf  dem  obern  Geschosse,  den  Raum  des  alten  Rathssaals 
einnehmend,  wurden  nebeneinander  drei  Räume  abgetheilt,  von  denen  nur 
der  mittlere  kleinere  als  Zelle  diente.  Von  den  beiden  andern  grössern 
scheint  der  eine  als  Detentionslokal  für  die  Bürger,  welche  das  Grasgebot 
einhalten  mussten,  benutzt  worden  zu  sein,  und  hier  hat  sich  die  Eingangs 
erwähnte  Zeichnung  vorgefunden,  das  andere  dürfte  für  den  Gefangenwärter 
bestimmt  gewesen  sein.  Von  demselben  führte  eine  Thür  zu  einem  kleinen 
an  der  Hinterfacade  gelegenen  Vorraum,  von  welchem  aus  man  zu  den 
beiden  andern  Räumen  des  Geschosses  gelangte. 

Man  muss  wohl  befürchtet  haben,  dass  die  allerdings  aus  nicht  sehr 
hartem  Material  gefertigten  Mauern  des   ursprünglichen   Baues   dem   Aus- 
brechen der  Gefangenen  nicht  Widerstand  genug  bieten  könnten,  und  setzte 
daher  im  Innern  wider  die  Umfassungsmauern  eine  neue  Mauer  aus  behaueuen 
Blausteinen  von  0,65  m  Stärke  an.    Auch  die  Zwischenmauern,  welche  die 
Gefängnisszellen   von    einander   trennten,    waren   aus    diesem   Materini    in 
verschiedenen,    doch   bedeutenden   Stärken   angelegt;    die    Gewölbe  waren 
ebenfalls    aus    Blausteinen    ausgeführt.      Die    Bausteine    waren    so    dicht 
zusammen  gefügt,  dass  ein  Ausbrechen  derselben  selbst  mit  starken  Brech- 
werkzeugen ausserordentlich  erschwert  war.    Die  Zellentliüren,  nur  l]/.,m 
hoch    und    a/4  m   breit,    bestanden   aus   8   bis    10   cm   dickem   Eichenholz, 
waren  an  der  innern  Seite  mit  starken   Eisenplatten  versehen  und  an  der 
äussern  derart  mit  Eisen  beschlagen,  dass  ein  Zerbrechen  derselben  unmög- 
lich wurde;  auch  waren  sie  durch  schwere  Riegel  und  Vorhängeschlösser 
versichert.     Besonders  fest  war  das  Hanseloch  angelegt;   ausser   dass   die 
Thür  ganz  besonders  kräftig   hergestellt   war,   befand   sich   mitten  in  der 
Zelle  ein  grosser  schwerer  Stein  in  den  Boden  eingelassen,  an  welchem  eine 
eiserne  Kette,  deren  Glieder  Fingerdicke  and  etwa  10  cm  Länge  hatten,  befestigl 
war;  an  diese  Kette  wurde  der  Gefangene  angeschlossen.  Ein  ähnliche)' Stein 
mit  Kette  befand  sich  in  der  mittlem  ( refängnisszelle  an  der  südöstlichen  .Mauer. 
Von  den  sieben  im  Erdgeschoss  befindlichen  Zellen   hatten  nur  das  Mause- 
loch und  die  beiden   am    Fischmarkt   gelegenen  etwas    Licht,   die   übrigen 
waren  durchaus  dunkel.    Bei  den  am  Fischmarkt  gelegeneu  Zellen  hatte  mau 
in  das  innere  neue  Mauerwerk  Lichtöffnungen  eingefügt,   in  dir  Facaden- 
niauer   aber   ohne   Rücksicht  auf  deren    Architektur  diesen    Lichtöffnungen 
entsprechende  unregelmässige  Löcher  eingebrochen  und  mit  einem  Eisengitter 


—  88  ~ 

versehen.  Durch  diese  Oeffnungen  konnte  jedoch  nur  wenig  und  bloss  Ver- 
streutes Licht  einfallen.  In  den  vier  Zellen  zunächst  dem  Fischmarkt  befanden 
sich  steinerne  Abtritte,  welche  ihren  Ablauf  in  einen  Kanal  fanden. 

Die  sämmtlichen  sieben  Zellen  des  Erdgeschosses  waren  enge,  kalte, 
feuchte  und  dunkle  Löcher  und  boten  das  trostloseste  Bild  menschlichen 
Aufenthalts ;  in  denselben  musste  auf  die  Dauer  auch  der  stärkste  mensch- 
liche Körper  zu  Grunde  gehen. 

Die  Räume  des  obern  Geschosses  waren  nicht  so  schauerlich  wie  die 
des  untern.  Wenn  auch  der  mittlere,  kleinere  Raum  den  Charakter  einer 
Zelle  für  schwere  Verbrecher  trug,  so  hatte  derselbe  doch  direktes  Licht 
von  der  Strasse  her  und  gestaltete  sich  dadurch  in  etwa  freundlicher.  Die 
beiden  neben  anliegenden  Räume  waren  gross  und  wohl  beleuchtet,  der 
über  dem  Thorweg  gelegene  sogar  gedielt. 

Einen  weitern  Umbau  erhielt  das  Grasgebäude  etwa  gegen  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts.  Zu  den  um  diese  Zeit  geschehenen  Umänderungen 
und  Erneuerungen  gehörte  die  Hinterfacade,  der  im  Thorweg  befindliche 
Bogen,  welcher  noch  bis  zum  jüngsten  Abbruch  stehen  geblieben  war  und 
das  in  die  Facade  gebrochene  Thor.  Aus  dieser  Zeit  rührt  auch  das 
Abdeckungsgesims  der  vordem  Fa?ade,  welches  bereits  ausgebildete 
Renaissanceformen  zeigt,  her.  Die  Hinterfacade,  in  der  Bauweise  der 
damaligen  Zeit  ausgeführt,  zeigte  abwechselnd  Schichten  von  Bruch-  und 
Hausteinen,  aber  derart,  dass  die  letztern  nur  als  Verblendungen  nach 
Aussen  sich  zeigten,  während  die  Mauer  selbst  so  wie  die  innenseitige 
Fläche  aus  mittelmässig  grossen  Bruchsteinen  hergestellt  war.  Im  Erd- 
geschosse befanden  sich  gekuppelte  Fenster  von  je  0,55  m  Breite  und 
1,18  m  Höhe,  welche  durch  einen  Steinpfeiler  von  einander  getrennt  waren. 
Ueber  diesen  Fenstern,  und  zwar  einen  Meter  höher,  standen  ähnliche, 
deren  Höhe  bei  gleicher  Breite  jedoch  nur  0,95  m  betrug.  Im  obern 
Geschosse  war  genau  über  dem  des  Erdgeschosses  ein  grosses  Kreuzfenster 
angebracht,  dessen  vier  Lichtöffnungen  je  etwa  0,55  m  breit  und  1,25  m 
hoch  waren.  In  dem  Raum  hinter  diesem  Fenster,  welcher  sich  auch 
über  das  sogenannte  Hanseloch  erstreckte,  befand  sich  ein  hübsch  gemauerter 
Kamin.  Von  der  Abdeckung  der  Hinterfacade  so  wie  auch  der  Ueber- 
deckung  des  anstossenden  Raumes  ist  uns  nichts  bekannt. 

Nach  dem  grossen  Brande  vom  J.  1656,  durch  welchen  das  Grashaus 
eingeäschert  wurde,  blieben  die  Trümmer  bis  zum  J.  1663  liegen1,  dann 
wurde  eine  Erneuerung  vorgenommen,  aber  nur  in  nothdürftiger  Weise; 
insbesondere  scheint  das  Dach  äusserst  dürftig  hergestellt  gewesen  zu  sein' 
sonst  würde  es  sich  wohl  bis  in  unsere  Zeit  erhalten  haben.  Nur  die  vordere 
Facade  erhielt  eine  regelmässige  Abdeckung,  aber  auch  da  Hess  man  die 
Innenseite  der  Mauer  unbeschützt. 

So  blieben  die  schauerlichen  Gefängnisse  bestehen,  bis  nach  Vertreibung 
der  Franzosen  aus  Aachen  durch  die  preussische  Regierung  ein  neues 
Gefängniss  auf  dem   Terrain  des  ehemaligen  Franziskanerklosters  in  der 

*)  Qu  ix,  Wochenblatt  vom  17.  Februar  1838. 


Der  Stephanshof. 


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•  —  89  — 

Grosskölnstrasse  erbaut  wurde.  Von  da  ab  blieben  die  Gefängnisse  des 
Grashauses  verödet  und  wurden  nur  für  altes  Gerumpel  verwendet.  Vor 
etwa  dreissig  Jahren  wurde  der  Abtrag  des  obern  Geschosses  begonnen, 
aber  nicht  durchgeführt,  sodass  die  Gefängnissräume  und  ein  Theil  der 
hintern  Facade  noch  stehen  blieben.  Ein  kurz  nachher  über  die  vordem 
Zellen  gelegtes  Nothdach  verhinderte  nicht,  dass  der  Regen  durch  dasselbe 
hinab  bis  auf  und  durch  die  untern  Gewölbe  rann.  Im  J.  1887  endlich, 
als  der  Neubau  des  städtischen  Archivs  begonnen  werden  sollte,  wurde  mit 
Ausnahme  der  vordem  Facade  und  der  beiden  Seitengiebel  alles  nieder- 
gelegt, und  keine  Spur  der  alten  Gefangnissmauern  ist  mehr  bestehengeblieben. 
Die  Ausgrabungen  von  Erde,  welche  zur  Anlage  des  Kellergeschosses 
des  Seitengebäudes  gemacht  worden  sind,  haben  nichts  hervorgebracht, 
was  archäologisch  oder  architektonisch  bemerkenswerth  wäre.  Von  römischem 
Mauerwerk,  welches  man  daselbst  zu  finden  gedachte,  war  keine  Spur  vor- 
handen; die  wenigen  Scherben  von  römischen  Töpfen,  welche  man  aus- 
gegraben, bewiesen  nur,  dass  sie  von  andern  Stellen  herrührten.  Nur  fand 
sich  die  oben  beschriebene  Zeichnung  des  Grashauses,  welche  zwar  roh 
in  der  Form,  um  so  interessanter  in  Bezug  auf  den  Inhalt,  die  wichtigsten 
Fingerzeige  bot,  um  die  ursprüngliche  Gestalt  und  Bestimmung  dieses  alt- 
ehrwürdigen Baues  wieder  erkennen  zu  lassen. 


Zur  Geschichte  der  Aachener  Patrizierhäuser. 

Von  C.  W.  Menghius. 

Manchem  Aachener  dürfte  es  wohl  von  Interesse  sein,  etwas  über 
die  Geschichte  der  alten  Patrizierhäuser  seiner  Vaterstadt  zu  erfahren. 
Es  mögen  daher  hier  einige  Nachrichten  folgen,  welche  sich  auf  das  Haus 
Peterstrasse  Nr.  50,  jetzt  der  Frau  Wittwe  Joseph  Menghius  gehörig, 
beziehen.  Vielleicht  geben  sie  Anlass,  dass  auch  Andere  in  ihren  Haus- 
akten Umschau  halten  und  das  geschichtlich  Merkwürdige  daraus  den 
Lesern  dieser  Zeitschrift  mittheilen. 

Das  genannte  Haus,  nur  aus  einem  Stockwerk  bestehend,  wurde  im 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  erbaut.  Schon  seine  ernste  schlichte  Fagade 
und  die  einen  fast  quadratisch  angelegten  Hof  umgebenden  inneren  Flügel 
lassen  vermuthen,  dass  es  die  Wohnung  einer  vornehmen  Familie  war. 
Auch  das  breite,  die  Höhe  des  Gebäudes  bis  zum  Dachfirst  einnehmende 
Treppenhaus  weist  darauf  hin.  In  den  vorliegenden  Akten  wird  es  zuerst 
am  14.  Juli  1759  erwähnt,  als  die  Eigenthümerin  des  Hauses,  die  ver- 
wittwete  Freifrau  Maria  Regina  von  Merode  zu  Frentz,  geb.  Gräfin  von 
Waldbott-Bassenheim,  dasselbe  an  Theodor  Korschgens  auf  zwölf  Jahre 
gegen  Zahlung  einer  Versatz-  oder  Belehnungssiimme  von  14ö()  Kthlr. 
überliess.  Nach  dem  Tode  der  Freifrau  von  Merode  fiel  das  Haus  an 
deren  Neifen  Balduin  Franz  Karl  Freiherrn  von  Merode  zu  Frentz,  der  es 
durch  Akt  vor  Notar  Xaver  Schwartz  vom  18.  Juni  1771  dem  bisherigen 


—  90  — 

Pächter  Theodor  Körschgens  nach  Ablauf  der  zwölfjährigen  Pachtzeit 
wiederum  zu  „vollem  Eigenthum,  Nutzen  und  Gebrauch"  überlässt  „anders 
aber  nicht  als  wie  selbiges  dermahlen  separirt  sich  befindet  und  von  ihm  mieth- 
weiss  bewohnt  und  occupirt  wird."  Die  vortrefflich  erhaltene  Pergament- 
urkunde trägt  in  doppelter  Reihe  je  vier  durchaus  unverletzte  Siegel  folgender 
Zeugen :  Richter  Rudolf  Freiherr  von  Geyr  zu  Schweppenburg,  Theodor  Joseph 
von  Speckheuer,  Johannes  Jacobus  von  Wylre  zu  Hegern,  Casparus  Aloysius 
Limpens,  Joan  Jacob  Willi.  Gar.  Deod.  von  Fürth,  Johann  Martin  von  Oliva, 
Friedrich  Leonard  von  Pelser,  Schoefen,  Philip  Maria  Vincent  de  Witte 
von  Limminghe. 

Etwa  drei  Jahre  später  den  7.  März  1774  nach  dem  Tode  Theodor 
Körschgens  geht  das  Haus  in  neue  Hände  über.  Freiherr  Balduin 
Franz  Karl  von  Merode  zu  Frentz  verkauft  es  an  den  Freiherrn  Damian 
von  Pallandt  und  seine  Gemahlin  Amalia  von  Hagen  für  die  Summe  von 
2337  „cordonirter,  wichtiger  Dukaten,  welche  der  freyherrliche  Ankäufer 
anfangs  März  dem  Herrn  Verkäufer  Freiherr  von  Merode  oder  hochdessen 
Bevollmächtigten  in  eine  unzertheilte  Summe  allhier  in  Aachen  jedoch 
ohne  Interessen  richtig  und  baar  zu  erlegen  versprochen."  Armengelder 
und  sonstige  Kosten  trägt  der  Käufer.  Endlich  soll  noch  bis  zum  15.  Septem- 
ber des  laufenden  Jahres  1774  dem  jüngeren  Freiherm  von  Collenbach  als 
wirklichem  Einwohner  erlaubt  sein,  im  Hause  zu  wohnen  gegen  „pro  rata 
verfügender  Zahlung  des  accorderten  Pachtschillings."  Die  gut  erhaltene 
Pergamenturkunde  ist  unterschrieben  von:  Joann  Arnold  Joseph  Hoebell, 
Freyherrlich  von  Merode'scher  Sekretarius  als  Bevollmächtigter  des  Frei- 
herrn von  Merode  (derselbe  wird  im  Akt  Fürstlich  Hildesheimischer  Hof- 
kammerrath  genannt),  Damian  Baron  von  Pallandt,  Johannes  de  Graaff 
und  Willem  Matar  als  Zeugen,  Laur.  Jos.  Schwartz  und  Carolus  Longree 
als  Notaren.  Dass  Herr  Damian  von  Pallandt  .  .  die  in  vorstehendem 
Verkauf  angegebenen  „allingen  Kaufschillingen  in  die  in  actu  bestimmte 
Zeitfrist  Kraft  darüber  ertheilter  Quittungen  gezahlt  habe",  wird  in  einer 
Nachschrift  vom  20.  Juni  1782  bescheinigt  und  den  22.  Juni  durch  die 
beigedrückten  Siegel  nachstehender  Zeugen  beglaubigt:  Majorei-Stadthalter 
Jan  Friederich  Wilhelm  von  Schulz,  Joannes  Jacobus  von  Wylre  zu  Hegern, 
Jos.  Franc.  Xav.  von  Richterich,  Joa.  Wilm  God.  Franc.  Maria  von 
Lommessem,  Joan  Jacob  Willi.  Car.  Deod.  von  Fürth,  Johann  Martin  von 
Oliva,  Godfried  Joseph  B.  von  Broich  zu  Durwis,  Martiims  Franc,  von 
Loneux. 

Die  Gemahlin  Damians  von  Pallandt  Amelie  de  Hagen  vermacht 
durch  notariellen  Akt  vom  16.  Dezember  1783  „ein  Viertel  der  Hälfte", 
die  ihr  an  dem  besagten  Hause  Peterstrasse  Nr.  595  (jetzt  Nr.  50)  gehört, 
ihrem  Gatten  und  die  drei  übrigen  Viertel  den  drei  Kindern  ihres  Gatten 
aus  erster  Ehe  Georg,  Wilhelm  und  Maria  Theresia,  welch  letztere  an 
einen  Herrn  de  Lapaliere  vermählt  war. 

Damian  von  Pallandt,  welcher  jetzt  5/8  des  Hauses  besass,  verkauft 
diese  seinem  Sohne  Georg  am  21.  Germinal  des  Jahres  11  vor  Notar 
Le  Febvre  in  Mastricht,  sodass  dieser  also  t:/8  oder  lö/a.,  des  Hauses  besitzt. 


•  —  91  — 

Der  Enkel  Damians  von  Pallandt  von  seinem  zweiten  Sohne  Wilhelm, 
der  ebenfalls  den  Namen  Wilhelm  führte,  verkauft  am  15.  Brumaire  XII 
vor  Notar  Winkens  in  Aachen  „son  tiers  de  sa  huitieme  part"  (=  1j2i)  an 
seinen  Oheim  Georg  von  Pallandt.  Die  Schwester  des  letztgenannten 
Wilhelms  von  Pallandt,  Therese,  also  die  Enkelin  Damians  von  Pallandt, 
war  vermählt  mit  Andre  Arnould  van  Velthoven,  Drossard  zu  Cranendonck 
und  Büdel  in  Holland.  Sie  verkauft  vor  Notar  Dautzenberg  den  4.  Juni  1806 
ihr  1ju  ebenfalls  an  ihren  ( >nkel  Georg-  von  Pallandt  für  den  Preis  von 
50  Louisd'or  (=  1185,15  fr.),  sodass  dieser  20j2i  des  Hauses  sein  eigen  nannte. 

Diese  20/24  überträgt  Georg1  von  Pallandt  kurz  darauf,  nämlich  am 
29.  September  1807,  in  Folge  eines  Tauselivertrages  an  Karolina  von 
Bentinck,  Wittwe  Hugos  von  Leerodt,  und  ihre  beiden  Söhne  Maximilian 
und  Franz  von  Leerodt.  Desgleichen  erwirbt  dieselbe  für  4000  fr.  auch 
die  3/24  Antheile,  welche  bis  dahin  im  Besitze  des  Herrn  Marin  de  Gueroult 
de  Lapaliere,  „General  de  Brigade,  pensionnaire  de  l'Empire  francais", 
und  seines  unmündigen  Sohnes  von  der  verstorbenen  Maria  Therese  von 
Pallandt,  Louis  Charles  de  Gueroult  de  Lapaliere,  sich  befanden.  Nach 
diesem  Kauf  verfügte  Karolina  von  Leerodt  demnach  über  2:)/L<4  Antheile 
des  in  Kede  stehenden  Hauses.  Den  letzten  1f2i  Antheil  besass  (icorg 
von  Pallandt,  als  Rentner  in  Stolberg  wohnend.  Es  niuss  dies  ein  Enkel 
des  oben  genannten  Damians  von  Pallandt  von  seinem  zweiten  Sohne 
Wilhelm  sein  und  ein  Neffe  des  Georg  von  Pallandt,  der  in  seiner  Hand 
20/24  Antheile  vereinigte.  Diese  beiden  Inhaber  nun,  von  denen  die  eine 
über  23/24,  der  andere  über  1/24-  Antheile  verfügen,  verkaufen  am  6.  December 
1808  vor  dem  Notar  Jean  Dautzenberg  ihren  bezüglichen  Theilbesitz  an 
den  Tuchfabrikanten  Guillaume  Gaspard  Pohlen,  „wohnhaft  in  Wirichs- 
bongardt"  und  seine  Ehefrau  Maria  Josepha  geb.  Ibels  zum  Preise  von 
14000  Reichsthalern,  jeder  zu  54  Mark  berechnet,  und  einer  Leibrente 
von  294,35  fr.  für  Frau  Karoline  von  Leerodt. 

Am  21.  September  1821  erstand  Wilhelm  Zurhelle  das  Haus  von 
den  Kuratoren  der  Fallitmasse  Pohlen,  und  im  Jahre  1849  endlich  ging 
es  in  die  Hände  des  Sammetfabrikanten  Conrad  Joseph  Menghius  aus 
Viersen  über,  dessen  Wittwe  noch  heute  in  Besitz  desselben  sich  befindet. 


Kleinere  Mittheilungen, 

Kornpreise  in  Aachen  in  den  Jahren  1500     1 628  und  L708— 1713. 

Unter  den  Archivalien  von  Schönau,  welche  gegenwärtig  im  Besitz  unseres  Vereins 
sind,  befinden  sieb  die  nachfolgenden  drei  Verzeichnisse  der  Kornpreise,  die  vom  Jahr 
1560— lfill ,  von  L612  1628  und  von  L708  1713  „zu  Aach  auff  freyen  Marckt"  mass- 
gebend waren.  Sie  bieten  in  ihrer  auf  und  ab  schwankenden  Bewegung  beachtenswerthe 
Fingerzeige  für  die  Beurtheilrng  des  sozialen  Lebens  der  damaligen,  durch  so  mannigfache 
innere  und  äussere  Erschütterungen  tief  aufgeregten  Bürgerschaft. 

Das  erste  und  umfassendste  dieser  Verzeichnisse  bestehl  aus  zwei  zusammengehefteten 
Bogen  Papier  in  Folio.  Das  deutlich  erkennbare  Wasserzeichen  stellt  zwei  mit  Zinnen 
gekrönte  und  mit  je   einem  Fenster   versehene  Rundthürme   dar,   dir   einen   rundbogigen, 


—  92  — 

■  • 
spitz  überdachten  Thoreingang  flankiren.  Das  Getreidemass,  welches  in  diesem  Verzeichnisse 
der  Berechnung  zu  Grunde  gelegt  wird,  ist  ein  Mudt.     Ein  Mudt  wird   bald   als  Scheffel 
bald  als  Malter  erklärt;  hier  dürfte  die  letztere  Deutung  auf  Grund  folgender  Erwägung 
anzunehmen  sein. 

Im  Jahre  1587  wird  ein  Mudt  Koggen  mit  dem  höchsten  Preis  von  108  Gulden 
bezahlt.  Zu  demselben  Jahre  berichtet  K.  F.  Meyer:  „und  beyni  Anfang  des  folgenden 
Jahres  riss  in  Aachen  eine  so  grosse  Theurung  ein,  daß  ein  Faß  Roggen  13  gülden,  und 
ein  Brod  13  Mark  kostete;  hierauf  erfolgte  aber  ein  so  merklicher  und  schleuniger  Abschlag, 
daß  der  Brod-Preis  um  Ostern  auf  4  Mark  und  urn  Weihnachten  auf  13  Aachensche 
Bauschen  zurückgieng" 1.  Ein  Faß  Koggen  wäre  demnach  der  84/13  Theil  eines  Mudt, 
oder  ein  Mudt  hatte  84/13=81/3  Faß2.  Dies  stimmt  auch  zu  den  Massen  von  Neus,  wo 
ungefähr  zur  selben  Zeit  1  Malter  8  Fass  betrug3. 

Anno  sechszehenhondert  und  funffzehenn,  denn  achten  Dag  deß  Monats  Augusti, 
ist  nachfolgende  Fractie  außer  der  Herrn  Marcktmeister  Buch  deß  Kon :  Stuels  imd 
Heiligen  Reichsstatt  Aach  durch  mich  zu  Endtbenenten  Kay:  Notariell  extrahirt  und  auß- 
gezogen  Avorden  in  vorgemeltter  Herrn  Marcktmeistere  personlicher  gegenwertigkeit, 
nemblich  Johannen  von  Eyß,  Arnoldten  von  Sauelßberg,  Johannen  Heugen,  Claeßen 
Klunckardt  und  Johannen  von  Schwertten,  warauß  zu  ersehen,  was  ein  Mudt  Roggen  von 
dem  Jahr  60  biß  ins  Jahr  1611  inclusive  von  Jahr  zu  Jahr  auff  freyen  Marckt  gegoltteu  hatt: 


höchst. 

Preyß 

mittelster  Pr. 

gering 

ster  Pr. 

Anno 

1560 

galtt 

ein 

Mudt 

Roggen 

ZU 

Aachen 

10 

gl- 

— 

—  gl.  —  mr. 

9   gl. 

3  mr.4 

77 

1561 

71 

77 

n 

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77 

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11 

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1562 

77 

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77 

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1563 

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1566 

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1577 

77 

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77 

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77 

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1579 

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77 

77 

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1582 

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77 

71 

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— 

20     „      - 

16     „ 

— 

1)  Aachensche  Geschichten  S.  491,  §  29. 

2)  Ein  Malter  hatte  12  Scheffel,  1  Scheffel  war  demnach  noch  kleiner  als  ein  Fass  und  kann 
also  keinesfalls  ein  Mudt  gewesen  sein.  Laurent  erklärt  in  seinem  Glossar  zu  den  Stadtrechuungen : 
Muclde,  Mud  .  .  Ein  Getreidemass  von  Modius ;  in  Eupen  war  noch  unlängst  das  Wort  Mod  gebräuchlich 
und  bedeutete  ungefähr  4  Scheffel. 

3)  Unvergreiffiicher  Status  über  das  Hauss  und  die  Reichssfreye  Herrschaft  Mylendunck.  .  .  . 
„Die  Früchten  Maass  ist  besonder  dieser  orths,  komt  doch  bald  mit  der  Xeusser  übereinander,  ist  doch 
etwass  stareker,  gehet  mit  Maklern,  ein  Malter  hatt  8  Fass  4  Summern.  1  Summer  2  Faß,  das  Faß 
2  Viertel,  das  Viertel  2  Pinten."     (Manuskript  des  17.  Jahrb.  im   Vereinsarcliiv.) 

*)  Jm  Original  finden  sich  die  3  Preisangaben  untereinander.  Der  Raumerspamiss  wegen  wurden 
sie  hier  neben  einander  gesetzt.  Neben  Preyss  ist  auch  das  Wort  Kauft'  angewandt,  oder  beides 
weggelassen. 

s)  Muss  wohl  27  gl.  heissen. 


9a  — 


höchst.  Preyß 

mittelster  Pr. 

geringster  Pr 

1110 

1583 

galtt 

ein 

Mudt  Ro 

ggen 

ZU 

Aachen 

21    gl.  3  mr. 

20    gl. 

19    gl. 

H 

1584 

ii 

ii 

ii 

ii 

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ii 

19      ,,    3     ,, 

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1585 

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1587 

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ii 

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ii 

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1588 

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ii 

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ii 

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23             — 

11 

1595 

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ii 

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52     „ 

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1596 

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ii 

ii 

ii 

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1597 

ii 

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11 

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1598 

ii 

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ii 

ii 

ii 

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33     „ 

30     „ 

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n 

1599 

ii 

ii 

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ii 

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37     „ 

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1600 

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n 

ii 

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1601 

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ii 

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1605 

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ii 

21     „ 

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11 

1606 

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1607 

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ii 

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1609 

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ii 

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n 

ii 

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ii 

11 

ii 

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ii 

ii 

37     „ 

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1611 

11 

n 

ii 

ii 

ii 

n 

•11      „ 

28     „ 

24     „ 

Joauues  Köning  sacra  Aptia  (apostoliea)  et  imperiali  authoritatihus  Notarius  publicus 
ad  praemissa  requisitus  in  fldem  subsript. 

Unnd  dweill  unsere  vorgeineltte  Marcktmeistere  und  Bürgermeisterei!,  Schelfen  unnd 
Rath  vorß.  Königlichen  Stuels  unnd  Stadt  Aach  unterthenigüch  zu  erkennen  gehen,  daß 
diese  effractie  oder  Auszugh  in  viin  probationis  tanquam  Documentum  validum  villeicht 
ahn  Kays.  Cammergerichtt  oder  sunst  ihm  recht  gepraucht  und  ingehen  werden  muesse, 
so  haben  dieselbige  in  Nahmen  der  Partheien,  so  solche  effractie  von  Hinnen  ersucht! 
unnd  begert,  unß  gebetten  dieses  mit  unserer  Stadt  auffgedrucktvii  ovnieinen  Insiegell  zu 
hckrefftigen,  so  wir  Innen  der  warheit  zu  Steuer  nit  verwigeren  wollen. 

Signatum.  Aach,  am  achtzehenden  Augusti  A°.  tausend  sechshundert  unnd  funffzehen 

Nikolaus  ron   Münster*. 


')  Wabrscheinlicb  41  gl. 

2)  Das  Original  war  früher  mit    einem  Siegel  versehen,   beute   Bind   nur   noch    Spuren   grünen 

Wachses  vm  seilen. 


—  94  — 

Das  zweite  Preisverzeichnis»,  die  Jahre  1612—28  umfassend,  ist  nur  in  einer  Ab- 
schrift aus  dem  18.  Jahrhundert  erhalten,  als  Getreidemass  ist  das  Fass  der  Berechnung 
zu  Grunde  gelegt:  Effractio  Generalis  pro  anno  1600,  so  die  hh.  Capitularen  von  unser 
lieher  frawen  Kirchen  sich  haben  jarlichs  laeßen  bezahlen: 

1612  1  Vaß  rogg. 


1613 

ii 

11 

1614 

11 

11 

1615 

JJ 

11 

1616 

11 

11 

1617 

11 

11 

1618 

11 

11 

1619 

11 

11 

1620 

11 

11 

1621 

11 

11 

1622 

11 

11 

1623 

11 

11 

1624 

11 

11 

1625 

11 

11 

1626 

11 

11 

1627 

11 

11 

1628 

11 

11 

20 

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ii 

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ii 

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11 



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ii 

— 

11 

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ii 

24 

ii 

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11 

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16 

ii 

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11 

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ii 

14 

ii 

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11 



ii 

15 

ii 

6 

11 



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20 

ii 

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11 



ii 

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ii 

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11 



ii 

28 

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11 

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ii 

27 

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11 

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ii 

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ii 

30 

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33 

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11 

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ii 

Das  dritte  Verzeichniss  für  die  Jahre  1708 — 13  liegt  im  Originale  vor  und  ist 
von  dem  vereideten  Marktmeister  Quirin  Brewer  ausgestellt.  Es  lautet:  Es  wirt  hiemit 
bescheinigt,  daß  befunden  worden  seyn  in  die  protocolla  der  hh.  Marckmeistern  dieser 
freyer  Reichsstadt  achen,  dass  die  freuchten  gegolden  haben  als  folgt: 

Anno  1708  den  25  november  hat  ein  Faß  Korn  gegolden  33     inr.  34     mr.  35  mr. 


„      1709 

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ii 

ii 

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64       „ 

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40       „ 

411/*   „ 

42     „ 

Quirin 

Brewer 

vereitter 

Marckmeister 

patron. 

Diese  fracksie  kost 

24 

merek. 

ichen. 

C.  Boehmer, 

Ausgrabungen  auf  dem  Stephanshofe,  der  Prinzenhofkaserne  und 
in  der  Korneliusstrasse.    (Mit  Skizze.) 

Im  J.  1887  wurden  auf  dem  früheren  Stephanshofe,  einer  ehemaligen  Beguinen- 
anstalt,  welche  zwischen  der  Hartmannstrasse  und  dem  Heppion  sich  erstreckte,  die  auf- 
stehenden, zum  Theil  baufälligen  Gebäude  sowie  <l i«-  ehemalige  Kapelle  abgebrochen,  um 
für  die  Anlage  einer  Strasse  und  moderner  Bauten  Platz  zu  machen.  Im  verflossenen 
Jahre  1888  wurde  die  neue  Strasse  angelegt,  desgleichen  auch  die  Behauung  der  an  die 
Hartmannstrasse  stossenden  Grundstücke  in  Angriff  genommen.  Bei  den  Erdarbeiten  nun, 
welche  zum  Zweck  der  Kanalisirung  der  Strasse  und  der  Fundamentirung  der  Neubauten 
vorgenommen  wurden,  legte  man  eine  Anzahl  eigenartiger,  mit  Eolz  ausgeschlagener  vier- 
seitiger Gruben  bloss,  deren  Alter  und  Zweck  sieh  bisher  mit  Sicherheit  noch  nicht  hat 
bestimmen  lassen.  Die  Erde  wurde  bis  zu  einer  Tiefe  von  etwa  1  m  ausgeschachtet. 
Die  obere  1  bis  1,50  m  hohe  Schicht  stellte  sich  als  aufgeschütteter  Hoden  dar,  unter 
welchem  der  gewachsene,  feste,  etwas  rostbraun  gefärbte  Letteboden  sich  zeigte.  Aus 
diesem  festen  und  undurchlässigem  Muttergrund  waren  die  Gruben  ausgehoben,  deren 
bisher  16  aufgedeckt  worden  sind.    Auf  der  beiliegenden  Skizze  sind  dieselben  mit  punktirteu, 


•  —  95  — 

die  Umfassungsmauern  der  aufstehenden  Gebäude  mir  durchgeführten  Linien  gekennzeichnet. 
Die  fortlaufende  Nummerirung  gibl  zugleich  die  Zeitfolge  an,  in  welcher  sie  freigelegt 
wurden.  Nr.  1  — 13  liegen  unter  den  neu  errichteten  Häusern  Hartmannstrasse  28,  30,  32, 
34,  36;  Nr.  14,  15  und  16  unter  der  Axe  der  neu  angelegten  Elisabeth-Strasse.  Nr.  1 
misst  2:2'",  Nr.  2  2,75:3,15™,  Nr.  3  und  4  L,50:  1,50 »"»,  Nr.  5,  6  und  7  zusammen  4:4  '». 
Die  übrigen  konnten  nicht  genau  vermessen  weiden  und  sind  nur  abschätzungsweise 
augegeben,  halten  sieh  aber  innerhalb  derselben  Masse.  Während  demnach  die  Grösse 
schwankt,  war  die  Tiefe  überall  dieselbe,  die  Sohle  reichte  bis  4  in  unter  die  Oberfläche. 

Die  einzelnen  Wandungen  waren  senkrecht  abgestochen.  Damit  aber  die  Erdmassen 
nicht  in  das  Innere  stürzen  konnten,  wurden  sie  mit  Holz  verkleidet,  lu  die  vier  Ecken 
rammte  man  starke  Pfosten,  welche  4  m  lang,  am  Kopf  0,33  m  dick  und  unten  zugespitzl 
waren,  ein,  während  man  die  Zwischenräume  mit  gleich  langen,  aber  nur  1  1.")  ein  starken 
Planken  ausfüllte.  Einige  derselben  stellten  sich  als  Fassdauben  dar.  Durch  je  einen 
Querbalken,  welcher  an  der  Iuneuseite  von  einem  Eckpfosten  zum  andern  reichte,  wurden 
diese  Planken  gegen  die  Aussenwände  angedrückl  und  verhindert,  nach  innen  zu  stürzen. 
Ausserdem  waren  dieselben,  um  dem  von  Aussen  wirkenden  Drucke  noch  besser  wider- 
stehen zu  können,  in  der  Mitte  durch  Versteifungen  gestützt,  welche  man  schräg  in  die 
Sohle  eingetrieben  hatte. 

Sämmtliche  Gruben  waren  in  ziemlich  gleicher  Weise  mit  einer  dunkelgrauen, 
vielfach  schwarzen  uud  fettglänzenden  Dungerde  augefüllt,  in  welcher  stellenweise  das 
verfaulte  Stroh  noch  zu  erkennen  war.  Ueberall  war  die  Füllerde  mit  zahlreichen  Kirsch- 
körnern durchsetzt,  ferner  wurde  eine  Anzahl  ganzer  und  zerbrochener  Thongefässe  ver- 
schiedener Gestalt  und  ungleichen  Alters  zu  Tage  gefördert.  Neben  einem  kleinen  römischen 
Trinkbecher  fand  man  etwa  12  bauchige,  nicht  glasirte  Henkelkrüge  von  roher  Arbeit  aus 
grauer,  grober  Masse,  die  Herr  Staatsarchivar  Habets  in  Maastricht  auf  Grund  ähnlicher 
datirter  Funde  in  Holland  als  dein  10.  — 14.  Jahrhundert  angehörig  bezeichnete.  Ob  die- 
selben aus  Holland  eingeführt,  oder  in  Aachen  nach  holländischen  Vorbildern  hergestellt 
wurden,  muss  vorläufig  dahin  gestellt  bleiben.  Auch  Scherben  Raerener  Gefässe  waren 
nicht  selten.  Auf  der  Sohle  der  mit  Nr.  2  bezeichneten  Grube  stiess  man  auf  eine  kupferne, 
einst  vergoldete  Schüssel  romanischer  Arbeit  etwa  aus  dem  12.  Jahrhundert,  welche  aber 
in  jüngster  Zeit  von  fachmännischer  Seite  für  gefälscht  erklärt  wird.  Neben  einigen  ganz 
oxydirten  Kupfermünzen  von  anscheinend  nicht  sehr  hohem  Alter,  zeigten  sich  noch  die 
Kiefern  und  Knochen  eines  Schweines,  ein  kunstloser  verrosteter  Eisenschlüssel,  ein  kupferner 
Erahn  und  5  Gussformen  aus  grauweisser  Masse,  von  denen  die  grösste  zerbrochen  war 
und  starke  Spuren  einstigen  Gebrauches  zeigte.  Aus  dem  Hoden  unter  der  Kapelle  hob 
man  eine  .Masse  Menschenknochen,  welche  dort  bestatteten  Leichen  angehörten.  An  derauf 
der  beiliegenden  Skizze  mit  einem  Kreuz  und  der  Zahl  IT  bezeichneten  stelle  brachte 
man  aus  dem  Mauerwerk  eines  Kellergewölbes  ein  gekuppeltes  romanisches  Kapital  aus 
Kalkstein  zu  Tage,  welches  möglicherweise  dem  einsl  hier  errichteten  Gotteshause  angehört 
hat  und  einen  Schlnss  auf  den  Baustil  desselben  gestattet.  Hin  Stück  geschmolzenen 
Kupfers  in  der  Nähe  könnte  von  der  Bedachung  dieses  durch  einen  Brand  zerstörten 
I  lebäudes  herrühren. 

An  der  Jesuitenstrasse,  schräg  gegenüber  der  Michaelskirche,  erstreckl  sich  das 
Grundstück  der  ehemaligen  Prinzenhofkaserne.  Im  verflossenen  Sommer  wurden  daselbsl 
die  Fundamente  für  das  neue  Realgymnasium  gelegt.  Hierbei  deckte  mau  5  mit  Holz  ein- 
gefasste  Senkgruben  von  ganz  ähnlicher  Grösse  und  Beschaffenheil  und  mit  nahezu  gleich- 
artiger Füllung  auf,  wie  die  auf  dem  Stephanshofe  beschriebenen.  Zur  selben  Zeil 
wurde  die  Korneliusstrasse  kanalisirt   und  auch  bei  dieser  Gelegenheil  eine  solche  Grube 

aufgedeckt,  in  welcher  aeben  Tl scherben  und   Kirschkörnern   sieb   auch  eine  Steinkugel 

von  etwa  30  cm  Durchmesser,  eine  sogenannte  Bleidenkugel,  vorfand.  Als  man  in  derselben 
Strasse  zu  dem  neuen,  neben  dem  Eckhause  gelegenen  Gebäude  den  Kanal  legte,  stiess 
man  in  der  Tiefe  von  2  m  auf  einen  Eichenbohlen  von  3  m  Länge,  welcher  quer  unter 
der  Strasse  lag;  derselbe  ruhte  auf  drei  Balken  von  derselben  Dicke,  welche  zu  beiden 
Seiten  des  aufgeworfenen  Grabens  in  die  Erde  verliefen  und  durchgesägl  werden  mussten. 
Darunter  lag  dunkle  Humuserde,  spärliche  Knochen  und  Kornreste  enthaltend,   und   unter 


- 


—  96  — 

dieser  in  einer  Tiefe  von  3,60  m  wiederum  ein  Balken,  genau  unter  dem  ersten  und  in 
derselben  Lage;  ob  dieser  abermals  auf  Querhölzern  ruhte,  war  nicht  festzustellen.  Bei 
denselben  Erdarbeiten  brachte  man  in  dieser  Strasse  eine  römische  Münze  aus  Mittelerz 
zu  Tage,  welche  das  Brustbild  Hadrians  mit  der  Mauerkrone  darstellte. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  nach  einer  mündlichen  Mittheilung  auf  dem 
Grundstück  des  Klüppels,  einer  Weinhandlung  an  der  Ecke  der  Ursulinerstrasse  und  des 
Holzgrabens,  vor  mehreren  Jahrzehnten  ganz  ähnliche  Gruben  aufgedeckt  Avorden  sind 
und  sich  darin  soviele  Kirschkörner  vorgefunden  haben,  dass  man  auf  die  Vermuthung 
kam,  es  wäre  an  dieser  Stelle  einst  Kirschwasser  hergestellt  wordeu. 

Wann  und  in  welcher  Absicht  diese  Vorrichtungen  angelegt  worden  seien,  liess  sich 
noch  nicht  bestimmen.  Soviel  darf  aber  als  sehr  wahrscheinlich  gelten,  dass  sie  in  der 
letzten  Zeit,  ehe  sie  ganz  überdeckt  wurden,  als  Düngergruben  zur  Aufnahme  der  Abfälle 
menschlicher  Wohnungen  und  vielleicht  auch  als  Aborte  gedient  haben.  Es  liegt  nahe, 
besonders  an  die  Zeiten  der  alle  7  Jahre  wiederkehrenden  Heiligthumsfahrten  zu  denken, 
wo  Hunderttausende  von  Menschen  in  der  nicht  sehr  umfangreichen  Stadt  Unterkommen 
finden  mussteu.  Wir  wissen,  dass  die  Pilgerzüge  aus  den  östlichen  Ländern,  die  als 
Ungarn  bezeichnet  werden,  von  der  Stadt  auf  dem  Mathiashofe  verpflegt  Averden  mussten. 
Es  geschah  dies  mit  andern  Pilgern  auf  andern  Plätzen.  Die  Masse  der  Kirschkörner 
wäre  dann  leicht  aus  dem  Umstände  erklärlich,  dass  diese  Wallfahrten  im  Juni  gerade  in 
die  Kirschenzeit  fielen,  und  diese  Frucht  damals  wie  heute  viel  gegessen  wurde,  wie  man 
es  in  dem  verflossenen  Heiligthumsjahr  1888  deutlich  sehen  konnte.  Nicht  unpassend 
dürfte  es  sein,  zur  Beleuchtung  des  Treibens  bei  solcher  Gelegenheit  die  Aufzeichnungen 
des  Buches  Weinsberg  aus  dem  Jahre  1524,  einem  Heiligthumsjahr,  anzuführen,  welche 
freilich  auf  Köln  sich  beziehen,  aber  nicht  weniger  auch  für  Aachen  zutreffen:  „A.  1524  im 
somer  war  die  hiltumsfart,  die  man  zu  7  jaren  plach  zu  halten,  und  zouch  grois  folk 
zu  Trier,  Aich  und  Collen,  und  es  waren  diss  fart  mehe  dann  2  ader  3  tausent  Ungaren, 
Behemer,  Oistericher  und  anderer  fremden  zu  Ooln,  die  das  hillichtumb  besuchten.  Man 
gaff  groiss  gut  den  armen  pilgeren  umb  gottes  willen.  Sei  lagen  die  Bach  uff  und  ab 
in  allen  heusern,  auch  lagen  sei  mit  heufen  zu  Weiiisberch  in  meines  fatters  haus  im 
stall  jamerlich,  aissen  kirssen,  prumen  und  obsts,  sei  hatten  auch  mit  züchten  uff  den 
hindersten  hoff  ir  noittorft  gemagt,  das  kirsboum  da  uissclogen  wie  ein  walt  und  pliben 
lang  stain  uuabgehauwen.  Disse  pilgeren  drogen  auch  in  den  dorn,  zu  s.  Marien,  zu  Weissen- 
frauwen  groisse  sware  wasskerzen,  darin  sei  vil  geltz  staichen,  und  offerden  dieselben,  auch 
brachten  sei  ungars  gelt,  kleine  silbere  penninkger,  die  lange  zit  gankpar  waren.  Etlich 
Ungarn  brachten  dissmail  groisse  berren  von  pertzlengden  mit,  die  im  haus  Weinsberch  und 
in  andern  winhusern  und  uff  der  gassen  sich  uffrichten  und  danzten  nach  dem  spil,  das 
die  Ungaren  hatten,  peifer  und  bongelger  (Paukenschläger),  und  bliben  disse  berren  nach 
der  hiltumsfart  lange  zit  in  Coln  und  umb  die  stat  in  andern  landen,  bis  dass  sei  uff 
das  lest  mit  den  berren  ire  morderei  im  lande  antriben  und  also  vertilliget  worden." 

Aachen.  K.  Wieth. 

Vereinsangelegenheiten. 

Sonntag,  den  16.  Juni,  Ausflug;  der  Herrn  Mitglieder  und  ihrer 
Damen  nach  Montjoie.  Abfahrt  111  am  Rheinischen  Bahnhof.  922  Ankunft 
in  Kalterherberg.  Fusswanderung  über  die  Burg  Reichenstein  nach  Montjoie 
und  Besichtigung  der  dortigen  Burg.  Mittagessen  im  Hotel  Hern  ha  eh 
(Gedeck  2  Mark).     Abfahrt  von  Montjoie  6iL 

Anmeldungen  nimmt  Herr  Buchhändler  Kremer,  Pontstrasse,  bis 
Samstag,  den  15.  Juni,  entgegen. 

Druck  von  Hkkmann  Kaatzek  in  Aachen. 


Mmm  Ämchem^  Ybratit 


p 

Jährlich  8  Nummern 

ä  1  Bogen  Royal  Oktav. 

Preis  des  Jahrgangs 

4  Mark. 

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Kommissions-Verlag 

dei 

( Iremer'sehen  Buchhandlung 

(C.  Ca/.in) 

in  Aachen. 


Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 


Im 

Auftrage  dt 

■s  Vereins  herausgegeben  von  Dr.  K.  Wieth. 

Nr. 

7. 

Zweiter 

Jahrgang. 

1889. 

I: 

ii  h  a  1 1 

:    H. 

Kelleter, 

Namen 

in  Aachen. 
zeiten. 

-  C.  Boehmer, 
-  Fragen. 

Verhaltuugsniassri'gelu  in  Pest- 

Namen  in  Aachen. 

Von  H.  Kelleter. 

Einleitung-. 

In  den  nachfolgenden  Zeilen  soll  an  der  Hand  urkundlicher  Formen 
und  einschlägiger  Belege  der  Versuch  gemacht  werden,  eine  Auswahl 
alter  und  neuer  Aachener  Vor-  und  Familiennamen  sowie  der  etwa  damit 
in  Verbindung  zu  bringenden  Ortsbezeichnungen  im  alten  Reiche  von 
Aachen  mit  Erklärung  ihrer  Herkunft,  Entwicklung  und  Bedeutung  vor- 
zuführen.   Die  einzelnen  Namensformen  sind  folgenden  Quellen  entnommen : 

Q.uix  Chr.,  Necrologium  Eccl.  B.  M.  Y.  Aquensis  mit  Lib.  Censuum 
d.  A.   1320.     Aachen  und  Leipzig  1820. 

Laurent  J.,  Aachener  Stadtrechnungen  aus  dem  II.  Jahrhundert. 
Aachen  1866. 

Loersch  H.,  Aachener  Rechtsdenkmäler  aus  dem  L3.,  14.  und  15. 
Jahrhundert.     Bonn  1871. 

Pick  R.,  Aus  dem  Aachener  Stadtarchiv.  2.  Heft.  Fehdebriefe. 
Bonn  1888. 

Die  genannten  Werke  umfassen  einen  Zeitraum  von  600  Jahren, 
während  dessen  Aachen  aus  einer  kaiserlichen  Pfalz  sich  allmählich  zum 
städtischen  Gemeinwesen  und  schliesslich  zur  mächtigen,  gewerb-  und 
handelblühenden  Reichsstadt  entfaltet,  hierbei  unterstützt  von  dem  ganz 
besonderen  Vorzüge,  die  „prima  regum  curia",  die  Krönungsstadl  deutscher 
Könige  zu   sein.     Da  bethätigte  sich  eine   rege  kirchliche  und  bürgerliche 


—  98  — 

Gesinnung-.  Das  Nekrologium  des  Münsterstiftes  überliefert  uns  eine  grosse 
Anzahl  Namen  von  Personen  nicht  bloss  aus  dem  Stande  der  reichen 
Grundherrn  und  Adelsgeschlechter  sondern  auch  aus  den  Seihen  der 
Gewerbetreibenden  und  kleinen  Besitzer,  welche  Schenkungen  und  Stiftun- 
gen an  die  Kaiserin  Muttergottes  machten.  Die  Stadtrechnungen  und  Sechts- 
denkmäler  gewähren  uns  genauen  Einblick  in  das  innerste  Getriebe  der 
städtischen  Verwaltung. 

Bei  allen  diesen  Gelegenheiten  treten  manche  noch  heute  lebende 
Namen  hervor.  Ihre  Träger  erscheinen  bald  im  schwerfälligen  Gewände 
des  Seisigen,  des  Geistlichen  oder  des  Saths,  bald  in  dem  einfachen  Anzug 
des  bürgerlichen  Handwerkers,  oder  gar  in  dem  Pfeffertuch  des  städtischen 
Trommlers,  Pfeifers  oder  Läufers.  Aber  die  Namen  wechseln  auch  ihre 
Träger.  Ein  ehemals  hochtönender  Name  von  furchtgebietender  Bedeutung 
wird  der  Zuname  oder  gar  Spottname  eines  Wächters,  während  der  Name 
eines  Obermeisters  im  Pferdestall  zu  den  vornehmsten  des  Landes  von 
Aachen  steigt.  Nichts  bezeichnet  mehr  den  Wechsel  der  Dinge  und 
Zeiten  als  das  Steigen  und  Fallen  der  Namen  und  ihrer  Bedeutung. 

Zu  ihnen  selbst  übergehend,  kann  man  sie  in  zwei  Hauptklassen 
unterbringen.  Die  einen  bezeichnen  das  christianisirte  Bönierthum,  die 
andern  das  heidnische  Germanenthum.  Gegen  das  Ende  des  ersten 
Jahrtausends  nach  Christus  ist  dieser  Unterschied  nicht  mehr  feindlich  und 
trennend  -  Karl  der  Grosse  hat  da  mit  gewaltiger  Hand  der  Bonifatius- 
arbeit  geholfen  -  jedoch  ist  der  Gegensatz  noch  nicht  so  ausgemerzt,  dass 
man  ihn  wenigstens  als  Form  in  einer  Besprechung  nicht  beibehalten  dürfte. 

Da  Quix  in  dem  Sufe  steht,  zuweilen  dem  Beispiel  des  Vater  Homerus 
(quandoque  dormitat  pater  Homerus)  zu  folgen,  so  sind  ihm  seine  Formen  nicht 
auf  den  Buchstaben  zu  glauben.  Er  erhält  aber  durch  das  überreiche 
Aachener  Namenmaterial  bei  Laurent  und  Loersch  eine  so  grosse  Unter- 
stützung, dass  man  an  vielen  Stellen  ganz  fest  auf  ihn  bauen  kann. 
Dazu  kann  durch  Heranziehung  der  Lacomblet'schen  Sammlungen,  beson- 
ders der  Nekrologe  und  Hebe-Segister  in  Band  II  und  III  des  Archivs 
für  die  Geschichte  des  Niederrheins  eine  willkommene  Vergleichung  zu 
manchen  dunkeln  Formen  der  Aachener  Quellen  gefunden  werden,  was  denn 
auch  in  besondern  Fällen  hier  geschehen  ist. 

Beim  Aufsuchen  der  Herkunft  und  Bedeutung  dunkler  Wörter  vergegen- 
wärtige man  sich,  wie  das  Volk  stets  bereit  gewesen  ist,  die  vollen  Wort- 
bauten zu  zertrümmern.  In  den  meisten  Fällen  wird  nur  die  betonte  Silbe 
als  Seele  des  Wortes  d.  h.  als  Träger  der  Bedeutung  zurückgelassen. 
Thaten  dies  die  Italiener  und  Spanier  mit  beinahe  sämmtlichen  Wörtern 
ihres  Sprachschatzes,  so  unterliessen  sie  es  auch  nicht,  dem  gebliebenen 
Sest  („Eestform")  als  Trost-  und  Heilmittel  ein  neues  liebevolles,  zärtliches 
Endsilbchen  anzuflicken:  Da  entstand  die  „Koseform."  Schon  sehr  früh 
hatten  unsre  Vorfahren  dasselbe  —  und  das  ist  für  ihren  gemüthvollen 
Charakter  besonders  sprechend  —  mit  den  Namen  ihrer  Verwandten  und 
Stammesgenossen  gethan.  Weil  gewöhnlich  nur  ein  Ton,  ein  Treff,  in 
einem  Worte  sich  findet,  so  konnte  in  dvn  meisten  Fällen  bei  der  Verkürzung 


—  99  — 

nur  eine  Restform  eines  und  desselben  Wortes  sich  ergeben.  Zwei 
Eestfonnen  konnten  entstehen,  wenn  das  zn  kürzende  Wort  zwei  Treffe 
d.  h.  einen  Haupt-  und  einen  Xebentreft'  hatte,  z.  B.  Bärtholomäeus. 
Die  Zahl  der  Koseformen,  die  sich  aus  einer  und  derselben  Restform 
ergaben,  konnte  unbeschränkt  sein,  da  die  Flickwörtchen  —  ko,  ka,  zo, 
za,  lo,  la  etc.  und  die  Anhängung  des  diminutiven  -lin,  ferner  die  Latinisirung 
derselben  eine  grosse  Auswaid  boten. 

Dazu  vermochten  die  Endungen  —  win      -  frid  —  man    —    her 
hart  —  bode  (poto)  u.  a,  in.   selbst    untereinander  zu   wechseln   und   sich 
an  alle  möglichen  Stämme  zu  fügen  z.  B.  Earduin  =  Hartmann,  so  dass  der 
Wechsel  der  alten  Harduin-  zur  neuen  Hartmannstrasse  also  auch  ohne  Heran- 
ziehung einer  bestimmten  Person  erklärlich  ist. 

Ein  Schema  mag  die  Bildung  der  Rest-  bezw.  Koseformen  veran- 
schaulichen: 

Aus  Reginhart  wurden  als  Restformen:  Regin  und  Re(g)in.  Rein. 
Daraus  konnten  dann  entstehen  als  Koseformen:  Reginzo,  Reinzo,  Renzo. 
Renneko,  Renneken,  Renchin,  latinisirt  Renkinus  u.  s.  w.  und  dazu  alle  weib- 
lichen Bildungen.  In  unsern  Quellen  sind  besonders  —  elo,  --  ela;  --zo,  -  za 
und  --  ko,  —  ka  als  Endungen,  die  an  die  Restform  anzufügen  sind,  bemerkbar. 
Die  Urkunden,  ausser  dem  Nekrolog,  reden  zu  einer  Zeit,  wo  alle  Wandlungen 
möglich  geworden,  als  man  die  Bedeutung  der  Stämme  nicht  mehr  so  genau 
nahm  und  stellenweise  auch  sogar  durchaus  nicht  mein'  kannte.  Da  ist 
denn  auch  der  Fall  eingetreten,  dass  man  den  verkürzten  und  nicht  mehr 
gekannten  Stamm  mit  ähnlich  oder  gleichlautenden  Wörtern  verwechselte. 
So  entstanden  die  „ Wechselformen a,  hauptsächlich  verursacht  durch  Latein- 
schreiber. Wir  werden  Gelegenheit  haben,  auf  solche  Formen  zu  verweisen 
und  gehen  nun  zu  den  Namensformen  des  alten  Testaments  über. 

I.     Christlich -römische  Namen. 

Es  entstand  aus  Adam  eine  Restform  Däm.  Die  Urkunden 
schreiben  Daem,  etwa  zu  sprechen  Daa'm.  Reine  Form  hei  Pick  ETehde- 
briefe  S.  52:  ich  Dame  van  Palant;  S.  54  dialektische  Färbung  im  Selbst- 
lauter:  ich  Daem  van  Pallant.  Echt  altaachensche  Form  musste  sein: 
Doem  oder  Doim,  wie  S.  58:  Doem  Hunt  van  dem  Busch.  Im  Genitiv 
gab  es  Daemcn  und  Doemen.  Seit  uralten  Zeilen  bezeichnel  der  Genitiv 
die  Sohnschaft;  dasselbe  gilt  bei  uns:  des  Doemen  Johann  oder  Johann 
Doemen.     Eine  zweite  Genitivbildung   durch    Anhängung   von  s   lässl 

Daemens,  Doemens  entstehen1.  Die  StadtrechnungeD  S.  378  nennen  einen 
Doemen  van  Berge  (Laurensberg)  und  S.  385  einen  Du(o)ymchiins.  Bei 
letzterer  Form  ist  es  aber  unentschieden,  ob  man  da  nichl  eine  Verwechslung 
mit  Dumen  (lat.  ,,pollexu)  begeht. 

Eva  ist  für  die  Bildung  von  Rest-  und  Koseformen  nicht  ergiebig 
gewesen. 

Dagegen  hat  Noe   hier  in   Aachen    schon   frühe   Namensverwandte 


')  Dieser  Vorgang  kommt  schon  L398  vor,  /..  B.  Goessena  bei  Pich  a.  a.  I ».  S.  87. 


—  ioo  — 

gehabt.  Im  Liber  Censuum  bei  Quix  S.  76  ist  zu  lesen:  „Planka  quondam 
job.  filius  noy.  Ist  de  zu  ergänzen,  so  beisst  dies:  Von  wegen  der  Planke 
des  weiland  Johannes  Sohn  (!)  Noy  oder  Noy  Sohn.  Jedenfalls  ist  gerade 
an  dieser  Stelle  ein  Irrthum  des  Schreibers  oder  des  Herausgebers  der 
Urkunde  mituntergelaufen.  Wenn  die  Lesart  noy  richtig  ist,  so  ist  hier 
ein  Nowi,  wie  heute  noch  das  Volk  sagt,  genannt,  der  in  den  Planken  als 
carnifex,  als  „vley'sch  —  euwer"  (Fleischhauer)  1320  thätig  war.  Der  in 
unsrer  Zeit  in  der  hiesigen  Königstrasse  sesshaft  gewesene  und  vor  noch 
nicht  25  Jahren  allda  verstorbene  Herr  Noe,  der  ebenfalls  „vleyscheuwer" 
war,  ist  vielleicht  in  gerader  Descendenz  nach  Namen,  Blut  und  Erwerbs- 
zweig von  jenem  auch  schon  alten  Noe  herzuleiten.  Hat  sich  bemeltes 
Geschlecht  so  treu  bei  Namen  und  Stand  erhalten,  so  ist  dies  gewiss  ein 
löbliches  Beispiel  von  Ausdauer  und  Liebe  am  angestammten  Erwerbszweig 
und  kann  unsern  jungen  Zünften  als  leuchtendes  Muster  vorgehalten  werden. 

Elias  (auch  Helias)  kommt  vor,  lässt  aber  seine  Form  unverändert. 
Ebenso  Anna  und  Elyzabeth,  welch  letzteres  schon  sehr  früh  die 
Kürzung  in  Lysa  eingeht, 

Der  hl.  Erzengel  Michael  hat  seinen  schönen  Namen  manchen  Wand- 
lungen ausgesetzt  gesehen.  Am  wunderlichsten  klingt  wohl  Choila  für 
Michaela  1.  Die  Bildung  selbst  ist  aber  streng  regelmässig  und  ist  deshalb, 
sofern  Quix  sein  Original  richtig  gelesen  und  der  Drucker  das  Richtige 
gedruckt  hat,  nichts  gegen  eine  Restform  chael  einzuwenden.  Wie  aus  Adam 
und  Ysäac  die  Restformen  Dam  und  Sac,  so  wird  aus  Michael  Chael.  Nach 
dem  Aachener  Lautgesetz  geht  dann  ae  in  oi  vor  liquiden  über.  Siehe  bei 
Loersch-  zum  Jahre  1380:  zemoyl  statt  zemael.  Vorher  ist  die  Trennung 
ae  gefallen,  nach  demselben  Vorgang  wie  bei  Regin  =  Rein,  Egin  = 
Ein,  Hufnagel  =  Hufnayl3  u.  a.  m.  Aus  Chael  konnte,  wie  Hufnayl 
zeigt,  auch  Chayl,  und  wie  Neil  (Nagel  =  Instrument)  bei  Laurent  S.  318 
beweist,  auch  cheil  und  daraus  Gheil  entstehen,  da  ch  und  gh  sich  oft  ersetzen. 

Schon  Quix,  Necrol.  S.  70  hat  Geila:  „Obiit  Geila  pro  qua  habemus 
mr."  „Es  starb  Micheila,  für  die  wir  1  Mark  haben."  Daher  mit  Geil  in 
Verbindung  zu  bringen  wie  Ludowicus  deGeylroyde  =  von  Michaelsrott4, 
Gu(o)yde  de  Geyllenhuscn  =  der  Jutta  von  Geyllenhausen 5.  Deshalb  dürfte 
auch  Geilenkirchen,  dessen  erste  Form  nach  Lacomblet  Gelenkirchen0, 
30  Jahre  später  aber  schon  Geilenkirchen  lautet,  hier  unterzubringen  sein, 
d.  i.  die  Michael  geweihte,  oder  von  einem  Michael  erbaute  Kirche,  analog 
einem  Odenkirchen  (Otto),  Euskirchen  (Eustachius).  Allerdings  ist  es  nicht 
zu  bestreiten,  dass  auch  Gelb,  die  Farbe,  hierbei  mitspielen  konnte7. 
Eine  volle  Form  findet  sich  schon  1338  bei  Laurent  S.  131 :  „Migheyltzberg", 

>)  Quix,  Necrol.  S.  71. 

'-')  Aach.  ßechtsdenkm.  S.  79  „of  breyt  hee  vee  aj'gter  der  zijt  int  rieh,  dat  sal  mir 
der  reygter  zemoyl  (allesammt)  nemen". 

■'')  Stadtrechnungen  S.  i">7. 

4)  Stadtrechnungen  S.  191.  5)  Ebendas.  174,  °)  Lacombl.  ÜB.  I,  No.  430. 

7)  Eine  Erklärung  aus  „gell"  findet  aber  «an  der  Klangfarbe  des  darin  vorkommenden 
kurzen  c  mehr  Schwierigkeit  als  dies  bei  der  Dehnung  in  der  Form  Cheil  der  Fall  ist. — 
Hei  =  gel  ist  m,,.])  nicht  ausgeschlossen. 


•  —  101  — 

deren  interessante  Schreibung  manchen  Zweifel  lösen  kann.  Von  dem  stamm 
Grheil,  Geil,  Geel,  Griel  sind  die  genitivischen:  Geilen,  Geelen  und  (Tiden 
zu  Familiennamen  geworden. 

In  Maria  ist  die  Zerdehnung  von  i  wichtig-:  Quix  s.  50  hat  mareia 
und  1320  schon  mareye. 

Der  liente  in  Aachen  erdrückend  vertretene  Name  Joseph  isl  in  den 
alten  Quellen  unbekannt.  Es  gibt  zwar  einzelne  Formen,  die  auf  den 
ersten  Blick  verführerisch  genug  aussehen,  dass  sie  mit  einem  Joseph  in 
Verbindung  stehend  sich  denken  Hessen.  Vor  allem  könnte  man  G-oswinus 
als  Vater  von  Josefinus  in  Wechselform  annehmen  und  von  der  Restform 
„Gos"  und  „Jos"  dabei  ausgehen.  Jedoch  gibt,  wie  sich  leicht  nachweisen 
lässt,  Goswin  nur  Goesen  und  Goessens,  die  heutigen  Fennen  der  Familien- 
namen. Merkwürdig  allerdings  bleibt  es,  dass  Josepha  bezw.  Josephina 
im  heutigen  Dialekt  Jys  oder  Ghys  gibt.  Das  alte  Gyse  ist  aber  Rest- 
form von  Giselbert,  verkürzt  Giso.  Daher  der  Familienname  Giesen. 
Betonte  man  nach  alter  Weise  Joseph,  so  ergibt  sich  Seph  oder  Sepp  als 
Restform.  Bei  Laurent  findet  sich  nun  vielfach  Syepchin,  das  man  als  —seph 
verdächtigen  könnte.  Doch  ist  dieses  Syepchin  wahrscheinlicher  die  Koseform 
von  Sibo  männl.,  Siba  weibl.  Die  längere  Form  findet  sich  ebenfalls  im  Nekrolog : 
Sibodo  aus  Sigipoto  „Bote  des  Sieges",  also  ein  wahrhaft  urgermanischer 
Name1.  Das  auf  S.  168  der  Stadtrechnungen  vorkommende  Joyst  kann 
hier,  da  es  nur  einmal  sich  findet,  wenig  in  Betracht  kommen,  zumal 
da  es  ebensowohl  als  von  Goswin  kommend  angesehen  werden  könnte.  Ausser- 
dem müsste  das  t  erklärt  werden.  Es  ist  deshalb  richtiger  Joyst,  wie 
es  auch  allgemein  geschieht,  als  von  Jodocus  =  Jo(d)oc  =  Joe  herstammend 
auszugeben.  Joes,  Jops  und  Joyst  sind  zu  Jodocus  berechtigt.  Weiter 
finden  sich  keine  mit  Joseph  in  Verbindung  zu  bringenden  Formen,  und  muss 
man  bei  dein  grossen  Reichthum  aller  sonst  gebräuchlichen  Namen  schliessen, 
dass  Joseph  in  den  Zeiten  bis  1500  in  unserer  Gegend  als  Name  von  Per- 
sonen wenig  bekannt  war. 

Zum  Kalendarium  des  neuen  Testaments  gehören  vor  allem  die  A.postel. 
Ausser  Petrus  und  Jakobus,  deren  Namen  wenig  Veränderung  erleiden, 
Cop  ist  auch  Wechselform;  ein  Petchiin  kommt  bei  der  Belagerung 
von  Schloss  zur  Dick  (1383)  vor2  —  ist  vorzüglich  Bartholomaeus,  in 
alter  Schreibung  Bartolomeus,  ein  sehr  beliebter  Name.  Da  er  zwei 
Treue  hat,  nämlich  auf  der  ersten  und  vorletzten  Silbe:  Bärtolomeus,  so 
ergibt  er  einmal  Bartel,  hier  Berte!  und  das  anderemal  Meus  als  Rest- 
formen. Bertel  ist  bekanntlich  jetziger  Familienname.  Die  Restformen 
der  neutestamentlichen  Eeiligen  wie  Meus,  Thiis  von  Mathias,  Dries  auch 
Dres  von  Andreas,  Tewis  oder  Zewis  von  Matheus  und  viele  andere  mehr 
haben  unter  Beibehaltung  dr<.  lateinischen  Endungs  s  in  genitivischer 
Form  die  Familiennamen:  Meissen  ;,  Mieessen,  Miessen,  Drehsen,  Driessen, 
Thyssen,  Zeus,    Thiwissen   etc.   etc.   gebildet.     Andere   als    A.postelnamen 


*)  Quix,  Necrol.  S.  L6:  Sibodo  prepositus  a.  Malberti. 

2)  Stadt r.  S.  282. 

'■')  Meissen,  entstanden  aus  einer  Form  Meis,  die  mit   Meus  Leicht   wech  elte. 


—  102  — 

sind:  Cornelius  (Nellis),  Marsilius  oder  auch  von  Garsilius  (Zillis), 
Aegidius  (Gillis),  Dionysius  (Niis,  Nys);  sie  haben  die  Familien- 
namen Nellissen,  Zillissen,  Guussen,  Niessen  zur  Folge  gehabt.  Lacomblet 
erwähnt  um  1554  einen  „Neliss  uff  dem  Driesch  Bürger  binnen  Aichen1." 
Der  Name  Ciaessen  ist  in  seiner  Ableitung  von  Nikolaus  bekannter.  Maassen 
jedoch  kann  von  Thomas  und  dem  Fluss  Maas  herkommen.  Die  Stadt- 
rechnungen S.  288  nennen  einen  in  städtischen  Diensten  stehenden  „Dummois 
(Thomas)  van  Oepen,  de  den  swingel  vurt"  und  305  einen  „heren"  Moysse. 
Martin  gibt  Mertens  und  Thienes  als  Familiennamen. 

Die  Wechselformen,  welche  die  aus  Servatius  kommende  Restform 
(Vats,  Vaz)  Yais  oder  Vaes  ansprechen  könnten,  sind  die  jetzigen  Vaessen, 
Vossen,  Vussen  auch  Füssen.  Vaes  verhält  sich  zu  Claes  wie  das  modernere 
Föss  zu  gleichem  Clöss.  Daher  ist  der  Familienname  Vaessen  nur  von 
Servatius  abzuleiten.  Ein  altes  Voeschin  in  der  Koseform,  wo  ae  =  oe, 
gehört  dazu 2.  So  leiten  sich  auch  die  heutigen  Namen  Voessen  und  Vosen 
(Vossen)  von  Servatius,  Vossen  dagegen  besser  von  Vuhs  oder  Vuss  (Fuchs) 
ab.  Zur  Klasse  der  Füchse  gehören  demnach:  Werner  Vu(o)ysgin3,  ein 
Vu(o)ys  de  Schonenberg4  und  Vos,  der  „umb  beringe"  9  M.  erhält5. 
Der  auf  S.  107  angeführte  Jo.  Leytfuys  ist  der  moderne  „Leichtfuss"  und 
entspricht  einem  Tzartfoiss  der  Verpflichtungsurkunden G.  In  hiesiger  Stadt 
kommen  im  Dialekt  Voesse  =  Vaessen  und  Fus'se  =  Vossen  noch  zur 
Unterscheidung.  Das  missbräuchliche  Vossen  ist  ein  hochdeutscher  Ein- 
dringling. 

Frines  und  Krines  sind  Zusammenziehungen  aus  Severinus  bezw. 
Quirinus 7.  Diese  Formen  sind  auch  dadurch  merkwürdig,  dass  sie  die  Konso- 
nanten der  Urform  so  ängstlich  wahren.  Der  Vokal  ist  nur  in  der  betonten 
Silbe  voll  geblieben.  Das  S.  78  der  Stadtrechnungen  erscheinende  Flips  ist 
nach  demselben  Princip  aus  Philippus  hervorgegangen.  Frines  und  Krines 
haben  die  Familiennamen  Frings  und  Krings  verursacht.  Die  Nasalirung 
des  n  zu  n,  die  sich  dabei  ereignet,  ist  im  Dialekt  schon  alt.  Dies  ist 
ersichtlich  aus  der  Form  rengmeister  =  Rentmeister8  und  aus  dem  im 
Glossar  irrthümlich  erklärten  Wort  „bancklocke",  welches  als  Bann-Klocke 
aber  nicht  als  „Bange  Glocke"  zu  verstehen  ist. 

Eine  Erinnerung  an  die  weltberühmte  Kapelle  San  Vitale  von  Ravenna 
klingt  aus  dem  Namen  Fittayl.  Derselbe,  nach  Art  der  alten  Restformen 
gebildet,  ist  in  den  Stadtrechnungen9  häufig  unter  den  verschiedenen 
Schreibungen :   Fittoyl,  Ficcoyl  und  Fittayl  vorflndlich. 


')  A.  a.  0.  III,  Nr.  340. 

2)  Aachener  Stadtrechnungen,  S.  309. 

3)  Ebendas.  S.  258. 

4)  Ebendas.  S.  269. 
s)  Ebendas.  S.  276. 

6)  Zeitschr.  d.  Aach.  Gesch.- Ver.  VIII,  S.  251, 

7)  Uebrigens  entspricht  die  volle  hiesige  Dialektform :   Kurincs  dein  altlateinischcn 
Kurinus. 

8)  Aachen.  Stadtr.,  S.  392. 

°)  Ebendas.  S.  104,  105,  111,  117,  124,  138. 


•  —  103  — 

Es  erübrigt  noch,  zwei  Namen  anzuführen,  die  schon  früh  in  den 
Rechtsdenkmälern  und  Stadtrechnungen  angegeben  werden.  Es  sind 
dies  die  Namen  Statz  und  Colin.  Beide  sind  ans  den  Heiligennamen 
Eustüfchius  bezw.  Jolinus  entstanden.  Als  Vornamen  hat  Eustachius  oder 
Eustathius  drei  Formen  erzengt:  Euskin(us)1,  Staz  undEstas2.  Estas  ist 
der  heutige  Familienname  Istas,  während  der  Vorname  Statz  in  seiner 
alten  Form  zum  Familiennamen  geworden  ist.  Ein  Heinrich  Stach  von 
Keifferscheid  gewährt  1431  der  Stadt  Aachen  einen  sechswöchentlichen 
Waffenstillstand3.  Statz  von  Segroede  ist  1412  Schöffe  in  Aachen4.  Dass 
Statz  Familiennamen  geworden,  beweist  folgende  Stelle  der  Stadtrechnungen, 
S.  386:  „It.  junffer  Tnlen  Statz  mu(o)nen  eyn  dirdeil  gul."  Starz  hat 
mit  Staz  nichts  zu  thnn,  da  ersteres  nach  Dr.  Steubb  „Oberdeutsche 
Familiennamen"  S.  41  von  dem  altdeutschen  Starkolf  (=  Starkwolf)  abzu- 
leiten ist. 

Der  Name  Colin  ist  durch  die  Formen  Jolinus,  Golinus,  Kolinus  vom 
Vor-  zum  Familiennamen  gegangen5.  Jolinus  war  dem  Altaachener  ein 
leicht  zu  wählender  Taufname,  da  die  jetzige  Kreuzkirche  Sint  Joline  hiess0. 

Auch  die  lateinischen  Genitive  der  vorerwähnten  christlichen  Namen 
konnten,  in  dieser  Form  erstarrt,  als  Familiennamen  auf  uns  kommen, 
z.  B.  schon  im  Nekrolog:  Andreae  =  Andree,  Lambert  i,  im  Bussenregister 
Winandi;  vollständig  schon  in  den  Stadtrechnungen.    S.  125:  Jo.  Christiani. 

IL   Namen  von  lateinischen  Bezeichnungen  für  Stand.  Gewerbe. 

Herkunft. 

Die  lateinischen  Bezeichnungen  für  Gewerbe  und  Stand  sind  insofern 
beachtenswerth,  als  sie  ein  Bild  der  hiesigen  sozialen  und  kulturellen 
Erscheinungen  in  älterer  Zeit  ergeben.  Es  ist  jedoch  nicht  angehend, 
denselben  hier  erschöpfend  Raum  zu  geben,  deshalb  genüge  auch  für  sie 
eine  Auswahl  hervorstechender  und  gebräuchlicherer  Formen: 

Advocatus,  Fürsprech,  Vogt.  Allutarius  (Necr.),  Feinlederbereiter. 

Apothecarius,  Apotheker.  Aureus  textor,  Goldwirker. 

Braxator,  Brauer.  Cambitor,  Wechsler. 

Campanator,  Glöckner.  Candelator,  Kerzenbäcker. 

Capellanus,  Kaplan.  Carbenarius  (=  Carbonarius),  Köhler. 

Carnifex,  Fleischer.  Carpentarius,  Zimmermann. 

Caupo,  Schenkwirth.  Oerdo,  Handwerker,  Schuhflicker. 
Cervisicator,  Biervorkäufer.            .  Cocus,  Koch. 
Colerator  (=  Colorator),  Färber.       Colonus,  Landwirth. 

Comestabuli,  Stallgraf.  Cultellator,  Messerschmied, 

Dimicator,  Kämpfer.  Domicellus,  Junker. 


')  Ebendaselbst  S.  198. 

2)  Fehdebriefe,  S.  28  wird  ein  Estis  und  Estas  von  Vurde  erwähnt. 
fl)  Ebendas.  S.  54. 

*)  Aach.  Stadtr.,  S.  263,  zum  Jahre  1376:    Eustacius  Segroede.    I rsch,  Rechts- 
denkmäler, S.  80. 

5)  Aachen.  Stadtr.,  S.  302,  342,  262,  122.     ")  Ebendas.  S.  302, 


—  104  — 

Factor  vitronim,  Glasmacher.  Fusor  pottorum,  Kannengiesser. 

Herbarius,  Kräutermann,  (v.  Apotheker.) 

Institor,  Krämer.  Lapicida,  Steinhauer. 

Ligator  vasorum,  Fassbinder.  Luminatrix  (in  foro),  Leuchter  (in). 

Major,  Oberer,  Meyer.  Mercator,  Kaufmann. 

Mi  »netarius,  Münzermann. 

Parator  anfrarum,  Eimermacher,  Küfer. 

Pellifex,  Fellbereiter,  Pelzer.  Pistor,  Bäcker. 

Pugillator,  Faustkämpfer.  Rubeator,  Rothfärber. 

Saccifer  (=  Saxifer),  Sackträger.  Sartor,  Schneider. 

Scabinus,  Schöffe.  Scultetus,  Schultheiss. 

Sutor,  Schuster.  Textor,  Weber. 

Venator,  Jäger.  Villicus,  Meier. 

Vinitor,  Winzer.  Wambasiator,  Wammsstricker. 

Aus  der  Zahl  vorstehender  GeAverbenamen  sind  in  alter  Zeit  nur 
wenige  in  ihrer  lateinischen  Form  gebraucht  worden.  Es  war  erst  der 
Humaiiistenperiode  vorbehalten,  unsere  ehrlichen  deutschen  Familiennamen 
zu  latinisiren.  Von  den  oben  angegebenen  „deutschen"  Ausdrücken 
sind  bereits  in  alter  Zeit  einige  zu  stellenden  Familiennamen  geworden. 
So  in  den  Stadtrechnungen:  Klocker  (Glöckner),  Kremer,  Schroeder 
(Schneider),  Roeder  (Rothfärber),  Beckergin  (Bäcker),  Pelzergin  (Pelzer) 
u.  s.  w.  Interessant  ist  es,  dass  Seite  213  sich  auch  schon  ein  Familien- 
name Kapployn  (=  Kaplan)  befindet.  Dazu  fügt  sich  passend  der  Familien- 
name Klausener,  der  als  clusenarius  schon  im  Nekrolog,  S.  43  auftaucht. 
Geradezu  überraschend  ist  aber  die  Angabe  Necr.  S.  18:  0.  Gerardus 
sacerdos  dictus  Kempo  pro  quo  habemus  dim.  m.  „Es  starb  der  Geistliche 
Gerard  Kämpfer,  für  den  wir  1j2  M.  erhalten".  Ein  Geistlicher  kann  doch 
nicht  gut  Kämpfer  sein,  wenn  er  auch  im  Mittelalter  lebte.  Er  kann 
aber  wohl  von  Kämpfern  abstammen.  Kempo  ist  wörtlich  das  oben 
angeführte  lat.  dimicator.  Diese  dimicatores  bildeten  das  hiesige  städtische 
Institut  der  Klüppel-  und  Faustfechter,  welche  in  den  Stadtr.  erwähnt 
sind.  Das  Haus  „Klüppel"  in  neuer,  und  „Hermann  Üluppel"  (Stdtr.  310) 
in  alter  Form  deuten  auf  jene  Stockfechterliebhaberei  hin,  die  noch  heute  in 
Holland  an  manchen  Orten  in  Schwung  erhalten  wird.  Die  Pugillatores  sind 
wohl  eine  Art  Boxer  gewesen;  sie  verewigte  der  Familienname  „Fausten"  *. 

Den  alten  hiesigen  Beamten  sind  ihre  lateinischen  Bezeichnungen 
vielfach  erhalten  geblieben,  allerdings  sind  die  betr.  Formen  entsprechend 
dem  Genius  unsres  Dialekts  umgebildet  worden.  Aus  Advocatus 
wurde  Vaigt  heute  Voyt;  Major  gab  Mayer,  Maier,  Meyer  und  Meier. 
Villicus  ist  anscheinend  verschwunden,  jedoch  ist  der  noch  blühende 
Familienname  Vlix  bezrw.  Vliex  leicht  an  ihn  anzuknüpfen.  Villicus  bildet 
Vlix,  genau  wie  Philippus  =  Flips.  Wurde,  ehe  dieser  Vorgang  eintrat, 
die  lat.  Endung  -  us  abgeworfen,  so  entstand  Vlic  mit  der  hiesigen 
Verdumpfung  Vlec,  genau  wieder  wie  aus  Philipp  Fiep.    Vlec  (Flec)  bildete 


M  Necrol.,  S.  58.    „filia  pugilis  =  des  Faustkämpfers  Tochter". 


»'  —  105  — 

den  Stamm  zu  modernem  Vleccen,  Vleggen,  Flecken.  Die  Ortsbezeichnung 
Flecken  =  kleiner  offener  Ort,  gewöhnlich  mit  Amtssitz,  kann  von  einem 
ehemaligen  Villicat  oder  einer  Villicatio  ihren  Ursprung  herleiten.  Pick1 
nennt  einen  Heinrich  Vlecke  von  der  Molen;  es  liegt  nahe  anzunehmen, 
dass  dieser  ..Zuname  Vlecke  hier  im  Sinne  von  „Meier  eines  Mühlhofes" 
gebraucht  ist,  entsprechend  dem  Vaigt  auf  Seite  64:  „Junker  Heinrich 
Vaigt,  herre  zo  Honoulsteyne".  Der  Ortsname  Fleggondalc  oder  Vleggen- 
ilale  hat  von  der  örtlichen  „flachen"  (Viech)  Beschaffenheit  seinen  Namen. 
Jedenfalls  ist  keine  Fliege  dabei  im  Spiel.  Ebensowenig  wie  bei  dem 
Johann  Tzartfoiss  genannt  Koevliege -,  letzterer  Ausdruck  bezeichnet  nicht 
etwa  eine  böse  Fliege,  sondern  einen  bösen  Villicus.  Koevliege  ist  das  heutige 
Quadflieg.-  Koe  ist  eben  Mittelform  zum  neudialektischen  Kue,  entstanden 
aus  dem  alten  quad  „böse"3.  Unsern  starknervigen  Vorfahren  war  eine 
böse  Fliege  nicht  so  lästig  als  dies  ein  böser  Villicus  unter  Umständen 
ganz  sicher  sein  musste.  Man  nennt  noch  heute  eine  heikle  Angelegenheit 
„verflixt"  =  Dat  esn  verfiixdc  Jeschichte!  Quadflieg  ist  ein  eminentes 
Beispiel  einer  durch  Gleichlautung  verursachten  Wechselform.  In  Analogie 
entstanden  zu  Quadflieg   =   quad  villicus  Hesse    sich    hier    noch    anfügen: 

Heynrich  Qua(o)ytaff4  =  quad  afecaj-t  (advocatus)  =  böser  Vogt 

Quoduytz  S.  294  der  Stadtrechnungen  könnte  einem  quadvitz  d.  h.  bösen 
vicedominus  entsprechen  5. 

Die  Herabwürdigung  des  Scultetus  (als  Familienname  Scholtus  und 
Scholtis)  zu  Schouits  als  Spottnamen  ist  bekannt  ;  Schouits  ist  aber  auch 
Familienname  wie  Quadflieg. 

Praepositus  =  Propst  hat  die  Abkürzung  nach  der  Art  von  Philipp 
=  Flip  erfahren  und  änderte  vielmals  Proifst,  Froist,  und  Proift!  Aus 
letzterer  Verwandlung  entpuppte  sich  auch  Prent,  der  Aachener  Familien- 
name, unter  vollständiger  Diphthongirung  dvs  alten   Ealbdiphthongen. 

Als  Beisitzer  im  Synodalgerichi  von  Aachen  wurde  der  Parochian 
berufen.  Der  Name  dieses  Würdenträgers  ging  durch  Zusammenziehung 
und  Schleifung  des  eh  in  ff  in  den  Namen  eines  städtischen  Zimmermeisters 
Proftia(o)n  über.  Der  Wandel  von  ch  zu  ff  ist  unserni  Dialekt  durchaus 
nicht  fremd  (vgl.  kriechen,  kruyffe). 

Die  alten  städtischen  Schutzleute  hatten  den  Namen  ihres  Chefs 
Casta(o)vel,  aus  Comestabuli  abzuleiten.  In  England  heissen  bekanntlich 
noch  jetzt  die  Schutzleute  mit.  ihren  unmittelbaren  Vorgesetzten  the  c<»u- 
stablery.  Unser  casta(o)vel  entwickelte  a  durch  d;\±  explosive  k  (Knaller), 
und  die  Silbe  ta(o)vel  geht  denselben  Gang  wie  das  stärker  dialektische 
toffel  =  Tisch  aus  Int.  tabula6.  Casta(o)vel  tral  zu  Christoffel  (Christophorus) 
in  Wechsel    und   so   ergaben  sich  Kerstoffel   und   im   vorigen  Jahrhundert 


l)  Fehdebriefe  S.  70 

-)  Piek,  Verpflichtungsurkunden  .  .  in  Zeitsehr.  d.  A.ach.  Gesch.-Ver.  VIII,  S.  257. 
3)  Stufe:  quad,  kod,  koe,  Kur. 

')  Loersch  a.  a.  0.  S.  L89.     >  Quademeier  ist   noch  heute  Familienname. 
ü)  Noch  heute  lautn  Tafelmesser  =  Toffelmetz.     In  den  Fabriken   heissl  Tuch  auf 
glattes  Bretl  wickeln  „Doich  toffele". 


—  106  — 

sogar  Kurstoffel.  In  Kerstoffel  ist  Umstellung  wie  in  Kerstioen  (Christian). 
Durch  das  an  den  Stamm  Kyrie  (Kericli)  anklingende  Ker  verleitet,  bildete 
das  Volk  durch  Uebertragen  des  Begriffs  der  Sache  (Kirche)  auf  die  den- 
selben vertretende  Person  (papa  niederl.  pape)  den  Spottnamen  Papstoffel. 

Im  Nekrolog  sind  Iudeus  und  Paganus  als  Familiennamen  aufgeführt, 
ludeus  erklärt  sieh  durch  die  Abstammung  von  einem  luden  wie  Paganus 
durch  solche  von  einem  Heiden.  Das  bei  Quix  Necrol.  p.  32  angeführte 
Wolterus  Paganus  ist  also  aufzufassen.  Paginus  vir,  welches  S.  34  vor- 
kommt, bezeichnet  einen  Mann  aus  dem  Gau.  Paginus  ist  wieder  zu 
trennen  von  Goudingus  S.  50,  ein  zum  Gauding  d.  h.  Gaugericht  Gehörender. 
Von  der  Form  Paganus  ist  unser  neudialektischer  payaan  =  „tölpelhafter 
Vierschröter"  abzuleiten.  Die  Verachtung,  welche  man  gegen  den  Unge- 
tauften  liegte,  endete  in  Spott.  Paganus,  der  im  Gau  draussen  auf  der 
Heide  Lebende,  stand  unter  denselben  Kriterien  der  Dummheit  wie  der 
von  der  Stadt  entfernt  lebende  „Bauer"  unserer  Tage.  In  den  romanischen 
Ländern  leitet  sich  daher  „Bauer  und  Heide"  z.  B.  frz.  paysan,  und 
paien  aus  dem  gemeinschaftlichen  lateinischen  Namen  paganus  her  K  Es 
ist  nur  natürlich,  dass  an  der  Grenze  zu  den  Romanen  dieselbe  Vorstellung 
Platz  griff.  Uebrigens  entstand  der  Name  Heide  bei  den  Deutschen  eben- 
falls auf  demselben  Wege  (haithi  =  Feld)2. 

Unter  die  von  Oertlichkeiten  herrührende  lateinische  bezw.  latini- 
sirte  Namengebung  fallen  hier  nur  wenige  Formen.  Die  gewöhnlichen 
Bezeichnungen  sind  ja  nur  Uebersetzungen  aus  dem  Deutschen.  Einige 
Aufmerksamkeit  verdient  der  Name  Juncheit,  weil  von  unzweifelhaft 
lateinischem  Stamm  und  in  der  ersten  Form  der  Urkunde  bis  heute 
geblieben.  Juncheit  ist  entstanden  aus  juncetum3  =  Ort,  wo  Binsen 
wachsen.  Die  Beschaffung  der  Binsen  für  Bestreuung  der  Strassen  bei 
feierlichen  Prozessionen  und  für  die  Gemächer  der  Vornehmen  und 
Klostergeistlichen  ist  vielfach  bezeugt.  Die  Binsen  wurden  auf  den 
Boden  gestreut  und  ersetzten  den  Teppich.  Es  konnte  sein,  dass  bei 
Reichsstädten  wie  Aachen  sich  manchmal  ein  grosses  Bedürfniss  für  diesen 
Artikel  zeigte  und  dass  die  Sorge  für  seine  Beschaffung  einem  besondern 
Beamten  anvertraut  wurde.  Bei  den  eigenthümlichen  Verhältnissen  des 
Mittelalters  konnte  es  eintreten,  dass  ein  derartiger  „Hoflieferant"  auch 
Junker,  in  diesem  Falle  vollendeter  „Krautjunker"  war.  Seltsam  ist  es 
entschieden,  dass  man  sehr  oft  die  Juncheit  mit  Junkerthum  verwechselt 
hat.  Die  Aachener  Juncheit  liegt  vor  Vaelserthor,  ist  aber  jetzt  eine  in  solch 
prosaischem  Zustand  befindliche  Mühle,  dass  man  schwer  sie  als  Sitz  eines 
darnach  benannten  alten  Geschlechtes,  welches  sogar  Münzrecht  besass, 
ansehen  würde.  Im  Bering  des  alten  Reichswaldes  findet  sich  auch  ein 
Junggenwinkel  erwähnt1.  Man  kann  nicht  daran  denken,  die  bei  Quix 
Necr.  S.  23  erwähnte   Jutta  de  junecis,    noch   die   S.  33   angeführte   Ida, 


1)  Diez,  Etym.  Wörterbuch  I.  232. 

2)  Ebendaselbst. 

3)  Marjan,  Keltische  und  lateinische  Ortsnamen  in  der  Rheiuproviuz  III  S.  14. 

4)  Lacomblct,  Archiv  III  226. 


.  —  107  — 

Tochter  des  Simons  von  Juncheit,  in  dem  mich  Montjoie  zu  gelegenen 
fernen  Junggenwinke]  aufzusuchen.  Audi  die  Stadtrechnungen  erwähnen 
die  von  Junchheit,  aber  in  der  Form  de  junccis,  ebenso  wie  Quix.  Ist  das 
etwa  ein  Lesefehler?  Die  richtige  Schreibung  ist  de  junceis:  „De  Junceis  ' . . . 
Et  custodi  dormitorii  dantur  \'l  ligaturae,  quas  projiciunl  in  dormitorium 
et  in  ambitum".  „Betreifs  der  Binsen  ....  Und  zwar  werden  dem  Auf- 
seher des  Schlafsaals  sechs  Gebund  gegeben,  die  man  in  den  Schlafsaal 
und  in  den  Umgang  streut".  Ist  junceus  richtig  und  c  Ziselier,  so  ist 
es  für  den  Aachener  Dialekt  schwierig,  aus  juncetum  =  Juncheit  mit 
explosivem  k  zu  bilden.  Porcetum  =  Burtscheid  hat  ja  auch  c  zu  tsch 
gebildet,  Diese  Schwierigkeit  löst  aber  der  Altmeister  romanischer  Sprach- 
forschung-Diez2,  da  er  gerade  für  die  Form  juncetum  den  sonderbaren 
Charakter  des  c  feststellt.  Danach  lautet  schon  im  Italienischen  die 
Bezeichnung  für  eine  Art  Xarcissen  Güunchiglia,  im  Spanischen  junquillo, 
im  Französichen  jonquille.  In  allen  drei  Sprachen  ist  also  c  nicht  Zischer  = 
tsch  sondern  Knaller  =  K.  „Dass  man  nicht  giunciglia  bildete,"  (also  mit 
Zischlaut)  fährt  Diez  fort,  „zeigt  eine  spätere  Entstehung  des  Wortes  an, 
aber  (und  das  ist  hier  sehr  wichtig)  man  behandelte  juncetum  auf  dieselbe 
Weise,  indem  man  giuncheto  sprach."  Hieraus  folgt  klar,  dass  Laurent 
und  Quix  durchaus  keine  Lesefehler  gemacht  haben,  als  sie  de  junceis 
schrieben.  Die  oben  angeführte  Kölner  Quelle  bei  Lacomblet  hat  zwar  die 
lateinische  Schreibung  junceis  wiedergegeben,  ist  aber  für  die  Sprechung 
nicht  anzuziehen.  Richtiger  ist  da  unser  Aachener  Junceis  und  Junggen- 
winkel mit  k haltigem  cc  und  gg.  Wir  sehen,  dass  unser  richtig  dialektisches 
Jonkeit  genau  dem  richtigen  lat.  juncetum  entspricht,  die  Verwechslung 
mit  Junker  fällt  auch  deshalb  nicht  dem  Dialekt  sondern  der  Verhoch- 
deutschungssucht  zur  Last. 

Es  ist  nur  gerechtfertigt,  dass.  wenn  der  grosse  Diez  den  gordischen 
Knoten  in  dem  Junket  durchhauen  hat,  die  Leuchte  seiner  Wissenschaft 
auch  einmal  auf  den  hiesigen  Namen  „Venu",  bekannt  lieh  eine  Strassen- 
bezeichnung,  gerichtet  werde.  Man  kann  unser  Venu  nicht  wohl  zu  dem 
grossen  „hohen  Venn"  in  Beziehung  stellen.  Während  man  das  hohe 
Venn  nach  seiner  ganzen  Beschaffenheit  durch  das  noch  heute  im  Eng- 
lischen gebräuchliche  „fen"  :i  als  eine  gedehnte  und  hoch  gelegene, 
in  ehemaliger  Zeit  ganz  und  heute  noch  stellenweise  überschwemmte 
Gras-  oder  Riedfläche,  als  ein  Moor  erklären  und  mit  Grund  dafür 
halten  kann,  ist  dieselbe  Erklärung  nicht  auf  unser  kaum  wenige  Schritte 
langes  Venu,  welches  zwischen  zwei  uralten  Strassen  liegt,  anzuwenden. 
Es  müsste  denn  vorige  Bezeichnung  von  einer  grossen  Fläche  auf  diesen 
engen  Raum  übertragen  worden  sein.  Das  ist  aber  unmöglich,  da  »las 
Venn  auf   einem    vom    Aachener    Wald»'   aus    nach    dem   Markl    zu    fort- 


J)  Ebenda*,  a.  a.  0.  II,  S.    12. 

2)  Etym.  Wörterbuch  I,  S.   167. 

3)  Webster,  Dict.  S.  399:  fen  =  low  Land  overflowed,  oi  eovered  wholly  or  palliativ 
witli  water,  but  producing  sedge,  coarse  grass,   or  other  aquatic  plante;   boggy   land;   a 

inoor  or  niarsh. 


—   108  — 

während  sich  senkenden  Höhenzug,  nicht  auf  einer  ebenen  Fläche  liegt. 
Venn  bedeutet  einfach  Mühlen  schleuse.  Auch  war  noch  bis  vor 
Kurzem  und  ist  vielleicht  noch  heute  ein  altes  Mühlrad  in  dem  anstossen- 
den  kleinen  Fabrikgebäude  zu  sehen.  Sicher  aber  ist,  dass  in  früherer 
Zeit  eine  Mühle  daselbst  gestanden  hat.  Die  von  Diez  zu  venna  = 
Mühlschleuse  gegebene  Erklärung  ist  ihrem  ganzen  Inhalte  nach  für 
unsern  Ort  und  die  ganze  Gegend  so  zutreffend,  dass  sie  hier  voll- 
ständig wiedergegeben  werden  möge1.  Er  sagt:  „Vanne  fr.  kleine  schleuse 
in  mühlgräben  u.  dgl.  Venna  in  fränkischen  und  andern  Urkunden  bedeutet 
eine  verzäunung  in  Aussen  oder  teichen,  um  die  Fische  abzusperren,  z.  b. 
unter  einem  König  Childebert :  Cum  piscatoria  (Fischfang),  quae  appellatur 
venna,  cum  piscatoriis  omnibus,  quae  sunt  in  alveo  Sequanae.  Unter  Chil- 
dericli:  Aviaco,  ubi  Gara  lacus  vennam  habuit.  In  einer  späteren  aus 
Deutschland :  concessit  .  .  .  unam  vennam  pro  capiendis  salmonibus  .... 
quas  ipse  testis  reparavit  cum  perticis  et  virgultis.  Daher  der  name  eines 
ortes  an  der  Seine  Car  Oliven  na,  jetzt  Chalevanne.  S.  DC  (Ducange)  und 
Graff  III.  126.  Das  Wort  ist  noch  ungelösten  Ursprungs  und  scheint 
weder  der  celtischen  noch  der  deutschen  Sprache  zu  entstammen.  Graff, 
der  es  für  einen  Korb  zum  Fischen  hält,  was  es  offenbar  nicht  ist,  ver- 
weist auf  benna  oder  gar,  wie  auch  Ducange,  auf  fenna  sumpf.  Aber  der 
franz.  anlaut  v  lässt  sich  aus  keinem  andern  labial  ableiten,  er  weist  ent- 
schieden auf  den  gleichen  lat.  anlaut.  Hier  scheint  einige  anspräche  zu 
haben  viminea  (etwas  geflochtenes),  denn  diese  absperrungen  bestanden 
gewöhnlich  aus  flechtwerk,  welches  dem  Wasser  den  durchgang  erlaubte. 
Da  der  Franzose  das  suffix  eus  nicht  anerkennt,  so  zog  er  viminea  in 
vimna  zusammen,  wie  er  z.  b.  auch  faginea  in  fägina  (faine),  der  Proven- 
zale  femineus  in  ferne  zusammenzog,  indem  der  accent  auf  die  Stammsilbe 
zurückwich.    Auch  vinne  begegnet  im  Mittelalter." 

Danach  wäre  der  künstliche  Lauf  der  Pau,  welche  die  Venne  bedingt, 
schon  in  fränkischer  Zeit  vorhanden  gewesen,  und  da  sie  Fische  führte, 
auch  das  frühe  Vorkommen  des  Namens  Fischer  (Vischer)  erklärlich. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verhaltimgsmassregeln  in  Pestzeiten. 

Von  C.  Boehnier. 

Auf  vier  Papierblättern  in  Quartformat  (Wasserzeichen  eine  Wein- 
traube und  ein  Blattornament  mit  den  Buchstaben  A  und  M  ?),  welche 
der  Handschrift  nach  zu  urtheilen,  aus  dem  ersten  Drittel  des  17.  Jahr- 
hunderts herrühren,  und  in  den  Archivalien  von  Schönau  sich  vorgefunden 
haben,  sind  eine  Keine  von  Vorschriften  mitgetheilt,  welche  die  gesammte 
Lebensführung  der  Menschen  während  einer  Pest  zu  regeln  bezwecken. 
Dieselben  sind  wahrscheinlich  in  den  Jahren  1622 — 36  verfasst  und  vielleicht 
mehrfach  abgeschrieben  worden,  als  die  Pest  in  Aachen  mit  Unterbrechungen 


')  a.  a.  0.  II,  S.  695. 


•  —  109  — 

wüthete.  (Vgl.  Lersch,  kleine  Pest-Chronik,  Aachen  1880  und  das  hand- 
schriftliche Begräbnissregister  der  St.  Peterspfarre  von  1622 — 1688.)  Die 
Schreibweise  des  Originals  ist  beibehalten,  nur  das  vokalische  v  ist  in  u 
verwandelt,  11  und  tt  im  Auslaut  in  1  und  t  vereinfacht  worden.  Das 
Gleiche  gilt*won  nn  im  Inlaut  des  unbestimmten  Artikels. 

Wie  man  sich  ihn  Pestzeiten  zu  verhalten  habe. 

Daß  vornembste  ist  die  praeservation. 

Undt  weils  per  contagium  wirt  vortgepflantzet,  alß  solle  man  sich 
huetten  viel  unter  leuht  zue  kommen  undt  alle  grosse  versamblungh  deß 
volcks  meiden. 

Sich  voirsehen  in  kleider,  tuech,  leihnwadt  etc.  zue  kautfen. 

Hunde  undt  katzen  gäntzligh  abschaffen. 

Alle  grosse  bewegungh  deß  leibß  undt  gemühts  meiden, 

Die  wohnungh  soll  sauber  sein,  wie  auch  die  kleidungh, 

Der  Lufft  gereiniget  durch  fewer  auß  gifft  vertreibendem  lioltz. 
durch  reucheren  so  wohl  mit  feuchten  alß  mit  truckenen  Sachen,  item  durch 
bestrewungh  der  gemacher  mit  gewissen  kreutteren  etc. 

Die  feilster  sollen  nit  offen  gehalten  werden  sunderligh  ahn  trüben 
tagen,  wanß  schon  weiter  ist,  solle  man  sie  doch  nit  ehe  eröfnen,  biß 
die  sonne  eine  stundt  oder  zwo  geschienen  undt  gegen  abendt  voir  der 
sonnen  niedergangh  geschlossen,  die  gemacher  gegen  morgen  undt  mitter- 
nacht  seint  die  bequemste. 

Der  leib  soll  rein  sein  ihnwendigh.  dan  wan  der  leib  stettigh  offen 
natura  vel  arte  durch  zäi>flein,klistier,pillen,kuehlein,  morseilen  ',  confectiones 
syrop  etc.  und  weiln  die  purgirende  artzeneien  nach  Constitution  und 
gelegenheit  des  gewitters,  complexion  und  alters,  auch  andere  umbstände 
müssen  geordtnet  werden,  ist  rahtsanib  dass  man  sulge  nit  ohne  raht 
eines  medici  einnehme,  welges  auch  zu  verstehen  von  dem  aderlassen. 

Ihn  essen  undt  trincken  soll  man  mässigh  sein,  meiden  obst,  grobe 
fisch,  stinckendt  fleisch  undt  alles,  wahs  zu  faulungh  und  bösen  feuchtig- 
keitten  uhrsach  gibt,  die  speisen  offt  bereitten  mit  saurampffer,  essigh  undt 
anderen  sachen,  die  der  faulungh  wiederstellen  all.'»  citronen,  pomerantzen  etc. 

Viel  wein  und  andere  hitzige  sachen  überflüssig!]  gebraucht  seint 
nit  nützlich.  Ein  trunck  warmuht,  cardenbenedeitten  wein  ander  der 
mahllzeit    ist    guet.     man    kau    auch    ovdenen    lassen  ettlighe    species    zum 

tranck. 

Artzeneien  zur  praeservation  seint  pulffer,  küchlein,  morseilen,  lat- 
wergen2,  gitftessigh  etc.  alles  morgens  zue  gebrauchen.  NB.  man  mueß 
aber  offt  umfrwexelen  mit  den  artzeneien  undt  halt  dieses  balt  ienes 
gebrauchen,  damit  die  natur  derselben  nit  gäntzligh  gewöhne. 

Die  kleider  sollen  sauber  sein,  die  uembter  otl't  vernewert,  die  kleider 
bereuchert.  Daß  ahngesicht,  half.;,  unter  den  armen,  die  schäm  etc.  uli't 
mit,  wohlrichenden  wässeren  und  wohlrichender  seid'  gewaschen  etc. 


')  Zuckertäfelchen,  denen  man  in  geschmolzenem  Zustand  Arzneimittel  zusetzt. 
2)  Musartige  Arzneiform. 


—  110  — 

Man  soll  nit  nüchteren  auß  dem  hauß  gehen,  sonderen  erstligh  die 
obgesachte  artzeneien  brauchen  entweder  allein  oder  uf  einem  bissen  brodt 
mit  butter  undt  rautten  etc. 

Item  man  soll  haben  ein  knöpflein,  darum  ein  schwämlein  mit  rosen 
oder  hardienessigh  genetzet  und  selbiges  autf  den  gassen  voir  die  nase 
halten.  Man  macht  auch  underscheidtlighe  baisam  ahn  die  naßlöcher  zue 
streichen.     Item  amuleta  oder  gifftschildtlein  um  ahn  den  halß  zue  hencken. 

Zeichen,  ob  einer  mit  disser  krankheit  begriffen  sei,  wan  er  sich 
beklagt  über  plötzlighe  mattigkeit  deß  liertzens  undt  aller  glieder,  fehlt 
ihn  schewr  oder  frost  undt  balt  darauf  grosse  hitze,  bißweilen  haben 
sey  ihnwendigh  grosse  hitze  und  eusserligh  frieren  ihnen  die  glieder,  klagen 
über  hefftigen  kopfwehe  undt  Schwindel  deß  haupts,  seint  ungewohnligh 
schwermüttigh  und  trewrigh,  haben  einen  uberauß  grosse  Zueneigungh  zum 
schlaff,  verwandelen  ihre  natürlighe  färbe  ihm  ahngesicht  undt  werden 
grewligh.  fahllen  zue  zeitten  ihn  Ohnmacht,  bekommen  einen  eckel  über 
die  speise  undt  verliehren  den  appetit,  empfinden  dürre  ihm  mundt  undt 
bißweilen  durst,  bekommen  einen  kurtzen  athem,  hertzklopfen,  drücken  umb 
die  brüst  undt  dergleichen  zuefäll,  brechen  undt  übergeben  sich  auch  offt- 
malilß  undt  schwitzen  einen  kalten  ubelrüclienden  schwitz  auß,  haben 
schnellen  undt  ungleichen  puls.  Auch  wo  die  natur  stark,  schiessen  blätteren 
und  beulen  auff  hinder  den  obren,  ahn  den  knien,  untter  den  armen,  ihm 
geschöß  undt  anderen  örteren  deß  leibß,  welge  autfschiessungh  bei  den 
meisten  erst  ahm  anderen  oder  dritten  tagh  zue  geschehen  pflegt,  dero- 
wegen  man  mit  der  cur  nit  allzeit  daß  zeichen  erwarten  soll. 

Wan  nuhn  ihn  sterbenßzeitten  sich  bey  iemandt  ietzgemelte  zeichen 
finden  oder  der  mehrertheil,  (dan  bey  iedem  menschen  sey  sich  nit  all- 
zeit alle  finden)  soll  man  nit  erstligh  nach  dem  medico  senden,  sonderen 
ohne  verzugh  ein  alexipharmacum  1  oder  eine  artzeney  wieder  den  gifft  ein- 
nehmen, die  man  dan  nit  erst  auß  den  apotecken  holen  soll,  sunderen 
tagh  undt  nacht  bey  sich  bereit  haben  soll:  dann  die  krankheit  leidet 
keinen  verzugh,  sunderen  sey  eihlet  alßbalt  zum  hertzen  undt  wo  8  oder 
12  stunden  verflossen,  wirt  man  ihr  wenigh  abbrach  thuen  künnen,  auch  under 
hundert  kaum  einen  auffbringhen  künnen,  da  nembligh  die  natur  stareker 
alß  daß  giift,  welges  doch  selten  geschieht. 

Solge  anticlota  seint  Thiriack2,  Mithridat,  Diascondium  etc.  ein 
quintlein  oder  zwey  eingenohmen,  zertriben  ihn  einem  gifftessigh  etc.,  sich 
alßbalt  ihnß  bellt  gelegt  undt  wohl  geschwitzt;  aber  ia  acht  geben,  daß 
er  nit  schlaffe  den  ersten  tagh  undt  sunderligh  nit  ihm  schwitzen. 
Darumb  er  ettwaß  essigh  voir  die  nase  soll  halten,  wan  er  die  artzeney 
veleicht  wieder  alßbalt  von  sich  gebe,  soll  er  nach  außspülungh  deß 
niimdts  alßbalt  eine  andere  nehmen  biß  zum  dritten  undt  vierten  mahl, 
biß  er  sey  endtligh  behalte. 

Wan  er  nit  schwitzen  kuntte,  soll  man  ihm  warme  Ziegelstein  ihn 
ein  genetztes  leinentugh  gewicklet  oder    eine  fiesche  mitt  heissem  Avasser 

')  Giftiuistreibendc  Mittel  wie,  Kampfer,  Moschus,  etc. 

2)  Ein  altes  Universalmitte]  von  sehr  verwickelter  Zusammensetzung. 


—  111  - 

ahn  die  fuesse  setzen  undl  darneben  wohl  zuedecken,  oder  lege  ihm  ein 
warm  brodt  ihn  beide  seilten ;  oder  schneide  die  untere  rinde  vom  brodl 
ab  einer  glitten  handt  breidt,  giesse  darein  brandtwein  oder  sunsten  spanischen 
wein  mit  Thiriack  vermischt,  legs  ihm  warm  auff  den  nabel  undt  laß 
ihnen  so  schwitzen;  daß  brodt  muß  man  hernach  tief  ihn  die  erde  begraben. 

Den  gifft  vom  hertzen  zue  ziehen,  binde  ihme  ihm  wehrenden  schweiß 
gestossen  rättigh  ahn  die  fueßsolen,  ziehet  gifft  undt  hitze  herunter;  oder 
lege  ihme  ein  vesicatorium  auff  den  pultz,  ahn  die  handt,  oder  ahn  den 
grosse  zehe  auff  den  fueß,  biß  eß  einen  zimblighe  blase  anffzeugt,  durch 
welge  hernach  ein  wulner  laden  gezogen,  daß  eß  stättigh  außfliesse. 

Damit  er  aber  ihm  schwitzen  nit  krafftloß  werde,  halte  ihm  weiß- 
brodt  ihn  n'ialveser  granaten  wein,  citronen  saff't  etc.  geweichet  voir  die 
nase;  oder  ein  schwämlein  genezt  ihn  gifftessigh  und  rosenwasser,  darum 
thiriack  zertriben,  oder  halte  ihme  eine  frische  citron  voir  die  nase.  Inner- 
ligh  zue  erquickungh  gib  ihme  einen  leffel  citronen  oder  granaten  wein, 
joliansbeersafft,  rosenzueker,  confect  de  hermes  ihu  einem  bequemen 
wasser  zerlassen. 

Wan  er  geschwitzt,  huette  er  sich  voir  die  lnfft  undt  wan  man  ihme 
den  schweis  mit  warmen  tucheren  abgetrucknet  undt  ein  weisses  hembt 
ahngelegt,  bringhe  man  ihnen  ihn  ein  gantz  neu  zugerichtes  frisch  bebt, 
ia  wo  mögligh  ihn  eine  andere  kammer. 

NB.  Wan  sichs  znetrüge,  daß  einer  alßbalt  nach  dem  essen  mit 
der  krankheit  wurde  begriffen,  soll  er  trachten,  daß  er  durch  hulff  eines 
vomitory  die  speise  alßpalt  wider  von  sich  gebe;  undt  hinfort  sich  alßbalt 
zum  schwitzen  schicken,  wie  ietzt  gesagt. 

Deß  kranken  speisen  sollen  wohl  dewligh  sein  zuegerustet  mit  citronen 
undt  granaten  safft,  joliansbeersafft  etc.  gerstengranen,  hünner  suppen, 
iunghe  hüner,  gestossene  mandelen,  darunter  man  hirschorn  undt  bereittete 
perlen  mag  vermischen. 

Der  tranck  seye  ein  geringhes  bier  oder  ein  gersten  wasser,  man  kan 
allzeit  ein  wenigh  gifftessigh  darunter  mengen. 

Wan  der  patient  nuhn  einmahl  außgesehwitzet,  auch  et!  was  speise 
zue  sich  genohmen,  soll  man  nit  gedencken,  daß  nuhn  alles  geschehen  sey. 
Sunder  über  ettlighe  stunden  ihm  wieder  ein  Antidot  um  eingeben  (alterius 
generis),  ihn  lassen  schwitzen  undt  machen  wie  obengesagt.  Mau  ihn  den 
ersten  zweyen  oder  dreyen  tagen  ist  nöttigh,  fast  alle  stunden  entweder 
durch  artzeneyen,  speis  undt  tranck  dem  gifft  zue  wiederstehen  undt  offl 
continuiren,  dan  die  pest  ist  tuckigsch. 

Zum  durst  brauche  man  niandelmileh  undt  mische  allzeit  et t was 
giffttreibendes  daruntter  alß  gebrandt  uirschorn  etc.  Item  gebrauche  kühlende 
latwergen  undt  dieses  alles  continuire  biß  zue  augenscheinligher  besserungh, 
da  man  dan  allgemagh  die  Antidota  minuiren  kau  ohne  darauf  zue  schwitzen  ', 
undt  wan  er  gantz  genesen,  pleibe  er  noch  .  .  .'  zue  liaiili,  damit  ettwas 
anders  gecansirt  werde. 


*)  unleserlich. 


—  112  — 

Wan  die  natur  daß  gafft  ahn  einigem  ort,  nembligh  hinder  den  oliren, 
under  den  knien,  under  den  achselen  nndtilim  geschös  [erzeugt],  snlges  kan  man 
merken,  so  man  huestet  oder  reuspert,  dan  also  findet  man  schmertzen 
ahn  den  örtheren,  da  die  blätteren  oder  beulen  willen  auffahren,  so  soll 
man  den  orth  warm  halten  undt  einen  laßkopf  oder  vesicatorium,  wohe  die 
natur  zue  schwach  wäre,  von  sich  gelbsten  außzuetreiben,  darauff  setzen, 
ytem  ein  biachylonpflaster  oder  ein  cataplasma  von  gebratenen  Zwiebelen, 
Thiriack,  venedigscher  seifen,  rettigh  etc.  So  palt  aber  die  blätteren 
almfanghen  schwartz  zue  werden,  so  müssen  sey  mit  einer  Hinten  eröfnet 
werden. 

Zu  den  flecken  ist  guet  schrepfen  under  den  armen  undt  neben  der 
schäm,  doch  nitt  ihm  ahnfangh  alßpalt,  sundern  nach  dem  schwitzen.  » 

Welge  den  patienten  anffwarten,  sollen  wochentligh  zweymahl  ein 
quintlein  pestilens  pulver  nehmen,  abends  undt  morgens  den  nmndt  wohl 
spülen   mit   gitftessigh,    daß   Zahnfleisch    reiben   mit   Mithridat,    die   nase 

offt  besehniireii  mit  einem  nasensälblein,  ihm  mundt 

i 

Wan  der  kranken 1  nöhten,  soll  man  .  .  .  . 1.  voller  wasser  bey  ihnen 
setzen,  auch  ein  warmes  .  .  . 1.  von  einander  gebrochen  dan  sulges  zeugts 
g-ifft  ahn  sich. 

Den  tödten  soll  man  innerhalb  24  stunden  nit  begraben,  dan  offt 
erfahren,  daß  sey  nuhr  ihn  eine  Ohnmacht  gefallen  undt  darnach  wider 
zue  ihnen  selber  kommen. 

Wegen  anderen  znefällen  kan  man  sich  durch  eine  discrete  person 
bey  dem  medico  rahts  erholen. 

NB.  so  palt  einem  eine  drüsen  außschiesset  lege  er  alßpalt  einen 
eyer  dotter  darauf  mit  einem  wenigh  saltz  (oder  aber  öhl)  undt  verendere 
die  eyer  dotter  offt. 


J)  unleserlich. 


Fragen. 

1.  Wer  kann  den  Namen  Lousberg  erklären?  Derselbe  wird  in  einer  Urkunde  vom 
Jahre  997,  27.  Oktober  dreimal  genannt  „in  monticulo  Luouesberg  dicto",  „monticulum 
luouesberc  nominatum",  „in  monticulo  luouesberc".  Im  Jahre  1005,  7.  Juli  heisst  er 
„huiesberc".  1059,4.  März  „nominatim  autem  eapellam  in  monte  luouesberch  positam". 
1226,  Juli.  „Capellain  in  monte  Luiesberch  positam".  (Vgl.  Lacomblet,  (Trkunden- 
buchBd. I,  II.)  In  der  Grafschaft  Altena  liegt  ein  ehemals  zur  Abtei  Siegburg  gehörender 
Berg  last  gleichen  Namens.  Derselbe  heisst  zum  Jahre  1096,  13.  Dezember  „Louesbore," 
1109,  28.  November  „Luuesbercli",  1116  „Lüuisberg",  1181,  18.  November  „Luues- 
berg".     (Ebendaselbst.)  A. 

2.  Der  Thiergarten,  in  welchem  Karl  der  Grosse  öfters  zu  jagen  pflegte,  erstreckte  sich 
in  südöstlicher  Richtung  von  Aachen.  Die  gleichzeitigen  Urkunden  nennen  ihn  „bro- 
gilus"  =  Brühl.  Sind  in  dieser  Gegend  vielleicht  noch  Flurnamen  vorhanden,  in  welchen 
eine  Erinnerung  an  diesen  Park  fortleben  möchte?  B. 

Dkcck   von   Hermann   Kaatzeh  in  Aachen. 


Mmb  Mmh^uB  übtzeil 


Jährlich  8  Nummern 

ä  1  Bogen  Royal  Oktav. 

Preis  des  Jahrgangs 

4  Mark. 


Kommissions -Verlag 

der 

Cremer'srlu'ii  Buchhandlung 
(C.  Cazin) 

in  Aachen. 


Mittheilungen  des  Vereins  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 


Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  Dr.  K.  Wieth. 

Nr.  8.                             Zweiter  Jahrgang. 

1889. 

Inhalt:     K.   Wieth,    Das    Landschiff  von    Cornelimünster    im    Jahre    1133. 
Mittheilungen:  Der  Rodensteiner.  -  -  Verzeichniss  der  Mitglieder. 

—  Kleinere 

Das  Landschiff  von  Cornelimünster  im  Jahre  1133. 

Von  K.  Wieth. 

Rudolf,  ein  Abt  des  Klosters  St.  Trond  in  Belgien,  verfasste  in  der 
ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  eine  Geschichte  seines  Klosters  und 
der  Aebte  desselben.  Im  12.  Buche  seiner  Chronik  berichtet  er  nun  eine 
merkwürdige  Geschichte,  die  auch  Aachen  in  besonderem  Masse  angeht 
und  deshalb  hier  kurz  mitgetheilt  werden  möge.    Er  sehreibt1: 

„Gott   erweckte  —  ich  weiss  nicht   zum  wievielten  Male!  über 

uns  den  Engel  des  Satans,  damit  er  unsere  Sünden  strafte.  Und  bis  heut 
noch  ist  seine  Hand  über  uns  ausgestreckt,  und  sein  Zorn  noch  nicht 
abgewandt. 

Es  gibt  eine  Klasse  von  Handwerkern,  deren  Thätigkeit  es  ist,  ans 
Flachs   und  Wolle   Gewebe   herzustellen.     Sie   stehen    allgemein    in    dein 


!)  Gesta  abbatum  Trudonensiura  lib.  XII  ad  annum  1133  in  Mon.  Genn.  SS.  X  p.  309 

sequ „Cumque  ad  baue  abbas  et  sollicitaret  officiatos  et  sollicitaretur  a  fratribus, 

suseitavit  Deus,  en  nescio  qnota  vice!  super  nos  angeluui  satanae,  ut  ei  operis  impedimento 
nos  contristaret,  et  substantiae  detrimento  peceata  nostra  puniret.  A.dhuc  enim  manus 
eius  extensa  super  nos,  et  ira  uon  erat  aversa.    Provenit  autem  sub  hac  occasione. 

Est  genus  bominum  mercennarioruui,  quorum  officium  est  ex  lino  et  lana  texere 
telas,  hoc  procax  et  superbum  super  alios  mercennarios  vulgo  reputatur.  Ad  quorum 
procacitatem  et  superbiam  humiliandam  et  propriam  iniuriam  de  eis  alciscendam  pauper 
quidam  rusticus  ex  villa  nomine  Inda  (Cornelimünster)  hanc  diabolicam  exeogitavil  tegnam 
(dolum).    Accepta  a  iudieibus  mlucia  et  a  levibus  hominibus  auxilio,  qui  gaudenl   iocis 


—  114  — 

Rufe,  gegen  andere  Handwerker  anmassend  und  hochmüthig  zn  sein.  Um 
nun  diesen  ihren  Uebermuth  zn  deniüthigen  und  persönlich  erlittenes  Unrecht 
an  ihnen  zu  rächen,  ersann  ein  armer  Landmann  aus  dem  Dorfe  luden  (jetzt 
Cornelimünster)  folgenden  teuflischen  Plan.  Mit  Erlaubniss  der  Richter 
und  mit  Hilfe  leichtfertiger  Menschen,  die  an  Spässen  und  neuen 
Einfällen  Freude  haben,  zimmerte  er  im  benachbarten  Walde  ein  Schiff 
und  befestigte  es  auf  untergelegte  Bäder,  sodass  es  über  Land  gefahren 
werden  konnte.  Er  erwirkte  auch  von  der  Obrigkeit,  class  die  Weber 
genöthigt  wurden,  dasselbe  mittelst  über  die  Schultern  geworfener  Stricke 
von  luden  nach  Aachen  zu  ziehen.  Obgleich  es  in  Aachen  unter  grosser 
Prozession  von  Menschen  beiderlei  Geschlechts  eingeholt  worden  war, 
wurde  es  nichtsdestoweniger  von  den  Webern  nach  Mastricht  gefahren, 
dort  ausgebessert  und  mit  Mast  und  Segel  versehen,  darauf  nach  Tongern, 
von  da  nach  Los  gebracht.  Als  der  Abt  Rudolf  von  der  Annäherung 
des  in  sündhafter  Absicht  erbauten  Schiffes  hörte,  warnte  er  die  Mitbürger 
eindringlich,  sich  doch  ja  der  Aufnahme  desselben  zu  enthalten;  denn 
unter  diesem  possenhaften  Aufzuge  würden  Teufelsgeister  verschleppt  und 
durch  sie  in  kurzer  Zeit  Empörung,  Mord,  Brand  und  Raub  erregt  und 
Menschenblut  in  Menge  vergossen  werden.  Aber  trotzdem  er  in  dieser  Weise 
unausgesetzt  abmahnte,  so  lange  als  der  Satanstempel  in  Los  verweilte, 
so  wollten  unsere  Bürger  doch  nicht  hören,  sondern  sie  nahmen  denselben 
mit  gleicher  Begeisterung  auf,  wie  einst  die  Trojaner  das  verhängniss- 
volle  Pferd,  durch  welches  sie  sich  selbst  zu  Grunde  richten  sollten. 
Feierlich  wurde  es  mitten  auf  dem  Markte  aufgestellt.  Sogleich  erhalten 
die  Weber  des  Ortes  die  Weisung,  den  gottlosen  Wachtdienst  bei  dem 
Götzengebild  zu  übernehmen,  so  sehr  sie  sich  sträubten. 

0  heiliger  Vater!  Wer  hat  jemals  eine  solche  thierische  Rohheit 
bei  vernünftigen   Wesen   wahrgenommen,   wer  eine   solche   Gesinnung  bei 

novitatibus,  in  proxiina  silva  navim  coinposuit  et  eam  rotis  suppositis  affigens  vehibilem 
super  terram  effecit. 

Obtinuit  quoque  a  potestatibus,  ut  iniectis  funibus  textorum  humeris  de  Inda 
Aquisgrani  traheretur.  Aquis  suscepta  cum  grandi  hominum  utriusque  sexus  processione, 
nihilominus  a  textoribus  Traiectum  est  pervecta,  ibi  enieudata  et  malo  veloque  insignata, 
Tungris  est  inducta,  de  Tungris  Los.  Audiens  abbas  Rudolfus  navim  illam  infausto  com- 
pactam  omine,  maloque  solutam  alite  cum  buiusmodi  gentilitatis  studio  nostro  oppido 
adventare,  presago  spiritu  bominibus  predicabat,  ut  eius  susceptione  abstinerent,  quia 
maligni  Spiritus  sub  bac  ludificatione  in  ea  traherentur,  in  proximoque  seditio  per  eam 
moveretur,  unde  cedes,  incendia  rapinacque  fierent,  et  humanus  sanguis  multus  funderetur. 
Quem  ista  declamantem  omnibus  diebus,  quibus  malignorum  spirituum  illud  simulacbrum 
Los  morabatur,  oppidani  nostri  audirc  noluerunt,  sed  eo  studio  et  gaudio  excipientes,  quo 
perituri  Troiani  fatalem  equum  in  medio  fori  sui  dedicaverunt.  Statim  proscriptionis 
sententiam  accipiunt  villac  textores,  qui  ad  profanas  buius  simulacbri  excubias  venirent 
tardiores.  Papc!  Quis  hominum  vidit  unquam  tantam  —  ut  ita  liceat  latinizare  —  in 
rationalibus  animalibus  brutuitatem?  quis  tantam  in  rcnatis  in  Christo  gentilitatem?  Coge- 
bant  scntentia  proscriptionis  textores  nocte  et  die  navim  stipare  omni  armaturae  genere, 
sollicitasquc  excubias  nocte  et  die  contfnuare.  Mirumque  fuit,  quod  non  cogebant  eos 
ante  navim  Neptuno  hostias  immolare,  de  cuius  naves  esse  solent  regionc;  sed  Ncptunus 
eas  Marti  reservabat,  cui  de  humanis  carnibus  fieri  volebat.  Quod  postea  multipliciter 
factum  est. 


•  —  115  — 

den  in  Christo  Wiedergeborenen?!  Sie  zwangen  die  Weber,  Tag  und 
Nacht  den  beschwerlichen  Wachtdienst  fortzusetzen.  Und  zu  verwundern 
war  es  noch,  dass  sie  dieselben  nicht  nöthigten,  vor  dem  Schiffe  dem 
Neptun  Opfer- zu  schlachten,  dessen  Bereich  die  Schiffe  zugehören  sollen; 
aber  Neptun*  sparte  sie  für  Mars  auf,  welchem  nach  seinem  Willen 
Menschenopfer  gebühren,  was  auch  später  wirklich  geschah.  Indessen 
riefen  die  Weber  heimlich  und  mit  inbrünstigem  Seufzen  Gott,  den  gerechten 
Richter,  zum  Rächer  über  Diejenigen  an,  welche  sie  zu  dieser  Schmach 
herabgestossen ;  da  sie  ja  doch  nach  dem  Beispie]  der  alten  Christen  und 
apostolischen  Männer  von  der  Arbeit  ihrer  Hände  lebten.  Tag  und  Nacht 
arbeitend,  um  sich  und  ihre  Kinder  zu  ernähren  und  zu  kleiden.  Sie 
beklagten  sich  gegenseitig  unter  Thränen.  warum  gerade  ihnen  mehr  als 
andern  Handwerkern  diese  Schmach  und  schandbare  Vergewaltigung  angethan 
würde,  da  doch  unter  den  Christen  noch  mehr  andere  Geschäfte  und 
verächtlichere  als  die  ihren  wären,  wiewohl  sie  keines  für  schimpflich 
halten  könnten,  womit  ein  Christenmensch  ohne  Sünde  sein  Fortkommen 
finden  möchte,  und  dass  nur  das  allein  meidenswerth  und  niedrig  wäre, 
was  eine  Befleckung  der  Seele  herbeiführe,  und  dass  ein  bäurischer  und 
armer  Weber  besser  sei  als  ein  städtischer  und  vornehmer  Reicher,  der 
Waisen  und  Wittwen  bedrückte.  Während  sie  so  jammerten,  ertönte  von 
jenem  abscheulichen  Sitze,  ich  weiss  nicht  welches  Götzen,  ob  des  Bachus 
oder  der  Venus,  Neptuns  oder  des  Mars,  wahrscheinlich  aber  aller  bösen 
Geister,  die  verschiedenartigste  Musik  und  schändliche,  der  christlichen 
Religion  unwürdige  Lieder,  welche  im  Chore  gesungen  wurden.  Es  war 
auch  von  der  Obrigkeit  bestimmt  worden,  dass  mit  Ausnahme  der  Weber 
Jedermann,  der  das  Schilf  berührte,  ein  Pfand  von  seinem  Halse  den 
Webern  zurücklassen  musste,  wenn  er  sich  nicht  nach  Belieben  loskaufte. 
Soll  ich  weiter  sprechen  oder  schweigen?  0.  dass  doch  der  Geist 
der  Lüge  von   meinen  Lippen   tröpfelte!   Beim  Schwinden  des   Tages,   als 


Textores  interhn  oeculto  sed  precordiah'  gemitu  Deum  iustum  iudicem  super  eos 
vindicem  invocabant,  qui  ad  haue  ignominiam  eos  detrudebant,  cum  iuxta  reetam  vitam 
antiquorum  ehristianorum  et  apostolicorum  virorum  manuum  suarum  laboribus  viverent, 
nocte  ac  die  operantes  unde  alerentur  et  vestirentur  liberisque  suis  id  ipsum  providerent. 
Querebant  etiam  et  conquerebantur  ad  iuvicem  lacrimabiliter,  unde  Ulis  magis  quam  aliis 
mercennarüs  baec  ignominia  et  vis  contumeliosa,  cum  inter  ebristianos  plura  alia  essenl  officia 
suo  multuiu  aspemabiliora,  cum  tarnen  nullum  ducerenl  aspemabile,  de  quo  ebristianus 
posset  se  sine  peccato  conducere,  illudque  aolum  essel  vitabile  ei  ignobile  quod  immun- 
diciam  peccati  contraberet  animae,  meliorque  sit  rusticus  textor  ei  pauper,  quam  exaetor 
orphanorum  et  spoliator  viduarum  urbanus  et  nobilis  iudex.  Cumque  haec  ei  horum  similia 
secum,  ut  dixi,  lacrimabiliter  conquererentur,  concrepabanl  ante  illml,  nescio  cuius  potius 
dicam,  Bacehi  an  Veneris,  Neptuni  sive  Martis,  sed  ut  verius  dicam,  ante  omnium  mali- 
gnorum  spirituum  execrabile  domicilium  genera  diversorum  inusicorum,  turpia  cantica  ei 
religioni  christianae  indigna  concinentium.  Sanccitum  quoque  erat  a  iudieibus,  ut  preter 
textores  quieunque  usque  ad  tactum  navis  appropinquarent,  pignus  de  collo  eorum  eroptum 
textoribus  relinquerent,  nisi  se  ad  libitum  redimerent.  Sed  quid  faciam?  Loquarne  an 
sileam?  Utinam  gpiritus  mendacii  3tillaret  de  labiia  iuris!  Sub  fugitiva  adbuc  Iure  diei, 
imminente  iam  luua,  matronarum  catervae,  abiecto  femineo  pudore,  audientes  Btrepitum 
buius  vanitatis,  passis   capillis  de   stratis   suis  exiliebant,   aliae  seminudae,  aliae  simplici 


—  116  — 

schon  der  Mond  am  Himmel  stand,  kamen  Schaaren  verheiratheter  Frauen, 
als  sie  den  Lärm  dieses  unsinnigen  Treibens  vernahmen,  unter  Hint- 
ansetzung* aller  weiblichen  Scham,  mit  aufgelösten  Haaren  aus  ihren  Gassen 
hervorgesprungen,  die  einen  halbnackt,  die  andern  nur  in  einfachem  Unter- 
rock, und  mischten  sich,  schamlos  vordringend,  unter  die  Leute,  welche 
um  das  Schiff  herum  Chortänze  aufführten.  Da  konnte  man  zeitweilig  an 
1000  Menschen  beiderlei  Geschlechtes  sehen,  wie  sie  bis  Mitternacht  die 
ungeheuerlichste  und  abscheulichste  Abgötterei  trieben.  Endlich  brach 
man  die  verwünschten  Tänze  unter  wüstem  Geschrei  ab,  und  Männlein 
und  Weiblein  verloren  sich  in  wildem  Sinnentaumel  dahin  und  dorthin. 
Was  nun  geschah,  das  mögen  jene  erzählen,  denen  es  gefiel  zuzusehen 
und  mitzumachen,  an  uns  ist  es,  zu  schweigen  und  zu  trauern,  die  wir 
dafür  büssen  müssen. 

Nachdem  man  solchen  Götzendienst  mehr  als  12  Tage  auf  obengenannte 
Weise  gefeiert  hatte,  hielten  die  Bürger  Rath,  was  zu  thun  sei,  um  das 
Schiff  schnell  wieder  hinwegzubringen.  Die  Vernünftigeren  nun,  denen  es 
leid  war,  dass  man  das  Schiff  aufgenommen  hatte,  da  sie  für  das  Geschehene 
die  Strafe  Gottes  .fürchteten  und  schon  das  künftige  Unheil  ahnten,  malmten, 
das  Schiff  zu  verbrennen  oder  es  sonst  auf  irgend  eine  Weise  aus  der  Welt 
zu  schaffen.  Aber  die  thörichte  Blindheit  Einiger  sträubte  sich  schändlich 
gegen  diesen  heilsamen  Vorschlag ;  denn  die  bösen  Geister  darin  hatten 
im  Volke  den  Glauben  verbreitet,  dass  der  Ort  sammt  seiner  Bevölkerung 
für  alle  Zeiten  verrufen  sein  würde,  in  welchem  das  Schiff  zurückgehalten 
worden  wäre.  Daher  beschlossen  sie,  es  zur  Nachbarstadt  Leew  weiter 
zu  fahren. 

Unterdessen  hatte  der  Herr  von  Löwen  von  dem  gotteslästerlichen 
Wesen  jenes  Schiffes  Kunde  erhalten.  Von  religionseifrigen  Männern  ermahnt, 


tantum  clamidc  circumdatae,  chorosque  ducentibus  circa  navim  impudenter  irrumpendo 
se  ammiscebaut.  Videres  ibi  aliquando  mille  honiinuin  auimas  sexus  utriusque  prodigiosum 
et  infaustura  celeuma  usque  ad  noctis  medium  celebrare.  Quando  vero  execrabilis  illa 
chorea  rumpebatur,  emisso  ingenti  clamore  vocum  inconditarum  sexus  uterque  hac  illacque 
bachando  ferebatur.  Quae  tunc  illic  agebantur,  illorum  sit  dicere,  quibus  libuit  videre 
et  agere,  nostrum  est  tacere  et  deflere  quibus  modo  contingit  graviter  luere. 

Istis  tarn  nefandis  sacris  plus  quam  duodeciin  diebus  supradicto  ritu  cclebratis,  con- 
ferebant  simul  oppidani,  quid  agerent  amodo  de  deducenda  a  se  navi.  Qui  sanioris  erant 
consilii  et  qui  eam  susceptam  fuisse  dolebant,  timentes  Deuin  pro  bis  quae  facta  viderant 
et  audierant  et  sibi  pro  Ms  quae  futura  conitiebant,  hortabantur,  ut  combureretur,  aut  isto 
vel  illo  modo  de  medio  tolleretur.  Sed  stulta  quorundam  cecitas  huic  salubri  consilio  con- 
tumeliose  renitebatur,  nam  maligni  spiritus  qui  in  ea  ferebantur  disseminaverant  in  populo, 
quod  locus  ille  et  inhabitantes  probroso  nomine  amplius  notarentur,  apud  quos  remansisse 
inveniretur.     Deducendam  igitur  eam  ad  villam   quae  iuxta  nos  est  Leugues  decreverunt. 

Interea  Lovaniensis  dominus  audiens  de  demonioso  navis  illius  ridiculo,  instructusque 
a  religiosis  viris  terrae  suae  de  illo  vitando  et  terrae  suae  arcendo  monstro,  gratiam  suam 
et  amicitiam  mandat  oppidanis  nostris,  commonefaciens  eos  humiliter,  ut  pacem  illam,  quae 
inter  ipsos  et  se  erat  reformata  et  sacramentis  firmata,  non  infringerent  et  inde  preeipue, 
si  illud  diaboli  ludibrium  viciniae  suae  inferrent.  Quod  si  ludum  esse  dicerent,  quererent 
alium  cum  quo  inde  luderent,  quia  si  ultra  hoc  mandatum  committerent,  pacem  predietam 
in  cum  effringerent,  et  ipse  vindietam  in  cos  ferro  et  igne  exequeretur.  Id  ipsuin  manda- 
verat  Duracbiensibus  dominis,  qui  et  homincs  eius  fuerant  manuatim  et  interpositis  sacra- 


•  —  117  — 

das  Götzengebild  von  seinem  Gebiete  fern  zu  halten,  entbietet  er  unsern 
Städtern  Gruss  und  Freundschaft  und  bittet  sie  inständig,  den  zwischen 
ihm  und  ihnen  feierlich  geschlossenen  Frieden  nicht  dadurch  zu  brechen, 
dass  sie  jenes  Teufelswerk  seinem  Gebiete  zuführten.  Wenn  sie  meinten, 
es  sei  nur  ehi  Spiel,  so  möchten  sie  sich  einen  andern  suchen,  mit  dem  sie 
ihren  Spass  trieben;  denn  er  würde,  falls  sie  diesem  seinem  Verlangen  nicht 
nachkämen,  den  Frieden  für  gebrochen  ansehen  und  mit  Feuer  und  Schwert 
Rache  an  ihnen  nehmen.  Das  Gleiche  begehrte  er  von  den  Herren  von 
Durach,  seinen  Lehnsleuten.  Aber  obschon  er  dreimal  diese  Forderung 
stellte,  wurde  er  dennoch  sowohl  von  den  unsrigen  als  auch  von  (\m  Herren 
von  Durach  abgewiesen.  Denn  wegen  der  Sünden  der  Einwohner  wollte 
der  Herr  über  unsern  Ort  das  Feuer  und  die  Waffen  der  Lovanienser 
herabsenden.  Auch  Graf  Gyselbert  schloss  sich  entgegen  dem  Adel  seines 
Geschlechtes  dem  verblendeten  Volke  an  und  liess  das  Schiff  bis  nach 
Leew,  jenseits  der  Stadt  Durachium,  überführen,  begleitet  von  allen 
unsern  Städtern  und  ungeheuerem  Jubelgeschrei  der  rasenden  Menge.  Die 
Bürger  von  Leew  jedoch,  klüger  als  unsere,  gehorchten  dem  Willen  des 
Herrn  von  Löwen,  schlössen  die  Thore  und  Hessen  das  unselige  Gebild  in 
ihre  Stadt  nicht  eintreten.  Der  Herr  von  Löwen  aber  wollte  die  Nicht- 
beachtung seiner  Bitten   und  Befehle   nicht   ungestraft   lassen Er 

führte  also  ein  grosses  Heer  gegen  uns,  und  alle  unsere  Besitzungen  wurden 
niedergebrannt  und  geplündert  ....  alles  wegen  des  unseligen  Erscheinens 
jenes  Landschiffes." 

In  diesem  Berichte  fällt  zunächst  der  irreligiöse  Charakter  auf, 
welcher  dem  Aufzuge  beigelegt  wird.  Abt  Rudolf  kann  nicht  Worte 
genug  finden,  seinem  Abscheu  gegen  das  Schiff  und  seine  Verehrung  Aus- 
druck zu  geben.  Er  nennt  das  Unternehmen  des  Erbauers  eine  teuflische 
List  „diabolicam  technam",  und  dass  es  in  unseliger  Absicht  gezimmert 
„infausto  compaetam  omine",  der  Sitz  aller  bösen  Geister  und 
heidnischer  Götzen  sei  „simulacrum  malignorum  spirituum",  „execrabile 
domicilium  Bachi,  Veneris,  Neptuni,  Martis",  sed,  ut  verius  dicam,  omnium 
malignorum   spirituum".     Unerhört   ist  ihm  eine  solche  thierische  Rohheil 


mentis  et  datis  obsidibus  sibi  confoederati.  Hoc  cum  iam  tercio  fecisset,  spretus  esl  tarn 
ab  oppidanis  aostris  quam  a  Durachiensibus  dominis.  Nam  propter  peccata  inhabitantium 
volebat  dominus  immittere  super  Locum  nostrum  ignem  et  arma  Lovaniensium.  A.d  haue 
igitur  plebeiam  fatuitatem  adiunxit  se  comes  Gyslebertus  contra  generis  sui  uobilitatem, 
trahendamque  deerevit  navim  illam  fcerream  usque  Leugues  ultra  Durachium  villam.  Quod 
et  fecit  malo  uostro  omine  cum  omni  oppidanorum  uostrorum  multitudine  e1  ingenti  deba- 
chantium  voeiferatione.  Leuguenses  oppidani,  uostris  prudentiores  ei  Lovaniensis  domini 
mandatis  obsequentes,  portas  suas  clauserunt,  et  infausti  ominis  monstrum  villam  suam 
intrare  non  permiserunt.  Lovaniensis  vero  dominus  precum  suarum  e1  mandatorum  con- 
temptum  nolens  esse  inultum,  diem  constituil  comitibus  tanquam  suis  hominibus,  qui  neque 
ad  primum  neque  ad  seeundum  sed  nee  etiam  ad  tertium  venire  voluerunt  Eduxil  ergo 
contra  cos  et  contra  nos  multae  multitudinis   exercitum  armatorum  tarn  peditum  quam 

militum pedites  et  milites  per  omnia  nostra  circuadiacentia  se  diffuderunt,  villas 

Dostras,  ai'cclesias,  molendina  et  quaeeunque  oecurebaut  combustioni  ei  perditioni  tradentes 
propter  terrestris  navis  malignum  adventum.— " 


—  118  — 

(brutuitas),  ein  solch  heidnisches  Gebaliren  (gentilitas)  bei  Christen.  Scham- 
los und  sündhaft  nennt  er  das  Treiben  der  Männer  und  Frauen,  ihre 
Gesänge,  ihre  Tänze.  Er  lässt  die  Weber  die  Rache  Gottes  herabbeschwören 
über  diejenigen,  die  sie  zu  solch  verabscheuungswürdigem  Götzendienst 
gezwungen  hätten. 

Ganz  das  entgegengesetzte  Benehmen  zeigen  die  weltlichen  Behörden. 
Nicht  nur  geben  sie  die  Erlaubniss  zur  Erbauung  des  Schilfes,  sondern 
unterstützen  auch  durch  ihre  Autorität  die  Forderung,  dass  die  Weber  die 
Beförderung  und  den  Dienst  desselben  übernehmen  müssten,  und  dies  in 
den    meisten   Ortschaften,    durch   welche   der   Aufzug  seinen  Weg  nimmt! 

Dabei  bewegt  sich  der  ganze  Kult  in  festen,  sicheren  Formen.  „Wie 
wäre  der  Bauer  im  Walde  zu  Inden,  fern  von  aller  Schifffahrt,  sagt  Jakob 
Grimm,  darauf  verfallen,  ein  Schilf  zu  bauen,  wenn  ihm  nicht  Erinnerungen 
an  frühere  Prozessionen,  vielleicht  auch  in  benachbarten  Gegenden  vor- 
geschwebt hätten  ? "  Wie  hätte  er  sonst  sofort  die  Zustimmung  und  freudige 
Unterstützung  anderer  finden  können,  wenn  es  wirklich  blos  ein  zufälliger 
Einfall  „iocus  et  novitas"  eines  Einzelnen  gewesen  wäre?  Das  Schiff  zieht 
von  Ortschaft  zu  Ortschaft.  Ueberall  wissen  die  Weber,  welche  Art  von 
Dienstleistungen  sie  auszuführen  haben;  Männer  und  Weiber  singen  Chor- 
lieder, die  seit  längst  bekannt  und  gesungen  sein  mussten,  führen  Tänze 
auf,  erkennen  ohne  Widerstreben  den  Webern  das  Recht  zu,  für  die 
Berührung  ein  Pfand,  einen  Loskaufpreis  zu  erheben.  Und  gar  die  Art 
des  nächtlichen  Treibens !  Das  unehrbare  Auftreten  der  Weiber  aus  sonst 
achtbarem  Bürgerstande!  Wäre  es  bei  einem  plötzlichen  Einfall,  einem 
schlechten  Scherze  eines  unbekannten  Bauers  erklärlich?  Schlechter- 
dings nicht.  Der  gesammten  Aufführung  muss  ein  altes  Herkommen, 
eine  gewohnte  und  allen  bekannte  Sitte  zu  Grunde  gelegen  haben, 
deren  von  der  Geistlichkeit  so  stark  getadelter  Charakter  vermutheil 
lässt,  dass  sie  vielleicht  bis  in  die  heidnische  Vorzeit  zurückreicht. 
Dafür  erklären  sich  auch  die  besten  Kenner  heidnisch-germanischen  Alter- 
thums  wie  Jakob  Grimm,  Simrock  u.  a.  Und  in  der  That  lässt  sich  eine 
Reihe  von  Berichten  herbeiziehen,  aus  denen  man  erkennt,  dass  unsere 
heidnischen  Ahnen  religiöse  Umzüge  ähnlicher  Beschaffenheit  geübt  und 
auch  noch  in  die  christliche  Zeit  vererbt  haben.  Jakob  Grimm  sagt: 
„Wahrscheinlich  lebten  unter  dem  gemeinen  Volk  jener  Gegend  damals 
noch  Erinnerungen  an  einen  uralten  heidnischen  Kultus,  der  Jahrhunderte 
lang  gehindert  und  eingeschränkt,  nicht  vollends  hatte  ausgerottet  werden 
können.  Ich  halte  dieses  im  Land  umziehende,  von  der  zuströmenden 
Menschenmenge  empfangene,  durch  festlichen  Gesang  und  Tanz  gefeierte 
Schiff  für  den  Wagen  des  Gottes  oder  lieber  jener  Göttin,  welche  Tazitus, 
der  Isis  vergleicht,  die  den  Sterblichen  gleich  Nerthus  Friede  und  Frucht- 
barkeit zuführte.  Wie  der  Wagen  verhüllt  war.  so  mochte  auch  der  Eingang 
in  das  innere  Schiff  den  Menschen  verwehrt  sein,  ein  Bild  der  Gottheit 
brauchte  nicht  darin  zu  stehn,  ihren  Namen  hatte  das  Volk  längst  ver- 
gessen, nur  die  gelehrten  Mönche  ahnten  noch  etwas  von  Neptun  oder 
Mars,  Bacchus  oder  Venus;  auf  das  Aeusserliche  der  alten  Feier  kam  die 


•'  —  119  — 

Lust  dos  Volkes  von  Zeit  zu  Zeil  wieder  zurück1".  Grimm  beruft  sich  auf 
Tazitus.  Dieser  römische  Schriftsteller  aus  der  Wende  <\r*  ersten  zum  zweiten 
Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  berichtet  über  die  Verehrung  einer 
weiblichen  Gottheit,  Nerthus,  der  mütterlichen  Göttin  der  Erde,  bei  den 
germanische»  Stämmen,  welche  der  Ostsee  anwohnten,  den  Longobarden, 
Reudignern,  Avionen,  Angeln,  Varinen,  Eudosen,  Suardonen  und  Vuithonen: 
„Das  einzig-  bemerkenswerthe  bei  diesen  einzelnen  Stämmen,  sagt  er,  ist  ihre 
Verehrung  der  Erdmutter  Nerthus.  Sie  glauben,  dass  die  Göttin  unter  den 
Menschen  erscheine  und  bei  den  einzelnen  Völkern  umherfahre.  Auf 
einer  Insel  des  Ozeans  befindet  sich  ein  heiliger  Hain  und  in  demselben 
ein  geweihter,  mit  einer  Decke  verhüllter  "Wagen.  Nur  dem  Priester  allein 
ist  die  Berührung  gestattet.  Dieser  lebt  der  Ueberzeugung,  dass  in  dem 
Innern  des  Wagens  die  Göttin  wohne,  und  er  begleitet  sie  mit  vieler  Ver- 
ehrung, wenn  sie  in  demselben,  von  Kühen  gezogen,  einherfährt.  Dann 
sind  glückliche  Tage  und  Feste  in  allen  Orten,  welche  die  Göttin  ihres 
Erscheinens  und  Verweilens  würdigt.  Gebannt  ist  aller  Kriegslärm,  keine 
Waffe  wird  berührt;  alles  Eisen  bleibt  verschlossen.  Friede  und  Ruhe 
sind  nur  dann  bekannt,  nur  während  dieser  Zeit  geliebt,  bis  die  Göttin, 
an  dem  Umgang  mit  Menschen  gesättigt,  von  demselben  Priester  in  ihren 
Tempel  zurückgeführt  wird.  Alsbald  wird  der  Wagen  und  die  Decke  und 
—  wenn  man  es  glauben  will  —  auch  die  Göttin  selbst  in  dem  verborgenen 
See  gereinigt,  die  dabei  beschäftigten  Sklaven  sogleich  im  See  ertränkt. 
Daher  eine  geheime  Scheu  und  heilige  Unwissenheit  in  Betreff  jenes  Wesens, 
dessen  Anblick  nur  mit  dem  Tode  erkauft  werden  kann-".  Soweit  über 
die  östlichen  Stämmen  Germaniens.  Für  die  westlichen  Völkerschaften, 
besonders  die  suevischen  Stämme,  berichtet  derselbe  Gewährsmann  von 
einem  ähnlichen  Göttinnendienst,  bei  welchem  statt  des  Wagens  ein  Schiff 
umhergeführt  wird:  „Ein  Theil  der  Sueven  opfert  der  Isis.  Woher  dieser 
fremde  Dienst  Grund  und  Ursprung  herleitet,  habe  ich  zur  Geuüge  nicht 
erfahren  können.  Nur  der  Umstand,  dass  das  Heiligthum  der  Göttin  nach 
Art  eines  kleinen  Schiffes  gebildet  ist  (in  modum  liburnae  ftguratum),  legt 
die  Vermuthung  nahe,  dass  dieser  Kult  aus  der  Fremde  eingeführt  sei3". 
Dieses  Fremde  liegt  aber  nicht  in  dem  Namen  Isis;  denn  die  suevische 
Göttin  führte  gar  nicht  diesen  Namen.  Derselbe  ist,  wie  auch  die  Namen 
Herkules,  Merkur,  Mars  von  den  römischen  Berichterstattern  den  ger- 
manischen Göttern  beigelegt  worden  und  zwar  deswegen,  weil  sie  mit  den 
entsprechenden  römischen  Gottheiten  Aehnlichkeü  hatten  und  also  dem 
Verständniss  des  römischen  Lesers  naher  gerückl  winden.  Der  lsi>kuli 
stammte  aus  Aegypten,  war  aber  bei  den  Griechen  und  Römern  der 
Kaiserzeit  weit  verbreitet  und  eifrig  geübt.  Schriftsteller  wie  Plutarch, 
Apulejus  u.  a.  berichten  ausführlich  darüber. 

Beim  Anbruch  des  Frühlings,  wenn  das  im  Winter  unbefahrene  Meer 
wieder  schiffbar  winde,    pflegte  man    in    feierlichem    Umzüge    dm-   [sis    ein 


!)  Grimm,  .1.  Deutsche  Mythologie  S.  L62. 

2)  Taeitus,  Germania  Cap.  40.     :)  Ebendaselbsl  Cap.  9. 


—  120  — 

Schiff  darzubringen.  Es  geschah  dies  am  5.  März,  und  dieser  Tag  wird 
im  Kalendarium  rusticum  durch  Isidis  navigium  „Schifffahrt  der  Isis" 
bezeichnet.     Apulejus  schildert  uns  den  Vorgang  also: 

„Nachdem  der  Göttin  glorreiche  Erscheinung  aus  den  Wogen  des 
Meeres  verschwunden  ist,  der  Himmel  in  reinster  Klarheit  strahlt,  beginnt 
der  Zug  mit  einer  Art  Fastnachtsvermummungen.  Einer  hat  sich  als 
Soldaten,  der  andere  als  Jäger,  der  dritte  als  Mädchen  verkleidet.  Hin- 
wiederum ein  anderer  als  Gladiator,  einer  als  Konsul,  einer  als  Philosophen, 
als  Vogelfänger,  Fischer.  Es  erscheint  ausserdem  ein  zahmer  Bär  in 
Frauenkleidung,  ein  Affe  mit  Ganymed,  ein  geflügelter  Esel  mit  Bellero- 
phon. Diesen  Vortrab,  der  mit  unsern  Fastnachtszügen  eine  überraschende 
Aelmlichkeit  hat,  nennt  Apulejus  XI,  9  „oblectationes  ludicras  popula- 
rium".  Hierauf  der  eigentliche  Zug:  weissgekleidete,  bekränzte  Frauen, 
die  den  Weg  der  Göttin  mit  Blumen  bestreuen,  andere  mit  Spiegeln  auf 
dem  Kücken,  mit  elfenbeinernen  Kämmen,  mit  denen  sie  das  königliche 
Haar  (der  Göttin?)  ordnen  und  flechten,  andere,  die  duftende  Salben  und 
Balsam  auf  die  Strassen  spritzen.  Hierauf  ein  Zug  beiderlei  Geschlechts 
mit  Laternen,  Kerzen  und  Fackeln.  Dann  sanfte  Flötenmusik:  „sympho- 
niae  dehinc  suaves,  fistulae  tibiaecpie  modulis  dulcissimis  personabant." 
Ferner  ein  Sängerchor  im  weissen  Gewände,  und  die  tibicines  des  grossen 
Serapis,  die  den  heiligen  Tempelmarsch  blasen.  Sodann  der  Zug  der  Ein- 
geweihten in  weissen  linnenen  Kleidern,  eherne,  silberne  und  goldene  Sistra 
schlagend.  Hierauf  erscheinen  die  Oberpriester,  einer  mit  einer  Laterne, 
der  zweite  s.  g.  auxilia,  eine  Art  von  Altären  tragend,  der  dritte  mit 
Palme  und  Schlangenstab,  der  vierte  eine  linke  Hand,  derselbe  ein  goldenes 
Gefäss  in  Form   einer  weiblichen  Brust,   der  fünfte  eine  goldene  Wanne, 

der  sechste  eine  Amphora  tragend Dann   die   mystische  Kiste  der 

Isis  und  das  heilige  geheimnissvolle  Bild  der  Göttin,  von  einem  andern 
Diener  getragen,  das  ich  für  ein  Schiff  halten  würde,  sowie  Tazitus  von 
den  Sueven  sagt,  sie  verehrten  die  Isis  in  Form  eines  Nachens,  wenn  nicht 
Apulejus  ...  es  weiterhin  nur  zu  klar  als  eine  gehenkelte  Vase  beschriebe. 
Aber  auch  hier  fehlt  der  Göttin  heiliges  Schiff  keineswegs.  Nachdem 
die  Verwandlung  des  Esels  in  einen  Menschen  vor  sich  gegangen,  eilt 
der  ganze  Zug  ans  Meer  und  der  höchste  Priester  weiht  nach  mannig- 
fachen Reinigungen  und  Gebeten  der  Göttin  das  heilige  mit  wundersamen 
ägyptischen  Gemälden  geschmückte  Schiff.  Mit  Aromen  wird  dann  das 
h.  Schiff  von  allen  Anwesenden  überschüttet,  und,  sobald  die  Anker  gelöst 
worden,  dem  weiten  Meere  anvertraut.  .  .Ä1. 


*)  Apulejus,  Metamorphoseon  XI  7  ff.  Vgl.  Lersch  L.  Bonner  Jahrbücher  IX 
111  ff.  Herr  Dr.  M., Lersch  theilt  die  nachfolgende  Stelle  aus  der  Schrift  de  mcnsihus 
des  Johannes  Lydus  mit,  eines  Schriftstellers,  der  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  u.  Chr. 
in  Byzanz  blühte;  aus  derselben  geht  hervor,  dass  diese  Feier  noch  in  sehr  später  Zeit 
lebendig  war  und  jährlich  am  5.  März  begangen  wurde:  „Ante  diein  3.  nonas  Martias 
Isidis  navigium  agebatur,  quod  etiam  nunc  agentes  „ploiaphcsia"  (Schiffsentlassung) 
vocant.  Isis  autem  Aegyptiorum  lingua  idem  quod  antiqua  valet,  i.  e.  luna  et  merito  eam 
colunt  ingredientcs  itinera  niarina,   propterea  quod   illa  aquarum  naturae  praeest."     Herr 


•  —  121  — 

In  ähnlicher  Weise,  wie  Apulejus  hier  schildert,  müssen  die  westlichen 
Germanen  ihre  Göttin  gefeiert  haben,  sodass  Tazitns  den  Eindruck  erhalten 
konnte,  es  sei  der  ihm  aus  Born  bekannte  Isiskult  dorthin  eingeführt 
worden.  Nun  ist  allerdings  nicht  zu  leugnen,  dass  die  römischen  Ein- 
dringlinge ihre  religiösen  Gebrauche  mit  an  den  Rhein  gebracht  und 
daselbst  eifrig  geübt  haben,  und  zahlreiche  Denkmäler  bezeugen  uns  die 
Verehrung  des  Mithras,  der  Isis  und  anderer  Gottheiten  daselbst.  Es  ist 
deshalb  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  alten  Deutschen  manches  aus  dem 
römischen  Ritual  für  ihren  heiniathlichen  Gottesdienst  übernommen  und 
ihrer  Eigenart  angepasst  haben,  sodass  allmählich  in  den  Gegenden  starker 
römischer  Bevölkerung  eine  Mischung  germanisch-römischer  Kulte  sich 
vollzogen  haben  mag. 

Noch  Jahrhunderte  später,  als  die  irischen  Missionare  das  Heidenthum 
in  Germanien  auszurotten  bemüht  waren,  beriefen  sich  die  Franken  und 
Allemanen,  um  ihre  heidnischen  Umzüge  gegen  die  Vorwürfe  des  Bonifazius 
zu  vertheidigen,  auf  ganz  ähnliche  Vorgänge  im  christlichen  Rom,  wo  sie 
ja  unter  den  Augen  des  obersten  Hirten  der  Christenheit  statt  fänden! 
Der  berühmte  Apostel  der  Deutschen  beklagt  sich  darüber  ernst  in  einem 
Briefe  an  den  Papst  Zacharias1,  wie  man  ihm  von  Seiten  der  Germanen 
entgegenhalte,  dass  am  Neujahrstage  jedes  Jahr  in  Rom  dicht  neben  der 
Peterskirche  nach  heidnischem  Gebrauch  bei  Tag  und  Nacht  Chortänze 
und  Gesänge  und  allerlei  anderes  heidnisches  Wesen  aufgeführt  würden, 
und  dass  die  Frauen  nach  Heidensitte  Amulette  und  Schutzbinden  um 
Arme  und  Beine  trügen  und  solche  auch  zum  Verkaufe  feil  böten.  „Wenn 
Ihr,  o  heiliger  Vater,  so  schliesst  er,  solch  heidnisches  Treiben  in  Rom 
verhindern  möchtet,  würdet  Ihr  Euch  damit  ein  Verdienst  erwerben,  uns 
aber  den  grössten  Vorschub  leisten  für  die  Verbreitung  der  kirchlichen 
Lehre."  Der  Papst  kann  in  seinem  Antwortschreiben  dies  nur  bestätigen 
und  erklären,  dass  er  wie  alle  Christen  dies  heidnische  Unwesen  von 
ganzem  Herzen  verabscheue  und  für  verderblich  halte. 

In  den  Verordnungen  der  Karolinger,  den  sogenannten  Kapitularien, 
wiederholen  sich  immer  wieder  die  strengsten  Verbote  diese]-  imchristlichen 
Gebräuche,  wie  in  dem  Karlmanns  zum  Jahre  742,  dem  Verzeichniss  aber- 
gläubischer und  heidnischer  Glaubensmeinungen  „indiculus  superstitionum 
et  paginiarum",  in  welch  letzterem  ausdrücklich  der  Aufzüge  im  Februar, 
„de  spurcalibus  in  Februario"  Erwähnung  geschieht. 

Auch  von  Freyr,  dem  germanischen  Frühlingsgott,  und  seiner  Schwester 
Freya,  wie  auch  seiner  Gemahlin  llolda  oder  Gerdr  wissen  wir,  dass  sie 
im  Frühjahr  auf  Wagen   durch's    Land   zogen,   günstiges  Wetter   und   ein 


Dr.  Lorsch  drückt  die  Ansicht  aus.  dass  die  Aehulichkeii  der  Mondsichel  hier  im  Spiele 
sei.  Vielleicht  biete  die  Beziehung  der  Isis  zur  Unterwell  für  das  Eerumziehen  mit  dem 
Schiffe  einen  Anhaltspunkt.  In  Aegypten  wurde  bei  Leichenzügen  Arche  oder  Schiff  herum- 
getragen; ähnlich  gestalteten  sich  die  Prozessionen  der  Phönikier.  Clair  traf  in  Syrien 
selbst  bootförmig  gestaltete  Grabdenkmäler.  Auch  Charons  Kahn  lässl  die  Reise  in  die 
Unterwelt  als  Schifffahrt  erscheinen. 

J)  Vgl.  Ideler,  Leiten  und  Wandel  Karls  des  Grossen,  II   v.   16. 


—  122  — 

fruchtbares  Jahr  erhoffen  Hessen.  Das  ganze  Mittelalter  blieb  diese 
Anschauung  und  der  damit  verbundenen  Gebrauch  lebendig-.  Ein  Ulmer 
Rathsprotokoll  vom  Nikolausabend  1530  enthält  das  Verbot:  „item  es  sol 
sich  nieman  mer  weder  tags  noch  nachts  verbuzen,  verkleiden,  noch  einig 
fassnachtkleider  anziehen,  ouch  sich  des  herumfarens  des  pflugs  und  mit 
den  schifen  enthalten,  bei  straf  1  gülden  .  .*".  Sebastian  Brant's  Narren- 
schiff spiegelt  die  gleiche  Auffassung  wieder  und  zwar  mit  bewusster 
Anspielung  an  das  Umfahren  des  Schiffes  in  Aachen: 

„Dem  Narrenschiff  laufen  sie  nach, 
Sie  finden  es  hie  zwischen  Aach2". 

Nach  des  Abtes  von  St.  Trond  Bericht  erscheint  die  Betheiligung 
der  Weber  und  Weiber  an  dem  Aufzuge  wesentlich.  Es  deutet  dieser 
Umstand  gleichfalls  auf  uralten  Götterdienst.  „Die  Priesterschaft  der 
Weber  erscheint  schon  bei  der  römischen,  ja  bei  der  ägyptischen  Isis; 
auch  bei  andern  deutschen  Festen  finden  wir  sie  neben  den  Metzgern,  die 
wahrscheinlich  die  Opferung  zu  vollbringen  hatten,  betheiligt.  So  bei  dem 
Trier'schen  Frühlingsfest,  auch  zu  Münstereifel  Hessen  die  Weber  das 
flammende  Rad  von  dem  sogenannten  Radberge  lauten.  Neben  den  Webern 
sind  es  Frauen,  die  an  dem  Kultus  Theil  nehmen,  und  sie  thun  es  ohne 
Widerstreben,  mit  sichtbarer  Vorliebe,  im  unerloschenen  Gefühl  ihrer  alten 
Priesterschaft3". 

Der  tiefste  Grund  für  diese  geheimnissvollen  Beziehungen  von 
Webern  und  Weibern  zu  der  verborgenen  Gottheit  ist  wohl  darin  zu 
suchen,  dass  die  alten  Deutschen  ähnlich  wie  die  Griechen  und  Aegypter 
des  Glaubens  lebten,  die  für  das  Leben  so  wichtige  Kunst  des  Spinnens 
und  Webens  sei  ihnen  einst  von  einer  Gottheit  gelehrt  worden.  Die 
germanische  Göttin,  welche  zur  Zeit  des  Krieges  als  Wallküre  an  dem 
blutigen  Streite  der  Männer  wirksam  Theil  nahm,  vertauschte  nach 
Beendigung  des  Krieges  den  Speer  mit  der  Spindel.  Sie  lag  derselben 
Beschäftigung  ob,  welche  in  den  ältesten  Zeiten  eine  der  Hauptpflichten 
der  Frauen  des  germanischen  Hauses,  auch  der  Herrin  des  Königs- 
palastes, ausmachte.  „Bei  dem  Zwölftenumzug  sieht  sie  (die  Göttin) 
nach,  ob  das  Ackergeräth  an  gehöriger  Stelle  sich  befinde,  und  wehe 
dem  Knechte,  der  nachlässig  war.  Am  aufmerksamsten  ist  sie  für  den 
Flachsbau  und  das  Spinnen.  Sie  tritt  in  die  Spinnstuben  oder  schaut 
durch  das  Fenster  und  wirft  eine  Zahl  Spulen  hinein,  die  bei  Strafe 
abgesponnen  werden  sollen.  Zu  Weihnachten  und  wieder  zu  Fastnacht 
umss  alles  abgesponnen  sein4".  Später,  als  allmählich  die  Lebensverhältnisse 
ausgebildeter  und  verwickelter  wurden,  und  Arbeitsteilung  eintrat,  fiel 
die  Herstellung  der  Gewebe  berufsmässigen  Handwerkern,  den  Webern, 
anheim.   Im  Bewusstsein  des  Volkes  aber  blieb  das  ursprüngliche  Verhältniss, 


!)  Grimm  J.  a.  a.  0.  S.  163. 

2)  Simrock,  K.  Handbuch  der  deutschen  Mythologie  S.  355. 

)  Ebendaselbst  S.  356. 

4)  Ebendaselbst  S.  365. 


•  —  123  — 

wenn  auch  dunkel,  haften  und  man  Legte  sowohl  den  Webern  wie  den 
Frauen  jene  religiösen  Beziehungen  zu  dem  geheimnissvollen,  verborgenen 
Wesen  bei,  die  ihnen  eine  Art  priesterlichen  Charakters  mit  allen  Pflichten 
und  Rechten  aufdrückten. 

Was  einst  in  grauer  Vorzeit  Ansfluss  ernster,  naiv  gläubiger  Stimmung 
war,  wurde  später  unter  dem  Einfluss  des  Christenthums,  durch  den  an- 
dauernden Kampf  der  kirchlichen  Autoritäten  zurückgedrängl  und  fristete 
nur  noch  als  possenhafter  Aufzug  ein  nicht  mehr  verstandenes  Dasein. 
Geistreich  und  wahrscheinlich  ist  die  Yermuthung  deutscher  Forscher, 
die  in  den  noch  heute  üblichen  Fastnachtsgebräuchen,  insbesondere 
den  Aufzügen  mit  ihrem  Mummenschanz  den  Rest  jener  ursprünglich 
heidnisch  religiösen  Feierlichkeiten  erblicken.  Die  Bezeichnung  Fastnacht 
wird  mit  Fasten  ebensowenig  zu  thun  haben,  wie  der  Name  Karneval  m  i  t 
„0  Fleisch,  lebe  wohl!"  zu  übersetzen  ist.  Die  alten  Formen  Fassnacht 
und  Vastelovent  (Faselabend)  weisen  auf  des  Zeitwort  faseln  hin,  welches 
in  alter  Zeit  Possenreissen,  Tollheiten  treiben  bezeichnete.  Desgleichen  lässl 
sich  das  Wort  Karneval  richtiger  auf  car  navale  „Schiffswagen"  zurück- 
führen, welcher  ja  den  Mittel-  und  Glanzpunkt  der  Fastnachtszüge  bildet. 

Der  von  dem  Abt  von  St,  Trond  geschilderte  Vorgang  würde  sich 
demnach  als  ein  Fast  nachts-  oder  Frühlingsumzug  darstellen,  der  aus 
germanischer  Urzeit  herüberreichend,  von  Zeit  zu  Zeit  wieder  lebendig 
wurde.  Ob  jedes  Jahr,  ist  zu  bezweifeln,  wenigstens  in  Hinsicht  auf  so 
allgemeine  Betheiligung  und  weite  Verbreitung.  Möglich,  dass  gerade 
damals  eine  starke,  kirchenfeindliche  Stimmung  im  Volke  Platz  gegriffen 
hatte  und  diese  Erregtheit  Behörde  und  Volk  veranlasste,  die  der  Geist- 
lichkeit verhasste  Feier  aus  Opposition  möglichst  geräuschvoll  zu  begehen. 
Wenigstens  berichten  uns  die  Annalen  des  benachbarten  Klosterrath  zum 
Jahre  1135,  dass  im  nahe  gelegenen  Lüttich,  zu  dessen  Diözese  Aachen 
gehörte,  Ketzer  aufgetreten  seien,  welche  in  heftiger  Weise  gegen  Ehe, 
Kindertaufe  und  andere  kirchliche  Einrichtungen  angingen  und  durch  ihre 
Predigten  grossen  Aufruhr  erregten. 


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Kleinere  Mittheilungen, 

Der  Rodensteiner. 

Der  germanisch-heidnische  Kriegsgott  Wodan  tral  nach  dem  Glauben  der  alten 
Deutschen  nicht  erst  im  heissen  Kampfgetümmcl  der  Wahlstatl  mitwirkend  auf,  sondern 
auchschon  vor  einem  Kriege  machte  er  sich  an  der  Spitze  seiner  Scharen,  „des  wüthendon 
Heeres",  bemerkbarund  deutete  damit  das  Ausbrechen  des  Streites  an.  In  späterer  Zeil 
jedoch  wird  er  nicht  mein-  selbst  genannt,  sondern  das  Volk  setzt  einen  seiner  Lieblings- 
helden an  seine  Stelle,  der  unsterblich  durch  seine  Etuhmesthaten,  nichl  verschieden 
war,  vielmehr  in  einen  Berg  entrückt,  seine  Stunde  erwartete.  Von  diesen  Heldengeistern 
ist  neben  Barbarossa  der  Rodensteiner  am  bekanntesten,  der  im  Schnellert,  einem  Bergschlossdes 
Odenwaldes  verborgen  ruht.  Sein  Erwachen  und  Umherspuken  gall  der  Bevölkerung  bis 
in  die  jüngste  Zeit  als  unfehlbare  Anzeige  bevorstehender  Kriegsunruhen.  Bimrocl  schreibt 
darüber  in  seiner  deutschen  Mythologie  also:  „Wenn  ein  Krieg  bevorsteht,  zieht  der 
Rodensteiner  von  seinem  gewöhnlichen  Aufenthaltsort  Schnellerts  bei  grauender  Nachl  aus, 


—  124  — 

begleitet  von  seinem  Hausgcsind  und  schmetternden  Trompeten.     Er   fährt   durch  Hecken 

und   Gesträuche,   durch  die   Hofraithe   und   Scheune   Simon   Daums   zu  Oberkainsbach  bis 

nach  dem  Rodenstein,  flüchtet,  gleichsam  als  wolle  er  das  Seinige  in  Sicherheit  bringen.  Man 

hat  das   Knarren  der  Wagen  und  ein  Hohoschreien,    die  Pferde  anzutreiben,  ja  selbst  die 

einzelnen  Worte  gehört,  die  einherziehendem  Kriegsvolk  vom  Anführer  zugerufen  werden 

und  womit  ihm   befohlen  wird.     Zeigen    sich  Hoffnungen  zum  Frieden,    dann   kehrt   er  in 

gleichem  Zuge  vom  Rodenstein  nach  dem  Schnellerts  zurück,   doch  in  ruhiger  Stille,  und 

man  kann  dann  gewiss  sein,  dass  der  Friede  wirklich  abgeschlossen  wird.  .  ." 

Es  scheint  nun,   dass  man  auch  in  der  Umgegend  von  Aachen  dem  Erscheinen  des 

Rodensteiners   eine   Bedeutung  beilegte.     Es    findet   sich   nämlich    in    den  Papieren   der 

Herren   von  Schönau   bei  Aachen   eine   amtliche,    darauf  bezügliche   Mittheilung,    welche 

wahrscheinlich   erbeten   worden   ist   in   der   Absicht,    danach   die   nöthigen  Maßregeln   zu 

treffen.     Das  unter  diesem  Gesichtspunkte  nicht  unbedeutsame  Schriftstück  möge  iu  seinem 

Wortlaute  folgen: 

Pro  Nota: 

Von  einem  abermahligen  Heers-Zug  des  Rodensteinischen  Kriegs-Geistes  ist  hiesiger 
Gegendt  noch  nichts  bekant;  derselbe  ist  nach  geendigtem  Kriege  in  das  Friedens-Schloss 
Schnellert  eingezogen  und  ist  zur  Zeit  der  Römischen  Königs-Wahl  nach  Aus  weiß  des 
anliegenden  Protocolli  wiederum  herauß  und  den  Weg  in  das  Kriegs-Schloss  Rodenstein 
marchiret,  worinnen  er  noch  würeklich  seinen  Aufenthalt  hat.  Der  Aufenthalt  in  diesem 
Schloss  ist  nach  denen  gleichmässigen  Beobachtungen  eine  jedesmahlige  Anzeige  eines 
bevorstehenden  und  höchstens  binnen  3  Jahren  erfolgenden  Kriegs.  Wenn  aber  der  Krieg 
sehr  nahe  komt,  und  die  Gegenden  des  Rhein  oder  Mayn-Strohms  betrifft,  so  erfolgt  ein 
abermahliger  Heerszug  durch  den  Orth  Fränkisch  Krumbach,  allwo  der  Geist  vor  einer, 
vormahligen  Huf-Schmiede  einen  Halt  macht  und  das  Beschlagen  seiner  Pferde  deutlich 
hören  läßt,  demnächst  seinen  Marche,  ohne  zu  wissen  wohin,  mit  einem  Getösse  fortsetzet 

Heidenfelß,  den  16^5  Septembris  1765.  in  fidem  .  .  . 

(Ort  und  Datum  sind  zur  Hälfte  abgerissen  und  nicht  sicher  lesbar,  die  Unterschrift 
fehlt  ganz.) 

Aachen.  K.  Wieth. 

Verzeichniss  der  Mitglieder, 

I.  Vorstand. 

Erster  Vorsitzender:  Wacker,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Zweiter  Vorsitzender:  Schnock,  H.,  Kaplan  in  Aachen. 
Schriftführer:  Oppenhoff,  F.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Bibliothekar:  Schollen,  M.,  Staatsanwaltschafts-Sekretär  in  Aachen. 
Kassirer:  Kremer,  F.,  Buchhändler  in  Aachen. 
Redakteur:  Wieth,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Beisitzer:  Abels,  H.,  Chefredakteur  in  Aachen. 

Bott,  P.,  Bürgermeister  in  Eilendorf. 

Menghius,  C.  W.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Müllenmeister,  Tb.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Schaf frath,  J.,  Stadtverordneter  in  Aachen. 

II.  Mitglieder: 

Abels,  H.,  Chefredakteur  in  Aachen. 

Alsters,  Professor  Dr.  N.,  Gymnasial-Oberlehrer  in  Aachen. 

Appclrath,  F.,  Kaufmann  in  Lindenthal. 

Barth,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Becker,  J.,  Pfarrer  in  Hallschlag. 

ßoek,  P.,  Nadelfabrikant  in  Aachen. 


•  —  125  — 

Bock,  C.  jun.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Böckeier,  H.,  Stiftsvikar  und  Dumchordirigent  in  Aachen. 
Böhmer,  0.,  stud.  ehem.  in  Aachen. 
Bohlen,  J.,  Rechtsanwalt  in  Aachen. 
Bott,  P.,  Bürgermeister  in  Eilendorf. 
B*ruch,  R.;  Fabrikant  in  Burtscheid. 
Buchholz,  Jos.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Brückner,  Dr.,  Arzt  in  Aachen. 
Bücken,  W.,  Uhrmacher  in  Aachen. 
Capellmann,  R.,  Geometer  in  Aachen. 
Chantraine,  Dr.  W.,  Arzt  in  Aachen. 
Clar,  M.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Classen,  Pfarrer  in  Verlautenheide. 
•Comp es,  J.  G.,  Pfarrer  und  Ehrenstiftsherr  in  Aachen. 
Cornely,  Bürgermeister  a.  D.  in  Elchenrath. 
Cossmann,  Th.,  Möbelfahrikant  in  Aachen. 
Cremer,  E.,  Lehrer  in  Aachen. 
Cremer,  Chr.  Jos.,  Architekt  in  Aachen. 
Creutzer,  A.,  Buchhändler  in  Aachen. 
Curtius,  Dr.  A.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Dahmen,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Daverkosen,  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 
D erneu se,  H.,  Fabrikant  in  Aachen. 
Dohmen,  H.,  Gymnasiallehrer  in  Saarbrücken. 
Dresemann,  Dr.  0.,  Redakteur  in  Köln. 
Dri essen,  J.  L.,  Rektor  in  Essen  a.  d.  Ruhr. 
Dujardin,  Jos.,  Rektor  in  Aachen. 
Eisenhuth,  Dr.  Jos.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Eibern,  M.,  Architekt  in  Aachen. 
Engels,  C,  Realgymnasiallehrer  in  Aachen. 
Ervens,  P.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Eschweiler,  J.  J.,  Religionslehrer  in  Aachen. 
Feldmann,  J.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Ferbeck,  J.,  Fabrikant  in  Aachen. 
Fey,  Joh.,  Gerichtsassistent  in  Aachen. 
Firmanns,  Apotheker  in  Aachen. 
Firmanns,  Jak.,  Juwelier  in  Aachen. 
Flamm,  Vikar  in  Immendorf. 
Flamm,  J.  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Flesch,  W.  S.,  Priester  in  Aachen. 
Forcke,  A.,  Lehrer  in  Aachen. 
Forkenbeck,  von,  Rentner  in  Aachen. 
Förster,  Jos.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Fraiquin,  Lehrer  in  Aachen. 
Gerstung,  Job.,  Kaufmann  in  Krefeld. 
Geyer,  H.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Goblet,  Aug.,  Seifenfabrikant  in  Aachen. 
Göbbels,  Jak.,  Architekt  in  Aachen. 
Göbbels,  Jos.,  Architekt  in  Aachen. 
Goecke,  Dr.  W.,  Realschul-Oberlehrer  in  Aachen. 
Greve,  Dr.  Th.,   I!ealgyninasiallehrer  in  Aachen. 
Grimmendahl,  Dr.  P.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Groeninger,  K.,  Fabrikdirektor  in  Aachen. 
Gross,  H.  J.,  Pfarrer  in  Kalk. 
Hagelücken,  F.,  Realschullehrer  in  Aachen. 


—  126  — 

Hammels,  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Hammers,  H.,  Photolithograph  in  Aachen. 

Hammers,  Joh.,  Rentner  in  Aachen. 

Hansen,  Dr.  Jos.,  Kgl.  Archivassistent  in  Münster. 

Heine,  E.,  Mahr  in  Burtscheid. 

Heinemann,  0.,  Privatlehrer  in  Aachen. 

He  inen,  Dr.  L.,  Arzt  in  Aachen. 

Heller,  W.,  Geometer  in  Aachen. 

Hennes,  F.,  Rentner  in  Aachen. 

Hentrich,  Aktuar  in  Aachen. 

Herrn  an,  A.,  Maschinenfabrikant  in  Burtscheid. 

Hermeus,  Jos.,  Spediteur  in  Aachen. 

Herren,  L.,  Kaufmann  in  Aachen. 

He  Ticken,  Jos.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Heusch,  A.,  stud.  iur.  in  Aachen. 

Hilgers,  Dr.,  Priester  in  Aachen. 

Hoff,  H.  von  den,  Rechtsanwalt  in  Aachen. 

Hube,  M.,  Geschäftsbücherfabrikant  in  Aachen. 

Janssen,  P.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Jardon,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Jaulus,  Dr.  H.,  Rabbiner  in  Aachen. 

Jonas,  Dr.  Ohr.  J.,  Religionslehrer  in  Kemperhof  b.  Coblenz. 

Jörissen,  A.,  stud.  iur.  in  Aachen. 

Jö  rissen,  H.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Kaatzer,  H.,  Buchdruckereibesitzer  in  Aachen. 

Kaentzeler,  Vikar  in  Montzen-Moresnet. 

Kahl  au,  H.  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Kaltenbach,  J.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Keller,  H.,  Ingenieur  in  Aachen. 

Keller,  L.,  Kaufmann  in  Krefeld. 

Kell  et  er  H.,  cand.  phil.  in  Aachen. 

Kelleter,  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Kesselkaul,  E.,  Fabrikant  in  Hamburg. 

Kessels,  Rektor  in  Heerlen. 

Kickartz,  J.,  Gasmeister  in  Aachen. 

Klausener,  Bürgermeister  in  Burtscheid. 

Klein,  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Bonn. 

Klinkenberg,  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Köln. 

Kloth,  J.,  Konditoreibesitzer  in  Aachen. 

Knapp,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Krem  er,  F.,  Buchhändler  in  Aachen. 

Krichel,  J.  M.,  Rendant  in  Aachen. 

Kricker,  E.,  Apotheker  in  Aachen. 

Kruszewski,  Dr.  A.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Küper,  W.,  Rektor  in  Aachen. 

Kuetgens,  P.,  Stadtrath  in  Aachen. 

Lambertz,  H.,  Pianofortefabrikant  in  Aachen. 

Lamberz,  Ingenieur  in  Aachen. 

Langebeck,  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Lauffs,  W.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Lennartz,  W.,  Hof-Uhrmacher  in  Aachen. 

Lersch,  Dr.,  Arzt  und  Bade-Inspektor  in  Aachen. 

Lessenich,  M.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Leven,  Th.,  Kaplan  in  Aachen. 

Leyen,  E.  von  der,  Rittergutsbesitzer  in  Bonn. 


•  —    12?   — 

Linnartz,  W.,  Direktor  der  Taubstummenanstalt   in  Aachen. 
Lol>,  I!.,  Tuchfabrikanl  in  Bürtscheid. 
Loerckens,  l>r.  .1.,  Rechtsanwalt  in  Bonn. 

LceiBch,  Dr   II..  Geh.  Justizrath  and  ordentl,  Professor  der  Rechte  in  Bonn. 
Lovens,  J.,  Pianofortefabrikanl   in  Aachen. 

LückeiMth,  W.,  Kaplan  und  Lehrer  an  der  höheren  Schule  in  Eeinsberg. 
Lussem,  J.,  Kaplan  in  Aachen. 
Maastricht,  Staatsarchiv. 
Macco,  H.  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Magdeburg,  Gr.,  cand.  ehem.  in  Aachen. 
Mar jan,  H.,  Oberlehrer  in  Aachen. 
Meder,  Dr.  J.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Me es sen,  Bauunternehmer  in  Forst. 
MengJiius,  W.,  Fabrikant  in  Aachen. 
Mensing,  A.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Mertens,  F.,  Möbelfabrikant  in  Aachen. 
M eurer,  Dr.  A.,  Realgymnasiallehrer  iu  Aachen. 
Meyer,  Ed.,  Fabrikant  iu  Aachen. 
Müllenmeister,  J.,  Tuchfabrikant  in  Aacheu. 
Müllenmeister,  Th.,  Tuchfabrikant  in  Aachen. 
Nelson,  Dr.,  J.,  Oberlehrer  in  Aachen. 
Neu,  F.,  Rektor  in  Aachen. 
Neufforge,  Th.  von,  Kaufmann  in  Aachen. 
Neujean,  E.,  Maler  in  Aachen. 
Ochs,  Kaplan  in  Aachen. 
Oppenhoff,  F.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 
Ortmanns,  P.,  Tuchfabrikant  in  Aachen. 
Otten,  H.,  Cigarrenfabrikaut  in  Aachen. 
Palm,  F.  N.,  Buchdruckereibesitzer  in  Aachen. 
Pauls,  E.,  Apotheker  in  Bedburg. 
Pauls,  Dr.  0.,  Realschullehrer  in  Aachen. 
Paulssen,  F.,  Bierbrauereibesitzer  in  Aachen. 
Peerenboom,  Realgymnasiallehrer  in  Aachen. 
Peetz,  P.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Pelser-Berensberg,  0.  von,  Bergwerksinspektor  in  Kirchrath. 
Pcppermüller,  H.,  Bibliothekar  der  technischen  Hochschule  in  Aachen. 
Peveling,  J.,  Realschullchrer  in  Aachen. 
Pick,  R.,  Stadtarchivar  in  Aachen. 
Pier,  H.  von,  Nadelfabrikant  in  Aachen. 
Pier,  L.  von,  Nadelfabrikant  in  Aachen. 
Plancker,  S.,  Stadtdechant  und  Ehrenstiftsherr  in  Aachen. 
Pohl,  W.,  Bildhauer  iu  Aachen. 
Prinz,  Dr.,  Seminarlehrer  in  Cornelimünster. 
'  Pschmadt,  J.,  Realgymnasial -Vorschullehrer  in  Aachen. 
Pütz,  J.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Quadflieg,  A.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Reinartz,  P.,  Kaplan  in  Aachen. 
Reinartz,  J.,  Architekt  in  Aachen. 
Rey,  A.  van,  Kaufmann  in  Aachen. 
Rhoen,  C,  Architekt  in   Aachen. 
Rottmann,  Fr.  W.,  Kaufmann  in  Aachen. 
Saedler,  H.,  Pfarrer  in   Derendorf-Düsseldorf. 
Saget,  P.,  Schriftsteller  in  Aachen. 
Schaffrath,  J.,  Stadtverordneter  in  Aachen. 
Scheen,  Dr.,  Arzt  in  Cornelimünster. 


—  128  — 

Schervier,  A.,  Fabrikant  in  Aachen. 

Schiffers,  H.,  Steinmetzmeister  in  Raeren. 

Schlenter,  H.,  Gerichtssekretär  m  Aachen. 

Schmitz,  Pastor  in  Waiheim. 

Schmitz,  Direktor  in  Aachen. 

Schmitz,  J.  Dr.,  Arzt  in  Aachen. 

Schmitz,  C,  Baumeister  und  Stadtrath  in  Aachen. 

Schmitz,  P.,  Import-Geschäft  in  Aachen. 

Schneider,  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Schneider,  Dr.,  Professor  in  Düsseldorf. 

Schnock,  H.,  Kaplan  in  Aachen. 

Schnütgen,  M.  Dr.,  Religionslehrer  in  Aachen. 

Schöddrey,  Regierungs-Baumeister  in  Saarbrücken. 

Schollen,  M.,  Staatsanwaltschafts-Sekretär  in  Aachen. 

Schriever,  C,  Gerichtsassistent  in  Aachen. 

Schulze,  J.,  Gymnasial -Vorschullehrer  in  Aachen. 

Schuster,  L.  Dr.,  Arzt  in  Aachen. 

Schwartzenberg,  P.  von,  Steinmetzmeister  in  Aachen. 

Schweitzer,  J.,  Buchhändler  in  Aachen. 

Sommer,  J.  Dr.,  Gymnasial-Oberlehrer  in  Aachen. 

Spelz,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Stein,  F.  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Sterze  nbach,  Gymnasial -Vorschullehrer  in  Aachen. 

Strom,  F.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Spölgen,  Dr.,  Realgymnasial-Oberlehrer  in  Aachen. 

Teus,  W.  A.,  Kaplan  in  Aachen. 

Theissen,  H.,  Hotelbesitzer  in  Aachen. 

Theissen,  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Emmerich. 

Timmer  man  n  s,  Kaufmann  in  Aachen. 

T hissen,  F.,  Kanzleirath  in  Aachen. 

Tönnissen,  W.,  Kaplan  in  Stolberg. 

Urlichs,  B.,  Buchdruckereibesitzer  in  Aachen. 

Vaassen,  Dr.  B.,  Rechtsanwalt  in  Aachen. 

Vecqueray,  Kaufmann  in  Aachen. 

Veith,  von,  Generalmajor  in  Bonn. 

Vi  gier,  A.,  Schirmfabrikant  in  Aachen. 

Vigier,  L.,  Schirmfabrikaut  in  Aachen. 

Vogelgesang,  C.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Wacker,  C.  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Wangemann,  A.  Dr.,  Zahnarzt  in  Köln. 

Wangemann,  P.  Dr.,  Zahnarzt  in  Aachen. 

Wattendorf,  Dr.,  Gymnasiallehrer  in  Emmerich. 

Weerth,  Dr.  E.,  aus'm,  Professor  in  Kessenich. 

Weidenhaupt,  P.,  Lehrer  in  Aachen. 

Welter,  H.,  Rechtsanwalt  in  Aachen. 

Wendlandt,  L.,  Pfarrer  in  Rheinbach. 

Wergifosse,  R.,  Rektor  in  Ehrenfeld. 

Weyers,  R.,  Buchhändler  in  Aachen. 

Wiertz,  P.,  Bierbrauereibesitzer  in  Aachen. 

Wieth,  Dr.  K.,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Wirtz,  Gymnasiallehrer  in  Aachen. 

Zander,  A.,  Gymnasiallehrer  in  Kempen. 

Zimmermann,  H.,  Bürgermeister  in  Aachen. 


Druck  von  Hühmasn  Kaatzkk  in  Aachen. 


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